Täterschaft und Teilnahme als Handlungsunrechtstypen: Zugleich ein Beitrag zur allgemeinen Verhaltensnormlehre [1 ed.] 9783428556021, 9783428156023

Die Tatherrschaftslehre oszilliert zwischen faktischer Steuerungs- und normativer Verantwortlichkeitsherrschaft. Dabei b

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German Pages 772 [773] Year 2019

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Täterschaft und Teilnahme als Handlungsunrechtstypen: Zugleich ein Beitrag zur allgemeinen Verhaltensnormlehre [1 ed.]
 9783428556021, 9783428156023

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Schriften zum Strafrecht Band 337

Täterschaft und Teilnahme als Handlungsunrechtstypen Zugleich ein Beitrag zur allgemeinen Verhaltensnormlehre

Von

Bastian Kreuzberg

Duncker & Humblot · Berlin

BASTIAN KREUZBERG

Täterschaft und Teilnahme als Handlungsunrechtstypen

Schriften zum Strafrecht Band 337

Täterschaft und Teilnahme als Handlungsunrechtstypen Zugleich ein Beitrag zur allgemeinen Verhaltensnormlehre

Von

Bastian Kreuzberg

Duncker & Humblot · Berlin

Die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn hat diese Arbeit im Jahre 2017 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2019 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: 3w+p GmbH, Ochsenfurt-Hohestadt Druck: CPI buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 0558-9126 ISBN 978-3-428-15602-3 (Print) ISBN 978-3-428-55602-1 (E-Book) ISBN 978-3-428-85602-2 (Print & E-Book)

Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meinen Eltern

Vorwort Die vorliegende Arbeit versteht sich als Versuch, die strafrechtliche Beteiligungsformenlehre handlungstheoretisch zu reformulieren und so die Kalamitäten in den Griff zu bekommen, mit denen sich die überkommene Tatherrschafts- als Zurechnungslehre konfrontiert sieht. Die Arbeit wurde im Wintersemester 2017 vom Fachbereich Rechtswissenschaft der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn als Dissertation angenommen. Rechtsprechung und Literatur befinden sich auf dem Stand vom August 2017. Mein besonderer Dank gilt meinem Doktorvater, Herrn Univ.-Prof. em. Dr. HansUllrich Paeffgen, der im Rahmen einer Seminarveranstaltung mein Interesse an der strafrechtlichen Beteiligungsformenlehre weckte und mich infolge meines Entschlusses zur wissenschaftlichen Vertiefung dazu ermutigte, das Thema grundlegend neu zu durchdenken. Auch stand er mir während der gesamten Anfertigungsphase der vorliegenden Arbeit stets mit Rat und Tat zur Seite. Zudem bin ich Frau Univ.Prof. em. Dr. Ingeborg Puppe für ihre extrem schnelle Erstellung des Zweitgutachtens sehr zu Dank verpflichtet. Ganz herzlich bedanken möchte ich mich auch bei meiner Familie, die mich mit großer Geduld durch die Zeit der Anfertigung der Dissertation begleitet und in jeder Hinsicht unterstützt hat. Danken möchte ich ferner meinem langjährigen Freund Herrn Rechtsanwalt Anno Haak, LL.M., der mir auch in schwierigen Phasen stets das Gefühl gab, das Thema der vorliegenden Arbeit juristisch bewältigen zu können und mir mit seinem juristischen Scharfsinn eine große Hilfe gewesen ist. Ganz besonderen Dank schulde ich schließlich Frau Dipl.-Jur. Cordula Haak, die mit ihrer professionellen Akkuratesse das Lektorat der vorliegenden Arbeit übernommen hat und mir bei der Anfertigung des Personenverzeichnisses eine unverzichtbare Hilfe gewesen ist. Bonn, im Januar 2019

Bastian Kreuzberg

Inhaltsverzeichnis Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25

Erstes Kapitel Formell-phänomenologischer versus materiell-normativer Handlungsbegriff und Zielsetzung der vorliegenden Arbeit

32

A. Die Beteiligungslehre Roxins – Phänomenologischer Tatbestandshandlungsbegriff und materielle Tatbestandsverwirklichung qua Zentralgestalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 B. Die gegenläufige Beteiligungslehre Schilds – Strafgesetzlich formalisierter materieller Einheitstäterbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 C. Die eigene Idee: Versuch, den von Schild eingenommenen Ansatz auf Basis des intentionalen Handlungsbegriffs Kindhäusers fortzuführen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41

Zweites Kapitel Täter als tatbestandsmäßig sich Verhaltender und vorrechtlicher Handlungsbegriff

47

A. Täterbild der Alltagsanschauung und tatbestandsmäßiges Verhalten . . . . . . . . . . . . . . 47 B. Die Regelung des § 25 und der allgemeine Täterbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 I. Fehlen eines einheitlichen gesetzlichen Täterbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 1. § 25 als Konkretion eines allgemeinen Täterbegriffs für die vorsätzlichen Handlungsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 2. Fahrlässige Begehungsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 3. Vorsätzliche (unechte) Unterlassungsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 a) Unterlassen in mittelbarer Täterschaft? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 b) Unterlassen in Mittäterschaft? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 c) Garantiepflichtwidrige Nichthinderung eines Aktivtäters . . . . . . . . . . . . . . 59 d) Realakzessorische Unterlassungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 e) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 4. Sonderdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 5. Delikte mit Willenserklärungen als Tatbestandshandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . 66

10

Inhaltsverzeichnis 6. Eigenhändige Delikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 7. (Reine) Pflichtdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 8. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 II. Der in § 25 vorausgesetzte, allgemeine Täterbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 1. Tatbestandsmäßiges Verhalten als offener konkreter Begriff . . . . . . . . . . . . . . 70 2. Der intentionale Handlungsbegriff als vorrechtliches genus proximum . . . . . . 71 a) Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 aa) Handlung als Zuschreibung von Verantwortung für ein Ereignis und Entlastungsmöglichkeiten des Akteurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 bb) Teleologische Sinnattribution und Selbstinterpretation des Akteurs . . . 75 (1) Vorsatz(sinn), Fahrlässigkeit(ssinn) und praktische Handlungsexplikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 (2) Intentionen höherer Ordnung und praktische Handlungsexplikation 82 (3) Komplexe Ich-Intentionalität, Wir-Intentionalität und praktische Handlungsexplikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 (4) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 b) Prinzipielle Offenheit des intentionalen Handlungsbegriffs „nach oben hin“ und Grenzen des allgemeinen Handlungsinterpretaments bei Beteiligung mehrerer Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 c) Intentionale Handlung und Kausalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 aa) Real- und sozialontologische Handlungskomponente . . . . . . . . . . . . . . 88 bb) Realontologische Komponente und Kausalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 (1) Metaphysischer Kausalitätsbegriff contra Regularitätsthese . . . . . . 92 (2) Die Lehre von der gesetzmäßigen Bedingung und ihre logische Bestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 (3) Die Probleme der Conditio-sine-qua-non-Formel und ihre Lösung nach der Lehre von der gesetzmäßigen Bedingung . . . . . . . . . . . . . 99 (a) Ersatzursachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 (b) Alternative Kausalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 (c) Mehrfachkausalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 (4) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 (5) Sonderprobleme der Kausalitätsbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 (a) Abbruch rettender Kausalverläufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 (b) Die Kausalität von Unterlassungen und die Probleme der Handlungszuschreibung auf zwei Ebenen . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 (c) Psychisch vermittelte Kausalität bzw. nicht determinierte Bereiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 cc) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 d) Finaler Handlungsbegriff, Monita und intentionaler Handlungsbegriff . . . . 111 aa) Intentionaler Handlungsbegriff und implizite Nebenfolgen des Handlungsvollzugs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 bb) Intentionaler Handlungsbegriff und Fahrlässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . 114

Inhaltsverzeichnis

11

cc) Intentionaler Handlungsbegriff und Automatismen . . . . . . . . . . . . . . . . 115 dd) Intentionaler Handlungsbegriff und Unterlassung . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 3. Handlungsbegriff des sozialen Alltags und strafrechtlicher Handlungsbegriff 118 4. Intentionaler Handlungsbegriff und Zusammenwirken mehrerer Subjekte . . . 120 a) Grenzen der intentionalen Selbstverwirklichung: innen oder außen? . . . . . 120 b) Intentionale Selbstverwirklichung und Eigenkörperlichkeit . . . . . . . . . . . . . 123 c) Mehrdimensionalität des Tatbestandshandlungsbegriffs: Potpourri der strafrechtlichen Systemkategorien? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 d) Tatbestands- oder Teilnahmehandlung? – Eine Frage des Programmgehalts 129 e) Intentionaler Handlungsbegriff und Interaktion mehrerer Subjekte bei Kindhäuser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 aa) Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 bb) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 5. Von einem konkreten Tatbestandsverhaltensbegriff abweichende Modelle . . . 135 a) Tatbestandsmäßiges Verhalten als objektiv zurechenbare Erfolgsherbeiführung (Roxin) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 aa) „Persönlichkeitsäußerung“ als Handlung und soziales Alltagsverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 bb) „Zentralgestalt“, soziales Alltagsverständnis, sozialer Täterbegriff . . . 139 cc) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 b) Tatbestandsmäßiges Verhalten und objektive Risikoschaffung (Frisch) . . . 142 aa) § 16 als gesetzliches Strukturmodell der Vorsatzdelikte? . . . . . . . . . . . 144 bb) Objektiv unerlaubte Risikoschaffung als sachlogisch vorgegebener Bezugspunkt der Tätervorstellung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 cc) Risikoschaffung als konkreter Erfolg, der seinerseits einer Zurechnungsgrundlage bedarf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 6. Die sorgfaltswidrige Handlung als allgemeines Verhaltensunrecht der Fahrlässigkeitsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 7. Die handlungsmäßige Expression einer zweckrationalen Erfolgsmaxime als allgemeines Handlungsunrecht der vorsätzlichen Handlungsdelikte . . . . . . . . 152

Drittes Kapitel Täter als Verletzer einer Verhaltensnorm: Normentheoretische Fundierung des eigenen Ansatzes

153

A. Axiomatische Grundlegung: Schuldprinzip und Erfordernis eines personalen Verhaltensunwerts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 B. Konkret-individuelle Pflichten als Derivate abstrakt-genereller Verhaltensnormen . . . 155 I. Der Prozess der Normgenese nach Armin Kaufmann und seine Adaption an den hier vertretenen Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156

12

Inhaltsverzeichnis II. Der Vorgang der Normenkonkretisierung (= Pflichtgenese) . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 III. Teleologische Ableitung des für die Normerrichtung maßgeblichen Beurteilungsmaßstabs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 IV. Hinweis auf Kritik am Kaufmann’schen System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162

C. Erfolg als integraler Bestandteil des vorsätzlichen Handlungsunrechts . . . . . . . . . . . . 163 D. Die Verhaltensnormgenera (= Verbote/Gebote) und ihre jeweiligen Unterarten (= Vorsatz-/Fahrlässigkeitsnormen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 I. Die Verbotsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 1. Die Verbote der vorsätzlichen Begehungsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 a) Der Vorgang der Normenkonkretisierung bei den allgemeinen Vorsatzverboten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 b) Ausräumung nahe liegender Einwände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 c) Verbotsstufen der allgemeinen vorsätzlichen Begehungsdelikte . . . . . . . . . 173 d) Besondere Verbotsnormen, Sonderhandlungsunrecht und Normenkonkretisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 aa) Schützen die Sonderdelikte (zumindest auch) genuine Sonderrechtsgüter? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 bb) Liegen den reinen Sonderdelikten besondere Normen zur Herstellung von Rechtsgütern zugrunde? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 cc) Gibt es gemeinrechtsgutsbezogene Sondernormen? . . . . . . . . . . . . . . . 180 (1) Innenrechtliche Dienstpflichten als Sonderverhaltensnormen? . . . . 181 (2) Außenrechtsnormen mit beschränkter allgemeiner Normadresse? 182 (3) Sonderverhaltenspflichten als den Gemeinrechtsgüterschutz erweiternde Zusatzverhaltenspflichten mit besonderer Materie . . . . . . . . 183 (4) Besondere Subjektqualifikation als Pflichtmerkmal . . . . . . . . . . . . 183 dd) Die drei Arten des Sonderhandlungsunrechts und die Konkretisierung der jeweils zugrunde liegenden Verhaltensnormen . . . . . . . . . . . . . . . . 184 (1) Delikte mit institutionell geschuldetem Gemeinrechtsgut . . . . . . . . 185 (2) Delikte mit sonderpflichtbegründendem Bestandsrechtsgut . . . . . . 186 (3) Gemeinunrechtsakzessorische Sonderdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 ee) Normenkonkretisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 (1) Eo ipso bestandsrechtsgutsbezogene Sonderverhaltenspflichten . . . 191 (2) Institutionell bedingte Sonderverhaltensnormen . . . . . . . . . . . . . . . 192 (3) Innenrechtspflichtmodifizierte Allgemeinverhaltensnormen . . . . . . 193 ff) Sonderdelikte und Intranenbeteiligung: keine Beteiligung sui generis 194 e) Verhaltensnormtheoretische Einordnung von Delikten mit substantiell abweichend bestimmtem Tatbestandshandlungsunrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 aa) Delikte mit Willenserklärungselementen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 bb) Eigenhändige Delikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 cc) (Reine) Pflichtdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198

Inhaltsverzeichnis

13

f) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 2. Die Verbote, die den fahrlässigen Begehungsdelikten zugrunde liegen . . . . . . 199 a) Fahrlässigkeitsverbote als „halbgeschlossene Systeme“ . . . . . . . . . . . . . . . . 200 b) Die kritischen Fallkonstellationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 c) Sanktionsnormrelevanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 II. Die Gebotsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 1. Die Gebotstatbestände der vorsätzlichen „echten“ und „unechten“ Unterlassungsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 a) (Alltags-)Ontologische Strukturunterschiede zwischen Tun und Unterlassen und Konsequenzen für die Dogmatik der Unterlassungsdelikte . . . . . . . . . . 206 aa) Unterlassungskausalität statt „Quasi-Kausalität“ – wirkliche intentionale Zulassungshandlung statt fehlender Handlung . . . . . . . . . . . . . . . . 208 bb) Genuiner Unterlassungsvorsatz statt „Quasi-Vorsatz“ . . . . . . . . . . . . . . 209 cc) Umkehrprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 b) Konkretisierung des allgemeinen Handlungsgebots zur Handlungspflicht (= „Unterlassungsgemeinunrecht“) und echte Unterlassungsdelikte . . . . . . 213 c) Das Unrecht der sog. „unechten“ Unterlassungsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . 214 aa) Strukturelle und substantielle (Kern-)Identität mit dem Gemeinunrecht 214 bb) Unechtes Unterlassen als begehungsgleichwertiges Unterlassen . . . . . . 216 cc) Abschichtung des begehungsgleichwertigen (= „unechten“) Unterlassens vom echten Unterlassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 dd) Entstehungsvoraussetzungen der dringlichkeitsmodifizierten Garantenhandlungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 d) Allgemeines Verhaltensunrecht der intentionalen Zulassung durch Unterlassen und Beteiligungsformen: vorläufiger Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 e) Normstufen/begehungssonderdeliktsgleichwertiges Unterlassen . . . . . . . . . 221 2. Die Gebotstatbestände der fahrlässigen Unterlassungsdelikte . . . . . . . . . . . . . 222 a) Gebot und Gebotsgegenstand beim unsorgfältigen Erfolgsabwendungsversuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 b) Gebot und Gebotsgegenstand bei der unfinalen Erfolgsabwendung . . . . . . 226 c) Die Erkennbarkeit der Gefahrenlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 d) Echtes und begehungsgleichwertiges fahrlässiges Unterlassen . . . . . . . . . . 230 III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 E. Rekapitulation der bisherigen Gesamtausführungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 F. Abweichende Straftat- und Unrechtsmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 I. Die neokantianische Handlungslehre im Anschluss an E. A. Wolff: Unrechtliche Handlung als sinnerfassende Unterdrückung konkreter Freiheit (hier: Zaczyk) 238 1. Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 2. Kritische Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 3. Exkurs: Rechtsnormen als autonom-heteronome Gebilde . . . . . . . . . . . . . . . . 244

14

Inhaltsverzeichnis II. Die abweichende Bestimmung von Norm und Pflicht bei Kindhäuser . . . . . . . . . 246 1. Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 2. Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 3. Generalkritik Kindhäusers an der personalen Unrechtslehre und Replik . . . . . 253 III. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260

G. Regelungszweck der strafrechtlichen Sanktionsnormen und Verhältnis zum Regelungszweck der allgemeinen Verhaltensnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261

Viertes Kapitel Bezugnahme des § 25 auf die Sanktionstatbestände der vorsätzlichen Handlungsdelikte und materiell-normativer Tatbestandshandlungsbegriff

263

A. Vorsätzliche Begehungsdelikte und gesetzliches Strukturmodell der Tatbestandshandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 B. „Formeller“ Tatbestandshandlungsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 C. Die verschiedenen Tatbestandshandlungsmodelle im Lichte der Tatbestandsauslegung 270 I. Wortlaut der vorsätzlichen Handlungserfolgsdelikte und Intrasystematik des § 25 270 II. Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 III. Entstehungshistorie des § 25 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 IV. Teleologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 1. Zwischenergebnis: Ausscheiden eines phänomenologischen Tatbestandshandlungsbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 2. Intentionaler Handlungsbegriff als „natürliche“ Grundlage des strafrechtlichen Beteiligungsformensystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 a) Verhaltensnormteleologische Legitimation des primären Täterverbots . . . . 285 b) Intentionaler Selbstverwirklichungswille als Kriterium der Täterhandlung und normentheoretische Legitimation der Teilnahmeverhaltensnormen . . . 285 c) Abweichende Kritierienermittlung durch Schünemann . . . . . . . . . . . . . . . . 287 D. Normativer Tatbestandshandlungsbegriff und Tatherrschaftskriterium . . . . . . . . . . . . . 288 E. Tatherrschafts- als Zurechnungslehre und sachlogischer Zurechnungsgrund . . . . . . . . 295 I. Beherrschung des gesamten Tatablaufs („Tatbeherrschung“) . . . . . . . . . . . . . . . . 295 II. Herrschaft über das isolierte „Handlungsstück“ („Handlungsbeherrschung“) . . . 296 III. Handlungsherrschaft über die Schaffung der konkreten Gefahr des Erfolgseintritts („Gefahrenbeherrschung“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 IV. Herrschaft der Person bzw. des Willens über die Körperbewegung als den Grund des Geschehens („Grundbeherrschung“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 V. Herrschaft als wirkliche Beherrschbarkeit durch prinzipielle Willens(- und Wissens)macht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304

Inhaltsverzeichnis

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VI. Die Betätigung eines intentionalen Selbstverwirklichungswillens als unhintergehbare Grundlage der Zurechnung und Implikationen für die Täterbestimmung 305 F. Regelungszweck der Verbotsnormen und Handlungsgefährlichkeit ex ante als Differenzierungsmerkmal: Die Gefährlichkeitslehren (stellvertretend: Perten) . . . . . . . . . . 307 G. Der verhaltensnormtheoretische Ansatz Steins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 I. Die Stein’sche Konzpetion im Einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 II. Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 H. Abweichende Beteiligungslehren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 I. Heinrich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 II. Freund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 III. Beteiligungslehre nach der Wolff-Schule (Köhler, Klesczewski, Noltenius) . . . . 323 IV. Die organisationsdeliktsbezogene Beteiligungslehre Jakobs’ . . . . . . . . . . . . . . . . 326 1. Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 2. Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 3. Jakobs’sche Antikritik und Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 V. Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331

Fünftes Kapitel Gelebtes (?) „sittliches“ Sein, rechtliches Sollen, und Einplanung freien Unrechtshandelns in das je eigene Handlungsprogramm

333

A. Steuerbarkeit bzw. Prognostizierbarkeit des Kausalverlaufs und fremde Freiheit . . . . 334 B. Menschliche Freiheit und Freiverantwortlichkeit im (Straf-)Rechtssinne . . . . . . . . . . 337 I. Autonomieprinzip und normatives Regressverbot nach Renzikowski . . . . . . . . . 338 II. Strafrechtliche Tatfreiheit und beteiligungsrechtliches Verantwortungsprinzip

339

1. Die Gallas’sche Ursprungssentenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 2. Das Verantwortungsprinzip als positives Konstitutionsprinzip rechtlich dominanter Willensherrschaft nach Roxin und eigene Ansicht . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 3. Rezeption und Ausbau des Verantwortungsprinzips in der Strafjurisprudenz: Strafrechtsdogmatische Fortentwicklung des allgemeinrechtlich hergeleiteten herrschaftslimitierenden Verantwortungsprinzips i.S.v. Gallas . . . . . . . . . . . . . 344 a) Allgemeinrechtliches herrschaftslimitierendes Verantwortungsprinzip und fahrlässig agierender Tatmittler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 b) Modifiziertes allgemeinrechtliches Verantwortungsprinzip und Einplanung eines vermeidbaren Verbotsirrtums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 c) Eigener Lösungsvorschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 d) Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352

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Inhaltsverzeichnis 4. Selbstverantwortungs- als Nichtverantwortungsprinzip bei der Selbstschädigung und eigener Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352 a) Die Nötigung zur Selbstschädigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 aa) Die Exkulpationslehre und ihr Maßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354 bb) Die Einwilligungslehre und ihre Argumente: Diskussion . . . . . . . . . . . 355 cc) Versuch eines eigenen Beitrags: Extrapolierung des in § 255 zum Ausdruck gelangenden Rechtsgedankens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 b) Initiierung einer irrtumsbedingten Selbstschädigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361 aa) Sachliche Problematik und Streitstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362 bb) Eigener Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365

C. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368 D. Teilnahmehandlungen als limitiert-akzessorische, aber dennoch eigenständige Rechtsgutsangriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369

Sechstes Kapitel Die Ausarbeitung der Deliktsgruppen als Handlungsunrechts- und Zurechnungstypen im Einzelnen

372

A. Täterschaft und Teilnahme bei den allgemeinen vorsätzlichen Begehungsdelikten . . . 372 I. Die Täterschaft (§ 25) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373 1. Die Selbstbegehung (§ 25 I Alt.1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373 a) Der eigene Körper als Tatmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373 aa) Handlungsprogramm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 374 bb) Umsetzen (= allgemeine Verhaltenspflichtverletzung ex ante) . . . . . . . 374 cc) Zurechnung als Tatbestandshandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 (1) Abweichungen der Real- von der Plangefahr . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376 (2) Die geschaffene Realgefahr realisiert sich auf unvorhergesehene Weise im Erfolg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377 (a) Unvorhergesehene Weiterungen des Naturkausalverlaufs . . . . . 377 (b) Interferierendes personales Handeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378 (aa) Interferierendes Täterhandeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378 (bb) Interferierendes Opferhandeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379 (cc) Interferierendes Handeln Dritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381 (c) Error in obiecto vel persona und aberratio ictus . . . . . . . . . . . . 382 b) Natur und Technik als Werkzeug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383 aa) Handlungsprogramm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383 bb) Umsetzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 384 (1) Beginn des unbeendeten Versuchs – Problemfälle . . . . . . . . . . . . . . 384

Inhaltsverzeichnis

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(2) Beginn des beendeten Versuchs – Problemfälle . . . . . . . . . . . . . . . . 385 (a) Rechtsprechung des BGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 386 (b) Gesamttheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 388 (c) Alternativformel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389 (d) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391 cc) Zurechnung als Tatbestandshandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391 c) Täter als sein eigenes Werkzeug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 392 aa) Herbeiführung der eigenen Handlungsunfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . 392 bb) Herbeiführung einer Rechtfertigungslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393 cc) Herbeiführung der eigenen Schuldunfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395 d) Der fremde Körper als Naturwerkzeug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399 e) Helfer bzw. Gehilfe als Werkzeug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399 aa) Delikte mit Willenserklärungselementen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399 bb) Allgemeine vorsätzliche Handlungsdelikte und Einplanung alltäglicher Rollenfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 400 cc) Sonderdelikte, Absichtsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401 f) Einplanung des Opfers als Werkzeug gegen sich selbst . . . . . . . . . . . . . . . . 402 2. Die Begehung „durch einen anderen“ (§ 25 I Alt. 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403 a) Sachlogische Struktur der mittelbaren Täterschaft und deklaratorische Funktion des § 25 I Alt. 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 404 b) Prolegomena zu den relevanten Fallgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 404 c) Die Einplanung eines fremdbestimmten Handelns als Werkzeug (gängig: „Nötigungsherrschaft“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405 aa) Die klassischen Dreieckskonstellationen: Nötigung zur Fremdschädigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 406 (1) Handlungsprogramm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 406 (a) Nötigungsnotstand i.S.d. § 35 I 1: unmittelbare Nötigung . . . . 407 (b) Inszenierung einer Notstandssituation i.S.d. § 35 I 1: mittelbare Nötigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407 (c) Ausnutzung einer vorgefundenen Notstandssituation . . . . . . . . 408 (d) Verhältnis der mittelbaren Nötigung zur Einplanung eines gerechtfertigt handeln (wollen) sollenden Werkzeugs . . . . . . . . . . 409 (e) Initiierung oder Ausnutzung eines Entschuldigungstatbestandsirrtums i.S.d. § 35 II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 412 (f) Die Rückausnahmefälle des § 35 I 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413 (g) Einplanung mehrerer Menschen als Werkzeuge . . . . . . . . . . . . 413 (h) Herbeiführung eines übergesetzlichen entschuldigenden Notstands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413 (i) Rechtswidriger Befehl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 414 (j) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 414

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Inhaltsverzeichnis (2) Umsetzung der besagten Handlungsprogramme . . . . . . . . . . . . . . . 415 (a) Die Ansichten im Einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 415 (aa) Die Gesamtlösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 415 (bb) Die Einzellösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 418 (a) Die strenge Einzellösung oder Einwirkungstheorie . . . 418 (b) Die modifizierte Einzellösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 419 (c) Die hier sog. strukturangepasste Einzellösung . . . . . . . 421 (cc) Die allgemeine Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 422 (dd) Die Differenzierungstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 423 (ee) Die Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 424 (b) Anwendung der strukturangepassten Einzellösung auf die einzelnen Programme des genötigten Werkzeugs . . . . . . . . . . . . . . 426 (3) Zurechnung des weiteren Verlaufs zum Handlungsunrecht als Tatbestandshandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 427 (a) Die Abweichung betrifft die realontologische Komponente . . . 427 (b) Die Abweichung betrifft die sozialontologische Komponente 429 (aa) Die Schild’sche Unwesentlichkeitsthese: Annahme einer vollendeten mittelbar-täterschaftlichen Tatbestandshandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 430 (bb) Die h.L.: versuchte komplexe Tatbestands- und vollendete Teilnahmehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 431 (cc) Kritik und eigene Ansicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 432 bb) Nötigung zur Selbstschädigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 435 cc) Einplanung eines hemmungsunfähigen Erwachsenen (§ 20 Alt. 2) zur Deliktsverwirklichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 436 (1) Fremdschädigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 436 (2) Selbstschädigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 437 dd) Einplanung hemmungsunfähiger Kinder (§ 19) oder Jugendlicher (§ 3 JGG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 437 (1) Fremdschädigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 437 (2) Selbstschädigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 439 ee) Kein Tatbestandshandlungsprogramm bei Einplanung bloß verminderter Hemmungsfähigkeit i.S.d. § 21 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 440 d) Programme einer sinnhaften deliktischen Überdetermination . . . . . . . . . . . 440 aa) Die sinnhafte Überdetermination irrtumsbedingten Werkzeughandelns zur intentionalen Selbstverwirklichung in einer höher dimensionierten Tatbestandshandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 440 (1) Die Einplanung eines Tatbestandsirrtums (§ 16 I 1) . . . . . . . . . . . . 441 (a) Handlungsprogramm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 441 (aa) Art und Intensität der erforderlichen Einwirkung . . . . . . . . 441 (bb) Konkreter Tatbestand als Bezugspunkt der Vorsatzlosigkeit 442 (cc) Einplanung einer bewusst fahrlässigen Werkzeugtätigkeit

443

Inhaltsverzeichnis

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(b) Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 445 (c) Zurechnung als Tatbestandshandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 446 (d) Initiierung einer unbewussten Selbstschädigung . . . . . . . . . . . . 446 (2) Die Einplanung eines Verbotsirrtums (§ 17) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 447 (a) Handlungsprogramm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 447 (aa) Muss der Hintermann zwingend einen unvermeidbaren Verbotsirrtum einplanen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 448 (bb) Bezugspunkt des Programms: Fehlen der materiellen Unrechtseinsicht beim Vordermann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 452 (cc) Intensität der Einwirkung des Hintermannes . . . . . . . . . . . . 453 (b) Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 454 (c) Zurechnung des weiteren Verlaufs zum Handlungsunrecht . . . . 454 (d) Keine Parallele im Bereich der Selbstschädigung . . . . . . . . . . . 454 (3) Die Einplanung eines Irrtums über den konkreten Handlungssinn

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(a) Der manipulierte error in persona . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 455 (aa) Das teleologische Argument: unterschiedliche Funktion von Tatbestand und Beteiligungsform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 456 (bb) Das systematische Argument: Vergleich mit der Umstiftung 457 (cc) Das kriminalpolitische Argument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 458 (dd) Setzt der Hintermann Teilnahmeunrecht? . . . . . . . . . . . . . . 459 (b) Der Irrtum über taterhebliche Handlungsvoraussetzungen . . . . 462 (c) Der Irrtum über Qualifikationsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . 463 (aa) Mordmerkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 463 (bb) Verletzungsqualifikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 467 (d) Der Irrtum über quantifizierbare Unrechts- und Schuldmaße 467 (e) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 469 (f) Keine Übertragbarkeit auf die Selbstschädigungsfälle . . . . . . . . 469 bb) Die Einplanung eines nur-rechtmäßig handeln (wollen) sollenden Werkzeugs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 470 (1) Einplanung eines dolosen Helfers in seiner Alltagsfunktion: kein Fall der mittelbaren Tatbegehung durch ein rechtmäßig agierendes Werkzeug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 470 (2) Das gerechtfertigt handeln (wollen) sollende Werkzeug: Fallkonstellationen und Klassifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 471 (a) Die Handlungserlaubnis für das Werkzeug soll aus einer existentiellen Zwangslage i.S.d. § 35 I 1 erwachsen – kein Fall der Einplanung eines rechtmäßigen Werkzeugs . . . . . . . . . . . . . . . . 471 (b) Einplanung eines genuin rechtmäßig handeln (wollen) sollenden Werkzeugs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 472 (c) Einplanung eines genuinen Erlaubnistatbestandsirrtums, d. h. eines gerechtfertigt handeln wollen sollenden Werkzeugs . . . . 475 (d) Tauglichkeit, Umsetzen, Zurechnung als Tatbestandshandlung 477

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Inhaltsverzeichnis (e) Keine Übertragbarkeit auf die Selbstschädigungsfälle . . . . . . . . 478 (f) Einplanung eines von vornherein pflichtgemäß handeln sollenden Werkzeugs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 479 cc) Einplanung intellektuell unzurechnungsfähiger Erwachsener (§ 20) . . . 479 (1) Fremdschädigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 480 (2) Selbstschädigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 480 dd) Einplanung intellektuell unzurechnungsfähiger Kinder (§19) und Jugendlicher (§ 3 JGG) zur Fremd- und Selbstschädigung . . . . . . . . . . . . 481 ee) Einplanung verminderter Einsichtsfähigkeit (§ 21) . . . . . . . . . . . . . . . . 482 ff) Die Einplanung von Extranei zur Erfolgsherbeiführung im Sonderdeliktsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 482 gg) Die Einplanung absichtslos-doloser Werkzeuge . . . . . . . . . . . . . . . . . . 483 e) Die Einplanung sog. organisatorischer Machtapparate: Organisationsherrschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 484 aa) Entwicklung der Figur in Literatur und Rechtsprechung – Kritik . . . . . 484 bb) Organisationsherrschaft und (von den Hinterleuten antizipierte) Selbstinterpretation der Exekutoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 489 cc) Die Mittäterschaftsthese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 490 dd) Die Anstiftungslösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 491 ee) Exkurs: Organisationsherrschaft und Wirtschaftskriminalität . . . . . . . . 494 3. Die gemeinschaftliche Begehung der Tatbestandshandlung (§ 25 II) . . . . . . . . 494 a) Vorstellung und kritische Betrachtung der gängigen Mittäterschaftskonzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 495 aa) Das „moderne“ Modell der konstitutiven Zurechnung fremder Handlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 497 bb) Der überkommene Ansatz: ordentliche Zurechnung des Geschehens als Tatbestandshandlung des einzelnen Mittäters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 501 b) Wesen, Struktur und Gehalt wir-intentionaler (Tatbestands-)Handlungen aa) Erste strafrechtsspezifische Erfassung des Problems bei Kindhäuser

504 504

bb) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 506 cc) Die neuartige Explikation des Phänomens kollektiver Intentionalität durch Searle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 508 dd) Implikationen dieses Erklärungsmodells für eine wechselseitig-individuelle Zuschreibung fremder Handlungsprodukte im Strafrecht . . . . . . 510 c) Die gemeinschaftliche Tatbegehung nach § 25 II: Zurechnung des Geschehens als individuelle wir-intentionale Tatbestandshandlung . . . . . . . . . 511 aa) Handlungsprogramm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 512 bb) Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 519 cc) Zurechnung des Gesamtgeschehens als je individuelle Tatbestandshandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 523 II. Die Teilnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 525 1. Grundlegendes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 525

Inhaltsverzeichnis

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2. Die Tatbestandshandlungen der §§ 26, 27 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 528 3. Akzessorietät . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 530 4. Strafgrund der Teilnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 532 5. Die Anstiftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 536 a) Mögliche sozialontologische Formalstruktur des Anstiftungsverhaltens und erste rechtliche Vorüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 536 b) Verhaltensnormteleologische Fundierung des Begriffs der Aufforderung als sozialontologische Strukturvorgabe der Anstiftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 540 aa) Anstiftung als Verursachung des Tatentschlusses . . . . . . . . . . . . . . . . . 541 bb) Anstiftung als Verursachung des Tatentschlusses durch kommunikative Beeinflussung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 542 cc) Anstiftung als persuasives Verhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 542 dd) Anstiftung als sanktionsträchtige Tataufforderung . . . . . . . . . . . . . . . . . 543 c) Tatbestandsexegetische Fundierung des Begriffs der Aufforderung als Bestimmungsmerkmal der Anstiftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 546 d) Weitergehende Restriktionsansätze in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 548 e) Konkretisierung des Merkmals der sanktionsträchtigen Tataufforderung . . 551 aa) Appellcharakter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 552 bb) Aufforderung als Mittel zur Durchsetzung einer enttäuschungsfesten Verhaltenserwartung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 554 cc) Erregung oder Beförderung eines Irrtums als Anstiftungsmittel . . . . . . 561 f) Die Anstiftungshandlung i.S.d. § 26: Handlungsprogramm, Umsetzung, Zurechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 562 aa) Handlungsprogramm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 562 (1) Programm einer Motivationskausalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 562 (2) Vorsätzlich-rechtswidrige Fremdtat als Bezugsgegenstand des Anstiftungsprogramms . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 568 (3) Spannweite des Anstiftervorsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 569 (4) Bestimmtheit des Anstiftervorsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 570 (5) Vorsatzformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 573 bb) Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 573 cc) Zurechnung des Haupttatgeschehens als tatbestandliche Anstiftungshandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 575 g) Besonderheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 581 h) Die Rechtsfolge der Anstiftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 583 6. Die Beihilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 585 a) Verhaltensnormtheoretische Überlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 587 b) Tatbestandsexegetische Bestätigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 588 c) Handlungsprogramm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 589 aa) Einplanung einer (Motivations-)Kausalität des eigenen Beitrags . . . . . 589

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Inhaltsverzeichnis bb) Anforderungen an das Programm der Beihilfe als intentionale Strategie einer Unrechtsteilnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 591 cc) Tatbestandsmäßige Ausführung als Bezugsobjekt des Beihilfeprogramms . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 600 dd) Spannweite, Bestimmtheit und Formen des Gehilfenvorsatzes . . . . . . . 603 d) Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 605 e) Zurechnung als tatbestandliche Beihilfehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 605 f) Besonderheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 607 g) Die Gehilfenstrafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 607

B. Sonderdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 608 I. Versagen der herkömmlichen Tatherrschaftslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 609 II. Sonderpflichtverletzung als Täterkriterium: die Pflichtdeliktslehre Roxins . . . . . 611 III. Versuche einer materialen Zementierung der Pflichtdeliktslehre . . . . . . . . . . . . . 616 1. Schünemann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 616 2. Jakobs und Sánchez-Vera . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 619 IV. Die Unterlassungslösung als bruchfreie Alternative . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 621 V. Reine Pflichtdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 625 VI. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 625 C. (Reine) Pflichtdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 626 D. Delikte mit einer Willenserklärung als Tatbestandshandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 627 E. Eigenhändige Delikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 629 I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 629 II. Begrifflichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 631 III. Die Existenz tatbestandsübergreifender Kriterien zur Erklärung eigenhändiger Tatbestandsausgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 632 IV. Die Leitprinzipien der Eigenhändigkeit im Einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 633 1. Sachlogisch vorgegebene Eigenhändigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 633 2. Allgemeinrechtlich vorgegebene Eigenhändigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 635 3. Strafgesetzliche Eigenhändigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 637 V. Subjekt- und verhaltensbezogene Täterkonkretisierung insbesondere bei den eigenhändigen Sonderdelikten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 638 VI. Die problematischen bzw. umstrittenen Deliktstatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . 640 VII. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 645 F. Täterschaft und Teilnahme bei (begehungsgleichwertigen) Unterlassungen . . . . . . . . 646 I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 646 1. Unterlassung und mittelbare Täterschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 647 a) Verhaltensnormebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 647 b) Sanktionsnormebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 649

Inhaltsverzeichnis

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c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 651 2. Unterlassung und Mittäterschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 651 a) Verhaltensnormebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 651 b) Sanktionsnormebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 654 c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 656 3. Akzessorische Beihilfe durch Unterlassen bei garantenpflichtwidriger Nichthinderung aktiver Deliktshandlungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 656 a) Ebene des personalen Handlungsunrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 657 aa) Subjektive Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 657 bb) Unterlassen und Tatherrschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 658 cc) Unterscheidung nach Hintergrund und Funktion der verschiedenen Garantenpflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 668 dd) Der Ansatz von Jakobs: Pflichtinhaltstheorie auf dem Boden eines partiell rechtsgüterschaffenden Normensystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . 670 ee) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 671 b) Sanktionsnormebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 672 aa) Pflichtinhaltstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 672 bb) Undifferenzierter Begriff des Unterlassenden, axiologische (Schein-) Friktionen und deren Lösung auf Sanktionsnormebene . . . . . . . . . . . . . 674 cc) Der normative Ansatz Schwabs: wertende Betrachtung sub specie § 13 I Hs. 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 679 (1) Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 679 (2) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 681 c) Beteiligungsform sui generis oder Pflichtdelikt? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 683 d) Ausnahmefälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 685 aa) Die garantiepflichtwidrige Zulassung von eigenhändigen Delikten und Absichtsdelikten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 685 (1) Roxin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 686 (2) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 687 (3) Die eigene Auffassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 689 (a) Eigenhändige Delikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 689 (b) Absichtsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 692 (c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 693 bb) Intentionale Zulassung fremder Teilnahmehandlungen durch Unterlassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 693 4. Nötigung oder Täuschung eines Hilfswilligen: unmittelbare Begehungstäterschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 694 5. Anstiftung zur vorsätzlichen Unterlassungstat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 695 a) Armin Kaufmann und Welzel: „Abstiftung von der Gebotserfüllung“ als unmittelbare Begehungstäterschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 696 aa) Die Argumente für die Begehungstäterlösung im Einzelnen . . . . . . . . . 697

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Inhaltsverzeichnis bb) Dogmatische und kriminalpolitische Probleme der Begehungstäterlösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 699 b) Die heute einhellige Meinung: Abstiftung von der Gebotserfüllung ist Anstiftung zum Unterlassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 701 aa) Konkretisierung des Anstiftungshandelns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 702 bb) Implikationen der Anstiftungslösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 702 cc) Axiologische Friktionen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 704 6. Beihilfe zur vorsätzlichen Unterlassungstat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 705

G. Täterschaft (und straflose Teilnahme?) bei den Fahrlässigkeitsdelikten . . . . . . . . . . . . 707 I. Materieller Einheitstäterbegriff als tradiertes und positivgesetzlich verankertes Dogma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 707 II. Fahrlässige Mittäterschaft? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 713 1. Dogmatische Durchführbarkeit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 713 2. Positivgesetzliche Vorbilder? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 717 3. Die Problemfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 719 a) Gremienentscheidungsfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 719 b) Sonstige Problemkonstellationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 721 c) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 726 d) Sonderproblem: normative fahrlässige Unterlassungsmittäterschaft? . . . . . 730 III. Fahrlässige mittelbare Täterschaft und straflose fahrlässige Teilnahme? . . . . . . . 731 IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 733 Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 734 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 737 Personenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 769

Einführung „Die Teilnahmelehre ist das dunkelste und verworrenste Kapitel der deutschen Strafrechtswissenschaft“1 –

Welcher Einstieg stünde einem Beitrag zur Beteiligungslehre besser zu Gesicht als dieser berühmte Kantorowicz’sche Seufzer aus dem Jahre 1910, den noch Roxin2 seinem Monumentalwerk „Täterschaft und Tatherrschaft“ voranstellte. Aber kann diese Sentenz noch berechtigterweise den Anfang eines Themenbeitrags schmücken, angesichts einer Durchdringung der Materie, wie „die“3 Tatherrschaftslehre sie im 1

Kantorowicz, MSchrKrim 7 (1910/1911), 257 (306). TuT, 1. 3 Zum Begriff der „Tatherrschaft“ und seiner dogmengeschichtlichen Entwicklung eingehend Roxin, TuT, 60 ff. – Die Bezeichnung als „Tatherrschaftslehre“ ist in diesem abstrakten Zusammenhang freilich ungenau. Das Subkriterium der „Tatherrschaft“ bezeichnet nämlich jedenfalls im dreigliedrigen Lehrgebäude Roxins (Herrschafts-, Pflicht- und eigenhändige Delikte) nur die Konkretion des abstrakten Leitbilds von der „Zentralgestalt des handlungsmäßigen Geschehens“ (TuT, 25 ff.) für die vorsätzlichen Handlungsdelikte, weshalb innerhalb dieses Systems der „Tatherr“ nur eine von drei Ausprägungen der „Zentralgestalt“ ist (s. dazu Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 28; auch bereits Stein, Beteiligungsformenlehre, 64 m. Fn. 37; deliktstypisch verschiedene Zentralgestalten nehmen ebenfalls an Schünemann, in: LK, § 25 Rn. 39 ff. sowie Heine/Weißer, in: Schönke/Schröder, § 25 Rn. 1 ff., 3, 6 f., 49, 50). Allerdings existiert durchaus auch eine „allgemeine“ Tatherrschaftsdoktrin, deren Anhänger die von Roxin vorgeschlagene Dreiheit der Zentralgestaltstypen (Tatherr für die „Herrschaftsdelikte“ [TuT, 335 ff.]; Sonderpflichtiger für die „Pflichtdelikte“ [TuT, 352 ff.]; eigenhändig Handelnder für die eigenhändigen Delikte [TuT 399 ff.]) nicht übernommen haben und generell auf das Tatherrschaftskriterium abheben (wobei das Fahrlässigkeitsdelikt [h.L.] und von vielen auch das Unterlassungsdelikt [sehr str.] ausgenommen werden). Diese generelle Doktrin betonte der finalen Handlungs- und Tatherrschaftslehre Welzels (Strafrecht, § 15 [S. 100 ff.]; ders., ZStW 58 [1939], 491 [537 ff.]) folgend zunächst das Element der (Psycho-) Faktizität, was sich am deutlichsten in der berühmten Sentenz Maurachs vom vorsätzlichen Inden-Händen-Halten des tatbestandsmäßigen Geschehens widerspiegelte (entfaltet in Maurach, AT1, 504 ff.; s. auch Schroeder, Täter, 58 ff., 81 ff. [88 f.], 119 ff.; Maurach/Gössel/Zipf, AT/27, § 47 Rn. 84 ff., 117). Durch die Vorüberlegungen bei Gallas (ZStW-Sonderheft Athen [1957], 3 [13 f., 16]; ders., Beiträge, 78 [141]) setzte jedoch alsbald eine Tendenz zur Normativierung des ubiquitär gelten sollenden Tatherrschaftsprinzips ein. Diese normativierende Variante dominiert seither im Schrifttum (s. dazu nur Herzberg, Täterschaft, 4 ff. [7 f., 13], 47 ff.; Bloy, Beteiligungsform, 202 ff., 229 ff., 344 ff.; Bottke, Täterschaft, 35 ff. [38], 62 ff. 109 ff. [121]; Renzikowski, Täterbegriff, 67 ff.; Heinrich, Rechtsgutszugriff, 195 ff.; Hoyer, in: SK, Vor §§ 25 Rn. 9 ff., § 25 Rn. 10 ff., 42 ff., 61 ff.; Jescheck/Weigend, AT, § 61 V [S. 651 ff.]; Puppe, AT, §§ 22 – 24; Kindhäuser, AT, §§ 39 f.; Krey/Esser, AT, § 25 Rn. 863 ff.), wobei freilich streitig ist, wie weit die Normativierung im Einzelnen gehen soll (Stichworte: Einplanung eines vermeidbaren Verbotsirrtums bzw. von Irrtümern über den konkreten Handlungssinn, Einplanung eines qualifikationslos-dolosen Werkzeugs, Einplanung eines absichtslos-dolosen Werkzeugs). 2

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Bereich der Beteiligungsdogmatik geleistet hat? Der erfahrene Kritiker wird einwenden, der Rückgriff auf Kantorowicz sei wohl eher dem Streben nach einer Legitimation der eigenen Arbeit geschuldet als dem Zustand der zeitgenössischen Beteiligungslehre angemessen.4 In der Tat war es gerade das oberste Anliegen Roxins selbst, nicht nur Licht in das Dunkel der Beteiligungslehre zu bringen, sondern von einer profunden Grundlage ausgehend ein in sich geschlossenes und stimmiges Beteiligungssystem für alle Deliktstypen zu entwickeln. Und mit einigem Recht lässt sich auf den ersten Blick sagen, dass ihm dies gelungen sei. Denn selbst wenn der Siegeszug der Tatherrschaftslehre nur der nahezu einhelligen „Akzeptanz ihrer Ergebnisse“ zu verdanken sein sollte,5 hat doch Roxin ihren dogmatischen Sockel gelegt. Fragt man nämlich nach den tragenden Säulen dieser Doktrin, so erhält man eine Antwort allein bei Roxin und – mittlerweile noch tiefer greifend – seinem Schüler Schünemann: Ersterer hat die im Gemeinwesen lebende plastische Vorstellung von der „Zentralgestalt des handlungsmäßigen Geschehens“6 als alltagsontologische Wurzel des dualistischen Beteiligungssystems etabliert, Letzterer hat die „Zentralgestalt“ dann als „Herrschaft über den Grund des Erfolges“7 axiologisch-teleologisch-ontologisch im Handlungsunrecht loziert. Somit ist es das Verdienst der Roxin’schen Schule, zuerst ein abstraktes Leitbild vom Täter entwickelt zu haben, das nicht nur die Tatherrschaft als Täterkriterium der vorsätzlichen Begehungsdelikte aus sich gebiert, sondern auch spezifische Konkretionsformen für alle anderen Straftatgruppen annimmt.8 Hinzu kommt auf der Binnenebene eine ausgefeilte, jedenfalls in den Grundzügen anerkannte, kasuistische Ausformung der Beteiligungsformen. Angesichts dieser Errungenschaften erscheint der eingangs zitierte Kantorowicz’sche Resignationsseufzer nicht mehr ganz zeitgemäß. Und das gilt umso mehr, als die Tatherrschaftslehre sowohl in der Strafrechtswissenschaft9 als auch neuerdings durch die (freilich immer noch von der subjektiven Theorie her kommende) Rechtsprechung10 stetig weiterentwickelt und an die Kriminalitätsformen der modernen Gesellschaft (Stichwort: Unternehmenskriminalität) angepasst wird. Vor diesem Hintergrund nimmt es nicht wunder, dass der beteiligungsrechtliche Diskurs das Paradigma, das abstrakte Leitbild von der Tä4 Neuerdings beklagt allerdings wieder Schild (in: NK, Vor §§ 25 ff. Rn. 1), dass die seinerzeit von Kantorowicz konstatierte Verworrenheit der Täterlehre nach wie vor bzw. wieder deren Status quo sei. 5 So Stein, Beteiligungsformenlehre, 22 f. 6 Roxin, TuT, 25 ff. 7 Schünemann, in: LK, § 25 Rn. 38 f.; ders., Unterlassungsdelikte, 231 ff. (235 f.). 8 Tatherr – Sonderpflichtiger – eigenhändig Handelnder (eingehend dazu Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 28; Stein, Beteiligungsformenlehre, 64 m. Fn. 37). 9 Gedacht ist hierbei wiederum an Roxins Schüler Schünemann, der den Gedanken der Tatherrschaft für die Materie der Pflichtdelikte fruchtbar zu machen versucht hat (in: GA 1986, 293 [332 ff.]; ders., in LK, § 25 Rn. 42 ff.). 10 Dabei ist insbesondere an die Ausdehnung der Figur der „Willensherrschaft kraft organisatorischer Machtapparate“ (Roxin, TuT, 242 ff.) auf die Unternehmenskriminalität durch den BGH (BGHSt 40, 218 [237] – obiter dictum [!]) gedacht.

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terperson, lange Zeit unangetastet ließ und eher um einzelne Facetten der Binnendogmatik kreiste.11 Das hat sich allerdings jüngst geändert. Es formiert sich eine allmählich lauter werdende Kritik betreffend den dogmatischen Sockel der Tatherrschaftslehre. So meint exemplarisch etwa Haas, es bestehe „(…) Anlass, die Voraussetzungen und Annahmen zu hinterfragen, auf denen die Tatherrschaftslehre als Ganzes fußt“.12 Pathetischer formuliert Wolf seine Bestandsaufnahme (auch) der aktuellen Beteiligungslehre: „Es geht zunächst einmal um die Richtigkeit der ,Weichenstellungen‘. Denn die Handlungs-, Kausalitäts- und Verschuldenslehre haben für die Strafrechtslehre dieselbe Bedeutung wie der berüchtigte ,Federstrich des Gesetzgebers‘ (…) Daher muss die Forschung bei diesen Lehren von neuem ansetzen. Sonst bleibt nicht nur die Täterschaftslehre, sondern die gesamte Strafrechtslehre ein fein ziselierter Koloss auf tönernen Füßen.“13

Und Schild14 meint gar, die von Kantorowicz beklagte Verworrenheit der Täterlehre sei durch die Reform 1975 überhaupt nicht beseitigt worden, weshalb nach wie vor ein Theoriendickicht vorherrsche. In der Sache richtet diese neuere, umfassende Kritik15 ihr Hauptaugenmerk auf das Verhältnis des Täterbegriffs zu den Systemkategorien des Strafrechts, insbesondere zur Kategorie des personalen Unrechtsbegriffs.16 Ihr zentrales Monitum betrifft – auf einen allgemeinen Nenner gebracht – die zunehmende Loslösung des Täterbegriffs vom tatbestandlich umschriebenen Verhalten aufgrund der Ausrichtung an einem bloß beschreibenden Täterbild. Am konzisesten benennen das Problem die Autoren Freund, Haas und Schild: Freund bescheinigt der Tatherrschaftslehre, dass ihr eine überzeugende Einordnung in den jeweiligen Deliktstatbestand bisher nicht geglückt und wohl auch gar nicht möglich sei.17 Die Frage nach der Herrschaft könne sinnvoll nur gestellt werden, wenn der zu beherrschende Gegenstand, nämlich die Tat, genau bestimmt sei. Solange aber unklar bleibe, wie die zu beherrschende Tat genau beschaffen sein müsse, um eine Verantwortlichkeit als Täter oder Teilnehmer dieser Tat zu begründen, sei der Herrschaftsbegriff ein arbiträres Kriterium. Sei dagegen geklärt, wie die Tat, wegen der bestraft werden solle, näher beschaffen sei, entbehre ein zusätzliches Herrschaftserfordenis jeder Be-

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So Haas, ZStW 119 (2007), 519 (519). ZStW 119 (2007), 519 (519). 13 In: Schroeder-FS (2006), 415 (429 f.). 14 In: NK, Vor §§ 25 ff. Rn. 1 (a.E.). 15 Nicht verschwiegen werden soll, dass Schünemann dem unter dem plakativen Titel „Schrumpfende Basis, wuchernder Überbau?“ eine dezidierte Antikritik entgegengesetzt hat (in: Roxin-FS [2011], 799 ff.). 16 s. zu diesem allgemeinen Vorhalt Stein, Beteiligungsformenlehre, 22 f.; Haas, ZStW 119 (2007), 519 (524). 17 AT, § 10 Rn. 45. 12

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rechtigung.18 Dass die tätertatbestandsmäßigen Verhaltensweisen, um solche zu sein, der Steuerbarkeit durch die Person unterliegen müssten, könne mit Tatherrschaft jedenfalls nicht gemeint sein; denn dieses allgemeine Erfordernis gelte für sämtliche Sanktionsnormen, also auch für diejenigen der Teilnahme.19 Diesen Ausführungen hat sich Haas20 angeschlossen und dabei pointiert herausgestrichen, dass die Tatherrschaftslehre eine in sich widersprüchliche „(…) Kombination aus einem extensiven Tatbegriff (…) und einem restriktiven Täterbegriff (…)“ postuliere. Schild, der diese Kritik der Sache nach teilt, hat sie in NK1-Vorbemerkungen zu §§ 25 ff. in umfassender Form ausgearbeitet und sich dabei nicht gescheut, die radikalen Konsequenzen zu ziehen, die sie im Ansatz nahe legt (worauf noch zurückzukommen sein wird). Speziell in Bezug auf das Roxin’sche Leitprinzip der Zentralgestalt konstatiert Schild21 jedenfalls: „Die Abgrenzung von Zentrum und Rand kann nicht immer scharf gelingen, beruht auf fließenden Grenzen, die zu einer gleitenden (offenen) Wertung geradezu herausfordern, welche Gefahr ebenfalls in diesen Bildern der ,Gestalten‘ und ,Figuren‘ immer schon liegt (…), auch wenn Roxin sich in höchst differenzierter Form bemüht hat, unterschiedliche tatbestandsbezogene Typen herauszuarbeiten.“

Die Lehre von der Zentralgestalt statuiert ein Institut der gestaffelten Zurechnung zur Person. Sie zwingt somit dazu, die Beteiligungsformen als genuine „Zurechnungstypen“22 zu begreifen. Das ist aber schon allein deshalb problematisch, weil es auch einen täterschaftlichen Versuch und damit Täterschaft als Handlungsunrechtstypus geben muss. Dieser Schwierigkeit kann man zwar noch recht leicht dadurch entkommen, dass man das Tatherrschaftskriterium eben an die Versuchstat adaptiert, d. h. auf die Herrschaft über die gefahrschaffende Versuchshandlung abstellt.23 Ein anderer Umstand wiegt jedoch bereits deutlich

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AT, § 10 Rn. 47. AT, § 10 Rn. 47; zust. Haas, ZStW 119 (2007), 519 (526 ff.); Renzikowski, in: Maurach/ Gössel/Zipf, AT/2, § 47 Rn. 100. 20 ZStW 119 (2007), 519 (526 ff.). Das im Text genannte Zitat findet sich auf S. 526. 21 In: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 124; ähnlich bereits Schmidhäuser, Stree/Wessels-FS (1993), 343 (348 f., 352 ff.); methodologisch eingehend auch Stein, Beteiligungsformenlehre, 22 f., 62 ff., 197 ff.; s. ferner Wolf, Schroeder-FS (2006), 415 (418 f.); Langer, Meurer-GedS (2002), 23 (35). 22 s. nur den paradigmatischen Titel der Habilitationsschrift Bloys („Die Beteiligungsform als Zurechnungstypus im Strafrecht“). 23 I.d.S. klarstellend Bloy, Beteiligungsform, 265: „Der strafbare Versuch im Sinne der §§ 22 ff. StGB ist die täterschaftlich begangene versuchte Straftat, nicht die in versuchter Täterschaft begangene Straftat.“ Was das aufgelöst bedeutet, erfährt man wenig später (a.a.O., 265 f.): Die Tatherrschaft sei der Grund für die Zurechnung des tatbestandlichen Unrechts zur Täterschaft und sei deshalb im Versuchsfalle auf das für die Versuchsstrafbarkeit erforderliche Tatstück („Realisierungsstadium“) zu beziehen. – Das kann allerdings schon im Ansatz nicht überzeugen, da der wahre, finale, Grund der Zurechnung nur im ex ante aus sich selbst heraus betätigten Willen zur Tatherrschaft liegen kann! Eingehend und instruktiv zur schrittweisen 19

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schwerer: Das Verhältnis zwischen der personalen Zurechnung zweiter Stufe (= Tat zur Person) und der Tatzurechnung erster Stufe (= objektive und subjektive Zurechnung zur Tat) bleibt ungeklärt! Wenn etwa der T seinen Hund auf den O hetzt, mit der Folge, dass O gebissen wird, dann kann die Täterschaft des T bezüglich der Körperverletzung streng genommen weder mit der objektiven Zurechnung noch mit eigenkörperlicher „Handlungsherrschaft“ begründet werden: Die erste Kategorie ist naturgemäß „blind“ für Fragen der Beteiligung, die zweite ist nicht erfüllt – das mit der Handlungsherrschaft assoziierte Bild von der unmittelbaren Eigenhändigkeit zerbricht.24 Da aber zweifellos zugerechnet werden muss, kann für die Tatbestandshandlung des A nur auf seinen Willen zum Loslassen des Tieres, seine „Willensherrschaft“ über das gefährliche Tier, rekurriert werden.25 Diese Kategorie reserviert aber jedenfalls Roxin26 für die Tatbestandsverwirklichung des mittelbaren Täters. Das Problem ließe sich natürlich vordergründig lösen, indem man Tatherrschaft überhaupt mit Willensherrschaft identifizierte und dann Willensherrschaft mit Tatbestandshandlung gleichsetzte.27 Doch die Problemwurzel reicht tiefer: Wenn der planvoll gestaltende Wille der finale Grund der Zurechnung ist, dann kann es für die Täterschaft sinnvollerweise nicht nur oder in erster Linie auf seine tatsächliche Verwirklichung (also die etablierte Willensherrschaft ex post) ankommen. Vielmehr ist es die intentionale Selbstverwirklichungsfähigkeit des planenden Willens ex ante, der wir, weil Betätigung eines bestimmten verstandesmäßigen Programms, die planvolle Gestaltung des Geschehensablaufs prospektiv zutrauen und deshalb auch zurechnen.28 Verhält es sich aber so, dann muss die Betätigung dieses intentionalen Selbstverwirklichungswillens ex ante konsequenterweise auch als Kristallisationspunkt der personalen Zurechnung ausgewiesen werden, was bedeutet: Die Abgrenzung der „Beteiligungsformen“ ist als Problem des Handlungsunrechts zu begreifen und in der allgemeinen Dogmatik des personalen Handlungsunrechts zu verorten.29 Eine solche Lozierung hat im Wesentlichen vier Vorteile: Erstens kann die Beteiligungsformenlehre auf diese Weise mit dem vorrechtlichen Begriff von (intentionaler) Handlung30 harmonisiert werden, der an den selbstreferentiellen Vollzug

Rückführung der Tatherrschaftsdoktrin auf diesen finalen Zurechnungsgrund Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 137 ff. (152 ff.). 24 Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 74. 25 Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 74. 26 TuT, 141 ff., im Gegensatz zur „Handlungsherrschaft“ (a.a.O., 127 ff.). 27 I.d.S. klarstellend Otto, AT, § 21 Rn. 23. 28 s. schon Gallas, ZStW-Sonderheft Athen (1957), 3 (11, 13); instruktiv Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 137 ff. (152 ff.); ferner Brammsen, NStZ 2000, 337 (340). 29 So dezidiert Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 82, 111, 113, 156 f. 30 s. zu diesem intentionalen Handlungsbegriff Kindhäuser, Intentionale Handlung, 156 ff., 166 ff., 202 ff.

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eines bestimmten „Basis-Akts“31 als elementaren Sinnträger des konkret externalisierten Selbstverwirklichungszusammenhangs anknüpft. Dieses teleologische Erklärungsmuster von Handlung ist nicht an eine bestimmte äußere Vollzugsform (= Eigenhändigkeit) gebunden (eingehend dazu später), was den wertvollen Vorteil zeitigt, dass Roxins Lehre von den „Stufen sinnhafter Tatgestaltung“32 als Implikat schon des (intentionalen) Handlungsbegriffs selbst ausgewiesen werden kann. Zweitens zwingt ein aufgebrochenes Tatbestandshandlungsverständnis dazu, die „Tatherrschaftslehre“ als Zurechnungsdoktrin faktisch wie normativ auf ihren finalen Grund zurückzuführen: die wirkliche Beherrschbarkeit des Geschehens durch einen intentionalen Selbstverwirklichungswillen, der im Entscheidungszeitpunkt ex ante sein Kausal- und Erfahrungswissen planvoll gestaltend umsetzt33 und sich in dieser unmittelbaren physischen Umsetzung repräsentational selbst als handelnd erlebt.34 Drittens kann der Ansatz beim Handlungsprogramm ex ante mit einer Theorie allgemeinrechtlicher Verhaltensnormen kombiniert werden, die die verschiedenen Beteiligungshandlungen als Pflichtverletzungstypen gegenständlich konkret beschreibt. Damit wird der kardinalen Einsicht Rechnung getragen, dass jeder nur für sich selbst versagen kann (vgl. § 29), indem er eine individualisierte rechtliche Verhaltenspflicht verletzt.35 Und viertens schließlich wird auf diese Weise „automatisch“ eine Lehre vom konkreten tatbestandsmäßigen Verhalten entwickelt, die 31 s. zur Prägung dieses Begriffs in der sprachanalytischen Philosophie m.w.N. Kindhäuser, Intentionale Handlung, 84 ff., der ihn für die Ansprüche eines (teleo)logischen Explikationsmodells von Handlung noch „verfeinert“. 32 TuT, 197 ff. 33 s. dazu Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 152 ff. (154). 34 Das mit der programmgemäßen Körperbewegung einhergehende innere Handlungserlebnis ist für die Handlungsexplikation essentiell, da die „absolute Herrschaft der Person über den Körper“ (Schünemann, Unterlassungsdelikte, 235), die sich äußerlich in der Körperbewegung manifestiert, in Wahrheit keine absolute Herrschaft ist. Vielmehr ist es durchaus denkbar, dass dem Willen im Zeitpunkt seiner geplanten Umsetzung die Herrschaft über den Körper abgeht (z. B. infolge eines Muskelkrampfes; s. zum Ganzen Paeffgen, Verrat, 114 f.; Paeffgen/Zabel, in: NK, Vor §§ 32 ff. Rn. 52). Damit aber erweisen sich selbst die eigenen Körperbewegungen schon als Bestandteil einer prinzipiellen Beherrschbarkeitsprognose, weshalb der (angebliche) absolute Grund der Zurechnung (allein) in ihnen nicht liegen kann (Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 154). Streng genommen unterliegt sogar schon der neuronale Prozess der Willensbildung nicht der Herrschaft des Planenden (s. dazu Köhler, Fahrlässigkeit, 329 Fn. 8; zust. Zaczyk, Unrecht, 102). Angesichts dieser Kalamität hätte es eigentlich von vornherein nahegelegen, inhaltlich darauf abzustellen, was Intentionalität bzw. intentionales Handeln für uns in der Selbsterfahrung bedeutet. Dann nämlich geht es von vornherein „nur“ um intentionale Handlungserlebnisse, die sich erst in und mit der (intersubjektiv zugeschriebenen) persönlichen Erfahrung eines bestimmten Basis-Handelns einstellen, hinter die deshalb nicht zurückgegangen werden kann. In dieser praktisch institutionalisierten Selbsterfahrung von Handlung dürfte denn auch der – freilich unreflektierte – Ursprung für die Seinsmäßigkeits-Reklamation der finalen Handlungslehre zu suchen sein. 35 Armin Kaufmann, Normentheorie, 144 f., 291; krass Zielinski, Unrechtsbegriff, 43 („Unrecht ist der pflichtwidrige finale Akt – und nur er.“); Paeffgen, Verrat, 122; Lampe, Unrecht, 226; Stein, Beteiligungsformenlehre, 79 ff.; Bloy, Beteiligungsform, 247 ff. (263 f.); Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 278 ff.; Kindhäuser, Hollerbach-FS (2001), 627 (633).

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auf das Roxin’sche Substitutionskriterium36 der Tatbestandsverwirklichung qua Zentralgestalt verzichten kann. Angesichts dieser Vorteile wird es hier für sinnvoll gehalten, die Beteiligungslehre vom Handlungsunrecht ausgehend neu zu durchdenken und zu reformulieren. Dies soll das – nicht unbescheidene – Ziel der vorliegenden Arbeit sein.

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Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 70 ff. (77, 79 f.).

Erstes Kapitel

Formell-phänomenologischer versus materiell-normativer Handlungsbegriff und Zielsetzung der vorliegenden Arbeit A. Die Beteiligungslehre Roxins – Phänomenologischer Tatbestandshandlungsbegriff und materielle Tatbestandsverwirklichung qua Zentralgestalt Die zentrale Säule der Roxin’schen Beteiligungsformenlehre ist das ontologischaxiologische Leitprinzip der „Zentralgestalt des handlungsmäßigen Geschehens“37. Dieses steht synonym für das Zusammenfließen von seinsmäßigen Wesensstrukturen und gesetzgeberischen Wertvorstellungen in einem abstrakten Leitbild vom Täter als Person: Einerseits beziehe das Substrat rechtlicher Regelung seinen Sinngehalt aus vorgegebenen ontischen Strukturen; andererseits hänge es vom Ermessen und den Wertvorstellungen des Gesetzgebers ab, welche dieser Seinsstrukturen er für relevant erkläre.38 Zwischen beiden Ebenen bestehe aber eine mehrschichtige Interdependenz, weshalb die volkstümlichen Anschauungen und die gesetzgeberischen Wertvorstellungen vom Täter sich durchaus wechselseitig prägten.39 Aus diesen allgemeinen Überlegungen zu einem beschreibenden Täterbild leitete Roxin sodann konsequent das methodische Leitprinzip vom Täter als der „Zentralgestalt des tatbestandsmäßigen Geschehens“ ab. Es bezeichne einerseits den für die Abgrenzung zur Teilnahme maßgebenden gesetzgeberischen Wertungsgesichtspunkt, andererseits einen deutlich fassbaren vorrechtlichen Differenzierungsmaßstab.40 Zudem maß Roxin dem gefundenen Kriterium eine vorselektierende Wirkung zu, dahingehend, dass aus ihm notwendig das Erfordernis eines primären restriktiven Täterbegriffs erwachse.41 Ins Auge sticht, dass diese Leitbild-Methodik (oder doch besser und eigentlich: Metaphorik) sich zentral am Täter als Person ausrichtet, wohingegen das in den 37 38 39 40 41

TuT, 25 ff. TuT, 19 ff. TuT, 25. TuT, 25 ff. TuT, 27.

A. Die Beteiligungslehre Roxins

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Deliktstatbeständen umschriebene Verhalten als impersonales „handlungsmäßiges Geschehen“ vorausgesetzt und begriffen wird. Bei einem ersten Blick in die Straftatbestände des Besonderen Teils findet man dort allerdings ein konkretes personales Verhalten umschrieben.42 Die Frage lautet daher, wie ein abstrakt-allgemeines Täterbild mit diesem konkret beschriebenen tatbestandsmäßigen Verhalten zusammenpassen soll. Damit ist die Brücke geschlagen zur zweiten Wesenssäule des Roxin’schen Systems, die im abstrakten Leitbild von der Zentralgestalt schon angelegt ist. Gemeint ist die Zugrundelegung eines „offenen“43 Begriffs der Täterschaft, der anhand des Leitprinzips der Zentralgestalt „erst im Durchgang durch den gesamten Rechtsstoff“ für die unterschiedlichen Straftatgruppen deliktstypisch konkretisiert werden sollte.44 Aufgrund dieser Elastizität war und ist das System Roxins den starren, die Einzelfallgerechtigkeit vernachlässigenden Regeln eines deduktiven Systems enthoben; andererseits barg ein solcher offener Begriff freilich die latente Gefahr, nach der anderen Seite in eine auf Kosten der Systembildung und der Rechtssicherheit gehende (tatbestandsgelöste) Topik auszubrechen.45 Insofern sollte dem methodischen Leitbild von der Zentralgestalt als dem maßgeblichen Wertungsgesichtspunkt der gesetzlichen Tatbestände eine entscheidende Regulierungsfunktion zukommen: Es musste in seinen verschiedenen deliktstypischen Ausprägungen das konkrete personale Wesensmoment jedes einzelnen Strafunrechtstypus herausstreichen und in dessen Tatbestandsdimension lozieren („tatbestandsbezogener Täterbegriff“).46 Allerdings erhebt sich doch die Frage, ob eine abstrakte Wesensschau anhand eines bloß beschreibenden Täterbildes dies zu leisten vermag, wenn das in den Tatbestandstypen umschriebene Verhalten indifferent als „handlungsmäßiges Geschehen“ erfasst wird. Betrachtet man exemplarisch etwa den Straftatbestand des § 212 (i.V.m. § 15), so findet man dort ein „vorsätzliches Töten“ beschrieben. Damit ist aber weder ein „handlungsmäßiges Geschehen“ noch eine „Zentralgestalt“ umschrieben, sondern eine konkrete normative Tatbestandshandlung, deren Subjekt mit dem Relativpronomen „wer“ gekennzeichnet ist. Roxins Vorgehen, den Begriff „vorsätzlich Töten“ auf die eigenhändige Tatausführung zu beschränken und damit einen „Handlungsherrn“ als „sinnfälligste Ausprägung der Zentralgestalt“ in die Tatbestände der vorsätzlichen Handlungsdelikte hineinzulesen,47 findet somit im Gesetzeswortlaut keine Stütze.48 Noch mehr: Nach der juristischen Methodenlehre

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Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 73, 80. TuT, S. 122 ff. 44 Roxin, TuT, 122 ff., 528 ff. 45 Methodologisch instruktiv zum Ganzen auch Stein, Beteiligungsformenlehre, 56 ff. 46 TuT, 441 ff. (konkret zur Tatherrschaft a.a.O., 336; zur Pflichtverletzung a.a.O., 354; zur Eigenhändigkeit a.a.O., 414); s. auch Roxin, in: LK11, § 25 Rn. 36 ff. 47 TuT, S. 127. 48 s. schon Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 80. 43

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1. Kap.: Formell-phänomenologischer vs. materiell-normativer Handlungsbegriff

handelt es sich hierbei eigentlich um eine teleologische Reduktion des semantisch weitergehenden Tatbestandswortlauts.49 Denn in der vom Gesetzgeber übernommenen sozialen Alltagssprache (Norminternalisierung!) lässt sich durchaus noch sagen, dass etwa auch derjenige „vorsätzlich tötet“, der einen anderen unter gegenwärtiger Bedrohung von Leib und Leben zur Tötung eines Dritten zwingt. Deshalb muss von einem solchen Hintermann auch im juristischen Sinne des § 212 gesagt werden können, er habe – eben „durch“ diesen anderen (§ 25 I Alt. 2) – „getötet“.50 Die rein phänotypische Diskrepanz zwischen Handlungs- und Willensherrschaft betrifft somit nicht die Qualität als (scil.: normative) Tatbestandshandlung, sondern bloß deren konkrete Vollzugsform.51 Für Roxin dagegen „tötet“ ausschließlich der eigenhändig Ausführende, weshalb dem Nötiger die „Willensherrschaft“ über diesen Handlungsherrn und damit über dessen Tatbestandshandlung zugewiesen werden muss.52 Der qualifiziert nötigende „Willensherr“ rückt danach zwar mit in die zentrale Position des Handlungsablaufs ein und „verwirklicht“ den Tatbestand, ohne aber selbst die inkriminierte Handlung zu setzen, m.a.W.: Die Anbindung der Täterschaft an die Tatbestandsdimension droht sich in einem Kriterium der materiellen „Tatbestandsverwirklichung“53 qua Zentralgestalt zu verflüchtigen, in dem die eigenhändige („formelle“54) Tatbestandshandlung als nur eine von mehreren Modalitäten personaler Erfolgszurechnung aufgeht. Ein zentrales Problem dieses Ansatzes liegt nun wie gesagt darin, dass die Stufen der Erfolgszurechnung (zur Tat und zur Täterschaft) nicht aufeinander abgestimmt werden: Die Verbindung zum Tatbestand wird bekanntlich hergestellt durch die bereits erwähnte Unterkategorie der eigenkörperlichen „Handlungsherrschaft“.55 Diese Herrschaftsform markiert die basale Schnittstelle zwischen materialem Leitprinzip der Zentralgestalt und formeller Tatbestandshandlung, da nach Roxin beides im „Handlungsherrn“ als dem eigenhändig Ausführenden konvergieren soll. 49

Freilich konnte sich Roxin sub specie § 47 a.F. noch auf den deskriptiv(er)en Terminus des „Ausführens“ stützen. Das dispensierte ihn jedoch schon damals nicht von der Notwendigkeit einer Materialisierung des Tatbestandshandlungsbegriffs. Denn auch die eigenkörperliche „Handlungsherrschaft“ selbst muss ja als Produkt einer normativen Zurechnung (scil.: des Geschehens zum Willen) verstanden werden (können), womit wieder auf die prinzipielle Frage nach der einheitlichen sachlogischen Struktur der Zurechnung eines Geschehens als Handlung zurückverwiesen ist (in den Worten Roxins selbst [TuT, 450]: „Caesar ne supra grammaticos“). 50 Schild, Täterschaft, 11 ff.; ders., in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 79. 51 Instruktiv zum Verhältnis von „Handlungsherrn“ und „Willensherrn“ zur Tatbestandshandlung Schild, Täterschaft, 10 ff. (12 f.). 52 TuT, S. 143 („unmittelbar beherrscht der Nötigende allein den Genötigten“). 53 Es ist gerade das paradigmatische Axiom Roxins, dass der Schlüssel für die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme in der Tatbestandsverwirklichung liege (so expressis verbis in AT/II, § 25 Rn. 4 f.). 54 So der zutr. Terminus von Jakobs, AT, 21/35. 55 Roxin, TuT, 127 ff.

A. Die Beteiligungslehre Roxins

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Dass in dieser Gleichsetzung von Eigenhändigkeit und Tatbestandshandlung eine Verkürzung des Gesetzeswortlauts liegt und dass dem Handlungsherrn selbst die Tatbestandshandlung abgehen kann, wurde bereits gezeigt: Das mit der Eigenhändigkeit assoziierte Bild von der phänomenal-unmittelbaren Herrschaft zerbricht, wenn man etwa den Einsatz eines (wilden) Tieres bedenkt, das auf das Opfer losgelassen wird.56 Roxin selbst sah darin offenbar kein Problem, denn er verwies auf die kausalgesetzlich vermittelte Beherrschbarkeit des Geschehens, die dem eigenkörperlichen Handeln innewohne57 (und damit: auf die objektive Zurechenbarkeit). Doch gerade dieser Hinweis macht das Problem erst deutlich: Beim Einsatz eines in seinem Wirken gerade nicht mehr beherrschten Werkzeugs fehlt die eigenkörperliche Handlungsherrschaft als Grund für die täterschaftliche Erfolgszurechnung, weshalb die Handlungsherrschaft selbst das Ergebnis einer – anderweitig begründeten – Zurechnung sein muss! Auch wenn mit dem Loslassen des Tieres das deliktische Geschehen aus der Hand gegeben wird, kann nach dem sozialen Alltagsverständnis kein Zweifel daran bestehen, dass (gerade deshalb!) der durch das Tier verursachte Verletzungserfolg dem loslassenden Willen zugerechnet werden muss.58 Damit aber ist im Ansatz klargestellt, dass der Handlungsbegriff aufgebrochen zu denken ist und die Verwendung eines Werkzeugs von vornherein einschließen muss. In den Worten Schilds: „(…) das tatbestandsmäßige Handeln selbst muss als Ergebnis einer (sozialen) Zurechnung thematisiert werden.“59 Der eigentliche Grund für das problematische Verhältnis zwischen der überkommenen Täterlehre und der Tatbestandsmäßigkeit liegt also im Fehlen eines konkreten personalen Begriffs des tatbestandsmäßigen Verhaltens.60 Die Tatherrschaftslehre bleibt auf der ersten Stufe (der Unrechtstat) bei einem lediglich um objektive und subjektive Zurechnung angereicherten kausalen Handlungsbegriff stehen, der als Grundlage für die Frage nach der Tatherrschaft konsequent für alle Beteiligten gelten muss.61 Innerhalb eines so ermittelten „handlungsmäßigen Geschehens“ kann dann auf der zweiten, personalen, Zurechnungsstufe nur noch derjenige tätertatbestandsmäßig handeln, der die Tat eigenhändig ausführt, weshalb der Begriff der Tatbestandshandlung ein rein äußerlicher (technisch: ein formeller62) bleibt. Die Verwendung von außerhalb der eigenen Körpersphäre liegenden Werk56 Akzentuiert herausgearbeitet wurde dieser Aspekt von Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 74. 57 So Roxin, TuT, 173. 58 Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 74 ff. 59 In: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 74 a.E.; s. auch schon ders., Täterschaft, 26: „Die Tatbestandshandlung ist (…) der Grundbegriff; und diese kann nur über eine normativ bezogene Handlungslehre begriffen werden.“. 60 Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 77; Freund, AT, § 10 Rn. 45 ff. 61 Weshalb es dann erst eines restriktiven Täterbegriffs bedarf; s. zu dieser Paradoxie Haas, ZStW 119 (2007), 518 (526). 62 Jakobs, AT, 21/35.

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1. Kap.: Formell-phänomenologischer vs. materiell-normativer Handlungsbegriff

zeugen, die auch nicht – wie etwa Knüppel oder Messer – als verlängerter Körper verstanden werden können, kann dieser Tatbestandshandlungsbegriff naturgemäß nicht mehr einfangen. Insbesondere für den Einsatz von menschlichem Verhalten als Werkzeugtätigkeit muss auf eine von außen an den Tatbestand herangetragene Zurechnungskategorie der Tatbestandsverwirklichung qua Zentralgestalt ausgewichen werden. Das Leitprinzip der Zentralgestalt dient damit im Rahmen dieses zweistufig gestaffelten Unrechtssystems dazu, den Mangel eines konkreten, materiell-normativen, Begriffs der Tatbestandshandlung zu kompensieren,63 kurz: Die Beteiligungsformen werden nicht als Handlungsunrechtstypen begriffen, sondern als Zurechnungstypen. Was also fehlt, ist ein „(…) konkreter materieller Begriff des tatbestandsmäßigen Verhaltens (…)“.64 Die historische Frage, warum ein solcher Begriff bisher65 noch nicht entwickelt wurde, soll hier nicht weiter interessieren.66 Denn jedenfalls ist damit die zukünftige Aufgabe der Strafrechtsdogmatik aus hiesiger Sicht klar umrissen: Sie muss darin bestehen, einen allgemeinen Begriff des tatbestandsmäßigen Verhaltens zu entwickeln, in dem die Täterlehre aufgeht und der für die einzelnen Straftattypen konkretisierend zu entfalten ist.67

63

So die zutr. Feststellung von Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 77, 79 f. So die pointierte Begrifflichkeit bei Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 77. 65 Interessant ist, dass auch Roxin einst ein „konkreter“ Begriff der personalen Handlung vorschwebte (in: Radbruch-GS [1968], 260 [264 f.]) – welches Postulat jedoch mit der Lehre von der Zentralgestalt gerade nicht eingelöst wurde (s. eingehend dazu Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 78 ff.). 66 Angemerkt sei insoweit nur, dass das Fehlen eines unrechtstypischen Tatbestandshandlungsbegriffs gerade im Bereich des Vorsatzdelikts seine Gründe im Allgemeinen wie im Besonderen hat. Allgemein waren die ersten Bestrebungen nach einer Tatbestandseinschränkung durch die uferlose Weite der Äquivalenztheorie bedingt, weshalb es nur folgerichtig erschien, den Korrekturmechanismus in Gestalt einer objektiven Zurechnungslehre unmittelbar hinter diese Theorie zu schalten. Da die Lehre von der objektiven Zurechnung jedoch für alle Straftatgruppen gleichermaßen Geltung beanspruchte, war sie ein stetiger Hemmschuh für die Entwicklung eines deliktstypisch akzentuierten Begriffs des tatbestandsmäßigen Verhaltens (s. zum Ganzen Frisch, Verhalten, S. 13 f., 18 ff., 23 ff.). Der besondere Grund für den Mangel eines konkreten personalen Tatbestandshandlungsbegriffs liegt hingegen wohl darin, dass die finale Handlungslehre, die ja in erster Linie als Lehre vom vorsätzlichen Handlungsunrecht verstanden werden muss, aus dem eigenen Handlungsbegriff heraus bisher wenig Fruchtbares für die Abgrenzung der Beteiligungsformen hervorbringen konnte. Denn jeder Beteiligte handelt im Hinblick auf den tatbestandsmäßigen Erfolg gleichermaßen final, weshalb nichts anderes übrig blieb, als auf das faktische „Beherrschen-Können“ der Tat bzw. auf die Herrschaft über den eigenen Entschluss und dessen Durchführung (Welzel, Strafrecht, § 15 I 1 [S. 100]) abzustellen. Letzteres wurde dann in Gestalt einer Theorie der (wirklichen) finalen Tatherrschaft versucht, die allerdings in den Fällen einer realiter fehlenden Geschehensherrschaft mehr und mehr aufgeweicht (d. h.: normativiert) werden musste. 67 So das Postulat von Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 80. 64

B. Die gegenläufige Beteiligungslehre Schilds

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B. Die gegenläufige Beteiligungslehre Schilds – Strafgesetzlich formalisierter materieller Einheitstäterbegriff Ein derart konzeptioniertes Gegenmodell zum personenorientierten Leitprinzip der Zentralgestalt entwirft neuerdings Schild68, der die Abgrenzung der Beteiligungsformen systematisch in der Dimension des ohne Erfolg gedachten Verhaltensunrechts verortet. Das wesenstypische Handlungsunrecht der Vorsatzdelikte erblickt er dabei im Ansetzen zum Umsetzen eines erfolgstauglichen Handlungsprogramms ex ante.69 In der Betätigung eines solchen erfolgstauglichen Willens/ Plans soll zugleich die wirkliche, weil eben nur potentielle Tatbeherrschbarkeit qua Kausal- bzw. Erfahrungswissen ex ante begründet liegen,70 so dass BeherrschenWollen und Beherrschen-Können im unmittelbaren Umsetzungsakt konvergieren. Die äußere Realisierung eines derartigen tauglichen Handlungsprogramms im tatbestandsmäßigen Erfolg wird dem Planenden dann als seine erfolgreiche materielle Tatbestandshandlung zugerechnet, wenn und weil sie auf seinen personal betätigten Willen als ihren inneren Grund zurückgeführt werden kann.71 Dabei ist es für Schild irrelevant, welcher Mittel sich der Planende zur Verwirklichung seines Plans bedient, solange nur das konkret eingeplante Werkzeug das Handlungsprogramm ex ante zu einer erfolgstauglichen Strategie macht.72 Als eine prinzipiell taugliche Strategie i.d.S. wird daher konsequent auch die Einplanung menschlichen Verhaltens angesehen, unabhängig davon, ob das eingeplante Fremdverhalten selbst rechtlicher oder unrechtlicher Art sei. Zwar möge der eingeplante andere in seinen Entscheidungen frei sein, was aber keineswegs bedeute, dass sein Verhalten nicht kalkulierbar sei; denn die Freiheit sei immer eine endliche, daher auch durch äußere und innere Umstände beeinflussbare und motivierbare, was meist eben nur bedeute, dass es erhöhter Verführungsstrategien zu ihrer Überwindung bedürfe.73 Konsequent wird die vorsätzliche (Täter-)Tatbestandshandlung materiell-normativ bestimmt als programmverwirklichende Erfolgsherbeiführung qua Werkzeugeinsatz.74 Dem auf diese Weise gewonnenen Tatbestandshandlungsbegriff werden sodann die Begehungsformen des § 25 als lediglich noch phänomenale Gestalten oder Typen einer solchen Werkzeugverwendung zugeordnet.75 Ursprünglich hat Schild diesen materiellen „Täterbegriff“ mit der rechtsphilosophischen These untermauert, dass es für den unrechtlich Planenden de facto nur Werkzeuge gebe, gerade weil er in und mit seiner Tat aus dem allgemeinen sittlichen 68 69 70 71 72 73 74 75

Erstmals umfassend in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 65 ff. Ausführlich in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 111 ff. (113). Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 152 ff. Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 83; ders., in: NK, § 25 Rn. 2, 10 ff., 29. Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 158 ff., 284; ders., in: NK, § 25 Rn. 11 ff., 30. Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 282, 328 ff. Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 158 ff., 284. Grundlegend Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 284; ders., in: NK, § 25 Rn. 3, 6.

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1. Kap.: Formell-phänomenologischer vs. materiell-normativer Handlungsbegriff

Anerkennungsverhältnis der rechtlich Denkenden ausbreche.76 Logische Konsequenz dieses Ansatzes war, dass sämtliche Beteiligten im materiellen Sinne Täter sein mussten.77 Ein Rekurs auf § 25 half hier nicht weiter, da die Vorschrift nach Schild ja nur die phänomenologische Gestalthaftigkeit mit der normativen Handlungsdimension verbinden und eine weitergehende Normativierung gerade nicht erlauben sollte: Wer die Täterschaft nur oder in erster Linie normativ bestimmen wolle, der könne sich auf § 25 nicht berufen.78 Demnach drohte die im Modell Roxins angelegte Gefahr hier zunächst von der anderen Seite: Während Roxin seinem Konzept einen phänomenologischen Handlungsbegriff zugrunde legte und daher für die Einplanung menschlichen Verhaltens in eine zunehmend tatbestandsgelöste Normativierung „flüchten“ musste, entwickelte Schild umgekehrt einen konturlosen materiellen Begriff der Tatbestandshandlung, der durch die bloß phänotypisch verstandenen Handlungsgestalten des § 25 nicht mehr eingegrenzt werden konnte. Damit war für die vorsätzlichen Handlungsdelikte ein materieller Einheitstäterbegriff vorgegeben, der notgedrungen von außen eingeschränkt werden musste, um das dualistische Beteiligungssystem der lex lata erklären zu können.79 Aus dieser Not heraus erklärte Schild deshalb die §§ 26, 27 kurzerhand zu positivgesetzlichen „Formalisierungsvorschriften“, die gewisse Handlungsprogramme aus dem Bereich der Täterschaft ausnähmen und zur formell-gesetzlichen Teilnahme deklarierten, wodurch zugleich auch der Täterbegriff in (s)eine strafgesetzliche Form (nämlich diejenige des § 25) gebracht werde.80 Damit erweise sich die legislatorische Entscheidung für eine limitierte Akzessorietät der strafgesetzlichen Teilnahme zugleich als (ungewollte) gesetzliche Täterbestimmung: Aus der Täterschaft seien sämtliche Programme auszunehmen, die zumindest das tatbestandsmäßig-vorsätzlich-rechtswidrige Handeln eines anderen Menschen einplanten. Für diesen objektiven Gesetzesentscheid könne natürlich keine materiell einsichtige Begründung gegeben werden; doch müsse der (unbeabsichtigte) positivrechtliche Entscheid letztlich vom Rechtsanwender hingenommen werden.81 Es ist leicht einzusehen, warum diese dem Rechtsgefühl evident zuwiderlaufende Lösung in der Literatur wenig82 Anklang gefunden hat: Die Ausklammerung von anerkannten Archetypen mittelbarer Tatbegehung („Nötigungsherrschaft“, Einsatz eines Schuldunfähigen oder eines ohne Unrechtsbewusstsein tätig werdenden Werkzeugs) aus § 25 I Alt. 2 qua § 26 leuchtet einfach nicht ein; ein Symptom, das 76

So Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 278 ff. (280 f.). Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 284, 331 ff. 78 Schild, in: NK, § 25 Rn. 6. 79 Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 333 f. 80 Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 333. 81 Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 334, 342. 82 Beifall hat der von Schild „aufgefundene“ materielle Einheitstäterbegriff bezeichnenderweise allein bei dezidierten Verfechtern eines strafrechtlichen Einheitstäterbegriffs wie Marlie (Unrecht, 216 ff.) und Rotsch (Einheitstäterschaft, 311 f.) gefunden. 77

B. Die gegenläufige Beteiligungslehre Schilds

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klar gegen die Richtigkeit der Ausgangsprämisse – materieller Einheitstäterbegriff als unübersteigbare Sacheinsicht – spricht. Ein Blick in die Gesetzgebungsmotive zeigt denn auch, dass der historische Gesetzgeber keineswegs einen materiellen Einheitstäterbegriff formalgesetzlich „bändigen“, sondern vielmehr eine materielle Lehre vom Täter, nämlich die Tatherrschaftsdoktrin, legalisieren wollte.83 Zwar meinte Schild interimistisch, der materielle Einheitstäterbegriff sei als unübersteigbare Sachgegebenheit der Regelungskompetenz des Gesetzgebers entzogen;84 doch hätte ihm bei dieser Sichtweise die positivgesetzliche Anordnung eines Täter-Teilnehmer-Systems eigentlich als legislatorischer Willkürakt erscheinen müssen, erblickte er doch das sachlogisch Zwingende des materiellen Einheitstäterbegriffs gerade darin, dass dieser dem Modell der sozialen Alltagszurechnung entspreche.85 Konsequent wäre vor diesem Hintergrund wohl allein das Postulat einer Totalrevision der strafrechtlichen Beteiligungsvorschriften i.S.e. Einheitstäterbegriffs gewesen.86 In der Sache ist jedenfalls Roxin87 beizupflichten, der die Hypothese vom materiellen Einheitstäter als alltagsontologisch vorgegebener Entität energisch zurückgewiesen hat. Ihr neuralgischer Punkt liegt in der – durch Lange88 inspirierten – Behauptung, für jeden Beteiligten gebe es nur Werkzeuge.89 Das trifft so nicht zu, denn „Handlung“ ist auch und gerade in unserer praktisch institutionalisierten Selbsterfahrung mehr als ein bloßer Kausierungswille, der Naturverläufe anstößt. Handlung ist die „Interpretation einer intentionalen Selbstverwirklichung“,90 weshalb das von mir eingeplante Tatbestandshandlungserlebnis eines anderen ein identisch dimensioniertes Tatbestandshandlungserlebnis meiner Selbst ausschließen muss. Gehe ich also davon aus, dass ein anderer unter einem bestimmten „Sinnzugangslevel“ intentional auf das Rechtsgut zugreifen (wollen) wird, so kann ich das damit verbundene intentionale „Zugriffserlebnis“ zwar aus meiner eigenen Handlungserfahrung heraus nach-vollziehen, nicht aber selbst haben (wollen). Daher kommt es für die Abgrenzung von Täter- und Teilnahmehandlungen maßgeblich darauf an, was der Betreffende nach seinem Programm intentional will bzw. wollen kann, wobei das Programm – um insofern tauglich zu sein – der alltagsontologischen Struktur einer intentionalen Selbstverwirklichung bei Interaktion mehrerer Subjekte entsprechen muss. 83

Vgl. BT-Drucks. IV/650 (E 1962), 147 f. Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 333. 85 Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 74, 79. 86 So zutr. Marlie, Unrecht, 211 ff. (213), 219; Rotsch, Einheitstäterbegriff, 311 f. 87 TuT8, 669 f. 88 Lange (Täterbegriff, 66) hatte noch gemeint, es gebe „für den Täter nur Werkzeuge“; an diese Sentenz knüpfte Schild an und baute sie dahingehend aus, dass „jeder Beteiligte in diesem Sinne Täter“ sei (in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 284). 89 Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 280 f., 284. 90 Kindhäuser, Intentionale Handlung, 207. 84

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1. Kap.: Formell-phänomenologischer vs. materiell-normativer Handlungsbegriff

Mittlerweile hat auch Schild selbst eingesehen, dass ein materieller Einheitstäterbegriff keineswegs sachlogisch zwingend vorgegeben ist. So meint er heute, es sei nicht richtig (gewesen), aus der Regelung der Teilnahme eine Einschränkung des Bereichs des § 25 vorzunehmen.91 Entgegen der früheren Auffassung sei anzuerkennen, dass ein frei Handelnder nicht als ein Werkzeug aufgefasst werden könne, durch das der Hintermann die Tatbestandshandlung begehe. Grund dafür sei aber nicht ein Regressverbot, das mit einem allgemeinrechtlich oder verfassungsrechtlich begründeten „Autonomie- oder Verantwortungsprinzip“ argumentiere. Denn ein solches Axiom müsse sich selbst ad absurdum führen, könne es doch die nur mit der Sozialbindung des Haupttäters begründbare Strafbarkeit der Teilnahme nicht erklären.92 Der wahre Grund für die Inkompatibilität wirklicher Freiheit mit dem Charakter als Werkzeug liege vielmehr darin, dass die freie Tätigkeit selbst die Tatbestandshandlung darstelle, die nur von Freiheit her, als Schuldtypus, gedacht werden könne. Wer aber nach dem Programm des Hintermannes in diesem Vollsinne handeln solle, der könne nicht zugleich als Werkzeug betrachtet werden, durch das der Hintermann dieselbe Tatbestandshandlung begehe.93 Der Hintermann müsse die Tatbestandshandlung durch den anderen als Werkzeug begehen wollen, was aber nicht möglich sei, wenn dieser andere selbst die Tatbestandshandlung setzen solle.94 „Freies Handeln“ i.d.S. bedeute aber nicht „strafbares Handeln“, denn die Regelung des § 17 erlaube die Bestrafung einer nicht wirklich frei begangenen Tat. Deshalb könne der mittelbare Täter auch einen Menschen als Werkzeug einplanen, dessen fehlende Unrechtseinsicht er kenne.95 In dieser modifizierten Fassung hat der Schild’sche Ansatz einen einnehmenden Charme. Erstens führt er die Tatherrschaftslehre nach wie vor auf ihren finalen Grund zurück – die Umsetzung eines aus Akteurssicht tauglichen Handlungsprogramms, das qua Kausal- bzw. Erfahrungswissen ex ante prinzipielle Beherrschbarkeit vermittelt. Zweitens zeigt er nachvollziehbar auf, dass die Einplanung menschlicher Werkzeugtätigkeit sich strukturell nicht von der Einplanung von Naturkausalität unterscheidet, also ebenfalls ein Phänomen des allgemeinen Handlungsunrechts ist. Drittens wird alltagspsychologisch nachvollziehbar plausibilisiert, dass und warum unter gewissen Voraussetzungen auch unrechtliches Handeln anderer Menschen kalkulierbar ist bzw. wird. Und viertens schließlich wird der Einplanung eines anderen Menschen als Werkzeug im technischen Sinne des § 25 I Alt. 2 eine normative Schranke gesetzt, die dann erreicht ist, wenn dieser andere selbst frei und vollsinnig delinquieren soll.

91 92

308. 93 94 95

Schild, in: NK, § 25 Rn. 9. Schild, in: NK, § 25 Rn. 31; s. auch bereits ders., in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 100, 177, Schild, in: NK, § 25 Rn. 31. Schild, in: NK, § 25 Rn. 79. Schild, in: NK, § 25 Rn. 79.

C. Die eigene Idee

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Doch zeigt die Anknüpfung an den Terminus technicus „durch einen anderen“ i.S.d. § 25 I Alt. 2, dass Schild sich eigentlich nicht (ganz) von der Grundidee eines materiellen Einheitstäterbegriffs distanziert hat: Die reelle „Instrumentalisierungsallmacht“ des unrechtlich planenden Willens wird durch die sub specie § 25 I Alt. 2 (!) vorgenommene Einschränkung bloß überlagert, bleibt also als ontologische bestehen. Ein anderer, der die Tatbestandshandlung in ihrem Vollsinn setzen soll, kann lediglich nicht als Werkzeug i.S.d. Rechtsordnung angesehen werden, was jedoch an seiner tatsächlichen Einplanung als „Täterwerkzeug“96 für eigene Zwecke nichts ändert. Zu dieser Interpretation passt jedenfalls der Umstand, dass Schild97 neuerdings das Axiom von Gallas98 übernimmt, wonach „Tatherrschaft durch Benutzung eines anderen als Werkzeug dort ihre Grenzen [Hervorhebung nicht im Original!] finden [muss], wo das Recht das Tun des unmittelbar Handelnden als ein freies (…) wertet“.

Deutlich wird, dass es Schild eigentlich immer noch „nur“ darum geht, einen prinzipiell als Werkzeugverwendung gedachten materiellen Handlungsbegriff strafrechtlich zu formalisieren: Soll der eingeplante andere die Tatbestandshandlung in ihrem Vollsinn setzen, dann kann nicht ohne Selbstwiderspruch der Rechtsordnung davon gesprochen werden, dass der Hintermann dieselbe Tatbestandshandlung „durch einen anderen“ i.S.d. § 25 I Alt. 2 begehen will.

C. Die eigene Idee: Versuch, den von Schild eingenommenen Ansatz auf Basis des intentionalen Handlungsbegriffs Kindhäusers fortzuführen Nach der hier zu entwickelnden Ansicht muss aber noch tiefer gegriffen und gefragt werden, ob die Einplanung eines Dritten als Werkzeug nicht schon alltagsontologisch anders zu interpretieren ist als die Einplanung eines frei handelnden Menschen. Richtig ist zwar, dass auch die Einplanung freien Unrechtshandelns eine taugliche Strategie zur Erfolgsherbeiführung begründen kann – interpersonal bedingte Verhaltensentscheidungen erwachsen immer aus einem psychologisch komplexen Geflecht ganz konkreter Sozialbindungen und nicht aus einer autarken Freiheit, die mit reiner Willkür oder Unberechenbarkeit gleichzusetzen wäre.99 Damit ist aber eben nur gesagt, dass fremde Unrechtsentschlüsse kalkulierbar sind, nicht hingegen, dass ihr Vollzug vom planenden Hintermann als eigene intentionale Handlung erlebt und verstanden wird. Das Erlebnis eines eigenen höchstpersönli96 97 98 99

So noch Schild, in: NK2, § 25 Rn. 21. In: NK, § 25 Rn. 79. Beiträge, 78 (99). Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 282, 328 ff.; ders., in: NK, § 25 Rn. 31.

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1. Kap.: Formell-phänomenologischer vs. materiell-normativer Handlungsbegriff

chen Rechtsgutszugriffs100 setzt jedoch mehr voraus als nur den planmäßigen Ablauf eines irgendwie angestoßenen rechtsgutsverletzenden Außenweltgeschehens. Entscheidend ist, dass der Akteur selbst ein allgemeinverbindliches Interpretationsmuster betätigt, nach dem er das rechtsgutsverletzende Geschehen (noch) als Produkt (auch) seiner intentionalen Selbstverwirklichung erleben, es originär auf sich als produzierendes Subjekt zurückführen kann.101 Daraus folgt im Umkehrschluss, dass es an einem intersubjektiv nachvollziehbaren Zugriffserlebnis des Akteurs fehlt, soweit er den intentionalen Rechtsgutszugriff eines anderen einplant. Daran vermag dann auch eine noch so sichere Prognostizierbarkeit des fremden Handlungserlebnisses nichts zu ändern. Kristallisationspunkt „täterschaftlicher“ Handlungsinterpretation ist damit stets eine ganz bestimmte selbstreferentielle „Basis-Handlung“102 ex ante (= eine bestimmte körperbezogene Verhaltensinterpretation), in der sich ein konkreter Selbstverwirklichungswille eo ipso objektiviert und sich handelnd zu sich selbst verhält. Damit ist die Brücke geschlagen zum Schild’schen Ansatz beim konkreten personalen Handlungsunrecht ex ante. Allerdings ergibt sich eine wesentliche Abweichung: Die Grenzen des vorrechtlichen („materiellen“) Handlungsbegriffs werden nicht erst durch irgendwelche Wertungen der Rechtsordnung „technisch“ eingezogen, sondern sie sind ihm als „natürliche Interpretationsgrenzen“ bereits immanent. ,Handlung‘ ist die Chiffre, mit der wir Personen im Sprachspiel des sozialen Alltags für das Hervorbringen von Außenweltveränderungen als intentional produzierte Sinnzusammenhänge verantwortlich machen.103 Dabei ist ein und dasselbe intentional bewirkte Außenweltereignis verschiedenen Genera (= Tun/Unterlassen), Typen (= Vorsatz/Fahrlässigkeit), Modi (= Ich-/Wir-Intentionalität) und Dimensionen (= einfache/komplexe Intentionalität) intentionaler Selbstverwirklichung zugänglich, weshalb ,Handlung‘ zwangsläufig mehr sein muss als bloß intentionale Erfolgskausierung.104 Das bedarf freilich solange keiner näheren Präzisierung, wie ein Einzeltäter unter dem Akt-Typ eines Vorsatzdelikts handelt, ohne dass ihm Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründe zur Seite stehen. Liegen jedoch die Dinge nicht derart luzide, so offenbart sich die wahre Fruchtbarkeit einer Orientierung am alltagspraktischen Modell der teleologischen Handlungsexplikation, und zwar insbesondere für die Vorsatzdogmatik und die Beteiligungslehre.

100

Der Begriff „Rechtsgutszugriff“ geht auf Heinrich (Rechtsgutszugriff, 99 ff., 124 ff.) zurück. 101 Es handelt sich bei dieser These um eine beteiligungsrechtliche Fortschreibung des von Kindhäuser (Intentionale Handlung, 202 ff. [206 f.]) für das Strafrecht entwickelten intentionalen Handlungsbegriffs. 102 s. zur Prägung des Begriffs in der sprachanalytischen Philosophie und zu seiner inhaltlichen Adaption an ein (teleo)logisches Handlungsmodell eingehend Kindhäuser, Intentionale Handlung, 84 ff. 103 Kindhäuser, Intentionale Handlung, 129 f., 144 f., 206 f. 104 I.d.S. allgemein Kindhäuser, Intentionale Handlung, 159 ff. (162 f.).

C. Die eigene Idee

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Denn dieses Metamodell der Handlungsanalyse erfüllt eine wichtige „Scharnierfunktion“, wenn die externe Zuschreibung eines bestimmten (unrechtlichen) Handlungssinns von der akteurseigenen Selbstinterpretation abweicht. So kann zunächst ein Tun, das bei zweckrationaler Handlungsinterpretation nur als Ausdruck einer bestimmten Verletzungsmaxime verstanden werden kann, vom Akteur niemals abweichend interpretiert werden, sofern in seiner Person gewisse kognitive Mindestprämissen erfüllt sind (Irrelevanz einer handlungssinnerklärenden „Privatsprache“105).106 Der überkommene Theorienstreit um die „richtige“ Bestimmung des Eventualvorsatzes lässt sich damit (vielleicht) entwirren: Vorsatz im Rechtssinne ist weder ein innerpsychisches Faktum noch eine genuin rechtliche Zuschreibung, sondern vielmehr ein Äquivalent zur Zuschreibung von ,Vorsatz‘ im sozialen Alltag.107 Überdies zwingt der „intentionale Handlungsbegriff“108 bei konsequenter Fortschreibung dazu, die Besonderheiten der Interpretation einer intentionalen Selbstverwirklichung bei Interaktion mehrerer selbstreflexiver Handlungssubjekte zu berücksichtigen: Komplexe ich-intentionale Selbstverwirklichung ist nur soweit möglich, wie ich das von mir eingeplante (unrechtliche) Handlungserlebnis des Vordermannes nach Maßgabe eines allgemeinverbindlichen Interpretationsmusters noch intentional überformen kann. Für die Instrumentalisierung anderer zur Verwirklichung von Straftaten bedeutet dies Folgendes: Erstens kann ich planen, einen anderen gewaltsam (d. h. durch Ausübung existentiellen Nötigungsdrucks i.S.d. § 35 I 1) zum Repräsentanten meiner eigenen Unrechtsmaxime zu machen109 (Bsp.: A zwingt B unter Prügelandrohung, etwas für ihn zu stehlen); zweitens kann ich aber auch planen, den (sub specie Schuldtypus) relativ unterlegenen Intentionalzustand eines anderen zur Verwirklichung einer eigenen, höher dimensionierten, Unrechtshandlung sinngestaltend zu überformen110 (Bsp.: A, der die Jacke des C stehlen will, bittet den ahnungslosen B, ihm doch bitte „seine“ Jacke von der Garderobe zu holen); ein Unterfall der letztgenannten Kategorie ist auch dann gegeben, wenn ich mein Unrechtsprogramm dadurch realisieren will, dass ich durch manipulative Interven105 s. allgemein zum (Schein-)Problem einer privaten Sprache bzw. privater Handlungen Kindhäuser, Intentionale Handlung, 57 ff., 149 ff. (150 f.); eingehend zur Extrapolierung dieser Erkenntnisse auf das Problem der strafrechtlichen Eventualvorsatzbestimmung s. noch unten, S. 76 ff., 111 ff. 106 Das entspricht i.E. dem Ansatz von Puppe, in: NK, § 15 Rn. 68 ff. 107 s. nur Schild, Täterschaft, 32 ff.; ders., in: NK1 , Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 237 ff. 108 Zur (zusammenfassenden) Erläuterung des Begriffs s. Kindhäuser, Intentionale Handlung, 202 ff. 109 Gemeint ist also der Sache nach das, was Roxin (TuT, 142 ff., 713 ff.) als „Nötigungsherrschaft“ bezeichnet. Zu beachten ist allerdings, dass § 35 hier lediglich als Rechtsmaßstab für ein kongruentes Deutungsschema fremdbestimmten Handelns interessiert und nicht als Regel einer interpersonalen Verantwortungsallokation (s. eingehend zum Ganzen noch unten, S. 405 ff.). 110 Angesprochen ist damit aus der Ex-ante-Perspektive die Struktur der „Irrtumsherrschaft“ i.S. Roxins (TuT, 170 ff., 724 ff.); s. eingehend dazu noch unten, S. 440 ff.

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1. Kap.: Formell-phänomenologischer vs. materiell-normativer Handlungsbegriff

tion eine rechtliche Eingriffsbefugnis schaffe, die ein Dritter zu rechtmäßigem Handeln nutzen soll111 (Bsp.112 : T hetzt einen fremden Zwergpinscher auf die in teuren Pelz gehüllte D, die das Tier mit ihrem Schirm traktiert, um den wertvollen Pelzmantel unversehrt zu halten).113 Ein solcher Rekurs auf die intentionale Basis-Handlung jedes einzelnen Beteiligten trägt auch dem Schuldprinzip Rechnung, denn nur das jeweils eigene Tun kann ja zur Schuld vorgeworfen werden: Allein das in der eigenen Körperbewegung erfahrene Ansetzen des Willens zum Umsetzen eines (prinzipiell) tauglichen Handlungsprogramms ist der reelle, alltags- und realontologische Grund jeder personalen Zurechnung; er kann weder auf einen späteren Zeitpunkt verlegt noch hinter dieses unmittelbar-eigenkörperliche Handlungserlebnis zurückgenommen werden. In der intentionalen Basis-Handlung ex ante verschmilzt die prinzipielle psychophysische Geschehensbeherrschbarkeit qua Kausal- und Erfahrungswissen (= realontologische Komponente, da rein empirische Kategorie) mit der Eigeninterpretation des Ansetzens zu einer intentionalen Selbstverwirklichung (= alltagsontologische Komponente, weil [teleo]logische Sinnkategorie) zu einem Erlebnis intentionaler Selbstverwirklichungsfähigkeit. Jede Basis-Handlung ist also zum einen daraufhin zu untersuchen, ob sie (aus der Tatsachensicht des Akteurs) nach empirischen Maßstäben hinreicht, das betreffende Ereignis ceteris paribus herbeizuführen. Zum anderen ist zu fragen, wie das Tun des Akteurs intentional zu interpretieren ist.114 Beachtet werden muss allerdings, dass beide Komponenten strikt aufeinander zu beziehen sind: Der Akteur muss im Entscheidungszeitpunkt ex ante eine prinzipiell taugliche Selbstverwirklichungsstrategie umsetzen, d. h. ein anerkanntes Interpretationsmuster (einfacher oder komplexer) intentionaler Selbstverwirklichung. Ziel der nachfolgenden Ausführungen wird es im Großen und Ganzen sein, „Täterschaft und Teilnahme“ als unterschiedlich veranlagte Handlungsunrechtstypen im vorgenannten Sinne auszuweisen und diese Lozierung dogmatisch so umfassend wie möglich abzusichern. Die Thematik wird dabei wie folgt durchschritten: Im unmittelbar anschließenden zweiten Kapitel ist zunächst das allgemeine Fundament zu legen für eine Herleitung des Täterbegriffs aus der konkreten tatbestandsmäßigen Handlung. Zu diesem Zweck wird bei der Frage nach dem allgemeinen, in § 25 lediglich konkretisierten, Täterbegriff eingesetzt, der hier im Anschluss an Schild115 als abstrakter Oberbegriff des tatbestandsmäßigen Verhaltens selbst verstanden wird. Folglich muss § 25 zu den einzelnen Straftattypen in Bezug gesetzt werden. Dabei wird sich herausstellen, dass die §§ 25 – 27 zentral auf den 111

Die mittelbare Tatbegehung durch ein rechtmäßig oder unverboten handelndes Werkzeug hat auf dem Boden der überkommenen Tatherrschaftslehre etwa Herzberg analysiert (in: Mittelbare Täterschaft, 26 ff.). 112 Nach Puppe, AT, § 15 Rn. 5. 113 s. ausführlich zu dieser Rubrizierung noch unten, S. 404 f., 409 ff., 470 ff. 114 So Kindhäuser, Intentionale Handlung, 207. 115 In: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 79 ff.

C. Die eigene Idee

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Straftattypus der vorsätzlichen Handlungsdelikte zugeschnitten sind.116 Im Hinblick auf die anderen Straftatgruppen, insbesondere das Fahrlässigkeits- und das Unterlassungsdelikt, geben die Vorschriften allenfalls Kriterien einer Vergleichbarkeit her, deren Heranziehung sich jedoch bei zutreffender Ausrichtung der straftattypischen Dogmatik bestenfalls als obsolet erweist.117 Im Anschluss an die Kurzanalyse der Straftattypen sub specie § 25 ist dann der allgemeine vorrechtliche Handlungsbegriff aufzusuchen, der all diesen Deliktsgruppen in verschiedenen Flexionsformen zugrunde liegt. Er ist mit Kindhäuser118 in den anwendungsbezogenen Deutungsschemata zu erblicken, mithilfe derer wir im sozialen Alltag Handeln und Handlungssinn erklären (sog. „intentionaler Handlungsbegriff“119). Freilich stellt sich für das teleologische Explikationsverfahren das Problem der prinzipiell möglichen Diskrepanz zwischen Eigen- und Fremdzuschreibung bestimmter Handlungsbedeutungen – wie es ja von der zivilrechtlichen Zurechnung von Erklärungstatbeständen her hinlänglich bekannt ist. Doch lässt sich das Problem (wie bei der Auslegung von Willenserklärungen und Handlungen im Zivilrecht) weitestgehend durch Hinweis auf die rechtliche Irrelevanz einer „privaten Sprache“120 des Akteurs entschärfen. Vor allem aber gelingt es dem intentionalen Handlungsbegriff des sozialen Alltags, die verschiedenen Stufen einer sinnhaften Tatgestaltung systematisch sauber im Handlungsbegriff selbst zu lozieren. Freilich existieren aber auch abweichende Handlungsmodelle, die den Begriff der „Handlung“ von den strafrechtlichen Systemkategorien her (unter-)bestimmen, die sukzessive an ihn herangetragen werden. Repräsentativ sind insofern die Modelle Roxins (kausaler Handlungsbegriff plus phänomenologische Eigenhändigkeit) und Frischs (objektiv-tatbestandsmäßige Risikoschaffung). Diese Konzepte werden sich als mit dem Handlungsverständnis des sozialen Alltags unvereinbar erweisen. Das dritte Kapitel dient dann der verhaltensnormtheoretischen Zementierung des hier vertretenen Ansatzes. Zum einen soll gezeigt werden, dass eine allgemeine Verhaltensnormenordnung sich programmatisch postulieren sowie praktisch durchhalten lässt, wenn auch die Formulierung der konkreten Verhaltenspflichten sich zugegebenermaßen nicht immer einfach gestaltet. Zum anderen wird der Versuch unternommen, die hier getroffene Unterscheidung zwischen „täterschaftlichen“ und „teilnehmerschaftlichen“ Basis-Akten normlogisch selbständig herzuleiten. Abschließend erfolgt dann die Vorstellung und Diskussion zweier abweichender Straftatmodelle, nämlich des „neokantianischen“, als dessen Repräsentant Rainer Zaczyk herausgegriffen wird, sowie des genuin „sprachanalytischen“, als dessen Repräsentant hier Urs Kindhäuser fungieren soll. 116 117 118 119 120

57 ff.

So zutr. Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 66, 135, 212 ff. Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 212 ff. Intentionale Handlung, 11 ff. Kindhäuser, Intentionale Handlung, 215. s. allgemein zum Problem der „privaten Sprache“ Kindhäuser, Intentionale Handlung,

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1. Kap.: Formell-phänomenologischer vs. materiell-normativer Handlungsbegriff

Zu Anfang des vierten Kapitels wird dann der hier entwickelte materielle Tatbestandshandlungsbegriff noch einmal am Prüfstein der Tatbestandsformulierungen des StGB i.V.m. der Vorschrift des § 25 gemessen. Dies dient insbesondere zwei Zwecken: Erstens müssen Zurechnungsstruktur und dogmatische Funktion von § 25 I Alt. 2, II erörtert werden; zweitens soll in Auseinandersetzung mit Schünemanns Prinzip der „Herrschaft über den Grund des Erfolges“121 gezeigt werden, dass und warum nur ein auf das wirkliche personale Handlungsunrecht ex ante zugeschnittener Tatbestandshandlungsbegriff teleologisch angemessen ist. Damit eng verwoben ist die Sacheinsicht, dass die Tatherrschaftslehre auf ihren letzten, wahren Grund zurückgeführt werden muss – das qua Beherrschbarkeit prinzipiell erfolgstaugliche Handlungsprogramm ex ante. Dieser Ableitungszusammenhang wird kurz nachvollzogen, auch um zu zeigen, wie inhaltsverschieden das Kriterium der Tatherrschaft in der Strafjurisprudenz verwendet wird. Beschlossen wird das vierte Kapitel mit der Diskussion einiger vom Tatherrschaftskriterium grundsätzlich abweichender Ansätze. Das fünfte Kapitel beschäftigt sich dann zunächst im Rahmen des Möglichen mit dem Fragenkreis der Kalkulierbarkeit menschlicher, insbesondere unrechtlicher, Verhaltensentschlüsse. Dabei neigt der Verfasser, ohne dies im Rahmen der vorliegenden Arbeit erschöpfend begründen zu können, eher soziologischen bzw. alltagspsychologischen Erklärungsansätzen zu als dem stereotypen Verweis auf rechtsphilosophische Postulate. Im Anschluss daran wird der Frage nachgegangen, ob bzw. inwiefern die strafrechtliche Tatverantwortlichkeit eines Akteurs die beteiligungsrechtliche Qualifikation des Handlungsprogramms mitwirkender Hinterleute beeinflusst (sog. Verantwortungsprinzip). Das abschließende sechste Kapitel widmet sich dann der anwendungsbezogenen Darstellung der erarbeiteten Leitkriterien.

121 Grundlegend entwickelt in: Unterlassungsdelikte, S. 235 f.; weiter entfaltet dann u. a. in: LK, § 25 Rn. 39.

Zweites Kapitel

Täter als tatbestandsmäßig sich Verhaltender und vorrechtlicher Handlungsbegriff A. Täterbild der Alltagsanschauung und tatbestandsmäßiges Verhalten Wenn wir den in § 25 verwendeten Begriff des „Täters“ zunächst einmal ganz unbefangen und losgelöst von der strafrechtlichen Beteiligungsformenlehre auf uns wirken lassen, dann assoziieren wir mit ihm durchaus ein personenbezogenes Bild von der „Zentralgestalt“, wie es Roxin als Anknüpfungspunkt der gesetzgeberischen Wertvorstellungen vorschwebt. Wir können uns vorrechtlich der Einsicht nicht verschließen, dass mit dieser metaphorischen Beschreibung durchaus die „(…) im Gemeinbewusstsein lebende plastische Vorstellung (…)“122 vom Täter als der Hauptfigur des deliktischen Geschehens getroffen ist. Und es kommt nicht von ungefähr, dass sich dieses Bild gleichsam automatisch einstellt, wenn man nach dem Wesen der Täterschaft fragt. Vielmehr entspringt die Allgemeinanschauung vom Täter als der Hauptfigur dem traditionellen gesellschaftlichen Rollendenken, das primär an der Zuschreibung historischer, politischer sowie moralischer Verantwortung im sozialen Raum interessiert und ausgerichtet ist. Deshalb wurde und wird der Täter in erster Linie von seiner (Haupt-)Verantwortlichkeit für ein sich in diesem sozialen Raum abspielendes Deliktsgeschehen her gedacht, eben als „Zentralgestalt“ des deliktischen Geschehens.123 Dieses beschreibende Täterbild schlägt sich auch in der alltagssprachlichen Begriffsassoziation nieder. Denn schon der Alltagssprachgebrauch versteht unter einem „Täter“ nicht einfach jedweden Erfolgsverursacher, sondern – i.S.e. sozialen Vor-Wertung – nur den „Macher“, d. h. allgemein denjenigen, der das Geschehen aufgrund seiner machtvollen Stellung „bewerkt“,124 sei es durch naturalistisches Bewirken (= Tun), sei es durch machtvolles „Stehen“ im Geschehen (= Unterlassen).125 Am deutlichsten tritt diese tatgestaltende Machtausübung im Archetypus126

122 123 124 125

Roxin, TuT, 26. Vgl. etwa Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 258 f. So die zutr. Alltagssprachanalyse bei Bottke, Täterschaft, S. 35 f. Vgl. dazu nochmals Bottke, Täterschaft, 35 f., 95 f.

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2. Kap.: Täter als tatbestandsmäßig sich Verhaltender u. Handlungsbegriff

der eigenhändigen Deliktsausführung zutage, weshalb dieser „Handlungsherr“ uns als „sinnfälligste Ausprägung der Zentralgestalt“127 erscheint. Und da der demokratisch legitimierte Gesetzgeber die Tatbestandsformulierungen im Interesse allgemeiner Norminternalisierung am Common Sense orientiert, ist davon auszugehen, dass die einzelnen Tatbestände des Besonderen Teils als Tatsubjekt ebendiese Zentralgestalt oder Hauptfigur als den tatgestaltenden Macher ansprechen und meinen. Dies allerdings nicht etwa in dem von Roxin128 vorgestellten Sinne, wonach die einzelnen Straftatgruppen des StGB verschiedene Wesensformen dieser Zentralgestalt plastisch beschreiben, auf die dann das Tatunrecht als indifferentes „handlungsmäßiges Geschehen“ ausgerichtet sein soll. Vielmehr beschreiben die Tatbestände des Besonderen Teils das tatbestandsmäßige Verhalten selbst, dem das personale Unrechtsmoment bereits inhärent ist.129 Nicht die gestaffelte Zurechnung eines „objektiven“ Tatunrechts zur Täterschaft macht den Täter, sondern die konkrete Tatbestandshandlung selbst. Folglich muss es einen allgemeinen, für jeden Straftattypus im tatbestandsmäßigen Verhalten angelegten und konkretisierten Täterbegriff geben, der die alltagssprachlich wie gesetzgeberisch gemeinte Zentralgestalt als Subjekt dieses deliktstypischen Verhaltens thematisiert.130 Und diese Weichenstellung ist für den personalen Unrechtsbegriff eines dem Bestimmtheitsgrundsatz unterliegenden Tatschuldstrafrechts keine Frage des dogmatischen Geschmacks, sondern zwingende Prämisse. Wie aber lässt sich das Postulat eines im tatbestandsmäßigen Verhalten aufgehenden Täterbegriffs mit dem in unserer Alltagsanschauung verwurzelten Allgemeinbild vom Täter als dem tatgestaltenden „Macher“ vereinbaren, das zudem offensichtlich auf den Unrechtstypus der Vorsatzdelikte zugeschnitten ist? Bringt man nicht den Bestimmtheitsgrundsatz, der den Gesetzgeber im Interesse der Normadressaten zu einer umgangssprachnahen Formulierung der Tätertatbestände verpflichtet, gerade gegen die plastische Alltagsvorstellung vom Täter als Person in Stellung, wenn man unmittelbar auf das tatbestandsmäßige Verhalten als solches abstellt? Die Kalamität ist in Wahrheit bloß eine scheinbare. Sie löst sich auf, wenn man in Anlehnung an Schild131 einen konkreten personalen Begriff des tätertatbestandsmäßigen Verhaltens postuliert, der mit all seinen personalen Bezügen auch und gerade in Orientierung an der Sprache des sozialen Alltags entwickelt werden kann. Dieses methodische Vorgehen bietet zugleich den entscheidenden Vorteil, dass der in 126 Eigenhändige Handlungsherrschaft ist nicht etwa der Prototyp (so noch Roxin, TuT, 127), sondern vielmehr der Archetyp täterschaftlichen Handelns (so in der Sache erstmals Schünemann, Unterlassungsdelikte, 250, 285; zust. Schild, in: NK, § 25 Rn. 11, 45). 127 Roxin, TuT, 127. 128 TuT, 25 f., 335 ff., 528 ff. 129 So zutr. Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 80, 170. 130 Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 79 f. 131 In: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 79 ff., 111 ff.

A. Täterbild der Alltagsanschauung und tatbestandsmäßiges Verhalten

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einem vorrechtlichen Täterbild angelegte Ballast nicht in die rechtliche Täterlehre hineingetragen wird. Als derartiger Ballast erweist sich insbesondere die kaum zu bewältigende Schwierigkeit, das auf die Zentralgestalt ausgerichtete „handlungsmäßige Geschehen“ aus den psychosozialen Rahmenbedingungen, in die es eingebettet ist, herauszulösen und ihm so Konturen zu verleihen. Eine solche Auflösung des handlungsmäßigen Deliktsgeschehens in den vorrechtlichen sozialen Verantwortungsstrukturen mag zwar für ein vorstrafrechtliches Täterbild angehen, sogar gerade dessen Daseinsberechtigung ausmachen;132 der Alltagsanschauung geht es eben immer um historische, politische und moralische Verantwortungszuschreibung.133 Das rechtsstaatliche Tatstrafrecht jedoch darf die rechtliche Tatbestandsdimension niemals verlassen, welche Gefahr aber eben tendenziell besteht, wenn man auf vorstrafrechtliche Täterbilder abstellt.134 Strafrechtlich kann eine Täterschaft erst angenommen werden, wenn das durch die Alltagsanschauung vorbewertete Geschehen aufgebrochen und eine unrechtliche Handlung isoliert wird, die dann auf ihre Tatbestandsmäßigkeit hin zu prüfen ist135 – wodurch dann zugleich auch der allgemeine Diskurs um die Verantwortung in einem juristischen Sinne entschieden wird. Damit wäre der mögliche Einwand, der Bestimmtheitsgrundsatz werde hier gerade gegen das (auch) hinter ihm stehende Prinzip einer klaren Norminternalisierung ausgespielt, doppelt entkräftet: Zum einen lässt sich ein konkreter personaler Begriff des in den einzelnen Straftatgruppen vertypten Verhaltens durchaus auch in Ausrichtung an der sozialen Alltagssprache formulieren. Zum anderen ist über die unmittelbare Anbindung an den Nullum-Crimen-Satz sichergestellt, dass die Täterbestimmung nicht in eine tatbestandsgelöste soziale Verantwortungszuschreibung ausläuft. Die zentrale Konnotation des vorrechtlichen Täterbildes mit dem Unrechtstypus der Vorsatzdelikte steht der Verortung eines allgemeinen Täterbegriffs auch im tatbestandsmäßigen Verhalten der Fahrlässigkeitsdelikte dabei nicht zwingend entgegen. Denn es dürfte die Grenzen der Alltagssprache noch nicht sprengen, auch das Subjekt eines erfolgreichen fahrlässigen Tatbestandsverhaltensunrechts als „Fahrlässigkeitstäter“ zu bezeichnen.136 Doch ist das letztlich nur eine Frage der Terminologie; denn auch und gerade die im Fahrlässigkeitsbereich bisweilen favorisierte Rede vom „Tatzuständigen“137 zeigt ja, dass das fahrlässige Tatbestandsverhalten juristisch als konkreter personaler Begriff entwickelt werden muss.

132 133 134 135 136 137

Vgl. dazu Bottke, Meurer-GedS (2002), 65 (87). Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 259. Vgl. Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 258 f. Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 258. Bottke, Meurer-GedS (2002), 65 (76). Bottke, Täterschaft, S. 24 ff.

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2. Kap.: Täter als tatbestandsmäßig sich Verhaltender u. Handlungsbegriff

B. Die Regelung des § 25 und der allgemeine Täterbegriff Damit ist der „Täter“ ganz allgemein im tatbestandsmäßigen Verhalten loziert und das scheinbare Spannungsverhältnis dieses Ansatzes zur Alltagsanschauung gelöst. Es bleibt allerdings zu fragen, in welchem Verhältnis der damit gesuchte allgemeine „Täterbegriff“ zu den §§ 25 ff. steht, die ja laut amtlicher Überschrift „Täterschaft und Teilnahme“ regeln.

I. Fehlen eines einheitlichen gesetzlichen Täterbegriffs Die amtliche Überschrift „Täterschaft und Teilnahme“ suggeriert dem Rechtsanwender, im systematischen Abschnitt der §§ 25 – 31 werde „die“ Beteiligung für das gesamte StGB, also für sämtliche Straftatgruppen der lex lata, übergreifend einheitlich geregelt. Die nachfolgenden Ausführungen sollen überblicksartig zeigen, dass dem nicht so ist. 1. § 25 als Konkretion eines allgemeinen Täterbegriffs für die vorsätzlichen Handlungsdelikte Bereits ein erster Blick auf die Formulierung des § 25 legt nahe, dass die Vorschrift nicht den Täterbegriff für alle Straftattypen regelt, sondern drei verschiedene Erscheinungsformen der Täterschaft für die vorsätzlichen Handlungsdelikte konkretisiert – als Gestalten eines Werkzeuggebrauchs, der alltagssprachlich von vornherein nur in Bezug auf eine aktive intentionale Handlung zu denken ist: Das „personale Steuerungszentrum“138 (vulgo: der Wille) setzt sich ein Ziel und bestimmt verstandesgemäß die Mittel zu seiner intentionalen Selbstverwirklichung in diesem Ziel.139 Bezogen etwa auf das in § 212 geregelte vorsätzliche (s. § 15) Töten eines Menschen bedeutet dies, dass man auf dreierlei Weise töten kann, nämlich „selbst“, „durch einen anderen“ oder „gemeinschaftlich“ mit einem anderen.140 Die Vorschrift des § 25 normiert somit die Voraussetzungen der Zurechnung eines Geschehens als Tatbestandshandlung für die Handlungsmodi der einfachen Ich-Intentionalität („selbst“), der komplexen Ich-Intentionalität („durch einen anderen“) und der „Wir-Intentionalität“141 („gemeinschaftlich“). Zu überlegen ist, was die 138

Terminologie nach Schünemann, Unterlassungsdelikte, 235. Schild, in: NK, § 25 Rn. 11. 140 Vgl. zu dieser für alle drei Handlungsgestalten des § 25 gleichartigen Zurechnungsstruktur instruktiv Schild, in: NK, § 25 Rn. 3, 7, 10 ff. 141 s. grundlegend dazu etwa Schmid, Wir-Intentionalität, 41 ff.; sprechaktanalytisch instruktiv zum Modus der „kollektiven Intentionalität“ auch Searle, in: Kollektive Intentionalität (2009), 99 ff. – Searles Ansatz ist deshalb besonders interessant, weil er zur Erklärung wirintentionalen Handelns auf dasselbe Explikationsmodell von Handlung zurückgreift wie für die 139

B. Die Regelung des § 25 und der allgemeine Täterbegriff

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Normierung dieser drei Gestalten einer vorsätzlichen Tatbestandshandlung für die anderen Straftatgruppen bedeutet. 2. Fahrlässige Begehungsdelikte Die Straftatbestände der fahrlässigen Begehungsdelikte (z. B. §§ 222, 229) inkriminieren auf den ersten Blick keine Handlungen im vorgenannten Sinne, sondern eine Erfolgsverursachung „durch Fahrlässigkeit“. Der allgemeine, ohne Erfolg gedachte, Verhaltensteil hat dabei in § 276 II BGB eine rudimentäre Regelung erfahren und wird dort uniform als das Außerachtlassen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt legaldefiniert.142 Die im Verkehr erforderliche Sorgfalt kann man aber denklogisch nur selbst außer Acht lassen. Es entspricht daher dem Grundsatz von der Einheit der Rechtsordnung, dass der „historische Gesetzgeber“ sub specie § 25 nicht an die Fahrlässigkeitsdelikte gedacht hat. Letzteres belegt auch ein Blick in die Reformgeschichte:143 Die damals herrschende Unrechtslehre sah das „Wesen“ fahrlässiger Deliktsverwirklichung noch allein in der personalen Verursachung des Erfolges, weshalb eine Ausdifferenzierung verschiedener Handlungsunrechtstypen von vornherein obsolet erschien.144 Auf die handlungsmäßige Einkleidung sollte es – da rechtlich neutral – nicht ankommen.145 Dass das so freilich nicht ganz stimmig ist, hat spätestens Zielinski146 schlagend nachgewiesen: Die rechtliche Sorgfaltspflicht ist nur als unselbständiges Pflichtmoment begreifbar, dessen Verletzung sich in und mit Vornahme der sorgfaltswidrigen Handlung konstituiert.147 Erst das sorgfaltswidrige Handeln bringt zum Ausdruck, dass der Akteur die projektbezogene, beim Handeln einzuhaltende, Sorgfalt nicht beachtet hat. Demnach besteht also auch das personale Verhaltensunrecht des Fahrlässigkeitsdelikts stets in einem konkreten intentionalen Basis-Akt.148 Erklärung ich-intentionalen Handelns. Danach figurieren singuläre und kollektive Intentionalität lediglich als unterschiedliche Intentionalitätsmodi im jeweiligen Einzelbewusstsein (Searle, a.a.O., 99 ff. [114]). Diese Theorie beschreibt die im Einzelbewusstsein sich abspielenden Phänomene treffend und liefert damit zugleich den Schlüssel für das de lege lata gebotene (!) Verständnis der „Mittäterschaft“ als je individuelle Tatbestandshandlung (s. ausführlich zum Ganzen noch unten, S. 508 ff.). 142 Vgl. allgemein bereits Welzel, Strafrecht, § 18 I 1 (S. 131); s. ferner auch Herzberg, NStZ 2004, 660 (662); Schlüchter, Grenzen, 22 f.; Schild, Jakobs-FS (2007), 601 (603). 143 s. dazu Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 66 m. 34 ff. 144 s. exemplarisch nur Gallas, ZStW-Sonderheft Athen (1957), 3 (18). 145 Gallas, ZStW-Sonderheft Athen (1957), 3 (18). 146 In: Unrechtsbegriff, 152 ff. 147 Vgl. die fundierte normentheoretische Analyse der unbewussten Fahrlässigkeit bei Zielinski, Unrechtsbegriff, 168 ff.; eingehend zum Verhaltensunrecht des fahrlässigen Begehungsdelikts auch noch unten, S. 199 ff. 148 So statt vieler etwa Jakobs, AT, 6/15; Walther, Eigenverantwortlichkeit, 119; Häring, Mittäterschaft, 197 ff.; Kraatz, Mittäterschaft, 256.

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2. Kap.: Täter als tatbestandsmäßig sich Verhaltender u. Handlungsbegriff

Man kann daher durchaus fragen, ob nicht jedenfalls für dieses Rumpfprojekt die Handlungsformen des § 25 (analog) als positivrechtliche Abgrenzungsparameter herangezogen werden könnten.149 Das ist jedoch abzulehnen: Die aus Sorgfaltswidrigkeit erwachsende Verantwortlichkeit für eine Rechtsgutsverletzung orientiert sich nicht an der normativen Zuständigkeit für die erfolgsnächste Handlung, sondern an Inhalt und Reichweite der individuellen Sorgfaltspflicht; eingeplantes oder vorhersehbar interferierendes Verhalten Dritter interessiert ausschließlich insofern, als es Gefahren birgt, zu deren umsichtiger Vermeidung auch „Hinterleute“ verpflichtet sind.150 Trifft den „Hintermann“ eine solche „vorgeschaltete“151 Sorgfaltspflicht und verletzt er sie handelnd, so verwirklicht er ceteris paribus selbst ein Fahrlässigkeitsdelikt; eine Überformung der erfolgsnäheren Aktivität des „Vordermannes“ in Analogie zu § 25 I Alt. 2 ist nicht erforderlich. Demnach existiert unrechtsdogmatisch keine mittelbare Fahrlässigkeitstäterschaft,152 die von einer straflosen fahrlässigen Teilnahme distanziert werden müsste. Um die Kernkonsequenz des Gesagten an einem Beispiel zu illustrieren: Wenn der A seine sicherungspflichtige Schusswaffe unbeaufsichtigt herumliegen lässt, so dass der B damit herumspielen und jemanden verletzen kann, dann hat A nicht etwa straflos an einem sorgfaltswidrigen Projekt des B teilgenommen, sondern er hat selbst ein Fahrlässigkeitsdelikt verwirklicht; Gegenteiliges zu behaupten, hieße den Zweck seiner „vorgeschalteten“ Sorgfaltspflicht gerade zu konterkarieren!153 Das Beispiel lehrt, dass ein „Verantwortungsprinzip“154 bzw. ein allgemeines „Regressverbot“155 (auch) im Fahrlässigkeitsbereich nicht installiert werden kann: Der Satz, wonach man für „autonome“ Organisationsakte anderer grundsätzlich nicht einzustehen hat, ist (auch) im Fahrlässigkeitsbereich unstimmig. Er wird dort bereits unterminiert durch die unzweifelhafte Existenz von Sorgfaltspflichten, die gerade die Verhinderung fremder Fahrlässigkeit bezwecken.156 Davon abgesehen kann die Regressverbotslehre die von ihr postulierte Ungleichbehandlung von Erst- und Letztverursacher auch sachlich nicht befriedigend erklären: Warum soll derjenige, dem die Mitauslösung bestimmter Verhaltensdynamiken allgemeinrechtlich verboten ist (z. B. die Teilnahme an einem illegalen Straßenrennen), davon profitieren, dass ein verbotswidrig stimulierter Dritter dem 149 s. dazu etwa Jakobs, AT, 21/112; Schild, in: NK, Vor §§ 25 ff. Rn. 6; auch Puppe, Spinellis-FS (2001), 915 (922). 150 Eingehend und instruktiv dazu Puppe, in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 178 ff. 151 Vgl. dazu Puppe, in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 179 ff. 152 H.M.; s. stellvertretend etwa nur Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 224; a.A. Renzikowski, Täterbegriff, 262 ff.; Schneider, Risikoherrschaft, 259 ff.; Schumann, Selbstverantwortung, 107 ff., m.w.N. zur älteren Literatur a.a.O., 108 Fn. 137. 153 Wie hier Puppe, in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 179 ff.; a.A. etwa Renzikowski, Täterbegriff, 262 ff. (264). 154 Schumann, Selbstverantwortung, 6, 42 ff. 155 Renzikowski, Täterbegriff, 72 ff. (m. 6 f., 68 f.), 153 ff. 156 Puppe, in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 178 f., 181 (unter Nennung einiger Beispiele).

B. Die Regelung des § 25 und der allgemeine Täterbegriff

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Handlungsanreiz in freier Selbstbestimmung nachgeht?157 Das liefe doch, wie Puppe158 zu Recht bemerkt, auf das krude und bloß äußerliche Prinzip des „nur den Letzten beißen die Hunde“ hinaus, welches mit einer gerechten Wertentscheidung nichts mehr gemein hat. Lehnt man eine solche archaische Distinktion daher ab, so bleibt – außer individuellen Pflichten – auch nichts mehr abzugrenzen; ein Rückgriff auf § 25 I Alt. 2 ist dann obsolet. Insbesondere praktische Gründe zwingen allerdings zu der Frage, ob nicht zumindest § 25 II für das Fahrlässigkeitsdelikt herangezogen werden kann oder gar muss, ob also eine „fahrlässige Mittäterschaft“ denkbar ist. Den Einstieg bildet hier die Konstellation, dass mehrere gemeinsam ein sorgfaltswidriges Projekt durchführen, Paradebeispiel159 : A und B setzen an einem Bergeshang mit vereinten Kräften einen schweren Stein in Bewegung, der unvorhergesehen den unten vorbeigehenden Wanderer W erschlägt. – Die Beurteilung dieses Ausgangsfalles fällt nach der überkommenen Fahrlässigkeitsdogmatik noch verhältnismäßig leicht. Sowohl A als auch B betätigen jeweils ein sorgfaltswidriges Projekt, das den Erfolgseintritt objektiv zurechenbar verursacht.160 Der Konstruktion einer fahrlässigen Mittäterschaft bedarf es also hier (noch) nicht.161 Problematischer wird es hingegen, wenn A und B „in spielerischem Leichtsinn“162 jeder für sich einen Stein in Bewegung setzen, aber nur ein Stein den W trifft.163 Insofern lassen sich zwei Varianten unterscheiden: Ist nachweisbar, wessen Stein getroffen hat, so stellt sich „nur“ die Frage, ob Gefahrschaffung und Rechtsgutsverletzung auch dem alternativ tätig gewordenen Akteur zurechenbar sind.164 Das ist zu bejahen, wenn beide sich ex ante auf ein gemeinsam zu spielendes Spiel verständigt haben, der unmittelbare Erfolgsverursacher also erst durch die (konkludente) Übereinkunft, ein gemeinsames Spiel zu spielen, zum Hinabstoßen des Steins motiviert wurde. Liegt es so, dann hat auch der mitspielende Nebenmann durch sein Verhalten sorgfaltswidrig-riskant eine Erfolgsursache gesetzt, denn er hat den spielerischen „Wettkampf“ durch seine Mitspielzusage erst mit ausgelöst; der durch 157

Vgl. Puppe, in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 179 ff. In: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 179, 181 (das im Text nachfolgende Zitat findet sich in Rn. 181). 159 Vgl. etwa Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 226. 160 Vgl. allgemein etwa Herzberg, Täterschaft, 72 f.; Puppe, GA 2004, 129 (145). 161 H.M.; s. statt vieler nur Herzberg, Täterschaft, 72 f.; Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 226. 162 So die zutr. Bezeichnung derartiger Projekte bei Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 226. 163 So lag es im Fall „rolling stones“, den im Jahre 1987 das Schweizerische Bundesgericht zu entscheiden hatte (BGE IV 1987, 58 ff.): Zwei Männer hatten sich spontan dazu entschlossen, abwechselnd je einen schweren Stein einen Abhang hinab rollen zu lassen; einer der Steine hatte einen unter dem Abhang befindlichen Fischer getroffen, wobei allerdings nicht aufgeklärt werden konnte, welcher Stein dies gewesen war. 164 So die zutr. Feststellung bei Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 226. 158

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2. Kap.: Täter als tatbestandsmäßig sich Verhaltender u. Handlungsbegriff

das fremde Tätigwerden vermittelte Erfolgseintritt ist daher (schon) diesem sorgfaltswidrigen Sprechakt zurechenbar.165 Bleibt dagegen forensisch ungeklärt, wer den todbringenden Stein hinabgestoßen hat, so scheint eine Erfolgszurechnung zum jeweiligen Individualverhalten nach dem Grundsatz in dubio pro reo auszuscheiden; es fehlt jeweils am individuellen Kausalitätsnachweis. Viele halten dieses Ergebnis für kriminalpolitisch inakzeptabel, weshalb die luzide anmutende Rechtsfigur einer fahrlässigen Mittäterschaft in der neueren strafrechtswissenschaftlichen Literatur166 auf immer breitere Zustimmung stößt (insbesondere auch mit Blick auf die Komplexität der „modernen“ arbeitsteiligen Gesellschaft [Stichwort: Kollegialentscheidungen167]). Doch das vielfach168 reklamierte praktische Bedürfnis nach einer solchen Figur besteht in Wahrheit nicht. Denn wenn feststellbar ist, dass die Akteure sich wechselseitig zum Spielen eines gefährlichen Spiels animiert – und also motiviert – haben,169 dann kann jeder Einzelne im Wege der unechten Wahlfeststellung zumindest für einen sorgfaltswidrigen Kommunikationsakt belangt werden. Denn entweder hat er den todbringenden Stein selbst angestoßen (= erste Sachverhaltsvariante), oder er hat diesen unmittelbar erfolgsursächlichen Akt durch seine Mitspielzusage hervorgerufen (= zweite Sachverhaltsvariante). Für jede Tatsachenvariante lässt sich also eine sorgfaltswidrige Aktivität aufzeigen, der der Erfolg zugerechnet werden kann, nämlich einmal der unmittelbar erfolgsverursachende Akt und einmal die in ihm kulminierende Spielzusage.170 Lässt sich dagegen eine wechselseitige Stimulation nicht nachweisen, so muss eine Erfolgszurechnung in dubio pro reo ausscheiden. Es kann dann nicht Sinn des § 25 II sein, das allgemeine Kausalitätserfordernis zu ersetzen.171 Nach alledem ist also ein Rekurs auf den Regelungsgehalt des § 25 II entweder schon nicht erforderlich oder aber, weil sonst allgemeine Grundsätze aushebelnd, unmöglich. Insgesamt bleibt festzuhalten, dass die Handlungsgestalten der §§ 25 ff. 165

Vgl. instruktiv dazu bereits Günther, JuS 1988, 386 (387). s. die umfangreichen Nachweise bei Roxin, TuT, 770 f. Fn. 894 (ältere Literatur) u. 895 (neuere Literatur). 167 Im Falle einer überbedingten (sorgfaltswidrigen) Kollegialentscheidung (s. dazu BGHSt 37, 106 ff. [„Lederspray-Fall“]) kann sich jedes Einzelmitglied des Kollegialorgans darauf berufen, dass die Kollegialentscheidung auch ohne seine Stimme mit der erforderlichen Mehrheit zustande gekommen wäre. Dieser Kalamität könnte man durch Annahme einer (fahrlässigen) Mittäterschaft leicht entgehen. Das Problem ist allerdings kein „fahrlässigkeitsspezifisches“, sondern ein allgemeines Kausalitätsproblem; es wird daher auch unter diesem Gesichtspunkt behandelt (unten, S. 101 ff.; speziell zur Fahrlässigkeit s. S. 719 ff.). 168 s. statt vieler etwa nur Weißer, Kausalitätsprobleme, 21 f.; Hoyer, Puppe-FS (2011), 515 (518 ff.); Otto (AT, § 21 Rn. 122). 169 So dürfte es in dem vom Schweizerischen Bundesgericht entschiedenen Fall „rolling stones“ (BGE IV 1987, 58 ff.) gelegen haben. 170 Vgl. für einen sachlich gleichgelagerten Fall schon Günther, JuS 1988, 386 (387); in der Sache ebenso Roxin, AT/II, § 25 Rn. 240, der dann aber letztlich doch für fahrlässige Mittäterschaft plädiert, da dies „weniger gekünstelt“ wirke (a.a.O., Rn. 241). 171 s. allgemein und eingehend dazu Puppe, GA 2004, 129 ff. 166

B. Die Regelung des § 25 und der allgemeine Täterbegriff

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nicht auf sorgfaltswidrige Handlungsprojekte zu beziehen sind. Damit erweist sich der für die Fahrlässigkeitsdelikte anerkannte und vom „historischen“ Gesetzgeber vorausgesetzte Einheitstäterbegriff172 als zutreffend.

3. Vorsätzliche (unechte) Unterlassungsdelikte Damit kehren wir zu der Feststellung zurück, dass die in § 25 geregelten „Erscheinungsformen“ der „Täterschaft“ drei verschiedene Typen einer vorsätzlichen Tatbestandshandlung qua Werkzeuggebrauch darstellen. Es ist daher zu fragen, ob und wenn ja wie die §§ 25 ff. zum Verhaltensunrecht der vorsätzlichen (unechten) Unterlassungsdelikte in Bezug zu setzen sind. Immerhin wäre ja auch insofern eine Abgrenzung nach Positionen im „sozialen Deliktsraum“ denkbar. Zu notieren ist allerdings, dass die Kriterien des Täters der vorsätzlichen (unechten) Unterlassungsdelikte seit jeher nicht unter dem Stichwort „Täterschaft und Teilnahme“ diskutiert worden sind, sondern vielmehr im Zusammenhang mit der gesetzlichen Regelung dieser Deliktsgruppe.173 Daher empfiehlt es sich, bei der amtlichen Überschrift des § 13 einzusetzen, die von einem „Begehen durch Unterlassen“ spricht und damit die strafgesetzliche Chiffre für „täterschaftliche Tatbestandserfüllung“ (= „Begehen“) verwendet. Vieles deutet darauf hin, dass das Gesetz diese Chiffre für das (unechte) Unterlassen abweichend konkretisiert und damit eine Teilnahme durch Unterlassen ausschließt. Denn § 13 rangiert systematisch vor den §§ 25 ff., und die amtliche Überschrift verwendet die technische Täterchiffre des „Begehens“ unterschiedslos für die gesamte Regelungsmaterie des begehungsgleichen Unterlassens. Darin kann man aus gesetzessystematischer Warte eine straftattypische Konkretisierung der gesetzlichen Beteiligungsterminologie erblicken, die die Termini technici des „Bestimmens“ (§ 26) und des „Hilfeleistens“ (§ 27) jedenfalls auf einer ersten, strukturellen, Gleichstellungsebene ausschließt. Liest man § 13 i.S.e. solchen lex specialis,174 dann wird man das strukturelle verhaltensunrechtsdogmatische (nicht zwingend auch das axiologische!) Äquivalent des vorsätzlichen Garantenunterlassens uniform im aktiven täterschaftlichen Begehen, d. h. in der Tätertatbestandshandlung, erblicken müssen. Dies liegt angesichts der handlungsunrechtlichen Explikation eines pflichtwidrigen Unterlassens ohnehin nahe: Wenn das individuelle Handlungsgebot immer unmittelbar an die Rechtsgutsgefährdung als Faktum anknüpft und vom Handlungspflichtigen „nur“ verlangt, das ihm Bestmögliche zur Erfolgshinderung zu tun,175 dann muss auch die korrelative 172

s. dazu bereits Gallas, ZStW-Sonderheft Athen (1957), 3 (18 f.). Darauf hat zutr. Schild hingewiesen (in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 66). 174 A.A. etwa Hoffmann-Holland (ZStW 118, 620 [622]), der gerade umgekehrt meint, §§ 25 ff. ordneten die Differenzierung zwischen den Beteiligungsformen allgemein und damit auch für vorsätzliche Unterlassungen an. 175 Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte, 186. 173

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2. Kap.: Täter als tatbestandsmäßig sich Verhaltender u. Handlungsbegriff

Unterlassung stets als alleintäterschaftliche figurieren. Die Sanktionsnorm des § 13 I Hs. 1 schließt daher zentral an das Begehungs-Kriterium des § 25 an und setzt also voraus, dass das Garantenunterlassen in struktureller Hinsicht einem täterschaftlichen Aktivhandeln entspricht. Untermauert wird diese Lesart durch den historischen Befund, dass der Reformgesetzgeber des Allgemeinen Teils 1975 den in § 13 E 1962 noch vorgesehenen Hinweis auf die allgemeinen Beteiligungsvorschriften („als Täter oder Teilnehmer“) für die Endfassung gestrichen hat.176 Doch muss andererseits auch berücksichtigt werden, dass der Gesetzgeber den noch im E 1962 vorgesehenen Hinweis auf die Beteiligungsvorschriften („als Täter oder Teilnehmer“) aus § 13 herausnahm, „(…) um nicht in den dogmatischen Streit über die Frage einzugreifen, ob bei den Unterlassungsdelikten überhaupt eine Unterscheidung zwischen Täterschaft und Teilnahme möglich ist“177. Angesichts solch „neutraler Zurückhaltung“ kann jedenfalls nicht von einem apodiktischen Entscheid des historischen Gesetzgebers gesprochen werden, § 13 außer Bezug zum TäterTeilnehmersystem der §§ 25 ff. zu setzen. Es ist daher zumindest kurz zu fragen, ob eine Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme nicht auch im Unterlassungsbereich möglich und – bejahendenfalls – sinnvoll wäre. Damit stellt sich in erster Linie die Frage nach der Kompatibilität von alltagsontologischer Struktur des Unterlassens und handlungsbezogener Ausgestaltung der §§ 25 ff.; insofern ist – vorläufig – Folgendes zu konstatieren: a) Unterlassen in mittelbarer Täterschaft? Eine mittelbar-täterschaftliche Unterlassung in dem Sinne, dass jemand „durch einen anderen“ unterlässt, ist alltagssprachlich unmöglich.178 Einen solchen „QuasiWerkzeugeinsatz“179 kann es von vornherein nur in einer juristischen Fachsprache, als juristisches Konstrukt, geben180, das aber der alltagsontologischen Struktur des Unterlassens klar zuwiderläuft: Von einem sozial relevanten Unterlassen kann sinnvoll nur die Rede sein, wenn jemand etwas geschehen lässt, das zu verhindern ihm nach seiner Tatsachenvorstellung möglich gewesen wäre (= intentionale Zulassung einer Zustandsveränderung durch Unterlassen einer bestimmten Eingriffshandlung).181 Die Vornahme einer solchen Rettungshandlung kann ich aber nicht „durch einen anderen“ unterlassen. Wenn überhaupt könnte es beteiligungsrechtlich nur darum gehen, die Regelungsmaterie des § 25 I Alt. 2 an die alltagsontologische Verhaltensstruktur des 176

Vgl. BT-Drucks. V/4095, 8. BT-Drucks. V/4095, 8. 178 So die zutr. Analyse bei Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 214. 179 So in der Sache Schwab, Täterschaft, 223. 180 Das konzediert auch Schwab, Täterschaft, 223, der sich auf einen wertenden Vergleich zu § 25 I Alt. 2 beruft. 181 s. dazu unten, S. 117 ff. 177

B. Die Regelung des § 25 und der allgemeine Täterbegriff

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Unterlassens zu adaptieren. Dann aber wäre die sub specie § 25 I Alt. 2 relevante Unterlassung nicht als mittelbar-täterschaftliches Unterlassen zu thematisieren, sondern als das Unterlassen einer mittelbar-täterschaftlichen Rettungshandlung.182 Solche Akte können zweifellos Gegenstand des allgemeinen Handlungsgebots sein, so etwa dann, wenn ein Gelähmter seiner Anzeigepflicht nach § 138 nur nachkommen kann, indem er ein Kleinkind zum Telefon schickt.183 Die Nichtvornahme einer solchen „mittelbar-täterschaftlichen“ Rettungshandlung ist jedoch kein mittelbar-täterschaftliches Unterlassen. Sie wird auch vom Omittenten selbst nicht in diesem Sinne wahrgenommen: Wenn der Gelähmte es unterlässt, das Kind zum Telefon zu schicken, dann sieht er sein Verhalten als seine unmittelbar-eigene intentionale Zulassungshandlung an, nicht als komplexe Unterlassung „durch“ das Kind. Auch eine wertungsmäßige Gleichstellung derartiger Konstellationen mit einer mittelbaren Begehungstäterschaft wäre nicht sachangemessen: Es geht nicht darum, das Unterlassen „tatherrschaftlich“ geschuldeter Rettung als unterlassene „Rettungstäterschaft“ axiologisch von einer unterlassenen „Rettungsteilnahme“ abzuheben. Das folgt offensichtlich schon daraus, dass der Handlungspflichtige in aller Regel „nur“ zur Initiierung oder Unterstützung fremder (meist ärztlicher) Rettungskompetenz angehalten ist.184 Was das Handlungsgebot von seinem Adressaten daher immer „nur“ verlangt, ist, dass er seinen eigenen Organisationskreis mobilisiert, um erfolgversprechende Rettungsmaßnahmen einzuleiten.185 Werden als leistbar erkannte Hilfsmaßnahmen unterlassen, so entspricht diese Unterlassung strukturell dem negierten Tun: Der gebotenen Einleitung von Hilfsmaßnahmen korreliert die gebotswidrige Nichtergreifung solcher Maßnahmen, kurzum: Die intentionale Zulassung durch Unterlassen ist stets „alleintäterschaftlich“ strukturiert. Eine Spezialfrage betrifft die Einordnung derjenigen Konstellationen, in denen jemand einen Rettungswilligen nötigt oder täuscht, um die von diesem intendierte oder bereits eingeleitete Gutserhaltung zu hindern. In diesen Fällen ist nicht etwa ein „Unterlassungsdelikt durch Begehung“186 anzunehmen, sondern eine unmittelbare Begehungstäterschaft,187 wobei auch hier die Einzelheiten erst an späterer Stelle188 interessieren sollen. Demgegenüber sind die Fälle einer bloßen „Abstiftung von der Gebotserfüllung“189 als Anstiftung zum Unterlassen zu bewerten, worauf ebenfalls an späterer Stelle zurückzukommen sein wird.190 182

So zutr. Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte, 89 m. 186. Abgewandeltes Beispiel nach Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte, 186. 184 Vgl. dazu bereits Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte, 186 ff. 185 Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte, 186. 186 Vgl. dazu Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte, 194, m.w.N. aus der früheren Literatur in Fn. 249. 187 So zutr. Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte, 195 ff. (203). 188 Unten, S. 117 ff. 189 s. dazu Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte, 191 ff. 183

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2. Kap.: Täter als tatbestandsmäßig sich Verhaltender u. Handlungsbegriff

b) Unterlassen in Mittäterschaft? Sprachlich durchaus möglich erscheint dagegen ein Unterlassen in Mittäterschaft, also die Verabredung eines auf gemeinschaftliche Unterlassung gerichteten „Unterlassungsprogramms“.191 Doch wirft der Rekurs auf die sachlogische Struktur eines Unterlassens auch hier die Frage auf, wie man arbeitsteilig soll unterlassen können. Übereinstimmend unterlassen kann man doch richtigerweise allein die erforderliche und gebotene arbeitsteilige Durchführung einer bestimmten Eingriffshandlung192 (= übereinstimmende Nichtvornahme einer „mittäterschaftlichen“ Rettungshandlung). Ein solcher „Zulassungskonsens“ wäre aber als Konstitutivum allenfalls dort erwägenswert, wo eine Rettung nur durch gemeinschaftliches Handeln zu verwirklichen gewesen wäre; denn anderenfalls hätte ja doch jeder Einzelne für sich eine ihm mögliche Rettungshandlung unterlassen.193 Nun sind durchaus Fallkonstellationen denkbar, in denen eine Rechtsgutsverletzung allein durch das aktive Zusammenwirken mehrerer abgewendet werden kann und dies den Beteiligten auch bewusst ist (etwa dann, wenn der schwere Gegenstand, unter dem das Opfer begraben liegt, nur von zwei Personen gemeinsam bewegt werden kann). Allerdings betreffen die Probleme, die sich hier stellen, nicht die Handlungsfigur der Mittäterschaft, sondern zwei Strafbarkeitsvoraussetzungen der je individuellen Unterlassung, nämlich einerseits die individuelle Handlungsfähigkeit ex ante (muss der Einzelne auch dann noch aktiv werden, wenn es aus seiner Sicht von vornherein als unwahrscheinlich erscheint, dass der oder die anderen mithelfen?) und andererseits die Kausalität des jeweiligen Einzelunterlassens für den Verletzungserfolg (kann der einzelne Omittent sich nicht mit dem Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens entlasten, wenn nachträglich festgestellt wird, dass der oder die jeweils anderen ohnehin nicht mitgeholfen hätten?).194 Beide Problemfelder sind aber selbstverständlich auch dort anzugehen, wo sie straftatsystematisch angesiedelt sind, nämlich bei der Feststellung der Pflichtgenese und bei der Kausalitätsfeststellung.195 Überspielt man diese klaren systemischen Vorgaben, indem man sich der angesprochenen Probleme durch Annahme einer Unterlassungsmittäterschaft entledigt, so muss dies unweigerlich zu Friktionen im Systemgefüge der Straftat führen. Denn Mittäterschaft setzt prinzipiell, d. h. auch im Unterlassungsbereich, Kausalität eines jeden Einzelbeitrags für den Erfolg (nach der h.M.: hypothetische Kausalität der gebotenen Rettungshandlung) voraus. Daher kann nicht die Kausalität mit der Mittäterschaft begründet werden, sondern es muss 190

Unten, S. 695 ff. Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 216. 192 Vgl. Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte, 89 m. 187. 193 Vgl. Roxin, AT/II, § 31 Rn. 173. 194 s. allgemein zum Ganzen Puppe, in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 104, 108, 120 ff. (123 f.). 195 Zur diesbezüglichen Problemlösung im Falle „gemeinschaftlichen“ Unterlassens s. Puppe, in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 123 f. 191

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umgekehrt die Mittäterschaft von der Kausalität des Einzelbeitrags her begründet werden.196 Ob und wenn ja wie man diese Kausalität im Einzelfall begründen kann, steht freilich auf einem anderen Blatt. Jedenfalls aber ist dies eine die Kausalitätsebene selbst betreffende Frage. Ihr soll andernorts197 nachgegangen werden. Auf das spätere Ergebnis sei aber hier kurz ausgegriffen: Es ist – im Anschluss an Puppe198 – durchaus möglich, wissenschaftstheoretisch allgemeingültige Kausalgesetze zu formulieren, die nicht nur das vorgenannte Problem lösen, sondern gleichzeitig auch die Schwächen des überkommenen Kausaldogmas überwinden, ohne dabei notwendig neue Probleme zu schaffen. Ohne Rekurs auf eine Unterlassungsmittäterschaft lösbar ist auch die Frage nach der Erfolgsabwendungsfähigkeit des ex ante gebotenen Handelns: Für den einzelnen Omittenten liegt eine erfolgstaugliche intentionale Basis-Zulassung durch Unterlassen immer (schon) dann vor, wenn die ihm gebotene Eingriffsmaßnahme ex ante eine prinzipielle Chance der Erfolgsabwendung bietet.199 Der Pflichtadressat muss daher auch dann aktiv werden, wenn er es angesichts prognostisch interferierender Drittunterlassungen für wahrscheinlich hält, dass der Erfolg aufgrund von hinreichenden Bedingungen eintritt, die er selbst nicht beeinflussen kann (bzw. zu können glaubt).200 Eine Befreiung von der individuellen Handlungspflicht kommt allein dann in Betracht, wenn eine vom Täterverhalten unabhängige hinreichende Erfolgsbedingung schon vor Erfolgseintritt sicher feststeht.201 Das hat seinen Grund zunächst im Postulat der allgemeinen Normeffektivität.202 Davon abgesehen erfordert Handlungsfähigkeit ex ante aber auch schon im Aktivbereich nicht mehr als prinzipielle Beherrschbarkeit.203 Deshalb kann es auch im Unterlassungsbereich nur auf die prinzipielle Erfolgseignung der intentionalen Zulassungshandlung (durch Unterlassen) ankommen. c) Garantiepflichtwidrige Nichthinderung eines Aktivtäters Höchst umstritten ist die Einordnung, wenn ein Garant trotz erkannter Handlungsmacht einen Aktivtäter nicht an einer rechtsgutsverletzenden Handlung hindert. Konzentriert man sich auf die dogmatischen Prämissen der Handlungspflichtgenese, so ist das Handeln des Aktiven mit dem Instrumentarium der allgemeinen Verhaltensnormdogmatik ohne Weiteres fassbar: Von dessen Angriffsverhalten geht eine 196 So zutr. Puppe, JR 1992, 30 (32); dies., GA 2004, 129 (131); dies., in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 94. 197 Unten, S. 101 ff. 198 In: ZStW 92 (1980), 863 (906 ff.); dies., in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 120 ff. 199 Puppe, in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 124. 200 So zutr. Puppe, ZStW 92 (1980), 863 (907); dies., in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 124. 201 Puppe, ZStW 92 (1980), 863 (907); dies., in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 124. 202 Puppe, ZStW 92 (1980), 863 (907). 203 s. instruktiv dazu Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 137 ff. (152 ff.).

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Gefahr aus, die der Handlungspflichtige abwehren muss, wenn er insofern handlungs- bzw. vermeidefähig ist. Ist aber der Garant i.d.S. handlungsfähig, so obliegt die Entscheidung über die Zulassung der Rechtsgutsverletzung allein ihm. Seine Handlungspflicht ist nicht an die Tatherrschaft des Aktiven gekoppelt, sondern verpflichtet ihn gerade gegenläufig: Der unterlassende Garant ist, indem er das Rechtsgut schutzlos lässt, gleichsam von der anderen Seite her ebenso originär für die Rechtsgutsverletzung zuständig wie der Aktive.204 Deshalb ist der immer noch recht verbreitete Gedanke, der Aktivtäter „verstelle“ dem unterlassenden Garanten kraft seiner Tatherrschaft den „unmittelbaren Zugang“ zum Erfolg,205 schon im Ansatz schief. Entweder besitzt der Garant die für seine Verpflichtung erforderliche Handlungsmacht – dann unterlässt er „alleintäterschaftlich“; oder aber er ist wegen der Übermacht des Aktiven nicht in der Lage, die Rechtsgutsverletzung zu verhindern – dann trifft ihn schon gar keine Handlungspflicht, so dass sich die Frage nach der Beteiligungsform des Unterlassens erst gar nicht stellt.206 Entsprechendes gilt für das Konstrukt einer Mittäterschaft zwischen einem unterlassenden Garanten und einem aktiven Begehungstäter: Kommt der Garant mit dem Aktiven dahingehend überein, dass er dessen Verletzungstätigkeit freien Lauf lässt, so konstituiert diese Übereinkunft nicht etwa einen gemeinsamen Tatentschluss (auf welche gemeinsame Tat sollte dieser auch gerichtet sein?), sondern bestätigt bloß den individuellen Verzicht des Garanten auf die Aktualisierung seiner Eingriffsmacht.207 Intentionale Zulassungshandlungen durch Unterlassen weisen also aus sich heraus eine uniforme originäre Entscheidungsstruktur auf,208 der auch ausschließlich originäre Erfolgsabwendungspflichten korrelieren. Substantiell derivative Handlungspflichten und dementsprechend akzessorische Zulassungshandlungen fehlen im Unterlassungsbereich. Zeichnet aber das allgemeine Verhaltensnormensystem keine Akzessorietätsregel vor, so ist die Idee eines „akzessorischen Garantenunterlassens“ dogmatisch kaum haltbar.209 Begreift man die Garantenpflichten unrechtsdogmatisch konsistent allesamt als Erfolgsabwendungspflichten, so wird man für den Unterlassungsbereich keine allgemeine Akzessorietätsregel („Prinzip“) formulieren können.210 Nichtsdestotrotz ist in der strafrechtswissenschaftlichen Literatur schon früh erwogen worden, die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme im Unterlas204

So zutr. Bloy, JA 1987, 490 (492 f.); Roxin, AT/II, § 31 Rn. 141. So in der Sache zuerst Gallas, JZ 1952, 371 (372); ders., JZ 1960, 686 (687 m. Fn. 67). 206 Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte, 294 f. m. Fn. 203; Bloy, JA 1987, 490 (491); Androulakis, Studien, 164; Nitze, Bedeutung, 161; Renzikowski, Täterbegriff, 32. 207 I. E. ebenso Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 217. 208 So der Sache nach bereits Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte, 186 f., 302; ebenso etwa Bloy, JA 1987, 490 (493). 209 Bloy, JA 1987, 490 (493). 210 Bloy, JA 1987, 490 (493). 205

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sungsbereich mit der funktionellen Unterscheidung nach der Schutzrichtung der verschiedenen Garantenstellungen gleichzuschalten: Direkt und umfassend zum Schutz eines Rechtsguts(objekts) berufene Beschützergaranten seien stets Täter, „nur“ zur Aufsicht über eine bestimmte Gefahrenquelle gehaltene Überwachungsgaranten dagegen grundsätzlich Gehilfen.211 Eine solche Abgrenzung ist jedoch auf der Verhaltensnormebene undurchführbar, denn jede konkrete Garantenhandlungspflicht dient im maßgeblichen Zeitpunkt ihrer Aktualisierung gleichermaßen dem Rechtsgüterschutz und ist daher gegenständlich als originäre Erfolgshinderungspflicht beschaffen.212 d) Realakzessorische Unterlassungen Trotz der uniform-originären Struktur des Unterlassungsunrechts existieren jedoch einige Typen „realakzessorischer“213 Zulassungshandlungen, denen kein dem Aktivtatbestand direkt korrelierender Garantengebotstatbestand entspricht. So verhält es sich zunächst bei den eigenhändigen Aktdelikten (etwa den §§ 183, 153 ff., 316).214 Die Zulassung solcher Delikte durch Unterlassen hängt materiell notwendig vom eigenhändigen Vollzug des inkriminierten Aktes durch den Aktiven ab.215 Dies bedeutet jedoch keineswegs, dass die Lehre von der einheitstäterschaftlichen Struktur der Unterlassung216 hier gezwungen wäre, eine Straflosigkeit des zulassenden Garanten anzunehmen.217 Denn sieht man die Rechtsgutsbeeinträchtigung bzw. die Friedensstörung218, die bei diesen eigenhändigen Delikten untrennbar mit dem Aktvollzug verbunden ist, als äußeren „Erfolg“ i.S.d. jeweiligen Tatbestandes an,219 so ist der Anwendungsbereich des § 13 eröffnet. Und geht man ferner davon aus, dass § 13 I Hs. 2 für die Unterlassungsstrafbarkeit axiologisch ohnehin nie mehr als einen der aktiven Garantenbeihilfe entsprechenden Verhaltensunwert verlangt,220 so kann man der Vorschrift problemlos auch die Zulassung eines ei211

So Schröder, in: Schönke/Schröder17, Vor § 47 Rn. 106a f., 109; Herzberg, Unterlassung, 259 ff.; Schünemann, Unterlassungsdelikte, 377. 212 Roxin, TuT, 509; Rudolphi, Gleichstellungsproblematik, 144 f.; Bloy, JA 1987, 490 (491 f.); Sowada, Jura 1986, 399 (407); s. auch schon Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte, 297 Fn. 207 a.E. 213 Vgl. zur Begrifflichkeit Grünwald, GA 1959, 110 (119 m. 117). 214 s. eingehend zu den eigenhändigen Delikten noch unten, S. 629 ff. 215 Vgl. Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte, 300. 216 Vgl. dazu Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte, 302. 217 So aber Roxin, TuT, 495. 218 Vgl. dazu Jakobs, AT, 2/19. 219 So zutr. etwa Jakobs, AT, 29/2; Stree/Bosch, in: Schönke/Schröder, § 13 Rn. 3; Gaede, in: NK, § 13 Rn. 2 f.; auch BGHSt 46, 212 (222). 220 So schlagend bereits Grünwald, GA 1959, 110 (113); ähnlich Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte, 300 ff.; Roxin, TuT, 501 ff.; Rudolphi, Gleichstellungsproblematik, 143, 146.

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2. Kap.: Täter als tatbestandsmäßig sich Verhaltender u. Handlungsbegriff

genhändigen Delikts subsumieren, so dass Unterlassungsstrafbarkeit gegeben ist. Selbstverständlich muss dann dem Fehlen der aktgebundenen Täterkonkretisierung beim unterlassenden Garanten durch einen beihilfeäquivalenten Sanktionstatbestand Rechnung getragen werden. Dies kann jedoch ohne Weiteres durch eine Analogie zugunsten des Täters sub specie § 13 I Hs. 2 geschehen. Danach wäre etwa der Garant, der es pflichtwidrig unterlässt, gegen eine fremde Trunkenheitsfahrt einzuschreiten, wegen Zulassung einer Trunkenheitsfahrt durch Unterlassen zu bestrafen, §§ 316, 13 i.V.m. § 27 analog. Entsprechendes gilt für die garantiepflichtwidrige Zulassung von Delikten mit überschießender rechtsgutsbezogner Innentendenz, vor allem für das Nichteinschreiten gegen fremde Diebstahlstat (§ 242). Betrachtet man den typischen Fall des Ladendetektivs oder Nachtwächters, der einen fremden Diebstahl willentlich geschehen lässt, so fehlt es auch hier an einem begehungsgleichen Garantengebotstatbestand: Die der Eigentumswahrung dienende Eingriffspflicht des Garanten hängt sachlogisch zwingend vom Zueignungsversuch des Aktiven ab, der in der Wegnahme mit Zueignungsabsicht immer schon liegt.221 Der Garant hat also den fremden Zueignungsversuch zu unterbinden, weshalb das ihn verpflichtende Gebot Derivat dieses fremden Tuns ist. Allerdings kann man auch die durch den Aktiven drohende Wegnahme durchaus als „(konkreten Gefahr-)Erfolg“ i.S.d. Diebstahlstatbestandes ansehen, mit der Folge, dass der Anwendungsbereich des § 13 bei garantiepflichtwidriger Zulassung eines Diebstahls eröffnet ist. Verfährt man so, so ist auch die von § 13 I Hs. 2 geforderte Verhaltensunwertäquivalenz zur aktiven Garantenbeihilfe erreicht, und die Unterlassung ist strafbar. Dem Fehlen der Zueignungsabsicht beim unterlassenden Garanten kann dann wiederum durch eine entsprechende Heranziehung des § 27 in bonam partem Rechnung getragen werden. Danach ist der Beschützergarant, der nicht gegen fremde Diebstahlstat einschreitet, expressis verbis wegen Zulassung eines Diebstahls durch Unterlassen zu bestrafen, §§ 242, 13 i.V.m. § 27 analog. Denkbar ist schlussendlich noch die Sonderkonstellation, dass ein Überwachungsgarant es unterlässt, einen von ihm zu überwachenden Dritten an einer bestimmten Teilnahmehandlung zu hindern. In derartigen Fällen kann nur von einer Zulassung der entsprechenden Teilnahmehandlung die Rede sein, denn der Überwachungsgarant hat im Rahmen seiner Garantiepflicht allein für die Verhinderung dieser deliktischen Handlung einzustehen, nicht hingegen für den Schutz des Opfers vor Straftaten Dritter. Wenn also etwa ein Vater es unterlässt, seinen minderjährigen Sohn von einer Diebstahlsanstiftung abzuhalten, so lässt er die Anstiftungshandlung geschehen: Er unterlässt es dann täterschaftlich, gegen eine Diebstahlsanstiftung einzuschreiten und ist also ceteris paribus strafbar nach §§ 242, 26, 13.222 Entsprechendes gilt, wenn ein Vater nicht dagegen einschreitet, dass sein Sohn Beihilfe zu einer Straftat, etwa einer Körperverletzung, leistet: Auch hier ist der Vater „Unter221 222

s. zum letzteren Aspekt Kindhäuser, Gössel-FS (2002), 451 (454) m.w.N. Beispiel und Lösung nach Roxin, AT/II, § 26 Rn. 87.

B. Die Regelung des § 25 und der allgemeine Täterbegriff

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lassungstäter einer Beihilfe“223 (konkret: §§ 223, 27, 13). Das Prinzip der pflichtgegenstandsorientierten Einheitstäterschaft bleibt also auch hier intakt. Die Besonderheit liegt schlicht darin, dass die zu unterbindende Handlung ihrerseits eine akzessorische ist. e) Ergebnis Nach alledem ist festzuhalten, dass eine Heranziehung der §§ 25 – 27 für den Unterlassungsbereich weder der alltagsontologischen Struktur des Unterlassens gerecht wird noch axiologisch angezeigt ist. 4. Sonderdelikte Beteiligungsrechtlich schwierig einzuordnen sind die Sonderdelikte (z. B. Amtsdelikte wie §§ 331 f., 340, 343 – 345, 348 usw.), die ausschließlich von bestimmten Sonderpflichtigen täterschaftlich begangen werden können. Diese Tatbestände sind zwar als konkrete vorsätzliche Handlungen formuliert, implizieren jedoch zugleich auch die strafbegründende oder -modifizierende Verletzung einer Sonderpflicht, von der dogmatisch nicht explizit geklärt ist, wie sie sich zur Kategorie des allgemeinen Handlungsunrechts verhält. Das ist deshalb misslich, weil der Schlüssel für die beteiligungsrechtliche Einordnung der Sonderdelikte im Verständnis ihres personalen Handlungsunrechts liegen muss, das wiederum nur dann angemessen bestimmt werden kann, wenn der Aspekt der Sonderpflichtverletzung dogmatisch klar eingeordnet ist. Roxin224 hat insofern (zunächst) von separaten „außerstrafrechtlichen“225 Sonderpflichten gesprochen, etwa solchen des Beamtenrechts, deren Verletzung ihren Träger unabhängig von der Beschaffenheit seines äußeren Verletzungsbeitrags zum Täter i.S.d. Strafrechts stemple (sog. Pflichtdeliktslehre). Dabei bleibt allerdings offen, wie eine das rechtsgutsverletzende „Handlungsgeschehen“ gerade nicht tangierende Innenrechtspflichtverletzung die Zurechnung dieses Verletzungsgeschehens zur Täterschaft legitimieren können soll. Es fehlt also die Angabe des sachlogischen Grundes, der die Zurechnung des Tatunrechts zur Täterschaft qua Sonderpflichtverletzung erlauben soll.226 223

Beispiel und Zitat nach Roxin, AT/II, § 31 Rn. 144. TuT, 354. 225 Zur Klarstellung: Gemeint war die These, dass die apostrophierten Sonderpflichten anderen Rechtsquellen entsprängen als die den Straftatbeständen zugrunde liegenden rechtsgüterschützenden Verhaltensnormen. – Außerstrafrechtlicher Natur ist dagegen streng genommen jede Pflicht, weil Verhaltenspflichten, die für die gesamte Rechtsordnung einheitlich gelten müssen (= Grundsatz von der Einheit der Rechtsordnung), logisch strikt von den strafrechtlichen Sanktionsnormen zu scheiden sind (s. zum Ganzen eingehend Stein, Beteiligungsformenlehre, 72 ff.). 226 Vgl. dazu Roxins Schüler Schünemann, in: LK, § 25 Rn. 43 f., 134. 224

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2. Kap.: Täter als tatbestandsmäßig sich Verhaltender u. Handlungsbegriff

Um diesen Sachgrund nachzuliefern, sind innerhalb der modernen Pflichtdeliktslehre zwei Wege beschritten worden: Zum einen hat Schünemann227 vorgeschlagen, auf den „pflichterzeugenden materiellen Kern“ durchzugreifen, der entweder in der prästabilisierten Herrschaft über die Hilflosigkeit des Rechtsguts liege (etwa bei § 266) oder aber in der prästabilisierten Herrschaft über eine Gefahrenquelle (etwa bei §§ 325, 327). Jakobs dagegen will Pflichten kraft institutioneller Zuständigkeit von bloßen Organisationspflichten abgrenzen: Während Jedermannspflichten zur Kontrolle der eigenen Organisation bloß Ausfluss eines allgemeingültigen Verletzungsverbots seien (also des Verbots, die eigene Organisation nicht zulasten Dritter auszudehnen), postulierten institutionelle Verhaltenspflichten eine umfassende „Garantie von Solidarität“ innerhalb bestimmter institutioneller Rollenverhältnisse (z. B. Eltern-Kind-Verhältnis, Ehe, staatliche Gewaltverhältnisse, Sorge für die Gesetzesbindung von Verwaltung und Rechtsprechung).228 Aufgrund dieses unmittelbaren Rechtsgutsbezugs seien institutionelle Pflichten stets akzessorietätsüberspringende: Wer die von ihm geschuldeten institutionellen Verhältnisse pflichtwidrig herzustellen unterlasse, sei automatisch Täter.229 Bei den Organisationsdelikten dagegen liege der personale Haftungsgrund in der herrschaftlichen Zuständigkeit für die eigene Organisation, weshalb für jede rechtsgutsverletzende Organisationsausdehnung unabhängig von der konkreten Verhaltensform (also etwa auch bei Verkehrssicherungspflichtverletzung oder Ingerenz im Unterlassungsbereich) die allgemeinen beteiligungsrechtlichen Abgrenzungsparameter gälten.230 Keiner dieser Vorschläge vermag jedoch zu überzeugen: Schünemanns Kriterium der prästabilisierten Herrschaft über die Hilflosigkeit des Rechtsguts(objekts) bzw. über die Gefahrenquelle als wesentliche Erfolgsursache kann selbst mit großem rhetorischem Aufwand nicht mehr als Typus aktueller (Willens-)Herrschaft über das konkrete Verletzungsgeschehen deklariert werden.231 In der Sache geht es vielmehr um das normative Postulat einer rechtmäßigen Kontrollausübung über den für die Rechtsgutsverletzung relevanten sozialen Bereich.232 Dieses Postulat hat aber keinen Einfluss auf die Substanz des konkreten rechtsgutsbezogenen Handlungsunrechts, denn die Verbotsnormen der meisten Sonderdelikte untersagen nicht (nur) den Missbrauch einer besonderen sozialen Schlüsselstellung zur Rechtsgutsverletzung,233 sondern konkrete (missbräuchliche) Verletzungshandlungen!

227

In: NK, § 25 Rn. 134 m. Rn. 42 ff. (44). Jakobs, AT, 2/17, 7/70, 29/57 ff. 229 AT, 21/116 ff. 230 AT, 21/16 ff., 21/115 u. 116 a.E., 29/101 ff. (106 f.); umfassend zu seiner nach Organisationszuständigkeit und institutioneller Zuständigkeit unterscheidenden Beteiligungslehre jetzt nochmals Jakobs, Theorie, 5 ff. 231 s. dazu nur Sánchez-Vera, Pflichtdelikt, 128 ff.; Witteck, Betreiber, 138 ff. 232 Vgl. dazu Vogel, Norm, 351 ff.; Sánchez-Vera, Pflichtdelikt, 130; Witteck, Betreiber, 139; Roxin, TuT, 777 f. 233 So aber ausdrücklich Puppe, in: NK, §§ 28, 29 Rn. 8 ff., 40, 78 f. 228

B. Die Regelung des § 25 und der allgemeine Täterbegriff

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Selbstverständlich sind aber mit der normativen Vor-Zuweisung der Kontrolle über einen bestimmten sozialen Bereich bestimmte rechtliche Sonderrollenerwartungen234 verbunden, d. h. dem Sonderzuständigen wird zur Unterbindung von Rechtsgutsverletzungen innerhalb dieses Bereichs mehr abverlangt als dem quivis ex populo. Hier setzt nun Jakobs mit seiner Institutionendoktrin an. Danach sind institutionelle Verhaltenspflichten im Gegensatz zu bloßen Organisationspflichten auf die fortwährende Herstellung der Institution als Rechtsgut gerichtet, d. h. sie sind ab origine mit einem unbedingten, allumfassenden Rechtsgutsbezug ausgestattet, der die Differenz zwischen Tun und Unterlassen von vornherein aufhebt.235 Doch dieser – scharfsinnige – Vorschlag bleibt dem Normativen zu sehr verhaftet,236 denn Institutionen per se sind keine selbständigen verhaltensnormgenerierenden Rechtsgüter, sondern sie kanalisieren bloß allgemeinen Bestandsrechtsgüterschutz in gewisse Sonderzuständigkeitsbereiche hinein (etwa im Falle der §§ 331 f., 339) oder intensivieren ihn dort (z. B. bei §§ 340, 343). Abgesehen davon führte die Jakobs’sche Institutionenlehre auch zu absurden Konsequenzen, wie ihre Anwendung auf den paradigmatischen Anwendungsfall des Eltern-Kind-Verhältnisses ostentativ belegt: Körperliche Misshandlung (§ 223) und Tötung (§ 212) des eigenen Kindes sind nicht bloß unterschiedlich schwere Formen der pflichtwidrigen Vorenthaltung elterlich geschuldeter Solidarität, sondern kategorial verschiedene Handlungsunrechtstypen, die sub specie „Institution“ gerade auch rechtssoziologisch nicht einfach nivelliert werden dürfen! Festzuhalten bleibt, dass der Aspekt der Sonderpflichtverletzung, wie auch immer er in das allgemeine Handlungsunrecht zu implementieren ist,237 keinen beteiligungsrechtlichen Mehrwert aufweist.238 Vielmehr richtet sich die Täterbestimmung auch bei Sonderdelikten nach der Materie des konkret vertatbestandlichten Handlungsunrechts. Das kann bei echten Sonderdelikten, die eine intentionale Verletzungshandlung inkriminieren – wie etwa der Aussageerpressung (§ 343) – zu dem Problem führen, dass die Verletzungshandlung an einen dolosen Externen delegiert wird. Veranlasst etwa ein Vernehmungsbeamter einen Außenstehenden, einem Beschuldigten durch seelisches Quälen eine Aussage abzuringen (§ 343 I Var. 4), so gehen nach der Tatherrschaftslehre beide Beteiligten straflos aus, da das seelische Quälen als Allgemeindelikt nicht vertatbestandlicht ist. Es scheint, als könne sich der Intraneus durch Zwischenschaltung eines dolosen Externen seiner strafrechtlichen (Sonder-)Verantwortlichkeit entziehen.

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So begrifflich durchaus zutr. Jakobs, AT, 2/17. Jakobs, AT, 2/17, 7/70, 21/116; ders., Theorie, 6, 62 f. 236 Vgl. dazu auch Schünemann, in: LK, § 25 Rn. 44 a.E., m.w.N.; s. eingehend krit. zur Jakobs’schen Institutionendoktrin als Erklärungsmodell der Sonderdelikte auch noch unten, S. 176 ff., 619 ff. 237 Ausführlich dazu unten, S. 173 ff. 238 Vgl. dazu Bottke, Täterschaft, 121. 235

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2. Kap.: Täter als tatbestandsmäßig sich Verhaltender u. Handlungsbegriff

Man hat daher schon früh versucht, ein solches Vorgehen doch noch irgendwie unter § 25 zu fassen.239 Sogar der Reformgesetzgeber selbst ordnete derartige Konstellationen der mittelbaren Täterschaft (§ 25 I Alt. 2) zu.240 Das erweist sich jedoch angesichts seiner grundsätzlichen Hinwendung zum Tatherrschaftsgedanken241 als problematisch. Denn wird die Vornahme der tatbestandlich umschriebenen Verletzungshandlung dem Externen überlassen, dann kann eine sachlogisch fundierte Tatherrschaftslehre nicht mehr ohne Selbstwiderspruch darüber hinwegsehen, dass allein er das tatbestandliche Verletzungsgeschehen beherrscht. Diese Einsicht hat zu dem Versuch geführt, den Tatherrschaftsbegriff an die Regelungsmaterie der Sonderdelikte zu adaptieren bzw. ihn zu normativieren,242 also eine Tatbegehung durch ein sog. „qualifikationslos-doloses Werkzeug“ anzunehmen. Doch auf diese Weise beraubt man den Tatherrschaftsgedanken in Wahrheit seines Substrats, d. h. man denaturiert ihn.243 Doch all diesen Problemen soll hier noch nicht en détail vorgegriffen werden. Vielmehr dürfen wir einstweilen konstatieren, dass der „historische Gesetzgeber“ die Sonderdelikte dem Täterbegriff des § 25 subsumiert wissen wollte, diese Einordnung jedoch aus dogmatischer Sicht problematisch ist. Jedenfalls sollten die Sonderdelikte nach dem Willen des Gesetzgebers nicht aus dem Anwendungsbereich der §§ 25 – 27 ausgenommen werden. 5. Delikte mit Willenserklärungen als Tatbestandshandlung Neben denjenigen Delikten, die den physisch vermittelten Übergriff in fremde Rechtsgutssphären vertatbestandlichen, existieren auch noch solche Delikte, die genuine Willenserklärungen als Tatbestandshandlungen inkriminieren. Ein exquisites Beispiel für diesen Deliktstypus bildet die Beleidigung (§ 185), deren Tatbestandshandlung nicht etwa im äußeren Kundgabeakt liegt – dieser betrifft lediglich den Informationstransfer –, sondern im Ausdruck der eigenen Missachtung als Willenserklärung. Wann eine solche persönliche Willenserklärung im Mehrpersonenverhältnis vorliegt, richtet sich nach den allgemeinrechtlichen (und also: zivilrechtlichen) Grundsätzen der interpersonalen Zurechnung eines Erklärungstatbestandes als eigene Willenserklärung (m.a.W.: nach den Grundsätzen der Erklärungsbotenschaft), die die Täterbestimmung des § 25 hier ausfüllen.244 Demnach ist etwa die Sekretärin, die den beleidigenden Brief für ihren Chef abtippt und zur Post 239 So insbesondere Gallas (Materialien I, 121 [136]) und Welzel (Strafrecht, § 15 I 3 [S. 104]), die in der Abhängigkeit der Deliktsverwirklichung von der sozialen Schlüsselstellung des Intraneus eine Tatherrschaft sui generis erblicken wollten. 240 BT-Drucks. IV/650, 149. 241 BT-Drucks. IV/650, 147 f. 242 So für das qualifikationslos-dolose Werkzeug expressis verbis Jescheck/Weigend, AT, § 62 II 7 (S. 669 f.); vgl. aber auch bereits Gallas, Materialien I, 121 (133). 243 Roxin, TuT, 257 f. 244 s. ausführlich zum Ganzen noch unten, S. 627 ff.

B. Die Regelung des § 25 und der allgemeine Täterbegriff

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aufgibt, allenfalls Gehilfin; Täter der Beleidigung ist allein der Chef, dem der beleidigende Briefinhalt als seine Willenserklärung zurechenbar ist.245 Entsprechendes gilt für das Merkmal der „Drohung“ im Nötigungs- oder Erpressungstatbestand (§§ 240, 253): Wer den Droh- oder Erpressungsbrief überbringt oder eine fremde Drohung informatorisch übermittelt, ist allenfalls Gehilfe; Täter ist derjenige, dem der unwertige Erklärungstatbestand als seine Willenserklärung zurechenbar ist.246 6. Eigenhändige Delikte Ebenfalls aus dem Anwendungsbereich des § 25 auszuklammern sind die eigenhändigen Delikte, bei denen die Täterschaft entweder strikt aktgebunden ist (so etwa bei den §§ 172, 173, 183, 153 ff., 315c, 316) oder aber von einer Selbsteinwirkung abhängig (so etwa bei den §§ 142c, 323a StGB, 16 WStG). Die Gründe247 für die tatbestandliche Fassung als eigenhändiges Delikt sind dabei unterschiedlicher Natur. Zum einen kann die Eigenhändigkeit sachlogisch vorgegeben sein, wie etwa bei den Tatbeständen der §§ 173, 183: Verwandtenbeischlaf und exhibitionistische Handlungen sind letztlich allein der „desorientierenden Wirkungen“248 wegen verboten, die von der mit dem eigenkörperlichen Aktvollzug assoziierten persönlichen Degenereszenz249 ausgehen. In den meisten Fällen ist die eigenhändige Deliktsfassung jedoch einer allgemeinrechtlichen Pflichtgegenstandsvorgabe geschuldet, d. h. sie ist Ausfluss des Grundsatzes von der Einheit der Rechtsordnung: Ist etwa die zeugenschaftliche Aussagepflicht vor Gericht verfahrensrechtlich als höchstpersönliche ausgestaltet, so muss das korrelative Falschaussageverbot (§ 153) ebenfalls eigenhändig ausgestaltet sein;250 ist die deliktsrechtliche Pflicht des Unfallbeteiligten, zur Schadensregulierung beizutragen, als höchstpersönliche Präsenzpflicht am Unfallort ausgestaltet, so kann das korrelative Verbot der Unfallflucht (§ 142c) konsequenterweise nur das Entfernen der eigenen Person vom Unfallort untersagen; und wenn die Ordnungsnormen der StVO primär die eigenhändige Fahrteilnahme am Straßenverkehr regeln, dann muss das Verbot bestimmter (qualifiziert) verkehrsrechtswidriger Fahrweisen bzw. Fahrzeugführerzustände (§§ 315c, 316) ebenfalls eigenhändig ausgestaltet sein.

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Ebenso bereits Kern, Äußerungsdelikte, 49. Kern, Äußerungsdelikte, 49. 247 Eingehend zum Ganzen noch unten, S. 633 ff. 248 So zutr. Jakobs, AT, 2/20. 249 Jakobs (AT, 21/21) spricht von „persönlicher Insuffizienz“. 250 s. dazu schon Herzberg, ZStW 82 (1970), 896 (944 f.), der § 153 als „verfahrensrechtsabhängig-eigenhändiges Delikt“ charakterisiert. 246

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2. Kap.: Täter als tatbestandsmäßig sich Verhaltender u. Handlungsbegriff

Drittens schließlich kann die Fassung eines Tatbestandes als eigenhändiges Delikt auch rein strafrechtsteleologisch motiviert sein, wie etwa beim Vollrauschtatbestand (§ 323a): Da das mittelbare In-Rausch-Versetzen eines anderen angesichts seiner Atypizität in praxi als vernachlässigenswerte Größe erscheint251 und seine Sozialerheblichkeit unter dem Aspekt der Körperverletzung (§ 223) ausreichend Beachtung findet,252 hat der Strafgesetzgeber es in § 323a nicht mit vertatbestandlicht.253 Eigenhändige Delikte sind oft zugleich echte Sonderdelikte (s. z. B. §§ 153 ff., 173). In diesem Fall darf die Eigenhändigkeit jedoch keineswegs aus dem Sonderdeliktscharakter per se (= „Höchstpersönlichkeit“ der Sonderpflicht) abgeleitet werden,254 sondern sie muss auch hier auf diejenigen Umstände zurückgeführt werden, die die Sonderpflicht eben zu einer eigenhändigen machen255 (etwa bei § 173 die sachlogische Abhängigkeit des Unwerturteils vom eigenhändigen Aktvollzug oder bei § 153 die allgemeinrechtliche Eigenhändigkeitsvorgabe). Folge einer eigenhändigen Deliktsfassung ist jedenfalls, dass der Begriff der „Selbstbegehung“ seines Sinnes als Abgrenzungsparameter beraubt und eine Heranziehung des § 25 obsolet wird.256 Die §§ 26, 27 sind dagegen selbstverständlich anwendbar, wobei immer auch an eine mögliche Einschlägigkeit des § 28 I257 zu denken ist. 7. (Reine) Pflichtdelikte Als Abgrenzungsparameter obsolet wird § 25 auch bei den „reinen Pflichtdelikten“258, die die Verletzung einer zivil- oder öffentlich-rechtlichen Rechtspflicht vertatbestandlichen.259 Diese Normativierung kann zum einen sachlogische Gründe haben, wie es – ganz ausnahmsweise – bei den §§ 170, 171 der Fall ist. Beide Straftatbestände beruhen auf 251

Zum legislatorischen Bestreben einer plastischen Verhaltensbeschreibung als Sachgrund für die Ausgestaltung eines Tatbestandes als eigenhändiges Delikt s. allgemein Herzberg, ZStW 82 (1970), 896 (947). 252 Jakobs, AT, 21/23. 253 So zutr. Jakobs, AT, 21/23 („nur positivrechtlich ein eigenhändiges Delikt“). 254 So aber Roxin, TuT, 392 ff. („unechte eigenhändige Delikte“). 255 So zutr. schon Herzberg, ZStW 82 (1970), 896 (911 ff.). 256 Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 66. 257 Oft fällt das Eigenhändigkeitserfordernis mit einem echten Sonderdeliktscharakter zusammen (etwa bei §§ 153, 172 f.), so dass für den teilnehmenden Extraneus § 28 I schon unter diesem Aspekt heranzuziehen ist. Des Weiteren ist aber auch die sachlogisch bedingte Eigenhändigkeit ein besonderes persönliches Merkmal i.S.d. § 28 I, da es ja die eigenhändig objektivierte persönliche „Insuffizienz“ (Jakobs, AT, 21/21) ist, die hier als unwertig empfunden wird. 258 Die – korrekt abgrenzende – Bezeichnung geht zurück auf Bloy, Beteiligungsform, 230 f. (231); s. der Sache nach auch bereits Herzberg, Unterlassung, 51 ff. („Garantendelikte“). 259 So zutr. etwa Bloy, Beteiligungsform, 230.

B. Die Regelung des § 25 und der allgemeine Täterbegriff

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einem Sondergeneralgebot zur Herstellung bestimmter institutionell geschuldeter Grundlebensverhältnisse für gewisse Schützlinge als (Gemein-)Rechtsgut.260 Konkret geht es in § 170 um die Sicherung des Lebensbedarfs des/der Unterhaltsberechtigten und in § 171 um die Gewähr einer ungestörten psychophysischen Entwicklung des/der schutzbefohlenen Kinder/Jugendlichen. Da die rechtsgüterschützende Verhaltensnorm in diesen Fällen ausnahmsweise von vornherein auf institutionelle Garantie gerichtet ist, ist sie „akzessorietätsüberspringender“ Natur, d. h. jede Nichtherstellung der institutionell geschuldeten Verhältnisse begründet automatisch Täterschaft.261 Die Ausgestaltung als reines Pflichtdelikt kann aber auch positivrechtlicher Natur sein, wie etwa beim Treubruchtatbestand der Untreue (§ 266 I Alt. 2), der ohne Rücksicht auf die Qualität des konkreten Handlungsunrechts jede vermögensschädigende Treuepflichtverletzung seitens des Intraneus inkriminiert. Wie der Rechtsgutsbezug der Treuepflichtverletzung äußerlich (d. h. handlungsmäßig) konkret vermittelt ist, spielt keine Rolle. Danach ist z. B. der im Ausland weilende Vermögensverwalter, der einen Mittelsmann in Deutschland anweist, das betreute Vermögen beiseite zu schaffen, Täter einer Untreue, auch wenn er an der Vermögensschädigung als solcher nur teilnimmt.262 Mithin haben sämtliche reinen Pflichtdelikte gemeinsam, dass die §§ 25 – 27 für Intranei nicht heranzuziehen sind.263 Extranei dagegen scheiden per definitionem als Täter aus, kommen allerdings als Teilnehmer nach §§ 26, 27 in Betracht, wobei § 28 I zu beachten ist. Der Unterschied zwischen den sachlogisch bedingten (§§ 170, 171) und den positivrechtlichen (z. B. § 266 I Alt. 2) Pflichtdelikten besteht darin, dass erstere auf arteigenen Generalgeboten zur Herstellung bestimmter Rechtsgüter beruhen, letztere hingegen „nur“ die vorstrafrechtlichen Kriterien täterschaftlicher Handlungsunrechtsbestimmung sub specie Sanktionsnorm überspielen. 8. Ergebnis Nach alledem regeln die §§ 25 ff. „Täterschaft und Teilnahme“ allein für die allgemeinen und die besonderen vorsätzlichen Handlungsdelikte. Eine immerhin denkbare Verquickung der §§ 25 ff. mit der äußeren Gestalthaftigkeit sorgfaltswidriger Handlungen ist dagegen nicht angezeigt. Prognostisches oder prognostizierbares Fehlverhalten Dritter ist bloß insofern relevant, als zu klären ist, ob die je eigene Sorgfaltspflicht auch zu dessen Vermeidung dient. Die vorsätzlichen (unechten) 260

s. dazu auch noch unten, S. 185 ff., 626 f. Vgl. dazu Jakobs, AT, 21/115 ff., der freilich Institutionen ganz allgemein zu herstellungsbedürftigen Rechtsgütern erklären will. 262 Roxin, TuT, 360. 263 Das gilt auch für die Beteiligungsfigur der Mittäterschaft (§ 25 II): Wer durch seine Intranenpflichtverletzung den tatbestandsmäßigen Erfolg zurechenbar (mit-)verursacht, ist bereits unmittelbarer Alleintäter des betreffenden Pflichtdelikts. 261

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2. Kap.: Täter als tatbestandsmäßig sich Verhaltender u. Handlungsbegriff

Unterlassungsdelikte sind ebenfalls nicht mit den §§ 25 ff. kompatibel, weder aus dem „Wesen“ der Unterlassung heraus noch i.S.e. axiologischen Korrelation zur Aktivbegehung. Die Tatbestände der eigenhändigen Delikte machen die Differenzierung des § 25 obsolet, da die allein inkriminierte (Mit-Sich-)Selbstbegehung hier ihren Sinn als Abgrenzungsparameter verliert. Und die „reinen Pflichtdelikte“ differenzieren nicht zwischen Täterschaft und Teilnahme, sondern basieren entweder auf umfassenden vorstrafrechtlichen Sondergeneralgeboten (§§ 170, 171) oder nivellieren alles vorstrafrechtliche Handlungsunrecht unter einem einzigen abstrakten strafrechtlichen Pflichtverletzungsbegriff (z. B. § 266 I Alt. 2).

II. Der in § 25 vorausgesetzte, allgemeine Täterbegriff Nach dem vorstehend Gesagten kann der in § 25 für die vorsätzlichen Handlungsdelikte konkretisierte Begriff des Täters nicht „der“ allgemeine, für alle Straftatgruppen geltende, Täterbegriff sein. Dieser muss aber doch existieren, da nach unserem Postulat das tatbestandsmäßige Verhalten selbst als konkreter personaler Begriff für alle Straftattypen zu entfalten ist. Der gesuchte einheitliche Begriff des Tätertatbestandsverhaltens muss daher dem System des StGB als solchem, der Gesamtheit seiner Tatbestände, schon inhärent sein, weshalb er nur in dem Hinweis auf diese Tatbestände selbst gesehen werden kann. Kurz: Täter ist der sich tatbestandsmäßig Verhaltende.264 1. Tatbestandsmäßiges Verhalten als offener konkreter Begriff Demnach bezieht der abstrakt-einheitliche Täterbegriff seinen konkreten Gehalt erst durch Ableitung aus der deliktstypischen Unrechtsmaterie, ja man kann mit Roxin265 (etwas pathetisch) sagen: durch ein „anschmiegsames Entlangwandern“ an dem tatbestandlich vertypten Rechtsstoff. Ins Methodische übersetzt bedeutet dies: Zwingend zugrunde zu legen ist ein „offener Begriff“266 des tätertatbestandsmäßigen Verhaltens, der die unterschiedlichen Materien der in den einzelnen Straftatgruppen vertypten Regelungssubstrate in sich aufnimmt und umgekehrt aus ihnen zu entwickeln ist. Auf diese Weise wird ein konkret-einheitliches System erst geschaffen, ohne dabei Gefahr zu laufen, in eine dezisionistische Topik abzugleiten. Dieser methodische Ansatz beim Regelungssubstrat der einzelnen Deliktstypen birgt die Möglichkeit, das konkrete personale Verhaltensunrecht (und nicht bloß die Konkretion eines allgemeinen Täterbildes) unmittelbar aus den verschiedenen Tatbestandsgruppen selbst abzuleiten und es durch Bezugnahme auf das allgemeine Handlungsinterpretament des sozialen Alltags zugleich als deutlich erfassbaren 264 265 266

Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 79 ff. In: LK11, § 25 Rn. 36 (unter Berufung auf Nicolai Hartmann). Ausführlich zum offenen Begriff als Methode Roxin, TuT, 122 ff.

B. Die Regelung des § 25 und der allgemeine Täterbegriff

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vorrechtlichen Differenzierungsmaßstab auszuweisen. Die Orientierung am Handlungsinterpretament des sozialen Alltags (= Interpretation einer intentionalen Selbstverwirklichung) wird es dabei gerade im Bereich der vorsätzlichen Handlungsdelikte ermöglichen, den Begriff der Tatbestandshandlung normativ, d. h. materiell aufgebrochen und mehrdimensional zu denken, anstatt ihn auf phänomenologisch-formelle Eigenhändigkeit zu reduzieren. In terminologischer Hinsicht kann man einen abstrakten Oberbegriff des „Verhaltens“ in die Begriffs-Vierheit „vorsätzliche Handlung“, „fahrlässiges Handeln“, „vorsätzliches Unterlassen“, „fahrlässiges Unterlassen“ auflösen.267 Gesehen werden muss allerdings, dass der Oberbegriff des „Verhaltens“ durch diese Konkretisierung eigentlich sinnentleert wird. Denn abstrahiert man vom jeweiligen Typus, dann bleibt als „Verhalten“ allein noch die willkürliche Körperbewegung zurück. Der Rekurs auf diese „Persönlichkeitsäußerung“268 birgt aber die Gefahr, dass die Unrechtstypizität von außen Schritt für Schritt an die willkürliche Körperbewegung herangetragen wird, anstatt dieselbe umgekehrt aus ihrer konkreten Intentionalität heraus zu begreifen. Wo sich diese Gefahr konzeptionell verwirklicht, da wird übersehen, dass der Handlungsbegriff bereits im sozialen Alltag schärfere Konturen aufweist als die inhaltliche Anreicherung eines abstrakten Verhaltensbegriffs mit verschiedenen Attributen.269 Diese Konturen gilt es zunächst positiv herauszustellen, bevor wir uns den Lehren zuwenden, die sie einebnen und auf diese Weise zu einem juristisch-abstrakten Begriff des objektiv-tatbestandsmäßigen Verhaltens gelangen. 2. Der intentionale Handlungsbegriff als vorrechtliches genus proximum Das Strafrecht kennt nur bestimmte Handlungsformen, wie Tun und Unterlassen, vorsätzliches und fahrlässiges Handeln, nicht aber einen allgemeinen Rechtsbegriff der „Handlung“ an sich. Deshalb muss an einen vorrechtlichen Handlungsbegriff angeknüpft werden, der zu den einzelnen Deliktstypen in Bezug zu setzen ist.270 Wie im Folgenden noch näher darzulegen sein wird, ist dieser vorrechtliche Handlungsbegriff nicht definitorisch festgelegt, sondern folgt den anwendungsbezogenen (Meta-)Sprachregeln der Handlungszuschreibung im sozialen Alltag. Diese normative Struktur des Handlungsbegriffs erweist sich als Vorzug. Denn auf ihrer Grundlage wird es möglich, Roxins Lehre von den „Stufen sinnhafter Tatgestaltung“271 aus dem Handlungsbegriff selbst zu deduzieren, ohne auf den schillernden Terminus der Tatbestandsverwirklichung qua Zentralgestalt rekurrieren zu müssen.

267 268 269 270 271

Der Vorschlag stammt von Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 81. So die Terminologie bei Roxin, AT/I, § 8 Rn. 44 ff. So zutr. Kindhäuser, Intentionale Handlung, 154. Kindhäuser, Intentionale Handlung, 155. Roxin, TuT, 197 ff.

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2. Kap.: Täter als tatbestandsmäßig sich Verhaltender u. Handlungsbegriff

a) Grundlagen Der vorrechtliche Handlungsbegriff ist nicht wissenschaftlich abschließend definierbar, da für das Sozialphänomen „Handlung“ naturgemäß keine wesensmäßigen Definientia existieren.272 Man kann bei der Sprache über Handlungen nicht auf einen beobachtungssprachlich vorgegebenen „Elementarbaustein des Wissens“, d. h. auf interpretationsunabhängige empirische Sinnesdaten, zurückgreifen, da diese Sprache einer distinkten – (teleo-)logischen – Kategorie angehört.273 „Handeln“ bzw. „Verhalten“ sind (teleo-)logische Begriffskategorien, mit denen wir die (willensgesteuerten) Bewegungen unseres Körpers und die damit zusammenhängenden Außenweltveränderungen „(…) interpretierend und reflektierend nach ihrem Sinn befragen (…)“.274 Kurzum: „Handlungen sind den eigenen Körper des Akteurs betreffende Verhaltensinterpretationen.“275 Der Begriff „Handlung“ kann daher nur von den praktisch institutionalisierten (Meta-)Sprachregeln her entwickelt werden, nach denen wir im sozialen Alltag über Handlungen sprechen, sie zuschreiben.276 Körperliches Verhalten als Handeln interpretieren heißt demnach „(…) auf Dispositionen verweisen, (…) Bewegungen durch Zuschreibung von Zielen, Zwecken, Gründen, Intentionen usw. mit Sinnhaftigkeit bekleiden (…)“.277 Wenn wir also von einer Handlung sprechen, dann schreiben wir jemandem (zunächst und grundlegend) Verantwortung für das Produzieren einer Außenweltveränderung zu.278 Der äußere Handlungsaspekt zerfällt dabei in eine unmittelbare, verstandesmäßige „Beherrschbarkeit“ im Sinne allgemeiner empirischer Kausalgesetze vermittelnde, Basis-Komponente und eine (bzw. mehrere) entferntere Komponente(n). Das unmittelbare äußere Element besteht in einer objektiv wahrnehmbaren körperlichen Verhaltensweise, in der sich der konkrete Intentionalzustand des Subjekts eo ipso selbstrepräsentational objektiviert (einer sog. „Basis-Handlung“279), z. B. der Armbewegung beim Schlagen.280 Der entferntere äußere Aspekt ist irgendein Ereignis, das zu diesem unmittelbaren äußeren Aspekt in eine kausale Relation gesetzt werden kann, bei der Körperverletzung etwa das Aufplatzen der Lippen beim Opfer, sein Sturz etc.281 272

So zutr. Kindhäuser, Intentionale Handlung, 153 ff. s. zum Ganzen Kindhäuser, Intentionale Handlung, 142 ff. (die zitierte Begrifflichkeit findet sich auf S. 144). 274 Kindhäuser, Intentionale Handlung, 94. 275 Kindhäuser, Hollerbach-FS (2001), 627 (633). 276 Kindhäuser, Intentionale Handlung, 153 ff. (156). 277 Kindhäuser, Intentionale Handlung, 129 f. 278 Kindhäuser, Intentionale Handlung, 156 f. 279 s. zur Prägung des Begriffs in der sprachanalytischen Philosophie und zu seiner inhaltlichen Adaption an ein (teleo)logisches Handlungsmodell eingehend und m.w.N. Kindhäuser, Intentionale Handlung, 84 ff. 280 Kindhäuser, Intentionale Handlung, 157. 281 Kindhäuser, Intentionale Handlung, 157. 273

B. Die Regelung des § 25 und der allgemeine Täterbegriff

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Welche Komponenten des äußeren Aspekts als Ergebnis der Basis-Handlung angesehen werden (können), hängt davon ab, was genau man als Intentionsobjekt bzw. Handlungsresultat zuschreibt.282 Hier setzt nun das sprachlich vermittelte Explikationsverfahren an, indem es eine bestimmte Außenweltkomponente herausgreift und nunmehr im Dialog mit dem Beschuldigten prozedural verifiziert, ob diese als intentionales Handlungsobjekt zugeschrieben werden kann, ohne dass der als Akteur „Beschuldigte“ die Handlungszuschreibung zu widerlegen vermag.283 Sofern zumindest der intentionale Vollzug eines Basis-Akts gegeben scheint, kann dem potentiellen Akteur zunächst einmal vorgeworfen werden, im Hinblick auf das zugeschriebene Handlungsergebnis überhaupt gehandelt zu haben284 – welcher Vorwurf allein durch glaubhaftes Bestreiten der Täteridentität oder durch glaubhafte Berufung auf die eigene Vermeideunfähigkeit entkräftet werden kann.285 Handlung ist danach „(…) ein entscheidbares Tun, durch das der Handelnde in der Lage ist, ein Ereignis herbeizuführen“286. Damit ist grob umrissen, wie der für die Handlungsattribution konstitutive Bedeutungsträger eines entscheidbaren Tuns im „Sprachspiel“287 des sozialen Alltags zugeschrieben wird. Allerdings muss erstens noch genauer differenziert werden zwischen der Basis-Zuschreibung eines entscheidbaren Tuns einerseits und der Attribution konkreten Handlungssinns (= Intentionen) andererseits288 (= Stufen bzw. Arten der Handlungsattribution). Und zweitens ist den Problemen nachzugehen, die für die rechtliche Handlungszuschreibung aus der stets möglichen Diskrepanz zwischen interner Selbst- und externer Fremdattribution erwachsen289 (= Problem des Auseinanderfallens von Eigen- und Fremdattribution). Auf beide Punkte soll nachfolgend näher eingegangen werden. aa) Handlung als Zuschreibung von Verantwortung für ein Ereignis und Entlastungsmöglichkeiten des Akteurs Wie bereits angedeutet, folgt die Handlungsaskription der „argumentativen Logik des Beschuldigens“290 : Tritt ein Ereignis ein, das als Produkt menschlichen Handelns infrage kommt, so machen wir den potentiellen Akteur mithilfe von „Adverbien der 282

Kindhäuser, Intentionale Handlung, 158. Kindhäuser, Intentionale Handlung, 169 ff. 284 Kindhäuser, Intentionale Handlung, 175. 285 Kindhäuser, Intentionale Handlung, 167, 174. 286 Kindhäuser, Intentionale Handlung, 175; i.E. übereinstimmend Puppe, in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 61. 287 s. zur Explikation dieses Wittgenstein’schen Grundbegriffs eingehend und mit entsprechenden Nachweisen Kindhäuser, Intentionale Handlung, 41 ff. 288 s. dazu Kindhäuser, Intentionale Handlung, 145 f., 159 ff. 289 s. zu dieser in der Natur der Sache liegenden Diskrepanz Kindhäuser, Intentionale Handlung, 159. 290 Kindhäuser, Gefährdung, 44. 283

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2. Kap.: Täter als tatbestandsmäßig sich Verhaltender u. Handlungsbegriff

erfolgreichen Kontrolle“ (etwa ,absichtlich‘, ,wissentlich‘, ,willentlich‘ usw.) oder von „Adverbien der erfolglosen Kontrolle“ (,unabsichtlich‘, ,versehentlich‘, ,irrtümlich‘ usw.) für dieses Ereignis verantwortlich.291 Paraphrasiert man nun ein als entscheidbar unterstelltes Tun mit einem Adverb erfolgreicher Kontrolle (im Recht: ,vorsätzlich‘), so unterstellt man dem Akteur, das zugeschriebene Ereignis sei intentionales Objekt seines entscheidbaren Tuns gewesen. Je nachdem, wie der Beschuldigte diese Zuschreibung zurückzuweisen versucht, erfährt man damit indirekt etwas über den inneren Aspekt des unterstellten Handelns: Bestreitet der solchermaßen Beschuldigte etwa, dass das hervorgebrachte Ereignis intentionales Objekt seines Tuns gewesen sei, so räumt er damit zugleich indirekt ein, überhaupt gehandelt und also das betreffende Ereignis unabsichtlich herbeigeführt zu haben. Sucht er sich hingegen nur zu rechtfertigen oder zu entschuldigen, so bestätigt sich die externe Vorsatz-Lesart.292 Den Vorwurf, überhaupt gehandelt, d. h. ein entscheidbares Tun vollzogen zu haben, kann der Beschuldigte nur erschüttern, indem er entweder seine Täterschaft leugnet oder die Entscheidbarkeit bzw. Kontrollierbarkeit seines Verhaltens bestreitet.293 Desavouiert er das Vorliegen einer intentionalen Basis-Handlung auf diese Weise, so sind die daraus resultierenden Probleme solche der tatsächlichen (forensischen) Beweisbarkeit einer externen (und damit per se hypothetischen294) Handlungsattribution. Insofern bestehende Diskrepanzen zwischen Selbst- und Fremdzuschreibung können daher nur durch Verifikation oder Falsifikation der vorgeworfenen Basis-Handlung im Rahmen eines allgemeingültigen und transparenten Beweisverfahrens gelöst werden. Sowohl in einem „gerecht“ organisierten sozialen Alltag als auch im Recht obliegt es daher dem Ankläger, den Beweis eines entscheidbaren Tuns zu führen, sofern sich der potentielle Akteur auf Tatsachen beruft, die seine Vermeideunfähigkeit im vorgeworfenen Handlungszeitpunkt begründet haben würden. Kann der Ankläger den substantiierten295 Einwurf des Akteurs, in concreto handlungs- bzw. vermeideunfähig gewesen zu sein, nicht entkräften, so kann seine externe Handlungszuschreibung keinen Bestand haben; es liegt dann jedenfalls im Hinblick auf den konkret vorgeworfenen Handlungszeitpunkt296 keine Handlung vor. 291 Ausführlich zum Ganzen Kindhäuser, Intentionale Handlung, 169 ff. (die zitierte Begrifflichkeit findet sich auf S. 169). 292 Vgl. zum Ganzen allgemein Kindhäuser, Intentionale Handlung, 167, 172 f. 293 Kindhäuser, Intentionale Handlung, 167, 174. 294 s. dazu Kindhäuser, Intentionale Handlung, 159. 295 Die intentionale Vermeidbarkeit dürfte freilich nur in den seltensten Fällen fehlen, da die Möglichkeit einer intentionalen Überformung selbst bei „Automatismen“ gegeben ist, sofern diese „motivatorisch aufhebbar“ sind oder „durch eine körperliche Gegenaktivität in ihren Auswirkungen gestoppt“ werden können (s. zum Ganzen eingehend und instruktiv Jakobs, AT, 6/35 ff. [Zitate ebenda]). 296 Zu der unberührt bleibenden Möglichkeit, für die Handlungsattribution auf ein zeitlich vorangehendes entscheidbares Tun (bzw. Unterlassen) zurückzugreifen, s. Kindhäuser, Intentionale Handlung, 174.

B. Die Regelung des § 25 und der allgemeine Täterbegriff

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Damit kann in Bezug auf das Strafrecht festgehalten werden: Die existentielle Frage, ob ein entscheidbares Tun als elementarer Träger unrechtlichen Sinngehalts vorliegt, ist im Bestreitensfalle eine tatsächliche Beweisfrage. Das gilt ebenso für alle anderen existentiellen Fragen des Rechts, wie etwa diejenige, ob ein Akteur konstitutionell in der Lage war, das Unrecht der Tat einzusehen bzw. nach dieser Einsicht zu handeln (vgl. § 20), oder ob er die Grenzen der Notwehr aus Furcht, Angst oder Schrecken überschritten hat (vgl. § 33). bb) Teleologische Sinnattribution und Selbstinterpretation des Akteurs Nun hat allerdings bereits Kindhäuser zutreffend herausgearbeitet, dass zwischen der Zuschreibung eines intentional kontrollierbaren Tuns als elementarem Bedeutungsträger einerseits und der Attribution des konkret transportierten Handlungssinns andererseits differenziert werden muss.297 Während die Zuschreibung eines entscheidbaren Tuns die existentielle Hypothese impliziert, dass das Ereignis für den potentiellen Akteur aktuell kontrollierbar war, analysiert die Attribution von Handlungssinn den semantischen Gehalt des durch die Handlung Erklärten, d. h. Typus, Modus und Dimensionalität der handlungsmäßig ausgedrückten Intentionalität. Pointiert kann man also sagen: Die Zuschreibung einer intentionalen BasisHandlung betrifft die Frage, ob die handlungserklärende Sprache ihrer Grammatik nach anwendbar ist, die Zuschreibung konkreten Handlungssinns hingegen die Frage, wie eine Handlung „handlungssprachsemantisch“ zu deuten ist. Beide Fragen müssen schon bei der Handlungszuschreibung im sozialen Alltag, erst recht aber im rechtsfolgenintensiven Strafrecht, strikt auseinandergehalten werden, was das prozedurale Dialogverfahren des argumentativen Beschuldigens angeht: Soweit die externe Handlungszuschreibung Hypothesen existentieller Natur beinhaltet (z. B. zur Entscheidbarkeit eines Tuns oder zur konstitutionellen Fähigkeit des Akteurs, Wertzusammenhänge einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln), obliegt es dem extern Zuschreibenden, etwaigen Zweifeln in einem förmlichen Beweisverfahren nachzugehen und diese ggf. zu zerstreuen. Ist hingegen die sprachliche Analyse des im Handeln konkret ausgedrückten Handlungssinns betroffen (d. h. in den grundlegenden Sinnerfassungskategorien des allgemeinen Handlungsunrechts: Vorsatz[sinn] und Fahrlässigkeit[ssinn]), so entscheidet hierüber allein das allgemeine Handlungsinterpretament; die soziale – und damit auch die rechtliche – Praxis der Handlungszuschreibung kennt keine private Sprache und damit auch keine privaten Handlungen, sondern nur eine einzige intersubjektiv vermittelte und deshalb allgemeingültige handlungssinnerklärende Sprache298 (= Deutungshoheit der handlungssinnerklärenden Allgemeinsprache).

297 298

Intentionale Handlung, 143, 145 ff. Kindhäuser, Intentionale Handlung, 57 ff., 150 f., 189.

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2. Kap.: Täter als tatbestandsmäßig sich Verhaltender u. Handlungsbegriff

(1) Vorsatz(sinn), Fahrlässigkeit(ssinn) und praktische Handlungsexplikation Die Einsicht in die Deutungshoheit der handlungssinnerklärenden Allgemeinsprache lässt sich zunächst für die (straf)rechtlichen Handlungsgestalten „Vorsatz“ und „Fahrlässigkeit“ fruchtbar machen. Der Zuschreibung fahrlässigen Handlungssinns lag sie ohnehin stets stillschweigend zugrunde, ist doch im Fahrlässigkeitsbereich schon seit jeher anerkannt, dass die gesellschaftlichen Standards der allgemeinen Sorgfaltspflichtverletzung bzw. der objektiven Voraussehbarkeit über den unrechtlichen Sinngehalt fahrlässigen Handelns entscheiden.299 Entsprechendes muss aber – entgegen der h.M., die den Vorsatz nach wie vor als innerpsychisches Phänomen begreift – auch für die Zuschreibung vorsätzlichen Handlungssinns gelten. Auch über die handlungssemantische Explikation eines Handelns als „vorsätzlich“ entscheidet also nicht etwa ein privater innerer Akt des Akteurs selbst, sondern die intersubjektive handlungssinnerklärende Sprache.300 Wie rechtmäßige Handlungen des sozialen Alltags, so sind auch unrechtliche Handlungen im Hinblick auf ihren intensionalen Gehalt als kommunikative Sprechakte301 zu verstehen, d. h. als intersubjektiv verbindliche Deutungsschemata302, mit denen die Akteure am gesellschaftlichen „Sprachspiel“ teilnehmen. Im Zivilrecht ist die Erkenntnis, dass Handlungen intersubjektiv verbindliche Deutungsschemata der personalen Teilnahme am Rechtsverkehr sind bzw. sein können, schon seit jeher communis opinio.303 Die Idee, dass ausschließlich der (handlungsmäßig sich) Erklärende selbst den Sinngehalt seines Erklärungsverhaltens im Rechtsverkehr bestimme, ist diesem Teil der Rechtsordnung deshalb fremd. Ausschlaggebend ist vielmehr, welcher Erklärungssinn dem Tun aus der Sicht eines objektiven Erklärungsempfängers zukommt (vgl. §§ 133, 157 BGB).304 Berücksichtigt man dies, so kann nach dem Axiom von der Einheit der Rechtsordnung für die Bestimmung unrechtlichen Handlungssinns, insbesondere für die Zuschreibung des „Sinnausdruck[s]“305 ,vorsätzlich‘, nichts anderes gelten.306 Danach ist also Puppe307

299

So zutr. Kindhäuser, Intentionale Handlung, 188 f. I.d.S. Kindhäuser, Intentionale Handlung, 188 f.; auch Jakobs, AT, 6/11 f.; Puppe, in: NK, § 15 Rn. 64 ff. 301 Kindhäuser, Intentionale Handlung, 144, 150 f.; inzwischen begreift Kindhäuser (Gefährdung, 33 ff.) die Straftat en bloc als Analogon zu „Sprechakten mit Intentionen höherer Ordnung“ (S. 33), weshalb ihre Konstitutionsregeln „(…) den Kriterien der Zurechnung einer auf eine Verbindlichkeit bezogenen Willenserklärung zu entsprechen (…)“ hätten (S. 35). 302 Pointiert Kindhäuser, Intentionale Handlung, 198: „Der Wille will nicht etwas mit der Handlung, sondern in der Handlungszuschreibung wird ausgedrückt, welches Ergebnis das Handlungssubjekt herbeizuführen intendiert.“ Der Sache nach ebenso Jakobs, AT, 6/11 f.; s. auch bereits Hruschka, Strukturen, 13. 303 s. statt aller nur Flume, BGB AT/II, § 16 3 b (S. 310); Wolf/Neuner, BGB AT, § 35 Rn. 2 ff.; Medicus/Petersen, BGB AT, § 24 Rn. 323. 304 s. dazu nochmals die in der vorigen Fn. genannten Zivilrechtsautoren. 305 Der treffende Begriff stammt von Welzel, ZStW 58 (1939), 491 (503). 300

B. Die Regelung des § 25 und der allgemeine Täterbegriff

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im Recht, wenn sie konstatiert, dass nicht der Täter, sondern das Recht darüber zu entscheiden habe, unter welchen Prämissen ein Handlungsvollzug den Sinngehalt ,Vorsatz‘ ausdrückt. Ankerpunkt der strafrechtlichen Vorsatzbestimmung muss somit die Frage sein, unter welchen Prämissen man das subjektive Leugnen von Vorsatz als rechtlich irrelevante Privatinterpretation des Akteurs ausweisen kann.308 Hierzu ist in handlungssemantischer Hinsicht nach einer „allgemeinen praktischen Regel zweckrationalen Handelns“309 zu fragen, wie Puppe sie entwickelt und ausgearbeitet hat. Danach ist vorsätzliches Handeln gegeben, wenn der konkrete Handlungsvollzug eine (prinzipiell) „taugliche Methode zur Herbeiführung des tatbestandsmäßigen Erfolges“ ausdrückt.310 Damit wird in der Sache auf das teleologische Explikationsmodell des sog. „praktischen Syllogismus“311 zurückgegriffen. Hierbei handelt es sich um ein intersubjektiv vermitteltes Strukturmodell zweckrationaler Handlungsinterpretation, das für jeden Handlungssinngehalt sachgerecht ausgerichtet werden kann.312 Es basiert auf einer dreistufigen teleologischen Operation: Jemand intendiert etwas Bestimmtes zu realisieren (sog. „Intentionsprämisse“), überlegt die Handlung, die seines Wissens nach hierzu erforderlich ist (sog. „Wissensprämisse“) und macht sich nunmehr daran, diese Handlung vorzunehmen (sog. „Konklusion“).313 Dieses Modell der praktischen Deliberation lässt sich ohne Weiteres auch für die externe Zuschreibung unrechtlichen Handlungssinns fruchtbar machen: Will ich etwa einen anderen körperlich verletzen, so muss ich zu diesem Zweck eine nach allgemeiner Handlungserfahrung taugliche Verletzungsmethode wählen, d. h. ich muss z. B. gezielt mit der Faust zuschlagen. Betätige ich aber eine solche Verletzungsstrategie, so drückt diese im Umkehrschluss auch Verletzungsintentionalität 306 Das bedeutet freilich nicht, dass das Recht den semantischen Erklärungsgehalt „vorsätzlichen“ Handelns beliebig vorgeben könnte; s. eingehend dazu nachfolgend im Haupttext. 307 In: NK, § 15 Rn. 64 a.E., 85; s. auch bereits Herzberg, JuS 1986, 249 (262): „Es kommt für den Vorsatz nicht darauf an, ob der Täter eine erkannte Gefahr ernst genommen, sondern ob er eine ernst zu nehmende Gefahr erkannt hat.“; wie Puppe jetzt auch Jakobs, Rechtswissenschaft 2010, 283 (289). 308 I.d.S. zutr. Puppe, in: NK, § 15 Rn. 66 ff. 309 Puppe, in: NK, § 15 Rn. 69. 310 Eingehend zum Ganzen Puppe, in: NK, § 15 Rn. 69 ff., mit zahlreichen Beispielen zur konkreten Auflösung in Rn. 73 ff. 311 s. zum Begriff und seiner Erläuterung Kindhäuser, Intentionale Handlung, 146 ff. 312 Kindhäuser, Intentionale Handlung, 146 f. 313 s. zum Ganzen Kindhäuser, Intentionale Handlung, 146 ff. – Zur Klarstellung: Da es sich um eine Methode praktischer Deliberation handelt, verweist die Wissensprämisse auf die verstandesgemäße Anwendung praktischen Kausal- bzw. Erfahrungswissens (die als prinzipielle Gedankenoperation selbst beim grob unverständlichen Versuch i.S.d. § 23 III noch gegeben ist, da der Täter hier immerhin noch mit Kausalgesetzen hantiert); persönliche Sondervorstellungen über die Zweckrationalität irgendwelcher okkulten Rituale (etwa „Totbeten“ oder „Tothexen“) sind deshalb nicht intersubjektiv vermittelbar.

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2. Kap.: Täter als tatbestandsmäßig sich Verhaltender u. Handlungsbegriff

aus – unabhängig davon, welchen Sinn ich ihr privat zuschreibe.314 Geht man nach alledem davon aus, dass Handlungen stets eine bestimmte Zweckrationalität ausdrücken, so hat man mit dem Erklärungsmodell des praktischen Syllogismus ein allgemeingültiges Common-Sense-Verfahren zur Ermittlung bzw. Bestimmung dieser Zweckrationalität an der Hand. Zu berücksichtigen ist natürlich, dass das Modell des praktischen Syllogismus per se nur die allgemeine Struktur zweckrationalen Handelns intersubjektiv vermittelt. Welche Handlungen im Hinblick auf einen bestimmten Erfolg Zweckrationalität ausdrücken, wird also nicht automatisch mit gesagt. Damit ist ein theorieimmanentes Problem angeschnitten, das im Recht ebenso wie im sozialen Alltag auftritt, sofern man akzeptiert, dass die praktisch institutionalisierte Allgemeinsprache über Handlungen den konkret ausgedrückten Handlungssinn festlegt. Eine angemessene Lösung dieses Problems kann im sozialen Alltag wie im Recht nur darin liegen, dass man Zweckrationalität im Hinblick auf ein bestimmtes Handlungsresultat eben nur solchen Handlungen zuspricht, die sie auch evident ausdrücken, mit Puppe gesprochen: Das betreffende Handeln muss förmlich die Maxime ausdrücken, „(…) dass der Erfolg sein soll oder mind. sein darf“.315 Letzteres ist im Hinblick auf etliche strafrechtsrelevante Handlungserfolge praktisch unschwer feststellbar, da bereits der intentionale Vollzug der betreffenden Basis-Akte per se handlungssemantisch selbsterklärend ist:316 Wenn ich etwa auf jemanden einprügle oder ihm expressis verbis Gewalt androhe, wenn ich ein fremdes Auto ,ritze‘ oder ein fremdes Portemonnaie einstecke, dann figuriert mein Tun selbsterklärend als Körperverletzung, Nötigung, Sachbeschädigung bzw. Wegnahme. Anders liegen die Dinge jedoch, wenn es um (potentielle) unrechtliche Bedeutungsrelationen geht, die in ihrer handlungsmäßigen Expression nicht (ohne Weiteres) selbsterklärend sind, wie insbesondere beim Paradebeispiel des Tötungsvorsatzes.317 Gerade bei der Zuschreibung von Tötungsintentionalität ergibt sich die doppelte Schwierigkeit, dass hier zum einen seltener teleologisch selbsterklärende Handlungsvollzüge vorkommen318 und dass zum anderen vor der Fassung eines

314 Tendenziell i.d.S. wohl auch Kindhäuser (Intentionale Handlung, 150): „Das Wissen um die eigene Intention beruht nicht auf einer Innenschau eigener Zustände. Vielmehr ist die Intentionalität des Verhaltens selbst das Wissen (…).“ 315 Puppe, in: NK, § 15 Rn. 68; zust. Bung, Wissen, 267 f.; ähnlich jetzt auch Kindhäuser, Eser-FS (2005), 345 (354). 316 s. zu diesem Aspekt allgemein (d. h. ohne Bezug auf strafrechtsrelevante Erfolge) Kindhäuser, Intentionale Handlung, 150. 317 s. zu dieser Problematik instruktiv und mit zahlreichen Beispielen aus der Judikatur Puppe, in: NK, § 15 Rn. 90 ff. 318 Natürlich gibt es auch im Bereich der Tötungsdelikte praktisch selbsterklärende Intentionalität, so etwa dann, wenn jemand einen anderen durch einen gezielten Kopfschuss exekutiert, ein Bombenattentat ausführt oder als speziell ausgebildeter Kampfsportler spezielle Tötungstechniken anwendet.

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Tötungsentschlusses eine besondere innere Hemmschwelle stehen soll.319 In diesem Bereich bleibt daher letztlich nichts anderes übrig, als jeweils genau zu analysieren, ob der konkrete Handlungsvollzug (etwa ein brutales Zustechen mit einem Messer oder eine massive stumpfe Gewalteinwirkung auf den Kopf des Opfers) unter Einbeziehung sämtlicher situativer Handlungsumstände eine intentionale Tötungsmaxime ausdrückt oder ob dem Täter rechtlich ein Vertrauen auf das Ausbleiben des Erfolges zugute gehalten werden kann.320 Ebenso verfährt denn auch in der Sache die Rechtsprechung, die – obschon ,Vorsatz‘ traditionell als inneres Datum begreifend – die evidente Lebensgefährlichkeit bestimmter Handlungsvollzüge beweistechnisch als gravierendes Indiz für (inneren) Tötungsvorsatz wertet.321 Darin könnte man eine Kalamität erblicken insofern, als gerade im rechtsfolgenintensivsten Bereich des Strafrechts belastende normative Vorsatzzuschreibungen getätigt werden. Dem ist aber jedenfalls vom Standpunkt eines alltagsontologisch hergeleiteten intentionalen Handlungsbegriffs aus dezidiert entgegenzutreten: Denn erstens widerspräche es der Alltagsintuition fundamental, wenn Handlungen, die sich praktisch sinnvoll nur unter der Prämisse einer intentionalen Tötungsmaxime erklären lassen,322 rechtlich nicht ebenso bewertet werden könnten. Und zweitens muss nochmals betont werden, dass von vornherein nur das Recht – und nicht der Täter – den handlungssemantischen Gehalt der Bedeutungsrelation ,Vorsatz‘ verbindlich festzulegen hat.323 Deshalb kann rechtliche Vorsatzzuschreibung niemals realitätsersetzende täterbelastende Unterstellung (eines „inneren“ Vorsatzes) sein, sondern es geht gerade umgekehrt darum, dass das Recht seiner genuinen Vorsatzbestimmungsaufgabe auch und gerade dort nachkommen muss, wo sie den Rechtsanwender vor intrikate Probleme stellt. Damit bleibt für die Verfechter einer handlungssemantischen Vorsatzbestimmung nur noch eine Frage zu klären: Wie lässt sich das Modell einer intersubjektiv verbindlichen Handlungssinnexplikation mit dem aus § 16 abzuleitenden Postulat vereinbaren, dass vorsätzliches Handeln zumindest die kognitive Erfassung der gesetzlichen Tatbestandsmerkmale durch den Akteur selbst voraussetzt? Die Antwort folgt wiederum aus der normativen Anlage des intentionalen Handlungsbegriffs selbst: Sofern dem Akteur vorsätzliches Handeln zugeschrieben wird, liegt darin der Vorwurf, sich aktuell gegen das Rechtsgut(sobjekt) entschieden zu haben.324 Diesen rechtsfolgenintensiven Vorwurf kann der solchermaßen belastete Akteur in handlungssemantischer Hinsicht nicht durch eigene Privatinterpretation 319 s. zu dieser zweifelhaften „Hemmschwellentheorie“ des BGH Puppe, in NK, § 15 Rn. 94 ff. m.w.N. 320 So zutr. Puppe, in: NK, § 15 Rn. 73 ff. m. Rn. 67 f. 321 s. dazu nur BGH NStZ 2003, 431 (431); NStZ 2012, 384 (386 f.). 322 Vgl. dazu nochmals die Konstellationen der in der vorigen Fn. genannten Judikate. 323 Puppe, in: NK, § 15 Rn. 64 a.E., 85; Jakobs, Rechtswissenschaft 2010, 283 (289). 324 So die in der Sache zutr. Begrifflichkeit bei Roxin, AT/I, § 12 Rn. 22 ff.; s. auch Otto, AT, § 7 Rn. 36 („Angriff auf die geschützten Rechtsgüter“).

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2. Kap.: Täter als tatbestandsmäßig sich Verhaltender u. Handlungsbegriff

entkräften. Deshalb setzt ein gerechtes Zuschreibungsverfahren (im sozialen Alltag und erst recht im rechtsfolgenintensiven Strafrecht) zumindest voraus, dass der Akteur sein Tun im Entscheidungszeitpunkt kognitiv (d. h.: sprachlich) überhaupt irgendwie mit der Möglichkeit eines Erfolgseintritts assoziiert hat.325 Nur wenn auch der Akteur selbst überhaupt einen sprachlichen Bezug zwischen seinem Tun und dem zuschreibungsgegenständlichen Erfolg hergestellt hat, kann die allgemeine Handlungssemantik den intensionalen Gehalt der Handlung rechtsverbindlich festlegen. Und nur dann kommt dem Akteur auch die erhöhte Vermeidemacht326 zu, die für die „Vermeibarkeitsform“327 Vorsatz in tatsächlicher Hinsicht charakteristisch ist. Anders als im Zivilrecht, wo die Zurechnung eines Erklärungstatbestandes als Willenserklärung kein aktuelles Erklärungsbewusstsein voraussetzt,328 erfordert ein faires Verfahren unrechtlicher Handlungssinnattribution daher zumindest ein prinzipielles „Handlungsbedeutungsbewusstsein“ des Akteurs.329 Ob ein solches Bedeutungsbewusstsein in concreto gegeben war, ist, da es sich insofern um eine existentielle Beziehung zum Erklärungstatbestand handelt, im Zweifel im Rahmen eines forensischen Beweisverfahrens zu klären.

325

I.d.S. klarstellend auch Puppe, in: NK, § 15 Rn. 70. s. dazu nur Frisch, Vorsatz, 103; Otto, AT, § 7 Rn. 26 f.; Jakobs, AT, 6/12, 9/4; Puppe, in: NK, Vor §§ 13 Rn. 246 sowie § 15 Rn. 77. 327 Die Terminologie stammt von Jakobs, AT, 9/4. 328 BGHZ 91, 324; 109, 171 (177); Brox/Walker, BGB AT, § 6 Rn. 85 u. 137. 329 Die substantiierte Einlassung, er habe die Erfolgsmöglichkeit übersehen, kann dem Akteur also normativ nicht abgeschnitten werden. Dies kann im Einzelfall zu axiologischen Inkonsistenzen führen, wie Jakobs (AT 8/22) zutreffend herausgestrichen hat: „Wem restlos jede Lust zum Nachdenken fehlt und wer auch nicht zum Nachdenken gezwungen wird, denkt nicht nach und erkennt deshalb nichts jenseits dessen, was sowieso vor seinem Auge steht.“ Klar ist, dass solche Extremfälle den materialen Gehalt der Vermeidbarkeitsform „Vorsatz“ aufweisen können. Diese Einsicht hat in neuerer Zeit Jakobs selbst dazu bewogen, die klassische Lehre vom dolus indirectus wiederzubeleben: Wo das Fehlen der Erfolgsvorstellung nur als Ausdruck der Gleichgültigkeit des Täters gegenüber dem betroffenen Rechtsgut verstanden werden könne, da sei das individuelle Wissen durch ein Wissen-Müssen zu ersetzen (Jakobs, ZStW 114 [2002], 584 ff.; ders., Rudolphi-FS [2004], 107 ff.; ders., Rechtswissenschaft 2010, 283 [304 ff.]). Doch ist die Verfolgung dieses Anliegens – bei aller Nachvollziehbarkeit de lege ferenda – de lege lata unmöglich, da offensichtlich täterbelastende Analogie (so statt vieler Vogel, GA 2006, 386 [388 f.]; Puppe, in: NK, § 15 Rn. 70). Jakobs selbst (ZStW 114 [2002], 584 [597] f.); ders., Rechtswissenschaft 2010, 283 [308 f.]) sieht das freilich anders: § 16 I 1 sei richtigerweise dahingehend zu interpretieren, dass er nur die irrtumsbedingte Tatsachenunkenntnis erfasse. Wer der Vorschrift auch die Unkenntnis von Tatbestandsmerkmalen subsumieren wolle, deren Verwirklichung für den Täter schlechthin entscheidungsunerheblich sei, der vernachlässige das oberste Gebot objektiver Interpretation, nämlich Gesetze so auszulegen, dass sich konsistente Ergebnisse einstellten. – Jakobs übersieht, dass der „Herrschaft der Teleologie“ im Strafrecht durch den Nullum-Crimen-Satz klare Grenzen gezogen sind, über die sich die Hermeneutik nicht hinwegsetzen darf. Insofern ist daher die harsche Kritik Vogels (GA 2006, 386 [388 f.]) durchaus angemessen: Jakobs’ Auffassung desavouiere das Gesetz offen und impliziere eine „flagrante Verletzung“ des Art. 103 II GG, da sie hinter dem Wortlaut des § 16 I 1 zurückbleibe und somit gegen das Verbot der Gegenanalogie verstoße. 326

B. Die Regelung des § 25 und der allgemeine Täterbegriff

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Damit man das Leugnen von Vorsatz zum Privatsprachenproblem des Handelnden deklarieren kann, müssen folglich zwei Voraussetzungen erfüllt sein: Erstens muss ein intentionaler Handlungsvollzug vorliegen, der intersubjektiv (offensichtlich) Zweckrationalität im Hinblick auf den zugeschriebenen tatbestandsmäßigen Erfolg ausdrückt. Zweitens muss der Akteur die Gefahr des Eintritts dieses tatbestandsmäßigen Erfolgs irgendwie kognitiv erfasst, wenn auch nicht zwingend reflektiert haben. Liegen die Dinge so, dann entscheidet allein das allgemeine Handlungsinterpretament über den Erklärungssinn, den das Tun unter den gegebenen Umständen ausdrückt; der Akteur kann sich nicht auf seine Privatinterpretation berufen. Folglich existieren für die rechtsverbindliche Zuschreibung von Vorsatz fünf Szenarien, die kurz am praktisch brisanten Beispiel einer intentionalen Tötungshandlung illustriert seien: Erstens: Der Akteur selbst bezweckt die Tötung eines Menschen und sein Verhalten drückt den Sinn dieser Zweckrationalität auch intersubjektiv aus (Bsp.: A will B durch einen Kopfschuss töten und tut dies auch) – intentionale Tötungshandlung. Zweitens: Der Akteur setzt sein Tun, das intersubjektiv eine Tötungsstrategie ausdrückt, (sach-)gedanklich in Bezug zum tatbestandsmäßigen Erfolg, ohne sich selbst Tötungsintentionalität zu attestieren (Bsp.: T will O bewusstlos würgen, um danach in Ruhe dessen Haus ausräumen zu können; er erkennt, dass O bei der Aktion „draufgehen“ könnte, was er auf keinen Fall wünscht; dennoch würgt er O solange, bis dieser keine Gegenwehr mehr leistet; O verstirbt) – intentionale Tötungshandlung. Drittens: Der konkrete Handlungsvollzug drückt trotz qualifizierter Erfolgsgefährlichkeit ausnahmsweise ein ernstliches Vertrauen auf das Ausbleiben des Verletzungserfolgs (und damit eben keine Zweckrationalität) aus330 (Bsp: Bankräuber B hält mit unverminderter Geschwindigkeit auf den Halt gebietenden Polizeibeamten P zu, um ihn von der Straße zu vertreiben; er hält eine tödliche Kollision zwar für möglich, vertraut jedoch erfahrungsgemäß darauf, dass P rechtzeitig zur Seite springen wird) – keine intentionale Tötungshandlung. Viertens: Das allgemeine Handlungsinterpretament kommt ausnahmsweise erst gar nicht zu einer für den Täter verbindlichen Anwendung, da es im Täterbewusstsein an einem kognitiven Minimalwiderhall fehlt (Bsp.: Der jähzornige J drischt mit einem schweren Gegenstand affektiv auf den Kopf des Provokateurs P ein, ohne die evidente Tötungstauglichkeit seiner schweren, gegen den Kopf geführten Hiebe überhaupt wahrzunehmen) – keine intentionale Tötungshandlung. Fünftens: Der Täter will einen Menschen töten, doch drückt sein Handeln intersubjektiv (noch) keine Tötungsmaxime aus (Bsp.: Wilderer W schießt in der Dunkelheit wahllos in ein weitläufiges Waldstück

330 s. dazu Puppe, in: NK, § 15 Rn. 67 f., die klarlegt, dass auch dieser Entlastungsaspekt (Vertrauen ins Ausbleiben des Erfolgs) allein als semantische Expression des Handlungsvollzugs interessiert: Verringere etwa der Fahrzeugführer beim Zufahren auf den Halt gebietenden Beamten zunächst seine Geschwindigkeit, beschleunige dann aber kurz vor dem Aufeinandertreffen wieder, so liege darin die Expression einer Verletzungsmaxime (a.a.O., Rn. 76).

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2. Kap.: Täter als tatbestandsmäßig sich Verhaltender u. Handlungsbegriff

hinein, in der Hoffnung, den ihm verhassten Jäger J, der sich irgendwo darin befindet, tödlich zu treffen) – keine intentionale Tötungshandlung.331 (2) Intentionen höherer Ordnung und praktische Handlungsexplikation Vorsatz und Fahrlässigkeit sind handlungssemantische Deutungsmuster erster Ordnung, anhand derer wir die allgemeine Unrechtsqualität rechtsgutsbezogener intentionaler (Basis-)Handlungsvollzüge intersubjektiv interpretieren. Sie bezeichnen also (kategorial!) verschiedene (Interpretations-)Arten einer Geschehenskontrolle nach Maßgabe intentionaler Vermeidbarkeit.332 Darüber hinaus existieren aber auch „Intentionen höherer Ordnung“, die die Kontrolle eines Geschehens „nach Maßgabe normativer Präferenzen“ bezeichnen.333 Diese Kontrolle ist „(…) abhängig von den Fähigkeiten einer Person, die Realität in der Orientierung an ein Sollen zu gestalten, insbesondere sich normativen Handlungsanforderungen gemäß zu verhalten“334.

Ihr kommt daher sowohl im Rahmen der sittlich-bürgerlichen Verhältnisse als auch im Rahmen des Schuldstrafrechts die entscheidende, weil eigentlich handlungsleitende, Bedeutung zu. Den konstitutionellen Intentionalzustand höherer Ordnung kann man mit Kindhäuser335 als „Motivationsfähigkeit“ einer Person bezeichnen, die von der intentionalen Handlungs- bzw. Vermeidefähigkeit erster Ordnung abzuheben ist. Motivationsfähigkeit ist danach „(…) die Fähigkeit zur Realisierung der jeweils alternativen Intention um der Normbefolgung willen“336. Bestehen in concreto Zweifel an der konstitutionellen Motivationsfähigkeit einer Person, so müssen diese – ebenso wie Zweifel an der konstitutionellen Handlungsfähigkeit erster Ordnung – forensisch ausgeräumt werden. 331 Letztgenanntes Ergebnis ist nicht nur notwendige Konsequenz einer normativen Vorsatzbestimmung, sondern auch sachlich richtig, wie Puppe (in: NK, § 15 Rn. 78 ff.) herausgearbeitet hat. 332 Zur Klarstellung: Tatsachenfahrlässigkeit ist nicht bloß ein „Zurechnungssurrogat“, d. h. die Verletzung einer internen Obliegenheit, sich vermeidefähig zu halten, die die Berufung auf eine spätere Vermeideunfähigkeit abschneidet (so aber Kindhäuser, Gefährdung, 92 ff., 222, 268; ders., GA 1994, 197 [208]; ders., Bemmann-FS [1997], 339 [342, 345]; ders., in: EzR, Handlung, Rn. 68). Vielmehr geht es um den selbständigen Vorwurf, die gesellschaftlichen Sorgfaltsstandards beim Handeln nicht erinnert und/oder korrekt angewendet zu haben. Vorgeworfen wird also das unsorgfältige Handeln, nicht die Beschneidung der eigenen Handlungsfähigkeit, was bedeutet: Fahrlässigkeit ist eine eigenständige Vermeidbarkeitsform und damit auch eine (rechtlich) selbständige Intentionalität erster Ordnung (so zutr. etwa Jakobs, AT 6/11 Fn. 43 a.E.); s. zur ausführlichen Auseinandersetzung mit Kindhäusers Normentheorie und insbesondere seinem Obliegenheitsmodell noch unten, S. 249 ff. 333 Kindhäuser, in: EzR, Handlung, Rn. 44. 334 Kindhäuser, in: EzR, Handlung, Rn. 44. 335 In: GA 1994, 197 (201) sowie in: EzR, Handlung, Rn. 47. 336 Zitat wiederum nach Kindhäuser, in: EzR, Handlung, Rn. 45.

B. Die Regelung des § 25 und der allgemeine Täterbegriff

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Von der konstitutionellen Motivationsfähigkeit zu unterscheiden ist die Zuschreibung aktueller intellektueller Unrechtseinsicht. Sie folgt – wie schon die Vorsatzzuschreibung erster Ordnung – dem Modell der teleologischen Handlungssinninterpretation: Hat der Akteur zumindest mit der Möglichkeit gerechnet, Unrecht zu verwirklichen (was im Zweifel wiederum Tatfrage ist), so wird ihm aktuelle Vorsatzschuld zugeschrieben. Kann ihm eine solche Möglichkeitsvorstellung nicht nachgewiesen werden, so sieht allerdings § 17 S. 2 ein „Zurechnungssurrogat“337 vor: Konnte der Akteur die Situation der Tatbestandsverwirklichung im Vorfeld prognostizieren und hat es dennoch obliegenheitswidrig unterlassen, sich die erforderliche Unrechtseinsicht zu verschaffen, so bleibt der Vorwurf vorsatzschuldhaften Handelns bestehen. Dieses Zurechnungssurrogat der Vermeidbarkeit, das strafbegründungsrechtlich den vollen Vorsatzschuldvorwurf trägt, bezieht seine Legitimation vor allem im Kernstrafrecht aus der kultursprachlich vermittelten „Appellfunktion des Tatbestandsvorsatzes“338. (3) Komplexe Ich-Intentionalität, Wir-Intentionalität und praktische Handlungsexplikation Mittelbare Täterschaft und Mittäterschaft (im Strafrecht: §§ 25 I Alt. 2, II) sind besondere Modi einer aus sich selbst heraus rechtsgutsbezogenen Intentionalität erster Ordnung, d. h. besondere Arten eines originären intentionalen „Rechtsgutszugriffs“339. Daher folgt die handlungstheoretische Zuschreibung dieser speziellen Begehungsweisen denselben Interpretationsregeln wie die Zuschreibung einfacher rechtsgutsbezogener Ich-Intentionalität erster Stufe: Wer den Willen objektiviert, die Tätigkeit eines anderen Menschen zur Verwirklichung eines eigenen komplexen Rechtsgutszugriffs zu instrumentalisieren, dem wird eine komplexe ich-intentionale (= mittelbar-täterschaftliche) Basis-Handlung erster Ordnung zugeschrieben. Das gilt auch dann, wenn die Instrumentalisierungsintentionalität sich erst aus der subjektiven Einsicht in Wertzusammenhänge höherer Ordnung ergibt.340 Wer dagegen 337

Kindhäuser, Bemmann-FS (1997), 339 (342, 345). Die Formulierung findet sich erstmals bei Naka, JZ 1961, 210 (210 ff.); der materiale Gedanke selbst ist freilich älter (vgl. etwa nur Welzel, ZStW 67 [1955], 196 ff.). 339 Der treffende Begriff stammt von Heinrich (Rechtsgutszugriff, 99 ff., 124 ff.), wird hier allerdings in einem engeren als dem dort verwendeten Sinne gebraucht: Nach hiesigem Verständnis meint „Rechtsgutszugriff“ nicht „täterschaftliche Tatbegehung“ in einem „neutralen“, Vorsatz- und Fahrlässigkeit umspannenden Sinne (so aber Heinrich, Rechtsgutszugriff, 127 ff., 134), sondern ausschließlich vorsätzlichen „Dezisivzugriff“ (s. auch zu diesem Terminus Heinrich, a.a.O., 140 f., der ihn jedoch als engeren Unterbegriff ansieht). Die Termini Rechtsguts- und Dezisivzugriff stehen also nach hiesiger Lesart synonym dafür, dass – mit Heinrich (a.a.O., 140) gesprochen – „(…) jemand aufgrund bzw. im Zuge entsprechender Entscheidung auf ein Rechtsgut zugreift (…)“. 340 Obwohl die Instrumentalisierung anderer Handlungssubjekte zur Rechtsgutsverletzung von der Einsicht in das materiale Substrat höherer Intentionalität abhängen kann (so z. B. bei Einspannung von Kindern oder im Verbotsirrtum befindlichen Personen), bleibt der rechtsgutsbezogene Instrumentalisierungsvorsatz als solcher eine Intention erster Ordnung; s. dazu unter dem Blickwinkel der Tatherrschaft bereits Roxin, TuT, 332 ff. 338

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2. Kap.: Täter als tatbestandsmäßig sich Verhaltender u. Handlungsbegriff

durch sein Verhalten intersubjektiv eine „wir-intentionale“341 Verletzungsmaxime ausdrückt, der betätigt ein mittäterschaftliches Handlungsprogramm. (4) Zusammenfassung Damit ist das Verfahren der Handlungsattribution grosso modo umschrieben. Das hierbei auftretende Problem der Diskrepanz von interner Eigen- und externer Fremdinterpretation konnte dort, wo es um reine Handlungssinnzuschreibung geht, als bloßes Privatsprachenproblem des Akteurs lokalisiert werden. Soweit grundlegend der intentionale Vollzug einer bestimmten Basis-Handlung vorgeworfen wird, bestehen nur wenige Entlastungsmöglichkeiten: Der des Handelns beschuldigte Akteur kann allenfalls seine Handlungs- bzw. Vermeidefähigkeit bestreiten (oder von vornherein seine Täteridentität); tut er dies, so ist die existentielle Frage der Handlungsfähigkeit (bzw. der Täteridentität) forensisch zu klären. Weist die konkret vorgeworfene Basis-Handlung nach allgemeinem Handlungsinterpretament rechtsgutsbezogenen Fahrlässigkeitssinn auf, so ist der Akteur an diese Handlungssinninterpretation gebunden; die Interpretation eines Handelns als (objektiv) ,fahrlässig‘ orientiert sich von vornherein daran, ob die allgemeinen gesellschaftlichen Sorgfaltsstandards beim Handeln eingehalten wurden. Entsprechendes gilt aber mutatis mutandis auch für die Zuschreibung rechtsgutsbezogenen Vorsatzssinns: Drückt der konkrete Handlungsvollzug Zweckrationalität im Hinblick auf den als intentionales Objekt zugeschriebenen Handlungserfolg aus, so entscheidet ausschließlich die handlungssemantische Auslegung des Rechts über den Bedeutungsgehalt des Handelns als vorsätzlich. Zu beachten ist allerdings, dass dem Akteur im Vorsatzbereich die Entscheidung gegen ein Rechtsgut vorgeworfen wird, ohne dass er diese Zuschreibung in handlungssemantischer Hinsicht zu entkräften vermag; deshalb erfordert ein „faires“ Zuschreibungsverfahren hier zumindest, dass der Akteur selbst sein Tun sprachlich überhaupt irgendwie mit der Möglichkeit eines Erfolgseintritts konnotiert hat; ob ein solcher prinzipieller Bezug in der Täterpsyche hergestellt wurde, ist dann im Zweifel wiederum Tatfrage. Die gleichen Grundsätze gelten auch für die Zuschreibung von Intentionalität höherer Ordnung: Soweit dem Akteur unterstellt wird, konstitutionell in der Lage gewesen zu sein, die jeweils alternative Intention um der Normbefolgung willen zu bilden und zu ergreifen, steht die individuelle Motivationsfähigkeit als existentieller Intentionalzustand höherer Ordnung in Rede. Bestehen diesbezüglich Zweifel, so sind diese forensisch zu klären. Demgegenüber geht es bei der Zuschreibung aktueller Unrechtseinsicht wieder um Handlungssinnexegese: Hat der Akteur zumindest mit der Möglichkeit gerechnet, Unrecht zu verwirklichen (= Tatfrage), so muss er sich an der ihm zugeschriebenen Unrechtshandlung festhalten lassen. Kann ihm eine solche Möglichkeitsvorstellung nicht nachgewiesen werden, so sieht das geltende

341

Zum materialen Gehalt solcher „Wir-Intentionalität“ s. ausführlich noch unten, S. 504 ff.

B. Die Regelung des § 25 und der allgemeine Täterbegriff

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Strafrecht jedoch in § 17 S. 2 das Zurechnungssurrogat der Vermeidbarkeit vor, das sich aus der Appellwirkung des Tatbestandes legitimiert. Mittelbare Täterschaft und Mittäterschaft (§§ 25 I Alt. 2, II) sind besondere Modi einer eo ipso rechtsgutsbezogenen (Vorsatz-)Intentionalität erster Ordnung. Die Handlungsattribution folgt hier demselben Muster wie die Explikation einfacher IchIntentionalität: Drückt ein Handlungsvollzug komplexe rechtsgutsbezogene IchIntentionalität aus, so wird eine mittelbar-täterschaftliche Basis-Handlung erster Ordnung zugeschrieben; drückt ein Handlungsvollzug rechtsgutsbezogene Wir-Intentionalität aus, so wird (jeweils singulär!) eine mittäterschaftliche Basis-Handlung zugeschrieben. Damit dürfte das „große Ganze“ des Attributionsverfahrens klar geworden sein. Sofern im weiteren Verlauf der Arbeit ohne besondere Zusätze weiterhin von Intentionalität die Rede ist, wird hiermit eine nach diesen Regeln feststehende Intentionalität assoziiert. b) Prinzipielle Offenheit des intentionalen Handlungsbegriffs „nach oben hin“ und Grenzen des allgemeinen Handlungsinterpretaments bei Beteiligung mehrerer Personen Elementarer Baustein der rechtlichen Handlungszuschreibung im Bereich des aktiven Tuns ist wie gesehen der intentionale Vollzug eines Basis-Aktes. Dieser elementare Basis-Akt kann mit Kindhäuser umschrieben werden als „(…) ein entscheidbares Tun, durch das der Handelnde in der Lage ist, ein Ereignis herbeizuführen“342. Intentionen geben dabei die konkreten Sinndimensionen an, in die ein solches Basis-Handeln vom Akteur selbst bzw. einem externen Beobachter derselben Sprachgemeinschaft gestellt werden kann.343 Daraus folgt eine wesentliche Einsicht: Die intentional vollzogene (d. h. kontrollierte oder jedenfalls kontrollierbare) Körperbewegung ist zwar Konstituens und Bedeutungsträger, nicht aber Definiens von (aktiver) „Handlung“ i.S.e. abschließenden Begriffsbestimmung.344 Wenn Intentionen den Sinnzusammenhang angeben, in die ein Basis-Handeln von einem Akteur bzw. einem außenstehenden Betrachter konkret gestellt wird, dann muss der intentionale Handlungsbegriff naturgemäß „nach oben hin offen“ sein für die Einbeziehung jeder sozial relevanten Sinndimension, in die ein Tun qua Intentionalität gestellt werden kann. I.d.S. kann z. B. das Krümmen des Fingers am Abzug einer Waffe ganz unterschiedliche intentionale (Basis-)Handlungen verkörpern, je nachdem, ob nur am Abzug gespielt, willkürlich gefeuert oder auf ein ganz bestimmtes

342 Kindhäuser, Intentionale Handlung, 175; i.E. übereinstimmend Puppe, in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 61. 343 Kindhäuser, Intentionale Handlung, 151. 344 Kindhäuser, Intentionale Handlung, 161 ff.

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2. Kap.: Täter als tatbestandsmäßig sich Verhaltender u. Handlungsbegriff

Ziel geschossen werden soll. Jeder dieser Interpretationen entspricht jeweils eine andere, nicht-identische, intentionale Handlung.345 Das zeitigt zunächst Konsequenzen für die Abgrenzung von Vorsatz- und Fahrlässigkeitstat: Die unter der Vorsatztat gewählte Zuschreibung (z. B. Tötungsintentionalität) betrifft nicht nur ein anderes „intentionales Abbruchkriterium“346 bzw. einen anderen Zweig des „topologischen Handlungsbaumes“347 als die unter der Fahrlässigkeitstat gewählte Zuschreibung (z. B. Spielen am Abzug oder zielloses Abfeuern einer Waffe), sondern beide Handlungsarten sind auch ihrem materialen Sinngehalt nach verschieden. Aus diesem Grunde können Vorsatz- und Fahrlässigkeitstat abgesehen vom elementaren Erfordernis eines intentionalen BasisHandlungsvollzuges keinen gemeinsamen handlungsunrechtlichen Nenner haben. Insbesondere ist es nicht möglich, die Tatbestandshandlung für beide Deliktsarten einheitlich zu bestimmen i.S.e. gemeinsamen objektiven „Tatbestandshandlung“, zu der dann im Vorsatzbereich bloß noch Vorsatz hinzukommen müsse.348 Die Krankenschwester, die dem Patienten versehentlich eine tödlich wirkende Injektion verabreicht, begeht keine Tötungshandlung, auch wenn sie nach den rechtlichen Zurechnungskriterien des Fahrlässigkeitsdelikts als Akteurin für den Tod des Patienten verantwortlich gemacht werden kann.349 Was wir der Krankenschwester vorwerfen, ist weder eine „objektiv-tatbestandliche“ Tötungshandlung350 noch die vermeidbare Nichtvermeidung einer „Tatbestandsverwirklichung“ i.S.d. Tötungsdelikte351. Vorwurfsgegenstand ist vielmehr die sorgfaltswidrige Vornahme einer Injektion, die aufgrund ihrer Sorgfaltswidrigkeit personale Verantwortung für die konkret eingetretene Rechtsgutsverletzung begründet.352 Vorsatz- und Fahrlässigkeitstat betreffen material verschiedene Akt-Kategorien. Eine von der konkreten Intentionalität losgelöste „(objektive) Tatbestandsverwirklichung“ (konkret: i.S.d. 345 s. allgemein zum Problem der „Identität von Handlungen“ aus sprachphilosophischer Sicht Kindhäuser, Intentionale Handlung, 159; pointiert jetzt auch der ders., in: EzR, Handlung, Rn. 21 f. 346 Der Begriff stammt von Kindhäuser, Intentionale Handlung, 183. 347 Zu diesem treffenden Bild Kindhäuser, in: EzR, Handlung, Rn. 55. 348 So aber expressis verbis Roxin, AT/I, § 11 Rn. 46; krit. zu diesem Modell einer fachsprachlich gestaffelten Zurechnung Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 77 ff. 349 A.A. Kindhäuser, Intentionale Handlung, 189. 350 s. zu diesem gestaffelten Modell personaler Zurechnung allgemein Roxin, AT/I, § 11 Rn. 46. 351 Vgl. zu letzterem Obliegenheitsmodell allgemein Kindhäuser, Gefährdung, 92 ff., 222, 268; ders., GA 1994, 197 (208); ders., Bemmann-FS (1997), 339 (342, 345); ders., in: EzR, Handlung, Rn. 68. 352 Vgl. allgemein Zielinski, Unrechtsbegriff, 155. – Schon Armin Kaufmann (Normentheorie, 120) hatte früh darauf hingewiesen, dass der Bereich des fahrlässigen Handelns einen anderen Normgegenstand betreffe als derjenige des vorsätzlichen Handelns. Im Anschluss daran hat dann Zielinski die „(…) unrechtstypisierenden Tatbestände, die das sorgfaltswidrige Verhalten beschreiben (…)“ (Unrechtsbegriff, 155) erstmals grundlegend herausgearbeitet und normentheoretisch valide analysiert (a.a.O., 168 ff.).

B. Die Regelung des § 25 und der allgemeine Täterbegriff

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§§ 212, 222), die sowohl dem Fahrlässigkeits- als auch dem Vorsatzdelikt zugrunde liegen soll, kann es daher nicht geben. Ein solches Dogma erweist sich als fachsprachlich-nivellierendes Konstrukt, das die materiale Differenz im Handlungsunrecht und die darauf beruhenden Unterschiede in der jeweiligen Tatbestandsfassung (konkret: § 212 regelt das Töten eines Menschen, § 222 „nur“ eine Todesverursachung durch Fahrlässigkeit) überspielt.353 Die grundlegende Einsicht, dass im Hinblick auf ein und dasselbe Außenweltereignis verschiedene nicht-identische Handlung(sinterpretation)en vorliegen können,354 erlangt aber vor allem auch Bedeutung für die Handlungszuschreibung beim Zusammenwirken mehrerer Subjekte: Auch wenn eine Rechtsgutsverletzung äußerlich von einem anderen bewirkt wird, kann ich selbst immer noch unter der Zuschreibung einer nicht-identischen intentionalen Handlung für sie verantwortlich gemacht werden, sofern ich nach einem allgemeingültigen Interpretationsmuster komplexer intentionaler Selbstverwirklichung verfahre (Bsp.: A ermutigt seinen kurzsichtigen Freund B, mit dem Gewehr auf einen vermeintlichen Baumstumpf zu schießen, den er selbst als Menschen identifiziert hat – sorgfaltswidrige intentionale Schusswaffenbenutzung des B, komplexe intentionale Tötungshandlung des A). Wenn man also so will, führt der intentionale Handlungsbegriff den finalen auf seinen eigentlichen Ursprung zurück: Die Suggestivkraft der praktisch institutionalisierten Handlungserfahrung war wohl derart stark, dass der Handlungsbegriff von den Finalisten unwillkürlich zu sehr vergegenständlicht wurde.355 „Handlung“ ist aber kein irreduzibles „Ding an sich“, sondern eine Tatsache bzw. ein Sachverhalt unter einer interventionistischen Selbstinterpretation.356 Diese Einsicht zeitigt den positiven Effekt, dass der finale Handlungsbegriff von seinen ontologischen Prämissen befreit werden kann.357 Der „natürliche Verwirklichungswille“ oder die „natürliche Finalität“, wie sie die finale Handlungslehre postuliert, limitieren den Handlungsbegriff nicht aus sich heraus.358 Vielmehr sind Intentionen selbst stets relativ unter einer Zuschreibung.359 Demnach ist die Entfaltung eines mehrdimensionalen strafrechtlichen Tatbestandshandlungsbegriffs nicht nur denkbar, sondern sogar geboten: Bei handlungsmäßiger Mitwirkung mehrerer Subjekte an ein und derselben Rechtsgutsverletzung ist eine Zuschreibung verschiedener nicht-identischer, einfacher und komplexer Tatbestandshandlungen möglich. 353

So zutr. Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 79 ff., 90 ff., 111 ff. Kindhäuser, Intentionale Handlung, 159 ff.; ders., in: EzR, Handlung Rn. 21 f. 355 Natürlich bleibt der finale Handlungsbegriff strukturell maßgeblich; zu betonen ist bloß, dass „Finalität“ als „Resultat eines vorausliegenden Reflexionsprozesses“ nur intersubjektiv aufgefasst werden kann (so zutr. Paeffgen/Zabel, in: NK, Vor §§ 32 ff. Rn. 96). 356 s. dazu Puppe, in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 55; auch Kindhäuser, Intentionale Handlung, 131, 139, 206 f. 357 So im Rückblick auf seine ehemalige Konzeption zutr. Kindhäuser, Gefährdung, 25. 358 Kindhäuser, Intentionale Handlung, 187 – 189. 359 Kindhäuser, Intentionale Handlung, 158. 354

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2. Kap.: Täter als tatbestandsmäßig sich Verhaltender u. Handlungsbegriff

c) Intentionale Handlung und Kausalität Der intentionale Handlungsbegriff basiert auf der Erkenntnis, dass der Mensch sich nicht bloß als psychomotorischer Verursacher seiner Körperbewegungen erlebt, sondern sich (nach seiner Eigeninterpretation) selbst in ihnen als seinem Verhalten verwirklicht.360 Demnach ist „(…) das aktive Planen und Handeln des Menschen (…) nicht kausal determiniert, sondern dem Modell der Kausalität liegt umgekehrt die Vorstellung des Planens und Handelns zugrunde“361.

Der Mensch erfährt sein Verhalten nicht als einen primitiven Ursache-WirkungsMechanismus, sondern seine selbstreferentielle Eigeninterpretation ist die eines produzierenden Subjekts.362 Ist aber „Handlung“ nach unserer praktisch institutionalisierten Alltagserfahrung die „Interpretation einer intentionalen Selbstverwirklichung“,363 dann muss zwischen diesem sozialontologischen Interpretationsmodell und dem „naturwissenschaftlichen“ Kausalerklärungsmodell zumindest gedanklich scharf differenziert werden: Der Kausalzusammenhang beschreibt die Verknüpfung kontingenter Ereignisse unter dem Aspekt beobachtungssprachlich abgesicherter „Naturgesetzmäßigkeiten“; insofern ist also zu prüfen, ob zwischen dem unmittelbaren „Output“ eines Subjekts und einem strafrechtsrelevanten Erfolg eine gesetzmäßige Kausalbeziehung besteht, ob also dieses Basis-Handeln hinreicht, um das betreffende Ereignis ceteris paribus herbeizuführen.364 Im interpretatorischen Handlungszusammenhang dagegen wird die begriffliche Relation zwischen Basis-Akt und Handlungsergebnis unter dem Aspekt der (teleo)logischen Bedeutung analysiert. Hier ist also zu fragen, wie die Basis-Handlung des Akteurs ihrem Sinngehalt nach zu interpretieren ist.365 Diese Distinktion bedarf der näheren Erläuterung und terminologischen Zuspitzung. aa) Real- und sozialontologische Handlungskomponente Dem Kausalbegriff liegen beobachtungssprachlich gesicherte Erfahrungssätze zugrunde; er beruht also auf der sinnlichen Erfassung unserer Umwelt und ihrer „Gesetzmäßigkeiten“. Diese sinnliche Wahrnehmung ist freilich keine „Wesensschau“, da unsere Sinnesorgane bekanntlich nicht auf absolute Welterkenntnis

360 361 362 363 364 365

Kindhäuser, Intentionale Handlung, 129 ff. (152). Kindhäuser, Intentionale Handlung, 206. Kindhäuser, Intentionale Handlung, 207. Kindhäuser, Intentionale Handlung, 207. Kindhäuser, Intentionale Handlung, 207. Kindhäuser, Intentionale Handlung, 207.

B. Die Regelung des § 25 und der allgemeine Täterbegriff

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ausgelegt sind.366 Doch liefern sie uns immerhin ein Modell von Realität, das uns befähigt, für diese „modellabhänige Realität“367 allgemeine Gesetzmäßigkeiten zu formulieren. Demnach kann man den Kausalzusammenhang als die „realontologische Komponente“ einer erfolgreichen Handlung bezeichnen; realontologisch deshalb, weil der festgestellte Zusammenhang die Ursächlichkeit der Handlung nicht anhand eines seinsmäßigen Wirkgesetzes der Kausalität beschreibt, sondern eben anhand eines beobachtbaren Erfahrungssatzes, der für „unsere“ modellabhängige Realität gilt. Der Zusatz „real-“ impliziert also, dass es sich bei dem Wahrgenommenen um unsere, d. h. die vom Menschen sinnlich fassbare, Realität handelt. Demgegenüber versucht der intentionale Handlungsbegriff die Voraussetzungen zu explizieren, unter denen wir ein Verhalten im sozialen Alltag teleologisch als Handlung (von bestimmter Intentionalität) interpretieren und zuschreiben. Dem liegt die – zutreffende – Vorstellung zugrunde, dass ein ontologisch vorgegebenes „Wesen“ der Handlung ebenso wenig existiert wie eine wissenschaftlich abgeschlossene Definition von Handlung: Es ist unmöglich, unsere Beobachtungssprache für Verhalten interpretationsfrei zu gestalten, da wir insofern auf keinen interpretationsfreien „Elementarbaustein des Wissens“ zurückgreifen können.368 Die Sprache, mit der wir unsere Intentionen und Handlungsziele ausdrücken, ist vielmehr eine (teleo-)logische. Sie unterscheidet sich kategorial von der reinen Beobachtungssprache, mit der wir uns auf die Beschreibung und Erklärung kontingenter Ereignisse beziehen.369 Handlungen repräsentieren als Bedeutungsträger die Sinnhaftigkeit, die der Mensch seiner Umwelt verleiht.370 Sie erhalten ihre – mannigfaltigen (!) – Bedeutungen erst durch ihren Gebrauch im Sprachspiel des sozialen Alltags, weshalb Aussagen über Handlungen immer relativ zu der Sprachgemeinschaft (= Gesellschaft) sind, an der konkret teilgenommen wird.371 Pointiert: „Handlung“ ist ein alltags- oder sozialontologisches Phänomen. Folglich bezeichnet das Modell der Interpretation einer intentionalen Selbstverwirklichung die alltags- oder sozialontologische Strukturkomponente einer Handlung.

366 Sehr anschaulich formulieren diese erkenntnistheoretische Einsicht die Astrophysiker Stephen Hawking und Leonard Mlodinow in ihrem populärwissenschaftlichen Buch „Der große Entwurf“: „Es gibt keine Möglichkeit, unsere Wahrnehmung der Welt unabhängig vom Beobachter – von uns – zu beschreiben, denn sie wird nun einmal durch unsere sensorische Wahrnehmung erzeugt und die Art und Weise, wie wir denken und urteilen. Unsere Wahrnehmung – und damit die Beobachtungen, auf die sich unsere Theorien stützen – ist nicht unmittelbar, sondern wird durch eine Art Linse geprägt, die Deutungsstrukturen unseres Gehirns.“ (Entwurf, 45). 367 Der Terminus geht auf die Begriffsschöpfung von Hawking/Mlodinow (in: Entwurf, 42 ff.) zurück, die mit guten Gründen einen zwischen realistischer und antirealistischer Schule vermittelnden Realitätsbegriff des „modellabhängigen Realismus“ vertreten. 368 Kindhäuser, Intentionale Handlung, 143 ff. 369 Kindhäuser, Intentionale Handlung, 129 ff. (152). 370 Kindhäuser, Intentionale Handlung, 143, 146, 152. 371 Kindhäuser, Intentionale Handlung, 145, 151, 156.

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2. Kap.: Täter als tatbestandsmäßig sich Verhaltender u. Handlungsbegriff

Real- und sozialontologische Strukturkomponente stehen allerdings nicht lose nebeneinander, sondern sie fließen in der teleologischen Handlungskonklusion ex ante (bzw. deren Analyse) zusammen: Der Akteur setzt sein empirisches Kausal- bzw. Erfahrungswissen dazu ein, bestimmte Außenweltvorgänge als soziale Tatsachen (oder Sinnvorgänge) zu produzieren. Puppe372 formuliert diese Konvergenz unter Berufung auf Welzel373 so: „Denn unsere Macht, Erfolge herbeizuführen oder zu vermeiden beruht nicht auf unserer Fähigkeit, Energie zu entfalten, sondern auf unserer Fähigkeit, die gesetzmäßigen Bedingungen für den Eintritt oder das Ausbleiben eines Ereignisses zu erkennen und, sofern sie noch nicht vorhanden sind, herbeizuführen oder zu verhindern (…)“.

Mithin folgt die Überformung von Kausalität prinzipiell dem Explikationsmuster einer sinn-intentionalen Selbstverwirklichung, weshalb das Modell der praktischen Deliberation an der „Sinndichte“ der konkreten Intentionsprämisse ausgerichtet werden kann und muss. „Die“ kausalitätsüberformende Handlung im phänomenologischen Sinne kann es daher nicht geben. Das hatte der Sache nach auch bereits Welzel374 erkannt, als er konstatierte: „Der kausale Zusammenhang ist nur Teilkomponente des Sinnzusammenhangs, bestimmt und gelenkt durch die sinn-intentionale Gesetzlichkeit des Handlungszusammenhanges.“ Damit wird abermals klar, worin die Zielsetzung der vorliegenden Arbeit bestehen muss: Der Begriff der Tatbestandshandlung selbst ist innerhalb der vom Schuldtypus vorgegebenen Grenzen als mehrdimensionaler auszuarbeiten. Bevor hier aber damit begonnen werden kann, muss noch einer anderen Frage nachgegangen werden, nämlich derjenigen nach dem „richtigen“ Kausalbegriff: Die Grundannahme, dass menschliche Willensmacht zentral auf die verstandesmäßige Fähigkeit zu kausalem Planen zurückgeht, also an allgemeinen Kausalgesetzen orientierte Wissensmacht ist, bildet ein Kardinalaxiom der vorliegenden Arbeit. Sie birgt aber bei konsequenter Fortschreibung auch ein Kausalitätsverständnis, das mit der althergebrachten Conditio-sine-qua-non-Formel konfligiert und daher erläuterungsbedürftig ist. bb) Realontologische Komponente und Kausalität Wenn wir als Akteure im sozialen Alltag nach dem Modell des praktischen Syllogismus verfahren, dann versuchen wir eine zur Erfolgsherbeiführung taugliche Strategie zu ermitteln, d. h. wir prüfen anhand unseres allgemeinen praktischen Kausal- und Erfahrungswissens, wie wir das intendierte Ereignis hervorbringen können. Technisch ausgedrückt bedeutet dies: Wir richten unser Tun an allgemeinen 372

In: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 82. Strafrecht, § 8 III 2 (S. 40 f.). 374 In: ZStW 51 (1931), 703 (718); unter dem Blickwinkel der Beteiligung wurde diese Einsicht von Roxin (TuT, 197) für die Tatherrschaftslehre fruchtbar gemacht (in der Lehre von den „Stufen sinnhafter Tatgestaltung“ [a.a.O., 197]). 373

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Gesetzmäßigkeiten aus, denken also in der Kategorie hinreichender Erfolgsbedingungen.375 Wenn aber gerade diese Fähigkeit unsere prinzipielle Handlungsmacht begründet, dann fragt sich, wieso der strafrechtliche Kausalbegriff (immer noch) eine Lehre von der notwendigen Bedingung („conditio sine qua non“) ist. Dass dieses Dogma die Logik der Bedingungsrelationen vernachlässigt, die für das Verstehen von Handlungen (vor allem von Unterlassungen!) essentiell ist, liegt eigentlich auf der Hand.376 Doch obwohl die auf Engisch377 zurückgehende Formel von der gesetzmäßigen Bedingung in der Wissenschaft keineswegs gänzlich ohne Widerhall geblieben ist, hält sich die Wegdenkformel in der praktischen Fallanwendung immer noch hartnäckig. Das hat wohl zwei Hauptgründe: Erstens hat man, obschon die prinzipielle Abhängigkeit der Kausalitätsermittlung vom Ansatz allgemeiner empirischer Kausalgesetze bekannt war,378 wohl die Implikationen dieser Einsicht für die Qualitätsbestimmung des logischen Bedingungsverhältnisses verkannt.379 Und zweitens macht sich in der Strafrechtswissenschaft neuerdings eine recht pragmatische Sicht der Dinge breit. Nicht wenige Autoren sind heute der Ansicht, die Wegdenkformel von der notwendigen Bedingung führe immerhin durchweg zu Ergebnissen, die dem allgemeinen Judiz bzw. der praktischen Vernunft entsprächen.380 Ja, sie sei der Lehre von der gesetzmäßigen Bedingung sogar bereichsweise überlegen, nämlich überall dort, wo (noch) keine allgemeinen Kausal- oder Erfahrungsgesetze existierten (insbesondere im Bereich der Motivationskausalität).381 Zugespitzt formuliert: Das Verhältnis der „minimal ungenauen“, aber „praxisnahen“382 Conditio-sine-qua-nonFormel zur „wissenschaftstheoretischen“ Lehre von der gesetzmäßigen Bedingung wird wohl zunehmend in etwa so verstanden wie das Verhältnis der Newton’schen Gravitationslehre zur Einstein’schen Relativitätstheorie. Deshalb wird jedenfalls in praxi kein Anlass zu einem Abrücken von der überkommenen Wegdenkformel gesehen. Aber diese „scheinbare Bequemlichkeit“383, die mit dem „geistigen Komfort“384 der Conditio-sine-qua-non-Formel einhergeht, ist in Wahrheit teuer erkauft, erspart 375 Prägnant Kindhäuser, Intentionale Handlung, 204 f.: „Die Grundlage kausalen Planens besteht immer in hinreichenden Bedingungen.“ 376 Kindhäuser, Intentionale Handlung, 204. 377 Kausalität, 21. 378 s. dazu Arthur Kaufmann, Eb. Schmidt-FS (1961), 200 (209). 379 Vgl. dazu Puppe, in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 90 ff., 102 ff. 380 Frisch, Maiwald-FS (2010), 239 (253 f., 258); Bung, Wissen, 84; Schaal, Verantwortlichkeit, 91 f.; Greco, ZIS 2011, 674 (686). 381 Frisch, Gössel-FS (2002), 51 (67 f.); ders., Maiwald-FS (2010), 339 (254 ff.); Toepel, Kausalität, 93; Samson, Rudolphi-FS (2004), 259 (263 ff.); Walter, in: LK, Vor § 13 Rn. 74; Schaal, Verantwortlichkeit 66 ff.; Greco, ZIS 2011, 674 (685). 382 s. zu diesen Attributen wörtlich bzw. sinngemäß Frisch, Maiwald-FS (2010), 239 (253 f.). 383 Puppe, in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 102 m. Fn. 116.

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sie doch die logische Bestimmung des Kausalitätsgegenstandes, d. h. der Bedingungsrelation, gleich mit.385 Dass das so nicht stimmen kann, liegt auf der Hand: Um sinnvoll von Kausalität sprechen zu können, muss das zugrunde liegende Bedingungsverhältnis logisch geklärt sein. Zu Recht hat es sich daher Puppe zur Aufgabe gesetzt, diese Lücke zu schließen und das gesetzmäßige Bedingungsverhältnis seinem materialen Gehalt nach zu bestimmen.386 Die Überlegungen, die Puppes elaborierter Kausaldoktrin zugrunde liegen, sollen hier kurz skizziert und zur überkommenen Kausallehre ins Verhältnis gesetzt werden. Dies kann natürlich eine umfassende Diskussion um das „richtige“ Kausaldogma nicht ersetzen, aber doch immerhin erklären, dass und warum die Lehre von der gesetzmäßigen Bedingung einer ganz anderen Denkkategorie angehört als diejenige von der notwendigen Bedingung. Und da wir uns bei der Handlungskonklusion ex ante intuitiv an allgemeinen Kausalgesetzen orientieren, ist nur eine an diesen Gesetzen ausgerichtete Kausallehre verträglich mit dem programmatischen Ansatz der vorliegenden Arbeit. Es genügt daher, hier aufzuzeigen, dass die Lehre von der gesetzmäßigen Bedingung eine homogen (und daher besser) funktionierende Methode der Kausalitätsfeststellung ist. (1) Metaphysischer Kausalitätsbegriff contra Regularitätsthese In Rechtsprechung und Jurisprudenz weit verbreitet ist die überkommene Vorstellung von der Kausalität als Wirkursache.387 Danach beruht der Kausalzusammenhang auf einem (stillschweigend vorausgesetzten, geheimnisvollen) ontischen Wirkmechanismus. Dieser sog. metaphysische Kausalbegriff hat durch Hume bereits früh – berechtigte – Kritik erfahren. Denn unleugbare Konsequenz unseres begrenzten Erkenntnisvermögens ist, dass wir ein „metaphysisches Trägermedium“, ein Agens der Kausalität, weder sinnlich wahrnehmen noch beweisen können.388 Unser Gehirn „modelliert“ unsere sensorischen Eindrücke zu einer den menschlichen Bedürfnissen angepassten Umwelt und verarbeitet (d.i.: bewertet) diese Sinneseindrücke beobachtungssprachlich, weshalb wir lediglich in einer „modellabhängigen Realität“389 leben. Selbstverständlich können wir aber im Falle der wiederholten Beobachtung bestimmter durch diesen Filter wahrgenommener Abfolgen durchaus (für uns „objektive“) Regelmäßigkeiten feststellen und daraus induktiv auf 384

Puppe, GA 2010, 551 (569). Puppe, in: NK, Vor §§ 13 Rn. 102; dies., GA 2010, 551 (569 f.). 386 s. dazu dies., in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 102 ff. 387 BGHSt 39, 195 (197); Spendel, Kausalitätsformel, 38, 92; E.A. Wolff, Kausalität, 14; Erb, Alternativverhalten, 46 f. m. Fn. 60; Murmann, Nebentäterschaft, 148 ff.; Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 13 ff. Rn. 75; Freund, in: MK, Vor §§ 13 ff. Rn. 333 f.; Otto, Lampe-FS (2003), 491 (493); ders., AT, § 6 Rn. 22 ff.; Roxin, AT/1, § 11 Rn. 21; Jakobs, AT, 7/ 13 u. 21; Pérez-Barberá, ZStW 114 (2002), 600 (608); Haas, Kausalität, 180 ff.; Schales, Fehlverhaltensfolgen, 32 f.; Kahlo, Problem, 310. 388 Vgl. Hume, Enquiries, Sect. VII, Pt. II. 389 s. ausführlich und anschaulich dazu Hawking/Mlodinow, Entwurf, 42 ff. 385

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die Existenz entsprechender allgemeiner Kausalgesetze schließen (sog. Regularitätsthese).390 Ohne sich in erkenntnistheoretischer Hinsicht zu exponieren, kann man daher sagen, dass Kausalität in unserer beobachtungssprachlich verarbeiteten Sinneswahrnehmung eine empirische, bestimmten Gesetzmäßigkeiten folgende Erscheinung ist. Sie kann aber eben nicht einfach als ontische Kategorie angesetzt oder behandelt werden, da uns eine Wirkkraft der Kausalität nicht bekannt ist. Entgegen einer neuerdings geäußerten Ansicht391 ist es auch nicht möglich, Kausalität als „Transfer einer physikalischen Erhaltungsgröße“392, d. h. als Energieübertragung, zu beschreiben.393 Wird etwa die Halsschlagader eines Menschen durch einen Messerstich durchtrennt, so wird der eintretende Blutverlust nicht durch die Energie des Messerstichs bewirkt, sondern durch den Pumpmechanismus des Herzens.394 Die Energie des Messerstichs bewirkt allein die Öffnung des Blutkreislaufs, die dann wiederum erklärt, warum das Blut aus dem Körper heraus gepumpt wird, kurzum: Die Erklärung des biophysikalischen Prozesses, der den Blutverlust bewirkt, ist hier abhängig von einer externen Bedingung (dem Geöffnet-Sein des Blutkreislaufs), die ihrerseits das Produkt menschlichen Handelns ist.395 Das Beispiel lehrt, dass die Explikation einer physikalischen „Wirkursache“ durchaus von einer externen, selbst gerade nicht physikalisch (fort)wirkenden396 390

s. dazu Puppe, in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 82 ff. – Zuzugeben ist, dass die Beobachtung einer regelmäßigen Aufeinanderfolge streng genommen keinen logisch zwingenden Schluss auf ein universelles Kausalgesetz zulässt. Diese erkenntnistheoretische Unvollständigkeit hindert uns aber keineswegs daran, auf der Basis von empirisch erhärteten Kausalhypothesen zu operieren; s. zu diesem „Induktionsproblem“ Puppe, in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 82 Fn. 71; dies., GA 2010, 551 (563); dies., Rechtswissenschaft 2011, 400 (418 ff.). 391 Haas, Kausalität, 182 f.; Merkel, Puppe-FS (2011), 151 (165); Gimbernat Ordeig, Fundamente, 163 (174 ff.); Pérez-Barberá, ZStW 114 (2002), 600 (603, 607). 392 Esfeld, Einführung, 96. 393 Puppe, in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 81, 115; dies., Rechtswissenschaft 2011, 400 (413 ff.). 394 s. dazu Puppe, in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 81; s. allgemein zum Problem eines fehlenden Energietransfers mit unzähligen weiteren Beispielen auch dies., Rechtswissenschaft 2011, 400 (414 f.); selbst Merkel als Anhänger eines physikalistischen Kausalverständnisses hat dessen Grenzen angesichts eines realiter oft fehlenden Energietransfers eingeräumt (in: Puppe-FS [2011], 151 [165 f.]). 395 Ebenso in allgemeiner Formulierung Puppe, Rechtswissenschaft 2011, 400 (415). 396 Zur Klarstellung: Die vom Messerstich ausgehende Energie ist zwar ein Agens, das den Zustand des Systems „Blutkreislauf“ verändert. Diese Zustandsveränderung bewirkt aber eben nicht die Pumpkraft des Herzens, die das Blut aus dem Körper befördert! Es bleibt also dabei, dass die Beschreibung eines durchgehenden Wirkursachenzusammenhangs fehlt (allgemein dazu Puppe, Rechtswissenschaft 2011, 400 [414 f.]). Wenn nun Merkel in Ansehung dieser Kalamität (zaghaft) vorschlägt, das tödliche Durchtrennen einer Halsschlagader als „Unterbrechung eines rettenden Kausalverlaufs“ zu bezeichnen (in: Puppe-FS [2011], 151 [166 Fn. 41]), dann mutet dies von einer physikalistischen Kausalidee her nicht nur artifiziell an, sondern beweist auch den in Wahrheit normativen Charakter der Kausalaussage. Letzterer tritt denn auch offen zutage, wenn man nur das von Puppe (Rechtswissenschaft 2011, 400 [415]) gebildete Parallelbeispiel bedenkt, in dem jemand dem Reisenden in der Wüste das Wasser

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Bedingung abhängig sein kann. Ist dem aber so, dann zwingt nichts zu der Annahme, dass die explizierende Bedingung selbst physikalischer Natur sein müsste.397 Vielmehr „(…) können wir sagen, dass jede Tatsache, also jeder Sachverhalt, der wahr ist und durch Sätze beschrieben werden kann, eine Ursache sein kann“398. Positive Energieentfaltung ist dann „(…) lediglich ein nicht sonderlich signifikanter Sonderfall einer solchen Bedingung“399. Wichtigste Folge dieser grundlegenden Einsicht ist, dass auch sog. negative Tatsachen Bedingungen für den Ablauf eines natürlichen Kausalprozesses sein können.400 Wenn ich ein Kind sehenden Auges ertrinken lasse, obwohl ich es retten könnte, dann ist der Umstand, dass sich die Lungen des Kindes mit Wasser füllen und es infolgedessen erstickt, erfahrungsgemäß abhängig von meiner intentionalen Zulassung, die diesen Naturverlauf erst ermöglicht und erklärt. Auch intentionale Zulassungshandlungen können demnach gesetzmäßige Bedingungen eines tatbestandsmäßigen Erfolges sein.401 (2) Die Lehre von der gesetzmäßigen Bedingung und ihre logische Bestimmung Die Lehre von der gesetzmäßigen Bedingung hat seinerzeit bereits Engisch402 in folgende allgemeine Formel gekleidet: „Ein Verhalten (…) erweist sich dann als ursächlich für einen (…) Erfolg, wenn sich an jenes Verhalten als zeitlich nachfolgend Veränderungen in der Außenwelt angeschlossen haben, die mit dem Verhalten und untereinander in ihrer Aufeinanderfolge (natur-)gesetzmäßig verbunden waren und die ausgemündet sind in irgendeinen Bestandteil des konkreten Sachverhaltes, der dem Strafgesetze gemäß als Erfolg abgegrenzt ist.“

Diese ursprüngliche Formel gibt aber, wie Puppe403 mit Recht betont, zunächst nur Aufschluss über die allgemeine Struktur kausaler Erklärungen. Die logische Bestimmung des Bedingungsverhältnisses wird nicht mitgeliefert. Um sie hat sich stiehlt, mit der Folge, dass dieser verdurstet. Danach ist es für Kausalität nicht einmal notwendig, dass überhaupt Energie auf ein geschlossenes physikalisches System einwirkt! Dass das physikalistische Kausalitätsverständnis in derartigen Fällen an seine Grenzen stößt, sieht allerdings auch Merkel selbst ein (a.a.O., 165 f.). 397 Honoré, ZStW 69 (1957), 463 (472); vgl. auch Puppe, Rechtswissenschaft 2011, 400 (415). 398 Puppe, Erfolgszurechnung, 63 (Hervorhebungen nicht im Original). 399 Puppe, in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 82. 400 s. bereits Engisch, Kausalität, 30 ff.; ebenso Honoré, ZStW 69 (1957), 463 (472); grundlegend Puppe, ZStW 92 (1980), 863 (895 ff.); dies., Rechtswissenschaft 2011, 400 (415 f.); dies., in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 117 ff.; zust. Dencker, Kausalität, 98. 401 So zutr. bereits Engisch, Kausalität, 30 ff.; ebenso Puppe, ZStW 92 (1980), 863 (895 ff.); dies., Rechtswissenschaft 2011, 400 (415 f.); dies., in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 117 ff.; zust. Binns, Kausalbegriff, 99 ff.; s. ferner Kindhäuser, Intentionale Handlung, 207 ff.; Vogel, Norm, 150 f., 157 ff.; Spendel, JZ 1973, 137 (139); ders., Herzberg-FS (2008), 247 (249, 253); Stein, in: SK, Vor § 13 Rn. 23 f. 402 In: Kausalität, 21. 403 In: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 102; dies., Rechtswissenschaft 2011, 400 (403 ff.).

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Puppe selbst bemüht und ist dabei im (zeitlichen404) Anschluss an Honoré405 zu der Einsicht gelangt, dass eine Einzelursache stets nur als notwendiger Bestandteil eines nach allgemeinen Erfahrungssätzen hinreichenden und wahren Bedingungskomplexes interessiert.406 Was genau eine hinreichende (Gesamt-)Bedingung des Erfolges ist, bestimmt das einschlägige Kausalgesetz bzw. der anzuwendende Erfahrungssatz in Form eines allgemeinen Konditionalsatzes („immer wenn, dann“).407 Der hinreichende Bedingungszusammenhang ist dabei stets mit Blick auf das als präsumtive Einzelursache in Betracht kommende menschliche Verhalten zu formulieren und darf keine überflüssigen Bestandteile enthalten, insbesondere keine solchen, die das zu prüfende Handeln selbst überflüssig machen würden.408 Denn der einzelne Bedingungskomplex muss ja als gesetzmäßige Mindestbedingung in nurnotwendige Einzelbestandteile zerlegt werden können. Für die kausale Erklärung relevant sind demnach nur notwendige Bestandteile einer nach allgemeinen Gesetzen hinreichenden Mindest- oder Minimalbedingung.409 Zur Veranschaulichung des Gesagten mag folgendes Beispiel dienen: Reicht etwa die Gabe (g) einer Mindestdosis (x) der toxischen Substanz (y) nach allgemeinen medizinischen Erkenntnissen aus, den Organismus eines gesunden Erwachsenen von bis zu (z) kg Körpergewicht (der nicht bereits eine gewisse Menge von y oder sonstigen wechselwirkenden Substanzen inkorporiert hat) innerhalb eines maximalen Zeitraums (t) tödlich zu vergiften [= Erfolg (e)], dann ist der Komplex (g-x-yz) eine hinreichende Bedingung für den Eintritt von (e) innerhalb (t). Konkret: Schüttet Giftmörder M seinem bis zu (z) kg schweren Opfer O mindestens die Dosis (x) von (y) ins Getränk, mit der Folge, dass O innerhalb von (t) stirbt, dann ist die Gabe (g) notwendiger Bestandteil einer hinreichenden Erfolgsbedingung für (e). Streicht man nun in einem zweiten Schritt alle überflüssigen Elemente [so könnte etwa die konkret applizierte Giftdosis höher als die erforderliche Mindestdosis (x) 404

Erläuternd dazu Puppe, in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 110. In: ZStW 69 (1957), 463 (465 ff.). 406 In: ZStW 92 (1980), 863 (865 ff.); dies., GA 2010, 551 (555 ff.); dies., in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 102; ebenso Osnabrügge, Beihilfe, 74 ff.; Sofos, Mehrfachkausalität, 107 ff.; Rodríguez Montañés, Roxin-FS (2001), 307 (313 f.). 407 Puppe, in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 103; dies., Rechtswissenschaft 2011, 400 (420 ff.). Gegenstand dieses Konditionalurteils dürfen freilich nicht irgendwelche beliebigen logischen Verknüpfungen sein, sondern ausschließlich Regularitäten, die Bestandteil einer empirischwissenschaftlichen Welterklärung sind. Rein analytische Sätze, eigenschaftsbezogene Aussagen oder Aussagen über die Koinzidenz von Ereignissen, die nicht durch eine Kette örtlich und zeitlich benachbarter Kausalsequenzen miteinander verbunden sind, können die Lehre von der gesetzmäßigen Mindestbedingung daher naturgemäß nicht ad absurdum führen (ausführlich zu dieser Banalität in Erörterung entsprechender Beispielsätze Puppe, Rechtswissenschaft 2011, 400 (420 ff.). 408 So zutr. Puppe, ZStW 92 (1980), 863 (891). 409 Honoré, ZStW 69 (1957), 463 (466 f.); Puppe, ZStW 92 (1980), 863 (875 ff.); dies., GA 2010, 551 (555 ff.); dies., in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 103; Kindhäuser, Gefährdung, 83 ff. (87); Vogel, Norm, 150 ff.; Osnabrügge, Beihilfe, 74 ff.; Sofos, Mehrfachkausalität, 110 ff.; Rodríguez Montañés, Roxin-FS (2001), 307 (313 f.); Hilgendorf, NStZ 1994, 561 (564 f.). 405

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gewesen sein] aus dem hinreichenden Bedingungskomplex heraus, so erhält man eine hinreichende Minimalbedingung (g-x-y-z) für einen Erfolg (e) in (t). Deren notwendiger Bestandteil müsste nun die Giftgabe (g) (gewesen) sein, um als Essentiale der kausalen Erfolgserklärung ausgewiesen werden zu können. Dies verifiziert man in einem dritten Schritt, indem man (g) probeweise aus der hinreichenden Minimalbedingung (g-x-y-z) hinweg denkt. Dann wird die Kausalerklärung unschlüssig, womit feststeht, dass (g) notwendiger Bestandteil der hinreichenden Erfolgsbedingung (g-x-y-z) ist. Leicht zu lösen sind auf diese Weise u. a. auch die Fälle der alternativen Kausalität. Variieren wir etwa unser Beispiel dahingehend, dass der habgierige Erbe E zusätzlich noch eine weitere, mindestens (x) entsprechende Dosis des Giftes (y) in O’s Glas geschüttet hat, bevor dieser trank: Hier setzt sich der hinreichende Gesamtbedingungskomplex aus zwei interagierenden hinreichenden Mindestbedingungskomplexen (g-x-y-z) für (e) in (t) zusammen, die teils gemeinsame und teils verschiedene Elemente aufweisen. Jeder dieser Bedingungskomplexe stellt daher eine hinreichende und wahre Mindestbedingung für einen tatbestandsmäßigen Erfolg dar; der jeweils alternative Bedingungskomplex ist als überflüssige Komponente aus der an allgemeinen Kausalgesetzmäßigkeiten orientierten Erklärung des einzelnen Bedingungskomplexes zu streichen. Damit dürfte das Prinzip klar geworden sein. Anzumerken bleibt noch, dass die hinreichende Minimalbedingung immer eine wahre Bedingung sein muss. Es darf also nichts hinzu gedacht werden, was nicht wahr ist: Ersatz- oder Reserveursachen, die die gesetzmäßigen Zwischenstadien der für sie geltenden Kausalgesetze realiter nicht durchlaufen haben, kommen in einer wahren, nur aus reellen Tatsachen bestehenden, Kausalerklärung naturgemäß nicht vor.410 Erschießt also etwa der T den moribunden O, dann kann die Reserveursache des sonst tödlichen Krankheitsverlaufs nicht als eine nach allgemeinen Kausalgesetzen hinreichende Erfolgsbedingung angesehen werden; denn diese Bedingung ist unwahr insofern, als feststeht, dass sie die gesetzmäßigen Zwischenstadien einer „genetische[n] Kausalerklärung“411 nicht (allesamt) reell durchlaufen hat. Insgesamt resümiert Puppe412 : „Der entscheidende Unterschied zur Formel v. der notwendigen Bedingung ist, dass die präsumtive Ursache aus einer fertig projektierten kausalen Erfolgserklärung ,hinweggedacht‘ wird und nicht aus der Welt. Dann kann auch nicht die Frage sein, ob der Erfolg ,entfiele‘, sondern nur, ob die Kausalerklärung ohne die präsumtive Ursache nach allgemeinen Gesetzen nicht mehr schlüssig ist.“

Gegen diese logische Bestimmung des kausalen Bedingungszusammenhanges sind freilich zahlreiche Einwände erhoben worden, die Puppe jedoch allesamt 410

Eingehend zum Ganzen Puppe, ZStW 92 (1980), 863 (888 ff.); dies., in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 107; s. vom Boden der Conditio-sine-qua-non-Formel aus auch bereits Spendel, Kausalitätsformel, 38. 411 Puppe, ZStW 92 (1980), 863 (889). 412 In: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 106.

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schlagend entkräftet hat. Hier seien nur einige Ansatzpunkte der Kritik mitsamt entsprechender Replik herausgegriffen: Zunächst wird aus methodischer Sicht ganz prinzipiell moniert, dass der induktive Schluss von einer begrenzten Zahl von Einzelbeobachtungen auf die Geltung eines universellen Kausalgesetzes nicht logisch zwingend sei (Problem der unvollständigen Induktion).413 Das trifft natürlich zu, ist aber, wie Puppe zu Recht repliziert hat, schon allein deshalb kein durchgreifender Einwand, weil bessere Erfahrungswerte als gut erhärtete Gesetzeshypothesen uns eben nicht zur Verfügung stehen.414 Überhaupt ist der induktive Schluss von einer empirisch erhärteten Regularität auf ein allgemeines Kausalgesetz nicht annähernd so kühn wie der etwa von Haas415 gezogene Rückschluss von unserem apriorischen Kontinuitätsempfinden auf eine singularistisch vermittelte Kontinuität der Welt.416 Jedenfalls kann man einen Kausalprozess, gleich ob ontischer Wirkmechanismus oder „nur“ beobachtbare Abfolge, nicht ohne Kenntnis allgemeiner Erfahrungssätze rekonstruieren, so dass auch den Apologeten von der causa efficiens in der Sache nichts anderes übrig bleibt, als auf die bekannten Regularitäten zurückzugreifen.417 Ein weiterer stereotyper Einwand betrifft Puppes anwendungsbezogenes Verfahren zur Bestimmung einer hinreichenden Minimalbedingung. Besagtes Procedere, so hat zuerst Dencker moniert, laufe in Wahrheit auf eine „Abbreviatur des konkreten Sachverhalts“418 hinaus, die der Lehre vom Erfolg in seiner konkreten Gestalt nicht unähnlich sei.419 Diese Kritik beruht jedoch auf einem logischen Missverständnis, denn die Tatsache, dass das im Einzelfall einschlägige „Minimalgesetz“ von den konkret vorfindlichen Sachverhalts-Parametern ausgehen muss (wovon auch sonst?!), ändert nichts an seiner logischen Gesetzesqualität.420 Wieder andere werfen der Lehre von der hinreichenden Mindestbedingung vor, sie könne angesichts der Gleichwertigkeit aller logischen Bedingungsrelationen nicht erklären, warum logisch wahre Reserveursachen aus der Kausalerklärung zu streichen seien.421 Daran ist richtig, dass auch Reserveursachen nach allgemeinen 413

So Haas, Kausalität, 175 f. Puppe, GA 2010, 551 (563 m. Fn. 62); dies., Rechtswissenschaft 2011, 400 (418 ff.); dies., in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 82 Fn. 71 a.E. 415 Kausalität, 182 f. 416 Puppe, in: NK3, Vor §§ 13 ff. Rn. 82 Fn. 11. 417 Puppe, Rechtswissenschaft 2011, 400 (417 f.). 418 So die pointierte Zusammenfassung des Dencker’schen Einwands bei Sofos, Mehrfachkausalität, 116. 419 Dencker, Kausalität, 113 f. 420 Puppe, Rechtswissenschaft 2011, 400 (430 f.); dies., in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 105; Osnabrügge, Beihilfe, 85 f.; Sofos, Mehrfachkausalität, 116 ff. 421 Moore, Causation, 491 ff. („The general problem with generalist theories is that they are general, while what they purport to account for, singular causation, is not.“ [a.a.O., 493]); Toepel, Puppe-FS (2011), 289 (296 ff.); Greco, ZIS 2011, 674 (684 f.). 414

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2. Kap.: Täter als tatbestandsmäßig sich Verhaltender u. Handlungsbegriff

Kausalgesetzen hinreichende Erfolgsbedingungen sind.422 Nichtsdestotrotz bleiben sie aber hypothetische Bedingungen! Denn auch und gerade nach der Lehre von der gesetzmäßigen Bedingung ist Kausalität ja kein bloßes Gedankending, sondern eine reelle, kontinuierliche Abfolge örtlich und zeitlich benachbarter Ereignisse mit einer endlichen Ausbreitungsgeschwindigkeit.423 Kausalgesetze sind also „Nahwirkungsgesetze“424, die örtlich und zeitlich eng aufeinanderfolgende Ereignisse und Zustandsveränderungen als gesetzmäßige Zwischenstadien zu einer „Kausalkette“ verknüpfen. Deshalb gilt auch für jedes einzelne dieser gesetzmäßigen Zwischenglieder, dass zu ihm nur solche Tatsachen gehören, die notwendiger Bestandteil einer hinreichenden Bedingung für das jeweils nachfolgende Zwischenglied sind etc.425 Wahr i.S.e. solchen „genetische[n] Kausalerklärung“426 kann somit nur eine Bedingung sein, die diese gesetzmäßigen Zwischenstadien auch wirklich durchlaufen hat. Das aber ist bei Ersatzursachen gerade nicht der Fall, weshalb sie keine wahren gesetzmäßigen Erfolgsbedingungen i.S.d. für sie geltenden genetischen Kausalerklärung sind.427 Dieser Eigenschaftsbestimmung i.S.e genetischen Kausalität hat man freilich entgegengehalten, sie verlasse das generalistische Axiom der Lehre von der gesetzmäßigen Bedingung, da die Annahme kontinuierlich ineinandergreifender Kausalsequenzen das Wirken eines singulären Phänomens voraussetze, das die einzelnen Zwischensegmente miteinander verbinde und also Transitivität gewährleiste.428 Auch dieser Einwand erweist sich jedoch als Trugschluss, denn die kausale Verknüpfung der einzelnen Kettenglieder hat die gleiche Struktur wie überhaupt jede Kausalerklärung eines Erfolges durch seine Antezedenzien.429 Was also die Einzelkausalsequenzen miteinander verknüpft, ist allein „(…) die Tatsache, dass jedes vorangehende Glied eine hinreichende gesetzmäßige Bedingung für das darauffolgende ist.“430 Ein solches kontinuierliches Kausalgeschehen lässt sich natürlich nicht vollständig beschreiben, da man es theoretisch in unendlich viele Zwischenglieder zerlegen kann.431 Dieser Umstand führt das Modell der genetischen Kausalerklä422 Puppe, ZStW 92 (1980), 863 (888); dies., Rechtswissenschaft 2011, 400 (434); dies., in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 114. 423 Puppe, ZStW 92 (1980), 863 (888 f. m. Fn. 39); dies., Rechtswissenschaft 2011, 400 (435 f.); dies., in: NK, Vor §§ 13 Rn. 115. 424 Puppe, ZStW 92 (1980), 863 (888); in der Sache auch bereits Engisch, Kausalität, 21. 425 Puppe, ZStW 92 (1980), 863 (888 ff. [890]). 426 Puppe, ZStW 92 (1980), 863 (889). 427 Puppe, ZStW 92 (1980), 863 (890 ff.). 428 Moore, Causation, 493, 500 ff. (509 f.); Haas, Kausalität, 180 ff.; Merkel, Puppe-FS (2011), 151 (165); Toepel, Puppe-FS (2011), 289 (297). 429 Puppe, Rechtswissenschaft 2011, 400 (435). 430 Puppe, Rechtswissenschaft 2011, 400 (437). 431 So der Sache nach Erb, JuS 1994, 449 (451); Haas, Kausalität. 182; Toepel, Puppe-FS (2011), 289 (297).

B. Die Regelung des § 25 und der allgemeine Täterbegriff

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rungen aber keineswegs ad absurdum,432 da die genetische Kausalanalyse von vornherein nicht auf eine „Atomisierung“ des Geschehens in Kleinstsequenzen angewiesen ist: Auch wenn wir ein kontinuierliches Kausalgeschehen nicht bis in seine „gesetzmäßigen Kapillaren“ hinein genetisch beschreiben können, ändert dies ja nichts daran, dass es erfahrungsgemäß (Regularitätsthese!) auf einer Abfolge gesetzmäßiger Zwischensequenzen beruht.433 Davon abgesehen betrifft dieses Problem die singularistische Lehre von der Wirkursache in mindestens ebenso starkem Maße wie die Lehre von der gesetzmäßigen Bedingung. Denn natürlich können auch nicht sämtliche Stationen abschließend beschrieben werden, über die sich ein Energiequantum oder ein Impuls ausbreitet.434 Der Einblick in die Diskussion zeigt damit vor allem eines: Die logische Bestimmung der hinreichenden Minimalbedingung präsentiert sich als eine ausgegorene und systematisch fein abgestimmte Methode, die als System schwerlich zu erschüttern ist. Daher dürfte es denn auch rühren, dass neuerdings viele bestrebt sind, die Diskrepanz zwischen dieser Lehre und der überkommenen Wegdenkformel praktisch zu marginalisieren. Umso wichtiger erscheint es, die Andersartigkeit und die daraus resultierende Überlegenheit besagter Doktrin anhand der kritischen Fälle zu belegen. (3) Die Probleme der Conditio-sine-qua-non-Formel und ihre Lösung nach der Lehre von der gesetzmäßigen Bedingung Das Dogma von der notwendigen Bedingung sieht sich in einigen Konstellationen vor intrikate Probleme gestellt. Es sind dies insbesondere die Fälle der alternativen und der kumulativen Kausalität sowie die bereits angesprochene Thematik der Ersatzursachen. An letztere sei hier zunächst wieder angeknüpft: (a) Ersatzursachen Erschießt A den ohnehin todgeweihten B, so stellt sich nach der Conditio-sinequa-non-Formel die Frage, ob der Todeserfolg entfällt, wenn man das Handeln des A hinweg denkt. Nähme man den Erfolg in seiner abstrakten, d. h. tatbestandsmäßigen Gestalt, so müsste man Kausalität an sich verneinen. Jedoch hebt die (wohl noch) h.L.435 stattdessen auf den Erfolg in seiner (ganz) konkreten Gestalt ab, hier also auf die konkrete Lebensverkürzung durch Erschießen. Danach wäre im Beispiel das Handeln des A kausal für den Todeserfolg in seiner konkreten Gestalt geworden. Dieser Topos vom Erfolg in seiner konkreten Gestalt ist allerdings schon prinzipiell 432

So aber die in der vorigen Fn. genannten Autoren. In der Sache ebenso schon Puppe, in NK3, Vor §§ 13 ff. Rn. 115 Fn. 37. 434 I.d.S. zutr. Puppe, Rechtswissenschaft 2011, 400 [435]; dies., in NK3, Vor §§ 13 ff. Rn. 115 Fn. 37; zur Inkonsistenz einer physikalistischen Kausaltheorie ex re s. nochmals Puppe, in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 81, 115; dies., Rechtswissenschaft 2011, 400 (413 ff., 437). 435 s. statt vieler nur Eisele, in: Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 13 ff. Rn. 79 f.; Jäger, in: SK, Vor § 1 Rn. 71 ff.; Walter, in: LK, Vor § 13 Rn. 76, 79; Roxin, AT/I, § 11 Rn. 21. 433

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2. Kap.: Täter als tatbestandsmäßig sich Verhaltender u. Handlungsbegriff

problematisch, da er die Kausalität mit der konkreten lebenstatsächlichen Erfolgsgestalt erklärt, anstatt zunächst einmal umgekehrt anzugeben, worin der kausal zu erklärende Unrechtserfolg überhaupt besteht.436 Davon abgesehen lässt sich das Dogma vom Erfolg in seiner konkreten Gestalt auch nicht bruchfrei durchhalten, wie ein auf Engisch437 zurückgehender Beispielfall zeigt: Apportiert der A dem B zum Zwecke einer Körperverletzung einen Stock, den sonst der simultan bereit stehende C herbeigeholt hätte, dann wäre das Tun des B problemlos aus der Kausalerklärung eliminierbar, ohne dass der Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele. Diese Schwierigkeit lässt sich auch nicht etwa dadurch lösen, dass man den Erfolg in seiner ganz konkreten Gestalt einfach durch sämtliche Modalitäten der Erfolgsherbeiführung definiert,438 denn auf diese Weise würde die Kausalerklärung evident tautologisch.439 Erschwerend hinzu kommt, dass ein derartiges Kausalerklärungsverfahren auch falsche Ergebnisse zeitigen müsste: Wer konkrete Umstände in die Erfolgsbeschreibung einführen zu müssen glaubt, um Ersatzursachen auszuschließen, der steht vor dem Problem, dass jede derart eingeführte Tatsache ihrerseits Bestandteil einer bestimmten logischen Kausalrelation ist. Damit aber wird jede Handlung als für den Erfolg in seiner konkreten Gestalt kausal erklärt, die den eingeführten Umstand verursacht hat: „Wenn zur Begründung dafür, dass der Ministerialrat O in Berlin an einem Herzinfarkt gestorben ist und nicht in Bonn an einer Briefbombe, die man ihm in sein Büro geschickt hat, damit argumentiert werden muss, dass der Tod in Berlin in seiner konkreten Gestalt ein anderer Tod ist als der in Bonn, ergibt sich die Konsequenz, dass der Minister, der den Ministerialrat nach Berlin beordert hat, dadurch dessen Tod durch Herzinfarkt verursacht hat. Dass man auf diese Weise die conditio-sine-qua-non-Formel rettet, ist keine normative Rechtfertigung dafür. Deshalb werden solche Elemente der ,konkreten‘ Erfolgsgestalt nachträglich aus dieser wieder eliminiert, weil sie ,tatbestandlich irrelevante Begleitumstände‘ sind.“440

Deutlich wird, dass die Lehre von der konkreten Erfolgsgestalt kein logisch konsistentes Verfahren zur Ausscheidung von Ersatzursachen darstellt. Demgegenüber bietet das Dogma von der hinreichenden Minimalbedingung eine ebenso luzide wie elegante Lösung: Die im Hinblick auf die Ersatzursache aufgestellte Kausalhypothese wird schlicht falsifiziert, weil eines der gesetzmäßigen Zwischenstadien der genetischen Kausalerklärung nicht wahr ist (im obigen Beispiel

436

s. dazu die schlagkräftige Kritik von Puppe, in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 62 ff. Kausalität, 15. 438 So aber etwa Jäger, in: SK, Vor § 1 Rn. 72. 439 So zutr. bereits Engisch, Kausalität, 16; Puppe, ZStW 92 (1980), 863 (870 f.); dies., in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 96, 98 ff. 440 Puppe, in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 99. 437

B. Die Regelung des § 25 und der allgemeine Täterbegriff

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Engischs etwa hat der ersatzweise bereitstehende C den Stock schon gar nicht erreicht, um ihn dem A zu bringen).441 (b) Alternative Kausalität Auch das Phänomen der alternativen Kausalität stellt die Conditio-sine-qua-nonFormel vor Probleme. Haben sowohl A als auch B ein von C eingenommenes Getränk mit einer jeweils tödlichen Dosis Gift versetzt, dann kann jede Einzelgabe aus der Gedankenoperation eliminiert werden, ohne dass der Erfolg entfiele. Nichtsdestotrotz nimmt man für jede Einzelgabe Kausalität an, was dann freilich mit der allgemeinen Formel von der notwendigen Bedingung nicht mehr begründbar ist. Letztere wird deshalb wie folgt modifiziert: Von mehreren Bedingungen, die zwar alternativ, nicht aber kumulativ hinweggedacht werden können, ohne dass der Erfolg entfiele, ist jede kausal.442 Mit dieser Adaption ist aber das Axiom von der notwendigen Einzelursache preisgegeben: Warum von mehreren konkurrierenden Ursachen jede kausal sein soll und nicht etwa keine, ist vom Denkansatz dieser Lehre her nicht mehr zu begründen, da eine genuine Bedingungsrelation zwischen Einzelursache und Erfolgseintritt gerade fehlt.443 Der Lehre von der hinreichenden Minimalbedingung hingegen fällt die Lösung des Problems der alternativen Kausalität leicht: Für jede präsumtive Einzelursache (vulgo: Einzelgabe) ist eine nach allgemeinen Kausalgesetzen hinreichende Mindestbedingung des Erfolges zu bilden, deren Erklärungselemente mit denjenigen des alternativen Bedingungskomplexes teilweise eine Schnittmenge bilden; sodann ist die jeweils konkurrierende Ursache als überflüssiges Element aus der Kausalerklärung zu streichen. Dann ergibt sich, dass jede Einzelgabe für sich notwendiger Bestandteil einer nach allgemeinen Kausalgesetzen hinreichenden Minimalbedingung des Erfolges ist.444 (c) Mehrfachkausalität Auch die praxisrelevanten Fälle der kumulativen Kausalität bei Gremienentscheidungen sind mit der überkommenen Conditio-sine-qua-non-Formel nicht zu lösen. Wird etwa ein rechtswidriger Beschluss mit einer größeren Mehrheit gefällt als für seine Wirksamkeit erforderlich ist, so kann sich nach der Wegdenkformel jeder Einzelne damit verteidigen, dass der Beschluss auch ohne oder gegen seine Stimme

441

Puppe, in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 101; dies., ZStW 92 (1980), 863 (874 f.). Der Gedanke stammt von Traeger, Kausalbegriff, 45 f., die heute gängige Formulierung hingegen von Müller, Bedeutung, 17, der diese Modifikation der Conditio-sine-qua-non-Formel allerdings seinerseits ablehnte. 443 Puppe, ZStW 92 (1980), 863 (877); dies., in: GA 2010, 551 (553 f.); dies., in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 92 f. 444 Puppe, ZStW 92 (1980), 863 (876 f.); dies., in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 104; krit. Kindhäuser, GA 2012, 134 (139 ff.); hierauf replizierend wiederum Puppe, ZIS 2012, 267 ff. 442

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2. Kap.: Täter als tatbestandsmäßig sich Verhaltender u. Handlungsbegriff

zustande gekommen wäre.445 Dieses Problem hat sich als sehr folgenschwer für das strafrechtsdogmatische Systemgefüge erwiesen, denn um die Kalamität ohne Preisgabe der Formel von der notwendigen Bedingung praktisch lösen zu können, hat man das allgemeine Institut der Mittäterschaft „missbraucht“. So hat der BGH im „Lederspray-Fall“446 sämtliche Geschäftsführer, die an einem Beschluss zum Unterlassen der Revokation eines gesundheitsgefährdenden Sprays beteiligt waren, zunächst als (Unterlassungs-)Mittäter zusammengefasst, um dann das gemeinsame Abstimmungsverhalten als einen einzigen Kausalfaktor in die Wegdenkformel einsetzen zu können.447 Diese Mittäterschaftskonstruktion muss ersichtlich schon daran scheitern, dass ein gemeinsamer Tatplan fehlt, wenn die Stimmabgabe zuvor nicht abgesprochen wurde.448 Weit schwerer wiegt aber der methodische Lapsus: Es wird nicht die Mittäterschaft mit der Kausalität des Einzelbeitrages begründet, sondern umgekehrt die Kausalität mit der Mittäterschaft.449 Auf diese Weise substituiert man eine allgemeine Grundvoraussetzung strafrechtlicher Individualhaftung durch Rekurs auf eine spezielle Beteiligungsfigur, und diese Substitution kann weder vor dem dogmatischen Hintergrund des Kausalitätserfordernisses angemessen erklärt werden noch aus dem Institut der Mittäterschaft, das über den Mangel der Kausalität hinweghelfen soll, im Klartext: Eine fragwürdige Ausnahme vom Kausalitätserfordernis wird durch eine fragwürdige Ausnahme von den Mittäterschaftsvoraussetzungen erkauft.450 Noch deutlicher wird der dogmatische und systemische Bruch, wenn einzelne Mitglieder eines Kollegialorgans bei nämlicher Problemlage für eine fahrlässige Beschlussfassung verantwortlich gemacht werden sollen. Jetzt muss die Ausnahme vom Kausalitätserfordernis mit einer noch bedenklicheren Ausnahme von den Prämissen der Mittäterschaft und einer Ausnahme von der allgemeinen Fahrlässigkeitsdogmatik begründet werden,451 kurzum: „fahrlässige kausalitätsersetzende Mittäterschaft“452. Erstaunlicherweise sprechen sich neuerdings nicht wenige Autoren für die Einführung einer solchen Figur aus,453 obwohl diese Konstruktion traditionelle dogmatische Grenzen einreißt. Die Grundproblematik verschärft sich in den Gremienentscheidungsfällen dramatisch. Es wird jetzt nicht mehr „bloß“ auf eine homogene wissenschaftstheoretische Methode der Kausalerklärung verzichtet, sondern es drohen sich diejenigen Nahtstellen des straftatexplizierenden Theorien445 446 447 448 449 450 451 452 453

So zutr. Puppe, GA 2004, 129 (132); s. auch bereits BGHSt 37, 106 (131 f.). BGHSt 37, 106 ff. BGHSt 37, 106 (129 f.). So zutr. Puppe, GA 2004, 129 (133 f.); dies., in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 94. Puppe, JR 1992, 30 (32); dies., in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 94. So in der Sache auch Puppe, GA 2004, 129 (133 f.). Puppe, GA 2004, 129 (131 f.). Eingehend krit. zu dieser Rechtsfigur Puppe, GA 2004, 129 (135 ff., 145 f.). Ausführlich zum Ganzen m.w.N. noch unten, S. 713 ff.

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Netzes aufzulösen, die die allgemeinen Zurechnungsgrundlagen mit den Spezifika der einzelnen Straftattypen und Haftungsinstitute verknüpfen: Ein Elementarbaustein des Systems „Straftat“ bleibt unausgewiesen, und dieser Mangel provoziert zwangsläufig Kompensationseffekte, die das System insgesamt erodieren.454 Mithin ist die Entwicklung eines allgemeingültigen wissenschaftstheoretischen Kausalerklärungsverfahrens keine Frage des dogmatischen Geschmacks, sondern essentieller Bestandteil einer angemessenen strafrechtlichen Systembildung. Dass es möglich ist, eine solche abstrakte Methode zu entwickeln, hat Puppe mit ihrer Lehre vom notwendigen Bestandteil einer nach allgemeinen Gesetzen hinreichenden Minimalbedingung bewiesen. Diese Lehre führt denn auch zunächst in der Anwendung auf das Problem aktiv überbedingter Gremienentscheidungen komplikationslos zum „gewünschten“ Ergebnis: Für jede abgegebene Stimme als präsumtive Einzelursache erhält man eine hinreichende Mindestbedingung des Erfolges, indem man (nur) so viele Stimmen mit ihr zusammenfasst, wie nach der betreffenden Mehrheitsregel für eine beschlussfähige Mehrheit mindestens erforderlich sind. Und da sich die Formulierung der gesetzmäßigen Bedingung nach der für eine wirksame Beschlussfassung allgemein geltenden Mehrheitsregel richtet, hat das tatsächliche Stimmverhalten der anderen naturgemäß außen vor zu bleiben. Innerhalb der jeweils formulierten Minimalbedingung ist dann jede Stimme notwendig, so dass die Einzelstimme nicht hinweg gedacht werden kann, ohne dass die Kausalerklärung unschlüssig würde. Damit ist jedes Gremiumsmitglied kausal für das Zustandekommen des rechtswidrigen Beschlusses und die hieraus gesetzmäßig erwachsenen Folgen geworden.455 Entsprechendes gilt auch für das kumulative Unterlassen, eine bestimmte Gremienentscheidung herbeizuführen, welche Konstellation den BGH456 ebenfalls bereits beschäftigt hat. Das Judikat betraf die Mitglieder des Politbüros des Zentralkomitees der SED, die nach – zutreffender – Ansicht des BGH457 jeweils individuell verpflichtet waren, eine Sitzung des Politbüros einzuberufen, um dort für die Aufhebung des Schießbefehls an der innerdeutschen Grenze zu stimmen. Auch hier führt die Lehre von der gesetzmäßigen Bedingung problemlos zu demjenigen Ergebnis, das vom Judiz her angezeigt ist: Man bildet zunächst eine gesetzmäßige Mindestbedingung für das Unterbleiben der Erfolgsabwendung, indem man das Unterlassen des einzelnen Gremiumsmitgliedes mit so vielen anderen Unterlassungen zusammenfasst wie nach der einschlägigen Mehrheitsregel für das Unterbleiben des gebotenen Kassationsbeschlusses mindestens erforderlich sind. Aus dieser Minimal454 s. auch bereits Puppe, GA 2004, 129 (132, 137), die a.a.O. auf die „unabsehbaren Folgen und Folgeprobleme“ (a.a.O., 137) einer fahrlässigen kausalitätsersetzenden Mittäterschaft hinweist sowie darauf, dass zur Begründung „diese[r] geradezu revolutionäre[n] Neuerungen“ dogmatisch sowie rechtsethisch vollkommen neue Wege beschritten werden müssten (a.a.O., 132). 455 s. zum Ganzen Puppe, GA 2004, 129 (138 f.); dies., in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 108. 456 BGHSt 48, 77 ff. 457 BGHSt 48, 77 (82 ff. [95 f.]).

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2. Kap.: Täter als tatbestandsmäßig sich Verhaltender u. Handlungsbegriff

bedingung kann dann das Unterlassen des betreffenden Mitglieds nicht mehr gestrichen werden, ohne dass die Kausalerklärung unschlüssig wird – womit die Kausalität dargetan ist.458 (4) Zwischenfazit Nach alledem ist zu konstatieren, dass die von Puppe vorgeschlagene Methode der Kausalerklärung für sämtliche bekannten Problemfälle eine adäquate Lösung bereithält. Die Conditio-sine-qua-non-Formel steht zu diesem wissenschaftsheoretischen Modell keineswegs in einem Verhältnis von lange bewährter Praxis zu größtenteils „unpraktikabler“ Neuerkenntnis. Denn wie gesehen bestimmt die Wegdenkformel nicht nur das Bedingungsverhältnis logisch falsch i.S.e. notwendigen Bedingung, sondern sie führt bei stringenter Anwendung auch in praxi zu falschen Ergebnissen. Das wiederum hat erhebliche Friktionen im überkommenen Systemgefüge der Straftat zur Folge: Bestehende „Erklärungsnetze“ wie dasjenige, dass eine in sich geschlossene Kausalerklärung Prämisse jeder Tatbestandshandlungszurechnung ist, müssen partiell außer Kraft gesetzt werden. All dies lässt sich aber ganz einfach vermeiden, indem man das strafrechtliche Kausaldogma selbst auf eine solide wissenschaftstheoretische Basis gründet. Dazu muss man nur einsehen, dass ein Sachverhalt eben mehrere hinreichende und wahre Mindestbedingungen für ein und denselben Erfolg aufweisen kann, die teils gemeinsame und teils verschiedene Elemente haben können.459 (5) Sonderprobleme der Kausalitätsbestimmung Nun soll hier nicht verschwiegen werden, dass die durch Puppe konkretisierte Lehre von der gesetzmäßigen Bedingung in der Erklärung mancher Bereiche der Kausaldogmatik (Abbruch rettender Kausalverläufe, Unterlassen) von der überkommenen Praxis abweicht und in anderen Bereichen (psychisch vermittelte Kausalität, nicht determinierte Verläufe) „neue“ Fragen aufzuwerfen scheint. Diese Punkte sollen nachfolgend noch kurz angeschnitten werden, wobei der Grundtenor schon vorausgeschickt sei: Die Lehre von der gesetzmäßigen Bedingung schafft keine neuen Probleme, sondern sie stellt sich den von der Wegdenkformel camouflierten Kalamitäten.460 (a) Abbruch rettender Kausalverläufe Diese Fallgruppe zeichnet sich dadurch aus, dass im Zeitpunkt der störenden Intervention ein gesetzmäßiger Rettungsverlauf bereits eingeleitet ist. Die Intervention ist also nur dann kausal für den Erfolg, wenn die für sie zu formulierende 458

Puppe, GA 2004, 129 (144); dies., in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 122. So zutr. bereits Puppe, ZStW 92 (1980), 863 (876 ff.); dies., in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 104, 108. 460 Instruktiv zum Ganzen auch Puppe, GA 2010, 551 ff. 459

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Mindestbedingung eine nach allgemeinen Kausalgesetzen schlüssige Erklärung dafür liefert, dass eine gesetzmäßige Bedingung des Rettungsverlaufs ausgeblieben ist. Gegeben sein muss also ein gesetzmäßiger Verlauf zum Erfolg [1], in den ein gesetzmäßiger Rettungsverlauf interferiert [2], der seinerseits durch einen störenden Verlauf [3] abgebrochen wird.461 Dazu folgendes Beispiel: Nichtschwimmer N stürzt ins tiefe Wasser (= gesetzmäßige Bedingung für N’s Tod); Rettungsschwimmer R läuft sofort los, um N zu retten, welches Vorhaben im verbleibenden Zeitraum ohne Weiteres realisierbar wäre (= gesetzmäßige Bedingung der Erfolgshinderung); N’s Feind F hält den R jedoch gewaltsam von der Rettung ab, mit der Folge, dass N ertrinkt (= gesetzmäßige Bedingung für das Ausbleiben der gesetzmäßigen Rettungsbedingung und also für den Eintritt des Erfolgs). Deutlich wird, dass die den Rettungsverlauf abbrechende Intervention notwendiger Bestandteil einer wahren, die ursprüngliche Kausalerklärung (scil.: des Erfolges) wieder schlüssig machenden Mindestbedingung des Erfolges sein muss.462 Es geht also um eine durchweg auf wahren Tatsachen beruhende und nicht etwa um eine an fiktiven Abläufen orientierte463 oder gar fehlende464 Ursächlichkeit.465 Damit zeigt sich abermals, dass eine so konkretisierte Lehre von der gesetzmäßigen Bedingung die Kausalität durchweg homogen bestimmen kann. (b) Die Kausalität von Unterlassungen und die Probleme der Handlungszuschreibung auf zwei Ebenen Im Anschluss an Engisch466 hat Puppe467 auch die These ad absurdum geführt, Unterlassungen könnten nicht (im natürlichen Sinne) kausal sein.468 Soweit diese Behauptung aus einer metaphysischen Definition von Kausalität als Wirkkraft abgeleitet wird,469 streitet gegen sie schon der Umstand, dass wir eine solche Wirkkraft nicht wahrnehmen können. Wir folgen daher schlicht dem Gebot der wissenschaftlichen Redlichkeit, wenn wir uns mit denjenigen Gesetzlichkeitshypothesen begnügen, die wir anhand unserer empirischen Beobachtungen formulieren können. Solche Erfahrungssätze gelten allerdings für Negationen ebenso wie für Positionen.470 Auch die Tatsache, dass jemand etwas Bestimmtes nicht tut und dadurch einen 461 462 463 464 465

92 ff. 466

Puppe, ZStW 92 (1980), 863 (903 ff.); dies., in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 111. So zutr. Jakobs, AT, 7/22. I.d.S. aber etwa Welzel, Strafrecht, § 28 A I 3 c (S. 212 f.). So aber etwa Schmidhäuser, AT 8/76, 16/75. So zutr. Puppe, in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 111; Jakobs, AT, 7/22 f.; Dencker, Kausalität,

In: Kausalität, 29 ff. In: ZStW 92 (1980), 863 (895 ff.); s. auch bereits Honoré, ZStW 69 (1957), 463 (472). 468 s. dazu nur E.A. Wolff, Kausalität, 33 ff.; Kahlo, Problem, 155 ff., 310; Jakobs, AT, 7/ 25 f., 29/15 ff.; Schmidhäuser, AT, 16/74 ff.; Walder, SchwZStR 93 (1977), 113 (152 ff.); i.E. ebenso Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte, 61 ff. 469 So Kahlo, Problem, 310. 470 So schon Engisch, Kausalität, 29 f. 467

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2. Kap.: Täter als tatbestandsmäßig sich Verhaltender u. Handlungsbegriff

Erfolg zulässt, kann notwendiger Bestandteil einer wirklichen, nach allgemeinen Erfahrungssätzen hinreichenden Erfolgsbedingung sein.471 Es handelt sich dann ebenso wie beim aktiven Tun um eine empirische und nicht bloß um eine logische Bedingung: Der wahre Sachverhalt472 der Unterlassung ist dann notwendiger Bestandteil einer wirklichen gesetzmäßigen Erfolgsbedingung, wenn das negierte Tun nach allgemeinen Erfahrungssätzen möglich und eine störende Bedingung des rechtsgutsverletzenden Kausalverlaufs gewesen wäre.473 Damit erschöpft sich die Unterlassung also keineswegs bloß in ihrem Negat, d. h. im Fehlen einer bestimmten hypothetischen Eingriffshandlung, sondern sie ist als „gebundene Kraft“ zugleich auch (psycho-)faktische Zulassung des Erfolgs (= vorsätzliche Unterlassung)474 oder zumindest eines den späteren Erfolg mit erklärenden Zustandes (= fahrlässige Unterlassung [z. B. ungesicherte Baugrube oder unbeaufsichtigtes Kind]).475 Das wird von denjenigen übersehen, die inkonsequenterweise476 ausschließlich Ereignisse oder Zustandsveränderungen als Ursachen gelten lassen wollen.477 Eine solche rein phänomenologische Verengung des Kausalbegriffs läuft auch unserer intuitiven Vorstellung über die Ursächlichkeit von Unterlassungen diametral zuwider. Denn weder im sozialen Alltag noch im (Straf-) Recht zögern wir, an die Unterlassung erwarteter Handlungen Zurechnungen und Konsequenzen zu knüpfen. Hierzu sehen wir uns aber nur deshalb in der Lage, weil 471

Spendel, Herzberg-FS (2008), 247 (249 ff. [251, 253]). Dazu Puppe, ZStW 92 (1980), 863 (897 f.). 473 Puppe, in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 117. 474 So Spendel, Herzberg-FS (2008), 247 (251, 253 [Zitat auf S. 250]); in der Sache auch bereits Puppe, ZStW 92 (1980), 863 (897). 475 Gerade auch im Bereich fahrlässiger Unterlassung erkennen wir im Alltag intuitiv ohne Weiteres Kausalität an (Bsp.: „Das Kind hat sich an der heißen Herdplatte verbrannt, weil die Mutter es unbeaufsichtigt gelassen hat!“). 476 Lehnt man einen metaphysischen Kausalbegriff ab, so kann man die Verengung des Ursachenbegriffs auf Ereignisse bzw. Zustandsveränderungen nur als definitorische Festlegung vorgeben; diese Art der Vorgabe wäre aber nicht nur kontraintuitiv und für das Recht unzweckmäßig, sondern sie müsste konsequenterweise auch den über negative Tatsachen vermittelten Abbruch rettender Kausalverläufe aus dem strengen Kausaldogma ausschließen (s. eingehend zum Ganzen Puppe, ZStW 92 [1980], 863 [896 f. m. Fn. 52]). Bezieht man den Abbruch rettender Kausalverläufe hingegen in die enge, ereignisorientierte, Kausaldefinition ein (so E.A. Wolff, Kausalität, 35; Kahlo, Problem, 156 f.), so muss man sich nach dem materialen Gehalt der bloß phänomenologischen Unterscheidung zwischen Ereignissen (bzw. Veränderungen) und negativen Bedingungen fragen lassen: Soll es sub specie Kausalität wirklich einen Unterschied machen, ob ich dem Verdurstenden in der Wüste das vor ihn hingestellte Wasser wieder wegnehme (= Ereignis/Abbruch eines rettenden Kausalverlaufs) oder ob ich es ihm von vornherein vorenthalte (= negative Bedingung/Unterlassung)? Überdies müsste konsequenterweise auch im Bereich der Unterlassung selbst differenziert werden zwischen solchen Unterlassungen, die auf der Unterdrückung eines Rettungsimpulses beruhen (= Abbruch eines rettenden Kausalverlaufs – Kausalität) und solchen, die dies nicht tun (= negative Tatsache – keine Kausalität) – ein schwerlich haltbares Ergebnis! 477 So etwa Jakobs, AT, 7/25 f., 29/15 ff.; Schmidhäuser, AT, 16/74 ff.; Walder, SchwZStR 93 (1977), 113 (152 ff.). 472

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wir eben auch Unterlassungen als Ursachen i.S.e. Bedingungstheorie der Kausalität betrachten.478 Angesichts dieses unseres „natürlichen“ Kausalitätsverständnisses ist es daher weder notwendig, auf die potentielle Kausalität der gebotenen Eingriffshandlung auszuweichen,479 noch bedarf es einer spezifisch rechtsphilosophischen Kategorie rechtspersonaler Kausalität aus Freiheit.480 Als problematisch erweist sich allerdings der Umstand, dass die soziale Handlungszuschreibung, anhand derer wir einen Unterlassenden für den Eintritt eines bestimmten Ereignisses verantwortlich machen, auf zwei Ebenen verläuft: Das faktische Ereignis wird als Resultat einer intentionalen Zulassungshandlung zugeschrieben, die ihrerseits als Resultat eines intentionalen Unterlassens zugeschrieben wird. Angesichts dessen stellt sich die Frage, ob nicht auch die gesetzmäßige Kausalerklärung beide Ebenen einbeziehen müsste. In diesem Falle wäre eine doppelte Prüfung der Bedingungsrelation vorzunehmen: Zum einen wäre die gesetzmäßige Relation zwischen der zugeschriebenen Basis-Zulassungshandlung und ihrer faktischen Konsequenz (= Rechtsgutsverletzung) gedanklich zu prüfen, zum anderen die gesetzmäßige Relation zwischen der kontrafaktischen Basis-Eingriffshandlung und ihrer potentiellen Konsequenz (= Rettung).481 Es wäre also (auch) eine wirkliche gesetzmäßige Bedingung dafür zu postulieren, dass der Erfolg verhindert worden wäre, wenn der Unterlassende pflichtgemäß gehandelt hätte.482 Eine solche (doppelte) Absicherung der Kausalerklärung im Unterlassungsbereich birgt jedoch intrikate Probleme, wenn man z. B. die Fälle der kumulativen Unterlassungskausalität bedenkt. Können mehrere Unterlassende einen Erfolg nur mit vereinten Kräften abwenden (z. B. einen schweren Balken nur mit vereinten Anstrengungen vom darunter begrabenen Opfer weg heben), so kann bei Hinzudenken der pflichtgemäßen Individualeingriffshandlung keine gesetzmäßige Bedingung für eine hypothetische Erfolgshinderung angegeben werden; die Formulierung einer solchen Rettungsbedingung müsste am fehlenden Wissen um das hypothetische Verhalten des oder der anderen Omittenten scheitern, da wir keine allgemeingültigen Gesetze über das Zustandekommen menschlicher Verhaltensentscheidungen kennen.483 Angemessener erscheint es daher, die Lehre von der gesetzmäßigen Mindestbedingung direkt auf den wahren Verhaltenskomplex der intentionalen Zulassung 478 So zutr. Kindhäuser, Intentionale Handlung, 175 ff., 208 f.; Puppe, in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 118 f. 479 So aber Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte, 64 ff.; Welzel, Strafrecht, § 28 A I 3 c (S. 212 f.); Schmidhäuser, AT, 16/75; Walder, SchwZStR 93 (1977), 113 (156 f.); Fischer, Vor § 13 Rn. 39; Stree/Bosch, in: Schönke/Schröder, § 13 Rn. 61. 480 So aber E.A. Wolff, Kausalität, 36 ff.; Kahlo, Problem, 312 ff. 481 I.d.S. Kindhäuser, Intentionale Handlung, 208 f. 482 So die zutr. Analyse bei Puppe, in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 120 a.E. 483 So (für andere, sachlich gleich gelagerte Fallbeispiele) bereits Puppe, ZStW 92 (1980), 863 (906 f.); dies., JR 1992, 30 (31).

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durch Unterlassen anzuwenden. Dann ist allein zu fragen, „(…) ob das wirkliche Unterlassen iVm weiteren wahren Sachverhalten nach allgemeinen Erfahrungssätzen eine hinreichende Mindestbedingung dafür bildet, dass der Erfolgseintritt nicht verhindert wird“484. In dieser Mindestbedingung kommt das zusätzliche Unterlassen anderer Garanten, an denen die Erfolgshinderung auch dann gescheitert wäre, wenn der Täter seine Pflicht erfüllt hätte, naturgemäß nicht vor.485 Kann also etwa ein schwerer Balken nur unter gemeinsamer Kraftanstrengung vom eingeklemmten Opfer weg gehoben werden, so macht jeder Einzelne durch sein Unterlassen eine Rettung unmöglich; sein Verhalten ist notwendiger Bestandteil einer hinreichenden Mindestbedingung dafür, dass der Erfolg nicht verhindert wird. Vollkommen ausgeblendet wird das Kausalitätserfordernis auf der zweiten Zuschreibungsebene (= gesetzmäßige Relation zwischen kontrafaktischer Basis-Eingriffshandlung und potentieller Rettung) dadurch jedoch nicht. Vielmehr sind „(…) die fehlenden Kausalgesetze für das Dazwischentreten weiteren menschlichen Verhaltens durch die dieses Verhalten regelnden Rechtsgesetze zu ersetzen, also von der Vermutung auszugehen, dass der Dritte sich pflichtgemäß verhalten hätte, wenn er Gelegenheit dazu bekommen hätte. Eine solche präsumtio de jure lässt sich damit rechtfertigen, dass es gerade das pflichtwidrige Verhalten des Täters gewesen ist, das eine sinnvolle Aussage darüber unmöglich gemacht hat, ob der Dritte seine Pflicht erfüllt hätte. Bei hintereinander geschalteten Pflichten könnte sich der erste also, und zwar immer, gerade mit seiner eigenen Pflichtverletzung entlasten.“486

Demnach müssen für die Kausalitätsvermutung auf der zweiten Ebene der Handlungszuschreibung zwei Prämissen erfüllt sein: Erstens müssen Rechtsregeln für das Verhalten des Dritten existieren, und zweitens darf der Dritte diese Regeln im Einzelfall nicht bereits tatsächlich missachtet haben.487 Vom Kausalitätsproblem gedanklich streng zu trennen ist dagegen die normentheoretische Frage, ob in derartigen Fällen überhaupt eine (Garanten-)Handlungspflicht entstanden ist. Zum Handeln kann nämlich nur derjenige verpflichtet werden, der psychophysisch immerhin die Möglichkeit hatte, den Erfolg zu verhindern. Niemand darf zu Aktivitäten verpflichtet werden, die von vornherein sinnlos sind.488 Allerdings ist die Frage, ob zum Mithandeln verpflichtete Dritte ihren Beitrag erbracht hätten, für die Entstehung der jeweiligen Individualpflicht in der Entscheidungssituation ex ante irrelevant. Dafür spricht schon allein die Tatsache, dass ansonsten die Schutzeffektivität der Gebotsnormen unterlaufen würde.489 Überdies kennen wir auch keine allgemeinen Gesetze über menschliches Entschlussverhalten, 484

Puppe, in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 121. Puppe, in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 121. 486 Puppe, JR 1992, 30 (31); vgl. inzwischen auch BGHSt 48, 77 (95). 487 Puppe, JR 1992, 30 (31 f.); zur genaueren kausaltheoretischen Erläuterung s. dies., in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 133 ff.; s. auch bereits Samson, StV 1991, 182 (185). 488 Samson, StV 1991, 182 (185). 489 Puppe, ZStW 92 (1980), 863 (906 f.); s. auch BGHSt 48, 77 (95). 485

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weshalb letztlich gar nichts anderes übrig bleibt, als für das vom Handlungspflichtigen ex ante subjektiv vorwegzunehmende Entschlussverhalten hilfspflichtiger Dritter die insofern geltenden Rechtsregeln heranzuziehen;490 mithin ist bei neben- oder hintereinandergeschalteten Unterlassungen mehrerer grundsätzlich normgeleitetes Handeln des/der anderen Handlungspflichtigen zu unterstellen.491 Der Einzelne ist daher immer schon dann zum Handeln aufgerufen, wenn das von ihm als möglich erkannte Tun eine prinzipielle Chance der Erfolgshinderung begründet.492 Letzteres ist erst dann zu verneinen, wenn der andere Garant seine Handlungspflicht bereits endgültig verletzt und damit eine Erfolgshinderung unmöglich gemacht hat, bevor dem konkret angesprochenen Normadressaten ein Eingreifen möglich ist.493 (c) Psychisch vermittelte Kausalität bzw. nicht determinierte Bereiche Viele Autoren494 attestieren der Conditio-sine-qua-non-Formel den entscheidenden Vorzug, dass sie auch in nicht determinierten Bereichen herangezogen werden könne, da sie nicht auf allgemeingültige Gesetzmäßigkeiten angewiesen sei. Dies soll sich insbesondere im Bereich der Motivationskausalität auszahlen, da wir allgemeingültige Gesetze über das Zustandekommen menschlicher Verhaltensentscheidungen nicht kennen.495 Darin liegt in der Tat ein Problem insofern, als wir solche Gesetzmäßigkeiten grundsätzlich auch nicht einfach postulieren oder voraussetzen können.496 Allerdings betrifft die Kalamität selbstverständlich auch die überkommene Wegdenkformel selbst, die ja fragen muss, wie der Beeinflusste sich verhalten hätte, wenn er der psychischen Beeinflussung durch den Täter nicht ausgesetzt gewesen wäre. Auch diese Frage lässt sich aber aufgrund fehlender Gesetze über das Zustandekommen menschlicher Verhaltensentschlüsse nicht sinnvoll beantworten.497 Deshalb läuft die Erklärung psychischer Kausalität mithilfe der Wegdenkmethode auf eine Scheinlösung hinaus: Mutet die Hypothese, dass der psychische Erfolg ohne 490 491

(95).

So zutr. schon Puppe, ZStW 92 (1980), 863 (906 f.). Puppe, JR 1992, 30 (31); dies., in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 134a; vgl. auch BGHSt 48, 77

492 So zutr. Puppe, JR 1992, 30 (31); dies., in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 124; auch BGH NStZ 2000, 414 (415); Otto, AT, § 9 Rn. 100; Stree/Bosch, in: Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 13 ff. Rn. 149. 493 Puppe, in NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 124; allgemein auch BGH NStZ 2000, 414 (415); Stree/ Bosch, in: Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 13 ff. Rn. 149 (individuelle Entpflichtung nur, wenn Aussichtslosigkeit der eigenen Rettungsbemühungen sicher voraussehbar). 494 s. etwa nur. Frisch, Gössel-FS (2002), 51 (67 f.); ders., Maiwald-FS (2010), 339 (254 ff.); Toepel, Kausalität, 93; Samson, Rudolphi-FS (2004), 259 (263 ff.); Walter, in: LK, Vor § 13 Rn. 74; Schaal, Verantwortlichkeit 66 ff.; Greco, ZIS 2011, 674 (685). 495 s. zum letzteren Aspekt Puppe, GA 1984, 101 (105); dies., JR 1992, 30 (31); dies., in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 125, 129 (m.w.N.). 496 Puppe, GA 1984, 101 (105); dies., JR 1992, 30 (31); dies., in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 125. 497 Puppe, in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 91, 126; Renzikowski, Puppe-FS (2011), 201 (211 f.).

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die Beeinflussung nicht eingetreten wäre, aus alltagspsychologischer Sicht einigermaßen plausibel an, so begnügt man sich einfach mit ihr.498 Dadurch wird aber das Problem des Fehlens allgemeiner Gesetzmäßigkeiten offensichtlich nicht behoben, sondern bloß desavouiert,499 um die „Illusion eines einheitlichen Kausalbegriffs“500 aufrechtzuerhalten. Gibt man diese Illusion aber auf und stellt sich dem Problem der Andersartigkeit von Motivationskausalität, so kommt man nicht umhin, deren Explikation auf ein kategorial anderes Verfahren zu gründen als die Erklärung von Naturkausalität.501 Gehen kann es dann nur um eine teleologische Erklärungsmethode, die danach fragt, ob der Täter den an ihn herangetragenen Handlungsanreiz tatsächlich zum inneren Beweggrund seines Handlungsentschlusses gemacht hat.502 Dies muss im Zweifel durch Rekurs auf das psychische „Kausalerlebnis“503 des präsumtiv Beeinflussten selbst eruiert werden, über das vor allem seine eigenen Aussagen näheren Aufschluss geben können.504 Eine wieder andere und hier nicht zu vertiefende Frage geht dahin, wie Kausalität bei prinzipiell nicht determinierten Naturprozessen zu ermitteln ist. Besonders relevant sind hier diverse Krankheits- und Heilungsprozesse in der modernen Medizin, deren Ausgang oft nur nach Wahrscheinlichkeitsgesetzen prognostiziert werden kann. Akzeptiert man das Problem, so steht man in diesen Bereichen vor der prinzipiellen Frage, ob man auf der Basis von Wahrscheinlichkeitsgesetzen zurechnen will oder eben gar nicht.505 cc) Ergebnis Im Ergebnis halten wir fest, dass der Vorstellung kausalen Planens ein an allgemeingültigen Kausalgesetzen orientiertes Weltbild zugrunde liegt. Man kann dieses Weltbild ein realontologisches nennen, denn es beruht nicht auf einer inneren (ontologischen) Wesensschau, sondern auf der Beobachtung von Naturvorgängen in unserer „modellabhängigen Realität“, anhand derer wir uns per Induktion bestimmte Gesetzlichkeitshypothesen erschließen. Dieses Weltverständnis ist nicht nur kompatibel mit der Idee eines präskriptiven Verhaltensnormensystems, sondern ist auch der wissenschaftstheoretischen Kausalerklärung zugrunde zu legen. In Gestalt der Lehre von der hinreichenden Minimalbedingung ermöglicht dies ein homogenes 498

Puppe, in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 126, 130. So zutr. Puppe, in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 126. 500 Puppe, in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 131. 501 So zutr. Puppe, GA 1984, 101 (108 ff.); dies., in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 131; Renzikowski, Puppe-FS (2011), 201 (212 ff.). 502 Puppe, GA 1984, 101 (108 ff.); dies., in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 131; Renzikowski, PuppeFS (2011), 201 (213 f.); Hoyer, Rudolphi-FS (2004), 95 (102); Steen, Rechtsfigur, 113 ff. (117); s. auch bereits BGHSt 13, 13 (15). 503 Puppe, GA 1984, 101 (109). 504 Puppe, GA 1984, 101 (109); dies., in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 131. 505 Eingehend dazu Puppe, in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 135 ff. 499

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Verfahren zur Feststellung von Kausalität und zudem die Abstellung spezifischer Gebrechen der Wegdenkformel. Insbesondere das Problem der Kausalität bei Gremienentscheidungen und die Schwierigkeiten der Kausalerklärung bei neben- oder hintereinandergeschalteten Individualunterlassungen können so befriedigend gelöst werden. Nach alledem kann zum intentionalen Handlungsbegriff und seiner – zentralen – Bedeutung für die unrechtliche Beteiligungslehre zurückgekehrt werden. Bevor allerdings das Zusammenwirken mehrerer Handlungssubjekte analysiert wird, muss der intentionale Handlungsbegriff zunächst noch mit einigen Monita konfrontiert werden, die schon gegen den finalen Handlungsbegriff erhoben worden und daher auf ihre „Durchschlagskraft“ zu überprüfen sind. d) Finaler Handlungsbegriff, Monita und intentionaler Handlungsbegriff Gegen die finale Handlungslehre sind seit jeher einige stereotype Einwände erhoben worden, die im Hinblick auf den hier vertretenen intentionalen Handlungsbegriff ebenfalls virulent werden könnten, weshalb sie, soweit erforderlich, im kursorischen Durchgang auszuräumen sind. aa) Intentionaler Handlungsbegriff und implizite Nebenfolgen des Handlungsvollzugs (1) Versteht man Handlung als ein finales Tun i.S.e. Zwecktätigkeit, so suggeriert dies bereits semantisch, dass nur zweckhaft oder absichtlich herbeigeführte Folgen als Objekt einer Handlung infrage kommen. Daher wurde in der Vergangenheit der Vorwurf erhoben, die finale Handlungslehre erfasse streng genommen nur Absichtstaten.506 Dieser Vorhalt geht aber jedenfalls am anwendungsbezogenen intentionalen Handlungsbegriff vorbei: Für die Handlungszuschreibung im sozialen Alltag (und damit auch im Recht) ist von vornherein nicht die „natürliche“ Finalität oder der Wille als seinsmäßiges Rückgrat allen Handelns507 maßgebend, sondern die dem Tun konkret zugeschriebene Intentionalität. Intentionen sind aber keine feststehenden Größen, sondern stets relativ unter einer Zuschreibung, die ihrerseits wiederum vom objektivierten „Sinnausdruck“508 des Handelns selbst – und nicht von einem privaten Akt des Handelnden – abhängt.509 Daher kann unter die Intention einer Vorsatztat problemlos auch die „nur“ handlungsmäßig in Kauf genommene Erfolgsherbei506

s. nur Schmidhäuser, ZStW 66 (1954), 27 (36 ff.). Welzel, ZStW 58 (1939), 491, 502 f. 508 Begriff nach Welzel, ZStW 58 (1939), 491 (503). Welzel hatte die alltagsontologische, teleologische „Natur“ von Handlung durchaus bereits früh erkannt (s. ZStW 51 [1931], 703 [717 ff.]). 509 s. dazu Kindhäuser, Intentionale Handlung, 186 ff. (188 f.). 507

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führung gefasst werden. Das vom Täter eigentlich Bezweckte interessiert dabei nicht seines Inhalts wegen (d. h. als finaler Handlungsgrund), sondern bloß als ein Moment, das die Vermeidbarkeit der Verletzungsfolgen und die diesbezügliche Einstellung des Akteurs indiziert.510 Demnach kann rechtlicher Vorsatz tatsächlich nicht mit „natürlicher“ Finalität oder Absicht gleichgesetzt werden: Den Vorsatz gibt es nicht. Diese Einsicht liegt allerdings dem intentionalen Handlungsbegriff gerade zugrunde. (2) Die Intentionalität des Basis-Handlungsvollzugs bleibt auch dann gewahrt, wenn jemand – die Existenz dieser Möglichkeit unterstellt – aus „interesselose(r) ungesuchte(r) Freude“511 agiert: Ob jenseits eines verspielten oder interesselosen Tuns weitere Ziele verfolgt werden, ist für die Frage des Vorliegens (irgend)einer intentionalen (Basis-)Handlung irrelevant.512 (3) Gegen die finale Handlungslehre wird ferner seit jeher eingewandt, dass eine seinsmäßige Differenzierung zwischen sehender Überdetermination und blinder Kausalität ungeeignet sei, die Vorsatztat von der bewussten Fahrlässigkeitstat abzuheben.513 Auch dieses Monitum geht jedoch am intentionalen Handlungsbegriff vorbei, da dieser den Vorsatz von vornherein normativ bestimmt: Die Verbote der Vorsatzdelikte untersagen die handlungsmäßige Expression einer bestimmten Verletzungsoder Gefährdungsmaxime. Diese normative Vorsatzbestimmung folgt unmittelbar der „argumentativen Logik des Beschuldigens“514, wie wir sie im sozialen Alltag anwenden, wenn wir Personen unter der Zuschreibung erfolgreicher Kontrolle für ein Ereignis verantwortlich machen. Dies hat nicht nur den Vorteil, dass der Vorsatz als das soziale Phänomen ernst genommen wird, das er ist, sondern auch den weiteren Vorteil, dass dem Akteur kontraintuitive Schutzbehauptungen abgeschnitten sind: Wer etwa ein langes Messer tief in den Leib des Opfers treibt, mit einem stumpfen Gegenstand massiv auf den Kopf des Opfers eindrischt oder das Opfer über einen längeren Zeitraum gezielt stranguliert, der kann grundsätzlich nicht einwenden, er habe keine Tötungsmaxime umsetzen wollen.515 Was Vorsatz ist, bestimmt nicht der Akteur, sondern das Recht.516 Der Täter selbst muss das Risiko des Erfolgseintritts

510 So in Bezug auf den finalen Handlungsbegriff Jakobs, AT 6/12; s. auch Jäger, in: SK, Vor § 1 Rn. 43. 511 A.A. Hall, Fahrlässigkeit, 13 ff., 15 (dort findet sich auch das im Text genannte Zitat). 512 Zutr. Jakobs (AT 6/14) unter Hinweis auf das „interessenlose“ Spazierengehen als finales Tun ohne weiteren Zweck. 513 Engisch, Kohlrausch-FS (1944), 141 (155 f.); Gallas, ZStW 67 (1955), 1 (43), der diesen „Schönheitsfehler“ (a.a.O.) freilich hinnehmen zu können glaubte. 514 Kindhäuser, Gefährdung, 44; s. allgemein auch Schild, JZ 1980, 597 ff. 515 So zutr. Jakobs, Rechtswissenschaft 2010, 283 (306), der den Vorsatz allerdings entgegen § 16 I 1 vollkommen vom (Unter-)Bewusstsein des Akteurs abkoppeln will. 516 Puppe, in: NK, § 15 Rn. 64 a.E., 85; Jakobs, Rechtswissenschaft 2010, 283 (289).

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„bloß“ sprachlich erfasst, sein Tun prinzipiell mit der Möglichkeit eines Erfolgseintritts assoziiert haben. Diesem Verständnis scheint prima facie die Vorsatztheorie der Rechtsprechung nahezustehen, denn die Judikatur rekurriert – vor allem bei den Tötungsdelikten517 – zentral auf ein „Billigen im Rechtssinne“518, das dann vorliegen soll, wenn der Betreffende sich mit dem (ihm u. U. höchst unerwünschten) Erfolgseintritt abgefunden habe. Damit wird eindeutig auf die rechtliche Annahme eines Willens i.S.e. normativen Zuschreibung abgehoben.519 Jedoch ist klarzustellen, dass diese Zuschreibung keineswegs die eigentliche, alltagsontologische, „Natur“ des Vorsatzes herausstreicht, sondern vielmehr auf die Unterstellung eines innerpsychischen Moments – „billigendes In-Kauf-Nehmen“ – aus der Perspektive des Rechts hinausläuft. Objekt der Zuschreibung bleibt also nach wie vor eine (präsumierte) innere Einstellung des Täters zum Geschehen,520 wobei dann aber wiederum offen bleibt, warum diese Interpretation auch für den Akteur selbst verbindlich (gewesen) sein muss. Diese Leerstelle lässt sich nur schließen, indem man den Vorsatz selbst als normatives Phänomen begreift.521 Dabei darf die Notwendigkeit einer solchen „Normativierung“ unter keinen Umständen als die einzig gangbare Alternative bei „schlechter Wirklichkeit“ verstanden werden, also in dem Sinne, dass mangels Einsicht in die Täterpsyche der Vorsatz eben wertend ermittelt werden müsse. Denn der Vorsatz als Normativum ist nicht bloß das Surrogat für eine unmögliche „Hirnschau“ nach psychischen Daten, sondern er ist der Vorsatz der Alltagsrealität: Eine individuell abweichende Deutung der eigenen Intentionalität durch den Akteur wird als Schutzbehauptung entlarvt anhand einer allgemeinverbindlichen Handlungsinterpretation, deren Anschlusstatsachen auch der Akteur selbst erkannt und zumindest sachgedanklich zum Erfolg in Bezug gesetzt hat. In den Worten Puppes522:

517 Geht es nicht um Tötungsdelikte, begnügt man sich in der Rechtsprechung oftmals schon mit einem Schluss von einem vorhandenen Gefahrenwissen auf die Inkaufnahme einer Rechtsgutsverletzung (s. dazu Puppe, in: NK, § 15 Rn. 88 f.). Grundlegend anders verhält es sich dagegen bei den Tötungsdelikten, wo der BGH mit Blick auf die hohe Hemmschwelle, die vor einem Tötungsentschluss stehen soll, eine besonders sorgfältige Prüfung der billigenden Inkaufnahme postuliert. Zum Ganzen mit eingehenden Nachweisen und krit. Stellungnahme Puppe, in: NK, § 15 Rn. 90 ff. 518 BGHSt 7, 363 (369) [„Lederriemenfall“]. 519 Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 238 a.E. 520 So zutr. Puppe, in: NK, § 15 Rn. 30 ff. mit krit. Stellungnahme. 521 Herzberg (JuS 1986, 249 [253 ff.]) hat es mit seiner Theorie von der „unabgeschirmten Gefahr“ (a.a.O., 256) als erster unternommen, den Vorsatz normativ zu bestimmen; neuerdings wird mehr und mehr der kommunikative Aspekt des Handelns als Deutungsschema in den Vordergrund gerückt (so Puppe, in: NK, § 15 Rn. 64 ff. [68 f.]; dies., ZStW 103 [1991], 1 [14 ff.]; Jakobs, Rechtswissenschaft 2010, 283 [291 ff.]; Kindhäuser, Eser-FS [2005], 345 [354]; auch Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 237 ff. [240]). 522 In: NK, § 15 Rn. 68 f.

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„Das Verhalten des Täters ist dann Ausdruck der Maxime, dass die Verletzung des anderen sein soll oder doch sein darf, wenn ein verständig denkender und handelnder Mensch an seiner Stelle nur dann so hätte handeln können, wenn er den Erfolg tatsächlich gewollt oder doch gebilligt hätte (…)“ Und weiter: „Damit wird nicht etwa dem individuellen Täter ein Wollen oder Billigen unterstellt (…). Es wird vielmehr nach einer allgemeinen praktischen Regel zweckrationalen Handelns gefragt.“523

Auf diese Weise erledigt sich nicht nur die Frage, warum die Zuschreibung dem Akteur überhaupt von außen oktroyiert werden darf, sondern es wird auch ein intersubjektiv nachvollziehbares524 Kriterium der Abgrenzung von Vorsatz und Fahrlässigkeit vorgegeben.525 Danach unterscheiden sich dolus directus II und dolus eventualis „handlungssemantisch“ von der bewussten Fahrlässigkeit. Bewusste Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Akteur einen Erfolgseintritt zwar für möglich hält, sein Tun aber normativ (noch) nicht als Ausdruck einer Verletzungsmaxime zu verstehen ist. Mithin sind Vorsatz und Fahrlässigkeit normativ verschiedene Vermeidbarkeitsformen526, auf das positive Handeln bezogen formuliert: unterschiedliche Arten einer unerlaubten Risikoschaffung.527 Diese Differenz wirkt sich, wie noch zu zeigen sein wird, auch auf die verhaltensnormtheoretische Erfassung beider Unrechtsarten aus. bb) Intentionaler Handlungsbegriff und Fahrlässigkeit Die Achillesferse der finalen Handlungslehre wird seit jeher darin gesehen, dass sie von einem ontologisch definierten Handlungsbegriff ausgeht, basierend auf der natürlichen Finalität, die deshalb konsequent mit dem Vorsatz i.S.d. Strafrechts

523 Klarstellend anzumerken ist, dass die Zuschreibung der Ausdrucksform „Vorsatz“ selbstverständlich nicht zwingend die Schaffung einer objektiven Vorsatzgefahr erfordert; vielmehr drückt der Täter auch in den Fällen des untauglichen Versuchs durch sein prinzipiell verstandesmäßiges Handeln die Maxime aus, dass der Erfolg sein soll (s. auch dazu Puppe, in: NK, § 15 Rn. 68). 524 Puppe selbst (in: NK, § 15 Rn. 71) weist zu Recht darauf hin, dass vollkommene Eindeutigkeit von einem Begriff der sozialen Alltagssprache selbstverständlich nicht erwartet werden kann. Diesen „Mangel“ macht eine an der „Handlungssemantik“ orientierte Lehre aber mehr als wett dadurch, dass sie allgemein verständlich und intersubjektiv nachvollziehbar ist – ein Vorteil, dessen Wert gerade im „brisanten“ Bereich des Tötungsvorsatzes nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Denn so negativ man den Common Sense historisch betrachtet auch konnotieren (wollen) mag, so zweifelhaft muss doch eine Vorsatzbestimmung sein, die in einem so fundamentalen Bereich die Alltagsintuition ignoriert. 525 s. zur praktischen Anwendung der Formel eingehend Puppe, in NK, § 15 Rn. 69 ff., mit zahlreichen Beispielen aus dem Problemfeld des Tötungsvorsatzes (ebenda, Rn. 73 – 76). 526 Der Begriff der „Vermeidbarkeitsform“ stammt von Jakobs, AT 9/4, der eine Differenzierung von Vorsatz und Fahrlässigkeit unter dem Gesichtspunkt der Vermeidbarkeit allerdings selbst (inzwischen) strikt ablehnt (in: Rechtswissenschaft, 283 [305 m. Fn. 77]). 527 Das sieht auch Puppe, in: NK, § 15 Rn. 64.

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identifiziert wird. Soll aber die Finalität das personale Unrecht konstituieren, so kann es streng genommen kein fahrlässiges Unrechtshandeln geben.528 Für den intentionalen Handlungsbegriff stellt sich dieses Problem allerdings von vornherein nicht, rekurriert er doch auf die Zuschreibungspraxis des sozialen Alltags, wonach Intentionalität zwar Konstituens, nicht aber Definiens handlungsmäßiger Verantwortungszuschreibung für ein Ereignis ist. Auch bei fahrlässigem Handeln ist aber stets ein intentionaler Basis-Handlungsvollzug gegeben, dem das rechtliche Unwerturteil anhaftet. In Limitierung auf die Vornahme eines solchen Rumpfaktes, in dem sich ein Wille eo ipso betätigt, kann daher selbst der finalen Handlungslehre die Legitimation nicht abgesprochen werden.529 Gerade diese intentionale BasisHandlung ist es aber, die auch im Fahrlässigkeitsbereich das verbotene – und deshalb in der konkreten Form zu unterlassende – Verhalten in seiner konkreten Gestalt kennzeichnet.530 Zwar trifft es zu, dass die so bestimmte Handlung ihren rechtsgutsbezogenen Sinngehalt nicht aus der subjektiven Zwecksetzung des Akteurs heraus bezieht.531 Aber dieser Einwand, so sehr er die finale Handlungslehre erschüttert hat, geht am intentionalen Handlungsbegriff von vornherein vorbei, da letzterer Intentionalität gerade nicht mit einer Zweckverfolgung im natürlichen Sinne identifiziert. Deshalb kann und muss auch (!) im Fahrlässigkeitsbereich problemlos auf den Sinnausdruck abgestellt werden, der dem intentionalen Basis-Handeln unter den gegebenen Umständen zukommt: Auch hier ist es der intentionale Handlungsvollzug selbst, der die Sorglosigkeit im Umgang mit einem bestimmten handlungsimmanenten „Risikosyndrom“532 objektiviert. Deshalb besteht das verbotene Verhalten auch im Fahrlässigkeitsbereich in der fahrlässigen intentionalen Handlung, die zu unterlassen ist, sofern nicht Maßnahmen einer angemessenen Gefahrenreduzierung ergriffen werden.533 Festzuhalten bleibt also, dass auch das fahrlässige Handlungsunrecht ohne Rekurs auf das intentionale Basis-Handeln nicht (angemessen) begriffen werden kann. cc) Intentionaler Handlungsbegriff und Automatismen Gegen die seinsmäßige Vorgegebenheit des finalen Handlungsbegriffs werden traditionell auch die sog. „automatisierten Reaktionen“ ins Feld geführt, d. h. „(…) Reaktionen, die so eingeschliffen sind, dass sie auf einen auslösenden Reiz hin ohne

528

Arthur Kaufmann, Schuld, 26. So zutr. Jakobs, AT 6/15. 530 Jakobs, AT 6/15. 531 Das ist Arthur Kaufmann (Schuld, 26) ohne Weiteres zuzugestehen. 532 Struensee, JZ 1987, 53 (58 ff.). 533 Nowakowski, JZ 1958, 335 (337); eingehend Zielinski, Unrechtsbegriff, 152 ff., 168 ff.; zust. Paeffgen, Verrat, 133 m. Fn. 341 (heute allg. Ansicht). 529

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Beteiligung des wachen Bewusstseins und also ohne bewussten Willen ablaufen“534. Als eingängiges Beispiel für eine solche automatisierte Reaktion sei hier der Tritt auf die Bremse beim Aufleuchten der Bremslichter des Vorfahrenden im Straßenverkehr herausgegriffen. Können solche Automatismen unbestrittenermaßen rechtlich relevante Handlungen abgeben, so scheint ablaufgestaltende Finalität bzw. selbst zugeschriebene Intentionalität nicht notwendige Prämisse des Handlungsbegriffs zu sein. Doch dieser Eindruck trügt, denn den besagten Reaktionen geht keineswegs jegliche Intentionalität in diesem Sinne ab, sondern es ist – weil eben „eingeschliffen“ – durchaus eine vorgeformte, wenn auch aktuell unbewusst ablaufende, Finalität vorhanden.535 Automatismus und Intentionalität sind also keine Antonyme, sondern es hat sich eben die iterative Erfahrung einer bestimmten Intentionalität so stark eingeschliffen, dass diese jetzt (gleichsam) automatisch abläuft.536 Freilich muss gesehen werden, dass (auch) diese unbewusst ablaufende Intentionalität nur insofern interessiert, als sie motivatorisch (noch) überformt werden kann,537 womit aber wiederum nur das für jede Intentionalität grundlegende Postulat der Vermeidefähigkeit (= Kontrollierbarkeit) ausgedrückt ist. Jedenfalls verkörpert ein Automatismus einen intentionalen Handlungsvollzug, wenn er motivatorisch aufhebbar ist und es an der Zeit, die der neutralisierende Motivationsprozess in Anspruch nähme, nicht fehlt.538 Nach alledem ist entgegen der vorsichtigeren Formulierung von Jakobs539 zu konstatieren, dass sich die Bedingungen der Vermeidbarkeit im Aktivbereich nicht nur „weit überwiegend“, sondern (jedenfalls theoretisch) ausnahmslos in (zumindest äußerlich) finalen bzw. intentionalen Handlungsvollzügen konkretisieren! Was es lediglich zu unterstreichen gilt, ist die Erkenntnis, dass Intentionalität sich nicht notwendig auf der Bewusstseinsoberfläche des agierenden Subjekts abspielen muss. 534

Jakobs, AT 6/16. s. nur Arthur Kaufmann, Schuld, 42 f.; ebenso Jakobs, AT, 6/16, der allerdings „im Grenzfall“ auch unkoordinierte Handlungsvollzüge in den Handlungsbegriff einbeziehen will, sofern diese motivatorisch überformbar seien; in der Sache gehe es eigentlich nicht um finale Handlungsvollzüge, sondern um die Bedingungen der Vermeidbarkeit des Verhaltens. – Dass es hier letztlich um die Bedingungen intentionaler Vermeidbarkeit geht, ist richtig; allerdings dürfte ein unkoordiniertes Tun nicht mehr der Definition einer intentional eingeschliffenen Reaktion unterfallen. Einen Handlungsvollzug, der sich mir über Jahr und Tag so eingeschliffen hat, dass ich ihn automatisch ausführe, koordiniere ich praktisch „im Schlaf“, d. h. es fehlt bei eingeschliffenen Reaktionen gerade nicht an der Koordination, sondern lediglich an der Beteiligung des Wachbewusstseins. Daher kann ein im Ansatz unkoordiniertes Tun keine eingeschliffene intentionale Reaktion sein. Das unkoordinierte Verhalten kann jedoch unter dem Aspekt eines (fahrlässigen) Unterlassens interessieren, wenn es durch eine entsprechende Vorsorgehandlung vermeidbar gewesen wäre (s. dazu Jakobs, AT, 6/16). 536 Arthur Kaufmann, Schuld, 42 f. 537 Jakobs, AT 6/16. 538 Jakobs, AT 6/38; nuanciert zum Ganzen ders., a.a.O., Rn. 35 ff.; ebenso Jäger, in: SK, Vor § 1 Rn. 32 ff. (34). 539 AT 6/16 a.E. 535

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dd) Intentionaler Handlungsbegriff und Unterlassung Im Zusammenhang mit der Erfassung der Unterlassungsdelikte sahen sich die orthodoxen Finalisten vor ähnliche Probleme gestellt wie schon im Bereich des Fahrlässigkeitsdelikts: Die These von dem natürlichen Verwirklichungswillen, der Kausalprozesse überdeterminiere und auf ein Ziel zusteuere, wird hier abermals zum Stolperstein, denn Unterlassungen können nicht als willentlich verursachte Zustandsveränderungen i.S.d. finalen Handlungslehre bestimmt werden.540 Vielmehr wird hier gerade umgekehrt eine aktive Willensbetätigung i.d.S. rechtlich gefordert, d. h. der „natürliche“, kausalitätsüberformende Verwirklichungswille des Omittenten wird lediglich als potentieller in Bezug genommen. Aus finalistischer Sicht liegt damit das „Wesen“ der Unterlassung gerade in der Nichtvornahme einer „natürlichen“ Rettungshandlung, kurz: in einer Nicht-Handlung.541 Handlung und NichtHandlung können aber definitionsgemäß nicht differentia specifica eines verbindenden genus proximum „Handlung“ sein.542 Kleinste gemeinsame personale Zurechnungskategorie im Strafrecht wäre danach vielmehr die „Handlungsfähigkeit“543 oder, von den Verhaltensalternativen her formuliert, die intentionale „Vermeidbarkeit einer Erfolgsdifferenz“544. Diese These, wonach „natürliche“ Handlung und „natürliche“ Unterlassung (zwingend) dichotome Verhaltenskategorien sind, konfligiert allerdings mit unserem Sprachgefühl und läuft somit der Alltagsontologie zuwider.545 Für einen angewandten Handlungsbegriff ist die Beziehung des Handelnden zu seiner Umwelt nicht die von Geschehnissen, weshalb kausale Kategorien zur Handlungsexplikation von vornherein unangebracht sind.546 Maßgeblich für das Erlebnis von Handlung ist, dass der Akteur sich als weltgestaltendes Subjekt erfährt und interpretiert.547 Voraussetzung dafür ist aber allein das subjektive Erlebnis von Kontrafaktizität:548 540 541

25 ff. 542

Arthur Kaufmann, Schuld, 34 – 36. Radbruch, Handlungsbegriff, 131 ff. (140 f.); Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte,

So zutr. Radbruch, Handlungsbegriff, 140 ff. So Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte, 83 f. 544 Jakobs, AT 6/31 f. 545 So zutr. Kindhäuser, Intentionale Handlung, 176, 189. 546 Eingehend und instruktiv zum Ganzen Kindhäuser, Intentionale Handlung, 91 ff. (151 f.). 547 Mit Jakobs (AT, 6/21 a.E., unter Berufung auf Niklas Luhmann) gesprochen geht es also in der Sache darum, was nach den Rationalitätsstandards einer Sprachgemeinschaft „(…) überhaupt ein Subjekt und was für das Subjekt Außenwelt ist und wann die Gestalt der Außenwelt mit dem Subjekt verbunden (ihm zugerechnet) werden kann (…)“. Jakobs selbst meint allerdings, „Handlungsbegriff“, sei eine missverständliche Bezeichnung für diese Zusammenhänge (a.a.O.). Das mag man zwar aus sozialwissenschaftlicher Perspektive so sehen können, muss sich aber dennoch der Tatsache bewusst bleiben, dass „Handlung“ eben die alltagsontologische Chiffre für diese abstrakt-komplexen Zusammenhänge ist. 548 Kindhäuser, Intentionale Handlung, 206. 543

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„Es ist nicht entscheidend, ob die faktische Veränderung in der Welt auch ohne den Handelnden eingetreten wäre; entscheidend ist vielmehr, dass der Handelnde ausschließt, dass die Veränderung auch ohne sein Eingreifen [bzw. ohne seine intentionale Zulassung – Anm. d. Verf.] stattgefunden hätte. Die subjektive Erfahrung ist also untrennbar mit der Instanz eines Handelnden in der Welt verbunden (…)“549.

Deutlich wird, dass das Verhältnis des Menschen zu seinen Körperbewegungen und seiner Umwelt das von Aktualität und Potentialität ist.550 Folglich eröffnet der intentionale Handlungsbegriff von seinen Anlagen her die Möglichkeit, das Unterlassen einzubeziehen: Wer nicht eingreift, obwohl er sich zur Abwendung eines drohenden Ereignisses subjektiv imstande sieht, der interpretiert den Eintritt dieses Ereignisses als Produkt seiner wirklichen (!) intentionalen Zulassungshandlung durch Unterlassen.551 Aus der Perspektive eines Außenstehenden, der das Modell des praktischen Syllogismus retrospektiv zur Handlungsattribution anwenden muss, bedeutet dies Folgendes: Ist Handlungsfähigkeit objektiv gegeben, so wird zunächst auf ein personales Unterlassen rückgeschlossen. Hat der Omittent die eigene Möglichkeit zur Einleitung erfolgversprechender Rettungsmaßnahmen zumindest perzeptorisch erfasst, so wird ihm intentionale Passivität zugeschrieben, als deren Produkt wiederum die wirkliche (!) intentionale Zulassungshandlung zugeschrieben wird.552 Festzuhalten bleibt, dass Unterlassungen nach dem intentionalen Handlungsbegriff sehr wohl Handlungen sind, nämlich intentionale Zulassungshandlungen durch Passivität: Wer es unterlässt, zur Rettung eines lebensgefährlich Verletzten den Notarzt zu rufen, der unterlässt nicht nur die erforderliche und gebotene Hilfe, sondern er lässt den Verletzten sterben! Obwohl Unterlassungen nicht auf dem aktualen Zustandebringen von Ereignissen beruhen, ist es also möglich, insofern von intentionalen Zulassungshandlungen zu sprechen. 3. Handlungsbegriff des sozialen Alltags und strafrechtlicher Handlungsbegriff Wie gesehen geben Intentionen nach dem Handlungsinterpretament des sozialen Alltags die Sinndimensionen an, in die ein Tun vom Akteur und/oder einem außenstehenden Beobachter konkret gestellt wird. Folglich können einem Tun ganz unterschiedliche Sinngehalte zukommen. So kann etwa die Hingabe eines Geschenks bloß bedeuten, dass dem Beschenkten eine Freude gemacht werden soll; sie kann aber auch weitere Absichten ausdrücken, etwa den Versuch, sich den Beschenkten zugetan zu machen oder die Generosität des Schenkers zu demonstrieren. Für die Einbeziehung all dieser möglichen Intentionen ist nun der intentionale 549 550 551 552

Kindhäuser, Intentionale Handlung, 206. Kindhäuser, Intentionale Handlung, 152. Zum Ganzen Kindhäuser, Intentionale Handlung, 175 ff., 207 – 209. Kindhäuser, Intentionale Handlung, 207 f.

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Handlungsbegriff per se offen, weshalb beispielsweise eine rein altruistische Schenkung (sofern es eine solche gibt) einen gänzlich anderen Handlungssinn aufweist als eine Schenkung zwecks Demonstration der finanziellen Überlegenheit des Schenkers. Der Akteur kann also mit seinem Tun jede beliebige Intention verfolgen bzw. ausdrücken, die Handlung beliebig dimensionieren, sofern nur der Intention unter dem Aspekt des konkreten Handelns eine selbständige Sinndimension im sozialen Kontext zugewiesen ist. Diese Offenheit des vorrechtlichen Handlungsinterpretaments für die konkrete Sinndichte eines Tuns wurde auch in der Strafrechtsdogmatik intuitiv erkannt und insbesondere für die Beteiligungslehre fruchtbar zu machen versucht. Paradigmatisches Beispiel dafür ist die von Roxin entwickelte Lehre vom „Irrtum über den konkreten Handlungssinn“.553 Danach soll ein Hintermann unter bestimmten Voraussetzungen sogar einen vollverantwortlich delinquierenden Vordermann noch als „blindes“ Werkzeug zur intentionalen Selbstverwirklichung in einer höher dimensionierten Unrechtshandlung benutzen können. Zu Illustrationszwecken sei der von Herzberg554 gebildete „Kandinsky-Fall“ herausgegriffen: A veranlasst B, ein wertvolles Kandinsky-Gemälde des O zu zerstören, unter der Vorspiegelung, es handle sich lediglich um wertloses Geschmiere. – Hier weiß der B zwar, dass er eine Sachbeschädigung (§ 303) begeht, nicht jedoch, dass er auch einen wertvollen Kunstgegenstand zerstört; A hingegen kann diesen Kenntnismangel für seine eigenen deliktischen Pläne ausnutzen und eine sinnvollere Unrechtshandlung setzen. Damit ist das Geschehen zweifellos so beschrieben, wie es sich nach der vorrechtlichen Handlungsinterpretation darstellt.555 Doch es erhebt sich die Frage, ob diese Wertung für die strafrechtliche Beurteilung übernommen werden kann bzw. darf. Denn die Tatbestände der vorsätzlichen Handlungsdelikte regeln die Unrechtshandlung in ihrer abstrakt-generellen Dimension, weshalb jede weitergehende Konkretion des unrechtlichen Handlungssinns strafbegründungsrechtlich irrelevant ist.556 Mag es also für das soziale Alltagsverständnis (und ggf. die Strafzumessung) auch von noch so gravierender Bedeutung sein, ob ich etwa den „Monet“ statt des wertlosen Geschmieres zerstöre oder ob ich im Identitätsirrtum den X anstelle des Y erschieße, so sind diese Unterschiede doch strafbegründungsrechtlich unerheblich (s. § 303 [Beschädigen oder Zerstören einer fremden Sache] bzw. § 212 [Töten eines Menschen]). Daraus folgt, dass der intentionale Handlungsbegriff des sozialen Alltags strafrechtlich beschnitten, „formalisiert“, werden muss.557 Aus der Perspektive des 553

Roxin, TuT, 212 ff.; ders., Lange-FS (1976), 173 ff.; eine lesenswerte Analyse dieser Doktrin liefert Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 252 ff. 554 In: Täterschaft, 27. 555 Das attestiert der Lehre vom „Irrtum über den konkreten Handlungssinn“ auch Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 253. 556 Herzberg, Täterschaft, 27. 557 Grundlegend dazu Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 234 ff.

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Strafrechts interessiert ausschließlich die Intentionalität i.S.d. straftatbestandlich eingefangenen Unrechts- bzw. Schuldtypus. Die Tatbestände der vorsätzlichen Handlungsdelikte geben als Deliktstypen, d. h. als Unrechts- und Schuldtypen, jeweils einen bestimmten Typus vorsätzlichen Unrechtshandelns sowie ein festes „Set“ möglicher sozialer „Sinngestaltungslevel“ (scil.: der Rechtsgutsverletzung) vor.558 Intentional gehandelt werden kann also, dem Modell des dreistufigen Deliktsaufbaus folgend, auf drei Ebenen („Sinnzugangsleveln“): Verwirklichung generellen Unrechts – Verwirklichung konkreten Unrechts – Verwirklichung maximengeleiteten Unrechts. Auch die Grenze, ab der jemand sich selbst nach der Wertung des Rechts nicht mehr als freie „Ursache“ seines Handelns begreifen muss, sein Tun also als fremdbestimmt interpretieren darf,559 bestimmt allein die lex lata (nämlich in § 35). 4. Intentionaler Handlungsbegriff und Zusammenwirken mehrerer Subjekte Ausgestattet mit dem Rüstzeug der bisher gewonnenen Einsichten können nunmehr aus dem intentionalen Handlungsbegriff Deduktionen für die Beteiligungslehre gewonnen werden. a) Grenzen der intentionalen Selbstverwirklichung: innen oder außen? Die überkommene Strafjurisprudenz hat der Frage nach dem Verhältnis zwischen Handlungsbegriff und Beteiligungsformenlehre bislang zu wenig Beachtung geschenkt, fortwährend „gegängelt“ durch vermeintlich unübersteigbare Sacheinsichten, sei es die Gleichheit aller Bedingungen im Rahmen der kausalen Handlungslehre, sei es die letztlich für alle Beteiligten gleichermaßen anzunehmende Finalität des Handelns als Konsequenz der finalen Handlungslehre. Freilich sind gerade aus dem Lager der orthodoxen Finalisten immer wieder Stimmen mit der Behauptung laut geworden, die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme folge aus dem Wesen der finalen Handlung selbst, denn nur die wirkliche finale Herrschaft über ein Geschehen ermögliche eine Ablaufsteuerung bis hin zum angestrebten Erfolg.560 Allerdings darf diese These heute zu Recht als widerlegt angesehen werden, denn mittlerweile ist herausgearbeitet, dass die realontologische Wurzel der Zurechnung nicht in der faktischen Geschehensbeherrschung liegen kann, sondern

558

Vgl. bereits Herzberg, Täterschaft, 27. Unter den Tatbestandsvoraussetzungen des § 35 I 1 darf der quivis ex populo die „Verantwortlichkeit“ für sein Handeln legitimerweise den äußeren Umständen zuschreiben, die ihn zum Handeln getrieben haben – was im Falle der beteiligungsrechtlich interessierenden Nötigung bedeutet: der nötigenden Einwirkung des Hintermannes (s. dazu schon Kindhäuser, in: NK, Vor §§ 249 ff. Rn. 6; eingehend auch noch unten, S. 405 ff.). 560 Welzel, Strafrecht, § 15 I 1, II 1 (S. 100, 102). 559

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allein in der Tatbeherrschbarkeit qua Kausal- und Erfahrungswissen ex ante.561 In diesen prinzipiellen Beherrschbarkeitszusammenhang ist aber konsequenterweise auch das kalkulierbare Mitwirken anderer Akteure einzubeziehen, mit der Folge, dass das Merkmal der finalen Tatbeherrschbarkeit ex ante für alle Beteiligten gleichermaßen gelten muss.562 In der Konsequenz dieser Sacheinsicht läge von den ontologischen Ausgangsprämissen der finalen Handlungslehre her eigentlich ein für alle Beteiligungstypen gleichermaßen geltender materieller Handlungs- und Einheitstäterbegriff, wie Schild563 ihn entwickelt hat. Doch bleibt auch dieser auf den realontologischen Zurechnungsgrund zurückgeführte Handlungsbegriff in einem mechanistisch-instrumentellen Sinne unterbestimmt, da Schild allein auf die bare „Kausierungspotenz“ des verstandesgemäß planenden Willens abstellt: Da der Mensch in der Lage ist, mithilfe seines Kausal- bzw. Erfahrungswissens Ablaufprognosen zu erstellen, kann er sein Handeln auf die Herbeiführung bestimmter Außenwelterfolge ausrichten. Er kann „Verläufe“ auf bestimmte Ziele hin ansteuern, zu diesem Zweck taugliche Strategien entwickeln, d. h. insbesondere zur Zielerreichung taugliche Mittel überlegen und einsetzen.564 Damit ist die in der praktischen Alltagserfahrung tief verwurzelte realontologische Basis-Komponente von Handlung, die Fähigkeit zu kausaler Antizipation, sicherlich zutreffend beschrieben. Völlig offen bleibt jedoch die Frage nach der selbstreferentiellen Beziehung des Willens zu seinen Zielen: Kann der unrechtlich Planende die „Reichweite“ seiner intentionalen Selbstverwirklichung im Beteiligungsverhältnis nach Gutdünken selbst bestimmen565 oder existieren insofern „natürliche“ Grenzen des Interpretaments? – Wie im Verlauf der Arbeit bereits angedeutet wurde,566 beantwortet der intentionale Handlungsbegriff diese Frage eindeutig im letztgenannten Sinne: Das allgemeinverbindliche Interpretament einer intentionalen Selbstverwirklichung ist aus sich heraus limitiert, denn man kann fremdes Handlungserlebnis, soweit man es als solches einplant, zwar nacherleben, nicht aber selbst ein identisches Handlungserlebnis haben. Schild hingegen problematisierte die Frage nach den inneren Grenzen der intentionalen Selbstverwirklichung nicht, als er seinen materiellen Handlungsbegriff entwickelte. Vielmehr attestierte er dem unrechtlich planenden Willen – und damit 561 Äußerst lesenswert zu dieser Rückführung der Tatherrschafts- als Zurechnungslehre auf ihren finalen Zurechnungsgrund Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 137 ff.; s. dazu auch noch unten, S. 295 ff. 562 So überzeugend Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 278 ff. (282, 328 ff.); ders., in: NK, § 25 Rn. 29 f.; s. ferner auch Freund, AT, § 10 Rn. 47; Haas, ZStW 119 (2007), 519 (526 ff.); Renzikowski, in: Maurach/Gössel/Zipf, AT/2, § 47 Rn. 100. 563 In: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 278 ff. (284), 331 ff. 564 Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 153 ff. 565 I.d.S. Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 278 ff. 566 s. dazu nochmals oben, S. 37 ff.

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jedem Beteiligten – eine „Instrumentalisierungs-Allmacht“ in dem Sinne, dass er jede fremde Tätigkeit, also selbst die freie Unrechtsmaxime eines anderen, zum Zwecke seiner eigenen Verwirklichung usurpieren könne.567 Logische Folge war ein materieller Einheitstäterbegriff.568 Diese Idee ist in ihrer Radikalität rechtsphilosophisch inspiriert. Denn Schild569 folgt im Ansatz der freiheitlich-interpersonalen Handlungslehre der Wolff-Schule und sieht daher überhaupt nur „rechtliche“ Akte als wirkliche Handlungen an, d. h. Akte einer sittlich-autonomen Selbstbestimmung, die in ihrer Gesamtheit das allgemeine sittliche Anerkennungsverhältnis stiften sollen.570 Unrechtliche Handlungen sind nach dieser Doktrin verkümmerte, unwirkliche, weil instrumentell unterbestimmte, Verstandeshandlungen wider die eigene sittliche Vernunft, durch deren Vornahme der Akteur aus dem allgemeinen sittlichen Anerkennungsverhältnis ausbricht und sich selbst isoliert.571 Aufgrund dieses Ausbruchs aus dem allgemeinen sittlichen Anerkennungsverhältnis werden dann die Kosubjekte, zu denen Schild auch etwaige Komplizen zählt, nicht mehr als gleichberechtigte Interaktanten wahrgenommen, sondern nur noch als Werkzeuge, deren Tätigkeit für die eigenen unrechtlichen Zwecke instrumentalisiert werden kann.572 Daran ist durchaus richtig, dass jeder Beteiligte den oder die anderen zur jeweils eigenen kriminellen Interessenverfolgung einplanen und insofern instrumentalisieren kann. Doch muss auch gesehen werden, dass intentionaler Rechtsgutszugriff etwas qualitativ anderes ist als die bare Durchsetzung des eigener Unrechtsinteresses: Der Akteur muss ein allgemeinverbindliches Interpretationsmuster umsetzen, nach dem er sich die Rechtsgutsverletzung (noch) als eigenes (komplexes) intentionales Handlungserlebnis zuschreiben kann. Er muss also einen eigenen, bestimmt gearteten „Dezisivzugriff“573 starten wollen und insofern selbst die „Feuerprobe der kritischen Situation“574 durchlaufen. Damit ist aber der intentionale Handlungsbegriff schon aus sich heraus limitiert, nämlich durch die Grenzen des allgemeinen Handlungsinterpretaments selbst. Diese „natürliche“ Grenze geht als allgemeine Strukturvorgabe auch in den strafrechtlich formalisierten Handlungsbegriff ein, wobei das Strafrecht die Interpretationsmuster einer komplexen intentionalen Selbstverwirklichung rechtsverbindlich festlegt (indirekt in den §§ 16, 17, 32, 34, Erlaubnistatbestandsirrtum, 35 I 1, II). Demgegenüber begreift Schild den unrechtlich planenden Handlungswillen ausschließlich von seiner psychofaktischen Kausierungspotenz her, wodurch die 567 568 569 570 571 572 573 574

NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 278 ff. NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 284, 331 ff. NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 279. NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 280. s. exemplarisch etwa nur Zaczyk, Unrecht, 201. Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 280 ff. Begriff in Anlehnung an Heinrich, Rechtsgutszugriff, 140. Zitat nach Bockelmann, JZ 1954, 468 (473).

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allgemeinen Grenzen selbstreferentieller Handlungsinterpretation unberücksichtigt bleiben. Deshalb kann der strafrechtliche Handlungsbegriff dann lediglich formell limitiert, d. h. von außen „formalisiert“ werden.575 So geschieht es denn auch bei Schild nach wie vor, obwohl er Täterschaft und Teilnahme inzwischen zutreffend nach dem Programmgehalt unterscheidet: Der mittelbare Täter müsse die Tatbestandshandlung durch den anderen als Werkzeug begehen wollen, was aber nicht möglich sei, wenn nach seinem eigenen Programm der andere die vollsinnige Tatbestandshandlung setzen solle.576 Das ist zweifellos richtig, kann jedoch entgegen Schild577 nicht allein damit begründet werden, dass „(…) Tatherrschaft durch Benutzung eines anderen als Werkzeug dort ihre Grenzen finden [muss], wo das Recht das Tun des unmittelbar Handelnden als freies und damit persönliche Verantwortung begründendes wertet“578. Denn der Rekurs auf dieses Gallas’sche Axiom zeigt, dass das unrechtliche Handlungsprogramm des Teilnehmers immer noch bloß von außen her limitiert wird. Die Frage aber, warum derjenige, der das freiverantwortliche Handeln eines Dritten einplant, nicht mehr selbst handeln wollen kann, ist durch den Hinweis auf einen sonst drohenden Wertungswiderspruch der Rechtsordnung nur unzureichend beantwortet. Sie weist vielmehr zurück auf die vorrechtlichen Grenzen des allgemeinen Handlungsinterpretaments selbst, kurzum: auf die Unmöglichkeit, in Bezug auf ein und dasselbe Außenweltereignis zwei identisch dimensionierte ich-intentionale Handlungen anzunehmen. Von daher ist es weder möglich noch erforderlich, das Kriterium der intentionalen Selbstverwirklichung irgendwie inhaltlich zu konturieren,579 sondern es geht bloß darum, die in ihm bereits angelegten Grenzen strafrechtskonform auszufüllen. Tut man dies, so gelangt man, wie noch zu zeigen sein wird, gleichsam „automatisch“ zu einer sinnvollen Abgrenzung der Beteiligungstypen. b) Intentionale Selbstverwirklichung und Eigenkörperlichkeit Trotz des Theoriendickichts auf der Binnenebene ist man sich innerhalb der Tatherrschaftslehre jedenfalls über den Ausgangspunkt der Täterlehre einig: Wer sich in einer bestimmten Rechtsgutsverletzung unmittelbar eigenhändig verwirklicht, der ist der „Prototyp“ des Täters: „Man kann eine Tat nicht deutlicher beherrschen, als indem man sie selber tut; man kann nichts fester in der Hand haben als durch die Eigenhändigkeit.“580 Das trifft zweifellos zu, doch zeigt bereits der einfache Fall der

575 576 577 578 579 580

So expressis verbis Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 234. Schild, in: NK, § 25 Rn. 79. In: NK, § 25 Rn. 79. So Gallas, Beiträge, 78 (99). So aber Schild, NK, § 25 Rn. 70. Roxin, TuT, 127.

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Benutzung einer Schusswaffe, dass diese von Roxin sog. „Handlungsherrschaft“581 eher den Archetypus des Täters kennzeichnet.582 Jedenfalls zerbricht die Suggestivkraft des Bildes von der Eigenhändigkeit, wenn man den Einsatz nicht beherrschbarer Werkzeuge wie etwa eines gefährlichen Tieres bedenkt.583 Deutlich wird, dass dieser enge, genuin beteiligungsrechtliche Tatbestandshandlungsbegriff i.S.d. zweiten Zurechnungsstufe Roxins (= Unrechtstat zur Person) eine phänomenologische Abbreviatur darstellt. Denn realiter geht es doch bereits hier um die von innen heraus nachzuvollziehende Zurechnung des Wirkens der freigesetzten Werkzeugkräfte zu dem sie freisetzenden Willen.584 Das Bild von der unmittelbaren Eigenkörperlichkeit trifft wenn überhaupt585 allein auf den intentionalen BasisHandlungsvollzug ex ante zu, der aber in den meisten Fällen gerade noch keine Handlungsherrschaft im Roxin’schen Sinne vermittelt, sondern erst den Grund für die Zurechnung des weiteren Geschehens abgibt.586 Liegt es aber so, dann steht nichts im Wege, diesen (scil.: noch einseitig realontologisch fundierten) Zurechnungsgedanken mutatis mutandis auch auf die Einplanung menschlichen Verhaltens auszudehnen, sofern ex ante nur ein entsprechend taugliches Programm (= Manipulations- oder Korrumpierungsstrategie) konzipiert wird.587 Richtig ist zwar, dass wir keine allgemeingültigen Gesetze über das Zustandekommen menschlicher Verhaltensentschlüsse kennen.588 Das bedeutet jedoch keineswegs, dass menschliches Verhalten, selbst unrechtliches Handeln, in der sozialen Interaktion unkalkulierbar wäre. Ganz im Gegenteil zeigt doch die Alltagserfahrung, dass zwischenmenschliche Interaktion „im Kleinen“ durch das Wissen um den „Motivationshorizont (Charakter)“ des jeweils anderen589 sowie durch ein vielschichtiges Netz (wechselseitiger) enttäuschungsfester Verhaltenserwartungen590 geprägt ist, die keineswegs zwingend ein „rechtmäßiges“ oder „sittlichautonomes“ Denken und Handeln des eingeplanten anderen voraussetzen müssen. 581

Roxin, TuT, 127. So zutr. schon Paeffgen, Verrat, 113; s. auch Schünemann, Unterlassungsdelikte, 250, 285; zust. Schild, in: NK, § 25 Rn. 11, 45. 583 Grundlegend dazu Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 74 ff. 584 Eingehend Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 82 ff., 111 ff.; ders., in: NK, § 25 Rn. 2, 10 ff. 585 Genau genommen ist die „Funktionsfähigkeit“ des eigenen Körpers zum beabsichtigten Handlungszeitpunkt selbst bereits Gegenstand des Beherrschbarkeitszusammenhangs (s. dazu schon Paeffgen, Verrat, 114 f.; Paeffgen/Zabel, in: NK, Vor §§ 32 ff. Rn. 52), zumal der vorangehende neuronale Willensbildungsprozess ebenfalls nicht der eigenen Herrschaft unterliegt (s. dazu Köhler, Fahrlässigkeit, 329 Fn. 8; zust. Zaczyk, Unrecht, 102). 586 Vgl. Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 74. 587 Schild, Täterschaft, 12 ff. (16 ff.); ders., in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 75, 158 ff., 278 ff.; ders., in: NK, § 25 Rn. 13, 16, 30, 125, 127. 588 So zutr. Puppe, in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 125 m.w.N. 589 Vgl. Schild, § 25 Rn. 30, 97 (Zitat in Rn. 97). 590 Vgl. dazu Amelung, Schroeder-FS (2006), 147 (166 ff.), unter Rekurs auf den Sozialwissenschaftler Luhmann (s. dazu die Nachweise bei Amelung, a.a.O., 166 Fn. 62 f.). 582

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Nachdrücklich erwartet werden können vielmehr auch unrechtliche Handlungen wie z. B. die innerhalb einer Jugendgang eingeforderte „Mutprobe“, die etwa im „Abziehen“ eines Passanten bestehen mag.591 Natürlich konfligieren solche unrechtlichen Verhaltenserwartungen mit gegenläufigen, als sanktionsbewehrt verinnerlichten, Verhaltensnormen der Rechtsordnung und idealerweise auch mit persönlichen Skrupeln des Aufgeforderten.592 Doch kann hierin kein generelles Argument gegen die Kalkulierbarkeit fremden Unrechtshandelns erblickt werden. Denn eine solche (normativ fundierte) „Hemmschwelle“593 vor dem Unrechttun kann durch entsprechende Verführungsstrategien durchaus überwunden werden, wenn der Akteur weiß, welche „Knöpfe“ er beim Aufgeforderten „drücken“ muss.594 Diese Endlichkeit der individuellen Freiheit ist nolens volens die soziale Realität, auch wenn wir nicht über psychische Kausalgesetze verfügen.595 Die in der Strafjurisprudenz bisweilen vorzufindende Annahme, fremde Autonomie(fähigkeit) oder Willensfreiheit sperre prinzipiell schon die psychofaktische Beherrschbarkeit eines Geschehens im realontologischen Sinne, d. h. die Kalkulierbarkeit ex ante,596 ist deshalb in ihrer Generalität schlicht falsch; insbesondere kann sie nicht ohne Abstriche von der sozialen Wirklichkeit als Derivat eines gelebten oder postulierten sittlichen Anerkennungsverhältnisses propagiert werden.597 Festzuhalten bleibt daher, dass im realontologischen Sinne einer prinzipiellen Geschehensbeherrschbarkeit ex ante durchaus auch menschliche Tätigkeit vorausschauend eingeplant werden kann. Doch es erhebt sich die Frage, was genau dem Hintermann bei der Einplanung fremder Tätigkeit zugerechnet wird und warum. Für viele Anhänger der Tatherrschaftslehre598 liegt auf der Hand, dass das personale Handeln des eingeplanten anderen Zurechnungsobjekt ist (hier sog. Lehre vom Tatmittler): Wenn ein anderer die Ausführungshandlung setzt, dann kann der Hintermann sie logischerweise nicht setzen, weshalb ihm die Handlung des Vordermannes zugerechnet werden muss. Hinter dieser Sichtweise steht die Idee von der für alle Beteiligten einheitlich phänomenologisch zu bestimmenden formellen Tatbestandshandlung (= „Handlungsherrschaft“599). Diese Idee ist jedoch angreifbar: Erstens verfehlt der realon-

591

Vgl. Amelung, Schroeder-FS (2006), 147 (168). So Schild, in: NK, § 25 Rn. 30 m.w.N. 593 s. dazu etwa Heinrich, Rechtsgutszugriff, 202 f. 594 Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 329; ders., in: NK, § 25 Rn. 30, 97. 595 Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 329. 596 So etwa Hoyer, in: SK, Vor § 25 Rn. 12 f.; Schneider, Risikoherrschaft, 63, 70, 87, 137, 200, 233; Schumann, Selbstverantwortung, 5. 597 I.d.S. aber Zaczyk, in: NK, § 30 Rn. 7. 598 s. etwa Hoyer, in: SK, Vor § 25 Rn. 15; Küper, JZ 1983, 361 (369); Puppe, AT, § 24 Rn. 2. 599 s. nochmals Roxin, TuT, 127 ff. 592

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tologische Aspekt der „Handlungsherrschaft“ (oder genauer: Risikoherrschaft600) für sich allein genommen unser alltagsontologisches Verständnis von Handlung als Interpretation einer intentionalen Selbstverwirklichung. Denn es geht ja nicht (nur) um die äußere Beherrschung eines Geschehens qua Ausführung, sondern um die intentionale (Selbst-)Zuschreibung eines bestimmten Außenweltereignisses als Handlung, in Bezug auf das eben auch mehrere nicht-identische Handlungen denkbar sind.601 Zweitens bleibt die Lehre von der formellen Ausführungshandlung aber auch hinter dem möglichen Wortsinn des § 25 I Alt. 2 zurück. Danach „begeht“ nämlich auch der mittelbare Täter die Straftat, d. h. aber die Tatbestandshandlung, nur eben „durch einen anderen“, was aber doch bedeutet (oder jedenfalls bedeuten kann), dass er selbst „durch“ diesen anderen handelt.602 Das fremde Tun wird als Werkzeugtätigkeit zur Begehung einer eigenen, höher dimensionierten, (Straf-)Tatbestandshandlung instrumentalisiert und interessiert daher ausschließlich in seiner äußeren Funktion als Werkzeugkraft.603 Im Kern bleibt also festzuhalten, dass die Tatbestandshandlung keineswegs Eigenhändigkeit voraussetzt. Roxin sah das Problem, denn er stellte die Frage, ob das Einschalten eines unvorsätzlich und also „blind“ agierenden Werkzeugs beim Hintermann Handlungs- oder aber Willensherrschaft begründe.604 Doch betrachtete er die aufgeworfene Fragestellung als eine rein terminologische, weshalb er sie in der Sache offen ließ und die Benutzung eines unvorsätzlich agierenden Tatmittlers mit der traditionellen Auffassung der Willensherrschaft zuschlug.605 Diese behände „Lösung“ kann aber schon deshalb nicht befriedigen, da die Fragestellung ihren Schatten in Wahrheit auf jedweden Einsatz eines „blinden“ Werkzeugs wirft, folglich auf die gesamte genuine „Irrtumsherrschaft“ i.S. Roxins.606 Und in der Tat kam Roxin im Zusammenhang mit seiner Lehre von den Stufen sinnhafter Tatgestaltung607 gezwungenermaßen wieder auf das ungeklärte Verhältnis zum Handlungsbegriff zurück – dessen Bestimmung er jedoch bezeichnenderweise abermals offen ließ: Um den finalen Handlungsbegriff nicht mit dem Bewusstsein der Rechtswidrigkeit in Verbindung bringen und so in den Streit um das ontologische Wesen der Handlung eingreifen zu müssen, begnügte er sich damit, von „sinnhafter Tatgestaltung“ und „sinnhafter Überdetermination“ zu sprechen.608 600

So konsequent Hoyer, in: SK, § 25 Rn. 36. Vgl. Kindhäuser, Intentionale Handlung, 159 ff.; ders., in: EzR, Handlung Rn. 21 f. 602 So zutr. Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 160 f., 284, 286 f., 298, 300; ders., in: NK, § 25 Rn. 13 ff.; s. auch bereits Schilling, Verbrechensversuch, 108 ff. 603 Eingehend und instruktiv dazu Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 284 ff.; ders., in: NK, § 25 Rn. 13 ff.; in der Sache auch bereits Schilling, Verbrechensversuch, 95, 104 f. 604 TuT, 173. 605 TuT, 173. 606 So zutr. Schild, Täterschaft, 20. 607 TuT, 197 ff. 608 TuT, 197 ff. (200). 601

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Doch das kann so nicht überzeugen, denn in all diesen Fällen geht es nicht etwa darum, einem existierenden Kind einen Namen zu geben, sondern vielmehr um die Frage der Existenz des Kindes selbst, um die Frage nämlich, ob der Hintermann handelt, ob er eine Tatbestandshandlung setzt!609 Versteht man unter Handlung die Interpretation einer intentionalen Selbstverwirklichung, und geben Intentionen die Sinndimensionen unseres Handelns an, dann regeln die Straftatbestände des StGB als Unrechts- und Schuldtypen die Tatbestandshandlung gestaffelt nach Sinndimensionen. Demnach gibt es nicht (nur) die Tatbestandshandlung als phänomenologischen Ausführungsakt, sondern diverse nach Handlungssinn gestaffelte, einfache und komplexe, Tatbestandshandlungen (= unterschiedlich dimensionierte Verletzungshandlungen). Nutzt man also das Potential eines alltagsontologisch rückgebundenen Handlungsbegriffs, so kann man anstelle der Roxin’schen Lehre von der sinnhaften Tatgestaltung von vornherein einen mehrdimensionalen Tatbestandshandlungsbegriff entwickeln.610 c) Mehrdimensionalität des Tatbestandshandlungsbegriffs: Potpourri der strafrechtlichen Systemkategorien? Freilich kann man fragen, ob ein solcher mehrdimensionaler Tatbestandshandlungsbegriff nicht illegitimerweise die Systemkategorien von Unrecht und Schuld vermengt.611 Dies ist jedoch nicht der Fall, da die Trennung zwischen Unrechtshandlung und Schuld keiner handlungstheoretischen Systemvorgabe folgt.612 Die verschiedenen Sinndimensionen, in denen intentionales Handeln figurieren kann, werden nicht etwa als Prädikate von außen an ein geschlossenes Definitionssystem „Handlung“ herangetragen, sondern die Mehrdimensionalität ist Implikat des

609

So zutr. Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 75. So in der Sache eigentlich auch bereits Welzel, ZStW 51 (1931), 703 (718): „Der kausale Zusammenhang ist nur Teilkomponente des Sinnzusammenhangs, bestimmt und gelenkt durch die sinn-intentionale Gesetzlichkeit des Handlungszusammenhanges.“ – Vom Boden einer orthodox-finalistischen Handlungslehre aus kann man das natürlich auch anders sehen (s. bereits Roxin, TuT, 200). Setzt man nämlich finale Tatherrschaft mit „natürlicher“ Verletzungsfinalität gleich, dann kann nur derjenige Tatherr sein, der den Naturkausalverlauf final auf die Rechtsgutsverletzung zusteuert – mit der Folge, dass mittelbare Täterschaft schon bei unrechtlicher Veranlassung einer gerechtfertigten Vorsatztat ausgeschlossen wäre (i.d.S. konsequent Zielinski, Unrechtsbegriff, 304 f.). Die damit einhergehende Straflosigkeit des Hintermannes bei Einsatz eines gerechtfertigten Werkzeugs wäre allerdings ein unhaltbares Ergebnis, das sich auch mithilfe abstrakter Erwägungen zum Strafgrund der Teilnahme (vgl. Zielinski, a.a.O., 306 f.) de lege lata nicht korrigieren ließe. Zielinskis konsequente Auffassung beleuchtet den „blinden Fleck“ der finalen Handlungslehre – sich die Herkunft der „natürlichen“ Handlungsdefinition nicht bewusst gemacht zu haben. 611 s. zum Problem bereits Roxin, TuT, 200. 612 Vgl. auch Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 340, der konstatiert, dass durch die Einführung der limitierten Akzessorietät „(…) der Mangel der finalen Lehre Gesetz (…)“ geworden sei. 610

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Handlungsbegriffs selbst.613 Damit erledigt sich das vermeintliche „Problem“ der Vermischung distinkter Systemkategorien614 von vornherein, denn die Annahme eines mehrdimensionalen Handlungsbegriffs bricht gerade nicht mit einem vorfindlichen „Wesen“ von Handlung (wie es die finale Handlungslehre propagiert), sondern sie entspricht dem „natürlichen“ Handlungsverständnis des sozialen Alltags. Der historische Gesetzgeber hat auch nicht etwa einen „eindimensionalen“ Handlungsbegriff i.S.d. finalen Handlungslehre festgeschrieben, indem er mit Einführung der limitierten Akzessorietät die Trennung von Unrecht und Schuld legalisierte.615 Denn bezweckt war damit allein die Ermöglichung einer Teilnahme an schuldloser Tat, um Strafbarkeitslücken zu schließen.616 Das legislatorische Bekenntnis zur limitierten Akzessorietät besagt daher nur, dass es eine ohne Vorsatzschuld gedachte Unrechtstat geben können muss, nicht aber, dass die Unrechtseinsicht (als „sachliches Substrat“617 der Schuld) die Materie einer Unrechtshandlung nicht mitprägen darf. Demnach ist es also sehr wohl möglich, über den Kopf eines tatbestandsmäßig handelnden anderen hinweg einen eigenen handlungsmäßigen Rechtsgutszugriff vorzunehmen. So liegt es etwa dann, wenn jemand sein Kleinkind (vgl. § 19) im Supermarkt damit „beauftragt“, ein Überraschungsei einzustecken (§§ 242, 25 I Alt. 2). Die Einsicht in das materiale Schuldsubstrat eröffnet dem Hintermann die Möglichkeit, unter der Sinndimension der Sozialschädlichkeit selbst auf das Rechtsgut zuzugreifen. Diese Handlungssinndimension hat mit seiner individuellen Schuld (als Intention zweiter Ordnung) aus systematischer Sicht nichts zu tun!618 Vielmehr setzt der Hintermann eine eigene, höher dimensionierte Tatbestandshandlung, die die niedriger dimensionierte Verletzungshandlung des Werkzeugs umgreift. Nicht die individuelle Schuldkomponente ist unrechtsbegründend, sondern die Instrumentalisierung fremder Tätigkeit von einem höheren Sinnzugangslevel aus.619 Solche Konstellationen fallen freilich durch das „grobe“ Raster des „klassischen“ Systemaufbaus.620 Doch liegt darin kein Problem, sofern man der Dreiteilung in Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit und Schuld nicht einen dogmatischen Absolutheitsanspruch unterlegt, sondern sie als ein Modell der Straftat begreift, das in erster Linie darstellerische Zwecke verfolgt und vorhandene Vernetzungen oder

613

Das hatte intuitiv auch bereits Roxin, TuT, 200, erkannt. s. dazu Roxin, TuT, 333 f. 615 s. dazu Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 339 f. m. 333 („Caesar ne supra grammaticos“). 616 Vgl. dazu Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 43. 617 So pointiert Roxin, TuT, 334 Fn. 20. 618 So für die Unterscheidung von höherstufiger Tatherrschaft und Schuld Roxin, TuT, 334. 619 Roxin, TuT, 334. 620 Roxin, TuT, 333. 614

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Interdependenzen zwischen den einzelnen Systemkategorien naturgemäß unbeleuchtet lassen muss. d) Tatbestands- oder Teilnahmehandlung? – Eine Frage des Programmgehalts Nach den bisherigen Ausführungen orientiert sich die Abgrenzung der Beteiligungsformen bei den allgemeinen vorsätzlichen Handlungsdelikten am propositionalen Programmgehalt: Wird ein originärer Entscheidungszugriff auf das Rechtsgut umgesetzt, liegt ein täterschaftliches Programm vor, wird ausschließlich fremder Entscheidungszugriff eingeplant, liegt allenfalls ein teilnehmerschaftliches Programm vor. Klarzustellen ist freilich, dass der intentionale Handlungsbegriff für das gesamte Beteiligungssystem gilt, weshalb durchaus auch komplexe Teilnahmehandlungen denkbar sind.621 (Beispiele: A zwingt B unter gegenwärtigen Todesdrohungen, den C zu einer Straftat anzustiften [= „mittelbar-täterschaftliche“ Anstiftung]; A bittet B unter Angabe einer privaten Adresse, dem „dort wohnenden“ C eine Leiter zum Streichen vorbeizubringen; in Wahrheit handelt es sich um das Haus des D, in das der C – wie Aweiß – einbrechen will [= mittelbar-täterschaftliche Beihilfe]). Tatbestands- und Teilnahmehandlung unterscheiden sich also allein im handlungstheoretischen Programmgehalt: Der Täter will nach seinem – insofern tauglichen – Programm einen eigenen intentionalen Rechtsgutszugriff unternehmen, der Teilnehmer dagegen will einen anderen zu einem solchen Rechtsgutszugriff bestimmen bzw. ihn hierbei unterstützen. Die Abgrenzung folgt dabei, wie hier bereits im Ansatz herausgearbeitet wurde, den immanenten Vorgaben des allgemeinen Handlungsinterpretaments selbst: Sind mehrere Handlungssubjekte an der Realisierung einer Rechtsgutsverletzung beteiligt, so muss der nicht (allein) ausführende Einzelne entweder auf einem relevant überlegenen Handlungslevel operieren oder aber kollektive Intentionalität umsetzen, um seinerseits noch originär auf das Rechtsgut zugreifen zu können. e) Intentionaler Handlungsbegriff und Interaktion mehrerer Subjekte bei Kindhäuser aa) Darstellung Mittlerweile hat auch Kindhäuser seinen Handlungsbegriff für die Interaktion mehrerer Subjekte konkretisiert, wobei allerdings zu notieren ist, dass sich das Straftatverständnis dieses Autors inzwischen kategorial verändert hat.622 Die

621 622

Schild, in: NK, Vor §§ 26, 27 Rn. 7. Dazu Kindhäuser, Gefährdung, 25.

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2. Kap.: Täter als tatbestandsmäßig sich Verhaltender u. Handlungsbegriff

Kindhäuser’sche Neuinterpretation der Straftat wird an späterer Stelle623 noch genauer zu analysieren sein, weshalb hier nur so viel gesagt sei: Kindhäuser behält zwar den intentionalen Handlungsbegriff an sich bei,624 weist der Handlung aber im System der Straftat einen gänzlich anderen Standort zu. Entscheidende Prämisse subjektiver Zurechnung sei nicht (mehr) ein zweckgerichtetes Verhalten, sondern die fehlende Befolgung einer Norm durch finales Verhalten. Es gehe also um keine realisierte Intention, sondern um die nicht realisierte, aber zu realisierende normgemäße Finalität.625 Normverletzung sei dabei mehr als nur vermeidbares unerlaubtes Verhalten, nämlich ein Tun, durch das der Akteur zum Ausdruck bringe, dass er die Norm nicht handlungswirksam als für ihn gültige Maxime anerkennen wolle.626 Den objektiven Erklärungswert eines solchen Normwiderspruchs bilde die im Wege objektiver Zurechnung konstituierte Tatbestandsverwirklichung als das objektive Unrecht, für dessen Realisierung der Täter zur Verantwortung gezogen werde. Subjektiv zurechenbar sei eine solche Tatbestandsverwirklichung dann, wenn der Täter das sie bedingende Verhalten bei Anerkennung der Norm als Verpflichtungsgrund hätte ex ante vermeiden können und müssen.627 Diese subjektive Zurechnung eines normwidrigen Verhaltens als schuldhafte Pflichtverletzung erfolge in zwei Schritten: Zunächst werde gefragt, ob der Täter bei unterstellter rechtstreuer Motivation in der Lage gewesen wäre, die Intention zur Vermeidung der Tatbestandsverwirklichung zu bilden und zu realisieren, wobei eine bejahende Antwort das allgemeine Handlungsunrecht konstituiere. Sodann sei in einem zweiten Schritt, der Zurechnung des Unrechts zur Schuld, zu fragen, warum der Akteur die Intention zur Vermeidung der unerlaubten Gefahr nicht handlungswirksam gebildet habe; hier gehe es um mögliche Gründe, welche die Erwartung der rechtstreuen Normadressaten entfallen ließen, der Akteur werde die Intention zweiter Ordnung bilden und das Gesollte als Gewolltes zu seinem dominanten Motiv machen.628 In neuerer Zeit hat sich Kindhäuser daran gemacht, diesem Straftatmodell die Beteiligungsformen des StGB systemadäquat zu implementieren,629 wobei dem Bezug zum Handlungsbegriff eine tragende Rolle zukommen soll: Impliziere die Handlung der Normverletzung eine expressive Stellungnahme zur Norm, dann müsse der Handlungsbegriff – hegelianischer Tradition folgend – in seiner komplexen Struktur als voll verantwortliche Stellungnahme zum Recht erfasst werden, so dass er stets auch Schuld voraussetze und mit der Straftat selbst identisch sei.630 623

Unten, S. 246 ff. Kindhäuser, Gefährdung, 25; ders., Hollerbach-FS (2001), 627 (636). 625 Kindhäuser, Hollerbach-FS (2001), 627 (637). 626 Kindhäuser, Hollerbach-FS (2001), 627 (637). 627 Kindhäuser, Hollerbach-FS (2001), 627 (634). 628 Kindhäuser, Hollerbach-FS (2001), 627 (642). 629 Zunächst die mittelbare Täterschaft, in: Bemmann-FS (1997), 339 ff.; dann die Mittäterschaft, in: Hollerbach-FS (2001), 627 ff. 630 Kindhäuser, Hollerbach-FS (2001), 627 (638). 624

B. Die Regelung des § 25 und der allgemeine Täterbegriff

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Konsequent wird der Täter bestimmt als derjenige, „(…) der nicht nur faktisch, sondern auch normativ für das Geschehen als eigene Erklärung einzustehen hat“631. Für die mittelbare Täterschaft spitze sich das Problem insoweit zu, als hier die Verantwortlichkeit für fremdes Verhalten als eigene Tat in Rede stehe.632 Nach den Regeln der mittelbaren Täterschaft würden nun verantwortungsfreie Räume dergestalt geschlossen, dass eine Deliktskonstituente von demjenigen, dem sie nicht zurechenbar sei, auf denjenigen übertragen werde, der für sie einzustehen habe. Voraussetzung eines solchen Transfers von Deliktsteilen sei die fehlende täterschaftliche Verantwortung des Vordermannes für das betreffende Verhaltensstück.633 Denn der Täter werde durch die Tat als das zu Verantwortende bestimmt, weshalb als Werkzeug im Sinne mittelbarer Täterschaft nicht in Betracht komme, wer selbst voll verantwortlich delinquiere.634 Nach diesen Grundsätzen seien aus einem Gesamtkomplex lösbare „Sinnteile“ isoliert zurechenbar, wenn das fragliche Sinnstück nicht schon Teil der normbezogenen Erklärung des Vordermannes sei. Der Hintermann könne also „Sinnlücken“ beim Vordermann dergestalt ausfüllen, dass dessen Verhalten als eigener Normwiderspruch des Hintermannes anzusehen sei. Dies gelte auch für die Fälle der Initiierung bzw. Ausnutzung eines vermeidbaren Verbotsirrtums, da das Zurechnungssurrogat der Rechtsfahrlässigkeit dem Tun des Vordermannes einen anderen Sinn verleihe als das primäre Zurechnungskriterium der aktuellen Verbotskenntnis.635 Bei der Mittäterschaft dagegen beruhe die Haftung der Beteiligten auf dem Prinzip „wechselseitiger Repräsentanz“: Jeder Beteiligte müsse durch sein Verhalten zugleich ein eigenes und ein fremdes „Geschäft“ besorgen, also „eigen- und fremdhändig“ tätig werden, so dass das Verhalten des jeweils einen Komplizen zugleich auch als eigenhändiger Organisationsakt des jeweils anderen Komplizen anzusehen sei.636 Die Idee einer solchen wechselseitigen Repräsentanz sei dem Strafrecht keineswegs fremd: Schneide etwa der A dem B die Haare, weil dieser ihn darum gebeten habe, dann sei das Verhalten des A normativ ein Handeln des B und deshalb sub specie § 223 tatbestandslos.637 Erlaubten es aber die überkommenen Zurechnungsgrundsätze, ein Verhalten als eigenes unsichtbar zu machen, wenn es vollkommen in einen fremden Handlungsspielraum integriert sei, dann müsse ein 631

Kindhäuser, Bemmann-FS (1997), 339 (346). Kindhäuser, Bemmann-FS (1997), 339 (346). 633 Kindhäuser, Bemmann-FS (1997), 339 (342 f.). 634 Kindhäuser, Hollerbach-FS (2001), 627 (632); ders., Bemmann-FS (1997), 339 (340 f.). 635 Kindhäuser, Bemmann-FS (1997), 339 (345) [im Text zitierte Begrifflichkeit ebenda]. 636 Kindhäuser, Hollerbach-FS (2001), 627 (645) [im Text zitierte Begrifflichkeiten ebenda]. 637 Kindhäuser, Hollerbach-FS (2001), 627 (646). – Diese Argumentation ist freilich angreifbar: Dass B tatbestandslos agiert, wenn er dem A auf dessen Bitte hin die Haare schneidet, steht außer Frage. Dieses Ergebnis beruht aber nicht etwa darauf, dass A normativ gesehen durch B handelt, sondern darauf, dass B’s Handlung wegen A’s Einverständnis sozialadäquat ist! 632

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Verhalten erst recht als eigenes und fremdes angesehen werden können, wenn es zugleich eigener und fremder Organisation diene.638 Dieser Gedanke könne ohne Weiteres auf den mittäterschaftlichen Normbruch extrapoliert werden: Mittäterschaft sei dann die Einbettung von Handlungen verschiedener Akteure in kongruente Deutungsschemata verbundener Organisationskreise.639 Ein Autonomieprinzip im Sinne eines Regressverbots stehe dem Gedanken der wechselseitigen Repräsentanz von vornherein nicht entgegen; die Annahme eines solchen Regressverbots sei bereits im Ansatz verfehlt, da Autonomie ex definitione die autonome Entscheidung zur Verbindung von Handlungsspielräumen nicht sperren könne.640 Der Grund für die subjektive Zurechnung des Verhaltens als Pflichtverletzung liege auch bei der Mittäterschaft zum einen in der mangelnden handlungswirksamen Anerkennung der Norm durch den jeweils eigenen risikobegründenden oder -erhöhenden Beitrag.641 Zum anderen verlange die subjektive Zurechnung bei der Mittäterschaft ein in den wesentlichen Punkten kongruentes Deutungsschema sämtlicher Beteiligter betreffend die Konstituierung des Gesamtrisikos. Das Verhalten jedes Komplizen müsse mit Blick auf die Risikoschaffung und -erhöhung wechselseitig nach demselben Muster interpretiert werden und sich so als Arbeitsteilung darstellen.642 Und das Deutungsschema müsse wechselseitig für verbindlich gehalten werden, da nur so der eigene Beitrag zugleich für den Akteur selbst und den bzw. die anderen Beteiligten gemeinsamen Sinn ausdrücke, den übereinstimmenden „Willen“ aller Beteiligten repräsentiere.643 Da die wechselseitigen Erwartungen der Beteiligten einen faktischen Grund haben müssten, setze Mittäterschaft einen gemeinsamen Tatentschluss voraus, der die ggf. schlüssig objektivierte Verdeutlichung der Erwartung in die wechselseitige Verbindlichkeit des Deutungsschemas verlange.644 Insgesamt bestehe zwischen Täterschaft und Teilnahme eine qualitative Differenz: Allein der Täter sei für die Vermeidung des tatbestandsspezifischen Risikos zuständig, wohingegen der Teilnehmer nur für eine sekundäre, auf die Initiierung oder Unterstützung der Haupttat bezogene, Pflichtverletzung einzustehen habe.645 638

Kindhäuser, Hollerbach-FS (2001), 627 (646). – Dieser Größenschluss ist ebenfalls zweifelhaft: Selbst wenn das Einverständnis des Rechtsgutsträgers u. U. ein kongruentes Interpretationsmuster seiner einseitigen Repräsentanz im rechtsgutsverletzenden Handeln begründen könnte (s. dazu die vorangegangene Fn.), wäre damit noch lange nicht gesagt, dass mehrere unrechtlich Handelnde ihr eigenes Tun einfach wechselseitig zu einem auch-fremden machen können. Denn während im ersteren Falle das „Opfer“ immerhin noch in die intentionale Disposition über das Handlungssubjekt einbezogen wäre, wäre diese im letzteren Falle allein den Delinquenten untereinander überlassen (wenn auch unter bestimmten einschränkenden Voraussetzungen)! 639 Kindhäuser, Hollerbach-FS (2001), 627 (646). 640 Kindhäuser, Hollerbach-FS (2001), 627 (644 f.). 641 Kindhäuser, Hollerbach-FS (2001), 627 (649). 642 Kindhäuser, Hollerbach-FS (2001), 627 (649). 643 Kindhäuser, Hollerbach-FS (2001), 627 (649 f.). 644 Kindhäuser, Hollerbach-FS (2001), 627 (650). 645 Kindhäuser, Hollerbach-FS (2001), 627 (650 ff.).

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bb) Kritik Zu notieren ist, dass Kindhäuser den intentionalen Handlungsbegriff nunmehr im Unrechtsgefüge anders verortet, indem er fragt, ob der Akteur bei unterstellter rechtstreuer Motivation in der Lage gewesen wäre, die Intention zur Vermeidung der Tatbestandsverwirklichung zu bilden. Konstitutiv für das Unrecht ist nicht (mehr) eine pflichtwidrig betätigte Intention, sondern die intentionale Vermeidefähigkeit in Bezug auf das handelnd geschaffene Risiko. Die Frage, wie dieses Verständnis von Unrecht aus verhaltensnormtheoretischer Sicht zu bewerten ist, ist andernorts646 zu klären. Hier sollen nur seine Implikationen für die Beteiligungsformenlehre einer Kritik unterzogen werden. Insofern folgt aus den Darlegungen Kindhäusers zunächst die Einsicht, dass sowohl Täterschaft als auch Teilnahme ex ante actu die intentionale Vermeidbarkeit des je eigenen unerlaubten Verhaltens und seiner Folgen (= Risikoschaffung, Erfolgseintritt) voraussetzen. Dies muss so sein, denn wäre der tatbestandsmäßige Erfolg nicht auch für den Teilnehmer zumindest prinzipiell antizipierbar, so wären die Strafandrohungen der §§ 26, 27 schlicht illegitim.647 Kindhäuser meint nun allerdings, dass ausschließlich der Täter für die Vermeidung gerade des tatbestandsspezifischen Risikos zuständig sei. Es fragt sich aber, warum dies so sein soll, setzt doch die Zuständigkeit für das unerlaubte Risiko kraft gefahrschaffenden Verhaltens nach Kindhäuser nur voraus, dass der Akteur eigenhändig einen Beitrag erbracht hat, der sich risikobegründend oder -erhöhend auswirkt. In welchem Stadium der Gefahrschaffung die entsprechende Handlung vollzogen wird und ob sie erst durch das Verhalten einer anderen Person vermittelt in das Risiko eingeht, soll dabei expressis verbis ohne Belang sein.648 Danach müsste aber doch konsequenterweise auch der Teilnehmer originär für das tatbestandsspezifische Risiko zuständig sein, da ja auch er durch sein Verhalten ausdrückt, dass er die – nach Kindhäuser abstrakt gefasste – Norm nicht handlungswirksam als für ihn gültige Maxime anerkennen will.649 Trotz ausdrücklicher Ablehnung eines normativen Regressverbots will Kindhäuser diesen Schluss jedoch nicht ziehen, sondern einzig für die Mittäterschaft eine originäre Risikozuständigkeit der einzelnen Komplizen annehmen, da die mittäterschaftliche Tatbegehung sich durch wechselseitige Repräsentanz auszeichne. Warum aber soll nicht auch dem Teilnehmer das vollverantwortliche Handeln des Haupttäters i.S.e. „auch-fremden Geschäfts“ zugerechnet werden können? Kindhäusers Antwort darauf liegt in seiner Definition der Mittäterschaft, durch die er das Regressverbot nur insofern aushebelt. Danach können Inhaber von Autonomie ihre Handlungsspielräume nur unter bestimmten Prämissen autonom verbinden, mit der Konsequenz, dass freiverantwortliches eigenhändiges Handeln zugleich auch als 646 647 648 649

Unten, S. 246 ff. Vgl. Schild, in: NK, § 25 Rn. 31; auch Freund, AT, § 10 Rn. 47. Kindhäuser, Hollerbach-FS (2001), 627 (649). s. dazu bereits Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 90 ff. (93).

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2. Kap.: Täter als tatbestandsmäßig sich Verhaltender u. Handlungsbegriff

fremdes gilt. Hierzu bedarf es nach Kindhäuser eines kongruenten, wechselseitig für verbindlich gehaltenen Deutungsschemas aller Beteiligter für die Konstituierung des Gesamtrisikos. Die faktische Zementierung dieser wechselseitigen Erwartungen soll dabei der gemeinsame Tatentschluss gewährleisten, der die objektive Verdeutlichung der Erwartung in die reziproke Verbindlichkeit des Deutungsschemas voraussetzt.650 Demgegenüber binde der Beitrag des Teilnehmers den Täter gerade nicht nach Maßgabe eines solchen gemeinsamen Deutungsschemas, dem zufolge das Unterlassen des Täterhandelns als Enttäuschung einer vom Täter anerkannten Erwartung des Teilnehmers zu verstehen wäre.651 Ganz so klar liegen die Dinge jedoch keineswegs, denn auch und insbesondere für die Anstiftung ist es doch charakteristisch, dass der Anstifter durch Äußerung eines „sanktionsträchtigen Appells“ die enttäuschungsfeste Erwartung zum Ausdruck bringt, die Haupttat solle begangen werden;652 und nicht selten verhält es sich sogar so, dass der Täter die Tat allein im Interesse des Anstifters und damit „für“ diesen begeht.653 Selbst wenn man aber mit der (noch) h.M.654 der Ansicht ist, dass Anstiftung nicht mehr erfordert als das bloße Hervorrufen des Tatentschlusses, kann man nicht bestreiten, dass Fälle existieren, in denen der angestiftete Haupttäter unter Zugrundelegung eines beiderseits für verbindlich gehaltenen Deutungsschemas für den Anstifter handelt. Daraus müsste aber nach der Eigenlogik Kindhäusers konsequenterweise gefolgert werden, dass der Haupttäter in diesen Fällen (normativ) zugleich eine Tat des Anstifters vollzöge – eine Konsequenz, die de lege lata unhaltbar wäre, denn § 26 verlangt das Bestimmen eines anderen zu dessen Tat.655 Demnach ist Kindhäusers Modell der „wechselseitigen Repräsentanz“ in der von ihm vorgeschlagenen Form (noch) nicht (vollkommen) geeignet, die Mittäterschaft qualitativ von der Teilnahme, vor allem von der Anstiftung, abzuheben. Die These, die Teilnahme begründe nur eine durch das Täterhandeln vermittelte Zuständigkeit für das unerlaubte Risiko, bleibt letztlich allein dem Äußerlichen verhaftet: Inwiefern 650

Kindhäuser, Hollerbach-FS (2001), 627 (649 f., 652). Kindhäuser, Hollerbach-FS (2001), 627 (652 f.). 652 Das hat neuerdings Amelung, Schroeder-FS (2006), 147 (163 ff. [177]), akzentuiert herausgearbeitet. 653 Nach Jakobs (AT, 22/22) soll es sogar Voraussetzung der Anstiftung sein, dass der Haupttäter den Tatentschluss in Abhängigkeit vom Anstifter fasst; ähnlich auch Puppe, GA 1984, 101 (111 ff.) [„Unrechtspakt“]. 654 s. nur BGHSt 9, 370 (379 f.); 45, 373 (374); NStZ 1994, 29 (30); NStZ 2000, 421 (421); NStZ 2001, 41 (42); Roxin, AT/II, § 26 Rn. 65; Schünemann, in: LK, § 26 Rn. 17; Kindhäuser, AT, § 41 Rn. 5; Heine/Weißer, in: Schönke/Schröder, § 26 Rn. 2; Lackner/Kühl, § 26 Rn. 2. 655 Das sieht natürlich auch Kindhäuser selbst (Hollerbach-FS, 627 [653]), der das Problem anhand der Sonderdelikte illustriert: Wenn ein Außenstehender einen Intraneus zu einem Sonderdelikt anstifte, könne die Tat unmöglich als auch für ihn begangene angesehen werden, da ihm die Sonderzuständigkeit für das einschlägige Risiko fehle (a.a.O.). Das ist selbstverständlich richtig. Aber dadurch, dass man das Problem benennt, ist es nicht aus der Welt. Kindhäuser müsste vielmehr handlungstheoretisch darlegen, warum das Repräsentanzmodell für die Anstiftung nicht gelten soll. Anderenfalls führte sein Modell eben zu den besagten Ergebnissen und würde damit in der derzeitigen Fassung falsifiziert. 651

B. Die Regelung des § 25 und der allgemeine Täterbegriff

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sich die expressive Stellungnahme des Teilnehmers zur Norm qualitativ von derjenigen des Täters unterscheiden soll, bleibt im Dunkeln.656 Das zeitigt Konsequenzen auch für die Behandlung der mittelbaren Täterschaft: So erhebt sich die prinzipielle Frage, warum eine freiverantwortliche Normdesavouierung seitens des Haupttäters eine auf dieselbe Norm bezogene Erklärung etwaiger Hinterleute ausschließen soll, mit der Folge, dass diese nur durch bestimmte „Einbruchstellen“ in der normbezogenen Erklärung des Vordermanns eine eigene normbezogene Erklärung sollen abgeben können: Sowohl der Täter als auch der Teilnehmer schaffen bzw. erhöhen doch ein unerlaubtes Risiko und beide besitzen – ex ante actu – intentionale Vermeidefähigkeit im Hinblick auf die aus ihrem Verhalten resultierenden tatbestandsspezifischen Konsequenzen. Und gerade dann, wenn man die allgemeinen Verbotsnormen mit Kindhäuser als abstrakt-objektive Verursachungsverbote auffasst,657 muss doch der Teilnehmer ein und dieselbe Norm desavouieren wie der Täter. Warum den Teilnehmer angesichts dessen nur eine derivative, sekundäre, Pflicht treffen soll, bleibt ebenso ungeklärt wie die Frage nach ihrer normentheoretischen Ableitung.658 Die Antwort auf diese Fragen kann – wie Kindhäuser im Ansatz durchaus zutreffend erkennt – nicht (allein) die realontologische Komponente des Handlungsbegriffs geben, sondern nur sein sozialontologisches, askriptives, Element. Dabei ist jedoch nicht an den Charakter der schuldhaften Straftatbestandshandlung als subjektive Stellungnahme zur Norm gedacht, sondern an den normativen Charakter von Handlung überhaupt (als Deutungsmuster): Soweit fremder Rechtsgutszugriff eingeplant wird, schließt dies eigenen Rechtsgutszugriff aus und vice versa! Damit folgt die Differenzierung zwischen „täterschaftlichen“ und „teilnehmerschafttlichen“ Pflichten im Ansatz der „natürlichen“ Grenzziehung zwischen eigener und fremder Handlung, wie sie sich nach dem allgemeinen Handlungsinterpretament des sozialen Alltags darstellt. 5. Von einem konkreten Tatbestandsverhaltensbegriff abweichende Modelle Nachdem die Zuschreibungspraxis des sozialen Alltags für die Beteiligungsformelehre fruchtbar gemacht worden ist, besteht die Aufgabe nunmehr darin, für alle Deliktstypen einen materiellen personalen (= intentionalen) Begriff des tatbestandsmäßigen Verhaltens zu entfalten und damit zugleich die alltagssprachlich wie gesetzgeberisch gemeinte „Zentralgestalt“ herauszustreichen. Einzusteigen ist bei der durch §§ 25 ff. zentral in Bezug genommenen Sedes materiae der vorsätzlichen Handlungsdelikte. Zuvor sind allerdings noch einige Distinktionen zu treffen, die sich aus der Natur des hier entwickelten Ansatzes ergeben: Ein konkreter Begriff des 656 657 658

s. dazu auch bereits Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 93. Kindhäuser, Gefährdung, 53, 60, 83. Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 93; auch Renzikowski, Täterbegriff, 38 ff.

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2. Kap.: Täter als tatbestandsmäßig sich Verhaltender u. Handlungsbegriff

tatbestandsmäßigen Verhaltens muss das deliktsspezifische personale Verhaltensunrecht herausstreichen. Er ist daher von vornherein gegen sämtliche Modelle abzugrenzen, die das sog. objektiv-tatbestandliche Verhalten für Vorsatz und Fahrlässigkeitsdelikt homogen bestimmen wollen. Diese Distinktion soll nun zunächst vorgenommen werden. a) Tatbestandsmäßiges Verhalten als objektiv zurechenbare Erfolgsherbeiführung (Roxin) Wie hier bereits festgestellt wurde, dient das Leitprinzip der „Zentralgestalt des handlungsmäßigen Geschehens“ bei Roxin eigentlich dazu, das Fehlen eines konkreten personalen Begriffs der tatbestandsmäßigen Handlung zu kompensieren.659 Denn Roxin setzt ganz im Sinne des klassischen Deliktsaufbaus bei einem abstrakten juristischen Handlungsbegriff ein, an den dann die strafrechtlichen Wertungen als konkretisierende Zurechungsstufen erst herangetragen werden.660 „Natürliche“ Handlung ist danach ganz allgemein jede „Persönlichkeitsäußerung“.661 Den Einsatzpunkt für die juristische Prüfung einer Tatbestandsverwirklichung liefert dann die empirische Feststellung eines Kausalzusammenhangs zwischen einer solchen Persönlichkeitsäußerung und einem tatbestandsmäßigem Erfolg.662 Diese Erfolgskausierung wird ihrerseits zum objektiven Tatbestand zugerechnet, wenn der Handelnde ein rechtlich relevantes Risiko geschaffen und selbiges sich im tatbestandsmäßigen Erfolg realisiert hat.663 Die so ermittelte Erfüllung des objektiven Tatbestandes figuriert dann bereits als fahrlässige Erfolgsherbeiführung, weshalb in jedem vorsätzlichen Delikt ein fahrlässiges stecken soll.664 Danach bilden z. B. die §§ 212, 222 einen einheitlichen objektiven Deliktstatbestand i.S.e. abstrakten „Tötungshandlung“, die dann im Falle von Vorsatz durch eine Zurechnung zum subjektiven Tatbestand (§ 15) zu einer vorsätzlichen Tötungshandlung avanciert. Dies mag man in der Terminologie einer juristischen Fachwissenschaft durchaus so sehen können, wenngleich die Tatbestandsformulierungen selbst eine andere Sprache sprechen: § 212 beschreibt als konkrete personale Tatbestandshandlung ein „Töten“, § 222 spricht von der Todesverursachung durch Fahrlässigkeit;665 angesichts dessen erscheint es äußerst fraglich, ob man das Tatbestandshandlungsunrecht einer intentionalen Tötungshandlung einfach wie beim Fahrlässigkeitsdelikt als 659 660

81. 661

s. lesenswert dazu Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 73 ff. (80). Eingehend und instruktiv dazu wiederum Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 73, 77,

Roxin, AT/I, § 8 Rn. 44 ff. Vgl. Roxin, AT/I, § 11 Rn. 1 ff. 663 Roxin, AT/I, § 11 Rn. 47 ff. 664 Roxin, AT/I, § 11 Rn. 49. 665 So zutr. Schild, Täterschaft, 27 (der Roxins nivellierenden Ansatz sogar als „unhaltbaren“ bezeichnet [a.a.O., 26 Fn. 101]); vgl. auch bereits Gallas, ZStW-Sonderheft Athen (1957), 3 (13). 662

B. Die Regelung des § 25 und der allgemeine Täterbegriff

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objektiv zurechenbare Todesverursachung ansetzen kann, ohne den für die Zurechnung zentralen Begriff des unerlaubten Risikos für das vorsätzliche Handlungsdelikt straftattypisch zu konkretisieren.666 Denn die rechtlich unerlaubte Gefahr wird ja im Falle eines vorsätzlichen Totschlags nicht bloß durch unachtsames Handeln begründet, sondern durch die handlungsmäßige Expression einer Verletzungsmaxime.667 Dieses Problem betrifft aber zunächst nur die juristische Validität des Roxin’schen Modells. Die eigentliche Krux steckt dagegen tiefer, nämlich in dem zugrunde gelegten Handlungsverständnis, das in Wahrheit eben auch „nur“ ein juristisch-abstraktes ist: Die Frage, ob auch der soziale Alltag unter Handlungen indifferente „Persönlichkeitsäußerungen“ versteht, die willkürlich Kausalverläufe „anstoßen“, oder ob er nicht vielmehr bereits konkrete Entsprechungen der verschiedenen Tatbestandsverhaltenstypen kennt, wird gar nicht erst gestellt.668 Für Roxin ist das auch nur konsequent, denn er setzt die entscheidende Schnittstelle zwischen sozialem Alltagsverständnis und personalem Unrecht andernorts. Ihm669 geht es weniger um den der Tatbestandsmäßigkeit vorgelagerten Handlungsbegriff des sozialen Alltags (der deshalb notwendig abstrakt bleibt670) als vielmehr um die „(…) auch im Gemeinbewusstsein lebende plastische Vorstellung (…)“ von Hauptund Randfiguren.671 Die Gefahren, die mit der Synthese von Alltagsanschauung und gesetzgeberischer Wertung (erst) im Axiom der Zentralgestalt verbunden sind, wurden anfangs der Arbeit bereits kurz angerissen.672 Nunmehr soll aufgezeigt werden, dass ein solches Leitprinzip von der Täterperson konsequent zu Ende gedacht vollkommen in ein vorrechtliches Verfahren der handlungsgelösten Verantwortungszuschreibung diffundieren muss – was wiederum deshalb besonders misslich ist, weil Roxins abstrakter Handlungsbegriff dieser Tendenz naturgemäß nicht entgegenwirken kann. aa) „Persönlichkeitsäußerung“ als Handlung und soziales Alltagsverständnis Der Begriff der „Persönlichkeitsäußerung“ soll nach Roxin an das vorstrafrechtliche Verständnis von Handlung anknüpfen und damit den für eine erste rechtliche Vorwertung erforderlichen Wirklichkeitsausschnitt erfassen.673 So stimmt 666 Vgl. eingehend und überzeugend zum Ganzen Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 81 ff., 111 ff.; s. ferner auch bereits Armin Kaufmann, Jescheck-FS (1985), 251 (258 ff.). 667 Vgl. allgemein Puppe, in: NK, § 15 Rn. 64 ff., § 16 Rn. 68 ff.; Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 82, 111 f. 668 So zutr. Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 76 f. 669 TuT, 26 (nachfolgendes Zitat ebenda). 670 Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 79, 81. 671 So die zutr. Analyse bei Schild, NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 73 ff. 672 s. nochmals die obige Einführung (S. 25 ff.). 673 AT/I, § 8 Rn. 54.

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2. Kap.: Täter als tatbestandsmäßig sich Verhaltender u. Handlungsbegriff

das aber freilich nicht, denn in der Sache umschreibt der Begriff nichts anderes als das generelle Merkmal der Vermeidefähigkeit.674 Ein derart abstrakter Begriff von Handlung kann aber schon im Ansatz nichts darüber besagen, wie das in den verschiedenen Deliktsgruppen konkret vertypte Verhalten alltagssprachlich bestimmt wird. Er figuriert vielmehr als ein wissenschaftlich-neutraler Grundbegriff, an den sich alle weiteren Wertungen erst anschließen, nämlich als genuin strafrechtliche.675 Intentionalitätstypus, -modus und -höhe können so erst im Wege juristischer Zurechnung von außen an die „Persönlichkeitsäußerung“ herangetragen werden. Damit bleibt aber der Handlungsbegriff selbst juristisch-abstrakt,676 ihm fehlt die Rückbindung an die soziale Alltagspraxis.677 Das zeigt sich insbesondere an der fachwissenschaftlich-artifiziellen Bestimmung des vorsätzlichen Tatbestandshandlungsunrechts, etwa des Tötungsunrechts: Vorsätzliches Töten i.S.d. §§ 212, 15 ist nicht bloß objektiv zurechenbare Todesverursachung plus Vorsatz,678 sondern konkrete Tötungshandlung, Verwirklichung eines Tötungsprogramms.679 Zwar muss die ins Werk gesetzte Tötungsstrategie eine prinzipiell taugliche sein, weshalb auch der Vorsatztäter in aller Regel objektiv sorgfaltswidrig agiert.680 Aber diese Einsicht ändert nicht das Geringste daran, dass das vorsätzliche Handlungsunrecht einen vom fahrlässigen Verhaltensunrecht abweichenden Gehalt aufweist und somit handlungstheoretisch betrachtet ein aliud ist.681 Weitere Konsequenz des Roxin’schen Handlungsbegriffs ist, dass er keine handlungstheoretischen Distinktionen zwischen den Beteiligungsformen erlaubt. Denn eigentlich setzt jeder Beteiligte vorsätzlich eine „objektive Tatbestandshandlung“ i.S.d. §§ 212, 222, weshalb ein indifferentes, für alle Beteiligten einheitlich zu bestimmendes unrechtliches „Handlungsgeschehen“682 anzunehmen ist.683 Um dieser Aporie zu entkommen und die konkrete personale Tätertatbestandshandlung doch noch aus den übrigen vorsätzlichen „Tötungshandlungen“ herausschälen zu können, bedarf es daher der Einführung eines zusätzlichen, nurpersonalen, Selektionskriteriums: eben der Tatbestandsverwirklichung qua Zentralgestalt.684 Diese wird dann über einen zweiten, engeren, genuin beteiligungsrechtlichen Handlungsbegriff der eigenkörperlichen Ausführung (= „Handlungs-

674 675 676 677 678 679 680 681 682 683 684

Das sieht auch Roxin selbst in AT/I, § 8 Rn. 46. Vgl. Roxin, AT/I, § 8 Rn. 1 ff., 54. So zutr. Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 79, 81, 85. Ausführlich hierzu Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 74 ff. (79 ff.). So aber Roxin, AT/I, § 11 Rn. 46, 49. So zutr. Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 77 ff., 111 ff. So Puppe, in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 154. s. instruktiv dazu Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 82, 111 ff. Vokabel nach Roxin, TuT, 26. Akzentuiert herausgearbeitet bei Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 77, 79. So zutr. Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 77, 79.

B. Die Regelung des § 25 und der allgemeine Täterbegriff

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herrschaft“) in die Tatbestände der vorsätzlichen Handlungsdelikte hineingelesen,685 freilich ohne die Frage nach der Kompatibilität dieser Lesart mit den Tatbestandsformulierungen zu stellen.686 bb) „Zentralgestalt“, soziales Alltagsverständnis, sozialer Täterbegriff Und erst hier, bei diesem Leitprinzip der Zentralgestalt, wird nun die Frage nach dessen plastischer Verankerung im Allgemeinbewusstsein gestellt. Damit setzt aber die Orientierung am Regelungssubstrat zu spät ein. Die Fruchtbarkeit und das kritische Potential eines auf die soziale Alltagspraxis abgestimmten, konkreten Begriffs der vorsätzlichen Tatbestandshandlung werden ohne Not preisgegeben. Das hat greifbare Konsequenzen: Da man über den bereits „verbrauchten“ Begriff der „Tat“ das täterschaftsbegründende Merkmal der „Zentralgestalt“ nicht mehr einfangen kann, steht man nun vor dem Problem, es gesondert in den Tatbeständen verorten zu müssen. Man ist gezwungen, neben den basalen, das Tatunrecht mit begründenden, Handlungsbegriff noch einen zweiten, auf eigenhändige Tatausführung rekurrierenden Begriff der (formellen) Tätertatbestandshandlung zu stellen, der dann als „sinnfälligste Ausprägung der Zentralgestalt“687 in die Tatbestände der vorsätzlichen Handlungsdelikte hineingelesen wird. Doch wird die fehlende systematische Abstimmung beider Handlungsbegriffe offenbar, wenn dem „Handlungsherrn“ selbst die eigenhändige Geschehensherrschaft abgeht, etwa bei Einsatz eines unbeherrschbaren Tiers.688 Dass das „handlungsmäßige Geschehen“ sich in diesem Fall aus nur einer einzigen Handlung konstituiert, ändert nichts an der prinzipiellen Problemstellung. Denn wenn etwa jemand durch Freilassen eines Tieres einen Menschen vorsätzlich zu Tode bringt, dann kann eben nicht mehr von einer eigenhändigen Ausführung gesprochen werden; vielmehr bedarf es erst noch der Zurechnung des Geschehens als „Handlungsherrschaft“.689 Roxins stillschweigender Verweis auf die objektive Zurechnung690, die Voraussetzung jeder Beteiligung ist, hilft da nicht weiter. Denn damit ist ja nach der Roxin’schen Nomenklatur noch nicht mehr gesagt, als dass die Persönlichkeitsäußerung „Freilassen des Tieres“ zum objektiven Tatbestand des § 212 zugerechnet wird: Es liegt eine objektiv-tatbestandsmäßige Tötungshandlung vor, die in einem weiteren Schritt zum Vorsatz zugerechnet werden kann. Diese Vorsatzzurechnung konstituiert dann aber eben „nur“ das Tatunrecht (= das „hand-

685 686 687 688 689 690

So Roxin, TuT, 127, 327, 331. s. krit. dazu Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 80. Roxin, TuT, 127. Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 74. Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 74. Vgl. TuT, 173.

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lungsmäßige Geschehen“), das doch nach Roxin691 gerade erst Objekt (und eben nicht Grund) der genuin beteiligungsrechtlichen Zurechnung sein soll. Die Feststellung des Tatunrechts im Sinne Roxins kann daher naturgemäß nichts darüber besagen, ob der das Tier Freilassende als Täter anzusprechen ist. Kriterium der Alleintäterschaft ist in diesem System vielmehr die eigenhändige „Handlungsherrschaft“ – die aber gerade fehlt. Interessant ist nun, wie Roxin mit Blick auf derartige Fälle die Täterschaft des Nicht-Handlungsherrn substantiell unterfütterte. Er führte aus, für die unmittelbare Täterschaft komme es nicht auf die Setzung der letzten Erfolgsursache an, sondern lediglich darauf, dass ein allein agierender Mensch das Geschehen als einziger final dem Erfolg zusteuere, indem er eine sich selbständig entwickelnde Kausalreihe anstoße. Auf der dem Menschen eignenden Möglichkeit der finalen Überdeterminierung beruhe daher auch die Möglichkeit, ein in der Außenwelt sich abspielendes Geschehen einem bestimmten Menschen als sein Werk zuzurechnen.692 Diese Ausführungen verdienen in der Sache durchaus Beifall, vermögen aber am Mangel der eigenkörperlichen Handlungsherrschaft nichts zu ändern. Vielmehr wird der zunächst phänomenologisch (unter-)bestimmten „Handlungsherrschaft“ nun in der Sache doch eine normative Zurechnungsstruktur unterlegt, wodurch sich aber das Tatbestandshandlungsverständnis insgesamt grundlegend ändert. Denn kommt schon die unmittelbare Alleintäterschaft, die ja unstreitig Tatbestandshandlung ist, nicht ohne eine Zurechnung des Geschehens zum Willen aus,693 dann ist zu fragen, ob ein solches Tatbestandshandlungsverständnis nicht auch für die anderen „Wesensformen“ der Täterschaft hätte fruchtbar gemacht werden können – und müssen.694 Für den Einsatz eines unvorsätzlich agierenden Tatmittlers stellte Roxin diese Frage auch explizit, tat sie jedoch als eine rein terminologische ab.695 Aber es handelt sich eben nicht bloß um Terminologie, sondern um die unrechtsdogmatische Kardinalfrage, ob Täterschaft überhaupt an eine Tatbestandshandlung angebunden bzw. aus ihr hergeleitet werden muss.696 Priorität und Dringlichkeit der Frage liegen auf der Hand, wenn man Folgendes bedenkt: Das Bild von der Tatbestandshandlung als eigenhändiger Tatausführung (= „Handlungsherrschaft“) zwingt vor allem für weite Teile der mittelbaren Täterschaft (= „Willensherrschaft“) dazu, in eine materielle Tatbestandsverwirklichung ohne Tatbestandshandlung auszubrechen.697 Dieser Ansatz bei der Tatbestandsverwirklichung ist aber deshalb problematisch, weil sein Leitprinzip – die 691

TuT, 329 f. Vgl. TuT, 172 f. 693 Vgl. Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 74. 694 So zutr. Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 75 ff. 695 TuT, 173. 696 Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 75. 697 Vgl. zu diesem Ansatz bei der Tatbestandsverwirklichung Roxin, in: AT/II, § 25 Rn. 5, 10 ff., 27 ff.; krit. dazu Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 77 ff. 692

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Zentralgestalt – ausdrücklich auch als Einbruchstelle für das gemeine Täterbild gedacht und gewollt ist,698 das aber nicht mit tatbestandlicher Bestimmtheit eingefangen werden kann. Denn die im Kollektivbewusstsein vorhandene Vorstellung vom Täter als der „Zentralgestalt“ des Deliktsvorgangs ist ja keineswegs beliebig-abstrakt,699 sondern sie transzendiert die soziologischen Rahmenbedingungen und assoziiert Täterschaft daher auch mit sozialer Machthabe,700 d. h. mit einer verantwortlichen Rolle im Sozialgeschehen.701 Damit ist das Leitbild der Zentralgestalt aber geradezu prädestiniert für eine tatbestandsgelöste Lehre von der sozialen Täterschaft, wie sie denn inzwischen auch zur Bewältigung des Phänomens der „Organisationsherrschaft“702 unverhohlen vorgeschlagen wird. So liest man paradigmatisch etwa bei Schlösser703 : „Warum will man ein bestimmtes Ergebnis begründen, das unter Verwendung bislang geltender Begriffe nicht begründbar ist? Warum ist man gewillt, klassische Zurechnungsstrukturen kurzerhand über Bord zu werfen, um neue, ,passendere‘ Ergebnisse liefernde Rechtsfiguren zu ,erfinden‘? Die Antwort auf diese Frage kann nur lauten, daß die Verurteilung des Schreibtischtäters als Täter jenseits der juristischen Begriffswelt stattgefunden hat, anhand derer sonst über die Täterschaft einer Person entschieden wird; das Vorverständnis war gedankenführend.“

Selbst Schild, der der Verwässerung eines konkreten personalen Tatbestandshandlungsbegriffs durch eine zunehmend handlungsgelöste juristische Verantwortungszuschreibung inzwischen704 dezidiert kritisch gegenübersteht, konnte sich ihrem Reiz anfänglich nicht entziehen. So meinte er an früherer Stelle705, es ließen sich durchaus Konstellationen denken, in denen der unmittelbar Handelnde trotz eigenhändiger Ausführung materiell keine Tatherrschaft ausübe. Voraussetzung dafür sei die Ausfüllung einer bestimmten sozial fixierten Rolle innerhalb eines verfestigten Organismus, die sich als eindeutig dienende Funktion gleichsam materiell akzessorisch zu anderen Rollen dieses Organismus verhalte (z. B. Kellner in einem Restaurant).706 Allerdings hat Schild inzwischen707 einen grundlegenden Paradigmenwechsel vollzogen, weg vom Täter als Sozialperson hin zu einem konkreten personalen Begriff der Tatbestandshandlung. Dabei ist er zu der für das Täterstrafrecht kaum zu überschätzenden Einsicht gelangt, dass die tatbestandlich umschriebene Handlung aus den konkreten Lebensverhältnissen isoliert und ver698

Vgl. Roxin, TuT, 26. Wie Roxin (TuT, 26) sie aber für die Zwecke seiner Leitbild-Metaphorik verstanden wissen will. 700 Vgl. Bottke, Täterschaft, 21, 35 f., 40, 60, 64, 74, 96 f., 99 f. 701 So krit. Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 259; ders., in: NK, § 25 Rn. 44. 702 Erstmals Roxin, TuT, 242 ff. 703 Soziale Tatherrschaft, S. 193. 704 In: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 122 ff., 259. 705 In: Täterschaft, 44 ff. 706 Täterschaft, 44 f. 707 In: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 79 ff., 135 ff., 234 ff., 278 ff. 699

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rechtlicht werden muss.708 Dieses Postulat folgt für eine Lehre, die den Täterbegriff im tatbestandlichen Verhalten selbst loziert, schon unmittelbar aus dem Tatbestandsbestimmtheitsgrundsatz. Diese zwingend gebotene Verortung des Täters in der (deshalb: materiellen) Tatbestandshandlungslehre konfligiert auch nicht mit dem plastischen Täterbild des sozialen Alltags (oder muss dies jedenfalls nicht). Denn es ist durchaus möglich, das in den Straftatgruppen konkret vertypte Verhalten selbst mit all seinen personalen Bezügen aus dem sozialen Alltagsverständnis herzuleiten und für das Recht zu entwickeln. cc) Zusammenfassung Der Handlungsbegriff Roxins ist von vornherein zu abstrakt und erlaubt schon konzeptionell keine Rückbindung an konkrete inhaltliche Distinktionen des sozialen Alltags. Allerdings machen gerade diese Distinktionen das vorrechtliche Regelungssubstrat des in den Straftatgruppen vertypten Verhaltens aus, weshalb eine Leerstelle entsteht. Diese wird durch den zu spät ansetzenden Rekurs auf die Zentralgestalt als Synthese von Alltagsanschauung und gesetzgeberischer Wertung gefüllt – mit der Konsequenz, dass der Handlungsbegriff des sozialen Alltags künstlich aufgespalten wird in „natürliche Handlung“ (= Persönlichkeitsäußerung) und an sie herangetragene personale Zurechnungskriterien. Dieses methodische Vorgehen ist deshalb problematisch, weil jede Tatbestandserfüllung konkrete personale Tatbestandshandlung ist und nicht etwa Tatbestandsverwirklichung qua Zentralgestalt: Das Band zwischen Täterschaft und Tatbestandsdimension droht zumindest vom methodischen Ansatz her zu zerreißen. Der Umstand, dass Roxin selbst der Gefahr eines Abgleitens in eine soziale Täterbestimmung noch am wenigsten erlegen ist, vermag dabei nichts an der tendenziellen Bedenklichkeit seines Ansatzes zu ändern.709 Die hier vertretene Lehre von den nach Handlungssinn gestaffelten Tatbestandshandlungen dagegen kann den Tatbestandsbestimmtheitsgrundsatz für sich reklamieren. Das hat freilich zur Konsequenz, dass die vierte Stufe der sinnhaften Tatgestaltung im Sinne Roxins (= Gestaltung des konkreten Handlungssinns) als mögliche Sinnzugangsdimension einer Tatbestandshandlung ausscheiden muss, da sie eindeutig nicht mehr dem Straftatbestandsgefüge angehört.710 b) Tatbestandsmäßiges Verhalten und objektive Risikoschaffung (Frisch) Neben dem traditionellen Zurechnungsmodell, wie es insbesondere auch von Roxin vertreten wird, existiert jedoch in der Strafrechtswissenschaft auch ein normentheoretisch hergeleitetes Erklärungsmodell des tatbestandsmäßigen Verhaltens, 708

In: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 64, 234, 257 ff., 278 ff. Vgl. Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 124 a.E. 710 Vgl. eingehend und instruktiv dazu bereits Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 252 ff.; s. ferner auch noch unten S. 455 ff. 709

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das dem hiesigen Ansatz beim Straftatbestand als konkretem Verhaltenstypus ebenfalls diametral zuwiderläuft. Gemeint ist der verhaltensnormtheoretische Ansatz Frischs, der das tatbestandsmäßige Verhalten ex ante für Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikte homogen bestimmen und dies auf ein angeblich „(…) vom Gesetz vorausgesetztes Strukturmodell der Vorsatzdelikte (…)“711 stützen will. Frisch unterscheidet zunächst innerhalb der Tatbestandskategorie grundlegend zwischen Verhaltens- und Sanktionsnormen: Erstere sollen in ihrer Doppelfunktion als Bewertungs- und Bestimmungsnormen nach ihrem Inhalt bestimmte Verhaltensweisen ex ante als richtig oder falsch ausweisen und nach ihrem Ziel auf eine bestimmte Steuerung menschlichen Verhaltens ausgerichtet sein. Letztere sollen die Voraussetzungen der Sanktion festlegen.712 Von der Frage nach dem Grund für die erhöhte Vorsatzbestrafung geleitet (und damit ein Größenverhältnis zur Fahrlässigkeitsbestrafung bereits voraussetzend!) hakt Frisch bei § 16 ein: Wenn nach dieser Vorschrift die Kenntnis der objektiven Tatumstände die Strafe (lediglich) erhöhe, dann müssten denknotwendig bereits diese Tatumstände selbst, auf die sich das Wissen ja beziehe, die Unwertigkeit der Tat und des Verhaltens in der Situation begründen. Die Tat zeichne sich also bereits ohne das Wissen objektiv durch etwas aus, was sie unwertig und verboten mache.713 Dieses objektiv Unwertige müsse entsprechend dem Schutzzweck strafrechtlicher Verhaltensnormen in einem bestimmten negativen Bezug zur Rechtsgüterwelt liegen, den eine bloß kausalgesetzliche Erfolgseignung ersichtlich nicht herzustellen vermöge. Vielmehr erscheine die Beschränkung von Freiheitsinteressen und Entfaltungsmöglichkeiten der Normadressaten durch strafrechtliche (!) Verbote samt deren Durchsetzung qua Strafe am ehesten dort legitimierbar, wo den einzuschränkenden Handlungsfreiheiten handfeste Gefahren gegenüberstünden.714 Strafrechtlich verboten sei daher erst die tatbestandsmäßig-missbilligte Schaffung einer konkreten Gefahr für das tatbestandlich geschützte Rechtsgut(sobjekt).715 Allerdings sah Frisch selbst, dass diese elegante Ableitung einer spezifisch strafrechtlichen Verhaltensnormenordnung aus einer zwischen der Handlungsfreiheit des Täters und den betroffenen Opferinteressen (= Rechtsgütern) hergestellten „praktischen Konkordanz“716 einen hohen Preis abverlangen musste. Denn das Abstellen auf eine objektiv missbilligte Risikoschaffung zwingt zu einer Einebnung der alltagsontologischen Differenzierung zwischen vorsätzlicher Handlung und fahrlässigem Handeln, die aber mit dem Regelungssubstrat in die verschiedenen Straftattypen Eingang gefunden hat. Noch mehr: Die de lege lata vorgesehene 711 712 713 714 715 716

317 ff.

Vorsatz, 90 (Zitat ebenda), 78 ff. Vorsatz, 59. Vorsatz, 78, 90. Vorsatz, 74, 83 f.; Verhalten, 72 ff. Verhalten, 73 ff. s. eingehend zu diesem verfassungsrechtlichen Terminus Hesse, Grundzüge, Rn. 72,

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2. Kap.: Täter als tatbestandsmäßig sich Verhaltender u. Handlungsbegriff

Strafbarkeit des untauglichen Versuchs, dessen Charakteristikum gerade seine objektive Ungefährlichkeit ist, kann nur durch Rekurs auf die alltagsontologische Interpretation des vorsätzlichen Handlungsdelikts – kurz: die Betätigung einer Verletzungsmaxime – erklärt werden. Dies alles sah wie gesagt auch Frisch717 selbst. Doch meinte er, allein die rechtliche Einebnung der Alltagskonkretionen „Vorsatz“ und „Fahrlässigkeit“ werde dem maßgeblichen normativen Hintergrund und dem in § 16 ausgedrückten Strukturmodell der Vorsatzdelikte gerecht, zumal die Sachlogik für diesen nivellierenden Ansatz streite.718 Dreh- und Angelpunkt dieser Argumentation ist die These, die unerlaubte Riskantheit eines Verhaltens sei eine vom Täterwissen unabhängige, objektiv bestimmbare Größe, bei deren Fehlen selbst die Absicht einer tatbestandsmäßigen Erfolgsherbeiführung das objektive Verhalten nicht unerlaubt machen könne. aa) § 16 als gesetzliches Strukturmodell der Vorsatzdelikte? Angelegt sieht Frisch diese Sicht der Dinge in dem seinerseits unterstellten gesetzlichen „Strukturmodell der Vorsatzdelikte“719, das er in § 16 verortet: Das Gesetz mache in dieser Vorschrift die weitergehende und schärfere Vorsatzbestrafung von der Kenntnis der Tatumstände abhängig. Das aber sei nur auf dem Boden der Annahme plausibel, dass schon das Verhalten unter solchen Umständen unwertig und damit verbotswidrig sei, die Strafindikation durch die Kenntnis aber noch erhöht und die Straflegitimation insoweit verbreitert werde.720 Diese auf den ersten Blick eingängige Argumentation entpuppt sich bei näherem Hinsehen als petitio principii: Frisch liest seine stillschweigende Annahme, das Vorsatzdelikt figuriere im Verhältnis zum Fahrlässigkeitsdelikt als ein bloßes „Mehr“, einfach in § 16 hinein und setzt damit schon voraus, was gerade erst zu beweisen wäre. Auf diese Weise entnimmt er der Vorschrift natürlich nur das, was er zuvor bereits in sie hineingelegt hat. Die entscheidende Sachfrage, ob nicht-vorsätzliches Verhalten per se unerlaubte Risikoschaffung (i.S.d. Fahrlässigkeitsdelikts) ist bzw. dies sinnvoll sein kann, wird so nicht beantwortet.721 Aus hiesiger Sicht bleibt es daher dabei: Ohne Bezugnahme auf den konkreten personalen Verhaltensaspekt (des Fahrlässigkeitsdelikts) ist die Unerlaubtheit einer Risikoschaffung nicht bestimmbar.722 Stellt man aber den fehlenden Bezug zum personalen Verhaltensmoment der allgemeinen Sorgfaltspflichtverletzung her, so tritt die „Wesensdifferenz“ zwischen dem Umsetzen einer sorgfaltswidrigen Verhaltensentscheidung (= Fahrlässigkeitsdelikt) und dem Umsetzen einer Verletzungsmaxime (= Vorsatzdelikt) 717 718 719 720 721 722

Vorsatz, 85 f. Vorsatz, 86 ff. Vorsatz, 90. Vorsatz, 78 ff. Vgl. in der Sache auch bereits Duttge, Bestimmtheit, 28 f. A.A. wohl Frisch, Vorsatz, 84 m. Fn. 114.

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sofort wieder zutage.723 Die Vorschrift des § 16 bringt daher nicht etwa ein Strukturprinzip des Inhalts zum Ausdruck, dass ein abstrakt zu denkender objektiv-tatbestandsmäßiger Verhaltensunwert existiere. Sie stellt vielmehr schlicht klar, dass eine unwissentlich geschaffene Gefahr eben eine unvorsätzlich geschaffene Gefahr ist, ohne diese Gefahr rechtlich näher zu qualifizieren. Davon abgesehen müsste man ein gesetzliches Strukturmodell der Vorsatzdelikte doch wohl eher in den Tatbeständen der vorsätzlichen Handlungsdelikte selbst suchen. Deren Formulierungen streiten aber eindeutig gegen eine rein objektive Bestimmung der tatbestandsmäßigen Risikoschaffung. So spricht etwa § 212 von einem vorsätzlichen „Töten“, vertatbestandlicht also eine konkrete personale Tötungshandlung, während § 222 lediglich eine Todesverursachung „durch“ Fahrlässigkeit inkriminiert. Das aber kann nur als Hinweis dahingehend verstanden werden, dass der Verwirklichungszusammenhang zwischen Basis-Akt und tatbestandsmäßigem Erfolg beim Vorsatzdelikt qualitativ anders beschaffen sein muss als beim Fahrlässigkeitsdelikt.724 Dieser Umstand wird in der herrschen Lehre von der wesentlichen Kausalabweichung auch implizit anerkannt. Eine solche Abweichung kann nämlich sinnvoll nur gedacht werden, wenn man als Kriterium der Abweichung das Handlungsprogramm des Betreffenden heranzieht und damit an die Tätervorstellung vom Kausalverlauf andere Anforderungen stellt, als sie für die objektive Zurechnung im Fahrlässigkeitsbereich gelten. Andernfalls müsste dem Akteur der Erfolg stets zum Vorsatz zugerechnet werden, sofern er nur Vorsatz hinsichtlich einer unerlaubten Gefahrschaffung hatte und ihm der Erfolg zur objektiven Fahrlässigkeit zurechenbar ist.725 Selbst wenn man also mit Frisch erst das tatbestandsmäßig missbilligte Verhalten i.S.e. strafrechtlich relevanten Risikoschaffung als strafrechtliche Pflichtverletzung ansehen wollte, müsste nach dem Gesagten doch jedenfalls eine Sachunterscheidung zwischen (konkreter) „Vorsatzgefahr“ und „Fahrlässigkeitsgefahr“ stattfinden.726 723 s. dazu instruktiv Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 82, 111 ff.; vgl. ferner auch bereits Armin Kaufmann, Jescheck-FS (1985), 251 [260 ff.]). – Frisch (Vorsatz, 84 m. Fn. 114) versucht diesen Umstand dadurch zu camouflieren, dass er von vornherein nivellierend einen objektiven „Gefahrenkern“ zum Definiens allen verbotenen Verhaltens macht. Aber so stimmt das freilich nicht, denn besagter „Gefahrenkern“ muss ja seinerseits auf etwas – d. h. auf ein personales Verhalten – zurückfallen können (ähnlich auch bereits Duttge, Bestimmtheit, 28 f.). 724 Auf diesen Umstand hat bereits Gallas (ZStW-Sonderheft Athen [1957], 3 [12]) hingewiesen; s. auch Schild, Täterschaft, 26 f., 34. 725 So schlagend Puppe, in: NK, § 15 Rn. 82, § 16 Rn. 76; Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 112. 726 So hält es Puppe (in: NK, § 15 Rn. 64 ff., § 16 Rn. 68 ff.), von der beide im Text genannten Termini stammen. Puppe selbst betont allerdings, dass das Vorsatzdelikt sich trotz qualitativ abweichenden Handlungsunrechts dennoch bloß quantitativ vom Fahrlässigkeitsdelikt unterscheide, da auch der Vorsatztäter letztlich eine sorgfaltswidrige Methode der Erfolgsherbeiführung anwende (in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 154). Das ist nicht falsch (so auch Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 82), da Vorsatz- und Fahrlässigkeitsverbote letztlich Ausfluss ein und derselben grundlegenden Rechtsgutsentscheidung sind (vgl. dazu Paeffgen, Verrat, 139). Dennoch bleibt es aber dabei, dass die handlungsmäßige Expression einer Er-

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bb) Objektiv unerlaubte Risikoschaffung als sachlogisch vorgegebener Bezugspunkt der Tätervorstellung? Mit dieser Einsicht ist die Auseinandersetzung jedoch noch nicht endgültig zugunsten der Lehre vom deliktstypischen personalen Verhaltensunrecht entschieden. Denn Frisch reklamiert für seinen Ansatz ja entscheidend auch die Sachlogik, die das Verhältnis zwischen objektiver Risikoschaffung und hierauf bezogener Tätervorstellung zwingend vorgebe. So sei es schlechterdings ungereimt, das Handeln bei Vorstellung bestimmter Möglichkeiten einer Rechtsgutsbeeinträchtigung im Interesse des jeweiligen Rechtsgutes als unwertig und verboten zu deklarieren, wenn man nicht zuvor bereits die Schaffung der entsprechenden Möglichkeiten selbst als unerlaubt riskant und verboten eingestuft habe.727 Angesprochen sind damit in der Sache die Fälle des erlaubten Risikos, die auch von den Anhängern der objektiven Zurechnungslehre728 fortwährend gegen eine straftattypische Erfassung des Verhaltensunrechts ex ante in Stellung gebracht werden. Das Kernargument besteht in folgender These: Die Betätigung einer Erfolgsmaxime per se könne als bloßer Gesinnungsunwert ein erlaubt-riskantes Verhalten i.S.d. Fahrlässigkeitsdelikte niemals zu einem unerlaubt-riskanten Verhalten machen;729 ein flächendeckender Rekurs auf die Tätervorstellung im Bereich der vorsätzlichen Erfolgsdelikte stilisiere daher den Ausnahmefall des untauglichen Versuchs zum Prototypen der Straftat; hierdurch aber werde das systemisch postulierte handgreifliche Rechtsgüterschutzkonzept desavouiert.730 Auch dieser Verweis auf die angebliche Sachlogik setzt jedoch schon voraus, was erst zu beweisen wäre: dass nämlich ein allgemeiner tatbestandsmäßiger Verhaltensunwert existiere, der für Fahrlässigkeits- wie Vorsatzdelikte gleichermaßen in folgsmaxime handlungstheoretisch betrachtet etwas qualitativ anderes ist als die bloße Nichteinhaltung von Sorgfaltsregeln beim Handeln. Zweckdienlicher erscheint es daher, mit Schild (in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 81 f., 111, 113) die materiale Verschiedenheit beider Verhaltensunrechtstypen wieder stärker in den Vordergrund zu rücken. Näher dazu sogleich im Text. 727 Vorsatz, S. 92 f. 728 s. exemplarisch etwa Roxin, AT/I, § 11 Rn. 44 ff. 729 Frisch, Vorsatz, 93, 141 f.; ders., Verhalten, 39, 45 ff.; insofern zust. auch Puppe, in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 154, m.w.N. zu den Vertretern der objektiven Zurechnungslehre. 730 Ausführlich i.d.S. Frisch, Vorsatz, 89 ff., der hier entsprechende Vorüberlegungen bei Stratenwerth (Schaffstein-FS [1975], 177 [192]) und Gallas (Bockelmann-FS [1979], 155 [159]) aufgreift (Vorsatz, 90 Fn. 131). Zu betonen ist allerdings, dass diese Autoren sich gerade nicht (wie Frisch selbst) gegen die qualitative Unterscheidung von Vorsatz- und Fahrlässigkeitsunrecht richteten, sondern „nur“ gegen die einseitige Verabsolutierung des reinen Intentionalitätsunwerts bei den Vorsatzdelikten durch die finalistisch-orthodoxe Unrechtslehre Zielinskis! Diesem Problem kann man aber einfach dadurch abhelfen, dass man die Normwidrigkeit des untauglichen Versuchs als Implikat (vulgo: als „notwendiges Übel“) einer an fehlbarer menschlicher Verstandesmacht orientierten Verhaltensnormbestimmung ausweist und ihn so wieder mit dem auf objektive Gefahren zugeschnittenen Rechtsgüterschutzdogma harmonisiert (vgl. dazu bereits Samson, Grünwald-FS [1999], 585 [599]; in der Sache zust. Paeffgen/Zabel, in: NK, Vor §§ 32 ff. Rn. 52 m. Fn. 282).

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der Schaffung einer objektiven Gefahr für das Rechtsgut liege. Diese Annahme verwischt aber gerade die entscheidende Differenz zwischen vorsätzlichem und fahrlässigem Verhalten. Denn wenn ein auf Erfolgsherbeiführung gerichteter Wille in seiner Umsetzung ausnahmsweise von vornherein objektiv ungefährlich ist, dann liegt das nicht etwa daran, dass er gegenständlich auf ein erlaubtes Risiko i.S.d. Fahrlässigkeitsdelikte bezogen wäre, sondern daran, dass er als Programm unvollkommen oder nicht verstandesgemäß geplant hat. Wer in derartigen Fällen von einem erlaubten Risiko als Bezugspunkt des rechtlichen Vorsatzes sprechen will, der verwechselt Mittel und Zweck des dem unrechtlichen Willen zugrunde liegenden Handlungsprogramms! Das lässt sich anhand eines von Schild731 gebildeten Beispiels illustrieren, in dem der Täter durch ein Überholmanöver mit dem PKW einen als „Feind“ erkannten Radfahrer töten will. Hier ist mit Schild732 festzuhalten, dass es für einen solchen Plan von vornherein keinen ausreichenden (= i.S.d. Fahrlässigkeitsdelikte erlaubten) Seitenabstand i.S.d. Sorgfaltsnorm des § 5 IV StVO geben kann, da ein (riskanter) Überholvorgang mit Tötungswillen nach der StVO als Programm verboten ist (vgl. § 1 StVO).733 Strafrechtlich unhaltbaren Ergebnissen in Bezug auf die Umsetzung a priori untauglicher Intentionen beugt jedenfalls § 23 III vor.734 Nicht geleugnet werden soll allerdings, dass es Fälle gibt, in denen trotz umgesetzter Absicht zur Herbeiführung eines tatbestandsmäßigen Erfolgs von einem vorsätzlichen Handlungsunrecht nicht die Rede sein kann. Exemplarisch sei hier der Kathederfall genannt, dass der Neffe den Erbonkel auf eine Flugreise schickt, in der Hoffnung, die Maschine möge abstürzen, was dann auch tatsächlich geschieht. Es liegt auf der Hand, dass man hier nicht ernsthaft von einem vorsätzlichen Handlungsunrecht sprechen kann, sondern nur von der Hoffnung auf die Realisierung allgemeiner Lebensrisiken. Diese Einsicht ändert jedoch nichts an der qualitativen Differenz zwischen vorsätzlichem und fahrlässigem Handeln. Denn auch in Fällen 731

In: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 82; ders., Täterschaft, 38. In: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 82; ders., Täterschaft, 38; diametral entgegengesetzt allerdings Roxin, Klug-FS (1983), 303, (305): Die Verursachung von aus der Teilnahme am modernen Straßenverkehr fließenden Todesgefahren sei unabhängig vom Willensinhalt des Verursachers nie eine Tötungshandlung i.S.d. §§ 212 ff.; instruktiv und differenzierend zum Ganzen auch Armin Kaufmann, Jescheck-FS (1985), 251 (267 ff.). 733 Auch wenn man für den Vorsatz auf den „natürlichen“ Willen abstellt, gilt das freilich nicht ausnahmslos (weshalb sich die generalisierende Aussage Schilds, mit Tötungswillen durchgeführte Überholmanöver seien stets verboten [Täterschaft, 38], als ungenau erweist): Ist dem Akteur die generelle Ungeeignetheit seines Tuns zur Erfolgsherbeiführung bewusst, d. h. ist sein Handeln bloß vom Wunschtraum eines Erfolgseintritts beseelt (Bsp.: Der Autofahrer hält ausreichenden Seitenabstand ein und überholt auch sonst regelkonform, hofft aber insgeheim, der verhasste Radfahrer möge einen Schlenker machen und unter sein Fahrzeug stürzen), so liegt ein von vornherein unverbotener „Verwirklichungswille“ im natürlichen Sinne vor (so zutr. Paeffgen/Zabel, in: NK, Vor §§ 32 ff. Rn. 24); s. dazu noch sogleich im Text. 734 Je nach konkreter Fallgestaltung mag man auch mit Armin Kaufmann (Jescheck-FS [1985], 251 [267 ff.]) darüber sinnieren, den einschlägigen Vorsatztatbestand (im Beispiel: § 212) teleologisch zu reduzieren. 732

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der genannten Art geht es nicht um die rechtliche Qualität der eingeplanten Risiken als solcher, sondern schlicht darum, dass die Rechtsordnung es ausnahmsweise zulässt, einen tatbestandsmäßigen Erfolg durch vorsätzliche Schaffung allgemeiner Lebensrisiken herbeiführen zu wollen.735 Die Umsetzung derartiger Programme ist daher nicht erlaubt, sondern nur unverboten.736 Von daher trifft die früher gebräuchliche Rede vom mangelnden Verwirklichungswillen737 hier durchaus den Kern der Sache: Wer einem anderen Flugtickets besorgt und dabei auf die statistisch minimale Wahrscheinlichkeit eines Flugzeugabsturzes hofft, dem kann keine ernstzunehmende Verletzungsmaxime zugeschrieben werden; denn er weiß, dass das von ihm gewählte Mittel nach den Rationalitätsstandards unserer Gesellschaft nicht dazu taugt, den gewünschten Erfolg herbeizuführen. Nun mag es durchaus zutreffen, dass das Fehlen einer nach gesellschaftlichen Rationalitätsstandards tauglichen Verletzungsmaxime nur die Reformulierung des allgemeinen Lebensrisikos aus der Perspektive der Tätervorstellung darstellt.738 Das ändert aber nichts daran, dass die intentionale Risikoschaffung hier allein deshalb rechtlich unverboten ist, weil auch der Täter selbst ein nomologisches Wissen hat, das die Zuschreibung einer Verletzungsmaxime ausschließt. Dies belegt ostentativ der umgekehrte Fall, dass dem Täter das einschlägige Erfahrungswissen gerade fehlt und er daher eine – wenn auch noch so absurde – Verletzungsmaxime betätigt: Plant z. B. jemand, mit einem Luftgewehr auf ein Flugzeug zu schießen,739 in der Annahme, es auf diese Weise vom Himmel holen zu können, so ist die Umsetzung dieses Plans de lege lata sehr wohl unerlaubt, wenn auch sub specie § 23 III ggf. straffrei zu stellen! – Nach alledem zwingen die Fälle des erlaubten Risikos keineswegs zu einer allgemein-nivellierenden Bestimmung des Verhaltensunrechts. cc) Risikoschaffung als konkreter Erfolg, der seinerseits einer Zurechnungsgrundlage bedarf Demgegenüber muss Frisch – wie er selbst sieht740 – innerhalb des Vorsatzdelikts mit zwei verschiedenen Unwertigkeitskategorien operieren: Während er grundsätzlich auf das objektive Kriterium einer konkreten Verhaltensgefährlichkeit abstellt, muss er in den Fällen des untauglichen Versuchs umgekehrt das subjektive Kriterium der beim Handeln angenommenen Gefahr heranziehen. Dieses gespaltene Verständnis vorsätzlichen Handlungsunrechts leuchtet aber nicht ein: Der gesetzli735 Vgl. Armin Kaufmann, Jescheck-FS (1985), 251 (266); Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 82; Paeffgen/Zabel, in: NK, Vor §§ 32 ff. Rn. 24; a.A. statt vieler Puppe, in: NK, § 15 Rn. 79 f. 736 So zutr. Paeffgen/Zabel, in: NK, Vor §§ 32 ff. Rn. 24. 737 s. statt vieler Welzel, Strafrecht, § 13 I 2 (S. 66); tendenziell zust. Armin Kaufmann, Jescheck-FS (1985), 251 (266 f.). 738 Frisch, Verhalten, 39 m. Fn. 154; Puppe, in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 154; § 15 Rn. 79. 739 Beispiel nach Roxin, AT/II, § 29 Rn. 364. 740 Vorsatz, 87 f. Fn. 127a.

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che Schuldbegriff ist beim vollendeten und versuchten Vorsatzdelikt derselbe, und der Unwert des versuchten Delikts wird über die Umsetzung der intentionalen Verletzungsmaxime ex ante begründet. Dann aber muss auch das konstitutive Handlungsunrecht des erfolgreich vollendeten Delikts in der Umsetzung eines solchen Programms liegen. Allerdings meint Frisch, auch diese Diskrepanz hinnehmen zu können, mit dem Argument, dass im Verhältnis zwischen Vollendung und Versuch ein offensichtlicher Unterschied hinsichtlich der maßgebenden Wert- und Auswahlgesichtspunkte bestehe: Die Notwendigkeit einer Erfolgszurechnung trete allein im vollendeten Delikt auf und könne nur auf ein konkret gefährliches Verhalten gegründet werden.741 Diese These ist jedoch in der Vergangenheit bereits widerlegt worden. Denn der Eintritt einer konkreten Gefahr stellt selbst bereits einen Erfolg („Gefahrerfolg“) dar, den es ex post zuzurechnen gilt: nämlich dem allgemeinrechtlich verbotenen, weil unerlaubt riskanten Verhalten, das in der wirklichen Entscheidungssituation ex ante tatsächlich von der rechtlichen Bestimmungsnorm erfasst wird.742 Der finale Zurechnungsgrund liegt also nicht in der „Schaffung“ einer konkreten Gefahr, sondern in dem personalen Verhalten, das prospektiv zu einer solchen Gefahrschaffung geeignet und deshalb unerlaubt-riskant ist.743 6. Die sorgfaltswidrige Handlung als allgemeines Verhaltensunrecht der Fahrlässigkeitsdelikte Mit dieser Erkenntnis ist der Bogen zur eigentlichen Aufgabenstellung der vorliegenden Arbeit wieder geschlagen. Es geht darum, das in den Straftatbeständen umschriebene Tatbestandsverhalten der einzelnen Straftatgruppen auf seine personale Zurechnungsgrundlage, das konkrete allgemeine Verhaltensunrecht ex ante, zurückzuführen und aus ihm heraus zu entwickeln. Das bedeutet aber, um mit Schild744 zu sprechen, eine „Umwandlung der Verhaltensnorm“. Zu vermeiden ist nicht erst die Schaffung einer konkreten Gefahr, sondern ein Verhalten, das eine solche Gefahrenzuspitzung herbeiführen könnte und deshalb allgemein „gefährlich“745 ist. Verboten werden kann ein solches Verhalten aber nur dann, wenn es nach den Maßstäben der modernen Gesellschaft, die in vielen Bereichen ohne riskante Verhaltensweisen gar nicht mehr auskommt, als rechtlich unerlaubt zu qualifizieren ist.746 Damit wird der Normadressat auf die allgemeinen Regeln des erlaubten oder 741

Vorsatz, 87 f. Fn. 127a. So zutr. Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 104; s. ferner etwa auch Burgstaller, Fahrlässigkeitsdelikt, 37 ff. (39); Hirsch, Lenckner-FS (1998), 119 (134 m. Fn. 49); Münzberg, Verhalten, 38 f., 165 f.; Rudolphi, Maurach-FS (1972); 51 (70); Wolter, Zurechnung, 24, 50. 743 Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 105. 744 In: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 105. 745 Begrifflichkeit nach Burgstaller, Fahrlässigkeitsdelikt, 38; ebenso Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 105. 746 Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 105. 742

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unerlaubten Risikos verwiesen, die ihm in der Entscheidungssituation ex ante sagen (sollen), ob sein Handlungsprojekt (noch) den allgemeinen rechtlichen Sorgfaltsanforderungen (vgl. § 276 BGB) entspricht.747 In vielen Bereichen hält die Rechtsordnung zu diesem Zweck positivgesetzliche Ordnungsnormen vor, die mit Blick auf die prinzipielle Zulassung eines an sich riskanten Verhaltens bestimmte Risikoreduzierungsregeln (= Sorgfaltsregeln) kodifizieren.748 Das praktisch wohl bedeutsamste Beispiel dieser Art bilden die Ordnungsnormen der StVO, die für die Teilnahme am Straßenverkehr bestimmte vom Verkehrsteilnehmer einzuhaltende Vorsichtsmaßnahmen anordnen.749 Solche positivgesetzlichen „Regelkataloge“750 bezwecken eine menschenmögliche Gefahrenreduzierung, womit schon im Ansatz klargestellt ist, dass selbst Regeleinhaltung nicht entpflichtet, wenn sie eine Senkung des Verhaltensrisikos auf das allgemein erlaubte Grundniveau nicht erwarten lässt.751 Erkennt also etwa ein vorfahrtsberechtigter Verkehrsteilnehmer, dass ein Wartepflichtiger im Begriff steht, ihm die Vorfahrt zu nehmen, so muss er – will er selbst sorgfaltsgemäß agieren – auf die Vorfahrt verzichten.752 Solchen Situationen trägt für den Bereich des Straßenverkehrs die Generalklausel des § 1 II StVO Rechnung, die zu „ständiger Vorsicht und gegenseitiger Rücksicht“ gemahnt.753 Damit wird klargestellt, dass selbst der positivgesetzliche „Regelkatalog“ nicht abschließend ist und sein kann, vielmehr auch in seinem Regelungsbereich immer noch weitere, allgemeine Sorgfaltspflichten gelten.754 Die Aporie solcher Generalklauseln liegt nun freilich darin, dass sie zwar einerseits für eine dynamisch-situationsbezogene Formulierung der Verhaltenspflichten unverzichtbar sind, andererseits aber inhaltlich nicht wesentlich über den molluskenhaften Regelungsinhalt des § 276 BGB hinausgehen, allenfalls „angereichert“ um das ebenso unkonkrete Gebot des „neminem laede“.755 Sind aber schon die positivgesetzlichen Sorgfaltsnormenkataloge in dieser Weise unvollständig, so muss dies natürlich erst recht für „vorrechtliche Risikolimitierungen“756 wie technische Normen oder die leges artibus bestimmter Berufsstände gelten,757 die de facto 747

Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 105; s. etwa auch Puppe, in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 153 f. 748 Eingehend und instruktiv dazu Frisch, Verhalten, 90 ff. 749 Frisch, Verhalten, 91; Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 105; Puppe, in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 155. 750 So Frisch, Verhalten, 92. 751 So zutr. Frisch, Verhalten, 92 f.; Puppe, in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 155. 752 Beispiel nach Puppe, in: NK3, Vor §§ 13 ff. Rn. 156. 753 Puppe, in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 155; auch Frisch, Verhalten, 93. 754 Vgl. Puppe, in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 155 f. 755 Vgl. Puppe, in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 155; Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 106 ff., m.w.N. 756 So Frisch, Verhalten, 101. 757 So zutr. Puppe, in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 155.

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ebenfalls als standardisierte Sorgfaltsregeln fungieren.758 Damit sind vom Problem der „dynamischen Pflichtinhaltsbestimmung“ letztlich alle rechtlichen Sorgfaltspflichten betroffen, d. h. auch und insbesondere die vorrechtlich nicht standardisierten, ungeschriebenen, Sorgfaltspflichten759. Die damit einhergehenden Schwierigkeiten liegen auf der Hand: Die Sorgfaltspflichten, die dem Akteur in der konkreten Handlungssituation aus seinem Tatsachenwissen und seiner sozialen Rolle erwachsen, haben, da stets dynamisch-situationsbezogen zu formulieren, keinen allgemein fixierten Inhalt.760 Vielmehr ist der Akteur selbst aufgerufen, die für sein Handlungsprojekt konkret einschlägigen Sorgfaltspflichten erst zu konzipieren,761 d. h. die allgemeinen „Metaregeln“762 zur Bestimmung nicht standardisierter Sorgfaltspflichten situationsbezogen heranzuziehen.763 Der Einzelne soll also aus seinem situationsbezogenen Wissen unter Anwendung allgemeiner Erfahrungssätze Folgerungen im Hinblick auf potentielle Verletzungsgefahren ziehen, soll daraus Strategien zur Gefahrenvermeidung entwickeln und diese dann unter Einsatz praktischer Fertigkeiten anwenden.764 Handelt er, ohne die von ihm zu ermittelnden Sorgfaltsmaßnahmen einzuhalten, so verletzt er das konkretisierte Verbot, eine nach allgemeinen Sorgfaltsstandards ungesicherte und deshalb gefährliche Handlung vorzunehmen.765 Die praktischen Anwendungsfälle reichen dann von der schlichten Nichtwahrnehmung des einschlägigen Gefahrenpotentials und der damit einhergehenden Konzipierungsnotwendigkeit über den Nicht- oder Falscheinsatz des verfügbaren bzw. einholbaren Gefahrvermeidungswissens bis hin zur Nicht- oder Falschanstrengung der praktischen Vermeidefähigkeiten. Einstweilen766 lässt sich also konstatieren: Der allgemeine Verhaltensunwert des Fahrlässigkeitsdelikts liegt in der Umsetzung einer sorgfaltswidrigen Verhaltensentscheidung,767 technisch gesprochen: in einer sorgfaltswidrigen intentionalen Basis-Handlung (bzw. im Falle der gebotswidrigen Unterlassung: in der Nichtvornahme einer sorgfaltsgemäßen Basis-Eingriffshandlung).

758 s. zum letzteren Aspekt eingehend Frisch, Verhalten, 101 ff.; auch Puppe, in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 155. 759 Eingehend dazu wiederum Frisch, Verhalten, 118 ff. 760 Vgl. Puppe, in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 155; Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 106 ff. 761 Puppe in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 155; Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 106. 762 So die treffende Begrifflichkeit bei Puppe, in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 157. 763 Vgl. Puppe, in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 155 ff. 764 Puppe in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 158; Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 106. 765 Vgl. dazu instruktiv Zielinski, Unrechtsbegriff, 179 ff.; s. eingehend zum Ganzen auch noch unten, S. 200 ff. 766 s. eingehend zur Bestimmung des fahrlässigen Verhaltensunrechts noch unten, S. 199 ff. 767 Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 111 a.E.

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2. Kap.: Täter als tatbestandsmäßig sich Verhaltender u. Handlungsbegriff

7. Die handlungsmäßige Expression einer zweckrationalen Erfolgsmaxime als allgemeines Handlungsunrecht der vorsätzlichen Handlungsdelikte Damit tritt die Differenz zum Typus des vorsätzlichen Handlungsdelikts klar zutage. Zwar kann man sagen, dass im Allgemeinen auch der Vorsatztäter „sorgfaltswidrig“ agiert, indem er eine taugliche – und damit eben unerlaubte (= sorgfaltswidrige) – Strategie zur Erfolgsherbeiführung anwendet.768 Doch weist das vorsätzliche Handlungsunrecht einen vom fahrlässigen Verhaltensunrecht qualitativ abweichenden intensionalen Gehalt auf. Maßgeblich ist hier der Entschluss zur Umsetzung eines Handlungsprogramms, dessen Vollzug nur als Ausdruck der Maxime verstanden werden kann, dass der tatbestandsmäßige Erfolg sein soll.769 Sofern man es also unrechtsdogmatisch für sinnvoll hält, den Rechtsbegriff der „Sorgfaltspflichtverletzung“ für die Vorsatzdelikte heranzuziehen, müsste er hier einen wesensmäßig abweichenden Inhalt erfahren.770 Denn für die Verwirklichung eines von vornherein unrechtlich planenden Handlungsprogramms kann es sinnvollerweise keine rechtlichen Sorgfaltsanforderungen im Interesse einer menschenmöglichen Gefahrenreduzierung geben;771 vielmehr existiert hier immer nur das absolute Verbot, die Umsetzung der Verletzungsmaxime als solche zu unterlassen.772 Wenn man also den Begriff der Sorgfaltspflichtverletzung schon auf das Vorsatzdelikt extrapolieren möchte, dann sollte man ihn als konkreten Begriff verstehen und ihn auf die Unrechtstypizität der „Vermeidbarkeitsform“773 Vorsatz zuschneiden.774 Das verhaltensnormtheoretisch gebotene Einnehmen einer strikten Ex-ante-Perspektive zwingt dann im Bereich der vorsätzlichen Handlungsdelikte dazu, mit dem unrechtlich planenden Handlungsprogramm zu beginnen.775 Dann liegt das allgemeine vorsätzliche Handlungsunrecht als „Sorgfaltspflichtverletzung“ des Vorsatzdelikts im unmittelbaren Ansetzen zum Umsetzen einer intentionalen Verletzungsmaxime.776 Dieses wirkliche, weil eben ex ante „gefahrerfolgsgefährliche“, Handlungsunrecht bildet dann – soweit der Versuch strafbar ist (§§ 23 I, 22) – bereits das Versuchsunrecht i.S.d. Vorsatztatbestände.

768 769 770

112. 771 772 773 774 775 776

So Puppe, in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 154. So zutr. Puppe, in: NK, § 15 Rn. 64 ff. (68 ff.). So die m. E. zwingende Schlussfolgerung bei Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 82, Vgl. Schild, Täterschaft, 38 sowie ders., in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 82. Vgl. dazu Paeffgen, Verrat, 139. Begrifflichkeit nach Jakobs, AT 9/4. So zutr. Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 82, 112. Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 82, 112. Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 112.

Drittes Kapitel

Täter als Verletzer einer Verhaltensnorm: Normentheoretische Fundierung des eigenen Ansatzes Wie vorstehend gezeigt, wurzelt das personale Unrecht jedes Straftattypus in einem bestimmt gearteten unrechtlichen Verhalten, einem ohne Erfolg gedachten, wirklichen Verhaltensunrecht, das in der kritischen Entscheidungssituation ex ante als deliktsspezifische Verhaltenspflichtverletzung gedacht werden können muss. Nach wie vor offen ist allerdings, wie die konkret-individuellen Verhaltenspflichten, deren Verletzung das personale Unrecht ausmacht, herzuleiten sind und was Gegenstand und Funktion dieser Pflichten ist. Erst eine bei der Pflichtgenese ansetzende Analyse von Pflichtfunktion und -gegenstand kann jedoch genauen Aufschluss über die Substanz des personalen Unrechts geben. Dazu zählt insbesondere auch die Frage, ob das Verhaltensunrecht ex ante in sich bereits die Anlage zum konkreten Beteiligungstypus enthält.777 Was den bisherigen Überlegungen also noch abgeht, ist eine axiologisch-teleologisch-ontologische778 Herleitung und Gegenstandsbestimmung der einzelnen Verhaltenspflichten. Um dieses Fundament legen zu können, wird eine in sich geschlossene Theorie der Verhaltenspflichtentstehung benötigt, die die Merkmale des unwertigen Verhaltens und das personale Moment in einem einzigen konkreten Pflichtgegenstand ex ante konfundiert, und die ihre Legitimation nicht zuletzt auch aus der zentralen strafrechtlichen Systemkategorie der personalen Verantwortung (= Schuldprinzip) beziehen muss. Aufgefunden werden muss ein umfassendes System abstrakt-genereller Verhaltensnormen, die in der konkreten Entscheidungssituation ex ante für den Akteur konkret-individuelle Verhaltenspflichten begründen, die das von ihm zu unterlassende (= Verbot) bzw. vorzunehmende (= Gebot) Handeln nach Gattung (= Tun/Unterlassen), Handlungstypus (= Vorsatz/Fahrlässigkeit), Intentionalitätsmodus (= Ich-/Wir-Intentionalität) und Sinndichte (= einfache oder komplexe Intentionalität) regeln. Die Ausarbeitung einer solchen normentheoretischen Grundlage ist aus drei Gründen unentbehrlich: 777

Die Annahme, es gebe „primäre“ täterschaftliche und „sekundäre“ teilnehmerschaftliche Verhaltensnormen bzw. -pflichten, bleibt solange eine bloße Ex-ante-Spiegelung der §§ 25 ff., wie sie nicht normentheoretisch hergeleitet wird (s. dazu Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 94, 96 – 98, 100). 778 Gemeint ist die Dreiheit von Wert, Ziel und sozialer Wirklichkeit in Bezug auf die Verhaltensnormebene: Aus den Werten (= Rechtsgütern) erwächst das Ziel (= Rechtsgüterschutz) und das Ziel ist nur durch Anknüpfung an das gelebte Sein (= Handlung als Interpretation einer intentionalen Selbstverwirklichung) umsetzbar (vgl. anschaulich zum Ganzen Armin Kaufmann, Normentheorie, 69 ff. sowie ders., Unterlassungsdelikte, 1 ff.).

154

3. Kap.: Täter als Verletzer einer Verhaltensnorm

Erstens muss man, um eruieren zu können, inwiefern das personale Verhaltensunrecht die Anlagen des jeweiligen Beteiligungstypus bereits in sich trägt, notwendig die Voraussetzungen kennen, unter denen der Einzelne von der Norm personal verpflichtet wird. Zweitens ist darzulegen, dass und warum der Pflichtkategorie im Straftatgefüge sinnvollerweise nur die Funktion zukommen kann, für jede einschlägige Handlungssituation ex ante das negativ bzw. positiv bewertete Verhalten imperativisch konkret festzulegen (= präskriptive Funktion der Verhaltensnormen).779 Dies ist insbesondere deshalb notwendig, weil in der Strafjurisprudenz ein Konkurrenzmodell der Straftat verfochten wird, das nicht von einem Ableitungszusammenhang zwischen Verhaltensnorm und -pflicht (= Verhaltenspflichten als konkretisierte Verhaltensnormen) ausgeht, sondern der Pflichtkategorie im Unrechtsgefüge eine vollkommen andere Stellung und Funktion zumisst als der Normkategorie.780 Drittens muss zumindest im Ansatz aufgezeigt werden können, dass sich auch wirklich für jede kritische Entscheidungssituation eine Verhaltenspflicht formulieren lässt. Denn die Formulierung derart konkreter Pflichten kann vor allem im Bereich der Fahrlässigkeitsdelikte intrikate Probleme bereiten. Diese im Zusammenhang mit der Konturierung des Normensystems zwangsläufig auftretenden Schwierigkeiten bieten in praktischer Hinsicht die Hauptangriffsfläche für die Kritiker eines umfassenden Systems handlungssteuernder Verhaltensnormen. So wird gerne behauptet, es sei nicht möglich, flächendeckend dogmatisch verlässliche Bestimmungsnormen zu formulieren, die dem Einzelnen in der Entscheidungssituation ex ante genau sagten, was er zu unterlassen bzw. zu tun habe. Die Situationsbezogenheit der Normen bringe eine fallbezogene Konkretisierungsaufgabe mit sich, die von einem Laien kaum zu erfüllen sei.781 Dieser Einwand muss ernst genommen und – soweit dies hier geleistet werden kann – durch eine Analyse der problematischen Konstellationen entkräftet werden. Nach alledem sind im Folgenden die den einzelnen Deliktstypen zugrunde liegenden Normen mitsamt der aus ihnen fließenden Pflichten zu entwickeln.

779 Grundlegend und instruktiv zur Wichtigkeit allgemeinverständlicher Bestimmungsnormen Eser, Lenckner-FS (1998), 25 ff. 780 Angesprochen ist das Straftatmodell Kindhäusers (Gefährdung, 13 ff., 50 ff.), das die Pflichtwidrigkeit als Kategorie der strafrechtlichen Zurechnung, d.h als Sanktionsnormkategorie, versteht. Zur ausführlichen Auseinandersetzung mit diesem Straftatmodell s. noch unten, S. 246 ff. 781 s. statt vieler etwa Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff., Rn. 92, 105 ff. (110, 114); Duttge, Bestimmtheit, 459 ff.

B. Pflichten als Derivate abstrakt-genereller Verhaltensnormen

155

A. Axiomatische Grundlegung: Schuldprinzip und Erfordernis eines personalen Verhaltensunwerts In einem Tatschuldstrafrecht schweben (Gefahr-)„Erfolge“ nicht frei in der Luft, sondern müssen zwingend auf ein bestimmtes personales Verhalten zurückgeführt werden können. Da das Schuldprinzip substantiell an die menschliche Fähigkeit zu freiverantwortlicher Willensbildung und -betätigung anknüpft, können auch allein persönliche Willensakte, also Handlungen, personales Verhaltensunrecht begründen.782 Von der Fähigkeit zur Betätigung eines (frei gefassten) Willens kann man aber immer nur dadurch Gebrauch machen, dass man eine eigene Entscheidung über die Vornahme einer Handlung unmittelbar umsetzt bzw. sich nicht zur Vornahme einer Handlung entschließt.783 Deshalb kann auch stets nur die persönliche Umsetzung eines Willensentschlusses bzw. die intentionale Zulassung eines Ereignisses durch Nichtfassung eines bestimmten Willensentschlusses ex ante als unwertig angesehen werden. Die Unwertigkeit einer verbotswidrigen Basis-Handlung liegt dann darin, dass ihrem Vollzug (nach der Tatsachenvorstellung des Akteurs) die Eignung zur Herbeiführung einer bestimmten Rechtsgutsbeeinträchtigung innewohnt. Korrelativ dazu liegt die Unwertigkeit einer Zulassung durch gebotswidrige Unterlassung darin, dass ein Rettungsentschluss, der im Falle seiner Vornahme prinzipiell geeignet wäre, die drohende Rechtsgutsbeeinträchtigung zu verhindern, nicht gefasst wird.784 Verlangt aber das Tatschuldprinzip als Pflichtgegenstand stets einen bestimmten Willensakt, den es ex ante zu unterlassen bzw. vorzunehmen gilt, dann kann die Verhaltenspflicht nach einem Diktum Armin Kaufmanns denklogisch nicht weiter greifen, als die Willensmacht des Adressaten im Entscheidungszeitpunkt reicht, als ihm zwecktätiges Handeln überhaupt möglich ist.785 Diese Erkenntnis wiederum führt zu der notwendigen Schlussfolgerung, dass mit Abschluss eines konkreten pflichtwidrigen Verhaltens auch die maximale Tatschuld erreicht sein muss.786

B. Konkret-individuelle Pflichten als Derivate abstrakt-genereller Verhaltensnormen Personale Verantwortung kann also immer nur an eine bestimmte personale Handlung bzw. an eine bestimmte intentionale Zulassungshandlung durch Unterlassen anknüpfen. Die Tätigkeiten, die je nach Situation unterlassen bzw. vorge782

s. statt vieler etwa nur Stein, Beteiligungsformenlehre, 65 ff. (78 ff.); Armin Kaufmann, Normentheorie, 71 ff., 102; Paeffgen, Verrat, 122. 783 Stein, Beteiligungsformenlehre, 81 m.w.N. 784 Der Sache nach ebenso Stein, Beteiligungsformenlehre, 81. 785 Armin Kaufmann, Normentheorie, 106 f.; Stein, Beteiligungsformenlehre, 81. 786 Zielinski, Unrechtsbegriff, 145 ff.; Paeffgen, Verrat, 122; Stein, Beteiligungsformenlehre, 81.

156

3. Kap.: Täter als Verletzer einer Verhaltensnorm

nommen werden sollen, sind dabei Gegenstand individueller Unterlassungs- bzw. Handlungspflichten. Fraglich ist, wie diese Verhaltenspflichten entstehen und welche Funktion ihnen innerhalb der Systemkategorie des Unrechts zukommt. Hier wird im Anschluss an Armin Kaufmann die These verfochten, dass Verhaltenspflichten individualisierte Verhaltensnormen sind, d. h. die einzelnen Pflichten müssen dem Wesen nach die gleiche Regelungsmaterie haben wie die Normen, aus denen sie fließen: Unterlassung oder Vornahme eines (hier: intentionalen) Willensaktes. Während allerdings die Norm „(…) das zeitlose Sollen aller (…)“787 formuliert, regelt die Pflicht die „(…),rechtliche Gebundenheit‘ eines bestimmten Einzelmenschen in einem bestimmten Zeitpunkte zu einem bestimmten Tun oder Unterlassen.“788 Dieser Ableitungszusammenhang zwischen Norm und Pflicht, der von einer präskriptiven, verhaltenssteuernden, Funktion schon der Verhaltensnormen ausgeht, bedarf der näheren Erläuterung. Da nach besagtem Modell Pflichtgenese Normgenese voraussetzt, muss bei der Frage begonnen werden, wie die Verhaltensnormen, die den Tatbeständen des Besonderen Teils zugrunde liegen, entstehen und warum schon sie intentionale Handlungen zum Gegenstand haben müssen.

I. Der Prozess der Normgenese nach Armin Kaufmann und seine Adaption an den hier vertretenen Ansatz Eine im rechtsmethodischen Ansatz fundierte Herleitung präskriptiver Verhaltensnormen liefert die vierstufige Normentheorie Armin Kaufmanns789, die im Folgenden kurz nachzuzeichnen und i.S.d. hiesigen Ansatzes zu präzisieren ist: Auf der ersten Wertungsstufe ermittelt der Normsetzer soziale Zustände, die er für positiv hält, also Rechtsgüter i.S.d. allgemeinen Auffassung.790 Dabei ist inzwischen herausgearbeitet, dass „Rechtsgut“ i.d.S. nicht allein das Interesse an der substantiellen Unversehrtheit eines Guts ist, sondern auch und nicht zuletzt das Interesse an der ungestörten Verfügung über dieses Gut.791 Die in der Strafrechtswissenschaft umstrittene Frage, wie Rechtsgüter entstehen, soll an dieser Stelle (noch) nicht weiter verfolgt werden, um die Darstellung nicht unnötig zu verkomplizieren. Dennoch sei ein Ausgriff auf die Ergebnisse späterer Ausführungen gestattet: Nach hier vertretener Ansicht sind Rechtsgüter im allge787

Armin Kaufmann, Normentheorie, 131. Armin Kaufmann, Normentheorie, 131. 789 Normentheorie, 69 ff. 790 Armin Kaufmann, Normentheorie, 69 f. 791 Auf diese Doppelfunktion des Rechtsgutsbegriffs hat scharfsinnig Kindhäuser (Gefährdung, 26, 148 ff.) hingewiesen. Die Einbeziehung der Dispositionsfreiheit in den Schutzbereich des Rechtsguts ist eine dogmatische Errungenschaft insofern, als sie die einzig haltbare Legitimationsbasis für diejenigen Normen ist, die den Gefährdungsdelikten zugrunde liegen. 788

B. Pflichten als Derivate abstrakt-genereller Verhaltensnormen

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meinrechtlichen Sinne bestimmte als positiv bewertete Funktionseinheiten bzw. Freiheitsentfaltungsinteressen, die der Gesetzgeber durch die Aufstellung allgemeiner (d. h. nicht notwendig strafbewehrter) heteronomer Verhaltensnormen schützen will.792 Rechtsgüter i.S.d. Strafrechts (= der Sanktionsnormen) sind hingegen (erst) die allgemeinen rechtsgüterschützenden Verhaltensnormen selbst, und zwar soweit ihre Garantie bzw. Durchsetzung für die Erhaltung des sozialethischen Mindeststandards innerhalb eines bestimmten gesellschaftlichen Systemrahmens unerlässlich ist und deshalb mit den Mitteln des Strafrechts (= Strafandrohung, -verhängung, -vollstreckung) durchgesetzt werden muss.793 Diesem „funktional-teleologisch“794 hergeleiteten Konzept des Rechtsgüterschutzes steht eine moralphilosophisch gestützte Ansicht entgegen, der zufolge Rechtsgüter präexistente Früchte eines allseits gelebten sittlichen Anerkennungsverhältnisses sein sollen, also durch wechselseitige autonome Konstitutionsakte der Bürger geschaffen würden.795 Diese Sichtweise wird hier nicht geteilt, was an späterer Stelle796 noch näher zu begründen sein wird. Einstweilen wollen wir es hier bei Armin Kaufmanns Diktum belassen, dass der Normsetzer zunächst soziale Zustände ermittelt, die er für positiv und schützenswert hält.797 In einem zweiten Schritt werden sodann diejenigen Ereignisse ermittelt, die Rechtsgüter der ersten Stufe beeinträchtigen oder erhalten. Solche Ereignisse werden ihrerseits wieder negativ oder positiv bewertet.798 Mit Blick auf diese zweite Stufe der Normgenese mag man kritisch anmerken, dass „Ereignisse“ an sich streng genommen wertfrei sind.799 Das trifft auch zweifelsfrei zu. Dennoch hindert aber nichts daran, bestimmte Außenweltveränderungen aus darstellerischen Gründen in einem separaten Gedankenschritt vorab als mögliche Bezugspunkte menschlicher Handlungen herauszustellen und auf diesem Wege einer allgemeinen (Vor-)Wertung zugänglich zu machen. Die dritte Wertungsstufe im Sinne Armin Kaufmanns stellt dann den Bezug her zwischen Ereignissen bzw. Geschehnissen der zweiten Stufe und dem menschlichen Willen: Menschliches Handeln, das intentional auf bestimmte Erfolge i.S.d. zweiten Stufe zugeschnitten ist oder das als sorgfaltswidriges Projekt eine Rechtsgutsgefährdung mit sich bringt, wird entsprechend dem vorangegangenen Werturteil als 792 s. zu dieser nüchtern(er)en Sichtweise Armin Kaufmann, Normentheorie, 69 f. (allgemeines Werturteil), 74 ff. („Verzweckung“ zur Norm). 793 Anschaulich zur Geltungskraft der Verhaltensnormen als Rechtsgut der strafrechtlichen Sanktionsnormen Freund, AT, §1 Rn. 5 ff. 794 Begriff nach Schünemann, in: LK, § 25 Rn. 38. 795 s. grundlegend i.d.S. etwa Zaczyk, Unrecht, 128 ff. 796 s. unten, S. 238 ff. 797 Natürlich ist auch der Normsetzer selbst letztlich nur Ausfluss eines bestimmten gesellschaftlichen Systemrahmens, weshalb auch die ausgewählten Rechtsgüter Derivate desselben Systems sind. 798 Armin Kaufmann, Normentheorie, 70 f. 799 s. dazu zutr. Kindhäuser, Gefährdung, 60.

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3. Kap.: Täter als Verletzer einer Verhaltensnorm

negativ oder positiv klassifiziert.800 – Diese dritte Stufe betreffend muss i.S.d. hier vertretenen intentionalen Handlungsbegriffs Einiges klargestellt werden: Erstens stoßen Handlungen nach unserem Alltagsverständnis nicht bloß blind ablaufende Kausalprozesse („Ereignisse“) an. Vielmehr werden sie von der Sprachgemeinschaft und damit auch vom Akteur selbst als Deutungsschemata einer intentionalen Selbstverwirklichung in verschiedensten Sinndimensionen der Außenweltgestaltung erlebt und interpretiert.801 Zweitens sind Intentionen nicht ausschließlich innerpsychische Entitäten oder Sinnesdaten, sondern sie werden nach einem praktisch institutionalisierten Handlungsinterpretament zugeschrieben.802 Demnach bezieht sich das allgemeine Unwerturteil der dritten Stufe also stets auf eine intentionale (und damit: normativ veranlagte) Handlung: Negativ bewertet werden zunächst intentionale Basis-Akte, die nur als Ausdruck einer Verletzungsmaxime verstanden werden können803.804 Negativ bewertet werden aber auch Basis-Akte, die ein Rechtsgut zu verletzen drohen, weil sie ein im Hinblick auf dieses Gut sorgfaltswidrig-riskantes Projekt umsetzen.805 Entsprechendes gilt für den Unterlassungsbereich: Geboten ist zunächst die Einleitung erkannter Rettungsmöglichkeiten, deren Unterlassung als vorsätzliches Unterlassen negativ bewertet wird.806 Zur Vermeidung von Rechtsgutsverletzungen geboten ist aber auch die Vornahme bestimmter Sorgfaltsakte, deren Unterlassung als fahrlässiges Unterlassen ebenfalls negativ bewertet wird.807 Da allein menschliches Verhalten geistig beeinflussbar ist, leiten sich nur aus den Wertungen der dritten Stufe Normen ab, die dem Willen negativ bewertete Handlungen verbieten bzw. positiv bewertete Tätigkeiten gebieten (vierte Stufe der Normgenese): Jedes Werturteil der dritten Stufe wird in ein dem Gegenstand nach identisches Sollurteil transformiert, d. h. Axiologik und Teleologik fließen in der Norm zusammen, sie ist Bewertungs- und Bestimmungsnorm zugleich.808 Diese unmittelbare Anknüpfung an den Willen des Adressaten in der Entscheidungssituation ex ante zeitigt zwei wesentliche Konsequenzen: Erstens kann es für die Bewertung der einzelnen Tat nicht mehr darauf ankommen, ob diese faktisch, d. h. qua ex post festgestellter Kausalität, auf ein Rechtsgut bezogen ist; vielmehr ist für das personale Handlungsunrecht allein der intentionale Aktunwert bzw. der Unter800

Armin Kaufmann, Normentheorie, 71 ff. s. eingehend dazu nochmals oben, S. 71 ff. 802 s. dazu bereits oben, S. 75 ff. 803 s. zu diesem alltagsontologischen (und damit: normativen) Begriff vorsätzlichen Handelns eingehend oben, S. 76 ff., 111 ff. 804 Vgl. auf Basis des finalen Handlungsbegriffs schon Armin Kaufmann, Normentheorie, 71. 805 Vgl. bereits Armin Kaufmann, Normentheorie, 71. 806 Vgl. Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte, 25 ff., 92 ff. 807 Vgl. Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte, 166 ff. 808 Armin Kaufmann, Normentheorie, 74 ff. 801

B. Pflichten als Derivate abstrakt-genereller Verhaltensnormen

159

lassungsunwert ex ante entscheidend.809 Und zweitens kann der Normbefehl sich nur auf Handlungen beziehen, die auch (prinzipiell) subjektiv möglich bzw. vermeidbar sind.810 Damit kommt dem strafrechtlich forcierten allgemeinen Verhaltensnormensystem Regelungsfunktion zu, d. h. es will mit dem Ziel eines präventiven Rechtsgüterschutzes auf menschliche Koexistenz gestaltend und bewahrend einwirken. Diese zweckrationale Ausrichtung des Verhaltensnormensystems lässt sich als die Aufgabe umschreiben, „Rechtsgüterschutz durch Androhungsgeneralprävention“811 zu gewährleisten. Eine solche verhaltenssteuernde Wirkung kann die Norm freilich nur über das Medium menschlicher Intentionalität entfalten, weshalb vom programmatischen Ansatz her allein intentional steuerbare Akte als Gegenstand von Verbzw. Geboten in Betracht kommen. Voraussetzung dafür, dass die Norm menschliches Verhalten i.d.S. zu bestimmen vermag, ist folglich zweierlei: Erstens muss die Norm Handlungsintentionen zum Gegenstand haben, zweitens muss sie die untersagten bzw. anbefohlenen Handlungen inhaltlich nachvollziehbar umschreiben.812 In ihrer Bewertungsfunktion knüpft die Norm dabei an Gattung (= Tun oder Unterlassen), Typus (= vorsätzliches oder fahrlässiges Handeln) und – bei den Vorsatzdelikten – den intentionalen Gehalt (= Täterschaft /Teilnahme) des projektierten Verhaltens an: Negativ bewertete Aktivität wird verboten, positiv bewertete geboten.813 Im Aktivbereich werden Handlungsprojekte, die Verletzungsintentionalität ausdrücken, negativer bewertet als Handlungsprojekte, die „nur“ sorgfaltswidrig riskant sind. Dies deshalb, weil der Akteur im ersteren Falle eine mit höherer Vermeidemacht einhergehende Verletzungsstrategie umsetzt, wohingegen im letzteren Falle „nur“ die ungesicherte Umsetzung eines objektiv gefährlichen Handlungsprojekts avisiert ist.814 Entsprechendes gilt – mutatis mutandis – für den Unterlassungsbereich: Das Unterlassen einer konkret erkannten Rettungsstrategie wird als intentionale Zulassung der Rechtsgutsverletzung prinzipiell negativer bewertet als beispielsweise die unsorgfältige Prüfung von Rettungsmöglichkeiten oder die unvorsichtige Rettungsvornahme, wo der Rechtsgutsbezug „nur“ durch den Aspekt mangelnder (projektbezogener) Sorgfalt hergestellt wird.815

809 Armin Kaufmann, Normentheorie, 72; Stein, Beteiligungsformenlehre, 81; Paeffgen, Verrat, 122. 810 Armin Kaufmann, Normentheorie, 75. 811 So pointiert Schünemann, in: LK, § 25 Rn. 13. 812 Zielinski, Unrechtsbegriff, 121 f. 813 s. normentheoretisch grundlegend zu beiden Normgattungen Armin Kaufmann, Normentheorie, 69 ff. sowie ders., Unterlassungsdelikte, 1 ff. 814 So der Sache nach bereits Paeffgen, Verrat, 139. 815 In der axiologischen Grundwertung ebenso Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte, 92 ff., 170 ff. (der allerdings – wie noch zu zeigen sein wird – den Bereich der [quasi-]vorsätzlichen Unterlassung zu weit ausdehnte).

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3. Kap.: Täter als Verletzer einer Verhaltensnorm

Diese Bewertungsdifferenz im Rechtsgutsbezug geht denknotwendig auch in die Norm ein, da der Gegenstand des Werturteils mit dem Gegenstand der Norm identisch ist: Die unterschiedlichen Wertungen werden in disparate Sollensnormen transformiert, nämlich einerseits in diejenigen, die den Vorsatzdelikten zugrunde liegen (= „Vorsatznormen“), andererseits in diejenigen, die den Fahrlässigkeitstatbeständen zugrunde liegen (= „Fahrlässigkeitsnormen“). Beide Bestimmungsnormarten sind also zwar „(…) abstammungsmäßig miteinander verwandt (…)“ insofern, als sie Ausfluss ein und derselben positiven Rechtsgutsentscheidung (der ersten Stufe) sind; jedoch unterscheiden sie sich darin, dass sie auf unterschiedlichen Wertungen der dritten Stufe beruhen.816 Ganz entsprechend divergiert auch der Anknüpfungspunkt für den Verhaltensappell der Bestimmungsnorm: Im Falle vorsätzlichen Handelns knüpft der Normbefehl an die (scil.: zugeschriebene) Entscheidung gegen das Rechtsgut an, im Falle fahrlässigen Handelns an die Kenntnis situativ einschlägiger Umstände, die den der Verhaltensnorm konkret zugrunde liegenden negativen Erfahrungssatz ausfüllen. Im Hinblick auf die vorsätzlichen Handlungsdelikte ist ferner zwischen „täterschaftlichen“ und „teilnehmerschaftlichen“ Verbotsnormen817 zu unterscheiden: Originäre intentionale Rechtsgutszugriffe der dritten Stufe werden durch täterschaftliche Verhaltensnormen verboten, derivative intentionale Rechtsgutsangriffe der dritten Stufe hingegen „nur“ durch teilnehmerschaftliche Verhaltensnormen. Wann täterschaftliches und wann teilnehmerschaftliches Handeln i.d.S. gegeben ist, hängt vom intensionalen Programmgehalt ab: Will der Akteur selbst unter einer bestimmten Sinndimension intentional auf das Rechtsgut zugreifen, trifft ihn die Täterverhaltensnorm, will er einen fremden Rechtsgutsangriff initiieren oder unterstützen, trifft ihn „bloß“ eine Teilnehmerverhaltensnorm. Soweit täterschaftliche Verbotsnormen in Rede stehen, unterfallen die drei in § 25 geregelten Handlungstypen ein und derselben generellen Verhaltensnorm, die insofern lediglich unterschiedliche Pflichttypen ausbildet, nämlich: unmittelbar-täterschaftliche, mittelbar-täterschaftliche und mittäterschaftliche Pflichten. Entnimmt man also etwa dem § 212 die generelle täterschaftliche Verbotsnorm „Du sollst nicht töten (wollen)!“, so könnte eine konkrete unmittelbar-täterschaftliche Unterlassungspflicht z. B. lauten: „Du sollst nicht den X erstechen (wollen)!“; eine mittelbar-täterschaftliche Unterlassungspflicht könnte etwa lauten: „Du sollst nicht dem X ein Gewehr anreichen, in der Erwartung, dieser werde den Schemen in der Dunkelheit für ein Tier halten und den tatsächlich dort befindlichen Menschen Y erschießen!“; eine mittäterschaftliche Unterlassungspflicht könnte lauten: „Du sollst nicht mit dem X zusammen den Y tot prügeln (wollen)!“ 816

So Paeffgen, Verrat, 139 (Zitat ebenda). Dass täterschaftliches und teilnehmerschaftliches Handeln Gegenstand verschiedener Verhaltensnormen (und nicht lediglich -pflichten) sind, liegt darin begründet, dass das Rechtsgutszugriffserlebnis des Täters den Rechtsgutsbezug der Teilnahme in sozialontologischer (d. h.: in handlungstheoretischer) Hinsicht „kappt“. s. eingehend dazu noch unten, 168 ff. 817

B. Pflichten als Derivate abstrakt-genereller Verhaltensnormen

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II. Der Vorgang der Normenkonkretisierung (= Pflichtgenese) Die Norm formuliert „(…) das zeitlose Sollen aller (…)“818, was bedeutet, dass theoretisch jedermann Adressat jeder Norm ist (= Allgemeindelikte) bzw. werden kann (= Sonderdelikte).819 Verhaltenspflicht ist dagegen der in einer konkreten Situation an eine bestimmte Person gerichtete Appell, eine bestimmte Handlung zu unterlassen oder vorzunehmen: Die potentiell an alle gerichtete Verhaltensnorm verdichtet sich unter gewissen Voraussetzungen zu einer aktuellen Verhaltenspflicht eines einzelnen Normadressaten. Sie legt also das von ihm in der Entscheidungssituation ex ante konkret Gesollte rechtsverbindlich fest.820 Folglich ist die Verletzung einer zur Pflicht konkretisierten Norm Definiens jedes Verhaltensunrechts. Die Prämissen, unter denen sich der Vorgang der Normverdichtung im Einzelnen vollzieht, werden im Zusammenhang mit der Entwicklung der verschiedenen Pflichttypen noch näher darzulegen sein.

III. Teleologische Ableitung des für die Normerrichtung maßgeblichen Beurteilungsmaßstabs Damit die Normen ihre verhaltenssteuernde Funktion erfüllen können, muss schon im Zeitpunkt der Entscheidungsvornahme ex ante feststehen, ob das projektierte Verhalten verboten oder erlaubt ist. Deshalb können Verhaltensnormen und -pflichten immer nur an solche Umstände anknüpfen, die in der Entscheidungssituation ex ante erkennbar sind: Maßgebend ist eine „strikte Ex-ante-Perspektive“.821 Das Verfahren, nach dem sich die Aufstellung der Verhaltenspflichten richtet, besteht dabei (auch) nach hiesiger Auffassung in einer „subjektiv-vorträglichen Prognose“822, was bedeutet: Dem objektiven Ex-ante-Beurteiler steht ausschließlich das zu begutachtende Projekt des Handelnden zur Verfügung, nicht aber zusätzliche Situationskenntnis.823 Die Frage nach dem zutreffenden Beurteilungsmaßstab ist vor allem für die gegenständliche Bestimmung der Fahrlässigkeitsnormen relevant. Auch sie müssen ihrer Teleologie nach – zumindest programmatisch – als konkrete Bestimmungsnormen figurieren können, anhand derer sich der einzelne Adressat ex ante actu motivieren kann. Auch hier darf es daher nicht auf Umstände ankommen, die von vornherein außerhalb des Adressatenbewusstseins liegen. Die näheren Einzelheiten sind im Zusammenhang mit der Entwicklung der betreffenden Ver-

818

Armin Kaufmann, Normentheorie, 131. Armin Kaufmann, Normentheorie, 125. 820 Armin Kaufmann, Normentheorie, 129 ff. 821 Stein, Beteiligungsformenlehre, 68 (dort findet sich auch die im Text zitierte Begrifflichkeit). 822 Armin Kaufmann, Jescheck-FS (1985) 251 (256); zust. etwa Struensee, JZ 1987, 53 (62). 823 So zutr. Struensee, JZ 1987, 53 (62). 819

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3. Kap.: Täter als Verletzer einer Verhaltensnorm

haltenspflichten824 noch darzulegen. Für die gegenständliche Fassung der Vorsatznormen bedeutet der Maßstab der subjektiv-vorträglichen Prognose jedenfalls Folgendes: Das dem Vorsatzdelikt unmittelbar zugrunde liegende Verbot untersagt dem Adressaten originäre intentionale Entscheidungszugriffe auf das Rechtsgut (= „Dezisivzugriffe“825); umgekehrt befiehlt das Gebot dem Adressaten, zu handeln, wenn er die Gefahr einer Rechtsgutsverletzung zumindest für möglich hält und eine erfolgversprechende Rettungsstrategie erkannt hat bzw. sich diese in tatsächlicher Hinsicht vorstellt.

IV. Hinweis auf Kritik am Kaufmann’schen System Freilich ist die hier (modifiziert) rezipierte Normentheorie Armin Kaufmanns nicht unwidersprochen geblieben. Die gegen das Modell vorgebrachten Monita betreffen dabei sowohl seine intrasystematischen Deduktionen als auch das ihm zugrunde liegende Handlungs- und Unrechtsverständnis als solches. So definieren manche Stimmen in der Literatur826 den Prozess der Rechtsgüterkonstitution, der im Kaufmann’schen Modell der Normgenese die erste Wertungsstufe einnimmt, bereits als Produkt vorangegangener, im wechselseitigen Anerkennungsverhältnis geleisteter Konstitutionshandlungen der Bürger. Das muss im Umkehrschluss zu einem Begriff der Unrechtshandlung führen, der vom überkommenen Verständnis des personalen Unrechts als Verletzung einer heteronomen Verhaltenspflicht wesentlich abweicht. Andere827 dagegen konzipieren ein Alternativmodell der Straftat, das zwar ebenso wie die Lehre Armin Kaufmanns von einem heteronomen Pflichtbegriff ausgeht, der Pflichtkategorie jedoch im Unrechtsgefüge eine vollkommen andere Funktion zuweist als der Normkategorie: Da Verhaltensnormen objektive Kausierungsverbote bzw. Erfolgshinderungsgebote seien, sei Normverstoß jede negative Zustandsveränderung eines Rechtsguts, die im Zusammenhang mit einer Person stehe, mithin jede Initiierung bzw. jedes Eintreten-Lassen eines tatbestandlichen Erfolgs;828 Pflichtverletzung dagegen sei (erst) die durch ein bestimmtes Verhalten ausgedrückte Erklärung, eine Verhaltensnorm nicht handlungswirksam anerkennen zu wollen.829 Beide Straftatmodelle werden im Verlauf der vorliegenden Arbeit830 noch näher zu analysieren sein. Doch soll die kritische Auseinandersetzung solange zurückgestellt werden, bis für jeden Deliktstypus die Normmaterie i.S.d. hier favorisierten 824 825 826 827 828 829 830

s. dazu sogleich unten, S. 199 ff. Begriff in Anlehnung an Heinrich, Rechtsgutszugriff, 140. s. stellvertretend und instruktiv Zaczyk, Unrecht, 128 ff. Kindhäuser, Gefährdung, 13 ff.; Vogel, Norm, 27 ff. Kindhäuser, Gefährdung, 29, 53. Kindhäuser, Gefährdung, 13, 20 f., 50 ff. Unten, S. 238 ff., 246 ff.

C. Erfolg als integraler Bestandteil des vorsätzlichen Handlungsunrechts

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Systems heteronom-präskriptiver Verhaltensnormen bestimmt und damit die Möglichkeit einer flächendeckenden Normenordnung dargetan ist.

C. Erfolg als integraler Bestandteil des vorsätzlichen Handlungsunrechts Klarzustellen bleibt zunächst noch, dass mit der Prävalenz der individuellen Verhaltenspflichtverletzung für das personale Unrecht keineswegs eine Ausgliederung der Erfolgskomponente aus dem Unrechtsbereich einhergeht. Das gilt insbesondere für das im Rahmen der vorliegenden Arbeit zentral interessierende vorsätzliche Handlungsunrecht. Dort figuriert der Erfolgsunwert in Gestalt der prospektiven Erfolgstauglichkeit ex ante als integraler Bestandteil der individuellen Verhaltenspflichtverletzung.831 Dies jedoch keineswegs bloß in der Form, dass dem Willen auf Grundlage einer objektiven Prognose von außen kausalgesetzliche Erfolgstauglichkeit attestiert wird.832 Vielmehr muss sich die rechtsgüterschützende Bestimmungsnorm des Vorsatzdelikts an die subjektive Vorstellung des Willens von seiner realen Verletzungsmacht richten;833 denn allein die Anknüpfung an die Verstandesmacht als das subjektive Vermögen, gesetzmäßige Verläufe anhand von nomologischem Kausalwissen zu prognostizieren, gestattet es, den normativen Bezugspunkt der Vorsatzdelikte mit dem ihm eignenden Absolutheitsanspruch auszustatten: Nur wer sich der (prinzipiellen) realen Kausierungspotenz seines Handelns (zumindest am Rande) bewusst ist, verfügt über aktuelle intentionale Verletzungs- bzw. Vermeidemacht; andernfalls fehlt es schon an einem unwertbehafteten Intentionalbezug zum Rechtsgut.834 Erforderlich ist also ein „echter“, zumindest im Ansatz rational planender, Verwirklichungswille; der konkret geplante 831

Insofern zutr. Zielinski, Unrechtsbegriff, 134. So aber selbst für die generelle kausalgesetzliche Erfolgsfähigkeit Zielinski, Unrechtsbegriff, 133 f. 833 s. etwa nur Wolter, Zurechnung, 116 („Die deliktische Handlung ist wegen der mit ihr verbundenen realen Chance der Rechtsgutsverletzung verboten“). 834 Das sieht natürlich auch Zielinski (Unrechtsbegriff, 147 f.), der allerdings hinzufügt, dass jeder Täter, der sich zur Vornahme eines rechtswidrigen Akts anschicke, von der Erfolgsfähigkeit seiner Handlung ausgehe. Das trifft natürlich zu, ändert aber nichts daran, dass die Pflichtentstehung ein im Ansatz verstandesgemäß mit allgemeinen Kausalgesetzen planendes Programm voraussetzt: Das Vorsatzverbot will Rechtsgutsverletzungen durch zweckrationales Handeln vermeiden, weshalb es an die prinzipielle verstandesmäßige „Kausierungsmacht“ des Menschen anknüpfen muss. Ein Tun, das nicht einmal ansatzweise mit allgemeinen Kausalgesetzen hantiert (wie etwa der Versuch eines „Totbetens“ oder „Tothexens“), kann deshalb nicht Normgegenstand sein! Teleologisch verfehlt wäre es daher, die Fälle des abergläubischen Versuchs erst aus dem typischen Strafunrecht ausklammern zu wollen (so aber expressis verbis Zielinski, Unrechtsbegriff, 134 Fn. 14). Der reine „Intentionalitätsunwert“ ist noch keine Normverletzung, solange es an einer ernstzunehmenden Objektivierung fehlt; vgl. zum Ganzen auch bereits Paeffgen, Verrat, 122 f. 832

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3. Kap.: Täter als Verletzer einer Verhaltensnorm

Akt muss Verkörperung einer jedenfalls von der prinzipiellen Gedankenoperation her zu geeigneten Mitteln greifenden Willensmacht sein,835 will heißen: Es muss immerhin mit den für das angewandte Kausalgesetz essentiellen Bedingungen geplant werden, also mit einem prinzipiell tauglichen Tatobjekt sowie einem prinzipiell tauglichen Tatmittel. Das tut auch derjenige, der einen untauglichen Versuch begeht. Denn obwohl er das Gegebensein der für das (unbewusst) angewandte Kausalgesetz notwendigen Bedingungen in concreto nicht verifiziert hat, operiert er auf Basis eines praktisch vernünftigen Kausalgedankens. Auch ein derart planender Wille ist also prinzipiell durchaus in der Lage, aus sich heraus eine taugliche Strategie zur Erfolgsherbeiführung zu entwickeln, und er tut dies auch, wenn man seine eigene Tatsachenvorstellung zugrunde legt! Bei Licht besehen sind die Konstellationen des untauglichen Versuchs lediglich Ausdruck der „Unvollkommenheit menschlichen Erkenntnisvermögens“.836 Ist diese Unvollkommenheit aber der menschlichen Willensals Wissensmacht inhärent, dann muss sie notwendig auch mit in die Normmaterie eingehen!837 Entsprechendes gilt cum grano salis für die Fälle des grob unverständlichen Versuchs, denn auch hier hantiert der Täter ja im Ansatz immerhin noch mit Erfahrungs- und Kausalgesetzen, mag er auch deren Wirken aus grobem Unverstand gänzlich verkennen. Kategorial anders liegt es dagegen beim abergläubischen Versuch, wo der Akteur zu Methoden greift, die – wie auch er selbst weiß – von vornherein außerhalb der nach allgemeinen Rationalitätsstandards anerkannten Kausalgesetze stehen.838 Verboten werden dem Akteur jedenfalls allemal nur Handlungen, die er auf Grundlage seines verstandesmäßigen Kausalwissens als erfolgsfähig einstuft. Ob der Akteur dabei die generellen Bedingungen des angewandten Kausalgesetzes (z. B. das Geladen-Sein der zum Töten eingeplanten Waffe) konkret verifiziert oder ungeprüft voraussetzt, ist für den Normbefehl irrelevant.839 Entscheidend ist, dass er eine ceteris paribus praktisch wirksame Operation umgesetzt hat. Darin liegt dann auch der Grund dafür, dass der durch dieses Handeln zunächst verursachte konkrete Gefahrerfolg dem Programm ohne Weiteres zugerechnet werden kann, wenn die (vom Akteur ungeprüften) Rahmenbedingungen des angewandten Kausalgesetzes tatsächlich gegeben waren. 835 Andernfalls wäre die Aufstellung eines Verbots schlicht illegitim, da es an einer unter Rechtsgüterschutzaspekten ernstzunehmenden Verletzungsintentionalität fehlte (s. dazu bereits die vorige Fn.). 836 So die zutr. Erkenntnis bei Samson, Grünwald-FS (1999), 585 (598), von dem auch das im Text genannte Zitat stammt (a.a.O.). 837 Samson, Grünwald-FS (1999), 585 (599). 838 s. zum Ganzen Roxin AT/II, § 29 Rn. 363 ff., 371 ff. 839 Ganz in diesem Sinne reagieren wir denn auch, wenn der Akteur die Unwertigkeit seines Tuns mit dem Hinweis auf dessen anfängliche Ungefährlichkeit bagatellisieren will. Wir sagen ihm dann, es sei doch allein dem Zufall zu verdanken, dass die betätigte Waffe in concreto gerade nicht geladen oder der vermeintlich im Schlaf Erschossene realiter eine Leiche war.

C. Erfolg als integraler Bestandteil des vorsätzlichen Handlungsunrechts

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Von der verstandesmäßigen Konzeption einer prinzipiell zur Erfolgsherbeiführung tauglichen Strategie her betrachtet kann der Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolgs daher auch keineswegs als „Zufall“ bezeichnet werden.840 Gegen eine solche „defätistische“ Einordnung des Erfolgsmoments spricht schon der Umstand, dass das Verhaltensnormensystem insgesamt als funktional-teleologisches Konzept kollabieren müsste, wenn wir bestimmte (insbesondere zweckrational intendierte) Ereignisse nicht als erfahrungsmäßige Folgen unseres Handels ansehen könnten: Wenn die Verletzungsresultate, die die Norm „durch das Medium menschlicher Zwecktätigkeit“841 gerade zu verhindern sucht, sich zu den nur deshalb verbotenen BasisAkten lediglich kontingent verhielten, wie wären dann die entsprechenden Verbote überhaupt noch verfassungsrechtlich legitimierbar?!842 – Ungeachtet dieser reductio ad absurdum liegt jedoch der eigentliche, materiale, Problemkern der Zielinski’schen Argumentation darin, dass wir den Eintritt bestimmter Ereignisse infolge entsprechend zweckrational dimensionierter Basis-Akte im sozialen Alltag keineswegs als Zufall erleben.843 „Zufall“ ist für uns nur das Unerwartete,844 aus der Perspektive des unrechtlich planenden Programms also gerade das Ausbleiben des Verletzungserfolgs.845 Und da das Recht an die sozial vorgeformten Lebensverhältnisse anknüpft, macht es sich diese Perspektive zu eigen. Zielinski dagegen will die Annahme eines solchen Zurechnungsbandes aufgrund normentheoretischer Erwägungen nicht gelten lassen: Das mit der objektiv festzustellenden Erfolgseignung einhergehende (sekundäre) Werturteil vermöge den dies erkennenden Täter nicht zusätzlich zu motivieren, da eben jeder Täter (also auch der abergläubisch versuchende) davon ausgehe, dass seine Handlung erfolgsfähig sei. Einem Aspekt aber, der auf die normwidrige Motivation keinen Einfluss habe, könne denklogisch auch keine unrechts- und schulderhöhende Funktion zuwachsen.846 – Diese (in sich schlüssige) Argumentation geht am hiesigen Ansatz schon deshalb vorbei, weil hier gar nicht behauptet wird, dass dem Erfolgseintritt eine unrechtserhöhende Funktion zukomme. Er ist vielmehr – ebenso wie die Imponderabilien

840

So aber Zielinski, Unrechtsbegriff, 142. So Zielinski, Unrechtsbegriff, 121. 842 Auf dieses „Kontingenz-Problem“ hat bereits Stratenwerth (in: Schaffstein-FS [1975], 177 [187]) zutr. hingewiesen, um intrasystematische Brüche im Zielinski’schen Straftatsystem aufzudecken (s. dazu wiederum Paeffgen, Verrat, 107 – 109). 843 So zutr. Zaczyk, Unrecht, 102; Köhler, Fahrlässigkeit, 329 Fn. 8; auch Schröder, Otto-FS (2007), 165 (176). 844 So zutr. Schliebitz, Erfolgszurechnung, 102; zust. Schroeder, Otto-FS (2007), 165 (176). Natürlich kann es bisweilen – nämlich in den Kausalabweichungsfällen – auch einmal so liegen, dass der Erfolgseintritt, so wie er sich konkret ereignet, selbst als unvorhergesehene Imponderabilie figuriert; s. ausführlich dazu noch unten, S. 377 ff. 845 So zutr. Stratenwerth, Schaffstein-FS (1975), 177 (183 f.); Wolter, Zurechnung, 117, 127; Schroeder, Otto-FS (2007), 165 (176 f.). 846 Unrechtsbegriff, 147 f. 841

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3. Kap.: Täter als Verletzer einer Verhaltensnorm

des Zufalls847 – immer schon in der unrechtsbegründenden Erfolgsfähigkeit des rational planenden Handlungsprogramms ex ante angelegt,848 so dass sein Eintritt stets „nur“ noch negativ bedingt ist durch das Ausbleiben des Faktors „Zufall“. Interferiert der Faktor Zufall wider Erwarten doch, so hat dies u. U. eine unrechtsmindernde Wirkung,849 weshalb § 23 II denn auch folgerichtig für den Versuch eine fakultative Strafmilderung vorsieht. Vor diesem Hintergrund überzeugt es nicht, wenn Zielinski meint, ob der Zufälligkeit des Erfolgseintritts fehle es an jeder Brücke zum finalem Akt.850 Es ist schlechterdings nicht einzusehen, warum es unmöglich sein sollte, eine Brücke vom rational planenden Handlungsprogramm zum Erfolg zu schlagen, wenn der Zufall während der Handlungskonklusion und auch nach der Emanation des Geschehens erwartungsgemäß ausbleibt.851 Man kann also sagen: Der Erfolg ist bereits im Handlungsunrecht als prinzipiell tauglicher Erfolgsstrategie angelegt, sein Eintritt lediglich noch negativ bedingt durch die Imponderabilien des Zufalls. Er wird daher im Falle seines Eintritts dem Subjekt als Verwirklichung von dessen Willensakt zugerechnet, mit der Begründung, dass der Zufall wie erwartet ausgeblieben sei. Entsprechendes gilt – mutatis mutandis – für den Bereich der vorsätzlichen Unterlassung: Pflichtgegenstand ist hier eine Handlung, deren Vornahme nach der tätereigenen Vorstellung von den für einen rettenden Kausalverlauf essentiellen Konstanten (= taugliches Einwirkungsobjekt, taugliches Rettungsmittel, psychophysische Handlungsmacht852) prinzipiell geeignet wäre, den betreffenden Erfolg zu verhindern. Ist die Wahrnehmung der tatbestandsmäßigen Situation und die verstandesmäßige Konklusion der gebotenen Rettungsstrategie frei von „zufälligen“ Irrtümern und spielt der Faktor Zufall auch nicht mehr in die zugelassene Geschehensentwicklung zum Erfolg hinein, so wird dem Unterlassenden die eintretende Rechtsgutsverletzung als Objekt seiner intentionalen Zulassungshandlung zuge-

847 s. dazu treffend Köhler, Fahrlässigkeit, 329 Fn. 8; zur Zufallsbedingtheit schon der Umsetzung eines Gedankens in eine Handlung eingehend Paeffgen, Verrat, 114 f. 848 In der Sache wie hier etwa Paeffgen, Verrat, 113; das erkennt natürlich auch Zielinski (Unrechtsbegriff, 134, 147), der daraus allerdings keine Konsequenzen für die Einordnung des Zufallsgesichtspunkts zieht. 849 Es erhöht also nicht etwa der „zufällige“ Eintritt des Erfolges das Versuchsunrecht, sondern das zufällige Ausbleiben des Erfolgs mindert ggf. das Unrecht des anlagebedingt erfolgsfähigen Handelns; in der Sache ebenso bereits Wolter, Zurechnung, 127 f.; pointiert auch Schroeder, Otto-FS (2007), 165 (177): „Nicht der Erfolgstäter hat ,Glück‘, sondern der Versuchstäter hat ,Pech‘ gehabt.“. 850 Unrechtsbegriff, 142 (für das realisierte Erfolgsunwerturteil), 146 ff. (für die Erfolgsfähigkeit ex ante). 851 Nochmals zur Klarstellung: Der untaugliche Versuch unterscheidet sich vom tauglichen lediglich dadurch, dass der Zufall bereits in die Handlungskonklusion als solche hineinspielt! 852 Vgl. zum Ganzen Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte, 35 ff.

D. Die Verhaltensnormgenera und ihre jeweiligen Unterarten

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rechnet – mit der Begründung, dass der „rettende Zufall“ wie erwartet ausgeblieben sei.853

D. Die Verhaltensnormgenera (= Verbote/Gebote) und ihre jeweiligen Unterarten (= Vorsatz-/Fahrlässigkeitsnormen) Ist das unrechtliche Verhalten für die verschiedenen Straftattypen in deliktsspezifischer Weise unterschiedlich zu bestimmen, so divergieren auch die normativen Bezugspunkte des jeweils gesollten Verhaltens. Entsprechend den unterschiedlichen Verhaltensgenera – Handeln und Unterlassen – existieren auch verschiedene Verhaltensnormgattungen, nämlich einerseits Verbotsnomen, die sich unter bestimmten Voraussetzungen zu Unterlassungspflichten konkretisieren und andererseits Gebotsnormen, die sich unter bestimmten Prämissen zu Handlungspflichten verdichten. Die Verbotsnormen lassen sich nach der Art des Verhaltensunrechts weiter aufteilen in solche, die den vorsätzlichen „Begehungsdelikten“854 zugrunde liegen und solche, die den fahrlässigen Begehungsdelikten zugrunde liegen. Entsprechend fächern sich auch die Gebotsnormen auf in solche, die hinter den vorsätzlichen (echten bzw. unechten) Unterlassungsdelikten stehen, und solche, die hinter den fahrlässigen (echten bzw. unechten) Unterlassungsdelikten stehen. Diese Zusammenhänge bedürfen der genaueren Erläuterung:

I. Die Verbotsnormen Vorsätzliches Handlungsunrecht und fahrlässiges Verhaltensunrecht unterscheiden sich im intensionalen Programmgehalt, was zur Genese material divergierender Verhaltensnormen führt. Nachfolgend soll diese Normmaterie für beide Verbotsarten genauer bestimmt und in Abgrenzung gebracht werden. Zudem bedarf der Mechanismus der Normkonkretisierung der Erläuterung.

853 Nochmals zur Klarstellung: Die Tauglichkeit der hypothetischen Eingriffshandlung zur Erfolgshinderung interessiert nur insoweit, als sie die prinzipielle Erfolgstauglichkeit der wirklichen intentionalen Zulassungshandlung vermittelt (s. zu dieser zutreffenden Einsicht Puppes ausführlich bereits oben, S. 105 ff.). 854 Obwohl der Terminus des Begehens sich nach der amtlichen Überschrift des §13 („Begehen durch Unterlassen“) auch auf die gebotswidrige Nichtabwendung eines Erfolgseintritts erstreckt, reserviert die überkommene Nomenklatur den Begriff der (aktiven) „Begehungsdelikte“ allein für diejenigen Delikte, deren Tatbestand ein aktives Tun beschreibt (vgl. zur Terminologie nur Fischer, Vor § 13 Rn. 16.). Diese Terminologie, die sich in die zeitgenössische Doktrin eingeschliffen hat, soll auch hier zugrunde gelegt werden.

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3. Kap.: Täter als Verletzer einer Verhaltensnorm

1. Die Verbote der vorsätzlichen Begehungsdelikte Die Vorsatzverbote gehen zwar aus ein und derselben positiven Rechtsgutsentscheidung hervor wie Fahrlässigkeitsverbote; dennoch beruhen sie auf einer abweichenden Wertung der dritten Stufe, da sie sich in der konkreten Intentionalität (nicht der Intentionalität überhaupt!) vom fahrlässigen Handeln unterscheiden: Vorsatzverbotsnormen sind ihrer Natur nach absolute, völliges Unterlassen beanspruchende Verbote.855 Klassisches Beispiel für eine solche absolute Norm ist etwa der hinter dem Handlungserfolgsdelikt (= „Verletzungsdelikt“856) des § 212 stehende Imperativ „Du sollst nicht töten (wollen)!“. Strukturell identische Imperative lassen sich durchweg für sämtliche Arten der vorsätzlichen (Sonder-)Begehungsdelikte – konkrete wie abstrakte Gefährdungsdelikte – formulieren. All diese Verbote unterscheiden sich dann allein nach dem propositionalen Gehalt der verbotenen Intentionalität (= Verletzung, konkreter Gefahrerfolg, abstrakt gefährliche Tätigkeit), weshalb es sinnvoll erscheint, von verschiedenen Verbotsgestalten oder Verbotsstufen zu sprechen. a) Der Vorgang der Normenkonkretisierung bei den allgemeinen Vorsatzverboten In Konsequenz des Gesagten können nunmehr die Prämissen benannt werden, unter denen sich die Normkonkretisierung bei den vorsätzlichen Handlungserfolgsdelikten vollzieht. Im Falle der allgemeinen857 Verbote, die keine persönliche Sonderrechtsgutsbeziehung voraussetzen, sind dies zwei Voraussetzungen: Um vom absoluten Vorsatzverbot angesprochen zu werden, muss der Akteur erstens die Umsetzung einer (scil.: nach zweckrationaler Handlungsinterpretation) tauglichen Verletzungsstrategie planen.858 Zweitens muss er psychophysisch zur Umsetzung dieses Programms in der Lage sein859 (wobei diese Handlungsfähigkeit Vermeidefähigkeit im Tatzeitpunkt impliziert) bzw. sich in solchem Sinne für handlungsfähig halten. Diese Voraussetzungen scheinen freilich prima vista auf das Handlungsprogramm eines jeden Tatbeteiligten zuzutreffen, da der Wille zur Erfolgsherbeiführung und die prinzipielle Geschehensbeherrschbarkeit Charakteristika sämtlicher Beteiligungs855

Paeffgen, Verrat, 133, 137, 139. Die hier zugrunde gelegte Terminologie entspricht derjenigen von Eisele, in: Schönke/ Schröder, Vorbem. §§ 13 ff. Rn. 129. 857 Grundlegend Armin Kaufmann, Normentheorie, 132 ff., 138 ff.; Pendant sind die „besonderen“ Normen, die – zunächst noch unbefangen gesagt – lediglich bestimmte Sonderzuständige verpflichten (s. auch dazu vorläufig Armin Kaufmann, Normentheorie, 141 ff.). 858 Gemeint ist der im Vorsatzbereich zwingend erforderliche Intentionalbezug zum Rechtsgut (grundlegend dazu aus Sicht der finalen Handlungslehre Zielinski, Unrechtsbegriff, 124, 136), so wie er hier auf Grundlage des intentionalen Handlungsbegriffs verstanden wird (s. o., S. 76 ff., 111 ff.). 859 Armin Kaufmann, Normentheorie, 139, 141. 856

D. Die Verhaltensnormgenera und ihre jeweiligen Unterarten

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handlungen ex ante sind.860 Doch dieser Eindruck täuscht, denn die dem Tatbestand unmittelbar zugrunde liegende „Täterverhaltensnorm“ verbietet nicht bloß die Betätigung einer indifferenten Verletzungsintentionalität, sondern die programmatische Umsetzung des Willens, sich (unter einem bestimmten Sinnzugangslevel) intentional selbst in der Rechtsgutsverletzung zu verwirklichen.861 Die prinzipielle Erfolgstauglichkeit des Handlungsprogramms beschreibt demnach nur eine Komponente der Handlungsfähigkeit sub specie Täterverhaltensnorm, nämlich die realontologische. Hinzukommen muss aber noch die sozial- oder alltagsontologische Komponente, die in der Tauglichkeit des Programms gerade zur Vermittlung eines originären Rechtsgutszugriffs besteht. Setzt also die Verdichtung der generellen Verbotsnorm zur individuellen Unterlassungspflicht Handlungsfähigkeit voraus, dann ist hiermit prinzipielle intentionale Selbstverwirklichungsfähigkeit (ex ante) gemeint. Und da die Verhaltensnorm stets nur durch das Medium des menschlichen Willens wirken kann, kann sie auch nur an dessen subjektive Vorstellung von seiner eigenen intentionalen Selbstverwirklichungsfähigkeit, d. h. an ihn als originären intentionalen Selbstverwirklichungswillen ex ante, anknüpfen.862 Eigener Entscheidungszugriff auf das Rechtsgut ist aber nur möglich, solange kein identisch dimensionierter Entscheidungszugriff eines anderen zur Erfolgsherbeiführung eingeplant wird.863 Denn soweit der andere intentional auf das Rechtsgut zugreifen soll, soll er die „Feuerprobe der kritischen Situation“864 durchlaufen, die das konkrete unrechtliche Handlungserlebnis erst vermittelt. Es ist daher handlungstheoretisch unmöglich, fremdes Handlungserlebnis auf ein und derselben Sinngestaltungsebene als bloßes „Realverhalten“865 zur eigenen intentionalen Selbstverwirklichung einzuplanen.866 Daran vermag dann auch eine noch so gute psychofaktische Ausrechenbarkeit des Vordermannes nichts zu ändern. Mithin ist die 860

So in neuerer Zeit dezidiert Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 158 ff., 278 ff. (284), 331 ff., 342 ff., 346 ff., 348 f.; s. auch immer noch ders., in: NK, § 25 Rn. 29 f. 861 s. zum Erfordernis der Handlungsfähigkeit allgemein Armin Kaufmann, Normentheorie, 141, der allerdings die Frage nach den Grenzen des allgemeinen Handlungsinterpretaments auf Basis des „verdinglichten“ finalen Handlungsbegriffs naturgemäß nicht stellen konnte. 862 Zur Klarstellung: Der Rekurs auf die subjektive Vorstellung des Willens von seiner eigenen intentionalen Selbstverwirklichungsfähigkeit impliziert keineswegs eine Vorsatzerstreckung auf den Täter i.S.e. animus auctoris (so aber für die irrige Annahme finaler Tatherrschaft noch Armin Kaufmann, Normentheorie, 151 ff.); angesprochen ist vielmehr die prinzipielle Tauglichkeit der eigenen Basis-Handlung als Mittel zur Ermöglichung eines höher dimensionierten intentionalen Zugriffserlebnisses (also das Tatmittel)! Deshalb begeht etwa auch derjenige einen untauglichen Versuch (scil.: einer komplexen Tatbestandshandlung), der ein in concreto „untaugliches“ menschliches Werkzeug zur Deliktsverwirklichung einplant (a.A. noch Armin Kaufmann, Normentheorie, 151 f.). 863 Intuitiv zutr. erfasst hat dies Heinrich, Rechtsgutszugriff, 137 m. Fn. 17, bei dem es jedoch letztlich an einer axiomatischen Herleitung fehlt. 864 Begrifflichkeit nach Bockelmann, JZ 1954, 468 (473). 865 So zutr. Schild in: NK1, Vorbem. Rn. 287, in Anlehnung an Frisch, Bockelmann-FS (1979), 647 (652). 866 So i.E. jetzt auch Schild, in: NK, § 25 Rn. 31, 75, 79 a.E.

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3. Kap.: Täter als Verletzer einer Verhaltensnorm

materielle, aus dem Programmgehalt selbst fließende Akzessorietät der Teilnahme am identisch dimensionierten Handlungserlebnis eines anderen eine allgemeine handlungstheoretische Strukturvorgabe. Um trotz Vorschaltung eines anderen Handlungssubjekts (noch) ein eigenes (komplexes) Handlungserlebnis haben zu können, muss ich also ein anerkanntes Interpretationsmuster überlegener komplexer Selbstverwirklichung umsetzen. Nach alledem lässt sich Armin Kaufmanns Diktum, wonach das Verbot nicht weiter untersagen kann, als zwecktätiges Handeln möglich ist,867 i.S.d. hiesigen Ansatzes wie folgt präzisieren: Die den vorsätzlichen Handlungsdelikten zugrunde liegenden Verbote können nur soweit greifen, wie dem Akteur intentionales Handeln möglich ist, wie er also sein Basis-Handeln noch als Programm eines eigenen intentionalen Rechtsgutszugriffs interpretieren kann. Dementsprechend werden intentionale Basis-Akte, die „nur“ den Willen zur Initiierung oder Unterstützung fremden Rechtsgutszugriffs betätigen, von gesonderten Teilnehmerverhaltensnormen verboten. Die Sanktionstatbestände der §§ 26, 27 tragen dem Umstand Rechnung, dass auch Teilnahmeprogramme aus realontologischer Sicht prinzipiell taugliche Strategien einer Erfolgsherbeiführung begründen. Deshalb muss der Zweck eines effektiven Rechtsgüterschutzes notwendig weiter reichen als die intentionale Selbstverwirklichungsfähigkeit des Willens, dem primär befohlen wird: Das Paradigma des Rechtsgüterschutzes verlangt die Aufstellung flankierender sekundärer (technisch: teilnehmerschaftlich ausgestalteter) Normen, die die Initiierung bzw. Unterstützung originären Entscheidungszugriffs verhindern sollen. b) Ausräumung nahe liegender Einwände Nach dem vorstehend Gesagten ist Handlungsfähigkeit im normentheoretischen Sinne gleichzusetzen mit intentionaler Selbstverwirklichungsfähigkeit ex ante. Demnach liegt dem Begriff der Handlungsfähigkeit nicht ausschließlich ein Existenzialurteil zugrunde,868 sondern es handelt sich bei ihm (auch) um einen Relationsbegriff, denn Intentionen geben die verschiedenen Dimensionen intentionalen Handelns an. Ergo verpflichtet die allgemeine Verbotsnorm jeden, dessen Programm auf originären intentionalen Rechtsgutszugriff ausgelegt ist. Um dies kurz am Beispiel der dem § 212 zugrunde liegenden Verbotsnorm („Du sollst nicht töten!“) zu illustrieren: Wer ein argloses Kind vorschickt, um das Getränk des Opfers zu vergiften, wird vom allgemeinen primären Tötungsverbot ebenso verpflichtet wie derjenige, der die toxische Substanz eigenhändig einträufelt. Und wer mit einem (oder mehreren) anderen gemeinschaftlich einen Dritten krankenhausreif prügelt, der wird ebenso vom allgemeinen Verbot der Körperverletzung verpflichtet wie derjenige, der für sich allein prügelt. Für selbständige mittelbar-täterschaftliche oder

867 868

Normentheorie, 106 f. So aber Armin Kaufmann, Normentheorie, 139.

D. Die Verhaltensnormgenera und ihre jeweiligen Unterarten

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mittäterschaftliche Verhaltensnormen869, die gleichsam erst hinter dem Kopf des „Tatmittlers“ oder Komplizen als flankierende entstehen sollen, besteht daher weder Bedürfnis noch Raum.870 Eine solche mehrdimensionale Bestimmung des Pflichtgegenstandes provoziert den Einwand, sie leite in bestimmten Fällen der mittelbaren Täterschaft (z. B. bei Einplanung eines Schuldlosen) das allgemeine personale Handlungsunrecht des Hintermannes systemwidrig aus seiner höheren Schuld ab. Dem ist jedoch zu widersprechen, denn was dem Hintermann vorgeworfen wird, ist nicht, dass er schuldhafter handelt als der Vordermann, sondern dass er dessen niedriger dimensioniertes Verletzungshandeln handlungsmäßig für einen eigenen Rechtsgutszugriff instrumentalisiert.871 Die Frage nach der individuellen Schuld des Hintermannes betreffend seine eigene Einwirkungshandlung ist hiervon strikt zu trennen. Mit dieser Replik ist der mögliche Einwand der „Kategorienvermengung“ jedoch in verhaltensnormteleologischer Hinsicht noch nicht erledigt. Denn man könnte dem hier entwickelten Ansatz immer noch vorhalten, er beraube die Verhaltenspflichten letztlich ihrer dogmatischen Funktion (= Rechtsgüterschutz), indem er partiell Schuldmaterie in sie hineinlese: Wie und warum, so könnte man fragen, soll ein „bloß“ sinngestaltender Hintermann noch vom primären rechtsgüterschützenden Verbot der Rechtsgutsverletzung erfasst werden können? Die Antwort darauf liegt für eine intentionale Handlungslehre im Begriff der Handlung selbst: Es gibt eben nicht nur „die“ intentionale Verletzungshandlung, sondern es existieren diverse solcher Zugriffsakte. Wer die Rechtsgutsverletzung von einem höheren Sinnzugangslevel aus zu initiieren plant, der startet ebenso einen originären „Dezisivzugriff“872 wie derjenige, der eigenhändig zuschlägt, zusticht oder einen bissigen Hund loshetzt. Der Unterschied zwischen dem Ausführungsakt des Vordermannes und dem Instrumentalisierungsakt des Hintermannes liegt lediglich darin, dass der Hintermann seine intentionale Basis-Handlung (= die Einwirkungshandlung auf das menschliche Werkzeug) nach dem Modell des praktischen Syllogismus höher dimensionieren muss, um über den Kopf des anderen hinweg eine eigene intentionale Verlet869 Um die Entwicklung derartiger Normen hat sich Stein, Beteiligungsformenlehre, 239 ff., 284 ff., 313 ff., bemüht. Dieses Normverständnis kann normentheoretisch nicht überzeugen, da Rechtsgüterschutz nicht über mehrere Personen mediatisiert „verzweckt“ werden kann, konkret: Wenn die an den A gerichtete Pflicht bei diesem versagt, bringt eine korrelative Dringlichkeitserhöhung der an B gerichteten Pflicht den Rechtsgüterschutz auch nicht weiter voran, da der B ohnehin bereits rechtlich zum Abstehen von seinem Unrechtsprogramm verpflichtet ist; s. eingehend zum Konzept Steins auch noch unten, S. 311 ff. 870 Wie hier bereits Schild, in: NK, § 25 Rn. 81, 133. 871 s. dazu bereits Roxin, TuT, 332 ff. 872 Der Begriff stammt von Heinrich (Rechtsgutszugriff, 140 f.), der ihn allerdings auf eine vom hiesigen Ansatz kategorial abweichende Weise normativ auflädt (s. a.a.O., 182: Entscheidungsträgerschaft als „Frage der normativen Zuordnung“ [scil.: des tatbestandlichen Geschehens zum Subjekt]) – und damit denaturiert. Auf diese entscheidende inhaltliche Differenz wird noch zurückzukommen sein. Der Begriff soll allerdings für das hiesige Konzept übernommen werden, in das er sich mit außerordentlicher Passgenauigkeit einfügt.

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3. Kap.: Täter als Verletzer einer Verhaltensnorm

zungshandlung vornehmen zu können, kurzum: Auch der Hintermann will einen eigenen komplexen handlungsmäßigen Dezisivzugriff auf das Rechtsgut starten. Darin liegt der Grund dafür, dass auch derartige Handlungen dem Unwerturteil der primären Verbotsnorm unterfallen (müssen). Die betreffenden Verhaltenspflichten gehen also abstrakt formuliert dahin, niedriger dimensionierte Handlungsentschlüsse anderer nicht als äußere Werkzeugtätigkeit zur intentionalen Selbstverwirklichung in einer Rechtsgutsverletzung zu usurpieren.873 Bei diesen Pflichten handelt es sich auch allemal um allgemeinrechtliche, denn auf das strafrechtliche Dimensionsgefüge muss lediglich zu dem Zweck rekurriert werden, den notwendigen Inhalt der jeweils pflichtgegenständlichen Handlungsdimension zu bestimmen.874 Zusammenfassend lässt sich somit konstatieren, dass die primären Verbotsnormen jeweils intentionale Rechtsgutsverletzungshandlungen als soziale Phänomene zum Gegenstand haben, und nicht lediglich die finale Überdetermination verletzungsursächlicher Kausalverläufe. Es geht nicht allein um die Verhinderung final steuerbarer Güterbeeinträchtigungen, sondern um die Unterbindung unterschiedlich dimensionierter einfacher und komplexer Verletzungshandlungen. Jeder „Sinnzugangslevel“ generiert dabei eigene Verhaltenspflichten. Aus der abstrakt-generellen Sollensnorm (im Falle des § 212 etwa: „Du sollst nicht töten [wollen]!“) erwachsen also selbstverständlich auch höherstufige Verhaltenspflichten, die „Hinterleuten“ komplexe Dezisivzugriffe untersagen (z. B. „Du sollst nicht einen anderen dazu auffordern, auf einen vermeintlichen Baumstumpf zu schießen, der in Wahrheit ein Mensch ist!“). Hinter diesen Pflichten stehen auch durchaus handgreifliche Belange eines effektiven Rechtsgüterschutzes, denn: Je besser ich über den sozialethischen Sinngehalt einer Rechtsgutsverletzung informiert bin, desto mehr rücke ich als personales Entscheidungszentrum in den Interessenfokus der unmittelbar rechtsgüterschützenden Norm.875 Damit ist klargestellt, wie und warum auch komplexe Basis-Akte teleologisch der primären rechtsgüterschützenden Verbotsnorm unterfallen müssen. Keine selbständigen Verhaltenspflichten i.d.S. generiert dagegen das Regelungssubstrat gesetzlicher Qualifikationsmerkmale, die lediglich besondere Modalitäten bzw. Beweggründe des rechtsgutsverletzenden Unrechtshandelns betreffen (z. B. die Merkmale der §§ 211, 224). Derartige Merkmale modifizieren als „Quantifizierungen des Schuldvorwurfes“876 zwar den Unwertgehalt des verbotswidrigen Aktes (etwa einer Tötung), berühren aber den intensionalen Sinngehalt der 873 Roxin (TuT, 729) spricht am Beispiel der Ausnutzung eines Verbotsirrtums treffend von der „(…) jedermann treffende[n] Pflicht, die Herbeiführung von Straftaten durch Hervorrufung oder Ausnutzung von Verbotsirrtümern zu unterlassen (…)“. 874 s. allgemein dazu schon Armin Kaufmann, Normentheorie, 195. 875 Wie Schünemann treffend herausgearbeitet hat (in: LK, § 25 Rn. 38), gebietet es der Rechtsgüterschutz, die Verbotsnorm an diejenigen zu adressieren, „(…) die die wesentlichen Entscheidungen über den Eintritt der Rechtsgutsverletzung zu treffen vermögen (…)“. 876 Armin Kaufmann, Normentheorie, 194.

D. Die Verhaltensnormgenera und ihre jeweiligen Unterarten

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verbotsgegenständlichen Rechtsgutsverletzung als solcher nicht mehr.877 Verleitet also etwa der A den B zu einer Totschlagshandlung, um deren „objektive Grausamkeit“ nur er selbst weiß, so ist er nicht „Mörder hinter dem Totschläger“878 in mittelbarer Täterschaft, sondern „bloß“ Teilnehmer am Tötungsdelikt des B. Die Kenntnis der besonderen Leidenszufügung ändert nichts daran, dass A seinerseits nicht (mehr) originär auf den Sinngehalt der verbotsgegenständlichen Rechtsgutsverletzung als solcher (= der Tötung) zugreifen kann. c) Verbotsstufen der allgemeinen vorsätzlichen Begehungsdelikte Die vorstehenden normlogischen Grundsätze gelten mutatis mutandis für sämtliche Gestalten oder „Stufen“879 von Verbotsnormen880 i.S.d. allgemeinen vorsätzlichen Handlungsdelikte, d. h. im Einzelnen: für Verletzungsverbote (z. B. §§ 212, 223), für konkrete Gefährdungsverbote (z. B. §§ 306 a II, 315) sowie für die Verbote abstrakt gefährlicher Handlungen (z. B. §§ 306a I, 314, 264 I Nr. 1, 265b I Nr. 1) bzw. für Tätigkeitsdelikte (z. B. § 123).881 All diese Verbotsnormen folgen denselben normentheoretischen Strukturvorgaben, insbesondere im Hinblick auf den Mechanismus der Normenkonkretisierung. Allein der Bezugsgegenstand des verbotsgegenständlichen Akts differiert: Verletzung, konkrete Gefährdung, abstrakt gefährliche Handlung, Tätigkeit. d) Besondere Verbotsnormen, Sonderhandlungsunrecht und Normenkonkretisierung Im Hinblick auf die Tatbestände der vorsätzlichen Begehungs-Sonderdelikte ist danach zu fragen, ob und wenn ja wie sich diese Deliktskategorie in das normentheoretische Grundkonzept dieser Arbeit einfügen lässt: Was genau kennzeichnet das vorstrafrechtliche Unrecht der Sonderdelikte? Gibt es Sonderrechtsgüter, die nur 877

Vgl. zum Ganzen schon Armin Kaufmann, Normentheorie, 199 ff., 207 ff. So aber Roxin, Lange-FS (1976), 173 (187); zust. etwa Hoyer, in: SK, § 25 Rn. 67. 879 Zur Klarstellung: Das Rechtsgut wird nicht etwa vor verschiedenen Gefahrengraden geschützt (so aber etwa Paeffgen, Verrat, 112 ff.), denn Gefährdungsverbote beruhen auf derselben prinzipiellen Verletzungseignung wie Verletzungsverbote (so zutr. Kindhäuser, Gefährdung, 166 ff.). Realiter tragen die einzelnen Verbotsstufen den unterschiedlichen Funktionen des Rechtsgutsbegriffs Rechnung: Als Rechtsgut geschützt ist nicht nur das Interesse an der substantiellen Unversehrtheit eines Guts, sondern auch das Interesse an der ungestörten Verfügung über dasselbe. Deshalb (und nur deshalb!) erscheint es sinnvoll, dem Verbot einer auf Rechtsgutsverletzung gerichteten Handlung noch ein flankierendes Verbot zur Seite zu stellen, das schon den Eingriff in die Dispositionsfreiheit über das Gut untersagt (s. zum Ganzen Kindhäuser, Gefährdung, 26, 148 ff.). 880 Zu den Verbotsarten s. schon Armin Kaufmann, Normentheorie, 120 f.; eingehend und instruktiv zu den „Gestalten der Tatbestände“ auch Jakobs, AT, 6/77 ff. 881 s. zum Ganzen nuanciert und mit z. T. abweichenden Differenzierungen etwa Eisele, in: Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 13 ff. Rn. 129 f.; Fischer, Vor § 13 Rn. 18 f.; umfassend auch Jakobs, AT 6/77 ff. 878

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3. Kap.: Täter als Verletzer einer Verhaltensnorm

durch bestimmte Personenkreise verletzbar sind, oder apriorische Sonderverhaltensnormen, die Rechtsgüterschutz von vornherein ausschließlich durch Ansprache gewisser Sonderzuständiger leisten? – Diese Fragen wurden und werden im Lichte einer zweckrational aus dem Rechtsgüterschutzkriterium hergeleiteten Verhaltensnormentheorie (= „Rechtsgüterschutz durch Androhungsgeneralprävention“) kontrovers diskutiert. Allerdings dürften wohl alle bisherigen Versuche, „das“ Sonderunrecht als Ausfluss eines von vornherein auf gewisse soziale Einflussbereiche beschränkten Sonderrechtsgüterschutzes auszuweisen, als gescheitert angesehen werden. Denn wie neuerdings noch einmal Langer882 überzeugend dargelegt hat, hat dieses Unterfangen in all seinen Varianten zu einer inhaltlichen Verwässerung der traditionellen normentheoretischen Systemkategorien geführt. Dies soll unter den Punkten aa) und cc) kursorisch883 nachvollzogen werden. Dabei wird sich zeigen, dass es zwar keine Sondernormen, wohl aber – entgegen Langer – genuine Sonderpflichten gibt, die weder das Produkt spezifischer Sonderrechtsgüter noch die Folge eines von vornherein auf bestimmte Sonderrechtsgutsbeziehungen beschränkten Gemeinrechtsgüterschutzes sind. Es handelt sich vielmehr schlicht um (konkrete) Rechtsbefehle, die ein Rechtsgut zusätzlich zu dem für jedermann geltenden Pflichten-Set generiert. Zum Kontext passend wird sub bb) eine Kurzanalyse der Jakobs’schen Institutionendoktrin eingeschoben, die den Schutz von Institutionen als selbständigen Verhaltensnormzweck neben das Axiom des allgemeinen Bestandsrechtsgüterschutzes stellen will. Unter dd) ist dann das Handlungsunrecht der unterschiedlichen Sonderdeliktsarten herauszuarbeiten und in das allgemeine Verhaltensnormensystem zu implementieren. Sub ee) ist für die jeweiligen Verhaltenspflichten der Mechanismus ihrer Entstehung aufzuzeigen. Und unter Punkt ff) ist endlich kurz auf die Konsequenzen der hiesigen Sonderunrechtsbestimmung für die Beteiligungslehre hinzuweisen. aa) Schützen die Sonderdelikte (zumindest auch) genuine Sonderrechtsgüter? Die erste normentheoretische Systemkategorie betrifft bekanntlich den Begriff des Rechtsguts, und es ist versucht worden, den Sonderdelikten (zumindest auch) ein genuines „Sonderrechtsgut“884 zuzuweisen. Dahinter steht die Hypothese, es gebe Rechtsgüter, die bereits vorrechtlich nur von bestimmten Personen verletzbar und deshalb von vornherein nur diesen gegenüber schutzbedürftig seien.885 882

In: Sonderstraftat, 267 ff. (283, 285 f.). Eine umfassende Auseinandersetzung mit der Gesamtthematik der Sonderdelikte würde den Rahmen der vorliegenden Arbeit ersichtlich sprengen. Es kann und soll hier sinnvollerweise nur darum gehen, das Problem der normentheoretischen Erfassbarkeit dieser – in sich heterogenen – Deliktsgruppe unter dem Gesichtspunkt des Rechtsgüterschutzes aufzuzeigen. 884 Zum Begriff s. Langer, Sonderstraftat, 225. 885 So etwa Bernhardt, Einfluß, 43 f.; Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, AT, § 6 Rn. 38 f. 883

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Wäre das richtig, dann müssten solche Sonderrechtsgüter jedenfalls den Verhaltensnormen der reinen Amtsdelikte zugrunde liegen.886 Das ist aber nicht der Fall, denn, wie Langer richtigerweise zu bedenken gegeben hat, richtet sich etwa das Allgemeindelikt der Bestechung (§ 334) nach einhelliger Ansicht gegen die Verletzung desselben Rechtsguts wie das echte Sonderdelikt der Bestechlichkeit (§ 332).887 Das aber kann nur als Konkretion eines allgemeingültigen Axioms verstanden werden, wonach prinzipiell jedes Schutzgut von jedermann verletzt werden kann.888 Dies muss auch so sein, da eine bereichsweise Exklusivierung des Gemeinrechtsgüterschutzes als solchen verhaltensnormtheoretisch nicht legitimierbar wäre: Auch im Rahmen besonderer sozialer Einflussbereiche muss das der Verhaltensnorm zugrunde liegende allgemeine (!)889 Werturteil selbstverständlich jeden negativen personalen Rechtsgutsbezug erfassen, gleichviel, ob er nun durch Intranenhandeln oder durch externes Hineinhandeln in den Sondereinflussbereich hergestellt wird! Um dies kurz anhand der §§ 331 f., 333 f. zu illustrieren: All diesen Straftatbeständen liegt das allgemeine, an jedermann gerichtete Verbot zugrunde, die Lauterkeit des öffentlichen Dienstes und das Vertrauen der Allgemeinheit in die Unbestechlichkeit und Sachlichkeit der Amtsträger nicht zu beeinträchtigen. Die Norm bildet lediglich für Intranei und Extranei unterschiedliche Pflichten aus: Während Außenstehenden nur die externe Korrumpierung von Amtsträgern verboten ist, ist Amtsträgern im Zusammenhang mit ihrer eigenen Dienstausübung auch die Selbstkorruption verboten. Damit unterscheidet sich das echte Sonderunrecht vom Allgemeinunrecht nicht schon auf Norm-, sondern erst auf Pflichtebene. Es bleibt daher dabei: Bestimmte „Exklusivrechtsgüter“ kann es in einem allgemeinen normentheoretischen Sinne nicht geben.890 Vielmehr kann prinzipiell jedes Rechtsgut von jedermann handlungsmäßig angegriffen werden, weshalb sich – getreu dem Satz der Identität von Werturteil und Norm – bei jedem Deliktstatbestand die allgemeine rechtsgüterschützende Norm gegenständlich an alle Rechtsunterworfenen richtet.891 Die Annahme lediglich relativ schutzbedürftiger Rechtsgüter würde dieses handgreifliche System des Rechtsgüterschutzes unterminieren. Damit bleibt zu konstatieren: Es existieren keine genuinen Sonderrechtsgüter.

886

So die zutr. Ausgangsüberlegung bei Langer, 269 f. Sonderstraftat, 270. 888 Langer, Sonderstraftat, 270. 889 s. dazu Langer, Sonderstraftat, 270. 890 Langer, Sonderstraftat, 270 f. 891 So im Grundsatz zutr. Langer, Sonderstraftat, 279. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz bilden allerdings die §§ 170 f.: Ihnen liegen besondere Normen zur Herstellung bestimmter institutionell geschuldeter Grundlebensverhältnisse als (Gemein-)Rechtsgüter zugrunde (ausführlich dazu noch unten, S. 185 ff.). 887

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3. Kap.: Täter als Verletzer einer Verhaltensnorm

bb) Liegen den reinen Sonderdelikten besondere Normen zur Herstellung von Rechtsgütern zugrunde? In neuerer Zeit ist allerdings der Versuch unternommen worden, die hinter den Amtsdelikten stehenden Institutionen als eigenständige „Rechtsgüter“ zu propagieren, deren Herstellung vom jeweils institutionell zuständigen Personenkreis geschuldet werde: Jakobs, der Nestor dieser Institutionendoktrin, will prinzipiell zwischen Pflichten kraft „Organisationszuständigkeit“ und Pflichten kraft „institutioneller Zuständigkeit“ differenzieren: Organisationspflichten hielten jedermann an, seinen Organisationskreis nicht zulasten des vom Delikt Betroffenen auszudehnen bzw. die eigene Organisation schadlos zu halten. Institutionelle Pflichten dagegen verlangten bestimmten Personen eine institutionell abgesicherte Fürsorge für ein Gut ab.892 Zu den Institutionen, die solche Fürsorgepflichten erzeugen sollen, zählt Jakobs u. a. das Eltern-Kind-Verhältnis, staatliche Gewaltverhältnisse (etwa Schulpflicht, Wehrpflicht, Haft) und allgemeine Staatszwecke (u. a. die Grundprinzipien der Rechtsstaatlichkeit).893 In all diesen Fällen sei die Beziehung des institutionell Zuständigen zum Gut stets unmittelbar, d. h. nicht akzessorisch vermittelt und folglich immer täterschaftlich. Es handle sich um eine „akzessorietätsüberspringende“ Nivellierung der Beteiligungsformen ohne Blick auf ein Tun überhaupt. Der institutionell Zuständige sei also stets mindestens Unterlassungstäter und bei einem auch nur untergeordneten aktiven Beitrag stets Begehungstäter, weshalb die herkömmliche Differenzierung zwischen Tun und Unterlassen ihren Sinn verliere.894 Einerseits existierten im Unterlassungsbereich sowohl institutionell bedingte Garantenpflichten (z. B. Eltern-Kind-Verhältnis) als auch Garantenpflichten aus Organisation (z. B. Verkehrssicherungspflichten, Ingerenz); andererseits avancierten auch im Aktivbereich Jedermanns-Organisationsdelikte für die Träger institutioneller Zuständigkeit immer zu Pflichtdelikten (z. B. Tötung eines minderjährigen Kindes durch die Eltern als genuines Pflichtdelikt – stets Täterschaft unabhängig von Ob und Wie der Beteiligung). Es müsse also innerhalb der Begehungen ebenso wie innerhalb der Unterlassungen nach den Haftungsgründen der Organisationszuständigkeit und der institutionellen Zuständigkeit unterschieden werden.895 Dabei richteten sich die Pflichten institutioneller Provenienz inhaltlich auf eine „Garantie zur Solidarität“ und damit letztlich auf eine Garantie (zur Herstellung) der jeweiligen Institution selbst.896 Zwischen Täter und Gut solle eine positive Beziehung i.S.e. Zuwendung bestehen, idealiter ein „Stück Gemeinsamkeit der Lebenswelt“.897 Wegen dieser Gemeinsamkeit träfen den Täter besondere Verhaltenserwartungen, deren Inhalt sich im Postulat der Nichtverletzung eines Guts nicht (ad892 893 894 895 896 897

AT, 2/17; 7/70; ders., in: Theorie, 5 ff. AT, 29/57 ff. AT, 21/116 ff. AT, 28/13 ff., 21/116. AT, 28/15. AT, 2/17.

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äquat) ausdrücken lasse. Denn die mit der Sonderpflicht verbundene Erwartung gehe nicht vom vorhandenen Güterbestand aus, sondern von der Rolle, die dem Täter zu seiner Einpassung in eine Institution vorgeschrieben werde.898 Wenn man also schon den Begriff des Rechtsguts zur Explikation genuiner Sondernormen bemühen wolle, dann dürfe man nicht (wie gewohnt) auf den bereits vorhandenen Bestand an Funktionseinheiten und dessen Sicherung rekurrieren, sondern müsse die vom Täter zu verwaltende Institution selbst als Funktionseinheit definieren.899 Das Rechtsgut einer Institution entstehe aber als reale Funktionseinheit nur dann, wenn der Sonderpflichtige die ihm innerhalb der Institution zugewiesene Rolle auch übernehme. Daher gehe es bei den Sonderdelikten nicht um die Störung intakter Funktionseinheiten, sondern um die Weigerung, sich zur Herstellung einer realen Funktionseinheit eingliedern zu lassen.900 Die Sonderdelikte beruhten also auf „Normen zur Herstellung von Rechtsgütern“.901 Quintessenz dieser Lehre ist, dass die in den meisten Sonderdelikten geschilderten Unrechtstypen (z. B. die in §§ 340, 343 beschriebenen Individualrechtsgutsverletzungen) lediglich den der Institution (!) strafrechtlich gewährten Schutzumfang beschreiben sollen.902 Dieser scharfsinnige und gedanklich tief schürfende Ansatz bricht die überkommenen Grundlagen strafrechtlicher Haftung auf und strukturiert sie vollkommen neu. Eine erschöpfende Auseinandersetzung mit ihm kann hier nicht geleistet werden, denn Jakobs903 anerkennt das hier zugrunde gelegte Rechtsgüterschutzdogma seinerseits nicht als (einzigen) Legitimationszweck verhaltenssteuernder Rechtsnormen, sondern sieht die Ratio insbesondere der Sondernormen gerade umgekehrt in der Rechtsgutsherstellung. Diese These von der „Mehrspurigkeit der Verhaltensnormzwecke“ kann in ihrem rechtssoziologischen Grundansatz naturgemäß nicht mit Mitteln aus dem argumentativen Repertoire des überkommenen Rechtsgüterschutzdogmas entkräftet werden. Hierzu müsste vielmehr die dichotome Aufspaltung der Lebenswelt in „Organisation“ und „Institution“ sowie deren „Übersetzung“ in die „Rechtsgüterwelt“ kritisch beleuchtet werden. Dabei wäre schwerpunktmäßig zu reflektieren, ob wirklich zwischen der Organisation als kontrollbedürftigem Gefahrenherd für bestehende Rechtsgüter und der Institution als selbst permanent herzustellendem Rechtsgut unterschieden werden kann. Diese tiefgreifenden Fragen können und müssen aber im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht behandelt werden.904

898

AT, 2/17. AT, 2/17. 900 AT, 2/17. 901 AT, 2/25. 902 So denn auch konsequent Jakobs, AT, 2/24 a.E. 903 AT, 2/7 ff. 904 Hierzu sei auf die Generalkritik bei Schünemann, Roxin-FS (2001), 1 (13 ff. [19 f.]) verwiesen. 899

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3. Kap.: Täter als Verletzer einer Verhaltensnorm

Stattdessen genügt es für die hiesigen Zwecke vollauf, das von Jakobs zugrunde gelegte dichotome Verhaltensnormensystem auf seine innere Konsistenz hin zu beleuchten. Diesbezüglich lässt sich bereits auf den ersten Blick ein zentraler Problempunkt aufweisen: Offensichtlich ist, dass die gesetzlichen Straftatbestände des Besonderen Teils nicht eine (bestimmt geartete) Vorenthaltung institutionell geschuldeter Zuwendung inkriminieren (Ausnahmen: §§ 170 f.), sondern konkrete bestandsrechtsgutsbezogene Unrechtshandlungen, in Jakobs’scher Diktion: Die gesetzlichen Tatbestände inkriminieren Organisationsdelikte. Wenn aber die Straftatbestände nur Organisationsakte zum Gegenstand haben, wie soll dann der originäre Haftungsgrund der Institution in einer dem Bestimmtheitsgrundsatz genügenden Weise mit diesen Tatbeständen in Verbindung gebracht werden? Um die Beantwortung dieser Frage hat sich inzwischen Jakobs’ Schüler SánchezVera bemüht: Wie Jakobs (nur terminologisch noch feiner) grenzt er zunächst die „positive Institution“ als Haftungsgrund von der „negativen Institution“ des „neminem laede“ ab.905 Sodann liest er die negative und die positive Institution als sog. „Auslegungstatbestände“ in die gesetzlichen Strafbestimmungen („Kodifikationstatbestände“) hinein:906 Jedem strafgesetzlichen Kodifikationstatbestand könne sowohl der Sinn einer positiven als auch der einer negativen Institution zukommen. Welcher der beiden Auslegungstatbestände in Betracht komme, hänge allein von der sozialen Rolle des Beteiligten und den hieraus resultierenden Rollenerwartungen ab.907 Die Normen der negativen Institution lauteten „Du sollst nicht schädigen!“ (Verbote), die der positiven Institution hingegen „Du sollst eine gemeinsame Welt aufbauen!“ (Gebote).908 Diese Ver- und Gebote der Auslegungstatbestände – und nicht die bloßen Sprachformen (?!) der Kodifikationstatbestände – seien es, die die Schlüsselbegriffe für den Normmodus bildeten. Dementsprechend fungierten als Schlüsselbegriffe für den pflichtverletzenden Verhaltensmodus im Strafrecht nicht Tun und Unterlassen, sondern „negativer“ und „positiver Status“.909 Es erscheint allerdings schon äußerst zweifelhaft, ob man durch die Behauptung derartiger „Auslegungstatbestände“ die vorrechtlichen Seinsunterschiede zwischen Tun und Unterlassen sowie auch die Abgrenzung der Beteiligungsformen im Begehungsbereich (§§ 25 ff.) einfach überspielen kann. Zwar kann und muss das Gesetz klüger sein als seine Verfasser, wie Sánchez-Vera910 im Anschluss an Radbruch911 meint, doch darf der Strafrechtsanwender keinesfalls klüger sein als die lex lata (Art. 103 II GG, § 1 StGB)! Die einzige Norm aber, die es de lege lata erlaubt, die „Kodifikationstatbestände“ des StGB als „Auslegungstatbestände“ i.S.e. besonderen 905 906 907 908 909 910 911

Pflichtdelikt, 76 ff. Pflichtdelikt, 92 ff. Pflichtdelikt, 99 f. Pflichtdelikt, 96, 100. Pflichtdelikt, 101. Pflichtdelikt, 62. Rechtsphilosophie, 211.

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Haftungsgrundes zu begreifen, ist § 13 – was im Umkehrschluss bedeuten muss, dass jede von dieser Vorschrift abweichende Tatbestandsmaterialisierung mindestens praeter legem liegt. Doch soll dem hier nicht weiter nachgegangen werden. Denn das eigentliche Problem der Jakobs’schen Institutionendoktrin liegt tiefer. Es besteht darin, dass der vom „Auslegungstatbestand“ der positiven Institution vorausgesetzte Bestandsrechtsgutsbezug nicht Gegenstand der institutionellen Solidaritätsgarantiepflicht ist, sondern bloße Strafbarkeitsvoraussetzung!912 Die eigentliche Materie der institutionellen Pflicht zum „Aufbau einer gemeinsamen Welt“913 bleibt stets dieselbe, unabhängig von der konkret intendierten Bestandsrechtsgutsverletzung: Ob ich etwa mein Kind „bloß“ ohrfeigen oder aber töten will, ist unter dem Blickwinkel des beide Unrechtstypen gleichermaßen mit untersagenden914 Generalgebots915 zu elterlicher Solidaritätsgarantie irrelevant: Körperverletzung und Totschlag unterscheiden sich als Verletzungen ein und derselben Pflicht zu institutioneller Solidaritätsgarantie bloß graduell im Ausmaß des für die Institution pflichtwidrig herbeigeführten Schadens! Dass das so nicht stimmen kann, dürfte auf der Hand liegen: Totschlag und Körperverletzung sind kategorial verschiedene Handlungsunrechtstypen gerade auch im rechtssoziologischen Sinn, nicht bloß unterschiedlich schwere Formen der Vorenthaltung institutionell geschuldeter Zuwendung! Es überlagert also nicht – um beim konkreten Beispiel zu bleiben – ein diffuses Generalgebot zum Aufbau eines gemeinsamen Eltern-Kind-Verhältnisses die konkreten bestandsrechtsgüterschützenden Verbote des Totschlags und der Körperverletzung,916 sondern es verhält sich wenn überhaupt gerade umgekehrt! Darüber hinaus streitet auch noch ein gesetzessystematischer Einwand gegen die Lehre von der positiven Institution: Die lex lata kennt nämlich mit den §§ 170, 171 tatsächlich zwei Deliktstatbestände, die in der Sache auf einer Pflicht zur Herstellung bestimmter institutionell geschuldeter Grundlebensverhältnisse beruhen.917 Diese Tatbestände sollen jedoch gerade nur eine ganz konkrete Pflicht zu institutioneller Zuwendung per Strafdrohung forcieren und knüpfen hierzu auch ausdrücklich an eben diese positive Pflicht (= Unterhaltspflicht/Erziehungspflicht) als Mittel zur Sicherstellung bestimmter institutionell geschuldeter Grundlebensverhältnisse an. Daraus folgt im Umkehrschluss, dass positive Institutionen en bloc und umfassende 912

I.d.S. denn auch Jakobs, AT, 2/24 a.E. Sánchez-Vera, Pflichtdelikt, 89. 914 Die Pflicht zur institutionellen Solidaritätsgarantie soll das Verbot einer aktiven Verletzung des Zuwendungsberechtigten inkludieren (Sánchez-Vera, Pflichtdelikt, 97 ff.; s. auch die pointierte Formulierung von Jakobs, Theorie, 6: „Die größtmögliche Verweigerung der Zuwendung ist die tätige Verletzung des zu Schützenden.“). 915 s. zur alles umfassenden elterlichen Pflicht, mit dem Kind eine gemeinsame Welt zu gestalten, Jakobs, AT, 29/59. 916 I.d.S. aber allgemein Jakobs, Theorie, 62 f. 917 s. dazu sogleich unten, S. 185 ff. 913

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Generalgebote zum „Aufbau einer gemeinsamen Welt“ gerade nicht Gegenstand bestandsrechtsgutsbezogener formulierter Straftatbestände sein können. Nach alledem dürfte die mit der allgemeinen Institutionenlehre verbundene Nivellierung kategorial verschiedener Handlungsunrechtstypen unter dem „Label“ der positiven Institution die Grenzen des Regelungssubstrats und auch der Tatbestandsexegese überstrapazieren: Positive Institutionen sind für sich genommen zunächst einmal nicht mehr als „besondere soziale Einflussbereiche“918 die als solche nicht Gegenstand, sondern allenfalls Geltungsgrund besonderer Verhaltenspflichten sein können.919 Hinzu kommt ein Weiteres: Jakobs920 begründet die Sonderstellung der Pflichtdelikte insbesondere damit, dass die herkömmliche Gleichsetzung von Normzweck und Rechtsgüterschutz in ihrem Bereich versage. Dem ist jedoch mit Nachdruck zu widersprechen, denn wie noch zu zeigen sein wird, können (und müssen!) auch die meisten Pflichtdelikte im Jakobs’schen Sinne mit dem herkömmlichen Dogma des Bestandsrechtsgüterschutzes in Einklang gebracht werden (Ausnahmen im Hinblick auf die Funktion der zugrunde liegenden rechtsgutsbezogenen Verhaltensnormen bilden allein die §§ 170, 171). Vor diesem Hintergrund ist Jakobs’ Institutionenlehre vorzuhalten, dass sie einen grosso modo einheitlichen teleologischen Erklärungsansatz künstlich aufspaltet. cc) Gibt es gemeinrechtsgutsbezogene Sondernormen? Anerkennt man den Umstand, dass genuine Sonderrechtsgüter nicht existieren, so ist weiter zu fragen, ob unsere Rechtsordnung nicht zumindest Sonderverhaltensnormen zum Schutz von Allgemeinrechtsgütern enthält. Dabei sind gedanklich zwei Fragenkreise zu trennen: Erstens ist unter verhaltensnormteleologischen Gesichtspunkten klärungsbedürftig, ob und wenn ja auf welche Weise das Ziel des Gemeinrechtsgüterschutzes zur Genese reiner Sonderverhaltensnormen führen kann bzw. muss. Zweitens ist aus normlogischer Sicht zu überlegen, auf welcher Ebene – Norm- oder Pflichtgenese – die besondere Subjektqualifikation als Zusatzvoraussetzung einzuführen ist. Kurzum: Zuerst ist zu eruieren, wie rechtsgutsbezogene Sonderverhaltensnormen im Falle ihrer Existenz substantiell beschaffen sind; sodann ist zu klären, ob die Sondersubjektqualifikation schon zum Norm- oder aber erst zum Pflichtgegenstand gehört.

918

s. zum Begriff und seiner Entfaltung ausführlich Langer, Sonderstraftat, 301 ff. Allgemein dazu bereits Langer, Sonderstraftat, 313: „Die Sonderbeziehung ist nicht selbst Schutzobjekt. Sie ist nicht einmal ein sittlicher Wert (und deshalb auch nicht verletzbar), wenngleich vielfach sittliche Werte die Überantwortung [scil.: des eigentlichen Rechtsgutsobjekts – Anm. d. Verf.] motiviert haben und daher bei einer Verletzung des Sonderobjekts ebenfalls verletzt werden (…)“. 920 AT 2/16 ff. 919

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(1) Innenrechtliche Dienstpflichten als Sonderverhaltensnormen? Dass es genuine Sonderverhaltensnormen gibt, die strafrechtlich relevant sind, ist nahezu921 einhellig anerkannt. Unklar ist allerdings, auf welche Weise sie sich aus dem allgemeinen Zweckgedanken des Rechtsgüterschutzes ableiten. Für die Amtsdelikte wurde zunächst von vornherein auf die Verletzung einer innenrechtlichen Dienstpflicht rekurriert. Danach sollte die Sondernorm den gesamten abstrakten Pflichtenkreis innerhalb eines bestimmten besonderen Gewaltverhältnisses (z. B. Beamter, Soldat) erfassen, wobei besonders gewichtige Verletzungen dieses Pflichtenkreises mit Strafe bedroht seien.922 Das kann aber so freilich nicht stimmen: Die Dienstpflicht betrifft das reine Innenrechtsverhältnis, ist also ihrem Gegenstande nach nicht konkret rechtsgutsbezogen ausgestaltet. Demgegenüber setzt das Strafrecht in seinem Zuschnitt auf die „gesellschaftliche Sphäre des Gemeinwesens“ für jeden Straftatbestand zwingend ein bestimmtes Gemeinrechtsgut als Schutzobjekt sowie eine konkrete hoheitlich erlassene Außenrechtsverhaltensnorm als Schutzinstrument voraus.923 Pointiert schlussfolgert daher Langer924 : „Dementsprechend kennt das Disziplinarrecht nur einen einzigen Tatbestand: ,Der Beamte begeht ein Dienstvergehen, wenn er schuldhaft die ihm obliegenden Pflichten verletzt‘ (§ 77 Abs. 1 BBG, § 45 Abs. 1 BRRG). Die völlig andere Struktur des Strafrechts, das auch bei den Amtsverbrechen aus einer Mehrzahl fest umrissener Straftatbestände besteht und kraft verfassungsrechtlicher Anordnung auch bestehen muss, widerlegt die Meinung, hier wie dort sei die Dienstpflichtverletzung das entscheidende Kriterium.“

Dem ist nichts hinzuzufügen. Eine interne Dienstpflichtverletzung weist per se keinen Rechtsgutsbezug auf und kann daher auch kein strafrechtsrelevantes Handlungsunrecht begründen. Selbst dort, wo der Strafgesetzgeber ausnahmsweise die indifferente Verletzung einer bestimmten Innenrechtspflicht zum personalen Handlungsunrecht i.S.d. Straftatbestandes erhoben hat (wie etwa in § 266 I Alt. 2), hat er keineswegs auf das Erfordernis eines konkreten rechtsgutsbezogenen Außenhandlungsunrechts verzichtet, sondern bloß auf die Abgrenzung verschiedener Handlungsunrechtstypen.

921 Als einziger dezidierter Gegner einer Theorie genuinen Sonderunrechts ist Langer (Sonderstraftat, 267 ff., 291 ff.) zu nennen, demzufolge alles Sonderunrecht im Kern Gemeinunrecht ist (s. nur a.a.O., 292 f.). 922 s. als beispielhaften Vertreter dieser seinerzeit noch herrschenden Auffassung etwa nur Berner, Lehrbuch, 649 f.; instruktiv zum Ganzen m.w.N. Langer, Sonderverbrechen, 194 – 196. 923 Ausführlich zum Ganzen Langer, Sonderstraftat, 274 (Zitat ebenda). 924 Sonderstraftat, 274.

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(2) Außenrechtsnormen mit beschränkter allgemeiner Normadresse? Überwiegend925 wurde und wird daher versucht, das Sonderunrecht auf rechtsgutsbezogene Verhaltensnormen mit beschränktem Adressatenkreis zu gründen. Das legislatorische Motiv für die Limitierung des Adressatenkreises soll dabei darin bestehen, dass die Rechtsordnung sich zur Erfüllung ihrer Aufgaben bisweilen mit der Mobilisierung einiger weniger begnüge(n könne).926 So kann das aber freilich auch nicht stimmen, denn die betreffenden Gemeinrechtsgüter müssen jedenfalls auf der allgemeinrechtlichen Verhaltensnormebene auch gegenüber Angriffen außenstehender Dritter geschützt sein – und sind dies auch.927 Leicht illustrieren lässt sich das anhand der Extranensanktionsnormen der §§ 333 f. (Vorteilsgewährung, Bestechung): Bereits die bare Existenz dieser Tatbestände impliziert die Grundaussage, dass Angriffe auf die Lauterkeit der Amtspflege auch Außenstehenden allgemeinrechtlich verboten sind.928 Entsprechendes gilt aber selbstverständlich auch überall dort, wo dem Sonderdelikt kein strafrechtlicher Gemeindeliktssanktionstatbestand korreliert. Auch hier trifft die allgemeine rechtsgutsbezogene Verhaltensnorm, die dem Sonderdelikt zugrunde liegt, prinzipiell alle Rechtsunterworfenen.929 Daraus folgt jedoch – entgegen Langer930 – nicht, dass alles Sonderunrecht substantiell Gemeinunrecht wäre. Denn zu beachten ist, dass die Verhaltensnormen der echten Sonderdelikte für Intranei in weiterem Umfange rechtsgutsbezogene Verhaltenspflichten erzeugen als für Extranei: Dem Intraneus werden zusätzlich spezifische exklusive Rechtsgutsverletzungsstrategien verboten, die ihm aus seiner Sonderzuständigkeit für den überantworteten Rechtsgutsbereich erwachsen, während die Extranenpflichten „nur“ ein rechtswidriges „Hineinhandeln“ in diesen zwar nicht exklusiven, aber doch partiell exklusivierenden Sonderzuständigkeitsbereich untersagen.931 Mithin existieren also genuine rechtsgutsbezogene Sonderverhal925

Nagler, Teilnahme, 47 ff. – Die nachfolgende Kritik trifft auch diejenige Lehrmeinung, nach der bei der Sondernorm zwar nicht schon der Adressatenkreis, wohl aber der Kreis der tauglichen Normsubjekte beschränkt sein soll (so Armin Kaufmann, Normentheorie, 134 ff.). Auch diese Lehre vermag nicht zu erklären, wie sich die Beschränkung des Subjektkreises aus dem allgemeinen Normzweck – dem Rechtsgüterschutz – heraus legitimieren soll (s. dazu Langer, Sonderstraftat, 282). 926 Nagler, Teilnahme, 9. 927 Langer, Sonderstraftat, 277 ff. 928 Langer, Sonderstraftat, 278 f. 929 Langer, Sonderstraftat, 279. 930 Sonderstraftat, 292 ff. 931 Um dies nochmals kurz anhand des §§ 331 zu illustrieren: Das Vertrauen der Allgemeinheit in die Unkäuflichkeit von Amtsträgern und die Sachlichkeit staatlicher Entscheidungen ist selbstverständlich gegenüber jedermann geschützt. Deshalb ist seine Beeinträchtigung auch jedermann verboten. Dennoch kann aber allein der Amtsträger das Rechtsgut durch Selbstkorruption verletzen, weshalb die konkrete Pflicht, sich nicht bestechen zu lassen, ausschließlich ihn trifft.

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tenspflichten. Diese exklusivieren zwar nicht (bereichsweise) den Rechtsgüterschutz als Ganzen (und können dies auch gar nicht), aber sie sind Reaktionen auf zusätzliche, substantiell eigenständige, Exklusivstrategien der Rechtsgutsverletzung.932 (3) Sonderverhaltenspflichten als den Gemeinrechtsgüterschutz erweiternde Zusatzverhaltenspflichten mit besonderer Materie Sofern also rechtsgutsbezogene Sonderverhaltenspflichten existieren, beschränken sie nicht prinzipiell den Adressatenkreis, sondern sie erweitern ein für jedermann geltendes „Pflichtenset“: Wenn und weil eine bestimmte personale Sonderrechtsgutsbeziehung substantiell exklusive Beeinträchtigungsmöglichkeiten eröffnet, werden diese Verhaltensweisen dem Sonderzuständigen zusätzlich verboten. Zusammenfassend lässt sich also wie folgt schließen: Erstens gibt es keine Sonderrechtsgüter. Besondere rechtsgutsbezogene Verhaltenspflichten sind mit allgemeinen abstammungsmäßig verwandt insofern, als auch sie stets auf einer absoluten Rechtsgutsentscheidung beruhen müssen. Zweitens existieren keine Verhaltensnormen, die den Rechtsgüterschutz als solchen auf bestimmte Personenkreise beschränken; vielmehr liegt sogar jedem echten Sonderdelikt immer eine allgemeinverbindliche Verhaltensnorm zugrunde. Drittens ist es aber durchaus möglich, dass eine zum Schutz eines Gemeinrechtsguts installierte Verhaltensnorm neben Jedermannspflichten zusätzlich noch besondere Intranenverhaltenspflichten ausbildet, die ihrem Gegenstande nach über das für jedermann geltende „Pflichtenset“ hinausgehen. In diesem Fall handelt es sich jedoch nicht um eine Limitierung der allgemeinen Normadresse, sondern vielmehr um eine Erweiterung des Rechtsgüterschutzes durch zusätzliche pflichtentechnische Erfassung von Spezialeinwirkungsmöglichkeiten, die aus bestimmten Sondersubjektverhältnissen zum Rechtsgut erwachsen. (4) Besondere Subjektqualifikation als Pflichtmerkmal Damit ist zugleich auch über die Frage entschieden, ob die persönliche Sonderrechtsgutsbeziehung, aus der die spezifische Einwirkungsmöglichkeit des Intraneus auf das Rechtsgut erwächst, normentheoretisch als generelles Norm- oder als individuelles Pflichtmerkmal einzuordnen ist: Sie muss individuelles Pflichtmerkmal sein, da es von vornherein nicht um Sondernormen, sondern um besondere gemeinrechtsgutsbezogene Pflichten geht. Die einzigen Ausnahmen von diesem Grundsatz bilden die Tatbestände der §§ 170, 171, die tatsächlich auf genuinen rechtsgutsbezogenen Sonderverhal-

932

So in der Sache auch Puppe (in: NK, §§ 28, 29 Rn. 8 f., 53), die daraus allerdings ein selbständiges Verbot ableitet, die eigene Machtstellung nicht zu Rechtsgutsverletzungen zu missbrauchen. Das geht jedoch ersichtlich zu weit, denn im Strafrechtssinne verboten ist ja nicht der Machtmissbrauch als solcher, sondern eine konkrete Exklusivverletzungsstrategie, in der sich der Missbrauch (erst) objektiviert.

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3. Kap.: Täter als Verletzer einer Verhaltensnorm

tensnormen beruhen.933 Doch figuriert die Sonderrechtsgutsbeziehung auch hier als individuelles Pflichtmerkmal. Denn, wie Armin Kaufmann934 scharfsinnig herausgearbeitet hat, kann niemand apriorisch als potentieller Inhaber einer persönlichen Sonderrollenzuständigkeit ausgeschlossen werden, da die entsprechenden Personenkreise fortwährend in ihrem Bestand wechseln: Die den §§ 170, 171 zugrunde liegenden Verhaltensnormen regeln also, was man als Unterhalts- bzw. Erziehungspflichtiger zu tun hat, während die konkretisierenden Verhaltenspflichten sich in einer bestimmten Situation an einen bestimmten Unterhalts- bzw. Erziehungspflichtigen richten. Kurzum: Selbst die Sonderverhaltensnormen der §§ 170 f. sind aus normlogischen Gründen prinzipiell an alle adressiert, so dass die persönliche Sonderrollenzuständigkeit für das Rechtsgut auch hier (erst) als konkretisierendes Pflichtmerkmal figuriert. dd) Die drei Arten des Sonderhandlungsunrechts und die Konkretisierung der jeweils zugrunde liegenden Verhaltensnormen Wie gesehen lässt sich das Axiom des Rechtsgüterschutzes nicht personenbezogen relativieren. Daraus hat Langer935 geschlussfolgert, dass alles Sonderunrecht substantiell Gemeinunrecht sei. Diese programmatische These dürfte allerdings das Kind mit dem Bade ausschütten. Denn richtig ist zwar, dass auch „besondere“ Verhaltenspflichten (bzw. im Falle der §§ 170, 171: Verhaltensnormen) stets Ausfluss eines prinzipiell gegenüber jedermann geschützten Gemeinrechtsguts sein müssen. Das schließt aber eine gegenständliche Erweiterung dieses Gemeinrechtsgüterschutzes innerhalb bestimmter Sonderrechtsgutsbeziehungen keineswegs aus! Selbstverständlich können also bestimmte Rechtsgüter für Sonderzuständige zusätzliche Verhaltenspflichten generieren, die über das an jedermann gerichtete Pflichtenset hinausgehen. Das ist erstens und vor allem dann der Fall, wenn die Sonderrechtsgutsbeziehung dem Intraneus bestimmte Exklusivverletzungsstrategien eröffnet, die Außenstehenden prinzipiell verschlossen sind (so z. B. bei den §§ 331 f. StGB, 16, 17 WStG). Zweitens kann es ganz ausnahmsweise auch einmal so sein, dass der Sonderzuständige von vornherein in einer qualitativ andersartigen Beziehung zum Rechtsgut steht als der quivis ex populo, nämlich in einer institutionellen Fürsorgepflichtbeziehung (so sub specie §§ 170, 171). Daneben existieren dann freilich drittens auch noch solche Sonderdelikte, deren Unrecht seiner Substanz nach tatsächlich Gemeinunrecht ist (so etwa die §§ 221 II Nr. 2, 246 II, 258a, 340, 343). Diese drei Typen des Sonderunrechts bedürfen der näheren Einzelerläuterung:

933 934 935

Dazu sogleich im Haupttext (S. 184 ff.). Normentheorie, 133 f. Sonderstraftat, 292 ff.

D. Die Verhaltensnormgenera und ihre jeweiligen Unterarten

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(1) Delikte mit institutionell geschuldetem Gemeinrechtsgut Begonnen sei hier mit der seltensten Art des Sonderunrechts, der Verletzung institutionell bedingter Verhaltenspflichten. Sie ist, soweit ersichtlich, ausschließlich im Regelungsbereich der §§ 170, 171 relevant. Auch diesen Tatbeständen liegt zwar an sich ein Gemeinrechtsgut zugrunde. Das wird offenbar, wenn man etwa den Fall bedenkt, dass ein Außenstehender einen Unterhaltspflichtigen i.S.d. § 170 zur Beeinträchtigung seiner finanziellen Leistungsfähigkeit veranlasst. Allerdings besteht im Regelungsbereich der §§ 170, 171 die Besonderheit, dass das tatbestandlich „geschützte“ Gemeinrechtsgut ein vom Sonderpflichtigen institutionell zu garantierendes ist. Daraus resultiert bereits auf der allgemeinen Verhaltensnormebene ein andersartiges, genuin institutionell bedingtes, Generalgebot zur Herstellung eines bestimmten Kernbestands an institutioneller Solidarität als geschuldetem Rechtsgut.936 Demnach existieren also tatsächlich einige wenige Ausnahmetatbestände, deren Verhaltensnorm in der Sache dem Modell der Jakobs’schen Institutionenlehre folgt. So beruht etwa der Straftatbestand des § 171 auf der Verletzung besonderer Erziehungs- und Fürsorgepflichten, die aus familiärer Beziehung oder einem analogen Personenfürsorgeverhältnis erwachsen. Regelungstechnisch entsprechend knüpft der Sanktionstatbestand des § 170 an die Verletzung institutionell bedingter Unterhaltspflichten an. Sinn und Zweck solcher umfassenden Fürsorgepflichten ist die Herstellung bestimmter institutionell geschuldeter Grundlebensverhältnisse als (Gemein)-Rechtsgut (= Sicherstellung des Lebensbedarfs des/der Unterhaltsberechtigten [§ 170] bzw. einer ungestörten psychophysischen Entwicklung des/der schutzbefohlenen Kinder/Jugendlichen [§ 171]). Mithin ist der durch Verhaltensnorm zu schützende Zustand hier ausnahmsweise nicht als bestehende Funktionseinheit der Institution vorgegeben (wie bei anderen Sonderdelikten), sondern er ist umgekehrt erst durch die fortwährende Garantie einer bestimmten institutionellen Mindestsolidarität (dauerhaft) herzustellen.937 Zu diesem Zweck werden genuin institutionelle Verhaltensnormen statuiert, die die vom Adressaten zu garantierende Mindestsolidarität gegenständlich exakt umschreiben (= Sicherstellung des Lebensunterhalts bzw. von Erziehung und Fürsorge).938 936 Vgl. zum Pflichteninhalt insofern zutreffend Jakobs, Theorie, 5 f., 61 ff.; Sánchez-Vera, Pflichtdelikt, 76 ff. 937 Jakobs, Theorie, 5 f., 61 ff.; Sánchez-Vera, Pflichtdelikt, 76 ff. 938 Darin liegt der entscheidende Unterschied zur allgemeinen Institutionenlehre Jakobs’: Diejenigen Pflichten, die den §§ 170, 171 zugrunde liegen, schützen jeweils ein konkretes institutionell herzustellendes Rechtsgut und legen die insofern institutionell geschuldeten Mittel gegenständlich exakt fest. Dabei geht es jeweils um die Sicherstellung einer gewissen institutionell geschuldeten Grundversorgung, für die bei „Ausfall“ der „natürlichen“ Institution der „Staat“ als Ersatzinstitution einzustehen hätte. Allgemeine Bestandsrechtsgüter wie etwa Leib oder Leben sind aber nicht in diesem Sinne herstellungsbedürftig, sondern für jedermann verletzbar, innerhalb von Institutionen prinzipiell ebenso wie außerhalb (s. eingehend zur Jakobs’schen Institutionendoktrin nochmals oben, S. 176 ff.).

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3. Kap.: Täter als Verletzer einer Verhaltensnorm

Bei diesen Verhaltensnormen handelt es sich strukturell gesehen um umfassende Gebotsnormen, die sich nicht nur zu Handlungs-, sondern auch zu derivativen Unterlassungspflichten verdichten können.939 So verpflichtet etwa das Generalgebot zur Sicherstellung eines angemessenen Kindesunterhalts Eltern nicht bloß zur Unterhaltsleistung an sich (= Handlungspflicht), sondern auch dazu, die eigene Leistungsfähigkeit nicht zu torpedieren (= derivative Unterlassungspflicht).940 Nämliches gilt für das Gebot, schutzbefohlenen Kindern und Jugendlichen die für eine „normale“ psychophysische Entwicklung essentielle Grunderziehung und -fürsorge angedeihen zu lassen: Die Norm verpflichtet nicht nur zur Herstellung des hierfür konkret erforderlichen und deshalb geschuldeten „Stück[s] Gemeinsamkeit der Lebenswelt“,941 sondern selbstverständlich auch dazu, aktive „Zerrüttungshandlungen“, etwa die Verführung des Kindes zu Straftaten oder seine Verleitung zum Drogenmissbrauch, zu unterlassen.942 Normentheoretisch betrachtet geht es also um Sondergebote zur Herstellung von institutionell zu garantierenden Rechtsgütern, die auch durch ein aktives Tun verletzt werden können, das den Unwillen zur geforderten Herstellungsleistung objektiviert. Normgegenstand ist damit stets eine originäre personale Herstellungsleistung, weshalb die betreffenden Normen ausschließlich „akzessorietätsüberspringende“943 Pflichten generieren; im Falle der Verletzung solch genuiner Sonderpflichten ist also der institutionell zuständige Intraneus stets Täter. (2) Delikte mit sonderpflichtbegründendem Bestandsrechtsgut Demgegenüber liegen den meisten Sonderdelikten Bestandsrechtsgüter zugrunde, die für bestimmte Sonderzuständige spezifische, über den allgemeinen Rechtsgüterschutz hinausgehende Sonderverhaltenspflichten erzeugen.944 Das gilt zunächst für diejenigen Rechtsgüter, die hinter den reinen Amtsdelikten stehen, nämlich die Lauterkeit der Amtspflege und die staatliche Rechtspflege. So beruhen etwa die Deliktstatbestände der Vorteilsannahme (§ 331) und der Bestechlichkeit (§ 332) auf dem gemeinrechtsgutsbezogenen (!) Intranenverbot, sich oder einem Dritten für die Dienstausübung einen Vorteil auszubitten, versprechen zu lassen oder anzunehmen. Hierbei handelt es sich um eine eo ipso rechtsgutsbezogene Sonderverhaltenspflicht, da Außenstehende die Lauterkeit der Amtspflege (und das Vertrauen der Allgemeinheit in diese Lauterkeit)945 niemals durch Selbstkorruption verletzen können. Besagtes Rechtsgut ist Amtsträgern gegenüber also in weiterem 939 940 941 942 943 944 945

Normlogisch treffend insofern Sánchez-Vera, Pflichtdelikt, 98 ff. s. statt aller nur Fischer, § 170 Rn. 9. Begrifflichkeit nach Jakobs, AT, 2/17. So statt aller etwa Lenckner/Bosch, in: Schönke/Schröder, § 171 Rn. 4. s. dazu (freilich für die Institution en bloc) Jakobs, AT, 21/115 ff. Im Ansatz ebenso Puppe, in: NK, §§ 28, 29 Rn. 8 – 10, 53, 78. s. zum Rechtsgut der §§ 331 ff. nur Fischer, § 331 Rn. 2.

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Umfange schutzbedürftig, da diese (im Zusammenhang mit ihrer Dienstausübung) zugleich Repräsentanten des Rechtsgutsträgers („Staat“) sind und daher das Rechtsgut auf spezifische Weise von innen heraus angreifen können. Dem trägt das Sonderverbot der Vorteilsannahme Rechnung. Entsprechendes gilt etwa für den Tatbestand der Rechtsbeugung (§ 339). Das Verbot, das Recht nicht zu beugen, verpflichtet ausschließlich Richter, andere Amtsträger oder Schiedsrichter, denn allein diese Sonderrollenzuständigen können in ihrer Funkion die innerstaatliche Rechtspflege946 durch bewusst falsche Anwendung des Rechts von innen heraus beeinträchtigen. Diese spezifische Manipulationsmöglichkeit ist Externen prinzipiell verschlossen, da sie nicht zur Rechtsanwendung berufen sind.947 Demnach figuriert auch das Verbot der Rechtsbeugung als gemeinrechtsgutsbezogene Sonderverhaltenspflicht. Nämliches gilt für die Verbote, die den Tatbeständen der §§ 344, 345 zugrunde liegen: Das dortige Rechtsgut der innerstaatlichen (Straf-)Rechtspflege948 ist den betreffenden Intranei gegenüber besonders schutzbedürftig insofern, als diese den staatlichen Strafverfolgungs- bzw. -vollstreckungsapparat auf spezifische Weise von innen heraus, d.h durch technische Amtshandlungen, missbräuchlich in Gang setzen bzw. bedienen können. Somit sind auch die Verbote der Verfolgung Unschuldiger (§ 344) bzw. der Vollstreckung gegen Unschuldige (§ 345) genuine rechtsgutsbezogene Sonderverhaltenspflichten. Gleiches gilt für die Intranenpflicht, die der Falschbeurkundung im Amt (§ 348) zugrunde liegt: Nur Amtsträger, die zur Aufnahme öffentlicher Urkunden befugt sind, können den Wahrheitsgehalt949 solcher Urkunden durch äußerlich legale Amtshandlungen im Rahmen ihrer Befugnisse und Zuständigkeit manipulieren. Resümierend lässt sich somit sagen, dass allen „echten“ Amtsdelikten im herkömmlichen Sinne rechtsgutsbezogene Sonderverhaltenspflichten zugrunde liegen. Darüber hinaus existieren jedoch im StGB und Nebenstrafrecht noch zahlreiche weitere genuine950 Sonderdelikte, die auf rechtsgutsbezogenen Sonderverhaltenspflichten im dargelegten Sinne beruhen. Hierher gehören zunächst und insbesondere die Aussagedelikte der §§ 153 ff.: Zeugen und Sachverständige stehen von vorn946

Sie liegt dem § 339 als Rechtsgut zugrunde (s. nur Fischer, § 339 Rn. 2). Bewegt also etwa ein Außenstehender einen Richter zu einer falschen Rechtsanwendung, so kann die an ihn gerichtete Pflicht abstrakt formuliert nur dahin lauten, die mittelbare Einwirkung auf die innerstaatliche Rechtspflege durch Einwirkung auf den Richter zu unterlassen. Entsprechendes gilt mutatis mutandis für die Extranenpflichten, die die Verbote der §§ 344 f. ausbilden. 948 s. dazu (sowie zu den zusätzlich geschützten Individualrechtsgütern) nur Hecker, in: Schönke/Schröder, § 344 Rn. 1 m. § 343 Rn. 1; § 345 Rn. 1. 949 Die dem § 348 zugrunde liegende Verhaltensnorm schützt nicht die Echtheit, sondern die Wahrheit öffentlicher Urkunden (s. dazu nur Puppe, in: NK, § 348 Rn. 1). 950 Zur Klarstellung: Reine Sonderdelikte im unrechtsdogmatischen Sinne sind nach hiesiger Auffassung nur solche Delikte, bei denen die Sondersubjektbeziehung zum Rechtsgut das allgemeine Handlungsunrecht (und nicht erst das Strafunrecht!) begründet. Demnach pönalisiert also etwa § 343 I Alt. 4 kein echtes Sonderunrecht – seelisches Quälen ist Jedermannsunrecht! – figuriert aber dennoch als echte Sonderstraftat. 947

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3. Kap.: Täter als Verletzer einer Verhaltensnorm

herein in einer Sonderbeziehung zum Gemeinrechtsgut der staatlichen Rechtspflege, da allein sie zur förmlichen Aussage bei den zuständigen Stellen berufen sind.951 Folglich können auch ausschließlich Zeugen und Sachverständige die Organe der Rechtspflege durch das Mittel der förmlichen Falschaussage irreführen. Ergo figurieren die Verbote der §§ 153 ff. als rechtsgutsbezogene Sonderverhaltenspflichten. Entsprechendes gilt etwa auch für das Bigamieverbot, das dem Sanktionstatbestand des § 172 zugrunde liegt: Ausschließlich Verheiratete können das Schutzgut der staatlichen Eheordnung, d. h. das Prinzip der Einehe,952 durch Vollzug einer weiteren Ehe verletzen. Mithin liegt dem Bigamieverbot eine unmittelbar rechtsgutsbezogene Sonderpflicht zugrunde. Auch der Missbrauchstatbestand der Untreue (§ 266 I Alt. 1) gehört zu den echten Sonderdelikten, denn ausschließlich der Intraneus kann das zu betreuende Vermögen durch äußerlich legales Handeln, d. h. gerade durch Wahrnehmung (!)953 seiner extern legitimierenden Befugnis, schädigen.954 Daneben existieren schließlich noch solche Verbote, die es gewissen Sonderpflichtsubjekten untersagen, (typischerweise) die eigene Person von einem bestimmten „Präsenzpflichtort“ zu entfernen (z. B. das Verbot der Fahnenflucht, § 16 WStG) oder (in physischer Hinsicht dauerhaft) pflichterfüllungsuntauglich zu machen (z. B. das Selbstverstümmelungsverbot, § 17 WStG). Hier ist die Entziehung der eigenen Person als Einwirkungsmöglichkeit auf das jeweils geschützte Rechtsgut ausschließlich denjenigen möglich, die im Interesse des betreffenden Guts besonders zur (physisch intakten) Präsenz verpflichtet sind. Obwohl also etwa die Wehrkraft der Bundeswehr fraglos ein gegenüber jedermann geschütztes Rechtsgut ist, können ausschließlich Truppenangehörige sie gerade dadurch beeinträchtigen, dass sie selbst

951 s. etwa Puppe, in: NK, §§ 28, 29 Rn. 70 m. Rn. 78), die die §§ 153 f. allerdings im Anschluss an Roxin (TuT, 394) als (höchstpersönliche) Pflichtdelikte ansieht (a.a.O., Rn. 70, 75). Letzteres kann nicht überzeugen, denn die betreffenden Tatbestände inkriminieren konkrete Handlungen, nicht bloß den handlungsmäßig indifferenten Missbrauch bestimmter Pflichtenstellungen (ausdrücklich im letztgenannten Sinne aber Puppe, in: NK, §§ 28, 29 Rn. 8 – 10, 78). 952 s. zu dieser allgemeinen Rechtsgutsbestimmung i.S.d. § 172 nur Fischer, § 172 Rn. 2. 953 s. dazu nur Kindhäuser, in: NK, § 266 Rn. 82. 954 Der spezielle Missbrauchstatbestand (266 I Alt. 1) beruht also auf der den allgemeinen Rechtsgüterschutz erweiternden Sonderpflicht, fremdes Vermögen nicht durch Wahrnehmung einer extern legitimierenden Befugnis zu schädigen. Entsprechendes gilt auch für den allgemeinen Treubruchtatbestand (§ 266 I Alt. 2), soweit dieser gerade die missbräuchliche Wahrnehmung der Obhutsstellung über fremdes Vermögen als genuines Sonderunrecht inkriminiert. Allerdings erfasst der Treubruchtatbestand auch Fälle personal modifizierten Gemeinunrechts wie etwa das Entwenden von Bargeldern aus der zu verwaltenden Kasse (instruktiv dazu Kindhäuser, in: NK, § 266 Rn. 62, 64); insofern kommt § 266 I Alt. 2 der Charakter eines gemeinunrechtsakzessorischen Sonderdelikts zu, weshalb der Treuebruchtatbestand insgesamt als „Zwitter-Sonderdelikt“ (teils echt, teils unecht) figuriert.

D. Die Verhaltensnormgenera und ihre jeweiligen Unterarten

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die Truppe verlassen oder ihr fernbleiben. Mithin figurieren die entsprechenden Verdikte als genuine rechtsgutsbezogene Sonderverhaltenspflichten.955 Eine solche außenrechtliche Sonderverhaltenspflicht liegt bei näherem Zusehen auch der Unfallflucht (§ 142) zugrunde.956 Sie verbietet es ausschließlich Unfallbeteiligten, die eigene Person bzw. Identität von der Unfallörtlichkeit als Präsenzpflichtort zu entfernen. Zwar wird durch die Unfallverursachung ein gesetzliches Schuldverhältnis zwischen den Unfallbeteiligten gerade erst begründet, d. h. die der zivilrechtlichen Anspruchssicherung dienende Wartepflicht erwächst nicht aus einer prästabilisierten Sonderrollenzuständigkeit des Unfallbeteiligten. Nichtsdestotrotz schafft aber die eigene Unfallbeteiligung als (präsumtive) Mitverursachung der zivilrechtlichen Anspruchslage (vgl. § 142 V) eine vergleichbare Sonderverhaltenszuständigkeit für die nachfolgende Anspruchssicherung, die die Wartepflicht zu einer rechtsgutsbezogenen Sonderpflicht macht.957 Anders liegt es dagegen dagegen bei der Verhaltensnorm, die dem VollrauschTatbestand (§ 323a) zugrunde liegt.958 Zwar erweitert die Möglichkeit, sich selbst in einen Rausch zu versetzen und gerade dadurch die abstrakte Gefahr rechtswidriger Verletzungshandlungen zu schaffen, das eigene rechtsgutsbezogene Aktionsrepertoire durchaus um eine höchstpersönliche Gefährdungsstrategie. Doch beruht diese Gefährdungsmöglichkeit nicht auf einer exklusiven Sonderrechtsgutsbeziehung, sondern sie erwächst jedermann, weshalb insofern nicht von einer Sonderpflicht gesprochen werden kann. Die Begrenzung des Strafsatzes gerade auf das Sich-Berauschen hat also hier andere teleologische Hintergründe als die Pönalisierung von Sonderunrecht.959 Resümierend lässt sich sagen, dass Delikte mit sonderpflichtbegründendem Bestandsrechtsgut die im Haupt- und Nebenstrafrecht am weitesten verbreitete Art des Sonderunrechts darstellen. Die ihnen zugrunde liegenden Verhaltenspflichten werden stets gleich abgeleitet: Bestimmten Personenkreisen erwachsen aufgrund einer (idealtypischerweise prästabilisierten) persönlichen Sonderrechtsgutsbeziehung eigenständige Exklusivverletzungsmöglichkeiten, die Außenstehenden prinzipiell verschlossen sind. Um die entsprechenden Exklusivverletzungshandlungen zu unterbinden, generiert das dem Tatbestand zugrunde liegende Allgemeinrechtsgut entsprechende Sonderverhaltenspflichten (nicht -normen!). 955

s. dazu nur Roxin, TuT, 393 f., der hier allerdings in der Sache höchstpersönliche Pflichtdelikte annehmen will (zust. etwa Puppe, in: NK, §§ 28, 29 Rn. 75); zu der damit verbundenen dogmatischen Diskussion s. näher noch unten, S. 638 ff. 956 Str.; i.E. wie hier etwa Puppe, in: NK, §§ 28, 29 Rn. 71 (mit instruktiver Kurzeinführung in den Streitstand und weiteren Nachweisen auch zur Gegenansicht in Rn. 59). 957 So in der Sache auch Puppe (in: NK, §§ 28, 29 Rn. 71), die jedoch hier ein Pflichtdelikt annehmen will, was der klaren tatbestandlichen Handlungsbeschreibung zuwiderläuft. 958 Str.; wie hier etwa Jakobs, AT, 21/23; a.A. dagegen etwa Roxin, TuT, 797 (höchstpersönliches Pflichtdelikt). 959 s. dazu vorerst Jakobs, AT, 21/23.

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3. Kap.: Täter als Verletzer einer Verhaltensnorm

(3) Gemeinunrechtsakzessorische Sonderdelikte Anders verhält es sich dagegen bei den hier sog. „gemeinunrechtsakzessorischen“960 Sonderdelikten wie etwa den §§ 120 II, 221 II Nr. 1, 246 II, 258a, 340, 343. All diese Tatbestände beruhen auf Jedermannsverboten (z. B. Verbot der Gefangenenbefreiung, Aussetzung, Unterschlagung, Strafvereitelung, Körperverletzung, Nötigung), deren Achtungsanspruch durch spezifische Innenrechtspflichten, sei es öffentlich-rechtlicher, sei es zivilrechtlicher Natur, nur modifiziert961 wird: Weil bestimmte Rechtsgutsobjekte gewissen Personenkreisen innerhalb bestimmter sozialer Bereiche besonders überantwortet sind, verpflichten die zum Schutz der jeweiligen Rechtsgüter errichteten Allgemeinverhaltensnormen die betreffenden Personen mit besonderem Nachdruck.962 In der Sache wird also „nur“ die appellative Intensität bestimmter Allgemeinverbote personenbezogen relativiert, d. h. verstärkt oder auch abgeschwächt.963 Das gilt auch und insbesondere für die „Staatszurechnungsdelikte“ der §§ 340, 343, wo die „Dringlichkeitsmodifizierung“ der allgemeinen Verhaltensnorm auf der Tatsache beruht, dass der (Vernehmungs-)Beamte als Repräsentant des Staates im Innenverhältnis besonders zur Wahrung der Grundrechte auf körperliche Unversehrtheit und Willensfreiheit verpflichtet ist.964 Weitere Beispiele für diese Art Sonderunrecht bilden die bereits genannten Tatbestände der §§ 120 II, 221 II Nr. 1, 246 II, 258a, die ebenfalls auf „innenrechtspflichtmodifizierten Allgemeinverhaltensnormen“ beruhen. Nach alledem zeichnen sich gemeinunrechtsakzessorische Sonderdelikte dadurch aus, dass sie auf bestimmten Allgemeinverhaltensnormen beruhen, deren Wirkung durch unselbständige (!) Innenrechtspflichten modifiziert (hauptsächlich: verstärkt) wird. Wie sich dieses Rechtsphänomen in die allgemeine Dogmatik der Verhal960 Gemeinunrechtsakzessorische Sonderdelikte im allgemeinen unrechtsdogmatischen Sinne sind all diejenigen, denen eine subjektiv modifizierte Allgemeinnorm zugrunde liegt. So liegt es etwa im Falle der §§ 340, 343 I Alt. 1 – 3, aber auch bei § 343 I Alt. 4: Das seelische Quälen eines anderen ist jedermann verboten, wenn auch nur dem Intraneus bei Strafe; § 343 I Alt. 4 ist also ein gemeinunrechtsakzessorisches Sonderdelikt, das aufgrund fehlender Allgemeinvertatbestandlichung des „seelischen Quälens“ echte Sonderstraftat ist (s. dazu auch noch die nachfolgende Fn.). 961 s. zum Ganzen Langer, Sonderstraftat, 293 ff. (der diesen Gedanken freilich für alles Sonderunrecht verabsolutiert). Eine relative Gemeinunrechtsqualifikation muss dabei nicht zwingend als strafschärfende Qualifikation ins Strafrecht eingehen: Ist das konkret modifizierte Gemeinunrecht strafrechtlich nicht grundvertatbestandlicht (wie etwa das „seelische Quälen“ i.S.d. § 343), so wirkt die Gemeinunrechtsmodifikation strafbegründend. 962 Eingehend und instruktiv zum Ganzen Langer, Sonderstraftat, 291 ff., 324 ff., der allerdings alles Sonderunrecht als personal relativiertes Gemeinunrecht i.d.S. ansieht. Das ist aber so nicht richtig, denn genuines Sonderunrecht zeichnet sich durch das Vorhandensein exklusiver, der Allgemeinheit unzugänglicher, Verletzungsmöglichkeiten aus. Man denke etwa an die Pflicht des Amtsträgers, sich nicht bestechen zu lassen; sie ist keine dringlichkeitsabgewandelte Allgemeinpflicht, sondern echte Sonderpflicht! 963 Langer, Sonderstraftat, 324 ff. 964 Treffend zu dieser Innenrechtspflicht des Amtswalters, die aus der staatlichen Pflicht zur Wahrung der Grundrechte im Außenverhältnis resultiert, Wagner, Amtsverbrechen 93 f.

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tenspflichtgenese einfügt, ist dann eine Frage der im Anschluss zu behandelnden Normkonkretisierung. ee) Normenkonkretisierung Im Hinblick auf den Vorgang der Normverdichtung ist wiederum zu differenzieren zwischen bestandsrechtsgutsbezogenen Sonderverhaltenspflichten (= reine Sonderdelikte), institutionell bedingten Sonderverhaltensnormen (= Delikte mit institutionell geschuldetem Rechtsgut) und innenrechtspflichtmodifizierten Allgemeinverhaltensnormen (= gemeinunrechtsakzessorische Sonderdelikte): (1) Eo ipso bestandsrechtsgutsbezogene Sonderverhaltenspflichten Eo ipso rechtsgutsbezogene Sonderverhaltenspflichten folgen strukturell dem gleichen Konkretisierungsmechanismus wie allgemeine Verhaltenspflichten, soweit die Handlungsmerkmale betroffen sind. Um nur ein Beispiel zu nennen: Den §§ 331 f. liegt das allgemeine primäre Verbot zugrunde, die Lauterkeit der Amtspflege und das diesbezügliche Vertrauen der Gesellschaft nicht handlungsmäßig zu erschüttern. Diese allgemeine Verbotsnorm verdichtet sich für Amtsträger zu der besonderen Intranenpflicht, Vorteilsannahmen zu unterlassen. Primär verboten sind – wie sonst auch – ausschließlich „täterschaftlich“ strukturierte Akte (hier gerichtet auf das Sich-Versprechen-Lassen eines Vorteils [§ 331]). Insofern ist freilich anzumerken, dass die Täterschaft bei den Sonderdelikten typischerweise besonderen Sachkriterien folgt, nämlich z. B. den Regeln über die Zurechnung von Erklärungstatbeständen als eigene Willenserklärung (so etwa bei § 331 f.) oder dem Kriterium der strikt aktgebundenen (so etwa bei §§ 153, 172 f.) bzw. subjektreflexiven (so etwa bei 142 StGB, 16, 17 WStG) Eigenhändigkeit. Hierbei handelt es sich um materiell eigenständige Täterkriterien, die zwar typischerweise mit einem Sonderunrechtscharakter der inkriminierten Handlung einhergehen, jedoch keineswegs dessen sachlogische Derivate sind!965 Darüber hinaus erfordert die Pflichtgenese beim reinen Sonderunrecht das Vorliegen der persönlichen Sonderrechtsgutsbeziehung.966 Dieses besondere persönliche Merkmal steht dabei keineswegs als separates Tätermerkmal beziehungslos neben den Aktmerkmalen, in dem Sinne, dass es bloß objektiv zu diesen hinzukommen

965

Wie im Text noch zu zeigen sein wird, existieren auch Allgemeindelikte, die eine eigenhändige Aktausführung verlangen (z. B. § 183) bzw. selbstreflexiv ausgestaltet sind (z. B. § 323a) oder Willenserklärungen zum Gegenstand haben (etwa § 185). Dogmatisch verfehlt wäre es daher, diese eigenständigen Kriterien der Tatbestandshandlungszurechnung heuristisch auf den typischerweise simultan einschlägigen Sonderdeliktscharakter zurückzuführen (so aber bzgl. der Eigenhändigkeit etwa bei § 153 Roxin, TuT, 392 ff. [„unechte eigenhändige Delikte“]; mit Recht dagegen Herzberg, ZStW 82 [1970], 896 [911 ff.]; s. auch Langrock, Delikt, 67, 71 f., 73). 966 Armin Kaufmann, Normentheorie, 157.

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3. Kap.: Täter als Verletzer einer Verhaltensnorm

müsste.967 Eine solche Sichtweise ließe gänzlich unberücksichtigt, dass die Sonderrechtsgutsbeziehung dem Intraneus die ihm gesondert verbotene(n) Spezialeinwirkungsmöglichkeit(en) auf das Rechtsgut gerade erst eröffnet und somit deren spezielle Qualität ausmacht.968 „Handlungs-“ und „Tätermerkmale“ i.S.d. früheren, dichotomen, Begriffsbestimmung Armin Kaufmanns verschmelzen daher zu einer einheitlichen Pflichtmaterie, auf die sich die konkret verbotene Intention beziehen muss.969 Daraus folgt, dass die Verpflichtung des Intraneus auch das Bewusstsein bzw. die Vorstellung von den die Sonderrechtsgutsbeziehung ausfüllenden Tatsachenumständen erfordert.970 (2) Institutionell bedingte Sonderverhaltensnormen Institutionell bedingte Sonderverhaltensnormen konkretisieren sich strukturell betrachtet unter den gleichen Prämissen wie bestandsrechtsgutsbezogene Sonderverhaltensnormen: Erforderlich ist ein Intranenprogramm, das auf die Vorenthaltung der institutionell geschuldeten Leistung (etwa die Sicherstellung des Lebensunterhalts im Falle des § 170) bzw. auf eine aktive Zerrüttungshandlung gerichtet ist. Auch hier verschmelzen Täter- und Handlungsmerkmale im Sinne Armin Kaufmanns – konkret: institutionelle Zuständigkeit und institutionell geschuldete Leistung – zu einer einzigen untrennbaren Pflichtmaterie, auf die sich das konkret ge- bzw. verbotene Handlungsprogramm beziehen muss. Die Vorstellung des Akteurs muss also auch diejenigen Tatsachenumstände umfassen, die seine institutionelle Sonderzuständigkeit begründen. Ein wesentlicher materialer Unterschied zu den bestandsrechtsgüterschützenden Sonderverhaltensnormen liegt allerdings darin, dass institutionelle Pflichten zur Herstellung bestimmter Rechtsgüter immer und ausschließlich „akzessorietätsüberspringende“, d. h. eo ipso täterschaftliche Pflichten sind.971

967 So aber noch Armin Kaufmann, Normentheorie, 157 f. (der diese Ansicht später zu Recht aufgegeben hat, in: Klug-FS [1983], 277 [283 ff.]). 968 Ebenso schon Blauth, Handeln, 61; inzwischen auch Armin Kaufmann selbst, in: KlugFS (1983), 277 (283 ff.); noch weitergehend Wagner, Amtsverbrechen, 70, der die ins Innenverhältnis transzendierte Amtspflicht des Intraneus zur Wahrung der Grundrechte als Außenrechtspflicht i.S.d. Amtsdelikte ansehen will. Daran ist richtig, dass der Intraneus den Staat im Außenverhältnis zum Bürger repräsentiert; bestraft wird er jedoch nicht für die Verletzung ins Innenverhältnis übersetzter Staatspflichten, sondern für das konkrete Außenhandlungsunrecht, zu dem er sich als Amtsträger hat hinreißen lassen! 969 Eingehend zum Ganzen Roxin, Offene Tatbestände, 66 ff. 970 s. eingehend dazu Roxin, Offene Tatbestände, 66 ff.; a.A. noch Armin Kaufmann, Normentheorie, 149 ff.: Erforderlich sei nur das objektive Vorliegen der Sonderbeziehung, da die Tätereigenschaft nicht Gegenstand des finalen Verwirklichungswillens sein könne (a.a.O., 151 f.). Diese Sichtweise hat Armin Kaufmann jedoch später wieder aufgegeben, zugunsten der – richtigen – Ansicht, dass der Vorsatz sich auf alle die Handlung charakterisierenden Merkmale erstrecken müsse (in: Klug-FS [1983], 277 [284 Fn. 24]). 971 s. dazu bereits oben, 185 ff.

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(3) Innenrechtspflichtmodifizierte Allgemeinverhaltensnormen Neben dem eo ipso rechtsgutsbezogenen Sonderunrecht der reinen Sonderdelikte existiert wie gesehen auch gemeinunrechtsakzessorisches Sonderunrecht, so etwa sub specie §§ 221 II Nr. 2, 246 II, 340, 343. Dieses Sonderunrecht basiert auf Gemeinunrecht, d. h. es ist in seiner Kernsubstanz mit dem Gemeinunrecht identisch.972 Mithin ist das „verbesondernde“ Merkmal hier (!) unselbständiger Natur.973 Es modifiziert das Gemeinunrecht lediglich.974 Diese Unrechtsmodifikation verkörpert ein Rechtsphänomen sui generis.975 Der in personaler Hinsicht umfassende („absolute“) Achtungsanspruch eines Gemeinrechtsguts wird gegenüber gewissen Personen976, denen konkrete Rechtsgutsobjekte977 innerhalb eines besonderen sozialen Einflussbereichs besonders überantwortet978 sind, relativiert, d. h. gesteigert oder gemindert. So erhöht etwa die Aussetzung eines Kindes durch die eigenen Eltern den Unrechtsgehalt der normwidrigen Aussetzung (§ 221 II Nr. 1), wohingegen etwa ein zwischen Dieb und Opfer bestehendes Angehörigenverhältnis den Unwert der normwidrigen Diebstahlshandlung (wohl) abschwächt (§ 247).979 Verhaltensnormlogisch gesprochen: Ein Verstoß gegen eine bestimmte außenrechtliche Allgemeinverhaltensnorm (= „absolutes Unwertelement“) wird in seinem Unwertniveau dadurch modifiziert, dass er von einer Person begangen wird, der das betreffende Gemeinschaftswertobjekt innerhalb eines besonderen sozialen Einflussbereichs 972

So zutr. Langer, Sonderstraftat, 293, der diese gemeinunrechtsakzessorische Struktur freilich allem Sonderunrecht – auch dem echten – unterlegen will. Dies geht jedoch ersichtlich zu weit, da das genuine Sonderunrecht auf exklusiven Spezialverletzungsmöglichkeiten beruht, von denen die Allgemeinheit gerade ausgeschlossen ist. 973 Langer, Sonderstraftat, 293, 300, 305 f. 974 Langer, Sonderstraftat, 293 ff. (296 f.). 975 Langer, Sonderstraftat, 296, 306, 328. 976 Das Sondersubjektverhältnis hängt dabei nicht von einem sozialen Sonderstatus i. e.S. (Beamter, Arzt, Anwalt etc.) ab, wie das Beispiel der veruntreuenden Unterschlagung (§ 246 II) lehrt: Das Anvertrauen einer Sache begründet keinen sozialen Sonderstatus und dennoch eine Sondersubjekteigenschaft! Umgekehrt reicht aber ein sozialer Sonderstatus i. e.S. für sich allein genommen (d. h. ohne Überantwortung eines bestimmten Gemeinwertobjekts) auch noch nicht zur Begründung einer Sondersubjekteigenschaft hin (instruktiv zum Ganzen Langer, Sonderstraftat, 311 f.). 977 Da die Überantwortung im Rahmen eines besonderen sozialen Einflussbereichs stattfindet, kann ihr Gegenstand nicht ein Gemeinrechtsgut en bloc sein, sondern immer nur einzelne Rechtsgutsobjekte (z. B. das Leben des eigenen Kindes im Falle des 221 II Nr. 1 oder die anvertraute Sache in § 246 II); eingehend dazu Langer, Sonderstraftat, 312 f. 978 Die rechtliche Sonderüberantwortung folgt dabei nicht automatisch aus dem Gegebensein eines besonderen sozialen Einflussbereichs, wie Langer (Sonderstraftat, 304 ff. [309]) treffend feststellt: „Zwar befinden sich alle überantworteten Verletzungsobjekte im besonderen sozialen Einflussbereich des jeweiligen Sondersubjekts (denn dieser ist notwendige Voraussetzung jeglicher Überantwortung), aber sie sind nicht schon immer dann überantwortet, wenn sie sich in einem besonderen sozialen Einflussbereich befinden (wie das Beispiel der einfachen Unterschlagung, § 246 Abs. 1, beweist).“ 979 Langer, Sonderstraftat, 299, 316 m. Fn. 44.

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3. Kap.: Täter als Verletzer einer Verhaltensnorm

besonders überantwortet ist (= „relatives Unwertelement“).980 Dieser personenbezogenen Unwertmodifikation korrelieren auch in der individuellen Entscheidungssituation ex ante spezifische Sonderrollenerwartungen der Rechtsgemeinschaft an den Intraneus, die die Intensität der allgemeinen normativen Verhaltenserwartung in Bezug auf seine Person modifizieren. Bestimmungsnormtheoretisch gesprochen handelt es sich also um eine „(…) auf der Überantwortung beruhende Dringlichkeitssteigerung oder -minderung der verletzten Pflicht (…)“.981 Dieser Idee einer personenbezogenen „Relativierung der Normdringlichkeit“982 hat man freilich entgegengehalten, dass ein Verhalten sub specie Rechtsgüterschutz nur verboten oder unverboten sein könne, nicht jedoch mehr oder weniger verboten.983 Daran ist richtig, dass die Prämissen der Pflichtgenese als solcher einer Abstufung unzugänglich sind: Entweder erfordert der Rechtsgüterschutz das Unterlassen bzw. die Vornahme einer bestimmten Handlung, oder er tut dies nicht – tertium non datur. Durchaus graduierbar ist jedoch die Intensität eines Verbots oder Gebots, d. h. der Nachdruck, mit dem dieses als Bestimmungsnorm Geltung beansprucht.984 Von einem Sonderzuständigen, dem bestimmte Rechtsgutsobjekte innerhalb eines besonderen sozialen Einflussbereichs speziell überantwortet sind, erwartet die Rechtsordnung weit mehr Zurückhaltung gegenüber diesen Rechtsgutsobjekten als vom quivis ex populo. Nach alledem lässt sich der Mechanismus der Normkonkretisierung für das gemeinunrechtsakzessorische Sonderunrecht wie folgt präzisieren: Eine generelle dringlichkeitsmodifizierte Verhaltensnorm verdichtet sich zu einer individuellen dringlichkeitsmodifizierten Verhaltenspflicht, wenn – neben den allgemeinen Prämissen der Normkonkretisierung – der Adressat die tatsächlichen Umstände kennt, die die besondere soziale Überantwortung des betreffenden Rechtsgutsausschnitts an seine Person konkret begründen. ff) Sonderdelikte und Intranenbeteiligung: keine Beteiligung sui generis Nach der Darstellung der drei Sonderunrechtsarten gilt es nunmehr kurz die beteiligungsrechtlichen Konsequenzen aufzuzeigen: Da Extranei nicht Adressaten rechtsgutsbezogener Intranenverbote bzw. dringlichkeitsmodifizierender Innenrechtspflichten sein können, geht es bei den Sonderdelikten von vornherein nur um die Abgrenzung von Intranentäterschaft und -teilnahme. Insofern gilt, dass die Täterbestimmung beim Sonderunrecht denselben dogmatischen Grundsätzen folgt wie bei allem Unrecht. Ein abstraktes Leitmerkmal der „Sonderpflichtverletzung“,

980 981 982 983 984

Langer, Sonderstraftat, 314 (dort findet sich auch die zitierte Begrifflichkeit). Langer, Sonderstraftat, 323. Langer, Sonderstraftat, 326 ff. Roxin, TuT, 680; Küper, ZStW 105 (1993), 445 (478 f). Langer, Sonderstraftat, 324 f.

D. Die Verhaltensnormgenera und ihre jeweiligen Unterarten

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das als übergreifende Täterchiffre der Sonderdelikte figuriert, existiert nicht.985 Vielmehr richtet sich die Intranentäterschaft nach derjenigen Handlungsunrechtsmaterie, die der Tatbestandshandlung des jeweiligen Sonderdelikts eben konkret zugrunde liegt: Sonderdelikte mit institutionell geschuldetem Gemeinrechtsgut (§§ 170, 171) beruhen auf allumfassenden Generalgeboten zur Garantie bestimmter institutionell geschuldeter Mindestlebensverhältnisse. Sie sind daher aus sich heraus originär strukturiert, so dass der pflichtverletzende Intraneus stets Täter im verhaltensnormtheoretischen Sinne ist. – Bestandsrechtsgutsbezogene Sonderdelikte (wie etwa die reinen Amtsdelikte) beruhen auf konkreten rechtsgutsbezogenen Außenrechtspflichten des Intraneus, nicht auf vom „handlungsmäßigen Verletzungsgeschehen“ losgelösten Innenrechtspflichten. Für die echten Sonderdelikte muss deshalb eine formelle Pflichtdeliktslehre, wie Roxin986 sie ursprünglich vertreten hat (à la Innenrechtspflichtverletzung = Täterschaft), denklogisch ausscheiden. Vielmehr bestimmt sich die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme auch hier ausschließlich nach der Materie der konkreten rechtsgutsbezogenen Verhaltenspflicht, also danach, ob im Außenrechtsverhältnis täterschaftlich oder teilnehmerschaftlich gehandelt wird.987 – Gleiches gilt (mit noch größerem Aplomb) auch für die gemeinunrechtsakzessorischen Sonderdelikte wie etwa § 258a, bei denen die Sonderpflichtverletzung sogar bloß als unselbständiges Epiphänomen einer konkreten Allgemeinunrechtshandlung figuriert.988 Auf die (inzwischen weiterentwickelte) Pflichtdeliktslehre und die mit ihrer Verwerfung verbundenen Folgefragen wird zu gegebener Zeit989 noch zurückzukommen sein. Hier soll die Feststellung genügen, dass Täterschaft und Teilnahme auch im Sonderunrechtsbereich ausschließlich nach der konkreten Handlungsunrechtsmaterie abzugrenzen sind. Die Verletzung einer besonderen Innenrechtspflicht hat, sofern sie überhaupt vom Handlungsunrecht im allgemeinen normentheoretischen Sinne separiert werden kann (= gemeinunrechtsakzessorisches Sonderunrecht), keinen beteiligungsrechtlichen Mehrwert.990 e) Verhaltensnormtheoretische Einordnung von Delikten mit substantiell abweichend bestimmtem Tatbestandshandlungsunrecht Normentheoretisch analysiert wurden bisher vor allem diejenigen (Allgemeinund Sonder-)Delikte, die intentionale Realakte inkriminieren, d. h. (unterschiedlich dimensionierte) physische Übergriffe in fremde Rechtsgutssphäre. Bei ihnen folgt 985

So aber (noch) Roxin, TuT, 352 ff. TuT, 352 ff. 987 s. statt vieler etwa nur Herzberg, Unterlassung, 55 ff.; Schroeder, Täter, 86 f.; Bloy, Beteiligungsform, 231 ff. (233). 988 Ähnlich für die „Pflichtdelikte“ generell Schünemann, in: LK, § 25 Rn. 44 a.E. 989 s. dazu unten, S. 608 ff. 990 Vgl. dazu Bottke, Täterschaft, 121. 986

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3. Kap.: Täter als Verletzer einer Verhaltensnorm

das Tatbestandshandlungsunrecht den allgemeinen verhaltensnormtheoretischen Vorgaben, wie sie den §§ 25 – 27 zugrunde liegen. Wie jedoch eingangs dieser Arbeit991 bereits angedeutet wurde, existieren auch (Allgemein- und Sonder-)Delikte mit einem substantiell abweichend bestimmten Tatbestandshandlungsunrecht. Insofern sind drei Deliktstypen zu unterscheiden: Erstens kennt das StGB Delikte, die Willenserklärungen als Tatbestandshandlungen inkriminieren (etwa die §§ 185, 253 I Alt. 2, 331 f.). Bei ihnen folgt die Tatbestandshandlungszurechnung den allgemeinen Grundsätzen über die Zurechnung objektiver Erklärungstatbestände als eigene Willenserklärung. Zweitens kennt die lex lata auch eigenhändige Delikte, deren Tatbestände entweder einen höchstpersönlichen Aktvollzug oder eine selbstreflexive Handlung, d. h. das Sich-Verbringen(-Lassen) in einen bestimmten Handlungseffekt, verlangen (s. z. B. die §§ 153, 172, 183, 315c, 316 StGB; §§ 142, 323a StGB, 16, 17 WStG). Und drittens schließlich existieren noch solche Delikte, die ausdrücklich eine normative Rechtspflichtverletzung zur Tatbestandshandlung erheben (etwa §§ 170 f., 266 – sog. „reine Pflichtdelikte“992). Aus dogmatischer Sicht stellt sich bei all diesen Delikten die Frage, ob der jeweilige Straftatbestand einen bereits allgemein abweichend bestimmten Unrechtsgegenstand umsetzt oder aber „bloß“ der Straftatbestandskonturierung dient. Insofern ist zu differenzieren: aa) Delikte mit Willenserklärungselementen Delikte wie die Beleidigung (§ 185) haben eine genuine Willenserklärung zur Tatbestandshandlung und beruhen damit auf einer abweichenden Kategorie personalen Verhaltens. So kann Täter einer Beleidigung nur derjenige sein, der in Form einer eigenen Willenserklärung seine Missachtung gegenüber dem Opfer zum Ausdruck bringt.993 Die Tatbestandshandlungszurechnung folgt hier also nicht dem für physische Übergriffshandlungen geltenden Erklärungsmodell, sondern den allgemeinrechtlichen Grundsätzen über die Zurechnung von Erklärungstatbeständen als eigene Willenserklärung (= den zivilrechtlichen Regeln über die Botenschaft – Einheit der Rechtsordnung).994 Mithin weist schon der Gegenstand der allgemeinrechtlichen Verhaltensnorm eine abweichende soziale Seins- und Erklärungsstruktur auf, aus der dann eine entsprechende Straftatbestandsfassung resultiert.

991

Oben, S. 66 ff. Bloy, Beteiligungsform, 230 f., 233; s. auch bereits Herzberg, Unterlassung, 51 ff. („Garantendelikte“). 993 So bereits Kern, Äußerungsdelikte, 49 f. 994 In der Sache ebenso für die Korruptionsdelikte Geisler, Korruptionsstrafrecht, 227 ff. 992

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bb) Eigenhändige Delikte Die Tatbestände der eigenhändigen Delikte (etwa §§ 153, 154, 156, 172 f., 183, 315c, 316) verlangen dagegen einen bestimmten höchstpersönlichen Aktvollzug bzw. ein subjektreflexives Handeln.995 Der Grund für die Reduktion auf Eigenhändigkeit ist dabei kein einheitlicher: Manche Tatbestände knüpfen an eine mit bestimmten Aktvollzügen assoziierte persönliche Degenereszenz oder – in den Worten von Jakobs996 – „persönliche Insuffizienz“ an, die ein besonderes persönliches Tätermerkmal i.S.d. § 28 I darstellt.997 So liegt es etwa bei den §§ 173, 183. Hier ist die Eigenhändigkeit von vornherein sachlogisch bedingt. Bei anderen Delikten ist die eigenhändige Tatbestandsfassung Folge einer allgemeinrechtlichen Pflichtgegenstandsvorgabe.998 Hier wird in der Sache auf Pflichten Bezug genommen, die allgemeinrechtlich als eigenhändige gefasst sind, etwa die prozessuale Wahraussagepflicht des Zeugen vor Gericht (§ 153), die Regeln der StVO über das höchstpersönliche Fahrverhalten im Straßenverkehr (§ 315c), die deliktsrechtliche Präsenzpflicht des Unfallbeteiligten am Unfallort (§ 142c) oder auch die soldatische Anwesenheitspflicht am Dienstpflichterfüllungsort (§ 16 WStG). In all diesen Fällen ist das rechtsgüterschützende Verbot Korrelat einer eigenhändig ausgestalteten vorstrafrechtlichen Pflicht – und teilt daher deren Eigenhändigkeitscharakter.999 Daneben existieren ferner noch einige subjektreflexive Delikte, bei denen die Tatbestandslimitierung auf Eigenhändigkeit genuin strafrechtlichen Charakter hat, so dass ausschließlich der Strafsatz eingeschränkt wird. So liegt es z. B. beim Vollrauschtatbestand (§ 323a): Obwohl das mittelbar-täterschaftliche In-RauschVersetzen eines anderen derselben allgemeinen Verbotsnorm unterfällt wie das verantwortliche Sich-Berauschen,1000 hat der Gesetzgeber es dennoch nicht in den 995 s. zum Ganzen umfassend und nach rechtsdogmatischen Kriterien höchst differenziert Langrock, Delikt, 81 ff. 996 AT, 21/21 f. 997 So zutr. Jakobs, AT, 23/26. 998 Die Entdeckung dieser Untergruppe geht letztlich auf Herzberg (ZStW 82 [1970], 896 [943 ff.]) zurück, der die „verfahrensrechtsabhängige Eigenhändigkeit“ (a.a.O., 943) bei § 153 als einen Anwendungsfall allgemeinrechtlich vorgegebener Eigenhändigkeit herausgearbeitet hat. 999 Möglich ist aber die Statuierung von „Auffangverboten“, sofern der Zweckaspekt des Rechtsgüterschutzes dies nach Ansicht des Legislators gebietet. Ein Beispiel hierfür bildet § 160, der nur deshalb existiert, weil das Verbot der uneidlichen Falschaussage aus allgemeinrechtlichen Gründen persönlich und sachlich enger gefasst ist, als der Rechtsgüterschutz es nach Ansicht des Gesetzgebers erfordert. 1000 Wer einem anderen heimlich Rauschmittel einflößt (Beispiel nach Jakobs, AT, 21/23), der verletzt ebenfalls das allgemeinrechtliche Verbot, einen Vollrausch zu bewirken (Jakobs, a.a.O.); de lege lata kann er aber dennoch nicht aus § 323a bestraft werden, da dieser lediglich die Selbstberauschung unter Strafe stellt.

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3. Kap.: Täter als Verletzer einer Verhaltensnorm

Straftatbestand aufgenommen. Diese Strafsatzbeschränkung erklärt sich u. a. daraus, dass „(…) es die in diesen Fällen stets gegebene Körperverletzung trotz ihres von § 323a StGB abweichenden Schutzzwecks immerhin hindert, dass der Vorgang als sozial unerheblich definiert wird. Da also bei Täterschaft anderer Personen nur ein reduziertes Bedürfnis nach einem eigenen Tatbestand besteht, ist die Formulierung des Gesetzes so ausgefallen, als gehe es um Eigenhändigkeit (…)“1001.

cc) (Reine) Pflichtdelikte Reine Pflichtdelikte, die eine genuin normative Pflichtverletzung zur Tatbestandshandlung erheben, figurieren ebenfalls in zwei Spielarten: Zum einen kann die vertatbestandlichte Pflicht eine aus sich heraus unbedingte und allumfassende sein. Dann ist ihre tatbestandliche Übernahme sachlogisch bedingt. So liegt es bei den Delikten der §§ 170, 171. Sie beruhen jeweils auf Generalgeboten zur Garantie bestimmter institutionell geschuldeter Grundlebensverhältnisse für gewisse Schützlinge.1002 Zum anderen kann aber die Ausgestaltung als reines Pflichtdelikt auch bloß positivrechtlicher Natur sein, wie etwa beim Treubruchtatbestand der Untreue (§ 266 I Alt. 2). Hier hat der Strafgesetzgeber einen genuin normativen Pflichtverletzungsbegriff zur Tatbestandshandlung erhoben, der die vorstrafrechtlichen Handlungsunrechtsstrukturen gänzlich in sich auflöst.1003 Ob also etwa der Vermögensverwalter das von ihm zu betreuende Vermögen selbst beiseite schafft oder es von einem Außenstehenden beiseite schaffen lässt, zählt gleich, da allemal eine tatbestandliche Treuepflichtverletzung vorliegt: Pönalisiert werden soll jedwede rechtsgutsbezogene Innenrechtspflichtverletzung, weshalb die konkrete Typizität des schadensvermittelnden Handlungsunrechts nicht interessiert. f) Zusammenfassung Delikte mit intentionalen Übergriffshandlungen beruhen auf (primären) Verhaltensnormen, die zur Unterlassung einfacher ich-intentionaler, komplexer ichintentionaler und wir-intentionaler Rechtsgutszugriffe verpflichten. Täter ist hier also (nur), wer nach allgemeinem Handlungsinterpretament einen eigenen Entscheidungszugriff auf das Rechtsgut unternimmt. Delikte mit Willenserklärungen als Tatbestandsmerkmalen fußen auf Verhaltensnormen, die zur Unterlassung genuiner Willenserklärungen verpflichten. Täter ist, wem der betreffende Erklärungstatbestand (z. B. die Missachtensbekundung 1001 1002 1003

Jakobs, AT, 21/23. Eingehend dazu bereits oben, 185 ff. s. dazu nur Herzberg, Unterlassung, 51 ff.; Bloy, Beteiligungsform, 230.

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i.S.d. § 185 oder die Drohung i.S.d. §§ 240, 253) als seine eigene Willenserklärung zugerechnet werden kann. Den eigenhändigen Delikten liegen in aller Regel bereits entsprechend eng gefasste Verhaltensnormen zugrunde, d. h. schon das allgemeinrechtliche Verbot untersagt hier ausschließlich einen höchstpersönlichen Aktvollzug oder eine bestimmte selbstreflexive Handlung. Die Engfassung des allgemeinen Pflichtgegenstandes folgt dabei entweder ontologischen oder aber allgemeinrechtlichen Vorgaben. Täter kann jedenfalls nur sein, wer den betreffenden Akt selbst vornimmt bzw. die eigene Person in den betreffenden Handlungseffekt versetzt. Reine Pflichtdelikte erklären die Verletzung bestimmter privat- oder öffentlichrechtlicher Pflichten zur Tatbestandshandlung, was typischerweise durch straftatbestandliche Überformung der konkreten Handlungsunrechtsstrukturen geschieht (Bsp.: § 266 I Alt. 2); eine Ausnahme bilden allein die §§ 170, 171, die auf arteigenen Verhaltensnormen institutioneller Provenienz beruhen. Jedenfalls begründet bei dieser Deliktsart die tatbestandlich inkriminierte Pflichtverletzung als solche die Täterschaft (im Strafrechtssinne). Die vorgenannten Kriterien der Tatbestandshandlungszurechnung gelten für Allgemein- wie Sonderdelikte gleichermaßen. Denn auch Sonderdelikte inkriminieren konkrete personale Tatbestandshandlungen. Ein selbständiges Element der Sonderpflichtverletzung mit dem beteiligungsrechtlichen Mehrwert einer handlungsgelösten Täterchiffre kann es daher nicht geben.1004 Die Bestimmung der Intranentäterschaft richtet sich vielmehr stets nach demjenigen Täterkriterium, das für das konkrete Tatbestandshandlungsunrecht eben gilt (= intentionaler Rechtsgutszugriff [etwa bei §§ 343, 340], Erklärungsherrschaft [etwa bei § 331], Eigenhändigkeit [etwa bei § 153], Pflichtverletzung [etwa bei §§ 171 f., § 266 I Alt. 2]). 2. Die Verbote, die den fahrlässigen Begehungsdelikten zugrunde liegen Die Verbotsnormen, die den Tatbeständen der fahrlässigen Begehungsdelikte zugrunde liegen, betreffen einen anderen Typus intentionaler Tätigkeiten, nämlich sorgfaltswidrige intentionale Basis-Akte. Auch im Hinblick auf solche Akte muss es zumindest programmatisch möglich sein, für jede rechtlich relevante Entscheidungssituation eine Verhaltenspflicht zu formulieren, die den Akteur gegenständlich exakt motivieren kann. Dies bereitet allerdings gerade im Fahrlässigkeitsbereich mitunter Probleme, weshalb die Kritiker eines flächendeckenden Bestimmungsnormensystems eben hier ansetzen. Es bleibt der vorliegenden Arbeit daher nicht erspart, das personale Unrecht der Fahrlässigkeitsdelikte in seiner Eigenart soweit zu entwickeln, wie es zu einer Abfederung der besagten Kritik notwendig ist.

1004

So der Sache nach zutr. Bottke, Täterschaft, 121.

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3. Kap.: Täter als Verletzer einer Verhaltensnorm

a) Fahrlässigkeitsverbote als „halbgeschlossene Systeme“ Nach einiger Durchdringung der Materie meinte man als Gegenstand der „Fahrlässigkeitsverbote“ primär solche Akte ausgemacht zu haben, die zwar in ihrer Intentionalität nicht unmittelbar rechtsgutsbezogen seien, die aber dennoch eine über dem situativen Geschehen schwebende abstrakte Rechtsgutsgefährdung nach sich zögen. Derartigen Tätigkeiten sollten generelle Gefährdungsverbote korrespondieren. Beispielhaft seien mit Paeffgen1005 etwa die folgenden Gefährdungsverbote genannt: „Du sollst keine Kurven schneiden!“, „Du sollst im Heuschober nicht rauchen!“ oder „Du sollst keine Salzsäure in Bierflaschen aufbewahren!“ Anders als beim Vorsatzdelikt können solche Normen oft nicht nur durch völliges Unterlassen der verbotenen Handlung zweckentsprechend befolgt werden, sondern auch dadurch, dass die entsprechende Handlung unter Einhaltung bestimmter (unselbständig gebotener1006) Sicherungsmaßnahmen (= Gefahrenvermeidungsstrategien) vorgenommen wird (Beispiel: Schneiden einer Kurve nach gebotener Einsichtnahme in dieselbe). Solche „offenen“ Normen figurieren daher als „halbgeschlossene Systeme“1007: Sie konkretisieren sich nur dann zu individuellen Unterlassungspflichten, wenn zur Vornahme der verbotenen Handlung geschritten wird, ohne der hiermit einhergehenden Gefahrensituation aktuell durch entsprechende Sicherheitsvorkehrungen begegnet zu haben (etwa Anschicken zum Überholen ohne „Schulterblick“).1008 Die „Ohne-zu-Komponente“1009 taucht dabei in der abstrakten Sollensnorm (z. B. „Du sollst keine Kurven schneiden!“) noch nicht auf, ist somit reines Pflichtmerkmal.1010 Anhand derartiger Normen kann sich der Akteur auch zweifelsohne motivieren und ist so in der Lage, die letztlich seiner Person überlassene Konkretisierungsaufgabe (= Schluss von der Norm auf die Pflicht) zu bewältigen. Denn die generelle Norm, die die abstrakt gefährliche Handlung als solche (= Kurvenschneiden, Rauchen in der Scheune usw.) verbietet, besteht ja unabhängig von der konkreten Pflicht; und da das vom Akteur intendierte und deshalb in seiner Vorstellung präsente Handlungsprojekt der Handlungsbeschreibung der Norm entspricht, kann er sich

1005 Verrat, 139 f. m. Fn. 353. Paeffgen (a.a.O., 140 Fn. 353) weist zutr. darauf hin, dass solche abstrakten Gefährdungsverbote für sich allein genommen zum Zwecke des Rechtsgüterschutzes nicht erforderlich und also unverhältnismäßig sind: Eine die Handlungsfreiheit beschneidende Pflichtenbindung des Adressaten ist erst dann angemessen, wenn dieser in concreto zur Handlungsvornahme schreitet, ohne Vorkehrungen zu treffen, die dem projektierten Akt seine situative Gefährlichkeit nehmen; eingehend zu dieser „ohne-zu-Komponente“ s. Zielinski, Unrechtsbegriff, 171 ff. 1006 s. dazu Paeffgen, Verrat, 140 Fn. 353. 1007 So die pointierte Bezeichnung bei Paeffgen, Verrat, 140 Fn. 353. 1008 Zielinski, Unrechtsbegriff, 168 ff. (183); Paeffgen, Verrat, 133, 139 f. m. Fn. 353. 1009 Zielinski, Unrechtsbegriff, 171 ff. 1010 Zielinski, Unrechtsbegriff, 179 ff.; in der Sache zust. Paeffgen, Verrat, 140 Fn. 353.

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auch prinzipiell zum Unterlassen des Aktes motivieren.1011 Da er den generellen Erfahrungssatz kennt, der der situativ einschlägigen Verhaltensnorm zugrunde liegt, steht ein „infiniter Pflichtenregress“ nicht zu befürchten.1012 Danach ist es für das fahrlässige Handlungsunrecht nicht erforderlich, dass der Akteur das seinem Handlungsprojekt anhaftende Risiko und die Möglichkeiten einer Gefahrenreduzierung aktuell reflektiert.1013 Vielmehr genügt die unreflektierte Kenntnis derjenigen Umstände, die den generell bekannten Erfahrungssatz ausfüllen und dem Akteur daher zum Anlass1014 gereichen müssten, die Riskantheit seines Handelns zu reflektieren.1015 Es muss „(…) der aktuell gegebene Erkenntnisstand den Schluss auf die Verletzungsgefahr zulassen (…)“.1016 Die daraus resultierenden Unterlassungspflichten haben zwar nicht denselben Appellcharakter wie die absoluten Verbote der Vorsatzdelikte. Nichtsdestotrotz kann der Akteur sich aber an dem situativ einschlägigen Erfahrungssatz (z. B. „Im Heuschober soll man nicht rauchen!“ oder „An unübersichtlichen Stellen soll man nicht überholen!“) orientieren. Möglich sind allerdings auch Fälle, in denen der Akteur so vergeistigt ist, dass er förmlich „alles um sich herum vergessen“ hat. Ist etwa ein Autofahrer derart in Kontemplation versunken, dass er den Straßenverkehr nur noch peripher wahrnimmt 1011

Zielinski, Unrechtsbegriff, 183 f. Insofern zutr. Kindhäuser, Gefährdung, 74 f. 1013 So zutr. etwa Zielinski, Unrechtsbegriff, 184. 1014 s. dazu bereits Nowakowski, JZ 1958, 388 (389); neuerdings plädiert Duttge (Bestimmtheit, 459 ff.) dafür, den Aspekt des „Veranlassungsmoments“ (a.a.O., 373 ff.) für die Verbotsmaterie des Fahrlässigkeitsbereichs zu hypostasieren. Danach sollen die Fahrlässigkeitsverbote generell „(…) die Missachtung eines auf die drohende Rechtsgutsbeeinträchtigung unverkennbar hinweisenden ,triftigen Anlasses‘ (…)“ untersagen (a.a.O., 459). Ähnlich argumentierte bereits Jakobs (Studien, 65 ff. [67 f.]), nach dem die Fahrlässigkeitsverbote auf einer (unselbständigen) Pflicht zur Bildung eines umfassenden Erfolgsvermeidemotivs beruhen sollen. Auf diese Weise werden aber Umstände, die erst für die Erkennbarkeit der gegenständlich konkret einschlägigen Verhaltensnorm relevant sind, in abstrakter Form selbst zum Normgegenstand erhoben (so zutr. Zielinski, Unrechtsbegriff, 170 f. Fn. 78a), was verhaltensnormlogisch inkonsistent ist. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass die heutigen komplexen Lebensverhältnisse sich einer konkreten Standardisierung oft entziehen (so Duttge, a.a.O., 460 f.); dieser Kalamität kann und muss schlimmstenfalls durch Rekurs auf einen generell-abstrakten „Hintergrundappell“ begegnet werden, wie etwa § 1 II StVO ihn für die Teilnahme am Straßenverkehr normiert (s. dazu sogleich noch im Text; tendenziell auch bereits Schmidhäuser, Schaffstein-FS [1975], 129 [144]). 1015 Dieser bedeutsame Unterschied wird von den Kritikern einer auf intentionales Handeln abhebenden Normentheorie gerne übersehen. So wirft etwa Herzberg (JZ 1987, 536 [537]) der Lehre Struensees (JZ 1987, 53 ff.) vor, sie sei an die Feststellung gebunden, dass der Täter mit Risikokenntnis gehandelt habe. In Wahrheit aber rekurriert Struensee überhaupt nicht auf eine Risikokenntnis, sondern eindeutig auf die Kenntnis derjenigen Umstände, von denen nach objektiver Beurteilung ein Risiko ausgeht. So heißt es bei ihm (JZ 1987, 53 [60 a.E.]) expressis verbis: „(…) Der subjektive Tatbestand des fahrlässigen Delikts (die Sorgfaltswidrigkeit) besteht darin, dass der Handelnde von den Bedingungen des eingetretenen Erfolgs einen tatbestandsrelevanten Ausschnitt kennt, von dem nach Bewertung der Rechtsordnung [Hervorhebung nicht im Original!] eine intolerable Gefahr (,unerlaubtes Risiko‘) ausgeht.“ 1016 Jakobs, Studien, 85. 1012

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3. Kap.: Täter als Verletzer einer Verhaltensnorm

und übersieht er deshalb einen Fußgängerüberweg mitsamt herannahendem Fußgänger, so kann die situativ einschlägige Bestimmungsnorm, anzuhalten und zu warten, aktuell nicht wirken. Das bedeutet jedoch nicht, dass in derartigen Fällen die Bestimmungsfunktion überhaupt leerläuft. Sie wird vielmehr durch einen abstrakte(re)n, generelle(re)n Appell erfüllt, der in seiner ausgedünntesten Form auf das (unselbständige!) Generalgebot hinausläuft, das eigene Handeln so einzurichten, dass andere nicht gefährdet oder geschädigt werden (im Beispiel: § 1 II StVO).1017 Dieses tätigkeitsbezogene Generalgebot ist als Bestimmungsnorm zwar nicht ständig im aktuellen Akteursbewusstsein präsent, ist aber doch im latenten Bewusstsein (vulgo: „im Hinterkopf“) jederzeit reproduzierbar vorhanden. Es existiert also durchaus ein tätigkeitsbezogener „Hintergrundappell“, der „subkutan“ permanent wirkt, auch wenn der Akteur ihn aktuell nicht „abruft“ bzw. vergegenwärtigt. Damit ist freilich noch nicht dargetan, dass sich im Bereich der unbewussten Fahrlässigkeit auch tatsächlich flächendeckend verlässliche Bestimmungsnormen formulieren lassen. Dies sei daher im Folgenden für diejenigen kritischen Fallkonstellationen aufgezeigt, die immer wieder gegen verhaltensnormtheoretische Ansätze ins Feld geführt werden. b) Die kritischen Fallkonstellationen Ein Modell, das die Fahrlässigkeitsverbote ausgehend von der finalen Handlungslehre als halb geschlossene Systeme interpretiert, reicht also noch nicht hin, um sämtliche rechtlich relevanten Situationen adäquat zu erfassen. Denn die Genese von Sorgfaltspflichten kann nicht stets als Ausfluss einer konkreten Handlungsintention begriffen werden, die schon für sich genommen einem generellen Gefährdungsverbot unterfällt: Ist etwa jemand derart unachtsam, dass er eine Kurve oder eine Ampelanlage erst gar nicht bemerkt und deshalb die Kurve schneidet bzw. die auf rot stehende Ampel überfährt,1018 so kann die Norm in ihrer Bestimmungsfunktion nicht das Schneiden der Kurve bzw. das Überfahren der Ampel als Handlung untersagen. Auch die erlaubt-riskante Tätigkeit des Autofahrens per se kann nicht Gegenstand eines abstrakt-generellen Gefährdungsverbots sein. Möglich ist aber die Formulierung eines „zusammengesetzten“ Verbots des unkonzentrierten Autofahrens, so dass die Norm lautet: „Es ist verboten, ein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr zu führen, ohne dabei jederzeit auf den Verkehr zu achten!“. In derartigen Fällen ist die „ohne-zu-Komponente“ bereits integraler Bestandteil der allgemeinen Handlungsbeschreibung des zusammengesetzten Ver-

1017 Zur Klarstellung: Gemeint ist nicht etwa ein unbestimmtes Gebot zur Bildung eines umfassenden Vermeidemotivs (zu Recht krit. dazu Zielinski, Unrechtsbegriff, 170 f. Fn. 78a; Paeffgen, Verrat, 139 Fn. 350), sondern ein permanent wirkendes Gebot zur Kontrolle einer bestimmten Tätigkeit bzw. eines bestimmten Tätigkeitsfeldes! 1018 Beispiele nach Roxin, AT/I, § 8 Rn. 23.

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bots und nicht nur individuelles Pflichtmerkmal.1019 Die Teilnahme am Straßenverkehr ist nur solange erlaubt-riskant, wie die zur Gefahrenreduzierung permanent gebotene Mindestkonzentration eingehalten wird. Wird die Straße bzw. werden die Verkehrsverhältnisse aus den Augen gelassen bzw. driftet der Fahrer geistig ab, so schlägt das erlaubte Risiko, das mit der allgemeinen Verkehrsteilnahme verbunden ist, in ein unerlaubtes Risiko um, aus erlaubtem wird verbotenes Verhalten. Wie diejenigen Pflichtmomente, die aus dem Projekt einer schon per se verbotenen Gefahrenhandlung (z. B. Schneiden einer Kurve) erwachsen, ist auch die Pflicht des Fahrzeugführers zur Konzentration auf den Straßenverkehr unselbständiger Ausfluss einer abstrakt gefährlichen Tätigkeit, nämlich des Autofahrens: Es ist die spezifische Gefährlichkeit der Verkehrsteilnahme mit einem Fahrzeug, die eine tätigkeitsbezogene Vigilanz besonderen Zuschnitts verlangt, um sich im Rahmen des erlaubten Risikos zu bewegen. Natürlich kann man fragen, an welche auch im Täterbewusstsein widerhallenden risiko- und anlassbegründenden Umstände die Bestimmungsnorm hier anknüpfen soll. Doch liegt die Antwort auf der Hand: Der Gedankenverlorene mag zwar im Zeitpunkt seines drohenden geistigen Abdriftens nicht aktuell reflektieren, dass es gefährlich und verboten ist, ein Fahrzeug zu führen, ohne seine Konzentration auf die Straße bzw. die Verkehrsverhältnisse zu richten. Dennoch kennt er aber den entsprechenden Erfahrungssatz und bleibt sich auch „sachgedanklich“1020 jederzeit bewusst, dass er ein Fahrzeug im Straßenverkehr steuert. Ist aber der Erfahrungssatz im latenten, jederzeit reproduzierbaren Bewusstsein verankert, so entfaltet er seine rechtliche Bindungswirkung auch dann, wenn er aktuell nicht motiviert. Damit ist auch in derartigen Konstellationen durchaus ein Handlungsverbot auffindbar, und diese Bestimmungsnorm ist wie jede andere im Fahrlässigkeitsbereich über Tatsachenumstände vermittelt, die einen – wenn auch noch so entfernten – Widerhall in der Täterpsyche finden. Es handelt sich eben nur um ein „erfolgsferneres“ Verbot mit (ggf.) schwächerem Appellcharakter als ihn etwa das Verbot des Kurvenschneidens aufweist. Mit Struensee1021 lässt sich dies wie folgt auf den Punkt bringen: „Die Aufstellung von Sorgfaltsnormen wird durch das Erfordernis eines Intentionsunwerts nicht beschränkt. Aber es ermöglicht, deutlicher Rechenschaft über die gesetzten Maßstäbe abzulegen. Denn wo die Kenntnis von risikorelevanten Umständen anscheinend nicht verlangt wird, geht es in Wahrheit darum, auf einen anderen Sachverhalts- und Handlungsunwert zurückzuweichen und die Sorgfaltswidrigkeit auf eine andere, weniger substantiierte Erfolgsgefahr zu gründen, d. h. eine merkmalsärmere und damit weitergreifende strengere Norm zu bilden.“

1019

Zielinski, Unrechtsbegriff, 176. Zur Figur des „sachgedanklichen Mitbewusstseins“ beim Vorsatzdelikt s. exemplarisch etwa Kindhäuser, AT, § 13 R. 2. 1021 JZ 1987, 53 (62). 1020

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Verinnerlicht man das Vorstehende, so lassen sich auch weitere „Problemfälle“ aus dem Fahrlässigkeitsbereich unschwer lösen. Exemplarisch genannt seien hier diejenigen Konstellationen, von denen Herzberg1022 meint, sie seien verhaltensnormtheoretisch nicht fassbar: „Eine Krankenschwester hat die vor zwei Tagen erhaltene ärztliche Belehrung total vergessen, dass das von ihr zu betreuende Kind auf eine bestimmte Speise mit Unwohlsein und heftigem Erbrechen reagiert. Ein Autofahrer hat sich von seiner Frau ablenken lassen und deshalb ein wichtiges Warnschild schlicht übersehen. Mit seinem Nebenmann zur Linken lebhaft diskutierend, öffnet ein Fahrgast zum Aussteigen die rechte Wagentür, ohne den von hinten kommenden Radfahrer zu bemerken. Nehmen wir an, jedesmal hat das Versäumnis die drohende Verletzung zur Folge.“

All diesen Beispielen unbewusster Fahrlässigkeit lässt sich indessen ein konkretes Handlungsverbot zuordnen: Im dritten Beispielfall handelt es sich um eine typische Verhaltensnorm i.S.e. halb geschlossenen Systems. Bereits das Öffnen der Beifahrertür nahe dem fließenden Verkehr wird von einem abstrakten Gefährdungsverbot erfasst. Diese Norm verdichtet sich zur Unterlassungspflicht, wenn und weil der Betreffende nicht durch „Schulterblick“ etc. sichergestellt hat, dass er die Tür gefahrlos öffnen kann. Auf das in Rede stehende Verbot kann derjenige, der ohne Vorkehrungen zum Öffnen der Tür ansetzt, auch durchaus schließen, denn sein Handlungsprojekt entspricht der Handlungsbeschreibung der Norm. Das zweite Beispiel des Autofahrers, der sich von seiner Frau ablenken lässt, ist dagegen ein Anwendungsfall des hier bereits erörterten Verbots, unkonzentriert zu fahren. Auch das erste Beispiel der Krankenschwester, die die ärztliche Anweisung vergisst und dem Kind die unverträgliche Speise vorsetzt, ist ohne Weiteres lösbar. Hierzu muss man sich nur klar machen, dass das verbotene Verhalten ausschließlich auf Grundlage des akteurseigenen Handlungsprojekts bestimmt werden kann, und zwar allein im Lichte von dessen eigenem – ggf. abrufbaren (latenten, reproduzierbaren) – Vorstellungswissen. Vor diesem Hintergrund ergibt sich die Lösung des Falles von selbst: Für einen besonnenen Durchschnittsmenschen in der Rolle unserer – belehrten – Krankenschwester muss das Projekt, dem Kind X die Speise Y vorzusetzen, Anlass sein, sich an die zwei Tage zuvor erteilte ärztliche Belehrung zu erinnern und so auf die Verbotenheit des geplanten Tuns zu schließen. Die Pflicht lautet schlicht und einfach: „Du sollst dem Patienten X nicht entgegen Deiner ärztlichen Belehrung die Speise Y vorsetzen!“. Der Ansatzpunkt für das Urteil der Sorgfaltswidrigkeit figuriert hier ausnahmsweise als Tätermerkmal, denn das normgegenständliche Verhalten ist nur der ärztlich unterwiesenen Krankenschwester verboten, allein sie wird von der Norm verpflichtet. Nach alledem ist zu konstatieren: Der Bereich der Begehungsfahrlässigkeit lässt sich sehr wohl durch ein lückenloses System von Handlungsverboten erfassen. Verboten wird jeweils die (Fort-)Betätigung eines bestimmten Handlungsprojekts im (sachgedanklichen Mit-)Bewusstsein von Umständen, die erfahrungsgemäß ein 1022

JZ 1987, 536 (537).

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„Risikosyndrom“ begründen und daher ein Veranlassungsmoment zur Reflexion über die Gefährlichkeit des Projekts in sich tragen. Es konnte hier keine Fallkonstellation aufgefunden werden, der nicht ein derartiges Verbot hätte zugeordnet werden können. Folglich darf jede Kritik, die dahin geht, die normentheoretische Erfassbarkeit fahrlässigen Verhaltens in Abrede zu stellen,1023 als unberechtigt zurückgewiesen werden. c) Sanktionsnormrelevanz Auch die Tatbestände der fahrlässigen Begehungsdelikte lassen sich ihrer Gestalt nach weiter unterscheiden. In Entsprechung zum Vorsatzbereich existieren also auch hier Verletzungsdelikte (z. B. §§ 222, 229), konkrete Gefährdungsdelikte (z. B. § 315 VI) und abstrakte Gefährdungsdelikte (§ 306 d I Alt. 1 i.V.m. § 306 I). Im Fahrlässigkeitsbereich beruhen diese verschiedenen Deliktstatbestände allerdings nicht auf disparaten Verbotsgegenständen und -intensitäten, da der Rechtsgutsbezug hier nicht durch unterschiedlich geartete Intentionalität vermittelt ist, sondern durch uniforme Sorgfaltspflicht. So ist etwa falsches Überholen im Hinblick auf sämtliche Gefährdungs- und Verletzungserfolge verboten, die einem solchen Vorgang nach allgemeiner Lebenserfahrung anhaften. Es existiert also „nur“ das eine allgemeinrechtliche Verbot, falsch zu überholen und nicht etwa mehrere rechtsgutsindividualisierende Verletzungs- und Gefährdungsverbote.1024 Der konkret eintretende tatbestandsmäßige Erfolg findet sich daher im fahrlässigen Verhaltensunrecht ex ante nur recht „verdünnt“ wieder, nämlich als einer von vielen möglichen Ausgängen eines situativ gefahrerfolgsgefährlichen Verhaltens. Aus diesem Grund ist der tatsächliche Erfolgseintritt im Fahrlässigkeitsbereich stets Strafbarkeitsvoraussetzung,1025 während im Vorsatzbereich meist bereits der Verhaltensnormverstoß per se strafbewehrt ist (als Versuch, § 23 I). Fahrlässige Begehungsdelikte kommen mitunter auch in der Gestalt von Sonderdelikten vor, etwa in § 161 (= fahrlässige Falschaussage). In diesem Fall setzt die fahrlässige Intranenunterlassung (ebenso wie vorsätzliche) die Aktualisierung der persönlichen Sonderrechtsgutsbeziehung voraus. Der Akteur muss sich also zumindest sachgedanklich der Umstände bewusst sein, die die besondere soziale Überantwortung des Rechtsgutsobjekts bzw. -ausschnitts an ihn begründen. Dies ist aber bei den betreffenden Sonderdelikten unproblematisch der Fall. § 161 ist dabei zugleich ein eigenhändiges Fahrlässigkeitsdelikt: Täter kann hier nur sein, wer eine der in §§ 154 – 156 beschriebenen Handlungen persönlich setzt, ohne in Anbetracht der ihm vor Augen geführten besonderen Aussagesituation die Sorgfalt des Über-

1023 So etwa Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff., Rn. 92, 105 ff. (110, 114); Duttge, Bestimmtheit, 459 ff. 1024 Zielinski, Unrechtsbegriff, 211. 1025 Zielinski, Unrechtsbegriff, 211.

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legens bzw. der Erinnerungsprüfung zu beachten. Ein praktisch besonders relevantes eigenhändiges Allgemein-Fahrlässigkeitsdelikt ist hingegen § 316 II.

II. Die Gebotsnormen Die vorstehenden Erwägungen waren auf ein „aktives Tun“ als Normmaterie zugeschnitten, d. h. auf den Gegenstand der Verbotsnormen. Diese verlangen vom Normadressaten die Unterlassung eines bestimmten Handelns. Daneben gibt es aber auch Verhaltensnormen, die unter gewissen Voraussetzungen ein Handeln anbefehlen oder gebieten, die mithin als Gebotsnormen figurieren. 1. Die Gebotstatbestände der vorsätzlichen „echten“ und „unechten“ Unterlassungsdelikte Solche Gebotsnormen liegen zunächst den im Besonderen Teil speziell geregelten Tatbeständen der sog. echten Unterlassungsdelikte (insbesondere §§ 138, 323c) zugrunde. Entsprechendes gilt aber cum grano salis auch für den Straftattypus der begehungsgleichen „unechten“ Unterlassungsdelikte (§ 13): Auch hier ist normlogischer Bezugspunkt ein genuines Gebot, das die Einleitung tauglicher Rechtsgutserhaltungsmaßnahmen verlangt.1026 Die begehungsgleiche Unterlassung beruht also ebenfalls auf einem originären (ungeschriebenen) Gebotstatbestand, an den Unrecht und Vorwerfbarkeit anknüpfen. Insofern figuriert das „unechte“ Unterlassen durchaus als echter (!) Unterfall der Unterlassungsdelikte und folgt daher auch der verhaltenstypologischen Dogmatik dieser Deliktsgruppe.1027 a) (Alltags-)Ontologische Strukturunterschiede zwischen Tun und Unterlassen und Konsequenzen für die Dogmatik der Unterlassungsdelikte Jedes sozial relevante (= wertwidrige) Unterlassen setzt die Nichtvornahme einer bestimmten, normativ erwarteten (im Recht: gebotenen) Eingriffshandlung voraus. Dabei wird die psychophysische Fähigkeit des Omittenten zur Handlungsvornahme stets mitgedacht. Ein Unterlassen trotz Kenntnis der eigenen Handlungsfähigkeit interpretieren wir deshalb nicht als bloßes Nichtstun, sondern als intentionale Zulassung eines negativ bewerteten Ereignisses durch Nichtvornahme der pflicht1026 Die früher verbreitete Ansicht, im unechten Unterlassen liege ein Verstoß gegen die den Begehungsdelikten zugrunde liegende Verbotsnorm (s. nur Nagler, GS 111 [1938], 1 [60 f.]), ist, wie Engisch (MoKrimPsych 1933, 237 [240]) und Armin Kaufmann (Unterlassungsdelikte, 256 ff.) schlagend nachgewiesen haben, normlogisch nicht haltbar: Das Verbot einer Unterlassung ist realiter ein Gebot, die betreffende Handlung vorzunehmen (Engisch, a.a.O.; Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte, 257). Das ist heute allgemein anerkannt (vgl. Roxin, AT/II, § 31 Rn. 27). 1027 Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte, 261, 274, 304, 315.

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gemäßen Eingriffshandlung: Hat der Unterlassende die Gefahr einer Rechtsgutsverletzung zumindest für möglich gehalten und trotz erkannter Eingriffsmöglichkeit nichts unternommen, so attestieren wir ihm nach dem Modell der praktischen Handlungskonklusion eine intentionale Zulassungshandlung durch Unterlassen (= alltagsontologische Komponente der Handlungszuschreibung).1028 Die intentionale Zulassung einer Zustandsveränderung ist nach dem alltagspraktischen Modell des Verantwortlich-Machens von Personen für Ereignisse keineswegs ein „Nullum“.1029 Vielmehr sehen wir sie als „gebundene Kraft“ und damit als reelle Ursache für den Eintritt des zugelassenen Ereignisses an.1030 Entsprechendes gilt für den an allgemeinen Kausalgesetzen orientierten wissenschaftlichen Kausalbegriff: Eine intentionale Basis-Zulassungshandlung durch Unterlassen kann ohne Weiteres notwendiger Bestandteil einer wahren und hinreichenden Mindestbedingung eines Erfolgseintritts sein (= realontologische Komponente der reellen Kausierungspotenz).1031 Die Zulassung durch Unterlassen (= die Negation) ist also im Gegensatz zur unterlassenen Eingriffshandlung (= dem Negat) durchaus etwas In-der-WeltSeiendes, etwas Wirkliches.1032 Es ist deshalb weder notwendig noch sinnvoll, den Unterlassungsbereich nach einem strikten Dogma der Strukturumkehr von der hypothetischen Eingriffshandlung her aufzuzäumen. Eine solche Umkehrung der Begehungsdogmatik hat am konsequentesten Armin Kaufmann1033 verfochten. Ausgangspunkt seiner Überlegungen ist dabei die Annahme, die Negation (= die Zulassung) selbst sei keine wirkliche Handlung, weil sie mangels Energieentfaltung nichts bewirken, sich nicht in einer finalen Überdetermination von Naturkausalverläufen verwirklichen könne („ex nihilo nihil fit“).1034 Nach diesem (schein-)ontologischen Kausaldogma kann die Dogmatik der Unterlassungsdelikte nur logisches Derivat der für „wirkliche“ Handlungen entwickelten Dogmatik sein: Reelle Handlung und fehlende Handlung (= Unterlassung) verhalten sich logisch zueinander wie A und non-A, so dass für Unterlassungen das genaue Gegenteil dessen gilt, was für Handlungen konstatiert wurde.1035 Der „natürlichen“ Kausalität steht im Unterlassungsbereich potentielle 1028 Eingehend zu dieser alltagsontologischen Struktur der Unterlassung Kindhäuser, Intentionale Handlung, 175 ff., 207 f. 1029 Jakobs (AT 7/25) gelangt zu der – gegenteiligen – These, es habe „(…) in derjenigen Wirklichkeit, in der die Folgen des Strafrechts belegen sind, dasjenige, was nicht ist, auch keine Folgen (…)“. Das ist eine äußerst zweifelhafte These, da die Folgenzurechnung im Unterlassungsbereich nicht allein logisch bedingt ist (so aber Jakobs, a.a.O.), sondern sich ebenso wie im Begehungsbereich an Erfahrungssätzen orientiert (so zutr. Puppe, in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 117 – 119). 1030 So zutr. Spendel, Herzberg-FS (2008), 247 (251, 253 [Zitat auf S. 250]). 1031 Eingehend und instruktiv zum Ganzen Puppe, in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 117 ff. 1032 Puppe, ZStW 92 (1980), 863 (897 f.). 1033 Unterlassungsdelikte, 87 ff. 1034 Unterlassungsdelikte, 61 ff.; zust. Arthur Kaufmann, Schuld, 34 ff. 1035 Unterlassungsdelikte, 87.

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Kausalität (= hypothetische Kausalität der Rettungshandlung) gegenüber, der aktiven finalen Ablaufgestaltung potentielle Finalität im Bezug auf die ausgebliebene Rettungshandlung.1036 Armin Kaufmann hat den Leitgedanken dieser Strukturumkehr in ein allgemeines Axiom gegossen, das sog. „Umkehrprinzip“1037. Es trifft für den Unterlassungsbereich zwei Grundaussagen: [1] Gleiche Verhaltensstruktur wie im Begehungsbereich – umgekehrte rechtliche Wirkung (Bsp.: der fehlgegangene Versuch der gebotenen Erfolgsabwendung hat die umgekehrte Wirkung wie der fehlgegangene Versuch der verbotenen Erfolgsherbeiführung: Versuchsunrecht entfällt, Fahrlässigkeitsunrecht kommt in Betracht); [2] Umgekehrte Verhaltensstruktur wie im Begehungsbereich – gleiche rechtliche Wirkung (Bsp.: Das Unterlassen der Gebotserfüllung hat die gleiche rechtliche Wirkung wie die Verbotsübertretung).1038 Aus dieser formallogisch-derivativen Unterlassungsdoktrin hat Armin Kaufmann radikale Konsequenzen insbesondere für die Grenzziehung zwischen Unterlassungsvorsatz und -fahrlässigkeit gezogen, die erheblich von einer originären Lehre des sozial stattfindenden Unterlassens abweichen. Es ist daher angebracht, die hier vertretene genuine Unterlassungsdoktrin mit den Eckpfeilern der Kaufmann’schen Strukturumkehrlehre zu kontrastieren: aa) Unterlassungskausalität statt „Quasi-Kausalität“ – wirkliche intentionale Zulassungshandlung statt fehlender Handlung Wie oben1039 dargelegt wurde, ist das Postulat eines metaphysischen Kausalbegriffs durch nichts gerechtfertigt. Wir kennen kein Agens, keine Wirkkraft als Träger von Kausalität bzw. können eine solche Trägerkraft jedenfalls nicht beobachten. Alles, was wir über „Kausalität“ wissen, ist, dass sich bestimmte „natürliche“ Abläufe regelmäßig wiederholen. Hieraus können wir per Induktionsschluss allgemeine Kausalgesetze ableiten (sog. Regularitätsthese).1040 Solche Erfahrungssätze lassen sich aber fraglos auch für Unterlassungen (genauer: für intentionale Zulassungen durch Unterlassen) aufstellen.1041 Was hingegen den Handlungsbegriff angeht, so ist dieser noch weniger ein rein seinsmäßiger als der Kausalbegriff. Nach unserem alltagspraktischen Modell der verhaltensbezogenen Verantwortungszuschreibung ist es daher ohne Weiteres möglich, ein Ereignis als intentionales Objekt einer BasisZulassungshandlung zuzuschreiben: Bei einem bestimmten Mindestinformationsstand des Handlungspflichtigen (dazu sogleich) kann das Unterlassen einer Basis1036

Unterlassungsdelikte, 64 ff., 66 ff., 87. Unterlassungsdelikte, 87 ff. 1038 Unterlassungsdelikte, 88 f. 1039 Ausführlich zum Ganzen bereits oben, S. 92 ff. 1040 Puppe, in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 81 f. 1041 So schon Engisch, Kausalität, 29 f.; aus der aktuellen Literatur s. etwa Puppe, in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 117; Spendel, Herzberg-FS (2008), 247 (249 ff. [251, 253]); Stein, in: SK, Vor § 13 Rn. 24. 1037

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Eingriffshandlung nach dem Modell des praktischen Syllogismus nur als Mittel zur Verwirklichung einer intentionalen Basis-Zulassung interpretiert werden. Die These, dass bei Unterlassungen nichts zwecktätig gewollt sein könne,1042 ist daher auf die soziale Wirklichkeit bezogen unrichtig. bb) Genuiner Unterlassungsvorsatz statt „Quasi-Vorsatz“ Der Unterlassungsvorsatz ist nach den gleichen Regeln zu bestimmen wie der Handlungsvorsatz,1043 nämlich nach dem Metamodell zweckrationaler Handlungsinterpretation: Wer mit der Intention untätig bleibt, den (zumindest) für möglich gehaltenen tatbestandsmäßigen Erfolg eintreten zu lassen, der begeht eine absichtliche Zulassungshandlung durch Unterlassen (= dolus directus ersten Grades oder Zulassungsabsicht). Wer untätig bleibt, obwohl er bei Nichtvornahme der erkannten Eingriffshandlung den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolges für sicher hält, der lässt den Erfolgseintritt mit direktem Vorsatz zu (= dolus directus zweiten Grades oder direkter Zulassungsvorsatz). Wer im Falle seines Nichteingreifens den Erfolgseintritt für möglich hält, ohne zugleich ernsthaft auf dessen Ausbleiben zu vertrauen, der lässt mit bedingtem Vorsatz zu = (dolus eventualis oder bedingter Zulassungsvorsatz) – er drückt durch sein Untätigbleiben die Maxime aus, dass der Erfolg sein soll. Ein positiver Entschluss zum Unterlassen1044 ist dagegen nicht zwingend erforderlich. Das Handlungsgebot verlangt lediglich die Fassung eines bestimmten Handlungsentschlusses im kritischen Moment. Handlungsunrecht ist deshalb das Unterlassen dieser Entschlussfassung, nicht (notwendig) die (impulsüberformende) Entscheidung dagegen.1045 Folglich genügt es für den Gebotsverstoß, wenn der Pflichtadressat sich im kritischen Moment mit (zumindest bedingtem) Zulassungsvorsatz nicht zu einem Eingreifen entschließt. Beispiel: Ist Vater V für einen kurzen Augenblick unschlüssig, ob er seinen „missratenen“ fünfjährigen Sohn S retten soll, bevor dieser vom reißenden Fluss weiter abgetrieben wird, und verstreicht die Chance zur Rettung just in diesem Moment, dann kann von V schlechterdings nicht i.S.e. psychischen Datums gesagt werden, er habe sich bewusst gegen eine Rettung des S entschieden. Sein Verhaltenspflichtverstoß liegt vielmehr darin, dass er sich trotz seines Wissens um eine bestehende Handlungsmöglichkeit nicht stante pede zu einer Rettung des S entschlossen hat.1046 Man kann sogar mit Jakobs1047 1042

So Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte, 66 ff. So statt vieler zutr. Roxin AT/II, § 31 Rn. 184 ff. 1044 Zu den sog. Interferenztheorien, die für den Unterlassungsvorsatz die Unterdrückung eines Rettungstriebes verlangen, um auf diese Weise eine Parallele zu den Fällen des Abbruchs rettender Kausalverläufe ziehen zu können, s. eingehend Landsberg, Commisivdelikte, 56 ff. 1045 s. zum Ganzen Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte, 75 ff. 1046 Angesichts des typischerweise knappen Zeitfensters, das dem Garanten für seine Entschlussfassung verbleibt, wäre es auch praktisch verfehlt, den Unterlassungsvorsatz zwingend von einer positiven Entscheidung zum Untätigbleiben abhängig machen zu wollen; 1043

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darauf hinweisen, dass eine positive Entschlussfassung selbst für das aktive Begehungsdelikt nicht konstitutiv ist. Denn in der Tat kann es auch dort Fälle geben, in denen sich dem gefühllosen Täter die Frage nach einer Verhaltensalternative von vornherein erst gar nicht stellt.1048 Nichtsdestotrotz ist aber e contrario § 16 I 1 auch für den Zulassungsvorsatz durchgehende Tatbestandskenntnis erforderlich. Daher ist das Bewusstsein der eigenen Handlungsfähigkeit unverzichtbares Vorsatzelement.1049 Insofern genügt die Wahrnehmung eines tauglichen Rettungsansatzes, also das Bewusstsein, „(…) überhaupt mit der Aussicht auf einen nicht unwahrscheinlichen Erfolg Hilfsmaßnahmen (…) beginnen zu können (…)“.1050 Dieses Bewusstsein braucht nicht eigens reflektiert zu sein, es genügt wie beim Begehungsvorsatz sachgedankliches Mitbewusstsein.1051 Gegen diese die Regelungsmaterie des § 16 transferierende Bestimmung des Unterlassungsvorsatzes hat Armin Kaufmann1052 seine Doktrin von der quasi-vorsätzlichen Unterlassung gesetzt: Da es im Unterlassungsbereich keine ontologische, Kausalität überformende, Finalsteuerung gebe, könne es auch keine vorsätzliche Unterlassung im natürlichen Sinne geben,1053 sondern allenfalls eine quasi-vorsätzliche.1054 Um sie zu bestimmen, müsse das axiologische „(…) Gegenstück des Vorsatzes als gegenüber der Fahrlässigkeit schwererer Vorwurfsgegenstand (…)“1055 ermittelt werden.1056 Diese Funktion könne aber der Rekurs auf eine durchgehende Tatbestandskenntnis nicht übernehmen. Denn das Unterlassen, in einem erkannten Notfall überhaupt erst Hilfe ausfindig zu machen, also die hinsichtlich des konkreten Rettungsweges „unbewusste“ Unterlassung, wiege mindestens ebenso schwer wie das bewusste Unterlassen, eine erkannte Hilfsmöglichkeit zu nutzen. Postuliere man angesichts dessen eine Kenntnis der eigenen Abwendungsfähigkeit, so prämiere man damit den Gleichgültigen oder Gefühllosen. Diese Konsequenz sei aber unhaltbar,

erschwerend hinzu käme noch, dass ein solcher Entschluss in praxi oft schwer nachweisbar wäre (so die schlagenden Monita Armin Kaufmanns, Unterlassungsdelikte, 75 ff.). 1047 AT, 29/82. 1048 Jakobs, AT, 29/82. 1049 So zutr. Jakobs, AT, 29/87. 1050 Jakobs, AT, 29/86; in der Sache ebenso Roxin, AT/II, § 31 Rn. 188. 1051 Grünwald, Mayer-FS (1966), 281 (294 f.); Roxin, ZStW 78 (1966), 214 (248 ff. [259 f.]); Herzberg, Unterlassung, 224 f.; Jakobs, AT, 29/88; Stein, in: SK, Vor § 13 Rn. 35. 1052 Unterlassungsdelikte, 110 ff. (126 f.). 1053 Unterlassungsdelikte, 66 ff. (80 f.), 87, 116. 1054 Unterlassungsdelikte, 115. 1055 So die pointierte Formulierung von Jakobs (AT, 29/83), der Armin Kaufmann zutr. die „Abkoppelung [scil.: des Vorsatzgegenstandes – Anm. d. Verf.] von der Vermeidbarkeitsform und Ankoppelung ans Materiale (…)“ vorhält (a.a.O.). 1056 Unterlassungsdelikte, 114 ff.

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weshalb für „Quasivorsätzlichkeit“ die Erkennbarkeit bestehender Abwendungsmöglichkeiten genügen müsse.1057 Dem ist die herrschende Meinung1058 mit Recht entgegengetreten. Zunächst ist Armin Kaufmanns axiologische Vorsatzbestimmung in sich nicht valide, denn sie ist in zweifacher Hinsicht einer reductio ad absurdum ausgesetzt: Erstens müssen die Gründe, die dem Täter die Einsicht in den Rettungsweg versperren, nicht notwendig in seiner Gleichgültigkeit oder Gefühllosigkeit wurzeln; vielmehr können sie auch nachvollziehbar und strafrechtlich neutral sein oder sogar entlasten, wie etwa Ängstlichkeit, Aufregung, Verwirrung oder Defätismus.1059 Hier eine quasi-vorsätzliche Unterlassung anzunehmen, wäre aber offensichtlich unhaltbar. Das sah natürlich auch Armin Kaufmann, der diese missliche Konsequenz durch das Postulat einer betätigten Gebotserfüllungstendenz zu umgehen versuchte: Dem aufrichtig Bemühten sei ja doch immerhin zu attestieren, dass er prinzipiell gewillt gewesen sei, das rechtlich Gebotene zu tun.1060 Auch dieses Argument überzeugt jedoch nicht, denn selbst das Unterlassen jedweder Lageprüfung muss nicht notwendig Ausdruck von Gleichgültigkeit sein. Vielmehr ist es durchaus denkbar, dass jemand sich infolge von Aufregung, Schock oder Defätismus gar nicht erst dominant zur Beurteilung der Lage motivieren kann.1061 Noch stärker wiegt der zweite innere Widerspruch der Kaufmann’schen Doktrin: Bewusst unterlassen kann man Hilfsmaßnahmen definitiv nur dann, wenn man überhaupt ein Rettungsziel, d. h. ein bedrohtes Einwirkungsobjekt, wahrgenommen hat. Nun kann aber selbst schon die Wahrnehmung dieser tatbestandsmäßigen Situation aus belastenden Gründen wie Gefühllosigkeit oder Gleichgültigkeit fehlen,1062 weshalb Armin Kaufmann konsequenterweise auch hier eine quasi-vorsätzliche Unterlassung annehmen müsste. Damit aber würde der Unterlassungsvorsatz gänzlich vom kognitiven Zielerfassungsmoment gelöst,1063 was zwangsläufig krude Resultate zeitigen müsste: Die sorglose Mutter, die ihrem am Straßenrand spielenden Kind keinerlei Beachtung schenkt, wäre im Falle eines tödlichen Unfalls nach § 212 zu bestrafen.1064 Damit führt sich die Lehre von der quasi-vorsätzlichen Unterlassung unter axiologischen Gesichtspunkten selbst ad absurdum, zumal eine Abkoppelung des Vorsatzes vom Moment der Zielerfassung auch nichts mehr mit einer finalen Handlungslehre zu tun hätte.

1057

Unterlassungsdelikte, 112, 126 f.; s. auch Welzel, Strafrecht, § 27 A I 3 b (S. 205). s. statt vieler nur Roxin, AT/II Rn. 184 ff., m.w.N. 1059 Grünwald, Mayer-FS (1966), 281 (293); Jakobs, AT, 29/88. 1060 Unterlassungsdelikte, 173 f. 1061 Grünwald, Mayer-FS (1966), 281 (293); zu weiteren rechtsdogmatischen Inkonsistenzen des Dogmas von der objektivierten Gebotserfüllungstendenz s. ders., a.a.O., 299 f. 1062 Roxin, AT/II, § 31 Rn. 188. 1063 So zutr. Jakobs, AT, 29/83 Fn. 174. 1064 Grünwald, Mayer-FS (1966), 281 (300 – 302). 1058

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3. Kap.: Täter als Verletzer einer Verhaltensnorm

Zugegebenermaßen bleibt aber das axiologische Grundbedenken Armin Kaufmanns bestehen: Das Postulat einer durchgehenden Tatsachenkenntnis kann in Ausnahmefällen zu einer Prämierung des Gleichgültigen oder Gefühllosen führen. Doch dürften in praxi kaum Konstellationen existieren, in denen das Problem wirklich virulent wird. Denn das Bewusstsein von der eigenen Abwendungsfähigkeit braucht nicht aktuell reflektiert zu sein. Vielmehr genügt auch im Unterlassungsbereich ein latentes, reproduzierbares, sachgedankliches Mitbewusstsein bestimmter Umstände, darunter insbesondere auch erfahrungsmäßige Handlungsmöglichkeiten: Auch wer einen bestimmten Ablauf nicht reflektorisch auf sich als Tatmächtigen bezieht, hat in aller Regel ein latentes Wissen darum, was in derartigen Situationen erfahrungsgemäß zu tun ist bzw. getan werden kann.1065 Freilich existieren auch Fälle, in denen der Betreffende aufgrund eines Defekts in seiner individuellen Charakterstruktur nicht zur Erkenntnis seiner Handlungsfähigkeit gelangt. Doch dieses Defizit macht gerade das Wesen der Fahrlässigkeit aus.1066 Auch das Begehungsdelikt kennt trotz Evidenz bestimmter Handlungsfolgen kein Korrektiv dafür, dass mit dem Fehlen eines (sachgedanklichen) Folgenbewusstseins der Vorsatz entfällt. Die dogmatische Konsequenz daraus formuliert pointiert Jakobs1067: „Will man das axiologische Gegenstück des Handlungsvorsatzes bei der Unterlassung ausmachen, so muss man die axiologischen Brüche, die sich schon auf der Handlungsseite finden, auch transformieren, d. h. die materiell nicht gerechtfertigte Privilegierung des Tatsachenblinden übernehmen, die § 16 StGB mit dem Erfordernis durchgehender Tatsachenkenntnis festschreibt (…). Die Kenntnis der Abwendungsfähigkeit ist also zum Vorsatz unverzichtbar.“

Nach alledem ist Armin Kaufmanns Lehre vom quasi-vorsätzlichen Unterlassen abzulehnen. Die für die Handlungsdelikte entwickelte Vorsatzdogmatik ist – mutatis mutandis – auf die Unterlassungsdelikte zu extrapolieren. cc) Umkehrprinzip Nichts zwingt dazu, dem Strafrecht einen ontologischen, an metaphysischer Kausalität orientierten, Handlungsbegriff zu unterlegen. Die Unterlassungsdogmatik muss keineswegs als formallogisches Korrelat der Handlungsdogmatik formuliert werden. Demnach ist das von Armin Kaufmann entwickelte „Umkehrprinzip“ nicht erforderlich, um das Verhaltensunrecht der Unterlassung dogmatisch zu explizieren. Dennoch erweist sich das Axiom aber als hilfreich für eine exakte Bestimmung des jeweiligen Gebotsgegenstandes, denn es nötigt zu einer strengen Analyse der rele-

1065 Grünwald, Mayer-FS (1966), 281 (294 f.); Roxin, ZStW 78 (1966), 214 (248 ff. [259 f.]); Herzberg, Unterlassung, 224 f.; Jakobs, AT, 29/88. 1066 Grünwald, Mayer-FS (1966), 281 (295 f.). 1067 AT, 29/88.

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vanten Sachverhalte und der werttragenden Elemente.1068 Damit lassen sich auch axiologische Aussagen für den Unterlassungsbereich formallogisch präjudizieren, wie etwa am Beispiel des § 27 II 2 illustriert sei: Wenn der Beihilfecharakter einer verbotenen Handlung das Unrecht mindert, dann muss der Beihilfecharakter einer gebotenen Handlung das Gegenteil bewirken: Wer eine leicht leistbare „Beihilfe zu fremder Gebotserfüllung“ unterlässt, der begeht mindestens ebenso schweres Unrecht wie derjenige, der die tendenziell mühevollere Rettungsmaßnahme als solche unterlässt.1069 Freilich kann das formallogische Umkehrprinzip den tieferen Sachgrund für diese rechtliche Bewertungsumkehr nicht benennen. Das kann nur die eigentliche, genuine Unterlassungsdogmatik leisten, die die intentionale Zulassung durch Unterlassen als soziales Handlungsphänomen analysiert. Dennoch eignet sich das Umkehrprinzip als formales Axiom aber ausgezeichnet dazu, Struktur und präsumtive Bewertung des Verhaltensunrechts im Unterlassungsbereich zu präjudizieren und die eigene Unterlassungsdogmatik kritisch gegenzuprüfen. b) Konkretisierung des allgemeinen Handlungsgebots zur Handlungspflicht (= „Unterlassungsgemeinunrecht“) und echte Unterlassungsdelikte Nach alledem kann das Gemeinunrecht der Unterlassung, das „Unterlassungsgemeinunrecht“1070, nunmehr abschließend charakterisiert werden. Die Verdichtung des allgemeinen Handlungsgebots zur konkret-individuellen Handlungspflicht setzt im Vorsatzbereich Dreierlei1071 voraus: Erstens muss der Normadressat eine konkrete Gefahrensituation für das zu schützende Rechtsgutsobjekt subjektiv zumindest für möglich halten. Zweitens muss er die prinzipielle Möglichkeit zur Einleitung erfolgversprechender Rettungsmaßnahmen erkannt haben (bzw. sich vorstellen). Drittens muss er zur Ergreifung dieser Maßnahmen physisch sowie intellektuell in der Lage sein und sich dieser prinzipiellen (bzw. potentiellen) Abwendungsfähigkeit auch bewusst sein. Der Verstoß gegen das unter diesen Prämissen zur Handlungspflicht avancierende Gebot liegt dann darin, dass der angesprochene Adressat sich im maßgeblichen Zeitpunkt nicht positiv zur Einleitung von Hilfsmaßnahmen entschließt, obwohl er weiß, dass er dies könnte. Die Nichtvornahme der solchermaßen gebotenen Eingriffshandlung begründet das personale Unterlassungsgemeinunrecht. Dieses allgemeine Jedermannsunterlassen ist freilich nur sub specie §§ 138, 323c mit Strafe bedroht (sog. „echte Unterlassungsdelikte“).

1068 1069 1070 1071

So schon Struensee, JZ 1977, 217 (222 m. Fn. 69). Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte, 187. Langer, Sonderstraftat, 451. s. nur Schöne, JZ 1977, 150 (151).

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3. Kap.: Täter als Verletzer einer Verhaltensnorm

c) Das Unrecht der sog. „unechten“ Unterlassungsdelikte aa) Strukturelle und substantielle (Kern-)Identität mit dem Gemeinunrecht Die Tatbestände der „unechten“ Unterlassungsdelikte beruhen nicht auf genuinen rechtsgüterschützenden Garantensondernormen, sondern die rechtsgüterschützende Garantenhandlungspflicht ist mit der allgemeinen Handlungspflicht substantiell identisch.1072 Die tradierte Annahme, dem Garanten werde im Gegensatz zum quivis ex populo nicht nur eine schlichte Tätigkeit, sondern eine Erfolgsabwendungshandlung geboten,1073 ist unrichtig.1074 Zwar bezieht § 13 das rechtliche Einzustehenhaben ausdrücklich auf den „Erfolg, der zum Tatbestand eines Gesetzes gehört“, während in den Tatbeständen der echten Unterlassungsdelikte – insbesondere §§ 138, 323c – lediglich von bestimmten Tätigkeiten („Anzeige machen/erstatten“, „Hilfe leisten“) die Rede ist. Dieser terminologische Unterschied birgt jedoch keinen materialen. Die abweichende Terminologie resultiert schlicht aus der Notwendigkeit, mittels strafgesetzlicher Formulierungstechnik den Bezug zwischen dem personalen Unterlassungsunrecht des Garanten ex ante und den ex post formulierten strafrechtlichen Sanktionstatbeständen der aktiven Begehungsdelikte (inklusive der stets mitgedachten objektiven Zurechenbarkeit) herzustellen. Auf der Verhaltensnormebene dagegen kann die Frage nach dem zu inhibierenden Erfolg immer nur aus der Sicht des Pflichtadressaten in der Entscheidungssituation ex ante gestellt werden. In diesem Moment aber ist die Abwendbarkeit des Verletzungserfolges durch Vornahme der gebotenen Handlung niemals eindeutig prognostizierbar. Gegenstand der individuellen Handlungspflicht kann daher immer „nur“ das Einschreiten gegen die aktuell bestehende Gefahrenlage sein, m.a.W.: die Einleitung aussichtsreicher (bzw. nicht von vornherein aussichtsloser) Rettungsmaßnahmen als erfolgversprechende Tätigkeit (= Handeln mit Erfolgsabwendungstendenz).1075 Damit verlangt die Gebotserfüllung1076 im Bereich des vorsätz1072

So zutr. Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte, 274 ff.; Schürmann, Unterlassungsstrafbarkeit, 64 ff. (74 f.); Langer, Sonderstraftat, 450 ff.; Stree/Bosch, in: Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 13 ff. Rn. 137, § 13 Rn. 2. 1073 s. aus der früheren strafrechtlichen Literatur etwa Nagler, GS 111 [1938], 1 (17 ff.); auch die amtliche Begründung zu § 13 E 1962 (BT-Drucks. IV/650, S. 124) rekurrierte auf die Unterscheidung zwischen schlichten Tätigkeitsgeboten (= echtes Unterlassen) und umfassenden Erfolgsabwendungsgeboten (= unechtes Garantenunterlassen); s. ferner nur BGHSt 14, 280 (281); Jescheck/Weigend, AT, § 58 III 2 (S. 605 f.); Lackner/Kühl, § 13 Rn. 4; Kühl, JuS 2007, 497 (498 f.). 1074 s. nur Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte, 206 ff. (208); Schürmann, Unterlassungsstrafbarkeit, 64 ff. (74 f.); Langer, Sonderstraftat, 456 f.; Stree/Bosch, in: Schönke/ Schröder, Vorbem. §§ 13 ff. Rn. 137, § 13 Rn. 2; Freund, AT, § 6 Rn. 10 ff.; i.E. auch Kahlo, Problem, 32 f. 1075 s. bereits Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte, 109; Schürmann, Unterlassungsstrafbarkeit, 36 ff. (63 f.); Langer, Sonderstraftat, 454 ff.; der Sache nach auch schon Hardwig, Zurechnung, 134 f.

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lichen unechten Unterlassens keineswegs das tatsächliche Verhindern des tatbestandlich inkriminierten Verletzungserfolgs. Vielmehr ist auch dem Garanten immer „nur“ das Betätigen und Durchhalten eines ex ante prinzipiell tauglichen (bzw. für chancenreich gehaltenen) Programms der Gefahrenabwendung geboten. Tritt der tatbestandsmäßige Verletzungserfolg trotz Umsetzung eines solchen Programms ein, so kommt allenfalls fahrlässiges Garantenunterlassen in Betracht.1077 Dass das an den Garanten adressierte Gebot mit dem gemeinrechtlichen Handlungsgebot identisch ist, kann man mit Armin Kaufmann1078 auch umgekehrt von der Gemeinunrechtsseite der echten Unterlassungsdelikte her begründen. Denn selbstverständlich liegt etwa auch dem § 323c eine Gebotsnorm zugrunde, die unmittelbar dem Schutz konkreter Rechtsgüter (= Leben, Gesundheit etc.) dient. Der Terminus des „Hilfeleistens“ ergibt einen Sinn nur, wenn er gedanklich bezogen wird auf die durch einen Unglücksfall (bzw. durch „gemeine Gefahr“ oder „Not“) eingetretene Gefahrenlage für eines dieser Rechtsgüter, wenn er also gedacht wird als Rettungshandlung zum Zweck der Abwendung eines drohenden Verletzungserfolges.1079 Demnach ist für den pflichtgegenständlichen Handlungsentschluss sinnvollerweise kein anderer Inhalt denkbar als der, eine Handlung mit Erfolgsabwendungstendenz vorzunehmen.1080 Jedenfalls das dem § 323c zugrunde liegende Gebot ist also seinem Gegenstande nach identisch mit den Geboten aus dem Regelungsbereich der unechten Unterlassungsdelikte. Diese Identität wird noch deutlicher, wenn man bedenkt, dass auch das unmittelbare Bevorstehen einer fremden Straftat nach h.M.1081 einen allgemeinen „Unglücksfall“ i.S.d. § 323c darstellt, den abzuwenden über 1076 Armin Kaufmann (Unterlassungsdelikte, 109) will hier nur vom „fehlgeschlagenen Gebotserfüllungsversuch“ bzw. von einem „Handeln mit Gebotserfüllungstendenz“ sprechen. Das ist missverständlich, denn in Wahrheit kann nur von einem „fehlgeschlagenen Erfolgsabwendungsversuch“ bzw. von einem „Handeln mit Erfolgsabwendungstendenz“ die Rede sein: Das Gebot kann vom Handlungspflichtigen nicht mehr verlangen als die Umsetzung eines für erfolgversprechend gehaltenen Rettungswillens. Wird ein solcher Akt erbracht, so hat der Akteur das dem Vorsatzdelikt zugrunde liegende Gebot erfüllt, unabhängig davon, ob der gewünschte Rettungserfolg eintritt oder nicht. Zu diesem Ergebnis zwingt auch Armin Kaufmanns „Umkehrprinzip“ (Unterlassungsdelikte, 87 ff.): Ist der fehlgeschlagene Versuch, eine Rechtsgutsverletzung herbeizuführen, anerkanntermaßen Verbotsverstoß, dann muss der fehlgeschlagene Versuch, eine Rechtsgutsverletzung zu hindern, Gebotserfüllung sein. 1077 So zutr. Armin Kaufmann (Unterlassungsdelikte, 109 f., 123, 127, 170 [echtes Unterlassen] i.V.m. 304 u. 315 [unechtes Unterlassen]) auf der Basis seines Umkehrprinzips: Wenn der fehlgeschlagene Versuch, die verbotene Handlung vorzunehmen, zur Vorsatzstrafbarkeit führt, dann befreit der fehlgeschlagene Versuch, die gebotene Handlung durchzuführen, von Vorsatzstrafbarkeit (ebenda, 89, 123). 1078 Unterlassungsdelikte, 208 f., 275; ebenso Schöne, Unterlassene Erfolgsabwendungen, 56 ff. (70), 115 ff. (159); Schürmann, Unterlassungsstrafbarkeit, 64 ff.; Jakobs, AT, 28/11; Herzberg, Unterlassung, 24 ff. (26); insofern übereinstimmend Schmidhäuser, AT, 16/16; s. der Sache nach auch bereits Gallas, JZ 1952, 396 (399). 1079 Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte, 208; zust. etwa Jakobs, AT, 28/11. 1080 Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte, 208 f. 1081 s. repräsentativ nur BGHSt 3, 65 (66 ff.); Gallas, JZ 1952, 396 (398); Lackner/Kühl, § 323c Rn. 2.

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§ 138 hinaus jedermann verpflichtet ist. Wenn dem quivis ex populo diesbezüglich ggf. weniger an Selbstgefährdung abverlangt wird, dann folgt dies allein daraus, dass das bestehende (!) Gebot in Bezug auf seine Person mit weit geringerer Dringlichkeit ausgestattet ist1082 (weil eben bloße Solidarpflicht), so dass für ihn die „Opfergrenze“ der Zumutbarkeit normgemäßen Verhaltens schneller erreicht ist. Nach alledem ist es normlogisch nicht haltbar, echtes und unechtes Unterlassen nach Struktur und Substanz des Gebotsgegenstandes abgrenzen zu wollen.1083 Vielmehr entsteht die Garantenhandlungspflicht unter denselben Grundvoraussetzungen wie die gemeine Rechtspflicht zum Handeln mit Erfolgsabwendungstendenz.1084 bb) Unechtes Unterlassen als begehungsgleichwertiges Unterlassen Mit der in § 13 I Hs. 1 vorausgesetzten rechtlichen Einstandspflicht des Garanten ist also „nur“ die allgemeine Rechtspflicht zur prospektiven Erfolgsabwendung gemeint.1085 Kennzeichnendes Merkmal der Garantenhandlungspflicht kann daher nur ihre subjektiv abgewandelte Dringlichkeit sein: Die Dringlichkeit des gemeinen Handlungsgebots wird für den Garanten relativiert und dem Dringlichkeitsniveau des dem korrelativen Begehungsdelikt zugrunde liegenden Verbots annivelliert.1086 Garantenpflichten sind damit relative „(…) Dringlichkeitssteigerung[en] der vorausgesetzten Gemeinrechtspflicht zum gefahrmindernden Handeln für das bedrohte Rechtsgutsobjekt“1087. In dieser relativen Dringlichkeitssteigerung bzw. im Verstoß gegen eine solchermaßen dringlichkeitsmodifizierte Einstandspflicht liegt das spezifische Unrechtsmoment der sog. unechten Unterlassung.1088 Das Moment der Dringlichkeitssteigerung ist als Strafbarkeitsmerkmal erst in der Entsprechungsklausel des § 13 I Hs. 2 verarbeitet, die verlangt, dass das Unterlassen der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes durch ein Tun entspricht.1089 Damit ist in der Sache eine axiologische Begehungsgleichheit apostrophiert, da das Garantenhandlungsgebot normlogisch mit dem Gemeingebot identisch ist.1090 Das ist 1082 s. zu diesem Aspekt Langer, Sonderstraftat, 451 m. 324 ff.; Schürmann, Unterlassungsstrafbarkeit, 117 ff. 1083 I.d.S. dezidiert bereits Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte, 207 f., 275 f. 1084 Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte, 274, 276, 283 ff. (284 f.); Langer, Sonderstraftat, 451, 454 ff. (457 f.). 1085 Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte, 284 f.; Langer, Sonderstraftat, 456 ff.; Schürmann, Unterlassungsstrafbarkeit, 63. 1086 Schürmann, Unterlassungsstrafbarkeit, 117 ff.; Langer, Sonderstraftat, 450 ff.; der Sache nach bereits Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte, 274 ff. (274, 276, 284 f., 287). 1087 Langer, Sonderstraftat, 451 Fn. 24; sachlich übereinstimmend Schürmann, Unterlassungsstrafbarkeit, 118. 1088 Langer, Sonderstraftat, 459; Schürmann, Unterlassungsstrafbarkeit, 119. 1089 Langer, Sonderstraftat, 459; Schürmann, Unterlassungsstrafbarkeit, 88 ff. 1090 Langer, Sonderstraftat, 459; Schürmann, Unterlassungsstrafbarkeit, 109 ff.

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freilich eine nicht ganz unproblematische Weichenstellung, da der aktive Angriff auf ein Rechtsgutsobjekt typischerweise die Entfaltung weit höherer krimineller Energie erfordert als das „bloße“ Unterlassen gebotener Rettung.1091 Diesem Problem kann allerdings dadurch abgeholfen werden, dass man die Begehungsgleichheit des Garantenunterlassens grundsätzlich am relativierten Dringlichkeitsniveau des Verbots der Aktivbeihilfe orientiert (und damit die Dringlichkeitssteigerung der Garantenhandlungspflicht wieder teilkompensiert).1092 Bleibt die Frage nach der Substanz der Garantieverhältnisse, die die unechte Unterlassung mit begehungsgleicher Dringlichkeit ausstatten. Dazu ist zu sagen, dass die unechten Unterlassungsdelikte im allgemein anerkannten Kernbereich Sonderdelikte i. e.S. des Begriffs sind.1093 Demnach figuriert das unechte Unterlassen idealtypischerweise als gemeinunrechtsakzessorisches „Unterlassungssonderunrecht“1094. Wie jedes gemeinunrechtsakzessorische Sonderunrecht1095, ist auch das gemeinunrechtsakzessorische Unterlassungssonderunrecht substantiell Gemeinunrecht, hier also gebotswidrige Rechtsgutsbeeinträchtigung durch Unterlassen.1096 Danach verletzen z. B. die Eltern, die ihr Kind sehenden Auges ertrinken lassen, substantiell das gleiche Handlungsgebot wie der danebenstehende quivis ex populo. Die Garantenunterlassung zeichnet sich jedoch in axiologischer Hinsicht durch einen besonderen personalen Verhaltensunwert aus. Er beruht auf einer prästabilisierten subjektbezogenen Sonderüberantwortung des betreffenden Rechtsgutsobjekts an den Garanten, die die Normdringlichkeit in Bezug auf seine Person relativ abwandelt.1097 Das ist bei den „klassischen“ Obhuts- bzw. Beschützergarantieverhältnissen ebenso der Fall wie (wohl) bei den gesetzlich begründeten Sicherungsgarantieverhältnissen zur Überwachung bestimmter Gefahrenquellen.1098 Unklar ist allerdings, ob wirklich alle überkommenen Garantieverhältnisse einen Sonderunwert in diesem engeren Sinne begründen, ob sie also auf der Überantwortung eines bestimmten Rechtsgutsobjekts innerhalb eines prästabilisierten sozialen Sondereinflussbereichs beruhen.1099 Das wird man für einige in der Rechtsprechung angenommene (Sicherungs-)Garantieverhältnisse und insbesondere auch für das anerkannte Garantieverhältnis aus vorangegangenem gefahrbegründendem

1091

So zutr. Armin Kaufmann, 300 f. So in der Sache schon Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte, 303. 1093 So dezidiert Langer, Sonderstraftat, 450 ff. (461); Schürmann, Unterlassungsstrafbarkeit, 122 f. 1094 Begriff nach Langer, Sonderstraftat, 451. 1095 Ausführlich dazu bereits oben, S. 190 f. 1096 Langer, Sonderstraftat, 451. 1097 Langer, Sonderstraftat, 450 ff. (461); Schürmann, Unterlassungsstrafbarkeit, 118 ff. (122 f.). 1098 Langer, Sonderstraftat, 461. 1099 Langer, Sonderstrafrecht, 460 f. 1092

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Tun (sog. „Ingerenz“) bezweifeln bzw. negieren müssen.1100 Denn all diesen Konstellationen ist gemein, dass der Handlungspflichtverstoß nicht im Rahmen eines sozial prästabilisierten Sonderrechtsgutsverhältnisses stattfindet.1101 Gerade eine solche Sonderrechtsbeziehung ist aber obligatorische Prämisse für die Entstehung genuinen Sonderunrechts. Von einem Sonderunterlassen i. e.S. kann daher ausschließlich dann gesprochen werden, wenn das betreffende Garantieverhältnis die Merkmale einer prästabilisierten sozialen Überantwortung erfüllt,1102 wie eben bei den klassischen Beschützergarantenverhältnissen und den gesetzlich begründeten Sicherungsgarantieverhältnissen.1103 Damit ist freilich noch nicht gesagt, dass insbesondere das Ingerenzunterlassen aus dem Anwendungsbereich der unechten Unterlassung auszuscheiden wäre. Denn zum einen setzt das Rechtsphänomen der Dringlichkeitssteigerung nicht zwingend ein Sonderunrechtselement voraus,1104 und zum anderen knüpft § 13 nicht ausdrücklich an ein Sonderunterlassungsunrecht an.1105 Auch vorangegangenes gefährdendes Tun zieht aber eine relative Steigerung der Normdringlichkeit nach sich: Von demjenigen, der durch eigenes pflichtwidrig-riskantes Vorverhalten eine Gefahr geschaffen hat, erwartet das Recht die Abwendung dieser Gefahr eben mit besonderem Nachdruck („Rückgängigmachung“). Dass diese Normdringlichkeitsabwandlung existiert, lässt sich anhand der lex lata indirekt nachweisen: Die Ausnahmevorschrift des § 35 I 2 rekurriert bei obliegenheitswidriger Selbstverursachung einer Notstandsgefahr auf ein allgemeines Axiom, wonach man für „hausgemachte“ Gefahrenlagen in gesteigertem Maße einstandspflichtig ist (= „Veranlasserprinzip“). Sie regelt dabei den Sonderfall, dass eine Unterlassungspflicht in ihrer vollen Dringlichkeit aufrechterhalten bleibt, obwohl an sich die Prämissen für eine Minderung der Normdringlichkeit „auf Null“ (die in § 35 I 1 ihren Niederschlag gefunden hat) vorlägen. Dieses „dringlichkeitsmodifizierende Veranlasserprinzip“ muss aber ebenso gelten, wenn es um die Beseitigung von Gefahrenlagen geht, die der Normadressat selbst durch pflichtwidriges Vorverhalten für fremde Rechtsgüter geschaffen hat: Gefahren für eigene Rechtsgüter, in die man sich durch obliegenheitswidrig-riskantes Vorverhalten selbst gebracht hat, sind hinzunehmen (= Son1100 s. dazu Langer, Sonderstraftat, 452, 460 mit entsprechenden Fallbeispielen aus der Rechtsprechung auf S. 460 (m. Fn. 63). 1101 s. insofern zutr. Langer, Sonderstraftat, 302 m. Fn. 32, 452, 460 f. 1102 So Langer, Sonderstraftat, 460. 1103 Langer, Sonderstraftat, 461. 1104 A.A. Langer (Sonderstraftat, 459): „Die einzige insoweit innerhalb der Strafrechtsordnung erkennbare Erhöhung des Unrechtsunwertes ist die des Sonderverbrechens (…)“; s. auch Schürmann, Unterlassungsstrafbarkeit, 119. Das wird man freilich mit Blick auf das in § 35 I 2 Mod. 1 zum Ausdruck gelangende allgemeine Rechtsprinzip („Veranlasserprinzip“) bezweifeln dürfen; s. dazu sogleich noch im Text. 1105 Das konzediert auch Schürmann (Unterlassungsstrafbarkeit, 119), der aber wie Langer (Sonderstraftat, 459) das von § 13 vorausgesetzte Rechtsphänomen der Dringlichkeitssteigerung allein auf die genuinen Sonderbeziehungen i. e.S. beschränkt und so im Wege objektivteleologischer Auslegung zu dem Schluss gelangt, § 13 erfasse nur solche Sonderbeziehungen.

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derregelung des § 35 I 2), Gefahren für fremde Rechtsgüter, die man durch eigenes pflichtwidrig-riskantes Vorverhalten geschaffen hat, sind rückgängig zu machen (= allgemeines Ingerenzprinzip). Man wird schwerlich bestreiten können, dass die Ingerenzhaftung auf eben dasjenige Axiom (= Veranlasserprinzip) zurückzuführen ist, das in § 35 I 2 für den Sonderfall eines obliegenheitswidrig-riskanten Vorverhaltens seinen positivrechtlichen Niederschlag gefunden hat. Schünemann1106 hat diese „Veranlasserhaftung“ freilich als einen Archaismus gegeißelt, der in einem an der „Pesonenhaftigkeit“ des Menschen ausgerichteten Schuldstrafrecht fehl am Platze sei. Dem ist jedoch zu widersprechen, wenn man die Ingerenzunterlassung selbst als Zurechnungsgrund ernst nimmt: Der Ingerenzgarant weiß, dass er die Gefahr für das Rechtsgut durch sein riskantes Vorverhalten erst heraufbeschworen hat und kennt somit im Zeitpunkt der Unterlassung den Umstand, der ihn persönlich mit besonderem Nachdruck zur Rückgängigmachung verpflichtet. Er haftet daher für die vorsätzliche Realisierung qualifizierten Unterlassungsunrechts, nicht bloß für die Kausierung der abzuwendenden Gefahr. Demnach bleibt es dabei, dass der Gesetzgeber selbst dem Veranlasserprinzip im Spezialfall des § 35 I 2 die gleiche Auswirkung auf die Normdringlichkeit attestiert hat wie der besonderen sozialen Überantwortung bestimmter Notstandsgefahren. Das Veranlasserprinzip ist demnach ein legislatorisch ausdrücklich als sonderunrechtsgleich anerkanntes Motiv für eine Intensivierung der Normdringlichkeit! Daher besteht auch kein Anlass, die Ingerenzhaftung unter Verweis auf den Bestimmtheitsgrundsatz aus dem von § 13 geregelten Bereich der (scil.: axiologischen) Begehungsgleichwertigkeit auszunehmen.1107 cc) Abschichtung des begehungsgleichwertigen (= „unechten“) Unterlassens vom echten Unterlassen Ist die Garantenunterlassung mit der „echten“ Jedermannsunterlassung substantiell identisch, so ist ihre Prädikatisierung als „unecht“ zum Mindesten unglücklich geraten. Das Prädikat „unecht“ kann doch allenfalls den Charakter dieses Unterlassens als „unechtes“ Begehen meinen.1108 Treffender erscheint daher die Bezeichnung als „begehungsgleichwertige Unterlassungsdelikte“1109. Eine solche Begehungsgleichwertigkeit wird man mit Roxin1110 konsequenterweise überall dort annehmen müssen, wo der Gesetzgeber ein Unterlassen dem Tun so weit wie möglich gleichgestellt und so die Gemeinrechtspflicht zum Handeln mit einer begehungsäquivalenten Dringlichkeit ausgestattet hat. Diese Definition betrifft dann nicht nur diejenigen Unterlassungen, die die allgemeinen Gleichstellungs1106 1107 1108 1109 1110

Unterlassungsdelikte, 317. So aber tendenziell Langer, Sonderstraftat, 460 f. Schmidhäuser, AT, 16/18; ähnlich Langer, Sonderstraftat, 451 Fn. 23. Freund, Erfolgsdelikt, 35 ff. AT/II, § 31 Rn. 17 ff.

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voraussetzungen des § 13 erfüllen, sondern auch solche Unterlassungen, die der Gesetzgeber dem Tun im Besonderen Teil des StGB ausdrücklich oder konkludent an die Seite gestellt hat – entweder durch Einfügung einer entsprechenden Unterlassungsvariante (etwa §§ 221 I Nr. 2, 340 I 1 Alt. 2) oder durch eine genuin normative Tatbestandsfassung (etwa §§ 170 I, 266).1111 dd) Entstehungsvoraussetzungen der dringlichkeitsmodifizierten Garantenhandlungspflicht Im Falle eines vorsätzlichen Garantenunterlassens geht es um die Konkretisierung eines dringlichkeitsmodifizierten Gemeinhandlungsgebots. Folglich müssen zunächst die Prämissen der allgemeinen Handlungspflichtentstehung vorliegen: Der Normadressat muss eine Gefahrensituation für das zu schützende Rechtsgutsobjekt zumindest für möglich halten, eine chancenreiche Rettungsstrategie erkannt haben (bzw. sich vorstellen) und zur Ergreifung dieser Maßnahme psychophysisch in der Lage sein (bzw. sich tatsächlich für handlungsfähig halten). Darüber hinaus muss der Betreffende aber auch die Umstände kennen, die seine Garantenstellung begründen und ihn deshalb mit besonderem Nachdruck zum Handeln anhalten.1112 Kennt der Pflichtadressat diese Umstände, so aktualisiert sich das dringlichkeitsabgewandelte Hauptgebot (scil.: des Vorsatzdeliktes) für ihn, und er verwirklicht durch sein Unterlassen qualifiziertes Unterlassungsunrecht. d) Allgemeines Verhaltensunrecht der intentionalen Zulassung durch Unterlassen und Beteiligungsformen: vorläufiger Ausblick Fraglich ist, ob im Unterlassungsbereich nach §§ 25 – 27 zwischen Täter- und Teilnehmergeboten zu unterscheiden ist.1113 Man könnte darüber sinnieren, das gesetzliche Strukturmodell der Aktivbeteiligung (§§ 25 – 27) in den Unterlassungsbereich zu transferieren. Analogon zur Aktivtäterschaft wäre dann das Unterlassen, die Rettung selbst, durch einen anderen oder gemeinschaftlich mit einem anderen vorzunehmen (analog § 25), Analogon zur Aktivteilnahme wäre das Unterlassen, einen anderen zu dessen Rettungshandlung „anzustiften“ (analog § 26) bzw. ihn bei seiner Rettungshandlung zu unterstützen (analog § 27).

1111 Zutr. Roxin, AT/II, § 31 Rn. 17 ff.; a.A. Armin Kaufmann (Unterlassungsdelikte 277), der die hier vertretene Definition des unechten Unterlassens zwar erwägt, sich jedoch letztlich für eine abweichende Bestimmung entscheidet: Unechte Unterlassungsdelikte seien nur solche, in denen das Gleichstellungsproblem vom Gesetzgeber nicht durch ausdrückliche Umschreibung des garantiepflichtwidrigen Unterlassens gelöst worden sei; zu Recht krit. gegen diese rein formale Grenzziehung Roxin, AT/II, § 31 Rn. 24 ff. 1112 So zutr. Roxin, AT/II, § 31 Rn. 186. 1113 s. zum Ganzen bereits oben, S. 55 ff. sowie eingehend noch unten, S. 646 ff.

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Natürlich wäre es konstruktiv möglich, i.d.S. nach „täterschaftlichen“ und „teilnehmerschaftlichen“ Rettungspflichten abzugrenzen.1114 Dem entspräche jedoch weder eine handlungstheoretische noch eine am materialen Handlungsunwert orientierte Vor-Wertung.1115 Das Gebot des vorsätzlichen Unterlassungsdelikts verlangt vom Handlungspflichtigen nicht die intentionale Selbstverwirklichung im buchstäblich rettenden Akt, sondern immer „nur“ die Mobilisierung seines eigenen Organisationskreises zur Einleitung erfolgversprechender Rettungsmaßnahmen. Dem entspricht es, dass in aller Regel die Initiierung oder Ermöglichung fremder (insbesondere ärztlicher) Rettungskompetenz geboten ist.1116 Unterlässt jemand bewusst die Initiierung solcher Hilfsmaßnahmen, so erleben wir den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolgs intuitiv als Resultat seiner intentionalen Zulassungshandlung, da er es in der Entscheidungssituation ex ante in der Hand hatte, überhaupt erfolgversprechende Hilfsmaßnahmen einzuleiten: Wer reelle Handlungsmacht besitzt, sich ihrer bewusst ist (bzw. solche Macht tatsächlich innezuhaben wähnt) und sie dennoch nicht nutzt, der verstößt immer gegen das dem Tatbestand unmittelbar zugrunde liegende Gebot. Das gilt auch dann, wenn Bezugspunkt der Unterlassung nicht „bloß“ ein bloßer Naturkausalverlauf ist, sondern die Aktivtat eines Dritten.1117 Dem vorsätzlichen Unterlassungsdelikt liegen also, anders als dem vorsätzlichen Begehungsdelikt, grosso modo1118 nur primäre Gebotsnormen zugrunde.1119 e) Normstufen/begehungssonderdeliktsgleichwertiges Unterlassen Ebenso wie die Tatbestände der vorsätzlichen Begehungsdelikte lassen sich auch diejenigen der unechten vorsätzlichen Unterlassungsdelikte in verschiedene Gestalten einteilen, denen verschiedene „Normstufen“ zuzuweisen sind: So handelt es sich etwa beim Totschlag durch unechtes Unterlassen gemäß §§ 212, 13 um ein Verletzungsdelikt; ein konkretes Gefährdungsdelikt ist z. B. das Hindernisbereiten im Straßenverkehr durch Unterlassen gemäß §§ 315 I Nr. 2, 13; ein abstraktes Gefährdungsdelikt ist das Inbrandsetzen eines Gebäudes durch Unterlassen gemäß §§ 306 I Nr. 1, 13. 1114 So schon Armin Kaufmann (Unterlassungsdelikte, 186 ff. unter Anführung entsprechender Beispiele). 1115 So schon Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte, 186 ff., 302 f. m. Fn. 214. 1116 s. zutr. zum Ganzen Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte, 186 ff. 1117 s. eingehend dazu noch unten, S. 656 ff. 1118 Zu den diesbezüglichen (Schein-)Ausnahmen (= garantiepflichtwidriges Nichteinschreiten gegen eigenhändige Delikte und garantiepflichtwidriges Nichthindern fremder Absichtsdelikte) s. einstweilen Roxin, AT/II, § 31 Rn. 143. 1119 Entweder ist also der Unterlassende ex ante handlungsfähig – dann trifft ihn eine (eo ipso täterschaftliche!) Handlungspflicht –, oder er ist es eben nicht – dann wird er erst gar nicht verpflichtet; tertium non datur (insofern zutr. schon Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte, 189, 293 f. m. Fn. 203, 302).

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Auch aktive Begehungssonderdelikte (etwa §§ 258a, 340, 348) sind durch Unterlassen i.S.d. § 13 begehbar (= „Garantensonderunterlassen“). In diesem Zusammenhang ist zu fragen, wie sich die tatbestandlich vorausgesetzte Subjektqualifikation zum allgemeinen Entsprechungserfordernis der rechtsgutsbezogenen Garantenstellung verhält. Geht man wie hier davon aus, dass gerade der Kernbereich der Garantieverhältnisse auf die besondere soziale Überantwortung des Rechtsgutsobjekts an den Garanten zurückzuführen ist, so ergibt sich die Antwort von selbst: Das Erfordernis der Garantenstellung tritt nicht etwa kumulativ neben das Postulat des besonderen Subjektverhältnisses, sondern die Garantenstellung wurzelt gerade in der vom Sonderdelikt vorausgesetzten Sonderüberantwortung.1120 2. Die Gebotstatbestände der fahrlässigen Unterlassungsdelikte Schließlich existieren auch fahrlässige Unterlassungsdelikte, die auf bestimmten Sorgfaltsgeboten beruhen. Wie schon im Bereich der Begehungsfahrlässigkeit erhebt sich auch hier die Frage, ob derartige Gebote flächendeckend als Bestimmungsnormen formuliert werden können. Im Hinblick auf diejenigen Handlungspflichten, die den fahrlässigen begehungsgleichen Unterlassungsdelikten zugrunde liegen, stellt sich das Problem sogar in verschärfter Form. Denn hier trifft die relative Unbestimmtheit der einzuhaltenden Sorgfaltskriterien (vgl. § 276 BGB) auf die relative Unbestimmtheit der Garantievoraussetzungen (§ 13), mit der Folge, dass sich das verfassungsrechtliche Unbehagen an der Bestimmtheit solcher Sorgfaltspflichten kumuliert.1121 Doch befreien diese Schwierigkeiten selbstredend nicht von der Notwendigkeit (Schuldprinzip!), diejenigen Akte, deren Unterlassung dem Täter vorgeworfen werden soll, so genau wie möglich zu bestimmen. Dass dies auch gelingen kann, soll nachfolgend aufgezeigt werden. Fahrlässiges Unterlassen kann in drei Grundformen1122 auftreten, nämlich erstens: Ausbleiben einer umsichtigen Ermittlung oder Durchführung der erfolgverspre1120 Vgl. dazu nur Schmidhäuser, AT, 14/51; a.A. Bloy (Beteiligungsform, 240 f.), der meint, die Garantensonderunterlassung erfordere unabhängig von der tatbestandlich vorausgesetzten Subjektqualifikation noch eine Garantenstellung. So sei z. B. ein Beamter, der nicht dagegen einschreite, dass jemand eine falsche Eintragung in ein öffentliches Register mache, allein deshalb noch nicht Unterlassungstäter des § 348 (a.a.O., 341). – Diese Ansicht kann jedoch nicht überzeugen, denn die Sonderzuständigkeit des Beamten für die Wahrheit des öffentlichen Registers betrifft bereits eine umfassende Sonderrechtsgutsbeziehung! 1121 Vgl. zu diesem Problem Schöne, JZ 1977, 150 (152 m. Fn. 22). 1122 Vgl. zur Trias der Grundformen im Einzelnen umfassend Struensee (JZ 1977, 217 ff.), der allerdings in Anlehnung an Armin Kaufmann (Unterlassungsdelikte, 111 f., 170) den Grenzverlauf zwischen Hauptgebot (= Handlungsgebot des Vorsatzdelikts) und Sorgfaltsgebot anders bestimmt, als dies hier geschehen wird. Nach besagter Ansicht soll ab Wahrnehmung eines tatbestandlichen Einwirkungsobjekts erst ein betätigter Rettungswille (quasi-)vorsätzliches Unterlassen ausschließen und den Anwendungsbereich der Sorgfaltsnorm eröffnen (Armin Kaufmann, a.a.O.; Struensee, JZ 1977, 217 [219 m. Fn. 26]). Wie hier bereits gezeigt wurde (oben, S. 209 ff.), ruft diese Sichtweise aber schwere intrasystematische Friktionen hervor und

D. Die Verhaltensnormgenera und ihre jeweiligen Unterarten

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chendsten Rettungsstrategie (hier „unsorgfältiger Erfolgsabwendungsversuch“1123 genannt); zweitens: Unterlassen einer bestimmten Gefahrenvorsorgehandlung in Unkenntnis ihrer nützlichen Wirkungen (sog. „unfinale Erfolgsabwendung“1124); drittens: Unterlassen einer im Hinblick auf die drohende Gefahrenlage kenntnisverschaffenden Handlung (hier sog. „Erkennbarkeit der Gefahrenlage“1125). Besagte Trias der Erscheinungsformen ist der Reihenfolge nach näher zu beleuchten: a) Gebot und Gebotsgegenstand beim unsorgfältigen Erfolgsabwendungsversuch Dass der unsorgfältige Erfolgsabwendungsversuch Fahrlässigkeitsunrecht begründen muss, folgt formallogisch schon aus dem ersten Axiom von Armin Kaufmanns „Umkehrprinzip“ (= gleiche Verhaltensstruktur, umgekehrte rechtliche Wirkung): Wenn beim „unsorgfältigen“ Verletzungsversuch Vorsatzunrecht vorliegt (a) und der „Sorgfaltsmangel“ im Hinblick auf die geplante Verletzung irrelevant ist (non b), dann muss beim unsorgfältigen Erfolgsabwendungsversuch Vorsatzunrecht ausscheiden (non a) und der Sorgfaltsmangel im Hinblick auf die geplante Rettung eigenständige Relevanz erlangen (b).1126 In normlogischer Hinsicht ist zunächst klar, dass das Hauptgebot des Vorsatzdelikts (subjektiv) erfüllt, wer ernstliche Rettungsbemühungen entfaltet.1127 Die sorgfältige Durchführung erkannter Rettungsmöglichkeiten kann daher nur Gegenstand eines selbständigen Sorgfaltsgebots sein. Demnach verstößt etwa der Nichtschwimmer, der am Ufer vergeblich nach einer Rettungsmöglichkeit für den Ertrinkenden sucht, anstatt den Bademeister zu informieren1128, oder der die herbeigeholte Rettungsstange beim Rettungsversuch fahrig ins Wasser gleiten lässt, bei unterstellter Sorgfaltsfähigkeit gegen das allgemeine Sorgfaltsgebot des fahrlässigen Unterlassungsdelikts.1129 Fraglich ist, ob das auch für denjenigen gilt, der vorhandene Rettungsmöglichkeiten erst gar nicht erforscht, weil er von vornherein keine Rettungsbemühungen kann die Beschneidung des Geltungsbereichs der Sorgfaltsnorm, die sie aus axiologischen Erwägungen heraus zu rechtfertigen sucht, normentheoretisch nicht plausibilisieren. 1123 Die Bezeichnung ist angelehnt an die Terminologie Struensees (JZ 1977, 217 [217]), der a.a.O. vom „unsorgfältige[n] Gebotserfüllungsversuch“ spricht. 1124 Der Terminus ist von Struensee, JZ 1977, 217 (221 ff.) übernommen. 1125 Die Bezeichnung ist wiederum an die Terminologie Struensees (JZ 1977, 217 [222]) angelehnt (dort ist von der „Erkennbarkeit der tatbestandsmäßigen Situation des Vorsatzdelikts“ die Rede). 1126 So zutr. Struensee, JZ 1977, 217 (219). 1127 Vgl. eingehend dazu bereits Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte, 109 f., 170 ff. 1128 Beispiel nach Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte, 112 Fn. 58 (weitere Beispielfälle ebenda, 110). 1129 I.d.S. zutr. schon Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte, 109 f., 170 ff. (das fahrlässige Gemeinunterlassen ist freilich grosso modo straflos; Ausnahme: § 138 III [leichtfertige Nichtanzeige geplanter Straftaten]).

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3. Kap.: Täter als Verletzer einer Verhaltensnorm

entfaltet. Armin Kaufmann1130 hält in diesen Fällen das Hauptgebot des vorsätzlichen Unterlassungsdelikts für einschlägig, da derjenige, der angesichts einer drohenden Rechtsgutsverletzung schon gar nicht nach Rettungsmöglichkeiten forsche, strafrechtlich nicht besser stehen dürfe als derjenige, der eine erkannte Rettungsmöglichkeit verstreichen lasse. Diese Sichtweise ist zwar axiologisch nachvollziehbar, jedoch normentheoretisch verfehlt, denn das Gebot des vorsätzlichen Unterlassungsdelikts kann den Adressaten immer nur im Rahmen seiner tatsächlichen Handlungsfähigkeit verpflichten.1131 Zur intentionalen Erfolgsabwendung aktuell fähig ist aber nur, wer eine Rettungsmöglichkeit erkannt hat, nicht schon, wer sie infolge unterlassener Prüfung hätte erkennen können.1132 Ganz entsprechend kommt es für die Erfüllung des Hauptgebots nur darauf an, dass der Täter die nach seiner Vorstellung erfolgversprechendste Handlung vornimmt,1133 nicht hingegen darauf, wie er nach dem Urteil einer objektiven Maßstabsfigur bestmöglich hätte handeln können.1134 Das Gebot des vorsätzlichen Unterlassungsdelikts verpflichtet den Adressaten also immer erst ab Vorstellung einer Eingriffsmöglichkeit und nur im Rahmen der von ihm vorgestellten Handlungsmöglichkeiten. Demnach kann das Hauptgebot denklogisch nicht die Erforschung und Reflexion bloß erkennbarer Handlungs- bzw. Durchführungsoptionen postulieren.1135 Diese in erster Linie kenntnisverschaffenden Tätigkeiten müssen folglich Gegenstand des Sorgfaltsgebots sein, das zunächst die sorgfältige Erforschung vorhandener Rettungsmöglichkeiten sowie – dann parallel zum Hauptgebot – die sorgfältige Erforschung und Durchführung der situativ sinnvollsten Rettungsmaßnahme vorschreibt.1136 Demnach ist es also ausnahmslos die Sorgfaltsnorm, die bei Wahrnehmung einer drohenden Rechtsgutsverletzung zuerst eingreift und diejenigen „Denkakte“1137 gebietet, die für die Erschließung von Rettungsmöglichkeiten und 1130

In: Unterlassungsdelikte, 111 f., 170, 176 f. Erst bei Kenntnis bzw. Vorstellung des Unterlassenden von der eigenen Handlungsfähigkeit ist es sinnvoll, von einer „tatbestandsmäßigen Situation“ des Vorsatzdelikts zu sprechen. Notwendige Prämisse für das Fassen-Können des von der Hauptnorm geforderten Rettungsentschlusses ist nämlich das Erfassen des konkreten Handlungsziels (so im Ansatz auch Armin Kaufmann, Dogmatik, 42). Von einer solchen Zielerfassung (i.S.d. konkret gebotenen Rettungsmaßnahme) kann aber sinnvoll nur die Rede sein, wenn der Betreffende das Geschehen, das er vor sich ablaufen sieht, zumindest sachgedanklich auf sich als „Tatmächtigen“ bezieht (so zutr. schon Grünwald, Mayer-FS [1966], 281 [302 f.]). 1132 So der Sache nach schon Grünwald, Mayer-FS (1966), 281 (302 f.). 1133 s. dazu Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte, 126. 1134 Das Postulat der objektiv bestmöglichen Rettungshandlung verortet auch Armin Kaufmann (Unterlassungsdelikte, 176) im Anwendungsbereich der genuinen Sorgfaltsnorm; zweifelnd dagegen Struensee, JZ 1977, 217 (220 a.E.). 1135 So aber wohl Struensee, JZ 1977, 217 (220 a.E. m. Fn. 46). 1136 So der Sache nach bereits Grünwald, Mayer-FS (1966), 281 (295 ff.); für das Handeln mit Erfolgsabwendungstendenz auch Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte, 176 m. Fn. 222. 1137 Begriff nach Struensee, JZ 1977, 217 [219 Fn. 26]). – Diese Denkakte sind zwar keine Körperbewegungen, doch zwingt die ontologische Eigenart des Unterlassens dazu, den Re1131

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deren erfolgreiche Durchführung erforderlich sind.1138 Das impliziert zwar den axiologischen Bruch, dass der Gefühllose, der trotz Wahrnehmung eines Einwirkungsobjekts erst gar nicht an die Möglichkeit einer Rettung denkt, nicht wegen vorsätzlicher Unterlassung bestraft werden kann.1139 Dieser Bruch kann aber problemlos hingenommen werden. Er betrifft ohnehin nur Kathederfälle, da auch für den Unterlassungsvorsatz schon das sachgedankliche Mitbewusstsein einer prinzipiellen Interventionsmöglichkeit genügt.1140 Davon abgesehen liegt aber im Rekurs auf ein flächendeckendes Tatsachenbewusstsein des Unterlassungstäters auch nur die konsequente Übertragung der von § 16 I 1 (e contrario) gestellten Vorsatzanforderungen in den Unterlassungsbereich.1141 Endziel des Sorgfaltsgebots ist die sorgfältige Durchführung der situativ sinnvollsten Handlungsoption, weshalb sämtliche bis dahin erforderlichen Prüfungsschritte geboten sind. Demnach verpflichtet das Sorgfaltsgebot also auch denjenigen, der seinem Rettungsimpuls instinktiv folgt, denselben temporär zu überformen und die situativ sinnvollste Rettungsstrategie zu eruieren. Man kann sich das Sorgfaltsgebot daher als ein pyramidenförmiges Pflichtengebilde vorstellen, das mehrere ineinandergreifende Pflichtenstufen generiert, deren „Erklimmen“ schrittweise zum finalen Ziel der sorgfaltsgemäßen Rettungshandlung führt: Erste Pflichtstufe1142: „Prüfe sorgfältig, ob und wenn ja welche Eingriffsmöglichkeiten situativ bestehen!“1143 ; zweite Pflichtstufe: „Prüfe sorgfältig, welche der von Dir erkannten Handlungsoptionen die situativ sinnvollste ist!“; dritte Pflichtstufe: „Prüfe sorgfältig, wie die ermittelte Rettungsstrategie am gewissenhaftesten durchgeführt werden kann!“; vierte Pflichtstufe: „Gehe bei der Umsetzung der Strategie sorgsam zu Werke!“1144 Auch diese aus dem Sorgfaltsgebot fließenden Pflichten binden den Adressaten freilich nur im Rahmen seiner existentiellen Handlungsfähigkeit. Eine umsichtige Erforschung der situativ sinnvollsten Rettungsstrategie kann daher immer nur leisten, wer nach seinen persönlichen psychophysischen Fähigkeiten auch prinzipiell in gelungsbereich der Gebote insofern weiter zu ziehen als den der Verbote, mit Struensee (JZ 1977, 217 [219 Fn. 26]) gesprochen: „Denken ist zwar niemals verboten, mitunter aber geboten (…)“; ebenso Jakobs, AT 6/34. 1138 Vgl. dazu auch Schöne, JZ 1977, 150 (157, 158 Fn. 74) und Struensee, JZ 1977, 217 (222), allerdings bezogen auf die Konstellation der unter c) noch zu behandelnden Fallgruppe der „Erkennbarkeit der tatbestandsmäßigen Situation“. 1139 So Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte, 112, 176 f. 1140 s. dazu bereits Grünwald, Mayer-FS (1966), 281 (294 f.). 1141 So zutr. Jakobs, AT, 29/88; eingehend zum Ganzen s. nochmals oben, S. 209 ff. 1142 Der sub c) noch zu behandelnde Fall der „Erkennbarkeit der Gefahrenlage“ sei aus Gründen der Vereinfachung einstweilen noch aus der „Pflichtenpyramide“ ausgeklammert. 1143 Derartige Sorgfaltspflichten sind auch keineswegs zu vage oder unbestimmt, denn wie Schöne (JZ 1977, 150 [151 Fn. 6]) richtigerweise angemerkt hat, existiert in der konkreten Entscheidungssituation stets nur ein eng begrenzter Kreis möglicher Rettungswege. 1144 Einige Beispiele entsprechender Sorgfaltspflichtverletzungen finden sich bei Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte, 110, 112 Fn. 58, 114.

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3. Kap.: Täter als Verletzer einer Verhaltensnorm

der Lage ist, die insofern erforderliche Prüf- und Denkleistung gewissenhaft zu erbringen. Vom allgemeinen Sorgfaltsgebot als Bestimmungsnorm angesprochen wird daher letztlich nur, wer zur Erbringung der konkret erforderlichen Sorgfalt auch tatsächlich individuell fähig ist bzw. wäre, d. h. nur der Sorgfaltsfähige.1145 Damit avanciert die Schuldfähigkeit zur allgemeinen Unrechtsprämisse.1146 Diese dogmatische Inkonsistenz ist jedoch aus normlogisch zwingenden Gründen hinzunehmen: Sie ist Ausfluss des unumstößlichen Axioms, dass eine Norm nur den Handlungsfähigen verpflichten kann.1147 b) Gebot und Gebotsgegenstand bei der unfinalen Erfolgsabwendung Dass das Unterlassen von Akten, deren unfinale Folge die Erfolgsabwendung wäre, Fahrlässigkeitsunrecht sein muss, folgt formallogisch aus dem zweiten Axiom des Kaufmann’schen Umkehrprinzips (= umgekehrte Verhaltensstruktur, gleiche rechtliche Wirkung): Wenn die Vornahme einer unerkannt schädlichen Handlung Fahrlässigkeitsunrecht begründet, dann muss das Unterlassen einer unerkannt nützlichen Handlung ebenfalls Fahrlässigkeitsunrecht begründen.1148 Trägt diese Hypothese, dann ist nach der konstruktiven Möglichkeit bzw. dem tatsächlichen Anwendungsfeld entsprechender Gebotsnormen zu fragen. Gegenstand solcher Gebote müssten intentionale Handlungen sein, „(…) deren (potentielle) unfinale Folge der Erfolgsabwendung sie als sorgfaltsgemäß erscheinen lässt

1145

Diese Einsicht ist gerade für die gravierendsten Unterlassungsdelikte bedeutsam, denn ihnen liegen typischerweise Situationen zugrunde, die geeignet sind, den Pflichtigen in einen extremen Erregungszustand zu versetzen und seine Fähigkeit zu wohlüberlegter Mittelauswahl zu beeinträchtigen (so zutr. Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte, 173). 1146 Zielinski, Unrechtsbegriff, 170. 1147 Zwar wurden gegen eine Vermengung von Unrechts- und Schuldmaterie sub specie Handlungsfähigkeit in der Vergangenheit durchschlagende Bedenken geäußert (so Zielinski, Unrechtsbegriff, 170 f. m. Fn. 78a; Paeffgen, Verrat, 139 Fn. 350). Doch war diese Kritik zugeschnitten auf eine Dogmatik, die tendenziell dahin ging, Fahrlässigkeit überhaupt, also auch Begehungsfahrlässigkeit, als Sonderfall des Unterlassungsdelikts zu begreifen: Anerkenne man ein generelles Sorgfaltsgebot, so bedeute dies die unspezifische Pflicht jedes Sorgfaltsfähigen, ein umfassendes Vermeidemotiv bezüglich rechtsgutsverletzender Erfolge aller Art zu entwickeln. Da aber menschliches Handeln permanent fremde Rechtsgüter berühre, könne ein Sorgfaltsgebot, das bloß eine allgemeine Pflicht zur Erfolgsvoraussicht generiere, niemanden zum richtigen Handeln motivieren (so Paeffgen, a.a.O.). Dem Orientierung für sein Verhalten suchenden Normadressaten werde so nicht geholfen, da es an der Beschreibung von Verhaltensmustern fehle, in denen er sein eigenes projektiertes Verhalten als unerlaubtes wiedererkennen könne (so Zielinski, Unrechtsbegriff, 170 f. Fn. 78a). – Diese Kritik verdient in der Sache Beifall. Sie trifft jedoch nicht das vorliegend in Rede stehende Sorgfaltsgebot, das dem Tatbestand des fahrlässigen Unterlassungsdelikts zugrunde liegt; denn hier kennt der Normadressat das konkrete Rettungsziel, zu dessen Erreichung er die geforderte Sorgfalt einzuhalten hat, oder jedenfalls den konkret einschlägigen Erfahrungssatz, der ihn zu sorgfaltsgemäßem Handeln anhält. 1148 So zutr. Struensee, JZ 1977, 217 (220); Schöne, JZ 1977, 150 (158).

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und deren Nichtvornahme darum sorgfaltswidrig ist“1149. Und in der Tat lassen sich für derartige Handlungen zahlreiche Beispiele finden: „Information des Schrankenwärters vom Zugwechsel, Streuen bei Glatteis, Beleuchtung des Treppenhauses, Abdecken einer Grube, Anbringen eines Geländers an einer Brücke, Kenntlichmachen eines liegengebliebenen Fahrzeugs, Warnung der Gleisarbeiter vor dem herannahenden Zuge usw.“1150

Es ist auch durchaus sinnvoll und möglich, dementsprechende Gefahrenvorsorgehandlungen allgemeinrechtlich zu gebieten. Ersichtlich wird dies bereits daran, dass viele dieser Tätigkeiten Gegenstand geschriebener Gebotsnormen sind (zu denken ist etwa an § 15 StVO, der das Kenntlichmachen liegen gebliebener Fahrzeuge gebietet, oder an die örtlichen Straßenreinigungssatzungen, die den Eigentümern das Streuen von Gehwegen etc. oktroyieren). Existiert eine solche gesetzliche Vertypung nicht, so tritt – wie schon im Begehungsbereich – an ihre Stelle die allgemeine Sorgfaltsnorm, die nach dem Metamodell zur Konklusion von Sorgfaltspflichten gebildet wird.1151 Die Bestimmungsnorm wirkt dabei (korrelativ zur Begehungsfahrlässigkeit) über das objektiv zum Handeln Anlass gebende Moment auf das Adressatenbewusstsein ein, d. h. über die Kenntnis der „tatbestandsmäßigen Situation“, deren Beseitigung Ziel der erwarteten Vorsorgehandlung ist (etwa die offene Baugrube oder der vereiste Gehweg).1152 Wer die tatbestandsmäßige Situation kennt, der kann sich auch prinzipiell an dem daraus resultierenden Sorgfaltsgebot (z. B. zu streuen oder die Baugrube abzudecken) orientieren. Dabei ist, wie schon im Fall des unsorgfältigen Erfolgsabwendungsversuchs, nicht nur die Vornahme der Gefahrenvorsorgehandlung als solcher geboten, sondern auch deren sorgfältige Erbringung.1153 Auch das Gebot der unfinalen Erfolgsabwendung verpflichtet also den Adressaten letztlich nur im Rahmen seiner individuellen Sorgfaltsfähigkeit. Schließlich ist es auch möglich, dass die Fähigkeit zur unfinalen Erfolgsabwendung ihrerseits erst als Produkt einer vorausgehenden Kenntnisverschaffung erreichbar ist.1154 Insofern mahnt Struensee1155 allerdings zu Recht zur Vorsicht: „Mit der Entfernung von dem letzten Akt, für den im Rahmen der potentiellen Kausalität für den Rettungserfolg hypothetische Handlungsfähigkeit erforderlich ist (…), wachsen allerdings die Bedenken gegen die Aufstellung einer strafbewehrten Handlungspflicht (…).“ 1149

Schöne, JZ 1977, 150 (158). Struensee, JZ 1977, 217 (221). 1151 Vgl. Struensee, JZ 1977, 217 (221). 1152 Schöne, JZ 1977, 150 (158); Struensee, JZ 1977, 217 (221). 1153 Vgl. auch Struensee (JZ 1977, 217 [222]), der im Hinblick auf das unsorgfältige Angehen einer Vorsorgehandlung von einer „Kombination der Grundformen“ sprechen will. Gemeint sein kann nur der unsorgfältige Erfüllungsversuch des auf die Vorsorgehandlung gerichteten Sorgfaltsgebots. Das impliziert jedoch die normlogisch problematische Annahme eines derivativen Gebots zur sorgfältigen Erfüllung der Sorgfaltsnorm. 1154 Struensee, JZ 1977, 217 (222). 1155 JZ 1977, 217 (222). 1150

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3. Kap.: Täter als Verletzer einer Verhaltensnorm

c) Die Erkennbarkeit der Gefahrenlage Die dritte Grundform fahrlässigen Unterlassens bildet der Fall, dass der Normadressat infolge von Unachtsamkeit bereits die Existenz des Einwirkungsobjekts bzw. der drohenden Rechtsgutsverletzung verkennt. Beispielhaft sei etwa der Fall der Mutter genannt, die ihr Kleinkind im Schwimmbad unbeaufsichtigt lässt, so dass es ungesehen in das Schwimmerbecken springt und dort ertrinkt; ein weiteres Beispiel ist das des Bademeisters, der aus Unachtsamkeit den Hilferuf eines Ertrinkenden überhört. Normlogisch betrachtet stellt sich dieser Typus fahrlässigen Unterlassens wie folgt dar: Jemand unterlässt eine gebotene Handlung a (in den Beispielen die Beaufsichtigung des Kindes bzw. der Badegäste), deren Vornahme die Kenntnis der drohenden Rechtsgutsverletzung und damit die Fähigkeit zu einer weiteren Handlung b, nämlich der Einleitung von Rettungsmaßnahmen, mit sich gebracht hätte.1156 Bei den Handlungen der Kategorie a handelt es sich insbesondere um Aufsichts-, Kontroll-, Prüfungs- und Überwachungstätigkeiten.1157 Der jeweilige Normadressat ist zur Vornahme einer solchen kenntnisverschaffenden Tätigkeit fähig, wenn ihm das Ziel dieser Tätigkeit bekannt1158 oder jedenfalls in seinem latenten, reproduzierbaren, Mitbewusstsein abrufbar vorhanden ist. Das dürfte in vielen oder gar den meisten Konstellationen dieser Fallgruppe unproblematisch anzunehmen sein, denn die Pflicht zur Vornahme permanenter Aufsichtsund Überwachungstätigkeiten beruht typischerweise auf einer persönlichen Sonderüberantwortung des betreffenden Rechtsgutsobjekts, die dem Pflichtigen sachgedanklich bewusst ist, ohne dass er sie aktuell reflektieren müsste. So liegt es etwa bei der elterlichen Aufsichtspflicht, deren Existenz durchaus im ständigen Begleitbewusstsein der Eltern verankert ist, oder bei der berufsmäßigen Aufsichtspflicht des Bademeisters. Wer im beschriebenen Sinne handlungsfähig ist und die Vornahme der kenntnisverschaffenden Tätigkeit dennoch unterlässt, der verwirklicht fahrlässiges Unterlassungsunrecht. Wiederum verlangt die Sorgfaltspflicht nicht nur die Vornahme der kenntnisverschaffenden Handlung, sondern auch deren sorgfältige Ausführung. Geboten ist also etwa: „Du sollst Dein Kind sorgfältig beaufsichtigen!“ bzw. „Du sollst sorgfältig nach in Not geratenen Badegästen Ausschau halten!“. Das Sorgfaltsgebot wird folglich auch dann verletzt, wenn der Adressat zwar die kenntnisverschaffende Handlung an sich vornimmt, dabei aber die gebotene Sorgfalt vermissen lässt.1159 Dazu folgendes Beispiel1160 : Arzt A verkennt bei einem in seiner 1156

Die normlogische Aufschlüsselung betreffend ebenso Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte, 41; Schöne, JZ 1977, 150 (154 ff.); Struensee, JZ 1977, 217 (222). 1157 Schöne, JZ 1977, 150 (157, 158 Fn. 74); Struensee, JZ 1977, 217 (222). 1158 Schöne, JZ 1977, 150 (158); Struensee, JZ 1977, 217 (221). 1159 Struensee (JZ 1977, 217 [222]) würde hierin wiederum eine Kombination der Grundformen erblicken.

D. Die Verhaltensnormgenera und ihre jeweiligen Unterarten

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Sprechstunde vorgestellten Kind aufgrund unsorgfältiger Untersuchung die Symptome der Diphteriekrankheit, weshalb die Applikation des entsprechenden Heilserums unterbleibt – fahrlässige Körperverletzung durch Unterlassen, §§ 229, 13. Endlich ist es denkbar, dass die Fähigkeit zur Kenntnisverschaffung ihrerseits nur als Produkt einer vorausgehenden Kenntnisverschaffung erreichbar ist (Bsp.: Bademeister B hat während seiner Mittagspause „die Zeit vergessen“, weshalb er erst gar nicht auf seinem Stuhl sitzt, als der Ertrinkende um Hilfe ruft). Im Hinblick auf eine solche Vorverlagerung strafbewehrter Verhaltenspflichten ist freilich im Auge zu behalten, dass mit der zunehmenden „Ausdünnung“ der tatbestandsmäßigen Situation die Bedenken gegen die Errichtung strafbewehrter Handlungspflichten wachsen.1161 Nur anzumerken ist, dass die Konstellation der Nichtvornahme einer kenntnisverschaffenden Handlung im Begehungsbereich keine direkte Entsprechung findet: Die Vornahme einer Handlung, welche die Kenntnis eines durch eigenes späteres Handeln erreichbaren negativen Erfolges herbeiführt, spielt dort keine Rolle.1162 Das Umkehrprinzip sagt also für den Typus der Erkennbarkeit der Gefahrenlage nicht formallogisch voraus, dass er fahrlässiges Unterlassungsunrecht darstellt. Man könnte daher fragen, ob nicht die Anerkennung dieses Typus auf dem Boden einer vom Umkehrprinzip her erschlossenen Normentheorie das ganze dogmatische System zum Einsturz bringen müsste.1163 Das Problem erledigt sich jedoch, wenn man das zweite Axiom des Umkehrprinzips (= umgekehrte Verhaltensstruktur, gleiche rechtliche Wirkung) heranzieht: Dem Unterlassen einer sorgfaltsgemäßen kenntnisverschaffenden Handlung korreliert im Begehungsbereich die Vornahme einer sorgfaltswidrigen kenntnisverbauenden Handlung. Es zeigt sich, dass die Konstellation der Erkennbarkeit der Gefahrenlage und ihr strukturelles Korrelat im Begehungsbereich ein und dasselbe Phänomen beschreiben: Wenn sich die Mutter im Schwimmbad von ihrem Kleinkind entfernt oder der Bademeister seine Aufmerksamkeit auf andere Dinge als das Schwimmerbecken richtet, dann liegt in diesem Handeln, das die Erkennbarkeit der Gefahrenlage verbaut, zugleich das Unterlassen, der elterlichen bzw. beruflichen Aufsichtspflicht nachzukommen. Die rechtlich maßgebende Kategorie ist dabei diejenige der Unterlassung, denn erst der Rückgriff auf die rechtliche Aufsichtspflicht erklärt, dass und warum das Sich-Entfernen vom Kind überhaupt fahrlässiges Verhaltensunrecht ist. Damit unterliegt das aktiv-sorgfaltswidrige Verbauen der Kenntnisnahmemöglichkeit von einer Gefahrenlage derselben rechtlichen Wertung wie das Unterlassen sorgfaltsgemäßer Kenntnisverschaffung: Das Umkehrprinzip funktioniert auch hier formallogisch tadellos! 1160 1161 1162 1163

Das Beispiel stammt von Engisch, JZ 1962, 189 (190). Struensee, JZ 1977, 217 (222). Struensee, JZ 1977, 217 (222). Darauf will wohl Vogel (Norm, 251) hinaus.

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3. Kap.: Täter als Verletzer einer Verhaltensnorm

d) Echtes und begehungsgleichwertiges fahrlässiges Unterlassen Auch im Bereich der fahrlässigen Unterlassung figuriert das Verhaltensunrecht unter bestimmten Prämissen als ein begehungsgleichwertiges. Ein begehungsgleichwertiges fahrlässiges Unterlassen liegt vor, wenn ein Garant eine Sorgfaltspflicht in dem unter a) bis c) geschilderten Sinne verletzt. Wie schon im Vorsatzbereich tritt auch hier das Rechtsphänomen der Dringlichkeitssteigerung1164 auf: Das an den Garanten gerichtete Sorgfaltsgebot ist mit gesteigerter Dringlichkeit ausgestattet, da die Rechtsgemeinschaft ihn im Hinblick auf das an ihn überantwortete Rechtsgut bzw. die eröffnete Gefahrenquelle mit besonderem Nachdruck zur Sorgfalt anhält. Wie die vorsätzliche, so setzt auch die fahrlässige Garantenunterlassung die Aktualisierung des unrechtsmodifizierenden Merkmals voraus. Der Adressat muss also die Umstände kennen, die das legislatorische Motiv dafür bilden, ihn besonders nachdrücklich zur Sorgfalt anzuhalten, d. h. die tatsächlichen Umstände, die seine Garantenstellung begründen. Das ist jedoch im sozialen Alltag bei den meisten Garantenstellungen ohne Weiteres der Fall. Eine selbständige Sorgfaltspflicht zur Eruierung der garantiebegründenden Umstände kann es indes nicht geben, und zwar schon deshalb nicht, weil diese Umstände bloß als unselbständige Elemente zur bestehenden Sorgfaltspflicht hinzukommen.1165 Verstößt der Garant gegen ein mit begehungsäquivalenter Dringlichkeit ausgestattetes Sorgfaltsgebot, so ist er ceteris paribus nach § 13 i.V.m. dem entsprechenden Fahrlässigkeitstatbestand des Besonderen Teils zu bestrafen.1166 Aus der Gesamtfülle des fahrlässigen Unterlassungsgemeinunrechts ist dagegen lediglich ein marginaler Ausschnitt als sog. echtes fahrlässiges Unterlassungsdelikt strafbar, nämlich die leichtfertige Nichtanzeige geplanter Straftaten (§ 138 III).

III. Ergebnis Sowohl das dem vorsätzlichen Unterlassungsdelikt zugrunde liegende Hauptgebot als auch das allgemeine Sorgfaltsgebot, das dem fahrlässigen Unterlassungsdelikt zugrunde liegt, generieren jeweils Pflichten, die durchaus handgreiflich und normentheoretisch fassbar sind. Das gilt insbesondere auch für die aus dem allgemeinen Sorgfaltsgebot fließenden Pflichten, die den Einzelnen zwar letztlich 1164

Ausführlich dazu oben, S. 214 ff. (219 f.). A.A. allerdings Roxin (AT/II, § 31 Rn. 198), der ein fahrlässiges Garantenunterlassen annehmen will, wenn ein Garant infolge von Sorglosigkeit die Umstände verkennt, die seine Garantenstellung begründen; wie hier dagegen Welzel, Strafrecht, § 28 B 2 (S. 223). 1166 Möglich ist auch ein fahrlässiges Garantensonderunterlassen (Bsp.: Der Aufsichtsbeamte unterlässt die gebotene Zellenkontrolle und kommt deshalb zu spät, um die Misshandlung eines Gefangenen durch Mitgefangene zu verhindern). Auch hier handelt es sich um ein für den Sonderpflichtigen (und daher: Garanten) subjektiv dringlichkeitsmodifiziertes Sorgfaltsgebot. 1165

E. Rekapitulation der bisherigen Gesamtausführungen

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nur im Rahmen seiner individuellen Sorgfaltsfähigkeit binden können, die aber doch allesamt an sein Bewusstsein vom Ziel der gebotsgegenständlichen Tätigkeit anknüpfen, welches ihm nahelegt, dass und in welcher Hinsicht er überlegt zu agieren hat. Gerade auch für das Feld der fahrlässigen Unterlassungen konnte also die Behauptung verifiziert werden, dass flächendeckend Normen und Pflichten existieren, die dem Einzelnen gegenständlich exakt sagen, was er zu tun hat.

E. Rekapitulation der bisherigen Gesamtausführungen Bevor im nächsten Schritt die in der Strafrechtswissenschaft verfochtenen Alternativmodelle des personalen Unrechts und der Straftat vorgestellt werden, sollen die bisherigen Überlegungen noch einmal skizzenhaft rekapituliert werden, um den erreichten Sachstand als Ausgangsbasis für die weiteren Überlegungen präsent zu haben: Die Arbeit setzte mit der Erkenntnis ein, dass Täter derjenige sein muss, der sich tatbestandsmäßig verhält, da die Tatbestände des Besonderen Teils nicht etwa ein impersonales „tatbestandsmäßiges Geschehen“ (Roxin) schildern, sondern bestimmte Verhaltenstypen inkriminieren (Schild). Diese Einsicht zwingt zur Ausarbeitung einzelner Tatbestandsverhaltenstypen, deren soziales Vorverständnis zugleich auch den Anknüpfungspunkt der gesetzgeberischen Wertung ausmacht bzw. ausmachen muss (Norminternalisierung!). Da einem derart konkret verstandenen Begriff des tatbestandsmäßigen Verhaltens eine Auslesefunktion bereits inhärent ist, bedarf es naturgemäß keines Rückgriffs auf das Leitprinzip einer „Zentralgestalt“, wie Roxin es den Tatbeständen implantieren will. Dieses Leitbild dient im System Roxins gerade dazu, den Mangel eines konkreten, an unser Alltagsverständnis von Handlung rückgebundenen Begriffs des tatbestandsmäßigen Verhaltens zu kompensieren (Schild). Der soziale Alltag versteht unter einer Handlung nicht bloß eine willkürliche „Persönlichkeitsäußerung“, der der Erfolg i.S.e. allgemeinen Fahrlässigkeitsdogmatik objektiv zurechenbar ist. Auch gibt es nicht ein seinsmäßig vorgegebenes „Wesen“ von „Handlung“, wie es die finale Handlungslehre Welzels und Armin Kaufmanns für sich reklamiert (hat). „Handlung“ ist vielmehr schlicht das praktische Verantwortlich-Machen eines (deshalb:) Akteurs für eine Außenweltveränderung unter einem bestimmten sozialerheblichen Erklärungsgehalt. Soweit die „Handlungssemantik“ betroffen ist, existiert keine Privatsprache, sondern es gilt das praktisch institutionalisierte Handlungsinterpretament des sozialen Alltags (= Deutungshoheit der handlungssinnerklärenden Sprache). Grundlegend ist insofern das teleologische Explikationsmodell des sog. praktischen Syllogismus, nach dem wir die Intentionalität eines Handelns (retrospektiv) bestimmen. Allgemein gesprochen verstehen wir unter „Handlung“ die Interpretation einer intentionalen Selbstverwirklichung (Kindhäuser). Intentionen stehen dabei für die mannigfaltigen

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3. Kap.: Täter als Verletzer einer Verhaltensnorm

Sinndimensionen unseres Handelns, die ihrerseits stets relativ unter einer Zuschreibung sind. Elementare Bedeutungsträger unseres Handelns sind unsere Körperbewegungen, die wir nicht bloß als Instrumente zum Anstoß von Naturkausalverläufen wahrnehmen, sondern als intentional konkret dimensionierte „BasisHandlungen“, durch die wir sinnstiftend in die Welt eingreifen (= alltagsontologische Komponente der Handlungszuschreibung). Kausalität ist in diesem Zusammenhang unser empirisches Modell zur Antizipation der tatsächlichen Außenweltfolgen unseres intentionalen Basis-Handelns (= realontologische Komponente der Handlungszuschreibung). Umgekehrt können wir uns aber freilich auch bewusst nicht in unseren Körperbewegungen verwirklichen, weshalb wir das Verhältnis unseres „Ichs“ zu seinen Körperbewegungen als eines von Aktualität und Potentialität (Kindhäuser) erfahren. So erlebt ein Subjekt, das nicht eingreift, obwohl es eine drohende Rechtsgutsverletzung wahrgenommen und die eigene Fähigkeit zu deren Abwendung erkannt hat, den Eintritt der Rechtsgutsverletzung als das Ergebnis seiner intentionalen Zulassungshandlung (durch Unterlassen). Auch eine i.d.S. zugelassene Außenweltveränderung erfahren wir somit als Objekt unserer intentionalen Selbstverwirklichung: Das Unterlassen einer prinzipiell zur Erfolgshinderung tauglichen Eingriffshandlung ist eine nach allgemeinen Gesetzmäßigkeiten hinreichende Strategie der intentionalen Zulassung eines tatbestandsmäßigen Erfolgs. Was das aktive Tun angeht, so ist der intentionale Basis-Akt, in dem sich ein bestimmter Handlungswille eo ipso objektiviert (also das Handlungsunrecht ex ante), Kristallisationspunkt der Interpretation, denn in diesem Grundakt fließen realontologische Komponente (= Kalkulierbarkeit des Geschehens qua Kausal- bzw. Erfahrungswissen ex ante) und alltagsontologische Komponente (= Ansetzen zur intentionalen Selbstverwirklichung in einem bestimmten Intentionsobjekt) zusammen. Im Rahmen der sozialontologischen Komponente wirkt sich dabei die Allgemeinverbindlichkeit des alltagspraktischen Handlungsinterpretaments in doppelter Hinsicht aus. Das gilt zunächst für die Vorsatzbestimmung: Bereits die Wahrnehmung eines tatbestandsspezifischen Erfolgsrisikos durch den Akteur reicht hin, um ihm eine in seinem Handeln zum Ausdruck kommende Intentionalität zuschreiben zu können. Darüber hinaus kommt dem Handlungsinterpretament des sozialen Alltags aber auch entscheidende Bedeutung für die Abgrenzung der Beteiligungstypen zu. Richtig ist zwar, dass alle Beteiligungshandlungen dieselbe intentionale Grundstruktur aufweisen, so dass auch der Anstifter und der Gehilfe zur Selbstverwirklichung in ihrem Intentionsobjekt menschliche Werkzeuge einplanen können (so schon Welzel). Allerdings unterscheiden sich „Täterschaft“ und „Teilnahme“ im Gehalt des Handlungserlebnisses: Der Täter will in Form eines eigenen Handlungserlebnisses selbst intentional auf das Rechtsgut zugreifen, wohingegen der Teilnehmer das Erlebnis intentionalen Entscheidungszugriffs dem Täter überlassen will/muss. Diese „natürliche“ Grenzvorgabe des allgemeinen Handlungsinterpretaments geht in den strafrechtlichen Handlungsbegriff ein, mit der Maßgabe, dass der Straftattypus die rechtlich möglichen Sinndimensionen einer intentionalen Selbst-

E. Rekapitulation der bisherigen Gesamtausführungen

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verwirklichung abschließend vorgibt und damit das strafrechtsrelevante Tun aus seinem weiteren „sozialen Handlungssinn“ (Roxin) herausschneidet bzw. „verrechtlicht“ (Schild). Aus dem allgemeinen Handlungsinterpretament des sozialen Alltags folgt auch die Distinktion von vorsätzlichem und fahrlässigem Handeln, die der Gesetzgeber durch die Unterscheidung nach Deliktstypen übernommen hat. Weder die nivellierende Lehre von der objektiven Zurechnung noch der verhaltensnormtheoretische Ansatz Frischs vermögen es, die materiale Differenz zwischen vorsätzlichem Handeln und fahrlässigem Verhalten einzuebnen. Mit Frisch von einem neutralen Verhaltensunwert i.S.e. objektiv-tatbestandsmäßigen Risikoschaffung ausgehen zu wollen, erweist sich als unmöglich, da einer solchen Annahme der Rückbezug auf den eigentlich risikobegründenden Verhaltensaspekt fehlt. Denn die Schaffung einer konkreten Gefahr ist selbst bereits ein (Gefahr-)Erfolg, der im Falle seines Eintritts einem (allgemein) verbotenen, „gefahrerfolgsgefährlichen“, Verhalten zugerechnet werden muss. Dieses Verhalten ist aber eben für Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikte unterschiedlich zu bestimmen (so zuletzt wieder dezidiert Schild). Das allgemeine Verhaltensunrecht der Fahrlässigkeitsdelikte liegt in der Umsetzung einer sorgfaltswidrigen Verhaltensentscheidung, das vorsätzliche Handlungsunrecht dagegen in der handlungsmäßigen Expression einer Verletzungsmaxime. Zwar mag man im vorsätzlichen Handeln eine wesensverschiedene Art der „Sorgfaltspflichtverletzung“ erblicken (Puppe), was aber am unleugbaren Unterschied im intensionalen Programmgehalt nicht das Geringste ändert (handlungstheoretisch betrachtet geht es eben um verschiedene „intentionale Abbruchkriterien“ [Begriff nach Kindhäuser]). Die Rückbesinnung auf das wirkliche personale Verhaltens- bzw. Handlungsunrecht ex ante ist in einem Schuldstrafrecht zwingend geboten. Personale Verantwortung kann nur anknüpfen an die Fähigkeit zur freien Willensbildung und -betätigung. Von dieser Fähigkeit kann man aber nur Gebrauch machen, indem man die Entscheidung zur Vornahme einer Handlung unmittelbar umsetzt bzw. einen erforderlichen Handlungsentschluss nicht fasst. Mit Betätigung eines negativ bewerteten bzw. mit Nichtbetätigung eines positiv bewerteten Handlungsentschlusses ist die maximale Tatschuld erreicht. Dennoch ist im Vorsatzbereich auch der „unwertige“ Erfolg Bestandteil des Unrechts, und zwar in Gestalt einer (prinzipiellen) Erfolgsfähigkeit ex ante: Im Falle vorsätzlichen Handelns betätigt der Akteur eine prinzipiell selbstverwirklichungsfähige Strategie der Erfolgsherbeiführung, weshalb das Ausbleiben des Erfolgseintritts grosso modo Zufall ist. Tritt also der Erfolg ein, so wird er zugerechnet, mit der Begründung, der Zufall sei bei der Handlungskonklusion und auch nach Freisetzung des Kausalverlaufs wie erwartet ausgeblieben. Für die vorsätzliche Unterlassung gilt mutatis mutandis Entsprechendes: Pflichtgegenstand ist eine Handlung, die nach der tätereigenen Vorstellung von den für einen rettenden Kausalverlauf essentiellen Konstanten (= taugliches Einwirkungsobjekt, taugliches Rettungsmittel, psychophysische Handlungsmacht) zur Erfolgshinderung prinzipiell tauglich wäre. Hat der Täter die Möglichkeit zur Einleitung erfolgversprechender Hilfsmaßnahmen erkannt und ist trotzdem untätig geblieben, so wird ihm die

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3. Kap.: Täter als Verletzer einer Verhaltensnorm

Rechtsgutsverletzung als Ergebnis seiner intentionalen Zulassungshandlung zugerechnet, mit der Begründung, dass der „rettende Zufall“ erwartungsgemäß ausgeblieben ist. Um die Herbeiführung „unwertiger“ Erfolge durch Menschenwerk zu verhindern, stellt das Recht Verhaltensnormen auf, die in der Entscheidungssituation ex ante unmittelbar an die menschliche Willens- als Wissensmacht anknüpfen. Diese Verhaltensnormen liegen den Straftatbeständen des StGB zugrunde, beanspruchen jedoch wegen des Axioms der Einheit der Rechtsordnung Geltung für die gesamte Rechtsordnung. Der Zweck dieser Verhaltensnormen (nicht aber der Sanktionsnormen!) liegt in der Gewährleistung von „Rechtsgüterschutz durch Androhungsgeneralprävention“ (Schünemann). Sie fungieren daher nicht nur als Bewertungssondern auch und insbesondere als Bestimmungsnormen, die sich unter bestimmten Voraussetzungen zu konkret-individuellen Verhaltensappellen verdichten. Die Normgenese folgt dabei dem vierstufigen Modell Armin Kaufmanns: Auf der ersten Stufe ermittelt der Normsetzer bestimmte soziale Zustände, die er als positiv bewertet. Auf der zweiten Stufe werden Außenweltveränderungen, die diese Zustände beeinträchtigen oder bewahren, in einem abstrakten Sinne als negativ bzw. positiv bewertet. Die dritte Stufe dient dazu, aus den negativ bzw. positiv bewerteten Außenweltveränderungen der zweiten Stufe diejenigen auszulesen, die tatsächlich auf einen betätigten menschlichen Willen zurückgehen; dies deshalb, weil das Recht nur diesem Willen befehlen, sich nur durch ihn hindurch verzwecken kann: Der Wille als Verhaltensdeterminante ist ratio essendi eines als Ziel gedachten Rechtsgüterschutzes. Deshalb knüpfen auf der vierten Stufe die Rechtsnormen allein an diese Wertungen der dritten Stufe an und verbieten bestimmte negativ bewertete Akte bzw. gebieten bestimmte positiv bewertete Akte. Dabei entspricht jedem Werturteil eine allgemeinrechtliche Norm. Die derart entstandene Verhaltensnorm ist zunächst einmal abstrakt-genereller Natur, d. h. sie richtet sich an alle Rechtsunterworfenen als potentielle Adressaten. Unter bestimmten Voraussetzungen verdichtet sich die Verhaltensnorm jedoch zur konkret-individuellen Verhaltenspflicht eines einzelnen Adressaten, legt also das von ihm in der konkreten Entscheidungssituation gesollte Verhalten rechtsverbindlich fest. Die Verletzung einer solchen präskriptiven Verhaltenspflicht ist Definiens jedes personalen Verhaltensunrechts. Die Feststellung der in der Entscheidungssituation konkret bestehenden Verhaltenspflicht erfolgt dabei durch eine subjektiv-vorträgliche Prognose auf Basis des konkreten Handlungsprojekts. Allgemein existieren zwei Gattungen von Verhaltensnormen: Einerseits die Verbote, die ein bestimmtes Verhalten untersagen und andererseits die Gebote, die ein bestimmtes Handeln anbefehlen. Jede Normgattung figuriert dabei in Gestalt zweier Normarten, nämlich der Vorsatz- und der Fahrlässigkeitsnormen. Die sachliche Differenz im intentionalen Rechtsgutsbezug, die zwischen diesen beiden Verhaltensarten besteht, führt konsequent zu einer unterschiedlichen normentheoretischen Bewertung der dritten Stufe, die ihrerseits die Genese disparater Verhaltensnormen – nämlich Vorsatz- und Fahrlässigkeitsnormen – nach sich zieht.

E. Rekapitulation der bisherigen Gesamtausführungen

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Die Verbote, die den allgemeinen vorsätzlichen Begehungsdelikten zugrunde liegen, sind stets absolute Appelle (etwa: „Du sollst nicht töten [wollen]!“). Die Verbote der allgemeinen Handlungserfolgsdelikte mit „normaler“ physischer Übergriffshandlung konkretisieren sich immer dann zu einer individuellen Unterlassungspflicht, wenn der angesprochene Adressat handlungsfähig ist. Handlungsfähigkeit i.S.d. intentionalen Handlungsbegriffs ist dabei die Fähigkeit zur intentionalen Selbstverwirklichung ex ante. Die entsprechenden Handlungsverbote können daher nur so weit reichen, wie der Akteur sein Handeln (noch) als Ansetzen zu einer intentionalen Selbstverwirklichung in der Rechtsgutsverletzung interpretieren kann. Ergo begründet die Einplanung identisch dimensionierten fremden Rechtsgutszugriffs handlungstheoretisch „nur“ Teilnahme. Allerdings kann, wie die Sanktionsnormen der §§ 26, 27 zeigen, auch ein solches Teilnahmeprogramm in realontologischer Hinsicht durchaus eine prinzipiell taugliche Strategie der Erfolgsherbeiführung begründen, so dass der Zweckgedanke des Rechtsgüterschutzes faktisch weiter reichen muss als die intentionale Selbstverwirklichungsmacht des Willens, dem befohlen wird. Deshalb verlangt der Normzweck des Rechtsgüterschutzes die Aufstellung sekundärer, teilnehmerschaftlicher, Normen, die die Initiierung bzw. Unterstützung fremden Rechtsgutszugriffs verhindern sollen. Unter den vorsätzlichen Allgemeindelikten gibt es allerdings auch solche, die keine intentionalen „Realakte“ inkriminieren und deren Tatbestandshandlungszurechnung deshalb nicht dem intentionalen Handlungsbegriff folgt. Bei ihnen handelt es sich um abweichend definierte Tatbestandshandlungstypen. Insofern existieren erstens eigenhändige Delikte, zweitens Delikte mit Willenserklärungen als Tatbestandshandlungsmerkmalen und drittens reine Pflichtdelikte im Strafrechtssinne. Eigenhändige Allgemeindelikte sind etwa die §§ 183, 315c, 323a. Täter kann hier nur sein, wer einen bestimmten Akt höchstpersönlich vornimmt (etwa § 183) oder sich selbst in einen bestimmten Handlungseffekt verbringt (etwa § 323a). Ein Allgemeindelikt mit einer Willenserklärung als Tatbestandsmerkmal ist dagegen etwa die Beleidigung (§ 185). Täter ist hier nur, wem der Erklärungstatbestand der Missachtensbekundung als eigene Willenserklärung zugerechnet werden kann. Reine Pflichtdelikte im Strafrechtssinne dagegen sind Tatbestände, die alles konkrete Handlungsunrecht unter einem einzigen abstrakten strafrechtlichen Pflichtverletzungsbegriff nivellieren. Ein Allgemeintatbestand i.d.S. ist etwa § 325, der expressis verbis jede verwaltungsrechtswidrige Verursachung gefahrenträchtiger Luftverunreinigungen beim (jedermann möglichen) Betrieb von Anlagen inkriminiert. Dieselben Grundsätze gelten für die sog. Sonderdelikte. Auch sie figurieren als normale Handlungsdelikte (z. B. §§ 340, 343), eigenhändige Delikte (z. B. §§ 153, 172), Delikte mit Willenserklärungsmerkmalen (z. B. §§ 331 f.) oder auch als reine Pflichtdelikte im Strafrechtssinne (z. B. § 266 I Alt. 2). Für ein übergreifend-selbständiges, neben dem Handlungsunrecht stehendes Täterkriterium der Sonderpflichtverletzung i.S. Roxins ist daher kein Raum. Für das echte Sonderunrecht (wie es etwa den §§ 331 f., 339, 344 f. zugrunde liegt) folgt das schon daraus, dass die persönliche Sonderrechtsgutsbeziehung hier integraler Bestandteil einer konkreten

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3. Kap.: Täter als Verletzer einer Verhaltensnorm

rechtsgutsbezogenen Intranenverhaltenspflicht ist. Bei den gemeinunrechtsakzessorischen Sonderdelikten (§§ 340, 343) dagegen kommt die Innenrechtspflichtverletzung zwar als unselbständiges Element zum Gemeinunrecht hinzu, begründet aber ebenfalls keine Täterschaft, da sie die Substanz des Gemeinunrechts (= intentionale Verletzungshandlung) nicht tangiert. Insgesamt hat also das Moment der Sonderpflichtverletzung per se keinerlei beteiligungsrechtlichen Mehrwert! Die einzige echte Ausnahme von diesem Grundsatz bilden die Sonderpflichtdelikte im allgemeinen verhaltensnormtheoretischen Sinne (§§ 170, 171). Sie beruhen ganz ausnahmsweise auf umfassenden Sondergeneralgeboten zu institutioneller Solidaritätsgarantie, d. h. es ist bereits das allgemeine (= vorstrafrechtliche) Handlungsunrecht aus sich heraus akzessorietätsüberspringender Natur. Die Verbote, die den fahrlässigen Begehungsdelikten zugrunde liegen, sind – anders als die Vorsatzverbote – keine absoluten Normen, sondern abstrakte Gefährdungsverbote (etwa: „Du sollst keine Kurven schneiden!“; „Du sollst im Heuschober nicht rauchen!“). Sie verdichten sich nur dann zu konkreten Unterlassungspflichten, wenn der dem Handlungsprojekt anhaftenden Gefahr nicht durch bestimmte situations- bzw. projektbezogene Sicherheitsvorkehrungen („ohne-zuKomponente“) begegnet wird. Allerdings sind nicht alle Fahrlässigkeitsnormen „halb geschlossene“ Systeme (Paeffgen) i.d.S. Vielmehr ist es auch möglich, dass die „Ohne-zu-Komponente“ bereits in die Formulierung der verbotsgegenständlichen Handlung eingeht, wie etwa beim Verbot des unkonzentrierten Fahrzeugführens im Straßenverkehr. Bisweilen kommt es sogar vor, dass der Umstand, an den das Urteil der Sorgfaltswidrigkeit anknüpft, als Tätermerkmal figuriert, so etwa dann, wenn eine zuvor ärztlich instruierte Krankenschwester die ihr zuteil gewordene Belehrung vergisst und einem bestimmten Patienten weisungswidrig eine verbotene Speise serviert. Trotz aller Divergenzen knüpft allerdings die Bestimmungsnorm in sämtlichen Konstellationen an das gleiche Moment an: das Handeln im (sachgedanklichen) Bewusstsein von Umständen bzw. Erfahrungssätzen, an denen der Adressat sich nach dem allgemeinen Metamodell zur Konklusion situationsbezogener Sorgfaltspflichten orientieren kann. Die zweite Gattung rechtlicher Verhaltensnormen stellen die Gebote, die den (d. h.: allen) Unterlassungsdelikten zugrunde liegen. „Unterlassen“ im Sinne dieser Tatbestände ist aber keineswegs bloßes Nichtstun, sondern das Zulassen einer konkreten Rechtsgutsverletzung durch Nichtvornahme einer genau bestimmten Handlung. Die Handlungspflichten der echten vorsätzlichen Unterlassungsdelikte knüpfen an die Kenntnis (bzw. Vorstellung) eines Einwirkungsobjekts sowie einer prinzipiell zur Erfolgshinderung tauglichen Eingriffshandlung an und verlangen die Vornahme dieses Aktes. Handlungsfähigkeit i.S.e. solchen Pflicht setzt also intellektuell die Kenntnis (bzw. das sachgedankliche Mitbewusstsein) des Handlungsziels und der eigenen (prinzipiellen) Abwendungsfähigkeit voraus; das bloße Erkennen-Können eines Rettungsweges genügt nicht, selbst wenn der Mangel an Kenntnisverschaffung auf Gleichgültigkeit bzw. Gefühllosigkeit beruht. Verfügt der Handlungspflichtige über die notwendige Handlungsmacht, dann liegt die Ent-

E. Rekapitulation der bisherigen Gesamtausführungen

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scheidung darüber, ob es im kritischen Zeitpunkt überhaupt zur Einleitung von Rettungsmaßnahmen kommt, immer allein in seiner Hand, so dass Rettungsfähigkeit ex ante stets mit intentionaler Entscheidungsmächtigkeit identisch ist (so v. a. Armin Kaufmann, Grünwald). Wer solche Abwendungsfähigkeit besitzt, sich ihrer bewusst ist und sie dennoch nicht nutzt, der verstößt immer unmittelbar gegen das dem Unterlassungstatbestand zugrunde liegende Gebot. Diese beteiligungsrechtliche Uniformität der personalen Unterlassung findet auch ihren Widerhall in der Alltagsintuition, denn der Unterlassende erlebt die Rechtsgutsverletzung, die er eintreten lässt, stets als Produkt seiner eigenen intentionalen Zulassungshandlung. Folglich beruhen die vorsätzlichen Unterlassungsdelikte ausschließlich auf originären Gebotsnormen. Diese Grundsätze gelten auch für diejenigen Handlungspflichten, die den sog. unechten vorsätzlichen Unterlassungsdelikten zugrunde liegen. Die Bezeichnung dieser begehungsgleichen Unterlassungsdelikte als „unechte Unterlassungsdelikte“ ist unglücklich gewählt, denn auch sie setzen jeweils die Verletzung eines genuinen Handlungsgebots voraus (Engisch, Armin Kaufmann). Die materiale Differenz zu den „echten“ Unterlassungsdelikten besteht einzig darin, dass die Garantenhandlungspflichten mit einer relativ höheren Dringlichkeit ausgestattet sind (Langer, Schürmann), da sie eine präexistente Hintergrundpflicht des Garanten zur Kontrolle des für die Rechtsgutsverletzung relevanten sozialen Bereichs aktualisieren. Voraussetzung einer Garantenhandlungspflicht ist also neben der existentiellen Handlungsfähigkeit das Vorliegen einer dringlichkeitsmodifizierenden Garantenstellung. Möglich ist auch begehungsgleiches vorsätzliches Sonderunterlassen (etwa §§ 258a, 13 oder § 340 I Satz 1, Alt.2), wobei zu beachten ist, dass die tatbestandsspezifische Sondersubjektqualifikation hier zugleich die sub specie § 13 erforderliche Garantenstellung ausmacht. Endlich existiert auch ein allgemeines Verhaltensunrecht der fahrlässigen Unterlassung. Es figuriert in drei Grundformen: Hat der Handlungspflichtige einen Verletzungsverlauf erkannt, so verpflichtet ihn das Sorgfaltsgebot zur sorgfältigen Ermittlung und Durchführung der aussichtsreichsten Rettungsmöglichkeit; es generiert also mehrere ineinandergreifende Pflichtstufen, deren „Erklimmen“ den Adressaten Schritt für Schritt zum Ziel der sorgfältigen Einleitung der situativ sinnvollsten Rettungsstrategie führt; ab Erkenntnis irgendeiner Eingriffsmöglichkeit läuft dieses Sorgfaltsgebot parallel zum Hauptgebot des Vorsatzdelikts. Zweitens befiehlt das Sorgfaltsgebot aber auch die gewissenhafte Vornahme bestimmter „Vorsorgehandlungen“ an, die der Vermeidung potentieller Rechtsgutsverletzungen dienen; typische Vorsorgehandlungen der betreffenden Art sind etwa das Abdecken einer Baugrube, das Kennzeichnen eines liegengebliebenen Fahrzeugs oder das Räumen von Gehsteigen. Drittens verpflichtet das Sorgfaltsgebot auch zur sorgfältigen Prüfung etwaiger Gefahrenlagen bzw. zur Beaufsichtigung eines potentiellen Einwirkungsobjekts; zu nennen ist etwa die elterliche Pflicht zur aufmerksamen Beaufsichtigung ihrer Kinder oder die berufliche Pflicht des Bademeisters zur umsichtigen Beobachtung (u. a.) des Schwimmerbeckens. Echtes fahrlässiges Un-

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3. Kap.: Täter als Verletzer einer Verhaltensnorm

terlassen ist allein sub specie § 138 III sanktionsnormrelevant, unechtes (= begehungsgleichwertiges) fahrlässiges Garantenunterlassen unterfällt dagegen dem Sanktionstatbestand des korrelativen Begehungsdelikts.

F. Abweichende Straftat- und Unrechtsmodelle Derart gerüstet, können nun die beiden Konkurrenzmodelle der Straftat analysiert werden, die die Strafrechtswissenschaft hervorgebracht hat. Sie versuchen das personale Unrecht ebenfalls von seiner sozialen Dimension her zu erfassen, schlagen dabei aber andere Wege ein als hier geschehen. Ein Konkurrenzmodell setzt unmittelbar beim Prozess der Rechtsgutskonstitution als einer personalen Anerkennungsleistung der Bürger an, woraus sich abweichende Rückschlüsse auf die Qualität des personalen Unrechts ergeben. Das andere Konkurrenzmodell deutet personales Unrecht als die handlungsmäßig zum Ausdruck gebrachte Erklärung, eine als Kausierungsverbot definierte Verhaltensnorm nicht handlungswirksam anerkennen zu wollen. Im Folgenden soll aufgezeigt werden, dass und warum die hier vertretene Unrechtstheorie beiden Konkurrenzmodellen vorzuziehen ist.

I. Die neokantianische Handlungslehre im Anschluss an E. A. Wolff: Unrechtliche Handlung als sinnerfassende Unterdrückung konkreter Freiheit (hier: Zaczyk) Dieses Straftatmodell1167 leitet seine Unrechtsdefinition aus einer letztlich auf Kant zurückgehenden Moralphilosophie ab und beruht auf der Kernthese, dass nur ein strafrechtsphilosophischer Ansatz in der Tradition des Deutschen Idealismus den Prozess der Rechtsgutskonstitution in einer demokratisch verfassten (d. h. „aufgeklärten“) Ordnung angemessen zu erklären vermöge: Die Entstehung der rechtlichen Güterordnung (i.S.e. wirklich gelebten und deshalb prästabilisierten sittlichen Ordnung) könne nur als Ausfluss autonomer Konstitutionshandlungen der Bürger begriffen werden. Dies bedeute im Umkehrschluss, dass die Rechtsgutsverletzung nur als Resultante einer korrelativen, selbstkorruptiven Unrechtshandlung begreifbar sei.

1167 s. insbesondere E.A. Wolff, Radbruch-GedS (1968), 291 ff.; ders., Handlungsbegriff, 15 ff.; Köhler, Fahrlässigkeit, 209 ff.; ders., AT, 9 ff.; Klesczewski, Selbständigkeit, 187 ff.; Zaczyk, Unrecht, 128 ff.; Kahlo, Handlungsform, 89 ff.; Murmann, Nebentäterschaft, 174 ff.; Bolowich, Urheberschaft, 101 ff. (115 ff.); Noltenius, Kriterien, 137 ff., 178 ff.

F. Abweichende Straftat- und Unrechtsmodelle

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1. Darstellung Repräsentativ sei hier Zaczyk1168 als ein dezidierter Hauptvertreter dieses strafrechtsphilosophischen Ansatzes herausgegriffen. Er wirft der von Welzel auf den Weg gebrachten und von Armin Kaufmann fortgeschriebenen personalen Unrechtslehre vor, sie beruhe auf einem unterentwickelten Begriff der Personalität: Ihr Ausgangspunkt sei der Rekurs auf eine seinsmäßig vorgegebene Finalstruktur der Handlung, bei der es von vornherein nur um die Vollzugsform eines Wollens gehe.1169 Mit einer derart instrumentellen Unterbestimmung des Handlungsbegriffs aber werde der Handelnde nicht als eine Person begriffen, die Subjekt der Unrechtstat sei, sondern nur als jemand, der äußere Erfolge final herbeizuführen vermöge: Dass etwa der Schuss auf einen Menschen etwas anderes sein müsse als ein Schuss auf eine Zielscheibe, komme in diesem Begriff der Handlung gar nicht vor.1170 Vielmehr werde dem Willen lediglich von außen, d. h. von der Rechtsordnung, Unwert beigelegt, ohne dass die Berechtigung dafür näher aufgeklärt sei.1171 Damit aber entfalle jegliche Möglichkeit, das Subjekt auch noch gegenüber der ihm begegnenden Ordnung als autonom zu begreifen: Die objektive Ordnung i.S.d. ersten Wertungsstufe Armin Kaufmanns blende das Subjekt a priori aus. Zumindest für eine demokratisch verfasste Ordnung müsse aber aufgezeigt werden, dass und wie der Einzelne an der Konstitution der Ordnung teilhabe.1172 Abgesehen davon gerate die Lehre vom finalen Aktunwert auch in Erklärungsnöte, wenn es darum gehe, den untauglichen Versuch als personales Unrecht plausibel zu machen: Denn während sich beim (ex ante) tauglichen Versuch der Handlungsunwert nur aufgrund von Zufall nicht im Erfolgsunwert verwirkliche, sei die Bindung der Handlung an den Erfolg beim untauglichen Versuch aufgelöst.1173 Wenn aber bestimmte Akte prinzipiell deshalb mit einem Unwert belegt würden, weil bestimmte unerwünschte Erfolge aus ihnen resultieren könnten, dann bedürfe einer Erklärung, weshalb auch Handlungen unwertig seien, die a priori gar nicht die Möglichkeit in sich trügen, einen solchen Erfolg wirklich herbeizuführen.1174 Die Vorstellung des Täters könne dabei für die Unrechtsbegründung nicht herangezogen werden, da der Täter ja in der Lehre vom Aktunwert gerade nur ein instrumentell gefasster Kausierender bleibe.1175 Gleiches gelte insofern, als der dem untauglichen Versuch zugrunde liegenden Willensbetätigung attestiert werde, sie erschüttere die Rechtsordnung: Nach wie vor bleibe unklar, weshalb ein Wille, der ausdrücklich als ein instrumentell denkender (unter)bestimmt sei, die Rechtsordnung solle erschüt1168 1169 1170 1171 1172 1173 1174 1175

Unrecht, 128 ff. Unrecht, 95. Unrecht, 96 f. Unrecht, 98. Unrecht, 103. Unrecht, 104. Unrecht, 104 f. Unrecht, 105.

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3. Kap.: Täter als Verletzer einer Verhaltensnorm

tern können. Mithin führe kein Weg daran vorbei, den Konnex zwischen dem Willen des Einzelnen und der Ordnung der Rechtsgüter zu bestimmen.1176 In der Folge entfaltet Zaczyk Schritt für Schritt den Prozess der Rechtsbegründung ausgehend von der Autonomie des Einzelnen. Ankerpunkt ist die These, dass das Subjekt sich nicht aus schierem Selbstinteresse motiviere, sondern der Selbstgesetzgebung der Vernunft folge. Für das sittlich-autonome Individuum sei das Prinzip der Freiheitsrechte aller anderen Individuen als Definiens seiner eigenen Freiheit immer schon mitgewollt bzw. anerkannt, und bereits die Existenz anderer Vernünftiger bestätige dieses Axiom der wechselseitigen Anerkennung fortwährend neu als Handlungsmaxime.1177 Das zeitige für das Recht die wesentliche Konsequenz, dass an seiner Basis der Gegensatz von Sein und Sollen aufgehoben sei: Das Recht habe Sein, indem die Individuen durch praktisch richtiges Handeln die gemeinsame Wirklichkeit zu einer rechtlichen formten. Dies wiederum impliziere, dass nie mehr an rechtlichen Verhältnissen gegenwärtig sein könne als die Einzelnen kraft ihrer autonomen Leistung schüfen.1178 Rechtsgüter seien also Daseinselemente der Freiheit und würden in einem Prozess wechselseitiger Anerkennung konstituiert.1179 Erst die Erkenntnis, dass die Rechtsgüter in ihrem Dasein von der praktischen Leistung des Einzelnen abhingen, mache einsichtig, warum es für einen Eingriff in fremde Rechtsgüter überhaupt auf den Willen des Subjekts, der dabei keinesfalls instrumentell unterbestimmt werden dürfe, ankommen müsse.1180 Liege aber der subjektive Geltungsgrund der Güterordnung in einer vernunftgemäß schlüssigen Handlungsbestimmung der Individuen, so sei die Existenz rechtlicher Verhältnisse auch noch nach Errichtung des Staats davon abhängig, dass die Einzelnen die subjektive Leistung der Konstitution dieser Verhältnisse erbrächten.1181 Wer also als Mitkonstituent eines Rechtsguts den sittlich gelebten Rechtszustand tätig verletze, der wandle das ursprünglich durch ihn mitgetragene Gleichheitsverhältnis mit den anderen Beteiligten um in ein von ihm beherrschtes Verhältnis der Ungleichheit. Indem er derartige Handlungsmaßnahmen ergreife, die er als Vernünftiger für sich ausgeschlossen habe, werde er zwar instrumentell reicher, negiere aber im gleichen Maße seine eigene Vernünftigkeit.1182 Deliktisches Verhalten, das eine auf wechselseitiger Selbstbeschränkung beruhende Rechtsnorm verletzt, ist danach „(…) sittliche Selbstkorruption einer als gleiches und freies Vernunftwesen geachteten autonomen Person.“1183.

1176 1177 1178 1179 1180 1181 1182 1183

Unrecht, 105. Unrecht, 128 ff. (160 f., 166 f.). Unrecht, 162. Unrecht, 165. Unrecht, 170. Unrecht, 198. Unrecht, 201. So die treffende Formulierung Kindhäusers in Schroeder-FS (2006), 81 (87).

F. Abweichende Straftat- und Unrechtsmodelle

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2. Kritische Würdigung Anzusetzen ist bei der Frage, ob die Monita, die Zaczyk gegen die Unrechtsbestimmung der finalen Handlungslehre erhebt, durchgreifen und ob sie auch gegen den intentionalen Handlungsbegriff gewendet werden können. Die Auseinandersetzung mit dem Kardinalvorwurf der instrumentellen Unterbestimmung des Subjekts wird dabei unweigerlich zur Frage nach dem „richtigen“ dogmatischen Erklärungsansatz für die Rechtsgutsentstehung führen. Im Anschluss soll noch kurz auf das Problem des untauglichen Versuchs eingegangen werden. Den zentralen „Webfehler“ der finalen Handlungs- und Unrechtslehre lokalisiert Zaczyk in deren Unfähigkeit, das personale Unrecht seiner sozialen Sinndimension nach zu begreifen. Dieses Monitum verfängt zumindest insofern, als es unmöglich ist, „Handlung“ losgelöst vom anwendungsbezogenen Interpretament des sozialen Alltags zu begreifen. Andererseits legt aber auch der hier vertretene intentionale Handlungsbegriff „bloß“ ein allgemeines Strukturmodell von Handlung zugrunde, nämlich dasjenige der Interpretation einer intentionalen Selbstverwirklichung. Auch danach muss intentionales Objekt des vorsätzlichen Handlungsunrechts nicht die Unterdrückung einer konkreten Daseinsform von Freiheit sein, sondern „lediglich“ der Eintritt eines bestimmten tatbestandsmäßigen Erfolgs. Daran ist aber auch nichts auszusetzen, denn wollte man mit Zaczyk unrechtliches Handeln prinzipiell mit sittlicher Selbstkorruption identifizieren, so gäbe es mit Roxin1184 gesprochen „(…) nicht mehr den Schatten eines Arguments dafür, dass der Vorsatz (…) auf die Kenntnis der Tatumstände beschränkt ist“. Eine solche Vorsatzbestimmung aber müsste zu Irritationen bei der Verhaltensnormgenese führen: Da – wie letztlich auch Zaczyk1185 einräumt – der sozialethische Geltungsgrund der konkreten Pflichtbindung nicht zugleich Gegenstand des verbotenen Akts sein kann,1186 können die rechtlichen Verbote unmöglich die selbstkorruptive Unterdrückung fremder Freiheit untersagen. Normgegenstand ist vielmehr die Unrechtstypizität, die der intentionale Vollzug des konkreten Basis-Akts intersubjektiv zum Ausdruck bringt.1187 Das Postulat einer Bedeutungskenntnis des Täters von dem Umstand, dass er eine konkrete Daseinsform interaktiv gestalteter Freiheit in sittlichem Selbstwiderspruch zu einem Unrechtsverhältnis umgestaltet, wäre sub specie Unrecht ebenso überflüssig wie systemfremd.1188 1184 ZStW 74 (1962), 515 (526), wenn auch freilich in gänzlich anderem Zusammenhang und mit umgekehrter Tendenz. 1185 Auch Zaczyk betont, dass das Unrecht sich in eine individuelle Verhaltensanforderung umsetzen lassen und deshalb „verschuldensfähig“, d. h. als Gegenstand einer subjektiven Einsichtsverfehlung, gedacht werden können muss (Unrecht, 218). Fraglich ist allerdings, worin der Unterschied zwischen Vorsatz und Schuld noch bestehen soll, wenn man das personale Unrecht in der selbstkorruptiven Unterdrückung fremder Freiheit erblickt. 1186 Normentheoretisch schlagend dazu Zielinski, Unrechtsbegriff, 87. 1187 Zielinski, Unrechtsbegriff, 120 f. 1188 Wollte man insofern anderer Ansicht sein, so müsste man das Fehlen besagter Bedeutungskenntnis dem § 16 I 1 subsumieren!

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3. Kap.: Täter als Verletzer einer Verhaltensnorm

Diese indirekte Argumentation greift freilich noch zu kurz, um die Kernaussage des freiheitlich-interpersonalen Handlungsbegriffs der Wolff-Schule zu erschüttern. Denn träfe die Hypothese, dass rechtliche Werte und Normen nur als Produkt praktischer Anerkennungsleistungen der Bürger begreifbar sind, zu, so wäre es eben doch unumgänglich, die Unrechtshandlung als soziales Phänomen in der korrelativen Umgestaltung dieses allgemeinen Gleichheitsverhältnisses durch den Täter als Mitkonstituenten zu erblicken. Die Auseinandersetzung weist damit wieder zurück auf die Frage, ob die Rechtsgutssynthese tatsächlich auf diese Weise funktioniert. Dem ist jedoch zu widersprechen: Erstens ist die Annahme eines der Gesellschaft und ihren sprachlich vermittelten Rationalitätsstandards vorgelagerten Vernunftssubjekts bereits per se erkenntnistheoretisch fragwürdig.1189 Zweitens läuft die Behauptung, es würden allenthalben praktische Güterkonstitutionshandlungen erbracht, auf eine bloße Fiktion hinaus: Die Bürger teilen sich nicht wechselseitig ihre Selbstbeschränkung durch die Freiheitsinteressen der jeweils anderen mit und setzen erst recht keine Handlungen dieses Sinngehalts. Wenn überhaupt könnte das sittliche „Anerkennungsverhältnis“ nur durch ein aus der Ratio der Vernunft geborenes wechselseitiges Unterlassen von Eingriffen in fremde Freiheitssphäre gestiftet werden. Die Existenz eines derartigen Anerkennungsverhältnisses ist aber empirisch nicht nachweisbar, denn das Unterlassen eines Eingriffs in fremde Rechtssphäre muss seinen Grund nicht notwendig darin haben, dass das Subjekt dieser Unterlassung der Selbstgesetzgebung der Vernunft folgt, sondern kann (leider) alle möglichen Ursachen (insbesondere: die Angst vor Strafe) haben. Drittens desavouiert eine Straftheorie, die unterstellt, dass Normen prinzipiell aufgrund sittlichautonomer Selbstbestimmung befolgt werden, das rechtsstaatliche Neutralitätsgebot1190 : In einer demokratisch verfassten, pluralistischen Gesellschaft lässt sich der Schuldvorwurf allein rechtlich begründen, weshalb mit den Mitteln des Strafrechts immer nur äußerlich gesetzeskonformes Verhalten erzwungen werden darf. Mithin stellt das Neutralitätsgebot dem Subjekt die Wahl des Motivs, aus dem heraus es die Norm befolgen will, frei und untersagt die Erhebung des Vorwurfs, der Täter habe die Norm aus einem ganz bestimmten Grund befolgen müssen.1191 Diesem Axiom wird eine Unrechtstheorie, die Normgeltung und -befolgung ausschließlich als Ausdruck vernunftgemäßer Selbstbestimmung ansieht, nicht gerecht.1192 Viertens schließlich besteht in einer pluralistischen Gesellschaft keine „prästabilisierte Harmonie“ zwischen der autonomen Selbstbestimmung der Subjekte (= dem Sein) und dem

1189

So fast wörtlich Kindhäuser, Schroeder-FS (2006), 81 (87). s. dazu Kindhäuser, Schroeder-FS (2006), 81 (87). 1191 s. zur Kollision der neokantianischen Unrechtslehre mit dem rechtsstaatlichen Neutralitätsgebot Kindhäuser, Schroeder-FS (2006), 81 (87 f.); eine instruktive Kurzanalyse der neokantianischen Strafrechtstheorie liefern Paeffgen/Zabel, in: NK, Vor §§ 32 ff. Rn. 219. 1192 Kindhäuser, Schroeder-FS (2006), 81 (87 f.); auch (noch) Paeffgen, in: NK4, Vor § 32 ff., Rn. 219 („zu rationalistisches Modell“). 1190

F. Abweichende Straftat- und Unrechtsmodelle

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rechtlichen Sollen.1193 Vielmehr werden Rechtsnormen in einem Prozess der (jedenfalls auf dem Papier) „offenen“ Meinungsbildung generiert, über dessen Ausgang Quoren gewählter Volksrepräsentanten per Mehrheitsentscheidung befinden. Dies impliziert zumindest die prinzipielle Möglichkeit, dass das einzelne Subjekt bzw. eine bestimmte Interessengruppe oder Subkultur den in die Norm gegossenen Interessenausgleich nicht als seiner bzw. ihrer Vernunft gemäß akzeptieren kann.1194 Demnach steht außer Frage, dass auch die Normenordnung eines auf demokratischem Wege zustande kommenden Bürgerstrafrechts den Einzelnen in seiner Rolle als Normadressat durchaus heteronom bindet. Ist aber die Errichtung der Rechtsnormen nicht (zwingend) von einer praktischen Anerkennungsleistung des Einzelnen abhängig, so setzt umgekehrt auch das Unrecht nicht zwingend die bewusste Usurpation eines durch die eigene Person mitbegründeten Anerkennungsverhältnisses voraus. Erforderlich, aber auch ausreichend, ist vielmehr das Erlebnis von Verletzungsintentionalität. Einzugehen bleibt noch auf Zaczyks Vorwurf, die finale Handlungslehre könne die Normwidrigkeit des untauglichen Versuchs nicht bruchfrei erklären. Zaczyk begründet dies mit dem angeblich fehlenden Bezug zwischen Handlung und Erfolg sowie mit der These, dass einem instrumentell unterbestimmten Willen nicht die Kraft zugeschrieben werden könne, qualitativ Unrecht zu begründen. Diese Monita, die in der Sache auch auf den intentionalen Handlungsbegriff durchschlagen, gehen allesamt fehl: Auch beim untauglichen Versuch ist das Ausbleiben des Erfolges letztlich ein Produkt des Zufalls. Die Besonderheit liegt nur darin, dass der Zufall bereits in die Handlungskonklusion als solche hineinspielt! Dass der Täter eines untauglichen Versuchs die Geltungsprämissen des angewandten Kausalgesetzes ungeprüft voraussetzt, ändert nicht das Geringste an der prinzipiellen Rationalität der Gedankenoperation als solcher – und damit am Rechtsgutsbezug der Verletzungsintentionalität: Wer mit einem vermeintlich geladenen, realiter aber ungeladenen Gewehr auf einen Menschen anlegt und abdrückt, der setzt selbstverständlich eine prinzipiell taugliche Tötungsstrategie um, ebenso wie derjenige, der den berühmten Schuss auf die Leiche als vermeintlich schlafenden Menschen abgibt. Wenn die Verhaltensnorm allein über das Medium des menschlichen Willens und dessen Kausalwissen wirken kann, dann muss die Begrenztheit menschlichen Erkenntnisvermögens notwendig mit in die Normmaterie eingehen.1195 Hieraus erklärt sich dann auch selbstverständlich die Macht jedes verstandesgemäß planenden Willens, die Rechtsordnung zu erschüttern.

1193 Kindhäuser, Schroeder-FS (2006), 81 (88); dort findet sich auch das im Text wiedergegebene Zitat. 1194 Kindhäuser, Schroeder-FS (2006), 81 (88); man denke etwa an die seitens rechtsextremistischer Gruppierungen immer wieder beklagte „Beschneidung“ der Meinungsfreiheit durch bestimmte Straftatbestände, die in besagten Kreisen nicht anerkannte Rechtsgüter schützen. 1195 s. dazu bereits Samson, Grünwald-FS (1999), 585 (596 ff.).

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3. Kap.: Täter als Verletzer einer Verhaltensnorm

3. Exkurs: Rechtsnormen als autonom-heteronome Gebilde Auch wenn die Theorie von der Rechtsgutskonstitution durch wechselseitige Anerkennungsleistung aufgrund ihrer „Überpointierungen“1196 problematisch ist, legt sie allerdings den Finger in eine Wunde jedes genuin heteronomen Normverständnisses: Sieht man in der Normenordnung primär eine Ansammlung rein heteronomer Verhaltensappelle, so wird das Subjekt erst durch die Pflicht ins Recht hinein geholt, die Pflicht wird ihm von außen oktroyiert und bleibt ihm als Individuum letztlich fremd.1197 Damit avanciert der Einzelne erst durch seine Rechte und Pflichten zu einer Person i.S.d. Rechts, nämlich zu einem Rollenträger im Sozialgefüge, dem ein Ordnungsschema aufgeprägt wird, das seine Individualität transzendieren soll. Eine solche Konzeption, die strikt zwischen dem von Lust und Unlust geprägten Einzelbewusstsein (= Individuum) einerseits und seiner rollenbezogenen Sollensbindung im sozialen Raum durch Normen (= Person) andererseits unterscheidet, hat Jakobs1198 für das Strafrecht entwickelt und bis in alle Einzelheiten hinein ausgearbeitet: „Mit der Rechtsordnung müssen in der Gesellschaft anonyme Kontakte ermöglicht werden; das schließt schlechthin aus, auf individualisierende Subjektautonomie abzustellen, sondern verlangt gerade das Gegenteil, nämlich hohe Konformität innerhalb festumrissener Rollen, insbesondere innerhalb der Rolle des Bürgers, der die Strafrechtsnormen beachtet. Die Konformitätserwartung ist das Gegenstück zur Verhaltensfreiheit.“1199

Auch dieser Ansatz birgt jedoch strukturelle Probleme, denn der normativ geprägte Rollenbegriff, der von vornherein mit der Individualität des Einzelnen konfligiert, droht diese zu absorbieren, solange die Person i.S.d. Rechts ausschließlich heteronom in das von der Ordnung vorgegebene Synallagma von Freiheit und Konformitätserwartung „hineindefiniert“1200 wird. Eine solche Entindividualisierung der Subjekte im Recht birgt aber tendenziell die Gefahr einer Erosion des Sozialgefüges. Deshalb betont denn auch Jakobs im Hinblick auf das normative Konstrukt der Person: „Das heißt freilich nicht, es könne sich eine Norm etablieren, die bei der Konstruktion von Personen die Individuen mehr oder weniger beliebig vergewaltige; eine normative Ordnung kann nur dann wirklich werden, wenn die Individuen in ihr ein Auskommen finden können. Fehlt es daran, so wird die Norm offen oder hinter vorgehaltener Hand desavouiert werden, was heißt, zu bloßem Zwang verkommen. Deshalb kann sich eine Norm allein unter Voraussetzung als Norm (und nicht als Zwang) etablieren, dass sie das Interesse der Individuen

1196

So (noch) die Formulierung von Paeffgen, in: NK4, Vor §§ 32 ff. Rn. 220. So das zutreffende Monitum Zaczyks (Unrecht, 88 ff. [91]) gegen die Imperativentheorie; zur Aktualität der Debatte um die Notwendigkeit einer „materialen Struktur“ strafgesetzlicher Normgebung s. instruktiv Paeffgen, Wolter-FS (2013), 125 (131 ff.) [Zitat S. 131]. 1198 Norm, 28 ff. 1199 Jakobs, Schuldprinzip, 29. 1200 So die treffende Formulierung bei Kindhäuser, Schroeder-FS (2006), 81 (88). 1197

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inkorporiert, dies freilich nur – und darauf kommt es an –, soweit sich dieses Interesse nicht schon im Grundsatz gegen die Möglichkeit einer Gesellschaft richtet.“1201

Dieser Versuch, aus der allseitigen Utilität der Normenordnung einen Rückschluss auf ihre Übereinstimmung mit den persönlichen Interessen der Individuen zu ziehen, trifft sicherlich Richtiges. Denn immerhin dient der Kernbereich strafrechtlicher Verhaltensnormen einem essentiellen Güterschutz, der auch denjenigen zugute kommt, die die Schädigung anderer für sich selbst nicht ausgeschlossen haben.1202 Dennoch bleibt aber das Problem, dass potentielle Dissidenten von den Normen auch verpflichtet werden, obwohl sie sie als verbindliche Handlungsmaximen für sich selbst perhorresziert haben. Für Jakobs selbst ist das freilich unbeachtlich, da für ihn die Person im Recht überhaupt erst durch den ihr unterlegten Freiheitsanspruch und dessen Synallagma – die normative Konformitätserwartung – definiert wird.1203 Normadressat ist von vornherein nur die durch die Verhaltenserwartung konstruierte Person, nicht das Individuum. Dabei bleibt aber nach wie vor offen, warum das Individuum die Norm als normativ konstruierte Rechtsperson gegen sich gelten lassen muss: Dem Totalverweigerer bleibt doch der Zugang zur Norm verschlossen, sie wird ihm oktroyiert, weil die Leistung von Rechtstreue eben von der Rechtsordnung enttäuschungsfest erwartet werden darf und muss. Gerade aus diesem gesellschaftlichen Konsens bricht aber das die Norm von vornherein ablehnende Individuum (partiell) aus. Innerhalb eines freiheitlich-demokratisch verfassten Systemrahmens greift es daher zu kurz, für die personale Fundierung von Rechtsnormen nur auf ihre allseitige Utilität bzw. auf ihre soziale Wirklichkeit zu verweisen. Richtig ist zwar, dass der Gesetzgeber bei der Aufstellung strafbewehrter Verhaltensnormen an strenge verfassungsrechtliche Vorgaben gebunden ist, weshalb für erlassene Normen immerhin die generelle Vermutung materialer Interessengerechtigkeit spricht. Doch ist letztlich auch die Entscheidung einer (qualifizierten) Parlamentsmehrheit nicht mehr als ein „demokratie-typisches Indiz für Sachgerechtigkeit“1204, weshalb sie dem einzelnen Normadressaten (jedenfalls theoretisch) nicht einfach „übergestülpt“ werden darf. Vielmehr ist in einer demokratisch verfassten Gesellschaft jedes Individuum „(…) jemand, der fähig und berechtigt ist, zu der in der Norm getroffenen Interessenkoordination kritisch Stellung zu nehmen und gegebenenfalls ihre Änderung oder Aufhebung zu fordern. (…) Die Norm ist m.a.W. nicht nur ein Sollenssatz, der den Einzelnen heteronom bindet, sondern ihrerseits das Ergebnis einer Verständigungsleistung, an der autonom teilzuhaben dem Einzelnen offen steht. Die strafrechtlich relevante Person ist also durch zwei Rollen definiert, durch die des Normadressaten auf der einen Seite und die des Mitbeteiligten an der Normsetzung auf der anderen Seite. Nicht aus der Inanspruchnahme staatlicher Fürsorge und Freiheitszuweisung, sondern aus der Autonomie gestaltender 1201 1202 1203 1204

Jakobs, Norm, S. 100. So zutr. Kindhäuser, Schroeder-FS (2006), 81 (85). Schuldprinzip 29, 35. Paeffgen/Zabel, in: NK, Vor §§ 32 ff. Rn. 11.

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3. Kap.: Täter als Verletzer einer Verhaltensnorm

Stellungnahme zur Norm resultiert legitimerweise die Erwartung hinreichender Rechtstreue.“1205

Nach diesem Modell Kindhäusers, das hier zugrunde gelegt werden soll, kann die Norm stets nur vorläufige Vernünftigkeit beanspruchen, da der sie konstituierende Meinungsbildungsprozess durch Mehrheitsentscheidung abgebrochen wird.1206 Hinzu kommt, dass sich der mehrheitliche Konsens im Parlament lediglich auf den in der Norm getroffenen Interessenausgleich als Ergebnis bezieht, nicht jedoch notwendig auf die Gründe, die zu ihm führen.1207 Deshalb darf der Horizont der rechtlichen Konformitätserwartung schon per definitionem nicht dahin gehen, dass der Einzelne den Geltungsgrund der Norm als inhaltlich richtig und für sich verbindlich akzeptiert.1208 Der Verpflichtungsgrund der Norm kann vielmehr allein in ihrem verfahrensgemäßen Zustandekommen liegen.1209 Jedenfalls aber wird dem Einzelnen in seiner Rolle als Staatsbürger prinzipiell die Möglichkeit eingeräumt, zur Norm kritisch Stellung zu nehmen und ggf. ihre Änderung oder Aufhebung zu fordern.1210 Deshalb – und nicht etwa ipso iure – ist es ihm dann auch in seiner Rolle als Normadressat zumutbar, die Norm (aus welchen Gründen auch immer) zu befolgen.1211 Das Individuum wird also als Rechtsperson nicht ausschließlich heteronom gebunden, sondern es hat eo ipso die Möglichkeit zu eigener autonomer Partition, ob es sie nun nutzen will oder nicht. Diesem Erklärungsansatz Kindhäusers gelingt es, die Autonomie der Individuen in einer primär heteronom konzipierten Normenordnung (zumindest theoretisch) als konstitutives Moment auszuweisen, weshalb die Konzeption hier zugrunde gelegt werden soll. Wir können somit festhalten, dass innerhalb eines demokratisch verfassten Systemrahmens der Norminhalt vom Gesetzgeber objektiv verbindlich festgelegt wird, ohne dass hierdurch die Autonomie der Rechtsunterworfenen im Ansatz desavouiert wird.

II. Die abweichende Bestimmung von Norm und Pflicht bei Kindhäuser Nachdem nun dargetan ist, dass ein auf die Intentionalstruktur menschlicher Tätigkeit rekurrierender Handlungsbegriff das Subjekt als Unrechtsstifter nicht 1205

Kindhäuser, Schroeder-FS (2006), 81 (89). Kindhäuser, Schroeder-FS (2006), 81 (89). 1207 Kindhäuser, Schroeder-FS (2006), 81 (89). 1208 Kindhäuser, Schroeder-FS (2006), 81 (89). 1209 Kindhäuser, Schroeder-FS (2006), 81 (89 f.). 1210 Das sieht freilich auch Jakobs (Schuldprinzip, 29), der allerdings in der rechtlichen Regelung des Verfahrens dieser kritischen Stellungnahme nur einen weiteren Beweis für die absolute Geltung der normgebenden Ordnung erblickt. 1211 Kindhäuser, Schroeder-FS (2006), 81 (90). 1206

F. Abweichende Straftat- und Unrechtsmodelle

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unterbestimmt, bleibt abschließend noch eine letzte Frage zu klären: Kann ein Modell präskriptiver Verhaltensnormen, die den Zweckgedanken des Rechtsgüterschutzes in die personale Pflichtkategorie hinein tragen, Strafunrecht angemessen erfassen oder ist etwa die Hochzeit des strafrechtswissenschaftlichen Güterschutzdogmas vorbei?1212 1. Darstellung Eine klare Abkehr vom reinen Güterschutzdogma findet sich bei Kindhäuser1213, dessen Systementwurf der analytischen Sprachphilosophie verpflichtet ist, und der die Straftat nunmehr als ein Interpretationsprodukt definiert, das durch präskriptive und askriptive Regeln konstituiert werde: „Die Straftat ist (…) das Ergebnis einer gestuften Zuschreibung von Verantwortung, die den Vorwurf zum Gegenstand hat, nicht um der Normbefolgung willen die Vermeidung der Tatbestandsverwirklichung intendiert zu haben. Diese Sicht der Dinge verlangt eine von der finalen Lehre erheblich abweichende Deutung von Unrecht, Vorsatz und Fahrlässigkeit.“1214

Danach zerfällt das personale Unrecht – wie beim zivilrechtlichen Modell der Zurechnung von Willenserklärungen – in einen objektiven und einen subjektiven Erklärungswert, wobei dem objektiven Erklärungstatbestand die Kategorie der Normwidrigkeit, dem subjektiven die Kategorie der Pflichtwidrigkeit zugeordnet wird.1215 Besagtes Modell spiegle sich in einer Doppelfunktion der strafrechtlichen Deliktstatbestände wider: Selbige seien zunächst als Rechtssätze zu deuten, die in kontradiktorischer Formulierung Verhaltensnormen ausdrückten.1216 Zu vermeiden sei also jedes erfolgsverursachende bzw. den Erfolg nicht hindernde Verhalten, weshalb Normwidrigkeit stets ex post festzustellen sei.1217 Im Falle der Gebote sei ein Tun vorzunehmen, durch das das Ausbleiben des Erfolgs bedingt werde, im Falle der Verbote sei das Bedingen des Erfolgs durch ein Tun zu unterlassen.1218 Jede ex post 1212 Neuerdings steht sogar eine „Entmaterialisierung des Strafrechts“ zu befürchten: Die Legitimität strafrechtlicher Verhaltensnormen wird zunehmend nicht mehr am Gehalt der legislatorischen Kriminalunrechtsbestimmung gemessen, sondern primär an der Legalität des in der Normerrichtung liegenden staatlichen Eingriffshandelns – und damit (bloß noch) am Korrektiv des öffentlich-rechtlichen Übermaßverbots. Der damit einhergehende Verzicht auf eine zusätzliche materiale Strukturvorgabe strafrechtlicher Normsetzung läuft geradezu auf eine „Umwertung der genuinen Strafrechtswerte“ hinaus; s. eingehend kritisch und erfrischend instruktiv zum Ganzen Paeffgen, Wolter-FS (2013), 125 ff. (131 ff.). 1213 Gefährdung, 1 ff.; dieser Konzeption Kindhäusers ist insbesondere Vogel (Norm, 27 ff.) gefolgt, der sie für die Dogmatik der begehungsgleichen Unterlassungsdelikte fruchtbar zu machen versucht hat (Norm, 93 ff.). 1214 Gefährdung, 25. 1215 Gefährdung, 34 f., 42 f. m. Fn. 5 f., 60, 92. 1216 Gefährdung, 29. 1217 Gefährdung, 60 f., 83. 1218 Gefährdung, 53.

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3. Kap.: Täter als Verletzer einer Verhaltensnorm

konstatierbare personale Erfolgsverursachung bzw. -nichthinderung i.d.S. sei Gegenstand des objektiven Erklärungswerts eines strafrechtlich relevanten Verhaltens.1219 Freilich sagten die Verhaltensnormen selbst inhaltlich nicht, in welchem Maße der Adressat an sie gebunden sei und unter welchen Prämissen er für einen Mangel an handlungswirksamer Anerkennung ihrer Verbindlichkeit einzustehen habe.1220 Die Antwort darauf gäben die Strafgesetze in ihrer zweiten Funktion als Sanktions- und Zurechnungsnormen: Eine Person sei dann strafrechtlich verantwortlich, wenn ihre Bestrafung als Reaktion auf ihr Verhalten legitim sei. Strafrecht sei also kein Planungsrecht; vielmehr stigmatisiere es diejenigen Verhaltensweisen, deren Ausbleiben für ein nach rechtlichen Präferenzen geordnetes Zusammenleben unerlässlich sei.1221 Strafe sei ein den Normwiderspruch beantwortender Tadel, durch den ausgedrückt werde, dass es richtig sei, Normen um ihrer Gerechtigkeit willen zu befolgen.1222 Freilich müsse auch die Strafdistribution gerecht sein, was voraussetze, dass der Täter seine Aktion und die staatliche Reaktion in ihrer jeweiligen Bezogenheit auf die Verbindlichkeit der Norm nachvollziehen könne. Deshalb hätten strafbares Verhalten und Strafdistribution nicht die Struktur einfacher intentionaler Handlungen, sondern wiesen Parallelen zu Sprechakten mit Intentionen höherer Ordnung auf.1223 Für ein adäquates Modell der Straftat folge daraus, dass seine Konstitutionsregeln den Kriterien der Zurechnung einer auf Verbindlichkeit bezogenen Willenserklärung zu entsprechen hätten. Dem Sprechakt der Straftat eigne also auch und insbesondere ein subjektiver Erklärungstatbestand, der nach einem Modell gestufter Intentionen aufgebaut sei.1224 Die erste Intentionsstufe, die das personale Unrecht konstituiere, bestehe dabei in dem durch ein Verhalten objektiv ausgedrückten Erklärungswert, die Norm nicht als verbindlichen Handlungsgrund anerkennen zu wollen: Wer als Handlungsfähiger nicht tue, was er tun könnte und müsste, wenn das Vorgeschriebene sein Handlungsziel wäre, der zeige, dass er die Norm nicht als als verbindlichen Grund seines Handelns anerkenne. Die Handlung, die zur Realisierung des normgemäßen intentionalen Objekts notwendig sei, werde dabei im Verfahren praktischer Deliberation gewonnen. Sie sei die Konklusion eines praktischen Schlusses, dessen Oberprämisse (= Intentionsprämisse) der kontradiktorisch gefasste Deliktstatbestand bilde. Vermittelt würden Oberprämisse und Konklusion durch die subjektive Prognose des kausalen Bedingungszusammenhangs.1225 Im Gegensatz zur Norm sei die Pflicht also induktiv zu bestimmen, da es kein Wissen um Zukünftiges gebe: Was 1219 1220 1221 1222 1223 1224 1225

Gefährdung, 60. Gefährdung, 29. Gefährdung, 29 f. Gefährdung, 31. Gefährdung, 32 f. Gefährdung, 34 f. Gefährdung, 54 f.

F. Abweichende Straftat- und Unrechtsmodelle

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getan oder unterlassen werden müsse, damit das Gesollte eintrete oder ausbleibe, könne nur mit relativer Sicherheit, d. h. bezogen auf das Programm des Täters ex ante, prognostiziert werden.1226 Gehe der Täter davon aus, dass ein Tun ceteris paribus einen Erfolg bedinge, so begehe er eine Pflichtverletzung, falls er dieses Tun nicht unterlasse.1227 Allein diese Pflichtverletzung sei notwendige Bedingung für die Konstitution der Straftat. Nur sie sei Anknüpfungspunkt und Voraussetzung der Strafe und damit Nukleus des strafrechtlichen Unrechts, wohingegen die Feststellung der objektiven Normwidrigkeit, also der Erfolgsverursachung, nur Relevanz sub specie Sanktionsnorm erlange.1228

2. Kritik Auf einige Unstimmigkeiten in Kindhäusers Sprechakttheorie ist hinzuweisen, bevor seine Kritik an der Lehre vom personalen Verhaltensunrecht vorgestellt und analysiert wird. Kindhäuser versteht die Straftat als intentional gestuften Sprechakt. Ganz wie die Willenserklärung im Zivilrecht soll sich die Straftat aus einem objektiven und einem subjektiven Tatbestand zusammensetzen, wobei letzterer wiederum aus zwei Intentionsstufen bestehen soll. Diese Parallele leuchtet in der Zuordnung von Normund Pflichtwidrigkeit zu den verschiedenen Komponenten eines Sprechakts durchaus ein. Allerdings hinkt der Vergleich in der Sache, weil das, was Kindhäuser als objektiven Erklärungswert ansetzt – die reine Erfolgsverursachung –, nicht dem entspricht, was den objektiven Erklärungstatbestand einer Willenserklärung im Zivilrecht ausmacht. Im Zivilrecht wird der objektive Erklärungswert eines Verhaltens von vornherein durch Rekurs auf dessen sozialen Bedeutungsgehalt ermittelt (§§ 133, 157 BGB). Ein Erklärungswert wird dort nur Persönlichkeitsäußerungen zugesprochen, die intersubjektiv (d. h. nach dem „verobjektivierten Empfängerhorizont“) auf einen bestimmten Rechtsfolgewillen schließen lassen.1229 Übertragen auf ein analoges Sprechaktmodell der Straftat bedeutet dies: Schon der äußere Erklärungstatbestand der Straftat müsste in einem Verhalten bestehen, dessen Vornahme aus Sicht der Kosubjekte die Nichtanerkennung der Norm ausdrückt. Intersubjektiv gesehen ist ein Tun aber nur dann als Nichtanerkennung einer Verhaltensnorm zu interpretieren, wenn es die allgemeine normative Verhaltenserwartung nicht erfüllt, wenn es also dem von der Norm befohlenen Handeln objektiv zuwiderläuft. Damit hängt aber schon der objektive Erklärungswert der Straftat von dem in die Norm gegossenen Erwartungshorizont der Kosubjekte ab, und diese Verhaltenserwartung bezieht sich stets auf die konkrete Handlungssituation, in der der Einzelne sich befindet: Es herrscht immer eine ganz bestimmte Vorstellung davon, was der Be1226 1227 1228 1229

Gefährdung, 59. Gefährdung, 62. Gefährdung, 59. s. dazu statt aller nur Flume, BGB AT/II, § 16 3 b (S. 310).

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3. Kap.: Täter als Verletzer einer Verhaltensnorm

treffende in concreto genau zu unterlassen oder zu tun hat, falls er norm- und damit erwartungsgemäß handeln will. Wird eine solche normative Verhaltenserwartung äußerlich enttäuscht, dann bringt dies intersubjektiv eine mangelnde Normanerkennung zum Ausdruck. Auch in einem Sprechaktmodell der Straftat ist also die personale Verhaltenspflichtverletzung nicht etwa Kriterium, sondern vielmehr Grund der Zurechnung: Will man dem Normverstoß objektiven Erklärungswert beimessen, dann muss man ihn als äußerliche Enttäuschung normativ gefestigter Erwartungen begreifen, was wiederum voraussetzt, dass die normativen Verhaltenserwartungen ex ante genau formuliert sind. Dann aber liegt der objektive Erklärungswert der Straftat im Verstoß gegen eine solchermaßen konkretisierte Verhaltensnorm, ergo: in der Verletzung einer personalen Verhaltenspflicht. Trägt diese Parallele zum Zivilrecht, so ist es konstruktiv unmöglich, innerhalb eines Sprechaktmodells der Straftat die Normwidrigkeit von der Pflichtwidrigkeit zu separieren und der Erfolgsverursachung objektiven Erklärungswert beizumessen. Das beweist auch eine „Umkehrprobe“: Verursacht etwa ein Autofahrer im Rahmen erlaubt-riskanter Verkehrsteilnahme die Verletzung eines anderen Menschen, so konfligiert sein Verhalten schon gar nicht mit dem verobjektivierten Erwartungshorizont der Kosubjekte, verletzt also überhaupt keine Verhaltensnorm; die bloße Eigenschaft eines Tuns, einen Erfolg verursacht zu haben, verleiht diesem Tun noch keinen sozialrelevanten Erklärungswert.1230 Nun möchte man einwenden, es sei letztlich eine Frage des dogmatischen Geschmacks, ob man die mit der Pflichtkategorie zusammenhängenden Sachfragen bereits auf der Verhaltensnormebene oder aber erst sub specie Sanktionstatbestand löse: Wäre die von Kindhäuser sub specie Sanktionsnorm eingeführte Kategorie der Verhaltenspflicht geeignet, dem Adressaten genau zu sagen, welches Verhalten er konkret zu unterlassen bzw. vorzunehmen hat, so wirkte sich die straftatsystematisch abweichende Lozierung des Topos praktisch nicht aus.1231 Vor diesem Hintergrund ist zu fragen, ob der Einzelne sich in Ausrichtung am Kindhäuser’schen Kausierungsverbot die pflichtgegenständliche Handlung induktiv erschließen kann, indem er den kausalen Bedingungszusammenhang ex ante einschätzt. Das ist jedoch entschieden zu negieren, denn ein Verbot der Erfolgsverursachung spricht allein den Vorsatztäter an, wie bereits Armin Kaufmann1232 in seiner Auseinandersetzung mit der Normfassung Bindings treffend herausgearbeitet hat: „Schon bei der Motivationslage der sog. bewussten Fahrlässigkeit aber ist es anders: Auch hier wird der Erfolg zwar vorgestellt, und deshalb kann der angehende Täter diese Vorstellung mit dem Verbot der Erzeugung von Todesursachen vergleichen. Aber es ist für diese Fälle ja gerade charakteristisch dass der Täter annimmt, durch seine beabsichtigte Handlung werde dennoch der Erfolg nicht eintreten. Und deshalb wird er sich von einem Verbot, keine Todesursachen zu erzeugen, nicht betroffen fühlen. – Bei der unbewussten Fahrlässigkeit 1230 1231 1232

So zutr. Freund, AT, § 1 Rn. 14. Krit. dazu Freund, Erfolgsdelikt, 122 f. Normentheorie, 114.

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aber kommt der Täter erst gar nicht in die Verlegenheit, an ein solches Verbot überhaupt zu denken, da er sich ja den Erfolg nicht vorstellt.“

Das von Kindhäuser zugrunde gelegte Verursachungsverbot sagt dem sorgfaltswidrig Agierenden also nicht, welches Verhalten konkret von ihm erwartet wird. Über diese Kalamität kann weder die Annahme einer dem Kausierungsverbot inhärenten Nebenpflicht zu allgemeiner Achtsamkeit1233 hinweghelfen, noch die Umformulierung des Verursachungsverbots in ein allgemeines Gebot, Tatbestandsverwirklichungen zu vermeiden.1234 Beide Behelfskonstruktionen beseitigen, von ihrer normentheoretischen Fragwürdigkeit einmal abgesehen, das Problem nicht: Nach wie vor bleibt unbestimmt, was derjenige, der nicht weiß, dass er einen tatbestandsmäßigen Erfolg herbeiführen wird, konkret zu tun oder zu unterlassen hat.1235 Auch Kindhäuser1236 selbst sieht, dass der Weg zur Zurechnung qua Fahrlässigkeit normlogisch unmöglich über eine aus dem Verursachungsverbot selbst fließende Pflicht führen kann. Stattdessen soll es dem Rechtssubjekt im eigenen Interesse obliegen, sich Kenntnis von der seinem Tun u. U. anhaftenden Verursachungsqualität zu verschaffen: Wolle man einer Person ein objektiv normwidriges Verhalten trotz situativer Unfähigkeit zur intentionalen Erfolgsvermeidung als Pflichtverletzung zurechnen, so müsse die Unfähigkeit zur Realisierung der normgemäßen Intention ihrerseits Ausdruck mangelnder Anerkennung der Norm sein. Damit erlangten auch solche Akte Zurechnungsrelevanz, die die Unfähigkeit zu normgemäßem Handeln bedingten.1237 Werde aber die Fähigkeit zu normgemäßem Handeln nicht von der Norm vorgeschrieben, so sei die Anforderung, für diese Fähigkeit Sorge zu tragen, Gegenstand einer sekundären Obliegenheit.1238 Die Obliegenheit verlange also die Ausführung von Vorsorgehandlungen, deren Vollzug bei unterstellter rechtstreuer Motivation von einer Person in der Rolle des Täters erwartet werde. Eine Obliegenheitsverletzung bilde dementsprechend den Zurechnungsgrund eines wegen fehlenden Steuerungsbewusstseins nicht als Pflichtverletzung zurechenbaren Fehlverhaltens.1239 Komme der Täter seiner Obliegenheit nicht nach, so handle er noch nicht pflichtwidrig und mache sich damit auch noch nicht strafbar. Die Verletzung der Obliegenheit sei vielmehr ein „Verschulden gegen sich selbst“ insofern, als sie die Berufung auf die eigene Unfähigkeit zur Normbefolgung abschneide und so die Zurechnung eines normwidrigen Verhaltens als Pflichtverletzung ermögliche.1240 1233

So noch Binding, Normen II/1, 236 ff. So noch Engisch, Untersuchungen, 335 ff. 1235 Schlagend gegen beide Behelfskonstruktionen Armin Kaufmann, Normentheorie, 114 ff. (120). 1236 Gefährdung, 65, 82. 1237 Gefährdung, 63 f. 1238 Gefährdung, 65. 1239 Gefährdung, 65 f. 1240 Gefährdung, 67. 1234

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3. Kap.: Täter als Verletzer einer Verhaltensnorm

Die Zuschreibung von Verantwortung für die obliegenheitswidrige Unfähigkeit zur Normbefolgung lasse sich wiederum anhand praktischer Deliberation präzisieren. Die Wissensprämisse nenne (beim Erfolgsdelikt) diejenigen Bedingungen, die zu setzen oder nicht zu setzen nach dem einschlägigen Erfahrungswissen dazu führe, dass eine Person später nicht in der Lage sei, einen Erfolg zu vermeiden bzw. zu verhindern. Die praktische Deliberation ex ante formuliere dann die der Wissensprämisse korrespondierende Handlungsalternative.1241 Bedenke der Täter den in der Wissensprämisse genannten Erfahrungssatz in concreto nicht, sei das diesbezüglich fehlende Steuerungsbewusstsein seinerseits durch ein normatives Zurechnungskriterium zu substituieren, was jedoch keinen infiniten Regress impliziere; denn mit dem Erfordernis, dass dem Täter der in der Unterprämisse genannte Erfahrungssatz generell bekannt sei bzw. dass er um die Existenz einschlägiger Präventionsregeln wisse, stehe von vornherein fest, dass er über das nötige Wissen verfüge, um im erwarteten Maße zur Normbefolgung fähig zu sein.1242 Nach alledem sei die Unfähigkeit zu normgemäßem Handeln vom Täter als Obliegenheits- oder Sorgfaltspflichtverletzung zu verantworten, wenn er die in der Konklusion des praktischen Schlusses genannte Vorsorgehandlung nicht ausgeführt habe.1243 Sieht man einmal von der abweichenden dogmatischen Einordnung ab, dann entspricht diese Definition des sorgfaltswidrigen Verhaltens durchaus der hier vertretenen: Diejenige Handlung, die bei Kindhäuser Gegenstand der Obliegenheit als Zurechnungskategorie ist, ist nach hiesiger Ansicht Gegenstand der Pflicht als konkretisierter Verhaltensnorm.1244 Doch lässt sich ein Obliegenheitsmodell, wie es Kindhäuser vorschwebt, nicht ohne Friktionen durchhalten. Der entscheidende Einwand gegen ein solches Konzept liegt darin, dass nach ihm die unrechtskonstituierende Beziehung der obliegenheitswidrig agierenden Person zur güterschützenden Hauptnorm erst nachträglich durch den Erfolgseintritt hergestellt wird: Die Obliegenheit selbst bindet den Betreffenden in der Entscheidungssituation ex ante nicht äußerlich; ihm wird vielmehr anheimgestellt, ob er sich auf das Risiko einer möglichen Erfolgsverursachung und damit einer eventuellen Strafbarkeit einlassen will oder nicht.1245 Lässt er es darauf ankommen und der Erfolg tritt ein, so wird ihm die in der Erfolgsverursachung liegende objektive Normwidrigkeit ob seines Vorverschuldens gegen sich selbst zugerechnet. Überließe man es aber tatsächlich in dieser Weise dem Obliegenheitsadressaten selbst, ob er das Strafbarkeitsrisiko eingehen will oder nicht, so nähme man damit den betroffenen materialen Güterschutzinteressen gerade in dem kritischen Entscheidungsmoment, da ihnen der

1241 1242 1243 1244 1245

Gefährdung, 73 f. Gefährdung, 74 f. Gefährdung, 77. Vgl. dazu auch Kindhäuser, Gefährdung, 77 f. Freund, Erfolgsdelikt, 123.

F. Abweichende Straftat- und Unrechtsmodelle

253

Akteur noch gerecht werden könnte, ihre normative Garantie.1246 Völlig zu Recht konstatiert daher Freund1247: „(Legitimations-)Grund bestimmter Verhaltensanforderungen (…) ist doch allemal der (objektiv ex ante verfügbare) Gewinn für die berechtigten Güterschutzbelange (anderer) und nicht die Vermeidung der etwaigen eigenen Bestrafung!“

Demnach muss auch die Unterlassung eines sorgfaltswidrig-riskanten Akts bzw. die Vornahme eines zur Rechtsgutserhaltung erforderlichen Sorgfaltsakts zwingend von einer durch fremde Güterschutzinteressen legitimierten Außenverhaltensnorm vorgeschrieben werden.1248 Letztlich führt also kein Weg an der Einsicht Armin Kaufmanns1249 vorbei: „Es müssen Regeln existieren, die das Gemeinschaftsleben im Rahmen der Sorgfalt halten, die übermäßige Risiken für Rechtsgüter vermeidet: die ,im Verkehr erforderliche Sorgfalt‘. Nach deren Erfahrungsregeln kann sich der einzelne auch dann richten, wenn er die Verursachungskette, die sein Handeln anstößt, nicht in allen Teilen überblickt. Aus diesem Bereich sind die Normen zu entwickeln, denen fahrlässiges Verhalten widerspricht.“

Der Versuch, diese Normen zu entwickeln, wurde hier1250 – im Rahmen des Möglichen – unternommen. 3. Generalkritik Kindhäusers an der personalen Unrechtslehre und Replik Kindhäuser hat allerdings im Zuge der Entwicklung seines Eigenkonzepts zugleich auch eine Generalkritik an der überkommenen Unrechtslehre formuliert, der sich gestellt werden muss. Er ist der Ansicht, sein Unrechtsmodell sei einer unmittelbar am Rechtsgüterschutzdogma ausgerichteten Doktrin überlegen, insbesondere deshalb, weil eine Personalisierung schon des Normgegenstandes zwangsläufig zu systemischen Friktionen führen müsse: a) Erste Schwierigkeiten ergäben sich für die überkommene personale Unrechtslehre schon bei der Frage nach der Vereinbarkeit ihrer subjektivistischen Normfassung mit dem Gesetzestext. Wie etwa aus § 222 erhelle, seien offensichtlich nicht nur finale Totschlagsversuche untersagt.1251 Ebenso wenig verbiete § 212 ein Verhalten, das der Täter zum Zwecke der Tötung vornehme, sondern vielmehr ein Verhalten, das den Tod eines Menschen verursache.1252 Finalität sei also kein Be1246 1247 1248 1249 1250 1251 1252

So die nahezu identische Formulierung bei Freund, Erfolgsdelikt, 123. Erfolgsdelikt, 123. Freund, AT, § 2 Rn. 33. Normentheorie, 120. Oben, S. 199 ff. Gefährdung, 16, 99 Fn. 13, 147 f. Gefährdung, 99 Fn. 13, 147 f.

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3. Kap.: Täter als Verletzer einer Verhaltensnorm

standteil des Norminhalts, sondern Kriterium der Zurechnung. Die strafrechtlich relevante Finalität bestehe in dem Willen, die Tatbestandsverwirklichung um der Normbefolgung willen zu vermeiden oder zu verhindern.1253 Weder aus der Intentionalstruktur von Handlungen noch aus der Einsicht, dass Normen nur befolgt werden könnten, wenn das Gesollte als Gewolltes in die Tat umsetzbar sei, folge deshalb, dass schon das objektiv normwidrige Verhalten willkürlich, geschweige denn final sein müsse.1254 Stolpere etwa der Maurer M auf einem Gerüst und stoße dadurch einen Eimer um, der herunterfalle und einen Arbeitskollegen verletze, so sei das Umstoßen des Eimers kein willkürliches Verhalten. Es lasse sich auch nicht sagen, der M habe den Tatbestand der Körperverletzung dadurch verwirklicht, dass er es unterlassen habe, sich sorgfältig auf dem Gerüst zu bewegen. Denn zwar könne man sagen, dass M bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt in der Lage gewesen wäre, nicht zu stolpern. Doch könne daraus nicht geschlossen werden, dass die fehlende Aufmerksamkeit eine Bedingung des Erfolges sei, da M den Eimer ja auch bewusst hätte umstoßen können. Das sorgfältige Verhalten sei vielmehr eine Vorsorgehandlung: Wenn M sich mit der von ihm erwarteten Aufmerksamkeit auf dem Gerüst bewegt hätte, wäre er in der Lage gewesen, das Stolpern zu vermeiden, so dass er, falls er dies gewollt hätte, es hätte unterlassen können, den Eimer herunter zu stoßen. Ob dagegen das den Erfolg letztlich verursachende, tatbestandsmäßige Verhalten selbst (im Fall also das Stolpern!) unwillkürliche oder reflexhafte Bewegung, Automatismus oder intentional gesteuertes Mittel sei, spiele sub specie Verursachungsverbot keine Rolle.1255 Deshalb müsse die Norm im Modell Armin Kaufmanns eigentlich an das Werturteil zweiter Stufe – Verursachung unwertiger Zustände – anknüpfen.1256 Doch auch mit diesem Werturteil könne der Gegenstand der Norm nicht identisch sein. Denn die Normen untersagten nicht einfach die Verletzung oder Erhaltung von Rechtsgütern, sondern beschränkten den Rechtsgüterschutz auf bestimmte Tatmodalitäten – eine Beschränkung, für die das Kaufmann’sche Modell der Normgenese keine Erklärung gebe.1257 Schließlich sei Kaufmanns Modell weder zu entnehmen, warum das Strafrecht nicht alle, sondern nur bestimmte Güter der sozialen Ordnung schütze, noch sage es, warum das Strafrecht nur wenige echte Unterlassungsdelikte kenne.1258 Dieser erste Abschnitt enthält im Wesentlichen leicht auszuräumende Kritikpunkte: Zunächst trifft es selbstverständlich zu, dass de lege lata nicht nur intentionale Verletzungshandlungen verboten sind und dass die Tatbestände der Erfolgsdelikte das tatbestandsmäßige Verhalten als erfolgreiches thematisieren. Doch zwingt dies 1253 1254 1255 1256 1257 1258

Gefährdung, 147 f. Gefährdung, 94. Gefährdung, 94 f. Gefährdung, 148. Gefährdung, 148. Gefährdung, 148.

F. Abweichende Straftat- und Unrechtsmodelle

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keineswegs dazu, den Deliktstatbeständen in kontradiktorischer Formulierung „neutrale“ Verursachungsverbote zu unterlegen. Vielmehr ist die Argumentation pro Kausierungsverbote schlicht umzukehren, wie sich am Beispiel der §§ 212, 222 kurzerhand illustrieren lässt: § 222 inkriminiert eine fahrlässige Todesverursachung, § 212 ein vorsätzliches Töten, weshalb die Annahme eines übergreifenden Verbots, den Tod eines anderen Menschen zu verursachen, ihrerseits eine Umformulierung des Strafgesetzes darstellt.1259 Hinzu kommt, dass ein solches Verursachungsverbot in der Entscheidungssituation ex ante nur an die subjektive Prognose des Akteurs über die Verletzungsrelevanz seines Handelns anknüpfen kann1260 und damit allein den Vorsatztäter verpflichtet.1261 Auch der Vorhalt, den Kindhäuser der personalen Unrechtslehre im Zusammenhang mit dem Beispiel des stolpernden Maurers macht, ist schwerlich haltbar: Kindhäuser1262 meint, mit Blick auf die Entschlussfreiheit des Maurers laufe es auf eine Kausalitätsfiktion contra reum hinaus, zu unterstellen, er hätte den Eimer nicht heruntergestoßen, wenn er sich umsichtig auf dem Gerüst bewegt hätte. Realiter verhält es sich aber gerade umgekehrt: Der Rekurs auf den Umstand, dass M den Eimer auch bewusst hätte umstoßen können, ist verbotene Inrechnungstellung einer (per se noch nicht einmal feststehenden!) Reserveursache! Deutlicher wird dies, wenn man den Fall dahingehend abwandelt, dass der Maurer sich von vornherein mit dem Ziel auf den Eimer zubewegt, denselben herunterzustoßen und hierbei stolpert. Jetzt träte Kindhäusers Argument in seiner Reinform zutage: Die Kausalität kann nicht auf das sorgfaltswidrige Verhalten des M gegründet werden, da dieser den Erfolg später absichtlich verursacht haben würde – eine schwerlich haltbare These! Kindhäuser versucht Armin Kaufmanns Modell der Normgenese ferner mit dem Hinweis ad absurdum zu führen, dass die meisten Verhaltensnormen nicht einfach die Verletzung bzw. Erhaltung von Rechtsgütern ver- oder geböten, sondern den Rechtsgüterschutz auf bestimmte Tatmodalitäten beschränkten; eine Identität von Werturteil und Norm sei deshalb weitestgehend eben gerade nicht gegeben. Diese Kritik verkennt, dass die eingeschränkte Fassung der meisten Strafsätze bloß den fragmentarischen Charakter des Strafrechts belegt: Die Tatsache, dass der Legislator nur bestimmte Tatmodalitäten inkriminiert, ändert nichts an der gegenständlich weitergehenden Fassung der zugrunde liegenden allgemeinrechtlichen Verhaltensnormen! Letztere können eben nur insoweit strafbewehrt werden, als ihrer Garantiefunktion eine allseitige Utilität zukommt, die gerade das ultimative Sicherungsmittel der Strafdrohung erforderlich macht.1263 Eine solche „distributive Utilität“1264 wird aber vom Gesetzgeber oft nur für einen bestimmten Ausschnitt des allgemeinen 1259 1260 1261 1262 1263 1264

Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 91. Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 92. s. dazu nochmals vorstehend unter 2.). Gefährdung, 95 Fn. 7. s. dazu Kindhäuser selbst, in: Gefährdung, 159. Kindhäuser, Gefährdung, 152.

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3. Kap.: Täter als Verletzer einer Verhaltensnorm

Regelungsgegenstandes angenommen, mit der Folge, dass das Strafhandlungsunrecht voraussetzungsreicher ist als das allgemeine Handlungsunrecht (= fragmentarischer Charakter des Strafrechts). Insgesamt bleibt es daher beim Diktum Armin Kaufmanns1265 : „Die Analyse der Struktur des Normgegenstandes und der Voraussetzungen der Vorwerfbarkeit gehört in den Bereich der Sachlogik; hier sind Strukturen vorgegeben, die auch der Gesetzgeber nur erkennen oder verkennen, nicht aber selbst schaffen kann (…). Welche Handlungen aber Gegenstand der Norm sein können, und welches Verhalten einem zur Pflichtbefolgung Fähigen vorgeworfen werden kann, das ist eine rein axiologische Frage; es ist die Frage nach dem materialen Gehalt des Rechts. In praxi wird das Problem beantwortet von der Rechtspolitik, die sich in der positiven Gesetzgebung und im Gewohnheitsrecht objektiviert.“

Die Tatsache, dass nur bestimmte Rechtsgüter mit den Mitteln des Strafrechts gegen bestimmte Einwirkungsmodalitäten geschützt werden, beruht somit nicht auf einem Auseinanderfallen von allgemeinem Werturteil und allgemeinrechtlicher Verhaltensnorm,1266 sondern ist bloß Ausfluss eines recht verstandenen Strafzweckverständnisses. Leicht beantworten lässt sich daher auch die von Kindhäuser1267 aufgeworfene Frage, warum die lex lata nur wenige echte Unterlassungsdelikte kennt (und auch nur wenige fahrlässige Rechtsgutsbeeinträchtigungen pönalisiert): Denjenigen Verhaltensnormen, die den betreffenden Unterlassungstatbeständen (bzw. Fahrlässigkeitsdelikten) hätten zugrunde gelegt werden müssen, fehlte es nach gesetzgeberischer Einschätzung schlicht an der für eine strafrechtliche Sanktionsbewehrung erforderlichen „distributiven Utilität“.1268 Damit verletzen diese Verhaltensweisen also sehr wohl jeweils eine allgemeine rechtsgüterschützende Verhaltensnorm, was nur eben sub specie StGB nicht interessiert. Letzteres ändert jedoch nichts an der Existenz der entsprechenden Verhaltensnormen und damit an der universell geltenden Identität von allgemeinem Werturteil und (allgemeinrechtlicher) Verhaltensnorm! b) Eine zweite Argumentationsschicht verwendet Kindhäuser auf die Zementierung des Vorwurfs, das überkommene Güterschutzdogma biete keinen tauglichen Ansatz zur Legitimation von Gefährdungsverboten. Das Problem der Begründung solcher Verbote durch die Zwecksetzung, Rechtsgutsverletzungen zu vermeiden, sei aus logischen Gründen heraus nicht befriedigend lösbar.1269 Insbesondere könnten 1265

Normentheorie, 195. So aber Kindhäuser, Gefährdung, 148. 1267 Gefährdung, 148. 1268 Das sieht natürlich auch Kindhäuser (Gefährdung, 152), der daraus aber schon die Illegitimität der entsprechenden Verhaltensnormen ableiten will. Das kann jedoch nicht überzeugen, denn wäre etwa die fahrlässige Sachbeschädigung tatsächlich allgemeinrechtlich unverboten, so dürfte auch zivilrechtlich (§ 823 BGB) keine Haftung erfolgen! 1269 Gefährdung, 18. 1266

F. Abweichende Straftat- und Unrechtsmodelle

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Gefährdungsdelikte nicht kurzerhand als aufsteigende Verwirklichungsstufen eines ex ante verletzungsgeeigneten Rechtsgutsangriffs ausgewiesen werden. Ein solches „Angriffsparadigma“1270 sei aus zwei Gründen nicht haltbar: Erstens wiesen die durch Gefährdungsverbote untersagten Verhaltensweisen bekanntermaßen nicht durchgängig das Merkmal der Verletzungsgeeignetheit auf;1271 zweitens müssten Gefährdungsverbote neben Verletzungsverboten leerlaufen, wenn das tragende Verbotskriterium in der Verletzungsgeeignetheit erblickt werde, denn sub specie Verletzungsgeeignetheit lägen sämtliche Verhaltensweisen per definitionem auf ein und derselben Linie.1272 Diese Argumentation trüge, wie Kindhäuser1273 selbst sieht, nur dann, wenn die überkommene Lehre vom personalen Unrecht zwingend einen monistischen, nurgegenständlich gefassten Rechtsgutsbegriff voraussetzte und deshalb den Verhaltensnormzweck ausschließlich in der Vermeidung von Substanzverletzungen erblicken könnte. Dann wären Gefährdungsverbote in der Tat entweder obsolet (bei Verletzungseignung des verbotenen Verhaltens) oder aber nicht legitimierbar (bei fehlender Verletzungseignung). Doch ist die überkommene personale Unrechtslehre keineswegs für einen monistisch-gegenständlichen Rechtsgutsbegriff prädisponiert. Vielmehr ist es ohne Weiteres möglich, den Rechtsgutsbegriff auch bei gleichzeitigem Eintritt für eine (Inter-)Subjektivierung der Normmaterie normativ zu fassen! Insofern kann sogar die – überzeugende – Lösung, die Kindhäuser für die aufgeworfene Problematik zur Hand hat, mutatis mutandis für das hiesige Konzept übernommen werden: Rechtsgüter sind nichts anderes als Mittel zur freien Persönlichkeitsentfaltung, weshalb das (Straf-)Recht sie in zweierlei Hinsicht vor Beeinträchtigungen schützt. Zum einen wird das Interesse an der substantiellen Unversehrtheit der Rechtsgüter normativ garantiert, zum anderen das Interesse an der gefahrlosen Verfügung über diese Güter. Die Garantie der substantiellen Unversehrtheit ist Zweck der Verletzungsverbote, die Garantie der gefahrlosen Disposition Zweck der Gefährdungsverbote.1274 Wie also die Rechtsgutsverletzung ein Faktum ist, dessen Schadensqualität objektiv festgestellt werden kann, so verobjektiviert sich auch die konkrete oder abstrakte Rechtsgutsgefährdung als Eingriff in die ungestörte Disposition über das betroffene Gut.1275 Unter Geltung eines solchen dualistischen Rechtsgutsbegriffs ist es also auch einer konkreten personalen Unrechtslehre teleologisch wie axiologisch bruchlos möglich, neben der Betätigung einer Verletzungsmaxime auch die Umsetzung einer Gefährdungsmaxime zu verbieten. 1270

Gefährdung, 163. Gefährdung, 166 f. 1272 Gefährdung, 168. 1273 Gefährdung, 172. 1274 Kindhäuser, Gefährdung, 19 ff. (26); zur Möglichkeit, den Rechtsgutsbegriff i.S.d. Kindhäuser’schen Bestimmung zu präzisieren, s. Paeffgen, Wolter-FS (2013), 125 (128 Fn. 14). 1275 So (freilich von seinem eigenen Unrechtsverständnis her) Kindhäuser, Gefährdung, 288. 1271

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3. Kap.: Täter als Verletzer einer Verhaltensnorm

c) Doch greift Kindhäuser mit seiner eigentlichen Kritik noch tiefer, nämlich dorthin, wo er die partie honteuse einer finalistisch geprägten Unrechtslehre ausmacht: Wenn der Rechtsgüterschutz Kriterium der rechtlichen Richtigkeit des Gesollten sei, dann könne die Norm wegen der Möglichkeit des Irrtums das Sollen nicht von den Vorstellungen des Adressaten abhängig machen.1276 Zu denken sei dabei zunächst an das de lege lata strafbewehrte Verbot des untauglichen Versuchs, das durch den Rechtsgüterschutz nicht legitimiert werden könne: Sei die Rechtsgutsverletzung der Schaden, den zu vermeiden Zweck eines Verletzungsverbotes sei, dann könne der untaugliche Versuch bereits begrifflich nicht schädlich sein.1277 Kein Ausweg sei es, die Verletzungsrelevanz in der Betätigung eines verbrecherischen Willens zu sehen. Denn diene die Norm der Vermeidung einer Rechtsgutsverletzung, so werde ein Verhalten eben auch nur seiner tatsächlichen Verletzungsrelevanz wegen verboten, nicht aber wegen des vom Akteur zum Ausdruck gebrachten Willens.1278 Demgegenüber könne ein reines Sprechaktmodell der Straftat den untauglichen Versuch problemlos als Unrecht erfassen, da er pflichtwidriger Ausdruck mangelnder Normanerkennung sei.1279 Immerhin möglich sei aber auch der Fall, dass der Garant eines Gutes die Absicht habe, es zu verletzen, sich aber bei der Wahl des Mittels irre und auf diese Weise das Gut gerade vor einer Verletzung bewahre.1280 Zur Illustration führt Kindhäuser folgendes Beispiel1281 an: Eine Krankenschwester versucht, einen Patienten, der sie wegen liebevoller Pflege zur Erbin eingesetzt hat, durch eine Überdosis des verordneten Herzmittels zu töten und rettet ihm gerade dadurch das Leben. Bei Aufwendung der erforderlichen Sorgfalt wäre der Krankenschwester eine korrekte Situationseinschätzung durchaus möglich gewesen, so dass ihr der Tod des Patienten als fahrlässige Tötung durch Unterlassen zurechenbar gewesen wäre, wenn sie die Überdosis nicht appliziert hätte. – Identifiziere man nun bei diesem Beispielfall das Wollen mit dem Sollen, so habe die Krankenschwester normwidrig gehandelt. Nur könne dieses Sollen sub specie Güterschutz nicht legitimiert werden, da die Norm das genaue Gegenteil dessen vorschreibe, was zur Erhaltung des Gutes getan werden müsse.1282 Es lasse sich auch nicht einwenden, dass der Rechtsgüterschutz notwendigerweise durch das Können des jeweiligen Adressaten begrenzt werde, also vom final Realisierbaren abhänge. Denn ex hypothesi wäre die Krankenschwester ja in der Lage gewesen, das zur Gutserhaltung Erforderliche zu tun.1283 Unklar bleibe zudem, warum die Beurteilung des Geschehens unter dem Aspekt der Fahrlässigkeit 1276 1277 1278 1279 1280 1281 1282 1283

Gefährdung, 16 f. Gefährdung, 17, 135. Gefährdung, 135. Gefährdung, 136. Gefährdung, 17. Gefährdung, 17. Gefährdung, 17. Gefährdung, 17.

F. Abweichende Straftat- und Unrechtsmodelle

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zum entgegengesetzten Ergebnis gelange, obgleich Vorsatz und Fahrlässigkeit schwerlich Gegenstand zweckverschiedener Gebote seien.1284 Wer dagegen der Ansicht sei, dass Verbot und Gebot im Beispielfall keine unterschiedlichen Formulierungen ein und derselben Norm gegen Tötung seien, der müsse von einer Normenkollision ausgehen, für die es unter dem Aspekt des Rechtsgüterschutzes wohl keine befriedigende Lösung gebe.1285 Diese Argumentationsschicht zielt auf innersystemische Kalamitäten der Kaufmann’schen Normentheorie ab und trifft damit in der Tat den neuralgischen Punkt einer subjektivistischen Normfassung: Ihr gelingt es paradoxerweise nicht, Verhaltensnormen zu konzipieren, die durchweg an eine faktisch einschlägige Verletzungsrelevanz anknüpfen. Doch handelt es sich insofern tatsächlich nur um einen Scheinwiderspruch, denn die Verhaltensnormen müssen in der Entscheidungssituation ex ante an die verstandesmäßige Macht des Willens anknüpfen, sich handelnd in einer Rechtsgutsbeeinträchtigung zu realisieren.1286 Damit aber richtet sich die Verhaltensnorm an einen in seinem Erkenntnisvermögen begrenzten Willen, weshalb die „Transformation“, die der Zweck des Güterschutzes hierdurch zwangsläufig erfährt, die Normmaterie transzendieren muss.1287 Scharfsinnig ist Kindhäusers Fingerzeig auf die mögliche Aporie einer „versehentlichen Gutserhaltung durch Rechtsgutsangriff“. In der Tat scheint das Krankenschwester-Beispiel die überkommene Normentheorie in ein auswegloses Dilemma zu verstricken: Entweder verstößt die Krankenschwester durch Applikation der Doppeldosis gegen das Verbot, ein taugliches Tötungsprogramm umzusetzen und rettet dem Patienten gerade dadurch das Leben, oder sie befolgt die Vorsatznorm, mit der Folge, dass sie das Unrecht einer fahrlässigen Tötung durch Unterlassen setzt. Auf den ersten Blick hat es daher tatsächlich den Anschein, als liege eine unauflösbare Normenkollision vor: Die Norm des Vorsatzdelikts verpflichtet zur Abstandnahme von der geplanten Injektion, die Sorgfaltsnorm gerade umgekehrt zu deren Vornahme. Doch täuscht dieser Eindruck, denn näheres Hinsehen zeigt, dass durchaus beide Pflichten erfüllbar sind. Der logische Fehler von Kindhäusers Argumentation liegt in der stillschweigenden Prämisse, dass absolutes Tötungsverbot und konkretes Sorgfaltsgebot ein und denselben Bezugspunkt hätten, nämlich den Akt der Injektion. Tatsächlich verhält es sich jedoch anders, denn das Sorgfaltsgebot geht nicht auf Vornahme der Injektion, sondern auf sorgfältige Prüfung der Voraussetzungen für die medizinische Indikation einer Doppeldosis.1288 Der Krankenschwester ist es daher bei Anwendung der allgemein gebotenen Sorgfalt ex ante 1284

Gefährdung, 17. Gefährdung, 17 Fn. 8. 1286 Eingehend zu dieser Beherrschbarkeitsprognose Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 152 f. 1287 s. dazu bereits Samson, Grünwald-FS (1999), 585 (596). 1288 Es handelt sich insofern um eine Konstellation der Kategorie „Erkennbarkeit der tatbestandsmäßigen Situation“ (ausführlich dazu oben, S. 228 ff.). 1285

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3. Kap.: Täter als Verletzer einer Verhaltensnorm

durchaus (noch) möglich, zu erkennen, dass die Verabreichung einer Doppeldosis hier ausnahmsweise medizinisch indiziert ist und in diesem Wissen ihr Tötungsvorhaben aufzugeben, indem sie die – jetzt auf Vornahme der Injektion lautende – Verhaltensnorm des Vorsatzdelikts befolgt. Nimmt sie hingegen die für tödlich gehaltene Injektion ungeprüft vor, so verstößt sie uno actu gegen das allgemeine Sorgfaltsgebot und das absolute Verbot des Vorsatzdelikts, wobei sich der Sorgfaltspflichtverstoß mangels Erfolgseintritts nicht auswirkt. Nimmt die Krankenschwester sorgfaltswidrig vom Projekt der vermeintlich tödlichen Applikation Abstand, so verwirklicht sie ein fahrlässiges Unterlassungsdelikt. Ein insgesamt normgemäßes Handeln ist also in diesem Ausnahmefall nur dann möglich, wenn zunächst das Sorgfaltsgebot und anschließend das korrekt ermittelte Applikationsgebot erfüllt wird.

III. Resümee Im Ergebnis ist festzuhalten, dass sowohl der Ansatz Zaczyks als auch das Modell Kindhäusers durchaus wertvolle und weiterführende Gedanken enthalten, die zu einer Reflexion über bestimmte „Leerstellen“ der überkommenen Normentheorie Anlass geben. Doch zwingt dieser zweifellos fruchtbare Perspektivenwechsel keineswegs dazu, eines dieser abweichenden Unrechtssysteme zu übernehmen, denn beider Stärken können (und müssen) dem hiesigen System implementiert werden: Der freiheitlich-interpersonale Handlungsbegriff der Wolff-Schule macht, von seinen „Überpointierungen“ (Paeffgen) befreit, darauf aufmerksam, dass ein rein heteronomes Normverständnis in einem demokratisch verfassten Systemrahmen disloziert anmutet. Solange unausgewiesen bleibt, wie das Individuum seine persönlichen Interessen in den Prozess der Normgenese einbringen kann, bilden die Rechtsnormen eine paternalistisch verfügte Ordnung, woran auch die Tatsache der faktisch hingenommenen Normgeltung nichts zu ändern vermag. Allerdings lässt sich diese Leerstelle ohne Weiteres füllen, wenn man bedenkt, dass der Normentstehung ein offener und transparenter Meinungsbildungsprozess vorangeht, an dem teilzuhaben und dessen Revision zu fordern in einem rechtsstaatlich verfassten Systemrahmen prinzipiell jedermann freisteht: Weil der Einzelne die Möglichkeit zu einer gestaltenden Stellungnahme hat, wird er an die verfahrensgemäß zustande gekommene Norm gebunden. Dass auch bei einer derart „nüchternen“ Explikation der Normgenese das personale Unrecht nicht i.S.e. finalen Handlungslehre unterbestimmt werden muss, macht Kindhäusers Sprechaktmodell der Straftat einsichtig. Dabei ist allerdings zu beachten, dass schon die abstrakt-generelle Verhaltensnorm selbst nicht bloß Verursachungsverbot ist, sondern vielmehr Verkörperung eines verobjektivierten Erwartungshorizonts der Kosubjekte: In der geltenden Normenordnung verobjektivieren sich konkrete rechtsgutsbezogene Verhaltenserwartungen der Kosubjekte, weshalb die Verletzung einer bestimmten normkonkretisierenden Pflicht eine ent-

G. Regelungszweck der strafrechtlichen Sanktionsnormen

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sprechende kontrafaktische Verhaltenserwartung der Kosubjekte enttäuscht. Rechtlich relevant ist daher nicht der von Kindhäuser als Intentionsprämisse angesetzte Wille, den Erfolg zu vermeiden, sondern der in der Normverletzung sich objektivierende unrechtliche Erklärungsgehalt. Dass Kindhäusers Definition der Verhaltenspflichtverletzung als personal ausgedrückte Desavouierung eines neutralen Verursachungsverbots sich nicht stimmig durchhalten lässt, zeigt insbesondere der Blick auf das fahrlässige Verhaltensunrecht, das systemisch als internes Verschulden gegen sich selbst begriffen werden muss. Allerdings bietet Kindhäuser eine schlüssige Erklärung für die Existenz selbständiger Gefährdungsverbote neben einschlägigen Verletzungsverboten an, indem er den Rechtsgutsbegriff normativiert: Von der Schutzgarantie des Rechts erfasst wird nicht nur das Interesse an der substantiellen Unversehrtheit eines Guts, sondern auch schon das Interesse an der ungestörten Rechtsgutsverfügung. Dieser Erklärungsansatz konnte für das hiesige Unrechtsmodell problemlos übernommen werden. Demgegenüber verfängt Kindhäusers Kritik an der überkommenen personalen Unrechtslehre nicht: Die Normwidrigkeit des untauglichen Versuchs ist Ausfluss des Umstands, dass das Güterschutzaxiom nur über den menschlichen Willen verzweckt werden kann, der aber eben in seinem Erkenntnisvermögen begrenzt ist. Auch der Fall einer „versehentlichen Gutserhaltung durch Rechtsgutsangriff“ ist für eine „subjektivistische“ Unrechtslehre lösbar, wenn man bedenkt, dass der Garant bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt sowohl das allgemeine Sorgfaltsgebot als auch auch die – dann als Handlungsgebot figurierende – Vorsatznorm befolgen kann.

G. Regelungszweck der strafrechtlichen Sanktionsnormen und Verhältnis zum Regelungszweck der allgemeinen Verhaltensnormen Die allgemeinen Verhaltensnormen wirken nach hier vertretener Ansicht präskriptiv und präventiv: Sie schreiben das ex ante gesollte Verhalten zum Zwecke des Rechtsgüterschutzes rechtsverbindlich fest. Diese präventive Funktion eines effektiven Rechtsgüterschutzes wird durch die strafrechtlichen Sanktionsnormen insofern mitbedient, als die Strafdrohungen den Täter in der Entscheidungssituation ex ante zur Einhaltung der Verhaltensnormen bewegen sollen.1289 Hat der Täter allerdings gegen die Verhaltensnorm verstoßen, so hat die Strafandrohung bereits versagt, weshalb der eigentliche Zweck der Sanktionsnormen in ihrer askriptiven und repressiven Funktion ex post liegt.1290 Sanktionsnormen erklären also verhaltensnormwidrige Akte für falsch (= askriptives Element) und belegen sie reaktiv mit dem Stigma und Eingriffsübel der Strafe (= repressives Element).1291 Dieses repressive 1289 1290 1291

s. dazu schon Armin Kaufmann, Normentheorie, 230. s. instruktiv dazu etwa Freund, AT, § 1 Rn. 6 ff. Vgl. dazu Kindhäuser, Gefährdung, 30 f.; Jakobs, AT, 1/2, 9 ff.; Freund, AT, § 1 Rn. 8 ff.

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3. Kap.: Täter als Verletzer einer Verhaltensnorm

Sanktionsnormensystem, das zugleich auch der Abschreckung potentieller Täter (= negative Prävention) dient,1292 bezieht seine Legitimation aus der Notwendigkeit, die Geltung der vom Täter negierten Verhaltensnorm als soziales Orientierungsmuster nachdrücklich zu restituieren1293 (= integrative Generalprävention): Durch schuldangemessene Bestrafung wird die Unverbrüchlichkeit der rechtlichen Verhaltensnorm gegenüber der vom Täter ausgedrückten Unrechtsmaxime durchgesetzt und so das Vertrauen der Allgemeinheit in die Normgeltung wiederhergestellt bzw. bestärkt.1294 Zusammenfassend kann man also sagen: Schutzgut der allgemeinen Verhaltensnormen ist der Bestand der Rechtsgüter (bzw. die Freiheit der Rechtsgutsverwaltung), Schutzgut der strafrechtlichen Sanktionsnormen ist der Bestand der rechtsgüterschützenden Verhaltensnormordnung.1295

1292

Vgl. dazu Kindhäuser, Gefährdung, 31 f. Pointiert i.d.S. Jakobs, AT, 1/10 f. 1294 Eingehend zum Ganzen etwa Kindhäuser, Gefährdung, 31 ff.; auch Jakobs, AT, 1/10 f.; Freund, Unterlassungsdelikt, 88 f. 1295 So zutr. Kindhäuser, Gefährdung, 20, 30, 132, 170, 350; Freund, AT, § 1 Rn. 7 ff., 11a. – Anzumerken ist, dass diese skizzenhaften Überlegungen sich selbstverständlich nicht als Beitrag zur Strafzwecklehre verstehen, sondern lediglich dazu dienen, die vorliegende Lehre vom personalen Verhaltensunrecht als Strafrechtslehre abzurunden. 1293

Viertes Kapitel

Bezugnahme des § 25 auf die Sanktionstatbestände der vorsätzlichen Handlungsdelikte und materiell-normativer Tatbestandshandlungsbegriff Im vorigen Kapitel wurde das allgemeine pflichtwidrige Verhaltensunrecht ex ante als der wirkliche Zurechnungsgrund jedes tatbestandsmäßigen Verhaltens herausgearbeitet, und zwar auf Basis eines dogmatischen Unterbaus, der einem kritischen Vergleich mit wissenschaftlichen Konkurrenzmodellen durchaus standhält. Auf dieser Basis können nunmehr die verschiedenen Tatbestandsverhaltenstypen der lex lata materiell auf die Umsetzung ihres deliktsspezifisch konkretisierten Verhaltensunrechts zurückgeführt werden. Den Hauptraum muss dabei die Entfaltung des Tatbestandshandlungsunrechts der archetypischen vorsätzlichen Handlungsdelikte einnehmen, die den physischen Übergriff in fremde Rechtssphäre als intentionale Täterhandlung inkriminieren. Denn es ist dieses Tatbestandshandlungsunrecht, das § 25 zentral in Bezug nimmt und das deshalb in den drei dort beschriebenen Handlungsgestalten auszuformen und vom Handlungsunrecht der §§ 26, 27 zu unterscheiden ist.1296 Im Folgenden werden daher die Hauptanstrengungen dem Ziel gelten, die drei Typen vorsätzlicher Tatbestandshandlung aus der materialen Beschaffenheit ihres allgemeinen Handlungsunrechts ex ante heraus zu entwickeln und auch die hiervon abzugrenzenden Teilnahmehandlungen auf ihr jeweils eigenes Handlungsunrecht zurückzuführen. Die diesbezüglichen Überlegungen werden dabei zunächst noch einmal direkt bei den Sanktionstatbeständen der vorsätzlichen Handlungsdelikte (i.V.m. den Vorschriften der §§ 25 ff.) ansetzen, denn es muss noch im exegetischen Diskurs dargetan werden, dass und warum auch die im StGB kodifizierten Straftatbestände an das Handlungsinterpretament der sozialen Alltagspraxis anknüpfen müssen.

A. Vorsätzliche Begehungsdelikte und gesetzliches Strukturmodell der Tatbestandshandlung Die Vorschrift des § 25 nimmt expressis verbis die Tatbestandskategorie der vorsätzlichen Handlungsdelikte in Bezug („die Straftat […] begeht“) und formt das personale Tatbestandshandlungsunrecht dieses Straftattypus in drei verschiedenen 1296

Vgl. Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 66 f.

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4. Kap.: Bezugnahme des § 25 auf die Sanktionstatbestände

Handlungstypen aus. „Täter“ eines vorsätzlichen Handlungsdelikts ist nach § 25, wer „die Straftat begeht“, also derjenige, der den entsprechenden Tatbestand erfüllt bzw. verwirklicht hat, was aber bedeutet: der die beschriebene Tatbestandshandlung normativ gesetzt hat1297 – eine Feststellung, die freilich immer erst im Wege der Zurechnung ex post getroffen werden kann.1298 Dieser durch § 25 hergestellte Tatbestandsbezug ist durchaus schon ein inhaltlich fruchtbarer. Denn die Tatbestände der Vorsatzdelikte schildern nicht bloß rechtsgüterverletzende Handlungsabläufe1299 oder objektiv-tatbestandliche Risikoschaffungen1300, sondern eben konkrete vorsätzliche Tatbestandshandlungen.1301 Das Gesetz bringt dies auch deutlich zum Ausdruck, indem es das Zurechnungsband zwischen dem vorsätzlichen Handlungsunrecht ex ante und dessen Realisierung im Erfolg sprachlich enger zurrt als bei den Fahrlässigkeitsdelikten. So beschreibt etwa § 212 ein vorsätzliches „Töten“, d. h. eine konkrete Totschlagshandlung, die ihrem Wesen nach nur als subjektiv-objektive Sinneinheit gedacht werden kann1302 – und eben nicht bloß als objektiv zurechenbare Erfolgsverursachung bzw. objektiv-tatbestandsmäßige Risikoschaffung i.S.d. Fahrlässigkeitsdelikte plus Vorsatz.1303 Danach liegt das von Frisch1304 reklamierte „gesetzliche Strukturmodell“ der Vorsatzdelikte also in der tatbestandlich apostrophierten Unrechtstypizität der vorsätzlichen Tatbestandshandlung selbst. Die betreffenden Vorsatztatbestände knüpfen direkt an die alltagsontologische Interpretation vorsätzlichen Handelns an, die zu einer handlungstheoretisch abweichenden Bestimmung des personalen Handlungsunrechts führt. Denn wie schon die finale Handlungslehre treffend erkannt hat, begreift der soziale Alltag vorsätzliches Handeln als einen konkreten Handlungstypus, d. h. als ein nach Ziel und Mitteln planvoll operierendes, zweckrationales, Verhalten: Der planende Wille verfolgt ein Ziel als zu erreichenden Erfolg und überlegt sich verstandesgemäß ein (deshalb) prinzipiell taugliches Mittel (technisch: ein Werkzeug), denselben herbeizuführen.1305 Doch versteht die soziale Alltagspraxis (der Verantwortungszuschreibung) unter einem solchen „Wollen“ nicht (bloß) eine innerpsychische Entität, die Kausalprozesse zielgerichtet überdeterminiert, sondern die Objektivierung alltagspraktisch institutionalisierter Intentionalität, d. h. 1297 Eingehend dazu bereits Schilling, Verbrechensversuch, 108 ff. (109); auch Schild, in: NK, § 25 Rn. 2. 1298 s. dazu und zur Rückführung dieser Zurechnung auf das allgemeine vorsätzliche Handlungsunrecht Schild, in: NK, § 25 Rn. 2, 10 f. 1299 So aber Roxin, TuT, 26, 336. 1300 So aber Frisch, Vorsatz, 84 ff., 118 ff.; ders., Verhalten, 33 ff. 1301 So zutr. Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 80, 170. 1302 So zutr. schon Gallas, ZStW-Sonderheft Athen (1957), 3 (10 ff.). 1303 Zur – berechtigten – Kritik an diesen objektiv nivellierenden Modellen der Tatbestandshandlung s. Schild, Täterschaft, 26 f. sowie ders., in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 77 ff. (81 f.), 111 ff. (113). 1304 In: Vorsatz 90 (m. 78). 1305 So zutr. Schild, in: NK, § 25 Rn. 11.

A. Begehungsdelikte und Strukturmodell der Tatbestandshandlung

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die Umsetzung einer praktischen Metaregel zweckrationalen Handelns.1306 Mithin inkriminieren die Tatbestände der vorsätzlichen Handlungsdelikte erfolgreich verwirklichte Verletzungsstrategien als konkrete Sinneinheiten. Unter einem solchen Verletzungshandeln kann aber de lege lata freilich immer noch Unterschiedliches verstanden werden. Denn der Rekurs auf das „gesetzliche Leitbild“ der vorsätzlichen Tatbestandshandlung besagt ja zunächst einmal nur, dass Handlungsprogramm und äußeres Geschehen in einem andersartigen, interpretativ engeren, Realisierungszusammenhang stehen müssen als beim Fahrlässigkeitsdelikt. Offen bleibt jedoch das Sachkriterium der konkreten vorsätzlichen Tätertatbestandshandlung. Gallas1307 erblickte dieses Sachkriterium noch in der materiellen Tatherrschaft, fasste also auch Willens- und Mitherrschaft noch als Konkretionen der vorsätzlichen Tatbestandshandlung auf. Demgegenüber sieht Roxins Lehre von der Zentralgestalt nur den eigenkörperlichen Ausführungsakt (= die „Handlungsherrschaft“) als formelle Tätertatbestandshandlung an.1308 Die komplexen Täterschaftsformen dagegen werden nach dem genuin interpersonalen Zurechnungsmodell der Tatbestandsverwirklichung qua Zentralgestalt bestimmt, d. h. dem übergeordneten Willens- und dem mitausführenden Mitherrn wird fremdhändige Ausführung zugerechnet.1309 Das ist jedoch schon im Ansatz problematisch, denn der „Makrotopos“ der Tatbestandsverwirklichung steht für eine interpersonale Zurechnung ohne eigene Tatbestandshandlung und dient damit letztlich dazu, den Mangel eines konkreten materiellen Begriffs der vorsätzlichen Tatbestandshandlung zu ersetzen.1310 Dieses methodische Vorgehen erweist sich jedoch als obsolet, wenn man bedenkt, dass selbst der „Nötigungsherr“, der ja paradigmatischer Willensherr ohne eigenen Ausführungsakt ist,1311 strukturell nach dem gleichen Interpretationsmuster einer intentionalen Selbstverwirklichung verfährt wie der „Handlungsherr“. Auch von ihm, dem nicht-ausführenden Willensherrn, muss deshalb alltags- sowie fachsprachlich gesagt werden können, er habe eine rechtliche Tatbestandshandlung gesetzt, etwa körperlich misshandelt (§ 223 I Alt. 1) oder getötet (§ 212).1312 Schon der Begriff der Tatbestandshandlung selbst muss also aufgebrochen gedacht werden, nämlich von dem in der Entscheidungssituation ex ante aus sich heraus 1306

s. eingehend dazu oben, S. 76 ff., 111 ff., m.w.N. In: ZStW-Sonderheft Athen (1957), 3 (12 ff. [14 f.]); diesen Ansatz hat später Schilling (Verbrechensversuch, 108 ff. [111]) konsequent zu Ende gedacht. 1308 So Roxin, TuT, 127, 142, 175; ders., AT/II, § 25 Rn. 38. 1309 Roxin, TuT, 141 ff. („Willensherrschaft“), 275 ff. („funktionelle Tatherrschaft“); s. auch ders., in: AT/II, § 25 Rn. 45 ff., 188 ff. 1310 s. ausführlich dazu Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 70 ff. (74 ff.) sowie bereits oben, S. 32 ff., 136 ff. 1311 s. dazu Roxin selbst, in: TuT, 142, 143. 1312 So Schild, Täterschaft, 12 ff.; ders., in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 79; s. auch bereits Schilling, Verbrechensversuch, 108 ff. 1307

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4. Kap.: Bezugnahme des § 25 auf die Sanktionstatbestände

zum Handeln übergehenden Willen her, der zu seiner Verwirklichung nicht nur „tote“ Gegenstände oder „Natur“ einplanen kann, sondern auch die Tätigkeit anderer Menschen.1313 Eigenhändige „Handlungsherrschaft“ ist dann bloß die komprimierteste Erscheinungsform eines solchen Willensverwirklichungszusammenhangs,1314 was sich auch sofort zeigt, wenn sie dem Alleintäter de facto abgeht: Plant etwa jemand ein wildes Tier als Werkzeug zur Begehung einer Körperverletzung ein, dann muss ihm das – unbeherrschte – Wirken des Tieres zunächst zur Handlungsherrschaft zugerechnet werden können, was allein durch Rekurs auf den in der Entscheidungssituation externalisierten Willen geschehen kann.1315 Die Struktur der intentionalen Handlungsexplikation ist deshalb ausnahmslos dieselbe, gleichviel, ob ich die Handlung „selbst“, „durch einen anderen“ oder „mit einem anderen gemeinschaftlich“ vollziehen will.1316 „Die“ Tatbestandshandlung in einem ersten Schritt1317 oder auch überhaupt1318 mit eigenkörperlicher Ausführung gleichsetzen zu wollen, bedeutet daher nichts anderes, als die komprimierteste, augenfälligste Erscheinungsform dieses Interpretationsnexus zu „der“ natürlichen Ausführungshandlung zu vergegenständlichen. Nichtsdestotrotz ist aber ein auf phänomenologische Eigenhändigkeit abhebender, „formeller“ Tatbestandshandlungsbegriff in der strafrechtlichen Beteiligungslehre tief verwurzelt, zumal der Reformgesetzgeber des Allgemeinen Teils 1975 sich zumindest tendenziell in diese Richtung geäußert hat.1319 Angesichts dessen erscheint es geboten, das hier für maßgeblich gehaltene alltagspraktische Handlungsinterpretament mit den Mitteln der juristischen Hermeneutik als Basis gerade auch der Straftatbestände auszuweisen, d. h. seinen Eingang in die Sanktionstatbestände von der Sanktionsnormseite her zu plausibilisieren.

B. „Formeller“ Tatbestandshandlungsbegriff Nahezu sämtliche Verfechter der „modernen“ Tatherrschaftslehre legen einen phänomenologischen und also „formellen“ Begriff der Tatbestandshandlung zugrunde, der dann zu den komplexen Täterschaftsformen als Figuren einer materi-

1313

So Schild, Täterschaft, 12 ff.; ders., in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 74 ff., 152 ff., 158 ff.; ders., in: NK, § 25 Rn. 3, 10 ff., 29 f.; in der Sache ebenso bereits Schilling, Verbrechensversuch, 104 ff. 1314 Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 150 ff. (154). 1315 So schlagend Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 74. 1316 Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 158 ff.; ders., in: NK, § 25 Rn. 2 f., 10 ff. (13), 16 f., 27, 29 ff., 125 ff. 1317 So Gallas, ZStW-Sonderheft Athen (1957), 3 (12). 1318 So Roxin, TuT, 127, 142, 275. 1319 Vgl. BT-Drucks. IV/650, 146 f.; s. ausführlich dazu auch noch unten, S. 281 f.

B. „Formeller“ Tatbestandshandlungsbegriff

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ellen Zurechnung ins Verhältnis gesetzt wird.1320 Das Prädikat „formell“ geht dabei auf Gallas1321 zurück, der in der eigenhändigen Vornahme des plastischen Ausführungsakts zugleich materiell die Betätigung von Tatherrschaft erblickte. Er verstand die tatbestandlichen Handlungsbeschreibungen als abstrakte Oberbegriffe für bestimmte plastische Ausführungsakte, welche Sichtweise er am Merkmal des vorsätzlichen „Tötens“ i.S.d. §§ 211 ff. illustrierte. Dieses lasse sich in zahlreiche plastische Einzelakte wie „erstechen“, „erschießen“, „erwürgen“ etc. auflösen und im Sinne derart konkreter Begehungsweisen einschränkend interpretieren.1322 Da bei Vornahme eines solchen Aktes der Akteur die Tat durch planmäßig gesteuerten Einsatz der erfolgsadäquaten Mittel in der Hand habe, ihren Ablauf also bis zum Erfolg hin beherrsche, übe er materiell Tatherrschaft aus.1323 Damit aber sei der Maßstab für eine „,auflockernde‘ Interpretation des tatbestandsmäßigen Verhaltens“ gewonnen.1324 Täter sei also formell, wer die tatbestandsmäßige Handlung vornehme, materiell, wer Tatherrschaft ausübe.1325 Somit verstand Gallas die eigenhändige „Handlungsherrschaft“ im Sinne Roxins immerhin noch als Ansatzpunkt für eine auflockernde Interpretation des tatbestandsmäßigen Verhaltens selbst. Er betonte deshalb, dass formelle und materielle Begriffsbestimmung nicht unabhängig nebeneinander stünden, sondern letztere auf erstere bezogen sei: Die Tatherrschaft sei das Sachkriterium, anhand dessen die tatbestandsmäßige Handlung als Täterhandlung zu interpretieren sei.1326 Aufgrund dieser Reziprozität konnte es folglich für Gallas – ganz im Gegensatz zu Roxin – weder eine Tatbestandserfüllung ohne Täterschaft (= Tatherrschaft) geben noch eine Täterschaft (= Tatherrschaft) ohne Tatbestandshandlung. Präziser formuliert: Diejenige Konvergenz, die formelle Tatbestandshandlung und materiell-täterschaftliche Tatbestandsverwirklichung bei Roxin ausschließlich in Gestalt der „Handlungsherrschaft“ eingehen, nahm Gallas noch für sämtliche Typen der Täterschaft an, 1320 Die Dichotomie von formeller Handlungsherrschaft und materieller Willens- bzw. Mitherrschaft findet sich zentral zuerst bei Roxin, dem „Nestor“ der modernen Tatherrschaftslehre (so pointiert in: TuT 126, 275, 544); dem folgt – mit unterschiedlichen Zurechnungskonzepten und Akzentuierungen – die h.L.: Fischer, § 25 Rn. 3 ff.; Heine/Weißer, in: Schönke/Schröder, Vor §§ 25 ff. Rn. 73, 74 f., 77; § 25 Rn. 2, 6 ff. (8), 61 ff.; Küper, JZ 1983, 361 (369); ders, Verbrechensversuch, 60; Puppe, AT, § 22 Rn. 2 ff. (8); Kühl, AT, § 20 Rn. 4, 6; Krack, ZStW 110 (1998), 611 (612, 619, 628); Bloy, GA 1996, 424 ff.; Kindhäuser, AT, § 39 Rn. 1 f., 7 u. § 40 Rn. 2; Krey/Esser, AT, Rn. 863; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 741 ff., 758 ff.; Joecks, in: MK, Vor § 25 Rn. 15, § 25 Rn. 35 ff., 53 ff., 184 ff.; Otto, AT, § 21 Rn. 52, 55 ff., 68 ff.; Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, AT, § 25 Rn. 27 ff.; Renzikowski, in: Maurach/ Gössel/Zipf, AT/2, § 47 Rn. 95 ff., § 48 Rn. 1 ff., § 49 Rn. 1 ff.; Jakobs, AT 21/35 f.; Hoyer, in: SK, Vor § 25 Rn. 12 ff.; § 25 Rn. 28 ff. (36), 39 ff., 107 ff. 1321 ZStW-Sonderheft Athen (1957), 3 (16). 1322 ZStW-Sonderheft Athen (1957), 3 (12). 1323 ZStW-Sonderheft Athen (1957), 3 (13 f.). 1324 ZStW-Sonderheft Athen (1957), 3 (14). 1325 ZStW-Sonderheft Athen (1957), 3 (16). 1326 ZStW-Sonderheft Athen (1957), 3 (16).

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4. Kap.: Bezugnahme des § 25 auf die Sanktionstatbestände

indem er die Tatbestandshandlung selbst „auflockernd“ interpretierte. Damit vertrat er in der Sache einen materiellen Handlungsbegriff, ausgehend von der „(…) Objektivierung eines planenden Willens (…)“, an dessen „(…) Inhalt bestimmte Anforderungen (,Erfolgsnähe‘ der angewandten Mittel!) (…)“ zu stellen seien.1327 Interessant ist dies insofern, als man daran ersehen kann, dass das Abgrenzungskriterium der Tatherrschaft durchaus auch auf dem Boden eines normativen Tatbestandshandlungsbegriffs entwickelt werden könnte.1328 Anders als noch Gallas sehen allerdings die meisten Anhänger der zeitgenössischen Tatherrschaftsdoktrin1329 nur den plastischen Ausführungsakt als wirkliche, formelle Tatbestandshandlung an. Mit dieser (stillschweigenden) Grundannahme sind im Hinblick auf die Einplanung menschlichen Verhaltens bedeutsame Konsequenzen verbunden. Da bei einer solchen Sichtweise der mittelbare Täter und der Mittäter die formell-tatbestandliche Ausführungshandlung gerade nicht (vollständig) selbst setzen, müssen § 25 I Alt.2 und II als konstitutive, strafbarkeitsausdehnende Zurechnungsvorschriften verstanden werden, die unter gewissen Voraussetzungen die Zurechnung fremden Handelns wie eigenes erlauben.1330 Freilich wollen 1327

ZStW-Sonderheft Athen (1957), 3 (13). Wie es dann später Schünemann in Fortentwicklung der Zentralgestaltslehre Roxins unternommen hat (in: LK, Vor § 25 Rn. 14; § 25 Rn. 36 ff., 66), indem er auf die basale „Herrschaft über den Grund des Erfolges“ (a.a.O., § 25 Rn. 39) rekurrierte. 1329 s. dazu nochmals Fn. 1320. 1330 Meist spricht man hier von einer Zurechnung „wie wenn“ bzw. „als ob“ der mittelbare bzw. der einzelne Mittäter selbst gehandelt hätte (so u. a.: Küper, JZ 1983, 361 [369]; ders., JZ 1979, 775 [786]; ders., Versuchsbeginn, 60 f.; Krack, ZStW 110 [1998], 611 [612, 619, 639]; Heine/Weißer, in: Schönke/Schröder, § 25 Rn. 8, 61; Kühl, AT, § 20 Rn. 42, 100; Joecks, in: MK, § 25 Rn. 54; Hoyer, in: SK, Vor § 25 Rn. 9, 15; § 25 Rn. 40, 96, 107 ff.; Krey/Esser, AT, Rn. 803 a.E.). Teilweise wird auch von einer Zurechnung des fremden Verhaltens „als“ eigene Handlung gesprochen (so z. B. Bloy, GA 1996, 424 (424); Kindhäuser, AT, § 39 Rn. 7, § 40 Rn. 2). Darin dürfte jedoch bloß ein lapsus linguae liegen, da eine Identität von eigenem und fremdem Handeln wohl nicht ernstlich behauptet wird (vgl. dazu Küper, Versuchsbeginn, 54 f.); denn Handlungswille und Willenshandlung müssen zwingend in ein und derselben Person zusammenfallen (vgl. dazu Schilling, Verbrechensversuch, 90 ff.). Jedenfalls wird aber § 25 II und teilweise auch § 25 I Alt. 2 konstitutive Funktion zugeschrieben. Anzumerken ist, dass selbst der Reformgesetzgeber des Allgemeinen Teils 1975 dieser Ansicht zuneigte (BT-Drucks. IV/650, 146 f.). Viele Vertreter eines phänomenologischen Tatbestandshandlungsbegriffs (so z. B. Puppe, AT, § 22 Rn. 2 f.; Fischer, § 25 Rn. 2, 3 ff. [5], 24; Krey/Esser, AT, Rn. 802, 804 ff.; Renzikowski, in: Maurach/Gössel/Zipf, AT/2, § 49 Rn. 3 ff.) wollen das Modell der konstitutiven Handlungszurechnung freilich auf § 25 II beschränken, attestieren also der Regelung des § 25 I Alt. 2 noch deklaratorische Natur. Diese Annahme erweist sich jedoch als inkonsequent, wenn zugleich das Verhalten des Tatmittlers als formell-tatbestandsmäßige Handlung angesetzt wird. Denn dann kann der vorangehende Einwirkungsakt des Hintermannes denklogisch nicht mehr tatbestandsmäßige Handlung sein (so zutr. Schilling, Verbrechensversuch, 87; auch Puppe, Dahs-FS [2005], 173 [174]). Wollte man also an einem phänomenologischen Tatbestandshandlungsbegriff festhalten, so müsste man für den mittelbaren Täter eigentlich einen anderen Tatbestand, nämlich einen konstitutiven „Mitwirkungstatbestand“, zugrunde legen (Begriff und These nach Schilling, Verbrechensversuch, 87). Der Rekurs auf einen solchen Mitwirkungs1328

B. „Formeller“ Tatbestandshandlungsbegriff

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längst nicht alle, die in der Sache zwischen einer formell-tatbestandsmäßigen Ausführungshandlung und einer materiellen Tatbestandsverwirklichung qua Zentralgestalt unterscheiden, die damit verbundenen Konsequenzen auch wirklich ziehen. Das gilt insbesondere auch für Roxin selbst, der, obschon „die“ formelle Tatbestandshandlung mit phänomenologischer Handlungsherrschaft gleichsetzend, den Wortlaut der Tatbestandsformulierungen dennoch auf sämtliche Tatherrschaftsformen zugeschnitten wissen will. So ist nach seiner Ansicht1331 „(…) darauf hinzuweisen, daß die Formulierung des tatbestandsmäßigen Geschehens in allen Fällen nur eine in erster Linie auf den unmittelbaren Täter zugeschnittene Abbreviatur [Hervorhebungen nicht im Original!] der tatherrschaftlichen Deliktsverwirklichung darstellt“. Deutlich wird, dass es Roxin methodisch um eine extensive Auslegung der Straftatbestände i.S.e. tatherrschaftlichen Deliktsverwirklichung geht, die notwendig sei, um nicht wieder auf den Stand der formal-objektiven Theorie zurückzufallen.1332 Gerade diese „Entfaltung“ der angeblich auf Ausführungsakte zugeschnittenen Tatbeschreibungen zeigt aber, wie sehr Roxin der formal-objektiven Theorie doch verhaftet geblieben ist.1333 Denn die Notwendigkeit, die zunächst „plastisch“1334 gedeuteten Handlungsbeschreibungen der Tatbestände (wieder) i.S.e. tatherrschaftlichen Deliktsverwirklichung entfalten zu müssen, erwächst doch gerade erst aus der naturalistischen Unterbestimmung der formell-tatbestandsmäßigen Handlung, die den möglichen Wortsinn der Tatbestände überhaupt erst (unnötig) einengt! Folgerichtiger erscheint daher das spätere Postulat Schillings1335, die Tatherrschaftslehre (wieder) von dieser „Fessel“ der formal-objektiven Theorie zu befreien und die Tatbestandshandlung selbst als Handeln mit Tatherrschaft zu verstehen.

tatbestand wäre aber wiederum mit der Annahme einer deklaratorischen Natur des § 25 I Alt. 2 unvereinbar (Schilling, a.a.O.). Demnach bleiben in Wahrheit nur zwei Möglichkeiten: Entweder man erklärt konsequent auch § 25 I Alt. 2 zur konstitutiven Zurechnungsnorm (welcher Weg aus im Haupttext noch näher dazulegenden Gründen nicht gangbar ist), oder man konzipiert schon die Tatbestandshandlung als solche materiell-normativ, mit der Konsequenz, dass das relativ unterlegene Handeln des menschlichen Werkzeugs für das Handlungsprogramm des Hintermanns von vornherein nur als äußere Tätigkeit interessiert (so dezidiert Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 287, unter Berufung auf Hirsch, ZStW 94 [1982], 239 [248]). Der mittelbare Täter vollzieht dann „durch“ diese äußere Werkzeugtätigkeit eine eigene Tatbestandshandlung, beginnend mit der Einwirkung auf das menschliche Werkzeug selbst (so bereits Schilling, Verbrechensversuch, 104 ff.; ebenso jetzt wieder Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 160 f.). 1331 TuT, 417. 1332 Vgl. TuT, 417. 1333 Vgl. allgemein auch bereits Schilling, Verbrechensversuch, 111. 1334 Vgl. dazu bereits Gallas, ZStW-Sonderheft Athen (1957), 3 (12). 1335 Verbrechensversuch, 108 ff. (111 [Zitat ebenda]); eingehend jetzt auch wieder Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 70 ff., 79 ff., 158 ff.; ders., in: NK, § 25 Rn. 2 f., 10 ff., 29 f., 75 ff., 125 ff.

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4. Kap.: Bezugnahme des § 25 auf die Sanktionstatbestände

Anders sieht das, wie gesagt, die „moderne“ Tatherrschaftslehre, die deshalb für die komplexen Täterschaftsformen auf eine handlungsgelöste „Willensherrschaft“ ausweichen muss – was folgerichtig bedeutet, sowohl § 25 II als auch § 25 I Alt. 2 eine konstitutive Funktion zu unterlegen. Folglich ist die Diskussion um den „richtigen“ Handlungsbegriff gleichbedeutend mit der Frage, ob die Begehungsformen des § 25 I Alt. 2 und II noch als Tatbestandshandlungen figurieren oder nicht. Dieser Frage gilt es im Folgenden nachzugehen.

C. Die verschiedenen Tatbestandshandlungsmodelle im Lichte der Tatbestandsauslegung Das deskriptive und das normative Tatbestandshandlungsverständnis gehen letztlich beide gleichermaßen von einem gesetzlich nicht näher umschriebenen Realisierungszusammenhang zwischen Handlungsprogramm und äußerem Geschehensablauf aus, der jedoch unterschiedlich interpretiert wird (phänomenal-eigenhändig versus normativ-aufgebrochen). Vor diesem Hintergrund erscheint es sinnvoll, den Prüfstein des juristischen Auslegungskanons zu bemühen und auszuloten, welches Handlungsverständnis den Sanktionstatbeständen der vorsätzlichen Handlungsdelikte zugrunde liegt. Dabei wird sich zeigen, dass die Tatbestände an das alltagsontologische Interpretationsmuster einer (ich- oder wir-)intentionalen Selbstverwirklichung und damit an eine „aufgebrochene“ Vollzugsstruktur der Einplanung von Werkzeugkräften anknüpfen müssen. Denn selbst die phänomenologisch so eingängige „Handlungsherrschaft“ ist ja kein factum brutum, sondern muss auf eine in ihr kulminierende, die eigenen Extremitäten erfolgreich zur Willensverwirklichung einsetzende, Willensbetätigung ex ante zurückgeführt und ihr zugerechnet werden (können).1336 Dieses vorweggenommene Ergebnis gilt es im Folgenden hermeneutisch zu fundieren.

I. Wortlaut der vorsätzlichen Handlungserfolgsdelikte und Intrasystematik des § 25 Die Tatbestandsformulierungen der vorsätzlichen „Erfolgsdelikte“ sind ihrem Wortsinn nach jedenfalls nicht eng i.S.e. eigenhändigen Ausführung gefasst. Nimmt man etwa die tatbestandliche Handlungsbeschreibung des § 223 („körperlich misshandeln“/„an der Gesundheit schädigen“) oder diejenige des § 212 („töten“), so ist festzuhalten, dass diese Tatbestandsmerkmale einem normativen Verständnis zugänglich sind. Sie müssen also keineswegs einschränkend in dem Sinne inter-

1336

So schon Paeffgen, Verrat, 115.

C. Tatbestandshandlungsmodelle im Lichte der Tatbestandsauslegung

271

pretiert werden, dass sie bloß eine Unzahl plastischer Ausführungsakte in eine abstrakt-generelle Regelung übersetzen (wie Gallas1337 dies noch annahm). Ein erster Blick auf das Bezugsverhältnis zwischen § 25 und den vorsätzlichen Handlungsdelikten bestätigt die semantische Möglichkeit, schon die Tatbestandshandlung selbst (und nicht erst eine hinzugedachte Tätertatbestandsverwirklichung) materiell-aufgebrochen i.S.e. intentionalen Selbstverwirklichungszusammenhangs zu denken. Denn diese Tatbestände beschreiben nicht bloß phänomenale Verletzungsgeschehen,1338 sondern sie regeln (normative) vorsätzliche Tatbestandshandlungen.1339 Folglich „begehen“ auch der mittelbare Täter und der Mittäter eine Tatbestandshandlung, nur eben „durch“ einen anderen oder mit einem anderen „gemeinschaftlich“.1340 Gerade die Vorschrift des § 25 rückt doch die Uniformität des Handlungsvollzugs qua Werkzeugeinsatz in den Vordergrund und stellt damit die Weichen für eine Zurechnung der freigesetzten Werkzeugkräfte zum sie freisetzenden Willen als (einfache ich-intentionale, komplexe ich-intentionale oder wir-intentionale) Tatbestandshandlung des Einzelnen. So springt zunächst ins Auge, dass die mittelbare Tatbegehung nach dem ausdrücklichen Wortlaut des § 25 I Alt. 2 („durch einen anderen“) als Werkzeugeinsatz zu begreifen ist. Warum aber dieser Werkzeugeinsatz, der sinnvoll nur dem Handlungsunrecht zugeordnet werden kann,1341 bei Einplanung menschlicher Werkzeugtätigkeit in eine handlungsgelöste „Willensherrschaft“ übersetzt werden sollte, ist nicht plausibel zu machen.1342 Das wird noch deutlicher, wenn man schon die unmittelbare Selbstbegehung i.S.d. § 25 I Alt.1 („selbst“) strukturell aufgebrochen begreift.1343 Und darum kommt man gar nicht umhin, wenn man den Einsatz unberechenbar wirkender Naturwerkzeuge bedenkt, der zwingend auf das die Werkzeugkräfte freisetzende Handlungsprogramm als Zurechnungsgrundlage zurückgeführt werden (können) muss.1344 Damit beruht aber die unmittelbare Täterschaft („selbst“), handlungstheoretisch betrachtet, auf demselben Explikationsmuster wie die mittelbare Täterschaft („durch einen anderen“): Das Handlungsprogramm kann nicht nur die Kraft des eigenen Körpers bzw. das Wirken von Naturkräften als Werkzeug zur intentionalen Selbstverwirklichung im Erfolg einplanen, sondern auch das Tätigwerden anderer Menschen.1345 1337

ZStW-Sonderheft Athen (1957), 3 (12). I.d.S. aber Roxin, TuT, 26, 336. 1339 s. dazu nochmals Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 80, 170. 1340 So schon Schilling, Verbrechensversuch, S. 108 ff.; dezidiert neuerdings auch wieder Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 70 ff., 79 ff., 158 ff.; ders., in: NK, § 25 Rn. 2 f., 10 ff., 29 f., 75 ff., 125 ff. 1341 Hirsch, ZStW 94 (1982), 239 (248). 1342 Vgl. Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 79, 160 f., 286 ff. 1343 s. dazu Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 159 sowie ders., in: NK, § 25 Rn. 13, 30, 48 ff. 1344 Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 74, 170. 1345 So überzeugend Schild, in: NK, § 25 Rn. 13 ff., 30, 45, 75 ff., 125 ff. 1338

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4. Kap.: Bezugnahme des § 25 auf die Sanktionstatbestände

Diese grundlegende Identität im handlungstheoretischen Explikationsmuster hat Schild sogar für die sog. „Nötigungsherrschaft“ plausibilisiert, die nach Roxin1346 gerade den paradigmatischen Fall einer Willensherrschaft ohne eigene Tatbestandshandlung des Willensherrn bilden sollte. So heißt es zur „Nötigungsherrschaft“ in einem früheren Werk Schilds: „Es herrscht nicht ein überlegener Wille über einen unterlegenen; sondern der erstere Wille realisiert sich in einem Nötigungshandeln, das den Ausführenden zu einem Werkzeug macht, weshalb dessen Handeln zugerechnet werden kann als eigenes Handeln. Das Recht (…) betrachtet das Geschehen als seine [scil.: des Hintermannes – Anm. d. Verf.] Handlung, die nicht nur Nötigungshandlung ist, sondern das Handeln des Genötigten umgreift, es als Werkzeugeinsatz einbezieht und so in sich aufnimmt, wodurch es insgesamt die Tatbestandshandlung des Hintermannes wird (gesetzt ,durch einen anderen‘).“1347

Entsprechendes gilt für die sog. „Irrtumsherrschaft“. Auch hier geht es stets um eine intentionale Tatbestandshandlung des Hintermannes, gesetzt „durch einen anderen“: Das menschliche Werkzeug wird – ganz im Sinne Roxins1348 – „(…) lediglich als blinder, den außermenschlichen Mitursachen gleichzusetzender Bedingungsfaktor in den determinierenden Tatplan hineinverwoben“. Der das Geschehen besser überblickende Hintermann plant den Vordermann kraft seiner weiterreichenden Kenntnis als Werkzeug zur Realisierung seiner deliktischen Pläne ein, „überformt“ dessen Tun sinngestaltend.1349 Damit wird aber in der Sache klargestellt, dass es nur um dieses unrechtliche Programm des Hintermannes selbst gehen kann, das den anderen als Werkzeug einplant und dem deshalb (!) die freigesetzten Werkzeugkräfte (hier: die äußere Tätigkeit des menschlichen Werkzeugs) als Tatbestandshandlung zugerechnet werden.1350

1346

TuT, 142, 143 ff. Schild, Täterschaft, 13; sachlich übereinstimmend auch ders., in: NK, § 25 Rn. 27. 1348 TuT, 173. 1349 Roxin, TuT, 204, 211, 232; Schild, Täterschaft, 18. 1350 So zutr. Schild, Täterschaft, 19 f. – Auch Roxin selbst hatte für den paradigmatischen Fall der Einschaltung eines unvorsätzlich agierenden menschlichen Werkzeugs eine „Handlungsherrschaft“ des Hintermannes erwogen. Er schob das Problem der genauen Klassifizierung jedoch mit dem Hinweis beiseite, es handle sich bloß um eine terminologische Frage, weshalb die Konstellation mit der herrschenden Lehre der mittelbaren Täterschaft zugeschlagen werden könne (TuT, 173). So stimmt das aber freilich nicht, denn es geht nicht bloß um Terminologie, sondern um die Frage, ob der Hintermann selbst tatbestandlich handelt (so zutr. Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff., Rn. 75). Klassifiziert man ihn mit Roxin als handlungsgelösten Willensherrn, so fehlt angesichts des Vorsatzmangels beim Vordermann überhaupt jede willensherrschaftsvermittelnde „Handlungsherrschaft“ (die Idee einer „objektiven“ Handlungsherrschaft des Vordermannes wäre eine contradictio in adiecto; vgl. dazu zutr. Roxin selbst, TuT, 331). 1347

C. Tatbestandshandlungsmodelle im Lichte der Tatbestandsauslegung

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Demnach verkörpert die grundlegende „Handlungsherrschaft“ im Sinne Roxins lediglich den auf Eigenhändigkeit verdichteten Archetypus einer solchen intentionalen Selbstverwirklichung1351 (und nicht etwa „die“ Tatbestandshandlung als Prototyp von Tatherrschaft1352). Denn selbst bei genuiner Eigenhändigkeit kommt man ohne eine Zurechnung der Körperbewegung zu dem in ihr sich umsetzenden Willen gedanklich nicht aus.1353 Intrasystematisch konsistent ist daher allein die Zugrundelegung eines generell aufgebrochen gedachten Tatbestandshandlungsbegriffs, der materiell auf das Kriterium einer intentionalen Selbstverwirklichung durch Werkzeugeinsatz abstellt.1354 Die Formulierung des § 25 I Alt. 2 („durch einen anderen“) ist somit bloß deklaratorischer Natur.1355 Die im Schrifttum vertretene Gegenansicht1356, die § 25 I Alt. 2 als konstitutive Anordnung einer Zurechnung fremden Verhaltens verstehen will, bleibt dagegen hinter dem (möglichen) Gesetzeswortlaut zurück. Denn dieser regelt die vorsätzliche Tatbestandshandlung „durch“ ein Werkzeug, betrifft also die Zurechnung des Geschehens als Handlung selbst und nicht etwa die Zurechnung eines fremden Handelns zum eigenen.1357 Für den mittelbaren Täter kann es daher immer nur um seine eigene, von seinem Programm her zu bestimmende Tatbestandshandlung gehen, die den anderen als Werkzeug einplant.1358 Die verbreitete Annahme, der mittelbare Täter überlasse „die“ formell-tatbestandsmäßige Ausführungshandlung dem menschlichen Werkzeug als Tatmittler,1359 ist zwar eingängig, aber unzutreffend, da sie einen naturalistisch unterbestimmten Handlungsbegriff voraussetzt: Die Interpretation einer komplexen ich-intentionalen Selbstverwirklichung ist nicht bloß handlungsgelöste „Willensherrschaft“, sondern sie figuriert als Tatbestandshandlung 1351

So zutr. Schünemann, Unterlassungsdelikte, 250, 285; ders., in: LK, Vor § 25 Rn. 14; zust. Schild, in: NK, § 25 Rn. 11, 45. 1352 So aber Roxin, TuT, 127. 1353 So zutr. Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 150, 154 (im Anschluss an Schünemann, Unterlassungsdelikte, 235 f.). 1354 So der Sache nach bereits Gallas, ZStW-Sonderheft Athen (1957), 3 (13 ff. [16]); akzentuiert und dezidiert dann erstmals Schilling, Verbrechensversuch, 104 ff. (108 ff.) sowie neuerdings wieder Schild, Täterschaft, 16; ders., in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 74 ff., 158 ff., 284; ders., in: NK, § 25 Rn. 3, 10 ff., 26 ff.; im Ansatz übereinstimmend auch Schünemann, in: LK, Vor § 25 Rn. 14. 1355 So vom eigenen Ansatz her konsequent etwa Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 160, 292, 306; ders., in: NK, § 25 Rn. 13 ff. (16), 81; Schilling, Verbrechensversuch, 111; Schünemann, in: LK, Vor § 25 Rn. 14, 36, 60; i.E. ebenso die wohl h.L., die dies aber von ihrem formell-phänomenologischen Tatbestandshandlungsverständnis her eigentlich nicht mehr widerspruchslos begründen kann (s. dazu bereits oben, Fn. 1330). 1356 So insbesondere etwa Küper, JZ 1983, 361 (369); Hoyer, in: SK, Vor § 25 Rn. 14 f.; § 25 Rn. 35. 1357 Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 160 f., 285 ff. (286 f., 292); ders., in: NK, § 25 Rn. 13 ff.; s. auch bereits Schilling, Verbrechensversuch, 90 ff., 104 ff. 1358 Schilling, Verbrechensversuch, 108 ff.; Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 160 f., 287; ders., in: NK, § 25 Rn. 13 ff., 27, 31, 75. 1359 H.L.; s. paradigmatisch etwa Roxin, TuT, 142, 143; Puppe, AT, § 24 Rn. 2.

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4. Kap.: Bezugnahme des § 25 auf die Sanktionstatbestände

selbst, wenn und weil das äußere Geschehen als Realisierung eines entsprechend dimensionierten Selbstverwirklichungsprogramms begriffen werden kann.1360 Der mittelbare Täter setzt also „durch“ den anderen als menschliches Werkzeug eine eigene Tatbestandshandlung, weshalb Zurechnungssubstrat nur das äußere Tätigwerden des anderen als „Realverhalten“1361 sein kann;1362 einer konstitutiven Handlungszurechnung bedarf es nicht.1363 Vom individuellen Handlungsunrecht her schwieriger einzuordnen ist dagegen die mittäterschaftliche Tatbegehung, geregelt in der Sanktionsnorm des § 25 II. Insofern lässt sich nicht mit gleichem Aplomb sagen, der Tatbeitrag des bzw. der Komplizen werde bloß als äußeres Realverhalten eingeplant. Vielmehr gelangt im Gesetzeswortlaut („gemeinschaftlich“) offensichtlich eine horizontale Struktur der Mittäterschaft zum Ausdruck,1364 die dem vertikalen Strukturmuster einer Werkzeugverwendung augenscheinlich zuwiderläuft. Natürlich kann man darauf verweisen, dass die einzelnen Mittäter sich durch die wechselseitige Zusage ihrer Tatbeiträge vollzugstechnisch als „Komplizenwerkzeuge“1365 in das je eigene Handlungsprogramm einplanen, um die von jedem Einzelnen avisierte Tat gemeinsam ausführen zu können.1366 Nur hilft dieser Hinweis nicht darüber hinweg, dass es jedem Mittäter gerade auch darum geht, das Handeln seines Komplizen unter Zugrundelegung ein und desselben Deutungsschemas als dessen eigenen freien Tatbeitrag einzuplanen. Damit erlebt jeder Mittäter den Tatbeitrag des jeweils anderen als (auch) dessen gleichrangige intentionale Handlung, weshalb zu fragen ist, wie er sich das hierdurch Bewirkte als Objekt (auch) seiner eigenen intentionalen Selbstverwirklichung soll zuschreiben können. Eine Handlungstheorie, die intentionales Handeln traditionell (stillschweigend) mit dem Grundmodus der Ich-Intentionalität identifiziert, kann darauf naturgemäß keine Antwort geben, weshalb man prima vista geneigt ist, der Regelung des § 25 II konstitutiven Charakter zuzusprechen und Mittäterschaft als einen (partiellen) Sanktionsnormtypus zu begreifen. Danach wären die Komplizenbeiträge wechselseitig wie eine eigene Handlung zuzurechnen und jeder Mittäter wäre (fiktiv!) so zu

1360

Schild, Täterschaft, 12 ff.; ders., in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 79, 160 f., 287; ders., in: NK, § 25 Rn. 13 ff., 27, 31, 75; in der Sache ebenso schon Schilling, Verbrechensversuch, 108 ff. 1361 Begrifflichkeit nach Frisch, Bockelmann-FS (1979), 647 (652). 1362 Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 286 ff.; ders., in: NK, § 25 Rn. 13 ff.; Schilling, Verbrechensversuch, 104 ff. 1363 Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 160 f., 285 ff.; ders., in: NK, § 25 Rn. 14 ff.; Schilling, Verbrechensversuch, 104 ff. 1364 Vgl. dazu etwa Roxin, TuT, 745; auch Schild, in: NK, § 25 Rn. 16, 125, 127. 1365 So die treffende Begrifflichkeit bei Schild, in: NK, § 25 Rn. 16, 127, 133, 137. 1366 So Schild, in: NK, § 25 Rn. 16, 125 ff.; s. der Sache nach auch bereits Köhler, AT, 513, 516.

C. Tatbestandshandlungsmodelle im Lichte der Tatbestandsauslegung

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behandeln, wie wenn bzw. als ob er selbst gehandelt hätte.1367 Doch eine solche konstitutive Interpretation ist mit dem Wortlaut des § 25 II unvereinbar, der ausdrücklich von einer Bestrafung jedes Einzelnen „als“ Täter spricht und eben nicht von einer Behandlung „wie ein bzw. gleich einem Täter“. Damit ist schon im Ansatz klargestellt, dass es in der Sache um eine Zurechnung des gemeinsam Ausgeführten als Handlung eines jeden einzelnen Mittäters gehen muss.1368 Eine derartige Zurechnung kann aber wiederum nur vom je individuellen Handlungsprogramm her gedacht werden, das die Tätigkeit des oder der anderen Komplizen einplant: Jeder Mittäter setzt ex ante für sich ein kollektiv geartetes Handlungsprogramm um, dem daher das Wirken der ergänzenden Komplizenbeiträge zugerechnet werden kann.1369 Diese Sichtweise ist nicht nur dem Postulat einer sachlogisch konsistenten Handlungsunrechtsbestimmung geschuldet – täterschaftliches Handeln als originärer intentionaler Rechtsgutszugriff –, sondern sie entspricht auch unserer Alltagsintuition.1370 Letztere muss aber – und darin liegt die Krux – mit der sozialen Praxis der individuellen Verantwortungszuschreibung harmonisiert werden.1371 Wie das im Einzelnen zu geschehen hat, ist andernorts1372 zu klären. Einstweilen kann jedenfalls ob der allgemeinen verhaltensnormtheoretischen Vorgaben sowie des – folgerichtigen – Wortlauts von § 25 II („als“ Täter) festgehalten werden, dass auch die gemeinschaftliche Tatbegehung im Ansatz als originärer Individualhandlungsunrechtstypus beschaffen sein muss. In seiner normativen Dimension, individuelle Pflichtverletzung zu sein, unterscheidet sich das mittäterschaftliche Handlungsunrecht also nicht von den anderen Tatbestandshandlungstypen.1373 Der Unterschied kann nur im Modus der involvierten Intentionalität liegen, die nicht bloß auf arbeitsteiliges Zusammenwirken gerichtet ist, sondern im Einzelgehirn als genuin kollektive existiert und daher auch als solche vorgenommen wird („Wir-Intentionalität“1374). Dem korreliert der „nicht-konstruktivistische“ Wortlaut des § 25 II, weshalb es geboten ist, auch dieser Vorschrift „nur“ deklaratorische Funktion zuzuweisen. 1367

So die im Schrifttum wohl h.L. (s. dazu bereits oben, Fn. 1330); die am eingehendsten von Küper (Versuchsbeginn, 52 ff. [60 f.]; ders., JZ 1979, 775 [776, 786]) und Hoyer (in: SK, Vor § 25 Rn. 9, 14 f.) begründet wurde. 1368 So zutr. Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 127, 162, 300 f., 306; ders., in: NK, § 25 Rn. 126. 1369 So zu Recht Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 162 ff., 284, 305; ders., in: NK, § 25 Rn. 14, 125 ff. (127). 1370 Darauf hat zutr. Kindhäuser hingewiesen (in: Hollerbach-FS [2001], 627 [628]). 1371 So wiederum zutr. Kindhäuser, Hollerbach-FS (2001), 627 (628). 1372 Unten, S. 504 ff. 1373 So zutr. etwa Schild, in: NK, § 25 Rn. 3, 17, 29, 127; Schilling, Verbrechensversuch, 104 ff., Kindhäuser, Hollerbach-FS, 627 (633, 649); im Ansatz beim individuellen Handlungsunrecht übereinstimmend auch Stein, Beteiligungsformenlehre, 221 f., 240 f., 318 ff. (der jedoch unnötigerweise eigenständige „Mittäterverhaltensnormen“ annimmt [krit. dazu Schild, in: NK, § 25 Rn. 133 – Begrifflichkeit ebenda]). 1374 s. eingehend zum Ganzen unten, S. 504 ff.

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4. Kap.: Bezugnahme des § 25 auf die Sanktionstatbestände

Danach ist insgesamt festzuhalten, dass alle drei in § 25 geregelten „Erscheinungsformen“ der „Täterschaft“ als Handlungstypen bereits in den Tatbeständen der vorsätzlichen Handlungserfolgsdelikte enthalten sind.1375 Die Regelungen in § 25 I Alt. 2, II stellen lediglich klar, dass auch die Einplanung menschlicher Tätigkeit eine eigene Tatbestandshandlung begründen kann, wenn die Prämissen eines komplexen ich-intentionalen bzw. eines wir-intentionalen Handelns erfüllt sind.1376 Unrichtig ist daher die Behauptung, allein aus dem Wortlaut der gesetzlichen Tatbeschreibungen sei es im Grunde nicht zu rechtfertigen, dass ein Tatbestand überhaupt im Wege der mittelbaren oder der Mittäterschaft verwirklicht werden könne.1377 Gegen diese These spricht schon die historische Tatsache, dass die mittelbare Täterschaft rechtspraktisch schon lange vor ihrer gesetzlichen Einführung durch § 25 I Alt 2 anerkannt war.1378 Demgegenüber bleibt eine Deutung, die die tatbestandlichen Handlungsformulierungen als abstrakte Oberbegriffe für eine Vielzahl eigenhändiger Ausführungsakte oder als plastische Umschreibung eines „Handlungsherrn“ verstehen will, ersichtlich hinter dem möglichen Wortsinn zurück. Man wird daher in einer solchen phänomenologischen Definition der Tatbestandshandlung trotz (oder gerade wegen) ihrer Plastizität rechtstechnisch eine teleologische Reduktion erblicken müssen, die nach den Regeln der juristischen Methodenlehre einer besonderen Legitimation bedürfte.1379 Nach diesen Regeln ist daher nachfolgend „nur“ noch zu untersuchen, ob für eine phänomenologische Engfassung der Tatbestandshandlung zwingende teleologische bzw. Sachgründe sprechen könnten. Dies soll freilich nicht daran hindern, die Durchsicht des Auslegungskanons zugleich für eine weitere positive Zementierung des hier vertretenen Tatbestandshandlungsmodells heranzuziehen. Denn es muss im Hinterkopf behalten werden, dass der Reformgesetzgeber des Allgemeinen Teils 1975 erklärtermaßen einer restriktiven Interpretation der Tatbestände zuneigte.1380

II. Systematik In gesetzessystematischer Hinsicht können neben den bereits erfolgten intrasystematischen Überlegungen externe Deliktstypenvergleiche angestellt werden: 1375

So insbesondere Schünemann, in: LK, Vor § 25 Rn. 14 (s. aber andererseits auch ders., a.a.O., § 25 Rn. 159); Luzón Peña/Díaz y García, Roxin-FS (2001), 575 (584 Fn. 31); Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 160 ff., 305 f.; ders., in: NK, § 25 Rn. 13 ff. (16), 75, 133; Schilling, Verbrechensversuch, 108 ff.; Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, AT, § 24 Rn. 26; i.E. ebenso trotz Zugrundelegung eines phänomenologischen Tatbestandshandlungsbegriffs Roxin, TuT, 417. 1376 So Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 160 ff., 305 f.; ders., in: NK, § 25 Rn. 16. 1377 So aber noch Gallas, ZStW-Sonderheft Athen (1957), 3 (14 f.). 1378 s. zu diesem historischen Umstand etwa Schünemann, in: LK, § 25 Rn. 60, m.w.N. zur Dogmengeschichte. 1379 Vgl. allgemein dazu Larenz/Canaris, Methodenlehre, 211. 1380 s. dazu nochmals BT-Drucks. IV/650, 146 f.

C. Tatbestandshandlungsmodelle im Lichte der Tatbestandsauslegung

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Insofern bietet sich zunächst ein Vergleich zwischen Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikten an. Diesbezüglich ist zu konstatieren, dass der in den Vorsatzdelikten vorausgesetzte Verwirklichungszusammenhang zwischen vorsätzlichem Handlungsunrecht und äußerem Geschehen ein andersartiger und strengerer sein muss als bei den Fahrlässigkeitsdelikten, da i.S.e. intentionalen Verletzungsmaxime auf den Erfolg zugesteuert wird.1381 Dieser Unterschied im intensionalen Programmgehalt berechtigt jedoch keineswegs dazu, den beschriebenen Zurechnungszusammenhang für die vorsätzliche Tatbestandshandlung in einem phänomenalen Sinne eng zu fassen.1382 Eine solche Deutung ließe das Handlungsinterpretament des sozialen Alltags und dessen Möglichkeiten gänzlich ungenutzt. Gerade insofern schraubt aber der Vergleich mit den Fahrlässigkeitsdelikten die wissenschaftliche Begründungslast, die die Eigenhändigkeits-Apologeten ohnehin schon trifft (teleologische Reduktion!), noch in die Höhe: Denn das fahrlässige Tatbestandsverhaltensunrecht wird seit jeher normativ aufgebrochen begriffen und vom allgemeinen Verhaltensunrecht der Sorgfaltspflichtverletzung her konzipiert, der der Erfolg bei ex post feststellbarem Pflichtwidrigkeitszusammenhang zugerechnet wird.1383 Vor diesem Hintergrund ist aber nicht einzusehen, warum man im Bereich des Vorsatzdelikts noch keine „(…) explizite[n] Kategorie des tatbestandsmäßigen Verhaltens (…)“ ausgearbeitet hat.1384 Entfaltet man den Tatbestandshandlungsbegriff des Vorsatzdelikts in entsprechender Weise vom allgemeinen vorsätzlichen Handlungsunrecht her, so fügt sich dieses Tatbestandsverständnis auch nahtlos in die Systematik der vorsätzlichen Handlungsdelikte untereinander ein. Das zeigt zunächst ein Blick auf die eigenhändigen Aktdelikte (wie etwa § 183). Diese Tatbestände belegen, dass es dem Strafgesetzgeber bei entsprechendem Regelungswillen durchaus möglich (gewesen) ist, ausschließlich die „Handlungsherrschaft“ im Sinne Roxins als Tatbestandshandlung zu erfassen. Doch hat der Gesetzgeber bei den Formulierungen der „klassischen“ vorsätzlichen Handlungsdelikte auf eine solche Engfassung gerade verzichtet, was im Umkehrschluss für ein materiell-normatives Verständnis von deren Tatbestandshandlungsbeschreibung streitet.1385 Entsprechendes gilt auch für diejenigen Straftatbestände, die bestimmte syntaktisch scharf umrissene Handlungsmerkmale voraussetzen (z. B. § 242 [„wegnimmt“], § 263 [„täuscht“]). Auch hier darf die Plastizität der Formulierung nicht 1381

Vgl. dazu schon Gallas, ZStW-Sonderheft Athen (1957), 3 (12, 18). Gallas selbst (ZStW-Sonderheft Athen [1957], 12 ff.), hatte die methodische Legitimationsbedürftigkeit eines solchen Vorgehens bemerkt. Er sprach daher zutreffend von einer „restriktiven Auslegung der tatbestandsmäßigen Handlung“ (a.a.O., 12), die aber essentiell sei, um Täterschaft und Teilnahme im Bereich der Erfolgsdelikte überhaupt unterscheiden (a.a.O., 12) bzw. die Tatherrschaft als materielles Abgrenzungskriterium erst herleiten zu können (a.a.O., 14 f.). 1383 Vgl. die (wenngleich kritisch hinterfragende) Feststellung bei Frisch, Verhalten, 26. 1384 So für das Vorsatzdelikt zutr. Frisch, Verhalten, 27 (Zitat ebenda). 1385 So schon Schilling, Verbrechensversuch, 111 f. Fn. 396. 1382

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4. Kap.: Bezugnahme des § 25 auf die Sanktionstatbestände

darüber hinwegtäuschen, dass die konkreten Handlungsmodalitäten aufgebrochen i.S.e. Werkzeugverwendung verstanden werden können und müssen. Das kann man für das Merkmal der „Wegnahme“ (§ 242) leicht schon an dem vom Reformgesetzgeber 1975 aufgeführten1386 Fall illustrieren, dass jemand ein dressiertes Tier (etwa einen Hund) eine fremde bewegliche Sache apportieren lässt. Hier muss der objektiv sich vollziehende Gewahrsamswechsel dem Planenden als äußerer Erfolg seiner auf Wegnahme gerichteten Basis-Handlung zugerechnet werden (können).1387 Verhält es sich aber beim Einsatz natürlicher Werkzeuge so, so muss dasselbe Handlungsmerkmal auch dann strukturell aufgebrochen i.S.e Erfolgszurechnung gedacht werden können, wenn der Planende statt der Wirkkräfte eines Tieres die Tätigkeit eines anderen Menschen einplant, um den Gewahrsamsbruch äußerlich herbeizuführen und damit „durch“ den anderen „wegzunehmen“. Zuzurechnen ist dem planenden Hintermann auch hier „nur“ der durch das einkalkulierte menschliche Wirken herbeigeführte Gewahrsamswechsel als Erfolg seiner intentionalen Wegnahmehandlung.1388 Für eine konstitutive Zurechnung des vom Werkzeug begangenen personalen Wegnahmeakts1389 besteht keinerlei Bedürfnis. Entsprechendes gilt für die subjektiv gefärbte Handlungsmodaliät des „Täuschens“ i.S.v. § 263, sofern diese durch komplexes Eigenhandeln verwirklicht werden soll. Auch hier geht es immer nur um den Transfer der objektiv unwahren Information als äußeren Erfolg, der dem Hintermann als seine, „durch“ den anderen begangene, Täuschung zugerechnet wird.1390 Demzufolge ist es irrelevant, ob der eingeplante andere selbst „täuscht“.1391 Diese grundlegende Zurechnungsstruktur ändert sich auch im Falle der gemeinschaftlichen Tatbegehung (§ 25 II) nicht. Zwar wird der Komplize hier gerade in seiner Eigenschaft als Mithandelnder eingeplant, doch ist Zurechnungsgegenstand auch hier sein äußeres Tätigwerden, wenn die Voraussetzungen kollektiven Handelns erfüllt sind. Setzen also zwei Komplizen ein auf arbeitsteilige Raubbegehung (§§ 249, 25 II) gerichtetes Handlungsprogramm derart um, dass der eine qualifiziert nötigt und der andere wegnimmt, so ist diesem der durch jenen herbeigeführte Nötigungserfolg und jenem der durch diesen herbeigeführte Gewahrsamswechsel als Realisierung des je eigenen kollektiv dimensionierten Handlungsprogramms zuzurechnen, das die gleichrangige Zusammenarbeit einplant.1392

1386

BT-Drucks. IV/650, 149. Schild, in: NK, § 25 Rn. 15. 1388 Schild, in: NK, § 25 Rn. 15. – Damit ist freilich noch nichts über die Voraussetzungen gesagt, unter denen das je eigene Handlungsprogramm fremdes Handeln als Werkzeugtätigkeit einplanen kann; dies ist eine Frage des intensionalen Programmgehalts, die mit der Struktur der Handlungsexplikation als solcher nichts zu tun hat (vgl. dazu bereits Schild, Täterschaft, 16). 1389 So aber dezidiert Küper, Versuchsbeginn, S. 57 ff. (60 f.); ders., JZ 1983, 361 (369). 1390 Schild, in: NK, § 25 Rn. 15. 1391 Schild, in: NK, § 25 Rn. 15; Roxin, TuT, 174 a.E. 1392 So zutr. Schild, in: NK, § 25 Rn. 15, in Replik auf ein von Küper (Versuchsbeginn, 59) gebildetes Beispiel mittäterschaftlicher Raubbegehung. 1387

C. Tatbestandshandlungsmodelle im Lichte der Tatbestandsauslegung

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Die Tatsache, dass das Handlungsprogramm des mittelbaren Täters bzw. des einzelnen Mittäters das Tätigwerden des „Tatmittlers“ bzw. „Komplizen“ als äußeres einplanen kann, wird allerdings insbesondere von Küper1393 bestritten. Er wendet ein, bei einer solchen Sichtweise würden bestimmte unwertige Handlungsvollzüge wie z. B. die qualifizierte Nötigung „mit Gewalt gegen eine Person“ oder „unter Anwendung von Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr“ i.S.d. § 249 künstlich zu einem Mosaik von Erfolgsmomenten atomisiert. Das aber zerstöre den einheitlichen Sinnzusammenhang solcher Handlungsmodalitäten.1394 Wolle man deren Begehung unter Einschaltung fremden Verhaltens erfassen, ohne sie contra legem in Erfolge umzudeuten, bedürfe es daher notwendig einer konstitutiven Handlungszurechnung.1395 Das gelte i.Ü. ganz allgemein für alle vorsätzlichen Handlungsdelikte: Denn da einerseits weder der mittelbare Täter noch der einzelne Mittäter die Tat (vollständig) mit eigener Hand ausführe, andererseits aber das eingeschaltete menschliche Tätigwerden kein blinder Kausalprozess i.S.e. Naturkausalität sei, müsse dieses personale Verhalten dem Hintermann bzw. Mittäter wie eigenes Verhalten zugerechnet werden. Dies sei demnach der Sinn von § 25 I Alt. 2 und § 25 II: Sie statuierten jeweils bestimmte Prämissen, unter denen eine solche konstitutive Handlungsaneignung möglich sei.1396 Das klingt prima facie einleuchtend. Doch verfängt bei genauerem Hinsehen weder der systematische Hinweis auf die Existenz konkreter Handlungsmodalitäten, noch überzeugt das vorgeschlagene Modell der konstitutiven Handlungszurechnung. Dass Tatbestände mit konkreten Handlungsmodalitäten existieren, ist zwar unbestreitbar. Doch können solche Handlungsmodalitäten, etwa diejenige der „Gewalt“ i.S.v. § 249, ebenso gut von einem als Werkzeug eingesetzten Tier ausgeübt werden. In diesem Fall muss auf den äußeren Erfolg der körperlichen Zwangseinwirkung abgestellt werden, der dem das Tier Einsetzenden dann auf Basis seines Handlungsprogramms als von ihm verübte Gewalt normativ zuzurechnen ist. Warum sich an der Beschaffenheit dieser Zurechnungsstruktur aber etwas ändern sollte, wenn zur Herbeiführung der körperlichen Zwangseinwirkung das Tätigwerden eines anderen Menschen eingeplant wird, ist nicht einzusehen.1397 Überdies konfligiert Küpers Modell der konstitutiven Verhaltenszurechnung bei subjektiv gefärbten Handlungsmodalitäten mit der anerkannten Tatsache, dass subjektive Komponenten einer fremden Handlung nicht wie eigene zugerechnet werden können (s. nur die Regelung des § 29).1398 Selbst wenn man aber die Zurechnung solcher subjektiv gefärbten Handlungsmerkmale (etwa der Täuschungshandlung i.S.d. Betrugstatbestandes) mit 1393

Versuchsbeginn, 57 ff.; ders., JZ 1983, 361 (368 f.). Versuchsbeginn, 58 f. 1395 Küper, Versuchsbeginn, 60 f.; ders., JZ 1983, 361 (369). 1396 Für die mittelbare Täterschaft in: JZ 1983, 361 (369); für die Mittäterschaft in: Verbrechensversuch, 60 f. 1397 Schild, in: NK, § 25 Rn. 15; ebenso Roxin, AT/II, § 29 Rn. 247; auch Hirsch, ZStW 94 (1982), 239 (248). 1398 s. dazu Schild, § 25 Rn. 14 a.E., m.w.N. 1394

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4. Kap.: Bezugnahme des § 25 auf die Sanktionstatbestände

dem Argument zulassen wollte, ihre personale Verwirklichung werde dem Hintermann lediglich als ein Objektivum angelastet,1399 geriete man dennoch in einen unauflöslichen Wertungswiderspruch. Denn danach wäre etwa eine im Verbotsirrtum gesetzte Täuschung des Vordermannes dem initiierenden Hintermann sub specie §§ 263, 25 I Alt. 2 als personale Täuschungshandlung zurechenbar, ein hinsichtlich der Falschinformation ahnungsloses Kommunikationsverhalten dagegen mangels personalen Täuschungssinns nicht.1400 Will man diesen Wertungswiderspruch vermeiden, so kommt man nicht umhin, für die Zwecke der Zurechnung das Merkmal „Täuschen“ von vornherein aufgebrochen zu denken: Auszugehen ist von dem sich handelnd umsetzenden Willen des Hintermanns, der den Transfer der unwahren Information durch den anderen als Werkzeug einplant und initiiert, um sich so selbst intentional in einer Täuschungshandlung zu verwirklichen.1401 Demnach bleibt es dabei: Sämtliche Modelle einer konstitutiven Handlungszurechnung konfligieren mit dem Gesetzeswortlaut des § 25, wonach jeder Einzelne ausdrücklich „als“ Täter für seine eigene Tatbestandshandlung bestraft wird; eine bloße Haftung „wie“ ein bzw. „gleich“ einem Täter für eine aus eigenen und fremden Akten zusammengesetzte Gesamttat wird gerade nicht angeordnet. Überhaupt spricht die beteiligungsrechtliche Gesetzessystematik der lex lata gegen ein solches Haftungskonstrukt: die Vorschrift des § 26 kennzeichnet die konstitutive Zurechnung fremden Handelns für den Fall, dass ein Beteiligter auf ihrer Grundlage wie ein Täter behandelt werden soll, mit einem technischen Rechtsfolgenbegriff („wird gleich einem Täter bestraft“) und differenziert auch auf der Voraussetzungsseite deutlich zwischen dem die Zurechnung legitimierenden Eigenhandeln (= dem „Bestimmen“) und dem konstitutiv zuzurechnenden Fremdhandeln (= der vorsätzlichen rechtswidrigen Haupttat). Demgegenüber verwendet das Gesetz in § 25 I Alt. 2, II gerade keine rechtsfolgentechnische Chiffre für eine Zurechnung fremden Verhaltens wie eigenes (eine denkbare Formulierung wäre etwa gewesen: „wird/ werden gleich einem unmittelbaren Täter bestraft“) und statuiert auch keine tatbestandlichen Prämissen für eine solche Zurechnung. Stattdessen wird lediglich 1399

So etwa Dencker, Kausalität, 241; Krack, ZStW 110 (1998), 611 (624). Auf das personale Verhalten des Tatmittlers als solches rekurriert dagegen (allgemein) Hoyer. Er sieht den Sinn des § 25 I Alt. 2 als konstitutiver Zurechnungsnorm darin, dem für eine defizitäre Verhaltensentscheidung des Vordermannes rechtlich zuständigen Hintermann diese so zuzurechnen, als habe er sie selbst getroffen (in: SK, § 25 Rn. 40, 96). Zurechnungssubstrat soll dabei jedes personale Verhalten des Vordermannes sein, das sich, ohne notwendig mit einer strafrechtlichen Sanktionsandrohung (i.S.e. Fahrlässigkeitsdelikts) bewehrt zu sein, nach der allgemeinen Verhaltensnormenordnung als Schaffung eines objektiv unerlaubten Risikos darstellt (so der Sache nach in: SK, § 25 Rn. 36 ff., 44 ff.; s. dazu auch Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 300). Hierher wäre jedenfalls die sorgfaltswidrige Verursachung einer irrtumsbedingten Vermögensverfügung zu rechnen, die daher dem initiierenden Hintermann als rechtlich unerlaubte Risikoschaffung zugerechnet werden müsste. Eine kritische Beleuchtung dieser Hoyer’schen Variante der personalen Handlungszurechnung findet sich bei Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 297 ff. (300); zur Kritik an der grundlegenden Axiomatik dieser Theorie s. noch unten, S. 297 ff. 1401 So Schild, in: NK, § 25 Rn. 15. 1400

C. Tatbestandshandlungsmodelle im Lichte der Tatbestandsauslegung

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klargestellt, dass auch der mittelbare Täter bzw. der einzelne Mittäter die Tatbestandshandlung setzen, nur eben durch einen anderen bzw. mit einem anderen gemeinschaftlich. Insgesamt ergibt sich somit folgendes Bild: Der Vergleich mit den Fahrlässigkeitsdelikten kann eine hinter dem Wortsinn der vorsätzlichen Handlungsdelikte zurückbleibende Restriktion des Tatbestandshandlungsbegriffs auf phänomenologische Eigenhändigkeit nicht stützen. Im Gegenteil fragt sich angesichts der traditionell normativen Konzeption des Fahrlässigkeitsdelikts, warum nicht auch das vorsätzliche Handlungsdelikt als materiell-normatives Zurechnungsmodell gedacht werden sollte. Die zwischen § 25 I Alt. 1 und Alt. 2 bestehende Strukturparallele in der normativen Handlungsdimension – Umsetzung eines Handlungsprogramms durch Einplanung von Werkzeugkräften – legt dies jedenfalls nahe. Zudem streitet die enge, auf „Handlungsherrschaft“ reduzierte, Tatbestandsfassung der eigenhändigen Aktdelikte im Umkehrschluss für einen materiell-normativen Tatbestandshandlungsbegriff bei den „klassischen“ vorsätzlichen Handlungsdelikten. Dieser materielle Handlungsbegriff erfasst unproblematisch auch Handlungsmerkmale mit spezifischem personalen Handlungssinn (z. B. „wegnehmen“, „täuschen“, „nötigen“). Denn auch hier wird dem Hintermann bzw. Komplizen letztlich das äußere Wirken der eingeplanten (menschlichen) Werkzeugtätigkeit als Realisierung seines Handlungsprogramms und damit als seine Handlung zugerechnet. Erschwerend hinzu kommt, dass formulierungstechnische Spezialchiffren einer konstitutiven Handlungszurechnung, wie sie in § 26 vorgesehen sind, in § 25 I Alt. 2, II gerade fehlen. Insgesamt ist daher zu schlussfolgern: Aus gesetzessystematischer Sicht ist eine teleologische Reduktion der Tatbestandsformulierungen auf einen phänomenologischen Begriff der vorsätzlichen Tatbestandshandlung nicht zu legitimieren.

III. Entstehungshistorie des § 25 Die Historie der BT-Tatbestände nach Hinweisen auf den „richtigen“ Begriff der vorsätzlichen Tatbestandshandlung zu durchleuchten, wäre aus Gründen, die hier nicht näher dargelegt werden müssen, unergiebig. Der Reformgesetzgeber des Allgemeinen Teils 1975 hingegen hat sub specie § 25 naturgemäß keinen bestimmten Tatbestandshandlungsbegriff einführen können. Die Begründung zu § 29 E 1962, dessen Wortlaut mit dem geltenden § 25 völlig übereinstimmt, lässt zwar gewisse Präferenzen für einen vordergründig-phänomenologischen Begriff der Tatbestandshandlung erkennen, wenn es dort1402 heißt: „Die Strafdrohungen des Besonderen Teils richten sich in ihrem Wortlaut jedoch stets an die Person, die den Tatbestand selbst verwirklicht. Was gilt, wenn jemand eine Straftat durch einen anderen ausführen lässt, oder wenn sie von mehreren begangen wird, ergeben die

1402

BT-Drucks. IV/650, S. 146 f.

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4. Kap.: Bezugnahme des § 25 auf die Sanktionstatbestände

einzelnen Tatbestände nicht ohne weiteres. (…). Es sind daher Vorschriften notwendig, die die Strafdrohungen des Besonderen Teils auch für diese Fälle anwendbar machen (…)“.

Doch spiegelt sich in dieser Annahme eben auch nur die Interpretation des Wortlauts der BT-Tatbestände durch den Reformgesetzgeber des Allgemeinen Teils 1975 wider und nicht die gesetzgeberische Festlegung auf einen bestimmten Begriff der Tatbestandshandlung. Anders formuliert: Die angedeutete Vorstellung des Reformgesetzgebers 1975, die §§ 25 I Alt. 2, II seien Strafausdehnungsgründe, besagt nichts über den möglichen Wortsinn der Tatbestandsformulierungen selbst, solange dieser nicht durch den Wortlaut der 1975 eingeführten Beteiligungsvorschriften beschnitten werden sollte. Gerade das Gegenteil ist jedoch de lege lata geschehen: Zur Kennzeichnung der Täterschaft ist der normative Blankettbegriff „begehen“ dem ursprünglich verwendeten deskriptiven Ausdruck „ausführen“ vorgezogen worden, eben weil letzterer auf Eigenhändigkeit hingedeutet hatte.1403 Nach § 25 „begehen“ kann man aber nur „die Tat“, d. h. die tatbestandlich inkriminierte Verletzungshandlung, weshalb der Begehens-Begriff sogar geradezu als Paradigma für eine normative Interpretation der Tatbestandshandlung angesehen werden kann.1404 Darüber hinaus bedeutete selbst eine primär phänomenologische Lesart der vorsätzlichen Handlungsdelikte nicht zwingend eine Absage an einen normativen Tatbestandshandlungsbegriff. Das hat schon Gallas1405 gezeigt, der von der formalobjektiven Theorie her kommend für eine „(…) ,auflockernde‘ Interpretation des tatbestandsmäßigen Verhaltens (…)“ votierte. Zu konstatieren ist also, dass die Entstehungsgeschichte der §§ 25 ff. im Hinblick auf die Frage nach der Struktur der vorsätzlichen Tatbestandshandlung unergiebig ist.

IV. Teleologie Damit bleibt in teleologischer Hinsicht nur noch zu fragen, ob nicht eine Wortsinnreduktion der Tatbestandsformulierungen auf Eigenhändigkeit als methodisches Mittel angezeigt ist, um aus der phänomenologischen „Handlungsherrschaft“ das Tatherrschaftskriterium als materiellen Maßstab für eine „auflockernde“ Interpretation der Tatbestandshandlung erst gewinnen zu können (Gallas). An einer solchen Nezessität fehlt es jedoch bereits im Ansatz, da – wie schon bei Gallas1406 selbst angedeutet – die formell-tatbestandsmäßige Ausführungshandlung ihrerseits auf die Objektivierung eines Tatherrschaftswillens ex ante zurückgeführt und damit mate-

1403 s. zu dieser gesetzgeberischen Intention Roxin, TuT, 551, unter Hinweis auf die Originalquelle des BJM. 1404 Vgl. dazu Schild, in: NK, § 25 Rn. 2 f. 1405 In: ZStW-Sonderheft Athen (1957), 3 (14 ff. [im Text folgendes Zitat auf S. 14]). 1406 In: ZStW-Sonderheft Athen (1957), 3 (13 f.).

C. Tatbestandshandlungsmodelle im Lichte der Tatbestandsauslegung

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rialisiert werden muss.1407 Mithin kann ein rein phänomenologischer Tatbestandshandlungsbegriff nachfolgend endgültig ausgeschieden werden. Anschließend muss allerdings noch gefragt werden, ob das Bekenntnis zu einem materiell-normativen Tatbestandshandlungsbegriff nicht letztlich doch nur wieder auf eine Ex-Ante-Version der herkömmlichen Tatherrschaftslehre hinausläuft (wie es Schünemann1408 der Sache nach propagiert). 1. Zwischenergebnis: Ausscheiden eines phänomenologischen Tatbestandshandlungsbegriffs Nach dem Durchgang durch die Auslegungskriterien des Gesetzeswortlauts, der Gesetzessystematik und der Entstehungshistorie (§§ 25 ff.) ist festzuhalten, dass ein vordergründig-phänomenologischer Begriff der Tatbestandshandlung die Formulierungen der vorsätzlichen Handlungserfolgsdelikte ihrem Wortsinn nach unangemessen einschränkt. Diese Restriktion ist teleologisch nicht zu rechtfertigen, denn § 25 regelt drei Arten einer aufgebrochen strukturierten intentionalen Selbstverwirklichung als Tatbestandshandlung, die allesamt demselben Explikationsmuster folgen und jede für sich zurückzuführen sind auf ein bestimmt geartetes Handlungsprogramm.1409 Dieses muss dem Akteur in der Entscheidungssituation ex ante einerseits die prinzipielle „Möglichkeit finaler Überdeterminierung des Kausalverlaufs“1410 vermitteln (= realontologische Komponente), andererseits aber auch die Anlagen zum originären intentionalen Rechtsgutszugriff in sich tragen (= alltagsontologische Komponente). Beide Komponenten sind dabei aufeinander zu beziehen, weshalb die Programmtauglichkeit ein Relationsbegriff ist. Erforderlich ist die prinzipielle Tauglichkeit des Handlungsprogramms zur Vermittlung eines ganz bestimmten ich- oder wir-intentionalen Handlungserlebnisses. Von diesem materiell-aufgebrochenen Handlungsverständnis des sozialen Alltags ist der Strafgesetzgeber trotz weitreichender Einschätzungsprärogative auch nicht abgewichen, denn dazu bestand von vornherein kein Bedürfnis: „Handlungsherrschaft“ ist nicht der obligatorische Ausgangspunkt aller täterschaftlichen Zurechnung (so noch Gallas), sondern bloß die komprimierteste Form eines allgemeineren, vor ihrer Etablierung ansetzenden, Zurechnungszusammenhangs. Nach alledem ist als Zwischenergebnis festzuhalten: Für eine einschränkende Interpretation der Tatbestände i.S.e. formellen Tatbestandshandlungsbegriffs besteht kein Bedürfnis. Auszugehen ist von einem materiellen Begriff der Tatbestands1407 So im Ansatz zutr. Schünemann, Unterlassungsdelikte, 235 f.; ders., in: LK, § 25 Rn. 39; den Grundgedanken konsequent zu Ende spinnend sodann Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 150 ff. 1408 In: LK, § 25 Rn. 38 f., 65 ff. 1409 Vgl. dazu zutr. Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 159 ff.; ders., in: NK, § 25 Rn. 2 f., 13, 16 f., 29 ff., 45, 49, 75, 125. 1410 So Roxin selbst, in: TuT, 172.

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4. Kap.: Bezugnahme des § 25 auf die Sanktionstatbestände

handlung, dessen sachlogischer Grund in der programmatischen Umsetzung eines originären Selbstverwirklichungswillens liegt. 2. Intentionaler Handlungsbegriff als „natürliche“ Grundlage des strafrechtlichen Beteiligungsformensystems Der Rekurs auf den Willen zur originären intentionalen Selbstverwirklichung entspricht den natürlichen Grenzen des vorrechtlichen Handlungsinterpretaments: Eigener Rechtsgutszugriff ist nur soweit möglich, wie nicht identisch dimensionierter Rechtsgutszugriff eines anderen eingeplant wird. Danach ist das materiale Prinzip der Akzessorietät, das dem dualistischen Beteiligungsformensystem der lex lata zugrunde liegt, strukturell schon im vorrechtlichen Handlungsbegriff selbst angelegt.1411 Zwar basieren sämtliche Beteiligungstypen auf ein und demselben materiellen Handlungsbegriff, und es muss in realontologischer Hinsicht konsequenterweise jedem Beteiligten ex ante potentielle Kausierungsmacht attestiert werden.1412 Doch unterscheiden sich originäre und derivative Handlungsprogramme im intensionalen Programmgehalt:1413 Der Täter will die Rechtsgutsverletzung (unter einer bestimmten Handlungssinndimension) als (auch-)eigenes Handlungserlebnis, der Teilnehmer will sie als fremdes. Damit ist bewiesen, dass der intentionale Handlungsbegriff die gesetzliche Täter-Teilnehmer-Dichotomie schon aus sich selbst heraus sachlogisch angemessen erklären kann. Doch muss auch gesehen werden, dass manche Autoren1414 versuchen, einen materiellen, von der unrechtlichen Willensbetätigung ex ante her konzipierten, Begriff der Tatbestandshandlug als Bezugssystem gerade des Tatherrschaftskriteriums auszuweisen. Dieses Konzept muss angesichts des legislatorischen Bestrebens, die Tatherrschaftslehre zu legalisieren,1415 ernst genommen und hinterfragt 1411 s. ausführlich dazu bereits oben, S. 168 ff.; a.A. interimistisch Schild (in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn 331 ff. [333]), der dem Gesetzgeber nach dem (von Roxin, TuT, 450, übernommenen) Motto „Ceasar ne supra grammaticos“ die realontologische Instrumentalisierungsallmacht des unrechtlich planenden Willens als materiellen Handlungsbegriff vorgeben wollte, wovon die Teilnahmehandlungen nur in einem formalgesetzlichen Sinne ausgenommen werden könnten. Das musste zwangsläufig eine wenig einleuchtende, weil arbiträre, Formalisierung durch die Regelungen der Teilnahme bedeuten. Schild hat diese Position inzwischen richtigerweise wieder aufgegeben (in: NK, § 25 Rn. 9) zugunsten einer handlungstheoretischen Distinktion von Täterschaft und Teilnahme (in: NK, § 25 Rn. 31, 75, 79) – die aber in der Herleitung immer noch zu formal bleibt (eingehend dazu bereits oben, S. 37 ff., 120 ff.). 1412 Vgl. dazu überzeugend Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 278 ff. (282, 328 ff.); ders., in: NK, § 25 Rn. 29 f.; s. auch Freund, AT, § 10 Rn. 47; Haas, ZStW 119 (2007), 519 (526 ff.); Renzikowski, in: Maurach/Gössel/Zipf, AT/2, § 47 Rn. 100. 1413 So auch bereits Schild, in: NK, § 25 Rn. 125; s. eingehend zum Ganzen auch bereits oben, S. 168 ff. 1414 So Schilling, Verbrechensversuch, 110 f.; Schünemann, in: LK, Vor § 25 Rn. 14; § 25 Rn. 38 f., 65 ff. 1415 s. dazu Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 136.

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werden. Dabei wird sich jedoch im Anschluss an die systematische Darstellung Schilds1416 zeigen, dass eine Rückführung der Tatherrschaftsdoktrin auf ihren finalen realontologischen (und damit ohnehin nur einseitig fundierten) Grund das Herrschaftskriterium letztlich ad absurdum führen muss. Denn eine faktische Tatbeherrschbarkeit ex ante ist letztlich für alle Beteiligten gleichermaßen anzunehmen.1417 Dadurch wird wiederum indirekt bestätigt, dass die sachlogische Differenz zwischen den Beteiligungsformen allein im Bereich der alltagsontologischen Handlungskomponente liegen kann. a) Verhaltensnormteleologische Legitimation des primären Täterverbots Wie gesehen, ist das Prinzip der materiellen Akzessorietät handlungstheoretisch indiziert. Demnach können materiell-akzessorische Teilnahmehandlungen dem Verbot, das dem Tatbestand unmittelbar zugrunde liegt, nicht mehr unterfallen: Die Norm kann nicht weiter greifen als der Wille, dem befohlen werden soll, handlungsalso intentional selbstverwirklichungsfähig ist.1418 Damit ist es eine zwingende Vorgabe der allgemeinen Normlogik, dass das unmittelbare Verbot des Vorsatzdelikts nur Täterhandlungen erfasst, Teilnahmeverbote also logisch nachrangige Verdikte sind. Diese im Ansatz rein handlungstheoretisch bedingte Vorgabe birgt jedoch durchaus auch eine verhaltensnormteleologische Implikation: Der Zweck der allgemeinen Verhaltensnormen liegt bekanntlich darin, „Rechtsgüterschutz durch Androhungsgeneralprävention“ zu leisten.1419 Diesem Güterschutzaxiom leistet ein primäres Verbot ausschließlich intentionaler Selbstverwirklichungsstrategien aber durchaus Vorschub. Denn die Vermeidung einer Rechtsgutsverletzung, die ich als intentionales Produkt meines Handelns anstrebe, soll auf der Grundlage meines Programms in erster Linie meiner originären Entscheidungsgewalt unterliegen, weshalb sich die dem Tatbestand unmittelbar zugrunde liegende Verbotsnorm primär an mich als Entscheidungsmächtigen richten muss.1420 b) Intentionaler Selbstverwirklichungswille als Kriterium der Täterhandlung und normentheoretische Legitimation der Teilnahmeverhaltensnormen Allerdings muss auch gesehen werden, dass die Unterscheidung von Täterschaft und Teilnahme primär handlungstheoretisch fundiert ist: Was den Täter vom Teilnehmer unterscheidet, ist die Tatsache, dass er nach seinem Programm selbst die 1416

In: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 137 ff. s. dazu Fn. 1412. 1418 s. zum Ganzen nochmals oben, S. 168 ff. 1419 So zutr. Schünemann, in: LK, § 25 Rn. 13, 38. 1420 Womit unter teleologischen Gesichtspunkten Konkordanz zum Schünemann’schen Ansatz (in: LK, § 25 Rn. 38) hergestellt ist. 1417

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4. Kap.: Bezugnahme des § 25 auf die Sanktionstatbestände

„Feuerprobe“ der kritischen Situation durchlaufen wollen muss.1421 Dies ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass auch Handlungen existieren, die erfolgstauglich sind, ohne dass der in ihnen sich verwirklichende Wille eo ipso auf das Rechtsgut zugreifen will. U. U. sind solche Akte sogar objektiv gefährlicher als originäre Dezisivzugriffe, wenn man etwa nur den Fall des gedungenen Mörders bedenkt, der „Feuerproben“ gegen Entgelt beruflich durchläuft.1422 Jedenfalls existiert kein allgemeines Axiom, wonach die Einplanung fremder Unrechtsentschlüsse eine generell oder typischerweise weniger sichere Strategie der Erfolgsherbeiführung begründete als die Einplanung von Naturkausalität.1423 Richtig ist zwar, dass wir keine allgemeinen Gesetze über das Zustandekommen menschlicher Verhaltensentschlüsse kennen.1424 Nichtsdestotrotz ist aber auch und gerade freies (genauer: als „frei“ erlebtes) Handeln in der sozialen Realität immer die Entscheidung für ein bestimmtes Motiv. Je besser man also den anderen kennt, mit seinem „Motivationshorziont (Charakter)“ vertraut ist, desto besser kann man ihn in seinen Verhaltensentscheidungen auch kalkulieren.1425 Davon abgesehen deckt ohnehin jede Beteiligungsform faktisch das gesamte Spektrum von weniger erfolgsgefährlichen Handlungen bis hin zu (fast) erfolgssicheren Handlungen ab,1426 weshalb es schon im Ansatz unmöglich ist, die Beteiligungsformen abstrakt-generell (und also: strafbegründungsrechtlich) nach dem Grad der prognostischen Erfolgssicherheit abzugrenzen.1427 Der entscheidende materiale Unterschied ist vielmehr handlungstheoretischer Natur: Der Täter will die Rechtsgutsverletzung nach seinem Programm als (auch-) eigenes (komplexes) Handlungserlebnis, der Teilnehmer will den Rechtsgutszugriff dem Haupttäter überlassen. Betrachtet man diese Erkenntnis nun im Lichte des Rechtsgüterschutzaxioms, so liegt auf der Hand, dass auch solche Akte verboten sein müssen, die einen prinzipiell erfolgstauglichen Willen zur Erzeugung oder Förderung fremder Unrechtshandlung objektivieren: Der Umstand, dass die Verbotsnormen die handlungstheoretischen Grenzen intentionaler Selbstverwirklichung berücksichtigen müssen, darf nicht dazu führen, dass die den Verboten zugrunde liegenden Rechtsgutsentscheidungen unterminiert werden. Deshalb müssen die „primären“ Verbotsnormen durch „sekundäre“ flankiert werden. Diese „verzwecken“ die unmittelbaren Rechtsgutsentscheidungen auch insoweit, als sie Akte verbieten, 1421 1422 1423 1424 1425

Zitat). 1426

s. eingehend zum Ganzen nochmals oben, S. 168 ff. Vgl. dazu schon Schroeder, Täter, 150, 152 (aber auch 158 ff.). A.A. etwa Puppe, GA 1984, 101 (106 f.); Schroeder, Täter, 146, 150. So zutr. Puppe, GA 1984, 101 (105). So schlagend Schild, in: NK, § 25 Rn. 30 m. 97 (dort findet sich das im Text genannte

Vgl. eingehend zum Ganzen noch unten, S. 295 ff., 307 ff., 334 ff., 532 ff.; dezidiert i.d.S. auch bereits Stein, Beteiligungsformenlehre, 164, 182 ff.; Nepomuck, Anstiftung, 76 f., 151 f.; Haas, Theorie, 57; vgl. auch bereits Schroeder, Täter, 205 f., der aber dennoch von einer „(…) für den Anstifter typischen Unsicherheit des Erfolgseintritts (…)“ sprechen will (a.a.O., 146). 1427 So zutr. etwa Nepomuck, Anstiftung, 76 f., 151 f.; Haas, Theorie, 57.

C. Tatbestandshandlungsmodelle im Lichte der Tatbestandsauslegung

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die einen unwertigen Erfolg durch Initiierung oder Unterstützung fremder, insbesondere freier und vollsinniger, Selbstverwirklichung herbeizuführen planen. c) Abweichende Kritierienermittlung durch Schünemann Allerdings setzt letztlich auch die Tatherrschaftsdoktrin entweder ausdrücklich oder doch intuitiv an der Schnittstelle zwischen Zweckrationalität und Sachlogik an, wobei über den Topos der Sachlogik in erster Linie die realontologische Handlungskomponente (= Herrschaft) in Bezug genommen wird. Eine solche Herleitung des Tatherrschaftsgedankens als teleologisch wie sachlogisch vorgegebenes Kriterium der Tätertatbestandshandlung findet sich expressis verbis bei Schünemann: „Aus der Aufgabe des Strafrechts zum Rechtsgüterschutz durch Androhungsprävention ergibt sich, dass die Verbotsnorm an diejenigen adressiert werden muss, die die wesentlichen Entscheidungen über den Eintritt der Rechtsgutsverletzung zu treffen vermögen und dadurch deren Eintritt beherrschen (funktional-teleologische Herleitung). Und diese Entscheidung kann wiederum entweder durch eigenes Handeln oder durch einen unter der eigenen Herrschaft stehenden anderen oder in arbeitsteiligem Zusammenwirken mit einem anderen vorgenommen werden (sachlogische Herleitung).“1428

Interessant ist, dass Schünemann – damit der Idee von Gallas folgend – das Tatherrschaftskriterium auf Grundlage eines normativen Tatbestandshandlungsbegriffs verficht. Er denkt den Begriff der Tatbestandshandlung selbst explizit aufgebrochen vom ex ante tatmächtigen Willen her und misst der Vorschrift des § 25 daher insgesamt nur deklaratorische Funktion zu.1429 Damit ist die Frage aufgeworfen, ob nicht ein aufgebrochen gedachter Tatbestandshandlungsbegriff sachlogisch auf eine ex ante gewendete Tatherrschaftslehre hinauslaufen müsste. Schünemann selbst vollzieht diesen Schluss mithilfe seines Leitprinzips der „Herrschaft über den Grund des Erfolges“1430: „Weil jeder Mensch sein eigenes Verhalten beherrscht, solange er nicht Steuerungsdefekte aufweist, ist es also die Herrschaft über die eigene Körperbewegung als Grund des (dadurch zurechenbar herbeigeführten) Erfolges, die die Täterstellung bei der simpelsten Deliktsstruktur begründet (…). Diese Herrschaft über das eigene Verhalten ist also der in allen modernen Gesetzbüchern auf den Begriff der unmittelbaren Täterschaft gebrachte Ausgangspunkt, dem die Herrschaft über andere bei der mittelbaren Täterschaft und die gemeinsame Herrschaft durch Arbeitsteilung bei der Mittäterschaft als weitere Ausprägungen des Typus der Tatherrschaft in § 25 beigestellt worden sind.“1431

Ähnliches steht schon bei Schilling zu lesen, der das Tatherrschaftskriterium ebenfalls aus einem aufgebrochenen Verständnis der Tatbestandshandlung deduzieren wollte: Von einem phänomenologischen Handlungsbegriff, der ein Relikt der 1428 1429 1430 1431

In: LK, § 25 Rn. 38. In: LK, Vor § 25 Rn. 14; § 25 Rn. 36. In: Unterlassungsdelikte, S. 235 f.; ders., in: LK, § 25 Rn. 39. Schünemann, in: LK, § 25 Rn. 39.

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4. Kap.: Bezugnahme des § 25 auf die Sanktionstatbestände

formal-objektiven Theorie sei, gelte es sich zu emanzipieren, indem man als Kriterium der Tatbestandshandlung gerade das Handeln mit Tatherrschaft ansehe; dann sei das Tatherrschaft begründende Handeln das tatbestandsmäßige Handeln und deshalb auch das täterschaftliche Handeln.1432 Erst eine solche korrigierte Tatherrschaftslehre, die nicht eine zu eng gezogene Tatbestandsgrenze sprenge, sondern Tatherrschaft gerade umgekehrt mit der Tatherrschaftsgrenze identifiziere, vermöge eine einheitliche Täterlehre zu begründen.1433 Danach begingen der unmittelbare Alleintäter, der mittelbare Täter sowie der Mittäter mit ihrem eigenen Tatherrschaft begründenden Beitrag jeweils dieselbe Tatbestandshandlung, weshalb sich die gesetzlichen Strafdrohungen direkt und ohne weitere Voraussetzungen an jeden dieser Handelnden richten müssten.1434 Nach dieser Theorie ist das Tatherrschaftskriterium im Ergebnis der richtige Parameter zur Abgrenzung der Beteiligungsformen. Anders als noch bei Gallas wird aber der Tatherrschaftsgedanke nicht aus einem auf Handlungsherrschaft reduzierten phänomenologischen Handlungsbegriff gewonnen, sondern er wird umgekehrt mit einem normativen Handlungsbegriff identifiziert. Fraglich ist, ob auf diese Weise das Tatherrschaftskriterium als eigentlicher Sachgrund der personalen Zurechnung ausgegeben werden kann. Dem wird im Folgenden nachzugehen sein.

D. Normativer Tatbestandshandlungsbegriff und Tatherrschaftskriterium Will man das Gedankengebäude der hier entwickelten Normentheorie pointiert skizzieren, so kann man sagen: Der Zweck der Verbotsnormen liegt in der Androhungsgeneralprävention, verboten werden personale Handlungen, und personale Handlungen folgen dem Interpretationsmuster einer intentionalen Selbstverwirklichung. Demnach sind die Verbotsnormen primär an diejenigen zu adressieren, die aus handlungstheoretischer Sicht die (wesentlichen) Entscheidungen über den Eintritt der Rechtsgutsverletzung zu treffen und vorzunehmen vermögen (= Verschmelzung von Ontologie und Axiologie in der Teleologie).1435 Diese Einsicht besagt aber freilich noch nichts darüber, wie das prinzipielle Vermögen, die wesentlichen Entscheidungen über den Eintritt der Rechtsgutsverletzung (mit) zu treffen und umzusetzen, substantiell beschaffen sein muss. Hier knüpft nun Schünemann an den Tatherrschaftsgedanken als „Typusbegriff“1436 an und bemüht sich, diesen in der sachlogischen Struktur der Handlung als Willensverwirklichung zu lozieren. Hierzu führt er zunächst die primitive „Handlungsherrschaft“ auf die ab1432 1433 1434 1435 1436

Schilling, Verbrechensversuch, 111. Schilling, Verbrechensversuch, 111. Schilling, Verbrechensversuch, 111. So aus Sicht des Tatherrschaftskriteriums pointiert Schünemann, in: LK, § 25 Rn. 38. Schünemann, in: LK, § 25 Rn. 38.

D. Normativer Tatbestandshandlungsbegriff und Tatherrschaftskriterium

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solute Herrschaft des menschlichen Willens über die eigene Körperbewegung als den unmittelbaren Grund des Erfolges zurück und entwickelt daraus ein universelles Leitprinzip der „Herrschaft über den Grund des Erfolges“1437, das ebenso für die komplexen Handlungsgestalten des § 25 I 2, II und überdies auch für sämtliche Deliktsgruppen des StGB Geltung beanspruchen soll.1438 Eine solche induktive Prinzipiengewinnung ist jedoch von vornherein problematisch, wenn man bedenkt, dass sie im Hinblick auf die komplexen Erscheinungsformen täterschaftlicher Begehung zu einer Adaption an deren normative Struktur zwingt: So kann es bei der mittelbaren Tatbegehung nur um die Herrschaft über andere gehen, bei der Mittäterschaft um die gemeinsame Herrschaft durch funktionelle Arbeitsteilung.1439 Eine derartige Relativierung des wirklichen, ontologischen, Zurechnungsgrundes der Willensherrschaft über den eigenen Körper muss aber im Gefüge der zum Ausgangspunkt erhobenen Vernetzung von Teleologie (= Adressierung der Verbotsnormen an die ex ante Entscheidungsmächtigen) und Ontologie (= absolute Willensherrschaft über den eigenen Körper) vor Probleme stellen. Denn es wird doch insbesondere für die mittelbare Täterschaft offenbar an eine bereits etablierte Willensherrschaft über das Werkzeug angeknüpft, die im Zeitpunkt der pflichtwidrigen Willensbetätigung des Hintermannes – seiner Einwirkung auf das präsumtive Werkzeug – noch „graue Beherrschbarkeits-Theorie“ ist. Dieser Rekurs läuft aber eindeutig dem von Schünemann verfochtenen zweckrationalen Ansatz zuwider, wonach die Funktion der Verhaltensnormen in der Garantie von Rechtsgüterschutz durch Androhungsgeneralprävention besteht. Denn eine aus dieser Güterschutzfunktion hergeleitete Normentheorie muss in den Verhaltensnormen Bewertungs- und Bestimmungsnormen erblicken, die den Adressaten bereits in der konkreten Entscheidungssituation ex ante verpflichten sollen.1440 Daraus aber folgt, dass schon im Moment der höchstpersönlichen Entscheidungsvornahme feststehen muss, ob das jeweilige Basis-Handeln verboten oder erlaubt ist.1441 Besagte Entscheidungssituation ist aber für den mittelbaren Täter bereits in dem Augenblick gegeben, da er das präsumtive Werkzeug unmittelbar handlungsbereit zu machen trachtet. Fremde Verhaltensentschlüsse können naturgemäß nicht (mehr) in den Einzugsbereich der eigenen Entscheidungsgewalt ex ante fallen.1442 Sie sind daher in dem Augenblick, da der Manipulationswille aus sich heraus zum Handeln ansetzt, bloß mehr oder weniger sicher antizipierbar, eben als möglicherweise absorbierbare Verhaltensentschlüsse anderer. Zu diesem Zeitpunkt kann der 1437

Schünemann, Unterlassungsdelikte, 235 f. Schünemann, in: LK, § 25 Rn. 39. 1439 Schünemann, in: LK, § 25 Rn. 39. 1440 Grundlegend dazu Armin Kaufmann, Normentheorie, 129 ff.; Stein, Beteiligungsformenlehre, 67. 1441 Stein, Beteiligungsformenlehre, 68, m.w.N. 1442 So zutr. etwa Puppe, Dahs-FS (2005), 173 (180). 1438

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4. Kap.: Bezugnahme des § 25 auf die Sanktionstatbestände

Hintermann sich also einzig der Tatsache gewiss sein, dass fremde Verhaltensentschlüsse prinzipiell absorbiert werden können.1443 Deshalb impliziert die tatsächliche Erregung eines fremden Verhaltensentschlusses immer schon einen externen Zwischenerfolg, der dem eigenen Basis-Handeln des Hintermannes zugerechnet werden muss.1444 Auch bei der mittelbaren Täterschaft liegt daher der sachlogische Zurechnungsgrund in dem aus sich selbst heraus ansetzenden Handlungsprogramm ex ante, das den als Werkzeug eingeplanten anderen zu umgreifen sucht.1445 Entsprechendes gilt für die Mittäterschaft,1446 deren personales Handlungsunrecht in der je individuellen Umsetzung eines kollektiv dimensionierten Handlungsprogramms ex ante liegt.1447 Erblickt man demnach die personale Grundlage jeder Erfolgszurechnung im persönlich objektivierten Handlungswillen des Einzelnen (was Schünemanns Ansatz bei der absoluten1448 Herrschaft des Willens über den Körper entspricht), so ist es normentheoretisch verfehlt, dem mittelbaren Täter erst die Ausübung bzw. Aufgabe einer bereits etablierten Herrschaft über fremdes Verhalten verbieten zu wollen, d. h. das „Entlassen“ des Tatmittlers aus dem eigenen Herrschaftsbereich.1449 Stattdessen muss die verhaltenspflichtwidrige Entscheidungsvornahme des Hintermannes konsequenterweise schon in seiner handlungsmäßigen Einwirkung auf das präsumtive Werkzeug gesehen werden.1450 Denn auch wenn zu diesem Zeitpunkt noch nicht sicher ist, ob die Instrumentalisierung des anderen gelingen wird, bleibt doch die Einwirkung auf ihn die finale Zurechnungsgrundlage, wenn der Plan funktioniert.1451 Daraus folgt im Umkehrschluss, dass man einer prinzipiell erfolgstauglichen Manipulationsstrategie des Hintermannes die Verwirklichungsfähigkeit nicht versagen kann, wenn das ihr innewohnende Risiko sich erwartungswidrig nicht realisiert; täte man dies, so entzöge man der Rechtsfigur der mittelbaren Täterschaft insgesamt die Grundlage.1452 1443

So im Ansatzpunkt zutr. Puppe, GA 1981, 101 (108 f.). Puppe, Dahs-FS (2005), 173 (180). 1445 Eingehend und überzeugend dazu Schild, Täterschaft, 12 ff., 47 f.; ders., in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 160 f.; ders., in: NK, § 25 Rn. 13 ff.; s. auch bereits Schilling, Verbrechensversuch, 100 ff. 1446 Schild, in: NK, § 25 Rn. 17, 125 ff.; ders., in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 162 f. 1447 Ausführlich dazu noch unten, S. 504 ff., 511 ff. 1448 Streng genommen ist natürlich schon die körperliche Umsetzbarkeit des Handlungsprojekts Gegenstand des generellen Beherrschbarkeitszusammenhangs (man denke etwa an den Muskelkrampf im Moment des Handeln-Wollens; eingehend zum Ganzen schon Paeffgen, Verrat, 110 ff. [114 f.]); das ändert jedoch nichts daran, dass der Wille sich erst in und mit seiner Umsetzung selbst als handelnd erlebt – weshalb hinter sein Ansetzen zum Umsetzen nicht zurückgegangen werden kann. 1449 So aber statt vieler Schünemann (in: LK, § 25 Rn. 151, 154). 1450 So zutr. Puppe, Dahs-FS (2005), 173 (184 ff.). 1451 Puppe, Dahs-FS (2005), 173 (179, 181). 1452 So schlagend Puppe, Dahs-FS, 173 (179 f., 185). 1444

D. Normativer Tatbestandshandlungsbegriff und Tatherrschaftskriterium

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Natürlich ist Schünemann zuzugeben, dass sein normatives Leitprinzip der Herrschaft über den Grund des Erfolges (= Herrschaft über andere bzw. mit anderen) die konstruktive Möglichkeit eröffnet, dem mittelbaren Täter erst das zeitlich spätere „Losschicken“ oder „Entlassen des Tatmittlers aus dem eigenen Herrschaftsbereich“1453 zu verbieten und so die Strafbarkeitsgrenze u. U. erheblich nach hinten zu verlagern. Diese Lösung erscheint prima facie elegant, da sie sowohl das kriminalpolitische Bedürfnis nach zeitlicher Unmittelbarkeit befriedigt1454 als auch das Bild vom quasi-mechanisch in Lauf gesetzten menschlichen Werkzeug plakativ transportiert. Doch zeigt näheres Hinsehen, dass dieses Entlassen als Anknüpfungspunkt der individuellen Pflichtwidrigkeit dogmatisch nicht konsequent durchgehalten werden kann. Denn der Rekurs auf das „Losschicken“ oder „Entlassen“ des Werkzeugs stellt jedenfalls dann vor unlösbare Probleme, wenn die eigentliche Herrschaftsaufgabe der Werkzeugaktivierung zeitlich nachfolgt und ihrerseits gerade nicht (mehr) in einem aktiven Tun besteht. Dazu folgendes Beispiel1455 : Vater V trägt seinem 13jährigen Sohn S morgens auf, ihm im Laufe des Tages unentgeltlich ein paar Flaschen Bier zu „besorgen“. S erklärt sich hierzu bereit, widmet sich aber zunächst weiterhin einem Videospiel, mit dem er gerade beschäftigt war. Zwei Stunden später verabschiedet sich der S und verlässt das Haus. V, der vor dem Fernseher weilt und die an S gerichtete Aufforderung zum Heranschaffen kostenlosen Biers längst vergessen hat, nimmt kaum wahr, dass S das Haus verlässt. Während seines mehrstündigen Aufenthalts außer Haus stiehlt S nunmehr einige Flaschen Bier und überreicht diese bei seiner Rückkehr dem freudig überraschten V. – In derartigen Fällen1456 ist das menschliche Werkzeug bereits mit Herstellung seiner Handlungsbereitschaft aktiviert, mit der Folge, dass eine weitere Ausnutzung der aktiv erzeugten Handlungsbereitschaft durch den Hintermann nicht mehr mit einem separaten Verbot belegbar ist: An ein aktives Entlassen aus dem eigenen Machtbereich, d. h. an ein handlungsmäßiges Losschicken oder Loslassen des Werkzeugs, kann hier nicht mehr angeknüpft werden. Denn anders als diese metaphorischen 1453 Schünemann, § 25 Rn. 151, 154; s. eingehend zu dieser auf Roxin (Maurach-FS [1972], 213 [227 ff.]) zurückgehenden „modifizierten Einzellösung“ noch unten, 419 ff. 1454 s. dazu BGHSt 41, 173 (181 f.). 1455 Es handelt sich um eine Abwandlung eines von Jakobs, AT, 21/66, gebildeten Beispielfalls. Ein ähnliches Beispiel findet sich schon bei Herzberg, JuS 1989, 1 (9): Ein Handwerksunternehmer diktiert seiner Sekretärin fingierte Rechnungen, die diese erst einige Zeit später zur Post bringen soll. Der Vorgang ist für den Handwerksunternehmer derart üblich, dass er es schon gar nicht mehr registriert, dass die Angestellte einige Stunden später die Tagespost zum Briefkasten bringt. Das nachfolgend im Haupttext Ausgeführte betrifft diesen Fall ebenso. 1456 Roxin (AT/II, § 29 Rn. 230) ist der Ansicht, im Bereich der mittelbaren Täterschaft werde es nur sehr selten dazu kommen, dass das Geschehen nach der letzten Einwirkungshandlung des Hintermannes unter dessen Kontrolle verbleibe, da besagte Handlung i. d. R. mit der Aussendung des Tatmittlers zusammenfalle; A.A. wohl Herzberg (JuS 1985, 1 [9]), der im Hinblick auf sein Handwerker-Beispiel von einem „alltäglichen Fall“ spricht. Selbst wenn man aber Roxin zustimmte, änderte dies nichts an den Kalamitäten, die sich für seine „Freisetzungstheorie“ (Schünemann, in: LK, § 25 Rn. 151) ergeben, wenn ein solcher „Ausnahmefall“ eben doch einmal vorliegt!

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4. Kap.: Bezugnahme des § 25 auf die Sanktionstatbestände

Begrifflichkeiten suggerieren, ist das Weiterlaufen-Lassen eines handlungsmäßig angestoßenen Geschehens keine aktive Herrschaftsausübung (mehr), sondern bloß noch das Unterlassen einer möglichen Verlaufsrevokation,1457 die rechtlich allenfalls als Verstoß gegen ein Handlungsgebot, genauer: eine Ingerenzpflicht zum Handeln, fassbar ist.1458 Im Beispiel könnte dem V daher zu dem Zeitpunkt, da er das Geschehen aus seinem Herrschaftsbereich „entlässt“, allenfalls der Verstoß gegen ein rechtliches Gebot zum aktiven „Zurückpfeifen“ des S vorgeworfen werden. Dafür hat sich in der Sache Jakobs1459 ausgesprochen, der bei solchen „Delikte[n] mit Revokationsmöglichkeit“1460 das Handlungsunrecht des Hintermannes in der unterlassenden Revokation des Werkzeugs erblicken will. Jedoch führt auch diese Annahme im Beispielfall nicht weiter, da, wie es für derartige Konstellationen typisch ist,1461 der V im Zeitpunkt von S’ Aufbruch gar nicht mehr an seine ursprüngliche Aufforderung zum „Besorgen“ von Getränken denkt. Ihm fehlt also aktuell der Unterlassungsvorsatz, der aber nach dem Prinzip der Handlungssynchronität im kritischen Zeitpunkt zwingend erforderlich wäre. Jakobs1462 will das Problem durch Rekurs auf die Zurechnungsfigur der actio libera in causa lösen, was aber im Falle des vorsätzlichen Sich-Begebens einer späteren Revokationsmöglichkeit dogmatisch nicht durchführbar ist: Erstens wäre – wenn überhaupt – auf die Rechtsfigur der omissio libera in causa abzustellen, da V’s Vorsatzmangel die Preisgabe der Revokationsmöglichkeit als Unterlassungsmoment betrifft. Zweitens wäre es wenig sinnvoll, eine vorverlagerte Vorsatzhaftung des V in casu davon abhängig machen zu wollen, ob er sich bei Abschluss seiner Einwirkung auf S Gedanken über die Preisgabe einer späteren Revokationsmöglichkeit gemacht hat. Und drittens schließlich wäre selbst das Bereitmachen des Werkzeugs in der Absicht, die fortbestehende Revokationsmöglichkeit im kritischen Moment verstreichen zu lassen, kein Programm zur Initiierung einer omissio illibera in omittendo, da man sich einer fortbestehenden Revokationsmöglichkeit nicht durch bloße Absichtserklärung begeben kann. Will man also im Beispielfall eine mittelbare Täterschaft des V dennoch auf dessen „vorangegangenes“ Tun stützen, so kann man das Verbot dieses Handelns nicht als Derivat eines späteren Revokationsgebots begreifen, sondern muss es aus dem Bezugssystem der fortbestehenden Revokationsmöglichkeit lösen. Anknüpfen kann das Verbot dann nur an die aktive Willensbetätigung, die den S unmittelbar

1457 1458 1459 1460 1461 1462

So zutr. bereits Schilling, Verbrechensversuch, 101. So zutr. etwa Puppe, JuS 1989, 361 (364). AT, 21/105 u. 25/75 m. 25/72 ff. AT, 25/72. s. dazu Herzberg, JuS 1985, 1 (8). AT, 21/105 m. 25/74a f.

D. Normativer Tatbestandshandlungsbegriff und Tatherrschaftskriterium

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handlungsbereit zu machen trachtete.1463 Wem die Umsetzung einer solchen prinzipiell tauglichen Manipulationsstrategie für die Annahme eines mittelbar-täterschaftlichen Handlungsunrechts nicht hinreicht, der müsste im Beispielfall konsequent gänzlich auf die Annahme einer mittelbaren Täterschaft des V verzichten.1464 Will man hingegen in derlei Konstellationen ohne Rücksicht auf den unwillkürlichen Herrschaftsverlust eine mittelbare Täterschaft des Hintermannes annehmen – und dazu zwingt das Judiz –, so kommt man nicht umhin, die Pflichtverletzung des Hintermannes im Ansetzen zur endgültigen Einwirkung auf das Werkzeug zu erblicken.1465 Das Verbot einer zusätzlichen Herrschaftsaufgabe, wie sie in der Formel vom „Entlassen aus dem Herrschaftsbereich“ verlangt wird, wäre dann obsolet. Die vorgenannten Schwierigkeiten hat wohl Roxin im Auge, wenn er speziell für den Beginn des „Versuchs in mittelbarer Täterschaft mit Revokationsmöglichkeit“1466 davon absieht, auf das Unterlassungsmoment abzustellen. Anders als der unmittelbare Täter mit Revokationsmöglichkeit, für den das spätere Unterlassen als Handlungsunrecht maßgeblich sein soll,1467 soll der mittelbare Täter mit Revokationsmöglichkeit durch die Übernahme des weiteren Kausalverlaufs seitens des Werkzeugs über die Schwelle zum Aktivversuch getragen werden.1468 Dieser Rekurs auf die „Übernahme“ des Kausalverlaufs durch den Tatmittler führt jedoch über eine 1463 So bereits Schilling, Verbrechensversuch, 101; in sich widersprüchlich dagegen Herzberg (JuS 1985, 1 [9]), der den Hintermann wegen dessen vorangegangener Einwirkung auf das Werkzeug dann als Begehungstäter bestrafen will, wenn und weil er es in der kritischen Situation (unbewusst) unterlässt, das Werkzeug zurückzurufen: Der Versuchsbeginn verkümmere in derartigen Fällen zu einer Art aufschiebender Bedingung. Sofern der Herrschaftsverlust nicht täterplanwidrig eintrete, sei er dasjenige Ereignis, das den bereits im Vorbereitungsstadium verwirklichten Handlungsunwert zum strafrechtlichen Versuch avancieren lasse. – Auf diese Weise wird ein im Versuchsstadium für maßgeblich gehaltenes Unterlassen contra legem in ein unter dem Vorbehalt dieses späteren Unterlassens stehendes Tun umgedeutet, wodurch zugleich gegen den Wortlaut des § 22 verstoßen wird. Herzberg hält die Friktion mit dem Gesetzeswortlaut für hinnehmbar, da die Verengung der Strafbarkeitszone durch Hinauszögern des Versuchsbeginns dem Täter ja doch immerhin zum Vorteil gereiche (JuS 1985, 1 [9]). Diese Annahme ist jedoch zirkulär, da sie die Möglichkeit eines durch späteres Unterlassen aufschiebend bedingten Versuchsbeginns schon voraussetzt. Eine derartige Hybrid-Konstruktion kennt die lex lata aber gerade nicht. Stellte man in Herzbergs Beispielfall für den Versuchsbeginn auf das Unterlassungsmoment ab, so müsste der Hintermann mangels Vorsatzes straflos ausgehen; rekurrierte man dagegen auf die Einwirkungshandlung des Hintermanns ohne die „aufschiebende Bedingung“ des späteren Unterlassens, so könnte diese nach Herzberg „formell“ (JuS 1985, [9]) im Vorbereitungsstadium geleistete Handlung den Versuchsbeginn schon per definitionem nicht begründen. Damit geht aber das Hybrid-Konstrukt einer „aufschiebend bedingten“ Versuchshandlung allemal in malam partem! 1464 s. allgemein bereits Puppe, Dahs-FS (2005), 173 (179 f., 185). 1465 So zutr. Küper (JZ 1983, 361 [371]), der Roxin diese intrasystematische Konsequenz zu Recht abverlangt. 1466 So die speziell auf mittelbare Täterschaft zugeschnittene Bezeichnung bei Jakobs, AT, 25/75. 1467 Roxin, AT/II, § 29 Rn. 205 ff. (208 f.); s. dazu noch unten, S. 386 ff. 1468 AT/II, § 29 Rn. 230.

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bloße Begriffsjurisprudenz nicht hinaus.1469 Denn vergegenwärtigt man sich nochmals den obigen Beispielfall, so wirkt V im Zeitpunkt der Übernahme des Kausalverlaufs durch S gerade nicht mehr auf diesen ein.1470 Den Versuchsbeginn eines aktiven „Begehungsdelikts“ kann aber immer nur ein eigenes Handeln des (mittelbaren) Täters markieren, durch das er seinen Selbstverwirklichungswillen unmittelbar betätigt und damit die Grenze zum „Jetzt-geht-es-los“ überschreitet.1471 Die von Roxin für maßgeblich gehaltene Übernahme des Kausalverlaufs durch das Werkzeug fällt aber gerade nicht (mehr) mit einem personalen Handeln des Hintermannes zusammen. Daran ändert sich auch nichts dadurch, dass der Hintermann im Moment der Verlaufsübernahme durch das Werkzeug ein aktuelles Bewusstsein hiervon hat. Denn ein solches Daran-Denken ist kein Handlungsunrecht, da der Täter in diesem Moment eben nicht mehr auf das Werkzeug einwirkt.1472 Mithin bleibt es also dabei: Allein das personale Einwirkungshandeln des mittelbaren Täters auf das präsumtive Werkzeug erfüllt sämtliche strafrechtlichen Systemkategorien koinzident.1473 Demnach zwingt das Prinzip der Handlungssynchronität dazu, die pflichtwidrige Entscheidungsvornahme des planenden Hintermanns in dessen Instrumentalisierungshandlung zu sehen, die den Vordermann unmittelbar handlungsbereit zu machen trachtet.1474 Wem das zur Annahme eines strafbegründenden Versuchs nicht hinreicht, der entzieht der mittelbaren Täterschaft überhaupt die Grundlage.1475 Nach alledem ist also zwar die Weichenstellung Schünemanns, wonach die Verhaltensnormen primär an diejenigen adressiert sind, die ex ante die wesentlichen Entscheidungen über die Rechtsgutsverletzung zu treffen und vorzunehmen vermögen, zutreffend. Nur muss eben konsequent für alle Tatbestandshandlungsgestalten die pflichtwidrige Entscheidungsvornahme im je eigenen Basis-Handeln ex ante erblickt werden, d. h. im individuellen Ansetzen zur ich- oder wir-intentionalen Selbstverwirklichung!1476

1469

I.d.S. treffend Herzberg, JuS 1985, 1 (9): „Wenn man dennoch den Deliktsbeginn von ihr [scil.: der personalen Einwirkung des Hintermannes – Anm. des Verf.] wegverlegt, dann darf man nicht erwarten, durch diesen Kunstgriff an der Sache etwas zu verändern.“. 1470 Ebenso liegt es auch in dem von Roxin (AT/II, § 29 Rn. 227) ersonnenen Beispielfall, in dem der Arzt die vergiftete Spritze am Morgen an eine bestimmte Stelle seines Arbeitszimmers legt, von wo die Schwester, die die Spritzen regelmäßig verabreicht, sie am Spätnachmittag abzuholen pflegt, um sie dem Patienten zu verabreichen. 1471 So schon Schilling, Verbrechensversuch, 101; zur Auseinandersetzung mit der Antithese der sog. „Gesamtlösung“ s. noch unten, S. 415 ff. 1472 So zu Recht Puppe, Dahs-FS (2005), 173 (182 f.). 1473 Puppe, Küper-FS (2007), 443 (453). 1474 Puppe, Dahs-FS (2005), 173 (186 ff.); auch bereits Schilling, Verbrechensversuch, 100 f. 1475 So zutr. Puppe, Dahs-FS (2005), 173 (179 f.). 1476 So neuerdings wieder Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 158 ff.; ders., in: NK, § 25 Rn. 16 f., 29 f., 32, 125 ff.; i.d.S. dezidiert auch bereits Schilling, Verbrechensversuch, 108 ff.

E. Tatherrschafts- als Zurechnungslehre

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E. Tatherrschafts- als Zurechnungslehre und sachlogischer Zurechnungsgrund Die von Schünemann ausgearbeitete Theorie von der „Herrschaft über den Grund des Erfolges“ ist innerhalb der gesamten Tatherrschaftsdoktrin wohl die einzige, die den Herrschaftsgedanken überhaupt aus einer Vernetzung übergeordneter Prinzipien herzuleiten unternimmt.1477 Demnach könnten wir es hier an sich bereits mit dem Aufweis der Unmöglichkeit einer solchen Herleitung bewenden lassen. Jedoch existieren mannigfache andere Konzeptionen, die den Tatherrschaftsgedanken unter den verschiedensten Gesichtspunkten und mit den disparatesten Bedeutungsinhalten zu ihrer Grundlage machen. Der Durchgang durch diese Lehren erscheint zur Unterfütterung des hiesigen Ansatzes in zweifacher Hinsicht nützlich: Zum einen offenbart er die Ambivalenz, mit der der Begriff der „Tatherrschaft“ durch die Strafrechtswissenschaft mäandert; zum anderen, und das ist hier entscheidend, lässt sich die Tatherrschaftslehre mit Schild1478 in einen inneren Ableitungszusammenhang stellen, der sie auf ihren eigentlichen Grund reduziert, nämlich: die wirkliche Beherrschbarkeit aufgrund prinzipiellen Kausal- oder Erfahrungswissens ex ante, die jedem Tatbeteiligten zukommt und deshalb hier1479 als realontologische Komponente vorsätzlichen Basis-Handelns eingeführt wurde. Dieser Ableitungszusammenhang soll nun im Folgenden nachgezeichnet werden, wobei en passant auch die Implikationen einzelner „Stadien“ der eigenkörperlichen Beherrschung für die Abgrenzung der Beteiligungsformen herauszustellen sind.

I. Beherrschung des gesamten Tatablaufs („Tatbeherrschung“1480) Mit dem Begriff „Tatherrschaft“ würde die soziale Alltagssprache wohl am ehesten eine wirkliche Steuerungsherrschaft im faktischen Sinne assoziieren, wie sie im Archetyp (und nicht Prototyp!) der eigenhändigen Erfolgsbeherrschung am deutlichsten zutage tritt. Diesem wörtlichen Inbegriff von Tatherrschaft kommt am nächsten Welzels klassische Konzeption der finalen Tatherrschaft, die die Herrschaft noch auf das gesamte Geschehen der Erfolgsherbeiführung als das Tatgeschehen bezieht: Die Macht zur finalen Überdetermination soll es dem Tatsubjekt ermöglichen, das Kausalgeschehen bis zum Erfolg hin zu steuern, weshalb der Täter prä1477

Roxins Leitbild von der „Zentralgestalt des handlungsmäßigen Geschehens“ (TuT, 25 ff.) fehlt es hingegen an einer solchen Anbindung an übergeordnete Wertungszusammenhänge. Zu Recht hat daher Stein (Beteiligungsformenlehre, 22 f.) angemerkt, Roxins Kernthese von der unmittelbaren Evidenz der gesetzgeberischen Anknüpfung an die Zentralgestalt (so ders., TuT, 26) erkläre nicht, weshalb der Gesetzgeber so werten dürfe und wie sich diese Wertung in die allgemeinen Strukturen strafrechtlicher Zurechnung einfüge. 1478 In: NK1, Vorbem. §§ 25 ff., Rn. 137 ff. 1479 Oben, S. 88 ff. 1480 Benennung nach Schild (in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 138).

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4. Kap.: Bezugnahme des § 25 auf die Sanktionstatbestände

missiv Herr des gesamten zweckhaft durchgeführten Tatgeschehens ist.1481 Daraus folgert Schild zutreffend: „Es geht deshalb auch bei der Frage nach der (finalen) Handlung als der das Tatgeschehen beherrschenden Tätigkeit um eine tatsächliche Feststellung, die auch den eingetretenen Erfolg – als beherrschten – umfasst. Für eine Zurechnung dieses Erfolges zur Handlung ist in dieser Theorie eigentlich kein Platz (…)“1482.

Doch muss die Annahme einer solchen bis zum Erfolg hin gedachten Steuerungsherrschaft überall dort vor Probleme stellen, wo das zum Erfolg führende Tatgeschehen selbst gerade nicht mehr beherrscht wird. Schild1483 nennt exemplarisch etwa das Versterben des vom Täter mit Tötungsvorsatz attackierten Opfers im fernen Operationssaal oder das Aussenden eines unkontrollierbaren menschlichen Werkzeugs zur fernen Deliktsverwirklichung: In beiden Fällen kann der Täter für den eintretenden Erfolg erst nachträglich im Wege der Zurechnung verantwortlich gemacht werden, was aber heißt: Er muss ex post zum Tatherrn gemacht werden.1484 Hierzu bedarf es einer gesonderten Zurechnungsgrundlage, die dem Erfolgseintritt denklogisch vorgelagert sein muss. Auf diesen ihren sachlogischen Grund muss die Tatherrschaft zurückgeführt und damit zwingend normativiert werden.

II. Herrschaft über das isolierte „Handlungsstück“ („Handlungsbeherrschung“1485) Besagte Zurechnungsgrundlage könnte man möglicherweise gewinnen, indem man einen wirklich noch eigenhändig beherrschten Handlungsteil vom Erfolgseintritt abspaltete und den Erfolg dann mittels einer objektiven Zurechnung auf dieses Handlungsstück zurückführte.1486 Ausschlaggebend für die Erfolgszurechnung wäre dann die Herrschaft über ein isoliert gedachtes Handlungsstück, dem die generelle Eignung bzw. das rechtlich relevante Risiko zur Erfolgsherbeiführung bereits inhärent (gewesen) ist. Danach wäre ein Akteur also Handlungsherr, wenn und weil er das erfolgsadäquate Handlungsgeschehen tatsächlich beherrscht hat.1487 Dieses Verständnis von Tatherrschaft als In-den-Händen-Halten des isoliert gedachten 1481

Welzel, Strafrecht, § 15 I 1, II 1 (S. 100, 102). Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 138. 1483 Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 139. 1484 Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 139. 1485 Der Begriff entstammt wiederum der Nomenklatur von Schild (in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 140). 1486 s. zu der dieser Aufspaltung zugrunde liegenden Unrechtsdogmatik eingehend Gallas, Bockelmann-FS (1979), 155 (161 ff.). 1487 s. insbesondere Bloy, GA 1996, 239 (242); s. ferner auch die ausführliche Analyse bei Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 140 ff., m.w.N. aus der strafrechtswissenschaftlichen Literatur. 1482

E. Tatherrschafts- als Zurechnungslehre

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Handlungsgeschehens ist, auch wenn dies nicht allenthalben ausdrücklich betont wird,1488 das innerhalb der modernen Tatherrschaftslehren dominierende.1489 Doch bereitet auch eine so verstandene „Handlungsherrschaft“ noch Kalamitäten, wenn das zum Handeln eingesetzte Werkzeug in seiner Wirkweise nicht beherrscht wird. Nimmt man etwa nur den lapidaren Allerweltsfall, dass die mechanischen Wirkkräfte eines aus einer Schusswaffe abgefeuerten Projektils zum Verletzungshandeln eingeplant werden, so zeigt sich, dass schon hier – und nicht etwa erst beim Einsatz menschlicher Werkzeuge1490 – auf eine „Willensherrschaft“ abgestellt werden muss.1491 Denn auch hier müssen ja die Werkzeugkräfte demjenigen, der sie freisetzt, als seine handlungsmäßige Werkzeugverwendung zugerechnet werden (können), obwohl bzw. gerade weil er sie nicht mehr beherrscht.1492 Folglich muss die Zurechnungsgrundlage für eine ex post festzustellende Tatherrschaft noch hinter die faktische „Handlungsbeherrschung“ zurückreichen.1493

III. Handlungsherrschaft über die Schaffung der konkreten Gefahr des Erfolgseintritts („Gefahrenbeherrschung“) Eine dem Ansatz bei der Handlungsbeherrschung materiell nahe stehende Variante1494 des normativen Tatherrschaftsmodells sieht diesen Zurechnungsgrund in der eigenkörperlichen Schaffung der rechtlich unerlaubten (konkreten) Gefahr der Erfolgsherbeiführung.1495 Sie fällt in aller Regel schon mit der Freisetzung der Werkzeugkräfte zusammen. Eigentlich befreit dieser Ansatz die Theorie der Handlungsbeherrschung nur von ihrer auf die Handlung als Werkzeugverwendung zugeschnittenen Begrifflichkeit, bekommt aber dadurch die aus diesem Zuschnitt folgenden Schwierigkeiten in den Griff: Es muss nun nicht mehr der Werkzeugeinsatz in Gestalt der Werkzeugkräfte selbst beherrscht werden, sondern nur noch die Freisetzung der danach nicht mehr beherrschbaren Wirkkräfte. Hierdurch wird zugleich handelnd das unerlaubte Risiko des Erfolgseintritts geschaffen.1496

1488 Die wohl prägnanteste Formulierung dieser Tatherrschaftstheorie findet sich bei Bloy, GA 1996, 239 (242). 1489 So zutr. Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 140. 1490 So aber statt nahezu aller Bloy (in: GA 1996, 239 [242]) als paradigmatischer Vertreter der Lehre von der Handlungsbeherrschung. 1491 s. dazu bereits Paeffgen, Verrat, 113: „(…) und letztlich ist selbst ein Pistolenschuß auf einen Menschen ein Distanzdelikt“. 1492 Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 145. 1493 Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 145. 1494 s. ausführlich dazu abermals Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 146 ff. 1495 Vertreten etwa von Hoyer, in: SK § 25 Rn. 34, 36; Schneider, Risikoherrschaft, 56 ff. (60). 1496 Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 147.

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Allerdings gerät selbst dieser Ansatz noch in Schwierigkeiten, wenn man bedenkt, dass auf die eigenhändige Schaffung einer konkreten Gefahr abgehoben wird. Denn es lassen sich durchaus auch Fallkonstellationen denken, in denen die Entfesselung der Werkzeugkräfte und der Eintritt einer konkreten Gefahrenlage de facto auseinanderfallen. Lässt etwa ein Zoopfleger außerhalb der Besuchszeiten am einen Ende des Zoos einen Tiger frei, in der Absicht, einen am anderen Ende des Zoos tätigen Kollegen zu verletzen, dann führt die Freilassung des Raubtiers per se noch nicht die konkrete Gefahr der geplanten Verletzung herbei. Diese tritt vielmehr erst dann ein, wenn der Tiger sich dem Zielobjekt nähert. Entsprechendes gilt für den von Herzberg1497 ersonnenen Fall, dass jemand am Bergeshang einen unberechenbar springenden Stein ins Rollen bringt, um seinen unten auf der Wiese liegenden Feind zu verletzen. Derartige Konstellationen machen deutlich, dass auch die Gefahrschaffung nicht immer beherrschbar ist, sondern ihrerseits der willentlichen Körperbewegung zugerechnet werden muss. Dennoch ist zuzugeben, dass das Gros der Fallkonstellationen der unmittelbaren Täterschaft mit dem Kriterium der Gefahrenbeherrschung unproblematisch bewältigt werden könnte. Vor diesem Hintergrund ist daher nach den Implikationen dieses Aspekts für die mittelbare Tatbegehung zu fragen, die sich gerade durch das Fehlen einer eigenhändigen Risikoherrschaft auszeichnet. Will man also die eigenhändige Risikobeherrschung als Fluchtpunkt der Abgrenzung von der Teilnahme ausweisen, so steht man hier vor einem Problem: Man muss der Vermittlung einer fremdhändig geschaffenen Gefahr bereits im Ansatz ein „Weniger“ an Tatherrschaft zusprechen und dieses „Minus“ dann aus Gründen der Gleichstellung mit der eigenhändigen Risikoherrschaft durch eine andere „Erscheinungsform“ von „Herrschaft“ kompensieren. Eben diesen Ansatz hat in elaborierter Form Hoyer1498 vorgelegt. Auch er stellt die eigenkörperliche Handlungsherrschaft ins Zentrum seiner Beteiligungslehre und liest sie als die Vollform von Tatherrschaft in die BT-Tatbestände hinein.1499 Anders als noch Roxin begreift Hoyer die Handlungsherrschaft aber ausdrücklich aufgebrochen als eigenhändige Schaffung des im tatbestandsmäßigen Erfolg verwirklichten unerlaubten Risikos.1500 Gegenüber einer solchen eigenhändig kontrollierten Risikoschaffung bedeuteten mittelbare Täterschaft und Mittäterschaft jedoch a priori ein Weniger an Tatherrschaft.1501 Denn bei diesen Beteiligungstypen schließe sich an das Handeln des Hintermannes bzw. des einzelnen Mittäters nicht nur noch ein naturgesetzlich vollständig determinierter Kausalverlauf an, sondern es trete ein trotz aller Irrtümer und Zwangslagen bzw. trotz gemeinsam gefassten Tatentschlusses

1497 1498 1499 1500 1501

In: Verantwortung, 33 (41). In: SK, Vor § 25 Rn. 9 ff. (14 f.); § 25 Rn. 28 ff. In: SK, Vor § 25 Rn. 11 f. In: SK, § 25 Rn. 32 ff. (34, 36). In: SK, Vor § 25 Rn. 12 ff.

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doch immer noch autonomiefähiger anderer Mensch dazwischen.1502 Darin aber liege ein „Minus“ an faktischer Herrschaft, das durch ein „funktionelles Äquivalent“1503 für die volle Handlungsherrschaft kompensiert werden müsse.1504 Hierzu bedürfe es einer positiv-rechtlichen Anordnung, die sich in § 25 I Alt. 2, II finde: Diese Regelungen gäben die konstitutiven Prämissen an, unter denen die Betreffenden so behandelt würden, als erfüllten sie den Tatbestand selbst und übten volle Tatherrschaft aus.1505 Speziell der mittelbare Täter müsse danach neben seiner eingeschränkten Erfolgsverantwortung auch noch Verantwortung gerade für denjenigen Umstand tragen, der die Erfolgsverantwortung einschränke, nämlich: die defizitäre Verhaltensentscheidung seines Tatmittlers. Diese müsse dem Hintermann so zugerechnet werden können, als habe er sie selbst getroffen.1506 Hierzu sei die Schaffung eines unerlaubten Risikos gerade in Richtung auf diese defizitäre Verhaltensentscheidung erforderlich.1507 Eine solche unerlaubte Risikoschaffung liege in der aktiven Begründung einer eigenen Zuständigkeit für die Unzuständigkeit des Werkzeugs, die sich in Anlehnung an die Zurechnungsregeln für Wissens- und Willensmängel der §§ 263, 253 vollziehen müsse.1508 Gerade der letzte Gedanke, dass bereits die auf Instrumentalisierung gerichtete Basis-Handlung des Hintermannes selbst als unerlaubte Risikoschaffung figurieren muss, findet hier unbedingten Anklang. Doch wirkt seine Heranziehung in einem System, das eigentlich die faktische Gefahrenherrschaft zum Fluchtpunkt der Täterlehre erhebt, deplatziert. Dies deshalb, weil der Gesichtspunkt dort die Funktion übernehmen muss, den Mangel einer eigenkörperlichen Risikobeherrschung irgendwie zu kompensieren. Das kann er aber nicht wirklich leisten, wie die folgende Auseinandersetzung mit Hoyers Konzept belegen mag: Einzugehen ist zunächst auf die Grundprämisse Hoyers, wonach der Verhaltensentschluss eines autonomiefähigen Menschen in den natürlichen Beherrschbarkeitszusammenhang interferiert und deshalb ein Weniger an faktischer Tatherrschaft vermitteln soll.1509 Dahinter steht offensichtlich die Annahme, menschliche 1502

In: SK, Vor § 25 Rn. 12 f.; § 25 Rn. 95. Der Begriff stammt von Dencker, Kausalität, 136. 1504 In: SK, Vor § 25 Rn. 14. 1505 In: SK, Vor § 25 Rn. 15. 1506 In: SK, § 25 Rn. 40, 93 ff. (96). 1507 In: SK, § 25 Rn. 94, 96. 1508 In: SK, § 25 Rn. 98 ff. 1509 s. aus verhaltensnormtheoretischer Sicht auch Schumann (Selbstverantwortung, 5): Wolle man dem einzelnen Normadressaten auch fremdes Verhalten in Rechnung stellen, so müsse dieses von Rechts wegen als „jederzeit möglich und voraussehbar“ gelten, da es sich einer exakten Berechenbarkeit gerade entziehe; das aber müsse die Handlungsfreiheit nahezu aufheben – Diese Argumentation verfängt schon deshalb nicht, weil der Normadressat im Entscheidungszeitpunkt selbst Naturkausalität meist nicht exakt berechnen kann (man denke nur an den „normalen“ Fall eines Pistolenschusses). Überdies müsste Schumann aber auch dartun, inwiefern das Ansetzen zur deliktischen Instrumentalisierung fremder Tätigkeit noch 1503

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4. Kap.: Bezugnahme des § 25 auf die Sanktionstatbestände

Verhaltensentschlüsse seien aufgrund ihrer fehlenden kausalgesetzlichen Determiniertheit prinzipiell nicht ausrechenbar und damit – anders als Naturkausalverläufe – nicht beherrschbar.1510 Diese These erweist sich freilich als unzutreffend, denn es ist eine allgemeine Erfahrungstatsache, dass menschliches Verhalten im Großen und Ganzen sehr wohl (mal mehr und mal weniger exakt) kalkulierbar ist.1511 Das gilt zunächst und allgemein für rechtmäßiges Verhalten innerhalb der modernen Gesellschaft, denn ohne ein praktisch institutionalisiertes Vertrauen in das regel- oder rollenkonforme Verhalten anderer könnte diese nicht auskommen.1512 Was aber für den Umgang mit gesellschaftlichen Verhaltenserwartungen gilt, das gilt erst recht für den Umgang mit Verhaltenserwartungen innerhalb privater Sozialbindungen, der unmittelbar auf das (künftige) Privatleben der eigenen Person zurückwirkt. Folglich wird der jeweils andere in seinen Verhaltensentscheidungen umso beeinflussbarer und berechenbarer, je „enger“ und persistenter die zugrunde liegende Sozialbindung ausgestaltet ist und je besser die involvierten Charaktere einander kennen, kurzum: Die menschliche Autonomie findet in der sozialen Realität ihre Grenzen.1513 Damit werden aber – gegen das abstrakte rechtliche Sollen und eine etwaige individualethische „Hemmschwelle“ – selbst unrechtliche Verhaltensentschlüsse anderer prinzipiell planbar.1514 Zuzugeben ist natürlich, dass fremde Verhaltensentschlüsse auf diese Weise bloß als potentielle eingeplant werden können. Dies stellt jedoch die Dignität der unrechtlichen Manipulationsstrategie als Zurechnungsgrund keineswegs infrage, denn in Wahrheit wird bereits für die unmittelbare Täterschaft nicht mehr verlangt als die Anwendung einer prinzipiell tauglichen Strategie; selbst Naturwerkzeuge sind in ihrem Wirken nicht exakt ausrechenbar bzw. beherrschbar.1515 Nach alledem ist eine Abgrenzung nach typusbezogenen Graden faktischer Tatherrschaft, wie sie Hoyer vorschwebt, nicht durchführbar. Bestätigt wird dies durch die umgekehrte Überlegung: Es gibt durchaus auch Fallkonstellationen, in denen der freie Unrechtsentschluss eines andere Menschen von vornherein sicher antizipiert werden kann. So verhält es sich insbesondere dann, wenn die Tatbegehung eines (bedingt) tatentschlossenen Dritten zur Erfolgsherbeiführung eingeplant wird. Klassische Beispiele hierfür bilden etwa das Dingen eines Auftragskillers oder die Einschaltung eines sich zur Tatbegehung andienenden

unter den Schutz der allgemeinen Handlungsfreiheit fallen soll (dezidiert gegen Schumann auch Stein, Beteiligungsformenlehre, 162 ff.). 1510 So expressis verbis etwa Schneider, Risikoherrschaft, 87, 137. 1511 Stein, Beteiligungsformenlehre, 164; Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 329. 1512 So zutr. Stein, Beteiligungsformenlehre, 164; Schild, in: NK, § 25 Rn. 30; ders., in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 329. 1513 So zutr. Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 329. 1514 So Schild, in: NK, § 25 Rn. 30; ders., in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 329. 1515 Herzberg, in: Verantwortung, 33 (41); ders., JuS 1985, 1 (4); Stein, Beteiligungsformenlehre, S. 164; Schild, in: NK, § 25 Rn. 11, 30, 64; ders., in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 282; auch Roxin, AT/II, § 29 Rn. 247.

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Menschen.1516 In derartigen Fällen müsste man doch konsequenterweise ein Fehlen der für die Anstiftung behaupteten Erfolgsunsicherheit annehmen,1517 mit der Folge, dass hier entgegen Hoyer nicht mehr von einem Minus an faktischer Tatherrschaft im Verhältnis zur Einplanung von Naturkausalität gesprochen werden könnte. Damit wäre dann aber auch kein funktionelles Äquivalent zur Kompensation einer prämissiv unterstellten Unberechenbarkeit des Vordermannes erforderlich, weshalb die Einschaltung eines Auftragskillers oder eines willigen Schergen eo ipso Täterschaft begründen müsste.1518 Hoyer jedoch beschäftigt sich mit solchen Konstellation erst gar nicht, da sie für ihn bereits per definitionem aus der Kategorie der Tatherrschaft herausfallen. Er selbst geht nämlich offenbar davon aus, dass eine Tatherrschaft des Hintermannes überhaupt nur bei einem Defekt in der Person des Vordermannes in Betracht komme.1519 Auch wenn also Willensherrschaft für Hoyer bloß eine „Kümmerform“ faktischer Tatherrschaft ist, soll sie anderen Initiierungsformen doch prämissiv überlegen sein. Auch diese Annahme erweist sich allerdings bei näherem Hinsehen als unzutreffend. Denn so kann etwa derjenige, der zur Verwirklichung seiner deliktischen Pläne einen als „zuverlässig“ bekannten Auftragskiller einschaltet, dessen Entschlussfassung weitaus besser kalkulieren als derjenige, der auf die unsichere Strategie einer Irrtumserregung oder Nötigung zurückgreifen muss.1520 Doch geht Hoyer auch hierauf nicht ein, was wiederum kein Zufall ist. Denn eigentlich sieht er in der Herrschaft über den Defekt nicht mehr eine faktische Teilsteuerung des Geschehens, sondern vielmehr eine „Verantwortlichkeitsherrschaft“1521 i.S.e. rechtlichen Zuständigkeit.1522 Diese im Ansatz auf Jakobs1523 zurückgehende Lehre von der „(…) Zuständigkeit des mittelbaren Täters für die Unzuständigkeit des Werkzeugs (…)“ ist bei einer genuin normativen Sicht der Dinge auch durchaus konsequent. Doch kann sie schwerlich die Aufgabe eines funktionellen Äquivalents zur Kompensation fehlender faktischer Tatherrschaft übernehmen: Wenn man das zu kompensierende „Minus“ an faktischer Tatherrschaft gerade in der mangelnden Berechenbarkeit des menschlichen Tatmittlers erblickt, dann kann die normative Zuständigkeit für diese Unberechenbarkeit schwerlich das gesuchte kompensatorische Äquivalent sein! Denn auch wenn dem Hintermann die Verhaltensentscheidung des Werkzeugs zugerechnet werden kann, bleibt ihm doch wegen dessen fortbestehender Autonomiefähigkeit die faktische Geschehenssteuerung weiterhin entzogen. Gerade dieses Zusammenspiel von Defekt und „Rest1516 Auf die in diesen Fällen gegebene Erfolgssicherheit hat schon Schroeder (in: Täter, 150, 152) hingewiesen; s. auch Schild, in: NK, § 25 Rn. 30. 1517 So konsequent Schroeder, Täter, 150. 1518 So konsequent Schroeder, Täter, 150. 1519 I.d.S. Hoyer, in: SK, Vor § 25 Rn. 12 ff.; § 25 Rn. 95. 1520 So zutr. Herzberg, in: Verantwortung, 33 (42). 1521 Begriff nach Herzberg, in: Verantwortung, 33 (40). 1522 Hoyer, in: SK, § 25 Rn. 98 ff. 1523 GA 1997, 553 (572) [Zitat ebenda].

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4. Kap.: Bezugnahme des § 25 auf die Sanktionstatbestände

freiheit“ in der Person des Vordermanns macht doch dessen Verhalten für den Hintermann umso unberechenbarer und entzieht das weitere Geschehen erst recht seinem Zugriff. In den Worten Herzbergs: „Wer (…) eine Deliktsausführung einem Geisteskranken ansinnt oder einem Kinde oder einem Menschen, den er sich durch brutale Nötigung sogleich zum Feind gemacht hat, oder wer (…) auf einen ahnungslosen Irgendwer setzt, der behält im allgemeinen das Geschehen gerade nicht in der Hand. Er liefert es der Unberechenbarkeit aus und muss z. B. befürchten, daß der unter Druck Gesetzte zur Polizei geht, statt ihm zu gehorchen.“1524

Nach alledem liefert die Ausrichtung an der eigenhändigen Risikoherrschaft als faktischer Vollform von Tatherrschaft weder einen geeigneten Maßstab für die Abgrenzung von Tatbestands- und Teilnahmehandlungen noch für die Abschichtung der einzelnen Tatbestandshandlungstypen untereinander. Sie zwingt im Hinblick auf die Einplanung menschlichen Verhaltens zur Suche nach einem normativen Äquivalent, dessen systematische Implementierung den naturalistischen Begriffskern von „Tatherrschaft“ auflösen muss.1525 Man kann eben von „Tatherrschaft“ in einem faktischen Sinne nur dann sprechen, wenn das Geschehen auch wirklich vollkommen eigenhändig kontrolliert wird. Muss dagegen eine „Herrschaft“ erst noch auf der Grundlage eines normativen Urteils ex post zugeschrieben werden, so kann die Resultante dieses Zuschreibungsprozesses schlechterdings nicht der Grund für die Zurechnung „zur“ Täterschaft sein. Der Grund für diese Zurechnung kann dann vielmehr nur in demjenigen Verhalten liegen, das die Zuschreibung der Herrschaft erst begründet, selbst aber eben noch keine Tatherrschaft ist: dem prinzipiell tauglichen Selbstverwirklichungswillen ex ante.

IV. Herrschaft der Person bzw. des Willens über die Körperbewegung als den Grund des Geschehens („Grundbeherrschung“1526) Damit schließt sich der Kreis wieder bei der Kernthese Schünemanns1527, wonach der sachlogische Grund jeder personalen Geschehenszurechnung in der absoluten Herrschaft der Person (= des Willens) über den eigenen Körper liegt, die sich im Aktivbereich in der Vornahme der Körperbewegung manifestiert. Auch dieses Axiom ist jedoch in sich noch nicht ganz schlüssig, denn selbst die unmittelbare eigenkörperliche Willensumsetzung (und sogar schon der vorausgehende neuronale Prozess der Willensbildung!) unterliegt nicht der absoluten Herrschaft des Willens

1524

In: Verantwortung, 33 (42). Generell zur Disparität zwischen einer unmittelbaren (faktischen) „Steuerungsherrschaft“ und einer mittelbaren (normativen) „Verantwortlichkeitsherrschaft“, Herzberg, in: Verantwortung, 33 (40 ff.). 1526 Bezeichnung wiederum nach Schild (in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 146). 1527 Unterlassungsdelikte, 235 f. 1525

E. Tatherrschafts- als Zurechnungslehre

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über den Körper.1528 Vielmehr zählt streng genommen auch sie bereits zum Inhalt der prognostischen Beherrschbarkeit (also zu den Erfüllungsbedingungen der Intention), da eben ex ante noch nicht feststeht, ob ich zu dem projektierten Handeln in der Lage sein werde.1529 Allerdings spricht eben dieser Aspekt im Ergebnis für Schünemanns Ansatz. Denn gerade weil der subjektive Intentionalzustand (= „mentale Komponente“) auch in der Selbstinterpretation des Subjekts strikt von seiner physischen Externalisierung (= „physische Komponente“) zu unterscheiden ist,1530 muss der für die Handlungszurechnung maßgebende Augenblick derjenige sein, in dem sich der intentionale Zustand selbstrepräsentational im Handeln erlebt1531 (= intentionale „Basis-Handlungsherrschaft“). Letzter und eigentlicher Grund der personalen Zurechnung ist damit die eigenkörperlich erlebte Externalisierung einer prinzipiell erfolgstauglichen Selbstverwirklichungsstrategie.1532 Diesen wirklichen, als solchen erlebten, Zurechnungsgrund kann man – entgegen Schünemann1533 – nicht kurzerhand normativieren zu einem allgemeinen Prinzip der personalen Grundherrschaft, die dann wiederum auch mittelbar oder gemeinsam ausgeübt werden können soll. Ein derartiger Induktionsschluss übersieht, dass auch die Herrschaft über andere (= mittelbare Täterschaft) bzw. die gemeinsame Ausführungsherrschaft (= Mittäterschaft) nur durch individuelles Handeln etabliert werden kann. Damit können diese Herrschaftsformen unmöglich zugleich den sachlogischen Grund ihrer eigenen Manifestation abgeben. Vielmehr müssen sie ihrerseits erst noch auf den tieferen Grund der betätigten „Willensherrschaft“ über den eigenen Körper zurückgeführt werden, die sich im eigenen Tätigwerden des Hintermanns (§ 25 I Alt. 2) bzw. des einzelnen Komplizen (§ 25 II) manifestiert und damit die Zurechnung überhaupt erst ermöglicht. In einem Schuldstrafrecht kann es für jeden einzelnen Beteiligten immer nur um dieses eigene personale Basis-Handeln gehen.1534 Dieses liegt aber bei der mittelbaren Täterschaft in der eigenen Einwirkung auf das präsumtive Werkzeug und bei der Mittäterschaft in der individuellen Umsetzung eines kollektiv dimensionierten Handlungsprogramms.1535 1528

So Köhler, Fahrlässigkeit, 329 Fn. 8; Zaczyk, Unrecht, 102; auch bereits Paeffgen, Verrat, 114 f. 1529 Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 150, 152 ff. 1530 s. dazu Searle, Kollektive Intentionalität, 99 (109) [Begriffspaar ebenda]. 1531 Vgl. dazu Puppe, in: NK, § 15 Rn. 100 f.; dies., GA 1984, 101 (117); Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 156; zur sozialen Notwendigkeit einer Willensobjektivation s. Paeffgen, Verrat, 112, 116, 123. 1532 Eingehend und instruktiv dazu Schild, in: NK, § 25 Rn. 2, 11, 17, 29, 32; ders., in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 152 ff., 332 a.E.; zur vorsatzdogmatischen Herleitung des Kriteriums der nach praktischem Erfahrungswissen tauglichen Erfolgsmethode s. eingehend Puppe, in: NK, § 15 Rn. 68 ff. 1533 In: Unterlassungsdelikte, 236; ders., in: LK, § 25 Rn. 39. 1534 s. etwa nur Stein, Beteiligungsformenlehre, 81, m.w.N.; Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 278 ff. 1535 Schilling, Verbrechensversuch, 100 ff.; Schild, Täterschaft, 12 ff., 47 f.; ders., in: NK, § 25 Rn. 13 ff. (16 f.), 125 ff.; ders., in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 160 f., 162 f.

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4. Kap.: Bezugnahme des § 25 auf die Sanktionstatbestände

V. Herrschaft als wirkliche Beherrschbarkeit durch prinzipielle Willens(- und Wissens)macht1536 Wie gesehen, erweist sich selbst Schünemanns Hinweis auf die absolute Herrschaft der Person bzw. des Willens über den eigenen Körper bei näherer Betrachtung noch als zu ungenau. Denn stets mitgedachte Voraussetzung für die Annahme einer solchen absoluten Herrschaft ist ja, dass die Person im Handlungszeitpunkt „psychophysisch intakt“ ist,1537 was aber bedeutet: Die Körperbewegungen selbst erweisen sich als Inhalt der wirklichen, prognostischen Beherrschbarkeit ex ante.1538 Sie müssen ihrerseits auf den steuernden Willen zurückgeführt werden, der den eigenen Körper gleichsam als „Werkzeug“ zu seiner physischen Selbstverwirklichung einplant1539 und sich in den Körperbewegungen äußert – die dadurch zu seinem intentionalen Handeln werden. Mit Schild1540 lässt sich deshalb insgesamt festhalten: „Ex ante ist ist die Beherrschbarkeit erst noch eine Theorie, ein Wissen um Gesetzmäßigkeiten (Kausalität) und Zusammenhänge, ein pragmatisches Erfahrungswissen, also insgesamt ein Wissen, das Welzel als für die Dimension der Finalität maßgebend erkannt und angegeben hat, weil es den Wissenden befähigt, die kausalgesetzlich ablaufende Welt zu lenken (auf das Ziel hin, das der Wille sich setzt). Ex ante kann man nur von einer potentiellen, erkennbaren, vorhersehbaren, planbaren Beherrschung sprechen (…). Ex ante ist daher nur eine Prognose möglich, die im besten Fall auf eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit gehen kann (…).“

Es erweist sich also, dass selbst die den Willen unmittelbar umsetzende Körperbewegung nicht absolut beherrscht, sondern ihrerseits Gegenstand des externen Beherrschbarkeitszusammenhangs ist. Diese Einsicht führt aber den Ansatz bei der willentlich gesteuerten Körperbewegung als Handlungserlebnis keineswegs ad absurdum, denn: Für das selbstreferentielle Subjekt beginnt die personale Außenweltgestaltung erst „mit und in der Tat“1541. Hinter dieses ursprüngliche Handlungserlebnis, das mit der aktivierten Herrschaft des Willens über den Körper zusammenfällt, kann aus sozialontologischer Sicht nicht zurückgegangen werden.

1536

Die Überschrift ist übernommen von Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 152. Schünemann, Unterlassungsdelikte, 235 f. (Zitat auf S. 235). 1538 Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 154. 1539 Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 154. 1540 In: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 153. 1541 Zitat nach Puppe, GA 1984, 101 (117); fast gleichlautend dies., in: NK, § 15 Rn. 100; allgemein auch Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 156. 1537

E. Tatherrschafts- als Zurechnungslehre

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VI. Die Betätigung eines intentionalen Selbstverwirklichungswillens als unhintergehbare Grundlage der Zurechnung und Implikationen für die Täterbestimmung Wie gesehen, kann man von einer wirklichen „Tatherrschaft“ im seinsmäßigen Sinne nur dann sprechen, wenn ein Einzelner das Tatgeschehen bis zum Erfolg hin unter seiner eigenhändigen Kontrolle behält („Handlungsherrschaft“). Für die Tatbestandshandlungstypen der § 25 I Alt. 2, II muss der Begriff dagegen normativ aufgeladen werden („Willensherrschaft“, „funktionelle Mitherrschaft“). Aber auch dann, wenn ein unmittelbarer Alleintäter das Geschehen nicht bis zum Erfolg hin in der Hand behält (also etwa schon beim Pistolenschuss auf einen Menschen!), muss eine normative Zurechnungsgrundlage ausgewiesen werden, die es erlaubt, den Akteur ex post zum Tatherrn zu machen. Die damit erforderlich werdende Suche nach dem sachlogischen Grund der Zurechnung mündet zwangsläufig in einen Ableitungszusammenhang ein, der letztlich auf denjenigen Ausgangspunkt zurückweist, in dem Sachlogik und Herrschaftsprinzip wirklich konvergieren: das unmittelbare körperliche „Ansetzen zum Umsetzen“1542 eines ex ante erfolgstauglichen Selbstverwirklichungsprogramms, in dem zugleich die physische Manifestation der „Willensherrschaft“ über den eigenen Körper liegt. Der Rekurs auf gerade dieses Handeln ist dabei nicht nur als eine zwingende Vorgabe des Schuldprinzips1543 hinzunehmen. Denn es ist ja keineswegs Zufall, dass das Schuldprinzip an die unmittelbare Umsetzung eines intentionalen Selbstverwirklichungswillens anknüpft. Es tut dies, weil einzig der aus sich heraus zum Handeln ansetzende und sich darin selbst erfahrende Wille die sachlogische Grundlage der personalen Zurechnung ist und sein kann. Dieses Handlungserlebnis ist als Ausgangspunkt unbedingt und unhintergehbar, kann also weder bis zum Eintritt eines konkreten Gefahrerfolgs retardiert noch durch Verweis auf vorangehende Prozesse (wie den unbeherrschbaren Prozess der neuronalen Willensbildung) ad absurdum geführt werden. Damit kann der „angemessene systematische Ort der Täterbestimmung“ nur dieses wirklich ex ante konzipierte Handlungsunrecht sein.1544 Täterschaft ist also (auch) aus der Perspektive einer auf ihren letzten Grund zurückgeführten Tatherrschaftslehre nicht ein Zurechnungs-, sondern ein Handlungsunrechtstypus.1545 Analysiert man nun diesen Handlungsunrechtstypus zu Illustrationszwecken von seiner Breiten- bis zu seiner Tiefenstruktur hin (was freilich bedeutet, das konkrete Handlungsunrecht künstlich aufzuspalten), so ergeben sich für die allgemeine Täterpflichtverletzung folgende Voraussetzungen: Erstens muss die physische Externalisierung eines konkreten Intentionalzustandes gegeben sein, also ein willentlich kontrolliertes Tätigwerden, was Steuerungsfähigkeit im Tatzeitpunkt impliziert 1542

Vgl. Schild, in: NK, § 25 Rn. 139. Vgl. dazu nur etwa Paeffgen, Verrat, 122; Stein, Beteiligungsformenlehre, 81. 1544 Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 113 (Zitat ebenda [Hervorhebung auch im Original]). 1545 Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 113, 155; auch Brammsen, NStZ 2000, 337 (340). 1543

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4. Kap.: Bezugnahme des § 25 auf die Sanktionstatbestände

(= „Basis-Akt“).1546 Zweite Prämisse ist die prinzipielle Erfolgstauglichkeit des Handlungsprogramms nach allgemeinen Kausalgesetzen und/oder Erfahrungswerten.1547 Diese beiden Voraussetzungen gelten freilich für jede Beteiligung, weshalb Täterschaft und Teilnahme sich in der „Breitendimension“ der realontogischen Erfolgstauglichkeit nicht kategorial unterscheiden.1548 Jedoch verbietet die Täterverhaltensnorm ausschließlich Programme eines originären intentionalen Rechtsgutszugriffs. Diese dritte, handlungstheoretische, Prämisse korreliert mit dem verhaltensnormteleologischen Axiom, wonach die rechtsgüterschützenden Verbote primär an die Entscheidungsträger adressiert sind.1549 Damit ist der materiale Unterschied zwischen Täterschaft und Teilnahme sachlogisch hergeleitet (aus dem vorrechtlichen Handlungsbegriff) und unrechtssystematisch loziert (im allgemeinen Handlungsunrecht). Freilich muss gesehen werden, dass damit im Ansatz eine handlungstheoretische Distinktion nach Intentionalzuständen vorgeschlagen ist. Dies bedeutet in der Sache eine „Subjektivierung der Täterlehre“1550, der man eine konzeptionelle Nähe zur (wohl „theorielosen“1551) Rechtsprechung unterstellen kann.1552 Sachliche Übereinstimmung besteht jedoch nur im prinzipiellen Ansatz beim Handlungsprogramm ex ante, nicht im Hinblick auf die Bestimmung des materialen Programmgehalts: Gefragt ist hier nicht bloß ein motivlicher Aneignungswille, der die Tat als eigene oder im eigenen Interesse will, sondern ein in der Anlage zur intentionalen Selbstverwirklichung taugliches Handlungsprogramm.1553 Dennoch bleibt es aber dabei, dass das täterschaftliche Handlungsunrecht sich in realontologischer Hinsicht (d. h. die prinzipielle Erfolgseignung betreffend) nicht grundlegend vom teilnehmerschaftlichem unterscheidet. Diese Prämisse mag so manchem Strafrechtswissenschaftler Unbehagen bereiten. Denn es ist ja keineswegs Zufall gewesen, dass die Tatherrschaftslehre als materiell-objektive Täterlehre reüssieren konnte. Vielmehr existiert ein im „Unterbewusstsein“ der überkommenen Beteiligungslehre tief verwurzelter Glaube, der in der – wenn auch zunehmend normativierten – Tatherrschaftslehre fortlebt: Eigentlich, so möchte man meinen, müsste doch dem auf Geschehensbeherrschung ausgerichteten Tatherrschaftswillen ex ante auch objektiv eine höhere Durchsetzungsfähigkeit und damit Erfolgsge1546

Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 154 ff. (156). Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 154 ff.; Stein, Beteiligungsformenlehre, 81. 1548 Freund, AT, § 10 Rn. 47, 67, 110; Schild, in: NK, § 25 Rn. 29 f.; ders., in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 281 ff., 328 ff. 1549 s. zu diesem Axiom nochmals Schünemann, in: LK, § 25 Rn. 38. 1550 So zutr. Schild (in: NK, § 25 Rn. 32) im Hinblick auf seine eigene beim Handlungsprogramm ex ante ansetzende Beteiligungslehre. 1551 Eingehend dazu Schild, in: NK, § 25 Rn. 33 (35 f., 44). 1552 s. dazu bereits Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 199 sowie ders., in: NK, § 25 Rn. 70. 1553 Vgl. zu dieser wesentlichen Differenz bereits Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 155. 1547

F. Regelungszweck der Verbotsnormen und Handlungsgefährlichkeit ex ante

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fährlichkeit eignen als dem derivativ ausgestalteten Teilnahmewillen.1554 Dann aber könnte doch unmittelbar auf die verschiedenen Handlungs- als materielle Gefährlichkeitstypen rekurriert werden. Dieser Gedanke wirkt wohl auch heute noch subkutan nach, wenn bei der mittelbaren Täterschaft auf die Herrschaft über das Werkzeug und bei der Mittäterschaft auf die positive Gestaltungs- und/oder negative Hemmungsmacht des einzelnen Komplizen rekurriert wird. Dass dieser Ansatz umso mehr in Erklärungsnöte gerät, je weiter er den Handlungsbegriff normativiert und zum „Tatherrschaftswillen“ ex ante hin denkt, hatte sich bereits gezeigt. Dennoch bleibt aber zu fragen, ob nicht vielleicht das „nackte“ Gefährlichkeitskriterium unter Einhaltung der strikten Ex-Ante-Perspektive bessere Dienste leisten könnte. Wäre eine normative Abgrenzung der Beteiligungshandlungen nach Erfolgswahrscheinlichkeitsgraden ex ante tatsächlich durchführbar, so vertrüge sich dies jedenfalls vorzüglich mit dem Zweckgedanken des Rechtsgüterschutzes, weshalb eine Analyse dieses Ansatzes geboten erscheint.

F. Regelungszweck der Verbotsnormen und Handlungsgefährlichkeit ex ante als Differenzierungsmerkmal: Die Gefährlichkeitslehren (stellvertretend: Perten) Die Täterlehre hat seit jeher Theorien hervorgebracht, die den Grad der objektiven Erfolgseignung oder -gefährlichkeit ex ante direkt oder indirekt zum Kriterium für die Abgrenzung der Beteiligungsformen erhoben haben. Letztlich spielt dieser Gedanke bei nahezu allen Lehren eine (tragende) Rolle, die sich in buntem Facettenreichtum unter dem Oberbegriff der „materiell-objektiven Theorien“1555 tummeln.1556 Es ist hier weder erforderlich noch möglich, auf all diese Modelle im Besonderen einzugehen. Es genügt, sich das Gefährlichkeitsprinzip dort vorzunehmen, wo es in Reinform, eben als „Gefährlichkeitstheorie“1557, vertreten wird. Für diesen Zweck geradezu prädestiniert ist die Lehre Pertens, der die Unterscheidung zwischen Täterschaft und Teilnahme auf eine „(…) verschiedene generelle Gefährlichkeit dieser Handlungen (…)“ gründen wollte.1558 Perten setzt mit der obligatorischen Erkenntnis ein, dass die Gefährlichkeit im konkreten Fall schon per definitionem keine geeignete Grundlage für eine Differenzierung zwischen notwendig abstrakt-generell umschriebenen Beteiligungs1554 So für die „Organisationsherrschaft“ neuerdings ausdrücklich Roxin, Krey-FS (2010), 449 (457 f.); ders., Schroeder-FS (2006), 387 (398 f.); s. zur Konnotation von Tatherrschaft und Erfolgssicherheit auch bereits Schroeder, Täter, 146, 150. 1555 s. zur Historie der materiell-objektiven Theorien und ihren einzelnen Spielarten m.w.N. Roxin, TuT, 38 ff. 1556 Roxin, TuT, 31 f. 1557 Einen Überblick über die Gefährlichkeitslehren liefert Perten, Beihilfe, 34 ff. 1558 Beihilfe, 62, 82 (Zitat auf S. 62).

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4. Kap.: Bezugnahme des § 25 auf die Sanktionstatbestände

handlungstypen sein könne.1559 Es könne daher von vornherein nur darum gehen, zu eruieren, inwieweit insbesondere der milder bestrafte Typus der Beihilfehandlungen ex-ante1560 in einem abstrakt-generellen Sinne minder gefährlich sei als andere strafbare Handlungstypen.1561 Den tragenden Grund für eine solche typischerweise geringere Gefährlichkeit verortet Perten nun in der Art der Bedingung, von der die Beihilfehandlung naturgemäß abhängig ist: dem Hinzutreten der vorsätzlichen Verbrechenshandlung eines anderen, eines fremden verbrecherischen Willens, der zwischen der Teilnahmehandlung und dem Erfolg stehe.1562 Der Eintritt dieser speziellen Bedingung sei vergleichsweise unwahrscheinlich, da für ihre Nichtexistenz in den vom Verbrechen abhaltenden sozialen Motiven wirksame Garantien bestünden.1563 Wegen der „ungeheure(n) Bedeutung“1564 dieser sittlichen Triebkräfte stellten Handlungen, deren Wirksamkeit für den Erfolg durch die spätere vorsätzliche Handlung eines anderen Menschen bedingt seien, einen minder gefährlichen Handlungstypus dar als diejenigen, deren Wirksamkeit nicht in dieser Weise vermittelt sei.1565 So liege es zunächst im Hinblick auf die Gruppe der Beihilfe begründenden Handlungen.1566 Demgegenüber eigne der Anstiftungshandlung trotz ihrer Bedingtheit durch fremden Verbrechensentschluss eine höhere Erfolgswahrscheinlichkeit.1567 Denn sie unterscheide sich von der Beihilfe zum einen dadurch, dass sie diesen so gefährlichen Willen selbst hervorrufe und ihn nicht bloß als eine von ihr unabhängige Kraft erwarte.1568 Zum anderen figuriere sie aber auch als Angriff auf die Grundlagen der Rechtsordnung überhaupt, denn der Anstifter gefährde zugleich mittelbar alle anderen Rechtsgüter, indem er die sittlichen Triebkräfte im Inneren des Angestifteten bekämpfe und diesen so für die Begehung weiterer Straftaten anfällig mache.1569 Eine mittelbar-täterschaftliche Handlung hingegen sei ex ante typischerweise gefährlicher als jede Teilnahmehandlung, da der Hintermann sich hier eines anderen bediene, dem dieser Erfolg nicht zum Vorsatz zugerechnet werden könne; deshalb müsse er mit einem Auftreffen auf die psychischen Gegenkräfte dieses anderen nicht oder doch nur in geringerem Maße rechnen.1570

1559 1560 1561 1562 1563 1564 1565 1566 1567 1568 1569 1570

Beihilfe, 62. Zum konsequenten Einnehmen einer strikten Ex-ante-Perspektive s. Beihilfe, 65 ff. Beihilfe, 62 f. Beihilfe, 89. Beihilfe, 89 ff. (91). Beihilfe, 89. Beihilfe, 91, 94 f. Beihilfe, 98 ff. Beihilfe, 143 ff. Beihilfe, 143 f. Beihilfe, 144 f. Beihilfe, 127.

F. Regelungszweck der Verbotsnormen und Handlungsgefährlichkeit ex ante

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Dieses Konzept aus dem Jahre 1918 erweist sich in zweierlei Hinsicht als recht „avantgardistisch“: Zum einen hebt es im Gegensatz zur „klassischen“ Unrechtslehre nicht auf das tatbestandliche Unrecht als Gegenstand beteiligungsrechtlicher Zurechnung1571 ab, sondern zentral auf den vollständig personalisierten Verhaltenspflichtverstoß ex ante.1572 Zum anderen gründet es die Differenzierung der einzelnen Handlungsunrechtstypen auf Topoi, denen auch heute noch (stillschweigend) Relevanz für die Abgrenzung der Beteiligungsformen beigemessen wird. Das gilt insbesondere für den axiomatischen Rekurs auf die vom Verbrechen abhaltenden sittlichen Triebe, die den Eintritt einer fremden vorsätzlichen Verbrechenshandlung ex ante vergleichsweise unwahrscheinlich machen sollen.1573 Trotz (oder vielmehr gerade wegen) dieses Rekurses auf heute noch gängige Relevanzkriterien vermag diese Gefährlichkeitslehre aber nicht zu überzeugen. Zu bezweifeln ist schon die Grundannahme, man könne die verschiedenen Beteiligungsakte gleichsam more geometrico1574 nach dem Kriterium der Erfolgswahrscheinlichkeit abgrenzen. So ist etwa für den Anstifter das erfolgreiche Gelingen seiner Korrumpierungsstrategie keineswegs generell unwahrscheinlicher als für den mittelbaren Täter das erfolgreiche Gelingen seiner Instrumentalisierungsstrategie: Hier wie dort kann der Planende das fremde Verhalten mal mehr, mal weniger genau prognostizieren,1575 wobei vor allem den sozialen Realitäten, mit denen geplant wird, entscheidende Bedeutung zukommt.1576 Folglich ist mit Herzberg1577 zu konstatieren, dass mittelbar-täterschaftliche Handlungen, die auf einen ahnungslosen Irgendwer, einen Geisteskranken oder ein Kind als Werkzeug setzen, ex ante keineswegs erfolgssicherer sind als Anstiftungshandlungen.1578 Eine in sich konsistente Gefährlichkeitslehre müsste daher sämtlichen „tatfernen“ Beteiligungshandlungen gleichermaßen eine typischerweise geringere Erfolgswahrscheinlichkeit bescheinigen, mit der Konsequenz, dass sich das Gefährlichkeitskriterium selbst ad absurdum führte.1579 1571 1572 1573

202 ff. 1574

Zu Recht krit. dazu Stein, Beteiligungsformenlehre, 89 ff. Das bewertet auch Stein (Beteiligungsformenlehre, 182) als „modern“. s. dazu aus heutiger Sicht etwa Zaczyk, in: NK, § 30 Rn. 7; Heinrich, Rechtsgutszugriff,

Paradigmatisch i.d.S. aber Perten, Beihilfe, S. 83 f., 170. So zutr. etwa Stein, Beteiligungsformenlehre, 185. 1576 s. eingängig dazu Schild, in: NK, § 25 Rn. 30. 1577 In: Verantwortung, 33 (42); ebenso Renzikowski, Täterbegriff, 89; Stein, Beteiligungsformenlehre, 185. 1578 Der Einwand trifft auch die Konzeption Schroeders. Dieser will bei „Benutzung eines Tatentschlossenen“ (Täter, 143 ff., 166 ff.) die mittelbare Täterschaft des Hintermannes darauf stützen, dass hier das für die Anstiftung typische Auftreffen auf die psychischen Gegenkräfte des Vordermannes entfalle (Täter, 150, 196 f.). Auch diese Annahme setzt sich jedoch in Widerspruch zu der unhinterfragten Unterstellung einer realiter oft nicht bestehenden Erfolgssicherheit in den idealtypischen Konstellationen mittelbarer Täterschaft (Stein, Beteiligungsformenlehre, 186). 1579 Stein, Beteiligungsformenlehre, 184 f. 1575

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4. Kap.: Bezugnahme des § 25 auf die Sanktionstatbestände

Auch die axiologische Unterscheidung von Anstiftung und Beihilfe ist nach dem Gefährlichkeitskriterium undurchführbar. Denn da die Beihilfehandlung typischerweise mit Blick auf ein bereits vorhandenes fremdes Tatvorhaben erbracht wird, steht doch außer Frage, dass ihre Erfolgswahrscheinlichkeit eben gerade nicht typischerweise weniger groß ist als diejenige der Anstiftungshandlung.1580 Noch mehr: Wenn es überhaupt einen Handlungstypus gibt, bezüglich dessen man von einem idealtypischen Auftreffen des Hintermannes auf die Hemmungskräfte des eingeplanten anderen sprechen könnte, dann ist dies doch die Anstiftungshandlung.1581 Angesichts dieser Kalamität verlegt Perten sich auf das Argument, dass das Hinwirken auf die Entstehung eines (scil.: neuen) verbrecherischen Willens die Erfolgswahrscheinlichkeit typischerweise mehr erhöhe als der bloße Beitrag zu einem schon unabhängig gefassten Tatentschluss: Da die Anstiftung den verbrecherischen Willen erst hervorrufe und in Bewegung setze, sei sie ex ante erfolgsgefährlicher als die Beihilfe.1582 Diese Argumentation camoufliert das Problem aber nur, anstatt es zu lösen: Dass allein Anstiftungsakte die Verbrechensrate erhöhen, mag ja sein. Fraglich ist aber, ob sie ex ante erfolgssicherer sind als Beihilfeakte – was gerade zu negieren ist.1583 Pertens zusätzliches Argument, der Anstifter sei auch deshalb besonders gefährlich, weil er durch die Korruption des Angestifteten mittelbar die Grundlagen der Rechtsordnung überhaupt angreife,1584 kann ebenfalls nicht überzeugen. Denn die abstrakte Gefährlichkeit einer Erosion der Rechtsordnung kann niemals Grundlage eines konkreten rechtsgüterschützenden Handlungsverbots sein.1585 Damit bleibt es bei der Unmöglichkeit, die im Verhältnis zur Beihilfe erhöhte Strafwürdigkeit der Anstiftung auf eine typischerweise höhere Erfolgssicherheit der Anstiftungshandlung ex ante zurückzuführen. Nach alledem kann zum hiesigen Ansatz zurückgekehrt werden. Er fasst in Anlehnung an Gallas das täterschaftliche Handlungsunrecht als „(…) Objektivierung eines planenden Willens (…)“ auf und stellt „(…) an den Inhalt der Objektivierung bestimmte Anforderungen (…)“1586. Mit den an das täterschaftliche Handlungsprogramm zu stellenden Inhaltsanforderungen ist jedoch entgegen Gallas nicht etwa die „(…) ,Erfolgsnähe‘ der angewandten Mittel (…)“1587 gemeint. Denn wie mittlerweile umfassend herausgearbeitet ist, gibt das Kriterium der „Erfolgsnähe“ als Abgrenzungskriterium gerade nichts her. Der Parameter der Erfolgstauglichkeit ist vielmehr i.S.e. Relationsbegriffs zu verstehen, der auf den konkret betätigten Programmgehalt bezogen werden muss: Entscheidend ist allein, ob handlungstheore1580 1581 1582 1583 1584 1585 1586 1587

s. auch Stein, Beteiligungsformenlehre, 184. So konsequent Schroeder, Täter, 146, 150, 196; ders., JR 1995, 177 (178). Beihilfe, 143 f. Ähnlich auch Stein, Beteiligungsformenlehre, 184. Beihilfe, 144 f. So zutr. Stein, Beteiligungsformenlehre, 184. Gallas, in: ZStW-Sonderheft Athen (1957), 3 (13). Gallas, in: ZStW-Sonderheft Athen (1957), 3 (13).

G. Der verhaltensnormtheoretische Ansatz Steins

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tisch betrachtet ein eigener Rechtsgutszugriff geplant ist – dann Täterschaft – oder ob ausschließlich fremder Rechtsgutszugriff zur Erfolgsherbeiführung eingeplant wird – dann (allenfalls) Teilnahme. Über die Täterschaft entscheidet also der programmatisch umgesetzte Intentionalzustand. Er ist der subjektiv-objektive Kristallisationspunkt aller Zurechnung. Denn über diesen letzten, wirklichen Zurechnungsgrund hinaus existieren schlicht keine sachlogischen Relevanzkriterien, an derer eine beteiligungsrechtliche Abgrenzung bruchlos ausgerichtet werden könnte. Insbesondere das Tatherrschaftskriterium hilft hier nicht weiter, denn jede Herrschaft ist das Produkt einer prognostischen Beherrschbarkeit ex ante, die selbst bis in die neuronalen Prozesse hinein ad absurdum geführt werden kann.

G. Der verhaltensnormtheoretische Ansatz Steins Allerdings existiert in der strafrechtswissenschaftlichen Beteiligungslehre noch ein weiterer Ansatz, der Täterschaft und Teilnahme als unterschiedliche Verhaltenspflichtverletzungstypen auffasst und die Differenzierung der entsprechend disparaten Verbotsnormen (oder im Falle des Unterlassens: Gebotsnormen) aus den allgemeinen Wertungszusammenhängen eines vollständig personalisierten Straftatsystems deduziert. Gemeint ist die Lehre Steins, die auf dem Terrain der überkommenen Beteiligungsformendogmatik wie ein „erratischer Block“1588 anmutet.

I. Die Stein’sche Konzpetion im Einzelnen Auch Stein geht davon aus, dass die in der lex lata vorgesehenen Beteiligungsformen durch unterschiedliche Verhaltensnormen verboten werden.1589 Diese Erkenntnis deduziert er zunächst als „bloße Sprachregelung“1590 aus den §§ 25 ff., führt sie dann aber auch wertungsmäßig auf den teleologischen Gesichtspunkt einer unterschiedlich hohen „Normdringlichkeit“1591 zurück. Stein beginnt seine Überlegungen mit der zutreffenden Erkenntnis, dass die Ausrichtung strafrechtlicher Dogmatik an den verfassungsrechtlichen Systemvorgaben (Verhältnismäßigkeits- und Gleichheitsgrundsatz, Tatschuldprinzip) zur Anerkennung einer allgemeinrechtlichen Verhaltensnormebene zwinge, die vom strafrechtlichen Sanktionenrecht strikt zu trennen sei.1592 Auf dieser Verhaltensnormebene gehe es um die „(…) Ausdifferenzierung eines (i.S.d. Verhältnismäßig1588

Küper, ZStW 105 (1993), 445 (446). Beteiligungsformenlehre, 67 f., 222. 1590 Beteiligungsformenlehre, 68. 1591 Beteiligungsformenlehre, 75 ff. (Begriffserläuterung); 223 ff. (Einführung als Wertungsgesichtspunkt). 1592 Beteiligungsformenlehre, 65 ff. 1589

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4. Kap.: Bezugnahme des § 25 auf die Sanktionstatbestände

keitsgrundsatzes) ausgewogenen Systems von Verhaltenspflichten und Verhaltensfreiheit“1593. Ein solches System sei aber nach dem Prinzip von der Einheit der Rechtsordnung nur als ganzheitliche, für alle Rechtsgebiete einheitlich geltende, Normenordnung denkbar.1594 Auch könne nicht einfach nur zwischen erlaubtem und verbotenem Verhalten per se differenziert werden, sondern es müsse zudem der Dringlichkeitsgrad der einzelnen Verhaltensnormen berücksichtigt werden: Die Dringlichkeit bezeichne das Maß, in dem die einzelpflichtbegründenden Aspekte die Verhaltensfreiheit überwögen;1595 generiere eine Verhaltensnorm i.d.S. dringlichere Einzelpflichten als eine andere, so sei sie insgesamt die dringlichere Verhaltensnorm;1596 je dringlicher aber die Verhaltensnorm ausfalle, desto mehr schränke sie die Verhaltensfreiheit ein und vice versa.1597 Mit dem „Rüstzeug“ dieser Vorüberlegungen geht Stein nun die Strukturfragen der Beteiligungsformenlehre an: Konsequent definiert er die einzelnen Beteiligungsformen als unterschiedliche Verhaltensweisen ex ante, die von verschiedenen Verboten erfasst würden. Der Unterschied zwischen den Beteiligungshandlungen liege dabei in der Art des möglicherweise eintretenden rechtsgutsverletzenden Kausalverlaufs, die für die einzelnen Verhaltensweisen in Anlehnung an die Syntax der §§ 25 ff. schon sprachlich unterschieden werden könne.1598 Aber auch die den Beteiligungsvorschriften zugrunde liegenden axiologischen Differenzen müssten bereits auf der Ebene der Verhaltensnormen angesiedelt sein.1599 Die Konsequenz dieser von Stein vorgenommenen Lozierung liegt auf der Hand: Es kann nur um den Aufweis gehen, dass den verschiedenen Verbotsnormen auch unterschiedliche Dringlichkeitsgrade im Sinne Steins korrespondieren. Da nun aber Stein insbesondere das nahe liegende Gefährlichkeitskriterium ausdrücklich als Dringlichkeitsparameter verwirft,1600 muss er für die angestrebte Dringlichkeitsdifferenzierung ein anderes, genuin normatives Abschichtungsprinzip einführen. Auf ein ebensolches Axiom, das der Gesetzgeber bei der Ausdifferenzierung der Verhaltensnormen wertungsmäßig berücksichtigt habe, greift Stein denn auch zurück: Soweit die Ausgewogenheit des Verhältnisses zwischen Verhaltensfreiheit und Verhaltenspflichten nicht gestört werde, lege der Gesetzgeber das Hauptaugenmerk bewusst auf diejenigen Verhaltenspflichten, die möglichst wenig soziale Kontakte erzwängen, um so eine eher individualistische Form der Persönlichkeitsentfaltung zu ermöglichen. Diese rechtspolitische Zielsetzung beziehe ihre sachliche Legitimation

1593 1594 1595 1596 1597 1598 1599 1600

Beteiligungsformenlehre, 71. Beteiligungsformenlehre, 73 ff. Beteiligungsformenlehre, 76. Beteiligungsformenlehre, 76 f. Beteiligungsformenlehre, 77. Beteiligungsformenlehre, 67 f., 85, 98, 221 f. Beteiligungsformenlehre, 222. Beteiligungsformenlehre, 181 ff.

G. Der verhaltensnormtheoretische Ansatz Steins

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aus dem individualistischen Element im Menschenbild des Grundgesetzes.1601 Auf besagtem Axiom beruhe u. a. auch die Unterscheidung zwischen täterschaftlichen und teilnehmerschaftlichen Verhaltensnormen: Der Normadressat solle gemäß der legislatorischen Zielvorgabe tendenziell davon entlastet werden, mögliches pflichtwidriges Verhalten Dritter in Rechnung stellen zu müssen. Deshalb würden in stärkerem Maße solche Verhaltensweisen verboten, deren Gefährlichkeit nicht durch das mögliche pflichtwidrige Verhalten anderer vermittelt werde.1602 Im verbleibenden Regelungsbereich stelle das Gesetz überall dort, wo eine Entlastung des Normadressaten schon nach ihrer Zielvorgabe oder aber aus Gründen der „Schutzeffektivität des Verhaltensnormensystems“1603 nicht in Betracht komme, Verhaltensnormen mit etwas größerer Dringlichkeit auf – nämlich Täter- und Anstifternormen –, wohingegen es sich dort, wo die Entlastungstendenz Platz greife, mit Verhaltensnormen von geringerer Dringlichkeit – d. h. mit Gehilfennormen – begnüge.1604 Nach diesen Leitlinien scheide für die unmittelbar-täterschaftlichen Verhaltensnormen eine Dringlichkeitsminderung schon gemäß der Zielvorgabe aus, denn wo ein pflichtwidriges Fremdverhalten gar nicht im Raum stehe, müsse auch nicht von der Notwendigkeit zu seiner Berücksichtigung entlastet werden. Gleiches gelte für diejenigen mittelbar-täterschaftlichen Verhaltensnormen, bei denen die Gefährlichkeit des Verhaltens durch das künftige pflichtgemäße Verhalten eines anderen vermittelt werde.1605 Im verbleibenden Hauptfeld der mittelbaren Täterschaft, wo die Verhaltensgefährlichkeit des Hintermanns durch das künftige pflichtwidrige Verhalten eines anderen vermittelt sei, werde dagegen die grundsätzliche legislatorische Dringlichkeitsentlastungsvorgabe erstmals aus Gründen der Schutzeffektivität des Verhaltensnormensystems überspielt. Denn eine Dringlichkeitsminderung der Hintermannspflicht lasse sich nur dort legitimieren, wo bereits dem Vordermann eine vollwertige, der Gefährlichkeit seines Tuns vollumfänglich gerecht werdende Verhaltenspflicht auferlegt sei, deren Bestimmungswirkung auch nicht durch einen Mangel an Pflichtbefolgungsfähigkeit infrage gestellt sei.1606 Deshalb verböten die mittelbar-täterschaftlichen Verhaltensnormen als zweite Teil-Fallgruppe solche Verhaltensweisen, deren Gefährlichkeit zwar durch das künftige pflichtwidrige Verhalten eines anderen vermittelt sei, jedoch die den Vordermann treffende Verhaltenspflicht nicht vollwertig sei und/oder ein Mangel an Pflichtbefolgungsfähigkeit des Vordermannes vorliege.1607

1601 1602 1603 1604 1605 1606 1607

Beteiligungsformenlehre, 228 ff. (231), 235 f. Beteiligungsformenlehre, 236. So Beteiligungsformenlehre, 321. Beteiligungsformenlehre, 236 f. Beteiligungsformenlehre, 238 f. Beteiligungsformenlehre, 240. Beteiligungsformenlehre, 240.

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4. Kap.: Bezugnahme des § 25 auf die Sanktionstatbestände

In entsprechender Weise seien auch die Anstifterverhaltensnormen von einer spezifischen Gesetzeswertung getragen, die einer Dringlichkeitsminderung sogar entgegenstehe, obwohl dem Vordermann eine vollwertige Verhaltenspflicht auferlegt sei und er die volle Pflichtbefolgungsfähigkeit besitze. Denn das Gesetz setze prinzipiell auf die motivierende Kraft der den Vorderleuten auferlegten Verhaltenspflichten, weshalb eine Dringlichkeitsminderung nur in Betracht komme, wenn gleichsam ein „Schutzwall“ von Verhaltenspflichten bei ungeschmälerter Motivationsfähigkeit der Vorderleute bestehe.1608 Gerade diesen Schutzwall „durchlöchere“ aber der Anstifter, indem er unmittelbar die Motivationskraft der Verhaltenspflichten angreife, weshalb die hieran anknüpfende Verbotsnorm eine ungeminderte Dringlichkeit aufweisen müsse.1609 Eine erhöhte Normdringlichkeit eigne auch den mittäterschaftlichen Verhaltensnormen. Sie beträfen Konstellationen, in denen die Verhaltensgefährlichkeit eines Hintermannes durch das Verhalten eines Vordermannes vermittelt werde, dem eine vollwertige Verhaltenspflicht bei uneingeschränkter Pflichtbefolgungsfähigkeit auferlegt sei.1610 Den Vordermann selbst hingegen treffe bereits eine unmittelbartäterschaftliche Pflicht, wobei gleichzeitig agierende Komplizen als „Hinterleute“ i.S.d. Nomenklatur anzusehen seien.1611 Nun kennzeichneten die genannten Prämissen freilich auch die Teilnahme, weshalb für die Mittäterschaft ein zusätzlicher Differenzierungspunkt aufzuzeigen sei.1612 Dieser müsse auch hier auf die Erwägung zurückgeführt werden können, dass bei einer optionalen Dringlichkeitsminderung der Hintermannspflicht die Schutzeffektivität des Verhaltensnormensystems zu stark beschnitten werde.1613 Eine solche kompensationsbedürftige Effektivitätseinbuße liege nun speziell bei der Mittäterschaft darin, dass eine erfolgreiche Motivierung des Vordermannes durch die Verhaltenspflicht unter Zeitaspekten und aufgrund schon vorhandener Neigung zur Pflichtverletzung praktisch nicht mehr erwartet werden könne.1614 Die mittäterschaftlichen Verhaltensnormen erfassten demnach Verhaltensweisen, deren Gefährlichkeit durch das künftige Verhalten eines Vordermanns vermittelt sei, dem zwar eine vollwertige Verhaltenspflicht auferlegt sei und der die ungeschmälerte Pflichtbefolgungsfähigkeit besitze, bei dem jedoch andererseits der Motivationsprozess schon so weit in Richtung auf die Pflichtverletzung fortgeschritten sei und das geplante pflichtwidrige Verhalten schon so nahe bevorstehe, dass die Pflicht praktisch keine Chance mehr habe, ihre Bestimmungswirkung zu entfalten.1615 1608 1609 1610 1611 1612 1613 1614 1615

Beteiligungsformenlehre, 242. Beteiligungsformenlehre, 243. Beteiligungsformenlehre, 320 f. Beteiligungsformenlehre, 319, 330. Beteiligungsformenlehre, 320 f. Beteiligungsformenlehre, 321. Beteiligungsformenlehre, 321. Beteiligungsformenlehre, 322.

G. Der verhaltensnormtheoretische Ansatz Steins

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Demgegenüber beruhten die Gehilfenverhaltensnormen nicht auf einer Dringlichkeitserhöhung, da der Gesetzgeber bei ihrer Aufstellung dem allgemeinen Verhaltensfreiheitsinteresse des Adressaten einen vergleichsweise höheren Stellenwert beigemessen habe. Deshalb überwögen hier die für die Pflicht sprechenden Aspekte weniger stark als in den Konstellationen der Täterschaft und der Anstiftung, mit der Folge, dass die einzelne Gehilfenverhaltenspflicht eine vergleichsweise geringere Dringlichkeit aufweise.1616

II. Kritik Diese imposante Doktrin Steins verkörpert den verhaltensnormtheoretisch rückgebundenen Gegenentwurf zu Roxins „intuitiver“ Lehre von der Zentralgestalt. Ihre Originalität besteht also, wie Küper1617 treffend herausgestellt hat, darin, dass sie eine zweckrational hergeleitete Normentheorie, die seit jeher auf den Einzeltäter zugeschnitten war, erstmals in einer umfassenden, wertungsmäßig fundierten, Weise für die Abgrenzung der Beteiligungsformen fruchtbar gemacht hat. Dieses Verdienst kann nicht hoch genug eingeschätzt werden, angesichts der Tatsache, dass die am „klassischen“ Erfolgsdenken orientierte Tatherrschaftslehre in ihren Grundfesten weiterhin nahezu einmütige Akzeptanz genießt, obwohl eine umfassende Rückbindung ihres Leitprinzips (= der „Zentralgestalt“) an übergeordnete Wertzusammenhänge nicht gelungen ist (und wohl auch nicht gelingen kann).1618 Allerdings wirft das neuartige System Steins eben auch einige speziell aus ihm erwachsende Probleme auf, die im Lichte des hiesigen Ansatzes kritisch zu beleuchten sind. Die Betrachtung wird sich dabei auf die von Stein vorgenommene verhaltensnormtheoretische Unterscheidung der Beteiligungsformen kaprizieren, die im Vergleich zum hier vertretenen Ansatz beurteilt werden soll. Herleitung und Ausgestaltung des Stein’schen Verhaltensnormensystems sollen dagegen außen vor bleiben, sofern sie nicht in die Differenzierung der Verhaltensnormen hineinspielen.1619 Um sich einen ersten Zugang zu den logisch stringent entwickelten Thesen Steins zu verschaffen, muss man sich klar machen, dass (auch) er ein orthodoxer Normentheoretiker ist. So erblickt er den für das personale Unrecht zentral maßgeblichen Verhaltensunwert in einem ex ante für das Rechtsgut gefahrschaffenden Verhalten, mit dessen Abschluss zugleich auch die maximale Tatschuld des jeweiligen Delikts verwirklicht ist. Stein hält das, nach hiesigem Dafürhalten durchaus zutreffend, für eine zwingende Konsequenz des Tatschuldprinzips. Denn in der Tat knüpft das Schuldprinzip an die dem Menschen attestierte Fähigkeit zu freiverantwortlicher 1616

Beteiligungsformenlehre, 243 f. In: ZStW 105 (1993), 445 (471). 1618 s. dazu auch nochmals Stein selbst, in: Beteiligungsformenlehre, 22 f. 1619 Küper, ZStW 105, 445 (470), meint, man werde der Eigenart von Steins Leistung nicht gerecht, wenn man von einem abweichenden Unrechtsverständnis her kommend lediglich ihren dogmatischen Sockel, die Normentheorie, ablehne. 1617

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Willensbetätigung an, von der man eben nur durch (die Entscheidung über) die Vornahme oder Nichtvornahme einer Handlung Gebrauch machen kann.1620 Folgerichtig erblickt Stein den unwertigen Rechtsgutsbezug der pflichtwidrigen Willensbetätigung in der ihr ex ante innewohnenden Möglichkeit einer Rechtsgutsbeeinträchtigung.1621 Allerdings setzt er diese Erfolgsfähigkeit des Verhaltens stillschweigend mit dem personalen Verhaltensunrecht gleich, weshalb sich die Beteiligungshandlungen für ihn lediglich phänomenologisch, d. h. nach der Art des äußeren Kausalverlaufs, unterscheiden.1622 Hierdurch wird aber die Tatsache übergangen, dass die Beteiligten mit ihren Programmen qualitativ unterschiedliche Handlungsgehalte verfolgen. Natürlich übersieht Stein diesen Aspekt keineswegs. Er bricht sich nur an einer späteren Stelle im Stein’schen System Bahn, nämlich bei der Dringlichkeitseinstufung der einzelnen Verhaltensnormen. Erst hier werden die materialen Unterschiede in der Art des Kausalverlaufs auf die Verhaltenspflichtebene zurückprojiziert und aus der prospektiven Vorstellung des Adressaten heraus beurteilt, um so zu verschiedenwertigen Pflichten zu gelangen.1623 Mit dieser Retardation verfolgt Stein offensichtlich den Zweck, in einem Zwischenschritt die angebliche Gesetzeswertung einschieben zu können, wonach der Normadressat tendenziell von der Notwendigkeit zur Berücksichtigung fremder Pflichtwidrigkeit entlastet werden soll. Es fragt sich aber, wozu dieser Einschub eigentlich dienen soll, wenn anschließend die Feinstrukturen der Beteiligungsformenlehre geradezu gegenläufig zu besagter Entlastungstendenz entwickelt werden und diese soweit neutralisieren, dass für die niedrigere Dringlichkeitsstufe nur noch die Beihilfe übrig bleibt.1624 Ein solches Vorgehen wirkt zumindest artifiziell, hätte es doch offensichtlich näher gelegen, ohne Umschweife sofort auf den konkreten Programmgehalt des jeweiligen Handlungsunrechtstypus abzustellen. Denn wo eine künftige Pflichtwidrigkeit anderer definitionsgemäß eingeplant wird, da ist doch für ein grundsätzliches Vertrauen auf deren Ausbleiben von vornherein kein Raum.1625 Es ist daher auch nicht einzusehen, warum dem voraussetzungsgemäß unrechtlich planenden Gehilfen ein tendenzielles Mehr an Verhaltensfreiheit zugesprochen werden sollte als den übrigen Beteiligten.1626 Der Aspekt der Verhaltensfreiheit ist mit der Entscheidung über das allgemeine Verbotensein der Beihilfehandlung bereits „verbraucht“, so dass er sich in der Normdringlichkeit nicht „noch gleichsam subkutan“1627 auswirken kann.1628 1620

So zutr. Stein, Beteiligungsformenlehre, 81. Beteiligungsformenlehre, 81. 1622 s. nochmals Stein, Beteiligungsformenlehre, 67 f., 85, 98, 221 f. 1623 s. etwa nur Steins Darlegungen zur Überschrift „Mittelbare Täterschaft aufgrund prognosebedingten Pflichtmangels“ (Beteiligungsformenlehre, 288 f.). 1624 So bereits Küper, ZStW 105 (1993), 445 (477, 479). 1625 So zutr. Küper, ZStW 105 (1993), 445 (477). 1626 Tendenziell übereinstimmend Haas, Theorie 63. 1627 So die passgenaue Formulierung Küpers, ZStW 105 (1993), 445 (476). 1628 Küper, ZStW 105 (1993), 445 (478 f.). 1621

G. Der verhaltensnormtheoretische Ansatz Steins

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Hinzu kommt, dass Steins „Konzeption eines ,Dringlichkeitsausgleichs‘ kraft ,Optimierung des Rechtsgüterschutzes‘“1629 auch in sich nicht stimmig ist. So bleibt zunächst normlogisch unausgewiesen, wie das prognostische Versagen künftiger Vordermannspflichten sich dringlichkeitserhöhend auf aktuelle Hintermannspflichten auswirken soll.1630 Ein solcher Dringlichkeitsausgleich kann seinen Grund jedenfalls nicht darin haben, dass der Hintermann das künftige Pflicht- bzw. Motivationsdefizit beim Vordermann einplant, denn dieser Aspekt kann nur für die Begründung seiner eigenen Pflicht relevant sein: Das von ihm projektierte Handeln ist überhaupt nur deshalb verboten, weil er plant, den anderen als Werkzeug zur Verwirklichung seiner Deliktspläne zu benutzen, mit ihm gemeinsam eine kollektiv dimensionierte Verletzungshandlung zu begehen oder ihn zu einer Straftatbegehung aufzufordern. Somit wird also nicht die Hintermannspflicht durch das voraussichtliche Versagen der künftigen Vordermannspflicht in ihrer Dringlichkeit erhöht, sondern der Hintermann entscheidet sich mit seinem Programm für einen bestimmten Verbotsgegenstand. Insbesondere die mittelbar-täterschaftlichen Verhaltenspflichten fungieren daher nicht bloß als derivative „Auffangpflichten“ für das vorhersehbare Pflichtversagen beim Vordermann,1631 sondern sie untersagen einen komplexen Selbstverwirklichungswillen des Hintermannes! Entsprechendes gilt mutatis mutandis für die mittäterschaftlichen Verhaltenspflichten sowie für die Anstiftungs- und die Beihilfeverhaltenspflichten. Davon abgesehen stellt sich auch die Frage, wie der von Stein vorgeschlagene Dringlichkeitsausgleich entsprechend der ihm zugedachten Funktion die Schutzeffektivität des Verhaltensnormensystems soll steigern können. Die Effektivität des durch die Verhaltensnormen zu gewährleistenden Rechtsgüterschutzes kann doch nur davon abhängen, ob sich der Hintermann de facto überhaupt durch die ihn treffende Pflicht zur Normbefolgung motivieren lässt oder nicht. Darüber entscheidet aber nicht (zwingend) der Dringlichkeitsgrad der Verhaltenspflicht.1632 All diese Ungereimtheiten im Stein’schen System sind aber eigentlich nur Symptome einer einzigen, tiefer liegenden Ursache: Diese liegt darin, dass Stein Verhaltensunrecht ausdrücklich mit objektiver Verhaltensgefährlichkeit ex ante gleichsetzt und auf dieser Grundlage „nur“ noch zwischen verschiedenen Arten anzustoßender Kausalverläufe differenziert, die er in Anlehnung an die Phänomenologie der §§ 25 ff. entsprechend auffächert. Als Begründer von „kausalträchtigen“ Gefahren stehen damit sämtliche Beteiligten von vornherein auf ein und derselben normativen Stufe, auch die Teilnehmer sind „kleine Gefährlichkeitstäter“.1633 Konsequent zu Ende gedacht hätte diese Weichenstellung eigentlich die Aufgabe impliziert, aus der unterschiedlichen Art der prognostischen Kausalverläufe Rück1629 1630 1631 1632 1633

Zitat nach Küper, ZStW 105 (1993), 445 (480). Küper, ZStW 105 (1993), 445 (480 f.). So zutreffend Hoyer, in: SK, § 25 Rn. 58. Küper, ZStW 105 (1993), 445 (482). Küper, ZStW 105 (1993), 445 (472) [Zitat ebenda].

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4. Kap.: Bezugnahme des § 25 auf die Sanktionstatbestände

schlüsse auf die Gefährlichkeit der jeweils initiierenden Verhaltensweisen zu ziehen. Der einzige Parameter, der dann für eine Dringlichkeitsdifferenzierung in Frage gekommen wäre, wäre der jeweilige Grad der objektiven Erfolgswahrscheinlichkeit gewesen.1634 Doch erkennt Stein zutreffend, dass auf dieser Grundlage eine Unterscheidung von Täter- und Teilnehmerverhaltensnormen nicht möglich ist und verwirft deshalb das Gefährlichkeitskriterium.1635 Damit aber entzieht er seinem eigenen System die Möglichkeit, zur Abgrenzung der Beteiligungsformen auf dasjenige Moment zurückzugreifen, in dem er selbst die Substanz des Verhaltensunrechts sieht.1636 Davon abgesehen fällt auf, dass Stein den Regelungsgehalt der §§ 25 ff. bloß verhaltensnormtheoretisch interpretiert,1637 d. h., ihn in eine „Kausalterminologie“ ex ante umformuliert.1638 Auf diese Weise werden allerdings die materialen Differenzen zwischen Täterschaft und Teilnahme lediglich von außen an die jeweiligen Verhaltensnormen herangetragen, wofür das Dringlichkeitskriterium, das ja immer schon an ein bereits verbotenes Verhalten anknüpft, symptomatisch ist. Demgegenüber müsste einem genuin verhaltensnormtheoretischen Ansatz doch eigentlich gerade umgekehrt daran gelegen sein, die axiologischen Unterschiede zwischen den Beteiligungsformen normlogisch herzuleiten.1639 Gerade das wurde im Verlaufe der vorliegenden Arbeit versucht.

III. Ergebnis Nach alledem kann Folgendes festgehalten werden: Während Stein den – zweifellos bemerkenswerten – Versuch unternommen hat, die im StGB geregelten Unterschiede zwischen den „Beteiligungsformen“ auf eine Differenzierung der ihnen zugrunde liegenden Verhaltensnormen zurückzuführen, geht das Bestreben der vorliegenden Arbeit gerade umgekehrt dahin, diese Unterschiede aus der alltagsontologischen Struktur des Normgegenstands selbst zu gewinnen. Auf diesem Wege lassen sich zugleich die Kalamitäten ausräumen, denen die Tatherrschaftslehre bei Rückführung auf ihren eigentlichen, finalen Zurechnungsgrund ausgesetzt ist. Alle weiteren bisherigen Versuche, das materielle Akzessorietätsprinzip durch eine Vernetzung von Verhaltensnormteleologie und sachlogischer Struktur bzw. Qualität der Beteiligungshandlungen zu erklären, sind wohl – wie hier gezeigt werden sollte – gescheitert.

1634 1635 1636 1637 1638 1639

Küper, ZStW 105 (1993), 445 (473); Haas, Theorie, 62 f. Beteiligungsformenlehre, 181 ff. Küper, ZStW 105 (1993), 445 (473). So die treffende Begrifflichkeit bei Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 98. Küper, ZStW 105 (1993), 445 (474) [im Text zitierte Begrifflichkeit ebenda]. So zutr. Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 96 ff.

H. Abweichende Beteiligungslehren

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H. Abweichende Beteiligungslehren Damit ist klargelegt, dass der materiale Unterschied zwischen Täterschaft und Teilnahme nur handlungstheoretischer Natur sein kann und also in der intensionalen Programmanlage ex ante begründet liegen muss. Demnach können nunmehr auch sämtliche weiteren Beteiligungsformenlehren ausgeschieden werden, die den Ankerpunkt von vornherein anders setzen. Sie sollen nachfolgend noch in der gebotenen Kürze analysiert werden.

I. Heinrich Auch Heinrich setzt die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme unmittelbar in Bezug zu den rechtsgüterschützenden Verhaltensnormen. Dabei fungieren nach seiner Ansicht die Straftatbestände selbst in kontradiktorischer Formulierung als strafrechtliche Verhaltensnormen, die den Schutz von Rechtsgütern vor fremden Rechtsgutszugriffen bezwecken sollen.1640 Das Strafrecht sei ein „rechtliches Regelungsgebilde mit dezidiertem Appellcharakter“, das einen „in das Gewand eines Normbefehls gekleideten Verhaltensappell“ aufstelle, nämlich: „Du sollst“ bzw. „Du sollst nicht“.1641 Der Verbotsinhalt folge dabei unmittelbar aus den Tatbestandsformulierungen des StGB, so dass etwa die dem § 212 zugrunde liegende Norm „Du sollst nicht töten!“ laute.1642 Heinrich geht nun davon aus, dass allein der Täter sich wider den unmittelbaren Tatbestandsappell der jeweiligen Deliktsnorm (z. B. bei § 212: „Du sollst nicht töten!“) entscheide. Er allein sei also die Person, an der der Normappell wirkungslos verpuffe, deren Entscheidung als direkte personale Antwort auf den Normappell und damit als maßgeblicher Auslöser der appellwidrigen Situation anzusehen sei.1643 Vorsatztat bzw. -täterschaft sei „entscheidungsgeprägter Rechtsgutszugriff“, also Zugriff auf ein (fremdes) Rechtsgut aufgrund bzw. im Zuge entsprechender Entscheidung, kurz „Dezisivzugriff“.1644 Mithin sei der Vorsatztäter als „Entscheidungsträger“ zu charakterisieren, weshalb das Kriterium der „Entscheidungsträgerschaft“ an die Stelle des Tatherrschaftsgedankens treten müsse.1645 Angeknüpft werden müsse zentral an das den Normappell desavouierende SichEntscheiden als „Kristallisationspunkt täterschaftlicher Vorwerfbarkeit“.1646 Während der Vorsatztäter sich für ein dem Inhalt des Normappells zuwiderlaufendes Verhalten entscheide, treffe der bloße Teilnehmer an einer Vorsatztat keine solche den 1640 1641 1642 1643 1644 1645 1646

Rechtsgutszugriff, 101 ff. (111 ff.). Rechtsgutszugriff, 112, 119. Rechtsgutszugriff, 127. Rechtsgutszugriff, 129, 145 f., 151, 189. Rechtsgutszugriff, 140 ff. Rechtsgutszugriff, 141 ff. Rechtsgutszugriff, 146.

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4. Kap.: Bezugnahme des § 25 auf die Sanktionstatbestände

tatbestandlichen Normappell selbst missachtende Entscheidung, sondern allein eine dem Appell des § 26 bzw. des § 27 widerstreitende.1647 Die Entscheidungsträgerschaft sei dabei als selbständig-unabhängiger Begriff zu denken, als originäres normatives Zuordnungskriterium, anhand dessen einer rechtsgutsbeeinträchtigend wirksam werdenden Person ihre Beteiligung am Geschehen aufgrund normativer Gesichtspunkte als täterschaftliches Verhalten, ergo als Rechtsgutszugriff, zuzuordnen sei.1648 Da nun aber bei den Allgemeindelikten (doch) auch der Teilnehmer als prinzipieller Normadressat tatbestandsberührend wirksam werden könne und eine rechtsgutsfeindliche Entscheidung treffe,1649 könne täterschaftliche Entscheidung nur eine solche sein, als deren unmittelbare Umsetzung sich das tatbestandsberührende Geschehen darstelle.1650 Täter sei also allein, wer als Normadressat eine tatbestandsgerichtete Entscheidung treffe, als gerade deren unmittelbare Umsetzung das tatbestandsberührende Geschehen anzusprechen sei.1651 Für eine kritische Analyse dieses Ansatzes reicht die Skizzierung seiner normentheoretischen Grundierung hin. Denn es liegt auf der Hand, dass Heinrichs Rekurs auf die Verhaltensnormen und ihren Appellcharakter nicht zu dem Zweck erfolgt, die Verschiedenheit der Beteiligungstypen als konkrete Handlungsunrechtstypen aus sich heraus zu erklären; vielmehr dient der Rückgriff auf die Verhaltensnormebene gerade umgekehrt „nur“ als normentheoretische Einkleidung des eigentlich für maßgebend gehaltenen Abgrenzungskriteriums der Unmittelbarkeit.1652 Nur so ist jedenfalls zu erklären, dass die Gewinnung der Verhaltensnormen aus einer kontradiktorischen Formulierung der Deliktstatbestände überhaupt nicht reflektiert wird, eine Auseinandersetzung mit abweichenden normentheoretischen Konzepten gänzlich unterbleibt. Auch wird der normentheoretische Ansatz in sich nicht konsequent durchgehalten: Wenn nach Heinrich auch der Teilnehmer objektiv appellwidrig in Erscheinung tritt, dann müsste doch für ihn ebenfalls eine subjektivobjektive Nichtbeachtung des tatbestandlichen Normappells angenommen werden, denn auch er entscheidet sich ja dann bewusst für ein Tun, das den inhaltlichen Anforderungen des Normappells widerstreitet. Vor diesem Hintergrund läuft es bestenfalls auf Begriffsjurisprudenz hinaus, wenn Heinrich für das normwidrige InErscheinung-Treten als solches auf eine „Verursachung im wertfreien Sinne“ abstellt, wohingegen für das Nichtbeachten des Normappells dann plötzlich doch wieder die Entscheidung gegen ein – nunmehr eng gefasstes – Tötungsverbot maßgeblich sein soll.1653 Da mithin der normentheoretische Ansatz nicht wirklich 1647

Rechtsgutszugriff, 129, 145 f. Rechtsgutszugriff, 147 – 149. 1649 Rechtsgutszugriff, 177 – 179. 1650 Rechtsgutszugriff, 179 – 182. 1651 Rechtsgutszugriff, 182. 1652 So die zutr. Analyse bei Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 96. 1653 Rechtsgutszugriff, 129 (= Töten i.S.d. an den Täter gerichteten Appells), 136 (= Töten „im wertungsfreien Sinne eines tatsächlichen Zu-Tode-Bringens“). Heinrich (Rechtsgutszugriff, 137 Fn. 16) meint nun, wie folgt differenzieren zu können: Die Annahme eines 1648

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ernst genommen wird, mangelt es in der Sache an einer aus dem allgemeinen Rechtsgüterschutzdogma abgeleiteten Leitdirektive für die Statuierung des Unmittelbarkeitskriteriums. Eigentlich geht es Heinrich aber wohl auch nicht um die Herleitung, sondern vielmehr um die Analyse und Konturierung derjenigen Strukturen, die das Gesetz in §§ 25 – 27 zum Ausdruck bringt:1654 Die täterschaftliche Entscheidung mündet unmittelbar in die Rechtsgutsverletzung ein, die teilnehmerschaftliche hingegen nur mittelbar, nämlich über das appellwidrige Sich-Entscheiden des Haupttäters.1655 Damit ist unbestreitbar Wesentliches getroffen; nur fehlt es an einer axiologischteleologisch-ontologischen Rückbindung dieses Unmittelbarkeitskriteriums, weshalb seine inhaltliche Füllung nicht an den Direktiven einer übergeordneten Axiomatik ausgerichtet werden kann. So bleibt z. B. offen, wie und warum gerade der „Hemmschwellen-Gedanke“1656 bei der mittelbaren Täterschaft normativ eine Verlagerung der Entscheidungsträgerschaft auf den Hintermann soll legitimieren können, zumal dann, wenn der Vordermann selbst im Strafrechtssinne Entscheidungsträger ist (wie etwa beim Notstandstäter, beim vermeidbar über das Verbot Irrenden oder dem über den konkreten Handlungssinn Irrenden). Jedenfalls bleibt festzuhalten, dass eine Herleitung der unterschiedlichen Verhaltensnormen und der daraus resultierenden Pflichtverletzungstypen bei Heinrich nicht unternommen wird.

II. Freund Auch Freund stützt seine Beteiligungslehre normentheoretisch ab, wozu er in der Sache auf die von Frisch entwickelte allgemeine Normentheorie1657 zurückgreift: Auf einer ersten Ebene würden Werte wie Leben, Eigentum, Freiheit etc. als Rechtsgüter durch eine umfassende Verhaltensnormenordnung geschützt, während auf einer zweiten Ebene die Verhaltensnormenordnung ihrerseits als Rechtsgut durch die Sanktionsnormenordnung geschützt werde.1658 Die auf der ersten Stufe zu bestimmende Verhaltensordnung erschöpfe sich dabei keineswegs in abstrakten Normen wie etwa: „Du sollst nicht töten“; vielmehr müssten die konkreten VerhalRechtsgutszugriffs könne nicht unmittelbar auf dem Umstand beruhen, dass jemand dem Geltungsanspruch des Normappells widerspreche, sondern stets nur darauf, dass er sich in einer den inhaltlichen Anforderungen des Normappells zuwiderlaufenden Weise verhalte. – Das ist sicherlich richtig. Nur stellt sich die Frage, wie denn nun die Norm material beschaffen sein soll. Ist nur das täterschaftliche Töten verboten und – wenn ja – warum? Oder ist etwa doch die Todesverursachung verboten, mit der Folge, dass jeder Beteiligte die Norm desavouiert? I.d.S. kritisch auch bereits Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 94, mit dem zutreffenden Monitum, die Unterscheidung zwischen Täter und Teilnehmer werde von Heinrich „einfach angesetzt“. 1654 So zutr. Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 94. 1655 Rechtsgutszugriff, 179 ff. 1656 Rechtsgutszugriff, 202 ff. 1657 Eingehend krit. dazu oben, S. 142 ff. 1658 AT, § 1 Rn. 5 ff. (11a).

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4. Kap.: Bezugnahme des § 25 auf die Sanktionstatbestände

tensanforderungen herausgearbeitet werden, die z. B. im Interesse des Lebensschutzes anderer einzuhalten seien.1659 So zeige schon die Tolerierung allgemeiner Lebensrisiken etwa im Straßen- und Luftverkehr, dass die Verhaltensnormen sich nicht in einem nebulösen Kausierungsverbot erschöpfen könnten, sondern die im Rechtsgüterschutzinteresse zu beachtenden Verhaltensanforderungen klar benennen müssten.1660 Vor diesem Hintergrund bedürfe es zur Verhaltensnormbegründung einer umfassenden Güter- und Interessenabwägung nach dem verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als allgemeiner Leitregel staatlichen Eingriffshandelns: Die legislatorische Entscheidung für die Geltung der Verhaltensnorm müsse als Entscheidung für ein eindeutig überwiegendes Rechtsgüterschutzinteresse ausgewiesen werden können.1661 Zu generieren sei daher eine deliktsspezifische Verhaltensnorm, deren Verletzung als tatbestandsmäßiges Verhalten (= Verhaltensunrecht) i.S.d. jeweiligen Delikts figuriere.1662 Tatbestandsmäßiges Verhalten sei folglich die Schaffung eines tatbestandsspezifischen Risikos.1663 Täterschaft und Teilnahme figurierten hierbei bloß als „Formen der Straftat“.1664 Denn auch das Teilnahmeverhalten verkörpere einen spezifischen Verhaltensnormverstoß und somit nur eine ganz bestimmte Form täterschaftlicher (!), z. B. „anstiftungstäterschaftlicher“, Straftatbegehung. Das Verbot des Teilnahmeverhaltens legitimiere sich also aus demselben Sachgrund wie dasjenige des Haupttatverhaltens – Rechtsgüterschutz –, weshalb der Unterschied zwischen den Beteiligungsformen allein in der äußerlichen Form der in Frage stehenden Gutsbeeinträchtigung liege.1665 Die mittelbare Täterschaft bilde nur bei oberflächlicher Betrachtungsweise eine Ausnahme von diesem Grundsatz, da der mittelbare Täter den betreffenden Straftatbestand normativ gesehen unmittelbar selbst verwirkliche.1666 Dieser Versuch, auf Basis eines materiellen Einheitstäterbegriffs nach der phänomenologischen Unmittelbarkeit des güterschädigenden Verhaltens zu differenzieren, muss freilich die Grenzen des dualistischen Täter-Teilnehmer-Systems sprengen. Denn mit Recht konstatiert Schild1667: „Das Kriterium der bloß äußerlichen Form kann doch nur phänomenologisch gemeint sein; daß der mittelbare Täter den Tatbestand selbst verwirklicht, mag ja sein: es geht aber um das tatbestandsmäßige Verhalten, das für alle Beteiligte [sic!] in einheitlicher Weise anzunehmen ist.“ – In der Sache greift jedenfalls auch Freund auf das Kriterium der phänomenologischen Unmittelbarkeit zurück, d. h. er setzt die Unterscheidung zwischen 1659

AT, § 1 Rn. 13. AT, § 1 Rn. 14. 1661 AT, § 1 Rn. 17 ff. 1662 AT, § 2 Rn. 5. 1663 AT, § 2 Rn. 1 ff. („tatbestandsmäßiges Verhalten im Sinne einer ganz bestimmten Strafnorm des StGB“). 1664 AT, § 10 Rn. 108 ff., 134 ff. 1665 AT, § 10 Rn. 110. 1666 AT, § 10 Rn. 110 Fn. 127. 1667 In: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 102 [Hervorhebung im Zitat nicht im Original]. 1660

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Täterschaft und Teilnahme einfach an, ohne klarzulegen, unter welchem materialen Leitgesichtspunkt es auf diese Unmittelbarkeit ankommen soll. Die psychofaktische Geschehensbeherrschbarkeit kann jedenfalls nicht gemeint sein, da sie gerade auch für Freund allgemeines Erfordernis jeder Straftatbeteiligung ist.1668

III. Beteiligungslehre nach der Wolff-Schule (Köhler, Klesczewski, Noltenius) Der freiheitlich-interpersonale Handlungsbegriff der Wolff-Schule wurde hier1669 im Zusammenhang mit der Bestimmung des personalen Handlungsunrechts bereits ausführlich dargestellt und eingehend diskutiert. Hier soll es nun ausschließlich um die Konsequenzen dieses moralphilosophisch fundierten Unrechtsverständnisses für die rechtliche Beteiligungslehre gehen, wobei insofern freilich ganz gegensätzliche Konklusionen denkbar sind. Einerseits könnte man die Selbstisolation des Delinquenten, die im (geplanten) Ausbruch aus dem interpersonalen Anerkennungsverhältnis liegt, mit der Autonomiefhähigkeit der anderen Interaktanten kontrastieren; dann wäre eine unrechtliche Beteiligung an fremder Haupttat nur unter strengen Prämissen, insbesondere einer tat- oder willensbestimmenden Dominanz des Hintermannes, zuzulassen.1670 Andererseits kann man jedoch mit gleichem Recht annehmen, dass für den unrechtlich Planenden gerade wegen seines geplanten Ausbruchs aus dem interpersonalen Anerkennungsverhältnis andere Personen gar nicht mehr als autonome Rechtssubjekte, sondern überhaupt nur noch als Werkzeuge in den Blick kommen.1671 Dann geht es für das unrechtliche Beteiligungsverhältnis schon im Ansatz nicht mehr um die „(…) Besonderheit des Verhaltenszusammenhangs zwischen freien Subjekten (…)“1672, sondern allein noch um die Tauglichkeit des den anderen als Werkzeug einplanenden deliktischen Programms.1673 Die Anhänger der modernen Wolff-Schule beschreiten im Anschluss an Köhler den erstgenannten Argumentationsweg. Danach sind an die gemeinsame Setzung einer Unrechtsmaxime ähnliche Anforderungen zu stellen wie an ein gemeinsames Handeln mit anderen im rechtlichen Anerkennungsverhältnis – weshalb der Begriff individuellen Handelns auch hier um das Moment der Gemeinsamkeit mit anderen erweitert werden müsse.1674 Deshalb sei, wie sonst auch, auf die Besonderheit des 1668 1669 1670

Rn. 7.

So ja expressis verbis Freund selbst, in: AT, § 10 Rn. 47. Oben, S. 238 ff. So namentlich Köhler, AT, 488 ff., 505 ff., 513 ff., 521 ff.; auch Zaczyk, in: NK, § 30

1671 So mit beachtlicher rechtsphilosophischer Argumentation Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 278 ff. 1672 So aber Köhler, AT, 488. 1673 So Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 282. 1674 Köhler, AT, 489 f.

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4. Kap.: Bezugnahme des § 25 auf die Sanktionstatbestände

Interaktionszusammenhangs zwischen freien Subjekten Rücksicht zu nehmen:1675 Sofern das Handeln eines anderen in seiner Maximenbildung frei (= selbstbestimmt) bleibe, könne es dem Hintermann nicht zugerechnet werden.1676 Mittelbare Täterschaft könne daher nur dann vorliegen, wenn der Hintermann dem Vordermann eine Faktenlage zu dessen an sich normgemäßen Handeln schaffe oder vorstelle.1677 Beziehe sich die bestimmende Einflussnahme also auf ein überhaupt normreflektierendes Subjekt, so sei der Bestimmende nicht mittelbarer Täter, sondern Anstifter; demnach begründeten die qualifizierte Nötigung (§ 35 I 1), die Einschaltung eines zurechnungsunfähigen Menschen (§ 20) oder eines Kindes (§ 19) und die Instrumentalisierung eines unvermeidbaren Verbotsirrtums (§ 17 S. 1) nicht mittelbare Täterschaft, sondern Anstiftung.1678 Die Zurechnung des von einem anderen gefassten Unrechtsentschlusses im Rahmen der Anstiftung setze dabei ihrerseits voraus, dass der Haupttäter den Anstifter selbstbestimmt handelnd mitverwirkliche, was eine willensbestimmende Machtausübung des Anstifters erfordere.1679 Diese von Köhler entwickelte Beteiligungslehre wurde durch die Arbeiten von Klesczewski1680 und Noltenius1681 weiter vertieft und unterfüttert, wobei die Ergebnisse weitestgehend übereinstimmen. Eine derart strikt moralphilosophisch rückgebundene Beteiligungsdoktrin dürfte jedoch die Aussagekraft der neukantianischen Philosophie für die funktional-teleologisch (Schünemann) anzugehenden Fragen unrechtlicher Beteiligung überschätzen. So moniert Roxin1682 mit Recht, dass die Herausnahme des schuldlosen und des nach § 35 I 1 entschuldigten Tatmittlers aus dem Bereich der mittelbaren Täterschaft schwerlich mit dem Willen des historischen Gesetzgebers zu vereinbaren sei. Auch Roxins weiterer Hinweis, dass Köhlers Rekurs auf den „Verhaltenszusammenhang zwischen freien Subjekten“ zur Ableitung konkreter Ergebnisse nicht recht tauge,1683 trifft Wesentliches, wie die Zuspitzung dieses Einwands durch Schünemann1684 zeigt: „Das Bestreben Köhlers (…), aus der Freiheitsphilosophie Kants und der von Köhler zu ihrem archimedischen Punkt verdichteten Figur des ,Anerkennungsverhältnisses‘ eine Art transzendentalphilosophische strafrechtsdogmatische Beteiligungslehre abzuleiten, setzt den Anker an der falschen Stelle, weil die grundlegenden Rechtsfiguren des Allgemeinen Teils aus dem Zweck des Strafrechts, Rechtsgüterschutz durch Androhungsgeneralprävention zu leisten, und damit nicht aus irgendwelchen abstrakten Anerkennungsverhält1675 1676 1677 1678 1679 1680 1681 1682 1683 1684

Köhler, AT, 488. Köhler, AT, 490. Köhler, AT, 505. Köhler, AT, 509 f. Köhler, AT, 491 f., 521 f. Selbständigkeit, 187 ff., 310 ff. Kriterien, 137 ff., 178 ff., 238 ff., 253 ff., 325. TuT, 683. TuT, 682. In: LK, § 25 Rn. 13; s. ferner auch Rn. 64.

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nissen zwischen Hintermann und Vordermann, sondern aus der Stärke der Schlüsselstellung des Beteiligten für die drohende Rechtsgutsverletzung gewonnen werden müssen, zu der sich Immanuel Kant nicht geäußert hat.“

Der schwerwiegendste Einwand gegen die moralphilosophisch hergeleitete Beteiligungslehre Köhlers, Klesczewskis und Noltenius’ dürfte aber wohl darin zu erblicken sein, dass das eigene Axiom nicht wirklich konsequent durchgehalten wird: Denn geht man – wie auch Köhler1685 selbst – davon aus, dass menschliche Freiheit stets eine endliche und somit beeinflussbare bzw. motivierbare ist,1686 dann ist vom Handlungsprogramm des deliktisch planenden Einzelnen her nicht mehr einzusehen, warum die Freiheit anderer Delinquenten der Instrumentalisierbarkeit von deren Unrechtsentschlüssen überhaupt noch entgegenstehen soll.1687 Zwar trifft es zu, dass für rechtlich Denkende ein anderer Mensch niemals zum Mittel (herab)gesetzt werden darf. Nur ist eben der unrechtlich Planende kein rechtlich denkender Mensch, weshalb die Parallele zum Verhaltenszusammenhang zwischen freien Subjekten schon im Ansatz versagen muss.1688 Indem der einzelne Delinquent aus dem allgemeinen sittlichen Anerkennungsverhältnis ausbricht, isoliert er sich vielmehr (geistig) vollkommen, mit der Folge, dass er auch seine Komplizen nicht (mehr) als Rechtssubjekte anerkennt.1689 Dementsprechend ist das Beteiligungsverhältnis aus rechtsphilosophischer Sicht eine „(…) Zweckgemeinschaft des Verstandes, der die Mitwirkenden als einsetzbare und die eigene Handlungsmacht stärkende und erfolgreicher machende Werkzeuge betrachtet und einplant (…). Beteiligte bilden keine (rechtliche) Gemeinschaft, sondern eine (unrechtliche) ,Bande‘ (…)“1690.

Somit korreliert der wechselseitigen Anerkennung im rechtlichen Interaktionszusammenhang auf der Unrechtsseite die wechselseitige Instrumentalisierung der Delinquenten.1691 Eine Parallelenziehung zu den für das rechtliche Anerkennungsverhältnis geltenden Grundsätzen der Interaktion mehrerer freier Subjekte scheidet daher bereits im Ansatz aus. Festzuhalten bleibt, dass rechtsphilosophische Erwägungen allein die Abgrenzung der verschiedenen Beteiligungshandlungstypen nicht tragen können. 1685

In: AT, 490. s. dazu Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 282, 329. 1687 So zutreffend Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 282 f. 1688 Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 283. 1689 Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 280. 1690 Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 280. 1691 Was freilich nicht bedeutet, dass diese psychofaktische Instrumentalisierungsmacht hypostasiert werden könnte zu einem schrankenlosen materiellen (Tatbestands-)Handlungsbegriff (so aber noch Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 284, 331 ff.): Das Vorliegen einer Verletzungshandlung bestimmt sich nicht allein nach der faktischen Kausierungsmacht des Akteurs, sondern danach, ob das beherrschbare Geschehen nach dem Handlungsprogramm Gegenstand eines eigenen intentionalen Handlungserlebnisses sein soll! 1686

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4. Kap.: Bezugnahme des § 25 auf die Sanktionstatbestände

IV. Die organisationsdeliktsbezogene Beteiligungslehre Jakobs’ 1. Darstellung Eine radikal normativistische Beteiligungslehre hat über einen längeren Zeitraum hinweg Jakobs1692 ausgearbeitet. Nach deren neuester Fassung ist das Organisationsdelikt1693 „(…) ein kommunikativer Akt, der im Namen aller Beteiligten ausgeführt wird: Alle Beteiligten geben durch den Ausführenden die Erklärung ,Normbruch‘ ab.“1694 Ebenso, wie die Zuständigkeit verschiedener Personen für ein rechtliches Werk nach der gesellschaftlichen Semantik begründet werde, müsse auch die Zuständigkeit für das unrechtliche Werk des Normbruchs über die normative Struktur der Gesellschaft vermittelt erfasst werden.1695 Nach diesen Grundsätzen sei der einzelne Beteiligte für die ganze Tat zuständig, wenn er dem Ausführenden eine Leistung habe zukommen lassen, die ihn mit der Ausführung verbinde, weil sie den normativen bzw. objektiven Sinn habe, der Ausführung eine bestimmte Gestalt zu geben.1696 Die Vorfeldbeteiligung stelle dabei rechtstechnisch gesehen zunächst nur eine Obliegenheitsverletzung dar, denn der Beteiligte bringe sich durch die verbindende Leistung ex ante nur in die Gefahr späterer Haftung, d. h. in die potentielle Lage, von einem an das Geleistete anknüpfenden deliktischen Handlungsgeschehen nicht mehr distanziert werden zu können. Werde das deliktische Geschehen ausgeführt, trete die Lage des Nicht-Distanziert-Werden-Könnens ein und die Verantwortlichkeit für die Obliegenheitsverletzung avanciere zur Verantwortlichkeit für Unrecht und damit zur Schuld.1697 Frühe Anzeichen dieser jetzigen Radikalisierung finden sich bereits in Jakobs’ ursprünglicher Beteiligungsdoktrin, die er für sein Lehrbuch zum Allgemeinen Teil entwickelte. Zwar wurde hier noch der Tatherrschaftsgedanke eingearbeitet und für maßgeblich gehalten, weshalb die Tatherrschaft – als formelle Ausführungsherrschaft über die Tatbestandshandlung, als materielle „Entscheidungsherrschaft“ über das „Ob“ der Tat oder als „Gestaltungsherrschaft“ über den konkreten Deliktssinn – die Täterschaft begründen sollte.1698 Doch betonte Jakobs schon damals, dass die 1692 Erste Anzeichen eines normativen Beteiligungsverständnisses schon in: AT, 21/3 u. 8a; 22/6; Fortschreibung dann in: GA 1996, 253 (257 ff.); Schlusssteinlegung schließlich in: Lampe-FS (2003), 561 (562 ff.) sowie Puppe-FS (2011), 547 (551 ff.) und Theorie, 11 ff.; s. zur Entwicklung der Jakobs’schen Beteiligungslehre auch Schünemann, in: LK, § 25 Rn. 14 f., 68. 1693 Zur Jakobs’schen Aufspaltung der Deliktswelt nach Organisation und Institution und den daraus folgenden Konsequenzen für die Beteiligungslehre s. neuerdings wieder ders., in: Theorie, 5 – 7, 9 ff., 61 ff.; eingehend dazu auch bereits oben, S. 176 ff. sowie noch unten S. 619 ff., 670 ff. 1694 Jakobs, in: Lampe-FS (2003), 561 (571 Fn. 31). 1695 Jakobs, in: Lampe-FS (2003), 561 (562 ff.); ders., in: Theorie, 16 ff. 1696 Jakobs, in: Lampe-FS (2003), 561 (569 f.); ders., in: Theorie, 29 ff. 1697 Jakobs, in: Puppe-FS (2011), 547 (556); ders., in: Theorie, 47 ff.; s. auch bereits ders., in: Lampe-FS (2003), 561 (574 Fn. 38). 1698 Jakobs, AT, 21/35 (Begrifflichkeiten ebenda).

H. Abweichende Beteiligungslehren

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Tatherrschaft nicht als naturalistisches Faktum relevant sei, sondern nur insofern, als sie eine volle normative Zuständigkeit für die Tat begründe.1699 Denn die Ausführung der Haupttat sei nicht nur Ausführung für täterschaftlich Beteiligte, sondern durchaus auch für Teilnehmer: Das Beteiligungsverhalten sei nämlich der Grund dafür, dem Teilnehmer die Haupttatausführung als (auch) sein Werk zuzurechnen, weshalb der eigentliche und deshalb nur quantitative (!) Unterschied zwischen den Beteiligungsformen darin bestehe, dass der Haupttäter das Teilnehmerverhalten erst (mit) externalisiere.1700 Von dieser Theorie der gemeinsamen normativen Zuständigkeit für ein Werk ausgehend lag es nahe, innerhalb eines aus mehreren Beteiligten bestehenden „Unrechtssystems“1701 selbst dem Handlungsherrn die volle bzw. alleinige Deliktszuständigkeit abzusprechen. Und nachdem der Ansatz beim Normbruch als unrechtlichem Verhalten entfaltet und der objektiv deliktsbezogene Sinn des Einzelbeitrags als verbindendes und daher zuständigkeitsbegründendes Element herausgearbeitet war,1702 vollzog Jakobs diesen finalen Schritt denn auch: Irgendwelche qualitativen Differenzierungen zwischen einem Beteiligten und einem Ausführenden ließen sich schlechterdings nicht treffen. Zwar entscheide der Ausführende über das „Ob“ der Tat, doch sei sein Tun – wie alle Beteiligungsleistungen – nur bei unterstelltem „Dass“ der Tat überhaupt eine Leistung zur konkreten Tatbestandsverwirklichung, ergo: Für die positive Entscheidung über das „Ob“ der konkreten Tat seien die Beteiligten gleichfalls zuständig, denn der Ausführende entscheide ja über dieses „Ob“, indem er das von ihnen vorbereitete „Wie“ der Tat als auszufüllende „Deliktsschablone“1703 übernehme.1704 Die Ausführung gewinne dadurch eine Gestalt, die in zumindest einem Element vom einzelnen Beteiligten mit bestimmt worden sei, etwa indem das Opfer mit genau der von diesem Beteiligten besorgten Pistole erschossen werde oder an genau der Stelle, an welcher dieser ein Treffen mit dem Täter arrangiert habe etc.1705 Dabei könne sogar der Beitrag des Ausführenden von offenbar unterlegener Dürftigkeit sein, wie etwa bei der auf Weisung des Sprengmeisters erfolgenden Gebäudesprengung durch einen Lehrling. Und da das Delikt ohnehin für alle Beteiligten ausgeführt werde, gebe es auch keinen Grund, i.S.e. Weichenstellung gerade den Ausführungspart der Täterschaft zuzuschlagen.1706 Die Unterscheidung zwischen Täterschaft und insbesondere Beihilfe sei vielmehr eine strafzumessungsrechtliche Differenzierung nach Schweregraden, d. h. nach dem 1699 Jakobs, AT, 21/35 f.; wesentlich dezidierter jetzt ders., in: Theorie, 46 f.: „Aus Naturalismen lässt sich keine Zurechnung herleiten.“ 1700 AT, 21/3 u. 8a; 22/6. 1701 Der Begriff stammt von Lampe, (in: ZStW 106 [1994], 683 [687 ff.]) und wird von Jakobs (in: Lampe-FS [2003], 561 [561 f., 569]) zu Illustrationszwecken übernommen. 1702 Jakobs, GA 1996, 253 (257 ff.). 1703 So Jakobs, Lampe-FS (2003), 561 (569). 1704 Jakobs, Lampe-FS (2003), 561 (570 f.). 1705 Jakobs, Lampe-FS (2003), 561 (566 ff.). 1706 Jakobs, Lampe-FS (2003), 561 (571).

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4. Kap.: Bezugnahme des § 25 auf die Sanktionstatbestände

sozialen Gewicht des jeweils gestalteten Abschnitts im Verhältnis zu anderen Abschnitten; deshalb sei es auch nicht erforderlich, Täterschaft überhaupt an ein Mitwirken im Ausführungsstadium zu binden.1707 2. Kritik Diese Beteiligungslehre ist als normativistischer Gegenentwurf zur Roxin’schen Tatherrschaftslehre nachzuvollziehen und ernst zu nehmen, weshalb sie zunächst gegen „aus der eigenen Ecke heraus“ vorgebrachte Pauschalkritik in Schutz genommen werden muss: Dazu kann man zunächst das Monitum Schünemanns1708 zählen, wonach Jakobs die Abgrenzung der Beteiligungsformen genau dorthin zurückverlagere, wo sie schon unter Geltung der durch die Tatherrschaftslehre gerade überflügelten subjektiven Theorie disloziert gewesen sei, nämlich auf die Ebene der Strafzumessung.1709 Der Vorhalt trifft eigentlich nicht die Jakobs’sche Beteiligungslehre, sondern bloß die subjektive Theorie, die ja von einem gänzlich anderen Ansatz – nämlich der Gleichheit aller natürlichen Bedingungen – her kam (bzw. in der Rechtsprechung immer noch kommt), pointiert: Dass die Tatherrschaftslehre der subjektiven Theorie im naturalistischen Ansatz überlegen ist, bedeutet noch lange nicht, dass ein im Kern naturalistisch (mit) fundierter Ansatz einem genuin normativistischen Ansatz vorzuziehen ist1710 – zumal gefragt werden muss, inwieweit sich „Naturalismus“ und Normativismus als Kategorien überhaupt sinnvoll auseinanderhalten lassen (konkret: ist „Tatherrschaft“ ein „naturalistisches“ Phänomen?!). Neben dem Monitum eines Rückfalls in „vormoderne“ Zeiten hat Schünemann1711 aber einen zweiten Einwand erhoben: Jakobs’ These, der deliktsbezogene Sinn einer Handlung mache den sie Leistenden zum Beteiligten und für das gesamte Delikt zuständig, sei zirkulär, denn um die Deliktsbezogenheit einer Handlung beurteilen zu können, müsse man ja zuerst einmal wissen, worin das Delikt eigentlich bestehe. Auch dieses Argument geht indes noch zu wenig auf die Eigenheit des Jakobs’schen Ansatzes ein. Denn zwar ist richtig, dass nach Jakobs das Delikt in seinem So-Sein erst durch die Akkumulation der verschiedenen Einzelbeiträge in der Ausführung entsteht; doch ist der Einzelbeitrag ja in seinem Sinngehalt gerade schon auf ein fertig projektiertes Delikt zugeschnitten, weshalb das Delikt im Moment der Beitragsleistung zumindest als projektierte „Schablone“ existiert.

1707 1708 1709 1710 1711

Jakobs, Lampe-FS (2003), 561 (571, 573 f.). In: LK, § 25 Rn. 15. In: LK, § 25 Rn. 15. Dezidiert i.d.S. jetzt Jakobs, in: Theorie, 46 f. In: LK, § 25 Rn. 15.

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Endlich moniert Schünemann1712, dass Jakobs’ Rekurs auf die gesellschaftliche Semantik zur Erklärung deliktischer Unternehmungen nicht tauge. Denn entweder verweise er nur auf das Strafrecht als gesellschaftlichen Mehrheitskonsens über strafbedürftige Verhaltensweisen zurück, oder er erweise sich angesichts der Vielfalt möglicher Bedeutungszuschreibungen in der postmodernen Gesellschaft als unklar und irrelevant. Auch dieses Monitum überzeugt aber nicht: Denn es ist ja gerade das zentrale Anliegen Jakobs’, die „gesellschaftliche Semantik“ zur Erklärung verbindender Leistungen als Grundlage strafrechtlicher Haftung herauszuarbeiten, also Verbindung (= Arbeitsteilung) implizierende Beiträge von Trennung (= Regressverbot) implizierenden Beiträgen abzugrenzen. Eine ernstzunehmende Kritik müsste daher im Einzelnen dartun, dass und warum dies nicht soll gelingen können – wobei Schünemann freilich zuzugeben ist, dass die soziale Gewichtung der einzelnen Deliktsbeiträge auf der Strafzumessungsebene Abgrenzungsprobleme aufwerfen muss.1713 Doch um die Frage, wie ausgereift die von Jakobs entwickelte Beteiligungslehre in sich ist und ob eine soziale Gewichtung der Einzelbeiträge auf Strafzumessungsebene grosso modo transparente und vorhersehbare Ergebnisse zu gewährleisten vermag, soll es hier nicht gehen. Untersucht werden soll vielmehr nur, ob diese Doktrin mit den Tatbestandsformulierungen der lex lata vereinbar ist. Das ist, wie nunmehr zu zeigen sein wird, nicht der Fall. Die zentrale Ausgangsfrage, die Jakobs in der Sache stellt, lautet „Wessen Werk ist der Normbruch?“, und zur Antwort gibt er: „Das Werk eines jeden, der zumindest durch ein obliegenheitswidriges Vorfeldverhalten mit dem Sinn einer verbindenden Arbeitsteilung einen Teilbeitrag zum Normbruch geleistet hat!“1714 Nun erhebt sich aber – abgesehen von der Problematik eines möglichen „Regressverbots“1715 – die Frage, wie der Normbruch als Ganzes dem einzelnen Beteiligten als sein Werk zugerechnet werden können soll. Selbstverständlich sieht Jakobs1716 das Problem und gibt zur Antwort, dass das Delikt in seinem So-Sein eben für sämtliche Beteiligten ausgeführt werde, die einen verbindenden Beitrag geleistet hätten.1717 Diese These wird aber freilich nur dann einsichtig, wenn man das Delikt als genuin normativen Kommunikationsakt auffasst, der analog den zivilrechtlichen Regeln über die Zurechnung von Willenserklärungen auch sämtlichen nicht ausführenden Beteiligten als in ihrem Namen abgegeben zugerechnet werden kann. Genau so versteht denn auch Jakobs das Delikt, wenn er meint, dass alle Beteiligten durch den Ausführenden die Erklärung „Normbruch“

1712 1713 1714 1715 1716 1717

In: LK, § 25 Rn. 15. Das hat natürlich auch Jakobs von Anfang an gesehen (in: GA 1996, 253 [264]). So der Sache nach Jakobs, Lampe-FS (2003), 561 (565 ff.). s. dazu bereits Jakobs, GA 1996, 253 (260 ff.). Lampe-FS (2003), 561 (567). Lampe-FS (2003), 561 (568 – 570, 571 Fn. 31).

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4. Kap.: Bezugnahme des § 25 auf die Sanktionstatbestände

abgäben.1718 Eben darin liegt aber (in mehrfacher Hinsicht) das Problem. Denn die Straftatbestände des StGB haben nicht „Normbrüche“ im Sinne nur-kommunikativer Akte (= Willenserklärungen) zum Gegenstand, für die im normativen Kontext der „Zuständigkeit“ einfach dahinstehen kann, wer die „Erklärung“ für sich und die anderen abgibt. Vielmehr inkriminieren die meisten Straftatbestände intentionale Realakte, weshalb es um das soziale Deutungsschema von Handlung selbst gehen muss! Die entscheidende Frage lautet daher nicht, wessen Werk, sondern wessen Handlung der Normbruch ist. Abgesehen davon fragt sich, worauf die Zurechnung des Normbruchs im Falle der Beihilfe gestützt werden soll: Kann für Mittäterschaft und Anstiftung immerhin noch auf eine wechselseitige bzw. einseitige Stellvertretung rekurriert werden, so ist im Falle der Beihilfe trotz obliegenheitswidrigen Vorfeldverhaltens nicht ersichtlich, inwiefern der Ausführende für den Gehilfen die Erklärung „Normbruch“ abgeben soll. Jedenfalls bleibt zu konstatieren, dass die Tatbestandshandlungen des Besonderen Teils contra legem in reine Kommunikationsakte umgedeutet werden müssten, um die Deliktsausführung sämtlichen Beteiligten als eigene Erklärung „Normbruch“ zurechnen zu können. 3. Jakobs’sche Antikritik und Stellungnahme Nicht verschwiegen werden soll, dass Jakobs seinerseits Kritik an einigen Grundannahmen der herkömmlichen personalen Unrechtslehre übt, die auch hier verfochten werden. So lehnt er etwa (vom eigenen Ansatz her durchaus konsequent) die Existenz eigenständiger Teilnehmerverhaltensnormen ab: Gegen die Annahme solcher Teilnahmenormen spreche schon der Umstand, dass nicht einzusehen sei, weshalb nach ihrem Bruch für die Strafbarkeit noch der weitere Fortgang bis (mindestens) zum Versuchsbeginn abgewartet werden solle.1719 Dieser Einwand verkennt zweierlei: Erstens ist die versuchte Anstiftung zum Verbrechen (§ 30 I) de lege lata schon per se strafbar, und zweitens kann der Gesetzgeber den strafrechtlichen Sanktionseinschlag auch aus kriminalpolitischen Motiven vom allgemeinen Verhaltenspflichtverstoß weg verlegen, wie er es in den verbleibenden Fällen der versuchten Teilnahme (= versuchte Beihilfe zum Verbrechen, versuchte Teilnahme am Vergehen) denn auch getan hat.1720 Allerdings wirft Jakobs der Doktrin vom eigenständigen Teilnahmehandlungsunrecht auch innere Widersprüchlickeit vor: Sei man der Ansicht, dass ein Vorfeldverhalten wie etwa die Hingabe einer Tatwaffe schon ein selbständiges Handlungsunrecht begründe, so müsse dies konsequenterweise auch für denjenigen gelten, der sich als späterer Alleintäter im Vorfeld selbst eine Waffe beschaffe. Letzteres 1718

Lampe-FS (2003), 561 (571 Fn. 31). Jakobs, Puppe-FS (2011), 547 (554). 1720 Ob die gesetzgeberischen Motive, die zu dieser Wegverlagerung des Strafrechtseinsatzes geführt haben, ihrerseits sinnvoll gewesen sind, hat wegen der weiten legislatorischen Einschätzungsprärogative nicht zu interessieren. 1719

H. Abweichende Beteiligungslehren

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sei aber wegen Fehlens einer dementsprechenden Tatbestandserweiterung nicht der Fall, was den Ansatz beim eigenständigen Handlungsunrecht ad absurdum führe.1721 Auch dieser Gedanke kann aber nicht überzeugen, denn der materiale Unterschied zwischen den kurzerhand gleichgesetzten Konstellationen liegt auf der Hand: Während der Teilnehmer nach Erbringung seines Beitrags die deliktisch befangene Leistung allenfalls unter erschwerten Bedingungen rückgängig machen kann (vgl. § 24 II), hat der präsumtive Alleintäter die rechtsrelevante Entscheidung über die deliktische Verwendung der besorgten Tatwaffe nach wie vor selbst in der Hand. Überhaupt krankt Jakobs’ Obliegenheitsmodell an einem zentralen Gebrechen: Es ist schwer nachzuvollziehen, wenn dem „Vorfeldbeteiligten“ in der Entscheidungssituation ex ante der Sache nach mitgeteilt wird, er könne es vorerst ungestraft auf die Leistung seines deliktsbezogenen Beitrags ankommen lassen, sofern er nur bereit sei, das Risiko eines etwaigen späteren Nicht-Distanziert-Werden-Könnens auf sich zu nehmen. Auf diese Weise wird den betroffenen Güterschutzinteressen im kritischen Moment der individuellen Vermeidefähigkeit die normative Garantie versagt.1722 Nach alledem ist klar: Für einen Normbruch zuständig machen kann man sich nur durch eine normwidrige (intentionale) Handlung (d. h. durch die handlungsmäßige Expression eines ganz bestimmten Programmgehalts), weshalb man den Begriff der Handlung nicht in der Kategorie der Zuständigkeit aufgehen lassen oder gar durch sie ersetzen kann.1723 Jakobs’ Lehre ist daher abzulehnen.

V. Rechtsprechung Die Abgrenzung der Beteiligungsformen in der Jurisdiktion kann und soll hier nicht dargestellt, geschweige denn analysiert werden.1724 Die Frage, ob die Rechtsprechung für diese Differenzierung überhaupt eine Theorie zugrunde legt und wenn ja welche, wird innerhalb der Strafrechtslehre ohnehin recht kontrovers beurteilt,1725 weshalb hier nur das Wesentliche herausgestellt sei: Die Praxis rekurriert nach wie vor auf einen Täterwillen, den sie aufgrund einer „wertenden Gesamtbetrachtung“ im Einzelfall ermittelt; diese Zuschreibung wird zwar anhand eines festen Sets 1721

Jakobs, Puppe-FS (2011), 547 (554). So im Hinblick auf die allgemeinen Obliegenheitsmodelle schlagend Freund, Erfolgsdelikt, 123; ders., AT, § 2 Rn. 30 ff. 1723 Eingehend dazu Schünemann, Roxin-FS (2001), 1 (18 ff.). 1724 Eine ausführliche Analyse findet sich etwa bei Roxin, TuT, 559 ff. oder auch bei Schild, in: NK, § 25 Rn. 33 ff. 1725 Roxin (AT/II, § 25 Rn. 22) meint etwa, die Rechtsprechung lege eine „normative Kombinationstheorie“ zugrunde (ihm folgend etwa Heine/Weißer, in: Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 64); demgegenüber hat zuletzt Schild (NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 6 ff. [10], 197 ff. [200]) die Ansicht geäußert, die Jurisdiktion verfolge bei subjektivem Ansatz überhaupt keine Theorie; s. aktuell auch ders., in: NK, § 25 Rn. 35 f. 1722

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4. Kap.: Bezugnahme des § 25 auf die Sanktionstatbestände

immer wiederkehrender Kriterien (= Grad des eigenen Interesses am Erfolg, Umfang der Tatbeteiligung, Tatherrschaft, Wille zur Tatherrschaft) vorgenommen, doch sind besagte Kriterien weder abschließend noch inhaltlich festgelegt, noch stehen sie in irgendeiner inhaltlichen Beziehung zueinander. Vielmehr laufen sie beziehungslos nebeneinander her und sind beliebig austauschbar, wobei im Einzelfall jedes Kriterium für sich allein genommen zur Begründung eines Täterwillens herangezogen werden kann.1726 Das Motiv für den in praxi dennoch anhaltenden Rekurs auf diesen „Mischmasch von ad-hoc-Kriterien“1727 ist offensichtlich: Er gibt die Möglichkeit an die Hand, die Subsumtion im Einzelfall an das gewünschte, weil für gerecht gehaltene, Ergebnis anzupassen: „Verdient“ der Handelnde Täterstrafe, so wird nach Möglichkeit Täterwille zugeschrieben, „verdient“ er hingegen eine mildere Strafe, so wird bloß auf einen Gehilfenwillen erkannt.1728 So nachvollziehbar dieses Vorgehen mit Blick auf das Prinzip der Einzelfallgerechtigkeit auch sein mag, so klar ist freilich, dass eine solche unter der Hand praktizierte „Strafzumessungslösung“, die letztlich dem Richter die Beurteilung der Beteiligungsrollen anheimstellt, keine verfassungskonforme Konkretisierung der §§ 25 ff. mehr darstellen kann.1729 Aufzugreifen ist allerdings der weiterführende Gedanke Schilds1730, die Rechtsprechung lege durchaus einen sachangemessenen Ansatz zugrunde, indem sie für die Vorsatzdelikte auf den Willen als tragenden Grund der personalen Zurechnung abstelle. Assoziiere man damit einen handeln wollenden Willen, d. h. einen Willen, der ein taugliches Tatbestandshandlungsprogramm entwerfe, dann erweise sich zwar die Interessentheorie als fehlleitend, die Dolustheorie jedoch im Kern als angemessen, sofern man sie von der naturalistischen Prämisse der Äquivalenztheorie befreie. Denn der Wille, die Tat als eigene zu begehen, könne doch eigentlich nur den Willen meinen, selbst zu handeln, was mit dem Rekurs auf den Tatherrschaftswillen ja auch zum Ausdruck gebracht werde.1731 Festzuhalten ist, dass der Ansatz der Rechtsprechung durchaus konkretisiert werden könnte i.S.d. Rekurses auf einen programmatischen Tatbestandshandlungswillen.

1726 1727 1728 1729 1730 1731

Zum Ganzen ausführlich Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 6 ff., 198 ff. So Schünemann, in: GA 1986, 293 (330). Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 200. So das zutr. Resümee bei Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 200. In: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 199; ähnlich in: NK, § 25 Rn. 70. Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 199.

Fünftes Kapitel

Gelebtes (?) „sittliches“ Sein, rechtliches Sollen, und Einplanung freien Unrechtshandelns in das je eigene Handlungsprogramm Nach der hier entwickelten Ansicht unterscheiden sich Täterschaft und Teilnahme „nur“ handlungstheoretisch, d. h. im intensionalen Programmgehalt. Aus realontologischer Sicht liegt dem die Einsicht zugrunde, dass jeder Beteiligte im Zeitpunkt seines Handelns ex ante ein prinzipiell erfolgstaugliches Programm umsetzen muss, das ihm potentielle Tatbeherrschbarkeit vermittelt.1732 Tatbeherrschbarkeit i.d.S. ist die prinzipielle Kalkulierbarkeit des äußeren Geschehens aufgrund nomologischen Kausal- und/oder empirischen Erfahrungswissens in der Entscheidungssituation ex ante.1733 Eine solche Tatbeherrschbarkeit kommt aber letztlich jedem Beteiligten zu, da die Unwägbarkeiten, die mit der Einplanung fremder Verhaltensentschlüsse, insbesondere fremder Unrechtsentschlüsse, verbunden sind, die prinzipielle Programmtauglichkeit nicht hindern. Zwar sind die Humanwissenschaften außerstande, allgemeingültige Gesetze über das Zustandekommen menschlicher Verhaltensentschlüsse zu formulieren.1734 Doch ist die Notwendigkeit, Unwägbarkeiten in die eigene deliktische Planung einzubeziehen, keineswegs ein Spezifikum der Einplanung menschlicher Werkzeuge.1735 Denn eine mehr oder minder große „Erfolgsunsicherheit“ kann durchaus auch schon bei der ausschließlichen Planung mit Naturwerkzeugen auftreten, etwa bei Einsatz eines wilden Tieres oder sonst unberechenbar wirkender Naturkräfte.1736 Dieses unbestreitbare Datum lässt sich auch nicht mit dem luziden Hinweis auf die naturgesetzliche Determiniertheit natürlicher Verläufe übergehen.1737 Denn der nomologische Charakter von Naturkausalität nutzt dem Akteur in der Entscheidungssituation ex ante ja nur insoweit, als er zu besserer Antizipation befähigt. Gerade daran fehlt es jedoch, wenn entweder schon gar kein bekanntes Kausalgesetz existiert (so beim Loslassen eines wilden Tieres) oder aber das einschlägige Kausalgesetz zu komplex ist, um dem Akteur eine auch nur ansatzweise exakte Prognose 1732

Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 282, 284. Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 152 ff. 1734 So zutr. Puppe, in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 125 m.w.N. 1735 So schlagend schon Herzberg, JuS 1985, 1 (4). 1736 So etwa Herzberg, JuS 1985, 1 (4); ders., in: Verantwortung, 33 (41); Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 282; ders., in: § 25 Rn. 30. 1737 So aber Hoyer, in: SK, Vor § 25 Rn. 12. 1733

334 5. Kap.: Einplanung freien Unrechtshandelns in das eigene Handlungsprogramm

der Geschehensentwicklung zu ermöglichen (etwa beim Loswälzen eines unberechenbar springenden Steins von einem Gebirgshang, um einen weit entfernten Fußgänger zu treffen1738).1739 Ist aber exakte Kalkulierbarkeit oder gar Steuerbarkeit schon beim Planen mit Naturkräften nicht Beherrschbarkeitsprämisse, so kann sie es bei der Einplanung fremder Verhaltensentschlüsse ebenso wenig sein. Vielmehr genügt es auch hier, wenn das Handlungsprogramm des Hintermannes erfahrungsgemäß und also prinzipiell dazu taugt, den gewünschten Handlungsentschluss in der Person des Vordermannes hervorzurufen.1740

A. Steuerbarkeit bzw. Prognostizierbarkeit des Kausalverlaufs und fremde Freiheit In der Strafrechtswissenschaft1741 wird allerdings nach wie vor die Auffassung vertreten, die Einplanung vollständig determinierter Naturkausalverläufe sei ex ante erfolgssicherer als die Zwischenschaltung menschlicher Tätigkeit: Fremde Verhaltensentschlüsse seien angesichts der menschlichen Willensfreiheit in einem kategorialen Sinne prinzipiell schlechter kalkulierbar als reine Naturkausalität.1742 Doch abgesehen davon, dass dieses Axiom sich im Vergleich der komplexen Beteiligungsformen untereinander nicht konsequent durchhalten lässt,1743 ist auch seine hintergründige Prämisse unrichtig: Das Individuum selbst erlebt seine Verhaltensentscheidungen ebenso wenig als das Produkt unberechenbarer Willkür wie sein soziales Umfeld. Das zeigt – wie Schild1744 zu Recht betont – schon ein erster Blick auf die Verhältnisse der modernen „bürgerlichen Gesellschaft“, innerhalb derer der Einzelne zunächst das gesetzmäßige („rechtliche“) bzw. ganz allgemein das „gesellschafts- bzw. rollenkonforme“ Verhalten anderer unentwegt voraussetzt und einplant. Freilich ist zu fragen, ob diese Grundsätze auf die Einplanung unrechtlichen Handelns übertragen werden können. Denn dass das Subjekt seine Verhaltensentscheidungen nicht als Willkür erlebt, legt ja auch nahe, dass es nicht beliebig kor1738

Beispiel nach Herzberg, in: Verantwortung, 33 (41); ders., JuS 1985, 1 (4). Zuzugeben ist zwar, dass der Akteur bei Einplanung reiner Naturkausalität wenigstens noch die Freisetzung der Werkzeugkräfte eigenhändig beherrscht. Doch kann darin kein sinnvolles Abgrenzungskriterium mehr liegen, denn ob erst das konkrete Wirken oder aber bereits die „Freischaltung“ der externen Kräfte unbeherrschbar ist, macht in der Sache selbst keinen Unterschied: Von einer Herrschaft über das Werkzeug kann in beiden Fällen nicht gesprochen werden. 1740 Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 282; ders., in: NK, § 25 Rn. 30. 1741 Hoyer, in: SK, Vor § 25 Rn. 12 ff.; Schneider, Risikoherrschaft, 63, 70, 137, 200, 233. 1742 So etwa Hoyer, in: SK, Vor § 25 Rn. 12 f.; Schneider, Risikoherrschaft, 63, 70, 87, 137, 200, 233; Schumann, Selbstverantwortung, 5. 1743 s. dazu nochmals das im vorstehenden Text Gesagte sowie auch bereits oben, S. 297 ff. 1744 Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 282, 329; ders., in: NK, § 25 Rn. 30. 1739

A. Steuerbarkeit des Kausalverlaufs und fremde Freiheit

335

rumpierbar ist. Zwar ist die Idee eines den gesellschaftlichen Rationalitätsstandards vorgelagerten Vernunftssubjekts, das sich aus der elementaren Einsicht in die Koexistenz anderer Individuen heraus sittlich selbst bestimmt und damit gegen Korruption grundsätzlich „resistent“ ist,1745 sicherlich eine Überzeichnung.1746 Nichtsdestotrotz ist aber zu konzedieren, dass der freiheitlich-demokratische Systemrahmen der BRD eine Kultur der wechselseitigen Selbstbeschränkung im Handeln postuliert (vgl. Art. 2 I GG), die den in diese rechtlichen Verhältnisse integrierten Menschen prägt und idealiter zu seiner „zweiten Natur“1747 wird.1748 Es wird also, wie man sagen könnte, das „(Über-)Ich“ des Individuums durch positive En- und Akkulturation mit den Wertvorstellungen seiner Kultur aufgeladen.1749 Daraus folgt im Allgemeinen die Tendenz (!), rechtlich zu handeln und – bei Verinnerlichung der sittlich-rechtlichen Urteilspraxis – der „rechtschaffene“ Charakter, der in dieser Eigenschaft kalkulierbar wird, ohne dass diese Kontinuität einen Widerspruch zu der von ihm erlebten Willensfreiheit (= dem Andershandelnkönnen) bedeuten muss: Der rechtstreue Bürger ist eben schlicht bestrebt, sein künftiges Handeln an dem durch sein bisheriges Tun bestätigten und bewährten Lebenskonzept auszurichten, das ihn vor sich selbst und den anderen als „guten“ Menschen ausweist und für das er sich daher entschieden hat.1750 Soziologisch betrachtet ist damit aber wohl nur der Idealfall getroffen, denn gesehen werden muss andererseits (und heute wohl mehr denn je) auch die zunehmende Kontrafaktizität der konkreten Lebensverhältnisse, in denen die Sozialisation des Individuums stattfinden soll. Selbst wenn man eine solche Sozialisation i.S.d. rechtlichen Verhältnisse allgemein unterstellt oder postuliert, bedeutet dies keineswegs, dass die rechtliche Denkweise das Tun jedes Einzelnen in jeder denkbaren Entscheidungssituation determinierte. Denn von der „triebhaften“ Erstnatur des Menschen her gesehen, geht es ja doch um den Erwerb und die Festigung der Fähigkeit, unsittliche bzw. unrechtliche Handlungsimpulse dominant zu überformen1751 – was aber die prinzipielle Möglichkeit eines Wettstreits zwischen rechtlichen und unrechtlichen Motiven immer schon als natürlich gegeben voraussetzt. Damit ist Unrecht primär ein Handeln wider die normativ aufgeladene Zweitnatur, d. h. ein Ausfall aus der Rolle als Rechtsperson, in den Worten Schilds1752 : 1745

Rn. 7. 1746

So aber von der Philosophie des Deutschen Idealismus ausgehend Zaczyk, in: NK, § 30

So zutr. etwa (noch) Paeffgen, in: NK4, Vor §§ 32 ff. Rn. 219 f. s. zu dem aus der „philosophischen Anthropologie“ entlehnten Begriffspaar „erste Natur“/„zweite Natur“ Schild, in: NK, § 20 Rn. 6. 1748 Schild, in: NK, § 20 Rn. 4 ff.; vgl. auch Paeffgen/Zabel, in: NK, Vor §§ 32 ff. Rn. 220, der Schuld als „(…) abhängige Variable des jeweiligen Verfassungssystemrahmens (…)“ bezeichnet. 1749 So der Sache nach Schild, in: NK, § 20 Rn. 4 ff. 1750 So Schild, in: NK, § 20 Rn. 10. 1751 s. dazu Schild, in: NK, § 20 Rn. 4 ff. 1752 Schild, in: NK, § 20 Rn. 5. 1747

336 5. Kap.: Einplanung freien Unrechtshandelns in das eigene Handlungsprogramm „(Straf-)Unrecht ist eine Tat, die ,man‘ [Hervorhebung nicht im Original!] nicht begeht, nicht nur, weil sie bei und nach Ertapptwerden mit einem Übel bestraft wird, sondern weil sie dem Begriff der menschlichen Weltgestaltung – wie sie in den rechtlichen Verhältnissen vorgelegt, tradiert, gelernt wird, als richtig, sozial notwendig gedacht werden kann und deshalb in den Gesetzen schriftlich niedergelegt und verkündet wird – widerspricht (und damit dem Betreffenden selbst als einem Mitglied dieser Verhältnisse [als Rechtsperson] widerspricht).“

Vor einem solchen Ausbruch aus den rechtlichen Verhältnissen wird zwar beim erwachsenen, „normal“ sozialisierten Menschen eine psychische Hemmschwelle stehen.1753 Diese ist aber keineswegs inkommensurabel, sondern kann durch entsprechende Verführungsstrategien durchaus überwunden werden, kurzum: „Die Endlichkeit der Freiheit ist die menschliche Wirklichkeit, die nur durch ein abstraktes Sollen verborgen werden kann.“1754 Insbesondere die privaten Lebensverhältnisse, in die der Einzelne konkret eingebunden ist, bilden einen eigenen sozialen Mikrokosmos, der eigenen psychologischen „Gesetzmäßigkeiten“ folgt. Gerade hier kann daher auch unrechtliches Handeln planbar werden. So besteht jedenfalls im sozialen Nahbereich eine wechselseitige charakterliche Vertrautheit, weshalb auf bewährte Persuasionstechniken rekurriert bzw. an bekannte Wünsche, Vorlieben, Schwächen des jeweils anderen angedockt werden kann.1755 Hinzu kommt typischerweise ein hohes Maß an emotionaler Verbundenheit und – daraus folgend – wechselseitiger Loyalität.1756 Und überhaupt gestaltet innerhalb privater Sozialbindungen schon die Äußerung einer enttäuschungsfesten Verhaltenserwartung als solche den vom Adressaten reell mitgestalteten sozialen Mikrokosmos unmittelbar um, da er für den Fall einer Weigerung unmittelbare Auswirkungen auf sein Privatleben fürchten muss.1757 Nach alledem schließt die Verinnerlichung einer allgemeinen rechtlichen Handlungspraxis Korrumpierbarkeit keineswegs aus. Vielmehr muss die psychofaktische Möglichkeit der Manipulation menschlicher Verhaltensentscheidungen als soziologische Entität strikt geschieden werden vom abstrakten rechtlichen Sollen. Sie setzt gerade dort an, wo die „sittlich-autonome“ Selbstbestimmung des Einzelnen in der sozialen Realität endet bzw. enden kann, d. h. bei den konkret gelebten Sozialbindungen (Familie, Partnerschaft, Freundschaft, Arbeitsverhältnis etc.). Fokussiert man sich demzufolge auf die privaten Sozialbindungen, so fällt zunächst auf, dass persistente Delinquenzstrukturen innerhalb bestimmter sozialer „Milieus“ (man denke etwa an kriminelle Gangs oder bandenmäßige Zusammenschlüsse) zu einer wesentlich verbesserten Kalkulierbarkeit fremder Unrechtsentschlüsse führen. Denn in diesen Bereichen wird – analog der Rolle des rechtstreuen Bürgers – von vornherein nach einem (partiell) unrechtlichen Lebenskonzept verfahren, sei es, weil dieses sich für den Akteur bereits bewährt hat, sei es, dass der 1753 1754 1755 1756 1757

So zutr. Schild, in: NK, § 20 Rn. 5. Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 329. Schild, in: NK, § 25 Rn. 30; ders., in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 282, 329. s. dazu Amelung, Schroeder-FS (2006), 147 (165 f.). So zutr. Amelung, Schroeder-FS (2006), 147 (167) [„Schwierigkeit, Nein zu sagen“].

B. Freiheit und Freiverantwortlichkeit im (Straf-)Rechtssinne

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Akteur sich (der vermuteten Vorteile dieses Lebensstils wegen) erst noch als unrechtlich Handelnder bewähren will. Erschwerend hinzu kommt von der generalisierten Präsumtion individuell verinnerlichter Rechtstreue her gesehen, dass mit jeder delinquenten Handlung die sozialisationsbedingte Hemmschwelle vor weiterer Unrechtsbegehung sinkt.1758 Entsprechendes gilt – wenn auch in abgeschwächter Form – überall dort, wo bereits eine im Hinblick auf potentielle spätere Delinquenz tendenziöse Neigung zur Devianz besteht. Doch auch Menschen, die weder delinquenten noch devianten Verhaltensmustern folgen, sind innerhalb privater Sozialverhältnisse korrumpierbar. Das gilt zunächst und offensichtlich für allgemein schwache, ungefestigte Charaktere, die aufgrund von Hörigkeit, Unterwürfigkeit, Willensschwäche, Geltungsdrang, Loyalität etc. instrumentalisierbar werden. Und selbst an sich gefestigte Charaktere weisen individuelle Schwächen und Schwächemomente auf, die auch sie in der gelebten sozialen Realität anfällig für Korruption machen (können) – eben weil unrechtliches Verhalten typischerweise nicht von Irgendwem angesonnen wird, sondern von vertrauten Personen, die diese Schwachpunkte erfahrungsgemäß gut kennen.1759 Berücksichtigt man all das, so kann von einer prinzipiellen Unberechenbarkeit menschlicher Verhaltensentscheidungen ebenso wenig die Rede sein wie von einer prinzipiellen Verhaltensdetermination durch Sozialisation i.S.d. rechtlichen Verhältnisse. Vielmehr ist nach der Alltagserfahrung auch die Kalkulation fremden Unrechtshandelns ex ante möglich, sofern nur mit einer prinzipiell tauglichen Korrumpierungsstrategie gearbeitet wird. Dass über das Zustandekommen menschlicher Verhaltensentschlüsse keine uns bekannten Kausalgesetze existieren, steht ihrer prinzipiellen Einplanbarkeit dabei nicht entgegen, da naturgesetzliche Determiniertheit ohnehin kein Garant für Erfolgssicherheit ist (man denke nur an das Beispiel, dass ein unberechenbar springender Stein auf ein bestimmtes Ziel hin los gewälzt wird).

B. Menschliche Freiheit und Freiverantwortlichkeit im (Straf-)Rechtssinne Allerdings kann man die Endlichkeit menschlicher Freiheit als soziale Wirklichkeit mit der Kategorie der strafrechtlichen Tatverantwortlichkeit kontrastieren, der ja – wenn man so will – ein strafrechtlicher Freiheitsbegriff korrespondiert: Agiert man – so der Gedanke – bei der Deliktsverwirklichung im Strafrechtssinne „frei“, so schließt man hierdurch andere von der strafrechtlichen Tatverantwortung aus, mag man auch psychofaktisch unter deren Knute stehen. Das entscheidende Problem dieser Axiomatik besteht dann freilich in der Frage, was eigentlich unter „Freiheit“ im Strafrechtssinne zu verstehen sein soll. Dies kann, wie nachfolgend zu 1758 1759

Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 329. Schild, in: NK, § 25 Rn. 30.

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zeigen sein wird, wohl nicht sinnvoll beantwortet werden, ohne sich in beteiligungsrechtliche Widersprüche zu verwickeln.

I. Autonomieprinzip und normatives Regressverbot nach Renzikowski Nach Renzikowski soll die Tatverantwortlichkeit des letzten „autonom“1760 handelnden Gliedes in einer Ursachenkette eine Mitverantwortlichkeit anderer Beteiligter für das verwirklichte Tatgeschehen ausschließen i.S.e. „normativen Regressverbots“.1761 Doch diese Konsequenz ist wohl kaum haltbar, muss doch das allgemeine Regressverbot gerade durchbrochen werden, um das der Teilnahme zugrunde liegende Handlungsunrecht angemessen erklären zu können.1762 Renzikowski will nun dieser Schwierigkeit entgehen, indem er für die Akte des Bestimmens und des Hilfeleistens „eigenständige“ Verhaltensnormen in Gestalt von Gefährdungsverboten annimmt, mit der Begründung, dass die betreffenden Handlungen die Gefahr einer autonomen Haupttatbegehung erhöhten.1763 Aber diese Argumentation kann nicht befriedigen, denn es ist nicht erklärbar, wie und warum die Teilnahmehandlungen überhaupt noch unerlaubte Risikoschaffungen sein sollen, wenn die „autonome“ Unrechtshandlung des Haupttäters eine Verantwortlichkeit anderer für die Rechtsgutsverletzung gerade ausschließen soll.1764 Der diesbezügliche Hinweis Renzikowskis auf das Axiom der faktischen „Sozialbindung“ des Haupttäters hilft hier nicht weiter, denn begreift man die Person als „(…) eigenverantwortliches Rechtssubjekt in einem Geflecht vielfältiger Bindungen zur Gesellschaft (…)“1765, so muss dies den Ansatz beim trennenden Autonomieprinzip erodieren: Die Annahme einer rechtlichen Mitverantwortung tatferner Beteiligter für die Unrechtstat des letzten autonom handelnden Gliedes in der Kausalkette ist mit dem Axiom vom normativen Regressverbot unvereinbar.1766 Überhaupt vermag der Ansatz bei Autonomie und Regressverbot die haupttatakzessorische Ausgestaltung der Teilnahme nicht zu erklären, deren innerer Bezugspunkt doch nur im personalen Handlungsunrecht der Teilnahme liegen kann.1767

1760 Gemeint ist formale Autonomie, d. h. bloße Autonomiefähigkeit, die mit strafrechtlicher Einsichts- und Motivationsfähigkeit identifiziert wird (so Renzikowski, Täterbegriff, 72; krit. dazu aus rechtsphilosophischer Sicht Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 177, 308). 1761 Renzikowski, Täterbegriff, 73, 157 ff.; in der Sache ähnlich Schumann, 4 f., 6, 42 ff. 1762 So zutr. Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 177, 308. 1763 Restriktiver Täterbegriff, 123 ff. 1764 So die zutr. Kritik bei Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 177. 1765 Restriktiver Täterbegriff, 136. 1766 Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 177. 1767 Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 177, 308.

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Demgegenüber muss Renzikowski1768 auf Strafbedürftigkeitserwägungen ausweichen, um das gesetzliche Erfordernis einer vorsätzlich-rechtswidrigen Haupttat erklären zu können: Durch die vom Teilnahmehandlungsunrecht unabhängige Sanktionsbedingung der Akzessorietät werde die Strafbarkeit der Verletzung selbständiger Teilnahmeverbote wegen sonst fehlender (!) Strafbedürftigkeit eingeschränkt.1769 Diese These ist aber schon allein deshalb nicht haltbar, weil auch die versuchte Anstiftung in § 30 partiell mit Strafe bedroht ist. Gerade vom Autonomieprinzip her wäre aber nicht erklärbar, warum der Gesetzgeber ausgerechnet für den Anstiftungsversuch zum Verbrechen, wo doch die Tatskrupel des präsumtiven Haupttäters erfahrungsgemäß am größten sein müssten,1770 unter Gefährdungsgesichtspunkten auf die Strafwürdigkeitsprämisse einer vorsätzlichen Haupttatbegehung verzichtet haben sollte. Nach alledem kann der Ansatz bei der Autonomie des Einzelnen und einem ihr korrelierenden Regressverbot nicht überzeugen.

II. Strafrechtliche Tatfreiheit und beteiligungsrechtliches Verantwortungsprinzip Nach alledem schließt die Autonomie des letzthandelnden Subjekts es keineswegs aus, auch tatferne Beteiligte für das Unrecht der „autonom“ begangenen Haupttat zur Verantwortung zu ziehen. Allerdings fragt sich, ob der Gedanke der strafrechtlichen Verantwortlichkeit nicht wenigstens dazu herangezogen werden kann, trotz der zwischen den Beteiligten bestehenden Sozialbindungen eine normative Grenze zwischen Täterschaft und Teilnahme zu ziehen. 1. Die Gallas’sche Ursprungssentenz Diesen Weg hat ursprünglich Gallas1771 beschritten, der nicht bei der Autonomie des Einzelnen als einem „interferenzfrei“ gedachten Organisationskreis ansetzte, sondern gerade umgekehrt von den wirklich gelebten sozialen Verhältnissen her kam und mit Blick auf die mittelbare Täterschaft konstatierte: „(…) Tatherrschaft durch Benutzung eines anderen als Werkzeug [muss] dort ihre Grenzen finden, wo das Recht das Tun des unmittelbar Handelnden als ein freies und damit persönliche Verantwortung begründendes wertet. Denn am Maßstab derselben Wertordnung gemessen, kann ein Verhalten nicht zugleich als frei und als von einem anderen beherrscht, d. h. aber als unfrei, erscheinen.“1772

1768 1769 1770 1771 1772

Restriktiver Täterbegriff, 131 ff. Restriktiver Täterbegriff, 137. Vgl. dazu Zaczyk in: NK, § 30 Rn. 7. Beiträge, 99 f.; Materialien, 121 (134). Gallas, Beiträge, 78 (99).

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Demnach ging es Gallas um die normative Limitierung psychofaktisch verstandener Willensherrschaft zu dem Zweck, die Rechtsordnung widerspruchsfrei zu halten.1773 Damit hat Gallas durchaus die richtige Weichenstellung für die Abgrenzung der Beteiligungsformen herausgearbeitet. Doch wirft sein Axiom immer noch Probleme auf, die einer Lösung harren, weshalb tiefer gegriffen werden muss: Zunächst bleibt Gallas ungenau insofern, als nicht klar wird, ob sein Axiom schon das Handlungsprogramm des Hintermannes selbst korrigieren oder aber „nur“ die Zurechnung des Erfolges zum Handlungsprogramm ausschließen soll.1774 Dieses Problems hat sich inzwischen Schild angenommen, der Gallas’ Sentenz konsequent auf das Handlungsprogramm ex ante gemünzt hat: Der mittelbare Täter müsse die Tatbestandshandlung durch den anderen als Werkzeug begehen wollen, was jedoch unmöglich sei, wenn dieser selbst die wirkliche Tatbestandshandlung setzten solle.1775 – Auch diese Korrektur erklärt allerdings noch nicht, warum man das freie Unrechtshandeln eines anderen nicht mehr als Werkzeugtätigkeit zur Verwirklichung einer eigenen Unrechtshandlung einplanen kann. Die Erklärung dafür liegt im praktisch institutionalisierten Wissen um die Grenzen der eigenen intentionalen Selbstverwirklichungsfähigkeit: Soweit ich fremden Entscheidungszugriff einplane, kann ich denklogisch keinen eigenen vornehmen. Um über den Kopf eines anderen hinweg handeln zu wollen, muss ich daher das fremde Handeln meinerseits intentional überformen wollen. Gefragt ist daher nicht eine herrschaftslimitierende beteiligungsrechtliche „Allokationsregel“ i.S.e. Verantwortungsprinzips, sondern die strafrechtliche Konturierung von Interpretationsmustern einer komplexen intentionalen Selbstverwirklichung. In diesem Zusammenhang – und nicht etwa als Konkretionen eines beteiligungsrechtlichen „Verantwortungsprinzips“ – werden dann die §§ 16, 17, 32, 34, 35 relevant. Dadurch wird zugleich das dritte Problem der Gallas’schen Verantwortungsmaxime beseitigt, nämlich die Inkompatibilität zwischen der relativen Unfreiheit des sog. Tatmittlers im beteiligungsrechtlichen Sinne und seiner absoluten Tatfreiheit im schuldstrafrechtlichen Sinne (z. B. bei Einplanung eines vermeidbaren Verbotsirrtums [§ 17 S. 2] oder eines Entschuldigungstatbestandsirrtums [§ 35 II]). Darauf wird im Anschluss an die nachfolgende Darstellung des von Roxin entwickelten Verantwortungsprinzips noch ausführlich zurückzukommen sein.

1773 So bereits Gallas selbst, in: Beiträge, 78 (99 f.); s. auch die Analyse bei Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 313. 1774 So zutr. Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 313. 1775 Schild, in: NK, § 25 Rn. 79.

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2. Das Verantwortungsprinzip als positives Konstitutionsprinzip rechtlich dominanter Willensherrschaft nach Roxin und eigene Ansicht Soweit ein „Verantwortungsprinzip“ in der Strafrechtswissenschaft verfochten wird, wird damit im Hinblick auf Herleitung, Funktion und Umfang durchaus Unterschiedliches assoziiert.1776 Augenscheinlich wird dies zunächst am Anwendungsfall der „Nötigungsherrschaft“, die allgemein durch Rekurs auf die strafrechtliche Tatverantwortung von der Anstiftung abgegrenzt wird. Der Genötigte begeht eine vollsinnige Unrechtstat, weshalb zu fragen ist, wie der Nötiger sich „durch“ ihn im Tatbestand verwirklichen können soll. Dies kann letztlich nur geschehen durch Anwendung eines kongruenten Deutungsschemas fremdbestimmten Handelns. Als solches scheint auf den ersten Blick die Exkulpationsvorschrift des § 35 I 1 prädestiniert zu sein, da sie den Betroffenen bei Vorliegen eines Motivationsdrucks von bestimmter Art und Stärke „(…) von der Verantwortung entlastet und ihn straflos den Weg des geringsten Widerstands gehen lässt (…)“1777. Daraus hat Roxin für den seinerzeit in § 52 StGB a.F. separat geregelten Fall des „Nötigungsnotstandes“ gefolgert, der Gesetzgeber wechsle auch in beteiligungsrechtlicher Hinsicht den Blickpunkt und schiebe die Tatverantwortung dem Hintermann zu, der dadurch zur Hauptfigur des Handlungsvorganges avanciere.1778 Eine solche beteiligungsrechtliche Funktion kann aber jedenfalls dem geltenden § 35 I 1 nicht mehr unterlegt werden, denn die Vorschrift verlagert nicht die strafrechtliche Tatverantwortung, sondern regelt allein diejenige des Notstandstäters.1779 Die rechtsfolgentechnische Entlastung des Notstandstäters de lege lata als normatives „Konstitutionsprinzip der Tatherrschaft“1780 etwaiger Hinterleute ansehen zu wollen, dürfte daher die Grenzen juristischer Gesetzesinterpretation sprengen.1781 Noch weniger plausibel ist der Gedanke einer solchen Verantwortungsverschiebung sub specie §§ 32, 34, denen Roxin1782 das Verantwortungsprinzip aber ebenfalls unterlegen will. Es fragt sich jedoch, wie dies dogmatisch funktionieren soll, agiert doch das genuin gerechtfertigte (d. h. nicht zugleich i.S.d. § 35 genötigte) Werkzeug zweifellos freiverantwortlich (= ungenötigt und irrtumsfrei), so dass ein „zweckrationales Herrschaftsfundament“1783 zur Erklärung der Verantwortungsverschie1776

s. dazu die eingehende Analyse bei Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 312 ff.; ferner auch bereits Küper, JZ 1989, 935 (941 ff.). 1777 Roxin, TuT, 146. 1778 TuT, 146 f. 1779 So Stein, Beteiligungsformenlehre, 200; Küper, JZ 1989, 935 (948); Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 316. 1780 So die zutr. Bezeichnung bei Küper, JZ 1989, 935 (946). 1781 Stein, Beteiligungsformenlehre, 200; Küper, JZ 1989, 935 (948); Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 316. 1782 TuT, 167 f. 1783 So die Terminologie bei Küper, JZ 1989, 935 (948).

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bung gerade fehlt.1784 Sinnvoller erscheint daher eine Abgrenzung nach dem vom Hintermann eingeplanten Intentionalzustand des Werkzeugs, so wie er in den §§ 32, 34, 35 tatbestandlich anerkannt ist.1785 Nur um diesen rechtlich anerkannten Unterschied im intensionalen Handlungsgehalt kann es doch bei der intentionalen Selbstverwirklichung „durch“ einen anderen sinnvollerweise gehen.1786 Sieht man die Dinge so, so lassen sich auch die „Zweifelsfälle“1787 der Instrumentalisierung eines Entschuldigungstatbestandsirrtums (§ 35 II) und eines genuinen Erlaubnistatbestandsirrtums zuverlässig einordnen: Die Einplanung eines Entschuldigungstatbestandsirrtums ist ein Fall des genötigten,1788 die Einplanung eines Erlaubnistatbestandsirrtums ein Fall des gerechtfertigten1789 Werkzeugs.1790 Deutlich wird, dass Roxin wegen der beim Genötigten verorteten „Handlungsherrschaft“ konzeptionell gezwungen ist, ein Verantwortungsprinzip in die §§ 32, 34, 35 hineinzulesen, um eine strafrechtlich überlegene Herrschaftsposition des Hintermannes begründen zu können: Von einer Herrschaft über den Willen des die Handlung beherrschenden Vordermannes kann normativ erst gesprochen werden, wenn das Strafrecht ihn ob seiner Unfreiheit nicht mehr für sein Tun verantwortlich macht. Dieser Gedanke versagt aber spätestens beim genuin gerechtfertigten Werkzeug, wo es an einer unfrei machenden Willensherrschaft des Hintermannes gerade fehlt. Ankommen kann es hier nur auf die vom Hintermann eingeplante, tatbestandlich anerkannte Differenz in der Handlungsinterpretation.1791 1784 So zutr. bereits Randt (Mittelbare Täterschaft, 48 ff. [52 ff.], der daher (u. a.) im Hinblick auf den Einsatz eines nur-gerechtfertigt handelnden Werkzeugs von einer „Übernormierung“ der Tatherrschaftslehre durch das Verantwortungsprinzip spricht (a.a.O., 58); s. auch Puppe, Küper-FS (2007), 443 (448 f.). 1785 So im Ansatz bereits Herzberg, Jura 1990, 16 (25 f.); ders., Täterschaft, 21 f.; Randt, Mittelbare Täterschaft, 27 ff. 1786 Was ja Roxin mit seiner Lehre von den „Stufen sinnhafter Tatgestaltung“ (TuT, 197 ff.) für die „Irrtumsherrschaft“ auch zutreffend herausgearbeitet hat. Warum aber für den Einsatz eines genötigten und eines genuin gerechtfertigten Werkzeugs nicht ebenfalls der Unterschied im intensionalen Programmgehalt maßgeblich sein soll, bleibt offen. 1787 Innerhalb der „dualistischen“ Willensherrschaftslehre Roxins (ausführlich dazu Küper, JZ 1989, 935 [944 ff.]), lässt sich die Einplanung eines Entschuldigungs- oder Erlaubnistatbestandsirrtums keiner der beiden gängigen Kategorien eindeutig zuschlagen. Nach Roxin soll letztlich doch der unverschuldete Irrtum des menschlichen Werkzeugs die mittelbare Täterschaft des Hintermannes begründen (so für den Entschuldigungstatbestandsirrtum in: TuT, 208 ff.). Das kann aber nicht überzeugen, da in der Sache gerade nicht der Irrtum entscheidet, sondern der positiv abweichende Intentionalzustand, d. h. das Erlebnis aktueller Fremdbestimmtheit (§ 35 II) bzw. eines erlaubten Handelns (Erlaubnistatbestandsirrtum); s. instruktiv dazu auch bereits Herzberg, Täterschaft, 21 f. 1788 So bereits Herzberg, Jura 1990, 16 (25); ders., Täterschaft, 21 f.; Randt, Mittelbare Täterschaft, 80 m. 89, 92, 94, 97. 1789 Letzteres ist, soweit ersichtlich, in der einschlägigen Literatur merkwürdigerweise noch nirgends erwogen worden. 1790 s. eingehend zum Ganzen noch unten, S. 409 ff., 412 f., 470 ff. 1791 So im Ansatz auch bereits Herzberg, Jura 1990, 16 (25 f.).

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Trotz aller Kritik an Roxins Gesetzesinterpretation lässt sich jedoch nicht bestreiten, dass er durchaus Richtiges trifft, wenn er meint, das Gesetz lasse den Notstandstäter in § 35 I 1 den Weg des geringsten Widerstandes gehen. Denn abseits aller teleologischen Detailfragen1792 liegt ja doch auf der Hand, dass die Vorschrift eine generalisierte Berufung auf die Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens zulässt, genauer: auf die zur Tat treibenden Umstände, die ein normgemäßes Verhalten für den quivis ex populo unzumutbar machen. Demnach verschiebt also zwar § 35 I 1 keine Verantwortung; jedoch gestattet die Norm es dem quivis ex populo, die zur Tat treibenden äußeren Umstände für sein Tun „verantwortlich“ zu machen d. h. nicht mehr sich selbst als maximengeleitete Person in seinem Tun repräsentiert zu sehen.1793 Wesentliche Folge dessen ist, dass dem Erlebnis aktueller Fremdbestimmtheit beim qualifiziert Genötigten ein korrelatives höherstufiges Handlungserlebnis des initiierenden Nötigers entspricht.1794 Damit beruht die „Nötigungsherrschaft“ im Sinne Roxins auf dem allseits zugrunde gelegten kongruenten Interpretationsmuster eines fremdbestimmten Handelns, dessen Rechtsverbindlichkeit aus § 35 I 1 folgt. Die Vorschrift statuiert also nicht etwa ein „Verantwortungsprinzip“, sondern ein allgemeingültiges soziales Deutungsmuster fremdbestimmten Handelns. Einer wie auch immer gearteten Verantwortungsallokation bedarf es daher nicht. Abzulehnen ist jedoch auch die dem Verantwortungsprinzip schroff entgegengesetzte Antithese,1795 wonach bereits jede Androhung eines empfindlichen Übels i.S.d. § 240 genügen soll, um eine mittelbare Täterschaft des Hintermannes zu begründen. Diese Lehre ist schon aufgrund ihrer Anknüpfung an den „offenen“ Tatbestand des § 240 ungeeignet, Tatbestandshandlungen in einer dem Bestimmtheitsgebot genügenden Weise rechtssicher von Teilnahmehandlungen abzugrenzen. 1792

s. dazu Randt, Mittelbare Täterschaft, 39 ff. Ähnlich schon Kindhäuser, in: NK, Vor §§ 249 ff. Rn. 6: „Die Notstandslagen nach §§ 34, 35 sind nur vertypte Zwangslagen und setzen im Einzelfall nicht den Nachweis voraus, dass der Betroffene unter einem wie auch immer gearteten psychischen oder körperlich spürbaren Druck von bestimmter Intensität steht. Vielmehr wird davon ausgegangen, dass derjenige, der sich in einer Notstandslage befindet, adäquate Abwehrmaßnahmen ergreift, die nicht seiner Willkür, sondern der (von Verantwortung entlastenden) Situation zugeschrieben werden, mit der Folge, dass der (verantwortlich) die Situation Herbeiführende und nicht der sie Abwendende für die adäquaten Maßnahmen zuständig ist.“ 1794 Anders liegen die Dinge dagegen in den Fällen des § 35 I 2, wo der Genötigte dem Tatimpuls von Rechts wegen widerstehen, ihn dominant überformen muss, weshalb er sein Tun hier gerade nicht als Ausfluss der äußeren Umstände interpretieren darf. Die Ausnahmeregelung des § 35 I 2 befriedet also keineswegs bloß einen vom aktuellen Tatzwangerlebnis unabhängigen sozialen Konflikt (so aber Randt, Mittelbare Täterschaft, 35 ff. [37]), sondern sie stellt klar, dass die intersubjektive Zuschreibung von Handlungsverantwortung in Notstandssituationen für Sonderpflichtige einem abweichenden (vor)rechtlichen Interpretationsmuster folgt. 1795 So Hoyer, in: SK, § 25 Rn. 101; zwischenzeitlich auch Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 327, der diese Auffassung jedoch mittlerweile aufgegeben hat (in: NK, § 25 Rn. 31, 79). 1793

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Überdies geht auch sie an der sozialontologischen Struktur der „Nötigungsherrschaft“ vorbei: Der strafrechtliche Maßstab für fremdbestimmtes Handeln ist ausschließlich dem Tatbestand des § 35 I 1 zu entnehmen, der materiell festlegt, unter welchen Prämissen man sein Handeln als Ausfluss der zur Tat drängenden Umstände interpretieren darf. Allein diesem Maßstab kommt normative Allgemeinverbindlichkeit und Bestimmtheit zu. Deshalb sind schließlich auch all jene Lehren abzulehnen, die für die Willensherrschaft des Hintermannes auf rein psychofaktische Kriterien wie etwa eine psychische Hörigkeit des Werkzeugs im Einzelfall1796 oder auf ein Handeln des Werkzeugs im „Grenzbereich der Entschuldigungsgründe“1797 rekurrieren wollen. Abschließend bleibt festzuhalten: Eine herrschaftskonstituierende Verantwortungsallokation, wie sie Roxin vorschwebt, erweist sich als obsolet, da die §§ 32, 34, 35 die für die mittelbare Täterschaft relevanten Interpretationsmuster bereits tatbestandlich vorgeben. 3. Rezeption und Ausbau des Verantwortungsprinzips in der Strafjurisprudenz: Strafrechtsdogmatische Fortentwicklung des allgemeinrechtlich hergeleiteten herrschaftslimitierenden Verantwortungsprinzips i.S.v. Gallas Nichtsdestotrotz erscheint es lohnenswert, im vorliegenden Zusammenhang einen Blick auf die Rezeption des Verantwortungsprinzips durch die Beteiligungsformenlehre insgesamt zu werfen. Denn die meisten Vertreter der heute dominierenden allgemeinen Tatherrschaftsdoktrin1798 legen das Verantwortungsprinzip in der von Gallas entwickelten, herrschaftslimitierenden Urform zugrunde, die beteiligungsrechtliche Allgemeingültigkeit beansprucht: Hält man personale Freiverantwortlichkeit und Werkzeugqualität für innerhalb ein und derselben Rechtsordnung unvereinbare Topoi, so muss dies konsequent auch für die „Irrtumsherrschaft“ gelten.1799 Roxin hatte eine solche Erstreckung noch dezidiert abgelehnt, da die Irrtumsherrschaft eine von der Nötigungsherrschaft abweichende psychologische Struktur aufweise, deren Besonderheiten bei unreflektierter Übertragung des Verantwortungsprinzips unberücksichtigt blieben. Denn anders als der genötigte Tatmittler handle ja der Irrende aus freiem Entschluss heraus, weshalb nicht seine Person beherrscht, sondern infolge des Irrtums der gesamte Geschehensablauf final überdeterminiert werde.1800 1796

Maurach/Gössel/Zipf, AT/27, § 48 Rn. 86. Schroeder, Täter, 120 ff. 1798 Diese im Schrifttum dominierende Lehre reklamiert für das Tatherrschaftskriterium, das in Roxins Lehre von der „Zentralgestalt“ lediglich als Subkriterium für die sog. „Herrschaftsdelikte“ fungiert, ausgesprochen oder unausgesprochen beteiligungsrechtliche Allgemeingültigkeit; s. dazu bereits oben, Fn. 1. 1799 Instruktiv dazu etwa schon Herzberg, Täterschaft, 17 ff. 1800 Roxin, TuT, 170 ff., 196 ff., 232, 725 f.; zust. etwa Schünemann, in: LK, § 25 Rn. 79. 1797

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Diese Argumentation ist nicht unwidersprochen geblieben, und in der Tat ist sie intrasystematisch problematisch, denn: Erstens wird auch der genuin gerechtfertigt handelnde Tatmittler nicht als unfreies Werkzeug beherrscht, weshalb das Verantwortungsprinzip für seine Einplanung konsequenterweise ebenso abgelehnt werden müsste.1801 Diese Konsequenz will Roxin1802 aber nicht ziehen, weshalb von der Heranziehung des Axioms im Fall des gerechtfertigten Werkzeugs her gesehen seine Zurückweisung im Bereich der Irrtumsherrschaft nicht mehr begründbar ist.1803 Zweitens ist nicht nachvollziehbar, inwiefern die Art der psychischen Befindlichkeit beim Ausführenden an der rechtlichen Allgemeingültigkeit des Verantwortungsprinzips etwas ändern soll, wenn doch der Sinn des Axioms gerade darin liegt, psychofaktische Herrschaft durch Verantwortungsverschiebung normativ zu fundieren.1804 Drittens schließlich ist das ontologische Argument auch in sich nicht zwingend, denn der irrende Tatmittler handelt psychologisch gesehen nicht minder unfrei als der genötigte; seine Fähigkeit zur normgemäßen Willensbildung ist bloß aus phänomenal abweichenden Gründen beeinträchtigt: Während die Notstandssituation den Tatantrieb bis zur Unwiderstehlichkeit verstärkt, hindert bzw. beseitigt der Tatbestands- oder Verbotsirrum umgekehrt das rechtliche Vermeidemotiv.1805 Nach alledem müsste die Anerkennung des Verantwortungsprinzips konsequenterweise dessen Allgemeingültigkeit nach sich ziehen. Die allgemeinrechtlich begründete herrschaftslimitierende Fassung in der Tradition von Gallas dürfte daher in der Tat die dogmatisch konsistentere Version der Grundidee darstellen. a) Allgemeinrechtliches herrschaftslimitierendes Verantwortungsprinzip und fahrlässig agierender Tatmittler Doch ist der Preis für die auf solchem Wege zu erzielen gedachte Systemkonsistenz hoch, denn ein allgemeingültiges Verantwortungsprinzip müsste dann eigentlich auch konsequent an der individuellen Tatverantwortung ausgerichtet werden, was vor Probleme stellen muss. Denn da „(…) Freiheit und Verantwortung nur die (objektive und subjektive) Möglichkeit einer rechtskonformen Entscheidung voraussetzen, wäre konsequenterweise auch beim Einsatz einer unvorsätzlich handelnden Mittelsperson Tatherrschaft auszuschließen, sofern dem Mittler nur ein Fahrlässigkeitsvorwurf gemacht werden kann, der dessen strafrechtliche Verantwortung begründet (…)“1806.

1801

Puppe, AT, § 15 Rn. 5; dies., Küper-FS (2007), 443 (448). TuT, 167 f. 1803 So zutr. Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 317. 1804 Herzberg, Täterschaft, 19; Küper, JZ 1989, 935 (946). 1805 Herzberg, Täterschaft, 18 f., 24; Bloy, Beteiligungsform, 350; M.-K. Meyer, Ausschluß, 55 ff.; Schroeder, Täter, 73; Küper, JZ 1989, 935 (946 f.). 1806 Küper, JZ 1989, 935 (942). 1802

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Nun ist natürlich niemand bereit, diese Konsequenz tatsächlich zu ziehen. Stattdessen wird nach einem Weg gesucht, das Prinzip der prinzipiellen strafrechtlichen Tatverantwortlichkeit (= der „formalen“ Autonomiefähigkeit) mit dem herrschaftslimitierenden beteiligungsrechtlichen Verantwortungsprinzip in Einklang zu bringen (anstatt aus der Kollision beider Axiome auf eine mögliche Perplexität des Letzteren zu schließen). Klar war, dass die angestrebte Harmonisierung nur über eine Relativierung der klaren Grundidee in Betracht kam – nämlich, indem man für die tatherrschaftslimitierende Wirkung des beteiligungsrechtlichen Verantwortungsprinzips nicht mehr auf die konkrete Selbstbestimmungsfähigkeit des als Werkzeug eingeplanten Vordermannes abstellte, sondern auf eine abstrakte, fiktive Vollverantwortlichkeit i.S.d. Vorsatzdelikte (= Vorsatzschuld).1807 Nur ist das kein gangbarer Weg, denn der Fahrlässigkeitstäter handelt ja nicht etwa unverantwortlich i.S.d. Vorsatzdelikte, weil er bei Ausschöpfung seiner Erkenntniskräfte vorsätzlich hätte handeln können, sondern er agiert aktuell-tatbezogen frei (i.S.d. Fahrlässigkeitsdelikte)!1808 Doch selbst wenn man bereit wäre, eine von der positiven Tatverantwortung unabhängige Kategorie strafrechtlicher „Vollverantwortlichkeit“ zu fingieren, hülfe dies nicht recht weiter; denn ein derart modifiziertes Verantwortungsprinzip „(…) lebt nicht mehr von der elementaren Idee normativer Widerspruchsfreiheit, in deren Horizont eine ,Beherrschung‘ des kraft Selbstbestimmungsfähikeit freien und verantwortlichen Täters als unüberbrückbarer Gegensatz der Wertungen begriffen werden muss (…)“1809.

Stattdessen geht es nur noch um eine vergleichsweise geringere Tatverantwortlichkeit des fahrlässig Handelnden, die von vornherein nur an der Vollverantwortlichkeit eines nutznießenden Hintermannes gemessen werden kann – eben als relative Unfreiheit dessen, der die deliktischen Pläne eines anderen nicht durchschaut und deshalb für diesen instrumentalisierbar wird.1810 Aus dieser zweckrationalen Perspektive ist dann auch selbstverständlich ein relativer Mangel an „Dispositions-“ oder „Zwecksetzungsfreiheit“ auszumachen – der aber die Selbstbestimmungsfähigkeit und damit die Tatverantwortlichkeit des Tatmittlers gerade unberührt lässt.1811 In einem Satz: Das modifizierte herrschaftslimitierende Verantwortungsprinzip ist gezwungen, mit einem relativen Freiheits- und Verantwortungsbegriff zu operieren, der vom tatschuldrechtlichen Freiheits- und Verantwortungsbegriff der lex lata substantiell abweicht.1812 Damit bricht das Ursprungsaxiom, nach dem freie Selbstbestimmungsfähigkeit und rechtliche Werkzeugeigenschaft sich gegenseitig ausschließen sollen, in sich zusammen. 1807 1808 1809 1810 1811 1812

So in Gallas’scher Tradition etwa Herzberg, Täterschaft, 20 f. s. dazu schon Küper, JZ 1989, 935 (942). Küper, JZ 1989, 935 (942). Küper, JZ 1989, 935 (942 f.); Herzberg, Jura 1990, 16 (22). Küper, JZ 1989, 935 (942 f.) [im Text zitierte Begrifflichkeiten a.a.O., 943]. Küper, JZ 1989, 935 (943); Herzberg, Jura 1990, 16 (22).

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b) Modifiziertes allgemeinrechtliches Verantwortungsprinzip und Einplanung eines vermeidbaren Verbotsirrtums Noch deutlicher wird die Unvereinbarkeit von schuldstrafrechtlicher Tatverantwortung und beteiligungsrechtlichem Verantwortungsprinzip bei der Frage, wie die Einplanung eines vermeidbaren Verbotsirrtums beteiligungsrechtlich gehandhabt werden soll. Insofern haben sich zwei große Interpretationslinien herausgebildet: Ein Meinungslager1813 attestiert dem vermeidbaren Verbotsirrtum des Vordermannes tatherrschaftslimitierende Wirkung, da nach § 17 S. 2 schon potentielle Verbotskenntnis volle Vorsatzschuld begründe. Danach sei bei Einplanung eines vermeidbaren Verbotsirrtums generell nur eine Teilnahme des Hintermannes möglich (hier sog. „strenges modifiziertes Verantwortungsprinzip“). Das andere Meinungslager1814 hingegen will den ohnehin bereits aufgeweichten Verantwortungsgrundsatz noch weiter öffnen und mittelbare Täterschaft des Hintermannes unabhängig von der Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums annehmen. Diese Auslegung wird insbesondere mit der Identität der psychofaktischen Herrschaftsverhältnisse1815 sowie mit dem abweichenden Anknüpfungspunkt des strafrechtlichen Schuldvorwurfs1816 in § 17 S. 2 begründet (hier sog. „offenes modifiziertes Verantwortungsprinzip“). Beide Lösungswege sind jedoch problembehaftet. Will man das Verantwortungsprinzip streng auf die Regelung des § 17 S. 2 abstimmen, so muss man sich in der Tat zunächst fragen lassen, welcher Sachgrund dann die beteiligungsrechtliche Ungleichbehandlung im Verhältnis zur Einplanung eines unvermeidbaren Verbotsirrtums noch rechtfertigen soll. Denn aus der Perspektive des Hintermannes macht es doch keinerlei Unterschied, ob der für den Vordermann eingeplante Verbotsirrtum nun vermeidbar ist oder nicht.1817 Auch wäre es wenig praktikabel, die Beteiligungsrolle des Hintermannes von dessen Tatsachenvorstellung über die individuelle Vermeidbarkeit des Irrtums in der Person des Vordermannes abhängig zu machen.1818 Davon abgesehen stellt sich aber auch ein grundsätzlicheres, axiomatisches Problem: Lässt man für die fiktive Vollverantwortlichkeit i.S.d. Vorsatzdelikte potentielle Verbotskenntnis genügen, so müsste 1813 Jescheck/Weigend, AT, § 62 II 5 (S. 669); Stratenwerth/Kuhlen, AT, § 12 Rn. 55; Herzberg, JuS 1974, 374 (374); ders., in: Verantwortung, 33 (48 ff.); Maiwald, ZStW 88 (1976), 712 (736 f.); ders., ZStW 93 (1981), 864 (892 f.); Bloy, Beteiligungsform, 347 ff.; Jakobs, AT, 21/94; Bottke, Täterschaft, 68 ff. 1814 s. etwa nur Herzberg, Täterschaft, 23; ders., Jura 1990, 16 (24 ff.); Schumann, Selbstverantwortung, 78 f.; Puppe, AT/21, § 40 Rn. 26 ff. (30 f.); Hoyer, in: SK, § 25 Rn. 74; Renzikowski, Täterbegriff, 81; auch Kindhäuser, Bemmann-FS (1997), 339 (345). 1815 So etwa Roxin, Lange-FS (1976), 173 (179 f.); Küper, JZ 1989, 935 (944); Puppe, AT/21, § 40 Rn. 27, 29. 1816 So Herzberg, Täterschaft, 23; ders., Jura 1990, 16 (24 ff.); Schumann, Selbstverantwortung, 78 f.; Puppe, AT/21, § 40 Rn. 30 f.; Kindhäuser, Bemmann-FS (1997), 339 (345). 1817 So zutr. Roxin, Lange-FS (1976), 173 (179 f.); Küper, JZ 1989, 935 (944); Herzberg, Jura 1990, 16 (25); Puppe, AT/21, § 40 Rn. 27 ff.; auch BGHSt 35, 347 (353). 1818 So zutr. Roxin, Lange-FS (1976), 173 (180); Küper, JZ 1989, 935 (948).

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diese konsequenterweise auch dem einfachen Fahrlässigkeitstäter attestiert werden – mit der bereits angesprochenen Konsequenz, dass schon ein Vorsatztäter hinter dem verantwortlichen Fahrlässigkeitstäter undenkbar wäre.1819 Das aber hätte, da die Teilnahme an fahrlässiger Tat de lege lata straflos ist, immense Strafbarkeitslücken zur Folge.1820 Daher verwundert es denn auch nicht, dass der Wertungswiderspruch, der in der beteiligungsrechtlichen Ungleichbehandlung von Tatsachen- und Rechtsfahrlässigkeit liegt, üblicherweise stillschweigend übergangen wird.1821 Einzig Jakobs1822 geht auf den „Bruch“ ein, sieht ihn jedoch im Gesetz selbst angelegt, da dieses eben bei fahrlässiger Ausführungstat die Teilnahme sperre. Diese Argumentation ist aber, wie Herzberg1823 zutreffend herausgestellt hat, gerade umzukehren: Dass das Teilnahmeunrecht de lege lata nicht minimal-akzessorisch, sondern limitiert-akzessorisch ausgestaltet ist, erklärt sich gerade daraus, dass die Einplanung „blinder“ Werkzeuge seit jeher als paradigmatischer Fall mittelbarer Täterschaft galt. Ist aber die historisch anerkannte mittelbare Täterschaft nach dem Verantwortungsprinzip nicht bruchfrei erklärbar, so liegt das an besagtem Axiom selbst, das deshalb verabschiedet werden muss. Damit stehen die Anhänger des strengen modifizierten Verantwortungsgrundsatzes vor einem unlösbaren Dilemma: Eine reinförmige Umsetzung der elementaren Grundidee ist undurchführbar, da sie schon bei der Einplanung fremder Tatsachenfahrlässigkeit zu klaffenden Strafbarkeitslücken führen müsste; öffnet man dagegen das Axiom auf dieser Ebene für eine zweckrationale Betrachtungsweise, so kann man dieselbe für die Einplanung fremder Rechtsfahrlässigkeit (§ 17 S. 2) nicht einfach wieder aufgeben. Tut man es doch, so steht man vor dem Problem der beteiligungsrechtlichen Ungleichbehandlung von Rechts- und Tatfahrlässigkeit sowie von vermeidbarer und unvermeidbarer Rechtsfahrlässigkeit. Bleibt zu fragen, ob nicht zumindest die offene Version des modifizierten Verantwortungsprinzips in der beteiligungsrechtlichen Einordnung des vermeidbaren Verbotsirrtums überzeugen kann. Das ist aber ebenfalls zu negieren, denn die Annahme einer normativen „Verantwortlichkeitsherrschaft“1824 des einen vermeidbaren Verbotsirrtum einplanenden Hintermannes kollidiert mit dem klaren Wortlaut des § 17 S. 2. Zwar ist nicht von der Hand zu weisen, dass der Intentionalzustand des Vordermannes beim vermeidbaren Verbotsirrtum derselbe ist wie beim unvermeidbaren.1825 Das ist aber gerade kein Argument für eine (zusätzliche) Relativierung 1819

(24). 1820

Roxin, Lange-FS (1976), 173 (180); Küper, JZ 1989, 935 (942); Herzberg, Jura 1990, 16

Küper, JZ 1989, 935 (942); Herzberg, Jura 1990, 16 (24). So die Analyse bei Herzberg, Jura 1990, 16 (24). 1822 AT, 21/95. 1823 Jura 1990, 16 (24). 1824 Der – treffende – Begriff stammt von Herzberg, in: Verantwortung, 33 (40). 1825 So auch BGHSt 35, 347 (353); Puppe (AT/21, § 40 Rn. 27 ff.) versucht diesen Umstand in Konkordanz mit dem Verantwortungsprinzip zu bringen. 1821

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des Verantwortungsprinzips,1826 sondern vielmehr für seine Ablehnung insgesamt!1827 Nichtsdestotrotz hat man jedoch versucht, Verantwortungsgrundsatz und vermeidbaren Verbotsirrtum unter Hinweis auf die besondere Art des in § 17 S. 2 vorgesehenen Schuldvorwurfs zu harmonisieren. So wollen manche Autoren1828 eine Parallele zur Tatsachenfahrlässigkeit ziehen und also sub specie § 17 S. 2 auf Rechtsfahrlässigkeit abstellen: Wer im Verbotsirrtum handle, begehe letztlich ebenso „blind“ Unrecht wie derjenige, der bereits über die tatsächlichen Voraussetzungen des objektiven Tatunrechts irre; auch er verdiene daher bei Vermeidbarkeit seines Irrtums nur den Vorwurf der Nachlässigkeit, mithin der Fahrlässigkeitsschuld.1829 Der Missbrauch derartiger Rechtsfahrlässigkeit durch Hinterleute müsse dann aber ebenso mittelbare Täterschaft begründen wie die Einplanung fremder Tatsachenfahrlässigkeit.1830 Diese Argumentation kann jedoch bei näherem Hinsehen nicht überzeugen, da ein Hybrid-Konstrukt aus vorsätzlichem Handlungsunrecht und Fahrlässigkeitsschuld die gesetzlich angeordnete Bestrafung wegen vorsatzschuldhafter Tat nicht trüge.1831 Damit scheidet eine Parallelenziehung zur Tatfahrlässigkeit als Legitimationsansatz aus. Einen weiteren Versuch, das Verantwortungsprinzip mit § 17 S. 2 in Einklang zu bringen, hat indes Puppe1832 unternommen: Dass der vermeidbare Verbotsirrtum weder dem aktuellen Unrechtsbewusstsein noch dem unvermeidbaren Verbotsirrtum gleichgestellt werde, könne nur mit einer Sonderform geminderter Vorsatzschuld erklärt werden, nämlich mit einer Kombination zwischen vorsätzlicher Tatbegehung im Verbotsirrtum und vorangehender Rechtsfahrlässigkeit, die dem Schuldvorwurf der actio libera in causa vergleichbar sei. – Daran ist richtig, dass der strafrechtliche Schuldvorwurf beim vermeidbaren Verbotsirrtum nicht an bloße „Verbotsfahrlässigkeit“1833 anknüpft, sondern an die obliegenheitswidrig unhinterfragte Begehung einer unrechtlichen Verletzungshandlung.1834 Damit normiert die Vorschrift des § 17 S. 2 in der Tat ein Zurechnungsinstitut sui generis, das eine besondere Art der Vorsatzverantwortlichkeit begründet. Nur handelt es sich eben der klaren Rechts1826

Soweit zutr. Puppe, AT/21, § 40 Rn. 28. So tendenziell auch bereits Herzberg, Jura 1990, 16 (24). 1828 So noch Herzberg, Täterschaft, 23; ebenso Schumann, Selbstverantwortung, 78 f. 1829 So Schumann, Selbstverantwortung, 78. 1830 Schumann, Selbstverantwortung, 79. 1831 Küper, JZ 1989, 935 (944). 1832 AT/21, § 40 Rn. 30; in der Sache ebenso schon Herzberg, Jura 1990, 16 (24 ff.); auch Kindhäuser, Bemmann-FS (1997), 339 (345). 1833 So die treffende Bezeichnung bei Küper, JZ 1989, 935 (944). 1834 So der Sache nach wohl auch schon Herzberg, Jura 1990, 16 (24); zur normentheoretischen Fundierung dieses die Situation des vermeidbaren Verbotsirrtums treffend einfangenden Obliegenheitsmodells s. Kindhäuser, Gefährdung, 82 f.; zur Klarstellung: Kindhäusers Normentheorie sowie die Heranziehung des Obliegenheitsmodells schon für den Bereich der Tatfahrlässigkeit werden hier nicht geteilt (s. ausführlich dazu bereits oben, S. 249 ff.). 1827

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folge nach um eine besondere Form strafbegründungsrechtlicher Vollverantwortlichkeit, die eine normative „Verantwortlichkeitsherrschaft“ des Hintermannes de lege lata ausschließen muss! Nach alledem ist das offene modifizierte Verantwortungsprinzip mit dem Wortlaut des § 17 S. 2 unvereinbar. Nur anzumerken ist, dass die mittelbare Täterschaft des den Verbotsirrtum einplanenden Hintermannes nach dem Verantwortungsprinzip natürlich erst recht nicht mit der in § 17 S. 2 vorgesehenen fakultative Strafmilderung bzw. deren praktischer Anwendung begründet werden kann. Denn wie sich von selbst versteht, können und dürfen bloße Strafzumessungserwägungen nicht über die strafbegründungsrechtliche Beteiligungsform des Hintermannes entscheiden.1835 Der vereinzelt gebliebene Vorschlag Hoyers1836, die „Irrtumsherrschaft“ überhaupt an die strafzumessungstechnisch mildere Behandlung des Vordermannes zu koppeln, ist daher von vornherein zu verwerfen.1837 c) Eigener Lösungsvorschlag Die Ablehnung des Verantwortungsgrundsatzes führt zu der Frage, wie die Irrtumsherrschaft nach dem hiesigen, handlungstheoretischen, Ansatz rechtlich zu fundieren und von der Teilnahme abzugrenzen ist. Die Antwort darauf wurde bereits vorweggenommen: Entscheidend ist allein, ob der Hintermann nach einem allgemeinverbindlichen Programm sinnhafter Überdetermination verfährt. Daher liegt auf der Hand, wie die Relation zu den §§ 16, 17 herzustellen ist: Dass der vom Hintermann realisierte Selbstverwirklichungszusammenhang ein deliktisch sinnvollerer ist als der vom Vordermann verwirklichte, kann nur dann angenommen werden, wenn das Recht selbst insofern ein Sinngefälle anerkennt. Genau das geschieht aber in den Irrtumstatbeständen der §§ 16, 17.1838 Indem diese den Tatbestands- und den Verbotsirrtum als Rechtskategorien tatbestandlich anerkennen, stellen sie klar, dass die vom Irrtum betroffenen Akte materiell einem unterlegenen „intentionalen Abbruchkriterium“1839 angehören. Damit trifft Küper1840 durchaus den 1835

s. dazu nur etwa Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 321. In: SK, § 25 Rn. 65, 104: Das Verantwortungsprinzip bedürfe bei der Wissensherrschaft einer Abschwächung dahingehend, dass es für mittelbare Täterschaft ausreiche, wenn der Vordermann aufgrund seines Irrtums zumindest strafzumessungsrechtlich milder zu beurteilen sei als bei voller Sacheinsicht. 1837 s. auch die Analyse dieses Ansatzes bei Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 321 ff. 1838 s. auch bereits Herzberg, Jura 1990, 16 (25). 1839 Begriff nach Kindhäuser, Intentionale Handlung, 183. 1840 JZ 1989, 935 (948) [im Text zitierte Begrifflichkeit ebenda]. Freilich hat Herzberg (Jura 1990, 16 [26]) angemerkt, dass diese These in Küpers Beteiligungslehre disloziert wirke, da Küper die Irrtumsherrschaft im Ansatz psychofaktisch verstehe. Psychofaktisch betrachtet könne man aber einen Menschen etwa durch Täuschung über den konkreten Handlungssinn oft viel wirksamer enthemmen und in Marsch setzen als durch Hervorrufen eines Verbotsirrtums, weshalb die Irrtumsherrschaft ihr Maß keineswegs in sich trage, sondern erst einmal normativ eingeschränkt werden müsse. 1836

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Kern der Sache, wenn er meint, die Irrtumsherrschaft trage das für die Abgrenzung von der Anstiftung relevante „rechtliche Maß“ gleichsam schon in sich. Das muss jedoch entgegen Küper1841 auch für die Nötigungsherrschaft gelten, denn § 35 I 1 vertatbestandlicht ein rechtsverbindliches Interpretationsmuster fremdbestimmten Handelns. Mithin ist auch hier nicht die rechtsfolgentechnische Entlastung des Vordermannes maßgebend für die mittelbare Täterschaft des Hintermannes,1842 sondern das von beiden Beteiligten zugrunde gelegte, tatbestandlich anerkannte Deutungsmuster eines fremdbestimmten Handelns.1843 Perspektivisch angemessen(er) erscheint deshalb der (leider nur interimistisch vertretene1844) Ansatz Herzbergs1845, die Frage nach der beteiligungsrechtlichen Instrumentalisierbarkeit des „Tatmittlers“ strikt von der Frage nach dessen strafrechtlicher Freiheit zu trennen („Trennungsgrundsatz“1846) und mit einem von der Tatverantwortung gelösten „Werkzeugprinzip“1847 zu operieren. Denn auch die mittelbare Täterschaft ist nicht bloß als Zurechnungs-, sondern als Handlungsunrechtstypus zu begreifen,1848 weshalb es von vornherein nicht um die bloße Allokation von strafrechtlicher Tatverantwortung gehen kann. Entscheidend ist vielmehr der vom Hintermann zugrunde gelegte Unterschied im intensionalen Handlungsgehalt, der ihm einen eigenen Rechtsgutszugriff ermöglichen soll. Vor diesem Hintergrund greift aber auch Herzbergs (interimistisch aufgestelltes) Abgrenzungskriterium der „Gebrochenheit der Verantwortung“1849 noch zu kurz, denn die Statuierung von „Zurechnungssurrogaten“1850 (z. B. der Vermeidbarkeit in § 17 S. 2) ist bloß ein rechtsfolgentechnischer Reflex auf das tatbestandlich anerkannte Sinngefälle, das der Hintermann zu instrumentalisieren plant.

1841

JZ 1989, 935 (948). So aber Küper, JZ 1989, 935 (948) [im Text zitierter Begriff ebenda]. 1843 Damit wird freilich nicht bestritten, dass dieses Interpretationsmuster selbst ein normatives ist, wie der Rückausnahmetatbestand des § 35 I 2 zeigt: Wer zur Gefahrtragung besonders verpflichtet ist oder die Notstandsgefahr selbst verursacht hat, der muss sich selbst weiterhin als maximengeleitetes Subjekt in seinem Handeln repräsentiert sehen, darf es also nicht auf die Notstandssituation zurückführen. 1844 s. zur Revision der in Jura 1990, 16 (22 ff.) entwickelten Ansicht und deren Ablösung durch eine „formelle“ Täterbestimmung Herzberg, in: Verantwortung, 33 (46 f., 48 ff.). 1845 Jura 1990, 16 (22 ff.). 1846 Jura 1990, 16 (23). 1847 Jura 1990, 16 (22). 1848 Eingehend und instruktiv dazu Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 113, 160 f., 332; ders., in: NK, § 25 Rn. 13 ff. 1849 Jura 1990, 16 (24 ff.). 1850 Begriff nach Kindhäuser, Bemmann-FS (1997), 339 (342, 345). 1842

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d) Resümee Ein Verantwortungsprinzip gleich welcher Couleur kann der Beteiligungsdogmatik nicht implementiert werden. Die konsequente Anwendung des Axioms stellt im Bereich der Irrtumsherrschaft vor das Problem des fahrlässig agierenden Tatmittlers, welches nur durch eine denaturierende Modifikation der elementaren Grundidee „lösbar“ ist. Das so modifizierte Verantwortungsprinzip führt dann zu weiteren Adaptionsschwierigkeiten im Hinblick auf die beteiligungsrechtliche Behandlung des vermeidbaren Verbotsirrtums, da eine Harmonisierung mit der Regelung des § 17 S. 2 nicht wirklich gelingen kann. Das alles zeigt letztlich nur, dass ein Verantwortungsprinzip gar nicht erforderlich ist. Denn es geht von vornherein nicht um eine beteiligungsrechtliche Verantwortungsallokation, sondern schlicht um die normative Fixierung von Interpretationsmustern einer komplexen intentionalen Selbstverwirklichung. 4. Selbstverantwortungs- als Nichtverantwortungsprinzip bei der Selbstschädigung und eigener Ansatz Mit der Zurückweisung des Verantwortungsprinzips für den Bereich der Fremdschädigung steht zugleich fest, dass eine Übertragung in den Bereich der Selbstschädigung ausscheiden muss. Selbst unter den Anhängern des Verantwortungsprinzips ist jedoch umstritten, ob das Axiom auf die Mitwirkung an fremder Selbstschädigung übertragbar ist. Dabei ist jedenfalls im Ansatz klar, dass eine unmittelbare Heranziehung der Maxime im Selbstschädigungsbereich nicht weiter führt: Im Bereich der tatbestandslosen Selbstschädigung existieren naturgemäß keine (direkten) strafrechtlichen Regeln zur Allokation strafrechtlicher Tatverantwortung, weshalb das Verantwortungsprinzip für die Abgrenzung von mittelbarer Täterschaft und strafloser Teilnahme bei hintergründiger Mitwirkung an fremder Selbstschädigung jedenfalls nicht unmittelbar herangezogen werden kann.1851 In einer freiheitlich-demokratisch verfassten Rechtsordnung unterfallen selbstschädigende Akte von vornherein keinem rechtlichen Verbot, weshalb ihre Vornahme auch keine rechtliche Verantwortlichkeit begründet – „Selbstverantwortung als ,Nichtverantwortungsprinzip‘“.1852 Für die Anhänger des Verantwortungsprinzips stellt sich damit die Frage, unter welchen Voraussetzungen ein zur Selbstschädigung Bewogener, insbesondere ein Suizident, als „unfreier“ Tatmittler gegen sich selbst angesehen werden kann. Die traditionelle Lehre1853 löst das Problem, indem sie den 1851

Vgl. bereits Herzberg, Täterschaft, 36; auch Hoyer, in: SK, § 25 Rn. 52. So zutr. Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 311, 325 f. (die zitierte Schlagwortbezeichnung findet sich in Rn. 325). 1853 So insbesondere etwa Roxin, TuT, 158 ff. (162 f.), 718 ff.; ders., Dreher-FS (1977), 331 (347, 349, 355); Hirsch, JR 1979, 429 (432); Bottke, GA 1983, 22 (30 ff.); ders., Suizid, 247 ff.; Charalambakis, GA 1986, 485 (498 ff.); Schünemann, in: LK, § 25 Rn. 72; Renzikowski, Täterbegriff, 94 ff.; Dölling, Maiwald-FS (2010), 119 (123 ff.); Sutschet, Erfolgszurechnung, 270 ff. (279, 284); Jakobs, AT, 21/97 f.; auch bereits Gallas, JZ 1960, 686 (692). 1852

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Leitgedanken des Verantwortungsprinzips in den Selbstschädigungsbereich überträgt; sie fragt also, ob der zur Selbstschädigung Bewogene für sein Tun verantwortlich wäre, wenn dieses einen Tatbestand erfüllte (sog. Exkulpationslehre). Dem ist eine im Vordringen befindliche Lehrmeinung1854 (sog. Einwilligungslehre) entgegengetreten; sie will die Werkzeugqualität im Bereich der Selbstschädigung nach den Kriterien über die Wirksamkeit einer rechtfertigenden Einwilligung (d. h. nach den Maßstäben der §§ 216, 228) bestimmen: Der zur Selbstschädigung Bewogene handle nur dann frei und selbstverantwortlich i.S.d. Rechts, wenn seine Bereitschaft zur Aufgabe eigener Rechtsgutsinteressen, gedacht als eine dem Hintermann erteilte Eingriffserlaubnis, eine rechtswirksame Einwilligung darstelle.1855 Beide Lager stehen sich schroff gegenüber: Der Exkulpationslehre wird vorgeworfen, sie lasse die rechtstatsächlichen Besonderheiten der Selbstschädigung – insbesondere das Fehlen eines rechtlichen Vermeidemotivs – sowie die Erkenntnisse der modernen Suizidforschung unberücksichtigt. Das Einwilligungsdogma hingegen führt zu einer starken Ausdehnung der Strafbarkeit zulasten mitwirkender Hinterleute, wobei die Kriterien der (un)wirksamen Einwilligung inhaltlich alles andere als konturiert sind. Die Apologeten beider Lager setzen dabei unterschiedliche Nuancen in Begründung und Kriterienbildung. Insbesondere im Bereich der irrtumsbedingten Selbstschädigung bewegen sich einige Anhänger der Exkulpationslehre auf die Einwilligungslehre zu, indem sie die Lehre vom Irrtum über den konkreten Handlungssinn aus dem Fremdschädigungsbereich zu übertragen suchen. Nach hier vertretener Auffassung ist jedenfalls im Ergebnis der strengen, auf die §§ 16, 20, 35 StGB, 3 JGG rekurrierenden Exkulpationslehre der Vorzug zu geben. a) Die Nötigung zur Selbstschädigung Soweit es die Exkulpationslehre angeht, erhebt sich zunächst die Frage, welcher normative Maßstab bei der Nötigung zur Selbstschädigung angemessen ist, um die rechtliche „Unfreiheit“ (begründende Variante Roxins) bzw. „Freiheit“ (limitierende Variante Gallas’) des „Opferwerkzeugs“ zu bestimmen:

1854 Geilen, JZ 1974, 145 (151 f.); Herzberg, JuS 1974, 374 (378 f.); ders., Täterschaft, 35 ff.; ders., JA 1985, 336 (340 ff.); Amelung, Bausteine (1995), 247 (251 ff.); Neumann, JuS 1985, 677 (680); Brandts, Jura 1986, 495 (497 f.); Mitsch, JuS 1995, 888 (891 f.); Freund, AT, § 10 Rn. 97 m. § 5 Rn. 75; Kühl, AT, § 20 Rn. 51; Otto, AT, § 21 Rn. 103; ders., Jura 1987, 246 (256 f.); Krey/Esser, AT, Rn. 363 f.; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 778; Lackner/Kühl, Vor § 211 Rn. 13a. 1855 So als Hauptvertreter der Einwilligungslehre expressis verbis Herzberg, Täterschaft, 38.

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aa) Die Exkulpationslehre und ihr Maßstab Nach h.L. ist der in § 35 I 1 niedergelegte Maßstab fremdbestimmten Handelns für die Fälle der abgenötigten Selbstschädigung entsprechend heranzuziehen.1856 Zu fragen ist also, ob das Opfer i.S.d. § 35 I 1 (analog) zur Selbstschädigung getrieben wurde. Teilweise1857 wird allerdings auch eine Analogie zu § 34 befürwortet. Danach müsste es für die Täterschaft des Nötigers streng genommen darauf ankommen, ob die abgenötigte Selbstschädigung sehr viel geringer wiegt als der dem Opfer wahlweise angedrohte Schaden.1858 Tatsächlich sind Sachverhaltskonstellationen denkbar, in denen diesem Maßstab über den Exkulpationsmaßstab hinaus eigenständige Relevanz zukommt. So wird es insbesondere dann liegen, wenn das Opfer unter Androhung einer massiven wirtschaftlichen Schadenszufügung zur Preisgabe „bloßer“Affektionsinteressen gezwungen wird.1859 Hierbei handelt es sich jedoch um seltene Ausnahmefälle einer evidenten „Quasi-Rechtfertigung“1860, für die der Exkulpationsmaßstab allenfalls der Ergänzung bedarf.1861 Grundlegend ist und bleibt also der Exkulpationsmaßstab des § 35 I 1 (analog). Teilweise wird allerdings auch dafür votiert, den Exkulpationsmaßstab bei der abgenötigten Selbstschädigung praktisch durch den Maßstab des § 34 zu ersetzen. Hierzu müsste der auf die Fremdschädigung zugeschnittene Rechtsgedanke des § 34 modifiziert werden, wie dies u. a. Jakobs vorgeschlagen hat: Das in § 34 enthaltene Merkmal des wesentlichen Überwiegens bezeichne die Grenze der zwischenmenschlichen Solidarität, derer es aber im Selbstschädigungsbereich naturgemäß nicht bedürfe.1862 Daher müsse es im Falle der abgenötigten Selbstschädigung für eine Verlagerung der Entscheidungsherrschaft auf den Nötiger bereits genügen, dass „(…) die vom Opfer praktizierte Werthierarchie überhaupt plausibel ist“1863. Diese modulierte Analogie zu § 34 kann jedoch allem Scharfsinn zum Trotz nicht überzeugen, da der Rekurs auf die „Plausibilität“ der im Einzelfall praktizierten Werthierarchie evident die Grenzen des Bestimmtheitsgebots sprengt: Lässt man die in § 34 vorgesehene Einschränkung, wonach das Erhaltungsinteresse das Eingriffsinteresse wesentlich überwiegen muss, im Selbstschädigungsbereich fallen, so fehlt es an dem für die strafrechtliche Konturierung des „Quasi-Rechtfertigungstatbestandes“ notwendigen Evidenzmaßstab – und dies in einem Bereich, in dem die täterschaftslose Mitwirkung straflos ist!

1856

s. statt vieler nur Roxin, TuT, 161 ff., 718. s. etwa Jakobs, ZStW 89 (1977), 1 (33 f.); ders., AT, 21/88 f.; Kindhäuser, in: NK, Vor §§ 249 ff. Rn. 33 f.; M. K. Meyer, Autonomie, 159 ff. 1858 M. K. Meyer, Autonomie, 160; Heine/Weißer, in: Schönke/Schröder, § 25 Rn. 11 a.E. 1859 s. dazu die Beispiele bei M. K. Meyer, Autonomie, 160 f. 1860 So die Bezeichnung bei Jakobs, JR 1987, 340 (340); s. auch ders., AT, 21/88. 1861 Roxin, TuT, 721. 1862 Jakobs, AT 21/89; zust. Kindhäuser, in: NK, Vor §§ 249 ff. Rn. 33 f. 1863 Jakobs, AT 21/89; zust. Kindhäuser, in: NK, Vor §§ 249 ff. Rn. 33 f. 1857

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Nach alledem läuft die Annahme, die Täterschaft des Hintermannes müsse sich bei der Nötigung zur Selbstschädigung nach den gleichen Kriterien richten wie im Falle der abgenötigten Fremdschädigung, für das Hauptfeld der Anwendungsfälle auf eine Analogie (scil.: in bonam partem) zu § 35 hinaus. bb) Die Einwilligungslehre und ihre Argumente: Diskussion Eben hier setzt nun aber die Einwilligungslehre mit ihrer Kritik an: Einer analogen Heranziehung des § 35 I 1 stehe entgegen, dass die psychofaktische Situation der abgenötigten Selbstschädigung nicht vergleichbar sei mit derjenigen der abgenötigten Fremdschädigung. Denn anders als bei der Fremdschädigung entfalle bei der Selbstschädigung die Appellwirkung des rechtlichen Verbots.1864 Dem hat Roxin1865 entgegengehalten, dass der eigene Selbsterhaltungstrieb ein Hemmungsmotiv von mindestens gleicher Stärke bilde wie Tatskrupel und Straffurcht bei der Fremdschädigung. Darauf hat wiederum Herzberg1866 repliziert, Roxin übersehe, dass der zur Selbstschädigung Genötigte sich im Gegensatz zum Fremdschädiger nicht mit einem Dritten konfrontiert sehe, auf den er das Übel rechtswidrig abwälze. Dieses letzte, intuitiv formulierte1867 Argument Herzbergs wurde später von anderen Autoren aufgegriffen und auf seinen normativen Punkt zugespitzt: Die Selbstbeherrschungspflicht, die das Recht dem Genötigten im Bereich der deliktischen Fremdschädigung zum Schutz unbeteiligter Dritter auferlegt (= Entlastung erst unter den strengen Prämissen des § 35 I 1), fehlt im Selbstschädigungsbereich.1868 Das ist auch nur folgerichtig, denn wenn die Rechtsordnung Selbstschädigungen nicht verbietet, bedarf es auch keiner rechtlichen Contenancepflicht gegenüber sich selbst. Daraus hat man beteiligungsrechtlich gefolgert, dass die Tatherrschaft des Hintermannes im Selbstschädigungsbereich früher beginne als im Fremdschädigungsbereich.1869 Aber darin liegt ein Zirkelschluss, denn § 35 I 1 regelt für den Fremdschädigungsbereich nicht nur die Prämissen, unter denen das Recht die an den Vordermann gestellte Contenance-Erwartung faktisch aufgibt, sondern auch – und in der Sache – ein allgemeines Interpretationsmuster fremdbestimmten Handelns. Warum aber für die mittelbare Täterschaft durch abgenötigte Selbstschädigung von diesem gesetzlichen Interpretationsmuster abgegangen werden (können) sollte, ist nicht einzuse1864

(151). 1865

So expressis verbis Herzberg, Täterschaft, 36, unter Berufung auf Geilen, JZ 1974, 145

TuT, 719. Täterschaft, 37. 1867 Treffender bereits Herzberg, JA 1985, 336 (339). 1868 So zutr. Neumann, JA 1987, 244 (252 m. Fn. 72); Jakobs, AT 21/89; Amelung, Bausteine (1995), 247 (255 ff.). 1869 So expressis verbis Amelung, Bausteine (1995), 247 (256 f.); in der Sache ebenso bereits Neumann, JA 1987, 244 (255); Jakobs, AT, 21/89. 1866

356 5. Kap.: Einplanung freien Unrechtshandelns in das eigene Handlungsprogramm

hen.1870 Das bestätigt indirekt auch eine Analyse des von der Einwilligungslehre vorgeschlagenen Alternativmaßstabs: Begründet man die Täterschaft des Hintermannes im Falle abgenötigter Selbstschädigung allein damit, dass das Opfer zur werthierarchischen Auflösung eines internen Güterkonflikts genötigt wird, so anerkennt man implizit, dass das Opfer immer noch selbstbestimmt über die Schadensverteilung entscheidet.1871 Eben darin liegt aber der springende Punkt, denn die Pönalisierung solcher Konfliktschaffungen ist Sinn und Zweck des allgemeinen Nötigungstatbestandes (§ 240), nicht aber desjenigen Tatbestandes, der das konkret preisgegebene Rechtsgutsinteresse schützt (Ausnahme: § 253 für die abgenötigte Preisgabe von Vermögensinteressen). Davon abgesehen steht die Einwilligungsdoktrin aber auch vor dem Problem, dass die ungeschriebenen und recht vagen Kriterien der wirksamen Einwilligung kaum dazu taugen, den mittelbar-täterschaftlichen Einsatz eines anderen gegen sich selbst rechtssicher von der straflosen (!) Mitwirkung am Suizid abzugrenzen.1872 Doch hat Herzberg1873 ein weiteres Argument entwickelt, das die analoge Anwendung der Einwilligungskriterien im Falle der abgenötigten Selbstschädigung doch wieder nahezulegen scheint: Wenn eine durch einfache Nötigung erzwungene Einwilligung des Opfers in die eigene Fremdschädigung unbestrittenermaßen unwirksam sei, dann könne für eine fiktive Einwilligung in die eigene Selbstschädigung nichts anderes gelten: Ein unter dem Druck derselben Drohung gefasster Entschluss des Genötigten, sich dem Willen des Nötigers zu beugen, könne nicht einerseits als frei und selbstverantwortlich gelten, soweit der Genötigte selbst handle, andererseits hingegen als erzwungen und unbeachtlich, soweit er dem Nötiger schädigende Akte gestatte. Diese prima vista bestechende Logik kann jedoch bei näherem Hinsehen nicht überzeugen, denn für die unterschiedliche Behandlung von Fremd- und Selbstschädigung existiert sehr wohl ein tieferer Sachgrund. Er liegt mit Roxin1874 gesprochen darin, dass der sich selbst Schädigende die Kontrolle über das Geschehen bis zuletzt in der Hand behält, während der in eine Fremdschädigung Einwilligende den Einfluss auf das weitere Geschehen im Moment der Schadenszufügung gerade verliert. Herzbergs1875 Duplik, die verbleibende „Handlungsherrschaft“ des sich selbst schädigenden Opfers vermöge nichts an der – nach Einwilligungsmaßstäben zu beurteilenden – „Willensherrschaft“ des Nötigers zu ändern, geht ins Leere. Sie 1870 s. dazu bereits Roxin, Dreher-FS (1977), 331 (344 ff.); Hirsch, JR 1979, 429 (432); Bottke, Suizid, 251, 253 f.; Charalambakis, GA 1986, 485 (491). 1871 So zutr. Jakobs, ZStW 89 (1977), 1 (33); ders., AT, 21/88, 90. 1872 So statt vieler etwa Schünemann, in: LK, § 25 Rn. 73 a.E.; Hoyer, in: SK, § 25 Rn. 60; Roxin, Dreher-FS (1977), 331 (344 ff.). 1873 Täterschaft, 37 f. 1874 TuT, 719; ders., Gallas-FS (1973), 241 (250); ebenso Schünemann, in: LK, § 25 Rn. 73; Renzikowski, Täterbegriff, 95; Zaczyk, Selbstverantwortung, 37 f.; Charalambakis, GA 1986, 485 (491); Jakobs, AT, 21/78a; Dölling, Maiwald-FS (2010), 119 (124). 1875 Täterschaft, 38 Fn. 79.

B. Freiheit und Freiverantwortlichkeit im (Straf-)Rechtssinne

357

übersieht gerade das Wesentliche: Bei der Fremdschädigung endet die Entscheidungsherrschaft des Opfers praktisch in dem Moment, in dem der Nötiger zu handeln beginnt. Deshalb erleben sowohl Genötigter als auch Nötiger das Geschehen dann – aber eben auch erst dann (!) – als fremdschädigende Handlung des Nötigers. Bei der einfach abgenötigten Selbstschädigung dagegen bleibt dem Opfer die Entscheidungsherrschaft bis zuletzt erhalten.1876 Für die Frage nach dem „richtigen“ Abgrenzungsmaßstab bedeutet das: Der für den Nötiger belastendere Maßstab der rechtswirksamen Einwilligung mag angemessen sein, wenn ein tatbestandlicher Übergriff in fremde Rechtssphäre bereits feststeht und „nur noch“ die Frage zu beantworten ist, ob die unrechtstypische Indizwirkung des Tatbestandes ausnahmsweise entfällt (= Fremdschädigung). Er ist aber sicherlich nicht mehr angemessen, wenn es gerade erst um die Frage des Vorliegens einer tatbestandlichen Unrechtshandlung geht (= Selbstschädigung)!1877 Damit entfällt auch das zweite Kernargument der Einwilligungslehre. Angesichts der von ihr befürworteten massiven Verschiebung der Strafbarkeitsgrenze zulasten mitwirkender Hinterleute, noch dazu auf Basis der recht vagen Wirksamkeitsprämissen der Einwilligung, gerät diese Doktrin daher in starke Bedrängnis. Aus dieser Kalamität kann man sich auch nicht unter Hinweis auf den Erpressungstatbestand (§ 253) befreien, der mitunter als positivrechtlicher Beleg für die Vorzugswürdigkeit der Einwilligungslehre reklamiert wird. Richtig ist zwar, dass der Erpressungstatbestand eine Selbstschädigung des Opfers inkriminiert, deren Erfolg dem einfach nötigenden Erpresser als quasi-mittelbarem Täter zugerechnet wird;1878 falsch ist jedoch die daraus gezogene Schlussfolgerung, dass dieselben Grundsätze auch für die Beeinträchtigung beliebiger Dritter in anderen Rechtsgütern als dem Vermögen gelten müssten.1879 Darin liegt eine petitio principii, denn § 253 besagt nur, dass es nach Ansicht des Gesetzgebers einer plausiblen Güterverwaltung entspricht, selbstschädigende Vermögensverfügungen schon auf einfachen Nötigungsdruck hin vorzunehmen. Dieses auf Vermögensverfügungen zugeschnittene „Präferenzmodell“1880 ist aber auf Verfügungen über die eigene körperliche Unversehrtheit oder gar über das eigene Leben nicht übertragbar.1881 Die Erpressung vertatbestandlicht einen Sonderfall des „quasi-gerechtfertigten“ Werkzeugs,1882 woraus im Umkehrschluss

1876 s. instruktiv zum Ganzen nochmals Jakobs, AT, 21/78a; a.A. Amelung, Bausteine (1995), 247 (252 f.). 1877 In der Sache ebenso bereits Bottke, Suizid, 254; Charalambakis, GA 1996, 485 (491). 1878 So Puppe, AT, § 24 Rn. 20; ebenso Kindhäuser, in: NK, Vor §§ 249 ff. Rn. 53. 1879 Hoyer, in: SK, § 25 Rn. 100. 1880 Treffende Begrifflichkeit nach Paeffgen/Böse, in: NK, § 228 Rn. 22 m. 16. 1881 So zutr. schon Jakobs, AT, 21/98 Fn. 177; zur prinzipiellen Problematik der Fixierung allgemeingültiger „Präferenzsysteme“ s. instruktiv Paeffgen/Böse, in: NK, § 228 Rn. 16, 22. 1882 So in der Sache zutr. Jakobs, JR 1987, 340 ff.; ders., AT, 21/89 m. Fn. 158.

358 5. Kap.: Einplanung freien Unrechtshandelns in das eigene Handlungsprogramm

folgt, dass der ihm zugrunde liegende Plausibilitätsgedanke gerade nicht verallgemeinerungsfähig ist.1883 Nach alledem ist und bleibt es eben ein kardinaler Unterschied, (…) ob man selbst Hand an sich legt oder sich einem anderen ausliefert (…)“.1884 Hierfür existiert dann übrigens in der Tat ein (indirekter) positivrechtlicher Beleg, nämlich ausgerechnet der von der Einwilligungslehre zentral reklamierte Tatbestand der Tötung auf Verlangen (§ 216): Dass die lex lata allein die einverständliche Fremdtötung auf Verlangen und nicht auch die aktive Suizidteilnahme unter Strafe stellt, kann nur mit dem kategorialen Unterschied zwischen Fremd- und Selbstschädigung erklärt werden!1885,1886 cc) Versuch eines eigenen Beitrags: Extrapolierung des in § 255 zum Ausdruck gelangenden Rechtsgedankens Die Idee, im Besonderen Teil des StGB nach einem Hinweis auf den Maßstab zur Bestimmung der Opferwerkzeug-Eigenschaft zu suchen, erweist sich allerdings in der Sache als fruchtbar. Denn in der Tat kennt die lex lata eine Vorschrift, die gerade 1883 Entgegen Hoyer (in: SK, § 25 Rn. 100) ist es auch nicht möglich, den Vermögensangriff mithilfe eines „außen“ positionierten Werkzeugs, also den Diebstahl in mittelbarer Täterschaft (§§ 242, 25 I Alt. 2), denselben „Täterschaftsvoraussetzungen“ zu unterstellen wie die Erpressung (§ 253) als Vermögensangriff mittels eines „innen“ positionierten Werkzeugs. Hoyer will diesen Gedanken sogar auf den gesamten Fremdschädigungsbereich ausweiten und also für die „Nötigungsherrschaft“ generell einfachen Nötigungsdruck ausreichen lassen (a.a.O., Rn. 121). Demgegenüber ist es jedoch de lege lata nicht einmal möglich, das dem Erpressungstatbestand zugrunde liegende „Präferenz-Modell“ auf alle Fälle einer dem Opfer abgenötigten Vermögensschädigung auszuweiten: Wollte man etwa eine dem Eigentümer einfach abgenötigte Sachzerstörung dem Nötiger nach dem Muster des § 253 zurechnen (§§ 303, 25 I Alt. 2), so unterliefe man hierdurch die legislatorische Wertentscheidung, wonach das einfache Abnötigen von Vermögensverfügungen nur bei Vorliegen von Bereicherungsabsicht strafbar sein soll (arg.e § 253). 1884 Schünemann, in: LK, § 25 Rn. 73. 1885 In der Sache ebenso Hoyer, in: SK, § 25 Rn. 60. 1886 Zu Recht hat daher Schilling (JZ 1979, 159 [166 f.]) der Einwilligungslehre die Konsequenz abverlangt, die aktive Mitwirkung an freiverantwortlicher Selbsttötung der einverständlichen Fremdtötung (§ 216) strafrechtlich gleichzustellen. Dadurch würde jedoch der teleologische Zuschnitt des § 216 auf die Fremdschädigung und die dahinter stehende legislatorische Grundsatzwertung (= Straflosigkeit der Suizidteilnahme) gerade unterlaufen. Das sieht freilich auch Herzberg, der die Ungleichbehandlung von strafbarer Tötung auf Verlangen (§ 216) und strafloser Suizidteilnahme daher ausgerechnet mit derjenigen Erwägung rechtfertigt, die er bei fehlender „Ernstlichkeit“ des Suizidentschlusses nicht (mehr) gelten lassen will: Im Gegensatz zum Täter des § 216 halte sich der Beteiligte am freiverantwortlichen (= „ernstlichen“) Suizid aus der eigentlichen Tatausführung heraus, weshalb es von vornherein an einer Täterschaft und damit an einem Strafunrecht fehle (JA 1985, 336 [340]). Das ist sicherlich richtig. Doch warum soll für die Mitwirkung an einem nach Einwilligungsmaßstäben nicht „ernstlichen“ Selbsttötungsentschluss beteiligungsrechtlich etwas anderes gelten? An einer „Handlungsherrschaft“ des Suizidbeteiligten fehlt es auch hier, und die allgemeinen Kriterien der „Willensherrschaft“ sind ebenfalls (noch) nicht erfüllt.

B. Freiheit und Freiverantwortlichkeit im (Straf-)Rechtssinne

359

auf der Kluft zwischen Selbst- und Fremdschädigung beruht und diese Kluft unter der bestimmten Voraussetzungen schließt. Bei Einsatz qualifizierter Nötigungsmittel stellt nämlich § 255 das Abnötigen einer selbstschädigenden Vermögensverfügung einer fremdschädigenden Raubhandlung gleich. Dies kann nur dahingehend verstanden werden, dass das Recht hier ein fremdbestimmtes Handeln des Opfers (gegen sich selbst) und damit normativ eine Handlung des Nötigers annimmt.1887 Deshalb verfährt die h.M.1888 in der Sache richtig, wenn sie Raub und räuberische Erpressung allein nach dem äußeren Erscheinungsbild abgrenzt: Ob der qualifiziert Nötigende den begehrten Vermögensgegenstand selbst wegnimmt oder ihn sich geben lässt, spielt für die Qualität des verwirklichten Handlungsunrechts keine Rolle, denn normativ gesehen ist es auch im letzteren Falle er, dem die von ihm fremdbestimmte Vermögensverfügung als seine (komplexe) intentionale Handlung zuzurechnen ist; im ersteren Falle handelt er „selbst“ (§ 249), im letzteren „durch“ das fremdbestimmte Opfer gegen sich selbst (§ 255).1889 Das führt zu folgendem Gedankenschluss: Unrichtig ist die These, wonach sich Fremdschädigung und abgenötigte Selbstschädigung nur rein äußerlich unterscheiden.1890 Dagegen zu setzen ist die These, dass die normative Differenz zwischen Fremdschädigung und abgenötigter Selbstschädigung erst bei Einsatz qualifizierter Nötigungsmittel eingeebnet – und dadurch zu einer äußerlichen wird. Vergleicht man die betreffenden Tatbestandsmerkmale der räuberischen Erpressung (§ 255) unter Ausklammerung der deliktsspezifischen Besonderheiten mit den Tatbestandsmerkmalen der entschuldigenden Notstandes (§ 35 I 1), so wird die Parallelität offenbar: § 255 fordert für ein fremdbestimmtes Handeln des Opfers gegen sich selbst entweder eine Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben oder unmittelbare Personengewalt, d. h. in Gestalt der vis compulsiva1891 vor allem erhebliche Körperverletzung oder Freiheitsberaubung.1892 Damit ist im

1887 Ähnlich BGHSt 7, 252 (255), unter Berufung auf die alltagssprachliche Handlungsinterpretation: „Die Volksanschauung sieht allerdings auch denjenigen als ,Räuber‘ an, der sein Opfer mit den Mitteln des Raubes zur Hergabe seines Geldes zwingt.“ 1888 s. aus der st. Rspr. etwa nur RGSt 66, 117 (118); BGHSt 7, 252 (255); NStZ 1999, 350 (351); NStZ-RR 2011, 80 sowie aus der Literatur etwa Kindhäuser, in: NK, Vor §§ 249 Rn. 56 ff.; Vogel, in: LK, § 249 Rn. 29 (jeweils m.w.N. auch zur Gegenansicht sowie mit krit. Kurzauseinandersetzung). 1889 s. instruktiv dazu Kindhäuser, in: NK, Vor §§ 249 ff. Rn. 55, 56 ff. 1890 So aber statt vieler etwa Puppe, AT, § 24 Rn. 18 m.w.N. 1891 Ob Personengewalt i.S.d. § 255 auch vis absoluta umfasst, ist streitig. Sieht man den Tatbestand der räuberischen Erpressung mit der h.M. als lex generalis zum Raubtatbestand an, so zählt vis absoluta zur – dann einheitlich zu bestimmenden – Personengewalt i.S.d. §§ 249, 255 (s. zum Ganzen etwa Kindhäuser, in: NK, Vor § 249 Rn. 18 ff. [21], § 249 Rn. 4). Im vorliegenden Kontext kann dies jedoch dahinstehen, denn soweit es um das Auffinden eines allgemeingültigen Interpretationsmusters fremdbestimmten Handelns gegen sich selbst geht, läuft die Variante der willensausschaltenden Gewalt von vornherein leer. 1892 s. dazu etwa Vogel, in: LK, § 255 Rn. 6 m. § 249 Rn. 3.

360 5. Kap.: Einplanung freien Unrechtshandelns in das eigene Handlungsprogramm

Kerntatbestand1893 offensichtlich dieselbe Gefahrensituation für dieselben Schutzgüter beschrieben wie in § 35 I 1.1894 Löst man also das in § 255 niedergelegte Interpretationsmuster fremdbestimmten Handelns gegen sich selbst aus seinem deliktsspezifischen Kontext (= abgenötigte Vermögensverfügung), so läuft dies für die Konstellationen der abgenötigten Selbstverletzung auf den in § 35 I 1 niedergelegten Interpretationsmaßstab hinaus. In den deliktsspezifischen Kontext fällt dabei insbesondere auch der Umstand, dass § 255 den Personenkreis, gegen den sich das qualifizierte Nötigungsmittel richten muss, nicht näher eingrenzt. Diese „Weite“ kann nur damit erklärt werden, dass nach Einschätzung des Gesetzgebers die Opferung eigener Vermögenswerte auch dann noch „richtig“ ist, wenn sich das qualifizierte Nötigungsmittel „bloß“ gegen einen Fremden richtet.1895 Dieser legislatorische Plausibilitätsgedanke gilt allerdings ersichtlich nicht mehr, wenn der Nötigungsadressat durch die Bedrohung eines Fremden zu einer Selbstverletzung bewegt werden soll. Für diese Konstellationen ist daher auf den engeren Maßstab des § 35 I 1 abzustellen, also ein Angehörigen- oder Näheverhältnis zwischen Bedrohtem und Drohungsempfänger zu postulieren.1896 Abschließend bleibt damit festzuhalten, dass nach dem für Selbstverletzungen adaptierten Interpretationsmuster des § 255 auch im Selbstschädigungsbereich erst die qualifizierte Nötigung einseitige voluntative Handlungsrepräsentanz vermittelt. Demnach ist im Ergebnis der traditionellen Exkulpationslehre zuzustimmen. Bleibt noch ein letzter Einwand auszuräumen, der dieser normativ generalisierenden Lehre fortwährend entgegengehalten wurde: Der Vorhalt, sie gehe an den psychofaktischen Realitätsverhältnissen vorbei, da sie die psychiatrischen Erkenntnisse der modernen Suizidforschung nicht (ungeschmälert) in die rechtliche Beurteilung einfließen lassen könne.1897 Dieser Hinweis auf die Einsichten einer 1893

Instruktiv zur „Brachialgewalt“ (Perron, GA 1989, 145, 166) als „Kernbereich“ der Personengewalt i.S.d. §§ 249, 255 Vogel, in: LK, § 249 Rn. 3. 1894 Zuzugeben ist, dass § 255 in der Gewaltvariante auch physische Einwirkungen unterhalb des Kernbereichs der Personengewalt erfasst (Vogel, a.a.O., § 255 Rn. 6). Dies ändert jedoch in der Sache nichts an der „Schwellenhöhen-Parallelität“ zu § 35, da jede weniger intensive Personengewalt typischerweise bereits eine konkludente Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben i.S.d. § 255 I Alt. 2 impliziert. Soweit in der Rechtsprechung ein weitergehender Begriff der Personengewalt vertreten wird, der jedes physische Hervorrufen einer körperlichen Opferreaktion erfasst (so BGH NStZ 2003, 89), ist dieser primär auf den Raubtatbestand zugeschnitten: Es geht dabei um die Erfassung physischer Einwirkungen, die das körperliche Abwehrvermögen des Opfers (kurzzeitig) ausschalten und so dessen Widerstand gegen eine geplante Wegnahme verhindern sollen. Demnach läuft das Hervorrufen einer körperlichen Opferreaktion als Form physischer Gewalt jedenfalls für das hier interessierende Programm der Einplanung des Opfers als Werkzeug gegen sich selbst leer. 1895 Vgl. dazu Jakobs, JR 1987, 340 (341), der im Hinblick auf die räuberische Erpressung von der „(…) hier interessierenden Proportionierung (…)“ spricht. 1896 I.d.S. einschränkend schon für die räuberische Erpressung selbst Zaczyk, JZ 1985, 1059 (1061). 1897 So etwa Geilen, JZ 1974, 145 (150 ff. [152 f.]); Herzberg, Täterschaft, 39; Schilling, JZ 1979, 159 (167).

B. Freiheit und Freiverantwortlichkeit im (Straf-)Rechtssinne

361

Spezialdisziplin muss selbstverständlich ernst genommen werden. Doch geht die entscheidende Frage in diesem Kontext nicht dahin, ob der Suizident sich nach psychologischen Erkenntnissen in einem seelischen Ausnahmezustand befindet, sondern dahin, ob dieser Ausnahmezustand im Einzelfall die strafrechtlichen Relevanzkriterien des § 20 (analog) erfüllt – was dann freilich sorgfältiger forensischer Prüfung bedarf.1898 Demnach besteht also keineswegs die Gefahr, dass bei Heranziehung der in §§ 35 I 1, 20 geregelten Deutungsschemata die psychofaktische Situation der Selbstverletzung einseitig vernachlässigt wird. b) Initiierung einer irrtumsbedingten Selbstschädigung Auch die Frage, unter welchen Voraussetzungen der Veranlasser einer irrtumsbedingten Selbstschädigung über den Kopf des Selbstschädigers hinweg eine komplexe Tatbestandshandlung setzt, wird zwischen Exkulpations- und Einwilligungslehre kontrovers diskutiert. Allerdings nähern sich diejenigen Vertreter der Exkulpationsdoktrin, die das Verantwortungsprinzip im Bereich der Irrtumsherrschaft ablehnen,1899 hier teilweise der Einwilligungslehre an.1900 Allgemeiner Konsens besteht jedenfalls über die von der Exkulpationslehre anerkannten Fälle einer „Irrtumsherrschaft“. Danach ist der mitwirkende Hintermann unstreitig Täter, wenn er einen „Quasi-Tatbestandsirrtum“1901 des Opfers instrumentalisiert (§ 16 analog), wenn er das Opfer in einen „Quasi-Putativnotstand“1902 (analog § 35 II) versetzt,1903 oder wenn er intellektuell „freitodunmündige“1904 Kinder, Jugendliche oder Geisteskranke zum Suizid bewegt (analog §§ 19, 20 StGB, 3 JGG).1905

1898

So zutr. Roxin, Dreher-FS (1977), 331 (349 ff.). So die in Fn. 1800 genannten Autoren. 1900 Schünemann (in: LK, § 25 Rn. 107) läuft für die Behandlung der irrtumsbedingten Selbstschädigung zur Einwilligungslösung über, mit dem Argument, die Herrschaft über das zur Selbstschädigung führende Motiv vermittle dem Hintermann – anders als in Fremdschädigungsfällen – stets die Herrschaft über den Grund des Erfolges. Demgegenüber hat Roxin seine anfängliche Auffassung, die Lehre vom Irrtum über den konkreten Handlungssinn (s. dazu TuT, 212) sei auf die Selbstschädigungsfälle zu übertragen (TuT, 225 – 230), inzwischen wieder zugunsten der Exkulpationslehre aufgegeben (in: NStZ 1984, 71 [72 f.]; ders., in: TuT, 588 f., 598 ff.). 1901 Begriff nach Schünemann, in: LK, § 25 Rn. 106. 1902 Begriff nach Schünemann, in: LK, § 25 Rn. 106. 1903 Zur Klarstellung: Die Instrumentalisierung eines Putativnotstandes betrifft nach hiesiger Klassifizierung einen Fall voluntativ überlegenen Handelns (in gängiger Terminologie: der „Nötigungsherrschaft“); s. zum Ganzen noch unten, 412 f. 1904 Begriff nach Bottke, GA 1983, 22 (32). 1905 Ausführlich zum Ganzen Bottke, Suizid, 256 ff.; s. auch ders., GA 1983, 22 (31 f.); Charalambakis, GA 1986, 485 (498 ff.); Schünemann, in: LK, § 25 Rn. 106. 1899

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aa) Sachliche Problematik und Streitstand Im Zentrum der dogmatischen Kontroverse stehen somit Fallkonstellationen, in denen der vom Hintermann „beherrschte“ Irrtum unterhalb der Schwelle der genannten strafrechtlich fixierten Kriterien liegt.1906 Innerhalb dieses Terrains motivationsrelevanter Fehlvorstellungen verweisen die Anhänger der Exkulpationslehre kategorisch auf die Unmöglichkeit, das Feld täterschaftsbegründender Irrtümer rechtssicher abzustecken.1907 Demgegenüber gilt es für die Einwilligungslehre und diejenigen, die ihr nahestehen, aus der Masse der Motivirrtümer diejenigen herauszugreifen, die eine hypothetische Einwilligung unwirksam machten1908 bzw. einen Irrtum über den konkreten Handlungssinn begründen sollen.1909 Das kommt jedoch einer Sisyphos-Aufgabe gleich. Denn wenn sämtliche Irrtümer über den konkreten Sinn eines bewusst selbstschädigenden Akts Motivirrtümer sind und vice versa, dann kann nur auf das Gewicht des Irrtums im Einzelfall abgestellt werden, d. h. auf seine objektive Dignität als Selbstverletzungsmotiv.1910 Darüber lassen sich jedoch keine allgemeingültigen Aussagen treffen,1911 da gesellschaftliche Rationalitätsstandards für Selbstverletzungsentschlüsse nicht existieren – konkret am Zentralfall des Suizids: Ist dem einen der (vorgetäuschte) Tod seines Lieblingstiers bereits Grund genug für einen Suizid, so nimmt der andere die (vorgespiegelte) Diagnose einer terminalen Krankheit zum Anlass, sich nach Möglichkeit noch letzte Lebenswünsche zu erfüllen. Selbst in ein und derselben Person müssen sich beide Reaktionen nicht zwingend ausschließen. Maßgebend für den Suizidentschluss ist das höchst subjektive „Präferenz-System“1912 des jeweiligen Suizidenten. Das muss aber die Einwilligungslehre und die Lehre vom Irrtum über den konkreten Handlungssinn vor unlösbare Abgrenzungsprobleme stellen: Setzt eine Tötungshandlung, wer einen anderen in den Selbstmord treibt, indem er ihm vorlügt, sein geliebtes Kind sei bei einem Unfall ums Leben gekommen? Begeht ein Tötungsdelikt, wer einem labilen Menschen in der Hoffnung auf einen Kurzschlusssuizid suggeriert, er sei von seinem abgöttisch geliebten Ehepartner betrogen worden?1913 Oder wie wäre strafrechtlich zu beurteilen, wer einen obsessiven Fußballanhänger durch erfundene Mitteilung über eine entscheidende Niederlage seines Lieblingsclubs zum Suizid veranlasst?1914 Die Liste derartiger Fälle ließe sich beliebig verlängern, doch dürfte die Kalamität deutlich geworden sein: Auch wenn der Manipulator in all diesen Fällen moralisch abgefeimt agiert, kann es für die Frage, ob 1906 1907 1908 1909 1910 1911 1912 1913 1914

So zutr. Schünemann, in: LK, § 25 Rn. 107. Paradigmatisch etwa Roxin, TuT, 599 f. Vgl. dazu etwa Herzberg, Täterschaft, 40 f. s. dazu insbesondere Neumann, JA 1987, 244 (249 ff.). Das räumt expressis verbis auch Neumann (JA 1987, 244 [253]) ein. So zutr. wiederum Neumann, JA 1987, 244 (254). Zum Begriff und seiner Erläuterung eingehend Paeffgen/Böse, in: NK, § 228 Rn. 16, 22. Beispiele nach Schünemann, in: LK, § 25 Rn. 107. Extrembeispiel nach Charalambakis, GA 1986, 485 (502 Fn. 94).

B. Freiheit und Freiverantwortlichkeit im (Straf-)Rechtssinne

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er „durch“ den Suizidenten ein Tötungsdelikt begeht, nicht allein auf die psychofaktische „Viktimisierbarkeit“ des präsumtiven Suizidenten ankommen (i.S.e. „Motivherrschaft“1915 des Hintermannes). Das gilt schon allein deshalb, weil die Viktimisierbarkeit im Falle einer wahren Information (z. B. über den Tod des geliebten Kindes) dieselbe wäre. Davon abgesehen ist die psychofaktische Kalkulierbarkeit fremder Verhaltensentschlüsse schon im Fremdschädigungsbereich nicht Alleinstellungsmerkmal der Täterschaft.1916 Daher kann auch für die Beteiligung an einer Selbstschädigung nichts anderes gelten, nur weil Tatmittler und Opfer hier identisch sind. Auch hier entscheidet also über die Täterschaft des Hintermannes nicht die psychofaktische Tauglichkeit seiner Manipulationsstrategie, sondern der Umstand, dass er programmatisch eine komplexe Tatbestandshandlung umsetzt. Damit steht man aber wieder am Anfang, nämlich bei der Frage, wann die selbstschädigende Handlung des Suizidenten eine relativ unterlegene i.S.d. Straftattypus ist bzw. nach welchem Deutungsmuster dies zu bestimmen ist. Insofern gilt aber nach wie vor die Einsicht Roxins1917: Es ist bisher kein überzeugendes Kriterium gefunden, um in den Suizidfällen tatrelevante Irrtümer über den konkreten Handlungssinn rechtssicher von unbeachtlichen Motivirrtümern abzugrenzen. Auch zukünftig wird sich wohl kein solches Kriterium finden lassen, da es sich bei dem Mangel eines allgemeingültigen Plausibilitätsmaßstabes um ein konstitutionelles Gebrechen handelt. Das Problem lässt sich auch nicht einfach dadurch beseitigen, dass man kurzerhand alle Motivirrtümer gleichermaßen für rechtsrelevant erklärt, wie Schünemann dies vorschlägt: Die Herrschaft über das zur Selbstschädigung führende Motiv mache den Hintermann stets zum Herrn über den Grund des Erfolges und damit zum mittelbaren Täter, da das insinuierte Motiv hier allemal unmittelbar auf den Erfolg durchschlage. Während nämlich in den Fremdschädigungsfällen die an den Vordermann gerichtete drittschützende Verhaltenspflicht das Tatmotiv „blockiere“, existiere ein solcher Normappell in den Selbstschädigungsfällen gerade nicht.1918 Daran ist richtig, dass das Recht dem Suizidenten keine Contenancepflicht gegenüber sich selbst auferlegt. Daraus folgt aber noch lange nicht, dass jedwede „Motivherrschaft“ einen mitwirkenden Hintermann deshalb zum „Herrn des Suizids“ macht: Man ist nicht schon allein deshalb für den Kurzschlusssuizid eines anderen verantwortlich, nur weil man ihm irgendwelche Umstände suggeriert, die er zum Anlass seiner Selbsttötung nimmt. Für die traditionelle Tatherrschaftslehre stellt sich 1915

Der Terminus ist der Anstiftungsdoktrin Hoyers (in: SK, § 26 Rn. 13) entlehnt, kennzeichnet also gerade die Anstiftung. 1916 s. eingehend dazu nochmals oben, S. 333 ff. – Die Einplanung eines freiverantwortlich delinquierenden Dritten zur Verwirklichung eines deliktischen Erfolges wird nicht schon deshalb zur Täterschaft, weil der Dritte kurzentschlossen oder willfährig tätig wird. Warum aber sollte im Falle der Identität von „Werkzeug“ und „Opfer“ etwas anderes gelten?! 1917 TuT, 599. 1918 In: LK, § 25 Rn. 107; ähnlich auch bereits Herzberg, JA 1985, 336 (341): entscheidend sei die Beherrschung der Irrtumsursache (also: des Motivs).

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vielmehr auch hier wieder die altbekannte Frage nach der normativen Abgrenzung zweier Verantwortungsbereiche,1919 die aber ohne Ankerpunkt im Recht („Verantwortungsprinzip“ [Gallas] bzw. „Lehre von den Stufen sinnhafter Tatgestaltung“ [Roxin]) nicht rechtssicher beantwortbar ist. Hinzu kommt die praktische Schwierigkeit, dass in Fällen des Irrtums über den konkreten Sinn einer Suizidhandlung forensisch oft nicht sicher feststellbar ist, ob und und in welchem Maße eine Täuschung durch den Hintermann überhaupt motivationsrelevant gewesen ist.1920 Und überhaupt besteht in der klinischen Suizidforschung Einigkeit darüber, dass das vom Suizidenten in actu bewusst unterlegte Motiv wenig über die wahren Ursachen bzw. über die Psychodynamik des Suizidentschlusses aussagt.1921 Das heißt nun freilich nicht, dass das von Ringel1922 eingeführte „präsuizidale Syndrom“ umgekehrt generalisierend dazu herangezogen werden dürfte, jede Einwirkung auf die Entschlussfassung eines „Präsuizidalen“ als „Zünglein an der Waage“ für eine „Willensherrschaft“ genügen zu lassen.1923 Denn selbst wenn dem Suizid typischerweise ein solches Syndrom vorausgeht, kann der Suizident nicht einfach mit einem Hemmungsunfähigen i.S.d. § 20 Alt. 2 gleichgesetzt werden. Eine solche Gleichsetzung wäre schon rein empirisch fragwürdig, da sich die Suizidrate eines Landes im internationalen Vergleich gerade nicht korrelativ zum Vorkommen psychischer Erkrankungen verhält.1924 Daraus folgt, dass vor allem andere Faktoren als nur veritable psychische Erkrankungen für den suizidalen Ausgang ausschlaggebend sein müssen.1925 Gegen eine „Verrechtlichung“ des „präsuizidalen Syndroms“ spricht jedoch auch noch ein zwingenderes Argument: Es bedeutete einen unüberbrückbaren Wertungswiderspruch, den „Präsuizidalen“ im Falle der Selbstschädigung kategorisch als unfrei und unverantwortlich anzusehen, ihn aber im Hinblick auf die Begehung von Straftaten plötzlich doch wieder als frei und selbstverantwortlich zu behandeln.1926 Insgesamt wird man daher das von Simson gezogene Fazit nicht von der Hand weisen können: Die Suizidforschung hat eine „(…) zu weite, undifferenzierte oder ungenügend abgegrenzte Verwendung des Begriffs ,seelisch krank‘ veranlasst. Generalisierungen dieser Art können zu nicht haltbaren Folgerungen führen, die sich bei der rechtlichen Verwertung des Krankheitsbegriffs entstellend auswirken.“1927

1919

So zutr. Neumann, JA 244 (254). Charalambakis, GA 1986, 485 (494); Roxin, TuT, 600. 1921 Henseler, Narzisstische Krisen, 32; Simson, Suizidtat, 42. 1922 Der Sache nach erstmals grundlegend in: Der Selbstmord, 104 ff. 1923 Krit. dazu auch Charalambakis, GA 1986, 485 (492 ff.); Bottke, GA 1983, 22 (30 f.); a.A. Schünemann, in: LK, § 25 Rn. 74, 120. 1924 s. dazu Simson, Suizidtat, 18 ff. (20), 93. 1925 So zutr. Simson, Suizidtat, 20, 93 f. 1926 So zutr. Simson, Suizidtat, 80 f. 1927 Suizidtat, 99. 1920

B. Freiheit und Freiverantwortlichkeit im (Straf-)Rechtssinne

365

Es bleibt dabei: Will man die strafbare Mitwirkung am Suizid außerhalb der durch §§ 16, 19, 20, 35 StGB, 3 JGG normativ ausgetretenen Pfade bestimmen, so geht jede Anbindung an strafrechtliche Wertmaßstäbe verloren, die Abgrenzung zwischen täterschaftlichem Strafunrecht und strafloser Suizidteilnahme gleitet ins Willkürliche ab – ein rechtsstaatlich unerträgliches Ergebnis. Strafrechtliche Relevanz erlangt eine seelische Störung in der Person des Suizidenten daher ausschließlich dann, wenn sie ihm im Handlungszeitpunkt analog § 20 nachweislich die Fähigkeit genommen hat, die Bedeutung des Suizids einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln. Das aber werden Staatsanwaltschaften und Gerichte angesichts der „neueren“ disziplinärwissenschaftlichen Erkenntnisse zum präsuizidalen Syndrom ohnehin in jedem Einzelfall zu überprüfen haben, wozu sie dann auf die fachkundig zugeschnittene Hilfe der psychiatrischen Wissenschaft zurückgreifen können.1928 Damit erledigt sich auch der gegen die Exkulpationslehre stereotyp vorgebrachte Einwand1929, sie könne die Ergebnisse der neueren Suizidforschung nicht in die strafrechtliche Bewertung einfließen lassen.1930 bb) Eigener Ansatz Demnach scheint also in der Sache die Exkulpationslehre recht zu behalten, wenn sie auf den Irrtum über die Handlungsqualität als „einziges sicheres Kriterium“1931 für die Abgrenzung von mittelbarer Täterschaft und strafloser Teilnahme des Veranlassenden abstellt. Damit entscheidet auch im Selbstschädigungsbereich das vom Hintermann praktizierte Interpretationsmuster eines deliktisch sinnvolleren Handelns über die „Irrtumsherrschaft“. Insofern steht man hier freilich vor dem Problem, dass die tatbestandslose Selbstschädigung gerade kein Delikt ist, weshalb es an einem Gefüge unrechtlicher Handlungssinndimensionen fehlt. Diesem Mangel kann man jedoch abhelfen, indem man das selbstschädigende Tun des Vordermannes im Verhältnis zum Hintermann so behandelt, als erfüllte es einen Deliktstatbestand. Danach setzt der Hintermann jedenfalls dann eine komplexe Tatbestandshandlung über den Kopf des Selbstschädigers hinweg, wenn dieser über die selbstschädigende Qualität seines Handelns irrt („Quasi-Tatbestandsirrtum“ analog § 16).1932 Gleiches gilt, wenn der Selbstschädiger nach normativen Maßstäben intellektuell außerstande ist, sich im sozialen Sinngehalt der Selbstschädigung zu verwirklichen (Analogie zu §§ 19, 20 StGB, 3 JGG)1933 – wobei die Einzelheiten in die konkrete Falldarstellung gehören. 1928

So zutr. Roxin, Dreher-FS (1977), 331 (351). So etwa Geilen, JZ 1974, 145 (150 ff. [152 f.]); Herzberg, Täterschaft, 39; Schilling, JZ 1979, 159 (167). 1930 Eingehend zum Ganzen Roxin, Dreher-FS (1977), 331 (349 ff.). 1931 Charalambakis, GA 1986, 485 (500). 1932 So statt aller etwa Schünemann, in: LK, § 25 Rn. 106. 1933 s. dazu etwa Bottke, Suizid, 256 ff.; s. auch ders., GA 1983, 22 (31 f.); Charalambakis, GA 1986, 485 (498 ff.); Schünemann, in: LK, § 25 Rn. 106. 1929

366 5. Kap.: Einplanung freien Unrechtshandelns in das eigene Handlungsprogramm

Gegen diesen Ansatz wird eingewandt, die unverbotene Selbstschädigung bzw. Selbsttötung sei gerade das Gegenteil eines Delikts und könne daher auch nicht wie eines behandelt werden.1934 Deshalb komme es für die Willensherrschaft über das selbstschädigende Geschehen allein darauf an, ob der Entschluss zum Suizid auf einem vom Hintermann aufklärbaren Irrtum beruhe.1935 Maßgeblich sei also die Herrschaft des hintergründig Mitwirkenden über die Irrtumsursache bzw. über das insinuierte Suizidmotiv.1936 Auch dieser Einwand geht jedoch fehl, da das Recht sich eben nicht dafür interessiert, ob der Suizident (s)einem persönlichen Selbsttötungsmotiv gerecht wird. Entscheidend ist vielmehr allein, ob der Hintermann über den Kopf des Suizidenten hinweg eine deliktisch höher dimensionierte Tatbestandshandlung i.S.d. §§ 212 setzt. Um diese Frage sinnvoll beantworten zu können, bleibt aber nichts anderes übrig, als das Gefüge der möglichen Handlungssinndimensionen zu nivellieren, indem man den freiverantwortlich verübten Suizid hypothetisch wie einen Schuldtypus i.S.d. StGB behandelt. Etwas anderes lässt sich auch nicht aus der zu § 263 entwickelten Zweckverfehlungs-Dogmatik ableiten. Zwar steht an sich nichts im Wege, das dem Betrugstatbestand zugrunde liegende Strukturmuster (Täuschung – Irrtum – selbstschädigende Verfügung) auf andere Fälle der Veranlassung einer irrtumsbedingten Selbstschädigung zu übertragen.1937 Auch hat man sich sub specie § 263 eingehend mit der Frage beschäftigt, ob und wenn ja unter welchen Voraussetzungen eine soziale Zweckverfehlung trotz bewusster Selbstschädigung noch betrugsrelevant sein soll. Insofern ist überwiegend anerkannt, dass eine Betrugshandlung auch dann noch vorliegen kann, wenn der Getäuschte einen bestimmten sozialen Zweck (etwa den Zweck einer sozialen Wohltat) verfehlt, den er infolge der Täuschung mit seiner materiell bewusst vermögensschädigenden Verfügung verknüpft hat.1938 – Doch bringt diese speziell zu § 263 entwickelte Dogmatik für die Fälle der Selbstverletzung keinerlei Ertrag. Denn während der betrugsrelevante Irrtum über den konkreten „Verfügungssinn“ sub specie § 263 in den Kategorien des Bettel-, Spenden- und Schenkungsbetruges1939 klar umrissen und also trennscharf vom unbeachtlichen Motivirrtum abgrenzbar ist, existieren derart klare Kategorien für die Selbstverletzung gerade nicht. Zwar verfolgt man im sozialwissenschaftlichen Zweig der Suizidforschung den Ansatz, den Suizid in seiner Eigenschaft als zweckrationale Handlung zu betrachten;1940 dies hat auch zu Versuchen geführt, die Suizidhandlungen nach Typen zu klassifizieren, entsprechend den Intentionen, die die Suizi1934

So insbesondere Herzberg, JA 1985, 336 (338 ff.). Herzberg, JA 1985, 336 (341). 1936 Herzberg, JA 1985, 336 (341); Schünemann, in: LK, § 25 Rn. 107. 1937 So expressis verbis etwa Hoyer, in: SK, § 25 Rn. 98 ff.; s. auch Kindhäuser, BemmannFS (1997), 339 ff. 1938 Vgl. zum Ganzen etwa Fischer, § 263 Rn. 137 ff. 1939 Vgl. dazu nochmals Fischer, § 263 Rn. 137, 139. 1940 s. dazu Fenner, e-Journal Philosophie der Psychologie 6 (2006), 2. 1935

B. Freiheit und Freiverantwortlichkeit im (Straf-)Rechtssinne

367

denten verfolgen und die ihrem Tun daher einen bestimmten Sinn verleihen.1941 Doch ist innerhalb des sozialwissenschaftlichen Erklärungsansatzes offen, hinsichtlich welcher Ziel- bzw. Zweckvorstellungen das Radikal-Mittel Suizid wirklich als rationale Handlungsoption anzusehen ist.1942 Dieses Problem tritt sub specie § 263 naturgemäß nicht auf, da die Hingabe von Vermögenswerten, anders als die Vernichtung des eigenen Lebens, nicht schon per se den ersten Anschein der Irrationalität gegen sich hat. Damit aber schließt sich der Kreis wieder, und man steht abermals vor der unbeantwortbaren Frage, wie rationale Suizidmotive auch nur annähernd rechtssicher von irrationalen abgegrenzt werden sollen. Dieses Bestimmtheitsproblem ist unter dem Aspekt der strafrechtlichen Beurteilung eines veranlassenden Hintermannes nicht einmal dort eindeutig zu lösen, wo der Suizid als ultima ratio noch am ehesten angemessen erscheint,1943 nämlich als Mittel zur Flucht vor dem Siechtum einer terminalen Krankheit. Denn selbst im Fall der Vortäuschung einer solchen Krankheit stellen sich sofort wieder unlösbare Abgrenzungsprobleme ein, die Roxin1944 zutreffend benannt hat: „Soll die Vortäuschung jeder Krankheit oder nur einer schweren oder nur einer tödlichen genügen? Soll es auf den Zeitpunkt ankommen, in dem der Tod voraussichtlich eintritt? Soll die Vorspiegelung zu erwartender besonderer Schmerzen vorausgesetzt werden? Soll eine angeblich sichere Prognose nötig sein oder schon die Äußerung einer Vermutung oder einer persönlichen Meinung genügen? Jede Antwort führt ins Beliebige. Auf eine Bestrafung des Hintermannes wegen eines Tötungsdeliktes zu verzichten, ist auch kriminalpolitisch nicht unangemessen. Denn man kann erwarten, dass niemand (…) wegen einer Krankheit Selbstmord begehen wird, ohne sich bei kompetenten Fachleuten über die Art seines Leidens vergewissert zu haben. Es ist sicher kein Zufall, dass die Rechtsprechung über einen durch Vortäuschung einer Krankheit bewirkten Suizid noch nie zu entscheiden gehabt hat.“

Anders sieht dies naturgemäß Herzberg, der der Exkulpationslehre an dieser Stelle logische Inkonsistenz bescheinigt: Es könne doch die strafrechtliche Behandlung eines Arztes, der einem Patienten einen Krebsbefund vortäusche, unmöglich davon abhängen, ob der Patient daraufhin wunschgemäß eine tödliche Injektion an sich vornehmen lasse (dann unstreitig Mord) oder sich das Gift selbst injiziere (dann straflose Suizidbeteiligung).1945 Dieser Vorhalt erweist sich jedoch als zirkulär. Denn erstens ist und bleibt es ein kardinaler Unterschied, ob der Arzt den Irrtum des Patienten zu einer eigenen Tötungshandlung ausnutzt oder aber „bloß“ ein Suizidmotiv insinuiert;1946 und zweitens wäre der Arzt auch im letzteren Falle 1941 s. instruktiv dazu Fenner, e-Journal Philosophie der Psychologie 6 (2006), 2 f., die auch einen eigenen Typologisierungsversuch vorstellt (ebenda 3 ff.). 1942 Vgl. eingehend dazu Fenner, e-Journal Philosophie der Psychologie 6 (2006), 8 ff. 1943 Vgl. dazu Fenner, e-Journal Philosophie der Psychologie 6 (2006), 8 f. 1944 In: LK11, § 25 Rn. 106. 1945 JA 1985, 336 (340). 1946 s. dazu nochmals Schünemann, in: LK, § 25 Rn. 73. – Für den Fall eines „ernstlichen“ Suizidentschlusses, d. h. für die Abgrenzung der straflosen Suizidteilnahme von der strafbaren

368 5. Kap.: Einplanung freien Unrechtshandelns in das eigene Handlungsprogramm

selbstverständlich als Garant zur Aufklärung des Irrtums verpflichtet und somit bei Nichthinderung der irrtumsbedingten Selbsttötung Täter eines begehungsgleichen Unterlassungsdelikts! Nach alledem bleibt es also dabei: Ob der Beteiligte an einer irrtumsbedingten Selbstschädigung mittelbarer Täter ist, bestimmt sich – wie sonst auch – danach, ob programmatisch nach dem Interpretationsmuster eines rechtlich überlegenen Handelns verfahren wird. Da allerdings Selbstschädigungen stets tatbestandslos sind, existiert für sie kein Gefüge strafrechtlich relevanter Handlungsdimensionen. Aus diesem Grunde muss die Selbstschädigung an das für den Hintermann geltende Gefüge deliktischer Handlungsdimensionen (scil.: den Schuldtypus) adaptiert werden. Dies geschieht dadurch, dass man die an sich freiverantwortliche Selbstschädigung hypothetisch wie einen Schuldtypus i.S.d. StGB behandelt. Wiederum erweist sich damit die Exkulpationslehre im Ansatz als zutreffend.

C. Zusammenfassung Zum Themenkomplex der Einplanung freier fremder Unrechtsentschlüsse im Spannungsfeld zwischen gelebter sozialer Realität einerseits und postuliertem sittlichen bzw. rechtlichen Sollen andererseits kann nach alledem Folgendes festgehalten werden: Erstens steht die Willens- oder Entschlussfreiheit anderer Menschen der prinzipiellen Kalkulierbarkeit von deren Verhaltensentschlüssen nicht entgegen, da die praktisch erlebte „Willensfreiheit“ keineswegs mit Willkür oder Zufall gleichgesetzt werden kann. Zweitens existiert in der sozialen Realität auch keine autarke sittlichautonome Selbstbestimmung des Einzelnen, die seine Korrumpierung generell unwahrscheinlich macht. Vielmehr sind die vom Einzelnen unmittelbar mitgestalteten Lebensverhältnisse (= Familie, Partnerschaft, Freundschaft, Arbeitsverhältnis usw.) selbständige soziale Mikrokosmen, innerhalb derer auch unrechtliche Verhaltensentschlüsse kalkulierbar werden können. Denn hier sind emotionale Verbundenheit und wechselseitige Loyalität (oder auch einseitige Abhängigkeit) meist am stärksten ausgeprägt, man ist mit dem Charakter des jeweils anderen bestmöglich vertraut, und die Enttäuschung von Verhaltenserwartungen lässt unmittelbar spürbare Auswirkungen auf das reale Leben des Aufgeforderten befürchten. Deshalb existiert drittens auch kein normatives Regressverbot, wonach die „autonome“ Haupttatbegehung des Letzthandelnden die Verantwortlichkeit tatferner Beteiligter für die Rechtsgutsverletzung ausschließt. Ein solches Axiom wäre selbstwidersprüchlich, denn wenn die „Autonomie“ des letzten freiverantwortlich handelnden Gliedes in der Kausalkette die Verantwortlichkeit anderer für das Tatgeschehen gerade ausschließen soll, Tötung auf Verlangen (§ 216), will (und muss!) auch Herzberg den rechtlichen Unterschied zwischen Selbst- und Fremdschädigung anerkennen (JA 1985, 336 [340]). Warum aber soll für die Mitwirkung an einem nicht „ernstlichen“ Suizidentschluss plötzlich anderes gelten?!

D. Teilnahmehandlungen als limitiert-akzessorische Rechtsgutsangriffe

369

dann kann der Handlungsunwert der Teilnahme nicht mehr mit der Sozialbindung des Haupttäters erklärt werden. Viertens schließlich ist auch das Dogma eines beteiligungsrechtlichen Verantwortungsprinzips verfehlt, da es nicht auf das Prinzip der individuellen Tatverantwortung abgestimmt werden kann, ohne ad absurdum geführt zu werden. Beteiligungsrechtlich geht es aber auch gar nicht um eine Verantwortungsallokation, sondern um die ganz andere Frage, ob der Hintermann nach normativen Maßstäben eine komplexe Tatbestandshandlung setzt, d. h. um allgemeinverbindliche Deutungsschemata relativ überlegenen Handelns.

D. Teilnahmehandlungen als limitiert-akzessorische, aber dennoch eigenständige Rechtsgutsangriffe Die Abgrenzung von „Täterschaft und Teilnahme“ wird zentral im Bereich der allgemeinen vorsätzlichen Handlungsdelikte relevant, die intentionale Realakte inkriminieren: Der Täter will programmatisch einen eigenen Entscheidungszugriff auf das Rechtsgut vornehmen, der Anstifter will fremden Rechtsgutszugriff als Erfüllung einer eigenen unrechtlichen Handlungserwartung initiieren, der Gehilfe dagegen „nur“ einen anderen bei dessen Rechtsgutszugriff unterstützen. Diese Unterscheidung entspricht im Ansatz den Grenzen des allgemeinen Handlungsinterpretaments selbst: Soweit das eigene Programm fremdes intentionales Handlungserlebnis einplant, ist es akzessorisch ausgestaltet. Das materielle Akzessorietätsprinzip ist dem intentionalen Handlungsbegriff inhärent. Hierbei handelt es sich um eine allgemeine Vorgabe, so dass eine „minimale“1947 Akzessorietät im Unrechtsbereich – fahrlässige Teilnahme an fahrlässiger Tat1948 – an sich konstruktiv denkbar wäre. Ihre Annahme wäre jedoch aus fahrlässigkeitsdogmatischer Sicht unangezeigt und irreführend, da vorhersehbares Fehlverhalten anderer für die Bestimmung der je eigenen Sorgfaltspflicht nicht in seiner Qualität als intentionales Handeln interessiert, sondern ausschließlich als vermeidbarer Gefahrenfaktor.1949 Vorsätzliche Teilnahme an der fahrlässigen Tat eines anderen wäre dagegen dogmatisch möglich: Obwohl Vorsatz und Fahrlässigkeit nach hiesiger Ansicht inhaltsverschiedene Verhaltenskategorien sind,1950 weiß der vorsätzlich agierende Hintermann, dass er am fahrlässigen Akt eines anderen teilnimmt. Al1947

Zur Bezeichnung der konstruktiv möglichen Akzessorietätsgrade und ihrer Historie s. Roxin, AT/II, § 26 Rn. 32 m. Fn. 37. 1948 Mit dem Begriff der minimalen Akzessorietät wird herkömmlich die vorsätzliche Teilnahme an fahrlässiger Tat assoziiert (vgl. etwa nur Roxin, AT/II, § 26 Rn. 32). Das ist aber so nicht richtig, denn die Unmöglichkeit einer fahrlässigen Teilnahme folgt keineswegs bereits aus dem akzessorischen „Wesen“ der Teilnahme selbst, sondern erst aus dem „Wesen“ der Fahrlässigkeit. 1949 Eingehend zum Ganzen noch unten, S. 707 ff. 1950 Eingehend dazu bereits oben, S. 142 ff., 168 ff., 199 ff.

370 5. Kap.: Einplanung freien Unrechtshandelns in das eigene Handlungsprogramm

lerdings hat der Strafgesetzgeber sich in den §§ 26, 27 autoritativ für die Einführung einer limitierten Akzessorietät entschieden, wonach Teilnahme zwingend die vorsätzliche Mitwirkung an einer vorsätzlich-rechtswidrigen Bezugstat voraussetzt. In dieser Entscheidung liegt zugleich die legislatorische Absage an eine „extreme“1951 Akzessorietät, wie sie § 48 StGB a.F. noch vorsah und wie sie der Sache nach von einigen Strafrechtswissenschaftlern1952 neuerdings wieder erwogen wird. Insbesondere das Handlungsprogramm der Anstiftung muss deshalb nicht zwingend auf eine sittliche Korruption des präsumtiven Haupttäters ausgelegt sein. Vielmehr genügt die Aufforderung1953 zu einem die Verbotsnorm objektiv missachtenden Tatentschluss.1954 Entsprechendes gilt mutatis mutandis für die Beihilfe; dort genügt die Unterstützung eines objektiv rechtswidrigen Tatentschlusses. Da Teilnahmehandlungen inhaltlich von fremder Tatbestandshandlung abhängen, pflegt man insofern von einem „sekundären“ Teilnehmerbegriff in Anlehnung an einen „primären“ Täterbegriff zu sprechen.1955 Dabei ist jedoch unbedingt zu beachten, dass die Teilnahmehandlungen ihrerseits selbständige Rechtsgutsangriffe verkörpern,1956 die als Strafunrechtstypen (= Handlungs- und Zurechnungstypen) von ihrem Handlungsunrecht her konkret aufgeschlüsselt werden müssen: Auch das „Bestimmen eines anderen zu dessen Tat“ (§ 26) und das „Hilfeleisten zu der Tat eines anderen“ (§ 27) sind also primäre, aus sich selbst heraus zu entwickelnde Tatbestandshandlungen, die in rechtsstaatlicher Weise konkretisiert werden müssen.1957 Neben den primären Täterbegriff treten folglich ein „primärer Anstifterbegriff“ und ein „primärer Gehilfenbegriff“.1958 Und da es sub specie §§ 26, 27 um die rechtsstaatliche Konkretisierung der dort vertatbestandlichten Handlungen geht, sind diese „Teilnehmertatbestände“ ebenso restriktiv zu handhaben wie die Täter1951

s. Fn. 1947. Schild, in: NK, Vor §§ 26, 17 Rn. 8; § 26 Rn. 11, 14; Amelung, Schroeder-FS (2006), 147 (159 f., 169 f.). 1953 s. eingehend zu diesem noch näher zu entfaltenden Sachkriterium der Anstiftung unten, S. 543 ff. 1954 Wer hingegen de lege lata für eine extreme Akzessorietät plädiert, der muss die in § 26 f. vorgesehene Akzessorietätslimitierung als Regelung des Irrtums über die Schuldhaftigkeit der Haupttat verstehen (so konsequent Schild, in: NK, Vor §§ 26, 27 Rn. 8, 10 f.; § 26 Rn. 18). Diese Auslegung führt jedoch zu jenen Strafbarkeitslücken, die durch die Einführung der limitierten Akzessorietät gerade vermieden werden sollten (vgl. dazu Roxin, AT/II, § 26 Rn. 33). Das sieht natürlich auch Schild (in: NK, Vor §§ 26, 27 Rn. 11), der freilich behauptet, der Gesetzgeber habe diese Strafbarkeitslücken bewusst in Kauf genommen, indem er die in § 32 E 1962 noch vorgesehene Regelung zum „Irrtum über den Tätervorsatz“ ersatzlos gestrichen habe (a.a.O.). So stimmt das aber freilich nicht, denn der Verzicht auf diese Vorschrift wurde der Sache nach damit begründet, dass man mit ihrer Schaffung diesseits der limitierten Akzessorietät zur sehr ins Detail ginge (vgl. BT-Drucks. V/4095, 13). 1955 Grundlegend Roxin, TuT, 27 f.; ders., AT/II, § 26 Rn. 10. 1956 So zutr. Roxin, AT/II, § 26 Rn. 11 (m.w.N.). 1957 Schild, in: NK, Vor §§ 26, 27 Rn. 2; § 26 Rn. 1. 1958 So Schild, in: NK, Vor §§ 26, 27 Rn. 2. 1952

D. Teilnahmehandlungen als limitiert-akzessorische Rechtsgutsangriffe

371

tatbestände. Neben den restriktiven Täterbegriff tritt folglich ein „restriktiver Teilnehmerbegriff“.1959 Nach alledem sind also die Teilnahmehandlungen eigenständige, limitiert-akzessorische Rechtsgutsangriffe,1960 deren propositionaler Gehalt – wie bei der Täterschaft – aus der Beschaffenheit des unwertigen Rechtsgutsbezuges entwickelt werden muss. Damit sind die Leitlinien der hier vertretenen Beteiligungslehre herausgearbeitet. Bei Täterschaft und Teilnahme handelt sich um verschiedene, jeweils aus sich selbst heraus zu entwickelnde Handlungsunrechtstypen. Diese sollen im Folgenden anhand von Fallgruppen für die Rechtsanwendung konkretisiert werden.

1959

Schild, in: NK, Vor §§ 26, 27 Rn. 2 f. So in der Sache zutr. Roxin, AT/II, § 26 Rn. 11; s. ausführlich zum Ganzen auch noch unten, S. 532 ff. 1960

Sechstes Kapitel

Die Ausarbeitung der Deliktsgruppen als Handlungsunrechts- und Zurechnungstypen im Einzelnen A. Täterschaft und Teilnahme bei den allgemeinen vorsätzlichen Begehungsdelikten Die Abgrenzung zwischen „Täterschaft und Teilnahme“ auf Basis des intentionalen Handlungsbegriffs ist zentral im Bereich der allgemeinen vorsätzlichen Handlungsdelikte vorzunehmen. Das gilt für sämtliche Tatbestandsgestalten dieser Deliktsgruppe, die intentionale Realakte inkriminieren (= Verletzungs- wie Gefährdungsdelikte, Erfolgs- wie Tätigkeitsdelikte1961). Daher begeht beispielsweise einen Hausfriedensbruch in mittelbarer Täterschaft (§§ 123, 25 I Alt. 2), wer sich zum „Eindringen“ (= Tätigkeit) in ein fremdes Haus eines Kindes oder Geisteskranken bedient.1962 Andere Kriterien der Tatbestandshandlungsbestimmung gelten dagegen für die eigenhändigen Delikte1963 (etwa §§ 153, 183, 323a), die Delikte mit Willenserklärungselementen1964 (etwa §§ 185, 253 I Alt. 1) und die reinen Pflichtdelikte1965 (§§ 170 f, 266 I Alt. 2). Auch für die Straftatgruppen der vorsätzlichen Unterlassungsdelikte und der Fahrlässigkeitsdelikte gelten beteiligungsrechtliche Besonderheiten, die hier1966 bereits ansatzweise dargestellt worden und an späterer Stelle1967 noch zu vertiefen sind. Die allgemeinen Grundsätze der Tatbestandshandlungsbestimmung gelten gleichermaßen auch für die vorsätzlichen Sonderdelikte. Auch hier folgt die Tatbestandshandlungszurechnung der (allgemeinen) Handlungsunrechtsmaterie, die dem 1961

s. zu den verschiedenen Gestalten der vorsätzlichen Handlungsdelikte bereits oben, S. 173 f. 1962 Beispiel nach Roxin, TuT, 407 (der Hausfriedensbruch ist bekanntermaßen kein eigenhändiges Delikt [so zutr. Roxin, a.a.O.]). 1963 s. zu den eigenhändigen Delikten bereits oben, S. 197 f. sowie eingehend noch unten, S. 629 ff. 1964 s. dazu bereits oben, S. 66, 196 sowie eingehend noch unten, S. 627 ff. 1965 s. dazu bereits oben, S. 68 f., 198 sowie noch unten, S. 625. 1966 Oben, S. 51 ff., 55 ff., 220 f. 1967 Unten, S. 646 ff., 707 ff.

A. Täterschaft bei den allgemeinen vorsätzlichen Begehungsdelikten

373

Sonderdelikt konkret zugrunde liegt (= „normale“ intentionale Verletzungshandlung, Eigenhändigkeit, Willenserklärung, reine Pflichtverletzung). Eine selbständige Täterchiffre der Sonderpflichtverletzung existiert nicht!1968

I. Die Täterschaft (§ 25) Zu differenzieren ist hier zwischen den drei Tatbestandshandlungstypen des § 25 und den Teilnahmetatbestandshandlungen der §§ 26, 27. Daher sind im Folgenden der Reihe nach als Handlungsunrechts- und Zurechnungstypen zu entfalten: die unmittelbare Täterschaft (§ 25 I Alt. 1), die mittelbare Täterschaft (§ 25 I Alt. 2) und die Mittäterschaft (§ 25 II), sodann die Anstiftung (§ 26) und die Beihilfe (§ 27). Die einzelnen Handlungstypen werden dabei in Anlehnung an Schild1969 jeweils in ihrer Ganzheit als erfolgreiche Strafunrechtstypen beleuchtet, d. h. ausgehend von ihrem propositionalen Gehalt (= Handlungsprogramm) über dessen Umsetzung (= Verhaltenspflichtverletzung ex ante) bis hin zur Zurechnung des Geschehens als Handlung. 1. Die Selbstbegehung (§ 25 I Alt.1) Dem Wortlaut nach regelt § 25 I Alt. 1 die Selbstbegehung der Straftat, wobei die scheinbare semantische Evidenz des Wörtchens „selbst“ täuscht. Denn während die einen diese adverbiale Bestimmung streng i.S.e. phänomenologischen Eigenhändigkeit interpretieren, erweitert lediglich um den Einsatz natürlicher Werkzeuge, sehen andere sich nicht gehindert, auch von einem „durch sich selbst“ als schuldloses (a.l.i.c.) oder gerechtfertiges (a.i.i.c.) Werkzeug zu sprechen oder gar den Einsatz doloser Gehilfenwerkzeuge einzubeziehen. Hinzu kommt noch die Frage, ob der Einsatz eines anderen als Werkzeug gegen sich selbst der unmittelbaren oder aber der mittelbaren Täterschaft zu rubrizieren ist. Es ist daher angezeigt, dieses „selbst“ weiter aufzugliedern. a) Der eigene Körper als Tatmittel Die Selbstbegehung ist zweifelsohne der Archetyp (nicht der Prototyp!) deliktischen Handelns.1970 Sie bezeichnet die Umsetzung eines Handlungsprogramms, das den tatbestandsmäßigen Erfolg unmittelbar durch die Tätigkeit der eigenen Extremitäten herbeiführen will, welcher Tätigkeit der Erfolg als von ihr produziert zu-

1968

s. dazu schon oben, S. 186 ff. sowie noch unten, S. 608 ff. In: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 83, 111 ff.; ders., in: NK, § 25 Rn. 10 ff. 1970 So zutr. Schünemann, Unterlassungsdelikte, 250, 285; ders., in LK, Vor § 25 Rn. 14; zust. Schild, in: NK, § 25 Rn. 11, 45. 1969

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6. Kap.: Die Ausarbeitung der Deliktsgruppen im Einzelnen

gerechnet wird.1971 Beispiele sind etwa das Erschlagen, Erstechen oder Erwürgen des Opfers. aa) Handlungsprogramm In vollzugstechnischer Hinsicht plant das Handlungsprogramm hier gleichsam die eigenen Extremitäten als Werkzeuge zur Erfolgsverwirklichung ein,1972 welche Möglichkeit wegen der unmittelbaren Evidenz der eigenkörperlichen Ausführung als „Handlungsherrschaft“ allenthalben anerkannt ist. Die „Handlungsherrschaft“ verkörpert jedoch nicht etwa den Prototyp einer „Zentralgestalt“,1973 der das „Tatunrecht“ auch über andere Wege als die „formelle“ Tatbestandshandlung zugerechnet werden kann, sondern sie ist der Archetyp der materiellen Tatbestandshandlung selbst als Zurechnungszusammenhang.1974 Der Zurechnungsnexus zwischen programmbetätigender Körperbewegung und tatbestandsmäßigem Erfolg ist immer als (intentionale) Tatbestandshandlung zu thematisieren, d. h. unabhängig von der Natur des konkret eingeplanten Tatmittels: Von dem auf intentionale Selbstverwirklichung gerichteten Handlungsprogramm des Planenden her besteht kein struktureller Unterschied zwischen der Einplanung des eigenen Körpers bzw. von „Natur“ als Werkzeug und der Instrumentalisierung menschlicher Tätigkeit.1975 Klarzustellen ist, dass nicht die subjektive Einstellung des Akteurs über den Inhalt des Merkmals der „Selbstbegehung“ entscheidet, sondern umgekehrt das objektivierte Handlungsprogramm dahingehend untersucht wird, ob es als Wille zur intentionalen Selbstverwirklichung in einer eigenkörperlichen Ausführung aufzufassen ist.1976 bb) Umsetzen (= allgemeine Verhaltenspflichtverletzung ex ante) Das Umsetzen des Handlungsprogramms als personale Verhaltenspflichtverletzung ex ante liegt hier grundsätzlich1977 im unmittelbaren Ansetzen (§ 22) zum jeweiligen eigenkörperlichen Akt. Gemeint ist das Heben der Hand zum Schlag, das Anlegen der Hände an den Hals etc. – In der Sache geht es somit (technisch gesprochen) um die Freisetzung der Werkzeugkräfte,1978 die vor allem bei dieser archaischen Handlungsgestalt mit der Schaffung einer konkreten Erfolgsgefahr zusammenfällt. Auch wenn dies allerdings beim ausschließlichen Einsatz der eigenen Extremitäten qua natura so liegt, muss jedoch die Entfesselung der Werkzeugkräfte 1971 1972 1973 1974 1975 1976 1977 1978

Schild, in: NK, § 25 Rn. 48 f. Schild, in: NK, § 25 Rn. 49. So aber Roxin, TuT, 127. So zutr. Schild, in: NK, § 25 Rn. 10 ff., 45, 49. Eingehend zum Ganzen Schild, in: NK, § 25 Rn. 10 ff., 45. Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 155; ders., in: NK, § 25 Rn. 52. Zu den Problemfällen des Versuchsbeginns s. unten, S. 384 ff. Schild, in: NK, § 25 Rn. 53.

A. Täterschaft bei den allgemeinen vorsätzlichen Begehungsdelikten

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im Allgemeinen nicht notwendig schon mit der Schaffung einer konkreten Erfolgsgefahr zusammenfallen; denn der Eintritt einer solchen konkreten Gefahr ist genau besehen selbst schon ein externer (Gefahr-)Erfolg, der dem wirklichen, gefahrerfolgsgefährlichen Handlungsunrecht ex ante seinerseits zugerechnet werden muss.1979 Diejenige Gefahr, zu deren Schaffung der Vorsatztäter nach seinem Programm unmittelbar ansetzen muss, wird hier mit Puppe1980 als „Vorsatzgefahr“ bezeichnet. cc) Zurechnung als Tatbestandshandlung Die Zurechnung des weiteren Geschehens als Tatbestandshandlung meint hier nicht eine objektive Zurechnung bzw. eine Zurechnung zum objektiven Tatbestand. Vielmehr geht es um die Zurechnung des Geschehens zu dem auf Tatbestandshandlung gerichteten Programm als eben diese projektierte Tatbestandshandlung, wenn und weil sich das Geschehen normativ (!) als Verwirklichung dieses Handlungsprogramms erweist: In Vollzug des gefahrerfolgsgefährlichen Handlungsprogramms muss zunächst eine konkrete Vorsatzgefahr für das vom betreffenden Tatbestand geschützte Rechtsgutsobjekt geschaffen werden, die sich dann im späteren Erfolg realisiert.1981 Davon ist immer dann problemlos auszugehen, wenn die handelnd geschaffene „Realgefahr“1982 der nach dem Programm vorgesehenen „Plangefahr“1983 entspricht und sich ohne irgendwelche Weiterungen im Erfolg realisiert. Jedoch existieren zum einen Konstellationen, in denen schon Plan- und Realgefahr auseinanderfallen. Zum anderen sind etliche Fälle denkbar, in denen zwar eine der Plangefahr entsprechende Realgefahr geschaffen wird, diese sich aber auf ganz andere Weise als vom Akteur vorhergesehen im Erfolg realisiert. Vor diesem Hintergrund ist zu fragen, wie derartige Abweichungen des tatsächlichen vom vorgestellten Kausalverlauf1984 strafrechtlich zu behandeln sind. 1979 So pointiert Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 104, 111, m.w.N.; ders., in: NK, § 25 Rn. 10, 54; s. ausführlich zur Theorie der rechtlichen Verhaltensnormen im Allgemeinen sowie zur normentheoretischen Entfaltung des Vorsatzdelikts im Besonderen oben, S. 153 ff., 168 ff. 1980 In: NK, § 15 Rn. 64 ff. 1981 s. zum Ganzen eingehend und instruktiv Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 111 ff.; ders., in: NK, § 25 Rn. 10 ff. 1982 Begriff nach Wolter, Zurechnung, 115 Fn. 208. 1983 Begriff nach Wolter, Zurechnung, 115 Fn. 208. 1984 Die im Folgenden dargestellten Fragen der Abweichung vom Kausalverlauf haben mit der Inhaltsbestimmung des täterschaftlichen Handlungsunrechts an sich nichts zu tun. Allerdings spielen sie eine Rolle für die Zurechnung des Erfolgs zum Handlungsunrecht als vollendete Tätertatbestandshandlung, weshalb sie in der gebotenen Kürze abgehandelt werden müssen. Dabei kann es hier aus thematischen wie aus Raumgründen nur darum gehen, die typischen Problemfälle vom hiesigen Grundansatz ausgehend einer stimmigen Lösung zuzuführen. Eine umfassende Auseinandersetzung mit der abweichenden Sichtweise der h.L. muss unterbleiben. Inhaltlich lehnt sich die im Text folgende Fallbehandlung stark an die Lehre Puppes (umfassend ausgebreitet in: NK, § 16 Rn. 68 ff.) an, die sich im Rahmen ihrer Darstellung auch umfassend mit der h.L. auseinandersetzt.

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(1) Abweichungen der Real- von der Plangefahr Klassisches Beispiel für diese Fallgruppe ist die Konstellation, dass A den Nichtschwimmer B von einer hohen Brücke ins Wasser stoßen will, um ihn ertrinken zu lassen, B jedoch unvorhergesehen auf den Sockel des Brückenpfeilers prallt und sich das Genick bricht.1985 Nach der Lehre vom konkreten Handlungsunrecht kann es hier nur um die Frage gehen, ob die Abweichung vom planenden Handlungsprogramm her gesehen wesentlich oder unwesentlich ist – womit indirekt zugleich die materiale Eigenart der Vorsatzgefahr klargestellt ist.1986 Unwesentlich ist die Kausalabweichung mit Puppe1987 gesprochen dann, wenn „(…) diejenigen Gefahrfaktoren, in denen die Wirklichkeit mit der Vorstellung des Täters übereinstimmt, ausreichen, eine Vorsatztat zu konstituieren.“ Dies sei kurz am o.g. Brückenfall illustriert: Das Hinabstoßen des Opfers von einer hohen Brücke begründet per se eine taugliche Methode zur Tötung eines Menschen i.S.d. § 212, unabhängig davon, ob der Täter für sich privat eine voraussetzungsreichere Tötungsstrategie verfolgt.1988 Die Vorschrift des § 16 I 1 steht einer solchen Interpretation nicht entgegen.1989 Aus ihr folgt nur, dass der Akteur sich auf Basis der von ihm erkannten Vorsatzgefahrfaktoren (hier: Hinabstoßen von einer hohen Brücke) den „deskriptiven Sinn des Tatbestandes“1990 (hier: Töten eines Menschen) vorgestellt haben muss. Anhand welcher naturalistischen Verlaufsvariante (hier: Ertrinken) er sich den deskriptiven Tatbestandssinn konkret vergegenwärtigt, ist dabei irrelevant!1991 Ein weiteres, praktisch wichtigeres Beispiel für ein unwesentliches Abweichen der konkret geschaffenen Realgefahr bildet der als Herzschuss geplante Schuss auf einen Menschen, der zwar das Herz verfehlt, aber trotzdem tödlich ist.1992 Der Schuss auf den Torso eines Menschen ist per se eine taugliche Tötungsmethode i.S.d. rechtlichen Tatbestandes (§ 212); dass der Täter für sich privat eine voraussetzungsreichere 1985

8/64. 1986 1987

606 ff. 1988

s. zu diesem Kathederbeispiel statt vieler nur etwa Frisch, Verhalten, 610; Jakobs, AT, So zutr. Puppe, in: NK, § 16 Rn. 76. In: NK, § 16 Rn. 80; s. in der Sache grundlegend auch bereits Frisch, Verhalten, 588 ff.,

So zutr. Puppe, in: NK, § 16 Rn. 80; in der Sache ebenso Frisch, Verhalten, 588: Die Entscheidung des Täters für das seiner eigenen Kausalprognose konkret zugrunde gelegte naturalistische Verlaufsbild impliziere zugleich die allgemeinere Entscheidung für das normative Substrat des handlungsmäßig betätigten Verletzungsprogramms. 1989 A.A. wohl Jakobs, AT, 8/65 Fn. 141a. 1990 s. dazu Puppe, in: NK, § 16 Rn. 32 ff. (insbesondere Rn. 34, 36). 1991 So zutr. Frisch, Verhalten, 588 ff., 606 ff.; a.A. noch Jakobs, AT 8/64 f. u. 68 ff., konkret in Rn. 69: „Da der Vorsatz vom Gesetz als psychisches Faktum festgeschrieben ist, darf nicht anlässlich eines erkannten Risikos jedes erkennbare Risiko dem erkannten gleichgestellt werden.“ – Daran ist richtig, dass § 16 eine vollständige Normativierung des Vorsatzes nicht zulässt. Andererseits existiert aber auch kein Laplace’sches Wissen um die zukünftige Entwicklung vorsätzlich angesteuerter Naturkausalverläufe, weshalb die Vorschrift lediglich verlangen kann, dass der Täter sein Verhalten in der „normativ relevanten Dimension“ (Frisch, Verhalten, 588) erfasst hat. 1992 s. zu diesem Beispiel etwa Frisch, Verhalten, 588, 608.

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Tötungsstrategie (hier: Herzschuss) verfolgt, ist für die rechtliche Bestimmung seines Tatbestandsvorsatzes unbeachtlich. Anderes gilt dagegen für Fälle, in denen eine zunächst planmäßig angesteuerte Realgefahr tatsächlich schon nicht mehr zur Entfaltung gelangt. So verhält es sich etwa dann, wenn das Opfer nach dem Schluck aus dem Giftbecher allein wegen des üblen Geschmacks im Mund zum Waschbecken stürzt, dabei unglücklich fällt und einen Schädelbruch erleidet.1993 Hier liegt eine wesentliche Abweichung vom Handlungsprogramm vor, die die Zurechnung des Geschehens als erfolgreiches Vorsatzdelikt ausschließt.1994 (2) Die geschaffene Realgefahr realisiert sich auf unvorhergesehene Weise im Erfolg (a) Unvorhergesehene Weiterungen des Naturkausalverlaufs Hat der Akteur eine taugliche Verletzungsstrategie betätigt und hierdurch eine planadäquate Realgefahr geschaffen, so kann es dennoch vorkommen, dass diese Realgefahr sich erst über eine unvorhergesehene Weiterung des natürlichen Kausalverlaufs im Verletzungserfolg realisiert. Ein klassisches Beispiel dieser Art bildet etwa der Fall, dass der Täter sein Opfer durch Beilhiebe töten will, dieses jedoch nicht unmittelbar an den Beilhieben, sondern erst an der durch sie ausgelösten Wundinfektion stirbt.1995 Einen weiteren Anwendungsfall bildet die Konstellation1996 des in Tötungsabsicht bewusstlos geprügelten Opfers, das sich in diesem Zustand erbricht und an seinem Mageninhalt erstickt.1997 Für solche Konstellationen kann nichts anderes gelten als für das Abweichen der Real- von der Plangefahr, d. h. mutatis mutandis: Weiterungen des natürlichen Kausalverlaufs, die als Imponderabilien schon im „normativen Substrat“1998 der konkreten Verletzungsstrategie angelegt sind, sind dieser als ihre erfolgreiche Realisierung zuzurechnen.1999 1993 Beispiel nach Jakobs, AT, 8/71; s. auch bereits das von einer Vorsatzzurechnung noch weiter entfernte Beispiel bei Wolter, Zurechnung, 121. 1994 So zutr. Jakobs, AT, 8/71, der allerdings a.a.O. auch auf den Grenzfall hinweist, dass das Opfer durch das Gift benommen torkelt, stürzt und sich hierdurch einen Schädelbruch zuzieht; in diesem Fall wird man wegen der tatsächlichen Auswirkung der Realgefahr im Sturzgeschehen eine Vorsatzzurechnung anzunehmen haben (so zutr. Frisch, Verhalten, 611 Fn. 194). 1995 s. zu diesem Beispiel Roxin, AT/I, § 11 Rn. 70. 1996 Beispiel in Anlehnung an BGHSt 24, 213. 1997 s. Roxin, AT/I, § 11 Rn. 70; s. auch die von Puppe (in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 249) zusammengetragenen Parallelbeispiele aus der Rechtsprechung zum Fahrlässigkeitsdelikt, die aber in der Sache den gleichen Zurechnungsgedanken betreffen: Der durch eine Vitaminvergiftung geschwächte Säugling stirbt im Krankenhaus an einer Grippe-Infektion; das Unfallopfer erleidet im Krankenhaus eine tödliche Sepsis oder erkrankt durch die infolge seiner schweren Verletzungen notwendig gewordenen mehrfachen Operationen und Bluttransfusionen tödlich einer an Serum-Hepatitis; der Schwerverletzte verschluckt sich bei Wiederaufnahme der natürlichen Ernährung und erleidet eine tödliche Lungenentzündung. 1998 s. dazu Frisch, Verhalten, 588 ff.

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(b) Interferierendes personales Handeln Diffiziler gestaltet sich die rechtliche Beurteilung dagegen in Fällen eines nach Gefahrschaffung interferierenden personalen Verhaltens, wobei zu unterscheiden ist zwischen einem Handeln des Täters selbst, einem Opferhandeln und einer Intervention Dritter. (aa) Interferierendes Täterhandeln Ein unvorhergesehenes Interventionshandeln des Täters selbst findet sich in denjenigen Konstellationen, die unter dem Topos des sog. dolus generalis2000 diskutiert werden: Der Täter begeht in der irrigen Annahme, den Erfolg bereits durch einen Erstakt herbeigeführt zu haben, eine zweite Handlung, die den Erfolg ohne sein Wissen erst bewirkt. Praxisrelevante Fälle sind vorsätzliche Tötungsakte mit „nachsorgenden“ Verdeckungshandlungen: Der Täter wirft das vermeintlich tote Opfer in eine Jauchegrube, wo es ertrinkt;2001 oder er glaubt fälschlich, sein – realiter nur bewusstloses – Opfer erwürgt zu haben und hängt es zur Vortäuschung eines Selbstmordes in eine Schlinge, so dass es erstickt.2002 Diese Konstellationen unterscheiden sich von den zuvor behandelten Fällen der unvorhergesehenen Weiterung eines reinen Naturkausalverlaufs bloß phänomenologisch, nämlich darin, dass der vom Täter verursachte Opferzustand hier eine weitere Täterhandlung verursacht und über diese in den Erfolg einmündet. Von daher konstatiert Puppe2003 völlig zu Recht: „Niemand lässt sich in eine Schlinge hängen, in eine Jauchegrube werfen oder vergraben, wenn er bei Sinnen ist und sich wehren kann. Durch die erste mit Tötungsvorsatz begangene Handlung hat der Täter die Wehrlosigkeit des Opfers verursacht, ebenso wie seinen eigenen Glauben an dessen Tod. Beides ist mitursächlich für das weitere zum Tode führende Geschehen (…)“2004.

Zurechnungsgrundlage bleibt also auch hier das ursprünglich betätigte Verletzungsprogramm. Das nachfolgende Verdeckungshandeln kommt bloß noch als 1999

I. E. wohl allgemeine Meinung; s. statt vieler etwa nur Frisch, Verhalten, 588, 608 f. Zum umgekehrten Problem des vorzeitigen Erfolgseintritts s. instruktiv Puppe, in: NK, § 16 Rn. 86 ff. 2001 BGHSt 14, 193. 2002 Beispiel nach Puppe, NK, § 16 Rn. 81, die sich insofern allerdings fälschlich auf das Judikat BGH GA 1955, 123 beruft, das realiter einen Fall des vorzeitigen Erfolgseintritts betraf: Die Angeklagten hatten ihr vermeintlich bewusstlos gewürgtes, in Wahrheit jedoch bereits totes, Opfer eigentlich erst durch das Erhängen töten wollen. 2003 In: NK, § 16 Rn. 81. 2004 A.A. etwa Jakobs (AT 8/78), der meint, bei den zweiaktigen Geschehensabläufen erkläre die Tödlichkeit des vorsätzlich geschaffenen Erstrisikos nicht den Verlauf zum Tod. Das trifft natürlich zu, besagt aber eben auch nur, dass das Erstrisiko nicht per se tödlich war. Das ändert jedoch nichts daran, dass der durch das Erstrisiko bereits begründete Opferzustand über den anschließenden Zweitakt in den Erfolg eingemündet ist; s. zum dogmatischen Lösungsansatz beim dolus generalis allgemein und zur Auseinandersetzung mit den abweichenden Ansichten in der Strafrechtswissenschaft instruktiv Puppe, in: NK, § 16 Rn. 81 ff. 2000

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Kausalfaktor in Sicht, der den durch die Basis-Tötungshandlung unmittelbar verursachten pathologischen Opferzustand in den Erfolg hinein verlängert.2005 Das gilt konsequenterweise auch dann, wenn der Täter sich in einem durch sein Tötungshandeln hervorgerufenen Erregungszustand einem nahe stehenden Dritten anvertraut, der sich daraufhin zum Tatort begibt und die Tat an dem – realiter noch lebenden – Opfer aus Loyalität zum Täter finalisiert;2006 der (Gnaden-)Akt des Dritten ist auch hier lediglich finaler Bestandteil der durch die eigene Tathandlung ausgelösten Psychodynamik.2007 Nach denselben Grundsätzen sind ferner auch diejenigen Fälle zu lösen, in denen der Täter während der Tatausführung seine Schuldfähigkeit verliert. So lag es etwa im „Blutrauschfall“2008, wo der Täter mit einem Bergmannsbeil auf den Kopf seines Opfers eingedroschen hatte und hierbei in einen schuldausschließenden „Blutrausch“ geraten war, in dem er dann die eigentlich todesursächlichen Schläge geführt hatte: Auch hier hatte die durch die Beilhiebe geschaffene Vorsatzgefahr den als Imponderabilie in ihr angelegten Blutrausch erst ausgelöst und damit in ihm fortgewirkt.2009 (bb) Interferierendes Opferhandeln Auch unmittelbare Panik-, Flucht- und Ausweichreaktionen des mit der Vorsatzgefahr konfrontierten Opfers schließen eine Erfolgszurechnung zum Verletzungsprogramm des Täters grundsätzlich nicht aus: Treibt die Konfrontation mit der vom Täter ausgehenden Vorsatzgefahr das Opfer in eine direkt korrelierende Selbstgefährdung, so ist diese vom normativen Substrat der Vorsatzgefahrschaffung umspannt und ist ihr daher als ihre Realisierung zuzurechnen. So liegt es etwa dann, wenn das vom tötungswilligen Täter durch die Straßen gehetzte Opfer kopflos auf eine stark befahrene Verkehrsstraße rennt, wo es von einem Fahrzeug tödlich erfasst wird – vollendetes Tötungsdelikt. Entsprechendes gilt, wenn die in Tötungsabsicht abgefeuerten Schüsse das auf der Treppe stehende Opfer zwar verfehlen, dieses aber

2005

A.A. insofern merkwürdigerweise Frisch, Verhalten, 620 ff., unter Verweis auf das im Zweitakt angeblich liegende eigenverantwortliche Dazwischentreten des Täters selbst (a.a.O., 621). Letzteres kann jedoch von Frischs eigenem Ansatz (a.a.O., 586 ff.) her nicht überzeugen, denn die Vornahme tödlicher Verdeckungshandlungen ist als Imponderabilie a priori im „normativen Substrat“ der betreffenden Tötungshandlungen angelegt (so zutr. Puppe, in: NK, § 16 Rn. 85). 2006 Beispiel nach BGH NStZ 2001, 29. 2007 Str.; wie hier zutr. Puppe, in: NK, § 16 Rn. 92; i.E. ebenso BGH NStZ 2001, 29 (30); Roxin, AT/I, § 11 Rn. 70. – Zur Klarstellung: Auch in der akteurseigenen Handlungsinterpretation interessiert das finalisierende Tun des zur „Problemlösung“ eingeschalteten Dritten lediglich als Ausfluss der durch den eigenen Tötungsakt ausgelösten Geschehensdynamik; daher ist hier ausnahmsweise ein Fall der sog. Nebentäterschaft gegeben (so zutr. Puppe, in: NK, § 16 Rn. 92, m.w.N. zur diesbezüglichen Gegenansicht). 2008 BGHSt 7, 325. 2009 Puppe, in: NK, § 16 Rn. 91.

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infolge seiner unmittelbaren Schreckreaktion auf den Beschuss einen tödlichen Treppensturz erleidet.2010 Demgegenüber entfällt die Vorsatzzurechnung, wenn ein mit dem Fluchtvorgang allgemein verbundenes Verletzungsrisiko sich zufälligerweise2011 gerade in dem vom Täter angesteuerten Todeserfolg realisiert (Bsp.: [1] O rutscht bei seiner Flucht vor dem T, der ihn in Tötungsabsicht verfolgt, aus und stürzt dabei so unglücklich auf den Kopf, dass er verstirbt; [2] O will sich in einem leerstehenden Gebäude vor dem T verstecken und verletzt sich beim Eintreten einer Glastüre die Beinarterie, so dass er verblutet2012 – T begeht hier jeweils ein versuchtes Tötungsdelikt in Tateinheit mit einer versuchten Körperverletzung mit Todesfolge [„erfolgsqualifizierter Versuch“]2013). Überdies ist es auch im Vorsatzbereich denkbar, dass das Opfer nach der Tat die Annahme möglicher Hilfe in vollem Bewusstsein des Risikos verweigert, einer lebensrettenden Operation nicht zustimmt oder sich einer stationären Krankenhausbehandlung widersetzt. Hier ist die Zurechnung des Geschehens als Realisierung des vom Täter verfolgten Tötungsprogramms ausgeschlossen: Erliegt etwa das Opfer den zugefügten Verletzungen nur deshalb, weil es trotz vollen Risikobewusstseins aus sektiererischen Gründen die rettende Bluttransfusion ablehnt,2014 so gefährdet es sich freiwillig selbst; eine Zurechnung zum Tötungsprogramm des Täters ist ausgeschlossen. Entsprechendes gilt, wenn das Opfer eine zur Lebensrettung medizinisch indizierte Operation verweigert, und zwar auch dann, wenn diese gewisse

2010 Beispiel nach Fischer, § 16 Rn. 8 (dort unter Hinweis auf das Judikat BGH 3 StR 459/ 80); Roxin (AT/I, § 12 Rn. 158) bildet den vergleichbaren Fall, dass das in Tötungsabsicht beschossene Opfer bei seinem beherzten Sprung zur Seite aus dem Fenster stürzt; auch hier ist vollendetes Tötungsdelikt gegeben. 2011 Zur Klarstellung: „Zufall“ ist hier nicht der Umstand, dass sich ein fluchtspezifisches Verletzungsrisiko realisiert, sondern der Umstand, dass dieses sich ausgerechnet in dem vom Täter intendierten Todeserfolg realisiert. 2012 Beispiel angelehnt an den Fall „Gubener Hetzjagd“ (BGHSt 48, 34), angereichert um den im Originalfall nicht gegebenen Tötungsvorsatz. 2013 So jedenfalls dann, wenn man den Körperverletzungsvorsatz als im Tötungsvorsatz enthalten ansieht (heute ganz herrschende „Einheitstheorie“; s. dazu nur Fischer, § 211 Rn. 107) und überdies für den Gefahrzusammenhang zwischen Körperverletzung und Todesfolge in § 227 eine generelle Erfolgseignung der Körperverletzungshandlung ausreichen lässt (so die st. Rspr. des BGH, dargestellt bei Fischer, § 227 Rn. 3 a – d; in der strafrechtlichen Literatur dagegen wird überwiegend auf eine Letalität des Körperverletzungserfolges oder zumindest auf eine objektiv und/oder subjektiv gesteigerte Tötungslatenz der Körperverletzungshandlung rekurriert; s. zum Ganzen die umfassende, mit zahlreichen Nachweisen versehene Darstellung bei Paeffgen/Böse, in: NK, § 227 Rn. 7 ff.); zur Begründung des Vorwurfs der Körperverletzung mit Todesfolge im Originalfall „Gubener Hetzjagd“ s. BGHSt 48, 34 (38 f.). 2014 Für die hier interessierende Vorsatzzurechnung abgewandeltes Beispiel nach Roxin (AT/I, § 11 Rn. 118). Auch die im Haupttext nachfolgend genannten Beispiele wurden hier für den Vorsatzbereich abgewandelt.

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Risiken birgt, die aber medizinisch vertretbar sind.2015 Schließlich unterbricht der Aspekt der freiwilligen Selbstgefährdung den Zurechnungszusammenhang auch dann, wenn das Opfer sich entgegen fachkundiger Belehrung einer stationären Krankenhausbehandlung widersetzt.2016 (cc) Interferierendes Handeln Dritter Diese Fallgruppe betrifft Konstellationen, in denen ein Dritter erfolgsvermittelnd in den vom Täter vorsätzlich angesteuerten Kausalverlauf hineinwirkt. In puncto Vorsatzzurechnung ist dabei wiederum der Bereich der Tötungsdelikte relevant. Praktisch interessiert hier vor allem die Konstellation, dass Dritte zur Lebensrettung des schwer verletzen Opfers ein weiteres qualifiziertes Risiko eingehen müssen, das sich letztlich im Tod des Opfers realisiert. So liegt es etwa dann, wenn das lebensgefährlich verletzte Opfer an den Folgen einer zur Lebensrettung indizierten Notoperation verstirbt. Auch hier ist die Geschehensentwicklung dem Täter als Realisierung seiner Tötungsstrategie zuzurechnen, da sie von vornherein in deren „normativem Substrat“ angelegt war. Das gilt richtiger Ansicht2017 zufolge auch dann, wenn die zur Lebensrettung indizierte Operation infolge eines ärztlichen Kunstfehlers misslingt; denn es entspricht allgemeiner Lebenserfahrung, dass derartige Fehler gerade unter den erschwerten Bedingungen einer Notoperation unterlaufen können. Ebenso wenig unterbricht es die Vorsatzzurechnung, wenn eine durch die Tötungsstrategie des Täters verursachte innere Verletzung des Opfers (z. B. ein 2015 Ebenso Roxin, AT/I, § 11 Rn. 118; a.A. OLG Celle, StV 2002, 366 (367), wonach die Zurechnung nur dann entfallen soll, wenn die Ablehnung der indizierten Operation als „offenkundig unvernünftig“ anzusehen sei. Im konkreten Fall ging es um die Verweigerung der Zustimmung zu einer lebensrettenden Operation bei einer Mortalitätsrate von 5 – 15 %. Unter welchem Aspekt aber sollte die Ablehnung einer solchen Operation noch „vernünftig“ sein, wenn ihre Durchführung den sonst sicheren Tod abwendete? Richtigerweise wird man daher mit Roxin (a.a.O.) einen Zurechnungszusammenhang nur dann bejahen können, wenn nach medizinischer Prognose auch bei Unterbleiben der abgelehnten Operation eine überwiegende Überlebenschance bestand. A.A. allerdings Walther, StV 2002, 367 (368 ff.), die meint, die Regeln der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung seien auf ein reaktives Opferverhalten nicht übertragbar – freilich ohne ihrerseits zu einer überzeugenden Abgrenzung zu gelangen. Auch Puppe (in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 247) will die Regeln der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung nicht heranziehen. Da der Täter die Gefahr herbeigeführt habe, gälten die Maßstäbe der Einwilligung. Eine wirksame Einwilligung in die Ursprungsgefahr (!) liege aber in der Operationsverweigerung nur dann, wenn diese sonst keinen nachvollziehbaren Grund habe, was bei einem Mortalitätsrisiko von 5 % schon nicht mehr der Fall sei. – Auch diese These überzeugt nicht, denn in den vom Täter bewirkten pathologischen Primärzustand kann man nachträglich prinzipiell nicht mehr einwilligen. Vielmehr geht es um die Frage, ob die eigenverantwortliche Nichtbeseitigung eines solchen Risikozustandes einer freiwilligen Selbstgefährdung gleichkommt. Das dürfte zu bejahen sein, wenn das Opfer im eigenen Interesse die Obliegenheit trifft, einer – wenn auch riskanten – Operation zuzustimmen. Das ist zu ermitteln, indem man die Risiken der Operationsdurchführung ins Verhältnis zu den Risiken ihres Unterbleibens setzt. 2016 Wie hier Roxin, AT/I, § 11 Rn. 118; a.A. BGH NStZ 1994, 394 (394). 2017 Frisch, Verhalten, 608; allgemein Puppe, in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 249 u. 252 m. Rn. 256.

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Hirnödem) infolge sorgfaltswidrigen ärztlichen Unterlassens unerkannt bleibt und so zum Tode führt.2018 Dagegen fehlt es an einer erfolgreichen Vorsatzrealisierung, wenn sich letztlich „nur“ ein allgemeines Lebensrisiko im Tod des Opfers verwirklicht. So liegt es etwa dann, wenn das notoperierte Opfer allein daran verstirbt, dass die medizinisch indizierte Fremdbluttransfusion mit kontaminierten Blutkonserven durchgeführt wurde. Entsprechendes gilt für den Fall, dass das vom Täter lebensgefährlich verletzte Opfer schon beim Transport in die Notaufnahme durch einen Verkehrsunfall des Rettungsfahrzeugs ums Leben kommt; auch hier realisiert sich letztlich nur das allgemeine Grundrisiko der Straßenverkehrsteilnahme, selbst wenn die Fahrt mit Blaulicht und Martinshorn durchgeführt wird.2019 (c) Error in obiecto vel persona und aberratio ictus Nach einhelliger Ansicht2020 schließt ein Identitätsirrtum (error in obiecto vel persona) die Vorsatzzurechnung nicht aus. Erschießt etwa der A den B, den er irrtümlicherweise für seinen Erzfeind C hält, so hat er unzweifelhaft denjenigen Menschen getötet, den er im Tatzeitpunkt als zu tötenden Menschen identifiziert hatte; die private „Überkonkretisierung“ des Vorsatzes durch das private Abstellen auf die konkrete Opferidentität ändert daran nichts. Umstritten ist die Rechtsfolge dagegen, wenn der Akteur auf einen bestimmten Menschen zielt, diesen jedoch verfehlt und stattdessen einen anderen trifft (aberratio ictus). Für diesen Fall kann jedoch entgegen der h.M.2021 nichts anderes gelten als für sonstige Fälle2022 des Abweichens der Real- von der Plangefahr. Entscheidend ist allein, ob diejenigen Gefahrfaktoren, hinsichtlich derer die Vorstellung des Täters mit der Realität übereinstimmt, eine Vorsatzgefahr im abstrakt-tatbestandlichen Sinne begründen,2023 konkret: Die Vorsatzzurechnung hängt davon ab, ob die ohne das Zielen begründete Gefahr nach rechtlichen Maßstäben bereits eine taugliche Methode zur Tötung irgendeines im Zielbereich wahrgenommenen Gattungsobjekts darstellt.2024 Kasuistisch aufgelöst: Hält sich der Mensch, den der Täter erschießen will, in einer Menschenmenge auf, so ist der Schuss auf diesen Menschen zugleich auch eine taugliche Strategie zur Tötung irgendeines Menschen in der Menge; wird also ein anderer als der anvisierte Mensch tödlich getroffen, so haftet der Schütze wegen vollendeten Tötungsdelikts.2025 – Ist hingegen das Zielen konstitutiv für die 2018

So zutr. Puppe, in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 249 m. Rn. 256. Instruktiv und lebensnah zu diesen Fällen Frisch, Verhalten, 386 ff. (391 f.). 2020 s. statt aller nur Roxin, AT/I, § 12 Rn. 194. 2021 s. dazu die umfassenden Nachweise aus Literatur und Rechtsprechung bei Roxin, AT/I, § 12 Rn. 160 m. Fn. 300 f., der der herrschenden Konkretisierungstheorie selbst nahesteht (a.a.O., Rn. 165). 2022 s. dazu nochmals oben, S. 376 f. 2023 Puppe, in: NK, § 16 Rn. 102, 104. 2024 So zutr. Puppe, in: NK, § 16 Rn. 104. 2025 So zutr. Puppe, in: NK, § 16 Rn. 105. – Die h.L. von der Vorsatzkonkretisierung kann dieses gefühlsmäßig angezeigte Ergebnis hingegen nur dadurch erreichen, dass sie einen zum 2019

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rechtliche Vorsatzgefahr, weil sich (nach dem Wissen des Täters) in der Nähe des anvisierten Menschen keine oder nur wenige weiträumig verteilte Menschen aufhalten, so figuriert die ohne das Zielen definierte Gefahr lediglich als Fahrlässigkeitsgefahr.2026 – Geht das Handlungsprogramm des Täters dahin, einen bestimmten Menschen durch eine an dessen Fahrzeug angebrachte Autobombe zu töten, so kann der rechtliche Tatbestandsvorsatz nicht weiter konkretisiert werden als auf denjenigen, der den Zündschlüssel als nächster drehen wird (z. B. ein Autodieb);2027 die weitergehende Konkretisierung durch den Täter ist als privater Motivirrtum rechtlich irrelevant. Das gilt natürlich auch dann, wenn der Täter von vornherein schon die Fahrzeuge verwechselt. b) Natur und Technik als Werkzeug Auch „Natur“ und „Technik“ können als taugliche Instrumente zur intentionalen Selbstverwirklichung in einer Tatbestandshandlung fungieren.2028 Eingeplant werden kann also insbesondere auch der Einsatz elementarer Energiekräfte, mechanischer Apparate, chemischer Stoffe, biologischer Lebewesen (Viren) sowie von Tieren.2029 Zu denken ist etwa an das Abfeuern einer Schusswaffe, das Einflößen eines Giftes oder Virus, das Hetzen eines Tieres, das Legen eines Brandes oder das Detonieren-Lassen einer Bombe.2030 aa) Handlungsprogramm Wie die Einplanung der eigenen Extremitäten, so setzt auch der Einsatz von Natur zur Erfolgsherbeiführung zunächst die Entwicklung einer prinzipiell erfolgstauglichen Selbstverwirklichungsstrategie voraus. Das eingeplante Werkzeug muss also in seiner konkreten Wirkweise nicht tatsächlich beherrscht werden, sondern es muss „nur“ die Freisetzung der Werkzeugkräfte ex ante eine prinzipiell taugliche Methode der Erfolgsherbeiführung darstellen. Das ist für die Tötung mit gemeingefährlichen konkretisierten „Zielvorsatz“ kumulativ oder alternativ hinzutretenden Eventualvorsatz hinsichtlich des ungewollt getroffenen Objekts annimmt (s. nur BGH NStZ 2009, 210 [211]; Jakobs, AT 8/80; Roxin, AT/I, § 12 Rn. 164; Vogel, in: LK, § 16 Rn. 79; Fischer, § 16 Rn. 6; Lackner/Kühl, § 15 Rn. 12). Das kann jedoch nicht befriedigen. Denn denkt der Täter realiter erst gar nicht an die Möglichkeit, einen anderen zu treffen, rechnet aufgrund seiner Schießkünste nicht mit ihr oder vertraut auf ihr Ausbleiben, so kann von einem kumulativen oder alternativen Vorsatz keine Rede mehr sein (so zutr. Puppe, in NK, § 16 Rn. 105 a.E.) – weshalb der Eventualvorsatz im Hinblick auf das tatsächlich getroffene Objekt dann in Wahrheit normativ zugeschrieben werden muss (so in der Sache denn auch BGH NStZ 2009, 210 [211]; krit. dazu Puppe, HRRS 2009, 91 [93]). 2026 Puppe, in: NK, § 16 Rn. 106. 2027 Puppe, in: NK, § 16 Rn. 104. 2028 Schild, in: NK, § 25 Rn. 64. 2029 s. die Aufzählung bei Schild, in: NK, § 25 Rn. 64. 2030 s. auch dazu Schild, in: NK, § 25 Rn. 64.

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Mitteln (§ 211 II Gruppe 2 Alt. 3) sogar strafgesetzlich anerkannt,2031 kann aber auch für andere Konstellationen eines in seiner konkreten Wirkweise nicht beherrschbaren Werkzeugs (wie etwa den Einsatz eines wilden Tiers) nicht geleugnet werden.2032 Keine i.d.S. taugliche Handlungsstrategie, sondern bloß ein schieres Hoffen liegt vor, wenn der Akteur mit unberechenbaren Naturereignissen (Blitzschlag, Erdbeben, Sturmflut, Feuersbrunst, Flugzeugabsturz, Schiffshavarie etc.) plant (es sei denn, er verfügt über bestimmte Sonderkenntnisse, die sein Vorhaben ausnahmsweise zu einem tauglichen machen, wie z. B. dann, wenn er weiß, dass im Flugzeug eine Bombe versteckt ist).2033 In derartigen Kathederfällen ist ein i.S.d. Vorsatzdelikte unverbotenes Handeln (und nicht etwa ein erlaubtes Risiko) gegeben.2034 Auch ein Planen mit übernatürlichen Kräften (= irreales Vorhaben) ist aus strafrechtlicher Sicht unbeachtlich: Die rechtlichen Verhaltensnormen knüpfen über das „Medium“ des Willens an dessen prinzipielle Verstandesmacht an, d. h. seine Fähigkeit zu rationaler Kausalprognose – die lediglich beim untauglichen Versuch gegeben ist (und zwar selbst noch beim grob unverständlichen i.S.d. § 23 III, weil eben Hantieren mit Naturgesetzmäßigkeiten).2035 Mit Schild2036 ist schließlich noch anzumerken, dass nicht jeder Tatbestand durch ein Naturwerkzeug begangen werden kann, so etwa § 86a (= Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen) nicht durch einen Hund, dem beigebracht wurde, die rechte Pfote zu heben. bb) Umsetzen Das allgemeine Handlungsunrecht liegt auch hier im Umsetzen des das natürliche Werkzeug einplanenden Programms durch einen intentionalen Basis-Akt, der aus Akteurssicht ohne weitere Zwischenakte in die tatbestandsmäßig bestimmte Vorsatzgefahr einmünden soll (vgl. § 22). In vielen Fällen lässt sich dieser Zeitpunkt problemlos bestimmen: Der Finger zieht am Abzugshebel der Pistole, der Hund wird von der Leine gelassen, das vergiftete Getränk wird angereicht etc. (1) Beginn des unbeendeten Versuchs – Problemfälle Problematisch wird es dagegen in den von Roxin2037 kategorisierten „schwierigen Fallgruppen“ des unbeendeten Versuchs: Das Vorhaben misslingt schon während 2031

Schild, in: NK, § 25 Rn. 30, 64. So zutr. Schild, in: NK, § 25 Rn. 11, 29 f., 53, 64, 66. 2033 Schild, in: NK, § 25 Rn. 64. 2034 Str.; wie hier zutr. etwa Paeffgen/Zabel, in: NK, Vor §§ 32 ff. Rn. 24; s. zum Ganzen auch bereits oben, S. 146 ff. 2035 s. dazu Roxin, AT/II, § 29 Rn. 371 ff. 2036 In: NK, § 25 Rn. 64 a.E. 2037 AT/II, § 29 Rn. 145 ff. 2032

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der Annäherung an den Tatort („Annäherungsfälle“);2038 das vom auflauernden Täter erwartete Opfer erscheint nicht („Auflauerungs- und Erwartungsfälle“);2039 der Täter wird bereits gestört, während er noch auslotet, ob die Durchführung seines Tatvorhabens möglich oder lohnend ist („Probier- und Überprüfungsfälle“);2040 das Vorhaben misslingt, nachdem der Täter bereits gewisse Hindernisse beseitigt hat, die aus seiner Sicht die Opfersphäre schützen („Schutzminderungsfälle“);2041 das Vorhaben eines sexuellen Missbrauchs misslingt, weil der Täter schon beim Aufsuchen einer abgelegenen Stelle zur Tatdurchführung gestört wird („Missbrauchsfälle“).2042 In diesen Fällen kann der Versuchsbeginn sinnvoll nach der von Roxin2043 begründeten „konkretisierte[n] Teilaktstheorie“ bestimmt werden: Danach kommt es rechtlich gesehen auf den letzten Teilakt vor der eigentlichen Tatbestandshandlung an, der materiell anhand der Kriterien des „engen zeitlichen Zusammenhanges“ und der „Einwirkung auf die Opfer- bzw. Tatbestandssphäre“ bestimmt werden kann. Allerdings ist anzumerken, dass nach hier vertretener Ansicht zentral der letztgenannte Aspekt über den Versuchsbeginn entscheiden muss; der Gesichtspunkt des „engen zeitlichen Zusammenhangs“ dient seinerseits nur dazu, das Kriterium der „Einwirkung auf die Opfer- bzw. Tatbestandssphäre“ in Zweifelsfällen näher zu konkretisieren. (2) Beginn des beendeten Versuchs – Problemfälle Von vornherein unmaßgeblich ist die von Roxin postulierte enge zeitliche Kohärenz dagegen in den Fällen des beendeten Versuchs. So hat z. B. derjenige, der eine mit Zeitzünder versehene Bombe am Tatort zurücklässt („Sprengstofffalle“), nach dem Wortlaut des § 22 zweifellos die Schwelle zum Versuch überschritten, auch wenn die Bombe nach dem Tatplan erst Tage später detonieren soll.2044 Denn er hat nach seiner Vorstellung von der Tat bereits alles Erforderliche zur Erfolgsherbeiführung getan. Entsprechendes gilt auch dann, wenn der Täter dem Opfer eine „Giftfalle“ bereitet, also etwa ein vergiftetes Getränk bereitstellt, das während seiner Abwesenheit vom Opfer verzehrt werden soll. Das in § 22 festgeschriebene Unmittelbarkeitserfordernis steht dem nicht entgegen, denn es bezieht sich nicht etwa auf die angesteuerte Tatbestandsverwirklichung, dergestalt, dass diese raumzeitlich unmittelbar bevorstehen müsste, sondern es konkretisiert das Merkmal des subjektiven Ansetzens als solches i.S.e. adverbialen Bestimmung.2045 Damit regelt § 22 in erster Linie eine Handlungsunmittelbarkeit in dem Sinne, dass der Täter nach seiner 2038 2039 2040 2041 2042 2043 2044 2045

Roxin, AT/II, §29 Rn. 145 ff. Roxin, AT/II, §29 Rn. 155 ff. Roxin, AT/II, §29 Rn. 160 f. Roxin, AT/II, §29 Rn. 162 ff. Roxin, AT/II, §29 Rn. 166 ff. AT/II, § 29 Rn. 139 ff. So zutr. Puppe, Dahs-FS (2005), 173 (185); für diesen Fall ebenso BGHSt 43, 177 (181). Böse, JA 1999, 342 (344).

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Vorstellung bereits mit der Umsetzung einer praktischen Verletzungsstrategie begonnen haben muss.2046 Gerade für sog. „Distanzdelikte“2047 wie das Stellen einer Gift- oder das Installieren einer Sprengstofffalle, bei denen der Erfolgseintritt u. U. erst Stunden oder Tage nach Aufstellen der Falle zu erwarten ist, hat die Regelung des § 22 daher ihren guten Sinn. Dennoch ist höchst umstritten, wann in derartigen Fällen der beendete Versuch beginnen soll, wobei hintergründig insbesondere auch kriminalpolitische Erwägungen eine zentrale Rolle spielen. (a) Rechtsprechung des BGH Nach der Rechtsprechung des BGH2048 ist der Versuchsbeginn in den Fallensteller-Konstellationen (Gift-, Spreng- oder Stromfalle) analog zum Versuchsbeginn bei mittelbarer Täterschaft zu bestimmen. Danach soll das Aufstellen der Falle durch den Täter nur dann bereits ein unmittelbares Ansetzen begründen, wenn für ihn ex ante sicher feststehe, dass das Opfer erscheinen und sein für den Taterfolg eingeplantes Verhalten bewirken werde (etwa bei Deponieren einer Zeitbombe an einem belebten Platz oder bei Koppelung einer „Brandstiftungsanlage“ an einen vom Opfer in nächster Zeit zu betätigenden Lichtschalter2049).2050 Halte der Täter dagegen ein Erscheinen des Opfers im Wirkungskreis des Tatmittels bloß für möglich, aber noch ungewiss oder gar unwahrscheinlich (wie etwa beim Wegwerfen einer mit Gift gefüllten Schnapsflasche im Wald), so trete die für das Ansetzen erforderliche unmittelbare Rechtsgutsgefährdung nach dem Tatplan erst dann ein, wenn das Opfer tatsächlich erscheine und Anstalten treffe, die erwartete selbstschädigende Handlung vorzunehmen.2051 Nach diesen Grundsätzen hat der BGH ein unmittelbares Ansetzen wegen vom Täter erwarteter „Erfolgsautomatik“2052 bejaht für das Anbringen einer Handgranate an einen vor dem Haus stehenden Pkw2053 oder für die Manipulation einer Steckdose zur Herbeiführung eines Stromschlags beim nächsten Nutzer2054 ; verneint wurde ein unmittelbares Ansetzen hingegen für das Aufstellen einer mit Gift versetzten Schnapsflasche als Köder für möglicherweise wiederkehrende und eventuell aus der Flasche trinkende Einbrecher.2055 Diese differenzierende Rechtsprechung ist schwer nachvollziehbar. Zum einen übersieht sie, dass im Aufstellen einer „scharfen“ Falle ausnahmslos immer schon die 2046

Böse, JA 1999, 342 (344); Puppe, AT, § 20 Rn. 31 ff. s. auch noch BGHSt 30, 363 (364). Gössel, JR 1976, 249 (250); s. zur Begriffsreichweite auch Zaczyk, in: NK, § 22 Rn. 28 f., 30. 2048 BGHSt 43, 177 (Giftfalle); BGH NStZ 1998, 294 (Sprengfalle); 2001, 475 (Stromfalle). 2049 s. zum letzteren Fall („Brandstiftungsanlage“) bereits RGSt 66, 141. 2050 BGHSt 43, 177 (181). 2051 BGHSt 43, 177 (181). 2052 So die treffende Bezeichnung bei Hillenkamp, in: LK, § 22 Rn. 136. 2053 BGH NStZ 1998, 294 (295). 2054 BGH NStZ 2001, 475 (476). 2055 BGHSt 43, 177 (178 ff. [182 f.]). 2047

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Umsetzung einer tauglichen Verletzungsstrategie liegt,2056 zum anderen bleibt sie hinter dem möglichen Wortlaut des § 22 zurück2057 (und bedeutet somit eine [partielle] teleologische Reduktion). Zu fragen ist deshalb, woraus sich dieses Zurückbleiben hinter dem Wortlaut (wenn auch in bonam partem) denn eigentlich legitimieren soll. Eine allgemeine Anwendungsregel des Inhalts, den Versuch nicht „sachwidrig“ zu weit vorzuverlagern,2058 existiert jedenfalls nicht, und selbst wenn sie es täte, wäre nicht einzusehen, warum sie ausgerechnet dort greifen sollte, wo (wie im „Bärwurzfall“) von vornherein vorsätzlich ein unbeherrschbarer Kausalverlauf freigesetzt wird.2059 Plausibler erscheint doch allemal die gegenteilige Annahme, gerade im Hinblick auf solche Distanzdelikte habe die weite Formulierung des § 22 ihren guten Sinn.2060 Auch kann es nach der ratio legis § 22 für den Versuchsbeginn keinen Unterschied machen, ob der Täter ein Erscheinen des Opfers im Wirkungskreis des Tatmittels ex ante sicher voraussieht oder aber lediglich für möglich hält; denn es besteht kein rechtsrelevanter Sachgrund, den Eventualvorsatz sub specie § 22 dem direkten Vorsatz ungleich zu behandeln.2061 Ebenso wenig kann die Parallelenziehung zur mittelbaren Täterschaft als Argument für eine Retardation des Versuchsbeginns in (bestimmten) FallenstellerKonstellationen überzeugen. Das vorgebliche argumentum a simile, wonach auch beim Fallenstellen eine Einwirkung auf das Opfer als Tatmittler gegen sich selbst erforderlich sei, die aber eben erst dann vorliege, wenn das Opfer nach der Tätervorstellung Anstalten mache, die Falle auszulösen,2062 entpuppt sich bei näherem Hinsehen als petitio principii. Denn es ist doch gerade die Frage, ob das Auslegen einer scharfen Falle eine Konstellation ist, die der Einplanung des Opfers als Werkzeug gegen sich selbst sachlich gleichgestellt werden kann. Eben das ist aber mit Nachdruck zu bestreiten, denn der Fallensteller will nach seinem Programm nicht durch das Opfer als Werkzeug gegen sich selbst handeln,2063 sondern er will die Falle als natürliches Werkzeug gegen das Opfer einsetzen.2064 Das gilt auch für das Auslegen eines Giftköders, denn auch hier kommt dem für das „Zuschnappen“ der Falle noch erforderlichen, ggf. ungewissen Handeln des präsumtiven Opfers nach

2056

So zutr. auch Böse, JA 1999, 342 (345). So in der Sache bereits Böse, JA 1999, 342 (344). 2058 s. dazu BGHSt 43, 177 (181 f.). 2059 s. zum letzteren Aspekt auch bereits Böse, JA 1999, 342 (345); Puppe, Dahs-FS (2005), 173 (181). 2060 So der Sache nach auch schon Böse, JA 1999, 342 (345). 2061 s. dazu Roxin, AT/II, § 29 Rn. 219, 221; Böse, JA 1999, 342 (346). 2062 So etwa Baier, JA 1999, 772 (775); Trüg, JA 2002, 102 (105); s. auch BGHSt 43, 177 (180, 182); in der Sache übereinstimmend trotz Ablehnung einer Strukturverwandtschaft zur mittelbaren Täterschaft Wolters, NJW 1998, 578 (580). 2063 So aber BGHSt 43, 177 (179 ff.). 2064 So in der Sache auch Puppe, Dahs-FS (2005), 173 (174); allgemein dazu Schild, in: NK, § 25 Rn. 64 (Einsatz von „Natur“ als Werkzeug). 2057

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dem prinzipiell tauglichen (!) Verletzungsprogramm des Täters bloß noch faktische „Auslösefunktion“ zu.2065 (b) Gesamttheorie Erst recht mit § 22 unvereinbar ist die der hiesigen Ansicht schroff entgegengesetzte Gesamtlösung2066, wonach bei Einplanung einer vom Opfer noch vorzunehmenden „Zuspitzungshandlung“2067 der Versuch immer erst dann beginnen soll, wenn das Opfer sich tatsächlich in den Wirkungskreis des Tatmittels begibt. Es ist handlungs- und verhaltensnormtheoretisch unmöglich,2068 Täter- und Opferhandeln zu einer einzigen normativen Gesamthandlung zu verbinden, die dem Täter dann wie eine eigene zugerechnet wird.2069 Das ex ante konkret einschlägige Verletzungsverbot, dessen Übertretung das personale Handlungsunrecht begründet, kann dem Täter immer nur sein eigenes erfolgstaugliches Handeln untersagen (etwa: „Du sollst nicht eine mit Gift präparierte Schnapsflasche für Dritte offen zugänglich in Deinem Haus aufstellen!“). Damit fallen individuelles Handlungsunrecht und strafrechtlicher Versuchsbeginn notwendig auseinander, wenn der Täter erst durch eine künftige Zuspitzungshandlung des Opfers (hier: dessen Ansetzen zum Trinken) über die Schwelle zum Versuch getragen werden soll2070 (= aufschiebend bedingter Versuch2071). Eine solche Kombination aus personaler Vorbereitungshandlung und objektiver Versuchseintrittsbedingung ist jedoch schuldstrafrechtlich undurchführbar, da sie die Vorsatzzurechnung insgesamt unterminiert: Die spätere Zuspitzungshandlung des Opfers wird dem Fallensteller zwar zugerechnet, wenn sie eintritt, doch kann diese Zurechnung auf nichts zurückfallen, da das vorangehende Aufstellen der Falle zur Begründung einer Vorsatzzurechnung gerade noch nicht ausreichen soll.2072 Die von der Gesamttheorie vorgenommene Zurechnung der externen Zuspitzungshandlung als Versuch des Täters erweist sich damit in der Sache als zirkulär.2073 2065

Insofern übereinstimmend Wolters, NJW 1998, 578 (579). s. zum Begriff Schilling, Verbrechensversuch, 1 passim; der Gesamttheorie hängen u. a. an: Gössel, JR 1998, 293 (295 ff.); ders., JR 1976, 249 (250 f.); Krack, ZStW 110 (1998), 611 (628 ff. [631, 637]); Otto, NStZ 1998, 243 (243 f.); Hillenkamp, in: LK, § 22 Rn. 139 ff.; Herzberg, Roxin-FS (2001), 749 (761 ff.); Küpper, GA 1998, 519 (521). 2067 Herzberg, Roxin-FS (2001), 749 (768). 2068 So auch Puppe, Dahs-FS (2005), 173 (180, 187); s. zur generellen Kritik am Dogma der externen „Handlungszurechnung“ Schild, in: NK, § 25 Rn. 14 ff.; ders., in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 284 ff.; ferner auch bereits Schilling, Verbrechensversuch, 75 ff. 2069 s. dazu insbesondere Krack, ZStW 110 (1998), 611 (628) sowie grundlegend auch bereits Küper, JZ 1983, 361 (369 ff.). 2070 So expressis verbis auch BGHSt 43, 177 (181); krit. dazu Böse, JA 1999, 342 (345). 2071 So in der Sache bereits Herzberg, JuS 1985, 1 (9). 2072 So mit Blick auf die Parallelproblematik beim Versuch des mittelbaren Täters zutr. Puppe, Dahs-FS (2005), 173 (176, 179 f., 185, 187). 2073 Puppe, Dahs-FS (2005), 173 (179). 2066

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Der Moment, in dem die Gefahrenzuspitzung eintritt oder nach der Vorstellung des Täters eintreten soll, kann entgegen Herzberg2074 auch nicht als Erfolgsunrecht eines mit Fallenerrichtung bereits tatbestandlich begonnenen „Versuchsdelikts“ ausgegeben werden. Denn dann läge im tätereigenen Handeln bloß ein Versuch der Versuchstat, der den handlungsmäßigen Tatversuch i.S.d. § 22 nicht substituieren kann, auch dann nicht, wenn der Täter die künftige Gefahrenzuspitzung als „Versuchserfolg“ bereits klar vor Augen hat (= unbeachtlicher dolus antecedens).2075 Maßgeblich für den Versuchsbeginn ist und bleibt daher der individuelle Verbotsverstoß des Täters ex ante. Dieser liegt bei den Distanzdelikten in der Vornahme desjenigen Aktes, der die Ansteuerung des unbeherrschbaren Kausalverlaufs abschließt und damit zugleich die praktische Verletzungsmaxime unmittelbar externalisiert (konkret: im Aufstellen des „Giftköders“). Danach könnte allenfalls noch auf das ingerenzpflichtwidrige Unterlassen der Situationsentschärfung abgestellt werden,2076 was jedoch aus anderen, sogleich noch kurz zu streifenden, Gründen problematisch wäre. (c) Alternativformel Die hier vertretene Ansicht, die im Falle der Distanzdelikte durchweg auf den Abschluss des tätereigenen Handelns abstellt, trifft sich in den meisten Konstellationen mit der von Roxin2077 begründeten „Alternativformel“. Danach liegt bei den Distanzdelikten Versuch vor, wenn der Täter entweder den Geschehensverlauf aus seinem eigenen Herrschaftsbereich entlassen hat oder das Opfer in der Weise gefährdet wird, dass in engem zeitlichem Zusammenhang mit der Tatbestandsverwirklichung auf seine Sphäre eingewirkt wird. Doch bleibt auch gegen diese Alternativformel einzuwenden, dass sie von einer strikt am Wortlaut des § 22 orientierten Dogmatik des beendeten Versuchs her nicht wirklich plausibel gemacht werden kann: Sofern es zusätzlich auf eine Herrschaftsaufgabe oder eine zeitlich an die Tatbestandsverwirklichung angrenzende Einwirkung auf die Opfersphäre ankommen soll, nachdem der Täter bereits mit der praktischen Umsetzung einer tauglichen Verletzungsstrategie begonnen (vulgo: die Falle bereitgestellt) hat, bleibt die Diskrepanz zum Wortlaut des § 22 bestehen.2078 Die Problemkonstellationen sind dann im Wesentlichen solche, in denen das präparierte Tatmittel sich noch in der Obhutssphäre des Planenden befindet, bei2074

In: Roxin-FS (2001), 749 (761 ff. [770 – 772]). Krit. zur Lehre Herzbergs auch Puppe, Dahs-FS (2005), 173 (182 f.). 2076 So zutr. Puppe, AT, § 20 Rn. 32; zu einem möglichen Rekurs auf das dem Fallenstellen nachfolgende Unterlassungsmoment s. die berechtigte Kritik bei Herzberg, Roxin-FS (2001), 749 (759 ff.). 2077 In: Maurach-FS (1972), 213 ff.; ders., AT/II, § 29 Rn. 195 ff., m.w.N. 2078 Das anerkennt auch Jakobs, AT 25/72, der deshalb bei Delikten mit Revokationsmöglichkeit auf das Unterlassungsmoment (= Unterlassen der Revokation des Verlaufs) abstellen will (dazu sogleich noch im Text). 2075

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spielhaft2079 : Der erpresserische Brief ist zwar bereitgelegt, soll aber erst am nächsten Morgen von einem Angestellten zur Post gebracht werden; das vergiftete Getränk oder die vergiftete Speise stehen zwar für das Opfer bereit, unterliegen aber noch dem unbeschränkten Zugriff des Täters. Hier wird man richtigerweise nicht anders entscheiden dürfen als man dies sonst im Zusammenhang mit den Distanzdelikten tut: Auch wenn der Akteur den im eigenen Herrschaftsbereich angesteuerten Kausalverlauf jederzeit noch revozieren kann oder zu können glaubt, weiß er, dass er bereits eine eo ipso (d. h. ohne weiteres eigenes Zutun) taugliche Verletzungsstrategie umgesetzt hat (konkret: durch Bereitstellen der vergifteten Speisen bzw. durch Bereitlegen des Erpresserbriefs zur Postaufgabe).2080 Daher liegt nach dem ausdrücklichen Wortlaut des § 22 auch hier bereits Versuch vor, ohne dass der geheime Vorbehalt einer jederzeit möglichen „Verlaufsrevokation“ daran etwas ändert. Eine solche Mentalreservation ist unbeachtlich, da nicht das Innenleben des Täters, sondern sein Tun darüber entscheidet, ob bereits eine Erfolgsmaxime objektiviert wurde (was beim Aufstellen einer Giftfalle oder beim Bereitlegen eines erpresserischen Briefs zur Postaufgabe ohne Weiteres der Fall ist). Versteht man die Straftat im Hinblick auf ihren semantischen Gehalt als kommunikativen Sprechakt, so kann man für die tiefere Begründung dieses Ergebnisses zusätzlich den Grundsatz von der Einheit der Rechtsordnung reklamieren (unter Verweis auf § 116 BGB): Ebenso wenig, wie ein geheimer Vorbehalt des Erklärenden im Zivilrecht die Rechtsverbindlichkeit von dessen Willenserklärung tangiert, tangiert ein geheimer Vorbehalt des Täters im Strafrecht die Rechtsverbindlichkeit der von ihm praktisch ausgedrückten Verletzungsmaxime.2081 Demgegenüber wollen Roxin2082 und Jakobs2083 bei Delikten mit Revokationsmöglichkeit ausnahmsweise das Unterlassen der Revokation im kritischen Zeitpunkt (als spezielle Konkretion der Entlassung des Geschehens aus dem eigenen Herrschaftsbereich) über den Versuchsbeginn entscheiden lassen. Das kann allerdings 2079

Roxin, AT/II, § 29 Rn. 195, 205. s. der Sache nach auch schon Herzberg, Roxin-FS (2001), 749 (760 f.). 2081 Auch Jakobs (AT 25/72) anerkennt, dass die „wörtliche Anwendung“ des § 22 zum hier vertretenen Ergebnis führen muss. Doch versucht er dieses Ergebnis (a.a.O.) mit folgender Überlegung ad absurdum zu führen: „Wenn ein Täter für sein Opfer, dessen Eintreffen erst in einigen Stunden erwartet wird, ein vergiftetes Getränk griffbereit zur Selbstbedienung hinstellt, aber eingriffsfähig am Ort verweilt, während ein anderer Täter sich zur Verfügung hält, ein vergiftetes Getränk sofort bei Ankunft seines Opfers zu servieren, so lässt sich keine Begründung dafür geben, dass wohl im ersten Fall Versuch vorliegen soll (der Täter hat alles getan, das Opfer soll sich selbst bedienen), nicht aber im zweiten (es muß noch serviert werden).“ Daran ist richtig, dass die Konstellationen nicht ungleich behandelt werden dürfen. Nur führt dies die hiesige Sichtweise keineswegs ad absurdum, denn realiter liegt in beiden Fällen Versuch vor: Der Umstand, dass der Täter in der zweiten Fallvariante noch einen eigenen Finalisierungsakt plant, ändert nichts daran, dass er schon mit der Bereitstellung des vergifteten Getränks eine Vorsatzgefahr geschaffen hat. Ein Unterschied besteht lediglich insofern, als der bereits externalisierte (!) Versuch hier noch ein unbeendeter ist. 2082 AT/II, § 29 Rn. 208. 2083 AT, 25/73 ff. 2080

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deshalb nicht überzeugen, weil der Täter auch bei Verbleib des Tatmittels (etwa des bereitgestellten Giftbechers) in seinem (generellen) Herrschaftsbereich nicht notwendig aktuell zugegen ist, wenn das Opfer den Kausalverlauf zu „übernehmen“ droht. Damit kann also im kritischen Moment der Unterlassungsvorsatz fehlen2084 (etwa wenn das für einen späteren Zeitpunkt erwartete Opfer vom Täter unbemerkt früher heimkommt und auf das vergiftete Getränk zugreift2085). Ob man einen solchen Vorsatzmangel durch den Vorwurf kompensieren kann, der Täter habe sich jedenfalls schon zu einem bestimmten früheren Zeitpunkt vorsätzlich seiner Revokationsmöglichkeit begeben (etwa indem er das Haus kurzzeitig verlassen hat),2086 dürfte wiederum von den Gedanken abhängen, die der Täter sich zu diesem früheren Zeitpunkt gemacht hat – oder eben nicht.2087 Und überhaupt: Was ist eigentlich damit gewonnen, wenn man für Delikte mit Revokationsmöglichkeit anstelle des originären Verbots, die Falle aufzustellen, letztlich das abgeleitete Verbot, sich nach Aufstellung „revokationsunfähig“ zu machen, für relevant erklärt? Rechtssicherer wird die Bestimmung des Versuchsbeginns hierdurch sicher nicht, und auch kriminalpolitisch ist eine solche Lösung nicht geboten. Denn ein Täter, der das Geschehen nach Aufstellung einer Falle weiterhin unter Kontrolle behält, kann immer noch jederzeit von seiner verbleibenden Revokationsmöglichkeit Gebrauch machen und damit aktiv zurücktreten, ohne dabei im Interimszeitraum allzu großen Fehlschlagsrisiken ausgesetzt zu sein. Die verbleibenden Restrisiken gehen jedoch richtigerweise zu seinen Lasten, eben weil er nach seiner Vorstellung bereits eine praktische Verletzungsmethode umgesetzt hat. (d) Ergebnis Nach alledem beginnt der beendete Versuch einer unmittelbar-täterschaftlichen Tatbestandshandlung ausnahmslos, d. h. auch bei Distanzdelikten, mit derjenigen Handlung, durch die der Täter die Umsetzung seiner praktischen Verletzungsstrategie subjektiv abschließt. cc) Zurechnung als Tatbestandshandlung Insofern ergeben sich keine wesentlichen Besonderheiten; es gilt mutatis mutandis das oben2088 Gesagte entsprechend, auch und insbesondere im Hinblick auf die Fälle der Gift- oder Sprengstofffalle: Mit dem Stellen der Falle ist eine Vorsatzgefahr für dasjenige tatbestandsmäßige Objekt geschaffen worden, das in die Falle tappt. 2084 So zutr. etwa Herzberg, Roxin-FS (2001), 749 (760); das sieht allerdings auch Jakobs (AT, 25/74a). 2085 s. allgemein zum Problem mit entsprechenden Fallbeispielen Herzberg, JuS 1985, 1 (7 ff.). 2086 So Jakobs, AT, 25/74a. 2087 Das sieht freilich auch Jakobs (AT, 25/74a), der sich in Fällen eines auch insofern fehlenden Vorsatzes mit der Annahme einer Fahrlässigkeitshaftung begnügen will. 2088 S. 375 ff.

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Diese Gefahr realisiert sich daher auch dann im tatbestandsmäßigen Erfolg, wenn ein anderer als der konkret erwartete Mensch das vergiftete Getränk zu sich nimmt oder in das mit Sprengstoff präparierte Auto einsteigt.2089 c) Täter als sein eigenes Werkzeug Unter dem Blickwinkel der Selbstbegehungsvariante wird insbesondere auch die Frage diskutiert, ob der Täter sich selbst als sein eigenes Werkzeug zur Begehung der Tatbestandshandlung einplanen kann – ein Problem, für das die Regelung der mittelbaren Tatbegehung in § 25 I Alt. 2 wegen ihres insofern eindeutigen Wortlauts („durch einen anderen“) schon von vornherein nicht passt.2090 Insofern ist zu differenzieren: aa) Herbeiführung der eigenen Handlungsunfähigkeit Zunächst wird Selbstbegehung nach § 25 I Alt. 1 einhellig angenommen, wenn der Täter seine eigene Handlungsunfähigkeit einplant, um hierdurch einen bestimmten tatbestandsmäßigen Erfolg aktiv herbeizuführen.2091 Dazu folgendes Beispiel2092 : A plant, sich auf der Party des B so zu betrinken, dass er sich nicht mehr auf den Beinen wird halten können und deshalb in die Porzellansammlung des B fallen soll. – Solchen Kathederfällen2093 dürfte indes bloß theoretische Bedeutung zukommen. Zu Recht konstatiert daher Puppe2094, dass praktisch nur diejenigen Fälle relevant werden dürften, die unter dem Topos der „omissio libera in causa“2095 diskutiert werden. Angesprochen ist die Konstellation des Garanten, der sich im Wissen um eine bevorstehende Aktualisierung seiner Garantenpflicht handlungsunfähig macht. Das gängige Lehrbeispiel bildet der Fall des Weichenstellers, der ein Zugunglück herbeiführen will, indem er sich so stark betrinkt, dass er im fraglichen Zeitpunkt außerstande ist, die Weiche zu stellen.2096 In derartigen Fällen spricht tatsächlich Einiges dafür, den auf Beseitigung der eigenen Handlungsfähigkeit gerichteten Basis-Akt als eo ipso taugliche Strategie zur Begehung (!) der entsprechenden Tatbestandshandlung (hier insbesondere: §§ 212, 211) anzusehen: Da – anders als bei der actio libera in causa – weitere Zwischenakte gerade nicht mehr 2089 2090

stand. 2091

So für den Fall das Sprengstoffattentats i.E. auch BGH NStZ 1998, 294 (295). s. eingehend dazu etwa Paeffgen, in: Alkohol, 49 (56 m. Fn. 28), m.w.N. zum Streit-

s. statt aller etwa nur Schild, in: NK, § 25 Rn. 62. Beispiel nach Joerden, Strukturen, 39. 2093 Hierher zählt auch der Lehrbuchfall der Mutter, die den Säugling mit in ihr Bett nimmt und in der Hoffnung einschläft, sie werde das Kind im Schlaf erdrücken (s. dazu Puppe, JuS 1980, 346 [348 Fn. 17]). 2094 In: JuS 1980, 346 (348 Fn. 17). 2095 s. zu dieser Rechtsfigur etwa Androulakis, Studien, 156; Baier, GA 1999, 272 ff. 2096 s. zu diesem Schulbeispiel etwa Bertel, JZ 1965, 53 (53). 2092

A. Täterschaft bei den allgemeinen vorsätzlichen Begehungsdelikten

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erforderlich sind, scheint es immerhin denkbar, eine Parallele zu den oben unter (2) behandelten „Distanzdelikten“ zu ziehen,2097 freilich mit der Maßgabe, dass man nur den Garanten diesem Begehungsdelikt unterwirft.2098 Sieht man die Dinge so, dann liegt im Vollzug des letzten zur Herbeiführung der eigenen Handlungsunfähigkeit erforderlichen Aktes das unmittelbare Umsetzen eines tauglichen Tatbestandshandlungsprogramms2099 – freilich eines Programms, das nicht den Täter als sein eigenes Werkzeug einplant, sondern „nur“ das aktive Unfähig-Machen der eigenen Person zur Herbeiführung des Erfolgs. Die Verwirklichung eines solchen Handlungsprogramms von seiner Betätigung über die Herbeiführung der konkreten Vorsatzgefahr bis hin zum Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolgs folgt dann den allgemeinen Grundsätzen. bb) Herbeiführung einer Rechtfertigungslage Eine weitere Frage geht dahin, ob der Akteur die eigene Person als gerechtfertigt handelndes Werkzeug einplanen kann, um sich in der Tatbestandshandlung intentional selbst zu verwirklichen (sog. Lehre von der „actio illicita in causa“2100 [a.i.i.c.]). Möglich ist dabei zum einen, dass der Täter seine eigenen Rechtsgüter einer rechtfertigenden Konfliktlage aussetzt. So liegt es zunächst und insbesondere bei der Notwehrprovokation (Bsp.: A provoziert B durch beleidigende Äußerungen zu einer Messerattacke, um ihn so in Notwehr verletzen zu können). Die Behandlung dieser Fallgruppe ist freilich auch innerhalb der Lehre von der a.i.i.c. umstritten. Nicht wenige Verfechter der Zurechnungsfigur sind der Ansicht, dass diese auf die Kon2097

Str.; wie hier etwa Jakobs, AT 7/69; a.A. die wohl h.L., die in diesen Fällen ein begehungsgleiches Unterlassungsdelikt annehmen will (s. etwa nur Bertel, JZ 1965, 53 [55]; Baier, GA 1999, 272 [274 f.]). Für die Annahme eines Begehungsdelikts spricht jedoch der Umstand, dass der Garant den tatbestandsmäßigen Erfolg hier aktiv herbeiführen will, indem er sich als Rettungsinstanz ausschaltet (so zutr. Jakobs, AT, 7/69 m. Fn. 118); der Konstruktion eines „Unterlassens durch Tun“ (s. dazu Roxin, Engisch-FS [1969], 380 [381 ff.], m.w.N.) bedarf es daher nicht. Vielmehr kann durchaus von einem tauglichen Tatbestandshandlungsprogramm gesprochen werden, sofern man gewillt ist, im Ausschalten der eigenen Person bereits den Beginn der tatbestandsmäßigen Handlung zu erblicken. Dem dürfte in den Fällen der omissio libera in causa nichts entgegenstehen, da hier im Gegensatz zur actio libera in causa keine weiteren tätereigenen Zwischenakte eingeplant sind und also Handlungsunmittelbarkeit gegeben ist (krit. zum sog. „Tatbestandsmodell“ als Grundlage der actio libera in causa dagegen etwa Neumann, Zurechnung, 25 ff.; Paeffgen, in: NK, Vor § 323a Rn. 5 ff., 30 ff.; Leupold, Tathandlung, 21 ff. [194 f.]). 2098 So zutr. Jakobs, AT 7/69. 2099 Ebenso Jakobs, AT 17/68 (für die Fälle der actio libera in causa). 2100 s. grundlegend zu dieser Rechtsfigur etwa Küper, Notstand, 36 ff., m.w.N. (S. 21 Fn. 36 für die schuldhafte Provokation eines rechtfertigenden Notstandes sowie S. 40 Fn. 119 für die Notwehrprovokation); kritisch zur a.i.i.c. etwa Paeffgen/Zabel, in: NK, Vor §§ 32 ff. Rn. 147a; Neumann, Zurechnung, 149 ff.; Roxin, ZStW 75 (1963), 541 (545 ff.); Bitzilekis, Tendenz, 153 ff.; Constadinidis, Actio, 46 ff., 131.

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6. Kap.: Die Ausarbeitung der Deliktsgruppen im Einzelnen

stellation der Notwehrprovokation nicht passe bzw. hier nicht benötigt werde.2101 Dem ist zuzustimmen, denn der gesetzliche Erlaubnistatbestand der Notwehr (§ 32) verfügt mit dem Merkmal der Gebotenheit bereits über ein eingebautes Korrektiv, anhand dessen zu beurteilen ist, ob die Tatbestandshandlung in Ansehung der „actio illicita praecedens“ überhaupt noch „licita in actu“ sein kann: Fehlt es aufgrund schuldhafter Provokation der Notwehrlage an der Gebotenheit der Verteidigungshandlung, so ist die Tatbestandshandlung nach gesetzlicher Wertung schon gar keine „actio licita in actu“ und der Täter handelt in actu rechtswidrig.2102 Greift dagegen das Korrektiv der Gebotenheit nicht ein (etwa weil bei „normaler“ Vorsatzprovokation die Verteidigungshandlung maßvoll an das provozierte Angriffsverhalten adaptiert wurde), so liegt nach der Wertung des Gesetzes auch unter Berücksichtigung der actio illicita praecedens eine insgesamt gerechtfertigte Handlung vor2103 – tertium non datur.2104 Nach alledem wäre ein Rückgriff auf die Figur der a.i.i.c. im Falle der Notwehrprovokation bestenfalls überflüssig. Entsprechendes muss mutatis mutandis auch für den Fall gelten, dass der Täter eigene Rechtsgüter vorsätzlich einem defensiven Notstand (§§ 34 StGB, 228 BGB) aussetzt (etwa indem er einen fremden Hund zum Angriff reizt, um ihn so erschlagen zu können): Auch hier muss die vorsätzliche Initiierung der Notstandssituation dazu führen, dass der Notstandshandlung – entweder schon nach Gesamtabwägung der widerstreitenden Interessen oder jedenfalls unter dem Aspekt der Angemessenheit – in actu keine rechtfertigende Kraft zukommt.2105 Nämliches gilt für den Fall, dass der Täter sich vorsätzlich die Voraussetzungen für einen aggressiven Notstand schafft (Bsp.2106 : Ein Student vertrödelt am Samstag vorsätzlich in der Bibliothek die Schließzeit, wird eingeschlossen und muss eine Glastür eintreten, um nicht bis Montag eingeschlossen zu bleiben). Auch hier muss die Tatsache, dass die Notstandslage vorsätzlich initiiert wurde, letztlich zu der Bewertung führen, dass die 2101 So zutr. etwa Puppe, Küper-FS (2007), 443 (451 f.); Lenckner/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 32 ff. Rn. 23; s. ferner auch Schild, in: NK, § 25 Rn. 62; a.A. dagegen etwa Haft, AT, 72; Frister, AT, 14/6, 16/30 ff. 2102 So zutr. etwa Schild, in: NK, § 25 Rn. 62; vgl. auch bereits Küper, Notstand, 32 ff. 2103 Vgl. etwa Puppe, Küper-FS (2007), 443 (451 f.). 2104 A.A. insofern allerdings Perron, in: Schönke/Schröder, § 32, der der a.i.i.c. einen schmalen Anwendungsbereich belassen will für den Fall, dass der Provokateur sich im Rahmen der gebotenen Einschränkungen gegen den Angriff eines unfrei Handelnden verteidigt; ebenso Freund, GA 2006, 267 (272 f.); diese Lehre kann jedoch nicht überzeugen, denn die Umsetzung zusätzlicher Notwehreinschränkungen, die aus der Qualität des provozierten Angriffs resultieren sollen, ist nicht Funktion der a.i.i.c.; zu Recht krit. insofern daher Puppe (Küper-FS [2007], 443 [453]), die anmerkt, dass in derartigen Fällen schon das Notwehrrecht des Angegriffenen als solches zweifelhaft ist. 2105 Str.; wie hier etwa Schild, in: NK, § 25 Rn. 62, 65, m.w.N. aus der Literatur; dagegen etwa Lenckner/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 32 ff. Rn. 23; Haft, AT, 72. – Zur Klarstellung: Die Bewertung der provozierten Trutzwehr als rechtswidrig bedeutet nicht, dass der Provokateur den Hundebiss dulden müsste – Schutzwehr ist ihm auch hier gestattet (freilich mit der Maßgabe, dass er das Risiko eines verletzenden Ausgangs trägt)! 2106 Nach Jakobs, AT, 21/84.

A. Täterschaft bei den allgemeinen vorsätzlichen Begehungsdelikten

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„Notstandshandlung“ selbst in actu rechtswidrig ist.2107 Insgesamt besteht also auch in derartigen Fällen kein Bedürfnis für einen Rekurs auf die a.i.i.c. als besondere Zurechnungsfigur.2108 Andererseits kann der Täter aber auch planen, fremde Rechtsgüter einem rechtfertigenden Konflikt auszusetzen und diesen selbst durch eine Notstandshandlung zu lösen. So liegt es etwa dann, wenn jemand den Nachbarshund abkettet und auf Dritte loslässt, um ihn dann in vermeintlichem (Defensiv-)Notstand erschlagen zu können.2109 Für diesen Fall würden wohl die meisten Anhänger der Lehre von der a.i.i.c. eine Anwendung der Zurechnungsfigur befürworten.2110 Doch bedarf es ihrer Heranziehung auch hier nicht. Denn in Wahrheit ist der Akteur nicht berechtigt, das Tier zu erschlagen, sondern er ist als Ingerenzgarant hierzu verpflichtet! Demnach besteht in actu eine (ungleichartige) Pflichtenkollision2111 (zwischen dem Gebot, das gefährdete Kind zu retten und dem Verbot, den Hund zu erschlagen), die aber, da vom Akteur selbst vorsätzlich heraufbeschworen, sein Handeln im Hinblick auf die verbotene Tötung des fremden Hundes gerade nicht rechtfertigt! Die Lösung erfolgt also auch hier bereits innerhalb des § 34 (entweder im Rahmen der umfassenden Güterinteressenabwägung oder im Rahmen der Angemessenheitsklausel). Nach alledem ist festzuhalten, dass Konstellationen, in denen der Täter sich vorsätzlich in eine Notwehr- oder Notstandslage verbringt, ohne Rekurs auf eine besondere Zurechnungsfigur der a.i.i.c. lösbar sind. cc) Herbeiführung der eigenen Schuldunfähigkeit Damit bleibt die – heillos umstrittene – Frage, ob die Ausführung eines deliktischen Vorhabens infolge vorsätzlicher Beseitigung der eigenen Zurechnungsfähigkeit (= „actio libera in causa“2112), als Unterfall der Selbstbegehung i.S.d. § 25 I Alt. 1 angesehen werden kann. Schulbeispiel ist dabei die Konstellation, dass der Täter sich planmäßig betrinkt, um im Rauschzustand ein rechtswidriges Tötungs-

2107 2108

a.E. 2109

A.A. etwa Jakobs, AT, 21/84. Schild, in: NK, § 25 Rn. 62, 65; allgemein auch Paeffgen, in: NK, Vor § 323a Rn. 60

Beispiel nach Freund, GA 2006, 267 (269). s. nur etwa Freund, GA 2006, 267 (269 f.); Lenckner/Sternberg-Lieben, in: Schönke/ Schröder, Vorbem. §§ 32 ff. Rn. 23. 2111 s. zur Pflichtenkollision als Rechtfertigungsgrund allgemein und zum Pflichtenwiderstreit von Handlungs- und Unterlassungspflicht im Besonderen etwa nur Wessels/Beulke/ Satzger, AT, Rn. 1035. 2112 Ein umfassender rechtshistorischer Überblick zur a.l.i.c. findet sich bei Hettinger, Actio, 57 ff.; eine konzise Analyse der verschiedenen dogmatischen Legitimationsmodelle liefert Paeffgen, in: NK, Vor § 323a Rn. 1 ff. (5 ff.), m. entspr. Nachw. aus Rechtsprechung und Literatur; eingehend zu den verschiedenen Begründungsmodellen auch Neumann, Zurechnung, 24 ff., 142 ff., 186 ff., 207 ff., 240 ff. 2110

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6. Kap.: Die Ausarbeitung der Deliktsgruppen im Einzelnen

delikt zu begehen. Die nach wie vor h.M.2113 sieht hier schon das Sich-Berauschen selbst als Beginn der Tatbestandshandlung an (sog. „Tatbestandsmodell“2114), neuerdings vorwiegend im Modus der Selbstbegehung, wobei allerdings der Sache nach2115 auf eine Parallele zur mittelbaren Täterschaft rekurriert wird: Der Akteur plane sein eigenes späteres Tätigwerden als schuldunfähiges Werkzeug zur Deliktsverwirklichung ein.2116 Diese These impliziert unter dem Blickwinkel des § 25 I Alt. 1 zunächst einmal die Aussage, dass das Wörtchen „selbst“ i.S.v. „durch sich selbst“ verstanden werden kann. Diese Lesart ist allerdings methodisch nicht zu beanstanden, denn die unmittelbare Täterschaft folgt strukturell ohnehin dem gleichen gestreckten Interpretationsmuster wie die mittelbare Täterschaft.2117 Doch verschärfen sich die Probleme zusehends, wenn es um die Frage des Versuchsbeginns geht: Überträgt man den für die mittelbare Täterschaft herrschenden

2113

s. die Nachweise bei Paeffgen, in: NK, Vor § 323a Rn. 5 Fn. 18. s. dazu Neumann, Zurechnung, 24 ff.; der strafrechtswissenschaftliche Konkurrenzentwurf besteht im sog. „Ausnahmemodell“, dessen Anhänger aus allgemeinen Erwägungen heraus (in §§ 17 S. 2, 35 I 2, 213 zum Ausdruck gelangendes Rechtsprinzip, Gedanke der Obliegenheitsverletzung, Gewohnheitsrecht) eine Ausnahme vom Simultaneitäts- und Koinzidenzprinzip (§ 20: „bei Begehung der Tat“) zulassen wollen (s. instruktiv dazu Paeffgen, in: NK, Vor § 323a Rn. 14 ff.); diese Ausnahmedoktrin ist aber de lege lata schwerlich haltbar, da flagranter Verstoß gegen Art. 103 II GG (so statt vieler zutr. Paeffgen, in: NK, Vor § 323a Rn. 25 ff.). 2115 Sofern in der neueren Literatur noch ausdrücklich auf die Handlungsform des § 25 I Alt. 2 rekurriert wird (so etwa Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, AT, § 17 Rn. 38 ff.; Dold, GA 2008, 427 [428 ff.]; Jakobs, AT, 17/64; ders., Nishihara-FS [1998], 105 [117 ff., 120 f.]), ist dem von vornherein der Wortlaut-Riegel vorzuschieben: Der Akteur selbst ist auch im Zustand der Schuldunfähigkeit kein „anderer“ i.S.d. Vorschrift (so zutr. Paeffgen, in: Alkohol, 49 (56 m. Fn. 28). Er will nicht durch einen anderen handeln – was einen zweiten Menschen notwendig voraussetzt –, sondern wenn überhaupt durch sich selbst (zu den irreleitenden Sprachbildern des sozialen Alltags [à la „Ich bin nicht mehr ich selbst gewesen!“], die uns die Annahme einer Persönlichkeitsspaltung insinuieren, s. instruktiv Paeffgen, in: Alkohol, 49 [56 Fn. 28]). Wenn demgegenüber etwa Jakobs (Nishihara-FS [1998], 105 [109 ff., 116, 119 f.]) meint, der Schuldunfähige agiere nur noch dem Phänotyp nach als Mensch, sei aber – weil zur Sinnproduktion nicht mehr in der Lage – dem Genotyp nach Natur (!), dann ist dem mit Nachdruck zu widersprechen. Wie gefährlich diese Argumentation ist, wird offenbar, wenn man sich vergegenwärtigt, dass Schuldunfähige nicht nur Normadressaten, sondern auch Rechtsgutsträger sind, konkret am Beispiel des Tötungsverbots: Schützt dieses nur den Genotyp Mensch oder auch den Phänotyp (= die „Natur“)? – Gegen die Möglichkeit eines Rekurses auf die Handlungsform des § 25 I Alt. 2 allgemein und gegen Jakobs im Speziellen auch Paeffgen, in: Alkohol, 49 (56 f. m. Fn. 27, 28). 2116 So etwa Herzberg, Spendel-FS (1992), 203 (219); Hardtung, NZV 1997, 97 (103); Hirsch, NStZ 1997, 230 (232); Schlüchter, Hirsch-FS (1999), 345 (352 ff.). 2117 A.A. Paeffgen, in: Alkohol, 49 (56 f. Fn. 28 a.E.), der dieser Auslegung „Methodensynkretismus“ vorwirft, da er das Zurechnungsmuster der Werkzeugverwendung von vornherein auf die mittelbare Tatbegehung festgelegt sieht. Der Einwand erledigt sich jedoch, wenn man – wie es hier für zwingend gehalten wird – für alle Formen der Täterschaft eine gleichermaßen aufgebrochene und damit gleichartige Zurechnungsstruktur postuliert (s. zum Ganzen nochmals oben, S. 263 ff.). 2114

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Ansatz zur Bestimmung des Versuchsbeginns, die sog. „Einzellösung“2118, auf den Fall der actio libera in causa, so müsste der Versuch (spätestens) in dem Moment beginnen, in dem der noch schuldfähige Akteur sich als schuldunfähiges Werkzeug in den Rausch entlässt.2119 Doch abgesehen davon, dass eine solche „Selbstentlassung“ als inneres Erlebnis praktisch kaum feststellbar wäre,2120 ist diese Versuchsbestimmung auch de lege lata (§ 22) schwerlich haltbar.2121 Denn der a.l.i.c.-Täter macht sich selbst gerade nicht unmittelbar tatbereit (wie der mittelbare Täter sein schuldloses Werkzeug), sondern er versetzt sich in einen zurechnungsausschließenden Rausch, d. h. in das „Nirvana“ völliger geistiger Enthemmung: Wie er gleichsam „auf der anderen Seite herauskommt“, entzieht sich der rationalen Planbarkeit. Schlagend konstatiert daher Paeffgen2122 : „Da der Täter hier – unter der Voraussetzung, daß § 20 ernst genommen wird – in einem anderen Wahrnehmungs- und Steuerungs-Gefüge lebt, ist sein ,dolus antecedens‘ in Wirklichkeit nicht mehr als ein schieres Hoffen, jenes alter ego werde im Vollrausch bei seinen Tatphantasien bleiben (…)“.

Die These, dass das willensgesteuerte Tun eines Menschen nicht mit Zufall oder Willkür gleichgesetzt werden kann, sondern prinzipiell kalkulierbar ist, beruht auf der grundlegenden Prämisse, dass das „Handlungssystem“ Mensch einen Willen fassen und durchhalten kann. Schon in den Paradefällen der actio libera in causa wird aber gerade diese Planung mit der Kontinuität der eigenen Motivationskette durch das „schwarze Loch“ des Rauschzustandes aufgehoben.2123 An die Stelle eines tauglichen Handlungsprogramms tritt „(…) das dem abenteuerlichen Versuch nicht unähnliche Hoffen, sich zum Durchlaufsystem eines einmal gefassten Entschlusses zu machen“2124. Dieses „lotteriespielartige Ablaufsystem“2125 der actio libera in causa kann man auch nicht etwa dadurch zur Zurechnungsgrundlage erheben, dass man den Schuldunfähigen kurzerhand als „massa carnis“ den Regeln der Naturkausalität unterwirft.2126 Denn ganz abgesehen davon, dass eine solche Kategorisierung schon in sich problematisch ist, hilft sie auch nicht über die Kluft hinweg, dass der zurechnungsunfähige „Fleischberg“ in seinem Verhalten völlig unkalkulierbar bleibt.2127 Dem hat man zwar entgegengehalten, dass es sich bei der Freisetzung 2118 2119 2120 2121 2122 2123 2124 2125 2126 2127

Rn. 7.

s. eingehend zum Ganzen noch unten, S. 415 ff. (418 ff.). So konsequent etwa Roxin, Lackner-FS (1987), 307 (313 f.). s. zu den diesbezüglichen Problemen etwa Paeffgen, Vor § 323a Rn. 42. So zutr. auch schon Paeffgen, ZStW 97 (1985), 513 (516 f. m. Fn. 13). In: Alkohol, 49 (56 Fn. 27). Paeffgen, in: NK, Vor § 323a Rn. 6; ders., ZStW 97 (1985), 513 (519 Fn. 21). Paeffgen, in: NK, Vor § 323a Rn. 7. Paeffgen, in: NK, Vor § 323a Rn. 6. So aber Jakobs, Nishihara-FS (1998), 105 (109 ff., 114 ff.). Vgl. bereits Paeffgen, ZStW 97 (1985), 513 (519 Fn. 21) sowie ders., in: NK, Vor § 323a

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6. Kap.: Die Ausarbeitung der Deliktsgruppen im Einzelnen

unbeherrschbarer Naturkräfte (z. B. bei Einsatz eines wilden Tieres) nicht anders verhalte, ohne dass dies die Zurechnung hindere.2128 Aber dieser Vergleich trägt nicht, denn wer ein wildes Tier loslässt, kann dieses immerhin in seiner natürlichen Ferozität berechnen, wohingegen der a.l.i.c-Täter sich ins unkalkulierbare Nirvana des Rausches begibt.2129 Von vielen anderen offenen Fragen2130 abgesehen, liegt also der Haupteinwand gegen die Lehre von der a.l.i.c. darin, dass das schiere Hoffen, man werde die eigenen Tatphantasien im Zustand der Zurechnungsunfähigkeit umsetzen, ex ante keine taugliche Strategie der Erfolgsherbeiführung darstellt, sondern vielmehr ein Analogon zur Planung mit unbeherrschbaren Naturkräften.2131 Für diese Sichtweise spricht nicht zuletzt auch die gesetzliche Wertung des § 323a, wonach das verschuldete Sich-Entlassen in den Rausch gerade keine Haftung für die Rauschtat begründen soll; denn gerade wegen der Unkalkulierbarkeit der rauschbedingten Gefahren ist die Rauschtat ja nur objektive Strafbarkeitsbedingung.2132 Die Lösung für die unter dem Stichwort der actio libera in causa diskutierten Fälle ist deshalb de lege lata im Rahmen des § 323a zu suchen. Wie dies zu bewerkstelligen ist, hat en détail Paeffgen herausgearbeitet, auf dessen elaborierte Ausführungen2133 hier ausdrücklich verwiesen sei. 2128

So aber etwa Hardtung, NZV 1997, 97 (103 Fn. 82). In diesem Punkt unterscheidet sich die Einplanung der eigenen Person übrigens auch von der Einplanung eines schuldunfähig berauschten Dritten: Wer sich selbst zum Rauschtäter machen will, der kann das Verhalten der eigenen Person im späteren Rauschzustand ex ante unmöglich kalkulieren; wer hingegen einem schuldunfähig berauschten Dritten eine rechtswidrige Tat ansinnt, der kann dessen bestehende (!) Hemmungsunfähigkeit nüchtern überformen (vgl. dazu auch bereits Paeffgen, ZStW 97 [1985], 513 [518 f. m. Fn. 21]). Diese wesentliche Differenz übersieht Hardtung (NZV 1997, 97 [103 m. Fn. 82]), wenn er meint, die Selbstberauschung zu deliktischen Zwecken könne nicht anders behandelt werden als die Einplanung eines berauschten Dritten. Schief ist vor diesem Hintergrund auch die von Hartdung (a.a.O., 103 Fn. 82) apostrophierte These Puppes (JuS 1980, 346 [349]) wonach der Selbstberauschte die Tat sogar fester in der Hand behalte als der mittelbare Täter: Auch hier wird übersehen, dass der sich selbst Berauschende mit dem Rausch in ein anderes, für ihn ex ante gerade nicht kalkulierbares „Wahrnehmungs- und Steuerungsgefüge“ (Paeffgen, in: Alkohol, 49 [56 Fn. 27]) eintritt; dezidiert gegen Puppes These von der vergleichsweise überlegenden Tatherrschaft des Selbstberauschten daher schon Paeffgen, ZStW 97 (1985), 513 (519 Fn. 21). 2130 Wann beginnt der Versuch der a.l.i.c. (subjektives Überschreiten der Grenze zum „Jetzt geht es los“) und wie lässt sich der Zeitpunkt des Versuchsbeginns forensisch nachweisen? – Müsste für die Versuchstat nicht durchgängig § 21 gelten? – Müsste dem Schuldunfähigen nicht prinzipiell die Möglichkeit eines freiwilligen Rücktritts (§ 24) abgesprochen werden? – s. instruktiv zu diesen und anderen unrechtsdogmatischen Inkonsistenzen des Tatbestandsmodells Paeffgen, in: NK, Vor § 323a Rn. 30 ff. (v. a. Rn. 42 ff.); s. ferner auch bereits Neumann, Zurechnung, 25 ff. 2131 Vgl. Paeffgen, in: NK, Vor § 323a Rn. 7. 2132 I.d.S. schon Paeffgen, in: Alkohol, 49 (56 Rn. 27), der deshalb richtigerweise von einem „Spannungsverhältnis“ der a.l.i.c.-Doktrin zur lex lata (scil: § 323a) spricht. 2133 In: NK, § 323a Rn. 14 ff. – Paeffgen schlägt a.a.O. vor, § 323a in zwei Tatbestände aufzuspalten, einen „weiten“ (ohne Schuldbezug zur Rauschtat) und einen „engeren“ (mit Schuldbezug zur Rauschtat); s. auch bereits ders., ZStW 97 (1985), 513 (526 ff.) sowie ders., in: Alkohol, 49 (59 ff.). – Eine solche Zweiteilung erscheint durchaus sinnvoll, da hier etwa eine 2129

A. Täterschaft bei den allgemeinen vorsätzlichen Begehungsdelikten

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d) Der fremde Körper als Naturwerkzeug Auch der Körper eines anderen Menschen kann im Einzelfall gleich einem Naturwerkzeug verwendet werden, wenn er als bloßes Objekt eines Stoßes oder Wurfes eingesetzt wird (Bsp.: A stößt B in die Porzellansammlung des C, wodurch einige teure Stücke zerstört werden). Für die Umsetzung eines entsprechenden Handlungsprogramms und die Zurechnung des zum Erfolg führenden Geschehens als Tatbestandshandlung ergeben sich keine Besonderheiten.2134 e) Helfer bzw. Gehilfe als Werkzeug Streitig ist, ob und unter welchen Voraussetzungen unmittelbare Täterschaft i.S.d. § 25 I Alt. 1 angenommen werden kann, wenn das Handlungsprogramm einen anderen in seiner Alltagsfunktion als „Helferwerkzeug“ einplant (z. B. den Postboten zur Zustellung der Briefbombe [§ 212]) oder ihn – bei Zueignungs- und Sonderdelikten – als qualifikationslos- bzw. absichtslos-doloses „Gehilfenwerkzeug“ vorschalten will.2135 Insofern ist zu differenzieren: aa) Delikte mit Willenserklärungselementen Bei Delikten, die eine genuine Willenserklärung vertatbestandlichen, zu nennen sind etwa die Beleidigung (§ 185) oder auch die Erpressung in der Drohungsvariante (§ 253 I Alt. 2), richtet sich die Tatbestandshandlungszurechnung nach dieser Verhaltenskategorie: Es kommt allein darauf an, wem der objektive Erklärungstatbestand nach allgemeinrechtlichen (= zivilrechtlichen) Grundsätzen als eigene Willenserklärung zuzurechnen ist.2136 Danach kann etwa eine Beleidigung nur derjenige begehen, dem die Missachtensbekundung gegenüber dem Opfer als eigene Willenserklärung zurechenbar ist. Wer also den beleidigenden Brief von seiner Sekretärin nach Diktat abtippen und zur Post aufgeben lässt, der begeht „selbst“ eine Beleidigung, weil er seine Missachtung gegenüber dem Beleidigten zum Ausdruck bringt und nicht etwa die mit der Entäußerung des

Neigung zu Ausschreitungen im Trunk angemessen berücksichtigt werden könnte (es käme dann nur auf den Schuldkonnex zu irgendeiner Rauschtat an, nicht zur konkreten Tat). 2134 s. nur Schild, in: NK, § 25 Rn. 67 m.w.N. 2135 s. instruktiv zum Ganzen Schild, in § 25 Rn. 68 ff., von dem auch die im Text zitierten Begriffsbezeichnungen stammen (a.a.O., Rn. 71); speziell zur deliktischen Instrumentalisierung fremder Alltagsfunktion s. auch bereits Johannes, Mittelbare Täterschaft, 24 f., 44 ff., der hier allerdings unabhängig vom konkreten Deliktstypus durchweg mittelbare Täterschaft durch Einplanung eines rechtmäßig handelnden Werkzeugs annehmen will. Das ist jedoch eine zu nivellierende Betrachtungsweise, da innerhalb der behandelten Kasuistik weiter differenziert werden muss nach den Zurechnungskriterien verschiedener Deliktsgruppen; s. dazu die nachfolgende Darstellung im Haupttext. 2136 s. zum Ganzen bereits oben, S. 66, 196 sowie noch unten, S. 627 ff.

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Schriftstücks betraute Sekretärin. Bei dieser Deliktsart2137 werden die §§ 25 ff. durch die zivilrechtlichen Grundsätze der „Botenschaft“2138 überlagert bzw. ausgefüllt (Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung). Demnach gibt die Sekretärin im Beispielfall keine eigene Willenserklärung i.S.d. Beleidigungstatbestandes ab, sondern bringt lediglich eine solche ihres Chefs zu Papier;2139 sie kommt aber ggf. als Gehilfin in Betracht, wenn sie den beleidigenden Brief weisungsgemäß zur Post bringt.2140 Entsprechendes gilt etwa auch für das Merkmal der „Drohung“ im Nötigungs- (§ 240) bzw. Erpressungstatbestand (§ 253): Die bloße Übermittlung eines erpresserischen Briefs oder die mündliche Überbringung einer fremden Drohung erfüllen mangels eigener Willenserklärung nicht das Tatbestandsmerkmal der Drohung, sondern betreffen bloß die Abgabe einer fremden Erklärung, auch wenn der Erklärungsbote oder Briefzusteller dolos agiert (Letzterer ist dann aber ceteris paribus Gehilfe).2141 Bei Delikten, die eine unrechtliche Willenserklärung vertatbestandlichen, begeht der Erklärungsherr die Tat also auch dann „selbst“ i.S.d. § 25 I Alt. 2, wenn er zur Abgabe bzw. Übermittlung seiner Erklärung dolose Helfer oder Gehilfen als Botenwerkzeuge einschaltet. bb) Allgemeine vorsätzliche Handlungsdelikte und Einplanung alltäglicher Rollenfunktionen Bei den allgemeinen vorsätzlichen Handlungsdelikten kann die Einplanung von dolosen Helfern in ihrer Alltagsfunktion dagegen keine (unmittelbare) Täterschaft begründen. Man nehme nur etwa den Fall2142, dass ein Postzusteller zum Austragen eines Sprengstoffpäckchens eingeplant wird: Weiß der Postzusteller vom Inhalt des Päckchens und stellt es trotzdem zu, so setzt er in eigener Person eine tatbestandsmäßige Verletzungshandlung. Auf Dienstpflichterfüllung kann er sich nicht berufen.2143 Rechnet also der Hintermann damit, dass der Postzusteller den Inhalt des 2137 Auch die §§ 186, 187 (= Üble Nachrede und Verleumdung) gehören hierher, soweit das Merkmal der Behauptung ehrenrühriger Tatsachen betroffen ist (als Spezialfall der Beleidigung). Beide Tatbestände inkriminieren allerdings daneben auch das „faktische“ Verbreiten ehrenrühriger Unwahrheiten, weshalb insofern das allgemeine Zurechnungskriterium für physische Übergriffshandlungen gilt (s. zu dieser Differenzierung bereits Roxin, TuT, 392). 2138 Zur Klarstellung: Die zivilrechtlichen Regelungen über die Stellvertretung (§§ 164 ff. BGB) dürfen nicht ohne Weiteres ins Strafrecht übertragen werden, da der „Stellvertreter“ die unrechtliche Willenserklärung als eigene abgibt; s. auch dazu noch unten, 627 ff. 2139 s. zum Ganzen bereits Kern, Äußerungsdelikte, 49 f. 2140 Wobei für sie (u. a.) der Rechtfertigungsgrund des § 193 (= Wahrnehmung berechtigter Interessen) in Betracht kommt (vgl. Johannes, Mittelbare Täterschaft, 24 f.). 2141 So zutr. bereits Kern, Äußerungsdelikte, 49 f. 2142 Beispiel nach Johannes, Mittelbare Täterschaft, 49. 2143 So für diesen Fall auch bereits Johannes, Mittelbare Täterschaft, 49; ebenso etwa Schild, in: NK, § 25 Rn. 107, unter Hinweis auf § 1 III Nr. 2 Post-UniversaldienstleistungsVO 1999.

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Päckchens errät und dennoch zustellt oder ist der Postbedienstete sogar von vornherein in seine deliktischen Pläne eingeweiht, so verwirklicht der Hintermann lediglich Teilnahmeunrecht.2144 Kalkuliert der Hintermann den Postzusteller hingegen als unvorsätzlich agieren sollendes Werkzeug ein, so setzt er eine mittelbar-täterschaftliche Verletzungshandlung.2145 Jedenfalls begründet die Einschaltung eines bösgläubigen Dritten in seiner Alltagsfunktion keine Täterschaft. cc) Sonderdelikte, Absichtsdelikte Es ist auch nicht möglich, Sonderdelikte (z. B. §§ 343, 348) oder Zueignungsdelikte (z. B. § 242) unter Zuhilfenahme qualifikationslos-doloser oder absichtslosdoloser Dritter „selbst“ zu begehen. Man kann die konkrete Handlungsunrechtsmaterie dieser Deliktstypen nicht einfach überspielen, indem man die Einschaltung doloser „Gehilfenwerkzeuge“ kurzerhand der Selbstbegehungsvariante unterstellt.2146 Vielmehr richtet sich die Tatbestandshandlungsbestimmung auch hier stets nach der Materie des konkret vertatbestandlichten Handlungsunrechts. Zueignungsdelikte wie § 242 sind erfolgskupierte Handlungsdelikte, weshalb auch für sie das handlungstheoretisch fundierte Prinzip der materiellen Akzessorietät2147 gilt. Danach ist aber „bloß“ Teilnehmer, wer einen ohne Zueignungsabsicht agierenden2148 Dritten damit beauftragt, für ihn eine fremde bewegliche Sache zu entwenden und zu apportieren. Denn das Programm des Hintermannes plant die vom anderen zu vollziehende Wegnahme als dessen Handlungserlebnis ein, auch wenn er sich die entwendete Sache selbst zueignen will. Es ist deshalb nicht mehr als eine façon de parler, hier von der (Selbst-)Begehung eines Diebstahls, d. h. einer erfolgskupierten Wegnahme, durch den vollsinnig wegnehmenden anderen als „absichtslos-doloses Werkzeug“ sprechen zu wollen.2149 Entsprechendes gilt cum grano salis für die Sonderdelikte: Auch hier bestimmt sich die Intranentäterschaft allein nach der Materie des konkret vertatbestandlichten Handlungsunrechts (= Realakt [z. B. § 343] – Willenserklärung [z. B. 331] – Ei-

2144 A.A. Schild, in: NK, § 25 Rn. 107, der Selbstbegehung durch ein doloses „Helferwerkzeug“ annehmen will – was jedoch mit 25 I Alt. 1 sicher nicht mehr vereinbar sein dürfte. 2145 A.A. auch insofern Schild, in: NK, § 25 Rn. 71: Selbstbegehung durch ahnungsloses „Helferwerkzeug“. 2146 So aber neuerdings wieder Schild, in: NK, § 25 Rn. 68 ff. (72 f.), m.w.N. 2147 s. dazu nochmals oben, S. 168 ff. 2148 Der Fall, dass jemand zwar dolos, aber ohne Zueignungsabsicht agiert, dürfte seit Aufnahme der Drittzueignungsabsicht in den Tatbestand der Zueignungsdelikte praktisch ohnehin obsolet geworden sein, wie Roxin, TuT, 751 f., zu Recht konstatiert. 2149 Für Selbstbegehung durch ein doloses „Helfer-“ oder „Gehilfenwerkzeug“ aber neuerdings wieder Schild, in: NK, § 25 Rn. 73, m.w.N.; zur gängigeren Rubrizierung unter den Handlungstypus der mittelbaren Täterschaft s. noch unten, S. 483.

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genhändigkeit [z. B. § 153] – Pflichtverletzung [z. B. § 266]).2150 Sind also Sonderdelikte mit normalen physischen Übergriffshandlungen wie etwa die §§ 340, 343, 348 betroffen, so gilt auch hier das allgemeine beteiligungsrechtliche Akzessorietätsprinzip. Sofern bestimmte Sonderdeliktstatbestände ausnahmsweise Teilnahmeakte zu Tatbestandshandlungen erklären (z. B. in § 340: „begehen lassen“), ist dies nicht Ausfluss eines spezifischen indifferenten Verhaltensnormsubstrats, sondern hat rein axiologische Gründe: Genuine Teilnahmehandlungen werden sub specie Sanktionsnorm zu Täterhandlungen aufgewertet; das allgemeine beteiligungsdogmatische Axiom der materiellen Akzessorietät bleibt davon unberührt.2151 Spannt also etwa ein Vernehmungsbeamter einen qualifikationslos-dolosen Außenstehenden dazu ein, den schweigenden Tatverdächtigen durch Prügelandrohung zu einer Aussage zu zwingen (sog. „qualifikationslos-doloses Werkzeug“), so nimmt er bloß an dessen Nötigungshandlung teil. Er verletzt im Außenverhältnis „nur“ das sekundäre rechtsgüterschützende Verbot, Dritte zum Abnötigen von Aussagen zu bestimmen (§§ 240, 26) bzw. solche Nötigungsakte positiv zu fördern (§§ 240, 27). Mithin wäre es auch hier handlungstheoretisch und damit beteiligungsdogmatisch verfehlt, eine Selbstbegehung des Intraneus durch einen qualifikationslos-dolosen Gehilfen annehmen zu wollen.2152 Vielmehr bleibt es bei den allgemeinen handlungstheoretischen Vorgaben, d. h. bei der grundlegenden normentheoretischen Unterscheidung nach konkreten rechtsgutsbezogenen Täter- und Teilnehmerpflichten. f) Einplanung des Opfers als Werkzeug gegen sich selbst Eine weitere Frage geht dahin, ob die Einplanung selbstschädigenden Opferverhaltens einen Unterfall des § 25 I Alt. 1 darstellt. Das ist nach hier vertretener Ansicht nur für diejenigen Konstellationen zu bejahen, in denen der Manipulator nicht kommunikativ auf das Opfer einwirkt, sondern ihm unmittelbar eine Falle stellt.2153 Geht man wie hier davon aus, dass der Akteur in den Fallensteller-Konstellationen schon mit dem Aufstellen der Falle unmittelbar zur Tatbestandshandlung ansetzt,2154 so kann das In-die-Falle-Tappen des Opfers keine Werkzeugtätigkeit mehr sein, „durch“ die er töten will. Er plant vielmehr, das präsumtive Opfer durch die von ihm gestellte Falle „selbst“ (i.S.d. § 25 I Alt 1) zu töten, weshalb man in diesen Fällen denn auch bezeichnenderweise vom Programm eines „Giftmordes“ bzw. eines „Sprengstoffanschlages“ spricht. Anderes gilt, wenn der Akteur das Opfer durch kommunikative Einwirkung zu einer unbewussten Selbstschädigung verleiten 2150

s. eingehend zur Materie der den Sonderdelikten zugrunde liegenden Verhaltensnormen und zu den beteiligungsdogmatischen Konsequenzen dieser Handlungsunrechtsbestimmung bereits oben, S. 63 ff., 173 ff. 2151 s. eingehend zum Ganzen noch unten, S. 608 ff. 2152 So aber jetzt wieder Schild, in: NK, § 25 Rn. 72, m.w.N. 2153 s. eingehend zum Handlungsunrecht derartiger Konstellationen bereits oben, S. 385 ff. 2154 s. dazu nochmals oben, S. 386 ff.

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will (Bsp.: T bringt den unwissenden O dazu, eine Hochspannungsleitung zu berühren). Hier liegt erst im Abschluss der Opfereinwirkung der Versuch einer – dann: mittelbaren – Tatbegehung (§§ 25 I 2, 22). Formelhaft gilt also Folgendes: Wird eine scharfe Falle bereitgestellt, die bei Hineintappen des Opfers „zuschnappen“ soll („Giftfalle, „Sprengfalle“, „Stromfalle“), so liegt programmatisch Selbstbegehung (§ 25 I Alt. 1) vor,2155 da der Akteur hier mit einer „Erfolgsautomatik“2156 plant; soll das Opfer dagegen (noch) zu einer unbewussten Selbstschädigung verführt werden, so ist mittelbare Tatbegehung (§ 25 I Alt. 2) gegeben.2157 Dieser Differenzierung hat man entgegengehalten, dass das Handlungsunrecht bei der Manipulation äußerer Umstände (= Fallenstellen) nicht anders bewertet werden könne als im klassischen Fall der kommunikativen Opfereinwirkung, weshalb allemal die Grundsätze der mittelbaren Täterschaft gelten müssten.2158 Diese Argumentation ebnet aber die entscheidende materiale Differenz gerade ein: Wer eine scharfe Gift- oder Sprengfalle für das Opfer bereitstellt, der will dieselbe gegen das Opfer einsetzten und betätigt daher schon hierdurch eine taugliche Verletzungsmaxime.2159 Mithin muss es bei der hier vorgenommenen Klassifizierung verbleiben. Zur Umsetzung des auf Fallenstellen gerichteten Programms und zur Zurechnung des tatbestandsmäßigen Erfolgs kann auf die obige Darstellung2160 verwiesen werden. Die Fälle des Hervorrufens einer irrtumsbedingten Selbstschädigung werden dagegen gemäß der vorstehenden Rubrizierung sub specie § 25 I Alt. 2 behandelt. 2. Die Begehung „durch einen anderen“ (§ 25 I Alt. 2) Der Handlungsunrechtstypus der mittelbaren Täterschaft beschreibt die Umsetzung komplexer unrechtlicher Ich-Intentionalität und folgt daher strukturell dem2155 Dieser offensichtliche Umstand wird in Rechtsprechung und Literatur nicht explizit ausgesprochen; expressis verbis aber etwa Spendel, JR 1997, 133 (134 m. Fn. 9), der allerdings auch bei Verleitung des Opfers zur unbewussten Selbstschädigung unmittelbare Täterschaft annehmen will (a.a.O.). Letzteres kann jedoch nicht überzeugen, da bei manipulativer Verleitung eines anderen zur unbewussten Selbstschädigung nicht die „Falle“ als Tatwerkzeug gegen das Opfer eingeplant wird, sondern das Opfer als Werkzeug gegen sich selbst. 2156 So die treffende Formulierung bei Hillenkamp, in: LK, § 22 Rn. 136, der den Begriff jedoch ausschließlich für Distanzdelikte ohne jedwede Opfermitwirkung reservieren will (z. B. für das Deponieren einer mit Zeitzünder versehenen Bombe). 2157 Zur Klarstellung: Welche Programmart vorliegt, bestimmt – wie sonst auch – nicht der Täter, sondern das Recht, konkret: Wer an einem Rad des Opferfahrzeuges per Zugleitung eine Handgranate anbringt (vgl. dazu BGH NStZ 1998, 294) und das Opfer zusätzlich noch auffordert, doch eine Spritztour zu machen, der will die Sprengfalle gegen das Opfer einsetzen, nicht das Opfer gegen sich selbst; die private Überkonkretisierung der rechtlich relevanten Verletzungsmaxime ist – auch hier – unbeachtlich, d. h. der Versuch beginnt auch hier bereits mit dem Scharfmachen der Sprengfalle als solcher. 2158 So etwa Baier, JA 1999, 772 (775); Trüg, JA 2002, 102 (105). 2159 s. eingehend dazu nochmals oben, S. 386 ff. 2160 S. 385 ff.

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selben Explikationsmuster wie die Betätigung einfacher Ich-Intentionalität (= unmittelbare Selbstbegehung). Auch hier geht es also nicht etwa um „Tatherrschaft“, sondern um Programme, die nach allgemeinem Handlungsinterpretament eine taugliche Strategie zur – hier komplexen – intentionalen Selbstverwirklichung in der Rechtsgutsverletzung als Sozialvorgang verkörpern.2161 Der Unterschied zur unmittelbaren Täterschaft besteht lediglich darin, dass die Konklusion des praktischen Syllogismus ex ante hier in einem komplex dimensionierten, auf Instrumentalisierung ausgelegten Basis-Akt besteht. a) Sachlogische Struktur der mittelbaren Täterschaft und deklaratorische Funktion des § 25 I Alt. 2 Die Tatbestände des Besonderen Teils haben nicht ein impersonales „Geschehen“ zum Gegenstand, sondern bestimmte personale Handlungen. Dies berücksichtigend, ist dem Wortlaut des § 25 I Alt. 2 klar zu entnehmen, dass es dort um die normative Tatbestandshandlung des Hintermannes selbst geht, gesetzt „durch einen anderen“. Daraus folgt, dass die Vorschrift die Zurechnung fremden Tätigwerdens als eigene normative Tatbestandshandlung des Hintermannes regelt und nicht eine Zurechnung fremder Ausführungshandlung zur eigenen Täterschaft.2162 Wenn ich das Tun eines anderen von einem höheren deliktischen Sinngestaltungslevel aus überforme oder aber durch qualifizierte Nötigung fremd bestimme, dann umgreife ich es als Werkzeug zur Verwirklichung eines eigenen, deliktisch sinnvolleren Tatbestandshandlungserlebnisses (= mehrdimensionaler Tatbestandshandlungsbegriff).2163 Damit ist aber die fremde Tätigkeit handlungstheoretisch gerade nicht als personales Handeln relevant, weshalb § 25 I Alt. 2 nur deklaratorische Funktion zukommen kann.2164 b) Prolegomena zu den relevanten Fallgruppen Die anerkannten und diskutierten Fallgruppen mittelbar-täterschaftlichen Handelns werden hier der gängigen Reihenfolge2165 nach abgehandelt, z. T. jedoch abweichend von der herrschenden Einordnung klassifiziert. Grundlegend sind nach konkret angewandtem Interpretationsmuster zwei Programmarten zu unterscheiden, nämlich: erstens die Einplanung eines kongruent als 2161

s. eingehend zum Ganzen nochmals oben, S. 83 f., 123 ff., 270 ff. s. eingehend zum Ganzen nochmals oben, S. 270 ff. 2163 s. eingehend dazu oben, S. 85ff., 123 ff. 2164 So vom Ansatz her konsequent etwa Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 160, 292, 306; ders., in: NK, § 25 Rn. 13 ff. (16), 81; Schilling, Verbrechensversuch, 111; Schünemann, in: LK, Vor § 25 Rn. 14, 36, 60; i.E. ebenso die wohl h.L., die dies aber von ihrem formellphänomenologischen Tatbestandshandlungsverständnis her eigentlich nicht mehr widerspruchslos begründen kann (s. dazu bereits oben, Fn. 1330). 2165 s. überblicksartig etwa Roxin, AT/II, § 25 Rn. 45 ff. 2162

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fremdbestimmt erlebten Dritthandelns als Werkzeugtätigkeit (gängig: „Nötigungsherrschaft“), zweitens die sinnhafte Überdetermination eines deliktisch niedriger dimensionierten Dritthandelns als Werkzeugtätigkeit (gängig und verkürzend: „Irrtumsherrschaft“). Im Hinblick auf die Einplanung schuldlos handelnder Erwachsener, Kinder oder Jugendlicher ist zu differenzieren: Wird fehlende Unrechtseinsicht des Werkzeugs eingeplant (§ 20 Alt. 1), so gelten die Regeln über die sinnhafte Überdetermination, wird fehlende Normbefolgungsfähigkeit (§ 20 Alt. 2), eingeplant, so greifen die Regeln über fremdbestimmtes Handeln. Die zweite Grundprogrammart – sinnhafte deliktische Überdetermination – umfasst dabei sämtliche Programme, die nach diesem Interpretationsmuster verfahren. So liegt es indes nicht nur bei der „Irrtumsherrschaft“, sondern auch bei der Einplanung rechtmäßig handeln sollender Werkzeuge. Diese Rubrizierung wird hier für zwingend gehalten, da der Hintermann bei Einplanung eines rechtmäßig handeln sollenden Werkzeugs dessen Handeln ebenso sinnhaft überdeterminieren will wie bei Einplanung eines irrenden Werkzeugs: Beide Fallgruppen betreffen Programme, die dem Hintermann über den Kopf eines anderen hinweg ein deliktisch sinnvolleres Tatbestandshandlungserlebnis vermitteln sollen. Beteiligungsrechtlich konsequent ist dann die Einplanung eines genuinen Erlaubnistatbestandsirrtums neben der Initiierung eines objektiv rechtmäßigen Werkzeughandelns zu rubrizieren, da der Hintermann in beiden Fällen nach demselben Interpretationsmuster verfährt, d. h. denselben Intentionalzustand (= Erlaubnistatbestandsvorsatz) für das Werkzeug einplant. Einplanung eines genötigten Werkzeugs (= erste Grundprogrammart) liegt dagegen immer dann vor, wenn der Hintermann den Vordermann in eine Zwangslage i.S.d. § 35 I 1 verbringen will, die dieser als zur Tat treibenden Umstand in seinem Handeln repräsentiert sehen (dürfen) soll. Entsprechendes gilt, wenn ein Entschuldigungstatbestandsirrtum (§ 35 II) des Vordermannes eingeplant wird. Als eine weitere Unterart mittelbar-täterschaftlichen Handelns werden sub specie § 25 I Alt. 2 noch solche Programme diskutiert, die austauschbar verfügbare Mitglieder eines (rechtsgelösten) Machtapparates zur deliktischen Erfolgsherbeiführung einkalkulieren (sog. „Organisationsherrschaft“2166). Diese originelle Idee wird hier nicht geteilt, da sie allem Scharfsinn zum Trotz nicht mit den „tatsächlichen“ handlungsunrechtlichen Beteiligungsverhältnissen vereinbar ist. c) Die Einplanung eines fremdbestimmten Handelns als Werkzeug (gängig: „Nötigungsherrschaft“) Auch und insbesondere für den Programmtypus der „Nötigungsherrschaft“ ist zu betonen, dass es im Ansatz schief wäre, ihn nur als Zurechnungstypus zu begreifen. Es geht nicht (und kann nicht gehen) um die Zurechnung einer vom Genötigten 2166

s. eingehend dazu Roxin, TuT, 242 ff.

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unmittelbar ausgeübten „Handlungsherrschaft“ zum Nötiger als „Willensherrn“,2167 denn jede Form von „Herrschaft“ (selbst die „Handlungsherrschaft“) erweist sich im Zeitpunkt der eigenen Handlungsvornahme bloß als prinzipielle Beherrschbarkeit durch einen entsprechend planenden Willen ex ante.2168 Vor diesem Hintergrund muss schon die Tatbestandshandlung selbst aufgebrochen gedacht werden i.S.e. Werkzeugverwendung, d. h. einer normativen Zurechnung der freigesetzten Werkzeugkräfte zu dem sie freisetzenden Willen.2169 Entscheidend ist daher nicht die reelle Tatherrschaft über das Geschehen (i.S.e. Geschehensbeherrschung), sondern das ex ante betätigte Interpretationsmuster einer – hier komplexen – intentionalen Selbstverwirklichung. Auszugehen ist also von einem materiell-normativen Modell verschiedener einfacher und komplexer intentionaler Tatbestandshandlungen, das § 25 I Alt. 2 als gesetzliche Anerkennung komplexen ich-intentionalen Handelns begreift. Mithilfe eines solchen Modells lässt sich dann auch die „Nötigungsherrschaft“ problemlos explizieren, wobei die sozialontologische Handlungskomponente hier durch § 35 I 1 im Sinne strafrechtlicher Wertung konturiert wird. aa) Die klassischen Dreieckskonstellationen: Nötigung zur Fremdschädigung Die „klassischen“ Konstellationen der Einplanung eines genötigten Werkzeugs betreffen das Dreiecksverhältnis Nötiger – Notstandstäter – Opfer: Der Hintermann plant, einen anderen durch Schaffung einer Notstandssituation i.S.d. § 35 I 1 zu zwingen, das Opfer zu verletzen (Beispiel: Bankräuber B „kapert“ das Taxi des T und zwingt diesen mit vorgehaltener Waffe, den Halt gebietenden Polizisten zu überfahren – B begeht [mindestens] einen gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in mittelbarer Täterschaft, §§ 315 b, 223 I, 224 I Nr. 2, 5, 25 I Alt. 2). (1) Handlungsprogramm Plant der Hintermann die freie Unrechtsmaxime eines anderen ein, so kann er selbst nicht mehr auf das Rechtsgut zugreifen wollen. Deshalb genügt es für „Nötigungsherrschaft“ nicht, wenn er einen anderen durch einfache Nötigung i.S.d. § 240 zum Unrechttun bewegen will. Er muss vielmehr, um das Handeln des Genötigten als Werkzeug seiner eigenen Unrechtsmaxime absorbieren zu können, ein rechtsverbindliches Deutungsschema fremdbestimmten Handelns betätigen. Dieses Deutungsschema liefert de lege lata § 35 I 1, der in der Sache die Voraussetzungen regelt, unter denen ein Akteur sein unrechtliches Handeln als durch äußere Umstände fremdbestimmt erleben darf.2170 Wer einen anderen in eine solche Zwangslage 2167 2168 2169 2170

So aber Roxin, TuT, 142 ff. Ausführlich dazu oben, S. 295 ff. Eingehend dazu oben, S. 270 ff. Vgl. dazu auch bereits Kindhäuser, in: NK, Vor §§ 249 ff. Rn. 6.

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verbringt, der will seine eigene Unrechtsmaxime „durch“ ihn als genötigtes Werkzeug verwirklichen: Der Vordermann soll in seinem Tun nicht mehr sich selbst als freie Ursache repräsentiert sehen (müssen), sondern die – vom Hintermann geschaffene – existentielle Zwangslage, die ihn zur Tat treibt. Dadurch wird es dem Hintermann, der die Zwangslage initiiert hat, möglich, den Vordermann als bloßen Repräsentanten seiner eigenen unrechtlichen Handlungsmaxime zu instrumentalisieren (Modell der einseitigen Repräsentanz).2171 So liegt es aber eben nur dann, wenn das Handlungsprogramm des Hintermannes auf die Herbeiführung oder Umgestaltung einer Notstandslage i.S.d. § 35 gerichtet ist und nicht etwa schon dann, wenn überhaupt Nötigungsmittel i.S.d. § 240 angewandt werden.2172 Sodann ist innerhalb der Programmart weiter zu differenzieren. (a) Nötigungsnotstand i.S.d. § 35 I 1: unmittelbare Nötigung Unumstrittener Schulfall der Kategorie genötigtes Werkzeug ist das Bewirken eines „Nötigungsnotstandes“: Der Hintermann plant, den Vordermann durch qualifizierte Nötigung i.S.d. § 35 I 1 zu einer Unrechtstat zu treiben.2173 Zwingt etwa der A den B unter Vorhalt einer Waffe zur Tötung des C, so ist er mittelbarer Täter eines Tötungsdelikts, begangen „durch“ B als genötigtes Werkzeug (§§ 212, 25 I Alt. 2). (b) Inszenierung einer Notstandssituation i.S.d. § 35 I 1: mittelbare Nötigung Der Hintermann muss jedoch nicht zwingend unmittelbar selbst nötigen wollen. Er kann auch planen, die psychische Zwangslage für das präsumtive Werkzeug durch Inszenierung einer Notstandssituation i.S.d. § 35 I 1 herbeizuführen.2174 So liegt es etwa dann, wenn der A den B in einem fremden Kellerraum einsperrt, um ihn so zu zwingen, die Kellertüre gewaltsam zu öffnen und hierdurch zu beschädigen.2175 A ist hier mittelbarer Täter einer Sachbeschädigung (§§ 303, 25 I Alt. 2) durch B als genötigtes Werkzeug.2176 2171

Vgl. dazu auch bereits Kindhäuser, in: NK, Vor §§ 249 ff. Rn. 6. Vgl. dazu bereits Roxin, TuT, 143 ff., dem insofern nahezu das gesamte Schrifttum gefolgt ist (s. etwa die Nachweise bei ders., AT/II, § 25 Rn. 48 Fn. 60); a.A. allerdings etwa Schild, in: NK, § 25 Rn. 82, der für die Tatbegehung durch ein genötigtes menschliches Werkzeug schon die Ausübung einfachen Nötigungsdrucks (§ 240) genügen lassen will. Das kann jedoch schon für die abgenötigte Selbstschädigung nicht überzeugen, obschon es hier an einer rechtlichen Vermeidepflicht des Vordermannes fehlt (s. eingehend dazu nochmals oben, S. 353 ff.). Dann aber kann für den Fall der Fremdschädigung, wo dem Vordermann sogar eine strafbewehrte Vermeidepflicht auferlegt ist, nichts anderes gelten. 2173 s. dazu Roxin, TuT, 143 ff. 2174 s. dazu Roxin, TuT, 149. 2175 Leicht abgewandeltes Beispiel nach Schild, in: NK, § 25 Rn. 84. 2176 Zur Klarstellung: Obwohl B’s Tatbestandshandlung zugleich nach § 904 BGB erlaubt ist, handelt es sich handlungstheoretisch betrachtet nicht um einen Fall der Einplanung eines gerechtfertigt handelnden Werkzeugs, da A den B durch Freiheitsentzug unter Tatzwang setzen will; s. ausführlich zum Ganzen sogleich noch im Haupttext unter (d); wie hier Schild, in: NK, § 25 Rn. 84. 2172

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(c) Ausnutzung einer vorgefundenen Notstandssituation Zu differenzieren ist dagegen, wenn der Hintermann die Notstandslage bereits vorfindet und nur für seine Zwecke auszunutzen plant.2177 Hier muss er jedenfalls Umstände schaffen (wollen), die dem Vordermann die Tatbegehung als Ausflucht konkret ermöglichen (sollen). Nur in diesem Fall verwirklicht er sich selbst in denjenigen Umständen, die den anderen zur Tat treiben sollen. Ein auf mittelbare Tatbegehung gerichtetes Handlungsprogramm liegt also nur dann vor, wenn der Hintermann für den präsumtiven Notstandstäter überhaupt erst die tatsächliche Möglichkeit bzw. Notwendigkeit schaffen will, sich durch eine Tatbegehung aus der Notstandslage zu befreien (= Umgestaltung der Notstandslage).2178 Macht etwa der A seine dringend benötigte Unfallhilfe davon abhängig, dass der verunglückte B ihm ein gefälschtes Dokument unterschreibt, so begeht er „durch“ den B eine Urkundenfälschung (§§ 267, 25 I Alt. 2).2179 Verschafft A dem verschütteten Bergmann B Explosivstoff, mit dem dieser sich auf Kosten des Lebens anderer Bergleute den Weg ins Freie sprengen kann, so begeht A „durch“ B eine Tötungshandlung (§§ 212, 25 I Alt. 2).2180 Kein mittelbar-täterschaftliches Handlungsprogramm betätigt hingegen, wer den in Not Geratenen „bloß“ zur Selbstrettung auf Kosten eines Dritten animieren, ihm Hemmungen ausreden oder ihm Ratschläge zur Tatdurchführung geben will. In diesem Fall kommt „nur“ Teilnahme in Betracht.2181 Weist der Hintermann den in Not Geratenen sogar bloß auf die Straflosigkeit einer selbsterhaltenden Notstandstat hin, so liegt überhaupt kein strafrechtlich relevantes Handlungsprogramm vor;2182 denn der wahrheitsgemäße Hinweis auf eine bestehende Rechtslage kann kein sozial inadäquates (und also tatbestandsmäßiges) Verhalten sein. Festzuhalten bleibt, dass das Handlungsprogramm des Hintermannes bei vorgefundener Notstandslage darauf gerichtet sein muss, das Tätigwerden des Vordermannes als fremdbestimmtes zu umgreifen und für ein eigenes komplexes Tatbestandshandlungserlebnis zu usurpieren. Dazu muss er im Ansatz entweder diejenigen Umstände herbeiführen wollen, die den in Not Geratenen erst konkret zur Tatbegehung befähigen oder aber diejenigen Umstände kontrollieren wollen, von denen die Rettung des präsumtiven Notstandstäters abhängt.

2177 2178 2179 2180 2181 2182

s. dazu Roxin, TuT, 150 ff. So zutr. Roxin, TuT, 151 ff. Beispiel und Lösung nach Roxin, AT/II, § 25 Rn. 52. Beispiel und Lösung nach Roxin, AT/II, § 25 Rn. 52. So zutr. Roxin TuT, 153; ders., AT/II, § 25 Rn. 53. Roxin, AT/II, § 25 Rn. 53.

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(d) Verhältnis der mittelbaren Nötigung zur Einplanung eines gerechtfertigt handeln (wollen) sollenden Werkzeugs Zu fragen ist allerdings, wie die mittelbare Nötigung i.S.d. § 35 [oben, (b)] vom Einsatz eines gerechtfertigten Werkzeugs abzugrenzen ist, wenn für das Werkzeug zugleich eine rechtliche Befugnis zum Handeln, d. h. ein Rechtfertigungsgrund, geschaffen wird.2183 So liegt es zunächst dann, wenn der Hintermann das präsumtive Werkzeug in eine dem § 35 I 1 entsprechende Zwangslage verbringt, aus der ein Rechtfertigungsgrund nach § 34 StGB oder §§ 228, 904 BGB erwächst. Das ist etwa anzunehmen, wenn A den B im Haus des C einschließt, in dem – wie A weiß – C’s aggressiver Kampfhund lauert, den der B in Sachwehr (§ 228 BGB) erschlagen muss.2184 Ebenso liegt es, wenn A den B im Keller des C einschließt, so dass B sich nur durch ein – nach § 904 BGB gerechtfertigtes – Einschlagen der Kellertüre befreien kann.2185 Derartige Konstellationen sind beteiligungsrechtlich ebenso zu behandeln wie die Einplanung einer entschuldigenden Notstandssituation i.S.d. § 35. Denn der Hintermann plant auch hier primär mit der psychischen Zwangslage, die den anderen zum Handeln treiben soll.2186 Die aus dieser Zwangslage ausnahmsweise erwachsende Erlaubnis zur selbsterhaltenden Fremdschädigung wird lediglich als Epiphänomen einkalkuliert.2187 Entsprechend zu differenzieren ist in den Fällen der für einen Dritten herbeigeführten Notwehrlage, die dieser durch eine rechtsgutsverletzende Verteidigungshandlung aufheben soll. Schulfall ist der einer doppelten Nötigung i.S.d. § 35: A zwingt B, den C derart anzugreifen, dass dieser – nunmehr selbst i.S.d. § 35 genötigt – sich durch Verletzung des B verteidigen muss.2188 In dieser Konstellation ist das Programm des Hintermannes auf eine doppelte Nötigung i.S.d. § 35 gerichtet, d. h. es werden zwei genötigte Werkzeuge eingeplant.2189 Der Nukleus des deliktischen Programms liegt dabei freilich im Einsatz des unmittelbar Genötigten als Werkzeug gegen sich selbst,2190 weshalb die Nötigung dieses Erstwerkzeugs das personale Handlungsunrecht des Hintermannes markiert.2191 Andererseits darf jedoch nicht 2183 s. eingehend zur Einplanung rechtmäßig handelnder Werkzeuge auch noch unten, S. 470 ff. 2184 Abwandlung eines von Schild, in: NK, § 25 Rn. 65, gebrachten Beispiels. 2185 Vgl. auch dazu nochmals Schild, in: NK, § 25 Rn. 84. 2186 So für die Notstandsfälle zutr. Puppe, Küper-FS (2007), 443 (448); für den Fall der doppelten Nötigung auch Roxin, TuT, 167; Schünemann, in: LK, § 25 Rn. 75; Schild, in: NK, § 25 Rn. 84. 2187 So der Sache nach bereits Roxin, TuT, 167. 2188 s. dazu etwa Roxin, TuT, 166 f.; ders., AT/II, § 25 Rn. 59; Schünemann, in: LK, § 25 Rn. 75; Schild, in: NK, § 25 Rn. 84. 2189 So zutr. Roxin, TuT, 167. 2190 Diesen Umstand betont Schünemann, in: LK, § 25 Rn. 75; ebenso Schild, in: NK, § 25 Rn. 84. 2191 So zutr. Schild, in: NK, § 25 Rn. 84 m. 87.

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übersehen werden, dass das Handeln des angegriffenen Dritten, der nach dem Programm des Hintermannes die rechtsgutsverletzende Verteidigungshandlung tätigen soll, als weitere Werkzeugtätigkeit eingeplant wird.2192 Der Hintermann will also durch das erzwungene Handeln von Angreifer- und Verteidiger-Werkzeug seine eigene Unrechtsmaxime verwirklichen. Ist sein Handlungsprogramm auf eine solche doppelte Nötigung angelegt, so birgt es zweifellos auch eine in praktischer Hinsicht taugliche Strategie zur unrechtlichen Selbstverwirklichung.2193 Anders liegt der Fall, wenn A den B zwingt, die Rechtsgüter des C so anzugreifen, dass dieser (etwa bei Betroffenheit von Ehre oder Eigentum) die Attacke auch hinnehmen oder (bei Angriffen auf Leib oder Leben) „schimpflich flüchten“ kann, stattdessen aber erwartungsgemäß von seiner Notwehrbefugnis Gebrauch macht und den Angriff durch Verletzung des B abwehrt.2194 Hier ist von der Einplanung eines genötigten Werkzeugs gegen sich selbst unter Zuhilfenahme eines gerechtfertigten Werkzeugs auszugehen. Dies deshalb, weil der Hintermann den in seiner Ehre betroffenen bzw. eine „schimpfliche Flucht“ ablehnenden Dritten nicht unter äußeren Handlungszwang setzen, sondern ihn vielmehr dazu bewegen will, aus freien Stücken eine erlaubte „Rechtsbewährungshandlung“ vorzunehmen und damit seinem Tun einen abweichenden sozialen Sinngehalt zu verleihen. Es handelt sich daher um eine Mischkonstellation, bestehend aus der Einplanung eines genötigten AngreiferWerkzeugs gegen sich selbst sowie eines gerechtfertigten Verteidiger-Werkzeugs. Auch hier ist das Handlungsunrecht des Hintermannes nach den allgemeinen Grundsätzen zu bestimmen, d. h. es liegt in dem aus sich selbst heraus ansetzenden Selbstverwirklichungsprogramm, das sich in der unmittelbaren Einwirkung auf das Angreifer-Werkzeug manifestiert. Und ein derartiges Programm verkörpert – allen Unwägbarkeiten zum Trotz – auch in tatsächlicher Hinsicht eine prinzipiell taugliche Strategie zur intentionalen Selbstverwirklichung im tatbestandsmäßigen Erfolg.2195 Ein allgemeines Prinzip, wonach Werkzeugkräfte bis zum Erfolg hin sicher beherrscht werden müssten, existiert ohnehin nicht, und die Nötigung eines Menschen zur Provokation einer gegen ihn selbst gerichteten „Rechtsbewährungshandlung“ ist nach allgemeiner Lebenserfahrung ex ante auch prinzipiell geeignet, entsprechende Reaktionen hervorzurufen. Demnach gilt folgendes Axiom: Will der Hintermann dem (Verteidiger-)Werkzeug eine rechtlich erlaubte Verteidigungs- oder Abwehrhandlung abnötigen, so verfährt er nach einem Interpretationsmuster fremdbestimmten Werkzeughandelns (= mittelbare bzw. doppelte Nötigung); will er dagegen für das (Verteidiger-) Werkzeug „nur“ eine zwanglose Handlungserlaubnis schaffen, so will er dessen Tun i.S.d. Schuldtypus sinnhaft überformen, d. h. er verfährt nach einem Interpretationsmuster sinnhafter Überdetermination. 2192 2193 2194 2195

s. dazu nochmals Roxin, TuT, 167. Schild, in: NK, § 25 Rn. 84. s. zu diesem Beispiel Roxin, TuT, 167 f.; Schild, in: NK, § 25 Rn. 84. So Schild, in: NK, § 25 Rn. 84.

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Bleibt aus zurechnungsdogmatischer Sicht zu fragen, wie in diesem Zusammenhang Abweichungen des tatsächlichen vom programmatisch vorgestellten Verlauf zu behandeln sind, konkret und insbesondere: Wie liegt es, wenn das Programm des Hintermannes auf Schaffung einer Zwangslage i.S.d. § 35 I 1 gerichtet ist, wider Erwarten aber eine zwanglose Eingriffserlaubnis geschaffen wird oder vice versa? Die Antwort darauf fällt leicht: Wie schon bei der Einplanung von Naturkausalität2196 ist es auch hier irrelevant, anhand welcher tatsächlichen Verlaufsvariante der Hintermann sich das normative Substrat seines intentionalen Selbstverwirklichungsprogramms „durch einen anderen“ konkret verdeutlicht; es genügt, wenn die auf Konfliktschaffung gerichtete Handlung ex ante überhaupt eine taugliche Methode zur komplexen intentionalen Selbstverwirklichung darstellt. Dazu folgendes Beispiel: Awill B mit den Mitteln des § 35 nötigen, den C mit einem Messer anzugreifen, so dass C, nun seinerseits i.S.d. § 35 genötigt, den B in Notwehr verletzt; anders als von A erwartet, lässt B aber nur eine „Schmipfkanonade“ auf C los, in der Hoffnung, die Prügel würden dann nicht so schwer ausfallen und den A dennoch „zufriedenstellen“; C will sich die Beleidigungen nicht gefallen lassen und schlägt den B nieder. – Gegeben ist eine vollendete Körperverletzung des A „durch“ B als genötigtes Werkzeug gegen sich selbst und „durch“ C als gerechtfertigtes Werkzeug; C’s Verteidigungshandlung wird dem eigentlich auch insofern auf Nötigung gerichteten Handlungsunrecht des A zugerechnet, da sein auf Konfliktschaffung gerichtetes Programm von vornherein auch die Gefahr der Schaffung einer zwanglosen Eingriffsbefugnis für C implizierte. – Für den umgekehrten Fall, dass anstelle der kalkulierten zwanglosen Eingriffsbefugnis tatsächlich eine Zwangslage i.S.d. § 35 für das Verteidiger-Werkzeug geschaffen wird, lassen sich ebenfalls Kathederbeispiele ersinnen: Denkbar wäre etwa, dass eine vom Hintermann vorgestellte Ausweichoder Fluchtmöglichkeit für das körperlich angegriffene Verteidiger-Werkzeug realiter nicht besteht (Bsp.: A zwingt B im Freien zu einer Messerattacke auf den als heißspornig bekannten Sprinter S, der, was A nicht weiß, gerade an einer Fußverletzung laboriert). Hier gilt das soeben Gesagte entsprechend: Die unvorhergesehene Schaffung der Zwangslage für das Verteidiger-Werkzeug wird dem Handlungsunrecht des Hintermannes zugerechnet, da sie von vornherein vom normativen Substrat seines auf Konfliktschaffung gerichteten Initiierungshandelns abgedeckt war. Diese bisher noch wenig reflektierte Abgrenzung zwischen der Einplanung eines genötigten und der Einplanung eines gerechtfertigten Werkzeugs erweist sich als beteiligungssystematisch konsistent. Das gilt auch und insbesondere mit Blick auf den Fall der Instrumentalisierung eines Erlaubnistatbestandsirrtums, den die Tatherrschaftslehre ihrem System bis heute nicht bruchfrei hat implementieren können.2197 Differenziert man bei Schaffung einer reellen Handlungserlaubnis danach, 2196

s. eingehend dazu oben, S. 375 ff. Bei Instrumentalisierung eines Erlaubnistatbestandsirrtums plant der Hintermann denselben Intentionalzustand für das Werkzeug ein wie bei Schaffung einer reellen Handlungserlaubnis: In beiden Fällen – und nicht etwa nur beim Erlaubnistatbestandsirrtum (so aber Roxin, TuT, 205 [versus 167 f.]) – plant der Hintermann mit dem fehlenden Unrechtsvorsatz des 2197

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6. Kap.: Die Ausarbeitung der Deliktsgruppen im Einzelnen

ob der Hintermann primär unter Tatzwang setzen oder aber „nur“ eine zwanglose „Rechtsbewährungshandlung“ provozieren will, dann muss man bei Initiierung oder Ausnutzung einer eingebildeten Rechtfertigungslage konsequenterweise ebenso verfahren: Ist das Handlungsprogramm des Hintermannes auf die Suggestion einer Zwangslage i.S.d. § 35 gerichtet, so liegt ein Fall der Kategorie genötigtes Werkzeug vor (Bsp.: A spiegelt B vor, der hinter ihm stehende C habe ein Messer gezückt, um unverzüglich zuzustechen, mit der Folge, dass B den C in vermeintlicher Notwehr verletzt); wird dagegen ein genuiner Erlaubnistatbestandsirrtum des Werkzeugs eingeplant, so ist mittelbare Tatbegehung durch ein gerechtfertigt handeln wollen sollendes Werkzeug gegeben (Bsp.: A spiegelt B wahrheitswidrig vor, der mit ausgestrecktem Arm herannahende C wolle sein Hemd zerreißen, woraufhin A die vermeintlich drohende Sachbeschädigung wie von A geplant durch eine Körperverletzung „abwehrt“; tatsächlich wollte C nur per Handschlag grüßen). (e) Initiierung oder Ausnutzung eines Entschuldigungstatbestandsirrtums i.S.d. § 35 II Nach dem bisher Gesagten liegt auf der Hand, dass die Initiierung oder Ausnutzung eines Entschuldigungstatbestandsirrtums i.S.d. § 35 II demselben Programmtypus unterfallen muss wie die Schaffung einer reellen Notstandslage i.S.d. § 35 I 1. Denn auch dann, wenn der Vordermann sich die Zwangssituation i.S.d. § 35 I 1 nur einbilden soll, soll er unter existenziellen Tatzwang gesetzt werden: Für den vom Hintermann eingeplanten Intentionalzustand ist es irrelevant, ob die zum Handeln treiben sollende Zwangslage wirklich besteht oder aber nur imaginiert ist.2198 Demnach ist also auch dann ein Programm der komplexen intentionalen Selbstverwirklichung durch ein genötigtes Werkzeug gegeben, wenn der Hintermann eine Zwangslage i.S.d. § 35 I 1 nur vorspiegelt.2199 Das gilt nach dem zuvor unter (d) Gesagten natürlich auch dann, wenn eine Zwangslage vorgespiegelt wird, deren Einbildung zugleich einen Erlaubnistatbestandsirrtum begründet (wenn also dem Vordermann ein gegenwärtiger rechtswidriger, nur durch Notwehr abwendbarer, Angriff auf Leib, Leben oder Fortbewegungsfreiheit vorgespiegelt wird).2200 Auch hier ist ein Fall der Kategorie genötigtes Werkzeug gegeben.

Vordermannes, weshalb beide Konstellationen auch beteiligungsrechtlich gleich zu behandeln sind. 2198 So zutr. auch bereits Herzberg, Täterschaft, 21 f.; a.A. Roxin, TuT, 208 f., der bei Einplanung eines Entschuldigungstatbestandsirrtums (§ 35 II) „Irrtumsherrschaft“ annehmen will; krit. zu dieser beteiligungsrechtlichen Rubrizierung bereits Herzberg (a.a.O.). 2199 So zutr. schon Herzberg, Täterschaft, 21 f. 2200 s. dazu etwa das Beispiel bei Roxin, TuT, 205 (der hier allerdings von „Irrtumsherrschaft“ durch Einplanung eines Erlaubnistatbestandsirrtums ausgeht).

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(f) Die Rückausnahmefälle des § 35 I 2 Die Einplanung eines zur Gefahrtragung besonders Verpflichteten i.S.d. § 35 I 2 begründet dagegen keine taugliche Fremdbestimmungsstrategie.2201 Es geht hier (vom Ausnahmecharakter des § 35 her gesehen) um Rückausnahmefälle, in denen der eingeplante andere die Verantwortung für sein Tun ausnahmsweise nicht von sich auf die zum Handeln treibenden Umstände abwälzen darf, sondern den unrechtlichen Handlungsimpuls überformen muss, weil er entweder der Verursacher dieser Umstände ist oder aber sonst eine besondere Gefahrtragungspflicht innehat. Demnach befriedet also § 35 I 2 keineswegs bloß einen vom aktuellen Tatzwangerlebnis unabhängigen sozialen Konflikt,2202 sondern er stellt klar, dass die Zuschreibung von Handlungsverantwortung in Notstandssituationen für Sonderpflichtige einem abweichenden (vor)rechtlichen Interpretationsmuster folgt. Danach können Sondergefahrtragungspflichtige nicht als fremdbestimmte Werkzeuge zur Umsetzung der eigenen Unrechtsmaxime instrumentalisiert werden. Allerdings setzt der Hintermann eine Anstiftungshandlung i.S.d. § 26, wenn er den Sondergefahrtragungspflichtigen durch qualifizierte Nötigung zu einer Unrechtshandlung bestimmt. (g) Einplanung mehrerer Menschen als Werkzeuge Möglich ist auch der Einsatz mehrerer Menschen als genötigt handeln sollende Werkzeuge,2203 wie schon am Fall der doppelten Nötigung (A nötigt B, den C mit einem Messer anzugreifen, damit dieser den B in Notwehr verletzt) illustriert werden konnte. Daneben sind aber auch anders gelagerte Konstellationen denkbar: Zwingt etwa der T die Ehefrau des schwer verletzten O durch Vorenthaltung des Telefons dazu, dem O die Unterschrift unter ein gefälschtes Dokument abzuringen, so begeht er eine Urkundenfälschung in mittelbarer Täterschaft (§§ 267, 25 I Alt. 2) durch zwei genötigte Werkzeuge („Nötigungsnotstands-Notstands-Kette“). Denkbar ist auch eine mehrgliedrige „Nötigungsnotstandskette“ dergestalt, dass z. B. der A den B nötigt, seinerseits den C zu nötigen, den D zu töten. (h) Herbeiführung eines übergesetzlichen entschuldigenden Notstands Ein Sonderproblem bildet die Frage, wie die Einplanung eines übergesetzlichen entschuldigenden Notstandes zu rubrizieren ist. Das Paradebeispiel bilden die Sachverhalte, die den sog. Euthanasieprozessen2204 zugrunde lagen. Sofern man für die Anstaltsärzte, die an der rechtswidrigen Tötung einiger geisteskranker Patienten mitwirkten, um alle übrigen vor der Tötung durch die Nationalsozialisten zu retten, einen übergesetzlichen entschuldigenden Notstand annimmt, ist zu fragen, ob die Hintermänner, die die Ärzte in diese Lage brachten, „durch“ sie als genötigte Werkzeuge gehandelt haben. Technisch gesehen dürfte hier eine Zwitterkonstellation 2201 2202 2203 2204

So i.E. übereinstimmend auch Roxin, TuT, 715 f. So aber Randt, Mittelbare Täterschaft, 35 ff. (37). s. auch Schild, in: NK, § 25 Rn. 75. OHGSt 1, 321 – 343; 2, 217 – 135.

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aus Zwang (= genötigtes Werkzeug) und sinnhafter Überdetermination (= gerechtfertigtes Werkzeug) vorliegen: Zwar sieht sieht der einzelne Arzt nicht durch existentiellen Nötigungsdruck zum Handeln getrieben, doch wird er von den Hinterleuten in ein ethisches Dilemma manövriert, dem er nur durch Tötung einiger weniger (scil.: zur Rettung vieler anderer) entrinnen zu können scheint. Die Niederträchtigkeit des von den Hintermännern ersonnenen Programms liegt mithin darin, dass der skrupulöse Arzt seiner Handlung „Rettungscharakter“ zuschreiben soll. Fraglich ist jedoch, ob die Einplanung dieses abweichenden Handlungsgehalts für die Hinterleute ein überlegendes Tatbestandshandlungsprogramm i.S.d. §§ 212, 211 begründet. Das wird man verneinen müssen, denn zwar mag es angehen, den Intentionalzustand des Vordermannes heranzuziehen, um diesen selbst im Wege eines ungeschriebenen Entschuldigungstatbestandes zu entlasten; jedoch verstieße es gegen das Analogieverbot (Art. 103 II GG, 1 StGB), eine mittelbare Täterschaft des Hintermannes auf die Instrumentalisierung dieses ungeschriebenen Entschuldigungsgrundes zu stützen.2205 Im konkreten Fallbeispiel hat die Ablehnung einer mittelbaren Tatbegehung allerdings (von der Etikettierung abgesehen) keinerlei praktische Auswirkungen, da die Hinterleute als Befehlshaber jeweils zur Tötung aller Patienten – und damit auch der konkret getöteten – angestiftet haben.2206 (i) Rechtswidriger Befehl Dieses Problem ist de lege lata durch § 11 II Satz 1 SG geklärt. Danach sind Befehle, durch deren Ausführung eine Straftat begangen würde, unverbindlich und dürfen nicht befolgt werden. Der Ausführende darf also die Verantwortung für sein Handeln von Rechts wegen nicht auf den Befehlshaber abwälzen, sondern muss weiterhin sich selbst als freies Subjekt in seinem Tun repräsentiert sehen. (j) Zusammenfassung Nach alledem liegt ein Programm der „Nötigungsherrschaft“ vor, wenn der Hintermann das Werkzeug durch qualifizierte Nötigung i.S.d. § 35 I 1 unmittelbar zur Deliktsbegehung zwingt (= Nötigungsnotstand), wenn er es in eine Notstandslage i.S.d. § 35 I 1 verbringt (= einfache bzw. doppelte mittelbare Nötigung), oder wenn er einen Entschuldigungstatbestandsirrtum i.S.d. § 35 II einplant. Dabei ist es gleichgültig, ob die tatsächlich geschaffene Zwangslage zugleich eine rechtliche Eingriffserlaubnis begründet bzw. ob die vorgestellte Zwangslage zugleich einen Erlaubnistatbestandsirrtum begründet; der konkret eingeplante Intentionalzustand bleibt jeweils derselbe.

2205

will. 2206

A.A. Roxin (TuT, 153 ff.), der hier mittelbare Täterschaft der Hintermänner annehmen § 26 sieht für die Anstiftung tätergleiche Strafe vor.

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(2) Umsetzung der besagten Handlungsprogramme Die Frage, wann der Hintermann zur Umsetzung seines auf mittelbare Tatbegehung gerichteten Programms unmittelbar ansetzt (§ 22), wird kontrovers diskutiert. Die Antwort hängt im Wesentlichen davon ab, ob man die Tätigkeit des Werkzeugs dem Hintermann wie eine eigene Handlung zurechnet – dann wäre auf das unmittelbare Ansetzen des Werkzeugs abzustellen – oder ob man das äußere Tätigwerden des Werkzeugs dem Hintermann als Erfolg seiner initiierenden BasisHandlung zurechnet – dann kann nur auf dieses eigene Tun des Hintermannes ex ante als Handlungsunrecht rekurriert werden, das man dann freilich immer noch unterschiedlich bestimmen kann. (a) Die Ansichten im Einzelnen Zu fragen ist, welche Sichtweise den allgemeinen normentheoretischen Vorgaben und den daraus folgenden strafgesetzlichen Vorgaben der §§ 25 – 31 entspricht: (aa) Die Gesamtlösung Auf das „unmittelbare Ansetzen“ des Werkzeugs (nach der Tätervorstellung) rekurriert in der Sache die sog. „Gesamtlösung“2207, die das Werkzeughandeln mit dem Initiierungshandeln des Hintermannes zusammennehmen und die so konstruierte (!) Gesamthandlung als oder wie eine tatbestandsmäßige Ausführungshandlung des Hintermannes ansehen will.2208 Dahinter steht der Gedanke, dass der mittelbare Täter, der die Tat „durch“ einen anderen begehen wolle, eben auch „durch“ dessen zurechenbares Verhalten zur Tatbestandsverwirklichung ansetzen müsse.2209 Diese Doktrin geht also von einer konstitutiven Funktion des § 25 I Alt. 2 aus, die eine außerordentliche Handlungszurechnung gestatten soll.2210 Eine solche Sichtweise fasst aber den eigentlichen Tatbestandshandlungsbegriff entgegen dem möglichen Wortsinn des § 25 I Alt. 2 von vornherein zu eng (nämlich als äußerlich-formellen). Zudem übersieht sie auch die Konsequenzen, die die Verwendung einer rechtsfolgentechnischen Chiffre für konstitutive Handlungszurechnung in § 26 („gleich einem Täter“) e contrario für die Interpretation des § 25 I Alt. 2, II nahelegt. Denn nach § 25 I Alt. 2 ist der mittelbare Täter gerade nicht – wie es analog dem Formulierungsmuster des § 26 dann heißen müsste – „gleich einem 2207 Begriff nach Schilling, Verbrechensversuch, 1 passim; der Gesamtlösung gehören an: Küper, JZ 1983, 361 (369 ff.); Krack, ZStW 110 (1998), 611 (628 ff.); Kadel, GA 1983, 299 (307 ff.); Küpper, GA 1986, 437 (446 f.); Renzikowski, in: Maurach/Gössel/Zipf, AT/2, § 48 Rn. 137; Hillenkamp, in: LK, § 22 Rn. 156 ff.; Zaczyk, in: NK, § 22 Rn. 30; nahestehend Herzberg, Roxin-FS (2001), 749 (761 ff.). 2208 Grundlegend dazu Küper, JZ 1983, 361 (369 ff.); Krack, ZStW 110 (1998), 611 (628). 2209 So der Sache nach etwa Küper, JZ 1983, 361 (371); Krack, ZStW 110 (1998), 611 (629); expressis verbis auch Stratenwerth/Kuhlen, § 12 Rn. 105; vgl. auch bereits Hirsch, ZStW 94 (1982), 239 (248). 2210 s. instruktiv dazu Hoyer, in: SK, Vor § 25 Rn. 9 ff.; § 25 Rn. 39 f.

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unmittelbaren Täter“ zu bestrafen, sondern „als“ Täter. Daraus folgt, dass es nur um die Tatbestandshandlung des Hintermannes selbst als originären intentionalen Zurechnungsnexus gehen kann, nicht aber um die Zurechnung fremden Handelns wie eigenes.2211 Mithin kann es schon nach dem Wortlaut der §§ 22, 25 I Alt. 2 ausschließlich auf das Handeln des Hintermannes selbst und seine Vorstellung von seinem eigenen unmittelbaren Ansetzen ankommen. Jedenfalls bleibt die Gesamtlösung eindeutig hinter dem möglichen Wortsinn der gesetzlichen Versuchsregelung zurück. Eine derart restriktive Interpretation ist aber weder systematisch noch nach der ratio legis des § 22 geboten. In gesetzessystematischer Hinsicht drängt sich vielmehr die Parallele zu § 30 auf: Kommt es für die versuchte Anstiftung auf das unmittelbare Ansetzen zum Bestimmen des Haupttäters an, so muss der Versuch einer mittelbaren Tatbegehung konsequenterweise mit dem Ansetzen zum „Bereitmachen“ des menschlichen Werkzeugs beginnen.2212 Dass diese Parallele auch kriminalpolitisch indiziert ist,2213 räumt sogar Küper2214 als dezidierter Vertreter der Gesamtlösung ein. Selbst für ihn „(…) ist schwer einzusehen, dass zwar schon der Anstiftungs,versuch‘, ohne Rücksicht auf den Entwicklungsstand der Haupttat, nach § 30 Abs. 1 StGB die Versuchsstrafe auslösen kann, während der (vorbereitende) ,Verleitungsversuch‘ des mittelbaren Täters, d. h. der ,Versuch‘, einen Tatmittler einzusetzen, straflos bleiben soll“.

Küper2215 meint allerdings, den Wertungswiderspruch durch Hinweis auf den Ausnahmecharakter des § 30 I entschärfen zu können. Diese Argumentation geht allerdings schon deshalb fehl, weil die Vorschrift gerade keine Ausnahme von den allgemeinen Regeln des Versuchsbeginns statuiert, sondern eben „nur“ die Teilnahmetat für versuchsfähig erklärt. Damit legt es aber die gesetzessystematische Auslegung zwingend nahe, den Versuch der mittelbar-täterschaftlichen Tatbestandshandlung parallel zum Anstiftungsversuch mit dem Bereitmachen des präsumtiven Werkzeugs beginnen zu lassen.2216 Es ist dies auch die einzige mit der ratio legis des § 22 harmonierende Auslegung. Denn Sinn und Zweck einer strafrechtlichen Vorschrift haben sich an den allgemeinen Systemvorgaben zu orientieren, die ihrerseits Ausdruck höherrangigen Verfassungsrechts sind. Gemeint sind damit insbesondere das Prinzip der personalen Verantwortung (= Schuldprinzip) sowie das hiermit eng verflochtene Prinzip der 2211

Eingehend zum Ganzen oben, S. 270 ff. So zutr. Puppe, Dahs-FS (2005), 173 (184). 2213 s. auch dazu Puppe, Dahs-FS (2005), 173 (184) – wobei freilich mit der Rede von einem „intensiveren Rechtsgutsangriff“ des mittelbaren Täters (Puppe, a.a.O.) Vorsicht geboten ist: Dass der mittelbare Täter einen eigenen Entscheidungszugriff auf das Rechtsgut vornehmen und insofern also „mehr“ will als der Anstifter, trifft zu; dies bedeutet jedoch keineswegs, dass er auch in psychofaktischer Hinsicht gefährlicher agiert. 2214 In: JZ 1983, 361 (372). 2215 JZ 1983, 361 (372). 2216 So gegen Küper (JZ 1983, 361 [372]) auch Puppe, Dahs-FS (2005), 172 (180, 184). 2212

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Handlungssynchronität: Versuchsbegründend wirkt (im Aktivbereich) allein die handlungsmäßige Übertretung eines individualisierten rechtsgüterschützenden Verletzungsverbots. Diese individuelle Pflichtverletzung liegt aber bei der mittelbaren Täterschaft in der – u. U. erfolgsfernen – Einwirkung auf das Werkzeug, denn das Verletzungsverbot kann unmöglich weitergehend untersagen, als der mittelbare Täter (noch) handlungsfähig ist. Schon aus diesem Grunde ist es unmöglich, für den Versuchsbeginn des mittelbaren Täters auf das „unmittelbare Ansetzen“ des Werkzeugs oder auf die Vorstellung des Hintermannes hiervon abzustellen. Eine solche Zurechnung hinge auch ersichtlich in der Luft, könnte sie doch auf nichts anderes zurückfallen als auf das handlungsmäßige Bereitmachen des Werkzeugs, das aber nach der Gesamtlösung eben noch bloße Vorbereitungshandlung sein soll und deshalb nach dieser Lehre eine Vorsatzzurechnung gerade nicht legitimieren kann.2217 Entgegen Herzberg2218 kann auch nicht der Moment, in dem der Tatmittler die Gefahr zuspitzt oder nach der Tätervorstellung zuspitzen soll, als Erfolgsunrecht eines mit der Werkzeugaussendung tatbestandlich begonnenen „Versuchsdelikts“ ausgegeben werden. Denn danach läge im tätereigenen Handeln erst ein Versuch der Versuchstat, der aber kein handlungsmäßiger Tatversuch i.S.d. § 22 ist, auch dann nicht, wenn der Täter die spätere Gefahrenzuspitzung durch das Werkzeug als „Versuchserfolg“ bereits klar vor Augen hat (= unbeachtlicher dolus antecedens)!2219 Ebenso wenig ist es möglich, aus der indolosen „Zuspitzungshandlung“2220 des Werkzeugs und dem „überlegenen Wissen“2221 des Hintermannes von der tatsächlichen Gefahrenzuspitzung ein mittelbar-täterschaftliches Handlungsunrecht zu konstruieren,2222 denn der Hintermann handelt im Zuspitzungsmoment gerade nicht mehr!2223 Zudem liefe der (zusätzliche oder alleinige) Rekurs auf die Vorstellung des Hintermannes vom Ansetzen des Werkzeugs in vielen Fällen auf eine bloße Fiktion contra reum hinaus oder führte jedenfalls zu beliebigen Ergebnissen, da der Hintermann sich oft keine oder aber falsche Gedanken über den Zeitpunkt macht, in dem das Werkzeug handeln wird.2224 Der vereinzelt gebliebene Vorschlag Küpers2225, den Versuchsbeginn des mittelbaren Täters jedenfalls beim Einsatz eines dolosen Tatmittlers von dessen Vorstellung über sein unmittelbares Ansetzen abhängig zu

2217 2218 2219 2220 2221 2222 2223 2224

[370]). 2225

So zutr. Puppe, Dahs-FS (2005), 173 (176, 179 f., 185, 187). In: Roxin-FS (2001), 749 (761 ff. [770 – 772]). Kritisch zur Lehre Herzbergs auch Puppe, Dahs-FS (2005), 173 (178, 182 f.). Herzberg, Roxin-FS (2001), 749 (768). Küper, JZ 1983, 361 (370). So aber etwa Küper, JZ 1983, 361 (370). So zutr. Puppe, Dahs-FS (2005), 173 (182 f.). s. dazu etwa Roxin, AT/II, § 29 Rn. 248, 251; das sieht auch Küper (in: JZ 1983, 361 In: JZ 1983, 361 (370 f.)

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machen, denaturiert den sachlogischen Kern mittelbarer Tatbegehung dagegen noch deutlicher und läuft auf eine Umdeutung des § 22 hinaus.2226 Nach alledem bleibt es beim zutreffenden Diktum Puppes2227, wonach einzig das tätereigene Handeln, das im Bereitmachen des Werkzeugs liegt, alle Systemkategorien der Straftat koinzident erfüllt. (bb) Die Einzellösung Als im Ansatz zutreffend erweist sich folglich die sog. Einzellösung2228. Deren Anhänger bestimmen den Versuchsbeginn bei mittelbarer Tatbegehung nach der Vorstellung des Hintermannes von seinem eigenen Handeln, wobei allerdings innerhalb dieser Theorie umstritten ist, auf welches Handeln bzw. welchen Handlungszeitpunkt genau abzuheben ist: (a) Die strenge Einzellösung oder Einwirkungstheorie Nach der strengsten Variante der Einzellösung, der sog. Einwirkungstheorie2229, soll der (unbeendete) Versuch schon mit der Einwirkung auf das Werkzeug, d. h. mit dem Ansetzen zur Drohung, Täuschung oder Überredung2230 beginnen. Prima vista scheinen die Verfechter eines derart frühen Versuchsbeginns den Wortlaut des § 22 sowie die sachliche Parallele zur versuchten Anstiftung für ihre Sichtweise reklamieren zu können. Dennoch bietet die Radikalität der These natürlich Anlass zur Kritik, die allerdings – und darin liegt das Gebrechen der üblichen Repliken – meist einseitig kriminalpolitisch gespeist ist. Sicher mutet es dem Judiz befremdlich an, wenn etwa ein Tötungsversuch durch Einsatz eines irrenden Werkzeugs bereits mit Äußerung der ersten an den Vordermann gerichteten Worte gegeben sein soll. Insbesondere schwebt hier das Damoklesschwert eines endgültigen Fehlschlags bei Einwirkungsbeginn über dem Geschehen, die Gefahr also, dass der als Werkzeug eingeplante andere das Vorhaben des Hintermannes von vornherein durchschaut und zurückweist. 2226 So in der Sache auch Roxin, AT/II, § 29 Rn. 249; wenn Küper (JZ 1983, 361 [370 f.]) meint, die in § 22 vorgesehene Subjektivierung („nach seiner Vorstellung von der Tat […] unmittelbar ansetzt“) habe lediglich die Funktion, überhaupt auf das Erfordernis eines „Tatentschlusses“ hinzuweisen, nicht aber den Begriff des unmittelbaren Ansetzens zu konkretisieren, sprengt dies die Grenzen der objektiven Gesetzesauslegung! 2227 Puppe, Küper-FS (2007), 443 (453). 2228 Begriff nach Schilling, Verbrechensversuch, 1 passim; der Einzellösung gehören etwa an: Bockelmann, JZ 1954, 468 (473); Baumann, JuS 1963, 85 (92 f.); Schilling, Verbrechensversuch, 100 ff., 112 f.; Puppe, Dahs-FS (2005), 173 ff.; Baumann/Weber/Mitsch, AT11, § 29 Rn. 155; Jescheck/Weigend, AT, § 62 IV 1 (S. 672 f.); Jakobs, AT, 21/105; Roxin, Maurach-FS (1972), 213 (227 ff.); ders., AT/II, § 29 Rn. 230, 244 ff.; Böse, JA 1999, 342 (344); Fischer, § 22 Rn. 26 ff. 2229 Zu den Namensgebern der verschiedenen Theorien s. nur Roxin, AT/II, § 29 Rn. 229 Fn. 239, Rn. 230 Fn. 242; der Einwirkungstheorie gehören etwa an: Baumann, JuS 1963, 85 (92 f.); Puppe, Dahs-FS (2005), 173 ff.; Baumann/Weber/Mitsch, AT11, § 29 Rn. 155. 2230 So expressis verbis Puppe, Dahs-FS (2005), 173 (186, 188).

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Dieser zugegebenermaßen gewichtige Einwand bleibt aber eben „nur“ ein kriminalpolitischer, solange er nicht – zumindest partiell – mit dem Wortlaut des § 22 in Einklang gebracht werden kann. Eine solche Konkordanz lässt sich aber durchaus herstellen, wenn man in jedem Einzelfall fragt, ob der Hintermann nach seiner Vorstellung von der Tat wirklich schon zu einem komplexen intentionalen Rechtsgutszugriff angesetzt hat. Dies sei hier kurz an einem gängigen Schulbeispiel nebst Abwandlung demonstriert, wobei der Grundfall folgender sei: A reicht dem kurzsichtigen B ein Gewehr und fordert ihn auf, auf einen vermeintlichen Baumstumpf in 50 Metern Entfernung zu schießen; besagter Baumstumpf ist realiter ein Mensch, nämlich der C, den der A tot sehen will; B erkennt trotz seiner Kurzsichtigkeit sofort, dass es sich um einen Menschen handelt und weist das Gewehr zurück. – Hier ist dem Wortlaut des § 22 entsprechend anzunehmen, dass A durch das Hinhalten des Gewehrs verbunden mit der Aufforderung, auf den Baumstumpf zu feuern, unmittelbar zur Begehung einer komplexen intentionalen Tötungshandlung angesetzt hat (§§ 212, 25 I Alt. 2, 22). Anders liegt es dagegen, wenn man das Beispiel wie folgt abwandelt: A fragt den B, ob er „den Baumstumpf dort“ sehe, um im Falle einer bejahenden Antwort das Gewehr zu übergeben und zum Schuss aufzufordern. B erkennt wieder sofort, dass es sich um einen Menschen handelt und teilt dies dem A mit. – Hier ist noch eine straflose Vorbereitungshandlung gegeben, da A zunächst „vorfühlen“ will, ob der B seinem Täuschungsmanöver wirklich aufsitzen wird. A geht also gerade noch nicht davon aus, bereits die Grenze zum „Jetzt-geht-es-los“ überschritten zu haben. Entsprechendes gilt etwa für den Fall, dass jemand auszuloten versucht, ob er einem anderen einen Verbotsirrtum einreden kann. Demnach muss der Wortlaut des § 22 im Falle der mittelbaren Täterschaft an deren komplexere sozio-kybernetische Struktur adaptiert werden – womit die Frage aufgeworfen ist, anhand welcher „Formel“ dies zu geschehen hat. (b) Die modifizierte Einzellösung Versteht man die in § 25 I geregelten Handlungsgestalten strukturell aufgebrochen i.S.e. Werkzeugverwendung und erblickt man das täterschaftliche Handlungsunrecht ex ante konsequent in der Freisetzung der Werkzeugkräfte, so scheint sich die Demarkationslinie des Versuchsbeginns auch bei der mittelbaren Täterschaft auf geradezu „natürliche“ Weise von selbst zu ergeben: Auch hier, so die Folgerung, kann doch der Versuch frühestens mit dem „Losschicken“ des Tatmittlers als der Entfesselung der menschlichen Werkzeugkräfte beginnen. Dieses Bild (!) vom „Losschicken“ des Werkzeugs, wie es der von Roxin2231 entwickelten „modifizierten Einzellösung“2232 zugrunde liegt, passt auch ohne Schwierigkeiten für diejenigen

2231

In: Maurach-FS (1972), 213 (227 ff.). s. zu diesem innerhalb des Einzellösungslagers vorherrschenden Ansatz statt vieler nur Roxin, AT/II, § 29 Rn. 230, mit zahlreichen Nachweisen aus der Literatur in Fn. 244 (zum Begriff s. Küper, Versuchsbeginn, 66, allerdings im Zuschnitt auf den Versuchsbeginn bei der Mittäterschaft). 2232

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Konstellationen, in denen die letzte Handlung des Hintermannes mit der bewussten „Aussendung“ des Tatmittlers zusammenfällt. Doch bei aller Praxisnähe darf nicht übersehen werden, dass es sich bei Metaphern wie „Losschicken“ oder „Aussenden“ um Sprachverführungen handelt, die suggerieren, dass das In-Lauf-Setzen des menschlichen Werkzeugs stets noch ein verbotszugänglicher Akt sei. So liegt es aber eben nicht immer, wie der – durchaus alltägliche2233 – Fall des unbewussten Verlusts einer zunächst fortbestehenden Revokationsmöglichkeit ostentativ belegt. Dazu nochmals2234 folgendes Beispiel: Vater V fordert seinen zwölfjährigen Sohn S des Morgens auf, ihm im Laufe des Tages unentgeltlich ein paar Flaschen Bier zu „besorgen“. Als S Stunden später das Haus verlässt, denkt der vor dem Fernseher sitzende V gar nicht mehr an seine Aufforderung. Abends kehrt S mit dem gestohlenen Bier zurück. – Hier kann nicht ernsthaft die Rede davon sein, der V habe den S losgeschickt oder entsandt; auch der in diesen Sprachbildern stets mitschwingende Aspekt der „Entlassung des Geschehens aus dem Herrschaftsbereich“2235 passt hier nicht. Denn auch diese Formulierung bleibt bildlich-abstrakt, suggeriert sie doch, dass der Hintermann gleichsam seine zupackende Hand öffne und das menschliche Werkzeug loslasse, es wie ein Tier von der Leine lasse. Auch diese Metapher ist aber nicht tragfähig, wie der Beispielfall eindeutig belegt, denn mit der an S gerichteten Aufforderung war die Angelegenheit für den V in die Wege geleitet, ohne dass er den S bzw. das Geschehen bereits unmittelbar aus seinem Einflussbereich entlassen wollte. Nun versucht Roxin2236 die modifizierte Einzellösung in solchen Konstellationen mit der Erwägung zu retten, die letzte Täterhandlung beginne hier ausnahmsweise erst dann, wenn der Tatmittler den Kausalverlauf „übernehme“. Doch diese Sichtweise ist problematisch. Denn in dem Augenblick, in dem das Werkzeug den Kausalverlauf „übernimmt“, handelt der Hintermann gerade nicht mehr (§ 22!), und selbst eine in diesem Moment bestehende Vorstellung von der Verlaufsübernahme durch das Werkzeug wäre als dolus subsequens unbeachtlich! Dieses durchgreifende Bedenken kann auch nicht mit dem Argument Herzbergs entschärft werden, ein solcher gleichsam aufschiebend bedingter Versuchsbeginn gehe doch jedenfalls in bonam partem.2237 Darin liegt eine petitio principii, denn einen aufschiebend bedingten Versuchsbeginn kennt die lex lata nicht! Im Beispiel müsste also entweder auf das Handeln des V abgestellt werden – das nach der modifizierten Einzellösung als bloße Vorbereitungshandlung straflos bleiben müsste – oder aber auf das spätere Unterlassen der Revokation – das mangels Vorsatz keinen Unterlassungsversuch begründen könnte. Damit ginge aber die Annahme eines aufschiebend bedingten Begehungsversuchs allemal in malam partem! 2233 2234 2235 2236 2237

So tendenziell jedenfalls Herzberg, JuS 1985, 1 (8 f.); a.A. Roxin, AT/II, § 29 Rn. 230. s. eingehend zum Ganzen bereits oben, S. 288 ff. s. statt vieler nur Roxin, AT/II, § 29 Rn. 230, 244. AT/II, § 29 Rn. 230. JuS 1985, 1 (9).

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Zusammenfassend bleibt somit festzuhalten: Der praktisch durchaus relevante Fall des unbewussten Verlusts einer innerhalb des eigenen Herrschaftsbereichs fortbestehenden Revokationsmöglichkeit muss die modifizierte Einzellösung ad absurdum führen.2238 Davon abgesehen hatte schon die Analyse des Versuchsbeginns bei unmittelbarer Tatbegehung gezeigt, dass auch dort Konstellationen zu finden sind, in denen nicht die eigentliche Entfesselung der Werkzeugkräfte, sondern bereits die Aktivierung des Tatmittels den Versuchsbeginn markiert. Gemeint sind die Konstellationen des Fallenstellens, wo das Bereitstellen etwa der Gift- oder Sprengfalle über den Versuchsbeginn entscheidet, weil die Mentalreservation des Täters, die Falle möglicherweise wieder zu entschärfen, als bloßer Rücktrittsvorbehalt zu qualifizieren ist.2239 Dies reflektierend liegt es systematisch ohnehin nahe, den Moment der subjektiven Werkzeugaktivierung auch für den Versuchsbeginn in Fällen der mittelbaren Täterschaft mit Revokationsmöglichkeit maßgebend sein zu lassen. Dementsprechend wäre dem Hintermann im Falle einer gesetzlich vorgesehenen Versuchsstrafbarkeit diejenige Handlung bei Strafe verboten, durch die er das präsumtive Werkzeug unmittelbar handlungsbereit zu machen trachtet.2240 Nun kann freilich unter einer solchen subjektiven „Aktivierungshandlung“ immer noch Verschiedenes verstanden werden, weshalb der näheren Erläuterung bedarf, wie sie inhaltlich zu fassen ist. (c) Die hier sog. strukturangepasste Einzellösung Der Hintermann kann nur solange gegen eine Unterlassungspflicht verstoßen, wie ihm intentionales Verletzungshandeln in eigener Person möglich und also durch pflichtgemäßes Unterlassen vermeidbar ist. Daher muss der Versuchsbeginn des mittelbaren Täters spätestens im subjektiven Abschluss der Einwirkung auf das präsumtive Werkzeug liegen. Bei der Frage, wann genau dies der Fall ist, ist die soziokybernetische Eigenart der Instrumentalisierung anderer Menschen zu berücksichtigen: Insbesondere das im Rahmen der „Irrtumsherrschaft“ anzutreffende Phänomen des „Vorfühlens“ oder „Antestens“, ob ein anderer Mensch instrumentalisierbar ist, findet bei der Einplanung von Naturkausalität keine Entsprechung. Daher ist dieser Besonderheit allein sub specie § 25 I Alt. 2 Rechnung zu tragen: Das bloße Vorfühlen, ob ein anderer sich als instrumentalisierbar erweist, ist per se noch eine Vorbereitungshandlung. Versucht also jemand zunächst bloß auszuloten, ob er einen anderen durch Vorspiegelung falscher Tatsachen erfolgreich instrumentalisieren kann, so liegt darin noch kein unmittelbares Ansetzen zu einer mittelbaren Tatbe2238 s. instruktiv dazu auch bereits Herzberg, JuS 1985, 1 (7 ff.); ausführlich zum Ganzen unter Einbeziehung der Auffassung von Jakobs, der in derartigen Fällen auf die Rechtsfigur der a.l.i.c. ausweichen will, oben, S. 288 ff. 2239 s. dazu oben, S. 385 ff. 2240 So die pointierte Umschreibung bei Puppe, Dahs-FS (2005), 173 (187), die aber hier bereits beendeten Versuch annehmen will, da sie den Versuch als solchen schon mit dem Ansetzen zur Einwirkung auf das Werkzeug (= unbeendeter Versuch) beginnen lässt (a.a.O., 188).

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gehung. Ist dagegen der Hintermann so „unvorsichtig“, das präsumtive menschliche Werkzeug von vornherein ohne Umschweife zum Handeln aufzufordern, so will er es auch schon zu diesem Zeitpunkt unmittelbar handlungsbereit machen, mag seine „Verleitungsstrategie“ auch noch so plump und töricht sein; hier liegt demnach ein Versuch mittelbarer Tatbegehung vor. Bereits vorab begegnet sei dem erwartbaren Einwand, diese Sichtweise privilegiere besonders listig vorgehende und benachteilige eher plump agierende Täter: Das Strafrecht kann keine Rücksicht auf den einfältigen Täter nehmen, denn die Verhaltensnormen dienen nicht der Bewahrung des Normadressaten vor seiner eigenen Torheit, sondern dem Schutz von Rechtsgütern, zu deren Verletzung sich aber eben der Einfältige bereits tatmächtig entschlossen hat! Wer besonders unter mangelnder Einfühlung bzw. sozialem Intellekt zu leiden hat, dem kann das jedenfalls nicht zum Vorteil gereichen. In Formel lässt sich also sagen: Der unbeendete Versuch des mittelbaren Täters beginnt (erst) in dem Moment, da er nach seiner Vorstellung dazu ansetzt, das Werkzeug unmittelbar handlungsbereit zu machen,2241 d. h. mit dem unmittelbaren Ansetzen zum Abschluss der eigenen Einwirkung auf das Werkzeug.2242 Beendeter Versuch ist dann mit der tatsächlichen Finalisierung des aus Sicht des Hintermannes letzten Einwirkungsaktes gegeben.2243 (cc) Die allgemeine Theorie Diese hier vertretene Auffassung deckt sich im Ansatz mit der sog. allgemeinen Theorie2244, die den Versuchsbeginn auch bei mittelbarer Tatbegehung nach den allgemeinen Regeln bestimmen will. Zu fragen ist freilich, welches diese Regeln sind und wie sie für die mittelbare Täterschaft zu konkretisieren sind.2245 Klar ist zwar, dass das Unmittelbarkeitserfordernis des § 22 ausschlaggebend für die Bestimmung des Versuchsbeginns sein muss. Dieses Merkmal wird aber – und darin liegt die Krux – ganz unterschiedlich interpretiert: Versteht man die in § 22 verwendete Umschreibung „unmittelbar“ als adverbiale Bestimmung des subjektiven Tätigkeitsmerkmals „ansetzt“, so wird man die „allgemeinen Grundsätze des Versuchsbeginns“ eher für die Einzellösung reklamieren;2246 geht man hingegen davon aus, dass 2241 s. dazu nochmals Puppe, Dahs-FS (2005), 173 (187), die hier aber wie gesagt bereits beendeten Versuch annehmen will (a.a.O., 188). 2242 So zutr. Jakobs, AT 21/105; auch der BGH stellt in seinem letzten einschlägigen Judikat (BGH NStZ 1986, 547) darauf ab, „(…) ob der mittelbare Täter die nach seiner Vorstellung erforderliche Einwirkung abgeschlossen hat“. 2243 Treffend herausgearbeitet bei Jakobs, AT, 21/105; ebenso bereits Schilling, Verbrechensversuch, 101. 2244 s. etwa BGHSt 4, 270 (273); Gössel, JR 1976, 249 (250); Otto, JA 1980, 641 (645 f.); ders., AT, § 21 Rn. 127; Eser/Bosch, in: Schönke/Schröder, § 22 Rn. 54a; Hillenkamp, in: LK, § 22 Rn. 157 f. 2245 s. zum Problem Roxin, AT/II, § 29 Rn. 232 f. 2246 So etwa Böse, JA 1999, 342 (344); Puppe, AT, § 20 Rn. 31; dies., Dahs-FS (2005), 173 (178, 187).

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§ 22 einen unmittelbaren raumzeitlichen Zusammenhang zwischen Versuchshandeln und Tatbestandsverwirklichung verlangt, so wird man die „allgemeinen Grundsätze des Versuchs“ eher für die Gesamtlösung reklamieren.2247 Demnach kommt der „allgemeinen Theorie“ als selbständigem Ansatz kein materialer Eigengehalt zu. Dennoch zwingt diese Doktrin aber zu der Einsicht, dass der Versuchsbeginn beim Einsatz zeitverzögert wirkender menschlicher Werkzeuge (= mittelbare Täterschaft) nicht anders bestimmt werden kann als beim Einsatz zeitverzögert wirkender Naturwerkzeuge (= unmittelbare Täterschaft).2248 Daher wird hier auch ausdrücklich die Parallele zum unmittelbar-täterschaftlichen Versuchsbeginn bei sog. Distanzdelikten gezogen, für den es ebenfalls schon auf die Werkzeugaktivierung ex ante ankommt.2249 Nach alledem darf sich also (auch) die vorliegend unter (c) angebotene Lösung als Konkretion der allgemeinen Versuchsdogmatik verstehen. (dd) Die Differenzierungstheorie Von vornherein abzulehnen ist dagegen die sog. Differenzierungstheorie2250, wonach bei Einplanung eines gutgläubigen Tatmittlers schon das Einwirken auf diesen Versuch begründen soll, während bei Einplanung eines dolosen Tatmittlers erst dessen Ansetzen zur Tatbegehung maßgeblich sein soll. Dieser Ansatz beruht auf der irrigen Prämisse, dass die Einplanung eines nichtdolosen Werkzeugs mit größerer Sicherheit zum Erfolg führe als die Einplanung eines dolosen Tatmittlers. Das ist aus zwei Gründen unzutreffend: Erstens hängt die Erfolgssicherheit einer komplexen Einwirkung nicht von der Gut- oder Bösgläubigkeit des als Werkzeug eingeplanten anderen ab, sondern von den sozialen Realitäten, mit denen geplant wird;2251 es existieren sogar durchaus Fälle, in denen die Einplanung eines frei delinquierenden Haupttäters von vornherein weit erfolgssicherer ist als die Einplanung 2247 s. dazu etwa Hillenkamp, in: LK, § 22 Rn. 157 ff.; Otto, AT, § 21 Rn. 127 f.; diff. Eser/ Bosch, in: Schönke/Schröder, § 22 Rn. 54a. 2248 So zutr. etwa Herzberg, JuS 1985, 1 (3 f.); zust. Krack, ZStW 110 (1998), 611 (632). 2249 s. zu den Fallensteller-Konstellationen bereits die obigen Darlegungen (S. 385 ff.); ein solcher Fall lag schon dem Judikat RGSt 66, 141 zugrunde: Der Täter hatte eine „Brandstiftungsanlage“ in ein Wohnhaus eingebaut und dieses dann in dem Bewusstsein verlassen, „daß während seiner Abwesenheit zu Hause ,irgend jemand‘ den Strom einschalten, und daß dadurch das Haus in Brand geraten könne“ (RGSt 66, 141 [141]). Das RG sah hier schon in der Anbringung der Brandstiftungsanlage einen beendeten Versuch (RG, a.a.O., 142), was uneingeschränkten Beifall verdient: Die Anbringung der Anlage begründete bereits eine taugliche Verletzungsstrategie, in die derjenige, der den Strom einschalten würde, gleich einem mechanischen Auslöser eingeplant war (RG, a.a.O.). Anders läge es dagegen in dem von Herzberg (JuS 1985, 1 [4]) gebildeten Gegenbeispiel, in dem der Hintermann ein Kind damit beauftragt, zu gegebener Zeit den Fernzünder einer irgendwo eingebauten Höllenmaschine einzubauen: Hier soll das Handeln des unbedarften Kindes als Werkzeug zur Ingangsetzung der Höllenmaschine überformt werden, weshalb ein Fall (auch) der mittelbaren Tatbegehung vorliegt. 2250 s. etwa Blei, AT, § 72 II 4 (S. 261 f.); Welzel, Strafrecht, § 24 III 5 (S. 191). 2251 Schild, in: NK, § 25 Rn. 30.

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eines indolosen Werkzeugs (etwa bei Einplanung eines „Bravo“).2252 Und zweitens ist prognostische Erfolgssicherheit generell nicht obligatorische Prämisse täterschaftlichen Handlungsunrechts, wie der Fall des eigenhändigen Einsatzes eines unkontrolliert wirkenden Naturwerkzeugs ostentativ belegt (z. B. Freilassen eines wilden Tieres oder Loswälzen eines unberechenbar springenden Steines von einem Abhang).2253 Demnach kann es für alle Programmtypen einer Tatbestandshandlung – die einfachen wie die komplexen – gleichermaßen nur um die Frage gehen, ob das vom Täter betätigte Programm ex ante eine prinzipiell taugliche Strategie der Erfolgsherbeiführung begründet.2254 (ee) Die Rechtsprechung Die Rechtsprechung2255 verfährt in der Sache uneinheitlich: Vom dogmatischen Ansatz her kann die dort praktizierte Abgrenzung zwar für die allgemeine Theorie (cc) reklamiert werden, da eine Anwendung spezifischer Sonderregeln für die mittelbare Täterschaft in der Judikatur nie erwogen wurde.2256 Doch geht mit dieser Rubrizierung keine inhaltliche Verbindlichkeit einher, da auch hier den allgemeinen Abgrenzungskriterien die unterschiedlichsten Ergebnisse subsumiert wurden. Ließ die Rechtsprechung des RG der Sache nach noch eine Affinität zur Einzellösung erkennen,2257 so rückte der BGH zunächst diametral umgekehrt den Gedanken der unmittelbaren Opfer- bzw. Gutsgefährdung ins Zentrum. Begründet wurde diese eher objektiv gefärbte Linie im Judikat BGHSt 3, 110: Eine Frau hatte gegen ihren Mann Anfang 1945 durch Anzeige und Beeidigung seiner regimekritischen Äußerungen ein Todesurteil erwirkt, das dann aber doch nicht mehr vollstreckt worden war. Hier sah der BGH2258 den Anfang der Ausführung der geplanten rechtswidrigen Tötung (erst) in der Verkündung des Todesurteils, da die Vollstreckung der Verkündung „regelmäßig auf dem Fuße“ folge. Damit wurde in der Sache nicht auf subjektive Handlungsunmittelbarkeit abgestellt, sondern auf den späteren Eintritt einer unmittelbaren Rechtsgutsgefährdung.2259 Bestätigt wurde dieser anfängliche Kurs noch durch das Judikat BGHSt 4, 270, wonach die Beeinflussung eines gutgläubigen 2252 2253

Rn. 30. 2254

Herzberg, in: Verantwortung, 33 (42). Herzberg, in: Verantwortung, 33 (41); ders., JuS 1985, 1 (4); Schild, in: NK, § 25

So zutr. Schild, in: NK, § 25 Rn. 30. RGSt 53, 11; 53, 45; 77, 172; BGHSt 3, 110; 4, 270; 30, 363; NStZ 1986, 647; im Folgenden soll es nur darum gehen, die – wenn man denn so will – tendenzielle Entwicklung der BGH-Rechtsprechung hin zur Einzellösung aufzuzeigen. Eine Aufschlüsselung der einzelnen Judikate nach Sachverhalt und Beurteilung findet sich bei Roxin, AT/II, § 29 Rn. 234 ff. (diejenigen von Roxin besprochenen Reichsgerichtsurteile, die in der hiesigen Entscheidungsaufzählung fehlen [RGSt 59, 1; 66, 141], betrafen nach hiesiger Auffassung Konstellationen der unmittelbaren Täterschaft [d. h. Distanzdelikte]; s. dazu nochmals oben, S. 385 ff.). 2256 Roxin, AT/II, § 29 Rn. 234. 2257 Roxin, AT/II, § 29 Rn. 235 ff. m. Rn. 234 a.E. 2258 BGHSt 3, 110 (129). 2259 s. auch Roxin, AT/II, § 29 Rn. 239. 2255

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Tatmittlers nur dann einen mittelbar-täterschaftlichen Versuch begründen sollte, wenn im Einzelfall bereits eine unmittelbare Gefährdung des Rechtsguts vorliege.2260 Von dieser einzelfallorientierten Linie ist die neuere Rechtsprechung des BGH in der Sache deutlich abgewichen: So macht BGHSt 30, 363 das unmittelbare Ansetzen zur mittelbaren Tatbegehung ersichtlich nicht mehr von der Feststellung einer unmittelbaren Rechtsgutsgefährdung im Einzelfall abhängig, sondern definiert gerade umgekehrt die Rechtsgutsgefährdung generell-abstrakt vom unmittelbaren Ansetzen her. Das Urteil betraf den Sachverhalt, dass ein Hintermann seinen Nebenbuhler zu beseitigen (Fall 1) bzw. schwer zu verletzen (Fall 2) versucht hatte, indem er jeweils einen nach seiner Vorstellung ahnungslosen Dritten mit einer vermeintlich harmlosen, realiter aber hochtoxischen Substanz auf den Weg gebracht hatte, um sie dem Opfer zu verabreichen (Fall 1: Salzsäure) bzw. das Opfer damit zu bespritzen (Fall 2: hochgiftige Merck-Flusssäure). Im ersten Fall hatte der als Werkzeug eingeplante Dritte die Toxizität des Mittels auf dem Weg zum Opfer erkannt, im zweiten hatte er den Plan von vornherein durchschaut, war aber zum Schein darauf eingegangen. Der BGH bejahte für beide Fälle einen Versuch in mittelbarer Täterschaft, hob aber nicht mehr zentral auf den Aspekt einer unmittelbaren Rechtsgutsgefährdung im Einzelfall ab; vielmehr wurde jetzt „nur noch“ ein unmittelbarer (scil.: subjektiver) Angriff auf die Rechtsgüter des Opfers verlangt.2261 Deutlich wird die terminologische Schwerpunktverlagerung weg von der (objektiven) Unmittelbarkeit der Rechtsgutsgefährdung hin zur (subjektiven) Unmittelbarkeit des Angriffs, die ohne Einzelfallerwägungen zur Frage der Rechtsgutsgefährdung abstrakt-generell bestimmt wird: „In mittelbarer Täterschaft versucht eine Straftat derjenige, der nach seiner Vorstellung die erforderliche Einwirkung auf den Tatmittler abgeschlossen hat, so daß nach dem Tatplan dieser im unmittelbaren Anschluß die Tat ausführen soll und das geschützte Rechtsgut damit bereits in diesem Zeitpunkt gefährdet ist (…). Denn wer die Tat durch einen anderen begehen will (§ 25 I Alt. 2 StGB), setzt zur Verwirklichung des Tatbestandes der geplanten Straftat unmittelbar an (§ 22 StGB), wenn er den Tatmittler zur Tatausführung bestimmt hat und ihn aus seinem Einwirkungsbereich in der Vorstellung entläßt, daß er die tatbestandsmäßige Handlung nunmehr vornehmen werde (…).“2262

Durch diesen Rekurs auf die Tätervorstellung vom unmittelbaren Rechtsgutsangriff wurde der Konnex zwischen §§ 22 und 25 I Alt. 2 erstmals akzentuiert hergestellt und auch ernst genommen. Allerdings wurde das Kriterium des Abschlusses der eigenen Einwirkung kurzerhand durch die „Entlassungsformel“ ausgefüllt, was vor die oben unter (b) genannten Probleme stellen muss. Den finalen Schritt zu einer wortlautgetreuen Anwendung des § 22 auf die Fälle der mittelbaren Tatbegehung tat der BGH dann allerdings in seinem letzten einschlägigen Judikat2263. 2260 2261 2262 2263

BGHSt 4, 270 (273 f.). BGHSt 30, 363 (366). BGHSt 30, 363 (365). BGH NStZ 1986, 547.

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Dieses betraf einen Fall des genötigten Werkzeugs: Der Angeklagte hatte versucht, den Fahrer eines Wagens mit vorgehaltener Pistole dazu zu bringen, loszufahren und einen Polizisten zu überrollen, der vor dem Auto auf dem Boden Deckung gesucht hatte. Der Fahrer startete zwar den Motor, verzögerte aber das Losfahren solange, bis sich der Polizist in Sicherheit gebracht hatte. – Hier stellte sich nun für den erkennenden Senat das Problem, dass an die im Judikat BGHSt 30, 363 herangezogene Entlassungsformel nicht wirklich angeknüpft werden konnte. Damit zwang der Sachverhalt den BGH zu der Einsicht, dass die Entlassung des Tatmittlers aus dem eigenen Einwirkungsbereich nur ein Anwendungsfall der subjektiv letzten (aktiven!) Einwirkung auf das Werkzeug ist.2264 Mithin musste die Entlassungsformel auf ihren materiellen Kern zurückgeführt werden. Eben das geschah denn auch, indem der Senat konstatierte: „Entscheidend ist, ob der mittelbare Täter die nach seiner Vorstellung erforderliche Einwirkung abgeschlossen hat.“2265 Festzuhalten bleibt, dass dieses letzte Judikat kein Zufallsprodukt ist, sondern „nur“ das Ergebnis einer strengen Subsumtion unter die §§ 22, 25 I Alt. 2: Nimmt man den Wortlaut dieser Vorschriften und das Prinzip der personalen Verantwortung (= Schuldprinzip) ernst, so kann der Versuch (auch) des mittelbaren Täters nur zu demjenigen Zeitpunkt beginnen, in dem er nach seiner Vorstellung zur endgültigen Aktivierung des menschlichen Werkzeugs ansetzt. (b) Anwendung der strukturangepassten Einzellösung auf die einzelnen Programme des genötigten Werkzeugs Mithin dürfte eine „strukturadaptierte Einzellösung“ am ehesten mit der lex lata in Einklang stehen. Danach beginnt der Versuch einer mittelbaren Tatbegehung mit dem unmittelbaren Ansetzen zur abschließenden Einwirkung auf das Werkzeug. Für die einzelnen Programmtypen der Einplanung eines genötigten Werkzeugs bedeutet das konkret: Will der Hintermann das präsumtive Werkzeug unmittelbar zum Handeln nötigen, so liegt das versuchsbegründende Umsetzen dieses Programms im Ansetzen zum Nötigungshandeln.2266 Will der Hintermann einen anderen in eine Notstandssituation nach § 35 I 1 verbringen, so liegt das Umsetzen des entsprechenden Programms im unmittelbaren Ansetzen zur Erzeugung der Notstandslage (etwa im Ansetzen zum Verschließen eines Raumes, aus dem der Eingeschlossene 2264 Denn es handelte sich um eine Konstellation, in der das Geschehen mit der letzten Einwirkung auf den Tatmittler eben nicht aus der Hand gegeben, sondern gerade umgekehrt erst unter die eigene Kontrolle gebracht werden sollte! Die gegenteilige Annahme des BGH (NStZ 1986, 547 [547]), der Hintermann habe das Geschehen mit Drohung und Aufforderung des Tatmittlers aus der Hand gegeben, überzeugt in der Sache nicht; a.A. freilich Roxin, AT/II, § 29 Rn. 243, der diese Wendung als „durchaus richtige Interpretation der modifizierten Einzellösung“ (a.a.O.) verbucht; wieder a.A. Hillenkamp (in: LK, § 22 Rn. 164 m. Fn. 351), der meint, das Judikat lasse sich überhaupt nicht für die Einzellösung reklamieren, da allein die vom Täter angenommene Erfolgsautomatik ausschlaggebend für die frühe Ansetzung des Versuchsbeginns gewesen sei. 2265 BGH NStZ 1986, 547 (547). 2266 BGH NStZ 1986, 547 (547); Schild, in: NK, § 25 Rn. 87.

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sich nicht anders als durch Eintreten der Tür wird befreien können); will er dagegen eine vorgefundene Notstandssituation zur deliktischen Selbstverwirklichung umgestalten, so liegt das Umsetzen des entsprechenden Programms im Ansetzen zur Situationsveränderung (z. B. im Ansetzen zum Zuwerfen einer Waffe, mittels derer sich ein Schiffbrüchiger auf Kosten des anderen die rettende Planke sichern kann). Will der Hintermann einen Entschuldigungstatbestandsirrtum nach § 35 II zur Deliktsverwirklichung instrumentalisieren, so beginnt der Versuch i.S.d. § 22, wenn er zum Abschluss seiner manipulativen Einwirkung ansetzt. (3) Zurechnung des weiteren Verlaufs zum Handlungsunrecht als Tatbestandshandlung Die Tatsache, dass der mittelbare Täter ein menschliches Werkzeug zur deliktischen Selbstverwirklichung einplant, muss auch bei der Zurechnung des weiteren Geschehens zu seinem Handlungsprogramm berücksichtigt werden. Mithin muss unterschieden werden zwischen Kausalabweichungen, die die realontologische Handlungsanlage betreffen, und Programmabweichungen, die die sozialontologische Handlungsanlage betreffen.2267 Die realontologische Handlungsanlage betrifft den programmatisch vorgesehenen Kausalverlauf. Ihr sind daher zunächst sämtliche unvorhergesehenen Weiterungen des Kausalverlaufs zuzuweisen, die auf natürlichem Wege und/oder durch ungeplante Intervention Dritter eintreten.2268 Hinzu kommen bei Einplanung anderer Menschen noch die Fehlerquellen, die den kybernetischen Prozess von deren Willensbildung („error in persona vel obiecto“) und -vornahme („aberratio ictus“) betreffen.2269 Die sozialontologische Handlungsanlage dagegen beschreibt die Programmvorstellung des Akteurs bei programmadäquater Beschaffenheit des menschlichen Werkzeugs. Weist der als Werkzeug eingeplante andere diese Beschaffenheit wider Erwarten objektiv nicht auf, handelt er insbesondere dolos, so stellt sich die Frage, welche Auswirkungen dies für die teleologische Handlungsinterpretation des Hintermannes hat. (a) Die Abweichung betrifft die realontologische Komponente Die Zurechnung des Geschehens als erfolgreiche Tatbestandshandlung stellt im Hinblick auf den reinen Naturkausalverlauf vor die gleichen Probleme wie bei der unmittelbaren Tatbegehung, wenn dort Werkzeuge eingesetzt werden. Im Grundsatz kann daher auf das insofern Ausgeführte2270 verwiesen werden. Doch birgt die Menschqualität des als Werkzeug eingeplanten anderen bereits in realontologischer Hinsicht zusätzliches Problempotential. Insbesondere stellt sich die Frage, wie ein error in obiecto vel persona oder eine aberratio ictus des Vordermanns sich für den Hintermann auswirken. Diesbezüglich kann für den mittelbaren Täter nichts anderes 2267 2268 2269 2270

Vgl. dazu bereits Schünemann, in: LK, § 25 Rn. 146. Ausführlich dazu bereits oben, S. 375 ff. So zutr. Schild, in: NK, § 25 Rn. 88. s. dazu nochmals oben, S. 375 ff.

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gelten als für den unmittelbaren: Eine (komplexe) Vorsatzgefahrschaffung ist gegeben, wenn diejenigen Gefahrfaktoren, hinsichtlich derer die Vorstellung des mittelbaren Täters mit der Realität übereinstimmt, eine Vorsatzgefahr im abstrakttatbestandlichen Sinne begründen.2271 Aufgelöst bedeutet das folgendes: Schafft das Werkzeug durch sein Handeln schon gar keine Vorsatzgefahr für das tatsächlich verletzte Objekt (etwa, weil der qualifiziert genötigte Vordermann durch Verreißen der Waffe einen Querschläger fabriziert, der einen entfernt stehenden Unbeteiligten trifft), so entfällt auch die Zurechnung zum Handlungsunrecht des Hintermannes. Begründet dagegen die Werkzeugtätigkeit eine Vorsatzgefahr für ein tatbestandliches Gattungsobjekt, so stellen sich für die Zurechnung keinerlei Probleme, wenn (auch) der Hintermann sämtliche rechtlich relevanten Faktoren dieser Vorsatzgefahr kennt. Das ist beim error in persona eines vorsätzlich handelnden Vordermannes stets2272 der Fall, denn der Hintermann kann seinen eigenen Tatbestandsvorsatz hier nicht weiter konkretisieren als auf denjenigen Menschen, den der Vordermann im Tatzeitpunkt subjektiv als das Zielobjekt identifizieren wird2273 (Bsp.: H bewegt den Geisteskranken V zu einem Mordanschlag auf O; infolge einer Identitätsverwechslung erschießt V jedoch den ähnlich aussehenden X – vollendetes mittelbar-täterschaftliches Tötungsdelikt für H). Gleiches gilt, wenn der dem Identitätsirrtum unterliegende Vordermann unvorsätzlich handelt (Beispiel2274: Oberarzt O will den Patienten P töten, indem er die nichtsahnende Krankenschwester K eine tödliche Injektion verabreichen lässt; infolge einer Verwechslung verabreicht K die Spritze jedoch einem anderen Patienten – vollendetes Tötungsdelikt in mittelbarer Täterschaft für O, da er seinen Tatbestandsvorsatz ausschließlich auf denjenigen Patienten konkretisieren konnte, den die K für den richtigen Empfänger halten würde).2275 Völlig unproblematisch ist der Fall, dass der Hintermann selbst 2271

s. zu diesem Puppe’schen Axiom nochmals oben, S. 376 ff. Manche Autoren wollen beim unvorhergesehenen error in persona des Vordermannes danach differenzieren, ob der Hintermann die Opferidentifikation von vornherein selbst übernommen hat – dann beachtliche aberratio ictus – oder ob er sie dem Vordermann überlassen hat – dann unwesentlicher Irrtum über den Kausalverlauf (so etwa Jakobs, AT, 21/106; Schild, in: NK, § 25 Rn. 88). Dabei wird jedoch übersehen, dass nicht der Täter, sondern das Recht über den Vorsatzgegenstand bestimmt, weshalb eine subjektive Überkonkretisierung des Merkmals „Mensch“ durch den Hintermann an dessen generellem Tatbestandsvorsatz i.S.d. § 212 nichts ändert: Er kann seinen Tatbestandsvorsatz von vornherein nur auf denjenigen Menschen konkretisieren, den der Vordermann im Tatzeitpunkt als Anschlagsopfer identifizieren wird. 2273 So für das parallele Problem bei der Anstiftung (= unvorhergesehener Identitätsirrtum des Haupttäters) zutr. Puppe, NStZ 1991, 124 (124); a.A. freilich die wohl h.L. im Schrifttum, nach der sich ein Identitätsirrtum des Vordermannes für den Hintermann stets als aberratio ictus auswirken soll (s. statt vieler etwa nur Roxin, AT/II, § 25 Rn. 171, m.w.N.; Schünemann, in: LK, § 25 Rn. 149); vgl. eingehend zum Ganzen noch unten, S. 575 ff. 2274 Nach Roxin, AT/II, § 25 Rn. 171; s. ferner auch das etwas anders gelagerte Beispiel bei Jakobs, AT, 21/106. 2275 A.A. die h.L.; s. statt vieler etwa nur Roxin, AT/II, § 25 Rn. 171, der sogar meint, bei unvorsätzlich handelndem Werkzeug sei die Annahme einer aberratio ictus für den Hintermann 2272

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über die Identität des Opfers irrt, welches der Vordermann angreifen soll (A nötigt B, den D anzugreifen, den er, der A, irrtümlich für seinen Intimfeind C hält). Hier ist der Erfolg wegen der Irrelevanz des Identitätsirrtums unzweifelhaft zuzurechnen.2276 Auch im Falle einer für den Vordermann unbeachtlichen aberratio ictus2277 ist eine Zurechnung zum Handlungsprogramm des Hintermannes möglich, wenn dieser selbst die Faktoren der vom Vordermann begründeten Vorsatzgefahr kennt. So liegt es etwa dann, wenn der Hintermann weiß, dass der als schuldloses Werkzeug eingeplante Vordermann zur Tötung des Zielobjekts in eine dicht gedrängte Menschenmenge hinein feuern wird (und daher die Umstehenden nicht wirksam aus der Tötungsmaxime ausnehmen kann). Wird hierbei ein Unbeteiligter getötet, so haftet auch der Hintermann wegen vollendeten Tötungsdelikts. Ist dagegen die aberratio ictus schon für den Vordermann beachtlich (§ 16 I 1) oder weiß der Hintermann nichts von den Tatumständen, die die aberratio ictus in der Person des Vordermannes unbeachtlich machen, so scheidet eine Geschehenszurechnung zu seinem Handlungsprogramm denklogisch aus (§ 16 I 1). Klar liegt der Fall auch dann, wenn der als Werkzeug eingeplante andere eigenmächtig aus dem Programmrahmen des „Willensherrn“ ausbricht, indem er einen anderen Tatbestand verwirklicht oder eine schwerere Begehungsart wählt: Hier liegt für den Hintermann ein vorsatzausschließender (§ 16 I 1) Werkzeug-Exzess vor, der die Erfolgszurechnung zu seinem eigenen Handlungsprogramm kappt.2278 (b) Die Abweichung betrifft die sozialontologische Komponente Bei Einplanung eines genötigten Werkzeugs ist eine Abweichung des tatsächlichen vom vorgestellten Programmgehalt denkbar, wenn die als Werkzeug eingeplante Person den Nötigungsdruck nicht in der vorgestellten Weise empfindet, sondern ihn bloß als Vorwand oder „Neutralisierungstechnik“ einsetzt und nun selbst in freiem Handeln den Erfolg herbeiführt.2279 Nach der Tatherrschaftslehre muss eine Erfolgszurechnung hier denklogisch ausscheiden, da imaginierte Tatherrschaft eben keine wirkliche Tatherrschaft ist.2280 Die Annahme einer vollendeten mittelbar-täterschaftlichen Deliktsverwirklichung schiene daher allein auf dem

„unstreitig“. Das vermag jedenfalls in der Sache nicht zu überzeugen. Denn auch (und gerade) im Fall der unvorsätzlich handeln sollenden Krankenschwester kann der Hintermann seinen Tatbestandsvorsatz doch nur auf denjenigen Menschen konkretisieren, den die Krankenschwester als den „richtigen“ Patienten identifizieren wird. 2276 So zutr. etwa Schild, in: NK, § 25 Rn. 88. 2277 s. dazu nochmals oben, S. 382 f. 2278 Ganz h.M.; s. nur etwa Schild, in: NK, § 25 Rn. 88; Roxin, AT/II, § 25 Rn. 168 ff. 2279 Beispiel und Zitat nach Schild, in: NK, § 25 Rn. 89; in derartigen Fällen fehlt es dem Vordermann an der für § 35 subjektiv erforderlichen Rettungsabsicht (s. dazu Neumann, in: NK, § 35 Rn. 19 f.), die ihn nach dem Programm des Hintermannes zur Tat hätte treiben sollen. 2280 s. nur etwa Roxin, TuT, 273; ders., AT/II, § 25 Rn. 163; Schünemann, in: LK, § 25 Rn. 146.

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Boden der subjektiven Theorie denkbar.2281 Neuerdings hat jedoch Schild2282 auf Grundlage eines materiell-normativen Handlungsbegriffs eine Sondermeinung begründet, wonach Verlaufsabweichungen, die die sozialontologische Komponente der Handlungsinterpretation betreffen, stets unwesentlich sein sollen. Diese neue, in ihren Prämissen durchaus scharfsinnige, Doktrin muss der bisher ganz herrschenden Meinung gegenübergestellt werden. (aa) Die Schild’sche Unwesentlichkeitsthese: Annahme einer vollendeten mittelbar-täterschaftlichen Tatbestandshandlung Schild ist der (Wieder-)Begründer des auch hier rezipierten Ansatzes bei der wirklichen Beherrschbarkeit qua Kausal- und Erfahrungswissen ex ante. Auch für ihn ist also perspektivisch klargestellt, dass der Werkzeugeinsatz nur vom Handlungsprogramm ex ante her gedacht werden kann und dass die Instrumentalisierung menschlicher Tätigkeit sich daher strukturell nicht von der Einplanung natürlicher Werkzeuge unterscheidet.2283 Angesichts dieser Identität in der Zurechnungsstruktur konnte eine mögliche Differenz zwischen beiden Programmarten allenfalls noch in ihrer unterschiedlichen Tauglichkeit zur Erfolgsherbeiführung ex ante liegen. Die durchaus geläufige These, dass insofern tatsächlich eine beteiligungsrechtlich relevante Kluft bestehe,2284 lehnte Schild jedoch mit dem – zutreffenden – Hinweis ab, dass die Prognose menschlichen Tätigwerdens zwar anderen Regeln folge als die Berechnung von Naturkausalverläufen, dies allein aber keinen prinzipiellen Einwand gegen die Tauglichkeit solcher Programme darstelle.2285 Da Schild auch in der neukantianischen Strafrechtsphilosophie keine „Barriere“ betreffend die Instrumentalisierung und Korrumpierung rechtlich denkender Bürger erkennen konnte, attestierte er dem unrechtlich planenden Willen konsequent eine „Instrumentalisierungs-Allmacht“, konkret: Für jeden unrechtlich Planenden konnte es de facto nur Werkzeuge geben.2286 Schild hat diesen weiten materiellen Handlungsbegriff inzwischen keineswegs aufgegeben, sondern legt ihn als vorrechtlichen weiterhin zugrunde;2287 Allerdings harmonisiert er ihn neuerdings mit der strafgesetzlichen Regelung des § 25 I Alt. 2, indem er, dem Vorbild von Gallas folgend, für die Tatbestandshandlung einen formalrechtlichen Werkzeugbegriff einführt: Wer frei delinquiere und also die wirkliche Tatbestandshandlung setze, der könne nach der lex lata nicht zugleich als unfreies Werkzeug i.S.d. § 25 I Alt. 2 (!) betrachtet werden, durch das der Hintermann die 2281

s. dazu etwa Roxin, AT/II, § 25 Rn. 163; Schünemann, in: LK, § 25 Rn. 146. In: NK, § 25 Rn. 79, 89, 95 m. Rn. 31. 2283 s. grundlegend dazu Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 74 ff., 152 ff., 158 ff.; s. ferner ders., in: NK, § 25 Rn. 3, 6 ff., 29 ff. 2284 s. dazu etwa Hoyer, in: SK, Vor § 25 Rn. 12 ff. 2285 In: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 283, 328 f.; ders., in: NK, § 25 Rn. 30. 2286 Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 279 ff. 2287 In: NK, § 25 Rn. 3 ff. 2282

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Tatbestandshandlung begehen wolle.2288 Diese Begrenztheit des strafrechtlichen Tatbestandshandlungsbegriffs ändert aber nach Schild nichts daran, dass der andere in psychofaktischer Hinsicht als Werkzeug eingeplant wird und somit materiell eine werkzeugverwendende Handlung des Hintermannes vorliegt. Deshalb soll das Fehlen einer vom Hintermann vorgestellten Werkzeugeigenschaft im Rechtssinne lediglich eine unwesentliche Abweichung vom vorgestellten Kausalverlauf darstellen.2289 Diese originelle „Unwesentlichkeitsthese“ kann allerdings bei näherem Hinsehen nicht überzeugen, denn es bleibt offen, warum nach einem vorrechtlichen, auf faktische Kausierungsmacht abstellenden, Handlungsbegriff zugerechnet wird, obwohl für das Tatbestandshandlungsunrecht der mittelbaren Täterschaft ein rechtlich formalisierter Werkzeugbegriff maßgeblich sein soll. Wenn in der Sache letztlich doch allein die – für alle Beteiligten gleichermaßen anzunehmende – faktische Instrumentalisierungs-Allmacht des unrechtlich planenden Willens über die Zurechnung des Geschehens als Tatbestandshandlung entscheiden soll, welchen Sinn soll dann das dualistische Beteiligungssystem der lex lata noch haben? Oder positiv gewendet: Dient denn das von Gallas übernommene Axiom, wonach ein frei delinquierender anderer nicht als Werkzeug zur Begehung einer eigenen Tatbestandshandlung eingeplant werden kann, tatsächlich nur dazu, das rechtliche Tatbestandshandlungsprogramm der mittelbaren Täterschaft im Ansatz zu formalisieren? Dass dem nicht so ist, wurde hier bereits dargelegt: Der eigentliche Grund für das Axiom liegt tiefer, nämlich in den sachlogischen Grenzen des vorrechtlichen Handlungsinterpretaments selbst: Erfolgreiche Selbstverwirklichung über den Kopf eines anderen Akteurs hinweg ist nur soweit möglich, wie der Hintermann ein anerkanntes Interpretationsmuster komplexen ich-intentionalen Handelns umsetzt und realisiert. Fehlt es an einer erfolgreichen Realisierung des angewandten Interpretationsmusters, weil der als Werkzeug eingeplante andere nicht programmgemäß funktioniert, so kann der Hintermann sich das Geschehen nicht als eigenes Tatbestandshandlungserlebnis zuschreiben, konkret für die „Nötigungsherrschaft“: Agiert der als Werkzeug eingeplante andere, der nach dem Programm des Hintermannes durch existentiellen Nötigungsdruck zur Tat getrieben werden soll, erwartungswidrig selbstbestimmt, so bleibt das komplexe Selbstverwirklichungsprogramm des Hintermannes im Versuch stecken. (bb) Die h.L.: versuchte komplexe Tatbestands- und vollendete Teilnahmehandlung Im Ansatz beizupflichten ist damit der h.L.2290, die Abweichungen des tatsächlichen Geschehens von der handlungstheoretischen Programmanlage stets als wesentlich betrachtet: Der Hintermann will über den Kopf eines „unfrei“ oder schuldlos 2288

Schild, in: NK, § 25 Rn. 31, 79. Schild, in: NK, § 25 Rn. 79, 89, 95. 2290 s. repräsentativ etwa nur Roxin, AT/II, § 25 Rn. 163 ff.; Schünemann, in: LK, § 25 Rn. 146; Herzberg, Täterschaft, 43 ff. 2289

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agierenden anderen hinweg handeln, der jedoch erwartungswidrig frei bzw. dolos agiert und damit einen erfolgreichen Rechtsgutszugriff des Hintermannes ausschließt. Mithin begeht der Hintermann dogmatisch gesehen einen Versuch mit untauglichen Mitteln.2291 Doch bleiben die Anhänger der h.L. bei diesem Ergebnis nicht stehen. Vielmehr wird zusätzlich eine vollendete Teilnahme, je nach Mitwirkung also Anstiftung oder Beihilfe, angenommen.2292 Nach (wohl) überwiegender Meinung2293 soll dies selbst dann gelten, wenn der Hintermann irrig vom fehlenden Vorsatz des als Werkzeug eingeplanten anderen ausgeht. Begründet wird dieses Nebeneinander der Beteiligungsarten zum einen mit dem kriminalpolitisch motivierten Hinweis, der Versuch sei längst nicht bei allen Delikten strafbar, zum anderen mit einem heuristischen Größenschluss, wonach der Teilnahmewille stets als Minus im Tatherrschaftswillen enthalten sein soll. (cc) Kritik und eigene Ansicht Diese ergebnisorientierte Auslegung ist aber de lege lata jedenfalls dann unmöglich, wenn dem Hintermann der erforderliche Doppelvorsatz fehlt. Denn entgegen Roxin2294 erfordert Teilnahme nach dem klaren Wortlaut der §§ 26, 27 zwingend Doppelvorsatz!2295 Wenn Roxin meint, Teilnahme setze als negatives Spiegelbild der Täterschaft nicht positiven Teilnehmervorsatz, sondern bloß die Abwesenheit von Tätervorsatz voraus, dann mag er de lege ferenda so argumentieren.2296 Die geltenden §§ 26, 27 jedoch regeln bestimmte positive Teilnahmehandlungen, die ausdrücklich als vorsätzliche Beteiligung an vorsätzlicher Haupttatbegehung umschrieben sind. Damit ist eine Teilnahme des Hintermannes bei fehlendem Doppelvorsatz de lege lata ausgeschlossen. Bleibt zu fragen, ob vollendete Teilnahme nicht zumindest dann angenommen werden kann, wenn der Hintermann irrtümlich einen Defekt des Vordermannes auf höherer Intentionalitätsebene eingeplant hat. Hierzu folgende Beispiele: [1] Der eifersüchtige A fordert die Mitbewohnerin seiner Ex-Freundin E unter Gewaltandrohung auf, die verschlossene Post der E zu öffnen. Die neugierige M, von der Drohung innerlich völlig ungerührt, ergreift dieselbe als Vorwand, endlich einmal ungestraft in der privaten Post der E zu schnüffeln. – [2] A spiegelt der naiv anmutenden M vor, das Öffnen der Post von Mitbewohnern sei aufgrund der ge2291 2292

m.w.N.

So zutr. etwa Schünemann, in: LK, § 25 Rn. 146; Roxin, AT/II, § 25 Rn. 165. s. eingehend zum Ganzen Roxin, TuT, 270 ff.; auch Schünemann, in: LK, § 25 Rn. 147,

2293 Maurach, AT2, § 50 III B 3b (S. 529 f.); Gallas, Materialien I, 121 (139); Bockelmann/ Volk, § 22 II 3 b (S. 183); Jescheck/Weigend, § 62 III 1 (S. 671); Schmidhäuser, AT, 14/54; Stratenwerth/Kuhlen, AT, § 12 Rn. 214 ff.; Roxin, TuT, 272; ders., AT/II, § 25 Rn. 167; Schünemann, in: LK, § 25 Rn. 147. 2294 AT/II, § 25 Rn. 167. 2295 So zutr. bereits Herzberg, Täterschaft, 45 f. 2296 So Roxin, TuT, 272; ders., AT/II, § 25 Rn. 167 (allerdings de lege lata!); zust. Schünemann, in: LK, § 25 Rn. 147.

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meinsamen Haushaltsführung vom Recht gedeckt. Die neugierige M durchschaut A’s Plan zwar sofort, sieht aber eine günstige Gelegenheit gekommen, die Post der E ungeschoren zu sichten. – Im ersten Fall will der A seine eigene Unrechtsmaxime durch die M als unfreies Werkzeug umsetzen, im zweiten will er sie als vermeintlich gutgläubiges Werkzeug zur Unrechtsverwirklichung instrumentalisieren. In beiden Fällen delinquiert jedoch die M selbst wider Erwarten frei und vollsinnig. Dabei stellt sich jeweils das praktische Zusatzproblem, dass die versuchte Verletzung des Briefgeheimnisses nicht strafbewehrt ist (§ 23 I, 12 II). Danach ginge der A also jeweils straflos aus, wenn man ihm nicht eine Teilnahmehandlung vorwerfen könnte. Solche „Strafbarkeitslücken“ werden gern als Argument für die Annahme einer ideal konkurrierenden Teilnahme reklamiert.2297 Der Hinweis hängt jedoch ersichtlich in der Luft. Denn wenn die Annahme eines „nackten“ Versuchs strafrechtsdogmatisch angezeigt ist, dann ist die Konsequenz der fragmentarischen Versuchsstrafbarkeit – wie sonst auch – hinzunehmen. Nicht die Beteiligungsdogmatik ist dem Strafwunsch anzupassen, sondern umgekehrt. Überhaupt geht es im Strafrecht nicht darum, „(…) konsequent überall zu strafen, sondern nur (auch), überall konsequent zu strafen“2298. Bleibt noch das Größenschlussargument, wonach der Teilnahmewille generell im Tatherrschaftswillen aufgehen soll.2299 Diese Annahme ist jedoch handlungstheoretisch nicht zu halten, denn der Unterschied zwischen originärem Rechtsgutszugriff (= Täterschaft) und derivativem Rechtsgutsangriff (= Teilnahme) ist nicht bloß ein gradueller, sondern ein kategorialer.2300 Originärer Entscheidungszugriff schließt, soweit er reicht, derivativen Teilnahmewillen aus und vice versa. Daraus folgt allerdings im Umkehrschluss, dass der Hintermann zur Verwirklichung eines deliktisch höher dimensionierten Rechtsgutszugriffs durchaus zugleich eine niedriger dimensionierte Teilnahme am vorsätzlich-rechtswidrigen Rechtsgutszugriff eines anderen einplanen kann.2301 So verhält es sich dann, wenn er einen Schuldlosen (§ 20) oder eben einen Notstandstäter (§ 35) zur Deliktsverwirklichung instrumentalisiert. Gelingt ihm dies, so wird die uno actu mit verwirklichte Teilnahme von seiner erfolgreichen mittelbaren Täterschaft verdrängt.2302 Handelt der vermeintlich Schuldlose bzw. der präsumtive Notstandstäter dagegen erwartungswidrig dolos bzw. selbstbestimmt, so tritt die niedriger dimensionierte Teilnahme des Hintermannes (scil.: an der nur vorsätzlich-rechtswidrigen Tat) tateinheitlich (§ 52) neben den Versuch mittelbar-täterschaftlicher Deliktsverwirklichung, sofern dieser 2297

s. etwa nur Schünemann, in: LK, § 25 Rn. 147. So zutr. Paeffgen, in: § 323a Rn. 13. 2299 So etwa Maurach, AT2, § 50 III B 3b (S. 529 f.); Gallas, Materialien I, 121 (139); Bockelmann/Volk, § 22 II 3 b (S. 183); Jescheck/Weigend, § 62 III 1 (S. 671); Stratenwerth/ Kuhlen, AT, § 12 Rn. 216. 2300 So sachlich übereinstimmend bereits Schild, in: NK, Vor § 26 Rn. 14 a.E. 2301 So zutr. Schünemann, in: LK, § 25 Rn. 145. 2302 So zutr. Schünemann, in: LK, § 25 Rn. 145. 2298

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strafbar ist. Dies ist allemal praktisch relevant im Falle der Anstiftung.2303 Denn kann eine solche vorgeworfen werden, so läuft die für den mittelbar-täterschaftlichen Deliktsversuch vorgesehene fakultative Strafmilderung des § 23 II praktisch leer. Hierzu müssen dann aber freilich auch die positiven Tatbestandsvoraussetzungen der Anstiftung2304 erfüllt sein.2305 Tritt neben den Versuch der mittelbar-täterschaftlichen Deliktsbegehung lediglich eine vollendete Beihilfe, so bleibt dies angesichts der in § 27 II vorgesehenen obligatorischen Strafmilderung praktisch folgenlos;2306 die Beihilfe erlangt jedoch selbständige Relevanz, wenn der Versuch täterschaftlicher Deliktsbegehung nicht strafbewehrt ist.2307 So liegt es im eingangs gebildeten Beispiel des A, der die Mitbewohnerin seiner Ex-Freundin E durch vermeintlich gelungene List dazu animiert hat, E’s Post zu öffnen. Da die Verletzung des Briefgeheimnisses (§ 202) im Versuch nicht strafbewehrt ist (§§ 23 I, 12 II), kommt allein (vollendete) Teilnahme in Betracht. Eine solche liegt auch vor: A wollte die M zu einem objektiv-rechtswidrigen Tatentschluss bewegen, was ihm auch gelungen ist, da M seinen Täuschungsversuch als willkommene Gelegenheit – und damit: als Motiv – zum Handeln genommen hat. Er hat daher nach hier vertretener Ansicht eine vollendete Beihilfe2308 zur Verletzung des Briefgeheimnisses (§§ 202, 27) begangen. 2303 Vgl. nur etwa Schünemann, in: LK, § 25 Rn. 147; in der neueren Literatur klingen freilich wieder Stimmen an, die die Anstiftung auf ihren Idealtypus, die Korrumpierung eines anderen zur subjektiven Auflehnung gegen das Recht, einschmelzen wollen (so etwa Amelung, Schroeder-FS [2006], 147 [159 f., 169 f.]; Schild, in: NK, Vor §§ 26, 27 Rn. 8; § 26 Rn. 11, 14). Danach können Schuldunfähige nicht angestiftet werden. Für eine derart starke Restriktion des Anstiftungsbegriffs besteht jedoch weder anstiftungsdogmatisch noch -teleologisch betrachtet Anlass. Was den Anstifter kennzeichnet, ist, dass er dem Haupttäter einen unrechtlichen Handlungswunsch ansinnt und diesen interpersonal durchsetzt (s. dazu noch unten, S. 543 ff.). Für die Formalstruktur dieses Handlungsunrechts ist es aber ersichtlich irrelevant, ob der präsumtive Haupttäter dem Vorsatzverbot nur objektiv-rechtlich zuwiderhandeln oder ob er es subjektiv desavouieren soll. 2304 s. eingehend dazu noch unten, S. 543 ff. 2305 Dazu folgendes Beispiel: Gangleader G fordert den Mitläufer M, den er im schuldausschließenden Vollrausch (§ 20 Alt. 1) wähnt, auf, der Gang durch Entwendung von Spirituosen aus einer Tankstelle seine Loyalität zu beweisen. M, der zwar stark angetrunken, jedoch keineswegs zurechnungsunfähig ist, tut wie geheißen, da er der Gruppe imponieren will. – M begeht hier einen Diebstahl (§§ 242, 25 I Alt. 1), G den Versuch einer mittelbar-täterschaftlichen Diebstahlshandlung (§§ 242 I, II, 25 I Alt. 2, 22, 23 I) sowie – ideal konkurrierend (§ 52) – eine vollendete Anstiftung zur vorsätzlich-rechtswidrigen Diebstahlstat des M (§§ 242, 26; 29). 2306 Eine generelle Praxisrelevanz der ideal konkurrierenden Beihilfe ist bloß insofern gegeben, als es einer die zurechenbare Erfolgsmitverursachung klarstellenden Tenorierung bedarf. Gerade deshalb wäre aber eine Berücksichtigung der Erfolgsverursachung bei der Strafzumessung der mittelbar-täterschaftlichen Versuchstat wegen Verstoßes gegen das Doppelverwertungsverbot (§ 46 III) unzulässig. 2307 Vgl. etwa nur Schünemann, in: LK, § 25 Rn. 147. 2308 Zur Klarstellung: Nach der h.M., die jedes (kommunikative) Hervorrufen eines Tatentschlusses als Anstiftungsunrecht einstuft, wäre hier Anstiftung gegeben. Das kann aber, wie später noch zu zeigen sein wird, nicht überzeugen: Der Sanktionstatbestand des § 26 setzt ein „Bestimmen“ des Haupttäters zur Tat voraus, womit ex ante die Expression einer enttäu-

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In Nötigungsfällen dürfte eine Idealkonkurrenz von versuchter mittelbarer Täterschaft und vollendeter Anstiftung denklogisch ausscheiden. Denn entweder wird der qualifiziert genötigte Andere durch die nach generalisierender Gesetzesvermutung zum Handeln treibenden Umstände zumindest mit motiviert – dann ist er „Spielball“ dieser Umstände und somit des Hintermannes (= vollendete mittelbare Tatbegehung) –, oder er wird durch die Nötigung gar nicht beeinflusst – dann hat er nicht die qualifizierte Drohung, sondern allein die „günstige Tatgelegenheit“ zum Grund seines Handelns gemacht (= versuchte mittelbare Tatbegehung in Idealkonkurrenz mit vollendeter Beihilfe). Ein Anwendungsfall der letzteren Kategorie ist das obige Einführungsbeispiel, wo die M der qualifizierten Drohung des A nur zum Schein nachgibt und diese in Wahrheit zum Vorwand nimmt, endlich einmal ungestraft E’s Post öffnen zu können. Vom Handlungsunrecht her gesehen liegt hier – wie in der Variante des durchschauten Täuschungsversuchs – eine versuchte mittelbare Tatbegehung des A in Tateinheit mit vollendeter Beihilfe vor. Da allerdings die versuchte Verletzung des Briefgeheimnisses nicht strafbar ist, muss das mittelbartäterschaftliche Handlungsunrecht straffrei bleiben – wodurch die Beihilfe wiederum eigenständige Relevanz erlangt. bb) Nötigung zur Selbstschädigung Die für die Fremdschädigungsfälle herausgearbeiteten Grundsätze gelten entsprechend für die Nötigung zur Selbstschädigung: Nur wer einen anderen mit den Mitteln des § 35 I 1 zur Selbstverletzung nötigt oder durch Erzeugung eines QuasiEntschuldigungstatbestandsirrtums (analog § 35 II) zu einer Selbstverletzung treibt, begeht „durch“ ihn eine dem betreffenden Delikt unterfallende Tatbestandshandlung (= Exkulpationslehre2309). Eine einfache Nötigung genügt hierzu entgegen der im Vordringen begriffenen Einwilligungslehre2310 nicht. Die letztgenannte Lehre differenziert nicht hinreichend zwischen dem höchst subjektiven Präferenz-Maßstab, nach dem der Einzelne interne Interessenkollisionen für sich löst und dem rechtlichen Interpretationsmaßstab für fremdbestimmtes Handeln. Auch ein Rekurs auf den im Erpressungstatbestand (§ 253) enthaltenen Meta-Präferenz-Maßstab hilft hier schungsfesten Verhaltenserwartung gemeint ist; s. eingehend zum Ganzen noch unten, S. 536 ff. 2309 Dieser (noch) h.L. gehören insbesondere an: Roxin, TuT, 158 ff. (162 f.), 718 ff.; ders., Dreher-FS (1977), 331 (347, 349, 355); Hirsch, JR 1979, 429 (432); Bottke, GA 1983, 22 (30 ff.); ders., Suizid, 247 ff.; Charalambakis, GA 1986, 485 (498 ff.); Schünemann, in: LK, § 25 Rn. 72; Renzikowski, Täterbegriff, 94 ff.; Dölling, Maiwald-FS (2010), 119 (123 ff.); Sutschet, Erfolgszurechnung, 270 ff. (279, 284); Jakobs, AT, 21/97 f.; auch bereits Gallas, JZ 1960, 686 (692). 2310 Vertreten insbesondere von: Geilen, JZ 1974, 145 (151 f.); Herzberg, JuS 1974, 374 (378 f.); ders., Täterschaft, 35 ff.; ders., JA 1985, 336 (340 ff.); Amelung, Bausteine (1995), 247 (251 ff.); Neumann, JuS 1985, 677 (680); Brandts, Jura 1986, 495 (497 f.); Mitsch, JuS 1995, 888 (891 f.); Freund, AT, § 10 Rn. 97 m. § 5 Rn. 75; Kühl, AT, § 20 Rn. 51; Otto, AT, § 21 Rn. 103; ders., Jura 1987, 246 (256 f.); Krey/Esser, AT, Rn. 363 f.; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 778; Lackner/Kühl, Vor § 211 Rn. 13a.

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nicht weiter. Denn die einfache Erpressung vertatbestandlicht ein genuines Selbstschädigungsdelikt, d. h. einen Fall der „quasi-gerechtfertigten“ Konfliktlösung gegen sich selbst2311 und damit gerade eine Ausnahme vom Erfordernis eines fremdbestimmten Opferhandelns. Auf die übrigen Konstellationen der Selbstschädigung, insbesondere auf die Selbstverletzung, kann und darf das in § 253 vertatbestandlichte Meta-Präferenz-Modell daher im Umkehrschuss gerade nicht extrapoliert werden.2312 Den richtigen Maßstab zur Bestimmung der mittelbaren Täterschaft bei abgenötigter Selbstschädigung zeichnet vielmehr der Tatbestand der Räuberischen Erpressung (§ 255) vor, der die Kluft zwischen Selbst- und Fremdschädigung erst bei Einsatz qualifizierter Nötigungsmittel schließt. Auf den Bereich der Selbstverletzung übertragen korreliert dieser Maßstab mit demjenigen, den § 35 I 1 für den Fremdschädigungsbereich statuiert.2313 cc) Einplanung eines hemmungsunfähigen Erwachsenen (§ 20 Alt. 2) zur Deliktsverwirklichung (1) Fremdschädigung Wer konstitutionell außerstande ist, bestimmte Tatanreize zu überformen und also triebhaft handelt, der ist gleichermaßen instrumentalisierbar wie ein zur Tat getriebener Notstandstäter.2314 Ein Unterschied besteht lediglich insofern, als der Hemmungsunfähige nicht in erster Linie zur Tat treibende äußere Umstände für sein Handeln verantwortlich macht bzw. machen darf, sondern eben seine innere Triebhaftigkeit. Folge dessen ist, dass der Hintermann „nur“ dafür sorgen muss, dass der Hemmungsunfähige einem unwiderstehlichen Tatanreiz ausgesetzt wird. Dies kann er einerseits dadurch erreichen, dass er ihn in eine entsprechende Situation hinein manövriert (Bsp.: Ein Pfleger in einer psychiatrischen Anstalt sperrt die Hospitantin mit dem hemmungsunfähigen Sexualtriebtäter ein, woraufhin Letzterer zur Tat schreitet – Vergewaltigung in mittelbarer Täterschaft, §§ 177 II Nr. 1, 25 I Alt. 22315). Andererseits kann der Hintermann den Hemmungsunfähigen aber auch äußerlich zwingen oder auffordern, sich dem Tatanreiz auszusetzen (A, der weiß, dass seine Freundin B unbehandelte Kleptomanin ist, teilt dieser mit, sie könne sich eine andere Bleibe suchen, wenn sie nicht sofort einkaufen gehe). In jedem Fall muss der Hintermann aber planen, den unwiderstehlichen Tatimpuls im Hemmungsunfähigen erst auszulösen oder es ihm überhaupt erst zu ermöglichen, den Tattrieb praktisch umzusetzen. Denn nur dann kann er sich die unwiderstehliche Triebsituation, die den Hemmungsunfähigen zur Tat treiben soll, als Produkt seines eigenen 2311

So zutr. Jakobs, AT, 21/89 m. Fn. 158. Jakobs, AT, 21/98 Fn. 177. 2313 s. ausführlich zum Ganzen bereits oben, S. 353 ff. 2314 So auf dem Boden der Tatherrschaftslehre schon Roxin, TuT, 235 f. („Willensherrschaft“). 2315 Zur Klarstellung: § 177 vertatbestandlicht kein eigenhändiges Delikt (s. dazu nur etwa Roxin, TuT, 416 ff.). 2312

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Handelns zuschreiben. Deshalb begründet die bloße Unterstützung eines inneren Tatzwangs kein auf mittelbare Tatbegehung gerichtetes Handlungsprogramm.2316 Wer also etwa einem triebhaften Vergewaltiger ein Betäubungsmittel besorgt, mit dem dieser seine Opfer besser gefügig machen kann, der ist nicht mittelbarer Täter, sondern Gehilfe. (2) Selbstschädigung Die vorstehenden Grundsätze gelten entsprechend für die Einplanung eines Hemmungsunfähigen als willfähriges Werkzeug gegen sich selbst (§ 20 Alt. 2 analog).2317 Wer einem solchen Menschen die Selbstmordidee einpflanzt oder ihm die Selbsttötung erst praktisch ermöglicht (etwa durch Bereitstellung eines für den Suizidenten nicht erreichbaren, „sanft“ tötenden Giftes), der begeht ein Tötungsdelikt in mittelbarer Täterschaft.2318 Ist das Programm des Hintermannes aber nicht mindestens darauf gerichtet, dem Hemmungsunfähigen den Suizid erst praktisch zu ermöglichen, so scheidet mittelbare Täterschaft aus.2319 dd) Einplanung hemmungsunfähiger Kinder (§ 19) oder Jugendlicher (§ 3 JGG) (1) Fremdschädigung Das Gesagte gilt ebenso für die Einplanung hemmungsunfähiger Jugendlicher i.S.d. § 3 JGG: Wer einen solchen Jugendlichen zu einer Tat veranlasst oder sie ihm praktisch ermöglicht, der ist mittelbarer Täter.2320 Ergibt die strafrechtliche Persönlichkeitsbeurteilung des Jugendlichen i.S.d. § 3 JGG allerdings, dass dieser emotiv zur Normbefolgung fähig war, so liegt für den Hintermann „nur“ versuchte mittelbare Tatbegehung in Tateinheit mit vollendeter Teilnahme (typischerweise Anstiftung) vor. Nach dem Rechtsmaßstab der konkreten materiellen Einsichts- und Normbefolgungsfähigkeit wird man auch die deliktische Instrumentalisierung strafunmündiger Kinder (§ 19) beurteilen müssen.2321 Denn es kann durchaus vorkommen, dass ein als willfähriges Werkzeug eingeplantes „Kind“ entgegen der gesetzlichen Generalpräsumtion de facto schon vorzeitig Unrechtseinsicht besitzt und auch nach ihr 2316

In der Sache ebenso schon Roxin, TuT, 236. s. zur analogen Heranziehung der Exkulpationsvorschriften für den Bereich der Selbstschädigung nochmals eingehend oben, S. 352 ff. 2318 Roxin, TuT, 237. 2319 Roxin, TuT, 237. 2320 Roxin, TuT, 239. 2321 Wie hier schon RGSt 61, 265 (267); auch Jakobs, AT, 21/96; a.A. dagegen Roxin, TuT, 239, 723, der hier (nach dem Verantwortungsprinzip) auf das generalisierende gesetzliche Zurechnungsurteil des § 19 abstellt und also für Hinterleute, die Taten strafunmündiger Kinder veranlassen oder ermöglichen, ausnahmslos mittelbare Täterschaft annehmen will. 2317

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zu handeln vermag. So hatte bereits das RG2322 einen Fall zu entscheiden, in dem ein Großvater seinen zwar erst dreizehnjährigen, materiell aber durchaus schon zur Normbefolgung fähigen Enkel zu Brandstiftungshandlungen veranlasst hatte. Da der Enkel hier nach den vorinstanzlichen Tatsachenfeststellungen über ausreichendes Unrechtsverständnis verfügte, nahm das RG2323 für den Großvater „nur“ eine Anstiftung an. Die Entscheidung verdient im Ergebnis Beifall. Auch wenn die Vorschrift des § 19 zugunsten von unter Vierzehnjährigen unwiderleglich Schuldunfähigkeit vermutet, darf sich diese formalrechtliche Grenzziehung für etwa mitwirkende Hinterleute nicht ipso iure belastend auswirken. Denn das Handeln eines Kindes, das in concreto einsichts- und hemmungsfähig ist, kann nicht mehr sinnhaft überdeterminiert werden, auch wenn das Kind aufgrund seines Alters formalrechtlich als strafunmündig anzusehen ist. Folglich muss der Hintermann auch dann, wenn er ein strafunmündiges Kind als willfähriges Werkzeug zur Deliktsverwirklichung instrumentalisieren will, mit der konkreten Einsichts- oder Hemmungsunfähigkeit des Kindes planen.2324 Er muss also nicht nur wissen, dass er altersmäßig ein „Kind“ (§ 19) zur Deliktsverwirklichung einsetzt, sondern er muss nach einer Parallelwertung in der Laiensphäre auch materiell einen unreifebedingten Mangel an Einsichtsbzw. Hemmungsfähigkeit in der Person des Kindes einplanen. Wird das i.d.S. als Werkzeug eingeplante Kind sodann äußerlich programmadäquat tätig, so muss für die Zurechnung seines Handelns als Werkzeugtätigkeit nur noch ausgeschlossen werden, dass es in concreto nicht doch bereits vorzeitig zur Normbefolgung reif war (§ 3 JGG analog).2325 Fällt diese Gegenprüfung (erwartungsgemäß) negativ aus, so ist das Handeln des Kindes dem Programm des Hintermannes als äußere Werk-

2322

RGSt 61, 265 ff. RGSt 61, 265 (267). 2324 In der Sache ebenso schon RGSt 61, 265 (267); s. auch Jakobs, AT, 21/96. 2325 A.A. Roxin, TuT, 723: Außerhalb des gesetzlichen Zurechnungsurteils (§ 19) existiere kein Maßstab für die Bestimmung des Zeitpunkts, ab dem ein Kind zur Normeinsicht und -befolgung reif sei. – Dieser Einwand trifft die hier vertretene „materielle Theorie“ schon deshalb nicht, weil es ihr gerade nicht um die abstrakt-generelle Festlegung eines altersmäßigen „Reifezeitpunkts“ geht, sondern um die Frage, ob das konkrete Kind zum Tatzeitpunkt ausnahmsweise bereits vorzeitig einsichts- und vermeidefähig war. Zur Beantwortung dieser Frage existiert aber sehr wohl ein Rechtsmaßstab, nämlich in § 3 JGG. Ganz i.d.S. geht denn auch Roxin selbst (TuT, 239) davon aus, dass einem Kind manchmal nur die Normbefolgungsfähigkeit fehlen könne. Damit setzt er aber stillschweigend einen Maßstab voraus, nach dem jedenfalls die kindliche Einsichtsfähigkeit materiell beurteilt werden kann. Entsprechendes muss dann aber konsequenterweise auch für die Beurteilung der kindlichen Normbefolgungsfähigkeit gelten. Für die Strafbarkeit des Kindes selbst haben diese materiellen Erwägungen freilich keinerlei Bedeutung, da § 19 insofern autoritativ Schuldunfähigkeit anordnet. Anderes gilt aber für das Fehlen der kindlichen Einsichts- bzw. Hemmungsfähigkeit als Ansatzpunkt für eine Überdetermination durch Hinterleute: Hier wirkt sich die Heranziehung des materiellen Maßstabs (§ 3 JGG analog) zugunsten der Hinterleute aus, da nicht ipso iure von der Einsichts- bzw. Normbefolgungsunfähigkeit des Kindes ausgegangen wird. 2323

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zeugtätigkeit zurechenbar. Anderenfalls ist bloß versuchte mittelbare Tatbegehung in Tateinheit mit vollendeter Teilnahme (typischerweise Anstiftung) gegeben.2326 (2) Selbstschädigung Das Gesagte gilt entsprechend für die Einplanung hemmungsunfähiger Kinder und Jugendlicher als willfährige Opferwerkzeuge gegen sich selbst (Selbstschädigung): Auch hier ist sowohl bei Jugendlichen (§ 3 JGG analog) als auch bei Kindern (§ 19 analog) nach Defekten im intellektuellen und voluntativen Bereich zu differenzieren. Plant das Handlungsprogramm des Hintermannes einen voluntativen Defekt ein, so ist es bei Initiierung oder Ermöglichung der Tat auf eine mittelbare Tatbegehung gerichtet. Die erfolgreiche Einplanung eines für hemmungsunfähig gehaltenen Jugendlichen als willfähriges Werkzeug gegen sich selbst erfordert – analog zur Fremdschädigung – die konkrete rechtliche Feststellung fehlenden Hemmungsvermögens (§ 3 JGG analog); war der als hemmungsunfähiges Werkzeug eingeplante Jugendliche wider Erwarten doch hemmungsfähig (oder kann dies zumindest nicht ausgeschlossen werden), so ist „nur“ versuchte mittelbare Tatbegehung gegeben.2327 Wird ein analog § 19 zurechnungsunfähiges Kind als willfähriges Opferwerkzeug gegen sich selbst eingeplant, so gilt ebenfalls das für den Fremdschädigungsbereich Ausgeführte entsprechend: Eine erfolgreiche Überformung durch den Hintermann ist typischerweise gegeben, es sei denn, das analog § 19 als unmündig geltende Kind war ausnahmsweise doch schon reif genug, die Bedeutung seines selbstverletzenden Tuns einzusehen und danach zu handeln (doppelte Analogie2328 zu § 3 JGG). Demgegenüber will Roxin2329 bei der Selbstschädigung strafunmündiger Kinder nicht nach intellektuellen und voluntativen Defekten unterscheiden. Vielmehr sei der Hintermann hier stets mittelbarer Täter. Denn es entspreche dem Grundgedanken des § 3 JGG und der Lebenserfahrung, dass Kinder von höchstens 13 Jahren angesichts ihrer mangelnden Verstandesreife generell nicht in verantwortlicher Weise über die Preisgabe von Leib und Leben entscheiden könnten. – Das kann so nicht überzeugen: Wer die Differenzierung zwischen intellektueller und voluntativer Komponente bei Kindern im Fremdschädigungsbereich prinzipiell ansetzt, der muss sie konsequent auch im Selbstschädigungsbereich beachten. Denn man wird – tendenziell durchaus

2326

Zumindest ungenau daher das Judikat RGSt 61, 265 (267), wo suggeriert wird, dass stets nur entweder mittelbare Täterschaft oder aber Teilnahme vorliegen könne (zust. aber Jakobs, AT, 21/96). 2327 Zur Klarstellung: Vollendete Teilnahme entfällt, da die Selbsttötung bzw. -verletzung keine teilnahmefähige Haupttat i.S.d. §§ 26, 27, 11 I Nr. 5 ist. 2328 Der Maßstab des § 3 JGG gilt direkt nur für fremdschädigendes Verhalten Jugendlicher, weshalb er für die beteiligungsrechtliche (!) Beurteilung eines selbstschädigenden Verhaltens unmündiger Kinder doppelt analog herangezogen werden muss. 2329 In: TuT, 241.

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im Sinne Roxins2330 – mit Fug und Recht behaupten dürfen, dass gerade der natürliche Selbsterhaltungsinstinkt als zentrale vor-moralische Hemmungsinstanz bei Kindern wesentlich eher ausgeprägt ist als jedes sozialethisch gespeiste Vermeidemotiv! Vor diesem Hintergrund wäre es widersinnig, unmündigen Kindern ausgerechnet im Selbstschädigungsbereich schon die intellektuelle Einsichtsfähigkeit generell abzusprechen. Es bleibt daher bei der analogen Heranziehung der allgemeinen, für den Fremdschädigungsbereich geltenden Kriterien. ee) Kein Tatbestandshandlungsprogramm bei Einplanung bloß verminderter Hemmungsfähigkeit i.S.d. § 21 Plant der Hintermann lediglich eine verminderte Hemmungsfähigkeit des Vordermannes nach § 21 ein, so betätigt er kein auf mittelbare Tatbegehung gerichtetes Handlungsprogramm. Denn nach der gesetzlichen Wertung darf der Vordermann die Verantwortung für sein Tun hier gerade nicht auf seinen (vom Hintermann ausgelösten) inneren Handlungszwang abwälzen, sondern muss ihm trotz beeinträchtigter Hemmungsfähigkeit widerstehen.2331 d) Programme einer sinnhaften deliktischen Überdetermination Diesbezüglich sind mehrere Fallgruppen zu unterscheiden, wobei die hier vorgenommene Rubrizierung stark von der gängigen abweicht. Das gilt insbesondere für diejenigen Konstellationen, in denen das Programm des Hintermannes ein rechtmäßig handeln (wollen) sollendes Werkzeug zur Deliktsverwirklichung einplant. Sie sind – ebenso wie die Konstellationen der „Irrtumsherrschaft“ – dadurch gekennzeichnet, dass der Hintermann nach einem Interpretationsmuster sinnhafter deliktischer Überdetermination verfährt, weshalb sie denn auch konsequenterweise dieser Programmkategorie zuzuschlagen sind. Ganz im konventionellen Sinne sei allerdings hier mit der Fallgruppe der „Irrtumsherrschaft“ begonnen. aa) Die sinnhafte Überdetermination irrtumsbedingten Werkzeughandelns zur intentionalen Selbstverwirklichung in einer höher dimensionierten Tatbestandshandlung Soweit es um die Einspannung irrtumsbedingten Werkzeughandelns geht, kann das Handlungsprogramm des Hintermannes insbesondere auf Instrumentalisierung eines Tatbestandsirrtums (§ 16 I 1) oder eines (direkten bzw. indirekten) Verbotsirrtums (§ 17) gerichtet sein. Die Einplanung eines Erlaubnistatbestandsirrtums dagegen ist beteiligungsrechtlich der Initiierung eines realiter gerechtfertigten Werkzeughandelns gleich zu behandeln und folglich dort zu rubrizieren: Über die 2330 2331

TuT, 162, 719. So zutr. bereits Roxin, TuT, 238.

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handlungstheoretische Bewertung des vom Hintermann umgesetzten Instrumentalisierungsprogramms entscheidet allein der für den Vordermann positiv eingeplante Intentionalzustand, nicht der hieran anknüpfende strafrechtliche Entlastungstatbestand.2332 (1) Die Einplanung eines Tatbestandsirrtums (§ 16 I 1) Die Einplanung eines Tatbestandsirrtums (§ 16 I 1) verkörpert seit jeher den Schulfall der mittelbaren Tatbegehung. Dazu folgendes Beispiel: Mutter M übergibt Vater V eine Hustensaftflasche, mit der Bitte, dem gemeinsamen Kind K etwas Hustensaft zu verabreichen; V ahnt nicht, dass M die Flasche zuvor mit einem geschmacksneutralen Gift befüllt hat, das schon in geringen Mengen tödlich wirkt; er verabreicht K den vermeintlichen Hustensaft, woraufhin K stirbt. – Hier lässt sich problemlos konstatieren, dass M sich über den Kopf des arglosen V hinweg in einer komplexen intentionalen Tötungshandlung verwirklicht hat. Allerdings kann auch schon die Einplanung eines Tatbestandsirrtums den Rechtsanwender vor gewisse Einordnungsschwierigkeiten stellen. Diskutiert werden insbesondere die Frage nach der vom Hintermann zu entfaltenden Einwirkungsintensität sowie die Frage nach den Grenzen, die der „natürliche“ Finalitätsbegriff der Annahme einer mittelbaren Tatbegehung zieht. Auf diese Problemkreise sei nachfolgend kurz eingegangen. (a) Handlungsprogramm (aa) Art und Intensität der erforderlichen Einwirkung Unproblematisch sind zunächst all jene Programme, die auf Initiierung eines Tatbestandsirrtums ausgerichtet sind (Bsp.: A fordert den B auf, ihm doch bitte „seine“ Jacke vom Garderobenständer zu holen, die, wie nur der A weiß, in Wahrheit dem C gehört – Diebstahl in mittelbarer Täterschaft, §§ 242, 25 I Alt. 2). Entsprechendes gilt für den Fall, dass der Hintermann in der Person eines bereits irrenden Vordermannes den (finalen) Entschluss zum Handeln hervorruft (Bsp.: A und B befinden sich auf der Jagd; als der kurzsichtige B in der Ferne einen Schemen erblickt, den er für Wild hält, fordert der A, der erkannt hat, dass es sich in Wahrheit um einen Menschen handelt, den B auf, das vermeintliche Wild zu erlegen; B schießt daraufhin und trifft den C tödlich – fahrlässige Tötung [§ 222] für B, vorsätzliches Tötungsdelikt in mittelbarer Täterschaft [§§ 212/211, 25 I Alt. 2] für A). Schwieriger wird die Beurteilung, wenn der Hintermann den Ahnungslosen lediglich in seinem Vorhaben unterstützt. So liegt es etwa, wenn A dem B auf dessen Bitte hin das Gewehr überreicht, obwohl er selbst erkannt hat, dass das als Ziel auserkorene „Wild“ realiter ein Mensch ist. Auch hier betätigt jedoch der das Geschehen besser überblickende Hintermann ein auf mittelbare Tatbegehung gerichtetes Handlungsprogramm. Denn entscheidend ist, dass allein er das Geschehen über

2332

s. allgemein dazu bereits oben, S. 409 ff. sowie noch unten, S. 471 ff. (475 ff.).

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6. Kap.: Die Ausarbeitung der Deliktsgruppen im Einzelnen

den Kopf des „blinden“ Vordermannes hinweg auf den Erfolg zusteuern will.2333 Eine bestimmte Art oder Intensität der Einwirkung ist daher – anders als in den Nötigungsfällen – nicht erforderlich.2334 Das ist auch nur folgerichtig, denn bei Einplanung eines genötigten Werkzeugs will der Hintermann dem Vordermann die eigene Unrechtsmaxime aufzwingen, während er bei Instrumentalisierung eines irrenden Werkzeugs auf finale Überdetermination setzt. Auf dem Boden der Tatherrschaftslehre formuliert Roxin2335 diese sachliche Differenz zutreffend wie folgt: „Wenn der A, um einen Scherz zu machen, sich das vermeintlich ungeladene Gewehr des B ausbittet und B, obwohl er den Irrtum des A erkennt und weiß, dass die Flinte geladen ist, ihm die Waffe zum Schusse reicht, dann liegt dieser Fall strukturell genau so, als wenn er sie dem A übergeben und ihn so zur Tat ,bestimmt‘ hätte. Die einzige Abweichung, die zwischen beiden Fällen erkennbar ist, besteht in dem verschiedenartigen Einfluss auf die Willensbildung des A. Gerade diese Andersartigkeit ist jedoch (…) im Falle des vorsatzlosen Werkzeugs irrelevant; denn die mittelbare Täterschaft beruht hier nicht auf dem Umstand, dass der Hintermann den Willen des Tatmittlers beherrscht (…) sondern darauf, dass er sein Verhalten als blind-kausalen Bedingungsfaktor in die Ursachenkette hineinverwebt. Auf welche Weise ihm das gelingt, ist gleichgültig.“

(bb) Konkreter Tatbestand als Bezugspunkt der Vorsatzlosigkeit Die Vorsatzlosigkeit des präsumtiven Werkzeugs ist dabei allein nach demjenigen Tatbestand zu bestimmen, dessen Verwirklichung vom Hintermann konkret projektiert ist. Ob der als Werkzeug eingeplante andere im Hinblick auf einen anderen Tatbestand vorsätzlich agiert bzw. agieren soll, ist für die Bestimmung der Programmbeschaffenheit beim Hintermann ohne Belang.2336 Verschweigt etwa der Hintermann dem Vordermann, dass es sich bei der ätzenden Flüssigkeit, mit der das Opfer angespritzt werden soll,2337 um eine tödlich wirkende Säure handelt, so begeht der Vordermann zwar eine vorsätzliche Körperverletzung (§§ 223, 15), der Hintermann jedoch eine komplexe Tötungshandlung (§§ 212, 25 I Alt. 2). Entsprechendes gilt, wenn jemand die vorsätzliche Grundtatbestandshandlung eines anderen als Werkzeugtätigkeit zur Realisierung einer qualifizierten Verletzungshandlung einplant (Bsp.: A überreicht dem B eine angeblich mit harmlosem Tränengas befüllte Wasserpistole, mit der er dem C ins Gesicht spritzen soll; in Wahrheit enthält die Pistole eine aggressive chemische Substanz, die den C blenden soll2338 – komplexe Selbstverwirklichung des A in einer schweren Körperverletzung, §§ 226, 25 I Alt. 2). Um noch selbst intentional auf das Rechtsgut zugreifen zu können, muss der Hintermann allerdings die Realisierung eines Qualifikations2333 2334 2335 2336 2337 2338

Roxin, TuT, 172 ff. Roxin, TuT, 173 f. In: TuT, 174. Klargestellt etwa bei Schild, in: NK, § 25 Rn. 92 a.E. Beispiel nach BGHSt 30, 363 ff. Beispiel nach Roxin, Lange-FS (1976), 173 (188).

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merkmals einplanen, das den Verletzungsgehalt als solchen modifiziert (wie etwa bei den dieselbe Rechtsgutsverletzung intensivierenden Erfolgsqualifikationen der §§ 226, 239 III Nr. 1). Denn nur dann wird an eine zusätzliche Dimension der Rechtsgutsverletzung als solcher (hier: Körperverletzung, Freiheitsberaubung) angeknüpft, die dem Hintermann originären Dezisivzugriff ermöglicht und selbständige allgemeine Verhaltenspflichten für ihn erzeugt (z.B: „Du sollst nicht jemanden blenden [wollen], indem du einen anderen dazu verleitest, ihm eine vermeintlich harmlose, tatsächlich aber aggressiv wirkende Substanz in die Augen zu sprühen!“). Anderes gilt hingegen für solche Qualifikationsmerkmale, die „nur“ an bestimmte Modalitäten eines verbotenen Verletzungshandelns anknüpfen und daher den Unwertgehalt ausschließlich sub specie Sanktionsnorm erhöhen.2339 So liegt es etwa bei den Qualifikationsmerkmalen der §§ 211, 224, die den intensionalen Gehalt des verbotsgegenständlichen Verletzungshandelns als solchen (= Tötung bzw. Körperverletzung) nicht mehr berühren (Bsp.: A schickt den B mit einem vermeintlich schnell und schmerzlos wirkenden Gift zu C, um diesen zu töten; wie allein der A weiß, wirkt das Gift tatsächlich langsam und verursacht äußerste Todesqualen – A betätigt hier keine eigene normative Tötungshandlung, da das verbotsgegenständliche Tötungsunrecht vollsinnig von B begangen werden soll2340).2341 (cc) Einplanung einer bewusst fahrlässigen Werkzeugtätigkeit Plant der Hintermann ein bewusst fahrlässiges Handeln des Vordermannes ein, so steht die überkommene Tatherrschaftslehre, die die Grundsätze der Irrtumsherrschaft aus dem Begriff der „natürlichen“ Finalität ableitet,2342 vor einem zusätzlichen Abgrenzungsproblem. Denn es erhebt sich die Frage, ob das bewusst fahrlässige Tun eines anderen von einem lediglich mehr wollenden Hintermann noch im „natürlichen“ Sinne final überdeterminiert werden kann. Das wird man richtigerweise

2339

Vgl. ausführlich zum Ganzen Armin Kaufmann, Normentheorie, 199 ff., 207 ff. A.A. etwa Hoyer, in: SK, § 25 Rn. 67; Roxin, Lange-FS (1976), 173 (186 ff.); ders., TuT, 219 f., 735 – i.E. wie hier dagegen BGHSt 1, 368 (369 ff.). 2341 A ist damit jedenfalls einer Anstiftung zum Totschlag schuldig (§§ 212, 26). Ob er darüber hinaus via § 28 II wegen Anstiftung zum Mord (§§ 211, 26) bestraft werden kann, hängt von der Einordnung des Mordmerkmals „grausam“ sub specie § 28 ab. Folgt man der h.M., die die Mordmerkmale der zweiten Gruppe als tatbezogene behandelt und sie damit als voll akzessorische aus dem Anwendungsbereich des § 28 ausnimmt (s. statt vieler etwa nur Fischer, § 211 Rn. 91, 93, m.w.N.), so scheidet eine Heranziehung des § 28 II im Ansatz aus. Dieser Sichtweise wird man jedoch widersprechen müssen, denn das Mordmerkmal der Grausamkeit erfordert subjektiv eine unbarmherzige Gesinnung, die nur als besonderes persönliches Merkmal i.S.d. §§ 28, 14 I verstanden werden kann (so zutr. etwa Schünemann, in: LK, § 28 Rn. 73). Demnach ist der Anstifter, der im Gegensatz zum Haupttäter von einer unbarmherzigen Gesinnung zur Zufügung qualvoller Schmerzen geleitet wird, wegen Anstiftung zum Mord (§§ 211, 26) zu bestrafen, obwohl der Haupttäter nur den Tatbestand des § 212 verwirklicht (so zutr. Schünemann, in: LK, § 28 Rn. 73). 2342 s. grundlegend dazu Roxin, TuT, 172 ff. 2340

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verneinen müssen. Denn auch und gerade wenn man mit der h.M.2343 den Eventualvorsatz rein voluntativ von der bewussten Fahrlässigkeit abhebt, liegt doch auf der Hand, dass derjenige, der auf das Ausbleiben des Erfolgs vertraut, das von ihm gesteuerte Verletzungsgeschehen in gleicher Weise intellektuell überblickt wie derjenige, der den Erfolg billigend in Kauf nimmt oder gar beabsichtigt. Einem Hintermann, der den Erfolg lediglich „mehr will“ als der von ihm vorgeschaltete Vordermann, ist deshalb eine finale Überdetermination gerade nicht möglich.2344 Bei übereinstimmender Risikokenntnis müsste das konsequenterweise zu dem axiologischen Bruch führen, dass der Hintermann trotz seines vorsätzlichen Handelns nicht wegen vorsätzlicher Beteiligung haftete: Mittelbare Täterschaft scheiterte am Fehlen einer finalen Überdetermination, vorsätzliche Teilnahme am Fehlen einer vorsätzlichen Haupttat sowie eines darauf gerichteten Teilnehmervorsatzes. Roxin wollte dieses Problem ursprünglich2345 dadurch beheben, dass er für den voluntativ „überlegenen“ Hintermann eine Teilnahme an der bewusst fahrlässigen Tat des Vordermannes annahm. Das ist aber jedenfalls de lege lata indiskutabel, da die §§ 26, 27 ausdrücklich eine vorsätzliche Haupttat und einen hierauf gerichteten Teilnahmevorsatz verlangen. Dies berücksichtigend, will Roxin dem voluntativ „überlegenen“ Hintermann jetzt doch eine mittelbare Täterschaft attestieren, da dieser immerhin das Fehlen des psychischen Hemmungsmotivs beim Vordermann ausnutze.2346 Auch diese Lösung vermag jedoch nicht zu überzeugen, da die Beteiligungsrolle des Hintermannes schwerlich von der inneren Tatsache abhängen kann, wie der Vordermann sein identisches Gefahrwissen für sich psychisch verarbeitet.2347 Ist dagegen die Risikokenntnis asymmetrisch verteilt, weil der Hintermann den Vordermann über das wahre Risikoausmaß getäuscht hat, so will Roxin2348 diesen entschließungserheblichen „Risikoirrtum“ generell für mittelbare Täterschaft des Hintermannes hinreichen lassen, d. h. unabhängig davon, ob der Vordermann seinerseits vorsätzlich agiert hat. Das kann aber so ebenfalls nicht überzeugen. Reicht der vom Vordermann eingesehene Gefahrenausschnitt hin, ihm selbst eine tatbestandliche Verletzungsmaxime zuzuschreiben, so handelt er selbst mit Tatbestandsvorsatz, der durch einen höheren Grad an faktischer Risikokenntnis normativ nicht mehr überformt werden kann. Bestimmt man den Vorsatz wie hier2349 normativ, so folgt die Lösung für das Problem der Einplanung bewusster Fahrlässigkeit aus dem Vorsatzbegriff selbst.2350 2343

s. exemplarisch den instruktiven Überblick bei Fischer, § 15 Rn. 9 ff., m.w.N. s. eingehend zum Ganzen bereits Roxin, TuT, 180 ff. (189 f.); instruktiv auch Puppe, AT, § 24 Rn. 9 f. 2345 In: TuT, 190. 2346 So in: AT/II, § 25 Rn. 65. 2347 s. dazu zutr. Puppe, AT, § 24 Rn. 10. 2348 TuT, 220 ff. (223 – 225), 267. 2349 s. eingehend zum Ganzen nochmals oben, S. 76 ff., 111 ff. 2344

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Das kognitiv ebenbürtige Handeln eines anderen kann nur dann sinnhaft überdeterminiert werden, wenn ihm wahrheitswidrig Tatsachenumstände suggeriert werden, bei deren Vorliegen ihm von Rechts wegen ein Vertrauen auf das Ausbleiben des Erfolges zugute gehalten werden könnte.2351 Dies lässt sich an einem von Roxin2352 ersonnenen Kathederbeispiel illustrieren: Der A hat auf dem Dachboden seines Mietshauses einen Blindgänger aus dem zweiten Weltkrieg gefunden, den er sogleich aus der Bodenluke in den Garten werfen will. Er befürchtet aber, dass die Bombe beim Aufprall detonieren und den im Garten arbeitenden Mieter C verletzen könnte. B, ein Bekannter des A, der im Krieg als Sprengstoffexperte tätig war und daher weiß, dass die Wahrscheinlichkeit einer Explosion hoch ist, zerstreut A’s Bedenken jedoch, indem er ihm unter Hinweis auf seine Sachkunde einredet, eine Detonation sei sehr unwahrscheinlich. Daraufhin wirft A die Bombe hinunter in den Garten, wo sie detoniert und den C tötet. – Dass der B hier über den Kopf des grob fahrlässig agierenden A hinweg eine komplexe Tötungshandlung setzt, dürfte kaum zu bezweifeln sein. Diese beteiligungsrechtliche Beurteilung ist jedoch nicht etwa dem in der Vorstellung des A hervorgerufenen „Risikoirrtum“ als psychischem Faktum geschuldet,2353 sondern sie folgt aus dem rechtlichen Vorsatzbegriff selbst, der die Voraussetzungen eines intentionalen Gefälles insofern qualitativ verbindlich festlegt.2354 Daraus folgt im Umkehrschluss, dass ein „Risikoirrtum“, der den Tatbestandsvorsatz des Vordermannes unberührt lässt, keine mittelbare Täterschaft des Hintermannes mehr begründen kann: Reicht der vom Vordermann erkannte Gefahrenausschnitt für die Zuschreibung einer Erfolgsmaxime hin, so produziert dieser selbst Vorsatzsinn; eine sinnhafte Überdetermination durch einen das wirkliche Gefahrenausmaß besser überblickenden Hintermann scheidet deshalb unter normativen Aspekten aus.2355 Dazu folgendes Beispiel: A überreicht dem T eine – wie nur er sicher weiß – geladene Waffe, die dieser auf den O richten und abdrücken soll; dabei täuscht er dem T wahrheitswidrig vor, dass er nicht wisse, ob die Waffe nun geladen sei oder nicht; T drückt ab und verletzt den O schwer. – Gegeben ist eine Vorsatztat des T, an der der A „nur“ teilnimmt. (b) Umsetzung Wer das unvorsätzliche Tätigwerden eines anderen zur intentionalen Selbstverwirklichung in einer Rechtsgutsverletzung einplant, der versucht die (komplexe) Tat 2350

So im Ansatz übereinstimmend Puppe, AT, § 24 Rn. 11. I. E. übereinstimmend wohl auch Puppe, AT, § 24 Rn. 11, wenn man ihre Darlegungen zur Abgrenzung von Eventualvorsatz und bewusster Fahrlässigkeit bedenkt (in: NK, § 15 Rn. 67 f.). 2352 TuT, 220 f. 2353 So aber Roxin, TuT, 221 ff. (225), von dem auch der Begriff „Risikoirrtum“ stammt (a.a.O., 220). 2354 So zutr. Puppe, AT, § 24 Rn. 11. 2355 A.A. Roxin, TuT, 221 ff. (225). 2351

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in dem Moment, in dem er zum Abschluss seiner eigenen Einwirkung ansetzt (= unbeendeter Versuch),2356 konkret: Wer der ahnungslosen Kindesmutter den vergifteten Hustensaft für das erkältete Kind anreicht oder dem kurzsichtigen Jäger das Gewehr zum Schuss auf das vermeintliche Wild übergibt, der setzt unmittelbar zur mittelbaren Begehung der jeweiligen Tatbestandshandlung an (§§ 22, 25 I Alt. 2). Anders liegt es, wenn der Hintermann erst noch „vorfühlen“ will, ob der andere so naiv ist, auf seine Täuschung hereinzufallen. Wer etwa vor der geplanten Gewehrübergabe den Kurzsichtigen fragt, ob er denn „das Wildschwein da“ gesehen habe, der hat allein mit dieser Frage noch nicht zur Tatbestandshandlung angesetzt; es liegt noch eine straflose Vorbereitungshandlung vor. (c) Zurechnung als Tatbestandshandlung Bei der Zurechnung des äußeren Geschehens als programmrealisierende Tatbestandshandlung ist zu berücksichtigen, dass hier menschliches Handeln als Werkzeugtätigkeit eingeplant wird. Mithin ist zu unterscheiden zwischen der Zurechnung der natürlichen Geschehensentwicklung zur eigenen Kausalprognose (= realontologische Komponente) und der Zurechnung der eingeplanten menschlichen Tätigkeit zur handlungstheoretischen Programmanlage (= sozialontologische Komponente). In erstgenannter Hinsicht stellt sich dabei das Zusatzproblem der kybernetischen Natur komplexer externer „Handlungssysteme“ (vor allem: error in persona und aberratio ictus), während in letztgenannter Hinsicht das Problem der erwartungswidrigen Bösgläubigkeit des menschlichen Werkzeugs auftritt. Die genannten Abweichungen wurden hier2357 bereits eingehend behandelt, worauf zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen sei. (d) Initiierung einer unbewussten Selbstschädigung Die Grundsätze über die Einplanung unvorsätzlichen Werkzeughandelns gelten auch für die Verleitung eines anderen zu einer unbewussten Selbstschädigung.2358 Wer z. B. einen Ahnungslosen zum Anfassen einer Starkstromleitung verleitet, der will ihn als Opferwerkzeug gegen sich selbst einplanen und „durch“ ihn eine höher dimensionierte Tötungshandlung begehen. Zwar existiert für die tatbestandslose Selbstschädigung unmittelbar kein Gefüge strafrechtsrelevanter Tatbestandshandlungsdimensionen. Nichtsdestotrotz kann aber das deliktische Sinngefüge als tertium comparationis entsprechend zur Bestimmung eines beteiligungsrechtlich relevanten Sinngefälles herangezogen werden. Zu fragen ist also, ob das selbstschädigende Handeln des Opfers, subsumiert unter einen hypothetischen Deliktstatbestand, intensional defizitäres Handeln wäre. So liegt es bei der Einplanung einer unbewussten Selbstschädigung: Der Hintermann setzt über den Kopf des Opfers hinweg eine 2356

s. ausführlich dazu nochmals oben, S. 415 ff. (421 f.). S. 427 ff. 2358 Zur Abgrenzung von den Fallensteller-Konstellationen (= unmittelbare Täterschaft) s. nochmals oben, S. 402 ff. 2357

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komplexe Tatbestandshandlung, weil er ein analog § 16 I 1 niedriger dimensioniertes Opferhandeln einplant.2359 Auch hier sind Art und Intensität der Einwirkung auf das Opferwerkzeug irrelevant: Ob der Hintermann den Irrtum und/oder den zur Selbstschädigung führenden Verhaltensentschluss hervorruft oder ob er „nur“ einen äußerlich unterstützenden Beitrag leistet, zählt gleich. Bezugsgegenstand der Vorsatzlosigkeit beim Opferwerkzeug ist wie im Fremdschädigungsbereich allein der nach dem Handlungsprogramm des Hintermannes projektierte (Qualifikations-) Tatbestand. – Der Versuch beginnt, wie sonst auch, wenn der Hintermann zur abschließenden Einwirkung auf sein präsumtives Opferwerkzeug ansetzt (§ 22, 25 I Alt. 2). Die Zurechnung des äußeren Geschehens zum Handlungsprogramm des Hintermannes folgt dann den für die Einplanung menschlicher Werkzeugtätigkeit allgemein geltenden Grundsätzen. (2) Die Einplanung eines Verbotsirrtums (§ 17) Die Einplanung eines Verbotsirrtums wird nur ganz vereinzelt2360 generell, also selbst im Unvermeidbarkeitsfalle (§ 17 S. 1), der Teilnahme zugewiesen. Die These, ein überhaupt normreflektierendes Subjekt wie der im Verbotsirrtum Handelnde (oder gar ein Schuldunfähiger bzw. ein Kind!) gehe – wenn auch unverschuldet – selbst zur Unrechtsmaxime über,2361 ist selbstwidersprüchlich: Wie soll derjenige, dem die Unrechtseinsicht oder die Normbefolgungsfähigkeit fehlt, personal zur Unrechtsmaxime übergehen? Gerade weil er dies nicht tut, wird er doch für den Hintermann überhaupt erst instrumentalisierbar.2362 Vor diesem Hintergrund wäre es verfehlt, die Grenzen mittelbarer Täterschaft von den gesetzlichen Mindestvoraussetzungen der limitiert-akzessorischen Teilnahme her bestimmen zu wollen oder gar den „materiellen“ Täterbegriff als i.d.S. formalgesetzlich überformt anzusehen.2363 Eine solche Abgrenzung ginge nicht nur an der Sache vorbei, sondern konterkarierte auch den Willen des historischen Gesetzgebers, der die deliktische Instrumentalisierung schuldlos Handelnder unzweifelhaft als mittelbare Täterschaft verstanden wissen wollte.2364 Mithin kommt die Einplanung eines Verbotsirrtums (§ 17) als Fallgruppe der mittelbaren Tatbegehung in Betracht. (a) Handlungsprogramm Innerhalb der Tatherrschaftslehre ist allerdings heftig umstritten, unter welchen Voraussetzungen die Einplanung eines Verbotsirrtums ein taugliches Selbstver2359

s. ausführlich zum Ganzen oben, S. 361 ff. (365 ff.). s. insbesondere Köhler, AT, 509. 2361 So Köhler, AT, 509. 2362 Ähnlich auch bereits Roxin, TuT, 683. 2363 I.d.S. aber interimistisch Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 334; ders., in: NK2, § 25 Rn. 23 f. (zu Recht aufgegeben in: NK3, § 25 Rn. 9). 2364 So zutr. Roxin, TuT, 683, unter Verweis auf die entsprechende Passage in BT-Drucks. IV/650, 149. 2360

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wirklichungsprogramm des Hintermannes begründet. Im Zentrum steht dabei die Frage, ob der Verbotsirrtum den Vordermann von strafrechtlicher Verantwortung entlasten muss (= unvermeidbarer Verbotsirrtum § 17 S. 1) oder ob es genügt, wenn er überhaupt der Rechtskategorie des Verbotsirrtums unterfällt und damit aktuelle Überdetermination ermöglicht (= vermeidbarer Verbotsirrtum, § 17 S. 2). Neben dieser Hauptfrage sind dann noch zwei weitere Problemkreise klärungsbedürftig: Erstens ist zu fragen, ob der für das Werkzeug eingeplante Verbotsirrtum die materielle Sozialschädlichkeit von dessen Tun betreffen muss oder ob nicht schon ein Irrtum über das formelle Verbot genügt, um den Hintermann zum mittelbaren Täter zu machen; zweitens erhebt sich die – bereits bekannte – Frage, welche Einwirkungsintensität der Hintermann entfalten muss, damit von einem Instrumentalisierungsprogramm gesprochen werden kann. Diesen Fragen soll im Folgenden nachgegangen werden. (aa) Muss der Hintermann zwingend einen unvermeidbaren Verbotsirrtum einplanen? Die Antwort auf diese erste Frage hängt für die Vertreter der Tatherrschaftsdoktrin bekanntlich davon ab, ob und mit welcher Maßgabe das für die „Nötigungsherrschaft“ ausschlaggebende Verantwortungsprinzip (dort: § 35 I 1) auch für die „Irrtumsherrschaft herangezogen wird bzw. werden soll.2365 Roxin, der die willensbestimmende „Nötigungsherrschaft“ nach einem tatherrschaftskonstituierenden Verantwortungsprinzip i.S.d. § 35 I 1 bestimmt,2366 rückt im Bereich der „Irrtumsherrschaft“ deren andersartige Wesensstruktur in den Vordergrund und will daher hier zentral auf die psychofaktischen Herrschaftsverhältnisse abstellen: Die psychologische Situation sei beim vermeidbaren Verbotsirrtum dieselbe wie beim unvermeidbaren; hier wie dort könne der Hintermann das Tun des anderen gerade deshalb gestaltend überformen, weil diesem aktuell die Unrechtseinsicht fehle.2367 Das ist zweifellos richtig. Zu fragen ist aber, warum für die „Irrtumsherrschaft“ der Irrtum als psychologisches Faktum maßgeblich sein soll, während über die „Nötigungsherrschaft“ die normative Verantwortlichkeitsentlastung des Vordermannes i.S.d. § 35 I 1 entscheidet.2368 Roxin2369 gibt zur Antwort, dass das Verantwortungsprinzip im Rahmen der „Irrtumsherrschaft“ eben nicht gelte, und begründet dies mit der andersartigen Seinsstruktur der finalen Überdetermination eines an sich freien Menschen.

2365

s. eingehend zum Ganzen bereits oben, S. 344 ff. s. dazu nochmals oben, S. 341 ff. 2367 Roxin, Lange-FS (1976), 173 (179 f.); in der Sache ebenso Küper, JZ 1989, 935 (944); Herzberg, Jura 1990, 16 (25); Puppe, AT/21, § 40 Rn. 27 ff.; auch BGHSt 35, 347 (353). 2368 So zutr. Herzberg, Täterschaft, 17 ff. 2369 TuT, 170 ff., 196 ff., 232, 725 f.; zust. etwa Schünemann, in: LK, § 25 Rn. 79. 2366

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Diese ontologische Argumentation ist jedoch schon im Ansatz bedenklich. Denn immerhin könnte man mit Herzberg2370 replizieren, die Freiheit des irrenden Tatmittlers sei lediglich aus phänomenologisch abweichenden Gründen beeinträchtigt: „Das Recht mutet eben dem mündigen Menschen in bestimmten Grenzen zu, der motivierenden Kraft falscher Vorstellungen ebenso zu widerstehen wie der von Nötigungen.“2371 Ganz unabhängig von dieser Debatte büßt das ontologische Argument seine Überzeugungskraft aber spätestens dann ein, wenn Roxin2372 das Verantwortungsprinzip für den Fall des gerechtfertigten Werkzeugs doch wieder heranzieht und die mittelbare Täterschaft des Hintermannes auf die normative Entlastung des gerechtfertigten Tatmittlers stützt: Wird das Verantwortungsprinzip außerhalb der „Nötigungsherrschaft“ herangezogen, um die Werkzeugeigenschaft desjenigen zu begründen, der freiverantwortlich einen Erlaubnistatbestand in Anspruch nimmt, so ist die Zurücknahme des Axioms im Bereich der „Irrtumsherrschaft“ nicht mehr begründbar.2373 Schon deshalb kann der Hinweis auf die sachlogische Andersartigkeit des Regelungssubstrats im Irrtumsbereich letztlich nicht überzeugen. Anders als Roxin gehen deshalb die meisten Anhänger der modernen Tatherrschaftslehre von einem allgemeinen herrschaftslimitierenden Verantwortungsprinzip2374 aus, wonach ein volldeliktisches Handeln des Vordermannes die Tatherrschaft des Hintermannes prinzipiell normativ begrenzt, um die Rechtsordnung widerspruchsfrei zu halten (= Gallas’sche Ur-Form des Verantwortungsprinzips). Auch diese Doktrin lässt sich jedoch im Irrtumsbereich nicht bruchfrei durchhalten. Als problematisch erweist sich nämlich schon die Konstellation, dass ein Fahrlässigkeitstäter zur vorsätzlichen Deliktsverwirklichung eingeplant wird. Denn da der Fahrlässigkeitstäter selbstbestimmt handelt und das StGB keinen darüber hinausgehenden, tatgelösten Freiheitsbegriff kennt, müsste das Verantwortungsprinzip eigentlich schon an dieser Stelle kollabieren.2375 Doch selbst wenn man das Ursprungsaxiom insofern für modifizierbar hält, indem man die vom Fahrlässigkeitstäter „verfehlte“ Vorsatzschuld zur maßgeblichen Referenzgröße erklärt,2376 steht man vor der hiesigen Frage nach der beteiligungsrechtlichen Einordnung des vermeidbaren Verbotsirrtums2377: Nach dem klaren Wortlaut des § 17 S. 2 begründet potentielle Verbotskenntnis strafbegründungsrechtliche Vollverantwortlichkeit, die

2370 In: Täterschaft, 18 f., 24; in der Sache ebenso etwa Bloy, Beteiligungsform, 350; M.-K. Meyer, Ausschluß, 55 ff.; Schroeder, Täter, 73; Küper, JZ 1989, 935 (946 f.). 2371 Herzberg, Täterschaft, 24. 2372 TuT, 167 f. 2373 So zutr. Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 317. 2374 s. eingehend dazu unter oben, S. 339 ff., 344 ff. 2375 So zutr. bereits Küper, JZ 1989, 935 (942). 2376 s. dazu etwa nur Herzberg, Täterschaft, 20 f. 2377 s. eingehend dazu bereits oben, S. 347 ff.

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nach dem allgemeinen herrschaftslimitierenden Verantwortungsprinzip eine Tatherrschaft etwaiger Hinterleute ausschließen müsste.2378 Nichtsdestotrotz wollen aber einige Autoren das Verantwortungsprinzip für die Einplanung eines vermeidbaren Verbotsirrtum noch weiter öffnen, indem sie eine Parallele zur Tatsachenfahrlässigkeit ziehen oder den vermeidbaren Verbotsirrtum als eine Kümmerform der Vorsatzschuld auszuweisen versuchen.2379 Doch keines dieser Argumente kann um den klaren Wortlaut des § 17 S. 2 umhin, der dem vermeidbar Irrenden volle Vorsatzschuld zur Last legt. Andere wollen deshalb das Verantwortungsprinzip streng an der Rechtsfolge des § 17 S. 2 ausrichten, mit der Folge, dass potentielle Verbotskenntnis des Vordermannes eine mittelbare Täterschaft des Hintermannes ausschließen soll.2380 Dadurch wird jedoch der axiologische Bruch, der in der Zulassung eines mittelbaren Vorsatztäters hinter dem selbstbestimmten Fahrlässigkeitstäter liegt, nur noch perpetuiert, denn: Auch der Fahrlässigkeitstäter besitzt ja die Möglichkeit, die Sach- und Rechtslage einzusehen.2381 Vor allem aber existiert auch kein Grund, die Beteiligungsrolle des Hintermannes bei Einplanung eines Verbotsirrtums vom „Zurechnungssurrogat“2382 der Vermeidbarkeit in der Person des Vordermannes abhängig zu machen; denn es ist doch allein das aktuell fehlende Unrechtsbewusstsein des Irrenden, das der Hintermann für seine deliktisch sinnvollere Tatbestandshandlung instrumentalisieren will. Aus eben diesem Grund wird er sich regelmäßig auch keine Vorstellungen über die Vermeidbarkeit des Irrtums in der Person des präsumtiven Werkzeugs machen, was die Lehre vom Verantwortungsprinzip sub specie § 15 vor zusätzliche Probleme stellen müsste.2383 Nach alledem vermag keine der beiden zeitgenössischen Varianten des von Gallas begründeten, allgemeinrechtlichen Verantwortungsprinzips zu überzeugen.2384 Auch der Bundesgerichtshof hat daher im sog. „Katzenkönigs-Fall“2385 das Verantwortungsprinzip verworfen und dies mit der Parallelität der aktuellen psychofaktischen Herrschaftsverhältnisse begründet. Doch sei keinem der in der Literatur vorgeschlagenen Lösungsansätze ein prinzipieller Vorrang einzuräumen; vielmehr handle 2378

So zutr. bereits Stratenwerth, AT/I2, Rn. 780. Herzberg, Täterschaft, 23; auch Schumann, Selbstverantwortung, 78 f. (= Parallele zur Tatsachenfahrlässigkeit); Puppe, AT/21, § 40 Rn. 30; Herzberg, Jura 1990, 16 (24 ff.); auch Kindhäuser, Bemmann-FS (1997), 339 (345) (= Kümmerform der Vorsatzschuld). 2380 Jescheck/Weigend, AT, § 62 II 5 (S. 669); Stratenwerth/Kuhlen, AT, § 12 Rn. 55; Herzberg, JuS 1974, 374 (374); ders., in: Verantwortung, 33 (48 ff.); Maiwald, ZStW 88 (1976), 712 (736 f.); ders., ZStW 93 (1981), 864 (892 f.); Bloy, Beteiligungsform, 347 ff.; Jakobs, AT, 21/94; Bottke, Täterschaft, 68 ff. 2381 Roxin, Lange-FS (1976), 173 (180); Küper, JZ 1989, 935 (942); Herzberg, Jura 1990, 16 (24). 2382 Kindhäuser, Bemmann-FS (1997), 339 (342, 345). 2383 So zutr. Roxin, Lange-FS (1976), 173 (180); Küper, JZ 1989, 935 (948). 2384 s. ausführlich zum Ganzen nochmals oben, S. 347 ff. 2385 BGHSt 35, 347 ff. 2379

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es sich um ein offenes Wertungsproblem.2386 Auch bei Instrumentalisierung eines vermeidbaren Verbotsirrtums sei deshalb auf das Kriterium der vom Täterwillen getragenen objektiven Tatherrschaft abzustellen.2387 Ob sie vorliege, richte sich aber nicht nach starren Regeln, sondern könne nur nach der konkreten Fallgestaltung im Einzelfall wertend ermittelt werden.2388 Die Abgrenzung hänge dabei von „Art und Tragweite des Irrtums“ sowie der „Intensität der Einwirkung des Hintermannes“ ab. Nach diesen Grundsätzen sei mittelbarer Täter jedenfalls derjenige, der mithilfe des von ihm erregten Irrtums das Geschehen gewollt auslöse und steuere, so dass der Irrende bei normativer Betrachtung (noch) als ein Werkzeug anzusehen sei.2389 Diese Tendenz des BGH, sich über die Ausgabe bestimmter Leitkriterien hinaus nicht konkret festzulegen, ist aus der Sicht des Praktikers sicherlich nachvollziehbar. Wie allerdings zu differenzieren sein soll, wenn bewusste Initiierung des Irrtums, Auslösung des Geschehens und faktische Geschehenssteuerung nicht zusammenfallen, lässt sich den angegebenen Relevanzkriterien nicht entnehmen.2390 Es erscheint daher sinnvoll, die vom BGH genannten Kriterien – Art und Tragweite des Irrtums einerseits und Einwirkungsintensität andererseits – rechtswissenschaftlich näher zu konkretisieren.2391 Geht man wie hier von der Möglichkeit eines mehrdimensionalen Tatbestandshandlungsbegriffs aus,2392 so ist allein zu fragen, unter welchen Voraussetzungen das Handeln eines im Verbotsirrtum befangenen Vordermannes (noch) deliktisch überformt werden kann. Dies ist anzunehmen, wenn dem Vordermann die materielle Unrechtseinsicht fehlt, denn insofern regelt § 17 den Mangel einer deliktischen „Intention höherer Ordnung“2393. Wie dieser deliktsbezogene „Sinnmangel“ in der Rechtsfolge zu behandeln ist, ist dann eine andere, primär kriminalpolitische, Frage.2394 Diesbezüglich hat sich der Gesetzgeber für eine nach der Vermeidbarkeit differenzierende Lösung entschieden. Das ändert jedoch nichts daran, dass der Verbotsirrtum als solcher die obligatorische Rechtskategorie für das regelungsbedürftige Fehlen einer deliktischen Intention höherer Ordnung stellt.2395 Beteiligungsrechtlich relevant ist daher nicht das Vorliegen oder Fehlen des Zurechnungssurrogats (= der Vermeidbarkeit), sondern der tatbestandlich anerkannte Einsichtsmangel selbst, der überhaupt erst zur legislatorischen Anknüpfung an ein Zurechnungssurrogat zwingt.2396 Das bedarf freilich noch der näheren Er2386 2387 2388 2389 2390 2391 2392 2393 2394 2395 2396

BGHSt 35, 347, 351 ff. (353). BGHSt 35, 347 (353). BGHSt 35, 347 (353 f.). BGHSt 35, 347 (354). Küper, JZ 1989, 935 (939 f.); Herzberg, Jura 1990, 16 (20 f.). Vgl. i.d.S. bereits Roxin, AT/II, § 25 Rn. 83 ff.; ders., TuT, 729 a.E. s. ausführlich zum Ganzen nochmals oben, S. 71 ff. (85 ff.), 120 ff. Begrifflichkeit nach Kindhäuser, in: EzR, Handlung, Rn. 44. s. zum letzteren Aspekt überzeugend etwa Neumann, in: NK, § 17 Rn. 53 f. I.d.S. bereits Küper, JZ 1989, 935 (948); Herzberg, Jura 1990, 16 (25). s. zum letzteren Aspekt eingehend Herzberg, Jura 1990, 16 (24 f.).

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läuterung, da § 17 seinem Wortlaut nach weiter gefasst ist als schuldstrafrechtlich notwendig. (bb) Bezugspunkt des Programms: Fehlen der materiellen Unrechtseinsicht beim Vordermann § 17 regelt entgegen seiner amtlichen Überschrift nicht wirklich einen Irrtum, sondern das aktuelle Fehlen der Unrechtseinsicht.2397 Dem Akteur muss also verborgen bleiben, dass er überhaupt Unrecht begeht. Mit dem Begriff „Unrecht“ als Bezugsgegenstand des Einsichtsmangels ist dabei nach wohl h.M. das allgemeine Handlungsunrecht gemeint, d. h. der Verstoß gegen eine allgemeinrechtliche Verhaltensnorm, nicht das Strafunrecht i.S.d § 11 I Nr. 5.2398 Irrt der Akteur ausschließlich über die Strafrechtswidrigkeit seines Handelns, so fällt eine derartige Fehlvorstellung nicht mehr in den Anwendungsbereich des § 17.2399 Demnach sind von § 17 zwei Arten von Verbotsirrtümern erfasst: erstens die auf mangelnder Einsicht in die Sozialschädlichkeit beruhende Verbotsunkenntnis (= materieller Verbotsirrtum), zweitens die Unkenntnis der formellen Verbotenheit (= formeller Verbotsirrtum). An diese Zweiteilung hat beteiligungsrechtlich feinsinnig Roxin2400 angeknüpft: Fehle dem Vordermann die Einsicht in die materielle Sozialschädlichkeit seines Tuns, so sei der dies instrumentalisierende Hintermann stets mittelbarer Täter; irre der Vordermann dagegen bloß über die formelle Rechtswidrigkeit seines als sozialschädlich erkannten Tuns (etwa bei irriger Annahme einer Gesetzeslücke), so besitze er volle Unrechtseinsicht und der Hintermann sei nur Teilnehmer. Diese Herausnahme des rein formellen Verbotsirrtums leuchtet unmittelbar ein, denn wer positiv erkannt hat, dass er fremde Freiheitsentfaltungsinteressen unterdrückt, der betätigt eine Unrechtsmaxime, die nicht mehr sinnhaft überformt werden kann.2401 Otto2402 hat dies anhand einiger plastischer Beispiele illustriert: „Wer beleidigende Äußerungen über andere verbreitet, Wohnraum zu wucherischem Mietzins vermietet oder einen anderen mißhandelt, kennt genau den Sachverhalt, den der Gesetzgeber als strafwürdig und strafbedürftig eingeschätzt und dementsprechend unter Strafe gestellt hat.“ Das Deliktsunrecht des Vorsatzdelikts liegt nicht in der Unbotmäßigkeit gegenüber staatlichen Gesetzen, sondern in der Verwirklichung einer materiellen Unrechtsmaxime.2403 Diese Einsicht lässt sich auch schon aus der 2397

s. etwa nur Schild, in: NK, § 25 Rn. 109 m.w.N. H.M.; s. statt vieler etwa nur Fischer, § 17 Rn. 3; instruktiv und verhalten krit. auch Vogel, in: LK, § 17 Rn. 15 ff. 2399 s. nur Fischer, § 17 Rn. 3 m.w.N. 2400 In: TuT, 199 ff., 727 ff.; ders., Lange-FS (1976), 173 (181 ff.); ders., AT/II, § 25 Rn. 83 ff. 2401 Roxin, TuT, 203, 730; Otto, Roxin-FS (2001), 483 (490). 2402 Roxin-FS (2001), 483 (490). 2403 So der Sache nach bereits Roxin, TuT, 203; ders., Lange-FS (1976), 173 (181). 2398

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allgemeinen Unrechtsdogmatik selbst ableiten, wenn man Armin Kaufmanns2404 Diktum über die Identität von Werturteil und Norm bedenkt: Wenn das formelle Verbot reiner Rechtsreflex des materiellen Unwerturteils ist, dann kann seine Kenntnis den materialen Deliktsgehalt nicht mehr mitprägen. Daraus folgt, dass die materielle Unrechtsmaxime eines Vordermannes, der lediglich über die formelle Rechtswidrigkeit seines Tuns irrt, sub specie Straftattypus nicht mehr sinnhaft überformt werden kann. (cc) Intensität der Einwirkung des Hintermannes Bleibt noch die Frage, welche Einwirkungsintensität bei Einplanung eines materiellen Verbotsirrtums erforderlich ist, um den Hintermann zum mittelbaren Täter zu machen. Richtiger Ansicht2405 nach muss das Programm des Hintermannes jedenfalls nicht notwendig auf Hervorrufung des Verbotsirrtums als solchen gerichtet sein. Eine derart verengende Sichtweise wäre teleologisch kaum einsichtig zu machen: Wer die fehlende Unrechtseinsicht eines anderen erkennt und ihn zu einer rechtswidrigen Tat verleitet, der betätigt ebenso ein taugliches Instrumentalisierungsprogramm wie derjenige, der zu diesem Zweck bereits den Irrtum selbst einflüstert.2406 Angesichts dessen erscheint es auf den ersten Blick sinnvoll, mit Roxin2407 auf die Erregung des Tatentschlusses abzustellen. Jedoch schränkt wohl selbst diese Lösung die Möglichkeit der mittelbaren Tatbegehung noch zu sehr ein. Wenn etwa der A irrig annimmt, sich gegen die ihn betreffenden Mordabsichten des B durch einen Präventivschlag verteidigen zu dürfen, warum soll dann der C, der dem A bei voller Unrechtseinsicht die hierfür benötigte Schusswaffe bereitstellt, nicht mittelbarer Täter eines Tötungsdelikts sein können? Er instrumentalisiert doch den Erlaubnisgrenzirrtum (= indirekter Verbotsirrtum) des A, um über dessen Kopf hinweg eine eigene Unrechtsmaxime zu realisieren. Handlungstheoretisch betrachtet ist daher nicht recht einsichtig zu machen, warum ein mittelbar-täterschaftlicher Instrumentalisierungsakt ausschließlich dann vorliegen soll, wenn das Programm des Hintermannes gerade auf Erregung des Tatentschlusses gerichtet ist. Selbst Roxins Schüler Schünemann2408 deutet (u. a.) insofern (vorsichtig) an, es handle sich womöglich um eine überpointierte, im theoretischen Bezugsrahmen nicht unbedingt obligatorische Differenzierung Roxins.

2404

Normentheorie, 74 ff. s. nur Roxin, Lange-FS (1976), 173 (180 f.); ders., AT/II, § 25 Rn. 88 (jeweils unter Hinweis auf die im älteren Schrifttum vertretene Gegenansicht). 2406 So zutr. Roxin, Lange-FS (1976), 173 (181); ders., AT/II, § 25 Rn. 88. 2407 AT/II, § 25 Rn. 88. 2408 In: LK, § 25 Rn. 92. 2405

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6. Kap.: Die Ausarbeitung der Deliktsgruppen im Einzelnen

(b) Umsetzung Im Hinblick auf die Programmumsetzung ergeben sich keine Besonderheiten: Der Versuch beginnt in dem Moment, da der Hintermann dazu ansetzt, seine Einwirkung auf das präsumtive Werkzeug abzuschließen (= unbeendeter Versuch).2409 (c) Zurechnung des weiteren Verlaufs zum Handlungsunrecht Auch hier ist wieder zu unterscheiden zwischen der Zurechnung der natürlichen Geschehensentwicklung zur eigenen Kausalprognose (= realontologische Komponente, Zusatzproblem: error in persona, aberratio ictus) und der Zurechnung der eingeplanten menschlichen Tätigkeit zur handlungstheoretischen Programmanlage (= sozialontologische Komponente, Zusatzproblem: programmwidrige Bösgläubigkeit des vermeintlichen Werkzeugs). Die Handhabung der denkbaren Problemkonstellationen wurde oben2410 bereits ausführlich vorgestellt. (d) Keine Parallele im Bereich der Selbstschädigung Die mittelbare Tatbegehung durch Einplanung eines Verbotsirrtums findet im Selbstverletzungsbereich praktisch keine Entsprechung.2411 Da die Rechtsordnung die Selbstverletzung nicht missbilligt und ein religiöses oder gesellschaftliches Suizidtabu den rechtlichen Sinn einer als Quasi-Delikt gedachten Suizidhandlung nicht mitbestimmen kann,2412 kann es einen „Quasiverbotsirrtum“2413 oder „Missbilligungsirrtum“2414 (analog § 17) nicht geben. Ergo kann auch nicht mittelbarer Täter eines Tötungsdelikts sein, wer in der Person des Suizidenten einen Irrtum über die gesellschaftliche Ächtung des Suizids hervorruft oder unterhält.2415 Redet also etwa der H dem zum Suizid entschlossenen, jedoch um seinen posthumen Leumund besorgten, Vein, die Gesellschaft ächte Suizidhandlungen keineswegs, sondern achte die selbstbestimmte Wahl des eigenen Todeszeitpunktes auf das Höchste, so geht er jedenfalls unter dem Aspekt der „Irrtumsherrschaft“ straflos aus.

2409

s. ausführlich zum Ganzen nochmals oben, S. 421 ff. S. 427 ff. 2411 I.d.S. zutr. Jakobs, AT, 21/97 m. Fn. 173, unter Nennung theoretisch denkbarer Kathederbeispiele. 2412 s. eingehend zum letzteren Aspekt Neumann, JA 1987, 244 (253). 2413 So Herzberg, JA 1985, 336 (338). 2414 Herzberg, JA 1985, 336 (338). 2415 A.A. Herzberg, JA 1985, 336 (338), der der Exkulpationslehre die absurde Konsequenz abverlangen will, die Ausnutzung jedes „Missbilligungsirrtums“ als Tötungsdelikt in mittelbarer Täterschaft zu strafen. Dieses Ansinnen scheitert jedoch ersichtlich an der sozialethischen Irrelevanz des gesellschaftlichen Suizidtabus (s. dazu nochmals Neumann, JA 1987, 244 [253]) und damit am Fehlen eines quasi-deliktischen „Schuldsubstrats“ (vgl. zum letzteren Aspekt losgelöst von der Selbstschädigung Roxin, TuT, 333 f.). 2410

A. Täterschaft bei den allgemeinen vorsätzlichen Begehungsdelikten

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(3) Die Einplanung eines Irrtums über den konkreten Handlungssinn Diese Fallgruppe ist als eigenständige Kategorie der Irrtumsherrschaft erstmals von Roxin2416 umfassend abgehandelt und systematisch in die Beteiligungslehre eingegliedert worden. Danach existieren verschiedene Programme einer Täuschung über den konkreten Handlungssinn: (a) Der manipulierte error in persona Als wichtigste Fallgruppe nannte Roxin ursprünglich die wissentliche Herbeiführung eines error in persona. Als Beispiel führte er zwei Fallvarianten2417 an: [1] A lauert dem B in der Dämmerung an einem abgelegenen Weg auf, um ihn zu erschießen, sobald er dort auftaucht. Neben dem A liegt dessen Kumpan C. Als C sieht, wie sein Erzfeind D sich der Abschussstelle nähert, insinuiert er dem A wahrheitswidrig, es handle sich um den B. Daraufhin erschießt A den D (= Variante mit geistigem Kontakt). – [2] A lauert dem B an entlegener, nachtdunkler Stelle in Tötungsabsicht auf; C erfährt davon und manövriert seinen Feind D zu der entlegenen Örtlichkeit, so dass A, der den D ob der schlechten Sichtverhältnisse für den B hält, diesen erschießt (= Variante ohne geistigen Kontakt). – Für beide Varianten war und ist Roxin2418 der Ansicht, dass der Hintermann auf der vierten Ebene sinnhafter Tatgestaltung (= Gestaltung des konkreten Handlungssinns) operiere, indem er den Identitätsirrtum beim Vordermann hervorrufe. Vergegenwärtigt man sich die Konstellation des manipulierten error in persona aus der Perspektive des intentionalen Handlungsbegriffs, so ist in der Tat zu konstatieren, dass die Tötung eines bestimmten Menschen eine andere intentionale Handlung ist als die Tötung irgendeines Menschen.2419 Fraglich ist allerdings, ob die konkrete Opferidentität noch Gegenstand einer deliktisch relevanten Handlungsdimension sein kann. Diese Frage kann für Vorder- und Hintermann nur einheitlich beantwortet werden, denn für beider Tatbestandshandlungen gilt ein und dasselbe straftatbestandliche Handlungssinngefüge. Da die Straftatbestände des Besonderen Teils das Tatobjekt aber nur abstrakt, d. h. der Gattung nach, bestimmen, kann die konkrete Opferidentität nicht mehr Gegenstand einer unrechtsrelevanten Handlungsdimension sein,2420 m.a.W.: Die vierte Ebene der sinnhaften Tatgestaltung im Sinne Roxins fällt der strafgesetzlichen Formalisierung des Tatbestandshandlungsbegriffs zum Opfer.2421 Das wird man vom Boden des Tatherrschaftskriteriums aus kaum anders sehen können, denn auch dessen Anhängern geht es ja um die 2416

TuT, 212 ff. TuT, 212. 2418 TuT, 213 ff.; ders., Lange-FS (1976), 173 (189 ff.); ders., AT/II, § 25 Rn. 102 ff.; zust. Schünemann, in: LK, § 25 Rn. 104 f., m.w.N. in Fn. 227. 2419 Vgl. dazu bereits Kindhäuser, Intentionaler Handlungsbegriff, 162 f. 2420 So vom Boden der Tatherrschaftslehre aus zutr. bereits Herzberg, Täterschaft, 24 f.; zust. etwa Bloy, Beteiligungsform, 359. 2421 s. eingehend und instruktiv dazu Schild, NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 252 ff. (254). 2417

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6. Kap.: Die Ausarbeitung der Deliktsgruppen im Einzelnen

Lozierung der Täterlehre im gesetzlichen Tatbestand. Das Tatbestandsgefüge als Bezugssystem unrechtlichen Handlungssinns ist aber ein feststehender Systembegriff. Die „Stufen sinnhafter Tatgestaltung“2422 können deshalb für alle Beteiligten nur einheitlich bestimmt werden. Roxin sieht das freilich nach wie vor anders. Er stützt dies auf drei Erwägungen, die hier der Reihe nach abgehandelt seien: (aa) Das teleologische Argument: unterschiedliche Funktion von Tatbestand und Beteiligungsform Das teleologische Argument2423 besteht in der These, dass die Tatherrschaft nicht nach dem Unrechtstatbestand als abstrakt-begrifflichem Gebilde, sondern nach den konkreten Umständen zu beurteilen sei. Der Grund dafür liege in der unterschiedlichen Funktion beider Kategorien: Dass der Identitätsirrtum des Todesschützen A im Tatbestand unberücksichtigt bleibe, beruhe auf einer Strafwürdigkeitserwägung des Gesetzgebers. Ihm müsse naturgemäß jedes Leben gleich viel wert sein, weshalb es für die Tatbestandserfüllung genügen müsse, wenn der Täter sein Opfer als Menschen erkannt habe. Dem A werde der Tod des D zugerechnet, weil er in ihm immerhin den B habe töten wollen, und weil das eine wie das andere auch qualitativ gleichermaßen verwerflich sei.2424 Demgegenüber habe die Frage nach der mittelbaren Täterschaft des C nichts mit der Strafwürdigkeit dessen zu tun, was der A willentlich getan habe. Für die sinngestaltende Herrschaft über die konkrete Situation komme es vielmehr allein darauf an, ob der C seinen eigenen, von A nicht durchschauten Zweck durch ihn als blindes Werkzeugs habe verwirklichen können. Und das sei der Fall, denn im Hinblick auf den Tod des D sei die Lage nicht anders zu beurteilen, als wenn A nur auf einen Baumstumpf hätte schießen wollen und C ihm suggeriert hätte, bei der in der Dämmerung erscheinenden Gestalt handle es sich um einen solchen. Hier wie dort komme die Herrschaft über den konkreten Handlungsvollzug allein dem C zu.2425 Diese Argumentation stößt bereits im Ansatz auf erhebliche Zweifel: Wenn bei den „Herrschaftsdelikten“ die Formel Täterschaft = Tatbestandsverwirklichung = Tatherrschaft gelten soll, wie kann dann der Tatherrschaft eine andere Funktion zukommen als dem Tatbestand, über dessen Verwirklichung sie entscheidet? Anders gefragt: Warum soll (gerade) über die Tatbestandsverwirklichung des mittelbaren Täters ein konkreterer Maßstab entscheiden als der (sonst) bezugsgegenständliche (abstrakt-generelle) Deliktstatbestand?2426 Eine tragfähige Begründung dafür dürfte es wohl kaum geben. Mit Recht hat daher Herzberg2427 konstatiert:

2422 2423 2424 2425 2426 2427

Roxin, TuT, 197. Roxin, TuT, 214 f. Roxin, TuT, 214. Roxin, TuT, 214 f. s. dazu bereits Bloy, Beteiligungsform, 359. In: Täterschaft, 25.

A. Täterschaft bei den allgemeinen vorsätzlichen Begehungsdelikten

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„Roxin lässt hier außer acht, was er sonst mit Recht betont: Daß die Täterschaft gleichbedeutend ist mit der Tatbestandserfüllung. Ist im Gesetz das entscheidende Merkmal abstrakt gefasst, so kann das überlegene Erkennen konkreter Umstände, die für den Unrechtstatbestand keine Rolle spielen, eine rechtserhebliche Tatherrschaft nicht begründen.“

Demnach kann der Rekurs auf die angeblich unterschiedliche dogmatische Funktion „beider Rechtsfiguren“2428 nicht überzeugen. (bb) Das systematische Argument: Vergleich mit der Umstiftung Inzwischen hat Roxin2429 sich denn auch stärker auf die beiden anderen seiner ursprünglich drei Argumente kapriziert. In systematischer Hinsicht verwies er dabei auf den Umstand, dass auch die anderen Beteiligungsformen – Anstiftung und Beihilfe – eine konkrete Betrachtung erforderten.2430 Zum Beleg dieser These zog Roxin allerdings zunächst unglücklicherweise gerade den umstrittenen Fall heran, dass ein erfolgreich angestifteter Haupttäter über die Identität des Anschlagsopfers irrt. Dort sei – entgegen der herrschenden Meinung (!) – keine vollendete Anstiftung des Hintermannes zur konkreten Tat anzunehmen. Sei aber der error in persona in dieser Weise für das Anstiftungsunrecht relevant, dann könne auch die Mitwirkungsform der mittelbaren Täterschaft nur nach den konkreten Vorstellungen der Beteiligten ermittelt werden.2431 Dieses argumentum a simile stand offensichtlich vor dem Problem, dass eine ungesicherte Hypothese kaum mit einer rechtswissenschaftlich ebenso kühnen Vergleichshypothese untermauert werden kann. Daher wird der Vergleich in dieser Ursprungsform auch inzwischen nicht mehr angeführt. Doch hat Roxin eine scharfsinnige Neuvariante des Ursprungsarguments in die Diskussion eingebracht. Er stellt jetzt maßgeblich auf die – angeblich – konkrete Betrachtungsweise bei der sog. „Umstiftung“ ab und überträgt diese auf den manipulieren error in persona: Wer den tatentschlossenen A überrede, statt des B doch lieber den C zu töten, der sei unstreitig Anstifter. Dann aber müsse konsequenterweise mittelbarer Täter sein, wer eine solche Auswechslung des Opfers mittels Täuschung erreiche. Ein Tun, das bei Kenntnis des Aufgeforderten Anstiftung begründe, begründe bei Täuschung über die entsprechenden Umstände doch allemal mittelbare Täterschaft.2432 Dieser zweite Vergleichsschluss mutet prima vista bestechend an. Näheres Hinsehen zeigt aber, dass doch wieder nur eine petitio principii vorliegt. Der Fehler liegt in der prämissiven Annahme, die Rechtsfigur der Umstiftung beruhe ebenso wie die Initiierung eines error in persona auf einer bloßen Auswechslung des Tatobjekts. So liegt es aber in dem von Roxin als Referenz herangezogenen Umstiftungsbeispiel gerade nicht, denn dieses betrifft eine Änderung des Tatvorhabens selbst: Nicht 2428 2429 2430 2431 2432

So die Bezeichnung bei Roxin, TuT, 214. In: Lange-FS (1976), 173 (191 f.); ders., in: TuT, 732 f. Roxin, TuT, 215; zu Recht krit. dagegen etwa Bloy, Beteiligungsform, 359 f. Roxin, TuT, 215. Roxin, Lange-FS (1976), 173 (191); ders., TuT, 733.

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6. Kap.: Die Ausarbeitung der Deliktsgruppen im Einzelnen

einmal nach der (abzulehnenden2433) Lehre vom omnimodo facturus ist der umgestiftete Attentäter hier durchgehend „tatentschlossen“ i.S.d. abstrakten Tatbestandes. Vielmehr wird er von seinem ursprünglichen Tatvorhaben abgebracht und zur Fassung eines gänzlich neuen Tatvorhabens überredet! Er „switcht“ also nicht bloß innerhalb eines beibehaltenden Tatentschlusses von Opfer B auf Opfer C um, sondern er gibt sein altes Tatbestandshandlungsvorhaben (jedenfalls für eine juristische Sekunde) auf und fasst ein gänzlich neues. Damit trifft ihn die Appellwirkung des abstrakten Tatbestandes aber erneut, wenn der Umstifter ihm seinen alternativen Tatvorschlag unterbreitet. Der entscheidende Unterschied zum Fall des manipulierten error in persona liegt also gerade in dem Wissen des (deshalb) umgestifteten Haupttäters, dass er sein ursprüngliches Tatvorhaben aufgibt und ein vollkommen neues fasst. Zu dieser Konstellation existiert aber im Täuschungsbereich keine Entsprechung, denn der Irrtum des Schützen über die Identität des vom Hintermann untergeschobenen Opfers lässt sein bestehendes Tatvorhaben gerade unberührt.2434 Somit trägt auch der systematische Vergleich Roxins die Anerkennung einer rechtserheblichen Handlungsdimension im Falle des error in persona nicht. (cc) Das kriminalpolitische Argument Bleibt noch Roxins kriminalpolitische Erwägung: Für die Annahme einer mittelbaren Täterschaft spreche insbesondere auch die Tatsache, dass andernfalls die Gestaltung des konkreten Handlungssinns ihrem deliktischen Gehalt nach strafrechtlich überhaupt nicht erfasst werden könne.2435 Eine Anstiftung liege nicht vor, da der über die Opferidentität irrende Vordermann bereits vor der Intervention des Hintermannes tatentschlossen gewesen sei.2436 Und von einer Beihilfe, selbst einer psychischen, könne ebenfalls nicht die Rede sein; denn erstens könne die Erzeugung eines Identitätsirrtums den bereits vorhandenen Tatentschluss nicht affirmieren, und zweitens könne man in der Tatsache, dass der Hintermann den Deliktsplan des Vordermannes geradezu vereitele, wohl kaum eine Tatförderung erblicken.2437 Der Hintermann könne demnach überhaupt nicht bestraft werden. Dass aber jemand seinen Feind aus der Welt schaffen dürfe, ohne dafür strafrechtlich belangt werden zu können, sei ein Ergebnis, das der Gesetzgeber so nicht gewollt haben könne und das den Täterbegriff ad absurdum führe.2438 Diesem kriminalpolitischen Argument könnte man zunächst lapidar entgegenhalten, es sei nicht die Aufgabe des „Täterbegriffs“ bzw. des ihn ausfüllenden Kriteriums, Strafbarkeitslücken zu schließen. Das sieht natürlich auch Roxin, der allerdings zu Recht darauf hinweist, dass dieser formale Hinweis das Judiz in keiner 2433 2434 2435 2436 2437 2438

s. eingehend dazu noch unten S. 562 ff. So in der Sache bereits Herzberg, Täterschaft, 24 f. Roxin, TuT, 215; ders., AT/II, § 25 Rn. 103. Roxin, TuT, 215, 733; ders., AT/II, § 25 Rn. 103. Roxin, TuT, 215 f., 733; ders., AT/II, § 25 Rn. 103. Roxin, TuT, 216.

A. Täterschaft bei den allgemeinen vorsätzlichen Begehungsdelikten

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Weise befriedigen kann.2439 Es bedarf daher noch genauerer Untersuchung, ob der Hintermann hier nicht immerhin Teilnahmehandlungsunrecht setzt. (dd) Setzt der Hintermann Teilnahmeunrecht? Einhellige Ansicht dürfte sein, dass derjenige, der den error in persona eines lauernden Todesschützen zur Herbeiführung einer Rechtsgutsverletzung einplant, nicht straffrei ausgehen darf. Allerdings scheiden sich die Geister bei der Frage, welchem Beteiligungstypus die Manipulation konkret zuzuordnen ist. Dabei ist zu differenzieren zwischen der kommunikativen Einwirkung auf den Schützen selbst einerseits und dem Austausch des Opfers andererseits. (a) Der Fall der direkten kommunikativen Einflussnahme auf den Schützen war folgender: A insinuiert dem am Wegesrand lauernden Attentäter B wahrheitswidrig, der herannahende D sei das erwartete Anschlagsopfer C; B erschießt den D. – Hier sind sich die Gegner Roxins immerhin darüber einig, dass ausschließlich eine Teilnahme in Betracht kommt. Streitig ist nur, welcher Teilnahmehandlungstypus vorliegt. Manche Autoren2440 plädieren für die Annahme einer Anstiftung, da der Hintermann im Vordermann überhaupt erst den Entschluss hervorrufe, die konkrete Person anzugreifen.2441 Dem ist jedoch mit Roxin2442 zu widersprechen, denn bestimmt man den Tatvorsatz gattungsmäßig i.S.d. Tötung eines Menschen, so scheitert die Anstiftungslösung an der nach traditioneller Dogmatik gegebenen Tatentschlossenheit des Haupttäters. Die entgegengesetzte These Bloys2443, wonach für das akzessorische Teilnahmeunrecht die vom Täter konkret begangene Haupttat (d. h. deren konkreter Handlungssinn) maßgeblich sein soll, ist offensichtlich zirkulär: Warum sollte für das abgeleitete Teilnahmeunrecht ein anderer, konkreterer, Tatbegriff gelten als für das Bezugssystem der Haupttat? Gerade wenn man mit Bloy2444 das Teilnahmeunrecht als unselbständiges Derivat des Haupttatunrechts begreift, muss doch der Tatbegriff ein und derselbe sein! Damit bleibt es dabei: Nach der traditionellen Lehre vom omnimodo facturus kann die Erregung eines bloßen Identitätsirrtums keine Anstiftung mehr begründen, da der Vordermann bereits tatentschlossen i.S.d. abstrakten Deliktstatbestandes war.2445 Folglich scheidet Anstiftung nach herkömmlicher Dogmatik aus.2446 2439

TuT, 216. So etwa Spendel, Lange-FS (1976), 147 (170); Herzberg, Täterschaft, 24; Stratenwerth/ Kuhlen, AT, § 12 Rn. 63 a.E.; Bloy, Beteiligungsform, 360 f. 2441 So expressis verbis Stratenwerth/Kuhlen, AT, § 12 Rn. 63 a.E. 2442 In: TuT, 215, 733; ders., in: AT/II, § 25 Rn. 103 f. 2443 Beteiligungsform, 360 f. 2444 Beteiligungsform, 205 ff., 314 ff. 2445 So zutr. Roxin, TuT, 215, 733; ders., AT/II, § 25 Rn. 103 f. 2446 Eine andere Beurteilung wäre u. U. möglich bei Ablehnung des Dogmas vom omnimodo facturus (s. eingehend dazu noch unten S. 562 ff.). Dann könnte prinzipiell auch noch Anstifter sein, wer den Impuls, hic et nunc zu schießen, im Haupttäter hervorruft. Richtiger Ansicht nach setzt Anstiftung jedoch die Äußerung eines sanktionsträchtigen Verhaltensappells 2440

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6. Kap.: Die Ausarbeitung der Deliktsgruppen im Einzelnen

Doch kann das manipulative Bewirken des tödlichen Schusses problemlos als Beihilfehandlung beurteilt werden.2447 Denn der Fall zeichnet sich gerade dadurch aus, dass der Hintermann im Haupttäter einen spontanen Handlungsimpuls auslösen, ihn zu einem kurzschlüssigen Handeln motivieren will. Unzutreffend ist daher der Einwurf Roxins2448, bei gattungsmäßiger Bestimmung des Tatobjekts fehle es an einer chancenerhöhenden Kausalität der Beihilfe. Richtig ist zwar, dass das Hervorrufen des Identitätsirrtums den tatsächlichen Deliktsplan des Haupttäters geradezu vereitelt.2449 Aber dieser konkrete Handlungssinn ist für den Tötungsentschluss, zu dem der Haupttäter hic et nunc stimuliert wird, gerade irrelevant, weshalb rechtlich problemlos von einer Beihilfe zu fremder Tat gesprochen werden kann. Damit setzt der Hintermann also immerhin eine Beihilfehandlung. (b) Weit größere Meinungsvielfalt herrscht dagegen in dem Fall, dass der Hintermann dem Schützen ein anderes Opfer vor die Flinte manövriert (sog. „DohnaFall“2450): Fuchs erfährt von den Attentatsplänen des Schütz, der ihm an einem einsamen Waldweg in Tötungsabsicht auflauert. Mit einer fingierten RendezvouzEinladung lockt nun der Fuchs seinen Feind Luchs zum Tatort, damit dieser erschossen werde. So geschieht es, weil Schütz den Luchs für Fuchs hält. In dieser Konstellation will insbesondere Schroeder2451 eine mittelbare Täterschaft für den Hintermann annehmen, da dieser einen bereits Tatentschlossenen instrumentalisiere, um seine deliktischen Pläne zu verwirklichen: Hänge die Erfolgsherbeiführung bloß noch von einer äußerlichen Anstoßbedingung ab, die der Hintermann in eigener Person herbeizuführen trachte, so entfalle die für den Teilnehmer typische Erfolgsunsicherheit, die sonst in der Abhängigkeit von fremdem Tatentschluss liege.2452 – Diese Argumentation ist jedoch schon im Ansatz problematisch, da der Grad der faktischen Erfolgssicherheit per se weder ein axiologisch befriedigendes noch ein rechtssicheres Täterkriterium abgibt.2453 Davon abgesehen ist es aber auch überhaupt unmöglich, die Beteiligungsformen strafbegründungsrechtlich nach dem Kriterium der Erfolgsnähe abzugrenzen, da jede Beteiligungsform tatbestandlich das gesamte Spektrum der Wahrscheinlichkeitsgrade abdeckt.2454 voraus (eingehend dazu noch unten, S. 543 ff. [551 ff.]), woran es bei der reinen Tatstimulation („Da ist er, schieß!“) noch fehlen dürfte. 2447 So explizit etwa Schild, NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 254; Joecks, in: MK, § 25 Rn. 115 a.E. 2448 In: TuT, 215 f., 733. 2449 So zutr. Roxin, TuT, 216, 733; ders., AT/II, § 25 Rn. 103. 2450 s. dazu nochmals Spendel, Lange-FS (1976), 147 (167), unter Hinweis auf die Originalquelle bei Graf zu Dohna (a.a.O., Fn. 78). 2451 Täter, 143 ff. (146 f., 150). 2452 Schroeder, Täter, 150. 2453 s. eingehend zum Ganzen bereits Herzberg, Täterschaft, 48 f. 2454 s. dazu etwa Stein, Beteiligungsformenlehre, 164, 182 ff.; Nepomuck, Anstiftung, 76 f., 151 f.; Haas, Theorie, 57; vgl. i.Ü. auch Schroeder selbst, in: Täter, 205 f.

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Vor diesem Hintergrund wollen im Dohna-Fall einige Autoren2455 auf eine unmittelbare Täterschaft bzw. eine Nebentäterschaft des Hintermannes ausweichen. Die dafür vorgebrachte Argumentation ist aber dogmatisch ebenso fragwürdig. So meint exemplarisch etwa Herzberg, man werde dem Gewicht des vom Hintermann geleisteten Beitrages nicht gerecht, wenn man ihn bloß als Gehilfen ansehe.2456 Um sein manipulatives Verhalten angemessen zu erfassen, müsse man daher das Tatherrschaftserfordernis in seiner Geltung beschneiden und in extensiver Gesetzesauslegung annehmen, dass der Hintermann als Täter töte, obwohl er den entscheidenden letzten Akt nicht beherrsche.2457 Einen zwingenden Beweis für die Richtigkeit dieser Lösung dürfe man freilich nicht erwarten. Sie werde aber immerhin phänomenologisch plausibel, wenn man bedenke, dass auch das Wirken von Naturkräften als Zwischenfaktor nicht werkzeuggleich beherrscht werden müsse, um eine täterschaftliche Zurechnung zu rechtfertigen.2458 Bei dieser Sachlage spreche aber viel dafür, auf das Erfordernis einer werkzeuggleichen Beherrschung auch dann zu verzichten, wenn das tödliche Verderben für das Opfer von einem tatentschlossenen Menschen ausgehe. Hier wie dort müsse das tatbeherrschende Hineinführen des Opfers in die Gefahrensituation genügen, während die Macht, die bereitstehe, das Verderben zu vollenden, nicht beherrscht, sondern bloß ausgenutzt werden müsse.2459 So dürfe es z. B. keinen Unterschied machen, ob der Fluchtwillige an der Zonengrenze absichtlich in eine Miene oder aber in den gezielten Schuss eines Grenzschützers hineinmanövriert werde. Andernfalls erhalte man seltsame Resultate.2460 Wie alle anderen Versuche, die Täterstrafe zur Anwendung zu bringen, ist auch diese Argumentation zwar kriminalpolitisch nachvollziehbar, kann aber rechtsdogmatisch nicht überzeugen: Bereits vom methodischen Ansatz her ist fraglich, wie dem geltenden Recht eine derartige Figur der Nebentäterschaft implementiert werden soll. Denn über die intrasystematisch klar voneinander abgegrenzten (Handlungs- und) Zurechnungsfiguren des § 25 hinaus kennt das StGB gerade keine täterschaftliche Zurechnung.2461 Nach geltendem Recht kann menschliches Handeln aber nur solange als äußere Realtätigkeit eingeplant werden, wie die Prämissen des § 25 I Alt. 2 vorliegen. Eine einseitige Einplanung fremden Handelns, die diese Voraussetzungen nicht erfüllt, kann daher keine Tatbestandshandlungszurechnung mehr begründen (argumentum e contrario). Zuzugeben ist allerdings, dass die 2455 Welzel, Strafrecht, § 15 V (S. 111); Spendel, Lange-FS (1976), 147 (168 f.); Herzberg, Täterschaft, 51. 2456 Täterschaft, 51; der Sache nach auch bereits Spendel, Lange-FS (1976), 147 (167). 2457 Herzberg, Täterschaft, 51. 2458 Herzberg, Täterschaft, 51; in der Sache ebenso schon Spendel, Lange-FS (1976), 147 (168 f.). 2459 Herzberg, Täterschaft, 51; in der Sache ebenso schon Spendel, Lange-FS (1976), 147 (168 f.). 2460 Herzberg, Täterschaft, 51; in der Sache ebenso schon Spendel, Lange-FS (1976), 147 (169). 2461 Joecks, in: MK, § 25 Rn. 115; Roxin, TuT, 732.

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6. Kap.: Die Ausarbeitung der Deliktsgruppen im Einzelnen

faktischen Erfolgsaussichten bei Einplanung eines tatentschlossenen Menschen oft nicht geringer sein werden als bei Einplanung vergleichbar wirkender Naturkräfte. Daher kann jedenfalls vom Tatherrschaftskriterium her, das in der Grunderscheinungsform der „Handlungsherrschaft“ offensichtlich mit phänomenologischer Erfolgsnähe konnotiert wird, in der Tat nicht mehr wirklich plausibel gemacht werden, warum bei Instrumentalisierung fremder Tatentschlossenheit normativ keine Tatherrschaft vorliegen soll. Dieser Wertungswiderspruch beweist jedoch nicht etwa die Notwendigkeit, im Dohna-Fall eine Nebentäterschaft des Hintermannes zuzulassen, sondern bloß die intrasystematische Unstimmigkeit der Tatherrschaftslehre als solcher. Nach alldem bleibt es dabei, dass im Dohna-Fall eine Nebentäterschaft e contrario § 25 ausgeschlossen ist. Somit stellt sich wiederum die Frage nach einer möglichen Teilnahmehandlung des manipulativ tätig werdenden Hintermannes (Fuchs): Eine Anstiftung scheidet nach der h.L.2462 schon deshalb aus, weil Fuchs nicht kommunikativ auf den Schütz eingewirkt hat.2463 Zwar existiert in der Literatur eine Minderheitsmeinung2464, nach der schon die Schaffung einer tatprovozierenden Situation Anstiftung begründen können soll. Doch selbst nach dieser Ansicht müsste eine Anstiftung im Dohna-Fall ausscheiden, da der Schütz nach der Lehre vom omnimodo facturus bereits fest zur Tötung eines Menschen entschlossen war, bevor Fuchs ihm den Luchs vor die Flinte manövrierte.2465 Übrig bleibt daher wiederum „nur“ die Annahme einer Beihilfe.2466 Und wer dem präsumtiven Täter das Opfer zuführt, der leistet selbstverständlich Beihilfe zur Tötung eines Menschen.2467 (c) Im Ergebnis ist also festzuhalten, dass der Hintermann in beiden Varianten der Einplanung eines error in persona „nur“ eine Beihilfehandlung setzt. (b) Der Irrtum über taterhebliche Handlungsvoraussetzungen Die Besonderheit dieser Fallgruppe erblickte Roxin2468 darin, dass der Irrtum den Tatplan des unmittelbaren Täters überhaupt erst hervorrufe. Exemplarisch nannte Roxin2469 folgenden Fall: A lügt dem eifersüchtigen B vor, dessen Frau habe Ehebruch mit dem C begangen und rät ihm, den C dafür ordentlich zu verprügeln; B tut dies. – Auch hier wollte Roxin seinerzeit2470 eine Sinngestaltungsherrschaft der vierten Tatherrschaftsstufe (= über den konkreten Handlungssinn) und also eine 2462

s. statt vieler nur etwa Fischer, § 26 Rn. 3, m.w.N. So zutr. Schild, in: NK, § 25 Rn. 118. 2464 Vertreten u. a. etwa von Herzberg, Täterschaft, 146 f. und Bloy, Beteiligungsform, 328 f., jeweils m.w.N. 2465 Vgl. Roxin, TuT, 733; ders., in: AT/II, § 25 Rn. 103 f. 2466 Ebenso etwa Joecks, in: MK, § 25 Rn. 115 a.E.; Schild, in: NK, § 25 Rn. 118. 2467 So zutr. Schild, in: NK, § 25 Rn. 118. 2468 TuT, 212, 217. 2469 TuT, 212. 2470 In: TuT, 217 ff. 2463

A. Täterschaft bei den allgemeinen vorsätzlichen Begehungsdelikten

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mittelbare Täterschaft des Hintermannes annehmen. Damit gehe zwar die Aufgabe einher, tatherrschaftsbegründende Irrtümer über den konkreten Handlungssinn transparent und rechtssicher von irrelevanten Motivirrtümern abzugrenzen.2471 Doch sei eine solche Abschichtung prinzipiell durchaus leistbar, indem man eben strikt auf Irrtümer über den Sinngehalt der Deliktsverwirklichung als solcher abstelle.2472 – An späterer Stelle2473 hat Roxin dieses Plädoyer für mittelbare Täterschaft allerdings wieder revidiert und den Irrtum über taterhebliche Handlungsvoraussetzungen explizit aus der Kategorie des Irrtums über den konkreten Handlungssinn ausgenommen. Mittelbare Täterschaft sei nur denkbar, wenn der Hintermann über qualifizierende Tatumstände täusche, also über Umstände, die ein gesetzliches Qualifikationsmerkmal erfüllten.2474 Damit wurde in der Sache anerkannt, dass die Verwirklichung tatbestandlich irrelevanten Handlungssinns keine (komplexe) deliktstatbestandliche Handlungszuschreibung mehr rechtfertigen kann. Diese zutreffend erkannte „Isolierung des Geschehens aus dem Alltag“2475 hätte allerdings eigentlich die gesamte Lehre vom Irrtum über den konkreten Handlungssinn treffen, ihr das Fundament entziehen müssen.2476 Besagte Konsequenz hat Roxin2477 jedoch so nicht gezogen, was problematisch ist.2478 Zur ursprünglich beschriebenen Fallgruppe des Irrtums über taterhebliche Handlungsvoraussetzungen bleibt aber jedenfalls zu konstatieren, dass der Hintermann hier selbst nach Ansicht Roxins kein mittelbartäterschaftliches Handlungsprogramm umsetzt. (c) Der Irrtum über Qualifikationsvoraussetzungen (aa) Mordmerkmale Mit der Rubrik des Irrtums über Qualifikationsvoraussetzungen bezeichnete Roxin2479 ursprünglich Sachverhalte, bei denen der Irrtum des Vordermannes (sogar) die gesetzliche Wertung der Tat beeinflusse. Exemplarisch wurde folgender vom BGH2480 entschiedene Sachverhalt angeführt: Der Angeklagte hatte im April 1945 eine Heeresstreife der örtlichen Besatzungskräfte aufgefordert, den Gendarmeriemeister L zu verhaften und zu erschießen, unter der wahrheitswidrigen Vorspiegelung, L habe mehrere Fremdarbeiter erschossen. Amerikanische Soldaten erschossen den L daraufhin, ohne seine Unschuldsbeteuerungen anzuhören.

2471 2472 2473 2474 2475 2476 2477 2478 2479 2480

Vgl. Roxin, TuT, 217 f. Roxin, TuT, 218. In: Lange-FS (1976), 173 (188 m. Fn. 48). Roxin, Lange-FS (1976), 173 (187 f.). So pointiert Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 253. s. instruktiv zum Ganzen Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 253 ff. Lange-FS (1976), 173 (184 ff.). Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 254 f. TuT, 212 f., 219 f. BGHSt 1, 368 ff. (369).

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6. Kap.: Die Ausarbeitung der Deliktsgruppen im Einzelnen

Geht man mit den tatrichterlichen Feststellungen2481 davon aus, dass nur der angeklagte Hintermann aus niedrigen Beweggründen (hier: Rachsucht) heraus gehandelt hat, so scheint die Annahme eines Mordes hinter dem Totschlag2482 gerade auf Basis eines intentionalen Handlungsbegriffs konstruktiv möglich.2483 Zu beachten ist jedoch, dass Mordsinn den intensionalen Gehalt des allgemeinrechtlich verbotenen Rechtsgutszugriffs als solchen (= der Tötung) nicht mehr tangiert, sondern „bloß“ dessen Unwertgehalt erhöht.2484 Aus diesem Grund korrespondiert dem Mordtatbestand weder eine eigene rechtsgüterschützende Verhaltensnorm, noch kann es eine aus dem allgemeinen Tötungsverbot abgeleitete, originäre Pflicht zur Vermeidung von Mordsinn geben. Ergo ist ein „Mörder hinter dem Totschläger“ verhaltensunrechtsdogmatisch undenkbar. Im Ergebnis2485 zu Recht hat deshalb der BGH2486 für den Angeklagten im obigen „Heeresstreifenfall“ eine Anstiftung zum Tötungsdelikt der irregeleiteten Soldaten angenommen.2487 Der Schuldspruch lautete jedoch nur auf Anstiftung zum Totschlag, da der Mordtatbestand ein selbständiges Delikt sei und der niedrige Beweggrund des Angeklagten also über die Akzessorietätslockerungsregel für strafschärfende persönliche Merkmale (seinerzeit § 50 II StGB a.F.) nicht eingefangen werden könne.2488 Dieser Rechtsprechung ist mit der h.L. im Schrifttum dezidiert entgegenzutreten, da der Mordtatbestand das allgemeine Tötungsunrecht unleugbar voraussetzt, die Mordmerkmale also unwerterhöhende Qualifikationsmerkmale sind.2489 Somit wäre im „Heeresstreifenfall“ die Akzessorietätslockerungsregel des

2481

BGHSt 1, 368 (369). Roxin, Lange-FS (1976), 173 (187), spricht personenbezogen vom „Mörder hinter dem Totschläger“. 2483 Vgl. zur intentionalen Opferverdinglichung als besonderer Handlungssinndimension instruktiv Paeffgen, GA 1982, 255 (269): „Aber es gibt einen Bereich, in dem der Täter sein Gegenüber noch als ,Du‘, als Persönlichkeit, in jenes Gefüge aus Motivation und Intentionalität aufnimmt – wenn auch u. U. stark verzerrt. Oberhalb dieser Zone liegt jedoch der Bereich, in dem es an einem Spannungsfeld zwischen Motiv und und sozial-ethisch orientierten Beherrschungskräften mangelt, bei dem der andere Mensch innerhalb jener Wechselbeziehungen nur noch völlig entpersönlicht vorkommt, dessen Menschqualität ausgeblendet wird. Dies ermöglicht dem Täter erst, jenen anderen intentional zu verdinglichen und zu verzwecken.“ 2484 Vgl. allgemein zur „Quantifizierung des Schuldvorwurfs“ bereits Armin Kaufmann, Normentheorie, 199 ff., 207 ff. 2485 Nach hier vertretener Ansicht (s. eingehend dazu noch unten, S. 543 ff. [551 ff.]) folgt die Einordnung des A als Anstifter jedoch nicht etwa daraus, dass er in der Vorstellung der ausführenden Soldaten einen Motivirrtum erzeugt und so deren Tatentschluss hervorgerufen hat, sondern daraus, dass er sie unter Hinweis auf die angeblichen Greueltaten des Gendarmeriemeisters nachdrücklich zum Handeln aufgefordert hat. 2486 BGHSt 1, 368 (369 ff.). 2487 Zust. auch etwa Herzberg, Täterschaft, 26. 2488 Vgl. BGHSt 1, 368 (370 ff.). 2489 s. instruktiv zum Ganzen mit zahlreichen Einzelnachweisen aus Rechtsprechung und Literatur Fischer, § 211 Rn. 87 ff. 2482

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§ 50 II StGB a.F., die dem heutigen § 28 II entspricht, anzuwenden und der Anstifter dem Strafrahmen des Mordtatbestandes zu unterwerfen gewesen.2490 Demgegenüber rubrizierte Roxin2491 den „Heeresstreifenfall“ zunächst als einen Anwendungsfall des Irrtums über den konkreten Handlungssinn. Der Hintermann begehe über die Köpfe der vollverantwortlichen Totschläger hinweg einen Mord in mittelbarer Täterschaft, und zwar losgelöst von systematischen Vorfragen wie der unrechtssystematischen Einordnung des Mordtatbestandes (selbständiges Delikt oder Qualifikation) und der straftatsystematischen Einordnung der täterbezogenen Mordmerkmale (unrechts- oder nur schuldsteigernd).2492 Denn unabhängig von alledem hätten die ausführenden Soldaten jedenfalls den konkreten Sinn ihres Tuns verfehlt: Sie hätten einen Vielfachmörder seiner „gerechten“ Strafe zuführen wollen, hätten stattdessen aber grundlos einen Unschuldigen getötet. Das allein genüge aber, um den Hintermann kraft sinnhafter Überdetermination zum mittelbaren Täter zu machen.2493 Diese Begründung konnte jedoch infolge der sub (b) geschilderten Herauslösung des rechtlichen Tatgeschehens aus dem sozialen Alltag so nicht mehr aufrecht erhalten werden. Stattdessen war jetzt darzutun, dass und warum der vom Hintermann verschleierte Mordsinn diesem noch eine sinnhafte Tatgestaltung ermögliche. Besagter Zugang wird denn auch seither2494 gewählt: Der Irrtum verschleiere den Vorderleuten, dass es sich objektiv um eine andere Tat, handle, nämlich um einen Mord, der allein dem Hintermann zur Last falle.2495 So stimmt das aber freilich nicht, denn der Hintermann täuscht hier lediglich über sein persönliches Motiv, das gerade kein tatbezogenes Merkmal ist.2496 In der Sache meint Roxin denn auch nach wie vor etwas anderes, nämlich dass der Hintermann die Totschläger über das sozialethische „Setting“ ihrer Tat täuscht, d. h. darüber, dass sie realiter einen unschuldigen Menschen ohne Grund töten.2497 Dieses zu Mordzwecken verschleierte Tatsetting hat jedoch keinerlei Einfluss auf die rechtliche Bewertung des von den Vorderleuten begangenen Tötungsunrechts als solchen,2498 weshalb für alle Beteiligten ein und dasselbe Tötungsdelikt vorliegt.2499 Demnach scheidet eine Tatherrschaft vierter 2490

So zutr. schon Herzberg, Täterschaft, 26; Bloy, Beteiligungsform, 357 m. Fn. 287. TuT, 212 f., 219 f.; zust. Schünemann, in: LK, § 25 Rn. 101 f. 2492 Roxin, TuT, 219. 2493 Roxin, TuT, 219 f. 2494 Lange-FS (1976), 173 (186 ff.). 2495 So die neuere, auf die rechtliche Bewertung abhebende, Formulierung in Lange-FS (1976), 173 (187); zust. Schünemann, in: LK, § 25 Rn. 101 f.; Hoyer, in: SK, § 25 Rn. 67. 2496 So in der Sache bereits Schroeder, Täter, 165 f. („Durch die bloße Absicht kann niemand mittelbarer Täter werden […]“); auch Bloy, Beteiligungsform, 357; Renzikowski, Täterbegriff, 82 Fn. 127; Schild, in: NK, § 25 Rn. 116. 2497 So in TuT, 219 und auch in Lange-FS (1976), 173 (187, 188 Fn. 47). 2498 s. dazu bereits Bloy, Beteiligungsform, 357. 2499 So in der Sache schon Herzberg, Täterschaft, 26 – Roxin (Lange-FS [1976], 173 [188 f.]) dagegen meint, eine abweichende rechtliche Tatbewertung sei gerechtfertigt, wenn und 2491

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6. Kap.: Die Ausarbeitung der Deliktsgruppen im Einzelnen

Stufe à la Mord hinter dem Totschlag im „Heeresstreifenfall“ aus.2500 Der Hintermann ist, wie bereits ausgeführt, über § 28 II dem Strafrahmen des Mordtatbestandes zu unterwerfen. Entsprechendes gilt selbst dann, wenn der Hintermann den Totschläger über die Verwirklichung eines tatbezogenen Mordmerkmals täuscht. Suggeriert etwa der A seiner naiven Geliebten B, sie könne ihren unliebsamen Ehegatten C mit hochkonzentriertem Rattengift kurz und schmerzlos aus der Welt schaffen, so gestaltet der A fraglos den konkreten Handlungssinn des in Wahrheit grausamen Tötungsdelikts. Doch wäre auch hier die These vom „Mörder hinter dem Totschläger“2501 unrechtsdogmatisch verfehlt, denn das Wissen um ein attributives Merkmal (hier: grausam) fremden Rechtsgutszugriffs (hier: der Tötung) ermöglicht eben keinen eigenen intentionalen Rechtsgutszugriff. Gegeben wäre dann nach der traditionellen Klassifizierung der Mordmerkmale freilich nur eine Teilnahme des A am Totschlag der B. Für den Vorwurf einer Mordteilnahme fehlte es an einer vorsätzlich-rechtswidrigen Haupttat der B, da diese keinen Tatvorsatz hinsichtlich des tatbezogenen Mordmerkmals „grausam“ besaß. Das ist zugegebenermaßen ein missliches Ergebnis. Die Kalamität lässt sich jedoch vermeiden, indem man das Mordmerkmal „grausam“ entgegen der h.M.2502 nicht vollakzessorisch versteht, sondern als tat- und täterbezogenes Zwittermerkmal (tatbezogen, soweit die besondere Leidenszufügung in Rede steht, täterbezogen, soweit die unbarmherzige Gesinnung in Rede steht).2503 Diese Sichtweise erscheint auch durchaus sachangemessen, da die höchstpersönliche Natur des subjektiv geforderten Gesinnungsunwerts unleugbar ist.2504 Die Interpretation geht auch mit § 28 konform, denn die Vorschrift besagt nicht, dass ein und dasselbe Merkmal nicht tatund täterbezogen zugleich sein kann.2505 Folgt man dem, so kann man den A im weil der aus niedrigen Beweggründen initiierte Irrtum über das sozialethische Tatsetting beim Totschläger zu „mildernden Umständen“ führe (konkret: § 213). Dass auf diese Weise Strafwürdigkeitserwägungen in die Beteiligungslehre hineingetragen werden, liegt auf der Hand. 2500 Wie hier die h.L.; s. etwa nur Schroeder, Täter, 165 f.; Herzberg, Täterschaft, 25 ff.; Bloy, Beteiligungsform, 356 ff.; Renzikowski, Täterbegriff, 82 m. Fn. 127; Schild, in: NK, § 25 Rn. 116. 2501 I.d.S. allgemein bereits Roxin, Lange-FS (1976), 173 (187); ebenso für das konkrete Beispiel Hoyer, in: SK, § 25 Rn. 67. 2502 s. exemplarisch nur etwa Fischer, § 211 Rn. 91, 93, m.w.N. aus Rechtsprechung und Literatur. 2503 s. instruktiv dazu etwa Langer, Sonderstraftat, 134 ff., 408; Schünemann, in: LK, § 28 Rn. 73. 2504 So zutr. Schünemann, § 28 Rn. 73: „Wenn nämlich ,grausam‘ tötet, ,wer dem Opfer aus gefühlloser, unbarmherziger Gesinnung … besondere Schmerzen oder Qualen zufügt‘ (…), so ist zwar die Zufügung der Leiden ein sachliches Unrechtselement, die zusätzlich verlangte verwerfliche Gesinnung jedoch ein persönliches Merkmal, das ebenso wie ein ,niedriger Beweggrund‘ der Schuld zuzuordnen und nach § 28 II zu beurteilen ist.“ 2505 A.A. etwa Jähnke (in: LK11, § 211 Rn. 65): Nicht die subjektive Seite, sondern die ganze komplexe Tatform sei der Umstand, der nach § 28 die Strafe schärfe, weshalb eine Aufspaltung

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Beispielfall über § 28 II wegen Teilnahme am Mord bestrafen: Er plant die besondere Leidenszufügung durch das langsam und qualvoll wirkende Rattengift ein weist und in eigener Person den erforderlichen subjektiven Gesinnungsunwert auf. (bb) Verletzungsqualifikationen Neben unselbständigen Qualifikationsmerkmalen, wie sie z. B. in den §§ 211, 224 vertatbestandlicht sind, existieren jedoch auch Verletzungsqualifikationen, die den Gehalt der verbotsgegenständlichen Rechtsgutsverletzung als solcher modifizieren und dementsprechend eigenständige rechtsgutsbezogene Verhaltensnormen oder zumindest -pflichten generieren. So liegt es etwa bei den Qualifikationsmerkmalen des § 226: Wenn A den B auffordert, dem C mit einer Spritzpistole ein angeblich harmloses Tränengas in die Augen zu sprühen, bei dem es sich in Wahrheit um eine aggressive chemische Substanz handelt,2506 dann hat er den C über den Kopf des unwissenden B hinweg geblendet. Er hat gegen das selbständige Verbot, einen Menschen zu blenden, verstoßen und somit „durch“ den B eine schwere Körperverletzung begangen, §§ 226, 25 I Alt. 2. Demnach hat also die Rubrik der „Täuschung über qualifizierende Tatumstände“2507 durchaus ihre Berechtigung, sofern es um Verletzungsqualifikationen (wie etwa § 226 oder auch § 239 III Nr. 1) geht.2508 (d) Der Irrtum über quantifizierbare Unrechts- und Schuldmaße Unter dieser Kategorie griff Roxin2509 1976 u. a. den von Herzberg2510 ersonnenen Fall auf, dass jemand einen anderen zur Vernichtung eines einem Dritten gehörenden des Merkmals „grausam“ mit § 28 unvereinbar sei. – Daran ist richtig, dass definitorische Bausteine eines gesetzlichen Tatbestandsmerkmals nicht ihrerseits gesetzliche „Merkmale“ i.S.d. § 28 sein können. Doch zeigt näheres Hinsehen, dass es sich um ein Scheinproblem handelt: Das gesetzliche Merkmal der Grausamkeit wird hier nicht etwa in zwei Untermerkmale aufgespalten, sondern es ist als Ganzes ein Zwittermerkmal. – Nun bezweifelt Jähnke (a.a.O.) freilich auch, dass das Merkmal „grausam“ überhaupt gedanklich aufgespalten werden könne: Da die gefühllose, unbarmherzige Gesinnung sich regelmäßig aus der konkreten Tatausführung ergebe, werde sie beim Teilnehmer, der nicht selbst grausam agiere, kaum je feststellbar sein, es sei denn, man nehme die Kenntnis der Ausführungsart, also den Tatvorsatz, dafür; das aber sei wiederum mit dem Gesetz unvereinbar. – Auch diese Argumentation ist bereits im Ansatz verfehlt. Denn es folgt nicht die gefühllose, unbarmherzige Gesinnung aus der Tatausführung, sondern es ist gerade umgekehrt die Tatausführung Ausdruck des besonderen Gesinnungsunwerts. Und wer explizit zu einer Leidenszufügung auffordert oder rät, die erheblich über das für eine Tötung erforderliche Normalmaß hinausgeht, der wird sehr wohl eine gefühllose, unbarmherzige Gesinnung aufweisen. 2506 Beispiel nach Roxin, Lange-FS (1976), 173 (188). 2507 Begrifflichkeit nach Roxin, Lange-FS (1976), 173 (186). 2508 Wie hier wohl auch Bloy, Beteiligungsform, 255 f.; Renzikowski, Täterbegriff, 82 m. Fn. 127 (wobei freilich unklar bleibt, ob diese Autoren bei Täuschung über „bloß“ unwerterhöhende Qualifikationsmerkmale (insbesondere: tatbezogenene Mordmerkmale) nicht ebenfalls eine mittelbare Täterschaft des Hintermannes annehmen würden. 2509 In: Lange-FS (1976), 173 (184). 2510 Täterschaft, 27.

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Kandinsky-Gemäldes verleitet, indem er ihm vorspiegelt, es handle sich um wertloses Geschmiere. Herzberg2511 selbst hatte für diesen Fall eine Ausnahme von dem ansonsten verfochtenen Verantwortungsprinzip einräumen wollen. Denn trotz der gleichmacherischen Wertung des abstrakten Unrechtstatbestandes („eine fremde Sache“) erzeuge die Täuschung hier nicht einen bloßen Motivirrtum, sondern verheimliche dem Ausführenden Gewicht und Ausmaß des konkreten Unrechts.2512 Zwar handelten hinsichtlich des abstrakt-generellen Deliktstyps „Sachbeschädigung“ beide Beteiligten mit Vorsatz. Doch diese formale Gleichsetzung habe ihren Grund bloß „(…) in der legislatorischen Unmöglichkeit, alle Unrechtsstufen in verschiedenen Tatbeständen einzufangen“2513. Sachlich betrachtet könne man daher von einem „graduellen Tatbestandsirrtum“ sprechen, der auch nach objektiv-rechtlichem Maß den Tatcharakter verändere und den Getäuschten zum blind-unfreien Werkzeug mache.2514 Dieser Argumentation trat Roxin2515 in der Sache bei: Zwar sei der Ausführende hier Herr über die Herbeiführung eines deliktstypischen Schadens, doch avanciere der Hintermann zum Herrn über die Verwirklichung eines in concreto sehr viel größeren tatbestandlichen Unrechts. Diese weit überwiegende Herrschaft aber mache ihn zum mittelbaren Täter (hinter dem Täter).2516 Der Gedankengang wurde von beiden Autoren ausdrücklich auch auf die Verletzung höchstpersönlicher Rechtsgüter extrapoliert. So sei etwa mittelbarer Täter einer Körperverletzung, wer einen anderen zu einer solchen auffordere, ihm dabei aber arglistig eine spezielle Anfälligkeit des Opfers verschweige, mit der Folge, dass dieses einen schwereren Gesundheitsschaden davontrage als vom Ausführenden gedacht.2517 Entsprechendes gelte etwa für denjenigen, der einem Arbeitskollegen helfe, einen dritten Kollegen zum Spaß im Büro einzuschließen, obwohl nur er insgeheim wisse, dass die Büros erst am nächsten Morgen wieder geöffnet würden.2518 Diese Argumentation, die innerhalb des abstrakt-generellen Unrechtstypus auf die konkrete Schadenshöhe abstellen will, kann nicht überzeugen. Denn der jenseits des Unrechtstypus „quantifizierbare Schaden“ ist als „verschuldete Auswirkung der Tat“ nach § 46 II S. 2 lediglich strafzumessungsrelevant.2519 Sofern eine bestimmte Schadenshöhe sich auf die Unrechtsqualität als solche auswirkt (bzw. auswirken soll), hat der Gesetzgeber sie in den Rang eines Qualifikationsmerkmals gehoben (vgl. etwa §§ 226, 239 III Nr. 1, 304). Daraus folgt im Umkehrschluss, dass der 2511 2512 2513 2514 2515 2516 2517 2518 2519

Täterschaft, 27 ff. Herzberg, Täterschaft, 27. Herzberg, Täterschaft, 27. Herzberg, Täterschaft, 27 (im Text zitierte Begrifflichkeit ebenda). Lange-FS (1976), 173 (184 ff.). Roxin, Lange-FS (1976), 173 (184 f.). So Roxin, Lange-FS (1976), 173 (184). Beispiel nach Herzberg, Täterschaft, 27; auch Roxin, Lange-FS (1976), 173 (184). So zutr. Bottke, Täterschaft, 71 (zitierte Begrifflichkeit ebenda).

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innerhalb eines abstrakt-generell gefassten Merkmals „quantifizierbare Schaden“ strafbegründungsrechtlich irrelevant ist. Selbst wenn man dies anders sehen wollte, wäre es aber auch gar nicht möglich, dasjenige Schadensmaß, ab dem Teilnahme in Täterschaft umschlagen soll, annähernd rechtssicher zu bestimmen. Das belegt ostentativ etwa der – vergebliche – Bestimmungsversuch Roxins2520, wonach eine Schadenssteigerung von mindestens 50 Prozent erforderlich sein soll, um den Hintermann zum mittelbaren Täter zu machen. Warum es aber ausgerechnet auf dieses Schadensmaß ankommen und wie es im Falle immaterieller Rechtswerte ermittelt werden soll, bleibt völlig im Dunkeln.2521 Auch der Vorschlag Herzbergs2522, einfach im Hinblick auf jedes Quantum Unrecht, das die Kenntnis des Ausführenden übersteige, eine mittelbare Täterschaft neben der Teilnahme anzunehmen, konfligiert mit dem Bestimmtheitsgebot. Denn fraglich ist ja gerade, was rechtlich betrachtet ein „Quantum Unrecht“ ist, zumal ein und dieselbe Unrechtstat nicht derart beteiligungsrechtlich atomisiert werden kann. Nach alledem scheidet ein auf mittelbare Tatbegehung gerichtetes Programm aus, wenn der Hintermann den Vordermann über die konkrete Schadenshöhe zu täuschen plant. Gegeben ist „lediglich“ eine Teilnahme. (e) Ergebnis Es hat sich herausgestellt, dass nur ein Bruchteil der Fallrubrik „Täuschung über qualifizierende Tatumstände“ (nämlich einzig die Konstellationen der Täuschung über eine Verletzungsqualifikation) in den Anwendungsbereich der mittelbaren Täterschaft fällt. Zwar ist Roxin fraglos zuzugeben, dass der Hintermann nach dem sozialen Alltagsverständnis jeweils eine anders dimensionierte und damit andere intentionale Handlung setzt als der Vordermann. Doch muss unbedingt beachtet werden, dass der Straftattypus das Handlungsgeschehen aus dem sozialen Alltag löst und das Gefüge rechtsrelevanter Handlungssinndimensionen abschließend vorgibt. (f) Keine Übertragbarkeit auf die Selbstschädigungsfälle Anzumerken ist, dass die – ohnehin umstrittene – Dogmatik zum Irrtum über den konkreten Handlungssinn erst recht nicht auf die Selbstschädigungsfälle übertragen werden darf. Zwar kennt das geltende Recht keine Contenancepflicht gegenüber sich selbst, errichtet also kein Vermeidemotiv im Hinblick auf selbstschädigende Handlungen. Doch führt gerade dies dazu, dass individuell nach einem höchst subjektiven Präferenzmaßstab verfahren wird, der strafrechtlich nicht fassbar ist – weshalb das Handlungssinngefüge des Deliktstypus entsprechend heranzuziehen ist.2523 2520 2521 2522 2523

Lange-FS (1976), 173 (186). So zutr. Herzberg, Täterschaft, 28; Bloy, Beteiligungsform, 354. In: Täterschaft, 28 f.; zust. Bloy, Beteiligungsform, 355. s. ausführlich zum Ganzen bereits oben, S. 361 ff.

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bb) Die Einplanung eines nur-rechtmäßig handeln (wollen) sollenden Werkzeugs Man kann fremdes Handeln auch sinngestaltend überformen, ohne (zwingend) einen Irrtum in der Person des Werkzeugs instrumentalisieren zu müssen. So liegt es dann, wenn das rechtmäßige Handeln eines anderen zur Verwirklichung eines eigenen unrechtlichen Rechtsgutszugriffs eingeplant wird. Dass solche Konstellationen der (mittelbaren) Täterschaft zuzuschlagen sind, darf wohl als unstreitig gelten. Kontrovers diskutiert wird allerdings zunächst der Legitimationsgrund für diese Rubrizierung (Verantwortungsprinzip versus Lehre von der actio illicita in causa). Eher stiefmütterlich behandelt wird dagegen die Frage, welche Konstellationen überhaupt die Einplanung einer rechtmäßigen Handlung als menschliche Werkzeugtätigkeit betreffen. Eine dritte, bislang kaum durchdachte, Frage betrifft dann die korrekte Einordnung des (genuinen) Erlaubnistatbestandsirrtums. Und viertens schließlich gilt es zu bedenken, dass auch Konstellationen existieren, in denen das Werkzeug nicht gerechtfertigt, sondern von vornherein pflichtgemäß handelt. Diesen Themenkomplexen soll im Folgenden nachgegangen werden. (1) Einplanung eines dolosen Helfers in seiner Alltagsfunktion: kein Fall der mittelbaren Tatbegehung durch ein rechtmäßig agierendes Werkzeug Die Einplanung anderer in ihrer Alltagsfunktion (z. B. Postzusteller, Sekretärin) zur Realisierung deliktischer Pläne wurde hier bereits eingehend behandelt.2524 Daher sei hier nur das Wesentliche herausgestrichen: Im Falle der normalen vorsätzlichen Handlungsdelikte ist es bereits programmatisch unmöglich, einen dolos ausführenden anderen in seiner Alltagsfunktion als rechtmäßig handeln sollendes Helferwerkzeug einzuplanen. Denn der dolose Dritte (etwa der Kellner, der auf Weisung seines Chefs vorsätzlich Gammelfleisch serviert – §§ 223, 25 I Alt. 1) kann sich hier nicht auf Berufspflichterfüllung berufen, sondern er delinquiert selbst; der Hintermann (im Beispiel der anweisende Chef) ist also „nur“ Teilnehmer (in casu: Anstifter). – Wird hingegen ein Tatbestandsmerkmal, das als genuine Willenserklärung gefasst ist (etwa die Missachtensbekundung i.S.d. § 185) unter Einschaltung von Botenwerkzeugen begangen, so ist es von vornherein irrelevant, ob der als Erklärungsbote eingeplante andere in seiner Alltagsfunktion rechtmäßig handelt. Denn es gelten hier die zivilrechtlichen Grundsätze über die Zurechnung von Erklärungstatbeständen als eigene Willenserklärung (= Grundsatz von der Einheit der Rechtsordnung). Danach scheidet etwa die Sekretärin, die den beleidigenden Brief nach Diktat für ihren Chef abfasst und zur Post aufgibt, von vornherein als Täterin einer Beleidigung aus. Täter ist allein der Chef als Erklärungsherr, da ihm der strafrechtlich relevante Erklärungsgehalt als eigene Willenserklärung zurechenbar ist.

2524

Oben, S. 399 ff.

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Damit bleibt festzuhalten, dass die Einplanung eines qua Alltagsrollenkonformität rechtmäßig handeln sollenden Werkzeugs programmatisch ausgeschlossen ist. (2) Das gerechtfertigt handeln (wollen) sollende Werkzeug: Fallkonstellationen und Klassifikation Die Diskussion um die Fallgruppe des gerechtfertigten Werkzeugs begann mit einem von Hegler2525 ersonnenen Lehrbuchbeispiel: A veranlasst X, den er aus der Welt schaffen will, den C mit einem Messer anzugreifen, damit C den X in Notwehr töte. So geschieht es auch. – Dieses Ursprungsbeispiel war zwar auf dem Boden der Tatherrschaftslehre noch kein Fall des gerechtfertigt handelnden Werkzeugs, denn mangels Nötigung des Angreifers fehlte es an einer unfrei machenden Willensherrschaft des Hintermannes.2526 Doch konnte der Fall problemlos an die dogmatischen Vorgaben der Tatherrschaftslehre adaptiert werden:2527 A nötigt B, den er aus der Welt schaffen will, mit den Mitteln des § 35 I 1 zu einer Messerattacke auf C, damit dieser den B in Notwehr töte. So geschieht es auch. – Derart abgewandelt erscheint das Beispiel nun als Fall einer mittelbaren Täterschaft durch Einplanung eines genötigten Angreifer-Werkzeugs (gegen sich selbst) sowie eines gerechtfertigten Verteidiger-Werkzeugs. Bei näherem Hinsehen bestehen allerdings Zweifel an dieser Rubrizierung, denn der initiierende Hintermann will ja hier auch das Handeln des „Verteidiger-Werkzeugs“ i.S.d. § 35 I 1 erzwingen, plant also die aus der psychischen Zwangslage zugleich erwachsende Eingriffserlaubnis bloß als Epiphänomen ein.2528 (a) Die Handlungserlaubnis für das Werkzeug soll aus einer existentiellen Zwangslage i.S.d. § 35 I 1 erwachsen – kein Fall der Einplanung eines rechtmäßigen Werkzeugs Im neueren Schrifttum hat sich zuerst Roxin2529 eingehend mit der Konstellation auseinandergesetzt. Ihn interessierte dabei allerdings nicht die handlungstheoretische Analyse des vom Hintermann betätigten Programmgehalts, sondern – von der Tatherrschaftslehre her konsequent – vielmehr die Frage, ob der Hintermann beide Werkzeuge als doppelter „Willensherr“ beherrsche. Diese Frage beantwortet sich für Roxin im Nicht-Irrtumsbereich ausschließlich nach dem Verantwortungsprinzip. Selbiges wurde und wird denn auch für den Fall einer qualifiziert abgenötigten Verteidigungshandlung dem Gedanken nach herangezogen: „Denn wenn es auch einer Schuldbefreiung hier nicht mehr bedarf, so ist doch die psychische Lage des Angegriffenen die gleiche, und man kann ohne weiteres davon ausgehen, dass auch er eine nach den Wertvorstellungen des Gesetzgebers ,freie‘ Entscheidung nicht 2525 2526 2527 2528 2529

Schmidt-FG (1932), 51 (54). So zutr. Roxin, TuT, 166; auch bereits Mezger, ZStW 52 (1932), 529 (535). Vgl. Roxin, TuT, 166 f. s. eingehend zum Ganzen bereits oben, S. 409 ff. TuT, 163 ff.

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6. Kap.: Die Ausarbeitung der Deliktsgruppen im Einzelnen

mehr zu fällen vermag, so daß die Willensherrschaft über die zum Tode des Angreifers X führende Handlung beim Hintermann A liegt.“2530

Das ist sicherlich richtig, weshalb hier beteiligungsdogmatisch eine Einplanung zweier genötigter Werkzeuge gegeben ist.2531 Fraglich ist jedoch, wie der Roxin’sche Ansatz beim Verantwortungsprinzip materiell noch begründet werden soll, wenn die Eingriffserlaubnis nicht mehr als bloßes Epiphänomen einer existentiellen Zwangslage i.S.d. § 35 I 1 eingeplant wird, sondern das präsumtive Verteidiger-Werkzeug in freier Selbstbestimmung2532 von ihr Gebrauch machen soll (Bsp.2533 : Der Täter hetzt einen fremden Zwergpinscher auf eine Dame im edlen Pelzmantel, die das Tier in Sachwehr [§ 228 BGB] verletzt, um den wertvollen Mantel schadlos zu halten). Roxin2534 will das Verantwortungsprinzip zwar auch hier heranziehen, was aber zu einem intrasystematischen Bruch führen muss: Wer die Ablehnung des Verantwortungsprinzips im Bereich der „Irrtumsherrschaft“ mit dem Fehlen von Nötigungsdruck begründet,2535 der kann für die Einplanung der freiverantwortlichen Inanspruchnahme einer Eingriffserlaubnis hiervon nicht grundlos wieder abgehen.2536 Mithin erhebt sich die Frage, wie die mittelbare Täterschaft des Hintermannes bei Einplanung eines nur-rechtmäßig handeln (wollen) sollenden Werkzeugs beteiligungsrechtlich zu legitimieren ist. (b) Einplanung eines genuin rechtmäßig handeln (wollen) sollenden Werkzeugs Zur Illustration dieser Fallgruppe mag des Weiteren folgendes Beispiel2537 dienen: A zwingt X, das Vermögen des C anzugreifen, in der Erwartung, dass C den X in Notwehr verletzen werde. Dies geschieht auch. – Derartige Fälle können von einer am Verantwortungsprinzip orientierten Tatherrschaftsdogmatik nicht angemessen erfasst werden, da die rechtsfolgentechnische Entlastung des Akteurs hier gerade nicht Auswirkung seiner psychofaktischen Fremdbestimmung ist. Herzberg2538 will dieser Kalamität mit einem argumentum e fortiori begegnen: Es könne keinen Unterschied machen, ob das Recht gegenüber dem Ausführenden aus dem Gedanken der Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens heraus auf den Schuldvorwurf verzichte oder ob es ihm, aus anderen Gründen, sogar bereits die Erlaubnis zum Handeln gewähre. Entscheidend sei allein die normative Überordnung des Veranlassers. – Diese Argumentation bleibt jedoch solange zirkulär, wie sub specie Tatherrschaft (!) der materiale Grund für das „sogar“ nicht dargetan wird. Diesbezüglich entwaffnet 2530 2531 2532 2533 2534 2535 2536 2537 2538

Roxin, TuT, 167. So zutr. Roxin, TuT, 167. Vgl. hierzu zutr. Puppe, Küper-FS (2007), 443 (448); dies., AT, § 15 Rn. 5. Nach Puppe, AT, § 15 Rn. 5. TuT, 167 f. So Roxin, TuT, 170 ff., 196 ff., 232, 725 f. s. eingehend dazu nochmals oben, S. 341 ff., m.w.N. Nach Roxin, TuT, 167. Täterschaft, 15.

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sich Herzberg2539 allerdings selbst, wenn er meint, der nur-rechtmäßig agierende Vordermann werde zwar „in eine gewisse Drucksituation“ manövriert, die jedoch „keinen Zwang derart“ bewirke, dass er sich auf entschuldigenden Notstand berufen könne. Anders löst das Problem bekanntlich die Lehre von der „actio illicita in causa“ (a.i.i.c.)2540, als deren Unterrepräsentantin hier Puppe2541 herausgegriffen sei. Nach ihrer Ansicht beruht die a.i.i.c. auf einer völlig eigenständigen Form der Zurechnung. Diese werde nicht vermittelt durch Naturkausalität wie die unmittelbare Täterschaft, nicht durch Herrschaft über eine Person wie die mittelbare Täterschaft und nicht einmal primär durch Motivation wie die Anstiftung. Vielmehr gründe die Zurechnung in der Schaffung von neuem Recht.2542 Es sei der rechtswidrig handelnde Verursacher der gerechtfertigten Situation, der für sich oder einen anderen das Recht herstelle, ein fremdes Recht oder Rechtsgut zu verletzen.2543 Geschehe eine solche Schaffung von Recht auf illegale Weise, so könnten die rechtsgutsverletzenden Folgen der Ausübung solchen Rechts eben demjenigen zugerechnet werden, der sie illegal geschaffen habe.2544 Auf die Frage, inwieweit der Täter den gerechtfertigt Handelnden in eine persönliche Zwangssituation versetzt und ihm Entscheidungsfreiheit gelassen habe, komme es daher gar nicht an.2545 Diese Argumentation ist vom Boden der Tatherrschaftslehre her durchaus konsequent: Da der Manipulationsakt dem Hintermann keine „Willensherrschaft“ im herkömmlichen Sinne vermittelt (à la „Nötigungsherrschaft“), kann die Zurechnung nicht auf mittelbare Täterschaft gestützt werden, sondern bedarf einer selbständigen Grundlage. Doch bedarf es eines solchen Umweges gar nicht, wenn man bedenkt, dass überhaupt alle Tatbestandshandlung im Ansatz normativ-aufgebrochen begriffen werden muss: Auch die „Nötigungsherrschaft“ gründet sich ja im Ursprung nicht auf Tatherrschaft, sondern – wie alle Täterschaft – auf die Umsetzung einer

2539

Täterschaft, 15. Die Lehre von der a.i.i.c. wird herkömmlicherweise anhand von Konstellationen diskutiert, in denen der Täter sich selbst einen Rechtfertigungsgrund schafft, indem er eigene oder fremde Rechtsgüter einem rechtfertigenden Konflikt aussetzt (s. eingehend dazu bereits oben, S. 393 ff.). Der Grundgedanke müsste aber konsequenterweise auch für den Fall gelten, dass der Täter die Eingriffserlaubnis für einen Dritten schafft, also ein gerechtfertigt handeln sollendes Werkzeug einplant (so zutr. etwa Puppe, Küper-FS [2007], 443 [448 f.]; a.A. etwa Roxin, ZStW 75 [1963], 541 [549 f.], freilich von der Tatherrschaftslehre her wenig konsequent, da bei Einplanung eines rein rechtmäßig handeln sollenden Werkzeugs eben gerade keine „Willensherrschaft“ gegeben ist; zutr. dazu Puppe, Küper-FS [2007], 443 [448, 450]); insgesamt krit. zur Sonderfigur der a.i.i.c. dagegen etwa Paeffgen, in: NK, Vor § 323a Rn. 56 ff.; Paeffgen/ Zabel, in: NK, Vor §§ 32 ff. Rn. 147a. 2541 In: Küper-FS (2007), 443 (449 ff.). 2542 Küper-FS (2007), 443 (449). 2543 Küper-FS (2007), 443 (449). 2544 Küper-FS (2007), 443 (449). 2545 Küper-FS (2007), 443 (449). 2540

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prinzipiell tauglichen Selbstverwirklichungsstrategie ex ante.2546 Ein i.d.S. taugliches Programm betätigt aber zweifellos auch derjenige, der einem Dritten durch manipulative Einwirkung von außen eine Eingriffsbefugnis eröffnen will. Er setzt eben nur ein inhaltlich abweichendes Interpretationsmuster komplexer Selbstverwirklichung um, das – wie bei der „Irrtumsherrschaft“ i.S. Roxins – auf die deliktische Überdetermination fremden Rechtsbewährungshandelns gerichtet ist. Anerkennt man dies, so entfällt auch der gegen die a.i.i.c. erhobene Einwand2547, wonach die Rechtmäßigkeit der vom Tatmittler vorgenommenen Ausführungshandlung auf das sie initiierende Vorverhalten des Hintermannes zurückwirken müsse.2548 Denn handlungstheoretisch betrachtet geht es eben nicht bloß um ein manipulatives Bewirken „der“ tatbestandsmäßigen Handlung eines anderen, sondern um eine eigene komplexe, mit der Werkzeughandlung nicht identische, Unrechtshandlung des Hintermannes,2549 im obigen Beispiel gesetzt durch das gegen sich selbst genötigte Angreifer-Werkzeug und das illegal manipulierte VerteidigerWerkzeug! Zwar mag man hier in realontologischer Hinsicht zu Recht von fehlender Willensherrschaft sprechen.2550 Aber das ist unschädlich, da Tatherrschaft ohnehin nicht die gesuchte Täterchiffre ist.2551 Wie sonst auch, ist in psychofaktischer Hinsicht lediglich prinzipielle Beherrschbarkeit ex ante vonnöten, d. h. generelle Programmtauglichkeit, die aber durchaus auch bei Einplanung eines rechtmäßig handeln (wollen) sollenden Werkzeugs gegeben ist. Abschließend wird man daher konstatieren dürfen, dass die Konstellation der Einplanung eines gerechtfertigten Werkzeugs sich beteiligungssystematisch bruchfrei einarbeiten lässt, sofern man nur einen alltagspraktisch orientierten intentionalen Handlungsbegriff zugrunde legt. Ein weiterer, praktisch bedeutsamerer, Fall des rechtmäßig handeln sollenden Werkzeugs betrifft die Vortäuschung von Umständen, die die Staatsanwaltschaft und die Beamten des Polizeidienstes nach § 127 II StPO zur vorläufigen Festnahme einer unschuldigen Person berechtigen bzw. verpflichten.2552 Herzberg2553 hat hierzu folgendes Beispiel ersonnen: Bürger B bezichtigt als angeblicher Augenzeuge wider besseres Wissen den einschlägig vorbestraften Stadtstreicher S, schwerwiegende sexuelle Handlungen an einem Kind vorgenommen zu haben. Seine Aussagen 2546

s. dazu nochmals oben, S. 405 ff.; allgemein zur Distinktion von Täterschaft und Teilnahme auf Grundlage des propositionalen Programmgehalts s. o., S. 120 ff., 168 ff., 282 ff. 2547 s. eingehend – und kritisch – zu dieser „Unvereinbarkeitsthese“ etwa Küper, Notstand, 40 ff. (Begrifflichkeit ebenda, 40). 2548 So für die Einplanung eines rechtmäßigen Werkzeugs auch schon Roxin, ZStW 75 (1963), 541 (549 f.). 2549 In der Sache ebenso auch bereits Roxin, ZStW 75 (1963), 541 (550); s. auch Schild, in: NK, § 25 Rn. 84. 2550 So zutr. Puppe, Küper-FS (2007), 443 (448, 450); auch Paeffgen/Zabel, in: NK, Vor §§ 32 ff. Rn. 120. 2551 s. eingehend dazu nochmals oben, S. 288 ff. 2552 s. allgemein dazu etwa Schild, in: NK, § 25 Rn. 103 f. 2553 In: Täterschaft, 14.

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klingen derart glaubhaft, dass der Polizeibeamte P sich verpflichtet sieht, S vorläufig festzunehmen. – Der P erfüllt hier seine Rechtspflicht zur Festnahme des hinreichend tatverdächtigen S, welcher Umstand von B zur deliktischen Selbstverwirklichung in einer Freiheitsberaubung instrumentalisiert wird (§§ 239, 25 I Alt. 2). Ein solches Instrumentalisierungsprogramm ist auch in psychofaktischer Hinsicht durchaus erfolgstauglich, da damit zu rechnen ist, dass die Beamten sich in rechtsstaatlicher Weise an das Legalitätsprinzip (§ 152 II StPO) halten werden.2554 Entsprechendes gilt mutatis mutandis für die Herbeiführung einer Freiheitsberaubung durch manipulatives Erwirken eines formell rechtmäßigen, jedoch materiell falschen Strafurteils; auch hier werden der oder die zur Entscheidung berufenen Richter als rechtmäßig handelnde Werkzeuge zur deliktischen Selbstverwirklichung in einer Freiheitsberaubung eingeplant.2555 Darüber hinaus ist es auch möglich, dass ein Verwaltungssachbearbeiter ein „formell-rechtmäßiges“ Werkzeug zur Deliktsverwirklichung einschaltet, indem er ein unter Erlaubnisvorbehalt verbotenes Tun durch Erteilung einer materiell rechtswidrigen Erlaubnis formell legalisiert.2556 Erforderlich ist allerdings, dass der Genehmigungsadressat die materielle Illegalität seines Tuns kennt bzw. sie nach dem Programm des Hintermannes kennen soll; anderenfalls ist mittelbare Täterschaft durch ein vorsatzlos oder im Erlaubnistatbestandsirrtum tätig werdendes Werkzeug gegeben.2557 Wird der Genehmigungsadressat in Kenntnis der materiellen Rechtswidrigkeit programmgemäß tätig, so fungiert er, obwohl gerechtfertigt handelnd,2558 ausnahmsweise als doloses (Gehilfen-)Werkzeug, da er die – wirksame – behördliche Erlaubnis missbraucht. (c) Einplanung eines genuinen Erlaubnistatbestandsirrtums, d. h. eines gerechtfertigt handeln wollen sollenden Werkzeugs Einplanung eines rechtmäßig handeln wollen sollenden Werkzeugs ist auch dann gegeben, wenn mit einem genuinen Erlaubnistatbestandsirrtum in der Person des Vordermannes geplant wird.2559 So liegt es etwa dann, wenn der A dem C glaubhaft vortäuscht, der X greife sein (des C) Vermögen an, mit der kalkulierten Konsequenz, dass C den X in vermeintlicher Notwehr verletzt. – Wie bereits herausgestellt wurde, birgt die Frage nach der beteiligungsrechtlichen Rubrizierung des rechtmäßig 2554

Vgl. Schild, in: NK, § 25 Rn. 104, m.w.N. s. dazu nur Schild, in: NK, § 25 Rn. 104, m.w.N. 2556 Wie hier etwa Puppe, Küper-FS (2007), 443 (449). 2557 So zutr. Schild, in: NK, § 25 Rn. 108. 2558 Str.; der Grundsatz von der Einheit der Rechtsordnung streitet dafür, den Inhaber einer formell wirksamen verwaltungsrechtlichen Genehmigung als strafrechtlich gerechtfertigt anzusehen; wie hier etwa Dahs/Pape, NStZ 1988, 393 (395 f.); a.A. i.E. etwa Schild, in: NK, § 25 Rn. 108, m.w.N. zum Streitstand in Fn. 457. 2559 Soll der Erlaubnistatbestandsirrtum aus der irrigen Annahme einer Zwangslage i.S.d. § 35 I 1 resultieren, so ist Einplanung eines fremdbestimmt handeln sollenden (= genötigten) Werkzeugs gegeben (s. ausführlich zum Ganzen bereits oben, S. 409 ff.). 2555

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handeln (wollen) sollenden Werkzeugs für die Anhänger der Tatherrschaftsdoktrin erhebliche Kalamitäten: Während die meisten das Verantwortungsprinzip seinem sachlogischen Grunde nach unterminieren, indem sie trotz freiverantwortlichen Tuns allein auf die Rechtsfolge der strafrechtlichen Verantwortungsentlastung abheben, sehen andere sich gezwungen, eine Sonderfigur der außerordentlichen Zurechnung (a.i.i.c.) zu etablieren. Beide Lösungsansätze wollen sich allerdings wie gesehen nicht recht in den übergeordneten Systemrahmen der jeweils verfochtenen Beteiligungslehre einpassen. Insbesondere für die Lehre von der a.i.i.c. wird aber das wahre Problemausmaß erst deutlich, wenn man den Fall der Einplanung eines Erlaubnistatbestandsirrtums bedenkt. Auf das Verantwortungsprinzip kann man hier eigentlich abermals nicht rekurrieren, da ja auch derjenige, der die Voraussetzungen eines Erlaubnistatbestandes nur imaginiert, selbstbestimmt über den Gebrauch der vermeintlichen Erlaubnis entscheidet.2560 Überdies entfällt bei Einplanung eines Erlaubnistatbestandsirrtums aber auch die Möglichkeit, die Zurechnung auf die rechtswidrige Schaffung neuen Rechts zu gründen, denn es wird ja objektiv gerade kein Konflikt herbeigeführt, den die Rechtsordnung durch Aufopferung eines grundsätzlich rechtlich geschützten Interesses löst. Puppe2561 will die Konstellation des rechtswidrig instrumentalisierten Erlaubnistatbestandsirrtums daher doch wieder dem Verantwortungsprinzip unterstellen. Für sie2562 ist Werkzeug i.S.d. Axioms, wer objektiv tatbestandsmäßiges Unrecht verwirklicht, jedoch aus subjektiven Gründen hierfür nicht verantwortlich ist. Dem im Erlaubnistatbestandsirrtum befangenen Vordermann soll es nun subjektiv am Tatbestandsvorsatz mangeln,2563 weshalb er Werkzeug i.S.d. so bestimmten Verantwortungsprinzips sei. Das mag man durchaus so sehen können. Nur stellt sich dann die Frage, warum für den Fall der illegalen Herbeiführung einer tatsächlichen Eingriffserlaubnis nicht ebenso mit dem Verantwortungsgrundsatz bzw. mit dem Fehlen des Tatbestandsvorsatzes argumentiert wird: Wenn der Erlaubnistatbestandsvorsatz des Vordermannes ein beteiligungsrechtliches Verantwortungsdefizit begründen soll, dann muss er das konsequenterweise stets tun, d. h. auch und gerade dann, wenn die in Anspruch genommene Erlaubnis tatsächlich besteht. Damit wäre immerhin die beteiligungssystematische Gleichbehandlung von handlungstheoretisch gleich gelagerten Konstellationen gewährleistet. Zur Herstellung dieser beteiligungsrechtlichen Systemkonsistenz bedarf es jedoch von vornherein keines Rekurses auf ein „Verantwortungsprinzip“. Man muss 2560 Puppe, die die Entscheidungsfreiheit des Werkzeugs bei objektiv gerechtfertigter Tat akzentuiert herausstreicht und deshalb auf die Zurechnungsfigur der a.i.i.c. ausweichen zu müssen glaubt (in: Küper-FS [2007], 443 [448 ff.] sowie in: AT, § 24 Rn. 5), schneidet diesen Punkt im Falle der Einplanung eines Erlaubnistatbestandsirrtums erst gar nicht an – obwohl die fehlende Willensherrschaft des Hintermannes doch hier ebenso auf der Hand liegt. 2561 AT, § 24 Rn. 27. 2562 AT, § 24 Rn. 5. 2563 AT, § 24 Rn. 27 m. § 13 Rn. 18.

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vielmehr nur einsehen, dass der Hintermann bei Instrumentalisierung eines Erlaubnistatbestandsirrtums denselben Intentionalzustand für das Werkzeug einplant wie bei Initiierung einer reellen Erlaubnissituation: Beide Konstellationen betreffen die deliktische Überformung fremden Erlaubnistatbestandsvorsatzes und damit handlungstheoretisch betrachtet ein und dieselbe Programmart. Mithin ist also auch die deliktische Instrumentalisierung eines fremden Erlaubnistatbestandsirrtums ein Unterfall der Programmkategorie gerechtfertigt handeln (wollen) sollendes Werkzeug.2564 Was die Einwirkungsintensität angeht, so muss der Hintermann weder den Erlaubnistatbestandsirrtum noch den Tatentschluss (i.S.d. Lehre vom omnimodo facturus) in der Person des Vordermannes hervorrufen, um dessen Tun sinngestaltend überformen zu können. Es genügt, wenn er den Irrenden technisch instand setzt, die vermeintlich gerechtfertigte Handlung zu realisieren, indem er ihm z. B. ein Tatwerkzeug zur Verfügung stellt.2565 (d) Tauglichkeit, Umsetzen, Zurechnung als Tatbestandshandlung Sowohl das Programm, das Recht selbst zu manipulieren als auch das Programm, einen Erlaubnistatbestandsirrtum zu instrumentalisieren, begründen in realontologischer Hinsicht taugliche Strategien einer komplexen deliktischen Selbstverwirklichung. Die Umsetzung des jeweiligen Handlungsunrechts liegt – wie sonst auch – in dem Moment, da der Hintermann dazu ansetzt, seine Einwirkung (auf das Werkzeug) abzuschließen.2566 Macht das präsumtive (Verteidiger-)Werkzeug sodann plangemäß von seiner (vermeintlichen) Eingriffsbefugnis Gebrauch, so wird sein äußeres Tätigwerden dem sinnhaft überdeterminierenden Hintermann als Realisierung seiner eigenen, deliktisch höher dimensionierten Basis-Handlung zugerechnet. Für tatsächliche Abweichungen des tatsächlichen vom vorgestellten Kausalverlauf gilt hier im Besonderen: Überschreitet das rechtmäßig handeln sollende Werkzeug irrtümlich oder aufgrund asthenischen Affekts (§ 33) die Grenzen der Erforderlichkeit, so ändert dies nichts an der Zurechnung des Erfolgs zum Handlungsunrecht des Hintermannes, sofern der konkret herbeigeführte Verletzungserfolg sich im Rahmen desselben Tatbestandes hält.2567 Die Möglichkeit, dass dem gerechtfertigt handeln sollenden Werkzeug ein Erlaubnisgrenzirrtum (§ 17) oder ein Notwehrexzess (§ 33) unterläuft, ist von vornherein als potentieller Konfliktverlauf in der unerlaubten Vorsatzgefahrschaffung des Hintermannes angelegt. Auch in 2564

Das gilt unabhängig davon, wie man den Erlaubnistatbestandsirrtum rechtsfolgendogmatisch behandelt (s. zu dieser Frage Paeffgen/Zabel, in: NK, Vor §§ 32 ff. Rn. 103 ff.). 2565 In der Sache ebenso Roxin (TuT, 205, 207), der dies allerdings an einem Beispiel illustriert, in dem zugleich ein Entschuldigungstatbestandsirrtum einschlägig wäre (a.a.O., 205) – d. h. an einem Fall des genötigt handeln (wollen) sollenden Werkzeugs. 2566 s. eingehend zum Ganzen oben, S. 421 ff. 2567 Überschreitet der Vordermann die Grenzen des Erforderlichen vorsätzlich oder sprengt er die Grenzen des vom Hintermann zu verwirklichen gedachten Tatbestandes, so bedeutet dies für den Hintermann einen vorsatzausschließenden Exzess i.S.d. § 16 I 1.

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sozialontologischer Hinsicht bleibt der Zurechnungszusammenhang hier intakt, da das Recht die Handlungsinterpretation des Vordermannes immer noch als relativ unterlegene anerkennt (§§ 17, 33). Entsprechendes gilt, wenn dem im Erlaubnistatbestandsirrtum tätig werden sollenden Werkzeug ein Doppelirrtum (§ 17) oder ein Putativnotwehrexzess (§ 33 analog) unterläuft. Daneben sind auch Abweichungen denkbar, die ausschließlich die sozialontologische Zurechnungskomponente betreffen. So liegt es etwa dann, wenn für den Vordermann ein Erlaubnistatbestandsirrtum eingeplant wird, dieser aber erwartungswidrig dolos agiert. Hier ist zunächst nur eine versuchte mittelbare Tatbegehung gegeben. Ob daneben eine vollendete Teilnahme tritt, hängt wesentlich von der straftatsystematischen Einordnung des Erlaubnistatbestandsirrtums ab. Diesbezüglich soll hier den scharfsinnigen Ausführungen Paeffgens2568 gefolgt werden, der die „Heteronomie und Gegensätzlichkeit“2569 der für eine direkte oder analoge Anwendung des § 16 (h.M.) vorgebrachten Argumente zum Anlass nimmt, einstweilen die in sich stimmige(re) Konzeption der sog, „strengen Schuldtheorie“ zugrunde zu legen. Danach agiert der im Erlaubnistatbestandsirrtum befindliche Täter zweifellos vorsätzlich-rechtswidrig. Demzufolge wäre bei Einplanung eines vermeintlich im Erlaubnistatbestandsirrtum begriffenen, realiter aber dolos handelnden Menschen neben dem Versuch einer mittelbaren Tatbegehung ceteris paribus auch eine vollendete Teilnahme anzunehmen. (e) Keine Übertragbarkeit auf die Selbstschädigungsfälle In der Strafrechtswissenschaft existiert eine Minderheitsmeinung2570, die eine mittelbare Täterschaft durch ein „quasi-gerechtfertigtes“ Opferwerkzeug gegen sich selbst anerkennen will. Maßstab für eine beteiligungsrechtlich erhebliche „QuasiRechtfertigung“2571 des Opfers soll dabei der Rechtsgedanke des rechtfertigenden Notstandes (§ 34) in einer an die Selbstschädigung adaptierten Gestalt sein. Dabei ist allerdings unklar, wie diese Adaption genau aussehen soll: manchen Autoren2572 verlangen in direkter Anlehnung an den Wertmaßstab des § 34 ein wesentliches Überwiegen des bedrohten, durch die Selbstschädigung erhaltenen, Rechtsgutsinteresses; andere2573 dagegen halten das Opfer bereits dann für „quasi-gerechtfertigt“, wenn die von ihm praktizierte Güterverwaltung überhaupt plausibel ist. Insbesondere die letztgenannte Auffassung muss allerdings daran scheitern, dass ein rechtsverbindliches „Werthierarchie-Modell“ zur Plausibilität von Selbstschädigungen,

2568

Paeffgen/Zabel, in: NK, Vor §§ 32 ff. Rn. 103 ff. (120 ff. [123]). Paeffgen/Zabel, in: NK, Vor §§ 32 ff. Rn. 123. 2570 s. etwa Jakobs, ZStW 89 (1977), 1 (33 f.); ders., AT, 21/88 f.; Kindhäuser, in: NK, Vor §§ 249 ff. Rn. 33 f.; M. K. Meyer, Autonomie, 159 ff. 2571 So die Bezeichnung bei Jakobs, JR 1987, 340 (340); s. auch ders., AT, 21/88. 2572 M. K. Meyer, Autonomie, 160; Heine/Weißer, in: Schönke/Schröder, § 25 Rn. 11 a.E. 2573 Jakobs, AT, 21/88 f.; Kindhäuser, in: NK, Vor §§ 249 ff. Rn. 33. 2569

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insbesondere von Selbstverletzungen, fehlt.2574 Richtig ist zwar, das die lex lata mit der Erpressung (§ 253) einen deliktisch vertypten Sonderfall des „quasi-gerechtfertigten“ Werkzeugs kennt.2575 Dieser Tatbestand regelt jedoch ausschließlich die Voraussetzungen, unter denen die Preisgabe eigener Vermögensinteressen (straf-) rechtlich nachvollziehbar ist.2576 Auf Konstellationen der abgenötigten Selbstverletzung ist dieses „Werthierarchie-Modell“ daher e contrario gerade nicht übertragbar. (f) Einplanung eines von vornherein pflichtgemäß handeln sollenden Werkzeugs Möglich ist auch die Einplanung eines von vornherein pflichtgemäß handeln sollenden Werkzeugs zur intentionalen Selbstverwirklichung in einer Unrechtshandlung. So liegt es etwa dann, wenn jemand durch einen Sitzstreik die Straße blockiert, um den nächsten Autofahrer zum Anhalten zu zwingen (= mittelbare Nötigung), mit der Folge dass dem nachfolgenden Verkehr der Weg versperrt wird.2577 Hier begeht der Erstfahrzeugführer durch das Anhalten seines Fahrzeugs und das Unterlassen der Weiterfahrt gegenüber den nachfolgenden Fahrzeugführern von vornherein kein tatbestandliches Unrecht i.S.d. § 240; denn die Handlungsoption einer Weiterfahrt ist ihm qua Tötungs- oder jedenfalls qua Körperverletzungsverbot untersagt (= Verbot der Weiterfahrt2578), wenn ein Mensch die Fahrbahn blockiert. In derartigen „Sitzblockade-Fällen“ schreibt also der als Werkzeug eingeplante Erstfahrzeugführer seinem eigenen verkehrsbehindernden Verhalten a priori keine unrechtliche Qualität zu, da er gerade hierdurch die rechtliche Pflicht, keinen Menschen zu überfahren, befolgt. Demnach betätigt der auf der Straße sitzende Demonstrant das Handlungsprogramm einer mittelbaren Nötigung durch den Erstfahrzeugführer als pflichtgemäß handelndes, die nachfolgenden Fahrzeugführer physisch an der Weiterfahrt hinderndes, Werkzeug. cc) Einplanung intellektuell unzurechnungsfähiger Erwachsener (§ 20) Die Handlung des Vordermannes kann auch dann sinngestaltend überformt werden, wenn dieser aus konstitutionellen Gründen außerstande ist, deliktischen Handlungssinn zu produzieren. So liegt es u. a. bei der Einplanung intellektuell unzurechnungsfähiger Erwachsener (§ 20).

2574

Ausführlich dazu bereits oben S. 354 ff. So in der Sache zutr. Jakobs, JR 1987, 340 ff.; ders., AT, 21/89 m. Fn. 158. 2576 Das sieht auch Jakobs, in: AT, 21/98 Fn. 177. 2577 Beispiel angelehnt an BGH NJW 1995, 2643. 2578 In der Tendenz ebenso Hoyer (JuS 1996, 200 [203]), der allerdings auf ein rechtliches Gebot zum Anhalten rekurrieren will. Wie hier auf die Pflicht zum Unterlassen der Weiterfahrt abstellend dagegen BGHSt 23, 46 (54) und Altvater, NStZ 1995, 278 (281); en passant auch BGH NJW 1995, 2643 (2643): „(…) Situation des Könnens, aber (…) ,Nicht-Dürfens‘ (…)“. 2575

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(1) Fremdschädigung Als Beispiel mag etwa der Fall dienen, dass der nüchterne A den besinnungslos betrunkenen B dazu auffordert, eine Bierflasche gegen ein fremdes Fahrzeug zu schleudern, was dieser auch prompt tut, wodurch das Fahrzeug beschädigt wird (§§ 303, 25 I Alt. 2). – Das konstitutionelle Fehlen der Unrechtseinsicht (§ 20 Alt. 1) kann mutatis mutandis unter den gleichen Prämissen sinnhaft überformt werden wie das Fehlen der aktuellen Unrechtseinsicht („Verbotsirrtum“, § 17).2579 Demnach muss auch hier2580 gerade die fehlende Einsicht des Schuldunfähigen in die materielle Sozialschädlichkeit eingeplant werden; denn der Gesetzgeber mutet prinzipiell jedem (d. h. auch dem Zurechnungsunfähigen) zu, eine als sozialschädlich erkannte Handlung zu unterlassen.2581 Mithin erfasst die Vorschrift allein das konstitutionelle Unvermögen, die materielle Sozialschädlichkeit der Rechtsgutsverletzung einzusehen. Wer dieses Unvermögen eines Unzurechnungsfähigen ausnutzt, um sich selbst in einer Unrechtshandlung zu verwirklichen, der betätigt ein mittelbar-täterschaftliches Handlungsprogramm. Ob er die Tat veranlasst oder nur einen äußerlich unterstützenden Beitrag leistet, ist hierfür irrelevant.2582 Wäre also im obigen Beispiel der B bereits tatentschlossen gewesen und der A hätte ihm die Flasche lediglich zum Wurf angereicht, so wäre A dennoch mittelbarer Täter einer Sachbeschädigung. Auf eine faktische Herrschaft über den Unzurechnungsfähigen kommt es nicht an. Es genügt wie sonst auch, dass die Einwirkung des Hintermannes eine prinzipiell taugliche Strategie begründet, den Einsichtsunfähigen als Werkzeug in Gang zu setzen. Wurde der Geisteszustand des Vordermannes zutreffend eingeschätzt, so wird dessen Tätigkeit der eigenen, höher dimensionierten, Einwirkungshandlung des Hintermannes zugerechnet. Erweist der Vordermann sich dagegen wider Erwarten als zurechnungsfähig, so ist für den Hintermann versuchte mittelbare Tatbegehung in Idealkonkurrenz mit vollendeter Teilnahme gegeben. Das Umsetzen des Handlungsprogramms besteht – wie sonst auch – im unmittelbaren Ansetzen zum Abschluss der Einwirkung auf das präsumtive Werkzeug. (2) Selbstschädigung Das Programm des Hintermannes kann einen intellektuell zurechnungsunfähigen Erwachsenen auch als Werkzeug gegen sich selbst einplanen.2583 Insofern ist der Regelungsgehalt des § 20 Alt. 1 auf die Selbstschädigungsfälle zu extrapolieren: Mittelbare Täterschaft des veranlassenden Hintermannes liegt vor, wenn der zur Selbstverletzung Veranlasste konstitutionell außerstande war, den „(…) sittlichen 2579

Vgl. Roxin, TuT, 234. s. zur analogen Problematik bei Einplanung eines Verbotsirrtums bereits oben, S. 452 ff. 2581 So zutr. Roxin, TuT, 234. 2582 Roxin, TuT, 234. 2583 s. dazu Roxin, TuT, 236 f. 2580

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und sozialen Wert (…)“ des preisgegebenen Rechtsguts einzusehen.2584 Für die Umsetzung derartiger Programme und die Zurechnung des weiteren Geschehens gelten wiederum die allgemeinen Grundsätze. dd) Einplanung intellektuell unzurechnungsfähiger Kinder (§19) und Jugendlicher (§ 3 JGG) zur Fremd- und Selbstschädigung Auch die Tätigkeit intellektuell unzurechnungsfähiger Kinder (§ 19) oder Jugendlicher (§ 3 JGG) kann zum Zwecke einer eigenen deliktischen Selbstverwirklichung eingeplant werden.2585 Die erfolgreiche Programmverwirklichung hängt dann bei Einplanung eines Jugendlichen davon ab, ob dieser tatsächlich einsichtsunfähig war (§ 3 JGG).2586 Doch auch bei Einplanung eines formell strafunmündigen Kindes (§19) ist negative Prämisse der mittelbaren Täterschaft dass Fehlen vorzeitiger Unrechtseinsicht (§ 3 JGG analog in bonam partem).2587 Die formale Grenzziehung des § 19 darf zwar zugunsten eines realiter bereits einsichtsfähigen Kindes wirken, nicht aber zulasten eines realiter nicht überlegenen Hintermannes. Für die Einplanung von Kindern und Jugendlichen als Opferwerkzeuge gegen sich selbst gilt das Gesagte mutatis mutandis entsprechend: Wirkt der Hintermann am Selbstmord eines Jugendlichen mit, so ist konkret zu klären, ob dieser nach seiner verstandesmäßigen Entwicklung reif genug war, den Bedeutungsumfang der Selbsttötung einzusehen (§ 3 JGG analog).2588 Wirkt der Hintermann an der Selbsttötung eines analog § 19 einsichtsunmündigen Kindes mit, so ist zumindest zu fragen, ob das konkrete Kind nicht ausnahmsweise doch bereits individuell in der Lage war, die Bedeutung des Selbstmordes einzusehen (doppelte Analogie zu § 3 JGG zugunsten des Täters). Wenn dagegen Roxin2589 meint, es entspreche dem Grundgedanken des § 3 JGG sowie der allgemeinen Lebenserfahrung, dass Kinder von höchstens 13 Jahren angesichts ihrer mangelnden Verstandesreife im Selbstverletzungsbereich generell nicht verantwortlich entscheiden könnten, so kann dies nicht überzeugen. Denn gerade der natürliche Selbsterhaltungsinstinkt als zentrale vor-moralische Hemmungsinstanz dürfte bei Kindern schon wesentlich ausgeprägter sein als jedes sozialethisch fundierte Vermeidemotiv! Hinsichtlich Umsetzungszeitpunkt und Zurechnung als Tatbestandshandlung ergeben sich keine Besonderheiten.

2584 2585 2586 2587 2588 2589

I.d.S. zutr. Roxin, TuT, 236 (Zitat ebenda). Roxin, TuT, 238 ff. Roxin, TuT, 239. s. zum Ganzen bereits oben, S. 437 ff. Roxin, TuT, 241. TuT, 241.

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6. Kap.: Die Ausarbeitung der Deliktsgruppen im Einzelnen

ee) Einplanung verminderter Einsichtsfähigkeit (§ 21) Auch das Verletzungshandeln eines vermindert Einsichtsfähigen kann von etwaigen Hinterleuten zur deliktischen Selbstverwirklichung instrumentalisiert werden. Denn wie Roxin2590 zutreffend herausgearbeitet hat, impliziert das von § 21 vorausgesetzte Fehlen der vollen Unrechtseinsicht beim Vordermann, dass dieser in actu nicht vollsinnig delinquiert hat – und also in seinem Tun intentional überformt werden konnte.2591 ff) Die Einplanung von Extranei zur Erfolgsherbeiführung im Sonderdeliktsbereich Die Konstellation, dass ein Sonderpflichtiger einen dolosen Außenstehenden dazu einsetzt, die Tatbestandshandlung eines Sonderdelikts äußerlich für ihn vorzunehmen, wird in der Beteiligungslehre seit jeher kontrovers diskutiert. Dabei geht es allerdings zentral um die Frage, ob die Sonderdelikte einem material abweichenden Täterkriterium der Sonderpflichtverletzung folgen, und weniger darum, welche Handlungsgestalt bejahendenfalls für den Intraneus anzunehmen wäre. Deshalb wäre es schon im Ansatz schief, das Problem allein unter dem Aspekt der mittelbaren Täterschaft zu erfassen.2592 Es ist vielmehr unter dem Aspekt der Beteiligung am Sonderdelikt2593 (nochmals2594) zu behandeln. Das Ergebnis wurde freilich oben2595 bereits vorweggenommen: Die allermeisten Sonderdelikte, insbesondere auch die Amtsdelikte, vertatbestandlichen gerade keine Sonderpflichtverletzung (anders die reinen Pflichtdelikte [etwa die §§ 170 f., 266]), weshalb die Pflichtenstellung des Intraneus hier keinerlei beteiligungsrechtlichen Mehrwert hat; der Intraneus kann also nicht einfach zum (mittelbaren) Aktivtäter qua Pflichtenstellung erklärt werden.2596

2590

TuT, 237 f. Programme, die die verminderte Schuldfähigkeit eines anderen zum komplexen intentionalen Rechtsgutszugriff einplanen, dürften praktisch selten vorkommen. Relevant dürften vielmehr Konstellationen sein, in denen der Hintermann durch einen intellektuell Schuldunfähigen als Werkzeug agieren will, der wider Erwarten „Resteinsichtsfähigkeit“ besitzt. In derartigen Fällen ist das Handeln des realiter nur vermindert Schuldfähigen als Realisierung des vom Hintermann betätigten Programms zuzurechnen, da auch der vermindert Schuldfähige materiell nicht vollsinnig delinquiert. 2592 In der Sache ebenso Schild, in: NK, § 25 Rn. 72. 2593 s. unten, S. 608 ff. 2594 s. eingehend zum personalen Verhaltensunrecht der Sonder- und Pflichtdelikte s. bereits oben, S. 173 ff. 2595 S. 63 ff., 173 ff. (194 f.). 2596 Ausdrücklich i.d.S. allerdings Roxin, TuT, 352 ff. 2591

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gg) Die Einplanung absichtslos-doloser Werkzeuge Die Figur des absichtslos-dolosen2597 Werkzeugs hat ihre praktische Relevanz mit Aufnahme der Drittzueignungsabsicht insbesondere in die Tatbestände der §§ 242, 246, 249 (weitestgehend) eingebüßt.2598 Sie wird daher heute lediglich noch anhand von Kathederbeispielen diskutiert, in denen der zu einer Wegnahmehandlung eingeplante andere bei der Drittzueignung nur mit einfachem Vorsatz handelt. Allerdings sind derartige Fälle praktisch kaum vorstellbar.2599 Die Kathederbeispiele betreffen Konstellationen, in denen der Drittzueignende ausschließlich daran interessiert ist, dem Eigentümer übel mitzuspielen oder sich einen Konflikt mit seinem „Auftraggeber“ zu ersparen.2600 In diesen Fällen spricht aber vorsatztheoretisch betrachtet nichts gegen die Annahme einer Drittzueignungsabsicht. Denn wenn dem Wegnehmenden die Drittzueignung als notwendiges Zwischenziel zur Erreichung seines weitergehenden Endziels (= Schädigung/Befriedung) erscheint, liegt nach der allgemeinen Vorsatzlehre Absicht im technischen Sinne vor.2601 Daraus darf man wohl mit Roxin2602 schlussfolgern, dass das Problem des absichtslosen dolosen Werkzeugs durch das 6. Strafrechtsreformgesetz vollständig beseitigt worden ist. Nichtsdestotrotz soll jedoch hier ein Lösungsvorschlag auf Grundlage des intentionalen Handlungsbegriffs angeboten werden: Dem Diebstahlstatbestand liegen zwei allgemeinrechtliche Verbote zugrunde, nämlich Wegnahme- und Zueignungsverbot. Inkriminiert wird die erfolgskupierte Wegnahme, d. h. der durch verbotenen Gewahrsamsbruch qualifizierte Verstoß gegen das allgemeine Unterschlagungsverbot.2603 Daher muss der Diebstahlstäter auch das Wegnahmeverbot in eigener Person verletzen. Das ist jedoch bei Einplanung eines Dritten, der die Wegnahme eigenverantwortlich vollziehen soll, gerade nicht der Fall. Demnach führt die Einplanung eines absichtslos-dolosen Werkzeugs auch nach der hiesigen Beteiligungslehre nicht zu einer Zurechnung des Geschehens als eigene Handlung des Hintermannes sub specie § 242. Nichtsdestotrotz lässt sich jedoch die Auffassung vertreten, dass der in Zueignungsabsicht agierende Hintermann den absichtslos-dolosen Vordermann als 2597 Nicht hierher gehören die Fälle des absichtslos-indolosen Werkzeugs: Täuscht der Hintermann den Vordermann über die Tatsache der von ihm beabsichtigten Zueignung oder über deren Rechtswidrigkeit, so ist nach zutreffender Ansicht (s. etwa Roxin, AT/II § 25 Rn. 157, m.w.N.; ders., TuT, 752 f.) Einplanung eines unvorsätzlich agierenden Werkzeugs gegeben: Die Absicht der rechtswidrigen Zueignung ist ein rechtsgutsbezogenes Merkmal, weshalb das präsumtive Werkzeug hier gerade über den Sinn der Zueignung als der eigentlich kupierten Rechtsgutsverletzung getäuscht werden soll. 2598 Roxin, AT/II, § 25 Rn. 155; ders., TuT, 752. 2599 Roxin, AT/II, § 25 Rn. 156; ders., TuT, 752. 2600 Roxin, TuT, 752. 2601 So zutr. Roxin, TuT, 752. 2602 TuT, 752. 2603 So mit überzeugenden Argumenten gegen die h.M. Kindhäuser, Gössel-FS (2002), 451 ff. m.w.N.

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6. Kap.: Die Ausarbeitung der Deliktsgruppen im Einzelnen

Werkzeug zu einer eigenen Unterschlagungshandlung einplant (§§ 246, 25 I Alt. 2): Der Hintermann will sich das Tatobjekt über den Kopf des Wegnehmenden hinweg unmittelbar zueignen, indem er diesen als absichtslos-dolosen Besitzdiener einplant. Danach könnte für denjenigen, der sich eine fremde Sache derart apportieren lässt, immerhin eine Unterschlagung angenommen werden (zu der das absichtslos-dolose Werkzeug dann Beihilfe leistete). e) Die Einplanung sog. organisatorischer Machtapparate: Organisationsherrschaft aa) Entwicklung der Figur in Literatur und Rechtsprechung – Kritik Neben Willens- und Irrtumsherrschaft anerkannte und anerkennt Roxin2604 noch eine dritte Form der Tatherrschaft, die sog. „Willensherrschaft kraft organisatorischer Machtapparate“2605 oder kurz: „Organisationsherrschaft“2606. Mithilfe dieser Figur sollten die tatsächlichen Hierarchieverhältnisse in „Unrechtsstaaten“ und mafiös strukturierten Gangstersyndikaten beteiligungsdogmatisch angemessen erfasst werden, um die Befehlshaber systematisch angeordneter Verbrechen als (mittelbare) Täter aburteilen zu können. Leitend war dabei die plastische Imagination einer unabhängig vom wechselnden Bestand der einzelnen Exekutoren reibungslos („automatisch“) funktionierenden Befehlskette (also – was wichtig ist – letztlich eine Metapher2607). Diese bildhafte Vorstellung bedeutete für die voraussetzungstechnische Umsetzung der Organisationsherrschaft ins Recht zunächst zweierlei: Erstens die Forderung, dass sich der vom Hintermann betätigte Machtapparat als Ganzer von den Normen des Rechts gelöst haben müsse. „Denn solange Leitung und Ausführungsorgane sich prinzipiell an eine von ihnen unabhängige Rechtsordnung gebunden halten, kann die Anordnung strafbarer Handlungen nicht herrschaftsbegründend wirken, weil die Gesetze den höheren Rangwert haben und im Normalfall die Durchführung rechtswidriger Befehle und damit die Willensmacht des Hintermannes ausschließen.“2608

Erste unabdingbare Prämisse der Organisationsherrschaft sei folglich die Rechtsgelöstheit des zur Verfügung stehenden Machtapparats.2609 Damit nun aber ein solcher Apparat auch wirklich reibungslos funktioniere, müsse zweitens die Fungibilität der einzelnen Exekutoren als austauschbare Rädchen im Getriebe des

2604 2605 2606 2607 2608 2609

TuT, 242 ff.; ders., AT/II, § 25 Rn. 105 ff. Roxin, TuT, 242. Roxin, TuT, 244. So zutr. Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 273; ders., in: NK, § 25 Rn. 120, 123. Roxin, TuT, 249. Roxin, TuT, 249 ff.

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Apparats systemisch gewährleistet sein.2610 Diese Prämissen seien bei zwei Erscheinungsformen organisierter Kriminalität erfüllt. Die erste sei diejenige, dass die Inhaber der Staatsmacht selbst von den Schalthebeln der ihnen unterstehenden Organisationen aus delinquierten; Machtstrukturen dieser Art seien Gegenstand des Eichmann-Prozesses und auch des Staschynskij-Judikats gewesen. Die zweite Hauptform der Organisationsherrschaft betreffe dagegen straffe, vom Wechsel der Einzelmitglieder unabhängige Organisationen nach Art eines „Staates im Staate“.2611 Kritisch reflektiert wurde diese inzwischen zur h.L. aufgestiegene2612 Theorie zuerst von Schroeder, der ihr eine luzide Eleganz und intrasystematische Stimmigkeit bescheinigte, Eigenschaften, ob derer sie in Zukunft gewiss reüssieren werde.2613 Nichtsdestotrotz beschreibe aber das der Organisationsherrschaft zugrunde liegende Phänomen keinen selbständig abgrenzbaren Typus des Täters hinter dem Täter. Schon der Fall des speziell ausgebildeten und lange auf seine komplizierten Taten vorbereiteten Agenten Staschynskij2614 belege nämlich, dass die Fungibilität der Ausführenden gerade kein wesenstypisches Merkmal der von Roxin reklamierten Phänotypen einer Organisationsherrschaft sei.2615 Überdies könne der tiefere Grund für die Annahme von Tatherrschaft nicht in der Austauschbarkeit der ausführenden Organisationsmitglieder liegen, sondern nur darin, dass durch diese Auswechselbarkeit jederzeit tatbereite Schergen generiert werden könnten. Die Fungibilität sei also lediglich ein Mittel zur Erlangung der Tatherrschaft, nicht aber deren innerer Grund.2616 Letzterer liege erst darin, dass den Hintermännern typischerweise willfährige, bei Befehl automatisch tatentschlossene Exekutivorgane zur Verfügung stünden, mit der Konsequenz, dass die für den Teilnehmer charakteristische Erfolgsunsicherheit entfalle.2617 Schroeders Hinweis auf die Insuffizienz des Fungibilitätskriteriums per se rührte in der Tat an das zentrale Problem der Lehre von der Organisationsherrschaft: Die Prämissen der Rechtsgelöstheit der Organisation und der Fungibilität ihrer Mitglieder beschreiben bloß den „Funktionsmechanismus des Apparates“2618 selbst. Es ist aber eben nicht der Apparat, der die von den Befehlsgebern angeordneten Taten begeht, sondern es sind und bleiben die einzelnen Exekutoren als verantwortliche 2610

Roxin, TuT, 245. Roxin, TuT, 250 f. 2612 s. nur die Nachweise bei Roxin, AT/II, § 25 Rn. 108 Fn. 134; zur Rezeption der Organisationsherrschaft in der nationalen und internationalen Gerichtsbarkeit s. ders., GA 2012, 395 (396 ff.). 2613 Täter, 167 f. 2614 s. dazu BGHSt 18, 87 ff. 2615 Schroeder, Täter, 168. 2616 Schroeder, Täter, 168. 2617 Schroeder, Täter, 168 m. 143 ff. (150, 152 a.E.). 2618 Roxin, TuT, 244. 2611

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6. Kap.: Die Ausarbeitung der Deliktsgruppen im Einzelnen

Personen.2619 Diese mögen zwar für den Organisationsherrn beliebig austauschbar sein, was aber nicht das Geringste daran ändert, dass ihre Taten nicht beherrscht werden: Die Herrschaft über die Fungibilität des einzelnen Ausführenden begründet keine aktuelle „Willensherrschaft“ über dessen Taten, sondern allenfalls eine Herrschaft über die rechtlich irrelevante Reserveursache, dass sonst ein anderer Scherge die jeweilige Tat begangen hätte.2620 Doch assoziierte Roxin mit dem Fungibilitätskriterium wohl schon von Beginn an eine andere Idee, nämlich diejenige einer Verschmelzung von ausführender Person und Apparat zu einem einzigen lebendigen Organismus. Nach dieser hier sog. „Konnotationsthese“ ist dem Hintermann die Durchsetzung seines eigenen Willens unabhängig davon garantiert, wer letztlich den Ausführungswillen bildet und betätigt. Demzufolge sind es die Hintermänner selbst, die durch den Machtapparat wie durch ein mechanisches Werkzeug agieren. Eben diese These hat Roxin denn auch in neueren Arbeiten akzentuiert herausgearbeitet und entfaltet: Tatwerkzeug sei eigentlich der Machtapparat als solcher, dessen spezifische Wirkweise den Deliktserfolg mit einer so hohen Wahrscheinlichkeit sicherstelle, dass man unabhängig von der individuell sehr verschiedenen Situation der einzelnen Mitwirkenden von einer (scil.: apriorischen) Erfolgsbeherrschung durch die Hinterleute sprechen könne.2621 Rein faktische Ausnahmen von dieser durch den Apparat gewährleisteten Erfolgsgarantie – etwa der Einsatz nicht ersetzbarer Spezialisten oder die organisationswidrige Insubordination niederer Chargen – bestätigten dagegen bloß die bestehende Regel einer organisationstechnisch sichergestellten „Erfolgsherrschaft“.2622 Diese in sich folgerichtige Konnotationsthese steht allerdings vor dem Problem, dass sie nicht mehr wirklich zu dem gewünschten Ergebnis einer mittelbaren Täterschaft (§ 25 I Alt. 2) passt. Denn den Ausschlag gibt doch für Roxin2623 die spezifische „personale Struktur“ des eingesetzten Machtapparats, d. h. die Verschmelzung der handelnden Individuen mit dem Apparat bzw. die Einschmelzung der Mitglieder zu einem reibungslos funktionierenden Personalapparat willfähriger Schergen. In einem Wort geht es also um die „Verapparatung“ der ausführenden Individuen.2624 Diese Idee bedeutet jedoch bei konsequenter beteiligungsrechtlicher Umsetzung die Annahme einer Selbstbegehung (§ 25 I Alt. 1).2625 Überdies müsste sich das Phänomen der „Verapparatung“ auch voraussetzungstechnisch irgendwie in der Zurechnungsfigur der Organisationsherrschaft niederschlagen. Denn nur so ließe 2619

So zutr. Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 273; ders., in: NK, § 25 Rn. 120, 123. So zutr. etwa Renzikowski, Täterbegriff, 89; Hoyer, in: SK, § 25 Rn. 90 ff. 2621 Roxin, Schroeder-FS (2006), 387 (392 ff.); ders., Krey-FS (2010), 449 (457 f.); ders., GA 2012, 394 (400, 412); krit. dazu etwa Schild, in: NK, § 25 Rn. 120, 123. 2622 Vgl. Roxin, Schroeder-FS (2006), 387 (394 ff.); ders., Krey-FS (2010), 449 (461 f.); ders., GA 2012, 395 (411). 2623 Schroeder-FS (2006), 387 (396) [Zitat ebenda]. 2624 Vgl. schon Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 273 a.E. 2625 So zutr. Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 275; ders., in: NK, § 25 Rn. 123. 2620

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sich ja erklären, dass und warum die sog. „Schreibtischtäter“ die von den Exekutoren konkret begangenen Taten auch tatsächlich organisationsbedingt beherrschen.2626 An dieses Problem rührte bereits Schroeders früher Einwand, die Fungibilität der Exekutoren beschreibe lediglich die Rahmenbedingungen, nicht aber den inneren Grund der Organisationsherrschaft. Für Schroeder2627 selbst liegt dieser innere Grund bekanntlich im marionettengleichen Funktionieren der einzelnen Schergen, d. h. in ihrer organisationsspezifischen Tatentschlossenheit, die lediglich noch durch das Abwarten der Befehle bedingt sei. Diesen Ansatz hat der 5. Strafsenat des BGH2628 später im Urteil gegen die Mitglieder des Nationalen Verteidigungsrats der DDR aufgegriffen und in das Roxin’sche Theorem von der Organisationsherrschaft eingefädelt: Der Hintermann nutze mithilfe von Organisationsstrukturen bestimmte Rahmenbedingungen aus, innerhalb derer sein Tatbeitrag regelhafte Abläufe auslöse. Handle er dabei in Kenntnis dieser Umstände, nutze insbesondere auch die unbedingte Tatbereitschaft des unmittelbar Handelnden aus, so sei er mittelbarer Täter.2629 – Interessant ist, dass der Senat die unbedingte Tatbereitschaft der Exekutoren offenbar als integralen Bestandteil „dieser Umstände“ (Organisationsstrukturen – Rahmenbedingungen – regelhafte Abläufe) ansah: Die Entscheidung gegen das Recht, so heißt es in den Urteilsausführungen beiläufig, sei dem Tatmittler durch die Rahmenbedingungen der Organisation vorgegeben.2630 In der Sache bedeutet dies die Behauptung einer lückenlosen Gleichschaltung aller Organisationsmitglieder: Sind entsprechende organisationsspezifische Rahmenbedingungen vorhanden, dann sind die ausführenden Mitglieder auf das „Verhaltensprogramm“2631 des Apparates konditioniert. Vorausgesetzt wird also eine flächendeckende, durch ideologische Indoktrination und gegenseitige Überwachung2632 bis in die „Kapillaren“ des Personalapparats hinein getragene „Programmierung“ oder „Konditionierung“ des Individualverhaltens.2633 Auf dieser Grundlage lässt sich dann freilich jede konkrete Einzeltat als Produkt des durch die Organisation eingeschliffenen Verhaltensprogramms begreifen.2634 Damit erledigt sich zugleich auch der „alte“ Einwand, dass das Konzept der Organisationsherrschaft 2626

Vgl. zum Ganzen auch Heinrich, Rechtsgutszugriff, 273 ff. In: Täter, 168 m. 145 ff. (152); ders., JR 1995, 177 (179); ders., ZIS 2009, 569 (569 ff.); im Ansatz ebenso Heinrich, Rechtsgutszugriff, 273 ff. 2628 BGHSt 40, 218 ff. 2629 BGHSt 40, 218 (236). 2630 BGHSt 40, 218 (237). 2631 So die pointierte Formulierung bei Schünemann, in: LK, § 25 Rn. 127. 2632 Vgl. dazu Roxin, Schroeder-FS (2006), 387 (395); ders., Krey-FS (2010), 449 (462) [„System gegenseitiger Postenüberwachung“]. 2633 Krit. zu diesem Bild vom marionettengleichen Funktionieren jedes einzelnen Exekutoren Herzberg, in: Verantwortung, 33 (37 f.); ders., ZIS 2009, 576 (579 f.). 2634 Ausdrücklich i.d.S. Schünemann, in: LK, § 25 Rn. 127. 2627

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jedenfalls bei Einplanung unersetzlicher Spezialisten versage.2635 Denn solange de facto auch diese unersetzlichen Fachleute marionettengleich nach dem Verhaltensprogramm des Apparates funktionieren, kontrollieren die „Männer an den Schaltstellen“ auch deren Tun nach den Regeln des Apparates.2636 Die durch das Verhaltensprogramm der Organisation vorgegebene Tatentschlossenheit ihrer Mitglieder bezeichnet folglich die Schnittstelle, an der Getriebe (Apparat) und Zahnrädchen (Exekutoren) ineinandergreifen.2637 Damit ist das Konzept der Organisationsherrschaft gedanklich zu Ende gesponnen: Aufgrund der organisationsspezifischen Verhaltenskonditionierung „diffundiert“ der Apparat in die Mitglieder und diese wiederum als (dann) willfährige Schergen in den Apparat: Mitglieder und Apparat sind soziologisch betrachtet eins. Diesen tatsächlichen Befund haben durchaus auch dezidierte Kritiker der Rechtsfigur der Organisationsherrschaft akzeptiert.2638 In der Tat wird man kaum bestreiten können, dass das Handlungsprogramm der Hintermänner das reibungslose Funktionieren und bedingungslose Befolgtwerden ihrer Befehle einplant.2639 Doch kann dieses soziologische Modell einer im Handeln jedes Einzelnen wirkmächtigen Organisation strafrechtlich nicht eingefangen werden. Denn für das Recht bleiben auch „verapparatete“ Individuen weiterhin Menschen, die die Tatbestandshandlung selbstverantwortlich setzen: Das historische, politische und gesellschaftliche Rahmengeschehen ist aufzubrechen und die einzelnen Handlungen sind zu individualisieren bzw. zu isolieren.2640 Nimmt man diese rechtlich notwendige Individualisierung vor, so muss man mit Jakobs2641 konstatieren: 2635

So schon Schroeder, Täter, 168. So von dieser Warte aus zutr. Schünemann, in: LK, § 25 Rn. 127 a.E.; a.A. dagegen Roxin selbst, der hier mangels Fungibilität „nur“ Anstiftung annehmen will (Schroeder-FS [2006], 387 [395]; Krey-FS [2010], 449 [461]; GA 2012, 395 [410]). 2637 Auch Roxin selbst hatte daher interimistisch die „organisationsspezifische Tatbereitschaft“ der einzelnen Exekutoren als eine weitere Voraussetzung der Organisationsherrschaft postuliert (in: Schroeder-FS [2006], 387 [397]). Neuerdings hat er diese Auffassung jedoch im Anschluss an Ambos (Roxin-FS [2011], 837 [839 f.]) wieder relativiert, da eine auf die Beherrschung der Exekutoren abhebende Zusatzprämisse nicht zu einem konsequent organisationstheoretischen Konzept von Organisationsherrschaft (= Tatherrschaft als Erfolgssicherheit durch Beherrschung des Apparats) passe; die organisationsspezifische Tatbereitschaft der Ausführenden sei daher nicht Prämisse, sondern bloß Derivat der Organisationsherrschaft (Roxin, Krey-FS [2010], 449 [463 f.]; ders., GA 2012, 394 [412]). Damit wird in der Sache stillschweigend behauptet, dass rechtsgelöste Unrechtsorganisationen eo ipso ein „Schwarmdenken“ hervorbringen, aus dem heraus die konkreten Taten begangen werden. 2638 s. etwa nur Jakobs, NStZ 1995, 26 (27); ders., ZIS 2009, 572 (572); Schild, in: NK, § 25 Rn. 123. 2639 So Schild, in: NK, § 25 Rn. 123. 2640 So zutr. Schild, in: NK, § 25 Rn. 123; allgemein – und rhetorisch bestechend – auch Jakobs, NStZ 1995, 26 (26): „Große historische Abrechnung, Reaktion auf Weltgeschichte – das kann Strafrecht, jedenfalls rechtsstaatliches Strafrecht, nicht leisten; sein Hauptterrain ist die Beurteilung subjektiver Bosheit bei im großen und ganzen geordneten Verhältnissen (…) So muß bei ihm mehr oder weniger zwangsläufig die Tragödie von der Mißachtung der Gerech2636

A. Täterschaft bei den allgemeinen vorsätzlichen Begehungsdelikten

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„Die Austauschbarkeit ist bei dieser Lage ein nur naturalistisches Datum. Ebenso verhält es sich bei der ,nahezu automatischen‘ Ausführung des Befehls: Nur bei Beschränkung des Blicks auf die Faktenlage ergibt sich eine Automatik; das rechtliche Urteil lautet, dass sich durch den Befehl ein Verantwortlicher korrumpieren lässt, und dies, ein verantwortlicher Akt, ist das genaue Gegenteil einer Automatik.“

Diese genuin rechtliche Anamnese wird letztlich auch durch die unbefangene Alltagsintuition bestätigt: „Organisationsherren“ wie Hitler oder Stalin – um nur die krassesten Fälle zu nennen – sehen wir als Strippen ziehende „Schreibtischtäter“ an,2642, d. h. als intellektuelle Urheber,2643 die ihre Gegner töten lassen (vergleichbar dem Auftraggeber eines Bravo, der denselben anheuert, um jemanden töten zu lassen).2644 Pointiert kann man daher sagen: Das Programm der Organisationsherrn plant zwar de facto einen reibungslos funktionierenden Apparat zur Deliktsverwirklichung ein, doch ist dieser Apparat in seinem quasi-organischen Eigenleben, seinem „Schwarmdenken“, rechtlich nicht fassbar.2645 Deshalb muss für das Recht auf das selbstverantwortliche Handeln der ausführenden Menschen zurückgegriffen werden, das aber wiederum nicht beherrscht wird – mit der Folge, dass eine vertikale Tatherrschaft des Hintermannes ausscheidet.2646 bb) Organisationsherrschaft und (von den Hinterleuten antizipierte) Selbstinterpretation der Exekutoren Die juristische Auseinandersetzung mit dem Phänomen der Organisationsherrschaft birgt allerdings vom intentionalen Handlungsbegriff her gesehen eine bemerkenswerte Implikation: Mehr und mehr wird nämlich die Selbstinterpretation des eigenen Tuns durch die Ausführenden ins Zentrum der beteiligungsrechtlichen Betrachtung gerückt. So will etwa Schlösser2647 die mittelbare Täterschaft der Befehlsgeber u. a. darauf gründen, dass die Exekutoren sich selbst als austauschbar erleben und hierdurch zu willfährigen Schergen werden. Und Roxin2648 spricht noch deutlicher von „(…) der resignierten Überlegung: ,Wenn ich es nicht mache, tut es tigkeit und der Menschenrechte zum traurigen Stück über einige Schurken eher mittleren Formats verkommen.“ 2641 In: NStZ 1995, 26 (27); s. auch ders. in ZIS 2009, 572 (573 f.). 2642 Die landläufige Etikettierung der „Organisationsherren“ als „Schreibtischtäter“ soll gerade zum Ausdruck bringen, dass diese keine „echten“ Täter sind. Die Bezeichnung streitet daher nicht für die Annahme einer mittelbaren Täterschaft (so aber Roxin, Krey-FS [2010], 449 [450, 456]), sondern gerade dagegen. 2643 So treffend Jakobs, ZIS 2009, 572 (572). 2644 So zutr. Schild, in: NK, § 25 Rn. 123. 2645 Vgl. Schild, in: NK, § 25 Rn. 123. 2646 I. E. ebenso etwa Jakobs, NStZ 1995, 26 (27); ders., ZIS 2009, 572 (572 f.); Herzberg, in: Verantwortung, 33 (35 ff. [47 ff.]); ders., ZIS 2009, 576 (577 ff.); Rotsch, ZStW 112 (2000), 518 (525 ff. [561 f.]); Schild, in: NK, § 25 Rn. 123; wohl auch Hoyer, in: SK, § 25 Rn. 90 ff. 2647 Soziale Tatherrschaft, 333. 2648 Schroeder-FS (2006), 387 (398).

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6. Kap.: Die Ausarbeitung der Deliktsgruppen im Einzelnen

sowieso ein anderer‘“. Damit ist das individuelle „Ohnmachtsgefühl“ des Einzelnen sicher treffend beschrieben. Doch so nachvollziehbar diese Motivlage vorrechtlich auch sein mag, rechtlich ist sie irrelevant. Denn es handelt sich bloß um eine moralische Selbstentlastung, eine Rechtfertigung der eigenen Taten vor sich selbst, die aber gerade zeigt, dass der Einzelne die Befehlsausführung durchaus als selbstverantwortliche erlebt. Eine normative „Willensherrschaft“ der Hinterleute kann daher mit diesem „Selbstentlastungseffekt“2649 keinesfalls begründet werden.2650 cc) Die Mittäterschaftsthese Nach alledem bleibt es beim vollverantwortlichen Unrechtshandeln der einzelnen Exekutoren, das durch die Hinterleute nicht dominant überformt werden kann. Zwar kontrollieren die Organisationsherren einen Apparat und machen sich dessen reibungslose Automatik zunutze. Doch begründet diese Automatik rechtlich gesehen nicht einen Umstand, den der Ausführende statt seiner selbst im eigenen Tun repräsentiert sehen darf (wie bei der „Nötigungsherrschaft“). Damit fehlt es den Befehlsgebern an einem normativen Interpretationsmuster vertikaler Selbstverwirklichung. Doch kann man fragen, ob Befehlsgeber und Exekutoren nicht immerhin nach einem Deutungsmuster kollektiven Unrechtshandelns verfahren. In diesem Fall könnten die höheren Chargen ceteris paribus als Mittäter (§ 25 II) bestraft werden.2651 Dazu müsste sich die Tatbestandsverwirklichung für Vorder- wie Hinterleute als Produkt arbeitsteiligen Handelns darstellen. Auch das ist jedoch eindeutig nicht der Fall, da die Deliktsbegehung nach dem Programm aller Beteiligter allein den Exekutoren überlassen bleiben soll.2652 Kollektive Intentionalität ist, wenn überhaupt, allenfalls im Hinblick auf die – nicht tatbestandsmäßige – Umsetzung des politischen Organisationsprogramms gegeben. Davon abgesehen läuft die Mittäterschaftsthese aber auch dem gesetzlichen Leitbild von Mittäterschaft als horizontaler Aktionskoordination zuwider:2653 Es fehlt sowohl an einem gemeinsamen Tatentschluss zwischen den Beteiligten als auch an einer gemeinschaftlichen Tatausführung. Dieser Analyse hat freilich Jakobs unter Hinweis auf anonyme Arbeitsteilungsprozesse im sozialen Alltag widersprochen: Das Erfordernis eines gemeinsamen 2649

Hoyer, in: SK, § 25 Rn. 91 a.E. So zutr. Roxin, TuT8,, 708; in der Sache ebenso bereits Lampe, ZStW 106 (1994), 683 (743); zweifelnd auch Hoyer, in: SK, § 25 Rn. 92. 2651 Für Mittäterschaft der Befehlsgeber etwa Jescheck/Weigend, AT, § 62 II 8 (S. 670); Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, AT, § 25 Rn. 150 a.E.; Jakobs, NStZ 1995, 26 (27); ders., ZIS 2009, 572 (573); Otto, AT, § 21 Rn. 92. 2652 Vgl. Roxin, TuT, 744; ders., Schroeder-FS (2006), 387 (391); ders., Krey-FS (2010), 449 (454); ders., GA 2012, 395 (404). 2653 Roxin, TuT, 745; ders., GA 2012, 395 (404); s. auch bereits Bloy, GA 1996, 424 (440) und der Sache nach schon Lampe, ZStW 106 (1994), 683 (743); eingehend Schlösser, Soziale Tatherrschaft, 334 ff. (350 ff.). 2650

A. Täterschaft bei den allgemeinen vorsätzlichen Begehungsdelikten

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Tatentschlusses sei bloß Ausfluss einer psychologisierenden Fehldeutung der Prämissen von Arbeitsteilung; ob sich die Beteiligten kennten oder über die Arbeitsaufteilung verhandelten, sei bei einem Verbrechen ebenso irrelevant wie im sozialen Alltag, etwa in einem Großbetrieb; es reiche vielmehr hin, wenn der Hintermann seinen Beitrag in Kenntnis des deliktischen Sinnzusammenhangs entsprechend einpasse.2654 Ob diese Analogie trägt, kann hier dahingestellt bleiben. Denn jedenfalls ändert die Tatsache, dass der einzelne Ausführende ein von den Organisationsherren vorgeformtes „Deliktsmuster“2655 aktiviert, nicht das Geringste daran, dass ausschließlich er selbst die „Deliktsschablone“2656 mit Leben füllt, das Delikt begeht.2657 Wie man die Dinge also auch wendet, die vom einzelnen Exekutoren vollzogene Tötungshandlung kann sprachlogisch kein Akt kollektiver Intentionalität sein. Der den höheren Chargen unterlegte praktische Schluss „Wir töten (einen) Menschen, indem ich die Rahmenbedingungen (vor Ort) organisiere und Du tötest“, ist intensional selbstwidersprüchlich. dd) Die Anstiftungslösung Nach alledem sind für die vorgesetzten Chargen Anstiftungshandlungen (§ 26) anzunehmen.2658 Auf diese Weise trägt man dem Umstand Rechnung, dass die Tatvollstrecker vollsinnig delinquieren. Dennoch bringt die Etikettierung der Befehlsherrn als Anstifter nach neueren anstiftungsdogmatischen Erkenntnissen durchaus auch deren voluntative Überlegenheit zum Ausdruck. In der jüngeren Strafrechtswissenschaft setzt sich nämlich zunehmend die Einsicht durch, dass die Anstiftungshandlung ihrer Formalstruktur nach ein sanktionsträchtiger Verhaltensappell ist.2659 Der Anstifter ist also „Entscheidungsherr“2660 insofern, als er durch (konkludente) sanktionsträchtige Tataufforderung die enttäuschungsfeste Erwartung äußert, dass eine bestimmte Straftat begangen werden solle.2661 Demnach verkörpert 2654

Jakobs, NStZ 1995, 26 (27); ders., ZIS 2009, 572 (573). Vgl. dazu Jakobs, ZIS 2009, 572 (573). 2656 Vgl. Jakobs, Lampe-FS (2003), 561 (569). 2657 Jakobs selbst sieht freilich den Normbruch als einen rein kommunikativen Akt an, der sämtlichen daran Mitwirkenden als eigene Erklärung zuzurechnen sei (vgl. etwa auch ZIS 2009, 572 [573, 574 f.]); s. ausführlich zu diesem genuin normativen Ansatz und seiner Unvereinbarkeit mit der Tatbestandsmaterie der sog. „Herrschaftsdelikte“ oben, S. 326 ff.). – Neuerdings will Jakobs für die Organisationsherren genuine Pflichtdelikte annehmen, da sie ihre institutionelle Staatsherrenpflicht verletzten, die Rechtlichkeit aller Amtshandlungen sicherzustellen (ZIS 2009, 572 [574 f.]); zur Kritik an der Jakobs’schen „Institutionendoktrin“ allgemein s. bereits oben, S. 176 ff. sowie auch noch unten, S. 619 ff.). 2658 So zutr. Herzberg, in: Verantwortung, 33 (47 f.); ders., ZIS 2009, 576 (576 ff.); Köhler, AT, 510; Renzikowski, in: Maurach/Gössel/Zipf, AT/2, § 48 Rn. 79; ders., Täterbegriff, 87 ff.; Rotsch, ZStW 112 (2000), 518 (561 f.). 2659 s. eingehend dazu noch unten, S. 543 ff. 2660 Terminologie in Anlehnung an Nepomuck, Anstiftung, 85 ff. 2661 s. zu den Einzelheiten noch unten, S. 551 ff. 2655

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ein Exekutionsbefehl innerhalb organisationstypischer Rahmenbedingungen geradezu den Prototypen der Anstiftung.2662 Legt man dieses Bild vom Anstifter zugrunde, so kann man Organisationsherren wie Hitler oder Stalin als eben das begreifen, was sie waren: leitende Funktionäre einer Vernichtungsmaschinerie. Die Anstiftungskette erstreckt sich vom Diktator über die Spitzenfunktionäre und höheren Chargen bis hin zu den ausführenden Mitgliedern, es handelt sich um den paradigmatischen Fall einer Kettenanstiftung.2663 Dieses direkt an den Begriffskern angelehnte Verständnis des gesetzlichen Merkmals „Bestimmen“ in § 262664 erklärt auch die tätergleiche Sanktionsbewehrung des Anstiftungsverbots: Das gesetzliche Leitbild des Anstifters ist das eines „Feindes der Norm“, der einen freien und selbstverantwortlichen Menschen dazu korrumpiert, sich über die Normen des Rechts hinwegzusetzen.2665 Eben das trifft aber auch (und gerade) auf die Männer an den Schalthebeln rechtsgelöster Machtapparate zu, denn in jedem Befehl liegt die Korrumpierung eines Verantwortlichen.2666 Gegen diese Anstiftungslösung hat Roxin eingewandt, es widerspreche den sachgerechten Prinzipien sozialer, historischer und juristischer Täterzurechnung, zu sagen, Hitler und Stalin hätten sich auf die Anstiftung anderer beschränkt.2667 Doch dieser Vorhalt geht an der Gesetzesrealität vorbei. Denn es ist ja gerade die Frage, welches die „sachgerechten“ Kriterien einer sozialen, historischen und juristischen Täterzurechnung sind. Davon abgesehen wird stillschweigend vorausgesetzt, dass die Anstiftung in ihrem Handlungsunwert (erheblich) hinter der Täterschaft zurückstehe – ein Gedanke, der formaljuristisch schon allein deshalb nicht überzeugen kann, weil § 26 die Anstiftung aus gutem Grund mit tätergleicher Strafe bedroht.2668 Aber selbst die sozialen und historischen „Realitätsstrukturen“ sind im Falle der Organisationsherrschaft längst nicht so klar vorgezeichnet wie viele meinen. Das gilt zunächst für den von Roxin2669 ins Feld geführten Alltagssprachgebrauch, der von den Organisationsherren als sog. „Schreibtischtätern“ spricht. Gerade darin kommt nämlich die Ambivalenz2670 der Organisationsherrschaft zum Ausdruck: Der Schreibtischtäter ist kein „echter“ Täter, er macht sich nicht selbst „die Hände schmutzig“, sondern „versteckt“ sich hinter seinem Schreibtisch (= seiner Anordnungsgewalt). Die Perfidie dieses Vorgehens nährt jedoch andererseits das krimi2662 So zutr. Renzikowski, in: Maurach/Gössel/Zipf, AT/2, § 48 Rn. 79; vgl. auch noch § 48 StGB a.F. („[…] durch Mißbrauch […] der Gewalt […]“). 2663 Vgl. Herzberg, ZIS 2009, 576 (579); Rotsch, ZStW 112 (2000), 518 (561 f.). 2664 Vgl. dazu einstweilen nur Renzikowski, in: Maurach/Gössel/Zipf, AT/2, § 51 Rn. 18. 2665 s. instruktiv dazu Amelung, Schroeder-FS (2006), 147 (149 ff., 171 f.). 2666 s. dazu nochmals Jakobs, NStZ 1995, 26 (27). 2667 Roxin, TuT8, 713. 2668 Vgl. zutr. dazu etwa Renzikowski, Täterbegriff, 90; Herzberg, ZIS 2009, 576 (579). 2669 In: Krey-FS (2010), 449 (450, 456). 2670 Vgl. dazu Schild, in: NK, § 25 Rn. 123.

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nalpolitische Bedürfnis, den Anordnenden auch strafrechtlich „hinter seinem Schreibtisch hervorzuholen“ und als Hauptverantwortlichen zu etikettieren.2671 Dieser – nachvollziehbare – Impuls hat jedoch nicht nur für die strafbegründungsrechtliche Beurteilung der Beteiligungsform außer Betracht zu bleiben, sondern er ist auch in sich problematisch, da hier (uneingeständlich) ein Gutteil „Dissonanzbewältigung“ mitschwingt: Die Idee, dass Massen „normal denkender“ Menschen („Menschen wie Du und ich“) möglicherweise ohne das „Zaumzeug“ diabolischer Organisationsherren zu Greueltätern mutieren konnten, hat für unser „aufgeklärtes“ Selbstbild etwas ausgesprochen Beklemmendes. Deshalb neigen wir wohl instinktiv dazu, die eigentliche Hauptschuld für derartige Phänomene bei den „großen geistigen Verderbern“ wie etwa Hitler oder Stalin zu suchen, die wir dämonisieren, indem wir sie uns als omnipotente und omnipräsente Lenker einer jeden einzelnen Greueltat ausmalen. Dadurch entsteht aber wohl die Gefahr, dass ein zumindest unvollkommenes Bild der sozialen und historischen Phänomene gezeichnet wird, eines, das die Rolle der Ausführenden zu sehr schmälert.2672 In puncto soziale und historische Täterzurechnung geht demnach die entscheidende Frage dahin, ob wir unserem „unbefangenen“ (?!) Täterbild überhaupt vertrauen dürfen – oder ob wir es nicht vielmehr durch eine in Bezug auf die „einfachen Ausführenden“ ungeschönte Aufarbeitung neu zeichnen müssen. Zu diesem Prozess kann dann gerade auch eine juristische Anstiftungslösung beitragen, die die Selbstverantwortlichkeit der einzelnen Ausführenden ebenso betont wie die voluntative Überlegenheit der Befehlsgeber. Sieht man die Dinge in diesem Licht, so kann keine Rede mehr davon sein, dass die Anstiftungslösung „(…) den realen Machtverhältnissen Gewalt antut (…)“ oder dass durch ihre Anwendung „(…) gewaltige Sachunterschiede normativistisch simplifizierend eingeebnet (…)“ würden.2673 Damit bleibt die (traurige) Erkenntnis, „(…) daß Hitler und vergleichbare Diktatoren mit Hilfe des ihnen zur Verfügung stehenden Apparates ein Zerstörungs- und Rechtsverletzungspotential entbinden konnten, das mit dem eines normalen Anstifters nicht entfernt vergleichbar ist“2674.

Das ist sicher richtig, doch ändert die Tatsache, dass solche Organisationsherren systematisch und anonym zu unzähligen Taten anstiften konnten, nichts an ihrer beteiligungsrechtlichen Einordnung als (Ketten-)Anstifter.2675 Dem ungeheuren Schadensausmaß ist vielmehr durch Annahme entsprechend vieler realkonkurrierender Anstiftungstaten Rechnung zu tragen (vgl. § 53). Ob diese Anstiftungslösung 2671

So zutr. Jakobs, NStZ 1995, 26 (26). s. etwa nur Jakobs, ZIS 2009, 572 (574) [„Die Großen sind groß nicht ohne die Kleinen (…)“]; s. ferner auch bereits Renzikowski, Täterbegriff, 88 f., unter Zitierung des Publizisten Henryk M. Broder. 2673 So aber Roxin, TuT8, 713 [Zitate ebenda]; wie hier dagegen etwa Herzberg, ZIS 2009, 576 (579 f.). 2674 Roxin, TuT8, 713. 2675 So zutr. Herzberg, ZIS 2009, 576 (579 f.); auch Rotsch, ZStW 112 (2000), 518 (561 f.). 2672

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– als Konsequenz eines im Wandel begriffenen Anstiftungsverständnisses – zumindest in der Rechtswissenschaft weiter an Boden gewinnen wird, bleibt abzuwarten. ee) Exkurs: Organisationsherrschaft und Wirtschaftskriminalität Nach Roxin sollte die Figur der Organisationsherrschaft ausschließlich den soziologischen Rahmenbedingungen innerhalb rechtsgelöster, d. h. quasi-organisch gedachter, Unrechtssysteme Rechnung tragen. Innerhalb rechtsstaatlicher Rahmenbedingungen sei dagegen grosso modo mit der Ablehnung rechtswidriger Anweisungen zu rechnen, wie es z. B. die Beamtengesetze auch ausdrücklich vorschrieben.2676 Fraglich ist allerdings, wie realistisch diese Erwartung tatsächlich ist, insbesondere im Hinblick auf eine organisierte Wirtschaftskriminalität. Der BGH jedenfalls sah in den einschränkenden Kriterien der Organisationsherrschaft keine ernstzunehmenden Vorbehalte gegen eine Übertragung der Figur auf innerrechtsstaatliche Unternehmenskriminalität. Lapidar heißt es im Judikat des 5. Strafsenats gegen die Mitglieder des Nationalen Verteidigungsrates der DDR2677 (obiter dictum): „Auch das Problem der Verantwortlichkeit beim Betrieb wirtschaftlicher Unternehmen lässt sich so [scil.: durch Rekurs auf die Organisationsherrschaft – Anm. d. Verf.] lösen.“ Dieser Gedanke ist konsequent insofern, als Systemkriminalität nicht nur bei innerstaatlichen Schattenorganisationen nach Art eines „Staates im Staate“ denkbar ist, sondern auch im Wirtschaftssektor einer rechtsstaatlich verfassten Ordnung. Damit tritt jedoch die Diskrepanz, dass am unteren Hierarchieende weiterhin selbstverantwortliche Menschen agieren, in voller Schärfe zutage. Die ursprüngliche Lehre von der Organisationsherrschaft konnte diesen Bruch immerhin noch camouflieren, indem sie eine rechtsgelöste Unrechtsorganisation postulierte, einen „Ameisenstaat“, in dem der Einzelne nur noch als gleichsam mechanisch funktionierendes „Rädchen im Getriebe“, als soziale Nullperson, erscheine. Doch ist die Ausdehnung des Grundgedankens auf die moderne Wirtschaftskriminalität angesichts der auch dort gegebenen „Verbandsmentalität“ und Fungibilität der ausführenden Chargen durchaus folgerichtig,2678 wodurch letztlich die gesamte Rechtsfigur ad absurdum geführt wird. 3. Die gemeinschaftliche Begehung der Tatbestandshandlung (§ 25 II) Damit bleibt noch der dritte Typus vorsätzlicher Tatbestandshandlung, die mittäterschaftliche Tatbegehung i.S.d. § 25 II, auszuarbeiten. Insofern wurde hier bereits 2676 2677 2678

Roxin, TuT, 249 f., 748 f. BGHSt 40, 218 (237). s. dazu etwa Schild, in: NK, § 25 Rn. 122.

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festgestellt,2679 dass der Mittäterschaft dieselbe Zurechnungsstruktur zugrunde liegt wie der Alleintäterschaft.2680 Auch hier geht es um die Zurechnung eines Geschehens als eigene Tatbestandshandlung des einzelnen Mittäters und nicht etwa um die wechselseitige Zurechnung fremder Handlungen wie eigene. Die Vorschrift des § 25 II ordnet also nicht etwa eine konstitutive Zurechnung fremder Handlungen an, sondern sie beschreibt die Zurechnung des gemeinsam verwirklichten Geschehens zum je einzelnen Handlungsprogramm als eigene „wir-intentionale“ Tatbestandshandlung. Die Norm hat somit bloß deklaratorische Funktion, was bedeutet: Auch die mittäterschaftliche Tatbegehung ist Bestandteil schon der tatbestandlichen Handlungsbeschreibungen.2681 Diese Annahme versteht sich handlungstheoretisch keineswegs von selbst. Um sie dogmatisch konsistent begründen zu können, ist daher eine Analyse von Wesen, Struktur und Gehalt kollektiver Handlungen unabdingbar. Dabei ist sinnvollerweise zuerst danach zu fragen, inwieweit eine solche Analyse bisher bereits geleistet bzw. gelungen ist. Dies soll die nachfolgende Kurzvorstellung der gängigen Mittäterschaftskonzepte klären und dabei schrittweise zum eigentlichen Problemsitz hinführen. a) Vorstellung und kritische Betrachtung der gängigen Mittäterschaftskonzepte Sichtet man das Feld der Erklärungsmodelle mittäterschaftlichen Handelns theorieübergreifend, so lassen sich zunächst zwei Grundansätze grob auseinanderhalten, ein „überkommener“ und ein „moderner“: Der überkommene Denkansatz sieht Mittäterschaft als eine genuine Form täterschaftlicher Zurechnung an (eben als Mit-Täterschaft). Er geht also (stillschweigend) davon aus, dass das durch alle Komplizen gemeinsam bewirkte Gesamtgeschehen dem einzelnen Mittäter als seine (von ihm mit begangene) Tatbestandshandlung zurechenbar ist. Kontrovers beurteilt wird lediglich der Legitimationsgrund dieser genuin täterschaftlichen Zurechnung. Für die Rechtsprechung2682 und den ihr folgenden Teil der Literatur2683 liegt er im 2679 s. eingehend zu dem für alle drei „Erscheinungsformen“ von „Täterschaft“ gleichermaßen geltenden Explikationsmodell von Tatbestandshandlung nochmals oben, S. 270 ff. 2680 Ebenso bereits Schild, in: NK, § 25 Rn. 16 f., 125 ff., 136. 2681 Dass alle drei „Erscheinungsformen“ der „Täterschaft“ bereits in den Tatbestandsformulierungen des Besonderen Teils enthalten seien, vertreten insbesondere: Schünemann, in: LK, Vor § 25 Rn. 14 (s. aber andererseits auch a.a.O., § 25 Rn. 159); Luzón Peña/Díaz y García, Roxin-FS (2001), 575 (584 Fn. 31); Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 160 ff., 305 f.; ders., in: NK, § 25 Rn. 13 ff. (16), 75, 133; Schilling, Verbrechensversuch, 108 ff.; sachlich übereinstimmend auch Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, AT, § 24 Rn. 26; i.E. ebenso trotz Zugrundelegung eines phänomenologischen Tatbestandshandlungsbegriffs Roxin, TuT, 417. 2682 Paradigmatisch für das in der Rechtsprechung herrschende „Hintergrundverständnis“ mittäterschaftlicher Zurechnung ist das von Schünemann (in: LK, § 25 Rn. 28) zentral zitierte Judikat BGH StV 1981, 275 (276). Danach muss jeder einzelne Mittäter „(…) seinen Tatbeitrag als Teil der Tätigkeit des anderen und umgekehrt die Tätigkeit des anderen als Ergänzung seines eigenen Tathandelns wollen (…)“, m.a.W.: Die mittäterschaftliche Zurechnung erwächst un-

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Willen2684 des einzelnen Komplizen zur (Mit-)Täterschaft. Noch weiter geht die orthodoxe „Einzellösung“ Schillings2685, wonach jeder Komplize den oder die anderen bloß als Kausalfaktor(en) in sein Handlungsprogramm einplant, mit der Folge, dass Mittäterschaft lediglich eine Spielart der Alleintäterschaft ist. Eine weitere Literaturströmung erklärt die genuin täterschaftliche Zurechnungsstruktur der Mittäterschaft mit der durch gemeinsamen Tatentschluss begründeten wechselseitigen Repräsentanz im Handeln.2686 Als strafrechtswissenschaftliches Haupterklärungsmodell hat sich jedoch auch hier die traditionelle Tatherrschaftsdoktrin2687 etabliert, die die genuine Mit-Täterschaft des einzelnen Komplizen auf seine „funktionelle Tatherrschaft“2688 gründet.2689 Dieser traditionellen Denkrichtung, die die Mittäterschaft als einen genuinen Täterschaftstypus auffasst, steht eine „moderne“2690 Denkrichtung2691 gegenüber, die sie primär als strafrechtliches Haftungsinstitut begreift. Danach partizipiert der einzelne Mittäter nicht mehr aus sich heraus am gesamten Tatunrecht, sondern ihm wird bloß fremdes Unrecht so zugerechnet, als habe er es selbst verwirklicht. Dieser moderne Ansatz sieht folglich in der Mittäterschaft nicht mehr eine dritte Art genuiner täterschaftlicher Geschehenszurechnung, sondern eine teil-akzessorische Beteiligungsform, die lediglich qua Gesetz als Täterschaft behandelt wird. An dieser

mittelbar aus dem (zugeschriebenen) Willen jedes Einzelnen heraus, ist also originärer Natur (a.A. wohl Fischer, § 25 Rn. 24). 2683 s. etwa Baumann/Weber/Mitsch, AT11, § 29 Rn. 77, 100 ff. 2684 Der animus auctoris wird dabei freilich nicht (mehr) als psychisches Faktum verstanden, sondern i.S.e. normativen Zuschreibung (s. dazu etwa nur Schünemann, in: LK, § 25 Rn. 29, mit entspr. Kritik in Rn. 30). 2685 In: Verbrechensversuch, 73 f., 95 f., 104 ff., 113 (dort [a.a.O., 1] findet sich auch der Begriff der „Einzellösung“); ähnlich Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 162 f. m. 279 ff.; ders., in: NK, § 25 Rn. 13 ff. (16), 29 f., 127 f. 2686 So Lange, Täterbegriff, 54 f.; Sax, ZStW 69 (1957), 412 (434 f.); Kindhäuser, Hollerbach-FS (2001), 627 (649 ff. [652]); Haas, Theorie, 112 ff.; vgl. ferner auch Schmidhäuser, AT, 14/14. 2687 Welzel, ZStW 58 (1939), 491 (549 ff.); Gallas, ZStW-Sonderheft Athen (1957), 3 (17); Roxin, TuT, 275 ff.; Bloy, Beteiligungsform, 371; Schünemann, in: LK, § 25 Rn. 159; Rudolphi, Bockelmann-FS (1979), 369 (373 f.); Jescheck/Weigend, § 63 I 2 (S. 675); Maurach/Gössel/ Zipf, AT/27, § 49 Rn. 1, 5, 7; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 761 ff. 2688 Begrifflichkeit nach Roxin, TuT, 275 ff. 2689 Dabei wird freilich nicht ganz klar, ob diese Mitherrschaft den traditionellen Formen ungeteilter Tatherrschaft – Handlungs- und Willensherrschaft – eo ipso gleichwertig ist (i.d.S. wohl etwa Welzel, ZStW 58 [1939], 491 [549 f.]; Roxin, TuT, 280 u. 757), oder ob sie diesen erst noch gesetzlich gleichgestellt werden muss (so etwa Maurach/Gössel/Zipf, AT/27, § 49 Rn. 6; Bloy, Beteiligungsform, 371 m. Fn. 346; Schünemann, in: LK, § 25 Rn. 159). 2690 s. zu diesem Prädikat Hoyer, in: SK, Vor § 25 Rn. 9. 2691 Ausdrücklich und dezidiert vertreten etwa von: Herzberg, Täterschaft, 60 f.; ders., ZStW 99 (1987), 49 (53 ff.); Hoyer, in: SK, Vor § 25 Rn. 9 ff.; § 25 Rn. 28 ff.; Küper, Verbrechensversuch, 57 ff. (60 f.).

A. Täterschaft bei den allgemeinen vorsätzlichen Begehungsdelikten

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Dichotomie – und nicht am altbekannten Gegensatz zwischen subjektiver Theorie und Tatherrschaftslehre – soll sich die nachfolgende Analyse ausrichten. aa) Das „moderne“ Modell der konstitutiven Zurechnung fremder Handlungen Das moderne Erklärungsmodell der Mittäterschaft wird wohl am eindrucksvollsten durch die von Hoyer2692 entwickelte Beteiligungslehre repräsentiert, deren Begründungsansatz hier noch einmal2693 stellvertretend herausgegriffen sei. An den Anfang seiner Überlegungen stellt Hoyer die These, dass eine moderne, dem Gesetz Rechnung tragende, formell-objektive Theorie § 25 I Alt. 2 und § 25 II als Strafausdehnungsgründe gegenüber dem Besonderen Teil einzustufen habe.2694 An das je eigene Verhalten des mittelbaren und des Mittäters müsse sich nämlich stets noch die Verhaltensentscheidung eines anderen Menschen anschließen, die ob dessen Willensfreiheit nicht als vollständig determiniert gelten könne.2695 Mittelbare und Mittäterschaft bildeten also gegenüber der unmittelbaren Alleintäterschaft „(…) nicht nur andere Formen von Tatherrschaft, sondern sie bedeuten zugleich ein weniger an Tatherrschaft.“2696 Um dieses Minus aufzuwiegen und die drei Täterschaftsformen aneinander anzugleichen, müsse es daher bei mittelbarer und Mittäterschaft ein „funktionelles Äquivalent“ für die volle Handlungsherrschaft des unmittelbaren Alleintäters geben.2697 Und damit dieses funktionelle Äquivalent die partiell fehlende Tatherrschaft bei mittelbarem Täter und Mittäter ersetzen könne, bedürfe es gerade dann positiv-rechtlicher Anordnung, wenn in die Tatbestände des Besonderen Teils das Merkmal der Tatherrschaft hineingelesen werde.2698 Diese positiv-rechtliche Anordnung finde sich in § 25 I Alt. 2 und § 25 II. Besagte Vorschriften ordneten die Gleichbehandlung der vollen eigenhändigen Handlungsherrschaft, wie sie die Tatbestände des Besonderen Teils voraussetzten, mit den Umständen an, die für mittelbare und Mittäterschaft konstitutiv seien.2699 Seien diese Umstände gegeben, so würden mittelbarer und Mittäter so behandelt, als erfüllten sie selbst den Tatbestand des Besonderen Teils, als übten sie mithin die volle Tatherrschaft aus. Ihnen würden dann also die nicht eigenhändig vorgenommenen Tatbeiträge der anderen Tatherrschaftsinhaber zugerechnet. Im Gegensatz zu § 25 I Alt. 1 wirkten § 25 I Alt. 2 und § 25 II somit strafausdehnend bzw. konstitutiv.2700 2692 2693 2694 2695 2696 2697 2698 2699 2700

In: SK, Vor § 25 Rn. 9 ff.; § 25 Rn. 28 ff. s. eingehend und krit. zur Tatherrschaftsdoktrin Hoyers bereits oben, S. 297 ff. Hoyer, in: SK, Vor § 25 Rn. 9. Hoyer, in: SK, Vor § 25 Rn. 12. So Hoyer, in: SK, Vor § 25 Rn. 14. Hoyer, in: SK, Vor § 25 Rn. 14 (zitierte Begrifflichkeit ebenda). Hoyer, in: SK, Vor § 25 Rn. 14. Hoyer, in: SK, Vor § 25 Rn. 15. Hoyer, in: SK, Vor § 25 Rn. 15.

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6. Kap.: Die Ausarbeitung der Deliktsgruppen im Einzelnen

Diese auf den ersten Blick überzeugend anmutende Argumentationskette erweist sich bei näherem Hinsehen als problematisch. Das gilt zunächst für die zentrale Behauptung, § 25 I Alt. 2 und § 25 II seien als Strafausdehnungsgründe zu lesen. Diese These wird von Hoyer erst gar nicht gesetzessystematisch hinterfragt, sondern unmittelbar auf an sich gesetzesfremde Sachgründe („Tatherrschaft“, „funktionelles Äquivalent“) gestützt. Setzt man hingegen unmittelbar bei der Formulierung der § 25 ff. ein, so zeigt ein erster Blick auf § 25 I Alt. 2, dass die mittelbare Täterschaft auf derselben normativen Zurechnungsstruktur beruht wie die unmittelbare Alleintäterschaft. Auch hier geht es allein um die (scil.: komplexe) Zurechnung des Geschehens als eigene ich-intentionale Tatbestandshandlung des mittelbaren Täters selbst, nur eben begangen „durch“ einen anderen.2701 Schon der intrasystematische Regelungsort der mittelbaren Täterschaft als Unterfall der Alleintäterschaft stellt dies unmissverständlich klar. Umgekehrt belegt aber auch die Tatbestandsfassung der §§ 26, 27, dass der Gesetzgeber dort, wo er eine außerordentliche Handlungszurechnung anordnen wollte, eine explizit zwischen Eigen- und Fremdhandeln differenzierende Formulierungstechnik gewählt hat. Aus dem Fehlen einer dementsprechenden Formulierungstechnik in § 25 I Alt. 2 folgt daher e contrario, dass diese Vorschrift gerade keine konstitutive Zurechnungsnorm sein soll. Entsprechendes gilt cum grano salis auch für die hier interessierende Sanktionsnorm der Mittäterschaft (§ 25 II), die zwar getrennt von der Alleintäterschaft geregelt ist, nichtsdestotrotz aber von der Bestrafung jedes Einzelnen „als Täter“ spricht.2702 Auch diese Vorschrift beschreibt daher nicht eine außerordentliche Handlungszurechnung, sondern „nur“ die gemeinschaftlich begangene Tatbestandshandlung selbst, die jedem Einzelnen als seine eigene zugerechnet wird. Das ist auch hier bewusst so gehalten, denn eine partielle Akzessorietät der Mittäterschaft würde das dualistische Täter-TeilnehmerSystem des StGB sprengen.2703 Eine solche singularistische Interpretation der Mittäterschaft wirft freilich die Frage auf, warum Mittäterschaft dann nicht ebenfalls als Unterfall der Alleintäterschaft konzipiert ist, wie dies Schilling2704 dem traditionellen Denkansatz als Konsequenz abverlangt hat. Nach hier vertretener Auffassung liegt der tiefere Grund für die separate Regelung darin, dass die Mittäterschaft auf einem besonderen Modus individueller Intentionalität beruht, einer im Einzelgehirn gebildeten, übergeordneten „Wir-Intentionalität“2705. Diese Form der Intentionalität ist zwar handlungs2701

So zutr. schon Schilling, Verbrechensversuch, 108 ff.; dezidiert neuerdings auch wieder Schild, Täterschaft, 12 ff.; ders., in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 79, 160 f., 287; ders., in: NK, § 25 Rn. 13 ff., 27, 31, 75. 2702 Vgl. dazu Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 127, 162, 300 f., 306; ders., in: NK, § 25 Rn. 14, 126. 2703 Vgl. dazu auch Roxin, TuT, 757. 2704 In: Verbrechensversuch, 73 f., 95, 108 ff. 2705 Eine umfassende Aufarbeitung des Phänomens findet sich bei Schmid, Wir-Intentionalität, 41 ff.; Searle (in: Kollektive Intentionalität, 99 [104 ff.]) spricht von „kollektiver Intentionalität“ bzw. von „Wir-Absichten“.

A. Täterschaft bei den allgemeinen vorsätzlichen Begehungsdelikten

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theoretisch betrachtet ebenfalls ein „primitives“ Phänomen, d. h. sie folgt strukturell demselben Erklärungsmuster wie die singuläre Ich-Intentionalität.2706 Dennoch bleibt aber der materiale Unterschied, dass das die allseits gehabte Wir-Intention praktisch mit umsetzende individuelle Handlungserlebnis des bzw. der anderen Komplizen als solches eingeplant wird – weshalb die separate Regelung der Mittäterschaft in § 25 II durchaus dem ursprünglichen „Wesen“ kollektiver Intentionalität entspricht.2707 Ein konstitutives Verständnis von § 25 I Alt. 2 und § 25 II, wie es den Apologeten der „modernen“ Täterlehre vorschwebt, wird jedenfalls von Wortlaut und Systematik der Beteiligungsvorschriften nicht getragen.2708 Eine solche Deutung ist auch nicht etwa sachlogisch indiziert, um ein bei den komplexen Täterschaftsformen bestehendes Minus an faktischer Steuerungsherrschaft zu kompensieren. Denn realiter deckt jede Beteiligungsform das gesamte Spektrum an Erfolgswahrscheinlichkeiten ab, weshalb eine Abgrenzung nach dem Grad der prognostischen Erfolgssicherheit bzw. nach der Art des ex ante angestoßenen Kausalverlaufs schon im Ansatz nicht sinnvoll durchführbar ist.2709 Nun meint freilich Küper2710, ohne eine konstitutive Zurechnung fremder Reflexivität sei im Strafrecht gar nicht auszukommen, da anderenfalls der Sinngehalt bestimmter personaler Handlungsmerkmale (etwa eines finalen Nötigens i.S.d. § 249) gar nicht erfassbar sei, wenn diese an Dritte ausgelagert würden. Küpers Sorge erweist sich jedoch als unbegründet, denn solche Handlungsmerkmale können ohne Weiteres auch unter Einsatz eines dressierten Tieres verwirklicht und damit prinzipiell aufgebrochen gedacht werden, ohne dass dabei ihr Sinngehalt verloren ginge.2711 Im Ergebnis bleibt daher festzuhalten, dass eine außerordentliche Zurechnung fremden Unrechts sub specie § 25 I Alt. 2, II weder den objektiv-gesetzlichen Vorgaben entspricht noch sachlogisch indiziert ist. Mittäterschaft ist kein derivatives Haftungs-, sondern ein originäres Tatbestandshandlungsinstitut.2712

2706 Dies ist ein neuartiger Erklärungsansatz innerhalb des sprachanalytischen Diskurses über die handlungstheoretische Beschaffenheit kollektiver Intentionalität, der von John Searle entwickelt wurde (in: Kollektive Intentionalität, 99 ff.). Er besticht durch seine luzide handlungstheoretische Übersetzung der – wohl unleugbaren – Intuition, dass kollektive Intentionalität ein primitives Phänomen ist. 2707 In der Sache ebenso auf dem Boden des Tatherrschaftskriteriums auch schon Welzel, ZStW 58 (1939), 491 (549 f.); Roxin, TuT, 277. 2708 s. eingehend zum Ganzen auch nochmals oben, S. 270 ff. 2709 Vgl. eingehend zum Ganzen nochmals oben, S. 284 ff. 2710 In: Versuchsbeginn, S. 58 f. 2711 s. instruktiv dazu Schild, in: NK, § 25 Rn. 14 f.; eingehend zur Lehre Küpers auch bereits oben, S. 276 ff. 2712 So zutr. schon Schilling, Verbrechensversuch, 73 f., 108 ff.; Schild, in: NK, § 25 Rn. 13 ff. (16), 125 ff.

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6. Kap.: Die Ausarbeitung der Deliktsgruppen im Einzelnen

Abzulehnen ist deshalb auch die Lehre2713 vom Gesamtsubjekt, die die Einzelbeiträge der Komplizen zur kollektiven Leistung einer „imaginäre[n] Gesamtperson“2714 zusammenfassen will. Danach ist die normwidrige Handlung eine Gemeinschaftsaktion des Kollektivs, für die kraft gesetzlicher Anordnung (§ 25 II) jedes seiner Glieder haftet. Auch nach diesem Konzept kommt § 25 II also notwendig konstitutive Bedeutung zu, nämlich das imaginäre Kollektivsubjekt erst zu konstituieren.2715 Damit ist dieser Ansatz aber den gleichen Einwänden ausgesetzt wie die „nackte“ Lehre von der außerordentlichen Handlungszurechnung: Der Einzelne wird nicht mehr als Täter bestraft, weil (auch) er selbst Täter ist, sondern er wird bloß noch wie ein Täter bestraft, weil eigentliches Tatsubjekt das Kollektiv ist.2716 Pönalisiert wird also nicht mehr eine gemeinschaftliche Begehung, wie § 25 II sie ausdrücklich verlangt, sondern – praeter legem – eine begehende Gemeinschaft.2717 Daher ist die Lehre vom Kollektivsubjekt allenfalls de lege ferenda diskutabel.2718 Man hat freilich auch versucht, den geltenden § 25 II als eine Tatbestandsausdehnungsnorm zu deuten, die die objektiven Individualtatbestände des StGB auf von mehreren gemeinschaftlich begangene „Gesamttaten“ erstrecke, indem sie die Bildung von „Gesamttatbeständen“ anordne.2719 Danach soll jeder Komplize, der an der Verwirklichung eines nach § 25 II zu bildenden Gesamttatbestandes teilhat, für das kollektive Werk ebenso haften wie der Täter eines Individualtatbestandes für sein individuelles Werk.2720 Auch ein solches „Haftungsprinzip Gesamttat“2721 konfligiert jedoch evidentermaßen mit dem Wortlaut des § 25 II, wonach jeder Mittäter „als“ Täter bestraft wird und nicht bloß wie der Täter eines Individualdelikts.2722 Davon abgesehen erklärte eine gesetzliche Anordnung zur Konstruktion von „Gesamttatbeständen“ aber auch nicht den sachlogischen Grund der individuellen Gesamttatzurechnung, d. h. wie und warum der Einzelne für die von den anderen Komplizen freiverantwortlich beigesteuerten Beiträge mithaften soll.2723 Klärungsbedürftig 2713 Lampe, ZStW 106 (1994), 683 (690); Lesch, Problem, 189 f.; ders., ZStW 105 (1993), 271 (274 ff.); Joerden, Strukturen, 79 ff.; Renzikowski, Täterbegriff, 101; Heinrich, Rechtsgutszugriff, 287; vgl. ferner auch Maurach/Gössel/Zipf, AT/27, § 49 Rn. 5 f., 12; Stratenwerth/ Kuhlen, AT, § 12 Rn. 77. 2714 So die treffende Bezeichnung bei Heinrich, Rechtsgutszugriff, 287. 2715 s. etwa nur Renzikowski, Täterbegriff, 100; Joerden, Strukturen, 80; Heinrich, Rechtsgutszugriff, 288; vgl. ferner auch Maurach/Gössel/Zipf, AT/27, § 49 Rn. 6; Stratenwerth/ Kuhlen, AT, § 12 Rn. 77 a.E.; zu Recht krit. zur Lehre vom Gesamtsubjekt bereits Schilling, Verbrechensversuch, 64 f. 2716 So zutr. Schild, in: NK, § 25 Rn. 126. 2717 Vgl. Schünemann, in: LK, § 25 Rn. 161 a.E.; Schild, in: NK, § 25 Rn. 126. 2718 So zutr. Schild, in: NK, § 25 Rn. 126. 2719 So in neuerer Zeit dezidiert Dencker, Kausalität, 142 ff. 2720 Dencker, Kausalität, 142 ff., 250 ff. 2721 So Dencker, Kausalität, 138. 2722 So zutr. Schild, in: NK, § 25 Rn. 126; das räumt auch Dencker selbst ein (in: Kausalität, 144, 161, 253 ff.). 2723 s. dazu Roxin, TuT, 277.

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bleibt also, wie die je individuelle Haftung für kollektive Tat unrechts- und schuldtheoretisch funktionieren soll. bb) Der überkommene Ansatz: ordentliche Zurechnung des Geschehens als Tatbestandshandlung des einzelnen Mittäters Diese Krux der individuellen Haftung für kollektive Tat erübrigt sich freilich für all diejenigen Konzepte, nach denen die Mittäterschaft auf einer „ordentlichen“, genuin täterschaftlichen, Zurechnung (i.w.S.) beruht. Unter dieser Rubrik tummeln sich wie bereits gesehen [oben, a)] ganz verschiedene Modelle, die sich jedoch in zwei gröbere Raster einteilen lassen: Ein Lager will die Zurechnung originär am individuellen Willen des einzelnen Mittäters ausrichten, dem entweder als Täterwillen zugerechnet wird (so die Rechtsprechung), oder aber aufgrund seiner (existenziellen) Kausierungsmacht (so die Einzellösung Schilling’scher Tradition). Das andere Lager dagegen fußt auf dem traditionellen rechtsphilosophischen Axiom, wonach das freiverantwortliche Handeln Dritter eine originäre Zurechnung von deren Handlungsprodukten zum je eigenen Willen sperrt. Die Zurechnung des Gesamtgeschehens als individuelle Tätertatbestandsverwirklichung soll daher aus dem gemeinsamen Tatentschluss (so die Lehre von der wechselseitigen Repräsentanz im Handeln) bzw. aus der von ihm getragenen Mitherrschaft des Einzelnen über das Ganze (so die traditionelle Tatherrschaftslehre) erwachsen können. Zum Lager der originären Willenszurechnung ist zunächst die Rechtsprechung2724 zu schlagen. Sie kommt bekanntlich von der ungefilterten, „beitragsnivellierenden“ Äquivalenztheorie her und muss daher notgedrungen innere Willensmomente (Tatherrschaftswille, Tatinteresse usw.) über die Mittäterschaft entscheiden lassen. Zurechnung erfordert jedoch die Bezugnahme auf Konventionen, und schieres Wollen i.S.e. psychischen Faktums kann weder eigenes Verhalten zu fremden machen noch fremdes zu eigenem.2725 Daher kommt man denn auch in der Judikatur nicht umhin, den Täterwillen i.S.e. einer wertenden Gesamtbetrachtung zuzuschreiben.2726 Dieser forensische Zuschreibungsprozess wirkt jedoch mangels handlungstheoretischer Rückbindung recht selektiv und arbiträr.2727 Er kann deshalb nicht als ein in sich geschlossenes handlungstheoretisches Konzept der Mittäterschaft ausgegeben werden.

2724

s. instruktiv zur mittäterschaftsbezogenen Rechtsprechung etwa Schünemann, in: LK, § 25 Rn. 28 ff. und Fischer, § 25 Rn. 23 ff., jeweils mit zahlreichen Nachweisen aus der Entscheidungspraxis. 2725 So zutr. Kindhäuser, Hollerbach-FS (2001), 627 (628 f.). 2726 s. dazu etwa nur Schünemann, in: LK, § 25 Rn. 29 f.; Fischer, § 25 Rn. 25, 32. 2727 Schünemann, in: LK, § 25 Rn. 30, 32 ff.

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6. Kap.: Die Ausarbeitung der Deliktsgruppen im Einzelnen

Als ein solches versteht sich jedoch die von Schilling2728 entwickelte „Einzellösung“. Sie begreift Mittäterschaft als einen echten Unterfall der Alleintäterschaft, indem sie die Beiträge der Komplizen aus Sicht des Einzelakteurs lediglich als Kausalfaktoren heranzieht. Diese „naturalistische“ These hat (für den vorrechtlichen „materiellen Täterbegriff“) zwischenzeitlich Schild weiter entfaltet und mit der rechtsphilosophischen These von der Instrumentalisierungsallmacht des unrechtlich planenden Willens unterlegt. Danach gibt es für den unrechtlich planenden Akteur nur Werkzeuge, und zwar unter Einschluss etwaiger Komplizen, die ebenfalls nicht (mehr) als autonome Subjekte ernst genommen, sondern für die eigenen deliktischen Ziele instrumentalisiert werden.2729 Ein derart weit gefasster „materieller Handlungsbegriff“ entspräche von seiner Anlage her durchaus der individualistischen Grundausrichtung2730 der strafrechtlichen Handlungs-, Normen- und Schuldtheorie. Nichtsdestotrotz konfligiert aber auch er mit unserer praktisch institutionalisierten Handlungserfahrung, nach der es nicht möglich ist, als solche erlebte und eingeplante Fremdreflexivität kurzerhand in einen Kausalfaktor umzudeuten und diesen dann als Objekt der eigenen Handlungsinterpretation zu begreifen.2731 Bleibt zu fragen, ob der aus dem Tatherrschaftskriterium gespeiste Erklärungsansatz Roxins2732, wonach Mittäterschaft „funktionelle Tatherrschaft“ ist, die Struktur mittäterschaftlicher Zurechnung zufriedenstellend erklären kann. Obwohl vom Boden der Tatherrschaftslehre her kommend, verwirft Roxin zunächst die nahe liegende Annahme2733, dass jeder Mittäter lediglich seinen eigenen Tatbeitrag beherrsche: Die Idee, dass eine auf einen bestimmten Beitrag beschränkte Herrschaft die strafrechtliche Haftung für die Gesamttat auslöse, sei schwerlich mit dem Prinzip der individuellen Tatschuld in Einklang zu bringen; jedenfalls aber könne sie nicht aus dem Tatherrschaftsprinzip deduziert werden, da nach ihm der Täter die Herrschaft über das Gesamtgeschehen haben müsse.2734 So liege es jedoch bei näherer Betrachtung durchaus auch im Falle der Mittäterschaft. Zwar sei zu konzedieren, dass der einzelne Mittäter den Willen seiner Komplizen gerade nicht beherrsche. Doch liege die vollständige Herrschaft derart in der Hand mehrerer, dass sie nur gemeinsam handeln könnten, wodurch wiederum jeder Einzelne das Schicksal der Gesamttat in der Hand habe.2735 Für sämtliche Komplizen sei also die Lage dieselbe: Sie könnten ihren Plan nur durch gemeinsames Handeln verwirklichen, wobei jeder Einzelne durch Zurückziehen seines individuellen Tatbeitrages das Gesamtunter2728 In: Verbrechensversuch, 73 f., 95 f., 104 ff., 113 (zum Begriff der „Einzellösung“ s. ebenda, 1). 2729 Grundlegend entfaltet in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 278 ff. 2730 Vgl. anschaulich dazu Kindhäuser, Hollerbach-FS (2001), 627 (633). 2731 Aus handlungstheoretischer Sicht krit. zur Lehre Schillings auch Kindhäuser, Hollerbach-FS (2001), 627 (629 f.). 2732 TuT, 275 ff. 2733 So zuerst Schröder. in: Schönke/Schröder10 , VIII, 5, b, Vor § 47 (S. 245). 2734 Roxin, TuT, 277. 2735 Roxin, TuT, 277.

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nehmen zum Scheitern bringen könne und insofern die Tat in der Hand habe.2736 Diese Art der „Schlüsselstellung“ treffe Wesensstruktur und gesetzliches Leitbild der Mittäterschaft exakt.2737 Demnach sei es die tätigkeitsbedingte Funktion des einzelnen Mittäters im Gesamtgefüge, die seine Mitherrschaft konstituiere. Sie lasse sich schlagwortartig als „funktionelle“ Tatherrschaft bezeichnen. Dabei handle es sich um einen dritten Phänotyp von Tatherrschaft, der selbständig neben Handlungsund Willensherrschaft trete.2738 Ergo sei ein Beteiligter immer dann Mittäter bei der Verwirklichung des tatbestandlich umschriebenen Handlungsgeschehens, wenn er im Ausführungsstadium einen Beitrag erbringe, dessen funktionsgerechte Leistung nach dem gemeinsamen Tatplan wesentliche Voraussetzung für das Gelingen des gesamten Ausführungsunternehmens sei.2739 Diese Doktrin analysiert zwar die Erfüllungsbedingungen gemeinsamer Begehung recht zutreffend. Sie erklärt jedoch nicht, warum die Herrschaft des einzelnen Mittäters sich auch auf die Handlungsprodukte seiner Komplizen erstrecken können soll. Mit dem Hinweis auf die „Schlüsselfunktion“2740 des Einzelnen für das Gelingen des Gesamtunternehmens kann dies naturgemäß nicht erklärt werden. Denn diese wechselseitige Abhängigkeit beruht ja gerade auf der Prämisse, dass jeder Komplize ausschließlich seinen eigenen funktionellen Beitrag beherrscht.2741 Von vornherein unergiebig ist auch der Hinweis auf die Macht des Einzelnen, das Gesamtunternehmen durch Verweigerung seines Beitrags zu blockieren.2742 Denn auch diese negative „Hemmungsmacht“2743 kann denklogisch keine Mitherrschaft über die von den Komplizen positiv realisierten Tatanteile begründen.2744 Es bleibt daher dabei: Die positive Tatgestaltungsmacht des Einzelnen endet nolens volens „(…) an den Grenzen der ihm zugewiesenen Funktion (…)“, weshalb es eine allseitige Herrschaftsteilhabe am gesamten handlungsmäßigen Geschehen nicht geben kann.2745 Nach alledem kann auch Roxins Lehre von der „funktionellen Tatherrschaft“ nicht erklären, wie und warum jeder einzelne Komplize als Täter für das Ganze haften soll. 2736

Roxin, TuT, 278. Roxin, TuT, 279. 2738 Roxin, TuT, 280. 2739 Roxin, TuT, 280. 2740 Roxin, TuT, 279. 2741 So zutr. bereits Schröder. in: Schönke/Schröder10 , VIII, 5, b, Vor § 47 (S. 245); auch Rudolphi, Bockelmann-FS (1979), 369 (373); Küper, JZ 1979, 775 (786). 2742 So in der Sache schon Roxin, TuT, 277 ff.; akzentuiert Valdágua, ZStW 98 (1986), 839 (870 ff.). 2743 So die Begrifflichkeit bei Küper, JZ 1979, 775 (786); s. auch schon die allgemeine Umschreibung der Tatherrschaft bei Maurach, AT1, S. 504, die die negative „Hemmungsmacht“ bereits mit umfasste. 2744 So zutr. etwa Luzón Peña/Díaz y García, Roxin-FS (2001), 575 (593 f.); auch Küper, JZ 1979, 775 (786); allgemein zum Ganzen aus handlungstheoretischer Sicht auch Schild, in: NK, § 25 Rn. 25. 2745 So zutr. Küper, JZ 1979, 775 (786) [Zitat ebenda]. 2737

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6. Kap.: Die Ausarbeitung der Deliktsgruppen im Einzelnen

Erklärungsbedürftig bleibt also, wie die von § 25 II vorausgesetzte individuelle Zuschreibung kollektiv begangenen Unrechts handlungstheoretisch funktionieren können soll. Darauf kann auch die Lehre von der wechselseitigen Willensunterordnung2746 keine zufriedenstellende Antwort liefern, solange nicht ausgewiesen wird, wie und warum der gemeinsame Tatentschluss eine wechselseitige Repräsentanz im Handeln bewirken können soll. Zur Auflösung dieses Problems ist eine tiefere Analyse von Wesen, Struktur und Gehalt wir-intentionaler Handlungen unerlässlich. b) Wesen, Struktur und Gehalt wir-intentionaler (Tatbestands-)Handlungen Die Idee, man könne sich die Früchte kollektiver Tätigkeit jeweils individuell zuschreiben, ist auch und gerade auf dem Boden des intentionalen Handlungsbegriffs alles andere als selbstverständlich. Denn sie impliziert die Grundannahme, dass die Explikation kollektiver Handlungen demselben singulären Interpretationsmuster folge wie die Explikation individueller Handlungen. Dieser Gedanke ist deshalb problematisch, weil insbesondere der Erläuterung bedarf, wie kollektive Intentionalität individuelle Körperbewegungen repräsentational soll verursachen können. aa) Erste strafrechtsspezifische Erfassung des Problems bei Kindhäuser Unter diesem akzentuiert handlungstheoretischen Blickwinkel hat das Problem einzig Kindhäuser näher beleuchtet: Sowohl die Alltagsintuition als auch das Strafrecht gingen wie selbstverständlich von der Möglichkeit eines Normbruchs durch verbundenes Verhalten aus; § 25 II scheine insoweit nur deklaratorischen Charakter zu haben.2747 So widerspreche es beispielsweise nicht unseren intuitiven Vorstellungen, A und B jeweils wegen Raubes zu bestrafen, wenn einer von ihnen das Opfer festhalte, damit der andere die Brieftasche wegnehmen könne.2748 Doch so eingängig die Intuition einer je individuellen Haftung für die mittäterschaftlich begangene Tat auch sei, so schwierig sei die handlungs- und normentheoretische Begründung dieser Zuschreibung.2749 Andererseits beruhe die gängige Handlungsund Normentheorie, vor allem aber auch das Schuldprinzip (§ 29), auf einem dezidiert individualistischen Grundansatz: (Rechts-)Normen würden durch Handlungen befolgt, und Handlungen wiederum seien den eigenen Körper betreffende Verhaltensinterpretationen.2750 Dementsprechend seien Lob und Tadel (regelmäßig) auf individuelle Leistungen bzw. Fehlleistungen bezogen, und die zentrale moralische Frage nach dem richtigen Verhalten, namentlich in Gestalt des kategorischen 2746 Lange, Täterbegriff, 54 f.; Sax, ZStW 69 (1957), 412 (434 f.); Kindhäuser, HollerbachFS (2001), 627 (649 ff. [652]); Haas, Theorie, 112 ff.; vgl. ferner auch Schmidhäuser, AT, 14/14. 2747 Kindhäuser, Hollerbach-FS (2001), 627 (628). 2748 Kindhäuser, Hollerbach-FS (2001), 627 (628). 2749 Kindhäuser, Hollerbach-FS (2001), 627 (628). 2750 Kindhäuser, Hollerbach-FS (2001), 627 (633).

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Imperativs, richte sich immer nur an das jeweilige Individuum.2751 Vor diesem handlungs- und schuldtheoretischen Hintergrund sei unbedingt klärungsbedürftig, wie ein und dasselbe Verhalten mehreren Personen als jeweils eigenes und nach eigener Schuld zu verantwortendes Handeln solle zugerechnet werden können.2752 Die herkömmlichen Lösungen könnten diese Zuschreibung nicht befriedigend erklären. Weder eine finalistisch-kausale Interpretation der Mittäterschaft als Unterfall der Alleintäterschaft noch die Konstruktion eines Gesamtsubjekts, sei es auch nur in der naturalistisch reduzierten Form einer funktionellen Tatherrschaft, könne die gesetzlich vorgesehene Zurechnung des Gesamtgeschehens zum einzelnen Mittäter angemessen erklären.2753 Folglich müsse die mittäterschaftliche Haftung auf einer wechselseitigen Repräsentanz der Beteiligten beruhen: Jeder der Beteiligten müsse durch sein Verhalten zugleich ein eigenes und ein fremdes Geschäft besorgen, also „eigen- und fremdhändig“ handeln, mit der Folge, dass das betreffende Verhalten auch als eigener Organisationsakt des nicht eigenhändig Agierenden anzusehen sei.2754 Ein solches Zurechnungsmodell der wechselseitigen Handlungsrepräsentanz sei auch unrechtsdogmatisch problemlos umsetzbar, denn durch autonome Entscheidungen autonomer Personen könnten Handlungsspielräume dergestalt verwoben werden, dass eigenhändiges Handeln normativ als fremdes gelte und vice versa.2755 Eine Person könne sich also durch das körperliche Verhalten einer anderen Person realisieren, sofern nur die Beteiligten ein in den (für die Entscheidungen) wesentlichen Punkten identisches Deutungsschema anlegten, nach dem sich das Verhalten übereinstimmend als einverständliche Fremdorganisation darstelle.2756 Folglich sei Mittäterschaft die Einbettung von Handlungen verschiedener Akteure in (gewollt) kongruente Deutungsschemata verbundener Organisationskreise.2757 Dass dabei jeder Akteur für sich autonom handle, begründe auch nicht etwa ein Regressverbot hinsichtlich der Zurechnung seiner Handlungsprodukte, denn Autonomie könne die autonome Verbindung von Handlungsspielräumen ex definitione nicht sperren.2758 Demnach folge die Distinktion der Mittäterschaft von der Teilnahme aus dem für die Mittäterschaft (scil.: normativ) entscheidenden Kriterium der wechselseitigen Repräsentanz.2759 Interpretierten sämtliche Beteiligten ihr Verhalten mit Blick auf die Risikoschaffung und -erhöhung nach demselben Muster verbundener Organisati-

2751 2752 2753 2754 2755 2756 2757 2758 2759

Kindhäuser, Hollerbach-FS (2001), 627 (633). Kindhäuser, Hollerbach-FS (2001), 627 (633). Kindhäuser, Hollerbach-FS (2001), 627 (628 ff. [632 f.]). Kindhäuser, Hollerbach-FS (2001), 627 (645). Kindhäuser, Hollerbach-FS (2001), 627 (646). Kindhäuser, Hollerbach-FS (2001), 627 (646). Kindhäuser, Hollerbach-FS (2001), 627 (646). Kindhäuser, Hollerbach-FS (2001), 627 (644 f.). Kindhäuser, Hollerbach-FS (2001), 627 (652).

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onskreise, so erscheine es als Arbeitsteilung.2760 Dafür müsse freilich das Interpretationsmuster wechselseitig für verbindlich gehalten werden, da nur so der eigene Beitrag zugleich für den Handelnden selbst und den bzw. die anderen Beteiligten gemeinsamen Sinn ausdrücke, also den übereinstimmenden Willen aller Beteiligten repräsentiere.2761 Erst die wechselseitige Erwartung, das Deutungsmuster sei für jeden Beteiligten verbindlich, mache jeden der Beiträge zu einem zugleich „eigenund fremdhändigen“.2762 Deshalb erfordere Mittäterschaft als faktischen Grund dieser wechselseitigen Erwartungen einen gemeinsamen Tatentschluss, in dem sich die Erwartung jedes Einzelnen in die wechselseitige Verbindlichkeit des Deutungsschemas objektiviere.2763 Demgegenüber binde der Beitrag eines Teilnehmers den Täter nicht nach Maßgabe eines solchen gemeinsamen Deutungsschemas, wonach das Unterlassen des Täterhandelns als Enttäuschung einer vom Täter anerkannten Erwartung des Teilnehmers zu verstehen wäre.2764 Denn der Teilnehmer sei von fremder Zwecksetzung abhängig. Ob dieser einseitigen Anbindung an die Haupttat könne selbst die Anstiftung strukturell keine rechtlich relevante Bindung des Täters an den Anstifter in dem Sinne voraussetzen, dass der Täter eine eigene Tat des Anstifters vollziehe.2765 bb) Kritik Mit diesem Modell der wechselseitigen Repräsentanz unternimmt Kindhäuser den anerkennenswerten Versuch, die Mittäterschaft handlungstheoretisch zu erklären. Dem liegt die Einsicht zugrunde, dass nach dem Schuldprinzip jeder Beteiligte ausschließlich für sein eigenes normverletzendes Verhalten zur Verantwortung gezogen werden kann, nicht für das anderer Beteiligter. Nimmt man dieses Axiom ernst, so ist eine konstitutive Zurechnung fremder Handlungen (auch) sub specie § 25 II ausgeschlossen. Stattdessen kann der einzelne Mittäter für die Handlungsprodukte seiner Komplizen nur haftbar gemacht werden, wenn diese ihm zugleich als seine, von ihm als eigene erlebte (!), Handlungsprodukte zugeschrieben werden können. Das aber ist in der Tat nur unter der Voraussetzung möglich, dass jeder Komplize durch sein individuelles Handeln zugleich auch kollektiven Sinn ausdrücken und diese Handlungserfahrung auf das Tun seiner Komplizen projizieren kann, mit der Folge, dass er sich seinerseits unmittelbar in deren Handeln miterlebt. Vom individualistischen Tatschuldprinzip ausgehend ist Mittäterschaft also allein durch ein Modell wechselseitiger Handlungsrepräsentanz erklärbar.

2760 2761 2762 2763 2764 2765

Vgl. Kindhäuser, Hollerbach-FS (2001), 627 (649). Kindhäuser, Hollerbach-FS (2001), 627 (649 f.). Kindhäuser, Hollerbach-FS (2001), 627 (650). Kindhäuser, Hollerbach-FS (2001), 627 (650). Kindhäuser, Hollerbach-FS (2001), 627 (653). Kindhäuser, Hollerbach-FS (2001), 627 (653).

A. Täterschaft bei den allgemeinen vorsätzlichen Begehungsdelikten

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Fraglich ist allerdings, ob die handlungstheoretische Beschreibung und Begründung dieses Modells durch Kindhäuser bereits hinreicht, um das Phänomen kollektiver Intentionalität angemessen zu erfassen und die Mittäterschaft trennscharf von der Teilnahme abzugrenzen. Letzteres darf schon deshalb bezweifelt werden, weil auch bei der Anstiftung der Haupttäter nach einem kongruenten Deutungsschema vorgeht, nach dem die Tatbegehung enttäuschungsfest von ihm erwartet wird. Natürlich ist der Anstifter einseitig von der Zwecksetzung des Haupttäters abhängig.2766 Das ändert jedoch nicht das Geringste daran, dass Anstifter und Haupttäter auch hier ein kongruentes Deutungsschema zugrunde legen (oder jedenfalls zugrunde legen können), nach dem der Haupttäter zugleich den Willen des Anstifters repräsentiert. Warum ein solches gemeinsames (!) Deutungsschema aber nur dann normativ verbindlich sein soll, wenn die Beteiligten hinsichtlich seiner Aktivierung praktisch aufeinander angewiesen sind, ist handlungstheoretisch nicht zu erklären. Gefragt ist daher ein handlungstheoretisches Modell der wechselseitigen Repräsentanz, das die qualitative Differenz zur Teilnahme im Ansatz erklärt. Es gilt aufzuzeigen, dass und warum ausschließlich Mittäter ein Deutungsmuster kollektiven Handelns kreieren können. Dies erfordert einen Bruch mit der überkommenen Grundidee vom Wesen kollektiver Intentionalität. Danach basieren kollektive Handlungen auf der wechselseitig kommunizierten Verfügung über kongruente IchIntentionalität (= dem Fassen eines gemeinsamen Tatentschlusses) unter gewissen propositionalen Erfüllungsbedingungen (= faktisches Synallagma der erwarteten Tatbeiträge). Eine solche Zurechnung ist und bleibt aber derivativ, weil aus der allseitigen intentionalen Verfügung über singuläre Ich-Intentionalität abgeleitet: Der einzelne Komplize erlebt die anderen gerade nicht in seinem Handeln mit, sondern er verschreibt ihnen die eigene Intentionalität im Gegenzug zu einem jeweils korrespondierenden Versprechen ihrer selbst. Nach einem solchen Zurechnungsmodell müsste es dann aber konsequenterweise auch möglich sein, die eigene Intentionalität einseitig zu verschreiben. Denn zwar unterscheiden sich Mittäterschaft und Teilnahme in der Art der propositionalen Erfüllungsbedingungen (= synallagmatische versus einseitige Abhängigkeit); doch dürfte das handlungstheoretisch besehen keinerlei Einfluss auf den normativen Akt der Intentionsverschreibung als solchen haben – mit der Konsequenz, dass auch der Anstifter materiell als Täter anzusprechen wäre. Diese reductio ad absurdum lässt sich nicht vermeiden, solange man den Grund für die individuelle Zurechnung eines Geschehens als mittäterschaftliche Handlung in der externen Vernetzung kongruenter Ich-Intentionen sehen will. Trifft es aber zu, dass Täterschaft und Teilnahme sich schon nach unserer Alltagsintuition im Handlungsunrecht qualitativ unterscheiden, dann kann die besagte Differenz nur in der Art der jeweils involvierten Intentionalität begründet liegen.

2766

Kindhäuser, Hollerbach-FS (2001), 627 (653).

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6. Kap.: Die Ausarbeitung der Deliktsgruppen im Einzelnen

cc) Die neuartige Explikation des Phänomens kollektiver Intentionalität durch Searle Von dieser Annahme ausgehend hat neuerdings Searle2767 ein Explikationsmodell kollektiver Handlungen entwickelt: Intuitiv handle es sich bei kollektivem absichtlichen Verhalten um ein primitives Phänomen, das nicht als bloße Summe individuellen absichtlichen Verhaltens analysierbar sei. Folglich könnten kollektive Absichten der Form „wir beabsichtigen“, dieses und jenes zu tun“ oder „wir tun dieses und jenes“ nicht mittels individueller Absichten der Form „ich beabsichtige, dieses und jenes zu tun“ oder „ich tue dieses und jenes“ analysiert werden.2768 Beginne man mit der intuitiven Erfassung des Phänomens kollektiver Intentionalität, so sei zunächst kaum zu leugnen, dass es kollektives absichtliches Verhalten gebe, welches sich von individuellem absichtlichem Verhalten wesentlich unterscheide. Dies könne man sehen, wenn man ein Footballteam beim Passspiel beobachte, hören, wenn man einem Orchester lausche oder selbst erleben, wenn man an einer Gruppenaktivität teilnehme, bei der die eigenen Handlungen Teil der Handlung der Gruppe seien.2769 Die Krux liege daher bei der zweiten Hälfte der Intuition, nämlich bei der Vorstellung, dass kollektives Verhalten irgendwie nicht auf eine Verknüpfung singulärer Absichten reduzierbar sei. Eine solche Irreduzibilitätsthese konfligiere auf den ersten Blick mit unserer empirischen Erfahrungswelt, wonach Intentionalität nur in Individualgehirnen stattfinden und ausschließlich durch individuelle Körperbewegungen ausgedrückt werden könne. Angesichts dessen müsse gefragt werden, wie es ein „wir beabsichtigen“ geben könne, das nicht vollständig durch eine Reihe von „ich beabsichtige“ konstituiert werde. Die Antwort darauf könne nur in einem besonderen Merkmal der mentalen Komponente liegen, in der Form der Intentionalität.2770 Diese Annahme widerspreche freilich der cartesianisch geprägten Attitüde, wonach kollektive Absichten sich auf Mengen von individuellen Absichten in Verbindung mit Mengen von Überzeugungen, insbesondere wechselseitig geteilten Überzeugungen, reduzieren lassen müssten.2771 Allerdings lasse diese reduktionistische Grundhaltung ihrerseits außer Acht, dass bereits der Begriff der Wir-Absicht selbst den Begriff der Kooperation impliziere: Wir-Absichten seien ein primitives Phänomen.2772 Diese These werfe natürlich die Frage nach der Struktur von Wir-Absichten auf. Denn jede Theorie kollektiver Intentionalität müsse unserer umfassenden Ontologie und Metaphysik der Welt entsprechen, einer Ontologie und Metaphysik, die streng

2767 2768 2769 2770 2771 2772

In: Kollektive Intentionalität, 99 ff. Searle, Kollektive Intentionalität, 99 (99). Searle, Kollektive Intentionalität, 99 (100). Searle, Kollektive Intentionalität, 99 (100). Searle, Kollektive Intentionalität, 99 (103 ff.). Searle, Kollektive Intentionalität, 99 (104 ff. [106]).

A. Täterschaft bei den allgemeinen vorsätzlichen Begehungsdelikten

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auf der Existenz menschlicher Individuen als Ort jeglicher Intentionalität beruhe.2773 Daher müsse auch die These von der Genuität kollektiven Verhaltens zwingend mit der Tatsache harmonieren, dass die Gesellschaft nur aus Individuen bestehe, alles Bewusstsein ausschließlich im Geist von Individuen sei und dass alle Intentionalität auch von einem einzelnen Gehirn im Tank gehabt werden können müsse.2774 Diese Harmonie sei aber im Grunde ziemlich einfach herstellbar; man müsse eben nur anerkennen, dass es Absichten der Form „Wir beabsichtigen dieses und jenes zu tun“ gebe und dass solche Absichten im Geist jedes individuellen Akteurs existieren könnten, der als Teil des Kollektivs agiere.2775 Es müsse also bloß festgehalten werden, dass individuelle Akteure über alle Intentionalität, die für kollektives Verhalten benötigt werde, verfügen könnten, obwohl die fragliche Intentionalität sich auf das Kollektiv beziehe.2776 Blocke etwa ein offensive-line-man beim Football die gegnerische Verteidigung als Teil des Passspiels seines Teams, so habe er den Gedanken „ich blocke die generische Defensive als Teil unseres Passspiels“; die Intentionalität sei hier sowohl im Plural als auch im Singular in seinem Kopf.2777 Dabei liege der Bezug auf das Kollektiv außerhalb der Klammer, die den propositionalen Gehalt des intentionalen Zustandes spezifiziere. Die kollektive Intentionalität im Geist des Individuums könne also auf andere Mitglieder eines Kollektivs bezogen sein, unabhängig davon, ob es tatsächlich solche Gruppenmitglieder gebe. Der Gedanke im Geist des Akteurs habe eben schlicht die Form: „wir tun dies und jenes“.2778 Damit bleibe noch die Frage nach der formalen Struktur kollektiver Intentionalität. Einen Verständnisschlüssel liefere insofern die Einsicht, dass die Dadurch-dassund Mittelrelation zum Erreichen des kollektiven Ziels in individuellen Handlungen ihren Endpunkt haben müsse.2779 Die individuelle Komponente kollektiver Handlungen spiele also schlicht die Rolle eines Mittels zum Zweck.2780 Wollten etwa die beiden Köche Jones und Smith eine Sauce herstellen, indem Jones rühre und Smith das Öl dazugieße, so habe Jones den intentionalen Gehalt „Wir machen die Sauce, indem ich rühre“ und Smith den intentionalen Gehalt „Wir machen die Sauce, indem ich das Öl dazugieße“.2781 Diese Notation erkläre nun zwar freilich noch nicht, wie die kollektive Intentionalität den Körper des Einzelnen losgelöst von (s)einer singulären Ausführungsabsicht bewegen können solle.2782 Hierzu müsse man sich al2773 2774 2775 2776 2777 2778 2779 2780 2781 2782

Searle, Kollektive Intentionalität, 99 (107). Searle, Kollektive Intentionalität, 99 (106 f.). Searle, Kollektive Intentionalität, 99 (107). Searle, Kollektive Intentionalität, 99 (108). Searle, Kollektive Intentionalität, 99 (107 f.). Searle, Kollektive Intentionalität, 99 (108). Searle, Kollektive Intentionalität, 99 (111). Searle, Kollektive Intentionalität, 99 (112). Searle, Kollektive Intentionalität, 99 (111 f.). Searle, Kollektive Intentionalität, 99 (112 f.).

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6. Kap.: Die Ausarbeitung der Deliktsgruppen im Einzelnen

lerdings bloß klar machen, dass das Verhältnis zwischen kollektiver und singulärer Absicht strukturell ebenso beschaffen sei wie das Verhältnis von über- und untergeordneter Absicht bei singulärem Handeln.2783 Wenn im Fall singulären Alleinhandelns der Akteur sich durch praktische Deliberation intentional untergeordnete Handlungsmittel erschließe, existiere in seinem Kopf nur eine einzige komplexe Handlungsabsicht, etwa die Absicht „Ich feuere die Waffe ab, indem ich den Abzug ziehe“.2784 Gleiches gelte aber eben auch im Falle kollektiver Intentionalität. Auch hier sei die singuläre Absicht lediglich praktische Konklusion der übergeordneten Wir-Intention, so dass mehrere komplexe Wir-Intentionen unterschiedlichen Einzelgehalts existierten, etwa „Wir bereiten die Sauce zu, indem ich rühre“ und „Wir bereiten die Sauce zu, indem ich Öl dazugieße“.2785 Der wahre Unterschied zwischen dem singulären und dem kollektiven Fall bestehe also in der Art der involvierten Absicht und nicht in der Art und Weise, wie die Elemente der propositionalen Erfüllungsbedingung zueinander in Relation stünden.2786 Damit verbleibe allein noch die Frage, welcher Voraussetzungen es bedürfe, um solche komplexen Wir-Intentionen individuell bilden zu können. Die Antwort darauf könne nur in einem biologischen Sinne ausfallen.2787 Der Mensch verfüge über einen vorintentionalen Hintergrundsinn für andere Individuen als tatsächliche oder potentielle Akteure in kooperativen Aktivitäten.2788 Dieses biologisch primitive Gespür sei notwendige Voraussetzung jeglicher Konversation und könne also nicht seinerseits erst Produkt zwischenmenschlicher Kommunikation sein.2789 dd) Implikationen dieses Erklärungsmodells für eine wechselseitig-individuelle Zuschreibung fremder Handlungsprodukte im Strafrecht Nach Searle zeichnen sich kollektive Handlungen folglich dadurch aus, dass der einzelne Kooperationspartner seine Körperbewegungen a priori als kollektiv dimensionierte erlebt. Den Gehalt etwa der kollektiven Intention „Wir bereiten Sauce zu, indem ich rühre und Du Öl dazugießt“ kann man daher exakter wiedergeben durch die Formulierung „Wir bereiten Sauce zu, indem wir durch mich rühren und durch Dich Öl dazugießen“. Damit ist zunächst im Ansatz geklärt, wie individuelle Haftung für kollektiv produzierten Handlungssinn funktionieren kann: Die individuellen Körperbewegungen jedes Einzelnen sind jeweils schon per se Ausdruck einer indifferenten, sämtliche Mitglieder des – im Einzelgehirn vorhandenen – Kollektivs repräsentierenden Wir-Intentionalität. Demnach ist gemeinschaftliches Handeln 2783 2784 2785 2786 2787 2788 2789

Searle, Kollektive Intentionalität, 99 (113 ff.). Searle, Kollektive Intentionalität, 99 (113 f.). Searle, Kollektive Intentionalität, 99 (114 f.). Searle, Kollektive Intentionalität, 99 (114). Searle, Kollektive Intentionalität, 99 (115). Searle, Kollektive Intentionalität, 99 (116 f.). Searle, Kollektive Intentionalität, 99 (117 f.).

A. Täterschaft bei den allgemeinen vorsätzlichen Begehungsdelikten

511

also die individuelle Betätigung genuin kollektiver Intentionalität durch Vornahme von vornherein kollektiv dimensionierter Körperbewegungen. Die sich anschließende Handlungszurechnung ex post hängt dann – wie sonst auch – von gewissen propositionalen Erfüllungsbedingungen ab: Zum einen muss die Vorstellung vom Geteiltwerden der persönlich gehabten „Wir-Intentionalität“ tatsächlich zutreffen, zum anderen muss jeder seinen kollektiv dimensionierten Beitrag leisten. Damit sind exakt die beiden überkommenen Voraussetzungen mittäterschaftlicher Zurechnung getroffen: gemeinsame Ausführung auf Grundlage eines übereinstimmenden Tatplans. Die personale Umsetzung des individuellen wir-intentionalen Handlungsprojekts ex ante ist allerdings von diesen Erfüllungsvoraussetzungen unabhängig: Ich kann eine in meinem Kopf existierende Wir-Intentionalität auch umsetzen, ohne dass diese tatsächlich von einem anderen geteilt wird. Halluziniere ich etwa bloß, mit einem anderen gemeinschaftlich zu handeln, so betätige ich dennoch zweifellos eine Wir-Intention, auch wenn mir in Wahrheit niemand hilft und ich daher realiter nicht als Teil unseres gemeinsamen Handelns agiere.2790 Damit dürften Wesen, Struktur und Gehalt individueller wir-intentionaler Handlungen für die hiesigen Zwecke ausreichend beschrieben sein. Anhand dieses Explikationsmodells sollen nun der Gegenstand mittäterschaftlicher Verhaltenspflichtverletzung und die daraus folgenden Leitlinien mittäterschaftlicher Handlungszurechnung entwickelt werden. c) Die gemeinschaftliche Tatbegehung nach § 25 II: Zurechnung des Geschehens als individuelle wir-intentionale Tatbestandshandlung Die in § 25 II geregelte Mittäterschaft (= gemeinschaftliche Tatbegehung) beschreibt das vorstehend beleuchtete Sozialphänomen kollektiver Handlungen für den Bereich des Strafrechts: Jeder einzelne Mittäter plant eine kollektiv dimensionierte Tatbestandshandlung, die durch eigene und fremde kollektiv dimensionierte Körperbewegungen begangen werden soll.2791 Die Verhaltenspflichtverletzung des einzelnen Mittäters besteht somit in der individuellen Betätigung eines kollektiv dimensionierten Verletzungsprogramms.2792 Diesem Basis-Akt werden dann im Erfolgsfalle sämtliche wir-intentional dimensionierten Körperbewegungen – nochmals: eigene wie fremde! – als seine Produkte zugerechnet.2793 Die Implikationen, die sich hieraus für den Bezugspunkt und die Voraussetzungen der Zurechnung

2790

Vgl. zum Ganzen Searle, Kollektive Intentionalität, 99 (108 f.). Nochmals: Die Mittäterschaft unterscheidet sich von der Alleintäterschaft nicht in der Zurechnungsstruktur, sondern „nur“ im intensionalen Programmgehalt (so zutr. insbesondere Schild, in: NK, § 25 Rn. 16 f., 125 ff., 136). 2792 In der Sache ebenso Schild, in: NK, § 25 Rn. 143. 2793 So zutr. Schild, in: NK, § 25 Rn. 145 m. Rn. 14, 16 f. 2791

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6. Kap.: Die Ausarbeitung der Deliktsgruppen im Einzelnen

ergeben, werden nachfolgend bei den einzelnen Stadien der Handlungsgenese dargestellt. aa) Handlungsprogramm Das Handlungsprogramm des einzelnen Mittäters muss inhaltlich auf eine gemeinschaftliche Tatbegehung ausgerichtet sein, denn alle Täterschaft ist Tatbegehung. Mit der zu begehenden „Tat“ kann aber nur die gesetzlich umschriebene Tatbestandshandlung selbst gemeint sein, weshalb Mittäterschaft das Programm einer wir-intentional zu begehenden Tatbestandshandlung erfordert.2794 Demnach muss der einzelne Mittäter ein Programm objektivieren, wonach die Tatbestandshandlung als solche unter den Komplizen in mehrere untergeordnete, mit ihr nicht identische, Basis-Akte aufgeteilt werden soll.2795 So liegt es etwa in dem prototypischen Beispiel, dass zwei Komplizen jemanden gemeinsam berauben, indem der eine das Opfer qualifiziert nötigt, damit der andere ihm die Geldbörse wegnehmen kann (§§ 249, 25 II). Demnach scheint Mittäterschaft nur im Hinblick auf Tatbestände in Betracht zu kommen, deren Tatbestandshandlung irgendwie „aufteilbar“ ist.2796 Diese Voraussetzung erfüllen zunächst per definitionem die zweiaktigen Delikte im gesetzestechnischen Sinne (etwa § 249).2797 Daneben existieren aber auch Tatbestände mit komprimiert umschriebenen Handlungsmerkmalen, die definitorisch in mehrere Handlungskomponenten zerfallen oder jedenfalls zerlegt werden können. So liegt es etwa bei der Tatbestandshandlung des Betruges (§ 263), die in die Komponenten „Täuschung“ und „Mitwirkung an der Vermögensschädigung“ zerlegbar ist und daher auch unter Mittätern entsprechend aufgeteilt werden kann.2798 Auch Dauerdelikte können ggf. durch alternierendes Verhalten verwirklicht werden, so etwa eine schwere Freiheitsberaubung nach § 239 III Nr. 1 durch abwechselnde Überwachung des Kerkers, in dem das Opfer eingesperrt ist.2799 Bei einaktigen Zustandsdelikten wie Totschlag (§ 212) oder Körperverletzung (§ 223) scheint eine mittäterschaftliche Begehung der Tatbestandshandlung dagegen auf den ersten Blick nur dann möglich zu sein, wenn der tatbestandsmäßige Verletzungserfolg gerade erst durch die Kumulation aller Komplizenbeiträge bewirkt 2794

So zuerst Rudolphi, Bockelmann-FS (1979), 369 ff.; ebenso etwa Luzón Peña/Díaz y García, Roxin-FS (2001), 575 (591 ff.); Puppe, GA 2013, 514 (522 ff. [523 f.]); Schild, in: NK, § 25 Rn. 139. 2795 So der Sache nach schon Rudolphi, Bockelmann-FS (1979), 369 (379 ff.); expressis verbis Luzón Peña/Díaz y García, Roxin-FS (2001), 575 (596). 2796 So der Sache nach bereits Rudolphi, Bockelmann-FS (1979), 369 (379 ff.); Luzón Peña/ Díaz y García, Roxin-FS (2001), 575 (596); akzentuiert jetzt Schild, in: NK, § 25 Rn. 140. 2797 Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 347 a.E.; auch Schünemann, in: LK, § 25 Rn. 169 a.E., mit einem Praxisbeispiel aus dem Bereich der Urkundenfälschung (§ 267). 2798 Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 347 a.E. 2799 Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 347 a.E.

A. Täterschaft bei den allgemeinen vorsätzlichen Begehungsdelikten

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werden soll, also bei Einplanung kumulativer Kausalität (Bsp.: mehrere Giftgaben sollen zusammen den Tod bewirken).2800 Ein derart enger Mittäterschaftsbegriff schränkte jedoch den Anwendungsbereich der Mittäterschaft offensichtlich zu sehr ein und wäre daher kriminalpolitisch bedenklich.2801 Zwar scheint das Axiom von der „Tatbestandsbezogenheit des Täterbegriffs“2802 prima vista für eine solche Engfassung der Mittäterschaft zu streiten.2803 Doch liegt darin bei näherem Hinsehen bloß eine petitio principii, da man die Tatbestandshandlung, an der die Mittäterschaft orientiert wird, unnötigerweise naturalistisch unterbestimmt i.S.e. phänomenologischen „Handlungsherrschaft“.2804 Begreift man die Tatbestandshandlung dagegen im Ansatz normativ,2805 so ist zunächst die Konstellation einer iterativen mittäterschaftlichen Tatbegehung anzuerkennen: Wollen etwa zwei Komplizen ihr Opfer gemeinsam verprügeln, d. h. durch mehrere aufeinanderfolgende tatbestandsmäßige Akte i.S.d. § 223 körperlich verletzen, so betätigt jeder für sich das Programm einer fortlaufenden kollektiven Körperverletzungshandlung (§§ 223 I, 224 I Nr. 4, 25 II).2806 Die von jedem Komplizen individuell betätigte Wir-Intentionalität richtet sich auf die kollektive Realisierung einer übergeordneten, über die Einzelakte hinausgehenden, „tatbestandlichen Handlungseinheit“2807. Dass die konkurrenzrechtliche Interpretationsfigur der „tatbestandlichen Handlungseinheit“ hier zur Begründung von Mittäterschaft herangezogen wird, bedeutet dabei keinen Verstoß gegen das Analogieverbot, denn das einheitsbildende Kriterium ist der Tatbestand selbst.2808 Das zeigt besonders deutlich auch der Fall der sequentiellen mittäterschaftlichen Tatbegehung, wie sie etwa vorliegt, wenn mehrere Komplizen ihr Opfer durch abwechselndes Zuschlagen gemeinsam zu Tode prügeln wollen.2809 Hier figurieren nach dem Handlungsprogramm sämtliche Einwirkungsakte als Bestandteile einer einzigen fortlaufenden 2800 I.d.S. bereits Luzón Peña/Díaz y García, Roxin-FS (2001), 575 (596); auch Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 347 a.E. – ein bekanntes Praxisbeispiel dieser Art bildet der „Lederriemen-Fall“ (BGHSt 7, 363), in dem zwei Komplizen ihrem Opfer einen Lederriemen um den Hals warfen und es durch gemeinsames Ziehen zu Tode strangulierten. 2801 So zutr. Roxin, AT/II, § 25 Rn. 254, 256. 2802 Rudolphi, Bockelmann-FS (1979), 369 (369 ff.). 2803 So insbesondere Luzón Peña/Díaz y García, Roxin-FS (2001), 575 (593 ff.); Schild, in: NK, § 25 Rn. 139. 2804 Vgl. zum letztgenannten Aspekt bereits ausführlich oben, S. 32 ff., 263 ff. 2805 s. eingehend zum Ganzen nochmals oben, S. 263 ff. 2806 A.A. noch Puppe, Spinellis-FS (2001), 915 (924) [Beihilfe hinsichtlich der durch das eigene Zuschlagen mit erleichterten Komplizenbeiträge]; wie hier wohl jetzt dies., GA 2013, 514 (523 f.). 2807 s. eingehend zur „tatbestandlichen Handlungseinheit“ Keller, Handlungseinheit, 15 passim; zur Extrapolierung der Interpretationsfigur auf die mittäterschaftlich begangene Tatbestandshandlung s. auch bereits Bloy, Beteiligungstypus, 374 m. Fn. 358. 2808 s. instruktiv zum letztgenannten Aspekt Puppe, in: NK, § 52 Rn. 12; Keller, Handlungseinheit, 142. 2809 Beispiel nach Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 347 a.E.

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6. Kap.: Die Ausarbeitung der Deliktsgruppen im Einzelnen

kollektiven Tötungshandlung, die mit dem ersten wir-intentional gesteuerten Individualakt (als dem gemeinsamen Losschlagen) beginnt (vgl. § 22)2810 und sich bis zum Erfolgseintritt hin fortsetzt. Folglich begeht jeder Beteiligte eine vollendete mittäterschaftliche Tötungshandlung (§§ 212, 25 II), sobald einer der wir-intentional dimensionierten Einwirkungsakte den kollektiv intendierten Todeserfolg herbeiführt.2811 Entsprechendes gilt, wenn mehrere Komplizen ihr Opfer gemeinsam zu erschießen planen, sei es als Beteiligte eines Mordkomplotts, sei es als Deputierte eines Erschießungskommandos (sog. „additive“ Mittäterschaft2812). Auch hier ist in Wahrheit eine sequentielle mittäterschaftliche Tatbestandshandlungsrealisierung durch allseitiges Mitschießen gegeben.2813 Darüber hinaus ist die Tatbestandshandlung selbstverständlich auch im Falle ihrer mittäterschaftlichen Begehung nach den allgemeinen Grundsätzen zur Bestimmung des Tatbestandshandlungsbeginns (vgl. § 22) zu interpretieren, d. h. normativ-aufgebrochen.2814 Danach sind dann auch all diejenigen Konstellationen als Mittäterschaft erfassbar, in denen die Komplizen ab Versuchsbeginn kooperieren.2815 Hierzu zählen insbesondere paradigmatische Mittäterschaftskonstellationen wie die, dass ein Komplize das Opfer festhält, damit der andere es erstehen kann.2816 Solche Fälle scheinen von einer strikt an der Tatbestandshandlung ausgerichteten Mittäterschaftsdoktrin prima vista nicht mehr eingefangen werden zu können.2817 Doch lässt sich das Axiom von der Tatbestandsbezogenheit der Mittäterschaft auch hier problemlos durchhalten, wenn man nur berücksichtigt, dass das tatbestandliche Handeln (konkret: das Töten i.S.d. §§ 212) nach § 22 (normativ) bereits mit der Einwirkung auf das Opfer (konkret: mit dem Festhalten) beginnt.2818 Aus dem Gesagten folgt im Umkehrschluss, dass es eine „alternative“ Mittäterschaft2819 nicht geben kann: Wenn A und B den O töten wollen, indem jeder für 2810

Vgl. zu diesem Aspekt schon Puppe, GA 2013, 514 (524). Vom Standpunkt des engen, tatbestandshandlungsbezogenen, Mittäterschaftsbegriffs aus i.E. wie hier etwa Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 347 a.E. 2812 s. zum Begriff Herzberg, Täterschaft, 57, aus dessen Feder auch die genannten Beispiele stammen (a.a.O., 56, 58). 2813 Wie hier auch schon Bloy, Beteiligungsform, 374; i.E. ebenso die weit überwiegende Ansicht im Schrifttum; s. statt vieler nur etwa Roxin, TuT, 767 f.; ders., AT/II, § 25 Rn. 229 f.; Schünemann, in: LK, § 25 Rn. 194 f. (jeweils m.w.N.); Puppe, Spinellis-FS (2001), 915 (930); s. ferner auch Herzberg, Täterschaft, 56 ff. (60), der die „additive“ Mittäterschaft allerdings mit einer außerordentlichen Handlungszurechnung sub specie § 25 II begründet; rundheraus gegen die Möglichkeit einer „additiven“ Mittäterschaft indes Schild, in: NK, § 25 Rn. 139. 2814 Instruktiv dazu Puppe, GA 2013, 514 (523 f.). 2815 So zutr. Puppe, GA 2013, 514 (523 f.). 2816 s. dazu etwa Roxin, TuT, 755 sowie ders., AT/II, § 25 Rn. 252. 2817 Ausdrücklich i.d.S. etwa Luzón Peña/Díaz y García, Roxin-FS (2001), 575 (594 Fn. 66, 595); Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 347; ders., in: NK, § 25 Rn. 139. 2818 So zutr. Puppe, GA 2013, 514 (524), die noch weitere einschlägige Konstellationen anführt. 2819 s. zum Begriff Bloy, Beteiligungsform, 376. 2811

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sich ihm an einem separaten Ort auflauert, dann plant keiner der beiden ein gemeinsames Töten, sondern jeder für sich nur seine eigene potentielle Tat.2820 Entsprechendes gilt, wenn mehrere Räuber sich darauf verständigt haben, zur Ermöglichung einer gemeinsamen Flucht notfalls auf etwaige Verfolger zu schießen.2821 Auch hier bezieht sich die kollektive Intentionalität nicht auf ein gemeinsames Töten, sondern lediglich auf die gemeinsame Flucht, weshalb kein mittäterschaftliches Tötungsprogramm aktiviert wird, wenn ein Komplize tatsächlich auf einen (vermeintlichen) Verfolger schießt.2822 Endlich folgt aus dem Axiom von der Tatbestandsbezogenheit der Mittäterschaft, dass der Bandenchef, der die von seinen Leuten zu aktivierende „Deliktsschablone“2823 vorzeichnet oder die Tatbegehung sogar vor Ort dirigiert, unabhängig von Notwendigkeit, Ort und Zeitpunkt seiner Mitwirkung nicht Mittäter sein kann.2824 Er ist vielmehr der „Prototyp des Anstifters“.2825 Auch die Mittäterschaft ist also primär und grundlegend ein konkreter Handlungsunrechtstypus, d. h. im Zentrum steht das individuell umgesetzte Handlungsprogramm des Einzelnen.2826 Die Differenz zu den anderen „Erscheinungsformen“ von Täterschaft liegt allein in der Art der involvierten Intentionalität, also darin, dass das Handlungsprogramm hier genuin kollektiv dimensioniert ist.2827 Man kann daher von der wechselseitigen Einplanung eines oder mehrerer arbeitsteilig-gleichrangig agieren sollender Komplizenwerkzeuge in das je eigene Handlungsprogramm sprechen.2828 Dabei muss jedoch klar bleiben, dass jeder Mittäter sämtliche Körperbe2820 So schon Rudolphi, Bockelmann-FS (1979), 369 (379 f.); zust. etwa Puppe, SpinellisFS (2001), 915 (930 f.); Schild, in: NK, § 25 Rn. 139; a.A. die wohl h.L. im Schrifttum, die die Möglichkeit einer „alternativen“ Mittäterschaft bejaht, s. statt vieler etwa nur Bloy, Beteiligungsform, 376 f.; Roxin, TuT, 768 f.; ders., AT/II, § 25 Rn. 231 ff.; Schünemann, in: LK, § 25 Rn. 192 f. 2821 Fallbeispiel nach BGHSt 11, 268. 2822 So zutr. schon Rudolphi, Bockelmann-FS (1979), 369 (380 f.); i.E. ebenso Schmidhäuser, AT, 14/9; Spendel, JuS 1969, 314 (315 ff.); für Mittäterschaft dagegen BGHSt 11, 268 (270 ff.); dem folgen i.E. etwa Schröder, JR 1958, 427 (428); Baumann, JuS 1963, 125 (126 f.); Jescheck/Weigend, AT, § 49 II 2 (S. 513 a.E.); Welzel, AT, § 15 IV 1 (S. 108); Roxin, TuT, 312; Schünemann, in: LK, § 25 Rn. 177 m. Fn. 408 a.E. 2823 Begriff nach Jakobs, Lampe-FS (2003), 561 (569). 2824 Wie hier Mittäterschaft rundheraus ablehnend etwa Rudolphi, Bockelmann-FS (1979), 369 (374 f.); Schild, in: NK, § 25 Rn. 139; wohl auch Puppe, Spinellis-FS (2001), 915 (931); a.A. die herrschende Tatherrschaftsdoktrin, die freilich intern klären muss, ob der Bandenchef schon allein aufgrund seiner materiellen „Organisationshoheit“ zum Mittäter avanciert, oder ob er darüber hinaus noch einen formellen Beitrag im Ausführungsstadium (ggf. auch per Handy o.Ä.) leisten muss; s. instruktiv zum Ganzen Roxin, AT/II, § 25 Rn. 200, 204 ff., mit zahlreichen Nachweisen zu den verschiedenen Literaturströmungen; s. ferner auch ders., TuT, 298 ff., 762 ff., ebenfalls unter Nennung zahlreicher Literaturnachweise. 2825 So zutr. Puppe, Spinellis-FS (2001), 915 (931); zust. Schild, in: NK, § 25 Rn. 139. 2826 s. instruktiv dazu Schild, in: NK, § 25 Rn. 17, 125 ff. 2827 So zutr. Schild, in: NK, § 25 Rn. 125, 127. 2828 So Schild, in: NK, § 25 Rn. 16 f., 127.

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wegungen, fremde wie eigene, als Ausdruck ein und derselben komplexen Wir-Intention erlebt und begreift. Es findet also weder eine wechselseitige Reduzierung auf bloße Kausalfaktoren2829 statt noch eine gegenseitige Utilitarisierung i.S.e. reziproken mittelbaren Täterschaft2830. Grundlegend ist vielmehr das ab origine kollektiv dimensionierte Handlungsprogramm des Einzelnen, das die gemeinsame Tatbegehung einplant. In der Umsetzung dieses Programmgehalts liegt daher das personale Handlungsunrecht der Mittäterschaft.2831 Zurechnungsgrundlage der Mittäterschaft ist somit nicht ein gemeinsam gefasster Tatentschluss.2832 Dieser ist nicht etwa selbst das Handlungsprogramm i.S.e. kollektiven „Entscheidungsverbundes“2833, sondern er ist als propositionale Erfüllungsbedingung „bloß“ relevant für die Tauglichkeitsbeurteilung des individuellen Programmgehalts.2834 Das Handlungsprogramm des Einzelnen muss also prinzipiell zur wir-intentionalen Selbstverwirklichung in der Tatbestandshandlung taugen.2835 Dies erfordert die je individuelle Tatsachenvorstellung von einem kollektiven Zusammenhandeln, das eine taugliche Erfolgsstrategie begründete. Der Planende muss sich also in tatsächlicher Hinsicht vorstellen, mit (mindestens) einem neben ihm handelnden Komplizen eine kollektive Handlungsintention umzusetzen.2836 In einem verobjektivierbaren Rahmen ist dies nur denkbar bei Wahrnehmung einer entsprechenden Information, genauer: eines informatorischen Kommunikationsverhaltens.2837 Existiert eine solche Information tatsächlich, so stellen sich keine Probleme (Bsp.: [1] A und B kommen expressis verbis überein, den O in arbeitsteiligem Zusammenwirken töten zu wollen – ausdrückliche Mitteilung einer auf Totschlag gerichteten WirIntention [§§ 212, 25 II]; [2] A und B stimmen sich durch kurzes Nicken dahingehend ab, dass der O gemeinschaftlich ausgeraubt werden soll – konkludente Mitteilung einer auf Raub gerichteten Wir-Intention [§§ 249, 25 II]). Problematischer wird die Beurteilung, wenn der Akteur subjektiv eine entsprechende Information wahrnimmt, die aber realiter nicht existiert. Dazu folgendes Beispiel: A fordert den B durch Gestikulieren auf, den O gemeinsam „abzuziehen“ (§ 249). In seiner 2829 So aber Schilling, Verbrechensversuch, 73 f., 95 f., 104 ff., 113; ähnlich Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 162 f. m. 279 ff.; ders., in: NK, § 25 Rn. 13 ff. (16), 29 f., 127 f. 2830 So aber etwa Lange, Täterbegriff, 54 f.; Sax, ZStW 69 (1957), 412 (434 f.); Haas, Theorie, 113. 2831 I. E. ebenso Schild, in: NK, § 25 Rn. 125 ff., der dies jedoch nicht mit der genuinen „Wir-Intentionalität“ als besonderem Intentionalitätsmodus begründet, sondern letztlich mit der individuellen „Macht“ des Einzelnen, den oder die Komplizen für seine deliktischen Ziele zu instrumentalisieren. 2832 So zutr. Schild, in: NK, § 25 Rn. 128, 135; auch Fischer, § 22 Rn. 22a, 23a; a.A. bekanntlich die h.M. (s. nur die Nachweise bei Fischer, § 22 Rn. 22, 23a). 2833 So der treffende Terminus bei Heinrich, Rechtsgutszugriff, 285 ff. 2834 So zutr. Schild, in: NK, § 25 Rn. 128; in der Sache ebenso Fischer, § 22 Rn. 23a. 2835 s. dazu instruktiv Schild, in: NK, § 25 Rn. 137. 2836 Vgl. Schild, in: NK, § 25 Rn. 128, 137; Fischer, § 22 Rn. 22a ff. 2837 Vgl. instruktiv dazu Puppe, Spinellis-FS (2001), 915 (925).

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Aufregung geht er irrtümlich davon aus, der B habe sich durch Nicken zum Mitmachen bereit erklärt. Er stürmt daher auf den O los und beginnt diesen zu traktieren, um dem B als vermeintlichem Komplizen die Wegnahme von O’s Wertsachen zu ermöglichen. Als A registriert, dass B nicht mitmacht, lässt er von O ab. – A betätigt hier eine kollektiv dimensionierte Raubintention und begeht daher den (untauglichen) Versuch eines mittäterschaftlichen Raubes, §§ 249 I, 25 II, 22, 23 I.2838 Die Tatsache, dass ein gemeinsamer Raubentschluss in Wahrheit nicht existiert, hindert die Annahme einer mittäterschaftlich dimensionierten Versuchshandlung nicht; denn der „gemeinsame Tatentschluss“ ist nicht Grundlage, sondern bloß Bestandteil mittäterschaftlicher Zurechnung. Das personale Handlungsunrecht der Mittäterschaft liegt damit in der Umsetzung einer genuinen, nach eigener Tatsachenvorstellung allseitig geteilten, Wir-Intention. Nicht erforderlich ist, dass der Einzelne den oder die anderen Mittäter durch einen „Unrechtspakt“ quasi-vertraglich an sich bindet i.S.e. wechselseitigen Anstiftung.2839 Ein solcher Pakt ist weder praktisch notwendig, um angesichts fehlender psychischer Kausalgesetze Programmtauglichkeit zu gewährleisten,2840 noch bedarf es seiner als besonderen Zurechnungsgrundes, um einen vermeintlichen Mangel an eigener Tatherrschaft zu kompensieren.2841 Nichtsdestotrotz muss aber das Programm des einzelnen Mittäters inhaltlich auf ein kollektives Handeln ausgelegt sein. Deshalb begründet der Wille, eigenes Tun einseitig in fremde Deliktspläne einzupassen, entgegen einer literarischen Minderheitsmeinung2842 keine Mittäterschaft.2843 Wer einseitig zum Gelingen fremder Tat beitragen will, etwa indem er anderen heimlich den Zugang zum Tatort erleichtert, das Opfer betäubt oder Tatwerkzeug bereitlegt,2844 der betätigt keine kollektive Handlungsintention, sondern will „bloß“ fremde Tatbegehung unterstützen; er ist daher (heimlicher) Gehilfe.2845 Auch für kollektiv dimensionierte Tatentschlüsse gilt ferner das allgemeine Erfordernis der Handlungssynchronität. Daher kann eine Wir-Intentionalität, die erst gebildet wird, nachdem ein Beteiligter bereits einen Teil des Tatbestandes oder gar die gesamte Tatbestandshandlung allein verwirklicht hat, als bloßer dolus subse2838

Vgl. auch Fischer, § 22 Rn. 23a a.E. So aber Puppe, GA 1984, 101 (112); dies., Spinellis-FS (2001), 915 (917 ff.); in der Sache ebenso Hoyer, in: SK, § 25 Rn. 133. 2840 So aber Puppe, GA 1984, 101 (112); dies., Spinellis-FS (2001), 915 (918 f.). 2841 I.d.S. aber Hoyer, in: SK, Vor § 25 Rn. 12 ff.; § 25 Rn. 126 ff. 2842 Jakobs, 21/43; Lesch, Problem, 274 ff.; ders., ZStW 105 (1993), 271 (284 f., 291 f.); Derksen, GA 1993, 163 (169 ff.). 2843 So vom Boden einer genuin individualistischen Mittäterschaftskonzeption aus zutr. schon Schild, in: NK, § 25 Rn. 137; gegen die Möglichkeit einer Mittäterschaft durch einseitigen „Einpassungsentschluss“ (Terminologie nach Jakobs, AT, 21/43) auch die ganz h.L., nach der es hier am Erfordernis des gemeinsamen Tatentschlusses fehlt; s. statt vieler nur etwa Roxin, TuT, 757 ff., m.w.N. 2844 Vgl. das Beispiel bei Jakobs, AT, 21/43. 2845 So zutr. Puppe, Spinellis-FS (2001), 915 (920 f.), m.w.N. 2839

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quens keine mittäterschaftliche Zurechnung mehr begründen.2846 Eine sukzessive Mittäterschaft ist also entgegen der h.M.2847 ausgeschlossen.2848 Das mag folgender Beispielfall illustrieren: Der A hat den T bewusstlos geschlagen, um dessen Kiosk auszuräumen; der zufällig vorbeikommende B beteiligt sich nach kurzer Übereinkunft beim Wegschaffen der Beute. – B kann hier nicht (mehr) Mittäter eines Raubes (§ 249) sein, sondern lediglich (noch) eines Diebstahls (§§ 242, 25 II); A dagegen ist Alleintäter eines Raubes mit gemeinschaftlich verwirklichter Wegnahmekomponente, §§ 249, 25 I Alt.1, II. Anders liegt es dagegen, wenn jemand während einer noch andauernden Merkmalsverwirklichung als Komplize in die Tat eintritt (Bsp.:2849 Ein hinzukommender Dritter hilft dem Straßenräuber nach kurzer Verständigung, dem festgehaltenen Opfer die Brieftasche zu entreißen). In derartigen Konstellationen ist nach den allgemeinen Grundsätzen unproblematisch Mittäterschaft anzunehmen.2850 Mittäterschaft erfordert nicht zwingend die Einplanung eines „freiverantwortlich“ agierenden Komplizen, sondern ist auch mit einem schuldlos Handelnden möglich.2851 Richtig ist zwar, dass bei Instrumentalisierung eines Schuldlosen zur arbeitsteiligen Deliktsausführung der „sehende“ Komplize ein mittelbar-täterschaftliches Handlungsprogramm betätigt.2852 Doch setzt er zu diesem Zweck zugleich auch eine kollektive Verletzungsintentionalität erster Ordnung mit dem „blinden“ Komplizen um.2853 Diese niedriger dimensionierte Mittäterschaft wird zwar von seiner mittelbaren Täterschaft verdrängt, wenn der andere tatsächlich schuldlos agiert; der überdeterminierende Komplize ist dann „mittelbarer Täter 2846

Vgl. dazu Stratenwerth/Kuhlen, § 12 Rn. 88; zust. Joecks, in: MK, § 25 Rn. 211. s. exemplarisch nur Fischer, § 25 Rn. 39 f., m.w.N. aus der st. Rspr.; zur „Neubewertung“ dieser traditionellen h.M. nach dem aktuellen Stand der Dogmatik s. Roxin, TuT, 770. 2848 So die im Schrifttum heute ganz überwiegende Auffassung; s. etwa Roxin, TuT, 289 ff., 769 f.; Rudolphi, Bockelmann-FS (1979), 369 (376 ff.); Heinrich, Rechtsgutszugriff, 303 f.; Stein, Beteiligungsformenlehre, 328 m. 269 f.; Herzberg, Täterschaft, 71 f., 152 f.; Hoyer, in: SK, § 25 Rn. 123 ff.; Schünemann, in: LK, § 25 Rn. 197 ff.; Schild, in: NK, § 25 Rn. 140; Joecks, in: MK, § 25 Rn. 211; Lackner/Kühl, § 25 Rn. 12; Jakobs, AT, 21/60; Jescheck/ Weigend, AT, § 63 II 2 a.E. (S. 678); Kühl, AT, § 20 Rn. 126 ff. 2849 Nach Jakobs, AT, 21/60. 2850 Opinio communis; s. statt aller nur etwa Schünemann, in: LK, § 25 Rn. 197; Jakobs, AT, 21/60. 2851 I. E. wie hier etwa Roxin, AT/II, § 25 Rn. 237; Schünemann, in: LK, § 25 Rn. 170; Hoyer, in: SK, § 25 Rn. 107; a.A. Schild, in: NK, § 25 Rn. 128. 2852 So zutr. Schild, in: NK, § 25 Rn. 128. Dafür streitet ein argumentum e fortiori: Wenn schon mittelbarer Täter ist, wer einen Schuldlosen zur Ausführung vorschickt, dann muss erst recht mittelbarer Täter sein, wer die Tat auch noch gemeinsam mit ihm ausführt. 2853 Wie hier etwa Schünemann, in: LK, § 25 Rn. 170; a.A. Schild, in: NK, § 25 Rn. 128, der bei Instrumentalisierung eines schuldlosen Komplizen ausschließlich mittelbare Täterschaft annehmen will. Das ist jedoch so nicht richtig, denn die mittelbare Täterschaft des überlegen agierenden Komplizen überlagert seine niedriger dimensionierte Mittäterschaft ausschließlich auf derjenigen Intentionalitätsebene, auf der er das Handeln des schuldlosen Komplizen zu überformen trachtet (konkret: Dimension der Sozialschädlichkeit). 2847

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hinter dem schuldlosen Mittäter“.2854 Eigenständige Relevanz erlangt seine niedriger dimensionierte Mittäterschaft aber dann, wenn der als Werkzeug eingeplante andere erwartungswidrig dolos agiert. In diesem Fall ist der über seine Überlegenheit irrende Komplize wegen versuchter mittelbar-täterschaftlicher Tatbegehung in Tateinheit (§ 52) mit vollendeter mittäterschaftlicher Tatbegehung zu bestrafen, da er auch für die Mittäterschaft ausschließlich nach seiner individuellen Schuld haftet (§ 29).2855 bb) Umsetzung Der Beginn mittäterschaftlicher Tatbegehung wird traditionell unterschiedlich bestimmt, je nachdem, welches Erklärungsmodell zugrunde gelegt wird: Betrachtet man Mittäterschaft als ein genuin kollektivistisches Phänomen, d. h. entweder als eine untrennbare Gesamttat mehrerer oder als die Tat eines Kollektivsubjekts, so müssen konsequenterweise alle Komplizen die Versuchsgrenze überschreiten, sobald einer von ihnen mit der Umsetzung der Gesamttat beginnt.2856 Entsprechendes gilt, wenn man Mittäterschaft als Institut einer wechselseitigen außerordentlichen Handlungszurechnung begreift. Auch dann erscheint es nur folgerichtig, diese Zurechnung auf die Versuchsphase zu erstrecken und das unmittelbare Ansetzen eines Komplizen allen anderen zuzurechnen.2857 Eine derartige „Gesamtlösung“2858 ist jedoch abzulehnen, denn Mittäterschaft ist strukturell betrachtet nicht ein kollektivistisches, sondern ein individualistisches Phänomen. Der Unterschied zur Alleintäterschaft besteht nur darin, dass die im Individualgehirn gebildete Intentionalität eine genuin kollektiv dimensionierte ist. Demnach geht es also auch hier um die Zurechnung des gesamten, von allen Komplizen gemeinsam bewirkten Geschehens zu der vom Einzelnen selbst betätigten Wir-Intentionalität als seine mittäterschaftliche Tatbestandshandlung.2859 Somit stellt sich für die hiesige Konzeption bloß noch die Frage, unter welchen Voraussetzungen der einzelne Mit2854

A.A. Schünemann, in: LK, § 25 Rn. 170, der auch hier mittelbare und Mittäterschaft nebeneinander annehmen will; zu Recht krit. dagegen Schild, in: NK, § 25 Rn. 128 m. Fn. 547. 2855 Vgl. zum letztgenannten Aspekt nur Schünemann, in: LK, § 25 Rn. 170; Roxin, AT/II, § 25 Rn. 237. 2856 I.d.S. etwa Dencker, Kausalität, 191 ff.; Jakobs, AT, 21/61; Joerden, Strukturen, 81; Renzikowski, in: Maurach/Gössel/Zipf, AT/2, § 49 Rn. 5 f., 12 m. 95 ff. 2857 So die h.L. im Schrifttum: Küper, Versuchsbeginn, 60; Krack, ZStW 110 (1998), 611 (621, 639); Küpper, GA 1986, 437 (446 f.); Maiwald, ZStW 93 (1981), 864 (879 ff.); Hoyer, in: SK, § 25 Rn. 147; Joecks, in: MK, § 25 Rn. 267 f.; Eser/Bosch, in: Schönke/Schröder, § 22 Rn. 55; Hillenkamp, in: LK, § 25 Rn. 173 ff.; Fischer, § 22 Rn. 21 ff.; Zaczyk, in: NK, § 22 Rn. 67; Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, AT, § 22 Rn. 79; Jescheck/Weigend, AT, § 63 IV 1 (S. 681); Otto, AT, § 21 Rn. 125 ff.; Stratenwerth/Kuhlen, AT, § 12 Rn. 107; Kühl, AT, § 20 Rn. 123; i.E. ebenso die Rechtsprechung: RGSt 58, 279; 77, 172 (173); BGHSt 11, 268 (271 f.); 36, 249 (250); 39, 237 (237 f.); 40, 299 (301). 2858 Begriff nach Schilling, Verbrechensversuch, 1 passim. 2859 s. eingehend zum Ganzen nochmals oben, S. 504 ff. (508 ff.).

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täter seine individuell gehabte Wir-Intentionalität i.S.d. § 22 tatvoll umsetzt. Darin liegt im Ansatz ein Bekenntnis zur sog. „Einzellösung“2860. Klar ist jedenfalls, dass der Einzelne nicht schon durch seine Mitwirkung am Zustandekommen des gemeinsamen Tatentschlusses in den mittäterschaftlichen Deliktsversuch eintritt.2861 Denn zu diesem Zeitpunkt hat er offensichtlich noch nicht zu einer kollektiv dimensionierten Tatbegehung angesetzt (§§ 25 II, 22). Das belegt ostentativ schon ein Blick auf den Vorfeldtatbestand des § 30 II Alt. 3 (= Verbrechensverabredung), der praktisch leerliefe, wenn der Versuch mittäterschaftlicher Tatbegehung bereits mit der wechselseitigen Absprache begänne.2862 Im Ansatz gilt daher das Gleiche wie schon beim komplexen Programmtypus der mittelbaren Täterschaft2863 : Die allgemeinen Grundsätze der Versuchsbestimmung sind an den Programmgehalt der Mittäterschaft anzupassen. Danach tritt der einzelne Mittäter frühestens in dem Moment in das Versuchsstadium ein, da er nach seiner Vorstellung von der Tat dazu ansetzt, gemeinsam mit seinem bzw. seinen Komplizen loszuschlagen. Spätester Zeitpunkt mittäterschaftlichen Versuchsbeginns ist dagegen das unmittelbare Ansetzen zum eigenen kollektiv dimensionierten Ausführungsbeitrag. Die Notwendigkeit dieser Distinktion ist dem Umstand geschuldet, dass kollektive Handlungen typischerweise (auf die juristische Sekunde genau genommen sogar stets) asynchron ablaufen. Zur Illustration des Gesagten mag folgender Beispielfall dienen: A und B wollen „einen Supermarkt machen“, indem A die Kassiererin mit einem Messer bedrohen und B die Kasse ausräumen soll. Als der A nach Betreten des Marktes das Messer zückt und auf die Kasse zugeht, schlägt die aufmerksame Kassiererin sofort lautstark Alarm, so dass die Komplizen unverrichteter Dinge flüchten müssen. – Der A hat hier unstrittig zu einer mittäterschaftlichen Begehung eines schweren Raubes angesetzt, §§ 249, 250 II Nr. 1, 22, 23 I, 12 I. Fraglich ist, ob dies auch für den B gilt. Davon ist nach hier vertretener Auffassung auszugehen, denn im gemeinschaftlichen Betreten des Ladens lag normativ bereits das unmittelbare Ansetzen zum gemeinsamen Losschlagen. Auch der B hat also in casu bereits eine kollektiv dimensionierte Handlungsintention betätigt. Er überschritt im Modus der Wir-Intentionalität die Grenze zum „Jetzt-geht-es-los“.2864 2860

Begriff nach Schilling, Verbrechensversuch, 1 passim. A.A. einzig Schilling, Verbrechensversuch, 112 f., illustriert am Beispiel des „Verfolger-Falles“ (BGHSt 11, 268); diese Variante der Einzellösung ist im einschlägigen Schrifttum auf allgemeine Ablehnung gestoßen; s. dazu nur etwa Küper, Versuchsbeginn, 51 ff.; Roxin, AT/ II, § 29 Rn. 316 m. Fn. 318; Krack, ZStW 110 (1998), 611 (612 f.). 2862 Vgl. dazu Küper, Versuchsbeginn, 61 f. 2863 s. eingehend zum Versuchsbeginn bei der mittelbaren Täterschaft nochmals oben, S. 415 ff. 2864 Ob ein unmittelbares Ansetzen zum gemeinsamen Losschlagen i.d.S. vorliegt, ist freilich in jedem Einzelfall genau zu untersuchen. Das ist etwa zu verneinen, wenn ein Komplize den anderen zur „Vorleistung“ von dessen Beitrag an den Tatort „vorausschickt“, damit er selbst nach Abschluss der „Vorarbeiten“ dazustoßen und seinen eigenen Beitrag erbringen kann (vgl. dazu das Beispiel bei Roxin, AT/II, § 29 Rn. 295). In diesem Fall fehlt es an der subjektiven 2861

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Anders sehen das freilich die Vertreter der sog. „modifizierten Einzellösung“2865. Danach wird jeder Tatbeteiligte erst in dem Moment zum Mittäter, in dem er selbst eigenhändig einen täterschaftsbegründenden Ausführungsbeitrag leistet: Nur wer die „Feuerprobe der kritischen Situation“ in eigener Person durchlaufe, versuche die Tat (mit) zu begehen und könne daher Mittäter sein.2866 Danach wäre der B im obigen Beispielfall „nur“ wegen Verbrechensverabredung gemäß §§ 30 II, 249, 250 II Nr. 1, 12 I und (psychischer) Beihilfe zum Raubversuch des A zu strafen.2867 Eine solche Differenzierung wirkt jedoch artifiziell und zudem unbillig, da sie im Falle vorzeitiger Entdeckung die Beteiligungsform des einzelnen Komplizen allein von der zeitlichen Anordnung seines Beitrags abhängig macht und damit den nicht mehr zu seinem Beitrag kommenden Komplizen unangemessen privilegiert.2868 Diese Ungereimtheit kann man natürlich als eine zwingende Konsequenz des geltenden Rechts deklarieren, demzufolge ein nicht betätigter deliktischer Wille eben noch keine Versuchsstrafbarkeit zu begründen vermag.2869 Und man kann auch darauf hinweisen, dass die Abhängigkeit der Begründung strafrechtlicher Verantwortlichkeit vom Zufall prinzipiell nicht zu beseitigen ist.2870 Dennoch bleibt es aber dabei, dass die modifizierte Einzellösung dem Rechtsgefühl klar widerstreitet. Die Ursache dafür liegt in den Prämissen dieser Lehre begründet: Richtig ist zwar, dass jeder Mittäter seinen Tatentschluss höchstpersönlich betätigen muss, da Willensbildung und -vornahme zwingend in ein und demselben Willenssubjekt zusammenfallen müssen.2871 Unrichtig ist jedoch die stillschweigende Hintergrundannahme, wonach Individuen ausschließlich im Modus singulärer Ich-Intentionalität sollen agieren können. Denn wie hier im Anschluss an Searle gezeigt werden konnte,2872 kann in Individualgehirnen durchaus auch genuin kollektive Intentionalität existieren. Und diese kann wie gesehen auf verschiedene Weise eigenkörperlich umgesetzt werden, nämlich entweder durch unmittelbares Ansetzen zum eigenen kollektiv dimensionierten Ausführungsbeitrag oder aber auch schon durch unmittelbares Ansetzen zum gemeinsamen Losschlagen.

Handlungsunmittelbarkeit zwischen der „Aussendung“ des Komplizen und dem eigenen Ausführungsbeitrag und damit am unmittelbaren Ansetzen zum gemeinsamen Losschlagen. 2865 s. zum Begriff Küper, Versuchsbeginn, 66; der modifizierten Einzellösung folgen etwa: Rudolphi, Bockelmann-FS (1979), 369 (383 ff.); Roxin, AT/II, § 29 Rn. 297 ff.; Bloy, Beteiligungsform, 265 ff.; Stein, Beteiligungsformenlehre, 314, 318 f., 329; Puppe, Spinellis-FS (2001), 915 (932 f.); Valdágua, ZStW 98 (1986), 839 ff.; Kratzsch, JA 1983, 578 (587). 2866 So besonders deutlich Rudolphi, Bockelmann-FS (1979), 369 (384 f.); Puppe, SpinellisFS (2001), 915 (932); auch Valdágua, ZStW 98 (1986), 839 (857 f.). 2867 Vgl. dazu auch schon Rudolphi, Bockelmann-FS (1979), 369 (385). 2868 So zutr. noch Roxin, TuT, 453; gegen dieses „Zufallsargument“ jetzt aber ders., in: AT/ II, § 29 Rn. 307. 2869 So Rudolphi, Bockelmann-FS (1979), 369 (385); jetzt auch Roxin, AT/II, § 29 Rn. 307. 2870 So Puppe, Spinellis-FS (2001), 915 (932). 2871 s. eingehend und instruktiv dazu schon Schilling, Verbrechensversuch, 90 ff. 2872 s. eingehend nochmals oben, S. 508 ff.

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6. Kap.: Die Ausarbeitung der Deliktsgruppen im Einzelnen

Diese Bestimmung des mittäterschaftlichen Handlungsunrechts fügt sich nahtlos in die allgemeine Versuchsdogmatik ein. Sie verkörpert die konsequente Extrapolierung der subjektiv-objektiven Versuchsformel auf das kollektiv dimensionierte Handlungsprogramm des einzelnen Mittäters. Zudem ist in verhaltensnormtheoretischer Hinsicht klarzustellen, dass die Unterlassungspflichten, die das mittäterschaftlich dimensionierte Basis-Handeln ex ante verbieten, allesamt Ausfluss der dem Straftatbestand unmittelbar zugrunde liegenden Verhaltensnorm sind (z. B. „Du sollst nicht töten!“ im Falle des § 212).2873 Der Konstruktion eigenständiger rechtsgüterschützender „Mittäterverhaltensnormen“2874 bedarf es daher nicht.2875 Für die individuelle mittäterschaftliche Pflichtverletzung ex ante ist allein die subjektive Tatsachenvorstellung des Einzelnen maßgeblich, mit (einem) Komplizen gemeinschaftlich zu handeln; ob objektiv ein „gemeinsamer Tatentschluss“ existiert, ist irrelevant.2876 Folglich ist mittäterschaftliches Handlungsunrecht auch dann gegeben, wenn ein „Komplize“ das Vorliegen eines gemeinsamen Tatentschlusses bloß vortäuscht. So lag es in dem vom BGH entschiedenen „Türklingel-Fall“:2877 Der Angeklagte beabsichtigte zusammen mit zwei Komplizen ein Ehepaar auszurauben; ein Komplize sollte an der Haustür des Ehepaars klingeln und die Ehefrau beim Öffnen überwältigen, damit der Angeklagte selbst in die Wohnung stürmen und den Ehemann fesseln könne; danach sollte der dritte Komplize die Eheleute zur Herausgabe des Tresorschlüssels oder der Zahlenkombination zwingen; der zum Klingeln eingeteilte Tatgenosse war jedoch zuvor vom Tatplan abgerückt und hatte die Polizei informiert; er klingelte nur zum Schein, woraufhin die Polizei zugriff. – Der 2. Strafsenat des BGH2878 sprach den Angeklagten hier vom mittäterschaftlichen Versuch einer räuberischen Erpressung (§§ 253, 255, 25 II, 12 I, 22) frei, da sein vermeintlicher Komplize beim Klingeln nicht (mehr) auf Grundlage eines gemeinsamen Tatentschluss gehandelt habe. Dem ist die h.L.2879 im Schrifttum gefolgt. Das verdient jedoch keinen Beifall, denn der Angeklagte hatte nach seiner Vorstellung von der Tat (§ 22!) unmittelbar zur mittäterschaftlichen Begehung einer räuberischen Erpressung angesetzt, als er mit seinem vermeintlichen Komplizen an der Haustür klingelte, um sofort nach deren Öffnen gemeinsam loszuschlagen.2880

2873 s. zur verhaltensnormtheoretischen Einordnung der komplexen Täterschaftsformen bereits oben, S. 170 ff. 2874 So Stein, Beteiligungsformenlehre, 239 ff., 284 ff., 313 ff. 2875 So zutr. Schild, in: NK, § 25 Rn. 81, 133. 2876 Wie hier Schild, in: NK, § 25 Rn. 128, 135; in der Sache ebenso Fischer, § 22 Rn. 22a ff., m.w.N. auch zur herrschenden Gegenansicht. 2877 BGHSt 39, 236. 2878 BGHSt 39, 236 (238). 2879 s. nur die Nachweisauswahl bei Fischer, § 22 Rn. 22. 2880 I. E. wie hier etwa Fischer, § 22 Rn. 22a.

A. Täterschaft bei den allgemeinen vorsätzlichen Begehungsdelikten

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Versuchsdogmatisch korrekt entschied der BGH dagegen im sog. „MünzhändlerFall“2881: Der fehlinformierte Angeklagte ging davon aus, er führe bei einem eingeweihten Münzhändler einen bloßen „Scheinraub“ durch, um einen Versicherungsbetrug zu ermöglichen; realiter hatte es eine solche Absprache nie gegeben, und der geschädigte Münzhändler meldete den Schaden wahrheitsgemäß seiner Versicherung. – Der 4. Strafsenat verurteilte den Angeklagten wegen untauglichen mittäterschaftlichen Betrugsversuchs (§§ 263 I, II, 22, 23, 25 II), da die (antizipierte) Schadenmeldung des Münzhändlers sich aus seiner Sicht als taugliche Komplizentätigkeit zur Verwirklichung eines gemeinschaftlichen Versicherungsbetruges dargestellt habe.2882 Diese Abkehr von der im „Türklingel-Fall“ eingeschlagenen objektiven Linie des 2. Strafsenats (= gemeinsamer Tatentschluss als unabdingbare objektive Zurechnungsgrundlage der Mittäterschaft) ist durchaus begrüßenswert.2883 Sie geschah allerdings am falschen Ort. Denn der „Münzhändler-Fall“ betraf in Wahrheit gar keine Konstellation der Mittäterschaft, da nach dem Programm des Angeklagten der Münzhändler den Versicherungsbetrug alleintäterschaftlich vornehmen sollte. Daher wäre schon dem Programmgehalt nach lediglich eine straflose versuchte Beihilfe anzunehmen gewesen.2884 cc) Zurechnung des Gesamtgeschehens als je individuelle Tatbestandshandlung Erbringen sämtliche Komplizen ihre Beiträge programmadäquat, so begeht jeder Einzelne eine Tatbestandshandlung im Modus der „Wir-Intentionalität“, d. h. das Gesamtgeschehen wird ihm als seine erfolgreiche kollektiv dimensionierte Tatbestandshandlung zugerechnet (§ 25 II). Natürlich existieren aber auch Konstellationen, in denen der tatsächliche Geschehensablauf vom Programmgehalt abweicht. Die Abweichung kann dabei einerseits die Vorstellung des einzelnen Mittäters vom äußeren Geschehensablauf betreffen (= realontologische Handlungsanlage), andererseits aber auch die Vorstellung vom gemeinsamen Handlungsprojekt bzw. von der Qualität des gemeinsamen Zusammenhandelns (= sozialontologische Handlungsanlage).2885 Der realontologischen Handlungsanlage sind zunächst sämtliche unvorhergesehenen Weiterungen des angesteuerten „Naturkausalverlaufs“ zuzuschlagen (inklusive unvorhergesehener Drittintervention).2886 Hinzu kommen bei Einplanung von Komplizen noch die Fehlerquellen, die den kybernetischen Prozess von deren de2881

BGHSt 40, 299. BGHSt 40, 299 (302). 2883 Wie hier etwa Fischer, § 22 Rn. 23a, m.w.N.; a.A. die h.L.; s. zum Streitstand Roxin, AT/II, § 29 Rn. 310 ff., mit zahlreichen Nachweisen zur h.L. in Rn. 310 Fn. 312 u. Rn. 312 Fn. 313. 2884 I. E. ebenso schon Kühne, NJW 1995, 934 (934). 2885 Vgl. zum Ganzen bereits oben, S. 427 ff. 2886 s. grundlegend dazu bereits oben, S. 375 ff. 2882

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6. Kap.: Die Ausarbeitung der Deliktsgruppen im Einzelnen

liktischer Willensbildung (= „error in persona vel obiecto“) und -ausführung (= „aberratio ictus“) betreffen. Insofern ergeben sich nach dem hier vertretenen Mittäterschaftsbegriff Besonderheiten: Da die Komplizen, um Mittäter sein zu können, die Tatbestandshandlung als solche gemeinsam begehen (wollen) müssen, kann die Problematik eines unilateralen error in persona und seiner Auswirkungen für die übrigen Komplizen praktisch nicht aufkommen. Der bekannte „VerfolgerFall“2887, in dem jeder Komplize für sich notfalls auf etwaige Verfolger schießen sollte und ein Komplize den anderen irrtümlich für einen solchen hielt, betraf daher keine Konstellation der Mittäterschaft.2888 Dennoch ist dem BGH2889 aber darin zuzustimmen, dass der error in persona eines Komplizen auch für die anderen unbeachtlich ist.2890 Die Verurteilung aller Komplizen inklusive des Angeschossenen wegen mittäterschaftlich versuchten Tötungsdelikts ist daher aus hiesiger Sicht nur der Beteiligungsform nach zu beanstanden.2891 Da ein gemeinsames Töten nicht geplant war, wäre für die Komplizen inklusive des Angeschossenen selbst jeweils eine (mittäterschaftliche) Anstiftung zum versuchten Tötungsdelikt des Schützen (scil.: zu seinem Versuch, einen Menschen zu töten) anzunehmen gewesen.2892 Handeln mehrere Komplizen i.S.e. sequentiellen Tatbegehung zusammen, so kann einem von ihnen auch eine unbeachtliche aberratio ictus2893 unterlaufen. In diesem Fall ist der auf solche Weise produzierte Deliktserfolg auch den anderen Komplizen zurechenbar. Wollen etwa A und B den O gemeinsam erstechen und trifft einer von ihnen dabei den X, der dazwischengegangen ist, so ist die an X begangene Körperverletzung beiden Komplizen als mittäterschaftlich verwirklichte zurechenbar (§§ 223 I, 25 II). Daneben sind auch Abweichungen von der individuellen Programmvorstellung des einzelnen Komplizen denkbar. Das praktisch wichtigste Beispiel für eine derartige Abweichung ist der Exzess eines Komplizen, der für den anderen einen vorsatzausschließenden Tatbestandsirrtum (§ 16 I 1) begründet und insofern den Zu2887

BGHSt 11, 268. s. dazu nochmals oben, 3. a) aa) [S. 498]. 2889 BGHSt 11, 268 (270 f.). 2890 Str.; wie hier dem BGH zustimmend die (wohl) h.L. im Schrifttum (s. statt vieler etwa nur Puppe, Spinellis-FS, 915 [937 ff.]); a.A. ein großer Teil des Schrifttums, wonach der unilaterale error in persona eines Komplizen für die anderen eine nach § 16 I 1 beachtliche aberratio ictus darstellt (s. statt vieler nur etwa Roxin, AT/II, § 25 Rn. 195, m.w.N.); ein wieder anderes Meinungslager will danach differenzieren, ob der gemeinsame Tatplan bereits eine konkrete Opferindividualisierung vorsah oder ob diese offen gelassen wurde; im ersteren Fall sei für die nicht handelnden Komplizen eine vorsatzausschließende Abweichung von ihrem tatplanmäßig konkretisierten Tatbestandsvorsatz anzunehmen, im letzteren dagegen sei ihnen der Erfolg zurechenbar (so etwa Renzikowski, in: Maurach/Gössel/Zipf, AT/2, § 49 Rn. 64 f., m.w.N.); ausführlich zum Parallelproblem bei der Anstiftung s. noch unten, S. 575 ff. 2891 Ebenso Puppe, Spinellis-FS (2001), 915 (940). 2892 Vgl. schon Schmidhäuser, AT, 14/19. 2893 s. allgemein zur Möglichkeit einer unbeachtlichen aberratio ictus nochmals oben, S. 382 f. 2888

A. Täterschaft bei den allgemeinen vorsätzlichen Begehungsdelikten

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rechnungszusammenhang kappt.2894 So liegt es etwa dann, wenn bei einem gemeinschaftlichen Raub ein Komplize sich zu einem Tötungsdelikt hinreißen lässt,2895 oder wenn einer von mehreren Nötigern spontan beschließt, das Opfer zu berauben.2896 In solchen Fällen ist der exzedierende Komplize Alleintäter des von ihm über den gemeinsamen Tatplan hinausgehend verwirklichten Delikts, da insofern von vornherein keine kollektive Intentionalität vorliegt.2897 Kein Exzess ist jedoch gegeben, wenn ein Komplize innerhalb des abstrakten Tatbestandsvorsatzes tatsächliche deliktstypische Anpassungen vornimmt, etwa indem er entgegen dem ursprünglichen Plan anstelle von Geld geldwerte Sachen wegnimmt.2898 Möglich sind auch Irrtümer über die Beteiligungsform. So ist es z. B.denkbar, dass ein Komplize den anderen als frei handelnden einplant, dieser aber realiter unfrei agiert. Hier haftet der für seinen Teil frei delinquierende Komplize nach § 29 für die schuldhafte Betätigung seiner Wir-Intentionalität.2899 Umgekehrt ist auch denkbar, dass ein für unfrei gehaltener Komplize erwartungswidrig frei handelt. Hier haftet der nur vermeintlich überlegene Komplize tateinheitlich wegen versuchter mittelbartäterschaftlicher und vollendeter mittäterschaftlicher Tatbegehung, da er zur Realisierung seiner vermeintlich überlegenen Ich-Intentionalität zugleich schuldhaft eine kollektiv dimensionierte Verletzungshandlung umgesetzt hat (§ 29).2900

II. Die Teilnahme 1. Grundlegendes Da der Teilnehmer die fremde Haupttatbegehung als Erfolg seiner eigenen Teilnahmehandlung einplant (und ex ante einplanen kann), führt auch er mit seinem Beitrag einen selbständigen Rechtsgutsangriff2901 (= realontologische Komponente der Teilnahmehandlung). Demnach beruhen die Teilnahmesanktionstatbestände der §§ 26, 27 im Ansatz auf der gleichen allgemeinen Rechtsgutsentscheidung wie die Bezugstatbestände des BT.2902 Allerdings sind die Teilnahmehandlungen ihrem 2894

Ganz h.M.; s. statt aller nur BGHSt 36, 231 (234); Roxin, AT/II, § 25 Rn. 194. RGSt 44, 321 (323 f.); BGH NJW 1973, 377 (377). 2896 Vgl. BGH GA 1968, 121 (121 f.). 2897 So statt aller BGHSt 36, 231 (234); Roxin, AT/II, § 25 Rn. 194. 2898 BGH bei Dallinger, MDR 1969, 196 (197); Schünemann, in: LK, § 25 Rn. 176. 2899 So zutr. etwa Schild, in: NK, § 25 Rn. 128 a.E. 2900 s. dazu bereits oben, aa) a.E. 2901 Insofern zutr. bereits Lüderssen, Strafgrund, 117 ff., 161 ff.; in der neueren Literatur gewinnt diese Einsicht zunehmend an Boden; s. vor allem Roxin, Stree/Wessels-FS (1993), 365 (369 ff.); ders., AT/II, § 26 Rn. 8 f., 11 m.w.N. (Rn. 11 Fn. 3); Schünemann, in LK, Vor § 26 Rn. 2. 2902 Insofern zutr. schon Lüderssen, Strafgrund, 161; ebenso statt vieler Roxin, Stree/ Wessels-FS (1993), 365 (370 – 372); Schünemann, in: LK, Vor § 26 Rn. 2. 2895

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6. Kap.: Die Ausarbeitung der Deliktsgruppen im Einzelnen

Programmgehalt nach auf fremde Unrechtstat bezogen und werden daher durch sekundäre Verhaltensnormen verboten: Die primären rechtsgüterschützenden Verbote können aus handlungstheoretischen Gründen nicht weiter greifen, als im Hinblick auf die Rechtsgutsverletzung eigene Handlungszuschreibung möglich ist (= sozialontologische Handlungskomponente).2903 I.d.S. sind die §§ 26, 27 also Tatbestandsausdehnungsgründe.2904 Gesehen werden muss jedoch auch, dass es sich beim „Bestimmen eines anderen zu dessen Tat“ (= Anstiftung) und beim „Hilfeleisten zu der Tat eines anderen“ (= Beihilfe) um eigenständige, in rechtsstaatlicher Weise aus sich selbst heraus zu konkretisierende Strafunrechtstypen handelt. Neben den primären restriktiven Täterbegriff tritt daher ein primärer restriktiver Teilnehmerbegriff.2905 Die inhaltlichen Voraussetzungen von Anstiftung und Beihilfe können also nicht ex negativo aus irgendeinem abstrakten Leitprinzip der Täterschaft deduziert werden (= Fehlen von Tatherrschaft, Sonderpflichtverletzung oder Eigenhändigkeit), sondern allein aus der positiven Inhaltsbestimmung der strafgesetzlich umschriebenen Teilnahmehandlungen selbst.2906 Diese Einsicht ist bedeutsam nicht nur für die definitorische Bestimmung der teilnehmerschaftlichen Basis-Akte als solcher (= „Bestimmen“/„Hilfeleisten“), sondern auch für die inhaltliche Ausfüllung der Akzessorietät: Teilnahme ist nicht bloß täterschaftslose Mitwirkung,2907 sondern sie ist ihrem Eigengehalt nach positiv akzessorisch ausgestaltet.2908 Aus der somit gebotenen Anerkennung eines primären Teilnehmerbegriffs folgt ferner rechtsmethodisch, dass die Teilnahme nicht als bloßes Minus zur Täterschaft figuriert, sondern qualitativ von ihr abweicht.2909 Verfehlt ist daher insbesondere die Annahme2910, der Teilnahmewille gehe im Täterwillen auf, weshalb bei programmwidriger Bösgläubigkeit eines als Werkzeug 2903

s. zum Ganzen bereits oben, S. 168 ff., S. 285 f. Schild, in: NK, Vor §§ 26, 27 Rn. 2, der a.a.O. zutreffend abrundet: „Weder geht es um ein extensives Verständnis der Tatbestände des BT iSd ,Einheitstäterbegriffs‘; noch um die früher vertretene Auffassung, die Teilnahmevorschriften seien als ,subsidiäre Auffangtatbestände‘ zu begreifen (…) – Abzulehnen ist deshalb die These (…), dass es sich bei §§ 26, 27 nur um Strafbarkeitsausdehnungsgründe handle, mit der Konsequenz, dass die Teilnahme keinen Tb erfülle (sondern nur gegen eine ungeschriebene Norm, das von einem Tb geschützte Rechtsgut nicht zu verletzen, verstoße). Dies ist zwar folgerichtig, wenn man unter ,Tatbestand‘ nur die Umschreibung des Verhaltens in den Vorschriften des BT versteht; aber dazu besteht kein überzeugender Grund, Im Gegenteil verlangt § 1, dass die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt sein muss, und § 11 I Nr. 5 verbindet die Rechtswidrigkeit der Tat mit der Tatbestandsmäßigkeit.“ 2905 Schild, in: NK, Vor §§ 26, 27 Rn. 2. 2906 Schild, in: NK, Vor §§ 26, 27 Rn. 2 f. 2907 So aber Roxin, TuT, 268, 367 (bei den Herrschaftsdelikten sei Teilnahme „Mitwirkung ohne Tatherrschaft“, bei den Pflichtdelikten „Beteiligung ohne Sonderpflichtverletzung“). 2908 Schild, in: NK, Vor §§ 26, 27 Rn. 10. 2909 So die zutr. Folgerung bei Schild, in: NK, Vor §§ 26, 27 Rn. 5; § 26 Rn. 14 a.E. 2910 s. statt vieler etwa nur Jescheck/Weigend, AT, § 62 III 1 (671); Roxin, in: LK11, § 25 Rn. 147 a.E. 2904

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eingeplanten Vordermannes der fehlende Doppelvorsatz des Hintermannes durch dessen Tatherrschaftswillen kompensiert werden könne.2911 Endlich hat der primäre Teilnehmerbegriff noch zur Konsequenz, dass Schuld und Strafe des Teilnehmers immer nur an sein eigenes Verhalten anknüpfen können.2912 Dieses bezieht seinen Unwert also nicht etwa aus der fremden Haupttat, sondern ist gerade umgekehrt aus sich selbst heraus rechtsgutsbezogenes Handlungsunrecht, weil es die fremde Unrechtshandlung als solche einplant und erfahrungsgemäß einplanen kann2913 (= realontologische Komponente der Teilnahme). Dennoch ist aber das Teilnahmehandlungsunrecht inhaltlich derivativ ausgestaltet, weil eben intensional auf fremde Tatbestandshandlung zugeschnitten (= sozialontologische Komponente der Teilnahme).2914 Daraus folgt, dass die fremde Haupttat der eigentliche Unrechtserfolg der Teilnahmehandlung ist. Im Falle ihrer (versuchten) Begehung wird sie daher nicht bloß irgendwie zum Teilnahmehandlungsunrecht zugerechnet, sondern gerade als dessen Realisierung.2915 Nach alledem ist das konkrete Handlungsunrecht von Anstiftung und Beihilfe ebenso wie dasjenige der verschiedenen Täterschaftsformen aus sich selbst heraus zu entwickeln. Dabei ist freilich zu beachten, dass der Gehalt der strafgesetzlichen Teilnahmehandlungen nicht in gleichem Maße handlungstheoretisch selbsterklärend ist wie der Gehalt der Täterhandlungen: Während der Gegenstand der drei in § 25 geregelten Tatbestandshandlungsgestalten schlicht aus der Anwendung des intentionalen Handlungsbegriffs auf den Straftatbestand bzw. die ihm zugrunde liegende Rechtsgutsbeeinträchtigung gewonnen werden konnte (= Täterschaft als Erlebnis eigenen ich- oder wir-intentionalen Rechtsgutszugriffs), ist der Gegenstand des Teilnahmehandlungsunrechts nicht in diesem Sinne vorgegeben.2916 Zwar kann und muss das allgemeine Handlungsinterpretament auch für die Handlungsbeschreibungen der Teilnahmetatbestände gelten, d. h. man kann auch durch einen anderen oder mit einem anderen gemeinschaftlich jemanden zu dessen Tat bestimmen oder ihm dazu Hilfe leisten.2917 Doch muss auch gesehen werden, dass die Verbotsgegenstände des „Bestimmens“ (§ 26) und des „Hilfeleistens“ (§ 27) im Gegensatz zur tatbestandlich inkriminierten Rechtsgutsverletzungshandlung ihrerseits konturierungsbedürftige sozialsprachliche Begriffe sind. Das Hauptaugenmerk bei der Bestimmung des konkreten Teilnahmehandlungsunrechts muss deshalb darauf liegen, die unterschiedlichen Arten einer Mitwirkung an fremder Unrechtshandlung als eigenständige Handlungsunrechtstypen heraus2911 Abl. auch Schild, in: NK, Vor §§ 26, 27 Rn. 5; § 26 Rn. 14 a.E.; eingehend zum Ganzen Küper, Roxin-FS (2011), 895 (910 ff.). 2912 Schild, in: NK, Vor §§ 26, 27 Rn. 6. 2913 Schild, in: NK, § 25 Rn. 30 a.E., 31; Vor §§ 26, 27 Rn. 8. 2914 Schild, in: NK, Vor §§ 26, 27 Rn. 6, 10. 2915 Schild, in: NK, Vor §§ 26, 27 Rn. 14. 2916 s. für die Beihilfe bereits Osnabrügge, Beihilfe, 15, 24. 2917 Schild, in: NK, Vor §§ 26, 27 Rn. 7.

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zuarbeiten und diese allgemeine Handlungsunrechtsbestimmung verhaltensnormteleologisch zu den Rechtsbegriffen des „Bestimmens“ und des „Hilfeleistens“ in Relation zu setzen. Dies wird das erklärte Ziel der nachfolgenden Überlegungen sein. Abstrakte Vorfragen wie die nach dem Strafgrund der Teilnahme oder die nach Sachgrund und Teleologie der limitierten Akzessorietät werden dagegen nur soweit angerissen, wie dies für die hiesigen Zwecke erforderlich scheint. 2. Die Tatbestandshandlungen der §§ 26, 27 Entsprechend der Täterregelung des § 25 regeln auch die Teilnahmevorschriften der §§ 26, 27 jeweils konkrete vorsätzliche Handlungen, und zwar das „Bestimmen eines anderen zu dessen Tat“ und das „Hilfeleisten zur Tat eines anderen“. Daraus folgt zunächst die Anknüpfung an den intentionalen Handlungsbegriff und damit an die drei Gestalten intentionaler Selbstverwirklichung, wie sie schon § 25 zugrunde liegen. Man kann also auch durch einen anderen oder gemeinschaftlich mit einem anderen jemanden zu einer vorsätzlich-rechtswidrigen Tat bestimmen oder ihm bei einer solchen Tat Hilfe leisten2918 (Bsp.: A nötigt B durch Androhung schwerer Prügel, den C zu einer Straftatbegehung anzustiften [= „mittelbar-täterschaftliche Anstiftung“] – A und B bewegen den C durch gemeinsames Auffordern zu einer Straftatbegehung [= „mittäterschaftliche Anstiftung“]). Des Weiteren erhebt sich die prinzipielle Frage, ob das an vorsätzlichem Handeln orientierte Beteiligungssystem der §§ 25 – 27 auf den Unterlassungs- und den Fahrlässigkeitsbereich übertragbar ist. Dies wurde hier bereits verneint2919 und wird bei der Behandlung der genannten Deliktskategorien noch tiefer gehend begründet,2920 weshalb hier mit Blick auf die Teilnahmevorschriften nur soviel gesagt sei: Eine fahrlässige Teilnahme kann es schon deshalb nicht geben, weil vorhersehbare Drittintervention für die Bestimmung der je eigenen Sorgfaltspflicht nicht in ihrer Qualität als intentionales Handeln interessiert, sondern bloß als vermeidbarer Gefahrenfaktor: Verboten wird dem „Hintermann“ die Mitauslösung einer verletzungsriskanten Verhaltensdynamik, nicht die Teilnahme an fremder Sorgfaltswidrigkeit.2921 Auch eine Teilnahme durch Unterlassen ist von einer in sich konsistenten Unterlassungsdogmatik her nicht vorgesehen. Das gilt zunächst und insbesondere für die Idee einer Beihilfe durch Unterlassen: Wer angesichts einer drohenden Rechtsgutsverletzung Rettungsmaßnahmen einleiten könnte und dennoch nichts tut, der unterlässt auch dann täterschaftlich, wenn die von ihm abzuwendende Gefahr von einem Aktivtäter ausgeht: Ist der Unterlassende zur Erfolgsabwendung fähig, unterlässt er als Täter, ist er es nicht, trifft ihn schon gar keine Handlungspflicht – 2918

Schild, in: NK, Vor §§ 26, 27 Rn. 7. s. oben, S. 50 ff. 2920 s. eingehend dazu unten, S. 646 ff. (Unterlassungsdelikte), S. 707 ff. (Fahrlässigkeitsdelikte). 2921 Eingehend dazu m.w.N. noch unten, S. 733 ff., 731 ff. 2919

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tertium non datur.2922 Auch eine Anstiftung durch Unterlassen ist nicht denkbar: Selbst wenn man einmal davon ausgeht, dass man einen anderen durch unberedtes2923 Unterlassen zu einer Tat motivieren kann,2924 kann auch hier die rechtsrelevante Unterlassung immer nur in der eigenen gebotswidrigen Zulassung der Rechtsgutsverletzung liegen. Dass die Vorschriften der §§ 8, 9 II die Möglichkeit einer Teilnahme durch Unterlassen dennoch voraussetzen, beruht auf einem redaktionellen Versehen des Reformgesetzgebers: Nach der Beschränkung des § 25 auf vorsätzliche Handlungsdelikte und der Verselbständigung der Unterlassungstäterschaft in § 13 hat man schlicht „vergessen“, die Formulierungen der §§ 8, 9 II inhaltlich anzupassen.2925 Möglich ist jedoch eine „unterlassungstäterschaftliche Deliktsteilnahme“. Eine solche liegt vor, wenn die Garantenhandlungspflicht ausnahmsweise

2922

Eingehend dazu m.w.N. noch unten, S. 658 ff. Ein Beispiel für ein Unterlassen als konkludente Tataufforderung bildet Jakobs (AT, 29/ 104): Der Sohn erklärt, er werde im Interesse des Vaters den elterlichen Hof abbrennen, wenn dieser sein Sparbuch nicht immer wegschließe; daraufhin lässt der Vater das Sparbuch offen liegen. – Hier drückt das Liegenlassen des Sparbuchs in der Tat ein stillschweigendes Belohnungsversprechen aus und ist daher als konkludente Tataufforderung zu verstehen (ebenso Roxin, AT/II § 26 Rn. 86). 2924 Bloy (JA 1987, 490, [496]) bildet das Beispiel, dass jemand die Briefkastenentleerung, die er seinem verreisten Nachbarn versprochen hat, absichtlich in der zutreffenden Erwartung unterlässt, der überquellende Briefkasten werde auf die Abwesenheit des Eigentümers schließen lassen und andere zu einem Einbruchdiebstahl motivieren. – Abgesehen davon, dass hier die Inszenierung einer tatprovozierenden Situation gegeben wäre, die nach h.M. jedenfalls keine Anstiftung begründete (s. dazu Roxin, AT II, § 26 Rn. 86), dürfte die entscheidende Frage hier dahin gehen, ob das Überquellen-Lassen des Briefkastens in der „Erwartung“ eines Einbruchs Dritter überhaupt eine rechtlich unerlaubte Risikoschaffung (durch Unterlassen) ist. Das wird man wohl analog den Fällen des erlaubten Risikos im Aktivbereich verneinen müssen, weshalb die Annahme einer Anstiftung durch Bloy den Umstand desavouiert, dass realiter eine unverbotene Alltagsrisikoschaffung gegeben ist. – Hat der „Briefkastenbeauftragte“ dagegen zum Zeitpunkt des Überquellen-Lassens ein spezifisches Sonderwissen, d. h. weiß er etwa, dass sich im eigenen Bezirk aktuell eine Diebesbande herumtreibt und aus dem Zustand der Briefkästen Rückschlüsse zieht, so kann man fragen, ob dieses Wissen ihn im Interesse des fremden Eigentums zur Briefkastenentleerung verpflichtet. Die Antwort darauf hängt dann vom Sinn und Zweck der freiwillig übernommenen Pflicht zur Briefkastenentleerung (= Pflicht aus faktischer Übernahme) ab: Soll diese etwa nur dazu dienen, ein Verlorengehen von Poststücken zu verhindern und für den Fall wichtig erscheinender Post Mitteilung zu machen, so scheidet eine (vorgelagerte) Garantenpflicht zum Schutz des fremden Eigentums aus. Soll dagegen die Briefkastenentleerung gerade (auch) der Gefahr eines fremden Einbruchdiebstahls vorbeugen, so besteht im Falle einschlägigen Sonderwissens eine Garantenpflicht zur Briefkastenentleerung im aktuell gefährdeten „Risikobezirk“: Wird die Entleerung pflichtwidrig unterlassen und geschieht die vorhergesehene Tat daraufhin, so haftet der „Briefkastenbeauftragte“ für die Zulassung des Einbruchdiebstahls, allerdings nicht wegen Anstiftung zum Diebstahl durch Unterlassen, sondern wegen täterschaftlicher Zulassung fremder Diebstahlstat (s. zur Nichthinderung von Absichtsdelikten noch unten, S. 692 ff.) nach den Grundsätzen der „omissio libera in omittendo“ (sofern man diese Figur anerkennt; s. dazu Baier, GA 1999, 272 [274]). 2925 Schild, in: NK, Vor §§ 26, 27, Rn. 7. 2923

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gerade dahin geht, die Deliktsteilnahme einer überwachungspflichtigen Person zu unterbinden.2926 Ihrem propositionalen Gehalt nach richten sich die Teilnahmehandlungen auf das Bestimmen eines anderen zu dessen Tat bzw. auf das Hilfeleisten zur Tat eines anderen, d. h., die (zumindest versuchte) fremde Haupttatbegehung verwirklicht den akzessorischen Programmgehalt des Teilnahmehandlungsunrechts erst und macht ihn zur (teil-)erfolgreichen Teilnahmetatbestandshandlung i.S.d. §§ 26, 27.2927 Demnach erschöpft sich die Funktion der §§ 26, 27 also nicht bloß darin, die Teilnahmehandlungen als nichttäterschaftliche Formen personaler Erfolgsverursachung rechtsstaatlich zu konturieren.2928 Vielmehr handelt es sich um die gesetzliche Regelung von Programmen, für die der Zuschnitt auf eine fremde vorsätzlich-rechtswidrige Haupttat, typischerweise eine freiverantwortliche Straftat, von vornherein konstitutiv ist.2929 3. Akzessorietät Wie Schild2930 zu Recht klarstellt, impliziert bereits das Wort „Teilnahme“ alltagssprachlich einen notwendigen begrifflichen Bezug zu dem „Gegenstand“, an dem teilgenommen werden soll, hier: der fremden Haupttat. Insofern ist also die Teilnahme begrifflich „akzessorisch“, weil eben auf diesen Gegenstand bezogen.2931 Diese begriffliche Deduktion wird in dogmatischer Hinsicht unterfüttert durch die Erkenntnis, dass das Prinzip der materiellen Akzessorietät schon aus den Grenzen des allgemeinen Handlungsinterpretaments selbst folgt: Soweit ich fremdes intentionales Handlungserlebnis als solches einplane, ist eigenes Handlungserlebnis ausgeschlossen; das fremde Handeln macht gerade den von mir intentional herbeizuführenden Erfolg meiner (deshalb) materiellen Teilnahmehandlung aus. Freilich fragt sich, wie von diesem Handlungsbegriff her die positivrechtliche Akzessorietätslimitierung auf eine vorsätzlich-rechtswidrige Bezugstat zu verstehen ist. Nach dem intentionalen Handlungsbegriff ist Akzessorietät immer genau soweit gegeben, wie fremde Handlung als solche eingeplant wird. Von daher wäre an sich sogar eine fahrlässige Teilnahme an fremder Fahrlässigkeitstat konstruktiv denkbar. Eine solche Figur wäre jedoch aus fahrlässigkeitsdogmatischer Sicht unangezeigt und sogar irreführend, da vorhersehbares Fehlverhalten Dritter für die Bestimmung der individuellen Sorgfaltspflicht nicht in seiner Qualität als intentionales Handeln interessiert, sondern ausschließlich als individuell vermeidbarer Gefahrenfaktor.2932 2926 2927 2928 2929 2930 2931 2932

s. dazu Roxin, AT/II, § 26 Rn. 87. Schild, in: NK, Vor §§ 26, 27 Rn. 14. So aber Schünemann, in LK, Vor § 26 Rn. 5. Schild, in: NK, Vor §§ 26, 27 Rn. 10. In: NK, Vor §§ 26, 27 Rn. 10. Schild, in: NK, Vor §§ 26, 27 Rn. 10. Eingehend dazu m.w.N. noch unten, S. 733 ff., 731 ff.

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Mithin ist das strafgesetzliche Erfordernis einer vorsätzlichen Teilnahmehandlung Ausfluss allgemeiner verhaltensnormdogmatischer Vorgaben. Demgegenüber stellt sich die Limitierung der strafrechtlichen Akzessorietät auf eine vorsätzliche Bezugstat für einen mehrdimensionalen Handlungsbegriff streng genommen als Einschränkung der Teilnahmestrafbarkeit dar: Vorsätzliche Teilnahme an fremder Fahrlässigkeitstat wäre konstruktiv durchaus möglich2933, wenn der Hintermann zur Verwirklichung deliktischer Ziele (zugleich) fremde Fahrlässigkeitstat einplant. Allerdings dekretieren die §§ 26, 27 das Erfordernis einer vorsätzlich-rechtswidrigen Bezugstat, was de lege lata hinzunehmen ist. Zwar sind hiermit Strafbarkeitslücken verbunden, insbesondere bei Einschaltung eines unvorsätzlich agierenden Sonderpflichtigen durch einen dolosen Externen,2934 doch hat der Reformgesetzgeber des Allgemeinen Teils 1975 diese Lücken sehenden Auges in Kauf genommen.2935 Letztlich dürfte die geltende Regelung der limitierten Akzessorietät aber auch angemessen sein, da die vorsätzliche Mitwirkung an fremder Fahrlässigkeitstat eigentlich doch qualitativ andere Ziele verfolgt als die Partizipation an fremder Sorgfaltspflichtverletzung. Damit erweist sich die positivgesetzliche Festschreibung der limitierten Akzessorietät grosso modo als sachgerecht. Eine noch weiter an die Haupttat angebundene „extreme“2936 Akzessorietät, d. h. eine Ausrichtung der Teilnahme an fremder Straftat, ist dagegen weder sachlogisch noch sachlich geboten. Das Handlungsprogramm des Teilnehmers muss nicht zwingend auf die freie Straftatbegehung eines anderen ausgerichtet sein, mit der Folge, dass die gesetzliche Akzessorietätslimitierung bloß als Sonderregelung des Irrtums über den Kausalverlauf (scil.: über die „Freiheit“ des Täterhandelns) zu verstehen wäre. Die neuerdings wieder aufkeimende Gegenansicht2937 ist abzulehnen. Sie hypostasiert das archetypische Leitbild vom Anstifter als geistigem Verführer zur inneren Auflehnung gegen die sittlich-rechtlichen Normen2938 und schließt aus der Selbständigkeit der Teilnahmevoraussetzungen zu vorschnell auf eine Exklusivität von Täterschaft und Teilnahme. Die positivrechtliche Akzessorietätslimitierung betrifft aber nicht bloß bestimmte äußere Abweichungen des tatsächlichen vom vorgestellten Kausalverlauf, sondern schon die innere, aus dem Handlungsprogramm des Teilnehmers selbst folgende Anbindung an die Haupttat: Es genügt der Wille zur Partizipation an der objektiv strafrechtswidrigen Vorsatztat eines anderen.

2933 s. nur Frister (AT, 25/26), der de lege ferenda für eine Herabsetzung der Akzessorietät i.d.S. votiert. 2934 Roxin, AT/II, § 26 Rn. 33. 2935 Schild, in: NK, Vor §§ 26, 27 Rn. 11. 2936 Zur Bezeichnung der konstruktiv möglichen Akzessorietätsgrade und ihrer Historie s. Roxin, AT/II, § 26 Rn. 32 m. Fn. 37. 2937 Schild, in: NK, Vor §§ 26, 17 Rn. 8; § 26 Rn. 11, 14; Amelung, Schroeder-FS (2006), 147 (159 f., 169 f.). 2938 s. dazu Amelung, Schroeder-FS (2006), 147 (149 ff., 171 f.).

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6. Kap.: Die Ausarbeitung der Deliktsgruppen im Einzelnen

Anzumerken ist, dass der Bezugsgegenstand der Teilnahme auch nicht aus irgendeinem abstrakten „Wesen“ der Teilnahme deduziert werden kann, wie dies Roxin2939 noch vorschwebte: Teilnahme sei das „negative Spiegelbild“ des jeweiligen Täterbegriffs, dergestalt, dass sie bei den vorsätzlichen „Herrschaftsdelikten“ als Mitwirkung ohne Tatherrschaft erscheine und bei den „Pflichtdelikten“ als Mitwirkung ohne Pflichtverletzung. Eine derart abstrakte Abgrenzung nach Leitkriterien, die den Bezugspunkt der Teilnahme im jeweiligen Täterkriterium erblickt, übersieht, dass Teilnahme nicht bloß ein dogmatisches Epiphänomen fremder Tatherrschaft oder Pflichtverletzung ist, sondern das „Bestimmen“ oder „Hilfeleisten“ zu einer konkreten Tatbestandshandlung. Diese Tatbestandshandlung ist aber selbst bei den von Roxin sog. „Pflichtdelikten“ immer mehr als eine reine Pflichtverletzung, denn auch die Tatbestände der Sonderdelikte regeln konkrete vorsätzliche Tatbestandshandlungen und nicht bloß handlungsmäßige (Innen-)Pflichtverletzungen.2940 4. Strafgrund der Teilnahme Der Strafgrund der Teilnahme kann nach dem bisher Gesagten nur darin liegen, dass der Teilnehmer ebenfalls das vom Tätertatbestand geschützte Rechtsgut angreift, nur eben vermittelt über die Handlung eines anderen. Die innere Akzessorietät ist dabei freilich „nur“ handlungstheoretisch bedingt: Weil die den Tätertatbeständen unmittelbar zugrunde liegenden Verbotsnormen nicht weiter greifen können, als eigener intentionaler Rechtsgutszugriff möglich ist, müssen Verhaltensweisen, die fremden intentionalen Rechtsgutszugriff zur Erfolgsherbeiführung einplanen (und erfahrungsgemäß einplanen können!), von sekundären Teilnahmeverboten untersagt werden. Danach ist der Rechtsgutsangriff des Teilnehmers in faktischer Hinsicht durchaus ein unmittelbarer; insofern also die fremde Tatbegehung zur tatsächlichen Erfolgsherbeiführung einkalkuliert wird, kann man (im psychofaktischen Sinne!) durchaus von einer selbständigen Erfolgsverursachung durch ein „Täterwerkzeug“ sprechen.2941 2939

TuT, 268, 367 f. Schild, in: NK, Vor §§ 26, 27 Rn. 10. 2941 So zutr. noch Schild, in: NK2, § 25 Rn. 21; § 26 Rn. 15, 22 (anders inzwischen ders., in: NK, § 25 Rn. 31; Vor §§ 26, 27 Rn. 1; § 26 Rn. 2). Danach wird die Erfolgszurechnung zum Teilnehmer gerade durch die psychofaktische Kalkulierbarkeit der Haupttat begründet (so in der Sache auch immer noch Schild, in: NK, § 25 Rn. 30), weshalb es schon im Ansatz problematisch ist, aus der autonomen Haupttatbegehung ein normatives Regressverbot ableiten zu wollen, das die Erfolgszurechnung zum Teilnehmer sperren soll (so aber Renzikowski, Täterbegriff, 72 ff. [73], 157 ff.). Eine solche Regressverbotslehre muss die Teilnahmeverdikte als abgekoppelte Gefährdungsverbote deuten (so konsequent Renzikowski, Täterbegriff, 123 ff.), was aber schwerlich haltbar sein dürfte; denn wenn die Autonomie des Haupttäters den Zurechnungsnexus zum Teilnehmer gerade kappen soll, dann ist nicht mehr plausibel zu machen, warum die Teilnahme überhaupt noch rechtlich unerlaubte Gefahrschaffung sein soll (s. zum Ganzen bereits oben, S. 338 f.). 2940

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Dennoch bleibt aber aus handlungstheoretischer Sicht der innere, materiale Bezug zur fremden Haupttat bestehen. Es ist daher nicht möglich, das Teilnahmehandlungsunrecht aus diesem inneren Bezug zu lösen und als Verstoß gegen ein allgemeines Verursachungsverbot zu verselbständigen.2942 Die Idee eines so verstandenen „Teilnahmedelikts“2943 (sog. reine Verursachungstheorie) sprengte zum einen die Grenzen des allgemeinen Handlungsinterpretaments (= erlebte Abhängigkeit der eigenen Teilnahme vom Handlungserlebnis des Haupttäters)2944 und würdigte zum anderen die gesetzlich vorgesehene Akzessorietät der Teilnahme zur bloßen Strafbarkeitsbedingung herab.2945 Die (zumindest versuchte) Haupttatbegehung ist aber nicht bloß Strafbarkeitsbedingung, sondern der Unrechtserfolg der Teilnahmetatbestandshandlung selbst, da sie das allgemeine Teilnahmehandlungsunrecht realisiert, das inhaltlich auf sie ausgelegt ist.2946 Pointiert lässt sich sagen, dass das Handlungsunrecht der Teilnahme rein psychofaktisch betrachtet einen eigenständigen Rechtsgutsangriff verkörpert, der aber seinem rechtlichen Gehalt nach akzessorisch ausgestaltet ist.2947 Aus verhaltensnormteleologischer Sicht geht es somit um die notwendige (!) Reaktion auf Rechtsgutsangriffe, die sich zwar in psychofaktischer Hinsicht (= Kalkulierbarkeit des Erfolgs ex ante) nicht kategorial von Täterhandlungen unterscheiden, die sich aber dennoch handlungstheoretisch als Teilnahmehandlungen verstehen (müssen), und die deshalb nicht mehr von den Verhaltensnormen der BT-Tatbestände erfasst werden können. Demnach kann auch der Strafgrund der Teilnahme nur im Vorwurf einer derartigen Mitwirkung an der Rechtsgutsverletzung liegen, und nicht etwa darin, dass der Teilnehmer den Täter in Schuld2948 bzw. Unrecht2949 verstrickt: Die Teilnahmeverbote beruhen auf derselben Rechtsgutsentscheidung wie das entsprechende Hauptverbot, d. h. sie schützen ein und dasselbe Rechtsgut vor intensional akzessorisch ausgestalteter Beeinträchtigung und nicht etwa den präsumtiven Haupttäter vor Schuldverstrickung oder sozialer Desintegration! Damit scheiden auch die sog. Schuldteilnahmetheorie und die sog. Unrechtsteilnahmetheorie als Erklärungsansätze zum Strafgrund der Teilnahme aus.2950 2942

So aber noch Lüderssen, Strafgrund, 117 ff., 161 ff. Begriff nach Lüderssen, Strafgrund, 119. 2944 Ebenso vom Boden der Tatherrschaftslehre her Otto, Lange-FS (1976), 197 (204 ff.). 2945 So konsequent Schmidhäuser, AT, 14/57; zutr. dagegen Roxin, AT/II, § 26 Rn. 13 f. 2946 Schild, in: NK, Vor §§ 26, 27 Rn. 14; Roxin, AT/II, § 26 Rn. 14. 2947 In der Sache ebenso Roxin, AT/II, § 26 Rn. 8 f., 11, 27 ff.; s. auch Jakobs, AT, 22/9. 2948 So aber noch Spendel, Lüderssen-FS (2002), 605 (611). 2949 Trechsel, Strafgrund, 54 ff. 2950 s. statt vieler nur Roxin, AT/II, § 26 Rn. 16 ff., der a.a.O. noch auf weitere bekannte Probleme der Schuld- bzw. Unrechtsteilnahmetheorie hinweist (z. B. auf die durchgehende, gerade nicht am Ausmaß der sozialen Desintegration orientierte Anordnung von Täterstrafe in § 26 und auf die Kollision des Unrechts- bzw. Schuldverstrickungsaxioms mit dem allgemeinen Selbstverantwortungsprinzip). – Nepomuck (Anstiftung, 92, 94) meint, dass die Ablehnung eines zusätzlichen Verführungs- oder Desintegrationsunrechts normativ überzeugend nur auf 2943

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Der Grund für die Existenz von Teilnahmeverhaltensnormen und -sanktionstatbeständen kann auch nicht in der handlungsmäßigen Solidarisierung des Teilnehmers mit fremdem vorsätzlichen Unrecht erblickt werden.2951 Denn zwar mag die Teilnahme eine sozial unerträgliche Werbung für fremdes Unrecht bedeuten.2952 Doch ist diese handelnd ausgedrückte Gesinnung nicht das, was die Teilnahme im geltenden Normengefüge unwertig und strafwürdig macht. Geltungsgrund der Teilnahmeverbote ist vielmehr allein, dass Teilnahmehandlungen die tatbestandlich geschützten Rechtsgüter faktisch ebenso angreifen wie Täterhandlungen!2953 Mithin kann auch die Solidarisierungstheorie Schumanns den Strafgrund der Teilnahme nicht zufriedenstellend erklären.2954 Weit besser gelingt dies der (wohl noch) herrschenden sog. akzessorietätsorientierten Verursachungstheorie2955. Nach ihr liegt der Strafgrund der Teilnahme in der Verursachung fremden Vorsatzunrechts und damit in der mittelbaren Erfolgsverursachung. Daran ist richtig, dass auch die Teilnahme allein ihres negativen Rechtsgutsbezuges wegen als unwertig verboten und daher ceteris paribus strafbar ist. Unzutreffend ist jedoch der Gedanke, der Teilnehmer greife das tatbestandlich geschützte Rechtsgut bereits in faktischer Hinsicht nur indirekt an. Diese These lässt unberücksichtigt, dass der Teilnehmer selbst eine prinzipiell taugliche Strategie der Erfolgsherbeiführung entwickelt, indem er die fremde Haupttatbegehung in sein eigenes Handlungsprogramm einplant und mit ihr kalkuliert.2956 Nur aus diesem unmittelbaren pyschofaktischen Rechtsgutsbezug heraus erklärt sich ja, dass und warum das dem Haupttatbestand zugrunde liegende Rechtsgut dem Teilnehmer gegenüber überhaupt schutzbedürftig ist (was aus normentheoretischer Sicht die eine strafzweckrationale Betrachtung gestützt werden könne. Entscheidend sei allein, dass ein Strafbedürfnis zum Schutze des Haupttäters in derartigen Fällen nicht entstehe. Letzteres ist zwar i.E. richtig, liegt aber nicht an irgendwelchen Strafzweckerwägungen, sondern schlicht daran, dass der sittlich-moralische Sozialstatus eines freiverantwortlich delinquierenden Menschen bereits kein schützenswertes Rechtsgut im allgemeinen verhaltensnormentheoretischen Sinne ist (s. zum letzteren Aspekt nur Roxin, AT/II, § 26 Rn. 20). 2951 So aber expressis verbis Schumann, Selbstverantwortung, 49 ff. 2952 Schumann, Selbstverantwortung, 49 – 51. 2953 Daran ändert auch die von Schumann (Selbstverantwortung, 50) gezogene Parallele zu der für den untauglichen Versuch vertretenen Eindruckstheorie nichts. Denn so wenig die Solidarisierungstheorie das Handlungsunrecht der Teilnahme erklären kann, so wenig kann die Eindruckstheorie das Handlungsunrecht des untauglichen Versuchs erklären: Der untaugliche Versuch ist nicht etwa deshalb strafbares Unrecht, weil der in ihm zum Ausdruck gebrachte Wille als rechtsfeindlicher das allgemeine Normvertrauen erschüttert, sondern deshalb, weil die konkrete Untauglichkeit der prinzipiell tauglichen und deshalb verbotenen (!) Verletzungsstrategie blanker Zufall ist (ausführlich dazu bereits oben, S. 163 ff. u. insbesondere Fn. 839). 2954 I. E. ebenso die nahezu ganz h.M.; s. statt vieler nur Roxin, AT/II, § 26 Rn. 24 f. 2955 s. etwa BGHSt 4, 355 (358); Jescheck/Weigend, AT, § 64 I 2 (685); Kindhäuser, AT, § 38 Rn. 16; Freund, AT, § 10 Rn. 110; Kühl, AT, § 20 Rn. 132; Stratenwerth/Kuhlen, AT, § 12 Rn. 121; Nikolidakis, Grundfragen, 49 ff. 2956 So zutr. Schild, in: NK, § 25 Rn. 30.

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elementare Prämisse für den Erlass freiheitsbeschränkender Teilnahmeverhaltensnormen darstellt).2957 Auch Postulate wie dasjenige eines selbständigen Deliktsvollendungsvorsatzes2958 beim Teilnehmer lassen sich nicht schon aus dem Gedanken der Mitverursachung fremden Unrechts ableiten, sondern erst aus dem Erfordernis eines selbständigen Rechtsgutsangriffs.2959 Strukturell vorzugswürdig erscheint daher Roxins2960 Theorie vom „selbständigen, aber dennoch akzessorischen Rechtsgutsangriff“2961. Danach liegt die Unmittelbarkeit des Rechtsgutsbezuges darin begründet, dass der Teilnehmer in psychofaktischer Hinsicht ebenfalls eine aus sich heraus taugliche Strategie der Erfolgsherbeiführung entwickelt.2962 Darin steckt aber eben auch die Aussage, dass Täterschaft und Teilnahme sich unter dem Aspekt der wirklichen, prinzipiellen, Tatbeherrschbarkeit ex ante nicht (mehr) kategorial unterscheiden – worin für die Beteiligungslehre Roxins die Krux liegen muss: Denn vom Axiom einer für alle Beteiligten gleichermaßen anzunehmenden faktischen Tatbeherrschbarkeit her lässt sich eigentlich nicht mehr sinnvoll erklären, warum die Einplanung fremder „Tatherrschaft“ das eigene Handlungsprogramm des Teilnehmers von innen heraus limitieren (können) soll. Warum soll nicht, wie Schild2963 dies zwischenzeitlich angenommen hat, der Haupttäter als kalkulierbares „Täterwerkzeug“ des Teilnehmers fungieren können, mit der Konsequenz, dass man wieder bei der reinen Verursachungstheorie angelangt wäre? Die Antwort darauf kann nur handlungstheoretischer Natur sein: Die Teilnahme ist deshalb akzessorisch ausgestaltet, weil die Einplanung eines bestimmten fremden Handlungserlebnisses ein identisch dimensioniertes Handlungserlebnis in der eigenen Person ausschließt. Mithin liegt der Strafgrund der Teilnahme im Rechtsgutsangriff durch Einplanung eines fremden Unrechtshandelns, das handlungstheoretisch zwar als Handlungserlebnis eines anderen eingeplant wird und werden muss, in psychofaktischer Hinsicht aber dennoch als den Erfolg produzierender Faktor kalkulierbar bleibt.

2957 I.d.S. etwa auch Lüderssen, Strafgrund, 161 f., 166; M.-K. Meyer, GA 1979, 252 (264 f.). 2958 s. zu diesem allgemein anerkannten Erfordernis nur Fischer, § 26 Rn. 12. 2959 Roxin, AT/II, § 26 Rn. 28 f. 2960 In: AT/II, § 26 Rn. 8 f., 11, 27 ff.; ebenso Schünemann, in: LK, Vor § 26 Rn. 1 ff. (7, 17); zust. etwa Jakobs, AT, 22/9; Heine/Weißer, in: Schönke/Schröder, Vor §§ 25 ff. Rn. 15 f.; Geppert, Jura 1997, 299 (300 ff.); ders., Jura 1999, 266 (266); Kretschmer, Jura 2008, 265 (266); Satzger, Jura 2008, 514 (517). 2961 So die Bezeichnung bei Schild, in: NK, Vor §§ 26, 27, Rn. 14 a.E. 2962 Sachlich übereinstimmend Roxin, AT/II, § 26 Rn. 9 (freilich in seiner eigenen Terminologie der objektiven und subjektiven Zurechnung); dagegen etwa Satzger, Jura 2008, 514 (517); eingehend zum Ganzen nochmals oben, S. 334 ff. 2963 In: NK2, § 25 Rn. 21; § 26 Rn. 15, 22 (anders inzwischen ders., in: NK, § 25 Rn. 31; Vor §§ 26, 27 Rn. 1; § 26 Rn. 2).

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5. Die Anstiftung Wie bereits ausgeführt wurde, muss es bei der Bestimmung des Teilnahmehandlungsunrechts in erster Linie darum gehen, die Termini „Bestimmen“ und „Hilfeleisten“ unter Zuhilfenahme verhaltensnormteleologischer Parameter auf bestimmte sozialontologisch differente Verhaltensweisen zurückzuführen und damit (straf-)rechtlich zu konturieren. Zu fragen ist daher in einem ersten Schritt nach einer möglichen sozialontologischen Formalstruktur insbesondere der Anstiftung, die dann in einem zweiten Schritt durch verhaltensnormtheoretische Überlegungen erhärtet und schließlich mit dem positivgesetzlichen Anstiftungstatbestand des § 26 in Einklang gebracht werden muss. a) Mögliche sozialontologische Formalstruktur des Anstiftungsverhaltens und erste rechtliche Vorüberlegungen Ganz unbefangen von den gesetzlichen Begrifflichkeiten, unterscheiden wir im sozialen Alltag verschiedene Arten der Mitwirkung an fremder Handlung. So differenzieren wir zunächst intuitiv zwischen Verhaltensweisen, die die geistige Entstehung oder Festigung fremder Handlungsentschlüsse erst bedingen und Verhaltensweisen, die an bereits fest gefassten Handlungsentschlüssen mitwirken, d. h. auf das Strafrecht bezogen: Wer durch sein Verhalten fremden Tatentschluss erst (endgültig) hervorruft, der scheint uns prima vista unwertiger zu handeln als derjenige, der „bloß“ an fremdem Tatentschluss mitwirkt. Vor diesem Hintergrund nimmt es nicht wunder, dass die Anstiftung jedenfalls im Ausgangspunkt allenthalben definiert wird als das Verursachen oder Hervorrufen des Tatentschlusses.2964 Der Anstifter gibt gleichsam die „Initialzündung“2965 zur Tat.2966 So eingängig diese Definition aber auf den ersten Blick auch erscheinen mag, bei näherem Hinsehen erweist sie sich in mehrfacher Hinsicht als problematisch. Äußerst fraglich ist nämlich bereits, ob in der Täterpsyche eine endgültige Entschlussreife vor dem eigentlichen psychophysischen Ansetzen zur Tat überhaupt schon existieren kann. Die besseren Argumente sprechen gegen diese Annahme, denn gerade im Hinblick auf die Begehung von Straftaten dürfte auf der Hand liegen, dass der Wille zur Tat sich erst in der kritischen Situation des unmittelbaren Ansetzens selbst konstituiert.2967 Begründet aber erst das unmittelbare Ansetzen selbst 2964 s. nur BGHSt 9, 370 (379 f.); 45, 373 (374); NStZ 1994, 29 (30); NStZ 2000, 421 (421); NStZ 2001, 41 (42): Roxin, AT/II, § 26 Rn. 65; Schünemann, in: LK, § 26 Rn. 17; Kindhäuser, AT, § 41 Rn. 5; Heine/Weißer, in: Schönke/Schröder, § 26 Rn. 2; Lackner/Kühl, § 26 Rn. 2. 2965 Die Begrifflichkeit stammt von Schulz, Bestrafung, 145; ders., JuS 1986, 933 (937); s. auch Roxin, Schröder-GedS (1978), 145 (159, 161), der im Zusammenhang mit dem Problem des omnimodo facturus davon spricht, dass der Anstifter dem „Zünglein an der Waage“ in der Psyche des Haupttäters den entscheidenden Ausschlag pro Tatentschluss gebe. 2966 So der Sache nach Esser, GA 1958, 321 (325); Lüderssen, Strafgrund, 58; der Gedanke klingt auch in den Gesetzgebungsmotiven zu § 30 E 1962 an (BT-Drucks. IV/650, 150). 2967 So zutr. Puppe, GA 1984, 101 (116 f.).

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den wirklichen Tatentschluss, so ist denklogisch jede bis dahin erfolgte psychische Beeinflussung mitursächlich für seine Entstehung. Unter dem Aspekt der (Mit-) Ursächlichkeit für fremden Tatentschluss können Anstiftung und psychische Beihilfe also nicht unterschieden werden.2968 Überdies müsste die Theorie vom kausalen Bewirken fremder Entschlussfassung bei konsequenter Anwendung zu zweifelhaften Ergebnissen führen. So müsste nach ihr etwa den (objektiven) Anstiftungstatbestand erfüllen, wer eine finanziell notleidende Person darauf hinweist, dass man für schnelles Geld wohl schon „eine Bank oder eine Tankstelle machen“ müsse.2969 Der BGH ließ das Problem im betreffenden Judikat – der spätere Haupttäter hatte infolge des Hinweises tatsächlich eine Kreissparkassenfiliale überfallen – offen und verneinte den Anstiftungsvorsatz: Die Vorstellung des Hinweisgebers habe sich nicht auf eine konkrete Tat bezogen, sondern (nur) auf eine gattungsmäßig beschriebene Mehrzahl gleichartiger Tatmöglichkeiten.2970 Diese Restriktion (erst) des Anstiftungsvorsatzes erscheint merkwürdig inkonsequent: Warum soll ein Unrechtshandeln, das in objektiver Hinsicht bloß die Verursachung eines fremden Tatentschlusses voraussetzt, in subjektiver Hinsicht mehr erfordern als die (Möglichkeits-)Vorstellung von dieser Verursachung?2971 Wenn überhaupt müssten sich doch die qualifizierten Anforderungen an den Bestimmungszusammenhang schon auf die Definition des Anstiftungsverhaltens selbst auswirken.2972 Davon abgesehen erscheint es aber auch in der Sache willkürlich, das Handlungsunrecht der Anstiftung nach irgendwelchen übertatbestandlichen Individualisierungskriterien bestimmen zu wollen, in denen die Täterhandlung mit dem Verhaltensvorschlag des Anstifters übereinstimmen müssen soll (z. B. Tatobjekt, Tatort, Tatzeit usw.). Denn weder existieren allgemeingültige abstrakte Individualisierungskriterien solcher Art,2973 noch sind sie für das Anstiftungsverhalten als solches von Relevanz. Denn bei der Bestimmung des Anstiftungsverhaltens geht es ja nicht um die Frage, wie konkret der Anstifter sich die präsumtive Tat für den Angestifteten vorstellt, sondern ob er sie im eigenen Interesse

2968 Zutr. hat Puppe (GA 1984, 101 [118, 120]) darauf hingewiesen, dass die h.L. die Rechtsfigur des omnimodo facturus lediglich benötigt, um nicht jede psychische Beeinflussung des Täters als Anstiftung bestrafen zu müssen. 2969 Fall und Zitat nach BGHSt 34, 63 (63 f.). 2970 BGHSt 34, 63 (66 f.). Diese Urteilsbegründung hat Herzberg (JuS 1987, 617 [618]) schlagend ad absurdum geführt: Wenn ein maliziöser Ausländerfeind einen brutalen Schläger dazu dinge, Asylanten zu verprügeln, müsse man nach der ratio decidendi BGHSt 34, 63 eine Anstiftungsstrafbarkeit ablehnen, da ja auch hier die veranlasste Tat lediglich gattungsmäßig bestimmt sei. 2971 Wie Puppe (AT, § 25 Rn. 2) zu Recht anmerkt, ist die Anstiftung ein „erfolgskongruentes Delikt“. 2972 So zutr. etwa Herzberg, JuS 1987, 617 (617 f., 621); Puppe, AT, § 25 Rn. 2 ff.; richtig daher die „Falllösung“ bei Schünemann (in: LK, § 26 Rn. 44), der klarstellt, dass es in dem vom BGH entschiedenen Fall realiter schon an einer gezielten Tataufforderung gemangelt hat. 2973 So zutr. Puppe, AT, § 25 Rn. 5.

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hervorrufen will und wie er dies bewerkstelligt.2974 Der sozial relevante Einfluss des Anstifters auf die präsumtive Haupttatbegehung verhält sich nicht korrelativ zu dem Detailreichtum, mit dem er dem präsumtiven Haupttäter das vorgeschlagene Tatszenario ausmalt, sondern zu der persuasiven Intensität, mit der er diesem die Haupttat als zu realisierende Intention vorstellt! Richtig ist allerdings, dass derjenige, der die fremde Tat im eigenen Interesse auslösen will, dieselbe typischerweise auch hinreichend individualisieren wird, anstatt bloß gattungsmäßige Tatmöglichkeiten aufzuzeigen.2975 Daraus kann man (vielleicht) im Umkehrschluss ableiten, welcher Gedanke den BGH bei der Restriktion des Anstiftungsvorsatzes eigentlich leitet(e): Wer eine Tat bloß gedanklich für einen anderen in Erwägung zieht, ohne rhetorisch weiter und konkreter in ihn einzudringen oder ihn sonst wie zu manipulieren, der hat auch kein Interesse an der Tat, will sie nicht um seiner selbst Willen auslösen. Diese Überlegung führt zu einer weiteren Distinktion, die wir im sozialen Alltag, in der Soziologie und in der Psychologie vornehmen,2976 wenn wir unterscheiden zwischen dem persuasiven Bewirken-Wollen fremder Handlungsentschlüsse und dem bloß informatorischen Aufzeigen(-Wollen) von Handlungsmöglichkeiten: Wer vor einem anderen laut konstatiert, dass schnelles Geld nur durch einen Bank- oder Tankstellenüberfall zu machen sei, der erlebt und interpretiert sein Verhalten nicht als Verführungsstrategie zur Initiierung eines fremden Tatentschlusses, sondern allenfalls als Hinweis (hier sogar nur auf eine allgemein bekannte Erfahrungstatsache2977). Wer dagegen einen anderen durch (subtile oder offene) Überredung oder durch anonymes Tatsachenarrangement zu einer Tat zu bewegen sucht (z. B. indem er ihm Tatzweifel oder Entdeckungsängste argumentativ ausredet, die Tatbegehung sonst wie schmackhaft macht oder aus dem Hintergrund heraus eine Tatgelegenheit arrangiert), der will diesen zum Handeln verführen. Ein solches „persuasives“ Verhalten zielt also stets auf die bewusste Beeinflussung fremder Einstellungen und Verhaltensentscheidungen im eigenen Sinne.2978 Geistiges Verführungsverhalten impliziert daher auch im Strafrecht denknotwendig ein Eigeninteresse, sei es auch nur das Interesse an der Manipulation anderer oder an der Behauptung eigener subjektiver Überzeugungen (Bsp.: „Unzüchtige Ehefrauen gehören körperlich zurechtgewiesen!“). Folglich trifft das Verhaltensfeld der Persuasion unsere vorrechtliche Vorstellung vom Anstifter schon weit eher als die indifferente Verursachungsdoktrin. Nichtsdestotrotz birgt aber auch die Anknüpfung an die Oberkategorie des persuasiven Verhaltens immer noch Schwierigkeiten. Denn auch derjenige, der lediglich einen unverbindlichen Verbrechensvorschlag macht, kann sich zugleich persuasiver 2974

s. der Sache nach bereits Puppe, AT, § 25 Rn. 3 ff. So zutr. Puppe, AT, § 25 Rn. 6. 2976 s. zu diesem Aspekt Amelung, Schroeder-FS (2006), 147 (156). 2977 Weshalb der Hinweisgeber in der vom Judikat BGHSt 34, 63 bestätigten Vorinstanz i.E. zu Recht gänzlich (d. h. auch vom Vorwurf der Beihilfe) freigesprochen wurde. 2978 Vgl. eingehend zum Ganzen Gerrig, Psychologie, 667 ff. 2975

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Techniken bedienen, wie folgendes Beispiel2979 zeigen mag: A, der seinen angeberischen, im teuren Fernurlaub weilenden Nachbarn N über alles hasst, rät dem Einbrecher E, die Urlaubsabwesenheit des N zu einem Einbruchdiebstahl zu nutzen. Hier biete sich, das könne der A als „Szenekenner“ garantieren, ganz kurzfristig und exklusiv die Gelegenheit, einmal ungestört in betuchtem Hause „abzuräumen“; diese einmalige Chance dürfe der E sich keinesfalls entgehen lassen; E nutzt die Chance und macht satte Beute. – Hier dürfte kein Zweifel daran bestehen, dass A bei E eine persuasive Verhaltenstechnik2980 anwendet, um in ihm das Motiv für einen Einbruchdiebstahl auszulösen. Allein deshalb würden wir ihn aber bei unbefangener Betrachtung wohl noch nicht als Anstifter ansehen. Denn zwar will der A den E hier unter persönlichen Entscheidungsdruck setzen, indem er die Einmaligkeit der Chance zum ungestörten „Abräumen“ betont; doch versieht er seinen (deshalb) Verhaltensvorschlag mit keinerlei sozialem Nachdruck. Entsprechendes gilt für eine rein argumentative Tatfürsprache: Wer etwa einen eifersüchtigen Ehemann geschickt dazu aufhetzt, seine untreue Ehefrau zu verprügeln („Das darfst Du der nicht ungestraft durchgehen lassen, sonst tanzt die Dir ewig auf der Nase herum!“), der mag zwar ein geistiger Verführer sein, doch sozialen Nachdruck verleiht er seiner Argumentation (noch) nicht. In noch stärkerem Maße trifft das Fehlen sozialen Nachdrucks auf die Fälle des anonymen Tatsachenarrangements zu: Wer etwa die Tötungsabsicht eines anderen kennt und diesem anonym eine Waffe zuspielt,2981 der will zwar zweifellos den Tatimpuls auslösen, wirkt aber dabei noch nicht einmal argumentativ auf den Geist des präsumtiven Haupttäters ein. Umgekehrt, d. h. aus der Perspektive des präsumtiven Haupttäters, bedeutet dies Folgendes: Wer einem anonymen Tatsachenarrangement „erliegt“, der „(…) fühlt sich wie ein Alleintäter, der Umstand, dass jemand hinter ihm steht, der die Tat wünscht, kommt ihm in keiner Weise zugute (…)“2982. Und auch wer sich vom tatbefürwortenden Ideengut eines anderen geistig infizieren lässt, der macht zwar dieses fremde Gedankengut zu (s)einem Handlungsmotiv, nicht aber (ohne Weiteres) die Sozialbeziehung zum Fürsprecher. Allerdings kennen wir im sozialen Alltag eine Unterklasse des persuasiven Verhaltens, die sich gerade dadurch auszeichnet, dass sie eine soziale Situation zwischen Rhetor und Rezipienten (um-)gestaltet, nämlich die Aufforderung.2983 Diese Sprechaktkategorie wird als „sanktionsträchtige Äußerung eines Handlungswunsches“2984 definiert und erlaubt es daher, die Expression nachdrücklicher Verhaltenserwartungen trennscharf von einer bloß ideellen Beeinflussung abzugrenzen: 2979

Abgewandeltes Fallbeispiel nach Nepomuck, 109 f. A greift gewissermaßen auf das unrechtliche Analogon zu dem altbekannten „Verkaufstrick der künstlichen Verknappung von Waren und Zeit“ (s. dazu Amelung, Schroeder-FS [2006], 147 [168] m.w.N.) zurück. 2981 Beispiel nach Amelung, Schroeder-FS (2006), 147 (147, 160). 2982 So zutreffend Amelung, Schroeder-FS (2006), 147 (163). 2983 s. eingehend zum Ganzen und m.w.N. Amelung, Schroeder-FS (2006), 147 (163 ff.). 2984 Amelung, Schroeder-FS (2006), 147 (164); ähnlich bereits Joerden, Strukturen, 122 f. 2980

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6. Kap.: Die Ausarbeitung der Deliktsgruppen im Einzelnen

„Wer zu einem bestimmten Verhalten aufgefordert wird, muss sich dazu erklären. Weigert sich der Aufgeforderte, eine enttäuschungsfeste Verhaltenserwartung zu erfüllen, so muss er damit rechnen, dass der Auffordernde ihn möglicherweise sanktioniert. Diese Unsicherheit wirkt bereits wie eine Sanktion, die die Freiheit des Aufgeforderten einschränkt, indem sie die ,Schwierigkeit, Nein zu sagen‘ begründet. Sanktionsträchtige Verhaltenserwartungen sind die psychische Grundlage einer normativen Einstellung gegenüber den Mitmenschen. Richten sie sich auf ein Verhalten, das den Erwartungen des Rechts widerspricht, so kann man sie als ,gegennormative‘ Erwartungen bezeichnen.“2985

Mit dem Begriff der Aufforderung ist also eine Verhaltenskategorie gefunden, die die Herstellung oder Aktualisierung einer Sozialbeziehung (genauer: Sozialbindung) zwischen Anstifter und präsumtivem Haupttäter ausdrückt. Ob und inwiefern diese Verhaltenskategorie geeignet und erforderlich ist, die Formalstruktur einer Anstiftung vorzuzeichnen, wird nachfolgend unter verhaltensnormteleologischen Gesichtspunkten genauer zu untersuchen sein. b) Verhaltensnormteleologische Fundierung des Begriffs der Aufforderung als sozialontologische Strukturvorgabe der Anstiftung Erinnern wir uns zunächst zurück an die verhaltensnormteleologische Begründung für die Ausdifferenzierung täterschaftlicher und teilnehmerschaftlicher Verhaltensnormen: Unmittelbar rechtsgüterschützende (= täterschaftliche) Verhaltensnormen können immer nur soweit greifen, wie der Wille, dem verboten wird, nach seinem Handlungsprogramm (selbst, über den Kopf eines anderen hinweg oder mit einem anderen gemeinschaftlich handelnd) auf das Rechtsgut zugreifen will. Deshalb müssen Programme, die das Verhalten eines anderen gerade in seiner Qualität als fremdes Rechtsgutszugriffserlebnis zur Erfolgsherbeiführung einplanen, von separaten, flankierenden (= sekundären), Teilnahmeverbotsnormen untersagt werden. Kurzum: Die beteiligungsrechtliche Verhaltensnormdifferenzierung beruht nicht auf realontologischen Erwägungen, insbesondere nicht auf einer abstrakt-generellen Unterscheidung nach Erfolgsnähe oder -wahrscheinlichkeit (wie sie die Tatherrschaftsdoktrin im Ansatz bei der eigenkörperlichen Handlungsherrschaft immer noch impliziert!), sondern auf der Differenz im propositionalen Programmgehalt: Entscheidend ist nicht, ob der Akteur die Tatbestandsverwirklichung (faktisch oder normativ) in der Hand hat, sondern was er nach seinem (insofern tauglichen) Programm will! Dieses Axiom von der Differenzierung nach dem propositionalen Programmgehalt muss dann aber selbstverständlich auch für die Unterscheidung der Teilnahmeverhaltensnormen untereinander gelten, d. h. es muss die Handlungsunwerts- und Strafwürdigkeitsdifferenz zwischen Anstiftung und Beihilfe erklären (können). Wie dies geschehen kann, wird im Laufe der nachfolgenden (Kurz-)Analyse sub dd) noch zu zeigen sein. Zunächst ist jedoch sub aa) bis cc) aufzuzeigen, dass und warum die traditionell verfochtenen Oberbegriffe der Anstiftung verhaltensnormteleologisch nicht überzeugen können. 2985

Amelung, Schroeder-FS (2006), 147 (176 f.).

A. Täterschaft bei den allgemeinen vorsätzlichen Begehungsdelikten

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aa) Anstiftung als Verursachung des Tatentschlusses Definiert man Anstiftung (objektiv-tatbestandlich) als das Hervorrufen oder Verursachen des Haupttatentschlusses, so legt man verhaltensnormtheoretisch betrachtet ein objektiv-rechtliches Verursachungsverbot zugrunde, d. h. eine reine Bewertungsnorm ex post.2986 Bezieht man nun dieses Verbot auf die Entscheidungssituation des Pflichtadressaten ex ante, so wird diesem schlechthin jedes Verhalten verboten, das zur Erregung eines fremden Tatentschlusses geeignet ist, d. h. jede Persönlichkeitsäußerung, die den präsumtiven Haupttäter auf die Idee einer Tatbegehung bringen könnte. Dass ein solches Totalverdikt die Handlungsfreiheit des Adressaten unverhältnismäßig weit einschränkte, liegt auf der Hand. Das Problem lässt sich auch nicht etwa dadurch beseitigen, dass man die in der Rechtsprechung herangezogenen subjektiven Einschränkungskriterien2987 zur Voraussetzung der individuellen Unterlassungspflicht des Anstifters macht. Denn selbst wenn man die Verpflichtungswirkung des Verursachungsverbots von der Vorstellung einer nach bestimmten Individualisierungskriterien (z. B. Tatobjekt, Tatort, Tatzeit) konkretisierten Tatbestandsverwirklichung abhängig machte, wäre dem Adressaten in der Entscheidungssituation ex ante damit wenig geholfen, kann er doch nicht wissen, welche Kriterien bzw. welcher Individualisierungsrad im Nachhinein konkret für ausschlaggebend erklärt wird;2988 aus einem wegen unverhältnismäßigen Eingriffs in die allgemeine Handlungsfreiheit (Art 2 I GG) verfassungswidrigen Totalverbot würde lediglich ein unbestimmtes und daher gegen den allgemeinen Bestimmtheitsgrundsatz (Art. 103 II GG) verstoßendes Verbot.2989 Mithin kann das kausale Bewirken des Tatentschlusses nicht Gegenstand einer rechtlich sinnvollen bzw. verhältnismäßigen Verhaltensnorm sein. Verhaltensnormen knüpfen an konkrete vorrechtliche Verhaltenstypen an und nicht an einen nivellierend-abstrakten Begriff der personalen Erfolgsverursachung, der erst durch das Herantragen spezifischer juristischer Zurechnungskategorien (= objektive Zurechnung, subjektive Zurechnung, beteiligungsrechtliche Zurechnung) stufenweise mit Sinn angereichert wird! Davon abgesehen schwebt ein überschießender Vorsatzgegenstand, wie er für die Anstiftung der Sache nach postuliert wird in Gestalt einer bestimmten Haupttatindividualisierung, nicht nur dogmatisch frei in der Luft,2990 2986 Zu den Kalamitäten, die eine solche Normfassung allgemein birgt, s. bereits die obige Auseinandersetzung mit der Normentheorie Kindhäusers, S. 249 ff.; krit. speziell unter dem Gesichtspunkt der Anstiftung auch Renzikowski, in: Maurach/Gössel/Zipf, AT/2, § 50 Rn. 13. 2987 s. dazu nochmals BGHSt 34, 63 (66 f.). 2988 s. dazu BGHSt 34, 63 (67): „Welche zur Tatindividualisierung tauglichen Merkmale jeweils erforderlich sind, entzieht sich einer generell-abstrakten Bestimmung und kann nur nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalles entschieden werden.“ 2989 Ebenso aus dem Blickwinkel des strafrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatzes etwa Roxin, AT/II, § 26 Rn. 141. 2990 Wie Puppe (AT, § 25 Rn. 2) zu Recht anmerkt, ist die Anstiftung ein „erfolgskongruentes Delikt“.

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6. Kap.: Die Ausarbeitung der Deliktsgruppen im Einzelnen

sondern ist auch unbestimmt.2991 Selbst wenn aber rechtssichere Parameter einer übertatbestandlichen Haupttatindividualisierung existierten, wäre sub specie Rechtsgüterschutz (und damit verhaltensnormteleologisch) nicht plausibel zu machen, warum gerade sie das schwerere Handlungsunrecht der Anstiftung begründen sollten. bb) Anstiftung als Verursachung des Tatentschlusses durch kommunikative Beeinflussung Das „nackte“ Verursachungsverbot lässt sich verhaltensnormtheoretisch auch nicht dadurch retten, dass man dem Anstifter „nur“ die (offene) kommunikative Beeinflussung2992 des präsumtiven Haupttäters untersagt. Denn auch ein solches Verbot müsste ohne weitere Konturierung konsequenterweise auf das Verdikt hinauslaufen, andere durch geistige Berührung irgendwie mit deliktischen Ideen zu infizieren,2993 was offensichtlich immer noch eine unverhältnismäßige Einschränkung der Handlungsfreiheit bedeutete. Davon abgesehen wäre die Verengung des Anstiftungsverbots gerade auf ein zur Entschlusserregung geeignetes Kommunikationsverhalten auch verhaltensnormteleologisch nicht legitimierbar, da die Herausnahme des anonymen Tatsachenarrangements unter dem Aspekt des Rechtsgüterschutzes nicht einleuchtet.2994 Nach alledem kann es verhaltensnormtheoretisch auch kein allgemeines Verbot der kommunikativen Beeinflussung geben. cc) Anstiftung als persuasives Verhalten Ein allgemeines Verbot persuasiven Verhaltens, d. h. jeglichen Verhaltens, das eine Verführungsstrategie im Hinblick auf die Erregung fremden Tatentschlusses 2991

Puppe, AT, § 25 Rn. 5. So aber die wohl (noch) h.L.; s. nur Amelung/Boch, JuS 2000, 261 (262 f.); Rogall, GA 1979, 11 (12); Welzel, Strafrecht, 16 II 1 (S. 116); Otto, AT, § 22 Rn. 32 ff. (35); Schmidhäuser, AT, 10/110 ff. (113); Jescheck/Weigend, AT, § 64 II 2a (S. 687); Stratenwerth/Kuhlen, § 12 Rn. 143; Sowada, Jura 1994, 37 (41); B.-D. Meyer/Loer, Jura 1999, 424 (426); Fischer, § 26 Rn. 3. – Neuerdings wird jedoch im Anschluss an Joerden (Strukturen, 119 ff.; Puppe-FS (2011), 563 [568 ff.]) und Amelung (Schroeder-FS [2006], 147 [169 ff.]) zunehmend auf das Strukturmerkmal einer (qualifizierten) Tataufforderung rekurriert; s. etwa Nepomuck, Anstiftung, 167 ff.; Heine/Weißer, in: Schönke/Schröder, § 26 Rn. 3 f.; Schild, in: NK, § 26 Rn. 6; Schünemann, in: LK, § 26 Rn. 15; Renzikowski, in: Maurach/Gössel/Zipf, AT/2, § 51 Rn. 18 ff.; Stratenwerth/Kuhlen, AT, § 12 Rn. 143. 2993 Damit ist nicht behauptet, dass die für das Erfordernis eines Kommunikationsaktes plädierenden Autoren bereits jede geistige Einflussnahme für eine Anstiftung ausreichen ließen. Gerade dies verdeutlicht aber das grundlegende Problem, das im Fehlen eines sachlogisch und teleologisch fundierten Konkretisierungskriteriums besteht (s. dazu schon Schlüchter/ Duttge, NStZ 1997, 595 [595]). Demnach legt auch die Lehre vom geistigen Kommunikationsverhalten jedenfalls ein unbestimmtes Verdikt zugrunde. 2994 Der Sache nach ebenso schon Widmaier, JuS 1970, 241 (242 f.); Herzberg, JuS 1976, 40 (41); Puppe, GA 1984, 101 (102). 2992

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ausdrückt,2995 erschiene dagegen auf den ersten Blick möglich. Immerhin wüsste der Adressat hier in der Entscheidungssituation ex ante, dass er ein Verhalten zu unterlassen hat, das sich als taugliche Verführungsstrategie im Hinblick auf die Erregung fremden Tatentschlusses darstellt. Verboten wären „nur“ solche Programme, die den Willen ausdrücken, fremden Tatentschluss zu wecken. Allerdings wäre bei näherem Hinsehen auch diese Verbotsnormfassung verfassungsrechtlich nicht zu halten. Denn der Wille zur Erregung fremden Tatentschlusses hat – anders als der Wille zum originären Rechtsgutszugriff – keine verobjektivierbare Formalstruktur der Betätigung, d. h. der persuasive Sinngehalt eines Sprechakts lässt sich nicht intersubjektiv verbindlich festlegen.2996 Sofern der Sprecher nur weiß, „welche Knöpfe“ er beim Adressaten „drücken“ muss, existieren unzählige zur ideellen Verführung geeignete Sprechakte, die angesichts der grundgesetzlichen Garantie des freien Wortes (Art. 5 II GG) nicht (ohne Weiteres) Gegenstand eines – strafbewehrten (!) – rechtlichen Verbots (nicht einmal des Beihilfeverbots!) sein können und dürfen, denn: „Gerade wenn man das freie Wort aber für konstitutiv für eine Gesellschaft hält, wie es – grundsätzlich mit Recht – das BVerfG tut, (…) muss man besonders streng in den Anforderungen an Tatbestände sein, die die Grenzen des ,freien Wortes‘ bei (Kriminal-)Strafe definieren sollen – trotz Art. 5 II GG. Die Konzeption der ,Schranken-Schranken‘ verlangen [sic!] eine klare Manifestation des Unrechts.“2997

Angesichts dessen wäre ein allgemeines Verbot jeglichen subjektiven Verführungsverhaltens also ebenfalls unverhältnismäßig. dd) Anstiftung als sanktionsträchtige Tataufforderung Geht man hingegen wie hier davon aus, dass das Anstiftungsverbot sanktionsträchtige Tataufforderungen (im weitesten Sinne) untersagt, so ist damit ein sozialontologisch vorkonkretisierter Verbotsgegenstand gefunden, der den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Aufstellung freiheitsbeschränkender Verhaltensnormen genügt: Verboten wird ausschließlich ein Verhalten, das sich seiner For-

2995

s. zu einer solchen Handlungsunrechtsbestimmung etwa nur BGH GA 1980, 183 (184): „Entscheidend ist jedoch stets, ob der Anstifter mit seiner Handlungsweise auf den Willen des Täters im Sinne einer Bestimmung zur Tat einwirken will oder wenigstens diese Einwirkung für möglich hält und sie für diesen Fall billigt (…)“. 2996 So zutr. Paeffgen, Hanack-FS (1999), 591 (608). 2997 Paeffgen, Hanack-FS (1999), 591 (607). – Zur Klarstellung: Der zitierte Passus war a.a.O. nicht auf die Anstiftung bezogen, sondern auf das Handlungsunrecht des § 111 (= Öffentliche Aufforderung zu Straftaten). Inhaltlich lässt sich der Gedankengang jedoch ohne Weiteres auf das Verbot der Anstiftung übertragen, da natürlich auch dieses die Grenzen des freien Wortes definiert.

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malstruktur2998 nach als (im weitesten Sinne) sanktionsträchtige Tataufforderung darstellt, d. h. als kommunikativ vermittelter Ausdruck einer enttäuschungsfesten unrechtlichen Handlungserwartung. Da eine solche Aufforderung ausdrücklich oder konkludent sozialen Nachdruck impliziert und implizieren soll, entfällt zunächst das Problem einer möglichen Unverhältnismäßigkeit: Das Verbot, andere durch sanktionsträchtige Verhaltensaufforderung zu unrechtlichem Handeln bewegen zu wollen, schränkt die Handlungsfreiheit nicht ungebührlich weit ein. Auch das Problem der unbegrenzten Vielfalt von Persuasionstechniken stellt sich hier nicht in gleicher Intensität wie bei einer Anknüpfung an persuasives Verhalten allgemein. Denn wer einen anderen wissen lassen will, dass er etwas von ihm verlangt, wird dies entweder durch einen unmissverständlichen Verhaltensappell tun oder aber den Aufforderungscharakter seiner vorgeblichen „Bitte“ irgendwie „zwischen den Zeilen“ durchscheinen lassen. Richtig ist zwar, dass die konkludente Vermittlung von Aufforderungssinn an subtilere, parasprachliche Ausdrucksformen gebunden ist, insbesondere an die Art der Betonung des Gesagten sowie an die begleitende Mimik und Gestik.2999 Für diese schwächeren Ausdrucksformen existiert also kein eindeutiger intersubjektiv vermittelbarer Interpretationsmaßstab, weshalb sie per se nicht ohne Weiteres mit einer bestimmten Intentionalität belegt werden können.3000 Allerdings verliert das Problem deutlich an Schärfe dadurch, dass solche subtileren Ausdrucksformen typischerweise in sozialen Kontexten eingesetzt werden, in denen ohnehin persistente normative Erwartungshaltungen existieren, die dem Aufgeforderten bekannt sind (z. B. in engeren Sozialbeziehungen oder in alltäglichen Subordinationsverhältnissen). Demnach kann im Zweifel aus dem konkreten Sozialkontext heraus auf den Aufforderungscharakter geschlossen werden. Amelung3001 hat das Gesagte in zwei forensische Entscheidungsregeln gegossen: „Kann festgestellt werden, dass der Hintermann sprachlich einen sanktionsträchtigen Appell formulierte, so muss der Kontext außergewöhnliche Umstände aufweisen, wenn unter Berufung auf ihn und trotz des Wortlauts noch eine Anstifterhandlung verneint werden soll. Denn der Sprecher bediente sich eines gewöhnlichen Kommunikationsmittels, als er seine Äußerungen tat. Diese Regel findet auf der Gegenseite keine Entsprechung. Wer in der Umgangssprache einen Handlungswunsch formuliert, der keine Aufforderung darstellt („Würdest Du vielleicht? …“) kann schon wegen irgendwelcher Anhaltspunkte im Kontext seiner Worte doch als Auffordernder behandelt werden. Denn es ist eine verbreitete Praxis, oft sogar ein Gebot der Höflichkeit, wortwörtliche Aufforderungen zu vermeiden. Das ist möglich, wo die Worte in einem Kontext gesprochen werden, in dem der Sprecher sicher sein kann, dass sie trotz ihrer abweichenden Bedeutung als Aufforderung verstanden werden.“ – 2998

Das Verdienst, die Anstiftung erstmals ausdrücklich ihrer Formalstruktur nach analysiert und damit einer recht verstandenen Aufforderungsdoktrin zum Durchbruch verholfen zu haben, gebührt Amelung, Schroeder-FS (2006), 147 (156 ff.). 2999 Paeffgen, Hanack-FS (1999), 591 (607). 3000 Paeffgen, Hanack-FS (1999), 591 (608). 3001 Schroeder-FS (2006), 147 (169).

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Demnach ist also auch nonverbal vermittelter Sprachsinn durchaus einer rechtlichen Verhaltensregelung zugänglich: Dem Verhaltenspflichtadressaten werden Sprechakte verboten, die kontextuell nur als Expression einer enttäuschungsfesten Verhaltenserwartung verstanden werden können. Auf diese Weise ist dem Problem des nicht per se festliegenden Bedeutungsgehalts von Sprache jedenfalls in dem Umfang begegnet, der für die Einhaltung des grundgesetzlichen Bestimmtheitsgebots erforderlich ist. Insgesamt ist daher zu konstatieren, dass ein (allgemein) rechtliches Verbot sanktionsträchtiger Tataufforderungen den verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine Verhaltensnormerrichtung genügt. Damit erhebt sich die weitere Frage, ob und inwiefern der Begriff der Aufforderung dazu taugt, das Anstiftungsverbot unter dem Aspekt des Rechtsgüterschutzes teleologisch sinnvoll vom Beihilfeverbot abzuschichten. Amelung, der den Sprechakt der Aufforderung unter diesem Gesichtspunkt wohl am eingehendsten analysiert hat, ist der Ansicht, sanktionsträchtige Tataufforderungen müssten deshalb eine schärfere Regelung erfahren als andere Mitwirkungsakte, weil die Schaffung einer sanktionsträchtigen Situation die Chance des Hintermannes erhöhe, dass der Vordermann die ihm angesonnene Tat begehe.3002 Danach beruht die exponierte Stellung des Anstiftungsverbots in der Sache darauf, dass sanktionsträchtige Tataufforderungen die Haupttatbegehung im Verhältnis zu anderen, weniger nachdrücklichen Mitwirkungsformen abstrakt gesehen relativ wahrscheinlicher machen. Das ist in dieser Abstraktheit zwar nicht unbedingt falsch, trägt aber die verhaltensnormteleologische Differenzierung nicht, denn letztlich erfasst jede Beteiligungsform (selbst die unmittelbare Täterschaft!) das gesamte Spektrum von objektiv weniger gefährlichen Handlungen bis hin zu (fast) erfolgssicheren Handlungen.3003 Eine auf das Merkmal der sanktionsträchtigen Tataufforderung gestützte Abschichtung des Anstiftungsverbots lässt sich also jedenfalls nicht einseitig realontologisch begründen. Vielmehr ist auch die Abspaltung des Anstiftungsverbots sozialontologisch bedingt: Wer gegenüber dem präsumtiven Haupttäter eine enttäuschungsfeste unrechtliche Verhaltenserwartung äußert, der weiß, dass er eine taugliche Strategie zur Erregung eines von seinem Willen abhängigen Tatentschlusses betätigt. Dies erfordert und rechtfertigt es, die sanktionsträchtige Tataufforderung separat zu verbieten und das betreffende Verbot mit täterverbotsgleicher Dringlichkeit3004 auszustatten: Wer fremde Tatbegehung als Erfüllung eines eigenen unrechtlichen Handlungswunsches will, der muss als potentieller „Entscheidungsherr“3005 über den 3002

Schroeder-FS (2006), 147 (162 f.). So zutr. Stein, Beteiligungsformenlehre, 164, 182 ff.; Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 282; Nepomuck, Anstiftung, 76 f., 151 f. 3004 Zur Klarstellung: Es handelt sich hier nicht bloß um eine Angleichung an die Dringlichkeit des Täterverbots, sondern um eine aus dem Gegenstand des Anstiftungsverbots selbst folgende Dringlichkeitsbestimmung sub specie Rechtsgüterschutz! 3005 s. zum beschreibenden „Prinzip der Entscheidungsherrschaft“ Nepomuck, Anstiftung, 85 ff. 3003

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6. Kap.: Die Ausarbeitung der Deliktsgruppen im Einzelnen

Eintritt der Rechtsgutsverletzung mit dem gleichen Nachdruck von seinem Tun abgehalten werden wie derjenige, der die Rechtsgutsverletzung als eigene intentionale Handlung will. Denn wie der mittelbare Täter, so betätigt auch der Anstifter ein Programm, das durch die Vermittlung eines typischerweise unersetzbaren Tatanreizes bei übergeordnetem Tatinteresse gekennzeichnet ist.3006 c) Tatbestandsexegetische Fundierung des Begriffs der Aufforderung als Bestimmungsmerkmal der Anstiftung Die vorstehenden Überlegungen haben gezeigt, dass ein Verständnis der Anstiftung als sanktionsträchtige Tataufforderung geeignet ist, die Sonderstellung der Anstiftung unter den Teilnahmehandlungen verhaltensnormteleologisch hinreichend zu erklären. Damit bleibt jetzt „nur“ noch aufzuzeigen, dass und warum dieses Anstiftungsverständnis auch der lex lata des § 26 zugrunde liegt bzw. liegen muss. Betrachtet man insofern zunächst den Wortlaut des strafgesetzlichen Anstiftungstatbestandes, so wird man unter einem „Zur-Tat-Bestimmen“ jedenfalls nach traditionellem Sprachgebrauch mehr verstehen müssen als das „nackte“ Verursachen des Tatentschlusses (sei es durch kommunikative Beeinflussung, sei es durch anonymes Tatsachenarrangement) oder irgendein persuasives Kommunikationsverhalten.3007 Denn soweit das lexikalische Bedeutungsfeld der Beeinflussung menschlichen Verhaltens betroffen ist, wird „Bestimmen“ herkömmlicherweise übersetzt mit Begriffen der präskriptiven Sprache3008 wie „befehlen“, „anordnen“, „verfügen“ oder „entscheiden“ – mit Begriffen also, in denen ein verbindliches Auffordern (kraft institutioneller Autorität) bereits mitgedacht ist.3009 Daneben finden sich freilich auch weniger randscharfe lexikalische Bedeutungen wie „bewirken, dass jemand etwas tut“ oder „ausschlaggebend beeinflussen“,3010 also neutralere Synonyma, die noch dem allgemeinen Oberbegriff persuasiver Kommunikation entsprechen.3011 Demnach deckt der Begriff „Auffordern“ wohl nicht den gesamten 3006

So zutr. Nepomuck, Anstiftung, 82 f., der allerdings die „Anstiftungsspezifika“ des typischerweise unersetzbaren Tatanreizes (a.a.O., 58 ff.) und des übergeordneten Tatinteresses (a.a.O., 65 ff.) genuin strafrechtsteleologisch herzuleiten unternimmt. 3007 I.d.S. zutr. etwa Puppe, AT, § 25 Rn. 3; Renzikowski, in: Maurach/Gössel/Zipf, AT/2, § 51 Rn. 16 ff. (18); s. tendenziell auch Nepomuck, Anstiftung, 99. 3008 Auch Renzikowski (in: Maurach/Gössel/Zipf, AT/2, § 51 Rn. 18) weist zutr. darauf hin, dass der Begriff des „Bestimmens“ das Erfordernis einer präskriptiven Sprache ausdrückt (unter Verweis auf die inhaltlichen Ausführungen Joerdens, Puppe-FS [2011], 563 [568 ff.]); diese sprachwissenschaftliche Sichtweise wurde jüngst von Redmann (Anstiftung, 93 ff.) umfassend ausgearbeitet; insofern übereinstimmend auch Jakobs, AT, 22/22. 3009 Amelung, Schroeder-FS (2006), 147 (174). 3010 Amelung, Schroeder-FS (2006), 147 (174). 3011 Zurückhaltender mit dem Wortlautargument daher noch Puppe, GA 1984, 101 (102), seinerzeit unter Berufung auf Widmaier, JuS 1970, 241 (243) und Meyer, JuS 1970, 529 (529 f.); s. auch Herzberg, JuS 1976, 40 (41); Küpper, JuS 1996, 23 (25); im Ausgangspunkt auch Nepomuck, Anstiftung, 57.

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lexikalischen Bedeutungsumfang des Wortes „Bestimmen“ ab.3012 Nichtsdestotrotz kann aber konstatiert werden, dass eine Beschränkung auf Aufforderungen den traditionellen lexikalischen Bedeutungsgehalt von „Bestimmen“ trifft und dem Gesetzeswortlaut dadurch eine sinnvolle Kontur verleiht.3013 Aus methodischer Sicht bedeutet die Aufforderungslehre zwar wohl dennoch eine legitimationsbedürftige Einschränkung des Gesetzeswortlauts. Doch streitet bereits die gesetzessystematische Auslegung für ein Verständnis der Anstiftung als Aufforderung, wie ein Vergleich mit dem Handlungsunrecht des § 111 (= Öffentliche Aufforderung zu Straftaten) ostentativ belegt: Das abstrakte Gefährdungsdelikt des § 111 sanktioniert der allgemeinen Handlungsform nach3014 die gleiche Verhaltensnorm wie der erfolgsbezogen formulierte Anstiftungstatbestand (= das Verbot eines appellativen Verhaltens).3015 Folglich muss der in § 111 verwendete Begriff „Auffordern“ die gleiche Handlungsform bezeichnen wie der Begriff „Bestimmen“ in § 26, nur eben in einem anderen, früheren Stadium ihres Vollzugs. Sprechakttechnisch betrachtet beschreibt der Begriff „Auffordern“ in § 111 also (auch) ein erfolgsfreies „Bestimmen“ i.S.d. § 26.3016 Der Tatbestand des § 111 ist daher „(…) ein Ort, an dem der Gesetzgeber deutlich zu erkennen gibt, dass er in der Anstiftung eine Aufforderung sieht“3017. Dieses Ergebnis wird bestätigt durch die gesetzesgenetische Auslegung: § 48 StGB a.F., dessen Regelungsgehalt der Sache nach im heutigen § 26 fortwirkt,3018 zählte die typischen Anstiftungsmittel noch beispielhaft auf. Besieht man sich die Aufzählung in § 48 I StGB a.F. näher, so fällt auf, dass die ersten drei Varianten („Geschenke oder Versprechen“, „Drohung“, „Missbrauch des Ansehens oder der Gewalt“) jeweils Mittel einer ausdrücklichen (positiven oder negativen) Sanktionsbewehrung bzw. der hintergründigen Erzeugung von sozialem Handlungsdruck regeln.3019 Dies wiederum legt bei intrasystematischer Betrachtung den Schluss nahe, dass auch eine Irrtumserregung bzw. -förderung i.S.v. § 48 I Var. 4 nur dann als Anstiftungsmittel einzuordnen war, wenn sie zur Durchsetzung eines eigenen

3012

Amelung, Schroeder-FS (2006), 147 (174). Ähnlich Amelung, Schroeder-FS (2006), 147 (174). 3014 Inhaltlich muss die „Aufforderung“ i.S.d. § 111 natürlich nach oben gegenüber der „Aufforderung“ i.S.d. § 26 abgegrenzt werden (s. dazu Paeffgen, Hanack-FS [1999], 591 [602]), was hier vor allem dadurch geschieht, dass für die Aufforderung i.S.d. § 111 keine Sanktionsträchtigkeit verlangt wird. 3015 Grundlegend dazu Paeffgen, Hanack-FS (1999), 591 (591 ff.). 3016 Ebenso, wenngleich etwas weniger dezidiert, Amelung, Schroeder-FS (2006), 147 (174); ähnlich Redmann, Anstiftung, 191 f. 3017 So zutr. Amelung, Schroeder-FS (2006), 147 (175). 3018 s. dazu die Motive zu § 30 E 1962, BT-Drucks. IV/650, 150. 3019 Ähnlich Nepomuck, Anstiftung, 100; ebenso schon Puppe, GA 1984, 101 (114), freilich im Zuschnitt auf ihr eigenes Anstiftungskriterium des „Unrechtspaktes“; s. auch bereits Schulz, Bestrafung, 141. 3013

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nachdrücklichen Handlungswunsches diente.3020 Liest man § 48 StGB a.F. so, dann beschrieb die Norm ausnahmslos Mittel zur Durchsetzung einer eigenen (ausdrücklichen oder konkludenten) Tataufforderung. Die Erstreckung der Anstiftung auf sonstige gleichwertige Mittel in § 48 I Var. 5 StGB a.F. („oder durch andere Mittel“) wäre bei dieser Lesart dahingehend zu verstehen (gewesen), dass das konkret gewählte Mittel als solches irrelevant war, sofern es nur dazu diente, einen enttäuschungsfesten unrechtlichen Handlungswunsch zu transportieren. Demnach spricht vieles dafür, § 48 StGB a.F. als eine beschreibende Regelung über die typischen Mittel zur Durchsetzung eines eigenen nachdrücklichen Handlungswunschs zu verstehen3021 – an der sich durch die Auslassung nämlicher Beschreibungstechnik in § 26 inhaltlich nichts geändert hat. Mithin streitet neben der Gesetzessystematik auch die Entstehungshistorie für ein Verständnis der Anstiftung als sanktionsträchtige Tataufforderung. Dieses Auslegungsergebnis wird untermauert durch eine strafzweckrationale Betrachtung: Wer einem anderen eine eigene unrechtliche Handlungserwartung ansinnt und diese interpersonal durchsetzt, der vermittelt durch sein übergeordnetes Tatinteresse einen typischerweise unersetzbaren Tatanreiz und verdient daher als treibende Kraft des deliktischen Verletzungsgeschehens tätergleiche Bestrafung.3022 Damit ist auch der ratio legis des Anstiftungstatbestandes genüge getan. Insgesamt lässt sich nach alledem festhalten, dass bereits der Wortlaut des § 26 („Bestimmen“) tendenziell für ein restriktives Verständnis der Anstiftung i.S.v. „Auffordern“ spricht, dass aber insbesondere die gesetzessystematische, historische und strafrechtsteleologische Auslegung ein solches Verständnis nahelegen. d) Weitergehende Restriktionsansätze in der Literatur Die vorstehende Analyse hat gezeigt, dass eine Definition der Anstiftung als sanktionsträchtige Tataufforderung sowohl in verhaltensnormteleologischer als auch in strafzweckrationaler Hinsicht überzeugt und der lex lata entspricht. Insbesondere erklärt eine solche Handlungsunrechtsbestimmung unter den Gesichtspunkten des Rechtsgüterschutzes und der Dringlichkeit des Strafeinsates die Nähe der Anstiftung zur (mittelbaren) Täterschaft und damit die Erforderlichkeit einer tätergleichen Strafandrohung. Vor diesem Hintergrund ist es teleologisch von vornherein unangebracht, das Handlungsunrecht der Anstiftung noch über das Erfordernis der sanktionsträchtigen Tataufforderung hinausgehend restringieren zu wollen. Kon-

3020 Die im Wortlaut weitergehende Formulierung des § 48 I Var. 4 a.F. („Herbeiführung oder Beförderung eines Irrtums“) beruht allein auf dem historischen Umstand, dass zur Entstehungszeit des § 48 StGB a.F. die Anstiftung noch nicht hinreichend klar von der mittelbaren Täterschaft geschieden wurde (s. eingehend dazu Maiwald, Schroeder-FS [2006], 283 [292]; Redmann, Anstiftung, 145 f.). 3021 In der allgemeinen Tendenz auch bereits Nepomuck, Anstiftung, 100. 3022 Eingehend zum Ganzen Nepomuck, Anstiftung, 58 ff., 65 ff., 85 ff.

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zepte in der strafrechtswissenschaftlichen Literatur, die dieses Ziel verfolgen, sind daher bereits im Ansatz abzulehnen. Das gilt zunächst für Puppes3023 scharfsinnige Lehre vom „Unrechtspakt“, die für das Handlungsunrecht der Anstiftung eine quasi-rechtsgeschäftliche Unrechtsabrede zwischen Anstifter und Haupttäter verlangt, die Letzteren faktisch binden und ihm dadurch das Aufgeben des Tatplans erschweren soll. Danach weist die Anstiftung eine ähnlich schwache Kausalbeziehung zum Erfolg auf wie die Mittäterschaft.3024 Diese Schwäche müsse daher wie bei der Mittäterschaft durch das Erfordernis eines Unrechtspaktes kompensiert werden.3025 Dadurch werde die Anstiftung in der Sache der Mittäterschaft angenähert.3026 – Geht man von der Prämisse einer prinzipiell schwächeren Kausalbeziehung aus, so kann man dieser Lehre ihre innere Stringenz nicht absprechen: Wie für die mittelbare und die Mittäterschaft eine rechtliche Beziehung des Hintermannes bzw. Einzelkomplizen zum (Mit-)Ausführenden formuliert werden muss, so muss auch für die Anstiftung eine solche Beziehung formuliert werden.3027 Und da – so die Überlegung – die Anstiftung der Mittäterschaft in der relativen Schwäche der Kausalbeziehung zum Erfolg gleichsteht, ohne dass der Anstifter die Tatausführung mitbeherrscht, muss die Anstiftung mindestens das Kollusionskriterium der Mittäterschaft erfüllen.3028 Damit ist Puppes Lehre auf der Grundlage ihres Axioms beteiligungssystematisch konsistent; der Fehler kann nur im Axiom selbst liegen. Das ist jedoch bei näherem Hinsehen auch der Fall, denn es ist bereits im Ansatz unmöglich, die (komplexen) Beteiligungsformen erststufig nach der Stärke ihrer Kausalbeziehung zum Erfolg abzugrenzen: Dass die Kausalbeziehung bei Mittäterschaft und Anstiftung nicht eindeutig determiniert ist, trifft zwar zu. Gleiches gilt aber auch für die mittelbare Täterschaft,3029 die gerade keinen Unrechtspakt erfordert. Das sieht natürlich auch Puppe, die darin jedoch keine Ungereimtheit erblickt; denn immerhin ließen sich ja für die mittelbare Täterschaft aus der Natur der Sache heraus doch noch solidere Wahrscheinlichkeitsregeln einer Geschehensentwicklung aufstellen als für die Anstiftung.3030 Diese Hypothese ist jedoch schon allein deshalb fragwürdig, weil die allgemeine Lebenserfahrung zeigt, dass fremde Unrechtsentschlüsse nicht prinzipiell schlechter (oder oft sogar besser) ausrechenbar sind als 3023

GA 1984, 101 (111 ff.); dies., NStZ 2006, 424 (424 ff.); dies., AT, § 25 Rn. 3 f. GA 1984, 101 (111 f.); NStZ 2006, 424 (425). 3025 GA 1984, 101 (112); NStZ 2006, 424 (425). 3026 GA 1984, 101 (113); zur innersystemischen Notwendigkeit einer voraussetzungsmäßigen Annäherung der Anstiftung an die Tatherrschaft auf dem Boden der herrschenden Unrechtsdogmatik s. Paeffgen, Hanack-FS (1999), 591 (595 ff.). 3027 s. dazu schon die Gesetzgebungsmotive, BT-Drucks. IV/650, 150: „Kennzeichnend für die Anstiftung ist nicht das Mittel, sondern das Verhältnis zu demjenigen, der die Tat ausführt.“ 3028 Puppe, GA 1984, (101) 112 f. 3029 Stein, Beteiligungsformenlehre, 184 f., 186. 3030 I.d.S. Puppe, GA 1984, 101 (108 f.). 3024

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sonstige Verhaltensentschlüsse.3031 Davon abgesehen ist aber eine Unterscheidung der Beteiligungsformen auf Basis abstrakt-genereller Erfolgswahrscheinlichkeitsaussagen ohnehin nicht möglich, da jede Beteiligungsform das gesamte Spektrum an Erfolgswahrscheinlichkeiten abdeckt.3032 Damit aber fällt die Ausgangsprämisse der Lehre vom Unrechtspakt und mit ihr ihre beteiligungssystematische Fundierung: Bei der Bestimmung des Anstiftungsunrechts geht es nicht darum, eine ungleich schwächere Kausalbeziehung zum Erfolg durch das Erfordernis einer mittäterschaftsgleichen Tatzusage zu kompensieren, sondern darum, die Beziehung zwischen Anstifter und präsumtivem Haupttäter ihrem sozialontologischen „Wesensgehalt“ nach zu bestimmen.3033 Ebenso, wie die drei gesetzlichen Täterschaftsformen genuin handlungstheoretisch bestimmt werden müssen anhand ihrer Qualität als (einfaches oder komplexes, ich- oder wir-)intentionales Rechtsgutszugriffserlebnis, so muss auch die Anstiftung ihrer handlungstheoretischen Formalstruktur nach bestimmt werden als sanktionsträchtige Tataufforderung! Dieser „natürliche“, weil alltagsontologisch fundierte, Grundansatz muss jedoch dem Puppe’schen Restriktionsansatz nicht zwingend zuwiderlaufen. Denn eigentlich klingt er schon bei Puppe selbst an, wie nachfolgendes Zitat belegen mag: „Wenn der Hehler dem Berufseinbrecher vorschlägt, ihm genau bestimmte Wertsachen zu ,beschaffen‘, und dieser das auch tut, so mag es sein, dass dessen Wunsch, die Sachen zu besitzen, für den Einbrecher keine Bedeutung hat, außer daß er hierin eine einfache Absatzmöglichkeit für die Ware sieht, die er aber unabhängig hiervon stehlen will. Es ist ebenso möglich, daß er gerade deshalb diesen Diebstahl begeht, um den Wunsch des Hehlers zu erfüllen [Hervorhebung nicht im Original!] und ihm sein Wort zu halten. Man kann an dem Sinn einer solchen Unterscheidung zweifeln, denn der Dieb stand ja nie vor der Frage, ob er sich auch ohne die Vereinbarung mit dem Hehler zur Tat entschließen soll, aber unser Modell des psychischen Bewirkens beruht auf der Annahme, dass der einzelne sich selbst Rechenschaft über die Gründe seines Handelns gibt und sich stets mit der Handlung auch für bestimmte Handlungsgründe entscheidet (…)“.3034

Damit ist in der Sache nichts anderes beschrieben als die Erfüllung eines nachdrücklichen Handlungswunsches, weshalb man sagen kann: Die neuere Lehre von der qualifizierten Tataufforderung ist eigentlich nichts anderes als eine konsequente

3031 s. dazu insbesondere Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 282, 328 ff; ders., in: NK, § 25 Rn. 30; auch Herzberg, in: Verantwortung, 33 (42). 3032 Stein, Beteiligungsformenlehre, 164, 183 ff., 272; Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 282; Nepomuck, Anstiftung, 77. 3033 Das sieht freilich auch Puppe, wenn sie meint, der Schlüssel zur Abgrenzung von Anstiftung und Beihilfe sei nicht auf der Ebene der Kausalität zu suchen, sondern in Kriterien und Distinktionen jenseits der Kausalität, die dem freien Zusammenwirken und der wechselseitigen Beeinflussung unter Menschen gerecht würden (GA 1984, 101 [111, 121 f.]). Diese Einsicht verdient durchaus Beifall, doch darf die Kriteriensuche nicht unter dem Axiom erfolgen, dass die Anstiftung approximativ an die Naturkausalität der Alleintäterschaft herangeführt werden müsse (i.d.S. aber Puppe, GA 1984, 101 [112]). 3034 Puppe, GA 1984, 101 (115).

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Öffnung der „alten“ Lehre vom Unrechtspakt für das individuelle Handlungsunrecht der Anstiftung. Dies hat bereits Amelung3035 zutreffend erkannt: „Berücksichtigung findet auch der Grundgedanke der Lehre von der Pflichtbindung durch einen Unrechtspakt zwischen Anstifter und Angestifteten. (…) Er nimmt Bezug auf den (gegen)normativen Charakter der Anstiftung. Pflichtähnliche Bindungen des Angestifteten ergeben sich allerdings nicht nur aus vertragsähnlichen Vereinbarungen zwischen den Beteiligten, sondern oft schon aus beidseitig anerkannten Sozialnormen oder einseitig formulierten Appellen quasi-normativer Art.“

Demnach läuft Puppes Lehre vom Unrechtspakt bei konsequenter Öffnung des Subordinationsgedankens für das individuelle Handlungsunrecht der Anstiftung auf die moderne Lehre von der qualifizierten Tataufforderung hinaus. Entsprechendes gilt für die Anstiftungslehre Jakobs’3036, wonach der Täter seinen Tatentschluss in Abhängigkeit vom Willen des Anstifters fassen und durchhalten muss sowie für Schulz’3037 Lehre von der „Planherrschaft“; auch Hoyers3038 Lehre von der „Motivherrschaft“ (= Tatausführung als Leistungsversprechen an den Anstifter) und Köhlers3039 Lehre von der willensbestimmenden Tatmacht3040 (= bestimmende Macht des Anstifters über die außertatbestandliche „Zweckkonzeption“ des Haupttäters) fallen in diesen Zusammenhang. All diese „Mandatstheorien“3041 haben eines gemeinsam: Sie können (erst) durch das Kriterium der qualifizierten Tataufforderung teleologisch sinnvoll und dem grundgesetzlichen Bestimmtheitsgrundsatz genügend konkretisiert werden.3042 Abschließend kann somit festgehalten werden, dass sämtliche im Ansatz begrüßenswerten3043 Versuche, das Handlungsunrecht der Anstiftung als soziales Machtgefüge zu erfassen, auf den Begriff der sanktionsträchtigen Aufforderung hinauslaufen (müssen). e) Konkretisierung des Merkmals der sanktionsträchtigen Tataufforderung Sowohl verhaltensnormtheoretische Überlegungen als auch die hermeneutische Analyse des strafgesetzlichen Anstiftungstatbestandes und die Auseinandersetzung mit den Mandatstheorien haben gezeigt, dass das Handlungsunrecht der Anstiftung seiner Formalstruktur nach mit dem Begriff der sanktionsträchtigen Tataufforderung angemessen bestimmt ist. Dennoch bedarf dieser (Ober-)Begriff aber noch der 3035

Schroeder-FS (2006), 147 (177). AT, 22/22. 3037 Bestrafung, 137 ff. 3038 In: SK, § 26 Rn. 13. 3039 AT, 521 ff. 3040 s. zur Bezeichnung Nepomuck, Anstiftung, 146 f. 3041 Begriff und detaillierte Analyse bei Nepomuck, Anstiftung, 155 ff. (der allerdings die Lehre Köhlers separat abhandelt [a.a.O., 146 ff.]). 3042 Ebenso Nepomuck, Anstiftung, 148, 157 f., 160, 162. 3043 So etwa auch Redmann, Anstiftung, 106. 3036

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weiteren Präzisierung, denn in der strafrechtswissenschaftlichen Literatur finden sich durchaus heterogene „Aufforderungslehren“3044 : Während insbesondere Roxin3045 allein auf den „nackten“ Appellcharakter per se abstellt und damit auf das Erfordernis der Schaffung oder Aktualisierung einer konkreten Sozialbeziehung zwischen Anstifter und Angestiftetem verzichtet, verlangen die Vertreter der moderneren, soziologisch abgestützten, Aufforderungsdoktrin3046 die nachdrückliche Expression einer enttäuschungsfesten Verhaltenserwartung, d. h. eine sanktionsbewehrte oder jedenfalls (qua präskriptiver Sprache) sanktionsträchtige Tataufforderung. Letztere, offensichtlich an § 48 StGB a.F. orientierte, Auffassung (die verhaltensnorm- und strafrechtsteleologisch indiziert ist) steht dabei vor dem Problem, dass der Begriff der sanktionsträchtigen Aufforderung das in § 48 I Var. 4 StGB a.F. genannte Mittel der „absichtliche[n] Herbeiführung oder Beförderung eines Irrtums“ auf den ersten Blick nicht zu erfassen scheint.3047 Da dieses Anstiftungsmittel aber auch de lege lata weiterhin seine Berechtigung behalten muss, muss es entweder in den Oberbegriff von der sanktionsträchtigen Taufforderung eingearbeitet werden,3048 oder aber es müsste ein weiterer, elastischerer Oberbegriff gefunden werden, der auch die manipulative Irrtumserregung bzw. -förderung als Anstiftung erfasst.3049 aa) Appellcharakter Fest steht jedenfalls, dass die Anstiftung „Aufforderung“ sein muss, d. h. ein konkreter Verhaltensappell, der entweder ausdrücklich oder aber auch konkludent 3044

Bezeichnung und eingehende Analyse bei Nepomuck, Anstiftung, 107 ff. AT/II, § 26 Rn. 74 ff.; s. auch bereits Schumann, Selbstverantwortung, 51 ff.; in der Sache ebenso wohl auch Schünemann, in: LK, § 25 Rn. 3 (trotz rhetorischer Berufung auf die engere Begrifflichkeit Amelungs [a.a.O., Rn. 15]); Steen, Rechtsfigur, 144; Heine/Weißer, in: Schönke/Schröder, § 26 Rn. 4; Stratenwerth/Kuhlen, § 12 Rn. 143; ähnlich auch Schlüchter/ Duttge, NStZ 1997, 595 (595); Otto, AT, § 22 Rn. 35 f. 3046 So zuerst Joerden, Strukturen, 119 ff. (123), der sich aber (inzwischen) auf die reine Aufforderungslehre zuzubewegen scheint (s. ders., Puppe-FS [2011], 563 [573 ff. m. Fn. 27 f.]); Amelung, Schroeder-FS (2006), 147 (163 ff.); Nepomuck, Anstiftung, 167 ff., 186 f.; Redmann, Anstiftung, 89 ff. (104 f., 106 ff.); dieser engeren Begriffsbestimmung sind bisher expressis verbis gefolgt: Renzikowski, in: Maurach/Gössel/Zipf, AT/2, § 51 Rn. 18 ff.; Schild, in: NK, § 26 Rn. 6. 3047 s. zum Problem bereits M.-K. Meyer, ZIS 2010, 149 (151), nach deren Einschätzung Nepomuck die in § 48 I Var. 4 StGB a.F. noch vorgesehene Täuschungsvariante zu stiefmütterlich behandelt. 3048 Für diese vom Grundansatz her einzig konsequente Lösung tritt Redmann (Anstiftung, 145 f.) ein. 3049 Vorsichtig i.d.S. Nepomuck, Anstiftung, 148 f., 170 Fn. 14, der die „Entscheidungsherrschaft“, d. h. die Vermittlung eines typischerweise unersetzbaren Tatanreizes bei übergeordnetem Tatinteresse, als abstraktes Leitkriterium ausgibt (a.a.O., 85 ff.), dem dann konsequent auch die Erregung eines Motivirrtums unterfallen soll; in der Sache ebenso Schild (in: NK, § 26 Rn. 6) der die Täuschung als taugliches Anstiftungsmittel neben die Erzeugung psychischen Drucks stellt und die Legitimation für diese Alternativität darin erblickt, dass der Hintermann in beiden Fällen Spiritus rector der Tat sei. 3045

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„zwischen den Zeilen“ vermittelt werden kann. Damit scheiden entgegen anderslautenden Ansichten in Rechtsprechung3050 und Literatur3051 typischerweise aus dem Anstiftungstatbestand aus: die unverbindliche Erteilung von Tipps oder Ratschlägen, unverbindliche Hinweise, Anregungen, Erwägungen, Beschreibungen, Vorschläge oder Belehrungen, das reine Auskunftgeben, das bloße Aussprechen eines Wunsches (à la „Ich wünschte, er wäre tot!“) oder informatorische Fragen.3052 Gleiches gilt für das bloße Schaffen einer tatprovozierenden Situation.3053 Gewisse Schwierigkeiten können sich bei der Bestimmung konkludenter Tataufforderungen ergeben, doch lassen diese sich durch Rückgriff auf gefestigte alltagspsychologische Erfahrungswerte gut bewältigen: So können z. B. rhetorische Fragen wie „Willst Du das etwa einfach auf Dir sitzen lassen?“ oder „Willst Du etwa nichts unternehmen?“ unschwer als konkludente Handlungsaufforderungen entlarvt werden. Denn der Sprecher signalisiert dem Angesprochenen hier im wahrsten Sinne des Wortes, dass er „gefragt“ ist, dass also ein Handeln von ihm erwartet wird. Freilich sind solche rhetorischen Fragen nicht immer in aller Klarheit von der einfachen, informatorischen Frageform abgrenzbar, weshalb die Einordnung der psychofaktischen Beteiligtenbeziehung dem Rechtsanwender bisweilen Fingerspitzengefühl abverlangt. So hatte der BGH3054 bereits einen Fall zu entscheiden, in dem ein Vergewaltiger nach vollzogenem Akt einen bis dato noch unentschlossenen Komplizen gefragt hatte: „Willst Du auch noch?“. Der BGH sah hierin ohne weitere handlungsformbezogene Differenzierung eine Anstiftung und begründete dies damit, dass die Anstiftung keine bestimmte Handlungsweise erfordere, sondern lediglich voraussetze, dass die Willensbeeinflussung des Haupttäters mit mindestens bedingtem Vorsatz erfolge.3055 Dem hat Roxin mit Recht entgegengehalten, dass immer zuerst festgestellt werden müsse, ob der Handlungsform nach überhaupt eine Aufforderung vorliege; sei dies nicht der Fall, so könne auch ein bedingter Vorsatz keine Anstiftung begründen.3056 Eine Anstiftung liege aber in der fallgegenständlichen Frage „Willst Du auch noch?“ nur dann, wenn sie als versteckte Aufforderung zu deuten gewesen sei, indem der Aufgeforderte z. B. bei ihrer Verneinung in seiner Gruppe an Ansehen verloren und als Feigling dagestanden hätte. Sei die Frage dagegen nur informatorisch gemeint gewesen und habe 3050

s. exemplarisch etwa BGH GA 1980, 183 (184) („jede Art der Willensbeeinflussung“). s. etwa Fischer, § 26 Rn. 6. 3052 So die beispielhafte Aufzählung bei Schild, in: NK, § 26 Rn. 7. 3053 H.M.; s. statt vieler nur Schild, in: NK, § 26 Rn. 7; a.A. etwa Herzberg, Täterschaft, 146 f.; Bloy, Beteiligungsform, 328 f., die mit dem (angeblichen!) Strafgrund der Anstiftung („Initialzündung“) argumentieren, der auch und gerade bei Schaffung tatprovozierender Situationen erfüllt sei. – Diese Argumentation geht aber schon deshalb fehl, weil der Gedanke der „Initialzündung“ (per se) die erhöhte Strafwürdigkeit der Anstiftung gerade (noch) nicht zu tragen vermag. 3054 BGH GA 1980, 183 (183 f.). 3055 BGH GA 1980, 183 (184). 3056 Roxin, AT/II, § 26 Rn. 83. 3051

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keinen bestimmten Verhaltenswunsch des Angeklagten erkennen lassen, so sei eine Anstiftung abzulehnen. Ob die eine oder die andere Deutung richtig sei, müsse aus dem Kontext der konkreten Tatsituation ermittelt werden.3057 Dem ist vorbehaltlos zuzustimmen.3058 Entsprechendes gilt auch für Suggestivfragen oder -aussagen, in deren Subtext für den Fall einer bestimmten psychischen Reaktion eine Aufforderung mitschwingt (Bsp.: „Wetten, dass Du Dich nicht traust, die Zigaretten dort einzustecken?“ [unterschwellige Botschaft: „Wenn doch, dann beweise es!“]).3059 Selbst scheinbar „harmlose“ Fragen wie „Willst Du nicht …?“, „Würdest Du vielleicht …?“ oder „Könntest Du …?“ können im konkreten Sozialkontext gesellschaftskonform kodierte Aufforderungen sein. Dies hat Amelung3060 schon anhand des luziden Alltagsfalles illustriert, dass ein Kind am Essenstisch von seinem Vater „gebeten“ wird, das Salz herüberzureichen. Hier erfahre das Kind schon sehr bald, dass es keineswegs frei sei, „Nein“ zu sagen.3061 Amelung dürfte ferner auch in der Annahme zuzustimmen sein, dass das gesellschaftskonforme Vermeiden wortwörtlicher Aufforderungen geradezu typisch ist für strafrechtsrelevante Kommunikation, da es eine gewisse Tarnung ermöglicht.3062 Dem trägt auf der Rechtsanwendungsseite die zweite Entscheidungsregel im Sinne Amelungs3063 Rechnung, wonach derjenige, der sich zur Formulierung eines Handlungswunsches der Umgangssprache bedient, schon wegen irgendwelcher Anhaltspunkte im sozialen Kontext seiner Worte doch als Auffordernder behandelt werden kann. bb) Aufforderung als Mittel zur Durchsetzung einer enttäuschungsfesten Verhaltenserwartung Mithin ist die offene oder verdeckte Expression eines Handlungsappells für die Anstiftung konstitutiv. Fraglich ist allerdings, ob ein solcher Appellcharakter per se bereits für die Annahme einer Anstiftung hinreicht. Folgt man Roxin, so soll dies der Fall sein, unabhängig davon, ob der Verhaltensappell eine konkrete Sozialbeziehung zwischen Sprecher und Aufgefordertem herstellt oder aktualisiert. Begründet wird diese „nackte“ Aufforderungslehre damit, dass ansonsten Fälle wie das Aufhetzen völlig unabhängiger Täter („Schlagt ihn tot!“) oder die vorgeblich uneigennützige

3057

Roxin, AT/II, § 26 Rn. 82. Ebenso auch Amelung, Schroeder-FS (2006), 147 (170 f.); Schünemann, in: LK, § 25 Rn. 51; Nepomuck, Anstiftung, 212 f.; Heine/Weißer, in: Schönke/Schröder, § 26 Rn. 4. 3059 Ebenso Roxin, AT/II, § 26 Rn. 83. 3060 Schroeder-FS (2006), 147 (169). 3061 Amelung, Schroeder-FS (2006), 147 (169). 3062 Amelung, Schroeder-FS (2006), 147 (169). 3063 Schroeder-FS (2006), 147 (169). 3058

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Tatfürsprache nicht als Anstiftung erfasst werden könnten, obwohl sie im Durchschnitt nicht weniger strafwürdig seien als sanktionsträchtige Tataufforderungen.3064 Diese Argumentation überzeugt aber schon deshalb nicht, weil ein Überreden oder Anstacheln zur Tat nicht zwingend in Form einer (konkludenten) Aufforderung geschehen muss.3065 Sollen also „Aufhetzen“ und „Überreden“ taugliche Anstiftungsmittel sein, so kann ihre erhöhte Strafwürdigkeit teleologisch gesehen nicht von der äußeren Kommunikationsform abhängen – womit wiederum die Roxin’sche Festlegung auf die Aufforderung als Kommunikationsform der Anstiftung ad absurdum geführt wäre. Es bleibt daher dabei: Die erhöhte Strafwürdigkeit der Tataufforderung beruht nicht darauf, dass überhaupt ein Verhaltensappell kommuniziert wird, sondern auf der Funktion dieses Appells als Ausdruck einer enttäuschungsfesten Handlungserwartung, die beim Empfänger motivlichen Handlungsdruck erzeugen soll.3066 Diese Funktion erfüllt aber per se weder das bloße Anfeuern völlig unabhängiger Täter (z. B. „Mach[t] die Sau platt!“) noch eine allgemeine Tatfürsprache (z. B. „Was überlegst Du noch? Mach’ eine Tankstelle, anders kommst Du nicht zu schnellem Geld!“). Klar ist also, dass die Aufforderung eine bestimmte Sozialbeziehung zwischen Sprecher und Rezipienten schaffen oder aktualisieren muss, indem sie eine enttäuschungsfeste unrechtliche Handlungserwartung ausdrückt.3067 Wie diese Verhaltenserwartung nach dem Programm des Sprechers konkret transportiert bzw. forciert werden soll – z. B. durch eindringliches Bitten, Versprechen, Drohen, Täuschen, Überreden usw. –, ist irrelevant. Entscheidend ist allein, ob das konkrete Sprechaktverhalten unter Berücksichtigung des situativen Sozialkontextes die für eine enttäuschungsfeste Erwartungshaltung erforderliche Mindestverbindlichkeit zum Ausdruck bringt.3068 Wann dies allgemein der Fall ist, hat unter Rekurs auf Luhmanns3069 Modell der wechselseitigen Orientierung an Sozialnormen zuerst Amelung akzentuiert herausgearbeitet: Enttäuschungsfest erwarte, wer einem anderen ein bestimmtes Verhalten ansinne und nicht bereit sei, diese Erwartung aufzugeben, wenn der Adressat ihr nicht Folge leiste. Normen seien reziproke Erwartungen dieser Art, (sog. „Erwartungserwartungen“).3070 Normativ i.d.S. erwarte aber schon jeder Einzelne, der nicht gesonnen sei, seine Erwartung zu ändern, wenn ihr nicht entsprochen werde. Das sei bei ernst gemeinten Aufforderungen nahezu immer der Fall, denn wenn jemand eine solche Erklärung abgebe, sei er in aller Regel der 3064

Roxin, AT/II, § 26 Rn. 89 (freilich in Auseinandersetzung mit Puppes Lehre vom Unrechtspakt). 3065 Nepomuck, Anstiftung, 109 f., 189. 3066 Ebenso Amelung, Schroeder-FS (2006), 147 (166 f.) Nepomuck, Anstiftung, 185 ff. (186 f., 189, 193, 197, 198 f., 215 f., 224, 237), der das Gesagte anhand zahlreicher weiterer Beispielfälle illustriert; Redmann, Anstiftung, 106 ff. 3067 Amelung, Schroeder FS (2006), 147 (163 f.). 3068 Ausführlich dazu Redmann, Anstiftung, 100 ff. 3069 Rechtssoziologie, 40 ff. 3070 Amelung, Schroeder-FS (2006), 147 (166) [Zitat unter Berufung auf Luhmann].

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Überzeugung, dass sein Ansinnen akzeptabel sei.3071 Der Aufgeforderte, der dies erkenne, sehe, dass er im Weigerungsfall im Dissens mit dem Auffordernden leben werde, und bereits das könne ein Grund sein, wegen dieser Folge nachzugeben. Denn Dissens werde im menschlichen Zusammenleben möglichst gemieden. Die Antizipation des Dissenses und seiner möglichen Konsequenzen begründe daher das, was man allgemein als die „Schwierigkeit, Nein zu sagen“ bezeichne.3072 Daraus folgert Amelung zutreffend: „Jeder Appell, der dazu geeignet ist, diese Schwierigkeit zu erzeugen, trägt den normativen Charakter einer Aufforderung, d. h., er arbeitet mit der latenten Androhung negativer Sanktionen im weitesten Sinne des Wortes.“3073

Diese soziologische Erklärung des „echten“, eine normative Erwartungshaltung transportierenden, Aufforderungscharakters ist jüngst von Redmann3074 noch sprachanalytisch vertieft und präzisiert worden: Linguistisch gesehen gehört die Anstiftungshandlung zur Sprechaktklasse der sog. „Direktiva“, die im Gegensatz zu den sog. „Assertiva“ nicht vornehmlich auf den reinen Informationsaustausch abzielen (Anpassungsrichtung „Wort an Welt“), sondern darauf, den Empfänger i.S.e. Erwartungshaltung auf die Ausführung einer zukünftigen Handlung zu verpflichten (Anpassungsrichtung „Welt an Wort“).3075 Sprechaktklassifikatorisch gesehen muss ein „Bestimmen“ daher im Mindestmaß den Aussagegehalt derjenigen Verben erreichen, die die Untergrenze der direktiven Sprechaktklasse markieren (es sind dies „Bitten“ oder „Wünschen“). Denn auch diese Verben erzeugen beim Rezipienten einen unterschwelligen Handlungsdruck in Gestalt eines antizipierten Dissenses, der die „Schwierigkeit, Nein zu sagen“ begründet.3076 Danach wird also selbst bei einfachen Bitten ein sozialer Handlungsdruck für den Rezipienten erzeugt, der in der Antizipation des mit dem Abschlagen der Bitte verbundenen Begründungsaufwandes besteht.3077 Die Expression einer einseitigen Erwartungshaltung ist dabei freilich nicht zwingend an die sprachliche Verwendung eines direktiven Verbs gebunden. Denkbar und häufig anzutreffen sind vielmehr auch indirekte, durch Verwendung der Umgangssprache camouflierte Aufforderungen (Bsp: „Hier zieht es!“ oder auch „Zieht es hier?!?“ [Subtext: „Mach bitte das Fenster zu!“]).3078 Deutlich wird, dass eine an starren umgangssprachlichen Begriffsrastern wie „Überreden“, „Bitten“, „Ratschläge“, „Fragen“ etc. orientierte Konturierung des Anstiftungsunrechts zumindest irreführend ist. Diese begriffsjuristische Handlungsunrechtsbestimmung muss daher ersetzt werden durch eine differenziertere 3071 3072 3073 3074 3075 3076 3077 3078

Amelung, Schroeder-FS (2006), 147 (166). Amelung, Schroeder-FS (2006), 147 (167). Amelung, Schroeder-FS (2006), 147 (167). Anstiftung, 89 ff., 106 ff. Redmann, Anstiftung, 95 f. m. 99 f. Redmann, Anstiftung, 100 – 102. Redmann, Anstiftung, 105. Vgl. Redmann, Anstiftung, 114.

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Betrachtung nach dem illokutionären Gehalt des konkreten Sprechakts.3079 Einzelfallübergreifend lässt sich dabei – in Präzisierung der von Amelung3080 gebildeten praktischen „Entscheidungsregeln“ – folgende Abstufung vornehmen: [1] Äußert der Rhetor einen offen sanktionsbewehrten Handlungswunsch, operiert er also expressis verbis mit Belohnungsversprechen, sonstigen Versprechungen oder Drohung, so liegt definitiv Anstiftung vor. [2] Verwendet der Sprecher „allein“ die direktive Sprache (z. B. „Den Ring da im Schaufenster will ich haben! Hol’ ihn für mich heraus!“;3081 aber auch: „Könntest/Würdest Du bitte etwas für mich erledigen?“3082) so streitet eine widerlegliche Vermutung für das Vorliegen einer sanktionsträchtigen Tataufforderung; nur wenn sich kontextuell keine normative Erwartungshaltung auffinden lässt, scheidet Anstiftung aus.3083 [3.] Bedient sich der Sprecher einer vordergründig unverbindlichen Umgangssprache, (z. B. einfache Fragen, Feststellungen, Ratschläge) so ist unter Berücksichtigung parasprachlicher Ausdrucksformen sowie des konkreten Sozialkontextes stets genau zu eruieren, ob nicht „zwischen den Zeilen“ ein sanktionsträchtiger Verhaltensappell vermittelt wird. Legt man diese praktischen Entscheidungsregeln zugrunde, so ergibt sich in der einzelfallbezogenen Auflösung – ohne Anspruch auf Vollständigkeit3084 – folgendes Bild: Wer einen anderen durch ausdrückliches Lohnversprechen, sonstiges Leistungsversprechen oder wörtliche Drohung zur Begehung einer vorsätzlich-rechtswidrigen Tat bewegt, ist immer Anstifter.3085 Dabei ist es unerheblich, ob der Auffordernde das Versprechen bzw. die Drohung tatsächlich wahrzumachen gedenkt oder ob er diese Absicht nur vortäuscht: Die Wirkung der positiven bzw. negativen Sanktionierung auf den Willensbildungsprozess des Aufforderungsrezipienten bleibt in beiden Fällen dieselbe.3086 Das Lohnversprechen oder die Drohung müssen auch nicht ausdrücklich verbalisiert werden: Bietet etwa ein „Kunde“ einem Drogendealer an, eine von dessen Drogenchargen für diesen zu verkaufen, wenn ihm dafür eine 3079

So zutr. Nepomuck, Anstiftung, 171 f.; Redmann, Anstiftung, 106 ff. Schroeder-FS (2006), 147 (169). 3081 Beispiel nach Amelung, Schroeder-FS (2006), 147 (165). 3082 Amelung, Schroeder-FS (2006), 147 (169) ordnet Phrasen wie „Könntest/Würdest Du …?“ der vordergründig unverbindlichen Umgangssprache zu, misst ihnen also per Ausdrucksform noch keine Aufforderungsqualität bei. Demgegenüber hat allerdings die linguistische Analyse Redmanns (Anstiftung, 100 ff.) gezeigt, dass die Äußerung von Bitten und Wünschen durchaus noch der direktiven Sprechaktklasse angehört und daher Appellcharakter aufweist. 3083 Typischerweise werden aber gefestigte Erwartungshaltungen existieren, da die unrechtsgerichtete Kommunikation innerhalb engerer Sozialbeziehungen (z. B. Ehegatten, Lebenspartner, Verwandte, Freunde, Gang) oder sozialer Autoritäts- bzw. Abhängigkeitsverhältnisse (vgl. § 48 I Var. 4 StGB a.F. StGB [„Missbrauch des Ansehens oder der Gewalt“]) stattfindet. 3084 Eingehend zu sämtlichen denkbaren Schlagworten Nepomuck, Anstiftung, 172 ff. 3085 s. dazu die Fallbeispiele bei Nepomuck, Anstiftung, 172 – 176. 3086 Zutr. Redmann, Anstiftung, 134 f.; Nepomuck, Anstiftung, 174. 3080

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bestimmte Eigenbedarfsmenge kostenlos überlassen werde,3087 so bedeutet die „Annahme“ dieses „Angebots“ durch den Drogendealer selbstverständlich ein konkludentes Belohnungsversprechen.3088 Entsprechendes gilt mutatis mutandis, wenn ein Mafioso einem Tatzeugen den „guten Rat“ erteilt, seine polizeiliche Aussage vor Gericht besser noch einmal zu modifizieren: Es liegt kein Ratschlag vor, sondern eine handfeste Drohung. Anstifter ist auch, wer ein zurückliegendes Gefälligkeitsversprechen des präsumtiven Haupttäters (konkludent) in Anspruch nimmt. Ein solcher Fall lag dem BGH3089 bereits zur Entscheidung vor: Eine Hebamme hatte einem Ehepaar bei der Geburt des dritten Kindes gesagt, sie hätten nun genug Kinder; wenn es wieder soweit sei, sollten die Eheleute zu ihr kommen. Als die Frau einige Zeit später wieder schwanger war, entschlossen sich die Eheleute tatsächlich zur Abtreibung. Der Ehemann bat also die Hebamme, bald einmal zu seiner Frau zu kommen, woraufhin diese die Frau zu sich bestellte und den Eingriff vornahm. Der BGH3090 hat hier für den Ehemann i.E. zu Recht eine Anstiftung angenommen, denn seine „Bitte“ drückte die Inanspruchnahme des früheren Gefälligkeitsversprechens aus, d. h. eine die Hebamme bei ihrem früheren Wort nehmende Handlungserwartung.3091 Anstiftungsbegründend wirken ferner auch sonstige (indirekte) Wünsche und Bitten, sofern ihnen nur ein mindestverbindlicher Appellcharakter zukommt.3092 Ein paradigmatisches Beispiel dieser Art erblickt Nepomuck3093 zutreffend in der scheinbar harmlosen Formulierung „Du weißt ja gar nicht, wie dankbar ich Dir wäre, wenn Du mir helfen könntest!“ (= subtiles Belohnungsversprechen). Ein weiteres typisches Beispiel für einen indirekt angetragenen Handlungswunsch bildet das appellative Ansinnen einer Übererfüllung von Loyalitätspflichten („Du kannst stolz sein, wenn Du das für mich/uns erledigt hast!“).3094 Derartige Konstellationen, in denen ein unrechtlicher Handlungswunsch lediglich indirekt geäußert wird, sind in der Praxis häufig anzutreffen.3095 Dabei wird in aller Regel (konkludent) auf prak3087

Fallbeispiel nach BGHSt 45, 373 ff. Ebenso Nepomuck, Anstiftung, 177 ff.; Redmann, Anstiftung, 137 f. 3089 Bei Dallinger, MDR 1957, 395 f. 3090 Bei Dallinger, MDR 1957, 395 (395). 3091 Ähnlich Roxin, AT/II, § 26 Rn. 80; allgemein auch Redmann, Anstiftung, 127 f.; a.A. insofern Nepomuck, Anstiftung, 180 f. 3092 Nepomuck, Anstiftung, 181 ff., Redmann, Anstiftung, 127 f. 3093 Anstiftung, 181 – 183 (Fallbeispiel auf S. 181). 3094 Amelung, Schroeder-FS (2006), 147 (168). Hierher dürfte auch der Fall zu rechnen sein, der dem Judikat BGHR Strafsachen, § 26/4 zugrunde lag (s. zur Fallschilderung auch Nepomuck, Anstiftung, 188): Der Angeklagte sollte einem Hintermann helfen, seinen jüngeren Bruder für einen Mordauftrag anzuwerben. Nachdem dieser dem Anreiz einer vom Hintermann angebotenen Belohnung zunächst widerstanden hatte, hatte der Angeklagte in seiner Rolle als älterer Bruder an die Ehre bzw. den Stolz des Jüngeren appelliert: Er sei jung und stark, weshalb der Angeklagte sich auf ihn verlasse. 3095 s. nochmals Amelung, Schroeder-FS (2006), 147 (169). 3088

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tisch institutionalisierte, ethisch neutrale Sozialnormen wie Gehorsams-, Loyalitätsoder Dankespflichten oder ganz generell auf die wechselseitige Erwartung kontinuierlichen Verhaltens Bezug genommen.3096 In diesen Kontext gehört auch das Stichwort der (einfachen) „Beauftragung“3097, soweit es zur Begründung einer Anstiftung herangezogen wird: Wer einen anderen ohne Lohn- oder Leistungsversprechen mit einer Unrechtstat mandatieren kann, der nutzt typischerweise ein persistentes Autoritäts- oder Abhängigkeitsverhältnis mit klarer normativer Erwartungsstruktur aus und ist daher Anstifter.3098 So lag es etwa in einem vom Reichsgericht zu entscheidenden Fall3099, in dem ein Bauer seinen Hofangestellten damit beauftragt hatte, bei einem verfeindeten Bauern einen Vorratshaufen anzuzünden. Das RG3100 hat hier also zu Recht Anstiftung angenommen.3101 Auch wörtliche Aufforderungen unter Verwendung des Imperativs begründen typischerweise eine Anstiftung. Diese Einordnung ist allerdings ebenso wenig obligatorisch wie bei Bitten oder Wünschen: Hat der Appell lediglich unverbindlichen Charakter i.S.e. allgemeinen Tatfürsprache bzw. -empfehlung („Die Bude des O steht leer. Räum’ das Ding aus, sag’ ich Dir!“3102) oder einer reinen Hetze („Schlagt ihn tot!“3103), so transportiert er keine enttäuschungsfeste persönliche Verhaltenserwartung und begründet für sich genommen folglich auch keine Anstiftung.3104 Auch ein „Überreden“ zur Tat begründet immer nur dann eine Anstiftung, wenn es eine enttäuschungsfeste normative Erwartungshaltung forcieren soll.3105 So liegt es etwa dann, wenn ein Ehemann seine Frau unter Hinweis auf die angespannten ehelichen Finanzen beharrlich dazu drängt, bei anderen Frauen gegen Entgelt illegale Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen.3106 Anders liegt es dagegen im Falle allgemeiner Tatfürsprachen („Knall’ ihm ruhig eine, er hat es verdient!“) oder dem bloßen Zerstreuen von Bedenken („Ach, die Alarmanlage überwindest Du doch mit links!“), wo jeweils kein für verbindlich gehaltener Handlungswunsch kommuniziert wird.3107 Auch Ratschläge sind keine tauglichen Anstiftungsmittel,3108 sofern sie nicht ausnahmsweise eine sanktions-

3096 3097 3098 3099 3100 3101 3102 3103 3104 3105 3106 3107 3108

Ausführlich dazu Amelung, Schroeder-FS (2006), 147 (165 f.). Dazu Nepomuck, Anstiftung, 183 ff. Nepomuck, Anstiftung, 184 f. RG HRR 1939, Nr. 1315. HRR 1939, Nr. 1315. Ebenso Nepomuck, Anstiftung, 184 f. Originalzitat nach Nepomuck, Anstiftung, 197. Roxin, AT/II, § 26 Rn. 89. Nepomuck, Anstiftung, 186 f., 198 f. Nepomuck, Anstiftung, 188 ff. Beispiel nach RGSt 34, 327 (329 f.); wie hier auch Nepomuck, Anstiftung, 190. s. Nepomuck, Anstiftung, 189 f., 197 – 199, 199 ff. Nepomuck, Anstiftung, 190 ff. (191 f.); Redmann, Anstiftung, 124 f.

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trächtige Aufforderung camouflieren.3109 Rät etwa ein Chefarzt einer Oberärztin auf deren Nachfrage dazu, einen operativen Kunstfehler zu verschweigen und durch eine als notwendig vorgespiegelte Zweitoperation zu beheben,3110 so leistet er zu der ungerechtfertigten Körperverletzung, die in der Zweitoperation liegt, „nur“ Beihilfe.3111 Was für Ratschläge gilt, gilt auch für Warnungen und Gewinnvorhersagen: Wer nur auf ein dräuendes Übel oder eine Gewinnchance aufmerksam macht und eine Straftatbegehung als Lösungsstrategie aufzeigt, der äußert keinen verbindlichen Handlungswunsch.3112 Das gilt auch für eine täuschende Warnung oder Gewinnvorhersage, die unabhängig von der Falsifität der kommunizierten Information in identischer Weise auf den Willensbildungsprozess des Empfängers einwirkt.3113 Ein sozial unverbindliches Kommunikationsverhalten liegt typischerweise auch im Hinweis auf eine günstige Tatgelegenheit („Tipp“), der regelmäßig3114 ebenfalls keine enttäuschungsfeste Verhaltenserwartung vermittelt.3115 Schon per definitionem aus dem Bereich der Anstiftung auszunehmen ist schließlich das anonyme Arrangement von zur Tat anreizenden Situationen: Da hier bereits kein geistiger Kontakt stattfindet, fehlt es denklogisch auch am Kriterium einer verbindlichen Handlungsaufforderung.3116 Deutlich wird, dass das personale Handlungsunrecht der Anstiftung abstrakt betrachtet in der kontextuellen Expression einer enttäuschungsfesten unrechtlichen Verhaltenserwartung besteht. Daraufhin ist jeder Einzelfall unabhängig von der 3109 Ein Alternativbeispiel der letzteren Art bildet Nepomuck, Anstiftung, 191: Ein Bandenmitglied wird durch einen „guten Rat“ dazu angehalten, einen Ausstiegswilligen zu beseitigen – Anstiftung aufgrund Vorliegens einer verdeckten sanktionsträchtigen Tataufforderung (Nepomuck, a.a.O., 192). 3110 Fallbeispiel in Anlehnung an BGH StV 2004, 376 f. 3111 Nepomuck, Anstiftung, 191 f. 3112 Amelung, Schroeder-FS (2006), 147 (157 f., 160, 162, 165); Redmann, Anstiftung, 126, 130 f.; anderes (= Anstiftung) gilt etwa dann, wenn ein Schutzgelderpresser seinen zahlungsunwilligen „Schuldner“ „warnt“, dass im Falle der Nichtzahlung „etwas passieren“ könne (Amelung, Schroeder-FS [2006], 147 [169]; ebenso Redmann, Anstiftung, 131); Redmann (a.a.O.) weist zudem auf den Sonderfall der „konkretisierten Warnung“ hin, die dem Adressaten eine drohende Gefahr besonders drastisch ausmale und ihm eine Reaktion eindringlich ans Herz lege; auch hier liegt ein nachdrücklicher Handlungswunsch und damit Anstiftung vor (so zutr. Redmann, a.a.O.). 3113 Redmann, Anstiftung, 132 f. 3114 Anders liegt es dann, wenn der Tippgeber enttäuschungsfest erwartet, dass sein Tipp genutzt wird und dies zu erkennen gibt (Amelung, Schroeder-FS [2006], 147 [168]; Redmann, Anstiftung, 128 f.). Das wird man z. B. dann annehmen müssen, wenn das Aufzeigen lukrativer Tatgelegenheiten das „Geschäftsmetier“ des Tippgebers ausmacht und er zur Wahrung seines „guten Rufs“ erwartet, dass seine Tipps auch erfolgreich genutzt werden. 3115 Ebenso Amelung, Schroeder-FS (2006), 147 (161 f., 168); Nepomuck, Anstiftung, 196 f.; Redmann, Anstiftung, 128. 3116 So von der Warte der Aufforderungslehren aus eingehend Nepomuck, Anstiftung, 216 ff. (223 ff.).

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konkret verwendeten umgangssprachlichen Terminologie sorgfältig zu untersuchen. Eine eingehende Fallanalyse muss im Rahmen der vorliegenden Arbeit naturgemäß unterbleiben. Diesbezüglich sei nochmals auf die ausführliche Falldarstellung und -behandlung bei Nepomuck3117 verwiesen. cc) Erregung oder Beförderung eines Irrtums als Anstiftungsmittel Definiert man Anstiftung wie hier als Expression einer nachdrücklichen unrechtlichen Verhaltenserwartung, so kann das in § 48 I Var. 4 StGB a.F. noch aufgeführte irrtumsbedingte Verleiten eines anderen zur Tat kein genuines Anstiftungsmittel sein: Wer einen anderen unter Erregung oder Ausnutzung eines Motivirrtums zur Begehung einer strafrechtswidrigen Tat zu bewegen sucht, der wird sein eigenes Tatinteresse oft verheimlichen und sich lediglich als treuer Ratgeber oder Informant gerieren. Gerade der „listige“ Verführer äußert also keinen sozial verbindlichen Handlungswunsch. Das zeigt der insofern typische Beispielfall3118 : A verleitet T dazu, den O zu verprügeln, indem er ihm wahrheitswidrig vorspiegelt, O habe mit T’s Frau geschlafen. Derartige Fälle, in denen die Motivation des Haupttäters allein auf der Täuschung basiert, sind nach der Lehre von der sanktionsträchtigen Taufforderung konsequent im Bereich der Abgrenzung zwischen mittelbarer Täterschaft und Beihilfe anzusiedeln.3119 Eine abweichende Sichtweise deutet hingegen Nepomuck an, der wohl für die Täuschungsfälle auf das Erfordernis einer qualifizierten Tataufforderung und sogar auf das Merkmal einer offenen kommunikativen Beeinflussung verzichten zu können glaubt.3120 Dies lässt sich nur damit erklären, dass Nepomuck die strafrechtsteleologischen Anstiftungsspezifika – Vermittlung eines typischerweise unersetzbaren Tatanreizes bei übergeordnetem Tatinteresse – offenbar auch bei Erregung eines zur Tat verleitenden Motivirrtums als gegeben ansieht. So klar liegen die Dinge jedoch nicht. Denn obwohl die Täuschung einen typischerweise unersetzbaren Tatanreiz vermittelt, ist sie doch keine Chiffre für interpersonale „Dominanz“.3121 Der Täuschende mag zwar die kognitive „Motivherrschaft“3122 innehaben, doch auf die Entscheidung des präsumtiven Haupttäters, das gelieferte Motiv zum Grund seines Handelns zu machen, nimmt er keinerlei Einfluss. Er kann daher in voluntativer Hinsicht nicht anders behandelt werden als derjenige, der bei gleicher maliziöser Absicht durch wahrheitsgemäße (und daher typischerweise ersetzbare!) Information ein Tatmotiv schafft!

3117 3118 3119 3120 3121 3122

Anstiftung, 172 ff. Beispiel nach Roxin, TuT, 212. So zutr. Redmann, Anstiftung, 145 f. Anstiftung, 170 Fn. 14. Redmann, Anstiftung, 145. Der Begriff stammt von Hoyer, in: SK, § 26 Rn. 13.

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Vorzugswürdig ist daher die Ansicht Redmanns3123, wonach Täuschungen nur dann taugliche Anstiftungshandlungen sind, wenn sie eine normative Erwartungshaltung des Täuschenden begründen oder forcieren sollen. Für diese Sichtweise streitet auch die historische Gesetzesauslegung, wenn man bedenkt, dass § 48 StGB a.F. die „Hervorrufung oder Beförderung eines Irrtums“ noch in die Riege der typischen Mittel zur Durchsetzung einer qualifizierten Tataufforderung („Geschenke“, „Versprechen“, „Drohung“, Missbrauch von Ansehen oder Gewalt“) einreihte. Demnach ist eine Anstiftung durch Erregung oder Unterhaltung eines Irrtums nur in recht überschaubarem Umfang möglich. Anwendungsfälle sind vor allem die täuschende Belohnung und die täuschende Drohung, Konstellationen also, bei denen der normative Schwerpunkt auf der Erzeugung motivlichen Handlungsdrucks liegt.3124 Eine rein kognitive „Motivherrschaft“ durch Erregung eines Motivirrtums begründet dagegen (ceteris paribus) nur Beihilfe. Das gilt auch für die meisten Fälle des Irrtums über den konkreten Handlungssinn, die weder als Anstiftung noch als mittelbare Täterschaft erfassbar sind.3125 f) Die Anstiftungshandlung i.S.d. § 26: Handlungsprogramm, Umsetzung, Zurechnung Nach alledem ist das Handlungsunrecht der Anstiftung abschließend zu bestimmen als kontextuelle Expression eines nachdrücklichen unrechtlichen Handlungswunsches, den der präsumtive Haupttäter zum Grund seines Handelns machen soll. Tut Letzterer dies und überschreitet dabei zumindest die Versuchsgrenze, so ist dieses fremde Tatunrecht dem Anstifter als Verwirklichung seiner qualifizierten Tataufforderung zuzurechnen.3126 Das bedarf der näheren Erläuterung nicht zuletzt deshalb, weil die Kohärenzbestimmung zwischen dem Handlungswunsch des Anstifters und der vom Haupttäter begangenen Tat auf mehreren Ebenen Schwierigkeiten bereiten kann.3127 aa) Handlungsprogramm (1) Programm einer Motivationskausalität Fraglich ist zunächst, welche Prämissen das Handlungsprogramm des Anstifters erfüllen muss, um unter dem Gesichtspunkt der angestrebten Motivationskausali-

3123

Anstiftung, 145 f. So zutr. Redmann, Anstiftung, 134 f., 145. 3125 Mittelbare Täterschaft scheidet in diesen Fällen deshalb aus, weil der Hintermann keinen originären Rechtsgutszugriff mehr unternimmt; s eingehend zum Ganzen bereits oben, S. 455 ff. 3126 Schild, in: NK, Vor §§ 26, 27 Rn. 14; § 26 Rn. 17. 3127 s. auch Roxin, AT/II, § 26 Rn. 57. 3124

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tät3128 noch als (prinzipiell) tauglich eingeschätzt werden zu können. Klar ist jedenfalls, dass der präsumtive Haupttäter im Moment der Anstiftungshandlung zumindest nach der subjektiven Tatsachenvorstellung des Anstifters noch motivierbar sein muss. Daran soll es nach weit überwiegender Ansicht3129 fehlen, wenn der präsumtive Haupttäter ein ohnehin schon tatentschlossener „omnimodo facturus“ ist: Richtet sich das Programm auf die Aufforderung eines bereits Tatentschlossenen zur Tat, so kann denklogisch keine Anstiftung mehr vorliegen; gegeben ist allenfalls eine psychische Beihilfe.3130 Diese überkommene Doktrin vom omnimodo facturus steht zunächst vor dem Problem, dass das Strafrecht eine vor der Tat liegende Entschlossenheit nicht kennt: Der Tatentschluss konstituiert sich erst „(…) mit und in der Tat“3131. Demnach spricht auch § 26 vom motivlichen Bestimmen eines anderen zur (mindestens versuchten) Tat, d. h. zu einem tatmächtigen Tatentschluss. Vom Hervorrufen der geistigen Entschlussfassung ist dagegen nicht die Rede. – Nun kann man freilich der Ansicht sein, eine solche geistige Entschlussfassung sei als „innerer Akt“ notwendige Durchgangsprämisse auf dem Weg zum tatmächtig sich betätigenden Entschluss.3132 Dann müsste in der Tat auch dieser innere Akt als obligatorischer Zwischenerfolg vom Anstifter hervorgerufen werden.3133 Diese traditionelle Sichtweise beruht auf der laienpsychologischen Annahme, der Haupttäter erreiche irgendwann in der Vorbereitungsphase einen inneren Zustand der endgültigen Entschlossenheit, indem er den Tatentschluss für sich fälle.3134 Diese Annahme widerspricht jedoch schon der praktischen Lebenserfahrung, denn tatsächlich existiert innerhalb der Tatvorbereitung keine psychologische Zäsur i.S.e. endgültigen Entschlussfassung, die den Täter dann gleichsam automatisch auf die Tatbegehung zusteuern lässt.3135 Zwar mag der eine oder andere Täter im Vorbereitungsstadium das Erlebnis einer bewussten Entschlussfassung haben, doch werden andere Täter „selbst bei ehrlicher Gewissensforschung“ kein solches Schlüsselerlebnis angeben können.3136 Davon abgesehen ist die subjektive Selbstzuschreibung eigener Entschlossenheit auch kein irre-

3128 s. eingehend und instruktiv zu diesem in sich problematischen Begriff Puppe, in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 129 ff., m.w.N. 3129 s. statt vieler nur Fischer, § 26 Rn. 4, m.w.N. insbesondere aus der Rechtsprechung; vor dem Hintergrund der inhaltlichen Abweichung der Rechtsfigur vom Begriff des Tatentschlusses i.S.d. § 22 tiefer gehend Bloy, Beteiligungsform, 330 ff.; eine eingehende kritische Analyse dieser h.M. liefert neuerdings Steen, Rechtsfigur, 123 ff. 3130 s. etwa nur Fischer, § 26 Rn. 4; Schünemann, in: LK, § 26 Rn. 17. 3131 Puppe, GA 1984, 101 (117); zust. Schild, in: NK, § 26 Rn. 8 a.E. 3132 So etwa Roxin, AT/II, § 26 Rn. 71, 73; Christmann, Strafbarkeit, 90 ff., der den Tatentschluss als vom Anstifter zu bewirkenden „Ersterfolg“ der Anstiftung bezeichnet. 3133 Christmann, Strafbarkeit, 90 ff.; Roxin, AT/II, § 26 Rn. 71. 3134 Puppe, GA 1984, 101 (116). 3135 Puppe, AT, § 25 Rn. 12. 3136 Puppe, GA 1984, 101 (117).

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versibler „Willensakt“, sondern eine emotive Momentaufnahme, weshalb „(…) das eigene Urteil des Täters über seine Entschlossenheit trügerisch sein (…)“ kann.3137 Diesen elementaren Einsichten entspricht es, dass die herrschende Lehre vom omnimodo facturus sich in der Definition dieser Rechtsfigur als erstaunlich unpräzise bzw. ambivalent erweist.3138 So soll der omnimodo facturus einerseits bereits fest und unumstößlich zur Tatbegehung entschlossen sein, andererseits aber doch noch zugänglich für modifizierende Ratschläge oder affirmierende Ermutigungen.3139 Damit ist aber das Postulat der unumstößlichen Tatentschlossenheit in Wahrheit wieder preisgegeben. Denn kann ein omnimodo facturus noch fester entschlossen gemacht werden, so kann er denklogisch auch wieder schwankend (gemacht) werden, auch durch eigene Reflexionen.3140 Damit aber verliert die Rechtsfigur des omnimodo facturus ihre vorgebliche Plastizität als (zusätzlicher oder einziger) Abgrenzungsparameter zwischen Anstiftung und Beihilfe. Besonders deutlich belegt das der Vorschlag Roxins3141, wonach schon derjenige nicht mehr anstiftbar sein soll, bei dem „(…) die zur Tat hindrängenden Motive (…) ein deutliches Übergewicht über die etwa noch bestehenden Bedenken erlangt haben“. Wie ein solches motivliches „Übergewicht“ – auch für den Täter selbst – rechtssicher quantifizierbar sein soll, bleibt im Dunkeln.3142 Davon abgesehen „(…) müsste auch dieser Übergewichtszustand ebenso wie die feste Entschlossenheit vor der Tatausführung und unabhängig von ihr ein endgültiger geworden sein, wenn er zu einer Unterscheidung von omnimodo facturus und Tatgeneigtem im Vorstadium der Tat taugen soll. Die Erfahrung lehrt aber, dass der Täter sich bis zur Tatausführung mal mehr und mal weniger tatentschlossen fühlen kann.“3143

Überhaupt sind zur Tat drängende und tathemmende „Motive“ i.S.d. Lehre vom omnimodo facturus noch keine echten Beweggründe, sondern bloß „abstrakte“, „intellektualisierte“ Abwägungsfaktoren im Rahmen eines auf eine Tat bezogenen Gedankenspiels.3144 Zum reellen, handlungsleitenden Beweggrund wird ein Motiv erst dann, wenn der Entscheidende es tatsächlich zum Grund seines Handelns macht, sich handelnd dafür entscheidet:3145 „Ein ,Entschluss‘ ist nicht ein Überwiegen möglicher Motive über gegenteilig mögliche, sondern die Verwirklichen [sic!] eines Motivs (oder mehrerer, die dann zu einer bei aller Unterschiedenheit letztlich als bestimmtes Verhältnis zusammenstimmenden Einheit vermittelt werden) in der Handlung. Dies begreift nicht nur eine selbstreflexive Philosophie 3137 3138 3139 3140 3141 3142 3143 3144 3145

Puppe, GA 1984, 101 (117). So zutr. Schild, in: NK, § 26 Rn. 8. Schild, in: NK, § 26 Rn. 8. So die unumstößliche Einsicht Schilds, in: NK, § 26 Rn. 8. AT/II, § 26 Rn. 67 (Zitat ohne die Hervorhebungen im Original). Puppe, GA 1984, 101 (117 f. Fn. 56). Puppe, GA 1984, 101 (117 f. Fn. 56). Schild, in: NK, § 26 Rn. 8. Schild, in: NK, § 26 Rn. 8.

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menschlichen Willens und Handelns, sondern auch die in der Psychologie erarbeitete ,Rubikontheorie‘. (…) Es muss ein Tatentschluss sein, wie die Dogmatik des Versuchs ihn kennt: nämlich als inneres Entschließen (,Jetzt geht es los!‘), das sich in einem äußeren Realisierungsakt umsetzt, indem der Betreffende unmittelbar zur Tatbestandsverwirklichung ansetzt (wie es § 22 für die Versuchshandlung umschreibt). Der Tatentschluss iSd § 26 ,entsteht erst mit und in der Tat. Wie der Wille die Tat, so macht erst die Tat den Willen‘. (…)“3146

Nach alledem ist eine vor dem eigentlichen Tatentschluss liegende subjektive Entschlossenheit weder eine psychologische Erfahrungstatsache, noch legt sie den Träger des Vorhabens auf die Tatbegehung fest, noch ist sie mit der strafrechtlichen Versuchsdogmatik vereinbar. Folglich kann das Programm einer Anstiftung auch nicht davon abhängen, ob der präsumtive Haupttäter sich (nach der Vorstellung des Anstifters) im Aufforderungsmoment bereits zur Tat entschlossen fühlt. Entscheidend ist vielmehr allein, dass der Haupttäter die qualifizierte Aufforderung des Anstifters im Moment der Tatausführung (mit) zum Motiv seines Tatentschlusses nimmt3147 bzw. nach dem Programm des Anstifters ex ante: nehmen soll. Dafür ist es unerheblich, ob der präsumtive Haupttäter seinerseits schon ein Tatvorhaben gefasst hat: Auch wer schon „tatentschlossen“ ist, kann noch bestimmt werden, indem der Anstifter sein Vorhaben übernimmt und es durch sanktionsträchtige Tataufforderung (auch) zur eigenen Sache macht.3148 Dadurch erhält der wirkliche, durchgeführte, Tatentschluss des Haupttäters automatisch eine andere Qualität, da die Tat nun motivlich auch im Interesse des Anstifters durchgeführt wird.3149 Bei dieser Sichtweise können zunächst solche Konstellationen unproblematisch als Anstiftung erfasst werden, in denen ein Tatentschlossener sich einem anderen gegenüber zur Tatbegehung erbietet, die Tatvornahme also bloß noch unter den Vorbehalt von dessen Zustimmung stellt.3150 Möglich ist aber auch die Anstiftung 3146

Schild, in: NK, § 26 Rn. 8. So auf Grundlage ihres eigenen Anstiftungskriteriums vom „Unrechtspakt“ bereits Puppe, GA 1981, 101 (118 f.); ebenso vom Boden der Aufforderungsdoktrin her kommend jetzt auch Schild, in: NK, § 26 Rn. 9; Steen, Rechtsfigur, 154, 165, 179 ff., 208 f. (der allerdings auch die intellektuelle „Planherrschaft“ der Anstiftung subsumiert). 3148 So zutr. Schild, in: NK, § 26 Rn. 9. 3149 Schild, in: NK, § 26 Rn. 9. 3150 Die Anhänger der Lehre vom omnimodo facturus haben einige Mühe mit der Begründung dieses kriminalpolitisch angezeigten Ergebnisses (s. stellvertretend etwa Roxin, AT/ II, § 26 Rn. 66 f.). Denn aus der Existenz des § 24 scheint im Umkehrschluss zu folgen, dass das Abhängig-Machen der Tatbegehung vom Eintritt oder Ausbleiben bestimmter Umstände die „Tatentschlossenheit“ unberührt lässt (eingehend zum Ganzen Steen, Rechtsfigur, 127 ff. [130 f.]). Hierbei dürfte es sich allerdings um ein Scheinproblem handeln, denn § 24 trifft lediglich die Aussage „Wer aktiv zur Tat schreitet, kann sich (deshalb!) auf eine Mentalreservation nicht (mehr) berufen“ (sondern muss das Weiterhandeln unterlassen bzw. aktiv Gegenmaßnahmen ergreifen). Für die Frage, ob ein „bedingtes“ Tatvorhaben bereits im Vorbereitungsstadium eine „Tatentschlossenheit“ i.S.d. Lehre vom omnimodo facturus begründet, ist damit noch nichts präjudiziert, da der Betreffende zu diesem Zeitpunkt eben gerade noch nicht (entschieden) handelt. Demnach wäre die Annahme, dass innere Vorbehalte im Vorberei3147

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eines vorbehaltlos „Tatentschlossenen“: Wer etwa einem Terroristen T Geld dafür anbietet, den ohnehin fest geplanten Anschlag auf den Politiker P zu einem früheren Zeitpunkt zu verüben, der betätigt ein Anstiftungsprogramm. Kommt der T der Aufforderung nach und zieht die Tat vor, um die Belohnung zu kassieren, so ist der Hintermann wegen vollendeter Anstiftung zu einem Tötungsdelikt zu bestrafen.3151 Dass der T den Anschlag später ohnehin aus alleiniger Eigenmotivation heraus begangen hätte, spielt als „hypothetisches Ersatzmotiv“ keine Rolle, denn die konkret durchgeführte, vorgezogene Tat hat der T jedenfalls auch um der versprochenen Belohnung willen begangen.3152 Nach diesen Kriterien begründet auch ein „Umstiften“ und „Aufstiften“ des präsumtiven Haupttäters noch in weitem Umfang Anstiftung.3153 Das gilt zunächst für die meisten Fallbeispiele der Umstiftung, d. h. für die Anstiftung zu einer anderen als der vom Haupttäter ursprünglich vorgehabten Tat. Die sanktionsträchtige Aufforderung zur Verwirklichung eines anderen Delikts begründet stets und unabhängig von einem „materiellen“ Begriff der anderen Tat eine Anstiftung: Fordert der Hintermann den präsumtiven Haupttäter z. B. dazu auf, statt der ursprünglich geplanten Erpressung (§ 253) einen Betrug (§ 263) zu begehen, so liegt programmatisch Anstiftung vor,3154 unabhängig davon, ob der Betrug im Verhältnis zur Erpressung eine materiell andere Tat ist.3155 Maßgeblich ist allein, dass der präsumtive Haupttäter dazu gebracht werden soll, das dominante Motiv des Anstifters zum Beweggrund seines tatsächlichen Unrechtshandelns zu machen.3156 So liegt es auch bei der verbindlichen Aufforderung des präsumtiven Haupttäters zur Wahl eines anderen Tatobjekts (etwa im Falle des eindringlich vermittelten Wunsches, man möge statt Wodka doch bitte Whisky stehlen3157): Auch hier soll der präsumtive Haupttäter motivlich dazu bestimmt werden, einen nachdrücklichen

tungsstadium die subjektive „(Vor-)Tatentschlossenheit“ noch hinauszögern, durchaus vertretbar (wenngleich natürlich nicht verifizierbar). 3151 Vgl. dazu Roxin, AT/II, § 26 Rn. 101 (m.w.N.), der für derartige Fälle ebenfalls Anstiftung annimmt, allerdings mit der inkonsistenten Begründung, der vom Haupttäter bereits gefasste Plan einer zukünftigen Tatbegehung sei noch kein fester Tatentschluss (krit. dazu auch Steen, Rechtsfigur, 203). 3152 Zur Klarstellung: Es geht hier nicht um die – unbeantwortbare – Frage, ob der Hintermann einen rechtlich neuen „Tatentschluss“ erregt, sondern um die ganz andere Frage, ob die ohnehin vorgehabte Tat in seinem Interesse verübt wird. Maßgeblich für die Beurteilung als Anstiftung sind also nicht die konkreten Tatmodalitäten, sondern das vom Haupttäter konkret (mit) verwirklichte Motiv! 3153 So zutr. Schild, in: NK, § 26 Rn. 10, m.w.N.; instruktiv zum Ganzen Bemmann, GallasFS (1973), 273 ff. 3154 I. E. ebenso Roxin, AT/II, § 26 Rn. 94; a.A. etwa Hoyer, in: SK, § 26 Rn. 24. 3155 Darauf stellt indes Roxin (AT/II, § 26 Rn. 94) ab. 3156 So dezidiert Puppe, AT, § 25 Rn. 14 ff.; im Ansatz auch Steen, Rechtsfigur, 201 ff. 3157 Fallbeispiel nach Roxin, AT/II, § 26 Rn. 96.

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Handlungswunsch des (deshalb) Anstifters erfüllen.3158 Ob er auch ohne die Aufforderung aus alleiniger Eigenmotivation heraus ein gleichwertiges Tatobjekt gestohlen hätte, ist als hypothetisches Ersatzmotiv irrelevant. Nach diesen Grundsätzen kann im Einzelfall auch eine Aufforderung zum Wechsel der Tatmodalitäten Anstiftung begründen3159 (etwa in dem o.g. Beispiel, dass für die zeitliche Vorverlegung einer ohnehin geplanten Tat Geld geboten wird). In der Sache muss der Anstifter allerdings ein eigenes Tatinteresse durchsetzen wollen, weshalb Anstiftung ausscheidet, wenn es dem Hintermann bloß um eine Modifikation der Tatmodalitäten im Interesse des Haupttäters geht3160 (Bsp.: Die Ehefrau des Täters bittet diesen aus Angst vor seiner Entdeckung eindringlich darum, die Tat zu einer anderen Zeit, an einem anderen Ort und/oder mit einem anderen Tatwerkzeug als geplant zu begehen – Beihilfe). Nach den dargelegten Grundsätzen ist ferner auch Aufstiftung, d. h. die Anstiftung zu einer schwereren als der ursprünglich geplanten Tat, möglich. Bietet etwa der A dem T eine Belohnung dafür, dass er den O mit einem Knüppel krankenhausreif schlägt, anstatt ihn „nur“ mit den Fäusten zu verprügeln, so ist A zweifellos Anstifter. Diese Beurteilung gilt unabhängig davon, ob die angesonnene Unrechtserhöhung ein gesetzliches Qualifikationsmerkmal erfüllt oder sich nur tatbestandsimmanent auswirkt.3161 Auch wer einen anderen sanktionsträchtig dazu auffordert, das Opfer zusammenzuschlagen anstatt es bloß zu ohrfeigen, ist also Anstifter.3162 Nicht als Anstifter zu bestrafen ist hingegen, wer einem zum Raub Entschlossenen lediglich vorschlägt, einen Knüppel mitzunehmen, um das Opfer damit bewusstlos zu schlagen.3163 Ein bloßer Vorschlag transportiert keine enttäuschungsfeste unrechtliche Handlungserwartung, zu deren Erfüllung der Haupttäter motivlich bestimmt werden soll, weshalb hier nur eine Beihilfe zum schweren Raub gegeben ist.3164 Die Abstiftung, d. h. die bewusste3165 Aufforderung des präsumtiven Haupttäters zu einer verhältnismäßig leichteren Begehungsform, stellt regelmäßig keine An3158

So zutr. Jakobs, AT, 22/26, der allerdings richtigerweise darauf hinweist, dass der Haupttäter sich in solchen Fällen selten aufgrund des vom Hintermann vorgetragenen Handlungswunsches zum Wechsel des Tatobjekts hinreißen lasse; auch Steen, Rechtsfigur, 202; schon im Ansatz a.A. dagegen die h.M.; s. statt vieler nur Roxin, AT/II, § 26 Rn. 96. 3159 Ebenso Jakobs, AT, 22/26. 3160 So zutr. Jakobs, AT, 22/26. 3161 Insofern ebenso BGHSt 19, 339 (340 f.); Roxin AT/II, § 26 Rn. 105. 3162 Beispiel und Lösung nach Roxin, AT/II, § 26 Rn. 102 a.E. 3163 Wie hier Jakobs, AT, 22/26; a.A. die h.M.; s. nur BGHSt 19, 339 (340); Roxin, AT/II, § 26 Rn. 105. 3164 Ebenso von seinem noch strengeren Anstiftungskriterium her Jakobs, AT, 22/26. 3165 Kein Fall der Abstiftung ist gegeben, wenn ein Hintermann, der vom qualifizierten Tatvorhaben des präsumtiven Haupttäters nichts weiß, eine Tataufforderung kommuniziert, die den Haupttäter von seinem qualifizierten Tatvorhaben abrücken und ihn den unrechtlichen Handlungswunsch des Auffordernden erfüllen lässt (a.A. tendenziell Redmann, Rechtsfigur, 196, der den Fall aber i.E. doch zutr. der Anstiftung zuordnet).

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stiftungshandlung. Wer etwa einen anderen nachdrücklich darum bittet, statt des ursprünglich geplanten Raubes (§ 249) einen gewaltfreien Diebstahl (§ 242) zu begehen, der betätigt kein Anstiftungsprogramm.3166 Das liegt allerdings nicht etwa daran, dass der Diebstahlsentschluss im Raubentschluss enthalten und daher der Haupttäter auch insofern omnimodo facturus ist,3167 sondern schlicht daran, dass der Abstifter den Haupttäter meist nicht zur Erfüllung einer eigenen unrechtlichen Handlungserwartung bestimmen will.3168 In derartigen Fällen scheidet darüber hinaus auch Beihilfe aus, denn derjenige, der ausschließlich von der qualifizierten Ausführungsart abstiftet,3169 darf strafrechtlich nicht schlechter behandelt werden als derjenige, der ihr von vornherein freien Lauf lässt.3170 All dies resümierend liegt ein Anstiftungsprogramm immer, aber auch nur dann vor, wenn der Hintermann den präsumtiven Haupttäter motivlich dazu bestimmen will, einen von ihm selbst geäußerten unrechtlichen Handlungswunsch zu erfüllen. (2) Vorsätzlich-rechtswidrige Fremdtat als Bezugsgegenstand des Anstiftungsprogramms Ist damit klar, welche Prämissen das Anstiftungsprogramm im Hinblick auf die angestrebte Motivationskausalität erfüllen muss, so fragt sich weiter, wie der Gegenstand der unrechtlichen Handlungserwartung – die fremde Tat – in der Vorstellung des Anstifters beschaffen sein muss. Typischerweise richtet sich die enttäuschungsfeste unrechtliche Handlungserwartung des Anstifters auf die Begehung einer kulposen Straftat. Dem entspricht das archetypische (freilich an die „moderne“ Gesellschaft angepasste3171) Bild vom Anstifter als eines „Feindes der Norm“, der

3166 3167

Rn. 69.

s. statt vieler nur Roxin, AT/II, § 26 Rn. 69; Puppe, AT, § 25 Rn. 16. So aber statt vieler etwa Bemmann, Gallas-FS (1973), 273 (279); Roxin, AT/II, § 26

3168 s. auch bereits Hoyer, in: SK, § 26 Rn. 17. Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Hintermann den präsumtiven Haupttäter verbindlich zu der leichteren Begehungsform auffordert, weil er selbst die Tatdurchführung im eigenen Interesse will und deshalb die weniger auffällige Begehungsform – etwa die Verwendung eines lautlos funktionierenden Schlagwerkzeugs anstelle einer Schusswaffe – wünscht (leicht abgewandeltes Beispiel nach Roxin, AT/II, § 26 Rn. 70). Hier wäre keine bloße Abstiftung von der gefährlicheren Begehungsform, sondern eine positive Anstiftung zum Grunddelikt gegeben, da der Hintermann das ursprüngliche Vorhaben des präsumtiven Haupttäters an seine Ziele anpasst und als eigenen Handlungswunsch an diesen zurückgibt (wie hier Redmann, Rechtsfigur, 195 ff.; a.A. Bemmann, Gallas-FS (1973), 273 (279); Roxin, AT/II, § 26 Rn. 70: bei psychischer Bestärkung des Grundtatentschlusses lediglich Beihilfe). 3169 s. dazu bereits Bemmann, Gallas-FS (1973), 273 (279); auch Hoyer, in: SK, § 26 Rn. 17. 3170 Allgemeine Meinung; s. statt vieler nur Bemmann, Gallas-FS (1973), 273 (279); Roxin, AT/II, § 26 Rn. 69 a.E., unter Hinweis auf ders., AT/I, § 11 Rn. 53; Puppe, AT, § 25 Rn. 16. 3171 Instruktiv zur kulturhistorischen Entwicklung des Bildes vom Anstifter – vom konspirativen „Einflüsterer“ in voraufklärerischen Zeiten zum Druck erzeugenden „Normfeind“ in der „Moderne“ – Amelung, Schroeder-FS (2006), 147 (149 ff., 171 f.).

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andere dazu korrumpiert, sich über die Normen des Rechts zu erheben.3172 Aus solchen Idealbildern dürfen allerdings keine voreiligen Schlüsse auf die Qualität des sub specie Rechtsgüterschutz verbotenen Anstiftungsverhaltens gezogen werden. Es wäre daher verfehlt, allein die korrumpierende Aufforderung zur subjektiven Auflehnung gegen die Norm als Anstiftung zu bewerten3173 und die in § 26 vorgesehene Akzessorietätslimitierung lediglich als Spezialregelung eines unbeachtlichen Irrtums über den Kausalverlauf (hier: über die subjektive Auflehnung des Haupttäters gegen die Norm) zu betrachten.3174 Denn es ist ja nicht die persönliche Korrumpierung des Täters, die die Anstiftung sub specie Rechtsgüterschutz so unwertig macht, sondern der Umstand, dass der Anstifter dem Täter einen eigenen unrechtlichen Handlungswunsch ansinnt und diesen interpersonal durchsetzt. Deshalb ist das Programm einer Anstiftung auch schon (und gerade) dann gegeben, wenn der Hintermann lediglich eine nur-rechtswidrige Vorsatztat (i.S.d. § 11 I Nr. 5) des (nachdrücklich zur Tatbegehung aufgeforderten) Haupttäters einplant, etwa weil er diesen in einem schuldausschließenden Verbotsirrtum (§ 17) befangen wähnt.3175 (3) Spannweite des Anstiftervorsatzes Zur „Spannweite“ des Anstiftervorsatzes ist zu sagen, dass dieser sowohl das motivliche Bestimmen des Haupttäters zu dessen vorsätzlich-rechtswidriger Tat als auch die Rechtsgutsverletzung durch den Täter umfassen muss (sog. Doppelvorsatz des Anstifters).3176 Das Erfordernis eines eigenen Deliktsvollendungsvorsatzes folgt dabei daraus, dass auch das Anstiftungsverbot unmittelbar dem Rechtsgüterschutz dient und daher ebenso wie die Täterverhaltensnorm intentionale Rechtsgutsangriffe untersagt.3177 Demnach betätigt also kein Anstiftungsprogramm, wer als „agent provocateur“ davon ausgeht, dass der zur Deliktsbegehung aufgeforderte Täter noch im Versuchsstadium festgenommen wird.3178 Gleiches gilt für denjenigen, der zu einem Tatversuch auffordert, dessen Untauglichkeit er von vornherein kennt.3179 Plant der Hintermann hingegen, den zur Tat Aufgeforderten erst nach tatbestands-

3172

s. dazu Amelung, Schroeder-FS (2006), 147 (171 f.). So aber expressis verbis Amelung, Schroeder-FS (2006), 147 (159 f., 169 f.); Schild, in: NK, Vor §§ 26, 27 Rn. 8; § 26 Rn. 11, 14. 3174 So Schild, in NK, Vor §§ 26, 27 Rn. 8. 3175 So im Anschluss an den eindeutigen Gesetzeswortlaut der §§ 26, 27 die nahezu ganz h.L. im Schrifttum; s. statt vieler etwa nur Roxin, AT/II, § 26 Rn. 5, 33; Schünemann, in LK, Vor § 26 Rn. 20. 3176 Roxin, AT/II, § 26 Rn. 130, 132. 3177 So zutr. Roxin, AT/II, § 26 Rn. 132 m. Rn. 9, 27 f.; Schünemann, in: LK, Vor § 26 Rn. 2 f. 3178 Roxin, AT/II, § 26 Rn. 8, 132, 151 f., 163. 3179 Roxin, AT/II, § 26 Rn. 151, der als Beispiel die Aufforderung zum tödlichen Schuss mit einer zuvor heimlich entladenen Waffe nennt. 3173

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mäßiger Vollendung anzuzeigen und bestrafen zu lassen, so ändert dies nichts am Anstiftungsvorsatz.3180 Schwierig zu beurteilen sind dagegen (Grenz-)Konstellationen, in denen ein Lockvogel zwar zu einer formell vollendeten Tat auffordert, zugleich jedoch Vorkehrungen trifft, die den vom Tatbestand eigentlich zu verhindern gesuchten materiellen Schadenserfolg von vornherein ausschließen (sollen).3181 Das kann insbesondere bei abstrakten Gefährdungsdelikten (etwa § 29 BtMG) und bei erfolgskupierten Delikten (z. B. §§ 242, 257, 267) der Fall sein, deren Tatbestände schon vor Eintritt der materiellen Rechtsgutsverletzung formell vollendet sind.3182 In derartigen Konstellationen wird man eine Anstiftung des Lockvogels richtigerweise ablehnen müssen: Wer einen anderen zur Begehung eines abstrakten Gefährdungsdelikts auffordert, dabei jedoch zugleich sicherstellt, dass die Gefahren, denen das Haupttatverbot vorbeugen soll, ausbleiben, den wird man mangels intentionalen Rechtsgutsangriffs nicht als Anstifter ansehen können.3183 Die Problematik ist praktisch relevant beim Einsatz von V-Personen und verdeckten Ermittlern in der Drogenszene, die zwecks Täterüberführung Drogengeschäfte wie etwa das Handeltreiben mit oder den Erwerb von Betäubungsmitteln (§ 29 I Nr. 1 BtMG) anregen sollen.3184 Am intentionalen Rechtsgutsbezug fehlt es ferner auch demjenigen, der zu einem Delikt mit rechtsgutsbezogener Absicht auffordert, dabei aber zugleich sicherstellt, dass die vom Täter kupierte Rechtsgutsverletzung trotz formeller Deliktsvollendung nicht realisiert werden kann.3185 Paradigmatisches Beispiel ist hier der Fall des Lockvogels, der den von ihm „angestifteten“ Diebstahlstäter ohne Zustimmung des betroffenen Rechtsgutsträgers erst nach Tatvollendung dingfest machen will.3186 (4) Bestimmtheit des Anstiftervorsatzes Klärungsbedürftig ist des Weiteren, wie konkret der Anstiftervorsatz hinsichtlich der präsumtiven Haupttat und der Person des Täters beschaffen sein muss. Klar ist jedenfalls, dass der „Appell“ zur Begehung gänzlich unbestimmter, nicht näher 3180

Roxin, AT/II, § 26 Rn. 153; in seltenen Ausnahmefällen mag hier u. U. eine Rechtfertigung nach § 34 in Betracht kommen (Roxin, a.a.O.). 3181 Einen Überblick über diese höchst umstrittenen Fragen gibt Roxin (AT/II, § 26 Rn. 156 ff., m.w.N.), dessen Ansichten hier gefolgt wird; s. zum Ganzen auch Schünemann, in: LK, § 26 Rn. 62 ff. 3182 Roxin, AT/II, § 26 Rn. 156 f., 161 f. 3183 Roxin, AT/II, § 26 Rn. 157, mit zahlreichen Nachweisen aus der Literatur. 3184 Schünemann, in: LK, § 26 Rn. 63. 3185 Zutr. Roxin, AT/II, § 26 Rn. 161 ff., der zur Begründung darauf hinweist, dass die rechtsgutsbezogenen Absichten „in gewissem Sinne nichtakzessorisch“ seien (a.a.O., Rn. 164). Denn „(…) der Anstifter muß selbst wissen und wollen, dass der Täter die vom Tatbestand geforderte Absicht verwirklichen kann (…). Ist der Vorsatz nicht auf die Verwirklichung der rechtsgutsbezogenen Absicht gerichtet, so fehlt der Rechtsgutsangriff, der für jede Teilnahme notwendig ist.“ (a.a.O.). 3186 Roxin, AT/II, § 26 Rn. 163.

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genannter Straftaten kein Anstiftungsprogramm begründet. Dieses Resultat ist allerdings meist weniger der fehlenden Vorsatzindividualisierung des Hintermannes geschuldet als vielmehr der Unpersönlichkeit seines Appellverhaltens: Es mangelt von vornherein an einer verbindlichen Verhaltensaufforderung, woraus die mangelnde Haupttatkonkretisierung erst resultiert.3187 Anders muss das freilich sehen, wer die Anstiftung objektiv als Verursachung des Tatentschlusses (unter-)bestimmt: Soll für ein „objektiv-tatbestandliches“ Anstiftungsverhalten schon jeder einfache Motivationszusammenhang genügen, so muss durch Errichtung subjektiver Einschränkungskriterien zumindest sichergestellt werden, dass der Täter genau die Tat begangen hat, die der Anstifter ihm vorgeschlagen hat.3188 So verfährt denn auch der BGH3189, indem er für den Anstiftungsvorsatz die Aufnahme bestimmter zur Tatindividualisierung tauglicher Merkmale (Tatobjekt, Tatort, Tatzeit, sonstige Umstände der Tatausführung) verlangt, in denen die Täterhandlung mit dem Vorschlag des Anstifters übereinstimmen müssen soll. Dieser „extensiv-restriktive“ Ansatz des BGH stellt aber vor Probleme, da das Handlungsunrecht der Anstiftung durch eine bloße Vorsatzrestriktion nicht angemessen eingefangen werden kann: Der spezifische Aktunwert der Anstiftung liegt nicht darin, dass der Anstifter sich die Tat für den Täter detailreich ausmalt, sondern darin, dass er sie ihm qua nachdrücklicher Aufforderung ansinnt! Zwar wird derjenige, der im eigenen Interesse zu einer Straftat auffordert, diese meist auch entsprechend konkretisieren.3190 Doch impliziert eine verbindliche Tataufforderung keineswegs zwingend eine Vorsatzkonkretisierung, wie sie der BGH verlangt: Heuert etwa ein Ausländerfeind einen Lohnkiller dazu an, einen beliebigen Ausländer zu töten,3191 so fehlt es offensichtlich an einer subjektiven Tatindividualisierung i.S.d. BGH. Nichtsdestotrotz ist aber der Auftraggeber hier selbstverständlich Anstifter zu einem Tötungsdelikt!3192 Entsprechendes gilt z. B. für den Hehler, der einen Dieb damit beauftragt, ihm für einen bestimmten Geldbetrag Orienttep-

3187 So lag es realiter auch im Fall RGSt 1, 110 f., in dem jemand gegenüber einer Hausgehilfin geäußert hatte, „(…) sie sei dumm, dass sie die [scil.: in ihrer Beschäftigung liegende] Gelegenheit nicht benutze und sich heimlich Geld mache (…)“ (a.a.O., 110) – Das RG (a.a.O.) lehnte eine Verurteilung wegen Anstiftung zur später begangenen Unterschlagung i.E. zu Recht ab. Der zur Begründung gegebene Hinweis auf die fehlende Vorsatzkonkretisierung des Hintermannes (a.a.O.) befriedigt allerdings nicht, da es in Wahrheit schon an einer verbindlichen Tataufforderung fehlte. 3188 So die zutr. Analyse bei Puppe, AT, § 25 Rn. 4 f. 3189 BGHSt 34, 63 (66 f.). 3190 Puppe, AT, § 25 Rn. 6. 3191 Beispiel nach Ingelfinger, Anstiftervorsatz, 226; s. auch bereits das sachlich gleichgelagerte Beispiel bei Herzberg, JuS 1987, 617 (618): Ausländerfeind beauftragt einen brutalen Schläger ohne nähere Konkretisierung, Asylanten zu verprügeln. 3192 Ingelfinger, Anstiftervorsatz 226 f.; s. auch bereits Herzberg, JuS 1987, 617 (618).

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piche zu beschaffen, ohne die Tatumstände näher zu individualisieren.3193 Da die Auffassung des BGH in solchen Fällen zu „kriminalpolitisch unerträglichen Ergebnissen“3194 gelangen müsste, ist sie ad absurdum geführt: Es ist weder notwendig noch möglich, das personale Handlungsunrecht der Anstiftung anhand besonderer subjektiver Tatindividualisierungsmerkmale zu bestimmen. Stattdessen genügt es, wenn der vom Anstifter kommunizierte Handlungswunsch die wesentlichen Unrechtsdimensionen der dem Täter angesonnenen Tat erfasst, d. h. „das ungefähre Ausmaß des Schadens und die Angriffsrichtung“.3195 Diese Unrechtskonkretisierung kann sich auch hinter einem bestimmten Argot verbergen, wie etwa dann, wenn ein Gewohnheitseinbrecher von seinem Hehler aufgefordert wird, um der weiteren Zusammenarbeit willen endlich mal wieder ein „Ding zu drehen“ oder „Ware zu besorgen“.3196 Auch hinsichtlich der Person des präsumtiven Haupttäters ist eine gewisse Vorsatzkonkretisierung erforderlich: Zwar muss sich der Anstiftervorsatz nicht zwingend auf die geistige „Inbeschlagnahme“ einer individuell bestimmten Person richten, sondern es genügt die sanktionsträchtige Tataufforderung an eine noch nicht näher bestimmte Person aus einer überschaubaren Gruppe.3197 Andererseits scheidet Anstiftung jedoch zugunsten von § 111 aus, wenn – wie etwa bei einem Fernsehappell oder einer Volksrede – eine „anonyme“ Öffentlichkeit angesprochen wird.3198 Verspricht etwa ein Gangsterboss eine „Beförderung“ für denjenigen innerhalb seiner Organisation, der seinen Rivalen ausschaltet, so liegt Anstiftung vor. Setzt er dagegen im „Milieu“ öffentlich ein „Kopfgeld“ auf seinen Rivalen aus, so ist eine Öffentliche Aufforderung zu Straftaten i.S.d. § 111 gegeben. Tendenziell3199 lässt sich wie folgt abgrenzen: Wendet sich der Hintermann mit einer sanktionsträchtigen Tataufforderung an einen mehr oder minder exklusiven Täterkreis, so betätigt er ein Anstiftungsprogramm; will er hingegen i.S.e. allgemeinen Handlungsaufrufs an eine möglichst breite Öffentlichkeit appellieren, so betätigt er das Programm einer Öffentlichen Aufforderung zu Straftaten. 3193

Roxin, AT/II, § 26 Rn. 140. Roxin, AT/II, § 26 Rn. 140; in der Sache ebenso bereits Herzberg, JuS 1987, 617 (618); auch Ingelfinger, Anstiftervorsatz, 227. 3195 Roxin, AT/II, § 26 Rn. 136. Die noch weitergehende Lehrmeinung, die auf jede über die Kennzeichnung des Deliktstatbestandes hinausgehende Tatindividualisierung verzichten will (so Herzberg, JuS 1987, 617 [618 f.]), läuft wohl lebenspraktisch gesehen wieder auf die Lehre von den wesentlichen Unrechtsdimensionen hinaus: Beispiele einer verbindlichen Aufforderung zu einer „blutleeren Deliktsschablone“ lassen sich kaum bilden (s. auch Roxin, AT/II, § 26 Rn. 143, in Auseinandersetzung mit Herzbergs [a.a.O.] Fallbeispielen). 3196 Insofern zu undifferenziert daher wohl Schünemann, in: LK, § 26 Rn. 45 (generelle Ablehnung von Anstiftung). 3197 Roxin, AT/II, § 26 Rn. 148 f. 3198 Roxin, AT/II, § 26 Rn. 148 f. 3199 Die Kriterien zur Ermittlung des genauen Grenzverlaufs sind umstritten; einen kursorischen Überblick über die verschiedenen Abgrenzungstheorien gibt Roxin, AT/II, § 26 Rn. 149. 3194

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(5) Vorsatzformen Der Anstiftervorsatz umfasst – wie der Tatvorsatz – theoretisch alle Vorsatzformen im Rechtssinne. Dabei ist jedoch zu beachten, dass es sich um einen Doppelvorsatz handelt, weshalb zu differenzieren ist: Das eigene Aufforderungsverhalten des Anstifters ist als Ansinnen eines gewünschten (Unrechts-)Handelns ein absichtsinhärentes Tun, weshalb es einen Eventualvorsatz insofern nicht geben kann.3200 Hinsichtlich der präsumtiven Übernahme des eigenen Handlungswunsches durch den Täter kann der Anstifter dagegen Eventualvorsatz aufweisen. So liegt es dann, wenn der Anstifter nicht notwendig bezweckt, sondern lediglich in Kauf nimmt, dass der präsumtive Haupttäter seine (versteckte) Aufforderung zum Handlungsmotiv nimmt3201 (Bsp.3202 : „Wetten, dass Du Dich nicht traust, die Schnapsflasche da für uns einzustecken?!?“ [Subtext: „Wenn doch, beweise es!“]). bb) Umsetzung Die Feststellung, wann ein unmittelbares Ansetzen zum Umsetzen eines Anstiftungsprogramms gegeben ist, richtet sich nicht direkt nach der allgemeinen Versuchsdogmatik, denn die Sanktionsnorm des § 30 I regelt keinen Sonderfall des Versuchs (die Anstiftung ist keine „Tat“ i.S.d. § 22)3203 ; sie trifft auch nicht etwa eine Sonderregelung über die Strafbarkeit selbständiger Vorbereitungshandlungen,3204 sondern sie erweitert schlicht die Strafbarkeit der Teilnahme (§§ 26, 27),3205 d. h. sie pönalisiert die Verletzung der Teilnahmeverhaltensnorm als solche.3206 Darin liegt an sich nur die folgerichtige gesetzgeberische Reaktion auf das unrechtsbegründungsrechtliche Primat des personalen Handlungsunrechts3207 auch für den Regelungsbereich der Teilnahme. Dennoch erscheint die Vorverlegung der Strafbarkeit in ein tatfernes Vorbereitungsstadium angesichts der in § 30 vorgese-

3200

So zutr. Roxin, AT/II, § 26 Rn. 130. Roxin, AT/II, § 26 Rn. 130. 3202 Vgl. auch die abstrakte Beschreibung bei Roxin, AT/II, § 26 Rn. 83. 3203 Ganz h.M.; s. statt aller nur Letzgus, Vorstufen, 215; a.A. einzig Hoyer, in: SK, § 30 Rn. 2, der die §§ 26, 27 im Verbrechensfalle als „Tat“ i.S.d. § 22, 12 I, 23 I ansieht und die Begrenzung des § 30 auf den Anstiftungsversuch daher als strafbarkeitseinschränkend deutet. 3204 So aber die sog. „Vorbereitungstheorie“ (zu den Theoriebezeichnungen s. Letzgus, Vorstufen, 216, 219): BGHSt 9, 131 (134); 14, 378 (379); Busch, Maurach-FS (1972), 245 (248); Letzgus, Vorstufen, 219 ff.; Fieber, Verbrechensverabredung, 58; Schünemann, in: LK, § 30 Rn. 2a; Roxin, AT/II, § 28 Rn. 2; Heine/Weißer, in: Schönke/Schröder, § 30 Rn. 2; Fischer, § 30 Rn. 2. 3205 So zutr. die sog. „Teilnahmetheorie“: BGHSt 6, 308 (310 f.); Maurach, JZ 1961, 137 (138); Jescheck/Weigend, AT, § 65 I 3 (701); Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, AT, § 26 Rn. 172; Renzikowski, in: Maurach/Gössel/Zipf, AT/2, § 53 Rn. 93, 97. 3206 So die zutr. Erkenntnis bei Renzikowski, in: Maurach/Gössel/Zipf, AT/2, § 53 Rn. 97. 3207 s. dazu oben, S. 155 f. 3201

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henen massiven Strafdrohung verfassungsrechtlich nicht unbedenklich,3208 weshalb in Teilen der Literatur für eine restriktive Auslegung der Vorschrift votiert wird.3209 Letzteres ließe sich jedoch sinnvoll3210 nur auf dem Wege erreichen, dass man zusätzlich zum personalen Handlungsunrecht des Bestimmen-Wollenden den Eintritt eines objektiven Teilerfolges verlangte, der dann nur in der Erregung eines Tatentschlusses i.S.d. Lehre vom omnimodo facturus bestehen könnte.3211 Eine derart weitgehende Restriktion wäre aber deutlich überzogen, da sie den Regelungszweck des geltenden § 30 gerade konterkarierte. Zur Bestimmung des Beginns des Anstiftungsversuchs sind deshalb richtigerweise die allgemeinen Versuchsregeln des § 22 mit den allgemeinen Teilnahmeregeln zu kombinieren.3212 Danach liegt noch kein Anstiftungsversuch vor, wenn der Hintermann durch das Sprechen der ersten Worte gerade erst damit begonnen hat, sein unrechtliches Ansinnen überhaupt zu verbalisieren.3213 Gleiches gilt dann, wenn der Hintermann noch im Begriff ist ausloten, wie es prinzipiell um eine etwaige Tatbereitschaft des präsumtiven Haupttäters bestellt ist3214 (Bsp.: „Was würdest Du sagen, wenn ich Dir 1.000,00 Euro dafür anböte, dass Du den X verprügelst?“). In derartigen Fällen ist der Sprecher nach seinem Programm noch gar nicht dazu gekommen, einen unrechtlichen Handlungswunsch zu übermitteln.3215 Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass ein unmittelbares Ansetzen zur Anstiftungshandlung erst dann anzunehmen ist, wenn der Sprecher nach seiner Vorstellung erstmals wirklich appellativ an den präsumtiven Haupttäter herantritt. Danach ist im Falle einer Tataufforderung unter Anwesenden Versuch erst mit Abschluss desjenigen Sprech3208 Diese Bedenken scheinen allgemein zuzunehmen (s. etwa nur die beiläufige Feststellung bei Heine/Weißer, in: Schönke/Schröder, § 30 Rn. 1; dezidiert Zaczyk, in: NK, § 30 Rn. 4 f.; a.A. Hoyer, in: SK, § 30 Rn. 31, der allerdings im Verbrechensfalle § 26 unzulässigerweise als „Tat“ i.S.d. § 22, 12 I, 23 I ansieht [a.a.O., Rn. 2]). 3209 s. statt vieler nur Heine/Weißer, in: Schönke/Schröder, § 30 Rn. 1, m.w.N. 3210 Die Idee, den strafbaren Anstiftungsversuch vom Zugang der tatgerichteten Aufforderung im Machtbereich des Erklärungsempfängers abhängig zu machen (so statt vieler etwa Stratenwerth/Kuhlen, AT, § 12 Rn. 175), ist teleologisch von vornherein verfehlt: Der Anstifter verliert die Kontrolle über die potentiell motivierende Wirkung seiner Erklärung bereits in dem Moment, da er sich ihrer entäußert (s. dazu nur Schünemann, in: LK, § 30 Rn. 17; Heine/Weißer, in: Schönke/Schröder, § 30 Rn. 18). 3211 So konsequent Zaczyk, § 30 Rn. 12, der den übrigen Verfechtern einer restriktiven Auslegung des § 30 daher zu Recht Inkonsequenz vorhält (a.a.O., Rn. 6 Fn. 14); ebenso bereits Letzgus, Vorstufen, 123 ff (135 f.), 141 ff. 3212 H.M.; s. statt vieler etwa Hoyer, in: SK, § 30 Rn. 31 f.; Schünemann, in: LK, § 30 Rn. 17; Heine/Weißer, in: Schönke/Schröder, § 30 Rn. 18. 3213 In diesem buchstäblichen Sinne aber Hoyer, in: SK, § 30 Rn. 32; dagegen zutr. Zaczyk, in: NK, § 30 Rn. 14. 3214 s. auch Heine/Weißer, in: Schönke/Schröder, § 30 Rn. 18 („[…] bloß argumentatives Vorbereiten des Terrains genügt […] nicht […]“); auch Schünemann, in: LK, § 30 Rn. 14. 3215 Anderes gilt im Falle einer bloß noch von einer äußeren Bedingung abhängigen Tataufforderung (Bsp.: „Wetten, dass Du Dich nicht traust, das durchzuziehen?!?“); hier ist bereits ein Anstiftungsversuch gegeben.

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aktes gegeben, der die unrechtliche Handlungserwartung als solche erstmals konkret kommunizieren soll3216 (Äußerung des Befehls, der Bitte, des Wunsches etc.); im Falle einer sanktionsträchtigen Aufforderung unter Abwesenden beginnt der Versuch dagegen mit Entäußerung der (ersten) auffordernden Willenserklärung3217 (z. B. Absenden des Briefes mit Anstiftungsgehalt). cc) Zurechnung des Haupttatgeschehens als tatbestandliche Anstiftungshandlung Eine vollendete Anstiftung i.S.d. § 26 liegt erst dann vor, wenn das in der Entscheidungssituation ex ante umgesetzte Anstiftungsprogramm sich erfolgreich (teil-) realisiert hat, d. h. wenn der zur Tatbegehung Bestimmte auch tatsächlich zur Tat geschritten ist. Die Anstiftung weist nach hier vertretener Ansicht einen doppelten Erfolg auf, nämlich erstens den tatmächtigen Tatentschluss des Haupttäters i.S.d. § 22 und zweitens die Tatvollendung durch den Haupttäter.3218 Es ist daher zu differenzieren zwischen der „perfekten“ Anstiftung zum realiter vollendeten Delikt einerseits und der „imperfekten“ Anstiftung zur (strafbaren) Versuchstat andererseits. Die fremde Haupttatbegehung ist der Erfolg, auf den das Anstiftungsprogramm innerlich ausgelegt ist und sein muss. Sie wird daher nicht bloß äußerlich zum eigenen Bestimmen zugerechnet, sondern als Erfolgsrealisierung des Anstiftungsprogramms selbst.3219 Für diese Zurechnung ist zunächst erforderlich, dass der Haupttäter tatsächlich durch die Aufforderung des Anstifters zu seinem wirklichen Tatentschluss bestimmt wurde. Das ist dann anzunehmen, wenn der Haupttäter sein Tun motivlich auf die Aufforderung des Anstifters zurückführt, sie also zum Beweggrund seines Handelns macht.3220 Damit ist zwar kein gesetzmäßiger Kausalzusammenhang beschrieben, denn

3216

In der Sache ebenso Roxin, AT/II, § 28 Rn. 13; ähnlich auch Heine/Weißer, in: Schönke/ Schröder, § 30 Rn. 18; Bloy, JR 1992, 493 (495 f.); Kühl, AT, § 20 Rn. 249. 3217 BGHSt 8, 261 (262); Roxin, AT/II, § 28 Rn. 11 – 13; Bloy, JR 1992, 493 (496); Kühl, AT, § 20 Rn. 249; Schünemann, in: LK, § 30 Rn. 17; Heine/Weißer, in: Schönke/Schröder, § 30 Rn. 18. 3218 Puppe, AT § 25 Rn. 18; Schild, in: NK, § 26 Rn. 17. – Erkennt man mit der h.L. die Möglichkeit eines selbständigen Tatentschlusses im Vorbereitungsstadium an, so müsste man genau genommen einen Dreifacherfolg der Anstiftung (Entschlusserregung – Versuch – Vollendung) annehmen, wovon jedoch abgesehen wird, da man hier innerhalb der Haupttatbegehung keine Zäsur mehr vornimmt (s. exemplarisch etwa nur Letzgus, Vorstufen, 22 f.). 3219 So zutr. Schild, in: NK, Vor §§ 26, 27 Rn. 14; § 26 Rn. 17. 3220 Allgemein zuerst Puppe, GA 1984, 101 (109); zust. etwa Schild, in: NK, § 16 Rn. 17.

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„(…) selbst wenn auch menschliches Verhalten durch strikte allgemeine Kausalgesetze determiniert ist, so kennen wir diese Gesetze nicht und können sie auch nicht ermitteln und in einem noch so bescheidenen Sinne durch Erfahrung bestätigen“3221.

Dennoch ist es aber eine unbestreitbare Erfahrungstatsache, dass wir für jede unserer Handlungen bestimmte Beweggründe anerkennen. Damit entspricht der Rekurs auf das subjektive „Kausalerlebnis“3222 des Täters dem alltagsontologischen „Modell des psychischen Bewirkens fremder Entschlüsse“3223 und beschreibt den in §26 geforderten Bestimmungszusammenhang adäquat. Über das Erfordernis der Motivationskausalität hinaus muss die Haupttat das Handlungsprogramm des Anstifters auch verwirklichen, weshalb nach der Erheblichkeit von Verlaufsabweichungen für die Programmverwirklichung zu fragen ist. In Betracht kommen zunächst und insbesondere Abweichungen im realontologischen Sinne, also solche, die die kybernetische Natur des eingeplanten „Handlungssystems Mensch“ betreffen. Insofern gelten die gleichen Grundsätze wie für die anderen komplexen Beteiligungsformen:3224 Unterläuft dem mit einem Mordattentat beauftragten Täter ein unbeachtlicher error in persona, so liegt für den Auffordernden (dennoch) eine vollendete Anstiftung zur vollendeten3225 Tat vor3226 (sog. „Unbeachtlichkeitslehre“). Das gilt unab3221 Puppe, GA 1984, 101 (105). – Zur Klarstellung: Das Fehlen allgemeingültiger Kausalgesetze über das Zustandekommen menschlicher Verhaltensentschlüsse ändert nichts an der prinzipiellen Möglichkeit, selbst unrechtliche Verhaltensentschlüsse vertrauter Dritter zu antizipieren (s. dazu Schild, in: NK, § 25 Rn. 30). 3222 Puppe, GA 1984, 101 (109); zur forensischen Ermittlung „dieses Wahlakts“ s. Puppe, in: NK, Vor §§ 13 Rn. 132 (Zitat ebenda). 3223 Puppe, GA 1984, 101 (108). 3224 s. dazu bereits oben, S. 427 ff., 523 ff. 3225 Für die Annahme einer Anstiftung zum Versuch plädieren dagegen Stratenwerth, AT/I2, Rn. 284 a.E.; Blei, AT, 285; Schroeder, in LK11, § 16 Rn. 14: Der Anschlag des Haupttäters auf das „falsche“ Opfer sei aus der Perspektive des Anstifters zugleich ein Tötungsversuch am „richtigen“ Opfer. Daran ist richtig, dass der Täter das „richtige“ Opfer in Gestalt des vor ihm stehenden Menschen töten will und gerade dadurch die Verabredung mit dem Anstifter erfüllt (so zutr. Puppe, NStZ 1991, 123 [126]; dies., AT, § 27 Rn. 11). Darin liegt aber kein simultaner tatunrechtlicher Angriff i.S.d. § 22 auf das „richtige“ Opfer! Geistige Gesundheit vorausgesetzt, will der Täter das „richtige“ Opfer in Gestalt desjenigen Menschen töten, den er vor sich hat, und nicht diese Menschengestalt plus den Menschen, den er vor sich zu haben glaubt! Daran ändert auch die subjektive Perspektive des Anstifters nichts, da es einer Versuchstat gegen das „richtige“ Tatobjekt objektiv gerade fehlt (so zutr. Hillenkamp, Bedeutung, 65 f.; Schreiber, JuS 1985, 873 [877]; Geppert, Jura 1992, 163 [167]; Roxin, AT/II, § 26 Rn. 122; Schünemann, in: LK, § 26 Rn. 90). 3226 Ebenso die h.M.; s. etwa Preußisches Obertribunal, GA 1859, 332 (337) [sog. Fall „Rose-Rosahl“]; BGHSt 37; 214 (217 ff.) [sog. „Hoferbenfall“]; Loewenheim, JuS 1966, 310 (314 f.); Geppert, Jura 1992, 163 (167 f.); Nikolidakis, Grundfragen, 177 f.; auch Puppe, NStZ 1991, 123 (126), deren Ansicht freilich z. T. falsch klassifiziert und der Lehre von der Anstiftung zum Haupttatversuch zugeschlagen wird (s. etwa Hoyer, in: SK, Vor §§ 26 – 31 Rn. 51); das ist nicht richtig, denn Puppe stellt auf die Versuchskategorie nur ab, um zu demonstrieren, dass dem Anstifter bereits die Ausführungshandlung des Haupttäters zuzurechnen ist; der Rest (scil.:

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hängig davon, ob und wenn ja wie konkret der Anstifter dem Haupttäter die Opferidentität beschrieben hat.3227 Wer als Anstifter letztlich weiß, dass derjenige getötet wird, den der Täter im Tatzeitpunkt subjektiv als den Richtigen identifiziert, der ist auch dann wegen vollendeter Anstiftung zum Tötungsdelikt zu bestrafen, wenn dem Täter eine Fehlidentifikation unterläuft.3228 Dass dem Täter zur Erleichterung der Identifikation ggf. ein Lichtbild vorgelegt wurde und/oder dass ihm das gewünschte Zielobjekt sogar persönlich bekannt war,3229 ändert an dieser Bewertung nichts. Denn da Fehler bei der Identitätsverifikation im entscheidenden Tatzeitpunkt niemals ausgeschlossen werden können, sind sie auch im Programm des Anstifters als strategieimmanente Unwägbarkeiten notwendig mit angelegt; eine weitergehende Vorsatzkonkretisierung des Anstifters ist rechtlich unbeachtlich.

die Zurechnung des Erfolges) „(…) ergibt sich dann aus Akzessorietätsregeln.“ (so dies., NStZ 1991, 123 [126]). 3227 Str.; eine differenzierende Ansicht will die rechtliche Behandlung des Auftraggebers davon abhängig machen, ob seine individualisierenden Rahmenvorgaben vom Haupttäter eingehalten wurden (dann unbeachtlicher error in persona) oder nicht (dann beachtliche aberratio ictus); s. etwa Jakobs, AT, 22/29, 21/45; Weßlau, ZStW 104 (1992), 105 (130 f.); Heine/ Weißer, in: Schönke/Schröder, § 26 Rn. 26; Hoyer, in: SK, Vor §§ 26 – 31 Rn. 53; Streng, JuS 1991, 910 (915); Schild, in: NK, § 26 Rn. 18 m. § 25 Rn. 88. – Wie schillernd dieses Kriterium in der konkreten Fallbehandlung ist, wird jedoch schon an der Behandlung des „Hoferbenfalles“ (BGHSt 37, 214 ff.) deutlich: Obwohl der Auftraggeber dem Täter, der das gewünschte Anschlagsopfer bereits einmal persönlich zu Gesicht bekommen hatte, ein Lichtbild an die Hand gegeben und sich sogar am Tatort noch einmal ausdrücklich bei ihm versichert hatte, dass er das Opfer bei dessen Eintreffen auch werde identifizieren können (s. BGHSt 37, 214 [214 f.]), erschoss der Täter später den Falschen. Nichtsdestotrotz gehen die meisten Anhänger der differenzierenden Theorie hier (stillschweigend) davon aus, dass der Haupttäter weisungsgemäß gehandelt habe und der Auftraggeber also wegen Anstiftung zum vollendeten Tötungsdelikt (Mord) zu strafen sei (s. etwa nur Weßlau, ZStW 104 [1992], 105 [130]; Streng, JuS 1991, 910 [915]; Heine/Weißer, in: Schönke/Schröder, § 26 Rn. 26). Das mag man durchaus so sehen können, indem man etwa darauf verweist, dass dem Auftraggeber in casu die schlechten Lichtverhältnisse am Tatort bekannt waren (so Streng, JuS 1991, 910 [915]). Doch könnte man ebenso gut auch umgekehrt argumentieren, dass ein tatferner Anstifter schlechterdings keine konkreteren Vorgaben machen kann als diejenigen, die sich aus der Aushändigung eines aktuellen Lichtbildes und dem persönlichen Augenschein ergeben (so zutr. Roxin, AT/II, § 26 Rn. 129); dann wäre im „Hoferbenfall“ der Identitätsirrtum des Täters für den Anstifter erheblich gewesen, mit der Folge, dass dieser „nur“ wegen versuchter Anstiftung zum Mord (ggf. in Tateinheit mit fahrlässiger Tötung) hätte bestraft werden können. – Deutlich wird, dass die Fallbeurteilung nach der differenzierenden Lösung letztlich davon abhängt, welche Einzelfallumstände man für die „Maximen der Konkretisierung“ (Begrifflichkeit nach Jakobs, AT, 22/ 29 a.E.) als relevant erklärt. Das aber dürfte mit dem Bestimmtheitsgrundsatz kaum zu vereinbaren sein. 3228 s. dazu schon das Preußische Obertribunal im Fall „Rose-Rosahl“ (GA 1859, 332 [337]); schlagend auch Puppe, NStZ 1991, 124 (124): „Es soll gerade der getötet werden, den der Täter als den richtigen identifiziert.“ 3229 s. dazu nur die Tatbestandsschilderung im „Hoferbenfall“ (BGHSt 37, 214 f.).

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Die im Schrifttum dominierende Gegenmeinung3230, die den Identitätsirrtum des Haupttäters als aberratio ictus des Anstifters behandelt und daher für ihn eine versuchte Anstiftung (in Kombination mit einem vollendeten Fahrlässigkeitsdelikt) annehmen will (sog. „aberratio-ictus-Lehre“), ist abzulehnen. Sie stützt sich auf drei Argumente: Zunächst wird vorgetragen, der in der Opferverwechslung liegende „fahrlässige Täterexzess“ könne beteiligungsrechtlich nicht anders behandelt werden als der zurechnungsausschließende Vorsatzexzess; die Abweichung der Tätertat vom Vorstellungsbild des Anstifters sei dieselbe.3231 – Dieser Vergleich hinkt jedoch, denn während der „fahrlässige Täterexzess“3232 nur eine Abweichung rein „kybernetischer“ Natur betrifft, sprengt der vorsätzliche Täterexzess ganz bewusst den vom Anstifter herzustellen versuchten Motivationszusammenhang.3233 Auch das zweite, dogmatische, Argument der aberratio-ictus-Doktrin, wonach der über die Opferidentität irrende Haupttäter wie ein das Ziel verfehlender menschlicher „Pfeil“ des Anstifters zu behandeln sei,3234 geht an der Realität vorbei: Der irrende Haupttäter ist nicht ein vom Anstifter mechanisch in Gang gesetztes Geschoss, das am anvisierten Objekt vorbeifliegend ein anderes Objekt trifft, sondern er ist – um im Bild zu bleiben – selbst ein „Schütze“ (= ein Handlungssystem) – und daher auch als solcher ins Anstiftungsprogramm einzuplanen.3235 Sucht man schon nach einer rechtstatsächlichen Parallelerscheinung zur Anstiftung am verwechselten Objekt, so liegt diese nicht in den Fällen der aberratio ictus, sondern in den Konstellationen des „Fallenstellens“3236 : Wer eine Bombe an den Zündmechanismus eines Fahrzeugs koppelt, der kann seinen rechtlichen Tatvorsatz nicht weiter konkretisieren als auf denjenigen Menschen, der das Fahrzeug im Moment der Detonation nutzt.3237 Nach dem gleichen Muster kann aber auch der Auftraggeber eines Mordanschlages seinen Haupttatvorsatz nur auf denjenigen Menschen konkretisieren, den der Haupttäter im Tatzeitpunkt als Zielobjekt identifizieren wird.3238 Damit bleibt als einziges Argument gegen die Unbeachtlichkeitslehre nur noch das Binding’sche „Blutbad-Argument“ übrig, das bezeichnenderweise ein indirektes 3230 s. etwa nur Bemmann, MDR 1958, 817 (822); Alwart, JuS 1979, 351 (355 f.); Schreiber, JuS 1985, 873 (876 f.); Schlehofer, GA 1992, 307 (312 ff. [317 f.]); Hillenkamp, Bedeutung, 63 ff. (66); Jescheck/Weigend, § 64 II 4 (689 f.); Lackner/Kühl, § 26 Rn. 6; Roxin, AT/II, § 26 Rn. 119 ff. 3231 Roxin, AT/II, § 26 Rn. 119. 3232 Schon die Begriffskreation „fahrlässiger Täterexzess“ selbst ist bezeichnend. 3233 So bereits das Preußische Obertribunal im Fall „Rose-Rosahl“, GA 1859, 332 (337); ebenso Loewenheim, JuS 1966, 310 (314). 3234 Roxin, AT/II, § 26 Rn. 120. 3235 So zutr. Puppe, GA 1984, 101 (121). 3236 So zutr. Puppe, NStZ 1991, 123 (125 f.). 3237 Puppe, GA 1981, 1 (8). 3238 Puppe, NStZ 1991, 123 (126 m. 124).

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ist: Gehe der Haupttäter nach Erkenntnis seines Identitätsirrtums auch noch gegen das richtige Zielobjekt vor, so könne der Hintermann doch wohl kaum als Anstifter zu mehreren Taten bestraft werden.3239 – „Zum Glück“3240 ist aber auch dieses Argument unzutreffend, denn die Tötung eines zweiten Gattungsobjekts i.S.d. Tatbestandes ist offensichtlich ein vom Anstiftervorsatz nicht mehr getragener Täterexzess!3241 Das gern vorgebrachte Gegenargument, die Ausführung des „wahren“ Lohnauftrages durch Ermordung des „richtigen“ Opfers könne doch unmöglich ein Täterexzess sein,3242 setzt die zu beweisende Relevanz der konkreten Opferidentität für den Anstiftervorsatz bereits voraus und beruht daher auf einer petitio principii. Geht man nämlich mit dem Gesetz (vgl. § 16) davon aus, dass Täter- und Anstiftervorsatz im Handlungszeitpunkt nur gattungsmäßig bestimmt zu sein brauchen, so ist der Anstiftervorsatz in dem Moment „verbraucht“, in dem der Täter plangemäß denjenigen Menschen attackiert, den er für das richtige Opfer hält.3243 Demnach bleibt es also dabei, dass der error in persona des Haupttäters für den Anstifter lediglich eine unwesentliche Abweichung vom vorgestellten Kausalverlauf bedeutet. Grundlegend anders verhält es sich hingegen beim vorsätzlichen Täterexzess, der den motivlichen Bestimmungszusammenhang zwischen Anstifter und Haupttäter zerreißt und daher vollendete Anstiftung ausschließt.3244 Das gilt zunächst für einen eigenmächtigen Wechsel des Tatbestandes: Entschließt sich der zu einem Diebstahl (§ 242) aufgeforderte Haupttäter dazu, statt des Diebstahls lieber einen Betrug (§ 263) zu begehen, so liegt für den Hintermann lediglich eine straflose versuchte Anstiftung zum Vergehen des Diebstahls vor (arg. § 30 I i.V.m. § 12 II).3245 Auch ein eigenmächtiger Wechsel des Tatobjekts schließt die Zurechnung zum Hintermann aus, sofern zugleich ein anderer als der vom Hintermann gewollte Rechtsgutsträger angegriffen wird: Entschließt sich etwa der zur Verletzung des X aufgeforderte Täter abredewidrig dazu, an Stelle des X lieber den Y zu verprügeln, so liegt für den Hintermann nur ein strafloser Anstiftungsversuch vor.3246

3239

Normen III, 214 Fn. 9; ausführlich Roxin, AT/II, § 26 Rn. 121. Puppe, NStZ 1991, 123 (125). 3241 So zutr. Loewenheim, JuS 1966, 310 (315); Puppe, NStZ 1991, 123 (125); Streng, JuS 1991, 910 (915); Geppert, Jura 1992, 163 (167 f.). 3242 Roxin, AT/II, § 26 Rn. 125. 3243 Loewenheim, JuS 1966, 310 (314 f.); jetzt auch Puppe, AT, § 27 Rn. 15; der Sache nach ebenso Streng, JuS 1991, 910 (915); Geppert, Jura 1992, 163 (167 f.). 3244 s. exemplarisch Roxin, AT/II, § 26 Rn. 109 ff. 3245 Beispiel und Lösung nach Roxin, AT/II, § 26 Rn. 112. 3246 Roxin, AT/II, § 26 Rn. 111. – Zur Klarstellung: Dies hat seinen Grund darin, dass der Haupttäter hier einen vollkommen neuen, vom Anstifter unabhängigen, Tatentschluss fasst! Anders liegen die Dinge etwa dann, wenn der Täter statt der vom Hintermann gewollten Flasche Whisky eine Flasche Wodka stiehlt; hier bleibt die Aufforderung des (deshalb) Anstifters durchweg handlungsleitendes Motiv für den Diebstahl. 3240

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6. Kap.: Die Ausarbeitung der Deliktsgruppen im Einzelnen

Täterexzesse, die nur die „Art und Quantität des Unrechts im Rahmen desselben Tatbestandes“3247 betreffen, berühren die Zurechnung der Haupttat als vollendete Anstiftung dagegen nicht: Wer etwa das Opfer mit Faustschlägen traktiert, anstatt es wie aufgetragen „nur“ zu ohrfeigen, oder wer einen wesentlich größeren Geldbetrag stiehlt als vom Anstifter verlangt, der verwirklicht immer noch denjenigen (abstrakten) Straftatbestand, zu dem er angestiftet wurde.3248 Der nicht vom Anstiftervorsatz gedeckte Unrechtsüberhang ist erst im Rahmen der Strafzumessung zugunsten des Anstifters zu berücksichtigen.3249 Modifiziert der Haupttäter sogar nur die tatsächlichen Modalitäten der Ausführung, indem er z. B. die Tat an einem anderen Ort und/oder zu einer anderen Zeit begeht oder indem er andere Tatmittel verwendet, so liegt der paradigmatische Fall einer unwesentlichen Kausalabweichung bei Einplanung kybernetischer Entscheidungssysteme vor: Da die faktischen Einzelheiten der Tatausführung nicht bis in die Kapillaren hinein planbar sind, wird vom Täter gerade (stillschweigend) erwartet, dass er den Tatplan insofern eigenmächtig konkretisiert und notwendigenfalls anpasst.3250 Ob eine wesentliche Abweichung des reellen Kausalverlaufs vom Programm des Anstifters gegeben ist, wenn dem Haupttäter eine aberratio ictus unterläuft, hängt von den näheren Einzelfallumständen ab: Betätigt der Haupttäter z. B. eine multitaugliche Tötungsmethode i.S.d. abstrakten Deliktstatbestandes, so begeht er auch dann eine vollendete Tat, wenn er selbst sich die Tauglichkeit seines Handelns zur Tötung eines tatbestandsmäßigen Gattungsobjekts nur anhand des konkret vorgestellten Zielobjekts vergegenwärtigt hat.3251 Wer also z. B. in eine dicht gedrängte Menschenmenge hinein feuert, um sein Zielobjekt zu verletzen, dem ist auch die tatsächliche Verletzung eines nebenstehenden Menschen zuzurechnen.3252 Kennt der Anstifter die Umstände, die die Multitauglichkeit der vom Täter ausgeführten Verletzungsstrategie begründen (im Beispiel: Schuss in eine dicht gedrängte Menschenmenge), so ist die Verletzung des tatsächlich getroffenen Objekts auch ihm als Realisierung seines Anstiftungsprogramms zurechenbar. Hat er dagegen die Details der Tatausführung dem Haupttäter überlassen, so wird man die erwartungswidrige Betätigung einer multitauglichen Verletzungsstrategie als zu seinen Gunsten gehenden Täterexzess bewerten müssen. Er ist daher dann „nur“ wegen imperfekter Anstiftung zum Versuch am verfehlten Objekt zu bestrafen. Gleiches gilt, wenn die aberratio ictus bereits für den Haupttäter selbst beachtlich ist, etwa weil er durch Verreißen der Waffe einen Querschläger fabriziert, der einen weiter entfernt stehenden Menschen trifft.

3247 3248 3249 3250 3251 3252

Roxin, AT/II, § 26 Rn. 114. Beispiele und Lösung nach Roxin, AT/II, § 26 Rn. 115. Roxin, AT/II, § 26 Rn. 115. Roxin, AT/II, § 26 Rn. 110. s. allgemein zu error in persona und aberratio ictus nochmals oben, S. 382 ff. So zutr. Puppe, in: NK, § 16 Rn. 105.

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Möglich sind auch Irrtümer des (präsumtiven) Anstifters über die Qualität der von ihm eingeplanten vorsätzlich-rechtswidrigen Haupttat: Handelt der als Haupttäter eingeplante Vordermann erwartungswidrig unvorsätzlich, so liegt für den Hintermann lediglich eine versuchte Anstiftung vor, die nur im Verbrechensfalle strafbar ist (§ 30 I).3253 Handelt der Vordermann dagegen bloß unerkannt schuldlos, so ist die von ihm begangene vorsätzlich-rechtswidrige Haupttat dem Anstifter ohne Weiteres als Erfolg seiner Anstiftungshandlung zurechenbar. Das folgt schon aus dem Prinzip der limitierten Akzessorietät selbst, dem auf Schuldebene durch § 29 Rechnung getragen wird.3254 g) Besonderheiten Nach § 11 II gelten auch erfolgsqualifizierte Delikte (§ 18) als Vorsatztaten i.S.d. StGB. Anstiftung ist daher möglich, wenn der Hintermann den Haupttäter vorsätzlich zur vorsätzlichen Grunddeliktsbegehung bestimmt und dabei hinsichtlich der schweren Folge mindestens fahrlässig handelt. Dogmatisch gesehen ist dann eine Teilnahme am Grunddelikt in Kombination mit einer Fahrlässigkeitstäterschaft hinsichtlich der – grunddeliktisch vermittelten – Folge gegeben.3255 Bestimmt also etwa der A den T dazu, dem O einen schweren Bierkrug auf den Kopf zu schlagen, so macht er sich einer Anstiftung zur Körperverletzung mit Todesfolge schuldig, wenn O infolge der lebensgefährlichen Behandlung vorhersehbar zu Tode kommt (§§ 227, 18, 11 II, 26).3256 Das gilt auch dann, wenn der Haupttäter (im Beispiel) die Todesfolge erwartungswidrig mit Eventualvorsatz herbeiführt, die Fahrlässigkeit des Hintermannes also darin besteht, den vorhersehbaren Vorsatzexzess des Haupttäters nicht vermieden zu haben.3257 In diesem Fall haftet der Haupttäter wegen Totschlags (§ 212), der Hintermann wiederum wegen Anstiftung zur Körperverletzung mit Todesfolge (§§ 227, 18, 11 II, 26).3258 Demgegenüber scheidet eine Anstiftung zum erfolgsqualifizierten Delikt nach den Regeln des Täterexzesses aus, wenn schon der Körperverletzungsakt selbst eine vom Anstiftervorsatz abweichende Exzesshandlung darstellt, etwa weil der Haupttäter zur Waffe greift anstatt wie vom Anstifter vorgegeben nur mit Fäusten zu prügeln.3259 – Da die Haftung des Anstifters hinsichtlich der schweren Folge auf eigener Fahrlässigkeit beruht, ist er auch dann wegen Anstiftung zum erfolgsqualifizierten Delikt strafbar, wenn der Eintritt der 3253

Heute allgemeine Ansicht; s. statt aller nur Schünemann, in: LK, § 25 Rn. 144. s. statt aller nur etwa Schünemann, in: LK, § 25 Rn. 145. 3255 H.M.; s. etwa BGHSt 19, 339 (341 f.); Hirsch, GA 1972, 65 (76); Paeffgen, in: NK, § 18 Rn. 132 f.; Stuckenberg, Jakobs-FS (2007), 693 (704); Roxin, AT/II, § 26 Rn. 167 a.E.; näher dazu auch noch unten, S. 717 f. 3256 Beispiel und Lösung nach Roxin, AT/II, § 26 Rn. 167. 3257 s. allgemein Paeffgen, in: NK, § 18 Rn. 134 m.w.N.; instruktiv und weiterführend zum Ganzen Stuckenberg, Jakobs-FS (2007), 693 (704 ff.). 3258 So zutr. Roxin, AT/II, § 26 Rn. 167. 3259 In der Sache ebenso Roxin, AT/II, § 26 Rn. 167. 3254

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6. Kap.: Die Ausarbeitung der Deliktsgruppen im Einzelnen

schweren Folge nur für ihn selbst, nicht aber für den Haupttäter vorhersehbar war3260 (Bsp.: Die Lebensgefährlichkeit eines beim Raub eingesetzten Betäubungsmittels war nur für den in diesen Dingen bewanderten Anstifter erkennbar – Anstiftung zum Raub mit Todesfolge [§§ 251, 11 II, 26] und zur Körperverletzung mit Todesfolge [§§ 227, 18, 11 II, 26]). Auch bei (echten) Sonderdelikten sowie bei eigenhändigen Delikten ist Anstiftung ohne Weiteres möglich, obwohl dem Teilnehmer der spezifische Handlungsunwert nicht unmittelbar zugänglich ist. Dies folgt (jedenfalls bei den Sonderdelikten) bereits aus der gesetzlichen Akzessorietätslockerung für besondere persönliche Merkmale (§ 28), hat seinen materialen Grund aber darin, dass der Rechtsgutsangriff des Anstifters ein akzessorischer, über fremde Haupttat geführter ist.3261 Anstiftungstaugliche Haupttaten sind nach heute einhelliger Auffassung auch die begehungsgleichen Unterlassungsdelikte.3262 So ist z. B. wegen Anstiftung zu einem Totschlag durch Unterlassen strafbar (§§ 212, 13, 26), wer einen Vater dazu bestimmt, die Rettung seines vom Feuertod bedrohten Kindes zu unterlassen.3263 Die ehedem von Armin Kaufmann3264 und Welzel3265 entwickelte Gegenansicht, nach der ein der Anstiftung zugänglicher Unterlassungsvorsatz weder in der realen Welt noch im Recht existiert, beruht auf einem inzwischen überholten finalistischen Axiom und hat daher wohl nur noch historische Bedeutung.3266 Auch für die Zuschreibung der intentionalen (Basis-)Anstiftungshandlung gelten die allgemeinen Strukturvorgaben, d. h. auch sie folgt dem allgemeinen Interpretationsmuster des intentionalen Handlungsbegriffs. Der Anstifter kann seine Bestimmungshandlung also entweder im Modus einfacher Ich-Intentionalität („selbst“) oder im Modus komplexer Ich-Intentionalität („durch einen anderen“) oder aber im Modus primitiver Wir-Intentionalität (mit einem anderen „gemeinschaftlich“) begehen. Demnach betätigt also auch derjenige ein Anstiftungsprogramm, der in Kooperation mit einem anderen sanktionsträchtig zu einer Tatbegehung auffordern oder sich hierzu eines genötigten bzw. getäuschten Werkzeugs bedienen will.3267 Dies folgt allerdings wie gesagt schon unmittelbar aus der universellen Geltung des allgemeinen Handlungsinterpretaments selbst,3268 nicht etwa daraus, dass die Anstiftung eine „Straftat“ i.S.d. § 25 wäre!3269 3260

Roxin, AT/II, § 26 Rn. 167. Roxin, AT/II, § 26 Rn. 168. 3262 Roxin, AT/II, § 26 Rn. 170. 3263 Beispiel nach Roxin, AT/II, § 26 Rn. 170. 3264 Unterlassungsdelikte, 191 ff. 3265 Strafrecht, 206, 221. 3266 In der Sache auch Roxin, AT/II, § 26 Rn. 170 f. 3267 In der Sache ebenso die h.M.; s. statt vieler nur Roxin, AT/II, § 26 Rn. 173, 175; Schild, in: NK, Vor §§ 26, 27 Rn. 7; § 26 Rn. 4. 3268 So zutr. Schild, in: NK, Vor §§ 26, 27 Rn. 7. 3269 So aber Roxin, AT/II, § 26 Rn. 173 f. 3261

A. Täterschaft bei den allgemeinen vorsätzlichen Begehungsdelikten

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Denkbar ist auch eine „Kettenanstiftung“3270, d. h. die Anstiftung eines oder mehrerer „Zwischenanstifter“3271 zur Anstiftung eines präsumtiven Haupttäters. Praktisch relevant wird diese verschachtelte Anstiftungsform vor allem bei Befehlsund Anweisungsketten innerhalb von Behörden, Unternehmen und kriminellen Organisationen, da hier der Charakter einer sanktionsträchtigen Tataufforderung durchweg erhalten bleibt.3272 Die Kettenanstiftung wird als perfekte Anstiftung zur Haupttat bestraft, wenn das Programm mit einer sanktionsträchtigen Kettenaufforderung zur gegenständlich hinreichend bestimmten Tat plant und die Aufforderungskette auch tatsächlich in der motivlichen Bestimmung des Haupttäters zur Tat kulminiert.3273 Bricht ein Glied der Anstiftungskette, so kommt versuchte Anstiftung in Betracht, sofern zu einem Verbrechen kettenangestiftet werden sollte. Die Vorschrift des § 30 I regelt die versuchte Kettenanstiftung sogar explizit („Wer einen anderen zu bestimmen versucht, ein Verbrechen zu begehen oder zu ihm anzustiften […]“). Möglich ist schließlich auch eine Anstiftung zur Beihilfe, die allerdings – ebenso wie die Beihilfe zur Anstiftung – in der Sache als Beihilfe zur Haupttat zu behandeln ist.3274 h) Die Rechtsfolge der Anstiftung Die Anstiftungshandlung wird in § 26 mit tätergleicher Strafe bedroht. Dadurch wird dem sozialontologischen „Wesensgehalt“ eines „Bestimmens“ angemessen Rechnung getragen: Wer einem anderen einen eigenen unrechtlichen Handlungswunsch ansinnt und diesen interpersonal durchsetzt, der muss als treibende Kraft des deliktischen Geschehens ebenso bestraft werden wie derjenige, der die Rechtsgutsverletzung als eigene intentionale Handlung will.3275 Die Differenz zu den komplexen Täterschaftsformen ist in erster Linie handlungstheoretischer Natur.3276 Insbesondere Nepomuck3277 hat zuletzt eindrucksvoll gezeigt, dass ein recht verstandener Begriff der Anstiftung der Täterschaft unter Strafwürdigkeitsaspekten keineswegs nachsteht. Sieht man die Dinge so, dann existiert zwischen Anstiftung und Täterschaft von vornherein keine ernstzunehmende Strafwürdigkeitskluft. Es besteht dann auch kein Anlass, de lege ferenda für eine fakultative Strafmilderung bei 3270

s. zu dieser Möglichkeit etwa Roxin, AT/II, § 26 Rn. 176 f., m.w.N. Ausdruck nach Roxin, AT/II, § 26 Rn. 176. 3272 Schild, in: NK, § 26 Rn. 4. 3273 Mehr ist angesichts des klaren Gesetzeswortlauts nicht zu verlangen (h.M.; s. statt vieler nur Roxin, AT/II, § 26 Rn. 177, m.w.N. zur Gegenansicht und zutr. Antikritik). 3274 So zutr. Jakobs, AT, 22/30, mit entsprechenden Beispielen. 3275 Nepomuck, Anstiftung, 85 ff. 3276 Ähnlich vom Standpunkt der Tatherrschaftslehre aus schon Stratenwerth/Kuhlen, AT, § 12 Rn. 153; Nepomuck, Anstiftung, 79 m. Fn. 72; in der Sache ebenso Schild, in: NK, § 25 Rn. 30 f. 3277 Anstiftung, 58 ff., 65 ff., 85 ff. 3271

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6. Kap.: Die Ausarbeitung der Deliktsgruppen im Einzelnen

der Anstiftung einzutreten3278 oder de lege lata eine an das materielle Täterkriterium heranreichende „Minderform von Tatherrschaft“ für die Anstiftung zu verlangen.3279 Letzterer Gedanke ist zwar vom Boden der herrschenden Unrechtsdogmatik her folgerichtig,3280 träfe aber in der Sache nur dann zu, wenn die Tatferne des Anstifters tatsächlich eine statische Unwertdifferenz im Verhältnis zur Täterschaft begründete, „Tatherrschaft“ also tatsächlich eine feststehende Chiffre für das sprichwörtliche Inden-Händen-Halten des deliktischen Geschehens wäre. Gerade das ist aber bei näherer Betrachtung nicht der Fall, denn die meisten mittelbar-täterschaftlichen Handlungsprogramme beruhen mindestens ebenso sehr auf dem „Prinzip Hoffnung“3281 wie viele Anstiftungsprogramme,3282 zumal überhaupt alle Beteiligungsformen Verhaltensweisen aus dem gesamten Gefährlichkeitsspektrum erfassen.3283 Die besondere Unwertigkeit mittelbar-täterschaftlicher Handlungsprogramme folgt daher nicht (und kann nicht folgen) aus ihrer spezifischen Erfolgsnähe, sondern aus ihrem intensionalen Programmgehalt, den eigenen Willen zur Rechtsgutsverletzung im Mehrpersonenverhältnis zu verwirklichen! Diese Eigenschaft weist aber nicht nur derjenige auf, der die Rechtsgutsverletzung als eigenes (komplexes) Handlungserlebnis will (= Täter), sondern auch derjenige, der sie als eigenen unrechtlichen Handlungswunsch gegenüber einem anderen durchsetzen will (= Anstifter). Davon unabhängig bleibt aber freilich die Möglichkeit bestehen, eine ggf. geringere Strafwürdigkeit des Anstifters im Einzelfall bei der Strafzumessung auszugleichen.3284 Konkurrenzrechtlich ist die Anstiftung allerdings gegenüber der Täterschaft subsidiär, was zutreffend daraus abgeleitet wird, dass der Anstiftungsversuch nur in sehr viel geringerem Umfange strafbar ist als der Versuch der Täterschaft (§ 30).3285

3278

So aber etwa Roxin, AT/II, § 26 Rn. 182; Jakobs, AT, 22/31. Paeffgen, Hanack-FS (1999), 591 (596). 3280 Unbestreitbar richtig ist, dass die rechtsfolgentechnische Gleichbehandlung der Anstiftung auf dem Boden der Tatherrschaftslehre zu einer voraussetzungsmäßigen Annäherung an die Willensherrschaft führen müsste. Das nämliche Ansinnen Paeffgens (Hanack-FS [1999], 591 [595 ff.]) ist daher binnendogmatisch kaum angreifbar. 3281 Paeffgen, Hanack-FS (1999), 591 (598), allerdings mit Blick auf § 111. 3282 Stein, Beteiligungsformenlehre, 184 f., 186; Herzberg, in: Verantwortung, 33 (42). 3283 Stein, Beteiligungsformenlehre, 272, Nepomuck, Anstiftung, 77. – Darin liegt denn auch der Grund dafür, dass die materiellen Gefährlichkeitslehren vorderhand keine Rolle mehr spielen; wie sehr dieses Ideengut aber in der Tatherrschaftslehre doch noch nachwirkt, zeigt bereits der Ansatz bei der „Handlungsherrschaft“ als offensichtlichster Form der Risikobeherrschung; s. ferner auch Amelung, Schroeder-FS (2006), 147 (150), der meint, in der hohen Strafe des § 26 drücke sich der Gedanke aus, „(…) dass der Anstifter ebenso gefährlich wie der Täter ist (…)“. 3284 So zutr. Roxin, AT/II, § 26 Rn. 182 a.E., unter Verweis auf den Sonderausschuss für die Strafrechtsreform, BT-Drucks. V/4095, 13. 3285 Roxin, AT/II, § 26 Rn. 180. 3279

A. Täterschaft bei den allgemeinen vorsätzlichen Begehungsdelikten

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6. Die Beihilfe Wie jeder Beteiligte, so wird auch der Gehilfe ausschließlich für sein eigenes Handeln bestraft.3286 Der Unterschied zur Täterschaft ist – wie schon bei der Anstiftung – primär handlungstheoretischer Natur. Hinsichtlich der wirklichen Tatbeherrschbarkeit ex ante – der prinzipiellen psychofaktischen Kalkulierbarkeit der Rechtsgutsverletzung – können Täterschaft und Teilnahme nicht voneinander distanziert werden. Doch plant der Teilnehmer und also auch der Gehilfe die Rechtsgutsverletzung als fremde Haupttat ein, d. h. als lediglich nach-vollzogenes Handlungserlebnis eines anderen. Damit folgt auch der „sekundäre“ Charakter der Beihilfe (allein) aus ihrer inneren, programmatischen Akzessorietät.3287 Folglich geht es auch hier darum, einen „restriktiven Begriff“ der Beihilfe i.S.d. Tatbestandsbezogenheit zu entwickeln.3288 Dabei ist zunächst zu beachten, dass auch der Gehilfe die erfolgreiche Durchführung der Haupttat als Realisierung seines Gehilfenbeitrags einplanen muss.3289 Die Struktur der Unrechtszurechnung ist also prinzipiell die gleiche wie bei der Anstiftung.3290 Die materiale Differenz zur Anstiftung liegt allein im Inhalt des Beihilfeprogramms, das den Täter nicht sanktionsträchtig zur Tat auffordern, sondern ihm „bloß“ bei seiner Tatbestandshandlung helfen will.3291 Damit ist bereits im Ansatz klargestellt, dass die Zuschreibung einer vollendeten Beihilfe nicht auf eine besondere (scil.: schwächere) Struktur der Unrechtszurechnung gegründet werden kann.3292 Als problematisch erweist sich daher zunächst der Erklärungsansatz der (ständigen) Rechtsprechung3293, wonach für Beihilfe jede untergeordnete Beitragsleistung genügen soll, die fremde Tatbegehung irgendwie fördert, ohne zwingend kausal für sie zu sein.3294 Daran ist richtig, dass der Gehilfe – anders als der Anstifter – dem Tatentschluss des Haupttäters „nur“ zuarbeitet; nichtsdestotrotz und gerade deshalb

3286 Insofern zutr. bereits Lüderssen, Strafgrund, 117 ff.; zust. Harzer, StV 1996, 336 (338); weiterführend jetzt Schild, in: NK, § 27 Rn. 2. 3287 Schild, in: NK, § 27 Rn. 2, 4. 3288 Schild, in: NK, § 27 Rn. 2. 3289 So zutr. schon Köhler, AT, 532; weiterführend Schild, in: NK, § 27 Rn. 2, 4. 3290 Schild, in: NK, § 27 Rn. 4, 6. – Die plakative Gegenthese Hoyers (in: SK, Vor §§ 26 – 31 Rn. 20 f.), wonach der Gehilfe im Gegensatz zum Anstifter nur für das Erfolgsunrecht der Tat haftbar gemacht werden könne, überzeugt nicht. Denn auch der Gehilfe muss nach seinem Programm mithelfen wollen, damit die fremde Haupttat als personale Unrechtshandlung gelingt. 3291 Schild, in: NK, § 27 Rn. 4. 3292 So zutr. Schild, in: NK, § 27 Rn. 5. 3293 s. exemplarisch nur RGSt 8, 267 (268 f.); BGHSt 2, 129 (131); BGH StV 1995, 524 (524). 3294 So die zutr. Analyse bei Puppe, AT, § 26 Rn. 1.

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muss aber auch er mit seinem Beitrag „das Ganze der Tat“ umgreifen wollen,3295 ihre erfolgreiche Durchführung als Verwirklichung (auch) seines Gehilfenbeitrags einplanen, pointiert: Der Gehilfe muss nicht bloß irgendein (entferntes) Tatförderungsbewusstsein aufweisen, sondern er muss nach seinem Programm gerade mithelfen wollen, damit die Haupttat erfolgreich wird.3296 Dieses Programm muss sich selbstverständlich auch objektiv realisieren, damit die (erfolgreiche oder versuchte) Haupttat dem Gehilfen als Produkt seiner Beihilfehandlung i.S.d. § 27 zugerechnet werden kann. Fehlt es an einem solchen Realisierungszusammenhang, so scheidet eine Beihilfestrafbarkeit insgesamt aus, da der Hilfsversuch de lege lata straflos ist (arg. § 30). Diese gesetzlich gewollte Rechtsfolge kann und darf nicht durch den Verzicht auf eine Beihilfekausalität unterminiert werden, der auf eine gesetzeswidrige „Bestrafung von Hilfsversuchen als effektive Hilfe“ hinausliefe.3297 Als nicht gesetzeskonform abzulehnen sind deshalb auch sämtliche Konzepte, die die Beihilfe als abstraktes3298 oder gemischt abstrakt-konkretes3299 Gefährdungsdelikt (abstrakt erfolgs-, konkret förderungsgefährlich) begreifen wollen.3300 Eine solche Loslösung des Beihilfeunrechts von der Haupttat „zerstört“ nicht nur die gesetzlichen Akzessorietätsregeln,3301 sondern verletzt auch das Bestimmtheitsgebot, da für die Fixierung des Beihilfeverhaltens eine detaillierte gesetzliche Tat- und Situationsbeschreibung fehlt, wie sie für abstrakte Gefährdungsdelikte essentiell ist.3302 Danach bleibt es dabei, dass auch der Gehilfe eine qualifizierte „(Beihilfe-) Vorsatzgefahr“ i.S.d. jeweiligen (Haupt-)Tatbestandes3303 schaffen muss, d. h. er muss programmatisch eine Beihilfemaxime betätigen, die sich auch im Erfolg realisieren muss. Die in § 27 geregelte Tatbestandshandlung der Beihilfe ist damit ebenso als positiver Unrechtstypus zu entfalten wie die Tätertatbestandshandlung (§ 25) und die Tatbestandshandlung des Anstifters (§ 26). Als problematisch erweist sich daher auch die von der Tatherrschaftslehre vorgenommene Negativbestimmung der Beihilfe, die unter dem Begriff schlicht jede nicht-tatherrschaftliche Risikoer3295

So die anschauliche Formulierung bei Köhler, AT, 532. Schild, in: NK, § 27 Rn. 2, 4. 3297 Zitat nach Jakobs, AT 22/34; sachlich übereinstimmend auch bereits Samson, Peters-FS (1974), 121 (132). 3298 So Herzberg, GA 1971, 1 (7). 3299 So Vogler, Heinitz-FS (1972), 295 (304 ff.). 3300 Heute ganz h.L.; s. statt vieler nur Schild, in: NK, § 27 Rn. 5. 3301 Jakobs, AT, 22/34 a.E. 3302 Jakobs, AT, 22/35, der die „Mischtheorie“ vom abstrakt-konkreten Gefährdungsdelikt zudem noch mit der in ihrer Konsequenz liegenden Perplexität des Gehilfenvorsatzes konfrontiert (a.a.O.: „[…] sein Gegenstand müßte demnach zugleich nur-abstrakt wie schonkonkret sein […]“). 3303 Allgemein zum Vorsatz als Expression einer Erfolgsmaxime oben, S. 76 ff., 111 ff.; s. auch bereits Puppe, in: NK, § 16 Rn. 67 ff., von der auch der Begriff der „Vorsatzgefahr“ stammt (a.a.O., Rn. 64). 3296

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höhung ohne Anstiftungscharakter verstanden wissen will.3304 Beihilfe ist aber nicht einfach das Sammelbecken für jedwede Mitwirkung, die nicht unter §§ 25, 26 fällt,3305 sondern das positive Mithelfen-Wollen zum Gelingen der Tat!3306 a) Verhaltensnormtheoretische Überlegungen Bestätigt werden die vorstehenden Überlegungen durch eine verhaltensnormtheoretische Kurzanalyse: Unter Rechtsgüterschutzgesichtspunkten ist klar, dass auch dem Gehilfen nur die Schaffung einer qualifizierten Vorsatzgefahr, d. h. die Betätigung einer konkret haupttat- und erfolgsbezogenen Beihilfemaxime, verboten sein kann. Denn nur wer durch sein Handeln erklärt, dass er zum Gelingen der Haupttat mithelfen will, kann wegen eindeutigen deliktischen Sinnbezugs mit dem absoluten Beihilfeverdikt belegt werden.3307 Wer hingegen die deliktische Handlungsmacht Dritter bloß dadurch erweitert, dass er z. B. einen für deliktische Zwecke missbrauchbaren Gegenstand verkauft oder eine i.d.S. „anschlussfähige“ Dienstleistung erbringt, der betätigt nicht bereits per se eine verbotene Beihilfemaxime, mag er eine fremde Tatbegehung auch als sicher voraussehen oder in Kauf nehmen!3308 Anders als die Anstiftung, die ein absichtsinhärentes Auffordern zur Tat voraussetzt, ist allerdings die Beihilfe als intentionale Handlung nicht (unbedingt) selbsterklärend, weshalb die Feststellung, (ab) wann ein eindeutiger deliktischer Sinnbezug vorliegt, wie beim Tatbestandsvorsatz anhand einer praktischen Erfahrungsregel zweckrationalen Handelns vorzunehmen ist: Der konkret geleistete Beitrag muss intersubjektiv die Maxime ausdrücken, dass die fremde Haupttat sein soll.3309 Mit dem Erfordernis eines solchen Evidenzbezuges zur Haupttat ist zugleich auch dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebot genüge getan, da dem Gehilfen ausschließlich ein Handeln verboten wird, das eine wirkliche Beihilfemaxime 3304

Rn. 2. 3305

So ausdrücklich Roxin, AT/II, § 26 Rn. 183 ff.; zu Recht krit. dazu Schild, in: NK, § 27

So aber etwa Lange, Teilnahme, 5; tendenziell ähnlich auch Puppe, AT, § 22 Rn. 1. So zutr. Schild, in: NK, § 27 Rn. 2 f., 10. 3307 Das übersieht bei allem Scharfsinn Frisch (Verhalten, 313 ff., 320 ff.), der dem Beihilfeverbot auch die handlungsmäßig objektivierte Ignoranz eines fremden Deliktsvorsatzes (z. B. durch Verkauf eines voraussichtlich deliktisch zu missbrauchenden Gegenstandes) unterstellen will, wenn der Helfende rechtlich ohnehin zur Unterbindung der Haupttat bzw. der deliktischen Pläne des Dritten verpflichtet wäre (d. h. bei Vorliegen einer Katalogtat i.S.d. §§ 138, 323c). Das kann so nicht überzeugen, denn beim Verbot von Beihilfeakten geht es nicht um die Frage, ob die präsumtive Haupttat den Gehilfen rechtlich zu interessieren hat – diese Frage klären ausschließlich die §§ 138, 323c –, sondern darum, ob er einen verbindenden, auf die Haupttat zugeschnittenen Beitrag leistet! 3308 A.A. freilich die h.M.; näher dazu sogleich im Haupttext unter c) bb), m. entspr. Nachw. in Fn. 3346. 3309 s. auch bereits Köhler, ZStW 104 (1992), 3 (24), für den Beihilfe eine „intersubjektivaffirmative Beziehung auf den Täterwillen“ erfordert. 3306

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ausdrückt. Gerade das könnte ein uferloses und vages Verbot, fremde Tat irgendwie (risikosteigernd) zu fördern, nicht leisten, weshalb eine so bestimmte Normmaterie verfassungsrechtlich kaum zu legitimieren wäre. b) Tatbestandsexegetische Bestätigung Das hier zugrunde gelegte restriktive Verständnis der Beihilfe dürfte auch dem strafgesetzlichen Beihilfetatbestand des § 27 zugrunde liegen oder ihn jedenfalls verfassungskonform ausfüllen. Nach dem Wortlaut der Vorschrift muss der Gehilfe „vorsätzlich einem anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat Hilfe geleistet“ haben. Das Schlüsselwort ist hier die Präposition „zu“, die nur in einem objektiv-finalen Sinne verstanden werden kann und die demnach den programmatischen Ausdrucksgehalt der Beihilfehandlung beschreibt.3310 Das aber bedeutet, dass die Beihilfe nicht bloß das Bewusstsein ausdrücken muss, eine fremde Tatbegehung irgendwie zu fördern (dies wäre eine konsekutivische Interpretation, die aber mit der Präposition „zu“ nicht vereinbar ist!), sondern den Willen, der fremden Tat (mit) zum Erfolg zu verhelfen.3311 Bestärkt wird diese enge Wortlautauslegung zunächst durch den systematischen Vergleich zu § 26, der das absichtsinhärente „Bestimmen“ eines anderen zu dessen Haupttat regelt und damit ebenfalls eine finale Ausrichtung auf die Haupttat voraussetzt. Am aufschlussreichsten aber ist der Vergleich der Beihilfe mit dem Tatbestand der Begünstigung (§ 257), der praktisch eine Nachtatbeihilfe (= Vorteilssicherung) regelt und diesbezüglich Absicht im technischen Sinne verlangt. Dann aber kann für die strafrahmenakzessorische Tatbeihilfe jedenfalls nichts grundlegend anderes gelten: Die in § 27 I verwendete Präposition „zu“ ist (zumindest) in einem objektiv-finalen Sinn zu deuten. Endgültig zementiert wird diese Auslegung dadurch, dass § 27 II die Gehilfenstrafe ausdrücklich an der Strafdrohung für den Täter ausrichtet, auch wenn die Strafe in einem zweiten Schritt obligatorisch zu mildern ist. Denn „übersetzt“ bedeutet dies doch, dass der Gehilfe „wie der Täter, aber nur milder“3312 zu bestrafen ist, woraus wiederum für ein Tatschuldstrafrecht folgt, dass auch der Gehilfe wirklich an der Tat teilhaben, zu ihrem erfolgreichen Gelingen beitragen muss.3313 Diese restriktive Fassung des Beihilfetatbestandes leuchtet auch aus strafrechtsteleologischer Sicht ein. Denn die Fälle, die hierdurch von der Beihilfestrafbarkeit ausgenommen werden, erfüllen entweder schon die allgemeinen Voraussetzungen der Unrechtszurechnung nicht (= fehlende Kausalität), oder aber sie betreffen allgemeine Wertungsfragen, die der Gesetzgeber gerade nicht sub specie 3310 3311 3312 3313

Ähnlich auch bereits Schild, in: NK, § 26 Rn. 3. Schild, in: NK, § 26 Rn. 3. Schild, in: NK, § 27 Rn. 6. Schild, in: NK, § 27 Rn. 2 ff.

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§ 27 diskutiert sehen wollte, sondern schon anderweitig einer Regelung zugeführt hat (= Frage nach der rechtlichen Pflicht zur Auseinandersetzung mit fremden Deliktsplänen, geregelt in den §§ 138, 323c). c) Handlungsprogramm Sieht man die Dinge in diesem Licht, so gelangt man zu einer klare(re)n Konturierung des gehilfenschaftlichen Handlungsprogramms. aa) Einplanung einer (Motivations-)Kausalität des eigenen Beitrags Erforderlich ist zunächst – und grundlegend – die Vorstellung eines eigenen Kausal-Werdens für das erfolgreiche Gelingen der fremden Tat, d. h. das Bewusstsein einer Tatermöglichung, -erleichterung, -intensivierung oder -absicherung;3314 bloßes Solidarisierungsbewusstsein genügt nicht.3315 Klassische Programmgegenstände sind daher das physische Hilfeleisten3316 (z. B. durch Beschaffung eines Tatwerkzeugs, Zugänglich-Machen des Tatobjekts oder Steuern des Fluchtfahrzeugs) oder die kognitiv wirkende „technische Rathilfe“3317 (Bsp.: Mitteilung einer Tatgelegenheit oder Erteilung von Tipps zur Art und Weise der Tatausführung). Insbesondere die physische Beihilfe kann dabei auch im Wege eines anonymen Tatsachenarrangements (z. B. durch aufreizendes Drapieren einer Waffe3318) oder sogar heimlich geleistet werden (etwa durch ein vom Täter unbemerktes Aufhalten eingriffsbereiter Dritter während der Tatausführung)3319. Schwieriger zu beantworten ist hingegen die Frage nach dem notwendigen Programmgehalt einer voluntativ wirken sollenden Beihilfe. Klar ist jedenfalls, dass nackte „Zustimmungs- oder Solidarisierungsbekundungen“ auf dem Boden eines Tatstrafrechts kein verbotenes Handlungsunrecht darstellen können.3320 Wer also etwa als zufällig am Tatort anwesender Zeuge dem Täter zu seiner Tat applaudiert3321, 3314

s. statt vieler nur Roxin, AT/II, § 26 Rn. 212; Schild, in: NK, § 27 Rn. 9. A.A. Schild Trappe, Gehilfenschaft, 97, 137; dagegen zutr. die h.L.; s. etwa nur Roxin, AT/II, § 26 Rn. 194 ff.; Jakobs, AT, 22/34; Schild, in: NK, § 26 Rn. 9 (jeweils m.w.N.). 3316 s. allgemein zur physischen Beihilfe etwa Fischer, § 27 Rn. 9 f.; eingehend auch Baunack, Grenzfragen, 97 ff. 3317 So die pointierte Begrifflichkeit bei Roxin, AT/II, § 26 Rn. 198 (in Anlehnung an Hoyer, in: SK, § 27 Rn. 11); zur psychischen Beihilfe allgemein s. etwa Fischer, § 27 Rn. 9, 11 ff. 3318 Beispiel nach Amelung, Schroeder-FS (2006), 147 (160). 3319 s. dazu Roxin, AT/II, § 26 Rn. 216; Hoyer, in: SK, § 27 Rn. 19 (auch für den Fall, dass realiter kein eingriffswilliger Dritter erscheint, der aufgehalten werden müsste). 3320 A.A. wohl einzig Schild Trappe (Gehilfenschaft, 98), von der die zitierte Begrifflichkeit stammt und die hier Beihilfe annehmen will; dagegen zutr. die ganz h.L.; s. statt vieler nur Roxin, AT/II, § 26 Rn. 194 ff. 3321 Schild Trappe, Gehilfenschaft, 132. 3315

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ihn durch lakonischen Zuruf anfeuert3322 oder ihm auf sonstige Weise Sympathie bekundet, der leistet keine Tatbeihilfe!3323 Bestätigt wird dies durch einen Umkehrschluss aus § 140, der als lex specialis die Billigung von Straftaten nur sehr einschränkt mit Strafe bedroht.3324 Auch die bloße Anwesenheit am Tatort begründet per se noch keine Beihilfe.3325 Das ist verhaltensnormlogisch zwingend, denn bloße Passivität ist einem Verbot nicht zugänglich, auch dann nicht, wenn der Betreffende sich jederzeit vom Tatort hätte entfernen und so den Nimbus stillschweigender Billigung hätte beseitigen können.3326 Der in Passivität verharrende Dritte verstößt, wenn überhaupt, gegen das Gebot, die Tat des bzw. der Aktiven zu unterbinden, weshalb allenfalls eine Unterlassungsstrafbarkeit in Betracht kommt.3327 Die Annahme einer psychischen Aktivbeihilfe ist jedenfalls nicht möglich. Sie führte zu dem absurden Ergebnis, „(…) dass bei Delikten ganz allgemein die müßig herumstehenden und nicht eingreifenden Gaffer wegen Beihilfe bestraft werden müssten, weil ihre Untätigkeit den Täter in seinem Tun bestärkt. Die durch §§ 138, 323c gezogenen Grenzen der Hilfspflicht von Nichtgaranten würden dadurch in gesetzeswidriger Weise überspielt werden.“3328

Etwas anderes gilt nur dann, wenn der am Tatort Anwesende dem Täter seine „seelisch-moralische“ Unterstützung vor Ort (konkludent) versprochen hat. Eine solche Zusage begründet ein verbotenes Beihilfeprogramm,3329 da der Versprechende die seinerseits bewirkte Affirmation des Tatentschlusses beim Haupttäter als einen motivlichen Zwischenerfolg auf dem Wege zur erfolgreichen Tatbegehung einplant:3330 Schon allein die Tatsache, dass der Täter sich des Rückhalts am Tatort versichert, zeigt, dass die „seelisch-moralische“ Unterstützung des (deshalb) Gehilfen für essentiell gehalten wird. Entsprechendes gilt für das absprachegemäße Schmierestehen während der Tat.3331 Schon die Übertragung der Aufgabe an den Schmiersteher zeigt, dass der Täter die Tatabsicherung für essentiell hält und sich durch ihre Zusage beflügeln lässt.3332 Auch wer einen Beitrag dazu leistet oder 3322

Beispiel nach BGH VRS 59 (1980), 185 (186). In der Sache ebenso Roxin, AT/II, § 26 Rn. 195, 202 f. 3324 So zutr. Roxin, AT/II, § 26 Rn. 202. 3325 Ebenso Roxin, AT/II, § 26 Rn. 204 ff.; anders BGH bei Dallinger, MDR 1967, 173 (173); s. auch BGH bei Holtz, MDR 1985, 284 (284) [wo psychische Aktivbeihilfe allerdings konkret verneint wurde]. 3326 A.A. BGH StV 1982, 517 (518); wie hier dagegen BGH NStZ 1995, 490 (490 f.); NStZRR 2005, 336 (336). 3327 So zutr. schon Rudolphi, StV 1982, 518 (519); zust. Roxin, AT/II, § 26 Rn. 205 f. 3328 Roxin, AT/II, § 26 Rn. 207. 3329 BGH NStZ 1995, 490 (491); NStZ-RR 2005, 336 (336); Roxin, AT/II, § 26 Rn. 204 f. 3330 s. instruktiv zum Erfordernis eines solchen „Beihilfeerfolgs“ Puppe, AT, § 26 Rn. 5 ff. 3331 So zutr. etwa Puppe, AT, § 26 Rn. 5. 3332 s. auch BGH NStZ 1993, 535: „Bereits die Tatsache, dass der Haupttäter A dem Angekl. eine bestimmte Aufgabe im Rahmen seines Tatplanes übertrug, ist ein wesentliches (…) Indiz dafür, dass er glaubte, die Tat mit Hilfe des Angekl. besser durchführen zu können als ohne ihn.“ 3323

A. Täterschaft bei den allgemeinen vorsätzlichen Begehungsdelikten

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verspricht, dass der Täter unentdeckt oder unbestraft bleibt (sog. „vorgeleistete Strafvereitelung“3333), plant mit dem dadurch erhöhten Sicherheitsgefühl des Täters, das diesen „befreit“ zur Tat schreiten lassen soll.3334 Und schließlich leistet auch derjenige eine voluntative Beihilfe, der dem Täter ein zusätzliches Motiv für die Tatbegehung liefert, ihm noch vorhandene Bedenken ausredet oder seinen Verletzungswillen durch „unbedingt-affirmatives“3335 Aufhetzen intensiviert.3336 bb) Anforderungen an das Programm der Beihilfe als intentionale Strategie einer Unrechtsteilnahme Fraglich ist, welche Voraussetzungen das Handlungsprogramm des Gehilfen als intensionale Strategie einer Verletzungsteilnahme erfüllen muss. Diese Frage wird herkömmlich nur indirekt diskutiert, indem nach der Beihilfequalität eines berufstypischen, alltäglichen, neutralen Förderungsverhaltens gefragt wird.3337 Typische Beispiele bilden etwa der Fall des Händlers, der einem präsumtiven Einbrecher einen Schraubenzieher verkauft3338, oder der Fall des Bankangestellten, der für einen Kunden anonyme Kapitaltransfers nach Luxemburg tätigt.3339 In der Sache ist damit das Problem der Abschichtung von erlaubtem und unerlaubtem Risiko angesprochen,3340 die allerdings – und hier liegt die Krux – bei vorsätzlichen Verletzungsprogrammen intensional anderen Kriterien folgt als bei unerlaubten Risikoschaffungen schlechthin.3341 „Vorsatz“ als Betätigung einer Verletzungsmaxime ist seinem materialen Gehalt nach etwas anderes als das bloße Wissen um eine unerlaubte, d. h. sorgfaltswidrigriskante, Gefahrschaffung.3342 Maßgeblich ist das Programm eines Handelns, das sich bei zweckrationaler Handlungsinterpretation als sinnvolle Strategie zur Er3333 So Roxin, AT/II, § 26 Rn. 201, in „Übersetzung“ der zu § 257 StGB a.F. getroffenen Formulierung von Class, Stock-FS (1966), 115 (117) [„vorgeleistete Begünstigung“]. 3334 So die h.M.; s. statt vieler nur RGSt 8, 267 (268 f.); Roxin, AT/II, § 26 Rn. 201; a.A. Class Stock-FS (1966), 115 (117 ff.); Charalambakis, Roxin-FS (2001), 625 (634 f.). 3335 s. zu dieser treffenden Begrifflichkeit Köhler, ZStW 104 (1992), 3 (24); zur Abgrenzung von der allgemeinen Sympathiebekundung, die (noch) keine Beihilfemaxime objektiviert, s. Schünemann, in: LK, § 27 Rn. 14. 3336 Roxin, AT/II, § 26 Rn. 200; auch Rudolphi, StV 1982, 518 (520); krit. aber Charalambakis, Roxin-FS (2001), 625 (635 f.). 3337 s. umfassend dazu Kudlich, Unterstützung, 68 ff., der eine umfassende Bestandsaufnahme der aktuellen Diskussion liefert. 3338 Jakobs, ZStW 89 (1977), 1 (20). 3339 Beispiel nach BGHSt 46, 107 ff. 3340 So zutr. Wohlers, NStZ 2000, 169 (173 f.). 3341 Eingehend dazu oben, 146 ff. 3342 So für den Tatvorsatz zutr. Puppe, in: NK, § 15 Rn. 64. – Es wirkt einigermaßen überraschend, dass Puppe diese allgemeine Vorsatzbestimmung nicht für das Problem „neutraler“ Beihilfehandlungen fruchtbar macht, sondern insofern auf Inhalt und Reichweite der allgemeinen Sorgfaltspflicht abstellen will (so dies., in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 167 ff.).

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6. Kap.: Die Ausarbeitung der Deliktsgruppen im Einzelnen

folgsherbeiführung darstellt. Das (geplante) Handeln muss die Maxime ausdrücken, dass der Erfolg sein soll.3343 Demnach muss sich auch das Handeln des Gehilfen von vornherein als zweckrationale Strategie einer Beihilfe „zu“ fremder Tat darstellen, muss also die Maxime ausdrücken, dass die Haupttat sein und deshalb zu ihrem Erfolg beigetragen werden soll. Es ist daher geboten, auf das Handlungsprogramm des Gehilfen abzustellen und (normativ) zu fragen, „(…) was der Gehilfe eigentlich mit seinem Handeln erreichen will (…)“3344 – oder wollen muss: Er muss Beihilfe „zu“ einer fremden Tat leisten, seinen Beitrag gerade auf diese fremde Tat zuschneiden wollen, was bedeutet: Sein Verhalten muss nach einem allgemeinen Interpretationsmuster zweckrationalen Handelns ausschließlich am Zweck der Haupttat ausgerichtet sein.3345 Es ist daher schon im Ansatz problematisch, wenn die h.M.3346 die Beihilfequalität „neutraler“ Alltagshandlungen mit objektiv-deliktischem Sinnbezug an das bloße Sonderwissen des „Alltagshelfers“ von einem deliktischen Missbrauchsvorsatz des Haupttäters knüpfen will: Wer deliktische Verwendungszwecke anderer ausblendet,3347 während er in seiner Alltagsfunktion (etwa als Verkäufer oder Bankangestellter) an sich legitimen Handlungsinteressen nachgeht, der leistet gerade noch keinen verbindenden Beitrag,3348 betätigt gerade keine zweckrationale Beihilfemaxime,3349 denn: „Die entsprechenden Verhaltensweisen sind unübersehbar als Verfolgung berechtigter Handlungsinteressen zu verstehen – und dadurch regelmäßig auch motiviert (…)“3350 3343

So für den Tatvorsatz zutr. Puppe, in: NK, § 15 Rn. 68 f. So zutr. Schild, in: NK, § 27 Rn. 10. 3345 So im Ansatz zutr. Kindhäuser, Otto-FS (2007), 355 (362 ff., 371); zust. Schild, in: NK, § 27 Rn. 10; krit. dagegen etwa Fischer, § 27 Rn. 19b; Paeffgen/Zabel, in: NK, Vor § 32 Rn. 40. – Die insbesondere von Paeffgen [a.a.O.] vorgetragene Kritik, es müsse dem bei der „neutralen“ Beihilfe heranzuziehenden objektivierenden Maßstab (wie sonst auch) eine „intellektuellemotive Tatseite“ entsprechen, ist jedenfalls solange nicht zwingend, wie man das vorsätzliche (Beihilfe-)Handeln selbst seinem Bedeutungsgehalt nach normativ bestimmt; dann nämlich kommt es für die Qualität des betreffenden Handelns als Beihilfeprogramm darauf an, ob es bei zweckrationaler Handlungsinterpretation eine Beihilfemaxime ausdrückt (sehr treffend insofern Heine/Weißer, in Schönke/Schröder, § 27 Rn. 13: „Notwendig ist ein qualitatives Element, das die Interpretation der kausalen Unterstützungshandlung als mittelbaren Rechtsgutsangriff […] erlaubt.“). 3346 So insbesondere etwa BGH NStZ 2000, 34 (34); NStZ 2001, 364 (365); NStZ 2004, 41 (42 f.); BGHSt 46, 107 (113 f.); Roxin, LK11, § 27 Rn. 16 ff.; ders., Miyazawa-FS (1995), 501 (512 ff.); ders., AT/II, § 26 Rn. 221 ff.; Schünemann, in: LK, § 27 Rn. 17 ff.; Kudlich, Unterstützung, 466 f.; Otto, Lenckner-FS (1998), 193 (210). 3347 Ob insofern ein „Recht auf Ignoranz“ (Puppe, in: NK, Vor § 13 ff. Rn. 171) besteht, ist eine andere, nicht sub specie § 27 (sondern allein sub specie §§ 323c, 138!) zu behandelnde Frage (a.A. Puppe, a.a.O.; Frisch Verhalten, 313 ff., 320 ff.). 3348 Grundlegend Frisch, Verhalten, 295 ff. 3349 Intuitiv auch Frisch (Verhalten, 299), der meint, es fehle hier an einem Verhalten, das im ideellen Bereich mit dem eigentlichen deliktischen Geschehen auf einer Linie liege. 3350 Frisch, Verhalten, 308. 3344

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weshalb „(…) die durch sie bewerkstelligten Erweiterungen der Rechtsmacht, der Verwendungsoder Entfaltungsmöglichkeiten Dritter als nicht zu beanstandende Zielsetzungen anzusehen sind“3351.

Überhaupt begeht man einen Kategorienfehler, wenn man ein Sonderwissen kurzerhand mit dem Programm gleichsetzt, Beihilfe „zu“ fremder Tat leisten zu wollen. Denn allein der Umstand, dass ein an sich rechtskonformes Verhalten qua Sonderwissen das erlaubte Alltagsrisiko übersteigt, macht es noch nicht automatisch zur deliktischen Beihilfemaxime!3352 Noch problematischer wird es, wenn demjenigen, der eine deliktische Anschlusstätigkeit ernstlich „befürchtet“, sie aber achselzuckend in Kauf nimmt, umgekehrt der Vertrauensgrundsatz zugute gehalten wird.3353 Die zur Begründung gegebene These, dass der Vertrauensgrundsatz das psychische Datum der ernstlichen Tatbefürchtung von vornherein normativ überlagere,3354 wirkt behelfsmäßig: Mit welchem Recht soll derjenige, der sich mit der (ernsthaft) in Betracht gezogenen Möglichkeit einer deliktischen Anschlusstätigkeit abfindet, (noch) normativ auf deren Ausbleiben vertrauen dürfen?3355 Dies bedürfte umso mehr der Erklärung, als der Beihilfetatbestand des § 27 alle Vorsatzformen erfasst.3356 Als folgerichtiger erweist sich daher die literarische Mindermeinung3357, („extensive Theorie“3358) die – unabhängig von einer eventuellen Alltagsqualität – jeden vorsätzlichen Beitrag zur vorsätzlich begangenen Unrechtstat eines anderen nach den allgemeinen Grundsätzen als Beihilfe bewerten will: § 27 setze lediglich voraus, dass vorsätzlich einem anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat Hilfe geleistet werde. Diese Voraussetzungen seien aber auch im Falle der meisten

3351

Frisch, Verhalten, 310. I.d.S. aber expressis verbis Roxin (AT/II, § 26 Rn. 228), im Hinblick auf das Beispiel des Verkaufs von später deliktisch missbrauchten Alltagswerkzeugen: „Wenn der Verkäufer dies weiß, verliert sein Handeln den Charakter eines ,neutralen‘ Alltagsgeschäftes und wird zum Rechtsgutsangriff.“ – Darin liegt wie gesehen ein Kategorienfehler, denn das bloße Wissen um die drohende Realisierung eines allgemeinen Lebensrisikos macht das zugrunde liegende Alltagshandeln noch nicht zu einer unrechtlichen Beihilfemaxime (noch dezidierter i.d.S. Frisch, Verhalten, 298 [„Gesinnungsstrafrecht in Reinkultur“]). 3353 So die h.M.; s. stellvertretend nur BGH StV 2014, 474 (475); Roxin, AT/II, § 26 Rn. 241 ff. 3354 So Roxin, AT/II, § 26 Rn. 241 f., 246 m. Fn. 328. 3355 Amelung, Grünwald-FS (1999), 9 (18 f.); Beckemper, Jura 2001, 163 (168); Schall, Meurer-GedS (2002), 103 (112). 3356 Tag, JR 1997, 49 (51). 3357 s. aus der aktuelle(re)n Literatur insbesondere Fischer, § 27 Rn. 18b, 19c; Beckemper, Jura 2001, 163 (169); Niedermair, ZStW 107 (1995), 507 (543 f.); mit Einschränkungen auch Amelung, Samson-FS (1999), 9 (29). 3358 Tag, JR 1997, 49 (50). 3352

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6. Kap.: Die Ausarbeitung der Deliktsgruppen im Einzelnen

„neutralen“ Beihilfehandlungen erfüllt.3359 – Das ist in der Weichenstellung richtig, in der Konklusion allerdings zirkulär, denn was unter einem vorsätzlichen Hilfeleisten „zu“ fremder Tat richtigerweise zu verstehen ist, ist gerade die entscheidende Frage. Der extensiven Theorie ist immerhin zuzugeben, dass sie dem Wortlaut des § 27 nicht widerspricht.3360 Klar ist aber auch, dass eine unreflektierte Anwendung der überkommenen Beihilferegeln „(…) die allgemeine Handlungs- und Berufsausübungsfreiheit in sozial unerträglicher Weise einschränken (…)“ müsste.3361 Hinzu käme die merkwürdige Konsequenz, dass ein in Wahrheit gar nicht zu deliktischem Missbrauch entschlossener Mensch allein durch die böse Vermutung eines anderen (und das daraus folgende Leistungsverbot) normativ von den Leistungen des täglichen Lebens abgeschnitten würde.3362 Näher als das von der Mindermeinung befürwortete Totalverbot sämtlicher doloser Alltagshandlungen liegt daher die diametral entgegengesetzte Annahme, „(…) daß bei Geschäften des täglichen Lebens (…) auf die deliktsfreie Ausnutzung der geschaffenen Zustände durch den anderen vertraut werden darf (weil muss), selbst wenn die konkret belegte Möglichkeit deliktischer Weiterführung besteht (…)“.3363

3359

So in der Sache zuletzt Beckemper, Jura 2001, 163 (169). s. dazu statt vieler nur Niedermair, ZStW 107 (1995), 107 (538). – Die hier vorgenommene finale Deutung der in § 27 verwendeten Präposition „zu“ (im Gegensatz zu einer bloß konsekutivischen Interpretation, die eigentlich mit „so dass“ zu übersetzen wäre) kann wohl nicht für sich reklamieren, die Wortsinngrenze vorzugeben. 3361 Schall, Meurer-GedS (2002), 103 (105 f. [Zitat auf S. 105]); a.A. Niedermair, ZStW 107 (1995), 107 (537 ff.), der in § 27 die gesetzgeberische Entscheidung für ein flächendeckendes Verbot mittelbaren Rechtsgutsangriffs verankert sieht, dessen Strafbewehrung unter dem Gesichtspunkt eines effektiven Rechtsgüterschutzes auch ohne Weiteres verfassungsrechtlich legitim sei. – Fraglich ist jedoch, wie diese Wertung sich mit derjenigen der §§ 138, 323c vertragen soll, wonach der bloße Rückzug auf die eigene Organisation nur im Falle einer unmittelbaren räumlich-zeitlichen Nähe zum deliktischen Haupttatgeschehen (als drohender „Unglücksfall“ i.S.d. § 323c) oder des Wissens um bestimmte Katalogtatvorsätze (§ 138) strafbar sein soll: Zählt man die bloße Ausfüllung rechtskonformer Handlungsrollen zum Rückzug auf die eigene Organisation – und anders wird man die Dinge wohl kaum sehen können (s. dazu Wohlleben, Beihilfe, 157; auch Jakobs, ZStW 89 [1977], 1 [29 f.]) – so kollidiert die Idee von der flächendeckenden Strafbarkeit ambivalenter Hilfshandlungen mit der Grundsatzwertung der §§ 138, 323c. Will man diesen Bruch (i.d.S. zutr. Wohlleben, Beihilfe, 157) vermeiden, so wird man ambivalente Hilfshandlungen allenfalls innerhalb der durch §§ 138, 323c gezogenen Grenzen als strafbar ansehen können (s. krit. dazu sogleich noch unten im Text). – Nochmals zur Klarstellung: Dass im Falle ambivalenter Hilfsakte ein unwertiger Rechtsgutsbezug gegeben ist, wird auch hier nicht geleugnet; damit ist aber noch lange nicht präjudiziert, dass das betreffende Handlungsunrecht unter dem Aspekt der aktiven Tatbeihilfe verboten und strafbar sein muss (denn Beihilfe ist eben doch mehr als das bloße Auffangbecken aller übrigen Beteiligungsformen)! 3362 So zutr. Frisch, Verhalten, 298 m. Fn. 235. 3363 Frisch, Verhalten, 298. 3360

A. Täterschaft bei den allgemeinen vorsätzlichen Begehungsdelikten

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Doch auch diese Lehre von der Sozialadäquanz3364 bzw. von der „professionellen Adäquanz“3365 (= Einhaltung der für den Beruf geltenden Regeln) bleibt problematisch insofern, als sie die „Blutleere“ der allgemeinen Beihilferegeln unhinterfragt lässt und „nur“ von einer widerleglich vermuteten Überlagerung des Beihilfe-Tatbestandes durch soziale Adäquität ausgeht. Damit stellt sich das Problem aber von der anderen Seite her: So wenig man das Gesamtfeld vorsätzlich-deliktsfördernder Alltagshandlungen rundheraus zu verbotenem Beihilfeunrecht deklarieren kann, so wenig kann man es als „an sich“ neutrales Verhalten (grundsätzlich) für sakrosankt erklären. Beide Meinungspole verkennen demnach die „Janusköpfigkeit“3366 bzw. die „Ambivalenz“3367 von „an sich“ neutralen Alltagshandlungen. Denn einerseits kann fast jede Alltagshandlung in einen unrechtlichen Kontext gestellt werden,3368 andererseits „(…) erscheinen nahezu alle klassischen Beihilfehandlungen als durchaus sozialadäquat, wenn man sie für sich, also ohne Zusammenhang mit der Straftat betrachtet, die sie verursachen oder sichern“3369.

Zu Recht hat daher Puppe3370 den Blick wieder dafür geschärft, dass die Fälle ambivalenten Handelns keine selbständige Kategorie der Beihilfedogmatik betreffen, sondern „nur“ die allgemeinen, für die „geborene“3371 Beihilfe geltenden Zurechnungsgrundsätze vor eine spezielle Herausforderung stellen, nämlich die Prämissen „gekorener“3372 Beihilfe zu ermitteln. Diese Herausforderung kann man jedoch recht einfach und universell meistern, indem man, wie es hier vorgeschlagen wird, die Vorschrift des § 27 von vornherein etwas exakter beim Wort nimmt. Dann nämlich muss die Beihilfe als zweckrationales Programm einer Hilfeleistung „zu“ fremder Tat erscheinen, nicht bloß als irgendeine Leistung, an die deliktische Aktivitäten angeschlossen werden können: Es genügt nicht, wenn eine Leistung in konsekutivischer Voraussicht der Folge eines deliktischen Missbrauchs erbracht

3364 Grundlegend und allgemein Welzel, AT, § 10 IV (55 ff.); für das Problem der „neutralen“ Beihilfe etwa Rudolphi, Bruns-FS (1978), 315 (332); Jakobs, GA 1996, 253 (261 f.). 3365 s. stellvertretend nur Hassemer, wistra 1995, 41 ff. 3366 So in krit. Auseinandersetzung mit der von ihr sog. „extensiven Theorie“ Tag, JR 1997, 49 (50). 3367 So in Bezug auf die Lehre von der (professionellen) Sozialadäquanz Schall, MeurerGedS (2002), 103 (107). 3368 BGHSt 46, 107 (113); Roxin, Miyazawa-FS (1995), 501 (515). 3369 Puppe, AT, § 26 Rn. 13; s. auch LG Wuppertal wistra 1999, 473 (475). 3370 AT, § 26 Rn. 13 f.; s. auch Otto, StV 1994, 409 (410): „Nicht in der berufstypischen Tätigkeit liegt daher das Problem, sondern in der Frage, ob und wann konkrete – u. U. auch berufstypische Verhaltensweisen – eine Beihilfe darstellen.“ 3371 So prägnant Tag, JR 1997, 49 (55). 3372 So der passende Komplementärbegriff bei Tag, JR 1997, 49 (55).

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6. Kap.: Die Ausarbeitung der Deliktsgruppen im Einzelnen

wird, sondern es muss – wie in den klassischen Beihilfekonstellationen der Rat- oder Tathilfe – eine zweckrationale Beihilfemaxime zum Ausdruck gebracht werden.3373 Nimmt man die klassischen Fälle der „geborenen“ Beihilfe zum Ankerpunkt für die Beurteilung „neutraler“ Alltagshandlungen, so liegt „gekorene“ Beihilfe zunächst dann vor, wenn der „Alltagshelfer“ kollusiv mit dem präsumtiven Täter zusammenwirkt, indem er einen über seine Alltagsfunktion hinausgehenden, direkt solidarischen Unterstützungsbeitrag leistet (z. B. bei berufspflichtwidrig verschleierter Kapitaltransferierung).3374 Überdies ist Beihilfe aber auch dann gegeben, wenn das Verhalten des „Alltagshelfers“ sich als Erfüllung eines eindeutig deliktisch definierten Verlangens oder Bedürfnisses des präsumtiven Täters (und damit wiederum: als verbindender Beitrag) darstellt.3375 Das ist anzunehmen, wenn die taterleichternde Handlung räumlich-zeitlich direkt auf ein deliktisches Handeln bezogen ist (z. B. bei Verkauf von Werkzeugen an präsumtive Teilnehmer einer in Sicht- oder Hörweite tobenden Schlägerei3376),3377 wenn vom Täter offen um deliktsunterstützende Dienste geworben wurde,3378 wenn der „Alltagshelfer“ sich bewusst über positivrechtliche Sorgfaltspflichten zum Schutz vor deliktischem Anschlusshandeln hinwegsetzt,3379 oder wenn ein legales Anschlusshandeln praktisch ausgeschlossen ist.3380 Daraus folgt im Umkehrschluss, dass die Schaffung deliktischer Missbrauchsgelegenheiten im sozialen Alltag grundsätzlich keine Beihilfe begründet, da es an einer zweckrationalen Beihilfemaxime fehlt.3381 Nimmt man die Formulierung des § 27 i.d.S. ernst, so kann man allenfalls noch fragen, ob Beihilfe nicht wenigstens 3373 In der Sache ebenso Schall, Meurer-GedS (2002), 103 (115 ff.) [„nach außen dokumentiertes ,kollusives‘ Verhalten“]; Schumann, Selbstverantwortung, 54 ff. [handlungsmäßige Solidarisierung mit fremdem Unrecht]; Wohlers, NStZ 2000, 169 (173) [„Manifestation eines deliktischen Unterstützungswillens“]; s. ferner auch bereits Jakobs, ZStW 89 (1977), 1 (22 f.) [Ausrichtung des Gehilfenprogramms an oder zumindest nach einer durch deliktische Planung bestimmten (Gegen-)Welt]; ähnlich Kindhäuser, Otto-FS (2007), 355 (362 ff., 371) [ausschließliche Ausrichtung der Beihilfe am Zweck der Haupttat]; zust. Schild, in: NK, § 27 Rn. 10 f.; entsprechende Anklänge finden sich auch bei Frisch (Verhalten, 299) [Beihilfe als ein dem deliktischen Hauptgeschehen ideell korrelierendes Verhalten]. 3374 Wohlers, NStZ 2000, 169 (173); Schall, Meurer-GedS (2002), 103 (116 f.); Schumann, Selbstverantwortung, 63 f.; Jakobs, ZStW 89 (1977), 1 (27, Fn. 83 a.E.). 3375 s. dazu insbesondere Frisch, Verhalten, 284, 299 f., 301 m. Fn. 245, 310 m. Fn. 283, 311; auch Schumann, Selbstverantwortungsprinzip, 68 f. 3376 Beispiel nach Jakobs, GA 1996, 253 (264). 3377 Schumann, Selbstverantwortung, 57; Puppe, in: NK, Vor § 13 ff. Rn. 172, 174; Jakobs, GA 1996, 253 (264); Kindhäuser, Otto-FS (2007), 355 (365). 3378 So etwa Frisch, Verhalten, 299 f., 311; Schumann, Selbstverantwortung, 69. 3379 So zutr. Puppe, in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 169 a.E.; Schumann, Selbstverantwortung, 63 f.; Wohlers, NStZ 2000, 169 (173); Jakobs, GA 1996, 253 (264). 3380 Wohlers, NStZ 2000, 169 (173 f.). 3381 So im Ansatz zutr. etwa Jakobs, AT, 24/17; Frisch, Verhalten, 295 ff.; Schumann, Selbstverantwortung, 62 ff.; Puppe, in: NK, Vor § 13 ff. Rn. 173; Kindhäuser, Otto-FS (2007), 355 (364 f.); Meyer-Arndt, wistra 1989, 281 (286 f.).

A. Täterschaft bei den allgemeinen vorsätzlichen Begehungsdelikten

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dann noch anzunehmen ist, wenn der „Alltagshelfer“ rechtlich ohnehin zur Verhinderung der von ihm aktiv erleichterten Tat verpflichtet ist. So hat es für die Alltagsförderung präsumtiver Katalogdeliktsvorsätze i.S.d. § 138 zuerst Frisch3382 vertreten, mit dem Argument, dass das Verbot solcher Handlungen gleichsam als „Sonderopfer“ hinzunehmen sei. Und in der Tat wäre es „(…) ein Wertungswiderspruch, wenn man jemandem, der glaubhaft von einem geplanten Mord Kenntnis erhalten hat und in bezug auf dieses Vorhaben anzeigepflichtig ist, im gleichen Atemzuge uneingeschränkt die Vornahme von Handlungen oder die Erbringung von Leistungen erlauben wollte, die dem potentiellen Täter diese seine geplante Tat ermöglichen oder erleichtern“3383.

Mithin ist Frisch darin zuzustimmen, dass das aktive Voranbringen von Katalogtatvorsätzen i.S.d § 138 nach der allgemeinen Normenordnung verboten sein muss. Nur fällt das betreffende Verbot als Derivat der allgemeinen Solidarpflicht zur Vereitlung fremder Kapitaldeliktspläne nicht in den Regelungsbereich des § 27, sondern allein in denjenigen des § 138: An sich neutrale Handlungen, die fremden Katalogtatvorsatz bloß dadurch „voranbringen“, dass sie den Unwillen zu der nach § 138 geschuldeten Mindestsolidarität handlungsmäßig dokumentieren, sind als qualifizierte Unterlassungen i.S.d. § 138 zu bewerten.3384 Denn auch hier geht es ja materiell um die Frage nach einem „Recht auf Ignoranz“3385, die der Gesetzgeber exklusiv in § 138 (scil.: abschlägig) beantwortet hat.3386 Frisch3387 hält dem zwar entgegen, dass die Frage nach der Beihilfequalität eines aktiven Voranbringens geplanter Katalogtaten unabhängig von der „Vor-Wertung“ des § 138 nach den allgemeinen Beihilfekriterien zu beantworten sei. Aber das kann nicht überzeugen, denn es geht ja auch inhaltlich gerade um die in § 138 zu verortende Frage, unter welchen Voraussetzungen der bloße Rückzug auf die eigene Organisation (hier: auf rechtlich prinzipiell zugestandene Handlungsspielräume) strafrechtlich relevant ist! Kasuistisch aufgelöst bedeutet das Gesagte Folgendes: Der Eisenwarenhändler, der einem als Einbrecher bekannten Kunden ein deliktisch missbrauchbares Werkzeug (etwa einen Spaten oder einen Schraubenzieher) verkauft, betätigt keine tatbezogene Beihilfemaxime i.S.d. § 27.3388 Etwas anderes gilt nur dann, wenn er einem eindeutigen deliktischen Verlangen nachkommt, etwa indem er auf unzweideutige 3382

In: Verhalten, 308 ff. (313 ff.); zust. Hefendehl, Jura 1992, 374 (377); Tag, JZ 1997, 49 (54 ff. [56 f.]) Wohlers, NStZ 2000, 169 (173). 3383 Frisch, Verhalten, 314. 3384 So zutr. Kindhäuser, Otto-FS (2007), 355 (369 f.). 3385 So die zutr. Formulierung bei Puppe, in: NK, Vor § 13 ff. Rn. 171. 3386 So zutr. Jakobs, AT, 7/67 f.; ders., ZStW 89 (1977), 20, 26 f., 30; ders., GA 1996, 253 (263); Kindhäuser, Otto-FS (2007), 355 (369 f.); gegen Frisch auch Niedermair, ZStW 107 (1995), 507 (519 ff.); Roxin, AT/II, § 26 Rn. 235. 3387 Verhalten, 320 f. 3388 So zutr. Jakobs, GA 1996, 253 (264); Schumann, Selbstverantwortung, 64; Puppe, in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 173; Kindhäuser, Otto-FS (2007), 355 (365); a.A. jedoch die h.M.; s. statt vieler nur Roxin, AT/II, § 26 Rn. 222.

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6. Kap.: Die Ausarbeitung der Deliktsgruppen im Einzelnen

Fragen des Kunden hin ein bestimmtes Modell empfiehlt.3389 Entsprechendes gilt für den Bäckereifachverkäufer, der ernstlich vermutet oder gar zu wissen glaubt, dass der von ihm bediente Kunde das überlassene Brötchen für einen Giftmord an seiner Frau missbrauchen will.3390 Auch er betätigt keine Beihilfemaxime i.S.d. § 27,3391 sofern er nicht seine Leistung auf die deliktische Zwecksetzung des Kunden zuschneidet3392 oder einem ausdrücklichen deliktischen Verlangen desselben nachkommt.3393 Das Beispiel enthält allerdings eine Besonderheit insofern, als eine Katalogtat nach § 138 I Nr. 5 im Raum steht. Der Verkäufer begeht daher schon durch die Überlassung des Brötchens eine Nichtanzeige geplanter Straftaten nach § 138 I Nr. 5;3394 bleibt die Ausführung der in Rechnung gestellten Tat wider Erwarten aus, so ändert dies an der strafbegründungsrechtlichen Verantwortlichkeit des Verkäufers nichts; ggf. kann jedoch nach § 139 I fakultativ von Strafe abgesehen werden.3395 Auch die Lieferung von Material an einen Fabrikanten, der bei der Verarbeitung voraussichtlich gegen Tatbestände des Umweltstrafrechts verstoßen wird, begründet keine Beihilfe.3396 Gleiches gilt für die Beauftragung eines Handwerkers, der das verdiente Geld voraussichtlich nicht versteuern wird,3397 oder für Geldzuwendungen an eine Sozialhilfeempfängerin, die den Vermögenszufluss beim Sozialhilfeträger nicht deklarieren wird.3398 Zu Recht hat es auch das RG3399 abgelehnt, die Lieferung von Fleisch und Brot an ein Bordell als Beihilfe zur Kuppelei zu bestrafen. Demgegenüber liegt eine Beihilfemaxime vor, wenn der „Alltagsgehilfe“ von vornherein kollusiv in die Schaffung der deliktischen Anschlussvoraussetzungen eingebunden 3389 Man wende nicht ein, dass das Wissen um eine deliktische Missbrauchsabsicht der Erfüllung eines (konkludenten) deliktischen Verlangens sachlich gleichstehe (so aber Roxin, AT/II, § 26 Rn. 228). Denn wer lediglich insgeheim von einem deliktischen Missbrauchsvorsatz weiß, zieht sich im Leistungsfall auf seinen Organisationskreis zurück (à la „Das geht mich nichts an“), während derjenige, der einem deliktischen Verlangen nachkommt, gerade umgekehrt (zumindest konkludent) einen verbindenden Beitrag leistet. Die bloße Ignoranz eines konsekutivischen Wissens drückt – anders als das Eingehen auf ein objektiviertes deliktisches Verlangen – ohne Weiteres noch keine Beihilfemaxime aus! 3390 Fall nach Jakobs, AT, 24/17. 3391 Jakobs, AT, 24/17. 3392 s. zu dieser Ausnahme etwa Jakobs, ZStW 89 (1977), 1 (27 Fn. 83); Kindhäuser, OttoFS (2007), 355 (370). 3393 s. auch das ähnliche Beispiel bei Frisch, Verhalten, 311 (Verkauf von Pflanzengift an jemanden, der zuvor „frank und frei“ seine deliktischen Absichten erklärt hat). 3394 So in der Sache auch Kindhäuser, Otto-FS (2007), 355 (370). 3395 s. dazu Fischer, § 139 Rn. 3. 3396 Roxin, AT/II, § 26 Rn. 224. 3397 So i.E. auch Roxin, AT/II, § 26 Rn. 224; Niedermair, ZStW 107 (1995), 507 (527). 3398 Beispiel nach Beckemper, Jura 2001, 163 (165). 3399 So allgemein RGSt 39, 45 (48); inkonsequent erscheint demgegenüber die Bejahung einer strafbaren Beihilfe für die Lieferung von Wein (a.a.O., 45 ff.), mit dem Argument, gerade durch die Möglichkeit des Weinausschanks sei „(…) die Frequenz in den Bordellen gehoben, ein weiterer Reiz zum Besuche der Bordelle geschaffen (…)“ worden; dagegen zutr. BGH NStE 1987 Nr. 1 zu § 184a StGB.

A. Täterschaft bei den allgemeinen vorsätzlichen Begehungsdelikten

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ist, indem er z. B. als Bankangestellter Vermögenstransfers bewusst verschleiert oder konkrete Ratschläge zur Erleichterung einer geplanten Steuerhinterziehung erteilt,3400 oder indem er als Notar einem Treunehmer wissentlich Hilfe leistet, hochriskante Geldanlagen zulasten des Treugebers vorzunehmen.3401 Ein verbindender Beitrag wird ferner auch dann erbracht, wenn der „Alltagsgehilfe“ sich bewusst über positivrechtliche Sorgfaltspflichten hinwegsetzt, deren Einhaltung einen deliktischen Missbrauch wie den antizipierten gerade ausschließen soll, d. h. bei Veräußerung nicht frei verkäuflicher Gegenstände wie Schusswaffen, Giften oder Betäubungsmitteln ohne entsprechende Nachweisvorlage.3402 Des Weiteren ist eine Beihilfe gegeben, wenn die fragliche Alltags(dienst)leistung räumlich-zeitlich unmittelbar auf eine fremde Tatbegehung bezogen erfolgt: Der Haushaltswarenhändler, der präsumtiven Teilnehmern einer um die Ecke tobenden Straßenschlacht Hieb- oder Stichwerkzeuge verkauft,3403 leistet ebenso verbotene Beihilfe wie der Taxifahrer, der einen Drogendealer zum Beschaffungsort fährt3404

3400 So i.E. zutr. LG Wuppertal, wistra 1999, 473 (474 f.); Löwe-Krahl, wistra 1995, 201 (203, 205 f.); Otto, StV 1994, 409 (410). 3401 BGH NStZ-RR 1999, 184 (186). – Anders entschied der BGH (NStZ 2000, 34 [34 f.]) im Falle eines Anwalts, der als externer Unternehmensberater Kundenprospekte für eine Firma ausgearbeitet hatte, „(…) deren alleiniger Unternehmenszweck in der betrügerischen Erlangung von Anlagegeldern bestand (…)“ (Zitat a.a.O., 34). Die betreffende Firma hatte den (inhaltlich richtigen) Prospekt dazu nutzen wollen, den Anlegern später den Einwand mangelnder Risikoaufklärung zu nehmen (a.a.O.). Der BGH (a.a.O., 34 f.) beanstandete die erstinstanzliche Verurteilung des Angeklagten wegen Beihilfe zum Anlagebetrug mit dem Hinweis, dass nach den dortigen Tatsachenfeststellungen (noch) nicht feststehe, ob der Angeklagte von den betrügerischen Zielen der Firma gewusst habe. Dem kann in der Begründung nicht zugestimmt werden, denn die entscheidende Frage hätte dahin gehen müssen, ob der Angeklagte einen verbindenden Beitrag geleistet hatte, ob er also in die deliktischen Pläne der Firma eingeweiht worden war. 3402 So zutr. Puppe, in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 169 a.E., wenn auch freilich vom Vertrauensgrundsatz her kommend. – Man hat dieser Differenzierung entgegengehalten, dass etwa bei einer geplanten Vergiftung die Strafbarkeit des bösgläubigen Verkäufers wohl kaum davon abhängen könne, ob der Täter ein eintragungspflichtiges Gift oder frei erhältliche Ingredienzen zum Selbstmischen erwerbe (so Niedermair, ZStW 107 [1995], 507 [536]; Roxin, AT/II, § 26 Rn. 237). Das ist aber – jedenfalls im Hinblick auf den hier vertretenen Ansatz – zu kurz gedacht: Wer einem anderen „nur“ frei verkäufliche Ingredienzen überlässt, der leistet keinen verbindenden Beitrag, sondern zieht sich auf seinen Organisationskreis zurück – was u. U. sub specie § 138 strafrechtliche Relevanz hat (s. dazu bereits oben im Haupttext). Ganz anders liegen die Dinge jedoch, wenn der sicherungspflichtige Waffenverkäufer oder Apotheker unter Erlaubnisvorbehalt stehende Waffen, Betäubungsmittel oder Gifte an Nichtberechtigte herausgibt. Hier kann das aktive Hinwegsetzen über das grundsätzliche staatliche Überlassungsverbot in Antizipation eines deliktischen Missbrauchs nur als Beihilfemaxime verstanden werden! Das gilt nach dem Regelungszweck der betreffenden Sorgfaltsgebote auch dann, wenn der Kunde, dessen maliziöse Absichten bekannt sind, formell Berechtigter ist (so die zutr. Klarstellung bei Schumann, Selbstverantwortung, 63 f.). 3403 s. zu diesem Beispiel Jakobs, GA 1996, 253 (264); Roxin, AT/II, § 26 Rn. 241 a.E. 3404 Beispiel in Anlehnung an BGH GA 1981, 133 ff.; a.A. Jakobs, AT, 24/17.

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6. Kap.: Die Ausarbeitung der Deliktsgruppen im Einzelnen

oder den Einbrecher mitsamt Beute vom Tatort wegfährt.3405 Schließlich liegt eine Beihilfe auch dann vor, wenn die betreffende Alltagsleistung sich einzig als Erfüllung eines deliktischen Verlangens interpretieren lässt, weil ein legales Anschlusshandeln objektiv ausgeschlossen ist. So lag es (wohl) in einem vom Schweizerischen Bundesgericht3406 entschiedenen Fall, wo ausweislich der Urteilsfeststellungen von vornherein handgreiflich gewesen war, dass das von den Angeklagten an „dubiose Abnehmer“3407 veräußerte Antilopenfleisch im Importland (der Schweiz) nicht legal absatzfähig sein würde.3408 cc) Tatbestandsmäßige Ausführung als Bezugsobjekt des Beihilfeprogramms Nach dem Gesetzeswortlaut des § 27 muss das Programm des Gehilfen darauf gerichtet sein, Beihilfe zu fremder Tat(ausführung) zu leisten. Dabei ist allgemein anerkannt, dass der Gehilfenbeitrag auch bereits im Vorbereitungsstadium erbracht werden kann, solange er nur im Ausführungsstadium wirkt.3409 Wird der Beitrag im Vorbereitungsstadium geleistet, so muss der Gehilfe auch noch nicht zwingend von einem bereits vorhandenen „Tatentschluss“ in der Person des präsumtiven Täters ausgehen.3410 Ganz im Gegenteil: Verlangt man für die Anstiftung – wie hier – ein verbindliches Kommunikationsverhalten, so verbleibt für eine „entschlussauslösende“ Beihilfe im Vorbereitungsstadium ein nicht unbeträchtlicher Anwendungsbereich. Das gilt zunächst für die psychische Beihilfe: Wer einen anderen durch (technischen) Rat, rhetorische Hetze oder Erregung eines Motivirrtums zu einer Tat bewegen will, der will denknotwendig auch zu deren erfolgreichem Gelingen mithelfen, indem er eine nützliche Information beisteuert bzw. den präsumtiven Täter in eine „günstige“ Motivlage versetzt.3411 Möglich ist auch eine entschlussauslösende 3405

Beispiel in Anlehnung an BGHSt 4, 107 ff.; a.A. Jakobs, AT, 24/17. SchweizBGE 114 IV 289 ff. 3407 So Roxin, AT/II, § 26 Rn. 250. 3408 So SchweizBGE 114 IV 289 (294); zust. Wohlers, NStZ 2000, 169 (173 f.). 3409 s. statt aller nur Roxin, AT/II, § 26 Rn. 256, m.w.N. aus der Rechtsprechung. 3410 So zutr. Roxin, AT/II, § 26 Rn. 256 m.w.N. aus der Rechtsprechung; a.A. Schild, in: NK, § 27 Rn. 3. 3411 So i.E. auch Amelung, Schroeder-FS (2006), 147 (175) [zum tatauslösenden Rat und zur tatauslösenden Tatfürsprache]. Wenn demgegenüber Schild (in: NK, § 27 Rn. 3, 9) meint, die bloß ideelle Tatanregung stelle kein Programm des Mithelfen-Wollens zum Gelingen fremder Tat dar, so kann das in dieser Allgemeinheit nicht überzeugen; denn die Beihilfequalität der betreffenden Handlungen liegt ja nicht etwa im Einflößen der Tatidee, sondern in der Bereitstellung von Information bzw. in der ideellen Stärkung des präsumtiven Haupttäters: Wer dem Einbrecher einen „heißen Tipp“ gibt und dadurch die Tat initiiert, der will die präsumtive Tat zugleich durch seine Information fördern, und wer einem anderen eine Tat einredet, der will ihn zugleich auch geistig für die Tat wappnen. Richtig ist allerdings, dass nicht jede geistige Anregung Beihilfe begründet: Wer einem anderen, ohne geistig weiter auf ihn einzuwirken, lediglich das allgemein bekannte Bestehen von Tatmöglichkeiten vor Augen führt, der betätigt 3406

A. Täterschaft bei den allgemeinen vorsätzlichen Begehungsdelikten

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physische Beihilfe im Vorbereitungsstadium, nämlich indem jemand durch anonymes Tatsachenarrangement (z. B. durch gezieltes Deponieren einer Schusswaffe) einen fremden Tatimpuls erst auslösen und für den Fall des Gelingens dieses Plans die präsumtive Tat physisch unterstützen will.3412 Hierbei handelt es sich um eine mit „bedingtem“ Vorsatz geleistete physische Beihilfe, da die gewünschte Unterstützungswirkung der Verführungsstrategie ex ante noch davon abhängt, dass sie den gewünschten Tatimpuls im präsumtiven Haupttäter auslöst.3413 Auch wenn der Gehilfenbeitrag im Vorbereitungsstadium geleistet werden kann, muss er nach dem Programm im Ausführungsstadium (fort)wirken sollen,3414 d. h. er muss mindestens bis zum Überschreiten der Versuchsschwelle wirken (= imperfekte vollendete Beihilfe zum Versuch). Perfekt ist die Beihilfe, wenn die Haupttat vollendet wird und der Beitrag bis dahin fortwirkt. Der Gehilfenbeitrag kann unstreitig auch erst nach Versuchsbeginn geleistet werden, etwa indem eingriffsbereite Dritte zugunsten eines auf frischer Tat ertappten Diebes aufgehalten werden.3415 Zu einer formell vollendeten Tat kann dagegen keine sukzessive Beihilfe mehr geleistet werden.3416 Bezugspunkt der Beihilfe muss nach § 27 eine fremde Tat sein, die aber nach der Nomenklatur des Strafgesetzbuches mit ihrer formellen Vollendung abgeschlossen ist (vgl. § 11 I Nr. 6). Eine über die Tatbestandsvollendung hinausgehende Tatsequenz der materiellen Beendigung, die noch beihilfefähig wäre, kennt das geltende Strafgesetz nicht. Es verstieße daher gegen das rechtsstaatliche Gesetzlichkeitsprinzip (Art. 103 II GG, § 1 StGB), eine nach tatbestandlicher Vollendung geleistete Unterstützung noch dem Beihilfestrafrahmen zu unterwerfen.3417 Demzufolge ist die immer noch h.M.3418, die die Konstruktion einer sukzessiven Beihilfe für zulässig hält, abzulehnen. Noch problematischer wird diese Lehre dadurch, dass sie eine Abgrenzung von sukzessiver Tatbeihilfe und Nachtat-Begünstigung (§ 257) erforderlich macht, worüber dann nach der Rechtsprechung3419 „die Vorstellung und der Wille“ des Unterstützenden entscheiden sollen. Das ist allerdings schon deshalb misslich, weil der Helfende die Frage, ob sein Verhalten rechtstatsächlich Begünstigung oder Beihilfe ist, nicht im Ansatz (auch nicht laikeine Beihilfemaxime (so i.E. auch der BGH im „Tankstellenfall“ [BGHSt 34, 63 ff.]; zust. Puppe, AT, § 25 Rn. 7). 3412 Amelung, Schroeder-FS (2006), 147 (175); A.A. Schild, in: NK, § 27 Rn. 3, 9. 3413 Das verkennt Schild (in: NK, § 27 Rn. 3, 9), wenn er dem anonymen Tatsachenarrangement die Beihilfequalität mit dem Argument abspricht, die bloße Schaffung von Tatanreizen verkörpere kein Programm des Mithelfen-Wollens zum Gelingen fremder Tat. 3414 s. dazu nur Schünemann, in: LK, § 27 Rn. 8; Schild, in: NK, § 27 Rn. 12. 3415 Vgl. BGHSt 6, 248 (249). 3416 So zutr. die heute h.L.; anders jedoch nach wie vor die Rechtsprechung und Teile der Literatur; s. zur Streitentwicklung und zum aktuellen Meinungsstand mit umfassenden Nachweisen Schünemann, in: LK, § 27 Rn. 39 ff. 3417 So statt vieler Roxin, AT/II, § 26 Rn. 260; Schünemann, in: LK, § 27 Rn. 42. 3418 s. dazu nur die Nachweise bei Schünemann, in: LK, § 27 Rn. 39 Fn. 115 f. 3419 BGHSt 4, 132 (133).

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enmäßig) reflektiert.3420 Davon abgesehen kann die Abgrenzung zweier Rechtsinstitute mit ggf. unterschiedlichen Rechtsfolgen nicht von der Vorstellung des Täters abhängen, sondern muss nach den objektiven Maßstäben der Rechtsordnung entschieden werden.3421 Schließlich kann die von der h.M. als perpetuierende Tatsequenz vorausgesetzte Beendigungsphase auch nicht mit der nötigen Rechtsklarheit eingefangen werden, da ein „beendigungsbeendender“ Verfestigungszustand sich nicht objektiv feststellen lässt, der finale Beendigungszeitpunkt also willkürlich hinausgeschoben werden kann.3422 Aus diesem zuletzt genannten Grunde – und wegen der flagranten Verletzung des Bestimmtheitsgebots (§ 103 II GG) – ist auch die im Schrifttum vertretene Mindermeinung3423 abzulehnen, nach der eine Hilfeleistung zwischen formeller Vollendung und materieller Beendigung (im Wege der konkurrenzrechtlichen Spezialität) stets Beihilfe begründen soll.3424 Um den Vorgaben des verfassungsrechtlichen Gesetzlichkeits- und Bestimmtheitsgebotes zu genügen, ist es vielmehr geboten, die Abgrenzung zwischen Beihilfe und Begünstigung nach dem klaren gesetzlichen Maßstab des § 257 vorzunehmen. Danach kann eine Hilfeleistung, die der formellen Tatvollendung nachfolgt, allenfalls als Begünstigung geahndet werden.3425 Umgekehrt bleibt Beihilfe aber möglich, solange die Tat noch nicht endgültig vollendet ist. Diese Einsicht erlangt vor allem bei zweiaktigen Delikten und bei Dauerdelikten praktische Bedeutung. So leistet etwa durchaus noch eine Beihilfe zum Betrug, wer nach bereits stattgefundener Irrtumserregung erst bei der opferschädigenden Handlung mitwirkt, indem er z. B. beim Abtransport der ertrogenen Sache hilft.3426 Auch eine Beihilfe zum Raub ist selbst dann noch möglich, wenn der Täter bereits qualifizierte Nötigungsmittel zur Ermöglichung der Wegnahme eingesetzt hat und der Gehilfe „lediglich“ bei der Wegnahme mithilft.3427 Dies folgt daraus, dass der Gehilfe nach seinem Programm

3420 s. etwa Geppert, Jura 1994, 441 (443); Roxin, AT/II, § 26 Rn. 261; Schünemann, in: LK, § 27 Rn. 42. 3421 Schünemann, in: LK, § 27 Rn. 42; Stree/Hecker, in Schönke/Schröder, § 257 Rn. 7 (m.w.N.). 3422 Kühl, JuS 1982, 189 (191); ders., Roxin-FS (2001) 665 (675 f.); Roxin, AT/II, § 26 Rn. 262; Schünemann, in: LK, § 27 Rn. 42. 3423 Vogler, Dreher-FS (1977), 405 (416 f.); Geppert, Jura 1980, 269 (274 f.); Seelmann, JuS 1983, 32 (33 f.); Stree/Hecker, in: Schönke/Schröder, § 257 Rn. 7. 3424 Abl. zu dieser Auffassung auch Roxin, AT/II, § 26 Rn. 266. 3425 Heute h.L. im Schrifttum; s. statt vieler nur Schünemann, in: LK, § 27 Rn. 42, m.w.N. 3426 Roxin, AT/II, § 26 Rn. 263. Das gilt selbst dann, wenn der Betrugstäter bereits eine Vermögensgefährdung bewirkt hat und deshalb schon vor endgültigem Schadenseintritt wegen vollendeten Delikts strafbar ist (so zutr. Roxin, AT/II, § 26 Rn. 264). Anders liegt es, wenn die Hilfeleistung erst nach Abschluss der vermögensschädigenden Verfügung durch das Opfer erfolgt, indem z. B. das vom Opfer postlagernd an den Täter geschickte Geld für diesen bei der Post abgeholt wird. Hier liegt allenfalls Begünstigung vor (so zutr. Kühl, JuS 1982, 189 [189]; Roxin, AT/II, § 26 Rn. 265). 3427 Roxin, AT/II, § 26 Rn. 263.

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Beihilfe zum Gelingen einer laufenden Betrugs- bzw. Raubtat leisten will.3428 Entsprechendes gilt auch – und erst recht – für die Unterstützung eines bereits laufenden Dauerdelikts, z. B. einer Freiheitsberaubung.3429 dd) Spannweite, Bestimmtheit und Formen des Gehilfenvorsatzes Auch wenn der Gehilfenvorsatz sich nach dem Gesetzeswortlaut „nur“ auf die Hilfeleistung zur vorsätzlich-rechtswidrigen Tat eines anderen zu beziehen braucht, muss das Programm in der Sache auf die Beihilfe zu einer Rechtsgutsverletzung ausgelegt sein. Andernfalls fehlt es schon am intentionalen Rechtsgutsbezug als Grundprämisse jedes Handlungsunrechts (sog. Doppelvorsatz des Gehilfen).3430 Demnach ist nicht Gehilfe, wer als agent provocateur die fremde Tat von vornherein nur bis zum (untauglichen) Versuch kommen lassen will.3431 Gleiches gilt für denjenigen, der von vornherein sicherstellt, dass der von einem abstrakten Gefährdungsdelikt materiell zu verhindern gesuchte Gefahrerfolg bzw. die von einem erfolgskupierten Delikt zu verhindern gesuchte Absichtsrealisierung (z. B. die Zueignung bei § 242) ausbleibt.3432 Was hingegen die Bestimmtheit des Gehilfenvorsatzes angeht, so genügt es im Gegensatz zur Anstiftung, wenn der Gehilfe den vom präsumtiven Haupttäter zu verwirklichenden Deliktstatbestand (scil.: laienhaft) kennt.3433 Denn anders als der Anstifter, der dem Täter die Tatbegehung im eigenen Interesse ansinnen muss, findet der Gehilfe typischerweise bereits einen fremden Tatentschluss vor und ordnet sich der fremden Tatkonzeption gänzlich unter.3434 Deshalb kann z. B. problemlos wegen Beihilfe zum Raub bzw. zur räuberischen Erpressung bestraft werden, wer einem

3428 Dem ist allerdings Jakobs (AT, 22/40, Fn. 81a) entgegengetreten: Im Falle zweiaktiger Delikte verlange der Tatbestand „(…) die Antizipation der Aktfolge beim ersten Akt (…) für alle Beteiligten gleichermaßen (…)“, da ansonsten nur eine Teilnahme am zweiten Akt bei besonderer Ingerenzlage gegeben sei. Das kann aber so nicht überzeugen, denn anders als der zunächst unfinal handelnde Alleintäter, der für die spätere Ausnutzung des von ihm geschaffenen Ingerenzzustandes nicht mehr als Räuber haftet, kommt ja der Gehilfe zu einem bereits antizipiert habenden Raubentschluss hinzu, nimmt also an einem noch laufenden kohäsiven Raubentschluss teil und nicht lediglich an einer „Lage besonderer Zuständigkeit“ (so aber Jakobs, a.a.O.); m.a.W.: Unterstützt werden soll der Wille zur Wegnahme mit qualifizierten Nötigungsmitteln, nicht der Wille zur Ausnutzung einer besonderen Schutzminderung! 3429 Roxin, AT, § 26 Rn. 264; insofern zust. Jakobs, AT, 22/40. 3430 s. statt aller nur Roxin, AT/II, § 26 Rn. 270. 3431 Roxin, AT/II, § 270. 3432 Roxin, AT/II, § 26 Rn. 271; s. zum Ganzen bereits die obigen Parallelausführungen im Zusammenhang mit der Anstiftung (S. 569 ff.). 3433 So Roxin, AT/II, § 26 Rn. 272, m.w.N. 3434 Roxin, AT/II, § 26 Rn. 272; Schünemann, in: LK, § 27 Rn. 56; dies anerkennend, aber dennoch (tendenziell) a.A. Schild, in: NK, § 27 Rn. 14.

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6. Kap.: Die Ausarbeitung der Deliktsgruppen im Einzelnen

anderen eine Waffe „für einen Raubüberfall“ überlässt.3435 Dass dies so sein muss, bestätigt auch ein systematischer Vergleich mit der „nachträglichen Beihilfe“3436 i.S.d. §§ 257, 258: Wenn für den Vorsatz einer solchen „Nachtatbeihilfe“ schon die Vorstellung irgendeiner rechtswidrigen Tat genügt, dann kann für den Vorsatz einer akzessorischen Tatbeihilfe jedenfalls nicht mehr gefordert werden als die (scil.: laienhafte) Kenntnis des vom Täter konkret zu verwirklichenden Deliktstatbestandes.3437 Uneinheitlich erscheint dagegen die zum Gehilfenvorsatz ergangene Rechtsprechung.3438 Während die ältere Rechtsprechung3439 für den Gehilfenvorsatz noch verlangte, dass der Gehilfe die Haupttat in ihren wesentlichen Merkmalen erfasst haben müsse, scheint sich in der neueren Judikatur die Tendenz zu einer weitergehenden Normativierung des Vorsatzgegenstandes abzuzeichnen. So jedenfalls liest es sich, wenn nunmehr auf die Kenntnis der Umstände abgestellt wird, die die „Dimension des Unrechts der ins Auge gefassten Tat“ beschreiben3440 bzw. die den vom Täter verwirklichten Deliktstatbestand i.S.d. § 16 ausfüllen.3441 Die zuletzt praktizierte Anknüpfung an die (Laien-)Vorstellung des Gehilfen von dem durch den Täter zu verwirklichenden Deliktstatbestand ist unbedingt zu begrüßen, da sie die Tatakzessorietät der Beihilfe sicherstellt. Anderes gilt jedoch für den Rekurs auf die Vorstellung des Gehilfen von den wesentlichen Unrechtsdimensionen der Haupttat (= Angriffsrichtung und wesentlicher Unrechtsgehalt). Diese Konkretisierungskriterien können im Falle der Beihilfe allzu leicht selbst zur vorstellungsgegenständlichen „Tat“ hypostasiert und damit zu Substitutionskriterien werden, mit der Konsequenz, dass der Gehilfe nun nicht mehr für die Folgen einer konkret(isiert)en Tat haftet, sondern für die Folgen der vorgestellten Unrechtsdimension.3442 Eben dieser Gefahr ist die Judikatur in der Vergangenheit auch bereits erlegen, wenn auch glücklicherweise folgenlos: So soll es nach einem obiter dictum des BGH3443 für die gehilfenschaftliche Zurechnung eines konkreten Vermögensdelikts genügen, wenn der Gehilfe sich im Zeitpunkt seiner Beitragsleistung vorgestellt hat, der Haupttäter werde überhaupt irgendwie manipulativ tätig werden, um täuschungsbedingt einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu erlangen. Einen derartigen (Grund-)Tatbestand kennt das StGB aber nicht, weshalb auf diese Weise in Wahrheit der strafgesetzliche 3435

Vgl. etwa Ingelfinger, 156 f. Begrifflichkeit nach Roxin, AT/II, § 26 Rn. 273. 3437 Roxin, AT/II, § 26 Rn. 273; Schünemann, in: LK, § 27 Rn. 56. 3438 So das Urteil, das Roxin (AT/II, § 26 Rn. 274) seiner eingehenden Analyse (a.a.O., Rn. 274 ff.) voranstellt; s. auch die instruktive Kurzanalyse bei Schild, in: NK, § 27 Rn. 13. 3439 Z. B. BGHSt 11, 66 (66 f.); BGH bei Dallinger MDR 1955, 143 (143); GA 1981, 133 (134). 3440 So BGHSt 42, 135 (137 ff. [139]). 3441 So BGH NJW 2007, 384 (389) [Fall Motassadeq]; zur Frage der Einordnung dieses Judikats ins Gesamtbild der bisherigen Rechtsprechung s. Schild, in: NK, § 27 Rn. 13. 3442 So die zutr. Analyse bei Schild, in: NK, § 27 Rn. 13. 3443 BGH JZ 1997, 209 (210). 3436

A. Täterschaft bei den allgemeinen vorsätzlichen Begehungsdelikten

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Tatbegriff als Bezugsgegenstand des Gehilfenvorsatzes aufgelöst und die Beihilfestrafbarkeit contra legem ausgedehnt würde.3444 Nach alledem muss es daher bei der pointiert formulierten Einsicht Roxins3445 verbleiben, wonach der Gehilfe sich (zumindest) vorstellen muss, „(…) dass sein Verhalten ein durch die Tatbestandsbeschreibung umrissenes Haupttatgeschehen fördert (…)“. Eine über diese umrisshafte Vorstellung hinausgehende Kenntnis von Unrechts- und Angriffsrichtung der tatbestandlichen Haupttat ist dann nicht mehr zu fordern, da die Beihilfe gerade kein eigenes Interesse an der Haupttat voraussetzt. Da § 27 an den Gehilfenvorsatz keine besonderen Anforderungen stellt, ist dieser auch in Form von dolus eventualis denkbar. Es genügt also, wenn der Gehilfe eine fremde Haupttatbegehung für möglich hält, zu der er im Fall des Falles – wenn auch u. U. widerstrebend3446 – einen als nützlich erkannten Beitrag leistet.3447 d) Umsetzung Das unmittelbare Ansetzen zum Umsetzen des Beihilfeprogramms liegt in demjenigen Handeln, das den äußeren Bezug zum (präsumtiven) Täterhandeln herstellen soll, d. h. etwa in der Übergabe des angeforderten Tatwerkzeugs, im heimlichen Deponieren einer präsumtiven Tatwaffe, im Bereitstellen schriftlicher Tatpläne, in der mündlichen Erteilung technischer Rathilfe, in der Zusage, während der Tat Schmiere stehen zu wollen etc. Nicht erforderlich ist ein Hinausschieben der „Umsetzungswirkung“ bis zum Ausführungsbeginn der Haupttat.3448 Denn das (allgemeinrechtliche) Beihilfeverbot muss zu einem Zeitpunkt greifen, da der präsumtive Gehilfe noch die Kontrolle über seinen Beitrag innehat. Andernfalls würde die schuldbegründende Verhaltenspflichtverletzung an einen unbeachtlichen dolus subsequens geknüpft. Davon abgesehen existiert aber auch gerade bei der Beihilfe kein kriminalpolitisches Motiv für ein Hinausschieben der strafrechtlichen Versuchsgrenze, da der (scil.: allgemeinrechtlich verbotene) Beihilfeversuch ohnehin straflos ist. e) Zurechnung als tatbestandliche Beihilfehandlung Für die akzessorische Zurechnung der Haupttat als tatbestandliche Beihilfehandlung i.S.d. § 27 bedarf es einer kausalen (Fort-)Wirkung des Gehilfenbeitrags im

3444 3445 3446 3447 3448

So zutr. Schild, in: NK, § 27 Rn. 13; Roxin, JZ 1997, 210 (211 f.). In: AT/II, § 26 Rn. 272 Fn. 369. Zur Unerheblichkeit solch interner Konflikte s. nur Roxin, AT/II, § 26 Rn. 268 (m.w.N.). Roxin, AT/II, § 26 Rn. 268 f. So aber Schild, in: NK, § 27 Rn. 3.

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6. Kap.: Die Ausarbeitung der Deliktsgruppen im Einzelnen

Ausführungsstadium der Haupttat.3449 Wirkt der konkret geleistete Beitrag tatsächlich i.d.S. fort, so ist es unerheblich, ob es sich um einen notwendigen oder einen ersetzbaren Beitrag handelt; „(…) denn eine normative Garantie entfällt nicht deshalb, weil auch noch ein anderer bereit steht, sie zu missachten (…)“3450. Danach haftet also wegen perfekter Beihilfe zur vollendeten Tat, wer eine Tatwaffe besorgt, die der Täter problemlos auch anderweitig hätte beschaffen können oder wer eine Leiter zum Tatort trägt, die der Täter problemlos auch selbst hätte transportieren können.3451 Greift der Haupttäter nur zu Anfang der Tatausführung auf den Gehilfenbeitrag zurück, wendet sich dann aber einer anderen Umsetzungsstrategie zu, so haftet der Gehilfe „nur“ wegen imperfekter Beihilfe zum (unbeendeten) Haupttatversuch.3452 Verwendet der Täter den Hilfsbeitrag überhaupt nicht zur Tatbegehung, so liegt für den präsumtiven Gehilfen lediglich ein strafloser Beihilfeversuch vor. Auch für die psychische Beihilfe ist es erforderlich, dass der geleistete Beitrag einen Hilfeerfolg zeitigt, der sich im erfolgreichen Gelingen der Haupttat niedergeschlagen hat.3453 Dies ist dann der Fall, wenn der psychische Gehilfenbeitrag den Haupttatentschluss motivational mitverursacht, ihn intensiviert oder stabilisiert hat, wenn also der Täter das faktische Gelingen der Tat gerade auch auf den Gehilfenbeitrag (z. B. das ermunternde Zureden, die Anfeuerung, die Loyalitätsbekundung, das Schmierestehen oder die vorgeleistete Begünstigung) zurückführt.3454 Rechtsrelevante Abweichungen des Täterhandelns vom Gehilfenprogramm dürften in praxi kaum vorkommen. Da der Beihilfevorsatz überhaupt nur den Deliktstatbestand umfassen muss, zu dessen Realisierung Hilfe geleistet werden soll, lassen rechtstatsächliche Planänderungen des Täters, die sich innerhalb dieses Tatbestandes bewegen, ihn unberührt.3455 Sprengt der Täter den vom Gehilfenprogramm umspannten Tatbestandsrahmen, so ist zu differenzieren: Verwirklicht er einen komplett anderen Tatbestand (etwa § 212 statt 223), so liegt für den präsumtiven Gehilfen bloß eine straflose versuchte Beihilfe vor (= beachtlicher Täterexzess, § 16 I 1). Verwirklicht der Täter dagegen „nur“ einen vom Gehilfenvorsatz nicht abgedeckten Qualifikationstatbestand (z. B. § 224 statt 223), so bleibt dem Gehilfen der Grundtatbestand zurechenbar. – Auch ein error in persona des Täters ist für den Gehilfen irrelevant. Dies folgt im Falle der Beihilfe wiederum schon aus der natürlichen Weite des Gehilfenvorsatzes: Der Gehilfe muss ohnehin nur den zu verwirklichenden Deliktstatbestand kennen, nicht aber die ihn ausfüllenden Lebens3449

So jedenfalls die im Schrifttum h.L. (s. statt vieler nur Schünemann, in: LK, § 27 Rn. 8), die allerdings in den praktischen Ergebnissen kaum von der bloßen „Förderungsformel“ der Rechtsprechung (seit RGSt 8, 267) abweicht (so zutr. Schild, in: NK, § 27 Rn. 19). 3450 Jakobs, AT, 22/37 bb). 3451 Beispiele nach Jakobs, AT, 22/37 bb), der a.a.O. unter cc) bis ee) noch weitere Fallgruppen einer Beihilfe durch ersetzbaren Tatbeitrag bildet. 3452 Roxin, AT/II, § 26 Rn. 189, 215. 3453 Puppe, AT, § 26 Rn. 4 ff.; Schild, in: NK, § 27 Rn. 18. 3454 s. dazu bereits oben, S. 589 ff. 3455 So zutr. Roxin, AT/II, § 26, Rn. 283.

A. Täterschaft bei den allgemeinen vorsätzlichen Begehungsdelikten

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konkreta.3456 Unterläuft dem Haupttäter eine aberratio ictus, so lässt auch dies die Zurechnung des Geschehens zum Gehilfen unberührt, solange die Objektverfehlung den Vorsatz des Haupttäters selbst nicht tangiert.3457 f) Besonderheiten Auch Beihilfehandlungen bestimmen sich nach dem mehrschichtigen Interpretationsmodell des intentionalen Handlungsbegriffs, d. h., es sind auch komplexe ichintentionale (= „mittelbar-täterschaftliche“) oder wir-intentionale (= „mittäterschaftliche“) Beihilfeakte denkbar. – Für die Beihilfe zu erfolgsqualifizierten Delikten, Sonderdelikten, eigenhändigen Delikten und Unterlassungsdelikten gilt das im Rahmen der Anstiftung Ausgeführte3458 entsprechend. – Unterstützt der Gehilfe durch einen Beitrag mehrere Haupttaten oder durch mehrere Beiträge eine Haupttat, so liegt für ihn jeweils „nur“ eine Beihilfe i.S.d. § 52 vor.3459 Dies folgt im ersteren Falle daraus, dass der Gehilfe selbst nur einen Hilfeleistungsakt (zu x-facher Tat) ausübt, im letzteren Falle daraus, dass iterative oder sukzessive Beihilfe zu einer Haupttat vorliegt.3460 Tatmehrheit i.S.d. § 53 liegt also nur dann vor, wenn durch mehrere Hilfeleistungen mehrere selbständige Taten unterstützt werden.3461 – Möglich ist auch eine „Kettenbeihilfe“, d. h. eine über mehrere „Zwischengehilfen“ geschaltete Beihilfe.3462 Sie zieht allerdings keine doppelte Strafmilderung nach sich, da der Grund für die Milderung nicht in der „Mediatisierung“ des Erfolgs liegt,3463 sondern im inhaltlichen Zuschnitt des – auch bei der Kettenbeihilfe – erfolgsbezogenen Handlungsprogramms.3464 g) Die Gehilfenstrafe § 27 II orientiert den Strafrahmen der Beihilfe an demjenigen der Haupttat, sieht jedoch eine zwingende Strafmilderung vor. Übersetzt bedeutet dies, dass der Gehilfe „wie der Täter, aber nur milder“ bestraft wird.3465 Letzteres ist aus handlungstheoretischer Sicht folgerichtig, da der Gehilfe weder in eigener Person unrechtlich handeln will (wie der Täter) noch eine eigene unrechtliche Handlungserwartung 3456

I. E. ebenso Schild, in: NK, § 27 Rn. 20. Zu den Auswirkungen von error in persona und aberratio ictus auf den Tatvorsatz s. nochmals oben, S. 382 ff. 3458 Oben, S. 581 ff. 3459 So zutr. Roxin, AT/II, § 26 Rn. 285. 3460 I. E. ebenso Roxin, AT/II, § 26 Rn. 285. 3461 Fischer, § 27 Rn. 31a. 3462 s. dazu Schild, in: NK, § 27 Rn. 8, m.w.N. 3463 So zutr. Jakobs, AT, 23/43 Fn. 87a. 3464 I. E. ebenso Roxin, AT, § 26 Rn. 287; Jakobs, AT, 23/43 Fn. 87a. 3465 So zutr. Schild, in: NK, § 27 Rn. 6 (dort auch das Zitat). 3457

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6. Kap.: Die Ausarbeitung der Deliktsgruppen im Einzelnen

interpersonal durchsetzen will (wie der Anstifter).3466 Andererseits umgreift aber eben auch er mit seinem Beitrag die fremde Tat als Ganze und führt durch sie einen eigenen Rechtsgutsangriff.3467 Das hat handgreifliche Auswirkungen nicht nur für eine adäquate Strafgrund- und Unrechtsbestimmung der Beihilfe,3468 sondern selbst für die konkrete Strafzumessung: Da der reduzierte Beihilfestrafrahmen an der individuellen Tatschuld des Gehilfen auszurichten ist, ist es durchaus möglich, dass „(…) die im konkreten Einzelfall innerhalb des reduzierten Strafrahmens zugemessene Strafe diejenige des Täters erreicht oder gar übersteigt (…)“3469. –

Möglich ist allerdings auch eine doppelte obligatorische Strafmilderung nach §§ 28 I, 27 II, etwa wenn Beihilfe zu einem echten Sonderdelikt (z. B. §§ 332, 348), einer begehungsgleichen Garantenunterlassung oder zu gewissen (= sachlogisch bedingten) eigenhändigen Delikten (z. B. § 183) geleistet wird.3470

B. Sonderdelikte Sonderdelikte können nur von Personen begangen werden, die in einem bestimmten Sondersubjektverhältnis zum betroffenen Rechtsgutsobjekt stehen. Daraus folgt zunächst zwingend, das Außenstehende niemals die Tatbestandshandlung setzen können,3471 auch dann nicht, wenn sie Tatherren im natürlichen Sinne sind. Umso strittiger ist deshalb, wie die Intranentäterschaft zu bestimmen ist. Dazu zunächst folgender Eingangsfall3472 : Der Vernehmungsbeamte V veranlasst den externen „Spezialisten“ S, den unter Mordverdacht stehenden Beschuldigten B durch Gewaltandrohung zu einem Geständnis zu zwingen. – Fraglich ist hier in der Sache, ob der V als „Herrscher“ über das besondere Gewaltverhältnis, in dem die Rechtsgutsverletzung stattfindet, nicht unabhängig vom konkreten Verletzungsgeschehen zum Täter des Sonderdelikts erklärt werden kann. Das wird in der strafrechtlichen Literatur kontrovers beurteilt: 3466

In der Sache ebenso Roxin, AT/II, § 26 Rn. 287. Schild, in: NK, § 27 Rn. 4; auch schon Köhler, AT, 532. 3468 s. dazu bereits oben, S. 588 f. 3469 Roxin, AT/II, § 26 Rn. 287, unter Berufung auf RGSt 51, 106 (112); Strafzumessungsparameter sind dabei die Schwere des Gehilfenbeitrags und das Gewicht der Haupttat (Roxin, a.a.O., m.w.N.). 3470 In allen Einzelheiten sehr str.: Höchst umstritten ist bereits die Frage, welche persönlichen Eigenschaften, Verhältnisse und Umstände überhaupt „besondere“ im strafunrechtsbegründsrechtlichen Sinne sind (s. dazu den konzisen Kurzüberblick bei Heine/Weißer, in: Schönke/Schröder, § 28 Rn. 15 ff.; eingehend zum Ganzen auch Puppe, in: NK, §§ 28, 29 Rn. 53 ff.); sodann besteht noch einmal Uneinigkeit darüber, ob und wann bei Vorliegen der Prämissen des § 28 I eine weitere Strafmilderung nach § 27 II angezeigt ist (s. dazu etwa Puppe, in: NK, §§ 28, 29 Rn. 77 ff.). 3471 So statt aller Schild, in: NK, § 25 Rn. 72. 3472 s. auch schon das ähnliche Fallbeispiel bei Welzel, Strafrecht, § 15 II 3 (S. 104). 3467

B. Sonderdelikte

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I. Versagen der herkömmlichen Tatherrschaftslehre Die im Schrifttum dominierende Tatherrschaftsdoktrin, die ein von der Tatherrschaft unabhängiges Leitprinzip der „Zentralgestalt“ im Sinne Roxins nicht kennt, steht hier jedenfalls bei „begriffstreuer“ Anwendung vor einem unlösbaren Problem: Extraneus S beherrscht zwar den Nötigungsakt, nicht aber den sozialen Bereich, in dem Aussageerpressung (343) möglich ist; Intraneus V dagegen steht zwar in der erforderlichen Sondersubjektbeziehung zum Rechtsgutsobjekt, ist aber weder Handlungs- noch Willensherr über den konkreten Ausführungsakt. Die Erfüllung des Sonderdeliktstatbestandes kann also durch „geschickte“ Organisation umgangen werden. Dieses Ergebnis wird seit jeher als misslich empfunden. Vor allem Welzel und Gallas haben bereits früh versucht, solchen Fällen doch noch irgendwie mit dem Tatherrschaftskriterium beizukommen. Dabei wollte Welzel3473 für den Fall der intranen Veranlassung eines unechten Sonderdelikts eine Mittäterschaft des veranlassenden Intraneus annehmen, da der Extraneus Täter des Grundtatbestandes sei. Dem hat jedoch Roxin3474 zutreffend entgegengehalten, dass eine Mittäterschaft vom sachlogischen Ausgangspunkt der Tatherrschaftslehre her nicht begründbar sei, wenn der Intraneus sich auf bloße Tatinitiierung beschränke. Gallas formulierte daher vorsichtiger: Betrachte man den Initiierungsakt des Intraneus für sich, so handle es sich der Sache nach um eine Anstiftung des Außensehenden zur faktischen Übernahme des für die Sonderdeliktsverwirklichung erforderlichen Ausführungsakts.3475 Anders als sonst im Falle der Anstiftung entscheide jedoch hier der Intraneus kraft seiner Qualifikation darüber, ob es überhaupt zu einem deliktischen Geschehen komme. Aus diesem Grund avanciere der Anstiftungsakt zur Ausübung von Tatherrschaft und also zu einer Begehungsart, die der eigenhändigen Ausführung gleichwertig sei. Es handle sich hierbei um eine Begehungsform sui generis, die der Mittäterschaft eher verwandt sei als der mittelbaren Täterschaft in ihrer althergebrachten, auf die Beherrschung des Tatmittlers abstellenden, Bedeutung.3476 Dieser Versuch, die Täterschaft des Intraneus bei den Sonderdelikten aus dem Tatherrschaftsgedanken abzuleiten, ist bemerkenswert. Denn er rekurriert immer noch auf die Ausübung reeller Tatherrschaft als sachlogische Zurechnungsgrundlage und bringt diese spezielle Tatherrschaftsform mit der besonderen Subjektqualifikation in Verbindung – eine Idee, auf die sich die „moderne“ Tatherrschaftslehre inzwischen rückzubesinnen scheint. Allerdings blieb die Idee bei Gallas noch unterentwickelt. Zwar zielte seine Rede von der Macht des Interaneus über das Ob der Deliktsverwirklichung auf eine „psychische Herrschaft sui generis“3477 ab.3478 Nur 3473 3474 3475 3476 3477

Strafrecht, 15 II 3 (S. 104). TuT, 363. Materialien I, 121 (135). Materialien I, 121 (136). So die treffende Bezeichnung bei Roxin, TuT, 254.

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6. Kap.: Die Ausarbeitung der Deliktsgruppen im Einzelnen

musste diese Argumentation den berechtigten Einwand provozieren, einem heuristischen Zirkel erlegen zu sein. Denn es ist ja gerade die Frage, ob der Intraneus kraft seiner Qualifikation die Macht innehat, das Geschehen durch bloße Tatveranlassung zur Straftat zu machen.3479 Und selbst wenn man eine derartige „Macht“ einmal unterstellte, wäre nicht einzusehen, warum die „Zugabe“ seiner Qualifikation den Intraneus ausgerechnet zum Täter stempeln sollte, wo doch den Verletzungsakt allein der Extraneus beherrscht.3480 Angesichts dieser evidenten faktischen Herrschaftsverteilung bleibt auch der Hinweis auf eine deliktsspezifische Normativität des Tatherrschaftsbegriffs3481 solange zirkulär, wie das materiale Substrat dieser normativen Tatherrschaft nicht ausgewiesen ist. Die These, bei den Sonderdelikten könne eben nur der Qualifizierte Täter sein, ist und bleibt eine petitio principii, denn sie begründet nicht Täterschaft mit Tatherrschaft, sondern setzt die gerade erst zu beweisende Täterschaft bereits voraus.3482 Damit erweist sich die Feststellung als unumgänglich, dass der Tatherrschaftsgedanke hier seinem sachlogischen Begriffskern nach versagt. Im eingangs gebildeten Beispielfall des Vernehmungsbeamten V, der den Außenstehenden S zur Nötigung des Beschuldigten B veranlasst, müssten die Anhänger eines sachlogisch fundierten Tatherrschaftskriteriums die Aktivität der Beteiligten sub specie § 343 ungestraft lassen. Aus rein kriminalpolitischer Sicht bedeutet dieses Ergebnis freilich wenig Unbehagen, sofern man die Aussageerpressung – wie hier3483 – als (überwiegend) unechtes Sonderdelikt im Verhältnis zu § 240 betrachtet. Dann nämlich wäre der V im Beispielfall über § 28 II aus dem Strafrahmen des Sonderdelikts zu bestrafen.3484 Deutet man § 343 hingegen mit der (wohl) h.M.3485 als echtes Sonderdelikt, so bliebe für V lediglich eine Anstiftung zur einfachen Nötigung übrig – ein kriminalpolitisch schon weniger wünschenswertes Ergebnis. Solche Folgefragen 3478 Ebenso für das Delegieren der Ausführungshandlung eines echten Sonderdelikts (z. B. § 348) an einen Außenstehenden Welzel, Strafrecht, § 15 II 3 (S. 104) („soziale Tatherrschaft“). 3479 Wieners, Veranlassung, 72; Roxin, TuT, 255. 3480 Nowakowski, JZ 1956, 545 (549); Roxin, TuT, 255. 3481 Vgl. nur Gallas, Materialien I, 121 (133); Jescheck/Weigend, AT, § 62 II 7 (S. 669 f.). 3482 Ebenso schon Roxin, TuT, 256, der durch dieses Vorgehen richtigerweise den Begriffskern von Tatherrschaft denaturiert sieht (a.a.O., 257 f.). 3483 Dem Tatbestand der Aussageerpressung liegt ausschließlich subjektiv modifiziertes Gemeinunrecht zugrunde, das allerdings nur in den ersten drei Varianten strafrechtlich grundvertatbestandlicht ist (§§ 223, 240). Demnach ist also auch das „seelische Quälen“ anderer (§ 343 I Var. 4) prinzipiell ein Jedermannsdelikt, dessen Verwirklichung jedoch mangels allgemeiner Vertatbestandlichung im StGB ausschließlich für Intranei i.S.d. § 343 strafbegründend wirkt. Die Vorschrift des § 343 betrifft somit durchweg modifiziertes Gemeinunrecht, ist zu drei Vierteln Strafunrechtsqualifikation und zu einem Viertel echtes Sonderdelikt im Strafrechtssinne; i.E. wie hier etwa Schmidhäuser, BT, § 4 Rn. 22; Rogall, Rudolphi-FS (2004), 511 (542). 3484 Das sieht auch Roxin, TuT, 362. 3485 s. statt vieler und m.w.N.: Zieschang, in: LK, § 343 Rn. 2; Kuhlen, in: NK, § 343 Rn. 18; Fischer, § 343 Rn. 1, 12.

B. Sonderdelikte

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nähren natürlich das gefühlte Bedürfnis nach einem vom äußeren „Verletzungsgeschehen“ losgelösten Täterkriterium der Sonderdelikte, wie es in der Lehre von den Pflichtdelikten seinen Ausdruck gefunden hat.

II. Sonderpflichtverletzung als Täterkriterium: die Pflichtdeliktslehre Roxins Anders als Welzels ontologisch-orthodoxe Lehre von der finalen Tatherrschaft war und ist Roxins teleologisch-ontologischer Ansatz beim Leitprinzip der Zentralgestalt nicht zwingend an die Vorgaben eines sachlogisch verstandenen Herrschaftskriteriums gekoppelt. Gerade diese Elastizität des Leitprinzips soll es nun nach Roxin3486 erlauben, auf die beteiligungsrechtlich relevanten Besonderheiten im Regelungssubstrat der von ihm sog. „Pflichtdelikte“3487 durchzugreifen: Die Pflichtdelikte unterschieden sich ihrem Wesen nach dadurch von den „Herrschaftsdelikten“3488, dass die Zurechnung des deliktischen Geschehens zur Täterschaft hier ausschließlich durch die Verletzung einer tatbestandsspezifischen Sonderpflicht konstituiert werde.3489 Die spezifischen Sonderpflichten, deren Verletzung den Sonderpflichtträger zum Täter stemple, seien dabei scharf zu trennen von den (scil.: allgemeinen rechtsgüterschützenden) Verhaltenspflichten, deren Verletzung die im Tatbestand vorgesehene Sanktion auslöse: Es handle sich allemal um außerstrafrechtliche Pflichten, die im Allgemeinen anderen Rechtsgebieten entstammten. Beispielhaft seien etwa gewisse öffentlich-rechtliche Beamtenpflichten (§§ 340, 343), die standesrechtlichen Schweigegebote (§ 203) und die zivilrechtlichen Unterhalts- und Treueverpflichtungen (§§ 170, 266) zu nennen.3490 Charakteristikum all dieser Sonderpflichtbereiche sei nun, dass die Sonderpflichtträger sich unter den sonstigen Mitwirkenden durch eine besondere Beziehung zum Unrechtsgehalt der Tat auszeichneten und dass der Gesetzgeber sie allein um dieser Verpflichtung willen als Zentralgestalt des handlungsmäßigen Geschehens und mithin als Täter ansehe.3491 Dieser Aspekt unterscheide sich ganz wesentlich von demjenigen der Tatherrschaft, weshalb die Pflichtdelikte streng von den Herr-

3486

TuT, 396. Grundlegend Roxin, TuT, 352 ff.; diese „formelle“ Pflichtdeliktslehre hat in der Literatur viele Anhänger gefunden; s. (mit Unterschieden hinsichtlich der zugesprochenen Reichweite) etwa nur: Blei, AT, 255; Cramer, Bockelmann-FS (1979), 389 (395 f.); Herzberg, Täterschaft, 32 f.; Rudolphi, GA 1970, 353 (361 ff.); Stein, Beteiligungsformenlehre, 255; Lampe, ZStW 106 (1994), 683 (689 m. Fn. 18); Heine/Weißer, in: Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 82 f.; Heinrich, 186 f., 312 ff. 3488 TuT, 355. 3489 TuT, 352 ff. 3490 TuT, 353 f. 3491 TuT, 354. 3487

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6. Kap.: Die Ausarbeitung der Deliktsgruppen im Einzelnen

schaftsdelikten zu separieren seien.3492 Im Falle der Rechtsgutsverletzung unter Einbindung eines Extraneus führe diese Pflichtdeliktslehre zu einem glatten und befriedigenden Ergebnis: Der das Geschehen initiierende Intraneus sei stets Täter des betreffenden Sonderdelikts, da er durch sein Einwirkungshandeln immer auch die eigene Sonderpflicht verletze. Seine Täterschaft figuriere dabei als mittelbare, da er den äußeren Handlungsvollzug dem Extraneus überlasse. Letzterer sei dagegen trotz seiner natürlichen Tatherrschaft bloßer Gehilfe.3493 Dieser Pflichtdeliktslehre maß Roxin anfänglich eine ganz enorme Reichweite und damit offensichtlich eine Vormachtstellung innerhalb des StGB zu: Sowohl die Unterlassungsdelikte3494 als auch die Fahrlässigkeitsdelikte3495 seien ihrem Wesen nach Pflichtdelikte, und viele aus beteiligungsrechtlicher Sicht problematische Deliktstatbestände (wie etwa § 288 und 185) könnten unter Rekurs auf die Pflichtdeliktslehre glatt rubriziert werden.3496 Mittlerweile hat Roxin den Aplomb, mit dem er diese Pflichtdeliktslehre aus der Taufe gehoben hat, stark relativiert: Beim ersten Zugriff habe er Zahl und Reichweite der Pflichtdelikte überschätzt. Das gelte insbesondere für die Fahrlässigkeitsdelikte, deren Unrecht durch eine allgemeine Sorgfaltspflichtverletzung konstituiert werde, die lediglich die Vermeidepflicht eines jeden Staatsbürgers bezeichne. Aus diesem Grunde seien die Fahrlässigkeitsdelikte aus dem Bereich der Pflichtdelikte herauszunehmen.3497 Des Weiteren könne man wohl auch die unechten Unterlassungstaten nicht in Bausch und Bogen den Pflichtdelikten zuschlagen, sondern müsse innerhalb dieses Straftattypus weitere dogmatische Distinktionen treffen;3498 diesbezüglich habe allerdings Jakobs mit seiner Unterscheidung zwischen „Pflichten kraft institutioneller Zuständigkeit“ und „Pflichten kraft Organisationszuständigkeit“ eine „aussichtsreiche“ bzw. „recht plausible“ Konzeption vorgelegt.3499 Und schließlich sei bei näherem Zusehen zweifelhaft geworden, ob die strafbarkeitsbegründenden Sonderpflichten tatsächlich alle außerstrafrechtlicher Art seien und anhand welcher Kriterien der Kreis der Pflichtdeliktstatbestände exakt zu bestimmen sei.3500 Reflektiert man diese dogmengeschichtliche Entwicklung, so ist zu fragen, ob der gleichmacherisch-formale Aspekt der Sonderpflichtverletzung als Täterschaftskonstitutivum nicht überhaupt obsolet geworden ist. In diesem Sinne konstatiert Langer3501, 3492 3493 3494 3495 3496 3497 3498 3499 3500 3501

TuT, 354 f. TuT, 360 f. TuT, 459 ff. TuT, 527, 536. TuT, 384 ff. TuT8, 741 f.; TuT, 774 f. TuT8, 742. TuT8, 742 (m. Fn. 767), 752 ff.; TuT, 776 (s. aber auch ebenda, 779 f.). TuT8, 742; noch dezidierter jetzt in TuT, 775 f. Sonderstraftat, 252 f.

B. Sonderdelikte

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„(…) dass von dem ursprünglichen Anspruch, mit dem diese Doktrin angetreten ist – nämlich dem Anspruch, mit der außerstrafrechtlichen Sonderpflichtverletzung das für die Täterschaft bei den Begehungs-Pflichtdelikten, bei Unterlassungsverbrechen und bei fahrlässigen Straftaten maßgebende gemeinsame Kriterium erstmals entdeckt zu haben –, kaum etwas übriggeblieben ist (…)“.

Jedenfalls liefern die Roxin’schen Remeduren eine wesentliche Einsicht: Es fehlt die Angabe eines übergreifenden materialen Sachkriteriums für die Zurechnung der tatbestandlich beschriebenen Rechtsgutsverletzung zur Täterschaft des Sonderpflichtigen.3502 Darin – und nicht bloß in der fehlenden Übersetzung der apostrophierten vorstrafrechtlichen Sonderpflichtmaterie ins Gros der „Pflichtdeliktstatbestände“3503 – liegt das Hauptgebrechen der Pflichtdeliktslehre Roxins: Eine vom Handlungsgeschehen losgelöste Sonderpflichtverletzung kann das Erfordernis eines konkreten personalen Handlungsunrechts im Außenverhältnis (= Verletzung einer rechtsgüterschützenden „täterschaftlichen“ Verhaltenspflicht) niemals ersetzen. Innerhalb eines Systems rechtsgüterschützender Außenverhaltensnormen ist die Sonderpflicht daher entweder mit der konkreten rechtsgüterschützenden Verhaltenspflicht im Außenverhältnis identisch – dann figuriert sie als außenrechtliche Sonderpflicht (so bei den genuinen Sonderdelikten) – oder aber sie modifiziert als unselbständig hinzutretende Innenrechtspflicht lediglich die Dringlichkeit einer allgemeinen rechtsgüterschützenden Außenverhaltensnorm (so bei den gemeinunrechtsakzessorischen Sonderdelikten)3504 – tertium non datur!3505 Demnach hat also Roxin zwar durchaus recht, wenn er konstatiert, dass die Sonderpflichtverletzung nach Ansicht des Gesetzgebers das personale Intranenun-

3502

Vgl. dazu Roxins Schüler Schünemann, in: LK, § 25 Rn. 43 f. – In der Sache geht es um eben jenen Einwand, den schon Nowakowski (JZ 1956, 545 [549]) den Vertretern der Lehre von der „normativen“ bzw. „sozialen“ Tatherrschaft gemacht hat: Dass der Intraneus besondere Pflichten verletzt, belastet ihn zwar mit einem spezifischen Unwert, macht ihn aber noch nicht zum personalen Aktionszentrum der Rechtsgutsverletzung! 3503 Die meisten von Roxin als solche reklamierten „Pflichtdeliktstatbestände“ erschöpfen sich gerade nicht in der Beschreibung einer vorstrafrechtlichen Pflichtverletzung, sondern verlangen spezifische Begehungsweisen (so zutr. etwa Herzberg, Unterlassung, 55 ff.; Bloy, Beteiligungsform, 231 ff.). Werden aber Handlungsmerkmale vorausgesetzt, so ist nicht einzusehen, warum die Zurechnung dieser Merkmale zur Täterschaft hier anderen als den qualifizierten Regeln der Tatherrschaft folgen sollte (Stratenwerth, AT/I2, Rn. 796; Maiwald, ZStW 88 [1976], 712 [739]; Schroeder, Täter, 86 f.). Man hat dem entgegenhalten, dass die betreffenden „Pflichtdeliktstatbestände“ gerade nicht die Vornahme bestimmter Handlungen verlangten, sondern lediglich dem Tatbestandsbestimmtheitsgrundsatz genügten, indem sie dasjenige handlungsmäßige Geschehen umrissen, in dem die zugrunde liegende Sonderpflichtverletzung strafrechtlich gipfeln müsse (so denn auch Sánchez-Vera, Pflichtdelikt, 139 ff.). Dabei wird jedoch übersehen, dass das Tatherrschaftskriterium die Frage nach der Zurechnung des konkreten Außenunrechts aus sich heraus beantwortet, das Kriterium der Sonderpflichtverletzung hingegen gerade nicht! 3504 Umfassend zum Ganzen bereits oben, S. 186 ff., 190 f. 3505 Vgl. auch Schünemann, in: LK, § 25, Rn. 44 a.E.

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6. Kap.: Die Ausarbeitung der Deliktsgruppen im Einzelnen

recht wesentlich mitpräge.3506 Unrichtig ist jedoch die artifizielle Aufspaltung der sonderdeliktischen Tatbestandshandlung in einen allgemeinen Strafgrund (= personaler Verletzungsbeitrag) und ein davon unabhängiges besonderes Täterkriterium (= Sonderpflichtverletzung).3507 Daran vermag auch Roxins wiederkehrender Hinweis auf das „arteigene Wesen“3508 der Pflichtdelikte (hier sog. ontologisches Argument) nichts zu ändern: Dass „Pflichtdelikte“ im Sinne Roxins aus vorstrafrechtlich präformierten Lebensbereichen erwachsen und deshalb normativer strukturiert sind als „Herrschaftsdelikte“, die den archaischen Einbruch in fremde Rechtssphäre („neminem laede“) thematisieren,3509 mag ja sein. Das ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass auch „Pflichtdelikte“ konkrete Tatbestandshandlungen inkriminieren!3510 Selbst wenn man also mit Roxin „Täterschaft“ als Chiffre für die qualifizierte Zurechnung eines rechtsgutsverletzenden „Handlungsgeschehens“ zu einer Person verstehen wollte,3511 wäre nicht einsichtig zu machen, wie und warum eine genuine Innenrechtspflichtverletzung diese personale Zurechnung im Außenverhältnis rechtfertigen können sollte. Allerdings hat Roxin3512 für seine Pflichtdeliktslehre auch ein systematisches Argument reklamiert: In manchen Tatbeständen wie etwa § 340 („Begehenlassen“) oder § 357 („hinwirkt“) habe der Gesetzgeber höchstselbst die richtige Lösung i.S.e. Pflichtdeliktscharakters bereits durch eine nivellierende Tatbestandsfassung vorgezeichnet. Diese Tatbestände bedrohten nicht etwa genuine Teilnahmehandlungen mit tätergleicher Strafe, sondern die Formulierung solle bloß das verdeutlichen, was ohnehin gelte, nämlich dass hier echte Täterschaft i.S.d. Pflichtdelikte vorliege. Wo der Gesetzgeber sich dem Wortlaut nach anders ausgedrückt habe, etwa in § 348, ändere dies nichts an der ontologischen Pflichtdeliktsstruktur. – Diese Argumentation ist methodisch schwerlich haltbar: Dass der Gesetzgeber eine „gleichmacherische“ Tatbestandsfassung nur ausnahmsweise verwendet (s. §§ 340, 344, 357), muss doch insbesondere im Strafrecht (Analogieverbot!) e contrario den Schluss nahe legen, dass eine derartige Nivellierung sonst gerade nicht gewollt ist.3513 Gegenüber dieser klaren systematischen Replik verlegen sich die Anhänger der Pflichtdeliktslehre bezeichnenderweise auf kriminalpolitische Argumente. So fragt etwa Witteck3514: 3506

Roxin, TuT, 385 f. So aber Roxin, in: TuT, 353 f., 373 (allgemein), 478 (konkret für die „unechten“ Unterlassungsdelikte als Pflichtdelikte). 3508 TuT, 361. 3509 Kriminalpolitik, 17 f. 3510 s. dazu nur etwa Herzberg, Unterlassung, 55 ff.; Bloy, Beteiligungsform, 231 ff. 3511 Ausführlich dazu oben, S. 32 ff. 3512 TuT, 362 f. 3513 Schroeder, Täter, 86 f.; Langer, Sonderverbrechen, 224 f.; Bloy, Beteiligungsform, 231 ff. 3514 Betreiber, 135; zust. Roxin, TuT, 782 f. 3507

B. Sonderdelikte

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„Welchen Sinn könnte es machen, eine im Amt begangene Körperverletzung in der Form des ,begehen lassens‘ täterschaftlich zu bestrafen, hiervon aber sogleich abzugehen, wenn die so begangene Körperverletzung ein bestimmtes Ziel, nämlich die Erpressung einer Aussage hat?“

Aber auch darauf gibt es eine klare und eindeutige Antwort: Die dem § 340 zugrunde liegende Dringlichkeitsabwandlung3515 betrifft den gesamten Außendienstbereich, wo die Gefahr, dass Beamte ihre Autorität doch einmal missbrauchen oder einmal „kurz die Augen schließen“, erfahrungsgemäß signifikant erhöht ist. Aus dieser praktischen Erwägung heraus hat der Gesetzgeber sub specie § 340 ausnahmsweise auch die allgemeinen Teilnahmeverbote mit täterverbotsgleicher Dringlichkeit ausgestattet und ihre Verletzung im Merkmal des Begehenlassens mit tätergleicher Strafe bedroht. Ganz anders liegt es hingegen in den formalisierten Vernehmungssituationen, die § 343 primär im Auge hat. In diesem streng formalisierten, der Gewinnung prozessual verwertbarer Aussagen dienenden, „Innendienstbereich“ (= „förmliche Vernehmungssituation“) lassen sich Beamte vergleichsweise seltener zu einer Mitwirkung an Nötigungsakten hinreißen, weshalb die legislatorische „Auslassung“ des Begehenlassens in § 343 gerade nicht „wohl nur aus stilistischen Gründen“3516 erfolgt ist. Kann aber hier ein teleologischer Grund für die abweichende Tatbestandsfassung ausgewiesen werden, dann ist unter Berücksichtigung der gesetzgeberischen Einschätzungsprärogative davon auszugehen, dass es in anderen Fällen ebenso liegt. Einen schlagenden Einwand gegen Roxins Pflichtdeliktslehre hat ferner Langer erhoben: Die Vorschrift des § 28 II regelt ausdrücklich auch den Fall, dass eine besondere Subjektqualifikation nur beim Teilnehmer vorliegt. Daraus ist aber zwingend zu schließen, dass die Innenrechtspflichtverletzung per se nicht täterschaftsbegründend wirken kann.3517 Nach alledem darf festgehalten werden, dass die ursprüngliche Pflichtdeliktslehre Roxins wohl gescheitert ist: Das formale Moment der Sonderpflichtverletzung befreit nicht vom Erfordernis eines nach allgemeinen Grundsätzen zu bestimmenden täterschaftlichen Handlungsrechts. Auch und gerade bei Aufspaltung allen Sonderunrechts in einen externen Verletzungsbeitrag (= Strafgrund) und eine interne Sonderpflichtverletzung (= Täterschaftskriterium) ist nicht einsichtig zu machen, wie und warum das Pflichtverletzungsmoment eine Zurechnung des rechtsgutsverletzenden Außenweltgeschehens zur Täterschaft erlauben soll.

3515

s. zum Typus der gemeinunrechtsakzessorischen Sonderdelikte nochmals oben, 190 f. So aber Roxin, TuT, 782. 3517 Sonderverbrechen, 224; eine überzeugende Widerlegung dieses Einwandes ist Roxin trotz eines entsprechenden Erwiderungsversuchs (TuT, 773 Fn. 903) wohl nicht gelungen (s. Langer, Sonderstraftat, 249 f.); eingehend zu diesem Argumentationskomplex Deichmann, Grenzfälle, 17 ff. 3516

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6. Kap.: Die Ausarbeitung der Deliktsgruppen im Einzelnen

III. Versuche einer materialen Zementierung der Pflichtdeliktslehre 1. Schünemann Um eine Klärung dieser Frage hat sich allerdings Roxins Schüler Schünemann3518 bemüht: In einem Rechtsgüterschutz bezweckenden Strafrecht könne es nicht auf die Pflicht als solche ankommen, denn diese sei entweder außerstrafrechtlich und dann strafrechtlich irrelevant oder aber mit der Strafrechtsnorm identisch und dann tautologisch. Stattdessen begründe die „pflichterzeugende soziale Struktur“ die Zurechnung.3519 Man müsse daher noch einen Schritt weiter gehen als Roxin und „(…) von der formalen Schale der Pflicht auf den pflichterzeugenden materiellen Kern zugreifen, nämlich auf das Obhutsverhältnis zum Rechtsgut(sobjekt), etwa bei § 266 oder auf das Aufsichtsverhältnis über die Gefahrenquelle, etwa bei §§ 325 oder 327 (…)“.3520

So treffe man zum einen auf die Schutzherrschaft über die Hilflosigkeit des Rechtsguts, etwa bei der Untreue des Vermögensverwalters, zum anderen aber auch auf die Herrschaft über eine Gefahrenquelle als wesentliche Erfolgsursache, so etwa in Gestalt der Unternehmensleitung oder des Betriebes gefährlicher Anlagen.3521 Gerade auf letzterem Gebiet gebe es zahlreiche Sonderdelikte, etwa wenn der Inhaber einer gefährlichen Anlage dadurch die Umwelt schädige.3522 Hier sei nicht die öffentlich-rechtliche Pflicht das entscheidende Täterschaftskriterium, denn sie figuriere in Wahrheit nur als Begleiterscheinung der Herrschaft auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts; täterschaftsbegründend wirke vielmehr die Innehabung der Herrschaft selbst, die entsprechend auf den Betriebsleiter übergehen könne und dann diesen zum tauglichen Täter mache.3523 Dasselbe lasse sich am Tatbestand der Untreue (§ 266) demonstrieren, wonach derjenige zu bestrafen sei, der ein fremdes 3518 In: LK, § 25 Rn. 42 – 44, 133 f.; ähnlich Murmann, Nebentäterschaft, 181 f.; Frister, AT, § 26 Rn. 31 ff.; auf die Anerkennung einer normativen Vorfeldherrschaft läuft in der Sache auch diejenige Ansicht hinaus, nach der Extranei im Sonderdeliktsbereich von vornherein nur als untergeordnete Helferwerkzeuge in Betracht kommen (so insbesondere Stratenwerth/Kuhlen, AT, § 12 Rn. 40; Schild, in: NK, § 25 Rn. 72). 3519 In: LK, § 25 Rn. 44 a.E. 3520 In: LK, § 25 Rn. 134 (Hervorhebungen nicht im Original). Die von Schünemann angeführten Beispieltatbestände sind freilich nur allzu passend gewählt. Es handelt sich nämlich allemal um Straftatbestände, in denen der Gesetzgeber tatsächlich einmal die normative Pflichtverletzung als solche zur Tatbestandshandlung erhoben hat. Für die anderen als „Pflichtdelikte“ reklamierten Tatbestände, insbesondere die echten und unechten Amtsdelikte, die bestimmte Handlungsvollzüge inkriminieren, ist damit nichts bewiesen (s. dazu Bloy, Beteiligungsform, 230 ff.; s. auch bereits Herzberg, Unterlassung, 55 ff.). Das sieht natürlich auch Schünemann selbst (Unternehmenskriminalität, 92 f.), der eben deshalb auf den „pflichterzeugenden materiellen Kern“ (LK, § 25, Rn. 134) als für alle „Pflichtdelikte“ i.S. Roxins gültiges Sachkriterium durchgreifen will. 3521 LK, § 25 Rn. 42. 3522 LK, § 25 Rn. 42. 3523 LK, § 25 Rn. 42.

B. Sonderdelikte

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Vermögen schädige, zu dem er in einem Treueverhältnis stehe. Weil die Täterqualifikation hier nicht nur durch zivilrechtliche Rechtsverhältnisse, sondern auch durch ein „tatsächliches Treueverhältnis“ begründet werde, sei es dem Gesetzgeber des § 266 ersichtlich nicht um eine zivilrechtsakzessorische Bestrafung der Verletzung zivilrechtlicher Pflichten gegangen. Vielmehr solle der Treubruchtatbestand ganz allgemein die schädigende Ausübung der durch einen Vertrauensakt eingeräumten Obhutsstellung i.S.e. Herrschaft über fremdes Vermögen pönalisieren, so dass also auch hier die Herrschaft – und nicht deren zivilrechtliche Form – für die strafrechtliche Täterstellung das entscheidende Kriterium darstelle.3524 Demnach müsse das Täterkriterium bei den Sonderdelikten nicht etwa in der formellen Verletzung einer außerstrafrechtlichen Sonderpflicht gesucht werden, sondern in einer mit der Tatherrschaft bei Begehungsdelikten typologisch vergleichbaren Herrschaftsbeziehung über das Geschehen.3525 Ganz in diesem Sinne sei denn auch bei den Amtsdelikten evident, dass der Amtsträger aufgrund der ihm zur Verfügung stehenden Staatsmacht eine qualifizierte Kontrolle über das Geschehen im Rahmen seiner Zuständigkeit ausübe und deshalb selbst einer strengeren strafrechtlichen Kontrolle unterliege.3526 Wie die Tatherrschaft seien auch die Herrschaft über die Hilflosigkeit des Rechtsguts(objekts) und die Herrschaft über eine Gefahrenquelle Konkretionen ein und desselben sachlogischen Universalprinzips der „Herrschaft über den Grund des Erfolges“: Während das Tatherrschaftsverhältnis diesen sachlogischen Zurechnungsgrund beim „Standardtyp“ der gemeinen Erfolgsdelikte stelle, verkörperten Obhuts- und Gefahrenquellenherrschaft ihn sowohl bei den unechten Unterlassungsdelikten als auch bei den Sonderdelikten – weshalb letztere eigentlich als „Garantensonderdelikte“ figurierten.3527 Ob diese Lehre den teleologischen Hintergrund genuiner Pflichtdelikte wie etwa des § 266 zutreffend erfasst, kann hier dahinstehen. Für Sonderdelikte mit konkreter Tatbestandshandlung hat sie sich jedenfalls nicht durchsetzen können. Der Grund dafür liegt darin, dass die Herrschaft über die Hilflosigkeit des Rechtsguts und die Gefahrenquellenherrschaft keine aktuellen Herrschaftsverhältnisse im herkömmlichen Sinne beschreiben: Der Sonderzuständige beherrscht ja nicht aktuell die Hilflosigkeit des Rechtsgutsobjekts bzw. die Gefährlichkeit der Gefahrenquelle als reale3528 Erfolgsursachen,3529 sondern es geht gerade umgekehrt um das normative Postulat einer rechtmäßigen Kontrollausübung über den betreffenden sozialen Be3524

LK, § 25 Rn. 42; GA 1986, 293 (333). LK, § 25 Rn. 42. 3526 LK, § 25 Rn. 42. 3527 LK, § 25 Rn. 39 – 44; GA 1986, 293 (331 ff.). 3528 Im Hinblick auf die „Schutzherrschaft“ ist bereits fraglich, inwiefern die Hilflosigkeit des Rechtsgutsobjekts ein realer Grund der Erfolgsherbeiführung soll sein können (s. dazu Vogel, Norm, 352; Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff., Rn. 166; auch bereits Herzberg, Unterlassung, 193 f.). 3529 Eingehend dazu Sánchez-Vera, Pflichtdelikt, 128 ff.; Witteck, Betreiber, 138 ff. 3525

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6. Kap.: Die Ausarbeitung der Deliktsgruppen im Einzelnen

reich.3530 Letzteres ist aber gerade nicht Gegenstand der den Sonderdelikten zugrunde liegenden Verbotsnormen: Die Verbote der Sonderdelikte untersagen nicht (bloß) den irgendwie gearteten Missbrauch einer prästabilisierten sozialen Machtstellung zur Rechtsgutsverletzung,3531 sondern konkrete Verletzungsakte, in denen der Machtmissbrauch gerade erst liegt! Für die von Schünemann gezogene Parallele zwischen Herrschafts- und Pflichtdelikten bedeutet dies, dass die von ihm sog. „prästabilisierte Geschehensherrschaft im Sinne der Kontrolle über einen sozialen Bereich“3532 nicht das von ihm behauptete Analogon zur reellen Tatherrschaft über das konkrete rechtsgutsverletzende Geschehen sein kann.3533 In Wahrheit umschreibt der Begriff der prästabilisierten Kontrollherrschaft vielmehr „nur“ das normative Postulat (also: die Pflicht) zu einer sonderrollenkonformen Kontrollausübung.3534 Dieses Postulat resultiert zwar in der Tat aus der besonderen sozialen Überantwortung bestimmter Rechtsgutsobjekte3535 bzw. Gefahrenquellen, und es verpflichtet den Intraneus auch tatsächlich über die konkret an ihn adressierte Verbotsnorm hinaus mit besonderem Nachdruck3536, drohende Rechtsgutsverletzungen innerhalb des von ihm kontrollierten sozialen Bereichs zu unterbinden. Das alles ändert jedoch nichts daran, dass mit dieser prästabilisierten Vorfeldherrschaft i.S. Schünemanns nicht mehr als eine normative Vor-Zuweisung i.S.d. begehungsgleichen Unterlassungsdelikte bezeichnet ist – d. h. ein „normales“ Garantiepflichtverhältnis i.S.d. § 13.3537 3530

I.d.S. auch Vogel, Norm, 351 ff.; Sánchez-Vera, Pflichtdelikt, 130; Witteck, Betreiber, 139; Roxin, TuT, 777 f. 3531 So aber ausdrücklich Puppe, in: NK, §§ 28, 29 Rn. 8 ff., 40, 78 f. 3532 Schünemann, in: LK11, § 14 Rn. 17. 3533 s. ausführlich dazu Sánchez-Vera, Pflichtdelikt, 128 ff.; Witteck, Betreiber, 138 ff. 3534 Ähnlich Sánchez-Vera, Pflichtdelikt, 130 f.; Witteck, Betreiber, 139; s. auch Roxin, AT/ II, § 25, Rn. 274, der allerdings dennoch von einer durch den Täter „übernommenen“ Schutzoder Kontrollherrschaft spricht. Die Formulierung erweckt den falschen Eindruck, die Sonderrolle und die mit ihr verknüpften spezifischen Rollenerwartungen würden zu irgendeinem Zeitpunkt willentlich übernommen – was so nicht stimmen kann: Die Mutter, die ihr Neugeborenes von Anfang an ablehnt, ist selbstverständlich dennoch Adressatin rechtlicher Sonderrollenerwartungen (so zutr. Sánchez-Vera, Pflichtdelikt, 132 f.). Das erkennt aber freilich auch Roxin selbst (TuT, 778), weshalb seine Rede von der „übernommenen“ Schutz- oder Kontrollherrschaft als bloße Sprachungenauigkeit anzusehen ist. 3535 Da allgemeiner (!) Rechtsgüterschutz niemals en bloc durch Ansprache bestimmter Personenkreise exklusiviert werden kann, geht es stets um die Überantwortung bestimmter Rechtsgutsobjekte (bei Betroffenheit von Individualrechtsgütern) bzw. Repräsentationsbereiche (bei Betroffenheit von Allgemeinrechtsgütern); s. instruktiv dazu Langer, Sonderstraftat, 312 f. 3536 Nochmals zur Klarstellung: Die mit der prästabilisierten Kontroll- oder Schutzherrschaft per se verbundene Sonderrollenerwartung ist nicht Gegenstand einer eigenständigen Sonderverhaltensnorm (d. h. eines Sondergebots), sondern sie wandelt für den Garanten „bloß“ die Dringlichkeit eines allgemeinen rechtsgüterschützenden Handlungsgebots ab. Ausführlich dazu bereits oben, S. 214 ff. 3537 Demnach ist es also richtig, dass die Sonderdelikte die Garantenstellung für das begehungsgleiche Unterlassen bereits vorzeichnen (vgl. dazu Schünemann, in: LK, § 25 Rn. 42).

B. Sonderdelikte

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2. Jakobs und Sánchez-Vera Freilich mag man fragen, ob nicht bestimmte Teilbereiche des sozialen Lebens, deren In-Funktion-Sein auf der institutionellen Garantie einer positiven Beziehung zwischen Täter und Gut beruht,3538 substantiell abweichende Verhaltensnormen generieren – Verhaltensnormen also, die den Sonderrollenträger stets unmittelbar und akzessorietätsüberspringend zur Herstellung der institutionell geschuldeten Solidarität verpflichten. In der Tat haben sich Jakobs3539 und sein Schüler SánchezVera3540 für die Existenz solcher Pflichten ausgesprochen. Es soll sich dabei um Pflichten aus „positiver Institution“3541 (insbesondere Eltern-Kind-Verhältnis, Ehe und staatliche Institutionen3542) handeln, die der Herstellung der Institution selbst als tatsächlicher Funktionseinheit dienen sollen.3543 Sánchez-Vera3544 hat dabei sehr akzentuiert herausgearbeitet, dass und warum es sich bei solchen Pflichten zum „Aufbau einer gemeinsamen Welt“ ausnahmslos um Derivate genuiner Gebotsnormen handeln müsste. Diese Lehre steht jedoch vor der Schwierigkeit, dass die meisten als solche reklamierten „Pflichtdelikte“, namentlich die Sonderdelikte, als Verbotstatbestände gefasst sind und damit bestimmte Organisationsakte regeln. Das stört Sánchez-Vera freilich nicht, will er doch die gebotsgenerierenden positiven Institutionen sog. „Auslegungstatbeständen“ entnehmen, die der vordergründig-sprachlichen (!) Fassung der sog. „Kodifikationstatbestände“ (d. h. der Tatbestandsbeschreibungen!) vorgehen sollen.3545 Bei dieser Sichtweise avancieren dann selbst Jedermannsdelikte („Herrschaftsdelikte“) wie § 212 für institutionell Zuständige zu Pflichtdelikten, mit der Folge, dass etwa die Mutter, die irgendwie zur Tötung ihres Kindes beiträgt,

Daraus folgt aber keineswegs, dass im Sonderdeliktsbereich jede garantiepflichtwidrige Aktivbeteiligung an der Rechtsgutsverletzung automatisch Begehungstäterschaft begründete (so aber Schünemann, in: LK, § 25 Rn. 135 a.E.). 3538 Eingehend dazu Jakobs, AT, 2/17; 29/57 ff. 3539 In: AT, 2/17; 7/70; 21/116 ff.; 29/57 ff.; zuletzt in: Theorie, 6 ff., 61 ff.; zust. Witteck, Betreiber, 144 ff. (163 f.); Kindhäuser, Hollerbach-FS (2001), 627 (649). 3540 Pflichtdelikt, 76 ff. 3541 s. zum Begriff und seiner Entfaltung eingehend Sánchez-Vera, Pflichtdelikt, 76 ff. 3542 Eingehend zu den verschiedenen Institutionen Jakobs, AT, 29/57 ff. 3543 Jakobs, AT, 2/17. 3544 Pflichtdelikt, 89 (dort auch das im Text nachfolgende Zitat); s. auch Jakobs, Theorie, 6, 62 f. 3545 Pflichtdelikt, 90 ff.; dezidiert i.d.S. auch Witteck (Betreiber, 156 f.), der meint, dass die dem Garanten auferlegte Solidaritätspflicht ab origine weiter gehe als das, was das Gesetz vordergründig (!) an Verpflichtungen aufstelle. – Die sich aufdrängende Frage, warum das Gesetz „vordergründig“ Organisationspflichten anstelle der eigentlichen, „hintergründigen“, Solidaritätspflichten aufstellen sollte, ist freilich mit dem Hinweis auf die Grenzen des formulierungstechnisch Möglichen (darauf verweist Sánchez-Vera, Pflichtdelikt, 93) nur unzureichend beantwortet.

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6. Kap.: Die Ausarbeitung der Deliktsgruppen im Einzelnen

allein aus der Verletzung der positiven Institution (Eltern-Kind-Verhältnis) heraus akzessorietätsüberspringend haften soll.3546 Eine derart weitgehende Umdeutung von Herrschafts- in Pflichtdelikte ist aber schon allein deshalb problematisch, weil konkrete Deliktstypen wie etwa die §§ 223, 212 nicht einfach als unterschiedlich schwere Verletzungen ein und derselben Pflicht zu institutioneller Solidaritätsgarantie verstanden werden können: Ob ich jemanden „bloß“ ohrfeige oder aber töte, bedeutet immer einen kategorialen Unterschied im Handlungsunrecht, auch dann, wenn der Verletzte mein Kind ist! Dieser Unterschied darf unter dem Etikett der Vorenthaltung elterlicher Solidaritätsgarantie nicht einfach eingeebnet und auf die Sanktionsnormebene verschoben werden! Demnach kann also nicht eine positive Institution konkrete Deliktstypen überlagern, sondern es überlagern wenn überhaupt konkrete Deliktstypen eine positive Institution! Davon abgesehen streitet aber auch ein gesetzessystematischer Einwand gegen die allgemeine Lehre von der positiven Institution: Wenn das geltende Recht in den §§ 170, 171 ausnahmsweise eine ganz konkrete Pflicht zur Herstellung bestimmter institutionell geschuldeter Grundlebensverhältnisse zum Gegenstand des Tatbestandes macht,3547 dann folgt daraus im Umkehrschluss, dass ein umfassendes Generalgebot zur Herstellung der Institutionen als solcher gerade nicht Gegenstand bestandsrechtsgutsbezogen formulierter Deliktstatbestände sein kann. Überhaupt wäre von den Vertretern der Institutionendoktrin auch noch darzutun, dass und wie sich die behaupteten Generalpflichten zu institutioneller Solidaritätsgarantie substanziell vom Gesamtbündel bestandsrechtsgutsbezogener Organisationspflichten unterscheiden sollen. Dieser Nachweis dürfte indes kaum zu führen sein.3548 Denn selbst bei den als Ausfluss positiver Institution interpretierten Amtsdelikten geht es ja nicht um die Herstellung der Institution als Funktionseinheit, sondern um die Kanalisierung allgemeinen Bestandsrechtsgüterschutzes in besondere soziale Einflussbereiche durch Errichtung zusätzlicher rechtsgutsbezogener Intranenpflichten (z. B. sub specie §§ 331 f.) oder durch interne Dringlichkeitsabwandlung allgemeiner Verhaltenspflichten (etwa bei §§ 340, 343).3549 Mithin aktualisiert sich auch im Gewaltbereich „positiver Institutionen“ das Solidaritätsgebot immer erst in demjenigen Moment, in dem ein konkreter personaler Verhaltensbezug zum überantworteten Bestandsrechtsgut hergestellt wird. Unklar bleibt deshalb, worin die für die institutionelle Solidaritätsgarantiepflicht reklamierte „akzessorietätsüberspringende“ Eigensubstanz eigentlich liegen soll.

3546

Pflichtdelikt, 98 ff. Umfassend dazu oben, S. 185 ff. 3548 Eine tendenziell ähnliche (wenngleich generellere) Kritik findet sich bereits bei Schünemann, Roxin-FS (2001), 1, 19 f. 3549 s. dazu nochmals oben S. 186 ff., 190 f. 3547

B. Sonderdelikte

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Sánchez-Vera3550 gibt zur Antwort, die Pflicht zum „Aufbau einer gemeinsamen Welt“ gehe eben von vornherein weiter als die Organisationspflichten, nämlich dahin, sich ständig hilfsfähig zu halten. Aber damit ist ersichtlich keine konkrete Verhaltenspflicht mehr beschrieben, sondern vielmehr eine permanente allgegenwärtige „Bereitschaftspflicht“, deren Annahme die Prämissen an eine verhältnismäßige Einschränkung der Handlungsfreiheit deutlich überstrapazieren dürfte. Streitig ist bereits, ob dem Garantenhandlungsgebot des begehungsgleichen Unterlassungsdelikts ein derivatives Voraus-Verbot entnommen werden darf, sich aktuell handlungsunfähig zu machen (sog. „omissio libera in causa“).3551 Insofern kann man immerhin argumentieren, dass die von diesem unselbständigen Verbot erzeugten Unterlassungspflichten gegenständlich klar umrissen sind. Das aber träfe auf ein dem Begehungssonderdelikt unterlegtes institutionelles Generalgebot zur permanenten „Bereitschaft“ ersichtlich nicht mehr zu: Es ist nicht einzusehen, inwiefern diesem Gebot eine Eigensubstanz zukommen soll, die über die Einzelgegenstände des schon bestehenden „Sets“ an konkreten rechtsgüterschützenden Handlungs- und Unterlassungspflichten hinausreicht! Richtig ist zwar, dass Beschützergarantenstellungen auf der hintergründigen Sonderrollenerwartung einer positiven Solidaritätsgarantie beruhen. Doch diese Sonderrollenerwartung ist gerade nicht Gegenstand, sondern bloß Geltungsgrund der entsprechenden Garantenhandlungspflichten, d. h. sie weist per se gerade (noch) keinen konkreten Rechtsgutsbezug auf; dieser wird erst durch Aktualisierung der konkreten Garantenhandlungspflicht hergestellt. Danach ist jedenfalls eine allgemeine Institutionendoktrin, wie sie Jakobs und seiner Schule vorschwebt, abzulehnen.

IV. Die Unterlassungslösung als bruchfreie Alternative Demnach bleibt es dabei, dass sich eine genuine Pflichtdeliktsdoktrin nicht etablieren lässt. Nichtsdestotrotz bietet sich für das Problem der Zwischenschaltung eines dolosen Außenstehenden eine luzide und recht elegante Lösung an, nämlich die Annahme einer garantiepflichtwidrigen Intranenunterlassung. Danach hätte etwa ein Vernehmungsbeamter, der einen Psychologen erfolgreich dazu bringt, dem Beschuldigten durch gezieltes seelisches Quälen eine Aussage abzuringen, eine Aussageerpressung durch Unterlassen (§§ 343 I Var. 4, 13) begangen,3552 da er nicht 3550

Pflichtdelikt, 87 f. (Zitat auf S. 89); zust. Witteck, Betreiber, 156 f. Zur normentheoretischen Begründung dieses „gebotsintegrierten“ Verbots s. Bertel, JZ 1965, 53 (55); eine Kurzübersicht zum Problem und den hierzu vertretenen Positionen gibt Paeffgen, in: NK, Vor § 323a Rn. 40. 3552 Richtigerweise wird man die Zufügung seelischer Qualen als „Erfolg“ i.S.d. § 13 anzusehen haben (str.; s. allgemein zur Weite des in § 13 verwendeten Erfolgsbegriffs etwa Jakobs, AT, 29/2, m.w.N. auch zur Gegenansicht), so dass das Erfordernis der Modalitätenäquivalenz erfüllt ist: Der Vernehmungsbeamte unterlässt es, die Zufügung der Seelenqualen zu verhindern, um den Beschuldigten zu einer Aussage zu nötigen. 3551

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6. Kap.: Die Ausarbeitung der Deliktsgruppen im Einzelnen

gegen die innerhalb seines Amtsbereichs stattgefundene Aussageerpressung eingeschritten ist.3553 Diesen Lösungsvorschlag hat Schmidhäuser3554 in die Diskussion eingebracht. Dagegen wurde zunächst eingewandt, dass ein die Individualrechtsgutsverletzung hintergründig veranlassender Intraneus die Gefahrenlage doch durch sein aktives Tun schaffe und nicht durch Unterlassen.3555 Dieser Einwand geht jedoch ins Leere, wenn man die im Vordringen befindliche Konkurrenzlösung3556 dem naturalistischen Rigorismus der traditionellen „Schwerpunktformel“ vorzieht: Weder aus ontologischer noch aus teleologischer Sicht besteht Grund zu der Annahme, dass ein und derselbe Lebensvorgang strafrechtlich stets nur unter einem von zwei Haftungsgründen – Tun oder Unterlassen – erfassbar sei, beide Verhaltenskategorien also in einem strengen Exklusivitätsverhältnis stünden.3557 Vielmehr schließt sich an (nahezu) jede intentionale Basis-Handlung ein Moment intentionaler Zulassung durch Unterlassen an: Wenn ich etwa zunächst zusteche und das Opfer anschließend verbluten lasse, dann handle ich zunächst und unterlasse im Anschluss. Nichts zwingt hier den Rechtsanwender dazu, sich einseitig auf das Zustechen als aktives Tun zu kaprizieren. Mithin lassen sich aus der überkommenen naturalistischen Schwerpunktformel keine (zwingenden) Bedenken gegen die Unterlassungslösung herleiten. Allerdings hat Stratenwerth3558 einen zweiten, gewichtiger anmutenden Einwand in Frageform vorgebracht: „Muss nicht, wenn die Unterlassung des Sonderpflichtigen, einen Extraneus an der Tat zu hindern, der Verwirklichung des Tatbestandes durch ein Tun entsprechen soll (§ 13), schon die Veranlassung des Extraneus zu seiner Tat als ,Tun‘ den Tatbestand erfüllen?“ –

3553 Zur Klarstellung: Die Aktivteilnahme des Intraneus an der Zufügung seelischer Qualen ist strafrechtlich ebenso irrelevant wie das seelische Quälen durch den Außenstehenden selbst, da dieses Gemeinunrecht im StGB nicht vertatbestandlicht ist. 3554 In: AT, 14/51. 3555 Wagner, Amtsverbrechen, 380; Roxin, TuT, 784. 3556 s. dazu etwa Jakobs, AT, 28/4; Kindhäuser, LPK-StGB, § 13 Rn. 73; Mosenheuer, Unterlassen, 26 ff., 51 ff. m.w.N. 3557 Das kann und muss im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht näher begründet und illustriert werden. Klar ist jedenfalls, dass die Formel vom Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit prädestiniert ist für finale Subsumtion. Überhaupt liegt im Rekurs auf den Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit das Eingeständnis, dass eine sachlogisch zwingende Exklusivität zwischen Tun und Unterlassen nicht existiert. Warum aber dann überhaupt dichotom abgrenzen, anstatt den Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit nach der Konkurrenzlehre zu ermitteln? – Umfassend und überzeugend zum Ganzen Mosenheuer, Unterlassen, 26 ff., 51 ff.; widersprüchlich insofern allerdings Roxin, der zur Untermauerung seiner Pflichtdeliktsdoktrin im Bereich der begehungsgleichen Unterlassungsdelikte gerne auf die Konkurrenzlösung zurückgreift (AT/II, § 31 Rn. 146 f.), ihrer aber im Bereich der positivierten Aktiv-Pflichtdelikte doch wieder überdrüssig zu werden scheint (TuT, 784). 3558 AT/I2, Rn. 800.

B. Sonderdelikte

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Diese Argumentation erweist sich bei näherem Hinsehen als zirkulär, denn sie setzt den zu beweisenden Umstand – Sonderpflichtverletzung als selbständige Täterchiffre – bereits voraus. Die Sonderpflichtverletzung figuriert aber, wie die vorstehende Analyse der Pflichtdeliktslehren gezeigt hat, gerade nicht als selbständige Täterchiffre: Anders als die begehungsgleichen Garantenunterlassungsdelikte, sind die Aktiv-Sonderdelikte3559 gerade nicht einheitstäterschaftlich strukturiert, sondern beruhen auf konkreten Täterverboten.3560 Orientierungspunkt für die Modalitätenäquivalenz der begehungsgleichen Sonderunterlassung ist also auf der Begehungsseite allein die Tätertatbestandshandlung.3561 Damit fehlt es aber gerade an der von Stratenwerth behaupteten Strukturäquivalenz, wenn der Sonderunterlassung des Intraneus auf der Aktivseite eine bloße Teilnahmehandlung vorausgeht. Mithin hängt Stratenwerths indirekte Argumentation in der Luft – womit sich Schmidhäusers Ursprungsidee als konstruktiv durchführbar erweist: Nach der Konkurrenzlösung kann der strafrechtliche Schuldvorwurf problemlos an das garantiepflichtwidrige Anschlussunterlassen des Intraneus anknüpfen, da dieses einen separaten Zurechnungsgrund bildet. Die nach § 13 erforderliche Garantenstellung wird dabei durch die Sonderrollenzuständigkeit des Intraneus für das sozial besonders überantwortete Rechtsgutsobjekt vorgezeichnet.3562 Der Rekurs auf das garantiepflichtwidrige Anschlussunterlassen erweist sich vor allem dann als praktisch wertvoll, wenn das vorausgehende Handeln des Intraneus überhaupt keine strafrechtliche Verantwortung begründet. So liegt es im zuletzt gebildeten Beispiel des Vernehmungsbeamten, der einen Außenstehenden darauf ansetzt, dem Beschuldigten durch seelisches Quälen eine Aussage abzunötigen. Er hat eine Aussageerpressung durch Unterlassen (§§ 343 I Var. 4, 13) begangen,3563 zu der der Außenstehende Beihilfe (§ 27) geleistet hat. Anders liegt es, soweit § 343 als unechtes Sonderdelikt betroffen ist (§ 343 Var. 1 bis 3).3564 Schaltet der Intraneus einen Außenstehenden dazu ein, dem Beschuldigten durch körperliche Misshandlung, Gewaltanwendung oder Gewaltandrohung eine Aussage abzunötigen, so kann er selbst über § 28 II aus dem Strafrahmen des § 343 3559 Zu den Ausnahmetatbeständen der reinen Pflichtdelikte s. sogleich nochmals unten, S. 626 f. 3560 Sonderdelikte sind zwar „Garantensonderdelikte“ insofern, als sie die für das begehungsgleiche Unterlassen erforderliche Garantenstellung bereits vorzeichnen (so zutr. Schünemann, in: LK, § 25 Rn. 42). Dadurch ändert sich jedoch nichts an der Substanz der dem Sonderdelikt jeweils zugrunde liegenden Verbotsnorm: Das Verbot einer konkreten rechtsgutsverletzenden Intranenhandlung kann nicht kurzerhand in ein generelles Machtmissbrauchsverbot umgedeutet werden, nur weil der Sonderzuständige hintergründig eine Garantenposition innehat (a.A. aber wohl Puppe, in: NK, §§ 28, 29 Rn. 8 ff., 40, 78 f.). 3561 Ausführlich dazu unten, S. 646 ff. 3562 Durchaus zutr. bezeichnet Schünemann die Sonderdelikte daher als „Garantensonderdelikte“ (in: LK, § 25 Rn. 42). 3563 s. zum Erfordernis der Modalitätenäquivalenz nochmals oben, Fn. 3552. 3564 s. dazu nochmals oben, Fn. 3483.

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6. Kap.: Die Ausarbeitung der Deliktsgruppen im Einzelnen

belangt werden. Sein sonderpflichtwidriges Unterlassen wird hierdurch verdrängt, da eine garantiepflichtwidrige Unterlassung (in aller Regel) nicht schwerer wiegen kann als eine aktive Garantenteilnahme.3565 Für das eingangs gebildete Fallbeispiel bedeutet das Folgendes: Der Vernehmungsbeamte V, der den Außenstehenden S zur Nötigung des Beschuldigten B zwecks Aussagegewinnung aufgefordert hat, wäre über § 28 II aus dem Strafrahmen des § 343 zu bestrafen, da S den allgemeinen Nötigungstatbestand verwirklicht hat. Wieder anders liegt der Fall, wenn zwar ein echtes Sonderdelikt betroffen ist, der zwischengeschaltete Extraneus aber dennoch ein Allgemeindelikt verwirklicht, an dem der Intraneus nur allgemeinrechtlich teilnimmt. In diesem Fall tritt das begehungsgleiche Sonderunterlassen tateinheitlich neben die Aktivteilnahme am Allgemeindelikt. So verhält es sich etwa dann, wenn ein Urkundsbeamter einen Externen dazu veranlasst, in eine von ihm zu verwaltende öffentliche Urkunde eine rechtserhebliche Tatsache falsch einzutragen.3566 In diesem Fall nimmt der Urkundsbeamte „nur“ an der Urkundenfälschung des Außenstehenden (§ 267 I Alt. 1) teil; eine Aktivhaftung aus dem Strafrahmen des § 348 scheidet aus, da dieser Straftatbestand ein echtes Amtsdelikt inkriminiert und § 28 II folglich unanwendbar ist.3567 Jedoch hat der Urkundsbeamte zugleich eine Falschbeurkundung im Amt durch Unterlassen (§ 348, 13) begangen, die mit seiner Aktivteilnahme an der fremden Urkundenfälschung ideal konkurriert. Im Falle der meisten echten Sonderdelikte (etwa §§ 153, 172 f., 331 f., 339, 344 f. StGB, 16, 17 WStG) erweisen sich jedoch Pflichtdeliktslehre wie Unterlassungslösung gleichermaßen als obsolet. Dies deshalb, weil die betreffenden Tatbestände die Materie der Intranentäterschaft ohnehin abweichend bestimmen. So kann man etwa einen Außenstehenden ebenso wenig zur Aussage vorschicken (§ 153) wie man ihn zum Verwandtenbeischlaf einschalten kann (§ 172) (= Täterkriterium der Aktgebundenheit [Eigenhändigkeit i. e.S.]).3568 Umgekehrt kann ein Amtsträger eine Vorteilsnahme (§ 331) ohne Weiteres auch „durch“ einen Außenstehenden als Erklärungsboten oder Stellvertreter begehen, ohne dass seine Täterschaft auf das Moment der Sonderpflichtverletzung gestützt werden müsste (= Täterkriterium der Erklärungsherrschaft).3569 Und der Soldat, der sich durch einen Außenstehenden von seiner Dienststelle fortbringen lässt, ist Täter einer Fahnenflucht i.S.d. § 16 WStG, auch ohne dass ihm die Entfernungstätigkeit des anderen qua Sonderpflichtverlet-

3565

Eingehend dazu noch unten, S. 674 ff. Vgl. zum Beispielfall bereits Roxin, TuT, 362. 3567 s. statt aller nur Fischer, § 348 Rn. 1, m.w.N.; die Qualität als echtes Amtsdelikt folgt daraus, dass § 348 die sub specie § 267 straflose „schriftliche Lüge“ des zuständigen Amtsträgers inkriminiert (so zutr. Heine/Schuster, in: Schönke/Schröder, § 267 Rn. 54 a.E.; Hecker, in: Schönke/Schröder, § 348 Rn. 1 a.E.). 3568 Eingehend dazu noch unten, S. 629 ff. 3569 s. dazu sogleich unten, S. 627 ff. 3566

B. Sonderdelikte

625

zung zugerechnet werden müsste (= Täterkriterium der Selbstreflexivität [Eigenhändigkeit i.w.S.]).3570

V. Reine Pflichtdelikte Einzuräumen ist allerdings, dass das StGB auch einige wirkliche Pflichtdelikte3571 kennt, die eine indifferente Pflichtverletzung zur Tatbestandshandlung haben. Diese Tatbestände beruhen entweder auf bestimmten akzessorietätsüberspringenden Sonderpflichten (so die §§ 170, 171) oder schlicht auf einer straftatbestandlichen Hypostasierung bestimmter zivil- oder öffentlich-rechtlicher Pflichten ohne Rücksicht auf den konkreten Handlungsunrechtsbezug (so etwa § 266 I Alt. 2 oder § 325). Aus der Existenz solcher reinen Pflichtdelikte folgt aber im Umkehrschluss, dass der Gesetzgeber überall dort, wo er die Pflichtverletzung nicht zur Tatbestandshandlung erhoben hat, auch keine Pflichtdelikte schaffen wollte.3572

VI. Fazit Nach alledem verkörpert die normativ zugewiesene Kontrollherrschaft über den für die Rechtsgutsverletzung relevanten Sozialbereich keine Spezialgrundlage aktivtäterschaftlicher Zurechnung, weder für die Sonderdelikte allgemein noch für Sonderdelikte im Rahmen von „Institutionen“. Richtig ist zwar, dass die betreffenden Straftatbestände eine besondere Garantenstellung positivrechtlich bereits vorzeichnen. Doch modifiziert diese Garantenstellung – ebenso wie jede andere Garantenstellung i.S.d. § 13 auch – das Handlungsunrecht ausschließlich auf der Gebotsseite (= Sonderunterlassen). Im dogmatischen Ansatz überzeugend ist deshalb die (wohl noch) h.L.3573, die für die Sonderdelikte keine Ausnahme von den allgemeinen handlungsunrechtlichen Grundsätzen über die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme machen will. Die Mittel der allgemeinen Dogmatik (= Teilnehmertatbestände i.V.m. § 28 II bzw. Unterlassungslösung) reichen hin, um die beteiligungsrechtlichen „Probleme“, die sich im Zusammenhang mit den Sonderdelikten stellen, angemessen zu lösen. Einer selbständigen, normentheoretisch frei in der Luft schwebenden, Pflichtdeliktslehre bedarf es daher nicht. Im Bereich

3570

Eingehend dazu unten, S. 631. s. zu den Pflichtdelikten sogleich nochmals unten, S. 626 f. 3572 So zutr. bereits Bloy, Beteiligungsform, 231 – 233. 3573 s. etwa Bloy, Beteiligungsform, 229 ff., (231 – 233); Langer, Sonderstraftat, 233 ff. (249 ff.); Bottke, Täterschaft, 114 ff.; Renzikowski, Täterbegriff, 27 ff.; Jescheck/Weigend, AT, § 61 V 1 (S. 652 Fn. 30); Renzikowski, in: Maurach/Gössel/Zipf, AT/2, § 47 Rn. 161 f.; Otto, AT, § 21 Rn. 96; Freund, AT, § 10 Rn. 48 f. 3571

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6. Kap.: Die Ausarbeitung der Deliktsgruppen im Einzelnen

der „normalen“ Sonderdelikte hat das Moment der Sonderpflichtverletzung deshalb keinerlei beteiligungsrechtlichen Mehrwert i.S.e. selbständigen Täterchiffre.3574 Aufgelöst bedeutet dies Folgendes: Bei den echten Sonderdelikten (etwa §§ 331 f., 336, 344, 348) ist die Sonderpflicht selbst die rechtsgutsbezogene Außenrechtspflicht, bei den gemeinunrechtsakzessorischen Sonderdelikten (z. B. §§ 340, 343) modifiziert sie lediglich die Dringlichkeit einer allgemeinen Außenrechtspflicht. Damit richtet sich die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme auch bei den Sonderdelikten immer nach der substantiellen Beschaffenheit der konkret zugrunde liegenden Handlungsunrechtsmaterie („normale“ physische Übergriffshandlung [z. B. §§ 340, 343] – Willenserklärung [z. B. § 331] – Eigenhändigkeit [z. B. §§ 153, 173]).3575 Vor diesem Hintergrund kann weder die formelle Pflichtdeliktslehre Roxins überzeugen, noch irgendein Versuch ihrer (partiellen) Materialisierung.

C. (Reine) Pflichtdelikte Die lex lata kennt, wie gesehen, auch einige wenige Pflichtdelikte. Sie inkriminieren keine konkreten Verletzungshandlungen im herkömmlichen Sinne, sondern die (scil.: rechtsgutsverletzende) Verletzung bestimmter Rechtspflichten aus anderen Teilrechtsordnungen.3576 Das kann zum einen sachlogische Gründe haben, wie bei den §§ 170, 171. Diese Straftatbestände beruhen auf genuinen Generalgeboten zur Herstellung bestimmter institutionell geschuldeter Grundlebensverhältnisse für gewisse Schützlinge. Die daraus resultierenden Verhaltenspflichten sind also tatsächlich Pflichten zum partiellen „Aufbau einer gemeinsamen Welt“3577, d. h. umfassende Solidaritätsgarantiepflichten von normativ-indifferenter Natur (Unterhaltsbzw. Erziehungspflicht). Anderes gilt für Pflichtdelikte im rein strafrechtlichen Sinne wie die §§ 266 I Alt. 2, 325. Hier hat der Gesetzgeber die Beschaffenheit des den Rechtsgutsbezug konkret vermittelnden Handlungsunrechts als quantité négligeable angesehen und daher unterschiedslos jedes treue- bzw. verwaltungspflichtwidrige Außenhandlungsunrecht inkriminiert.3578 Dementsprechend kann man etwa seine Vermögensbetreuungspflicht i.S.d. § 266 Alt. 2 auch dadurch verletzen, dass man dolose Außenstehende mit vermögensschädigenden Maßnahmen beauftragt.3579 Darin liegt 3574

So zutr. Bottke, Täterschaft, 121. s. ausführlich zum Ganzen oben, S. 194 f. 3576 So zutr. etwa Herzberg, Unterlassung, 51 ff.; Bloy, Beteiligungsform, 230. 3577 Begrifflichkeit nach Sánchez-Vera, Pflichtdelikt, 89. 3578 s. dazu nur Herzberg, Unterlassung, 51 ff.; Bloy, Beteiligungsform, 230; Kindhäuser, in: NK, § 266 Rn. 64, 127. 3579 In der Sache ebenso Roxin, TuT, 360, der allerdings der phänomenalen Gestalthaftigkeit nach mittelbare Täterschaft annehmen will. Letzteres ist jedoch schon im Ansatz schief, da 3575

D. Delikte mit einer Willenserklärung als Tatbestandshandlung

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zwar kein täterschaftliches Handlungsunrecht i.S.d. allgemeinen Verhaltensunrechtsdogmatik. Doch interessiert das sub specie § 266 I Alt. 2 nicht, da dieser Tatbestand für die Intranentäterschaft jede treuepflichtverletzende Schadensverursachung genügen lässt.3580 Entsprechendes gilt – cum grano salis – für den Tatbestand der Luftverunreinigung (§ 325). Dieser ist nach zutreffender Ansicht als „janusköpfiges“ Sonder- und Allgemeindelikt3581 zu klassifizieren, da die tatbestandlich apostrophierten Verwaltungsrechtspflichten sowohl als spezielle Sonderpflichten des Anlagenbetreibers als auch als allgemeine Jedermannspflichten figurieren können.3582 Jedenfalls aber statuiert § 325 ein Pflichtdelikt, denn inkriminiert wird jede verwaltungspflichtwidrige Verursachung gefahrenträchtiger Luftverunreinigungen beim Anlagenbetrieb.3583 Auch hier kommt es also nicht auf die Beschaffenheit des zur gefahrenträchtigen Luftverunreinigung führenden Handlungsunrechts an, sondern allein darauf, dass verwaltungspflichtwidrig eine gefahrenträchtige Luftverunreinigung i.S.d. § 325 bewirkt wird.3584 Zusammenfassend lässt sich somit für alle als Pflichtdelikte gefassten Straftatbestände konstatieren: Für Täterschaft genügt hier jeder pflichtverletzende Verletzungsbeitrag.

D. Delikte mit einer Willenserklärung als Tatbestandshandlung Überdies existieren im StGB auch Delikte, die genuine Willenserklärungen als Handlungsmerkmale vertatbestandlichen. Hierzu zählen im Allgemeindeliktsbereich etwa die Beleidigung (§ 185) oder die Nötigung bzw. Erpressung in der Alternative der „Drohung mit einem empfindlichen Übel“ (§§ 240 I Alt. 2, 253 I Alt. 2). mittelbare Täterschaft nicht bloß phänomenologische „Performance“ ist, sondern ein materialer Handlungsunrechtstypus. Auf die Qualität des konkreten Außenhandlungsunrechts kommt es aber bei Pflichtdelikten wie § 266 I Alt. 2 gerade nicht an, weshalb hier jedwede Intranenbeteiligung unmittelbare Täterschaft begründet. 3580 Das gilt konsequenterweise auch für treuepflichtwidrige Unterlassungen, so dass sub specie § 266 nicht erst noch auf § 13 rekurriert werden muss (str.; wie hier etwa Perron, in: Schönke/Schröder, § 266 Rn. 35, m.w.N. auch zur Gegenansicht). 3581 Witteck, Betreiber, 206, bezeichnet § 325 als „,janusköpfiges‘ Pflicht- und Herrschaftsdelikt“ (begrifflich zust. Heine/Hecker, in: Schönke/Schröder, § 325 Rn. 29). Das ist zumindest missverständlich, denn § 325 ist in toto (reines) Pflichtdelikt, nur mit der Besonderheit, dass die verwaltungsrechtlichen Pflichten, deren Verletzung die Tatbestandshandlug ausmacht, hier auch als Jedermannspflichten figurieren können. 3582 So zutr. Heine/Hecker, in: Schönke/Schröder, § 325 Rn. 29. 3583 Bedeutsam wird dies im Falle des Betriebsinhabers und/oder -leiters, der seine verwaltungsrechtlichen Pflichten durch die Delegation von Tätigkeiten verletzt, die potentiell umweltschädliche Luftveränderungen nach sich ziehen (s. dazu nur Witteck, Betreiber, 205 ff.; Heine/Hecker, in: Schönke/Schröder, § 325 Rn. 29). 3584 So statt vieler etwa Heine/Hecker, in: Schönke/Schröder, § 325 Rn. 19.

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6. Kap.: Die Ausarbeitung der Deliktsgruppen im Einzelnen

Beispiele aus dem Sonderdeliktsbereich bilden dagegen etwa die Vorteilsannahme (§ 331) und die Bestechlichkeit (§ 332), jeweils in den Varianten des „Forderns“ (Alt. 1) und des „Sich-Versprechen-Lassens“ (Alt. 2). All diese Handlungsmerkmale verwirklicht nur der Erklärungsherr bzw. derjenige, dem der unwertige Erklärungstatbestand nach allgemeinrechtlichen Grundsätzen als seine Willenserklärung zurechenbar ist.3585 Demnach gelten hier in erster Linie die (ungeschriebenen) zivilrechtlichen Regeln der (Übermittlungs-)Botenschaft, die den Handlungstypus des § 25 I Alt. 1 deliktstypisch konkretisieren. Beispielhaft aufgelöst bedeutet das Folgendes: Wer seine Sekretärin beauftragt, einen beleidigenden Brief nach Diktat abzufassen und zur Post aufzugeben, dem ist der beleidigende Inhalt des Briefs als seine Willenserklärung zurechenbar;3586 wer einen Erpresserbrief von einem anderen anfertigen und/oder austragen lässt, der steht als Erklärungsherr hinter dem nötigenden Inhalt;3587 der Amtsträger, der seine auf Vorteilsforderung oder auf Annahme eines Vorteilsversprechens gerichtete Willenserklärung von einem anderen übermitteln lässt, begeht eine Vorteilsannahme.3588 Im Falle der §§ 331 f. kann sogar u. U. eine täterschaftliche Zurechnung nach den zivilrechtlichen Grundsätzen der offenen Stellvertretung sub specie § 25 I Alt. 23589 erfolgen: Autorisiert etwa ein Amtsträger einen Mittelsmann, die Lukrativität eines Vorteilsversprechens für ihn zu prüfen und eigenverantwortlich über dessen Annahme zu entscheiden, so begeht er eine Vorteilsannahme in mittelbarer Täterschaft, wenn der Mittelsmann das Vorteilsversprechen in seinem Namen annimmt (= Annahmeerklärung „durch“ den anderen als Vertreter).3590 Die Grundsätze der (offenen) Stellvertretung können jedoch nur nur dort herangezogen werden, wo es für das im objektiven Willenserklärungstatbestand ausgedrückte Unrecht gerade auf die Person des Vertretenen ankommt (Rechtsgedanke des § 166 II BGB). Figuriert die tatbestandlich inkriminierte Willenserklärung dagegen als allgemeines Handlungsmerkmal, so ist Täter allein derjenige, der den betreffenden Erklärungstatbestand als 3585

So in der Sache schon Kern, Äußerungsdelikte, 49 f. Vgl. die gleichgelagerten Beispiele bei Kern, Äußerungsdelikte, 49 f. 3587 s. auch dazu bereits Kern, Äußerungsdelikte, 49. 3588 Instruktiv und umfassend zum Ganzen Geisler, Korruptionsstrafrecht, 227 ff. 3589 § 25 I Alt. 2 trägt hier dem Umstand Rechnung, dass es zivilrechtlich möglich ist, einen anderen im Rechtsverkehr verbindliche Erklärungen für sich abgeben zu lassen und also „durch“ ihn zu erklären. 3590 Generell gegen eine Übertragbarkeit der §§ 164 ff. BGB auf die Korruptionsdelikte allerdings Geisler (Korruptionsstrafrecht, 233 f.). Sie ist der Ansicht, eine solche Übertragung führe zu einem Auseinanderfallen von korruptiver Tathandlung und tatbestandlich inkriminierter Unrechtsvereinbarung (a.a.O., 234). Dem ist jedoch zu widersprechen, denn selbstverständlich ist ein unmittelbares Ansetzen zum Sich-Versprechen-Lassen eines Vorteils auch dann gegeben, wenn der Intraneus einen von ihm autorisierten Mittelsmann aussendet, um ein Vorteilsangebot für ihn zu prüfen und eigenverantwortlich über dessen Annahme zu entscheiden: Der Intraneus selbst betätigt einen auf Annahme des Vorteilsangebots „durch“ den Mittelsmann gerichteten Tatentschluss, der bloß noch äußerlich bedingt ist durch die Imponderabilie, ob das Angebot den Mittelsmann überzeugen wird (s. allgemein zu derart bedingten Entschlüssen nur Roxin, AT/II, § 29 Rn. 84). 3586

E. Eigenhändige Delikte

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eigene Willenserklärung setzt, gleichviel, ob er dies in eigenem oder fremdem Namen tut. Entsendet also etwa ein Gangsterboss seine Handlanger, um für ihn „säumige“ Schutzgeldbeträge durch verbale Einschüchterung einzutreiben, so droht nicht etwa der auftraggebende Gangsterboss „durch“ die Handlanger, sondern es drohen die Handlanger in eigener Person. Der Boss ist „nur“ Anstifter zur (räuberischen) Erpressung (§§ 253, 255, 26). Die Zurechnung nach den für Willenserklärungen geltenden Rechtsmaßstäben kann zu Folgefragen führen, die hier kurz illustriert seien: Möglich erscheint zunächst ein Missbrauch der Botenmacht. Dazu folgendes Beispiel: Gangsterboss G trägt seinem Handlanger H auf, dem das Schutzgeld verweigernden V auszurichten, dass er, der G, „ein paar Profis schicken“ müsse, falls V nicht bald zahle. H, der das Heft des Handelns selbst in die Hand nehmen will, droht dem V für den Fall der Nichtzahlung eigenmächtig Prügel an. – Dass der H hier in eigener Person nötigt, steht außer Frage. G dagegen will zwar ebenfalls in eigener Person nötigen, wird jedoch durch das „Aufschwingen“ des H zum Erklärungsherrn hieran gehindert. Ihm kann daher lediglich der Versuch einer räuberischen Erpressung angelastet werden (§§ 253, 255, 12 I, 22, 23 I). Eine gleichzeitige Anstiftung zu der von H begangenen Nötigung ist nicht gegeben, da G gerade nicht von einer Nötigungshandlung in der Person des H ausging. Denkbar wäre umgekehrt auch der Fall, dass jemand beim Drohungsempfänger als „Scheinbote“ eines anderen auftritt, also bloß vorgibt, eine fremde Willenserklärung zu übermitteln (Bsp.: „Der X schickt mich, um Dir ausrichten, dass er ernst machen wird, wenn ich ihm das Geld nicht mitbringe!“). Hier begeht der Scheinbote solange keine tatbestandliche Drohung, wie er selbst keine Übelszufügung in Aussicht stellt, denn solange handelt es sich noch um eine bloße (täuschende) „Warnung“.3591 Das rechtsrelevante Umsetzen des Handlungsprogramms liegt bei der Einplanung von Mittelsleuten in dem Augenblick, da der Erklärungsherr (bzw. ausnahmsweise der Vertretene) die nach seiner Vorstellung letzte Handlung in Richtung der Erklärungsentäußerung vornimmt: Das Diktat des Beleidigungsbriefs wird der Sekretärin zur Niederschrift und umgehenden Postaufgabe überspielt, der Brief mit dem erpresserischen Inhalt wird an den Boten ausgehändigt, der Handlanger wird zur Überbringung der eigenen Drohung losgeschickt usw.

E. Eigenhändige Delikte I. Einführung Bereits mehrfach angeschnitten wurde auch der Straftattypus der eigenhändigen Delikte. Dabei handelt es sich um Straftatbestände, deren Handlungsbeschreibung 3591 Zu denken wäre hier allerdings an einen (versuchten) Betrug (§ 263) zulasten des getäuschten Schuldners.

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6. Kap.: Die Ausarbeitung der Deliktsgruppen im Einzelnen

die eigenhändige Ausführung eines bestimmten unwertigen Aktes verlangt. Dass die lex lata solche eigenhändigen Delikte kennt, ist auch heute noch nahezu einhellig anerkannt.3592 Liest man Tatbestandsbeschreibungen wie etwa diejenige des § 316, so wird man die Existenz eigenhändiger Straftaten auch kaum ernstlich bestreiten können: Nach dem klaren Wortlaut der Vorschrift ist bei der Trunkenheit im Verkehr „(…) die Täterverantwortlichkeit an das kumulative Zusammentreffen von Fahrereigenschaft und Fahruntauglichkeit gebunden“3593 ; Täter einer Trunkenheitsfahrt kann also nur sein, wer das Fahrzeug in eigener Person fahruntüchtig führt.3594 Damit zwingt der Wortlaut zumindest einzelner Tatbestände zu der Einsicht, dass de lege lata eigenhändige Delikte existieren. Darin liegt der Erkenntnisgewinn der sog. „Wortlauttheorie“3595, wonach der Eigenhändigkeitscharakter einer Straftat wesentlich von der Tatbestandsfassung durch den Gesetzgeber abhängen soll.3596 Entgegen dieser Auffassung kann allerdings der Wortlaut keineswegs zum Alleinkriterium der Eigenhändigkeitsbestimmung erhoben werden. Das folgt schon daraus, dass die Wortlautexegese ohne Vorgabe übergreifender teleologischer Direktiven vom subjektiven Sprachempfinden des Rechtsanwenders abhängt.3597 Darüber hinaus ist anzumerken, dass der Gesetzgeber das Mittel der sprachlichen Plastizität üblicherweise nicht zur Regelung beteiligungsrechtlicher Detailfragen einsetzt, sondern schlicht zur strafgesetzlichen Tatbestandskonturierung.3598 Das gilt auch dann, wenn der Tatbestand nicht „neutral“ erfolgsbezogen formuliert ist (wie z. B. bei den Erfolgsdelikten der §§ 212, 303), sondern eine konkrete Tätigkeit beschreibt (wie etwa bei den Tätigkeitsdelikten der §§ 123, 132, 154, 173, 174, 176). Die pauschale Behauptung, bei derartigen Delikten stehe der Handlungsunwert im Vordergrund, der aber nur in eigener Person gesetzt werden könne („Körperbewegungstheorie“),3599 führt schon deshalb nicht weiter, weil auch die komplexen Einwirkungshandlungen der § 25 I Alt. 2, II genuine Handlungsunrechtstypen sind.3600 Davon abgesehen dienen aber auch die meisten schlichten Tätigkeitsdelikte der 3592

s. statt vieler etwa nur Langrock, Delikt, 33; gegen die Existenz eigenhändiger Delikte aber etwa Frühauf, Delikte, 55 ff.; Puppe, ZStW 120 (2008), 504 (514 ff.); dies., in: NK, §§ 28, 29 Rn. 75; Gerhold/Kuhne, ZStW 124 (2012), 943 (958 ff. [988 ff.]). 3593 So zutr. Wohlers, SchwZStr 116 (1998), 95 (110). 3594 s. instruktiv dazu Langrock, Delikt, 80, 85. 3595 Die Bezeichnung geht auf Frühauf (Delikte, 116) zurück. 3596 So zuletzt Schall, JuS 1979, 104 (108 f.); weitere Nachweise aus der älteren Literatur und Rechtsprechung finden sich bei Langrock, Delikt, 37, Fn. 131, 133. 3597 So schon Frühauf, Delikte, 130. 3598 So zutr. Langrock, Delikt, 38; ähnlich schon Auerbach, Delikte, 29; Roxin, TuT, 404. 3599 So etwa Beling, Lehre, 203 ff., 225 f., 234 ff.; Engelsing, Abhandlungen 212 (1926), 1 (42, 50); Welzel, Strafrecht, § 15 III (106 f.); Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 55. 3600 s. zum letztgenannten Aspekt nochmals eingehend Schild, in: NK, § 25 Rn. 2 ff. – Roxin, der die komplexen Täterschaftsformen primär als Zurechnungstypen ansieht, argumentiert umgekehrt: Seit Anerkennung der mittelbaren Täterschaft könne es für die täterschaftliche Zurechnung nicht mehr auf die gesetzliche Fassung des tatherrschaftlich verwirklichten Merkmals ankommen (AT/II, § 25 Rn. 292 m. 290).

E. Eigenhändige Delikte

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Verhinderung bestimmter Erfolge, die durch komplexe Einwirkungshandlungen ebenso gut bewirkt werden können wie durch eigenhändige Ausführung. So dient etwa das dem Hausfriedensbruch (§ 123) zugrunde liegende Verbot des unbefugten Eindringens der Vermeidung von Hausrechtsverletzungen. Eine solche Hausrechtsverletzung begeht aber z. B. auch derjenige, der „durch“ einen Ahnungslosen in die fremde Schutzsphäre eindringt.3601 Überhaupt gibt die Orientierung an der vordergründigen Plastizität der Tatbestandsformulierung auch keinerlei Aufschluss darüber, warum jeweils Eigenhändigkeit vorgesehen sein soll. Zu Recht hat daher Herzberg3602 postuliert, „(…) es müßten sich die verstreuten, heterogenen Tatbestände, an denen unbefangene Betrachtung die Eigenhändigkeitsbegrenzung wahrnimmt, zurückführen lassen auf wenige Prinzipien, und zwar solche materialer und teleologischer Art“.

Ob solche Prinzipien auffindbar und wie sie bejahendenfalls beschaffen sind, wird in der einschlägigen Literatur kontrovers diskutiert. Dem soll hier noch im Einzelnen nachgegangen werden. Zuvor muss allerdings der rechtstatsächliche Begriffsrahmen von „Eigenhändigkeit“ abgesteckt werden.

II. Begrifflichkeit Wie schon gesagt, versteht man unter eigenhändigen Delikten herkömmlich solche Tatbestände, die die höchstpersönliche Vornahme eines bestimmten unwertigen Aktes verlangen. Hierher werden üblicherweise undifferenziert auch Tatbestände wie die Unfallflucht (142c), der Vollrausch (323a) oder die Fahnenflucht (§ 16 WStG) gerechnet.3603 Das ist jedoch so nicht ganz richtig, denn derartige Delikte vertatbestandlichen in der Sache die Herbeiführung eines bestimmten Handlungseffekts an der eigenen Person und erfassen daher auch komplexe selbstreflexive Handlungen.3604 So ist es etwa für die Unfallflucht (§ 142) gleichgültig, ob der Unfallbeteiligte sich eigenhändig vom Unfallort entfernt oder sich von einem Dritten fortbringen lässt.3605 Auch für den Vollrausch (§ 323a) macht es keinerlei Unterschied, ob der Täter sich das Rauschmittel konkret selbst verabreicht oder es sich von einem Dritten applizieren lässt.3606 Von einer Eigenhändigkeit lässt sich daher bei 3601 So zutr. Roxin, TuT, 407; ders., AT/II, § 25 Rn. 292 f. (zur entsprechenden Analyse weiterer Beispieltatbestände [§§ 132, 316] s. ebenda, Rn. 294 f.); a.A. insofern Herzberg, ZStW 82 (1970), 896 (927 ff.); s. zum Ganzen noch unten, VI. 3602 In: ZStW 82 (1970), 896, (914), unter Berufung auf Roxin, TuT, 402. 3603 s. statt vieler etwa nur Wessels/Beulke/Satzger, AT Rn. 55 f.; Joecks, in: MK, § 25 Rn. 50. 3604 So in der Sache bereits Herzberg, ZStW 82 (1970), 896 (921 ff.); pointiert jetzt auch Langrock, Delikt, 87 f. 3605 So zutr. Langrock, Delikt, 87 f. 3606 Langrock, Delikt, 88; ebenso schon Herzberg, ZStW 82 (1970), 896 (922).

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6. Kap.: Die Ausarbeitung der Deliktsgruppen im Einzelnen

solchen Delikten nur insofern sprechen, als die Tatbestandshandlung hier „täterreflexiv“3607 formuliert ist, der Handlungseffekt also ausschließlich an der eigenen Person herbeigeführt werden kann. Unter diesem Aspekt ist die Rede von der Eigenhändigkeit aber auch durchaus sinnvoll, denn durch die Subjektreflexivität wird immerhin zum Ausdruck gebracht, dass „(…) eine andere Person als der taugliche Täter nicht Objekt der Tathandlung sein kann“3608. Folgt man dem3609, so umfasst der Rechtsbegriff der Eigenhändigkeit i.w.S. einerseits die aktbezogene Eigenhändigkeit (Bsp.: §§ 153 ff., 172 f., 183, 315c, 316) und andererseits die subjektreflexive Eigenhändigkeit (Bsp.: §§ 142c, 174 I Alt. 2, 323a StGB, §§ 15, 16, 17 I Alt. 1 WStG).3610

III. Die Existenz tatbestandsübergreifender Kriterien zur Erklärung eigenhändiger Tatbestandsausgestaltung Zu klären bleibt, ob und wenn ja welche Leitprinzipien der Eigenhändigkeit zugrunde liegen. Diejenigen Autoren, die sich zuerst intensiv mit dieser Frage befasst haben – es sind dies Roxin3611 und Herzberg3612 –, gehen im Ansatz übereinstimmend davon aus, dass übergreifende ontologische und teleologische Kriterien zur Bestimmung der Eigenhändigkeit existieren.3613 Dem hat Schall entgegengehalten, dass die Suche nach allgemeingültigen Kriterien der Eigenhändigkeitsbestimmung bisher unergiebig verlaufen sei, wie letztlich auch die ungleiche Kategorienbildung bei Roxin und Herzberg belege. Angesichts dessen bleibe nichts anderes übrig, als den Eigenhändigkeitscharakter eines Delikts auf die einschränkende Tatbestandsfassung durch den Gesetzgeber zurückzuführen.3614 Danach sei ein eigenhändiges Delikt immer dann anzunehmen, wenn die Auslegung des Straftatbestandes ergebe, dass hier nach der legislatorischen Entscheidung das jeweilige Rechtsgut nur gegen die vom Täter selbst vorgenommene Verletzung geschützt werden solle.3615 Mithin betrachtet Schall „(…) die Eigenhändigkeit als ein Phänomen des fragmentarischen Charakters des Strafrechts“3616. 3607

So die treffende Bezeichnung bei Langrock, Delikt, 87. So zutr. Langrock, Delikt, 88; in der Sache ebenso bereits Herzberg, ZStW 82 (1970), 896 (922 f.). 3609 Zweifelnd wohl Roxin, TuT, 798. 3610 In der Sache ebenso Langrock, Delikt, 82 ff., 87 ff., der von „Exklusionsdelikten“ (= aktbezogene Eigenhändigkeit) einerseits und „Implikationsdelikten“ (= subjektreflexive Eigenhändigkeit) andererseits spricht. 3611 In: TuT, 399 ff. 3612 In: ZStW 82 (1970), 896 ff. 3613 Roxin, TuT, 402; Herzberg, ZStW 82 (1970), 896 (914). 3614 Schall, JuS 1979, 104 (108). 3615 Schall, JuS 1979, 104 (108 f.). 3616 So pointiert Langrock, Delikt, 59. 3608

E. Eigenhändige Delikte

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Diese Sichtweise ist schon im Ansatz problematisch. Sie macht aus einer angeblichen rechtsdogmatischen Erklärungsnot kurzerhand eine gesetzgeberische „Tugend“ und verschiebt das Problem dadurch an einen Ort, an dem es streng genommen nicht mehr gelöst werden kann, denn: Wenn allgemeingültige Kriterien der Eigenhändigkeit angeblich fehlen, woran soll sich dann eine verfassungsgemäße Selbstbeschränkung des Gesetzgebers orientieren?3617 Selbst wenn man also die Eigenhändigkeit als Symptom des fragmentarischen Strafrechts verstanden wissen wollte, bliebe doch immer noch darzutun, warum der Strafgesetzgeber im Regelungsbereich bestimmter Tatbestände primär nur die eigenhändige Rechtsgutsverletzung als sozialschädlich angesehen hat.3618 Der lapidare Hinweis, die eigenhändige Ausführung verkörpere hier den typischen Normalfall der Straftat so sehr, dass komplexe Einwirkungsakte als praktisch irrelevant vernachlässigt werden könnten,3619 ersetzt eine solche materiale Erklärung nicht.3620 Davon abgesehen kennt das StGB auch Tatbestände, bei denen die praktische Rarität komplexer Einwirkungshandlungen nicht zur Ausgestaltung als eigenhändiges Delikt geführt hat (so etwa beim Hausfriedensbruch [§ 123]3621). Will man also dem Strafgesetzgeber nicht kurzerhand eine arbiträre Selbstbeschränkung unterstellen, so kommt man nicht umhin, nach allgemeinen Systemvorgaben für die Tatbestandsbeschränkung zu fragen.3622

IV. Die Leitprinzipien der Eigenhändigkeit im Einzelnen Erklärungsbedürftig bleibt also, warum der Strafgesetzgeber manche Tatbestände als eigenhändige Delikte ausgestaltet hat, andere hingegen nicht. 1. Sachlogisch vorgegebene Eigenhändigkeit Natürlicher Anknüpfungspunkt dieser Analyse muss zunächst die Frage nach der Beschaffenheit des kriminellen Verhaltens sein, das nach (zunächst unterstellter) Ansicht des Gesetzgebers nur eigenhändig begehbar sein soll. Diesbezüglich sind sowohl Roxin3623 als auch Herzberg3624 zu der Einsicht gelangt, dass Straftaten 3617

Krit. zum gedanklichen Ansatz Schalls auch Langrock, Delikt, 59 f. So zutr. Haft, JA 1979, 651 (654). 3619 So Schall, JuS 1979, 104 (109 m. Fn. 61 u. 66), im Anschluss an Herzberg, ZStW 82 (1970), 896 (947). 3620 So zutr. Haft, JA 1979, 651 (654). 3621 Der Hausfriedensbruch ist nach wohl h.L. ein nicht-eigenhändiges Delikt (s. statt vieler nur Roxin, AT/II, § 25 Rn. 293); auch Schall selbst (JuS 1979, 104 [108]) sieht ihn als fremdhändig begehbar an. 3622 s. auch Roxin, TuT, 799, der klarstellt, dass die eigenhändigen Delikte keineswegs bloße Zufallserscheinungen seien. 3623 TuT, 410 ff. 3618

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6. Kap.: Die Ausarbeitung der Deliktsgruppen im Einzelnen

existieren, deren Eigenhändigkeitscharakter ontologisch bedingt ist. Dem ist rundheraus ablehnend Haft3625 entgegengetreten, mit dem Argument, es existiere kein eigenhändiges Delikt, das nicht strukturell auch in mittelbarer Täterschaft begangen werden könne. In der Tat trifft es zu, dass Eigenhändigkeit nicht handlungsstrukturell begründet werden kann. Daraus allein kann jedoch noch nicht gefolgert werden, dass es eine sachlogisch bedingte Eigenhändigkeit nicht geben könne. Nimmt man etwa das „Fleischesdelikt“ des Verwandtenbeischlafs (§ 173), so wird man bei näherem Hinsehen kaum bestreiten können, dass der prägende Wesenszug des Unrechts hier nicht im äußeren Erfolg des Sexualverkehrs zwischen Verwandten liegt, sondern in der schockierenden persönlichen Degenereszenz, die das mit dem Aktvollzug konnotierte persönliche Gefühlserlebnis objektiv ausdrückt.3626 Daher kann man zwar den Verwandtenbeischlaf durch Nötigung erzwingen oder durch Täuschung initiieren, was aber nichts daran ändert, dass einem das unwertbegründende körperliche Gefühlserlebnis – und damit das personale Unrecht – verschlossen bleibt.3627 Obwohl also der Verwandtenbeischlaf strukturell gesehen mittelbar „begangen“ werden kann, beruht er dennoch auf einer sachlogischen Eigenhändigkeitsvorgabe. Demnach hat Haft also unrecht, wenn er aus der Irreduzibilität der (sozial-)ontologischen Handlungsstruktur schließt, dass Eigenhändigkeit zwingend ein Phänomen des fragmentarischen Strafrechts sei. Zutreffend ist dagegen Hafts3628 Hinweis auf die „(…) Konnexität von Eigenhändigkeit und problematischer Rechtsgutsbestimmung (…)“3629. Sie ist etwa auch beim Beispieltatbestand des Verwandtenbeischlafs gegeben, dem nach zutreffender Ansicht kein veritables Rechtsgut zugeordnet werden kann.3630 Daraus darf aber nicht vorschnell gefolgert werden, Eigenhändigkeit sei ein bloß formales Korrektiv zur Kompensation diffuser Rechtsguts- oder Pflichtenvorstellungen.3631 Diese Logik kann schon deshalb nicht überzeugen, weil selbst die plastischste Handlungsbeschreibung das tatsächliche Fehlen eines schützenswerten sozialen Zustandes nicht zu kompensieren vermöchte.3632 Richtigerweise wird man daher bei Delikten wie dem Verwandtenbeischlaf (§ 173) oder dem Exhibitionismus (§ 183) davon ausge3624

ZStW 82 (1970), 896 (929 ff.). JA 1979, 651 (653 ff.). 3626 So zutr. Jakobs, AT, 2/19 f., 21/19; ähnlich Herzberg, ZStW 82 (1970), 896, 931 („Selbstbefleckung“); Roxin, TuT, 413 f. („Unmoral“). 3627 Ähnlich bereits Jakobs, AT, 21/19: Bei den Fleischesdelikten bilde allein die körperliche Vornahme eines verwerflichen Akts das Unrecht, „(…) weil der Akt Indikator der fehlerhaften Haltung zu höchstpersönlichen (…) Tabus ist.“. 3628 JA, 1979, 651 (654 ff.), nach entsprechenden Vorüberlegungen bei Roxin, TuT, 411, 412 ff. 3629 So die treffende Formulierung von Hafts Kernaussage bei Langrock, Delikt, 67. 3630 s. nur die Kurzdarstellung bei Haft, JA 1979, 651 (655). 3631 So aber Haft, JA 1979, 650 (654 ff.). 3632 Vgl. dazu Jakobs, AT, 2/21. 3625

E. Eigenhändige Delikte

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hen müssen, dass die zugrunde liegenden Verbote ausnahmsweise „(…) ohne Vermittlung über den Schutz von Gütern direkt den sozialen Frieden schützen sollen (…)“3633. Demnach geht es in den §§ 173, 183 nicht darum, einen nebulösen Rechtsgutsbezug des verbotenen Verhaltens durch eine einschränkende Straftatbestandsfassung zu kompensieren, sondern vielmehr darum, ein bestimmtes friedensstörenden Verhalten schon allein seiner „desorientierenden Wirkungen wegen“3634 zu verbieten und mit Strafe zu bewehren. Nach alledem kann ein Grund für die Fassung eines Tatbestandes als eigenhändiges Delikt in der sachlogischen Vorgabe von Eigenhändigkeit liegen. In diese Kategorie fällt auch der Tatbestand der Zuhälterei (§ 181a), der als „täterstrafrechtliches Delikt“ eine bestimmte habituelle Lebensführung und damit einen „Persönlichkeitstyp“ inkriminiert, der nicht durch einen anderen stellvertretend gelebt werden kann.3635 2. Allgemeinrechtlich vorgegebene Eigenhändigkeit Das legislatorische Tatbestandsgestaltungs-Ermessen kann jedoch auch durch eine allgemeinrechtliche Eigenhändigkeitsvorgabe eingeschränkt sein, wie es etwa bei den Tatbeständen der §§ 153 ff., 172, 315c, 316, 142c StGB, 16 WStG der Fall ist. Trifft etwa die Pflicht, bei Gericht wahrheitsgemäß auszusagen, ausschließlich den Zeugen und ist diese Pflicht verfahrensrechtlich als eigenhändige ausgestaltet, so kann für den Gegenstand des Falschaussageverbots (§ 153) nichts anderes gelten.3636 Mithin vertatbestandlicht § 153 die eigenhändige zeugenschaftliche Falschaussage und ist nicht – wie es ja prinzipiell durchaus möglich wäre3637 – als fremdhändiges Allgemeindelikt ausgestaltet. Entsprechendes gilt für die verkehrsinternen Straßenverkehrsdelikte der §§ 315c, 316, die in der Sache die (qualifizierte) Verletzung allgemeiner straßenverkehrsordnungsrechtlicher Verhaltenspflichten pönalisieren. Diese Pflichten, etwa die Pflicht zur Sicherstellung der eigenen Fahrtüchtigkeit (Ausfluss aus § 1 II StVO), zur Beachtung der Vorfahrt (§ 8 StVO) oder zur Einhaltung der Überholvorschriften (§ 5 StVO), regeln als praktische Ordnungsnormen der alltäglichen Straßenverkehrsteilnahme ausschließlich das eigenhändige Fahrverhalten. Folglich untersagen auch die korrelativen Verbote der Vorfahrtsmissachtung, des Falschüberholens oder der 3633

So zutr. Jakobs, AT 2/19. Jakobs, AT 2/20. 3635 So zutr. Roxin, TuT, 410 ff., von dem auch die im Text zitierten Begrifflichkeiten stammen. 3636 Diese „verfahrensrechtsabhängige Eigenhändigkeit“ der Aussagedelikte hat zuerst Herzberg (ZStW 82 [1970], 896 [943 ff.]) herausgearbeitet. Dabei hat er jedoch übersehen, dass das Verfahrensrecht nur einer von vielen Teilbereichen der Rechtsordnung ist, die eine Höchstpersönlichkeit des Pflichtgegenstandes allgemeinrechtlich vorgeben können (vgl. dazu auch Langrock, Delikt, 58). 3637 So zutr. Langrock, Delikt, 90. 3634

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6. Kap.: Die Ausarbeitung der Deliktsgruppen im Einzelnen

Alkoholfahrt allein das eigenhändige straßenverkehrsordnungswidrige Fahrverhalten, so dass die Straßenverkehrsdelikte der §§ 315c, 316 als Delikte mit allgemeinrechtlicher Eigenhändigkeitsvorgabe figurieren. Allgemeinrechtlich vorgezeichnet ist die Eigenhändigkeit ferner auch bei solchen Straftatbeständen, die den handlungsmäßigen Verstoß gegen eine bestimmte höchstpersönliche Präsenzpflicht inkriminieren. So ist etwa die deliktsrechtliche Pflicht des Unfallbeteiligten, zur Schadensregulierung beizutragen, aus praktischen Gründen als höchstpersönliche Präsenzpflicht am Unfallort ausgestaltet, weshalb auch das korrelative Verbot der Unfallflucht (§ 142c) ausschließlich die höchstpersönliche Entfernung vom Unfallort untersagt. Auch die allgemeine soldatische Wehrdienstpflicht ist aus praktischen Gründen als höchstpersönliche Präsenzpflicht ausgestaltet, so dass das strafbewehrte Verbot der Fahnenflucht (§ 16 WStG) ausschließlich das höchstpersönliche Entfernen oder Fernbleiben von der Truppe oder Dienststelle erfasst.3638 Nach alledem liegt die eigenhändige Ausgestaltung der Aussagedelikte, der verkehrsinternen Straßenverkehrsdelikte sowie der Präsenzpflichtdelikte in der Einheit der Rechtsordnung begründet (allgemeines Verfahrensrecht, allgemeines Verkehrsordnungsrecht, allgemeines Wehrpflichtrecht). Damit ist freilich das Problem der Zweckdisparität aufgeworfen, da diejenigen Bereiche der Rechtsordnung, die die eigenhändige Verbotsfassung vorgeben, andere Zwecke verfolgen als den unmittelbaren Rechtsgüterschutz. So dient etwa die höchstpersönliche Ausgestaltung der zeugenschaftlichen Aussagepflicht vornehmlich dazu, dem Zeugen seine exponierte Funktion für den Verfahrensausgang klarzumachen und der erkennenden Stelle eine Glaubwürdigkeitsprüfung zu ermöglichen, wohingegen das Falschaussageverbot den Schutz der – auch indirekt angreifbaren – Rechtspflege bezweckt. Ganz entsprechend wollen die straßenverkehrsrechtlichen Ordnungsnormen der StVO in erster Linie die praktischen Rechte und Pflichten von Fahrzeugführern im alltäglichen Straßenverkehr festlegen, wohingegen die konkreten Verbote der Straßenverkehrsgefährdung und der Trunkenheitsfahrt dem Schutz der Rechtsgüter anderer Verkehrsteilnehmer dienen, die auch indirekt gefährdet werden können. Die höchstpersönlichen Präsenzpflichten, die zur Tatbestandsfassung der §§ 142c StGB, 16 WStG geführt haben, beruhen schlicht darauf, dass die allgemeinrechtlich geforderte Leistung (= Treffen der nach § 34 I Nr. 5 StVO erforderlichen Angaben bzw. Wehrdienstleistung) praktisch sinnvoll nur durch höchstpersönliche Präsenz erbracht werden kann; demgegenüber dienen die konkreten Verbote der Unfall- bzw. Fahnenflucht dem Schutz von Rechtsgütern (= zivilrechtliche Feststellungsinteressen anderer Unfallbeteiligter bzw. allgemeine Wehrkraft), die auch indirekt beeinträchtigt werden können. 3638 Das ist weder im Falle der Fahnenflucht noch im Falle der Unfallflucht selbstverständlich! Fehlte es an einer allgemeinen Pflichtgegenstandsvorgabe, so könnten die strafbewehrten Verbotsnormen durchaus auch anders lauten (vgl. im Hinblick auf die Fahnenflucht zutr. schon Herzberg, ZStW 82 [1970], 896 [912]).

E. Eigenhändige Delikte

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Die kriminalpolitische Problematik dieser normativen Zweckverschiedenheit wirkt sich vornehmlich bereits in der „subjektbezogene[n] Täterschaftskonkretisierung“3639 (auf den Zeugen, Fahrzeugführer, Soldaten) aus, die der Eigenhändigkeitsfrage (persönliche Aussage, Fahrzeugsteuerung, Präsenz) logisch vorausgeht.3640 Aufgrund der allgemeinrechtlich vorgegebenen Täterkonkretisierung können Externe von vornherein keine verbotsgegenständlichen Rechtsgutsangriffe unternehmen, mit der Folge, dass im Hauptstrafrecht die Veranlassung einer unvorsätzlichen Falschaussage, Verkehrsgefährdung oder Trunkenheitsfahrt tatbestandlich unerfasst bleiben muss. Das ist insofern folgerichtig, als das konkret verbotene Mittel der Rechtsgutsbeeinträchtigung (= Aussage, Fahrzeugsteuerung, Selbstentziehung) hier eben nur dem exklusiven Täterkreis eröffnet ist, weshalb die Mitwirkung externer Dritter immer nur eine indirekte bleiben kann. Damit ist freilich die Straflosigkeit dessen, der eine unvorsätzliche Eigenhändigkeit zur Rechtsgutsbeeinträchtigung einplant, als teleologisches Problem sub specie Rechtsgüterschutz noch nicht beseitigt. Dennoch ist sie aber dort, wo sie besteht, hinzunehmen. Denn der Strafgesetzgeber hat das Problem der Zweckdisparität gesehen, wie die Existenz des § 160 (= Verleitung zur Falschaussage) belegt. Die besagte Vorschrift existiert allein deshalb, weil das strafbewehrte Verbot der Falschaussage aufgrund einer allgemeinrechtlichen Pflichtgegenstandsvorgabe persönlich und sachlich enger gefasst werden musste, als es nach Ansicht des Strafgesetzgebers für einen effektiven Rechtsgüterschutz erforderlich gewesen wäre! Daraus folgt im Umkehrschluss, dass dem Strafgesetzgeber bei Delikten mit allgemeinrechtlicher Eigenhändigkeitsvorgabe in der Tat ein gewisser Gestaltungsspielraum zur Selbstbeschränkung verbleibt: Es unterliegt seiner Einschätzungsprärogative, ob er ein allgemeines Auffangdelikt nach dem Muster des § 160 schafft oder nicht. Darauf hat er insbesondere in den Fällen der verkehrsinternen Verkehrsdelikte bewusst verzichtet.3641 3. Strafgesetzliche Eigenhändigkeit Schließlich existiert noch eine dritte Art eigenhändiger Delikte, deren Tatbestände eine subjektreflexive Handlungsbeschreibung verwenden, ohne dass diese allgemeinrechtlich vorgegeben wäre. Beispielhaft zu nennen sind hier etwa § 174 I Alt. 2 („An-Sich-Vornehmen-Lassen“) und § 323a (Sich-Berauschen). Derartige Tatbestände sind „(…) formulierungsmäßig enger, als sie es bei bei komplettem Rechtsgüterschutz sein könnten“3642. Die subjektreflexive Handlungsbeschreibung 3639

So Langrock, Delikt, 73 ff. So zutr. Langrock, Delikt, 71 f. 3641 Von daher existiert hier keine planwidrige Regelungslücke, die durch Annahme eines Pflichtdeliktscharakters und einer daran orientierten Akzessorietätsbestimmung (= Teilnahme als vorsätzliche Mitwirkung ohne eigene Pflichtenstellung) geschlossen werden müsste; a.A. Rudolphi, GA 1970, 353 (356 f., 360 ff.), unter Berufung auf Roxins (TuT, 392 ff., 420, 428, 432) Lehre von den „unechten“ eigenhändigen Delikten. 3642 So Jakobs, AT, 21/20 a.E. 3640

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6. Kap.: Die Ausarbeitung der Deliktsgruppen im Einzelnen

hat dabei tatbestandskonturierende Funktion, d. h. sie ist allein „(…) der Plastizität des Tatbestandes wegen (…)“3643 erfolgt. So ist etwa das listige Versetzen eines anderen in einen unfreiwilligen Vollrausch allgemeinrechtlich ebenso verboten wie das höchstpersönliche Sich-Berauschen. Dennoch ist aber die Fremdberauschung sub specie § 323a nicht strafbewehrt, da der Gesetzgeber insofern auf eine „perfektionistische Allesbestrafung“3644 verzichtet und die vergleichsweise seltenen Fälle fremdhändiger Begehung als vernachlässigenswerte Größe aus dem strafrechtlichen Sanktionstatbestand herausgenommen hat.3645 Davon abgesehen ist bei der Fremdberauschung „(…) das Erledigungsdefizit bezüglich einer Tat im Rausch nicht so kraß wie beim verantwortlichen Sich-Berauschen, weil es die in diesen Fällen stets gegebene Körperverletzung trotz ihres von § 323a StGB abweichenden Schutzzwecks immerhin hindert, daß der Vorgang als sozial unerheblich definiert wird. Da also bei Täterschaft anderer Personen nur ein reduziertes Bedürfnis nach einem eigenen Tatbestand besteht, ist die Formulierung des Gesetzes so ausgefallen, als gehe es um Eigenhändigkeit (…)“3646.

Neben solch „verkürzenden“ Deliktsbeschreibungen existieren des Weiteren auch noch Tatbestände, die eine subjektreflexive Handlung als Variante neben einer fremdreflexiven Handlung regeln, etwa die §§ 17, 18 WStG („sich oder einen anderen Soldaten“). Hier kommt der Eigenhändigkeitsvariante in erster Linie darstellerische Funktion zu, wobei die besondere Art der Darstellung letztlich wiederum der Plastizität des Tatbestandes dient.3647

V. Subjekt- und verhaltensbezogene Täterkonkretisierung insbesondere bei den eigenhändigen Sonderdelikten Eine weitere Kontroverse innerhalb der Eigenhändigkeitsdogmatik betrifft die Frage, wie bei den eigenhändigen Sonderdelikten (z. B. §§ 153, 154, 156) das Verhältnis zwischen „subjektbezogener Täterkonkretisierung“ (= Einschränkung des Täterkreises) und „verhaltensbezogener Täterkonkretisierung“ (= Eigenhändigkeit) zu bestimmen ist.3648 Insofern ist zunächst ganz allgemein klarzustellen, dass Eigenhändigkeit stets eine subjektbezogene Täterkonkretisierung impliziert: Auch eigenhändige Allgemeindelikte wie etwa die verkehrsinternen Straßenverkehrsde-

3643

Jakobs, AT, 21/20 a.E. So die Formulierung bei Herzberg, ZStW 82 (1970), 896 (947). 3645 Herzberg, ZStW 82 (1970), 896 (947); Roxin, TuT, 796 f.; Jakobs, AT, 21/20. 3646 Jakobs, AT, 21/23. 3647 s. instruktiv dazu Langrock, Delikt, 94. 3648 s. instruktiv zum Ganzen Langrock, Delikt, 71 ff. (73 ff., 81 ff.) der auch die im Text zitierten Begrifflichkeiten geprägt hat. 3644

E. Eigenhändige Delikte

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likte (§§ 315c, 316)3649 oder der Vollrausch (323a)3650 beinhalten die Aussage, dass andere Personen als der eigenhändig Fahrende bzw. der Sich-Berauschende von der Täterschaft ausgeschlossen sind. Demnach ist also zu konstatieren, dass letztlich jede Eigenhändigkeit eine subjektbezogene Täterschaftskonkretisierung impliziert.3651 Damit ist freilich noch nicht geklärt, ob die subjektbezogene Täterkonkretisierung Ursache oder aber bloß Folge der Eigenhändigkeitsvorgabe ist. Man kann daher im Hinblick auf die eigenhändigen Sonderdelikte durchaus zu Recht fragen, inwieweit die Eigenhändigkeit hier Derivat gerade des Sonderpflichtcharakters ist. Dieser Fragestellung ist, von seiner Pflichtdeliktslehre3652 her kommend, zuerst Roxin3653 nachgegangen. Er sieht die eigenhändigen Sonderdelikte in der Sache als „verkappte Pflichtdelikte“3654 an, deren Kennzeichnung als eigenhändig recht äußerlich sei und das wahre Täterkriterium dieser Tatbestände – die Verletzung einer außerstrafrechtlichen Sonderpflicht (z. B. die Wahraussagepflicht des Zeugen) – bloß verdecke.3655 Daran ist richtig, dass die eigenhändige Deliktsfassung die sondersubjektbezogene Täterkonkretisierung regelungstechnisch notwendig voraussetzt.3656 Das ändert allerdings nichts daran, dass das Erfordernis der eigenhändigen Begehung durch den Intraneus als engere, verhaltensbezogene, Täterkonkretisierung hinzutritt.3657 Demnach folgt der Eigenhändigkeitscharakter der Fahnenflucht (§ 16 WStG) oder der uneidlichen Falschaussage (§ 153) nicht etwa daraus, dass diesen Tatbeständen Sonderpflichten zugrunde liegen (= soldatische Präsenzpflicht bzw. zeugenschaftliche Aussagepflicht),3658 sondern daraus, dass die betreffenden Sonderpflichten gegenständlich als eigenhändige ausgestaltet sind.3659 So räumt denn auch Roxin3660 selbst in der Sache ein, dass bei den eigenhändigen Sonderdelikten die außerstrafrechtliche Sonderpflicht nur durch höchstpersönliche Aktvornahme verletzt werden 3649

Bei den verkehrsinternen Straßenverkehrsdelikten der §§ 351c, 316 handelt es sich nicht um Sonderdelikte, da diesen Tatbeständen Jedermannsverbote zugrunde liegen (wie hier hier etwa Langrock, Delikt, 80; a.A. dagegen etwa Rudolphi, GA 1970, 353 [359 ff.]). 3650 Auch der Tatbestand des Vollrausches beruht auf einem Jedermannsverbot; die subjektreflexive Tatbestandsformulierung ist hier lediglich positivrechtlich bedingt (so zutr. Jakobs, AT, 21/23; a.A. Roxin, TuT, 797). 3651 So zutr. Langrock, Delikt, 73, 89. 3652 Entwickelt in: TuT, 352 ff. 3653 In: TuT, 392 ff. 3654 So die treffende Bezeichnung bei Hoyer, in: SK, § 25 Rn. 17; Roxin selbst (TuT, 392), spricht umgekehrt von „unechten“ eigenhändigen Delikten. 3655 Roxin, TuT, 393; zust. Rudolphi, GA 1970, 353 (362 ff.); auch Puppe, ZStW 120 (2008), 504 (516). 3656 So zutr. Langrock, Delikt, 72, 73, 89. 3657 Langrock, Delikt, 72, 73, 89. 3658 So aber Roxin, TuT, 394; Puppe, ZStW 120 (2008), 504 (516). 3659 So schon Herzberg, ZStW 82 (1970), 896 (912, 943 ff.). 3660 TuT, 392 f.

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6. Kap.: Die Ausarbeitung der Deliktsgruppen im Einzelnen

kann. Damit „(…) vollzieht sich der Ausschluss der Fremdhändigkeit in zwei Richtungen“3661: Auf der ersten Ebene werden Extranei nach den Regeln der Sonderdelikte von der Täterschaft ausgeschlossen, auf der zweiten Ebene wird die Täterschaft von Intranei nach den Regeln der Eigenhändigkeit auf höchstpersönliche (= eigenkörperliche bzw. subjektreflexive) Tatbegehung eingeschränkt.3662 Dabei greifen beide Ebenen zwar ineinander, beruhen jedoch auf unterschiedlichen teleologischen Konzepten und sind daher gedanklich streng voneinander zu trennen.3663 Obwohl Eigenhändigkeit als verhaltensbezogene Täterkonkretisierung stets auch eine subjektbezogene Täterkonkretisierung nach sich zieht, ist sie nicht (zwingend) deren materiales Derivat. Nach alledem verbleibt es bei einem „(…) einheitlichen Begriff der Eigenhändigkeit (…), der sowohl in die Pflichtdelikte wie in die Jedermannsdelikte (…) hineinragt“3664.

VI. Die problematischen bzw. umstrittenen Deliktstatbestände Nach dem zuvor Gesagten existiert ein einheitlicher, für Allgemein- wie Sonderdelikte gleichermaßen geltender Eigenhändigkeitsbegriff, und für die Ausgestaltung eines Tatbestandes als „nur-eigenhändiges“3665 Delikt kommen drei legislatorische Motive in Betracht: Entweder hat der Strafgesetzgeber eine sachlogische Eigenhändigkeitsvorgabe umgesetzt, oder er hat eine allgemeinrechtliche Eigenhändigkeitsvorgabe übernommen, oder aber er hat aus strafrechtsteleologischen Erwägungen heraus auf eine „perfektionistische Allesbestrafung“3666 verzichtet. Außerhalb dieser drei Zweckkategorien scheint eine Eigenhändigkeit nicht begründbar, weshalb diejenigen Tatbestände, deren Eigenhändigkeitscharakter am heftigsten diskutiert wird, auf die genannten Zweckgesichtspunkte hin zu untersuchen sind. Einen ersten „Zweifelstatbestand“ i.d.S. bildet der Exhibitionismus (§ 183), dessen Eigenhändigkeitscharakter3667 von einigen3668 vehement bestritten wird. Zur Begründung wird vorgetragen, dass die schockierende Wirkung, die ein sich entblößender Mann auf andere habe, auch von einem Hintermann (oder sogar einer 3661

So zutr. Langrock, Delikt, 71. Langrock, Delikt, 71 ff. 3663 Langrock, Delikt, 72 f. 3664 So zutr. bereits Herzberg, ZStW 82 (1970), 896 (913); in der Sache ebenso Langrock, Delikt, 72. 3665 Auszuklammern sind Tatbestände wie etwa § 17 WStG („sich oder einen anderen Soldaten“), wo die Eigenhändigkeitsvariante nur rein darstellerische Zwecke verfolgt. 3666 s. zu dieser Formulierung nochmals Herzberg, ZStW 82 (1970), 896 (947). 3667 So zutr. die h.L.; s. statt vieler etwa nur Fischer, § 183 Rn. 16. 3668 Herzberg, ZStW 82 (1970), 896 (937 f.); Roxin, TuT, 419; Puppe, ZStW 120 (2008), 504 (516). 3662

E. Eigenhändige Delikte

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Hinterfrau) hervorgerufen werden könne.3669 Diese Argumentation verfehlt jedoch den Unrechtskern des Exhibitionismus. Er liegt nicht im Bewirken männlicher Entblößung, sondern in der Abnormität der mit dem Exhibitionismus konnotierten Gefühlswelt. Verstörend wirkt also nicht die Tatsache der männlichen Nacktheit per se, sondern die in der Selbstentblößung zum Ausdruck kommende persönliche Degenereszenz.3670 Sie kann ein Außenstehender, der den männlichen Exhibitionismus durch Nötigung oder Täuschung initiiert, niemals ausdrücken.3671 Entsprechendes gilt für den Inzesttatbestand (§ 173). Auch hier ist es nicht der Sexualverkehr unter Blutsverwandten als solcher, der sozial verstörend wirkt, sondern die Abnormität der mit dem inzestuösen Aktvollzug konnotierten Gefühlswelt.3672 Diese persönliche Degenereszenz kann ein Außenstehender, so sehr er auch treibende Kraft des Inzests sein mag, nicht ausdrücken. Die Tatbestände des Exhibitionismus und des Verwandtenbeischlafs beruhen also auf einer sachlogischen Eigenhändigkeitsvorgabe. In schroffem Gegensatz dazu stehen die Sexualdelikte insbesondere der §§ 176, 177. Sie vertatbestandlichen nicht bloß eine verstörend wirkende persönliche Degenereszenz des Handlungssubjekts, sondern die Verletzung konkreter Opferrechtsgüter (= sexuelle Selbstbestimmung, körperliche Integrität), weshalb eine sachlogische Eigenhändigkeitsvorgabe hier nicht in Betracht kommt. Vielmehr sollen die betreffenden Rechtsgüter durch die jeweilige Strafandrohung gerade auch vor komplexer Einwirkung geschützt werden, so dass die Sexualdelikte fremdhändig begehbar sind.3673 Ein konkretes Rechtsgut liegt auch dem Tatbestand der Doppelehe (§ 172) zugrunde, nämlich „(…) die staatlich gewährleistete Garantie der Ehe als Institution“3674. Nichtsdestotrotz handelt es sich aber bei der Bigamie um ein eigenhändiges Delikt nach allgemeinrechtlicher Vorgabe: Ist die Eheschließung nach geltendem Zivilrecht ein höchstpersönliches Rechtsgeschäft (§ 1311 BGB), so muss gemäß dem Grundsatz von der Einheit der Rechtsordnung auch das strafbewehrte Bigamieverbot eigenhändig ausgestaltet sein.3675 3669 Herzberg, ZStW 82 (1970), 896 (937 f.); Roxin, TuT, 419; Puppe, ZStW 120 (2008), 504 (516). 3670 So zutr. Jakobs, AT, 2/19 f. 3671 Das übersieht Herzberg, ZStW 82 (1970), 896 (906 f.). 3672 Jakobs, AT, 2/19 f. – Der Verwandtenbeischlaf betrifft allerdings – anders als der Exhibitionismus – kein friedensstörendes Aufdrängen von Sexualität. Die Tatsache, dass ein fassbares Rechtsgut fehlt, muss daher hier vor intrikate verfassungsrechtliche Probleme stellen (sehr lesenswert [u. a.] dazu Paeffgen, Wolter-FS [2013], 125 ff. [152 ff.]). 3673 Wie hier die h.L.; s. etwa nur Roxin, 416 ff.; Herzberg, ZStW 82 (1970), 896 (932 ff.); tatbestandsintern differenzierend dagegen die Rechtsprechung des BGH; s. eingehend und instruktiv dazu Roxin, a.a.O.; Langrock, Delikt, 68 ff. 3674 Roxin, TuT, 428. 3675 Gerade am Bigamieverbot lässt sich sehr gut veranschaulichen, dass und warum auch seine eigenhändige Ausgestaltung nicht Derivat des Sonderpflichtcharakters ist: Der Biga-

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6. Kap.: Die Ausarbeitung der Deliktsgruppen im Einzelnen

Entsprechendes gilt mutatis mutandis für den Straftatbestand der Unfallflucht (§ 142c). Er beruht auf der deliktsrechtlichen Pflicht des Unfallbeteiligten, zur Schadensregulierung beizutragen,3676 die aus praktischen Gründen als persönliche Präsenzpflicht am Unfallort ausgestaltet ist. Mithin erfasst auch das strafbewehrte Verbot der Unfallflucht nur das Entfernen der eigenen Person vom Unfallort. Die mittelbare Beeinträchtigung der Feststellungsinteressen anderer Unfallbeteiligter wird deshalb nicht mehr vom Tatbestand des § 142c erfasst. Danach verwirklicht also keine Unfallflucht, wer einem Unfallbeteiligten z. B. wahrheitswidrig einredet, er dürfe den Unfallort ohne zu warten verlassen, wenn er nur seine Adresse am geschädigten Fahrzeug hinterlasse. Die damit verbundene Strafbarkeitslücke hat der Gesetzgeber sehenden Auges in Kauf genommen. Auch die verkehrsinternen Straßenverkehrsdelikte (§§ 315c, 316) beruhen auf einer allgemeinrechtlichen Eigenhändigkeitsvorgabe. Pönalisiert wird der (qualifizierte) Verstoß gegen bestimmte straßenverkehrsrechtliche Ordnungsnormen, die das Fahrverhalten im alltäglichen Straßenverkehr festlegen. Die besagten Normen der StVO regeln, wie ein Fahrzeug in bestimmten Verkehrssituationen bzw. im Straßenverkehr zu führen bzw. nicht zu führen ist, und ein Fahrzeug „führt“ nur, wer die für die Fortbewegung bestimmten technischen Einrichtungen des Fahrzeugs eigenhändig bedient.3677 Dementsprechend regeln auch die korrelativen Verbote der Vorfahrtsmissachtung, des Falschüberholens oder der Trunkenheitsfahrt ausschließlich eigenhändige Fahrmanöver bzw. das Fahrzeugführen in fahruntüchtigem Zustand. Von einer Optimierung des Rechtsgüterschutzes durch einen Auffangtatbestand im Stile des § 160 (à la „Verleitung zur Trunkenheitsfahrt“) hat der Gesetzgeber bewusst abgesehen, welcher Entscheid de lege lata hinzunehmen ist. Mithin kann die Veranlassung einer unvorsätzlichen Trunkenheitsfahrt strafrechtlich nicht erfasst werden. Diese planmäßige Regelungslücke darf insbesondere nicht durch Annahme eines Pflichtdeliktscharakters überspielt werden, der es erlauben soll, für die Teilnahme eines Nichtfahrenden auf das Erfordernis einer vorsätzlichen

mietatbestand figuriert nicht deshalb als eigenhändiges Delikt, weil er die Sonderpflicht pönalisiert, „(…) sich nicht über eine schon bestehende eheliche Bindung hinwegzusetzen (…)“ (so aber Roxin, TuT, 428), sondern deshalb, weil die Eheschließung nach geltendem Zivilrecht eine höchstpersönliche Erklärungsabgabe erfordert (§ 1311 BGB). Ließe das Zivilrecht eine Stellvertretertrauung oder eine Verheiratung Dritter zu, so wäre § 172 fremdhändig begehbar! Genau genommen ist eine Verletzung des Bigamieverbots durch Stellvertreterehe oder Drittverheiratung sogar de lege lata möglich, nämlich dann, wenn ein deutscher Staatsangehöriger in einem dies zulassenden Drittstaat eine zweite Ehe in seinem Namen schließen (s. Art. 11 III EGBGB) oder einen bereits verheirateten Dritten (etwa sein Kind) ein weiteres Mal verheiraten lässt. Diese Sonderpflichtverletzung wäre bei Legalität der Doppelehe im Auslandsstaat zwar nach § 7 straffrei (s. dazu Fischer, § 172 Rn. 4), nichtsdestotrotz aber ein allgemeines Handlungsunrecht i.S.d. § 172 ohne eigenhändigen Aktvollzug! 3676 So zutr. Puppe, ZStW 120 (2008), 504 (517). 3677 BGHSt 18, 6 (8 f.); BGHSt 35, 390 (393); BGHSt 36, 341 (343 f.).

E. Eigenhändige Delikte

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Haupttat zu verzichten und stattdessen seine Mitwirkung an der objektiven „Sonderpflichtverletzung“ des Fahrzeugführers genügen zu lassen.3678 Kein eigenhändiges Delikt ist dagegen die Rechtsbeugung (§ 339).3679 Sie beruht weder auf einer sachlogischen noch auf einer allgemeinrechtlichen Eigenhändigkeitsvorgabe. Sachlogische Eigenhändigkeit scheidet aus, weil die Rechtsbeugung entgegen einer schwindenden Rechtsansicht3680 nicht den verwerflichen Verrat des Richters an seiner Aufgabe pönalisiert, sondern die Beeinträchtigung der innerstaatlichen Rechtspflege.3681 Auch eine allgemeinrechtliche Eigenhändigkeitsvorgabe kann hier nicht angenommen werden: Zwar ist jeder Richter selbst zur höchstpersönlichen Entscheidung berufen,3682 aber das Erwirken eines rechtskraftfähigen Urteils ist nicht verhaltensgebunden, sondern kann auch über die Köpfe anderer Richterkollegen hinweg „durch“ diese oder mit ihnen gemeinschaftlich geschehen. Denkbar ist daher auch die mittelbar-täterschaftliche oder mittäterschaftliche Herbeiführung eines rechtsbeugerischen Urteils.3683 Ein Beispiel für eine Rechtsbeugung in mittelbarer Täterschaft bildet der „Regensburger-StandgerichtsFall“3684, in welchem der Standgerichtsvorsitzende die nicht rechtskundigen Beisitzer über die wahre Rechtslage täuschte und so ein rechtswidriges Todesurteil erwirkte. Mittäterschaftliche Rechtsbeugung ist dagegen gegeben, wenn mehrere Mitglieder eines Kollegialgerichts in kollektivem Zusammenwirken ein rechtsbeugerisches Urteil fällen.3685 Auch die Beleidigung (§ 185) ist kein eigenhändiges Delikt.3686 Die beleidigende Äußerung richtet sich gegen die Ehre des Beleidigten als konkretes Rechtsgut, weshalb auch komplexe Beleidigungshandlungen denkbar sind (Bsp.: jemand bedient sich eines Kindes oder eines erwachsenen Zurechnungsunfähigen, um das Opfer zu beleidigen).3687 Der Umstand, dass die Beleidigung den Ausdruck eigener, höchstpersönlicher Missachtung voraussetzt, macht sie auch nicht zu einem höchstpersönlichen Pflichtdelikt.3688 Sie verkörpert vielmehr ein Allgemeindelikt, das abweichenden Zurechnungsgrundsätzen folgt, nämlich den zivilrechtlichen 3678

So aber Roxin, TuT, 797; Rudolphi, GA 1970, 353 (362 ff.). So die heute wohl h.L.; s. statt vieler etwa nur Hilgendorf, in: LK, § 339 Rn. 129; Kuhlen, in: NK, § 339 Rn. 82; Fischer, § 339 Rn. 4. 3680 So etwa noch Roxin, TuT, 429 f.; Herzberg, ZStW 82 (1970), 896 (941); Jakobs, AT, 21/ 19 u. 21. 3681 s. statt vieler etwa nur Fischer, § 339 Rn. 2; Hilgendorf, in: LK, § 339 Rn. 6 ff. 3682 s. dazu Roxin, AT/II, § 25 Rn. 304. 3683 s. nur etwa Hilgendorf, in: LK, § 339 Rn. 130 f.; Kuhlen, in: NK, § 339 Rn. 82. 3684 OLG Nürnberg Justiz und NS-Verbrechen II, 318. 3685 Hilgendorf, in: LK, § 339 Rn. 131. 3686 Wie hier etwa Hilgendorf, in: LK, § 185 Rn. 40; a.A. etwa Herzberg, ZStW 82 (1970), 896 (941); Zaczyk, in: NK, § 185 Rn. 19. 3687 Vgl. Hilgendorf, in: LK, § 185 Rn. 40. 3688 So aber Herzberg, ZStW 82 (1970) 896 (941). 3679

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6. Kap.: Die Ausarbeitung der Deliktsgruppen im Einzelnen

Grundsätzen über die Zurechnung eines Erklärungstatbestandes als eigene Willenserklärung.3689 Entsprechendes gilt für den Tatbestand des Hausfriedensbruchs (§ 123), der ebenfalls kein eigenhändiges Delikt ist.3690 Selbst wenn man mit Herzberg3691 davon ausgeht, dass Hausfriedensbruch die „(…) nur dem geistigen Verstehen zugängliche, höchstpersönliche Missachtung des Rechtes auf Selbstbestimmung in der eigenen Wohnsphäre (…)“ voraussetzt, ist für diese Hausrechtsverletzung keineswegs zwingend ein Eindringen mit der eigenen Person erforderlich.3692 Zwar untersagt das zugrunde liegende Verbot in der Sache, sich über die Schranken fremder Privatsphären hinwegzusetzen,3693 doch muss man sich dazu nicht zwingend seiner selbst bedienen! Dass der Hausrechtsinhaber sich in seinen Rechten de facto weit weniger missachtet fühlt, wenn jemand ihm etwa ein Kind oder einen Schuldlosen ins Haus schickt, anstatt selbst einzudringen,3694 mag sein. Für die Tatbestandserheblichkeit der komplexen Einwirkungshandlung ist dies jedoch bedeutungslos, denn das Verbot des Hausfriedensbruchs schützt nicht nur das subjektive Gefühl, „Herr im eigenen Haus“ zu sein, sondern das objektive Hausrecht. Umstritten ist auch der Tatbestand der Amtsanmaßung (§ 132), der, obschon in der Rechtsprechung3695 bisher als eigenhändiges Delikt angesehen, ebenfalls kein solches regelt.3696 Die zugrunde liegenden Verbote schützen die staatliche Autorität und das Ansehen des Staatsapparates, also konkrete Rechtsgüter, die auch durch komplexe Einwirkungshandlungen beeinträchtigt werden können.3697 Auch eine allgemeinrechtliche Eigenhändigkeitsvorgabe scheidet hier aus: Da bereits für die legale Ausübung eines öffentlichen Amtes nicht zwingend eigenhändiges Handeln erforderlich ist (Bsp.: Aufstellen-Lassen von Halteverbotsschildern durch Verwaltungsgehilfen), verlangt auch die rechtswidrig angemaßte Schein-Amtsausübung nicht zwingend Eigenhändigkeit. Deshalb ist etwa derjenige, der einen Ahnungslosen zur Aufstellung von Verkehrsschildern veranlasst, mittelbarer Täter einer Handlung, die nur kraft eines öffentlichen Amtes vorgenommen werden darf, §§ 132 Alt. 2, 25 I

3689 s. ausführlich dazu nochmals oben. S. 627 ff. – Dass der äußere Kundgabeakt auch durch Übermittlungsboten erfüllt werden kann, ist in der Sache unstreitig, wird also selbst von denjenigen nicht geleugnet, die die Beleidigung als eigenhändiges Delikt ansehen (s. etwa nur Herzberg, ZStW 82 [1970], 896 [941 f.]; Zaczyk, in: NK, § 185 Rn. 19). 3690 So die h.L.; s. statt vieler etwa nur Lilie, in: LK, § 123 Rn. 76; Ostendorf, in: NK, § 123 Rn. 28. 3691 ZStW 82 (1970), 896 (928). 3692 So zutr. schon Roxin, TuT, 407. 3693 Herzberg, ZStW 82 (1970), 896 (929). 3694 So Herzberg, ZStW 82 (1970), 896 (928). 3695 RGSt 55, 265 (266); 59, 78 (81). 3696 So die h.L. im Schrifttum; s. statt vieler nur Fischer, § 132 Rn. 17; Krauß, in: LK, § 132 Rn. 42; Ostendorf, in: NK, § 132 Rn. 9. 3697 Roxin, AT/II, § 25 Rn. 294.

E. Eigenhändige Delikte

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Alt. 2.3698 Auch das Sich-Befassen mit einem öffentlichen Amt i.S.d § 132 Alt. 1 erfordert nicht zwingend eine subjektbezogene Eigenhändigkeit in dem Sinne, dass gerade die eigene Person als Amtsträger geriert werden muss. Vielmehr kann man sich auch dadurch mit einem öffentlichen Amt befassen, dass man einen ahnungslosen Dritten als Amtsträger auftreten lässt. Mittelbarer Täter einer Amtsanmaßung in der Variante des Sich-Befassens ist also etwa, wer seine Forderungen durch ahnungslose ausländische Arbeitskräfte eintreiben lässt, die er als Gerichtsvollzieher ausstaffiert hat.3699

VII. Zusammenfassung Nach alledem kann Folgendes festgehalten werden: Die Deliktskategorie der eigenhändigen Straftaten existiert zu Recht fort, da die eigenhändige Deliktsfassung sich auf übergreifende Systemaspekte zurückführen lässt. Einer dieser Systemaspekte ist die (sozial-)ontologische Struktur des Regelungssubstrats, die dem Gesetzgeber vorgegeben ist: Wenn es Handlungen gibt, die an sich zwar (noch) kein konkretes Rechtsgut beeinträchtigen, die aber dennoch eine persönliche Degenereszenz offenbaren, die den sozialen Frieden erheblich stört, dann kann auch nur die Objektivierung dieser verstörend wirkenden Abnormität verboten werden. Des Weiteren kann die Eigenhändigkeit aber auch allgemeinrechtlich vorgegeben sein: Wenn das strafbewehrte Verbot Korrelat einer allgemeinrechtlichen Verhaltenspflicht ist, die gegenständlich als eigenhändige gefasst ist, dann teilt es deren Eigenhändigkeitscharakter (= Axiom von der Einheit der Rechtsordnung). In diesem Falle ist es dem Gesetzgeber zwar möglich, Auffangtatbestände nach dem Vorbild des § 160 zu schaffen, wenn der Rechtsgüterschutz dies gebietet. Insofern ist jedoch die weitreichende Einschätzungsprärogative des Strafgesetzgebers zu (be)achten. Schließlich ist auch eine genuin strafrechtsteleologisch motivierte Beschränkung auf Eigenhändigkeit möglich, die bei einigen subjektreflexiv formulierten Tatbeständen (z. B. § 323a) vorkommt. In diesen Fällen ist der Gesetzgeber davon ausgegangen, dass der Sozialerheblichkeit nicht subjektreflexiver Täterhandlungen (wie etwa der mittelbar-täterschaftlichen Fremdberauschung) anderweitig genügend Rechnung getragen ist bzw. dass diese strafrechtlich vernachlässigbar sind (= fragmentarischer Charakter des Strafrechts).3700

3698 3699 3700

Roxin, AT/II, § 25 Rn. 294. Roxin, TuT, 408; ders., AT/II, § 25 Rn. 294. s. instruktiv zum Ganzen Paeffgen, in: NK, § 323a Rn. 66.

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6. Kap.: Die Ausarbeitung der Deliktsgruppen im Einzelnen

F. Täterschaft und Teilnahme bei (begehungsgleichwertigen) Unterlassungen I. Allgemeines In der neueren Unterlassungsdogmatik hat sich die grundlegende Erkenntnis durchgesetzt, dass Unterlassungen generell (also auch die „unechten“) einen anderen normativen Bezugspunkt und damit eine andere personale Unrechtsstruktur aufweisen als Aktivhandlungen.3701 Diese Einsicht beruht jedoch sachlogisch nicht etwa auf einem Unterschied in der wesensmäßig vorgegebenen Seinsstruktur (= Unterlassen als Fehlen einer final überdeterminierenden Handlung),3702 sondern auf der spezifischen sozialontologischen Struktur der wirklichen intentionalen Zulassung durch Unterlassen: Intuitiv erfahren wir auch Unterlassungen als intentionale Handlungen, denn man kann eine Rechtsgutsverletzung auch intentional zulassen, indem man Rettungsmaßnahmen unterlässt.3703 Solche Zulassungsakte durch Unterlassen weisen jedoch unterschiedslos eine der Aktivtäterschaft direkt korrelierende, originäre, Entscheidungsstruktur auf: Aktuell geboten ist stets die Abwendung einer drohenden Rechtsgutsbeeinträchtigung, und die Entscheidung über die Einleitung erfolgversprechender Rettungsmaßnahmen liegt stets allein beim Handlungspflichtigen.3704 Grundsätzlich3705 existieren also im Unterlassungsbereich keine derivativen Zulassungshandlungen, weshalb es auch keine sekundären Gebotsnormen i.S.d. allgemeinen Verhaltensnormlehre geben kann.3706 Damit ist eine normlogische Differenzierung zwischen täterschaftlichem und teilnehmerschaftlichem Handlungsunrecht im Unterlassungsbereich unmöglich. Das „alte“ Diktum Armin Kaufmanns3707 hat seine Gültigkeit behalten: „Bei den Unterlassungsdelikten ist vom undifferenzierten Begriff des Unterlassenden auszugehen, ein Analogon zum Einheitstäterbegriff (…)“. Diese These ist in der Literatur freilich auf einigen Widerstand gestoßen, wobei die Einwände in der Sache beide Ebenen des Systems der Unterlassungsstraftat – Verhaltens- und Sanktionsnormebene – gleichermaßen betreffen. Allerdings wird die Diskussion keineswegs streng an dieser Dichotomie der Systemebenen ausgerichtet, sondern vielmehr abstrakt-beteiligungsrechtlich geführt. So werden überwiegend3708 bestimmte Thesen bündig als „Meinungen“ mitsamt Argumenten erörterungsgleich 3701 So zutr. Roxin, AT/II, § 31 Rn. 31, unter Verweis auf die bahnbrechenden Arbeiten Engischs und insbesondere Armin Kaufmanns. 3702 So aber die orthodoxen Finalisten, allen voran Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte, 25 ff. 3703 Eingehend dazu bereits oben, S. 117 ff., 206 ff. 3704 Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte, 186 ff., 294, 302 f. 3705 Zu den wenigen unechten Ausnahmen s. noch unten, 685 ff. 3706 So der Sache nach bereits Bloy, JA 1997, 490 (493). 3707 Unterlassungsdelikte, 302. 3708 s. statt vieler etwa Roxin, AT/II, § 31 Rn. 124 ff.

F. Täterschaft bei (begehungsgleichwertigen) Unterlassungen

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gegenübergestellt, ohne den genauen Bezug zur jeweiligen Systemebene der Unterlassungsstraftat herzustellen. Das ist deshalb problematisch, weil die teils normlogischen, teils axiologischen Argumente ohne unrechtssystematische Lozierung kaum angemessen gewürdigt werden können. Aus diesem Grund soll hier nachfolgend versucht werden, die Auseinandersetzung entlang des Straftatsystems der begehungsgleichen Unterlassung zu führen und dabei zugleich die These von der „quasi-einheitstäterschaftlichen“ Struktur der Unterlassung zu untermauern. 1. Unterlassung und mittelbare Täterschaft Differenziert man nach Verhaltens- und Sanktionsnormebene, so muss zunächst gefragt werden, ob ein mittelbar-täterschaftliches Unterlassen als Verstoß gegen eine eigene, eben dieses Verhalten zum Gegenstand habende Verhaltenspflicht überhaupt gedacht werden kann. Sofern dies nicht möglich ist (und so liegt es in der Tat), wäre in einem zweiten Schritt noch zu überlegen, ob im Unterlassungsbereich nicht zumindest Fälle existieren, die einer mittelbaren Begehungstäterschaft wertungsmäßig gleichgestellt werden müssen (= Kategorie der Sanktionsnorm). a) Verhaltensnormebene „Täterschaft“ und „Teilnahme“ sind qualitativ verschiedene Handlungsunrechtstypen i.S.d. allgemeinen Verhaltensnormlehre. „Täterschaft“ ist originärer intentionaler Rechtsgutszugriff, Teilnahme derivative Partizipation an fremdem intentionalem Rechtsgutszugriff. Dementsprechend existieren im Bereich der vorsätzlichen Handlungsdelikte inhaltsverschiedene Verhaltensnormen: Die primären Verbote untersagen originäre intentionale Rechtsgutszugriffe, die sekundären Verbote dagegen die Teilnahme an fremdem Rechtsgutszugriff. Überträgt man diese sachlogische Differenzierung nach dem Normgegenstand auf den Unterlassungsbereich, so wird sie dort ihres Sinnes beraubt: Die Entscheidungsstruktur intentionaler Zulassungshandlungen ist immer und unterschiedslos originär, weil stets unmittelbar auf die zu unterbindende Rechtsgutsverletzung als drohendes Faktum bezogen.3709 Gebietet aber die Pflicht stets nur die unmittelbar-eigene Einleitung von Rettungsmaßnahmen, dann muss die korrelative Unterlassung dieses Aktes ebenfalls originär strukturiert sein. Angesichts dieser „einheitstäterschaftlichen“ Struktur intentionaler Zulassung ist eine gegenständliche Distanzierung verschiedener Zulassungshandlungen weder normlogisch indiziert noch verhaltensnormteleologisch sinnvoll. Fragt man dennoch nach der Möglichkeit einer echten mittelbaren Unterlassungstäterschaft, so wird schnell klar, dass es eine solche Beteiligungsfigur als Original (= mittelbar-täterschaftliche Unterlassung) normlogisch nicht geben kann: 3709 So zutr. Bloy, JA 1987, 490 (492 f.); auch bereits Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte, 186 ff., 294 ff., 302.

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6. Kap.: Die Ausarbeitung der Deliktsgruppen im Einzelnen

Wie heute allgemein anerkannt ist,3710 liegen sämtlichen Unterlassungsdelikten, also auch den begehungsgleichen, genuine Gebotsnormen zugrunde. Soweit die Möglichkeit einer „Unterlassung in mittelbarer Täterschaft“ diskutiert wird, kann es daher nur um Handlungspflichten gehen, die die Vornahme „mittelbar-täterschaftlicher“ Rettungshandlungen gebieten. Derartige Pflichten sind zwar durchaus denkbar, wie Armin Kaufmann3711 am Beispiel des Gelähmten illustriert hat, der es unterlässt, ein Kind zwecks Information über eine bevorstehende Straftat zur Polizeiwache zu schicken. Die Verletzung solcher Handlungspflichten figuriert jedoch nicht als mittelbar-täterschaftliche Unterlassung, sondern als alleintäterschaftliche Unterlassung einer in „mittelbarer Täterschaft“ zu erbringenden Rettungshandlung.3712 Demnach ist das Unterlassen einer Rettungsmaßnahme „durch einen anderen“ normlogisch unmöglich. Eine alltagssprachliche Analyse bestätigt diese dogmatische Unmöglichkeit: Man kann nicht eine Zustandsveränderung „durch einen anderen“ zulassen bzw. eine gebotene Eingriffshandlung „durch einen anderen“ unterlassen.3713 Zwar mag man in Konstellationen eines zwischen mehreren Omittenten bestehenden kognitiven oder voluntativen Gefälles oder bei garantiepflichtwidriger Zulassung von Aktivtaten überwachungspflichtiger Dritter versucht sein, von einer „mittelbaren Unterlassungstäterschaft“ des normativ überlegenen Omittenten zu sprechen.3714 Doch kann damit nur ein fachsprachliches Konstrukt i.S.e. „Quasi-Werkzeugeinsatzes“ gemeint sein,3715 das am Fehlen eines echten Verhaltensunrechtstypus der mittelbaren Unterlassungstäterschaft nicht das Geringste ändert.3716 Allerdings erhebt sich die Frage, ob das Unterlassen „mittelbar-täterschaftlich“ geschuldeter Rettungshandlungen nicht als das strukturelle Korrelat der mittelbaren Aktivtäterschaft angesehen werden muss. Lägen die Dinge so, dann wäre aufgrund der korrelativen Verhaltensstruktur sub specie § 13 ein Sanktionsnormtatbestand zu bilden, der demjenigen der mittelbaren Aktivtäterschaft entspräche: Das Unterlassen einer „tatherrschaftlich“ zu erbringenden Rettungshandlung wäre vom Unterlassen der „Teilnahme“ an fremder Rettungshandlung abgrenzen. Eine solche Differen3710

s. dazu nochmals Roxin, AT/II, § 31 Rn. 31. Unterlassungsdelikte, 186. 3712 So zutr. Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte, 89, 186. 3713 So zutr. Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 214. 3714 So etwa BGHSt 40, 257 (267); Bottke, Haftung, 39 f., 44 f.; ders., Gössel-FS (2002), 235 (256 ff.); Schroeder, Täter, 105 ff.; Vogel, Norm, 288; Stein, Beteiligungsformenlehre, 309 f.; Brammsen, NStZ 2000, 337 (338 ff.); Baumann/Weber/Mitsch, AT11, § 29 Rn. 118 f.; Blei, AT, § 72 II 2 (S. 260); Schmidhäuser, AT, 17/7. 3715 Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 215; das konzediert in der Sache immerhin Schwab (Täterschaft, 223), der sich deshalb sub specie § 13 auf einen „wertenden Vergleich“ zu § 25 I Alt. 2 beruft (a.a.O.). 3716 I. E. wie hier Grünwald, GA 1959, 110 (122); Roxin, TuT, 471 f.; Jescheck/Weigend, AT, § 60 III 1 (640); Renzikowski, in: Maurach/Gössel/Zipf, AT/2, § 48 Rn. 117 ff. (119); Mosenheuer, Unterlassen, 115 ff. (123); Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 214 f.; Heine/ Weißer, in: Schönke/Schröder, § 25 Rn. 56 ff.; Joecks, in: MK, § 25 Rn. 182. 3711

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zierung wäre aber axiologisch unangemessen: Wer sich noch nicht einmal dazu motivieren kann, einem anderen bei dessen Rettungshandeln zu assistieren (= „Rettungsbeifhilfe“), der verdient sogar tendenziell eher eine schwerere Strafe als derjenige, der eigene Rettungsinitiative entfalten muss (= „Rettungstäterschaft“).3717 Überhaupt verlangt das Handlungsgebot vom Adressaten nicht die intentionale Selbstverwirklichung im buchstäblich rettenden Akt, sondern „nur“ die Mobilisierung seines eigenen Organisationskreises zur Einleitung erfolgversprechender Rettungsmaßnahmen. Demnach ist in aller Regel die Initiierung oder Unterstützung fremder Finalisierungskompetenz geboten.3718 Diese nivellierende Fassung des Pflichtgegenstands entspricht auch vollauf unserer Alltagsintuition: Wenn ich etwa ein Unfallopfer vorfinde und es unterlasse, den Notarzt herbeizurufen (= unterlassene „Anstiftung“ zur Gebotserfüllung3719), so erlebe ich den Tod des Hilflosen zweifellos als das Produkt meiner Zulassungshandlung. Gleiches gilt, wenn ich dem Ersthelfer vor Ort die eingeforderte Mithilfe verweigere (= unterlassene „Beihilfe“ zu fremder Gebotserfüllung3720), mit der von mir in Kauf genommenen Konsequenz, dass eine Rettung des Opfers deshalb nicht mehr rechtzeitig erfolgen kann. In all diesen Fällen sprechen wir davon, dass derjenige, der im beschriebenen Sinne untätig geblieben ist, das Opfer willentlich habe sterben lassen. Hinter dieser Intuition verbirgt sich auch ein tieferer Sachgrund: Während im Bereich der aktiven Begehung die Teilnahme auch als solche erlebt wird, nämlich eben als Teilnahme am Entscheidungszugriff eines anderen, entscheidet im Unterlassungsbereich stets der Handlungspflichtige selbst über die (Nicht-)Einleitung erfolgversprechender Rechtsgutserhaltungsmaßnahmen (= „unterschiedslos originäre Entscheidungsstruktur der Unterlassung“).3721 b) Sanktionsnormebene Ein echtes Verhaltensunrechtsäquivalent zur mittelbaren Begehungstäterschaft existiert also im Unterlassungsbereich nicht. Daher sind jedenfalls unter diesem Gesichtspunkt keine speziellen axiologischen Konsequenzen angezeigt. Fraglich ist somit nur noch, ob nicht vielleicht manche Unterlassungskonstellationen axiologisch wie eine mittelbare Begehungstäterschaft behandelt werden müssen. Dies ist für einige handverlesene Fallgruppen (der Sache nach) immer wieder befürwortet worden. Allerdings muss gesehen werden, dass eine solche genuin axiologische Gleichbehandlung legitimationsbedürftig ist, denn dogmatisch gesehen existiert ja gerade kein Verhaltensunrechtsäquivalent zur mittelbaren Begehungstäterschaft. Mithin wäre die Annahme eines „Quasi-Werkzeugeinsatzes“ allenfalls dann ange3717 3718 3719 3720 3721

Zu diesem Argument Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte, 187. So zutr. Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte, 186 ff. Terminologie nach Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte, 186. Terminologie wiederum nach Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte, 89, 186. In der Sache ebenso Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte, 186 ff., 294, 302.

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bracht, wenn die immer wieder angeführten Fallkonstellationen mit den Instrumentarien der herkömmlichen Dogmatik nicht axiologisch angemessen erfassbar wären. So liegt es indes keineswegs. Das gilt zunächst für diejenigen Konstellationen3722, in denen jemand einen Hilfswilligen nötigt oder täuscht, um die von diesem eingeleitete Gutserhaltung zu hindern und so den Verletzungserfolg eintreten zu lassen. Insofern besteht schon von vornherein kein Bedürfnis, auf das Konstrukt einer mittelbar-täterschaftlichen Unterlassung (durch Begehen)3723 auszuweichen.3724 Denn es ist problemlos möglich, für den nötigenden oder täuschenden Hintermann eine Aktivtäterschaft anzunehmen.3725 Dafür spricht schon allein die praktische Erwägung, dass es axiologisch unhaltbar wäre, die Strafbarkeit des die Rettung aktiv hindernden Akteurs aus dem konkreten Deliktstatbestand in derartigen Fällen vom Erfordernis einer Garantenstellung abhängig zu machen (wie es die Lehre vom unechten Unterlassungsdelikt durch Begehen tun müsste).3726 Aber auch aus alltagsontologischer und normlogischer Sicht ist in diesen Fällen eine Anknüpfung an das aktive Nötigungs- oder Täuschungshandeln des Hintermannes angezeigt: Letzterer betätigt eine intentionale Basis-Handlung, die die Rechtsgutsverletzung eintreten lassen soll, d.h er erlebt den Erfolgseintritt als Produkt seiner Interventionshandlung. Diese verbotene Handlung ist auch notwendiger Bestandteil einer nach allgemeinen Kausalgesetzen hinreichenden Mindestbedingung für den Erfolgseintritt, denn die Rechtsgutsverletzung kann problemlos auf die Unterbindung der unmittelbar bevorstehenden oder eingeleiteten gesetzmäßigen Rettungsbedingung zurückgeführt werden.3727 Der Aufweis einer geheimnisvollen „Wirkursache“ ist dafür von vornherein nicht erforderlich.3728 Eine weitere Konstellation, für die die Beteiligungsfigur einer mittelbaren Täterschaft durch Unterlassen reklamiert wird, betrifft den Fall, dass ein Garant durch Unterlassen der ihm gebotenen Eingriffshandlung die Verletzungstätigkeit eines überwachungspflichtigen Dritten zulässt. Maurach3729 hat hierzu das Beispiel des Anstaltswärters gebildet, der tätliche Angriffe des von ihm zu beaufsichtigenden Geisteskranken auf Mitpatienten zulasse. Maurach selbst wollte hier davon sprechen, dass der Wärter die Verletzungstätigkeit des Geisteskranken durch Unterlassen der 3722

s. dazu nur die Beispiele bei Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte, 196. Zur Figur des Unterlassungsdelikts durch Begehung s. Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte, 194 ff., mit weiteren historischen Nachweisen in Fn. 249. 3724 So aber etwa Maurach, AT1, § 48 III 1 (S. 517); Brammsen, NStZ 2000, 337 (340 ff.); Schroeder, Küper-FS (2007), 539 (541). 3725 So zutr. bereits Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte, 190; Roxin, TuT, 472. 3726 Roxin, TuT, 472; s. auch bereits Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte, 196 ff. 3727 Instruktiv dazu Puppe, in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 111 f. 3728 Zur Kritik dieses „physikalistischen“ Kausalitätsverständnisses s. nur Puppe, in: NK,Vor §§ 13 ff. Rn. 81 f. 3729 In: AT2, § 48 III 1 (S. 504). 3723

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ihm gebotenen3730 Eingriffshandlung herbeiführe.3731 Wie dies aber motivationstheoretisch vonstatten gehen soll, bleibt im Dunkeln.3732 Tatsächlich liegt es doch vielmehr so, dass der Aufsichtspflichtige eine Rechtsgutsbeeinträchtigung nicht unterbindet, die vom Handeln der zu überwachenden Person ausgeht. Das aber macht ihn schon zum gewöhnlichen Unterlassungstäter, weshalb es auch hier von vornherein keines Rekurses auf eine quasi-mittelbare Täterschaft bedarf.3733 Endlich kommen als denkbare Konstellationen einer mittelbaren Unterlassungstäterschaft noch solche Ausnahmefälle in Betracht, in denen der Handlungspflichtige zur Gebotserfüllung auf einen kognitiv oder voluntativ unterlegenen Dritten angewiesen ist und es pflichtwidrig unterlässt, diesen entsprechend aufzuklären bzw. zur Einleitung von Rettungsmaßnahmen zu „instrumentalisieren“.3734 Auch hier liegt aber das eigentliche Verhaltensunrecht nicht im Unterlassen der Erfolgsabwendung „durch“ die unterlegene Person, sondern im Unterlassen des konkret gebotenen Informations- und/oder Instruktionsakts selbst, weshalb insofern ebenfalls stets eine unmittelbare Unterlassungstäterschaft gegeben ist.3735 c) Ergebnis Dogmatisch gesehen gibt es also weder eine genuine mittelbar-täterschaftliche Unterlassung noch ein korrelatives Verhaltensunrechtsäquivalent zur mittelbaren Begehungstäterschaft. In axiologischer Hinsicht dagegen besteht keinerlei Bedürfnis zur Konstruktion einer quasi-mittelbaren Täterschaft durch Unterlassen. Kurzum: Das allgemeine Regelungssubstrat des § 25 I Alt. 2 ist mit der Regelungsmaterie des § 13 nicht kompatibel. 2. Unterlassung und Mittäterschaft a) Verhaltensnormebene Sprachlich durchaus möglich erscheint dagegen ein Unterlassen in Mittäterschaft, also die Verabredung eines auf gemeinschaftliche Unterlassung gerichteten

3730

Diese künstliche Deutung der Unterlassung als mittelbare (Begehungs-)Täterschaft macht deutlich, dass die Beteiligungsfigur nach Maurach gerade nicht an den materialen Gehalt des allgemeinen Gebotsgegenstandes anknüpfen sollte, sondern an eine ominöse QuasiWerkzeugverwendung. 3731 Maurach, AT2, § 48 III 1 (S. 504). 3732 So der zutr. Einwand von Roxin, TuT, 472. 3733 Grünwald GA 1959, 110 (122); Roxin, TuT, 472. 3734 s. dazu nochmals Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte, 186, mit dem Beispiel des Gelähmten, der es unterlässt, ein unwissendes Kind zur Polizeiwache zu schicken, um so seiner Anzeigepflicht i.S.d. § 138 zu genügen. 3735 So zutr. Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte, 186.

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„Unterlassungsprogramms“3736. Doch wirft der Rekurs auf den allgemeinen Normgegenstand (Handlungsgebote!) und die einheitliche Struktur der Unterlassung hier eine ganz entsprechende Frage auf wie schon im Zusammenhang mit der Diskussion einer möglichen mittelbaren Unterlassungstäterschaft: Wie soll man etwas arbeitsteilig unterlassen können? Übereinstimmend unterlassen kann man doch allenfalls die erforderliche und gebotene Durchführung einer arbeitsteilig zu leistenden Rettung (= Unterlassen einer „mittäterschaftlichen“ Erfolgsabwendung).3737 Das wäre dann aber keine arbeitsteilige Unterlassung, sondern das jeweils individuelle Unterlassen des eigenen kollektiv dimensionierten Beitrags zu einer voraussichtlich nur gemeinsam erreichbaren Erfolgsabwendung. Natürlich können diese individuellen Unterlassungen kommunikativ unter- und aufeinander abgestimmt werden. In einer solchen Vereinbarung zum kollektiven Unterlassen könnte man dann möglicherweise das strukturelle Korrelat zur Aktivmittäterschaft sehen. Läge es so, dann wäre eine Übertragung des allgemeinen Regelungsgehalts der Mittäterschaft (§ 25 II) auf den Unterlassungsbereich immerhin erwägenswert. Dem steht jedoch Zweierlei entgegen: Erstens kann die Handlungspflicht nicht einem aus mehreren Handlungspflichtigen zusammengesetzten Kollektiv eine Gemeinschaftshandlung anbefehlen, sondern sie kann nur jedem Einzelnen die Betätigung einer kollektiv dimensionierten Rettungshandlung gebieten. Und zweitens ist das individuelle Unterlassen, einen solchen „Rettungsadhortativ“ umzusetzen, seinerseits eine ich-intentionale Zulassungshandlung. Freilich sind Fallkonstellationen denkbar, in denen eine Rechtsgutsverletzung faktisch allein durch das aktive Zusammenwirken Mehrerer abgewendet werden kann und dies den Beteiligten auch bewusst ist. Ein bekanntes und vieldiskutiertes Beispiel dieser Art bildet der sog. Lederspray-Fall3738, über den der zweite Strafsenat des BGH im Jahre 1990 zu richten hatte: Die Geschäftsführer einer u. a. mit der Herstellung von Lederspray befassten Firma (GmbH) hatten nach dem Auftreten schwerer Gesundheitsschäden durch das von der Firma produzierte Lederspray eine Sondersitzung einberufen, bei der einstimmig entschieden worden war, von einem Rückruf des Produkts abzusehen. Infolgedessen erkrankten weitere Personen nach Benutzung des Sprays. Der Senat verurteilte u. a. diejenigen angeklagten Geschäftsführer, die an der Sondersitzung teilgenommen hatten, (auch) wegen vorsätzlicher gefährlicher Körperverletzung. Er begründete dies mit der Annahme eines mittäterschaftlichen Unterlassens.3739 Dabei differenzierte der BGH zunächst sorgsam zwischen den Pflichten der Geschäftsführung als Kollegialorgan und den individuellen Handlungspflichten der einzelnen Geschäftsführer: Die Pflicht zum Rückruf des gesundheitsgefährdenden Produkts habe nur von allen Geschäftsführern

3736 3737 3738 3739

Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 216. Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte, 187. BGHSt 37, 106 ff. (131). BGHSt 37, 106 (129 ff.).

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gemeinsam erfüllt werden können.3740 Demgegenüber sei dem einzelnen Geschäftsführer lediglich die Pflicht erwachsen, unter vollem Einsatz seiner Mitwirkungsrechte das ihm Mögliche und Zumutbare zu tun, um einen Beschluss der Gesamtgeschäftsführung über Anordnung und Vollzug des gebotenen Rückrufs zustande zu bringen.3741 Mit dieser Aufspaltung der Pflichtsubjekte nach dem überindividuellen Kollegialorgan einerseits und den Geschäftsführern als Individuen andererseits hat der BGH implizit einen Umstand von zentraler dogmatischer Bedeutung klargestellt: Eine „gemeinsame“, d. h. kollektive Handlungspflicht kann niemals einzelne Individuen, sondern allenfalls überindividuelle Organe oder Kollektivsubjekte treffen (die aber eben strafrechtlich nicht zur Verantwortung gezogen werden können). Das verdeutlicht ein einfach gelagerter Vergleichsfall: Wenn der verletzte X unter einem schweren Balken begraben liegt, den A und B nur mit vereinten Kräften weg heben können, dann trifft sowohl den A als auch den B jeweils die individuelle Pflicht, eine eigene kollektiv dimensionierte Basis-Rettungshandlung zu betätigen, d. h. selbst anzupacken und den jeweils anderen zur Mithilfe anzuhalten; eine beiden „gemeinsam“ zu gleichen Teilen obliegende Handlungspflicht kann es dagegen normentheoretisch nicht geben.3742 Abzustellen ist also auf die je individuelle Handlungspflicht, die ihrerseits immer „nur“ verlangt, dass der Einzelne den eigenen Organisationskreis mobilisiert und sich erforderlichenfalls um fremde Mithilfe bemüht.3743 Leistet er dies bis an die Grenzen seiner psychophysischen Handlungsfähigkeit, so erfüllt er das Gebot unabhängig davon, ob er die fremde Mithilfe erreichen konnte oder nicht.3744 Verletzt er hingegen seine individuelle Handlungspflicht, indem er selbst von vornherein untätig bleibt oder sich nur halbherzig um die essentielle Mithilfe anderer bemüht, so unterlässt er die Einleitung der ihm gebotenen Rettungsmaßnahmen. Dann aber ist er unmittelbarer Unterlassungstäter im allgemeinen verhaltensnormtheoretischen Sinne.3745 Die Tatsache, dass die konkrete Handlungspflicht neben der eigenen Tätigkeit ggf. auch das Erwirken fremder Mithilfe zum Gegenstand hat, ändert nichts am faktisch-unmittelbaren Rechtsgutsbezug der eigenen intentionalen Zulassungshandlung. Nun könnte man freilich meinen, derart weitreichende Individualpflichten überschritten tendenziell die rechtlich zumutbare Opfergrenze, da sie den Adressaten 3740

BGHSt 37, 106 (123, 125 f., 131). BGHSt 37, 106 (125, 131 f.). 3742 s. dazu Puppe, GA 2004, 129 (135); der Sache nach auch bereits Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte, 189; a.A. insofern Roxin, TuT, 469 f., dessen Beispiele aber in Wahrheit Fälle einer „Nebentäterschaft“ mehrerer individuell Unterlassender bei gegenständlich identischer Individualhandlungspflicht betreffen. 3743 Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte, 186 ff.; Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 216. 3744 Vgl. dazu BGHSt 37, 106 (131 f.). 3745 Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 216. 3741

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in praxi oftmals zu voraussichtlich sinnlosen Maßnahmen „verdonnerten“.3746 Diese Annahme wäre aber unzutreffend. Denn zwar muss der einzelne Handlungspflichtige selbst dann noch aktiv werden, wenn er es in Ansehung prognostisch interferierender Drittunterlassungen für wahrscheinlich hält, dass der Erfolg aufgrund von hinreichenden Bedingungen eintritt, die seinem eigenen Einfluss entzogen sind.3747 Doch lassen sich für diese – zugegebenermaßen strenge – Pflichtbindung drei durchschlagende Gründe benennen: Erstens würde die Schutzeffektivität der Gebotsnormen unterlaufen, wenn jeder Pflichtige sich mit dem Hinweis entlasten könnte, er hätte die notwendige Mithilfe anderer ohnehin nicht sicherstellen können.3748 Zweitens betrifft der „Aufforderungsteil“ einer Handlungspflicht, die die Mobilisierung anderer Hilfspflichtiger einschließt, nur einfache Sprechakte, die ohne übermäßige Anstrengungen erbracht werden können. Und drittens schließlich kann für das vom Pflichtadressaten vorwegzunehmende Entschlussverhalten handlungspflichtiger Dritter nur auf die insofern geltenden Rechtsregeln rekurriert werden, da wir allgemeine Gesetzmäßigkeiten über menschliches Entschlussverhalten nicht kennen.3749 Danach muss es für die allgemeine Verpflichtungswirkung der Gebotsnorm genügen, dass die prinzipielle Chance einer Erfolgsabwendung besteht.3750 Eine individuelle Entpflichtung kommt nur und erst dann in Betracht, wenn die Erfolglosigkeit der eigenen Rettungsbemühungen aufgrund von Bedingungen, die dem eigenen Einfluss entzogen sind, sicher voraussehbar ist bzw. feststeht.3751 Nach alledem bleibt festzuhalten, dass es im allgemeinen verhaltensnormtheoretischen Sinne weder ein genuines mittäterschaftliches Unterlassen gibt noch Gebote, deren Verletzung eine quasi-mittäterschaftliche Unterlassung nach sich zöge. b) Sanktionsnormebene Auch in Fällen eines kumulativen Unterlassens ist also für das allgemeine Handlungsunrecht auf die „einheitstäterschaftliche“ Struktur des individuellen Pflichtgegenstandes abzustellen. Dies kann allerdings beim kumulativen Unterlassen zu Sonderproblemen hinsichtlich der Kausalitätsfeststellung führen. Einer solchen Schwierigkeit sah sich auch der BGH im bereits erwähnten Ledersprayfall ausgesetzt: Der Beschluss, den Rückruf des gesundheitsschädlichen Produkts zu unterlassen, war von der Geschäftsführung einstimmig gefasst worden, wobei allerdings 3746 In diese Richtung geht die Argumentation von Samson (StV 1990, 182 [185]); krit. dagegen wiederum Puppe, in JR 1992, 31 (33). 3747 Puppe, in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 113, 124. 3748 Puppe, ZStW 92 (1980), 863 (906 f.); s. auch BGHSt 48, 77 (95). 3749 s. dazu bereits Puppe, ZStW 92 (1980), 863 (906 f.); dies., in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 134a. 3750 I. E. ebenso BGH NStZ 2000, 414 (415); Puppe, in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 124; Otto, AT, § 9 Rn. 100; Stree/Bosch, in: Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 13 ff. Rn. 149. 3751 So zutr. Puppe, JR 1992, 30 (31); dies., in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 124; auch BGH NStZ 2000, 414 (415); Stree/Bosch, in: Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 13 ff. Rn. 149.

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schon eine einfache Stimmenmehrheit für sein gültiges Zustandekommen genügt hätte. Bei dieser Sachlage hätte sich folglich jeder Geschäftsführer darauf berufen können, dass die anderen ihn auch dann überstimmt hätten, wenn er selbst pflichtgemäß für einen Rückruf gestimmt hätte.3752 Im Angesicht dieser Kalamität griff der erkennende Senat auf die Rechtsfigur des mittäterschaftlichen Unterlassens zurück: Insbesondere diejenigen Geschäftsführer, die an dem Beschluss zum Unterlassen der Revokation beteiligt gewesen seien, seien hinsichtlich der gefährlichen Körperverletzung Mittäter gewesen; daher müsse sich jeder von ihnen die Unterlassungsbeiträge der anderen zurechnen lassen und hafte also für das Unterbleiben des gebotenen Rückrufs insgesamt. Eine Mittäterschaft sei nämlich auch bei den (unechten) Unterlassungsdelikten möglich. Sie liege eben u. a. dann vor, wenn mehrere Garanten, die eine ihnen gemeinsam obliegende Pflicht nur gemeinsam erfüllen könnten, gemeinschaftlich den Entschluss fassten, dies nicht zu tun.3753 Dieses auf den ersten Blick elegant anmutende „Ausweichen“ auf eine Unterlassungsmittäterschaft hat jedoch bei näherem Hinsehen schwere strafrechtsdogmatische Inkonsistenzen im Gepräge, denn durch die vom BGH propagierte Anwendung des § 25 II wird das allgemeine Erfordernis der Unterlassungskausalität unzulässigerweise gänzlich überspielt: Mittäterschaft setzt prinzipiell die Kausalität des Einzelbeitrags für den Erfolg voraus. Daher kann auch im Unterlassungsbereich nicht die Kausalität mit der Mittäterschaft begründet werden, sondern es müsste gerade umgekehrt die Mittäterschaft von der Kausalität des Einzelbeitrags her begründet werden.3754 Letzteres ist aber problemlos leistbar, sofern man nur bereit ist, sich von der gängigen (Wegdenk-)Methode der Kausalerklärung zu verabschieden und überdies einzugestehen, dass wir keinen metaphysischen Wirkmechanismus von Kausalität kennen. Stattdessen sind „nur“ fallbezogen konkretisierte Gesetzmäßigkeitserklärungen möglich („Lehre von der gesetzmäßigen Bedingung“).3755 Den logischen Bedingungszusammenhang dieser Gesetzmäßigkeitserklärungen hat Puppe3756 en détail ausgearbeitet. Danach ist ein Einzelverhalten (Tun wie Unterlassen gleichermaßen) dann ursächlich für einen tatbestandsmäßigen Erfolg, wenn es notwendiger Bestandteil einer nach allgemeinen Kausalgesetzen hinreichenden Minimalbedingung für eben diesen Erfolg ist.3757 3752

So zutr. Puppe, GA 2004, 129 (132). BGHSt 37, 106 (129); ebenso auch die h.L. im strafrechtlichen Schrifttum, s. nur etwa: Roxin, TuT, 469 f.; Jescheck/Weigend, AT, § 63 IV 2 (681 f.); Schwab, Täterschaft, 213; Schaal, Verantwortlichkeit, 202 ff. (209); Bottke, Gössel-FS (2002), 235 (257); Stratenwerth/Kuhlen, AT, § 14 Rn. 17; Schünemann, in: LK, § 25 Rn. 213; Hoyer, in: SK, § 25 Rn. 149; Gaede, in: NK, § 13 Rn. 27; wohl auch Heine/Weißer, in: Schönke/Schröder, § 25 Rn. 83, 86; Joecks, in: MK, § 25 Rn. 264 a.E. 3754 Puppe, JR 1992, 30 (32); dies., in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 94. 3755 s. allgemein und umfassend zu diesem generalistischen Kausaldogma Puppe, in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 80 ff. 3756 In: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 102 ff. 3757 Puppe, in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 102 f. 3753

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Nach dieser Erklärungsmethode kann auch im Ledersprayfall jede Einzelunterlassung logisch problemlos als Ursache der späteren Körperverletzungserfolge ausgewiesen werden, wie Puppe überzeugend gezeigt hat: Auszugehen ist von der individuellen Abstimmung jedes Geschäftsführers gegen einen Rückruf des gefährlichen Produkts, in der zugleich das Unterlassen des rechtlich gebotenen Einsatzes für einen Rückruf liegt. Für jede einzelne dieser Stimmabgaben erhält man eine nach allgemeinen Gesetzen hinreichende Mindestbedingung des Erfolges, indem man genau so viele Stimmen mit ihr zusammenfasst, wie nach der konkret einschlägigen Mehrheitsregel für das wirksame Zustandekommen eines den Rückruf ablehnenden Beschlusses mindestens erforderlich sind. Das tatsächliche Stimmverhalten der anderen Geschäftsführer hat, weil für die logische Formulierung der jeweiligen Mindestbedingung überflüssig, von vornherein außen vor zu bleiben. Innerhalb der für das jeweilige Einzelunterlassen formulierten Minimalbedingung ist dann jede Stimme notwendig für das Zustandekommen des die Revokation ablehnenden Beschlusses. Damit ist jedes einzelne Gremiumsmitglied nach allgemeinen Gesetzen kausal für das Zustandekommen des rechtswidrigen Beschlusses und die hieraus gesetzmäßig erwachsenen Folgen geworden.3758 Im Ergebnis bleibt festzuhalten, dass eine wechselseitige Zurechnung fremder Verhaltenspflichtverletzungen unter der Sanktionsnorm der Mittäterschaft (§ 25 II) nicht nur bedenklich ist, weil sie das allgemeine Erfordernis der Unterlassungskausalität desavouiert, sondern auch überflüssig, weil jede pflichtwidrige Einzelunterlassung ceteris paribus schon für sich genommen als Unterlassungstat strafbar ist. c) Ergebnis Zur Beteiligungsfigur einer mittäterschaftlichen Unterlassung bzw. einer Unterlassung in Mittäterschaft bleibt insgesamt zu sagen: Ein arbeitsteiliges mittäterschaftliches Unterlassen existiert nicht; wenn überhaupt kann man allenfalls dahingehend übereinkommen, die Durchführung einer kollektiv zu erbringenden Rettungshandlung zu unterlassen. Verhaltensnormlogisch gesehen bleibt es aber auch hier dabei, dass jeder für sich aufgefordert ist, Rettungsmaßnahmen einzuleiten, zu denen eben auch die Einholung fremder Mithilfe gehören kann. Jeder Omittent verletzt also eine ihn allein treffende, vollwertige Handlungspflicht und begeht hierdurch eine ceteris paribus strafbare Unterlassungstat. 3. Akzessorische Beihilfe durch Unterlassen bei garantenpflichtwidriger Nichthinderung aktiver Deliktshandlungen? Höchst umstritten ist die beteiligungsrechtliche Verortung des Unterlassens in Konstellationen, in denen ein Garant einen Aktivtäter nicht an dessen rechtsguts3758

s. zum Ganzen Puppe, GA 2004, 129 (138 f.); dies., in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 108.

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verletzender Handlung hindert. Insofern hat sich eine umfangreiche Diskussion entwickelt, die durch Einordnung in die verschiedenen Systemebenen des Straftatgefüges vielleicht besser und aufschlussreicher strukturiert und geführt werden kann: a) Ebene des personalen Handlungsunrechts Das mit Abstand meiste Argumentationsmaterial, das im Rahmen des Meinungsstreits vorgebracht wird, betrifft die Ebene des personalen Handlungsunrechts. Pointiert könnte man sagen: Dreh- und Angelpunkt ist die Frage, ob auch im Gebotsbereich ein allgemeingültiges Prinzip der materiellen Akzessorietät existiert, wie wir es aus dem Verbotsbereich kennen. aa) Subjektive Theorie Da im Unterlassungsbereich der objektive Gehalt des unrechtlichen Verhaltens uniform ausgestaltet ist, scheint gerade hier die subjektive Theorie zu funktionieren, die ja nach der Willensrichtung und dem Interesse der Beteiligten differenziert. Danach ließen sich beteiligungsrechtlich durchaus „innenakzessorische“ Unterlassungen denken. Es käme darauf an, ob der untätige Garant das Tatgeschehen als eigenes bzw. im eigenen Interesse gewollt oder aber sich dem Willen bzw. den Interessen des Aktiven untergeordnet hat. Nach diesem subjektiven Ansatz verfährt nach wie vor insbesondere die Rechtsprechung3759, freilich zwischen ihm und der Tatherrschaftslehre oszillierend.3760 Der Vorzug dieser subjektiven Theorie scheint nun darin zu liegen, dass sie Täterschaft und Teilnahme im Begehungs- und Unterlassungsbereich einheitlich abzugrenzen erlaubt und außerdem gerade im Unterlassungsbereich praktikabel anmutet.3761 Aber dieser erste Eindruck täuscht: Legt man die Dolustheorie zugrunde, so ist nämlich schon im Ansatz unklar, anhand welcher Kriterien man differenzieren will, ob der unterlassende Garant dem Handelnden die Tat anheimstellt oder nicht. Da der Garant sich stets passiv verhält, bleibt ihm doch gar nichts anderes übrig, als die Gestaltung des deliktischen Geschehens komplett dem Aktiven zu überlassen.3762 Die uniforme Passivität des Unterlassenden macht also eine Abgrenzung von Beteiligungsformen objektiv unmöglich, welcher Umstand im Rückstoß zwingend auf die subjektive Theorie durchschlagen muss: Es fehlt an objektiven Indiztatsachen, die auf eine bestimmte Willensrichtung des Omittenten schließen lassen.3763 Das gilt 3759

BGHSt 2, 150 (151); 43, 381 (396); 48, 77 (91); aus der strafrechtlichen Literatur s. Arzt, StV 1986, 337 (338); Baumann/Weber/Mitsch, AT11, § 29 Rn. 89 m. Fn. 118. 3760 s. dazu Roxin, TuT, 489 ff. (492); ders., AT/II, § 31 Rn. 126 ff.; Mosenheuer, Unterlassen, 161 ff. 3761 Roxin, TuT, 490. 3762 Roxin, TuT, 490 f. 3763 Roxin, AT/II, § 31 Rn. 139.

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auch im Hinblick auf die Interessentheorie, denn Passivität kann niemals ein Eigentatinteresse objektiv manifestieren. Allein auf die innere Haltung des Unterlassenden zur Tat abzuheben, liefe dagegen auf nacktes Gesinnungsstrafrecht hinaus.3764 Demnach ist die subjektive Theorie im Unterlassungsbereich wohl noch stärkeren Einwänden ausgesetzt, als dies im Begehungsbereich ohnehin bereits der Fall ist.3765 Zu fragen ist aber noch tiefer gehend nach dem dogmatischen Grund für das Scheitern der subjektiven Theorie im Unterlassungsbereich. Dieser liegt darin, dass man versucht, die Beteiligungsformen losgelöst von der (sozial-)ontologischen Struktur des personalen Verhaltensunrechts zu bestimmen. Im Begehungsbereich mag eine solche eigenständige Beteiligungsrechtsdogmatik gerade noch angehen, da es hier immerhin möglich ist, zwischen verschiedenen Arten pflichtverletzender Aktivität als Zurechnungstypen zu unterscheiden (= „Handlungsherrschaft“, „Willensherrschaft“, „funktionelle Tatherrschaft“). Eine solche vom konkreten Pflichtgegenstand abstrahierende Beteiligungslehre ist jedoch im Unterlassungsbereich von vornherein unmöglich, da der Untätige keinen zurechnungsbegründenden Herrschaftswillen bzw. kein Tatinteresse objektivieren kann.3766 bb) Unterlassen und Tatherrschaft Teilweise3767 wird auch versucht, das im Begehungsbereich geltende Tatherrschaftskriterium für den Unterlassungsbereich fruchtbar zu machen, was ebenfalls die Behauptung impliziert, dass akzessorische, weil tatherrschaftslose, (Garanten-) Unterlassungen möglich seien. Allerdings erhebt sich die Frage, wie denn der allgemeinen Verhaltensstruktur der Unterlassung eine nach Tatherrschaft abgrenzende Beteiligungslehre implementiert werden soll. Freilich könnte man der Ansicht sein, dass auch im Unterlassungsbereich entscheidend darauf abzustellen sei, bei wem die maßgebliche Entschließung über Ob und Wie der Tat liege.3768 Dagegen spricht jedoch bereits der offensichtliche Umstand, dass sich ein Handlungsablauf durch 3764

Zutr. Roxin, TuT, 491; ders., AT/II, § 31 Rn. 138. Roxin, TuT, 490; Lackner/Kühl, § 27 Rn. 5. 3766 Roxin, TuT, 490 f. 3767 Aus der Rechtsprechung s. etwa BGHSt 11, 268 (272); 37, 289 (293); aus der strafrechtlichen Literatur etwa Busse, Täterschaft, 257 ff.; Gössel, ZStW 96 (1984), 321 (333 f.); Kielwein, GA 1955, 225 (227). 3768 Ganz i.d.S. will Busse (Täterschaft, 269 ff.) den Tatherrschaftsgedanken beteiligungsdogmatisch in Bausch und Bogen auf die Unterlassungsseite extrapolieren; er begründet dies insbesondere damit, dass das Tatherrschaftsprinzip bereits im Aktivbereich starke Normativierungen erfahre und deshalb nichts daran hindere, es auch für den Unterlassungsbereich entsprechend zu adaptieren (a.a.O., 267 ff.). Daran ist richtig, dass das Tatherrschaftsprinzip bereits im Aktivbereich (partiell) zu offenen Wertungen herausfordert und insofern problematisch ist. Gerade deshalb wäre es aber besonders misslich, auch noch für eine Übertragung in den Unterlassungsbereich zu votieren. Denn auf diese Weise würde gerade die entscheidende Schwäche des Tatherrschaftsprinzips kurzerhand zur Stärke (v)erklärt (s. tendenziell auch bereits Becker, HRRS 2009, 242 [244]). 3765

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bloßes Nichtstun nicht gestaltend beherrschen lässt.3769 Das eigentliche Problem der Lehre von der Unterlassungsherrschaft liegt jedoch tiefer und offenbart sich eben dann, wenn die Tatherrschaft eines Aktiven den simultan unterlassenden Garanten als bloßen Gehilfen an den Geschehensrand drängen soll.3770 So kann das nämlich freilich nicht stimmen, denn das Handlungsgebot verpflichtet den Garanten nicht fremdtatakzessorisch, sondern gerade gegenläufig und originär – eben zur Gefahrenabwehr!3771 Die Verhaltenspflichtverletzung des unterlassenden Garanten ist also ihrem materialen Gehalt nach gerade nicht derivativ ausgestaltet (= keine Abhängigkeit von fremdem Handlungserlebnis),3772 sondern es hängt „bloß“ die existentielle Vermeidefähigkeit des Garanten faktisch von der kriminellen Energie des Aktiven ab.3773 Entsprechendes gilt aber – mutatis mutandis – auch schon für rechtsgutsgefährdende Naturverläufe, die ebenfalls unterschiedlich große Handlungserschwernisse bergen (z. B. „Feuersbrunst“, oder „reißende Fluten“).3774 Aus verhaltensnormlogischer Sicht ist daher in beiden Fällen „nur“ das allgemeine Pflichtmerkmal der psychophysischen Handlungsfähigkeit betroffen. Letzteres übersieht insbesondere die von Gallas3775 begründete „Theorie der Einheitsbeihilfe“3776. Danach soll die Tatherrschaft eines (freiverantwortlich delinquierenden) Aktivtäters dem unterlassenden Garanten grundsätzlich den unmittelbaren Zugang zum Deliktserfolg verstellen, mit der Folge, dass er stets Gehilfe sei (erstes Axiom). Stehe der Garant dagegen nicht mehr der fremden Deliktshandlung als solcher gegenüber, sondern lediglich noch deren korrigierbaren Auswirkungen, so sei er im Falle seines Untätigbleibens ebenso Täter wie bei Nichthinderung sonstiger (natürlicher) Verletzungsverläufe (zweites Axiom). Das erste Axiom dieser Lehre ignoriert den Sitz des Problems im allgemeinen Pflichtmerkmal der Handlungsfähigkeit: Von einem „Verstellen“ des unmittelbaren Erfolgszugangs kann nur dann die Rede sein, wenn der Garant ob der Übermacht des Begehungstäters außerstande ist, die Rechtsgutsverletzung überhaupt zu verhindern. 3769

Roxin, TuT, 463. So insbesondere Gallas, JZ 1952, 371 (372); JZ 1960, 686 (687 m. Fn. 67). 3771 So zutr. Bloy, JA 1987, 490 (492 f.); Roxin, AT/II, § 31 Rn. 141. 3772 Bloy, JA 1987, 490 (492 f.). 3773 Zuzugeben ist also, dass die abzuwendende Gefahr im Falle menschlicher Drittintervention eine andere Qualität aufweist als im Falle rechtsgutsbedrohender Naturverläufe. Das ändert aber nichts daran, dass der Garant originär zur Gefahrenabwendung verpflichtet ist! Besonderheiten, die sich aus der speziellen Qualität menschlicher Gefahrschaffung ergeben, sind daher sub specie Handlungsfähigkeit und Zumutbarkeit zu berücksichtigen. 3774 So zutr. Roxin, AT/II, § 31 Rn. 154; ders., TuT, 498. 3775 In: JZ 1952, 371 (372); ders., JZ 1960, 686 (687 m. Fn. 67). 3776 Begriff nach Roxin, AT/II, § 31 Rn. 151; dieser verbreiteten Lehre folgen etwa Kielwein, GA 1955, 225 (227); Jescheck/Weigend, AT, § 64 III 5 (S. 696); Schmidhäuser, AT, 17/12 (für die „Obhutsgarantie“); Ranft, ZStW 94 (1982), 815 (828 ff., 861 ff.); Kühl, AT, § 20 Rn. 230; Lackner/Kühl, § 27 Rn. 5; Weigend, in: LK, § 13 Rn. 95; weiterführend Mosenheuer, Unterlassen, 188 ff. (201: keine „rechtlich überlegene Hemmungsherrschaft“ des Garanten bei bloßem Gewähren-Lassen eines freiverantwortlich delinquierenden Aktivtäters). 3770

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Dann aber trifft ihn schon gar keine Handlungspflicht, weshalb sich die Frage nach der Beteiligungsform gar nicht erst stellt.3777 Nichtsdestotrotz ist Gallas’ Theorie von der Einheitsbeihilfe bis heute ein beträchtlicher Erfolg beschieden. Das hängt vor allem mit dem realitätsverzerrenden Bild3778 zusammen, das sie transportiert, wie Roxin3779 sehr feinsinnig aufgedeckt hat: „Vor allem darf man sich den Handlungstäter in solchen Fällen nicht so vorstellen, als ob er, mit einem Revolver bewaffnet, hilfswillige Garanten verscheuchen oder ernsthaft gefährden könnte. Denn die Bestrafung wegen Unterlassens setzt doch in jedem Fall voraus, dass der Pflichtige den Erfolg (…) abwenden konnte (…) und dass ihm ein Eingreifen auch zumutbar war (…). Im Bereiche des Möglichen und Zumutbaren aber noch weiter nach den Kriterien ,leichter‘ und ,schwieriger‘ zu differenzieren, erscheint mir schon deshalb nicht angängig, weil auch bei der ,Alleintäterschaft‘ durch Unterlassen solche Abstufungen möglich sind, ohne sich strafrechtlich auszuwirken. So wird es sicher in der Regel leichter sein, ein Kind vor einem Sturz ins Wasser zu bewahren als es aus einem brennenden Haus zu retten. Trotzdem ist der Garant, wenn nur überhaupt die Voraussetzungen der Strafbarkeit vorliegen, in beiden Fällen Täter.“

Dieser zutreffenden Analyse kann auch nicht entgegengehalten werden, dass es sich generell ungleich schwieriger gestalte, einen tatentschlossenen Menschen von der Deliktsverwirklichung abzuhalten, als einen schadensträchtigen Naturkausalverlauf zu stoppen.3780 Dies ist schon allein deshalb kein valider Erfahrungswert, weil die anfängliche Unterbindung eines fremden Deliktsentschlusses oft wesentlich leichter fallen kann als die nachträgliche Korrektur des durch ihn in Gang gesetzten Naturkausalverlaufs.3781 Überhaupt können fremde Straftaten oft bereits im Vorfeld leicht durch Anzeigeerstattung unterbunden werden, während umgekehrt bestimmte Naturgewalten (etwa „Feuersbrunst“ oder „reißende Fluten“) mindestens ebenso 3777 Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte, 294 f. m. Fn. 203; Bloy, JA 1987, 490 (491); Androulakis, Studien, 164; Nitze, Bedeutung, 161; Renzikowski, Täterbegriff, 32. 3778 Zuzugeben ist allerdings, dass Fallkonstellationen existieren, in denen die Annahme eines täterschaftlichen Unterlassungsdelikts dem Judiz aufstößt. Schreitet etwa ein Wohnungsinhaber nicht dagegen ein, dass der von ihm mitgebrachte Zechkumpan den Untermieter erpresst (Fall nach BGH NJW 1977, 204; s. auch Kühl, AT, § 20 Rn. 230, der den Fall als Beleg für die Richtigkeit der Theorie von der Einheitsbeihilfe anführt), so erscheint die Annahme einer bloßen Beihilfe durch Unterlassen dem Rechtsgefühl auf den ersten Blick eingängiger (vgl. Kühl, AT, § 20 Rn. 231). Doch derartige Gegenbeispiele sind mit Vorsicht zu genießen. Denn die – mitunter durchaus berechtigten – Bedenken bezüglich der Begehungsgleichheit betreffen hier nicht die uniforme „beteiligungsrechtliche“ Struktur der Unterlassung, sondern schlicht die Schwierigkeit, untereinander gleichwertige Garantenstellungen herauszuarbeiten, wie das Judikat BGH NJW 1997, 204 gerade ostentativ belegt! Allgemein zum Problem der Zulassung eines Delikts mit überschießender Innentendenz (hier: § 253) s. dagegen noch unten, S. 692 f. 3779 TuT, 498. 3780 So aber ausdrücklich Weigend, in: LK, § 13 Rn. 95. 3781 So zutr. Armin Kaufmann (Unterlassungsdelikte, 296 f.) am Beispiel des Bademeisters, für den es allemal leichter sei, Jugendliche durch Zuruf davon abzuhalten, einen Nichtschwimmer ins Wasser zu schubsen, als den Ertrinkenden später zu retten; zust. Schröder, in: Schönke/Schröder17, Vor § 47 Rn. 107; Roxin, TuT, 497 f.

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große aktuelle Rettungshürden errichten können wie die kriminelle Energie eines fest entschlossenen Aktivtäters.3782 Ein weiteres Problem der Gallas’schen Theorie von der Einheitsbeihilfe liegt in dem Wertungswiderspruch, den sie hervorruft, wenn der unterlassende Garant die vom Aktivtäter ausgehende Gefahrensituation bloß irrtümlich für gegeben hält. Denn wie Grünwald3783 zutreffend herausgearbeitet hat, ist nicht einzusehen, dass der Garant wegen versuchter Beihilfe straflos bleiben soll, wenn er einen irrtümlich angenommenen Mordversuch am Einwirkungsobjekt nicht unterbindet, während er wegen Mordversuchs durch Unterlassen bestraft werden muss, wenn er fälschlicherweise einen lebensbedrohlichen Unglücksfall für gegeben hält.3784 Ungereimtheiten folgen aber auch aus dem zweiten Axiom der Lehre von der Einheitsbeihilfe (wer sich bloß noch den korrigierbaren Auswirkungen fremder Tat gegenübersieht, ist im Unterlassungsfalle ebenso Täter wie bei Nichthinderung apriorischer Naturkausalität). Denn eine Anknüpfung der Unterlassungstäterschaft an die Versuchsbeendigung des Aktiven ist auch in sich nicht frei von Widersprüchen.3785 Wie etwa soll der unterlassende Garant nach diesem Axiom beteiligungsrechtlich behandelt werden, wenn er Gefahrensituation und Begehungstäter nach Versuchsbeendigung am Tatort antrifft (Bsp.: Die Mutter kommt gerade in dem Moment nach Hause, als der Vater das Kleinkind in den Swimmingpool gestoßen hat)? Soll die Beteiligungsform hier von dem durch das Erscheinen des Garanten „korrigierten Rücktrittshorizont“ des Aktiven abhängen? Fasst man dies alles zusammen, so kann man sagen: Weder der Tatherrschaftslehre noch der Theorie von der Einheitsbeihilfe ist es gelungen, eine materielle Akzessorietät des Garantenunterlassens von fremdem Haupttatentschluss darzutun. 3782

So zutr. etwa Roxin, TuT, 789; ders., AT/II, § 31 Rn. 154. In: GA 1959, 110 (116). 3784 Man hat dem entgegengehalten, dass der Irrtum über die aktive Tatsteuerung eines anderen ein allgemeines Problem darstelle, das in gleicher Weise auch im Aktivbereich auftrete (Herzberg, Unterlassung, 259; Ranft, ZStW 94 [1982], 815 [848]): Schaffe etwa jemand Brandmaterial heran, weil er irrtümlich glaube, ein anderer wolle ein Gebäude in Brand setzen, so bleibe seine versuchte Beihilfe straflos; stelle er sich hingegen fälschlich vor, ein vorhandener oder erwarteter – per se ungefährlicher – Schwelbrand werde sein Brandmaterial zur Entzündung bringen und dadurch zur Inbrandsetzung des Gebäudes führen, so hafte er ggf. wegen täterschaftlichen Brandstiftungsversuchs (Bsp. nach Ranft, a.a.O.) – Das ist richtig. Nur irrt der Aktive hier im ersteren Falle über die Tauglichkeit seiner akzessorisch dimensionierten Beihilfehandlung, im letzteren hingegen über die Tauglichkeit seines zur Selbstbegehung eingeplanten Tatmittels! Gerade wegen dieses qualitativen Unterschiedes im Programmgehalt ist aber die axiologische Ungleichbehandlung sub specie Sanktionsnorm im Begehungsbereich gerechtfertigt! Demgegenüber irrt jedoch der unterlassende Garant bei fälschlicher Annahme einer fremden Verletzungshandlung ebenso über das Bestehen einer faktischen Gefahrenlage wie bei Fehlannahme eines natürlichen Verletzungsverlaufs: Beide Male betrifft der Irrtum die Erforderlichkeit des eigenen Eingreifens und damit die Tauglichkeit der eigenen originären Zulassungshandlung durch Unterlassen! 3785 Für den Sonderfall der Nichtverhinderung fremden Selbstmordes gesteht Gallas dies sogar selbst ein (JZ 1960, 686 [689]). 3783

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Entsprechendes gilt für die Figur einer Mittäterschaft zwischen einem unterlassenden Garanten und einem aktiv Handelnden.3786 Zwar kann ein Garant mit einem aktiven Begehungstäter dahingehend übereinkommen, dass er dessen Verletzungstätigkeit freien Lauf lässt. Eine solche Übereinkunft impliziert allerdings, dass der Akteur (voraussichtlich) nicht beherrschend tätig werden könnte, wenn der Garant seine Handlungsmacht pflichtgemäß aktualisierte (= allgemeines Erfordernis der Handlungsfähigkeit). Dann aber ist die deliktische Fremdaktivität unter dem Gesichtspunkt der eigenen Erfolgsabwendungspflicht nicht anders zu bewerten als jeder andere bedrohliche Kausalverlauf, den es im Interesse der Rechtsgutserhaltung abzuwenden gilt. Vereinbart also der Garant mit dem Begehungstäter, diesem freie Hand zu lassen, so konstituiert dies keinen gemeinsamen Tatentschluss (auf welche Tat sollte dieser auch gerichtet sein?), sondern bestätigt bloß den Verzicht des Garanten auf die Aktualisierung seiner individuellen Eingriffsmacht.3787 Es bleibt also dabei: Intentionale Zulassungshandlungen durch Unterlassen weisen strukturell einen rein faktischen Rechtsgutsbezug auf.3788 Geboten ist ausschließlich die Mobilisierung des je eigenen Organisationskreises zur Abwehr der Rechtsgutsverletzung. Auf der Ebene des allgemeinen Handlungsunrechts ist es daher angezeigt, von dieser einförmig-originären („täterschaftlichen“) Struktur auszugehen.3789 Verfügt der Handlungspflichtige im kritischen Moment über die prinzipielle Macht, den Begehungstäter aufzuhalten und aktualisiert er sie nicht, so unterlässt er – wie bei der Nichthinderung sonstiger Verletzungsverläufe – alleintäterschaftlich.3790 Gegen diese Schlussfolgerung hat freilich Gallas3791 seinerseits eingewandt, die Eingriffsmöglichkeit ex ante („potentielle Tatherrschaft“) gehöre schon zum Begriff der Unterlassung als solcher und könne deshalb nicht zugleich zur Bestimmung der Beteiligungsform dienen. Diese Replik übersieht allerdings, dass die Nivellierung der Beteiligungsformen unter dem allgemeinen Pflichtmerkmal der Handlungsfähigkeit gerade wegen der abweichenden Verhaltensstruktur intentionaler Zulassung angezeigt ist.3792 Angesichts dieser allgemeinen Strukturvorgabe ist also gerade umgekehrt die (stillschweigende) Annahme begründungsbedürftig, auch im Unterlassungsbereich sei eine Abgrenzung nach Beteiligungsformen indiziert. Über eine 3786

I. E. ebenso bereits Roxin, TuT, 470 f. Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 217. 3788 Bloy, JA 1987, 490 (493). 3789 Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte, 302; ebenso Grünwald, GA 1959, 110 (118 ff.); Welzel, Strafrecht, § 27 AV 206 f., (S. 221 f.); Bloy, JA 1987, 490 (493); Stratenwerth/ Kuhlen, AT, § 14 Rn. 13, 23. 3790 Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte, 293 f. 3791 In: JZ 1952, 371 (372). 3792 So zutr. Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte, 294; Gallas’ These impliziert die stillschweigende Annahme, dass auch im Unterlassungsbereich zwingend verschiedene Beteiligungsformen voneinander abgegrenzt werden müssten; ein derartiges Axiom existiert jedoch hier nicht. 3787

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solche Notwendigkeit könnte man allenfalls dann reflektieren, wenn ein „akzessorisches Garantenunterlassen“ in der Sache überhaupt konstruktiv möglich wäre.3793 Seltsamerweise hat man jedoch erst recht spät versucht, den sachlogischen Hintergrund des Akzessorietätsprinzips ausdrücklich und akzentuiert in den Unterlassungsbereich einzuführen.3794 Bei näherem Hinsehen zeigt sich auch der tiefere Sachgrund dafür: Es kann qua natura keine akzessorischen Erfolgsabwendungsgebote geben, denn die intentionale Zulassung durch Unterlassen ist aus sich heraus nicht handlungstheoretisch limitiert: Für das Erlebnis, eine Rechtsgutsverletzung zuzulassen, ist es irrelevant, auf welche Art und Weise diese einzutreten droht. Die Zulassung einer Rechtsgutsverletzung durch Unterlassen kann denklogisch nicht von einer fremden Verletzungshandlung abhängen, deren Realisierung ihrerseits gerade von der intentionalen Zulassung abhängt!3795 Vielmehr bezieht sich die Erfolgsabwendungspflicht des Garanten rein faktisch auf die drohende Tatverwirklichung durch den Aktiven, nämlich insofern, als für die allgemeine Pflichtenbindung die Gefährdung eines Rechtsguts(objekts) erforderlich ist. Diese „faktische Abhängigkeit“ der Garantenpflicht von der Bedrohung eines Schutzobjekts ist aber ein allgemeines Pflichtmerkmal, das für die Nichthinderung „natürlicher“ Verletzungsverläufe ebenso gilt.3796 Danach existieren im Unterlassungsbereich ausschließlich originäre Gebote, die den Handlungsfähigen zur Abwendung de facto drohender Rechtsgutsverletzungen verpflichten. Folglich mangelt es an Geboten, die materiell akzessorische Handlungen anbefehlen, und das spricht klar gegen eine Übertragung des Akzessorietätsprinzips: Wenn das allgemeine Verhaltensnormensystem selbst keine prinzipielle Akzessorietätsregel für den Unterlassungsbereich vorzeichnet, dann liefe die Statuierung eines akzessorischen Garantenunterlassens auf eine arbiträre legislatorische Setzung hinaus.3797 Zumindest dann, wenn man die Garantenpflichten – dogmatisch konsistent – allesamt als reine Erfolgsabwendungspflichten begreift, wird man also für den Unterlassungsbereich keine sinnvolle

3793 Den Begriff hat Bloy (JA 1987, 490 [492 f.]) geprägt, der im Anschluss an die unterschiedlichen Vorüberlegungen bei Grünwald (GA 1959, 110 [118]) und Ranft (ZStW 94 [1982], 815 [828 ff.]) auch das dahinter stehende Sachproblem pointiert herausgearbeitet hat. 3794 So der zutr. Hinweis von Bloy (JA 1987, 490 [492]). 3795 Armin Kaufmann (Unterlassungsdelikte, 294 Fn. 203) sprach insofern von einer „Präponderanz der Tatmacht des Garanten“; zust. Welzel, Strafrecht, § 28 A V (S. 222): der Garant besitze „finale Tatmacht zur Abwehr“ des Aktivtäters. – Zuzugeben ist, dass auch im Bereich der Aktivbeihilfe Konstellationen denkbar sind, in denen die Haupttat faktisch notwendig vom Beitrag eines Gehilfen abhängt, der über das einzig taugliche Tatmittel verfügt (so zutr. Ranft, ZStW 94 (1982), 815 [846]). Darin liegt jedoch keine Sachparallele zur Präponderanz der Garanteneingriffsmacht im Unterlassungsbereich, denn der Intentionalbezug des Aktivgehilfen zur Rechtsgutsverletzung bleibt stets ein derivativer, während der Intentionalbezug des unterlassenden Garanten zum Rechtsgut durchweg originär strukturiert ist (ähnlich schon Roxin, AT/II § 31 Rn. 152). 3796 Bloy, JA 1987, 490 (493). 3797 So zutr. Bloy, JA 1987, 490 (493).

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allgemeine Akzessorietätsregel formulieren können.3798 Mithin bleibt es beim alten Diktum Armin Kaufmanns3799 : „Die Konsequenz liegt auf der Hand (wird jedoch von Gallas selbst nicht gezogen): Jeder Garant, der den Angriff auf das Rechtsgut abwehren kann, erfüllt alle Voraussetzungen eines ,Unterlassungstäters‘. Für eine Diminuierung dieser Verletzung des Garantengebotes zu einer ,Beihilfe durch Unterlassen‘ fehlt es an sachlichen Gründen wie an Kriterien (…).“

Gegen diese wohl unumstößliche Schlussfolgerung hat sich allerdings in der neueren Literatur doch wieder akzentuierter Widerstand geregt. So hat zuerst Ranft3800 ausdrücklich behauptet, dass der allgemeine Akzessorietätsgedanke auch im Unterlassungsbereich Geltung beanspruche. Zum Beweis dieser These führt er insbesondere an, dass das Verhaltensunrecht des unterlassenden Garanten in derselben Weise vom Vorsatz des Aktivtäters abhängig sei wie dasjenige des aktiven Gehilfen. Ohne Kenntnis des Vorsatzes des (präsumtiven) Begehungstäters könne der Garant nämlich im Allgemeinen gar nicht erkennen, ob das Schutzgut überhaupt bedroht sei und welcher Art die Bedrohung sei. Nähere sich etwa die Mutter ihrem Kind mit einem Schal, so hänge eine mögliche Eingriffspflicht des Vaters davon ab, ob die Mutter das Kind wärmen oder aber erdrosseln wolle.3801 Daran ist richtig, dass das unmittelbare Bevorstehen oder Stattfinden einer fremden Vorsatztat eine andere Art von Gefahr darstellt als ein „natürlicher“ Verletzungsverlauf. Diese Andersartigkeit im Ausgangspunkt der Gefahr beeinflusst auch selbstverständlich Art und Zeitpunkt des gebotenen Eingreifens, und ihr kommt sicherlich auch Relevanz für die Frage der Zumutbarkeit eines normgemäßen Verhaltens zu.3802 Das alles ändert jedoch nichts daran, dass die Erfolgsabwendungspflicht des Garanten auch bei Nichthinderung einer drohenden Straftatbegehung allein an das Faktum der darin liegenden Rechtsgutsgefährdung anknüpft. Bei den von Ranft angesprochen Punkten einer angeblichen Vorsatzabhängigkeit geht es daher dogmatisch gesehen bloß um die Frage, unter welchen Prämissen menschliches Handeln als tatbestandsmäßige Einwirkungssituation i.S.d. Unterlassungsdelikts anzusehen ist.3803 Das aber hat nicht das Geringste mit substantieller Akzessorietät zu tun. Offensichtlich wird dies, wenn man bedenkt, dass auch die Pflicht zur Hinderung fahrlässiger Deliktsverwirklichung von der Verhaltensentscheidung des Fahrlässigkeitstäters abhängt.3804 Ranft meint aber noch einen weiteren Beweis für die von ihm behauptete materielle Akzessorietät der garantiepflichtwidrig unterlassenen Deliktshinderung 3798 3799 3800 3801 3802 3803 3804

Bloy, JA 1987, 490 (493). Unterlassungsdelikte, 294. ZStW 94 (1982), 815 (828 ff.). ZStW 94 (1982), 815 (832 f.). s. zum letzteren Aspekt bereits Schröder, in: Schönke/Schröder17, vor § 47 Rn. 107. Bloy, JA 1987, 490 (493); Roxin, TuT8, 755; Schwab, Täterschaft, 152 f. Bloy, JA 1987, 490 (493); Roxin, TuT8, 755; Schwab, Täterschaft, 152 f.

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gefunden zu haben. So hänge nämlich die objektive Pflichtwidrigkeit des Garantenunterlassens substantiell von der Unrechtsverwirklichung durch den Aktiven ab. Das werde offenbar, wenn dem Begehungstäter ein Rechtfertigungsgrund zur Seite stehe, der die objektive Pflichtwidrigkeit der Garantenunterlassung ausschließe: Werde etwa der A vom vierzehnjährigen Sohn des B attackiert, so dürfe der B nicht zugunsten seines Sohnes eingreifen und den A an der Ausübung seiner rechtmäßigen Verteidigungshandlung hindern. Das aber könne nur mit einer derivativen „Drittwirkung“ oder „Erstreckung“ des Rechtfertigungsgrundes der Notwehr i.S.d. Akzessorietät erklärt werden.3805 Auch diese Argumentation kann nicht überzeugen, wie die richtige Behandlung des Beispielfalles zeigt: Dem B ist nicht etwa ein Eingriffshandeln zugunsten des S prinzipiell geboten, mit der Konsequenz, dass die Pflichtwidrigkeit seiner Unterlassung durch eine „derivative Drittwirkung“ von A’s Notwehrrecht ausgeschlossen werden müsste. Vielmehr ist dem B ein Eingreifen von vornherein untersagt, d. h. verboten, da eine Nothilfe gegen Notwehr ausgeschlossen ist. Aufgrund des von S ausgehenden rechtswidrigen Angriffs wird B erst gar nicht in seiner Funktion als Beschützergarant angesprochen, denn die Unterbindung erlaubter Risiken (hier: Verteidigungshandlung des A) kann niemals rechtlich geboten sein. Dogmatisch gesehen geht es also hier nicht um eine derivative Drittwirkung personaler Rechtfertigungsgründe, sondern schlicht um die aus dem Begehungsbereich bekannte Abschichtung erlaubter von unerlaubten Risiken, m.a.W.: um die allgemeine Frage, welche Gefahren Handlungspflichten auslösen und welche nicht.3806 Auffällig ist, dass Ranft durchweg indirekt argumentiert. Er versucht, aus der angeblichen Evidenz gewisser Abhängigkeiten vom Handlungsunrecht des Aktiven auf eine materielle Akzessorietät der garantiepflichtwidrigen Zulassung fremder Unrechtshandlungen zu schließen. Was fehlt, ist der positive Nachweis, dass derartige Unterlassungen aus sich heraus substantiell akzessorisch strukturiert bzw. dimensioniert sind. Dieser Nachweis könnte aber ausschließlich durch Rekurs auf die (sozial-)ontologische Intentionalstruktur der Unterlassung geführt werden, d. h. es müsste gezeigt werden, dass intensional akzessorische Unterlassungen existieren. Einen recht knappen Versuch in diese Richtung unternimmt Ranft dann aber doch noch. Seiner Ansicht nach soll zwischen der Entscheidung über die Zulassung eines natürlichen Verletzungsverlaufs und der Nichthinderung fremder Straftaten ein kategorialer Unterschied bestehen: Sehe sich der Garant einer eo ipso dem Verletzungsgeschehen zutreibenden Kausalkette gegenüber, so treffe er mit der Entscheidung, ob die Handlungsmöglichkeit zu ergreifen sei, zugleich eine „wirkliche“ Entscheidung über das Vorangehen des Verletzungsgeschehens. Beim garantiepflichtwidrigen Unterlassen einer Deliktshinderung dagegen treffe die Entscheidung über das Vorangehen des tatbestandsmäßigen Verletzungsgeschehens allein der Aktive. Dieser Sachunterschied folge einerseits daraus, dass der Naturkausalität eine 3805 3806

ZStW 94 (1982), 815 (839 f.). In der Sache ebenso Schwab, Täterschaft, 152; Roxin, TuT8, 755.

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notwendige Gesetzmäßigkeit innewohne, die keiner Steuerung bedürfe, andererseits daraus, dass das Schutzgut dem Pflichtigen ob seiner Garantenstellung überantwortet sei.3807 Dem kann ersichtlich nicht gefolgt werden. Erstens spricht der Umstand, dass das Schutzgut „dem Garanten überantwortet“ ist, nicht gegen, sondern eher für eine Gleichstellung deliktischer Aktivität als Verletzungsfaktor. Zweitens müsste das Kriterium der faktischen Entscheidungsherrschaft über den Fortgang des Verletzungsgeschehens konsequent auch bei der Nichthinderung fremder Verletzungshandlungen zum Zuge kommen, mit der Maßgabe, dass die Beteiligungsform des Garanten von der kriminellen Energie des Aktiven abhinge: Ein entschlussfester Begehungstäter wäre wie gesetzmäßig ablaufende Naturkausalität zu behandeln, wohingegen die Unsicherheit eines wankelmütigen Begehungstäters eine letztgültige Entscheidung des untätigen Garanten über den Geschehensfortgang sperren müsste. Das aber erschiene wenig plausibel, denn wenn überhaupt müsste die Beteiligungsform des Garanten sich doch umgekehrt proportional zur kriminellen Energie des Aktivtäters verhalten. Von zentraler Bedeutung ist aber der dritte, den Pflichtgegenstand betreffende, Einwand: Entgegen Ranft ist der Garant bei Nichthinderung fremder Deliktshandlungen nicht von der Geschehenssteuerung des Aktiven abhängig, sondern er soll sie gerade umgekehrt unterbinden! Der Garant erlebt sein Verhalten nicht als Teilnahme an fremdhändiger Tatsteuerung, sondern als intentionale Zulassung der Rechtsgutsverletzung durch Unterlassen psychophysisch möglicher Eingriffsmaßnahmen! Rechtlich geboten ist allein die Abwehr der durch fremde Straftat drohenden Rechtsgutsverletzung, und diese anbefohlene Handlung kann nur eine originäre Entscheidungsstruktur aufweisen. Und da das Unterlassen dieser Handlung ihr strukturell korrelieren muss, ist das in der Zulassung liegende Handlungsunrecht zwingend originär strukturiert. Nach alledem darf Ranfts Versuch, dem Unterlassungsbereich ein Akzessorietätspinzip zu implementieren, als gescheitert angesehen werden. Neuerdings hat aber Hoffmann-Holland3808 wieder versucht, den Akzesorietätsgedanken für den Unterlassungsbereich fruchtbar zu machen. Seiner Ansicht nach soll die allgemeine beteiligungsrechtliche Struktur (!) des aktiven Rechtsgutsangriffs ihre korrelative Entsprechung im Unterlassungsbereich finden.3809 Demnach könne das Kriterium für die Abschichtung eines akzessorischen Garantenunterlassens aus der Struktur des Rechtsgutsangriffs bei der Aktivbeihilfe deduziert werden. Abzustellen sei wie dort darauf, ob der Rechtsgutsbegriff direkt – dann Täterschaft – oder indirekt – dann Beihilfe – erfolge.3810 Entscheidendes Charakteristikum eines aktiven teilnehmerschaftlichen Rechtsgutsangriffs sei ja, dass der Angriff nicht direkt, sondern akzessorisch, also abhängig erfolge. Täter sei hingegen derjenige, der als 3807 3808 3809 3810

ZStW 94 (1982), 815 (856). In: ZStW 118 (2006), 620 (630 ff.). ZStW 118 (2006), 620 (630). ZStW 118 (2006), 620 (630).

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„Zentralgestalt des Rechtsgutsangriffs“ das Rechtsgut direkt angreife.3811 Diese Konstellation finde sich bei der garantiepflichtwidrigen Nichthinderung fremder Deliktsbegehung wieder, wenn nach der Stellung des Garanten im Rechtsgutsangriff differenziert werde: Ein Begehungstäter greife das Rechtsgut aktiv handelnd an, während der Garant die Möglichkeit der Erfolgsabwendung habe. Die Frage, ob in derartigen Fällen der unterlassende Garant den Rechtsgutsangriff seinerseits direkt steuere, hänge nun vom Bezugspunkt seiner Pflicht ab. Treffe ihn eine „situationsbezogene“ Garantenpflicht (etwa Übernahme einer Schutzfunktion, Ingerenz, Sachherrschaft über Gefahrenquellen), die zum Schutz des bedrohten Rechtsguts bloß die Gestaltung einer Situation verlange, so beziehe sich die Pflicht auf die vom Aktiven gesteuerte Tatsituation und sei daher derivativ ausgestaltet. Hier sei also der Aktive durch seine direkte Steuerung des Rechtsgutsangriffs Zentralgestalt, der unterlassende Garant hingegen wegen der Abhängigkeit seines Angriffs von der Situationssteuerung des Aktiven nur Randfigur.3812 Von diesem Grundsatz sei allerdings eine Ausnahme zu machen, wenn dem Aktiven die Steuerungsmöglichkeit (aus rechtlicher Sicht) fehle, er also schuldlos handle. In diesem Fall sei auch der situationsabhängig verpflichtete Garant – etwa der Krankenpfleger, der nicht gegen Verletzungshandlungen des von ihm zu beaufsichtigenden Geisteskranken einschreite – ausnahmsweise unmittelbar und unabhängig vom faktischen Handeln des Aktiven zum Schutz des Rechtsgutes verpflichtet; der Rechtsgutsangriff werde aufgrund der Garantiepflicht direkt gesteuert.3813 Schon im Ansatz anders verhalte es sich hingegen dann, wenn die Garantenpflicht eine situationsunabhängige sei (d. h. bei engen Gemeinschaftsbeziehungen auf familienrechtlicher Basis): Wer das Rechtsgut situationsunabhängig gegen jede Gefahr zu schützen habe, der steuere seinen Rechtsgutsangriff direkt, da ja gerade irrelevant sei, woher die Gefahr für das Rechtsgut drohe. Demnach könne die Tatherrschaft des Aktiven das Unterlassen des Garanten hier nicht auf die Plätze verweisen; vielmehr sei der situationsunabhängig schutzpflichtige Garant als Nebentäter stets (auch) Zentralgestalt des Rechtsgutsangriffs.3814 Dieser – freilich nicht ganz neue3815 – Ansatz nennt die Bezogenheit der meisten Garantenpflichten auf eine bestimmte Tatsituation als Anknüpfungspunkt für den Akzessorietätsgedanken im Unterlassungsbereich. Daher fragt sich, ob das Kriterium der Situationsbezogenheit die Distanzierung eines akzessorischen Garanten3811

ZStW 118 (2006), 620 (631 f.). ZStW 118 (2006), 620 (633 – 635) – Deutlich wird die Verwechslung von Pflichtmaterie (= Erfolgsabwendung) und Geltungsgrund der Pflicht (= Herrschaft über eine Gefahrenquelle einerseits, situationsunabhängige Schutzpflicht andererseits): Ungeklärt bleibt, wie die vorordnende Differenzierung nach der Funktion verschiedener Garantenstellungen sich normentheoretisch auf den Gegenstand der konkreten Garantenhandlungspflichten auswirken soll! 3813 ZStW 118 (2006), 620 (635) – Fraglich bleibt allerdings, wie man einen rechtsgutsverletzenden Geschehensablauf qua Pflicht steuern können soll. 3814 ZStW 118 (2006), 620 (636 f.). 3815 Von der Grundidee her nahezu identisch schon Busse, Täterschaft, 294 – 297. 3812

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6. Kap.: Die Ausarbeitung der Deliktsgruppen im Einzelnen

unterlassens auf der Handlungsunrechtsebene zu tragen vermag. Die Antwort darauf kann nach dem bisher Gesagten nur negativ ausfallen: Das eigentliche Problem liegt – wie schon bei den Vorüberlegungen Ranfts – darin, dass Hoffmann-Holland die materielle Akzessorietät schon in das Faktum der fremden Tatsteuerung hineinliest, die Differenz zwischen natürlichen Verletzungsverläufen und fremder Tatgestaltung einfach ansetzt. Warum aber der situationsbezogen unterlassende Garant nicht auch dann bloß mittelbar zum Schutz des Rechtsguts verpflichtet sein soll, wenn die Gefahrensituation natürlichen Ursprungs (oder jedenfalls normativ so zu behandeln) ist, ist nicht einsichtig zu machen; denn auch im Falle natürlicher Rechtsgutsgefährdung hängt doch die Handlungspflicht des Garanten vom Wirken des Naturverlaufs ab: Bei Zulassung fremder Verletzungstätigkeit ist die Rechtsgutsverletzung faktisch vom Wirken des Aktiven abhängig, bei Zulassung natürlicher Verletzungsverläufe vom (Fort-)Wirken der Naturkräfte!3816 Damit geht es aber doch beide Male „nur“ um das allgemeine Pflichtmerkmal einer Gefahrenlage, die der Pflichtige abzuwenden hat.3817 Aus diesem Grund kann die Eingriffspflicht des Garanten niemals eine derivative, das Verbot aktiver Verletzungshandlung flankierende, Pflicht sein. Sie figuriert vielmehr gerade als gegenläufige Pflicht zur Abwendung der durch das Fremdverhalten drohenden Rechtsgutsverletzung.3818 Nach alledem dürfte außer Frage stehen, dass das Akzessorietätsprinzip im Unterlassungsbereich keine Geltung beanspruchen kann. cc) Unterscheidung nach Hintergrund und Funktion der verschiedenen Garantenpflichten Allerdings hat man schon früh versucht, „Qualität und Inhalt der Pflicht“ für eine Differenzierung zwischen originärem und derivativem Garantenunterlassen fruchtbar zu machen (sog. Pflichtinhaltstheorie).3819 So wird immer wieder behauptet, die dogmatische Unterscheidung zwischen Beschützer- und Überwachungsgaranten nach der neueren Funktionenlehre3820 impliziere zugleich auch eine allgemeine Aussage über die Qualität der Beteiligung beim Garantenunterlassen: Der Obhuts3816 Zu dem naheliegenden Gegenargument, nur beim Nichteinschreiten gegen Naturkausalität habe der Unterlassende die unmittelbare Entscheidungsherrschaft über den Geschehensfortgang, s. bereits zuvor im Haupttext (S. 666); im Ausgangspunkt zutreffender, aber ebenso wenig überzeugend ist auch die generelle Annahme einer relevant unterlegenen Hemmungsmacht des fremde Vorsatztat zulassenden Garanten (so aber Mosenheuer, Unterlassen, 191 ff. [201]); sie läuft nicht nur in psychofaktischer Hinsicht auf eine bloße Generalpräsumtion hinaus, sondern konterkariert auch die allgemeine Pflichtentstehungsvoraussetzung einer prinzipiellen Handlungsfähigkeit des Garanten! 3817 Bloy, JA 1987, 490 (493); Schwab, Täterschaft, 151 f. 3818 So zutr. Bloy, JA 1987, 490 (492 f.); Roxin, AT/II, § 31 Rn. 141. 3819 Diese Lehre wird insbesondere vertreten von: Schröder, in: Schönke/Schröder17, Vor § 47 Rn. 105 – 112 (dort [Rn. 106a] findet sich auch die im Text genannte Begrifflichkeit); Herzberg, Unterlassung, 259 ff.; Schünemann, Unterlassungsdelikte, 377. 3820 s. grundlegend dazu Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte, 283 ff.

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bzw. Beschützergarant sei durchweg Täter, der Überwachungs- bzw. Sicherungsgarant dagegen grundsätzlich Teilnehmer, es sei denn, die zu überwachende Gefahrenquelle sei eine schuldunfähige Person; dann gälten die Grundsätze der mittelbaren Täterschaft.3821 Man hat diese Pflichtinhaltstheorie insbesondere damit begründet, dass der Überwachungsgarant anders als der Beschützergarant nicht unmittelbar und umfassend dem verletzten Rechtsgut gegenüber verpflichtet sei.3822 Daran ist richtig, dass der Gefahrenquellengarant nicht in einer direkten Ausgangsbeziehung zum Rechtsgut steht, sondern der Rechtsbezug bloß indirekt durch die Herrschaft über die Gefahrenquelle vermittelt wird.3823 Das ändert jedoch nichts an der Substanz der konkreten Garantenhandlungspflicht, die auch hier dahin geht, einen von der sicherungspflichtigen Gefahrenquelle aktuell ausgehende Gefahrensituation zum Schutze des bedrohten Rechtsguts zu unterbinden,3824 unabhängig davon, auf welche Weise (menschliche Aktivität oder „blinde Natur“) sich die Gefahr konkretisiert. Die Tatsache, dass der Überwachungsgarant nur „situationsbezogene“3825 Angriffe aus einer ganz bestimmten Richtung abzuwenden hat, ändert nicht das Geringste daran, dass er deren Abwendung im Falle seines Nichteingreifens täterschaftlich unterlässt! Die konkrete Handlungspflicht des Sicherungsgaranten unterscheidet sich somit weder ihrem Gegenstande (= Erfolgsabwendung) noch ihrer allgemeinen Funktion (= Rechtsgüterschutz) nach von derjenigen des Beschützergaranten; der Pflichteninhalt ist jeweils identisch.3826 Damit entfällt aber bereits im Ansatz jede Möglichkeit, auf der allgemeinen Verhaltensnormebene zwischen „primären“ und „sekundären“ Garantenpflichten zu unterscheiden.3827 Angesichts dessen ist es kein Zufall, dass das Gesetz selbst in § 13 uniform an eine Pflicht zur Erfolgsabwendung anknüpft – womit die Pflichtinhaltstheorie auch den ausdrücklichen Gesetzeswortlaut gegen sich hat.3828 Sicherlich kann man nach dem besonderen Geltungsgrund der verschiedenen Garantenpflichtarten unterscheiden: Der Überwachungsgarant wird wegen seiner Organisationsverantwortlichkeit für eine bestimmte Gefahrenquelle verpflichtet, der Beschützergarant dagegen aufgrund seiner umfassenden institutionellen Verantwortlichkeit für ein Rechtsgutsobjekt.3829 Diesem Unterschied kommt jedoch auf der 3821 So Schröder, in: Schönke/Schröder17, Vor § 47 Rn. 106a f., 109; Herzberg, Unterlassung, 259 ff.; Schünemann, Unterlassungsdelikte, 377. 3822 Schröder, in: Schönke/Schröder17, Vor § 47 Rn. 107, 109; Herzberg, Unterlassung, 261. 3823 s. dazu bereits Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte, 283. 3824 I.d.S. zutr. bereits Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte, 297 Fn. 207 a.E.: „M. E. besteht auch in diesen Fällen die Garantenstellung stets dem geschützten Rechtsgut gegenüber, gleichgültig, aus welchem Grunde die Garantenposition erwächst (…)“. 3825 s. zum Begriff eingehend Hoffman-Holland, ZStW 118, 620 (633 ff.). 3826 In der Sache ebenso Roxin, TuT, 509; Rudolphi, Gleichstellungsproblematik, 144 f.; Bloy, JA 1987, 490 (491 f.); Sowada, Jura 1986, 399 (407). 3827 s. dazu Roxin, TuT, 509; Bloy, JA 1987, 490 (493). 3828 Sachlich übereinstimmend Roxin, TuT, 509; ders., AT/II, § 31 Rn. 162. 3829 s. Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte, 283 f.

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Ebene des allgemeinen Handlungsunrechts keinerlei Relevanz zu. Denn die Frage, warum jemand „besonders“ zur Erfolgsabwendung verpflichtet ist, hat naturgemäß keinen Einfluss auf den Pflichtgegenstand als solchen (= die Erfolgsabwendung) und das ihm korrespondierende Handlungsunrecht (= das Zulassen des Erfolgs durch Unterlassen seiner Abwendung).3830 Somit könnte dem Unterschied im Pflichtgrund allenfalls in axiologischer Hinsicht sub specie Sanktionsnorm Bedeutung zukommen (wenngleich § 13 sich geradezu dagegen ausspricht). Bevor dieser Frage nachgegangen wird, ist allerdings auf der allgemeinen Verhaltensnormebene noch kurz die interessante Konzeption von Jakobs anzusprechen. dd) Der Ansatz von Jakobs: Pflichtinhaltstheorie auf dem Boden eines partiell rechtsgüterschaffenden Normensystems Jakobs will schon dem (allgemeinen) Normzweck nach zwischen „Pflichten kraft institutioneller Zuständigkeit“ (z. B. Eltern-Kind-Verhältnis, Ehe, staatliche Gewaltverhältnisse) und „Pflichten kraft Organisationszuständigkeit“ (Sicherungspflichten, Ingerenz, tatsächliche Übernahme) differenzieren: Während die aus dem allgemeinen Verletzungsverbot des neminem laede fließenden Organisationspflichten dem Rechtsgüterschutz dienten, bezweckten Pflichten aus positiver Institution die Herstellung von Institutionen als reellen Funktionseinheiten (scil.: Rechtsgütern).3831 Institutionelle Pflichten postulierten daher nicht bloß das Unterlassen einer schädlichen Ausdehnung der eigenen Organisation, sondern eine umfassende „Garantie von Solidarität“ innerhalb bestimmter institutioneller Rollenverhältnisse.3832 Wegen dieses unmittelbaren Rechtsgüterbezugs seien institutionelle Garantiepflichten aber stets akzessorietätsüberspringende Pflichten, deren Verletzung im Unterlassungs- wie im Begehungsbereich (!) eo ipso Täterschaft begründe.3833 Hindere dagegen ein bloß Organisationszuständiger (scil. insbesondere ein Gefahrenquellengarant) die Verletzungshandlung eines Dritten nicht, so liege lediglich Teilnahme vor.3834 Man muss Jakobs zugestehen, dass sein Vorschlag, innerhalb ein und derselben Verhaltensnormordnung disparate Normzwecke anzusetzen, originell ist und eventuell auch sozialwissenschaftlich abgestützt werden könnte. Fraglich ist aber, wie sich diese Doktrin mit dem „Koordinatensystem“ einer traditionell direkt auf bestimmte Bestandsrechtsgüter bezogenen Verhaltensnormordnung vertragen soll. In diesem Zusammenhang wird man wohl feststellen müssen, dass es der Jakobs’schen Institutionenlehre nicht gelungen ist, die institutionell bedingte Normgenese im 3830

So der Sache nach bereits Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte, 297, Fn. 207 a.E.; wie hier auch Becker, HRRS 2009, 242 (248). 3831 Jakobs, in: AT, 2/17; 7/70; 21/116 ff.; 29/57 ff.; ders., in: Theorie, 6 ff., 61 ff.; eingehend zum Ganzen aus Sicht der allgemeinen Verhaltensnormdogmatik bereits oben, S. 176 ff. 3832 AT, 29/15. 3833 AT, 21/116 ff., 29/106. 3834 AT, 29/101 ff.

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Allgemeinen und die abweichende Substanz institutioneller Pflichten im Besonderen normentheoretisch valide zu erklären.3835 Erstens desavouiert Jakobs’ Lehre kategoriale Unterschiede in den sozialontologischen Grundstrukturen des Regelungssubstrats (nämlich die Unterscheidung von Tun und Unterlassen sowie die Ausdifferenzierung der Beteiligungstypen im Begehungsbereich) und überspielt diese durch Rekurs auf doch recht abstrakt bleibende Haftungsprinzipien (= Organisation vs. Institutionen). Zweitens schlägt die dichotome Aufspaltung der Deliktswelt in Organisation und Institutionen nicht auf die Bestimmung der allgemeinen Verhaltensnormmaterie durch: Abstrakte Haftungsprinzipien selbst sind bestenfalls Geltungsgründe für Normen und können daher nicht selbst als verbindliche Rechtsbefehle i.S.e. allgemeinen Verhaltensnormtheorie aufgefasst werden; formelhaft kann man sagen: Es sind nicht bestimmte Rechtsgüterverletzungen qualifizierte Verstöße gegen ein institutionelles Generalgebot zur Solidaritätsgarantie (Ausnahmen: §§ 170, 171), sondern Institutionen kanalisieren nur allgemeinen Bestandsrechtsgüterschutz in gewisse Sonderzuständigkeitsbereiche hinein (etwa im Falle der §§ 331 f., 339) oder intensivieren ihn dort (z. B. bei §§ 340, 343). Drittens desavouiert Jakobs’ Lehre im Bereich der positiven Institutionen (und eigentlich auch schon im Bereich der negativen Institution) kategoriale Unterschiede im Handlungsunrecht: Ob ich mein Kind bloß ohrfeige (§ 223) oder aber töte (§ 212), bedeutet gerade auch rechtssoziologisch einen kategorialen Unterschied im Handlungsunrecht, weshalb es geradezu grotesk anmutet, hier bloß unterschiedlich schwere Formen der Vorenthaltung elterlicher Solidaritätsgarantie annehmen zu wollen.3836 ee) Ergebnis Resümierend ist festzuhalten, dass im Unterlassungsbereich keine materielle Akzessorietät und mithin auch kein akzessorisches Garantenunterlassen existiert. Die Entscheidungsstruktur der intentionalen Zulassung durch Unterlassen ist durchweg originär veranlagt, auch dann, wenn die „Tatsteuerung“ eines Aktiven nicht inhibiert wird. Der Grund dafür liegt darin, dass die pflichtwidrige Nichthinderung eines Aktiven nicht etwa ein indirekter Rechtsgutsangriff des Garanten ist, sondern schlicht die originäre Zulassung einer Rechtsgutsverletzung durch Unterlassen. Und da es auf der Ebene des allgemeinen Handlungsunrechts ausschließlich auf das „Ob“ der Handlungspflichtentstehung ankommt, nicht hingegen auf das „Wie“ oder „Warum“, scheidet insofern auch eine Differenzierung nach Funktion oder Geltungsgrund der verschiedenen Garantenpflichten aus.

3835

s. zum Ganzen auch schon oben, S. 176 ff. Allgemein i.S.e. bloßen Sanktionsnormrelevanz der tatbestandlich umschriebenen Unrechtstypen dagegen (wohl) Jakobs, AT, 2/24 a.E. 3836

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b) Sanktionsnormebene aa) Pflichtinhaltstheorie Damit bleibt noch die Frage, ob die Nichthinderung fremder Verletzungshandlungen durch Gefahrenquellengaranten nicht wenigstens axiologisch der aktiven Beihilfe gleichgestellt werden müsste – was dann sub specie Sanktionsnorm zu geschehen hätte. In der Tat zielt die Pflichtinhaltstheorie in der Sache genau darauf ab, wie Ranft3837 zutreffend herausgearbeitet hat: Ausschlaggebend für die Zuordnung der Pflichtverletzung des Gefahrenquellengaranten zur Beihilfe sei nach dieser Lehre die andersartige Qualität der Pflicht. Das aber impliziere die Aussage, dass der Unrechtsgehalt der Pflichtverletzung des Gefahrenquellengaranten den Unrechtsgehalt der Pflichtverletzung des Beschützergaranten grundsätzlich unterschreite. Zur Begründung dieser Aussage ziehe nun aber die Pflichtinhaltstheorie gerade nicht das aus der Verhaltensart resultierende Positionsverhältnis der Beteiligtenbeiträge als dogmatisches Primärkriterium heran. Daher impliziere der Rekurs auf den abweichenden Unrechtsgehalt in der Sache das Zugeständnis, dass der Tätertatbestand in diesen Konstellationen nicht für tauglich gehalten werde, seinen eigenen Strafrahmen zu tragen. Der jeweilige gesetzliche Tatbestand des Besonderen Teils (= die Sanktionsnorm) werde demnach materiell in zwei Unterarten von Tatbeständen aufgelöst, nämlich in eine für den Beschützergaranten und eine für den Gefahrenquellengaranten. Reflektiert man diese zutreffende Analyse, so muss gefragt werden, ob eine solche generelle „Tatbestandsaufspaltung“ sub specie § 13 ohne Wertungswidersprüche haltbar ist. Dem ist energisch zu widersprechen. Erstens steht diese Idee vor dem prinzipiellen Problem, dass man die verschiedenen Garantenpflichten nicht auf abstrakt-generelle Weise axiologisch graduieren kann; der Gefahrenquellengarant kann im Einzelfall durchaus höhere Strafe verdienen als der Beschützergarant.3838 Zweitens ist nicht einzusehen, warum es für den angeblich geringeren Unwert der Sicherungsgarantiepflichtverletzng einen Unterschied machen soll, ob die zugelassene Gefahr von einer „natürlichen“ oder einer menschlichen Gefahrenquelle ausgeht – in beiden Fällen ist der Unterlassende doch gleichermaßen „bloßer“ Gefahrenquellengarant;3839 wollte man also den Überwachungsgaranten strafrechtlich prinzipiell milder behandeln als den Beschützergaranten, so müsste man dies konsequenterweise auch dann tun, wenn er gegen natürliche Gefahren nicht einschreitet – was aber bisher richtigerweise noch niemand erwogen hat.3840 Drittens kann das Axiom von der Besserstellung des Überwachungsgaranten auch in sich nicht aus3837

In: ZStW 94 (1982), 815 (860). s. dazu Roxin, TuT, 509. 3839 Insofern zutr. Ranft, ZStW 94 (1982), 815 (860 f.). 3840 Von daher rügt Roxin (TuT, 509) zu Recht, dass für die sicherungsgarantiepflichtwidrige Nichthinderung von Naturgefahren inkonsequenterweise wieder zur Täterstrafe zurückgekehrt werde. 3838

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nahmslos durchgehalten werden. So soll der Gefahrenquellengarant doch wieder als Täter haften, wenn er Verletzungsakte eines von ihm zu beaufsichtigen Schuldunfähigen zulässt.3841 Solche Ausnahmen vom Prinzip der axiologischen Besserstellung des Überwachungsgaranten entwerten aber den Ansatz im Ganzen.3842 Viertens gerät eine Abgrenzung nach Inhalt und Qualität der Garantenstellungen in die Gefahr eines heuristischen Zirkels, denn oft ist ein und dieselbe Aufgabe ambivalent formulierbar: „Der Schutz für eine Person ist Überwachung der ihr drohenden Gefahren zu ihren Gunsten und die Überwachung einer Gefahrenquelle ist Schutz für die jeweils Gefährdeten.“3843 Es steht daher zu befürchten, dass über die Zuweisung der einen oder der anderen Aufgabe verdeckt Strafzumessungserwägungen ins Strafbegründungsrecht eingeführt werden.3844 Fünftens ist zu notieren, dass manche Autoren neuerdings sogar umgekehrt versuchen, den Beschützergaranten sanktionsrechtlich gegenüber dem Überwachungsgaranten zu privilegieren. Dies wird damit begründet, dass Überwachungsgarantenpflichten in tatsächlicher Hinsicht oft verhältnismäßig leicht zu erfüllen seien, wohingegen Beschützergaranten gegen alle denkbaren Widrigkeiten anzukämpfen hätten. Die Unterlassung von Maßnahmen, die ohne größere Schwierigkeiten leistbar seien, weise aber tendenziell einen höheren Unwert auf als die Unterlassung von Eingriffen, deren Leistung ein vergleichsweise hohes Maß an persönlicher Aufopferung verlange.3845 – Auch dieser Gedanke hat auf den ersten Blick eine gewisse Plausibilität für sich, kann aber als allgemeines Abgrenzungskriterium ebenso wenig durchgehalten werden wie die Idee einer Privilegierung des Gefahrenquellengaranten: Die Mutter, die ihr Kleinkind unter Verletzung ihrer Beschützergarantenpflicht verhungern lässt, könnte diese Pflicht spielend erfüllen; umgekehrt fällt die Hinderung einer durch Dritte drohenden Usurpation sicherungspflichtiger Gefahrenherde dem Überwachungsgaranten sicher nicht durchweg leichter als dem Beschützergaranten die Hinderung fremder Deliktspläne.3846 Die Tatsache aber, dass sich unter Strafwürdigkeitsgesichtspunkten sowohl für eine Privilegierung des Gefahrenquellengaranten als auch für eine Besserstellung des Beschützergaranten Argumente anführen lassen, lässt eines überdeutlich werden: Ohne eine Rückbindung an die allgemeine Unrechtsstruktur der intentionalen Zulassung durch Unterlassen sind generelle axiologische Differenzierungen schlechterdings unmöglich bzw. willkürlich.3847 Und vice versa: Die Tatsache, dass generelle 3841 So Schröder, in: Schönke/Schröder17, Vor § 47 Rn. 109; Herzberg, Unterlassung, 260 f.; Schünemann, Unterlassungsdelikte, 377. 3842 Roxin, AT/II, § 31 Rn. 161; Ranft, ZStW 94 (1982), 815 (861); Hoffmann-Holland, ZStW 118, 620 (628 f.). 3843 So zutr. Jakobs, AT, 29/27; zust. etwa Roxin, AT/II, § 31 Rn. 160. 3844 Roxin, TuT, 509. 3845 Krüger, ZIS 2011, 1 (7 f.); s. zum Grundgedanken bereits Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte, 187. 3846 Generell krit. zu solchen direkt ans Materiale angekoppelten „Beteiligungslehren“ Kühl, AT, § 20 Rn. 231. 3847 So in der Sache bereits Bloy, JA 1987, 490 (493).

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axiologische Aussagen sich nicht treffen lassen, belegt im Rückschluss nur wieder, dass das allgemeine Handlungsunrecht sämtlicher Unterlassungen identisch strukturiert ist. bb) Undifferenzierter Begriff des Unterlassenden, axiologische (Schein-)Friktionen und deren Lösung auf Sanktionsnormebene Mit dem Hinweis auf die einförmige Struktur der Unterlassung scheinen freilich bestimmte axiologische Ungereimtheiten einherzugehen. Angesprochen sind damit zum einen die – eher selteneren – Fälle, die unter dem Stichwort „soziale Tatherrschaft“3848 thematisiert worden sind: Die Mutter lässt ihr Kleinkind verhungern oder der Bahnbedienstete lässt es absichtlich zu einer Kollision kommen, indem er die Weichenstellung unterlässt. In Bezug auf diese Konstellationen hat Roxin feinsinnig herausgearbeitet, dass sie im Allgemeinbewusstsein intuitiv anders aufgenommen werden als die Fälle des „gewöhnlichen“ Garantenunterlassens. So laute das im Alltagssprachgebrauch zum Ausdruck gelangende sozialethische Werturteil hier nicht dahin, dass die Mutter oder der Bahnbedienstete die Abwendung einer Rechtsgutsverletzung unterlassen hätten, sondern vielmehr dahin, dass sie ihre Opfer „getötet“ hätten.3849 Diese sprachliche Differenzierung berge aber auch eine sachliche: Im Normalfall sei der Garant angehalten, einem kraft irregulärer Umstände drohenden Schaden entgegenzutreten („Notpflicht“). Demgegenüber unterließen Mutter und Bahnbediensteter Tätigkeiten, die von vornherein fest in den gewöhnlichen Sozialablauf eingeplant seien („soziale Funktionspflicht[en]“).3850 Die Verletzung solcher sozialen Funktionspflichten könne man nun durchaus als „soziale Tatherrschaft“ bezeichnen. Auch diese „soziale Tatherrschaft“ sei aber letztlich bloß Derivat der jeweiligen sozialen Funktionspflicht, die – wie jede andere Erfolgsabwendungspflicht auch – schlicht durch Unterlassen der Erfolgsabwendung verletzt werde.3851 Aus diesem Grunde seien die Konsequenzen der Unterscheidung zwischen Notpflichten und sozialen Funktionspflichten nicht auf dem Boden der Unterlassungsdogmatik zu lozieren, sondern im Rahmen der Sanktionsnorm.3852 Stimmt man dieser in sich schlüssigen Argumentationslinie Roxins zu, so sind auf dem Boden der Sanktionsorm zunächst bestimmte Ausnahmefälle der Unterlassung anzuerkennen, die einen (deutlich) über dem Normalniveau liegenden Unwertgehalt aufweisen. Allerdings liegt die axiologische Krux eines einheitlich strukturierten Unterlassungsunrechts in den Augen seiner dezidierten Gegner nicht in diesen 3848 3849 3850 3851 3852

s. hierzu instruktiv Roxin, TuT, 465 ff. TuT, 465. TuT, 466 f. TuT, 467. TuT, 466 m. Fn. 20, 502 f.

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vergleichsweise seltenen Ausnahmekonstellationen. Vielmehr werden axiologische Brüche kardinalen Ranges und genereller Natur gerügt. Und in der Tat scheint die einförmige dogmatische Bestimmung des Garantenunterlassens mit der aktiven Begehungstäterschaft in axiologischer Hinsicht massive Probleme zu implizieren: Zwar ist nicht von der Hand zu weisen, dass Garantenunterlassungen durchweg unwertiger sind als Jedermannsunterlassungen. Damit ist jedoch keineswegs ausgemacht, dass sämtliche Garantenunterlassungen auch einheitlich das Unwertniveau einer aktiven Begehungstäterschaft erreichen. Gegen diese „gleichmacherische“ Annahme hat man denn auch früh schlagende Argumente aufgefahren: So hat Armin Kaufmann mit Recht zu bedenken gegeben, dass es unbillig wäre, jemanden, der lediglich die Kraft zum geforderten Handlungsentschluss nicht aufgebracht habe, dem vollen Strafrahmen der aktiven Begehungstäterschaft zu unterwerfen. Denn die aktive Begehung erfordere kriminelle Entschluss- und Tatkraft und damit ein weit höheres Maß an krimineller Energie.3853 Misst man das garantiepflichtwidrige Unterlassen an demselben axiologischen Maßstab wie das Begegehungsdelikt, so ist es seinem Verhaltensunwert nach sogar eine typischerweise weniger schwerwiegende Beteiligungsform als selbst die aktive Beihilfe. Denn die „bloße“ Zulassung fremder Deliktshandlungen kann niemals unwertiger sein als deren aktive Unterstützung. Dann aber kann eine solche Passivität eben auch nur nach dem für die aktive Beihilfe geltenden Strafrahmen geahndet werden.3854 Das gilt konsequenterweise auch dann, wenn der unterlassende Garant „Alleintäter“ ist, also gegen das Wirken von Naturgewalten pflichtwidrig nicht einschreitet. Denn für den Unrechts- und Schuldgehalt der Unterlassung ist es irrelevant, wie der nicht unterbundene Verletzungsverlauf qualitativ beschaffen ist.3855 Diesen Vorüberlegungen hat sich u. a. Roxin3856 angeschlossen, allerdings unter Hinweis auf vereinzelte Ausnahmen (Verletzung „sozialer Funktionspflichten“ [Mutter lässt Kind verhungern] und Begehungspflichtdelikte [etwa §§ 340, 343], die das Unterlassen axiologisch völlig annivellieren). Man wird nicht umhinkommen, die grundsätzliche Geltung eines derartigen „Ungleichwertigkeitsprinzpis“ anzuerkennen. Das machen nicht zuletzt die eklatanten Wertungswidersprüche deutlich, die sonst entstünden: Bei ausnahmsloser axiologischer Gleichstellung des Garantenunterlassens mit der aktiven Begehungstäterschaft drohte dem Garanten für „bloße“ Passivität eine höhere Strafe als im Vergleichsfall einer aktiven Beihilfe.3857 Reicht etwa der A dem B die Flinte, damit dieser den C erschießen kann, so ist A Gehilfe und die Strafe nach § 27 II 3853

Unterlassungsdelikte, 300 f. Grünwald, GA 1959, 110 (113); ähnlich Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte, 300 ff.; Roxin, TuT, 501 ff.; Rudolphi, Gleichstellungsproblematik, 143, 146. 3855 Grünwald, GA 1959, 110 (115); Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte, 301 f.; Roxin, TuT, 502; Rudolphi, Gleichstellungsproblematik, 143, 146. 3856 TuT, 499 ff. 3857 Roxin, TuT, 499 f. 3854

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6. Kap.: Die Ausarbeitung der Deliktsgruppen im Einzelnen

obligatorisch zu mildern; lässt A hingegen „nur“ passiv zu, dass sein gegen fremden Zugriff ungesichertes Gewehr von B genommen und zur Tatbegehung eingesetzt wird, so ist er Unterlassungstäter bei bloß fakultativer Strafmilderungsmöglichkeit (13 II) – ein unauflöslicher Wertungswiderspruch. Zur Kompensation dieses axiologischen Bruchs hat man vorgeschlagen, den aktiv unterstützenden (Beschützer-)Garanten einfach zum Begehungstäter aufrücken zu lassen und so die Harmonie im Bewertungsgefüge wiederherzustellen.3858 Doch durch eine solche „Anpassung“ würde nicht nur die Teilnahmelehre vom Unterlassungsdelikt her aufgezäumt,3859 sondern es würde überdies ein axiologischer Bruch durch einen weiteren camoufliert: Da das Handlungsunrecht der Unterlassung typischerweise weniger schwer wiegt als dasjenige der aktiven Begehung, ist es indiziert, die Unterlassungsstrafe des passiven Garanten zu mildern. Nimmt man aber stattdessen dem aktiv helfenden Garanten zusätzlich noch die Privilegierungsmöglichkeit des § 27 II, so übertüncht man einen Fehler mit dem anderen.3860 Entsprechendes gilt mutatis mutandis auch für die umgekehrte Idee,3861 wonach eine der Garantenunterlassung vorangehende Aktivbeihilfe generell durch die unwertigere täterschaftliche Anschlussunterlassung überlagert werden soll.3862 Deutlich wird, dass allein die Annahme einer im Regelfall obligatorischen Milderung der Unterlassungsstrafe die Schwierigkeiten befriedigend lösen kann. Dass einzig dieser Weg gangbar ist, zeigt – zweitens – folgende Überlegung3863 : Es dürfte wohl kaum zu leugnen sein, dass die aktive Beihilfe ganz allgemein eine Ingerenzgarantenpflicht zur Erfolgsabwendung nach sich zieht (s. nur die Regelung des § 24 II3864). Liegt es aber so, dann muss jeder Teilnehmer, der nach Leistung seines aktiven Beitrages eine ihm verbleibende Möglichkeit der Erfolgsabwendung ungenutzt lässt, Unterlassungstäter sein. Das wiederum müsste bei axiologischer Gleichsetzung der Unterlassungstäterschaft mit der aktiven Begehungstäterschaft bedeuten: Der Beihilfetatbestand des § 27 liefe neben der Unterlassungstäterschaft leer – ein unhaltbares Ergebnis.

3858 So wohl noch Schröder, in: Schönke/Schröder17, Vor § 47 Rn. 107 a.E.; Maurach, AT1, 517 (für die Teilnahme an fremder Selbsttötung). 3859 So zutr. Grünwald, GA 1959, 110 (114). 3860 Roxin, TuT, 501. 3861 Herzberg, Unterlassung, 264 f. 3862 So zutr. Ranft, ZStW 94 (1982), 815 (820). 3863 Der Gedankengang geht auf Grünwald (GA 1959, 110 [113]), zurück. 3864 A.A. Renzikowski, Täterbegriff, 142 Fn. 365, der meint, dass aus den in § 24 vorgesehenen „Klugheitsregeln (…) zur Vermeidung der Bestrafung“ (a.a.O.) nicht auf eine unbedingte rechtsgüterschützende Verhaltenspflicht des Teilnehmers zur Gefahrenabwehr geschlossen werden dürfe, wie sie aus Ingerenz erwachse. – Das geht jedoch an der Sache vorbei: § 24 appelliert aus Opferschutzgründen (!) zusätzlich (!) an das Straffreiheitsinteresse des einzelnen Beteiligten, damit er das ihm ohnehin Gebotene (!) tut!

F. Täterschaft bei (begehungsgleichwertigen) Unterlassungen

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Einen ebenso einfachen wie überzeugenden Vorschlag zur Lösung dieser axiologischen Ungereimtheiten haben in dezidierter Form zuerst Grünwald3865 und Armin Kaufmann3866 unterbreitet. Beide plädierten ursprünglich dafür, die seinerzeit für die Beihilfe geltende fakultative Strafmilderung de lege lata auf die Unterlassungsdelikte zu übertragen und auf diese Weise den Strafrahmen der Garantenunterlassung demjenigen der aktiven Beihilfe anzugleichen. Armin Kaufmann3867 erhob ferner de lege ferenda die rechtspolitische Forderung, diese fakultative Strafmilderung für die unechte Unterlassung gesetzlich ausdrücklich klarzustellen. Er begründete dieses Postulat mit einer stichhaltigen Überlegung: Zwar sei bei den Unterlassungsdelikten vom „undifferenzierten Begriff des Unterlassenden“ auszugehen, einem „Analogon zum Einheitstäterbegriff“. Jedoch gehe es nicht an, bei der Gleichstellung von Unterlassen und Begehen auf der Unterlassungsseite einen Unterlassenden schlechthin anzusetzen, diesem aber auf der Begehungsseite allein die Täterstrafe als axiologische Bezugsgröße zuzuordnen. Vielmehr müsse der Strafrahmen auf beiden Seiten gleich weit gespannt werden, weshalb derjenige Strafrahmen heranzuziehen sei, der alle Begehungsfälle decke, also inklusive der aktiven Beihilfe.3868 Roxin3869 stimmte der Sache nach in dieses Kaufmann’sche Postulat ein, begründete allerdings den fakultativen Charakter der eingeforderten Strafmilderung noch differenzierter: Dieser sei (nur) deshalb notwendig, weil es tatsächlich doch bestimmte Unterlassungstaten gebe, die einer aktiven Begehungstäterschaft an Strafwürdigkeit in nichts nachstünden. Es seien dies zum einen diejenigen Unterlassungen, die eine „soziale Funktionspflicht“3870 verletzten, zum anderen diejenigen Unterlassungen, die im Rahmen eines „Begehungspflichtdelikts“ (z. B. §§ 343, 340) den aktiv pflichtverletzenden Handlungen tatbestandlich gleichgestellt würden.3871 Dieser Ansatz verdient im Ergebnis uneingeschränkt Beifall. Es überrascht daher nicht, dass das damalige Postulat Kaufmanns und Roxins sich in der Rechtswirklichkeit durchgesetzt hat: Das geltende Strafrecht sieht in § 13 II die geforderte fakultative Strafmilderungsmöglichkeit vor. Damit ist zumindest sichergestellt, dass „(…) eine Unterlassung niemals härter bestraft zu werden braucht als eine aktive Beihilfe und innerhalb ihres Strafrahmens natürlich ggf. auch milder bestraft werden kann“3872.

3865

GA 1959, 110 (115). Unterlassungsdelikte, 300 ff. 3867 Unterlassungsdelikte, 300 f., 303. 3868 Unterlassungsdelikte, 302 f. (Zitate auf S. 302). 3869 TuT, 503. 3870 s. zur Unterscheidung von „Notpflichten“ und „sozialen Funktionspflichten“ nochmals Roxin, TuT, 465 ff. (467). 3871 TuT, 502 ff.; für den Fall der tatbestandlichen Gleichstellung ebenso auch Grünwald, GA 1959, 110 (115 f.). 3872 Roxin, AT/II, § 31 Rn. 145. 3866

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6. Kap.: Die Ausarbeitung der Deliktsgruppen im Einzelnen

Zu betonen bleibt aber, dass die fakultative Strafmilderung keineswegs als legislatorische Ermöglichung eines strafzumessungsrechtlichen Dezisionismus missverstanden werden darf. Vielmehr bedeutet sie Folgendes: Für den Normalfall der strukturell begehungstäterschaftsgleichen Garantenunterlassung (= Verletzung einer „Notpflicht“) gilt wegen seiner axiologischen Beihilfeäquivalenz eine obligatorische Strafmilderung. Von dieser Grundsatzwertung sind jedoch zwei fixe (!) Konstellationen auszunehmen – nämlich die Verletzung „sozialer Funktionspflichten“ einerseits und die unmittelbare tatbestandliche Gleichstellung des Garantenunterlassens andererseits –, die überhaupt keine Strafmilderung verdienen. Diese Distinktion war regelungstechnisch sinnvoll (wohl) nur durch Einfügung einer fakultativen Milderungsmöglichkeit umsetzbar.3873 Gegen diese hier sog. „Rechtsfolgenlösung“ könnte man freilich einwenden, sie verlagere bzw. reduziere bloß den entscheidenden Wertungswiderspruch auf die Versuchsebene: Wer eine präsumtive Fremdtat aktiv zu fördern versuche, gehe, wenn diese nicht ins Versuchsstadium gelange, straflos aus. Wer sich dagegen von vornherein darauf beschränke, nichts gegen das fremde Tatvorhaben zu unternehmen, der sei ceteris paribus wegen Versuchs eines begehungsgleichen Unterlassungsdelikts strafbar, kurzum: Der Versuch einer aktiven Garantenbeihilfe wäre straflos, das passive Garantenunterlassen hingegen ceteris paribus strafbar.3874 Dieser Vorhalt geht jedoch ins Leere. Denn auch dem Versuch der Garantenbeihilfe kann durchaus eine täterschaftliche Anschlussunterlassung des genuinen Garanten nachfolgen, und keine Konkurrenzregel verbietet es, den Schuldvorwurf an diese neben dem aktiven Unterstützungsversuch gegebene Garantiepflichtverletzung anzuknüpfen!3875 Diese Überlegung gilt aber natürlich nur für denjenigen, der von vornherein genuiner Garant ist, nicht hingegen für den Allgemeingehilfen, der dies durch seinen Beitrag erst noch „werden will“ (qua Ingerenz). Dies deshalb, weil der aktive Unterstützungsversuch, der den gemeinen Gehilfen erst zum Ingerenzgaranten machte, gerade 3873 Der Einwand, die grundsätzliche Anpassung an den Strafrahmen der Aktivbeihilfe bedeute de facto eine Umdeutung der in § 13 II vorgesehen fakultativen Strafmilderung in eine obligatorische (so Ranft, ZStW 94 [1984], 815 [821]), geht daher fehl. Denn dass Garantenunterlassungen existieren, für die eine Strafmilderung unangebracht ist, wird ja auch von den Vertretern der hier sog. „Rechtsfolgenlösung“ nicht bestritten und war vor allem für Roxin gerade der ausschlaggebende Grund dafür, bereits de lege ferenda nur für eine fakultative Strafmilderung einzutreten! 3874 So etwa Busse, Täterschaft, 193 f.; Seier, JA 1990, 382 (384); Schwab, Täterschaft, 177 – Roxin (AT II, § 31 Rn. 146) hat den Einwand in Abwandlung eines von Schwab (Täterschaft, 174 f.) eingeführten Beispiels wie folgt exemplifiziert: In der ersten Variante reicht die Kindsmutter dem Vater zur Tötung des Neugeborenen ein Messer, das dieser dann aber wegen Abstandnahme von seinem Tatvorhaben doch nicht einsetzt – strafloser Versuch einer Aktivbeihilfe (e contr. § 30 I); in der zweiten Variante bleibt die Mutter dagegen von vornherein untätig und hindert den Vater trotz bestehender Eingriffsmöglichkeit nicht daran, zum Zwecke der – letztlich dann doch unterbleibenden – Tötung ins Kinderzimmer zu gehen – hier sei nach der Lehre von der einheitstäterschaftlich strukturierten Unterlassung strafbarer täterschaftlicher Unterlassungsversuch anzunehmen. 3875 So zutr. Roxin, AT/II, § 31 Rn. 147.

F. Täterschaft bei (begehungsgleichwertigen) Unterlassungen

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straflos bleiben soll (arg. e § 30). Er darf daher unter keinen Umständen als vorangegangenes gefahrbegründendes Tun zur Grundlage des Vorwurfs einer garantiepflichtwidrigen Unterlassungsstraftat3876 gemacht werden.3877 Abschließend ist zu sagen, dass eine „richtige“ Interpretation der in § 13 II eingefügten fakultativen Strafmilderung es wohl flächendeckend ermöglicht, das axiologische Gleichgewicht zwischen begehungsgleicher Unterlassung und aktiver Begehung herzustellen und dabei auch Bewertungsunterschiede innerhalb der Unterlassungsstraftaten angemessen zu berücksichtigen. Demgegenüber ist die Konstruktion einer Beihilfe durch Unterlassen „(…) sowohl dogmatisch als auch kriminalpolitisch verfehlt; sie macht die Möglichkeit der Strafmilderung von Kriterien abhängig, die für den Grad der Strafwürdigkeit belanglos sind“3878.

cc) Der normative Ansatz Schwabs: wertende Betrachtung sub specie § 13 I Hs. 2 (1) Darstellung Einen anderen Einstieg zur Beseitigung der beschriebenen (und sämtlich auflösbaren!) Wertungswidersprüche will indessen Schwab3879 wählen. Er ist der Ansicht, dass Täterschaft und Teilnahme im Unterlassungsbereich prinzipiell mithilfe der Entsprechungsklausel des § 13 I Hs. 2 abzugrenzen seien. Nach dieser Klausel müsse das Unterlassen der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes durch ein Tun entsprechen. Anerkenne (!) man nun aber, dass es bei Unterlassungen die verschiedenen Beteiligungsformen der Täterschaft und der Teilnahme gebe, so 3876

Zur Klarstellung: Eine Ingerenzgarantenpflicht zur Rückgängigmachung des die vermeintliche Gefahr mit begründenden Gehilfenbeitrags besteht selbstverständlich! Ihre Verletzung ist aber eben – im Gleichlauf zur Straflosigkeit der versuchten Beihilfe – per se noch nicht sanktionsbewehrt. 3877 So dem allgemeinen Rechtsgedanken nach zutr. Meister, GA 1953, 166 (169); Heinitz, JR 1955, 105 (105); Grünwald, GA 1959, 110 (121 f.); Gallas, JZ 1960, 686 (686); Rudolphi, Gleichstellungsproblematik, 146 f. – Das übersieht Busse (Täterschaft, 193 f.); er gelangt deshalb zu der Behauptung, die Einheitstäterlehre müsse bei konsequenter Anwendung die gesetzgeberische Wertentscheidung für die Straflosigkeit der versuchten Beihilfe unterlaufen. Diese These ist aber unzutreffend, wie die „richtige“ Lösung des von Busse (a.a.O., 193) gebildeten Beispiels zeigen mag: A hilft B bei der Herstellung eines Giftes, in der Annahme, B wolle C töten; in Wahrheit will B aber nur Ratten bei C vergiften; als B mit dem kredenzten Gift zu C aufbricht, hält A ihn weder auf noch warnt er den C – kein strafbarer (untauglicher) Versuch eines Unterlassungsdelikts! Awar lediglich gemeiner Gehilfe und genießt daher das Privileg der Straflosigkeit, da auf seinen allgemeinen Gehilfenbeitrag als vorangegangenes gefahrbegründendes Tun (= Ingerenz) nicht rekurriert werden darf! Dass A dagegen strafbar wäre, wenn er das Gift aus der ihm gehörenden Apotheke beschafft hätte, liegt schlicht daran, dass „(…) der große Strafbarkeitsunterschied zwischen Garanten und Nichtgaranten ein Grundprinzip unseres Gesetzes ist“. (Roxin, AT/II § 31 Rn. 149). 3878 Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte, 303. 3879 Täterschaft, 189 ff.

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müsse das Unterlassen konsequenterweise entweder der aktiven Verwirklichung von Täterschaft oder aber der aktiven Verwirklichung von Teilnahme entsprechen. Wann die eine oder die andere Entsprechungsform vorliege, sei dabei im Wege einer wertenden Beurteilung zu ermitteln. Diese habe sich insbesondere daran auszurichten, ob eine ähnlich gelagerte Beteiligung durch positives Tun Täterschaft oder Teilnahme begründet hätte, ob also der Unterlassende als Zentralgestalt oder lediglich als Randfigur des deliktischen Geschehens erscheine.3880 Ein solches Procedere sei unumgänglich. Denn einerseits seien sämtliche Versuche gescheitert, Täterschaft und Teilnahme bei Unterlassungen anhand eigenständiger Kriterien (scil.: dogmatisch) zu unterscheiden; andererseits führe die alternativ vorgeschlagene Einheitstäterlehre zu inakzeptablen Ergebnissen, insbesondere in Relation zur straflosen aktiven Beihilfe: Händige etwa der A dem B Rattengift aus, in der irrigen Annahme, dass der B damit seine Ehefrau ermorden wolle, so sei der Awegen versuchter Beihilfe straflos; lasse A hingegen zu, dass B das Rattengift an sich nehme und damit aufbreche, so müsse die Einheitstäterlehre einen strafbaren Totschlagsversuch durch Unterlassen annehmen. Dieser Wertungswiderspruch könne nicht hingenommen werden; ein Unterlassender, dessen Verhalten sich wertungsmäßig als versuchte Beihilfe darstelle, müsse zwingend straffrei ausgehen, weshalb die axiologische Parallele zur aktiven Beihilfe gezogen werden müsse.3881 Freilich sei Roxin zuzugeben, dass die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme bei Unterlassungen eigentlich nicht allein aus solchen Wertungswidersprüchen hergeleitet werden könne. Doch seien diese Friktionen immerhin starke Anzeichen dafür, dass ein normatives Vergleichsverfahren indiziert sei.3882 Zur Durchführung eines solchen Vergleichsverfahrens sei aber die Entsprechungsklausel prädestiniert. Denn das allgemeine Entsprechungserfordernis gelte seinem Wortlaut nach nicht nur für solche unechten Unterlassungsdelikte, die auf verhaltensgebundenen Begehungsdelikten beruhten, sondern für alle unechten Unterlassungsdelikte.3883 Deshalb müsse das Erfordernis auch auf das im Begehungsbereich differierende Handlungsunrecht von Täterschaft und Teilnahme bezogen werden. Wenn im Begehungsbereich neben der Erfüllung des Tatbestandes zusätzlich noch Tatherrschaft erforderlich sei, um Täterschaft zu begründen, dann müsse im Unterlassungsbereich ebenfalls noch etwas hinzukommen, um von einer Unterlassungstäterschaft sprechen zu können.3884 Die Garantenstellung allein könne dies nicht gewährleisten, denn sie diene nur dazu, aus dem uferlosen Kreis der Unterlassenden diejenigen herauszulesen, deren Verhalten allgemein als begehungsgleich anzusehen sei. Außerdem komme ein Mehr oder Weniger an Eingriffspflicht nicht in

3880 3881 3882 3883 3884

Täterschaft, 189. Täterschaft, 190 f. Täterschaft, 191. Täterschaft, 191. Täterschaft, 191 f.

F. Täterschaft bei (begehungsgleichwertigen) Unterlassungen

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Frage.3885 Somit bleibe gar nichts anderes übrig, als anhand eines wertenden Vergleichs zu eruieren, ob der unterlassende Garant als Zentralgestalt oder als Randfigur erscheine.3886 Diese schon vorrechtlich anerkannte Wertung stelle ohnehin die gesetzliche (!) Generalwertung dar, an der sich jede Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme zu orientieren habe. Werde dem nicht gefolgt, so liege ein Verstoß gegen das geschriebene (!) Gesetz vor.3887 Stelle sich also ein Beteiligter wertungsmäßig als Randfigur dar, so dürfe die dogmatische Konstruktion ihn nicht entgegen dieser Wertung zum Täter und damit zur Zentralfigur „machen“; vielmehr entscheide allein der wertende Vergleich.3888 Danach erscheine der unterlassende Garant insbesondere dann als Teilnehmer, wenn ein vergleichbarer Aktivbeitrag lediglich Teilnahme begründet hätte.3889 So liege es in aller Regel bei der garantiepflichtwidrigen Nichthinderung fremder Deliktsbegehung, und zwar unabhängig von Inhalt und Qualität der jeweiligen Garantenpflicht. Denn in all diesen Fällen dürfe das Unterlassen nicht schwerer wiegen als im hypothetischen Vergleichsfall eine aktive Begehungsbeihilfe.3890 Ausnahmen von diesem Axiom seien in Anlehnung an die Wertentscheidungen der mittelbaren Begehungstäterschaft nur dann zu machen, wenn das zugelassene Aktivhandeln aufgrund voluntativer oder kognitiver Mängel des Ausführenden ein relevant unterlegenes sei.3891 (2) Kritik Dieser Ansatz Schwabs ist aus unterlassungsdogmatischer Sicht schwer nachvollziehbar. Fragwürdig erscheint bereits die methodische Herangehensweise: Obwohl die Unterscheidung zwischen Täterschaft und Teilnahme als Bezugspunkt der Entsprechungsklausel prämissiv in diese hineingelesen wird, wird konzediert, dass eine dogmatische Unterscheidung zwischen diesen Beteiligungsformen jedenfalls nicht möglich ist. Dennoch soll aber die Notwendigkeit einer Unterscheidung nach Beteiligungstypen aus axiologischen Gründen heraus angezeigt sein – wohlgemerkt aus denselben axiologischen Gründen, die später die Konstruktion der Beihilfe durch Unterlassen tragen sollen! Warum aber gerade die Konstruktion eines der Aktivbeihilfe entsprechenden Verhaltensunrechtstypus (= Unterlassungsbeihilfe) axiologisch indiziert sein soll und nicht etwa die unmittelbare Übertragung des Beihilfestrafrahmens auf das einheitstäterschaftlich strukturierte Unterlassen, bleibt offen. Die wenigen positiven Erwägungen, die Schwab insofern anstellt, bleiben schemenhaft. Leitend ist offenbar der Gedanke, dass die richtige Wertentscheidung – 3885 3886 3887 3888 3889 3890 3891

Täterschaft, 192. Täterschaft, 192 f. m. 197 f. Täterschaft, 198. Täterschaft, 198. Täterschaft, 208 f. Täterschaft, 217 ff. (222). Täterschaft, 222 ff.

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Zentralgestalt oder bloß Randfigur – dem quivis ex populo auch durch eine entsprechende Etikettierung – Täterschaft oder nur Beihilfe – verständlich gemacht werden müsse.3892 Auch ist nicht einzusehen, dass und warum die Annahme eines einheitlich strukturierten Unterlassungsunrechts gegen das Abgrenzungsprinzip Zentralgestalt/ Randfigur verstoßen und damit eine Missachtung des geschriebenen Gesetzes (!) darstellen soll. Nirgendwo steht doch geschrieben, dass Zentralgestalten von Randfiguren abzugrenzen seien bzw. vice versa! Vielmehr verhält es sich gerade umgekehrt so, dass solche zunächst einmal bloß „beschreibenden“ Täterbilder auf eine allgemeine Sacheinsicht bzw. Wertentscheidung zurückgeführt werden müssen.3893 Deshalb „macht“ im Unterlassungsbereich sicherlich nicht die Dogmatik den Unterlassenden wertungsinadäquat zum Einheitstäter, sondern wenn überhaupt „macht“ eine rückhaltlos angesetzte Wertung dogmatisch reinförmige Täter grundlos zu Teilnehmern: Das allgemeine Verhaltensunrecht der intentionalen Zulassung durch Unterlassen ist einförmig „täterschaftlich“ strukturiert, und das Erfordernis der Garantenstellung dient allein dazu, ein eo ipso „täterschaftlich“ strukturiertes Unterlassen in den Rang der Begehungsgleichheit zu heben.3894 Diese in sich konsistente Lehre wird auch nicht durch irgendwelche Wertungswidersprüche ad absurdum geführt. Sämtliche mit diesem „Totschlagsargument“ angesprochenen axiologischen Probleme können (und müssen) nämlich sub specie § 13 II einer angemessenen Lösung zugeführt werden. Ein Problem, das sich auf den ersten Blick nicht durch die dort vorgesehene fakultative Strafmilderung erledigen lässt, wird allerdings immer wieder gern moniert: Die versuchte Garantenbeihilfe ist straflos, die versuchte Garantenunterlassung hingegen ceteris paribus als täterschaftlicher Unterlassungsversuch strafbar; wo Aktivität straflos ist, wird Passivität bestraft.3895 Dieser Widerspruch lässt sich zwar vermeiden, indem man auch im Falle der versuchten Garantenbeihilfe auf das anschließende Garantenunterlassen abstellt.3896 Doch dann, so scheint es, müsste für den gemeinen Gehilfen als Ingerenzgaranten Gleiches gelten – die gesetzgeberische Entscheidung für die Straflosigkeit der versuchten Beihilfe wäre Makulatur.3897 Aber das ist zu vorschnell gedacht: Übersehen wird, dass das nachfolgende Ingerenzunterlassen des gemeinen Gehilfen kein genuines Garantenunterlassen ist, sondern gerade von demjenigen Beitrag abhängt, welcher nach der gesetzlichen Wertung straflos bleiben soll. Deshalb kann der pflichtwidrige Unterstützungsversuch hier den Vorwurf einer 3892

Täterschaft, 195, 198. s. insofern nur die methodische Kritik bei Stein, Beteiligungsformenlehre, 62 ff. 3894 Der Sache nach grundlegend bereits Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte, 282 ff. 3895 Dieser scheinbare Wertungswiderspruch bildet offensichtlich das Leitmotiv für Schwabs Postulat, die Abgrenzung der Beteiligungsformen immer anhand eines wertenden Vergleichs vorzunehmen (s. Täterschaft, 190 f.). 3896 So zutr. Roxin, AT/II, § 31 Rn. 147. 3897 So insbesondere Busse, Täterschaft, 193 f. 3893

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Unterlassungsstraftat nicht tragen – womit alle Widersprüchlichkeiten verschwinden. Zusammengefasst: Entweder der „Beteiligte“ ist Garant – dann ist er ceteris paribus3898 immer Täter eines Unterlassungsversuchs, auch dann, wenn er im Vorfeld bereits einen aktiven Unterstützungsversuch unternommen hat; im letzteren Falle tritt die Garantiepflichtverletzung selbständig neben die straflose Übertretung des allgemeinen Beihilfeverbots (Konkurrenzlösung). Oder aber der „Beteiligte“ ist nur quivis ex populo – dann ist er nie Täter eines Unterlassungsversuchs; im Falle bloßer Passivität nicht, weil er keine Garantenstellung innehat, im Falle eines vorangegangenen Unterstützungsversuchs nicht, weil dieses Handeln gerade straflos bleiben soll und deshalb nicht zur Begründung einer Unterlassungsstraftat herangezogen werden darf. Die einzig verbleibende Wertungsdifferenz ist damit die, dass der Garant ceteris paribus immer einen täterschaftlichen Unterlassungsversuch begeht, der quivis ex populo hingegen immer straflos ausgeht. Dieser große Strafbarkeitsunterschied zwischen Garanten und Nichtgaranten beruht aber gerade auf einer entsprechenden Grundsatzwertung der lex lata.3899 Nach alledem kann die uniforme Struktur der Unterlassung, wie sie dogmatisch vorgegeben ist, problemlos zur Grundlage auch der strafrechtlichen Haftung gemacht werden, ohne dass man sich in irgendwelche Wertungswidersprüche oder Aporien verstrickte. Für diese Lösung ist nachdrücklich einzutreten, denn Beteiligungsformen lassen sich nicht ohne Rückbindung an die allgemeine Verhaltensunrechtsebene axiologisch einziehen! c) Beteiligungsform sui generis oder Pflichtdelikt? Da die oft gerügten axiologischen Grundgebrechen realiter nicht bestehen, darf also die „alte“ These Armin Kaufmanns und Grünwalds als erhärtet gelten: Die Garantenunterlassung weist eine „quasi-einheitstäterschaftliche“ Struktur (sui generis) auf. Diesem Befund hat nun aber Roxin früh einen „listigen“ Einwand entgegengesetzt: Täter eines begehungsgleichen Unterlassungsdelikts sei ja keineswegs jeder Unterlassende, sondern nur der zur Erfolgsabwendung besonders Verpflichtete.3900 Daran ist richtig, dass die indifferente Struktur der intentionalen Zulassung durch Unterlassen nicht zu erklären vermag, warum ein unterlassender Garant Täter gerade eines begehungsgleichen Unterlassungsdelikts (§ 13) sein soll. Dieser „Erklärungsmangel“ ist aber entgegen Roxin3901 nicht etwa darauf zurückzuführen, dass ein positives personales Zurechnungskriterium für die Garantenunterlassungsdelikte fehlt, sondern er folgt bloß daraus, dass die Gleichstellungsfrage die Kernsubstanz 3898

Zur Klarstellung: Dass der Garant infolge aktiven Beihilfeversuchs ebenso wie bei anfänglicher Untätigkeit gleichermaßen straflos ausgeht, wenn das Versuchsstadium der Unterlassungstat noch nicht erreicht ist, ist eine einheitliche gesetzliche Wertentscheidung. 3899 So zutr. Roxin, AT/II, § 31 Rn. 149. 3900 TuT, 459, 468. 3901 TuT, 468 f.

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der personalen Garantenunterlassung nicht (mehr) tangiert.3902 Daher geht Roxins These, man müsse zwingend auf die Garantiepflichtverletzung als Tätermerkmal der begehungsgleichen Unterlassungsdelikte rekurrieren,3903 aus dogmatischer Sicht ins Leere. Handlungspflichtig im (allgemeinen) normentheoretischen Sinne ist keineswegs allein der Garant, sondern – selbstverständlich – auch der quivis ex populo (§§ 138, 323c)! Dass und warum jedoch die Garantenstellung den Gegenstand der allgemeinen Handlungspflicht für den Garanten modifizieren soll, wird von Roxin nicht dargetan. Auf dem Boden eines allgemeinen Verhaltensnormensystems, dessen Zweck im Rechtsgüterschutz liegt, wird ein solcher Nachweis auch schwerlich zu führen sein, denn der Rechtsgüterschutz verpflichtet den quivis ex populo prinzipiell zu gleichen Konditionen zum Handeln wie den Garanten.3904 Sieht man die Dinge so, dann ist das Garantenunterlassen in erster Linie eine axiologische Kategorie, d. h. die Existenz einer Garantenstellung erhöht „bloß“ den Unwert der (allgemeinen) intentionalen Zulassungshandlung.3905 Man kann also sagen: Der Verstoß gegen eine Garantenhandlungspflicht hebt das uniform strukturierte (Gemein-)Unterlassen in den Rang der Begehungsgleichheit. Freilich drängt sich Roxins Sichtweise als Konsequenz der von ihm entwickelten Pflichtdeliktslehre auf. Danach soll bei den sog. „Pflichtdelikten“3906, zu denen Roxin auch die Garantenunterlassungsdelikte zählt,3907 allein die Verletzung einer bestimmten subjektbezogenen Sonderpflicht die Täterschaft konstituieren.3908 Im Fall der begehungsgleichen Unterlassungsdelikte bildet also gerade die Garantenpflicht zur Erfolgsabwendung die Chiffre für Täterschaft.3909 Eine solche Täterbestimmung mutet prima vista elegant an. Bei näherem Hinsehen zeigt sich jedoch, dass nur der formale Aspekt der Sonderpflichtverletzung apostrophiert wird, ohne wirklich zum materialen, d. h. pflichterzeugenden, Grund der personalen Zurech-

3902

So zutr. Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte, 282 ff. TuT, 461 f., 468 f. 3904 Richtig ist, dass der quivis ex populo nicht mit gleicher Strenge wie der Garant gehalten ist, einem Aktivtäter förmlich „ins Messer zu fallen“. Das hat jedoch keinen normentheoretischen Hintergrund i.S.e. minderen gegenständlichen Reichweite der allgemeinen Handlungspflicht: Das Bevorstehen einer Straftat stellt nach h.M. einen „Unglücksfall“ i.S.d. § 323c dar, den abzuwenden grundsätzlich Jedermann verpflichtet ist (s. dazu nur BGHSt 3, 65 [66]; 6, 147 [152])! Wenn dem quivis ex populo diesbezüglich weniger „Einsatz“ abverlangt wird als einem Garanten, dann folgt dies daraus, dass in Bezug auf seine Person die „Opfergrenze“ der Unzumutbarkeit pflichtgemäßen Verhaltens (wesentlich) schneller erreicht ist (weil eben bloße Solidarpflicht von geringerer Dringlichkeit [eingehend zum Parameter der Normdringlichkeit bei der begehungsgleichen Unterlassung s. bereits oben, S. 216 ff.]). 3905 Grundlegend dazu Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte, 272 ff. (274, 276, 284 f., 287). 3906 Allgemein dazu Roxin, TuT, 352 ff. 3907 TuT, 459 ff.; zust. Rudolphi, Gleichstellungsproblematik, 138 ff. 3908 TuT, 352 ff. 3909 TuT, 459 ff. 3903

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nung durchzudringen.3910 Fragt man aber nach diesem sachlogischen Grund, so kann dieser nicht in einer „prästabilisierten Geschehensherrschaft i.S.d. Kontrolle über einen sozialen Bereich“ (= Kontrollherrschaft über die Gefahrenquelle bzw. Schutzherrschaft über das Rechtsgut)3911 liegen, sondern allein im konkreten personalen Verhaltensunrecht der Unterlassung selbst: eben in dem Umstand, dass trotz erkannter Gefahrenlage und Handlungsfähigkeit aktuell nicht gehandelt wird. Auf welche Weise man also auch versucht, im Bereich der Unterlassungsdelikte einen eigenen Täterbegriff oder gar eine eigene (Quasi-)Beteiligungslehre zu installieren, der Kreis schließt sich immer wieder beim sachlogischen Zurechnungsgrund der personalen Basis-Zulassungshandlung durch Unterlassen. Die dementsprechende Handlungspflicht weist aber unabhängig von der Existenz bestimmter Sonderrollenerwartungen stets den gleichen Gegenstand auf, denn sowohl der quivis ex populo als auch die Garanten untereinander sind gleichermaßen zur Erfolgsabwendung (genauer: zu einem Handeln mit Erfolgsabwendungstendenz) verpflichtet. Dass die den Garanten treffende Erfolgsabwendungspflicht mit einer höheren Dringlichkeit ausgestattet und deshalb mit einer höheren Sanktionsdrohung bewehrt ist, ändert nichts an der Identität in der personalen Unrechtsstruktur. Denn das unrechtsmodifizierende Merkmal der Normdringlichkeit ist nicht in „Gemeinunrechtskategorien“ (à la Sonderrechtsgut oder Sonderverhaltensnorm) fassbar.3912 d) Ausnahmefälle aa) Die garantiepflichtwidrige Zulassung von eigenhändigen Delikten und Absichtsdelikten Allerdings existieren einige Typen intentionaler Zulassungshandlungen, die nicht auf einem der aktiven Begehung qualitativ direkt korrelierenden Garantengebotstatbestand im herkömmlichen Sinne beruhen: Garantengebote haben stets die Abwendung eines bestimmten Erfolges zum Gegenstand. Ob das geschützte Einwirkungsobjekt durch das Wirken von Naturkräften oder aber durch fremdes intentionales Handeln bedroht wird, ist für den Pflichtgegenstand irrelevant. Anders verhält es sich jedoch bei den eigenhändigen Aktdelikten und den Absichtsdelikten, dort vor allem den Zueignungsdelikten. Ihnen können auf der Unterlassungsseite keine direkt korrelierenden Garantengebotstatbestände zugeordnet werden, da die jeweils zu unterbindende Friedensstörung/Rechtsgutsbeeinträchtigung im Aktivbereich eine strikt verhaltensgebundene ist.3913 Angesichts dessen fragt sich, ob und wenn ja wie die garantiepflichtwidrige Zulassung derartiger Delikte dogmatisch stringent in die 3910

So die zutr. Analyse bei Roxins Schüler Schünemann, in: LK, § 25 Rn. 44, 134. Schünemann, in: LK11, § 14 Rn. 17. 3912 So zutr. Langer, Sonderstraftat, 267 ff. (296 f. [zitierte Begrifflichkeit ebenda]); s. eingehend dazu oben, S. 173 ff. 3913 Roxin, TuT, 479 – 481. 3911

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6. Kap.: Die Ausarbeitung der Deliktsgruppen im Einzelnen

Lehre von der unterschiedslos täterschaftlich strukturierten Unterlassung integriert werden kann. (1) Roxin Um eine solche Implementierung hat sich – auf dem Boden seiner Pflichtdeliktslehre – zuerst Roxin3914 bemüht: Wenn die Garantiepflicht alleiniges Täterkriterium sei, dann erhebe sich die Frage, wie Täterschaft trotz Verletzung einer existenten Garantiepflicht ausscheiden könne. Die Antwort darauf liege in der doppelten Funktion der Garantenstellung: Diese begründe nicht nur die Täterschaft, sondern auch die Strafbarkeit. Strafbarkeit und Täterschaft hätten aber unterschiedliche Voraussetzungen. Daraus ergebe sich die Möglichkeit, dass im Einzelfall zwar die Merkmale der Strafbarkeit, nicht aber die der Täterschaft – des engeren Begriffs – erfüllt seien.3915 Die Strafbarkeit verlange nur die zurechenbare Verletzung des in einem Tatbestand geschützten Rechtsgutes, die Täterschaft hingegen eine dem tätertatbestandlichen Tun entsprechende Unrechtsqualität.3916 Fehle es an dieser Gleichartigkeit, so wirke die Garantenstellung zwar strafbegründend, ziehe aber keine begehungsgleiche Unterlassungstäterschaft und damit auch keinen selbständigen Garantengebotstatbestand nach sich. Die pflichtwidrige Untätigkeit könne dann nur zur Teilnahmebestrafung führen.3917 So liege es erstens bei den „eigenhändigen Delikten“, die ein moralisch besonders verwerfliches Verhalten pönalisierten (heute etwa noch § 173);3918 zweitens fehlten korrespondierende Garantengebotstatbestände bei den „höchstpersönlichen Pflichtdelikten“ (insbesondere §§ 153 ff.), denn dort wirke eine Pflichtverletzung täterschaftsbegründend, die ausschließlich in einer bestimmten Form unmittelbar-persönlichen Verhaltens bestehen könne;3919 und drittens schließlich sei die Nichthinderung von Zueignungsdelikten wie § 242 nur in Form einer Teilnahme denkbar.3920 Freilich harre die Annahme einer Teilnahme durch Unterlassen noch eines positiven Nachweises. Denn die Teilnahme sei zwar sekundärer Natur; doch setze ihr Vorliegen notwendig eine Mitwirkung voraus, die das für den jeweiligen Tatbestand maßgebende Täterkriterium nicht erfülle.3921 Insofern stelle sich aber sub specie Unterlassungsdelikt ein Problem, denn Tätermerkmal sei ja hier gerade die Garantenpflicht, und diese verletze auch der Teilnehmer.3922 Doch das sperre die Annahme einer echten „Beihilfe durch Unterlassen“ keineswegs, denn der Unterlas3914 3915 3916 3917 3918 3919 3920 3921 3922

TuT, 477 ff. TuT, 477. TuT, 478. TuT, 478. TuT, 479 f. TuT, 480 f. TuT, 481 f. TuT, 483. TuT, 483.

F. Täterschaft bei (begehungsgleichwertigen) Unterlassungen

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sende sei bei Nichthinderung eines aktiv tatherrschaftlich handelnden Dritten stets zweierlei: Täter eines Pflichtdeliktes (Unterlassungsdeliktes) und Gehilfe bei einem Herrschaftsdelikt (Begehungsdelikt).3923 Dieser Umstand werde regelmäßig nur dadurch verborgen, dass die Unterlassungstäterschaft die Unterlassungsbeihilfe zum Begehungsdelikt überlagere und verdränge. Sei aber eine Unterlassungstäterschaft ausnahmsweise konstruktiv unmöglich, so trete die sonst verdrängte Beihilfe wieder hervor und begründe die Strafbarkeit des unterlassenden Garanten.3924 Diese Überlagerungslehre habe den bedeutsamen Vorzug, dass sie im Gegensatz zu der dogmatisch-orthodoxen Lehre Armin Kaufmanns nicht mit dem NullumCrimen-Grundsatz konfligiere. Kaufmann3925 stelle nämlich für die garantiepflichtwidrige Zulassung fremder Zueignungsdelikte anheim, ggf. auch weiterhin „mehr schlecht als recht“ auf den „Lückenbüßer“ der Beihilfe durch Unterlassen zurückzugreifen und konstatiere für die Nichthinderung „reiner Aktverbrechen“ bloß „kriminalpolitisch“ eine Parallele zur Aktivbeihilfe. Das aber verstoße gegen das Analogieverbot, denn wenn es unmöglich sei, mit dogmatischen Mitteln einen gesetzlichen Straftatbestand aufzufinden, dann könne das nackte kriminalpolitische Bedürfnis allein die Gesetzeslücke nicht ausfüllen.3926 Ganz ähnlichen Schwierigkeiten sei insgesamt auch die Lehre Grünwalds3927 ausgesetzt, wonach die Mitwirkung durch Unterlassen eine Beteiligungsform sui generis sei.3928 Derartige Kalamitäten seien aber klare Indizien für die Richtigkeit der Pflichtdelikts- und Überlagerungsdoktin.3929 (2) Kritik Vorausgeschickt sei, dass Roxins Hinweis auf das Analogieverbot die Kaufmann’sche wie auch die Grünwald’sche Lehre tatsächlich in Verlegenheit bringt. Denn in der Tat ist es problematisch, die Heranziehung des Beihilfesanktionstatbestandes allein kriminalpolitisch rechtfertigen zu wollen. Insofern ist Roxin also beizupflichten. Nur folgt daraus keineswegs die Richtigkeit von dessen eigener Lösung. Denn Roxin selbst bleibt augenscheinlich den Nachweis schuldig, dass und warum es sich bei der regelmäßig überlagerten Beihilfe durch Unterlassen zum Begehungsdelikt um eine echte, d. h. akzessorische, Unterlassungsbeihilfe handeln soll.3930 Ein solcher Nachweis lässt sich aber wohl auch nicht führen, denn ein und dieselbe Handlungspflicht kann – auch bei Zugrundelegung verschiedener Täterkriterien – ihrem Gegenstande nach unmöglich zugleich originär und derivativ 3923 3924 3925 3926 3927 3928 3929 3930

TuT, 483 f. TuT, 484. Unterlassungsdelikte, 299 f. (im Text nachfolgende Zitate ebenda). TuT, 495. GA 1959, 110 ff. TuT, 468 f. TuT, 495. So zutr. schon Bloy, JA 1987, 490 (493 Fn. 33).

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beschaffen sein: Nach Roxins3931 eigener Auffassung gebietet doch die Garantenhandlungspflicht stets tatsächliche Erfolgsabwendung und verpflichtet daher nicht in Abhängigkeit vom Tun des Aktiven, sondern gegenläufig-originär. Trifft das aber zu, so ist unerklärlich, wie und mit welcher Maßgabe das Tatherrschaftskriterium gleichsam als „subkutaner“ Abgrenzungsparameter in Funktion bleiben soll. Mithin ist die Idee einer regelmäßig überlagerten Unterlassungsbeihilfe zu fremdem Herrschaftsdelikt schon aus diesem Grund abzulehnen. Doch noch mehr: Auch Roxins Monitum, wonach alle anderen Vorschläge, die Garantenunterlassung in derartigen Ausnahmefällen strafrechtlich zu erfassen, das Analogieverbot verletzten, fällt letztlich auf ihn selbst zurück. Denn seine Überlagerungsdoktrin beruht ja auf der Grundannahme, dass für die Unterlassungsstrafbarkeit per se schon die zurechenbare Verletzung eines tatbestandlich geschützten Rechtsgutes konstitutiv sei.3932 Doch welcher Vorschrift entnimmt Roxin die Strafbarkeit einer Unterlassung, der prämissiv kein Garantengebotstatbestand korrelieren soll? Gemeint sein kann doch nur § 13, der aber schon für die Unterlassungsstrafbarkeit (und nicht erst für die von Roxin künstlich abgespaltene Unterlassungstäterschaft3933) mehr verlangt als nur eine zurechenbare Rechtsgutsverletzung, nämlich Begehungsäquivalenz – an der es aber mangels Garantengebotstatbestand gerade fehlen soll. Danach hängt auch die von Roxin vorausgesetzte Strafbarkeit der tatbestandslos gedachten Garantenunterlassung in der Luft, weshalb sein Dogma von der typischerweise überlagerten Unterlassungsbeihilfe zum fremden Herrschaftsdelikt insgesamt abzulehnen ist. Nichtsdestotrotz bleibt aber Roxins mahnender Hinweis auf das Analogieverbot, das hier auch die Lehre von der einheitstäterschaftlich strukturierten Unterlassung vor eine unüberwindliche Hürde zu stellen scheint. Paradigmatisch dafür ist das Statement Bloys3934, wonach „(…) die Nichterstreckbarkeit des Akzessorietätsprinzips auf den Unterlassungsbereich ein strafrechtsdogmatischer Befund ist, der keineswegs die Legitimation dafür liefert, den tradierten Umfang der Unterlassungsstrafbarkeit zu reduzieren“.

Darin liegt ein sub specie Art. 103 II GG, § 1 StGB mehr als bedenklicher Rekurs auf Gewohnheitsrecht. Angesichts dieser intrikaten Lage erscheint es geboten, die problematischen Konstellationen sub specie § 13 noch einmal genauer zu beleuchten.

3931

TuT, 496 ff.; ders., AT/II, § 31 Rn. 152, 154 f. TuT, 478. 3933 So aber Roxin, TuT, 478. 3934 JA 1988, 490 (494) – Freilich weist Bloy (a.a.O.) auch auf die rudimentäre Fassung des § 13 hin, die „viele Punkte offen“ lasse. Dieser Hinweis befreit jedoch noch nicht von der Pflicht zur Erklärung, wie und warum auch Unterlassungen mit realakzessorischem Handlungsgebot dem § 13 subsumiert werden können. 3932

F. Täterschaft bei (begehungsgleichwertigen) Unterlassungen

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(3) Die eigene Auffassung (a) Eigenhändige Delikte Probleme bereitet zunächst die garantiepflichtwidrige Nichthinderung eigenhändiger Delikte. Das gilt zunächst für Delikte mit sachlogisch bedingtem Eigenhändigkeitscharakter wie etwa die §§ 172, 183, 183a.3935 Sie inkriminieren Handlungen, deren Unwert nicht in einem negativen Bezug zur Rechtsgüterwelt begründet liegt, sondern unmittelbar in den sozial verstörenden Wirkungen eines verwerflichen Aktvollzugs. Die betreffenden Friedensstörungen können also überhaupt nur über das „Trägermedium“ des eigenhändigen Aktvollzugs in die Welt gelangen. Daher hängt ihre Zulassung durch Unterlassen materiell notwendig vom personalen Aktvollzug des anderen ab: Nur die Hinderung des verwerflichen Aktes selbst kann Gegenstand der Garantenhandlungspflicht sein.3936 Zwar geht auch diese Handlungspflicht ihrem Zweck nach dahin, die schockierende Außenwirkung des verwerflichen Aktes zu verhindern. Dennoch existiert aber kein dem verwerflichen Aktvollzug direkt korrelierender Unterlassungstatbestand.3937 Das Problem ist freilich kein Eigengewächs der Unterlassungsdogmatik, sondern stellt sich mutatis mutandis schon auf der Begehungsseite. Schon dort „verrutschen“ komplexe Dezisivzugriffe auf den sozialen Frieden (wie etwa das Überreden eines Unzurechnungsfähigen zur öffentlichen Geschlechtsentblößung) in die Teilnahmetatbestände, sofern sie nicht mangels vorsätzlich-rechtswidriger Haupttat straflos sind.3938 Nun existieren freilich auf der Unterlassungsseite wegen der einheitstäterschaftlichen Struktur der Unterlassung keine genuinen Teilnahmetatbestände im dogmatischen Sinne,3939 so dass die intentionale Zulassung fremder Aktdelikte hier in die Straflosigkeit abzurutschen scheint.3940 Das wäre jedoch zu vorschnell gedacht, denn der Verhaltensunwert der Nichtunterbindung eines fremden Aktdelikts liegt ja nicht in der Partizipation am verwerflichen Akt, sondern in der täterschaftlichen Zulassung von dessen sozialschädlichen Auswirkungen. „Akzessorisch“ ist dieses Unterlassen nur insofern, als die vom Garanten zu unterbindenden Auswirkungen untrennbar mit dem fremden Aktvollzug verbunden sind.3941 Mithin sind sub specie § 13 beihilfeäquivalente Sanktionstatbestände zu bilden, die dieser „realen Akzessorietät“3942 sachlich und auch terminologisch Rechnung tragen. Danach ist z. B. die garantiepflichtwidrige 3935

s. ausführlich zu dieser Unterart bereits oben, S. 633 ff. Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte, 300. 3937 Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte, 300; Roxin, TuT, 479 f. 3938 In der Sache ebenso bereits Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte, 300. 3939 Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte, 300; Grünwald, GA 1959, 110 (119). 3940 So der Vorwurf von Roxin, TuT, 495. 3941 I.d.S. wohl auch bereits Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte, 300; Grünwald, GA 1959, 110 (119). 3942 Begrifflichkeit nach Grünwald, GA 1959, 110 (119 m. 117). 3936

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Nichthinderung eines Geschwisterbeischlafs durch den Familienvater weder als Verwandtenbeischlaf durch Unterlassen (§§ 172, 13) noch als Beihilfe zum Verwandtenbeischlaf durch Unterlassen (§§ 172, 27, 13) strafbar, sondern als realakzessorische Zulassung eines Verwandtenbeischlafs durch Unterlassen (§§ 172, 13 i.V.m. 27 analog). Damit handelt es sich bei der Zulassung fremder Aktdelikte in der Tat um eine Beteiligungsform sui generis3943, der aber de lege lata sub specie § 13 durchaus ein Sanktionstatbestand zugeordnet werden kann. Der Annahme solcher Sanktionstatbestände hat nun freilich Roxin entgegengehalten, sie seien bloß kriminalpolitisch inspiriert und könnten angesichts des Analogieverbots die tatsächliche Gesetzeslücke nicht ausfüllen.3944 Dem ist aber jedenfalls dann zu widersprechen, wenn man die verstörenden Wirkungen des vom Garanten zu hindernden Aktes als zum Tatbestand (scil.: des eigenhändigen Delikts) gehörigen Erfolg i.S.d. § 13 ansieht.3945 Verfährt man so, und aus hermeneutischer Sicht spricht nichts dagegen,3946 so ist für die garantiepflichtwidrige Nichthinderung eines fremden Aktdelikts der Anwendungsbereich des § 13 I Hs. 1 eröffnet. Für die Strafbarkeit dieser Unterlassung verlangt nun aber § 13 I Hs. 2 keineswegs zwingend einen dem verhaltensgebundenen Begehungstatbestand direkt korrelierenden Garantengebotstatbestand. Eine solche Auslegung widerspräche gerade dem Sinn der Modalitätenäquivalenzklausel, die insofern einem apriorischen Ausschluss der Unterlassungsstrafbarkeit gerade entgegenwirken soll. Erforderlich ist nach § 13 I Hs. 2 „nur“, dass die gebotswidrige Unterlassung der aktiven Tatbestandsverwirklichung wertungsmäßig entspricht. Referenzobjekt dieses Äquivalenzurteils ist aber der Unwertgehalt der Aktivbeihilfe, da die Garantenunterlassung nicht schwerer wiegen darf als eine aktive Garantenbeihilfe.3947 Nach diesen Grundsätzen ist aber auch die garantiepflichtwidrige Nichthinderung eines fremden Aktdelikts ohne 3943

I.d.S. zutr. Grünwald, 110 (112). TuT, 495. 3945 Ob die in § 13 vorausgesetzte Abwendungspflicht nur konkrete Verletzungs- und Gefahrerfolge betrifft oder aber das gesamte „tatbestandsmäßige Geschehen“ des entsprechenden Begehungsdelikts, ist streitig; s. zu diesem Streit m.w.N. Weigend, in: LK, § 13 Rn. 14 f., der allerdings für die Gegenansicht votiert. 3946 So zutr. etwa Jakobs, AT, 29/2; Stree/Bosch, in: Schönke/Schröder, § 13 Rn. 3; Wohlers, in: NK, § 13 Rn. 2; auch BGHSt 46, 212 (222). – Die Gegenmeinung beruft sich auf einen gesetzessystematischen Vergleich mit der Regelung des § 9 I sowie auf eine Formulierung in den Gesetzgebungsmotiven zu § 13 E 1962 (BT-Drucks. IV/650, 126), wonach schlichte Tätigkeitsdelikte grundsätzlich nicht durch Unterlassen begehbar seien (s. zu beiden Argumenten etwa Weigend, in: LK, § 13 Rn. 15 m. Fn. 38). Beide Argumente gehen jedoch fehl: Der Vergleich von § 13 mit § 9 I scheitert an den völlig unterschiedlichen Regelungszwecken beider Vorschriften; dass § 9 nur den zur Tathandlung äußerlich hinzukommenden Erfolg als für die Tatortbestimmung relevant ansieht, impliziert noch lange nicht die legislatorische Aussage, dass ein in der Handlung selbst liegender Erfolg kein Erfolg i.S.d. § 13 sei! Auch der Verweis auf die Gesetzgebungsmotive verfängt nicht, da die apostrophierte Passage genau genommen nur besagt, dass für schlichte Tätigkeitsdelikte kein dem Begehungsdelikt direkt korrelierender Garantengebotstatbestand existiert – was niemand bestreitet. 3947 s. ausführlich dazu oben, S. 674 ff. 3944

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Weiteres unter die Vorschrift des § 13 fassbar, denn sie weist einen der Aktivbeihilfe entsprechenden Unwertgehalt auf! Die Nichtübertragbarkeit verhaltensgebundener Täterkonkretisierungen (hier: der Eigenhändigkeit) in den Unterlassungsbereich ändert daher nichts an der „täterschaftlichen“ Struktur der entsprechenden Unterlassung und am Vorliegen der allgemein geforderten Mindestunwertäquivalenz (= Beihilfeäquivalenz)! Selbstverständlich muss aber der Abhängigkeit des Garantengebotstatbestandes von der verhaltensgebundenen Täterkonkretisierung beim Aktiven durch eine analoge Heranziehung des § 27 sub specie § 13 (!) Rechnung getragen werden, und genau darin wird man den Sinn der Modalitätenäquivalenzklausel auch erblicken müssen. Nur handelt es sich dann nicht um eine Analogie zulasten, sondern vielmehr zugunsten des Täters! Verfährt man so und sieht man dabei die vom Garanten pflichtwidrig zugelassene Eigenhändigkeit als besonderes persönliches Merkmal an,3948 so ist zugunsten des Garanten neben der im Regelfall ohnehin obligatorisch wirkenden3949 Strafmilderung des § 13 II noch die Strafmilderung des § 28 I entsprechend heranzuziehen, mit der Folge einer doppelten Strafmilderung.3950 Der vorstehende Gedankengang gilt auch für solche eigenhändigen Delikte, die eine Rechtsgutsbeeinträchtigung vertatbestandlichen, welche aus allgemeinrechtlichen Gründen heraus technisch nur durch das „Nadelöhr“ eines bestimmten höchstpersönlichen Verhaltens begangen werden kann (z. B. §§ 153 ff., 315c, 316).3951 So ist etwa der Garant, der die uneidliche Falschaussage eines anderen pflichtwidrig nicht unterbindet, wegen Zulassung einer fremden Falschaussage durch Unterlassen strafbar nach §§ 153, 13 i.V.m. § 27 analog. Entsprechendes gilt für die garantiepflichtwidrige Zulassung einer fremden Trunkenheitsfahrt (§§ 316, 13 i.V.m. § 27 analog). Ob der unterlassende Garant auch in diesen Fällen in den Genuss einer doppelten Strafmilderung kommt, hängt davon ab, ob man die „nur“ allgemeinrechtlich vorgegebene Eigenhändigkeit (ebenfalls) als besonderes persönliches Merkmal i.S.d. § 28 I ansieht.3952

3948 So im Hinblick auf die sachlogisch bedingte Eigenhändigkeit etwa Jakobs, AT, 23/26 (str.; s. zum Problem allgemein Puppe, in: NK, §§ 28, 29 Rn. 75). 3949 Ausführlich dazu bereits oben, S. 674 ff. 3950 Zur Klarstellung: Zu einer dreifachen Strafmilderung (§§ 13 II, 28 I, 27 II) kommt es nicht, da die axiologische Beihilfequalität der Garantenunterlassung per se schon sub specie § 13 II Berücksichtigung findet (s. dazu nochmals oben, S. 674 ff.). 3951 Ausführlich dazu bereits oben, S. 635 ff. 3952 Das dürfte wohl unproblematisch anzunehmen sein, wenn die allgemeinrechtliche Eigenhändigkeitsvorgabe mit einem Sonderdeliktscharakter zusammenfällt (z. B. bei §§ 153 ff.). Handelt es sich dagegen (wie bei § 316) um ein eigenhändiges Allgemeindelikt, so kann man über den Charakter der Eigenhändigkeit als besonderes persönliches Merkmal trefflich streiten (s. dazu nur Schünemann, in: LK, § 202 Rn. 43, der sich gegen die h.M. auch hier für eine Anwendung von § 28 I ausspricht; s. instruktiv zum Ganzen ferner auch Puppe, in: NK, §§ 28, 29 Rn. 75).

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6. Kap.: Die Ausarbeitung der Deliktsgruppen im Einzelnen

(b) Absichtsdelikte Differenzierter fällt die rechtliche Beurteilung bei der garantiepflichtwidrigen Zulassung fremder Absichtsdelikte aus, zu denen insbesondere die Zueignungsdelikte der §§ 242, 246 gehören. Hier ist komplexer Rechtsgutszugriff im Aktivbereich durchaus möglich, sofern der Hintermann die überschießende Innentendenz in eigener Person aufweist. Überträgt man diesen Tatbestand auf die Unterlassungsseite, so hängt die Möglichkeit zur Bildung direkt korrelierender Garantengebotstatbestände von der Frage ab, ob ein unterlassender Garant Zueignungsabsicht haben kann.3953 Die konstruktive Annahme einer solchen Zueignungsabsicht begegnet jedenfalls beim praxisrelevanten Tatbestand des Diebstahls (§ 242) keinen durchgreifenden Bedenken, denn man kann sich eine Sache durchaus auch durch die intensional höher dimensionierte Zulassung einer fremden Wegnahmehandlung zueignen wollen.3954 Das gilt z. B. für den von Herzberg3955 gebildeten Fall, dass der Vater sein unbedarftes Kleinkind Sachen aus einem fremden Strandkorb in den eigenen umräumen lässt, um sie sich zuzueignen. Folglich ist insofern die Bildung eines originären Garantengebotstatbestandes prinzipiell denkbar. Allerdings betrifft diese Möglichkeit nur Kathederbeispiele. In der praktisch einzig bedeutsamen Konstellation dagegen hilft die konstruktive Möglichkeit, direkt korrelierende Garantengebotstatbestände zu bilden, nicht weiter: Der Ladendetektiv oder Nachtwächter, der eine fremde Diebstahlshandlung bewusst geschehen lässt, besitzt keine Zueignungsabsicht, weshalb ein dem Begehungsdelikt direkt korrelierender Garantengebotstatbestand hier nicht angenommen werden kann.3956 Daraus hat Armin Kaufmann geschlussfolgert, dass auf der täterschaftlich strukturierten Unterlassungsseite die Zulassung fremder Sachentziehungshandlungen ganz unabhängig von der Intention des Aktiven straflos sei. Denn die täterschaftliche Unterlassung des Garanten beziehe sich exklusiv auf das garantierte Rechtsgut, das zu schützen unterlassen werde. Was der Garant immer, aber auch allein zu verantworten habe, sei die Entziehung des Eigentums, die er nicht inhibiert habe. Für die Art und Weise, in der der Angriff auf das Eigentum erfolge – dazu gehöre auch der Zueignungswille des Angreifers –, habe er dagegen nicht einzustehen.3957 Dieses Ergebnis finde seine Entsprechung auch im Bereich der Begehung, wo ein allgemeiner Grundtatbestand der Verletzung fremden Eigentums ebenfalls fehle.3958 Diese Sichtweise dürfte in sich nicht ganz stimmig sein, denn der Angriff auf das Eigentum ist kein rein faktisches, sondern ein normatives Phänomen, genannt Zu3953 In dieser akzentuierten Form hat die Frage bisher einzig Herzberg (Unterlassung, 137 ff. [138]) gestellt. 3954 So zutr. Herzberg, Unterlassung, 138 f. 3955 Unterlassung, 138. 3956 Herzberg, Unterlassung, 139 ff. (142); s. allgemein auch bereits Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte, 299; Grünwald, GA 1959, 110 (118 f.). 3957 Unterlassungsdelikte, 298. 3958 Unterlassungsdelikte, 299.

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eignung: Zu unterbinden ist nicht die Wegnahme, sondern der Zueignungsversuch des Aktiven, der wegen dessen Zueignungsabsicht in der Wegnahme immer schon liegt.3959 Folglich hängt die Garantenpflicht zum Einschreiten gegen fremden Diebstahl sachlogisch zwingend von der Willensexpression des Aktiven ab,3960 ist also derivativer Natur. Auch hier ist allerdings das Garantenunterlassen nur insofern „akzessorisch“, als der zu verhindernde Zueignungserfolg als überschießende Innentendenz faktisch untrennbar mit dem personalen Wegnahmeakt des Aktiven verbunden ist. Daher gilt für die Zulassung eines Zueignungsdelikts das Gleiche wie für die Zulassung eines eigenhändigen Aktdelikts: Sieht man die bevorstehende Zueignung durch den Aktiven als abzuwendenden (Gefahr-)Erfolg i.S.d. Diebstahlstatbestandes an, so eröffnet § 13 die Strafbarkeit, da die garantiepflichtwidrige Zulassung eines Diebstahls den Handlungsunwert einer aktiven Garantenbeihilfe zum Diebstahl erreicht. Dem Fehlen der besonderen Absichtskomponente wird dann sub specie § 13 I Hs. 2 durch Bildung eines beihilfeäquivalenten Sanktionstatbestandes analog § 27 Rechnung getragen, und zwar zugunsten des unterlassenden Garanten. Danach ist etwa der gegen fremde Diebstahlstat nicht einschreitende Garant nach §§ 242, 13 i.V.m. § 27 analog wegen garantiepflichtwidriger Zulassung eines Diebstahls zu bestrafen. Eine zusätzliche Strafmilderung nach § 28 I analog kommt hier nicht in Betracht, da die Zueignungsabsicht nach allgemeiner Ansicht ein tatbezogenes (eben auf den Zueignungserfolg gerichtetes) Merkmal ist.3961 (c) Ergebnis Es hat sich gezeigt, dass sowohl der garantiepflichtwidrigen Zulassung fremder Aktdelikte als auch der garantiepflichtwidrigen Zulassung von Delikten mit überschießender Innentendenz sub specie § 13 I Hs. 2 beihilfeäquivalente Sanktionstatbestände zugeordnet werden können. Damit ist der Haupteinwand Roxins gegen die Lehre von der unterschiedslos täterschaftlich strukturierten Unterlassung entkräftet. bb) Intentionale Zulassung fremder Teilnahmehandlungen durch Unterlassen Denkbar ist schlussendlich noch die Sonderkonstellation, dass ein Überwachungsgarant es unterlässt, eine von ihm zu beaufsichtigende Person an einer Teil3959

s. dazu Kindhäuser, Gössel-FS (2002), 451 (454) m.w.N. Wenn dagegen Armin Kaufmann (Unterlassungsdelikte, 298 f.) meint, für die Handlungspflicht des Garanten sei es irrelevant, ob ein Mensch oder etwa ein Tier das zu garantierende Eigentum angreife, dann verkennt er die normative Natur des Enteignungsvorgangs: Die Anmaßung fremden Eigentums ist eine allein dem Menschen vorbehaltene Angriffsstrategie, die in der Sachentziehung durch ein Tier (etwa die von Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte, 298, exemplarisch genannte „diebische Elster“) gerade keine sachliche Entsprechung findet! 3961 Str.; s. zum allgemeinen Streitstand nur Heine/Weißer, in: Schönke/Schröder, § 28 Rn. 15 f., m.w.N. 3960

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6. Kap.: Die Ausarbeitung der Deliktsgruppen im Einzelnen

nahmehandlung zu hindern. In derartigen Fällen kann nur von einer Zulassung der entsprechenden Teilnahmehandlung durch Unterlassen die Rede sein, denn der Überwachungsgarant hat im Rahmen seiner Garantenpflicht allein für die Verhinderung dieser deliktischen Handlung einzustehen, nicht hingegen für den Schutz des Opfers vor der präsumtiven Haupttat. Hält also etwa ein Vater seinen minderjährigen Sohn nicht von der Anstiftung eines Dritten zu einem Diebstahl ab, so lässt er die Anstiftungshandlung des Sohnes geschehen: Er ist dann Unterlassungstäter einer Diebstahlsanstiftung und also aus dem Strafrahmen der §§ 242, 26 zu strafen.3962 Entsprechendes gilt, wenn etwa der Vater nicht dagegen einschreitet, dass sein Sohn Beihilfe zu einer Körperverletzung leistet: Auch hier ist der Vater „Unterlassungstäter einer Beihilfe“3963, §§ 223, 27, 13. Das Prinzip der pflichtgegenstandsorientierten Einheitstäterschaft bleibt also auch hier intakt. Die Besonderheit liegt schlicht darin, dass die zu unterbindende Handlung ihrerseits eine akzessorische ist. 4. Nötigung oder Täuschung eines Hilfswilligen: unmittelbare Begehungstäterschaft Denkbar ist auch, dass jemand einen Hilfswilligen nötigt oder täuscht, mit dem Ziel, die von diesem zu verhindern gesuchte Rechtsgutsverletzung eintreten zu lassen. Insofern sind diverse Fallkonstellationen denkbar: Verschleierung der tatbestandsmäßigen Situation (Bsp.: A redet dem am Unfallort eintreffenden B wahrheitswidrig ein, das Unfallopfer sei längst abtransportiert3964); Täuschung eines Hilfspflichtigen über die Sozialschädlichkeit von dessen Unterlassung (Bsp.: A hat den B in Notwehr schwer verletzt; der hinzukommende C erklärt ihm wahrheitswidrig, er als Angriffsopfer sei dem B gegenüber zu keinerlei Hilfeleistung verpflichtet); Abhalten eines Zurechnungsunfähigen oder eines Kindes von der Einleitung erfolgversprechender Rettungsmaßnahmen (Bsp.: Der Unbeteiligte U redet dem Kleinkind K, dessen Mutter bewusstlos zusammengebrochen ist, wahrheitswidrig ein, es brauche nicht den Notruf zu wählen, da die Mutter bloß schlafe); qualifizierte Nötigung (§ 35) eines Hilfswilligen zur Aufgabe seines Rettungsentschlusses (Bsp.: A droht dem B schwere Prügel an, für den Fall, dass er versuche, dem angefahrenen Unfallopfer O zu helfen).3965 Abbruch fremder Rettungsbemühungen durch Anwendung von vis absoluta (Bsp: A streckt den B, der sich zur Rettung des ertrinkenden Kindes anschickt, gewaltsam nieder).3966

3962

Beispiel und Lösung nach Roxin, AT/II, § 26 Rn. 87, m.w.N. Beispiel und Zitat nach Roxin, AT/II, § 31 Rn. 144, m.w.N. 3964 Beispiel nach Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte, 196 (dort Fall 6). 3965 s. auch das ähnlich gelagerte Beispiel bei Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte, 196 (Fall 5). 3966 s. auch dazu bereits Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte, 196 (Fall 4 Alt. 2). 3963

F. Täterschaft bei (begehungsgleichwertigen) Unterlassungen

695

In all diesen Konstellationen ist der Hintermann unmittelbarer Begehungstäter und nicht etwa (quasi-)mittelbarer Unterlassungstäter.3967 Er will nach seinem Programm nicht nur einen fremden Unterlassungsentschluss von höherer Intentionalitätsebene aus gestaltend überformen, sondern hierdurch einen Hilfswilligen als erfolgshindernden Faktor ausschalten, um sich selbst intentional in der Rechtsgutsverletzung zu verwirklichen.3968 Wie bei der Nichthinderung eines Aktivtäters dessen Handeln lediglich als gefahrbegründender Faktor interessiert (= Unterlassungsbereich), so interessiert bei der (scil.: relevant überlegenen) Ausschaltung eines Hilfswilligen dessen Rettungsentschluss bloß als erfolgshindernder Faktor (= Begehungsbereich)! Nach dieser Lösung macht es keinen Unterschied, ob der den Hilfswilligen aktiv ausschaltende Hintermann Garant ist oder bloß quivis ex populo, denn in beiden Fällen ist er gleichermaßen Begehungstäter. Wollte man dagegen eine mittelbare Unterlassungstäterschaft durch Begehen annehmen, so könnte der Nichtgarant, der eine rettende Kausalreihe mit den Mitteln der mittelbaren Täterschaft inhibiert, nur dem Strafrahmen des echten Unterlassungsdelikts unterworfen werden – ein schwerlich haltbares Ergebnis!3969 5. Anstiftung zur vorsätzlichen Unterlassungstat Dass eine Anstiftung zum Unterlassen entsprechend den für die Begehungsdelikte geltenden Grundsätzen möglich ist, steht heute außer Streit. Seinerzeit haben sich jedoch insbesondere die orthodoxen Finalisten Armin Kaufmann3970 und Welzel3971 dezidiert gegen diese Beteiligungsfigur ausgesprochen. Der dadurch angestoßene Diskurs ist als solcher zwar wohl bloß noch von rechtshistorischem Interesse. Dennoch gibt er aber Aufschluss darüber, dass und warum die Eigenständigkeit der Unterlassungsdogmatik gegenüber der Möglichkeit einer Anstiftung zum Unterlassen gerade nicht mit dem gewohnten Aplomb ins Feld geführt werden kann. Zu diesem Zweck soll die Problematik hier noch einmal aufgerollt werden.

3967 Wie hier Roxin, TuT, 472, 520 f.; s. auch bereits Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte, 196 ff. (der aber freilich noch weiter geht und jede „Abstiftung von der Gebotserfüllung“ als aktive Begehungstäterschaft einstufen will); zur Gegenansicht, die bei Nötigung oder Täuschung eines Hilfswilligen eine mittelbare Unterlassungstäterschaft durch Begehen annehmen will, s. bereits oben, S. 649 ff. 3968 Missverständlich daher Schild (in: NK, § 25 Rn. 119), der meint, der Hintermann wolle in diesen Fällen lediglich den Status quo wieder eintreten lassen: Der positive Eingriff in eine gesetzmäßige Rettungsbedingung objektiviert nicht bloß den Willen zur Wiederherstellung der „natürlichen Ordnung“, sondern ist aktiver Dezisivzugriff auf das Rechtsgut (i.E. zutr. daher auch die Annahme unmittelbarer Begehungstäterschaft bei Schild selbst [in: NK, § 25 Rn. 50]). 3969 Roxin, TuT, 472; s. auch bereits Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte, 196 ff. 3970 Unterlassungsdelikte, 191 ff. 3971 Strafrecht, 206, 221.

696

6. Kap.: Die Ausarbeitung der Deliktsgruppen im Einzelnen

a) Armin Kaufmann und Welzel: „Abstiftung von der Gebotserfüllung“ als unmittelbare Begehungstäterschaft Für Armin Kaufmann war der Begriff einer Anstiftung zum Unterlassen ein Unbegriff: Da ein Unterlassungsvorsatz nicht existiere, könne er auch nicht als Tatentschluss geweckt werden.3972 Diese radikale These ist bekanntlich auf den ontologischen Absolutheitsanspruch der finalen Handlungslehre gegründet. Da ein „echter“ Verwirklichungswille, der den „realen“ Kausalprozess final steuere, bei der Unterlassung gerade fehle, gebe es im Unterlassungsbereich keinen „natürlichen“ Vorsatz i.S.d. Begehungsdelikts. Vielmehr existiere bloß eine „bewusste“ Unterlassung, d. h. ein Unterlassen, das vom Wissen um die eigene finale Tatmacht begleitet sei.3973 Aber auch dieses Wissen um die eigene Handlungsfähigkeit könne nicht den Unterlassungsvorsatz bilden, da andernfalls der sozial Gleichgültige und der Gefühllose prämiiert würden.3974 Daraus folge, dass es nicht nur keinen „Unterlassungsvorsatz“ i.S.e. finalen Verwirklichungswillens gebe, sondern dass es überhaupt an einem Vorsatzbegriff mangele, der den Sacherfordernissen des Unterlassungsdelikts gerecht werde.3975 Fehle es aber an einem Unterlassungsvorsatz, so könne ein solcher auch denklogisch nicht hervorgerufen werden3976 (hier sog. „Vorsatzargument“). In Wahrheit sei daher das, was gemeinhin als „Anstiftung“ zum Unterlassungsdelikt bezeichnet werde, ein „Abstiften“ von der Gebotserfüllung: Der Entschluss zur Gebotserfüllung solle durch psychisches Einwirken verhindert oder beseitigt werden.3977 Komme es für die Unterlassung selbst darauf an, dass der Handlungsentschluss nicht gefasst und verwirklicht werde, so müsse auch eine Beeinflussung dieses Verhaltens gerade darauf zielen, die Entschlussfassung zu hindern oder rückgängig zu machen.3978 Dafür spreche nicht zuletzt auch die zweite Aussage des formalen Umkehrprizips (= umgekehrte Verhaltensstruktur – gleiche rechtliche Wirkung): Wenn das Unterlassen des Abstiftens vom verbotenen Handeln3979 den Tatbestand eines (echten) Unterlassungsdelikts erfülle, dann müsse das aktive Abstiften vom gebotenen Handeln umgekehrt ein tatbestandsmäßiges Begehungsdelikt begründen. Das Abstiften von der Gebotserfüllung verwirkliche also ceteris paribus ein Begehungsdelikt3980 (hier sog. „formallogisches Argument“).

3972

Unterlassungsdelikte, 191. Unterlassungsdelikte, 73 ff. (80 f.), 87. 3974 Unterlassungsdelikte, 112, 126; s. auch Welzel, Strafrecht, § 27 A I 3 b (S. 205). 3975 Unterlassungsdelikte, 120. 3976 Unterlassungsdelikte, 191. 3977 Unterlassungsdelikte, 191. 3978 Unterlassungsdelikte, 191. 3979 Gemeint sind die Fälle der gebotswidrigen Nichthinderung eines Aktivtäters (Unterlassungsdelikte, 192). 3980 Unterlassungsdelikte, 192 f. 3973

F. Täterschaft bei (begehungsgleichwertigen) Unterlassungen

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In der Sache folge diese Einsicht aus dem Umstand, dass die Motivationskausalität des Abstiftungshandelns den tatbestandsmäßigen Erfolg unmittelbar herbeiführe: Da der Mensch durch ein (Abstiftungs-)Handeln kausal für eine Nichtveränderung (hier: das Nichteingreifen des Unterlassungstäters) werden könne, könne menschliches Handeln auch ursächlich werden für die Folgen einer bestimmten Nichtveränderung. Das aber sei „echte“ Kausalität.3981 Und da die Abstiftung erst mit dem Verstreichenlassen des kritischen Handlungszeitpunkts durch den Abgestifteten vollendet sei, verliere dieser im Augenblick seiner erfolgreichen Abstiftung automatisch auch die Tatherrschaft über die gebotene Eingriffshandlung. Daher werde die kausale Abstiftungshandlung des Hintermannes weder durch fremde Tatherrschaft noch durch fremde „Unterlassungsherrschaft“ blockiert3982 (hier sog. „Sachargument“). aa) Die Argumente für die Begehungstäterlösung im Einzelnen Zunächst zum Vorsatzargument: Aus hiesiger Sicht ist dieses Argument schon seines ontologischen Absolutheitsanspruchs wegen verfehlt. Die Handlungszuschreibung des sozialen Alltags basiert nicht auf einem physikalistischen Kausalitätsverständnis und knüpft auch nicht (exklusiv) an die Fähigkeit des menschlichen Willens zur Energieentfaltung an. „Denn unsere Macht, Erfolge herbeizuführen oder zu vermeiden beruht nicht auf unserer Fähigkeit Energie zu entfalten, sondern auf unserer Fähigkeit, die gesetzmäßigen Bedingungen für den Eintritt oder das Ausbleiben eines Ereignisses zu erkennen und, sofern sie noch nicht vorhanden sind, herbeizuführen oder zu verhindern.“3983

Kurzum: Die Zurechnungsparameter des sozialen Alltags sind diejenigen von Aktualität und Potentialität.3984 Deshalb erleben wir auch die Unterlassung als zweckrationales Verhalten, nämlich als intentionale Zulassung einer Zustandsveränderung durch Unterlassen: Das Unterlassen wird nach dem zweckrationalen Erklärungsmodell des praktischen Syllogismus als Mittel der intentionalen Zulassungshandlung interpretiert.3985 Insgesamt kann man daher sagen: Die finale Handlungslehre weist eine Leerstelle auf, die die natürliche Selbstreflexivität menschlichen Handelns betrifft (was deshalb paradox ist, weil gerade die finale Handlungslehre aus dieser Selbstreflexivität erwachsen sein dürfte). Doch können diese „sachlogischen“ Erwägungen hier wohl dahinstehen, denn mit guten Argumenten kann auch die innere Stringenz des Kaufmann’schen Gedankengangs bezweifelt werden: So begründet Kaufmann seine These, dass selbst die bewusste Unterlassung nicht als Analogon zum Begehungsvorsatz fungieren könne, 3981 3982 3983 3984 3985

Unterlassungsdelikte, 199 ff. (202 f.). Unterlassungsdelikte, 193 f. Puppe, in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 82. Kindhäuser, Intentionale Handlung, 152. s. ausführlich zum Ganzen bereits oben, S. 117 ff., 206 ff.

698

6. Kap.: Die Ausarbeitung der Deliktsgruppen im Einzelnen

allein kriminalpolitisch: Der Gefühllose oder Gleichgültige, der erst gar nicht über seine Handlungsfähigkeit reflektiert, soll gegenüber dem bewusst Unterlassenden nicht privilegiert werden. Ob diese Erwägung inhaltlich zu überzeugen vermag,3986 kann hier dahinstehen. Denn eines steht jedenfalls fest: Aus dem kriminalpolitisch inspirierten Verzicht auf einen genuinen Unterlassungsvorsatz dürfen keine dogmatischen Konsequenzen für die Frage der Beteiligung am Unterlassungsdelikt gezogen werden! Das gilt schon allein deshalb, weil der teleologische Hintergrund für das „Zurückschälen“ des Vorsatzes gerade in den Fällen der Anstiftung zum Unterlassen fehlt: Ein Hilfswilliger, der zum Unterlassen einer präsumtiven Eingriffsmaßnahme aufgefordert wird, unterlässt spätestens ab diesem Zeitpunkt immer bewusst.3987 Zu Recht konstatiert daher Roxin3988 : „Billigt man dieses Verfahren (…) dann darf man aber auch die Anstiftung von vornherein nur auf eine von den Begehungsdelikten abweichend strukturierte Täterschaft beziehen. Man kann nicht bei der Unterlassungstäterschaft einen Vorsatz für überflüssig erklären, ihn aber, wenn es um die Anstiftung zu einem derartigen Verhalten geht, als unerlässlich voraussetzen. Kaufmanns leitender Gedanke, dass die Anstiftung notwendig einen Tatentschluss (das heißt für ihn: einen Begehungsvorsatz) enthalte, ist im Grunde nur eine petitio principii“.

Auch handlungstheoretisch ist nicht plausibel zu machen, warum das Akzessorietätsprinzip ausgerechnet für die Teilnahme an Unterlassungstaten nicht gelten sollte: Richtigerweise kann es doch für die beteiligungsrechtliche Beurteilung des eigenen Beitrags keinen Unterschied machen, ob die fremde Bezugstat eine Aktivoder eine Unterlassungstat ist. Dem entspricht es, dass die Sanktionsnorm des § 26 undifferenziert jede vorsätzliche rechtswidrige Tat i.S.d. StGB – und damit auch die Unterlassungstat – als Bezugstat einer Anstiftungshandlung betrachtet.3989 Liegen die Dinge aber so, dann muss das formallogische, aus dem Umkehrprinzip abgeleitete, Argument Armin Kaufmanns zwingend an Gewicht verlieren. Denn die Abstiftung von der Gebotserfüllung ist ja sachlich betrachtet nichts anderes als eine Anstiftung zum Unterlassen.3990 Hinzu kommt, dass die Deduktion aus dem Umkehrprinzip auch in sich nicht valide ist: Dass die unterlassene Abstiftung eines Aktivtäters vom verbotenen Handeln ceteris paribus ein Unterlassungsdelikt begründet, lässt noch lange nicht den Schluss zu, dass die aktive Abstiftung eines Handlungspflichtigen vom gebotenen Handeln den Tatbestand eines Begehungsdelikts verwirklicht. Denn da das Unterlassungsunrecht von vornherein einheitstäterschaftlich strukturiert ist, kann es denklogisch nichts über die Beteiligungsform im Aktivbereich aussagen; insofern fehlt es also am tertium comparationis. 3986

s. dazu oben, S. 209 ff. So zutr. Roxin, TuT, 511. 3988 TuT, 511 f. 3989 Ähnlich zum Ganzen bereits Roxin, TuT, 512 (unter Bezugnahme auf den damals geltenden § 48 StGB a.F.). 3990 Roxin, TuT, 512. 3987

F. Täterschaft bei (begehungsgleichwertigen) Unterlassungen

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Damit bleibt noch das positive Sachargument Kaufmanns übrig: Da der Abstifter durch seine Einwirkung kausal für den Abbruch eines rettenden Kausalverlaufs werde, werde er auch kausal für die Rechtsgutsverletzung als Folge dieser Nichtveränderung. Der Einwand, dem diese Logik ausgesetzt ist, liegt auf der Hand: Nach ihr ließe sich auch die Anstiftung zu einem aktiven Begehungsdelikt unter den entsprechenden Tätertatbestand subsumieren. Armin Kaufmann3991 hat diesen Einwand natürlich antizipiert und ihn durch Hinweis auf einen angeblichen „Wesensunterschied“ zwischen An- und Abstiftung zu entkräften versucht: Der Angestiftete bleibe nach gelungener Anstiftung weiterhin Tatherr, der Abgestiftete dagegen verliere im Moment seiner erfolgreichen Abstiftung die „Tatherrschaft“ über die gebotene Handlung. Deshalb sei es richtig, (allein) die Abstiftung als Täterschaft eines Begehungsdelikts zu erfassen.3992 Diese Argumentation hat Roxin überzeugend widerlegt: Auch der Unterlassungstäter verliert, nachdem er zum Untätigbleiben aufgefordert wurde, nicht die Tatherrschaft über die gebotene Handlung, sondern entscheidet stets noch so lange über das geplante Unterlassen, wie ihm die Erfolgsabwendung überhaupt noch möglich ist.3993 Armin Kaufmann muss das natürlich anders sehen, da den Finalisten im Unterlassungsbereich ausschließlich das Fehlen des „wirklichen“ Handlungsentschlusses im kritischen Zeitpunkt interessiert; ein vorangehender positiver Entschluss zum Untätigbleiben sei dagegen irrelevant, da er nichts bewirke.3994 Diese Annahme ist jedoch bloß ein weiterer Beleg für Konzessionen an eine scheinbar zwingende Ontologie, mehr nicht. Demnach beruht auch das Kaufmann’sche Sachargument auf einer petitio principii.3995 bb) Dogmatische und kriminalpolitische Probleme der Begehungstäterlösung Ungeachtet des Umstandes, dass die zugunsten der Begehungstäterlösung vorgebrachten Argumente nicht überzeugen, ist diese Lehre ihrerseits dogmatischen wie axiologischen Brüchen ausgesetzt. Zunächst zum innerdogmatischen Selbstwiderspruch: Nach der finalen Handlungslehre entscheidet im Begehungsbereich das Kriterium der finalen Tatherrschaft über die Täterschaft.3996 Warum nun ausgerechnet im Falle der Abstiftung von der Gebotserfüllung etwas anderes gelten und schon allein Motivationskausalität für Begehungstäterschaft genügen soll, leuchtet nicht ein. Selbst wenn man annehmen wollte, dass die Tatherrschaft des Abgestifteten über die gebotene Rettungshandlung 3991 3992 3993 3994 3995 3996

Unterlassungsdelikte, 199. Unterlassungsdelikte, 193 f. Roxin, TuT, 516. Vgl. Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte, 191 f. m. 75 ff. (80 f.). Ausführlich zum Ganzen auch bereits Roxin, TuT, 516. Welzel, Strafrecht, § 15 (S. 100 ff.); Armin Kaufmann, Normentheorie, 157.

700

6. Kap.: Die Ausarbeitung der Deliktsgruppen im Einzelnen

mit Gelingen der Abstiftung entfalle, wäre nicht begründbar, warum an die Täterschaft des abstiftenden Hintermannes geringere Anforderungen gestellt werden sollten als sonst.3997 Zieht man aber das Tatherrschaftskriterium auch hier heran, so kann nur Begehungstäter sein, wer den Hilfswilligen als Handlungs- oder Willensherr ausschaltet – mit der Konsequenz, dass andere Einwirkungsakte allenfalls als Teilnahme am Unterlassen strafbar sein können.3998 Diese herkömmliche Unterscheidung nach der Qualität der Einwirkungshandlung entspricht nicht nur den Sachgegebenheiten wesentlich besser, sondern wäre auch und gerade vom maßgeblichen Täterkriterium der Finalisten her angezeigt.3999 Dass und warum Armin Kaufmann diese Konsequenz nicht gezogen hat, liegt freilich auf der Hand: Wenn die Unterlassung nach dem finalistischen Dogma keine teilnahmefähige Haupttat sein kann, dann müsste die tatherrschaftslose Mitwirkung an fremder Unterlassung eigentlich straflos bleiben – welches Resultat wiederum durch die Begehungstäterlösung zu kompensieren gesucht wurde. Ein weiteres Symptom für die Unrichtigkeit der Kaufmann’schen Begehungstäterlösung liegt darin, dass nach ihr eine verbotswidrige Tötungshandlung selbst dann angenommen werden muss, wenn jemand einen Rettungswilligen wahrheitsgemäß über das Fehlen einer rechtlichen Handlungspflicht unterrichtet.4000 Kaufmann bildet folgendes Beispiel4001: R ist im Begriff, für seinen schwer erkrankten Bekannten X unter großen Mühen das einzig wirksame Medikament aufzutreiben; dabei trifft er auf den K, der ihm wahrheitsgemäß mitteilt, dass hierzu keine rechtliche Verpflichtung bestehe, zumal X das Medikament ohnehin nicht bezahlen könne; derart unterrichtet, begibt der R sich wieder nach Hause. – Geht man hier mit Armin Kaufmann davon aus, dass den R keine Rechtspflicht zum Handeln trifft, dann hat der K lediglich einen verantwortlichen Entschluss des R zum Unterlassen eines rechtlich nicht gebotenen Handelns initiiert. Angesichts dessen wirkt es befremdlich, wenn Armin Kaufmann für K dennoch eine finale Tötungshandlung annehmen will, die bloß aufgrund ihrer „Sozialadäquanz“ straflos sein soll.4002 Allemal angemessener dürfte es doch sein, auf die materielle Akzessorietät von K’s Handeln abzustellen und das fehlende Unrecht seines Tuns schon aus der Tatbestandslosigkeit der psychisch bewirkten Unterlassung abzuleiten.4003

3997

I.d.S. zutr. Roxin, TuT, 520. Roxin, TuT, 520 f. 3999 Roxin, TuT, 520 f. 4000 Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte, 200. 4001 Unterlassungsdelikte, 200 m. 196 (dort Fall 9). 4002 Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte, 200. 4003 So zutr. Roxin, TuT, 522, der sich mit der Problematik noch ausführlicher auseinandersetzt. Hier soll es indes nur darum gehen, die Problemstruktur zu erhellen und ihre angemessene Lösung nach dem Prinzip der materiellen Akzessorietät aufzuzeigen. 3998

F. Täterschaft bei (begehungsgleichwertigen) Unterlassungen

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Doch noch mehr: Wie Roxin zutreffend herausgearbeitet hat, sind es die von der Begehungstäterlösung aufgerissenen „klaffenden Strafbarkeitslücken“4004 die sie vollends ad absurdum führen: Eine Aktivtäterschaft des „Abstifters“ lässt sich nämlich allein bei Erfolgsdelikten konstruieren.4005 Viele Tatbestände des Besonderen Teils setzten indes „eine bestimmte Art täterschaftlichen Handelns“4006 voraus: Wenn A den B auffordert, seinen Geschäftspartner C dadurch zu betrügen, dass er ihm entgegen seiner Offenbarungspflicht wesentliche Umstände verschweigt, dann begeht B einen Betrug durch Unterlassen (§§ 263, 13). A hingegen müsste nach der Begehungstäterlösung Armin Kaufmanns entweder als Täter eines (dann: fremdnützigen) Betruges angesehen werden können oder aber straflos ausgehen. Erstere Interpretation müsste jedoch die Grenzen des Tatbestandes (Art. 103 II GG, § 1 StGB) ersichtlich sprengen.4007 Doch selbst wenn man in solchen Einzelfällen noch über das Problem hinwegsehen wollte, führte die Begehungstäterlösung zu weiteren, ganze Deliktsgruppen betreffenden, Strafbarkeitslücken. Gänzlich straflos bleiben müsste nämlich auch die Veranlassung von Unterlassungstaten im Bereich durchaus praxisrelevanter Sonder- und Pflichtdeliktstatbestände, deren Tatbestandshandlung ausschließlich dem Sonderpflichtigen zugänglich ist: Wenn etwa der A den B zu einer Untreue durch Unterlassen auffordert, dann kann A seinerseits niemals Täter einer Untreue (§ 266) sein.4008 In derartigen Fällen aber eine Straflosigkeit des „Abstifters“ annehmen zu wollen, dürfte kaum haltbar sein.4009 b) Die heute einhellige Meinung: Abstiftung von der Gebotserfüllung ist Anstiftung zum Unterlassen Zu folgen ist deshalb der heute ganz herrschenden Meinung4010, wonach eine Anstiftung zum Unterlassen ohne Weiteres möglich ist. Dafür spricht vor allem die Tatsache, dass wir die Veranlassung eines Unterlassungsentschlusses als Teilnahme an fremder Zulassungshandlung erleben: Der Auffordernde will den Unterlassungstäter zu dessen intentionaler Zulassungshandlung bewegen, an ihr teilnehmen.

4004

Roxin, TuT, 524. Roxin, TuT, 524. 4006 Roxin, TuT, 524. 4007 Beispiel und Kritik nach Roxin, TuT, 524. 4008 So zutr. Roxin, TuT, 524 f. – Roxin bringt a.a.O. auch noch weitere Beispiele ein, die nach hier vertretener Ansicht jedoch nicht allesamt zu überzeugen vermögen: So ist etwa die Aufforderung, bei einer eidlichen Aussage vor Gericht wesentliche Punkte auszulassen, entgegen Roxin wohl keine Anstiftung zu einem Meineid durch Unterlassen (§§ 154, 13; 26), sondern vielmehr eine Anstiftung zu einer lückenhaften und deshalb falschen eidlichen Aussage. 4009 Roxin, TuT, 525. 4010 s. statt vieler nur Kühl, AT, § 20 Rn. 271 m.w.N. 4005

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6. Kap.: Die Ausarbeitung der Deliktsgruppen im Einzelnen

Die Aufforderungshandlung ist also auch hier materiell akzessorischer Natur.4011 Das ist heute allgemein anerkannt. Demnach ergibt sich im Einzelnen Folgendes: aa) Konkretisierung des Anstiftungshandelns Zunächst ist zu prüfen, ob die Voraussetzungen einer Anstiftungshandlung4012 erfüllt sind: Auch derjenige, der einem anderen eine Unterlassungstat ansinnt, muss sich der Handlungsform nach einer sanktionsträchtigen Tataufforderung bedienen, d. h. er muss eine nachdrückliche unrechtliche Verhaltenserwartung äußern, die für den Adressaten die „Schwierigkeit, Nein zu sagen“4013 begründen soll.4014 bb) Implikationen der Anstiftungslösung Bringt man die Anstiftungslösung zur Anwendung, so muss aufgrund des Akzessorietätsprinzips scharf differenziert werde zwischen der Anstiftung zu einem „echten“ Jedermannsunterlassen und der Anstiftung zu einem „unechten“ Garantenunterlassen: Wer als Außenstehender einen anderen quivis ex populo zu einem echten Unterlassen i.S.d. §§ 138, 323c auffordert, der ist Anstifter zum echten Unterlassungsdelikt.4015 War er jedoch unabhängig vom „Abgestifteten“ ebenfalls handlungspflichtig i.S.d. allgemeinen Gebotstatbestandes, so hat er nach der hier vertretenen „Konkurrenzlösung“ auch in eigener Person ein echtes Unterlassungsdelikt begangen.4016 Diese Eigenunterlassung konkurriert dann mit der Anstiftung zur Fremdunterlassung ideal (§ 52), da der „Abstifter“ hier sowohl in eigener Person unterlässt als auch zusätzlich noch einen weiteren Hilfsfähigen zum Unterlassen korrumpiert.4017 Entsprechendes gilt (cum grano salis), wenn ein handlungspflichtiger Garant einen Nichtgaranten zu einer echten Unterlassung auffordert: Der Garant hat zum einen verbotswidrig zu einer Jedermannsunterlassung angestiftet, zum anderen in eigener Person eine Garantenunterlassung begangen; das Garantenunterlassen konkurriert dann mit der Anstiftung zum echten Unterlassungsdelikt ideal (§ 52), da 4011

So zutr. etwa Stratenwerth/Kuhlen, AT, § 14 Rn. 21. s. eingehend dazu nochmals oben, S. 543 ff., 551 ff. 4013 s. dazu Amelung, Schroeder-FS (2006), 147 (167). 4014 Eingehend dazu oben, S. 554 ff. 4015 Roxin, TuT, 514; ders., AT/II, § 31 Rn. 101; ebenso Spendel, in: LK11, § 323c Rn. 182. 4016 s. dazu Sternberg-Lieben/Hecker, in: Schönke/Schröder, § 323c Rn. 27. 4017 A.A. insofern Sternberg-Lieben/Hecker, in: Schönke/Schröder, § 323c Rn. 27, die in diesen Fällen wohl von einer generellen Verdrängung der Fremdanstiftung durch die täterschaftliche Eigenunterlassung ausgehen wollen. Dabei wird jedoch übersehen, dass durch die aktive Abstiftung zusätzlich ein weiterer Hilfsfähiger zum Untätigbleiben korrumpiert und somit eine weitere, vom eigenen Unterlassen unabhängige, Rettungsbedingung vereitelt wird. 4012

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sowohl in eigener Person unterlassen als auch noch ein weiterer Hilfsfähiger vom Handeln abgehalten wurde.4018 Fordert ein Außenstehender einen Garanten zur Unterlassung von Eingriffsmaßnahmen auf, so wird er wegen Anstiftung zum Garantenunterlassen nach dem Strafrahmen des begehungsgleichen Unterlassungsdelikts belangt;4019 verwirklicht er zugleich in eigener Person ein echtes Unterlassungsdelikt, so konkurriert dieses wiederum mit der Anstiftung zum Garantenunterlassen ideal. Umstritten ist, ob dem externen Anstifter zur Garantenunterlassung die Privilegierung des § 28 I zugute kommen soll. Das wird man unabhängig von Regelungsort, Art und Herkunft der konkreten Garantenstellung durchgehend bejahen müssen.4020 Damit bleibt noch die Konstellation, dass ein Garant einen anderen Garanten zum Unterlassen auffordert. Auch hier begeht der auffordernde Garant typischerweise selbst ein begehungsgleiches Unterlassungsdelikt, das dann mit der verbotswidrigen Garantenanstiftung zur garantiepflichtwidrigen Drittunterlassung ideal konkurriert (§ 52).4021 Möglich sind auch Irrtümer über die Qualität des Unterlassens beim Angestifteten. Rechtsfolgentechnisch interessant ist dabei die Konstellation, dass ein externer Anstifter den unterlassenden Vordermann irrtümlich für einen Garanten hält4022 (Bsp.: A nimmt irrig an, der B habe das vorgefundene Unfallopfer angefahren und fordert B zur Unterlassung von Rettungsmaßnahmen auf): Hier liegt eine versuchte Anstiftung zur begehungsgleichen Garantenunterlassung vor, die allerdings nur im Verbrechensfalle strafbar ist (§ 30 I). Erfüllt die begangene Haupttat zugleich den Straftatbestand eines echten Unterlassungsdelikts, so ist daneben eine vollendete Anstiftung zur Jedermannsunterlassung gegeben, denn die rechtsgutsbezogene Zulassungshandlung, zu der angestiftet wird, bleibt substantiell ein und dieselbe: In jeder begehungsgleichen Unterlassung steckt rechtsdogmatisch betrachtet immer

4018 Zur Klarstellung: Für die ideal konkurrierende Garantenanstiftung zur echten Jedermannsunterlassung ist nicht der Strafrahmen der begehungsgleichen Garantenunterlassung heranzuziehen, da die dem Haupttäter fehlende Garantenstellung die Strafbarkeit i.S.d. der begehungsgleichen Unterlassung begründet (arg.e § 28 I). 4019 So zutr. Roxin, TuT, 515. 4020 So mit zutr. Begründung Roxin, AT/II, § 27 Rn. 68; das entspricht i.E. der h.L.; s. statt vieler nur Fischer, § 28 Rn. 5a, m.w.N.; a.A. etwa Herzberg (GA 1991, 145 [161 ff.]), der allein die Beschützergarantenstellung als besonderes persönliches Merkmal i.S.d. § 28 ansehen will; gegen eine solche artifizielle Differenzierung innerhalb der besonderen Garantenstellungen zu Recht Roxin, AT/II, § 27 Rn. 69. 4021 Zur Klarstellung: Ein Garant, der einen anderen Garanten zum Unterlassen anstiftet, wird auch dann nicht nach § 28 I privilegiert, wenn er aus einem anderen Garantieverhältnis heraus verpflichtet ist (Grund: alle Garantiepflichtverhältnisse wirken sub specie § 13 gleichermaßen sonderstrafunrechtsbegründend). 4022 Sofern der Anstifter selbst handlungsfähiger Garant ist und damit ohnehin aus dem Strafrahmen des begehungsgleichen Unterlassungsdelikts haftet, fallen Irrtümer über die persönliche Qualität des angestifteten Fremdunterlassens praktisch kaum ins Gewicht.

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6. Kap.: Die Ausarbeitung der Deliktsgruppen im Einzelnen

auch eine „echte“ Unterlassung,4023 der Irrtum des Hintermannes betrifft lediglich die Qualität des Tatsubjekts als Kriterium der Begehungsäquivalenz! Ist in einem solchen Falle der Außenstehende selbst ebenfalls handlungspflichtig, so hat er zudem auch in eigener Person ein echtes Unterlassungsdelikt begangen, das mit der vollendeten Anstiftung zum echten Unterlassungsdelikt des vermeintlichen Garanten und ggf. mit der versuchten Anstiftung zum vermeintlichen Garantenunterlassen (§ 30 I) ideal konkurriert (§ 52). cc) Axiologische Friktionen? Armin Kaufmann hat der Anstiftungslösung allerdings seinerseits schwere axiologische Ungereimtheiten vorgeworfen. So meint er im Anschluss an Grünwald4024, die von der h.M. befürwortete Anstiftung zum Unterlassen bleibe eben doch eine Handlung und müsse deshalb einen höheren Unwert aufweisen als die veranlasste Unterlassungstat.4025 Dieses atypische Unwertgefälle von der Anstiftung hin zur Haupttat betreffe aber, so folgert Kaufmann, den Typus des Unterlassungsdelikts insgesamt (also insbesondere auch das echte Unterlassen) und konfligiere daher mit der generellen gesetzlichen Bewertung des Anstiftungsunrechts (= tätergleiche Bestrafung).4026 Diese Kritik muss zurückgewiesen werden. Sie übersieht, dass die Anstiftungshandlung gerade akzessorisch ausgestaltet ist. Mit den Worten Roxins4027: „Die Aufforderung zu einem Verhalten kann (…) logischerweise nur in dem Maße strafwürdig sein wie das erstrebte Verhalten selbst. Denn die Rechtsgüterverletzung, die den Strafgrund der Anstiftung bildet, kann nach den Intentionen des Hintermannes immer nur so groß sein wie sie im Verhalten des Täters zum Ausdruck kommt. Das bestätigt jeder Appell an das Rechtsgefühl: Wenn jemand eine Mutter dazu ermuntert, ihr krankes Kind nicht zum Arzt zu bringen und es sterben zu lassen, so ist das gewiss schändlich; aber noch viel schändlicher (oder zumindest: nicht weniger verwerflich) verhält sich die Mutter, die einer solchen Anregung folgt.“

Doch hat Armin Kaufmann noch ein weiteres Monitum gegen die herrschende Anstiftungslösung erhoben: Der für die Anstiftung zu wählende Strafrahmen könne schwerlich von dem Zufall abhängen, ob nun gerade ein Garant oder ein Nichtgarant unterlasse.4028 Auch diese Kritik verfängt jedoch nicht. Denn da bei der Anstiftung zu einer begehungsgleichen Garantenunterlassung der Vorsatz des Anstifters auch die Umstände erfassen muss, die die Garantenstellung des Unterlassenden begründen, ist

4023 4024 4025 4026 4027 4028

Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte, 274. Unterlassungsdelikt, 124. Unterlassungsdelikte, 194. Unterlassungsdelikte, 194. TuT, 518. Unterlassungsdelikte, 196 f.

F. Täterschaft bei (begehungsgleichwertigen) Unterlassungen

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nicht einzusehen, inwiefern hier von „Zufallsergebnissen“ die Rede sein soll.4029 Der unterlassende Garant selbst muss die tatsächlichen Umstände, die seine Garantenstellung und damit die enorme Unwertdifferenz zur Jedermannsunterlassung begründen, in der Laiensphäre (sachgedanklich) nachvollzogen haben.4030 Entsprechendes muss dann aber selbstverständlich auch für den Teilnehmer gelten, der am Unrecht dieser Garantenunterlassung partizipiert. Stellt man also den vollen Vorsatzbezug zur Garantenunterlassung als Bezugstat her, so kann von Zufallsergebnissen keine Rede mehr sein: Misst das Gesetz der Garantenunterlassung einen höheren Unwertgehalt bei als der Jedermannsunterlassung, dann muss für die Anstiftung zur Garantenunterlassung dasselbe gelten (= Prinzip der materiellen Akzessorietät). Deshalb weisen wir etwa der Anstiftung eines Elternteils zum Ertrinken-Lassen des eigenen Kindes richtigerweise einen höheren Unwert zu als der Anstiftung eines Unbeteiligten zum Unterlassen entsprechender Rettungsmaßnahmen.4031 Damit wird zwar der externe Anstifter zur begehungsgleichen Garantenunterlassung dem gleichen Strafrahmen unterworfen wie der sonderpflichtige Garant, obwohl er selbst nicht in der strafbegründenden Pflichtbindung steht. Doch das ist – wie Roxin4032 seinerzeit zutreffend bemerkt hat – keine Besonderheit der Anstiftung zum Unterlassen, sondern gilt generell für jede extrane Teilnahme an echten Sonderstraftaten. Dieses allgemeine Problem ist aber mittlerweile auch durch die Strafmilderungsvorschrift des § 28 I behoben. Die hiernach noch verbleibende Strafrahmendifferenz gegenüber der Anstiftung zu einer echten Unterlassungstat ist dann ob der Diskrepanz im sozialethischen Unwertgehalt allemal gerechtfertigt.4033 Nach alledem darf festgehalten werden, dass die Monita, die Armin Kaufmann gegen die Beteiligungsfigur der Anstiftung zum Unterlassen vorgebracht hat, nicht durchschlagen. Es bleibt bei der konstruktiven Möglichkeit und auch der dogmatischen Gebotenheit einer Anstiftung zum Unterlassen 6. Beihilfe zur vorsätzlichen Unterlassungstat Existiert eine materiell akzessorische Anstiftung (§ 26) zur Unterlassungstat, so ist auch eine materiell akzessorische Beihilfe (§ 27) zur Unterlassungstat denkbar. Das gilt zunächst für die Möglichkeit einer psychischen Unterstützung: Wer fremden Unterlassungsentschluss irgendwie mit motivieren will, ohne dass seinem Tun Aufforderungscharakter zukommt (z. B. durch Ausreden von Bedenken, Af4029

s. zum Ganzen auch Roxin, TuT, 513 ff. So zutr. Roxin, AT/II, § 31 Rn. 186. 4031 Roxin, TuT, 515. 4032 TuT, 515. – Seinerzeit war die obligatorische Strafmilderung für die Extranenteilnahme an echten Sonderstraftaten (heute § 28 I) noch nicht Rechtswirklichkeit, sondern erst noch in § 33 Abs. 1 E 1962 vorgesehen (s. auch dazu Roxin, a.a.O.). 4033 Zu diesem letzten Aspekt Roxin, TuT, 515. 4030

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6. Kap.: Die Ausarbeitung der Deliktsgruppen im Einzelnen

firmation oder Lieferung eines zusätzlichen Motivs), der betätigt programmatisch eine Beihilfehandlung4034 (Bsp.: Der am Unfallort vorbeikommende Passant P regt gegenüber dem Unfallverursacher V an, er solle das Unfallopfer O besser streben lassen, um sich weitere „Scherereien“ zu ersparen). Ist allerdings der präsumtive Gehilfe (wie im Beispiel) seinerseits ebenfalls handlungspflichtig, so unterlässt er zugleich auch selbst eine ihm gebotene Eingriffshandlung. Konkret aufgelöst gilt daher Folgendes: Die Aktivbeihilfe eines handlungspflichtigen Jedermann zum echten Unterlassungsdelikt eines anderen konkurriert mit dem in eigener Person verwirklichten echten Unterlassungsdelikt ideal (§ 52), da zusätzlich zur eigenen Unterlassung auch noch aktiv am Ausbleiben einer alternativen Rettungsbedingung mitgearbeitet wird. Leistet dagegen ein Außenstehender Beihilfe zu einer Garantenunterlassung, so ist der Strafrahmen des begehungsgleichen Unterlassungsdelikts heranzuziehen und § 28 I anzuwenden;4035 wird zugleich in eigener Person ein echtes Unterlassungsdelikt verwirklicht, so konkurriert dieses mit der Beihilfe zum Garantenunterlassen ideal. Leistet umgekehrt ein handlungspflichtiger Garant Beihilfe zum echten Unterlassungsdelikt eines quivis ex populo, so begeht er selbst eine begehungsgleiche Garantenunterlassung in Tateinheit mit einer Aktivbeihilfe zur Jedermannsunterlassung des anderen. Und leistet schließlich ein handlungspflichtiger Garant Beihilfe zur begehungsgleichen Unterlassungstat eines anderen Garanten, so begeht er neben seiner eigenen begehungsgleichen Unterlassungstat tateinheitlich noch eine Garantenbeihilfe zur fremden Garantenunterlassung. Im Hinblick auf etwaige Irrtümer, die die Garantenstellung des Vordermannes betreffen, gilt Folgendes: Die Beihilfe eines quivis ex populo zum Unterlassen eines vermeintlichen Garanten führt im Vergehensbereich zur Straflosigkeit, da die versuchte Teilnahme hier generell straflos ist (arg.e § 30 I). Im Verbrechensbereich dagegen verwirklicht der Gemeingehilfe typischerweise selbst ein echtes Unterlassungsdelikt (§ 138) und begeht tateinheitlich hierzu eine Beihilfe zum echten Unterlassungsdelikt des nur vermeintlichen Garanten; die zugleich versuchte Beihilfe zur irrig angenommenen Garantenunterlassung bleibt dagegen auch im Verbrechensbereich straflos (arg.e § 30 I). Denkbar ist auch eine physische Beihilfe zur Unterlassungstat. Das gilt zunächst für die von Armin Kaufmann gebildete Konstellation der Beihilfe zu einem fremden „Rücktritt vom Gebotserfüllungsversuch“4036. Wenn etwa der A den postlagernden Brief, der seine rechtzeitige Verbrechensanzeige enthält, von der Post zurückholen will und sich hierzu des B bedient,4037 dann leistet B Beihilfe zu einem echten 4034

s. statt vieler nur Roxin, TuT, 525; s. auch BGHSt 14, 280 (280). Vgl. schon Roxin, TuT, 515 (seinerzeit noch zu § 33 Abs. 1 E 1962); i.E. bedeutet dies für den externen Gehilfen eine doppelte obligatorische Strafmilderung nach §§ 28 I, 27 II. 4036 s. zu dieser sachlich korrekten Bezeichnung Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte, 195 Fn. 249a. 4037 Beispiel nach Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte, 195 Fn. 249a. 4035

G. Täterschaft (und straflose Teilnahme?) bei Fahrlässigkeitsdelikten

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Unterlassungsdelikt (§ 138) des A.4038 Anders muss das freilich die Begehungstäterlösung Armin Kaufmanns sehen. Danach wäre der B im Beispiel als Begehungstäter des infolge seiner Intervention stattgefundenen Verbrechens zu bestrafen.4039 Das ist jedoch schon deshalb unmöglich, weil andernfalls auch der A selbst aufgrund seiner „Rücktrittsaktivität“ als aktiver Begehungstäter bestraft werden müsste4040 – eine Konsequenz, die Armin Kaufmann4041 wohlweislich nicht zieht. Stuft man aber A’s eigenen aktiven Rücktritt von der Gebotserfüllung (richtigerweise!) nicht als Begehungstäterschaft ein, dann kann für B’s Beihilfe zu diesem Rücktritt konsequenterweise nichts anderes gelten. Es bleibt daher bei der physischen Beihilfe des B zur echten Unterlassungstat des A,4042 zu der allerdings ein in eigener Person verwirklichtes echtes Unterlassungsdelikt des B ideal konkurrierend hinzutritt.4043 Eine physische Beihilfe zum Unterlassen kann jedoch auch in praktisch bedeutsameren Konstellationen auftreten, nämlich zum einen als Extranenbeihilfe zu bestimmten Sonderunterlassungsdelikten (etwa wenn der Gehilfe im Falle des § 142 II Nr. 1 durch Verwischen von Unfallspuren das Entdeckungsrisiko des Haupttäters verringert4044), zum anderen als (externe) Beihilfe zu einer omissio libera in causa (etwa wenn der Gehilfe dem Garanten Schlaftabletten besorgt, damit dieser sich handlungsunfähig machen kann, um später seine Handlungspflicht zu versäumen4045).

G. Täterschaft (und straflose Teilnahme?) bei den Fahrlässigkeitsdelikten I. Materieller Einheitstäterbegriff als tradiertes und positivgesetzlich verankertes Dogma Die verhaltensnormtheoretische Analyse4046 hatte gezeigt, dass die Verbote der Begehungs-Fahrlässigkeitsdelikte einen anderen Gehalt haben als diejenigen der 4038

A.A. Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte, 195 Fn. 249a, der auch hier an seiner Begehungstäterlösung festhalten will. 4039 Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte, 195 Fn. 249a: Die Beihilfe zum Rücktritt vom Gebotserfüllungsversuch teile das „dogmatische Schicksal“ der Abstiftung von der Gebotserfüllung. 4040 So zutr. Roxin, TuT, 526. 4041 Unterlassungsdelikte, 108. 4042 Roxin, TuT, 526. 4043 s. zum letzteren Aspekt, Roxin, TuT, 525. 4044 Vgl. dazu BayObLG, NJW 1990, 1861 (1861). 4045 s. dazu Heine/Weißer, in: Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 87. 4046 Oben, S. 199 ff.

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6. Kap.: Die Ausarbeitung der Deliktsgruppen im Einzelnen

vorsätzlichen Handlungsdelikte. Verboten ist nicht die handlungsmäßige Expression rechtsgutsbezogener Intentionalität (= einer Verletzungsmaxime), sondern der Vollzug eines im Hinblick auf fremde Rechtsgüter sorgfaltswidrig-riskanten Handlungsprojekts. Der Rechtsgutsbezug wird also nicht durch Intentionalität hergestellt, sondern durch Sorgfaltswidrigkeit beim Handeln. Dennoch kann man fragen, ob nicht (auch) im Fahrlässigkeitsbereich die intentionale Selbstverwirklichung in der erfolgsnächsten Handlung distanziert werden soll von einer – dann straflosen – sorgfaltswidrigen Teilnahme an fremder Sorgfaltspflichtverletzung, m.a.W.: Ist der im Vorsatzbereich geltende restriktive Täterbegriff auf die Fahrlässigkeitsdelikte zu übertragen?4047 Schon ein Blick auf die allgemeine Verhaltensnormenordnung legt allerdings das Gegenteil nahe: Das fahrlässige Verhaltensunrecht wird in § 276 BGB uniform definiert als die (scil.: individuelle) Außerachtlassung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt. Die strafrechtlichen Sanktionstatbestände der fahrlässigen Erfolgsdelikte (etwa §§ 222, 229) knüpfen an dieses indifferente allgemeine Verhaltensunrecht an (= Einheit der Rechtsordnung)4048 und verlangen zusätzlich „nur“, dass der tatbestandsmäßige Erfolg „durch“ das fahrlässige Verhalten (scil.: objektiv zurechenbar) verursacht worden sein muss.4049 Danach liegt das personale fahrlässige Tatbestandsverhaltensunrecht in der – objektiv zurechenbaren – Herbeiführung eines tatbestandsmäßigen Erfolgs durch Verletzung von Sorgfaltspflichten, die dem jeweils eigenen Tun anhaften.4050 Dieser im Fahrlässigkeitsbereich anerkannte Einheitstäterbegriff4051 entspricht auch unzweifelhaft dem Konzept des historischen Gesetzgebers seit 1871.4052 Andererseits figuriert die beim Handeln einzuhaltende Sorgfalt als unselbständiges, vom intentionalen Handlungsvollzug abhängiges Pflichtmerkmal.4053 Daher kann man der äußeren Form nach durchaus unterscheiden zwischen sorgfaltswidrigriskanten Akten, deren Rechtsgutsbezug unmittelbar über das eigene Handlungsprojekt hergestellt wird, und sorgfaltswidrig-riskanten Akten, deren Rechtsgutsbezug erst über das pflichtwidrige Verhalten Dritter vermittelt wird. Demnach wäre es also immerhin konstruktiv denkbar, analog §§ 25 – 27 einen Bereich strafloser fahrlässiger Teilnahme aus dem tatbestandsmäßigen Verhalten des Fahrlässig4047 Für einen einheitlichen restriktiven Täterbegriff innerhalb des StGB plädiert insbesondere Renzikowski, Täterbegriff, 261 ff.; s. auch Schumann, Selbstverantwortung, 111, m.w.N. aus der älteren Literatur; zutr. gegen diese Doktrin vom allgemeingültigen „Verantwortungsprinzip“ etwa Puppe, in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 178 ff. 4048 Vgl. allgemein bereits Welzel, Strafrecht, § 18 I 1 (S. 131); ferner auch Herzberg, NStZ 2004, 660 (662); Schlüchter, Grenzen, 22 f.; Schild, Jakobs-FS (2007), 601 (603). 4049 So zutr. Herzberg, Täterschaft, 100. 4050 Vgl. instruktiv dazu Puppe, in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 167 ff., 178 ff.; dies., GA 2004, 129 (129, 135). 4051 s. dazu Gallas, ZStW-Sonderheft Athen (1957), 3 (18 f.). 4052 Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 66 m. 34 ff.; Puppe, in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 178, 181 a.E.; dies., JR 2012, 164 (166). 4053 Instruktiv dazu Zielinski, Unrechtsbegriff, 168 ff.

G. Täterschaft (und straflose Teilnahme?) bei Fahrlässigkeitsdelikten

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keitsdelikts auszuklammern.4054 Jakobs4055 hat die Möglichkeit einer solchen Differenzierung an dem Beispiel illustriert, dass ein Brett ohne geeignete Sicherheitsvorkehrungen aus dem Fenster geworfen wird und einen unten vorbeigehenden Passanten trifft: Der Akteur kann das Brett selbst (analog § 25 I Alt. 1) oder zusammen mit einem anderen (analog § 25 II) aus dem Fenster werfen, er kann einen anderen durch qualifizierte Nötigung zum Wurf zwingen (analog § 25 I Alt. 2), kann ihn aber auch zum Wurf auffordern (analog § 26) oder ihm das Fenster öffnen (analog § 27). Jakobs4056 selbst konstatiert jedoch zutreffend, dass eine solche Differenzierung im Fahrlässigkeitsbereich (jedenfalls bei der Fremdverletzung) ohne positivrechtliche Auswirkung bleibt. Dahinter steht auch ein tieferer Sachgrund: Im Vorsatzbereich muss die Teilnahme aufgrund ihres derivativen Programmgehalts von der Täterschaft geschieden werden, da sie inhaltlich auf den originären Entscheidungszugriff des Täters zugeschnitten ist, ihn zwingend als solchen einplanen muss.4057 Diese sachlogisch vorgegebene Dichotomie findet aber im Fahrlässigkeitsbereich keine Entsprechung, da der Rechtsgutsbezug hier nicht über das rechtlich neutrale Erlebnis der erfolgsnächsten Handlung hergestellt wird, sondern über das Moment der Sorgfaltswidrigkeit beim eigenen Handeln.4058 Für die individuelle Sorgfaltspflichtbestimmung kann daher fremde Fahrlässigkeit (und fremde Pflichtwidrigkeit überhaupt) stets nur als Kausalfaktor, interessieren.4059 Zu einem anderen Ergebnis kann man nur gelangen, wenn man aus dem Grundsatz der Selbstverantwortlichkeit autonomiefähiger Subjekte (= sog. „Autonomieprinzip“) ein allgemeines „Regressverbot“ ableitet, wonach hinter den autonomen Organisationsakt (Vorsatzdelikte) bzw. die intentionale Vermeidemacht (Fahrlässigkeitsdelikte) des Letzthandelnden in der Kausalkette nicht zurückgegangen werden dürfe.4060 Eine solche Regressverbotslehre ist aber bereits im Vorsatzbereich schwerlich installierbar, da sie durch die Teilnahmevorschriften der §§ 26, 27 gerade durchbrochen wird.4061 Der Versuch, die Teilnahmeverdikte als bloße Gefährdungsverbote und das Akzessorietätserfordernis als Strafbarkeitsbedingung zu interpretieren,4062 kann nicht überzeugen.4063 Davon abgesehen muss die Regressverbotslehre auch an der gesetzlich vorgesehenen Beteiligungsfigur der Mittäterschaft zerbrechen, da § 25 II trotz Abhängigkeit von der Mitwirkung eines autonom handelnden Komplizen eine originäre individuelle Erfolgsverantwortung 4054 4055 4056 4057 4058 4059 4060 4061 4062 4063

I.d.S. grundlegend etwa Renzikowski, Täterbegriff, 261 ff. AT, 21/112. AT, 21/112. Ausführlich dazu oben, S. 129 ff., 168 ff., 285 ff., 523 ff. s. dazu Gallas, ZStW-Sonderheft Athen (1957), 3 (18 f.). So konsequent Puppe, in: NK, Vor § 13 Rn. 178. I.d.S. dezidiert Renzikowski, Täterbegriff, 70 ff., 261 ff. So zutr. Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 177, 308. So Renzikowski, Täterbegriff, 127 ff., 131 ff. s. dazu bereits oben, S. 338 f.

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6. Kap.: Die Ausarbeitung der Deliktsgruppen im Einzelnen

des Einzelnen statuiert („als“ Täter)4064.4065 Im hier interessierenden Fahrlässigkeitsbereich dagegen wird die Regressverbotslehre schon durch die bare Existenz positivrechtlicher Sorgfaltspflichten zur Vermeidung fremder Pflichtwidrigkeit unterminiert, denn: „Es gibt Sorgfaltsregeln, deren ausschließlicher Zweck darin besteht, einem anderen keine Gelegenheit zu geben, einen Dritten in Gefahr zu bringen (fahrlässige Beihilfe) oder ihm einen Anreiz dazu zu geben (fahrlässige Anstiftung).“4066

Kennt aber die Rechtsordnung solche positiven Sorgfaltsregeln, so muss es konsequenterweise auch eine Möglichkeit geben, deren Verletzung strafrechtlich zu sanktionieren.4067 Es wäre in sich widersprüchlich, wenn der Gesetzgeber Verhaltenspflichten schüfe, die die fahrlässige Ermöglichung fremder Pflichtwidrigkeit untersagen, gleichzeitig aber von der Nichtzurechenbarkeit so verursachter Verletzungsfolgen ausginge.4068 Der dogmatische Fehler der Regressverbotslehre liegt darin, dass sie im Fahrlässigkeitsbereich analog zur Tatherrschaftslehre nach einer „Zentralgestalt des riskanten Geschehens“4069 fragt bzw. eine „Positionsbestimmung im sozialen Raum“4070 vornehmen zu müssen glaubt. Auf diese Weise wird auch der Fahrlässigkeitstäter als Zurechnungstypus i.S.d. zweiten Zurechnungsstufe Roxins (= Tat zur Person)4071 klassifiziert. Das ist aber deshalb irreführend, weil es nicht um die Zurechnung eines unerlaubt-riskanten Geschehens zu einer „Zentralgestalt“ i.S.d. Tatherrschaftslehre geht, sondern um die logisch vorrangige Frage, ob die je eigene Sorgfaltspflicht der Vermeidung fremder Pflichtwidrigkeit dient, kurz: um Inhalt und Reichweite der jeweiligen Sorgfaltspflichten.4072 Materiell gesehen handelt es sich also um ein Sonderproblem der allgemeinen Sorgfaltspflichtbestimmung, das an-

4064 s. zu dieser zutr. Wortlautauslegung des § 25 II nur Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 127, 162 sowie ders., in: NK, § 25 Rn. 14, 125 ff.; wenig überzeugend dagegen Dencker (Kausalität, 144, 259), der die rechtsfolgentechnische Bezeichnung des einzelnen Mittäters in § 25 II „als“ Täter als bloßen lapsus linguae abtun will (gemeint sei eigentlich „wie“ ein Täter). 4065 Der von Renzikowski (Täterbegriff, 100 ff.) vorgeschlagene Ausweg, sämtliche Komplizen zu einer einzigen „autonomen“ Kollektivperson zusammenzuziehen, hilft über diesen Mangel nicht hinweg, sondern macht ihn nur noch deutlicher (vgl. dazu Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 177, 308). 4066 Puppe, in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 179. 4067 So schlagend Schneider, ZIS 2013, 362 (368). 4068 Schneider, ZIS 2013, 362 (369); Puppe, JR 2012, 164 (164, 166). 4069 So grundlegend Schneider, Risikoherrschaft, 233 ff. (im Anschluss an Walther, Eigenverantwortlichkeit, 174, die den Begriff allerdings nur für die Beteiligung an der Selbstgefährdung entwickelte). 4070 Otto, AT, § 21 Rn. 112. 4071 Instruktiv dazu Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 73, 77, 79, 81. 4072 So zutr. etwa Frisch, Verhalten, 230 ff.; Puppe, in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 167 ff. (178 ff.); dies., JR 2012, 164 (166).

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hand der „Metaregeln zur Aufstellung von Sorgfaltspflichten“4073 zu lösen ist. Zu diesen Metaregeln gehören dann an dieser Stelle freilich auch Axiome wie der „Vertrauensgrundsatz“4074 oder die „Differenzierung nach Verantwortungsbereichen“4075. Hat man aber nach diesen Maßstäben Inhalt und Reichweite der Sorgfaltspflichten bestimmt, so fehlt für eine Zurechnung fremder Sorgfaltswidrigkeit jeder Raum. Der schlagende Hinweis, dass der Gesetzgeber positivrechtliche Sorgfaltspflichten zur Vermeidung fremder Pflichtwidrigkeit wohl kaum als „zahnlose“ geschaffen habe, überzeugt freilich nur als argumentum ad absurdum. Zurechnungsdogmatisch ist damit noch nichts besagt. Das zeigt ein Vergleich mit den Verboten der vorsätzlichen Teilnahme, die ja ebenfalls der Vermeidung fremden Unrechtshandelns dienen, ohne dass der Hintermann deshalb Nebentäter wäre.4076 Angesichts dessen kann man fragen, warum das personale Handeln Dritter ausgerechnet im Fahrlässigkeitsbereich auf sein äußeres Wirken als Kausalfaktor soll reduziert werden dürfen.4077 Die Antwort wurde hier bereits gegeben: Im Fahrlässigkeitsbereich existiert kein unrechtliches Selbstverwirklichungserlebnis, das andere handlungstheoretisch von der Deliktsverwirklichung ausschließt,4078 weshalb ein erfolgsnäheres Handeln Dritter lediglich als vorhersehbarer Kausalfaktor interessiert.4079 Der großangelegte Versuch, Fahrlässigkeitstäterschaft auf die freiverantwortliche Steuerungsherrschaft über die erfolgsnächste Gefahrschaffung zu reduzieren,4080 kann daher nicht überzeugen, denn es geht eben nicht um gestaffelte Zurechnung innerhalb eines sorgfaltswidrig-riskanten Aktgeschehens, sondern schlicht um neben- oder hintereinandergeschaltete Sorgfaltspflichten.4081 Vorgeschaltete Sorgfaltspflichten wie etwa diejenige, Waffen nicht unbeaufsichtigt herumliegen zu 4073 4074

(165). 4075

So Puppe, in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 157 ff. Puppe, in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 162 ff., 169 (aber auch Rn. 170 ff.); dies., JR 2012, 164

So Otto, AT, § 21 Rn. 112. Vgl. Renzikowski, Täterbegriff, 176 f. 4077 Das betont Hoyer, Puppe-FS (2011), 515 (529). 4078 Vgl. allgemein auch Puppe, in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 179; dies., JR 2012, 164 (167): Beim Fahrlässigkeitsdelikt fehle es an einer Entsprechung zum wertungsmäßigen Unterschied zwischen Täterschaft und Teilnahme (Grund: Fehlen eines rechtswidrigen Willens, vgl. Puppe, GA 2004, 129 [129]). 4079 So zutr. Puppe, in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 178; dies., JR 2012, 164 (166). 4080 So insbesondere Otto, AT, § 21 Rn. 111 ff.; Schneider, Risikoherrschaft, 148 ff., 254 ff.; Renzikowski, Täterbegriff, 215 m. Fn. 25, 261 ff. (277); Häring, Mittäterschaft, 119 ff., 196 ff.; s. auch bereits Walther, Eigenverantwortlichkeit, 115 ff. 4081 So zutr. Puppe (in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 179 ff.), die die Lehre vom Regressverbot im Fahrlässigkeitsbereich scharfsinnig ad absurdum führt: Wisse der sog. „Hintermann“ um das sorgfaltswidrige Projekt des sog. „Vordermannes“, so zeitige dies nach der Regressverbotslehre die inakzeptable Konsequenz, dass er selbst nach Belieben mit dem Rechtsgut verfahren könne (a.a.O., Rn. 180). 4076

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6. Kap.: Die Ausarbeitung der Deliktsgruppen im Einzelnen

lassen, untersagen ein Verhalten, das im Hinblick auf bestimmte zu vermeidende Verhaltensdynamiken erfahrungsgemäß sorgfaltswidrig-riskant ist.4082 Den pflichtwidrig ausgelösten Eintritt einer solchen Verhaltensdynamik für eine Verantwortlichkeitsdistanzierung des Pflichtadressaten apostrophieren zu wollen (unter Verweis auf die Eigenverantwortlichkeit des zum Handeln animierten Dritten),4083 hieße daher den Schutzzweck der vorgeschalteten Verhaltenspflicht gerade zu konterkarieren.4084 Die grundsatzdogmatische Frage, ob der restriktive Täterbegriff der Vorsatzdelikte (mutatis mutandis) in Bausch und Bogen auf die Fahrlässigkeitsdelikte übertragbar ist, spielt allerdings in der aktuellen Diskussion eine eher untergeordnete Rolle. Der Diskurs kreist vielmehr um die Frage, ob nicht zur Bewältigung gewisser praktischer (Beweis-)Problematiken zwingend auf eine ganz bestimmte Beteiligungsfigur, nämlich die fahrlässige Mittäterschaft, rekurriert werden muss.4085 Leitmotiv ist dabei das kriminalpolitische Bedürfnis, die strafrechtliche Individualhaftung von Gremienmitgliedern unabhängig von der Ausgestaltung des jeweiligen Entscheidungsfindungssystems sicherzustellen, kurzum: die Bewältigung des Problems überbedingter Kollegialentscheidungen.4086 Daneben werden auch Konstellationen einer uneindeutigen Kausalität bei additivem oder alternativem Zusammenwirken wie etwa der berühmte Fall „rolling stones“4087 für die Nezessität einer fahrlässigen Mittäterschaft angeführt.4088 Da solche Fallgestaltungen die überkommene Fahrlässigkeitsdogmatik in der Tat vor Probleme stellen, muss hier im Rahmen des Möglichen der Frage nachgegangen werden, ob nicht zumindest eine fahrlässige Mittäterschaft anzuerkennen ist.

4082

(606). 4083

Puppe, in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 179; dies., JR 2012, 164 (165 f.); dies., ZIS 2008, 600

So Renzikowski, Täterbegriff, 264. Vgl. Puppe, JR 2012, 164 (165 f.). 4085 s. dazu etwa die Arbeitseinleitung bei Weißer, Kausalitätsprobleme, 21 f.; Hoyer, Puppe-FS (2011), 515 (518 ff.); Otto (AT, § 21 Rn. 122) versteigt sich sogar zu einer geradezu euphorischen Akklamation: „Die möglichen Konsequenzen aus diesem dogmatischen Schritt (…) im Fahrlässigkeitsbereich können in ihrer Bedeutung gar nicht hoch genug eingeschätzt werden.“ 4086 Vgl. etwa Weißer, Kausalitätsprobleme, 21 f.; Otto, AT, § 21 Rn. 121 f.; Hoyer, PuppeFS (2011), 515 (518 ff.); zu Recht krit. dagegen Puppe, GA 2004, 129 ff. 4087 SchweizBGE IV 1987, 58 ff. 4088 s. etwa Hoyer, Puppe-FS (2011), 515 (523 ff.). 4084

G. Täterschaft (und straflose Teilnahme?) bei Fahrlässigkeitsdelikten

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II. Fahrlässige Mittäterschaft? Die breite Zustimmung4089 zur Beteiligungsfigur einer „fahrlässigen Mittäterschaft“ nährt sich de facto aus der Unterstellung ihrer praktischen Notwendigkeit.4090 Dies provoziert natürlich bei ihren Gegnern den Vorwurf der tendenziösen bzw. finalen Subsumtion.4091 Nichtsdestotrotz ist aber auch die traditionelle Fahrlässigkeitsdogmatik gehalten, sich derjenigen Problematiken anzunehmen, die eine fahrlässige Mittäterschaft angeblich unverzichtbar machen sollen. Vor diesem Hintergrund ist zwischen dogmatischer Analyse und praktischer Problembehandlung zu unterscheiden: 1. Dogmatische Durchführbarkeit? Fahrlässige Akte sind wie vorsätzliche intentional strukturiert.4092 Daher wäre es konstruktiv durchaus möglich, die erfolgsnächste fahrlässige Handlung als Träger des „tatbestandlich erfassten sozialen Sinngehalts“4093 des Fahrlässigkeitsdelikts zu erfassen und von ihr ausgehend ein fahrlässiges Beteiligungsformensystem zu errichten (analog zur „Handlungsherrschaft“ im Sinne Roxins). Fahrlässige Mittäterschaft läge danach immer dann vor, wenn mehrere „(…) durch ihr subjektiv gemeinschaftliches Zusammenwirken bei der Steuerung des Geschehensablaufs unter Außerachtlassung der von jedem zu fordernden Sorgfalt den tatbestandsmäßigen Erfolg herbeiführen“4094.

Ob man der Vorschrift des § 25 II eine derartige Mittäterschaftsdefinition noch unterlegen kann, erscheint jedoch äußerst fraglich. Zwar beschränkt die Vorschrift die Mittäterschaft nicht explizit auf Vorsatzdelikte; doch regeln die §§ 26, 27 ausschließlich vorsätzliche Teilnahme und grenzen diese damit offensichtlich von vorsätzlicher Täterschaft ab, was einen Exklusivzuschnitt des gesamten Beteiligungssystems auf Vorsatztaten nahe legt. Für eine solche Lesart streitet auch die Tatsache, dass § 276 BGB das allgemeine fahrlässige Verhaltensunrecht als uniformes regelt und die Fahrlässigkeitstatbestände des StGB hieran anknüpfen

4089 s. etwa die Nachweisfülle bei Otto, AT, § 21 Rn. 114 Fn. 50; ferner Roxin, TuT, 770 f. Fn. 894 (Nachweise aus der älteren Literatur) u. Fn. 895 (Nachweise aus der jüngeren Literatur). 4090 s. exemplarisch etwa nur Hoyer, Puppe-FS (2011), 515 (518 ff.). 4091 Vgl. Puppe, GA 2004, 129 ff., mit dem bezeichnenden Arbeitstitel „Wider die fahrlässige Mittäterschaft“. 4092 So statt vieler Jakobs, AT, 6/15; Walther, Eigenverantwortlichkeit, 119; Häring, Mittäterschaft, 197 ff.; Kraatz, Mittäterschaft, 256. 4093 Otto, AT, § 21 Rn. 111. 4094 So die eingängige Formulierung bei Weckerle, Verantwortlichkeit, 69; in der Sache ebenso etwa Otto, AT § 21 Rn. 117; Schneider, Risikoherrschaft, 274; Häring, Mittäterschaft, 196 ff., 273 ff.; letztlich auch Kraatz, Mittäterschaft, 256.

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6. Kap.: Die Ausarbeitung der Deliktsgruppen im Einzelnen

(= Einheit der Rechtsordnung).4095 Untermauert wird diese Einordnung noch durch den historischen Befund, dass der Reformgesetzgeber bei Einführung der §§ 25 – 27 an die Fahrlässigkeitsdelikte offensichtlich nicht gedacht hat, sondern stillschweigend vom Einheitstäterbegriff ausging.4096 Doch soll die Frage eines positivrechtlichen Ausschlusses der fahrlässigen Mittäterschaft hier nicht weiter vertieft werden. Denn letztlich können sich die Befürworter dieser Figur immer noch auf den Standpunkt zurückziehen, dass § 25 II die Konstruktion einer fahrlässigen Mittäterschaft zumindest bei objektiver Gesetzesauslegung zulasse.4097 Als zirkulär erweist sich deshalb das Argument4098, die Unzulässigkeit fahrlässiger Mittäterschaft folge schon aus dem Nichtvorliegen der Prämissen vorsätzlicher Mittäterschaft (gemeinsamer Tatentschluss, arbeitsteilige Deliktsverwirklichung).4099 Dass die Voraussetzungen vorsätzlicher Mittäterschaft mit dem Fahrlässigkeitsdelikt nicht kompatibel sind, beweist für sich genommen nicht mehr, als dass Vorsatz und Fahrlässigkeit eben verschiedene Verhaltenskategorien sind.4100 Zu fragen ist deshalb, ob die allgemeinen Mittäterschaftsvoraussetzungen mutatis mutandis auf das Fahrlässigkeitsdelikt extrapoliert werden können. Das ist insbesondere für den Fall der überbedingten fahrlässigen Gremienentscheidung4101, dem die Beteiligungsfigur der fahrlässigen Mittäterschaft zentral gewidmet ist, zu verneinen. Hier fehlt es typischerweise schon an einer wechselseitigen Aktionskoordination als Analogon zum mittäterschaftlichen Handeln auf Grundlage eines gemeinsamen Tatentschlusses. Denn erfolgt die Abstimmung des Kollegialorgans geheim, so gibt jedes Mitglied für sich seine Stimme ab, ohne dass man sich gegenseitig beeinflusst.4102 Damit fehlt es an der Mitzuständigkeit des einzelnen Gremiumsmitglieds für das Abstimmungsverhalten der jeweils anderen und also an einer wechselseitigen Zurechnungsgrundlage.4103 Selbst wenn man jedoch ein kollektives Abstimmungsbewusstsein unterstellen wollte, wäre dies kein funktionelles Äquivalent zum gemeinsamen Tatentschluss bei der vorsätzlichen 4095 Vgl. allgemein bereits Welzel, Strafrecht, § 18 I 1 (S. 131); ferner auch Herzberg, NStZ 2004, 660 (662); Schlüchter, Grenzen, 22 f. 4096 Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 66; Puppe, JR 2012, 164 (166). 4097 So etwa Dencker, Kausalität, 179; Renzikowski, Täterbegriff, 288; Weißer, JZ 1998, 230 (232 f.). 4098 s. statt vieler etwa nur Jescheck/Weigend, § 63 I 3 a) (S. 676), II 3 (S. 679); Baumann/ Weber/Mitsch/Eisele, § 25 Rn. 87; Deutscher/Körner, wistra 1996, 327 (333). 4099 So zutr. bereits Herzberg, Täterschaft, 73 m. Fn. 49. 4100 So zutr. etwa Otto, AT, § 21 Rn. 115; Weißer, JZ 1998, 230 (232); Roxin, AT/II, § 25 Rn. 242. 4101 Beispiel.: Die Geschäftsführung eines Pharmaunternehmens bringt durch einstimmigen fahrlässigen Beschluss ein nur unzureichend geprüftes Arzneimittel in den Verkehr; s. ferner auch nochmals den Sachverhalt des „Lederspray-Falles“ (BGHSt 37, 106 ff.). 4102 Puppe, GA 2004, 129 (134). 4103 Vgl. Puppe, GA 2004, 129 (135 f.).

G. Täterschaft (und straflose Teilnahme?) bei Fahrlässigkeitsdelikten

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Mittäterschaft: Der gemeinsame Tatentschluss im Vorsatzbereich liefert, weil sehende Einlassung auf ein gemeinsames Unrechtshandeln, auch die Legitimation zur wechselseitigen Zurechnung der gemeinsam realisierten Unrechtsfolgen. Daran fehlt es aber gerade, wenn das gemeinsame Projekt der Beteiligten keinen deliktischen Sinnbezug hat, sie also – wenn auch unbedacht – gar nicht wissen, worauf sie sich strafrechtlich einlassen.4104 Doch noch mehr: Selbst wenn im Einzelfall das Abstimmungsverhalten konspirativ untereinander abgesprochen wurde, könnte sich jeder Einzelne immer noch mit dem Hinweis entlasten, dass ein mehrheitlicher Beschluss auch ohne seine Mitwirkung zustande gekommen wäre. Danach fehlte es jedenfalls an der Kausalität der Einzelstimmabgabe für das wirksame Zustandekommen der sorgfaltswidrigen Kollegialentscheidung i.S.e. conditio sine qua non.4105 Daran wird ersichtlich, worum es der Lehre von der fahrlässigen Mittäterschaft eigentlich geht, nämlich darum, das basale Erfordernis eines individuellen Verletzungsbeitrages durch die handelnd begründete Zugehörigkeit zu einem gefahrschaffenden Kollektiv zu ersetzen.4106 Diese Tatsache kann man auch nicht dadurch camouflieren, dass man für fahrlässige Mittäterschaft kurzerhand die potentielle Kausalität jedes Einzelbeitrages aus der Ex-ante-Sicht genügen lässt (analog zur sog. „additiven“ Mittäterschaft4107 im Vorsatzbereich).4108 Denn damit wird der – legitimationsbedürftige – Verzicht auf die positive Kausalitätsfeststellung gerade eingestanden: Was in der Sache vorgeworfen wird, ist die Teilhabe an einem Handlungskollektiv, weshalb nicht die Mittäterschaft mit dem eigenen Verletzungsbeitrag begründet wird, sondern gerade umgekehrt die (Gesamt-)Handlungsteilhabe mit der Mittäterschaft (= der Zugehörigkeit zum Kollektivsubjekt).4109 Die persönliche Mitwirkung am Entscheidungskollektiv ist aber bei überbedingter Kollegialentscheidung eben gerade nicht kausal für das wirksame Zustandekommen des Mehrheitsbeschlusses, weshalb die „Mittäterschaft“ voraussetzungstechnisch in der Luft hängt: Sie ist Desiderat, nicht Realität (wie insbesondere der Hinweis auf die potentielle Individualkausalität offenlegt). Entsprechendes gilt mutatis mutandis für den Fall „rolling stones“4110 : Zwei Männer beschließen spontan, abwechselnd Felsbrocken einen steilen Felsvorsprung hinab zu rollen; ein Stein erschlägt einen im Tal befindlichen Fischer, der sorgfaltswidrig übersehen wurde; wessen Stein dies gewesen ist, lässt sich forensisch 4104

Vgl. Puppe, GA 2004, 129 (133). Das ist in der Sache unstreitig, weshalb es gerade das erklärte Ziel der Lehre von der fahrlässigen Mittäterschaft ist, das Kausalitätserfordernis durch Annahme einer fahrlässigen Mittäterschaft zu ersetzen (so zutr. Puppe, GA 2004, 129 [129, 132, 136]). 4106 Eingegend dazu Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 227 f. m. 126 ff.; auch Puppe, GA 2004, 129 (135); Kraatz, Mittäterschaft, 144 ff. 4107 Für den Vorsatzbereich „entdeckt“ von Herzberg, Täterschaft, 56 ff. (57). 4108 So aber Roxin, AT/II, § 25 Rn. 241; in der Sache ebenso Knauer, Kollegialentscheidung,196 ff. 4109 s. eingehend dazu Kraatz, Mittäterschaft, 144 ff. 4110 SchweizBGE IV 1987, 58 ff. 4105

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nicht mehr aufklären. – Auch in diesem Fall liegt auf der Hand, dass man die fehlende Realisierung des je eigenhändig geschaffenen Risikos nicht einfach dadurch kompensieren kann, dass man beide Akteure willkürlich zu einem Kollektivsubjekt zusammenzieht.4111 Was man den Akteuren freilich vorwerfen kann, ist, dass sie sich gegenseitig dazu motiviert haben, ein gefährliches Spiel zu spielen.4112 Das begründet zwar ebenfalls keine fahrlässige Mittäterschaft, da jeder für sich spielt.4113 Doch kann man darauf verweisen, dass jeder für den Entschluss des jeweils anderen, das Spiel überhaupt (mit) zu spielen – und damit auch für dessen Wurf –, motivationskausal geworden ist. Dann wäre auf Basis des Einheitstäterbegriffs für jeden Akteur eine fahrlässige Nebentäterschaft anzunehmen, und zwar im Wege unechter Wahlfeststellung: Entweder hat er selbst den todbringenden Stein geworfen (= erste Sachverhaltsalternative) oder aber den jeweils anderen Akteur sorgfaltswidrig hierzu animiert (= zweite Sachverhaltsalternative).4114 Nach alledem existiert für eine fahrlässige Mittäterschaft keine personale Zurechnungsgrundlage. Diesen Umstand kann man auch nicht dadurch desavouieren, dass man die Sorgfaltspflicht auf die Akteure als kollektive Handlungsgemeinschaft bezieht.4115 Sorgfaltspflichten haften nicht einer normativ konstruierten „Gesamthandlung“ an, sondern müssen immer auf das individuelle Handlungsprojekt bezogen formuliert werden;4116 in den Worten Puppes4117: „Jeder versagt für sich allein.“ Damit ist die eigentliche Zielsetzung der Mittäterschaftsthese abermals klargelegt: Eigentlich geht es darum, sämtliche Akteure zu einem Kollektivsubjekt, einer „Unsorgfaltsgemeinschaft“4118, zusammenzufassen, der dann die alternativ oder additiv geleisteten Beiträge sämtlicher Mitwirkender en bloc zugerechnet werden, mit der Folge, dass jeder für alles haftet.4119 Damit wird aber anstelle eines gemeinschaftlichen Handelns eine „handelnde“ Gemeinschaft zur Zurechnungsgrundlage erhoben, um Kausalitätsprobleme zu überbrücken. Ein solches Konstrukt muss de lege lata selbst dann ausscheiden, wenn man § 25 II im Fahrlässigkeitsbereich prinzipiell für anwendbar hält, denn die Vorschrift verlangt ein gemein4111

So zutr. Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 227 f. So zutr. Roxin, AT/II, § 25 Rn. 240. 4113 Vgl. Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 227. 4114 So der Sache nach auch Roxin, AT/II, § 25 Rn. 240, der aber letztlich doch für fahrlässige Mittäterschaft votiert, da dies „weniger gekünstelt“ wirke (a.a.O., Rn. 241); wie hier dagegen Günther, JuS 1988, 386 (387), der in einem sachlich gleichgelagerten Fall (Motorradwettfahrt mit nicht aufzuklärender tödlicher Kollision) expressis verbis auf unechte Wahlfeststellung plädiert. 4115 So aber Otto, Maurach-FS (1972), 91 (104); ders., Spendel-FS (1992), 271 (283 ff.); ders., AT, § 21 Rn. 114; Weckerle, Verantwortlichkeit, 69; Weißer, Kausalitätsprobleme, 147, 156; dies., JZ 1998, 230 (236). 4116 So zutr. Puppe, GA 2004, 129 (135); Kraatz, Mittäterschaft, 255. 4117 GA 2004, 129 (129, 135). 4118 So die – treffende – Terminologie bei Riedo/Chvojka, SchwZStR 120 (2002), 152 ff. (160 ff.). 4119 Vgl. auch Kraatz, Mittäterschaft, 255. 4112

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schaftliches Handeln und begnügt sich nicht mit einer handelnden Gemeinschaft.4120 Insgesamt ist die Zurechnungsfigur einer fahrlässigen Mittäterschaft daher weder beteiligungs- noch fahrlässigkeitsdogmatisch zu rechtfertigen. 2. Positivgesetzliche Vorbilder? Teilweise4121 wird allerdings versucht, die gesetzlich vorgesehene Beteiligungsfähigkeit von Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombinationen (§§ 11 II, 25 ff.) als positivrechtlichen Beleg für die legislatorische Anerkennung fahrlässiger Mittäterschaft auszuweisen. Das betrifft zunächst die Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombinationen der erfolgsqualifizierten Delikte (Bsp.: §§ 227, 18),4122 die von § 11 II trotz ihrer Hybridstruktur zu teilnahmefähigen Vorsatztaten erklärt werden. Damit aber, so die Idee, ordne die lex lata das gesetzliche Beteiligungssystem „vorsatzgleich“ auch für die Fahrlässigkeitsdelikte an.4123 Derselbe Tatbeitrag, der hinsichtlich des Grundtatbestandes als mittäterschaftlich qualifiziert werde, könne in Bezug auf die fahrlässige Herbeiführung der schweren Folge nicht als nebentäterschaftlich-unverbunden angesehen werden, da es um ein und dieselbe Handlung gehe.4124 Dieser Argumentation ist immerhin zuzugeben, dass die gesetzliche Fassung des erfolgsqualifizierten Delikts als „,Zwitterfigur‘ nahe der Einheitstäterschaft“ nicht ganz unbedenklich erscheint.4125 Solche Bedenken dürfen jedoch nicht dazu verleiten, dem „Fahrlässigkeitsteil“ des erfolgsqualifizierten Delikts contra legem eine vorsatzgleiche Beteiligungsstruktur zu unterlegen. Denn § 18 ordnet ausdrücklich an, dass jeder Beteiligte selbst mindestens fahrlässig hinsichtlich des Zusatz-Erfolges gehandelt haben muss. Damit hat der Gesetzgeber sich aber autoritativ gegen eine Zurechnung des fremden Fahrlässigkeitsbezugs entschieden.4126 Die Beteiligung am erfolgsqualifizierten Delikt figuriert daher dogmatisch gesehen als „(…) Kombination aus Beteiligung an dem Grunddelikt und fahrlässiger (…) Nebentäterschaft (…)“4127.

4120 So zutr. Schild, in: NK1, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 227 m. 126 ff.; auch Kraatz, Mittäterschaft, 144 ff. 4121 Renzikowski, Täterbegriff, 292 ff.; Schaal, Verantwortlichkeit, 229 ff.; Weißer, JZ 1998, 230 (233); s. auch schon Seebald, GA 1964, 161 (162 ff.). 4122 Eingehend und instruktiv zu dieser hybriden Deliktsart Paeffgen, in: NK, § 18 Rn. 2 ff. 4123 Seebald, GA 1964, 161 (162 ff. [165]); Renzikowski, Täterbegriff, 295; Schaal, Verantwortlichkeit, 230 f., 235; Weißer, JZ 1998, 230 (233). 4124 So etwa Oehler, GA 1954, 33 (37); Seebald, GA 1964, 161 (162 f.); Schaal, Strafrechtliche Verantwortung, 232. 4125 Paeffgen, in: NK, § 18 Rn. 133 (Zitat ebenda). 4126 Paeffgen, in: NK, § 18 Rn. 133. 4127 Paeffgen, in: NK, § 18 Rn. 132, m.w.N. zu dieser h.M.

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Diese dogmatische Einordnung bedeutet – entgegen kritischer Stimmen4128 in der Literatur – keineswegs eine künstliche Aufsplittung in vorsätzliche Beteiligung hinsichtlich der Grunddeliktshandlung und fahrlässige Nebentäterschaft hinsichtlich des Zusatzerfolgs. Vielmehr ist die vorsätzliche Partizipation an der riskanten Grunddeliktshandlung (ceteris paribus) selbst zugleich die Sorgfaltspflichtverletzung im Hinblick auf die schwere Folge,4129 d. h. sie stellt uno actu auch schon die „erfolgsfahrlässige“ Handlung dar. Mithin geht es überhaupt nicht um das unzulässige Nebeneinander zweier unverträglicher Beteiligungsformen,4130 sondern bloß um das kumulative Anlegen zweier unterschiedlicher rechtlicher Bewertungsmaßstäbe – Vorsatz und Fahrlässigkeit – an ein und dieselbe Handlung. Mithin kann das erfolgsqualifizierte Delikt nicht als gesetzliches Vorbild für eine fahrlässige Mittäterschaft reklamiert werden. Selbst wer das anders sehen und hier von der Spezialkodifikation einer fahrlässigen Beteiligung ausgehen wollte, hätte jedenfalls deren Ausnahmecharakter zu akzeptieren.4131 Etwas anderes folgt auch nicht aus der beteiligungsrechtlichen Behandlung der „eigentlichen“4132 Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombinationen, die von § 11 II ebenfalls als beteiligungsfähige Vorsatzdelikte angesehen werden. Gemeint sind Tatbestände, bei denen ein per se nicht pönalisiertes Grundverhalten erst durch das Bewirken eines weiteren (Gefahr-)Erfolges strafrechtserheblich wird (z. B. § 315c III Nr. 1).4133 Teile des Schrifttums4134 wollen für diese echten Vorsatz-FahrlässigkeitsKombinationen die Regelung des § 18 analog4135 heranziehen und gelangen so zu dem Ergebnis, dass eine beteiligungsrechtliche Haftung für die strafbegründende Folge auch hier lediglich Fahrlässigkeit des einzelnen Beteiligten voraussetzt. Selbst wenn man dem folgt, kann hier nichts anderes gelten als im Falle der erfolgsqua4128

Seebald, GA 1964, 161 (162 f., 165); Renzikowski, Täterbegriff, 295. Vgl. dazu Paeffgen, in: NK, § 18 Rn. 133 a.E. 4130 So aber Renzikowski, Täterbegriff. 295 f., unter Berufung auf Seebald, GA 1964, 161 (162 f.). 4131 Das sieht auch Schaal, Verantwortlichkeit, 235 f., der jedoch aus der Möglichkeit der Beteiligung an den „eigentlichen“ Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombinationen (also solchen ohne selbständig strafbares Grunddelikt) Funken für die Anerkennung eines allgemeinen Rechtsgedankens fahrlässiger Beteiligung schlagen will (a.a.O., 237 ff.). 4132 s. zu dieser Begrifflichkeit Krey/Schneider, NJW 1970, 640 ff.; krit. Paeffgen, in: NK, § 18 Rn. 3. 4133 So systematisch abgrenzend (e contrario § 18) Paeffgen, in: NK, § 18 Rn. 3. 4134 s. dazu die Nachweise bei Noak, JuS 2005, 312 (314 Fn. 37). 4135 § 18 gilt seinem Wortlaut nach nur für die erfolgsqualifizierten Delikte (vgl. Paeffgen, in: NK, § 18 Rn. 3), müsste also für die „eigentlichen“ Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombinationen analog angewandt werden (so zutr. Noak, JuS 2005, 312 [313 ff.]). Die besseren Argumente sprechen indes gegen eine solche Analogie: Die §§ 26, 27 verlangen für die Teilnahme prinzipiell Teilnehmervorsatz, so dass der Analogieschluss zu § 18 in malam partem ginge. Davon abgesehen fehlte es auch am Erfordernis der Regelungslücke, da die Existenz des § 18 gerade belegt, dass das Problem einer teilfahrlässigen Teilnahme an Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombinationen dem Gesetzgeber bekannt war (vgl. zum Ganzen Noak, a.a.O., 314 f.; ihm zust. Paeffgen, in: NK, §18 Rn. 133 Fn. 257). 4129

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lifizierten Delikte: Die vorsätzliche Beteiligungshandlung figuriert uno actu als (spezifische) „täterschaftliche“ Sorgfaltspflichtverletzung i.S.d. Fahrlässigkeitstatbestände. Dem hat man entgegengehalten, dass viele der „eigentlichen“ Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombinationen (etwa § 315 c III Nr. 1) als eigenhändige Delikte konzipiert seien, weshalb die Annahme einer in der Beteiligungshandlung steckenden Fahrlässigkeitstäterschaft diese Tatbestände contra legem in Erfolgsdelikte umdeute.4136 Diese Argumentation geht schon im Ansatz fehl. Denn selbstverständlich ist die Fahrlässigkeitstäterschaft, die in der Teilnahme am riskanten Grundverhalten – etwa an der fremden Alkoholfahrt im Falle des § 315 I Nr. 1 a), III Nr. 1 – steckt, keine solche i.S.d. eigenhändig ausgestalteten Sanktionstatbestandes (hier: § 315 III Nr. 2), sondern eine solche im allgemeinen verhaltensunrechtlichen Sinne, für die kein spezieller Sanktionstatbestand existiert.4137 Eben deshalb wird sie ja auch „nur“ als Folge der „hybriden“ Teilnahme am erfolgsqualifizierten Delikt sub specie §§ 26, 27 sanktioniert und nicht zugleich auch als täterschaftlich verwirklichte FahrlässigkeitsFahrlässigkeits-Kombination i.S.d. eigenhändigen Delikts (hier: § 315c III Nr. 2)! Somit zwingt auch der Verweis auf die Existenz eigenhändiger Hybridtatbestände keineswegs zur Anerkennung eines Beteiligungsformensystems innerhalb der Fahrlässigkeitsdelikte. Insgesamt bleibt es deshalb dabei: Die durch § 11 II angeordnete Beteiligungsfähigkeit von Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombinationen bedeutet keine legislatorische Anerkennung eines fahrlässigen Beteiligungsformensystems. 3. Die Problemfälle Nun existieren freilich gewisse praxisrelevante Problemkonstellationen, denen mit der traditionellen Fahrlässigkeitsdogmatik (prima facie) nicht beizukommen ist, deren strafrechtliche Ahndung aber (jedenfalls in Teilen) kriminalpolitisch geboten erscheint. a) Gremienentscheidungsfälle Zentral geht es dabei um die Gremienentscheidungsfälle4138, in denen die Struktur kollektiver Entscheidungsfindungssysteme es oft erschwert, individuelle Handlungsverantwortung mit den Mitteln der Strafrechtsdogmatik zu isolieren: Wenn die 4136

So der Sache nach Renzikowski, Täterbegriff, 296. Allgemeinrechtlich verboten ist auch das sorgfaltswidrige Bewirken des gefährlichen Handlungszustandes „fahruntüchtig geführtes Fahrzeug“. Dieser Handlungszustand stellt einen Zwischenerfolg dar, der sich seinerseits wiederum objektiv zurechenbar im konkreten Gefahrerfolg realisiert (vgl. nur Spendel, JR 1997, 133 [136]; Puppe, AT, § 16 Rn. 9). 4138 s. ausführlich zum Ganzen etwa Weißer, Kausalitätsprobleme, 23 ff.; Knauer, Kollegialentscheidung, 5 ff. 4137

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Mitglieder eines Kontrollgremiums einstimmig die Freigabe eines sorgfaltswidrig nicht als gesundheitsschädlich erkannten Produkts beschließen, wobei für die Wirksamkeit des Freigabebeschlusses schon eine relative Stimmenmehrheit genügt hätte, dann kann jeder Einzelne darauf verweisen, dass der folgenträchtige Beschluss auch dann zustande gekommen wäre, wenn er selbst sorgfaltsgemäß dagegen gestimmt hätte.4139 Damit steht die traditionelle Kausalitätsbestimmungslehre von der notwendigen Bedingung vor einer unüberwindlichen Hürde,4140 weshalb verstärkt nach einer Möglichkeit gesucht wird, das Kausalitätsproblem zu umgehen.4141 Die Lösung der Kalamität glaubt man nun in der Zurechnungsfigur der fahrlässigen Mittäterschaft gefunden zu haben: Weil Kausalität mit der herkömmlichen Denkoperation nicht begründbar ist, wird das Institut der Mittäterschaft als Kausalitätsersatz herangezogen. Das kann aber schon deshalb nicht befriedigen, weil Mittäterschaft ihrerseits Kausalität voraussetzt.4142 Man kann nicht das Fehlen individueller Kausalität dadurch kompensieren, dass man sämtliche Beteiligten zu einem Kollektivsubjekt zusammenfasst, welches dann auf „seine“ Kausalität hin beurteilt wird.4143 Stattdessen muss gerade umgekehrt eine Kausalität zwischen sorgfaltswidriger Einzelstimmabgabe und kollektiv herbeigeführtem Verletzungserfolg hergestellt werden können. Letzteres ist aber nach der „neueren“ Lehre vom notwendigen Bestandteil einer hinreichenden, gesetzmäßigen Mindestbedingung des Erfolgs4144 durchaus möglich: Da für jeden Abstimmenden eine nach allgemeinen Kausalgesetzen hinreichende Mindestbedingung zu formulieren ist, geht die Kausalerklärung von nur so vielen Ja-Stimmen aus, wie zur Fassung eines Freigabebeschlusses notwendig sind. Darüber hinausgehende Ja-Stimmen sind als überflüssige aus der gesetzmäßigen Erklärung zu streichen. Nun ist die individuelle Ja-Stimme notwendiger Bestandteil der für jedes Gremiumsmitglied separat zu bildenden Minimalbedingung, so dass Kausalität feststeht.4145 Diese empirische Erklärungsmethode ist gegenüber der überkommenen Conditio-sine-qua-non-Formel vorzugswürdig, da sie Kausalität anhand der von uns erfahrenen Kausalgesetzmäßigkeiten einheitlich und wissenschaftlich luzide erklärt, anstatt sich auf eine nur-logische Denk-Operation zu

4139

Vgl. BGHSt 37, 106 (131 f.); Puppe, GA 2004, 129 (132). So statt (nahezu) aller etwa Walter, in: LK, Vor § 13 Rn. 83; Hoyer, Puppe-FS (2011), 515 (519). 4141 Instruktiv dazu Puppe, GA 2004, 129 ff. 4142 Puppe, JR 1992, 30 (32); dies., GA 2004, 129 (131); dies., in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 94. 4143 So aber BGHSt 37, 106 (128 ff.); dagegen zutr. Puppe, in: NK, §§ 13 ff. Rn. 94 („Vertauschung von Vorauss. und Folge“). 4144 Diese ursprünglich auf Engisch (Kausalität, 21) zurückgehende Methode der Kausalitätsbestimmung wurde in jüngerer Zeit vor allem durch Puppe (erstmals grundlegend in: ZStW 92 [1980], 863 ff.) reanimiert und inhaltlich ausgearbeitet; s. zum Ganzen unter zahlreichen Nachweisen oben, S. 94 ff. 4145 Puppe, GA 2004, 129 (138 f.). 4140

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stützen.4146 Festzuhalten bleibt, dass es zur angemessenen Erfassung der Gremienentscheidungsfälle keiner kausalitätsersetzenden fahrlässigen Mittäterschaft bedarf, sondern nur eines angemessenen Kausalitätsverständnisses. Das Problem der Gremienentscheidungsfälle erweist sich somit als bloßes Scheinproblem. b) Sonstige Problemkonstellationen Damit bleiben noch diejenigen Konstellationen, in denen sich das Kausalitätsproblem nicht strukturell stellt, sondern in Gestalt einer Tatsachenalternativität: Mehrere agieren in Verfolgung eines gemeinsamen außertatbestandlichen Zwecks (z. B. Erledigung einer gemeinsamen Aufgabe, Spielen eines riskanten Spiels) sorgfaltswidrig-riskant nebeneinander, wodurch letztlich eine Rechtsgutsverletzung herbeigeführt wird, die aber keinem der Akteure eindeutig zugewiesen werden kann. Diesbezüglich existieren bereits einige praktische Präzedenzfälle sowie auch viele zu Argumentationszwecken eingeführte Kathederbeispiele. Die wichtigsten dieser Fälle sollen nachfolgend behandelt werden, ausgehend vom unproblematischen „Grundfall“ gemeinsamen arbeitsteiligen Handelns. Beispiel (1)4147: Mehre Personen werfen mit vereinten Kräften einen schweren Balken vom Dach eines Hauses auf die Straße, ohne zuvor entsprechende Sicherheitsvorkehrungen getroffen zu haben. Der unbedacht hinabgeworfene Balken verletzt einen Passanten (sog. „Balken-Fall“). Beispiel (2)4148 : Die in einer GbR zusammengeschlossenen Dachdecker A und B decken auftragsgemäß ein fremdes Hausdach ab. Dabei werfen sie jeder für sich defekte Altziegel auf die Straße, ohne zuvor Sicherheitsvorkehrungen getroffen zu haben. Ein Dachziegel verletzt einen vorübergehenden Passanten. Ob dies durch einen Wurf des A oder des B geschehen ist, kann nachträglich nicht mehr geklärt werden (hier sog. „Dachdecker-Fall“). Beispiel (3)4149: Der A reißt in seiner Wohnung, die im zweiten Stockwerk gelegen ist, eine Wand ab. Die Brocken wirft er vom Balkon in den Vorgarten. Sein zufällig zu Besuch kommender Schwiegersohn B beteiligt sich unaufgefordert an der Arbeit. Kurze Zeit später wird ein Kind durch einen herabfallenden Brocken verletzt. Wer diesen Brocken geworfen hat, ist nicht mehr feststellbar (hier sog. „Brocken-Fall“). Beispiel (4)4150 : Hotelier H weist zwei unerfahrene Angestellte an, die HotelTerrasse von Schnee und Eis zu befreien. Vorsichtsmaßnahmen ergreift er nicht und ordnet auch keine solchen an. Die beiden Angestellten schaufeln weisungsgemäß 4146

s. eingehend zum Ganzen oben, S. 90 ff. Vgl. zu diesem klassischen Fallbeispiel Puppe, GA 2004, 129 (145), unter Berufung auf Exner, Frank-FG, Bd. I (1930), 569 (572). 4148 Beispiel nach Walder, Spendel-FS (1992), 363 (365). 4149 Beispiel nach Herzberg, Täterschaft, 72. 4150 Walder, Spendel-FS (1992), 363 (364 f.). 4147

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Schnee und Eis auf den nicht vollständig einsehbaren Vorplatz hinunter. Eine Person wird getroffen und verletzt, ohne dass geklärt werden kann, wessen Wurf kausal war (hier sog. „Hotel-Fall“). Beispiel (5)4151: Auf Anregung des A beschließen A und B spontan, jeder für sich einen großen Steinbrocken von einem Felsvorsprung in das nicht gänzlich einsehbare Tal hinunterzurollen. Ein Stein trifft den Bergwanderer B tödlich. Von wem der Stein gerollt wurde, ist nicht mehr feststellbar (sog. Fall „rolling stones“). Beispiel (6)4152 : A und B dringen in eine Fabrikhalle ein, um dort zu stehlen. Da sie nicht riskieren wollen, das elektrische Licht einzuschalten, zünden sie abwechselnd Streichhölzer an, die sie nach Gebrauch noch brennend fortwerfen. Eines der weggeworfenen Streichhölzer entzündet einen Stoffballen, die Flammen greifen auf andere Stoffballen und schließlich auf die Holzdecke über. Wer das brandursächliche Streichholz geworfen hat, kann nicht festgestellt werden (sog. „Streichholz-Fall“). Beispiel (7)4153: Die Brüder A und B fahren im Dunkeln mit unbeleuchteten Rädern auf der Landstraße; A fährt am rechten Fahrbahnrand voraus und B schräg links hinter A etwa in der Mitte der Straße. An einer Weggabelung stößt das Rad des B, der wegen Wind und Regens mit gesenktem Kopf fuhr, mit dem ebenfalls unbeleuchteten Rad des entgegenkommenden Landwirts C zusammen; C erleidet letztlich tödliche Kopfverletzungen (sog. „Radfahrer-Fall“). Beispiel (8)4154 : Während einer Motorradspritztour durch den Schwarzwald beschließen A und B spontan, eine Wettfahrt zu veranstalten. Als sie mit weit überhöhter Geschwindigkeit dicht nebeneinander in eine scharfe, unübersichtliche Kurve einfahren, überquert gerade ein Kind die Straße. Es wird von einem der Motorräder erfasst und getötet. Wer das Kind angefahren hat, lässt sich nachträglich nicht mehr feststellen (hier sog. „Wettfahrt-Fall“). Beispiel (9)4155 : Fünf junge Leute wollen zum Spaß Fußgänger erschrecken, indem sie in regelmäßigen Abständen je eine Patrone auf den Fußweg legen und hoffen, dass jemand darauf tritt und sich über den Knall erschreckt. Dabei bedenken sie fahrlässigerweise nicht, dass die explodierende Patrone auch Verletzungen hervorrufen könnte. Ein Passant tritt auf eine Patrone und trägt eine Verletzung am Fuß davon. Wer die verletzungsursächliche Patrone gelegt hat, kann nicht ermittelt werden (sog. „Patronen-Fall“). Beispiel (10)4156 : Bei der Abendveranstaltung eines Kegelvereins vergnügen sich mehrere Personen mit dem Werfen von Knallerbsen in den vollbesetzten Saal, wo4151 Beispiel angelehnt an das Judikat SchweizBGE IV 1987, 54 ff., verkürzt wiedergegeben nach Roxin, AT/II, § 25 Rn. 240. 4152 Beispiel nach OLG Schleswig NStZ 1982, 116. 4153 Beispiel nach RGSt 63, 392. 4154 Leicht abgewandeltes Beispiel nach Günther, JuS 1988, 386 (386). 4155 Beispiel nach Roxin, TuT2, 533. 4156 Beispiel nach RGZ 58, 357.

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durch jemand am Auge verletzt wird. Wer die verletzungsursächliche Knallerbse geworfen hat, lässt sich nicht mehr feststellen. (sog. „Knallerbsen-Fall“). Die Liste solcher Beispielfälle ließe sich beliebig verlängern. Allerdings dürfte die hier vorgestellte Auswahl wohl die meistdiskutierten Konstellationen erschöpfend wiedergeben oder insofern zumindest repräsentativ sein. Fraglich ist nun, ob und wenn ja wie diesen Problemkonstellationen im Falle eines veritablen Strafbedürfnisses fahrlässigkeitsdogmatisch beizukommen ist, ohne die Akteure contra legem zu einer Unsorgfaltsgemeinschaft zusammenzuziehen. Einfach gestaltet sich dies im Balken-Fall: Werfen mehrere mit vereinten Kräften einen Balken aus dem Fenster auf die Straße, ohne zuvor entsprechende Sicherungsvorkehrungen ergriffen zu haben, so wird jeder Akteur durch sein sorgfaltswidriges Handeln physisch kausal für die Verletzung des getroffenen Passanten.4157 Der Verletzungserfolg ist seinem Handeln auch ohne Weiteres objektiv zurechenbar. Er ist fahrlässiger Nebentäter, da das Mitwirken der anderen lediglich als vorhersehbarer Kausalfaktor interessiert. Wie schon in den Gremienentscheidungsfällen kann also eine dogmatisch „saubere“ Problemlösung allein beim Problemsitz – der Kausalitätsfrage – ansetzen. Im Dachdecker-Fall dagegen ergeben sich Schwierigkeiten: Da A und B sich nicht gegenseitig zu ihren Würfen animiert haben, kann keinem der beiden eine aktive Fahrlässigkeitstäterschaft nachgewiesen werden. Vielmehr ist in dubio pro reo zugunsten jedes Einzelnen davon auszugehen, dass der Wurf des jeweils anderen den Verletzungserfolg verursacht hat.4158 Unter dem Gesichtspunkt der sorgfaltspflichtwidrigen Aktivität muss eine Fahrlässigkeitshaftung daher ausscheiden. Fraglich ist jedoch, ob eine strafrechtliche Haftung nicht unter dem Aspekt sorgfaltspflichtwidrigen Unterlassens in Betracht kommt. Das ist mit Walder4159 zu bejahen. Denn vorliegend traf jeden Dachdecker für sich die bei Abdeckarbeiten prinzipiell, d. h. verhaltensunabhängig, zu beachtende Verkehrssicherungspflicht, die Baustelle vor Arbeitsbeginn entsprechend abzusperren.4160 Da dies aber unterlassen wurde, waren A und B als Sicherungsgaranten verpflichtet, einander vom Hinabwerfen der Dachziegel auf die „offene“ Straße abzuhalten.4161 Jeder der beiden hat sich daher nach den Grundsätzen der unechten Wahlfeststellung4162 einer Kör4157 Herzberg, Täterschaft, 72 f.; Puppe, GA 2004, 129 (145); vgl. auch Walder, Spendel-FS (1992), 363 (367 f.). 4158 Walder, Spendel-FS (1992), 363 (368). 4159 In: Spendel-FS (1992), 363 (368). 4160 Vgl. zu diesem Aspekt Renzikowski, Täterbegriff, 289 (der aber als Befürworter fahrlässiger Mittäterschaft die Unterlassungslösung naturgemäß ablehnt); in der Sache wie hier Walder, Spendel-FS (1992), 363 (368). 4161 So der Sache nach bereits Walder, Spendel-FS (1992), 363 (368); krit. dagegen Renzikowski, Täterbegriff, 291. 4162 Auch die Alternativität zwischen einem Begehungsdelikt und einem begehungsgleichen Unterlassungsdelikt stellt einen Anwendungsfall der unechten bzw. gleichartigen Wahlfeststellung dar (s. dazu statt vieler etwa nur Dannecker, in: LK, Anh § 1 Rn. 70 m. 87).

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perverletzung schuldig gemacht, und zwar entweder indem er den verletzungsursächlichen Wurf tat (= erste Sachverhaltsalternative), oder indem er es unterließ, den jeweils anderen vom verletzungsursächlichen Wurf abzuhalten (= zweite Sachverhaltsalternative). Zumindest partiell anders zu beurteilen ist Herzbergs Brocken-Fall: Der Wohnungsinhaber A dürfte prinzipiell dazu verpflichtet sein, sicherzustellen, dass von seiner Wohnung keine Gefahren für andere ausgehen. Demnach hatte er als Sicherungsgarant zu verhindern, dass Gegenstände aus seinem Wohnungsfenster geworfen werden.4163 Folglich hat er sich nach den Grundsätzen der unechten Wahlfeststellung einer fahrlässigen Körperverletzung schuldig gemacht, und zwar entweder indem er den verletzungsursächlichen Wurf selbst tat (= erste Sachverhaltsalternative) oder indem er es als Sicherungsgarant unterließ, den B vom verletzungsursächlichen Wurf abzuhalten (= zweite Sachverhaltsalternative). Für den Besucher B stellt sich die Sache dagegen anders dar: Ihn traf keine verhaltensunabhängige Pflicht zur Sicherung der Wohnung als Gefahrenquelle, und er hat diese Pflicht auch nicht tatsächlich von A übernommen. Demnach geht er straflos aus, da ein fahrlässiges Begehungsdelikt mangels Kausalitätsfeststellung in dubio pro reo ausscheidet.4164 Im Hotel-Fall haben die beiden Hotelangestellten, die den Schnee vom Dach hinab schaufeln, weder ein aktives fahrlässiges Begehungsdelikt noch ein begehungsgleiches fahrlässiges Unterlassungsdelikt verwirklicht. Für Ersteres fehlt es jeweils an der Kausalitätsfeststellung, für Letzteres an der faktischen Übernahme der den Hotelier treffenden Verkehrssicherungspflichten.4165 Demgegenüber haftet Hotelier H nach den Grundsätzen der unechten Wahlfeststellung für eine von ihm verursachte fahrlässige Körperverletzung: Er hat durch seine unbedachte Anweisung das riskante Verhalten beider Angestellten sorgfaltswidrig initiiert, weshalb eine Motivationskausalität anzunehmen ist. Und da nachweislich einer der beiden Angestellten die Körperverletzung physisch bewirkt hat, ist der Verletzungserfolg dem H nach den Grundsätzen der unechten Wahlfeststellung zurechenbar.4166 Im Fall rolling stones haben A und B sich gegenseitig dazu animiert, ein gefährliches Spiel zu spielen, welches vorsah, dass jeder von ihnen einen großen Gesteinsbrocken vom Felsvorsprung ins Tal rollt. Folglich ist hier wechselseitige Motivationskausalität gegeben.4167 Auf Basis des Einheitstäterbegriffs hat sich daher 4163

Vgl. auch bereits Herzberg, Täterschaft, 73 m. Fn. 52. Vgl. Herzberg, Täterschaft, 73. 4165 A.A. im Hinblick auf den letztgenannten Aspekt dagegen Walder, Spendel-FS (1992), 363 (368), der offenbar von einer Verkehrssicherungspflicht der Mitarbeiter ausgeht. Eine solche könnte jedoch allenfalls aus freiwilliger tatsächlicher Übernahme herrühren, woran es aber angesichts der Weisungsunterworfenheit fehlen dürfte. 4166 I. E. Ebenso Walder, Spendel-FS (1992), 363 (368). 4167 Wie hier etwa Roxin, AT/II, § 25 Rn. 240 (der letztlich aber doch für fahrlässige Mittäterschaft plädiert); an (wechselseitiger) Motivationskausalität zweifelnd dagegen Walder, 4164

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jeder Einzelne einer fahrlässigen Tötung schuldig gemacht, begangen entweder durch das eigenhändige Hinabrollen des verletzungsursächlichen Steins (= erste Sachverhaltsalternative) oder durch die handlungsauslösende Zusage, das Spiel mitzuspielen (= zweite Sachverhaltsalternative).4168 Renzikowski4169 hat dieser Lösung vorgehalten, sie erkläre Sprechakte, die im Vorsatzbereich allenfalls als Vorbereitungshandlungen strafbar seien (als Verbrechensverabredung, § 30 II), im Fahrlässigkeitsbereich systemwidrig zu tatbestandlichem Verhalten. Darin steckt jedoch eine petitio principii, denn es ist doch gerade der „Witz“ des von Renzikowski befehdeten Einheitstäterbegriffs, dass jede objektiv zurechenbare Erfolgsverursachung für Fahrlässigkeitstäterschaft hinreicht: Eine Distinktion von „Vorbereitung“ und „Versuch“ existiert hier also ebenso wenig wie eine Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme. Anders ist im Streichholz-Fall zu judizieren, denn es existiert keine allgemeine Sorgfaltspflicht des Inhalts, Dritte vom achtlosen Umgang mit Streichhölzern abzuhalten, auch dann nicht, wenn man selbst mit schlechtem Beispiel vorangeht. Die Übereinkunft, zum Ausleuchten eines Gebäudes abwechselnd Streichhölzer anzuzünden, ist per se noch nicht sorgfaltswidrig. Die Sorgfaltspflicht zum ordnungsgemäßen Umgang mit den persönlich entfachten Streichhölzern dagegen trifft jeden Einzelnen allein. Demnach begründet die Übereinkunft zum abwechselnden Anzünden von Streichhölzern auch keine Ingerenzgarantenpflicht, den jeweils anderen zu einem ordnungsgemäßen Umgang mit den von ihm angezündeten Streichhölzern anzuhalten.4170 Folglich müssen sowohl A und B nach dem Zweifelsgrundsatz straffrei ausgehen. Straflos bleibt auch der A im Radfahrer-Fall: Führen mehrere im Dunkeln eine „Radtour“4171 mit unbeleuchteten Fahrrädern durch, so geht die Pflicht jedes Einzelnen nicht dahin, für eine Ausleuchtung des Trosses zu sorgen, sondern ausschließlich dahin, das eigene Fahren mit einem unbeleuchteten Fahrrad zu unterlassen.4172 Demnach ist also zwar der mit dem entgegenkommenden Radfahrer

Spendel-FS (1992), 363 (369), der deshalb analog zum Dachdecker-Fall auf ein fahrlässiges Garantenunterlassen jedes Spielteilnehmers ausweichen will: Jedem Einzelnen erwachse eine Ingerenzgarantenstellung im Hinblick auf die ungesicherten Aktivitäten der „gefährlichen Gemeinschaft“ (a.a.O., 369). Das lässt sich jedoch so nicht halten, denn selbst bei Anwendung der Konkurrenzlehre ist es wertungsmäßig unzulässig, aus einer Handlung, die als verbotene Sorgfaltspflichtverletzung gerade straflos bleiben muss, eine Ingerenzgarantenstellung abzuleiten (vgl. dazu Meister, GA 1953, 166 [169]; Heinitz, JR 1955, 105 [105]; Grünwald, GA 1959, 110 [121 f.]; Gallas, JZ 1960, 686 [686]; Rudolphi, Gleichstellungsproblematik, 146 f.). 4168 Vgl. Roxin, AT/II, § 25 Rn. 240. 4169 Täterbegriff, 285 f. 4170 s. instruktiv dazu OLG Schleswig, NStZ 1982, 116 (116 f.). 4171 So die Terminologie bei Roxin, TuT2, 532. 4172 So zutr. Puppe, GA 2004, 129 (146); der Sache nach auch bereits RGSt 63, 392 (394); Bindokat, JZ 1979, 434 (437).

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kollidierte B wegen fahrlässiger Tötung (§ 222) strafbar, nicht jedoch der vorausfahrende A.4173 Im Wettfahrt-Fall dagegen ist schon die Beteiligung an der Wettfahrt im Straßenverkehr verboten (§ 29 I StVO). Der Grund für dieses Verbot liegt in der Vermeidung verkehrswidrig-riskanter Verhaltensdynamiken, wie sie aus wilden Rennen im Straßenverkehr erfahrungsgemäß hervorgehen.4174 Sowohl A als auch B haben sich daher nach den Grundsätzen der unechten Wahlfeststellung jeweils einer fahrlässigen Tötung schuldig gemacht, entweder durch Schaffung der unmittelbar todesursächlichen Gefahr (= erste Sachverhaltsalternative) oder durch sorgfaltswidrige, bis zur Rechtsgutsverletzung hin eskalierende Beteiligung an der gefahrerfolgsgefährlichen Wettfahrt (= zweite Sachverhaltsalternative).4175 Demgegenüber muss in Roxins Patronen-Fall eine Fahrlässigkeitshaftung ausscheiden, da die dortigen fünf Akteure sich, obschon die riskante Aktion gemeinsam gewollt war, nicht allseitig zu ihrem Handeln motiviert haben.4176 Nach diesen Maßstäben muss im Knallerbsen-Fall eine fahrlässige Nebentäterschaft der gänzlich unabhängig voneinander agierenden Knallerbsen-Werfer erst recht ausscheiden.4177 c) Fazit Nach alledem lässt sich zunächst festhalten, dass den zentral diskutierten Problemkonstellationen – es sind dies insbesondere der Fall rollende Steine und der Wettfahrt-Fall – mit der herkömmlichen Fahrlässigkeitsdogmatik durchaus beizukommen ist.4178 Ferner ist zu konstatieren, dass eine gewissenhafte fahrlässigkeitsdogmatische Distinktion der individuell einschlägigen Sorgfaltspflichten die tatschuldstrafrechtlich gebotene Stringenz bei der Anwendung des Zweifelsgrundsatzes sicherstellt. Schließlich darf als dogmatisch gesichert gelten, dass keine gemeinsamen Sorgfaltspflichten existieren, wohl aber „verbindende“4179, d. h. 4173 So RGSt 63, 392 (394); i.E. auch Roxin, TuT2, 533; s. ferner Exner, Frank-FG (1930), 569 (585 ff. [587]), der dieses Ergebnis freilich als Beispiel für die Nezessität einer fahrlässigen Mittäterschaft anbrachte. 4174 Puppe, in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 179; dies., JR 2012, 164 (165 f.). 4175 So zutr. Günther, JuS 1988, 386 (387); vgl. ferner auch das Judikat BGHSt 7, 112 (114 f.), in dem der BGH den Unfalltod eines sich selbst gefährdenden Wettfahrtteilnehmers dem anderen Teilnehmer folgerichtig zur Fahrlässigkeit zugerechnet hat. 4176 So bereits Bindokat, JZ 1979, 434 (436). – Anders wäre zu entscheiden, wenn die Beteiligten sich vor Handlungsbeginn auf die Devise „alle oder keiner“ geeinigt hätten. Dann wäre allseitige Motivationskausalität und somit fünffache fahrlässige Nebentäterschaft anzunehmen. 4177 Vgl. bereits Bindokat, JZ 1979, 434 (436). 4178 Das bescheinigt selbst eine eingefleischte Mittäterschafts-Apologetin wie Bettina Weißer dem Einheitstäterbegriff (in: JZ 1998, 230 [235]). 4179 Begrifflichkeit entlehnt von Jakobs (Puppe-FS [2011], 547 [555]; grundlegend auch ders., Lampe-FS [2003], 561 ff.), der die Terminologie zur Bestimmung vorsätzlicher Betei-

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teleologisch verzahnende. Umgekehrt gibt es aber auch „trennende“4180 Sorgfaltspflichten, die vorgelagerte Sorgfaltspflichten Dritter grundsätzlich4181 ausschließen (wie z. B. im Streichholz-Fall die Pflicht zum ordnungsgemäßen Umgang mit den persönlich angezündeten Streichhölzern). Deutlich wird, dass der Ansatz beim Verantwortungsprinzip und der geradezu gegenläufig entwickelten4182 fahrlässigen Mittäterschaft schief ist: Da verbindende Sorgfaltspflichten wie § 29 I StVO existieren, kann eine Sorgfaltspflichtverletzung hinter „der“ verantwortlich gesteuerten „unmittelbaren“ Sorgfaltspflichtverletzung“ nicht einfach kategorisch ausgeschlossen werden.4183 Umgekehrt avancieren trennende Sorgfaltspflichten nicht allein dadurch zu verbindenden, dass im Vorfeld irgendein gemeinsames Handlungsprojekt existiert.4184 Die Lehre von der fahrlässigen Mittäterschaft ist also nicht nur fahrlässigkeitsdogmatisch unangezeigt, sondern sie birgt tendenziell auch die Gefahr, die materialen Erwägungen zur Pflichtenbestimmung zu konterkarieren. Allerdings hat man auch der Lehre von den hintereinandergeschalteten Sorgfaltspflichten einige Einwände gemacht, die an dieser Stelle nicht verschwiegen werden sollen. So wird teilweise moniert, es wirke inkonsequent, wenn in Konstellationen wie dem Fall „rolling stones“ der Vorwurf materiell auf Unterstützung des unmittelbar gefahrschaffenden Akteurs gehe, diese Unterstützungshandlung dann jedoch nach dem Einheitstäterdogma Alleintäterschaft begründen solle. Denn das wechselseitig unterstützende Verhalten mehrerer sei charakteristisch für die Situation der Mittäterschaft, und es erscheine daher widersprüchlich, wenn eine in der Sache „mittäterschaftliche“ Zurechnung zwischen den Beteiligten dennoch die Alleintäterschaft eines jeden begründen solle.4185 Diese Argumentation läuft jedoch auf eine petitio principii hinaus, denn der „Witz“ des Einheitstäterbegriffs besteht ja gerade darin, ligung verwendet („verbindende Arbeitsleistung“ vs. „trennende Arbeitsteilung“ [Puppe-FS, a.a.O.]). 4180 s. die vorige Fußnote. 4181 Ausnahme: Der Hintermann „beherrscht“ das Geschehen „mittelbar-täterschaftlich“. 4182 Vgl. dazu Puppe, Vor §§ 13 ff. Rn. 178 ff. 4183 Eingehend dazu Puppe, JR 2012, 164 (165 ff.); dies., in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 178 ff. – Das Problem sehen natürlich auch die Anhänger des Verantwortungsprinzips (vgl. Puppe, JR 2012, 164 [166]), weshalb z. B. Otto die unbestreitbare Existenz verbindender Sorgfaltspflichten mit einer im Schutzzweck der Verhaltensnorm liegenden Ausnahme vom allgemein gelten sollenden „Zurechnungsgrundsatz“ des Verantwortungsprinzips erklärt (in: AT, § 21 Rn. 113 m. § 6 Rn. 48 ff. [51]). Damit ist in der Sache zugegeben, dass es nicht etwa um fahrlässige Beteiligung geht, sondern um die Bestimmung der je individuellen Sorgfaltspflicht (vgl. Puppe, JR 2012, 164 [165 ff.]). Rekurriert man aber insofern auf ein „Verantwortungsprinzip“ als Metaregel der Sorgfaltspflichtbestimmung und lässt deshalb verbindende Sorgfaltspflichten nur in sehr engen Grenzen zu, dann fehlen diese Pflichten eben andernorts, weshalb es dort dann konsequenterweise auch keine sorgfaltspflichtwidrige Beteiligung mehr geben kann! 4184 Vgl. OLG Schleswig, NStZ 1982, 116 ff. 4185 So Weißer, JZ 1998, 230 (235); ihr folgend Häring, Mittäterschaft, 25.

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dass im Fahrlässigkeitsbereich schon die (objektiv zurechenbare) Setzung einer Erfolgsursache für Alleintäterschaft hinreicht. Dieser historisch anerkannte Einheitstäterbegriff wird untermauert durch die bereits mehrfach angesprochene Existenz positivgesetzlicher Sorgfaltspflichten, die es untersagen, durch eigenes Tun Anreize für fremde Pflichtwidrigkeit zu schaffen, wie etwa das Verbot, an illegalen Wettfahrten im Straßenverkehr teilzunehmen (§ 29 I StVO) oder auch das Verbot, Schusswaffen offen herumliegen zu lassen (vgl. § 36 WaffG). Kennt aber das Recht vorgeschaltete Verhaltenspflichten zur Vermeidung fremder Pflichtwidrigkeit, so muss es auch die Möglichkeit vorsehen, die pflichtwidrig ausgelöste Pflichtwidrigkeit Dritter bzw. deren Folgen dem eigenen Auslöseverhalten zuzurechnen.4186 „Gekünstelt“4187 ist daran nichts. Gleiches gilt natürlich auch für ungeschriebene Sorgfaltspflichten entsprechenden Zuschnitts, wie sich anhand einer Abwandlung des Falles „rolling stones“ illustrieren lässt: Wenn X den T dazu animiert, einen großen Stein den Felsvorsprung hinab zu rollen, oder wenn er dem T rät, den schweren Stein mit Hebel- statt mit Muskelkraft zu lösen, dann verwirklicht er ceteris paribus selbst ein Fahrlässigkeitsdelikt!4188 Denn es ist eben auch sorgfaltspflichtwidrig, einen anderen zu solchem Verhalten „anzustiften“ oder ihm dessen Durchführung zu ermöglichen.4189 Richtig ist zwar, dass die je individuellen Sorgfaltspflichten mit zunehmendem Abstand zum tatbestandsmäßigen Erfolg tendenziell abnehmen, da grundsätzlich auf das pflichtgemäße Verhalten Dritter vertraut werden darf (sog. Vertrauensgrundsatz).4190 Das bedeutet jedoch keineswegs, dass erfolgsfern mitwirkende Akteure deshalb (stets) „vogelfrei“ mit dem Rechtsgut verfahren könnten.4191 Umgekehrt sind freilich einige Autoren der Ansicht, durch die Vorverlagerung des Fahrlässigkeitsvorwurfs4192 werde „(…) die Schwäche der Äquivalenztheorie, der regressus ad infinitum, bewusst ausgenutzt (…), um zum gewünschten Ergebnis zu kommen“4193. Auf diese Weise werde aber „(…) der Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben (…)“4194. Das ist in der formal-logischen Einkleidung falsch, da das Einheitstäterdogma nicht etwa Sorgfaltspflichten unzulässig ausdehnt (d. h. vorverlagert), sondern gerade umgekehrt vorgelagerte Sorgfaltspflichten ernst nimmt. Dennoch hat die Kritik in materialer Hinsicht einen berechtigten Kern: Die Grenzen strafwürdiger fahrlässiger Mitverursachung liegen nicht immer ganz klar, 4186

Schneider, ZIS 2013, 362 (368); Puppe, JR 2012, 164 ff. So aber mit Blick auf den Fall „rolling stones“ Weißer, JZ 1998, 230 (235). 4188 Womit die von Weißer, JZ 1998, 230 (235) insofern aufgeworfene Frage klar beantwortet wäre. 4189 Vgl. allgemein Puppe, JR 2012, 164 (165 f.). 4190 Vgl. auch Puppe, JR 2012, 164 (165). 4191 Puppe, in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 179. 4192 So Kraatz, Mittäterschaft, 105. 4193 Brammsen/Kaiser, Jura 1992, 35 (38); zust. Kamm, Mittäterschaft, 96 Fn. 89; Kraatz, Mittäterschaft, 105. 4194 Brammsen/Kaiser, Jura 1992, 35 (38). 4187

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da die Reichweiten-Bestimmung der Sorgfaltspflichten mitunter recht intrikat sein kann.4195 So kann man etwa in Anlehnung an den Wettfahrt-Fall fragen, ob es nach der Einheitstäterlehre schon für eine Fahrlässigkeitstäterschaft hinreichen soll, „nur“ an der Planung einer späteren Unfall-Wettfahrt beteiligt gewesen zu sein.4196 Das ist allerdings zu bejahen, denn natürlich ist es auch sorgfaltswidrig, die geistige „Schablone“ für ein illegales Straßenrennen (mit) zu liefern.4197 Dieses klare Ergebnis ändert freilich nichts daran, dass im Hinblick auf die Sorgfaltspflichtenbestimmung intrikate Grenzfälle denkbar sind.4198 Das führt aber die Einheitstäterlehre im Fahrlässigkeitsbereich keineswegs ad absurdum. Denn solche Kalamitäten ergeben sich nicht allein bei der Fixierung vorgelagerter Sorgfaltspflichten, sondern stellen ein Problem der Sorgfaltspflichtbestimmung allgemein.4199 Davon abgesehen kann die Einheitstäterlehre den potentiellen Adressaten einer Pflicht mit unklarer Reichweite im Zweifel immer noch entpflichten, wohingegen das Dogma von der Gesamthandlung in Konstellationen angeblicher fahrlässiger Mittäterschaft einfach eine gleichmacherische Kollektivhaftung anordnet. In der Sache geht es aber eben nicht um ein Beteiligungsproblem, sondern logisch vorrangig um die Bestimmung der je individuellen Sorgfaltspflichten.4200 Es ist daher auch (und erst recht) verfehlt, zweifelhafte oder doch randständige Haftungsausdehnungsinstitute wie die „additive“ und die „alternative“ Mittäterschaft aus dem Vorsatzbereich auf das Fahrlässigkeitsdelikt extrapolieren zu wollen.4201 Schließlich kann die Mittäterschaftsthese auch nicht durch Verweis auf die zivilrechtliche „Sanktionsnorm“ des § 830 I BGB untermauert werden.4202 Wenn der bloß potentielle Schadensversursacher im Zivilrecht dennoch für den Schaden haftet, dann hat dies seinen Grund darin, dass er dem Geschädigten durch sein Verhalten gerade den Kausalitätsnachweis vereitelt hat.4203 Diese Wertung kann aber nicht ins Strafrecht überführt werden, denn:

4195 Das gibt zu Recht Weißer, JZ 1998, 230 (235) zu bedenken, wenn sie dem Einheitstäterdogma eine „gewisse Konturenlosigkeit“ attestiert; zust. Häring, Mittäterschaft, 26. 4196 So Häring, Mittäterschaft, 26. 4197 Vgl. auch Puppe, JR 2012, 164 (166), für den Fall der fahrlässigen „Anstiftung“: „Wer mit einem Autofahrer darum wettet, dass es diesem nicht gelingen werde, eine Strecke in einer bestimmten Zeit zu durchfahren, was nur bei krasser Überschreitung der vorgeschriebenen Höchstgeschwindigkeit möglich ist, ist für den Unfall mitverantwortlich, den der Autofahrer durch zu schnelles Fahren herbeiführt.“ – a.A. etwa Hoyer, Puppe-FS (2011), 515 (527). 4198 s. die bei Puppe, in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 181, zitierten Beispiele. 4199 Vgl. Puppe, JR 2012, 164 (165). 4200 Allgemein und instruktiv dazu Puppe, in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 167 ff.; in der Sache ebenso Otto, AT, § 6 Rn. 51, dessen Plädoyer für ein fahrlässiges Beteiligungssystem (AT, § 21 Rn. 109 ff.) dazu nicht recht passen will. 4201 So aber Renzikowski, Täterbegriff, 286 f. 4202 So aber wiederum Renzikowski, Täterbegriff, 287 f. 4203 So die zutr. Analyse bei Puppe, GA 2004, 129 (130).

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„Im Strafrecht geht es (…) nicht um die Verteilung vorhandener Übel, sondern um die Zufügung neuer. Sie muss aus einem individuellen Schuldvorwurf gerechtfertigt werden.“4204

Nach alledem ist die Rechtsfigur einer fahrlässigen Mittäterschaft fahrlässigkeitsdogmatisch unangezeigt. d) Sonderproblem: normative fahrlässige Unterlassungsmittäterschaft? Da nach hier vertretener Ansicht sowohl Unterlassungen4205 als auch Sorgfaltspflichtverletzungen „einheitstäterschaftlich“ strukturiert sind, steht bereits im Ansatz fest, dass es eine fahrlässige Unterlassungsmittäterschaft nicht geben kann. Nichtsdestotrotz wird aber auch für diese Figur eine praktische Relevanz reklamiert. Zum Beleg dieser These hat Otto4206 folgenden Beispielfall gebildet: Theaterdirektor D hat es unterlassen, für die ihm obliegende Auffüllung der theatereigenen Löschanlage zu sorgen. Als eines Tages ein Brand ausbricht, ist die Anlage daher nicht gefüllt. Eine Löschung des Brandes unterbleibt allerdings schon deshalb, weil der angestellte Feuerwehrmann F aufgrund von Trunkenheit nicht in der Lage ist, die Anlage in Betrieb zu setzen. Bei dem Brand kommt der X zu Tode. Frage man bei dieser Fallkonstellation getrennt nach der individuellen Verantwortung der Beteiligten für den Tod des X, so erscheine die Ablehnung einer solchen Individualverantwortung geradezu zwingend: Hätte D sich pflichtgemäß verhalten, so hätte dies das Unfallgeschehen nicht beeinflusst. Gleiches gelte für F. Erst wenn eine gemeinsame Verantwortung von D und F begründet sei, so dass ihr Verhalten als Einheit angesehen werden könne, lasse sich das Urteil begründen, ihr pflichtgemäßes Verhalten würde zur Vermeidung des Unfalls geführt haben. Da aber zwischen D und F weder eine ausdrückliche noch eine konkludente Vereinbarung getroffen worden sei, gefahrenabwendende Maßnahmen zu unterlassen, fehle es an dem mittäterschaftsbegründenden tatsächlichen Element in dem Geschehen.4207 Stelle man hingegen auf die gemeinsame Verantwortung von D und F für die Gefahrensituation ab, der sie quasi nur gemeinsam gerecht werden könnten, und erfasse damit beide Personen als Einheit, so eröffne sich die Möglichkeit, beide aufgrund ihres pflichtwidrigen Unterlassens für den Erfolg haften zu lassen. Auf diese Weise werde die Mittäterschaft zwar ausschließlich normativ begründet, wofür es im Vorsatzbereich bisher keine Entsprechung gebe. Doch habe der BGH diesen Weg inzwischen im Lederspray-Judikat beschritten.4208 Die Möglichkeiten, die dieser dogmatische Schritt im Fahrlässigkeitsbereich eröffne, könnten in ihrer praktischen Bedeutung gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Insbesondere werde eine Haftung für die 4204 4205 4206 4207 4208

So pointiert Puppe, GA 2004, 129 (130). s. eingehend dazu oben, S. 646 ff. AT, § 21 Rn. 119. Otto, AT, § 21 Rn. 120. Otto, AT, § 21 Rn. 121.

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rechtsgutsverletzenden Folgen arbeitsteiliger, aber organisatorisch in unterschiedlicher Verantwortung ausgeübter Tätigkeit in Großunternehmen begründet. Die Zeit der Großunternehmen als „organisierte Unverantwortlichkeit“ gehe ihrem Ende entgegen.4209 Die Euphorie dieser letzten, markigen Worte muss unbedingt beschwichtigt werden. Denn organisierte Unverantwortlichkeit kann und darf de lege lata nicht einfach durch Anknüpfung an unverantwortliche Organisation pönalisiert werden.4210 Verhaltenspflichten treffen in einem Schuldstrafrecht einzig Individuen, weshalb dem Strafbedürfnis allein durch den Nachweis eines je individuellen Sorgfaltspflichtwidrigkeitszusammenhangs Rechnung getragen werden darf.4211 Dieses Grundpostulat stellt freilich die traditionelle Kausallehre von der notwendigen Bedingung vor unlösbare Probleme, was aber nicht gegen das Prinzip der individuellen Tatverantwortlichkeit streitet, sondern gegen das überkommene Verfahren der Kausalitätsfeststellung. Richtet man die Kausalitätsfeststellung dagegen mit Puppe4212 an allgemeinen empirischen Kausalgesetzmäßigkeiten aus, so lässt sich Ottos Beispielfall ohne Weiteres im Sinne einer je individuellen Fahrlässigkeitsverantwortung lösen. Für jedes Individualverhalten ist dann gesondert zu prüfen, ob es als notwendiger Bestandteil einer nach allgemeinen empirischen Kausalgesetzen hinreichenden Mindestbedingung des Erfolges ausgewiesen werden kann. Das trifft im Hinblick auf den Flammentod des X sowohl für das Unterlassen der Löschanlagenauffüllung (durch den D) als auch für die Nichteinleitung des Löscheinsatzes (seitens F) zu. Denn da es sich um ein Feststellungsverfahren anhand allgemeiner empirischer Gesetzmäßigkeiten handelt, ist das interferierende Unterlassen des jeweils anderen als überflüssiger Bestandteil aus der gesetzmäßig formulierten Einzelbedingung zu streichen.4213 Demnach bedarf es der „Chimäre“ einer normativen fahrlässigen Unterlassungsmittäterschaft schon gar nicht, um Konstellationen eines „additiven“ Unterlassens angemessen erfassen zu können. Auch diese Figur ist daher abzulehnen.

III. Fahrlässige mittelbare Täterschaft und straflose fahrlässige Teilnahme? Die Frage, ob eine fahrlässige mittelbare Täterschaft dogmatisch sinnvoll konstruiert werden kann, hat für sich genommen keine praktische Relevanz. Denn klar ist, dass Verhaltensnormen existieren, die etwaigen „Hintermännern“ bei asymme4209

Otto, AT, § 21 Rn. 122. Vgl. etwa Renzikowski, Täterbegriff, 291; s. zum Problem allgemein Heine, Verantwortlichkeit, 31 ff. 4211 Puppe, in: GA 2004, 129 (129, 135). 4212 In: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 80 ff. 4213 Vgl. Puppe, in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 123; Renzikowski, Täterbegriff, 290 f. 4210

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6. Kap.: Die Ausarbeitung der Deliktsgruppen im Einzelnen

trischer Informationsverteilung, qualifizierter Nötigung oder auch überlegener Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit die sorgfaltswidrige Beeinflussung von „Vorderleuten“ qua „überlegener Vermeidemacht“4214 verbieten.4215 Eine technische Lozierung dieser Verhaltensnormen sub specie § 25 I Alt. 2 (bzw. eine wertungsmäßige Heranziehung dieser Vorschrift) zeitigte allerdings erhebliche Konsequenzen im Hinblick auf die Strafrechtsrelevanz sonstiger verbindender Sorgfaltspflichten (wie etwa derjenigen, Waffen für andere unzugänglich aufzubewahren oder andere nicht zu illegalen Wettrennen im Straßenverkehr zu provozieren). Ist man nämlich der Ansicht, die strafrechtliche Verantwortlichkeit sorgfaltswidrig agierender Hinterleute ausschließlich unter den Tatbestandsvoraussetzungen der § 25 I Alt. 2, II ausdehnen zu dürfen, so bedeutet dies e contrario §§ 26, 27 eine Straflosigkeit „fahrlässiger Teilnahme“.4216 Bei objektiver Interpretation des § 25 I Alt. 2 ließe sich eine solche Sichtweise wohl gerade noch vertreten, denn der subjektive Wille des historischen Gesetzgebers zum Exklusivzuschnitt auf die Vorsatzdelikte hat expressis verbis nur in die §§ 26, 27 Eingang gefunden.4217 Deshalb ist die Frage nach der Existenz eines fahrlässigen Beteiligungssystems als dogmatische zu stellen. Gegen die Übertragung des restriktiven Täterbegriffs spricht allerdings schon die bare Existenz von Sorgfaltspflichten, die es verbieten, anderen die Gelegenheit zu pflichtwidrigem Verhalten zu geben oder sie zu einem solchen Verhalten zu animieren (vgl. etwa § 29 I StVO oder §§ 36 WaffG).4218 Solche Pflichten, etwa die Pflicht, andere nicht zu wilden Wettrennen im Straßenverkehr herauszufordern, sind als „alleintäterschaftliche“ ausgestaltet, obwohl sie der Sache nach eine „fahrlässige Teilnahme“ regeln. Das aber bedeutet die implizite Anerkennung des Einheitstäterbegriffs.4219 Will man dem Fahrlässigkeitsdelikt nichtsdestotrotz ein dualistisches Beteiligungssystem „überstülpen“, so kann man dies nur unter der Prämisse tun, dass die Eigenverantwortlichkeit des Letzthandelnden ein Regressverbot begründet, das eine strafrechtliche Folgenzurechnung zur Sorgfaltspflichtverletzung des Ersthandelnden unterhalb der Tatbestandsvoraussetzungen von § 25 I Alt. 2, II ausschließt. Nach dieser Lehre haben Pflichten wie diejenige, Wettrennen im Straßenverkehr zu unterlassen oder diejenige, Waffen für Dritte unzugänglich aufzubewahren, dann ausschließlich den Zweck, die prinzipielle Eröffnung von Gelegenheiten für fremde Pflichtwidrigkeit zu vermeiden. Die konkrete Ergreifung solcher Gelegenheiten

4214

So die treffende Bezeichnung bei Renzikowski, Täterbegriff, 273. s. eingehend dazu Renzikowski, Täterbegriff, 273 ff., 279 ff.; vgl. auch bereits Schumann, Selbstverantwortung, 107 f. 4216 s. etwa nur Schumann, 108 ff. (112 f.); Renzikowski, Täterbegriff 261 ff. 4217 Insofern zutr. Renzikowski, Täterbegriff, 277 f. 4218 So zutr. Puppe, in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 179. 4219 Daran kommt auf der allgemeinen Pflichtebene selbst Renzikowski als eingefleischter Anhänger eines fahrlässigen Beteiligungssystems nicht vorbei (vgl. ders., Täterschaft, 263 f.). 4215

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durch eigenverantwortlich handelnde Dritte soll dagegen außerhalb des Schutzzweckzusammenhangs liegen.4220 Aber diese Aufspaltung in Pflichtverletzung und Folgenzuständigkeit ist artifiziell, denn die betreffenden Verbote untersagen das Zugänglich-Machen von Waffen bzw. die Veranstaltung illegaler Wettrennen im Straßenverkehr gerade wegen ihres Stimulationspotentials. Deshalb verwirklicht etwa der Jäger, der seine geladene Büchse im Gasthaus an die Garderobe hängt, ceteris paribus ein Fahrlässigkeitsdelikt, wenn ein vorwitziger Dritter mit der Waffe herumspielt und dabei andere verletzt.4221 Das gilt selbst dann, wenn sich in der Gaststätte eine Auseinandersetzung entwickelt, in deren Verlauf jemand das Gewehr dazu missbraucht, einen Kontrahenten zu ermorden.4222 Denn das Verbot, Waffen unbeaufsichtigt herumliegen zu lassen, dient eben gerade dazu, solche Verhaltensdynamiken von vornherein zu unterbinden, weshalb ihr Eintritt schwerlich für eine Verantwortlichkeitsdistanzierung herangezogen werden kann.4223 Wenn Renzikowski4224 dem entgegenhält, auch die Verbote der vorsätzlichen Teilnahme bezweckten gerade die Vermeidung fremder Straftaten, ohne dabei das „Regressverbot“ auszuhebeln, so übersieht er den materialen Unterschied zwischen Vorsatz- und Fahrlässigkeitsbereich: Die vorsätzliche Teilnahme weist schon als Programm einen inneren handlungstheoretischen Bezug zur Täterhandlung auf, weshalb ihr Verbot von vornherein derivativ ausgestaltet ist; dafür existiert aber im Fahrlässigkeitsbereich keine Entsprechung, da das handlungsmäßige Versagen vor den Sorgfaltsanforderungen des Rechts unterschiedslos originärer Natur ist.

IV. Ergebnis Nach alledem ist zu konstatieren, dass gegen die Etablierung eines fahrlässigen Beteiligungsformensystems mit der Konsequenz einer straflosen fahrlässigen Teilnahme durchgreifende Bedenken bestehen. Im Fahrlässigkeitsbereich gilt daher zu Recht der undifferenzierte Einheitstäterbegriff.

4220

So Renzikowski, Täterbegriff, 263 f. Vgl. Puppe, in: NK, Vor §§ 13 ff. Rn. 179. 4222 H.L.; vgl. etwa nur Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, AT, § 10 Rn. 155; Erb, JuS 1994, 449 (454); Jakobs, GA 1996, 253 (266 f.); Rengier, Erfolgsqualifizierte Delikte, 187; a.A. dagegen Renzikowski, Täterbegriff, 263 f. 4223 Schünemann, JA 1975, 715 (718); Rengier, Erfolgsqualifizierte Delikte, 187; eingehend auch Puppe, JR 2012, 164 ff. 4224 Täterbegriff, 177. 4221

Schlussbetrachtung Die Auseinandersetzung mit der überkommenen Herleitung des Täterbegriffs hat gezeigt, dass einem abstrakten Leitbild der Täterperson (= „Zentralgestalt“, „Herr über den Grund des Erfolges“) kein substantieller Eigengehalt zukommen kann. Über die Täterschaft entscheidet vielmehr die personale Verwirklichung des tatbestandlich umschriebenen Verhaltens selbst. Damit ist für die von §§ 25 – 31 zentral in Bezug genommenen vorsätzlichen Handlungsdelikte auf den Begriff der Tatbestandshandlung und also auf den Begriff von (physischer Übergriffs-)Handlung überhaupt verwiesen. „Handlung“ ist aber nicht ein definitorisch festgelegter Seinsbegriff, sondern eine alltagspraktisch institutionalisierte Begriffschiffre für soziale Verantwortungszuschreibung nach dem Interpretationsmodell einer intentionalen Selbstverwirklichung. Die Zuschreibung handlungsmäßiger Verantwortung erfolgt im sozialen Alltag aufgebrochen und nach konkretem Handlungssinn gestaffelt, weshalb ein mehrdimensionaler Tatbestandshandlungsbegriff zu entwickeln war, der Roxins Lehre von den „Stufen sinnhafter Tatgestaltung“ in sich aufnimmt. Danach figurieren auch die mittelbare Täterschaft (§ 25 I Alt. 2) und die Mittäterschaft (§ 25 II) als originäre Arten einer intentionalen Tatbestandshandlung: Entscheidend ist, dass der Akteur programmatisch ein originäres ich- bzw. wir-intentional dimensioniertes Rechtsgutszugriffserlebnis umsetzt. Daraus folgt im Umkehrschluss, dass der Akteur insoweit Teilnehmer ist, als er den Rechtsgutszugriff eines anderen einplant (= Prinzip der materiellen Akzessorietät). Diese Differenzierung schlägt sich normentheoretisch in der legislatorischen Aufstellung disparater Verhaltensnormen nieder: Die primären Täterverbote untersagen ausschließlich originäre Dezisivzugriffe, die sekundären Teilnehmerverdikte dagegen bestimmte Rechtsgutsangriffe, die über fremden Dezisivzugriff vermittelt sind. Neben den „normalen“ vorsätzlichen Handlungsdelikten, die „Realakte“ inkriminieren, existieren aber auch Delikte mit Willenserklärungen als Tatbestandshandlungsmerkmalen (wie etwa die Beleidigung, § 185). (Unmittelbarer) Täter ist hier nur, aber auch stets, wer das entsprechende Merkmal als Erklärungsherr verwirklicht, d. h. derjenige, dem der entsprechende Erklärungstatbestand als seine eigene Willenserklärung zurechenbar ist. Darüber hinaus kennt das StGB auch eigenhändige Delikte, die entweder eine bestimmte (verwerfliche) Aktvornahme voraussetzen (wie etwa der Exhibitionismus, § 183) oder aber eine bestimmte subjektreflexive Handlung (wie etwa der Vollrausch, § 323a). Täter ist hier nur, wer den betreffenden Akt selbst vornimmt bzw. die eigene Person in den betreffenden Handlungseffekt versetzt. Schließlich existieren de lege lata auch noch einige genuine Pflichtdelikte (etwa die §§ 170 f., 266, 325), die die Verletzung einer be-

Schlussbetrachtung

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stimmten zivil- oder öffentlich-rechtlichen Rechtspflicht zur Tatbestandshandlung erheben und damit das konkrete Außenhandlungsunrecht zur quantité négligeable erklären. Hier ist die personale Rechtspflichtverletzung selbst das Täterkriterium. Die vorgenannten Kriterien der Tatbestandshandlungszurechnung gelten ebenso für die Sonderdelikte. Auch diese Delikte inkriminieren jeweils eine konkrete Tatbestandshandlung des Intraneus und nicht etwa bloß den handlungsgelösten Missbrauch einer sozial prästabilisierten Machtstellung zur Rechtsgutsverletzung. Sie sind daher weder Pflichtdelikte per Sonderdeliktscharakter, noch pönalisieren sie die Verletzung selbständig zu denkender „Institutionen“. Vielmehr bestimmt sich die Täterschaft auch hier stets nach der dem Sonderdelikt konkret zugrunde liegenden Verhaltensunrechtsmaterie: physische Übergriffshandlung (etwa bei § 348), Willenserklärung (etwa bei § 331), Eigenhändigkeit (etwa bei § 153), Pflichtverletzung (§ 266). Der Umstand, dass die Tatbestandshandlung des Intraneus eine spezifische zivil- oder öffentlich-rechtliche Sonderpflichtverletzung impliziert, hat keinen beteiligungsrechtlichen Mehrwert. Auch vorsätzliche Unterlassungen werden in der sozialen Alltagspraxis erfahrungsgemäß als Handlungen wahrgenommen, nämlich als Zulassungshandlungen durch Unterlassen. Solche Zulassungen können, ebenso wie aktive Verletzungshandlungen, nach dem Modell einer zweckrationalen Handlungskonklusion expliziert werden. Anders als aktive intentionale Zugriffsakte sind intentionale Zulassungshandlungen jedoch durchweg originär strukturiert, da immer ausschließlich auf die eigene Organisation bezogen. Danach ist im Unterlassungsbereich keine Akzessorietätsregel vorgezeichnet, d. h. Unterlassungen sind strukturell „einheitstäterschaftlich“ beschaffen. Dem entspricht es, dass im Unterlassungsbereich keine derivativ ausgestalteten Gebotsnormen existieren. Die Abgrenzung einer „Unterlassungsteilnahme“ ist daher weder ontologisch noch normlogisch möglich, noch ist sie axiologisch indiziert. Das gilt für echte (§§ 138, 323c) wie begehungsgleiche (§ 13) Unterlassungen gleichermaßen, denn das personale Verhaltensunrecht (= gebotswidrige Unterlassung) ist in beiden Fällen substantiell identisch. Die Tatsache, dass das begehungsgleiche Unterlassungsdelikt nur vom Garanten begangen werden kann, betrifft nicht (mehr) die Substanz des personalen Unterlassungsunrechts, sondern „bloß“ (noch) die axiologische Gleichstellungsfrage. Auch den fahrlässigen Begehungsdelikten liegt – wie dies schon die finale Handlungslehre zutreffend erkannt hatte – stets ein intentionaler „Rumpfakt“ zugrunde, denn Vorwurfsgegenstand ist hier die Nichteinhaltung der beim Handeln gebotenen Sorgfalt. Falsch wäre es jedoch, diesem Rumpfakt den Regelungsgehalt der §§ 25 – 27 überstülpen und also nach einer „Zentralgestalt des riskanten Geschehens“ fragen zu wollen. Gegen eine solche Abgrenzung spricht schon die elementare Tatsache, dass der Rechtsgutsbezug beim Fahrlässigkeitsdelikt nicht via Handlungserlebnis (= Dezisivzugriff) vermittelt ist, sondern via Sorgfaltspflichtverletzung. Deshalb kennt das geltende Recht auch positivgesetzliche Sorgfaltspflichten zur Vermeidung fremder Pflichtwidrigkeit (etwa die Pflicht, Schusswaffen

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Schlussbetrachtung

für Dritte unzugänglich aufzubewahren), deren Verletzung ceteris paribus zu einer Fahrlässigkeitstäterschaft führen muss. Mit der unbestreitbaren Existenz solcher Sorgfaltspflichten wäre aber die Annahme einer straflosen fahrlässigen Teilnahme am sorgfaltswidrigen Projekt eines anderen unvereinbar. Deshalb herrscht im Fahrlässigkeitsbereich zu Recht der rechtshistorisch seit jeher anerkannte Einheitstäterbegriff. Das gilt natürlich auch und erst recht für die fahrlässigen Unterlassungsdelikte, die sowohl unter dem Aspekt der Unterlassung als auch unter dem Aspekt der Fahrlässigkeit einheitstäterschaftlich strukturiert sind. Die vorliegende Arbeit sollte aufzeigen, dass eine unmittelbare Orientierung der „Täterschaft“ an der Materie des konkret inkriminierten personalen Tatbestandsverhaltensunrechts möglich ist und einen angemessenen dogmatischen Unterbau zur Explikation des bestehenden Beteiligungssystems liefert. Eine solche Täterbestimmung ist gegenüber einer Orientierung an abstrakten Leitbildern in jedem Falle vorzugswürdig: Sie setzt direkt beim tatbestandlich inkriminierten Verhaltensunrecht an, anstatt eine „Zentralgestalt“ in die Tatbestände hineinlesen zu müssen; sie nimmt das Axiom von der Tatbestandsbezogenheit aller Täterschaft von vornherein ernst, anstatt die Tatbestandsformulierungen von der „Handlungsherrschaft“ her wieder „entfalten“ zu müssen; und sie garantiert Systemkonsistenz innerhalb des Gesamtstraftatgefüges, anstatt Kalamitäten, die andere Systemebenen (wie z. B. die Kausalität) betreffen, beteiligungsrechtlich zu überspielen.

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Zeitpunkt der Manuskriptfertigstellung: August 2017.

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Literaturverzeichnis

Wolff, Ernst Amadeus, Das Problem der Handlung im Strafrecht, in: Kaufmann, Arthur (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Gustav Radbruch, 21. 11. 1878 – 23. 11. 1949, Göttingen 1968, S. 291 ff. [zitiert: E.A. Wolff, Radbruch-GedS (1968), 291]. – Kausalität von Tun und Unterlassen, Heidelberg 1965 [zitiert: E.A. Wolff, Kausalität]. – Der Handlungsbegriff in der Lehre vom Verbrechen, Heidelberg 1964 [zitiert: E.A. Wolff, Handlungsbegriff]. Wolter, Jürgen (Hrsg.), Systematischer Kommentar zum Strafgesetzbuch, Bd. I: §§ 1 – 37 StGB, 9. Aufl., Köln 2017 [zitiert: Bearbeiter, in: SK]. – Objektive und personale Zurechnung von Verhalten, Gefahr und Verletzung in einem funktionalen Straftatsystem, Berlin 1981 [zitiert: Wolter, Zurechnung]. Wolters, Gereon, Versuchsbeginn bei Einsatz eines sich selbst schädigenden Tatmittlers, in: NJW 1998, S. 578 ff. [zitiert: Wolters, NJW 1998, 578]. Zaczyk, Rainer, Strafrechtliches Unrecht und die Selbstverantwortung des Verletzten, Heidelberg 1993 [zitiert: Zaczyk, Unrecht]. – Das Unrecht der versuchten Tat, Berlin 1989 [zitiert: Zaczyk, Unrecht]. – Anmerkung zu BGH, Urteil v. 7. 3. 1985 – 4 StR 82/85, in: JZ 1985, S. 1059 ff. [zitiert: Zaczyk, JZ 1985, 1059]. Zielinski, Diethart, Handlungs- und Erfolgsunwert im Unrechtsbegriff – Untersuchungen zur Struktur von Unrechtsbegründung und Unrechtsausschluß, Berlin 1973 [zitiert: Zielinski, Unrechtsbegriff].

Personenverzeichnis Die Seitenzahlen beziehen sich gleichermaßen auf Fließtext wie auf Anmerkungen. Angegeben sind jeweils nur die Fundstellen, an denen Personen in irgendeiner Weise herausgehoben sind – sei es z. B. durch ein Zitat, durch die Übernahme von durch sie geprägten Begrifflichkeit oder Beispielen oder durch ihre Erwähnung im Fließtext –, nicht aber all die Stellen, an denen ihr Name nur in einem bibliographischen Verweis fällt. Ambos, Kai 488 Amelung, Knut 124, 134, 336, 355, 539 f., 544 f., 547, 551 f., 554 ff., 568 f., 584, 589, 600

Frisch, Wolfgang 45, 143 ff., 233, 264, 274, 321, 376, 379, 587, 592 ff., 596 ff. Frister, Helmut 531 Frühauf, Martin 630

Beckemper, Katharina 598 Bertel, Christian 621 Binding, Karl 250, 578 Bloy, René 28, 68, 222, 297, 459, 467, 514, 529, 553, 563, 663, 688 Böse, Martin 357, 362 Bottke, Wilfried 47, 361, 468 Brammsen, Joerg 728 Broder, Henryk M. 493 Burgstaller, Manfred 149 Busse, Klaus Henning 658, 667, 679

Gallas, Wilhelm 25, 41, 60, 66, 112, 123, 145 f., 265, 267 f., 271, 277, 282 f., 287 f., 296, 310, 339 f., 344 ff., 353, 364, 430 f., 450, 609, 659 ff. Geilen, Gerd 355 Geisler, Nicole 196, 628 Grünwald, Gerald 61, 211, 237, 661, 663, 676 f., 683, 687, 689 Günther, Hans-Ludwig 716, 722

Charalambakis, Aristotelis Christmann, Jörg 563 Chvojka, Michaela 716 Class, Wilhelm 591

362

Dencker, Friedrich 97, 299, 500, 710 Díaz y García Conlledo, Miguel 512 Duttge, Gunnar 201 Einstein, Albert 91 Eisele, Jörg 168 Engisch, Karl 91, 94, 100 f., 105, 206, 229, 237, 646, 720 Exner, Franz 726 Fenner, Dagmar 367 Fischer, Thomas 380 Freund, Georg 27 f., 253, 321 ff., 331

Haas, Volker 27 f., 97 Haft, Fritjof 634 Hall, Alfred 112 Hardtung, Bernhard 398 Häring, Daniel 727 f. Hawking, Stephen 89, 92 Hecker, Bernd 627, 702 Hegler, August 471 Heine, Günther 574, 592, 627 Heinrich, Manfred 42, 83, 122, 162, 169, 171, 319 ff., 500, 516 Herzberg, Rolf-Dietrich 44, 67 f., 113, 119, 191, 196 f., 201, 204, 291, 293 f., 298, 301 f., 309, 334, 348, 350 f., 353, 355 f., 358, 363, 366 ff., 388 f., 412, 417, 423, 449, 454 ff., 461, 467 ff., 472 ff., 487, 514, 537, 553, 571 f., 631 ff., 638, 640, 644, 692, 715, 721 Hillenkamp, Thomas 386, 403, 426 Hitler, Adolf 489, 492 f.

770

Personenverzeichnis

Hoffmann-Holland, Klaus 55, 666 ff. Honoré, A.M. 95 Hoyer, Andreas 275, 280, 298 ff., 317, 350, 358, 363, 366, 479, 496 ff., 551, 561, 573 f., 585, 589, 639, 711 Hume, David 92 Ingelfinger, Ralph

571

Jähnke, Burkhard 466 f. Jakobs, Günther 34, 64 f., 67 ff., 80, 112, 114, 116 f., 134, 174, 176 ff., 185, 197, 201, 207, 209 f., 212, 244 ff., 291 ff., 301, 326 ff., 348, 354, 360, 376 ff., 389 ff., 396, 421, 454, 478, 488 ff., 493, 515, 517, 529, 551, 567, 577, 586, 596, 598, 603, 606, 612, 619 ff., 634 f., 637 f., 670 f., 673, 709, 726 f. Joerden, Jan C. 392, 542, 546, 552 Johannes, Hartmut 399 Kaiser, Hanno 728 Kandinsky, Wassily 119, 468 Kant, Immanuel 238, 324 f. Kantorowicz, Hermann 25 ff. Kaufmann, Armin 57, 86, 145, 147, 155 ff., 169 f., 182, 184, 192, 206 ff., 215, 220 ff., 226, 231, 234, 237, 239, 250 f., 253 ff., 259, 289, 453, 464, 582, 646, 648 ff., 653, 660, 663 f., 669, 673, 675, 677, 679, 683, 687, 692 ff., 704 ff. Kaufmann, Arthur 115, 207 Kern, Eduard 628 Kindhäuser, Urs 29 f., 41 ff., 72 ff., 82, 85 f., 129 ff., 154, 156, 203, 207, 231, 240, 242 ff., 343, 349 ff., 450 f., 483, 502, 504 ff., 541, 596 Klesczewski, Diethelm 323 ff. Köhler, Michael 323 ff., 551, 586 f. Krey, Volker 718 Kudlich, Hans 591 Kühl, Kristian 673 Kuhlen, Lothar 415, 459 Küper, Wilfried 275, 278 f., 293, 315 ff., 341, 345 f., 349 ff., 416 ff., 474, 499, 503 Lampe, Ernst-Joachim Lange, Richard 39

327

Langer, Winrich 175, 180 ff., 184, 190, 193 f., 217 ff., 237, 612 f., 615, 685 Langrock, Marc 632 f., 637 f., 640 Letzgus, Klaus 573 Lüderssen, Klaus 533 Luhmann, Niklas 117, 124, 555 Luzón Peña, Diego-Manuel 512 Marlie, Marcus 38 Maurach, Reinhart 25, 503, 650 f. Merkel, Reinhard 93 f. Meyer, Dieter 546 Mlodinow, Leonard 89, 92 Mosenheuer, Andreas 659 Müller, Max Ludwig 191 Naka, Yoshikatsu 83 Nepomuck, Lutz 491, 533 f., 539, 545 f., 551 f., 555, 557 ff., 583 Neumann, Ulfrid 362 Newton, Isaac 91 Niedermair, Harald 594 Noltenius, Bettina 323 ff. Nowakowski, Friedrich 613 Otto, Harro 729 f.

452, 595, 710, 712 f., 727,

Paeffgen, Hans-Ullrich 166, 200, 236, 242, 244, 247, 257, 260, 270, 290, 297, 303, 335, 357, 362, 395 ff., 464, 473, 478, 543, 547, 549, 584, 592, 621, 641, 717 f. Perron, Walter 360, 394 Perten, Paul 307 ff. Puppe, Ingeborg 53, 59, 76 f., 81 f., 90, 92 ff., 103 ff., 113 f., 145, 167, 183, 186, 188 f., 233, 303 f., 348 f., 375 ff., 381, 392, 394, 398, 416, 418, 421 f., 428, 445, 473, 476, 513 f., 537, 541, 546 f., 549 ff., 555, 564 f., 571, 575 ff., 579, 585 f., 591 f., 595, 597, 599, 618, 650, 654 ff., 697, 708, 710 f., 715 f., 720 f., 727, 729 ff. Radbruch, Gustav 178 Randt, Karsten 342 Ranft, Otfried 663 ff., 668, 672, 678 Redmann, Michael 546, 552, 556 f., 560, 562, 567

Personenverzeichnis Renzikowski, Joachim 338 f., 467, 532, 541, 546, 573, 676, 708 ff., 718, 723, 725, 732 f. Riedo, Christof 716 Ringel, Erwin 364 Rotsch, Thomas 38 Roxin, Claus 25 f., 28, 30 f., 33 ff., 38 f., 43, 45, 47 f., 54, 63, 68, 71, 79, 90, 119, 124, 126 ff., 136 ff., 147, 172, 188 f., 191, 195, 219 f., 230 f., 233, 235, 241, 265, 267 ff., 272 f., 276, 282, 284, 291, 293 ff., 298, 307, 315, 324, 328, 331, 340 ff., 353, 355 f., 361 ff., 367, 369 ff., 380 ff., 384 f., 389 f., 401, 407 f., 412, 414, 419 f., 424, 426, 428 f., 432, 436 ff., 442, 444 f., 447, 449, 452 f., 455 ff., 462 ff., 471 ff., 477, 481 ff., 492 ff., 502 f., 518, 521, 526, 532, 535 f., 552 ff., 564, 566 ff., 572 f., 579 ff., 589 ff., 593, 598, 604 f., 608 ff., 618, 622, 624, 626, 630, 632, 633 ff., 637, 639, 641 f., 646, 651, 653, 659 f., 669, 672, 674 f., 677 ff., 683 ff., 693 f., 698 ff., 703 ff., 713, 715 f., 722, 724 ff., 734 Rudolphi, Hans-Joachim 512, 637 Samson, Erich 164, 654 Sánchez-Vera, Javier 178, 186, 613, 619 ff., 626 Schaal, Alexander 718 Schall, Hero 594 ff., 632 f. Schild, Wolfgang 26 ff., 35 ff., 48, 53, 55, 119, 121 ff., 127, 136 f., 141, 146 f., 152, 231, 233, 264, 266, 272, 274, 278, 280, 283 ff., 295 f., 302, 304 ff., 318, 321 ff., 325, 331 f., 334 ff., 338, 340, 343, 352, 370 f., 373, 375, 384, 387, 399 ff., 407, 409, 429 ff., 447 f., 484, 502, 513 f., 516, 526, 530, 532, 535, 552 f., 564 f., 592, 600 f., 604, 607, 652, 695, 710 Schild Trappe, Grace Marie Luise 589 Schilling, Georg 265, 268 f., 273, 287, 358, 415, 418, 496, 498, 501 f., 519 f. Schlösser, Jan 141, 489 Schmidhäuser, Eberhard 622 f. Schneider, Anne 300 Schneider, Steffen 710 Schneider, Tilmann 718 Schöne, Wolfgang 225

771

Schroeder, Friedrich-Christian 166, 286, 301, 307, 309, 460, 465, 485 ff. Schröder, Horst 668 Schulz, Joachim 536, 551 Schumann, Heribert 299 f., 450, 534, 596 Schünemann, Bernd 26 f., 46, 48, 50, 64, 172, 177, 195, 219, 234, 268, 283, 285, 287 ff., 295, 302 ff., 324, 328 f., 332, 358, 361 ff., 453, 466, 487, 495, 512, 518 f., 537, 552, 572, 591, 616 ff., 620, 685, 691 Schürmann, Hannes 218, 237 Schwab, Hans-Jörg 56, 648, 678 ff. Searle, John R. 59 f., 303, 498 f., 508 ff. Seebald, Rudolf 718 Simson, Gerhard 364 Spendel, Günter 403, 460 Stalin, Josef Wissarionowitsch 489, 492 f. Staschynskij, Bohdan Mykolajowytsch 485 Steen, Henning 563, 565 Stein, Ulrich 28, 161, 171, 275, 300, 309, 311 ff., 682 Sternberg-Lieben, Detlev 702 Stratenwerth, Günter 146, 165, 415, 459, 576, 622 f. Struensee, Eberhard 201, 203, 222 ff., 227 f. Tag, Brigitte 593, 595 Traeger, Ludwig 101 Vogel, Joachim

80, 229, 247, 360

Wagner, Heinz 190, 192 Walder, Hans 721, 723 ff. Walther, Susanne 381, 710 Weckerle, Thomas 713 Weigend, Thomas 660, 690 Weißer, Bettina 574, 592, 712, 726 ff. Welzel, Hans 25, 66, 76, 90, 111, 127, 231, 239, 295, 499, 582, 608 ff., 695 ff. Widmaier, Gunter 546 Witteck, Lars 614 f., 619, 627 Wittgenstein, Ludwig Josef Johann 73 Wohlers, Wolfgang 596 Wolf, Gerhard 27 Wolff, Ernst Amadeus 238 Wolter, Jürgen 375 Wolters, Gereon 387

772

Personenverzeichnis

Zabel, Benno 242, 335, 478 Zaczyk, Rainer 45, 238 ff., 243 f., 260, 335, 360, 386, 574

Zielinski, Diethart 165 f., 168, 241

30, 51, 86, 127, 163,