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German Pages 644 Year 1984
FESTGABE Ft1R OTA WEINBERGER
Theorie der Normen Festgabe für Ota Weinberger zum 65. Geburtstag
Herausgegeben von
Werner Krawietz . Helmut Schelsky . Günther Winkler Alfred Schramm
DUNCKER &
HUMBLOT / BERLIN
CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek
Theorie der Normen: Festgabe für Dta Weinberger zum 65. Geburtstag / hrsg. von Werner Krawietz ... - Berlin: Duncker und Humblot, 1984. ISBN 3-428-05589-6 NE: Krawietz, Werner [Hrsg.]; Weinberger, Dta: Festschrift
Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten @ 1984 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1984 bei Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin 61 Printed in Germany ISBN 3-428-05589-6
Vorwort Schon in den 50er Jahren ist Ota Weinberger in seinem Fach durch originäre Pionierleistungen hervorgetreten. Sie ließen ihn nicht nur zu einem der Begründer der Normenlogik werden, sondern trugen ihm auch sehr rasch weltweite wissenschaftliche Anerkennung ein. Die eindeutigen Schwerpunkte seines bisherigen Schaffens dürften vor allem in zwei Bereichen und deren Beziehungen zueinander zu erblicken sein, nämlich in der Logik und in der Rechtstheorie. Während Weinberger die Logik selbst stets als ein relativ eigenständiges Instrument der Methodologie ansah und demzufolge auch die Normenlogik als spezifische Disziplin der Logik und nicht als Teil der Rechtstheorie konzipierte, gestaltete er jedoch den Aufbau der Normenlogik stets mit Rücksicht auf die methodologischen Erfordernisse der Rechtstheorie. Gleichwohl blieb die Grundlagenforschung im Bereich des Rechts für ihn nie auf Normenlogik und Rechtstheorie beschränkt. Vielmehr erblickte er seit jeher die eigentliche Basis dieser Disziplinen in der Philosophie. Darüber hinaus ist Weinberger durch eine Vielzahl und Vielfalt von weiteren, fachspezifisch nicht leicht einzuordnenden Untersuchungen hervorgetreten, die vor allem gekennzeichnet sind durch ihre Relevanz für die rechtswissenschaftliche Grundlagenforschung. Sie reichen in der Thematik von der sprachanalytischen Philosophie und der Linguistik, insbesondere der Sprechakttheorie, der Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie sowie der Informations- und Kommunikationstheorie bis hin zur Moraltheorie und Ethik. Durch seine Unbefangenheit gegenüber den tradierten, aber bloß konventionellen Fächergrenzen, die Fruchtbarkeit der durch seine Forschungen aufgeworfenen Fragestellungen und die Originalität seiner Problembehandlung hat Weinberger für eine Reihe von Disziplinen wissenschaftliches Neuland erschlossen. Vor allem hat er jedoch der rechtswissenschaftlichen Grundlagenforschung zahlreiche neue, weiterführende Wege gewiesen, deren Erprobung gegenwärtig stattfindet, aber noch unabgeschlossen ist, wie beispielsweise im Bereich der Metatheorie juristischer Argumentation und der formal-finalistischen Handlungstheorie. Im Zentrum seiner auf die philosophischen Grundlagen der Normenlogik und Rechtstheorie gerichteten Bemühungen steht jedoch r;lje
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Vorwort
Normentheorie, in der Weinberger das Kernstück seiner Rechtstheorie und die eigentliche Grundlage von Jurisprudenz und Ethik erblickt. Nicht von ungefähr orientieren sich deshalb alle in dieser Festschrift enthaltenen Beiträge von Freunden, Kollegen und Schülern Ota Weinbergers direkt oder indirekt an diesem zentralen Thema und Problem seiner Theorie des Rechts und der heutigen rechtswissenschaftlichen Grundlagenforschung. Infolgedessen brauchten die Herausgeber dieses Bandes die eingegangenen Beiträge unter dem jetzigen, aber erst nachträglich gewählten Titel, der sich einem jüngst erschienenen Werk Weinbergers verdankt, gleichsam nur noch ins Mosaik zu rücken. Mit den herzlichen Glückwünschen an Ota Weinberger zu seinem 65. Geburtstag am 20. April 1984 verbindet sich auf seiten der an dieser Festschrift Beteiligten die Hoffnung auf weitere fruchtbringende Kooperation mit dem Geehrten. Die bisherige Zusammenarbeit erscheint manchem seiner Freunde und Kollegen angesichts der jugendlichen Schaffenskraft des Gelehrten und seiner jahrzehntelangen, geradezu rastlosen Forschertätigkeit nicht nur als ein Geschenk des Schicksals, sondern - ohne damit die Götter herausfordern zu wollen! fast schon als eine durch langjährige Erfahrung gut bestätigte Erwartung auf Fortsetzung des bisher Geleisteten. Indem Weinberger durch seine - fachsystematisch gesehen heterogene - Grundlagenforschung die durchaus nicht homogene Basis des Rechts und seines eigenen rechtswissenschaftlichen Vorgehens zu ergründen suchte, hat er zugleich auch im interdisziplinären Kontakt und in multidisziplinärer Zusammenarbeit mit den der Jurisprudenz benachbarten Disziplinen eine Fülle von neuen Denkanstößen und weiterführenden Anregungen vermittelt, deren Auswirkungen sich heute noch gar nicht voll abschätzen lassen. Dies gilt übrigens nicht nur für die sogenannten normativen Disziplinen, die es - wie Jurisprudenz und Ethik - mit den normativen Regulativen des menschlichen Verhaltens zu tun haben, sondern auch für den Bereich der sozialen Handlungswissenschaften. Nicht nur in den modernen ökonomischen Theorien, die das Wirtschaften als ein System von Handlungsprozessen deuten, sondern auch in einer Reihe anderer Disziplinen, wie beispielsweise der Psychologie und Soziologie, stehen heute die Rationalitätsgrundlagen und normativen Bedingungen des HandeIns sowie Analysen des Handlungsbegriffs im Vordergrund der handlungstheoretischen überlegungen. Naturgemäß ist in dieser Festschrift nur ein Bruchteil der jene Forschungsgebiete bearbeitenden Fachkollegen vereint, mit denen Ota Weinberger bekanntermaßen in engen und dauerhaften Arbeitsbeziehungen steht, doch setzten nicht nur die Knappheit der Zeit und die Vorrangigkeit des Befristeten,
Vorwort
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sondern auch der Umfang des zur Verfügung stehenden Raumes diesem Bande enge Grenzen. In den gegenwärtigen, heute weltweit geführten Auseinandersetzungen zwischen den analytischen und den rechtsrealistischen Richtungen moderner Jurisprudenz steht Weinberger - nicht zuletzt wegen seiner geistigen Herkunft aus bzw. der Nähe zu den Reinen Rechtslehren der Wiener und der Brünner Schule - ganz eindeutig auf seiten der analytischen Jurisprudenz, aber doch mit dem höchst bedeutsamen Unterschied, daß er in seiner strukturtheoretischen Konzeption der Jurisprudenz die Normen bzw. das Recht stets nicht nur als "Idealentität normativen Sinns", sondern zugleich auch als tatsächlich existierende "soziale Realität" zu erfassen und zu begreifen sucht, was ihn von den Reinen Rechtslehren unterscheidet. Auch wenn Dta Weinberger in FrantiSek (Franz) Weyr, dem Haupt der Brünner Schule der Reinen Rechtslehre, seinen Lehrer erblickt, dem er die erkenntniskritische Einstellung, den Zugang zu einem normativistischen Logizismus und zur Strukturtheorie des Rechts verdankt, wäre es - schon wegen seiner originären Leistungen - doch gänzlich verfehlt, ihn etwa als bloßen Schüler, Anhänger oder gar Apologeten der Brünner "normativen Theorie" oder rechtstheoretischen Schule verstehen zu wollen. Dies verbietet sich auch deswegen, weil er nie als Bekenner einer bestimmten philosophischen Richtung hervorgetreten ist, doch hat ihn zweifellos, wie fast alle Denker unserer Zeit, die analytische Philosophie ganz maßgeblich beeinflußt. Letzteres ist freilich nicht im Geiste der Drdinary Language Philosophy geschehen, die den richtigen Sprachgebrauch als philosophisches Argument benutzt - eine Meinung, die Weinberger stets als "verkehrte Auffassung" abgelehnt hat - , sondern im Sinne eines auf die Prüfung der Argumentationen gerichteten rationalen Rekonstruktivismus zu verstehen. Wenn überhaupt, dann kann heute - bei der internationalen Beachtung, die das Rechtsdenken Weinbergers (und zunehmend auch das seiner inzwischen schon stattlichen Schülerzahl!) findet - wohl am ehesten von einer Grazer rechtstheoretischen Schule gesprochen werden, die seit geraumer Zeit allenthalben ihre Nah- und Fernwirkungen entfaltet. Gelehrte aus aller Welt sind bei Weinberger und bei den zahlreichen Symposien und Kongressen zu Gast gewesen, die er im letzten Jahrzehnt in Retzhof bei Graz veranstaltet hat, und haben hier wichtige Eindrücke für ihre weitere Arbeit gewonnen. Unter den Gratulanten, die sich in dieser Festschrift vereint haben, fehlt an diesem Geburtstag einer, der schmerzlich vermißt wird. Helmut Schelsky, Mitherausgeber dieses Bandes, ist am 24. Februar 1984 im Alter von 71 Jahren in Münster verstorben. Er stand Dta Weinberger
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Vorwort
nicht nur als Fachkollege im Bereich der Theorie und Soziologie des Rechts, aber auch der Rechtsphilosophie sehr nahe, die für beide aus dem Hintergrund und auf den Grundlagen praktischer Philosophie zu betreiben ist. Schelsky war ihm darüber hinaus auch aus langjähriger interdisziplinärer Zusammenarbeit verbunden, die bis in die Zeit der Begründung des Zentrums für interdisziplinäre Forschung (ZiF) der Universität Bielefeld am Ende der 60er Jahre zurückreicht, in denen Weinberger an gemeinsamen Veranstaltungen im Verfügungs zentrum in Schloß Rheda teilnahm. Nach Schelskys an der Universität Münster erfolgter Emeritierung, die es ihm gestattete, den größten Teil des Jahres in seinem Feriendomizil im Burgenland zu verbringen, wurde das Band zwischen Ota Weinberger und ihm noch enger durch die Verleihung einer Honorarprofessur der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Graz. Diese Honorarprofessur hat Schelsky nie als bloße Ehrung verstanden, sondern auch zur Zusammenarbeit mit Weinberger und seinen Schülern genutzt. Bis zuletzt nahm er, schon auf dem Sterbebett, Anteil an den Arbeiten Weinbergers, vor allem an dessen institutionalistischem Rechtsdenken, zu dessen Begründung auch Schelsky schon früh durch eigene Untersuchungen beigetragen hatte. So verbleibt den übrigen Herausgebern nur, Ota Weinberger, an dem Schelsky den tiefen Ernst seiner wissenschaftlichen Arbeit, die kompromißlose unbedingte Wahrheitsliebe und das moralische Engagement so hoch schätzte, eben diese Wertschätzung Schelskys zu übermitteln. Weitgehend noch unabgeschlossen, aber in raschem Fortschritt befindlich sind Weinbergers Untersuchungen der ontologischen Voraussetzungen seiner Normentheorie. Seine Normenontologie, die nicht nur für die gesamte Theorie der Normen, insbesondere für diejenigen des Rechts, grundlegende Bedeutung hat, sondern auch für die Grundstruktur normativer Disziplinen, wie etwa der Ethik und der Jurisprudenz, maßgebliche Relevanz besitzt, ist vor allem dadurch gekennzeichnet, daß sie handlungstheoretischen Erwägungen einen weiten Spielraum gewährt. Auf diese Weise wird es möglich, das Wesen der Normen aus ihren Funktionen als "Determinanten des HandeIns" zu erklären. Jedoch geht es hier nicht allein um die Auswirkungen normativer Regulative auf das Handeln von Individuen und Gruppen, sondern vor allem darum, daß keine Gemeinschaft oder Gesellschaft ohne Institutionalisierungen auszukommen vermag. Hier begegnen sich somit die Erkenntnisinteressen einer normativistischen Rechtstheorie und diejenigen der Rechtssoziologie, doch handelt es sich dabei um ein weites Feld, das noch weiterer Bearbeitung bedarf. Unter den Gratulanten wollten - neben der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Karl-Franzens-Universität Graz - auch öffentliche Stel-
Vorwort
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len nicht fehlen. So hat der Steiermärkische Wissenschafts- und Forschungslandesfonds die Veröffentlichung dieser Festschrift mit einem Förderungsbeitrag unterstützt. Vor allem danken die Herausgeber jedoch dem Inhaber des Verlages Duncker & Humblot, Herrn Prof. Dr. Dr. J. Broermann, Senator E. h., Ministerialrat a. D., für die großzügige Förderung und Unterstützung dieser Festgabe. Die internationale Anerkennung seines wissenschaftlichen Wirkens, der Ota Weinberger sich an diesem seinem 65. Geburtstag erfreuen kann, kommt nicht zuletzt auch darin zum Ausdruck, daß die Internationale Vereinigung für Rechts- und Sozialphilosophie (IVR) den langjährigen Vorsitzenden der nationalen Österreichischen Sektion dieser Vereinigung auf ihrem letzten Weltkongreß in Helsinki im August 1983 zu einem ihrer Vizepräsidenten gewählt hat. Mögen ihm noch viele Jahre fruchtbaren Schaffens in Gesundheit und Zufriedenheit vergönnt sein! Im April 1984 Die Herausgeber
Inhalt I. Erkenntnis- und wissenschaftstheoretische Grundlagen der Nonnentheorie Aulis Aarnio, Helsinki:
Nehmen wir die Rechtswissenschaft ernst!
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Jan M. Broekman, Leuven:
Sprechakt, Norm und Institution
Rudol! Haller, Graz:
The World According to Wittgenstein
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Neil MacCormick, Edinburgh:
Coherence in Legal Justification
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Kazimierz Opalek, Krakau:
Rechtsnormen und sozialer Wandel
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Robert Weimar, Siegen:
Rechtserkenntnis und erkenntniskritische Rechtswissenschaft
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11. Natur, Moralllnd Recht innormentheoretischer Perspektive Jean-Louis Gardies, Nantes:
Norme et Nature .................................................. 105
Stig J IlJrgensen, Aarhus:
Moral und Effektivität ................. : .......................... 119 Erhard Mock, Salzburg:
Anmerkungen zu einer Theorie der Verantwortung ......... . ........ 137
Cha'im Perelman, Brussel:
Recht, Moral und Religion .... . ....... . ............................. 145
Christian Seidl, Graz:
Die Krise der keynesianischen Ökonomie ............................ 151
XII
Inhalt
Rudolj Stranzinger, Salzburg:
Gerechtigkeit als vollkommene Pflicht .............................. 175
Peter Strasser, Graz:
Das Ganze der Person .............................................. 193
Gerhart Wielinger, Graz:
Politische Konventionen als Bedingungen einer funktionierenden Demokratie ........................................................ 211
111. Normenbegriindung in Moral und Reeilt Norbert Hoerster, Mainz:
Zur Begründung staatlichen Strafens .............................. 225
Peter Koller, Graz:
Theorien des Sozialkontrakts als Rechtfertigungsmodelle politischer Institutionen ...................................................... 241
Aleksander Peczenik, Lund:
Creativity and Transformations in Legal Reasoning ... . ............ 277
Manjred Prisching, Graz:
Soziale Koordinationsprinzipien und politischer Konsens ........ . ... 299
Herlinde Studer, Graz:
Ansätze der Begründung moralischer Normen: Habermas, Hare und Rawls ............................................................ 323
IV. Normenlogik im Dienste des Reeilts Carlos E. Alchourr6n / Eugenio Bulygin, Buenos Aires:
Permission and Permissive Norms
349
Rudolj Freundlich, Graz:
Zur Begründung einer formalen Normenlogik ...................... 373
Georges Kalinowski, Orsay:
Presupposition, Verite et Normes .................................. 393
Vladimir Kubes, Brno:
Die Rechtsnorm .................................................... 407
Edgar Morscher, Salzllurg:
Sein-Sollen-Schlüsse und wie Schlüsse sein sollen ...... ; ........... 421
Inhalt
XIII
Al/red Schramm, Graz:
Norm-Folgern ohne Normenlogik .................................. 441 Georg Henrik von Wright, Helsinki:
Bedingungsnormen -
ein Prüfstein für die Normenlogik ............ 447
Jerzy Wroblewski, L6dz:
Negation in Law .......... . ....................................... 457
Zygmunt Ziembi11ski, Poznan:
Kinds of Discordance of Norms .................................... 473
V. Neueruugen in Gesetzgebungstheorie und Reiner Rechtslehre Norbert Achterberg, Münster:
Influenzierende Normen als Normenkategorie ...................... 487
Michael W. Fischer, Salzburg:
Rationalisierung der Gesetzgebung? ................................ 503
Werner Krawietz, Münster: Begründung des Rechts - anthropologisch betrachtet: zur Institutionentheorie von Weinberger und Schelsky .......................... 541 Friedrich Lachmayer, Wien:
Norm und Prophetie ............................. . ................ 557
Gerhard Lu/, Wien:
überlegungen zum transzendentallogischen Stellenwert der Grundnormkonzeption Kelsens ............................................ 567 Theo Mayer-Maly, Salzburg:
Bemerkungen zum Verhältnis zwischen der Gesetzesinterpretation und der Auslegung von Rechtsgeschäften .......................... 583 Leo Reisinger, München: Der Algorithmusbegriff im Lichte juristischen Problemlösungsverhaltens ............................................................ 589 Robert Walter, Wien:
Alte und neue Einwände gegen die Reine Rechtslehre .............. 605 Verzeichnis der wissenschaftlichen Publikationen von Ota Weinberger .. 615 Verzeichnis der Mitarbeiter ............................................ 625
J. Erkenntnis- und wissenschafts-
theoretische Grundlagen der Normentheorie
Nehmen wir die Rechtswissenschaft ernst! Aspekte der Bedeutung der Rechtswissenschaft für die Juristenausbildung Von Aulis Aarnio, Helsinki 1. In dieser Darstellung verfechte ich die These, daß der Inhalt der rechtswissenschaftlichen Ausbildung anhand der gesellschaftlichen Funktion der Rechtswissenschaft bestimmt werden muß. Dies kann leicht mißverstanden werden. Ich versuche daher, dieser These eine Interpretation zu geben, die sie wenigstens ungefähr mit dem Thema dieses Aufsatzes verknüpft. Zur Verdeutlichung könnte ich an dieser Stelle anführen, daß der Inhalt der juristischen Ausbildung weder ausschließlich noch hauptsächlich danach zu bestimmen sei, was die beruflichen Aufgaben des Juristen in der Gesellschaft sind. Veränderungen in der Juristenausbildung haben Folgen der Forderungen zu sein, die von der Gesellschaft an die Rechtswissenschaft gestellt werden. Betrachten wir einmal näher, was dies bedeutet. Eine Schlüsselstellung nimmt hierbei ein, was man unter dem Inhalt der Ausbildung versteht.
Es versteht sich, daß Inhalt das Gegenstück zur Form ist. Zur Form im eigentlichen Sinne des Wortes rechne ich hier die Einteilung des Studiengangs nach den jeweils geltenden Prüfungsbestimmungen, die in den Bestimmungen erwähnten Studienkomplexe und Studienfächer, die Absolvierungsreihenfolge einzelner Examensteile etc. Hinsichtlich der Reform des juristischen Examens ließe sich mit Grund denken, daß sich die Form stets wandeln wird, da gerade die erwähnten Strukturen den Veränderungen unterworfen sind. Weniger offensichtlich ist es, ob sich mit einer Reform auch die Inhalte des Unterrichts geändert haben. Ich möchte zunächst folgende Inhaltsbegriffe voneinander unterscheiden: (1) Unter dem Lehrinhalt kann zunächst die Art der Wissensvermi'ttlung verstanden werden. Arten der Wissensvermittlung sind Vorlesungen, Lehrbücher, Rechtsfallstudien, Seminare, simulierte Prozesse etc. Die Fertigkeiten, die der Student sich aneignet, hängen ganz offensichtlich davon ab, in welcher Relation diese Arten der Wissensvermittlung zueinander angeordnet sind. So wichtig diese Seite des Sachverhalts auch ist, hinsichtlich der Differenzierung zwischen Form und
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Inhalt des Unterrichts führt sie uns jedoch nicht viel weiter. Bei den obengenannten Dingen handelt es sich nämlich weitgehend doch um Unterrichts/oTmen und ihre Neuorganisierung sowie um die Frage, wie sich diese auf das Berufsbild des Juristen auswirken werden. (2) Oft werden die Lehrinhalte verknüpft mit den sog. Prüfungsanforderungen, d. h. mit den Dingen, die in der Ausbildung unterrichtet werden. Die in den Prüfungsanforderungen enthaltenen Erlaß- und Lehrbuchlisten bilden den Stoff, dessen Beherrschung in den Prüfungen als unabdingbar angesehen wird und als ausreichend für die Erlangung der formellen Qualifikation als Jurist. Betrachten wir im folgenden einige Beispiele. Die Umwälzungen, die sich in dem System der freien Marktwirtschaft vollzogen haben, haben u. a. den Bedarf erzeugt, die Verhältnisse zwischen den einzelnen Produzenten wie auch die zwischen dem Produzenten und dem Verbraucher juristisch zu regeln. Mit der Zeit hat diese Entwicklung in den skandinavischen Ländern ein eigenes Rechtsgebiet hervorgebracht, das Marktrecht. Die fachlichen Kenntnisse dieses Bereichs werden in bestimmten Berufssparten des Juristen benötigt, und offensichtlich mit steigender Tendenz. Die besagte Entwicklung muß sich zwangsläufig bei der Reformierung der Studienpläne in den Lehrinhalten niederschlagen. Es sind auch diese Dinge in den Unterricht zu integrieren. Weiterhin könnte man auf eine Veränderung hinweisen, die fast ebenso evident ist: die Abnahme der vor allgemeinen Gerichten behandelten Rechtssachen in Relation zu den übrigen in der Gesellschaft auftretenden Rechtsstreiten. Ohne nun die Bedeutung allgemeiner Gerichte als Entscheidungsinstitutionen schmälern zu wollen, läßt sich doch mit Grund behaupten, daß heute Telativ gesehen nicht mehr der gleiche Bedarf besteht wie vor einigen Jahrzehnten, Verfahrensrecht für herkömmliche Gerichtsprozesse zu unterrichten. Diese Fälle zeigen - neben der Bedeutung des Inhaltsbegriffs -, daß die gesellschaftlich bedingten Wandlungen in den beruflichen Aufgaben der Juristen einen Einfluß auf den Inhalt der Ausbildung ausüben. Dieser Einfluß ist indes, wie bereits angedeutet, relativ begrenzt: er betrifft die Setzung der Schwerpunkte unter den zu unterrichtenden Dingen in den Studienplänen. Das Examen wandelt in diesem Sinne sein Gesicht auf Grund der Veränderungen in der Gesellschaft. Dies ist jedoch nur eine Seite der Angelegenheit. (3) Der dritte und für unser Thema wichtigste Gesichtswinkel, aus dem der Begriff Lehrinhalt betrachtet werden kann, hängt nämlich damit zusammen, was von den füT den UnteTTicht vOTgeschTiebenen Dingen gelehTt wiTd. Werden ausschließlich die Inhalte der Rechtssätze
Nehmen wir die Rechtswissenschaft ernstl
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vermittelt oder zusätzlich auch die Hintergründe ihres Entstehens und ihre Auswirkungen? Wie wird der letztgenannte Stoff in den Unterricht integriert? Auf welche Weise werden die Inhalte der Rechtssätze interpretiert? Werden systematische Gesichtspunkte berücksichtigt und wird die Bedeutung der Systematik den Studenten klargemacht? Diese und viele andere Probleme im Zusammenhang mit dem Unterrichtsstoff gewinnen an Bedeutung, wenn man den Lehrinhalt auf die hier bezeichnete Weise versteht. Im Hinblick auf das Verhältnis zwischen der juristischen Forschung und der rechtswissenschaftlichen Ausbildung kommt dem Lehririhalt in der Bedeutung (3) eine entscheidende Bedeutung zu. In der Hauptsache bestimmt die Rechtswissenschaft, was von den in den Prüfungsanforderungen vorgeschriebenen Dingen unterrichtet wird. Somit setzt die Rechtswissenschaft ihrerseits auch fest, wie die Juristen ihr berufliches Leitbild sehen, d. h. in welcher Weise der Jurist in dieser seiner Rolle seine beruflichen Aufgaben zu erfüllen hat. Das Verhältnis zwischen den Berufsaufgaben des Juristen und seiner Ausbildung stellt sich hier also genau konträr dar zu den oben beschriebenen Beispielen. Der Inhalt der Ausbildung beeinflußt die Art der Berufsausübung und nicht umgekehrt. Es wäre daher vom pädagogischen Standpunkt und vor allem auch hinsichtlich der Ziele der akademischen Ausbildung geradezu unsinnig, wollte man das Angebot an WissensstQff danach zuschneiden, daß viele Juristen - und insbesondere solche, die ihr Studium gerade abgeschlossen haben - Routineaufgaben übernehmen müssen, in denen keine allzu besonderen juristischen Kenntnisse und Fertigkeiten verlangt werden. Wenn zum Beispiel der Alltag eines Steuerjuristen in erster Linie darin besteht, Routineangelegenheiten zu erledigen, so folgt daraus natürlich nicht, daß die juristische Ausbildung vor allem auf die Vermittlung von routinemäßigen Fertigkeiten abzuzielen habe. Es ist nicht Aufgabe der Universitäten, die fachbezogene Arbeitsplatzschulung zu ersetzen, mit der der Jurist in seine spezifischen praktischen Arbeitsaufgaben eingeführt wird. Im Grunde geht es hier einfach um die Arbeitsteilung zwischen den einzelnen Ausbildungsinstitutionen. Im Rahmen dieser Arbeitsteilung ist es das wichtigste Ziel der akademischen Juristenausbildung, dem Studierenden die Fertigkeit zu verleihen, juristisch relevante Probleme lösen zu können unter Berücksichtigung des Umstands, daß er in seiner späteren Arbeit mit derartigen Problemen konfrontiert werden kann. Grob vereinfacht bedeutet dies, daß die betreffende Person über die dem Juristen eigene Fertigkeit verfügen muß, juristische Probleme zu erkennen, über die Fertigkeit, die Grenzen der juristischen Regulierung in der fraglichen Situation zu erfassen und über die
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Fertigkeit, auf ein auftretendes Problem eine vom juristischen Standpunkt ausreichende Antwort begründen zu können. Zur Herausbildung dieser Fähigkeiten führt den Juristen gerade die Rechtswissenschaft hin. Daher nimmt die Auffassung darüber, was die Rechtswissenschaft ist, was sie sein kann und was sie nicht ist, eine Schlüsselstellung ein bei der Erwägung der Ziele der juristischen Ausbildung. Die Frage nach dem Wesen und der Stellung der Jurisprudenz ist hingegen ein eher theoretisches Problem. Aber sie ist es nicht ausschließlich. Die Auffassung über den Charakter der Rechtswissenschaft hat auch wichtige gesellschaftliche Konsequenzen. Es ist keineswegs so, daß die Analyse des Stellenwerts und der Aufgaben der Jurisprudenz ein theoretischer Zeitvertreib sei, zwar erlaubt, aber für die Ausübung echter ("realer") juristischer Forschung durchaus nicht notwendig. Vielmehr könnte man behaupten, daß nur eine theoretisch fundierte Rechtsgemeinschaft imstande sei, sich erfolgreich solcher Kritik zu erwehren, die sich gegen ihre Jurisprudenz richtet. Nur eine solche Gemeinschaft begreift das Wesen ihrer Existenz und Funktion, mit anderen Worten das, was sie verteidigt. Daß man eine Vorstellung hat von der Qualität des Wissens, das in der Ausbildung vermittelt wird, ist also von großer Bedeutung im Hinblick auf die gesellschaftliche Stellung der Juristen, zum Beispiel auf das Vertrauen, das der Juristenstand genießt. - Was ist nun die Rechtswissenschaft im Sinne unseres Themas? 2. In der Gesellschaft gibt es ein rechtliches Wissensinteresse, so lange wie es vom Menschen gemachte Rechtsnormen gibt1 • Das besagte Wissensinteresse ist kein kontingentes historisches Phänomen. Es ist also mit anderen Worten nicht so, daß das rechtliche Wissensinteresse regelmäßig und nur regelmäßig im Zusammenhang mit den Rechtsnormen auftritt. Im Gegenteil, das rechtliche Wissensinteresse wird begrifflich in Verbindung gebracht mit der Struktur der Rechtsnormen. Die Rechtsnormen sind, wie ein jeder Jurist wohl weiß, unterschiedlich auslegbar. Daher sind Methoden und Institutionen entstanden, die die Aufgabe haben, den Inhalt der Rechtsnormen zu klären und eine akzeptable Auslegung vorzubringen. Die Jurisprudenz ist eine solche Institution. Ihre Aufgabe ist es, das rechtliche Wissensinteresse zu befriedigen, indem sie Informationen zum Verständnis des Inhaltes von Rechtsnormen erzeugt. Diesbezüglich unterscheidet sich die Jurisprudenz als Wissenschaft von anderen Sparten wissenschaftlicher Forschung. Die Rechtswissenschaft will ein Auslegungs-Wisseninteresse befriedigen. Im Rahmen der gesellschaftlichen Arbeitsteilung kommt der Rechtswissenschaft gerade diese Aufgabe zu. Kein anderes For1
Aulis Aarnio, On Legal Reasoning. 1977, S. 204.
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schungsgebiet, auch zum Beispiel die Soziologie nicht, produziert ein vergleichbares, täglich benötigtes Wissen. Würde man die Rechtswissenschaft durch eine andere beliebige Forschung ersetzen, so wäre die Folge nicht, daß das Wissensinteresse, gerichtet auf die Auslegung der Rechtsnormen, verschwinden würde. Dieses Interesse ist ein gesellschaftliches Phänomen, das entsteht und sich wandelt infolge gesellschaftlicher Faktoren. Die Ersetzung der Jurisprudenz durch eine andere Wissenschaft würde nur bedeuten, daß in der sozialen Arbeitsteilung eine Verschiebung eingetreten ist. Da aber bis heute kein Bedarf für eine derartige Änderung aufgetreten ist, dürfen wir mit Recht annehmen, daß die Rechtswissenschaft auch in unserer Zeit die ihr zugewiesene soziale Funktion erfüllt. Angesichts dieser Betrachtungen erhebt sich also vielmehr die Frage, wie die Rechtswissenschaft ihre Aufgaben erfüllt. Bevor wir aber auf diese Seite des Problembereichs näher eingehen, erscheint es mir hinsichtlich einiger Ausführungen an späterer Stelle geboten, hier kurz einige Charakteristika des Begriffs der Rechtswissenschaft selbst vorzubringen. Im Hintergrund einer jeden Wissenschaft haben sich eine Gruppe von Normen, Werten, Verbindlichkeiten und Glaubensvorstellungen herauskristallisiert, die diese Wissenschaft zusammenzuhalten scheinen. Sich auf diese Elemente stützend und oft dabei die Grundlagen ihrer Stellungnahmen nicht bewußt reflektierend, bringen die Forscher ihre Auffassungen darüber vor, was zu der betreffenden Wissenschaft gehöre, was überhaupt Wissenschaft oder was gute Wissenschaft sei. Eine solche Gruppe von Normen, Werten, Verbindlichkeiten und Glaubenssachen könnte man als Paradigma bezeichnen2 • Auf diesen Terminus möchte ich hier jedoch verzichten, da er theoretisch vielfach vorbelastet ist. Sprechen wir einfach vom rechtswissenschaftlichen Wissenschaftsbegriff. Er gibt in etwa an, was eine Handlung gerade zur Rechtswissenschaft macht. Man kann sich diesen Begriff aus den folgenden Elementen zusammengesetzt denken: (i) Der Begriff von dem Objekt der juristischen Forschung. Im Kreise der herrschenden westlichen Forschungstradition wird die geltende Rechtsordnung als Objekt begriffen. Diese Auffassung führt zu weiteren Problembereichen wie der Ursprung des Rechts, der Charakter der Rechtsnormen und deren Verbindlichkeit. Typisch für die Lehrtradition, in der wir leben, ist, daß die Rechtsnormen als vom Souverän, der in der Gesellschaft die Macht ausübt, eingesetzt und als solche verbindlich interpretiert werden. Es sind gesetzte Normen. Diesen Gedanken hat man als rechtspositivistisch bezeichnet, womit man besonders die 2 Aulis Aarnio, On the Paradigm Articulation in Legal Research. RECHTSTHEORIE Beiheft 3. 1981 (ed. Ilmar Tammelo / Aulis Aarnio), S. 45 f.
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Merkmale herausheben wollte, die dem Naturrecht entgegenstehen. Mit einigen Präzisierungen, die an dieser Stelle allerdings nicht vorgebracht werden können, könnte man auch die finnische Rechtsforschung als von ihrer GrundeinsteIlung her rechtspositivistisch nennen. (ii) Eine Reihe von Grundlagen, die in der juristischen Auslegung anzuwenden sind oder angewandt werden dürfen. Normalerweise werden diese Grundlagen RechtsqueZlen genannt. Im Laufe der Geschichte hat sich das Verzeichnis der akzeptierten Rechtsquellen - abhängig von Zeit und Ort - gewandelt. In manchen Fällen ist als Rechtsquelle ausschließlich der Gesetzestext zugelassen worden (exegetische Schule), während andere gegenüber der Idee der Rechtsquellen eine ziemlich skeptische Einstellung angenommen haben (freirechtliche Schule). Die finnische Rechtsquellenlehre ist recht liberal. Als Rechtsquellen werden die Gesetzestexte, die Vorarbeiten zum Gesetz, Gerichtsentscheide, die Landessitten, die Rechtswissenschaft und die sog. realen Argumente zugelassen, um nur die wichtigsten aufzuzählen. Wie dieses Verzeichnis auch immer aussehen mag, wesentlich ist hierbei, daß die Auslegung einige dieser Grundlagen als Rechtsquellen akzeptieren muß, um als rechtswissenschaftliche Auslegung gelten zu könnens. Es läßt sich auch behaupten, daß der Begriff, den eine Kultur von dem geltenden Recht und der Rechtsforschung hat, gerade - unter anderem - in den von ihr akzeptierten Rechtsquellen zutage tritt. (iii) Die Anwendung der Rechtsquellen wird von methodischen Grundsätzen und Regeln gesteuert. Jedes juristische grundlegende Lehrbuch verzeichnet eine ganze Reihe von diesen, beginnend bei Prinzipien der grammatischen Interpretation bis hin zu verschiedenen Argurnenturn a fortiori-Schlüssen 4 • Es ist in diesem Zusammenhang nicht von Belang, auf diese methodischen Grundsätze näher einzugehen. Ich möchte hier nur daran erinnern, daß sich im Laufe der Jahrhunderte zahlreiche methodische Kontrollregeln herausgebildet haben5 • Diese legen in einern weiten Rahmen die Methode der juristischen Auslegung fest, ebenso wie die Regeln eines Spiels dessen Gestalt bestimmen. Im alltäglichen Leben kommen wir meist nicht dazu, diesen Kontrollregeln Beachtung zu schenken, ebensowenig wie wir uns beim Sprechen die Regeln und Grundsätze der Grammatik unserer Muttersprache vergegenwärtigen. Die methodischen Regeln und Grundsätze sind ganz einfach Bestandteile der Denkweise, die wir verinnerlicht 8
Aleksander Peczenik, Grundlagen der juristischen Argumentation. 1983,
S. 57 f.
4 Jerzy Wr6blewski, Semantic Basis of the Theory of Legal Interpretation. In: Wr6blewski, Meaning and Truth in Judicial Decision. 2. Ed. 1983 (Ed.: A. Aarnio), S. 22 f. , Robert Alexy, Theorie der juristischen Argumentation. 1978, S. 283 f.
Nehmen wir die Rechtswissenschaft ernst!
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haben. Wir nehmen sie als gegeben hin und handeln danach, ohne dies genau zu reflektieren. (iv) Letztendlich können zu den charakteristischen Zügen der juristischen Auslegung die Werte und Wertmaßstäbe hinzu gerechnet werden 6 • Diese sind auf mancherlei Weise in allem immanent, was unter dem Namen juristische Auslegung läuft. Und sie sind dies unabhängig davon, ob wir uns von Fall zu Fall ihre Bedeutung vergegenwärtigen oder nicht. Wertmaßstäbe benötigen wir unter anderem dann, wenn wir die einzelnen Rechtsquellen in eine Reihenfolge ihrer Relevanz bringen, wenn wir eine Analogierelation zwischen zwei Dingen geltend machen oder wenn wir die Folgen einer Entscheidung erwägen. Es ist auch möglich, daß wir zur Unterstützung unserer Auslegung direkt an einen moralischen Grundsatz appellieren, zum Beispiel an den der Gerechtigkeit. 3. Was hat dies alles mit unserem heutigen Thema zu tun? Vielleicht mehr als wir annehmen möchten. Obwohl die aufgezählten Dinge das bestimmen, was wir unter der Rechtswissenschaft verstehen zur Abgrenzung zum Beispiel von der Soziologie, so bilden diese indes nur einen recht weitgespannten Rahmen für die rechtswissenschaftliche Tätigkeit. Das Bild von der Rechtswissenschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt hängt letzten Endes davon ab, welchen Inhalt man jeweils den aufgezählten Elementen verleiht, mit anderen Worten: inwieweit eine rechtspositivistische GrundeinsteIlung akzeptiert wird, welche Rechtsquellen zugelassen werden, welche methodischen Regeln und Grundsätze man für relevant hält und - was besonders wichtig ist welche Werte und Wertmaßstäbe man allgemein anerkennt und für verteidigungswürdig hält. Die Jurisprudenz einer jeden Epoche ist ein Spiegel, der die Einstellung der juristischen Forschergemeinschaft und allgemein der Juristen zu diesen Fragen wiedergibt. Indem sie persönliche Bekanntschaft mit der Rechtswissenschaft machen und rechtswissenschaftlichen Unterricht verfolgen, verinnerlichen die Mitglieder der Rechtsgemeinschaft allmählich eine bestimmte Auffassung darüber, wie über die geltende Rechtsordnung und ihre sachgemäße Auslegung zu denken ist. Eine enge rechtspositivistische GrundeinsteIlung verknüpft mit einer orthodoxen Auffassung über die erlaubten (oder die verbindlichen) Rechtsquellen schafft den Boden für eine äußerst gesetzestreue Auslegungshaltung, besonders dann, wenn dies noch einhergeht mit einer 8 Vgl. z. B. die tiefen überlegungen über die Gerechtigkeit in: Ota Weinberger, Analytisch-dialektische Gerechtigkeitstheorie. Skizze einer handlungstheoretischen und nonkognitivistischen Gerechtigkeitslehre. RECHTSTHEORIE Beiheft 3, S. 307 f.
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Einstellung, die die Bedeutung von Werten anzweifeln oder schmälern will. In einem solchen Fall werden auch die methodischen Grundsätze zu betont mechanischen Anwendungsregeln. Die entgegengesetzte Einstellung plädiert für eine liberale Auslegung, für die Zulassung verschiedener Alternativen und die Elastizität der Rechtsnormen. In der freirechtlichen Schule hat diese Einstellung ihre radikalste Ausformung erhalten. Die Herausbildung eines Wissenschaftsbegriffs mit rechtspositivistischer Tendenz scheint jedoch, zumindest in Anbetracht der europäischen Rechtsforschung, für die Rechtswissenschaft typisch zu sein. Hierfür gibt es mehrere Gründe. Ein Grund liegt vielleicht darin, daß sich die Rechtswissenschaft nicht auf die gleiche Weise an der Produktion neuer Kenntnisse und ihrer technischen Anwendungen beteiligt wie die experimentellen Wissenschaften. Daher ist die Idee des sog. kumulativen Wachstums auch nicht ohne weiteres auf die Rechtswissenschaft anwendbar. Zu den zentralen gesellschaftlichen Aufgaben der Rechtswissenschaft gehört die ObeTtTagung eineT bestimmten, sich allmählich wandelnden Auslegungstradition von einer Generation auf die nächste 7 • Diesbezüglich nähert sich die Rechtswissenschaft der Familie der humanistischen Wissenschaften an. Gerade in dieser Richtung ist eine wichtige Ursache dafür zu suchen, warum in der Rechtswissenschaft und durch sie in dem gesamten Juristenstand die Neigung zur Annahme einer autoTitätsgläubigen Einstellung besteht. Wenn irgendeine Meinung den Status einer sog. herrschenden Auffassung erlangt hat, so appelliert man recht oft an diese, ohne die Sachgrundlagen, auf denen sie ursprünglich beruht, zu hinterfragen. Es ist, als ob sich die Meinung von ihren Grundlagen gelöst hätte und als solche den Status einer Autorität erhalten würde. In der alltäglichen Praxis tritt dies wohl am häufigsten darin zutage, daß eine bestimmte Gesetzesauslegung ohne Vorbringung weiterer Argumente als richtig angesehen wird. Als Begründung reicht der Hinweis: "Im Gesetz wird so gesagt." Konrad LoTenz hat einmal in einem ganz anderen Zusammenhang geschrieben: "Eine unbewiesene wissenschaftliche Hypothese wird zur allgemeinen Meinung und nicht nur zu einer allgemeinen wissenschaftlichen Vermutung." (Die acht Todsünden der Menschheit. 1974). Die Weitergabe einer Auslegungstradition, d. h. einer gewissen Berufspraxis, hat somit nicht nur die übertragung von Auslegungsmethoden, sondern auch von Auslegungen von einer Generation auf die folgende bedeutet. Und das ist noch nicht alles. Es entsteht ein Zirkel: Eine angenommene rechtspositivistische Wissenschaftsauffassung schafft die Voraussetzungen für autoritative Auslegungen, und diese wiederum verstärken für ihren 1 Aulis Aarnio, Outline of an Hermeneutic Approach in Legal Theory. In: Aarnio, Philosophical Perspectives in Jurisprudence. 1983, S. 47 f.
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Teil die rechtspositivistische Wissenschaftsauffassung, zum Beispiel die Auffassung darüber, was Auslegung ist usw. Hinsichtlich dieser Zirkelerscheinung könnte man behaupten, daß der Wissenschaftsgemeinschaft eine gesunde und starke theoretische Selbstkritik fehle. Eine theoretisch starke Wissenschafts gemeinschaft ist nämlich ständig bestrebt, auch ihre eigenen Grundlagen zu überprüfen. Zu ihren charakteristischen Zügen gehört auch die kritische Einstellung zu sich selbst. 4. Es ist hier nicht meine Absicht, eine erschöpfende oder sogar verurteilende Einschätzung der heutigen europäischen Rechtswissensachft zu geben. Vielmehr möchte ich die Umstände aufzeigen, die ich für beachtenswert halte, wenn es gilt, die Stellung der Rechtswissenschaft als auslegende Wissenschaft in der modernen Gesellschaft zu verteidigen. Hierfür möchte ich wiederum zu einem Beispiel greifen. In einer Diskussion über Bürgerungehorsam bezog man sich in Finnland häufig auf den sog. Koijärvi-Vorfall. Dies war eine Protestaktion, im Laufe derer eine Gruppe von jungen Leuten sich an Bagger anketteten. Hiermit wollten sie Erdarbeiten verhindern, die den Bestand eines als Vogelbrutstätte auch international wertvollen Sees gefährdet hätten. In der Diskussion über diesen Fall wurde konstatiert, daß ein und dieselbe Handlung, das Anketten an die Bagger, juristisch als Aufruhr, Widerstand gegen die Staatsgewalt, als grober Unfug oder als Beeinträchtigung von Beamten während der Amtsausübung ausgelegt werden konnte. Die eigene Interpretation der Umweltschützer war, daß diese Aktion den Tatbestand der Notwehr erfülle. Wie man diese Protest aktion strafrechtlich auch immer kategorisieren möchte, ist hier weniger relevant als der Umstand, daß dieser Fall Licht auf einen wichtigen Sachverhalt wirft. Er zeigt eine Schwierigkeit, auf die der Jurist ziemlich oft stößt: Entweder ist der anzuwendende Rechtssatz in sich mehrdeutig, oder auf einen Fall lassen sich mehr als nur eine Rechtsvorschrift anwenden. Besonders der Rechtsanwender findet sich oft in diese Situation gebracht. Gleichwohl ist er dazu verpflichtet, eine Entscheidung zu fällen. Er steht unter Entscheidungszwang. Auf der anderen Seite ist ein möglichst weitgehender Rechtsschutz aller Beteiligten zu garantieren. Wenn die Vorschriftsgrundlage nicht eindeutig ist, ist die Grundkonstellation gegeben: Es ist eine den Rechtsschutz fördernde Entscheidung zu fällen in einer Situation der Unklarheit. Dem Fäller der Entscheidung kommt in dieser Situation eine zweifache Verantwortung zu. Eine gesellschaftliche Verantwortung für die Rationalität der Entscheidung im gesetzlichen Rahmen und die individuelle Verantwortung als Beamter. Wie kann diese Verantwortung auf gesunde Weise getragen werden? Die Antwort hierauf ist relativ einfach: indem man eine juristisch begrün-
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dete Entscheidung fällt. Die Verantwortung des Rechtsanwenders ist mit anderen Worten eine Begründungsverantwortung. Gerade eine derartige Verantwortung scheint immer stärker in den Brennpunkt der Debatte über die Rechtswissenschaft zu geraten. Daß man nach dieser Begründungsverantwortung verlangt, ist kein Zufall. Es ist vielmehr eine Folge der Umwälzungen, die in unserer Gesellschaft stattgefunden haben. In diesem Zusammenhang möchte ich nur darauf hinweisen, daß in unserer Gesellschaft in den letzten Jahrzehnten der Autoritätsglaube allgemein erschüttert worden ists. Die eingetretene Wandlung findet ihren Ausdruck zum Beispiel in der Säkularisierung im Bereich der Religion, im Mißtrauen der Bürger gegenüber den beschlußfassenden Politikern und Beamten, in dem weltweiten Verlangen nach Reformierung der Universitätsverwaltung. Schule und Massenmedien erziehen den Menschen dazu, nicht mehr an alles blind zu glauben. Im Bereich des Rechts läuft dies alles immer öfter darauf hinaus, daß der Buchstabe des Gesetzes oder ein bestimmter Rechtsfall allein nicht mehr als Begründungen ausreichen. Und wie könnte dies auch anders sein, wo man doch immer klarer zu verstehen beginnt, daß dieselbe Gesetzesstelle oder derselbe Fall mehrere verschiedene Auslegungsalternativen zulassen? Es ist nur natürlich zu fragen: Warum gerade diese Alternative? Wenn die Rechtswissenschaft nun in einer solchen Situation an der eng umgrenzten rechtspositivistischen Sicht festhält, so sind die Voraussetzungen für den Konflikt vorhanden. Einerseits appelliert man im Namen der wissenschaftlichen Forschung an eine bestimmte Auslegung und andererseits - auf der Gegenseite wird die Auffassung vorgebracht, daß mehrere Auslegungsmöglichkeiten begründbar seien. Es besteht hierbei die Gefahr, daß die rechtspositivistisch be einfluß te Rechtswissenschaft ihre Glaubwürdigkeit verliert. Es könnte leicht behauptet werden, daß die Rechtswissenschaft nur eine Technik sei, mittels der man sein Streben nach gesellschaftlichem Einfluß tarnt. Derartige Stellungnahmen sind in verschiedenen Ländern, u. a. in den 70er Jahren in Finnland, tatsächlich vorgebracht worden. Und was das Interessanteste dabei ist, sie kamen in Finnland gerade zur selben Zeit, als allgemein eine Debatte über das Vertrauen anbrach, das die juristischen Autoritäten genießen. Bezeichnend für diese Kritik in den 70er Jahren war, daß sie entweder von Rechtswissenschaftlern selbst oder von Angehörigen anderer Wissenschaften an die Adresse der Jurisprudenz gerichtet wurden. Es handelte sich um eine theoretische 8 Werner Krawietz / Robert Alexy (Hrsg.), Metatheorie juristischer Argumentation. 1983, S. 9 - 10.
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Kritik, und auch die Antworten lagen auf theoretischer Ebene. Bemerkenswert ist, daß die Kritik, die sich heute in den 8Der Jahren gegen die Rechtswissenschaft und die von ihr vertretenen Auffassungen richtet, vom Charakter her nicht theoretisch ist und auch sonst nicht in einem wissenschaftlichen Gewand einhergeht. Die Kritik kommt sozusagen von der Graswurzelebene, aus der Mitte derjenigen, die von den Entscheidungen der Rechtswissenschaft betroffen werden. Die alternativen Bewegungen bilden hier ein gutes Beispiel. Es wäre kurzsichtig zu behaupten, daß diese Kritik völlig verfehlt wäre. Vielmehr sollten die Rechtsgelehrten die aus der Gesellschaft selbst entsprungene Kritik zum Anlaß nehmen, ihre eigene Position kritisch zu überprüfenD. Die Rechtswissenschaft und damit die gesamte Rechtsgemeinschaft sollten einmal in sich gehen und sich fragen, ob sich in der Rechtswissenschaft und allgemein im Rechtsdenken im Laufe der Zeit Dinge eingenistet haben, die eine vollständige Anpassung an die Erwartungen der umgebenden Gesellschaft erschweren. Ich bin der Meinung, daß es sich in einem gewissen Umfang tatsächlich so verhält. Anzeichen hierfür sind u. a. in den obengenannten Protestbewegungen zu sehen. Es bedeutet auf der anderen Seite indes nicht, daß man den Möglichkeiten der Jurisprudenz, das auch heute in der Gesellschaft auftretende Auslegungs-Wissensinteresse zu befriedigen, gänzlich mißtrauen sollte. Ganz im Gegenteil, die Rechtswissenschaft scheint über gute Voraussetzungen zu verfügen, den Anforderungen auch der sich wandelnden Gesellschaft zu begegnen. Dies setzt allerdings von den Rechtswissenschaftlern und allgemein den Juristen die Bereitschaft voraus, ihre eigene Tätigkeit unvoreingenommen unter die Lupe zu nehmen. Im Zusammenhang mit einer solchen Selbsthinterfragung können zwei Gesichtspunkte hervorgehoben werden, die in der Diskussion über die juristische Begründung bei vielen Gelegenheiten Beachtung gefunden haben. Diese Gesichtspunkte verknüpfen zudem unsere theoretischen Erwägungen mit dem Thema dieses Aufsatzes. (a) Die Rechtswissenschaft und die rechtswissenschaftliche Ausbildung sollten bewußt danach streben, Mehrdeutigkeiten des Gesetzes ans Licht zu bringen. Vom Standpunkt der gesellschaftlichen Aufgabe der Juristen gibt es wohl kaum etwas Nachteiligeres als ein unbegründeter Glaube an die Allmächtigkeit des Gesetzes und daran, daß sich in einem jeden Einzelfall eine einzige richtige Lösung finden wird. Wie man auch immer über eine einzige Lösung als prinzipielle Möglichkeit (als ein gewisses "regulatives Prinzip") denken mag, die Herausstellung dieser Möglichkeit darf allerdings nicht zu der Denkweise führen, daß DVgl. z; B. Lars D. Eriksson, Marxistisk teori och rättsvetenskap. 1980 passim.
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eine solche Lösung jederzeit gefunden werden kann und daß sich diese danach durch nichts mehr erschüttern ließe 10 • Sei es drum, daß das Reden über die Mehrdeutigkeiten des Gesetzes wie ein Reden über Selbstverständlichkeiten erscheinen mag, aber wenn man bei verschiedenen Gelegenheiten diese Auslegungsschwierigkeiten herausstellt, so wird dadurch unvermeidlich das Augenmerk auf die Frage gerichtet, ob die vorgebrachte Auslegungsalternative ausreichend und vom juristischen Standpunkt auch sachgemäß begründet worden ist. Nur eine solche Begründung macht die Entscheidung juristisch verteidigungswürdig. Und was das Wichtigste hierbei ist, der Vorzug, der einer Entscheidung vor einer anderen gegeben wird, beruht somit nicht auf Autorität, sondern auf die sachliche Haltbarkeit der Begründung. Die Alternativen können im Licht der Begründungen abgewogen und auf deren Basis auch kritisiert werden. Nur unter dieser Voraussetzung können wir die Garantie dafür schaffen, daß die Auslegung der Rechtssätze zumindest weite Kriterien der Rationalität erfüllt und daß die juristische Auslegung damit die Form einer rationalen sozialen Diskussion annimmt l l • Anstelle einer blinden Aneignung rechtlicher Normen werden diese interpretiert und abgewogen vor dem Hintergrund von vernünftigen Begründungen. Von dem Juristen ließe sich dann dasselbe sagen wie von dem Menschen, von dem Paul W. Taylor feststellt, daß er den eigenen moralischen Stellungnahmen rationale Begründungen zugrunde legt: "He learns how to give good reasons for accepting and rejecting norms, or else he learns the limits of (moral) reasoning, or why no such reasoning is possible. But whatever might be his conclusions, they are arrived at on the basis of his own reflection. He then can decide for hirnself what standards of evaluation of rules of conduct to commit hirns elf to12 ." (b) An früherer Stelle habe ich bereits darauf hingewiesen, daß bei der Auslegung Werte und Wertmaßstäbe eine wichtige Rolle spielen. Sie sind nicht nur Teil des rechtswissenschaftlichen Forschungsobjektes, sondern bilden zudem einen Teil derjenigen Begründungen, mit denen man beweisen will, daß das Auslegungsergebnis der Rechtsordnung entspricht. Dies bedeutet auch, daß in gewissen Fällen Meinungsverschiedenheiten über den Inhalt der Rechtsordnung auf einem Wertkonflikt beruhen. Die Werte, die für die Auslegungsalternative Asprechen, befinden sich in einem Widerspruch zu den Werten der Alternative B. 10 Vgl. Ronald Dworkin, Taking Rights Seriously. 1979 passim. Vgl. Aleksander Peczenik, Taking Laws Seriously, Cornell Law Review 5/1983, S. 660 f. 11 Robert Alexy, Theorie der juristischen Argumentation. 1978, S. 219 f. 12 Paul W. Taylor, Problems of Moral Philosophy. Introduction, S. 11.
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Diese Erkenntnis ist unter anderem dann von Belang, wenn man die Konflikte begreifen möchte, die in den Fällen sogenannten Bürgerungehorsams zutage treten. Es geht hierbei weniger um eine Legalitätskrise, da ja das Gesetz in seiner Mehrdeutigkeit mehrere unterschiedliche Auslegungen zuläßt, eventuell auch zum Beispiel die Auslegung der Umweltschützer. Der Widerspruch geht auf einen Wertkonflikt zurück, bei dem die für Recht erachtete WerteinsteIlung der Behörden und die WerteinsteIlung der Alternativen aufeinanderprallen. Parallele Erscheinungen treten auch leicht da auf, wo es um juristische Auslegungen im Bereich der Sexual- oder Familienmoral geht. Im Bereich der Ausbildung hat dies zu bedeuten, daß man den Werten und Wertmaßstäben, die sich hinter den Rechtsnormen verbergen, stärker als früher eine bewußte Aufmerksamkeit schenken sollte. Wie Otto Brusiin feststellte, wird die Rechtsordnung von einem Wert- und Zielkomplex getragen, der letztendlich der Rechtsordnung als sozialer Ordnung ihren Inhalt verleiht 13 • Besonders einer engen rechtspositivistischen Einstellung wohnt die Neigung inne, diesen Wertkomplex zu "legalisieren" und die sich aus den Werten ergebenen Probleme als juristische Probleme, d. h. als reine Fragen der Rechtsnormen, darzustellen. Die wichtige Pflicht der Rechtswissenschaft - besonders in der Phase, in der sich heute unsere Gesellschaft befindet - ist es, die Nabelschnur zwischen den Rechtsnormen und den Werten wiederherzustellen. Ein derartiges Ziel in der juristischen Ausbildung zu verwirklichen bedeutet auf der allgemeinen Ebene, daß die Ausbildung an den Universitäten aus zumindest ebensoviel Juristenerziehung wie aus Vermittlung fachlichen Wissens zu bestehen hat. Die Ausbildung hat hinzuführen zu einem selbständigen Denken und zu der Bereitschaft, neuen Problemen entgegenzutreten und Antworten zu diesen zu begründen, die vom allgemeinen Standpunkt aus vertretbar sind. Die juristische Erziehung setzt weiterhin - es sei hier zum Abschluß noch einmal herausgestellt - eine theoretisch starke Rechtswissenschaft voraus. Nur eine solche Forschung, die theoretisch das Wesen der eigenen Tätigkeit begriffen hat, kann auf geistige und moralisch ehrliche Weise den auftauchenden Problemen begegnen. Die Rechtswissenschaft ist dann keine Autorität, hinter der man seine eigene, unhaltbar begründete Auslegungsstellungnahme verstecken kann. Also: Nehmen wir die Rechtswissenschaft ernst, wenn wir die Hoffnung hegen, daß die juristische Ausbildung den Forderungen der sich fortwährend wandelnden Gesellschaft entsprechen wird. 13
Otto Brusiin, Tuomarin harkinta normin puuttuessa. 1938, S. 128 f.
Sprechakt. Norm und Institution Von Jan M. Broekman, Leuven "Die formal-finalistische Theorie", schreibt Weinberger, "steht nicht wie die üblichen intentionalistischen Handlungslehren vor der praktisch unlösbaren Aufgabe, zu erklären, wie Ziele und Absichten zu Handlungsakten werden, denn sie behauptet ja nicht, daß der Informationsprozeß die Quelle der Handlungsaktivität ist, sondern sie versucht bloß - entsprechend der tatsächlichen Problemsituation, in der die Erklärung der Handlung vollzogen werden soll - zu erklären, wie die Handlung inhaltlich durch den Informationsverarbeitungsprozeß bestimmt war. Die Aktivität zur Handlung entstammt nicht diesem Informationsprozeß, sondern sie ist eine biologisch oder sozial gegebene Kraft, die durch den Informationsprozeß in die entsprechenden Bahnen gelenkt wird ... ". "Ich habe betont, daß Handlungen begrifflich die Existenz von Handlungsspielräumen voraussetzen, in denen das Handlungssubjekt verschiedene Wege einschlagen kann. Es wird manchmal angenommen, daß aus diesem Grunde nur dann sinnvoll von Handlungen gesprochen werden kann, wenn Willensfreiheit - wenigstens partiell - besteht, d. h. wenn man eine indeterministische Konzeption vertritt. Ich halte diese Deutung für irrig. Die Existenz des Spielraums, der dem Handlungssubjekt offensteht, rechtfertigt den Indeterminismus nicht; das Bestehen von Handlungsspielräumen ist sowohl mit dem Determinismus als auch mit dem Indeterminismus verträglich. Daß dem Subjekt ein Handlungsspielraum zur Verfügung steht, besagt bloß, daß es zwischen den Verhaltensalternativen oder Handlungsprogrammen wählen kann, und zwar nach einem Informationsverarbeitungsprozeß, den das Subjekt realisiert und in dem seine Einstellungen und relativ wertende Akte zur Geltung kommen. Ob dieser Informationsprozeß und das sich auf ihn gründende Entscheiden durch Umstände, Bedingungen und das Wesen des Subjekts bestimmt ist - wie es dem deterministischen Standpunkt entspricht - , oder ob das handelnde Subjekt unabhängig von diesen determinierenden Faktoren die Dezisionen frei setzt - wie der Indeterminismus annimmt -, ist durch die These von der Existenz der Spiel räume nicht entschieden." 2 Festgabe Welnberger
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"Eine kritische Konzeption des Determinismus ... behauptet bloß, daß auch der handlungs bestimmende Prozeß durch äußere und innere Faktoren bestimmt ist." "Meine Auffassung der formal-finalistischen Handlungstheorie steht auf der Basis dieser kritisch-deterministischen Konzeption der Handlung, was ihr trotz Skeptizismus bezüglich der restlosen Erkennbarkeit der Handlungsdetermination und bezüglich der Prognostizierbarkeit von Handlungen ermöglicht, nicht nur eine Theorie des sogenannten rationalen (zweckrationalen) HandeIns zu entwickeln, sondern auch durch Normen gelenktes sowie irrationales, ja sogar pathologisch fixiertes und abwegiges Verhalten in den Bereich des· zu Erklärenden aufzunehmen l ." Will diese formal-finalistische Handlungstheorie, die hier durch Weinberger formuliert wurde, für die Rechtstheorie fruchtbar sein, dann sollten zwei Erwägungen angestellt werden. Beide zielen auf den Zusammenhang von Sprache, Norm und Institution ab. Die erste Erwägung besteht darin, daß das hier vertretene Konzept der Handlung tatsächlich in einem besonderen Maße die Sprechhandlung impliziert. Denn nicht nur die Rechtshandlung, sondern auch die mit ihr verbundenen Rechtsfolgen sowie die Rechtsnormen sind sprachliche Entitäten, die als besondere Sprechhandlungen zu charakterisieren sind. Die zweite Erwägung ist, daß jene Spielräume, die Handlungen nach Weinbergers Auffassung begrifflich voraussetzen müssen, nicht als unbesetzte Räume aufzufassen sind. Das ist ein wichtiger Punkt: diese Spielräume sind keineswegs normleer, wortleer, sprachlos, traditionslos und somit so zu betrachten als besetzten die Handlungen erst diesen Spielraum. Man sollte, im Gegenteil, der Tatsache Rechnung tragen, daß jene Spielräume immer schon durch Norm und Wort, Schrift und Zeichen, Sprache und Tradition besetzt sind. Handlungen können eben nur dann als sinnvoll und rational verständlich erscheinen, wenn solche Handlungsspielräume schon besetzt sind. Aber diese Besetzung mit Sprache, Bedeutung, Tradition und Norm ist nicht derart, daß nicht grundsätzlich immer neue Varianten hinzukommen können. Aus eben diesem Grunde führt jene Ansicht zu der Frage nach dem institutionellen Charakter solcher Spielräume. Das ist nicht nur ein theoretischer Ansatz. Politisch ist diese Erwägung beispielsweise deshalb wichtig, weil die bereits vollkommen institutionalisierten, d. h. gänzlich besetzten Handlungsspielräume, wie sie etwa in einem totalitären Regime oder im Falle einer totalen Rationa1 Dta Weinberger, Studien zur formal-finalistischen Handlungstheorie, 1983, S. 10 - 13.
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lität gedacht und realisiert werden, keine solche Platzeinräumung für neue semantische Varianten zulassen. Dann ist auch keine Ökonomie der Freiheit und folglich keine Handlung im Sinne von Weinbergers kritischem Determinismus mehr möglich. Wir möchten uns nun im folgenden auf einige Aspekte dieser Erwägungen konzentrieren.
I. Wort, Schrift und Text Texte sind im Recht von besonderer Bedeutung. Ohne Textualität wäre ein Recht im Sinne des abendländischen Rechtsdenkens gar nicht möglich. Aber diese hervorragende praktische und theoretische Bedeutung des Textes wird von den Rechtspraktikern umgedeutet in eine instrumentalistische Textauffassung. Dieselbe Tendenz ist in der Rechtstheorie zu verzeichnen. Auch dort wird der textuelle Charakter des Rechts kaum als Anlaß genommen, zu einem Rechtsverständnis zu gelangen, welches sich nicht geradezu automatisch auf eine instrumentalistische Sprachauffassung festlegt. Im Gegenteil, so könnte man bemerken, denn Instrumentalismus bezüglich Sprache und Text im Recht fördert jene allgemeine Form der Rechtspraxis und des Rechtsdenkens, die Max Scheler einmal als Herrschaftsform charakterisierte. Hinzu kommt eine weitere Beobachtung. Unser abendländisches Rechtsdenken geht nahezu ohne Ausnahme von einem Recht aus, das an den Text als seinen schriftlichen Niederschlag gebunden ist. Dies ist auch der Fall, wo Gewohnheitsrecht gegenüber Gesetzesrecht abgegrenzt wird. Offensichtlich nimmt auch die Kulturanthropologie, die sich mit dem Rechtsphänomen befaßt, ein instrumentalistisches Textverständnis im Recht als Kriterium für anthropologische Vergleiche. Daraus wird ersichtlich, wie sehr eine legalistische und ethnozentrische Rechtsauffassung auch dort angewandt wird, wo eine relativistische Auffassung geboten wäre. Formuliert man dasselbe im Hinblick auf die Textproblematik, dann wird ersichtlich, wie sehr die spezifische Textualität des Rechts als Maßstab genommen wird für ein komparatives Rechtsdenken. Dies erinnert tatsächlich an die Diskussion zwischen Kelsen und Ehrlich in den Jahren 1915 -1917 2 • Weder eine Definition noch eine idealtypische Bestimmung kann nach Kelsens Ansicht den Rechtsbegriff festlegen. Recht muß seiner Meinung nach immer einen normativen Begriff voraussetzen. Das gilt nicht nur für das abendländische Recht 2 Hans Kelsen, Eine Grundlegung der Rechtssoziologie, in: Archiv für Sozialwissenschaft und Politik, XXXIX, 1915. Eugen Ehrlich, Grundlegung der Soziologie des Rechts, 1913, 19672 • Hubert Rottleuthner, Rechtstheorie und Rechtssoziologie, 1981.
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und die darin geführte rechts theoretische Diskussion. Es gilt ebenso für jeden transkulturellen Vergleich. Auch dort kann nicht ohne die Voraussetzung eines normativen Rechtsbegriffs über den Rechtsbegriff gedacht werden. Es ist bekannt, daß K. N. Llewellyn und E. A. I-Ioebel in ihrem Buch The Cheyenne Way, 1941, versucht haben, sich von dem Ausgangspunkt eines abendländischen, universalisierten Rechtsbegriffs zu distanzieren. Dennoch ist auch in ihrem Buch der Gegensatz zwischen Gesetzesrecht und Gewohnheitsrecht, also Recht als Text und Recht als Gewohnheit, zu finden. Die axiologische und allgemein erkenntnistheoretische Funktion jenes Gegensatzes scheint sich also noch fortzusetzen in jenen Bereichen, in denen man sich von westlichen Denkweisen des Rechts abhebt. Dabei sind Textualität und Gewohnheit nicht nur gegen einander abgegrenzt, sondern auch funktional aufeinander bezogen. Je weniger Textualität fürs Recht bestimmend ist, desto mehr ist die Gewohnheit (custom) determinierend. Es ist auch hier also die Frage nach der spezifischen Besetzung der Handlungsspielräume beantwortet worden mit dem Hinweis auf einen funktionalen Zusammenhang zwischen den beiden Faktoren. Die erkenntnistheoretische Relevanz dieses Zusammenhangs reicht bis in die Umschreibung von Recht zurück. Recht ist hier" ... a set of verbalized ideals in the repository of the minds of knowledgeable individuals in a nonliterate society ... , as patterns of actual behaviour of members of a society ... , as principles abstracted from decisions of legal authorities passed while solving disputes within their groups". (S. 20). Es ist merkwürdig, welche Verlegenheit angesichts der Bestimmung des Rechtssubjekts in einer derartigen Umschreibung von Recht vorherrscht. Was übrig bleibt, nachdem man - geradezu als Gedankenexperiment - die traditionelle Rechtssubjektivität und ihre zentrale Stellung in Dogmatik und Theorie des Rechts relativiert hat, bleibt der Versuch, eine Individualität zu bestimmen, so daß Recht immer noch eine individualisierende Aktivität bleibt. Daher der merkwürdige Ausdruck "knowlegeable individuals". Mit diesem Ausdruck wird doch noch vorausgesetzt, daß ein Individualitätsbewußtsein, sogar in Form eines Ich-"Bewußtseins" transkulturell gegeben ist und als Grundlage für Gesellschaftsform und Rechtsform dienen kann. Sowohl die Arbeiten eines Foucault oder Althusser, die sich auf den Gesamtbereich des gesellschaftlichen Subjektbewußtseins beziehen oder jene eines Edelman für das Recht als auch spezialisiertere Arbeiten, etwa die von ETich Wulff über Psychiatrie und Klassengesellschaft, 1972, haben gezeigt, daß diese Annahme nicht gilt. Weder Medizin und Psychiatrie noch das Recht können ihre Theoriebildung auf einen universalisierten oder universalisierbaren Subjektbegriff aufbauen. Auf dem Gebiet des Rechts dürfte die Schlußfolgerung einer transkulturellen Psychiatrie im Sinne
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von E. Wulff von größter Bedeutung sein. Letzterer folgert in Bezug auf die Problematik der Ich-Störung und besonders der Schizophrenie: "Damit Störungen des Ich-Bewußtseins zu einem Kardinal-Symptom der Schizophrenie werden können, muß ... so etwas wie die Idee eines Individual-Ich eine weite Verbreitung gefunden haben und nicht mehr das Privileg statistisch unerheblicher Angehöriger der Feudalklassen sein3 ." Parallel könnte man sich eine für das Recht sehr wesentliche Formel denken, wie etwa: ,Damit Störungen und Konflikte im Sozialverkehr zu einem Kardinalsymptom eines juristischen Bewußtseins werden können, muß so etwas wie die Idee eines Individual-Ich eine weite Verbreitung gefunden haben.' Wulff stellt aufgrund seiner Erfahrungen in Vietnam die These auf: "Störungen des ,Ich-Bewußtseins' lassen sich in größerer Häufung nur in Gesellschaften erwarten, deren meiste Mitglieder die bürgerliche Ideologie vom schöpferischen, einzigartigen, sich selbst verwirklichenden Individuum als Ich-Ideal bzw. als Überich-Forderung verinnerlicht haben. Die bisherigen Ergebnisse epidemiologischer ethnopsychiatrischer Forschung haben dieser Hypothese bereits einen hohen Grad an Wahrscheinlichkeit gesichert4 ." Auf diesem Hintergrund wird erst vollends sichtbar, wie merkwürdig die Handhabe einer Idee von "knowledgeable individuals" als Basiselement für eine nicht-westliche Umschreibung des Rechtsphänomens ist. Was hier für das Recht gesagt wird, gilt allgemeiner ebenso für die Idee der Handlung. Die Handlungsspielräume sind daher als in einer solchen Art und Weise wertbesetzt und traditionsbesetzt anzusehen, daß sie eben an Hand dieser Axiologie den Subjektcharakter der Handlung mitbestimmen. Es gibt in der gegenwärtigen Rechtstheorie noch eine andere Ebene der Diskussion, auf der diese Überlegungen einen erheblichen Einfluß ausüben. Was nämlich im abendländischen Recht durch den juristischen Text verinnerlicht wird, gleicht dem formalen Gesetzesbegriff. Was jedoch durch Gewohnheit - also in Kopf und Geist, durch das gesprochene Wort und durch das Spiel von Beispiel und Nachahmung - verinnerlicht wird, gleicht einem topischen Rechtsbegriff. Dies bildet einen Gegensatz zweier Formen der juristischen Pragmatik, welcher durch die topisch-rhetorische Rechtstheorie hervorgehoben und oft sogar hypostasiert wurde. Dort wird nämlich eine juristische Praxis im Nahbereich der Rechtsgenossen einer Praxis der Distanz und des Formalen gegenübergestellt. In der ersten Form der Praxis soll nun, so lautet die topischrhetorische Auffassung einer juristischen Pragmatik (Rodingen), die Rolle von Schrift und Text erheblich zurückgedrängt sein. Im Grunde 3
Erich Wulff, Psychiatrie und Klassengesellschaft, 1972, S. 103.
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wird damit der alte Gegensatz von Recht und Gesetz erneut hervorgehoben, und es fragt sich, ob dies nicht ebenso der Fall ist bei Autoren wie Pospisil, Llewellyn und Hoebel, die sich mit der transkulturellen Problematik beschäftigen. Alles kommt hier offensichtlich auf die Frage an, in wieweit sich eine epistemologische Axiologie mit Bezug auf den Rechtsbegriff von dem Gegensatz zwischen Recht und Gesetz distanzieren kann. Diese Beobachtung, und besonders das Fixiertsein des Rechts an Text und Schrift, gilt auch noch dort, wo das rhetorische Rechtsdenken sich den Grenzen des sogenannten 'custom law' nähert. Anliegen des Rhetorischen ist es wohl, in der juristischen Pragmatik die Grundfragen und Grundlagen der jeweiligen rechtlichen Regelung zur Diskussion zu stellen oder wenigstens nicht ausschließlich implizite funktionieren zu lassen; Hauptanliegen ist es dabei, eine andere Art der Sprechakte im Recht zu betonen. Juristische Praxis soll nicht mehr eine Praxis deklaratorischer Aussagen, sondern von Fragen sein. Damit bleibt die Idee eines juristischen Handlungsspielraums lebendig. Er könnte in diesem Fall als Nähe, als Nahraum oder gar als Intimität charakterisiert werden. Eine solche Sachlage müßte im Grunde die Sinnlichkeit des Rechts ändern. Dies wäre insoweit der Fall, als dem Richter eine Erkenntnis auferlegt wird, die nicht durch Abstraktion oder Deduktion entstanden ist, sondern durch das Ohr. Sein Zuhören ist jedoch erst möglich, wenn die Rolle des Textes zurückgedrängt wird zugunsten des gesprochenen Wortes. Erneut kommt die Frage auf, die im abendländischen kodifizierten Recht besonders scharf hervortritt, aber durchweg für das Recht der westlichen Hemisphäre gilt: ist Recht ohne Textualität, oder auch: ist Recht aus dem gesprochenen Wort und nicht aus dem schriftlich Niedergelegten, wohl möglich? Hat das Recht eine Stimme, oder wird, wenn im Recht gesprochen wird, lediglich (vor)-gelesen? Diese Frage berührt nicht nur die Institutionalität sondern im gleichen Maße auch die Normativität. Wie kann ein gesprochenes Wort zur Richtschnur menschlichen HandeIns werden? Wie ist der Handlungsspielraum zu denken, wenn dort nur Gesprochenes anwesend ist. Wäre da noch eine Präsenz zu denken und zu vergegenwärtigen, die als normativ gelten kann? Oder ist die Darstellungsform des Rechts derart, daß dem Gesprochenen Wort ohne textliche Fixierung oder Fixierungsmöglichkeit keine normative Kraft verliehen werden kann? Es sieht so aus, als ob die Problematik der Darstellung für die Rechtstheorie eine größere Bedeutung hat als bislang erkannt worden ist. Darstellung und Normativität hängen aufs engste miteinander zusammen. Das wird schon aus der Tatsache ersichtlich, daß jeder Sprech-
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akt des juristischen Diskurses, besonders aber des dogmatisch-juristischen Diskurses, Notwendigkeit ausspricht. Diese Notwendigkeit ist die Verlautbarung des unabweisbar positivistischen Grundzugs unseres Rechts. Aber eben wegen dieses Positivismus und Legalismus wird die Verlautbarung - die nur in ganz selten prozeduralen Augenblicken eine wirklich stimmliche Verlautbarung ist - zu einem Text transformiert. Aus dem juristischen Text hat sich die Stimme zurückgezogen, weil diese Stimme zu einem Text, d. h. zu einer Autorität geworden ist; Rechtfertigung und Notwendigkeit werden somit identisch; verlautbarte Tatsächlichkeit wird Notwendigkeit und diese wird Oberfläche des Textes. Jene Oberfläche erhebt sich somit zur ersten Notwendigkeit. Ohne diesen Text kein Recht. Durch sie entsteht die juristische Logik, die eine Logik des Ähnlichen und des Gleichen ist. Wenn das Gesetz spricht, dann gibt es nichts Neues. Es kann und darf nichts Neues geben, denn Gleichheit und Kontinuität, sowie der ungebrochene Gang des Rechts sind zur Hauptsache geworden. Hinzu kommt die Problematik der Referenz im Recht. Es ist klar, daß textuelle Fixierungen die Illusion aufrecht erhalten, daß juristische Aussagen und juristische Argumentationen eine Referenz nach Draußen haben. Eine außerhalb der Rede sich befindende Materialität wird vorausgesetzt, auch wenn diese Materialität nicht als Ding, sondern als Handlung vorgestellt wird. In diesem Rahmen wird auch die Rechtsnorm aufgefaßt. So ist diese Rechtsnorm für Kelsen, besonders in der Reinen Rechtslehre, im Spannungsfeld zwischen Textualität und Gewohnheit angesiedelt. Für Kelsen ist das aus der Tatsache ersichtlich, daß eine Norm sich zwischen Befehl und Notwendigkeit lokalisieren läßt. Das heißt: Normativität befindet sich zwischen der Äußerlichkeit der Referenz nach einem Draußen und der Innerlichkeit des Selbstverständlichen eines Verhaltens. Aus diesem Grunde ist es nützlich, die Rechtsnorm als Form der Subjektivität zu betrachten. Aus der Sicht einer Relativierung jener Form der Subjektivität ließe sich demzufolge der Gedanke ableiten, daß auch die Rechtsnorm keine universalisierbare Größe ist, sondern in grundsätzlich anderen Kulturformen auch anders zu verstehen ist.
11. Norm, Sprechakt und Institution Die obigen Ausführungen lassen ersichtlich werden, wie sehr Norm und Institution miteinander verschränkt sind. Textualität ist in diesem Zusammenhang zu betrachten als Bindeglied zwischen Normativität und Institutionalität. Diese Auffassung macht zunächst eine Differenzierung notwendig und zwar ganz besonders in Bezug auf das Phänomen der Sprache. Das Band zwischen Norm und Institution setzt näm-
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lich Sprache voraus, insoweit man Institution soziologisch versteht. Versteht man den Institutionsbegriff hingegen sozialpsychologisch mehr im Sinne des Internalisierungsbegriffs, dann geht das Institutionelle immer mit einem Prozeß des Spracherwerbs zusammen. Sprachbeherrschung und Spracherwerb sind zwei unterscheidbare Aspekte des Institutionsbegriffs. Einmal ist diese Differenzierung wichtig, weil die Sprachbeherrschung des Einen den Prozeß des Spracherwerbs des Anderen zur Voraussetzung hat. Beide sind jedoch auf den Gesamtrahmen der Institution angewiesen. Zweitens dürfte zu formulieren sein, daß für den Spracherwerbenden die Institution als Text gilt im Sinne eines Gewebes (texture), welches durch den Prozeß des Spracherwerbs geflochten wird. Herzstück des Institutionellen ist somit eine Interpellation. Diese Interpellation geht weit über die übliche Personifikation sozialer Systeme hinaus. Eine solche gäbe dem Begriff der Interpellation eine bloß metaphorische Bedeutung. Das ist jedoch nicht die Absicht unserer Auslegung, weil letztere unmittelbar zu instrumentalistischen Sprachauffassungen führen würde. Mit einer derartigen Sprachauffassung käme eine instrumentalistische Textauffassung zustande. Diese wird jedoch bereits durch die einfache Tatsache widerlegt, daß Texte immer durch andere Texte bestimmt und hervorgebracht werden. Die Semantik des jeweiligen Textes wird durch die bereits bestehenden Texte bestimmt - und nicht vom Autor, sei dieser nun der Gesetzgeber oder eine sonstige Autorität. Nein, hier ist keine Methaphorik, sondern eine Tatsache vorzufinden, die als Grundlage für eine rechtstheoretische Institutionenlehre zu dienen hätte. Es ist immer ein anti-monistischer Textbegriff zu handhaben. Ein Text bedeutet ebensowenig wie ein Mensch. Vom Textbegriff her wird somit die Theorie der Institution entlastet von dem Druck des Sozialen, und von dort aus wird die in einer solchen Theorie enthaltene Problematik allgemeiner und damit philosophisch relevant. Diese Bemerkungen sind jedoch nur ein Anlauf zum Verständnis des liche These ist, daß dieser Zusammenhang erst in der Theorie des perZusammenhangs von Sprache, Text und Institution. Unsere diesbezügformativen Sprechakts zum Vorschein knmmt. Allgemein ist darauf hinzuweisen, daß durch Einsicht in die Theorie des performativen Sprechakts sich auch die Einsicht in den Zusammenhang von Norm und Institution ändert. Traditionell ließe sich argumentieren, daß Rechtsnormen keine Sinnesdaten sind und daß ihnen darum Sprechhandlungscharakter zuzuschreiben ist. Diese Ansicht läßt sich auf die Spitze treiben in dem Sinne, daß man die (im metaphysisch-philosophischen Sinne verstandene) Textualität aller Sinnesdaten zu bedenken hat. Alles sinnlich Wahrnehmbare hat Sprechhandlungscharakter und
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ist textuell. In dieser Hinsicht gibt es keine Unterscheidungsmöglichkeit zwischen dem sinnlich Wahrnehmbaren und dem sinnlich Nicht-Wahrnehmbaren, so müßte man in extremis folgern. Für das Recht ließe sich dies eindeutig nachweisen. Die sogenannte sinnliche Erscheinung des Rechts ereignet sich nämlich im Verfahren. Aber jedes juristische Verfahren ist ein textuelles Ereignis. Es gilt nun, das "Mehr" des bloß positivistisch Deutbaren des Rechtsverfahrens ins Auge zu fassen. Jenes "Mehr", so lautet die These, ist zweifelsohne im Sprechhandlungsereignis enthalten. Denn es ist eben dieses Ereignis, welches mit der (Re) Präsentation der Ästhetik des Rechts zusammenfällt. Diese Ästhetik ist auf die Grundkategorien des juristisch-dogmatischen Diskurses ausgerichtet, und sie hat nicht nur mit der Perfektion der Darstellung des Rechtsvorganges oder der Eleganz der Beweisführung, des Schriftstils oder gar der Genugtuung von Parteien zu tun. Sie beherrscht vielmehr die Logik des Rechts, die Notwendigkeit von Kategorien wie 'completeness' oder auch 'consistency' sowie die Struktur der Rationalität des juristischen Argumentierens. Logik, Kategorieabhängigkeit und Rationalität sind in diesem Zusammenhang offensichtlich textuell und institutionell zu verstehen. Diese Einsicht ließe die Schlußfolgerung zu, daß die Frage nach dem Sinn des Rechts mit der Frage nach dem Recht als Sinnlichkeit weitgehend zusammenfällt. Darin liegt eben der Grund für jene Tatsache, daß die Darstellung des Rechts, zumindest als eines dogmatischen Rechts, zugleich die ausgezeichnete Form der Selbstdarstellung des Rechts ist. Wichtig ist dabei zu bedenken, daß es keine Form der Selbstdarstellung des Rechts gibt, die nicht "angetreten" werden muß im Gefüge einer Institution. Die Institution ist in diesem Zusammenhang tatsächlich als Handlungsspielraum zu verstehen. Es ist dabei klar, daß ein solcher Spielraum immer schon mit Normen und Werten besetzt ist. Darum ist der Begriff der Regel von größter Bedeutung für den Sprechakt wie für Norm und Institution. Kein Wunder, daß John Searle in diesem Zusammenhang die Institution, welche die sogenannten "institutional facts" bestimmt, als ein System von konstitutiven Regeln definiert5 • Nun ist die Selbstdarstellung des Rechts immer eine Darstellung im Medium der Sprache, mit - wie bereits ausgeführt wurde - einem besonderen Akzent auf dem Text. Aber der Ausdruck ,Sprache als Medium' heißt in diesem Fall keineswegs, daß Sprache hier lediglich vermittelt. Es gibt Sprechakte, die überhaupt nicht vermitteln, sondern das Verlautbarte konstituieren. Austin hat sie in seinem How to do things with words, 1955, 1962, als performative Sprechakte hervorgeho6
John Searle, Speech Acts, 1970, S. 51.
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Jan M. Broektnan
ben und analysiert. Es führt zu merkwürdig radikalen Erwägungen, wenn man bedenkt, daß die Selbstdarstellung des Rechts in einer ganz besonderen Weise auf jene Performanz bezogen ist. Sie führt nämlich zum Aufweis einer Struktur der referentiellen Aktivität, die in mancher Hinsicht mit jener des performativen Sprechakts parallel läuft. Im Gegensatz zu den konstativen Sprechakten besitzt der performative Sprechakt keine Referenz nach einem Draußen. Performanz beschreibt nicht, was als ein Draußen existiert oder als Äußerlichkeit der Sprache vorangeht. Performative Sprechakte produzieren und/oder transformieren eine Situation mitsamt ihren Effekten. Ein solcher Sprechakt konstituiert seine eigene innere Struktur, seine Funktion sowie seine Teleologie. In der Selbstdarstellung des Rechts vollzieht sich genau Dasselbe. Die Referenz nach einem Draußen, d. h. einer außerhalb des juristischen Diskurses gelegenen Wirklichkeit, fehlt völlig. Selbstdarstellung ist, linguistisch betrachtet, größtenteils Selbstreferenz. Aber philosophisch ist die Frage nicht unangebracht, wie sich das ,Selbst' der Selbstdarstellung zu dem ,Selbst' der Selbstreferenz verhält. Auf jeden Fall ist deutlich, daß jede Selbstdarstellung auf Institutionalität angewiesen ist. Textualitätund Institutionalität fallen hier weitgehend zusammen. Der Rechtsgang selber, die juristische Prozedur, die Konstitution des Dogmatischen und viele anderen Momente des juristischen Diskurses beweisen es. Im Recht ist die Institutionalität des Rechts immer als Konnotation der gesamten Begrifflichkeit und Aussagenstruktur des Rechts präsent. Dadurch wird im Grunde ein Hauptmerkmal - die referentielle Struktur oder auch: die Selbstdarstellung - des Rechts mit dem performativen Sprechakt nahezu identisch. Das hat seine Folgen für den Wahrheitsbegriff des Rechts. Wahrheit wird im Recht instrumentalistisch, d. h. als Beziehung von Elementen juristischer Sprache zu einer Realität außerhalb ihrer selbst vorgestellt. Aber der Wahrheitsbegriff des Rechts fußt nicht auf einer Vorstellung, sondern auf einer Darstellung. Die Sprache des Rechts mitsamt ihrer InstitutionaIität ist darum nicht vollständig semiotisch, linguistisch, hermeneutisch oder gar logisch analysierbar und verständlich zu machen. Das gilt natürlich nicht nur für die Sprache als solche, sondern es gilt in einem besonderen Maße für die Sprache des Rechts. Damit hat jede Theorie der juristischen Argumentation sowie jede Rationalitätstheorie zu rechnen. Der Grund dieser unvollständigen Analysierbarkeit liegt nicht in einem dumpfen Bewußtsein, daß Sprache mehr ist als dasjenige, was über sie auszusagen wäre. Der Grund wird vielmehr in der Analyse des Performativen ersichtlich. Er besteht hauptsächlich in der Tatsache jenes Zusammenhangs zwischen Institutionalität - als
Sprechakt, Nörmund Institution Wertbesetzung und Normbesetzung der Handlungsspielräume Performanz.
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Wichtig ist hier ferner, daß eine anti-instrumentalistische Konsequenz zu ziehen ist und zwar dahingehend, daß die juristische Sprache mit Notwendigkeit Intentionalität des Bewußtseins bei der Besetzung der Sprachhandlungsspielräume vorstellt. Auf dieser Vorstellung beruht die gesamte juristische Argumentation. Diese Vorstellung sollte aber lediglich als Charakterzug der juristischen Diskursivität betrachtet werden. Sie gehört zur Ökonomie der juristischen Sprache. Es geht nicht an, aus ihr eine instrumentalistische Wahrheit der Übereinstimmung von Sprache und Realität abzuleiten. Im Gegenteil sollte auch hier gesagt werden, daß Vorgestelltes als Darstellung angeboten wird. Diese Differenz zwischen Vorstellung und Darstellung täuscht über die Problematik des Performativen hinweg. Performanz, so heißt es, bringt eine Identität oder wenigstens eine Deckung zustande zwischen Sprache, Handlung und Institution. Aber von welchem Standpunkt aus kann man tatsächlich behaupten, daß Sprechen und Handeln einmal als gesonderte Entitäten genommen werden, um sodann - wenigstens aufgrund einer institutionellen Tatsache, die gewissermaßen als Bindeglied funktioniert - miteinander zu verschmelzen zu einem Bild, welches zugleich Wirklichkeit ist, konstituiert und abbildet6 • Das Hauptgewicht dieser Problematik liegt, wie gesagt, im AbbildungsverhäZtnis. Die Erhellung der Differenz zwischen Vorstellung und Darstellung läßt bereits die Vermutung zu, daß die Linearität des Grundschemas von Norm (,wenn p, dann q') und Institution (lineare Kontraktualität) keine ausreichenden Erklärungsmodelle liefert. Damit tritt die Problematik des performativen Sprechakts in den Vordergrund. Die konnotative Instit~tionalität jedes juristischen Sprechakts ist aufs engste mit der Tatsache verbunden, daß der abendländische juristische Diskurs den Diskurs der Dogmatik in sich birgt. Der performative Sprechakt ist darum immer auf zwei Ebenen aktiv. Er funktioniert einmal auf der Ebene der Deskription. Das heißt: angesichts der durch den Sprechakt zu stiftenden Einheit von Sprache und Handlung überwiegt die Performanz des Deskriptiven oder auch: des Deskriptiven als Vorstellung. Zum anderen, und dies zur gleichen Zeit und in demselben Akt, ist der Vollzug jener Vorstellung auf Regelbefolgung ausgerichtet. Dieser Prozeß der Regelbefolgung dient dem Fortgang des juristischen Diskurses und ganz besonders der Konstitution der juristischen Dogmatik. Dieser Aspekt wurde von J ohn Searle betont als er die institutionellen Fakten als das Ergebnis eines Systems 8
Bert van Roermund, Wetten en weten, 1983, S. 77.
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von konstitutiven Regeln beschrieb. Darin liegt tatsächlich die Institutionalität als Moment des performativen Sprechakts verborgen. Aber Searle interpretiert diese nur als Regel, nicht als (notwendige) Begriffskonnotation. Somit vollzieht jeder performative Sprechakt im Recht eine doppelte Bewegung: als Vorstellung scheint er die Deskription von Tatsachen zu vollziehen, die er in und durch den juristischen Diskurs selbst zustandebringt, als Darstellung vollzieht er mit jedem Akt die Repräsentation der Dogmatik. Diese doppelte Bewegung läßt sich auch anders betrachten und zwar noch mehr auf die Institutionalität gerichtet. So ist es interessant zu verzeichnen, daß die Regeln der Institution nicht mit der Rede der Institution zusammenfallen. Beide sind jedoch Aspekte des Gesamtkomplexes des institutionellen Charakters einer performativen Sprechhandlung. Beide sind auch analytisch bezogen auf die Frage nach der Wert- und Normbesetzung der Sprechhandlungsspielräume. Man könnte nun sagen, daß das Befolgen der Regeln einer Institution eine spracherwerbende Aktivität ist. Sie ermöglicht es dem Sprechenden, in einer Institution sich zurechtzufinden, an einer Institution teilzunehmen, dort eine internalisierte, d. h. zugleich nach den Werten der Institution normierten Rede zu beherrschen. Zum anderen gibt es die Rede der Institution, d. h. die bereits institutionalisierte Sprechweise und Sprache der Institution. Sie gehört zweifelsohne zu den Tiefenschichten von Sprache überhaupt. Nun es fragt sich, ob denn gesprochen werden kann, ohne daß irgendeine institutionalisierte Rede im Sprechen sich zu Wort meldet. Roland Barthes hat die These aufgestellt, daß es ohne dieses Phänomen keine Sprach aktivität geben kann. Als Tiefenschicht wird Sprache dann zu einer legitimierenden Instanz. Beide Betrachtungen können nun ineinander greifen. Der Aspekt des Spracherwerbs, d. h. das Befolgen der Regeln der Institution, deutet auf ein Gefüge oder gar ein System von Sprachdifferenzierungen hin. Der Aspekt des Konnotativen, d. h. die mit jeder Sprachdifferenzierung fortschreitende Konstitution des juristischen, besonders des dogmatischen Diskurses, deutet auf ein Gefüge von Sprechaktlegitimierungen. Daraus wird ersichtlich, wie komplex das Verhältnis von Sprechakt, Norm und Institution ist. Außerdem wird klar, daß die seit Searle gängige Meinung, nach welcher eine (Sprach-)Institution als System von konstitutiven Regeln aufzufassen wäre, unzureichend ist. Das ist in einem besonderen Maße der Fall, wenn diese Problematik für die Rechtstheorie fruchtbar gemacht werden soll. Denn dort ist die Differenz des Normativen und der Legitimation im Sprechakt von besonderem Gewicht. Sie könnte daher tatsächlich als Element einer juristisch relevanten formalfinalistischen Handlungstheorie aufgefaßt werden.
The World According to Wittgenstein* Von Rudol! Haller, Graz In his seminal study on "Wittgenstein in Relation to his Times" , Georg Henrik von Wright has provided us with a picture of Wittgenstein's "Weltanschauung" which raises some major questions, which no one has taken up seriously in the interpretation of Wittgenstein's philosophy so far. In this paper von Wright continued his biographical studies on Wittgenstein, which began with his Biographical Sketch of 1958, his clear ac count of the Wittgenstein-Papers, the history of the development and the transformations of the Tractatus Logico-philosophicus, and which were finally followed by his notes on Wittgenstein's relations to his times. Already in his biographical sketch, von Wright states that Wittgenstein's "outlook was typically one of gloom. Modern times were to hirn a dark age"l. But concerning the Vermischte Bemerkungen (the title of its translation into English is 'Culture and Value') von Wright claims that they will be "an indispensable source for any future attempt at assessing Wittgenstein"2. I think that von Wright is perfectly right in this: even if it were not relevant for the philosophy of others to get a clear picture of their relation to their times, it is relevant in the case of Wittgenstein. But I do not consider von Wright's claim justified that Wittgenstein's attitude to his time makes hirn unique among the great philosophers. The big fight against "Denkgewohnheiten", habits of thinking which are entrenched in the basic structures of forms of life, is not at all unique . .. Diese überlegungen wurden erstmals am 25. Jänner 1983 bei einem Vortrag am van Leer-Institut in Jerusalem vorgetragen. Ich widme sie Ota Weinberger, dessen philosophisches Werk ich in hohem Maße schätze, dem ich eine Reihe von Einsichten auf dem Gebiet der Normenlogik, Rechtstheorie und Methodologie verdanke, und dessen logisch-philosophische Untersuchungen nicht selten auf Wittgenstein zurückgreifen. 1 Ludwig Wittgenstein. A Memoir. By N. Malcolm. With a Biographical Sketch by G. H. v. Wright, London: Oxford UP 1958, p. 20. 2 G. H. von Wright, Wittgenstein in Relation to his Times, in: Wittgenstein and His Impact on Contemporary Philosophy. Proceedings of the 2nd Intern. Wittgenstein-Symposium. Ed. by E. Leinfellner et al. (1977), Wien: HölderPichler - Tempsky 1978, p. 73.
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Rudolf Haller
I find a deep truth in Goethe's word that those who philosophize show their discontent with the life of their contemporaries or predecessors and ancestors. Even if it does not hold, perhaps, for all philosophers, for many of them, and not only for the great ones, the distance to past and contemporary thoughts or habits is a basic motive for philosophizing. We always tend to stress even more those properties of our heroes which by themselves are al ready unique. In quite a few of his studies, Christoph J. Nyiri underlined the fact that Wittgenstein's general attitude shows strong affinities to wh at has been called conservatism3 • Certainly, this is a vague characterization, but we may take it as a good starting point for further investigations. Nyiri believes that even the Nestroy-Motto of the Philosophical Investigations refers to the social-historical progress of mankind and not, for instance, to Wittgenstein's own work. Be this as it may be, there is no doubt that a certain feature of traditionalism can be detected in the work of Wittgenstein. This has led to the idea that Wittgenstein had strong affinities to one of those thinkers who have been fiercely attacked by Otto Neurath and other members of the Vienna Circle: Oswald Spengler. Also the editor of the Vermischte Bemerkungen, von Wright, underlines that "many readers will, no doubt, be struck by the strong Spenglerian nature of Wittgenstein's attitude to his times". Surely, it is quite important to find out, what his attitudes to his times were. We may soon discover that these, in fact, show some similarities with Spenglerian thoughts. But what was the character of the relation between Wittgenstein and Spengler? Which role did Spengler's influence - if there was an influence - play in the philosophy of Wittgenstein? I have taken up this issue already so me five years aga and since then I have worked out at different occasions a picture of this relation which seems to fit the facts better than other alternative ones I have got to know 4 • In the only passage where Wittgenstein himself points to his precursors, he gives a list of names which, to my view, is almost complete and which enumerates the names of those people who have influenced 3 Cf. J. C. Nyiri, Wittgenstein's New Traditionalism, in: Essays on Wittgenstein. In Honor of G. H. von Wright. Acta Philosophica Fennica, Vol. 28, p. 503 - 512. 4 Cf. R. Haller, Die gemeinsame menschliche Handlungsweise, in: Zeitschrift für philosophische Forschung 33 (1979), S. 521 - 533; Ders., Wittgenstein und Spengler, in: Rivista Portuguesa de Filosofia (Actas do Col6quio LusoAustriaco sobre Ludwig Wittgenstein, 1980) T. 38 (1982), p. 71 - 78; Ders., War Wittgenstein von Spengler beeinflußt?, in: Teoria (im Erscheinen).
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hirn in a special way. This list of names occurs not untypically in the context of the stereotype that Jewish thinkers were only talented and never really genious. "It is typical for a Jewish mind" - Wittgenstein notes - "ta understand someone else's work better than he understands it hirnself." And he accuses hirns elf to be only a reproductive thinker: "I don't believe 1 have ever invented a line of thinking, eine Gedankenbewegung, 1 have always taken one over from someone else ... That is how Boltzmann, Hertz, ... , Spengler, Sraffa have influenced me", he writes in 1931. Ta get a clear understanding of the world which Wittgenstein believed to live in, we have to find out in each case what the "Gedankenbewegung" was, the line of thinking, evoked by one of the persans in the forementioned list. 1 think that quite a lot of work has already been da ne to give an ac count of Wittgenstein's relation to Frege and Russell, to Hertz and also to Schopenhauer. But much less is known about the influence of Boltzmann, of Kraus, Loos and W eininger5 , and almost nothing about the way Sraffa's and Spengler's relations to Wittgenstein should be viewed. No doubt, in 'Wittgenstein's Vienna' we find a source book of most of these lines of thinking, a survey which - except Russell - mentions only thinkers of continental origin and modes of ideas. But Spengler's name is referred to only once in Janik's and Toulmin's study. Thus, 1 think, it will be useful to add at least in a sketchy way the essential idea which links Wittgenstein's later philosophy with the work of the author of the "Decline of the West" and contributes thus to a better understanding of same of his main ideas. Before dealing with this problem, it seems quite important to me to point at the fact that until the publication of the Miscellaneous Remarks no one of Wittgenstein's readers did propose the idea that there could be at all a deeper relation between the author of the Tractatus Logico-philosophicus and the author of the Decline of the West. This fact isn't just a mark of lack of phantasy, but shows how farfetched such an association would have been in the minds of those who had no access to Wittgenstein's unpublished papers. Now, there is no doubt that both thinkers share a certain pessimistic and conservative view, not only towards their immediate socio-historical situation but towards its general development. For instance Wittgenstein 5 Cf. A. Janik & St. Toulmin, Wittgenstein's Vienna, New York: Simon & Schuster 1973; also A. Janik, Wittgenstein and Weininger, in: Wittgenstein and His Impact on Contemporary Philosophy (ed.) E. Leinfellner et al. , Wien: Hölder - Pichler - Tempsky 1978, p. 25 - 30.
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conceives it as areal possibility that the so-caIled apocalyptic view of the world is true, that things do not repeat themselves. "It isn't absurd, e. g. to believe that the age of science and technology is the beginning of the end for humanity; that the idea of great progress is a delusion, along with the idea that the truth will ultimately be known; that there is nothing good or desirable about scientific knowledge and that mankind, in seeking it, is falling into a trap. It is by no means obvious that this is not how things are." CV, p. 560
This "It is by no means obvious that this is not how things are" indicates Wittgenstein's own view. Science, in his perspective, means as weIl enrichment as impoverishment. Even if a coIlapse of science and industry will not take place now and will for a lang time remain a dream, it seems to be a dream Wittgenstein hirnself is sharing with Spengler: "The spirit of this civilization which makes itself manifest in industry, architecture and music of our time, in its fascism and socialism is alien and uncongenial to the author", he writes in an early draft of a foreward for his Philosophical Remarks in 1931. This looks very much like any other remark of cuItural criticism next to Spengler, which continue to use the Nietzschean opposition between cuIture and civilization as a me ans to critisize modern history. It seems to me very interesting that during the period in which Wittgenstein feIt the influence of Spengler, there already existed a strang movement of rational analysis of Spengler's work: Otto Neurath's "Anti-Spengler", and Leonard Nelson's "Spuk. Einweihung in das Geheimnis der Wahrsagekunst Oswald Spenglers and sonnenklarer Beweis der Unwiderlegbarkeit seiner Weissagungen, nebst Beiträgen zur Physiognomik des Zeitgeistes", both published 1921 may serve as examples. Also in regard to Spengler, Neurath was the real antipode of Wittgenstein within the Vienna Circle.
But also Schlick and Waismann showed a different attitude towards Spengler: "Spengler's philosophy" - Schlick writes in one of his aphorisms - "will not last lang. It will be wrecked by its intellectual superficiality etc." In spite of these devaluations of the work of Spengler by his colleagues and elsewhere did Wittgenstein give hirn a prominent place in his own development. As I already have tried to point out, this is only justified if there was a certain line of thought (Gedankenbewegung) for which it is true that Spengler invented it and Wittgenstein did use it. What was this line 0/
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thought? It seems quite clear that it cannot be only a mere motivation or hint. Now, we do already know that Wittgenstein did not only rely on some of the Fregean ideas but accepted his general view of logical system when he developed his own thoughts about the character of logical constants in the Tractatus. And we also know, partly by the work of Janik, to what extent Wittgenstein's conception of the relation between logic and ethics owes its basic idea to the work of Otto Weininger. But also he re we are still missing a deeper philosophical analysis of this connection. The very strange book and best-seIler by Weininger "Sex and Character" stated that the very bad in itself came into existence via a lack of consciousness, a lack of memory. I shall not go into this here. It suffices to remind us that one of the main ideas of a tractarian world, that logics and ethics are inextricably bound together, that neither logics nor ethics can be justified, but are transcendental, has been one of the main theses of "Sex and Character". Basically it remains an act of free will to recognize logic. True, whoever rejects logic, rejects thinking and structures of understanding, rejects the very mode of human existence: to be a thinking being. And the same argument is applied to ethics. Since there is no logical connection between the will and the world, we cannot bring about any change in the world by our will: "The world is independent of my will" "Es ist klar, daß sich die Ethik nicht aussprechen läßt. transzendental. (Ethik und Ästhetik sind Eins.)"
(TLP 6.373) Die Ethik ist (TLP 6.421)
Therefore logics and ethics are what Wittgenstein called "transcendental": not objects, not facts, and not even states of affairs, and therefore not something to be described or pictured. Nothing of the things which meaningfully could be said. If that are ideas which link the work of Wittgenstein to that of Weininger, we may ask what the idea was, the line of thought which Wittgenstein owes to Spengler. Was it, as von Wright suggests, the concept of family-resemblance? Or some other concept? - This is our main question and my answer is: It was not the content of Spengler's historical ideas - in spite of the fact that Wittgenstein shared some of his judgments - it was the method, the leading idea of the analysis of Gestalt which fascinated him and which he regarded as more adequate to the study of forms of life than any scientific model. The method of descriptive morphology has been seen as the contrary of the method of the natural sciences. Already in the Introduction to the "Decline", Spengler mentions Goethe who confronted the world seen as a mechanism to a world seen 3 Festgabe We!nberger
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as an organism, which is regulated by Law and Gestalt which cannot be detected and not be seen on the surface of things: "Empathy, intuition, comparing, inner evidence and exact sensible phantasy - he states - were Goethe's means to discover the secrets of nature. And these are the very means of the historical sciences too" - Spengler claims - "there are no others." In this sense the confrontation of the two methods is condensed in the assertion that the very means to discover dead forms is a mathematical law. The means to understand organic forms is analogy. The idea is that there are organic structures also in his tory and that comparative history should extract those forces which enable us to foresee future events per analogiam. Not in the sense that they could be described in advanee, but in the sense that it would be possible to foresee the outlines of the development of its Gestalt. WeH, it is quite clear that, in order to prediet, you have to use a method to rely upon. And in the ease of Spengler the method to be reeommended is what he ealls the "morphologieal" one. When Wittgenstein in 1933/34 produeed his first crypto-publieation after his paper on logical form - the so-eaHed Blue Book - one of his first attempts was to reevaluate the concrete cases which had been dismissed by philosophy and by our craving for generality. But just this eraving for generality - he thinks - had one main souree: the preoeeupation of the "Philosophers [who] eonstantly see the method of scienee before their eyes, and are irresistibly tempted to ask and answer questions in the way scienee does. This tendeney is the real souree of metaphysics, and leads the philosopher in eomplete darkness". (BB, p.18) Again and again we find in Wittgenstein this topos: the polarity between scienee and philosophy, and sinee the Traetatus he opposes the idea of a naturalized philosophy. If we me an to deseribe phenomena, we should not take some general point of view, we should - aeeording to Wittgenstein - not try to find a eommon element in the different applications of a term, but rather eoneentrate on the eonerete cases. "Meaning a physiognomy" he not es in the Philosophical Investigations. "But then how is a view like Spengler's related to mine?", he asks in 1937 after years he had been occupied in reading hirn. And even where he criticizes Spengler, he never does it in the manner which we find in Neurath, Nelson, or Schlick. As lalready said, he finds in Spengler not only a critique of culture which is similar to so me of his own views, but the invention of a method which ean be used also in philosophy.
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The device Wittgenstein wants to use and utilize can be formulated in his own words: "Don't take comparability but rather incomparability, as a matter of course." (CV 74 cl. That means, if we want to compare two phenomena we need some principle which enables us to justify the comparison. And in fact he takes for one of his most important methods, the one to imagine a historical development of our ideas different from what actually has occured. Because, if we try out such a new perspective we see a problem from a completely new angle. Therefore we need the imagination of models, of language games which no one plays, the construction of fictitious concepts which may te ach us to und erstand the concepts we have and use. Thus, one of the key-terms of Wittgenstein -language game - is also connected with the method of comparison. Every language game - this is in a certain respect also Wittgenstein's concept of contexts - can be used as a model for comparison. But we should not forget that, if we describe the language game as proto-type (Urbild), we must not mix up the description with the object of description. And Wittgenstein thinks that it would be much easier to understand Spengler, if Spengler would have explained his comparisons by help of the concept of family-resemblance. What he wants to underline is that "we have to be told the object of comparison, the object from which the way of viewing things is derived, otherwise the discussion will constantly be affected by distortions". If we commit this mistake, if we confuse prototype and object, we find ourselves dogmatically conferring properties on the object which only the prototype necessarily possesses. In other words: the task the prototype has to fulfill is to determine the form of discussion, and on this the general validity of the principle (the model) can and should be tested. Since I have to be brief, I cannot go into the details of a comparison of Spengler's "Decline of the West" and certain ideas and passages in the work of the later Wittgenstein. But I think there is no doubt that we can believe hirn that there was this strange and deep influence, an influence wich leads to Goethe and not to Kant, because - as Spengler hirnself again and again admits it was Goethe's morphology which he applied to history. According to hirn there are two kinds of it: the morphology of extended things: a science which discovers laws of nature and causal relations. This is called systematic. And another kind of morphology: the morphology of the organic structures of life and history, all of which has a telos and has fate. And this is called physiognomic. In the Vermischte Bemerkungen we read aremark from 1947:
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"Fate is the antithesis of natural law. A natural law is something you try to fathom and make use of, hut not fate." (CV 61)
This seems to make quite clear how we have to take now some of the general ideas of Wittgenstein. Both, he and Spengler, state a hiatus between problems of philosophy and scientific problems. Are the latter ones to be answered by using causal laws and explanations, so we need a different method to answer the former, a method for description. And when Wittgenstein at the end of his meo asks himself whether his insistence on the notion of "übersichtliche Darstellung" - the clear representation - is not perhaps a Weltanschauung, then I think the answer must be a positive one. Therefore I think that we have to take into account not only the fact that Wittgenstein's world was one of gloom and in some sense pes simistic and had certain similarities with the one Spengler thought to describe, but indeed that there was a much deeper relation. This recognition will help us to und erstand some of Wittgenstein's key-terms like language-game, family-resemblance, and so on, much better than on the basis of previous explications of them.
Coherence in Legal lustification By Neil MacCormick, Edinburgh I. IntroduetioD
That a piece of reasoning be coherent as a whole is one commonly accepted criterion of its soundness as reasoning. Gur problem is to make intelligible the nature of the criterion so set, and to show its pI ace within a canon of rational justification. This paper will suggest that, in legal justification, there are two distinct sorts of test for coherence: the first, which we may call the 'normative coherence' test, has to do with the justification of legal rulings or normative propositions more generally in the context of a legal system conceived as a normative order; the second, which we may call the 'narrative coherence' test, has to do with the justification of findings of fact and the drawing of reasonable inferences from evidence. I shall not assurne too quickly, if at all, that normative coherence and narrative coherence have much more than name and assonance in common. Yet perhaps even from the outset we may allow this as a common feature of the two cases; either in normative or in narrative contexts, a lack of coherence in what is said involves a failure to make sense. An incoherent set of norms might be such that each could be fulfilled without infringing any other, yet the whole seems to make no sense as constituting or mapping out a reasonable order of conduct imagine a house within which all inhabitants are to make their rooms as untidy as possible on Mondays, Wednesdays and Fridays, then tidy them up to the highest perfection on Tuesdays, Thursdays and Saturdays, Sundays being strictly observed as a day of rest. To have, and to observe, such house rules is possible - but what sense does it make? Likewise an incoherent story, though it may contain no proposition which directly contradicts or logically entails a contradiction of any other proposition in the story, yet in some way fails to make sense. That a perfect stranger entered the house, that he therein committed a crime, and that the watch-dog failed to bark, is a story which contains no contradictions; but once Sherlock Holmes has drawn our attention to it, we see that it does not make sense - it does not 'hang together' - no more than our crazy house-rules hang together.
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But what do we me an by 'make sense', 'hanging together', 'coherence'? Is such 'sense' or 'intelligibility' the same in normative and narrative contexts, or substantially different? I shall explore these questions through illustrative examples respectively in the normative and in the narrative cases in the two main sections of the paper, before I proceed to essay some conclusions. In the meantime, one further introductory point may be apt. Here as in previous writingt, I have assumed that 'coherence' can usefully be distinguished from consistency. This is partly a matter of fidelity to the nuance of ordinary language but more a matter of prejudice in favour of letting different words serve different purposes. So I interpret consistency as being satisfied by non-contradiction. A set of propositions is mutually consistent if each can without contradiction be asserted in conjunction with every other and with their conjunction; for my part, I see no difficulty in using the term 'contradiction' as freely in the case of norms and normative propositions as in the case of narrative propositions, but in this case, those who are hesitant about such a usage may rephrase normative consistency as that property of a set of norms or normative propositions none of which 'controverts' or 'conflicts with' any other or the conjunction of all the others. By contrast, coherence, as I said, is the property of a set of propositions which, taken together, 'makes sense' in its entirety. What this elusive notion of 'making sense' implies has yet to be investigated. Even at the outset, let me say that I do not regard consistency as a necessary condition of coherence, since unlike consistency, coherence can be a matter of degree. A story can be coherent on the whole and as a whole, though it contains so me internal inconsistencies - and in this case, the sense of the overall coherence of the story may be decisive for us in deciding which among pairs of inconsistent propositions to discard. Obviously enough, as earlier examples showed, the me re consistency of a set of propositions is no guarantee of their coherence as a story. These preliminaries settled, I turn to consideration separately of normative and of narrative coherence.
1 On normative coherence, chiefly Legal Reasoning and Legal Theory (Oxford, 1978) chapters 7 and 8; on narrative coherence, id. chapter 4, pp. 89 bis 92, and also 'The Coherence of a Case and the Reasonableness of Doubt' , Liverpool Law Rev., 2 (1980) pp. 45 - 50.
Cohereuce in Legal Justification
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ß. Normative Coherence (a) The Meaning of Coherence
Why is it that a set of legal norms might sometimes appear incoherent, even when as a set they are not inconsistent? An example of such a set which I previously suggested was if astatute laid down different speed limits for different cars according to the colour they were painted. Little did I realise when I figured that fanciful case that there was areal case rather like it. Now I am indebted to Mr Justice Ruggero Aldisert (Justice of the U. S. Court of Appeals, 3rd Circuit) for producing areal case more or less to the same effect. For some time aga the legislature in Italy determined that there should be differential speed limits for different types and makes of car2 • Do such laws fail to make sense? And if they so fail, why do they so fail? My answer to that is that they fail to make sense if there is no common value which the enactment of such laws subserves. In our examples, is there no common value at issue? At least at first sight, it appears that there is not. Consider: there are three ends which statutes limiting driving speeds may promote, an of which we may suppose to be of serious social value: the safety of road users; economy in the use of fuel; and prevention of excessive wear and tear of road surfaces. If the colour of cars is purely a matter of taste, and many colours are available (as is true in Western Europe and North America at least), it seems doubtful whether any speed limit differential between differently coloured cars could possibly subserve effectively any such end as those envisaged above. Moreover, if people have bought cars prior to the colour-laws, it seems unfair that they should ex post facta be treated differently according to the colour choice they made. So without subserving any value special to road safety laws, the colour-laws would in fact conflict with or subvert another value of importance in a very general way to legal systems. Gf course, we can imagine circumstances in which the colour-laws coherent. If an cars had to be repainted according to their weight and fuel consumption, and if an inexperienced drivers had to acquire or drive only cars of a low-speed colour, we would begin to see that the colour-laws were part of a scheme which after an does rationany relate to the endeavour to minimise fuel consumption and damage to roads while tending to improve road safety. would be
2 Ruggero J. Aldisert, book review of Legal Reasoning and Legal Theory, Duquesne Law Rev. 20 (1982), pp. 383 - 398 and, in general, cf. Aldisert J.'s opinion in Pfeiffer v. Jones and Laughlin Steel Corp. 678 F 2 d (1982) 453, esp. at 461.
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Perhaps the Italian law was designed according to some such principles. Perhaps there was a legislative intent rationally to relate differential speed limits to such objectives as economy and safety. Aldisert J. reports, however, that the car-drivers of Italy did not see it that way3. They treated the differential speed limits as incoherent nonsense, and ignored them entirely. Desuetude overruled the act. May be the car-drivers judged wrongly. May be the lawmakers failed in persuasion rather than in coherent thought. But we need not go into that. Sufficient has been said to ground the suggestion, arising from these examples, that at least one aspect of normative coherence is a matter of the common subservience by a set of laws to a relevant value or values; and an absence of avoidable conflict with other relevant values (e. g. with justice, as in the above case). Are there then other aspects of coherence? One candidate which comes to mind has to do with principles. We might say that a set of rules is coherent if they all satisfy or are instances of a single more general principle. If it is a principle that human life ought not to be unduly endangered by motor traffic on the roads, this will (help to) make sense of speed limit laws and many other parts of road traffic law taken together: but not of all possible speed-limit laws - judged by reference to that principle, car-colour differential speed limits will be arbitrary unless in some such expanded context as was imagined above. The very fact that we can re-express in terms of common principles the coherence of a set of laws (road traffic laws) which we previously expressed in terms of common values poses the question whether appeal to 'values' is different in substance from appealing to principles, or only different in grammatical form. 'Safety on the roads' is a noun phrase; 'safety on the roads' conceived as a 'value' is the state of affairs signified by the noun phrase conceived as being astate of affairs which is a good or worthy purpose of human endeavour. 'That human life ought not to be unduly end an ge red by motor traffic on the roads' is a normative sentence which in virtue of its very general scope can be considered as a possible principle. It is actually somebody's principle or a principle of some normative system if some person assents to it 3 Op. cit., p. 395 'A few years ago Italian officials could not agree upon a speed limit for Italy's superhighway, the autostrada. They compromised on regulations that set speed limits according to automobile engine size. Thus a small Fiat was limited to 80 k. p. h., a larger car to 100 k. p. h., and so on. Each car owner was required to post on the rear of his vehicle a decal showing the car's assigned speed limit. If the desired goal was road safety, the regulations seem absurd. Though internally consistent, they had no coherence. In practice no problems have resulted, however, because neither car owners nor police have paid any attention to the regulations.'
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as a practical norm for his/her own and others' conduct or, respectively, if it is an accepted or acceptable justifying norm for more particular and specific norms ('mIes') within that system. In short, if 'values' are, as I suppose, not merely the de facta purpos es, aims, goals or ends actually pursued from time to time by individual persons or institutional agencies, but rather actually pursued or possibly pursued states of being or of affairs which are conceived to be legitimate, desirable, worthy or even (the scale ascends by degrees) mandatory for pursuit as standing purposes, aims, goals or ends, then there appears to be an extensional equivalence as between 'values' and 'principles'. For any value V there is a principle according to which V either may be, or ought in the absence of countervailing considerations to be, or ought normally to be, or must in the absence of overriding considerations be, pursued or realised. Observance of principles is not an instrumental, but an intrinsic, means of realising values. This conforms to a suggestion which I have recently put forward' that systems of practical reason necessariIy require the framing of hierarchically related mIes and principles of conduct exhibiting consistency over time and universalisability over cases, this being essential to the achievement of a rational order superimposed on what would otherwise be a chaos of particular purposes. Under such principles some actual recurring purposes can be generalised as standing aims legitimated (or made mandatory) by one's principles. So values are the product of a system of practical principles. This, if sound, accounts for the extension al equivalence of values and principles. Nevertheless, the formulation of values (or virtues) like 'safety', 'health', 'considerateness', 'justice' or whatever may have a particular utility for the purposes of a critique of a system of mIes or principles as hitherto (at any given time) formulated. By reflecting on what it is that we suppose to be, or are committed to treating as, good to bring about, we may be led to better or more general expressions of the principles of our practical systems or (yet more likely) to see new areas for their application. This perhaps accounts for the standing popularity of utilitarian and other consequentiaIist doctrines in ethics and legal and political phiIosophy. I conclude that the coherence of norms is a matter of their 'making sense' by being rationally related as a set, instrumentally or intrinsic4 In my paper 'The Limits of Rationality in Legal Reasoning', presented to the 11th World Congress of I. V. R., Helsinki, 1983; to be published in the proceedings of that Congress under the editorship of Aulis Aarnio; also, in a German version in MacCormick and Weinberger, Die Theorie der institutionalistischen Rechtspositivismus (Berlin, 1984, forthcoming).
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ally, either to the realisation of some common value or values; or to the fulfilment of some common principle or principles. At the level of the highest-order principles or values there is a further requirement of coherence: that, after allowance for the fulfilment of priority rankings of principles and/or values we consider that in their totality they express a satisfactory form of life 5 , and one which it would be possible for human beings, as human beings are, to live. In short, the coherence of a set of norms is a function of its justifiability under higher order principles or values, principles and values being extensionally equivalent; provided that the higher or highest-order principles and values seem acceptable as delineating a satisfactory form of life, when taken together.
(b) Coherence in justijication: an example A weIl known decision in English criminal law, that of Sweet v. Parsley6 concerned the problem of interpreting astatute which provided: 'U a person - (a) being the occupier of any premises, permits those premises to be used for the purposes of smoking cannabis or cannabis resin or of dealing in cannabis or cannabis resin ... ; or (b) is concerned in the management of any premises used-for any such purpose as aforesaid; he shall be guilty of an offence against this Act.' (Dangerous Drugs Act, 1965, section 5) The particular problem in the case focussed on paragraph (b), to be precise, whether the offence of 'being concerned in the management of any premises used for any such purpose' requires or does not require guilty knowledge or intention or participation in the 'purpose' in question. Miss Sweet, a schoolteacher in Oxford, was tenant of a farmhouse outside Oxford. She sub-let rooms in the house to other persons. After a certain time, her car broke down, and she had to take rooms in Oxford. Thereafter she kept only one room in the farmhouse as her own, and sub-let all the other rooms, with a kitchen etc. retained for common use. She was able to visit the house only occasionally to stay over a night, collect rent, and check that the house was in reasonable condition. In due course, the police discovered that cannabis was being smoked by residents in the house. They charged Miss Sweet, who was indubitably managing the premises, with 'managing premises used for [the purpose of smoking cannabis]" contrary to section 5 (b) of the Act. The trial court found as a fact that 'she had no knowledge whatever 5 Cf. Aulis Aamio, On Legal Reasoning (Turku, 1977) pp. 126 - 9; I am almost tempted here to introduce a concept of 'Aarnio-optimality'. 6 [1968] 2 All E. R. 337; [1969] 1 All E. R. 347 (H. L.).
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that the house was being used for the purpose of smoking cannabis or cannabis resin'. Nevertheless, the court convicted her, being of the opinion that the Act was in terms which implied absolute liability, that is, liability without regard to a person's intention or knowledge as to the purpose in question, provided she or he were actually concerned in the management of the relevant premises. At the first level of appeal, this view was upheld: 'paragraph (b) in dealing with somebody concerned with the management of premises where cannabis is smoked contains an absolute liability; it does not depend on knowledge at aIl'7, thisbeing in contrast with paragraph (a), under which 'permitting' necessarily involves knowledge of what is going on. On the final appeal to the House of Lords, this interpretation of the Act was rejected. There can be discerned at least three elements in the reasoning in favour of allowing the appeal and quashing the conviction: first, there is ambiguity in the Act: 'Is the "purpose" the purpose of the smoker or the purpose of the managementS?' Either possible answer to that question being consistent with the express terms of the Act, either answer is permissible in law, given the requirement that rulings in law and particular decisions must not contradict established rules of law. Secondly, however, the consequences ('consequences-as-implications') of holding that the smoker's purpose suffices are unacceptable: 'The implications are astonishing. Parliament would not only be indirect1y imposing a duty* on persons concerned in the management of any premises requiring them to exercise complete supervision over all persons who enter the premises to ensure that no one of them should smoke cannabis, but Parliament would be enacting that the persons concerned in the management would be guilty of an offence if, unknown to them, someone by surreptitiously smoking cannabis eluded the most elaborately devised measures of supervision. '9 Such reasons - and many such points were taken by the five Law Lords - indicate the extreme undesirability, in their Lordships' view, of imputing to Parliament the intention that the word 'purpose' be read 7 [1968] 2 All E. R. 337 at 339, per Lord Parker C. J.; the magistrates' finding of fact quoted above has the same source. 8 [1969] 1 All E. R. 347 at 352, per Lord Reid. * A duty which, as Lord Pearce pointed out, [1969] 1 All E. R. 356, would necessarily extend to 'the innocent hotel keeper, the lady who takes in paying guests, the manager of a cinema, the warden of a hostel, the matron of a hospital, the housemaster and matron of a boarding school' though 'the most that vigilance can attain is knowledge of their own guilt. If a smell of cannabis comes from a sitting room, they know that they have committed the offence. Should they then go at once to the police and confess their guilt in the hope that they will not be prosecuted?' 9 Id. at 355, per Lord Morris of Berth-y-Gest. On 'consequences as implications', see MacCormick On LegalDecisions and their Consequences, N. Y. U. Law Rev. 58 (1983) 239 - 258.
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as referring to anything other than the purpose of the person concerned in management. What is said, of course, is that Parliament 'cannot' have intended so unjust a result. But the grounds for the imputation of intention are the evaluations of the implications of the rejected interpretation; no independent recourse is available to the otherwise mysterious concept of 'legislator's intention'IO. Thirdly, and also apparently essential to the justification of the ruling in law is what I call the argument from 'coherence': 'A consideration of previous and analogous legislation removes any doubt that these words are intended to refer to such a special and limited class as I have described, one which quite clearly excludes such persons as the appellant. This legislation deals with other "anti-social" activities, such as the keeping of brothels, opium "dens" and gaming houses l1 ." Thus for example: 'The Dangerous Drugs Act, 1920 dealt with opium. The relevant sections are reproduced in the Act of 1965 (s. 8), and it is obvious that the provisions regarding cannabis are based on them. In dealing with the management of premises it seems clear enough that what is in mind is not the lessor of premises on which opium may come to be smoked, but a manager of what, if a noun is required, might be called "opium dens"!!.' So, if a coherent view is to be taken of the legislation controlling such 'anti-social activities', it must be the view that none creates offences of strict or absolute li ability. Reference was also made to the earlier decision of Warner v. Metropolitan Police Commissioner 13 , from which, especially from the leading opinion of Lord Reid, there can be extracted a general principle as to the differentiation of offences of absolute liability from those requiring mens rea. As he re-stated that principle in Sweet's case, it is to the effect that there is a class of 'quasi-criminal acts', acts which 'in the public interest are prohibited under a penalty'. Being penalised in such matters involves no real moral stigma. By contrast, in the case of 'acts of a truly criminal character', 'a stigma ... attaches to any person convicted ... and the more serious or more disgraceful the offence, the greater the stigma'. It has then to be asked whether 'in a case of this gravity, the public interest really requires that an innocent person should be prevented from proving his inno10 But see id. at 351, per Lord Reid, ... 'Speaking from a rather long experience of membership of both Houses, I assert with confidence that no Parliament within my recollection would have agreed to make an offence of this kind an absolute offence if the matter had been fully aired before it.' Does the counterfactual at the end support or confute my suggestion in the text? 11 Id. 359 per Lord Wilberforce. 12
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Ibid.
[1968] 2 All E. R. 356 (H. L.).
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cence in order that fewer guilty men may escape'. That is: where an offence is created to regulate in the public interest a potentially dangerous activity of a specialised kind, and where conviction does not carry moral stigma, liability may be strict or absolute; where offences properly carry some stigma, mens rea ought to be required. This Lord Reid took to be the best - though not a perfect - rationalisation of the previous decisions on the question of absolute liability versus mens rea. In the former c1ass of cases, in his view, the value of public safety is promoted without grave injustice. In the latter c1ass of cases the injustice of a stigmatising conviction of a mo rally innocent person is normally and properly taken to outweigh any competing public interest in general safety and good conduct 14 • These considerations, together with the principle of interpretation that 'if a penal provision is reasonably capable of two interpretations, that interpretation which is most favourable to the accused must be adopted 15 , completed the justification of the decision. I hope it is c1ear how this reading of the reasoning in Sweet v. Parsley conforms to and illustrates what I said earlier by way of explaining my conception of 'coherence'. So far as concerns the coherence argument, the task the judges undertake is a two-fold one. First, the inquiry is as to the principles or values which as far as possible make sense of a relevant set of legal norms - statutes and precedents dealing with similar subject matter in the same field of law. These are partly to be found in the existing materials, partly to be constructed so as to establish a coherent view of the branch of the law, by showing it to be co mpendiously justifiable by reference to some 'underlying' principle or value or coherent set of principles and values which can be conceived as justifying the rules and rulings (the norms) under consideration. These are then applied to the purpose of justifying the actual ruling in the present case, as an analogous application of the same principles or values, and thus as coherent with the pre-established body of law. Where, as in Sweet v. Parsley (and, I suppose, as is almost invariably the case in codified systems of law) the problem concerns the interpretation of a statutory text, the rhetoric of such justification is to pose it as the intention of the legislator to legislate coherently. But there is an air of pious fiction about such rhetoric. It is the theory that legislators ought to legislate for a coherent body of law which justifies the imputation of such intention to the legislator; it is not an actual, independently established fact of proven legislative preference for coherent law which constitutes (as under voluntarist theories of law) a duty u See [1969] 1 All E. R. p. 350. IbicI.
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of the judge so to interpret the law in subservience to this real will of the real legislature. (e) Why Coherenee justifies If we can only fictitiously treat a real legislative intention as that which constitutes 'coherence' as a relevant justifying quality in legal reasoning, we are left with the question why, and in what sense, coherence does justify. Is the theory that legislators ought to legislate for a coherent body of law asound theory? More gene rally, is eoherence a quality which legal norms ought to exhibit, and, if so, why?
To sketch a few considerations in virtue of which 'coherence' may be esteemed relevant to justification: first, it is agreeable to a certain conception of rationality in practical life, that which requires both uni versality and also thegreatest possible degree of generality in practical principles. There are also reasons (fair notice to subjects, relative specificity in the law) why the law should be expounded at the level of relatively detailed rules. But these relatively detailed rules will be arbitrary if they are not also instances of more general principles, fewer in number than the number of the detailed rules, and more general in their terms. Further, since few people can knowmuch of the detail of the law, they are more likely to find it cognisable and predictable in substance if it does instantiate a reasonably small range of general principles. This further point amounts to an element of justice in the dealings between citizen and state. Finally, in so far as (to borrow from Professors Hintikka and von Wright)16 a legal order is an ideal order in the sense of a possible ordering of human affairs which is taken to set a pattern at least for aspiration in the actual conduct of affairs, it seems not enough that it should constitute merely an aggregate of non-contradictory propositions of a relatively detailed sort, the whole having subjoined to it a single general norm that this order is to be realised in social practice. Judged by the standards of extralegal practical reason, such an order could not be a satisfactory form of 'ideal order' for rational human agents. All this implies a formalistic (formally rational) and relativistic sort of justification. Whatever the actual content of a legal system may be, the above considerations and their like imply that it is preferable that the system be interpreted and applied so far as possible under the supposition that its more detailed provisions can be conceptualised as 11 G. H. von Wright, Opening Lecture 'Is and Ought', to 11th World Congress of I. V. R., Helsinki, 1983: 'In order to be rational to entertain, the ideal must be a picture of a possible world which iS;· to use a phrase coined by Jaakko Hintikka, deontically perject.'
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deriving from or instantiating (in the sense of being together justifiable under) some general principles; and also that theprinciples themselves as a set, making allowance for priorities and for different justificatory levels, are capable of being thought coherent in the ultimate sense suggested above at the end of 11 (a). Put in the alternative, the detailed provisions of the system ought to be interpretable as subserving a possible set of mutually compatible values. 'Coherence' can then be satisfied by a system which does subserve what those responsible for determining its content do suppose to be values (e. g. racial purity under various elements of National Socialist law), even although from another point of view - let us say. bluntly a better one - these supposed values are truly evils, On this ground, considerations of 'coherence' may be considered to be only weakly justifying considerations. To borrow a term from David Lyons's recent paper 'Justification and Easy Cases'17 coherence concerns the derivability of a novel decision or ruling in law from the preexisting body of law, not the ultimate defensibility of the decision or ruling from a moral point of view. Moreover, the constraint of coherence seems to be treated by lawyers as a relatively weak constraint, perhaps because it determines only what we might call the 'weak derivabiIity' of a ruling or decision from the pre-existing law. This contrasts with 'strong derivabiIity' where some ruling or decision is deductively derivable from binding rules of the system, in the sense that any other decision would be directly inconsistent with (or contradictory of) some such binding rule. (I do not say that, if the rules are themselves wicked rules, strong derivabiIity entails defensibiIity. But in so far as the adjudicative role is a role determined by positive law, it is clear that the legal duty of the judge is to decide only in ways that are consisent with the established rules of law. The moral duty of the person who holds the judicial office can however over-ride the legal duty.) The reason why coherence determines only weak derivabiIity of ruling or decision from established law is dependent on the fact that coherence is a desirable ideal feature of a system of law. As such, however, it may compete with other ideal features of law, like substantive justice (judged by appropriate criteria) and so forth. Yet it imposes a real and important constraint on judges if we interpret it in a negative sense: unless, by the coherence test, some ruling or decision is at least 'weakly derivable' from existing law, it is not permissible for judges in their judicial capacity to make such a ruling or decision, however desirable on other grounds it may be. 17 D. Lyons, Justification and Easy Cases, paper presented to 11th World Congress of I. V. H., Helsinki, 1983.
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This finally enables me to contrast 'consequentialist' reasoning in the special sense alluded to above with coherence reasoning in law. For in the evaluation of the implications of riyal rulings in a contested case judges and lawyers raise questions of justification in Lyons' sense of dejensibility. Certainly, this is defensibility within narrow constraints posed on the one hand by the requirement of consistency and on the other hand by the negative requirement of coherence. The most 'defensible' decision may be one outside the legal power of judges - and there are sound principles of political morality under which judges should not except in extreme cases opt for the best purely moral decision of a case in defiance of their legal duty as officers of the (positive) legal system. Certainly, the values by which judges evaluate the defensibility of decisions and their consequences are in fact (and, I think, ought to bel noticeably legal values. Yet the value judgments made in the course of consequentialist reasoning in law are - and ought to be - value judgments of the kind engaging the genuine commitment of the judge. The question is: which decision seems genuinely best among the legally admissible ones? The judgment he re is a judgment of substance, not a 'formal' one in the way that judgments of coherence are. The issue is: what is in principle the best way in which to decide the case in hand? It is not: what is the principle which best explains the law as heretofore established by those responsible for establishing it?
III. Narrative Coherence 'Narrative coherence' is my name for a test of truth or prob ability in questions of fact and evidence upon which direct proof by immediate observation is unavoidable. Since almost aIl legal disputes, trials and litigations concern past facts and events, and since no past facts or events are susceptible of direct proof by immediate observation, narrative coherence is a test of great, indeed central, importance in the justification of legal decisions. For most legal decisions require findings of fact as weIl as applications of, or rulings on and applications of, the law. Detective fiction, none better than the Sherlock Holmes stories, gives ample illustration of the force of 'narrative coherence'. The case of the dog that did not bark in the night is a good illustration. The horse has been taken from the stable by night. The trainer has been found dead on the Downs nearby. A suspicious-looking stranger has been picked up by the police and held on a murder charge. But Sherlock Holmes elicits from reliable witnesses the information that they did not hear the dog barking by night. 'The dog did not bark' and 'a stranger took the horse' are not propositions which contradict each other. Yet if, as a generalisa-
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tion, dogs bark at strangers, then, under this common-sense principle, the dog's not barking becomes incompatible with a stranger's taking the horse, unless there is some further explanation, or some relevant exception to the general common-sense principle. Compare real decisions at law, especially where the main evidence is circumstantial. Take Rex v. Smith l8 • The short summary of the evidence in the case given in the headnote of the report is sufficient for our purpose: The appellant was indicted for the murder of M. who had been discovered dead in her bath after having gone through a eeremony of marriage with him. At the trial evidenee was given that subsequently to the death of M. two other women had died in their baths in similar cireumstances after having gone through marriage eeremonies with the appellant. Evidenee was also given of a eonsultation between the appellant and a solieitor coneerning, inter alia, the effeet in law of a voluntary settlement made by M., and whether the trustees eould buy an annuity without M's permission. Not surprisingly, Smith's defenee lawyers had objeeted at the trial to admission of evidence about the deaths of his two 'wives' subsequent to M. by the same misadventure as M. Not surprisingly, the defence had sought to exclude the solicitor's evidence. For reasons of no concern to us today, the Court of Criminal Appeal held that the evidence had been properly admissible, and therefore upheld the conviction. But why was this evidence so damning? Why so vital to the defence to have it excluded? In a common-sense way, the answer is obvious. A man is to be pitied if he loses one wife by drowning in a bath, to be suspected if he loses two, and to be judged a murderer if he loses three. A man whose wife dies is to be pitied. A man whose wife dies shortly after he has checked to ensure that her death will benefit hirn financially is to be suspected as a possible murderer. All this because unlikely misadventures which befall a person once can well be sheer accidents, but unlikely misadventures which recur three times in materially similar circumstances are not usua11y misadventures at a11 but the product of design. A tartian where there is not merely a possible motive (money) but where the motive has been checked out by the person whose possible motive it iso He had checked up to be sure about the money, so we can suppose this possible motive was an actual topic of interest to hirn, a matter actually before his mind. (1) 'The first Mrs Smith died in her bath, and Smith was at horne at the time.' (2) 'The second Mrs Smith died in her bath, and Mr Smith was at horne at the time.' (3) 'The third Mrs Smith died in her bath and 18
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Mr Smith was at horne at the time.' (4) 'Before the first Mrs Smith died, Mr Smith checked up on the prob ability of his inheriting her money.' These sentences (1) - (4) are not themselves contradictory of either (5) 'All the Mrs Smiths died by sheer accident.' or (6) 'Mr Smith wilfully killed all the Mrs Smiths in their baths.' Yet, in the absence of some further sentences disclosing weighty matters of exculpation, (6) coheres with (1) - (4) in a way that (5) does not. This justifies our concluding that we have less ground to doubt (6) than to doubt (5). Whether this puts (6) 'beyond reasonable doubt' so as to justify deeming it true for the purposes of the criminal law (or whether that calls for further evidence, such as was provided at Smith's trial) need not detain uso Why is the story (1) - (4) plus (6) coherent in a way that (1) - (4) plus (5) is not? Why could that justify deciding to take (6) as being the fact of the matter? The answer, I suggest, is that we treat the natural world as explicable in terms of explanatory principles ('laws') of a causal and probabilistic kind, and the world of human affairs as being explicable in terms of explanatory principles of a rational, intentional and motivational as weIl as a causal and probabilistic kind. Accidents which occur without human intervention have to be explained in a non-intentional and nonmotivation al causal or probabilistic way. The prob ability of the conjoint occurrence of the necessary causal conditions for any person's drowning in a bath is low. Even lower is the prob ability of these conditions recurring three times in the case of three persons successively enjoying the same relation-ship with a given fourth party. But the probability that a human agent can intentionally bring about the realisation of these necessary conditions is so high as to amount to certainty. And the probability that someone who has a strong motive to do this intentionally will do so is high. Given those explanatory principles, we can weakly derive (6) from the combination of (1) - (4) and the relevant explanatory principles. This is not a deductive derivation of (6) from the other set. Rather it is the case that (6) plus (1) to (4) belongs within a single rational scheme of explanation of events; whereas (5) plus (1) to (4) does not; not without the supposition of further facts and auxiliary hypotheses. So far, then, I have tried to do compendiously for narrative coherence what I did for normative coherence in sections 11 (a) and 11 (b), namely to show what I und erstand by narrative coherence and to illustrate very sketchily its application as a test justifying adecision about the probandum of a given murder case: that Mr Smith wilfully killed his 'wife' M. in her bath.
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I am left with my third question, why narrative coherence has justificatory force in making decisions abaut matters of fact. As to this, the idea of rationality again has a role to play. Dur intellectual and our practical life is not a me re chaotic succession of Humean impressions and ideas. As both Hume and Kant recognized (though putting the point differently - perhaps less differently than is commonly supposed), we do not actually, nor should we if we esteem rationality a virtue, rest content with a more succession of ideas and impressions. We construct explanatory principles of at least the various sorts mentioned above. We make our world an intelligible worId for uso Dne of the conditions of intelligibility is the supposition that what we perceive is real. Another is the supposition that whatever is real is rationally related under some explanatory principle to whatever else is real. Therefore, whatever propositions about unperceived events fit into our explanatory schema in rational relationships with true propositions about perceived events are, under the second supposition, true propositions about the reality of the unperceived events. The difficuIty, however, is that the suppositions have to be tentative, for three reasons: one is the revisability of our explanatory schemes; the other is the incompleteness of the information derivable from perception - there could be other relevant things that we failed to perceive, that we 'did not notice' . (Nobody, till Holmes came on the scene, had noticed that the dog had not barked); the third is the known delusoriness of some of our perceptions. This perhaps lets us see why the truth is indeed stranger than fiction. Fiction, historiography, and legal proofs all have narrative coherence in common. But in fiction the 'perceptions' are imaginary ones; and we can imagine as many as we want so 'the facts' of the story can always be as complete as the novelist wants them; and the novelist can decide in advance which perceptions by his characters to propound as delusory perceptions; in real life we decide only tentatively and ex post which must have been delusions, precisely because they do not fit our present tentatively held explanatory scheme. Finally, in science fiction at least, the novelist is allowed to present an imaginary worId for which a perfect set of explanatory principles is available. Thus can the worId of fiction be a more coherently understood uni verse than can the 'real worId' ever be for those of us who inhabit it and try to make it intelligible to uso The price of this is that the world of fiction is at some remove from the real world. In a similar way, superseded explanatory principles come to be reckoned as 'fictions' or 'superstitions' by those whose worId view is shaped by new explanatory principles. Think of our view of the
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Homeric Gods or the Ptolemaic spheres. We do not suppose there is no possible world or universe explicable in those terms (otherwise we would not understand how godly arbitrariness or Ftolemaic astronomy could count as an explanation at a11). But we do suppose that no world or uni verse so explicable is our realone. It is our awareness that our successors will do for our explanations what we have done for our predecessors', and for the same good reasons as we have done so, that should encourage us to a proper tentativeness about our own explanations. But this tentativeness is not to be equated with scepticism. Be that as it may. To sum up on narrative coherence: this provides a test as to the truth or probable truth of propositions about unperceived things and events. The test is of the explicability of the tested proposition within the same scheme of explanation as explains propositions considered true on the basis of perception. The relative prob ability of mutua11y inconsistent propositions relating to the same unperceived event (e. g. the drowning of a Mrs Smith) depends on the number of other events which have to be supposed to have occurred to a110w of coherence and on the extent to which further auxiliary explanatory hypotheses have to be resorted to to achieve coherence. The most coherent story among mutua11y inconsistent stories is that which involves the lowest improbability by such a test. Few such stories a110w of certainty as to the truth of the probandum in question. Such a test justifies beliefs, and thus justifies decisions about matters of past fact because (a) it is a necessary condition of the intelligibility of the phenomenal world; and because (b) rationality requires us to make the phenomenal world intelligible. This may involve and would not be inconsistent with a transcendental presupposition that there is a noumenal world which is so ordered as to be perfectly intelligible, and that the phenomenal world perfectly replicates the intelligible structure of that noumenal world. So the propositions which satisfy truth conditions set within our schemes of explanation could be true about the reality of things. But we could never be sure that they are.
IV. Conclusion If the preceding sections have been rather more explicit on normative than on narrative coherence, that merely reflected their author's greater confidence about the former than the latter topic. I am very aware that in the latter field I have ventured into topics in which the patchiness of my reading exposes me to the reproach either of presumptuous naivet€! (dressing up as new thoughts jejune rediscoveries of fragments out of long-recognized and far more refined theories) or
Coherence in Legal Justification
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of crass error (advancing opinions al ready fully exposed as untenable by prior but unread work in the field). Under this confession of possible inadequacy of scholarship, I nevertheless feel entitled tentatively to reach a concIusion on my starting question, whether normative and narrative coherence have anything in common. If my suggestions in each case are in some degree sound ones, then there is a genuine parallelism between that 'coherence' which justifies normative concIusions (or contributes to their justification) and that 'coherence' which justifies factual concIusions. A rational normative order is one which comprises a mutually consistent set of principles and values such that these principles and values propose an ideal pattern of a satisfactory way of life, and such that all the more detailed practical rules and principles within the system are justifiable under (and thus explicable with reference to), though not deducible from, the highest-order principles and values. A rational world-view is one which comprises a mutually consistent set of explanatory principles such that these principles delineate an intelligible pattern of events in a possible world, and such that they make intelligible (because explicable with reference to the principle) the events which our perceptions discIose to USo We could not have a rational normative order without having also a rational world-view. But we should not need a rational world-view, and should certainly not need ways of deciding about the reality of things, if we were not also active subjects desirous of practical rationality in our actions. Finally, however, aIthough there are these paralleIs and connections between our two sorts of coherence, there remains an important difference. Narrative coherence has to do with the truth or probable truth of concIusions of fact. Coherence he re justifies beliefs about a world whose existence is independent of our beliefs about it. But, as Ota Weinberger has so often and so convincingly shown, there is no analogous reason for believing in some sort of uItimate, objective, humanly-independent truth of the matter in the normative sphere. Coherence is always a matter of rationality, but not always a matter of truth. 19
19 A shorter version of this paper was presented at the Lund Symposium on Philosophy of Law and Philosophy of Science in December 1983, and will be published in the volume of proceedings of that symposium, edited by A. Peczenik and G. van Roermund, and published by Reidel. I am much indebted to David Lyons for criticisms of the paper in draft.
Rechtsnormen und sozialer Wandel Von Kazimierz Opalek, Krakau 1. Die Problematik: "Recht und sozialer Wandel" taucht fragmentarischin konkreten rechtsgeschichtlichen, r-echtsvergleichenden und rechtssoziologischen Forschungen, sowie bei der wissenschaftlichen Erörterung der Fragen der Rechtspolitik (de lege jerenda) auf. In dieser Studie handelt es sich jedoch nicht um die Erwägung konkreter Zusammenhänge zwischen den Veränderungen in den sozialen Zuständen und in bestimmten rechtlichen IIlJStitutionen eines gewissen Landes zu einer gewissen Zeit, sondern um eine theoretisch-methodologische Betrachtung der erwähnten Problematik. Eine solche Betrachtungsweise scheint eben für konkrete Forschungen von Wichtigkeit zu sein, da die manchmal nicht präzisierte theoretisch-methodologische Position die Ergebnisse solcher Forschungen negativ beeinflußt.
2. Aus den Gründen, die weiter angegeben werden, statt über den "Wandel" zu sprechen, die stärkere These über die "Entwicklung" im sozialen Leben und im Recht wird angenommen. Die Beziehung zwischen der sozialen Entwicklung und der Entwicklung des Rechts wird folgendermaßen charakterisiert: (a) die Rechtsentwicklung ist primär durch die soziale Entwicklung bedingt; (b) das Recht widerspiegelt die sozialen Erscheinungen der aufeinarrderfolgenden historischen Perioden; (e) das Recht beeinflußt sekundär die soziale Entwicklung. Dieses Schema ist der marxistischen Theorie, und zwar der Lehre vom Verhältnis der Basis zum überbau (insbesondere zum Recht als dem Teil des letzteren) entnommen, wobei es für unsere Zwecke nicht notwendig ist, in weitere Thesen des historischen Materialismus einzugehen. Die marxistische Auffassung der Beziehung: Recht-Wirtschaft wird jedoch weiter in einigen Punkten erörtert. 3. Man soll dessen bewußt sein, daß unser oben dargestellter Standpunkt keineswegs ein allgemein angenommener war und ist. Die Rechtsentwicklung wird z. B. in der Naturrechtslehre (insbesondere der klassischen) abgelehnt.! Die Konzeption der sozialen und recht1 Vgl. z. B. A. Ross, On law and justice, London 1958, K.10 und 11. Es ist bemerkenswert, daß H. KeZsen in seiner umfassenden, vielseitigen, kritischen Analyse der Naturrechtslehre diesen Punkt nicht berührt, was ohne Zweifel auf seine eigene Auffassung von Recht zurückzuführen ist. über Kelsens
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Kazimierz Opalek
lichen Entwicklung wird bei vielen Autoren durch die des Wandels ersetzt (wie z. B. bei W. Friedmann, einem der bekannten und einflußreichen For:scher der Beziehungen zwischen dem Recht und der sozialen Wirklichkeit).2 Die Verknüpfung: Recht-Gesellschaft kann auch mehr oder weniger außer acht gelassen werden, wie z. B. in Gesetzespositivismus als einer Art des Rechtspositivismus, und ganz -entschieden in der reinen Rechtslehre H. KelseDJS. 3 Man begegnet weiter der Behauptung, die sozialen Erscheinungen seien nicht die "wichtigsten" unter denen, die den Rechtsinhalt beeinflU!SSen (z. B. eh. Montesquieu: Recht ist bedingt vor allem duoch bestimmte Naturerscheinungen).' Es wurde auch behauptet, daß das Recht andere Erscheinungen als die sozialen primär beeinflußt {z. B. das Seelenleben bei L. Petrazycki).5 Man begegnet der These über den entscheideiliden Einfluß der sozial-ökonomischen Wirklichkeit auf das Recht (K. Marx), und derentgegengesetzten These über die entscheidende Rolle derrational,en Gesetzgebung für den sozialen Fortschritt (so manclle Doktrinen der Aufklärung), usw. Verschiedene Auffassungen aus der Vergangenheit wurden hier erwähnt, da sie einflußreiche uilid immer wiederkehrende Gedanken enthalten. Man muß hinzufügen, daß die T-ermini, der man sich in solchen Erwägungen bedient, vieldeutig sind. Die Begriffe: "Entwicklung", "Evolution", "Fortschritt", sind mit verschiedenen sozialphilosophi:schen Auffassungen, die ihren Inhalt bestimmen, verbunden und haben bewertende Komponenten. Das, was man unter "Wandel" versteht, nähert sich in gewissen Fällen unbewußterweise den Begriffen "Entwicklung" und "Evolution".6 Die Frage nach dem Verhältnis des Rechtlich-Normativen zur sozialen Wirklichkeit wird verschiedentlich beantwortet, was von dem angenommenen Begriff des Rechts abhängt. Das Recht kann in diese Wirklichkeit plausibel eingegliedert werden, wenn es als gewisse Verhaltenweisen und/oder psychische Vorgänge aufgefaßt wird, aber schwierige Probleme entstehen, wenn unter "Recht" logischsemantische Gebilde oder die durch die Werte konstituierten "Kulturobj'ekte" verstanden werden.7 stellung gegenüber der Naturrechtslehre vgl. K. Opalek, Kelsens Kritik der Naturrechtslehre, RECHTSTHEORIE, Beiheft 4 (1982), s. 71 - 86. 2 W. Friedmann, Law in achanging society, Berkeley und Los Angeles 1959, insbesondere Part one, S. 3 ff. 3 Vgl. K. Opalek I J. Wr6bZewski, Pozytywizm prawniczy (Rechtspositivismus), Panstwo i Prawo 1, 1954. 4 eh. Montesquieu, De l'esprit des lois (1748), insbesondere B.XIX.K.14. 5 Vgl. K. Opalek, The Leon Petrazzycki theory:cf law, Theoria - A Swedish Journal of Philosophy and Psychology 3, 1961. 6 Das letztere z. B. bei W. Friedmann, o. c., S. 22, 24 ff. 7 Vgl. K. Opalek / J. Wr6bZewski, Zagadnienia teorii prawa (Probleme der Rechttsheorie), Warszawa 1969, S. 337 ff.
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Dieser Meinungsverschiedenheiten und Schwierigkeiten bewußt, werden wir weiter versuch:en, die aIligeführten Thesen auszubauen, zu präzIsieren, und ihren kognitiv-explikativen Wert für unser Problem zu überprüfen. 4. Zuel'st wird das Verhältnis zwischen der "elementaren Rechtseinheit" und der "Realität" untersucht. Diese Einheit ist für uns die Rechtsnorm und nicht ein psychiJScher Vorgang, Verhalten oder Wert. Wir nehmen an, das Recht seien die Normen, dIe die Motivationsproz'esse UIl!d durch ihre V'ermittlUIl!g das Verhalten der Menschen beeinflussen. Unter der Rechtsnorm Vlerstehen wir den sprachlichen Ausdruck von bestimmter Bedeutung, die einen 'eigenartigen Akt der Beeinflussung des menschlichen VerhalteIllS kOIlistituiert: genauer, einen Akt, der in der gegebenen sprachLichen Konvention beeinfluss1l[lgsfähig ist. 8 Die Rechtsnormen sind sprachLiche Ausdrücke - Akte, d. h. soziale Erscheinungen spezifischer Art. Die FormuHenmgalso: "Recht im Verhältnis zur sozialen Wirklichkeit" ist für uns nur -eine Kürzung des längeren Ausdrucks: "Rechtsnormen als soziale Erscheinungen spezifischer Art in ihrem Verhältnis zu anderen (außerl'echtlichen) sozialen Erscheinungen". Obwohl die Norm die direktive und nicht die kognitive Bedeutung hat, kann man von ihl'em inhaltlLchen Zusammenhang mit dem korrela,tiV'en empirischen Satz sprechen, wie z. B.: "Der Eigentümer soll den Kraftwagen registrieren", und: "Der Eigentümer registriert den Kraftwagen". Die Norm hat ,einen kognitiven Bestandteil, der dem Inhalt des korrelativen Satzes entspricht. Dieser Bestandteil ilSt zwar kein Satz im logisch:en Sinne, hat jedoch insof.ern den kognitiven Charakter, daß er den Gedanken über l'eale Gegenstände, wie Eigentümer, Kraftwagen und Tätigkeit der Registrierung ausdrückt. 5. Was kann man nun über das Bedingen der Norm durch die Wirklichkeit, die Widerspiegelung der WirkLichkeit durch die Norm und den Einfluß der Norm auf die Wirklichkeit sagen? Die Antwort auf die erste Frage lautet, die Norm sei bedingt durch die faktischen sozialen Situationen, die der Änderung oder Aufrechterhaltung durch das ,entsprechenlde Verhalten der Normadressaten dem Normgeber als bedürftig erscheinen. Das vorgeschriebene Verhalten ist hier ,ein Mittel zur Erzielung eines gewissen individuellen Zustands, und Erzielung dieses Zustands in vi,elen FäHen der NormbefoTgung ist ein Mittel zur Erreichung einer neuen oder Festigung der bisherigen sozialen Situation.' 8 K. Opalek, On the logical-semantic structure of directives, Logique et Analyse 49 - 50 - 1970, S. 190 f., ders., The problem of "directive meaning", in: Festskrift til Professor Dr. Jur. et Phil. Alf Ross, K0benhavn 1969, S. 419 ff.
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Kazimierz Opalek
Das Probl in C" can also be formulated as "Everyone is required to tJ> in C except one who is not an x" or as a pair of sentences: "All are required to tJ> in C" and "Everyone who is not an x is permitted not to tJ> in C". "How is one to decide whether apermission is a strong one or not?" asks Raz. "Why assign such importance to the stylistic inclination of the legislator anyway? Does anything turn on whether an obligation is imposed on people over thirty or on all with the exception for those under thirty? Are we to say that if the law is formulated in the first way then those under thirty have a weak permission to refrain from the action required of their elders, whereas if it is formulated in the second way they have a strong permission?" Raz is so sure that his ironical question cannot be answared but in the negative, that he does not take any trouble to give reasons for his skepticism. And yet a positive answer is by no means as absurd as he thinks. Let us consider first the alleged equivalence between the following norms:
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(1) Every x ought to lP in C. (2) Everyone is required to lP in C, except one who is not an x. (3) All are required to lP in C, and (4) Everyone who is not an xis permitted not to lP in C. Raz maintains that (1), (2) and the conjunction of (3) and (4) are equivalent. It is not easy to handle Raz' symbolism, which is rather unusual. (For instance "x" is not a variable for individuals, but rather for predicates.) So we shall try to give examples, which - we hope - correspond to his a little bit queer formulas.
(1') All males over 21 ought to report to military service. (2') Everybody over 21 is required to report to military service, except females. (3') Everybody over 21 is required to report to military service. (4') Females over 21 are permitted not to report to military service. It is easy to show that (1') and (2') are not equivalent. Take the norm (5) All females over 21 are required to report to military service.
The cOl1junction of (1') and (5) is perfectIy consistent: there is no incompatibility at all. But the conjunction of (2') and (5) is clearly inconsistent: according to (2') females over 21 are permitted not to report to military service, while according to (5) they ought to do it. So (1') and (2') are different norms. As to the conjunction of (3') and (4') it is - as it stands - clearly inconsistent, unless (4') is understood as an exception to (3') which derogates at least part of (3'). If we call (3") that part of (3') which is not derogated by (4'), then the conjunction of (3") and (4') is ideed equivalent to (2'), but not to (1'). But (3') and (4') are neither equivalent to (1') nor to (2'). It follows that it is certainly not the same whether an obligation is imposed on people over thirty or on all with the exception for those under thirty. In the first case nothing is said about those under thirty, so the addition of a new norm establishing the same obligation for people under thirty is compatible with the first norm. But in the second case such an addition would give rise to an inconsistency. Hence, COl1trary to Raz, in the first case people under thirty have only a weak permission, whereas in the second case they have a strong permission to refrain from the action required by their elders.
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There is yet a genuine problem behind Raz's criticism, though his formulation of it is not quite satisfactory. The problem - which is genuine and important - is how to find out what norm is expressed by a given norm formulation (being it authoritative or not), but it has nothing to do with the distinction of strong and weak permissions. To discover the meaning of a given linguistic expression is an empirical question, for which no mechanic -let alone - infallible methods exist. There may be reasonable doubts about the meaning of certain words or sentences used in a law text and it may occur that these doubts cannot be removed by me re cognition and so adecision is required regarding the question of what norm is expressed by that text. Only when we get an agreement about the contents of a normative systems (i. e. about the question of which norms belong to it) are we in a position of asserting which actions are strongly permitted and which are only weakly permitted in that system. So the empirical problem of identifying the norms of a system is previous to the problem of finding out which actions or states of affairs are strongly permitted and which are not. Both problems should be clearly distinguished and kept apart.
VI. Strong permission and permissive norms Another current objection against the doctrine of strong permission, which is also present in Opalek and Woleiiski's criticism, is based on the idea that there are no permissive norms, all norms being norms of obligation (or prohibition, which is the same). And without permissive norms there can be no strong permission; so permission is always weak, i. e. me re absence of prohibition. Alf Ross is perhaps the most forceful representative of this line of thought.24 Ross' argument can be reconstructed in the following way: (1) If there are no permissive norms, then there is no strong permission.25 Cf. especially Ross 1968, pp. 116 - 124. discussion of von Wright's ideas in op. cit. 120 - 124. Ross' that von Wright's "resoning is obviously circular", for he "presupposes that to permit an act is an independent and irreducible normative decision which is distinct from regulating the act under an obligation, distinct, that is from either commanding or prohibiting it." (pp. 121 - 122). This is simply not true, for von Wright does not even try to prove the existence of permissive norms. His argument is that given the existence of permissive norms one must distinguish between strong and weak permission, but he does not use his doctrine of strong permission as a proof for the existence of permissive norms. von Wright's argument certainly presupposes the existence of permissive norms (though not necessarily irreducible permissive norms), but this does not render it circular, though it might be open to the objection that there are no permissive norms (Ross' thesis 4). 24
25 Cf. Ross' ~ontention is
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(2) All permissive norms are reducible to obligation norms.26
(3) "Norms of permission have the normative function only of indieating, within same system, what are the exeeptions from the norms of the system". (p. 120). (4) There are no permissive norms. (5) There are no strang permissions. (6) All permissions are weak permissions, i. e. non prohibitions.27 (1), (2) and (3) are the premises of the argument. (4) is supposed to follow from (2) and (3). (5) follows from (1) and (4) by modus ponens. (6) follows from (5) and von Wright's thesis (1963) that all permissions are either strang or weak permissions. Premise (1) ean be safely granted, but Ross' eonelusion does not follow from it, even if one grants the thesis (3) and (2). As we shall see presently these two premises stand in need of closer examination; but anyhow (4) da es not follow from either of them. So neither (5) nor (6) are justified by Ross' reasoning. The kernel of Ross' argument is the thesis (4), that there are no permissive norms. Let us see what reasons gives Ross in support of this thesis. These reasons are the thesis (2) and (3). Thesis (2) states that all permissive norms are redueible to obligation norms. Even if this were true it would not follow that there are no permissive norms. Ross eonfuses the problem of analyzability of norms of permission with the eontention that there are no permissive norms at all. As R. Moore puts it: "It might be that alZ permissions are in same manner analyzable into norms of obligation; but even if they are, this would not help to support the Reflex Thesis unless it were taken to mean that these permissions aren't permissions at all. And arguing that permissions are not permissions if they ean be analyzed into things which are not permissions is just as fallaeious as arguing that tables which ean be analyzed into atoms are not tables.''28 26 "For our hypothesis that 'obligation' is the single and irreducible normative category to be maintained, we must show how these and similar formulae [someone is entitled to something, has permission to do something, may do something, is authorized to aet in a certain way, ete.] can be analysed in terms of 'obligation'." (p. 118). 27 "As I have defined 'permission' in the preceding table, the expression is identical with the negation of obligation." (p. 120). "Permission in the weak sense is identical with our concept of permission; it me ans simply that the act is not forbidden ..." (p. 121). 28 R. Moore, op. cit. footnote 1, p. 335.
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But what is even worth, Ross' thesis (2) is incompatible with his thesis (3): here he gives an interpretation of permissive norms that clearly shows that they are not reducible to obligation norms. Indeed he maintains that the normative function of permissive norms is to provide exceptions to obligation norms; this me ans that they lift prohibitions, i. e. they cancel or derogate (at least partially) norms of obligation. For what does it mean to provide an exception to an obligation or prohibition, but to derogate part of the original norm? If a doctor after having prohibited his patient to drink wine, later permits hirn to drink a cup a week, then certainly the prohibition to drink wine has been partially lifted. Now, a prohibition certainly cannot be lifted by means of another prohibition. In order to cancel or derogate a norm of obligation we need to perform another kind of normative act, which is radically different in nature from the act of issuing a prohibition.29 Permissive norms often (if not always) perform the important normative function of derogating prohibitions as Ross hirnself recognizes in his thesis (3). (As we have already seen the idea that strong permission may be the result of a derogation was already suggested in Weinberger 1973). But if permissive norms are expressions of acts of derogation or rejection then they are not reducible to obligation norms. Hence thesis (3) contains a negation of thesis (2): far from supporting (4) thesis (3) provides an excellent example of permissive norms not reducible to obligation norms. So (4) is unwarranted, for it does not follow from (2) which - as is shown by (3) - is false, nor from (3). Gf course, as (2) and (3) are mutually inconsistent, (4) follows trivially from the conjunction of (2) and (3) according to the principle ex falso sequituT quodlibet. But this is not a justification of the thesis that there are no permissive norms. And if (4) is not justified, (5) and (6) have no grounds and Ross' whole argument collapses.
VII. Strong permission and the hierarchy of normative authorities Perhaps the simplest and the strongest objection against strong permission is this: which is, after all, the practical difference between strong and weak permission, i. e. between permitted and simply not forbidden actions? The following story might be illuminating: A primitive tribe living from fishing and hunting without any normative restrictions at all, one day decided to appoint (by me ans of democratic election) a chief, conferring on hirn legislative powers. Soon after the election the new chief, a mild and peaceful man called Toro Sentado, issued his first law: "lt is permitted to hunt on Tuesday and Friday." 29
Cf. Alchourr6n-Bulygin 1981.
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Asked whether this meant a prohibition to hunt on a11 other days of the week, the chief replied: "Not at a11, so far I did not prohibit anything, I only have permitted to hunt on Tuesday and Friday." "Does it mean that you promise not to forbid to hunt on these two days in future?" was the next question by a somewhat bewildered member of the tribe (who seemed to have some acquaintance with Norm and Action). "No, I do not like to impose restrictions on my people, but I might change my mind in future if new circumstances arise", was the reply. It is no wonder that the members of the tribe feIt a little disappointed; they could hardly supress the feeling that the election of a legislative authority was so far rather useless. They always used to hunt on any day of the week, and now after the promulgation of the first law, the situation was exactly the same.30 The morals of this story is certainly interesting. It shows that purely permissive norms are of little if any practical interest. If a normative order has to guide human behaviour, it necessarily must contain obligation norms. This point has been repeatedly stressed by Weinberger31 and of course also by Ross. For only obligation norms devide the possible actions into two categories or spheres: the sphere of prohibited actions and the sphere of permitted (i. e. not forbidden) actions or the sphere of permissibility.32 Eut even if Toro Sentado had issued some obligation norms, e. g. prohibiting to hunt an Sundays, the permission to hunt of Tuesday and Friday would still be of little use. So it seems that it makes no point to distinguish within the sphere of permissibility between strongly and weakly permitted actions.33 This is indeed so as long as we restrict our attention to very simple cases where there is only one normative authority, like in the case of Toro Sentado or in Lewis' game. As soon as there are several hierarchica11y ordered authorities the situation changes. Let us suppose that one day Toro Sentado decides to appoint a minister. The minister is entitled by him to issue new norms regulating the behaviour of the people and to derogate them, but he has no competence to derogate the norms issued by Toro Sentado himself. In this case the permission given by Toro 'Sentado to bunt of Tuesdays and Friday func30 Echave, D. T., Urquijo, M. E. and Guibourg, R. A., L6gica, proposicion y norma, Buenos Aires 1980, pp. 153 - 158.
31 32 33
Cf. Weinberger 1977. D. Lewis 1979. Cf. Lewis 1979.
24 Festgabe Welnberger
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tions as a limitation of the competence of his minister: the minister cannot derogate these norms and so he cannot prohibit to hunt on those days, though he can prohibit to hunt an any other day of the week. So such permissions can be interpreted as a rejection in advance of the corresponding prohibitions and if the minister happens to issue a norm prohibiting to hunt of Tuesday or Friday, such a norm would not be valid, for he lacks competence for it. Therefore there is an important difference between those acts that are permitted in the strong sense by the chief and those acts which are merely not prohibited, i. e. weakly permitted; the latter but not the former can be prohibited by the minister. As at least in legal contexts there is always or nearly always a plurality of normative authorities endowed with different competences according to their hierarchy, the distinction between strong and weak permission proves to be, after a11, an important theoretical tool for the description of the dynamics of a legal order.
References Alchourr6n (1969): Alchourr6n, Carlos E., "Logic of norms and logic of normative propositions", in: Logique et Analyse 12, 1969, 242 - 26B. AlchouTT6n-Bulygin (1971): Alchourr6n, C. E. and E. Bulygin, Normative systems, Wien-New York 1979.
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(19Bl): Alchourr6n, C. E. and Bulygin, E.: "The Expressive Conception of Norms", in: R. Hilpinen (ed.) New Studies in Deontic Logic, D. Reidel, Dordrecht-Boston-London 19B1.
Lewis (1979): Lewis, David, "A problem about permission", in: E. Saarinen et a1. (eds.), Essays in Honour of Jaakko Hintikka, D. Reidel, DordrechtBoston-London 1979, 163 - 175. Opalek-Wolenski (1973): Opalek, Kazimierz and Jan Wolenski, "On weak and strong permissions", in: Rechtstheorie, 4, 1973, 169 - IB2. Raz (1975): Raz, Joseph, in: Practical Reason and Norms, London 1975. Ross (196B): Ross, Alf, Directives and Norms, London 196B. Weinberger (1973): Weinberger, Ota, "Der Erlaubnisbegriff und der Aufbau der Normenlogik", in: Logique et Analyse, 16, 1973, 113 -142.
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(1977): "Normenlogik und logische Bereiche", in: A. G. Conte, R. Hilpinen, G. H. von Wright (eds.), Deontische Logik und Semantik, Wiesbaden 1977.
von Wright (1951): Georg Henrik von Wright, "Deontic Logic", in: Mind, 60, 1951, reproduced in von Wright, Logical Studies, London 1957.
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(1959): "On the logic of negation", Soc. Scient. Fennica Physico-Mathematicae, XXII, 4,1959. (1963): Norm and Action, London 1963.
Commentationes
Permission and Permissive Norms -
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(1968): An Essay in Deontic Logic and the General Theory of Action, Amsterdam 1968. (1982): "Norms, truth and logic", in: Martino A. A. (ed.), Deontic Logic, Computational Linguistics and Legal Information Systems, AmsterdamNew York-Oxford, 1982. (1983): "Norms, truth and logic", in: G. H. von Wright, Practical Reason, Oxford 1983.
Zur Begründung einer formalen Normenlogik Von RudoU Freundlich, Graz 1. In der gegenwärtigen Diskussion um die Theorie und Praxis einer Normenlogik (deontischen Logik) ist die Frage, ob das normenlogische Schließen mit rein formalen Mitteln in befriedigender und hinI"eichend exakter Weise sichergestellt werden kann, oder ob es dazu besonderer semantischer Methoden bedarf, noch immer kontrovers. Diese KontroveI"Se und die durch sie aufgezeigten Schwierigkeiten siIlld darauf zurückzuführen, daß die Interpretation und inhaltliche Deutung bestimmter deontologischer Formeln mit Hilfe der gewöhnlichen Sprache vielfach unsicher, nicht eiIlldeutig UIlId mit mancherlei Unklarheiten behaftet ist, wodurch kaum auflösbare Paradoxien zu entstehen scheinen. Diese Schwierigkeiten können aber behoben werden, wenn man sich die Grundsätze klar macht, nach denen man bei den Interpretationen verfährt bzw. verfahren sollte UIlId wenn man diese Grundsätze präzisiert. Es ist das Ziel der folgenden Überlegungen, diese Grundsätze anzugeben und zu ~eigen, daß dann ein Standardsystem der deontischen Logik, welches auf der elementaren Aussagen- bzw. Prädikaten-{Quantoren-)Logik beruht, ein geeignetes Instrument normenlogischen Schließens sein kann.
2. Dazu ist es nötig, das dabei zugrundegelegte deontologische System anzug.eben und zu zeigen, daß es bei adäquater Deutung der Formeln dieses Systems möglich ~st, die erwähnten Schwierigkeiten zu beheben und bezüglich der in der einschlägigen Fachliteratur immer wieder von neuem diskutierten Paradoxa klar zu entscheiden, ob tatsächlich ein Paradoxon vorliegt, bzw. wie ein auftreteIl!des Paradoxon behoben werden kann, sowie auch zu zei:gen, in welcher Weise dem Fall der Erfüllung und insbesondere auch dem der Nichterfüllung eines Normsatzes Rechnung getragen weI"den kann.1 3. Als Grundlage möge das Axiomensystem der deontischen Logik dienen, das Franz u. Kutschera2 angibt. Es sind folgende Axiome: 1 Diese sehr berechtigten Forderungen erhebt Dta Weinberger in seiner Abhandlung "Der Begriff der Nichterfüllung und die Normenlogik" (Ratio, Bd. 14, Heft 1, S. 15 - 16). 2 Fr. v. Kutschera, Einführung in die Logik der Normen, Werte und Ent·· scheidungen, Freiburg/München 1973, S. 46.
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(Al)
Rudolf Freundlich
o (T)
(A2)
o (p -+ q) -+ (Op-+ Oq)
(A3)
Op-+(-,O-,p)
wobei 0 der Gebotsoperator und T eine Tautologie ist, die keinen deontischen Operator enthält, und wobei die Aussagensymbole p, q ... Arten (Klassen) von menschlichen Handlungen oder Klassen von Sachverhalten bzw. (im Falle der Anwendung der Logik) konkrete Handlungen oder Tatsachen bezeichnen. Zu diesen Axiomen treten noch die Regeln der elementar,en Aussagenlogik. Auf dieser axiomatischen Basis sind u. a. auch die Tautologien Op -+ 0 (p V q), Op -+ 0 (q -+ p) und 0 (p A q) (Op A Oq) als Theoreme der deontischen Logik beweisbar, die Anlaß zu den eben erwähnten Paradoxien zu geben und keine eindeutige Entscheidung über ihre Erfüllung bzw. Nichterfüllung zu erlauben scheinen. Das erstgenannte Theorem folgt aus der Tautologie' der Aussagenslogik p -+ (p V q), das zweite aus der Tautologie p -+ (q -+ p) und das dritte Theorem folgt aus den Tautologien (p A q) -+ p, '(p A q) -+ q und p-+(q -+ (p A q)), jeweils in Verbindung mit den deontologischen Axiomen Al und A2. 4. Es sind drei, eigentlich naheliegende Grundsätze, durch deren Beachtung die erwähnten Schwier~gkeiten beseitigt werden können: erstens (a) beziehen 'sich alle Formeln der Normenlogik, an deren Spitze ein deonUscher Operator steht, unmittelbar (al), oder mittelbar (a2) auf ein als solches bereits vorhandenes, also in Geltung stehendes Normensystem, wie z. B. auf einen Kodex von Moralvorschriften oder Rechtsvorschriften, und drücken also bereits geltende Normen aus, zweitens (b) ist daran festzuhalten, daß wir auch bei der inhaltlichen Interpretation deontologischer Formeln, die ja mit Hilfe der gewöhnlichen Sprache erfolgt, an die definitorisch festgelegte Bedeutung der aussaogenlogischen Junktoren gebunden sind und daß wir uns davon auch nicht mit dem Hinweis auf ein abweichendes, durch die Mehrdeutigkeiten der gewöhnlichen Sprache nahe gelegtes "intuitives" Verständnis dispensieren können, und drittens (c) ist stets der Unterschied festzuhalten, der zwischen dem Bereich der Formeln der Normenlogik (die ja Vorschriften der Moral und des Rechts ausdrücken) und ihrem inneren Zusammenhang einerseits und der Anwendung dieser so formulierten Normen auf einen konkreten Fall andererseits besteht, so daß sich das normenlogische Schließen stets auf di'ese zwei Ebenen erstr,eckt, wobei es immer, vor allem bei der Frage der Erfüllung bzw. Nichterfüllung, der ausdrückLichen Feststellung bedarf, daß in dem betreffenden konkreten Fall überhaupt eine solche Handlung bzw. Tatsache vorliegt, die unter eine ,geltende Norm fällt.
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4.1. Die Formeln der Normenlogik beziehen sich, uzw. zunächst unmittelbar (Punkt al) auf di'e Vorschriften eines jeweils bestimmten Normenkodex, indem sie dazu dienen, diese in Geltung stehenden Vorschriften mit den Mitteln der logischen Symbolsprache auszudrücken. Diese Voraussetzung gilt auch dann, weIl!Il zum Zweck von Erläuterungen und Analysen Beispiele "ad hoc" herangezogen werden, wie etwa "SchlieUe das Fenster" oder "Wenn Du slingst, schließe das Fenster". In solchen Fällen ist mit der Wahl des Beispiels auch hier bereits vorausgesetzt, daß die betreUende Vorschrift ("Es ist geboten, das Fenster zu schließen" bzw. "Es ist geboten: wenn Du singst, das Fenster zu schließen") als ein geltendes Gebot schon vorliegt. Die betreffenden Vorschriften sind in der g,ewöhnlichen Sprache formuliert und werden bei Anwendung der deontischen Logik, wenn es darum geht, logische Beziehungen zwischen ihnen darzustellen, in die logische Symbolik übertragen. Also sind sie auch nach ihrer übersetzung geltende Gebote, und beim logischen Schließen überträgt sich ihre GeHung von den Prämissen auf die Conclusio, analog wi'e sich bei Schlußfolgerungen in der deskriptiven Sprache die Wahrheit von den Prämissen auf die Conclusio überträgt. Das schließt aber die Auffassung nicht aus, die in den deontischen Formeln ausgedrückten Normen und die Beziehungen zwischen ihnen als wahre Sätze anzusehen, UZ'W. insofern, als sie Sätze über Normen darstellen, die tatsächlich gelten, denn von einer Norm, die gilt, kann man auch sagen, daß es wahr ist, daß sie gilt. Die Deutung der Formeln als "Normsätze" ist also verträglich mit ihrer Deutung als "deontische Sätze"3, es ist lediglich nötig, im jeweiligen Argumentationszusammenhang en1:weder die eine oder die andere Auffassung zugrundezulegen. 4.1.1. Jene Formeln, die unmittelbarer Ausdruck der geltenden Vorschriften eines Normenkodex sind, haben entweder die Form unbedingter Gebote, nämlich die Form Op oder die Form bedingter Gebote, das ist die Form 0 (q ~ T). Die Variablen p, q, T ••• sind, sofern sie in den die Vorschriften eines Normenkodex unmittelbar darstellenden Formeln auftreten, Beschreibungen nicht von ,irgendwelchen beliebigen Handlungen oder Sachverhalten, sondern von solchen Handlungs- oder Sachverhaltsarten, die eben von Vorschrivten des zuständigen Normenkodex betroffen sind. Das gilt auch von den Variablen p und q in den Axiomen A2 und A3. Nur das Axiom Al scheint eine gewisse Ausnahme zu bilden, und zwar insofern, als T irgendeine Tautologie ist und damit auch die in ihr vorkommenden Variablen p, q, T ••• irgendwelche beliebige Handlungen oder Sachverhalte bezeichnen. Es ist je3
Zu der Unterscheidung "Normsätze" und "deontische Sätze" siehe Chri-
stiane und Ota Weinberger, Grundzüge der Normenlogik und ihre seman-
tische Basis, in: RECHTSTHEORIE, 10. Band 1979, Heft I, S. 4.
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doch zu bedenken, daß das Axiom Al lediglich eine logisch-technische Funktion hat, um die AbleHung und den Beweis von Theoremen eines Normensystems zu erleichtern und daß von diesem Axiom überhaupt nur dann Gebrauch gemacht wird, wenn es sich eben um die Anwendung der deontischen Logik auf vorgegebene Normen handelt, und das heißt, daß wir dann schon voraussetzen, daß die in Tauf tretenden Variablen solch,e Handlungs- oder Sachv,erhaltsarten (Situationsarten) ausdrücken, die von einem Kodex geltender Vorschriften betroffen sind. Also besteht de facta kein Unterschied bezüglich der Rolle, den die Handlungs- und Sachverhaltsvariablen in :den Axiomen A2 und A3 einerseit und in Al andererseits spielen. 4.1.2. Was die Unterscheidung von Handlungen und Sachverhalten betrifft, so kann in Formen wie Op die Variable p eo ipso ausschließlich eine Handlung betreffen. In Formen wie 0 (q ~ T) und überhaupt in allen Formen, in denen sich der Bereich des deontischen Operators auf eine aussagenlogische Verknüpfung erstr,eckt, können entweder sowohl q als auch T HandlUlligen, oder aber die eine Variable eine Handlung, die andere einen anderweitigen Sachverhalt bezeichnen. So kann z. B. q die Handlung "ein Versprechen geben" und T die Handlung "ein Versprechen halten" ausdrücken, wie andererseits q den Sachverhlat "am Steuer eines Autos bei Rot an eine Straßenkreuzung kommen" und T die Handlung "das Auto anhalten" bezeichnen kann. 4.2. Formeln der Normenlogik beziehen sich nur mittelbar (Punkt a2 in § 4) auf einen geltenden Normenkodex, wenn es im Verlauf von deontologischen Beweisgängen und Ableitungen zur Verwendung von solchen Symbolen kommt, die lrgendwelche beliebige, durch den Normenkodex nicht ursprünglich b.etroffene Handlungen oder Sachverhalte bezeichnen. 4.2.1. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn von dem aussagenlogischen Axiom (der aussagenlogischen Regel) p-+ (p V q) in Verbindung mit den Axiomen Al und A2 Gebrauch gemacht wird, so daß etwa ,im Falle des Modus ponens der logische Übergang von Op zu Formen wie o (p V q) stattfinden kann. Da in diesem Fall das Symbol "q" eine solche Handlungs- bzw. Sachv,erhaltsart bezeichnet, die nicht von einer ursprünglichen Vorschrift des Normenkodex betroffen ist, wil'd durch die Schlußfolgerung von dem 'geltenden Gebot Op auf das abgeleitete Gebot 0 (p V q) willkürlich eine ganz beliebige andere Handlungs- bzw. Sachverhaltsart in den Geltungsber,eich des Gebotes einbezogen, und zwar derart, daß dadurch statt der ursprünglich gebotenen Handlung p nunmehr die Herstellung einer Beziehung der Handlung p zu irgendeiner anderen Handlung bzw. einem anderen Sachverhalt q geboten wird. Dadurch bezieht sich die abgeleitete Formel 0 (p V q)
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nur mehr mittelbar auf den betreffenden Normenkodex, zum Unterschied von einer solchen Form 0 (p V q) die unmittelbarer Ausdruck eines dem Normenkodex ursprünglich angehörenden Gebotes ist, das die Beziehung zwischen zwei Handluiligsarten, bzw. zwischen einer Handlungsart und eiIller Sachverhaltsart regelt. Es ist zweckmäßig, diesem Unterschied zwischen ursprünglichen und abgeleiteten Geboten auch terminologisch Rechnung zutragen, iIlldem man ursprünglich normgebundene oder "primär normierte" Hailidlungen bzw. Sachverhalte von nicht ursprünglich normgebundenen oder "sekundär normierten" Handlungen bzw. Sachverhalten untersche~det. Dementsprechend kann man Gebote, die primär normierte Handlungen zum Gegenstand haben, als "primär normierende" und Gebote, d~e sekundär normierte Handlungen zum Gegeilistand haben, als "sekundär normierende" Gebote bezeichnen. Von sekuIlldär normierten Handlungen sind "nicht normierte" Handlungen, die durch di,e Symbole "p", "q", "r" ... , ohne Vorsetzung eines deontischen Operators bezeichnet werden, zu unterscheiden. 4.2.2. Deontologische Formeln beziehen sich auch dann nicht unmittelbar, sondern mittelbar auf einen Normenkodex, wenn die im Zuge von Ableitungen oder Beweisgängen eingeführten Symbole für irgendwelche Handlungen oder Sachverhalte nicht innerhalb, sOilidern außerhalb des Bereiches eines deontischen Operators auftreten, indem sie durch einen aussagenlogrl.schen Junktor mit Formen wie Op oder o (q -+ r) verknüpft werden, so daß Formen wie sV Op oder s V 0 (q -+ r) ("gemischte Normsätze")4 entstehen, wobei "s" eine nichtnormierte Handlungs- oder Sachverhaltsart be~eichnet. Wenn auch kaum Veranlassung bestehen dürfte, von solchen Formen als Durchgangsstadien des deontologischen Schließens Gebrauch zu machen, ist es, da sie prinziptell möglich sind, doch zweckmäßig, sich zu vergewissern, daß bei ihrer Interpretation keine Ungereimtheiten oder Schwierigkeiten auftreten können.
Solche Formen sind aussagen:logLsche Vcerknüpfungen zwischen einer Aussage über die Geltung eines Gebotes und einer Aussage über das Bestehen eines Sachv·erhaltes oder den Vollzug einer Handlung. Formen wie s V Op oder s V 0 (q -+ r) siIlld wahr genau dann, wenn mindestens eine der bei den Aussagen, die Aussage über di.e Gültigkeit eines Gebotes Op bzw. 0 (q -+ r) oder die Aussage über das Bestehen eines Sachverhaltes s wahr ist. Man wird also in solchen Fällen die Formen Op und 0 (q -+ r) nicht im Sinne von Normsät2len, sondern im Sinn von deontJischen Sätzen interpretieIien. 4 Zum Begriff "gemischter Normsatz" vgl. C. und O. Weinberger, Logik Semantik, Hermeneutik, Beck'sche Elementarbücher, 1979, S. 123.
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5. Die in den §§ 4.1.1. bis 4.2.2. erwähnte Verschieden artigkeit von deontologischen Formeln muß berücksichtigt werden, wenn diese Formeln inhaltlich interpl1etiert oder auf konkrete Fälle angewendet werden und wenn über ihre Erfüllung oder Nichterfüllung entschieden werden soll (Punkte b) und e) in § 4). Zuerst sollen die Formen für primär normierende Gebote und damit im Zusammenhang stehende Formen und ,im Anschluß daran Formen für sekundär normierende Gebote behandelt werden. 5.1. Primär normierende Gebote treten :in zwei Grundformen auf, entweder in der Form eines unbedingten Gebotes Op oder eines bedingten Gebotes 0 (q -+ T), wobei p und T je eine Handlungsart und q eine Handlungs- oder Sachverhaltsart bezeichnen. Außerdem können im Verlauf von logischen Ableitungen auch aussagenlogische Verknüpfungen von primär normierenden bedingten oder unbedingten Geboten, also Formen wie Op V Oq oder Op -+ 0 (q -+ T) auftreten ("rein zusammengesetzte Normsätze")5. 5.1.1. Über die Bedeutung der Formel Op kann kein Zweifel bestehen. Sie besagt, daß das Gebot, daß die bedingungslose Pflicht besteht, die durch den Satz p beschriebene Handlung auszuführen. Wenn über die Erfüllung bzw. Nichterfüllung eines solchen Gebotes entschieden werden soll, hat dies zur Voraussetzung, daß überhaupt eine solche Hmdlung vorliegt, die zu der von dem Gebot Op betroffenen Art g,ehört. Geht es z. B. darum, zu entscheiden, ob das Gebot "Es ist unbedingte Pflicht, jede HandlUlIlig so einzurichten, daß die Rechtsanspruche anderer Personen gewahrt bleiben" in einem bestimmten Einzelfall erfüllt ist, dann schließt dies immer die ausdrückliche Feststellung ein, ,daß die hie et nune vorHegeilide Handlung überhaupt eine solche ist, daß durch sie Rechtsanspruche ailiderer Personen tangiert werden. Das kann mit Hilfe eines besonderen Symbols geschehen, -etwa dadurch, daß man die in Rede stehende Handlungsart p mit einem oberen Index versieht, indem man z. B. das Symbol pO verwendet. Durch pO wird ausgedruckt, daß die in diesem konkreten Fall zur Debatte stehende Handlung eine solche ist, die zu der von dem Gebot Op betroffenen Art gehört. Es ist nötig, von dieser Kennz-eiclmung prinzipiell überall dort Gebrauch zu machen, wo eine deontische Formel auf ,einen bestimmten Einzelfall bezogen wird. Man kann dieses Prinzip als "Aktualisierungspnnzip" bezeiclmen. Bei Nichtbeachtung dieses Prinzips wird der wesentliche Unterschied verwischt, der zwischen dem Bereich der Gebote und ihrem inneren logischen Zusammenhang einerseits und der Feststellung der Befolgung oder Nichtbefolgung der Ge5
Zum Begriff "rein zusammengesetzter Normsatz" vgl. a.a.O.
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bote andererseits besteht, so daß dadurch Ungereimtheiten und Paradoxien 'entstehen. Das Aktualisierungsprinzip kann folg,eIlJdermaßen formuliert werden: "Wenn Op A pO, dann Opo" , das heißt: "Gilt das Gebot Op und liegt die unter dieses Gebot fallende Handlung pO vor, dann gilt in diesem konkl1eten Fall das Gebot Opo". Das Aktualisierungsprinzip kann also nicht einfach als EiIlJSetzungsinstanz, sondern nur als das, was es ist, nämlich als jenes Prinzip verstanden werden, das den übergang vom Bereich der Gebote zum Bereich der Fakten, auf die die Gebote angewendet werden, regelt. Erst nach der F,eststellung, daß pO zu der vom Gebot Op betroffenen HandlUIligsart p gehört, und durch diese Feststellung, gewinnt po den Status einer Einsetzungsinstanz in das allgemeine Gebot Op. Im Falle eines bedingten Gebotes bezieht sich die Feststellung, daß ein konkreter Fall vorliegt, für den das Gebot 0 (q ~ T) zuständig ist, auf das bedingende Antecedoens q, so daß das konkrete Antecedens qO gegeben ist, woraus sich dann die konkrete Verpflichtung ergibt, die unter die Handlungsart T faUende konkrete Handlung T O auszuführen. Darauf wird in § 5.2.1. noch zurückzukommen sein. 5.1.2. Auch die Form 0 (p A q) drückt ein primär normierendes Gebot aus. Ein solches Gebot bedeutet d~e Pfli:cht, eine Konjunktion zweier Handlungen herzustellen, also die Pflicht, beide Handlungen auszuführen, sowohl p als auch q, was dasselbe ist wie die Konjunktion der Pflicht p mit der Pflicht q. 0 Cp A q) ist auch logisch äquivalent und deshalb auch bedeutungsgleich mit Op /\ Oq. Nun ist allerdings die Gültigkeit eben dieser Äquivalenz ~die sich auf der hier zugrundegelegten logischen Basis ergibt) mit der Begründung bezweifelt worden, daß zwischen diesen heiden Formeln doch ein Bedeumngsunterschied bestünde, und zwar insofern, als mit dem Gebot 0 (p A q) mehr gemeint sein könne als mit Op A Oq, nämlich die Forderung, nicht die eine ohne die andere Handlung auszuführen, so daß, auch im Zuge einer logischen Ableitung, die Abtrennung von Op bzw. Oq von der Gesamtfo'rmel o (p A q) DJicht erlaubt sei. Eine solche Interpretation beruht aber auf einem Mißverständnis, denn bei!de Handlungen, sowohl p als auch q, können gar nicht anders ausgeführt werden, als dadurch, daß die eine Handlung ausgeführt und auch die andere Handlung ausgeführt wird. Auch bedeutet die Abtrennung nicht, daß etwa mit der Erfüllung des abgetrennten Gebotes auch schon über die Erfüllung der Konjunktion der beiden Gebote (Op A Oq) etwas ausgesagt wäre. Wenn nur eine der beiden Handlungen allein ausgeführt wird (gemäß der durchaus korrekten Abtrennung von Op bzw. Oq), ist das Gebot Op A Oq ebenso wenig erfüllt wie dann, wenn keine der beiden Handlungen ausgeführt
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wird. Es gibt keine "Grade", kein "mehr" oder "weniger" der Erfüllung einer zusammengesetzten deontologi:schen Formel, sondern nur Erfüllung oder Nichterfüllung der ganzen Formel. Mit einem Wort: das Gebot 0 (p /\ q) ist dann erfüllt, wenn auch das Gebot Op /\ Oq erfüllt ist und umgekehrt .. Schließlich wäre auch denkbar, daß mit dem Gebot 0 (p /\ q) gemeint sein könnte, daß, falls der eine Teil des Gebotes, p bzw. q, nicht befolgt wird, d~e AusführUDig des anderen sogar verboten ist6 • So kann z. B. mit dem Gebot "Lasse das Fenster geschlossen und spiele Klavier" außer dem Auftrag, beildes zu tun, gleichzeitig auch gemeint sein, daß, falls das Fenster nicht geschlossen iJSt, nicht Klavier gespielt werden darf. Eine solche Interpretation ist aber weniger ein Gegenbeispiel zu der Gültigkeit des Schlusses von 0 (p /\ q) auf Op /\ Oq als vielmehr ein Beispiel für eine mögliche Unklarheit und Mehrdeutigkeit in der umgangssprachlichen Formulierung des eigentlich gemeinten Gebotes. Denn bei der erwähnten Auffassung haben wir es de facta mit einem anderen, sogar wtdemprüchli.chen Gebot zu tun. Denn sollte mit o (p /\ q) gemeint sein "Wenn das Fenster nicht geschlossen ist, darfst Du nicht Klavier spielen", dann wäre dies durch 0 (-, p ~ -, q) darzustellen, was gleichbedeutend ist mit 0 (p V -, q) und dem ursprünglichen Gebot widersprtcht, da ,es seine Verletzung zur Voraussetzung hat, oder aber, es sind beide Gebote gemeint, zwischen denen die freie Wahl gelassen wird, das eine oder das andere Gebot zu erfüllen, was dann aber durch die Disjunktion 0 (p /\ q) V 0 (-, p V q) auszudrücken wäre. Es besteht als keine Gefahr, daß durch den Schluß von 0 (p /\ q) auf Op /\ Oq Pflichten statuiert werden könnten, die durch die Prämisse nicht gesetzt sind. 5.1.3. Was die Negation betrifft, so kann sie sich einerseits auf die Handlung, andererseits auf das Gebot aLs ganzes beziehen. Steht das Negationszeichen unmittelbar vor dem die Handlung beschreibenden Symbol p, q, r, ... , dann bedeutet es die Nichtausführung, also die Unterlassung der durch p, q, r, ... beschriebenen Handlung, und zwar gleichgültig, ob statt dessen eine andere Handlung ausgeführt wird oder Illicht. Steht das Nega1lionszeichen vor dem Gebotsoperator (" -, Opec bzw. "-, 0 -, p"), dann bedeutet dies, daß die betreffende Handlung keinem Gebot (bzw. Verbot) unterliegt. Das eventuelle Mißverständnis, als könnte aus -, Op auf 0 -, p geschlossen werden, wird aber durch das Axiom A3 ausgeschlossen. Dadurch ist die deontische Widerspruchsfreiheit sichergestellt. Die doppelte Negation bedeutet die Aufhebung der Negation, das ist die Aufhebung des Nichtgeboteseiner 6
Siehe dazu ehr. und O. Weinberger, Logik, Semantik, Hermeneutik,
S. 128 - 129.
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Handlung bzw. die Nichtunterlassung einer Handlung, was dem entsprechenden Gebot bzw. der Ausführung der betreffenden Handlung gleichkommt. 5.2. Was unter den pnmar normierenden Geboten die bedingten Gebote betrifft,so ist mit der Form 0 (q ~ T) wegen der Ersetzbarkeit der Implikation durch Disjunktion und Negation auch die Form o (p V q) getroffen. Gleichzei1Iig sind dies die beiden Formen, in denen sekundär normierende Gebote auftreten, und es sind auch die Formen, die mit den größten Interpretationsschwierigkeiten behaftet zu sein scheinen. 5.2.1. Für die Darstellungen bedingter Gebote kommt ausschließlich die Form des deontisch bedingten Normsatzes, das ist die Form 0 (q ~ T) in Frage.7 Diese Formel besagt, daß eine solche Handlung geboten ist, die einen Zusammenhang, eine bedingende Beziehung herstellt zwischen der Ausführung einer Handlung bzw. dem Vorliegen eines Sachverhaltes q und ,einer Handlung T. Nur diese Form drückt das aus, was ein bedi.ngtes Gebot ausmacht, nämlich die Bindung des Gebotes, eine Handlung T auszuführen, an die bedingende Voraussetzung des Vorliegens von q. Deshalb wäre es inadäquat, ja fehlerhaft, ein bedingtes Gebot in der Form eines "material bedingten Normsatzes" , das ist in der Form q ~ OT, darzusteUen8 , denn diese Form würde bedeuten, daß ein Sachverhalt bzw. eine vollzogene Handlung q das unbedingte Gebot OT nach sich zieht, was gleichbedeutend mit der Behauptung wäre, daß aus einem Sein ein Sollen folgt. Die Form q ~ OT ist allerdings dann, aber auch nur dann legitim, wenn damit ausgedrückt werden soll, daß eine solche bedingende Gegebenheit q vorliegt, die unter ein geltendes bedingtes Gebot 0 (q ~ T) fällt, so daß wegen des faktischen Vorliegens der Bedingung q die Ausführung der Handlung T ,geboten ist. Dann muß aber, analog wie in § 5.1.1. bereits angeführt, die Feststellung, daß eine unter das bedingte Gebot 0 (q ~ T) fallende Bedingung q tatsächlich vodiegt, gemäß dem "Aktualisierunsgprinzip" durch eine besondere, die Aktualität UIl!d Konkretheit dieser Bedingung kennze'ichnende Symbolisierung, nämlich durch das Zeichen "qO", zum Ausdruck gebracht werden. Das bedeutet dann aber auch die AktuaIisierung der an die Bedingung q gebUllidenen Handlungsart T zu der konkreten Handlung .,0, die nun auszuführen geboten ist. Das Vorliegender konkre.ten 7 Zum Begriff des "deontisch bedingten" und des "material bedingten" Normsatzes siehe Hans Lenk, Zur logischen Symbolisierung bedingter Normsätze, in: H. Lenk (Hrsg.), Normenlogik, Ver!. Dokumentation, Pullach bei München, 1974, S. 113 f. 8 Für die Darstellung bedingter Gebote wird als nicht die Form des "Bedingungsnormsatzes" angenommen. Vgl. dazu ehr. Ulld O. Weinberger, a.a.O., S.124.
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Handlung bzw. des konkreten Faktums qO impliziert das für diesen Fall bestehende aktuelle Gebot orO. Es gilt also qO ~ orO, uzw. wegen des geltenden allgemeinen Gebotes 0 (q ~ T) in V'erbindung mit dem konkreten, unter q faUenden Faktum qO, woraus das konkrete Gebot OTO folgt. Damit verfügen wir über ein Prinzip, welches die Anwendung eines bedingten Gebotes auf einen vorliegenden Fall regelt. Man kann dieses Prinzip als "Deontisches SchlußpTinzip" bezeidmen.1I Dabei dst allerdings noch eine stillschweigende Voraussetzung zu erwähnen, die in der Regel jedem bedingten Gebot zugrundeUegt und die hier berücksichtigt werden muß, die Voraussetzung nämlich, daß, falls die Bedingung q im Rahmen des bedingten Gebotes 0 (q -+ T) eine Handlung ausdrückt, diese Handlung nur eine solche sein kann, die nach dem entsprechenden Normenkodex nicht verboten ist. Das heißt, daß die Anwendung des deontischen Schlußprinzips an die Voraussetzung --, 0 (-, q) gebunden ist.10 Das deontische Schlußprinzip kann dann folgendermaßen formuliert werden: Wenn 0 (q -+ T) UIl!d das unter die Gattung q fallende Faktum qOgegeben sind, dann gilt, vorausgesetzt, es gilt --, 0 (-, q), qO -+ OTO und daher auch orO, wobei OTodie unter die Handlungsart r fallende und dementsprechend auszuführende individuelle Hailidlung bezeichnet. 5.2.2. Dieses deontische Schlußprinzip ist im Rahmen einer formalen Normenlogik unentbehrlich, weil andernfalls bei ihrer Anwendung die Schlußfolgerung von der Feststellung eines von einem Gebot betroffenen Faktums auf die unter den g,egebenen Umständen für die betreffeilide Person bestehende Verpflichtung, und im Anschluß daran auch die Feststellung der Erfüllung dieser Verpflichtung nicht möglich wäre. Das folgende einfache Beispiel möge dies erläutern. Das bedingte Gebot 0 (q -+ T) möge für die generelle Verpflichtung stehen, ein gegebenes Versprechen einzuhalten. Dazu läge die Feststellung des Inhalts vor, daß Herr A dem Herrn B das Viersprechen gegeben habe, ihm bei seiner Verehelichung 10000 Schillinge zu zahlen. Diese F,eststellung wäre bei Nichtvorhandensein des deontiscb:en Schlußprinzips durch "q" zu symbolisieren. Wenn nun Herr B heiratet, dann muß Herr A sein Versprechen einlösen. Diese Verpflichtung läßt sich aber ohne Zuhilfenahme des deontischen Schlußprinzips nicht erschließen, weil aus den beiden Prämissen 0 (q ~ T) und q nicht auf die Verpflichtung Or geschlossen werden kann, da es einen derartigen "Modus ponens" nicht 11 Vgl. R. Freundlich, über bedingte Gebote und das deontische Schlußprinzip, in RECHTSTHEORIE, 13. Band 1982, Heft 3, S. 325 f. 10 Diese Voraussetzung wurde a.a.O. nicht erwähnt, sie war deshalb hier nachzutragen.
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gibt und weilclie ausdrückliche Kennzeichnung der Feststellung, daß das unter das Gebot fallende Faktum vorliegt, f'ehlt. Nach dem deontischen Schlußprinzip hingegen folgt aus 0 (q -+ T) in Verbindung mit der Feststellung des Vorliegens von qO die in diesem Fall einzulösende Verpflichtung OTO. Diese heiden Umstände sind es auch, deren Feststellung für die Entscheidung über Erfüllung oder Nichterfüllung des Versprechens maßgebend sind: es i,st festzustellen, daß dieses bestimmte Versprechen qO vorliegt und daß deshalb die Ausführung der Handlung TO Pflicht ist. Wenn dann die Handlung rO ausgeführt ist, dann ist das Gebot erfüllt, ist sie nicht ausgemhrt oder wird statt dessen eine andere Handlung vollzogen (z. B. ein neuerliches Versprechen gegeben, die 10000 Schillinge zu einem anderen Zeitpunkt zu zahlen oder auf derzeitige Zahlungsunfähigkeit hingewiesen etc.), dann ist das Gebot nicht erfüllt. 5.2.3. Die Fruchtbar:meit des deontirschen Schlußprinzis zeigt sich vor allem auch bei der Auflösung der in den einschlägigen Diskussionen immer wieder erwähnten Paradoxien, die im Zusammenhang mit bedingten Geboten und deren Darstellung zu entstehen scheinen. Sie lösen sich auf, wenn man das deontische Schluß prinzip zu Hilfe nimmt und bei der übersetzung der auftretenden Formeln in die gewöhnliche Sprache an der definitorisch festgelegten Bedeutung der aussagenlogischen Junktoren festhält. l l Es ist dabei bemerkenswert, daß Interpertationsschrwierigkeiten nicht bei primär normierenden, sondern nur bei sekundär normierenden Geboten auftreten können, und zwar dann, wenn von einem unbedingten primär normierenden Gebot der Form Oq oder der Form 0..., q durch Einbeziehen einer beliebigen, nicht normierten Handung Tauf ein sekundär normierendes Gebot von der Form 0 (q V T) oder der Form 0 (q -+ T) geschlossen wird. Wenn das Gebot Oq gilt, gilt notwendigerweise auch das abgeschwächte, sekundär normierende Gebot 0 (q V T). Bei der Deutung dieser Formel muß auch hieran -der Bedeutung der Disjunktion festgehalten werden, das heißt, daß 0 (q V T) nicht bedeutet, daß man sich aussuchen könne, ob man q oder auch T als gebotene Handlung annimmt, sondern nur, daß mindestens eine der beiden Handlungen, q oder T geboten ist. Die Folgerung von Oq auf 0 (q V T) bedeutet ferner, daß jedenfalls dann, wenn Oq erfüllt ist, auch 0 (q V T) erfüllt ist. Falls jedoch Oq nicht erfüllt ist, folgt für 0 (q V T) weder Erfüllung noch Nichterfüllung, denn 0 (q V T) ist das schwächere Gebot, und als solches kann es unter Umställidenerfüllt ,sein, wenn das 'Stärkere Gebot Oq nicht erfüllt ist, es kann aber auch gleichfalls nicht erfüllt sein. 11
Siehe a.a.O.
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Angenommen nun, der Schluß von dem Gebot Oq auf das sekundär normierende Gebot 0 (q V T) wäl.'le vollzogen und es läge dazu die Feststellung vor, daß ein konkreter Fall der Nichterfüllung von Oq, nämlich die Unterlassung ,der Handlung q in Gestalt des Faktums -, qO gegeben sei. Dann könnte es trotz der Nichterfüllung von Oq scheinen, und so wird in der Regel auch argumentiert, daß auf jeden Fall dann O:(q V T) erfüllt ist, wenn die Handlung T ausgeführt wird. Das ist aber unrichtig, denn diese Argumentation beruht auf dem schon erwähnten Mißverständnis, als hätte man bei dem disjunktiven Gebot 0 (q V T) die freie Wahl, welche von den beiden Handlungen, q oder T, man als geboten 'annimmt, und als dürfe man also annehmen, daß die Handlung T geboten sei. Außerdem ist diese A:rgumentation schon deshalb fehlerhaft, weil die Annahme ,,-' q bei gegebenem 0 (q V T)" nicht, wie vermeint, die Bedeutung hat: "zu dem gegebenen Gebot 0 (q V T) wiIld die Unterlassung der Handlung q als ein Faktum angenommen", sondern vielmehr die Bedeutung "in 0 (q V T) möge anstelle von q non q", und das heißt, es möge 0 (-, q V T) angenommen werden. Ein solches Mißverständnis wird durch die bereits vorgeschlagene Einführung des Symbols -, qO vermieden, das zur Kennzeichnung des überganges vom Bereich der Gebote und ihrem logischen Zusammenhang zum Bereich der Realität, auf die sich die Gebote bez1ehen und auf die sie angewendet werden, dient. Angenommen also, es wäre der Schluß von Oq auf 0 (q V T) erfolgt und es wäre dazu der Fall der Nichterfüllung von q, nämlich -, qO als Faktum gegeben. Dann läßt sich daraus kein Schluß auf Erfüllung des abgeleiteten und abgeschwächten, nunmehr bedingten Gebotes 0 (q V T) ziehen. Dies läßt sich mit al1er Deutlichkeit zeigen, wenn man die genaue Bedeutung der Conclusio O.(q V T) im Vergleich zur Bedeutung der Prämisse Oq angibt, was am besten miot Hilfe einer vollständigen Disjunktion geschieht, die sämtliche sich rgeg,enseitig ausschließende Möglichkeiten der Erfüllung der beiden Formeln aufzählt, was in Gestalt einer "ausgezeichneten disjunktiv,en Normalform" ,gescll:ehen kann. Oq ist logisch äquivalent mit 0 «q A T) V (q A -, r)) und 0 (q V T) ist logisch äquivalent mit 0 «q A T) V (q A -, T) V (-, q AT)), woraus im übrigen die Abschwächung des ursprünglichen Gebotes klar ersichtlich ist. Nun ist die Prämisse genau dann nicht erfüllt, wenn weder q A T noch q A -, T zutrifft, UIl!d da -, q als Faktum 'angenommen wurde, ist auch tatsächlich weder das eine noch das andere der Fall, was der angenommenen Nichterfüllung von Oq genau entspricht. Die Conc1usio hinwiederum ist genau dann nicht ,erfüllt, wenn weder q A T noch q A -, T noch -, q A T der Fall ist. Also kann das abgeleitete Gebot o {q V T) genau dann ,erfüllt sein, wenn die letzte der disjunktiven Bedingungen, nämlich -, q A T erfüllt ist. Ob dies der Fall ist, hängt davon
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ab, ob Teine geootene Handlung ist. Ist T ,eine geootene Handlung, dann ist 0 (q V T) auch im Falle der Nichterfüllung von Oq erfüllt. Aus Oq darf also jedenfalls auf 0 {q V T) geschlossen werden, und aus der Erfüllung von Oq folgt die Erfüllung von 0 (q V T), aus der Nichterfüllung von Oq folgt aber nicht die Nichterfüllung von 0 (q V T). Ob das gefolgerte Gebot 0 (q V T) erfüllt ist oder nicht, muß vielmehr gesondert entschieden werden und hängt von dem zuletzt erwähnten Umstand ab. Wenn in unserem Beispiel die Form des abgeleiteten Gebotes 0 (q V T) ersetzt wird durch die logisch äquivalente Form eines bedingten Gebotes 0 (-, q-'?-T), dann würde in Verbindung mit der Annahme von -, qO gemäß dem deontischen Schlußprinzip allerdings dann orO folgen, wenn -, qO nicht gleichzeitig die Nichterfüllung des unbedingten Gebotes Oq wäre. Ein solcher Fehlschluß ist aber ausgeschlossen, da, wie in § 5.2.1. ausdrücklich vermerkt, die Anwendung des deontischen Schlußprinzips an die Bedingung -, 0 {-, q) ,gJebunden ist. 5.2.4. Ailiders und wesentlich einfacher verhält es sich dann, wenn ein primär normierendes Gebot ausdrückt. Dieses Gebot bedeutet, daß mindestens eine derbeiden Handlungen 'auszuführen ist, q oder T. In diesem Fall 1st auch die Möglichkeit der freien Wahl mitgegeben. Denn dieses Gebot ist erfüllt, wenn mindestens eine der beiden Handlungen Tatsache ist, genau, wenn entweder q /\ T oder q /\ -, T oder -, q /\ T Tatsache ist, und das heißt, wenn entweder beide Handlungen q urud T ausgeführt, oder q ausgeführt und T unterlassen, oder schließlich, wenn q unterlassen und T ausgeführt wird. Nur dann, wenn keine dieser drei BedingungJen erfüllt ist, ist das Gebot 0 (q V T) nicht erfüllt.
o (q V T)
Ein primär normierendes Gebot von der Form 0 (q V T) wird allerdings nur dann in einem Normenkodex vorkommen können, wenn nicht im selben Kodex auch das unbedingte Gebot Oq bzw. OT auftritt, denn in diesem Fall wäre es :sinnlos, außerdem noch 0 {q V T) zu gebieten. So wird, um dazu ein Beispiel zu IlIennen,etwa im Normenbereich der Steuergesetzgebung dIe VOl1schrift "Es ist Pflicht, Einkommensteuerbekenntnis abzulegen oder Jahresausgleich zu beantragen" nur dann vorkommen, wenn nicht daneben noch die unbedingte Vorschrift "Es ist Pflicht, Einkommensteuerbekenntnis abzulegen" bzw. ,die unbedingte Vorschrift "Es ist Pflicht, Jahresausgleich zu beantragen" besteht. Dabei ist die Vorschrift 0 (q V T) nur dann nicht erfüllt, wenn weder ein Steuerbekenntnis abgelegt noch ein J ahl1esausglei:ch beantragt wird.
Im übrigen kann jedes primär norm~ereilde bedingte Gebot statt in der Form 0 (q ~ T) auch in der Form 0 (-, q V T) dargestellt werden. 25 Festgabe Welnberger
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Rudolf Freundlich
Das Gebot, ein gegebenes Versprechen zu halten, ist dann nicht erfüllt, wenn weder :mein Versprechen gegeben, noch das Versprechen gegeben und gehalten wurde. Wenn es um die Anwendung solcher Gebote auf einen konkreten Fall geht, wird allerdings zweckmäßigerweise die Form o (q ~ T) bzw. 0 (-, q -+ T) zu wähLen sein, um vom deontischen Schlußprinzip Gebrauch machen zu können. Das gilt ·auch für das zuerst erwähnte Beispiel eines Gebotes der Form 0 (q V T). Gegeben sei also o (q V T) und dazu die Feststellung -, qO (läge statt dessen die Feststellung qO vor, dann würde daraus nichts folgen), dann ist vorerst die Formel 0 (q V T) in die Form 0 {-, q -+ T) überzuführen und im Anschluß daran wegen des Vorliegens von -, qO (vorausgesetzt, daß nicht das unbedingte Gebot Oq Geltung hat) das deontische Schluß prinzip anzuwenden, so daß sich daraus das für diesen konkreten Fall gültige Gebot OTO ergibt. 5.2.5. Im Zusammenhang mit der (nur in dieser Form adäquaten) Darstellung bedingter Gebote durch die Formel 0 (q ~ T) ist noch eine letzte Zweifelsfrage zu klären. 0 (q -+ T) ist logisch äquival.ent und daher bedeutungsgleich mit 0 (-, T ~ -, q). Das entspricht auch völlig dem Umstand, daß jedes bedingte Gebot einen Bedingungszusammenhang gebietet und die beiden Glieder deshalb auch kontraponierbar sind. Daß beispielsweise "Es ist geboten, daß, wenn man ein Versprechen gibt, dieses zu halten ist" logisch äquivalent ist mit "Es ist geboten, daß, wenn ein Versprechen nicht .gehalten wird, auch keines gegeben wird", keineswegs überraschend oder unnatürlich, sondern bedeutet nur, daß der Bedingungszusammenhang, auf den sich das Gebot bezieht, auch bei einer logisch äquivalenten Umformung als solcher erhalten b1eibt. Dasselbe gilt von dem logischen Schluß von "Es ist geboten, wenn man am Steuer eines Autos bei Rot an eine Kreuzung kommt, das Auto anzuhalten" auf "Es ist geboten, daß, wenn man das Auto nicht anhält, es dann nicht der Fall ist, daß man am Steuer eines Autos bei Rot an eine Kreuzung kommt". Der eventuelle Einwand, daß, fal1s nun jemand sein Auto nicht anhält, etwas Sinnloses geboten wird, weil das Gebotene eine nicht beeinflußbare objektive Tatsache ist ~da ja die Ampel faktisch entweder Rot oder nicht Rot zeigt), ist unzutreffend, weil er auf dem Mißverständnis beruht, als könnte 'aus ,der Annahme eines Faktums, das auch unabhängig von einem geltenden bedingten Gebot und außerhalb seines Bereiches auftreten kann, auf das Gebotensein des anderen Gliedes geschlossen werden. Aus der Annahme, daß jemand sein Auto nicht anhält, folgt also trotz der bestehenden Vorschrift, das Auto anzuhalten, falls man bei Rot an eine Kreuzung kommt, gar nichts. Dies wird auch durch das Kriterium des deontiJschen Schlußprinzips in bester Weise bestätigt, wie die folgende überlegung 2!eigt. q bedeute "am Steuer eines Autos bei Rot an eine Straßenkreuzung kommen", und T
Zur Begründung einer formalen Normenlogik
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bedeute "das Auto anhalten". Es gilt das Gebot 0 (q -+ T), also gilt auch 0(-, T -+ -, q). Nun könnte die Annahme, daß jemand das Auto nicht
anhält, im Sinne des deontischen Schlußprinzips nur dann mit -, TO bezekhnet werden, wenn feststünde, daß das mit TO Bezeichnete überhaupt ein zur Gattung T gehörender Sachverhalt ist. Das ist aber nicht feststellbar, weil die Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit des Sachverhaltes TO ("das Auto anhalten") zu dem Bereich des erwähnten Gebotes nicht mit Hilfe von T, sondern nur mit Hilfe von q entschieden werden kann. Denn immer liegt das Kriterium dafür, ob ein vorgegebener Sachverhalt von einem bedingten Gebot betroffen ist, in jenem Glied des gebotenen Bedingungszusammenhanges, das die Handlung, nicht aber in jenem, das eine vol1endete Tatsache l'epräsentiert. Also ist das deontische Schlußprinzip hier gar nicht anwendbar und es folgt aus der Annahme, daß eine bestimmte Pe1'SOn ihr Auto nicht anhält, ungeachtet des Gebotes, daß sie verpfltchtet ist, falls sie bei Rot an die Kreuzung kommt, das Auto anzuhalten, nichts, ungeachtet auch des Umstandes, daß der allgemeine Bedingungszusammenhang, wie er durch 0 (-, T -+ -, q) ausgedrückt wird, gültig ist. 5.2.6. Falls im Verlauf eines logischen Ableitungs- oder Beweisverfahrens Formen wie Op V Oq oder Op -+ 0 (q -+ T) auftreten, ergeben sich für die Deutung solcher Formeln nach den bisherigen Klarstellungen keinerlei Schwierigkeiten. So bedeutet die letztere Formel, daß die Gültigkeit des Gebotes Op die Gültigkeit des bedingten Gebotes 0 (q -+ T) nach sich zieht, bzw., falls man sich für die Interpretationsweise der "Normsätze" entschieden hat, daß die Wahrheit der Gültigkeit des Gebotes Op die Wahrheit der Gültigkeit des Gebotes 0 (q -+ T) impliziert. Die Form Op V Oq bedeutet, daß mindestens eine der beiden Handlungsarten, p oder q, Inhalt ,eines unbedingten Gebotes ist, bzw., daß diese Formel dann ein wahrer Satz ist, wenn es wahr ist, daß mindestens eines der be~den Gebote Op oder Oq gültig ist. Was das logische Verhältnis von Op V Oq zu 0 (p V q) betrifft, so gilt das Theorem (Op V Oq) -+ 0 (p V q): wenn mindestens eines der beiden Gebote gilt, Op oder Oq, dann ist es geboten, mindestens eine dieser beiden Handlungen auszuführen. Die umgekehrte Implikation gilt hingegen nicht, denn im Implikans des Theorems ist jedes der beiden Disjunktionsglieder ein Gebot, im Implikatumaber ist lediglich verlangt, daß mindestens eine der beiden Handlungen einem Gebot unterliegt, die andere kann durchaus eine nichtnormiert,e Handlung sein. 6. Die Interpretation aller jener deontologischen Formeln, die den Gebotsoperator ,enthalten, darf nun, ebenso wie die Frage der Erfüllung oder Nichterfüllung der damit ausgedrückten Gebote, als geklärt gelten. Damit bereiten nunmehr aber auch alle anderen deontologischen For25°
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meIn, nämlich jene, die den Verbotsope~ator ("F") oder den Erlaubnisoperator ("P") enthalten, keine prinzipiellen Schwierigkeiten, da ihre Bedeutung mit Hilfe des Gebotsoperators definierbar ist: Fp = df 0 -, p und Pp = df -, 0 -, p. Da aber das intuitive Verständnis von Normsätzen mit den Operatoren "Verboten" und "Erlaubt", wie es durch die gewöhnliche Sprache im Vergleich mit der Bedeutung der aussagenlogischen Junktoren nahegelegt zu sein scheint, von anderer Art ist als bei Normsätzen mit dem Gebotsoperator,soll im folgenden auf jene Fälle eingegangen werden, wo sich Interpl1etationsschwierigkeiten oder Paradoxien ergeben könnten. 6.1. Das Verbot 0 -, p ist erfüllt genau dann, wenn eine Handlung von der Art p unterlassen wird. Die Erlaubnis Pp hingE!igen kann weder erfüllt noch nicht erfüllt werden, da es im Wesen einer Erlaubnis liegt, daß von ihr Gebrauch g,emacht werden kann oder nicht. Falls Veranlassung bestehen sollte, di'es festzustellen, kann man von "Aktualisierung" bzw. "Nichtaktualisierung" einer Erlaubnis spJ:lechen. Es erhebt sich nun die F~age, WJie 'es sich einerseits mit Sätzen über bedingte Verbote und andererseits mit zusammengesetzen Erlaubnissätzen verhält.
6.1.1. Was die Frage der bedingten Verbote betrifft, so scheint es zunächst naheliegend zu sein, von der Form bedingter Gebote auszugehen und anzunehmen, daß bedingte Verbote in Analogie zu der Form o (q ~ T) in der Form F (q -+ T) darzustellen wären. Eine solche Darstellung wäre aber inadäquat. Denn ein bedingtes Verbot besteht nicht darin, daß es einen BedingungszU'sammenhang, nämlich den zwischen einem bedingenden Faktum q und einer Handlung T verbietet, sondern vielmehr darin, daß es die Ausführung einer Handlung T verbietet, wenn die Bedingung q vorliegt, und das heißt, daß es die Unterlassung einer Handlung T gebietet, wenn die Bedingung q gegeben ist. Die Bedeutung eines bedingten Verbotes wird also durch das bedingte Gebot o (q -+ -, T) adäquat dargestellt. Soll dabei der Verbotsoperator verwendet werden, dann hat das bedingte Verbot die Form F (q AT), was zu lesen ist als "Es ist verboten, daß be~des der Fall ist, das Faktum q und die Handlung T." 6.1.2. Eine etwas andere Art von InterpretatioIliSSchwierigkeiten scheint bei kompl,exen Erlaubni:ssätzen lin Verbindung mit Konjunktion oder Disjunktion aufzutreten. Die hier geltenden normenlogischen Gesetze werden durch die Theoreme P (p A q) ~ (Pp A Pq) und P (p V q) == (Pp V Pq) repräsentiert. Dabei bietet d~e erste Tautologie keine Interpretationsschwierigkeiten. Wenn es erlaubt ist, beides zu tun, sowohl p als auch q, dann ist es auch erlaubt, p getrennt und q getrennt zu tun.
Zur Begründung einer formalen Normenlogik
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Hingegen gilt nicht die umgekehrte Implikation. Denn es kann beispielsweise für eine bestimmte Handlungsart einer,seits die Ausführung, andererseits die Unterlassung der Handlung erlaubt sein, so daß sowohl Pp als auch P -, p gilt. Aus Pp /\ P -, p folgt aber nicht P (p /\ -, p). Diese logischen Zusammenhänge sind jedoch nicht unbestritten12 , und zwar insofern, als (im Gegensatz zu der hier vertretenen Auffassung) die Folgerung von P (p/\ q) auf Pp bzw. Pq als ungültig, die Folgerung von den bei den Prämissen Pp uilld Pq auf P (p /\ q) aber als gültig angesehen wird. Die Begründung wird mit Hilfe der Methode gegeben, darauf zu achten, welche SoUensinhalte dur,ch die betreffende Erlaubnis ausgeschlossen werden. Was in den Prämissen ausgeschlossen wird, muß, bei Gültigkeit der Forderung, (mindestens) auch in der Conclusio ausgeschlossen werden. Nun führt aber gerade auch diese Methode zur Bestätigung der hier vertretenen Auffassung. Denn durch die Prämisse P (p /\ q) wird ein SolLsatz des Inhaltes -, {p /\ q), das ist -, p V -. q, ausgeschlossen, und durch die Conclusio Pp (bzw. Pq) wird der Sollensinhalt -, p (bzw. -, q) ausgeschlossen. Also wird jener Sollensbereich, der durch P (p /\ q) ausgeschlossen wird, auch durch Pp bzw. Pq ausgeschlossen. Es besteht also keine Gefahr, daß durch die Aktualisierung der in der Conclusioausgedrückten Erlaubnis die m der Prämisse gegebene Erlaubnis überschritten, also in der Conclusio etwas ,erlaubt würd,e, was in der Prämiss'e nicht erlaubt wäre. Hingegen ist der Schluß von der Prämisse Pp im Zusammenhalt mit der Prämisse Pq auf P (p /\ q) ungültig. Denn durch Pp wird der Sollensinhalt -, p und durch Pq der SaUensinhalt -, q, durch beide zusammen also der Inhalt -, p /\ -. q ausgeschlossen. Durch die Conclusio P (p /\ q)aber wird der Inhalt -, {p /\ q), das ist -, p V -, q, ausgeschlossen. Mit der AusschHeßung von -, p V -, q ist aber nicht notwendig die Ausschließung von -, p einerseits bzw. von -, q andererseits verbunden. Hier könnte es also sein, daß durch die Conclusio P (p /\ q) etwas erlaubt wird, was durch die beiden Prämissen zusammen, also durch die Konjunktion von Pp und Pq, nicht ,erlaubt wird. Alrso folgt aus Pp und Pq nicht P (p /\ q). Aus denselben Gründen ist der Schluß von Pp auf P (p V q) ,gültig. Denn durch Pp wird der Sollensinhalt -, p, und durch P (p V q) der Sollensinhalt -, (p V q), das ist -, p /\ -, q,ausgeschlossen. Also wird auch durch die Erlaubnils der Conclusio jedenfalls das ausgeschlossen, was schon durch die in der Prämisse gegebene Erlaubnis ausgeschlossen wurde. In der Äquivalenz P (p V q) == {Pp V Pq)schließlich hat man seit der Entdeckung des "Paradox of free choioe permission" durch G. H. von 12
Vgl. ehr. und O. Weinberger, a.a.O., S. 127 - 129.
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Wright immer wieder d1e Gefahr einer ernsten Denkschwierigkeit erblickt. 13 Diese Paradoxie löst sich aber auf, wenn man bedenkt, daß die Disjunktion nicht, wte bei der Entstehung der Paradoxie vorausgesetzt wird, die Bedeutung der freien Wahl hat, denn P (p V q) kann nicht die Bedeutung von Pp A Pq haben, denn PCp V q) bedeutet vielmehr, daß mindestens eine der heiden Handlungen, p oder q, erlaubt ist und Pp V Pq bedeutet, daß mindestens eine von den beiden Erlaubnissen gilt, die Ausführung der Handlung p oder die der Handlung q. Beides ist dasselbe. Auch wird die Gültigkeit bzw. Ungültigkeit in beiden Fällen in der genau gleichen Weise überpriift. Die komplexe Erlaubnis P (p V q) ist gültig g,enau dann, wenn mindestens eine der beiden Handlungen erlaubt ist (welche von beiden das ist, falls es nicht beide sind, hängt nicht von unserer freten Wahl, sondern von dem betreffenden Normenkodex ab), wenn hingegen keine der beifden Handlungen erlaubt ist, ist P (p V q) ungültig. Ebenso verhält es sich mit der Gültigkeit bzw. Ungültigkeit der Disjunktion der beiden Erlaubnisse, nämlich mit Pp V Pq.
7. In der gleichen Weise wie die Interpretationsschw~erigkeiten bei der inhaltlichen Deutung der logischen Formeln im Falle der Zugrundelegung eines Standardsystems der deontischen Logik für die Aussagenlogik aufgelöst werden konnten, so können derartige Schwierigkeiten für die Prädikatenlogik (Quantorenlogik) behoben werden, sofern auch hier die drei Grundsätze, Festhalten an der wohldefinierten Bedeutung der aussagenlogischen Junktoren, VerweIl!dung des AktualisierUlllgsprinzips und des deontischen SchlußpriIl2lips, befolgt werden. Zwar kann dies hier weg,en des zur Verfügung stehenden begrenzten Rahmens nicht im einzelnen ausgeführt, doch soll es in den wesentlichsten Zügen angedeutet werden. 7.1. Die prädikatenlogiscbe Form der deontischen Logik entsteht dann, wenn die Beschreibung der Handlungen und 8achverhalte statt in der Formelementa'rer Sätze, die die innere Struktur der Handlungen bzw. Sachverhalte unberiicksichtigt lassen, in der Form von solchen Sätzen erfolgt, die diese inner,e Struktur mit Hilfe von Prädikat- und Individuensymbolen unter Einbeziehung des Allquantors ("alle", "jeder") und des Existenzquantors ("einige", "es gibt ...") darstellen. Es treten dann folgende Formen von Normsätzenauf: 1. 0 (Ax Fx), "innerer All-Normsatz": "es soll sein, daß aUe x Fx erfüllen", das heißt, ,;der aus FXl A FX1Z A ... A FX n bestehende Sachverhalt soll sein", es gilt also 0 (FXl A FX1Z A ... A Fx n). 13 G. H. von Wright, An Essay in Deontic Logic and the General Theory of Action, Acta Philosophica Fennica, Bd. 21, Amsterdam 1968.
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2. 0 (Vx Fx), "innerer Existenz-Normsatz": "es soll sein, daß wenigstens ein x Fx erfülle", das heißt, "der aus FXl V FX2 V ... V FXn bestehende Sachverhalt soll sein" ,es .gilt also 0 (FXl V Fx~ V ... V Fxn). 3. Ax (0 Fx), "äußerer All-Normsatz": "für jedes x gilt: es soll Fx erfül1en", das heißt, "jeder einzelne der Sachverhalte FX1, FX2 ... FXn soll sein" ,es gilt also 0 FXl /\ 0 FXfJ /\ ... /\ 0 Fxn.
4. Vx (0 Fx), "äußerer Exis1Jenz-Normsatz": "es gibt mindestens ein x, welches Fx erfüllen soll", es gilt -also 0 FXl V 0 F:xe V ... V 0 FXn.14
Die zur Sicherstellung des logi:schen Schließens mit den prädikatenlogischen Formen der Normsätze nötige axiomatische Basis kann durch Hinzufügung der heiden folgend genannten Axiome A4 und A5 zu den bereits eingangs angegebenen Axiomen gewonnen werden15 :
== 0
(A4)
Ax (0 F [x])
(A5)
Vx (0 F[x]) -+ 0 (Vx F[x])
(A F[x])
wobei F[x] ein prädikatenlogischer Ausdruck ist, der keinen deontischen Operator und mindestens ein freies Vorkommen der Gegenstandsvariablen x enthält. Dazu treten noch die Axiome und Regeln der elementaren Prädikatenlogik. Das Axiom A4 gilt analog der logischen Äquivalenz 0 (p /\ q) == (Op /\ Oq) und Axiom A5 analog der logischen Implikation (Op V Oq) -+ (p V q).
o
7.2. Bedingte Gebote haben in der deontischen Prädikatenlogik die Form 0 (Ax (Fx -+ Gx)). Auch hier findet das deontische Schlußprinzip Anwendung, wobei sich aus der Aktualisierung bzw. Konkretisierung des Implikans Fx die Konkretisierung des Implikatums Gx ergibt. Liegt das bedingte Gebot 0 (Ax (Fx -+ Gx)) und dazu die Feststellung vor, daß die zu der Handlungs- bzw. Sachverhaltsart Fx gehörende konkrete Situation FO Xl gegeben ist, in der sich das Individuum Xl befindet, dann nimmt das bediI1lgte Gebot für diesen konkreten Fall die Form FO Xi -+ 0 (GO Xl) an, so daß in Verbindung mit der F,eststellung des Vorliegens von FO Xl das Gebot 0 (Go Xl) folgt. Das prädikatenlogische Schlußprinzip lautet also: Liegt zu dem bedingten Gebot 0 (Ax (Fx -+ Gx)) die Feststellung des von diesem Gebot betroffenen konkreten Falles FO Xl vor, dann folgt 14
Zu den Begriffen "innerer" bzw. "äußerer Normsatz" siehe ehr. und
O. Weinberger, a.a.O., S. 125.
15 Vgl. Franz v. Kutschera, Einführung in die Logik der Normen, Werte und Entscheidungen, S. 46.
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daraus FO Xl -+ 0 (GO Xl) UIl'd daraus die konkrete Verpflichtung 0 (Go Xl), vorausgesetzt, es gilt nicht das unbedingte Gebot 0 -, (A x) Fx. 7.3. Wenn im Bereich der deontischen Prädikatenlogik bei der Deutung von Formeln irgendwelche Schwierigkeiten auftreten, dann können sie wegen der bereits erwähnten AnalQgie der Axiome A4 und A5 zu den entsprechenden Gesetzen der deontischen AUSlSagenlogik (in denen ja die Quelle der Interpretationsschwierigkeiten zu suchen ist) auch in analoger Weise wie in der deontischen Aussagenlogik behoben werden. 7.4. Daß ein formales System der deontischen Logik möglich und in der Anwendung fruchtbar ist, wie hi,er auszuführen v,ersucht wurde, schränkt die Wichtigkeit, ja NotweIl!digkeit der davon abweichenden Bemühungen um eine andere, für die besoIl!dere Eigenart der Normsätze speziell konzipierte Grundlegung in keiner Weise ein, zumal diese Entwürfe und die damit im Zusammenhang stehenden Modelle und semantischen Analysen für die Klärung der Besonderheit der Normsätze in gewissen Fällen unentbehrlich siIlld, wie auch diese Entwürfe ihrerseits einen Versuch wie den hier vorgelegten nicht überflüssig machen. In diesem Sinne wollen diese Zeilen als Ergänzung zu den andeI"en Entwürfen verstanden werden.
Presupposition, Verite et Normes Par Georges Kalinowski, Orsay La theorie de la presupposition est l'une de celles qui interessent le plus les linguist es d'aujourd'hui. Or, de meme que la logique importe pour le juriste, tant praticien que theoricien, a cause de la place tenue par le raisonnement dans l'activite juridique, de meme la linguistique et la semiotique, sciences du langage, les normes juridiques presentant entre autres un aspect linguistique. Si l'on en est conscient, on ne peut pas ne pas se demander si les juristes connaissent les travaux des linguistes sur la presupposition. Savent-ils ce que ceux-ci appellent "presupposition" et comment ils le definissent? Se posent-ils la question de savoir si les normes, en particulier les normes juridiques, presupposent? S'ils s'interrogeaient a ce sujet, ils s'apercevraient des difficultes a y repondre. Car les linguistes sont loin de concevoir et de definir la presupposition de manü~re unanime.1 Dans quel sens peut-on donc parler de la presupposition d'une norme (le terme "presupposition" designe ici la proposition, autrement dit l'enonce, presuppose(e), la presupposee ou le presuppose en abrege - comme on le voit nous tenons "proposition" pour synonyme d' "enonce", sous-entendu "propositionnel")? Y a-t-il une conception et une definition de la presupposition admises en linguistique qui puissent etre adoptees, avec ou sans modifications, dans l'etude des normes? Strawson, le premier a parler de la presupposition y voit une precondition de la verite ou de la faussete de l'enonce presupposant.2 S'il en est ainsi, une eventuelle theorie de la presupposition d'une norme serait-elle possible si le non-cognitivisme avait raison contre le cognitivisme? Les questions, comme on le voit, ne manquent pas. Nous les aborderons ici, du moins pour une part, afin d'essayer d'interesser les theoriciens du droit (qui pourtant etudient entre autres les langages juridiques, le langage du droit et les divers langages des juristes3 ) a l'examen de la norme sous l'angle de la presupposition. A cet effet nous interrogerons en un premier temps un specialiste, a savoir Ryszard Zuber dont la these La Telation implicative dans les langues 1 2 3
A ce sujet voir Wilson [75], p. XI s. Voir Strawson [52]. Y compris ceux du juge et du legislateur.
Georges Kalinowski
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naturelles non seulement a l'avantage d'etre tout recente (elle a ete soutenue en 1983) mais encore se distingue, d'une part, par sa prise de position critique envers la definition strawsonienne et, de l'autre, par sa partie constructive aussi riche et bien structuree qu'ingenieuse." 11 fait sienne la conception de Strawson evoquee plus haut selon laquelle la presupposition d'une declarative, pour reprendre l'expression de R. Zuber, est une precondition de sa verite ou de sa faussete ce qui ne l'empeche pas de chercher a etendre sa theorie de la presupposition aux enonces autres que declaratifs, imperatifs et interrogatifs en particulier. Nous demanderons a l'auteur de l'ouvrage sus-mentionne comment il definit la presupposition d'une proposition declarative. La notion de verite y jouant un role essentiel, nous confronterons la definition zuberienne de la presupposition avec la conception aristotelieienne de la verite. Nous serons ainsi conduit a constater un important abandon de cette derniere, ce qui nous incitera a tenter une autre definition tout aussi adequate, mais sans rupture avec la theorie de la verite dite "de la correspondance" representee dans l'antiquite precisement par Aristote. C'est alors, en un second temps, que nous aborderons le probleme de la presupposition d'une norme, de sa realite ou de son existence, si l'on peut dire, et, dans l'affirmative, de sa definition ou, si l'on prefere, de son essence. I. La definition de la presupposition de R. Zuber Apres avoir evoque les considerations strawsoniennes sur l'analyse russellienne des descriptions definies, R. Zuber rappelle la definition de la presupposition qui s'ensuit et qu'on peut noter ainsi (nous preferons paraphraser plutöt que eiter): (1) lX presuppose
ß ssi ß est vrai chaque fois que
lX est vrai ou faux5
("lX" et "ß" sont des symboles de variables parcourant l'ensemble des noms de propositions (enonces propositionnels) susceptibles d'etre vrai(e)s ou fausses (faux)). Et notre auteur d'en relever a tres juste titre l'inconvenient: seules les propositions necessairement vraies, vraies dans (seIon B. Mates deO) tout monde possible, comme disent les semantieiens des mondes possibles, ou dans toute interpretation, selon l'expression preferee de R. Zuber, sont presupposees et eIl es le sont, ajoutons, par toute proposition susceptible d'etre, theoriquement parlant, vraie ou fausse, ce qui enleve pratiquement toute importance a (1). " Zuber [83]. L'auteur y remplace le terme strawsonien "condition necessaire" par "precondition". 5
6
O.c., p. 27. Mates [68], p. 508 s.; cf. Russell [37]), p. 32.
Presupposition, Verite et Normes
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R. Zuber s'emploie donc a construire une definition de la presupposition ne comportant pas l'inconvenient en question et il y reussit au prix du passage de la bivalence a la trivalence et de l'adoption de la distinction entre la negation forte et la negation faible. Le texte de sa these ne fait pas allusion a G. H. von Wright et a san etude de 1959 On the logie of negation. 7 11 se limite a constater que "la distinction entre la negation forte et la negation faible est bien Hablie en logique", comme si c'Hait une opinion unanimement admise par taus les logiciens.8 Mais ce n'est pas le cas dans la mesure ou la trivalence ne s'impose pas partout (elle consiste en admission, outre la valeur de verite que notre auteur symbolise, comme tant d'autres, par "V" et la valeur de faussete representee comme a l'habitude par "F", de la valeur d'indifference que possedent les enonces propositionnels qui ne sont ni vrais ni faux et que R. Zuber symbolise par "1"). Sa prise en consideration peut donc etre discutable et est dans certains cas indubitablement contestable. La trivalence a ete admise precisement par G. H. von Wright dans l'Hude citee plus haut et qui introduit dans la logique contemporaine la distinction adoptee entre autres par R. Zuber entre la negation forte et la negation faible. L'eminent logicien finlandais s'y est prononce pour la trivalence croyant devoir corriger ce qu'Aristote dit dans le eh. 10 de ses CategoTies au sujet de la valeur logique des enonces portants sur des individus inexistants. Or la prise de position de von Wright contre Aristote en matiere de ces enonces est, a notre avis, contestable parce qu'elle rompt avec la conception aristotelicienne de la verite qui est celle, avons-nous deja dit, de la theorie de la correspondance ayant toujours eu ses partisans et les possedant encore ä notre epoque, tel A. Tarski dans Le coneept de verite dans les langages formalises.' Nous y reviendrons.
En attendant, tenons-nous en a R. Zuber. e'est, en dernier Heu, sous l'influence, consciente ou non, peu importe, de G. H. von Wright qu'il remplace (1) par (2) IX presuppose ß ssi a IX est assignee la valeur I dans taute interpretation dans laquelle aß n'est pas assignee la valeur V.10 est indifferent lorsque ß est indifferent ou faux et quand est vrai ou faux. Les exemples suivants empruntes a la these de R. Zuber l'illustrent tres bien: Selon (2)
ß est vrai,
IX
IX
von Wright [59]. Zuber [83], p. 29. B Tarski [72]. 10 Zuber [83], p. 29 (nous rempla~ons les symboles "P" et respectivement par "a" et "ft"). 7
8
"Q"
de R. Zuber
GeorgesKalinowski
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(3) "Le roi de France est chauve" presuppose "Il existe un roi de France" et
(4) "Dominique viendra demain" presuppose ""Dominique viendra demain" est au futur".l1 Nous avons choisi ces exemples parce qu'ils temoignent d'un double abandon de la conception aristotelicienne de la verite. Le premier est celui auquel nous avons deja fait allusion, sans entrer pour le moment dans les details, indiquant la source ultime de 1'option par R. Zuber pour la distinction entre la negation forte et faible et la trivalence qui la sous-tend, source que constitue On the logic of negation de G. H. von Wright. "Le roi de France est chauve" presuppose, au sens de (2), "Il existe un roi de France" parce que, le presuppose etant manifestement faux, le presupposant n'est ni vrai ni faux, autrement dit est indifferent, cet enonce portant sur un individu inexistant. C'etait precisement 1'opinion de G. H. von Wright en 1959. Tout enonce sur un individu inexistant est indifferent (n'est ni vrai ni faux) , qu'il soit affirmatif ou negatif, qU'Oll dise "Socrate est malade" par exemple ou qu'on dise "Socrate n'est pas bien-portant" si Socrate n'existe pas. 12 Si G. H. von Wright reprend les exemples d'Aristote, il en abandonne la these, car pour l'auteur des Categories "Socrate est malade" est faux et "Socrate n'est pas bien-portant" est vrai si justement Socrate n'existe pas. Cette these, aus si surprenante qu'elle puisse paraltre a prime abord par son manque de symetrie, s'explique parfaitement par la conception du vrai et du faux que se fait Aristote dans sa Metaphysique Oll 1'on lit: "( ... ) dire de ce qui est que cela n'est pas ou de ce qui n'est pas que cela est, est faux; en revanche dire de ce qui est que cela est ou de ce qui n'est pas que cela n'est pas est vrai".13 C'est pourquoi lorsqu'on dit de Socrate qui n'existe pas qu'il est malade. on dit le faux parce qu'on dit de ce qui n'est pas que cela est et lorsqu'on dit de Socrate qui n'existe pas qu'il n'est pas bien-portant, on dit le vrai parce qu'on dit que ce qui n'est pas n'est pas. Aristote aurait donc considere "Le roi de France est chauve" comme faux et (3) comme vrai non en vertu de (2) mais en vertu de (1), abstraction faite bien enten du de 1'inconvenient signale plus haut dont (1) est greve. Par ailleurs, si R. Zuber peut affirmer que "Dominique viendra demain" presuppose ""Dominique viendra demain" est au futur" conformement a (2), c'est parce qu'il tient "Dominique viendra demain" 12
O.c., pp. 26 et 30. Von Wnght [59], p. 5; cf. Anstote [60], Categories, eh. 10 (surtout 13 b
13
Anstote [60], Metaphysique,
11
27 - 33).
r, eh. 7 (1011 b
26 s.).
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pour vrai ou faux, ""Dominique viendra demain" est au futur" etant manifestement vrai. (Mais si cet enonce etait, par impossible, faux, "Dominique viendra demain" serait agrammatical et de ce fait ni vrai ni faux.) Or d'apres Aristote les enonces singuliers sur les futurs contingents ne sont, comme on le sait, ni vrais ni faux. L'auteur de De Z'interpretation le dit textuellement au eh. 9, ce qui s'explique egalement par sa conception du vrai et du faux. Pour determiner la valeur logique de verite ou de faussete d'un enonce susceptible de I'etre, il faut le confronter avec le reel existant en acte pour voir si oui ou non il y correspond. Cependant lorsqu'il s'agit des enonces singuliers sur les futurs contingents, le reel pouvant etre pris en consideration, theoriquement parlant, n'existe pas en acte au moment ou I'on parle (ou ecrit); il n'existe au mieux qu'en puissance si I'on prend en consideration la possibilite ontologique et non pas purement logique, c'est-a-dire la non-contradiction; dans se dernier cas (cas de la possibilite purement logique), il n'existe point au sens propre du terme qui en est aussi le sens fort. Voila pourquoi des enonces comme "Dominique viendra demain" ne sont, selon la theorie de la correspondance, ni vrais ni faux. Certes, la grammaticalite, autrement dit, en termes de metalogique, la propriete d'etre une expression bien formee de la categorie des enonces propositionnels susceptibles d'etre vrais ou faux, est une precondition de la verite parce qu'elle est la condition du sens. Mais peut-on tenir pour presupposee la constatation de grammaticalite qu'appelle d'ailleurs tout enonce propositionnel bien forme (de meme que n'importe quelle autre expression bien formee)? Nous pensons que la reponse negative s'impose, du moins si I'on veut s'en tenir a la theorie de la correspondance. Il faut donc ehoisir entre G. H. von Wright et R. Zuber, d'une part, et Aristote, de I'autre. Cependant on ne peut pas rejeter le eh. 10 des Categories et le eh. 9 de De l'interpretation sans se separer, dans une certaine mesure, de la conception de la verite d'Aristote. Bien sur, on peut toujours ehereher a la conserver pour le reste. Cependant I'abandonner en meme temps par deux fois sur un point essentiel ne va pas sans quelque incoherence. Et a-t-on des raisons rationnellement justifiees pour se separer de cette conception partiellement (au prix de l'incoherence signalee a l'instant) sinon totalement? La reponse negative nous parait bien fondee. C'est cela la raison pour laquelle il nous est impossible de faire nötre (2), et non I'apparence de circularite a laquelle fait allusion R. Martin dans Pour une logique du sens apropos de l'introduction de la troisieme valeur.14 R. Zuber n'y est pas cite. Est-il vise implicite14
Martin [83], p. 47.
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ment? Cela n'est peut-etre pas excIu. S'il etait concerne, l'objection ne serait que partiellement justifiee, cl savoir dans la mesure oil (4), ou plus exactement le commentaire de (4) donne par l'auteur de La relation implicative dans les langues naturelles, dit indirectement en quoi consiste ici la troisieme valeur tandis que dans (2) celle-ci sert cl definir la presupposition. Mais il n'en est plus ainsi dans (3) ou la troisieme valeur est celle d'un enonce sur un individu inexistant. Ajoutons cl ce propos que l'adoption de (2) conduit cl l'assimilation des enonces comme "Pierre est reste cl Paris" ou "Paul vend sa maison" aux enonces sur des individus inexistants bien que Pierre et Paul existent. En effet, n'est-il pas exact de dire (5) "Pierre est reste cl Paris" presuppose "Pierre etait cl Paris" ou (6) "Paul vend sa maison" presuppose "Paul est proprietaire d'une maison" (nous empruntons le premier exemple cl R. Martin15)? Pour verifier que (5) et (6) sont vrais d'apres (2), il faudrait examiner dans l'un et dans l'autre cas la valeur logique de l'enonce presupposant au cas ou le pretendu presuppose ne serait pas vrai. Or celui-ci ne serait reellement presuppose que si, etant faux, les enonces presupposant "Pierre est reste cl Paris" dans (5) et "Paul vend sa maison" dans (6) n'Haient ni vrais ni faux, ce qui ne peut etre admis, a notre avis, que si des enonces tels que "Pierre est reste cl Paris" au cas ou Pierre n'etait pas cl Paris ou "Paul vend sa maison" au cas ou il n'est point proprietaire d'une maison sont assimiles aux enonces sur des individues inexistants. N'est-il pas plus naturel de considerer des enonces tels que les presupposants respectifs de (5) et de (6) comme faux plutöt que comme ni vrais ni faux? En tout cas, meme si quelqu'un ne le ressentait pas comme tel, la theorie de la correspondance serait respectee de maniere plus coherente et c'est justement pour en assurer le respect total que nous trouvons justifie et partant necessaire d'essayer de resoudre autrement que R. Zuber le probleme pose par l'imperfection de (1). Comment nous y prendre? Tout d'abord il convient, pensons-nous, d'aller plus au fond des choses, c'est-cl-dire d'aborder le probleme cl resoudre non pas au niveau des enonces non analyses, enonces representes par les variables propositionnelles "p", "q", etc. et dont les noms metalinguistiques constituent les valeurs des variables nominales "IX", "ß", etc. que nous avons utilises dans (1) et (2), mais au contraire au niveau des enonces analyses de type "ix", "gx", etc. Ensuite, il faut chercher cl determiner le lien existant entre les contenus des predicats 15
O.c., p. 51.
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(foncteurs) respectifs de l'enonce presupposant et de l'enonce presuppose, predicats (foncteurs) symbolises respectivement par "/" et "g". Si l'on reussit a le caracteriser de maniere abstraite, generale, formalisable, on pourra introduire dans la definition de la presupposition la condition garantissant l'elimination de toute substitution a "ß", variable representant le nom de l'enonce presuppose, de n'importe quelle verite necessaire avec comme effet l'obtention d'une equivalence de type definitionnel vraie mais inadequate puisque trop large, ainsi que cela se produit precisement dans le cas de (1). Voyons cela plus en detail. Nous admettons que l'enonce presuppose est une precondition de la verite de l'enonce presupposant. Notre objectif est constitue par une definition adequate, comme aurait dit L. Petrazycki, c'est-a-dire ni trop restreinte ni trop large, de la relation de presupposition. Mais en fait le danger consiste a construire une definition trop large plutöt que trop restreinte. Il faut donc s'efforcer surtout d'ecarter ce qui peut rendre notre formule definitionnelle trop large. Nous voyons trois etapes a franchir pour y parvenir. Premierement, il importe de donner a notre definiendum la forme (7) "Ix" presuppose "gx" ,
car l'inconvenient depreciant (1) se trouve alors en partie ecarte par la regle de substitution exigeant qu'on substitue, dans une formule symbolique contenant plusieurs occurrences d'une variable, la meme valeur de cette variable a chacune de ses occurrences. Ainsi si "Ix" est interprete "Pierre est reste a Paris" alors "gx" ne peut pas eire interprete "2 .2 = 4" bien qu'on puisse transformer cet enonce propositionnel en la fonction propositionnelle "2. 2 = x", car alors nous substituerions dans (7) a "x" de "Ix" "Pierre" et a "x" de "gx" "4", ce que la regle de substitution exclut precisement. Deuxiemement, si l'on veut respecter le sens donne habituellement au terme "presupposition" par les specialistes - et il n'y a aucune raison de ne pas le faire - il faut maintenir la condition exigeant que le presuppose soit vrai aussi bien quand le presupposant est faux que lorsqu'il est vrai, ce que nous notons comme suit: (8) Si "Ix" est vrai, alors "gx" est vrai et si "Ix" est faux, alors "gx" est vrai. Si nous ne posions pas cette condition, nous pourrions dire de Pierre, pour nous en tenir a notre exemple, quelque chose qui serait vrai si "Pierre est reste a Paris" etait vrai et ne serait pas vrai si "Pierre est reste a Paris" etait faux, "Pierre a fait plaisir a Anne" par exemple, enonce par lequel on pourrait interpreter "gx" de (7).
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Troisiemement, afin d'atteindre notre objectif, il reste encore a eliminer les enonces qui, tout en parlant de Pierre, pour en rester toujours a notre exemple, et tout en etant vrais tant lorsque Pierre n'est pas reste a Paris que quand il y est reste, ne sont cependant pas des preconditions de la verite de "Pierre est reste a Paris". Autant "Pierre existe", "Pierre est un etre humain", "Pierre est de sexe masculin" ou "Pierre etait a Paris" constatent des etats de choses tels que s'ils n'avaient pas Heu "Pierre est reste a Paris" n'auraient pu etre vrai, autant "Pierre est Fran~ais", "Pierre est mathematicien" ou "Pierre admet que 2 fois deux font quatre", quoique vrais que Pierre soit ou non reste a Paris, ne preconditionnent pas la verite de "Pierre est reste a Paris". Si Pierre n'existait pas, s'il n'etait pas un etre humain, s'il n'etait pas de sexe masculin, s'il n'etait pas a Paris au moment precedant immediatement celui auquel se rapporte "Pierre est reste a Paris", cet enonce ne pourrait etre vrai ou faux. Mais il pourrait ne pas etre faux ou ne pas etre vrai que Pier re soit ou non Fran~ais, que Pierre soit ou non mathematicien, que Pierre admette ou non que deux fois deux font quatre. Si nous convenons de considerer "C11
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nämlich, daß die Polytomie der Rechtsordnung als Rechtsverhältnisordnung nicht auf eine diese verschleiernde Dichotomie von Außenund Innenrechtsverhältnissen reduziert werden darf, nach der es scheinbar nur diese beiden Kategorien von Rechtsverhältnissen gibt. Der Komplexität der Rechtsverhältnisordnung wird man nur gerecht, wenn die Rechtsverhältnisse nach ihren Endpunkten kategorisiert werden. Dann ergeben sich folgende Arten von Rechtsverhältnissen37 : Organisation-Organisation-Verhältnisse sind beispielsweise Rechtsverhältnisse zwischen Gliedstaaten des Bundesstaats oder zwischen Gemeinden und Gemeindeverbänden; Organisationsmitglied-Organisationsmitglied-Verhältnisse sind insbesondere Verträge zwischen Staatsbürgern; um ein Organisation-Organisationsmitglied-Verhältnis handelt es sich bei dem "allgemeinen Gewaltverhältnis" , das durch Gesetz, Rechtsverordnung, Satzung oder Verwaltungsakt geregelt wird; ein Organisation-Organ-Verhältnis stellt vor allem die Beleihung eines Rechtssubjekts mit hoheitlicher Gewalt dar; als Organisation-Organwalter-Verhältnisse sind Abgeordneten-, Beamten- und Richterverhältnisse einzustufen; Organ-Organ-Verhältnisse sind koordinations- oder subordinationsrechtliche Beziehungen zwischen Behörden; Organ-OrganwalterVerhältnisse stellen beispielsweise Rechtsverhältnisse zwischen Vorgesetzten und Beamten dar, in denen Weisungen ergehen. Die erwähnten influenzierenden Normen betreffen Organ-Organ("Inter-Organ"-)Verhältnisse zwischen Verfassungsgesetzgeber und einfachem Gesetzgeber sowie zwischen Verfassungsgericht und Gesetzgeber. 2. Um einen wesentlich anderen Charakter handelt es sich beispielsweise bei einem Gesetz über Besoldungserhöhungen, das - unter anderem - den Anreiz auslöst, daß A mit dem ausgezahlten erhöhten Gehalt seine Spielschuld bezahlt. Die Influenz wirkt sich hier im Außenrechtsverhältnis zwischen Organisation und Organisationsmitglied aus. Nur besitzt der Anreiz allein mittelbare, sekundäre Wirkung. Primär geht es um einen Imperativ, nämlich um den im Inter-OrganVerhältnis zwischen Gesetzgeber und Verwaltung ausgesprochenen Befehl, daß erhöhte Besoldungsbezüge ausgezahlt werden. Die Unbestimmtheit hinsichtlich des Verhältnisses zwischen Organisation und Organisationsmitglied geht weit über die zu 1. erwähnte hinaus. Denn der von der Besoldungserhöhung ausgelöste Ausgabenanreiz gegenüber dem Besoldungsempfänger bezieht sich nicht auf eine bestimmte Ausgabe - hier: die Zahlung der Spielschuld -, sondern überläßt es seiner 37 Vgl. dazu N. Achterberg, Die Rechtsordnung als Rechtsverhältnisordnung (0. Anm. 2), insb. S. 36 ff., 60 f., 99 f.; ders., Allgemeines Verwaltungsrecht, § 19 Rdnr. 34 ff.
Influenzierende Normen als Normenkategorie
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Entscheidung, für welche Zwecke er die Besoldungserhöhung einsetzen will - möglicherweise für ganz andere als gerade für die Bezahlung der Spielschuld. Der grundlegende Unterschied gegenüber den zuvor genannten Fällen liegt also darin, daß es hier der freien Entscheidung des "Angereizten" obliegt, wie er diesen Anreiz befolgen will. Seine Entscheidungsfreiheit liegt im metajuristischen, soziologischen Bereich; sie ist rechtlich nicht faßbar. Mit anderen Worten: Besoldungserhöhungsgesetze sind Imperative, wie alle anderen Gesetze. Soweit sie Influenzen auslösen, liegen sie im juristischen Umfeld. Gesetze solcher Art müssen und können aus (rechts)normentheoretischen Überlegungen daher ausgeklammert bleiben. Dasselbe gilt für den durch verstärkten Einsatz öffentlicher Nahverkehrsmittel bewirkten Anreiz, wegen der hierdurch herbeigeführten Verringerung von Unfallzahlen Versicherungsbeiträge zu senken. Von einer Unmittelbarkeit des Anreizes kann auch in diesem Fall keine Rede sein. Vielmehr liegt eine "Fernwirkung" der Influenz vor, die es nicht mehr zuläßt, sie in den Normbereich einzubeziehen. Nach allem bleiben für den normentheoretisch und logisch zu berücksichtigenden Bereich nur solche influenzierenden Normen übrig, die unmittelbare und hinreichend bestimmte Anreize auslösen. Bei ihnen handelt es sich vor allem um Vorschriften, die der Rechtslehre bereits seit langem als "Programmsätze"38 bekannt sind. "Appellentscheidungen" sind wesensgemäß nicht anders einzustufen. Mithin geht es bei den normentheoretisch relevanten influenzierenden Normen letztlich um solche in "Innenrechtsverhältnissen" .
V Damit bleibt - und dies gilt insbesondere, wenn für den Normbegriff nicht die Imperativen-, sondern die Sanktionstheorie zugrunde gelegt wird - zu untersuchen, welche Rechtsfolgen sich an die mangelnde Berücksichtigung der Influenz knüpfen. Daß die Unterstellung des Ermächtigens und des Erlaubens unter das Sollen zumindest mit der von Kelsen gegebenen Begründung kaum überzeugt, wurde dar38 Zu diesem Begriff z. B. A. Bleckmann, Allgemeine Grundrechtslehren, 1979, S. 43, 45, 101, 113. - Bei derartigen Programms ätzen ist allerdings stets sorgfältig zu prüfen, ob sie nicht über die Influenz hinausgehen und stattdessen einen bestimmt umrissenen Gesetzgebungsauftrag im Sinne eines Imperativs enthalten. Das Bundesverfassungsgericht neigt dazu, den Grundrechten im Grundgesetz weit mehr unmittelbare Wirkung zuzuerkennen, als dies noch für die Grundrechte nach der Weimarer Reichsverfassung angenommen wurde (im Hinblick auf Art. 1 Abs. 3 GG auch zu Recht).
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gelegt. Für das Anreizen gilt nichts anderes. Um so erforderlicher ist es also, die Sanktionsmöglichkeiten zu prüfen. Dabei zeigen sich folgende Varianten: 1. Influenzierende Normen sind nur mittelbar sanktionsbewehrt, wenn an sie die Rechtsfolge geknüpft ist, daß bei mangelnder Befolgung des Anreizes ein Funktionswandel der Norm eintritt. So geschah dies mit der Grundgesetzbestimmung über die Gleichberechtigung von Mann und Frau, die sich vom Programmsatz zur aktuellen Grundrechtsnorm wandelte und als solche entgegenstehendem unterrangigem Recht gegenüber derogierende Wirkung entfaltete, als bis zum 31. März 1953 noch keine volle Rechtsanpassung an die Gleichberechtigungsvorschrift ,erfolgt war 39 • 2. Ganz ähnlich war es mit der Appellentscheidung zum Strafgefangenenverhältnis. Hier räumte das Bundesverfassungsgericht eine Toleranzfrist ein, bis zu der eine Rechtsanpassung zu erfolgen hatte, und zwar mit der Androhung der Folge, daß nach Fristablauf entgegenstehendes Recht als verfassungswidrig behandelt werden würde: ". .. auch Eingriffe in die Grundrechte von Strafgefangenen, die keine gesetzliche Stütze haben, (müssen) noch für eine gewisse übergangsfrist hingenommen werden bis der Gesetzgeber Gelegenheit hatte, entsprechend dem heutigen Grundrechtsverständnis ein Strafvollzugsgesetz mit fest umrissenen Eingriffstatbeständen zu erlassen. Diese Frist ist jedoch nunmehr zu begrenzen. Als geeigneter sachgerechter Anknüpfungspunkt kommt ... das Ende der laufenden Legislaturperiode in Betracht. Bis zum Herbst 1973 kann mithin der derzeit bestehende dem heutigen Verfassungsverständnis nicht mehr entsprechende Zustand noch hingenommen werden"40. Auch influenzierende Vorschriften sind infolgedessen mit Rechtsfolgen verknüpft, die sie auch unter dem Blickwinkel der Sanktionstheorie 41 als Rechtsnormen erscheinen lassen.
39 Vgl. dazu M. Gubelt, in: I. v. Münch (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 1, 2. Aufl., 1981, Art. 3 Rdnr. 74 f. - Die Parallele bildet der Gesetzgebungsauftrag des Art. 6 Abs. 5 GG, vgl. dazu BVerfGE 8, 210 (216); 17, 148
U~;~l~Um;~lmu~~~.
40 BVerfGE 33,1 (13). 41 Die Eignung der Sanktionstheorie zur Definition des Rechtsbegriffs muß hier im übrigen offen bleiben. Vgl. dazu aber die kritischen Vorbehalte gegenüber dieser Theorie bei O. Weinberger, Rechtslogik, S. 234; ders., Normentheorie, S. 52 ff., 135 f.
Rationalisierung der Gesetzgebung?* Historische Bemerkungen mit einem erkenntnistheoretiscllen Kommentar Von Michael W. Fischer, Salzburg Es ist mehr als eine captatio benevolentiae, wenn der Rechtsphilosoph den Titel seiner Beiträge mit einem Fragezeichen versieht: denn selten ist er in der Rolle des Experten. Dies sind zumeist die einschlägigen Fachvertreter oder die Praktiker. Der Rechtsphilosoph ist vielmehr der Stuntman des Experten, sein Double für wissenschaftstheoretisch, wissenschaftsgeschichtlich, erkenntnistheoretisch oder sonst wie Brisantes, sein Double fürs Gefährliche!. Ein Stuntman, der nicht halsbrecherisch agiert, das wissen wir alle, ist nichts wert. Damit ist die Manier der folgenden fragmentarischen Ausführungen angedeutet.
I. Ratio und Gesetzesbegriff Der Begriff der Rationalität ist dermaßen vorbelastet 2 , daß sich vorweg die Frage aufdrängt, ob es nicht sinnvoller, weil zunächst unverbindlicher, wäre, von verschiedenen Typen der Rationalität zu sprechen. Drei willkürlich gewählte Beispiele mögen dies kurz illustrieren. 1. "Rational" ist gewiß der aristotelische Empirismus, d. h. der erkenntnis-theoretische Ansatz, daß Tatsachen durch Wahrnehmungen .. Die folgenden Erwägungen entstanden anläßlich des Jürgen Rödig Gedächtnissymposions in Salzburg, 28. - 30. Oktober 1982, welches unter dem Generalthema "Rationalisierung der Gesetzgebung" stand. Mein Diskussionsbeitrag hatte den Titel "Das Dilemma der Rationalität" und bildet den Ausgangspunkt der vorliegenden überlegungen. 1 Frei nach O. Marquard, Abschied vom Prinzipiellen, Stuttgart 1981, S. 39. 2 Vg!. J. Bennet, Rationalität. Versuch einer Analyse, Frankfurt a. M. 1967; H. Blumenberg, Die Legitimität der Neuzeit, Frankfurt a. M. 1966; ders., Selbsterhaltung und Beharrung. Zur Konstitution der neuzeitlichen Rationalität, Wiesbaden 1969; ders., Arbeit am Mythos, 2. Auf!., Frankfurt a. M. 1981; H. F. Spinner, Begründung, Kritik und Rationalität. Zur philosophischen Grundlagenproblematik des Rechtfertigungsmodells der Erkenntnis und die kritische Alternative, Bd. 1, Die Entstehung des Erkenntnisproblems im griechischen Denken und seine klassische Rechtfertigungsablösung aus dem Geist des Rechts, Braunschweig 1977; F. Heer, Das Wagnis der schöpferischen Vernunft, Berlin, Köln, Mainz 1977; G. Dux, Die Logik der Weltbilder. Sinnstrukturen im Wandel der Geschichte, Frankfurt a. M. 1982.
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und Beobachtung festgestellt werden, daß begriffliches Nachdenken nur dann zulässig ist, wenn dessen Ergebnisse durch Wahrnehmungen und Beobachtung bestätigt werden. Bloß wie wird diese Rationalität in die Praxis umgesetzt? Aristoteles gewann durch sie so abstruse Erkenntnisse wie: daß die Zahl der Zähne beim Mann größer sei als bei der Frau, daß Raben, Sperlinge, Schwalben durch Kälte weiß werden, daß die Befruchtung des Rebhuhns durch einen vom Männchen herkommenden Windhauch bewirkt werde und anderes mehr3 • 2. Eine spezifische "ratio" wendet sich gegen Ende des 15. Jahrhunderts in den "Totentänzen" an die "vernünftige Kreatur". So sehr ihre Absicht zunächst ist, den Pesttod zu bannen, wirkt sie in mehrfacher Hinsicht destabilisierend auf die mittelalterliche Verfassung. Diese "ratio" sagt nämlich in immer wiederkehrenden Variationen, daß alle Macht und Gewalt, alle Würde und aller Reichtum nichts ist vor dem Tod. Darin liegt ein gebündeltes Potential an Gesellschaftskritik und die Totentänze gehören zu jenen Kräften, die die von Gott sanktionierte Hierarchie sprengen und ein neues Menschen- und Gesellschaftsbild vorbereiten. "So sind die Totentänze vornehmlich eine Äußerung demokratischer Regungen, die im ausgehenden Mittelalter, namentlich in den Städten, erwachten und neue Zustände gegenüber den abgestorbenen alten Verhältnissen begründeten." Die politischen Konsequenzen dieses Rationalitätstypus blieben nicht aus, ja Gleichheit wird erstmals zum sozialutopischen Zielbegriff. So will Michael Geismayr in der Landesordnung von 1526 Schlösser, Befestigungen und Burgmauern der Städte niederbrechen, "damit kein Unterschied der Menschen werde, also daß einer höher oder besser wie der andere sein soll, daraus dann im ganzen Lande Zerrüttung und Aufruhr entstehen kann. Sondern es sei eine ganze Gleichheit im Lande"3&. 3. Als Zeitalter der Rationalität gilt die Aufklärung. Sie bestimmt unsere Gegenwart in dem Maße, daß heute "Aufklärung über die Aufklärung" zu einem vordringlichen wissenschaftspolitischen Anliegen wird4 • Die moderne Medizin fand in der Aufklärung ihre Rationalität. 3 A. Messer, Geschichte der Philosophie im Altertum und Mittelalter, Leipzig 1912, S. 62. 3& G. Bucheit, Der Totentanz. Seine Entstehung und Entwicklung, Leipzig 1926, S. 16; Michael Geismayr, zit. nach O. Dann, Gleichheit, in: Geschichtliche Grundbegriffe, Historisches Lexikon zur politischen sozialen Sprache in Deutschland, Bd. 2, Stuttgart 1975, S. 1005; zum Gesamtproblem G. Kaiser (Hrsg.), Der Tanzende Tod. Mittelalterliche Totentänze, Frankfurt a. M. 1983, Einleitung S. 9 - 69. 4 Vgl. M. W. Fischer, Die Aufklärung und ihr Gegenteil. Die Rolle der Geheimbünde in Wissenschaft und Politik, Berlin 1982, S. 106 ff., 170 ff., 256 ff.; ders., Aufklärung? Zum Praxisgehalt eines politischen Zielbegriffs, in: lus humanitatis. Festschrift zum 90. Geburtstag von Alfred Verdross,
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Je tiefer jedoch das physiologiebesessene 18. Jahrhundert in die Geheimnisse des Lebens eindrang, um so stärker bildete sich ein rationaler Erkenntnis typ heraus, dessen Erfahrungsgrundlage nicht die Totalität unversehrter Lebenseinheiten war, sondern der sezierte, zerstückelte und verstümmelte Organismus. An die Stelle eines Naturganzen, dem man die Attribute der Vollkommenheit und Weisheit beilegen konnte, traten vom Körper abgetrennte Muskelpartien, zuckende Tier- und Menschenherzen, irritable Zellenagglomerate, Föten im Todeskampfs. Der Motor aufklärerischer Rationalität war Neugierhaltung aus Menschenliebe, die jedoch stets umzukippen droht in Menschenverachtung aus Wissensbegierde 6 • 4. Ein anderer, häufig anzutreffender Rationalitätstyp ist der der Dogmatiker von Weltbildern. Diese wenden zumeist zwei Verfahren an, um die Wirkung alternativer Deutungen zu "neutralisieren": Entweder wird der anderen Deutung ein "negativer Status" beigelegt oder sie wird in Begriffen und Vorstellungen des eigenen Weltbildes ausgedrückt, um die abweichende Deutung - wenngleich in oft artistischen Verrenkungen - als etwas schon immer im eigenen Weltbild Enthaltenes zu erweisen7 • Hätten beispielsweise Marx und Engels behauptet, die dialektische Vernunft der Natur habe ausschließlich Vögel hervorgebracht, geht es ja bloß darum, den homo sapiens als Vogel ohne Federn und Schwingen zu beschreiben, der seine Eier ausbrütet, bevor er sie legt. Soweit zur Kurzillustration8 • Der Gedanke einer "Rationalisierung der Gesetzgebung" entstammt der Spätaufklärung: Er besagt, daß sich die "ratio" im Gesetzgebungsverfahren herstelle bzw. in Gesetzgebungsinstanzen institutionalisiere. Begriffsgeschichtlich tritt die Häufung des Wortes "Gesetzgebung" Ende hrsg. v. H. Miehsler u. a., Berlin 1980, S. 67 - 75. Bezeichnenderweise hat die Rezension der erstgenannten Arbeit in der Frankfurter Rundschau (Nr. 231 vom 6.10.1982) von U. Richter den Titel "Aufklärung über die Aufklärung". 5 Vgl. P. StTasser, Aufklärung über die Aufklärung? Bemerkungen zur Aufklärung als Ideologiekritik und zur Kritik an der Ideologie der Aufklärung, in: W. Krawietz / E. Topitsch / P. Koller, Ideologiekritik und Demokratietheorie bei Hans Kelsen (RECHTSTHEORIE Beiheft 4), Berlin 1982, S. 103 bis 123, bes. 116. 8 Vgl. M. W. Fischer, Wenn aus Wissensbegierde Menschenverachtung wird, in: Die Welt, Nr. 225 vom 28. 9. 1982. 7 VgI.P. Berger / Th. Luckmann, Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie der Wissens soziologie, 2. Auf!., Frankfurt a. M. 1970, S. 123.
8 Begriffsgeschichtlich ist noch anzumerken, daß im deutschen Sprachraum bis ins 17. Jahrhundert hinein - beispielsweise bei Meister Eckhard und Luther "Vernunft" ursprünglich die Übersetzung des lateinischen "intellectus", "Verstand", die für "ratio" war. In der Philosophie der Aufklärung, vor allem durch Kant, wird diese Bedeutung von Verstand und Vernunft umgekehrt.
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des 18. Jahrhunderts auf9 • Gesetz heißt erst ab diesem Zeitpunkt ein vom Gesetzgeber in einem bestimmten Verfahren erlassener Staatsakt. Gesetz ist aber im wissenschaftskulturellen Verständnis des Abendlandes mehr, ein umfassenderer Begriff10 • Im allgemeinsten Sinn verweist es immer auf die vielfältige Ordnung der Dinge, ist - wie Hegel formuliert - "abhängiges Moment einer Totalität" 11. Gesetz ist ein Zentralbegriff aller konsolidierten Sozialsysteme und jedes Versuches von "systematischen" Wissenschaften. Von dem im Sakralbereich zu verortenden Ursprung als einer Explikation der göttlichen Ordnung, aber auch der Weltordnung bis zur Bedeutung einer falsifizierbaren Hypothese in den modernen Naturwissenschaften, ist ein gemeinsames Bedeutungsfeld bloß durch die Ordnungsfunktion, allenfalls durch eine Aussage über Regelmäßigkeiten zu kennzeichnen12 • Gewiß herausragend ist der Gesetzesbegriff als Rechtsbegriff. Seine Bedeutung hängt aber nicht bloß vom jeweiligen Verständnis des Rechtes ab13 , sondern von den kosmologischen und metaphysischen Bindungen einer Zeit, als dessen Definition, Explikation oder Teil das "Gesetz" erscheint14 • Ich setze im folgenden die Ergebnisse und Koppelungen der jüngsten wissenschaftsgeschichtlichen und wissenschaftstheoretischen Diskussion voraus15 • 9 Vgl. dazu die groß angelegte Studie von St. Gagner, Studien zur Ideengeschichte der Gesetzgebung, Stockholm - Uppsala - Göteborg 1960, S. 54 ff. 10 Vgl. W. Krawietz / G. Plume / L. Pinomaa / K. Haendler / N. Herold, Gesetz, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 3, Basel - Stuttgart 1974, Sp. 480 - 514; G. Wieland, Gesetz, ewiges, in: ebd., Sp. 514 - 516; W. Bartuschat, Gesetz, moralisches, in: ebd., Sp. 516 - 523; G. Verbeke, Gesetz, natürliches, in: ebd., Sp. 523 - 531; P. Janich, Gesetz, physikalisches, in: ebd., Sp. 531 f.; L. Pinomaa / U. Dierse, Gesetzlichkeit, in: ebd., Sp. 532 - 535; B. Rensch, Gesetzlichkeit, biologische, in: ebd., Sp. 535 f.; R. Grawert: Gesetz, in: Geschichtliche Grundbegriffe. Bd. 2, S. 863 - 922; G. Kröber (Hrsg.), Der Gesetzesbegriff in der Philosophie und den Einzelwissenschaften, Berlin 1963. 11 G. W. F. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, Glockner-Jubiläumsausgabe, 22 Bde., Stuttgart - Bad Cannstatt 1964, Bd. 7, S. 43. 12 Zu dem Gesetzesbegriff moderner Natur- und Sozialwissenschaften vgl. W. Stegmüller, F.-G. Maier, S. Moder, E. Topitsch, M. Drath, Studium generale 11, 1966, S. 149 ff.; J. u. W. Grimm, Deutsches Wörterbuch, 16 Bde., Leipzig 1854 - 1965, Bd. 4/1, 2, 1897, S. 4070 ff. zeigen, daß der deutsche Terminus "Gesetz" etwa die Bestimmung einer höheren Instanz (Gott, Obrigkeit) meint, das Gebot selbst (Vorschrift, Norm), einen Inbegriff von Vorschriften (Gesetzesbuch, Lehre) den Absatz (einer Schrift) und sogar "Baumgesetz" im Sinne von Baumschulen. 13 Dies betont nachdrücklich E.-W. Böckenförde, Der Rechtsbegriff in seiner geschichtlichen Entwicklung, in: Archiv für Begriffsgeschichte 12, 1968, S. 145 ff. 14 Vgl. Fischer, Aufklärung, S. 25 ff., bes. 31 - 35. Nach wie vor klassisch H. Kelsen, Vergeltung und Kausalität (1941). Mit einer Einleitung von E. Topitsch, Wien - Köln - Graz 1982. 15 Problemfelder sowie Literatur sind angegeben bei M. W. Fischer, Dynamik und Relativität der Wissenschaft. Gedanken zur Neubestimmung rechts-
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11. Die theologische Transformation des Rechts Entscheidend für die abendländische Entwicklung wird zunächst jene Form der Rechtssetzung, die Helmut Kohlenberger treffend die "Theologische Transformation des Rechts" nennt16 • Gesetz hat hier einen theonomen Begriffskern und umreißt Ethos, Recht, Sitte und Satzung als Gesamtordnung. Theologie kann hier nur in engerem Sinn verstanden werden als die Lehre Gottes, der durch die "kosmische Ordnung" zu den Menschen spricht, der zur Schrift wird. Die theologische Transformation des Rechts ist daher eng an die Schriftlichkeit unserer Kultur, aber auch unseres Bewußtseins gebunden. Dies gilt für den Nomos-Begriff genauso wie für die Anfänge des
lex-Begriffes. Letzterer bezeichnet ja ursprünglich eine rituelle Satzung
im "Rechts-Verkehr" mit der Gottheit durch feierliche Wortformeln, durch die legum dictio 17 • Gleichviel: Die "Theonomie" ist das Paradigma
der Gesellschaftskonstruktion und die Gesetzgebung ist Schriftwerdung letzter Verbindlichkeit. Die Stoa hatte ja Nomos und Physis vereinigtt S , ja der Nomos wird zur Weltvernunft selbst, zur "lex aeterna et perpetua", die sich in der Natur und näherhin im Wesen des Menschen als "lex natura" und "lex humana" fortsetzt 19 •
Auch Cicero vertritt diese Identifizierung von ratio und natura20 • Gesetz und Recht ist eine "res vera", d. h. von Natur und in Wahrheit. wissenschaftlicher Aufgaben, in: I. Tammelo / A. Aarnio (Hrsg.), Zum Fortschritt von Theorie und Technik in Recht und Ethik (RECHTSTHEORIE Beiheft 3), Berlin 1981, S. 15 - 34. 18 H. KohZenberger, Die Transformation des Rechts auf dem Hintergrund unserer gegenwärtigen kulturellen Lagen. Unveröffentlichtes Manuskript 1982. 17 Vgl. H. Sieber, Die ältesten römischen Volksversammlungen. In: Zeitschrift für Rechtsgeschichte. Romanistische Abteilung 57 (1937), S. 235; vgl. W. WaZdstein, Topik und Intuition in der römischen Rechtswissenschaft. Zur Frage des Einflusses der griechischen Philosophie auf die römische Rechtswissenschaft. In: Festgabe für Amold Herdlitczka, hrsg. v. F. Horak und W. Waldstein, München - Salzburg 1972, S. 237 - 263; ders., Vorpositive Ordnungselemente im römischen Recht, in: OZöR Bd. XVII, H. 1/2 (1967), S. 1 - 26. 18 Zuvor hatten ja die Sophisten einen Säkularisierungsprozeß des Gesetzesbegriffes eingeleitet, indem sie das zeitbedingte, positiv gestaltbare Gesetz von den ewigen Ordnungsprinzipien abhoben. Sie versuchten, Gesetz und Sitte aus dem Interesse der beteiligten Gruppen zu erklären, wobei freilich das ewige Naturgesetz den Maßstab für die Bewertung lieferte. Vgl. Thrasymachos, Fragment 6 a: "Das Gerechte ist nichts anderes als der Vorteil des Stärkeren"; Antiphon, Fragment 44; Kritias Fragment 25; in: H. Diels (Hrsg.), Die Fragmente der Vorsokratiker nach der von W. Kranz hrsg. 8. Aufl. mit Einführungen und Bibliographien von G. Palmböck, Hamburg 1957, S. 130; 133 - 135; 143 f. 19 Vgl. H. WeZzeZ, Naturrecht und materiale Gerechtigkeit, 4. Aufl., Göttingen 1962, S. 37 ff. 20 Cicero, De Legibus I, 22.
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Alle Menschen haben göttliche Vernunft und sind sich darin alle gleich und einig. Die Menschheit ist eine societas rectae rationis und folglich, da recta ratio und lex identisch sind, eine societas legis et iuris. Die ursprüngliche, natürliche, göttliche, rationale, ewige und die Menschheit einigende lex soll der unmittelbare Gegenstand einer Wissenschaft des Rechts sein und nicht die in Meinungsverschiedenheiten befangenen menschlichen Satzungen. Daher kann Ulpian formulieren, die Jurisprudenz sei eine" vera, non simulata philosophia" 21 • Die ersten Erben von Antike und Christentum halten zunächst mündlich überliefertes Recht schriftlich fest, aber gleichzeitig entsteht das Bewußtsein der Setzung neuen Rechtes. Im Prolog zum Edictum Rothari des Jahres 643 heißt es: "Ob hoc considerantes dei omnipotentis gratiam, necessarium esse prospeximus praesentem corregere legern, quae priores renovet et emendet, et quid est adiciat, et quod superfluum est, abscidat 22 ." Inhaltlich wird das Recht von Theologie und Kirche bzw. der von ihnen geprägten Philosophie bestimmt, sie bilden die Folie, in der sich die Idee der Gesetzgebung durchsetzen konnte 23 • Der mittelalterliche Jurist glaubt, ein ausgebildetes, philosophisch begründetes Paradigma zu besitzen: er interpretiert ja primär nicht irgend einen Gesetzestext, sondern das Corpus iuris, dessen Sätze nach herrschender Meinung unmittelbar vom Heiligen Geist inspiriert sind24 • Armin Wolf belegt, daß der Codex Justinianus im 12. Jahrhundert wieder fast vollständig bekannt war und - wenngleich mit unterschiedlicher Intensität - zum Vorbild der Kodifikationen dieser Zeit wurde. Obwohl systematische Untersuchungen fehlen, läßt sich die Vermutung aussprechen, daß "in den Begründungen von Gesetzgebungen, im Redaktionsverfahren, in der Anordnung der Materien und in einzelnen Formulierungen justinianische Gedanken und Praktiken" wieder auflebten25 • Dieser Prozeß bewirkte einerseits eine zunehmende Beteiligung gelehrter Juristen an der Gesetzgebung und andererseits wurde diese selbst Gegenstand der Lehre an den höheren Schulen. 21 22
Ulpian D 1,1,1,1. Monumenta Germaniae Historica, Hannover, Leipzig u. a. 1826 ff.: Leges
IV, S. 1 f. 23 Kohlenberger bemerkt treffend, daß der Dictatus Papae Gregors VII. ein klares Bewußtsein dieses Sachverhalts spiegelt: Das Recht ist nicht vorgegeben - das "alte Recht" -, sondern hier und jetzt - pro temporis necessitate wie es im Dictatus Papae heißt - wird entschieden, was gilt. 24 Vgl. H. E. Troje, Wissenschaftlichkeit und System der Jurisprudenz des 16. Jahrhunderts, in: J. Blühdorn / J. Ritter (Hrsg.), Philosophie und Rechtswissenschaft. Zum Problem ihrer Beziehung im 19. Jahrhundert. Frankfurt a. M. 1969, S. 66. 25 Vgl. A. Wolf, Gesetzgebung und Kodifikationen, in: P. Weimar (Hrsg.), Die Renaissance der Wissenschaften im 12. Jahrhundert, Zürich - München 1981, S. 143 ff., bes. S. 159 f.
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Die Gleichsetzung von göttlichem, natürlichem und im Corpus iuris niedergeschriebenem Recht lag auf der Hand, da die römischen Juristen in ihrer - wenn auch nicht einheitlichen - Rechtsquellenlehre die wichtigsten Bereiche ihres Rechts als naturgemäß und von allen Völkern gleichermaßen geübt ausgaben. Solchen göttlich-natürlichen und geschriebenen Gesetzen ließ sich scheinbar mühelos der Rang wissenschaftlicher Prinzipien einräumen. Zwar nannten die Glossatoren die Jurisprudenz eine "civilis sapientia", doch war sie für sie eine vera philosophia und das heißt letztlich eine theonom begründete Philosophie 26 . Auf dem Hintergrund einer solchen theonomen Rationalität hat sich ein anerkanntes und festes Paradigma für alle Gesetzgebungsakte ausgebildet. Kenntnisreich zeigt Wolf in seiner Untersuchung über "Gesetzgebung und Kodifikationen", daß die frühen Gesetzgebungen des 12. und 13. Jahrhunderts "bereits in ihrer Existenz Dokumente des verfassungsrechtlichen Instituts Gesetzgebung sind"27. Für Eicke von Repgow beispielsweise ist "Got ... selbe recht"28 und noch Ausgang des Mittelalters berufen sich die Bauern allein auf das göttliche Recht gegenüber ihren Grundherren29 . Die theologische Transformation des Rechts nimmt also die selbstverständliche Geltung lokaler und gruppenmäßiger Bindung an und verpflichtet diese auf den Maßstab des Schriftworts. Dieser Vorgang verlangt nach methodischer Auslegung und treibt so eine spezifische Technik der Auslegung hervor, die ein neues Bewußtsein der Rechtssetzung fördert.
Thomas von Aquin ist wohl der erste, der sich bewußt wird, daß die Schriftauslegung ein Kriterium braucht, das nicht in der Schrift selbst abgesichert ist. Dieses Kriterium wird für ihn die "recta ratio", die die "principia" auf sich ändernde Situationen bezieht30 • Mit dieser Rationalisierung der Schriftauslegung und Rechtssetzung ist der Weg aus autoritativer Enge gefunden. Und zugleich wird die Schriftlichkeit unserer Kultur "dynamisiert": Was gilt, muß nunmehr stets neu verfaßt werden. Thomas von Aquin liefert ja eine Begründung für Gesetzesänderungen indem er behauptet, daß aufgrund der Veränderung von Lebensbedingungen auch die Gesetze veränderbar sein müssen: "lex recte 26
21
Vgl. Th. Mayer-Maly, Rechtswissenschaft, 2. Aufl., München 1981, S. 208. Wolf, S. 145; gleichwohl fehlt ein einheitlicher Begriff für die Sache:
außer "Gesetz" wurden nach Wolf Begriffe verwendet wie "Satzung", "Ordnung", Willkür", und in den lateinischen Texten "constitutiones", "leges", "decreta", "statuta", "fori" , "stabilimentum" , aber auch bereits "codex". 28 Sachsenspiegel, Prolog, in M. G. Fontesiovis, Bd. 1 (1932), S. 13. 29 Vgl. Grawert, S. 870 f. 30 Vgl. Thomas von Aquin, Summa theologiae 1-11. 94, 5. Umfassend dazu Gagner, S. 186 ff., 256 - 184. Vgl. auch B. Bujo, Moralautonomie und Normfindung bei Thomas von Aquin, Paderborn 1979.
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mutari potest propter mutationem conditionum hominum"31. Indirekte Zeugnisse, daß in den mittelalterlichen Gesetzen tatsächlich Neuerungen stattfanden, sind die von Wolf belegten Proteste gegen "novitates" der Gesetzgebung 32 • Dennoch: So lange die Rahmenbedingungen - vor allem Theologie und Kirche - allgemein anerkannt blieben, sind der Rationalisierung des Rechts inhaltliche Grenzen gesetzt. Sie werden als theonomes Naturrecht, "Goldene Regel" usw. theoretisch artikuliert. Darüber hinaus ist folgendes zu bedenken: Wurde das Recht nur mündlich überliefert, konnte es - ohne große und merkbare Schwierigkeiten - neuen Gegebenheiten angepaßt werden. Es blieb letztlich das "gute alte Recht". "Auch die sogenannten privaten Rechtsbücher waren noch anpassungsfähig, wie deren zahlreiche Fassungen und Varianten, z. B. des Sachsen- und Schwabenspiegels zeigen. Als aber das Recht zum Gesetz erstarrte, hörte die Möglichkeit unmerklicher Anpassung auf. Eine notwendige Änderung bedurfte nun einer ausdrücklichen neuen Rechtssetzung, die die alte modifizierte, ergänzte oder gar abschaffte 33 ." Erst durch diesen Prozeß tritt der Unterschied von altem und neuem Recht voll ins Bewußtsein. Die Rationalität des Rechts wird nun mit "Machbarkeit" und" Verfügbarkeit" in Verbindung gebracht. Die für den modernen Staat kennzeichnende Vorstellung von der Veränderbarkeit des Rechts und dem Anspruch der weltlichen Gewalt, darüber zu verfügen, entstand. Ein erstes Paradigma belegt Wolf, wenn sich Ludwig der Heilige ausdrücklich in seiner "Reformation de moers" von 1254 das Recht vorbehält, das Gesetz zu erklären, zu verändern, auch zu korrigieren, hinzuzufügen und zu streichen ("declarandi, mutandi vel etiam corrigendi, addendi vel minuendi")34. All dies setzte auch wesentliche Impulse für die Rechtswissenschaften. Um etwa 1400 setzt bei den italienischen Humanisten eine breit angelegte und erbittert geführte Diskussion um den Charakter der Rechtswissenschaften ein. Coluccio Saluti beharrt auf dem Vorrang der Rechtswissenschaften - vor allem gegenüber der rein spekulativ-kognitiven Medizin - als einer aktiven, praktischen und gemeinwohlorientierten Kunst. Leonardi Bruni und Poggio Bracciolini geben im Hinblick auf die willkürlich schwankende Gesetzgebung der Medizin den Vorrang35 . Hier sind nahezu alle Argumente vorgezeichnet, wie sie
Thomas von Aquin, 91, 1 resp. ad. 2. Vgl. A. Wolf, Die Gesetzgebung der erstehenden Territorialstaaten in Europa, in: Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, Bd. 1: Mittelalter, hrsg. v. H. Coing, München 1973, 31
32
S. 551, 727, 789. 33 Wolf, Gesetzgebung und Kodifikationen, S. 147 f. 34 Zit. nach Wolf, S. 148. 35 Troje, S. 65.
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Hermann Julius von Kirchmann 1847 in seinem berühmt berüchtigten Vortrag "über die Wertlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft" verwendet 36 • Doch zunächst ließ sich die Selbstsicherheit der Rechtswissenschaften nicht erschüttern und Paulus de Castro versichert: "Haec scientia est vera philosophia, et non simulata, et nobilior omni alia, postquam tendit ad faciendum homines bonos ... aliae vero scientiae ad hoc non tendunt: ideo non attingunt dignitatem istius37 ." 1482 polemisiert dann der Philosoph Nicoletto Vernia ganz vom aristotelischen Milieu Paduas beeinflußt - vehement gegen den Vorrang der Jurisprudenz. Diesen Angriff pariert der Bologneser Jurist Petrus Andreas Gammarus mit seiner 1506 erschienen Schrift "De veritate ac excellentia legalis scientiae". Er plädiert für den Wissenschajtscharakter der Rechtswissenschaften und widerlegt im einzelnen Vernias Sätze. Diese Diskussion bestimmt die folgenden Jahrzehnte 38 • Gleichzeitig rückt in Humanismus und Renaissance der Mensch in das Zentrum aller Wissenschaftszweige, so auch der Rechtswissenschaften. Zwei Faktoren werden wesentlich: Auf der einen Seite bemüht man sich, die verschiedenen Seiten ein und derselben zentralen Wirklichkeit in einer integratio, in einer Gesamtschau zu fassen. Dieses Streben nach völliger übereinstimmung aller Aspekte des menschlichen Lebens ist untrennbar verbunden mit dem Bewußtsein der renovatio, also mit einem Bewußtsein der Veränderbarkeit, das vielschichtig in die Zukunft weist39 • Unablässig wird die Universalität und Zentralität des Menschen betont. Hierin stimmen die Platoniker Marsilius Ficinus und Pico della Mirandola selbst mit dem Aristoteliker und Averroisten Pietro Pomponazzi überein. Die neue zentrale Rolle des Menschen erschüttert das bisherige kosmologische Selbstverständnis. Eine folgenreiche Erfindung, die auf rechtswissenschaftlichem Gebiet dieser neuen Überzeugung gerecht wird, ist der Begriff des subjektiven Rechts, des ius ad facultas seu potestas. Dieser hat - wie Hans Erich Troje ausführt - das gesamte bisherige juristische System verändert40 • 38 Vgl. H. J. v. Kirchmann, Die Wertlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft, Nachdruck Darmstadt 1966. 37 Zit. nach Troje, S. 65. 38 Troje, S. 66: Gammarus "gibt damit für hundert Jahre den Juristen das Thema ihrer Festreden. In der 1598 in Rostock gedruckten Oratio de certitudine iurisprudentiae et causis mutationis legum des Lübecker Syndicus Lorenz Finkelthus, der Ausarbeitung einer ca. 1588 an der Leipziger Universität gehaltenen Rede, sind alle Argumente des Gammarus mit weitgehend gleichen Worten angeführt". 39 Vgl. Fischer, Aufklärung, S. 28 - 30. 40 Troje, 81 ff.
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Denn der neue ius-Begriff ermöglicht und erzwingt die Behandlung der actio unmittelbar beim jeweiligen ius. Ein neues Methodenbewußtsein entsteht und die Idee des Fortschritts wird ein universelles und zugleich normatives Prinzip 41.
111. Die wissenschaftlich-soziologische Transformation des Rechts Humanismus und Renaissance erschüttern auch die selbstverständliche Geltung von Theologie und Kirche als kosmologische und metaphysische Rahmenbedingung des Rechts und der allgemeinen Moral. Bisher galt jede Wissenschaft, auch die Rechtswissenschaft mit ihren verschiedenen Zweigen als" Weg zu Gott"42. Die große wissenschaftliche Revolution im 17. Jahrhundert markiert einen fundamentalen Wechsel des Legitimationsprinzips. Mit ihr ging das Monopol, gültige Ordnung zu beglaubigen, an die Wissenschaft über. Diese hatte ihren Siegeszug mit der Verheißung begonnen, die wahre Ordnung der Dinge in Natur, Religion, Recht, Politik, Gesellschaft, Moral und Kultur bloßzulegen43 • Dies belegt etwa die breit angelegte systematische Diskussion, von welchen Gesetzen der Herrscher befreit sei. Seine überpositiven Bindungen werden außer in den "leges naturales" vor allem in den teils idealisiert, teils säkularisiert verstandenen "leges fundamentales" zusammengefaßt44 • Im Zusammenhang mit den Erfordernissen des modernen Staates, sich auf eine säkulare Legitimationsgrundlage zu stützen, wird die wahre Ordnung der Dinge, auch die wahre Rechtsordnung, wie sie die Wissenschaft zu finden versprach ohne das Prädikat "göttlich" zum letzten Kriterium öffentlich gültiger Legitimität. Ein neues Kapitel der Wissenschaftsgeschichte wird aufgeschlagen: Der Versuch, allein durch Wissenschaft zur Wahrheit zu gelangen. Diese Entwicklung ist beispielhaft an der Entstehung der rationalistischen Naturrechtslehren abzulesen45 • Eine weitere Illustration für die zunehmende wissenschaftliche Transformation des Rechts liefern die rechtswissenschaftlichen AbhandlunVgl. Fischer, Aufklärung, 32 f. Vgl. M. Weber, Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, 4. Aufl., Tübingen 1973, S. 597. 43 Vgl. F. H. Tenbruck, Die Glaubensgeschichte der Moderne. Beitrag zum 17 th European University Meeting, Rom 1975, S. 6 f. 44 Vgl. dazu J. W. Gough, Fundamental Law in English Constitutional History, Oxford 1955. 45 Vgl. K.-H. Ilting, Naturrecht, in: Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 4, Stuttgart 1978, S. 278 ff.; R. Marctc, Geschichte der Rechtsphilosophie. Schwerpunkte - Kontrapunkte, Freiburg i. Br. 1971, S. 268 ff.; A. Verdroß, Abendländische Rechtsphilosophie. Ihre Grundlagen und Hauptprobleme in geschichtlicher Schau, 2. Aufl., Wien 1963, S. 128 ff. 41
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gen im frühen 17. Jahrhundert. Sie erweisen sich zumeist "als schwache Nachahmung der intensiven zeigenössischen Logikstudien" . Die Rechtswissenschaft versucht, dem neuen Trend nachzuj agen, und Troje berichtet: "Den meisten Verfassern schien es erst revolutionär, dann opportun, schließlich obligatorisch, neben vielem anderen auch über juristische Logik zu schreiben46 ." Der Grund dieses wissenschaftsorientierten Optimismus lag im gewaltigen Fortschritt der Naturwissenschaft. Die Fortschrittsidee säkularisierte die christliche Vorstellung eines "Heilplanes": Durch den Begriff "Natur"47 ließ sich das göttliche Prädikat der Allgültigkeit ersetzen, wodurch der Fortschritt zum Besseren verbürgt schien. Zunächst Gott, dann die Natur, tritt auch die Gesellschaft als einheitsstiftendes regulatives Prinzip, als neue metaphysische Bindung auf. Der Weg dieser Soziologisierung unseres Wirklichkeitsverständnisses ist gleichzeitig der Weg der soziologischen Transformation des Rechts. Bereits Hegel spricht ja schon von der Gesellschaft als "ungeheure Macht, die den Menschen an sich reißt, von ihm fordert, daß er für sie arbeite, daß er alles durch sie sei und vermittels ihrer tue"48. Bei Emil Durkheim wird sie vollends zur "letzten" Ursache erklärt 49 . An ihrem Zustand kann man den gegenwärtigen Zeitpunkt im Fortschreiten ablesen und von ihrer Beschaffenheit her kann man die Zukunft vorhersagen. Im Blick auf die Gesellschaft, sei es auf ihre künftige rationale Organisation, sei es auf die funktionalen Erfordernisse ihres Bestandes, kann man seine Praxis ordnen und die vorhandenen Mittel konzentrieren und koordinieren. Der Gegenstand "Gesellschaft" erhält damit eine völlig neue Qualität: Sie wird zur entscheidenden Wirklichkeit, weil Ursprung, Wesen und Ziel der menschlichen Gattung in Abhängigkeit von ihr gedacht werden. Dies hat jedoch zur Folge, daß die Suche nach der wahren Ordnung der Dinge sich auf die frühen Formen der Sozial- und Rechtswissenschaften verlagerte, so wie Gott nacheinander in der Physik, der Chemie und der B'iologie gesucht wurde: vielmehr blieb die "Methode" der Naturwissenschaften als Unterpfand erhalten. Was den Naturwissenschaften also zunächst zur Methode war, wird entscheidendes inhaltliches Prinzip.
Troie, S. 78. Als "innere Natur der Dinge" und nicht bloß als Gruppe von Erscheinungen. 48 G. W. F. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, Bd. 7, S. 315. 49 Vgl. M. Bock, Soziologie als Grundlage des Wirklichkeitsverständnisses. Zur Entstehung des modernen Weltbildes, StuttgartJ980, S. 120 ff. 48 47
33 Festgabe We!nberger
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Der aufklärerische Szientismus glaubt mit seinem, den Naturwissenschaften nachgebildeten Ideal, durch Wissenschaft die Ordnung der Welt zu finden und betrachtet diese Suche als Dienst an der Menschheit, von deren Perfektibilität er überzeugt ist. Der Verlust "letzter" Wahrheit wird durch die Wissenschaftlichkeit des Verfahrens und der besonderen Qualität des mit ihm gewonnenen Wissens kompensiert 50 • Ist man sich der Unverbrüchlichkeit des wissenschaftlichen Fortschritts und seiner Wahrheit gewiß, erwartet man von seiner technologischen Anwendung die endgültige Herrschaft über die Natur, das Ende der Knappheit der Mittel und die wahre rechtliche Ordnung, die schließlich die Perfektion des Menschen selbst ermöglicht. Die erste folgen reiche Übernahme des neuen naturwissenschaftlichen Weltbildes in die Sozialwissenschaften erfolgt Mitte des 17. Jahrhunderts durch Hobbes 51 • Die Überzeugung lautet nun, daß nach den Regeln der ratio sich alle Bereiche der Wirklichkeit zum "Guten der Vernunft" hin ordnen. Die Anziehungskraft einer solchen normativ gefaßten Rationalität besteht darin, daß sie die Welt in eine universale Ordnung bringen kann, die theoretische Zweifel und innere Spannungen gleichermaßen ausschließt. Die Regeln säkularisieren die alte gott gewollte Welt der Tradition zu einer neuen gottgewollten Welt der ratio. Dadurch gewinnen sie eine metaphysische Aura, die der traditional-christlichen Welt außerordentlich ähnlich ist. Die Regeln sind nicht nur der Kernpunkt aller Vernünftigkeit in der Natur und im Universum, sondern in ihrer reinen Vollkommenheit werden sie auch zur Wesenseigenschaft Gottes selbst, des Ursprungs aller Vollkommenheit. Gott offenbart sich durch Methode 52 • Christian Wolff etwa ersetzt traditionale Sicherheiten durch eine neue: Durch die dogmatisch geltende und metaphysisch abgesicherte Ordnung, durch die "ungezweifelte Gewißheit". Der rationalistischen Vernunft ist jede Unregelmäßigkeit, alles Irrationale sogleich ein metaphysischer Skandal, eine Sünde wider den "methodologischen Gott" . 50 Des näheren vgl. M. W. Fischer, Wissenschaftskritik und Naturrecht. Wider die Anmaßungen eines zur absoluten Wahrheit erhobenen Szientismus, in: D. Mayer-Maly / P. Simons (Hrsg.), Naturrechtsdenken heute und morgen, Berlin 1983, S. 557 - 584. 51 Vgl. D. v. Stephanitz, Exakte Wissenschaft und Recht, Berlin 1970, S. 52 ff. und 113 ff.; W. Förster, Thomas Hobbes und der Puritanismus. Grundlagen und Grundfragen seiner Staatslehre, Berlin 1969; H. Fiebig, Erkenntnisse und technische Erzeugung. Hobbes operation ale Philosophie der Wissenschaft, Meisenheim 1973; M. M. Reik, The Golden Lands of Thomas Hobbes, Detroit 1977. 52 Ch. Wolf!: Vernünftige Gedanken von Gott, der Welt und der Seele des Menschen, HaUe 1719, wo im § 4 die rationalistische "Gewißheit" auf Gott übertragen wird; vgl. Ch. Wolf!: Vernünfftige Gedanck:en von der Menschen Tun und Lassen, HaUe 1743, Kap. 8, insbes. § 47.
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Daher wollen Wolff und Pufendorf Rationalität im Sinne mathematischer Berechenbarkeit in die Rechtswissenschaft einführen. Rechtspolitische Angriffspunkte werden vor allem für sie die willkürlich gehandhabten Herrschaftsprivilegien in der Ständegesellschaft und die unkontrollierbare Macht des absolutistischen Fürsten. Sie können nur akzeptiert werden, wenn sie sich allgemein gültigen Regeln unterwerfen und "more geometrico" dem "Gemeinwohl" dienen. Der Rationalismus wandelt sich zur Utopie der perfekten Ordnung als Rechtsordnung53 . "Gesellschaft" gilt nun primär als Produkt der Gesetzgebung. Die Analogie zur naturwissenschaftlichen Gesetzeserkenntnis wird in der Folge bestimmend. Sie führt Montesquieu über den engeren politischen Bereich hinaus auf das Gebiet der Geschichte und ihrer "Gesetzmäßigkeiten". Den "Geist der Gesetze", der jedem Volk, jeder Regierungsform angemessen ist, bestimmt er unter anderem durch historische Belegreihen, die sich zu Gesetzmäßigkeiten, zu "Prinzipien" fügen. Er schöpft sie, wie er seinen Zeitgenossen versichert, nicht aus Vorurteilen, sondern aus der "Natur der Dinge"54. Montesquieus Methode und Begrifflichkeit wird vielfach übernommen55 • Die Richtigkeit des politischen Gesetzes wird bei Montesquieu weder apriorisch noch traditional, sondern aufgrund der konkreten "Natur der Dinge"56 nach der historischen und sonstigen Eigenart der jeweiligen Staatsformen und ihren Wirkungsprinzipien bestimmt. Das Gesetz stellt sich in seiner sachlichen Regelhaftigkeit als "volonte generale de l'etat" dar. Das ist noch nicht prozedural gemeint, obgleich Freiheit und Autonomie in Bezug gesetzt sind. Gegen die vorstaatliche Anarchie betont Montesquieu die freiheitskonstituierende Wirkung des staatlichen Gesetzes 57 • Das Verhältnis von Gesetz und staatsbürgerlicher Freiheit ist das Zentralproblem bei Rousseau. Er entwickelte einen "demokratischen Gesetzesbegriff" , bei dem das Gesetz als der unvermittelte und unvermittelbare Ausdruck der gemeinsamen Willensübereinstimmung (volonte generale) der in der Kollektivperson des "corps politique" verein53 Christi an Wolff geht daher von der inhaltlichen Identität des positiven mit dem natürlichen Recht aus: Das letztere lenkt die positive Gesetzgebung, wie überhaupt die menschlichen Handlungen, das erstere bestärkt die Bindungswirkung des Naturgesetzes. Vgl. Ch. Wolff, lus naturae methodo scientifica pertractatum. 1740 - 1748. 8 Bde. Bd. 8 § 965. 54 Ch. de Montesquieu, Vom Geist der Gesetze (1748), Eingeleitet, ausgewählt und übersetzt von K. Weigand, Stuttgart 1965, Vorrede S. 89 ff. 55 Vgl. Stephanitz, S. 135 ff. 58 Montesquieu, 1, 1. S. 95 ff. 57 Ebd. 11, 3. S. 210 u. ö.
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ten "citoyens" erscheint58 • Dieser materiell - und nicht numerisch als volonte de tous 59 - begründete Gemeinwille resultiert aus einer sozialen 60 und idealen Homogenität. Sie stützt sich auf die traditionellen Gewohnheiten und eine präformierte gemeinwohlorientierte Staatsgesinnung, die als öffentliche Meinung vom Gesetzgeber hergestellt werden so1l61. Wie volonte generale ist "Gesetz" ein normativer Begriff: Es gilt als gerecht und auf das Gemeinwohl gerichtet, das nicht mehr transzendental-naturrechtlich fixiert ist, sondern sich in der freien und öffentlichen Diskussion des Bürgertums als das Richtige und Vernünftige artikuliert 62 • Bei den Physiokraten gar erscheint diese öffentliche Meinung als Gesetzgeber schlechthin63 • Ein vorgegebenes Recht oder vorrangige Fundamentalgesetze können die stets aktuell geltende volonte generale nicht vorbestimmen. Letztlich ist es die Qualität des Gesetzgebers, die hier wie bei Hobbes und Montesquieu die Richtigkeit der Gesetze verbürgt 64 . Bei Rousseau erhält der Befehlscharakter des Gesetzes aber insofern eine entscheidende Umdeutung, weil Herrschaft in Selbstbestimmung aufgelöst wird65 • Des weiteren wird der Gesetzesbegriff auch mit dem Evolutionsgedanken verbunden. In Frankreich faßt Condorcet die fundamentalen Gesetze einer politischen Ordnung ausdrücklich als Entwicklungsgesetze auf. Aus den Erfahrungen der Vergangenheit will er Regeln für den Fortschritt der Gesellschaft ziehen, die zum Beispiel etwas über die Beseitigung der Ungleichheit zwischen den Völkern und zwischen den Menschen oder über deren Vervollkommnung aussagen. Mit der kalkulatorischen und kombinatorischen Präzision der Mathematik soll der Gang der Dinge auf den Gebieten der Moral und Politik analysiert und vorausberechnet werden 66 . 68 J. J. Rousseau, Der Gesellschaftsvertrag oder die Grundsätze des Staatsrechts (1762), in der verbesserten übersetzung von H. Denhardt mit einem Nachwort hrsg. v. H. Weinstock, Stuttgart 1974, 2, 6, S. 41 ff.; 3, 15, S. 105 ff. 59 2.7, S. 45 ff.; das Mehrheitsprinzip dient der Feststellung der Homogenität, ebd. 2, 4, S. 34 ff. 80 2, 11, S. 58 ff. 81 2,7, S. 45 ff. 2, 12, S. 61 f. 62 Vgl. 4, 1, S. 116 ff. und öfters. 83 Vgl. J. Habermas,Strukturwandel der Öffentlichkeit, 2. Aufl., NeuwiedBerlin 1965, S. 66, 93 ff., 112 ff. Rousseau schließt die Ungerechtigkeit der Gesetze aus, weil niemand sich selbst schaden würde. Vgl. 2, 6, S. 41 ff. 64 Des näheren ausgearbeitet bei Grawert, ebd. 85 I. Fetscher, Rousseaus politische Philosophie, 2. Aufl., Neuwied - Berlin 1968, S. 129. 88 Vgl. M. J. A. N. C. Marquis de Condorcet, Entwurf einer historischen Darstellung der Fortschritte des menschlichen Geistes (1794). Hrsg. v. W. Alff, Frankfurt a. M. 1976, S. 344 ff., 34!l11nd 37fi.
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Condorcet hatte ja in seinem "Tableau general de la science" eine "mathematique sodale" entworfen: "Denkt man nach über die Natur der Wissenschaften vom menschlichen Verhalten (sciences morales), so tritt einem klar und zwingend vor Augen: Da sie sich wie die Naturwissenschaften (sciences physiques) auf die Beobachtung von Tatsachen stützen, müssen sie dieselbe Methode verfolgen, eine ebenso exakte und präzise Sprache erwerben und denselben Grad an Sicherheit erreichen67 ." Die "mathematique sociale" liefert Condorcet ein "instrument universel" im Dienste des Fortschritts. "Wie viele Aufklärer war auch Condorcet auf der Suche nach einem einheitlichen Prinzip des individuellen und gesellschaftlichen Daseins des Menschen. Nun ist er überzeugt, daß Universalinstrument sei gefunden, das die Grundsätze und allgemeinen Wahrheiten aufzudecken vermöge, welche die ,unveränderlichen und notwendigen Gesetze von Recht und Unrecht bestimmen; es lasse sich auf sämtliche Gegenstände des menschlichen Verstandes anwenden'6s." In Deutschland hofft Kant, in der Vielfalt der geschichtlichen Erscheinungen "einen regelmäßigen Gang", d. h. "beständige Naturgesetze", aufzuspüren, um auf diesem Gebiet, also sozial- und rechtswissenschaftlich relevant, Kepler und Newton nachvollziehen zu können. "Gesetzgebung" im allgemeinsten Sinne ist das Bewegungsmoment von Kants Denken in allen Bereichen seiner Philosophie. Kant argumentiert zumeist kausal-mechanisch, seine Beweise gründen auf Erfahrung, Geschichte begreift er als "Vollziehung eines verborgenen Plans der Natur" nach der Art eines überdimensionierten "Kreislaufs", der sich freilich in einer Vervollkommnung schließen wird 89 •
Herder wirft er vor, nicht beobachtete, sondern gemutmaßte Gesetze der Menschheit zu entwerfen70 • Aber wenn er auch Herders Hypothesen unsichtbarer Kräfte hinter den sichtbaren Gesetzen verwirft, so unterscheiden sich doch die von beiden benutzten Begriffe kaum. Auch Herder spricht von "ewigen Gesetzen", die allgemein und der Willkür des Menschen entzogen sind, und die "mit der Zeitenfolge" stetig zu einem "Fortgang" der Menschen und Völker führen 71 • Mit dem unverbrüch87 Zitiert nach K. Vondung, Condorcet, in: T. Schabert (Hrsg.), Der Mensch als Schöpfer der Welt. Formen und Phasen revolutionären Denkens in Frankreich 1762 - 1794, München 1971, S. 112 f. 88 Ebd. S. 116. 89 Vgl. I. Kant, Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht (1784), Akademieausgabe Bd. 8, S. 17 ff.; vgl. Fischer, Aufklärung, S. 178 ff. sowie 197 f. 70 Kant, Rezension J. G. Herder, Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit (1784), Bd. 8, S. 45. 71 Vgl. J. G. Herder, Ideen zur Philosophie der Menschheit (1784). Sämtliche Werke, hrsg. v. W. Suphan, Bd. 13, S. 47; des näheren Fischer, Aufklärung, S. 192 ff.
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lichen Glauben an den "gesetzmäßigen Fortschritt" verbreitet sich auch das dazugehörige Begriffsverständnis. Paradigmatisch wird diese Auffassung, seit Kant den politisch-theoretischen Hintergrund aufgearbeitet hat, daß die Gesellschaft und ihre Fortschritte durch Gesetzgebungsverfahren "machbar" sei. Danach zu streben macht "uns die Vernunft durch einen kategorischen Imperativ verbindlich"72. Einige Stufen der wissenschaftlich-soziologischen Transformation des Rechts sind damit angedeutet. Wirkungsgeschichtlich folgenreich wird Kants Rechtsdefinition: "Das Recht ist also der Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des anderen nach einem allgemeinen Gesetz der Freiheit zusammen vereinigt werden kann73 ." Die große Unbekannte in dieser Bestimmung ist die Freiheit. Kant selbst hat dieses Problem mit dem Gedankengang erledigt, daß die Freiheit im Sittengesetz erkannt werde und das Sittengesetz seine ratio essendi in der Freiheit habe. Damit hat er sich allerdings die Klärung der empirischen Grundlage der Verwirklichung des Sittlichen und des Rechts erspart. Das Problem wird verlagert in die Polarisierung von Pflicht und Neigung74 . Die Vernunft kapituliert vor dem Gewaltmonopol des Staates - wie zuvor schon in der Hobbesschen Naturrechtslehre, da auch mit der Kantschen Lehre eine sachadäquate Trennungslinie zwischen Freiheit und Willkür nicht möglich ist. Seitdem ist deutlich, daß Recht letztlich Ordnung von" Verhältnissen" aufgrund gegebener Gewaltmonopolisierung ist. Die großen Unterschiede setzen bei der "Art" der Ordnung dieser Verhältnisse ein. Die Eliminierung der theologischen Orientierung des Rechts hat den Zirkelschluß von Recht auf Ordnung unausweichlich gemacht: und zwar Ordnung einer gewaltsam und insofern für den Menschen nicht "verfügbaren" vorgegebenen Lage. Alle nunmehr folgende Rechtsbegründung teilt mit der Kantschen Problemstellung diese Zirkularität, das Problem bleibt in der "Positivität" des Rechts stecken. Die Aufmerksamkeit verlagert sich auf den Prozeß, das Verfahren. Als erster hat diesem Orientierungswechsel Regel entsprochen75 . Die "Herrschaft der Verhältnisse" wird zum Brennpunkt jeder Rechtsdiskussion. Die Schwäche einer bloß kritisierenden Vernunft
Kant, Metaphysik der Sitten (1797), Bd. 6, S. 318. Ebd. S. 230. 74 Auch in der mehr verschleiernden als klärenden Bestimmung eines transzendentalen Vernunftinteresses bricht dieses grundsätzliche Problem noch durch. Vgl. Kant, Kritik der reinen Vernunft (1781), Bd. 4, S. 191 ff.; zu "Pflicht" und "Neigung" vgl. ders., Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (1785), Bd. 4, S. 387 ff.; ders., Metphysik der Sitten, Bd. 6, S. 211 ff., 390 f., 394 ff. u. Ö. 75 Belege und Erläuterungen bei Fischer, Aufklärung, S. 258 ff. 72
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liegt in dem, was Hegel ihre "Abstraktheit" nennt. Sie versteht Befreiung zumeist als Endzustand und nicht als überleitung in neue Bindungen. Die kritisierende Vernunft glaubt - kontrafaktisch - an die Utopie, es gäbe ein Vakuum der Macht. Es kommt zu einer weiteren Soziologisierung der Frage nach dem Recht und dessen Geltung. Der Rekurs auf Kategorien der Biologie und Ökonomie, der angewandten Mathematik fördert eine neue "positivistische" Rationalität und am traditionellen Hintergrund der Rechtsphilosophie wird nur noch deklaratarisch festgehalten 76 • Der kurze Blick in Segmente der Wissenschafts geschichte der Rechtswissenschaften zeigt deutliche Verschiebungen der Rationalitätsstrukturen im Bereich der kosmologischen und metaphysischen Begründung des Rechts 77 • Gleichwohl bleibt ein verbindendes Element aufrecht, und zwar der Anspruch, durch Recht die "wahrhafte" - göttliche, wissenschaftliche, gesellschaftsadäquate oder mit welchen Epiteta auch sonst versehene - Gesellschaftsordnung zu verwirklichen. Recht gilt der Rechtswissenschaft als politisch-praktische Ebene der "Verwirklichung" von Wahrheit. So umstritten der wissenschaftstheoretische Stellenwert dieser Wahrheit im einzelnen ist, versteht sie sich zunehmend "instrumentell" als praktische Wahrheit. Gleichzeitig setzt der sich verstärkende Szientismus und Positivismus quasireligiöse Ansprüche 78 • Da sich die rechtswissenschaftliche Diskussion immer mehr um die Ordnung von "Verhältnissen" aufgrund gegebener Gewaltmonopolisierung dreht, tritt nunmehr das "weltanschauliche Moment" in den Vordergrund, Katechismen für eine künftige Gesetzgebung werden unter bestimmten weltanschaulichen Gesichtspunkten angefertigt, sie sollen den Raster für Kodifikationen liefern. Die nicht zuletzt auch ideologiepolitisch orientierte System-Frage der Rechtswissenschaften wird zumeist in Phasen beabsichtigter Neukodifikationen aufgeworfen. Ein neues System wird stets zuversichtlich von solchen Autoren befürwortet, die bloß Programme und Entwürfe vorlegen. Im Ideologiepolitischen gilt: Aller Anfang ist leicht. 71 Hegel ist der erste, der die Sozialphilosophie mit ökonomischen Kategorien dynamisiert, der aber gleichzeitig stark auf den biologischen Begriff der "Triebe" abhebt. Des näheren vgl. Fischer, Verheißungen, Kap. 6: "Histo-
rische und theoretische Voraussetzungen des HegeIschen Klassenbegriffs" , S. 87 -103. 77 Zu aktuellen Problemen vgl. H. Schreiner, Die Intersubjektivität von Wertungen. Zur Begründbarkeit von Wertungen im Rechtsdenken durch ethisch verpflichtetes Argumentieren, Berlin 1980. 78 Vgl. Fischer, Wissenschaftskritik und Naturrecht, S. 562, Fn. 13, wo in einem Exkurs dargestellt wird, daß gerade Szientismus und Positivismus der Idee einer Priesterschaft der Wissenschaft zum Durchbruch verhelfen.
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IV. Katechismen einer künftigen Gesetzgebung Das 18. Jahrhundert - so scheint es - hat den alten Katechismusglauben und damit auch die alte Katechismuslehre zertrümmert. Seit die religiöse Katechese in Mißkredit geraten war, stand die überlieferte Form für säkulare Zwecke zur Verfügung 79 • Politischen Katechismen, auch radikalen Vorläufern wie etwa dem "Testament" des Abbe MesZier von 172380 ist die überzeugung gemeinsam, daß die Menschen aus ihrer Unmündigkeit befreit werden können durch diejenigen, die es schon sind81 • In ihnen wird das Verhältnis von Frage und Antwort stets "orthodox" abgehandelt. Während aber im religiösen Katechismus der Katechet so wenig autonom ist wie der Adept, weil ja beide ausgerichtet sind auf eine absolute, ihre persönliche Vernunft übersteigende Wahrheit, braucht der "weltliche" Katechismus, der auf keine Heilige Schrift verweisen kann, andere Autoritäten. Wo nur praktisches Wissen oder Erfahrungswissen vermittelt wird, wie in einem "Katechismus der Baumzucht" ist dies nicht weiter problematisch. Neue Wahrheiten hingegen, etwa "politisches Offenbarungswissen" , brauchen auch neue LegitimationsgrundZagen. Das durch Jahrhunderte vom Gesetzgeber-Gott inspirierte Denken sucht sich quasireligiöse Substitute, beziehungsweise Rationalisierungskriterien für diese. Ich möchte dies anhand verschiedener Katechismen illustrieren, die - mit je verschiedenen Rationalitätsbegriffen ausgestattet - eine umfassende, ideologiepolitisch ausgerichtete Gesetzgebung fordern. Im zeitlichen Hinter-, aber auch Neben- und Gegeneinander werden kategorisch gefordert: das natürliche Gesetz, das vaterländische Gesetz, das sozialistische Gesetz und - als negative Variante - das terroristische Gesetz.
1. Das naturliche Gesetz Vernunft und Natur waren im 18. Jahrhundert - wie bereits angedeutet - die Folie des kosmologischen Verständnisses und der metaphysischen Bindungen. Man versuchte den Streit der Konfessionen, der 79 Gegen Ende des 18. Jahrhunderts gibt es auf dem literarischen Markt: Katechismus der Freimaurer, Katechismus der Goldmacher, Katechismus für erfahrene und angehende Lumpen, Chirurgischer Katechismus für angehende Wundärzte, Katechismus der anscheinenden Todesfälle oder Pulslosigkeiten, Ökonomischer Katechismus der Federviehzucht, Militärischer Katechismus mit einer Anweisung zum Exerzieren, Politischer Katechismus zum Gebrauch eines jungen Fürsten, Praktischer Katechismus zum Gebrauch für Dienstboten, usw. 80 Belege und Erläuterung bei Fischer, Aufklärung, S. 148 ff. 81 Zur "Mündigkeits-Unmündigkeitsdiskussion" in der Spätaufklärung vgl. Fischer, Aufklärung, S. 170 ff.
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zur Verheerung Europas durch religiöse Bürgerkriege geführt hatte, durch Konzentration auf "natürliche Vernünftigkeit" und "natürliches Recht" zu unterlaufen. Zu den wichtigsten Vernunftskonstruktionen der Neuzeit gehört der Staat: er sichert nach den konfessionellen Kriegen einen - wenn auch labilen - Frieden. So sehr dieser Staat selbst ein Produkt politischer Philosophen ist, schafft er erst den Freiraum, in welchem die Menschen Vernunftsysteme nicht nur entwickeln, sondern auch propagieren können. Man denke nur an die großen philosophischen Systeme von Descartes, Spinoza, Leibniz und Wolft82. Auf jeden Fall schlägt mit dieser Erkenntnis die Stunde der Juristen und Staatsphilosophen und zu den historischen Resultaten der Anstrengung der Aufklärung gehört der moderne Verfassungsstaat. Der säkularisierte Katechismus dient zunächst der Propagierung der "natürlichen Vernunft": Von enormer wirkungsgeschichtlicher Bedeutung wird das "Gesetzbuch der Natur" des Abbe Morelly aus dem Jahre 1755 83 • Hier wird erstmals eine Gesetzgebung entworfen, in welcher die politischen und ökonomischen Prinzipien wichtiger erscheinen als die ethischen. Letztere sind nur Konsequenzen der ersteren wie auch die gegenwärtigen Laster die Folgen der bestehenden Gesellschaft sind. Morelly versucht in seinem Gesetzbuch, der Natur durch konstruierende Vernunft die Rechtswissenschaften, die Moral- und Sozialtheorie zu einer exakten, nach dem Vorbild der Mathematik betriebenen Wissenschaft zu erheben. Die Darstellungsform ist katechetisch und dogmatisch: "Geheiligte Grundsätze, die allen Übeln der Gesellschaft die Wurzeln abhauen", werden aufgestellt und in ihrer "Rationalität" begründet. Die künftige ideale Gesellschaft erscheint als rational-gesetzgeberisches Werk. Ausdrücklich die Form eines Katechismus zur Explikation des "natürlichen Gesetzes" wählt Constantin Frant;ois de Volney84. Neu ist das natürliche Gesetz gewiß nicht, wohl aber das Pathos, mit dem es ins öffentliche Bewußtsein tritt und die heterogensten Traditionsgehalte teils zu vermitteln, teils zu brechen suchte. Volney schreibt seinen Katechismus des natürlichen Gesetzes zu einer Zeit, wo seine Explo82 Des näheren vgl. die gute Textsammlung von R. Specht (Hrsg.), Rationalismus, (Geschichte der Philosophie in Text und Darstellung, Bd. 5) Stuttgart 1979. 83 Morelly (anonym erschienen), "Code de la Nature ... ", Lüttich 1755. Belege und Erläuterungen bei Fischer, Verheißungen, S. 42 ff. und 197 ff. Bis in das 19. Jahrhundert wurde die Arbeit Diderot zugeschrieben und Babeuf berief sich 1799 in seiner berühmten Verteidigungsrede auf ihn als Verfasser des "Code". 84 C. F. de Volney, Das natürliche Gesetz und der Katechismus des französischen Bürgers (1793), in: K. M. Michel (Hrsg.), Politische Katechismen, Frankfurt a. M. 1966, S. 21 - 58.
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sionskraft nicht nur in Worten, sondern auch in Taten deutlich wird: während der Französischen Revolution. In den Sitzungen des Konvents wird ständig betont - ob von Cloots, Saint-Just, Marat oder Robespierre, daß es keinen anderen Gott als die Natur gebe, keinen anderen Herren als das "natürliche Recht" des Menschengeschlechts und daß die Vernunft als Gott des Volkes das einigende Band sei85 • Was durch Jahrzehnte geistige Waffe im Kampf gegen kirchliche und weltliche Autoritäten war, sollte nun - zur materiellen geworden - auch oberste Instanz aller Meinungen und Handlungen bleiben. Volney lehrt die Vernunft als neue Religion, die alle bisherigen ersetzt, indem sie ihr Gutes übernimmt und das Schlechte abstößt. Um das Allgemeingültige dieses "ewigen" und "natürlichen" Menschenbildes auch zum allgemein bekannten und anerkannten Gesetz zu machen, verwendet Volney die katechetische Form als lehr- und lernbares Dogma. Dieses Dogma erheischt nicht mehr den blinden Glauben, sondern ist selbst "Rationalität", ist "vernünftige Wahrheit", die jedem einleuchten muß, die sämtliche Theorien und Formen der Praxis bestimmen soll. Diese "Wahrheit" der Vernunft, der Natur, der Menschenrechte, die keine religiösen, rassischen und politischen Schranken respektiert, konnte sich nicht bloß auf eine Nation beschränken. Diese Wahrheit war ein universalistisches Weltbild, legte einen einheitlichen Begriff von "Menschheit" zugrunde. Volney wurde im deutschen Sprachraum eifrig rezipiert86 , wobei das Verständnis durch Reimarus, Lessing und Ba.sedow vorbereitet war 87 • Auch große Teile der deutschen Popularphilosophie stehen ganz unter dem Bann des natürlichen Gesetzes88 • Es wurde in mehrfacher Hinsicht zur Triebfeder. Um ihm Geltung zu verschaffen, griffen die einen zur Gewalt, ja zum "Terror" in der Französischen Revolution. Babeufs 65 Vgl. die einschlägigen Reden bei P. Fischer (Hrsg.), Reden der Französischen Revolution, München 1974, sowie Fischer, Verheißungen, S. 74 ff. 88 Volneys "Katechismus" wurde 1794 ins Deutsche übersetzt und meist mit seinem Hauptwerk "Die Ruinen oder Betrachtungen über die Revolution der Reiche" von 1791 abgedruckt. Hier vermittelt das "natürliche Gesetz" enzyklopädische und utopische Tendenzen der Aufklärungsliteratur; vgl. C. F. de Volney, Die Ruinen oder Betrachtungen über die Revolution der Reiche und das natürliche Gesetz. Aus dem Französischen mit einer Vorrede von Georg Forster, 8. Aufl., Braunschweig 1934, S. 92 ff., 203 ff. 87 Des näheren Fischer, Aufklärung, S. 133 ff. und 175 f. 88 Ebd. S. 196 ff.; ergänzend wäre etwa noch anzuführen K. v. Knoblauch, Politisch-philosophische Gespräche, Berlin 1792, S. 169 ff.; vgl. dazu o. Finger, Der Kampf Karl von Knoblauchs gegen den religiösen Aberglauben, in: G. Stiehler (Hrsg.), Beiträge zur Geschichte des vormarxistischen Materialismus, Berlin 1961, S. 260 ff. Ein Vorläufer solchen Denkens ist Matthias Knutzen. Text sowie Biographie in: ders., Ein deutscher Atheist und vorrevolutionärer Demokrat im 17. Jahrhundert, Berlin 1965.
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Ideen liefern hier ein Musterbeispiel 89 • Für andere sollte das natürliche Gesetz zum Kernpunkt eines neuen Kults werden, der das Volk begeistert, zur "Religion der Republik" schlechthin, wie etwa bei Georg Friedrich Rebmann90 • Am wirksamsten wurde aber das natürliche Gesetz als Instrument aufklärerischer Reformpolitik: Auf dieser Folie entwarf - als wesentlicher geistiger Verfasser - Carl GottIieb Svarez das wohl aufgeklärteste Gesetzgebungswerk Europas, das Allgemeine Preußische Landrecht 91 • Im Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuch Österreichs ist das natürliche Gesetz ebenso zu finden wie im Code Napoleon und der klassische Liberalismus von Carl Rotteck und Carl Welcker ist zur Gänze von ihm bestimmt92 • Aber auch andere Katechismen für eine künftige Gesetzgebung werden entwickelt. 2. Das vaterländische Gesetz Das natürliche Gesetz hatte im Kern eine vorwärtsgerichtete, "progressive" Stoßrichtung. Diese kam in Deutschland besonders nach der konservativen Reaktion gegen den aufgeklärten Absolutismus nur unterschwellig zur Wirkung 93 • Was als realer Mangel empfunden wurde, war die fehlende Identifikationsgröße "Vaterland". Die deutsche Romantik hatte ein bis heute ihr unterschobenes Nebenprodukt zur Folge: den irrationalen, autoritären Nationalismus 94 • Ein "inneres Vaterland" wurde erträumt und Katechismen für das vaterländische Gesetz erstellt: Die Vernunft wurde nun gleichgesetzt mit dem Gewaltmonopol eines künftig geeinten Staates. Während der Kriege gegen Napoleon flammte das deutsche Nationalgefühl mächtig auf: Es verstand sich durchaus revolutionär und Vaterland und Freiheit galten als identische Begriffe, als "Konkretisierung" einer historisch gebotenen Rationalität. Hatten die Revolutionäre von 89 Vgl. K. H. Bergmann, Babeuf. Gleich oder Ungleich, Köln - Opladen 1965. 90 Vgl. G. F. Rebmann (anonym erschienen), Neues graues Ungeheuer. Herausgegeben von einem Freunde der Menschheit, 2. Stück, Uppsala 1795, S. 81 ff. 91 Vgl. Allgemeines Landrecht für die preußischen Staaten von 1794. Textausgabe mit einer Einführung von H. Hattenhauer. Frankfurt 1970, vor allem die Einführung; C. C. Svarez, Vorträge über Recht und Staat, hrsg. v. H. Conrad u. G. Kleinheyer, Köln und Opladen 1960. Einleitung, S. XI ff. 92 Vgl. die einschlägigen Artikel C. Rotteck / C. Welcker (Hrsg.), StaatsLexikon, 2. Aun., Altona 1845 ff., 12 Bde. 93 Vgl. Fischer, Aufklärung, S. 213 ff. U Zur Korrektur dieser Interpretation vgl. D. Bänsch (Hrsg.), Zur Modernität der Romantik, Stuttgart 1977; Fischer, Verheißungen, S. 104 ff.
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1789 die römische Republik beschworen, bemühten die Freiheitskämpfer von 1813 Arminius und Barbarossa, um in dieser Verkleidung die neue Weltgeschichtsszene aufzuführen 95 • Das Bedürfnis nach einer positiven, wahrhaft gesetzgebenden Autorität konnte nur illusionär befriedigt werden, durch Regression in eine verklärte Vorzeit als ein mächtiges Reich unter einem mächtigen König blühte. Dieses Wunschbild wurde auf die politische Wirklichkeit projiziert, galt als rationale Orientierungsgröße der Politik.
Fichte hielt im Wintersemester 1807 j08 in Berlin seine "Reden an die deutsche Nation". Wollte die Aufklärung von der Unfreiheit zur Freiheit fortschreiten, von der Unwissenheit zum Wissen, entwarf Fichte einen Zustand, in dem diese Gegensätze überhaupt aufgehoben sind. Gerade die Nichtexistenz trieb Fichte dazu, den Begriff "Vaterland" zu hypostasieren. Das deutsche Volk - ein "Urvolk" - sollte begrifflich dermaßen präpariert werden, daß es die Wirklichkeit einholt96 . Auch die religiöse Welle, die Europa am Ausgang des 18. Jahrhunderts überflutete, war in ihrer politischen Stoß richtung bloß Surrogat, Mangelerscheinung. Während sie in Romantik und Idealismus die letzten umfassenden religionsphilosophischen Systeme hervorbrachte 97 , diente sie in der politischen Praxis zur Inthronisierung der vaterländischen Religion. Heinrich von Kleist brachte diese 1809 in die Form eines "Katechismus der Deutschen"98. Hier wird der Kampf für ein Vaterland gepredigt, das - untergegangen - nur dem Feind definierbar war. Gegen jede aufklärerische Humanität wird die Vernichtung und Ausrottung des Feindes gesetzt um eines neuen Staates willen, in welchem nicht Bürgerrechte und Freiheit, sondern die alte Herrlichkeit walten soll. Der Monarch soll von rechtlichen Bindungen losgelöst herrschen, der Bürger freudig gehorchen. Was rechtssetzender Volkswille sein 85 Vgl. dazu die Dokumentation: Die Befreiung 1813/1814/1815. Urkunden, Berichte, Briefe mit geschichtlichen Verbindungen von Tim Klein, Ebenhausen bei München 1913; zum historischen Gesamtkontext G. VogZer / K. Vetter, Preußen. Von den Anfängen bis zur Reichsgründung, 4. Aufl., Berlin 1975, S. 125 - 197; Th. Ziegler, Die geistigen und sozialen Strömungen des 19. Jahrhunderts, Berlin 1899, S. 91 - 131. 98 Vgl. J. G. Fichte, Reden an die deutsche Nation (1808), in: Fichtes Werke, Hrsg. v. J. H. Fichte, Nachdruck Berlin 1971, Bd. 7, bes. 8. Rede: "Was ein Volk sey in der höheren Bedeutung des Wortes und was Vaterlandsliebe?", S. 377 - 396. 97 Vgl. W. Weischedel, Der Gott der Philosophen. Grundlegung einer Philosophischen Theologie im Zeitalter des Nihilismus, 2 Bde., 2. Aufl., München 1979, Bd. I, S. 191 - 377. 98 H. v. Kleist, Katechismus der Deutschen. Abgefaßt nach dem Spanischen, zum Gebrauch für Kinder und Alte (1809), in: Michel, ebd. S. 59 - 60.
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sollte, wird auf die Regierungen projiziert, um von ihnen zum Volk in Form von unbedingten Befehlen zurückzukehren. Der Katechismus konnte wieder werden, was er einmal war: ein Mittel autoritärer Unterweisung. Bei Volney wurde gefragt und geantwortet, in Kleists Katechismus wird examiniert. Eine Summe der aufgeblühten vaterländischen Religion zieht Ernst Moritz Arndt 1812 in seinem "Katechismus für deutsche Soldaten"u9. Die nationalistische Schwingung war gekoppelt mit einem Affekt gegen alles Fremde und "Welsche", dem die gesamte Aufklärungsphilosophie zugeschlagen wurde, einschließlich der Idee der Menschenrechte 10o. Die "Rationalität" dieser Bewegung hatte zum Ziel, "Gemeinsinn zu erwecken, die deutsche Nationalwürde zu erheben, Haß gegen fremde Unterjochung und Vertrauen zu uns selbst einzuflößen", wie es in den "Deutschen Blättern" des Buchhändlers Brockhaus 1813 hießI0l. Das alte, "gewachsene" Recht wurde beschworen, nicht im Sinne Savignys, der für die Rechtswissenschaften wesentliche Impulse setzte 102 , sondern im Sinne earl Ludwig von Hallers. In seiner "Restauration der Staatswissenschaften"lo3 lieferte er das reaktionär-restaurative Paradigma des vaterländischen Gesetzes. Der Staat ist für Haller kein politisches Gemeinwesen, sondern eine Privatexistenz, das Hauswesen des Regenten. Die Herrschaft ist daher weder ein Amt noch eine Pflicht, sondern die Ausübung des absoluten und daher uneingeschränkten Eigentumsrechts. Der Regent ist oberster Richter und alleiniger Gesetzgeber. Seine Willkür ist absolutes Maß, das absolut nirgends den Untertanen verpflichtet ist. Friedrich Ancillon propagiert Hallers Ideen in U9 E. M. Arndt, Kurzer Katechismus für deutsche Soldaten (1812), in: Ausgewählte Werke. Hrsg. v. H. Meiner u. R. Geerdts, Leipzig o. J., Bd. 13, S. 17 ff. 100 Vgl. E. M. Arndt, Erinnerungen aus dem äußeren Leben. Werke, Bd. 7, S. 193: Hier spricht er von "einem großen, gewaltigen Männerbunde, der einen einzigen Gegenstand seines Bedürfnisses hatte, Haß und Abschüttelung und Vernichtung der Welschen". 101 Zitiert nach K. Obermann, Einheit und Freiheit. Die deutsche Geschichte von 1815 - 1848 in zeitgenössischen Dokumenten, Berlin 1950, S. 12. 102 Die von Savigny gegen das positive Gesetz und die nationale staatliche Gesetzgebung vorgetragenen Einwände der "Historischen Schule" betreffen nicht den Gesetzes- sondern den Rechtsbegriff: Der "Willkür des Gesetzgebers" werden die "inneren, stillwirkenden Kräfte" eines organisch-historischen Rechts entgegengestellt. (F. C. v. Savigny, Vom Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft, 3. Auf!., Freiburg 1892, S. 9.) Dieses Programm forciert die Abkehr vom naturrechtlichen hin zum politischhistorischen Denken. 103 C. L. V. Haller, Restauration der Staatswissenschaften oder Theorie des natürlich-geselligen Zustands, der Chimäre des künstlich-bürgerlichen entgegengesetzt (1816 - 1825). Neudruck nach der 2. Auf!., 6. Bde., Aalen 1964.
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Berlin und der Brennpunkt seiner Staatslehre ist die Ansicht, daß das Volk "das Bedürfnis hat, regiert zu werden wie die Kinder"lo4. Kleists Katechismus - auch etliche Schriften in seinem Gefolge entspringen dem verbissenen Glauben an einen nationalen Aufstand, der zur Bildung eines Vaterlandes und einer Vatergestalt führen sollte. Die Geschichte hat jedoch diese "Unschuld der Leidenschaft" verwandelt, in blutiger Weise verifiziert. In unserem Jahrhundert wurden Kleists und Arndts Worte in Taten umgesetzt. Das vaterländische Gesetz ist aber nicht monolithisch, es entwickelt auch andere Perspektiven einer Gesetzgebung für eine künftige Gesellschaft. Sein Tenor kehrt wieder in einem Dokument eigenwilliger Prägung: in dem Glaubensbekenntnis des exkommunizierten Priesters F€Zicit€ Lamennais105 • Hier finden sich - in biblischem Ton beschworen - die Altäre Gottes, des Vaterlandes, der Freiheit, auf denen auch Kleist und Arndt geopfert hatten. Darüber steht jedoch ein anderer Altar: der eines schwärmerischen christlichen Sozialismus. Das Himmelreich soll unmittelbar von heute auf morgen hienieden errichtet werden. Ähnliches gilt auch für den vaterländischen, deutschen Handwerkskommunismus eines Wilhelm WeitZing 106 • Aber diese Katechismen entwickelten alsbald andere Formen.
3. Das sozialistische Gesetz Lamennais, WeitZing, aber auch Cabet und Moses Heß borgten sich die Sprache der Bibel aus und schrieben sozialistische Evangelien, Glaubensbekenntnisse, Katechismen. Ein Vaterland zu entwerfen, das keine Hölle und kein Zuchthaus ist, sondern ein Paradies, war das Anliegen von Etienne Cabet. Mit seinem utopischen Reiseroman "Voyage en Icarie" von 1839 popularisierte er vor allem die Ideen Robert Owens 107 • "Ikarien" wurde schnell zum Schlagwort für das ersehnte Vaterland. Heß verfaßte 1844 ein "Kommunistisches Bekenntnis in 104 F. Ancillon, über die Souveränität der Staatsverfassungen, Berlin 1816, S. 3, 35, 54 f., 76 u. 93. 105 F. de Lamennais, Worte des Glaubens. übersetzt von Ludwig Börne, in: L. Börne, Sämtliche Schriften, 2 Bde., hrsg. v. I. u. P. Rippmann, Düsseldorf 1964, vor allem S. 1159, 1171 ff., 1195 ff., 1228 ff. lOS Vgl. W. Weitling, Garantien der Harmonie und Freiheit (1842), mit einem Nachwort hrsg. v. A. Meyer, Stuttgart 1974; ders., Das Evangelium des armen Sünders (1843); Die Menschheit wie sie ist und wie sie sein sollte (1838/39), mit einem Essay "Wilhelm Weitling im Spiegel der wissenschaftlichen Auseinandersetzung" hrsg. v. W. Schäfer, Reinbek 1971. 107 E. Cabet, Reise nach Ikarien (1839). Deutsch von Franz v. WendelHippler, Paris 1841, Neudruck Magdeburg 1893.
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Fragen und Antworten" 108. Noch der Programmentwurf des "Bundes der Kommunisten" von 1847 nannte sich "Glaubensbekenntnis"109 und der Gegenentwurf von Friedrich Engels war in katechetischer Form gefaßt llo • Engels war es jedoch, der Marx dann vorschlug, die den Sozialisten lieb gewordene Form aufzugeben und ein Manifest zu schreiben: "überleg dir doch das Glaubensbekenntnis etwas. Ich glaube, wir tun am besten, wir lassen die Katechismusform weg und titulieren das Ding: Kommunistisches Manifest 1ll ." Insofern ist der "Rote Katechismus für das deutsche Volk" von Moses Heß aus dem Jahre 1850 ein Nachläufer, der das "Kommunistische Manifest" sozusagen versäumt hatte 112 • Auch hier handelt es sich um eine Propagandaschrift in schlagwortartigen Fragen und Antworten, die den Arbeiter über das wahrhaft sozialistische Gesetz aufklären will. Der kapitalistischen Ausbeutung wird unvermittelt die ideale kommunistische Gesellschaft gegenübergestellt. Insofern ist auch "Die Rote Republik"1l3 ein Jenseits, eine Idee. Die sozialistische Religion will den Himmel auf Erden errichten und greift alsbald auf die alte Repression zurück. Was aber sämtliche sozialistischen Katechismen thematisieren ist eine sozial revolutionäre, historische Perspektive des Gesetzesbegriffs. Pierre Joseph Proudhon etwa spricht von den "Gesetzen der revolutionären Dialektik, welche Regierungen und Gesellschaften leiteten, ohne daß sie es wissen"114. Das sozialistische Gesetz wandelt sich bei Marx zum Glauben an die spontane Identifikation von Einzel- und Gesamtinteresse in der kommunistischen Endgesellschaft, zum Glauben an die Aufhebung sämtlicher institutioneller Vermittlungen wie etwa Recht und Staat 115 • Im Sinne des aufklärerischen Positivismus glaubt Marx an den gesetz108 M. Heß, Philosophische und sozialistische Schriften, 1837 - 1850, hrsg. v. A. A. Cornu u. W. Mönke, Berlin 1961, S. 359 ff. 108 "Entwurf eines kommunistischen Glaubensbekenntnisses", zit. nach C. GTÜnberg (Hrsg.), Die Londoner kommunistische Zeitschrift und andere Urkunden aus den Jahren 1847/48, Leipzig 1921, S. 82 ff. 110 Vgl. F. Engels, Grundsätze des Kommunismus (1847), MEW Bd. 4, S. 360 ff. 111 Engels an Marx, Paris 23./24. November 1847, MEW Bd. 27, S. 107. 112 M. Heß, Roter Katechismus für das deutsche Volk (1850), in: Michel, ebd.
S. 71- 87.
Ebd. S. 80. P. J. Proudhon, Bekenntnisse eines Revolutionärs um zur Geschichtsschreibung der Februarrevolution beizutragen. (1849) Hrsg. v. G. Hillmann, Reinbek 1969, S. 184; auch diese Schrift beginnt bezeichnenderweise mit einem "Glaubensbekenntnis"; vgl. S. 7 ff. 115 Des näheren Fischer, Verheißungen, Kap. 7: Traditionsaneignung bei Marx, S. 104 ff. 113
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mäßigen Fortschritt, der in der Geschichte waltet und versucht, diesen empirisch zu fassen: Er will die "Naturgesetze der kapitalistischen Produktion" beschreiben, die sich "mit eherner Notwendigkeit" durchsetzen, die "ökonomischen Bewegungsgesetze" der Gesellschaft in ihren Entwicklungsphasen der dialektischen Umwandlung116 • Auf diesem, an den Naturwissenschaften orientierten Hintergrund wird auch der marxistische, von Engels formulierte Freiheitsbegriff verständlich117 : Freiheit ist die Einsicht in die Notwendigkeit, das heißt der Grad an Fähigkeit des Menschen, die Naturgesetze zum eigenen Nutzen einzusetzen, je nach dem Entwicklungsstand der materiellen und gesellschaftlichen Technik. Dieser Freiheitsbegriff hat wesentlich dem Stalinismus vorgearbeitet. Lenin, Karl Korsch und Georg Lukacs unternahmen - gleichsam unterstützend - die Theologisierung und ethische Glorifikation der Partei und ihrer Rolle. Sie statteten die Partei mit der - höchst fragwürdigen - Tugend aus, den einzelnen Arbeitern gegenüber als "Objektivation ihres eigensten, ihnen selbst noch nicht klaren Willens" aufzutreten118 • In dem Moment, wo die Partei für die Menschen die Rolle übernahm, zu bestimmen, welche Notwendigkeit sie als "Freiheit" einzusehen hätten, war der Willkür Tür und Tor geöffnet. Nach Karl Marx ist der Glaube an "Gesetze", welche die Gesellschaft regieren, Voraussetzung für die Interpretation der bisherigen Geschichte, der menschlichen "Vorgeschichte": Bis an ihr Ende bleibt das Schicksal des Menschen in der Gewalt der Notwendigkeit, die den vom Menschen geschaffenen, doch nicht von ihm beherrschten Kräften einverleibt ist als Geld, als Markt, als religiöse Mythen. Die Kluft zwischen der Tyrannei der vorgefundenen Gesetze der Ökonomie auf der einen Seite und der Ohnmacht des beobachtenden Bewußtseins auf der anderen Seite wird aufgehoben, wenn das seiner Sendung bewußte Proletariat die welthistorische Szene betritt. Denn das gesellschaftlichbewußte Handeln des Proletariats ist keine Realisierung von Gesetzen mehr, sondern - wie sich Marx ausdrückt - das Bewußtsein der Geschichte selbst. Dieser Ansatz wirkt weit über das 19. Jahrhundert hinaus in dem Begriff der sozialistischen Gesetzlichkeit, wie er der marxistisch-leninistischen Rechtslehre zugrundeliegt. Die Erkenntnis der Entwicklungsgesetze wird zur Grundlage bewußter politischer Zielsetzungen119. 116
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K. Marx, Das Kapitel (1867) nach der 4. Aufl., 1890, MEW Bd. 23, S. 15
F. Engels, Anti-Dühring (3. Aufl. 1894), MEW Bd. 20, S; 106. G. Lukacs, Geschichte und Klassenbewußtsein, Berlin-Halensee 1923,
S.54f. 119 Vgl. z. B. P .. I. Stucka, Die revolutionäre Rolle von Recht und Staat. Hrsg.u. übersetzt v. M. Reich, Frankfurt a. M. 1969, S. 109 und 155.
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4. Das terroristische Gesetz Auch die totale Negation des Rechts hat ihre Katechismen. Dahiner steht die romantische überzeugung, die der Marxismus zumindest der Theorie nach teilt, daß die künftige Gemeinschaft nicht des Gesetzes als eines Zwangs- und Kontrollsystems bedarf, da die sozialen Bindungen sich allein durch spontane Identifikation eines jeden einzelnen Individuums mit dem gesellschaftlichen Ganzen engeben120. Hier wird vor allem die Berufung auf den nach Herkunft und Zukunft angeblich durchschauten Gang der Geschichte zum totalitären ideologischen Herrschaftsinstrument. Es gilt - und zwar zum letzten Mal - , gegen den altbösen Erzfeind zu kämpfen, der sich dem eschatologischen Anbruch der neuen Welt entgegenstemmt. Der mit dem Telos der Geschichte sich in übereinstimmung wissende Terrorist ist als Exekutor des Weltgeistes das Schaf im Wolfspelz, er mordet im Dienste des Lebens, er versklavt um der Freiheit willen, er verbreitet Entsetzen als reinigendes Vorspiel überschwenglicher Freude, er baut sein "Gesetz", um das Herrschaftsinstrument Recht für immer abzuschaffen. Die Gefahr der Möglichkeit terroristischer Katechismen hat wie kein anderer Heinrich Heine erkannt, wenn er sagt: "Es werden bewaffnete Fichteaner auf den Schauplatz treten, die in ihrem Willens-Fanatismus weder durch Furcht noch durch Eigennutz zu bändigen sind; denn sie leben im Geist, sie trotzen der Materie." Untangierbar ist der "Transzendentalidealist" in der "Verschanzung der eigenen Gedanken". Daraus wird er "mit dämonischen Kräften" eines Tages "hervorbrechen und die Welt mit Entsetzen und Bewunderung erfüllen". Mit "unsinniger Berserkerwut" wird er kämpfen, "um zu zerstören"121. Es ist dann 1848 Karl Marx, der im revolutionären Terroristen die sozialemanzipatorische Hebamme sieht, indem er die überzeugung vertritt, "daß es nur ein Mittel gibt, die mörderischen Todeswehen der alten Gesellschaft, die blutigen Geburtswehen der neuen Gesellschaft abzukürzen, den revolutionären Terrorismus"122.
Sergej Gennadjewitsch Netschajew, der das unmittelbare und aktuelle Vorbild für den Terroristen und Nihilisten Pjotr Werchowjensky in Dostojewskis "Dämonen" war, schuf 1871 einen "Katechismus" des 120 Vgl. Fischer, Verheißungen, S. 106 f.; zum folgenden Kap. 9 "Historische Wurzeln des zeitgenössischen Terrorismus", S. 152 ff. und die dort angeführten Belege. 121 R. Reine, Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland (1834, 2. Auf!. 1852), in: H. Heine, Beiträge zur deutschen Ideologie. Mit einer Einleitung v. H. Mayer, Frankfurt a. M. - Berlin - Wien 1971, S. 100. 122 K. Marx, Neue Rheinische Zeitung vom 7. November 1848, Bd. 5, S. 457.
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Terrors123 • Der in dieser Schrift entworfene Bund der Terroristen "hat keinen anderen Zweck, als die vollständige Emanzipation und das Glück des Volkes ... Aber von der Überzeugung ausgehend, daß diese Emanzipation und dieses Glück nur durch eine Volks revolution, die alles zerstört, erreicht werden kann, wird der Bund alle Mittel und Kräfte anwenden, um die Übel und Leiden zu erhöhen und zu vermehren, die endlich die Geduld des Volkes zerreißen und einen Massenaufstand entfachen werden". Gegenüber dem Bestehenden ist "alles erlaubt", um das Ziel der "Pandestruktion" zu erreichen124 • Das Gesetz des Terrors bezieht seine "Rationalität" und "Legitimität" unmittelbar aus höchsten Zwecken. Zumeist ,geht es um den universal legitimierenden Endzweck der Freiheit. Ein eiskalt-abstrakter Humanitarismus gibt vor, bloß für diesen Endzweck und aus keinem anderen Grund seine blutigen Aktionen zu realisieren. In dieser Universalität höchster Zwecke verschwindet das Einzelindividuum und seine subjektiven Rechte. Die Gesetze des Terrors sind die Negation des Gesetzesbegrijjes, weil sie ungeteilte, schlechthin durchgreifende Gewalt sind. Gegen die Sprüche, die die terroristische Praxis vollstreckt, gibt es ebenso wenig wie gegen die Sprüche des Jüngsten Gerichts eine Berufung. Sie haben ihren Geltungsgrund nicht in verfahrensmäßig korrekter Entscheidung kompetenter Instanzen, sondern unmittelbar in ihrer "Wahrheit" und "Gerechtigkeit". "Entweder die Tugend oder der Terror" war SaintJusts Parole in der Französischen Revolution125 • Im terroristischen Gesetz sind Legalität und Legitimität verschmolzen. Unter Ausschluß aller diskursiven oder sonstigen verfahrensmäßigen Vermittlungen hat auch das terroristische Gesetz einen bloß unter Anführungszeichen zu setzenden "Rationalitätstyp" hervorgebracht, dessen Wirkungsgeschichte uns gerade die jüngste Vergangenheit so drastisch vor Augen geführt hat. Wenn man das terroristische Gesetz als reine Negation beiseite läßt, wird doch folgendes deutlich: Die "Katechismen einer künftigen Gesetzgebung" zeigen, wie in kurzen Zeitabständen verschiedene und miteinander unvereinbare Typen von Rationalität in der rechtswissenschaftlichen und rechtspolitischen Grundlagendiskussion auftreten und abso123 S. G. Netschajew, Katechismus der Revolution (1871), in: M. Dragomanow (Hrsg.), Michail Bakunins social-politischer Briefwechsel mit Alexander Iw. Herzen und Ogargow. Stuttgart 1895, S. 371 - 380. 124 Vgl. ebd. S. 375 ff. 125 Vgl. Saint-Just am 13. November 1792. "über die Verurteilung Ludwigs XVI." oder am 31. März 1794 "Gegen Danton und die Partei der Milde", in: Reden der Französischen Revolution, S. 217 ff. u. 399 ff.
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lute GeltungsanspTÜche erheben. Damit wird aber, nicht bloß für die Rechtswissenschaften, sondern für sämtliche Wissenschaftsdisziplinen ein neuralgischer Punkt erreicht: Fragwürdig wird nun die Rationalität und damit der Wahrheitsanspruch wissenschaftlicher Erkenntnis überhaupt. Jede Theorie der Rechtswissenschaften muß sich heute diesem Problem stellen. Wie läßt sich in der Gegenwart noch auf Rationalität berufen? Welche erkenntnistheoretischen Ergebnisse erlauben die bruchstückhaften wissenschaftsgeschichtlichen Fallstudien? V. Rationalismus und Gesclrlcb.te Begriffe wie Vernunft, Rationalität und Rationalismus126 meinen allesamt zunächst nicht mehr als die universale Fähigkeit des Menschen, Entscheidungen zu treffen - darunter kluge - , Verfahren und Techniken zu erfinden - darunter effiziente - und schließlich diese in Praxis umzusetzen - mit mehr oder weniger befriedigenden Ergebnissen. Soweit ist die anthropologische Tatsache, daß Menschen entscheiden, erfinden und das Erfundene in die Tat umsetzen können, trivial. Diese Feststellung ist aber nur scheinbar neutral, denn eine spezifische Werthaltung wird etwa dann sichtbar, wenn es um die Verteidigung des universalmenschlichen Vermögens der Vernunft gegen eine rivalisierende, nicht-universale Instanz geht, wie etwa den "Glauben" oder die "Offenbarung" . Was ist, wenn Ideen mit dem ganzen Gewicht und zeremoniellen Aufwand einer Institution durchgesetzt werden, die nicht mehr die Ergebnisse der Entscheidungen, Erfindungen und praktischen Erzeugnisse derer sind, die sich ihnen unterwerfen sollen. Probleme wirft auch der Skeptizismus auf, wenn er eine allgemeine Abwertung des menschlichen Vermögens, "rational zu sein", unternimmt. In beiden Fällen läßt sich die Vernunft nur so verteidigen, wie dies Descartes getan hat, nämlich als die Grundlage einer Demokratie der Ideen 127 • Freilich lehrt uns die Ideengeschichte, was aus der cartesianischen "Ideendemokratie" geworden ist: Das Prinzip, daß keinerlei Ideen von oben gesetzt werden dürfen, die diejenigen, für die sie gesetzt werden, nicht grundsätzlich auf der Basis ihrer Vernunft nachvollziehen können, verlangt den fatalen Zusatz, daß "die richtige Anwendung dieser Vernunft Voraussetzung sei". Alsbald entstanden politische Theorien, 128 Vgl. P. S. Cohen, Rationalität, in: J. Speck (Hrsg.), Handbuch wissenschaftstheoretischer Grundbegriffe, 3 Bde., Göttingen 1980, Bd. 3, S. 531 - 537. 127 Descartes entwickelt diese Gedanken vor allem in den "Discours de la methode" von 1637 und den "Mediationes de prima philosophia" von 1641.
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die den Alleinbesitz der Vernunft vorgaben und glaubten, auf alle Fragen nach unserem gesellschaftlichen, wissenschaftlichen und sonstigen Woher und Wohin Antwort geben zu können. Vernunft war nun nicht mehr das unspezifierte Gattungsvermögen, Entscheidungen zu treffen, Erfindungen zu machen und diese in die Tat umzusetzen, sondern nur noch das eine oder andere Regelsystem von Verfahren, Wahrheit und Unwahrheit "wissenschaftlich" zu unterscheiden und im Bereich des Sozialen und Politischen zu exekutieren128 • Seit der Renaissance und erst recht seit der Aufklärung wird der Anspruch des Rationalismus mit einer Deutung der Geschichte verbunden. Dahinter steht das Bedürfnis, den gegenwärtigen Zustand als aus bestimmten Gründen so und nicht anders geworden darzustellen und ihm dadurch einen bestimmten Sinn zuzuschreiben. Bei Geschichtsphilosophen, die in der Tradition einer eschatologischen Heilsgeschichte stehen, kommt jedoch die Versicherung der Zukunft hinzu 129 • Wesentlich ist dabei, daß das Gesetz der Geschichte der Fortschritt der Menschheit als progressus scientarum wird. Im Weltbild des Rationalismus verbinden sich Wissenschaftsglaube und Geschichtsphilosophie. Wer eine genaue, und zwar noch "wissenschaftliche" Vorstellung hat, wie es sein könnte, erfährt einen von dieser Vorstellung abweichenden Zustand als um so sinnloser. Zusehen zu müssen, wie die Menschheit gemessen am wissenschaftlichen als einzig verläßlichem Wissen "Unsinn" betreibt, schlägt sich im Pathos "rationalistischer" Beschwörungen nieder, wofür es eine Fülle von Beispielen gibt. 128 Für den bedingungslosen Glauben an ein rationalistisch-wissenschaftliches Weltbild gibt es eine Fülle erschütternder Dokumente. In den letzten Tagen seines Lebens und als Verfolgter der Französischen Revolution zeichnet CondoTcet ein glühend-überzeugtes Bild "von den künftigen Fortschritten des menschlichen Geistes". CondoTcet, ebd. Das letzte Kapitel, S. 193 ff., trägt den Titel "Von den künftigen Fortschritten des menschlichen Geistes"; zu seinem Leben vgl. K. Vondung, Condorcet, in: a.a.O., S. 111-140. Eben in diesem "Bild" findet der "Philosoph" den "Lohn für seine Mühen um den Fortschritt der Vernunft" und ist "wahrhaft zusammen mit seinesgleichen in einem Elysium, das seine Vernunft sich zu erschaffen wußte" (S. 221 f.). "Mußte nicht ... das Menschengeschlecht besser werden, sei es infolge neuer Entdeckungen in Wissenschaft und Technik wodurch zugleich die Mittel des privaten Wohlstands und der allgemeinen Wohlfahrt notwendigerweise anwachsen; sei es durch die Fortschritte in den Grundsätzen des Verhaltens und der praktischen Moral; sei es endlich durch die wirkliche Vervollkommnung der intellektuellen, moralischen und physischen Anlagen" (S. 194). Ja selbst eine unbegrenzte Verlängerung des menschlichen Lebens durch den Fortschritt der Wissenschaften wird erwähnt (vgl. S. 220). 128 Des näheren vgl. K. Löwith, Weltgeschichte und Heilsgeschehen. Die theologischen Voraussetzungen der Geschichtsphilosophie, 6. Aufl., Stuttgart 1973; R. Koselleck, Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten, Frankfurt a. M. 1979; H. Lübbe, Fortschritt als Orientierungsproblem, Freiburg i. Br. 1975.
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Die Parteigänger der Vernunft, "weltgeschichtlich von der Vernunft ausersehen" - wie es hieß -, hatten dann nur allzu leicht ideologisch jedes Recht auf ihre Seite gebracht. Man war in der Lage, in der "Unvernunftserklärung" des Gegners diesen zum Menschheitsfeind zu stempeln. Die "Rationalisten" glaubten, den Kodex zu besitzen, nach dem Ideen zu beurteilen sind, vor allem hinsichtlich ihrer intellektuellen Richtigkeit und sozialen Zuträglichkeit. Was immer den Kriterien des Kodex nicht entsprach, hatte aus dem Verkehr gezogen und aus dem Repertoire gestrichen zu werden. Die Entwicklung "objektiver Erkenntnis" wurde ein "rationalistisches" Monopol: Sozialphilosophie und politische Geschichte zeigen, daß der Glaube, daß es nur eine objektive Ordnung gebe und daß der richtige Gebrauch der Vernunft untrüglich und unentrinnbar zu ihr hinführen müsse, - wie ich am terroristischen Gesetz zu erläutern versuchte -, mörderische Aggressivität entfesseln kann130 • VI. Rationalismus und Erkenntnistheorie
Imre Lakatos hat eindrücklich gezeigt, wie stark diese Tradition des klassischen Rationalismus in der Erkenntnistheorie nachwirkt. Denn die Forderung, mit "Wissen" Unfehlbarkeit anzustreben, bleibt in sämtlichen Modellen erhalten131 • Die Probabilisten gestehen zwar den Skeptikern die Unbeweisbarkeit des theoretischen Wissens zu. Theorien haben bloß verschiedene Grade der Wahrscheinlichkeit und zwar unter Berücksichtigung evidenter empirischer Daten. Es genügt daher nach dieser Ansicht, hochwahrscheinliche Theorien hervorzubringen und diese sind unter dem Blickwinkel wahrscheinlichkeitslogisch zu beweisender Glaubwürdigkeit unfehlbar. Die Falsifikationisten verzichten auf jeden Versuch, theoretisches Wissen positiv beweisen zu wollen. Sie schränken die Verantwortung des Wissenschafters auf den Falsifikationsnachweis von Theorien ein, in der Hoffnung, daß dieser nicht gelingt. Der Unfehlbarkeitsanspruch bleibt auf die empirische Basis beschränkt und wird von da deduktiv auf universelle Theorien übertragen132 •
Idealistische Dialektiker wollen die Schwäche des klassisch-rationalen Erkenntnismodells durch eine neue Logik "aufheben". Nicht zuletzt Vgl. Fischer, Verheißungen, S. 159 ff. Vgl. I. Lakatos, Falsification and the Methodology of Scientific Research Programs, in: I. Lakatos / A. Musgrave (ed.), Criticism and the Growth of Knowledge, Cambridge 1970, S. 91 ff. 132 Vgl. W. Lenzen, Verifikation, in: Wissenschaftstheoretische Grundbegriffe, Bd. 3, S. 672 f.; ders., Falsifikation, ebd., Bd. I, S. 225 - 229; H. Spinner, Fallibilismus, ebd., Bd. I, S. 225 und die jeweils dort angegebene Literatur. 130 131
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durch die Beseitigung des Prinzips vom ausgeschlossenen Widerspruch wird der Beweispflicht der Boden entzogen und das Bestehen von Widersprüchen gilt als Motor des Erkenntnisfortschritts. Diese Behauptung läßt sich dann mit "dialektisch" verbürgter Unfehlbarkeit aufstellen. Materialistische Dialektiker glauben den klassischen Rationalismus zu überwinden, indem sie unaufhebbare Widersprüche oder Wissenskonflikte zwischen den Gesellschaftsklassen hervorheben. Der Erkenntnistheorie stehen also historisch wandelbare Ideologien zur Verfügung bzw. entgegen, denen die epochale Umformung eines jeweils klassenspezifischen Bewußtseins zugeschrieben wird. Die Unfehlbarkeit, das wahre Klassenbewußtsein besteht weiterhin objektiv gegenüber den Ideologien133. Das erfahrungswissenschaftliche Methodenverständnis der traditionellen Hermeneutiker, wie etwa von WiZhelm DiZthey, gründet auf der Naturphilosophie in instrumenteller Art. Universelle Theorien über die Natur und Gesellschaft sind niemals unabhängig vom Einzelfall, der eben wahr oder nicht wahr ist. Sie sind jedoch mit Unfehlbarkeitsanspruch von Fall zu Fall technisch von Nutzen oder nicht. Kausale Erklärungen der unbelebten Natur mit der komplementären Methode des Verstehens vermitteln eine neue Erfahrungsdimension des menschlichen Daseins. Neben das Ideal des vollständigen Erklärens der Natur tritt das Ideal des vollständigen Verstehens von gesellschaftlichen Vorkommnissen134. In sämtlichen Modellen bleibt der Anspruch aufrecht, durch Wissen Unfehlbarkeit zu erreichen: bloß Zielvorstellungen und Verfahrensweisen unterscheiden sich. Lakatos vertritt die Ansicht, daß sämtliche wissenschaftlichen Theorien "nicht nur gleichermaßen unbeweisbar und unwahrscheinlich" sind, sondern darüber hinaus "auch gleichermaßen unwiderlegbar" 135. Wäre es daher nicht sinnvoll, anstatt nach unfehlbarer Erkenntnis nach den Pflichten fehlbarer Erkenntnis zu fragen? Der klassische Rationalismus verdeutlicht die Abhängigkeit der "Vernunft" von bestimmten Denktraditionen. Die politische Ideengeschichte, die Sozialphilosophie und politische Theorie sind voll von Belegen und auch mehrere wissenschaftsgeschichtliche Fallstudien zeigen dasselbe 133 R. Heiss, Wesen und Formen der Dialektik, Köln - BerUn 1959, S. 125 f.; G. Kröber, Dialektik, in: Wissenschaftstheoretische Grundbegriffe, Bd. 1,
S. 140 -144. m A. Kulenkampjj, Hermeneutik, ebd., Bd. 2, S. 271- 281; E. List, Verste-
hen, ebd., Bd. 3, S. 673 - 677 und die jeweils dort angegebene Literatur. Dennoch scheint mir eine aktuelle Reformulierung hermeneutischer Fragestellungen möglich: vgl. M. W. Fischer, Hermeneutik als Lebensform? 185 Lakatos, S. 103.
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Bild. Wissenschaft selbst ist eine bestimmte Tradition, gleichwohl gilt sie als eine privilegierte, weil Wissenschaft als "rationales" Unternehmen angesehen wird. Dies ist auch die Sicht des kritischen Rationalismus. Der besondere Anspruch der Wissenschaft wird auch hier durch "Rationalität" begründet, umschrieben als ein System von Regeln und Maßstäben. Die Rationalität verpflichtet, den Maßstäben, das heißt einer Methodologie Folge zu leisten138 • Die Wissenschaft wird für erfolgreich gehalten, weil sie rational ist, und für rational, weil sie über die richtige Methode verfügt. Die wissenschaftsgeschichtIichen Analysen von Kuhn und Feyerabend zeigen freilich ein völlig anderes Bild 137 • Letzterer führt in seiner Arbeit" Wider den Methodenzwang" aus, daß in den entscheidenden Phasen der Wissenschaftsgeschichte die grundlegendsten Regeln verletzt wurden und sogar verletzt werden mußten, damit wissenschaftlicher Fortschritt möglich wurde 138 • Erfolgreiche wissenschaftliche Arbeiten erfüllen nicht allgemeine (egal nun ob kritische oder dogmatische) Maßstäbe. Sie folgen einmal dieser Regel, einmal jener und der Weg zum Ergebnis ist dem Wissenschafter nicht immer voll bewußt. Eine Wissenschaftstheorie als eine Theorie, die eine alle Wissenschaften zugrundeliegende Struktur mit dazugehörigen Maßstäben und Regeln aufdeckt, und dann noch beschreibt und zeigt, wie sie mit noch allgemeineren Gesetzen der Vernunft zusammenhängt, ist wohl kaum möglich. Faustregeln lassen sich aufzählen, historische Beispiele und Fallstudien anführen, die zeigen, wie kompliziert und geschichtsbedingt der Weg zu wissenschaftlichen Resultaten ist. Aus dem Reichtum des wissenschaftshistorischen Prozesses läßt sich bloß die Notwendigkeit ableiten, sich einer äußerst komplexen und vielschichtigen Denkweise zu bedienen. 138 Also eine Sammlung von Regeln, wie "Lasse Hypothesen fallen, die nicht mit den Tatsachen übereinstimmen", "Vermeide ad-hoc-Veränderungen""etc. 137 Vgl. P. Feyerabend, Wider den Methodenzwang, Skizzen einer anarchistischen Erkenntnistheorie, Frankfurt a. M. 1976, S. 108 ff., 161 ff., 196 ff.; Th. S. Kuhn, Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen, 2. redigierte u. um das Postskriptum von 1969 ergänzte Auflage, Frankfurt a. M. 1976, S. 123 ff. und 155 ff. . 138 Feyerabend verdeutlicht S. 108 ff.: Galilei verletzte etliche Regeln einschließlich derjenigen einfacher Genauigkeit oder Ehrlichkeit bei Beobachtungen. Seine epochemachende Beschreibung. der Mondoberfläche, die Galilei durch sein Fernrohrsah,'enthält den: Hinweis 'auf-eine Besonderheit, die höchstens mit einer äußerst genauen Auswahl von Aufnahmen der Mondoberfläche möglich gewesen wäre. Galileis Kampf für das Kopernikanische System, kann man nur "wissenschaftlich" nennen, weil er glücklicherweise recht hatte. Im ganzen gesehen verstieß er, wie Feyerabend akribiehaft beweist, gegen jede "wissenschaftliche Spielregel".
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Wissenschaft betreiben, heißt verschiedene und oft miteinander unverträgliche Dinge auf eine Weise anzugleichen, daß sie den Erfordernissen und den Einsichten eines bestimmten historischen Augenblicks genügen. Der Forscher ist eben nicht ein Hohepriester, der über die Einhaltung grundlegender wissenschaftlicher Gesetze wacht. Er ist vielmehr, wie Albert Einstein zeigt139 , ein Opportunist, der (wenn überhaupt) die Errungenschaften der Vergangenheit bald für diesen, bald für jenen Zweck zurechtbiegt. Allgemeine Regeln und Maßstäbe spielen eine Rolle, aber sie werden nach Maßgabe der "Forschungslage" eingesetzt und gedeutet. Insofern gibt es keine einzige oder einheitliche "rationale" Wissenschaftstheorie, sondern nur den Prozeß der Wissenschaft und historisch illustrierbare Faustregeln, die bei der Förderung dieses Prozesses halfen, die aber stets an der (historisch) vorgegebenen Situation zu messen sind 140 . Womit wir uns wohl oder übel abfinden müssen, ist die Relativität der traditionsgebundenen Vernunft.
VII. Die Relativität traditionsgebundener Vernunft Vernunft ist zunächst einmal jedermanns Vernunft, ein natürliches Vermögen und kein transzendentes System von Regeln. Daher steht sie nicht außerhalb der "Verhältnisse", in dem sich ein bestimmtes denkendes Wesen befindet: Außerhalb bestimmter Traditionen können keine Regeln über die richtige Anwendung der Vernunft aufgestellt werden. Dabei entsteht das Problem, daß die Kritiker einer jeweiligen Tradition dieser gegenüber "die Einstellung von Beobachtern einnehmen, aber Teilnehmer jener Tradition verbleiben, aus der sie ihre Einwände beziehen"141. Sie halten ihre eigene Tradition für gesichert und spotten über ihre Gegner, weil sie nicht den Maßstäben der eigenen, für überlegen gehaltenen Tradition entsprechen. Ihre eigenen Maßstäbe erscheinen aber nur deshalb als "objektiv", weil die Kritiker über ihrer Anwendung vergessen, daß sie sich ebenfalls auf eine Tradition gründen. Insofern sind Traditionen zunächst weder schlecht noch gut, es gibt sie einfach. Gut oder schlecht beziehungsweise wahr oder falsch 139 A. Einstein, Philosophischer Scientist. Hrsg. v. P. A. Schlipp, New York 1951, S. 683 f.: "Die äußeren Bedingungen, die (für den Wissenschafter, A. d. V.) durch die Erfahrungstatsachen gegeben sind, gestatten es ihm nicht, sich beim Aufbau eines Weltbildes zu stark durch die Bindungen an ein erkenntnistheoretisches System einschränken zu lassen. Daher muß er dem systematischen Erkenntnistheoretiker als eine Art bedenkenloser Opportunist erscheinen." 140 Vgl. dazu H. P. DueTT (Hrsg.), Der Wissenschaftler und das Irrationale, 2 Bde., Frankfurt a. M. 1981. 141 P. Feyerabend, Erkenntnis für freie Menschen, 2. veränderte Aufl., Frankfurt a. M. 1981, S. 39 ff.
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werden sie erst, wenn sie vom Standpunkt einer anderen Tradition betrachtet werden. Dies besagt nun nicht, daß man gegebene Traditionen bloß intern oder extern beurteilen kann. Beides ist möglich, kann aber nur dann "sinnvoll" angestrebt werden, wenn man sich dieses Problems bewußt wird. Gleichwohl können bei konkurrierenden Traditionen im Rahmen eines gegebenen politischen Systems etliche politische Probleme entstehen. Keiner Tradition soll ja das Recht zustehen, einer anderen ihre Lebensformen aufzuzwingen, mögen diese auch noch so "wissenschaftlich" verbrämt sein. Der bedingungslose Grundsatz, auch die, die intolerant sind, zu tolerieren, muß in einem offenen Konzept der Gesellschaft Grenzen haben, damit Toleranz nicht vernichtet wird. Die Diskussion um die "streitbare Demokratie" verdeutlicht eindringlich Schwierigkeiten, die hier nicht näher abgehandelt werden können142 • Eine Gesellschaft, in der verschiedene Traditionen, verschiedene Wissenssysteme, Seite an Seite leben, hebt nicht bloß die Qualität der Traditionen, sie ermöglicht auch die persönliche Reife der Bürger. Die Lebensbedingungen konkurrierender Traditionen sind dann: Zustimmungsbereitschaft schaffen, Überredungs- und Überzeugungsversuche probieren, Kontakte, Kommunikation, Austausch und Interaktion auf verschiedensten Ebenen verwirklichen. Fortgesetztes Betonen der "Objektivität" als Traditionsunabhängigkeit von Werturteilen ist für Feyerabend genauso rückständig wie die "Fortsetzung des absoluten Sinns von ,oben - unten' nach Entdeckung der Kugelgestalt der Erde"143. Er zeigt durchaus plausibel, daß sich Kontroversen über die Maßstäbe der Rationalität immer wieder als Kontroversen von verschiedenen wissenschaftlichen Traditionen oder verschiedenen Formen der Praxis erweisen144 • 142 Vgl. dazu W. Krawietz / E. Topitsch / P. Koller (Hrsg.), Ideologiekritik und Demokratietheorie bei Hans Kelsen (RECHTSTHEORIE Beiheft 4), Berlin 1982. Die Beiträge von P. Koller, H. Schäffer, I. Tammelo. 143 Feyerabend, ebd., S. 56 f. 144 In diesem Rahmen stellt sich die Frage: Kann man dennoch Vernunft als den Leitfaden der Praxis auffassen oder ist dies nicht möglich? Die meisten Positionen zu diesem Problem bejahen diese Frage, wenngleich man sich nicht einig ist, welcher Seite die Priorität zukommt. Vor allem Idealismus und Materialismus (bzw. "Naturalismus", von dem Feyerabend spricht) nehmen gegensätzliche Positionen ein: Der Idealismus will bestimmte Vernunftmaßstäbe um jeden Preis aufrechterhalten. Diese Position erweist sich als mangelhaft, wenn akzeptierte Maßstäbe verletzt werden mußten, damit wissenschaftlicher Fortschritt erreicht werden konnte, wie in der Wissenschaftsgeschichte vielfach nachweisbar ist. Im Materialismus erhält die Vernunft sowohl ihren Inhalt als auch ihre Autorität von der Praxis. Die Regeln und Maßstäbe der Vernunft beschreiben die Struktur dieser Praxis und formulieren die ihr zugrundeliegenden Prinzipien. Aber auch der Materialismus
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Worum es vielmehr geht, ist die Abhängigkeit der Vernunft von einer jeweiligen Praxis. Denn die Maßstäbe der Rationalität erscheinen nur deshalb als .geeignet, weil sie mit bestimmten Traditionen verbunden sind, möglicherweise mit jenen, mit denen zusammen sie entstanden sind. Kuhn zeigt ja, daß in der Wissenschaft veränderte Praktiken zu veränderten Maßstäben von Rationalität führen. Maßstäbe und methodologische Regeln sind nach Feyerabend "intellektuelle Meßinstrumente", die oft "erfunden" werden müssen, "um neuen historischen Situationen einen Sinn abzugewinnen, so wie physikalische Meßinstrumente neu erfunden werden müssen, um neuen physischen Gegebenheiten einen Sinn abzugewinnen"145. Verschiedene Praktiken oder Traditionen etwa von der Art der Kuhnschen "Paradigmen" können durchaus verschiedene Maßstäbe von Rationalität entsprechen. Denn der Wechsel eines Paradigmas bedeutet - wie Kuhn zeigt - die Zerstörung eines Bezugrahmens, der nicht nur methodologisch charakterisierbar ist, sondern sich wesentlich als geschichtlicher und geschichtlich bedingter Rahmen zu erkennen gibt. Diese Zerstörung bedeutet den Abbruch einer geschichtlichen Kontinuität, in den auch die "Vernunftmaßstäbe" involviert sein können. Die Vernunft ist also nicht der allgegenwärtige Standard aller Tradition. Vernunft ist an spezifische Praktiken einer Tradition gebunden und kann daher nicht als Schiedsrichter über Traditionen fungieren. Daher soll eine offene Gesellschaft sicherstellen, daß alle Traditionen gleiche Entfaltungsmöglichkeiten haben. Diese Entscheidung praktischer Art soll keineswegs die Konkurrenz der Traditionen untereinander ausschließen. Denn "wenn Traditionen Vorteile und Nachteile nur dann haben, wenn man sie vom Standpunkt anderer Traditionen aus betrachtet, dann ist die Wahl einer (einzigen, A. d. V.) Tradition als Grundlage einer freien Gesellschaft ein Akt der Willkür"146. Die Mannigfaltigkeit der Gesichtspunkte ist nicht bloß Ausdruck einer offenen Haltung, sondern auch ein wesentliches Moment jeglicher konstruktivrationalen Untersuchung der Natur der Dinge. Ein derartiger Relativismus ist für jede Tradition, die ihn akzeptiert, ein sinnvolles Forschungsinstrument. kann nicht befriedigen, obwohl "die Wahl einer erfolgreichen Praxis" ihm den Vorteil gibt, "zumindest vorläufig die richtige Partei zu unterstützen. Aber eine Tradition, eine Praxis; Institutionen können entarten oder aus falschen Gründen populär sein". Dabei ergibt sich das Problem: "Gründet man ganz ohne weiteres auf eine Praxis, dann trägt man damit oft zur Verbreiterung und Verewigung der Fehler dieser Praxis bei" (Feyerabend, S. 60). 145 Ebd., S. 49 ff. ue Ebd., S. 72 f.
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Der fällige Abschied vom klassischen Rationalismus und seinen Dogmen der Objektivität und Wertfreiheit ist auch das Ende einer absoluten Vernunft. Eine Welt, wo wissenschaftliche Wahrheit bloß als fehlbares Wissen gilt, wo die Vernunft immer relativer Maßstab ist, ist noch lange nicht eine Welt ohne Wahrheit. Denn wäre es nicht möglich, "daß die Erkenntnis und die moralischen Impulse, die zur Wiederherstellung einer Harmonie zwischen Mensch und Natur nötig sind, nur denen zu Gebote stehen, die die Erkenntnis mit dem Menschen als ganzem in Verbindung bringen und nicht nur mit jenem kleinen, aber ständig wachsenden Tumor, den einige unsere Rationalität zu nennen belieben"147? Wie denn also "Rationalisierung der Gesetzgebung"? Da eine absolute, mit der Natur identische Vernunft nicht erweisbar ist, müssen wir uns auf die Rechtfertigung unserer Wahlen und Entscheidungen beschränken bzw. die sie tragenden Wertmaßstäbe extrapolieren. Damit habe ich mich andernorts auseinandergesetzt148 . Die epidemiologischen Untersuchungen zur "Gesetzesflut" liefern wohl das eine oder andere Vademecum149 , sind aber insgesamt unbefriedigend. Es ist darüber hinaus fraglich, ob die Gesellschaftsanatomen, verkörpert als Soziologen und Politologen, uns überhaupt eine richtige Pathogenese liefern. Während sie kosmetisch-chirurgisch am Kopf herumfummeln, ist oft flugs das Standbein abgeschnitten. Auch ist die Frage, ob der Neoalchemismus der Rechtslogiker oder die Herz-Lungen-Maschine der Rechtsinformatiker die einzigen therapeutischen Maßnahmen sein können, ob nicht - keineswegs alternativ, sondern bloß ergänzend - die alten Naturheilmittel und Tinkturen hinzutreten sollten, wie Ethik, praktische Philosophie, Rechtsgeschichte auch als Geschichte einer Wissenschaftsdisziplin, erkenntnis- und wissenschaftstheoretische Bemühungen und anderes mehr. Der Rechtsphilosoph ist nicht nur der Stuntman des Experten, er ist auch der professsionelle Konfusionsspezialist seiner Fakultät, dessen 147 P. K. Feyerabend, Eine Lanze für Aristoteles. In: G. Radnitzky / G. Anderson (Hrsg.), Fortschritt und Rationalität der Wissenschaft, Tübingen 1980, S. 193; ähnlich E. Fromm, Haben oder Sein. Die seelischen Grundlagen einer neuen Gesellschaft, Stuttgart 1976. 148 Vgl. M. W. Fischer, Wissenschaftsethik, Naturverständnis, Wissensproduktion, Plädoyer für die "Re-Existenzialisierung" unseres wissenschaftlichen Weltbildes, in: W. Krawietz / Th. Mayer-Maly / O. Weinberger (Hrsg.), Objektivierung im Rechtsdenken, Gedächtnisschrift für Ilmar Tammelo, Ber-
Hn 1984.
149 Beispielsweise das Prinzip der Vereinfachung bei Th. Mayer-Maly, Rechtskenntnis und Gesetzesflut, Salzburg - München 1969. Vgl. H. Schäfter / O. Triftterer (Hrsg.), Rationalisierung der Gesetzgebung. Jürgen Rödig Gedächtnissymposien, Wien 1983, die Beiträge von H. Kindermann, G. Wielinger, O. Weinberger, W. Zeh; einen guten überblick zur Problematik liefert H. HiZl, Einführung in die Gesetzgebungslehre, Heidelberg 1982.
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Ehrenrettung Theo Mayer-Maly unternommen hat: "Es wäre illusionär, wollte man meinen, philosophische Besinnung könne dem Juristen zu klarer und gegenüber allen potentiellen Diskussionspartnern zwingender Entscheidung helfen. Im Gegenteil: Je redlicher die Besinnung erfolgt, um so stärker kompliziert sie die Probleme. Doch hat man dann wenigstens die Chance, nicht von einer verkürzten Sicht der Wirklichkeit auszugehen. Sich die philosophischen Dimensionen eines juristischen Problems bewußt zu machen, ist nicht bloß ein Gebot juristischer Kultur, sondern eine Frage der Bereitschaft zur Verantwortung150 !" Rationalisierung? Gewiß - und am besten, man hält es mit dem Herrn Keuner des Bert Brecht, der auf die Frage "Woran arbeiten sie?" antwortet: "Ich habe viel Mühe, ich bereite meinen nächsten Irrtum vor 151 ."
Th. Mayer-Maly, Rechtswissenschaft, S. 209. B. Brecht, Kalendernotizen (Kleine Lesering-Bibliothek, Bd. 50), Berlin o. J., S. 125. 150
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Begründung des Rechts - anthropologisch betrachtet: zur Institutionentheorie von Weinberger und Schelsky Von Werner Krawietz, Münster
I. Der Zugang Weinbergers zur institutionalistischen Rechtsauffassung Wie wenige Autoren außer ihm hat Ota Weinberger durch seine rechtstheoretischen Arbeiten das Bild der zeitgenössischen rechtswissenschaftlichen Grundlagenforschung geprägt und verändert. Er ist dabei nicht nur durch originäre Pionierleistungen hervorgetreten, die ihn zu einem der Begründer der Normenlogik werden ließen. Indem er durch seine weiterführenden Forschungen die - fachsystematisch gesehen - durchaus nicht homogene Basis des Rechts und seiner eigenen rechtswissenschaftlichen Bemühungen zu ergründen suchte, hat er zugleich auch im interdisziplinären Zusammenhang eine Fülle von fruchtbaren Anregungen vermittelt, die sich in ihren Auswirkungen heute noch gar nicht voll abschätzen lassen. Das gilt vor allem für seine sprachtheoretisch und erkenntniskritisch fundierten Analysen zur juristischen Argumentationstheorie1 , für seine grundlegenden Untersuchungen zur Strukturtheorie des Rechts, insbesondere zur Normenontologie und zur Normentheorie 2 sowie zur Theorie der Handlung als Element des Normeninhalts3 • Vor allem in seinen letztgenannten Untersuchungen, in denen Weinberger seinen "Weg zur formal-finalistischen Handlungstheorie" dargelegt hat4, erblickt er sehr scharfsichtig "zukünftige Aufgaben" in dem Erfordernis, die "Ausarbeitung dieser Theorie" sehr viel gründlicher als bisher zu betreiben und dabei die Aufmerksamkeit besonders auf 1 Eine zusammenfassende Darstellung seiner bisherigen sprachtheoretischen überlegungen zur Grundlegung der Logik findet sich bei: Dta Weinberger, Logische Analyse in der Jurisprudenz, Berlin 1979, S. 6 f., 18 ff., 96 ff. Vgl. ferner: Christiane Weinberger / Dta Weinberger, Logik, Semantik, Hermeneutik, München 1979, S. 15 ff. 2 Dta Weinberger, Normentheorie als Grundlage der Jurisprudenz und Ethik, Berlin 1981, S. 17 ff., 67 ff. a Ders., Studien zur formal-finalistischen Handlungstheorie, Frankfurt am Main - Bern - New York 1983. 4 Ebd., S. 1-17.
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die "Beziehungen zwischen sinnvoller Handlung und institutionellen Rahmen"5 zu richten. Zur Verwirklichung dieser Aufgaben benennt Weinberger hauptsächlich "zwei Ausgangspunkte": ,,1. Die Betrachtung der anthropologischen Rolle der Handlung, die zu dem allgemein anerkannten Ergebnis gelangt, daß die Fähigkeit zu handeln ein fundamentales, wenn nicht das wesentlichste Merkmal des Menschen ist. In der traditionellen Terminologie war es üblich, das Handeln als willens gelenktes Verhalten zu charakterisieren. Dies bringt uns aber nur insoweit weiter, als wir durch Verwendung des Terminus ,Willen' einen Komplex von Beziehungen und Operationen in Betracht ziehen, die uns wenigstens implizit weitgehend aus der Lebenspraxis bekannt sind. Eine philosophische Analyse muß aber dazu übergehen, den Willen und die Gesamtheit der Willensphänomene theoretisch zu explizieren.
2. Vom Standpunkt der heutigen wissenschaftlichen Konzeptionen scheint es zweckmäßig, die Begriffe der Information und der Informationsverarbeitung heranzuziehen und die Handlung - und gleichzeitig auch die Gesamtheit der Willensphänomene - dadurch zu charakterisieren, daß wir die Struktur des dem Wollen, Entscheiden (Wählen) und Handeln zugrunde liegenden Informationsverarbeitungsprozesses darlegen. Es ist eine Erfahrungstatsache, daß es Handlungssubjekte gibt, d. h. solche Systeme, die ihr Verhalten aufgrund spezifischer Informationsverarbeitungsprozesse in Abhängigkeit von Tatsacheninformationen und Zwecken einrichten können. Solche Systeme sind vor allem menschliche Individuen. Es scheint jedoch nicht zweckmäßig, den Träger der Handlung ausdrücklich auf menschliche Individuen zu beschränken, denn es gibt auch andere Systeme und Einrichtungen, die keine menschlichen Einzelwesen sind, aber dennoch im wesentlichen in ähnlicher Weise die Fähigkeit haben zu handeln. Es scheint daher zweckmäßig, vom Handlungssubjekt (dem Träger der Handlung) nichts anderes vorauszusetzen als die Tatsache, daß ihm in sinnvoller Weise ein Zwecksystem und die von Informationen abhängigen Operationen, die dem Handeln zugrunde liegen, zugeschrieben werden können. Es ist dann möglich, aufgrund desselben formalen Apparats von Handlungen der Korporationen oder anderer Einrichtungen in analogem Sinne zu sprechen, wie man von Handlungen menschlicher Individuen spricht. Die entsprechenden handlungsbestimmenden Akte werden dann meist 5
Ebd., S. 17.
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von menschlichen Personen als Organen des Handlungssubjekts realisiert6 ." Trotz der deutlichen Betonung der Problematik sozialer Organisationen und ihres HandeIns, die hier noch ganz offensichtlich im Vordergrund steht, hat Weinberger sich mit diesen überlegungen nicht nur der Anthropologie bemächtigt, um auf diese Weise die Funktion des Rechts anthropologisch zu begründen. Er hat zugleich auch eine sehr weitgehende Annäherung an die Institutionentheorie vollzogen. Dies wirft die Frage auf nach dem Verhältnis von Normen und Institutionen, insbesondere Rechtsnormen und Institutionen. Sie stellt sich für Weinberger freilich nicht dar als ein Gegenstand der Soziologie, die sich nun einmal mit dem zwischenmenschlichen Handeln und seiner Orientierung an Normen beschäftigt, sondern als Gegenstand einer Normenontologie, der er die "Aufgabe" zuweist, "das Wesen der Normen als im Leben der Menschen existierender Entitäten festzustellen". In seiner Abhandlung über "Normenontologie in handlungstheoretischer Sicht"7 heißt es bei Weinberger zur Begründung seiner Normenontologie recht lapidar: "Den natürlichen, durch die Problemsituation bestimmten Ausgangspunkt bilden allgemeine anthropologische Betrachtungen jener Momente der Conditio humana, in der die Rolle der Normen und ihre Funktion als handlungslenkende Information manifest werden ... ". "Gesellschaftlichkeit der menschlichen Natur und das Leben in der Gemeinschaft führen zu Institutionalisierungen. Institutionalisierung und normative Regulative sind - wie ich meine - so etwas wie zwei Seiten einer Münze8 ." Mit dieser Stellungnahme hat Weinberger neuerdings eine Position bezogen, die sehr stark an diejenige der heute schon klassischen Institutionenlehre erinnert, wie wir sie beispielsweise im französischen Rechtsdenken schon bei Hauriou9 oder im italienischen Rechtsdenken bei Santi Romano 10 finden. Offensichtlich hat Hauriou das Verhältnis Ebd., S. 2f. Vgl. hierzu den gleichnamigen Vortrag von: Dta Weinberger, Dntologia de las normas en la perspectiva de la theoria de la acci6n, in: Akten des Ersten Internationalen Kongresses für Rechtsphilosophie, 11. Band, La Plata 1982, S. 544 - 566; in deutscher übersetzung abgedruckt in: ders., Studien zur formal-finalistischen Handlungstheorie, S. 137 - 164. 8 Ebd., S. 141 f. g Maurice Hauriou, Die Theorie der Institution und zwei andere Aufsätze, hrsg. von Roman Schnur, Berlin 1965. 10 Santi Romano, Die Rechtsordnung, hrsg. von Roman Schnur, Berlin 1975. 6
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von Recht und Institution ganz< ähnlich gesehen. Denn er schreibt in seinem Brief vom 22. Juni 1919 an Romano: "Je pense comme vous que l'ordre juridique a pour base des institutions plutöt que des regles, qu'ordre juridique et institution c'est la meme chose l l ." Allem Anschein nach nähert sich Weinberger, wie sein Münzbeispiel zeigt, in seinen derzeitigen gesellschaftstheoretischen Grundannahmen sehr stark der - nach meiner Auffassung nicht unproblematischen - Vorstellung einer Einheit von Recht und Institution, wie wir sie bereits bei Santi Romano finden, der - ähnlich wie Weinberger - einen entsprechenden anthropomorphisierenden Vergleich benutzt, um das Verhältnis von Recht und Institution zu charakterisieren: "Auch wenn man sich die Institution mit einer gewissen Berechtigung als den Körper, das Knochengerüst als die Gliederung des Rechts vorstellen kann, so erlaubt dies doch nicht, es tatsächlich oder begrifflich von der Institution zu trennen. Es sind nicht zwei Phänomene, die zueinander in einer gewissen Folgebeziehung stehen; vielmehr handelt es sich um ein und dasselbe Phänomen12 ." Im folgenden geht es mir nicht um die Bestimmung und Vergegenwärtigung der klassischen Denkansätze einer Institutionentheorie des Rechts, obwohl nicht zu verkennen ist, daß die Wiederbelebung institutioneller Rechtsauffassungen längst zu einer gewissen Neuorientierung und Neubestimmung des institutionalistischen Rechtsdenkens geführt hat1 3 , die es durchaus als angebracht erscheinen läßt, auch insoweit von einer Institutionentheorie oder einer institutionellen Rechtstheorie 14 zu sprechen. Auch ist hier weder Raum, Zeit noch der geeignete Ort, eine ins Detail gehende Rekonstruktion der Institutionentheorien Weinbergers und Schelskys zu unternehmen mit dem Ziel, einen Theorienvergleich durchzuführen. Ein derartiges Unternehmen verbietet sich hier schon wegen des Umfangs des jeweiligen Oeuvres beider Autoren. Ersteres wird in diesem Band zwar dokumentiert, befindet sich aber in raschem Fluß; letzteres dürfte heute an die 400 Abhandlungen zählen, durch die sich der Bezug auf die diversen Institutionen unserer Gesellschaft wie ein roter Faden zieht! Die Verwirklichung einer derartigen 11 Zitiert nach: Sabino Cassese, Ipotesi sulla formazione de "L'ordinamento giuridico" di Santi Romano, in: Quademi fiorentini per la storia deI pensiero giuridico modeme 1972, S. 243 - 283, 271. 12 Romano, Die Rechtsordnung, S. 46 f. 13 Zur Neubesinnung über die Rechtstheorie Romanos und den hierüber im Jahre 1975 in Mailand abgehaltenen Kongreß: Antonio Tarantino, Un convegno sul pensiero di Santi Romano, in: Rivista intemazionale di filosofia deI diritto 1976, S. 116 - 119 sowie die Referate dieses Kongresses in: Paolo Biscaretti di Ruffia (Hrsg.), Le dottrine giuridiche di oggi e l'insegnamento di Santi Romano, Mailand 1977. 14 So ausdrücklich: Maximilian Fuchs, Die Allgemeine Rechtstheorie Santi Romanos, Berlin 1979, S. 7, 83 ff., 121 ff. et passim.
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Absicht muß daher einer monographischen Bearbeitung vorbehalten bleiben. Wenn ich hier gleichwohl- freilich in der gebotenen Kürze! auf beide Institutionentheorien eingehe, so vor allem deswegen, weil es sich um zwei höchst eigenständige, hauptsächlich auf die deutsche philosophische Anthropologie und die Anthropobiologie gestützte Neuansätze in der Institutionentheorie handelt, die geeignet sind, zu einer neuartigen Begründung des Rechts zu führen. Auch erscheint eine Beschäftigung mit beiden Institutionentheorien jedenfalls für denjenigen unerläßlich, der sich bei seinen rechtstheoretischen Überlegungen um eine gesellschaftstheoretische Grundlegung bemüht. In den gegenwärtigen Auseinandersetzungen zwischen den bloß analytischen und den rechtsrealistischen Richtungen moderner Rechtstheorie, die noch nach einem adäquaten gesellschaftstheoretischen Fundament suchen, nimmt die Institutionentheorie heute eine vermittelnde Stellung ein. Während die üblichen Spielarten analytischer Jurisprudenz - etwa im Anschluß an Kelsen oder Austin - die soziale Dimension des jeweils geltenden Rechts bis auf den heutigen Tag mehr oder weniger vernachlässigt haben, erscheint die Institutionentheorie eher geeignet, die Kluft zwischen den Sollensaspekten und den Seinsaspekten des geltenden Rechts zu überbrücken, die vor allem nach Auffassung des Rechtspositivismus der Reinen Rechtslehren Wiener oder Brünner Schule lange als nahezu unüberwindbar schien. Die institutionalistische Auffassung der Rechtsordnung dient jedoch nicht nur im Hinblick auf die soziale Wirklichkeit und die Wirksamkeit des Rechts als Brücke zwischen Sollen und Sein 15 • Sie ermöglicht damit zugleich auch in der Theoriebildung einen Brückenschlag zwischen der Jurisprudenz und einigen ihr benachbarten Disziplinen. Dies gilt vor allem für das Verhältnis der Rechtstheorie zur Rechtsanthropologie und Rechtssoziologie. Die institutionalistische Rechtstheorie hat insofern nicht nur das Recht, sondern auch das Rechtsdenken selbst auf neue Grundlagen gestellt. Sie verdankt sich vor allem einer Kooperation von Jurisprudenz, Philosophie und Soziologie, wenn auch bei den hier zu behandelnden Denkansätzen in höchst unterschiedlicher Akzentuierung. Und schließlich verbindet sich mit meinen Überlegungen noch ein persönliches Anliegen, das ich auf diese Weise erfüllen möchte. Während der laufenden Arbeiten an diesem Band ist Helmut Schelsky, Mitherausgeber der Festschrift, verstorben. Sein unter dem obigen 15 Eingehend hierzu: Julius Stone, Die Abhängigkeit des Rechts: Die Institutionenlehre, in: Roman Schnur (Hrsg.), Institution und Recht, Darmstadt 1968, S. 312 - 369, der von dem Bemühen der juristischen Institutionenlehre spricht, "die Identität der Rechtsordnung mit dem sozialen Unterbau zu verschmelzen" .
35 Festgabe Weinberger
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Haupttitel schon fest zugesagter Beitrag für Ota Weinberger, mit dem er wie ich freundschaftlich verbunden war, kam wegen seiner Erkrankung nicht mehr zustande. Jedoch nahm Helmut Schelsky noch auf dem Sterbebett regen Anteil an dem von Weinberger verfochtenen Wissenschaftsprogramm eines institution al ist ischen Rechtspositivismus, auch wenn er dessen positivistisches Credo, wie übrigens auch ich, nicht zu teilen vermochte. In dem Bestreben, wenigstens einiges von dem in Erinnerung zu rufen, was Helmut Schelsky zur obigen Thematik schon beigetragen hat, habe ich mein bisheriges Thema zurückgestellt, an seiner Stelle diesen Beitrag geschrieben, freilich auf meine Weise und mit der Akzentverschiebung, die der Untertitel anzeigt. Es geht mir hier vor allem um eine Fortführung des Dialogs mit den Institutionentheorien von Weinberger und Schelsky. Ich verfolge dabei hauptsächlich das Ziel, einige Anregungen für weitere Detailstudien zu bieten. Daher möchte ich zunächst einige Aspekte der Institutionentheorie Schelskys herausgreifen, um sie - freilich nur in Umrissen etwas näher zu charakterisieren (Il). Ich tue dies vornehmlich in der Absicht, damit künftigen Auseinandersetzungen den Zugang und den Weg zu ebnen. Schließlich möchte ich, wenn auch nur kurz, auf einige Gemeinsamkeiten, aber auch auf gewisse Auffassungsunterschiede (IIl) hinweisen, die - bedingt durch die jeweils vorausgesetzte Institutionentheorie - nicht nur für die jeweilige Begründung des Rechts charakteristisch sind, sondern auch spezifische Folgeprobleme nach sich ziehen.
11. Recht und Institution in der Institutionentheorie von Schelsky Zunächst ist der bisweilen zu hörenden Behauptung zu begegnen, daß Schelskys empirisch-soziologische, im Hinblick auf die sozial etablierten Normen und Werte naturgemäß sinnkritische (und nicht etwa bloß affirmative!) Tatsachenbestimmungen, Analysen und Gegenwartsbeschreibungen eine hinreichende theoretische Grundlegung vermissen ließen, wenn nicht gar mehr oder weniger theorielos seien 16 • Eine derartige Fehleinschätzung kann nicht an Schelskys höchst differenziertem 16 So leider auch wieder zu lesen in einigen nicht eben kompetenten ,Nachrufen' zum Tode Schelskys. Sie belegen einmal mehr, wie schwer es der heutigen bundesdeutschen Soziologenzunft noch immer fällt, angemessen auf eine Theorie zu reagieren, welche die Grundlagen und Grenzen der konventionellen binnensoziologischen Theoriebildung transzendiert. Selbst ein so kenntnisreicher Fachkollege wie: Ralf Dahrendorf, Suche nach der Wirklichkeit Nachruf auf einen bedeutenden Soziologen, in: DIE ZEIT vom 2. März 1984, S. 6 hält die "Institution und ihre Bedeutung" bloß für "eines der subtilen Themen des Gelehrten" und charakterisiert die Institutionentheorie ein wenig süffisant und nicht ohne ironischen Unterton als ein "zentrales d'!utsches Thema", was gänzlich unzutreffend ist.
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Begriff von Erfahrung17 und Theorie18 liegen, sondern muß angesichts des wohl dokumentierten Standes seines Gesamtwerks 18 wohl eher der schlichten Unkenntnis mancher Kritiker zugute gehalten werden. Ich spreche hier - wohlgemerkt! - nicht von dem politischen Publizisten oder dem Hochschulpolitiker Schelsky, sondern von dem Institutionentheoretiker . Jedoch sei hier wenigstens darauf hingewiesen, daß auch die publizistischen Meinungsäußerungen Schelskys sowie seine hochschul- und wissenschaftspolitischen Aktivitäten und Stellungnahmen letztlich in seinem institutionellen Rechtsverständnis ihre Begründung finden und deshalb auch nur von daher zureichend verstanden und in ihrem jeweiligen Stellenwert loziert werden können. Ferner wird nicht eben selten der Einwand mangelnder theoretischer Fundierung mit binnen fachlichen Bedenken aus den Reihen der bundesdeutschen Soziologenprofession gerechtfertigt, die - von einem fachwissenschaftlich verengten, aber hierin doch bloß konventionellen Theoriebegriff ausgehend! - eine anthropologisch begründete Institutionentheorie gar nicht als "soziologische" Theorie anerkennen will. Dieses Argument ist sicherlich nicht ganz unzutreffend, weil sich die anthropologische Institutionentheorie, jedenfalls ihrer Herkunft nach, fachsystematisch gesehen durchaus heterogenen Quellen verdankt. In der Tat liegen ihre Ursprünge - neben der deutschen philosophischen Anthropologie (Max Scheler, Helmuth Plessner, Arnold Gehlen), der Humanbiologie und den tradierten Institutionenlehren, von denen eingangs schon die Rede war - vor allem in der auf die sozialen Institutionen gerichteten Kulturtheorie (Bronislaw Malinowski, Margret Mead, Ruth Benedict), der vergleichenden Ethnologie und in der Philosophie des amerikanischen Pragmatismus (William James, John Dewey). Angesichts der Tatsache, daß beispielsweise die in den USA gepflegte "Cultural Anthropology" nicht nur zu den anerkannten, sondern auch zu den für die Soziologie höchst relevanten sozialwissenschaftlichen Theorien gehört, hat Schelsky selbst in der fachprofessionellen Ablehnung und mangelnden Berücksichtigung seiner Institutionentheorie "nur die provinziell-professionelle Verengung des Theoriebegriffs der bundesdeutschen Soziologie erkennen" können2o • Diese Einschätzung dürfte 11
Zum neuzeitlichen Verhältnis von Lebenserfahrung und Wissenschaft:
Helmut Schelsky, Die Wirtschaftswissenschaft und die Erfahrung des Wirt-
schaftens, Wiesbaden 1980, S. 7. 18 Helmut Schelsky, Soziologie wie ich sie verstand und verstehe, in: ders., Rückblicke eines ,Anti-Soziologen', Opladen 1981, S. 70 - 108,80 f., 84 ff.,
87f.
19 Hierzu als Gesamtdarstellung: Werner Krawietz, Helmut Schelsky ein Weg zur Soziologie des Rechts, in: Friedrich Kaulbach / ders. (Hrsg.), Recht und Gesellschaft, Berlin 1978, S. XIII - LXXVIII; Dieter Wyduckel, Bibliographie Helmut Schelsky, ebd., S. 791 - 835. 20 Schelsky, Soziologie - wie ich sie verstand und verstehe, S. 81.
35·
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zutreffend sein, doch können diese bloß binnenfachlichen Querelen hier außer Betracht bleiben. Bei dem heutigen Stand rechtswissenschaftlicher Grundlagenforschung geht es schon längst nicht mehr darum, die durch das geltende Recht im gesellschaftlichen Kontext sich stellenden Grundlagenprobleme durch eine Art binnenfachlichen Solipsismus - sei es der Jurisprudenz, sei es der Soziologie - zu bewältigen. Vielmehr ist Schelskys Institutionentheorie ein Versuch, die fachwissenschaftlichen Selbstbeschränkungen soziologischer Theoriebildung zu überwinden. Seine Institutionentheorie sucht der "Gefahr der theoretischen Isolierung der Fächer" und damit auch der "Verengung der Erkenntnis" zu begegnen durch eine Theorie und Soziologie des Rechts, welche - die konventionellen Fächergrenzen zwischen Jurisprudenz und Soziologie überschreitend - der "Kooperationsnotwendigkeit unter den Wissenschaften" gerecht zu werden sucht. Seine genuin soziologische Institutionentheorie des Rechts wird getragen von der Einsicht, daß eine von Soziologen für Soziologen betriebene Soziologie des Rechts ihrem Gegenstand, dem Recht und den ihm zu Grunde liegenden sozialen Institutionen, ebensowenig Rechnung zu tragen vermag wie eine von Juristen für Juristen betriebene Theorie des Rechts, weil jede der beiden Disziplinen allein "den vollen Umfang des sozialen RechtshandeIns" gar nicht mehr zu erfassen vermag. Die von Schelsky als Institutionentheorie verstandene, anthropologisch begründete "Theorie und Soziologie des Rechts" entspricht vollauf dem von ihm aufgestellten Wissenschaftsprogramm einer "transzendentalen Theorie der Gesellschaft"21. Seine Institutionentheorie ist eine kritische "Theorie des Sozialen", indem sie die heute sichtbaren Leistungsgrenzen der Soziologie als einer Fachwissenschaft neben anderen durch Reflexion auf "Sinn und Grenzen des Sozialen" zu transzendieren sucht. Um angesichts der inflationären Verwendung der Begriffe "kritisch" und "Theorie" der Verwechslungsgefahr zu begegnen, hat Schelsky seit jeher zur Kennzeichnung seiner "kritischen Theorie des Sozialen" zugleich auch von einer "transzendentalen Theorie der Gesellschaft" gesprochen. Jedoch bedeuten die Worte "transzendent" bzw. "transzendental" hier selbstverständlich "nicht etwas, das über alle Erfahrung hinausgeht". Schelskys Institutionentheorie des Rechts ist als Theorie des Rechts und der Gesellschaft "transzendental" nur im Hinblick auf das "Verhältnis dieser ,Theorie' zur empirischen Analyse als Einzelforschung und als System der allgemeinen Soziologie". Seine "transzendentale Theorie" überschreitet beide, setzt aber "beide inso!1 Dazu und zum folgenden: Schelsky, ebd., S. 87 f.; Krawietz, Helmut Schelsky - .ein Weg zur Soziologie des Rechts.S. XXXV et passim.
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fern voraus, als sie die ,Bedingungen' dieses soziologischen Denkens und des in ihm Gedachten" zu erörtern sucht. Das bedeutet, daß das Werk der Soziologie als Fachwissenschaft in der Form der empirischen Wirklichkeitserfassung wie der systematischen zunächst getan, das heißt "vorhanden und durchgeführt" sein muß, ehe sie Gegenstand seiner transzendentalen Theorie werden kann. Insofern bestärken sich "analytische und transzendentale Theorie" gegenseitig, anstatt sich aufzuheben oder auszuschließen. Eine kritische Soziologie, die auf der Grundlage empirischer Wirklichkeitserfassung die "Grenzen" des soziologischen Denkens und des in ihm Gedachten reflektiert, unternimmt nicht mehr und nicht weniger als das "gesamte Welt- und Seinsverständnis der soziologischen Denkprinzipien und Kategorien" transparent und damit "kritisch distanzierbar" zu machen. Wer sich auf diese Weise im Hinblick auf das soziale Verhalten der Menschen und auf ihre Institutionen in kritischer Reflexion auf die Grundlagen und Grenzen empirischer Wirklichkeits erfassung auch der "sinn- und werthaften Voraussetzungen" zu vergewissern sucht, auf denen die geschichtlich-kulturell geprägten "Bewußtseinssicherheiten und Sinnhorizonte" des erlebenden und handelnden Menschen vor jedem empirisch-analytischen Zugriff immer schon basieren, nimmt - wie in der kritischen Selbstreflexion sichtbar wird - einen "außerhalb der als Soziologie definierten Sinnebene" liegenden "Standpunkt" ein, ohne ihn damit als auch ihn verpflichtend zu akzeptieren oder stillschweigend zu billigen. Indem er sich in kritischer Reflexion bzw. Selbstreflexion auf diesen institutionell schon mitbesetzten, das heißt sinn- und werthaft mitbestimmten Standpunkt einläßt, wird es überhaupt erst möglich, die "Sinnfrage des Sozialen" aufzuwerfen. In welchem Ausmaße sein Gesamtwerk auf der philosophischen Anthropologie basiert, belegt neuerdings die erst 1981 im Nachdruck erstmals erschienene (bereits 1942 gedruckte, aber mangels Papierzuteilung im Kriege seinerzeit nicht mehr veröffentlichte) Habilitationsschrift über "Thomas Hobbes"22. Sie bietet nicht nur eine kritische Auseinandersetzung mit dessen politischen Lehren und der deutschen HobbesAuffassung zu dieser Zeit, sondern enthält zugleich die Grundzüge einer politisch-philosophischen Anthropologie. Ohne dieses bislang auch in der wissenschaftlichen Öffentlichkeit weitgehend unbekannt gebliebene Werk, zu dessen spätem Neudruck ich Helmut Schelsky an seinem Lebensabend zu überreden vermochte, wäre auch ein vertieftes Verständnis seiner anthropologisch begründeten Theorie und Soziologie des Rechts sehr weitgehend unmöglich geworden, da er auf diese eigentliche Basis seiner Institutionentheorie nur mündlich in Vorlesungen 22
Helmut Schelsky, Thomas Hobbes. Eine politische Lehre, Berlin 1981.
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und sonstigen Lehrveranstaltungen - dies aber dann stets sehr detailliert und gründlich - aufmerksam machte. Hervorgehoben seien hier nur die drei großen Hauptteile des Buches über "Sprache und Tat", den "handelnde(n) Menschen" und die "vier Menschenbilder" , welche die Grundlage für den letzten und vierten Teil, die "Politik", bilden23 • Eine zureichende Auseinandersetzung mit seiner anthropologischen Institutionentheorie wird an diesem Werk Schelskys künftig nicht vorbeigehen dürfen. Im übrigen ist der Nachweis, daß die anthropologische Institutionentheorie auch über alle sonstigen wesentlichen Zäsuren, Abschnitte und Phasen seiner akademischen Laufbahn hinweg von Schelsky selbst als für sein Gesamtwerk grundlegend und von zentraler Wichtigkeit angesehen wurde 24 und es auch wirklich ist, leicht zu führen. Die von ihm selbst als Teilstücke und "Fragmente" zu seiner "soziologischen Theorie der Institutionen"25 verstandenen Beiträge sind vereinigt in den Abhandlungen zur Soziologie von Recht, Institution und Planung26 und rücken - ex post und im Gesamtzusammenhang betrachtet - gleichsam von selbst ins Mosaik. Seine gegenwärtige Auffassung des "Politischen" hat Schelsky zuletzt 1983 in Auseinandersetzung mit earl Schmitt vorgetragen27 , gleichsam als Nachtrag zum heimlichen Thema seiner Habilitationsschrift28 . BinnenwissenschaftIich war Schelsky - seinem auch zuletzt geäußerten Selbstverständnis nach - "vor allem ein empirischer Soziologe auf der Grundlage der Bindung an die Philosophie in der geistigen Nachfolge Max Webers"2u.
III. Ansatzpunkte und Möglichkeiten eines Dialogs zwischen den Institutionentheorien von Weinberger und Schelsky Mit Weinberger teilt Helmut Schelsky den Ausgangspunkt in der modernen philosophischen Anthropologie und Bioanthropologie. Jedoch trennen sich hier alsbald die Wege. Während Weinberger die BegrünDers., ebd., S. 70 ff., 47 ff., 140 ff., 321 ff. Ders., Soziologie - wie ich sie verstand und verstehe, S. 96 f. 25 Vgl. hierzu auch die interdisziplinären Studien in: Helmut Schelsky (Hrsg.), Zur Theorie der Institution, Düsseldorf 1970. 28 Ders., Die Soziologen und das Recht, Opladen 1980. 27 Schelsky, Politik und Publizität, Stuttgart-Degerloch 1983; ders., Der ,Be!3 24
griff des Politischen' und die politische Erfahrung der Gegenwart. überlegungen zur Aktualität von earl Schmitt, in: DER STAAT 22 (1983), S. 321 -
345. 28
Vgl. hierzu vor allem das "Vorwort 1980" in: Schelsky, Thomas Hobbes,
S. 5 - 14, 5, 10 f.
20 Hierzu als "Standortbestimmung meiner selbst": ders., Politik und Publizität, S. 51.
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dung des Rechts - neben der Anthropologie - vor allem in einer Philosophie der Sprache und des HandeIns, genauer: des Sprechhandelns, erblickt sowie in der Normen- bzw. Rechtsontologie, also im Bereich der Philosophie verbleibt, stützt Schelsky seine Institutionentheorie im wesentlichen auf die Soziologie, insbes. auf die Soziologie des Rechts. Da für ihn alles Recht integrierender Bestandteil der Gesellschaft ist - eine Einsicht, die nach meinem Eindruck übrigens auch von Weinberger wohl vollauf geteilt werden dürfte! -, rückt die Soziologie des Rechts (und mit ihr die soziologische Theorie der Institutionen!) in das Zentrum aller soziologischen Theoriebildung. Eine derart weitgehende Konsequenz wird freilich von Weinberger im Hinblick auf die philosophische Basis seiner Theorie des Rechts bislang wohl noch nicht gezogen. Geht man im Anschluß an Schelsky davon aus, daß eine "feste", d. h. "ontologisch eindeutige Natur des Menschen" nicht mehr angegeben werden kann, weil selbst seine "biologisch begründeten Bedürfnisse in ihrer Erfüllung variabel" sind, dann kann die Leistung der Institutionen - in Ermangelung einer Instinktfeststellung der Formen sozialen HandeIns - in der "Kontrolle und Führung" des menschlichen Verhaltens erblickt werden. Angesichts der Tatsache, daß der Mensch "dem Zwang der Umweltgebundenheit und der Instinktstarre entronnen" ist, steht er nun vor der Notwendigkeit, daß er "über seine Antriebe in bewußten Handlungen verfügen" muß. Infolgedessen gewinnen die Probleme einer sozialen Standardisierung, Stabilisierung und Normierung menschlichen Verhaltens in einem "kulturellen überbau von Institutionen" an praktisch und theoretisch kaum zu überschätzender Bedeutung, weil durch ihn die anderweitig ungesicherten und weitgehend unspezialisierten menschlichen Bedürfnisse von Verhaltensunsicherheiten entlastet werden30 • Wie die Sprache und der Werkzeuggebrauch gehört die kulturell und geschichtlich geprägte institutionelle Über/ormung des vom Einzelnen zu erlernenden menschlichen Verhaltens zu den wesentlichsten "Kulturleistungen und Existenzerfordernissen" des Menschen. Auf empirische Wirklichkeitserfassung bedachte Analysen der bestehenden sozialen Institutionen, zu denen Schelsky mit einer Fülle von Bestandsaufnahmen und Untersuchungen beigetragen hat, vermögen ferner zu zeigen, daß die institutionalisierte Deckung der zu konkreten Interessen umgeformten menschlichen Bedürfnisse in weiten Lebensbereichen offensichtlich nicht ohne eine mehr oder weniger organisierte Gruppenstützung auszukommen vermag. Es geht dabei um im Detail höchst 30 Dazu und zum folgenden: Schelsky, Zur soziologischen Theorie der Institution, in: ders. (Hrsg.), Zur Theorie der Institution, Düsseldorf 1970, S. 9 - 26.
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verschiedenartige kulturelle "Strukturgefüge". Sie reichen von der Familie und hieran anschließenden Bezugsgruppen bis hin zu den alle Lebensbereiche durchdringenden Organisationsformen der Bürokratie. Jedoch geht es für Schelsky nicht nur darum, diese Strukturen zu beschreiben, sondern es kommt ihm vor allem darauf an, die "Bedeutung des Rechts für die Strukturgesetze der Gesellschaft" angemessener zu erkennen als bisher. Bedenkt man, daß das Recht den Menschen in seinem Erleben und Handeln gleichsam von der Wiege bis zur Bahre begleitet und daß es - vom Einzelnen aus gesehen - gewöhnlich nicht erst von ihm erfunden zu werden braucht, sondern ihm in den sozialen, kulturell und geschichtlich geprägten Institutionen immer schon als Ergebnis und Objektivierung sinnkonstituierender Aktivitäten vorangehender Generationen mit spezifischen, auch normativ geprägten Bewußtseinsansprüchen gegenübertritt, so wird deutlich, daß eine auf empirischen Erfahrungsanalysen aufbauende theoretische Soziologie des Rechts bei ihrer Wirklichkeitserfassung genau diesen Zusammenhang von bereits sozial etablierten Institutionen und den ihnen zugrunde liegenden, auch normativen Orientierungen des Rechts in Ansatz zu bringen hat. In eben diesem Anliegen verbinden sich für Schelsky nicht nur die empirische Wirklichkeitserfassung und seine allgemeine, als "Theorie der Institutionen" entwickelte Soziologie, sondern auch seine allgemeine Soziologie mit seiner Soziologie des Rechts. Rechtssoziologie ist für Schelsky somit eine Theorie der Institutionen, in denen das Recht als normative Struktur menschlichen Erlebens und HandeIns fungiert. Damit wird die Funktion des Rechts in der Institution zum Thema und Problem seiner Theorie und Soziologie des Rechts wie seiner allgemeinen Soziologie. Was das Verhältnis von Institution und Recht angeht, so gehört Schelsky durchaus nicht zu denjenigen soziologischen Theoretikern, die der allzu stark vereinfachenden Annahme huldigen: "Institutionen sind oder schaffen Recht 81 ." Vom Standpunkt seiner systematischen Soziologie, die von vornherein die Theorie der Institution mit der Theorie des Rechts verbindet, weil sie die "Bedeutung des Rechts für die Strukturgesetze der Gesellschaft" in das Zentrum ihrer überlegungen stellt, muß eine derartige Auffassung, wie wir sie beispielsweise noch bei Hauriou finden, als abwegig erscheinen82 • Sie läßt sich auch nicht durch die "Tatsache" rechtfertigen, daß "heute keine Institutionen ohne Recht auffindbar" sind. Mit Grund hat Schelsky daher vor einer "vorschnel31
Wesentlich unklarer demgegenüber: Haunou, Theorie der Institution,
S.65.
82 Hierzu die Nachweise bei: Krawietz, Helmut Schelsky Soziologie des Rechts, S. XLIV ff.
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len Identifikation beider Erscheinungen" gewarnt. Sind Institutionen und Recht aber nicht identisch, so stellt sich - vom Denkansatz seiner soziologischen Theorie der Institution und des Rechts her - die Frage, welche Funktionen das Recht in einer Gesellschaft besitzt, die aus Institutionen besteht. Gegenüber allen Versuchen einer anthropologisch-funktionalen Soziologie des "objektiven" Rechts (Malinowski, Gehlen u. a.), das Recht allein unter dem Aspekt der "Kontrolle und Führung" des menschlichen Verhaltens "anthropologisch-funktional" zu deuten, hat Schelsky jedoch Bedenken angemeldet3 3 • Nach seiner Auffassung hat die Anthropologie in ihren bisherigen Forschungen allzu einseitig das "Schwergewicht auf die Erörterung der Instinkte, d. h. des biologisch fixierten Verhaltens", gelegt und damit nur die gleichläufige "Tendenz der Soziologie" verstärkt, die über den Menschen verfügenden, ihn mehr oder minder zwangshaft "steuernden Kräfte und Mechanismen" als maßgebliche "soziale Gesetzlichkeiten" zu begreifen. Mit Grund weist Schelsky demgegenüber auf den neben der Thematik "Instinkt - Institutionen" liegenden, darüber weit hinausreichenden, breiten Verhaltensbereich hin, im Hinblick auf den das soziale Verhalten des Menschen - insoweit auch neue ren biologisch-anthropologischen Einsichten folgend - sehr weitgehend auf einen Bereich des "subjektiv freien und bewußten HandeIns" zurückgeführt werden kann. Infolgedessen vermag Schelsky die "Quelle des Rechts", anders als noch Hauriou 34 , nicht bloß in den Institutionen, sondern auch in dem - anthropologisch begründeten - menschlichen "Bedürfnis nach Recht" zu erblicken, das er im Anschluß an Malinowski zu den "abgeleiteten Kulturbedürfnissen" zählt. Auf dieser Grundlage wird es für Schelsky möglich, die "Bewußtheit des ZweckhandeIns" zum "anthropologischen Kennzeichen des Rechts" zu machen und die anthropologisch begründete Funktion des Rechts als die "stets bewußte Regelung und Gestaltung sozialer Beziehungen durch freies und bewußtes Zweckhandeln" zu bestimmen35 • Anthropologisch gesehen, sind Institutionen für Schelsky "eben nicht nur Instinktersatz" , sondern "auf eine dauernde ,Bewußtseinsfront' der zweckbe~ 33 Grundlegend: Schelsky, Systemfunktionaler, anthropologischer und personfunktionaler Ansatz der Rechtssoziologie, in: Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie 1 (1970), S. 37 - 89. Zur Kritik an der Gehlenschen Anthropologie: ders., Die Soziologen und das Recht, in: RECHTS THEORIE 9 (1978), S. 1 - 21, 6 ff. U Zum Rechtsquellencharakter der Institution bemerkt: Hauriou, Theorie der Institution, S. 65: "Es sind die Institutionen, welche Rechtsnormen schaffen, aber nicht die Rechtsnormen, welche Institutionen schaffen." 35 Dazu und zum folgenden: Schelsky, Die Soziologen und das Recht (N. 26), S. 122 f.
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wußten, instinktfreien Handlung angewiesen". Sie sind somit stets dem situationsorientierten "adaptiven, bewußte Zwecke verfolgenden Handeln des Menschen ausgeliefert" . Ferner wird es aufgrund dessen möglich, das Verhältnis von Recht und Institution zu verdeutlichen sowie zu klären, was das Recht "gegenüber den Institutionen leistet und weshalb es in allen menschlichen Institutionen unentbehrlich" ist. "Das Recht schafft in den Institutionen den Bereich des bewußten ZweckhandeIns, d. h. den Ansatz, die menschlichen Institutionen jeweils unabhängig von den in ihm erfüllten Instinkt- oder Instinktmangelbedürfnissen zum Gegenstand und Ziel immer erneuten, aktualisierten bewußten Zweckhandelns zu machen36 ." Ganz anders als die konservative Auffassung der Institution faßt Schelsky das Recht somit "gerade als die Ebene zweckgerichteten, ordnungsgestaltenden und bewußten HandeIns für jeweils neue (sekundäre) Bedürfnisse des Menschen innerhalb der Institutionen" auf. In genau diesem Sinne wird Recht hier und heute und immer "gesetzt", d. h. dem Recht die "planende und gründende Funktion für die Gestaltung der Zukunft (und das Überleben des Menschen) zugeschrieben". Im "Rechtscharakter der Institution" liegt infolgedessen ihre "Rationalitäts- und Zukunfts dimension" , nämlich "ihre Veränderbarkeit, ihre Anpassungsfähigkeit gegenüber neuen Umweltsituationen, ihre Dimension der bewußten, zweckgerichteten Planung der Zukunft" 37. Mit diesen Einsichten sind aber für Schelsky auch zugleich die "Grenzen" des von ihm kritisch beleuchteten "anthropologisch-funktionalen Ansatzes der Rechtssoziologie" erreicht. Nach allem handelt es sich bei den mit Mitteln des Rechts strukturierten Handlungs- und Verhaltens abläufen vornehmlich um Kreisprozesse wechselwirkender Motivations- und Institutionssysteme 38 , weil das Recht "zu den sozialen Strukturen gehört, die sowohl als Motivationsstruktur des Subjekts wie als sozusagen ,objektive' Umwelttatsache" wirksam werden39 • Das Recht gehört für Schelsky deshalb zu den "gar nicht so häufigen sozialen Erscheinungen", die "sowohl als institutionsgestützte Motivations- und Willenssysteme der Personen oder Subjekte wie auch als objektive Ordnung oder normerfüllte Institution" begriffen werden können. Alles Recht ist somit eine "gleichsam überpersönliche Rechtsordnung", die davon lebt, daß sie "ständig vom Willen, den Motivationen, ja vor allem auch den Emotionen (Rechtsgefühlen) der Recht handelnden, suchenden, wahrenden Personen erfüllt und verlebendigt wird, während umgekehrt die objektivierte in38 37 38 89
Ebd., S. 123. Ebd., S. 123 f. Schelsky, Die Soziologen und das Recht (N. 33), S. 2 f. Ebd., S .2.
Begründung des Rechts - anthropologisch betrachtet
555
stitutionelle Rechtsordnung, die Verfassungen, Gesetze, Anordnungen und ihre Durchsetzungs- und Verwaltungseinrichtungen, ständig eben die sogenannten Bewußtseinszustände der Personen, ihre Zielvorstellungen und Wertungen, Entscheidungen und Verzichte, ihrerseits bestimmt und beeinflußt". Für einen Dialog zwischen den Institutionentheorien von Weinberger und Schelsky ergeben sich somit nach allem trotz unterschiedlicher rechtstheoretischer Ausgangspositionen und - fachsystematisch gesehen - divergierender Denkansätze eine Vielzahl gemeinsamer Ansatzund Berührungspunkte, die einer detaillierten Analyse und Beurteilung bedürfen. Hierzu gehören nicht nur die gemeinsame anthropologische Ausgangsbasis ihrer Überlegungen sowie gewisse Entsprechungen und weitgehende Übereinstimmungen in der handlungstheoretischen Konzeption, sondern vor allem die skeptische Einstellung gegenüber dem vermeintlichen Rechtsquellencharakter von Institutionen, die mir allerdings recht unterschiedlich gewichtet erscheint. Da, wie bereits dargelegt, eine in die Details gehende Rekonstruktion beider Institutionentheorien sowie ein sich anschließender Theorienvergleich hier nicht geleistet werden können, muß ich mich insoweit mit einem "Vivant sequentes!" begnügen. Die gestellte - für einen Habilitanden zweifellos lohnende! - Aufgabe erscheint freilich wegen ihres Umfangs eher entmutigend. Hervorgehoben werden muß hier ferner, daß die von Weinberger geleistete Charakterisierung des Rechts als "institutionelle Tatsache"40 bereits zu einer so weitgehenden Öffnung gegenüber einer soziologischen Betrachtungsweise des Rechts geführt hat, daß hier die Frage angebracht erscheint, wo die Grenzen einer weiterhin möglichen Soziologisierung seiner Institutionentheorie zu erblicken sind. Diese Öffnung erscheint umso ungewöhnlicher - und daher als eine wirkliche Neuerung in der Institutionentheorie! - als Weinberger sich im übrigen in seiner Rechtstheorie nach wie vor ganz dezidiert zum "Normativismus"41 bekennt, aber gleichwohl die "Zurücksetzung der Tatsächlichkeiten des Rechtslebens"42 nicht in Kauf nehmen will. Das Ungewöhnliche dieser rechtstheoretischen Entwicklung liegt darin, daß bislang die Institutionentheorien, wie etwa bei Santi Romano, üblicherweise mit einem dezidierten Anti-Normativismus43 verbunden wurden. Man darf gespannt sein, ob und wie das hier in den Konturen umris40 Dta Weinberger, Die logischen Grundlagen der erkenntniskritischen Jurisprudenz, in: RECHTSTHEORIE 9 (1978), S. 125 - 142, 126 f.; ders., Das Recht als institutionelle Tatsache, in: RECHTSTHEORIE 11 (1980), S. 427 - 442. 41 Ders., Normentheorie (N. 2), S. 169 f. 42 Ebd., S. 171 f. 43 Fuchs, Rechtstheorie Santi Romanos (N. 14), S. 37 ff., 57 f.
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Werner Krawietz
sene Wissenschajtsprogramm eines normativistischen Institutionalismus verwirklicht werden kann! Immerhin geht es so weit, den "normativen Gedankenentitäten" auch in gewisser Weise "reales Dasein" zukommen zu lassen44 • Sehr treffend heißt es bei Weinberger:
"Wenn man normative Regulative als Bestandteile der institutionellen Realität der menschlichen Gesellschaft begreift, dann ist das Dasein des Rechts dadurch gegeben, daß das Recht ein integrierender Bestandteil der institutionellen Realität ist45 ." Indem Weinbergers Institutionentheorie die innere Zugehörigkeit normativer Regulative zum eigentlichen Wesen der Institution ausdrücklich bejaht 46 , trifft sie sich im Ergebnis mit der soziologischen Theorie der Institution Schelskys, die den normativen Aspekt des Rechts gleichfalls in das Zentrum ihrer Überlegungen stellt. Damit findet die eingangs geäußerte Vermutung, daß die Institutionentheorien Weinbergers und Schelskys in der Lage seien, im Bereich des Rechts die Kluft zwischen Sollen und Sein zu überbrücken, ihre Bestätigung. Bei aller Annäherung beider Institutionentheorien darf jedoch der tiefgreifende Unterschied nicht verunklärt oder gar übersehen werden, der darin zum Ausdruck gelangt, daß Weinberger im Hinblick auf den von ihm vorgefaßten Begriff des Rechts an der von ihm verfochtenen Position eines Normativismus 47 nach wie vor festhält, so daß sich seine Institutionentheorie des Rechts auf einen institutionalistischen Rechtspositivismus 48 beschränkt. Demgegenüber kann und muß, wie ich in anderem Zusammenhang dargelegt habe 49 , die Institutionentheorie des Rechts von Helmut Schelsky wegen ihrer konkreten Wirklichkeitserfassung, welche die Einseitigkeiten des längst überständigen Gesetzesund Rechtspositivismus vermeidet 50 , durchaus schon als nachpositivistischer Rechtsrealismus angesehen werden. Es fragt sich, ob nicht mit der Beschränkung der Weinbergerschen Institutionentheorie auf einen Normativismus und Rechtspositivismus die vom Standpunkt seiner anthropologisch begründeten Rechtstheorie an sich mögliche weitere Öffnung seines Rechtsdenkens zur sozialen Wirklichkeit des Rechts ohne Not inhibiert wird.
Weinberger, Recht als institutionelle Tatsache (N.40), S. 427. Dta Weinberger, Logische Analyse als Basis der juristischen Argumentation, in: Werner Krawietz / Robert Alexy (Hrsg.), Metatheorie juristischer 44 45
Argumentation, Berlin 1983, S. 159 - 232, 215. 48 Ebd., S. 215. 47 Ebd., S. 218. 48 Ebd., S. 214 ff., 217 ff. 49 Krawietz, Helmut Schelsky ein Weg zur Soziologie des Rechts (N. 19), S. LXIXf. 50 Krawietz, Recht als Regelsystem, Wiesbaden 1984, S. 57 f., 179 f., 186.
Norm und Prophetie Von Friedrich Lachmayer, Wien Normen wie Prophetien sind grundsätzlich in die Zukunft gerichtet. Bei beiden gibt es mehr oder weniger deutliche Verhaltenskomponenten. Das Zentrum der Norm, das gesollte Verhalten, repräsentiert voll die Verhaltenskomponente. Bei dem prophezeiten Ereignis hingegen kann der Anteil der Verhaltenskomponente verschieden stark sein. Im historischen Kontext waren Normen und Prophetien vormals eng verbunden. Insbesondere gehörten Normen zum Vorfeld der Prophetien, indem der Prophetie Belohnungs- oder Bestrafungsfunktion gegenüber der Befolgung oder Nichtbefolgung der Normen zukommen konnte. Dennoch sind beide strukturell voneinander verschieden. Vom pragmatischen Verständnis her ist eine Prophetie nicht mit einer beliebigen Information über ein zukünftiges Ereignis gleichzusetzen. Insbesondere ist sie vom Typus der wissenschaftlichen Prognose zu trennen. Im Sinne einer Abgrenzung des Normbegriffes trägt es zur KlarsteIlung bei, die strukturellen Unterschiede vor allem zwischen der Norm einerseits und der Prophetie andererseits herauszuarbeiten.
I. Zuordnung zu Subjekten Sowohl die Norm als auch die Prophetie können als von Subjekten gesetzt und an Subjekte gerichtet angesehen werden. Für die Norm n, die vom Subjekt 51 an das Subjekt 52 gerichtet wird und die Setzung des Verhaltens a vorschreibt, ergibt sich folgende Symbolisierung. (1)
Dem Ausdruck (1) vergleichbar läßt sich die Prophetie p, die vom Subjekt 51 dem Subjekt 52 mitgeteilt wird und sich auf das Ereignis a bezieht, symbolisieren: (2)
P sl-->s2 (a)
In beiden Fällen handelt es sich bei a um eine Inhaltsvariable. Im Fall der Norm ist es stets ein Verhalten. Die weitere Besonderheit ist
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Friedrich Laclunayer
die, daß das gesollte Verhalten vom Adressaten der Norm zu setzen ist. Das gesollte Verhalten a ist somit ebenfalls dem Subjekt s2 zuzuordnen. (3)
Anders ist dies bei der Prophetie. Hier besteht keine notwendige Verbindung zwischen der Inhaltsvariablen a und der Interpretation dieser Variablen als Verhalten. Bei dem prophezeiten Ereignis kann aber muß es sich nicht um ein Verhalten - welchen Subjektes auch immer - handeln. Nur in den seltensten Fällen wird ein prophezeites Verhalten von dem Adressaten dieser Prophetie selbst gesetzt werden. (4)
Eher ist anzunehmen, daß ein drittes Subjekt dieses Verhalten setzen wird. (5)
Im Regelfall wird es sich bei prophezeiten Verhalten um solche halten, die nicht von einem menschlichen Subjekt sondern von einem metaphysischen Subjekt ~ gesetzt werden. (6)
Psl->s2 (al;)
Prophetien kommen vor allem im ausdrücklich religiosen Kontext vor. Sie finden sich aber auch im Sprachgebrauch der Massenmedien in einem quasireligiösen Kontext, nämlich in der auf das Unbewußte der Massen ausgerichteten Propaganda. Diese Verheißungen, Belohnungsankündigungen, Strafdrohungen etc. sind zwar nicht ausdrücklich als "Prophetien" deklariert, weisen aber die Strukturmerkmale der religiösen Prophetien auf. Wenngleich auch die Produzenten solcher "säkularisierter" Prophetien keine metaphysischen Subjekte oder Instanzen ausdrücklich erwähnen, so ist es doch nicht ausgeschlossen, daß auf der Seite der Konsumenten trotzdem solche Resonanzbereiche hinzuinterpretiert werden. Gerade wenn bei den Konsumenten diese Stellen nicht aktuell besetzt sind, haben säkularisierte Prophetien um so eher eine Chance, sich diesem Bedarf anzubieten und diese Positionen zu besetzen. Die Massenresonanz der durch die Bauernbefreiung und die Landflucht religiös entwurzelten Bevölkerungsteile auf säkularisierte Heilsverheißungen ist ein Beispiel dafür. Selbst wenn die Prophetie das prophezeite Ereignis nicht ausdrücklich einem metaphysischen Subjekt zuordnet, so ist es dennoch im ideologischen Gesamtzusammenhang meist auf solche rückführbar. Die Verhaltenskomponente des prophezeiten Ereignisses steht zumindest im Hintergrund.
Norm und Prophetie
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11. Die Prophetie als gedeuteter Sprechakt Eine Norm läßt sich losgelöst von einer Normenordnung untersuchen. Die Normenlogik baut darauf auf. Freilich treten die Normen im pragmatischen Kontext auf, zumeist als Bestandteil einer Normenordnung. Es bedarf daher der Deutung, daß eine Norm n als qualifizierte Norm N angesehen werden kann. Diese interpretative Leistung wird durch eine Deutung erbracht, die mit d symbolisiert werden kann. Das gedeutete Substrat und die verliehene Bedeutung werden durch das Zeichen : verbunden. (7)
d(n: N)
In gleicher Weise läßt sich auch eine Prophetie p als qualifizierte Prophetie P deuten. Erst durch diese Deutung gewinnt die Prophetie den Stellenwert, der ihr im Rahmen des ideologischen Systems als Sprechakt zukommt. (8)
d(p:P)
In ungleich höherem Maße als bei Normen ist die Prophetie von dieser Zugehörigkeit zu einem System abhängig. Sie ist in höchstem Maße legitimationsbedürftig. Unabhängig von dieser gleichsam magischen Bedeutungsrüstung kommt sie im Alltag nicht vor. Dazu ist sie vielzusehr dem religiösen Bereich zugeordnet. In ihren säkularisierten Formen der prophetischen Propaganda wird die prophetische Struktur selbst zum Arkanum. Und gerade damit bleibt die religiöse Komponente und vor allem ihre Wirkung gewahrt. Legitimationsbedürftig ist das Subjekt, das die Prophetie mitteilt. Es bedarf der Deutung und der semiotischen Absicherung dieser Deutung durch Zeichen. Im Zusammenhang mit der Legitimationsbedürftigkeit des Propheten ist der Legitimationsbedarf der Organe juristischer Personen zu erwähnen. Damit die von ihnen ausgesprochene Norm zur Rechtsnorm wird, bedarf es der vorhandenen Kompetenz und allenfalls des Nachweises derselben. Das handelnde Subjekt vermag nur dann den Sprechakt der Prophetie oder der Erzeugung der Rechtsnorm zu setzen, wenn es selbst eine spezielle Subjektivität erlangt hat. Voraussetzung ist also eine Deutung, wonach das (private) Subjekt s mit einer Subjektivität S bedeutungsmäßig verbunden wird. (9)
d (5: S)
Die Deutung des Subjektes geht somit der Deutung des Sprechaktes voraus. Analog zu einer bedingten Norm n, bei der im Falle der gegebenen Bedingung a das gesollte Verhalten b zu setzen ist,
560
Friedrich Lachmayer
(10)
n (alb)
kann auch eine bedingte Deutung angenommen werden. Im Falle der Bedingung a wird die Deutung von b als B vorgenommen. (11)
d (alb: B)
Die bedingte Deutung einer Norm n als Rechtsnorm N knüpft an dem Ergebnis der Deutung (9) an und lautet folgendermaßen: (12)
d (SJn: N)
Ebenso wird die Deutung einer prophetischen Formulierung als "Prophetie" (im Sinne des Systems) daran anknüpfen, daß ein dazu legitimiertes Subjekt S gegeben ist. (13)
d (Slp: P)
In dem von der Deutung vorausgesetzten Legitimationszusammenhang können freilich jene metaphysischen Instanzen aufscheinen, in deren Namen der Prophet aufzutreten beansprucht. So kann eine Norm seitens dieser Instanz ~, die Prophetie mitzuteilen, in der Bedingung der Deutung enthalten sein. (14)
d [Nl:-+ s (P)/p: P]
Norm, Deutung und Prophetie sind hier eng verflochten.
111. Prophezeite Belohnungen und Sanktionen Im Bereich der Normen lassen sich Belohnungen und Sanktionen durch eine bestimmte Art der Normenkombination regeln. Die erste Norm schreibt etwa das Verhalten a vor. Die zweite Norm n' knüpft an der Negation von a an und verbindet damit die Vorschrift, ein Verhalten b zu setzen. n (a)
(15) (16)
n'
(~alb)
Das Verhalten b ist bei (16) bewertungsmäßig neutral. Es kann aber eine positive und eine negative Bewertung angenommen werden, die je nachdem mit den Zeichen· und ausgedrückt wird. Setzt man das negativ bewertete Verhalten b in di~ zweite Norm n' (16) ein, so liegt damit die Struktur einer normativen Sanktion vor. (17) (18)
Norm und Prophetie
561
Bei der Belohnung knüpft die zweite Norm n' an der Effektivität der ersten Norm an. Die vorgesehene Folge b wird jedoch positiv bewertet. Somit ergibt sich die nachstehende Normenkombination. (19)
n (a)
(20)
n' (alb)
In religiösen Systemen tritt die Verhängung realer organisierter Belohnungen und Bestrafungen zugunsten von Ereignissen zurück, die den metaphysischen Instanzen zugeordnet und im Hinblick auf diese gedeutet werden. Die Normen hingegen, die sanktioniert werden, gehen der Prophetie voraus. (21)
n(a)
(22)
Ebenso kann die Belohnung konstruiert sein. (23)
n (a)
(24)
p (-, alb)
Die Prophetien (22) und (24) ersetzen hier funktionell die Normen (18) und (20). Zum Unterschied von den Normen, bei denen das ge sollte Verhalten wertmäßig neutral sein kann, ist das prophezeite Ereignis wertmäßig in höchstem Maße eingebunden und charismatisch angereichert.
IV. Authorisierte Wiedergabe Die Wiedergabe der Prophetie ist von der Prophetie selbst zu trennen. So wird auch bei Normen zwischen dieser und dem Rechtssatz darüber unterschieden. Eine Information i, die eine Norm n widergibt, läßt sich folgendermaßen symbolisieren: (25)
i [ n (a)]
Ebenso kann sich eine Information auf eine Prophetie beziehen. (26)
i [p (a)]
In beiden Fällen kann sich die Information auf eine als solche qualifizierte "Rechts-"Norm oder auf eine "Prophetie" beziehen. (27) 36 Festgabe Welnberger
i [N (a)]
562
Friedrich Lachmayer
(28)
i [P (a)]
Eine private Wiedergabe einer Rechtsnorm - vgl. etwa (27) - ist von einer offiziellen, dazu authorisierten Wiedergabe zu unterscheiden. Es bedarf hier einer Deutung, die die Information i als den Sprechakt "Information" I interpretiert. d (i : I)
(29)
Sowohl bei den Rechtsnormen als auch bei den Prophetien kommt der authorisierten Wiedergabe ein besonderer Stellenwert zu. (30)
I [N (a)]
(31)
I [P (a)]
v.
Aktualisierung und Effektivität
Liegt eine bedingte Norm vor - vgl. (10) - und tritt die Bedingung ein, so folgt daraus die unbedingte Pflicht zur Setzung des gesollten Verhaltens. Im gerichtlichen Verfahren liegt das Problem darin, daß nicht an die Tatsache der Bedingung angeknüpft wird und auch nicht an Beweisen, die sich auf die eingetretene Bedingung beziehen, sondern daß es der rechts förmlichen "Feststellung" bedarf, daß die für die Bedingung der Rechtsnorm relevanten Tatsachen eingetreten sind. Die Rechtsbegriffe des Tatbestandes werden durch die Subsumtion mit den festgestellten Sachverhalten in Verbindung gebracht. Geht man davon aus, daß sich die Norm nicht auf beliebige Tatsachen (etwa a, b, C ••• ) bezieht sondern auf rechtliche Bedeutungen (Rechtshandlungen und Rechtstatsachen, etwa A, B, e ...), dann bedarf es einer Brücke in der Gestalt einer Deutung, um von den Tatsachen a, b, ... zu den Rechtsbegriffen A, B, e ... zu gelangen. Eine solche Rechtsnorm N, die nicht Tatsachen sondern (Un-)Rechtsakte (z. B.: "Vertrag", "Delik") als Bedingung und als gesolltes Verhalten (z. B.: "Leistung") vorsieht, lautet etwa: (32)
N (AlB)
Eine Information I (etwa ein Beweis), daß eine bloße Tatsache a vorliegt, reicht noch nicht aus, um die Norm (32) zu aktualisieren. Es bedarf noch der deutungsmäßigen Brücke, die die Tatsache a als den in der Norm enthaltenen Rechtsbegriff A interpretiert. Das Kernstück der juristischen Subsumtion liegt in dieser interpretativen Verwandlung des Tatsächlichen in Rechtsbegriffe. Zu der Information I, daß die Tatsache a vorliegt, hat also noch die Deutung D zu treten, daß die Tatsache aals Rechtsbegriff A zu sehen ist.
Norm und Prophetie (33)
563
I (a) & D (a : A) & N (AlB)
Der Schlüssel liegt hier bei der Deutung. Selbst wenn keine ausreichende Information über die Tatsächlichkeit gegeben ist, aber die Deutung die Brücke zu den Rechtsbegriffen schlägt, wird die bedingte Norm aktualisiert. Dies tritt bei den Fiktionen ein. Bei diesen werden rechtliche Bedeutungen mit Tatsachen verbunden, die von den grundsätzlichen Interpretationen abweichen. Eine Fiktion kann dahingehend lauten, daß mit der Tatsache b die rechtliche Bedeutung A verbunden wird, obwohl ansonsten diese Bedeutung nur der Tatsache a verliehen wird. Durch eine solche Fiktion wird die Norm ebenfalls aktualisiert. (34)
I (b) & D (b : A) & N (AlB)
Kehren wir zu den Prophetien zurück. Diese können ebenfalls bedingt formuliert sein, vgl. etwa (22). So wie bei den Rechtsnormen sind die Inhalte der Prophetien meist nicht dem Bereich des Tatsächlichen zuzuordnen sondern vielmehr der speziellen Bedeutungswelt der jeweiligen Ideologie. Vergleichbar der Norm (32) kann daher eine bedingte Prophetie angenommen werden, deren Inhalt ausschließlich nicht dem Tatsächlichen, sondern den spezifischen ideologischen Begriffen A, B, C ... zuzuordnen ist. (35)
P(AIB)
Es bedarf in einem solchen Fall, durchaus vergleichbar der Subsumtion im Bereich des Rechtlichen, auch hier einer Deutung, die die Brücke vom Tatsächlichen zu den von der Prophetie vorgesehenen Voraussetzungen schafft. Die Sprüche des Orakels von Delphi zeichneten sich durch eine sprichwörtliche Unklarheit aus. Es bestand die Notwendigkeit, gerade die Bedingungen dieser Prophetien zu interpretieren. Vor allem konnte diese Deutung auch im Nachhinein geschehen, so daß die Aktualisierung der Prophetie elastisch war. Im Falle einer Deutung, die die Tatsache a als Bedeutung A interpretiert, wird die Prophetie (25) aktualisiert. (36)
D (a : A) & P (AlB)
Prophetien zielen auf die unbewußte Resonanz ab. Hier gilt eine andere "Logik" als im Bereich des Bewußten. Vergleichbar den wechselnden Masken der Träume gibt es hier interpretative Brücken, die im Alltag nicht vorkommen. Die fiktiven Gleichsetzungen und Deutungen sind hier durchaus übliche Bahnen. Daß das Krumme gerad und das Gerade krumm wird, gilt auch für die Aktualisierungstechniken der Prophetien. 36'
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Friedrich Lachmayer
Deutungen spielen nicht "nur bei der Aktualisierung sondern auch bei der Effektivität von Normen und Prophetien eine Rolle, bei letzteren besonders. Schreibt eine Norm einen Rechtsakt A vor und wird die Tatsache a gesetzt, dann bedarf es noch der Deutung, daß es sich bei a auch rechtlich um den Rechtsakt A handelt. Die bloße Tatsache a ist für die Effektivität einer Norm, die A vorschreibt, zu wenig. (37)
N(A) &a
Vielmehr muß eine die Kluft vom "Sollen" (richtiger vom "Sinn") zum "Sein" überbrückende Deutung hinzutreten. (38)
N (A) & a & D (a : A)
Erst dann besteht eine "Harmonie" zwischen dem Sein und dem Sollen, erst dann ist die Norm effektiv. Auch hier gibt es Fälle, bei denen eine bloß teilweise oder eine mangelnde tatsächliche Erfüllung der Norm durch eine fiktive Interpretation überbrückt wird. (39)
N (A) & b & D (b : A)
Ob eine solche fiktive Deutung anderen Normen entspricht oder nicht, hängt von der konkreten Gestalt des Normensystems ab. Es kann verboten sein, solcherart fiktiv die "Erfüllung" von Normen herbeizuführen. Meistens sind Fälle verboten, bei denen die Norm zwar tatsächlich erfüllt, eine rechtliche Erfüllung jedoch durch eine Mißdeutung verhindert wird. (40)
N (A) & a & D (a : --, A)
Im Privatrecht gibt es etwa für die zu Unrecht erfolgte Verweigerung der deutungsmäßigen "Annahme" einer Leistung eigene Rechtsfolgen. Die Brücke zwischen Sein und Sollen läßt sich noch leichter schlagen als die Brücke zwischen dem Sein und dem "Sinn" der Prophetien. Die Subsumtionsmechanismen des Rechts sind im. wesentlichen standardisiert, ungleich mehr als die der Prophetien. Das gilt auch für die Deutung, daß eine Prophetie "erfüllt" ist. So klar, wie im folgenden Fall, ist es in der Regel nicht. (41)
P (A) & a & D (a : A)
Norm und Prophetie
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Eher kommen schon fiktive Interpretationen in Betracht. (42)
P (A) & b & D (b : A)
Entsprechend der anders gestalteten "Logik" des Unbewußten ist es hier möglich, "ein x für ein u vorzumachen", soferne nur die im Unbewußten gangbaren Bahnen der interpretativen Brücken eingehalten werden. Entscheidend bei der "Erfüllung" von Prophetien ist weniger das tatsächliche Geschehen als vielmehr die Deutung, was als "Erfüllung" oder "Nichterfüllung" anzusehen ist. Die Deutung schattet hier völlig die Wirklichkeit ab, vor allem, wenn sie massenwirksam ist und auch tatsächlich von der Masse als evident angenommen wird. Eine solche "Evidenz" verdunkelt dann die Einsicht in das Tatsächliche. Die obigen Beispiele zeigen aber auch, daß selbst im Bereich der Rechtserkenntnis mit einem normativen Monismus, wonach das Recht nur aus Normen bestehe, nicht viel anzufangen ist. Dem Recht gehören auch kognitive Konstruktionselemente an, die über die seltsame Konstruktion von "unselbständigen Rechtsnormen" bei weitem hinausgehen. Es ist erforderlich, die Instrumentarien auszuweiten, die für die Erfassung der kognitiven Elemente des Rechts im Rahmen der Rechtswissenschaft bereits bestehen.
VI. Zur pragmatischen Kompatibilität von Norm und Prophetie Bereits in der Stammesstruktur zeichnete sich eine Arbeitsteilung bei der Herrschaftsausübung ab. Die ideologisch-kognitive Seite wurde von den Schamanen, die normativ-motorische Seite wurde von den Häuptlingen besorgt. Diese beiden Pole haben organisatorische Gestalt angenommen in den Kirchen (ideologischen Massenparteien) und im Staat. Im Mittelalter führte das übergewicht des Staates zur Investitur der Kirchenämter, die mit dem landesfürstlichen Kirchenregime der Reformation zur Vollendung gelangte. Inzwischen hat sich die Richtung der Investitur völlig umgekehrt. Es kommt eher zur Investitur von Staatsämtern durch die Massenparteien. Dies gilt freilich nicht für alle Staatsämter, doch ein gewisser Einfluß ist nicht zu übersehen. Mit diesem übergewicht der ideologieproduzierenden, letztlich mit dem Schamanismus verwandten Seite, gewinnen aber auch jene vormals religiösen Instrumentarien der Bewußtseinsbildung neu an Bedeutung, wenngleich auch in säkularisiertem Gewande. Dazu gehören auch die Techniken der Prophetie.
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Frledrtch Lachmayer
Die Massenmedien sind dann die kongenialen Verstärker der Bewußtseinsbildung. Die Normproduktion des Staates wird nach wie vor beibehalten. Das Recht ist ein gut eingeführtes Produkt, noch dazu mit Zwangskonsum ausgestattet. Normen und Prophetien sind im Hinblick auf mehrere Problembereiche strukturell ähnlich und daher auch im pragmatischen Kontext kompatibel. Politische Verheißungen bringen jenen Sinngehalt mit sich, der durch die technokratisierte Behandlung der Rechtsnormen bei diesen abhandenzukommen droht. Indem die Normen auf Steuerungstechniken reduziert werden, kommt es zu einem teleologischen Defizit in der Rechtsordnung und somit zu einem Verlust an institutionellem Verständnis. Dieses teleologische Defizit des Rechts kann durch politische Zielvorgaben und Verheißungen im Rahmen des gesellschaftlichen Gesamtsystems ausgeglichen werden. Freilich hat diese Substitution des Rechtes durch Ideologie seinen Preis. Prophetische Sprechformen lassen sich - unabhängig von ihrem Auftreten in einem "Sprechakt" - sprachlich nachweisen und vom pragmatischen Kontext her analytisch erfassen. Hingegen sind sie für die alltäglichen Dechiffrierungsmechanismen sublim. Sie liegen unter der Schwelle der alltäglichen Aufmerksamkeit. Die Produkte des kognitiven Sektors sind ebenso wie die des normativen kurzlebiger geworden. Nicht nur die wissenschaftlichen Produkte unterliegen gleichsam einer Halbwertszeit. Dies gilt auch für die Bewußtseinsproduktionen der Mediengesellschaft, die sich ihrem Selbstverständnis nach als geschichtslos erweist. Die tatsächliche Vergangenheit und die tatsächliche Zukunft werden zunehmend von Mythen verstellt. Gerade in dieser umgreifenden Verflechtung von kognitivem und normativem Sektor liegt eine gewisse Chance für die moderne Rechtstheorie. Ihre Instrumentarien, insbesondere die der Normenlogik, sind in der Lage, hier einen ideologiekritischen Beitrag zu leisten.
Uherlegungen zum transzendentallogischen Stellenwert der Grundnormkonzeption KeIsens Von Gerhard Luf, Wien I
Im September 1981 fand aus Anlaß des 100. Geburtstages von Hans Kelsen in Wien ein internationales Symposion statt, in dessen Verlauf die Frage nach dem Stellenwert und der Funktion der Grundnorm in Kelsens Rechtstheorie einen thematischen Schwerpunkt bildete. Für die Intentionen dieses Beitrages von besonderem Interesse waren dabei jene Ausführungen, die sich mit dem Verständnis der Grundnorm als einer "transzendentallogischen" Bedingung der wissenschaftlichen Rechtserkenntnis und darüber hinaus allgemein mit dem Verhältnis der wissenschaftlichen Methode Kelsens zur praktischen Philosophie Kants beschäftigten. In diesem Zusammenhang seien die Beiträge zweier Referenten herausgegriffen, die von N. Leser und R. Dreier. In seinem Beitrag: "Die Reine Rechtslehre im Widerstreit der philosophischen Ideen"l sucht Leser den engen methodischen Zusammenhang zwischen der Reinen Rechtslehre und der Philosophie Kants hervorzuheben. Danach sei es Kelsen gerade mit Hilfe der von Kant geprägten transzendentalen Methode gelungen, zwei für die Grundlegung der Rechtswissenschaften untragbare Extreme zu vermeiden: einen unkritischen Positivismus einerseits und eine metaphysische Naturrechtslehre andererseits. Leser schreibt: "Philosophisch gesprochen läßt sich die Position der Reinen Rechtslehre in Konfrontation mit dem Positivismus, aber auch der Naturrechtsdoktrin in ihren verschiedenen Varianten, dahin zusammenfassen, daß die Reine Rechtslehre transzendental im Sinne der Kantschen Philosophie ist, da sie die Erfahrung nicht aus sich selbst begründet und insofern nicht im Sinne des Positivismus verfährt, daß sie aber andererseits nicht transzendent und daher auch nicht metaphysisch ist."2 Die Konzeption der Grundnorm als einer transzendentallogischen Voraussetzung gewährleiste, so betont Leser im weiteren, 1 In: Die Reine Rechtslehre in wissenschaftlicher Diskussion, Schriftenreihe des Hans Kelsen-Instituts, Bd. 7, Wien 1982, 97 - 104.
2
N. Leser, 100.
GerhardLuf
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daß "das transzendentale Programm: vor aller Erfahrung, aber für alle Erfahrung, erfüllt und sichergestellt (werde), daß die Rechtsordnung als Einheit von Normen und nicht bloß als machtgestützte Faktizität aufgefaßt wird"3. Leser sieht somit die transzendentale Struktur der Grundnorm in einem unmittelbaren Zusammenhang und in einer ungebrochenen Kontinuität mit der Philosophie Kants. In diesem Sinne führt er weiter aus: "Als transzendental-logische Voraussetzung der Erfassung der Rechtswirklichkeit ist die Grundnorm mit den Kategorien, aber auch mit den reinen Anschauungsformen der Kantschen Philosophie vergleichbar, die apriorischen Charakter haben und die Konstituierung der Erfahrung allererst ermöglichen. So wie die Kategorien den Empfindungsstoff formen und damit erst zur Einheit der Welt, die für das Subjekt der Erfahrung zugänglich wird, verdichten, ohne selbst den Bedingungen des Erfahrungszusammenhanges zu unterliegen, so ist auch die Grundnorm die ermöglichende Bedingung, Willensakte als Rechtsakte zu deuten, damit aber noch keineswegs der Sinn eines Willensaktes, sondern eine apriorische Annahme, die in sich selbst ruht und von keinem sie konstituierenden Willen abhängig ist.'" Leser stellt damit sehr anschaulich die Analogie zwischen den transzendentalen Bedingungen der Erfahrungskonstitution im allgemeinen und der durch die Grundnorm zu ermöglichenden apriorischen Erfassung der empirischen Rechtswirklichkeit her und rechtfertigt diese Analogie als methodisch zielführend und mit der Philosophie Kants systematisch im Einklang. Das Verhältnis von Kelsen und Kant greift auch der Beitrag Dreiers: "Bemerkungen zur Theorie der Grundnorm"5 auf, und zwar mit der Kernthese, "daß es sinnvoll sei, die Theorie der Grundnorm im Sinne der praktischen Philosophie Kants zu interpretieren und fortzuschreiben"6. Dreiers methodisches Anliegen ist es also, Kelsens Ansatz systematisch weiterzudenken. Zu diesem Zwecke unterscheidet Dreier zunächst drei verschiedene Geltungsbegriffe: den juristischen, der auf das vorgeschriebene Zustandekommen des positiven Rechts im Rechtserzeugungsprozeß abstellt; den soziologischen, der auf die soziale Wirksamkeit Bezug nimmt; und den ethischen, der sittliche Legitimitätsanforderungen an das positive Recht richtet. Kelsen habe, so Dreier, zwar den juristischen und den soziologischen Geltungsaspekt in seiner Grundnormkonzeption berücksichtigt. Auf Grund seiner Ablehnung des Kantischen Begriffes der praktischen Vernunft, den er für ein metaphy8
Ebenda.
, N. Leser, 102. 6 In: Die Reine Rechtslehre in wissenschaftlicher Diskussion (Anm. 1), 38
bis 46.
e R. Dreier, 39.
Transzendentallogischer Stellenwert der Grundnormkonzeption Kelsens 569 sisch-theologisches Relikt hielt, habe er den ethischen Geltungsaspekt unzulässig vernachlässigt. Würden, so folgert Dreier, die Einwände gegen die wissenschaftliche Zulässigkeit des Begriffs der praktischen Vernunft ausgeräumt, so eröffne "sich die Möglichkeit, die Theorie der Grundnorm erneut in den Kontext der praktischen Philosophie Kants zu stellen und sie damit zugleich im Zusammenhang der gegenwärtigen Ethikdebatte, die in hohem Maße durch Rückgriffe auf Kant charakterisiert ist, zu interpretieren"7. So gesehen sei die Grundnorm dann als Gebot der praktischen Vernunft zu verstehen, sich so zu verhalten, "wie es einer im großen und ganzen ethisch gerechtfertigten Verfassung entspricht, und den ihr gemäß gesetzten Normen, sofern diese, für sich betrachtet, ein Minimum an sozialer Wirksamkeit bzw. Wirksamkeitschance und ein Minimum an ethischer Rechtfertigung bzw. Rechtfertigungsfähigkeit aufweisen"8. Dreier schlägt somit eine, mit Kelsens Grundnormkonzeption seiner Ansicht nach prinzipiell vereinbare vernunftrechtliche Modifikation des Grundnormbegriffes vor. Die wissenschaftlichen Positionen der beiden Autoren sind, davon zeugen die zitierten Passagen ja deutlich, sehr unterschiedlich. Während Leser im Lichte der Annahme einer ungebrochenen wissenschaftlichen Kontinuität zwischen Kant und dem Neukantianismus argumentiert, sucht Dreier gerade umgekehrt, die vom Neukantianismus wesentlich geprägte Grundnormtheorie9 durch den systematischen Rückgriff auf Kant, und zwar auf ein durch die moderne Ethikdiskussion aktualisiertes Kantverständnis, zu kritisieren und zu modifizieren. Im Anschluß an diese Ausführungen soll daher zunächst der Frage nachgegangen werden, ob es im Sinne der Thesen Lesers tatsächlich möglich ist, die Auffassung vom transzendentalen Charakter der Grundnorm aufrechtzuerhalten. Im weiteren soll dann Dreiers Vorschlag einer vernunftrechtlichen Umdeutung der Grundnorm im Hinblick auf seine systematische Zulässigkeit überprüft werden. II
Kelsen hat die Grundnorm im Laufe seiner wissenschaftlichen Entwicklung auf sehr unterschiedliche Weise zu bestimmen versucht lO • Im Rahmen dieser verschiedenen Bestimmungsweisen spielt aber die Cha7 8
R. Dreier, 44. R. Dreier, 45 f.
9 über das Verhältnis Kelsens zum Neukantianismus vgl. W. Schild, Die zwei Systeme der Reinen Rechtslehre, in: Wiener Jahrbuch für Philosophie 1971, 150 ff.; ders.,Die Reinen Rechtslehren, Wien 1975, 10 f. u. 14 f. 10 Zu den verschiedenen Charakterisierungen der Grundnorm vgl. O. Weinberger, Normentheorie als Grundlage der Jurisprudenz und Ethik, Berlin
1981,132.
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rakterisierung der Grundnorm als dessen transzental-Iogischen Prämisse eine ganz zentrale Rolle l1 • Kelsen stellt dabei zwischen seiner Grundnorm und der transzendentalen Methode Kants in seiner Kritik der reinen Vernunft eine Analogie her, wenn er schreibt: "So wie Kant fragt: wie ist eine von aller Metaphysik freie Deutung der unseren Sinnen gegebenen Tatsachen in den von der Naturwissenschaft formulierten Naturgesetzen möglich, so fragt die Reine Rechtslehre: wie ist eine nicht auf meta-rechtliche Autoritäten wie Gott oder Natur zurückgreifende Deutung des subjektiven Sinns gewisser Tatbestände als ein System von Rechtssätzen beschreibbarer objektiv gültiger Rechtsnormen möglich?"12 Mit Hilfe der Grundnorm soll somit die objektive Geltung einer positiven Rechtsordnung begründet, d. h. der subjektive Sinn von Willensakten (die offensichtlich einen dem sinnlichen Material der Erfahrungskonstitution entsprechenden Stellenwert besitzen) als objektiv-geltend gedeutet werden. Wie das empirische Material der sinnlichen Erscheinungswelt durch die produktive Rolle des erkennenden Subjekts im Zeichen einer ursprünglichen kategorialen Synthesis gegenständlich konstituiert wird, ebenso soll durch die Voraussetzung der Grundnorm ermöglicht werden, "den subjektiven Sinn des verfassungsgebenden Tatbestandes und der der Verfassung gemäß gesetzten Tatbestände als deren objektiven Sinn, das heißt: als objektiv gültige Rechtsnormen zu deuten"13. Charakterisiert Kant eine Erkenntnis als transzendental, "die sich nicht so wohl mit Gegenständen, sondern mit unserer Erkenntnisart von Gegenständen, so fern diese apriori möglich sein soll, überhaupt beschäftigt"14, so soll nach Kelsen die Annahme der Grundnorm die Rechtsnormen nicht in ihrer spezifischen Inhaltlichkeit begründen helfen, sondern vorab die Bedingung der Möglichkeit bieten, das empirische Normenmaterial als einem einheitlichen System von Rechtsnormen zugehörig zu begreifen und damit auf eine apriorische Weise den Gegenstand Recht als Objekt wissenschaftlicher Rechtsbetrachtung zu erzeugen15 . Dabei handelt es sich nach Kelsen um ein reduktives Verfahren, bei dem strukturell aufgewiesen werden soll, was immer schon vorausge11 Eine ausgezeichnete Auseinandersetzung mit dieser Problemstellung bietet die Studie von H. Köchler, Zur transzendentalen Struktur der "Grundnorm". Kritische Bemerkungen zur erkenntnistheoretischen Fundierung der "Reinen Rechtslehre", in: L. Adamovich u. P. Pernthaler (Hrsg.), Auf dem Weg zur Menschenwürde und Gerechtigkeit. Festschrift für H. R. Klecatsky, 1. Teilband, Wien 1980, 505 ff. 12 H. Kelsen, Reine Rechtslehre, Wien 19602 , 205. 13 H. Kelsen, Reine Rechtslehre, 204 f. 14 I. Kant, Kritik der reinen Vernunft, III, 63 (zitiert nach der zwölfbändigen Werkausgabe des Suhrkamp-Verlages). 15 Zu dieser und zu anderen Funktionen der Grundnorm vgl. W. Schild, Die Reinen Rechtslehren, 20 f.
Transzendentallogischer Stellenwert der Grundnormkonzeption Kelsens 571 setzt wird bzw. vorausgesetzt werden muß, wenn man sich mit dem Recht wissenschaftlich beschäftigt. In diesem Sinne betont Kelsen ausdrücklich, es werde mit der Theorie der Grundnorm .. durchaus nicht eine neue Methode der Rechtserkenntnis inauguriert", sondern nur ins Bewußtsein gehoben, ..was alle Juristen, zumeist unbewußt, tun, wenn sie die eben bezeichneten Tatbestände nicht als kausalgesetzlich bestimmte Fakten begreifen, sondern ihren subjektiven Sinn als objektiv gültige Normen ... deuten" 16. An anderer Stelle heißt es, mit der Grundnorm als der .. Grundform des Rechtsgesetzes"17 würden ..nur die logischen Voraussetzungen der seit jeher geübten Methode durch Analyse des tatsächlichen Verfahrens der Wissenschaft bloßgelegt"18. III
Wie ist eine solche Analogie zwischen der transzendentalen Synthesis in Kants Kritik der reinen Vernunft, der Untersuchung ihrer ursprünglichen Tätigkeitsformen wie ihrer Leistungsfähigkeit einerseits, und der intendierten apriorischen, reduktiv aufzuweisenden Grundlegung des Gegenstandes Recht im Zeichen der Grundnormkonzeption andererseits zu beurteilen? Ist sie methodisch überhaupt zulässig? Oder aber stellt sie eine unzulässige Verknüpfung von unterschiedlichen Gegenstandsbereichen bzw. Tätigkeitsformen der Vernunft dar, nämlich der der durch Kategorien vermittelten Gegenstands- und Erfahrungskonstitution der sinnlich-empirischen Erscheinungswirklichkeit im Rahmen des .. theoretischen" Vernunftgebrauches einerseits und der Grundlegung einer wohl ebenfalls sinnlich erscheinenden und daher empirisch zugänglichen, gleichwohl aber von Willensbestimmungen geprägten Sollensordnung im Zeichen praktischer Vernunft andererseits? Kann somit die Grundnorm einen den Kategorien vergleichbaren Rang einnehmen? Bedeutet Transzendentalität im Bereich des Praktischen nicht notwendig etwas anderes als in der Perspektive der theoretischen Vernunft die hier als Analogon herangezogen wird 19 ? H. Kelsen, Reine Rechtslehre, 209. H. Kelsen, Die philosophischen Grundlagen der Naturrechtslehre und des Rechtspositivismus, in: Die Wiener Rechtstheoretische Schule (in der Folge WRS), 299. 18 H. Kelsen, Die philosophischen Grundlagen, WRS, 300. lU Vgl. H. Köchler, 509, der den Unterschied zwischen der Fragestellung Kants und der Kelsens folgendermaßen charakterisiert: ..Die transzendentalen Möglichkeitsbedingungen der Erkenntnis sind als solche formal - hier besteht eine Analogie zu Kelsens Modell -, sie fundieren aber jegliche konkrete Erfahrung bzw. Erkenntnis. Im Gegensatz dazu resultiert der Denkakt, mit welchem die Grundnorm als letzte Geltungsbedingung eines konkreten Systems von Normen vorausgesetzt wird, nicht im Aufweis einer als Faktum vorgegebenen Struktur ... Der Voraussetzungscharakter der Annahme einer Grundnorm liegt auf einer kategorial grundsätzlich anderen Ebene: es 18
17
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Kelsens methodische Vorgangsweise wird plausibler, wenn man sie im Zusammenhang mit seiner ablehnenden Stellungnahme zum Begriff der praktischen Vernunft im allgemeinen sieht, die er in ihrer AufgabensteIlung, grundlegende, schlechthin geltende und allgemeinverbindliche Bedingungen des HandeIns aufzuweisen, als wissenschaftlich unzulässig, als metaphysisches Relikt abqualifiziert20 . Er geht dabei ganz im Einklang mit der neukantianischen Tradition von der Auffassung aus, Kant habe seine kritisch-transzendentale Methode nur in der "Kritik der reinen Vernunft" entfaltet, während er in seiner praktischen Philosophie, und hier insbesondere in seiner Rechtslehre, sein transzendental philosophisches Programm nicht zur Geltung gebracht habe 21 . Hier sei er vielmehr einem vorkritisch-naturrechtlichen Programm "metaphysischer" Rechtsbetrachtung verpflichtet geblieben. Den Hauptgrund sieht Kelsen in fortwirkenden Einflüssen des Christentums mit seinem absoluten, metaphysisch transzendenten Wahrheitsansprüchen, die Kants Denken gerade im Bereich des Praktischen geprägt und es ihm verwehrt hätten, auch hier seine transzendentale Logik zu entfalten. Kelsen schreibt: Gerade in der praktischen Philosophie, "wo ja das Schwergewicht der christlichen Lehre ruht, ist ihr metaphysischer Dualismus, den Kant auf dem Gebiete der theoretischen Philosophie so nachdrücklich bekämpfte, in dessen Lehrsystem auf der ganzen Linie eingebrochen. Hier hat Kant seine transzendentale Methode verlassen ... Und so kommt es, daß Kant, dessen Transzendentalphilosophie ganz besonders berufen ist, einer positivistischen Rechts- und Staatslehre die Grundlage zu bieten, als Rechtsphilosoph in den ausgetretenen Gleisen der Naturrechtslehre geblieben ist"22. Es handelt sich hier um eine Auffassung, die besonders unter Juristen auch heute noch fortwirkt und in ihrer scheinbaren Selbstverständlichkeit zumeist auch nicht weiter problematisiert wird. Diese verbreitete Auffassung ist durch die methodische Tendenz zu charakterisieren, praktische Philosophie auf Wissenschaftstheorie normativer Disziplinen zu reduzieren. Wenn, wie oben zitiert, Kelsen etwa bedauernd meint, wird nicht ein faktisch Vorgegebenes als Möglichkeitsbedingung eines konkreten Denkaktes aufgewiesen, sondern ein Gesolltes als notwendige Voraussetzung für die Anerkennung der Verbindlichkeit einer konkreten Norm postuliert." 20 Eingehender zur Kritik Kelsens am Begriff der praktischen Vernunft vgl. G. Lu!, überlegungen zum Verhältnis von Entscheidung und Rechtfertigung im Recht, in: H. Nagl-Docekal (Hrsg.), überlieferung und Aufgabe, Festschrift für Erich Heintel zum 70. Geburtstag, 2. Teilband, Wien 1983, 233 ff. 21 überzeugende Kritik an dieser Auffassung bietet F. Kaulbach, Studien zur späten Rechtsphilosophie Kants und ihrer transzendentalen Methode, Würzburg 1982, 9 ff. u. 75. 22 H. Kelsen, Die philosophischen Grundlagen, WRS, 349.
Transzendentallogischer Stellenwert der Grundnormkonzeption Kelsens 573
Kant wäre berufen gewesen, mit seiner kritischen Methode "einer positivistischen Rechts- und Staatslehre die Grundlage zu bieten", so hat er hier ganz offensichtlich nicht eine fundamentalphilosophische Grundlegung des Rechtsbegriffes vor Augen, sondern eine auf das Recht in seiner empirisch aufweisbaren Positivität bezogene Wissenschaftstheorie der Rechtswissenschaften, die seiner Ansicht nach allein das Prädikat "kritisch" verdient. IV Der Vorwurf Kelsens, Kant habe in seiner praktischen Philosophie den Standpunkt der kritischen Methode verlassen, kann indes nicht aufrechterhalten werden, denn er ist letztlich selbst Ausdruck eines weitreichenden Mißverstehens der Grundlagen wie der Aufgaben der praktischen Philosophie Kants. Es gibt im Gegenteil ganz wesentliche Anhaltspunkte dafür, daß Kant sein kritisches Programm der Transzendentalphilosophie auch im Bereich der Ethik im allgemeinen und der Rechtsphilosophie im besonderen entfaltet habe23 • Um dies nachzuvollziehen, ist es nötig, den Unterschied zwischen der Fragestellung der theoretischen Vernunft und jener der praktischen Vernunft zu beachten. Daraus ergeben sich nämlich unterschiedliche Perspektiven von Transzendentalität in theoretischer und praktischer Hinsicht, die auch im juristischen Begründungsdenken berücksichtigt werden müssen. Richtet sich im Bereiche des theoretischen Vernunftgebrauches die transzendentale Fragestellung auf den Aufweis der Bedingungen möglichen Wissens und seiner Grenzen, so geht es bei der Kritik des praktischen Vernunftgebrauches um etwas anderes. Im Zeichen der Frage: "was soll ich tun?" bezieht sich die praktische Fragestellung auf einen "praktischen Gegenstand", d. h. auf grundlegende Zwecke des Wollens und HandeIns. "Transzendental" ist die Fragestellung dann, wenn sie darauf gerichtet ist, schlechthin geltende Bedingungen des Wollens und HandeIns im Horizont eines unbedingten sittlichen Anspruchs aufzuweisen. Diese transzendentale Fragestellung ist, da das Recht zwar von der Moral unterschieden wird, aber doch auch den Bereich normativer Handlungsregeln betrifft, notwendigerweise auch auf den Rechtsbereich zu beziehen. Sie beinhaltet hier die Anforderung, Bedingungen der Möglichkeit aufzuweisen, nach denen endliche Vernunftwesen ihr "äußeres" Zusammenleben nach unbedingten, allgemein verbindlichen Grundsätzen zu gestalten vermögen24 • 23 Diesen Nachweis erbringt F. Kaulbach in seinem unter Anm. 21 zitierten Buch, insb. im Kapitel: DierechtsphilosophischenVoraussetzungen der transzendentalen Deduktion, 9 ff., auf umfassende Weise. 24 Zur transzendentalen Fragestellung in der Rechtsphilosophie vgl. im weiteren O. Hölle, Transzendentale Ethik und transzendentale Politik: Ein philosophisches Programm, in: H. M. Baumgartner (Hrsg.), Prinzip Freiheit,
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Diese Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit schlechthin guten Wollens und HandeIns hat somit im Bereiche der praktischen Vernunft denselben methodischen, nämlich transzendentalen Rang wie die Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit gegenständlicher Erfahrung im Rahmen der theoretischen Vernunft. Was Kelsen hindert, diesen kritischen Charakter des praktischen Vernunftgebrauchs anzuerkennen, besteht in folgendem: Kant rekurriert in seinen Kritiken auf einen von der Erscheinungswirklichkeit abgehobenen Begriff der Intelligibilität, um solcherart die Vermittlungsfunktion des Denkens im Prozeß der Erfahrungskonstitution wie auch der prinzipiengeleiteten Willensbestimmung zu erfassen und damit die Notwendigkeit zu erweisen, die Erfahrungsgegenständlichkeit zum Zwecke ihrer Ermöglichung zu transzendieren und sich gleichwohl in ihr zu vermitteln. Dieser transzendierenden, im Begriff des "Intelligiblen" bzw. "Noumenalen" angesprochene Charakter der Vernunft führt nun, darauf ist in der Auseinandersetzung mit Kelsen besonderes Augenmerk zu legen, in theoretischer und praktischer Hinsicht zu unterschiedlichen Konsequenzen. Während in theoretischer Perspektive die Welt des Intelligiblen, weil nicht sinnlich in Erscheinung tretend und daher nicht empirisch aufweisbar, kein Gegenstand möglicher Erfahrung und daher theoretischen Wissens ist, wird sie in praktischer Perspektive zu einer praktischen Realität. Sie wird nämlich in ihr zur notwendig zu postulierenden Voraussetzung für die Vernunftgemäßheit sittlicher Willensbestimmung. Im Zeichen der Dialektik von Naturkausalität und Freiheit ist im intelligiblen Charakter menschlichen HandeIns das Postulat angesprochen, den Menschen als frei, d. h. zur verantworteten Selbstbestimmung aufgefordert, zu begreifen. Ausdrücklich betont Kant, es sei "in praktischer Absicht der Fußsteig der Freiheit der einzige, auf welchem es möglich ist, von seiner Vernunft bei unserem Tun und Lassen Gebrauch zu machen"25. Freiheit als Zentralbegriff praktischer Vernunft bildet für Kant somit zwar keinen im Sinne theoretischen Wissens erfahrbaren, empirisch beweisbaren, aber doch einen in praktischer Absicht denknotwendigen Begriff, um zu gewährleisten, daß Vernunft in den menschlichen Handlungszusammenhängen wirklich zu werden vermag. Damit soll aber nach Kant keineswegs eine von der empirischen Wirklichkeit abgehobene, transzendente Sphäre einer sittlichen Wertwelt begründet werden. Es handelt sich bei dieser Idee einer intelligiblen Welt nur um einen "Standpunkt", "in die sich der DenkendFreiburg, München 1979, 163; G. Lu!, Naturrechtskritik im Lichte der Transzendentalphilosophie, in: D. Mayer-Maly, P. M. Simons (Hrsg.), Das Naturrechtsdenken heute und morgen. Gedächtnisschrift für Rene Marcic, Berlin 1983,611 f. !5 I. Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, VII, 92.
Transzendentallogischer Stellenwert der Grundnormkonzeption Kelsens 575 handelnde hinein-versetzt ... , um sich als selbständiges, freies Subjekt des HandeIns aufzufassen und in dieser Rolle wirklich zu handeln"26. Freiheit soll daher, über die Reflexion menschlicher Handlungsmotive bzw. praktischer Zwecksetzung vermittelt, immer aufs neue in die Erscheinungswirklichkeit menschlicher Praxis eingearbeitet und in ihr geschichtlich auf zeichenhafte Weise konkretisiert werden, ohne allerdings in ein System absoluter sittlicher Werte einzumünden. Dieser Anforderung entspricht Kant sehr klar auch in seiner Deduktion des Rechtsbegriffes, den er ebenso über das Gesetz der Freiheit als dem einzigen, schlechthin geltenden Legitimationsprinzip definiert. Ausdrücklich wird ja die "Freiheit (Unabhängigkeit von eines anderen nötigender Willkür), sofern sie mit jedes anderen Freiheit nach einem allgemeinen Gesetz zusammen bestehen kann" als das "einzige, ursprüngliche, jedem Menschen, kraft seiner Menschheit, zustehende Recht"27 qualifiziert. Dieser sittliche Begriff vom Recht bildet die legitimierende Grundlage jeder weiteren Gestaltung von Recht, wobei gerade die Bezugnahme auf das Freiheitsprinzip in seiner notwendigen Formalität verhindert, auf naturrechtliche Weise einen Kanon oberster, absolut geltender materialer Rechtszwecke zu konstituieren. Der traditionelle naturrechtliche Ansatz mit seinem Anspruch, aus der Natur des Menschen fundamentale rechtliche Normen zu gewinnen, ist damit verlassen.
v Kelsen kann, wie gesagt, ein solches Konzept praktischer Vernunft im Recht, welches durch die Idee einer intelligiblen Natur bzw. einer "Kausalität aus Freiheit" geprägt ist, auf Grund seines eigenen Wirklichkeitsverständnisses nicht nachvollziehen und akzeptieren. Er ist deshalb auch nicht in der Lage, mit hinreichender Deutlichkeit zwischen einem traditionell naturrechtlichen und einem vernunftrechtlichfreiheitsbezogenen Rechtskonzept hinreichend zu differenzieren, sondern ordnet beides undifferenziert einer "metaphysischen" Sicht des Rechts zu. Das ist systemimmanent verständlich, denn die Wirklichkeit - auch die Wirklichkeit menschlicher Praxis - wird von ihm mit der Faktizität des gegenständlich Seienden im Sinne eines kausal-mechanischen Erklärungsmodelles identifiziert, dem es im wesentlichen um eine nach formallogischen Kriterien vorzunehmende, wertneutrale Ordnung des vorliegenden empirischen Materials, eben auch des in positivierter Form vorliegenden Rechtsmaterials geht. Dabei bleibt die Herkunft dieser formallogischen Ordnungskategorien weitgehend unerörtert. Sie werden jedenfalls als instrumental zuhandene, subjektunab26
K. Kaulbach, 15.
27 I. Kant, Metaphysik der Sitten, VIII, 345.
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hängige Qualitäten gesehen, die keiner weiteren Legitimation im menschlichen Vernunfthandeln bedürfen. Auf der Basis dieses phänomenalistisch reduzierten Wirklichkeitsverständnisses begreift Kelsen den Charakter des Intelligiblen am menschlichen Vernunfthandeln nicht im Sinne der transzendentalen Differenz (d. h. die empirische Objektwelt überschreitend und sich gleichwohl in ihr daseiend vermittelnd), sondern als etwas den gegenständlichen Objekten Analoges, gleichermaßen Dinghaftes. Er macht die Idee einer intelligiblen Welt solcherart zu einer Art transzendenter Gegenwelt, die dann, durch einen unversöhnlichen Dualismus von Tatsachen und Werten geprägt, natürlich zu Recht als Erscheinungsform der von ihm kritisierten Metaphysik gesehen werden muß. So gesehen ist auch die Freiheit als der Zentralbegriff praktischer Vernunft ein problematischer, bestenfalls belangloser, wissenschaftlich jedenfalls unbrauchbarer Begriff. In empiristischer Sehweise kann sie nur als "kausale Nichtbestimmtheit" charakterisiert werden, die auf Grund der in dieser Begriffsbestimmung vorgenommenen Gleichsetzung von Motivation und kausaler Determination dann, wie Kelsen immanent durchaus folgerichtig betonen kann, "zu den Tatsachen des gesellschaftlichen Lebens in offenem Widerspruch"28 steht. Denn im Rahmen dieser empiristischen, auf die bloße Alternative: Determiniertheit oder Indeterminiertheit des HandeIns bezogenen Sicht gerät Freiheit notwendigerweise in ein antagonistisches Verhältnis zu jeder Form von Zwang. Jede Begrenzung der individuellen Willkür stellt eine Beeinträchtigung von Freiheit dar. In einem solchen Verständnis ist Freiheit dann gerade im Rechtsbereich, bei dem es ja ganz zentral um die Legitimation bzw. Anwendung organisierten Rechtszwanges geht, nicht anwendbar. Sie bildet nur eine komplementäre Restgröße als Inbegriff aller nicht durch den Rechtszwang erfaßten und daher subjektiver Willkür anheimgestellten Handlungsbereiche. Auf keinen Fall vermag sie solcherart die unbedingte sittliche Legitimationsbasis zu bilden, von der aus die Geltungsansprüche des positiven Rechts abzuleiten wären. VI Aus all diesen methodischen Voraussetzungen ergeben sich für die Grundnormkonzeption Kelsens natürlich weitreichende Konsequenzen. Verstünde man nämlich die Grundnorm als transzendentale Voraussetzung der Geltung des positiven Rechts im Sinne der praktischen Philosophie Kants, so müßte sie als ein, wie Dreier zu Recht bemerkt, "Gebot der praktischen Vernunft"29, d. h. als ein praktisches Vernunft28 IU
H. Kelsen, Reine Rechtslehre, 97. R. Dreier, 44.
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prinzip konzipiert und angewendet werden. Diese Erwägung spricht Kant, und zwar interessanterweise im Rahmen einer der Grundnormdeduktion Kelsens ähnlichen Gedankenführung, auch ausdrücklich an, wenn er zur Grundlegung der Geltungskraft positiver Gesetze schreibt: "Es kann ... eine äußere Gesetzgebung gedacht werden, die lauter (positive) Gesetze enthielte; alsdenn aber müßte doch ein natürliches Gesetz vorausgehen, welches die Autorität des Gesetzgebers (d. i. die Befugnis, durch seine bloße Willkür andere zu verbinden) begründete."3o Kant bedient sich hier zwar einer traditionell-naturrechtlichen Terminologie. Systematisch gesehen ist dieses die Geltungskraft positiver Gesetzgebung begründende "natürliche Gesetz" aber nichts anderes als der von der Freiheit her gedachte sittliche Begriff des Rechts, der auf Grund seiner durch den Freiheitsbezug gewährleisteten Allgemeinheit und Formalität die transzendentale Anforderung (im praktischen Verständnis) erfüllen soll, institutionelle Regeln des Zusammenlebens von unbedingter und allgemeiner Verbindlichkeit zu formulieren, die im geschichtlichen Prozeß der Rechtsverwirklichung als permanente Anforderung an die Rechtsgestaltung Berücksichtigung finden sollen. Eine solche als praktisches Vernunftprinzip verstandene Grundnorm kann dann nicht allein auf die Richtigkeit des Verfahrens der Rechtserzeugung bzw. auf das Vorhandensein eines Mindestmaßes an gesellschaftlicher Wirksamkeit als geltungsbegründend bzw. geltungsbedingend abstellen, sondern muß notwendigerweise auch Faktoren inhaltlicher Art, nämlich solche der ethischen Rechtfertigung des positiven Rechts einbeziehen. Diese rechtsethischen Legitimationskriterien sind indes nicht als ein Komplex absoluter, natur rechtlich fundierter Gerechtigkeitsnormen zu verstehen, die eine Art deduktiver Metarechtsordnung bildeten. Es handelt sich vielmehr um sittliche Grundanforderungen an das positive Recht, die dieses beanspruchen, in seiner inhaltlichen Ausgestaltung grundlegenden Garantien freiheitlicher Selbstbestimmung zu genügen, und zwar unter Berücksichtigung der Geschichtlichkeit der konkret anzuwendenden Rechtsmaßstäbe 31 • Selbst wenn man in diesem Zusammenhang eine Pflicht zum unbedingten Rechtsgehorsam auch gegenüber ungerechten Normen postulierte, müßte ein solcher Gehorsamsanspruch nicht als voraussetzungslos gegeben bzw. als wissenschaftlich nicht mehr rechtfertigbar angesehen werden, sondern von der Grundnorm her (etwa im Zeichen des rechtlichen Friedensgebotes) rechtlich legitimiert werden. I. Kant, Metaphysik der Sitten, VIII, 331. In der Geschichtlichkeit des Rechtsrnaßstabes sieht F. Kaulbach, 106, den wesentlichen Unterschied zwischen einer transzendentalen Rechtsphilosophie und neukantianischen Ansätzen, "die sich dem Vorwurf ausgesetzt haben, die Wertmaßstäbe und Normen nur in einem formalen Sinne zu begreifen". 30 31
37 Festgabe Weinberger
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Da aber Kelsen die Grundnorm systemwidrig als transzendentallogische Voraussetzung vom Standpunkt der theoretischen Vernunft her zu begreifen sucht, geht seiner Grundnormkonzeption der Bezug auf die praktische Begründungsdimension des Rechts von vornherein verloren. Es ist ihm von diesem methodischen Standpunkt aus daher nicht möglich, ein rechtliches Sollen im Kontext des Gesamtraums menschlicher Praxis normativ zu begründen. Das Sollen wird so zu nichts anderem als zu einer Form logischer Verknüpfung im Horizont eines analog zur Kausalität gefaßten und durch ein kausal-mechanisches Erkenntnismodell wesentlich geprägten Zurechnungsbegriffes32 • Jedenfalls handelt es sich bei diesem Sollen um keinen sittlichen Begriff, der auf menschliche Willens- und Handlungsgrundlagen rückgebunden bliebe. Auf Grund dieser Eliminierung der ethisch-praktischen Begründungsdimension tritt eben das Bestreben in den Vordergrund, eine mit Rechtserkenntnistheorie gleichgesetzte Wissenschaftstheorie des Rechts zu formulieren. Eine solche Wissenschaftstheorie des Rechts vermag indes keine apriorischen Strukturen des Rechts aufzuweisen. Denn sie bleibt, ohne sich dessen bewußt zu sein, auf das zu systematisierende Rechtsmaterial, das empirisch vorliegt, und auf das dahinterstehende geschichtliche Rechtsverständnis angewiesen und darauf beschränkt, aus diesem empirischen Material im Wege der Abstraktion empirische Allgemeinbegriffe von hohem Formalisierungsgrad abzuleiten und dann unter formalen Ordnungsgesichtspunkten wiederum anzuwenden. Schon Hohenauer hat diesen Abstraktionsgesichtspunkt sehr präzise gesehen und betont, bei dieser Rechtslehre handle es sich "trotz ihrer strengsten logischen Objektivierung letzten Endes eben nur (um) das abstrakte Schema einer empirischen Rechtslehre"33. Die Grundnorm, deren Funktion es innerhalb dieser Rechtstheorie unter anderem ist, die Zuordnung des empirischen Rechtsmaterials zu einem einheitlichen Geltungsgrund zu bewirken und damit einen einheitlichen Gegenstand wissenschaftlicher Rechtsbetrachtung zu erzeugen, ist so gesehen eben kein Begriff von transzendentaler Dignität. Sie wird nicht reduktiv, unter Bezugnahme auf ein schlechthin geltendes sittliches Prinzip (wie das der Freiheit) im Lichte eines rechtsethischen Letztbegründungsanspruches, aufgewiesen, sondern fungiert als ein hypothetischer, abstraktiv gewonnener empirischer Allgemeinbegriff. 32 Zu Kelsens Begriff des Sollens kritisch W. Schild, Die Reinen Rechtslehren, 27 f.; weiters G. Winkler, Sein und Sollen, in: RECHTSTHEORIE, 10, 1979, 257 ff. 33 G. Hohenauer, Der Neukantianismus und seine Grenzen als Gesellschafts- und Rechtsphilosophie, in: Blätter für deutsche Philosophie, 2, 1928/
29,336.
Transzendentallogischer Stellenwert der Grundnormkonzeption Kelsens 579
VII Sieht man die Grundnorm als einen solchen empirischen Allgemeinbegriff an, so kann ihre prätendierte Wertneutralität, hier etwa die Unabhängigkeit von rechtsethischen Kriterien, nicht aufrechterhalten werden. Alles Recht ist in seiner geschichtlichen Erscheinungsform durch eine Vielzahl von normativ bedeutsamen Faktoren geprägt: Gerechtigkeitsvorstellungen, gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, Problemlösungsanforderungen, Interessenkonstellationen uvm. Abstrahiert man von diesen Faktoren, um auf grundlegendere Strukturen des Rechts Bezug nehmen zu können, so wird damit zwar ein inhaltsärmerer, aber doch kein rein formaler Rechtsbegriff gewonnen, da für jede Abstraktion normativ leitende Gesichtspunkte bestimmend bleiben. So verhält es sich eben auch beim Rechtsbegriff, der der Grundnorm zu Grunde liegt. Die bekannte Formulierung der Grundnorm: "Zwangsakte sollen gesetzt werden unter den Bedingungen und auf die Weise, die die historisch erste Staatsverfassung und die ihr gemäß gesetzten Normen statuieren"34, weiters die ausdrückliche Ausklammerung von dem positivierten Recht "transzendenten Werten"35 der Gerechtigkeit bzw. das Abstellen auf die "im großen und ganzen" gegebene Effektivität, all diese Faktoren weisen doch auf einen ganz spezifischen Rechtsbegriff hin, der von methodischen Vorentscheidungen abhängig ist und keinesfalls überzeitliche Qualität besitzt. In diesem Rechtsbegriff spielt zunächst einmal ganz offensichtlich das Zwangsmoment eine zentrale Rolle, demgegenüber alle anderen, gleichermaßen wichtigen gesellschaftlichen Funktionen des Rechts allzusehr in den Hintergrund treten. Weiters bedeutsam ist der für die Rechtsquellenlehre maßgebliche Gedanke der umfassenden Positivität des Rechts, der die Anerkennung von vorauszusetzenden, die positivierten Rechtsnormen je überschreitenden Gerechtigkeitsprinzipien ausschließt. Eine wichtige Funktion besitzt im weiteren auch der abstrakte Rekurs auf die "im großen und ganzen" bestehende Effektivität der Rechtsordnung, weil dadurch die Frage nach den rechtfertigenden Voraussetzungen der Pflicht zum Rechtsgehorsam ausgeklammert wird. So gesehen steht, allgemein gesagt, ein Bild vom Recht im Vordergrund, das im Zeichen eines technisch-praktischen Erkenntnisinteresses wesentlich durch den Gedanken der instrumentellen Steuerung, der möglichst störungsfreien Organisation gesellschaftlicher Prozesse geprägt ist, wobei geschichtlich gesehen die Industriegesellschaft mit ihren speziellen Leistungsanforderungen und die Idee des liberalen Rechts- und Verfassungsstaates für dieses Rechtsverständnis prägende Wirkung besitzen. H. Kelsen, Reine Rechtslehre, 203 f. Vgl. H. Kelsen, Reine Rechtslehre, 204: "In der Voraussetzung der Grundnorm wird kein dem positiven Recht transzendenter Wert bejaht." 34
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Trotz dieser unzugestandenen Abstraktionen besitzt die Grundnormkonzeption Kelsens ohne Zweifel einen hohen pragmatischen Wert. Als Basis eines formalen, im Sinne eines "dynamischen"36 Normtypus auf das Verfahren der Rechtserzeugung zentrierten Geltungsbegriffes vermag sie im Hinblick auf die strukturelle Erfassung des positivierten Rechtsmaterials bzw. auf die Beantwortung von Geltungsproblemen im Lichte derogatorischer Zusammenhänge uam. wichtige Aufgaben zu erfüllen und Erkenntnisse zu vermitteln. Ebenso manifest sind aber auch die Grenzen dieses Ansatzes. Sie zeigen sich, um nur einen Aspekt abschließend herauszugreifen, mit besonderer Deutlichkeit etwa dann, wenn man Geltung im Rahmen eines erweiterten Rechtsquellenverständnisses zu begreifen sucht und zu diesem Zwecke nicht nur in Gesetzesform positivierte Rechtsvorschriften, sondern auch andere Rechtsquellen, wie etwa Rechtsprinzipien einbezieht. In diesem Fall kann mit der "spezifischen Existenz" von Normen nicht bloß der abstrakte Bestand von positivierten Rechtsvorschriften bezeichnet werden, die ihnen die Qualität zuspricht, Teil einer geltenden Gesamtrechtsordnung zu sein. Geltung muß dann vielmehr die rechtlichen Normen in ihrer konkreten praktischen Wirklichkeit miterfassen, wie sie durch die Rechtsanwendung bzw. durch die Rechtswissenschaft unter Einbeziehung von rechtsethischen Prinzipien- und Wertungsabwägungen aktualisiert werden und dadurch erst konkrete Gestalt erhalten. Geht man also von der Annahme aus, daß die Rechtspraxis ohne solche rechtsethischen Prinzipienerwägungen nicht auskommen kann, so vermag die Grundnorm Kelsens diesen, die Idee der Geschlossenheit des Rechtserzeugungszusammenhanges positiver Gesetzgebung durchbrechenden Aspekt der Geltung von rechtsethisch legitimierten Rechtsprinzipien nicht zu erfassen. Daran wäre allerdings auch nichts geändert, wenn man die Grundnorm Kelsens, wie es Dreier versucht, durch eine ethische Geltungskomponente erweiterte, um damit, im Sinne von Radbruchs Auffassung vom "gesetzlichen Unrecht" eine Begrenzung des Geltungsanspruches rechtlicher Normen durch sittliche Kriterien zu erreichen. Diese Ergänzung mag für den Grenzfall inhumaner Bedrohung durch Rechtsnormen, die ein Minimum an ethischer Rechtfertigungsfähigkeit unterschreiten, von größter Wichtigkeit sein, hat aber für die alltägliche Konkretisierung von Recht unter Einbeziehung rechtsethischer Prinzipien nur begrenzte Bedeutung. Wenn daher Dreier eine vernunftrechtliche Uminterpretation der Grundnorm Kelsens postuliert, so ist ihm dabei in seinem Anliegen einer "Rehabilitierung der prakti36 Zur Unterscheidung zwischen dem "statischen" und dem "dynamischen" Normtypus vgl. H. Kelsen, Reine Rechtslehre, 198 ff.
Transzendentallogischer Stellenwert der Grundnormkonzeption Kelsens 581 schen Philosophie" auch im Recht völlig beizupflichten. Allerdings muß festgehalten werden, daß eine solche vernunftrechtliche Modifikation keineswegs eine bloße Ergänzung der Grundnormkonzeption darstellt, sondern darauf angewiesen ist, völlig andere, mit Kelsens Ansatz unverträgliche systematische Voraussetzungen einzubringen.
Bemerkungen zum Verhältnis zwischen der Gesetzesinterpretation und der Auslegung von Rechtsgeschäften Von Theo Mayer-Maly, Salzburg Es gilt heute als eine Selbstverständlichkeit, daß zwischen der Gesetzesinterpretation und der Auslegung von Rechtsgeschäften ein Unterschied zu machen sei. Diesen sieht man - natürlich mit unzähligen Formulierungsvarianten - darin, daß das Ziel der Auslegung von Rechtsgeschäften die Ermittlung eines Verständnisses sei, das für jene Personen gelten soll, die dieses Rechtsgeschäft zustande gebracht haben. Dagegen wird es als Ziel der Gesetzesauslegung angesehen, einen Gesetzessinn zu ermitteln, der für alle Normadressaten gelten soll. Unter diesem Aspekt dominieren für die Gesetzesauslegung objektive Faktoren, während die Auslegung der Rechtsgeschäfte - freilich in den Grenzen der weithin angenommenen Lehre vom Empfängerhorizont 1 stärker subjektive Züge trägt. In seiner berühmten "Rechtslogik" (1970) hebt Dta Weinberger (S. 340) die "Interpretation von individuellen Rechtsakten und Willensäußerungen" deutlich von der "Interpretation von Rechtsvorschriften" ab. Bydlinskis bedeutendes Methodenwerk2 widmet der "Abgrenzung von Gesetzesinterpretation und Auslegung von Rechtsgeschäften" einige Seiten. In allen Standardwerken der Methodenlehre und des Zivilrechts wird der Unterschied der Auslegungsweise nach dem Auslegungsobjekt unterstrichen3 • In Rechtsordnungen, die zur Positivierung von Auslegungsgrundsätzen neigen, stößt man folgerichtig auf unterschiedliche Vorschriften für die Auslegung von Gesetzen einerseits, von Rechtsgeschäften andererseits. So handelt art. 12 der den italienischen Codice civile einleitenden "Disposizioni sulla legge in generale" von der GesetzesinterVgl. etwa Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft5 (1983), S. 287. Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff (1982), S. 465 - 467. 3 Vgl. bei Larenz (Fn 1) S. 298 ff. gegenüber S. 285 ff.; bei Koziol! WeIser, Grundriß des bürgerlichen Rechts 16 (1983) S. 17 ff. gegenüber S. 73 ff. KoziolWeIser machen freilich auch die interessante Beobachtung, daß bei der Auslegung von Willenserklärungen - "genauso wie bei der Gesetzesauslegung zunächst vom Wortsinn in seiner gewöhnlichen Bedeutung l:!uszugehen"- sei. 1 2
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pretation (und stellt dabei auf Wortbedeutung und gesetzgeberische Absicht ab), während die art. 1362 - 1371 für die Vertragsinterpretation auf die "commune intenzione" abstellen und sich gegen eine Beschränkung auf den bloßen Wortsinn wenden. Im geltenden österreichischen Recht formulieren die §§ 6 und 7 des ABGB die Grundsätze der Gesetzesauslegung, während sich die Vertragsauslegung nach den §§ 914 und 863 ABGB richtet. § 6 ABGB stellt auf die eigentümliche Bedeutung der Worte in ihrem Zusammenhang und auf die klare Absicht des Gesetzgebers ab, während nach § 914 ABGB nicht am "buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften", sondern die Absicht der Parteien zu erforschen und der Vertrag so zu verstehen ist, wie es der Übung des redlichen Verkehrs entspricht; vor allem die Orientierung an dieser Übung hat auch im österreichischen Recht der Lehre vom Empfängerhorizont Anerkennung verschafft. Im Recht der Bundesrepublik Deutschland gibt es weniger allgemeine Vorschriften über die Auslegung, vor allem über die Auslegung von Gesetzen. Offenbar war und ist hier die Überzeugung wirksam, es sei müßig die Auslegung zu normieren, weil es bei ihr ohnedies um nichts anderes als um geordnetes, richtiges Denken gehe. Dieses Defizit an gesetzlichen Regeln über die Gesetzesinterpretation hat aber die Entwicklung der verbreiteten Auffassung' begünstigt, auch die Gesetzesinterpretation richte sich nach § 133 BGB, der für die Auslegung einer Willenserklärung bestimmt, daß der wirkliche Wille zu erforschen sei und man nicht am buchstäblichen Sinne des Ausdrucks haften dürfe. Die auch in der Bundesrepublik Deutschland durchgesetzte Korrektur der Willenserforschung zugunsten einer Orientierung am Horizont des Erklärungsempfängers läßt sich erst dann aus dem Gesetz legitimieren, wenn man § 133 BGB mit § 157 BGB zusammenhält. Es ist kein Zufall, daß just ein österreichischer Kommentator des BGB5 Bedenken dagegen vorgetragen hat, daß man die Gesetzesinterpretation derselben Vorschrift unterstellt, die für die Auslegung rechtsgeschäftlicher Willenserklärungen gelten soll. Allerdings hat der nämliche Autor6 auch einmal versucht, den traditionellen Gegensatz zwischen der Gesetzesauslegung und der Interpretation von Rechtsgeschäften zu relativieren. Wie sich das eine mit dem anderen verträgt, soll im folgenden aufgezeigt werden. Zugleich soll an eine viel zu wenig beachtete Phase der österreichischen Rechtsgeschichte - genauer: der , Enneccerus / Nipperdey, Allgemeiner Teil des bürgerlichen Rechts (1959), S. 324; Hefermehl, in: Soergel/ Siebert, Komm. z. BGB 111 (1978) Anhang zu § 133; aus der Judikatur vgl. BGHZ 2, 176, 184; BGHZ 3, 82, 84; BGHZ 13, 28,30. S Mayer-Maly, in MünchKomm z BGB 11 (1978) § 133, RdNr. 41. 6 Mayer-Maly, JBl 1969, S. 413, S. 415.
Gesetzesinterpretation und Auslegung von Rechtsgeschäften
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Entwicklung der österreichischen Bestimmungen über die Interpretation - erinnert werden. Die hergebrachte Gegenüberstellung von Gesetzesinterpretation und Auslegung von Rechtsgeschäften ist durch die Entwicklung neuer Regelungsformen und rechtsgeschäftlicher Gestaltungen in manche Verlegenheit gebracht worden. Insbesondere jenes Instrument der kollektiven Rechtsgestaltung, das man in Deutschland Tarifvertrag und in Österreich Kollektivvertrag nennt, bereitet Schwierigkeiten, wenn es ausgelegt werden sol17. Die österreichischen Gerichte haben sich sehr radikal für die Maxime ausgesprochen, Kollektivverträge seien wie Gesetze - also nach den §§ 6 und 7 ABGB - auszulegens. Unverkennbare Funktion dieser Maxime ist es, sich die Zeugeneinvernahme von Verhandlungskomitees zu ersparen, wenn sich wieder einmal ein Kollektivvertragstext als dunkel erweist. Unbestreitbar ist freilich, daß der Kollektiv- (bzw.) Tarifvertrag als ein Text, der für einen nur nach Gattungsmerkmalen bezeichneten Personenkreis gelten soll, so zu verstehen ist, wie er sich für jedermann aus der normunterworfenen Gruppe darstellt. Da aber diese Gruppe viel kleiner ist, als der Kreis, an den sich Gesetze wenden, können Besonderheiten der Branche, aber auch Elemente aus der Vor- und Entstehungsgeschichte der kollektiven Regelung größere Bedeutung erlangen als im Rahmen der gewöhnlichen Gesetzesauslegung. Auch an seiner Position zwischen Gesetzesund Vertragsinterpretation erweist sich die Doppeigesichtigkeit des Kollektiv-(Tarifvertrages): Er ist eben Vertrag und generelle Norm zugleich. Während die Auslegung des Kollektivvertrages auch dann, wenn man die Radikalität der österreichischen Judikatur zum Thema ablehnt, mehr der Gesetzes- als der Vertragsinterpretation zu folgen hat, richtet sich die Auslegung von allgemeinen Geschäftsbedingungen und anderen "typischen" Willenserklärungen9 mehr nach den Grundsätzen der Vertrags- als denen der Gesetzesinterpretation. Auch sie aber steht zwischen der einen und der anderen Auslegungsweise. Auch bei ihr spricht der zu interpretierende Text einen zunächst nicht individuell abgegrenzten Personenkreis an, dessen Angehörige keinen Einfluß auf die Textgestaltung nehmen können. Der Umstand, daß das Regelwerk erst durch eine Einbeziehungsvereinbarung Rechtsgeltung erlangt, mag es 7 Dazu vor allem Ananiadis, Die Auslegung von Tarifverträgen. 1974; vgl. ferner Cessari, L'interpretazione dei contratti collettivi, 1963; Zöllner, RdA 1964, S. 443 ff.; Buchner, AR-Blattei "Tarifvertrag IX: Auslegung"; aus der deutschen Spruchpraxis BAG AP Nr. 121 und 124 zu § 1 TVG Auslegung. S So etwa OGH Arb 9198 = ZAS 1975, S. 221; vgl. Kuderna, DRdA 1975, S. 161 ff.; ZAS 1981, S. 203 ff.; kritisch Steindl, JBl 1983, S. 115 ff. 9 Vgl. BGHZ 7, 365, 369.
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rechtfertigen, daß die Objektivierung seiner Auslegung weniger weit vorangetrieben wird als beim Kollektivvertrag. Es kann somit festgehalten werden, daß sich in der neueren Rechtsentwicklung Tendenzen zeigen, den Gegensatz zwischen der Gesetzesinterpretation und der Auslegung von Rechtsgeschäften zumindest für neuartige Regelungsinstrumente, die sowohl etwas vom Vertrag wie auch etwas von der objektiven Norm haben, zu relativieren. Diese Beobachtung gibt Anlaß dazu, sich daran zu erinnern, daß das österreichische Gesetzesrecht zwischen 1811 und 1916 gar keinen Gegensatz zwischen der Gesetzesinterpretation und der Auslegung von Rechtsgeschäften gekannt hat. Nahezu vergessen ist, daß § 914 des ABGB von 1811 folgende Anordnung enthielt: "Die im ersten Teile (§ 6) in Hinsicht auf die Auslegung der Gesetze angeführten allgemeinen Regeln gelten auch für Verträge. Insbesondere soll ein zweifelhafter Vertrag so erklärt werden, daß er keinen Widerspruch enthalte und von Wirkung seL" Erst unter dem Eindruck des § 133 des deutschen BGB wurde die bis dahin bestehende Gemeinsamkeit zwischen Gesetzes- und Vertragsauslegung mit der III. Teilnovelle aufgegeben10 • Rechtsprechung und Lehre hatten allerdings schon längst Unterschiede zwischen der Vertrags- und der Gesetzesauslegung anerkannt. So sagte der OGH 1903 zu einer Konkurrenzklausel mit einem sehr unbestimmten Ausdruck, es stehe dem Gericht nur zu, "den Willen der Parteien zum Zwecke der Auslegung des Vertrages zu erforschen"l1. Krainz-Ehrenzweig12 lösten sich von der Bindung an die Wortbedeutung, indem sie sagten, daß dann, wenn dem Erklärungsempfänger bekannt war, daß der Erklärende an eine bestimmte Bedeutung unmöglich gedacht haben könne, diese nicht relevant sei. Einflußreich war Art. 278 AHGB, der es dem Richter auftrug, den Willen der Kontrahenten zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften. Stubenrauch13 meinte sogar, diese Bestimmung sei auch im allgemeinen Privatrecht anwendbar, da sie mit § 914 ABGB übereinstimme. So sah man nur, was man sehen wollte. Der Gedanke, die Vertragsauslegung den Grundsätzen der Gesetzesinterpretation zu unterstellen, entstammt dem Entwurf MartinP4. Dort hieß es in § 45 des 1. Hauptstücks des 3. Teiles: 10 Vgl. S. 151 des Berichtes der Kommission f .. Justizgegenstände, 78 der Beilagen zu den stenographischen Protokollen des Herrenhauses, 1912. 11 GLUNF 2357. 12 System des österr. allg. Privatrechts 14 (1905), S. 278. 13 Commentar zum österr. ABGB 118 (1903), S. 96. 14 Vgl. Harras v. Harrasowsky, Der Codex Theresianus und seine Umarbeitungen V (1886), S. 164.
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"Die allgemeinen Regeln, nach welchen die Gesetze ausgelegt werden müssen (1. Teil, 1. Hauptstück, §§ 11 und 12), lassen sich auch auf die Verträge überhaupt anwenden. Besonders aber soll ein Vertrag, dessen Sinn mit Grunde bezweifelt wird, so erklärt werden, daß die übereinkunft auf keinen Widerspruch hinaus laufe und, wenn es möglich ist, von einer Wirkung sei; was ganz unverständlich ist, soll auch ohne Wirkung sein." Der zweite Teil dieses Textes zeigt, daß das heutige Streben nach Vertragserhaltung und Vertragsergänzung der Gesinnung der Vorentwürfe zum ABGB und dessen ursprünglichem Konzept näher steht als der Rechtsprechung der Zeit um die Jahrhundertwende (wie GIUNF 2357 gezeigt hat) und dem Geist der 111. Teilnovelle. Unter diesem Aspekt sei besonders auf die gehaltvolle Monograhie von J ohannes Hager über "Gesetzes- und sittenkonforme Auslegung und Aufrechterhaltung von Rechtsgeschäften" (1983) hingewiesen. Vor dem Entwurf Martini gab es keine Bestimmungen über die Gesetzesinterpretation, denen man die Vertragsauslegung unterstellen hätte können. Sowohl der Codex Theresianus wie der Entwurf Horten stellten Interpretationsverbote auf und verlangten vom zweifelnden Richter eine Rückfrage beim Gesetzgeber l5 • Bei der Auslegung von Verträgen sollte nach dem Codex Theresianus16 "aus der Bedeutung der Worte oder aus anderen Umständen und Anzeigen die wahrscheinliche Willensmeinung der Kontrahenten ergründet werden". Nach dem Entwurf Horten17 sollte es bei der Vertragsauslegung in erster Linie (allerdings: "wenn nichts anderes deutlich erhellet") auf jene Bedeutung der Worte ankommen, die ihnen "insgemein in Handel und Wandel beigelegt wird". Haben Worte nur in einer weniger gemeinen Bedeu.:. tung eine gute Wirkung, so kommt diese zum Zug. Das Streben nach Aufrechthaltung von Vereinbarungen ist auch hier spürbar. Sind die Worte der Kontrahenten so zweifelhaft, "daß der Sinn der Kontrahenten daraus nicht abgenommen werden könnte" (Entwurf Horten 111 1, 87), werden sie so ausgelegt, "wie sie der Natur und Eigenschaft der geschlossenen Handlung gemäß sind". Diese vor der Zusammenfassung von Gesetzes- und Vertragsinterpretation durch den § 914 des ABGB von 1811 liegende Interpretationslehre hatte bemerkenswert objektivierende Züge. Andererseits ergibt sich aus ihr doch, daß wir es beim Verhältnis zwischen der Gesetzesauslegung und der Interpretation rechtsgeschäftlicher Erklärungen mit einem wechselvollen Verlauf zu tun haben. Zunächst wurden - in 15 Codex Theresianus I 5, S. 81 (Harras v. Harrasowsky (Fn 14) I , S. 49 f.). Entwurf Horten I 1, 31 (Harras v. Harrasowsky IV 22 f.); dazu eindrucksvoll Schott, Rechtsgrundsätze und Gesetzeskorrektur, 1975. 18 In 1, S. 172 (Harras v. Harrasowsky In, S. 45). 17 In 1, S. 85 - 88 (Harras v. Harrasowsky IV, S. 327).
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Österreich (weiter ausgreifende vergleichend-rechtsgeschichtliche Analysen würden das Bild beleben) - Grundsätze für die Vertragsinterpretation aufgestellt. Dann hat man die Vertragsinterpretation den Regeln der Gesetzesauslegung unterworfen. Schließlich wurden für Gesetze und Rechtsgeschäfte gesonderte Interpretationsgrundsätze positiviert. Aus dieser rechts geschichtlichen Beobachtung ergibt sich vor allem: Auch das Verhältnis zwischen der Gesetzesinterpretation und der Auslegung von Rechtsgeschäften unterliegt dem Wandel, damit auch der rechtspolitischen Entscheidung. Es gibt zwar Argumente für die Zweckmäßigkeit oder Unzweckmäßigkeit dieser oder jener Gestaltung, nicht aber einen durch eine Natur der Sache erzwungenen und deshalb unüberwindlichen Gegensatz zwischen den beiden Bereichen der juristischen Hermeneutik. Unter dem Aspekt der Zweckmäßigkeit spricht viel dafür, bei der Interpretation von Gesetzen und anderen Normen des objektiven Rechts mit einem nur nach Gattungsmerkmalen bestimmten Adressatenkreis anders vorzugehen als bei der Auslegung rechtsgeschäftlicher Erklärungen. Es fällt ja in der Tat entscheidend ins Gewicht, ob ein auszulegender Text nur für die selbst an seiner Gestaltung beteiligten Personen oder auch für Dritte gelten soll. Doch wäre es wie bei so vielen rechtlichen Themen falsch, einen einmal erkannten Unterschied zum Schema zu erheben und mit starrem Doktrinarismus nach allen Seiten hin zu verteidigen. Der richtige Weg wird dann gefunden, wenn man versucht, das Auslegungsverfahren der Eigenart des auszulegenden Textes anzupassen. Daher sind Kollektiv- und Tarifverträge nicht schematisch wie Gesetze zu interpretieren, aber doch insoweit wie diese zu behandeln, als die Weite des Kreises der Normadressaten Berücksichtigung verdient. Ebenso sind in Verträge eingegangene allgemeine Geschäftsbedingungen nicht schematisch wie andere Vertragsbestandteile auszulegen; es ist bei ihnen dann, wenn keine realistische Abänderungschance bestanden hat, von ihrem objektiven Sinn auszugehen. Daß die Sätze des Verfassungs rechts nicht ebenso wie die Sätze des einfachen Gesetzesrechts auszulegen sind, dürfte ungeachtet aller Diskussionen um die Eigenart der Verfassungsinterpretation feststehen. So läßt sich abschließend jedenfalls für die Interpretation sagen, daß bei ihr nicht die Methode den Gegenstand, sondern das Objekt die Methode bestimmt.
Der Algorithmusbegriff im Lichte juristischen Problemlösungsverhaltens Von Leo Reisinger, München Vorbemerkung: Die Problemstellung Bisher stellen die rechtstheoretischen Versuche, Aspekte des juristischen Problemlösungsverhaltens, insbesondere der juristischen Einzelentscheidungen, durch formale Methoden zu beschreiben, noch immer eher die Ausnahme als die Regel dar. Ein wesentlicher Grund hierfür scheint mir zu sein, daß der in den Formalwissenschaften verwendete Algorithmusbegriff derart einschränkend definiert ist, daß er wesentliche Aspekte juristischer Problemlösungstechniken nicht adäquat erfassen kann. Es liegt daher nahe zu untersuchen, inwieweit eine "Aufweichung" des traditionellen Algorithmusbegriffes hier zu für Rechtstheorie und Rechtsinformatik günstigeren Ergebnissen führen kann. Dieses Anliegen versuche ich im vorliegenden Aufsatz zu realisieren. Zu diesem Zweck diskutiere ich in Abschnitt I einige der wichtigsten Forschungsergebnisse der Algorithmentheorie, also jener Disziplin, deren zentrales Anliegen die exakte Formulierung des normalerweise nur intuitiv gegebenen Algorithmusbegriffes ist. In den Abschnitten 11 und III skizziere ich dann zwei Ansätze, die mir gerade im Hinblick auf eine Erweiterung des klassischen Algorithmusbegriffes interessant erscheinen: die Theorie der Heuristischen Programmierung und die Theorie unscharfer Mengen (Theory of Fuzzy Sets). In Abschnitt IV versuche ich schließlich eine begriffliche Strukturierung anzugeben, welche die genannten Ansätze im Prinzip abdeckt und vereinheitlicht. Dieser Vorschlag soll insbesondere auch einen begrifflichen Rahmen für jene Verarbeitungsformen abgeben, die dem juristischen Problemlösungsverhalten entsprechen. I. Zu den Ergebnissen der Algorithmentheorie An den Beginn dieses Abschnittes möchte ich zwei Definitionen stellen, die für die intuitive Fassung des Algorithmusbegriffes typisch sind: "Ein Algorithmus ist ein determiniertes, allgemeines Verfahren, das, auf Anfangsdaten angewandt, nach endlich vielen Schritten zur
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Lösung führt"! und "A procedure consisting of a finite set of unambiguous rules which specify a finite sequence of operations that provides the solution to a problem, or to a specific class of problems, is called an algorithm."2 Gemäß dieser und ähnlicher Definitionen werden als konstitutiv für den Begriff "Algorithmus" regelmäßig die folgenden Merkmale genannt: -
Ein Algorithmus ist determiniert in dem Sinn, daß die Einzelschritte (Regeln) und die Reihenfolge ihrer Anwendung verständlich und eindeutig formuliert sind. Jeder, der diese Regeln anwendet, kommt - für gleiche Anfangsdaten - zu gleichen Ergebnissen.
-
Ein Algorithmus ist endlich in dem Sinn, daß die Anwendung der Regeln auf die Anfangsdaten nach endlich vielen Schritten zur Lösung führt.
-
Ein Algorithmus ist allgemein in dem Sinne, daß durch ihn die Lösung einer ganzen Klasse von Problemen beschrieben wird und nicht nur die eines konkreten Falles. Die Eigenschaft der Allgemeinheit wird nicht von allen Autoren als konstitutiv für den Algorithmusbegriff angesehen (vgl. die oben gegebene zweite Definition).
Begriffe wie "allgemein verständlich" und "eindeutig formuliert" sind nun relativ unscharf. Die Entwicklung der Algorithmentheorie kann daher als der Versuch gedeutet werden, einen Algorithmusbegriff zu formulieren, der den hohen Anforderungen des formalwissenschaftlichen Denkens genügt. Ausgangspunkt dieses Bemühens sind numerische Algorithmen gewesen. Darauf weist bereits das Wort "Algorithmus" hin, das auf den N amen des islamischen Mathematikers Al Chwarismi zurückzuführen ist. (Al Chwarismi hatte sich im 9. Jahrhundert mit Regeln befaßt, um die vier arithmetischen Grundrechnungsarten und Umformungen in algebraischen Ausdrücken durchzuführen.) In der Tat definieren manche Autoren den Algorithmusbegriff explizit als "Berechnungsregel" .8 Unter diesem Aspekt liegt es nahe, den Begriff "Algorithmus" mit der Berechenbarkeit von Funktionen zu verbinden, da die Berechenbarkeit ! R. Herschel, Einführung in die Theorie der Automaten, Sprachen und Algorithmen, R. Oldenbourg Verlag, München - Wien 1974, S. 158. 2 L. I. Kronsjö, Algorithms: Their Complexity and Efficiency, J. Wiley, Chichester - New York - Brisbane - Toronto 1979, S. 1. 3 Vgl. z. B. J. Loeckx, Algorithmentheorie, Springer-Verlag, Berlin - Heidelberg - New York 1976, S. 8, 11.
Algorithmusbegriff im Lichte juristischen Problemlösungsverhaltens
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einer Funktion gewissermaßen die Urform eines Algorithmus darstellt.4 1931 hatte Gödel bewiesen, daß die Theorie der natürlichen Zahlen nicht durch eine axiomatische Theorie definiert werden kann; genauer gesagt: eine axiomatische Theorie für natürliche Zahlen ist entweder unvollständig (d. h. es gibt wahre Aussagen, die nicht als Sätze aus den Axiomen abgeleitet werden können) oder inkonsistent (d. h. die Axiome führen zu Sätzen, die widersprüchliche Aussagen darstellen). Damit war bewiesen, daß es abzählbare Mengen gibt (z. B. die Menge aller wahren Aussagen über die natürlichen Zahlen), deren Abzählung aber nicht durch ein axiomatisches System geleistet werden kann. Somit hatte Gödel als erster eine Funktion entdeckt, die nicht berechenbar ist, nämlich die Abzählungsfunktion der Menge aller wahren Aussagen über die natürlichen Zahlen.
Im Jahre 1934 definierten Herbrand und Gödel dann eine Klasse von Funktionen, die rekursiven Funktionen, in der alle bis dahin berechenbaren Funktionen enthalten waren. 1936 präzisierten Church und Kleene den Begriff "Berechenbarkeit" auf andere Weise (Lambda-Kalkül). Man konnte nachweisen, daß diese Lambda-Definierbarkeit mit den rekursiven Funktionen identisch ist, und Church sprach seine berühmte These aus, daß der intuitive Begriff "Berechenbarkeit" identisch mit der Klasse der rekursiven Funktionen (genauer: partiellrekursiver Funktionen) ist, d. h. jede berechenbare Funktion ist rekursiv. 1937 veröffentlichte Turing seine grundlegenden Arbeiten. Er identifizierte den Begriff "Berechenbarkeit" mit dem, was ein bestimmter Automat, eben die Turingmaschine, ausführen kann. Noch im selben Jahr konnte er zeigen, daß seine Definition mit der Lambda-Definierbarkeit von Church und damit auch den rekursiven Funktionen identisch ist. Seitdem gilt die Turingsche These, daß der intuitive Begriff Berechenbarkeit identisch ist mit der Berechnung durch Turingmaschinen. Damit lagen Ende der dreißiger Jahre drei äquivalente Formulierungen von Berechenbarkeit vor.
Eine zweite - weniger umfangreiche - Linie in der Präzisierung des Algorithmusbegriffes läßt sich bei nichtnumerischen Algorithmen, insbesondere im Zusammenhang mit gewissen Problemen der Theorie von Halbgruppen, nachweisen. Der norwegische Mathematiker Thue hatte diese Probleme bereits 1914 aufgeworfen (vgl. die sogenannten "Semi-Thue-Systeme"). Markov gelang es 1954, die Anwendung der Regeln in einem Algorithmus in eine normierte Form zu bringen (Nor.. Die folgende historische Skizze der Algorithmenhteorie ist Herschel, 1), S. 158 ff., und Loeckx, (Fn 3), S. 12 f. entnommen.
~Fd
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mal algorithmus oder Markovscher Algorithmus). Mit Hilfe der Gödelisierung kann man Algorithmen über einem Alphabet auf solche zur Berechnung von Funktionen zurückführen. 1958 gelang dann der Beweis, daß sich jeder Normalalgorithmus auf eine rekursive Funktion und umgekehrt zurückführen läßt. Dies bestätigt die von Markov aufgestellte These, daß jeder Algorithmus durch einen äquivalenten Normalalgorithmus darstellbar ist. Damit läßt sich der intuitive Algorithmusbegriff durch drei Begriffe formalisieren: den Begriff der rekursiven Funktion (Church), den Begriff der Turingmaschine (Turing), den Begriff des Normalalgorithmus (Markov). Diese drei Begriffe (bzw. die entsprechenden Theorien) wurden durch die Thesen von Church, Turing und Markovals äquivalent behauptet. Es erscheint wichtig festzuhalten, daß diese Thesen nicht in einem formalen System bewiesen werden können, da Begriffe wie "jeder Algorithmus" oder "jede berechenbare Funktion" keine brauchbaren mathematischen Definitionen zulassen. Da es bis heute jedoch nicht gelungen ist, einen Algorithmus anzugeben, der sich nicht als Normalalgorithmus oder rekursive Funktion schreiben läßt oder nicht Turing-berechenbar ist, werden die Thesen in den Formalwissenschaften heute allgemein als wahr akzeptiert. Es ist nicht sinnvoll, an dieser Stelle auf die formale Beschreibung der angedeuteten Begriffe einzugehen. Hierzu verweise ich auf das einschlägige Schrifttum.5 Von gewisser Bedeutung ist jedoch die Auflistung der folgenden Probleme, von denen man zeigen kann, daß sie für beliebige Turing-Maschinen bzw. ihre Programme nicht algorithmisch gelöst werden können6 : Sind zwei beliebig vorgebbare Programme verhaltensäquivalent, d. h. berechnen sie die gleichen Funktionen? Läßt sich ein beliebig vorgebbares Programm voll reduzieren auf ein kürzeres, aber äquivalentes Programm? -
Stoppt eine beliebig vorgebbare Turingmaschine oder läuft sie ewig weiter ("Halteproblem")?
5 Vgl. z. B. neben den Einführungen von Hersehel, Kronsjö und Loecks noch M. A. Arbib, Theories of Abstract Automata, Prentice-Hall, Englewood Cliffs 1969; W. S. Brainerd / L. H. Landweber, Theory of Computation, J. Wiley, New York 1974; E. Engeler, Introduction to the Theory of Computation, Academic Press, New York 1973; N. D. Jones, Computability Theory, Academic Press, New York 1973; R. Kurki Suonio, Computability and Formal Languages, Auerbach Publ., Princeton (N. J.), 1971; M. Minsky, Computation: Finite land Infinite Machines, Prenti;ce-Hall, Englewood Cliffs, 1967. 6 Vgl. A. Schmitt, Automaten Algorithmen - Gehirne, Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M., 1971, S. 137 ff.
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Es sei hier angemerkt, daß diese Probleme für endliche Automaten (z. B. auf einem Computer mit nur endlich viel Speicherraum) algorithmisch gelöst werden können, zumindest theoretisch. In praxi ist dies jedoch auch hier wegen der großen Anzahl möglicher Zustände häufig nicht möglich. Diese Bemerkungen weisen auf die engen Beziehungen zwischen Algorithmentheorie und Informatik hin. Tatsächlich ist die Ähnlichkeit zwischen Computerprogrammen und Algorithmen evident. Abgesehen von den Befehlen für Eingabe und Ausgabe sind Algorithmen die von der Notation der Programmiersprachen abstrahierten Programme. Umgekehrt können Computerprogramme als in einer bestimmten Sprache formulierte Algorithmen gedeutet werden. Insbesondere ist daher die Algorithmentheorie eng verwandt mit der Theorie der Programmierung (Theory of Computation), einer im Entstehen begriffenen Sub disziplin der Informatik. Die in dieser Theorie eingeführten Formalismen, wie z. B. die IF-THEN-ELSE-Konstruktion haben ihren Ursprung in den Programmiersprachen. Eines der wichtigsten Ziele der Theorie der Programmierung ist es, Methoden zu entwickeln, welche die Korrektheit eines Programmes zu beweisen gestatten. Weiters sind hierher die Grundsätze des Struktuierten (Normierten) Programmierens zu zählen (vgl. Abschnitt IV). Zusammenfassend läßt sich daher die Bedeutung der Algorithmentheorie für Rechtstheorie und Rechtsinformatik wie folgt charakterisieren: -
Die Algorithmentheorie hat den intuitiven Algorithmusbegriff durch mehrere äquivalente Formulierungen mathematisch präzisiert.
-
Sie hat die Existenz unlösbarer Probleme und damit prinzipielle Grenzen algorithmischer Lösungstechniken nachgewiesen.
-
Diese imponierenden Ergebnisse sind durch die Reduktion des Problembereiches "Algorithmus" auf die syntaktische Dimension erreicht worden. Insbesondere pragmatische Aspekte werden im Rahmen der Algorithmentheorie völlig ausgeklammert. Damit sind die Ergebnisse der Algorithmentheorie für reale Entscheidungsprobleme nur sehr eingeschränkt verwertbar.
Dieser - aus dem Blickwinkel der Praxis - gravierende Nachteil leitet zu dem nächsten zu skizzierenden Ansatz über, nämlich zur Heuristischen Programmierung.
38 Festgabe Weinberger
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11. Zu den Prinzipien der Heuristischen Programmierung Handelt es sich bei dem Ansatz der Algorithmentheorie um ein im zentralen Bereich abgerundetes Theoriengebäude, so ist die Situation in der Heuristischen Programmierung wesentlich unbefriedigender. Meist werden unter "Heuristiken" Faustregeln, Strategien, Methoden oder Tricks verstanden, die zur Verbesserung des Wirkungsgrades eines Systems verwendet werden, das Lösungen für komplexe Probleme zu finden sucht.7 Heuristiken sind dadurch gekennzeichnet, daß sie den Aufwand zum Finden einer befriedigenden Problemlösung in der Regel geringer halten können, als es ohne ihre Anwendung der Fall wäre. Ein heuristisches Programm ist dann ein Computerprogramm, das Heuristiken anwendet. Erst in den letzten Jahren finden sich Ansätze zur systematischen Abgrenzung und Strukturierung dieses weiten Bereiches. Historisch sind zwei Quellen der Heuristischen Programmierung zu unterscheiden: die Artificial Intelligence (künstliche oder maschinelle Intelligenz) und das Operations Research. Als wichtigste Ziele der Artificial Intelligence können genannt werden: -
das Verstehen natürlicher (menschlicher) Intelligenz,
-
die Anwendung von maschineller Intelligenz, um Wissen zu sammeln und intellektuell schwierige Probleme lösen zu können.
Typische Problembereiche sind hier Spiele (insbesondere das Schachspiel), die Verarbeitung natürlicher Sprachen (insbesondere maschinelle übersetzungen), automatische Beweismethoden im Bereich der Mathematik und formalen Logik sowie "allgemeine Problemlösungsprogramme" (z. B. das Programm GPS-General Problem Solver). Die optimistischen Erwartungen, welche vor etwa 10 Jahren in den Fortschritt der künstlichen Intelligenz gesetzt wurden, sind inzwischen einer ernüchterten, ja teilweise sehr skeptischen Beurteilung gewichen. 8 Das Operations Research wurde aus dem folgenden Grund zu einer wichtigen Quelle der Heuristischen Programmierung: Kernbereich des Operations Research war und ist die Optimalplanungsmethode, also die Formulierung und Lösung von Extremwertaufgaben, vorwiegend in ökonomischen Anwendungsbereichen. Die hier verwendeten Algorithmen setzen gewöhnlich eine vollständige Quantifizierung sämtlicher relevanter Variablen voraus. Der Einsatz in der betrieblichen Praxis 7 J. R. Slagle, Einführung in die heuristische Programmierung, Verlag Moderne Industrie, München 1972, S. 13. 8 H. L. Dreyfus, What Computers Can't Do. The Limits of Artificial Intelligence, revised ed., Harper Colophon Books, New York 1979.
Algorithmusbegriff im Lichte juristischen ProblemlösungsverhaItens
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Tn.nelle 1
Optimalplanungsmethodik Merkmal
~
(1) Klasse (2) Beschreibung
~
(3) Art
(4) Zielsetzung
Ausprägung Entscheidungsprobleme präzise, vollkommen und widerspruchsfrei standardisierte, routinemäßig anfallende Aufgaben der operativen Ebenen Optimalität
(5) Instrumentarium Kalküle der Mathematik (z. B. Algebra) (6) Zustände quantitativ, insbes. durch numerische Variable, Skalaren, Vektoren (7) ZustandsTransformationsfunktionen änderungen Zielfunktion (8) Zielsetzung
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(9) Zulässigkeit wird sicher erreicht, wenn vorhanden; sonst und Optimalität beweisbar, daß nicht existent der Lösung (10) Rechenschritte (11) Rechenaufwand (Zeit/Kosten)
endliche viele wirtschaftlich vertretbar
Quelle: J. D. Meißner, Heuristische Programmierung, S. 6.
hat jedoch sehr rasch gezeigt, daß dies nur bei eng umgrenzten Fragestellungen möglich ist. Aus diesem Grund bezeichneten Newell und Simon bereits 1958 die Heuristische Programmierung als "the next advance in operations research".8 Der beste Ansatz einer systematischen Strukturierung der Heuristischen Programmierung und ihrer Abgrenzung von der Optimalplanungsmethodik scheint mir jener von Meißner zu sein.10 Die folgende Darstellung lehnt sich daher eng an seine Ausführungen an. Zur Abgrenzung der beiden Methodiken erweist es sich als sinnvoll, drei Dimensionen bei Problemen zu unterscheiden: 9 A. Newell / H. A. Simon, Heuristic Problem Solving: The next advance in Operations Research, in: Operations Research, 1958, 1., S. 1 ff. 10 J. D. Meißner, Heuristische Programmierung, Akademische Verlagsgesellschaft, Wiesbaden 1978; ders., Bausteine zur Heuristischen Programmierung, Verlag V. Florentz, München 1979.
3S'
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-
Leo Reisinger
Definition ("Problem") Repräsentation ("Modelle") Lösung ("Algorithmus").
Folgt man dieser Unterscheidung, läßt sich die Optimalplanungsmethodik wie in Tab. 1 zusammenfassen. Schlecht strukturierte Probleme, die schlecht definierbar, schlecht repräsentierbar oder schlecht lösbar sind, entziehen sich damit dieser Methodik. l1 Hier setzt die heuristische Problembearbeitungsmethodik an. Heuristiken lassen sich daher einmal grob nach der Funktion im Problemlösungsprozeß in solche zur Definition, zur Repräsentation und zur Lösung einteilen. Zur Abgrenzung und Beschreibung von Problemstellungen sowie zu ihrer Strukturierung werden in der Regel inexakte Methoden verwendet. Bekannte inexakte heuristische Methoden sind z. B. intuitive, diskursive und simulative Verfahren.12 Sie werden häufig auch als systemanalytische oder -technische Methoden bezeichnet. Ihre Domäne sind also die schlecht definierbaren Probleme. Im Rahmen der Heuristischen Programmierung beschäftigt man sich nur mit solchen Methoden der Heuristischen Problembearbeitungsmethodik, die exakt, d. h. prinzipiell programmierbar sind. Ihre Domäne sind die schlecht repräsentierbaren und die schlecht lösbaren Probleme. Zur näheren Analyse der Problemklassen der Heuristischen Programmierung sei der folgende Weg gewähJt13: Formal läßt sich jedes Problem als Tripel (A, Q, E) auffassen, in dem A die Menge der Anfangszustände, E die Menge der Endzustände und Q die Menge der Operatoren bezeichnet, mit denen Zustandsänderungen herbeigeführt werden können. Sind A, E und Q bekannt, so spricht Meißner von einem Grundtransformationsproblem, da es zu bestimmen gilt, welche Operatoren in welcher Reihenfolge anzuwenden sind, um von A nach E zu gelangen. Da dies identisch mit der Bestimmung eines Weges ist, lassen sich diese Probleme auch als Wegeprobleme bezeichnen. Bei einfachen Wegeproblemen enthält die Menge A nur ein Element a und die Menge E nur ein Element e. Sind A und Q bekannt, E hingegen unbekannt, so liegt ein schwierigeres Problem vor. Denn es sind nur bestimmte Eigenschaften bekannt, 11 Vgl. H. A. Simon, The Strueture of Ill-struetured Problems, in: Artifieial Intelligenee 4, 1973, S. 181 - 201. 12 W. Ulrich, Einführung in die heuristischen Methoden des Problemlösens, in: Wirtschaftswissenschaftliches Studium 1976, 6, S. 251 ff. 13 Vgl. F. Klix, Information und Verhalten. Kybernetische Aspekte der organischen Informationsverarbeitung, Bonn - Stuttgart - Wien 1971, S. 640.
line- Dyn. Begr. are Progr [num. ganzzahli ge Branch and Bound
Entscheidungsbaumalgorithmen
orientierte
algorithmenorientierte Verfahren
nicht-mathematische heuristische Programmierung
Quelle: J. D. Meißner, Bausteine zur Heuristischen Programmierung, S. 37.
kon- nicht vexe lineare
spezielle mathematisc Modelle
formal orientierte Verfahren
mathematische heuristische Programmierung
Tabelle 2: Verfahrensgruppen der Heuristischen Programmierung
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die ein Zustand, der als Endzustand und damit als Problemlösung anerkannt werden soll, aufweisen muß. Gesucht ist ein Zustand, der dies leistet, und der Weg dorthin, d. h. es liegt ein Ziel-Wegeproblem vor. Insbesondere alle Entscheidungsprobleme sind Ziel-Wegeprobleme, da es dort mehrere alternative Möglichkeiten der Problemlösung gibt, die zu Beginn des Lösungsprozesses nicht explizit bekannt, sondern zu erzeugen sind. Von diesen wird derjenige Zustand als Lösung anerkannt, der den vorgegebenen Bewertungskriterien (Zielsetzung) genügt. Es handelt sich also um eine niveauorientierte Problembearbeitung, die Menge der Zielzustände wird durch das Anspruchsniveau des Problemlösers definiert. Verknüpft man die Wege- und Zielwegeprobleme mit den schlecht repräsentierbaren und schlecht lösbaren Problemen, erhält man vier Problemtypen. Diese bilden die Domäne der Heuristischen Programmierung. Die besten Erfolge konnten bisher bei den einfacheren Problemtypen, den schlecht lösbaren Wege- und Zielwegeproblemen, erzielt werden. Insbesondere schlecht repräsentierbare Zielwegeprobleme haben sich weitgehend als "bösartige" Probleme erwiesen, ihre befriedigende Repräsentation und Lösung steht noch aus. Auf zwei Aspekte heuristischer Problemlösungstechniken sei noch speziell hingewiesen: Erstens haben viele Verfahren keine Lösungsgarantie, sie müssen daher mit Abbruchkriterien ausgestattet sein. Dies gilt insbesondere dann, wenn im heuristischen Suchprozeß auf Grund heuristischer Regeln potentielle Lösungen vernachlässigt werden. Zweitens haben heuristische Verfahren im allgemeinen im Vergleich mit Algorithmen einen geringeren Allgemeinheitsgrad, d. h. sie sind jeweils nur problembereichsspezifisch einsetzbar. Darin liegen Stärke und Schwäche zugleich. Denn innerhalb eines Problembereichs sind sie meist flexibler als Algorithmen, da sie nicht nur standardmäßig formulierte Problemstellungen erfolgreich bearbeiten können. Es hätte wenig Sinn, hier die einzelnen Techniken der Heuristischen Programmierung aufzuzählen. Hierzu sei auf das einschlägige Schrifttum verwiesen. 14 Einen oberflächlichen Eindruck soll jedoch Tab. 2 vermitteln. Zum besseren Verständnis seien die von Meißner als "materiell orientierte Verfahren" bezeichneten kurz erläutert15 : 14 Einige bekannte allgemeine Heuristiken findet man u. a. bei U. Beier, Zur Anwendung heuristischer Entscheidungsmethoden bei der Bestimmung eines Konsumprogramms, in: Zeitschrift für Betriebswirtschaftslehre 43, 1973,3, S. 199 - 224; H. Streim, Heuristische Lösungsverfahren. Versuch einer Begriffserklärung, in: Zeitschrift für Operations Research 19, 1975, 5, S. 143 -162. 15 J. D. Meißner, Bausteine, (Fn 10), S. 77, 119, 144; ders., Heuristische Programmierung, (Fn 10), S. 59, 84.
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-
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Konstruktionsverfahren: Ausgehend vom Anfangszustand wird der Zielzustand schrittweise durch wiederholte Anwendung vom Operatoren auf Zustände erreicht. In den Konstruktionsverfahren gibt es deshalb zwei Entscheidungsobjekte: die Zustände und die Operatoren. Wenn man die Zustände den Knoten und die Operatoren den Kanten eines Graphen zuordnet, läßt sich der Ablauf vieler Verfahren sinnvoll als Baum darstellen. Die Verfahren heißen deshalb auch Baumsuchverfahren oder Entscheidungsbaumverfahren.
-- Verbesserungsverfahren: Ausgehend von einem ganz bestimmten Zustand, nämlich von einer bereits vorliegenden Problemlösung (Ausgangslösung), versucht man durch Anwendung von Transformationsoperatoren verbesserte Lösungen zu finden. Die Suche endet, wenn eine Bezugslösung mit den vom Verfahren betrachteten Operatoren nicht mehr verbessert werden kann. - Verbundverfahren: Diese beruhen auf dem Konzept, daß Probleme durch die geschickte Verbindung verschiedener Bestandteile, die die Lösung von Aufgaben in einer Prozedur übernehmen, effizienter lösbar sind als durch die separate Anwendung einzelner Verfahren. Verbundverfahren sind bisher noch wenig formuliert und eingesetzt worden. -
Reduktionsverfahren: Umgekehrt zu den Verbundverfahren werden hier übersichtlich strukturierte und/oder dimensionierte Probleme durch Zerlegung in Teilprobleme bearbeitbar gemacht. Planungsverfahren: Charakteristisch für diese Verfahren ist, daß das Problem von dem Raum, in dem es im Original repräsentiert ist - d. h. vom Zustandsraum oder vom Teilproblemraum - in einen anderen Raum, den Planungsraum, überführt und dort gelöst wird. Die Lösung im Planungsraum dient dann als Plan für die Lösung im ursprünglichen Raum. Zwei wichtige Verfahren sind hier die Planung durch Abstraktion und die Planung durch Analogie.
Diese Systematik von Verfahren der Heuristischen Programmierung mag verdeutlichen, warum viele Autoren dieses Bereiches sich mit einer einfachen Aneinanderreihung der Verfahren begnügen und systematische Strukturierungen vermeiden. Tatsächlich lassen sich gegen die hier wiedergegebene Systematik mehrere Einwände vorbringen. Einerseits sind die hier als Verbund-, Reduktions- und Planungsverfahren bezeichneten Konzepte allgemeine systemwissenschaftliche Forschungskonzepte, von denen nicht einzusehen ist, weshalb sie spezifisch der Heuristischen Programmierung zugerechnet werden sollten. Andererseits werden Entscheidungsbaumverfahren und Methoden der schrittweisen Verbesserung einer Ausgangslösung vielfach als "normale" Verfahren des Operations Research angesehen.
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Das grundlegende Problem scheint mir jedoch in der Begriffsbildung der Heuristischen Programmierung selbst und der Abgrenzung von "algorithmischen" Lösungsverfahren zu liegen. Geht man nämlich davon aus, daß Heuristische Programmierung nur jene Methoden der Heuristischen Problemlösungsmethodik umfaßt, die "exakt" im Sinne von programmierbar sind, so müssen auch diese Verfahren in Form eines Algorithmus implementierbar sein. Damit fällt aber das wichtigste Abgrenzungskriterium. Ein Ausweg wäre nur dann gegeben, wenn verschiedene Klassen - besser Typen - von Algorithmen unterschieden würden, etwa "harte" oder "geschlossene" Algorithmen im Sinne der klassischen Optimalplanungsmethodik (bekanntestes Beispiel im Operations Research: der Simplexalgorithmus) und "weiche" oder "offene" Algorithmen. Allerdings ist zu berücksichtigen, daß in der wirtschaftlichen und technischen Praxis lange Zeit nur die "harten" Algorithmen als Algorithmen bezeichnet wurden. Dies zeigt sich auch im historischen Ablauf der Entwicklung der EDV: War früher die Stapelverarbeitung (batch processing) für denEDV-Einsatz typisch, so wird es heute im zunehmenden Maße die interaktive Verarbeitung im Sinn einer optimalen Mensch-Maschine-Kommunikation. Und in der Tat bedienen sich viele Verfahren der Heuristischen Programmierung dieser Verarbeitungsform: Sie bieten dem Benutzer die Möglichkeit, vor und/ oder während der Anwendung Parameter subjektiv festzusetzen. Worin ist also die Bedeutung der Heuristischen Programmierung für Rechtstheorie und Rechtsinformatik zu sehen? Am wichtigsten erscheint mir hier die Tatsache, daß auf Grund praktischer Erfahrungen die begrenzte Anwendbarkeit "geschlossener" Algorithmen betont wird. Diese erscheint überhaupt nur bei einer Untermenge gut-strukturierter Probleme gegeben. Nur hier ist eine vollständige Reduktion auf die syntaktische Dimension erfolgversprechend. Bei der überwiegenden Zahl von Problemen - insbesondere auch im juristischen Problemlösungsverhalten - ist eine enge Verzahnung syntaktischer, semantischer und pragmatischer Komponenten festzustellen, Algorithmen bieten nur dann Aussicht auf befriedigende Lösungen, wenn in ihnen "weiche" Techniken implementiert werden.
HI. Zur Theorie unscharfer Mengen Der dritte, hier zu erwähnende Ansatz ist jener der Theory of Fuzzy Sets (Theorie unscharfer Mengen). Da ich mich mit dieser Theorie und ihrer Anwendbarkeit in Rechtstheorie und Rechtspraxis an anderer Stelle16 relativ ausführlich auseinandergesetzt habe, genügen hier einige Worte. 16 L. Reisinger, Über die Anwendungsmöglichkeiten der Theorie unscharfer Mengen (Fuzzy Sets Theory) im Recht, in: DVR 4, 1975, S. 119 - 156.
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Auch die Theorie unscharfer Mengen ist aus einer "Aufweichung" (exakter: Verallgemeinerung) eines formalwissenschaftlichen Konzeptes enstanden, das noch grundlegender als jenes des Algorithmus ist, nämlich des Mengenkonzepts. Anstoß waren auch hier - ähnlich wie in der Heuristischen Programmierung - Erkenntnisse der Praxis; Mengen mit "scharfen" Grenzen (Mengen im Sinne des klassischen Mengenkalküls) haben sich für viele Problemstellungen als unzulässige Repräsentation der Problemdefinition erwiesen. Der im gegebenen Zusammenhang wichtigste Begriff dieser Theorie ist jener des unscharfen Algorithmus (fuzzy algorithm). Dieser ist allerdings noch wenig durchgearbeitet. Üblicherweise wird darunter ein Algorithmus verstanden, der Namen für unscharfe Mengen enthältP Auch hier handelt es sich also wie bei der Heuristischen Programmierung um eine "Aufweichung" des klassischen "harten" Algorithmusbegriffes. Ich selbst habe an anderem Ort 18 versucht, einen unscharfen Algorithmus (genauer: Vorstudien hierzu) für eine juristische Schlußweise, nämlich den Analogieschluß, anzugeben. Es ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht abzusehen, ob derartige Versuche zu einer besseren Klärung theoretischer Konzepte als traditionelle Verfahren beitragen können - von praktischen Implementierungen ganz abgesehen. IV. Algorithmen, Quasialgorithmen, Metaalgorithmen Im vorliegenden Abschnitt möchte ich einige Bezeichnungen vorschlagen, die mir geeignet erscheinen, jene für Rechtstheorie und Rechtsinformatik wichtigen Aspekte der in den Abschnitten I bis III skizzierten Ansätze zu systematisieren. Ich gehe dabei von dem zu Beginn des Abschnittes I angegebenen intuitiven Algorithmusbegriff aus. Dies deshalb, da er mir besser als die in der Algorithmentheorie erarbeiteten formalen Fassungen des Begriffs Aspekte der Anwendung abzudecken scheint. In der äußeren Form der Darstellung denke ich an eine der in der Informatik üblichen Entwurfsprachen, etwa an eine Darstellung in Form eines Flußdiagramms. Ich gehe nun davon aus, daß durch einen Algorithmus Inputdaten in endlich vielen Schritten in Output daten transformiert werden - und 17 L. A. Zadeh, Toward Fuzziness in Computer Systems. Fuzzy Algorithms and Languages. Dept. of Electr. Eng. and Computer Sciences, Univ. of California, Berkeley, July 1969, S. 13. 18 L. Reisinger, Legal Reasoning by Analogy. A model applying fuzzy set theorY, in: Ciampi C. (ed.), Artificial Intelligence and Legal Information Systems, vol. I., North-Holland Publishing Company, Amsterdam - New York - Oxford, 1982, S. 151 - 163.
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zwar in eindeutiger Weise. Jeder Algorithmus - und jedes Computerprogramm - läßt sich daher in erster Annäherung als eine Abbildung von der Menge der Inputdaten in die Menge der Outputdaten auffassen. Diese Auffassung von Algorithmen als Abbildungen bedeutet jedoch gewisse Einschränkungen: -
Erstens bedeutet dies, daß der Algorithmus - und das Computerprogramm - auf der logischen, nicht aber auf der physischen Ebene betrachtet wird. So würden etwa fehlerhafte Dimensionierungen bei Implementierungen die vom Abbildungsbegriff verlangte Eindeutigkeit verletzen.
-
Aber auch auf der logischen Ebene wird ein "fehlerloser" Algorithmus verlangt - in dem Sinn zumindest, daß unendliche Schleifen vermieden werden.
Interessant ist im Konnex mit der Eindeutigkeit der Abbildung die Anwendung von Zufallszahlengeneratoren, wie sie insbesondere in Simulationsprogrammen häufig verwendet werden. Die praktisch verwendeten Generatoren verletzen die oben vorgeschlagene Begriffsbestimmung als Abbildung insofern nicht, da es sich um Generatoren von Pseudozufallszahlen handelt. Ausgehend von identischen Startbedingungen werden immer dieselben "Zufallszahlen" erzeugt. Würde allerdings ein echter Zufallsmechanismus in einer Problemlösung verwendet, so handelte es sich in diesem Fall nicht mehr um einen Algorithmus im obigen Sinn. Dies würde sich übrigens mit der Ansicht Meißners decken, der simulative Methoden zur inexakten Heuristischen Problembearbeitungsmethodik zählt, nicht aber zur Heuristischen Programmierung. Genauer betrachtet läßt sich jeder Algorithmus als eine Menge zusammengesetzter Abbildungen auffassen, wobei jede Einzelabbildung durch die Einzelschritte (Operatoren) des Algorithmus definiert wird. Die Theorie der Strukturierten (Normierten) Programmierung hat gezeigt, daß sehr wenige Sprachelemente ausreichen, um die Reihenfolge der Anwendung der einzelnen Operatoren festzulegen.tl! Es sind dies: -
Lineare Folge von Operationen: Al - A2 - ... An-l - An
-
Bedingte Operationen: IF B THEN A; IF B THEN Al ELSE A2
-- Wiederholte Operationen: WHILE B DO A; REPEAT A UNTIL B -
Selektive Operationen: CASE E OF Wl : Al, W2 : A2, ... , w n : An.
t9 Vgl. E. W. Dijkstra, Notes on Structured Programming, Veröffentlichung der TH Eindhoven, August 1969; G. Dahl / E. W. Dijkstra / C. A. Haare, Structured Programming, Academic Press, New York 1972; N. Wirth, Systematisches Programmieren, Teubner Verlag, Stuttgart 1972.
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Sprünge (GOTO-Anweisungen) werden im Rahmen der strukturierten Programmierung völlig ausgeschlossen. Ich möchte nun vorschlagen, einen derartigen Algorithmus, der Inputdaten in eindeutiger Weise in Outputdaten transformiert, als "Algorithmus im engeren Sinn" zu bezeichnen. Jeder Algorithmus im engeren Sinn erzeugt eine Partition der Menge der Inputdaten durch die unterschiedlichen Sequenzen der Operationen, die im Algorithmus (z. B. durch Verzweigungen) definiert sind. Für jede dieser Teilmengen der Inputdaten ist die Reihenfolge der auf sie anzuwendenden Operationen eindeutig bestimmt; jede Operation selbst ist eindeutig. Es bestehen nun mehrere Möglichkeiten der "Aufweichung" eines Algorithmus im engeren Sinn: --- Mindestens ein Argument eines Operators ist unscharf (fuzzy). Dies ist jener Fall, der in der Theorie unscharfer Mengen gewöhnlich als unscharfer Algorithmus verstanden wird. - Der Operator einer Operation ist unscharf (Beispiel: eine Mittelbildung bei numerischen Daten, wobei mehrere Mittel zur Auswahl stehen). In meinem Versuch, den juristischen Analogieschluß als unscharfen Algorithmus zu deuten, habe ich diese beiden Fälle als "first order" und "second order fuzziness" bezeichnet.l!O - Die Reihenfolge der Operationen, angewandt auf eine Datenklasse, ist unscharf. In diesem Fall kann der Algorithmus nicht mehr als deterministisches Netzwerk gedeutet werden. Realisiert könnte man sich diese Fälle etwa in Form eines interaktiv arbeitenden Programms denken, in dem der Benutzer die aktuellen Werte der charakteristischen Funktionen (membership functions im Sinne der Theory of Fuzzy Sets) bestimmt. Je nach den Eigenschaften der gewählten charakteristischen Funktionen wird dann die einer Klasse von Inputdaten zugeordnete Klasse von Outputdaten mehr oder weniger "ähnliche" Elemente enthalten. Da, wie betont, die Bezeichnung "unscharfer Algorithmus" in der Regel nur für den ersten der oben genannten Fälle verwendet wird, dieser Ausdruck also für einen Spezialfall der fuzzification reserviert erscheint, möchte ich vorschlagen, für alle genannten Fälle der Aufweichung die Bezeichnung "Quasialgorithmus" zu wählen. Folgt man diesem Vorschlag, erscheint es sinnvoll, Algorithmen im engeren Sinn und Quasialgorithmen gemeinsam als "Algorithmen im weiteren Sinn" zu bezeichnen. Der Ausdruck "Algorithmus im weiteren Sinn" konstituiert dann einen Typus, dessen Begriffskern der Algorithmus im engeren Sinn darstellt. 20
L. Reisinger, Legal Reasoning by Analogy, (Fn 18), S. 157.
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Die bisherige Begriffsbildung erscheint mir jedoch noch erweiterungsbedürftig. Ausgehend von der top-down-Methodologie, wie sie gerade im Rahmen der Systemanalyse vorherrscht, ist unter Anwendungsaspekten eine hierarchische Strukturierung von Algorithmen in der folgenden Weise typisch: Eine große, vorläufige Strukturierung des betrachteten Problems gliedert Detailprobleme aus, die auf einer späteren Verfahrensstufe einer "algorithmischen" Lösung zugeführt werden sollen. Diese Vorgehensweise läßt sich daher als "Metaalgorithmus" deuten. Bei dieser Auffassung stellen sich interessante Querverbindungen zur Methodik der Heuristischen Programmierungen her - sind doch die als Heuristiken bezeichneten Faustregeln, Strategien oder Tricks nichts anderes als Regeln, welche über die Anwendung des "eigentlichen" Algorithmus entscheiden. Je weniger exakt diese Regeln sind - wenn wir also den Bereich der Heuristischen Programmierung verlassen und uns in den Bereich der allgemeinen heuristischen Problembearbeitungsmethodik begeben - um so unscharfer wird der Metaalgorithmus. Es ist daher in diesem Fall sinnvoll, von "Quasimetaalgorithmen" zu sprechen. Auch auf dieser Ebene erscheint es zweckmäßig, beide Begriffe zu "Metaalgorithmen im weiteren Sinn" zusammenzufassen. Auf die naheliegende Erweiterung auf höhere Stufen (Metametaalgorithmen ete.) soll hier nicht weiter eingegangen werden. Eine mögliche Bedeutung der hier vorgeschlagenen Begriffsbildung für Rechtstheorie und Rechtsinformatik scheint mir die folgende zu sein: Der vergleichsweise geringe Einsatz formaler Verfahren im Recht dürfte u. a. in der Stringenz des klassischen Algorithmusbegriffes liegen - eben des Algorithmus im engeren Sinn. Gerage das juristische Problemlösungsverhalten in seiner Verschränktheit von pragmatischen, semantischen und syntaktischen Momenten läßt sich nur sehr unvollkommen auf eine rein syntaktische Ebene reduzieren. Vielleicht hat hier ein "weicherer" Algorithmusbegriff mehr Aussicht auf Erfolg. Es erscheint daher als eine rechtstheoretisch bedeutsame Fragestellung, inwieweit sich Aspekte bestimmter Typen des juristischen Problemlösungsverhaltens als Quasialgorithmen und Quasimetaalgorithmen rekonstruieren lassen. Gerade der geringere Allgemeinheitsgrad, den heuristische Verfahren, also Quasialgorithmen und Quasimetaalgorithmen, im Vergleich zu Algorithmen im engeren Sinn aufweisen, bietet umgekehrt den Vorteil einer in stärkeren Maße problemspezifischen Einsatzbarkeit - eine Qualität, die von Vertretern einer hermeneutisch ausgerichteten Jurisprudenz immer wieder als für formale Verfahren unerreichbar behauptet wird.
Alte und neue Einwände gegen die Reine Rechtslehre Von Robert Walter, Wien I Dta Weinberger und ich haben im Herbst 1982 an dem Internationalen Kongreß für Rechtstheorie in La Plata teilgenommen. 1 Als ein weiterer österreichischer Teilnehmer - Hans Köchler, Innsbruck - "Kritische Bemerkungen zur Rechtstheorie von Hans Kelsen" vortrug, haben wir beide an der Diskussion mit antikritischen Beiträgen teil genommen2 , was nach unserer theoretischen "Abstammung" (von der Wiener3 und der ihr verbundenen' Brünner Schule5 der Rechtstheorie) nicht verwundern kann. So erscheint eine nähere Auseinandersetzung mit den damals diskutierten Fragen ein geeignetes Thema für den vorliegenden - Dta Weinberger gewidmeten - Band, dessen neue Position als Jubilar alle überraschen wird, die sein unermüdliches, mit jugendlichem Elan verbundenes, Wirken verfolgen.
Die Ausführungen Köchlers8 galten den Problemen des Zusammenhanges von Geltung und Effektivität von Normen, jenen des Begriffs 1 "Erster Internationaler Rechtsphilosophie-Kongreß", Thema: Gegenwärtiger Stand der Rechtsphilosophie in ihren Hauptthemen. 2 Die Diskussion auf dem erwähnten Kongreß wurde nicht publiziert. 3 Wiener Schule der Rechtstheorie oder Reine Rechtslehre nennt man die von Hans Kelsen begründete Theorie des kritischen Rechtspositivismus. Vgl. überblicksweise zu dieser: Walter, Der gegenwärtige Stand der Reinen Rechtslehre, Zeitschrift für Rechtstheorie, 1. Bd., 1970, S. 69; Walter, Hans Kelsen und die "Reine Rechtslehre", in: Leser (Hrsg.), Das geistige Leben Wiens in der Zwischenkriegszeit, 1981, S. 57. 4 Vgl. über diese Verbindung die Ausführungen Kelsens in der dem Haupt der Brünner Schule - Franz Weyr gewidmeten Festschrift; sie sind wiedergegeben von Metall, Hans Kelsen und seine Wiener Schule der Rechtstheorie, in: Hans Kelsen zum Gedenken, Bd. 1 der Schriftenreihe des HansKelsen-Instituts, 1974, S. 15. :; Es ist ein großer Verdienst des Jubilars, daß er - gemeinsam mit Vladimir Kubes - eine Reihe wichtiger Arbeiten der Brünner Schule (und damit deren Positionen) in deutscher übersetzung herausgegeben und über die Schule Wesentliches berichtet hat: Kubes / Weinberger, Die Brünner rechtstheoretische Schule (Normative Theorie), Bd. 5 der Schriftenenreihe des HansKelsen-Instituts, 1980. 6 Die Darlegungen Köchlers liegen dem Autor in der Form vor, in der sie - als Beitrag zu dem genannten Kongreß - an die Kongreßteilnehmer verteilt wurden. Alle Zitierungen Köchlers stammen aus diesem Beitrag.
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des "modal indifferenten Substrats" und jenen des Verhältnisses von logischen Prinzipien und Rechtsnormen; sie gipfeln in einem Kapitel, das den Titel "Das Dilemma des Rechtspositivismus" trägt. Es erweist sich als zweckmäßig, die überlegungen zunächst mit einem Punkt des letzten Kapitels zu beginnen (11), sodann die drei genannten Problembereiche zu behandeln (111 - V), um sodann zum Schlußkapitel zurückzukehren (VI). 11
Köchler meint, daß seine kritischen Ausführungen zu den von ihm behandelten drei Punkten zu einer "Revision" des Kelsenschen Systems zwängen und deshalb "die zentralen Aussagen dieses Systems zur Problematik einer inhaltlichen Normenbegründung in einer angemessenen Dimension gesehen werden (sollten)". Diese Aussage muß deshalb näher behandelt werden, weil sie für den verwendeten Denkstil typisch ist: Gehen wir davon aus, daß Kelsen tatsächlich die drei von Köchler aufgegriffenen Probleme falsch gelöst hätte. Ließe sich daraus für die Unrichtigkeit der Lösung eines anderen von Kelsen behandelten Problems etwas ableiten? Es braucht hier wohl auf die Problematik des Induktionsschlusses, die seit Hume geklärt ist7, nicht eingegangen zu werden. 8 Denn die Unhaltbarkeit des primitiven Schlusses von drei Fehlern auf einen weiteren liegt auf der Hand. Interessanterweise wird aus der angeblich unrichtigen Lösung der Frage einer Annahme (Grundnorm), der nach der Zweckmäßigkeit des Begriffes "modal indifferentes Substrat" und jener nach einem bestimmten Problem des Verhältnisses von Logik und Recht eine Sollensaussage abgeleitet ("sollten"). Wo die erforderliche normative Komponente der Prämissen ist, um zu einen normativen Satz kommen zu können, (daß man eine solche braucht, scheint Köchler selbst anzuerkennen) bleibt unklar. Nur noch eine Bemerkung zum Inhalt der abgeleiteten Sollensaussage: Es sollte eine Lösung Kelsens "in einer angemessenen Dimension" gesehen werden. Undeutlicher geht es kaum mehr. Das vage Wort "Dimension" wird mit dem normativen Begriff "angemessen" - er verweist auf einen gänzlich unbekannten Wertmaßstab - verbunden. Auf andere Aussagen im Schlußkapitel ist noch zurückzukommen. Vorerst sollte die Art deutlich gemacht werden, in der die Aussagen 7 Hume, Enquiry concerning human understanding, 1748, 2. Aufl. 1751, deutsche Ausgabe übersetzt von R. Richter, 8. Auf!. 1920, Neudruck 1964. 8 Popper, Logik der Forschung 6 , 1976, sagt kurz und bündig (freilich begründet): "Nach unserer Auffassung ... gibt es keine Induktion" (5.14).
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Köchlers gehalten sind. Ihre Undeutlichkeit macht die Auseinandersetzung schwer. Doch darf einer solchen deshalb nicht ausgewichen werden. III 1. Köchler meint, daß in Kelsens "These vom Zusammenhang zwischen Geltung und Wirksamkeit eine fundamentale Inkonsequenz seines systematisch-rechtstheoretischen Entwurfs liege" und erhebt in diesem Punkte mehrere Einwände. Bevor auf sie näher eingegangen wird, muß bemerkt werden, daß Köchler in seinen Ausführungen die - streng zu trennenden - Fragen nach der Bedeutung der Effektivität für das Voraussetzen der Grundnorm einerseits und nach ihrer Bedeutung innerhalb des durch die Grundnorm inaugurierten Normensystems andererseits verquickt. Im folgenden wird versucht, diese beiden Punkte zu trennen.
2. Köchler sieht in der Grundnorm den Versuch einer "quasi-apriorischen Fundierung", dem jedoch das Prinzip der Effektivität widerspreche; wenn eine Rechtsordnung nur als gültig angesehen werde, wenn ihre Normen im großen und ganzen wirksam sind, werde "die Geltungsproblematik letztlich doch in einem empirisch-soziologischen Kontext gestellt ...". Dieser - keineswegs neue und wohl nur durch Unkenntnis des Standes der Diskussion erklärbarell - Einwand verkennt die einleitend betonte Unterscheidung. Es muß zwischen dem (vorwissenschaftlichen) Akt des Voraussetzens der Grundnorm einerseits und dem (wissenschaftlichen) Argumentieren auf Basis der Grundnorm andererseits unterschieden werden: Der Akt des Voraussetzens der Grundnorm (und ihrer Aufgabe) orientiert sich an der Effektivität; nur für diesen Bereich spielt die Effektivität eine - und zwar eine bloß denkökonomische - Rolle; sie wird den effektiven Ordnungen vorausgesetzt, weil an ihrer Kenntnis Interesse besteht. Man kann sie durchaus auch anderen Systemen voranstellen und man muß sie überhaupt nicht annehmen. Deshalb wird das durch die Annahme einer Grundnorm Gesollte in keiner Weise in einem empirisch-soziologischen Kontext gestellt. Die Grundnorm ist transzendental - vor jeder Erfahrung - und nicht "quasi-transzendental", was immer diese Abqualifikation bedeuten soll. Daß man sich auch bei der Voraussetzung einer Grundnorm an gewissen - angegebenen - Umständen orienU Vgl. z. B. Walter, Wirksamkeit und Geltung, öZOffR, Bd. XI, 1961, S. 531 ff. und die dort zit. Lit. Vgl. weiters: Leser, Die Reine Rechtslehre im Widerstreit der philosophischen Ideen, in:· Reine Rechtslehre in wissenschaftlicher Diskussion, Bd. 7 der Schriftenreihe des Hans-Kelsen-Instituts, 1982, S. 97 ff.
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tiert (Newton: Hypothesis non fingo), macht diese nicht zu einem Produkt der Erfahrung. 3. Ein - durch die Grundnorm inauguriertes d. h. durch ihre Annahme als geltend gedeutetes - Normensystem kann der Wirksamkeit innerhalb des Systems eine bestimmte (normative) Bedeutung zuweisen: Wirksame Regeln können zu (geltenden) Normen werden (Entstehung von Gewohnheitsrecht), (geltende) Normen können durch Nichtanwendung ihre Geltung verlieren (Desuetudo).IO Mit diesem "Anknüpfen" von Normen an Tatsachen wird keineswegs eine Verquikkung von Wirksamkeit und Geltung, von Sein und und Sollen vorgenommen. Selbst die Vertreter der Reinen Rechtslehre haben stets gewußt, daß Rechtsnormen an Tatsachen "anknüpfen": Wenn A mordet, soll er bestraft werden! Wenn der König (tatsächlich) befiehlt, soll ihm gefolgt werden! Wenn eine Norm (tatsächlich) 30 Jahre (trotz vorgefallener Anwendungsfälle) nicht angewandt wurde, soll sie nicht mehr angewandt werden! Tatsachen wurden in den Rechtsnormen zur Bedingung für den Eintritt von (gesollten) Rechtsfolgen gemacht. Und "Wirksamkeit" kann auch eine solche Tatsache sein.11 Es ist - im Lichte der Reinen Rechtslehre - ein wichtiges Kennzeichen für eine positive Rechtsordnung, daß es - explicite oder erschließbare - menschliche Willensakte sind, die als Rechtserzeugungstatbestand eingesetzt sind; geht es doch um "positives" im Sinne von "gesetztes" Recht. 4. Vorstehend wurde die mögliche Bedeutung der Wirksamkeit innerhalb einer Rechtsordnung gezeigt, wogegen zunächst die Wirksamkeit in ihrer Relevanz für das Voraussetzen der Grundnorm skizziert wurde. Es erscheint jedoch erforderlich, noch einen Punkt besonders zu erwägen: Wie Köchler zutreffend bemerkt, findet sich bei Kelsen auch die Aussage, daß "eine einzelne Rechtsnorm ihre Geltung verliert, wenn sie aufhört wirksam zu sein..." .12 Diese Aussage kann nun - wie immer Kelsen sie gemeint hat - in beiden aufgezeigten Alternativen gedeutet werden: a) Man kann annehmen, daß die - der im großen und ganzen wirksamen Ordnung vorausgesetzte - Grundnorm die Bestimmung in sich enthält, daß die nach ihr als geltend anzusehenden Normen ihre Gel10 Vgl. für den Bereich des Kirchenrechts Eichmann-Mörsdorf, Lehrbuch des Kirchenrechtsl l , 1. Bd., 1964, S. 117 f., S. 122 ff.; für das Strafrecht Rittler, Lehrbuch des österreichischen Strafrechts!, I. Bd., 1954, S. 25. 11 Dabei wird außer acht gelassen, daß die Tatsachen, um die es hier geht, einer "Feststellung" bedürfen. Vgl. dazu z. B. Kelsen, Reine Rechtslehre2, 1960, S. 234, S. 242 ff. 12 Reine Rechtslehre2, S. 216.
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tung verlieren (d. h. als nicht mehr geltend anzusehen sind), wenn sie ihre Wirksamkeit vollständig verlieren. Darin liegt dann lediglich eine - nach Zweckmäßigkeits gesichtspunkten zu beurteilende - Abgrenzung des Betrachtungsgegenstandes. Wird festgelegt, daß (vollständig) unwirksame Normen nicht mehr als solche anzusehen sind, so kann dem (muß dem jedoch nicht) gefolgt werden. Eine wissenschaftliche Verknüpfung von Sein und Sollen liegt nicht vor: Ein "Sein" (Unwirksamkeit) führt lediglich dazu, bestimmte Gegenstände von der Betrachtung, in die sie zunächst einbezogen waren, auszunehmen. Es handelt sich um einen Teil der vorausgesetzten Annahme (Grundnorm), nicht um eine wissenschaftliche Verknüpfung der Geltung mit empirischsoziologischen Fakten. b) Deutet man den Verlust der Geltung durch dauernden Verlust jeglicher Wirksamkeit als Inhalt des positiven Rechts, so liegt der durchaus bekannte - "Rechtsvernichtungstatbestand" der Desuetudo vor, der im Prinzip nichts anderes ist als der Rechtsvernichtungstatbestand der (ausdrücklichen) "Aufhebung" einer Rechtsnorm durch die zuständige Rechtsautorität. 5. Im Zusammenhang mit den behandelten Einwänden steht die
Köchlersche Behauptung, Kelsen verstoße gegen das Prinzip, daß "aus
einem deskriptiven Satz grundsätzlich kein normativer Satz abgeleitet werden kann". Als "Begründung" für diesen - gewiß schwerwiegenden - Vorwurf liest man, daß "der Begriff des Geltens nicht in einen Zusammenhang mit dem Begriff der Wirksamkeit gebracht werden" dürfe. Wie gegen die ersterwähnte - logische - Regel über die Ableitung durch bloße Herstellung eines "Zusammenhangs" verstoßen werden kann, ist unerfindlich. Der Einwand Köchlers kann wohl nur so verstanden werden, daß er meint, aus der Aussage, daß einer Ordnung Wirksamkeit zukomme, werde abgeleitet, daß ihr auch Geltung zukommt. Derartiges unternimmt die Reine Rechtslehre jedoch nicht; sie kennt keine "normative Kraft des Faktischen". Weil A "befiehlt" und mächtig genug ist, seine "Befehle" durchzusetzen, folgt nicht, daß man die "Befehle" des A befolgen soll. Nur wenn man eine Grundnorm voraussetzt, die A ermächtigt oder wenn eine positive Rechtsordnung (der die Grundnorm vorangestellt wurde) eine entsprechende Ermächtigung des A enthält, kann man seine faktischen Befehle als Normerzeugung deuten. Es ist daher außerordentlich wichtig zwischen dem Grund der Geltung - der Ermächtigung des A - und Bedingung der Geltung - A betätigt seinen Willen - zu unterscheiden. Was daran "artifiziell" (so Köchler) sein soll, bleibt dunkel. Nochmals sei betont: Die Reine Rechtslehre schlägt - aus denkökonomischen Gründen - vor, die - nachweisbare - Annahme - zu 39 Festgabe welnberger
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machen, daß man den effektiven positiven Ordnungen gehorchen solle.13 Erst nach dieser Annahme ist der Gegenstand bestimmt und wissenschaftliche Ableitungen sind möglich geworden. So sind also Wirksamkeit und Geltung deutlich getrennt. Wer diese Art der Trennung für "artifiziell" hält, sollte sich vergegenwärtigen, daß Kelsens Konstruktion die Problematik des Rechtsgehorsams erst richtig deutlich macht. Eine wissenschaftliche Annahme kann kein effektives System rechtfertigen. Somit bleibt der Gehorsam oder die Revolte Gewissensentscheidung! 6. Auch der Einwand, daß der Begriff der Wirksamkeit (Effektivität) nicht hinreichend genau sei und man einen "vagen undefinierten Begriff im Kontext einer rationalen wissenschaftlichen Systematik" nicht verwenden dürfe, ist bedeutungslos. Dabei wird nämlich - abermals übersehen, daß die Wirksamkeit zunächst nicht "innerhalb" des wissenschaftlichen Systems verwendet wird, sondern nur dazu, um die Grundnorm zu setzen und damit die Voraussetzungen für ein wissenschaftliches System zu schaffen. Soweit Wirksamkeit (Effektivität) innerhalb einer als Rechtssystem gedeuteten Ordnung eine Rolle spielt, liegt tatsächlich ein vager Begriff vor. Doch ist dies innerhalb einer positiven Rechtsordnung, die ja vielfach "Ungenauigkeiten" aufweist, kein unlösbares Problem. Denn es gibt jeweils Organe, die zu entscheiden haben, ob ein Sachverhalt unter den vagen Begriff zu bringen ist. Wenn z. B. in einer Rechtsordnung ein "Rechtsvernichtungstatbestand" der Desuetudo besteht, so. hat das zur Rechtsanwendung berufene Organ zu entscheiden, ob eine (gültige) Norm vorliegt, oder nur eine (gültige) Norm vorlag, der durch Desuetudo derogiert wurde. IV
Die Sätze (Aussagen) "A schließt die Türe" und "A soll die Türe schließen" sind insofern verschieden, als einmal etwas über ein Tun des A, also ein Sein, ausgesagt wird, das andere mal etwas darüber, was A tun soll, also ein Sollen. Aber die beiden Sätze haben doch wohl etwas gemeinsam: Das "Türe schließen". Einmal kommt es im Seinssatz, das andere mal im Sollenssatz vor. Kelsen hat dieses (mögliche) gemeinsame Element von Seinssatz und Sollenssatz das "modal indifferente Substrat" genannt; "indifferent" deshalb, weil "Türe schließen" in der Form (Modus) des Seins- als auch des Sollenssatzes ausgesagt werden kann. Diese Konstruktion zeigt insb. deutlich, ob ein - durch einen 13 Dies ist der Sinn der wechselnden - Qualifikation der Grundnorm durch Kelsen als Hypothese oder Fiktion. Vgl. zuletzt Kelsen, Allgemeine Theroie der Normen, 1979, S. 206 f. Vgl. auch Walter, Wirksamkeit und Geltung, öZÖffR, Bd. XI, 1961, S. 531 ff., sowie Walter, Logik und Recht, Neues Forum XIII, Oktober 1966, S. 154 (Fn 4).
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Seinssatz beschriebenes - Verhalten einer - durch einen Sollenssatz beschriebenen - Norm "entspricht": Dann nämlich, wenn das modal indifferente Substrat des einen Satzes mit jenem des anderen übereinstimmt. Das Hauptargument, daß Köchler gegen die Konstruktion ins Treffen führt, ist, daß sie "artifiziell" sei. Auf der im gegebenen Zusammenhang erforderlichen Abstraktionshöhe mag etwas leicht als "artifiziell" erscheinen. Ein Vorwurf würde nur dann zu machen sein, wenn eine Konstruktion überflüssigerweise "artifiziell" ist, d. h. sich die Sache einfacher verdeutlichen ließe. Dem sei kurz nachgegangen: Bezogen auf Sätze - Seins- und Sollenssätze - bringt der Begriff des "modal indifferenten Substrats" lediglich eine gewisse Gemeinsamkeit der Sätze zum Ausdruck, wie sie einleitend exemplifiziert wurde. Von Köchler - nicht von Kelsen ....:.. ins Ontologische gewendet, soll es bei dem behandelten Problem darum gehen, ob ein "Reales Sein (Verhalten) . .. der Vorschrift der Norm (entspricht)". Genau um dieses "Entsprechen" geht es; es muß nämlich irgendwie ausgemacht (festgestellt) werden. Es bedarf dabei keiner Konstruktion einer "überwirklichkeit" , wie gemeint wird. Es ist lediglich erforderlich, das Verhalten (im Seinsurteil) und die Norm (im Sollensurteil zu beschreiben, um die relevante Relation zu begreifen und deutlich zu machen. Die relevante "Entsprechung" liegt in der übereinstimmung des "modal indifferenten Substrats". Es mag sein, daß man das Verhältnis der "Entsprechung" auch anders darstellen kann. Kelsens Konstruktion erscheint kennzeichnend und geeignet. Sie könnte vielleicht durch eine einfachere ersetzt werden. Aber eine solche liegt nicht vor und wird auch von Köchler nicht aufgezeigt. V 1. Kelsens Position zum Verhältnis von Recht und Logik, die erst relativ spät entwickelt wurdei" hat bereits mannigfache Kritik - am eingehendsten durch Ota Weinberger 15 - erfahren; sie erscheint in der Tat einiger Modifikationen zu bedürfen. le 14 15
Vgl. zum letzten Stand: Kelsen, Allgemeine Theorie der Normen, S. 150 ff. Weinberger, Normentheorie als Grundlage der Jurisprudenz und Ethik,
Eine Auseinandersetzung mit Hans Kelsens Theorie der Normen, 1981;
Weinberger, Kelsens These von der Unanwendbarkeit logischer Regeln und
Normen, in: Die Reine Rechtslehre in wissenschaftlicher Diskussion, Bd. 7 der Schriftenreihe des Hans-Kelsen-Instituts, 1982, S. 108 ff. 16 Zum Standpunkt des Autors vgl. Walter, Das Problem des Verhältnisses von Recht und Logik.in der Reinen Rechtslehre, Zeitschrift für Rechtstheorie, 11. Bd, 1980, S. 299 ff.
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Robert Walter
Köchler geht von einer im wesentlichen zutreffenden Sicht der Lehre Kelsens aus; seine Einwände sind verschieden zu beurteilen. 2. Wenn Köchler meint, Kelsens Ablehnung einer Anwendung von logischen Regeln auf Normen, könne sich nicht auf den "Inhalt der Norm" beziehen, so ist dies zumindest mißverständlich. Das, worauf sich die logischen Regeln sicher beziehen, sind die Aussagen über Bestand und Inhalt von Normen. Dies ist aber auch Kelsens Meinung,11
3. Köchler scheint nicht zu verstehen, weshalb Kelsen "sogar so weit (geht), daß er es ... für möglich hält, daß der Gesetzgeber als Richter konkrete Entscheidungen trifft, die einer generellen Gesetzesnorm widersprechen". Würde er die "authentischen" Interpretationen kennen, fände er für die von Kelsen ins Auge gefaßte Möglichkeit manches Beispiel,18 Und schon Montesquieu hat davor gewarnt, dem Gesetzgeber auch die richterlichen Befugnisse zu übertragen, weil er dabei nämlich vom Gesetz abzuweichen versucht sei. 19 4. Beizustimmen ist Köchler, wenn er gegen Kelsen die Möglichkeit einer Ableitung spezieller Normen (besser: Normsätze) aus generellabstrakten Normen (Normsätzen) behauptet.2o
VI 1. In einer Schlußfolgerung aus seinen überlegungen glaubt Köchler zunächst festzustellen zu können, daß Kelsens Rechtstheorie "dem von ihr selbst gesetzten Anspruch auf Wissenschaftlichkeit... in wesentlichen Punkten nicht gerecht zu werden vermag". Daß Köchler in wesentlichen Punkten seiner Kritik fehlgeht, wurde aufzuzeigen versucht. Aber abgesehen davon: Was sollte es an der Wissenschaftlichkeit einer Lehre ändern, wenn sie z. B. in einem Punkte zu "artifiziell" konstruiert oder in einer Frage der Anwendung der Logik eine unrichtige Antwort gäbe. Köchlers Kurz-Schluß ist in diesem Punkte ebensowenig zutreffend, wie der einleitend diskutierte. 17 Es ist somit die Frage, ob die logische Denkoperation des Syllogismus in der Moral und im Recht ... nicht die Frage, ob sie in der Moralwissenschaft oder Rechtswissenschaft vor sich geht; denn das letztere steht außer Frage, ... (Allgemeine Theorie der Normen, S. 179). 18 Es sei an das Bonmot von Karl Wolf! erinnert, eine authentische Interpretation sei auch wahr, wenn sie falsch ist. Gemeint ist, daß die "Interpretation" durch den Gesetzgeber selbst eine Norm ist, d. h. die Kategorie wahr/falsch auf sie - anders als auf die doktrinelle Interpretation - gar nicht anwendbar ist; d. h. sie "gilt", auch wenn eine doktrinelle Interpretation gleichen Inhalts falsch wäre. 19 De L'esprit des Lais, 1748; deutsche Ausgabe übersetzt, eingeleitet und hrsg. von Ernst Forsthof!, Erster Band 1951, S. 111 ff. 20 Vgl. dazu näher Walter, Das Problem des Verhältnisses ... (Fn 16), S. 305 ff.
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2. Am Schluß der Ausführungen Köchlers (in welchen auch eine Reihe weiterer Positionen der Reinen Rechtslehre abgelehnt werden), wird deutlich, worum es dem Autor geht: Versteigt er sich doch dazu, eine positivistische Rechtstheorie, die jede effektive Zwangsordnung als Rechtsordnung beschreibt, einen Zynismus zu nennen. "Zynismus" meint eine beleidigende und/oder spöttische und/oder die Gefühle anrer verletzende oder verächtlich machende Haltung.21 Eine reine Theorie ist von all dem so weit entfernt, als nur vorstellbar. Wer effektive Zwangsordnungen unter der - von niemandem Gefolgschaft fordernden - Annahme ihrer Geltung als Rechtsordnungen beschreibt, also so, "als ob" sie in Geltung stehen, betreibt eine wissenschaftliche Tätigkeit unter klargestellten Voraussetzungen. Darin liegt zunächst keinerlei ablehnende Haltung gegenüber anderen Betrachtungen, geschweige denn eine irgendwie verletzende. Aber auch wer aus erkenntniskritischen Gründen eine (wissenschaftliche) Gerechtigkeitserkenntnis für nicht möglich hält und Ableitungsversuche, die nicht haltbar erscheinen, widerlegt, nimmt damit keine zynische Haltung ein. Es geht ihm um wissenschaftliche Erkenntnis und ihre Grenzen, nicht um die Herabsetzung von Wertgefühlen anderer. Eine kritische positivistische Rechtstheorie kann nur der einen Zynismus nennen, der nicht weiß, was ein Zynismus ist, oder der eine solche Rechtstheorie nicht versteht.
3. Köchler betont, daß "der von der Rechtstheorie Kelsens ... hervorgehobene Umstand, daß eine inhaltliche Normenbegründung wissenschaftlich nicht möglich sei ... nicht der Aufgabe entheben (kann), gegenüber einem ... System des positiven Rechts die Frage nach seiner Entsprechung zu inhaltlichen Kriterien des Rechts als "Gerechtigkeit" zu stellen. Wenn dies als Einwand gedacht ist, so ist zu betonen, daß auch Kelsen angenommen hat, daß "als relatistische Wertlehre ... auch der Positivismus Maßstäbe zur Bewertung der jeweiligen Gestaltung des positiven Rechts (liefert)"22, wenn auch nur von "relativem Charakter" .23 Es ist also durchaus möglich, von angegebenen Gerechtigkeitsprinzipien ausgehend, das positive Recht zu beurteilen. Darin liegt also kein Gegensatz; es scheint freilich, daß Köchler - in diesen und anderen Punkten - Gegensätze um jeden Preis zu konstruieren bemüht war. Auch ein solches Vorgehen kann freilich die Diskussion befruchten und letztlich der Erkenntnis dienlich sein! 21 Vgl. die Definition der Begriffe "zynisch", "Zynismus", in: Duden, Das Große Wörterbuch der deutschen Sprache in 6 Bänden, hrsg. und bearbeitet vom Wissenschaftlichen Rat und den Mitarbeitern der Dudenredaktion unter Leitung von Drosdowski, Bd. 6, 1981, S. 2990. 22 Reine Rechtslehre2 , 1960, S. 441. 23 Reine Rechtslehre 2 , 1960, S. 442; vgl. auch S. 358 ff.
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Ein Hochschul-
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Theorie des propositions normatives. Quelques remarques au sujet de l'interpretation normative des systemes Kl et K2 de M. Kalinowski, in: Studia Logica 9, 1960, S. 7 - 25; deutsche Fassung unter dem Titel: Zur Theorie der normativen Aussagen. Einige Bemerkungen über die nonnative Interpretation der Systeme Kl und K2 von Georges Kalinowski, in: A. 16, S. 187 - 212.
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C.56. Aufgaben und Schwierigkeiten der analytischen Rechtstheorie, in: Zeitschrift für allgemeine Wissenschaftstheorie 4, 1973, S. 356 - 367. C.57. Erwiderung auf A. Soetemans Kritik und seine Reformversuche der deontischen Logik, in: Logique et analyse 61 - 62, N. S. 16, 1973, S. 285296. C.58.
Bemerkungen zu J. Rödig's ,Kritik des normlogischen Schließens', in: Theory and Decision 3, 1973, S. 311 - 317.
C. 59.
Der Begriff der Sanktion und seine Rolle in der Normenlogik und Rechtstheorie, in: Hans Lenk (Hrsg.), Normenlogik. Grundprobleme der deontischen Logik, München 1974, S. 89 - 111.
C.60.
Kontrafaktualität und Faktentranszendenz. Versuch, die Logik der faktentranszendenten und kontrafaktualen Bedingungssätze mit den Mitteln der extensionalen Logik zu behandeln (englische Fassung: Contrary-to-fact and Fact-Transcendent Conditionals. An Attempt to deal with the logic of fact-transcendent and contrary-to-fact conditionals by me ans of truth-functional logic) , in: Ratio 16, 1974, S. 1328 (englische Ausg. S. 15 - 32).
C.61.
Einzelfallgerechtigkeit. Ein Beitrag zum Studium der logischen Bedingungen der Gerechtigkeit, in: M. Fischer, R. Jakob, E. Mock, H. Schreiner (Hrsg.), Dimensionen des Rechts, Gedächtnisschrift für Rene Marcic, Berlin 1974, S. 409 - 439; wiederabgedruckt in: A. 17, S. 164 - 194.
C. 62.
Gleichheitspostulate. Eine strukturtheoretische und rechtspolitische Betrachtung, in: Österreichische Zeitschrift für öffentliches Recht 25, 1974, S. 23 - 38; wiederabgedruckt in: A. 17, S. 146 - 163.
C. 63.
Der Wissenschaftsbegriff der Rechtswissenschaften. Programm einer erkenntniskritischen Jurisprudenz, in: Der Wissenschaftsbegriff in den Natur- und in den Geisteswissenschaften, Studia Leibnitiana, Sonderheft 5, 1975, S. 102 - 120; wiederabgedruckt in: A.17, S. 15 - 30.
C.64. Die Struktur der rechtlichen Normenordnung, in: G. Winkler (Hrsg.), Rechtstheorie und Rechtsinformatik, Wien - New York 1975, S. 110132.
Verzeichnis der wissenschaftlichen Publikationen von eta Weinberger
621
C. 65. Ex falso quodlibet in der deskriptiven und in der präskriptiven Sprache, in: RECHTSTHEORIE 6, 1975, S. 17 - 32. C.66. über die Offenheit des rechtlichen Normensystems, in: FS Walter Wilburg zum 70. Geburtstag, Graz 1975, S. 439 - 451; wiederabgedruckt in: A. 17, S. 111 - 125. C. 67. Faktentranszendente Argumentation, in: Zeitschrift für allgemeine Wissenschaftstheorie 6, 1975, S. 235 - 251. C.68. Wissensaussage und die Unmöglichkeit ihrer Objektivierung, in: Grazer Philosophische Studien 1, 1975, S. 101 - 120. C.69. Zum Problem des normenlogischen Deduzierens und Begründens, in: Conceptus IX, 1975, S. 106 - 111. C. 70. Zur Theorie der Gesetzgebung, in: B. 3, S. 173 - 198. C.71. Recht und Logik, in: Dieter Grimm (Hrsg.), Rechtswissenschaft und Nachbarwissenschaften, Bd. 2, München 1976, S. 80 - 104. C.72.
Interpretation und Zielsetzung. Betrachtungen zum Problem der Eigenart der juristischen Interpretation, in: Grazer Philosophische Studien 2, 1976, S. 19 - 39.
C.73.
Poincare's Rule (oder: Ein bißchen Hermeneutik, Herr Morscher!), in: Journal of the History of Philosophy 14, 1976, S. 356 - 358.
C.74. Begründung oder Illusion. Erkenntniskritische Gedanken zu John Rawls' Theorie der Gerechtigkeit, in: Zeitschrift für Philosophische Forschung 31, 1977, S. 234- 251; wiederabgedruckt in: A.17, S. 195 - 216. C. 75.
Gleichheit und Freiheit: komplementäre oder widerstreitende Ideale, in: Equality and Freedom: Comparative Jurisprudence, Vol. 11, New York - Leiden 1977, S. 641 - 654.
C. 76. Normenlogik und logische Bereiche, in: A. G. Conte, R. Hilpinen, G. H. von Wright (Hrsg.), Deontische Logik und Semantik, Wiesbaden 1977, S. 176 - 212; erschienen auch in italienischer übersetzung unter dem Titel: Logica delle norme e domini logici, in: Logica deontica e semantica, hrsg. von Giuliano Di Bernardo, Bologna 1977, S. 95 - 146. C.77.
Intersubjektive Kommunikation, Normenlogik und Normendynamik, in: RECHTSTHEORIE 8, 1977, S. 19 - 40; auch abgedruckt in: I. Tammelo / Helmut Schreiner (Hrsg.), Strukturierungen und Entscheidungen im Rechtsdenken, Wien - New York 1978, S. 235 - 263.
C.78. Der nomische Allsatz, in: Grazer Philosophische Studien 4, 1977, S. 31 - 42. C. 79.
Die normenlogische Basis der Rechtsdynamik, in: Gesetzgebungstheorie, Juristische Logik, Zivil- und Prozeßrecht. Gedächtnisschrift für Jürgen Rödig, hrsg. v. U. Klug, Th. Ramm, F. Rittner, B. SchmiedeI, Berlin - Heidelberg 1978, S. 173 - 190.
C. 80.
Tiefengrammatik und Problemsituation. Eine Untersuchung über den Charakter der philosophischen Analyse, in: Wittgenstein und sein Einfluß auf die gegenwärtige Philosophie. Akten des 2. Internationalen Wittgenstein-Symposiums 1977, Wien 1978, S. 290 - 297.
C.81.
Rationales und irrationales Handeln, in: Recht und Gesellschaft, FS für Helmut Schelsky zum 65. Geburtstag, hrsg. v. F. Kaulbach und
622
Verzeichnis der wissenschaftlichen Publikationen von Ota Weinberger W. Krawietz, Berlin 1978, S. 721 - 744; wiederabgedruckt in: A.20, S. 59 - 89.
C.82.
Theorie der Gerechtigkeit und De-lege-ferenda-Argumentation, in: Österreichische Zeitschrift für öffentliches Recht 29, 1978, S. 197 - 210.
C.83. Die logischen Grundlagen der erkenntniskritischen Jurisprudenz, in: RECHTSTHEORIE 9,1978, S. 125 - 142. C. 84.
Tatsachen und Tatsachenbeschreibungen. Eine logisch-methodologische Überlegung zu einem Grundlagenproblem der Sozialwissenschaft, in: Kurt Salamun (Hrsg.), Sozialphilosophie als Aufklärung, FS für Ernst Topitsch, Tübingen 1979, S.l73 - 187.
C. 85.
Kann man das normenlogische Folgerungssystem philosophisch begründen? Überlegungen zu den Grundlagen des juristischen Folgerns, in: ARSP 65, 1979, S. 161 - 186.
C. 86.
Grundzüge der Normenlogik und ihre semantische Basis (zusammen mit Christiane Weinberger), in: RECHTSTHEORIE 10, 1979, S. 1 - 47.
C.87. Abstimmungslogik und Demokratie, in: Reformen des Rechts, FS zur 200-Jahr-Feier der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Graz, Graz 1979, S. 605 - 623. C. 88. Handeln und Schließen. Überlegungen zum Begriff der praktischen Inferenz, in: The Law between Morality and Polities, hrsg. v. F. Van Dun, Philosophiea 23, 1979, S. 5 - 36; wiederabgedruckt in: A. 20, S. 19 - 58. C.89. Versuch einer neuen Grundlegung der normenlogischen Folgerungstheorie, in: Argumentation und Hermeneutik in der Jurisprudenz, hrsg. von W. Krawietz, K. Opalek, A. Peezenik, A. Schramm, RECHTSTHEORIE Beiheft 1, 1979, S. 301 - 324. C.90.
Sehlüsselprobleme der Moraltheorie, in: Vernunft, Erkenntnis, Sittlichkeit. Internationales philosophisches Symposion, Göttingen 1977, aus Anlaß des 50. Todestages von Leonard Nelson, hrsg. von Peter Schröder, Hamburg 1979, S. 123 - 150.
C.91.
,Wissen' und ,Nicht-Wissen' in der praktischen Argumentation. Überlegungen zu einem Grundlagenproblem der Moraltheorie und Rechtspolitik, in: RECHTS THEORIE 10, 1979, S. 391 - 408.
C.92.
Ist Aarnios Zutritt zur Jurisprudenz mit dem logischen Rekonstruktivismus in der Rechtstheorie verträglich?, in: A. Peezenik, I. Uusitalo (Hrsg.), Reasoning on Legal Reasoning, Vammala 1979, S. 19 - 32.
C. 93. Die Brünner Schule und die Entwicklung der Normenlogik, in: B.4, S. 33 - 49. C.94.
Über schwache Naturrechtslehren, in: Jus humanitatis. FS für Alfred Verdross zum 90. Geburtstag, hrsg. von H. Miehsler, E. Mock, B. Simma u. I. Tammelo, Berlin 1980, S. 321 - 339.
C. 95. Dialektik und philosophische Analyse, in: Logik der Sozialwissenschaften, hrsg. von Ernst Topitsch unter Mitarbeit von P. Payer, 10., veränderte Auflage, Königstein/Ts. 1980, S. 278 - 309. C.96. Determinismus und Verantwortung, in: Zeitschrift für Philosophische Forschung 34, 1980, S. 607 - 620; wiederabgedruckt in: A.20, S. 115 - 136.
Verzeichnis der wissenschaftlichen Publikationen von Ota Weinberger C.97.
623
Teleonomie und formale Teleologie (zusammen mit Ch. Weinberger), in: K. Weinke (Hrsg.), Logik, Ethik und Sprache. FS für Rudolf Freundlich, Wien - München 1980, S. 252 - 265.
C.98. Das Recht als institutionelle Tatsache. Gleichzeitig eine überlegung über den Begriff des positiven Rechts, in: RECHTSTHEORIE 11, 1980, S. 427 - 442. C.99. Ein teleologisches Modell der Lehre von der Goldenen Mitte, in: FS für Konstantin Tsatsos, Athen 1980, S. 473 - 487. C. 100. Begriffsstruktur und Klassifikation, in: Wissensstrukturen und Ordnungsmuster, Studien zur Klassifikation 9, 1980, S. 316 - 324. C.I01. Die Rolle des Konsenses in der Wissenschaft, im Recht und in der Politik, in: Methodologie und Erkenntnistheorie der juristischen Argumentation, hrsg. von A. Aarnio, I. Niiniluoto, J. Uusitalo, RECHTSTHEORIE Beiheft 2, 1981, S. 147 - 165. C. 102. Analytisch-dialektische Gerechtigkeitstheorie. Skizze einer handlungstheoretischen und non-kognitivistischen Gerechtigkeitslehre, in: Zum Fortschritt von Theorie und Technik in Recht und Ethik, hrsg. von I. Tammelo, A. Aarnio, RECHTS THEORIE Beiheft 3, 1981, S. 307 330. C. 103. Zur Idee eines institutionalistischen Rechtspositivismus. Gleichzeitig eine Auseinandersetzung mit Hans Kelsens Setzungspostivismus, in: Kelsen et le positivisme juridique, Revue Internationale de Philosophie 35, 1981, S. 487 - 507. C.I04. Syntaktische und semantische Probleme der Gesetzgebung, in: Theo Öhlinger (Hrsg.), Methodik der Gesetzgebung. Legistische Richtlinien in Theorie und Praxis, Wien - New York 1982, S. 169 - 183. C.105. Jenseits von Positivismus und Naturrecht, in: Contemporary Conceptions of Law - 9th World Congress (Basel 1979), ARSP, Supplementa, Vol. I. Part 1, 1982, S. 43 - 56. C. 106. Teleologie und Zeitablauf. Gleichzeitig eine Kritik an Wolfgang Stegmüllers Begriff der formalen Teleologie, in: RECHTSTHEORIE 13, 1982, S. 285 - 302. C.I07. Reine Rechtslehre: pro und contra (Bilanz aus Anlaß eines Doppeljubiläums), in: Memoria deI X Congresso Mundial Ordinario de Filosofia deI Derecho y Filosofia Social, Vol. VI, Symposia 11, Mexico 1982, S.23-37. C. 108. Kelsens These von der Unanwendbarkeit logischer Regeln auf Normen, in: Die Reine Rechtslehre in wissenschaftlicher Diskussion. Referate und Diskussion des Internationalen Symposions zum 100. Geburtstag von Hans Kelsen (Wien 1981), Wien 1982, S. 108 - 121. C. 109. Rechtspositivismus, Demokratie und Gerechtigkeitstheorie, in: Ideologiekritik und Demokratietheorie bei Hans Kelsen, hrsg. von W. Krawietz, E. Topitsch, P. Koller, RECHTSTHEORIE Beiheft 4, 1982, S. 501 - 523. C. 110. Normenontologie in handlungstheoretischer Sicht, spanische übersetzung unter dem Titel: Ontologia de las normas en la perspectiva de
624
Verzeichnis der Wissenschaftlichen Publikationen von Ota Weinberger la theoria de la acci6n, in: Akten des 1. Internationalen Kongresses für Rechtsphilosophie in La Plata, 1982, Bd. 2, La Plata 1982, S. 544566; dt. Fassung in: A. 20, S. 137 - 164.
C. 111. Die Naturrechtskonzeption von Ronald Dworkin, in: Das Naturrechtsdenken heute und morgen. Gedächtnisschrift für Rene Marcic, hrsg. von D. Mayer-Maly u. P. M. Simons, Berlin 1983, S. 497 - 515. C. 112. Logische Analyse als Basis der juristischen Argumentation, in: Metatheorie juristischer Argumentation, hrsg. von W. Krawietz und R. Alexy, Berlin 1983, S. 159 - 232. C. 113. Schichtenontologie und Non-Kognitivismus, in: RECHTSTHEORIE 14, 1983, S. 61 - 74. C. 114. Die formal-finalistische Handlungstheorie und das Strafrecht, in: Festschrift für Ulrich Klug zum 70. Geburtstag, Köln 1983, S. 199 - 213.
D. Varia D.l.
Rezension: Viktor Knapp, 0 moznosti pouziti kybernetickych metod v prävn (über die Möglichkeit der Anwendung kybernetischer Methoden im Recht), in: Kybernetika 1, 1965, S. 374 - 375.
D.2.
Nachwort zu: F. Loeser, Interrogativlogik, Berlin (Ost) 1968.
D.3.
Diskussionsbeiträge zum Kolloquium "Le raisonnement juridique et la logique deontique" in Brüssel, 1969, in: Logique et analyse 49 - 50, N. S. 13, 1970, S. 130 - 135, 146 - 151, 202 - 205, 243 - 244, 248 - 249, 256 - 257,265; auch abgedruckt in: Etudes de logique juridique, Vol. IV, 1970.
D.4.
Rezension: Heinz Wagner / Karl Haag, Die moderne Logik in der Rechtswissenschaft, in: Theory and Decision 2, 1971, S. 98 - 102.
D.5.
Rezension: Ilmar Tammelo, Outlines of Modern Legal Logic, in: Österreichische Zeitschrift für öffentliches Recht 22, 1971, S. 249 - 250.
D.6.
Rezension: Michael Barkun, Law without Sanction, in: Österreichische Zeitschrift für öffentliches Recht 22, 1971, S. 250 - 252.
D.7.
Einige Erklärungen zu Morschers Kritik meiner Rechtslogik, in: Österreichische Zeitschrift für öffentliches Recht 23, 1972, S. 325 - 327.
D.8.
Rezension: Jürgen Rödig, Die Denkform der Alternative in der Jurisprudenz, in: ARSP 58, 1972, S. 580 - 583.
D.9.
Rezension: Christian Ritter, Der Rechtsgedanke Kants nach den frühen Quellen, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte 89, 1972, S. 444 f.
D.lO.
Rezension: Reinhold Zippelius, Einführung in die juristische Methodenlehre, in: Theory and Decision 4, 1974, S. 373 - 378.
D.ll. Vorwort zu: Argumentation und Hermeneutik in der Jurisprudenz, RECHTSTHEORIE Beiheft 1, 1979, S. 5 - 11. D.12. Vorwort zu: Ideologiekritik und Demokratietheorie bei Hans Kelsen, RECHTSTHEORIE Beiheft 4, 1982, S. 5 - 7.
Verzeichnis der Mitarbeiter Aarnio, Aulis, Prof. Dr. iur., Institutet för Privaträtt vid Helsingfors Uni-
versitet
Achterberg, Norbert, Prof. Dr. iur., Direktor des Instituts für Öffentliches
Recht und Politik, Fachbereich Rechtswissenschaft, Universität Münster; Stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Sektion der Internationalen Vereinigung für Rechts- und Sozialphilosophie (IVR) in der BundesrepubUk Deutschland; Richter am Hessischen Verwaltungs gerichtshof Kassel.
Alchourron, Carlos Eduardo, Prof. Dr., Universidad de Buenos Aires Broekman, Jan, Universiteit van Leuven, Faculteit Rechtsgeleerdheid, Leuven Bulygin, Eugenio, Prof. Dr., Facultad de Derecho y Ciencias Sociales, Univer-
sidad de Buenos Aires
Fischer, Michael W., Prof. Dr. Dr., Institut für Rechtsphilosophie, Methodolo-
gie der Rechtswissenschaften und Allgemeine Staatslehre, Universität Salzburg
Freundlich, Rudolf, em. Prof. Dr. phil., Institut für Philosophie, Karl-Fran-
zens-Universität Graz
Gardies, Jean-Louis, Prof. Dr., Faculte de Lettres et Sciences Humaines, Department de Philosophie, Universite de Nantes Haller, Rudolf, Prof. Dr., Institut für Philosophie, Karl-Franzens-Universität
Graz
Ho erster, Norbert, Prof. Dr. iur., Lehrstuhl für Rechts- und Sozialphilosophie, Rechtssoziologie, Fachbereich Rechts- und Wirtschaftswissenschaften, Johann-Gutenberg-Universität Mainz JfJrgensen, Stig, Prof. Dr. iur., Institut for Retslaere, Aarhus Universitet Kalinowski, Georges Dominique, Prof. Dr. iur., Directeur de Recherche au
C. N. R. S., Orsay
Koller, Peter, Dr. iur., Dr. phil., Institut für Rechtsphilosophie, Karl-Fran-
zens-Universität Graz
626
Verzeichnis der Mitarbeiter
Krawietz, Werner, Prof. Dr. iur., Dr. rer. pol., Lehrstuhl für Rechtssoziologie,
Rechts- und Sozial philosophie, Fachbereich Rechtswissenschaft, Universität Münster; Direktor des Zentralinstituts für Raumplanung an der Universität Münster; Stellvertretender Geschäftsführender Vorsitzender der Internationalen Vereinigung für Rechts- und Sozialphilosophie (IVR) in der Bundesrepublik Deutschland; Professeur a la Faculte Europeenne des Sciences du Foncier, Strasbourg
Kubes, Vladimir, em. Prof. Dr., Universität Brünn Lachmayer, Friedrich, Dr., Bundeskanzleramt, Wien
Lu!, Gerhard, Prof. Dr., Rechtswissenschaftliche Fakultät, Universität Wien MacCormick, Donald Neil, Prof. Dr., Centre for Criminology and Philosophical
Study of Law, Faculty of Law, The University of Edinburgh
Mayer-Maly, Theo, Institut für Römisches Recht, Juristische Dogmenge-
schichte und Allgemeine Privatrechtsdogmatik, Universität Salzburg
Mock, Erhard, Prof. Dr., Institut für Rechtsphilosophie, Methodologie der
Rechtswissenschaften und Allgemeine Staatslehre, Universität Salzburg
Morscher, Edgar, Prof. Dr., Institut für Philosophie, Universität Salzburg Opalek, Kazimierz, Prof. Dr., Uniwersytet Jagirllonsky, Krakau Peczenik, Aleksander, Prof. Dr. iur., Dr. phil., Acting Professor, Lehrstuhl für
Allgemeine Rechtslehre und Rechtsinformatik, Fachbereich Rechtswissenschaft, Lund Universitet
Perelman, Chaim, Prof. Dr., Centre de Philosophie du Droit, Universite Libre
de Bruxelles
Prisching, Manfred, Mag. Dr., Institut für Soziologie, Karl-Franzens-Univer-
sität Graz
Reisinger, Leo, Prof. Dr. Dr., Fachbereich Wirtschafts- und Organisations-
wissenschaften, Hochschule der Bundeswehr München
Seidl, Christian, Prof. Dkfm. Dr., Institut für Finanzwissenschaft und Öffent-
liche Wirtschaft, Karl"'-Franzens-Universität Graz
Schelsky, Helmut, em. Prof.· Dr., Drs. h. c., Westfälische-Wilhelms-Universität
Münster
Schramm, Alfred, Dr., Institut für Rechtsphilosophie, Karl-Franzens-Uni-
versität Graz
Verzeichnis der Mitarbeiter
627
Stranzinger, Rudolf, Dr., Institut für Philosophie, Universität Salzburg Strasser, Peter, Univ.-Doz. Dr., Institut für Rechtsphilosophie, Karl-Franzens-
Universität Graz
Studer, Herlinde, Mag. Dr., Institut für Rechtsphilosophie, Karl-Franzens-
Universität Graz
Walter, Robert, Prof. Dr. Dr., Institut für Staats- und Verwaltungs recht, Uni-
versität Wien; Vorstand des Hans-Kelsen-Instituts Wien
Weimar, Robert, Prof. Dr. Dr., Institut für Wirtschaftsrecht und Wirtschafts-
gesetzgebung, Universität Siegen
Gerhart, Wirkl. Hofrat, Prof. Dr., Institut für Öffentliches Recht, Politikwissenschaft und Verwaltungslehre, KarI-Franzens-Universität Graz
Wielinger,
Winkler, Günther, Prof. Dr. Dr. h. c., Institut für Staats- und Verwaltungs-
recht, Universität Wien
von WTight, Georg Henrik, Prof. Dr., Helsingin Yliopisto, Filosofian Laitos Wroblewski, Jerzy, Prof. Dr. iur., Kierownik Zakladu Teorii Panstwa
Prawa, Wydzial Prawa i Administracji, Uniwersytet L6dzki
Wyduckel, Dieter, Dr. jur., Privatdozent, Fachbereich Rechtswissenschaft,
Universität Münster; Lehrbeauftragter am Fachbereich Rechtswissenschaften der Universität Osnabrück; Profesor fundador deI Ateneo Filosofico Mexico, D. F. (übersetzung des Beitrages Perelman)
Ziembinski, Zygmunt, Prof. Dr., Uniwersytet Poznan