Theorie und Praxis: Festschrift für Nikolaus Lobkowicz zum 65. Geburtstag [1 ed.] 9783428487066, 9783428087068

»Theorie und Praxis« - der Titel dieser Festschrift erinnert an Nikolaus Lobkowicz' Buch »Theory and Practice« (Not

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German Pages 449 Year 1996

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Theorie und Praxis: Festschrift für Nikolaus Lobkowicz zum 65. Geburtstag [1 ed.]
 9783428487066, 9783428087068

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THEORIE UND PRAXIS Festschrift für Nikolaus Lobkowicz

Beiträge zur Politischen Wissenschaft Band 89

Theorie und Praxis Festschrift für Nikolaus Lobkowicz zum 65. Geburtstag

herausgegeben von

Karl Graf Ballestrem . Henning Ottmann

Duncker & Humblot . Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Theorie und Praxis: Festschrift für Nikolaus Lobkowicz

zum 65. Geburtstag / hrsg. von Kar! Graf Ballestrem ; Henning Ottmann. - Ber!in : Duncker und Humblot, 1996 (Beiträge zur politischen Wissenschaft; Bd. 89) ISBN 3-428-08706-2 NE: Ballestrem, Kar! Graf [Hrsg.]; Lobkowicz, Nikolaus: Festschrift; GT

Alle Rechte vorbehalten © 1996 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Color-Druck Dorfi GmbH, Ber!in Printed in Germany ISSN 0582-0421 ISBN 3-428-08706-2 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

8

Inhalt Einleitung ................................................................ 9

I. Philosophie Freiheit. Zur Möglichkeit des Guten und Bösen bei Schelling Von Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz .. .................................... 15 "Die Weltgeschichte ist das Weltgericht". Anerkennung und Erinnerung bei Hegel Von Henning Ottmann .. ................................................ 31 Ist eine nicht-missionarische Praxis universalistischer Religionen möglich? Von Robert Spaemann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 41 Gibt es eine gemeinsame Sprache der Religionen? Von Horst Bürkle .. ..................................................... 49 Vernunft, Sollen, and the Enlightenment Project Today By Thomas McCarthy . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 59

11. Kulturgeschichte Gebet und Arbeit. Ein benediktinisches Programm und seine Verwandlungen in der Moderne Von Hans Maier .. ................................. , ................... , 79 Universalität und Singularität. Theorie und Praxis kirchlicher Doktrin in der Politik nationaler Katholizismen Von Heinz Hürten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 97 Faust - der Erbauer Von Karl Kosik ........................................................ 111 Zur Theorie des Skandals Von Mohammed Rassem ............................................... 121

6

Inhalt

Die "Gedichtgeschicht" , das "Geschichtgedicht" und der "eigene Lebens-Lauff". Gedanken zur Theorie und Praxis des deutschen Barockromans Von Ruprecht Wimmer. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 131

III. Politische Theorie Traditionelles Gemeinwohl und liberale politische Theorie

Von Bernhard Sutor.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 155 Liberalismus und Demokratie

Von K arl Graf Ballestrem .............................................. 179 Mit welchem Liberalismus?

Von Sergio Belardinelli . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 193 Gemeinwohl mit oder ohne Gemeinsinn? Die Liberalismus/ Kommunitarismus-Kontroverse und der Streit um die "Bienenfabel"

Von Lothar Waas ...................................................... 207 Othmar Spann - Kritische Würdigung eines zu unrecht Vergessenen

Von Kurt Hübner ...................................................... 227

IV. Aktuelle politische und verfassungsrechtliche Probleme Die linken und die rechten Werte. Ein Ringen um das Meinungsklima

Von Elisabeth Noelle-Neumann ......................................... 243 Geteilte Souveränität. Die Transformation des Staates in der europäischen Einigung

Von Hermann Lübbe .. ................................................. 269 Ostmitteleuropäischer Kommunismus als ein gescheiterter Versuch der supranationalen Ordnung

Von Jerzy Holzer .... .................................................. 279 Sudetendeutsche und Tschechen: Über die Schwierigkeiten der Verständigung

Von Friedrich Prinz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . .. 291 Art. 146 GG: Auftrag zur Neuverfassung Deutschlands?

Von Peter Lerche. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 299

Inhalt

7

Der verfassungsgemäße Naturzustand. Über einige Irrwege des Bundesverfassungsgerichts

Von Rupert Hofmann .................................................. 311 Ist Arbeitslosigkeit unvermeidbar?

Von Christian Watrin................................................. 351

v.

Forschungs- und Hochschulpolitik

Brennpunkte der aktuellen forschungs politischen Diskussion

Von Hans F. Zacher ........... ........................................ 371 Zur Autonomie der Universitäten: Universitätsidee, bildungspolitische Legitimation und institutionelle Prinzipien

Von Ulrich Matz ....................................................... 395 Tempi passati. Rückblicke auf die Universität, wie sie war

Von Dtto B. Roegele ... ................................................ 407 Bibliographie .......................................................... 423 Die Autoren ........................................................... 445

Einleitung "Theorie und Praxis" - der Titel dieser Festschrift erinnert an Nikolaus Lobkowicz' Buch "Theory and Practice" (Notre Dame U.P. 1967), eine gelehrte Untersuchung zur Geschichte des Verhältnisses von Theorie und Praxis in unserer Kultur. Die Entdeckung der Theoria bei den Griechen; die Geschichte von vita activa und vita contemplativa in der Metaphysik des Christentums; die neuzeitliche "instrumentelle" Theorie und die radikale Verkehrung der traditionellen "reinen" Theorie in die Kritische Theorie der Linkshegelianer und des Karl Marx, waren Themen dieser Untersuchung. Leser des Werkes werden sich wünschen, daß der zu Ehrende nun die Muße finden möge, diesem Band einen zweiten folgen zu lassen, der die Geschichte von Theorie und Praxis fortschreibt bis in unser Jahrhundert hinein! Nikolaus Lobkowicz war ein Schüler des Dominikaners J. M. Bochenski in Fribourg. Ähnlich wie bei seinem Lehrer lassen sich seine theoretischen Interessen nicht in den Rahmen nur einer Schule pressen. Da war das Interesse am Marxismus, von dessen hochtheoretischer Vorgeschichte in der Philosophie Hegels bis zum Marxismus-Leninismus und zur Sowjetologie. Da war das Interesse an der Philosophie des Aristoteles und des Thomas, und die Werke des Thomas sind Nikolaus Lobkowicz stets so gegenwärtig geblieben, daß er erstaunten Zuhörern bis heute einzelne quaestiones wörtlich vorzitieren kann. Und da war immer auch das Interesse an Wissenschaftstheorie und analytischer Philosophie. Es gab Themenkreise wie z. B. die "analytische Ethik", die er Ende der 60er Jahre, als er von Notre Dame nach München berufen worden war, wohl als erster in Deutschland vorgetragen hat. "Theorie und Praxis" - der Titel der Festschrift kann über die theoretischen Interessen des zu Ehrenden hinaus auch daran erinnern, daß Nikolaus Lobkowicz seit dem Ende der 60er Jahre versucht hat, das Interesse an Theorie und vita contemplativa mit der vita activa zu vereinen. Herausgefordert durch die Kulturrevolution von 1968, die in den Münchener Seminaren hautnah zu erleben war (eine seltsame Mischung von aufregender Theorie-Diskussion und politisch katastrophaler Dummheit), hatte er sich der Hochschulpolitik verschrieben. Je zweimal war er Präsident der Universität München und der Katholischen Universität

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Einleitung

Eichstätt. Der Theoretiker war Politiker geworden, was man aus der Sicht der Theorie bedauern, aus der Sicht der Praxis begrüßen kann. Vita activa und vita contemplativa zu vereinen, ist für den politisch Tätigen eine Herausforderung besonderer Art. Nikolaus Lobkowicz scheint sie - sieht man die Länge seiner Bibliographie und die Häufigkeit seiner publizistischen "Wortmeldungen" - durchaus gelungen zu sein. Für den Christen, der er sein will, kann ein grundlegender Konflikt zwischen Theorie und Praxis sowieso nicht bestehen. Hinter der christlichen Praxis können die großen Traditionen klassischen Philosophierens stehen mit all jener Rationalität, die diesen zu eigen ist. Dahinter kann jedoch auch ein Wissen um die Grenzen des Denkens verborgen sein, ein Wissen, das dem Glauben Platz macht und sich auf Gewißheiten gründet, die jenseits theoretischer Anfechtungen sind. Die Beiträge dieser Festschrift spiegeln auf ihre Weise die Weite der Interessen, von denen Wissenschaft, Hochschulpolitik und vita christiana des zu Ehrenden geprägt worden sind. Weggefährten und Schüler, Kollegen und Freunde aus Universität, Politik und Kirche äußern sich hier zu Fragen der Philosophie und Geschichte, der politischen Theorie und der aktuellen Politik, der Forschungs- und Hochschulpolitik. Viele Themen und Probleme kommen dabei zur Sprache, zu denen Nikolaus Lobkowicz seinerseits Stellung bezogen hat. Auch in politischer Hinsicht gibt dieser Band etwas von der Einstellung des zu Ehrenden wieder. Bekanntlich gehört er zu den profiliertesten Konservativen in Deutschland (freilich mit liberalen Elementen, die seit den Jahren in den USA für ihn selbstverständlich sind), zugleich ist er aber ganz offen für andere politische Richtungen, sofern sie mit Intelligenz und persönlicher Integrität vertreten werden. So ist die Mehrzahl derer, die ihm persönlich und intellektuell nahestehen, christlich und konservativ geprägt; aber bezeichnenderweise finden sich darunter ebenfalls Marxisten, Vertreter der kritischen Theorie und Liberale. Die Herausgeber wollen mit diesem Band auch ihren persönlichen Dank verbinden. Sie haben als Assistenten des zu Ehrenden große Freiheit und viel Förderung erfahren. Professor Lobkowicz hat seine Assistenten nie mit "niederen Diensten" belastet, sie vielmehr ermutigt, in Lehre und Forschung eigene Wege zu gehen. Wir wünschen ihm, auch im Namen der an dieser Schrift beteiligten Autoren, viel Glück! Daß der Weg, der vermutlich von der vita activa nun mehr zur vita contemplativa zurückführen wird, so sein möge, wie er ihn sich wünscht. Nach dem Zeugnis des Aristoteles ist die vita contemplativa bekanntlich das höchste Glück des Menschen, und man zweifelt ungern am Wort des Philosophen, der dem zu Ehrenden so nahe steht.

Einleitung

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Zuletzt ein Wort des Dankes an diejenigen, die diesen Band möglich gemacht haben: An die Autoren, die unserer Einladung bereitwillig gefolgt sind. An den Verlag, der die Veröffentlichung gern und umstandslos übernommen hat. Ganz besonders aber an Frau Barbara Matzner, die mit großer Sorgfalt und stets gleichbleibender Freundlichkeit den druckfertigen Text erstellt hat. Die Herausgeber

I. Philosophie

Freiheit. Zur Möglichkeit des Guten und Bösen bei Schelling Von Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz

I. Das Rahmenproblem

In der Schrift von 1809, "Philosophische Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit und die damit zusammenhängenden Gegenstände" 1 versucht Schelling, das Phänomen der Freiheit zu klären, und zwar setzt er sie - konsequenter weise - als letztmögliche Begründung der empirischen Welt an, woran alle Kausalketten rationaler, wissenschaftlicher Betrachtungsweise als an dem selbst nicht weiter begründbaren Grund enden. Schelling hat gegenüber Kant, Fichte und Hegel das Verdienst der Philosophie der Vernunft, des logischen Bewußtseins, des Geistes die Philosophie des Willens entgegengestellt, präziser: zugrundegelegt zu haben, dergestalt daß dem Willen - logice et ontologice - der Primat vor dem logischen Bewußtsein zugesprochen wird. Er hat so dem breit ausgebauten dreifachen System der Logizität innerhalb des deutschen Idealismus ein komplementäres System entgegenzusetzen versucht. Noch ganz allgemein und ohne dabei auf Schelling zu rekurrieren, läßt sich der prinzipielle Ausgangspunkt dieses Gedankens so erschließen: die Kausalketten rationaler Argumente lassen sich letzten Endes zurückführen auf Prämissen oder Gründe, die selbst nicht wiederum kausal begründbar sind, weil sie ihrerseits "causae" darstellen. Könnte man in einer Argumentation niemals auf solche ersten Gründe zurückkommen, so entstünde ein nicht beweiskräftiger Zirkel ad infinitum. 2 Der Charakter dieser Prämissen oder causae ist also und muß prinzipiell verschieden sein vom Charakter der abgeleiteten Sätze, die ja ihre Beweiskraft oder ihren nachprüfbaren Sinn erst durch die Umkehrung des deduktiven Schlußes, also reduktiv ISchellings Werke. Münchner Jubiläwnsdruck, hg. v. Manfred Schröter, München 1965, IV, 223-376 (im Folgenden abgekürzt als: WW). 2Aristoteles, Metaphysik a 994 a 1, übers. v. Hermann Bonitz, Reinbek 1966, 41: "Daß es ein Prinzip [arche] gibt und die Ursachen des Seienden nicht ins Unendliche fortschreiten, weder in fortlaufender Reihe noch der Art nach, ist offensichtlich."

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erhalten: denn ihr Prinzip liegt außerhalb ihrer selbst. 3 Wenn diese abgeleiteten Sätze einen logischen Charakter besitzen und aufgrund einer (reversiblen) Deduktion erhalten werden, also eine abgeleitete Wahrheit repräsentieren, welchen Charakter haben dann diese ersten Prämissen, mit welcher Methode werden sie gefunden, welche Wahrheit zeichnet sie aus? Die griechische Philosophie hat folgende Antwort darauf gegeben: Die Prämissen haben einen nicht-logischen (was wörtlich bedeutet: einen nicht zusammengelesenen, zusammengesetzten), einen archaischen, unmittelbar einleuchtenden oder evidenten Charakter 4 , der zum Zeichen seiner Evidenz nur tautologisch erklärt, aber nicht begründet werden kann. Die Methode, mit der sie gefunden werden, ist keine logische, also keine Methode im strengen Sinn des linearen Folgerns, sondern die Findung beruht auf einem Vermögen eigener Art, dem Nous (lat. intellectus), einer Einsicht, welche der Fähigkeit des logos als des verknüpfenden Verstandes entgegengesetzt ist, da dieser die ersten Gründe nur benutzt, sie aber nicht, was unmöglich wäre, aus irgendeiner Verknüpfung herstellt oder ableitet. Die noetische Fähigkeit dagegen sieht die Wahrheit ein; ja geradezu in der Form des Erleidens5 und weniger des Ergreifens vollzieht sich nach der Tradition die Mitteilung der ersten Wahrheiten. Indem diese sich selbst und damit alle abgeleiteten Wahrheiten begründen, ist ihr ursprünglicher Charakter am besten als ein "freier" Charakter zu bestimmen. 6 Was soll der Umweg über diesen antiken Gedanken in Zusammenhang mit Schellings Philosophie des Willens? 3 Aristoteles, Analytica Posteriora, übers. v. Karl Zell, in: Aristoteles Werke, Stuttgart 1840, Kap. II: "[ ... ] so muß notwendig dasjenige, woran das beweisbare [apodiktische] Wissen hervorgeht, immer sein: wahr, ein erstes, unmittelbar; bekannter und eher als das dadurch Bewiesene, endlich der ursächliche Grund des Schlußes." • Aristoteles, Topik A, I, 1-30, übers. v. Karl Zell, in: Werke, Stuttgart 1836: "Unbedingt wahr und unmittelbar Erstes nennen wir dasjenige, was nicht durch Anderes, sondern durch sich selbst für WlS als gewiß erscheint. Bei den Prinzipien des Wissens hat man nämlich nicht zu fragen nach dem Warum, sondern ein jedes Prinzip wird an und durch sich selbst als wahr angenommen." 5Die Passivität, die der Einsehende gegenüber den archai einnimmt, wird z.B. im italienischen Humanismus in der Theorie des "furore" philosophisch durchdacht, im bewußten Wiederaufgreifen der platonischen Theorie der pathe. Ein spekulativer Höhepunkt d~ findet sich bei Giordano Bruno in "I eroici furori" . Ist Schelling auch in dieser Hinsicht von Bruno beeinflußt? 6 Aristoteles, Metaphysik A 982 b 26 (S. 14): "[ ... ] so ist auch diese Wissenschaft (= der Ursachen) allein unter allen frei (eleuthera); denn sie allein ist um ihrer selbst willen." - Zur Konfrontation noils-lOg08 s. Analytica posteriora, a.a.O., Kap. II: "[... ] alles Wissen (wird) durch das logische Vermögen (logos) und auf dem Weg des Beweises gewonnen ... Das Prinzip des Beweises kann nicht wieder Beweis sein, und das Prinzip des Wissens nicht wieder Wissen. Wenn wir also kein anderes wahres Denken haben als die Vernunft (noUs), so ist die Vernunft das Prinzip des Wissens. Sie ist gleichsam der Grund des Grundes [... ]".

Freiheit

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Zweierlei: Auch Schelling sucht den Charakter des nicht weiter begründbaren Grundes zu bestimmen und definiert ihn letztlich als frei und methodisch den logischen Kategorien vorgeordnet - dies in Übereinstimmung mit der griechischen Tradition. Zum anderen jedoch der Unterschied: Die ersten Ursachen und Prinzipien (aitiai und archai sind für Aristoteles immer Ursachen und Prinzipien des Seienden, ihre Wahrheit ist die Wahrheit des Seins. Schelling geht über diese Konzeption jedoch hinaus: Er sieht nicht das Sein als letzt begründende Größe, und das unterscheidet ihn (sowie den deutschen Idealismus und seine neuzeitlichen Vorläufer) prinzipiell von der gesamten griechischen und einem Großteil der mittelalterlichen Philosophie. Bei der Suche nach einer noch tieferen Begründung dieses Seins selbst postuliert Schelling den Grund im Willen, dem natürlicherweise alle bereits im griechischen Denken entwickelten Kennzeichen des Charakters einer arche zufallen: "Es gibt in der letzten und höchsten Instanz gar kein anderes Seyn als das Wollen. Wollen ist Urseyn, und auf dieses allein passen alle Prädicate desselben: Grundlosigkeit, Ewigkeit, Unabhängigkeit von der Zeit, Selbstbejahung. Die ganze Philosophie strebt nur dahin, diesen höchsten Ausdruck zu finden."7 In dieser These vollzieht sich ein gewaltiger Schritt, den der deutsche Idealismus als ganzer vollzogen hat (unnötig zu sagen, daß auch er auf jahrhundertelangen Vorarbeiten aufbaut): von der Philosophie des Seins zur Philosophie des Ich, "oder im Fichteschen Ausdruck, daß nicht allein die Ichheit alles, sondern auch umgekehrt alles Ichheit sey."s Nun geht aber Schelling von dieser erreichten Basis aus selbst noch über die idealistische Konzeption des Ich hinaus. Während der deutsche Idealismus dieses Ich primär und prinzipiell von seiner rationalen, logischen Struktur her begreift, nämlich es im tiefsten als Vernunft, als Geist zu fassen versucht, deckt Schelling noch die Wurzel der Vernunft, des Geistes auf: den Willen. Den Willen zum Grund des Seins und des Ich zu erklären, heißt nichts anderes als die Freiheit als letzten Erklärungsgrund zu setzen: ohne den Willen als frei anzunehmen, wäre es sinnlos, überhaupt von Willen zu sprechen. Freiheit wird "zum Eins und Alles der Philosophie" 9, denn sie ist das letzthin unbegründbare, sich selbst begründende Vermögen des Urwillens. Der freie Charakter des Willens läßt sich unterscheiden vom notwendigen oder konsequenten Charakter des logischen sowie des intellektuellen Aktes. Der logische Akt orientiert sich an den vorhandenen Strukturen der er7WS IV, 242. 8WW IV, 243. 9WW IV, 243. 2 Lobkowicz

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sten wahren Einsichten, indem er sie ableitet und untereinander verknüpft: diese logische Verknüpfung kann aber nicht willkürlich geschehen, sondern vollzieht sich geradezu zwanghaft von der Seite des Verknüpfenden aus, allein orientiert an der formalen Konsequenz der Sätze, weswegen man treffend von der "Stringenz" der Logik spricht. Der (im obigen Sinn) intellektuelle Akt der Einsicht des Ersten und Begründenden ist seinerseits an diesem Ersten orientiert: dessen Charakter löst ebenfalls einen Zwang der Einsicht aus, denn seine Wahrheit besitzt als Wahrheit eine Evidenz, der man sich schlechterdings nicht entziehen kann. Da sich der logische wie der intellektuelle Akt auf das Wahre richten, kann es keine "Entscheidung" für das Wahre geben in dem Sinne, daß man die Wahl hätte zwischen einer sich aufdrängenden Evidenz der Wahrheit und ihrem sich ohnehin von selbst widerlegenden Gegenteil, oder zwischen Logik und Unlogik; die Wahl kann nicht stattfinden, da die Alternative fehlt: es gibt kein sinnvolles, inhaltlich gefülltes Gegenteil des Wahren, sondern das Gegenteil führt zwanghaft auf das Wahre zurück (wie die Negation des Satzes vom Widerspruch ihn voraussetzt). "Veritas est index sui et falsi" , nach der Formulierung Spinozas. Demgegenüber der Charakter des Willens, der eo ipso dasselbe ist wie freier Wille: Er orientiert sich nicht im Nachvollzug an der Stringenz des Wahren und Falschen, sondern entscheidet sich - ex definitione - frei, nämlich aus sich selbst heraus für Gut oder Böse, so daß also Gut oder Böse keine zwanghafte, notwendige und evidente Reaktion auslösen müssen wie das Wahre. Nun ist das Verhältnis oder die Bezogenheit der Freiheit auf Gut und Böse "der Punkt der tiefsten Schwierigkeit in der ganzen Lehre von der Freiheit, [... ] die nicht bloß dieses oder jenes System, sondern, mehr oder weniger, alle trifft." 10 Eben dieser Schwierigkeit gilt die Anstrengung Schellings, um das Phänomen des Willens stichhaltig als Grund schlechthin aufweisen zu können.

11. Kritik an den bisherigen Erklärungen des Guten und Bösen

Die bisherigen Lösungsversuche des Problems des Guten und Bösen scheitern für Schelling alle an der Frage nach der Möglichkeit der Entstehung des Bösen: Weder kann ein Hervorgehen des Bösen aus dem Guten angenommen, noch kann das Böse als indifferent neben dem Guten belOWW IV, 244.

Freiheit

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stehend gedacht werden, da dann die Frage des einheitlichen Ursprungs dieser beiden Kräfte nur auf Gott zurückverweist, wo sich dasselbe Problem erneut erhebt. Ebenso ist ein wahrhaft durchgestandener Dualismus von Gut und Böse "nur ein System der Selbstzerreißung und Verzweiflung der Vernunft".l1 Schließlich ist auch die Leugnung der Realität des Bösen nur eine Scheinlösung, da dann auch der Begriff von Freiheit und Wille enWillt, und somit die Notwendigkeit einer tieferen Begründung des Seins aufgegeben wird. Diese vier grundsätzlichen Lösungen oder vielmehr Nicht-Lösungen des Problems der Beziehung von Gut und Böse führt Schelling in allen möglichen philosophischen Varianten vor, um sie alle zu verwerfen. Er selbst setzt seinen Lösungsversuch in neuer Weise an, und zwar ist der Ausgang der Untersuchung ebenso programmatisch wie das Ziel: die Freiheit des Willens zum Grund des Seins zu erklären. Der Ausgangspunkt und damit die Methode ist bestimmt durch die "Grundsätze einer wahren Naturphilosophie" .12 Programmatisch ist dies deshalb, weil Schelling durch das Philosophieren im "lebendigen Grund der Natur" 13, in der "Lebenskraft und Fülle der Wirklichkeit" 14 die Fehler der bisherigen großen Systementwürfe zu vermeiden postuliert: die Abstraktheit des spinozischen Realismus ebensowohl wie die "Allgemeinheiten des Idealismus" 15, beide ausgezeichnet durch den "gemeinschaftlichen Mangel, daß die Natur für sie nicht vorhanden ist, und daß es ihr am lebendigen Grunde fehlt" .16 Philosophie der Natur dagegen tritt auf mit dem Anspruch, Idee und Wirklichkeit, das Prinzip und das Konkrete ("Fleisch und Blut" 17) zu vereinen: das heißt aus ein und demselben Grund zu denken. Dieser Grund nun, aus dem alles gedacht werden muß, ist bei Schellingundifferenziert gesprochen - Gott; die Art und Weise jedoch, mit der er erkannt und in der über ihn geredet werden kann, stammt aus der Erkenntnis der Natur; sie wird (die notwendigen Vorbehalte vorausgesetzt) auf Gott rückübertragen, so daß er nicht als "bloßer Begritr", sondern als "Reelles und Wirkliches" 18 erscheint. Die Natur, sofern sie als Schöpfung und nicht sich selbst Begründendes angenommen wird, muß sich ja in ihrem Schöpfer als ihrem Grund wiederfinden, solange sie nicht als ihm prinzi-

11 WW 12WW 13WW HWW 15WW 16WW 17WW 18WW

IV, IV, IV, IV, IV, IV, IV, IV,

246. 249. 249. 248. 248. 248. 248. 250.

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piell entfremdet und sich eigenständig im Widerstand zu ihm begründend gedacht wird - was Schelling wenigstens in den "Untersuchungen" nicht tut.

III. Der Dualismus in Gott Die Art und Weise der Deszendenz der Natur aus Gott erklärt für Schelling die Möglichkeit des Bösen.

In Gott selbst liegt eine dualistische Möglichkeit besonderer Art beschlossen - beschlossen im Sinne von nicht realisiert -: der Dualismus von Grund der Existenz und eigentlicher Existenz. "Dieser Grund seiner Existenz, den Gott in sich hat, ist nicht Gott absolut betrachtet, d.h. sofern er existiert; denn er ist ja nur der Grund seiner Existenz. Er ist die Natur - in Gott; ein von ihm zwar unabtrennliches, aber doch unterschiedenes Wesen." 19 Dualismus muß hier präzise gefaßt werden: Es handelt sich nicht um eine bloß formal-logische, sondern um eine substantielle Zweiheit, die jedoch kraft der Existenz Gottes als des Einen sozusagen noch einmal und nur dieses einemal angefangen wird. Also eine durch Einheit nicht zum Ausbruch kommende Zweiheit, besser: eine dialektisch vermittelte Zweiheit, die nicht gegeneinander, sondern durch und für einander sich zur Einheit konstituiert: "Was übrigens jenes Vorhergehen betrifft, so ist es weder als Vorhergehen der Zeit nach, noch als Priorität des Wesens zu denken [... ] Es ist hier kein Erstes und kein Letztes, weil alles sich gegenseitig voraussetzt, keins das andere und doch nicht ohne das andere ist. Gott hat in sich einen innern Grund seiner Existenz, der insofern ihm als Existirendem vorangeht; aber ebenso ist Gott wieder das Prius des Grundes, indem der Grund, auch als solcher,nicht seyn könnte, wenn Gott nicht actu existirte." 20 Dieser Versuch einer Bestimmung Gottes als der eine substantielle Dualität umgreifenden Einheit entspringt im Grunde der theoretischen Absicht, Gott oder die Identität als in sich bewegt zu fassen. Gott nur als immobiles Sein zu sehen, ist für Schelling abstrakt und metaphysisch, "Vernunftreligion" .21 Das Verständnis Gottes als lebendiger Person setzt für ihn notwendig die Komponente des "ewigen Werdens" 22 voraus. Dieses 19WW IV, 250. 20WW IV, 250. 21 Stuttgarter Privatvorlesungen (1810), WW IV, 324. 22WW IV, 324.

Freiheit

21

Werden sucht er zunächst in der Dualität, dann in der Trinität des Wesens Gottes darzustellen. Ausgangspunkt der Theorie ist das genannte "Wesen als Grund von Existenz" .23 Dieser Schlüsselbegriff wird bereits in der "Darstellung meines Systems der Philosophie" 1801 inhaltlich herausgearbeitet, und zwar aufgrund naturphilosophischer Überlegungen über den Zusammenhang von Licht und Schwerkraft. Entwickelt wird dabei folgender Begriff des Grundes oder der Natur: "Im Ganzen alles, was bloß Grund von Realität, nicht selbst Realität = Natur."24 - "Wir verstehen unter Natur die absolute Identität überhaupt, sofern sie nicht als seyend, sondern als Grund ihres Seyns betrachtet werde, und wir sehen hieraus vorher, daß wir alles Natur nennen werden, was jenseits des absoluten Seyns der absoluten Identität liegt." 25 Im Begriff der absoluten Identität selbst erscheint also schon eine Doppeltheit: es gibt eine seiende absolute Identität und ein Jenseits der seienden absoluten Identität, das in seiner Jenseitigkeit als "absolute Identität überhaupt" apostrophiert wird. Was ist aber dieses Jenseits und wie läßt es sich vermitteln? Schellings Movens, das Aufzeigen der inneren Struktur des Absoluten nicht in seiner Statik, sondern in seiner Dynamik, läßt ihn dieses Vermitteln beschreiben in Begriffen wie Werden, Sich Entwickeln, allmähliches Heraustreten. Mit anderen Worten: das Denken in der dualistischen Dynamik führt letzten Endes zu einer Stufentheorie der göttlichen Selbstwerdung und Selbstfindung. In den "Stuttgarter Privat vorlesungen" (1810) wird dieser Prozeß Gottes dualistisch kontrapunktiert. Grund von Existenz und Existenz werden dabei metaphorisch ausgedrückt: "Das Dunkel geht vor ihm her, die Klarheit bricht erst aus der Nacht seines Wesens hervor."26 Der Grundsatz der Dualität zwingt zu einem denkerischen Nacheinander von Phasen des Verhältnisses der beiden Prinzipien. Zwar ist ihr unvermitteltes Nebeneinander keineswegs ausgeschlossen - sie sollen ja keine kontradiktorische Dualität vorstellen -, doch gerade dieses Nebeneinander erlaubt verschiedene Kombinationen, Relationen, Präponderanzen im Nacheinander, in der Entfaltung. Die erste, unbewußte Phase Gottes wird gekennzeichnet durch ein indifferentes Nebeneinander beider "Potenzen", des Dunkels und des Lichtes oder des Niederen und des Höheren. Diese Indifferenz wird in einer zweiten Phase aufgehoben in einer Entscheidung für das Höhere und einem Ausschließen des Niederen als des Ungöttlichen: das Modell der Scheidung 23 WW 24WW 2 5 WW 26WW

IV, IH, IH, IV,

324.

47, Anm. 1. 99 f. §145, Erklärung. 325.

22

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schlechthin ist zugleich Anfang des Bewußtseins, nämlich des Bewußtseins Gottes von sich selbst. Nach wie vor jedoch bleibt das Niedere als Potenz, als Fundament, als Ermöglichungsgrund des Höheren erhalten, als "Unvertilgliches"27; sein Wandel besteht nur in der neuen Relation auf das andere Prinzip, nämlich in seiner Unterordnung. In dieser neuen Ordnung erweist, erkennt sich Gott als er selbst, sein Prozeß der völligen Selbstrealisierung besteht nur noch im Durchführen dieser Ordnung auch in der Schöpfung, in der dieselben Prinzipien um die richtige Relation ringen. "Wir können nun zum voraus sagen, daß eigentlich der ganze Proceß der Weltschöpfung, der noch immerfort der Lebensproceß in der Natur und in der Geschichte - daß dieser eigentlich nichts anderes als der Proceß der vollendeten Bewußtwerdung, der vollendeten Personalisierung Gottes ist." 28 In der Freiheitsschrift von 1809 findet dieser Prozeß reichere und differenziertere Bestimmungen, vor allem strukturell hinsichtlich eines trinitarischen Aufbaus, der jedoch die dualistische Grundkonzeption als solche nicht ändert. Der ewig dunkle Grund, der nicht Gott selbst ist, wird charakterisiert als "Sehnsucht, die das ewige Eine empfindet, sich selbst zu gebären. Sie ist nicht das Eine selbst, aber doch mit ihm gleich ewig. Sie will Gott, d.h. die unergründliche Einheit, gebären, aber insofern ist in ihr selbst noch nicht die Einheit."29 Folgerungen daraus: die Differenz von Grund der Identität und Identität selber, bzw. die Noch-Nicht-Identität selbst ist der Identität vorgeordnet, zumindest beigeordnet. Das Nichtidentische als Grund des Identischen ist dasselbe wie Wille, aber "nicht selbständiger und vollkommener Wille ... ; nicht ein bewußter, sondern ein ahndender Wille, dessen Ahndung der Verstand ist.,,3o Übertragen auf die sich innerhalb der Trinität vollziehende Bewegung stellt sich dieses Werden in biblischer Terminologie so dar: "... entsprechend der Sehnsucht, welche als der noch dunkle Grund die erste Regung göttlichen Daseyns ist, erzeugt sich in Gott selbst eine innere reflexive Vorstellung, durch welche, da sie keinen anderen Gegenstand haben kann als Gott, Gott sich selbst in einem Ebenbilde erblickt. Diese Vorstellung ist das Erste, worin Gott, absolut betrachtet, verwirklicht ist, obgleich nur in ihm selbst, sie ist im Anfange bei Gott, und der in Gott gezeugte Gott selbst."31

27WW 2 8 WW 29WW 30WW 31WW

IV, 333. IV,325. IV, 251. IV, 251. IV, 252/253.

Freiheit

23

Erst die Reproduktion Gottes in der Reflexion führt eigentlich zur "Verwirklichung" Gottes, d.h. die Reproduktion ist gen au genommen die Produktion Gottes für sich. Aus dem Willen entwickelt sich der Verstand, "das Wort" 32 , wie Schelling parallel zum biblischen Logos formuliert: die Ordnung des chaotischen Grundes, der Sohn als der gezeugte Gott. Die Zusammenfassung beider Potenzen (Hegels "Aufhebung") vollzieht sich im ewigen "Geist, der das Wort in sich und zugleich die unendliche Sehnsucht empfindet [... ], daß nun der Verstand mit der Sehnsucht zusammen freischaffender und allmächtiger Wille wird und in der anfänglich regellosen Natur als in seinem Element oder Werkzeuge bildet."33 Die Schritte der Selbstwerdung Gottes, mithin die drei unterscheidbaren Kräfte der Trinität, sind also zu benennen: unbewußter Grund oder unbewußter Wille, Verstand als reflexive Ordnung, Geist als Einheit von Wille/Sehnsucht und Verstand/bestimmtem Willen. Vom unbewußten Willen über die Reflexion zum bewußten Willen: Gott, am meisten "Er selbst" in der dritten Gestalt des Geistes, wird prinzipiell unter dem Gesichtspunkt des Willens bestimmt, des nicht weiter begründ baren Soseins, der Freiheit. 34

IV. Die Möglichkeit des Bösen Kraft der Funktion des Geistes als Band der bei den Prinzipien oder Potenzen ist deren Identität in Gott actu gewährleistet, ja ihre Identität ist so stark und selbst "unauflöslich"35, daß man - in Hinblick auf Gott allein - sie nicht theoretisch unterscheiden, sie wohl gar nicht als divergent erkennen könnte. Die Möglichkeit ihrer theoretischen Trennung ergibt sich wiederum analog durch Vergleich und Rückschluß, und insofern "bedarf' Gott zu seiner Offenbarwerdung des Menschen in seiner analogen und gleichzeitig divergenten Struktur. "Denn jedes Wesen kann nur in seinem Gegentheil offenbar werden, Liebe nur in Haß, Einheit in Streit. Wäre keine Zertrennung der Principien, so könnte die Einheit ihre Allmacht nicht erweisen; wäre nicht Zwietracht, so könnte die Liebe nicht wirklich werden."36 "Diejenige Einheit, die in Gott unzertrennlich ist, 32 WW

IV, 253. IV, 253. 3{Der Unterschied zu den "Stuttgarter Privat vorlesungen" besteht darin, daß Schelling dort, zur Akzentuierung des ursprünglichen Dualismus, Stufe zwei und drei faktisch in eine zusammenfaßt: Scheidung der zwei Potenzen und Unterordnung des Niederen sind ein und derselbe Akt, die Scheidung bewirkt nur die neue Form, Relation des Miteinanderbestehens der von Anfang an indifferent nebeneinander bestehenden Potenzen. 35WW IV, 256 und 265. 36WW IV, 265/266. 33 WW

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muß also im Menschen zertrennlieh seyn, - und dieses ist die Möglichkeit des Guten und des Bösen.,,37 Die Möglichkeit des Bösen ist also die Konsequenz der Möglichkeit der Trennung - wovon? Andererseits: eine Trennung ist nur möglich, wo zuvor eine Einheit bestand - Einheit wovon? Einheit von Natur/Grund und Liebe in Gott, oder präziser: Einheit des Willens des Grundes und des Willens der Liebe38 , das bedeutet Einheit des partikularen, selbstischen Willens, der auf sich selber und für sich selber beharren will, um seine Selbstheit abzuschließen, und des universalen Willens zur Ausweitung und zum Umfassen des anderen. 39 Nun ist zwar auch der Mensch dieser göttlichen Einheit fähig, ja eigentlich auf sie hin geboren, da er Geistwesen ist und eben der Geist das Band der Liebe vorstellt. Ursprung aller Kreatur oder aller Schöpfung ist jedoch nicht unmittelbar die Liebe, sondern der Grund oder die Natur Gottes, die "nicht Er selber", vielmehr seine Existenzermöglichung noch ohne eigene bewußte Bejahung ist. Nur in und aus diesem nicht Gott selbst seienden Grund kann das Geschöpf hervorgehen, welches evidentermaßen nicht mit Gott identisch ist; woraus sollte sich sonst - nach Schelling - seine Unterschiedenheit von seinem Schöpfer erklären lassen? Das Hervorheben aus dem Grund verleiht der Kreatur ihren Selbstand, ihre notwendige Limitierung, ihre Partikularität, "sollizitiert" sie aber gleichzeitig zu einem Sich-Abschließen, Konservieren im Grunde. Nun ist diser Selbstand nicht identisch mit dem Bösen selbst, ebensowenig wie der Grund als solcher das Böse darstellt. 4o In diesem Charakter des Grundes hinein wirkt jedoch der Wille des anderen Prinzips zum Ziele einer Universalisierung des Willens, und erst in dieser Konfrontation ergibt sich die Möglichkeit des Bösen und des Guten. Denn, aufgerufen von diesem zweiten Willen zur Öffnung und damit erst zur Offenbarung oder Selbstdarstellung, Selbstgewinnung, behauptet sich, nein kann sich der besondere Wille erst entschieden behaupten und versagt sich damit seiner Ordnung, nämlich Unterordnung unter den allgemeinen Willen. Dieser Widerstand findet nicht in Gott statt, welcher diesen ewig dunklen Grund in sich nicht zur Aktualisierung kommen läßt, sondern ihn in der Liebe bewältigt an sich hält - dies geschieht notwendig und im Sinne der eigentlichen Freiheit ohne Wahl und Übergangszögern. Zur ausschließlichen Behauptung des besonderen Willens oder der Selbstheit gegen den Universalwillen kann es nur in der Schöpfung und bewußt nur beim Menschen kommen. Diese 37WW 38WW 39 WW 40WW

IV, IV, IV, IV,

256. 267 und 287. 273. 291.

Freiheit

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Reaktion, so naheliegend sie ist, ist dennoch keineswegs erzwungen und deshalb schuldhaft böse: "Die Angst des Lebens selbst treibt den Menschen aus dem Centrum, in das er erschaffen worden; denn dieses als das lauterste Wesen alles Willens ist für jeden besondern Willen verzehrendes Feuer; um in ihm leben zu können, muß der Mensch aller Eigenheit absterben, weßhalb es ein fast nothwendiger Versuch ist, aus diesem in die Peripherie herauszutreten, um da eine Ruhe seiner Selbstheit zu suchen [... ] das Böse, als solches, kann der Grund nicht machen, und jede Creatur fällt durch ihre eigne Schuld."41 Das Böse ist also die selbst verantwortliche Flucht aus dem "Zentrum" des universalen Lebens in die "Peripherie" der bloßen Selbstheit, es ist Beharren auf der uneröffneten Natur, dem bloß partikularen Ego - Weigerung gegen das Allgemeine, den Geist, die Liebe, Weigerung gegen die ontologische und logische Ordnung: nämlich gegen die Ordnung des Logos, die der Geist vollzieht. Diese Weigerung und umgekehrt die Zustimmung zur Ordnung erfolgt jeweils weniger von Tat zu Tat im alltäglichen Leben, als daß sie vielmehr eine Grundhaltung, eine zeitlose Vorentscheidung bedeutet. 42 Eben in dieser Zeitlosigkeit oder Ewigkeit ist daher die Freiheit des Menschen angesiedelt: nicht wie die Freiheit Gottes identisch mit der Notwendigkeit der Öffnung zum anderen (das als sein Sohn Er selbst ist) in einem absoluten, fraglosen Entschiedensein, sondern als menschliche Freiheit zur Wahl. Das Wesen des Menschen ist eine echte Folge der Wahl; Entscheidung, "Wahl" ist nicht - wie bei Gott - eine Konsequenz des Wesens.

v.

Offen bleibende Fragen

Angelpunkt der ganzen Beweisführung ist der Dualismus von Grund der Existenz und Existenz selbst in bezug auf Gott. Dazu ist - rein aufgrund der Formulierungen Schellings selbst - Folgendes zu bemerken. Die Terminologie des beherrschenden Dualismus: Grund von Existenz - Existenz, Natur - Gott, nicht actu - actu, nicht Er selbst - Er selbst, noch nicht die Einheit - die Einheit 43 gibt, logisch gesehen, teilweise kontradiktorische, teilweise konträre Bestimmungen an. Kontradiktorisch sind zweifellos die Dualismen "Grund von Existenz - Existenz" und "nicht Er selbst - Er selbst". Denn beidemale handelt es sich ex definitione um den Gegensatz eines "unterschiedenen Wesens"44 vom Wesen Gottes, und nicht um den

Uww IV, 273/274.

42WW IV, 227 f. 43WW IV, 250 et passim. 44 WW IV, 250.

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Gegensatz von Potenz und Akt, was nur ein gradueller, kein substantieller Unterschied wäre. Trotzdem versucht Schelling, diese unterschiedenen Wesenheiten dialektisch zu vermitteln, indem er sie jeweils als ihr gegenseitiges Prius interpretiert 45 - dies jedoch ist unmöglich. Denn "Grund" hat kein Prius, weil er selbst dieses Prius ist - oder er ist kein Grund (ebenso wie der Sohn nicht reversibel als Prius des Vaters bezeichnet werden kann). Bei einer wechselseitigen Voraussetzung der Prioritäten ist es überhaupt sinnlos, die Vokabel "prius" zu benutzen. Gewiß ist "prius" hier nicht chronologisch gefaßt, sondern ontologisch - aber gerade dies verhindert die inhaltliche Relativierung oder Selbstaufhebung des Begriffes des Grundes. Dasselbe gilt für die Kontradiktion "nicht Er selbst - Er selbst" in Anwendung auf die absolute Identität. Dieser Widerspruch ist durchaus nicht dialektisch zu vermitteln, solange die Identität als das bestimmt wird, was sie ist: als unzeitlich ewiges und nicht entstandenes Dasein schlechthin 46 , das nicht erst von einer nicht es selbst seienden Natur hervorgebracht wird und dessen Ermöglichungsgrund nicht außerhalb seiner selbst liegt. Gewiß hat das Sprechen von "Natur" im etymologischen Sinn als eines erst geboren Werdenden, eines erst Heraustretenden in Hinblick auf empirische Realität eine tiefe und wahre Bedeutung. Die absolute Identität jedoch ist ja gerade dadurch eine solche, daß dieses Moment der Natur in seiner Trennung von der Existenz gar nicht auftritt, nicht auftreten kann, ja nicht einmal als Möglichkeit, als Potenz im Denken zulässig ist. Im Kontext Schellings ist das Sprechen von Natur im Unterschied zum bewußt "göttlichen" Gott besonders irreführend, weil er nicht einmal aus Gründen einer theoretischen Hilfskonstruktion diese Kontradiktion einführt - etwa in der Absicht, sie später negierend fallenzulassen -, sondern weil er sie als Möglichkeit, sogar als Notwendigkeit durchzuhalten versucht. Tatsächlich kommt Schelling nie zu einer theoretischen Aufhebung des Dualismus, er schwächt ihn nur gerade so weit ab, daß die eine Seite nur als Potenz, nicht actu, aber stets als möglicher und darüber hinaus als notwendiger Gegenpol erhalten bleibt. So aber wird der potentiell konzipierte Gegenpol ein faktischer Gegenpol zu Gott selber: "Was daher aus .SWW IV, 250 . • 6Vgl. dazu die "Darstellung meines Systems der Philosophie" (1801), WW III, 15/16: "Alles, was ist, ist an sich Eines [... ] Nichts ist dem Seyn nach entstanden. Denn alles, was an sich ist, ist die absolute Identität selbst. Diese aber ist nicht entstanden, sondern. ist schlechthin, also ohne alle Beziehung auf Zeit und außer aller Zeit gesetzt, denn ihr Seyn ist eine ewige Wahrheit, mithin ist auch alles dem Seyn an sich nach absolut ewig [... ] Der Grundirrthum aller Philosophie ist die Voraussetzung, die absolute Identität sey wirklich aus sich herausgetreten, wld das Bestreben, dieses Heraustreten, auf welche Art es geschehe, begreifiich zu machen. Die absolute Identität hat eben nie aufgehört, es zu seyn [... J"

Freiheit

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der bloßen Bedingung oder dem Grunde kommt, kommt nicht von Gott, wenn es gleich zu seiner Existenz nothwendig ist."47 Konsequent spricht Schelling von einern Handeln der "Natur" unabhängig von Gottes eigentlichstern Wesen: "Er selbst bewegte sich nur nach seiner Natur und nicht nach seinem Herzen oder der Liebe."48 - "Aber auch diese Erregung [= des Grundes] geschieht nicht nach dem freien Willen Gottes, der sich in dem Grunde nicht nach diesem oder seinem Herzen, sondern nur nach seinen Eigenschaften bewegt."49 Gott in der Fixierung auf die "Natur", d.h. auf Prinzipien, unbeeinflußbar und sich selbst begründend, die "nicht Er selber" sind, meint faktisch ein Fortbestehen einer nicht von der Liebe bzw. Gott vermittelten Bewegung des Grundes. Versuche, dies als eine Unterscheidung des Ununterscheidbaren zu deuten, die "in Wirklichkeit" nicht stattfinde, müssen damit konfrontiert werden, daß Schelling ohne Einschränkung auf der theoretischen Diskrepanz besteht, ja sie als konstitutiv hervorhebt: "[ ... ] so ist in ihm [= Gott] selber ein Quell der Traurigkeit, die aber nie zur Wirklichkeit kommt, sondern nur zur ewigen Freude der Überwindung dient [... ] Freude muß Leid haben, Leid in Freude verklärt werden."so Nun ist das Leid eine Kategorie der Endlichkeit, und eben dies scheint die Crux der Schellingschen Theorie zu sein: um die evidente Dualität der Endlichkeit zu erklären, will er sie aus der Dualität des Unendlichen ableiten; um aber diese zu beweisen, muß er auf endliche Bestimmungen zurückgreifen. Die Einschränkung, die in dem Begriff der bloßen Möglichkeit ausgedrückt wird, um Gott sozusagen als Einen, Identischen zu retten, führt ihrerseits zu der Frage: läßt sich mit dem Begriff Gottes der Begriff der (überwundenen) Potentialität überhaupt vereinen? Ist das Absolute der Potenz nach das Nicht-Absolute, das Unendliche der Potenz nach das In-Sich-Selbst-Beschränkte? Die Widersprüchlichkeit dieser Position erweist sich am klarsten in der Schlußbestimmung des Hauptproblems, das zu klären der Gedankengang versuchte. Konsequent nämlich erweist sich das Böse der Potenz nach als das Gute, wie das Gute der Potenz nach als das Böse: "Nur die überwundene, also aus der Aktivität zur Potentialität zurückgebrachte Selbstheit ist das Gute, und der Potenz nach, als überwältigt durch dasselbe, bleibt es im Guten auch immerfort bestehen ... ] Daher dialektisch ganz richtig gesagt wird: Gut und Bös seyen dasselbe, nur von verschiedenen Seiten gesehen, oder, das Böse sey an sich, d.h. in der Wurzel seiner

HWW .8 WW • 9WW 50WW

IV, IV, IV, IV,

291.

270 . 293. 291.

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Identität betrachtet, das Gute, wie das Gute dagegen, in seiner Entzweiung oder Nicht-Identität betrachtet, das Böse." 51 Das von Schelling als "dialektisch" apostrophierte Potenzdenken vereint letzten Endes nicht - wie vorgegeben - konträre, sondern kontradiktorische Bestimmungen, ist also keineswegs dialektisch. Schelling ging davon aus, das Böse als inkommensurabel - also kontradiktorisch - mit dem Begriff Gottes als des Guten schlechthin zu erweisen; nun endet er bei einer rein aspekthaften, nicht mehr substantiellen, vorgeblich konträr-dynamischen Differenz: das Böse als Potenz des Guten. "Denn das Böse ist ja nichts anderes als der Urgrund zur Existenz, [... ] also in der That nur die höhere Potenz des in der Natur wirkenden Grundes [... ] ebenso kann das Böse nie zur Verwirklichung gelangen, und dient bloß als Grund, damit aus ihm das Gute durch eigne Kraft sich herausbildend, ein durch seinen Grund von Gott Unabhängiges und Geschiedenes sey" .52 Am klarsten: "Damit also das Böse nicht wäre, müßte Gott selbst nicht seyn."53 Es fragt sich, ob Begriffe wie Potenz, Tendenz 54 und entsprechend der Begriff der "Überwindung" 55, "Verwirklichung" oder gar der "idealen Verwirklichung"56 überhaupt auf das Absolute, die Identität, Gott angewendet werden können. Dem Versuch einer Dynamisierung, des Aufzeigens des Werdens der Identität fällt das Sein dieser Identität zum Opfer. Solange "Verwirklichung" und Dynamik nur unter zeitlichen Kategorien beschrieben werden, geknüpft an "Geschichte" 57, an "ferne Zukunft" 58, an "Perioden" 59, solange kann Gott nur bestimmt werden als bedingt oder ermöglicht, als phasenhaft unvollkommen, als "menschlich leidend" 60, als erst noch zu aktualisieren. 61 Im Grunde genommen ist Schellings Begriff des Gegensatzes die Wurzel der Verwirrung. In der philosophischen Tradition (und nicht nur bei Nikolaus von Kues) wurde das Absolute inhaltlich immer schon als "coincidentia oppositorum" gefaßt - wozu man auch auf logischem und nicht erst auf spekulativem Wege kommen kann -, doch Schellings "Koinzidenz" ist besonderer Art. In der Definition: Identität ist Identität und Ge5 1 WW

IV, 292. IV, 270. 5 3 WW IV, 295. 54 WWIV, 289: U[ ... ) da eine dem Willen zur Offenbarung entgegenwirkende Tendenz in Gott ist". 55WW IV, 291. 56 WW IV, 288: uin welchem [= Wesen] Gott sich ideal verwirklicht". 5 7 WW IV, 295. 58WW IV, 296. 59 WW IV, 296. 60WW IV, 295. 61WW IV, 296. 52 WW

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gensatz zugleich, wird Identität sowohl durch sich selbst als auch nicht durch sich selbst, durch Nicht-Identität definiert. Schelling selbst empfindet mit Recht die inhaltliche Absurdität dieser formal behaupteten Identität. Denn er sucht gegen Ende der "Philosophischen Untersuchungen" seinem eigenen Begriff des Gegensatzes und der Nichtidentität zu entgehen, indem er einen unzeitlichen, undynamischen, diesmal "wirklich" seinshaft identischen Grund und Vereinigungspunkt der auseinanderstrebenden Gegensätze sucht - wozu er ja wissenschaftstheoretisch gezwungen ist, wie er selbst scharfsinnig genug entwickelt. 62 "[ ... ] es muß vor allem Grund und vor allem Existirenden, also überhaupt vor aller Dualität, ein Wesen seyn; wie können wir es anders nennen als den Urgrund oder vielmehr Ungrund? [... ] Es kann daher nicht als die Identität, es kann nur als die absolute Indifferenz beider bezeichnet werden." 63 Schelling endet also mit zwei formal gesehen negativen, inhaltlich gesehen leeren Worten für das Absolute. Da er sich mit seinen anthropologisierten, endlichen Konzeptionen des Gegensatzes und des Werdens diesem "allerletzten" Absoluten nicht mehr nähern kann, ohne es wieder dualistisch zu sprengen - was zu dem infiniten Zirkel noch indifferenterer Absaluta führen würde, da das Absolute aus dem Einen gedacht werden muß-, so bleibt dieser Ungrund diesmal tatsächlich tot und leer, ohne jede Dynamik, ohne Werden, ohne jede Bestimmung, "gleichgültig" 64 , "weder gut noch bös"65, "gänzliches Aufbören"66, "Nichtseyn" der Gegensätze 67 , "das darum auch kein Prädicat hat als eben das der Prädicatlosigkeit, ohne daß es deßwegen ein Nichts oder ein Unding wäre" .68 Kurz: das "wirkliche" Absolute, das diesen Namen wenigstens formal-logisch als das Eine verdient, erweist sich als ohne alle Eigenschaften, ohne alles Leben - und gerade das Leben in seinem dynamischen Werden wollte Schelling doch mit seiner dualistischen Konstruktion des Grundes und der Existenz für das absolute Wesen retten. Gott also aus den Kategorien des Werdens, des Gegensatzes, der Potenz, schließlich auch der Zeit zu konstruieren, heißt ihm letzten Endes - aufgrund des wissenschaftstheoretischen Zwanges, die Wahrheit aus einer Einheit zu denken -, einen unwerdenden, ungegensätzlichen, unzeitlichen Ungott apriori vorauszuschicken - er trägt die Züge, die man Gott vermeiden wollte zuzusprechen.

62WW 63WW 64WW 65WW 66WW 61WW 68 WW

IV, IV, IV, IV, IV, IV, IV,

298. 298. 299. 299. 298. 298. 298.

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Ironischerweise, oder besser denknotwendig erhebt sich dabei zuguterletzt die Frage, die mit dem dualistischen Entwurf von Grund der Existenz und Existenz umgangen werden sollte: Wie kann aus dem Einen ein davon unterschiedenes Anderes entstehen? Wie kann nämlich aus dem Ungrund eben dieser Dualismus von Grund und Existenz entstehen? Liegt auch im Ungrund wieder - rück verlagert - ein dualistischer Sprengkopf potentiell verborgen? Schelling, der infiniten Rückverlagerung müde, antwortet selbst indifferent mit Ja und Nein: die Indifferenz enthält die Gegensätze - aber "als Nichtgegensätze, d.h. in der Disjunktion und jedes für sich" .69 Die Indifferenz also als Formalissimum, als Behälter formaler Negationen. Der Vorgang der Entstehung des Grundes und der Existenz aus dem Ungrund - innerhalb dessen sie aber beide gar nicht als solche gedacht werden können - wird sozusagen als "blitzartig", also im Sinne eines UrSprunges beschrieben, d.h. als Vorgang theoretisch nicht nachvollziehbar, nicht kommunikabel. Die Dualität "bricht hervor" 70, ist "unmittelbar" 71, "theilt sich" 72, "wird".73 Wie aber zuletzt ein Werden aus dem Immobile, Inactivum, Indifferens, dem jede Voraussetzung des Werdens Kraft seiner totalen Eigenschaftslosigkeit ex definitione mangelt? Ein letztes: Dieser Ungrund ist das Unpersonale schlechthin. "In dem Ungrund oder der Indifferenz ist freilich keine Persönlichkeit; aber ist denn der Anfangspunkt das Ganze?,,74 Gott hingegen - der folglich ein Endpunkt ist - wird seinem vollen Begriff nach als Persönlichkeit aufgefaßt. 75 So setzt also die Person die Unperson, der Geist den Ungeist voraus? Es scheint, daß damit der Begriff der Person eklatant mißdeutet ist. Sie als Produkt und als Folge zu denken (in welchen Varianten immer), heißt ihre erhabenste Bestimmung als Selbstzweck oder sich selbst tragenden Sinn nicht zu fassen.

69WW 70WW 7lWW 72WW 73 WW HWW 75WW

IV, IV, IV, IV, IV, IV, IV,

299. 299. 299.

300. 300. 304.

262 und 286 f.

'Die Weltgeschichte ist das Weltgericht'. Anerkennung und Erinnerung bei Hegel Von Henning Ottmann

Le Temps passe, Le Souvenir reste

I. Hegels Theorie der Anerkennung gehört zu den bekannten Lehrstücken seiner Philosophie. In seinen Jenenser Jahren hat Hegel den Begriff der "Anerkennung" aus Fichtes "Naturrecht" übernommen, und das bekannteste Zeugnis der HegeIschen Anerkennungsphilosophie ist die Herr-KnechtDialektik in der "Phänomenologie des Geistes" . Hegels Theorie der Anerkennung hat große Beachtung gefunden. Sie ist zunächst von Kojeve, später von Habermas, Siep, Honneth, Fukuyama um nur einige Autoren zu erwähnen - aufgegriffen worden. l Wie schon bei Fichte so ist auch bei Hegel die Theorie der Anerkennung eine Abkehr vom Monologismus neuzeitlicher Subjektphilosophie. Anthropologie, Theorie des Selbstbewußtseins, Geschichtsphilosophie, praktische Philosophie und andere Disziplinen mehr werden durch die Theorie der Anerkennung auf eine neue Grundlage gestellt. Mein Interesse gilt im Folgenden allerdings nicht dieser bekannten Theorie selbst. Es gilt vielmehr der Frage, ob die von Hegel entwickelte Anerkennungstheorie eine Anerkennung der Geschichte einschließt und wenn ja in welchem Sinn. So fragend setze ich voraus, daß die von Hegel dargestellte "Anerkennung" des Menschen - also die Anerkennung des Menschen als eines freien und gleichen Wesens - selbst nicht diskutiert werden muß. 1 A. K ojeve, lntroduction a la Lecture de Hege!. Le7 (B).

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on his or her own independent judgment, is gradually to displace authority deriving solely from tradition, status, office, or might, in both theoretical and practical matters. The form of this public encounter is critique: "Our age, is in especial degree, the age of criticism [Kritik], and to criticism everything must submit. Religion through its sanctity, and law-giving through its majesty, may seek to exempt themselves from it. But they then awakenjust suspicion and cannot claim the same respect which reason accords only to that which has been able to sustain the test of free and open examination." 6 "Nothing" , insists Kant, "is so important through its usefulness, not hing so sacred, that it may be exempted from this searching examination, which knows no respect for persons.,,7 This holds for reason itself: only through a sustained critique of reason can we ascertain its "lawful claims" and reject all "groundless pretensions."s It is fashionable today to dismiss Kant as an unreconstructed rationalist, ignoring his own trenchant criticisms of rationalist metaphysics and his renunciation of any claim to determinate knowledge of realms beyond experience. In relation to the conduct of inquiry, he explained, "ideas of reason" can function only heuristically, as regulative ideas that spur us on to ever deeper explanations and ever broader systematizations. The fundamental error of metaphysics is to understand this drive beyond the conditioned, the partial, the imperfect as ifthe unconditioned, the totality, the perfect has been or could be achieved, that is, to mistake what is merely regulative for constitutive. This deeply rooted tendency of the human mind repeatedly gives rise to speculative illusions that have to be dialectically dispelled by critical inquiry. This is not to say that ideas of reason are meaningless, but only that we cannot grasp them theoretically, or even have determinate knowledge of them. Rather, we have to think them in relation to practice, here the practice of empirical- theoretical inquiry. In this sphere they serve to organize, guide, and constrain our thinking by projecting a consistent, coherent, systematic unity of knowledge. However, the synthesis of such unity from the multiplicity and diversity of experience and judgment is never simply given (gegeben); it is always and fore ver a task (aufgegeben). I will argue below thata variation on this approach to ideas of reason in terms of their practical significance for the conduct of inquiry is still a useful way to understand our ideas of an independent reality and the truth about it. Here I want only to note that notwithstanding his restricting ideas of reason to a regulative employment, Kant

6S. 0 ., S. XI (A9). 7lnunanuel Kant, Critique of Pure Reason, trans. N.K. Smith, 1. Auß., New York 1961, S. 738 (A)/S. 766 (B). 8S. 0 ., S. XI (A).

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regards them as "indispensably necessary" 9 to the proper use of our understanding and any attempt to deny them as condemned to incoherence. "The mob of sophists raise against reason the usual cry of absurdities and contra dictions ... Yet it is to the beneficent influences exercised by reason that they owe the possibility of their own self-assertiveness, and indeed that very culture which enables them to blame and condemn what reason requires of them." 10 Let us turn now from the role of reason in the conduct of inquiry to its role in the conduct of life, that is, to Kant's treatment of ideas of practical reason. The main difference here is that these ideas are not merely indirectly but directly practical, that is, they are directly related to action, determining what we ought to do or aim at. In this sense practical reason is said by Kant to function directly as a sour ce of objective, universally valid laws, without the intermediation of experience and understanding that is indispensable to reason's theoretical employment. However, the laws it generates are purely formal in nature, as, paradigmatically, with the categorical imperative. They receive their content only through being situationally applied by moral agents. In this sense, they too are inherently indeterminate and require filling-in with concrete moral experience, deliberation, and judgment in particular moral situations (and, I might add, not necessarily in the ways indicated by Kant's own examples). Thus the idea of duty as action dictated solely by the force of universalizing reason, or the idea of persons as ends in themselves who may not be acted against, the ideal (i.e. idea in individuo) of a kingdom of ends as an association of free and equal rational beings under universal laws they give themselves, the idea of right as the maximum freedom of each so far as this is compatible with a like freedom for all under generaliaws, the idea of an original (social) contract as based in the uni ted (general) will of a people, or the idea of a cosmopolitan society in which rights, justice, and the rule of law are secured internationally - all function only as general constraints upon, and orientations for, action in particular circumstances. In practice they have to be ongoingly contextualized as changing circumstances demand. And like their theoretical counterparts, these practical ideas function as principles of coherent, systematic unity, only now we have to do with the unity of rational beings under common laws which they give to themselves. Thus the "supreme condition of harmony with universal practical reason" 11 combines the first version of the categorical imperative - the idea of acting on reasons or grounds ("maxims") that are 9S. 0 ., S. 644 (4)/S. 672 (B). lOS.o., S. 669 (A)/S. 697 (B). 11 Immanuel K o.nt, Foundations of the Metaphysics of Morals, trans. L.W. Beck, New York 1959, S. 49.

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"objective," i.e. valid for all rational beings - with the second version the idea that persons are "objective" ends, i.e. ends for rational agents as such, inasmuch as each rational agent regards herself in this way and thus, by virtue of the first version, must so regard all others - to yield the ideal of a king dom of ends, "the systematic union of different rational beings through common laws." 12 Correspondingly, the moral point of view, as an idea of reason combining respect for each's ends with principles valid for all, considers actions and norms in relation "to that legislation through which alone a kingdom of ends is possible." 13 Thus, in both theoretical and practical matters, reason for Kant functions as a capacity for finding or creating unity in diversity, and of doing so non-coercively, with appeal only to the free agreement of individuals thinking for themselves. If we turn now to Kant's more explicitly political writings, we find the same dual emphasis on individuality and commonality, autonomy and universality, voluntary acknowledgement and intersubjective agreement. Thus, as noted above, in "What is Enlightenment?" the courage to use one's own reason and the freedom to make public use of one's reason are said to be interdependent moments of the enlightenment project. The specific form of public reason Kant has in mind is that of addressing "the entire reading public," be it of a commonwealth or of cosmopolitan society as a whole. But this is only a particular schema, more appropriate perhaps to an age of the incipient print mediation of public affairs, for the general idea of a public discourse addressed to what Chaim Perelman has called the "universal audience." For whether in theoretical or practical matters, the mark of objectivity for Kant is agreement resulting from "universal human reason in which each has his own say."14 In practice, it is ascertained precisely in and through public debate and criticism: only what stands up to critical-rational scrutiny merits the voluntary acknowledgement of each member of the universal audience.

The social embodiment of this enlightenment ideal is a "moral whole" having the legal-political shape of a "ci viI society which can administer justice universally." 15 And it is precisely this idea of "a perfectIy just civil constitution" 16 that is the most reliable measure of progress in enlightenment. In considering the latter, we should "concentrate our attention on

12S. 0 ., S. 49. 13S.o . S. 52. Hhnrnanuel Kant, Critique o{ Pure Reason, trans. N.K. Srnith, 1. Auß., New York 1961, S. 752 (A)/S. 780 (8). 15hnrnanuel Kant, Idea {or a Universal History with a Cosmopolitan Purpose, trans. H.B. Nisbet, in: Hans Reiss, Kant, Political Writings, Cambridge 1991, S. 45. 16S. 0 ., S. 46.

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civic constitutions, their laws, and the mutual relations among states," 17 for it is only in such legal-political frames that "the germs implanted [in us] by nature can be developed fully." (ibid.) As indicated, this holds not only for relationships within particular commonwealths, but for relationships among them as weIl. "The problem of establishing a perfect civil constitution is dependent upon the problem of a law-governed external relationship with other states and cannot be solved unless the latter is solved." 18 Thus the overarching goal of Kant's enlightenment project in the legal-political sphere is "a feder at ion of peoples, in which every state, even the smallest, could expect to derive its security and rights." (ibid.) Only the "universal cosmopolitan existence" afforded by such a "civii union of mankind" could serve as a "matrix in which all the original capacities of the human race may develop." 19 Is something like this Kantian project of enlightenment viable today? There are strong arguments on both sides. The public use of "theoretical" reason has, however imperfectly, been culturally developed and institutionally embodied in the arts and sciences, universities and research institutes, publishing houses and professional journals, and so forth of the scientific, scholarly, and artistic worlds. And the public use of "practical" reason has, with somewhat more mixed results, been developed and embodied in the legal and political practices and institutions of modern democratic societies. The historical failures, especially in the areas of practical reason, are as familiar as the successes. Here, however, I want to focus on philosophical problems with the very conception of reason at the heart of Kant's enlightenment project. To be brief, the naturalism, historicism, pragmatism, and pluralism of the last century and a half has made the detranscendentalization and decentering of Kantian reason unavoidable. The residue of metaphysics in the noumenal/phenomenal split that undergirds it, the dominance of mentalism in the design and execution of its critique, and the subordination of diversity built into its aspiration to unity are no longer tenable. "Pure" reason has had to make fundamental and lasting concessions to the impurities of language and culture, temporality and history, practice and interest, body and desire. More specifically, Kant's notion of using one's own reason, thinking for oneself, has to be tempered with the ineliminable background of what is always already taken far granted in doing so - the preconceptions, prejudgements, and preunderstandings that inform any rational undertaking. His stress on agreement and consensus, especially on the "united will" of a people as the source of legitimacy of its laws, has to be tempered with acknow17S. 0 • S. 52. 18S. 0 ., S. 47. 19S. 0 ., S. 51.

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ledgment of persistent reasonable disagreements in theory and in practice. And his idealized conception of the public use of reason has to be tempered with a heightened awareness of the significance of context and audience in assessing the strength of reasons and the cogency of arguments. A revealing case in point is Kant's dassically rationalist, hierarchical distinction between conviction and persuasion. 20 Holding something to be true is said to be conviction if it rests on "objective grounds" and is therefore "valid for everyone" possessed of reason. It is said to be persuasion if it has its grounds "only in the special character of the subject," be it an individual or a group. Persuasion is "illusion" if its grounds are taken to be objective, for it has only "private validity." The "touchstone" whereby we determine whether holding something for true is one or the other is "the possibility of communicating it and finding it to be valid for all human reason." Thus, it is only in and through the effort to secure universal agreement that we can "test upon the understanding of others whether those grounds of the judgment which are valid for us have the same effect on the reason of others as on our own." However, in practice we can do this only by attempting to convince particular audiences and holding the discussion open to others. And that means that "subjective" factors- for instance, who is being addressed, where and when, in what connection and for what purpose, against which taken-for-granted background, and so on - will inevitably figure into the processes and outcomes of such communication. What we need here is an account of the interdependence of the universal and particular. But that would point toward a conception of reason that escapes Kant's strict dichotomies. And it would require balancing his stress on "systematic unity" with a correlative recognition of irreducible diversity. The quest ion is, whether all this can be done without giving up on Kant's enlightenment project. Can we desublimate and decenter his transcendental-philosophical conception of reason and still make sense of the ideas and ideals at the heart of his project? A number of thinkers since Kant have essayed a variety of affirmative responses to this question. By and large they have come to agree that examining the nature, scope, and limits of reason calls for mo des of inquiry that go beyond the bounds of traditional philosophical analysis. Once we turn our attention from consciousness to culture and society, it becomes dear that rational practices, induding epistemic practices like researching and theorizing, have to be viewed in their sociocultural contexts if they are to be understood and appraised. FlOm this perspective, the critique of "impure" reason belongs to the study of culture and society and aspires

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2°hnmanuel Kant, Critique Pure Reason, trans. N.K. Smith, 1. Auß., New York 1961, S. 820 (A)/S. 848-49 (B). 5 Lobkowicz

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to practical import. It aims to reform and enhance our self-understanding as rational beings in ways that affect how we live. This sort of practically significant, sociohistorical critique of impure reason has been a live option since the time of the Left-Hegelians. Variants of it dominated the philosophical scene in the United States during the heyday of American Pragmatism. I shall now consider briefly some ideas of its most important contemporary representative, Jürgen Habermas.

11. Habermas shifts the focus of the critique of reason from forms of transcendental consciousness to forms of interpersonal communication. Accordingly, he understands objective validity, both theoretical and practical, in relation to reasoned agreement concerning defeasible claims. The key to communicative rationality is the use of reasons or grounds - the "unforced force" of the better argument - to gain intersubjective recognition for such claims. This leads, on the one side, to a discourse theory of truth and, on the other, to a discourse theory of justice. The enlightenment project then becomes a matter of cultivating suitable forms of theoretical and practical discourse, and of establishing the institutions and practices required to give them social effect. In regard to theoretical discourse, this requires improving the cultural and institutional conditions for empirical research, theoretical inquiry, scholarly activity, and the like. In regard to practical discourse, it requires reforming the cultural and institutional conditions for moral, legal, and political deliberation and strengthening its role in our lives. Like Kant's transcendental approach, Habermas's communicative approach assigns an indispensable function to ideas of reason, only now they are understood as pragmatic presuppositions of communication that are constitutive of basic forms of social practice, and in this sense unavoidable, but that at the same time project a completeness and finality unattainable in practice. They are, as it were, "constitutive idealizations" of rational practices. We shall take a closer look at some of them below. But here it is important to see that this approach is meant to undercut the immanent/transcendent, real/ideal, and fact/norm dichotomies that have plagued Kantianism. Ideas of reason are now firmly located witltin social reality. As ideal presuppositions of rational practices, they are actually effedive in defining social situations and at the same time contrary to fact in ways that transcend the limits of those situations. This tension at the core of forms of life reproduced through communicative rationality accounts for the dual - positive heuristic cum negative-critical - function

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of ideas of reason, that is, for why they can subserve both constructive and critical undertakings. And because ideal presuppositions shape the normative expectations that actually inform our practices and institutions they also lie beyond the "is" / "ought" opposition that pervades modern thought. Constitutive idealizations that are always already operative in communicative inter action are no more "oughts" set over against what "is" than they are transcendent as opposed. to immanent, ideal as opposed to real, or universal as opposed to particular. What we have to grasp in each instance is the interdependence in practice of the alleged opposites. Languages are spoken and understood, and actions are performed and recognized by particular individuals in particular situations. And that particularity inevitably contributes to the concrete sense that is made of speech and action. Contextual considerations are always at play in the production and interpretation of meaning. But that is only part of the story. Also required to make communication and interaction work are shared general structures that can be repeatedly recontextualized, that is, general patterns of speech and action which are, on the one hand, relatively invariant to different speakers and actors but are also, on the other hand, able to accommodate the contextual variations they introduce. The interdependence of the general and tbe particular here takes the form of an interplay between structure and context carried out by linguistically and culturally competent agents who orient to both. Reciprocally imputed, mutually assumed, and socially sanctioned patterns of expectation are interpretively contextualized by participants themselves through on-thespot interpretations and judgments. Communicatively competent agents are, then, the lifeblood of this dialectic of general and particular. Only through them do general cultural patterns gain the practical determinacy of speech and action in concrete contexts. It is important to note also that this achievement happens over time. Not only the determination of an utteranc:e's sense but also the judgment of its validity - of its truth, say, or of its normative rightness - is a stepby-step process that involves dealing with considerations as they arise. If social interaction is to remain stable in the face of a vast and unpredictable range of potentially relevant considerations, competent agents must routinely adopt a "wait and see" attitude toward one another's utterances and actions, for the meaning and validity of the latter is inherently open to clarification, confirmation, contestation, and alteration by the future course of events in general and by how participants notice and deal with wh at they take to be relevant considerations in particular. For these reasons, among others, mutual understanding and mutual agreement can only

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be ongoingly accomplished in ever-changing circumstances for all practical purposes. Construed in this way, I now want to argue, the temporality, contextuality, and practicality of communicative reason are not opposed to idealization but dependent upon it, as it is upon them. Context-transcendence through the projection of ideal validity has long been a function of reason in our philosophical tradition. In connection with theoretical and practical discourse, the normative force of the ideas of truth and right is supposed to be given fuIl scope and the bounds of the relevant communication community to be expanded without limit. In practice, of course, rational agreement by aIl competent judges is not something we can hope to accomplish aIl at once or on ce and for all. Rather, we try to establish the rational acceptability of truth or moral rightness claims in particular forums and before particular audiences and assurne the responsibility as weIl for defending their validity in other relevant forums and before other relevant audiences. The universal au dien ce for these claims is, then, never more than potential. To raise such a validity claim is, as it were, to issue a promissory note across the expanses of social space and historical time. Whether or not it can be made good, always remain to be seen, for any established consensus is open to contestation. In the end, there is no way of determining which is "the better argument" apart from how competing arguments fare over time and in various forums, that is to say, how they stand up to the ongoing give and-take of critical, reflective discourse. The redemption oftruth and rightness claims, the establishment of their warranted assertability or rational acceptability, is thus an intrinsicaIly temporal, open-ended process. It is just this temporaIly extended, in principle never-ending to-and-fro of claims and criticisms, in institutionalized forums, vis-a-vis particular au dien ces claiming to represent the universal audience, that is characteristic of reason-in-praciice. The communicative approach thus seeks to take account of the contextual features of language use without renouncing the context-transcending import of the claims of reason. Even if the idealized assumptions made in projecting universal rational agreement never in fact obtain, ideas of reason are not thereby rendered useless or pernicious. One of their salutary functions is precisely to open aspace for the critical examination of actuaIly accepted validity claims, and thus to make possible the critical traditions and institutions of critical discourse in which established w;;:rrants are subjected to ongoing scrutiny. Consider for instance the natural sciences. Scientific claims to truth are raised and discussed in culturaIly and institutionaIly established forums that open them to critical examination over time. Scientists have reflexively to anticipate the critical scrutiny

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of their work by others who share the cognitive, normative, and evaluative presuppositions of their scientific subcommunity. If they can convince that particular audience, they have reason to expect they could convince other relevant audiences as weIl, for in virtue of its presumed competence that audience can plausibly stand in for the universal audience of aIl rational beings competent to judge in the matter. Scientific truth, as the conti nually revised outcome of this open-ended discourse can ne ver be more than an ongoing accomplishment. But the discursive process itself makes no sense apart from the idealizing assumptions of an independent reality and the truth about it. Thus, conflicts of experience and theory are dealt with in ways that themselves presuppose, and thereby reconfirm, the existence of a unitary, coherent reality. They are attributed not to contradictions in the world but to errors or inadequacies on the part of one or more of the parties to the dispute. That is to say, each practitioner is held accountable, and in turn holds others accountable, for treating the objective reality of the world as invariant to discrepant reports. Thus, procedures for resolving conflicts about "what is really there" are themselves based on the very presupposition they are deployed to maintain. Further, the supposition of the world's objective reality is internally linked to that of its intersubjective availability. Scientists assurne that they are experiencing and reporting the same independent reality. And as the latter is supposed to be unitary and coherent, all the correct ac counts of it must add up in the end to one coherent account: "the" truth about the objective world. To claim truth for sentences about the objective world is thus to anticipate corroborative reports from all other competent observers. When they are not forthcoming, scientists must resort to error accounts to explain the discrepancies. And this indicates that the idea of an objective world knowable in common functions not only "constitutively" - that is, as an assumption that actually shapes scientific practices - but also "regulatively" - that is, as apresupposition that normatively constrains and guides those practices. It is just this sort of constitutiveregulative duality that the conception of ideas of reason as unavoidable, idealizing presuppositions of communicative interaction is meant to capture. This duality too is put into practice by the on-the-spot utterances and actions of competent agents, by their situated exercises of practical reason and judgment. Of course, the agents in question are always already socialized agents, and their agency is always al ready informed by the cultural patterns they take for gran ted and in taking for granted renew. But, as we saw, general patterns do not determine in advance particular courses of action in particular circumstances. Rather, their inherent and functio-

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nally necessary indeterminacy attains the practical determinacy of situated speech and action only in and through the interactions of culturally competent agents. Thus communicative inter action presupposes the "accountability" of agents, their ability to engage in practical reasoning of the sorts required for interaction, to offer (typicaIly conventional) accounts of their behavior, and to assess others' account oftheirs (usuaIly by reference to conventional standards). As practical reasoners, accountable agents are participants in intersubjective processes of assessment, criticism and justification. They are capable, by and large, of providing publicly defensible accounts of their beliefs and actions, of satisfying interaction partners that they have reasons for believing and doing what they believe and do.

The difference between everyday accountability and rational autonomy - the ability to step back and engage in critical-reflective discourse concerning the justifiability of existing or proposed beliefs and practices - is only a matter of degree. Autonomy of this sort was central to the enlightened mode of rational agency that Kant referred to as Mündigkeit, the capacity to think for oneself. As viewed here, it is only a further development of practices and abilities al ready inculcated in daily life. To be sure, that development is not merely a matter of occasional ingenuity or individual virtuosity. It is based on social, cultural, and psychological conditions that undergo historical change. In modern as compared to traditional societies, conditions are such as to provide increased cultural, institutional and motivational support for reflective modes of argumentation and critique. Forms of expert discourse have developed which are transmitted and elaborated within specialized cultural traditions and embodied in differentiated cultural institutions. Thus, for instance, the scientific enterprise, the legal system, and the institutions of art criticism represent enduring possibilities of discursively thematizing various type of validity claims and oflearning from negative experiences with them. These changes in relation to inherited contexts of meaning and validity, established roles and institutions, and received patterns of socialization and individuation are always only a matter of degree and never global in their reach. But they are not without far-reaching effects on processes of cultural reproduction, social integration, and identity formation. They expose the authority of tradition increasingly to discursive questioning, displace particularistic norms and values by more general and abstract ones, and replace traditionally ascribed identities with identities that have to be formed and reformed in varied and ever-changing circumstances. It is worth noting that this heightening of reflexivity, generality, and individualism is assumed by aIl of the various participants - post- and anti-modernist, as weIl as modernist - in the current debates about modernity. They aIl take for granted the possibility ofreflectively questioning received beliefs and values, of gai-

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ning critical distance from established norms and roles and of challenging ascribed individual and group identities. In consequence of this spread of reflexivity and differentiation, the beliefs, norms, and values that could stand up to criticism and be upheld in open discussion are by no means coextensive with the spectrum of what has historically been believed, prescribed, or valued. But neither are they always uniquely determined. One of the things we have learned about values, for instance, is that reasonable people can reasonably hold different conceptions of the good, that there is no one way of life suited to all individuals and groups, and thus that a pluralistic society within which members can pursue, within limits, their different ideas of the good life is the most reasonable arrangement. One source of such limits are the basic principles built into the very idea of seeking reasoned agreement through open discussion, principles that must be observed if such discussion is to be possible. It is precisely those principles that Habermas's ac count of practical discourse is meant to reconstruct.

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"Discourse ethics" is based on a reconstruction of Kant's conception of practical reason in terms of communicative reason. Roughly speaking, it involves procedurally intersubjectivizating the categorical imperative: rather than each regarding as valid norms that he or she can will to be universal laws, proposed norms must be submitted to all who are affected by them for purposes of argumentatively testing their claims to validity. The emphasis shifts from what each can will without contradiction to what all can agree to in rational discourse. As with Kant, then, normative validity is tied to rational acceptabilitYj but now the latter is linked from the start to communication processes governed by a principle of universalization which Habermas formulates as folIows: "For a norm to be valid, the consequences and side effects of its general observance for the satisfaction of each person's interests must be acceptable to all."21 As this formulation indicates, the discourse-ethical approach no longer makes moral-practical rationality depend on bracketing inclinations and interestsj rather, it seeks to determine whether they are susceptible of general agreement. Like Kant, Habermas distinguishes the types of practical reasoning and the corresponding types of "ought" proper to questions concerning what is pragmatically expedient, ethically prudent, or morally right. Calculations 21 Jürgen Haberml16, Moral Consciousness and Communicative Action, trans. C. Lenhardt & S. Nicholsen, Cambridge 1990, S. 197.

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of rational choice furnish recommendations relevant to the pursuit of contingent purposes in the light of given preferences. When serious questions of value arise, deliberation on who one is and wants to be yields ethical insight concerning the good life. If issues of justice are involved, fair and impartial consideration of conflicting interests is required to judge what is right or just. And again like Kant, Habermas regards questions of the last type, rather than specifically ethical questions, to be the domain of theory. (Thus discourse ethics might more properly have been called "discourse morality.") This is not to deny that specifically ethical discourse can be more or less rational, or that it exhibits general structures of its ownj but the pluralism and individualism of modern life mean that questions of self-understanding, self-realization, and the good life do not admit of universal answers. But this does not preclude constructing a general theory of a narrower sort, namely a theory of justice. Accordingly, the aim of discourse ethics is solely to reconstruct, in communications-theoretical terms, the moral point of view from which questions of right can be fairly and impartially adjudicated. Its leading principle is that "only those norms may claim to be valid that could meet with the consent of all affected in their role as participants in a practical discourse.,,22 Respect for the individual is built into the freedom of each participant in discourse to accept or reject the reasons offered as justifications for norms, and concern for the common good into the requirement that each participant take into ac count the needs, interests, feelings, and desires of all those affected by the norm under consideration. It is obvious that the actual practice of moral dis course has to rely on forms of individual socialization, cultural reproduction, and social interaction that foster the requisite capacities, motivations, and opportunities. It is in fact possible to read Habermas's extensive writings on politics and society as a protracted examination of the psychologieal, cultural, and institutional conditions for and barriers to the implementation of practical discourse in public life. I shall not be concerned here with the details of those discussions but only with the proceduralist conception of deliberative democracy that serves as their normative frame of reference. That conception applies the idea of justification by appeal to gene rally acceptable reasons to the deliberations of free and equal citizens in a constitutional democracy. Accordingly, Habermas's model of democratic deliberation envisages a combination of fair negotiations and pragmatic considerations with ethical and moral discourses, under conditions which warrant a presumption that procedurally correct out comes will generally be ones with which free and equal citizens could reasonably agree. And he conceives the basic structures of the constitutional state as an ongoing attempt 228.0.,8. 197.

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effectively to secure such conditions of rational deliberation not only in official governmental bodies but also in the unofficial networks of the public sphere. Independent public forums, distinct from both the economic system and the state administration, having their locus rather in voluntary associations, social movements, and other venues and processes of communication in civil society, are for Habermas the basis of popular sovereignty. Ideally, the "communicative power" generated by the public use of reason in non-governmental arenas should be translated via legally institutionalized decision-making procedures - for example, electoral and legislative procedure - into the legitimate administrative power of the state. In this model for a deliberative decentering of political power, the multiple and multiform arenas for detecting, defining, and discussing societal problems, and the culturally and politically mobilized publics who use them, serve as the basis for democratic self-government and thus for political authority. Not even constitutional principles are exempt from this public use of reason. Rather, democratic constitutions should be understood as "projects" that are always open, incomplete, and subject to the ongoing exercise of political autonomy. Constitutional traditions have to accommodate not only inherited self-understandings, patterns of value, and interpretations of needs, but conflicts among them and challenges to them as weIl. This means that in practice the acceptability of proposed laws, policies, and programs depends not only on basic rights and universal principles, but also on particular histories and changing circumstances. It also means that specific interpretations of the presuppositions and conditions of democratic self-determination are themselves subject to debate in the public sphere. In this sense, democratic dis course is reflexively open: participants may thematize the very activity in which they are engaged. It's institutionalization is at the same time the institutionalization of possibilities of internal criticism. In my view, this approach goes a long way toward detranscentalizing Kant's conception of practical reason while preserving many of its most valuable features; but it does not go quite far enough. In particular, as I have argued elsewhere, it does not give sufficient weight to what Rawl's has called "the fact of reasonable pluralism." In construing political autonomy as self-Iegislation through the public use of reason, Habermas ties the legitimacy of legal norms to what all could agree to in public deliberations that take the needs and interests of each equally into consideration. Thus Kant's "uni ted will of a people" reappears here in discourse-theoretical trappings. Kant, despite his insistence on the public use of reason, could still rely on a kind of "preestablished harmony" among rational beings,

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owing to their sharing in the general structures of Bewusstsein überhaupt. And since all particularities were to be put out of playas determining factors in the exercise of "pure" reason, what remained was common to all. But Habermas's conception of practical discourse brings particularities in the forms of values, interests, aims, desires, and the like - back into the picture, and so he owes us a detailed account of the dialectical interplay between the general and the particular in this domain. Let us focus for the moment on the issue of value pluralism. Habermas acknowledges that evaluative perspectives inevitably inform our conceptions ofwhat is good not only for ourselves or our subgroups, but also for the larger political communities of which we are members. On what grounds, then, could we expect free and equal citizens with different and often incompatible value orientations to be able regularly to achieve consensus on what is in the common good? Under conditions of value pluralism even ideally rational discourse need not lead to rational consensus. When it does not, we may resort to procedures like voting and majority rule. If those procedures are accepted as democratically legitimate by all parties to the disagreement, the outcomes may likewise be accepted as legitimate. But then there is no more reason to characterize them as "reasonable agreements" than as "reasonable disagreements." What this does, we might say, is shift the level of agreement, strictly so called, to a higher level of abstraction, a move which is in fact characteristic of modern legal and political systems generally. That is, the levels at which pluralistic societies may hope to sec ure broad agreement amidst the play of social, cultural, and ideological differences might in some cases range not much further than basic rights, principles and procedures. Reflectively rational participants will themselves be aware that their different interpretive and evaluative standpoints are rooted in different traditions, contexts, and experiences; and if they consider the basic institutions and practices of their society to be just, they may regard collective decisions in ac cord with them as legitimate even when they disagree substantively with them. In such cases, the de facto end of public deliberations would express only the provisional outcomes of procedures intended to produce decisions even in the absence of substantive consensus. The for-the-timebeing character of any such decision refers not to the ideal limit point of universal convergence on the "one right answer," but to ongoing efforts by minorities rationally to persuade enough of the majority to change the decision. What is central to this model is not the general or uni ted will of a people, in the form of universal rational consensus, but the structures and procedures that secure official and unofficial spaces for the public use of reason and the practically rational character of that public dis-

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course. This includes its degree of openness to criticisms and innovations, particularly when they issue from challenges to established value orientations, self-understandings, worldviews, and the like - for instance, when they are part of the struggles for recognition of oppressed or marginalized groups - but also when they express more routine disagreements that stern from socially, culturally, and biographically rooted differences. Reasonable members will try to speak to these differences when seeking rationally to persuade others to support laws and policies they believe to be in the general interest. They will seek to accommodate some of them in the arrangements they propose. And they will learn to live with all of them in a non-violent manner. Practical rationality in the face of diversity is as much a matter of recognizing, respecting, and accommodating differences as it is of transcending them. Arrangements predicated upon the former are no less practically rational than ones predicated upon the latter, and just political arrangements will normally involve both. These considerations weigh all the more heavily when we turn to the "universal cosmopolitan existence" that Kant envisioned as a "federation of peoples" guaranteeing "perpetual peace." In our framework this would entail establishing the cultural and institutional conditions for what we might call "multicultural universal discourse." If there are basic differen ces in the beliefs and practices of peoples who nevertheless want to live together in peace, and if there is no "view from nowhere" from which to adjudicate those differences, then there is no non-coercive alternative to finding or constructing common ground in communicative interaction. Viewed normatively, that process would turn on the presuppositions of practical dis course discussed above. In particular, it would require overcoming the social, cultural, economic, political, and militaryasymmetries of the global force fields within which cross-cultural encounters are now situated, thus empowering presently excluded or subordinated "others" to participate on equal footing in the "conversation of humankind." It is only in the institutions and practices embodying some such cosmopolitan ideal that the enlightenment project could prove to be more than a Eurocentric illusion. These last remarks are areminder of the empirical, historical dimensions of the enlightenment project, which have been left entirely to the side of my purely conceptual and normative reflections - not, of course, because they are unimportant or because existing conditions are fine as they are. The reasons are in part occasional: conceptual and normative issues lend themselves more readily to philosophical discussionj and they are in part theoretical: the enlightenment project depends on interpretive and evaluative standpoints that are grounded in ideas of reason. In

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this latter connection, it is precisely the situation-transcending import of such ideas that is decisive, for the areas of tension between an established order and the ideas of reason it relies upon are just where enlightened social criticism goes to work. Used in this way, ideas of reason take us in a different direction from those metaphysical representations that have so exercised deconstructionist critics, namely toward the ongoing critical scrutiny of claims to validity made in their name. The tension between the ideal and the real with which they imbue the construction of the s