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German Pages 178 [179] Year 2010
Schriften zur Rechtstheorie Heft 252
Theorie der juristischen Formulare Ein Beitrag zur Methodenlehre der Rechtsanwendung
Von Felix Gantner
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
FELIX GANTNER
Theorie der juristischen Formulare
Schriften zur Rechtstheorie Heft 252
Theorie der juristischen Formulare Ein Beitrag zur Methodenlehre der Rechtsanwendung
Von Felix Gantner
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
Gedruckt mit Unterstützung der IBM Österreich Ges. m. b. H.
Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität Innsbruck hat diese Arbeit im Jahre 2003 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Alle Rechte vorbehalten # 2010 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0472 ISBN 978-3-428-11351-4 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Vorwort Gegenstand der vorliegenden Arbeit ist eine Analyse der methodischen Bedeutung juristischer Formulare für die Rechtsanwendung im Sinne der österreichischen Tradition des Dialogs von Rechtstheorie und Rechtsinformatik sowie der Anwendung der dadurch gewonnenen Erkenntnisse auf aktuelle Fragestellungen des Rechts. Ausgangspunkt der Untersuchung ist das von Kelsen in der Reinen Rechtslehre grundgelegte Normenmodell unter Berücksichtigung der Modifikationen durch Tammelo, Weinberger, Reisinger und Lachmayer. Im Lichte dieser normentheoretischen Modelle erscheinen Formulare als eine von der Rechtspraxis entwickelte Methode zur Abbildung von Rechtsnormen und der Ergebnisse juristischer Argumentation, um Subsumtionsvorgänge effizient zu gestalten. Die theoretische Analyse des „Werkzeugs“ Formular führt daher zu Fragen der juristischen Argumentation und zum Subsumtionsproblem, das bei Alexy einen sehr repräsentativen Ausdruck gefunden hat. Das Subsumtionsmodell ist eine der zentralen Problemstellungen der juristischen Methodenlehre. Diese rechtstheoretischen Modelle werden weiterentwickelt, um das juristische Formblatt als Schnittstelle zwischen Tatbestand und Sachverhalt zu beschreiben. Gerade die jüngsten Entwicklungen im Bereich des eGovernment und die damit verbundene verstärkte Verwendung „elektronischer Formulare“ in Verfahren hat den Fragen, die diese Arbeit untersucht, neue Impulse gegeben. Formulare werden dabei als eine der Schlüsseltechnologien bei der Modernisierung und Reform der Verwaltung angesehen. Es werden daher in dieser Arbeit auch theoretische Fragen der arbeitsteiligen Gestaltung juristischer Verfahren mit Hilfe von Formblättern untersucht. Es sind in diesem Zusammenhang neben methodologischen Fragen auch die rechtsdogmatische Einordnung juristischer Formulare und die rechtlichen Rahmenbedingungen ihrer Verwendung von großer Bedeutung. Die vorliegende Arbeit ist das Ergebnis einer seit 1995 dauernden Beschäftigung mit Formularen. Diese umfasste sowohl die theoretische Analyse dieses
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Vorwort
Gestaltungsmittels der Rechtspraxis, als auch - im Rahmen meiner Tätigkeit auf dem Gebiet der Rechtsinformatik - die praktische Umsetzung der dabei gewonnenen Erkenntnisse in EDV-Systemen, wie z.B. beim Einsatz elektronischer Formulare im VwGH Wien. Die hier vorgestellten theoretischen Überlegungen konnte ich in zahlreichen Vorträgen im „Seminar aus Rechtstheorie und Rechtsinformatik“ an der Universität Innsbruck präsentieren. Ich danke den Veranstaltern dieses Seminars, Univ.-Prof. Dr. Friedrich Lachmayer, Univ.-Prof. Mag. Dr. Peter Anreiter und Ass.-Prof. Dr. Walter Grömmer, sowie den Seminarteilnehmern für ihre Bereitschaft zur kritischen Auseinandersetzung mit den von mir vorgestellten Thesen. Diese Arbeit wäre nicht entstanden ohne die Bereitschaft von Univ.-Prof. Dr. Friedrich Lachmayer, mit mir die darin behandelten Themen kritisch zu diskutieren. Dafür bin ich ihm aufrichtig dankbar. Besonders möchte ich ihm an dieser Stelle aber auch danken für die Vorlesungen über Rechtstheorie an der Universität Wien, die sowohl inhaltlich, als auch in der Gestaltung einen aufregenden und wohltuenden Kontrast zu anderen Lehrveranstaltungen darstellten. Sie zeigten mir, dass es hinter der Oberfläche der Paragrafen in unserem Rechtssystem den Bereich der Strukturen und Metaebenen des Rechts zu entdecken gibt. Ich hoffe, dass diese Arbeit einen Beitrag dazu liefert. Von der langen und intensiven Beschäftigung mit Rechtstheorie und Formularen war in großem Ausmaß auch meine Frau Claudia betroffen. Nur wer selbst fünf Kinder hat, kann abschätzen, welche Lasten sie übernehmen musste, damit ich diese Arbeit fertig stellen konnte. Ich danke ihr für die große Unterstützung in den letzten Jahren. Für die großzügige Unterstützung, die die Publikation dieser Arbeit ermöglichte, danke ich IBM Österreich Internationale Büromaschinen Ges.m.b.H.
Röhrenbach, im Februar 2009
Felix Gantner
Inhaltsverzeichnis Einleitung ..................................................................................................................
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A. Formular und Rechtsanwendung .......................................................................
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B. Formale Modelle der Rechtsanwendung............................................................ I. Subordination und Subsumtion....................................................................... 1. Subordination ............................................................................................ 2. Subsumtion................................................................................................ II. Subsumtion und interne Rechtfertigung ........................................................ 1. Der juristische Syllogismus ....................................................................... a) Juristischer Syllogismus und Syllogistik............................................... b) Darstellungen im Prädikatenkalkül ....................................................... 2. Die Entfaltung des Tatbestands bei Alexy.................................................
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C. Rechtsanwendung ................................................................................................ I. Die Rechtsvorschrift ....................................................................................... 1. Tatbestand T.............................................................................................. a) Tatbestandsobjekt TOn .......................................................................... b) Eigenschaft TE und Relation TR .......................................................... 2. Rechtsfolge R ............................................................................................ II. Der Sachverhalt............................................................................................. 1. Geschehen ................................................................................................. 2. Fall ............................................................................................................ 3. Sachverhalt ................................................................................................ a) Strukturierung des Falls ........................................................................ b) Beschreibung der Fallelemente............................................................. 4. Struktur und Elemente des Sachverhalts ................................................... III. Das Grundmodell der Rechtsanwendung..................................................... 1. Der Tatbestand T ....................................................................................... 2. Der Sachverhalt SV ................................................................................... 3. Der Subsumtionsschluss............................................................................ a) Eigenschaften des Subsumtionsschlusses.............................................. b) Ein formales Modell des Subsumtionsschlusses ................................... IV. Rechtsanwendung und juristische Argumentation....................................... 1. Generelle Argumentation .......................................................................... 2. Fallbezogene Argumentation..................................................................... 3. Entfaltung von Tatbestand und Sachverhalt .............................................. a) Tatbestand ............................................................................................. b) Sachverhalt ...........................................................................................
21 22 22 27 29 32 36 36 37 38 40 41 43 45 46 48 49 52 57 58 60 62 63 68 69
D. Juristische Arbeitsteilung.................................................................................... I. Rechtsanwendung und ähnliche Sachverhalte ................................................
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Inhaltsverzeichnis II. Juristische Argumentation und Arbeitsteilung .............................................. 1. Entfaltung und Zwischentatbestände ......................................................... 2. Zwischentatbestand und juristische Arbeitsteilung.................................... a) Abgeleitete Rechtsnormen und Rechtsanwendung ............................... b) Der kasuistische Tatbestandsraum ........................................................ 3. Interne und externe Entscheidungsbegründung ......................................... III. Juristische Arbeitsteilung und kasuistischer Tatbestandsraum.....................
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E. Rechtsanwendung und Formulare ..................................................................... I. Formularverfahren .......................................................................................... II. Tatbestand und Sachverhalt im Formular...................................................... 1. Die Abbildung des Tatbestands im Formular - ein Beispiel ...................... a) Feld „Staatsbürgerschaft“...................................................................... b) Universität - Studium............................................................................ c) Inskription............................................................................................. d) Personendaten ....................................................................................... 2. Das Formular als Subsumtionswerkzeug................................................... a) Der Tatbestand T im Formular.............................................................. b) Die Subsumtion des Sachverhalts SV im Formular .............................. aa) Subsumtion durch Ausfüllen........................................................... bb) Subsumtion durch Auswahl............................................................ cc) Subsumtion über Beilagen .............................................................. III. Arbeitsteilige Verfahren und Formulare ...................................................... IV. Norm- und Sachverhaltsarbeit ..................................................................... 1. Überwälzung von Sachverhaltsarbeit ........................................................ a) Die Arbeit des Formularlegisten ........................................................... b) Die Arbeit bei der Rechtsanwendung ................................................... c) Juristische Arbeitsbilanz .......................................................................
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F. Die Wartung von Formularen............................................................................. 116 I. Formular und Formularnovelle....................................................................... 116 II. Der Umfang der Wartung.............................................................................. 117 G. Papier- und elektronisches Formular ................................................................ I. Bauelemente des Papierformulars .................................................................. 1. Formularfelder........................................................................................... a) Frage und Antwort im Feld ................................................................... b) Feldtypen .............................................................................................. aa) Auswahlfelder................................................................................. bb) Textfelder ....................................................................................... c) Feldgruppen .......................................................................................... aa) Tabellen .......................................................................................... bb) Blockbildung .................................................................................. 2. Formularnormen ........................................................................................ a) Ausfüllnormen ...................................................................................... b) Navigationsnormen............................................................................... c) Beilagenanordnungen............................................................................ 3. Ausfüllhilfe................................................................................................ a) Hilfe zum Formular............................................................................... b) Informationen zum Verfahren...............................................................
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Inhaltsverzeichnis
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II. eGovernment und elektronische Formulare................................................... 1. Das elektronische Papierformular.............................................................. 2. EDV-Benutzeroberflächen ........................................................................ a) Elektronische Anbringen....................................................................... b) Elektronische Aktenformulare .............................................................. 3. Formular als Datensatzdefinition............................................................... III. Das Formular der Zukunft............................................................................
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H. Rechtsfragen des Formulareinsatzes.................................................................. I. Der Rechtsakt „Formular“ .............................................................................. II. Formular und Ermittlungsverfahren .............................................................. 1. Amtswegige Ermittlung............................................................................. 2. Verfahrensökonomie ................................................................................. 3. Verzicht auf Parteiengehör ........................................................................ 4. Mitwirkungspflicht .................................................................................... III. Formular und Rechtsauskunft ...................................................................... 1. Persönliche Rechtsbelehrung im Verfahren............................................... 2. Formularhilfe............................................................................................. 3. Informationssystem „Formular“ ................................................................ IV. Rechtsschutz ................................................................................................ 1. Selbstbindung der Behörde durch Formulare ............................................ 2. Rechtsschutzdefizite ..................................................................................
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Literaturverzeichnis ................................................................................................. 155 Personen- und Sachwortverzeichnis........................................................................ 164
Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Tatbestand § 75 StGB ........................................................................... Abbildung 2: Tatbestand § 125 StGB ......................................................................... Abbildung 3: Tatbestand § 127 StGB ......................................................................... Abbildung 4: Norminterne Relationen........................................................................ Abbildung 5: Stufen der Sachverhaltsgewinnung....................................................... Abbildung 6: Subsumtion der Mauer unter „bauliche Anlage“ .................................. Abbildung 7: Erfolgreiche Subsumtion bei positiven und negativen TOn ................. Abbildung 8: Positive TEn.m mit negativer Differenzierung und negative TEn.m ....... Abbildung 9: Ebenen der Subsumtion ........................................................................ Abbildung 10: Verneinte Subsumtion der Rampe unter Gebäude .............................. Abbildung 11: Entfaltung von T und SV .................................................................... Abbildung 12: Entfaltung und Subsumtion ................................................................ Abbildung 13: Ähnlicher Sachverhalt zu einem Te..................................................... Abbildung 14: Wiederverwenden eines Te bei ähnlichem Sachverhalt ...................... Abbildung 15: Entfaltung und Zwischentatbestände .................................................. Abbildung 16: Zwischentatbestände als Ergebnis der Entfaltung............................... Abbildung 17: Zwischentatbestände........................................................................... Abbildung 18: Abhängigkeiten des Zwischentatbestands........................................... Abbildung 19: Abgeleitete Tatbestände und Rechtsnormen....................................... Abbildung 20: Der kasuistische Tatbestandsraum von T............................................ Abbildung 21: Interne und externe Entscheidungsbegründung .................................. Abbildung 22: Öffentlicher Tatbestandsraum und juristische Arbeitsteilung ............. Abbildung 23: „Vollständigkeit“ im Formular ........................................................... Abbildung 24: Entfaltung und Subsumtion für das Beispiel ohne Formular .............. Abbildung 25: Fragefeld „Staatsbürgerschaft“ ........................................................... Abbildung 26: Fragefeld „Staatsbürgerschaft II“........................................................ Abbildung 27: Eingabefelder „Studium“ .................................................................... Abbildung 28: Nachweis über Beilagen ..................................................................... Abbildung 29: Personendaten..................................................................................... Abbildung 30: Entfaltung und Subsumtion im Formularverfahren............................. Abbildung 31: Formular und juristische Arbeitsteilung ............................................. Abbildung 32: Das Formular als Abbildung des Tatbestands..................................... Abbildung 33: Formularnovellen................................................................................ Abbildung 34: Frage - Antwort im Formularfeld ....................................................... Abbildung 35: Satzfragment....................................................................................... Abbildung 36: Fragestellung durch Grafik ................................................................. Abbildung 37: Dynamische Fragestellung.................................................................. Abbildung 38: Aussagenkonstruktion......................................................................... Abbildung 39: Feldgruppe mit Alternativauswahl...................................................... Abbildung 40: Auswahlfeld „Ja-Nein“ ....................................................................... Abbildung 41: Feldgruppe mit Mehrfachauswahl ......................................................
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Abbildungsverzeichnis Abbildung 42: Textfeld mit Maske............................................................................. Abbildung 43: Tabelle ................................................................................................ Abbildung 44: Ausfüllnormen .................................................................................... Abbildung 45: Ausfüllnormen, die Bereiche reservieren............................................ Abbildung 46: Navigationsnormen............................................................................. Abbildung 47: Formularhilfe ...................................................................................... Abbildung 48: Gesetzestext und Formularhilfe .......................................................... Abbildung 49: Formular und EDV-Aktenbearbeitung................................................ Abbildung 50: Datensatzdefinition und Papierformular .............................................
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Einleitung Formulare sind ein zentrales Kommunikationsmittel zwischen Bürger und Behörde. Sie werden damit Sinnbild für die Verwaltung und ihr Handeln. Sie repräsentieren die Komplexität und Undurchschaubarkeit juristischer Verfahren, den ineffizienten Amtschimmel, der tausende Vordrucke zur Verwaltung seiner selbst benötigt.1 Sind die Formblätter aber als Web-Formulare Teil eines eGovernment-Projekts, dann sind sie ein Zeichen für die moderne, effiziente Verwaltung. Der Amtsschimmel galoppiert dann im Internet.2 Die Verbindung von EDV und juristischen Formularen ist jedoch keine Erfindung des eGovernment. Schon zu einer Zeit, als Computer noch als „kybernetische Systeme“ bezeichnet wurden, gab es Pläne, Formulare zur Erfassung des Sachverhalts für automatisierte juristische Entscheidungen einzusetzen.3 Unabhängig von der technischen Umsetzung waren Formulare immer schon ein Hilfsmittel, die Regelhaftigkeit und Gleichförmigkeit4 von Sacherledigungen in der Verwaltung sicherzustellen. Verwaltungsreform ist daher auch immer mit Fragen des effizienten Formulareinsatzes verbunden. Durch Internet, elektronischen Akt und digitale Medien verändert sich jedoch auch das Formular. Zum „klassischen“ Papierformular kommen durch die technische Entwicklung neue Formulararten. Die vorliegende Arbeit untersucht die Bedeutung von Formularen für juristische Verfahren. Es wird dargestellt, wie der Einsatz von Formblättern die juristische Entscheidung verändert und dadurch eine effiziente Verfahrensgestaltung ————— 1
12.400 Formulare für den Amtsschimmel, Kurier 18.11.1993 S. 10. Amtsschimmel galoppiert im Internet, Der Standard 06.02.2003, Spezial Exponet, S. 22. 3 Simitis: Rechtliche Anwendungsmöglichkeiten kybernetischer Systeme, Recht und Staat in Geschichte und Gegenwart, Band 322, J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) Tübingen, 1966, S. 27 berichtet über einen Plan „für die Anwendung kybernetischer Systeme bei der Nachlassverwaltung. Mit Hilfe sorgfältig ausgearbeiteter Formulare werden vom Anwalt die für seinen Mandanten wesentlichsten Daten aufgezeichnet und anschließend an eine zentrale Datenverarbeitungsquelle übersandt. Der elektronische Apparat übernimmt nun unter Berücksichtigung der gesetzlichen Bestimmungen und der eingegangenen Daten die Errechnung der für den Erblasser günstigsten Verteilung des Nachlasses.“ 4 Wimmer: Norbert, Das Einmaleins der Verwaltungsreform, Duncker & Humblot Berlin, 1977, S. 30. 2
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Einleitung
durch juristische Arbeitsteilung möglich wird. Darauf aufbauend werden Rechtsfragen der Verwendung von Formblättern in juristischen Verfahren behandelt.
A. Formular und Rechtsanwendung Antragsformulare stehen am Beginn vieler Verwaltungsverfahren. Der Bürger, der die Verwaltungsbehörde zu einer Handlung bewegen will, der will, dass sie für ihn tätig wird, muss vorher die Hürde des ausgefüllten Formulars meistern. Er kann sein Anliegen dem zuständigen Beamten nicht einfach vortragen, diesem noch ein Paket Unterlagen übergeben, damit dieser sich daraus die wesentlichen heraussucht oder dem Antragsteller mitteilt, dass vielleicht noch etwas fehlt, und dann darauf vertrauen, dass der juristisch geschulte Beamte die richtigen Schlüsse zieht und im Sinne des Antragsstellers handelt. Vielmehr wird ihm mit einem Formblatt eine Struktur zur Formulierung seines Anliegens vorgegeben, die in kurze Fragen gegliedert ist, die u.U. zu schwer verständlichen Fragenkomplexen kombiniert werden, und in der teilweise Fachbegriffe verwendet werden, die ihm fremd sind und die er ohne juristisches Fachwissen nicht deuten kann.5 Er soll sein konkretes persönliches Anliegen zerteilen, umformulieren und in die unpersönliche, standardisierte6 Vorgabe im Formular zwängen. ————— 5 Vgl. für derartige Fragen, die juristisches Fachwissen des Ausfüllenden voraussetzen, z.B. die Formulare nach dem StudFG (VO über Formulare nach dem Studienförderungsgesetz 1992 BGBl. 894/1994). Das Formblatt für den Antrag auf Gewährung und Erhöhung einer Studienbeihilfe enthält die Frage „Sind Sie erheblich behindert im Sinne des Familienlastenausgleichs?“ Im Formular „Erklärung gemäß § 11 Abs. 2 Studienförderungsgesetz 1992“, über das der Nachweis der sozialen Bedürftigkeit geführt wird, finden sich Fragen nach dem Erhalt von steuerfreien Bezügen wie z.B. „2.1.7 Versicherungsmäßiges Arbeitslosengeld und Notstandhilfe oder an deren Stelle tretende Ersatzleistungen; Karenzurlaubsgeld, an dessen Stelle tretende Ersatzleistungen und Karenzurlaubshilfe auf Grund besonderer gesetzlicher Regelungen; Überbrückungshilfe für Bundesbedienstete nach den besonderen gesetzlichen Regelungen sowie gleichartige Bezüge auf Grund besonderer landesgesetzlicher Regelungen; Beihilfen nach dem Arbeitsmarktförderungsgesetz, BGBl. Nr. 31/1969; Leistungen nach dem Behinderteneinstellungsgesetz (§ 3 Abs. 1 Z. 5 lit. a bis e EStG 1988)“. 6 „Formular“ wird häufig als Synonym für standardisierte und sich wiederholende Strukturen verwendet. Dabei ist die Verwendung dieses Begriffs nicht nur auf Verfahren und die darin verwendeten Formblätter beschränkt. So z.B. in der Legistik: „Schließlich geht es um die Formulargestalt des Gesetzes, sodass die endgültige Gliederung des Gesetzestextes zu bewerkstelligen ist. Diese formularmäßige Chiffrierungsphase (f) ist die abschließende.“ (Lachmayer: Legistische Chiffrierung, in: Bundesministerium für Justiz (Hrsg.), Sozialintegrierte Gesetzgebung - Wege zum guten und verständlichen Gesetz, Bundesministerium für Justiz, 1979, S. 68.) Vgl. auch Lachmayer: Schichten juristischer Probleme, ÖGZ 1977, Nr. 1-2, S. 11 zur „Formular-Schicht“ von Gesetzen.
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A. Formular und Rechtsanwendung
Der Antragsteller erledigt damit einen Teil der juristischen Arbeit, welche die Aufgabe des Verwaltungsbeamten wäre. Nicht der rechtskundige Beamte, sondern der Bürger bereitet die persönliche Situation, das Anliegen auf und muss dabei auch die einzelnen Merkmale des betroffenen Lebenssachverhalts juristisch beurteilen. Die „klassische“ Vorgangsweise der Rechtsanwendung wird damit durch die Verwendung von Formularen umgestaltet. Das Ermittlungsverfahren wird nicht mehr ausschließlich von der Behörde, sondern zumindest gemeinsam von Antragsteller und Behörde, wenn nicht gar alleine vom Bürger, der das Formular ausfüllt, durchgeführt.7 Wie verändert sich damit durch diese Einbeziehung des Bürgers in die juristische Arbeit der Vorgang der Rechtsanwendung? Welche Aufgaben werden dem Bürger übertragen? Welche bleiben der Behörde? Erhält der Antragsteller neue Aufgaben? Im Folgenden wird ein Modell der Rechtsanwendung entwickelt, mit dem die Rechtsanwendung als arbeitsteiliger Vorgang beschrieben werden kann. Das Modell ermöglicht auch die Darstellung jener Änderungen in Verfahren, die mit dem Einsatz von Formblättern verbunden sind.
————— 7 So § 41 (4) StudFG BGBl. 343/1993 i.d.F. BGBl. 619/1994: Auf Grund des vorgelegten Formularantrages ist ohne weiteres Ermittlungsverfahren unter zweckmäßiger Verwendung moderner technischer Hilfsmittel, insbesondere der automationsunterstützten Datenverarbeitung, mit Bescheid zu entscheiden.
B. Formale Modelle der Rechtsanwendung Rechtsanwendung ist die Zuordnung eines konkreten Falls zu einer Rechtsanwendung generellen Rechtsvorschrift und die Gewinnung einer individuellen, konkreten Sollensaussage - der Rechtsfolge - daraus. Um Norm und Fall einander zuzuordnen, sind zahlreiche juristische Denkvorgänge8 und Arbeitsschritte notwendig: die Auslegung der Rechtsvorschrift, die Gewinnung einer generellen normativen Regel9, die Transformation10 des Falls in eine Sachverhaltsbeschreibung, die mit der generellen Regel verglichen werden kann11 und schließlich die Formulierung der Rechtsfolge. Gegenstand des Modells, das im Folgenden entwickelt wird, ist die logische Struktur dieser Vorgänge und ihre Zusammenhänge. Ausgangspunkt für die Modellbildung ist die Unterscheidung von Subordination und Subsumtion, sowie die argumentative Entfaltung von Tatbestandselementen. Diese wurde von Engisch beschrieben und von Alexy in ein formales Modell der internen Rechtfertigung eines juristischen Urteils integriert.
I. Subordination und Subsumtion Engisch untersuchte in Logische Studien zur Gesetzesanwendung die logische Struktur der Gesetzesanwendung. Er behandelt dabei die Argumentationsstrukturen der Subsumtion des konkreten Falls unter das Gesetz. Die wesentliche Aufgabe für den Anwender des Gesetzes ist dabei nicht der logische Schluss, sondern die korrekte Formulierung von Ober- und Untersatz eines Schlusses, der die Struktur des folgenden Syllogismus hat:
————— 8 Bydlinski: Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 2. Auflage, Springer-Verlag, 1991, S. 19. 9 Weinberger: Rechtslogik, 2. Auflage, Duncker & Humblot Berlin, 1989, S. 244. 10 Broekman: Rechtsfindung als diskursive Strategie, in: Ballweg/Seibert (Hrsg.), Rhetorische Rechtstheorie. Verlag Karl Alber Freiburg/München, 1982, S. 212. 11 Kaufmann: Problemgeschichte der Rechtsphilosophie, in: Kaufmann/Hassemer (Hrsg.), Einführung in Rechtsphilosophie und Rechtstheorie der Gegenwart, 5. Auflage, Müller Jur. Verlag, 1989, S. 129.
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B. Formale Modelle der Rechtsanwendung „Wenn jemand ohne Befugnis in der Wohnung eines anderen verweilt, so soll er wegen Hausfriedensbruchs bestraft werden. A verweilte ohne Befugnis in der Wohnung eines anderen (des X). A soll wegen Hausfriedensbruch bestraft werden.“12
„Das Schließen als solches macht uns die geringste Mühe, die Hauptschwierigkeit liegt im Finden der Prämissen.“13 Deren Struktur und Inhalt wird von Engisch daher auch genauer beleuchtet.
1. Subordination Der Obersatz, der die generelle Rechtsvorschrift, unter die subsumiert wird, formuliert, ist im Allgemeinen nicht eine bloße Übernahme des gesetzlichen Wortlautes. Vielmehr handelt es sich dabei um ein generelles Sollensurteil, das aus dem Gesetz mittels Auslegung oder anderer juristischer Methoden aus dem Gesetz entwickelt wird. Regelmäßig muss er erst aufgebaut werden aus „eventuell weit zerstreuten Gesetzesvorschriften“14. Doch nicht ausschließlich generelle Rechtsvorschriften fließen in die Formulierung des Obersatzes ein. Die Ausgestaltung des Obersatzes erfolgt vielmehr unter Berücksichtigung des konkreten Lebenssachverhaltes, der unter den Obersatz subsumiert werden soll. Es besteht eine Wechselwirkung zwischen dem Ober- und dem Untersatz des Syllogismus. Nur jene Gesetzesvorschriften werden im Obersatz herangezogen, die für den konkreten Sachverhalt von Bedeutung sind. Mit diesen ausgewählten Vorschriften wird aber auch gleichzeitig geprüft, welche Sachverhaltselemente für die Rechtsanwendung in bezug auf den Obersatz von Bedeutung sind. Die unwesentlichen Sachverhaltsmerkmale werden herausgefiltert. „Einerseits werden nur diejenigen Momente in den Obersatz einbezogen, für die der konkrete Lebensfall die Heranziehung anregt, andererseits soll ja der konkrete Lebensfall erst anhand der juristischen Obersätze beurteilt, innerhalb seiner das Wesentliche vom unwesentlichen geschieden werden. ... Für den Obersatz ist wesentlich, was auf den konkreten Fall Bezug hat, am konkreten Fall ist wesentlich, was auf den Obersatz Bezug hat.“ Es handelt sich „um eine ständige Wechselwirkung, ein Hin-
————— 12 Engisch: Logische Studien zur Gesetzesanwendung. 3. Auflage, Carl Winter Universitätsverlag, 1963, S. 10. 13 Engisch: Logische Studien zur Gesetzesanwendung, S. 13. Vgl. auch Bydlinski: Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 396: „Jede ‚Rechtsanwendung‘ mündet in solche Deduktion ein. Die Problematik der Rechtsanwendung liegt jedoch nicht in diesem Schluss, sondern in der Vorbereitung des Ober- und Untersatzes, bis der Schluss endgültig gezogen (oder verneint) werden kann.“ 14 Engisch: Logische Studien zur Gesetzesanwendung, S. 14.
I. Subordination und Subsumtion
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und Herwandern des Blickes zwischen Obersatz und Lebenssachverhalt, nicht ... um einen fehlerhaften Zirkel.“15
Auf Grund dieser Wechselwirkung hat die Entwicklung des Obersatzes zwei Seiten, die dazu führen, dass der Umfang und die Komplexität dieser Prämisse zunimmt: -
Die Verbreiterung durch Zusammenfügen verstreuter Gesetzespartikel, Berücksichtigung von Ausnahmevorschriften und dergleichen.
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Die Entfaltung des Obersatzes durch Auslegung und sonstige juristische Methoden auf die Details des konkreten Falls hin.
Die Entfaltung eines Gesetzesbegriffs und damit die Entwicklung des Obersatzes einer generellen Rechtsvorschrift in Richtung des Lebenssachverhalts demonstriert Engisch am Beispiel einer Auslegung des Begriffs „Mörder“. Ausgangspunkt ist der allgemeine Obersatz „Der Mörder wird mit dem Tode bestraft“. Engisch entfaltet diese generelle Regel zu einem spezielleren Sollenssatz, um eine Aussage zu erhalten, ob ein Bombenwurf eine vorsätzliche Tötung darstellt:16 Der Mörder wird mit dem Tode bestraft. Wer mit gemeingefährlichen Mitteln einen Menschen vorsätzlich tötet, ist Mörder. Wer mit gemeingefährlichen Mitteln einen Menschen vorsätzlich tötet, wird mit dem Tode bestraft. Wer mit Mitteln, deren Anwendung und Auswirkung sich der Berechnung und Beherrschung durch den sie Anwendenden entziehen, vorsätzlich einen Menschen tötet, tötet e. M. vorsätzlich mit gemeingefährlichen Mitteln. Wer mit Mitteln, deren Anwendung und Auswirkung sich der Berechnung und Beherrschung durch den sie Anwendenden entziehen, e. M. vorsätzlich tötet, wird mit dem Tode bestraft. Wer mit Bombenwurf einen Menschen vorsätzlich tötet, tötet einen Menschen vorsätzlich mit Mitteln, deren Anwendung und Auswirkung sich der Berechnung und Beherrschung durch den sie Anwendenden entziehen. Wer mit Bombenwurf einen Menschen vorsätzlich tötet, wird mit dem Tode bestraft.
Durch diese Folge von logischen Schlüssen wird eine speziellere, generelle Aussage aus dem ursprünglichen Obersatz abgeleitet. Es werden durch Gesetzesauslegung speziellere Fallgruppen dem gesetzlichen Tatbestand untergeordnet. Die neu gewonnene Aussage kann bei der Anwendung eines juridischen Schlusses an die Stelle des ursprünglichen Obersatzes treten. Bei dieser Form der Entfaltung des Obersatzes können aus generellen Aussagen wieder nur generelle Aussagen abgeleitet werden. Es werden keine Aussagen über einen Einzelfall getroffen. Engisch bezeichnet daher diese Form der Entfaltung ————— 15 16
Engisch: Logische Studien zur Gesetzesanwendung, S. 14f. Engisch: Logische Studien zur Gesetzesanwendung, S. 16f.
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B. Formale Modelle der Rechtsanwendung
des Obersatzes zur besseren Unterscheidung von der Subsumtion eines konkreten Einzelfalles unter das Gesetz als „Subordination“. „Bei der Auslegung der Gesetze werden bestimmte Fallgruppen dem gesetzlichen Obersatz subordiniert und auf diese Weise speziellere Sollensurteile gewonnen im Wege eines Schlussverfahrens, bei dem ... die Conclusio das Speziellere zur Anwendung und auf den konkreten Fall reifere (noch nicht aber das letztlich gesuchte konkrete) Sollensurteil ist.“17
2. Subsumtion Die Hauptprobleme der Gesetzesanwendung sieht Engisch jedoch nicht in der Gewinnung des Obersatzes, sondern im Untersatz. „A ist X“ enthält in dem Schluss wenn etwas X ist, so ist es Y A ist X also A ist Y
„die Subsumtion des konkreten Sachverhalts unter den abstrakten Tatbestand des Gesetzes“18 Damit wird in dem von Engisch beschriebenen Strukturmodell nicht die Subsumtion selbst als Teilprozess der Rechtsanwendung dargestellt, sondern nur dessen Ergebnis übernommen. Es wird weder die Gewinnung von Sachverhaltsmerkmalen und -merkmalsgruppen aus dem Fall, der zu beurteilen ist, noch deren rechtliche Beurteilung dargestellt. Vielmehr wird das Ergebnis dieser juristischen Tätigkeit und die Zuordnung zu den (entfalteten) Tatbestandselementen als Untersatz „A ist X“ in den logischen Schluss übernommen. Bei der Subsumtion unterscheidet Engisch folgende drei Elemente:19 (1) Die Vorstellung des konkreten Lebensfalles, des „Sachverhalts“. (2) Die Feststellung, dass dieser Sachverhalt sich tatsächlich zugetragen hat. (3) Die Würdigung des Sachverhalts als einen solchen, der die Merkmale des Gesetzes d.h. genauer des Vordersatzes des Obersatzes bzw. des „Mittelbegriffs“ aufweist. Das dritte Element enthält die eigentliche Subsumtion, wobei Subsumtion die Unterordnung (der Begriffsmerkmale) des Sachverhalts unter die Begriffsmerkmale des gesetzlichen Tatbestands bzw. des formulierten Obersatzes ist. Der konkrete Sachverhalt wird dabei „im ganzen oder wenigstens in seinen ————— 17
Engisch: Logische Studien zur Gesetzesanwendung, S. 17. Engisch: Logische Studien zur Gesetzesanwendung, S. 18f. 19 Engisch: Logische Studien zur Gesetzesanwendung, S. 19. 18
II. Subsumtion und interne Rechtfertigung
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‚wesentlichen Beschaffenheiten‘ gleichgesetzt denjenigen Fällen, die zweifellos durch den gesetzlichen Tatbestand gemeint und betroffen sind“20. Aussagen, die zur Gewinnung des Untersatzes im Rahmen der Subsumtion gewonnen werden, beziehen sich immer ausschließlich auf den konkreten Sachverhalt bzw. einzelne Sachverhaltsmerkmale. Dies ist der wesentliche „Unterschied von auslegender Subordination, die einen generellen Charakter besitzt, und konkreter Subsumtion, die sich auf den einmaligen hic et nunc zu beurteilenden Fall bezieht, ihn und nur ihn entscheiden will“21. Bei der Subordination werden häufig ganze Fallgruppen herangezogen und oft wird mit allgemeinen Merkmalen argumentiert bzw. diese definiert. Subsumtion hingegen erhebt ausschließlich den Anspruch, Aussagen über einzelne Sachverhaltsmerkmale zu treffen.
II. Subsumtion und interne Rechtfertigung Alexy integriert in Theorie der juristischen Argumentation das von Engisch beschriebene Modell der Entfaltung von Tatbestandsmerkmalen in ein Modell der internen Rechtfertigung. Bei der internen Rechtfertigung „geht es darum, ob das Urteil aus den zur Begründung angeführten Prämissen logisch folgt“22. Er verwendet dabei zur formalen Beschreibung seiner Theorie ein mit den Mitteln der Prädikatenlogik formuliertes Modell des „juristischen Syllogismus“ 23.
————— 20
Engisch: Logische Studien zur Gesetzesanwendung, S. 26. Engisch: Logische Studien zur Gesetzesanwendung, S. 28. 22 Alexy: Theorie der juristischen Argumentation, 2. Auflage, Suhrkamp Taschenbuch Verlag, 1991, stw 436, S. 273. 23 Neben „juristischer Syllogismus“ finden sich in der Literatur auch andere Bezeichnungen, wie z.B. „richterlicher Syllogismus“ , „Syllogismus der Rechtsanwendung“ oder „Justizsyllogismus“. Der juristische Syllogismus ist das meist verwendete Modell zur Beschreibung der Struktur der Rechtsanwendung. Das „syllogistische Auslegungsschema [wird] an den Universitäten immer noch als die vorherrschende juristische Denkweise, als die theoretische Anleitung zur Einübung rechtswissenschaftlicher Praxis gelehrt.“ (Jeand’Heur: Der Normtext, Über das Suchen und Finden von Begriffsmerkmalen, in: Müller (Hrsg.), Untersuchungen zur Rechtslinguistik, Duncker & Humblot, 1989, S. 165.) Kritisch zum Syllogismus als Abbildung juristischer Entscheidungsvorgänge: Makkonen: Zur Problematik der juridischen Entscheidung. Turku, 1965, S. 48ff: „In Wirklichkeit erhält man damit nicht einmal annähernd ein richtiges Bild von der juridischen Entscheidung“; Strauch: Die Bindung des Richters an Recht und Gesetz - eine Bindung durch Kohärenz, KritV 35 2002, Nr. 3, S. 311. 21
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B. Formale Modelle der Rechtsanwendung
1. Der juristische Syllogismus Unter „juristischer Syllogismus“ werden logische Schlussschemata zur Beschreibung der Anwendung genereller Rechtsvorschriften auf einen konkreten Rechtsfall - der Subsumtion eines bestimmten Falls unter eine generelle Norm24 - zusammengefasst. Bei diesem einfachen Schlussschema handelt es sich um einen logischen Syllogismus, der als Obersatz die generelle Regel, die auf den Fall angewendet werden soll, enthält. Dieser Satz ist aus Tatbestandsbeschreibung und Rechtsfolge zusammengesetzt. Der Untersatz enthält eine Aussage, ob ein konkreter Fall, der unter den Obersatz subsumiert werden soll, den Tatbestand erfüllt. Stimmen die Tatbestandsmerkmale im Untersatz mit den Tatbestandsmerkmalen des Obersatzes überein, so kann nach den Regeln der Logik auf eine individuelle Rechtsfolge, die eintreten soll, geschlossen werden. Aus einer allgemeinen rechtlichen Regel wird damit eine individuelle abgeleitet.25 Der von Engisch beschriebene logische Schluss bei der Rechtsanwendung (vgl. Seite 5) ist ein typisches Beispiel für einen „juristischen Syllogismus“: „Wenn jemand ohne Befugnis in der Wohnung eines anderen verweilt, so soll er wegen Hausfriedensbruchs bestraft werden. A verweilte ohne Befugnis in der Wohnung eines anderen (des X). A soll wegen Hausfriedensbruch bestraft werden.“
Im Allgemeinen enthält der Tatbestand der generellen Rechtsvorschrift im Obersatz nicht nur ein einzelnes Element26, sondern ist aus mehreren Tatbestandsmerkmalen zusammengesetzt. In diesem Fall kann der Schluss nur dann gezogen werden, wenn im Untersatz für jedes Tatbestandsmerkmal des Obersatzes ein korrespondierender Begriff vorkommt. Der Subsumtionsschluss wird dann durchgeführt mittels Einzelvergleichssubsumtion27, also durch einen Vergleich jedes einzelnen Merkmals des Tatbestands mit dem entsprechenden des Untersatzes. ————— 24
Kaufmann: Problemgeschichte der Rechtsphilosophie, S. 105. Weinberger: Rechtslogik, S. 252. Vgl. auch Weinberger: Die Struktur der rechtlichen Normenordnung, in: Winkler (Hrsg.), Rechtstheorie und Rechtsinformatik, Springer-Verlag, 1975, S. 120, wo der Schluss als „Fall der automatischen Normentstehung als logische Folge der Regel und einer Tatsache“ bezeichnet wird. 26 Vgl. das Beispiel in Kaufmann: Problemgeschichte der Rechtsphilosophie, S. 105, das nur ein einzelnes Tatbestandselement im Obersatz enthält: Alle Mörder werden mit lebenslanger Haft bestraft. M ist ein Mörder. M wird mit lebenslanger Haft bestraft. 27 Schneider: Logik für Juristen, 4. Auflage, Verlag Vahlen, 1995, S. 128. 25
II. Subsumtion und interne Rechtfertigung
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Der konkrete Fall, der unter die Rechtsvorschrift im Obersatz subsumiert werden soll, ist in diesem Schluss nur mehr in sehr abstrakter Form enthalten. Die einzelnen Merkmale des Falls, auf den die generelle Rechtsvorschrift angewendet werden soll - im oben dargestellten Schluss z.B. wie A ohne Befugnis in die Wohnung gekommen ist, wann und wie lange, ... -, sind im Untersatz („A verweilte ohne Befugnis in der Wohnung eines anderen (des X).“) nicht mehr zu finden. Vielmehr wird der Untersatz in Hinblick auf den Obersatz so formuliert, dass die in diesem enthaltenen Begriffe verwendet werden. Damit sind in diesem Modell die juristisch anspruchsvolle Tätigkeit der Auslegung von Rechtsvorschriften und die wertende Zuordnung von Fallelementen zu Tatbestandsmerkmalen nicht enthalten. Dies ist jedoch die Voraussetzung für die Formulierung des Ober- bzw. Untersatzes.28 Im Untersatz wird letztlich das Ergebnis der Subsumtion, der Zuordnung des Falls zu einer Rechtsvorschrift, formuliert. Der durch den juristischen Syllogismus beschriebene Schluss ist nur mehr ein formaler Vergleich von Begriffen, eine abschließende Gesamtbeurteilung29. Wird der „juristische Syllogismus“ mit den Mitteln der formalen Logik als allgemeine Schlussform dargestellt, so wird er im Allgemeinen entweder als Schluss der kategorischen Syllogistik30 oder mit den Mitteln der Prädikatenlogik beschrieben.
a) Juristischer Syllogismus und Syllogistik Wird die Darstellung der kategorischen Syllogistik gewählt, dann ist der „juristische Syllogismus“ ein Anwendungsfall des Schlusstyps „modus barbara“.31 ————— 28
Vgl. dazu Bydlinski: Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 396: „Die Problematik der Rechtsanwendung liegt jedoch nicht in diesem Schlussverfahren, sondern in der Vorbereitung des Ober- und des Untersatzes, bis der Schluss endgültig gezogen (oder verneint) werden kann.“ 29 Bydlinski: Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 396. 30 Vgl. z.B. Herberger/Simon: Wissenschaftstheorie für Juristen, Alfred Metzner Verlag, 1980, S. 23. 31 Vgl. Neumann: Juristische Logik, in: Kaufmann/Hassemer (Hrsg.), Einführung in Rechtsphilosophie und Rechtstheorie der Gegenwart, 5. Auflage, Müller, Jur. Verlag, 1989, S. 258; Herberger/Simon: Wissenschaftstheorie für Juristen, S. 23; Engisch: Einführung in das juristische Denken, 5. Auflage, Verlag W. Kohlhammer, 1971, S. 49. Ein Syllogismus vom Typ „modus barbara“ hat folgenden Aufbau: MaP SaM SaP Er ist zu lesen als: Alle M sind P, alle S sind M, daraus folgt: Alle S sind P.
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B. Formale Modelle der Rechtsanwendung
Inhaltlich sind zwei Modelle des „juristischen Syllogismus“ zu unterscheiden: (1) der Schluss über den Tatbestand und (2) die Zuordnung des Tatbestands zu einem Rechtssubjekt. Wird nur der Tatbestand, aber kein Rechtssubjekt in den Schluss einbezogen, so lautet der Syllogismus32: Wenn T, dann R Nun aber T Also R T ... Tatbestand
T R T R R ... Rechtsfolge
Dieser Schluss enthält die Prämisse: Wenn der Tatbestand T wahr ist, dann ist die Rechtsfolge R wahr. Eine juristische Interpretation der Aussage führt dazu, dass „wahr“ beim Tatbestand T z.B. in „erfüllt“ und bei der Rechtsfolge R in „anzuwenden“ umgedeutet wird. Der logische Schluss vom Untersatz „Der Tatbestand T ist wahr“ auf die Aussage „Die Rechtsfolge R ist wahr“ ist einfach. Dieser logische Schluss enthält keine Aussage über einen konkreten Sachverhalt, auf den die im Obersatz beschriebene generelle Regel anzuwenden ist. Vielmehr wird im Untersatz nur festgestellt, dass der Tatbestand - eine generelle, nicht auf einen Einzelfall bezogene Aussage über die Voraussetzungen des Eintritts der Rechtsfolge – „wahr“ ist. Als Modell des Vorgangs der Subsumtion, als „die Würdigung des Sachverhalts als eines solchen, der die Merkmale des Gesetzes“ (vgl. S. 8) erfüllt, kann dies jedenfalls kaum angesehen werden.33 Vielmehr wird nur deren Ergebnis im Untersatz berücksichtigt. Andere Formulierungen des Justizsyllogismus hingegen enthalten explizit die Bewertung des Sachverhalts S als einen Fall von T im Untersatz:34 T R S=T R S
(für T gilt R) (S ist ein Fall von T) (für S gilt R)
————— 32
Bund: Juristische Logik und Argumentation, Verlag Rombach Freiburg, 1983, S. 165. Vgl. dazu auch Reisinger: Rechtsinformatik, de Gruyter, 1977, S. 254, der diesen logischen Schluss als trivial bezeichnet und feststellt, dass er die eigentlichen Schwierigkeiten bei der Zuordnung von konkreten Sachverhaltsmerkmalen zur generellen Rechtsvorschrift verdeckt. 34 Vgl. z.B. Larenz: Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Auflage, Springer-Verlag, 1991, S. 271f; Ott: Die Methode der Rechtsanwendung; Schulthess Polygraphischer Verlag Zürich, 1979, S. 94; Pavþnik: Juristisches Verstehen und Entscheiden, Springer-Verlag, 1993, S. 95f. 33
II. Subsumtion und interne Rechtfertigung
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Der Subsumtionsschluss, die Unterordnung von S unter T - durch das Gleichheitszeichen35 - ist Teil der Prämissen. In der zweiten Modellvariante wird die Erfüllung des Tatbestands einem konkreten Rechtssubjekt, das Teil des zu beurteilenden Falls ist, zugeordnet. Der „juristische Syllogismus“36 lautet: Tb. ist Rf. Rs. ist Tb. Rs. ist Rf.
Tb. ... Tatbestand Rf. ... Rechtsfolge Rs. ... Rechtssubjekt
Die generelle Norm wird wie in Variante 1 beschrieben. Im Untersatz wird jedoch der Tatbestand einem Rechtssubjekt, das die Rechtsfolge treffen soll, zugeordnet (Rs. ist Tb.). Auch wenn ein konkretes Element des Einzelfalls (das Rechtssubjekt Rs.) berücksichtigt wird, kann auch dieses Modell nicht als Beschreibung der Subsumtion im Sinne der Definition als der Vergleich des gesamten Sachverhalts mit dem Tatbestand angesehen werden.
b) Darstellungen im Prädikatenkalkül Häufig wird für die Formulierung des juristischen Syllogismus statt der Darstellungsform der kategorischen Syllogistik das Prädikatenkalkül (erster Stufe) gewählt.37 In der Literatur finden sich zahlreiche Darstellungen des juristischen Syllogismus im Prädikatenkalkül, wie z.B.38:
————— 35
Larenz merkt zur Verwendung des Gleichheitszeichens an: „Das Gleichheitszeichen trifft ... das Gemeinte nur schlecht. S und T sind insofern niemals gleich, als der Abstand zwischen dem Besonderen und dem Allgemeinen bleibt. Sie gleichen einander nur in bezug darauf, dass S - neben anderen spezifischen - alle die Merkmale aufweist, durch die T charakterisiert ist. Mir fehlt aber ein passenderes Zeichen für das Gemeinte.“ (Larenz: Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 271 FN 34.) 36 Schneider: Logik für Juristen, S. 131. 37 Das Prädikatenkalkül ermöglicht eine Unterscheidung zwischen generellen, partikulären und singulären Sätzen mit Hilfe des Alloperators ∧ bzw. ∀ („Für alle gilt“) und des Existenzoperators ∨ bzw. ∃ („Es gibt wenigstens eines, für das gilt“), vgl. Neumann: Juristische Logik, S. 262. Zu Grundlagen der Prädikatenlogik in Verbindung mit juristischen Fragestellungen vgl. z.B. Weinberger: Rechtslogik, S. 198ff; Herberger/Simon: Wissenschaftstheorie für Juristen, S. 89ff; Klug: Juristische Logik, 3. Auflage, Springer-Verlag, 1966, S. 47ff; Schreiber: Logik des Rechts, Springer-Verlag, 1962, S. 44ff. 38 Neumann: Juristische Logik, S. 262.
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B. Formale Modelle der Rechtsanwendung
Für alle x: Wenn x den Tatbestand T erfüllt, dann gilt für x die Rechtsfolge R a erfüllt den Tatbestand T Für a gilt die Rechtsfolge R
∀x (Tx
Rx)
Ta Ra
oder mit deontischen Operatoren (! steht für den Operator „soll“)39: Für jedes x gilt: Wenn x F erfüllt, x soll G xi erfüllt F xi soll G
∀x (Fx Fxi Gxi
!Gx)
Der in der Prädikatenlogik formulierte Schluss ist dem klassischen Syllogismus der Aussagenlogik äquivalent.40 Die Schreibweise kann daher beliebig gewählt werden.41 Es ist jedoch zu beachten, dass die in den oben dargestellten Schlüssen gewählte Formulierung des Obersatzes eine wesentliche inhaltliche Änderung gegenüber der Darstellung als Syllogismus zur Folge hat: R stehen T und R für den gesamten Tatbestand und die gesamte In T Rechtsfolge, wobei im Modell zwischen T und R keine formalen oder inhaltlichen Abhängigkeiten bzw. Einschränkungen bei der Formulierung von T und R festgelegt werden. Rx) hingegen sind die Prädikate T und R42 beide derselben In ∀x ( Tx Individuenvariable x43 zugeordnet. Der gesamte Tatbestand ist daher Tx, ebenso wie die Rechtsfolge mit Rx beschrieben wird. T alleine beschreibt nicht den Tatbestand und R nicht die Rechtsfolge. Inhalt der Prädikate sind nur jene Teile des Tatbestands bzw. der Rechtsfolge, die von x unterschiedlich sind.44 T und R R stehen daher nicht für dasselbe wie T und R in Tx Rx. in T ————— 39
Weinberger: Rechtslogik, S. 252. Neumann: Juristische Logik, S. 262; Herberger/Simon: Wissenschaftstheorie für Juristen, S. 114ff. 41 Vgl. z.B. Bund: Juristische Logik und Argumentation, S. 165ff, der zwischen beiden Notationen wechselt. 42 F und G in ∀x (Fx !Gx). 43 Es kann auch mehrere Individuenvariablen geben. Vgl. z.B. Weinberger: Rechtslogik, S. 253: Für jedes x, jedes y, jedes z gilt: wenn x von y die Ware z gekauft hat, soll x der Person y den Kaufpreis von z bezahlen. a hat von b die Ware c gekauft. a soll der Person b den Kaufpreis von c bezahlen. (Wobei „a“, „b“, „c“ Individualnamen sind.) 44 Soll § 75 StGB („Wer einen anderen tötet, ist mit Freiheitsstrafe von zehn bis zu zwanzig Jahren oder mit lebenslanger Freiheitsstrafe zu bestrafen.“) in der Form Tx Rx dargestellt werden, so ist diese Rechtsvorschrift z.B. in folgenden Schritten umzuformen: Wenn jemand einen anderen tötet, dann ist er mit Freiheitsstrafe von zehn bis zu zwanzig Jahren oder mit lebenslanger Freiheitsstrafe zu bestrafen. Wenn x einen anderen tötet, dann ist x mit Freiheitsstrafe von zehn bis zu zwanzig Jahren oder mit lebenslanger Freiheitsstrafe zu bestrafen. T = „einen anderen tötet“ oder T = „tötet einen anderen“ 40
II. Subsumtion und interne Rechtfertigung
15
x selbst steht für einen beliebigen Wert, der als Individuenkonstante a45 eingesetzt werden kann. Da x jedoch sowohl in Tx, als auch in Rx enthalten ist, ist der Wertebereich von x eingeschränkt auf alles, was von der Rechtsfolge betroffen sein kann. Praktisch bedeutet dies eine Einschränkung auf Rechtssubjekte, allenfalls noch auf Gegenstände, die von der Rechtsfolge betroffen sind.46 Durch dieses Modell können daher nur Tatbestände Tx und Rechtsfolgen Rx beschrieben werden, die sich beide auf den Adressaten der Rechtsfolge beziehen. Ist dies nicht der Fall, so ist eine andere Darstellungsform notwendig. DaR, mit ist dieses Modell nicht mehr auf alle generellen Regeln der Form T sondern nur auf einen - wenn auch sehr wichtigen - Spezialfall anwendbar. Der konkrete Sachverhalt selbst ist ebenso wie bei der Darstellung in der Form eines kategorischen Syllogismus nicht Teil des Modells. In dem Modell wird daher - ebenso wie bei den vorher beschriebenen - nur das Ergebnis der Subsumtion, der „die Würdigung des Sachverhalts als eines solchen, der die Merkmale des Gesetzes“ (vgl. S. 8) erfüllt, berücksichtigt. Der Vorgang der Subsumtion selbst ist nicht Teil der Formalisierung.
2. Die Entfaltung des Tatbestands bei Alexy Alexy geht bei der Beschreibung der internen Rechtfertigung - der Frage, „ob das Urteil aus den zur Begründung angeführten Prämissen logisch folgt“ vom „juristischen Syllogismus“ unter Verwendung deontischer Operatoren als „einfachste Form der internen Rechtfertigung“47 aus: ————— R = „mit Freiheitsstrafe von zehn bis zu zwanzig Jahren oder mit lebenslanger Freiheitsstrafe zu bestrafen“ Tx Rx Tx und nicht T alleine beschreibt den gesamten Tatbestand. T enthält nur jene Tatbestandselemente, die x zugeordnet werden. Zur Gewinnung von Prädikaten aus Sätzen vgl. z.B. Quine: Grundzüge der Logik, 7. Auflage, Suhrkamp Taschenbuch Verlag, 1990, stw 65, S. 176ff. 45 xi in Fxi. 46 Vgl. auch Alexy: Theorie der juristischen Argumentation, S. 274: „‚x‘ ist eine Individuenvariable über den Bereich der natürlichen und juristischen Personen, ‚a‘ eine Individuenkonstante z.B. ein Eigenname, ‚T‘ ein beliebig kompliziertes Prädikat, das die Tatbestandsvoraussetzung der Norm (1) als Eigenschaft von Personen zusammenfasst, und ‚R‘ ein ebenfalls beliebig kompliziertes Prädikat, das das, was der Betreffende zu tun hat, ausdrückt.“ (Hervorhebung durch den Autor.) Weiter hingegen der zulässige Wertebereich von x in Alexy: Die logische Analyse juristischer Entscheidungen, in: Hassemer/Kaufmann/Neumann (Hrsg.), Argumentation und Recht. Franz Steiner Verlag, 1980, S. 187, wenn x als Individuenvariable „über den Bereich der Personen, der Handlungen oder der sonstigen Gegenstände, über die im juristischen Diskurs gesprochen wird“ definiert wird. 47 Alexy: Theorie der juristischen Argumentation, S. 274.
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B. Formale Modelle der Rechtsanwendung
(1) (2) (3)
(x) (Tx ORx) Ta Ora
(1), (2)
Durch die Verwendung dieses Modells werden auch die oben beschriebenen Einschränkungen übernommen. „T“ ist „ein beliebig kompliziertes Prädikat, das die Tatbestandsvoraussetzung der Norm (1) als Eigenschaft von Personen zusammenfasst und ‚R‘ ein ebenfalls beliebig kompliziertes Prädikat, das das, was der Betreffende zu tun hat, ausdrückt“48. Für einfache Fälle sieht Alexy eine Rechtfertigung in dieser Form als ausreichend an.49 Für kompliziertere Fälle reicht dieses einfache Begründungsschema jedoch nicht mehr aus. Solche Fälle liegen z.B. dann vor50, (1) wenn eine Norm mehrere alternative Tatbestandsmerkmale enthält, (2) wenn ihre Anwendung eine Ergänzung durch erläuternde, einschränkende oder verweisende Rechtsvorschriften erfordert, (3) wenn mehrere Rechtsfolgen möglich sind, (4) wenn die zur Formulierung der Norm benutzten Ausdrücke mehrere Interpretationen zulassen. Liegt ein solcher komplizierterer Fall vor, ist eine Entfaltung51 einzelner Tatbestandsmerkmale auf die Sachverhaltsbeschreibung hin durchzuführen.52 Diese Entfaltung demonstriert Alexy an einem Beispiel (a erschlug seine Frau, während diese schlief).53 Er geht bei der Anwendung der Norm „Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.“ (§ 211 Abs. 1 dStGB) auf den Fall von einer Beschreibung der Rechtsvorschrift in der Form (1)
(x) (Tx
ORx)
aus. Dabei wird durch Abs. 2 der Rechtsvorschrift T durch neun Merkmale (M11-M19) definiert. Damit kann (1) in folgende Form gebracht werden: (2)
(x) (M11x ∨ M12x ∨ ... ∨ M19x
Tx)
————— 48
Alexy: Theorie der juristischen Argumentation, S. 274. Alexy: Theorie der juristischen Argumentation, S. 274; vgl. das angeführte Beispiel: (1) Der Soldat muss in dienstlichen Angelegenheiten die Wahrheit sagen (§ 13 Abs. 1 SoldatenG). (2) Herr M. ist ein Soldat. (3) Herr M. muss in dienstlichen Angelegenheiten die Wahrheit sagen. (1), (2) 50 Alexy: Theorie der juristischen Argumentation, S. 276. 51 Vgl. dazu auch Engisch (siehe S. 7). 52 Alexy: Theorie der juristischen Argumentation, S. 280. 53 Alexy: Theorie der juristischen Argumentation, S. 276ff. 49
II. Subsumtion und interne Rechtfertigung
17
Aus (1) und (2) folgt: (x) (M11x ∨ M12x ∨ ... ∨ M19x
(3)
ORx)
Die Rechtsfolge ORx tritt ein, wenn zumindest eines der Merkmale vorliegt. M15 steht für das gesetzliche Tatbestandmerkmal „... hat heimtückisch einen Menschen getötet“. Aus (3) folgt: (x) (M15x
(4)
ORx)
Nach einer Definition durch die Gerichte tötet heimtückisch, wer „die Arglosigkeit und Wehrlosigkeit seines Opfers zur Tötung bewusst ausnützt“. Wird diese Definition für den nächsten Schritt zur Entfaltung von M15 benutzt, so ergibt sich: (x) (M25x
(5)
M15x)
M25 liegt vor, wenn der Täter jemanden tötet, der sich keines Angriffs versieht und der nur eine reduzierte Möglichkeit zur Abwehr des Angriffs besitzt. (Entfaltung auf M35 hin.) (x) (M35x
(6)
M25x)
Leitet man nun aus M35 ein entfaltetes Tatbestandsmerkmal in der Form „jemand, der eine(n) Schlafende(n) tötet, ohne dass besondere Umstände wie Sicherheitsmaßnahmen des Opfers vorliegen“, so liegt nach Alexy nun ein Ausdruck als Tatbestandsmerkmal vor, der auf den vorliegenden Fall zutrifft. Dieses M wird dann als S bezeichnet: (7)
M35x)
(x) (Sx
Gemäß den Voraussetzungen des Falls liegt vor: (8)
Sa
Sa ist die Sachverhaltsbeschreibung. Aus (1)-(8) folgt: (9)
ORa
(1) – (8)
Für jeden der einzelnen Entfaltungsschritte lassen sich aus den dargestellten Prämissen jeweils konkretere Normen als (x) (Tx ORx) gewinnen:54 (x) (M11x ∨ M12x ∨ ... ∨ M19x (x) (M15x ORx) (x) (M25x ORx) (x) (M35x ORx) (x) (Sx ORx)
(3) (4) (5’) (6’) (7’)
ORx)
————— 54
Alexy: Theorie der juristischen Argumentation, S. 278.
(aus [1] und [2]) (aus [3]) (aus [4] und [5]) (aus [5’] und [6]) (aus [6’] und [7])
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B. Formale Modelle der Rechtsanwendung
Durch jede dieser abgeleiteten Normen kann mit den im Vordersatz angeführten Bedingungen das in Frage stehende juristische Urteil begründet werden. Die Regeln (2), (5), (6) und (7) interpretiert Alexy als Regeln für den Gebrauch der in den vorangegangenen Begründungsschritten benutzten Ausdrücke. Er bezeichnet sie als „Wortgebrauchsregeln“. In komplizierteren Fällen sind zur Begründung juristischer Urteile eine Reihe von Prämissen - wie (5), (6) und (7) im dargestellten Beispiel - erforderlich, „die keinem Gesetz entnommen werden können. In vielen Fällen ist nicht einmal die Ausgangsnorm eine positive Rechtsnorm.“ Durch die explizite Angabe im Rahmen der Deduktion wird deutlich, welche Prämissen nicht dem positiven Recht entnommen sind. „Es ist Aufgabe der externen Rechtfertigung, diese nicht unmittelbar dem positiven Recht zu entnehmenden Prämissen zu rechtfertigen.“55 Das Verhältnis von Norm, Sachverhalt, interner und externer Rechtfertigung ist für Alexy durch folgende Beziehung gekennzeichnet: „Um die auf den einzelnen Entfaltungsstufen erforderlichen Regeln zu begründen, ist ein intensives Eingehen sowohl auf die Eigenarten des Sachverhalts, als auch auf die Eigenarten der Norm erforderlich. Dies geschieht in der externen Rechtfertigung, in der alle im juristischen Diskurs zulässigen Argumente möglich sind. Die in der internen Begründung anzugebenden Regeln, die die Kluft56 zwischen der Norm und der Beschreibung des Sachverhalts überbrücken, können, wenn man so will, als das Ergebnis des mit dem Bild des Hin- und Herwanderns des Blicks gekennzeichneten Prozesses angesehen werden.“57
Er stimmt mit Engisch überein, dass die Hauptschwierigkeit im Finden der Prämissen (vgl. S. 6), also in der externen Rechtfertigung liegt. „Dennoch ist die Forderung nach interner Rechtfertigung nicht sinnlos. In der internen Rechtfertigung wird deutlich, welche Prämissen extern zu rechtfertigen sind. Sonst vielleicht versteckt bleibende Voraussetzungen müssen explizit formuliert werden.“58
————— 55 Alexy: Theorie der juristischen Argumentation, S. 281. Prämissen, die durch die externe Rechtfertigung begründet werden, sind Regeln des positiven Rechts, empirische Aussagen und Prämissen, die weder empirische Aussagen noch Regeln des positiven Rechts sind. (Alexy: Theorie der juristischen Argumentation, S. 283f.) Vgl. auch Alexy: Recht, Vernunft, Diskurs, Suhrkamp Taschenbuch Verlag, 1995, stw 1167, S. 17f. 56 Geiger: Vorstudien zu einer Soziologie des Rechts, 4. Auflage, Duncker & Humblot Berlin, 1987, S. 205 bezeichnet diese Kluft sogar als „prinzipiellen Abgrund zwischen Begriff und Wirklichkeit“. 57 Alexy: Theorie der juristischen Argumentation, S. 281f. 58 Alexy: Theorie der juristischen Argumentation, S. 282f.
II. Subsumtion und interne Rechtfertigung
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Allgemein formuliert lautet das Modell59 der „internen Rechtfertigung“ nach Alexy in einer „rudimentären“60 Form61: (1) (2) (3) (4) (5) (6)
(x) (Tx ORx) (x) (M1x Tx) (x) (M2x M1x) … (x) (Sx Mnx) Sa Ora
(1) – (5)
Ausgehend von diesem Modell postuliert Alexy als Richtlinie, wie viele Entfaltungsschritte im Rahmen einer Rechtsanwendung erforderlich sind, zwei Regeln:62 Regel1 (Alexy): Es sind so viele Entfaltungsschritte erforderlich, dass man zu solchen Ausdrücken gelangt, von denen nicht mehr streitig ist, dass sie auf den fragwürdigen Fall zutreffen. Ein solcher Ausdruck liegt vor, wenn man bei der Entfaltung des Tatbestands bei einer Prämisse angelangt ist, für die „kein Zweifel oder kein Streit mehr über die Anwendbarkeit eines Ausdrucks besteht. Ein Gericht wird diesen Punkt für erreicht halten, wenn es selbst keine Zweifel mehr hat und meint, dass niemand vernünftigerweise die Anwendbarkeit eines Ausdrucks bestreiten kann.“63 ————— 59 Ein ähnliches Modell der logischen Struktur des Rechtfertigungsvorgangs bei der Rechtsanwendung formuliert Yoshino: Zur Anwendbarkeit der Regeln der Logik auf Rechtsnormen, in: Hans Kelsen-Institut (Hrsg.), Die Reine Rechtslehre in wissenschaftlicher Diskussion, Manz Verlag Wien, 1982, Schriftenreihe des Hans Kelsen-Instituts Band 7, S. 160: Rf(p)) (a) Gesetz ∀p (Tb(p) Tb(p)) (b) Satz der Rechtsprechung oder Lehre der Jurisprudenz ∀p (Tb1(p) Tb1(p)) (c) Zusätzlicher Auslegungssatz des Richters für den konkreten Fall ∀p (Tb2(p) (d) Sachverhalt Tb2(p1) (e) Urteil Rf(p1) Vgl. auch Yoshino: Zu Ansätzen der juristischen Logik, in: Tammelo/Schreiner (Hrsg.), Strukturierungen und Entscheidungen im Rechtsdenken, Springer-Verlag, 1978, S. 283. 60 Das Modell ist rudimentär, weil es nicht „der Möglichkeit komplizierter Strukturen des Tatbestands und der Rechtsfolge Rechnung trägt“. (Alexy: Theorie der juristischen Argumentation, S. 279f.) 61 Vgl. auch Bracker: Kohärenz und juristische Interpretation, Nomos Verlagsgesellschaft, 2000, S. 199ff und Peczenik: Grundlagen der juristischen Argumentation, Springer-Verlag, 1983, S. 104ff, der dieses formale Modell der internen Rechtfertigung als Beschreibung einer „EinzelNorm-Transformation“ ansieht. Durch Hinzufügen der Prämissen (2) - (4) wird der Schritt von (1) zu (5) „deduktiv vollständig. Dieser deduktive Schritt stellt eine Subsumtion dar.“ 62 Alexy: Theorie der juristischen Argumentation, S. 280. 63 Alexy: Die logische Analyse juristischer Entscheidungen, S. 192.
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B. Formale Modelle der Rechtsanwendung
Um das Erreichen dieser Stelle in der Argumentationskette anzuzeigen, wird aus dem Mn ein S. Da viele Entfaltungsschritte zwar umständlich sind, aber die Klarheit der Argumentation fördern, lautet die zweite Regel: Regel2 (Alexy): Es sind möglichst viele Entfaltungsschritte anzugeben.
C. Rechtsanwendung In den oben dargestellten Modellen der Rechtsanwendung wird der Sachverhalt entweder gar nicht abgebildet - die Formalisierung setzt nur bei dem Tatbestand T an - oder aber es wird eine an den Sachverhalt angenäherte Darstellung des Tatbestands gewählt, wobei Tatbestandsmerkmale zumindest einer Person64, die selbst Teil des Tatbestands ist, zugeordnet werden. Diese Person ist nicht Teil der Gegenüberstellung von Tatbestands- und Sachverhaltselementen im Sinne einer „Unterordnung (der Begriffmerkmale) des Sachverhalts unter die Begriffsmerkmale des gesetzlichen Tatbestands bzw. des formulierten Obersatzes“ (vgl. Engisch S. 8). Ein vollständiger „Einzelvergleich“65 aller Begriffsmerkmale des Obersatzes mit Elementen des individuellen Sachverhalts wird durch die besondere Behandlung zumindest einer Person nicht modelliert. Formulare werden eingesetzt zur „Sammlung, Selektion und Ordnung aller für eine Verwaltungsentscheidung notwendigen Informationen über Person und Sachverhalt“66. Ein Modell, das die Verwendung von Formblättern zur Unterstützung juristischer Entscheidungen beschreibt, muss sämtliche Merkmale des Sachverhalts, deren Beziehung zu den Tatbestandselementen und zusätzlich auch noch das Verhältnis eines Formulars sowohl zu Sachverhalts- als auch zu Tatbestandselementen darstellen. Die dargestellten, vom „juristischen Syllogismus“ abgeleiteten Modelle sind daher für eine formale Beschreibung der Bedeutung von Formularen bei der Rechtsanwendung nur beschränkt verwendbar. Im Folgenden wird deshalb ein Modell der Rechtsanwendung entwickelt, dessen Schwerpunkt auf der Beschreibung der Beziehung von Sachverhaltsmerkmalen und Tatbestandselementen liegt.
————— 64 „‚x‘ ist eine Individuenvariable über den Bereich der natürlichen und juristischen Personen.“ (Alexy: Theorie der juristischen Argumentation, S. 274.) Vgl. aber auch Alexy: Die logische Analyse juristischer Entscheidungen, S. 187: „‚x‘ ist eine Individuenvariable über den Bereich der Personen, der Handlungen oder der sonstigen Gegenstände, über die im juristischen Diskurs gesprochen wird.“ 65 Bydlinski: Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 396. 66 Brinckmann/Grimmer/Höhnmann/Kuhlmann/Schäfer: Formulare im Verwaltungsverfahren, S. Toeche-Mittler Verlag, 1986, S. 13.
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C. Rechtsanwendung
I. Die Rechtsvorschrift Ausgangspunkt für das Modell der Rechtsanwendung ist die Struktur genereller Rechtsnormen. Es werden dabei nur Rechtsvorschriften berücksichtigt, die eine Wenn-Dann-Beziehung67 zwischen den Voraussetzungen für die Anwendbarkeit - dem Tatbestand T - und der in der Norm festgelegten Rechtsfolge R definieren. Andere Normtypen68 , wie z.B. Finalnormen69 oder andere Elemente der Rechtsordnung (Rechtsaussagen70) sind nicht Gegenstand der Untersuchung.
1. Tatbestand T Die §§ 75 und 125 StGB sind Rechtsnormen, die sich durch kurze und einfache Tatbestände T auszeichnen. Sie eignen sich daher besonders, um die grundlegende Struktur eines Tatbestandes T zu untersuchen. § 75 StGB: Wer einen anderen tötet, ist mit Freiheitsstrafe von zehn bis zu zwanzig Jahren oder mit lebenslanger Freiheitsstrafe zu bestrafen. § 125 StGB: Wer eine fremde Sache zerstört, beschädigt, verunstaltet oder unbrauchbar macht, ist mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen.
Abbildung 1: Tatbestand § 75 StGB
Wird in § 75 StGB Tatbestand T und Rechtsfolge R getrennt, so kann diese Rechtsvorschrift geschrieben werden als71: Tatbestand Rechtsfolge Einer tötet einen Anderen. Dieser Eine ist mit zu bestrafen.
————— 67 Pavþnik: Die Rechtsnorm. ARSP (Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie) 83, 1997, S. 466f. 68 Vgl. dazu Tettinger: Normtypen im deutschen Verwaltungsrecht, Die Verwaltung 22 (1989), S. 291. 69 Zur Struktur von Finalnormen vgl. Schlag: Einige Überlegungen zur Struktur finaler Grundrechtsnormen, JBl. 1991, S. 545-559. 70 Lachmayer: Grundzüge einer Normentheorie, Duncker & Humblot Berlin, 1977, S. 27. 71 steht für die Strafdrohung in der Rechtsfolge (in § 75 StGB „Freiheitsstrafe von zehn bis zu zwanzig Jahren oder mit lebenslanger Freiheitsstrafe“).
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Da „Einer“ und „ein Anderer“ für Personen stehen, kann für diese auch Person1 und Person2 verwendet werden. T und R von § 75 StGB lauten dann: Tatbestand Person1 tötet Person2.
Rechtsfolge Person1 ist mit zu bestrafen.
In § 75 StGB sind - ohne Berücksichtigung des subjektiven Tatbestands - damit drei Elemente enthalten: Person1, Person2 und tötet. Dabei wird durch das dritte Tatbestandselement zwischen den beiden anderen eine Beziehung in Form einer Handlung festgelegt.
Abbildung 2: Tatbestand § 125 StGB
Ähnlich ist auch § 125 StGB aufgebaut.72 In diesem Tatbestand ist ein Tatbestandselement eine Person Person1. Das zweite Tatbestandselement ist jedoch im Gegensatz zu § 75 StGB keine weitere Person, sondern die Sache Sache1. Die Beziehung zwischen den beiden Merkmalen Person1 und Sache1 beschreibt der Tatbestand T durch zwei weitere Elemente: (1) eine Gruppe von möglichen Handlungen, durch die Person1 auf Sache1 einwirkt und die alternativ vorgenommen werden können (zerstört oder beschädigt oder verunstaltet oder macht unbrauchbar) und (2) die Beziehung zwischen Person1 und Sache1 ist so, dass Sache1 für Person1 eine „fremde“ ist. T und R von § 125 StGB lauten daher: Tatbestand Rechtsfolge Person1 zerstört oder beschädigt oder ver- Person1 ist unstaltet oder macht unbrauchbar Sache1 bestrafen. und Sache1 ist fremd für Person1.
————— 72
Wiederum ohne Berücksichtigung des subjektiven Tatbestands.
mit
zu
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C. Rechtsanwendung
Die Tatbestandselemente der §§ 75 und 125 StGB lassen sich unterscheiden in solche, die sich nur auf eine einzige Person bzw. einen einzigen Gegenstand und dessen Eigenschaften beziehen, und solche, die eine Beziehung zwischen mehreren Personen bzw. Gegenständen herstellen. Diese Einteilung wird ausschließlich nach dem formalen Kriterium der Anzahl der betroffenen Personen vorgenommen. Inhaltliche Unterschiede und die rechtliche Bedeutung (Handlung, rechtliches Verhältnis, ...) werden nicht berücksichtigt. Beschreibung Person1 Person2, Sache1
Beziehung tötet, zerstört, beschädigt, verunstaltet, fremd, macht unbrauchbar
In einfachen Tatbeständen, wie in den dargestellten Rechtsvorschriften, werden die Eigenschaften von Personen bzw. Gegenständen nur durch ein einziges Tatbestandselement beschrieben. Komplexere Tatbestände T hingegen enthalten Eigenschaftsbeschreibungen, die aus mehreren Elementen zusammengesetzt sind. So z.B. § 127 StGB: § 127 StGB: Wer eine fremde bewegliche Sache einem anderen mit dem Vorsatz wegnimmt, sich oder einen Dritten durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, ist mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen.
T von § 127 StGB enthält bei Berücksichtigung des subjektiven Tatbestands und der Varianten folgende Beschreibungs- und Beziehungselemente73: Beschreibung Person1 Vorsatz bezüglich des objektiven Tatbestands Vorsatz bezüglich der Zueignung Vorsatz bezüglich der Unrechtmäßigkeit Person3 Sache1 beweglich Tauschwert Person2
Beziehung fremd Gewahrsam erhalten (Variante a)
Gewahrsam erhalten (Variante b)
Gewahrsam vor der Tat
Person1, Person2, Person3 und Sache1 sind neben der Eigenschaft Person bzw. Sache zu sein noch weitere Eigenschaften zugeordnet. Alle diese Eigenschaften müssen in einem Sachverhalt vorliegen, damit die Rechtsfolge eintreten kann. ————— 73
Bertel/Schwaighofer: Österreichisches Strafrecht Besonderer Teil I, 5. Auflage, Springer Wien New York, 1997, S. 157ff; Foregger/Serini: Strafgesetzbuch, 4. Auflage, Manzsche Verlagsund Universitätsbuchhandlung, 1988, S. 314ff. Zur Visualisierung der Struktur von § 127 StGB vgl. Wegscheider: Visualisierung im Strafrecht, in: Schweighofer/Menzel/Kreuzbauer (Hrsg.), IT in Recht und Staat, Verlag Österreich, 2002, S. 322ff.
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Abbildung 3: Tatbestand § 127 StGB
Zusätzlich sind in T auch mehrere Beziehungen zwischen Person1, Person2, Person3 und Sache1 festgelegt. Auch diese Beziehungen müssen in einem Sachverhalt vorliegen, damit die Rechtsfolge eintreten kann. Das Tatbestandselement Person1 bedeutet dabei, dass im Sachverhalt „jemand“ - also ein Sachverhaltselement, das die Eigenschaft Person hat – vorkommt. Und Sache1 bedeutet, dass im Sachverhalt „etwas“ - also ein Sachverhaltselement, das die Eigenschaft Sache hat - vorkommt. Person bzw. Sache zu sein ist damit eine Eigenschaft neben anderen, z.B. beweglich. Tatbestandselemente beschreiben im Tatbestand diese Eigenschaften von „etwas oder jemandem“, dessen Existenz im Sachverhalt die Voraussetzung für die Anwendbarkeit der Rechtsvorschrift und den Eintritt der Rechtsfolge R ist. §§ 75 und 125 StGB beziehen sich jeweils auf zwei verschiedene solcher „etwas oder jemand“, § 127 auf drei (Variante a) bzw. vier (Variante b). „Etwas oder jemand“ steht dabei für alle möglichen realen Gegenstände, Personen, Rechte, ..., deren Existenz Voraussetzung für den Eintritt einer Rechtsfolge R sein kann. Bei der Rechtsanwendung wird überprüft, ob ein konkreter Gegenstand, eine konkrete Person, ein konkretes Recht aus dem Sachverhalt, ... als ein im Tatbestand T beschriebenes „etwas oder jemand“ anzusehen ist, also die beschriebenen Eigenschaften aufweist. Die Einordnung als Person oder Sache dieser „etwas oder jemand“ in T wird durch die Zuordnung von beschreibenden Tatbestandselementen vorgenommen. Der Tatbestand von § 75 StGB könnte daher auch formuliert werden als: „Etwas oder jemand“ mit der Eigenschaft Person tötet „etwas oder jemand“ mit der Eigenschaft Person.
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C. Rechtsanwendung
Diese „etwas oder jemand“ sind eigenständige Elemente des Tatbestands T. Sie sind Platzhalter, Variable für alle möglichen Sachverhaltselemente. Durch sie wird der generelle Charakter einer Rechtsvorschrift festgelegt. Im Folgenden wird statt „etwas oder jemand“ für diese Variablen die Bezeichnung Tatbestandsobjekt74 TOn verwendet. Tatbestandselemente, die Eigenschaften der einzelnen TOn festlegen, werden im Folgenden Tatbestandseigenschaften TEn bezeichnet. In den oben angeführten Rechtsvorschriften sind dies z.B. Sache, beweglich oder Tauschwert. Zusätzlich kann ein Tatbestand T auch noch Elemente enthalten, die eine Beziehung zwischen zwei oder mehreren Tatbestandsobjekten TOn beschreiben. Diese Elemente werden im Folgenden Tatbestandsrelation TRn genannt. In den oben angeführten Rechtsvorschriften sind dies z.B. verunstaltet, macht unbrauchbar oder fremd. Die Struktur eines Tatbestands T einer generellen Rechtsnorm kann durch diese Bauelemente TOn, TEn und TRn beschrieben werden. So ist T von § 75 StGB aufgebaut aus: Elementart TO1 TO2 TE1 TE2 TR1
Inhalt
Zugeordnet
Person Person tötet
TO1 TO2 TO1, TO2
Für den Tatbestand T einer generellen Rechtsnorm gilt daher in Bezug auf die Tatbestandsobjekte TOn, Eigenschaften TEn und Relationen TRn folgendes: T1: Die Bauelemente des Tatbestands T einer generellen Rechtsnorm sind Tatbestandsobjekte TOn, Eigenschaften TEn von diesen und Relationen TRn zwischen Tatbestandsobjekten. T2: Die Struktur des Tatbestands T einer generellen Rechtsnorm kann durch Tatbestandsobjekte TOn, Eigenschaften TEn und Relationen TRn dargestellt werden.
————— 74 „Objekt“ meint in diesem Zusammenhang eine begrifflich und damit auch inhaltlich von anderen Elementen des Tatbestands abgrenzbare Einheit und ist nicht gleichzusetzen mit dem Objektbegriff der Informatik (Hessel/Braun: Wo kommen die Objekte her? Ontologischerkenntnistheoretische Zugänge zum Objektbegriff, in: Bauknecht/Brauer/Mück (Hrsg.), Informatik 2001, Band 2, Österreichische Computer Gesellschaft, 2001.) in der objektorientierten Programmierung.
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a) Tatbestandsobjekt TOn Ein Tatbestandsobjekt TOn eines Tatbestands T ist eine Variable, die für „etwas oder jemanden“ aus einem beliebigen Sachverhalt steht. Dem Tatbestandsobjekt TOn können sowohl Personen, reale Gegenstände, Rechte, Begriffe, Naturerscheinungen oder was auch sonst immer in einem Sachverhalt vorkommen kann, zugeordnet werden. Es gibt für diese Variable selbst keine Beschränkungen75 auf einen bestimmten Typ von Sachverhaltselement. Auf welche Sachverhaltselemente ein konkreter Tatbestand T anwendbar ist und welches dieser Elemente eines Sachverhalts einem bestimmten Tatbestandsobjekt TOn aus T zugeordnet werden kann, ergibt sich aus den Tatbestandseigenschaften TEn und aus den Tatbestandsrelationen TRn, die TOn zugeordnet sind. Es wird nicht unterschieden in Tatbestandsobjekte, die nur Personen aufnehmen können, solchen denen Gegenstände zugeordnet werden76 und – abhängig von getroffenen Einteilungen der Sachverhaltselemente - weiteren Tatbestandsobjekten für z.B. Rechte, .... Einem Tatbestandsobjekt TOn können alle möglichen Arten von Sachverhaltselementen zugeordnet werden. Ob eine Verbindung zwischen einem Tatbestandsobjekt TOn sinnvoll und richtig ist, ergibt sich durch den Vergleich von Eigenschaften und Relationen in T und im Sachverhalt. So wäre es bei einer Prüfung der Anwendbarkeit des § 75 StGB auf einen Sachverhalt, in dem ein Menschen durch ein Tier getötet wurde, denkbar, dem Tatbestandsobjekt TO1, das die Eigenschaft TE1 = Person hat (oben als Person1 bezeichnet), das Tier zuzuordnen. Der juristische Diskurs im Rahmen der Rechtsanwendung wird jedoch zu dem Ergebnis kommen, dass ein Tier nicht die Eigenschaft Person hat und daher die Anwendbarkeit von § 75 StGB verneinen. Da dem Tatbestand T einer Rechtsvorschrift bei der Rechtsanwendung zumindest ein Element des Sachverhalts, auf den sie angewendet werden soll, zugeordnet wird, enthält T auf jeden Fall ein Tatbestandsobjekt TO1. Es gilt daher: T3: Ein Tatbestand T einer generellen Rechtsvorschrift enthält zumindest ein Tatbestandsobjekt TO1. ————— 75
Vgl. im Gegensatz dazu Alexy: Theorie der juristischen Argumentation, S. 274, wo die Tatbestandsvoraussetzung T einer Norm als Prädikat einer Person aufgefasst werden. (Vgl. Seite 15.) 76 Anders Lachmayer: Grundzüge einer Normentheorie, S. 49f, der zwischen Bedingungssubjekt und Bedingungsobjekt unterscheidet, und damit Tatbestandselemente wie „Person“ bzw. „Sache“ nicht als Eigenschaft von Tatbestandsobjekten interpretiert.
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Die Anzahl der Tatbestandsobjekte TOn in einem Tatbestand T kann abschließend und abzählbar festgelegt oder offen sein. Abschließend und abzählbar festgelegt ist die Zahl der Tatbestandsobjekte z.B. in § 75 StGB. In diesem Tatbestand T sind zwei Tatbestandsobjekte TO1 und TO2, denen beiden die Eigenschaft Person zugeordnet ist, angeführt. Die genaue Zahl der TOn ist damit festgelegt. Im Gegensatz dazu definiert § 91 Abs. 2 StGB eine offene Zahl von Tatbestandselementen: § 91 (2) StGB: Wer an einem Angriff mehrerer tätlich teilnimmt, ist schon wegen dieser Teilnahme mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen, wenn der Angriff eine Körperverletzung eines anderen verursacht, wenn er aber eine schwere Körperverletzung eines anderen verursacht, mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen, wenn er den Tod eines anderen verursacht, mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren.
„Mehrere“ steht in diesem Tatbestand T für eine nicht abschließend festgelegte Anzahl von Tatbestandsobjekten, deren Anzahl vom konkreten Sachverhalt, auf den der Tatbestand T angewendet wird, abhängt. Die durch „mehrere“ beschriebenen Tatbestandsobjekte TOn haben alle die gleichen Eigenschaften TEn und stehen auch zu anderen Tatbestandsobjekten TOn in gleichartigen Relationen TRn. Eine derartige Menge von Tatbestandsobjekten TOn, die durch eine gemeinsame Beschreibung definiert wird, wird im Folgenden als Klasse von Tatbestandsobjekten K(TO)n bezeichnet.77 T4 Eine Klasse von Tatbestandsobjekten K(TO)n ist eine Menge von Tatbestandsobjekten TOn mit gleichen Eigenschaften TEn und gleichartigen Relationen TRn zu anderen Tatbestandsobjekten, die durch eine gemeinsame Beschreibung im Tatbestand T definiert werden. Die Zahl der Elemente einer Klasse von Tatbestandselementen ist variabel. ————— 77 Zu unterscheiden von Klassen von Tatbestandsobjekten K(TO)n ist das Zusammenziehen und gemeinsame Erledigen von Verfahren, wenn in gleichartigen Sachverhalten, auf die derselbe Tatbestand anzuwenden ist, einzelne Tatbestandsobjekte, z.B. der Antragsteller, ident sind. Ein solcher Fall kann z.B. bei der Anwendung § 9 Abs. 1 Passgesetz vorliegen: § 9 (1) Minderjährige, die das 12. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und keinen eigenen Reisepass besitzen, können über Antrag eines Elternteiles oder einer Person, der ihre Pflege und Erziehung zusteht, in deren Reisepass miteingetragen werden. Beantragt ein Elternteil für mehrere Minderjährige den Eintrag in den Reisepass, so wird die Rechtsnorm auf jeden der Minderjährigen, für den ein Eintrag beantragt wurde, angewendet. Der Elternteil ist bei mehreren Minderjährigen immer derselbe („Konstanz des Tatbestandsobjekts TOn“). Das Tatbestandsobjekt TOm steht jedoch in den unterschiedlichen Verfahren jeweils für einen anderen Minderjährigeren. Derartige Parallelanwendungen von Rechtsnormen sind von Klassen von Tatbestandsobjekten zu unterscheiden, da es in diesem Fall um mehrere Sachverhalte mit zumindest einem konstanten Tatbestandsobjekt geht und nicht um einen Tatbestand T mit einer variablen Anzahl an Tatbestandsobjekten, die gleiche Eigenschaften TEn und zu den anderen TOn gleichartige Relationen TRn haben. In Formularen wird beides ähnlich dargestellt, nämlich als Tabellen (vgl. S. 125).
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Die Zahl der Elemente einer Tatbestandsklasse kann sowohl nach unten als auch nach oben begrenzt, oder aber auch unbegrenzt sein. Eine solche Begrenzung kann entweder aus dem Tatbestand T durch Interpretation erschlossen werden oder aber über eine Legaldefinition in der Rechtsvorschrift ausdrücklich festgelegt sein, wie z.B. in § 115 Abs. 2 StGB: § 115 StGB (1) Wer öffentlich oder vor mehreren Leuten einen anderen beschimpft, verspottet, am Körper misshandelt oder mit einer körperlichen Misshandlung bedroht, ist, wenn er deswegen nicht nach einer anderen Bestimmung mit strengerer Strafe bedroht ist, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 180 Tagessätzen zu bestrafen. (2) Eine Handlung wird vor mehreren Leuten begangen, wenn sie in Gegenwart von mehr als zwei vom Täter und vom Angegriffenen verschiedenen Personen begangen wird und diese sie wahrnehmen können.
Durch Abs. 2 dieser Rechtsvorschrift wird die Zahl der Elemente der Klasse von Tatbestandsobjekten K(TO)1, die durch „vor mehreren Leuten“ definiert wird, nach unten mit drei („mehr als zwei“) explizit beschränkt. Die obere Schranke dieser Klasse ist die Grenze zwischen „mehrere Leute“ und „öffentlich“, die durch Interpretation festgestellt werden muss. Für eine Klasse von Tatbestandsobjekten K(TO)n können auch Eigenschaften festgelegt werden, die alle Elemente der Tatbestandsklasse aufweisen. Es ist auch möglich, Beziehungen, die zwischen allen Elementen der Klasse vorliegen, zu definieren.78 Werden in einem Tatbestand T die Eigenschaften TEn und Relationen TRn jedes einzelnen Tatbestandsobjekts TOn genannt, so enthält er keine Klasse von TO. Es gilt daher: T5: Ein Tatbestand T einer Rechtsvorschrift kann keine, eine oder mehrere Klassen K(TO)n enthalten.
b) Eigenschaft TE und Relation TR Tatbestandsobjekte TO sind Variable im Tatbestand, denen Sachverhaltsmerkmale zugeordnet werden können. Ein Tatbestandsobjektselbst ist bis auf die Möglichkeit, mit einem Sachverhaltselement in Verbindung gebracht zu werden, „eigenschaftslos“. Zusätzlich zu dieser Verbindung zu Elementen eines Sachverhalts sind in einem Tatbestand T einem TOn auch Tatbestandseigenschaften TE zugeordnet, ————— 78
Vgl. dazu § 278 StGB (siehe S. 32).
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C. Rechtsanwendung
die die Eigenschaften von TOn festlegen. Steht ein TOn zu einem anderen TOm des Tatbestands in Beziehung, so wird diese Verbindung durch eine Tatbestandsrelation TR beschrieben. Durch diese TE und TR wird eingeschränkt, welche konkreten Sachverhaltselemente einem Tatbestandsobjekt TOn tatsächlich bei der Rechtsanwendung zugeordnet werden können und für welche Merkmale eines Sachverhalts eine Subsumtion unter dieses TOn möglich bzw. ausgeschlossen ist. T6: Eine Tatbestandseigenschaft TE des Tatbestandsobjekts TOn definiert eine Eigenschaft, die ein Sachverhaltselement aufweisen muss, damit seine Subsumtion unter dieses TOn zulässig ist. Tatbestandseigenschaften TE beziehen sich jeweils auf ein einziges Tatbestandsobjekt TO. Ein TE kann nicht zu mehreren TOn gehören. Haben mehrere Tatbestandsobjekte in einem Tatbestand ähnliche Eigenschaften, dann ist jedem TO eine eigene TE zugeordnet. So haben z.B. in § 75 StGB sowohl TO1, als auch TO2 eine Eigenschaft „Person“. Trotz der inhaltlichen Übereinstimmung der beiden Tatbestandseigenschaften TE kann nicht von einem einzelnen TE1 ausgegangen werden.79 Der Tatbestand T enthält vielmehr zwei Tatbestandseigenschaften TE1.180 = Person und TE2.1 = Person, wobei TE1.1 TO1 und TE2.1 TO2 zugeordnet ist.81 Jede der beiden Tatbestandseigenschaften TE kann nach den Erfordernissen des Sachverhalts unabhängig von der anderen interpretiert werden. Aussagen zur Auslegung von TE1.1 in Hinblick auf den Sachverhalt sind u.U. für die Auslegung von TE2.1 nicht von Bedeutung, da sie andere Sachverhaltsmerkmale betreffen. T7: Eine Tatbestandseigenschaft TEn kann in einem Tatbestand T nur einem einzigen Tatbestandsobjekt TOn zugeordnet sein. T8: Eine Tatbestandseigenschaft TEn ist in einem Tatbestand T nie mehr als einem Tatbestandsobjekt TOn zugeordnet. Komplexe82 Tatbestandsobjekte TOn haben im Allgemeinen mehr als nur eine einzelne Tatbestandseigenschaft TE. So enthält § 127 StGB83 ein Tatbe————— 79
Dies würde bedeuten: TE1 = Person; TO1(TE1) und TO2(TE1). Um die Zuordnung mehrerer Tatbestandseigenschaften TE eindeutig darzustellen, werden im Folgenden Tatbestandseigenschaften mit TEn.m bezeichnet, wobei n für die Nummer des Tatbestandsobjekts steht und m der Zähler in der Menge der TE von TOn ist. Die dritte Eigenschaft von TO2 ist daher TE2.3. 81 TE1 = Person, TE2 = Person, TO1(TE1) und TO2 (TE2). 82 Vgl. zu elementaren und komplexen Tatbeständen Lachmayer/Reisinger: Legistische Analyse der Struktur von Gesetzen, Manzsche Verlags- und Universitätsbuchhandlung, 1976, S. 45. 83 Vgl. S. 24. 80
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standsobjekt TO2, dem die Eigenschaften TE2.1 = Sache, TE2.2 = beweglich, TE2.3 = Tauschwert zugeordnet sind. T9: Eine oder mehrere Eigenschaften TEn1, TEn2, ... können einem Tatbestandsobjekt TOn zugeordnet sein. Hat ein TOn mehrere Tatbestandseigenschaften, ist das Verhältnis der einzelnen TE zu einander zu beachten. Müssen alle TE von TOn im Sachverhalt zu finden sein, sind die einzelnen TE logisch durch eine Konjunktion84 („und“, ∧) verbunden. Es sind aber auch andere logische Verknüpfungen möglich, wie z.B. Adjunktion („oder“, ∨) oder Exklusion („entweder – oder“). Diese Beziehungen können auch zwischen Gruppen von TE gelten, wobei die einzelnen TE durch Klammersetzung als zusammenhängende Einheit gekennzeichnet werden. Es kann aber auch vorkommen, dass für eine erfolgreiche Subsumtion eine bestimmte TE im Sachverhalt nicht enthalten sein darf. Dies wird durch den logischen Operator „nicht“ (¬) beschrieben. „ nicht“ kann auf eine einzelne TE, aber auch auf eine - durch Klammern als zusammengehörig gekennzeichnete Gruppe von TE angewendet werden. Während Tatbestandseigenschaften TE immer nur einem einzelnen Tatbestand zugeordnet sind, stellen Tatbestandsrelationen TR Beziehungen zwischen zwei oder mehr Tatbestandsobjekten TO her. Unter Beziehung sind sowohl Handlungen (beschädigt), als auch rechtliche (hat Gewahrsam) oder sonstige Zusammenhänge zwischen zwei oder mehreren TO zu verstehen. Durch Tatbestandsrelationen wird das Verhältnis der Tatbestandsobjekte untereinander festgelegt. T10: Eine Tatbestandsrelation TR definiert eine Beziehung eines Tatbestandsobjektes TOn zu zumindest einem weiteren TOm des Tatbestands T. Beispiele für Tatbestandsrelationen TR aus den oben bereits angeführten Rechtsvorschriften sind : TO1 beschädigt TO1 erhält Gewahrsam
TO2 TO2
Tatbestandsrelationen können gerichtet85 oder ungerichtet sein. Bei gerichteten Tatbestandsrelationen TR kann die Reihenfolge der Tatbestandsobjekte, die ————— 84 Vgl. zu den Funktoren der Aussagenlogik Quine: Grundzüge der Logik, S. 25ff; Weinberger: Rechtslogik, S. 111ff. In § 127 StGB hat TO2 die Eigenschaften TE2.1 = Sache, TE2.2 = beweglich, TE2.3 = Tauschwert. Es gilt TO2(TE2.1 ∧ TE2.2 ∧ TE2.3). 85 Bei gerichteten TR wird in den grafischen Darstellungen der Struktur von Tatbeständen die Richtung durch einen Kreis { angegeben.
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über TR verknüpft sind, nicht verändert werden, ohne dass auch der Inhalt der beschriebenen Beziehung zwischen den TO abgeändert wird. „TO1 beschädigt TO2“ ist nicht dasselbe wie „TO2 beschädigt TO1“. Bei ungerichteten Relationen ist die Position der einzelnen TOn für die beschriebene Beziehung nicht von Bedeutung. So unterscheidet sich z.B. in § 278 StGB86 „TO1 verbindet sich mit TO2 TO3“ nicht von „TO2 verbindet sich mit TO1 TO3“.87 Enthält ein Tatbestand mehrere Tatbestandsrelationen TR zwischen denselben Tatbestandsobjekten, so ist ähnlich wie bei Tatbestandseigenschaften das Verhältnis zwischen den TR zu beachten. Auch bei Tatbestandsrelationen bzw. -gruppen von TR - gekennzeichnet durch Klammersetzung - können zwischen einzelnen Tatbestandsobjekten Konjunktionen (§ 127 StGB: fremd ∧ Gewahrsam erhalten), Adjunktionen (§ 125 StGB: zerstört ∨ beschädigt ∨ verunstaltet ∨ macht unbrauchbar) oder andere logische Beziehungen bestehen.
2. Rechtsfolge R Die Rechtsfolge R einer Rechtsvorschrift legt die rechtlichen Änderungen fest, die eintreten sollen, wenn ein Sachverhalt die Voraussetzungen für die Anwendbarkeit - den Tatbestand T - erfüllt. Im Folgenden wird die Struktur der Rechtsfolge R untersucht, soweit dies für ein formales Modell der Rechtsanwendung nötig ist. Ausgegangen wird dabei vom Tatbestand T und dessen bereits dargestelltem Aufbau aus Tatbestandsobjekten TO, -eigenschaften TE und -relationen TR. ————— 86 § 278 (1) StGB: Wer sich mit zwei oder mehreren anderen mit dem Vorsatz verbindet, dass von einem oder mehreren Mitgliedern dieser Verbindung fortgesetzt Morde (§ 75) oder andere erhebliche Gewalttaten gegen Leib und Leben, erpresserische Entführungen (§ 102), Überlieferungen an eine ausländische Macht (§ 103), Sklavenhandel (§ 104), Raubüberfälle (§ 142), Erpressungen (§ 144), Geldwäscherei (§ 165), gemeingefährliche strafbare Handlungen nach den §§ 169, 171, 173, 176, 177a, 177b, 185 oder 186 oder Menschenhandel (§ 217), strafbare Handlungen gegen die Sicherheit des Verkehrs mit Geld, Wertpapieren und Wertzeichen (§§ 232 bis 239), nicht nur geringfügige Sachbeschädigungen, Diebstähle oder Betrügereien oder nach den §§ 28 Abs. 2 bis 5 oder 31 Abs. 2 des Suchtmittelgesetzes oder nach § 104 Abs. 2 bis 5 des Fremdengesetzes strafbare Handlungen ausgeführt werden, ist mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren zu bestrafen. 87 Unbestimmte Zahlenangaben wie „mehreren“ in § 278 StGB sind als Klasse von Tatbestandsobjekten zu interpretieren. Die Tatbestandsalternative „Wer sich mit mehreren anderen verbindet“ ist daher zu interpretieren als: TO1 ist ein Element der Tatbestandsklasse K(TO)1, wobei innerhalb der Klasse zu allen anderen Elementen der Klasse eine Relation TR = „verbindet sich“ gilt und jedes Element der Klasse auch eine Eigenschaft TE = „Vorsatz, dass ein oder mehrere TO aus K(TO)1 ... begehen“ hat.
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Die in § 75 StGB enthaltene Rechtsfolge lautet: § 75 StGB: Wer ... , ist mit Freiheitsstrafe von zehn bis zu zwanzig Jahren oder mit lebenslanger Freiheitsstrafe zu bestrafen.
Zwei Elemente können dabei in R unterschieden werden: (1) die von der Strafdrohung betroffene Person („Wer“) und (2) die Strafdrohung („mit Freiheitsstrafe von zehn bis zu zwanzig Jahren oder mit lebenslanger Freiheitsstrafe“). Wer die von der Strafdrohung betroffenen Person („Wer“) ist, ist durch den Tatbestand T bzw. den darunter subsumierten Sachverhalt festgelegt. „Wer“ ist ein Verweis auf ein Element des Tatbestands, auf das Tatbestandsobjekt TO1. Durch Verweise in R werden jene Elemente (Personen, Behörden, Gegenstände, Eigenschaften, Beziehungen, ...) bezeichnet, die – auf welche Art auch immer - von der in R angeordneten rechtlichen Änderung betroffen sind, aber durch T bzw. durch andere Rechtsvorschriften definiert sind. Die Rechtsfolge von § 75 StGB kann daher auch geschrieben werden als: TO1 ist mit Freiheitsstrafe von zehn bis zu zwanzig Jahren oder mit lebenslanger Freiheitsstrafe zu bestrafen.
Der Verweis in R bezieht sich auf ein Element des Tatbestands derselben Rechtsvorschrift. Er kann damit als „norminterne“ Relation bezeichnet werden. Eine solche Relation88 kann sich nicht nur auf ein einzelnes TO als Ganzes beziehen. Es ist auch möglich, dass sie auf eine oder mehrere Eigenschaften TE von TO oder auf mehrere TO bzw. einen (mehrere) Zusammenhang TR zwischen diesen TO verweist. Über den Verweis wird das Element des Tatbestands, auf das verwiesen wird, in die Rechtsfolge übernommen und dadurch ein Teil der Rechtsfolge. Neben solchen norminternen Relationen sind auch Verweise auf Elemente anderer Rechtsvorschriften möglich. Diese werden im Folgenden als „normexterne“ Relationen bezeichnet. Häufig sind solche Verweise bei Zuständigkeitsverweisen und -definitionen. So ist die genaue Bedeutung von „Behörde“ in § 129 Abs. 6 Wr. BauO89 durch externe Verfahrensnormen festgelegt: Bei Gefahr im Verzuge kann die Behörde ... die erforderlichen Verfügungen ... anordnen und sofort vollstrecken lassen.
————— 88
Zu normativen Relationen vgl. Lachmayer: Grundzüge einer Normentheorie, S. 57ff. Wiener Stadtentwicklungs-, Stadtplanungs- und Baugesetzbuch (Bauordnung für Wien - BO für Wien) LGBl. Wien 11/1930 i.d.F. LGBl. Wien 61/1998. 89
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C. Rechtsanwendung
Ähnlich würde eine Berücksichtigung des verfahrensrechtlichen Umfelds von § 75 StGB zur Erweiterung von R um einen normexternen Verweis auf eine Zuständigkeitsnorm („zuständiger Richter“) führen: TO1 ist vom zuständigen Richter mit Freiheitsstrafe von zehn bis zu zwanzig Jahren oder mit lebenslanger Freiheitsstrafe zu bestrafen.
Abbildung 4: Norminterne Relationen
Normexterne Verweise können sich sowohl auf Teile der Rechtsfolge R, als auch auf Elemente des Tatbestands (TO, TE, TR) anderer Rechtsvorschriften beziehen. Norminterne und normexterne Verweise sind für die Modellierung von Verfahrensabläufen und -strukturen im Bereich der Rechts- und Verwaltungsinformatik von Bedeutung, da durch sie Zusammenhänge zwischen Normen bzw. Normteilen abgebildet werden.90 Die zweite Art von Strukturelementen in R sind neben den Verweisen die eigentlichen Anordnungen über die rechtlichen Folgen91, die eintreten sollen, wenn ein Sachverhalt T erfüllt. So z.B. die Strafdrohung in § 75 StGB oder die Ermächtigung an die Behörde in § 129 Abs. 6 Wr. BauO. Diese Anordnungen können inhaltlich eingeteilt werden in: Erzeugungsanordnungen: Durch R werden neue rechtliche Eigenschaften oder Beziehungen und u.U. sogar eigenständige Elemente der Rechtsordnung ————— 90 Zu Verweistypen in Gesetzen und ihre Bedeutung für die Normendokumentation vgl. Berger: Die Erschließung von Verweisungen bei der Gesetzesdokumentation, Verlag Dokumentation, 1971. 91 Zur inneren Struktur der „normativen Folge“ vgl. Holländer: Rechtsnorm, Logik und Wahrheitswerte, Nomos Verlagsgesellschaft Baden-Baden, 1993, S. 80f.
I. Die Rechtsvorschrift
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erzeugt. So hat das Vorliegen der Voraussetzungen für die Gründung einer juristischen Person (= T) zur Folge, dass diese erzeugt wird. Auflösungsanordnungen: Diese sind das Gegenstück zu Erzeugungsanordnungen. Sie führen zum Entfall von rechtlichen Eigenschaften oder Beziehungen oder zur Auflösung von eigenständigen Elementen der Rechtsordnung. Änderungsanordnungen: Diese Anordnungen führen zu einer Änderung des Inhalts bestehender rechtlicher Eigenschaften oder Beziehungen. Sind rechtliche Eigenschaften oder Beziehungen von den Anordnungen betroffen, so kann ihr Inhalt als Gebot, Verbot, Erlaubnis, ...92 interpretiert werden. Eine formalisierte Darstellung der in § 75 StGB festgelegten Rechtsfolge R lautet daher: Refextern(zuständiger Richter)O()TO1 wobei: normexterner Verweis Refextern() O() deontischer Operator
Freiheitsstrafe von zehn bis zu zwanzig Jahren oder lebenslange Freiheitsstrafe norminterner Verweis auf TO1 TO1
Wenn T durch einen Sachverhalt erfüllt ist, wird durch R eine rechtliche Beziehung zwischen dem durch verfahrensrechtliche Vorschriften festgelegten zuständigen Richter (normexterner Verweis) und dem im Tatbestand T enthaltenen TO1 (norminterner Verweis) erzeugt. Auf Grund dieser Beziehung ist der zuständige Richter verpflichtet und ermächtigt, die generelle Rechtsfolge zu konkretisieren93 und TO1 mit einer Strafe zu bestrafen, die innerhalb des in der festgelegten Rahmen liegt. ————— 92 Zu deontischen Operatoren wie Sollen (= O()) vgl. Alchourrón/Bulygin: Normative Systems, Springer-Verlag, 1971, S. 14; Weinberger: Alternative Handlungstheorie, Böhlau Wien, 1996, S. 149; Horak: Zur rechtstheoretischen Problematik der juristischen Begründung von Entscheidungen, in: Sprung/König (Hrsg.), Die Entscheidungsbegründung in europäischen Verfahrensrechten und im Verfahren vor internationalen Gerichten, Springer Verlag, 1974, S. 6 FN 15 mit weiteren Nachweisen. „Ob man die Kalküle der allgemeinen Logik verwendet oder eine besondere deontische Logik oder Nomenlogik aufbaut, ist aus dieser Sicht nur mehr eine Frage der rhetorischen Zweckmäßigkeit, die den unterschiedlichen Verständigungsbedürfnissen und sprachlichen Konventionen in den einzelnen Disziplinen Rechnung tragen sollte.“ (Schreckenberger: über den Zugang der modernen Logik zur Rechtsdogmatik, in: Ballweg/Seibert (Hrsg.), Rhetorische Rechtstheorie, Verlag Karl Alber Freiburg/München, 1982, S. 178.) 93 Zur Ableitung einer generellen Norm mit dem juristischen Syllogismus und deren Verhältnis zu einer zu setzenden individuellen Norm vgl. Lippold: Um die Grundlagen der Normenlogik, in: Walter (Hrsg.), Untersuchungen zur Reinen Rechtslehre II, Manz Verlag Wien, 1988, Schriftenreihe des Hans Kelsen-Instituts Band 12, S. 184 FN 176.
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C. Rechtsanwendung
Für ein Modell der Rechtsanwendung, das in erster Linie von der Zuordnung eines bestimmten Sachverhalts zu einem Tatbestand einer Rechtsvorschrift ausgeht, ist eine weitergehende formale Beschreibung der Struktur der Rechtsfolge nicht notwendig. Im Folgenden wird - wenn ein Eingehen auf Details des Aufbaus der Rechtsfolge nicht notwendig ist - die Rechtsfolge nur allgemein durch die Variable R repräsentiert.
II. Der Sachverhalt Ausgangspunkt der praktischen 94 juristischen Tätigkeit ist ein konkreter, oft sehr komplexer Lebenssachverhalt, der rechtlich gedeutet wird. Das Ergebnis dieser Deutung ist der Sachverhalt, der unter den Tatbestand einer Rechtsvorschrift subsumiert wird.95 Der Sachverhalt, der im Rahmen der Subsumtion einem Tatbestand zugeordnet wird, ist nicht identisch mit dem Fall, dem Lebenssachverhalt, den tatsächlichen Zuständen und Ereignissen, die in Raum und Zeit feststellbar sind. Vielmehr ist er eine Interpretation des Falls in Hinblick auf einen Tatbestand. Jene Elemente des Falls, die für den Tatbestand von Bedeutung - rechtlich erheblich - sind, werden in den Sachverhalt übernommen. Die unerheblichen hingegen werden herausgefiltert. Bei der Gewinnung des Sachverhalts sind drei Stufen und damit zwei Filtervorgänge zu unterscheiden: (1) Geschehen, (2) Fall und (3) Sachverhalt.
1. Geschehen Das Geschehen umfasst alle jene Dinge der realen Welt, die mit der zu beurteilenden Rechtsfrage in Zusammenhang stehen. Es ist der Anstoß für den Prozess der Rechtsanwendung und umfasst physikalische, chemische, ..., aber auch ————— 94
Vgl Harenburg/Seeliger: Transformationsprozesse in der Rechtspraxis. Eine Untersuchung von Rechtsanwalt/Klienten-Gesprächen, in: Böhme/Engelhardt (Hrsg.), Entfremdete Wissenschaft, Suhrkamp Taschenbuch Verlag, 1979, stw 278, 56ff, zu den Problemen der Rechtsanwendung und zur Schwierigkeit einer dogmatisch richtigen Entscheidung in der Praxis. 95 Pavþnik: Juristisches Verstehen und Entscheiden, S. 9ff.
II. Der Sachverhalt
37
rechtliche Gegenstände, Zustände, Ereignisse und Vorgänge, oder deren Wirkungen. Das Geschehen ist in Raum und Zeit feststellbar.
2. Fall Durch die Wahrnehmung werden die möglicherweise entscheidungsrelevanten Elemente der Geschehens erfasst und daraus der Fall gebildet. In juristischen Verfahren96 wird diese Wahrnehmung in der Tatsachenfeststellung97 beweismäßig abgesichert. Teile des Geschehens werden nicht in den Lebenssachverhalt übernommen. Dies entweder, weil sie überhaupt nicht wahrgenommen werden - die Wahrnehmungsschwelle wird nicht überschritten -, oder weil es für den Fall als nicht relevant empfunden98 wird. Der Fall ist damit eine gefilterte Beschreibung des Geschehens, ein Modell99, das dann im Rahmen der Rechtsanwendung juristisch beurteilt wird. Der Aufbau des Lebenssachverhalts als Beschreibung des Geschehens wird in erster Linie durch das Geschehen, das erfasst und dargestellt wird, vorgegeben. Er ist „der reine, ungegliederte und unausgegrenzte Vorgang oder Zustand in der Tatsachenwelt“100.
————— 96 Vgl. zur Bedeutung der „Möglichkeit realer Kommunikation“ bei der Erarbeitung dessen, „was als Faktum eingebracht werden muss, damit der Fall vollständig vorliegt“ in Verfahren Struck: Rhetorik und Prozessrechtstheorie, in: Ballweg/Seibert (Hrsg.), Rhetorische Rechtstheorie, Verlag Karl Alber Freiburg/München, 1982, S. 370ff. 97 Vgl. Kelsen: Allgemeine Theorie der Normen, Manzsche Verlags- und Universitätsbuchhandlung, 1979, S. 195f. 98 „Auch den juristischen Tatsachenfeststellungen, z.B. im Prozess, liegen Invarianzleistungen des Rechtsgefühls zugrunde. Der erste Eindruck vom Prozessstoff ist zumeist ein gefühlsmäßiger.“ (Lampe: Rechtsgefühl und juristische Kognition, in: Lampe (Hrsg.), Das sogenannte Rechtsgefühl. Westdeutscher Verlag, 1985, Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie Band 10, S. 117.) 99 Vgl Wittgenstein: „2.1 Wir machen uns Bilder der Tatsachen. 2.12 Das Bild ist ein Modell der Wirklichkeit. 2.13 Den Gegenständen entsprechen im Bilde die Elemente des Bildes. 2.14 Das Bild besteht darin, dass sich seine Elemente in bestimmter Art und Weise zu einander verhalten. 2.15 Dass sich die Elemente des Bildes in bestimmter Art und Weise zu einander verhalten stellt vor, dass sich die Sachen so zu einander verhalten. Dieser Zusammenhang der Elemente des Bildes heisse seine Struktur und ihre Möglichkeit seine Form der Abbildung.“ (Wittgenstein: Tractatus logico-philosophicus, 9. Auflage. Suhrkamp Taschenbuch Verlag, 1993, stw 501, S. 14f.) 100 Hruschka: Die Konstitution des Rechtsfalls, Duncker & Humblot Berlin, 1965, S. 12.
38
C. Rechtsanwendung
Im Vordergrund steht bei der Feststellung des Falls das Wahrnehmen und Festhalten der relevanten bzw. als wichtig erkannten Elemente des realen Welt. Die Elemente des Lebenssachverhalts werden Tatsachenelemente genannt.101
Abbildung 5: Stufen der Sachverhaltsgewinnung
Die Struktur des Falls ist noch nicht bestimmt durch eine juristische Interpretation auf einen bestimmten Tatbestand hin.102 Dies erfolgt erst bei der Erstellung des Sachverhalts, dem nächsten Filtervorgang.
3. Sachverhalt Der Sachverhalt SV wird aus dem Fall durch rechtliche Bewertung103 der Tatsachenelemente gewonnen.104 Jene Elemente, die in Hinblick auf einen Tat————— 101
Pavþnik: Juristisches Verstehen und Entscheiden, S. 12. Der Lebenssachverhalt wird daher auch als „Rohsachverhalt“ (Larenz: Methodenlehre der Rechtswissenschaft, s. 279.) , als „Sachverhalt in statu nascendi“ (Pavþnik: Juristisches Verstehen und Entscheiden, S. 13.) oder als „die bloße Möglichkeit eines Sachverhalts“ (Hruschka: Die Konstitution des Rechtsfalls, S. 12.) bezeichnet. 103 Vgl. Larenz: Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 279: „Von ähnlicher Struktur sind alle rechtlich beurteilten Sachverhalte; sie stellen keine reinen Aufzählungen von Fakten dar, son102
II. Der Sachverhalt
39
bestand T erheblich105 sind, werden übernommen.106 Die anderen werden herausgefiltert. Der SV enthält damit nur Elemente, „die auf der konkreten Ebene Gegenstücke zu den Elementen des gesetzlichen Tatbestands sind“107. SV1: Der Sachverhalt SV enthält die rechtserheblichen Tatsachen eines Falls. Der Sachverhalt wird deshalb auch als „rechtserheblicher Sachverhalt“108 bezeichnet. Es ist möglich, dass der rechtserhebliche Sachverhalt im Rahmen juristischer Argumentationsschritte - ähnlich wie der Tatbestand - interpretiert wird, (vgl. unten S. 58ff). In diesem Fall werden bei der Rechtsanwendung mehrere, auf einander aufbauende Sachverhaltsbeschreibungen erzeugt. Die erste wird im Folgenden „rechtserheblicher Sachverhalt“ bezeichnet. Jener Sachverhalt, der unmittelbar für den Subsumtionsschluss herangezogen wird und keinen weiteren juristischen Interpretationsschritten unterliegt, wird „endgültiger Sachverhalt“109 genannt. SV2: Ein Sachverhalt SV, der unmittelbar unter einen Tatbestand T subsumiert werden kann, heißt endgültiger Sachverhalt. Bei sehr einfach strukturierten Sachverhalten können rechtserheblicher und endgültiger Sachverhalt zusammenfallen.
————— dern sind das Ergebnis einer gewissen Auslese, Deutung und Verknüpfung von Fakten im Hinblick auf das, was daran rechtlich bedeutsam sein kann.“ 104 „Der Sachverhalt als Aussage ist also dem Beurteiler nicht von vornherein ‚gegeben‘, sondern er muss von ihm in Hinblick auf die ihm bekannt gewordenen Fakten einerseits, deren mögliche rechtliche Bedeutung anderseits erst gebildet werden.“ (Larenz: Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 278.) „Sachverhalte werden nicht festgestellt. Sachverhalte werden hergestellt.“ (Grasnick: Entscheidungsgründe als Textcollage, in: Müller/Wimmer (Hrsg.), Neue Studien zur Rechtslinguistik, Duncker & Humblot, 2001, S. 28.) 105 Vgl. Bydlinski: Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 419: „Die rechtliche Relevanz von Sachverhaltsmerkmalen hängt offensichtlich von den anzuwendenden rechtlichen Maßstäben ab. ... Alle Merkmale des Sachverhalts, die für die rechtliche Beurteilung sicher keine Rolle spielen, bleiben ungenannt.“ „Von den vielen möglichen Umständen des Falls sind am Ende nur wenige Daten erheblich.“ (Seibert: Grundlagen der Urteilsanalyse: Fall, Regel und Topos, in: Feldner/Forgo (Hrsg.), Norm und Entscheidung, Springer-Verlag, 2000, S. 128.) 106 „The ‘fact‘ to which legal practitioners refer is not raw fact existing outside any legal description.“ (Rigaux: The Concept of Fact, in: Legal Science, in: Nerhot (Hrsg.), Law, Interpretation and Reality, Kluwer Academic Publishers, 1990, S. 48.) 107 Pavþnik: Juristisches Verstehen und Entscheiden, S. 14. 108 Pavþnik: Juristisches Verstehen und Entscheiden, S. 12. 109 Anders Pavþnik: Juristisches Verstehen und Entscheiden, S. 13, der den rechtserheblichen Sachverhalt auch als endgültigen Sachverhalt bezeichnet.
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C. Rechtsanwendung
Der Sachverhalt ist somit eine Interpretation des Falls, ein Modell des Falls, „das bereits eine Ordnung und Deutung der Tatsachen enthält“110. Zur Gewinnung von SV, zum Erzeugen dieser „Ordnung“ aus dem und zur „Deutung“ des Lebenssachverhalts in Hinblick auf einen Tatbestand T sind daher zwei Schritte notwendig111: a) normbezogene Strukturierung des Falls (= Ordnung), b) normbezogene Beschreibung der Fallelemente (= Deutung).
a) Strukturierung des Falls Der erste Schritt bei der Gewinnung des Sachverhalts ist die auf eine Rechtsnorm bezogene Strukturierung des Lebenssachverhalts. Es müssen die Elemente des Falls, aus denen der Sachverhalt aufgebaut ist, festgelegt werden. Die Tatsachenelemente des Falls werden entweder als eigenständige Teile des Sachverhalts übernommen, oder aber als nicht rechtserheblich eingestuft und daher nicht weiter beachtet. Welche und wie viele Tatsachenelemente als Sachverhaltselemente übernommen werden, hängt vom Tatbestand T ab, unter den der Sachverhalt SV subsumiert werden soll. Da die Elemente in SV Gegenstücke zu den Elementen von T sind, müssen SV und T dieselbe Struktur aufweisen. Kann aus den Tatsachenelementen des Falls kein SV gewonnen werden, der ähnlich aufgebaut ist wie T, so ist eine Subsumtion nicht möglich. Die Interpretation des Falls muss dann auf eine andere Norm, einen anderen Tatbestand T ausgerichtet werden. So verlangt die Struktur des T von § 91 (2) StGB („Wer an einem Angriff mehrerer tätlich teilnimmt“), dass im Fall mehr als zwei Personen als Tatsachenelemente enthalten sein müssen. Liegt eine solche Fallstruktur nicht vor, kann eine Sachverhaltsgewinnung in Hinblick auf § 91 (2) StGB nicht erfolgreich durchgeführt werden. ————— 110
Hruschka: Die Konstitution des Rechtsfalls, S. 12. „Der Lebenssachverhalt ist das Faktum, so wie es ‚an sich‘ ist oder war. ... aus seinem Begriff ist sorgfältig alles das herauszuhalten, was irgendwie schon ein ordnendes oder deutendes Element darstellt. Die Ordnung und Deutung finden erst mit Beginn und im Verlaufe der Sachverhaltsbildung statt. ... Der Rechtsfall ist mithin der Lebensverhalt, soweit er gegliedert und geordnet wird, der Lebensverhalt, wie ihn der Urteiler sieht.“ (Hruschka: Die Konstitution des Rechtsfalls, S. 12.) Vgl. dazu auch Schillhammer: Die Methoden der Fallkonfiguration durch juristische Texte, Dissertation, Universität Innsbruck, 1995, S. 67ff. 111
II. Der Sachverhalt
41
Verbunden mit einer Strukturierung des Falls ist auch eine Grenzziehung zwischen wahrgenommenen Fallelementen. Es ist zu entscheiden, ob ein Element des Falls als Teil eines anderen, zusammengesetzten Sachverhaltselements anzusehen ist, ob das Tatsachenelement ein eigenständiger Teil des Sachverhalts ist oder ob es für den Sachverhalt in mehrere Teile aufgeteilt werden muss. Bei der Beschädigung einer Fensterscheibe eines Fensters in einem Haus ist z.B. die Entscheidung notwendig, ob die Glasscheibe selbst, der Fensterflügel, das ganze Fenster oder vielleicht sogar das ganze Haus als Sachverhaltselement (= beschädigte Sache) von anderen Tatsachenelementen abgegrenzt und in SV übernommen wird. Wenn nur die Glasscheibe (der Fensterflügel, das Fenster) Sachverhaltselement ist, wird dann das Haus als weiteres, eigenständiges Sachverhaltselement angesehen oder ist dieses Tatsachenelement gar nicht rechtserheblich? Und wie ist diese Entscheidung bei der Windschutzscheibe eines Autos zu treffen? Ist das ganze Auto oder nur die Glasscheibe selbst als beschädigte Sache zu qualifizieren? Neben den Details des Falls sind für diese Entscheidungen die im Tatbestand vorgegebenen Strukturen und die Wertungen, die in der Rechtsvorschrift enthalten sind, maßgebend. Die Tatsachenelemente werden im Sachverhalt eine andere Struktur aufweisen, wenn z.B. bei der Windschutzscheibe des Autos berücksichtigt wird, dass in der Rechtsnorm auch auf die Funktionsfähigkeit abgestellt wird. Im ersten Schritt der Sachverhaltsbildung wird damit die grundlegende Struktur des Sachverhalts SV festgelegt. Es wird unter Berücksichtigung der Vorgaben aus der Rechtsvorschrift, die angewendet werden soll, entschieden, welche Sachverhaltselemente in SV enthalten sind und aus welchen rechtserheblichen Tatsachenelementen diese aufgebaut sind.
b) Beschreibung der Fallelemente Der zweite Schritt bei der Gewinnung des Sachverhalts aus dem Fall ist die normbezogene Beschreibung der Sachverhaltselemente. Im ersten Schritt wurden die für die Subsumtion unter T rechtserheblichen Tatsachenelemente ausgewählt, von den anderen abgegrenzt und damit die Grundstruktur des Sachverhalts festgelegt. Nun ist es notwendig, jene rechtserheblichen Eigenschaften der einzelnen Sachverhaltselemente und die rechtserheblichen Beziehungen zwischen ihnen zu beschreiben. Diese Beschreibung von Eigenschaften einzelner Sachverhaltselemente und ihrer Beziehungen zueinander wird zwar in Hinblick auf den Tatbestand einer
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C. Rechtsanwendung
Rechtsvorschrift vorgenommen, ist aber begrifflich und inhaltlich an den Lebenssachverhalt gebunden. Es werden die im Lebenssachverhalt wahrgenommenen und als rechtserheblich erkannten Eigenschaften in den Sachverhalt übernommen, wobei Details, Begriffe und die Beschreibungsmethode in erster Linie aus der Falldarstellung stammen. Erst im Rahmen der mit der Interpretation von Tatbestand und Sachverhalt verbundenen juristischen Argumentation werden die verwendeten Begriffe an einander angeglichen. (Vgl. unten S. 58ff.) So enthält z.B. der (in der Entscheidung beschriebene) rechtserhebliche Sachverhalt des OGH-Erkenntnis vom 27.4.2001 (7Ob222/00y), in dem unter anderem zu entscheiden war, ob eine „Rampe“ ein Superädifikat oder ein Gebäude ist, keinen dieser Rechtsbegriffe. Vielmehr werden die Eigenschaften und Beziehungen zwischen drei rechtserheblichen Sachverhaltselementen, der „Rampe“ und zwei Grundstücken, in fast technischer Detailtreue dargestellt: „Diese Rampe wurde im Jahre 1981 errichtet. Diese befand sich schon im Zeitpunkt der Versteigerung etwa in dem Zustand, in dem sie sich heute befindet. Es handelt sich dabei um eine mit dem Gebäude fest verbundene Konstruktion aus einem Metallgestänge (Rohre samt Verschraubungen) und einer (darauf liegenden) Holzlattung. Die Rampe führt zu einem Eingang in das Gebäude. Sie ist zumindest stellenweise mit dem Grund, auf welchem sie sich befindet, fest verbunden. Sie weist eine Länge von 9,38 m auf und an der breitesten Stelle eine Breite von 2,46 m. Der nördliche Teil der Rampe ragt mit einer Breite von 1,06 m in das dem Kläger gehörende Grundstück 1054/1. Der Rest der Rampe befindet sich auf dem dem Beklagten gehörigen Grundstück 1054/2.“
Nachdem in der ersten Stufe der Sachverhaltsgewinnung drei der Tatsachenelemente von einander abgegrenzt und als rechtserheblich erkannt wurden („Rampe“, Grundstück 1, Grundstück 2), folgt deren Beschreibung. Für die nachfolgende juristische Bewertung werden bei der Rampe zahlreiche Details des Lebenssachverhalts als rechtlich erheblich angesehen (Metallgestänge, Rohre, Verschraubungen, Holzlattung, 9,38 m , ...). Bei den Grundstücken hingegen ist nur die Beziehung zur „Rampe“ von Bedeutung. Es wird daher auf jede weitere Beschreibung von Eigenschaften112 verzichtet und zur eindeutigen Identifizierung der unterschiedlichen Sachverhaltselemente die Grundstücksnummer herangezogen.
————— 112
Mögliche Eigenschaften wären z.B. Bodenbeschaffenheit, Baumbestand, ....
II. Der Sachverhalt
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4. Struktur und Elemente des Sachverhalts Das formale Beschreibungsmodell des Sachverhalts ähnelt dem oben dargestellten Modell des Tatbestands T einer Rechtsvorschrift. Es werden die Strukturelemente und die diesen zugeordneten Beschreibungselemente unterschieden. Die Struktur des Sachverhalts, die im ersten Schritt der Sachverhaltsgewinnung festgelegt wird, wird durch die Sachverhaltsobjekte SOn beschrieben. Ein Sachverhaltsobjekt SOn repräsentiert ein Tatsachenelement des Falls. SV3: Der Sachverhalt SV besteht aus Sachverhaltsobjekten SOn. Sachverhaltsobjekte SOn werden bei der Gewinnung von SV, bei seiner grundlegenden Strukturierung, festgelegt. Sie sind die elementaren Bausteine von SV und können nicht im Rahmen nachfolgender Interpretationsschritte aus vorhandenen Sachverhaltsobjekten abgeleitet werden. SV4: Die Sachverhaltsobjekte SOn von SV werden im Rahmen der normbezogenen Strukturierung des Falls festgelegt. Werden die Sachverhaltsobjekte eines Sachverhalts verändert (z.B. Änderung der Zahl der SOn), so hat dies eine völlig neue Beschreibung des Falls, einen neuen Sachverhalt zur Folge. Da die Grundstruktur des Sachverhalts SV bereits mit dem rechtserheblichen Sachverhalt festgelegt wird, sind alle Sachverhaltsobjekte SOn zu diesem Zeitpunkt in SV enthalten. SV5: Der rechtserhebliche Sachverhalt enthält alle Sachverhaltsobjekte SOn eines Sachverhalts SV. Nach der Festlegung der Grundstruktur von SV werden die Eigenschaften der einzelnen Sachverhaltsobjekte und die Beziehungen zwischen diesen beschrieben. Eigenschaften, die einem SOn zugeordnet sind, heißen Sachverhaltseigenschaften SEn.m. SV6: Die Eigenschaften eines SOn werden durch die Sachverhaltseigenschaften SEn.m beschrieben. Jede Sachverhaltseigenschaft SOn.m von SOn beschreibt im rechtserheblichen Sachverhalt eine Eigenschaft des Tatsachenelements, das durch SOn repräsentiert wird. Die Beschreibung der Beziehungen zwischen einzelnen Sachverhaltsobjekten erfolgt durch Sachverhaltsrelationen SRm. Jede SRm zwischen zwei oder mehr SOn beschreibt einen Zusammenhang zwischen zwei oder mehreren Tatsachenelementen des Falls. SV7: Beziehungen zwischen einzelnen SOn werden durch Sachverhaltsrelationen SRm beschrieben.
44
C. Rechtsanwendung
Sachverhaltsobjekte SOn, Sachverhaltseigenschaften SEn.m und Sachverhaltsrelationen SRn haben ähnliche Eigenschaften wie Tatbestandsobjekte TOn, Tatbestandseigenschaften TEn.m und Tatbestandsrelationen TRn, weshalb sie an dieser Stelle nicht nochmals dargestellt werden. (Vgl. oben S. 22ff.) Im Rahmen juristischer Argumentationsschritte können aus vorhandenen SE und SR neue SE bzw. SR abgeleitet (erzeugt) werden. Der endgültige Sachverhalt kann daher mehr oder andere SE bzw. SR enthalten als der rechtserhebliche SV. (Vgl. unten S. 58ff.) Ein wesentlicher Unterschied zwischen der Struktur des Tatbestands und der des Sachverhalts ist aber, dass bei der Darstellung der Beziehungen mehrerer SOn zu einander, mehrerer SEn.m eines SOn oder mehrerer SRn ausschließlich der logische Operator „und“ (∧, Konjunktion) verwendet werden kann. Andere Operatoren wie z.B. Adjunktion („oder“, ∨) oder Exklusion („entweder – oder“) sind nicht zulässig. Diese Einschränkung ergibt sich daraus, dass der Sachverhalt SV eine Beschreibung eines festgestellten Geschehens oder Zustands, eines konkret wahrgenommenen Falls ist, in dem Tatsachenelemente, deren Eigenschaften oder Beziehungen zwischen Tatsachenelementen entweder vorhanden sind oder nicht. Zwischen Varianten im Fall, die auf Unschärfen oder Widersprüche in der Wahrnehmung bzw. Tatsachenfeststellung113 zurückzuführen sind und im SV durch eine Adjunktion dargestellt würden, wird bei der Sachverhaltsgewinnung entschieden. Sie sind entweder nicht rechtserheblich und daher nicht Teil des rechtserheblichen Sachverhalts, oder eine der Varianten wird im Rahmen der Beweiswürdigung als die für den Sachverhalt relevante ausgewählt. SV8: Die logische Beziehung zwischen Strukturelementen des Sachverhalts ist die Konjunktion. Mehrere Sachverhaltsobjekte SOn können zu einer Klasse von Sachverhaltsobjekten K(SO)n zusammengefasst werden. Es gilt das für Klassen von Tatbestandsobjekten K(TO)n dargestellte analog. (Vgl. oben S. 28ff.) SV9: Eine Klasse von Sachverhaltsobjekten K(SO)n ist eine Menge von Sachverhaltsobjekten SOn mit gleichen Eigenschaften SEn und gleichartigen Relationen SRn zu anderen Sachverhaltsobjekten. In einer Klasse von Sachverhaltsobjekten werden Sachverhaltsobjekte SOn auf Grund gleichartiger Eigenschaften zusammengefasst. Es handelt sich daher um ein Strukturelement, das aus Sachverhaltsobjekten abgeleitet (erzeugt) wird.
————— 113
Z.B. durch widersprüchliche Zeugenaussagen.
III. Das Grundmodell der Rechtsanwendung
45
Es kann folglich vorkommen, dass eine K(SO) nicht im rechtserheblichen SV, jedoch im endgültigen SV enthalten ist.
III. Das Grundmodell der Rechtsanwendung Im Folgenden wird ein formales Modell114 der Rechtsanwendung entwickelt, das die festgestellte Struktur des Tatbestands T und der Rechtsfolge R einer Rechtsnorm, sowie des Sachverhalts SV berücksichtigt. Es handelt sich dabei nur um ein einfaches Grundmodell der Rechtsanwendung, da die Entfaltung des Tatbestands durch juristische Argumentation (noch115) nicht berücksichtigt wird. Rechtsanwendung ist die Zuordnung eines konkreten Falls zu dem Tatbestand T einer generellen Rechtsvorschrift und die Gewinnung einer konkreten Sollensaussage, der Rechtsfolge R. Der Fall, ein konkretes Geschehen, wird durch den Sachverhalt SV beschrieben. Dieser Zusammenhang kann mit den Mitteln der Prädikatenlogik als folgender einfacher logischer Schluss beschrieben werden: (1) (2) (3) Mit:
∀sv (Tsv R) Für alle möglichen sv gilt: Wenn sv ein T ist, folgt R.. TSV T kann einem konkreten Sachverhalt SV zugeordnet werden. R Es folgt R. sv Variable. T Prädikat, das den Tatbestand beschreibt. SV Ein Sachverhalt SV zu einem konkreten Fall. R Rechtsfolge.
Diese logische Schlussfolgerung beschreibt die Ableitung der Anwendbarkeit der Rechtsfolge R aus vorhandenen Prämissen, nicht jedoch den Vorgang der Subsumtion selbst. Er unterscheidet sich von den sonst üblichen Formulierungen des Justizsyllogismus (vgl. S. 13) in folgenden Punkten: -
Die Variable sv hat nur den Tatbestand T, nicht aber auch die Rechtsfolge R als Prädikat zugeordnet. Es werden damit keine Einschränkungen für die Struktur der Rechtsfolge R angenommen.
-
T steht für den Tatbestand als Ganzes und nicht nur für einen Teil davon116.
-
R steht ebenfalls für die gesamte Rechtsfolge117.
————— 114 Vgl. zu Formalisierung und Modellbildung Reisinger: Strukturwissenschaftliche Grundlagen der Rechtsinformatik, Leykam-Verlag Graz-Wien, 1987, S. 21ff. 115 Die Entfaltung wird im erweiterten Modell der Rechtsanwendung berücksichtigt (vgl. S. 58). 116 In anderen Modellen ist der Tatbestand durch Tx beschrieben. Vgl. dazu S. 14. 117 Zur Struktur der Rechtsfolge R vgl. S. 32.
46 -
C. Rechtsanwendung
TSV ist die Aussage, dass ein bestimmter Sachverhalt SV T erfüllt. Er beschreibt damit das Ergebnis der Subsumtion von SV unter T.
Der Subsumtionsschluss selbst, also die wertende118 Entscheidung, ob ein konkreter Sachverhalt SV den Tatbestand T einer Rechtsnorm erfüllt, wird in diesem Syllogismus nicht beschrieben. Sein Ergebnis wird als Prämisse TSV im Untersatz berücksichtigt. Doch gerade ein Modell der Rechtsanwendung soll ja die Zuordnung von Sachverhalt SV zu einem Tatbestand T beschreiben. Es ist daher notwendig, den beschriebenen Syllogismus um ein Modell des Subsumtionsschlusses, um eine formale Darstellung der Gewinnung der Aussage TSV zu erweitern. Dieses Modell baut auf der Struktur von Tatbestand T und Sachverhalt SV auf.
1. Der Tatbestand T Der Tatbestand T einer Rechtsnorm ist aus Tatbestandsobjekten TOn zusammengesetzt. Sie sind das grundlegende Strukturelemente von T (vgl. S. 22ff). Jedem TOn sind Tatbestandseigenschaften TEn.m zugeordnet, die die konkreten Eigenschaften von TEn festlegen. Beziehungen zwischen mehreren TOn, TOm, ... werden durch Tatbestandsrelationen TRm, TRn, ... beschrieben. Die Tatbestandseigenschaften TEn.m eines TOn können durch einwertige Prädikate von TOn in der Form
(TE n.m )TO
n
beschrieben werden. Mehrere TEn.m werden durch logische Operatoren (∧, ∨, ¬) verknüpft und durch Klammernsetzung gruppiert (vgl. S. 31), so dass die Eigenschaften eines komplexen TOn z.B. lauten können:
(TE n.1 ∧ (TE n.2 ∨ ¬TE n.3 ))TO n
Durch zwei- bzw. n-wertige Prädikate werden Tatbestandsrelationen TR zwischen mehreren Tatbestandsobjekten TOi, TOj, ... beschrieben, wenn Beziehungen zwischen zwei bzw. n Tatbestandsobjekten bestehen:
(TR1 )TO TO i
j
Enthält T mehrere Tatbestandsrelationen TR, dann werden diese durch logische Operatoren verknüpft (vgl. S. 32): ————— 118
Vgl. Pavþnik: Juristisches Verstehen und Entscheiden, S. 19.
III. Das Grundmodell der Rechtsanwendung
(TR1 )TO TO i
j
47
∨ (TR 2 )TO TO i k
Der Tatbestand T wird durch die Tatbestandsobjekte TOn, die ihnen zugeordneten Tatbestandseigenschaften TEn.m und die Beziehungen TRn zwischen den Tatbestandsobjekten TOn vollständig beschrieben. Ist ein Tatbestand T aus mehreren TOn aufgebaut, dann wird durch logische Operatoren angegeben, welche der TOn in T enthalten sein müssen (Verknüpfung durch ∧), welche als Varianten vorhanden sein können (Verknüpfung durch ∨ bzw. „entweder - oder“). Darf ein bestimmtes TOn im Sachverhalt, der subsumiert werden soll, nicht vorkommen, zeigt dies der Operator ¬ an. T kann daher durch Zusammenfassen der Formeln für Tatbestandseigenschaften und Tatbestandsrelationen allgemein beschrieben werden als119: T=
(T 1)
(TE n.1 ∧ (∨, ) TE n.m )TO 1 ∧ (∨, ) ∧ (∨, ) (TE n.1 ∧ (∨, ) TE n.m )TOn ∧ (∨, ) (TR1 )TOaTO b ∧ (∨, ) ∧ (∨, ) (TRl )TO TO i
j
An dieser Stelle ist es notwendig - als Vorgriff auf die formale Beschreibung der Entfaltung des Tatbestands T durch juristische Argumentation auf einen Sachverhalt SV hin - die unterschiedlichen Formen der Tatbestandsbeschreibung, die im Rahmen der Rechtsanwendung entwickelt werden, zu erwähnen. Sie unterscheiden sich in den möglichen logischen Verknüpfungen. Im Argumentationsverlauf ist zu unterscheiden zwischen: (1) dem Ausgangstatbestand, der am Anfang der Argumentation steht, (2) einem Zwischentatbestand, der aus dem Anfangstatbestand durch Argumentation gewonnen wird, und (3) dem endgültigen Tatbestand, unter den ein Sachverhalt SV ohne weitere Entfaltungsschritte subsumiert werden kann. Für Ausgangstatbestand und endgültigen Tatbestand gilt folgendes: T11: Der Ausgangstatbestand ist der in einer Rechtsnorm beschriebene Tatbestand T vor Beginn einer argumentativen Entfaltung auf einen Sachverhalt ————— 119
∧(∨, ... ) steht für beliebige logische Operatoren und Klammern.
48
C. Rechtsanwendung
hin. Die im Ausgangstatbestand enthaltenen Tatbestandsobjekte TOn, Tatbestandseigenschaften Tn.m und Tatbestandsrelationen TRn können durch beliebige logische Operatoren verknüpft sein. In einem Zwischentatbestand sind ebenfalls beliebige logische Verknüpfungen möglich. T12: Der endgültige Tatbestand ist jene auf den Sachverhalt hin entfaltete Tatbestandsbeschreibung, unter die der endgültige Sachverhalt120 ohne weitere Entfaltungsschritte subsumiert werden kann. Die im endgültigen Tatbestand enthaltenen Tatbestandsobjekte TOn, Tatbestandseigenschaften Tn.m und Tatbestandsrelationen TRn sind nur durch Konjunktionen (∧) verknüpft.121 Die oben angeführte Formel (T1) beschreibt den Aufbau von Ausgangstatbestand und Zwischentatbestand. Für den endgültigen Tatbestand (Te) vereinfacht sie sich wegen der Einschränkung auf Konjunktionen auf: Te =
(T2 )
(TE1.1 ∧ ∧ TE1.m )TO 1 ∧ ∧ (TE n.1 ∧ ∧ TE n.m )TO n ∧ (TR1 )TO TO ∧ ∧ (TRl )TO TO a b
i
j
Wenn ein Ausgangstatbestand T keine Tatbestandsvarianten enthält und seine argumentative Entfaltung im Rahmen der Rechtsanwendung nicht notwendig ist, dann fallen Ausgangs- und endgültiger Tatbestand zusammen.
2. Der Sachverhalt SV Der Sachverhalt SV wird auf ähnliche Weise wie der Tatbestand T beschrieben. Er ist aus Sachverhaltsobjekten SOn aufgebaut, denen Sachverhaltseigenschaften SEn.m zugeordnet werden. Beziehungen zwischen mehreren SOn werden über Sachverhaltsrelationen SRn dargestellt. Da der Sachverhalt eine Beschreibung der in einem konkreten Fall festgestellten Tatsachen, die die Grundlage für die juristische Entscheidung bilden, ist und im Sachverhalt nicht die möglichen Varianten verschiedener Fälle, sondern ein bestimmtes Geschehen in Raum und Zeit dargestellt wird, kann zwischen mehreren SOn, zwischen mehreren SEn.m und bei mehreren SRn nur die logische Verknüpfung ∧ verwendet werden. ————— 120 121
Vgl. S. 39 SV2. Zusätzlich ist auch die Negation ¬ möglich.
III. Das Grundmodell der Rechtsanwendung
49
Dies gilt sowohl für den rechtserheblichen, als auch für den endgültigen Sachverhalt (wenn diese nicht zusammenfallen). Der Sachverhalt SV kann daher ähnlich dem endgültigen Tatbestand T beschrieben werden als:
(SV1)
SV =
(SE1.1 ∧ ∧ SE1.m )SO 1 ∧ ∧ (SE n.1 ∧ ∧ SE n.m )SO n ∧ (SR1 )SO SO ∧ ∧ (SRl )SO SO a b
i
j
Zu beachten ist, dass der Sachverhalt immer nur die Beschreibung eines konkreten Einzelfalls F ist. Die in SV enthaltenen Aussagen gelten ausschließlich in Bezug auf den einen, besonderen Fall F. Sie sind im Gegensatz zu Aussagen über den Tatbestand bzw. über einzelne Tatbestandselemente nicht allgemein gültig. Diese Beziehung zwischen dem Sachverhalt SV und dem Fall F wird durch eine Kennzeichnung mit dem logischen Operator ι beschrieben.122 Der Ausdruck SV1 ist daher zu erweitern um eine Beschreibung der Beziehung zwischen SV und F:123 SV = ι sv Fsv ( SV 2) Aus SV1 und SV2 ergibt sich:
(SV3)
ι sv Fsv =
(SE1.1 ∧ ∧ SE1.m )SO 1 ∧ ∧ (SE n.1 ∧ ∧ SE n.m )SO n ∧ (SR1 )SO SO ∧ ∧ (SRl )SO SO a b
i
j
3. Der Subsumtionsschluss Der Subsumtionsschluss ist die abschließende Unterordnung des (endgültigen) Sachverhalts SV unter den (endgültigen) Tatbestand T. Mit diesem ————— 122
Zur Kennzeichnung vgl. z.B. Herberger/Simon: Wissenschaftstheorie für Juristen, S. 159ff; Quine: Grundzüge der Logik, S. 276ff; Hasenjaeger: Einführung in die Grundbegriffe und Probleme der modernen Logik, Verlag Karl Alber, 1962, S. 102ff; Whitehead/Russel: Principia Mathematica, Suhrkamp Taschenbuch Verlag, 1986, stw 493, S. 46f. 123 ι sv Fsv ist dabei zu lesen als: „Genau der sv, der F ist“. Die Variable sv steht dabei für alle möglichen Sachverhalte. Durch den Operator ι wird ihr Geltungsbereich eingeschränkt auf genau jenen Sachverhalt, dem der Fall F zugeordnet ist.
50
C. Rechtsanwendung
Schluss wird überprüft, ob SV T erfüllt. Ist dies der Fall, dann ist TSV und der oben (vgl. S. 45) beschriebene Schluss auf die Rechtsfolge R ist möglich. Wie sieht nun ein solcher Schluss aus und wie kann er in das hier entwickelten Modell der Rechtsanwendung integriert werden? In der Judikatur finden sich zahlreiche Beispiele für Subsumtionsschlüsse. Einer124 davon soll der Ausgangspunkt für die Entwicklung einer formalen Beschreibung dieser Schlussform sein. In diesem Schluss wird ein konkretes Sachverhaltsobjekt SO („Mauer“) unter ein Tatbestandsobjekt TO („bauliche Anlage“) subsumiert: „Gemäß § 4 Z. 3 leg. cit.125 ist ein Bauwerk ein Objekt, dessen fachgerechte Herstellung ein wesentliches Maß an bautechnischen Kenntnissen erfordert und das mit dem Boden kraftschlüssig verbunden ist; laut Z. 4 dieser Bestimmung sind alle Bauwerke, die nicht Gebäude sind, bauliche Anlagen. Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass die Errichtung der gegenständlichen, 3 m hohen und parallel zur Grundgrenze verlaufenden Mauer aus Fertigbetonteilelementen zu ihrer fachgerechten Herstellung eines wesentlichen Maßes bautechnischer Kenntnisse bedarf, weil schon wegen des zu erwartenden Winddruckes die Verbindung der einzelnen Teile mit den Stahlrahmen wesentliche bautechnische und statische Kenntnisse erfordert. Schon auf Grund der in den Boden in Fundamenten eingelassenen I-Profile ist auch die kraftschlüssige Verbindung mit dem Boden gegeben. Die gegenständliche Anlage ist daher als bauliche Anlage im Sinne des § 4 Z. 4 NÖ BO 1996 zu qualifizieren.“
Auch wenn dieses Beispiel nur einen Teil des gesamten Subsumtionsvorgangs des Erkenntnisses enthält - es wird nur ein Sachverhaltsobjekt SOn unter ein Tatbestandsobjekt TOn subsumiert -, zeigt es die grundsätzliche Vorgangsweise bei der Zuordnung von Sachverhaltsobjekten zu Tatbestandsobjekten. Im Rahmen des Subsumtionsschlusses wird der endgültige Sachverhalt SV dem endgültigen Tatbestand T126 zugeordnet und festgestellt, ob dieser Sachverhalt als Fall127 des Tatbestands anzusehen ist. In dem genannten Beispiel wird festgestellt, dass das Sachverhaltsobjekt SO1 („Mauer“) als Fall des Tatbestandsobjekts TO1 („bauliche Anlage“) anzusehen ist. Dabei werden folgende Merkmale des endgültigen Sachverhalts und Tatbestands einander gegenübergestellt: ————— 124
VwGH 2000/05/0053, 29.8.2000. § 4 Z. 3 Bauordnung NÖ 1996 definiert ein Bauwerk als „ein Objekt, dessen fachgerechte Herstellung ein wesentliches Maß an bautechnischen Kenntnissen erfordert und das mit dem Boden kraftschlüssig verbunden ist“. 126 Die argumentative Gewinnung des endgültigen Tatbestands bzw. Sachverhalts wird unten S. 58 dargestellt. 127 Vgl. Larenz: Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 271; Pavþnik: Juristisches Verstehen und Entscheiden, S. 95ff. 125
III. Das Grundmodell der Rechtsanwendung TO1 kein Gebäude (TE1.1) kraftschlüssig mit dem Boden verbunden (TE1.2) Herstellung erfordert ein wesentliches Maß an bautechnischen Kenntnissen (TE1.3)
51
SO1 Mauer (SE1.1) in den Boden in Fundamente eingelassene I-Profile (SE1.2) Verbindung der Teile erfordert wesentliche bautechnische und statische Kenntnisse (SE1.3) 3 m hoch (SE1.4) Fertigteilelemente (SE1.5) parallel zur Grundgrenze (SE1.6)
Das Sachverhaltsobjekt SO1 enthält einige Sachverhaltseigenschaften SE1.m (z.B. „parallel zur Grundgrenze“), die im Rahmen des dargestellten Subsumtionsvorgangs keiner Tatbestandseigenschaft TE1.m von TO1 zugeordnet werden. Diese SE sind für den Subsumtionsschluss nicht von Bedeutung.128 Jene SE1.m, die in den Subsumtionsschluss einbezogen werden, werden mit der TE1.m verglichen, unter die sie subsumiert werden sollen. Es wird geprüft, ob SE1.m als Fall von TE1.m eingestuft werden kann. Ist dies nicht „streitig“129, so ist SE1.m als Fall von TE1.m zu qualifizieren. Kann hingegen diese Zuordnung auch nur bei einem einzigen TOn.m nicht vorgenommen werden, schlägt die Subsumtion fehl.130 Die Subsumtion einer SEn.m unter eine TEn.m ist keine rein formallogische131 Gleichsetzung von Begriffen, sondern eine wertende132 Tätigkeit. Durch den Rechtsanwender wird festgestellt, dass eine SEn.m ein Fall der TEn.m ist und diesem zugeordnet. Es handelt sich dabei nicht um eine Gleichsetzung133 der Begriffe, sondern um die Bewertung der SEn.m als eine konkrete Ausprägung dessen, was durch TEn.m beschrieben ist. Dem entsprechend wird diese wertende Zuordnung auch in dem genannten Beispiel durch Formulierungen ausgedrückt wie z.B.: „Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass ...“ oder „Schon auf Grund ... ist auch ... gegeben“. ————— 128 Sie sind jedoch u.U. für andere Schritte der Rechtsanwendung, z.B. argumentative Gewinnung von Sachverhaltselementen aus vorhandenen SEnm, Begründung von Rechtsfolgen, ... wesentlich. 129 Alexy: Theorie der juristischen Argumentation, S. 280 Regel J.2.4. 130 Vgl. das Beispiel aus OGH 7Ob222/00y vom 27.4.2001 einer verneinten Subsumtion (S. 59). 131 Vgl. aber Bydlinski: Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 396: „Der endgültige Subsumtionsvorgang ist eine nicht mehr spezifisch juristische, sondern logische Operation.“ Subsumtion wird in diesem Zusammenhang als die durch den Justizsyllogismus beschriebene Ableitung einer individualisierten Rechtsnorm aus der generellen Norm (Obersatz) verstanden. 132 Pavþnik: Juristisches Verstehen und Entscheiden, S. 20. 133 Vgl. zur Unzulässigkeit der Gleichsetzung von S und T Larenz: Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 271 FN 34.
52
C. Rechtsanwendung
Im dargestellten Beispiel ist es möglich, die Subsumtion erfolgreich durchzuführen, da für sämtliche Tatbestandseigenschaften TE1.n von TO1 eine Sachverhaltseigenschaft SE1.n von SO1 vorhanden ist, die als Fall der entsprechenden TE1.n angesehen werden kann. In einem „Einzelvergleich“134 der Merkmale werden die Tatbestandseigenschaften von TO1 und die Sachverhaltseigenschaften von SO1 gegenübergestellt. Neben Tatbestandselementen TEn.m können einem TOn auch Tatbestandsrelationen TRn zugeordnet sein. Diesen müssen für eine erfolgreiche Subsumtion ebenfalls die entsprechenden Sachverhaltsrelationen SRn eines SOn in SV gegenüberstehen. Da es im obigen Beispiel möglich ist, unter alle Tatbestandseigenschaften von TO1 jeweils eine Sachverhaltseigenschaft von SO1 zu subsumieren, kann in dem Erkenntnis abschließend festgestellt werden: „Die gegenständliche Anlage ist daher als bauliche Anlage im Sinne des § 4 Z. 4 NÖ BO 1996 zu qualifizieren.“ (SO1 ist als TO1 zu qualifizieren.) Der Subsumtionsschluss ist damit die wertende Zuordnung von Elementen des endgültigen Sachverhalts zu den Elementen des endgültigen Tatbestands. Er ist dann erfolgreich, wenn jeder Tatbestandseigenschaft und -relation jedes Tatbestandsobjekts TOn die entsprechende Sachverhaltseigenschaft bzw. Sachverhaltsrelation eines SOn gegenübersteht.135 Der erfolgreiche Subsumtionsschluss ist die Voraussetzung für den im Justizsyllogismus beschriebenen Schluss auf die Rechtsfolge R.
a) Eigenschaften des Subsumtionsschlusses Für die Subsumtion eines endgültigen Sachverhalts SV unter einen endgültigen Tatbestand T gilt daher: Ein Sachverhalt SV wird aus dem Fall in Hinblick auf eine Rechtsvorschrift durch normbezogene Strukturierung (= Ordnung) und normbezogene Beschreibung (= Deutung) gewonnen (vgl. S. 40).
————— 134
Bydlinski: Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 396. Larenz: Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 273 beschreibt das Schema dieses Schlusses wie folgt (S steht für den Sachverhalt): T ist vollständig gekennzeichnet durch die Merkmale M1, M2, M3. S weist die Merkmale M1, M2, M3auf. Also ist S ein Fall von T. 135
III. Das Grundmodell der Rechtsanwendung
53
Die Subsumtion ist möglich, wenn die Struktur des Tatbestands T mit der Struktur von SV übereinstimmt und die einzelnen Elemente von T dieselben Eigenschaften haben wie die des SV.
Abbildung 6: Subsumtion der Mauer unter „bauliche Anlage“
S1: Ein Sachverhalt SV kann unter einen Tatbestand T subsumiert werden, wenn SV und T in Struktur und Eigenschaften übereinstimmen. Die Ordnung bzw. Struktur des Sachverhalts wird durch die Sachverhaltsobjekte SOn in SV festgelegt, die des Tatbestands durch die Tatbestandsobjekte TOn. Bei der Subsumtion ist zu unterscheiden, ob in T gefordert wird, dass einem TOn ein entsprechendes SOn in SV zugeordnet werden muss (positives Tatbestandsobjekt), oder ob kein entsprechendes SOn vorhanden sein darf (negatives Tatbestandsobjekt) .136 ————— 136 Ein solches negatives Tatbestandsobjekt ist z.B. in Art. 5 des Europäischen Übereinkommen über die Adoption von Kindern (BGBl. 314/1980) zu finden. Dort wird in einer Variante des Tatbestands festgelegt, dass „wenn kein Elternteil vorhanden ist“ (negatives TOn) „die Zustimmung der Person oder Stelle, die insoweit zur Ausübung der elterlichen Rechte befugt ist“, erteilt werden muss.
54
C. Rechtsanwendung
Die Struktur des Sachverhalts SV stimmt mit der des Tatbestands T überein, wenn für jedes einzelne positive Tatbestandsobjekt TOn ein entsprechendes SOn in SV existiert und für jedes negative TOn in SV kein solches SOn vorhanden ist. Im Rahmen des Subsumtionsschlusses ist diese Überprüfung für jedes einzelne TOn vorzunehmen („Einzelvergleich“137).
Abbildung 7: Erfolgreiche Subsumtion bei positiven und negativen TOn
S2: Die Subsumtion eines Sachverhalts SV unter einen Tatbestand T ist möglich, wenn jedem positiven Tatbestandsobjekt TOn in T genau ein Sachverhaltsobjekt SOn in SV und jedem negativen Tatbestandsobjekt TOn in T kein Sachverhaltsobjekt SOn in SV zugeordnet werden kann. Da jedes Tatbestandsobjekt TOn in T ein von den anderen Tatbestandsobjekten verschiedenes Element beschreibt, kann ein Sachverhaltsobjekt SOn nur unter ein TOn subsumiert werden. Es ergibt sich daraus folgende zusätzliche Regel für den Subsumtionsschluss: S3: Ein Sachverhaltsobjekt SOn in SV kann nicht mehreren Tatbestandsobjekten TOn in T zugeordnet werden. Ein einzelnes SOn in SV kann unter ein Tatbestandsobjekt TOn subsumiert werden, wenn die Eigenschaften von SOn und die Beziehungen von SOn zu anderen SOm unter die von TOn subsumiert werden können. Diese Eigenschaften und Beziehungen werden durch die normbezogene Deutung bei der Sachverhaltsgewinnung festgestellt und durch die Sachverhaltseigenschaften SEn.m bzw. Sachverhaltsrelationen SRn beschrieben. Die Subsumtion eines SOn unter ein TOn ist daher die Prüfung, ob unter alle TEn.m und TRn von TOn eine Subsumtion von SEn.m bzw. SRn möglich ist. In diesem Zusammenhang ist ähnlich wie bei den Tatbestandsobjekten zwischen positiven und negativen Tatbestandseigenschaften TEn.m eines TOn zu ————— 137
Bydlinski: Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 396.
III. Das Grundmodell der Rechtsanwendung
55
unterscheiden. Positive TEn.m sind jene Tatbestandseigenschaften, denen für eine erfolgreiche Subsumtion auch eine Sachverhaltseigenschaft SEn.m von SOn zugeordnet werden muss. Ist dies nicht möglich, so scheitert die Subsumtion. Negative Tatbestandseigenschaften TEn.m sind solche, für die ein SOn zur erfolgreichen Subsumtion keine entsprechenden Sachverhaltseigenschaften SEn.m aufweisen darf. Ist eine solche SEn.m vorhanden, scheitert die Subsumtion. Gleiches gilt auch für positive und negative Tatbestandsrelationen TRn.
Abbildung 8: Positive TEn.m mit negativer Differenzierung und negative TEn.m
Ein Beispiel für solche negativen Tatbestandsmerkmale ist § 565 ABGB: „Der Wille des Erblassers muss ... frey von Zwang, Betrug, und wesentlichen Irrthume erkläret werden.“ Zu unterscheiden von negativen Tatbestandseigenschaften TEn.m sind jene negativen Definitionen von Tatbestandseigenschaften, mit denen eine bereits definierte Tatbestandseigenschaft in weitere Untereigenschaften differenziert wird. Über die Angabe einer zusätzlich Eigenschaft TEn.m wird unterschieden zwischen SOn, die eine TEn.m entsprechende SEn.m aufweisen, und jenen, die sie nicht aufweisen. Das Nichtvorhandensein einer Eigenschaft wird als Unterscheidungsmerkmal wie eine eigene (positive) TEn.m behandelt. Eine derartige negative Differenzierung ist in dem oben dargestellten Beispiel zu finden. Bauordnung NÖ 1996, § 4 Z. 4 legt fest, dass alle Bauwerke, die nicht Gebäude sind, bauliche Anlagen sind. Negative Differenzierungen sind wie positive Tatbestandseigenschaften TEn.m zu behandeln. Für die Subsumtion eines SOn unter ein TOn gilt daher: S4: Ein Sachverhaltsobjekt SOn kann unter ein Tatbestandsobjekt TOn genau dann zugeordnet werden, -
wenn jeder einzelnen der positiven Tatbestandseigenschaften TEn.m von TOn eine Sachverhaltseigenschaft SEn.m von SOn zugeordnet werden kann;
56
C. Rechtsanwendung
-
wenn unter jede der positiven Tatbestandsrelation TRn, die TOn zugeordnet ist, eine Sachverhaltsrelation SRn, die SOn zugeordnet ist, subsumiert werden kann;
-
wenn keiner einzigen der negativen Tatbestandseigenschaften TEn.m von TOn eine Sachverhaltseigenschaft SEn.m von SOn zugeordnet werden kann;
-
wenn unter keine der negativen Tatbestandsrelation TRn, die TOn zugeordnet ist, eine Sachverhaltsrelation SRn, die SOn zugeordnet ist, subsumiert werden kann.
Abbildung 9: Ebenen der Subsumtion
Der Subsumtionsschluss TSV kann damit in drei Schlussebenen unterteilt werden, die auf einander aufbauen: (1) Die Subsumtion der einzelnen SEn.m und SRn eines Sachverhaltsobjekts SOn unter die TEn.m und TRn eines Tatbestandsobjekts TOn. (2) Der Subsumtion von SOn unter TOn durch Überprüfung, ob unter alle TEnm und TRn von TOn entsprechende SEnm und SRn von SOn erfolgreich subsumiert wurden. (3) Die Subsumtion von SV unter T durch Überprüfung, ob unter alle TOn von T entsprechende SOn von SV subsumiert wurden. Wurden die Subsumtionsschlüsse in allen drei Ebenen erfolgreich durchgeführt, so kann auf die Rechtsfolge R für den durch den Sachverhalt SV beschriebenen Fall F geschlossen werden. Es gilt dann TSV → R138.
————— 138
Bei Verwendung einer Kennzeichnung ι gilt: ι sv Fsv ∧ Tsv → R.
III. Das Grundmodell der Rechtsanwendung
57
b) Ein formales Modell des Subsumtionsschlusses Mit Hilfe der Prädikatenlogik139 lassen sich die Subsumtionsschlüsse der einzelnen Ebenen darstellen als:
(S1)
∧ (TOn ) SOn → TSV TOn ∈T , SOn ∈SV
Dabei bedeutet:140 TOn ∈ T
TOn ist ein Tatbestandsobjekt aus T
SOn ∈ SV
SOn ist ein Sachverhaltsobjekt aus SV
∧
∧-Verknüpfung aller Elemente
(S1) ist daher zu lesen als: Wenn für alle TOn aus T gilt, dass SOn aus SV ein TOn ist, dann folgt daraus TSV. Ähnlich ist auch die Darstellung des Subsumtionsschlusses der zweiten Ebene für ein Tatbestandsobjekt TOn in Bezug auf ein Sachverhaltsobjekt SOn: § · ∧ SE n,m ⊂ TE n,m ∧ ¸ ¨ ¨ TEn,m∈TOn , SEn,m∈SOn ¸ ( S 2) ¨ ¸ → (TOn ) SOn ¨¨ ¸¸ ∧ SRn ⊂ TRn © TRn∈TOn , SRn∈SOn ¹ Dabei steht ⊂ für den Subsumtionsschluss, bei dem zwischen positiven und negativen TEn.m bzw. TRn unterschieden wird: ( S 2 a)
° pos.TE
(TE n,m ) SEn,m ( SE n,m ist ein TE n,m )
°¯ neg.TE
¬∃(TE n,m ) SE
SE n,m ⊂ TE n,m ®
n,m
(Kein SE n, m ist ein TE n, m )
(S2) ist daher zu lesen als: -
Wenn für jedes positiven TEn.m eines TOn ein SEn.m von SOn vorhanden ist, das ein TEn.m ist;
-
wenn für kein negatives TEn.m ein SEn.m von SOn vorhanden ist, das ein TEn.m ist;
wenn für jede positive TRn,m, die einem TOn zugeordnet ist, eine SRn.m von SOn vorhanden ist, die eine TRn.m ist; ————— -
139
TSV kann gelesen werden als „SV ist ein (Fall von) T“.
n A vgl. z.B. Hasenjaeger: Einführung in die Grundbei =1 i griffe und Probleme der modernen Logik, S 43: „Diese Funktion beschreibt ... das Wahrheitsverhalten derjenigen Verbindung einer Folge von Aussagen Ai, welche alle Glieder der Folge zugleich behauptet“ 140
Zur Verwendung des Operators ∧
58 -
C. Rechtsanwendung
wenn für keine negative TRn.m eine SRn.m von SOn vorhanden ist, die eine TRn,m ist,
dann folgt daraus (TOn)SOn. Durch Einsetzen von (S2) in (S1) ergibt sich dann für den gesamten Subsumtionsschluss: § · ∧ SE n,m ⊂ TE n, m ∧ ¸ ¨ ∈ ∈ TE TO SE SO , n n ,m n ¨ n ,m ¸ ∧ ( S 3) ¸ → TSV TOn ∈T , SOn ∈ SV ¨ ¨¨ ¸¸ ∧ SRn ⊂ TRn © TRn∈TOn , SRn∈SOn ¹ (S3) ist zu lesen als: Wenn für alle Tatbestandsobjekte TOn eines Tatbestands T und die entsprechenden Sachverhaltsobjekte SOn des Sachverhalts SV der in (S2) beschriebene Subsumtionsschluss zutrifft, dann folgt daraus TSV.
IV. Rechtsanwendung und juristische Argumentation Weder das gerade beschriebene Modell des Subsumtionsschlusses noch der oben dargestellte Justizsyllogismus (vgl. S. 45) berücksichtigen juristische Argumentation und die damit verbundene Entfaltung von Tatbestand oder - wie das folgende Beispiel zeigt - Sachverhalt. Eine argumentative Entfaltung des Tatbestands liegt immer dann vor, wenn der Ausgangstatbestand nicht mit dem endgültigen Tatbestand, der für den Subsumtionsschluss herangezogen wird, übereinstimmt. Der Sachverhalt wird im Rahmen der Rechtsanwendung entfaltet, wenn der endgültige Sachverhalt, der im Subsumtionsschluss dem endgültigen Tatbestand untergeordnet wird, nicht ident ist mit dem rechtserheblichen Sachverhalt. Im Folgenden wird das bereits entwickelte Modell der Rechtsanwendung, das aus dem Justizsyllogismus und dem Subsumtionsschluss besteht, um die argumentative Entfaltung erweitert. Ausgangspunkt dafür ist wieder ein Beispiel für Rechtsanwendung, das einer Entscheidung des OGH entnommen ist. Es ergänzt jenes aus dem Erkenntnis des VwGH (vgl. S. 50), in dem „Mauer“ unter „bauliche Anlage“ subsumiert wurde und das ebenfalls ein Beispiel für die argumentative Entfaltung des Tatbestands ist.
IV. Rechtsanwendung und juristische Argumentation
59
In der Entscheidung OGH 7Ob222/00y vom 27. 4. 2001141 ist zu entscheiden, ob eine „Rampe“ als „Gebäude“ einzuordnen ist. Die Subsumtion ist nicht möglich und wird verneint:
Abbildung 10: Verneinte Subsumtion der Rampe unter Gebäude „Diese Rampe wurde im Jahre 1981 errichtet. Diese befand sich schon im Zeitpunkt der Versteigerung etwa in dem Zustand, in dem sie sich heute befindet. Es handelt sich dabei um eine mit dem Gebäude fest verbundene Konstruktion aus einem Metallgestänge (Rohre samt Verschraubungen) und einer (darauf liegenden) Holzlattung. Die Rampe führt zu einem Eingang in das Gebäude. Sie ist zumindest stellenweise
————— 141
Auf S. 42 wurde bereits ein Teil des Entscheidungstextes zitiert.
60
C. Rechtsanwendung mit dem Grund, auf welchem sie sich befindet, fest verbunden. Sie weist eine Länge von 9,38 m auf und an der breitesten Stelle eine Breite von 2,46 m. Der nördliche Teil der Rampe ragt mit einer Breite von 1,06 m in das dem Kläger gehörende Grundstück 1054/1. Der Rest der Rampe befindet sich auf dem dem Beklagten gehörigen Grundstück 1054/2. ... Voraussetzung dafür ist aber die Errichtung eines Gebäudes oder eines in der Wertigkeit nach der Verkehrsanschauung gleich zu haltenden Bauwerks. Wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat, bedarf es daher im vorliegenden Fall der Klärung der Frage, ob durch das Aufstellen einer Rampe - offensichtlich zur Erleichterung der Beladung mittels Kraftfahrzeugen - ein ‚Gebäude‘ im Sinn des § 418 ABGB errichtet wurde. Dies ist im konkreten Fall zu verneinen. Gebäude ist jedes grundfeste, für die Dauer bestimmte Bauwerk, wie Haus, Kapelle, Schuppen und Keller, .... Im vorliegenden Fall wurde dem Mieter des Rechtsvorgänger der Streitteile gestattet, eine ‚Rampe‘ am gemieteten Haus anzubringen. Aus den Lichtbildern Beilage B ist ersichtlich, dass es sich dabei um ein Stahlrohrgestell mit aufgelegten Holzbrettern in Art eines Holzsteges, wie er bei Baugerüsten verwendet wird, handelt, der ohne größeren wirtschaftlichen Aufwand wieder entfernt werden kann. .... Aus der Bauweise (Stahlgestell mit Holzbrettern) sowie der Rechtsgrundlage bei Errichtung der ‚Rampe‘ (Gestattung der Aufstellung der Konstruktion im Rahmen eines Mietverhältnisses offensichtlich auf dessen Dauer) ist vielmehr auf die begrenzte Dauer zu schließen (vgl. Spielbüchler in Rummel ABGB3 Rz 4 zu § 297).“
In diesem Beispiel sind deutlich zwei unterschiedliche Ebenen der Argumentation zu erkennen: -
generelle, tatbestandsbezogene Argumentation und
-
spezielle, fallbezogene Argumentation.
1. Generelle Argumentation Auf der Ebene der generellen Argumentation werden Aussagen getroffen, die unabhängig vom Einzelfall, der unter den Tatbestand T subsumiert werden soll, gültig sind. Diese Aussagen sind allgemein gültig. In den beiden angeführten Beispielen sind dies Aussagen wie: -
Gebäude ist jedes grundfeste, für die Dauer bestimmte Bauwerk, wie Haus, Kapelle, Schuppen und Keller, ....
-
Gemäß § 4 Z. 3 leg. cit. ist ein Bauwerk ein Objekt, dessen fachgerechte Herstellung ein wesentliches Maß an bautechnischen Kenntnissen erfordert und das mit dem Boden kraftschlüssig verbunden ist;
-
Gemäß Z. 4 dieser Bestimmung sind alle Bauwerke, die nicht Gebäude sind, bauliche Anlagen.
IV. Rechtsanwendung und juristische Argumentation
61
Diese Aussagen sind unabhängig vom konkreten Sachverhalt und dienen der Interpretation der generellen Voraussetzungen für das Eintreten einer Rechtsfolge, des Tatbestands T. Sie dienen der Ableitung einer abgeänderten, generellen Beschreibung von Voraussetzungen für die Rechtsfolge R. Im obigen Beispiel ist unter Anderem das Vorhandensein eines Gebäudes Voraussetzung für R. Es gilt damit für alle Sachverhalte SV: ∀ sv Gebäude ∧ … → R. 142
Da für jedes Gebäude gilt , dass es ein grundfestes, für die Dauer bestimmtes Bauwerk ist143, leitet der OGH ab, dass das Vorliegen eines solchen Bauwerks Voraussetzung für den Eintritt von R ist. Er leitet daher folgende Regel, die wieder für alle Sachverhalte gilt, ab: ∀ sv grundfestes, für die Dauer bestimmtes Bauwerk → R.
Aus einer generellen Tatbestandsaussage wird eine weitere, ebenfalls generelle Voraussetzung für R abgeleitet. Ähnlich auch der VwGH, wenn er aus der Legaldefinition des § 4 Z. 3 NÖ BauO 1996 für alle Sachverhalte SV ableitet, dass „Bauwerk“ im Tatbestand T der generellen Norm ∀ sv Bauwerk ∧ … → R
durch die in der Definition genannten Merkmale ersetzt werden kann und damit folgendes gilt: ∀ sv
Objekt, dessen fachgerechte Herstellung ein wesentliches Maß ∧ … → R an bautechnischen Kenntnissen erfordert und das mit dem Boden kraftschlüssig verbunden ist
In jedem dieser Argumentationsschritte wird aus dem Tatbestand T einer generellen Rechtsnorm mittels allgemein gültiger Aussagen ein abgeänderter Tatbestand einer generellen Rechtsnorm abgeleitet. Diese Aussagen beziehen sich nicht auf Merkmale eines konkreten Sachverhalts, auch wenn in Hinblick auf einen solchen argumentiert wird. Die generelle Argumentation ist damit unabhängig von einem konkreten Fall bzw. Sachverhalt gültig. Das Ergebnis jedes Argumentationsschritts ist daher auch eine generelle Norm. Die Schwierigkeit bei dieser Form der Argumentation ist, dass die zur Ableitung der generellen Norm verwendeten Aussagen auch tatsächlich allgemein gültig sind. Der bei der Begründung notwendige Aufwand ist daher im Allge————— 142 143
Der OGH leitet dies aus der ständigen Rechtsprechung und herrschenden Lehre ab. Es gilt daher: ∀ sv grundfestes, für die Dauer bestimmtes Bauwerk → Gebäude.
62
C. Rechtsanwendung
meinen wesentlich größer als bei fallbezogener Argumentation, da ja die Richtigkeit nicht nur für einen Einzelfall, sondern für alle möglichen Fälle sichergestellt werden muss. Generelle Argumentation wird daher - wie in den dargestellten Beispielen – häufig angewendet, wenn bereits auf unstrittige generelle Aussagen, wie z.B. Legaldefinitionen oder Vorjudikatur bzw. eine entsprechende herrschende Lehre zurückgegriffen werden kann.144
2. Fallbezogene Argumentation Im Gegensatz zur generellen Argumentation werden bei der fallbezogenen Argumentation Aussagen abgeleitet, die ausschließlich für den Sachverhalt SV, der unter einen Tatbestand T subsumiert werden soll, gelten. In den oben dargestellten Beispielen sind solche fallbezogenen Argumentationen: -
Aus der Bauweise ... sowie der Rechtsgrundlage bei Errichtung der „Rampe“ ... ist vielmehr auf die begrenzte Dauer zu schließen.
-
Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass die Errichtung der ... Mauer ... eines wesentlichen Maßes bautechnischer Kenntnisse bedarf, weil schon wegen des zu erwartenden Winddruckes die Verbindung der einzelnen Teile mit den Stahlrahmen wesentliche bautechnische und statische Kenntnisse erfordert.
-
Schon auf Grund der in den Boden in Fundamenten eingelassenen I-Profile ist auch die kraftschlüssige Verbindung mit dem Boden gegeben.
Aus Merkmalen des konkreten Sachverhalts SV werden - in Hinblick auf den Tatbestand T, unter den SV subsumiert werden soll – zusätzliche Aussagen über SV abgeleitet. Diese können dann als neue Merkmale bei der Subsumtion berücksichtigt werden oder sind „Zwischenergebnisse“ in der Argumentationskette, aus denen weitere Merkmale von SV gewonnen werden können. Aussagen, die im Rahmen einer fallbezogenen Argumentation gewonnen werden, betreffen nur den konkreten Sachverhalt bzw. den Einzelfall, der durch
————— 144 Dies ist z.B. bei Alexy: Theorie der juristischen Argumentation, S. 276f in dem dargestellten Beispiel für die Entfaltung des Tatbestands der Fall. Sämtliche Argumentationsschritte werden durch Verweise auf Judikatur des BGH bzw. Literatur begründet.
IV. Rechtsanwendung und juristische Argumentation
63
SV beschrieben wird. Es wird keine allgemeine Gültigkeit wie bei der generellen Argumentation beansprucht.145 In formalen Darstellungen wird daher jede dieser Aussagen als eingeschränkt (ι sv Fsv) auf den Einzelfall gekennzeichnet: ι sv Fsv Bauweise ∧ Rechtsgrundlage → begrenzte Dauer.
Da fallbezogene Argumentation nicht allgemein - also für alle möglichen SV - gültig, sondern nur im Rahmen des konkreten Sachverhalts richtig sein muss, ist der notwendige Aufwand bei der Begründung im Allgemeinen geringer als bei genereller Argumentation.
3. Entfaltung von Tatbestand und Sachverhalt Im Rahmen der Rechtsanwendung werden - wie die beiden Beispiele aus Entscheidungen zeigen - sowohl fallbezogene, als auch generelle juristische Argumente verwendet, um aus dem Ausgangstatbestand den endgültigen Tatbestand bzw. aus dem rechtserheblichen Sachverhalt den endgültigen SV zu gewinnen. Welche Argumentationsform gewählt wird, hängt wesentlich von den Fragestellungen des Einzelfalls und dem mit der Begründung der einzelnen Argumentationsschritte verbundenen Aufwand ab.146 Arg1: Fallbezogene und generelle Argumentation sind im Rahmen der Rechtsanwendung gleichwertig. Engisch (vgl. S. 7) und Alexy (vgl. S. 15) beschreiben die Argumentation für die Tatbestandsebene mit dem Modell der Entfaltung. Durch generelle Argumente147 werden einzelne Tatbestandsmerkmale auf den Sachverhalt SV bzw. auf bestimmte Sachverhaltsmerkmale hin entfaltet. ————— 145 Auch wenn solche Argumentation auf den Einzelfall abzielt, kann sie im Rahmen juristischer Argumentation zur Begründung von generellen Argumentationsschritten z.B. durch Verweis auf die ständige Rechtsprechung herangezogen werden. 146 Grundsätzlich können generelle Argumente in fallbezogene umgewandelt werden. So kann aus ∀ sv grundfestes, für die Dauer bestimmtes Bauwerk → Gebäude durch Einschränkung auf den konkreten Fall ι sv Fsv geschlossen werden auf: ι sv Fsv grundfestes, für die Dauer bestimmtes Bauwerk → Gebäude. Für den Schritt in die entgegengesetzte Richtung, die Gewinnung einer generellen Aussage aus einer fallbezogenen, ist der Aufwand im Allgemeinen größer, da meist zusätzliche Aussagen über den Geltungsbereich der allgemeinen Aussage notwendig sind. 147 Alexy nennt die zur Entfaltung einzelner Tatbestandsmerkmale verwendeten Argumente „Wortgebrauchsregeln“ (vgl. S. 18).
64
C. Rechtsanwendung
Neben dieser Entfaltung des Tatbestands auf den Sachverhalt hin ist auch die Entfaltung des Sachverhalts auf den Tatbestand hin möglich. Während bei der ersten Art der Entfaltung generelle Argumente verwendet werden, wird auf der Ebene des Sachverhalts fallbezogen argumentiert. Im Allgemeinen wird im Rahmen der Rechtsanwendung auf beiden Ebenen argumentiert und sowohl der Tatbestand auf den (u.U. bereits entfalteten) Sachverhalt, als auch der Sachverhalt auf den (u.U. bereits entfalteten) Tatbestand hin entfaltet.148 So auch bei der Subsumtion von „Mauer“ unter „bauliche Anlage“ durch den VwGH im ersten Beispiel. Sowohl Tatbestand als auch Sachverhalt werden entfaltet. Ausgegangen wird dabei von einem Tatbestand T, der ein Tatbestandsobjekt TO1 mit der Eigenschaft TE1.1 = Bauwerk enthält. Die Entfaltungsschritte sind: (1) Ausgangstatbestand149: TO1 mit TE1.1 = Bauwerk. (2) Rechtserheblicher Sachverhalt: SO1 mit SE1.1 = Mauer, SE1.2 = 3m hoch, SE1.3 = Fertigteilelemente, SE1.4 = in den Boden in Fundamente eingelassene I-Profile, SE1.5 = parallel zur Grundgrenze. (3) Entfaltung (Tatbestand): Aus einer Legaldefinition150 ergibt sich für die Eigenschaften von TO1 auf der nächsten Entfaltungsstufe mit TE1.1 = Bauwerk: TE1.2 = fachgerechte Herstellung erfordert ein wesentliches Maß an bautechnischen Kenntnissen ∧ TE1.3 = kraftschlüssig mit dem Boden verbunden. (4) Entfaltung (Tatbestand): Aus einer Legaldefinition 151 für TO1, das als „bauliche Anlage“ eingeordnet wird, folgt noch eine weitere Tatbestandseigenschaft (TE1.4 = ¬Gebäude):
————— 148 Dieser Vorgang der Entfaltung von Tatbestand und Sachverhalt auf einander wurde von Engisch als „Hin- und Herwandern des Blicks zwischen Obersatz und Lebenssachverhalt“ (Engisch: Logische Studien zur Gesetzesanwendung, S. 14f) bezeichnet. 149 Es wird nur jenes Tatbestandsobjekt TO1 und Sachverhaltsobjekt SO1 angeführt, das für das Beispiel von Bedeutung ist. 150 ∀ sv Bauwerk → fachgerechte Herstellung erfordert ein wesentliches Maß an bautechnischen Kenntnissen ∧ kraftschlüssig mit dem Boden verbunden. 151 Ein „Bauwerk“ ist entweder ein „Gebäude“ oder eine „bauliche Anlage“.
IV. Rechtsanwendung und juristische Argumentation
65
TE1.2 = fachgerechte Herstellung erfordert ein wesentliches Maß an bautechnischen Kenntnissen ∧ TE1.3 = kraftschlüssig mit dem Boden verbunden ∧ TE1.4 = ¬Gebäude. (5) Entfaltung (Sachverhalt): Es wird aus Eigenschaften von SO1 (Fertigteilelemente [SE1.3], „Winddruck“152) abgeleitet: SE1.6 = Verbindung der Teile erfordert wesentliche bautechnische und statische Kenntnisse.
Abbildung 11: Entfaltung von T und SV
Nach diesen Entfaltungsschritten ist die Subsumtion von SO1 unter TO1 durch Einzelvergleich der Tatbestandseigenschaften und Sachverhaltseigenschaften möglich153 Der endgültige Tatbestand wurde gebildet und die für die Subsumtion relevanten Tatbestandseigenschaften von TO1 sind nun: TE1.2 ∧ TE1.3 ∧ TE1.4. Im endgültigen Sachverhalt hat SO1 zusätzlich zu den Sachverhaltseigenschaften des rechtserheblichen Sachverhalts eine weitere Eigenschaft: SE1.6. Für die Subsumtion sind SE1.2 und SE1.3, aus denen SE1.6 entfaltet wurde, nicht mehr von Bedeutung. ————— 152 Das Argument des zu erwartenden Winddrucks baut - auch wenn das nicht ausdrücklich in der Entscheidung angeführt wird - auf der Höhe der Mauerelemente (3 m [= SE1.2]) auf. Wäre die Mauer z.B. nur 10 cm hoch, wäre der Winddruck vernachlässigbar. 153 Es wird subsumiert: SE1.1 ⊂ TE1.4, SE1.6 ⊂ TE1.2, SE1.4 ⊂ TE1.3.
66
C. Rechtsanwendung
Deutlich erkennbar an diesem Beispiel ist, dass die argumentative Entfaltung nur Tatbestandseigenschaften TE1.m und Sachverhaltseigenschaften SE1.m betrifft. Es werden TO1 neue TE1.m hinzugefügt, die dann in einem Zwischentatbestand oder im endgültigen Tatbestand die TE1.m ersetzen können, aus denen sie abgeleitet wurden. Im obigen Beispiel wurde aus TE1.1 TE1.2 und TE1.3 abgeleitet. Diese beiden Tatbestandseigenschaften ersetzen im abgeleiteten Zwischentatbestand TE1.1. Zusätzlich wird im zweiten Entfaltungsschritt noch ein Kriterium zur Unterscheidung zwischen „baulicher Anlage“ und „Gebäude“ eingeführt. Diese Tatbestandseigenschaft TE1.4 wird zusätzlich zu TE1.2 und TE1.3 aus dem Zwischentatbestand in den endgültigen Tatbestand übernommen. Gleiches würde für Tatbestandsrelationen TRn und Sachverhaltsrelationen SRn gelten. Arg2: Durch die argumentative Entfaltung des Tatbestands werden Tatbestandsobjekten TOn neue Tatbestandseigenschaften TEn.m und neue Tatbestandsrelationen TRn hinzugefügt. Es ist dabei möglich, dass in einem abgeleiteten Tatbestand die neuen Elemente die alten ersetzen oder dass sie T erweitern. Ebenso werden neue Sachverhaltseigenschaften SE1.m abgeleitet, die neben die anderen SE1.m gestellt werden. Bei der Subsumtion ist es möglich, dass einzelne SEn.m oder SRn - z.B. SE1.2 und SE1.3 im obigen Beispiel - nicht beachtet werden, wenn ein abgeleitetes Sachverhaltselement bereits unter ein entsprechendes Tatbestandselement subsumiert werden kann. Darin unterscheidet sich der Sachverhalt SV vom Tatbestand T, bei dem für alle Elemente eine Subsumtion erfolgreich durchgeführt werden muss. Arg3: Durch die argumentative Entfaltung des Sachverhalts werden zu Sachverhaltsobjekten SOn neue Sachverhaltseigenschaften SEnm und neue Sachverhaltsrelationen SRn hinzugefügt. Tatbestandsobjekt TOn und Sachverhaltsobjekte SOn werden im Rahmen der argumentativen Entfaltung nicht erzeugt. Dies deshalb, weil die grundlegende Struktur des Tatbestands - die Tatbestandsobjekte TOn - bereits im Ausgangstatbestand durch den Normsetzer abschließend festgelegt ist. Der rechtserhebliche Sachverhalt wiederum wurde in Hinblick auf die Struktur des Ausgangstatbestands festgestellt, so dass auch seine Grundstruktur - die Sachverhaltsobjekte SOn - indirekt durch den Ausgangstatbestand definiert ist. Arg4: Die grundlegende Struktur von Tatbestand T und Sachverhalt SV wird durch die argumentative Entfaltung nicht verändert.
IV. Rechtsanwendung und juristische Argumentation
67
Da fallbezogene und generelle Argumentation gleichwertig sind, ist auch die Entfaltung des Sachverhalts gleichwertig der Entfaltung der Tatbestands. Es wäre im obigen Beispiel für den VwGH auch möglich gewesen, auf die Ableitung der Sachverhaltseigenschaft SE1.6 aus anderen SE1.n zu verzichten. Dann hätte er ein oder mehrere TE1.n entfaltet. Dazu wäre aber die Definition von einer oder mehreren generell gültigen „Wortgebrauchsregeln“ notwendig. Eine solche generelle Regel könnte dann die Form der Fertigelemente, den zu erwartenden Winddruck, notwendige statische Kenntnisse, ... in allgemeiner Form berücksichtigen. Der argumentative Aufwand wäre wahrscheinlich größer als bei der vom VwGH gewählten Vorgangsweise, so dass in der Entscheidung auf der Ebene des Sachverhalts argumentiert wird.
Abbildung 12: Entfaltung und Subsumtion
Arg5: Die argumentative Entfaltung des Tatbestands und die Entfaltung des Sachverhalts sind im Rahmen der Rechtsanwendung gleichwertig. Unabhängig davon, ob auf der Ebene des Tatbestands oder des Sachverhalts entfaltet wird, gilt die Forderung von Alexy154, dass möglichst viele Entfaltungsschritte im Rahmen juristischer Argumentation anzugeben sind. Dies dient der Klarheit und Nachvollziehbarkeit juristischer Argumentation.
————— 154
Alexy: Theorie der juristischen Argumentation, S. 280. Vgl. S. 19.
68
C. Rechtsanwendung
Jedenfalls sind so viele Entfaltungsschritte durchzuführen, dass die Subsumtion der einzelnen Sachverhaltselemente unter die Tatbestandselemente zweifelsfrei durchgeführt werden kann oder unstrittig verneint werden muss.
a) Tatbestand Der Ausgangstatbestand T einer Rechtsnorm wird formal beschrieben als (vgl. S. 47): T = (TE1.1 ∧ ( ∨,)TE1.m )TO 1 ∧ (∨,)∧ (∨,) (TE n.1 ∧ (∨,)TE n.m )TOn ∧ (∨,) (TR1 )TO TO a b ∧ (∨,)∧ (∨,) (TRl )TO TO i j
Die Beschreibung eines Zwischentatbestands lautet gleich, wobei im Folgenden ein Zwischentatbestand als Tn bezeichnet wird. n dient dabei als Zähler der einzelnen Zwischentatbestände. Das Ergebnis des ersten Entfaltungsschrittes ist der erste Zwischentatbestand T1. Für den endgültigen Tatbestand Te, der zugleich auch der letzte Tn in der Kette der entfalteten Tatbestände ist, gilt, dass er nur mehr ∧-Verknüpfungen enthält und andere logische Operatoren nicht enthalten sind. Er lautet daher (vgl. S. 48): T = (TE1.1 ∧ (∨,)TE1.m )TO ∧∧ (TE n.1 ∧ (∨,)TE n.m )TO n 1 ∧ (TR1 )TO TO ∧ ∧ (TRl )TO TO a b i j
Für den Übergang von T oder einem Tn zu dem daraus abgeleiteten Tn+1 sind folgende Veränderungen möglich: (1) Auswahl eines TEn.m oder einer TRn: Mehrere TEn.m oder TRn sind in T bzw. Tn mit anderen logischen Operatoren als ∧ verknüpft. Eines oder mehrere dieser Elemente werden ausgewählt, so dass entweder nur mehr dieses eine in Tn+1 enthalten ist oder mehrere mit ∧ verknüpfte Elemente in Tn+1 übrigbleiben.155 ————— 155 Vgl. z.B. das auf S. 17 beschriebene Beispiel der Entfaltung eines Tatbestands auf einen Sachverhalt hin aus Alexy: Theorie der juristischen Argumentation, S. 276ff. Beim Übergang von (3) aus (4) wird aus 9 Merkmalen M1nx, die durch Entfaltung gewonnen wurden und mit ∨
IV. Rechtsanwendung und juristische Argumentation
69
Die „Wortgebrauchsregel“ für diese Vorgangsweise lautet156: TEn.m ∨ TEn.m ... → TEn.m
(2) Ersetzen von TEn.m oder TRn: Durch Angabe einer generellen Regel („Wortgebrauchsregel“) werden ein oder mehrere TEn.m bzw. TRn abgeleitet: n+1
TEaltn.m ∧ ... → TEneun.m ∧ ....
In T ersetzen diese Elemente TEneun.m bzw. TRneun die TEaltn.m bzw. die TRaltn in Tn, aus denen sie abgeleitet wurden. Die Anzahl der neuen Elemente kann sich von der Zahl der ersetzten TEn.m bzw. TRn unterscheiden. In vielen Fällen wird gerade bei der Entfaltung der Tatbestandselemente die Zahl der Elemente durch die argumentative Annäherung an die Details des Sachverhalts vergrößert. So auch im obigen = Bauwerk auf zwei Beispiel, bei dem ein TE1.1 Tatbestandseigenschaften157 entfaltet wird. (3) Spezialisierung durch Hinzufügen eines TEn.m oder einer TRn: Einem TOn wird eine oder mehrere TEn.m bzw. TRn hinzugefügt, um Fallunterscheidungen zu treffen. So z.B. im obigen Beispiel die Differenzierung zwischen „ baulicher Anlage“ und „Gebäude“. Die „ Wortgebrauchsregel“ hat folgenden Aufbau: TEaltn.m ∧ TEaltn.m+1 ∧ ... → TEneun.x ∧ TEaltn.m ∧ TEaltn.m+1 ∧ ....
b) Sachverhalt Der rechtserhebliche Sachverhalt (vgl. S. 49) kann beschrieben werden als: SV = (SE1.1 ∧ SE1.m )TO ∧∧ ( SE n.1 ∧ SE n.m ) SO n 1 ∧ ( SR1 ) SO SO ∧ ∧ ( SRl ) SO SO a b i j
Da der Sachverhalt nur ∧-Verknüpfungen enthalten kann, beschreibt diese Formel auch die in den einzelnen Entfaltungsschritten erhaltenen Zwischensachverhalte. Sie werden analog zu den Zwischentatbeständen gekennzeichnet als SVn. Der endgültige Sachverhalt wird als SVe bezeichnet.
————— verknüpft sind, in einem Zwischentatbestand das Merkmal M15x ausgewählt und in T als einziges Merkmal übernommen. 156 Es werden im Folgenden nur Beispiele für „Wortgebrauchsregeln“ mit Tatbestandseigenschaften TEn.m angegeben. Die Regeln für Tatbestandsrelationen TRn sind analog aufgebaut. 157 TE1.2 = fachgerechte Herstellung erfordert ein wesentliches Maß an bautechnischen Kenntnissen ∧ TE1.3 = kraftschlüssig mit dem Boden verbunden.
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C. Rechtsanwendung
Im Rahmen der Entfaltung auf den Tatbestand hin werden neu abgeleitete Sachverhaltselemente (SEn.m, SRn) den einzelnen Sachverhaltsobjekten SOn hinzugefügt: neu SE nalt .m ∧→ SE n.m ∧
Die neuen SEn.m und SRn erweitern den Sachverhalt. So im obigen Beispiel die Sachverhaltseigenschaft SE1.6158, die aus SE1.2 und SE1.3 abgeleitet wird. Auch wenn SE1.2 und SE1.3 in der Folge beim Einzelvergleich mit den Tatbestandseigenschaften nicht mehr berücksichtigt werden, sind sie noch immer im endgültigen Sachverhalt SVe enthalten.159
————— 158
SE1.6 = Verbindung der Teile erfordert wesentliche bautechnische und statische Kenntnisse. Im Gegensatz zur Entfaltung von Tatbestandselementen, die im Rahmen der Entfaltung ersetzt werden können. 159
D. Juristische Arbeitsteilung I. Rechtsanwendung und ähnliche Sachverhalte Das Modell der Rechtsanwendung stellt die Subsumtion eines Sachverhalts SV, der den Fall F beschreibt, unter den Tatbestand T einer Rechtsnorm und die Ableitung einer individualisierten Rechtsfolge R dar. In diesem Modell wird jede Rechtsanwendung als Einzelfall dargestellt. Jede einzelne Anwendung einer Rechtsnorm auf einen konkreten Fall wird als „einzigartiger“ Vorgang juristischer Argumentation betrachtet. Parallelen in der Argumentation zu anderen Fällen, auf die die Rechtsnorm bereits angewendet wurde, werden nicht weiter berücksichtigt.
Abbildung 13: Ähnlicher Sachverhalt zu einem Te
Auch wenn für mehrere ähnliche160 Sachverhalte SV1, SV2, ... die Entfaltung des Tatbestands T zum gleichen endgültigen Tatbestand Te führt, werden die einzelnen Schritte der generellen Argumentation für jede einzelne Anwendung der Rechtsnorm auf einen Sachverhalt gleich beschrieben. U.U. wurde aber für ————— 160
Ein Sachverhalt SV2 ist einem anderen (SV1) ähnlich, wenn er dieselbe Struktur wie dieser aufweist, und im Rahmen der Rechtsanwendung auf denselben endgültigen Tatbestand Te hin entfaltet wird. „Ähnlichkeit“ ist keine absolut definierte Beziehung, sondern ist vom verwendeten Vergleichsmaßstab (endgültiger Tatbestand Te) abhängig. Je weniger stark der endgültige Tatbestand Te, der zur Feststellung der Ähnlichkeit herangezogen wird, auf einen konkreten Sachverhalt SV hin entfaltet wurde, desto mehr Sachverhalte sind einander in Bezug auf Te ähnlich.
72
D. Juristische Arbeitsteilung
SV2 nur die generelle Argumentation, die im Zusammenhang mit SV1 entwickelt wurde, übernommen. Für SV2 läge der argumentative Aufwand in erster Linie bei der Entfaltung des Sachverhalts SV2 auf den - auf Grund juristischer Erfahrung bzw. juristischen Vorwissens - übernommenen endgültigen Tatbestand Te. Unabhängig vom tatsächlichen argumentativen Aufwand sind in der Begründung des Einzelfalls alle argumentativen Entfaltungsschritte anzugeben. Für den Adressaten der Entscheidung, bei dem ja im Allgemeinen nicht das notwendige juristische Vorwissen des Entscheidenden vorausgesetzt werden darf, müssen sowohl die generelle Argumentation zum Tatbestand, als auch die individuellen Sachverhaltsargumente dargestellt werden. Nur so kann er die Gründe für die Anwendung der Rechtsnorm auf seinen Fall nachvollziehen. Das Modell der Rechtsanwendung beschreibt diese Entscheidung aus der Sicht der im Einzelfall anzugebenden Begründung. Die Argumentation wird aus der Sicht des Adressaten der Entscheidung abgebildet. Juristisches Vorwissen, Erfahrung des zur Entscheidung Berufenen (Beamter, Richter, ...) oder einer Organisation (Behörde, Gericht, ...), der mit der Argumentation verbundene Aufwand werden in dem Modell der Rechtsanwendung nicht dargestellt. Ein wesentliches Merkmal der Rechtsanwendung durch die Verwaltung und Gerichte ist jedoch die Regelhaftigkeit161 der juristischen Eintscheidung bzw. des Verwaltungshandelns. Es sind zahlreiche gleichartige Fälle durch den Richter bzw. die Behörde - schon auf Grund des für die Vollziehung geltenden Gleichheitsgrundsatzes162 - in gleicher Weise zu bearbeiten und zu entscheiden. Der Einzelfall, bei dem eine bestimmte Rechtsnorm auf einen Fall bzw. Sachverhalt angewendet wird, ist aus der Sicht der Verwaltungsbehörde bzw. des Gerichts eine von vielen gleichartigen Entscheidungen, die sich in die herrschende Verwaltungs- bzw. Rechtsprechungspraxis einfügen sollen. Während der einzelne, konkrete Sachverhalt bei jeder juristischen Entscheidung von Neuem geprüft und - durch sachverhaltsbezogene Entfaltung zu SVe – interpretiert werden muss, ist die generelle Argumentation auf Tatbestandsebene für ähnliche Fälle gleich. Sie führt bei gleichartiger Entscheidungspraxis immer zu demselben endgültigen Tatbestand Te, unter den der endgültige Sachverhalt SVe subsumiert wird. ————— 161
„Die Regelmäßigkeit des Vorgehens ist zunächst schon einmal Voraussetzung für eine ökonomische Verwaltungsführung. Sie garantiert, dass gleichgelagerte Verwaltungsfälle schnell entschieden werden, weil nicht bei jedem einzelnen Fall von neuem komplizierte Entscheidungsfragen gelöst werden müssen.“ (Wimmer: Norbert, Das Einmaleins der Verwaltungsreform, S. 57.) 162 Vgl. Thienel: Verwaltungsverfahrensrecht, 2. Auflage, Verlag Österreich, 2002, S. 51f.
I. Rechtsanwendung und ähnliche Sachverhalte
73
Die Argumentation zur Entfaltung des Tatbestands und der endgültige Tatbestand Te können daher für gleichartige Sachverhalte aus vorangegangenen Entscheidungen zu ähnlichen SV übernommen werden. Der Richter oder Verwaltungsbeamte bindet auf Grund seiner Erfahrung und seines juristischen Vorwissens frühere Interpretationen von T in die aktuelle Anwendung einer Rechtsnorm auf einen neuen SV ein. Dadurch wird zum Einen die einheitliche Entscheidungspraxis sichergestellt, zum Anderen aber auch die Effizienz der juristischen Tätigkeit gesteigert. Gleichartige juristische Interpretationen, die zu demselben Ergebnis führen würden, werden nicht mehrfach durchgeführt. Verfahren können dadurch schneller und effizienter durchgeführt werden.
Abbildung 14: Wiederverwenden eines Te bei ähnlichem Sachverhalt
Generelle juristische Argumentation wird aber nicht nur auf der Ebene des Einzelnen, der eine Rechtsnorm anwendet, vereinheitlicht. Es ist auch möglich, im Rahmen „juristischer Arbeitsteilung“163 Interpretationen Dritter zu übernehmen. Wenn dadurch die Interpretationspraxis und die Rechtsanwendung ganzer Organisationseinheiten beeinflusst wird, ist die Vereinheitlichung der Rechtsanwendung groß und der Effizienzgewinn in zahlreichen Verfahren möglich. Die Rechtsordnung kennt vielfältige Mittel zur Festlegung einer generellen Interpretation des Tatbestands einer Rechtsnorm. Diese reichen von der Weisung über Publikation von verbindlichen Interpretationen164 bis zur Bereitstellung von Organisationshilfen und -mitteln, die das Ergebnis der Interpretation, die Elemente von Te, detailliert beschreiben. ————— 163 Zu „juristischer Arbeitsteilung“ bei der Normsetzung durch Ermächtigungsnormen vgl. Cornides: Arbeitsteilige Normensysteme und ihre Bedeutung für die Rechtstheorie, in: Mokre/Weinberger (Hrsg.), Rechtsphilosophie und Gesetzgebung, Springer-Verlag, 1976, S. 14ff. 164 Vgl. die Lohnsteuerrichtlinien (S. 88).
74
D. Juristische Arbeitsteilung
Ein solches Organisationsmittel165 ist das juristische Formular. Es soll „die Erledigung häufig auftretender, gleichartiger und einer Standardisierung zugänglicher Verwaltungsakte erleichtern.“166 Ein juristisches Formblatt ist ein Arbeitsmittel167, das einzelne Elemente von Te - also vom Ergebnis der generellen Interpretation - darstellt und über die „Schematisierung von Arbeitsabläufen“168 die Rechtsanwendung vereinheitlicht169. Im Folgenden wird untersucht, wie „juristische Arbeitsteilung“ durch die Einbindung juristischen Vorwissens funktioniert und die Rechtsanwendung verändert. Dabei wird das oben entwickelte, formale Modell um die Darstellung arbeitsteiliger juristischer Vorgänge erweitert.
II. Juristische Argumentation und Arbeitsteilung Rechtsanwendung ist die Anwendung einer Rechtsvorschrift mit dem Tatbestand T und der Rechtsfolge R auf einen Fall F bzw. auf den rechtserheblichen Sachverhalt SV. Sie kann in die drei beschriebenen Teilvorgänge aufgespalten werden: -
Gewinnung des endgültigen Tatbestands Te und des endgültigen Sachverhalts SVe durch Entfaltung mittels genereller und fallbezogener Argumentation.
-
Subsumtion von SVe unter Te durch Einzelvergleich der TEn.m und SEn.m bzw. der TRn und SRn der einzelnen TOn und SOn.
-
Ableitung der Rechtsfolge R.
Bis jetzt wurde davon ausgegangen, dass dieselbe Person (der Richter, der Verwaltungsbeamte, ...), die den Tatbestand T einer Rechtsnorm in Hinblick ————— 165 Vgl. Schäfer, der das Formular als organisatorisches Element des regelhaften und massenhaften Verwaltungshandelns bezeichnet (Schäfer: Die kommunikative Ausgestaltung von Formularen am Beispiel des Rentenantrags, in: Ges. für Rechts- u. Verwaltungsinformatik e.V. (GRVI) (Hrsg.), Automation in Gerichts- und Verwaltungsverfahren (Datenverarbeitung im Recht Beiheft 12), Schweitzer Verlag, 1980, S. 63). 166 Bundeskanzleramt: Richtlinien für die Gestaltung von Formularen, Schriftenreihe zur Verwaltungsreform Band 2, 1980, S. 7. 167 Vgl. dazu Grimmer: Das Formular als Norm- und Informationsmittel, in: Ges. für Rechts- u. Verwaltungsinformatik e.V. (GRVI) (Hrsg.), Automation in Gerichts- und Verwaltungsverfahren (Datenverarbeitung im Recht Beiheft 12), Schweitzer Verlag, 1980, S. 2. 168 Bundeskanzleramt: Richtlinien für die Gestaltung von Formularen, S. 7. 169 Vgl. Wimmer, Norbert: Das Einmaleins der Verwaltungsreform, S. 30, der festhält, dass Formulare „für die Regelhaftigkeit und Gleichförmigkeit von Sacherledigungen von besonderer Bedeutung sind“.
II. Juristische Argumentation und Arbeitsteilung
75
auf den Sachverhalt interpretiert, auch sowohl den Sachverhalt SV ermittelt und interpretiert, als auch die individuelle Rechtsfolge R feststellt. Zusätzlich wird jede Rechtsanwendung als isolierter Vorgang angesehen, weshalb der juristische Diskurs auch nur in Bezug auf den Einzelfall beschrieben wird. Ergebnisse anderer juristischer Entscheidungen (z.B. Judikatur von Oberinstanzen) oder Festlegungen (z.B. Legaldefinitionen) werden als Argumente bei der Formulierung von „Wortgebrauchsregeln“ berücksichtigt. Der Entfaltung des Tatbestands T zu dem endgültigen Tatbestand Te wird in jedem einzelnen Anwendungsfall erneut vollständig durchgeführt. Jeder Fall ist ein Einzelfall und muss daher auch mit all seinen Besonderheiten gewürdigt werden. Das Modell der Rechtsanwendung zeigt aber auch, dass es zwei Arten von Argumenten bei der Rechtsanwendung gibt: -
fallbezogene und
-
generelle, allgemeingültige.
Fallbezogene Argumentation zur Entfaltung des Sachverhalts bezieht sich nur auf Einzelheiten des konkreten Falls und trifft keine Aussagen, die über den Einzelfall hinaus Geltung haben sollen.170 Die Argumentation zur Entfaltung des Tatbestands hingegen zielt auf die Formulierung genereller Aussagen ab. Diese treffen nicht nur zu für den konkreten Sachverhalt, auf den die Rechtsnorm gerade angewendet wird, sondern auch auf alle anderen Sachverhalte, die unter diesen Tatbestand subsumiert werden können.
1. Entfaltung und Zwischentatbestände Bei der argumentativen Entfaltung des Tatbestands werden nicht nur neue Elemente des Tatbestands (TEn.m, TRn) aus vorhandenen abgeleitet. Das Ergebnis jedes Entfaltungsschritts ist auch ein abgeleiteter Tatbestand - ein Zwischentatbestand Tn bzw. der endgültige Tatbestand Te -, der für die Argumentation an die Stelle des entfalteten Tatbestands T tritt. Der abgeleitete Tatbestand ist ein Spezialfall des Ausgangstatbestands, der genauso wie dieser die Voraus————— 170 Auch fallbezogene Argumentation kann in nachfolgenden Entscheidungen als Argument bei der Formulierung von „Wortgebrauchsregeln“ verwendet werden und damit über den Einzelfall hinaus Bedeutung erlangen. Dies ist aber - im Gegensatz zur generellen, tatbestandsbezogenen Argumentation, die immer Allgemeingültigkeit anstrebt - zum Zeitpunkt der Formulierung der Aussage nicht beabsichtigt.
76
D. Juristische Arbeitsteilung
setzungen für den Eintritt der Rechtsfolge R beschreibt. Er hat dieselbe Struktur (dieselben Tatbestandsobjekte TOn171) wie der Ausgangstatbestand T. In zumindest einem durch die Entfaltung veränderten TEn.m oder TRn unterscheidet er sich aber von T. So kann die argumentative Entfaltung des Tatbestands im Beispiel der Subsumtion einer „Mauer“ unter „bauliche Anlage“ durch den VwGH (vgl. S. 50) nicht nur als Ableitung von Tatbestandsmerkmalen TEnm und TRn interpretiert werden. Vielmehr wird durch die Interpretation auch eine Folge von abgeleiteten Tatbeständen Tn erzeugt. Arg6: Das Ergebnis jedes einzelnen Entfaltungsschritts ist ein abgeleiteter Tatbestand Tn.
Abbildung 15: Entfaltung und Zwischentatbestände
Der erste Entfaltungsschritt (vgl. die Beschreibung der einzelnen Entfaltungsschritte auf S. 64) führt z.B. bei der Argumentation des VwGH zu folgendem Tatbestand T1: Tatbestand T = TO1 mit TE1.1 = Bauwerk T1 = TO1 mit TE1.2 ∧ TE1.3
entfaltete Merkmale TE1.1 → TE1.2 = fachgerechte Herstellung erfordert ein wesentliches Maß an bautechnischen Kenntnissen ∧ TE1.3 = kraftschlüssig mit dem Boden verbunden
T1 könnte für die Anwendung der ausgelegten Rechtsnorm auf einen Sachverhalt SV als endgültiger Tatbestand Te verwendet, oder aber - wie in dem dargestellten Beispiel der Rechtsanwendung durch den VwGH - nochmals durch generelle Argumentation entfaltet werden. Wird T1 entfaltet, dann führt dies zu dem Zwischentatbestand T2. Da der VwGH nach diesen Entfaltungsschritten die generelle Argumentation abschließt und nur mehr den Sachverhalt ————— 171
Vgl. Arg. 2 (S. 66) und Arg. 4 (S. 66).
II. Juristische Argumentation und Arbeitsteilung
77
SV entfaltet, ist T2 für diese Anwendung von § 4 BauO NÖ 1996 der endgültige Tatbestand Te. Die Beziehung zwischen T und den daraus abgeleiteten Tn ist jedoch keine Einbahnstraße. Von T1 kann über die bei der Entfaltung angegebene Begründung auf T zurückgeschlossen werden. Aus T2 ist es möglich, T1, und von diesem ausgehend in einem weiteren Schritt auch T festzustellen. Dies gilt auch für alle weiteren Tn. Bei Kenntnis der Begründung - der „Wortgebrauchsregeln“ - mit der der jeweils vorangehende Zwischentatbestand entfaltet wurde, kann auf jeden Tm der Argumentationskette geschlossen werden.
Abbildung 16: Zwischentatbestände als Ergebnis der Entfaltung
Ein Zwischentatbestand Tn wird daher vollständig beschrieben -
einerseits durch die Strukturbeschreibung aus Tatbestandsobjekten TOn mit den diesen zugeordneten Tatbestandseigenschaften TEnm und Tatbestandsrelationen TRn, und
-
andererseits durch die Begründung, die die Beziehung zu dem Tatbestand, der der Ausgangspunkt für den vorangehenden Argumentationsschritt ist, darstellt.
Arg7: Von einem Zwischentatbestand Tn kann auf jeden vorangegangenen Tn.m und den Ausgangstatbestand T geschlossen werden, wenn die Begründungen der einzelnen Entfaltungsschritte bekannt sind. Ob ein Zwischentatbestand Tn bei der Anwendung einer Rechtsnorm auf einen Sachverhalt verwendet werden kann, hängt von der Richtigkeit der generellen Argumentation des Entfaltungsschritts, durch den er abgeleitet wurde, ab. Ist die Begründung in diesem Schritt der Entfaltung des Tatbestands nicht zutreffend, beschreibt Tn auch nicht die Voraussetzungen für den Eintritt der Rechtsfolge R der Rechtsnorm, die auf den Sachverhalt SV angewendet wird. Dies gilt nicht nur für den einen Tn, der durch eine falsche Begründung abgeleitet wurde, sondern auch für alle nachfolgenden Tm, die auf Tn aufbauen.
78
D. Juristische Arbeitsteilung
Dies unterscheidet die Zwischentatbestände Tn, die das Ergebnis einer Entfaltung durch generelle Argumentation beschreiben, vom Ausgangstatbestand T. Während die Zulässigkeit der Verwendung von T nur von der Geltung der Rechtsnorm, die auf SV angewendet werden soll, abhängt, ist für jeden Zwischentatbestand die Geltung der Rechtsnorm, aus der T entnommen ist, und eine fehlerfreie Begründungskette von T zu Tn Voraussetzung.
Abbildung 17: Zwischentatbestände
Ist die Begründung zur Ableitung eines Zwischentatbestands Tn mangelhaft, so sind es auch alle nachfolgenden Tn.m. Beschreibt T die in einer Rechtsnorm enthaltenen Voraussetzungen für den Eintritt von R nicht korrekt, sind alle Zwischentatbestände Tn, die von T unmittelbar oder mittelbar abgeleitet wurden, ebenfalls keine richtige Beschreibung der Voraussetzungen für den Eintritt von R. Es ist auch möglich, dass zum Zeitpunkt der Anwendung der Rechtsnorm auf einen Sachverhalt SV T und die abgeleiteten Zwischentatbestände Tn die Voraussetzungen für den Eintritt von R korrekt beschreiben, zu einem späteren Zeitpunkt T und Tn aber mangelhaft werden. Dies kann z.B. bei Änderungen der Rechtsnorm durch Novellen der Fall sein. Ebenso kann auch ein Zwischentatbestand Tn und die von ihm abgeleiteten Tn+1, ..., Tn+m, Te mangelhaft werden, wenn die Begründung, die zur Ableitung von Tn aus Tn-1 verwendet wird, nachträglich nicht mehr als richtig angesehen wird. Dies kann z.B. vorkommen, wenn durch eine Gerichtsentscheidung die Begründung eines Entfaltungsschrittes als unrichtig erkannt wird, oder wenn die herrschende Judikatur oder Verwaltungspraxis geändert wird.
II. Juristische Argumentation und Arbeitsteilung
79
Durch ihre doppelte Abhängigkeit vom Tatbestand T und einer fehlerlosen Begründungskette haben Zwischentatbestände Tn im Vergleich zum Ausgangstatbestand T eine geringere Bestandskraft. Wird die generelle Argumentation einer Anwendung einer Rechtsnorm für die Rechtsanwendung auf einen weiteren Sachverhalt übernommen, so ist daher sowohl zu prüfen, ob T die Voraussetzungen für den Eintritt von R richtig beschreibt, als auch die Gültigkeit der Begründungen zur Ableitung von Zwischentatbeständen. Für die Formularlegistik bedeutet diese Notwendigkeit einer mehrfachen Prüfung eine besondere Herausforderung bei der „Wartung von Formularen“ (vgl. S. 116).
Abbildung 18: Abhängigkeiten des Zwischentatbestands
2. Zwischentatbestand und juristische Arbeitsteilung a) Abgeleitete Rechtsnormen und Rechtsanwendung Der Tatbestand T einer Rechtsnorm ist die generelle Beschreibung der Voraussetzungen für den Eintritt einer Rechtsfolge R. Diese Beschreibung ist im Gegensatz zur Beschreibung des Falls F durch den Sachverhalt SV allgemein gültig und nicht auf einen Einzelfall eingeschränkt.
80
D. Juristische Arbeitsteilung
Ebenso sind die durch generelle Argumentation aus T abgeleiteten Zwischentatbestände Tn inhaltlich nicht auf einen Sachverhalt SV bzw. einen konkreten Fall F beschränkt. Sie beschreiben wie T generelle Voraussetzungen für den Eintritt einer Rechtsfolge R. Es ist daher möglich, einen Zwischentatbestand Tn oder einen endgültigen Tatbestand Te172 von der Rechtsanwendung im Einzelfall, für die er durch argumentative Entfaltung gewonnen wurde, loszulösen und eine „abgeleitete“ Rechtsnorm zu formulieren. Darin wird Tn an die Stelle des ursprünglichen Tatbestands T als abgeleiteter Tatbestand T' gesetzt: ∀ sv (Tsv → R) T → T’1 T1 → T’2 ... Tn-1 → T’n Tn = T’ ∀ sv (T’sv → R)
ursprüngliche Rechtsnorm Entfaltung von T, Ableiten der Zwischentatbestände
Loslösen des Zwischentatbestands vom Einzelfall abgeleitete Rechtsnorm
Die abgeleitete Rechtsnorm tritt bei der internen Argumentation (vgl. zur internen und externen Entscheidungsbegründung S. 83) im Rahmen der Rechtsanwendung an die Stelle der ursprünglichen Rechtsnorm. Sie wird statt der Rechtsnorm, aus der T' abgeleitet wurde, verwendet. Wird eine abgeleitete Rechtsnorm in der internen Argumentation einer juristischen Entscheidung verwendet, so bedeutet dies, dass die generelle Argumentation zur Entfaltung des Tatbestands T der ursprünglichen Norm zu T' durch den Rechtsanwender übernommen wird. Er akzeptiert die im Rahmen der Gewinnung von T' aus T entwickelten Tatbestandseigenschaften TEn.m und Tatbestandsrelationen TRn und die einzelnen Argumente, die zu T' geführt haben. Der Rechtsanwender vermeidet dadurch den Aufwand einer neuerlichen Entfaltung von T, die mit derselben Argumentation zu demselben Ergebnis führen würde. Er übernimmt dadurch die Begründung, die von T zu T' führt. Arg8: Durch die Verwendung abgeleiteter Rechtsnormen bei der Rechtsanwendung wird die generelle Argumentation, mit der T zu T' entfaltet wurde, übernommen. Eine abgeleitete Rechtsnorm hat dieselben Eigenschaften wie die ursprüngliche Rechtsnorm. Zusätzlich ist aber auch die Beziehung von T zu T' Teil der abgeleiteten Rechtsnorm. Die Geltung der abgeleiteten Rechtsnorm ist ————— 172 Zum endgültigen Tatbestand Te vgl. S. 48. Da der endgültige Tatbestand nur der letzte Zwischentatbestand ist, der im Rahmen der Anwendung einer Rechtsnorm auf einen Sachverhalt SV entfaltet wird, ist im Folgenden unter Zwischentatbestand Tn auch der endgültige Tatbestand Te zu verstehen.
II. Juristische Argumentation und Arbeitsteilung
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von der Geltung der ursprünglichen Rechtsnorm und von der Mangelfreiheit des abgeleiteten Tatbestands T' - dem Zwischentatbestand Tn - abhängig (vgl. S. 78). Ist T' mangelhaft, z.B. weil eine Begründung bei seiner Ableitung nicht korrekt ist, fällt auch die Geltung der abgeleiteten Rechtsnorm weg.
Abbildung 19: Abgeleitete Tatbestände und Rechtsnormen
Arg9: Die Geltung einer abgeleiteten Rechtsnorm ist von der Geltung der ursprünglichen Rechtsnorm und der Mangelfreiheit des abgeleiteten Tatbestands T' abhängig. Insbesondere kann die abgeleitete Rechtsnorm auch der Ausgangspunkt für eine weitere Entfaltung des Tatbestands T' auf einen Sachverhalt SV hin sein. Durch generelle Argumentation können auch weitere Zwischentatbestände T'n abgeleitet werden. Es ist sogar möglich, dass einer dieser T'n wieder vom konkreten Rechtsanwendungsvorgang losgelöst wird und Tatbestand T'' einer weiteren abgeleiteten Rechtsnorm wird. Eine solche Loslösung eines abgeleiteten Tatbestands ist auch mehrfach möglich. Aus einem T bzw. T' können für unterschiedliche Sachverhalte SV auch verschiedene Zwischentatbestände Tn abgeleitet werden. Jeder dieser Tn kann von der Argumentation des Einzelfalls losgelöst werden und somit T' einer abgeleiteten Rechtsnorm sein.
b) Der kasuistische Tatbestandsraum Die Gesamtheit der für einen Einzelfall aus dem Tatbestand T einer Rechtsnorm entfalteten Zwischentatbestände Tn, die von diesem Einzelfall losgelöst und Tatbestand T' einer abgeleiteten Rechtsnorm sind, bilden den kasuistischen Tatbestandsraum von T.
82
D. Juristische Arbeitsteilung
Alle im kasuistischen Tatbestandsraum enthaltenen Tatbestände T' beschreiben die generellen Voraussetzungen für das Eintreten der Rechtsfolge R der ursprünglichen Rechtsnorm, die T enthält. Alle Elemente des kasuistischen Tatbestandsraums sind aus T durch argumentative Entfaltung abgeleitet. Sie sind mit T durch die in der Entfaltung gewonnene Begründung verbunden. Der kasuistische Tatbestandsraum ist ein Produkt der juristischen Praxis. Er beschreibt die bei der Anwendung einer Rechtsnorm auf zahlreiche Sachverhalte gewonnenen Erfahrungen bzw. das durch die Rechtsanwendung erworbene Wissen173.
Abbildung 20: Der kasuistische Tatbestandsraum von T
Nicht jeder im Rahmen der Rechtsanwendung durch generelle Argumentation entfaltete Zwischentatbestand wird auch Teil des kasuistischen Tatbestandsraums. Vielmehr sind es nur jene Zwischentatbestände Tn, die auf Grund der Bedeutung des Sachverhalts SV, auf den T hin entfaltet wird, vom Einzelfall losgelöst werden. Der Grund für eine derartige Loslösung vom Einzelfall ist z.B. die Schwierigkeit der Argumentation, mit der T' aus T gewonnen wird, oder die Häufigkeit von ähnlichen Sachverhalten SV, die alle zur Entfaltung von T in T' führen. Argumentative Zwischenschritte bzw. nur für einen Einzelfall relevante Entfaltungsergebnisse werden nicht in den kasuistischen Tatbestandsraum übernommen. Der kasuistische Tatbestandsraum enthält daher nach der Bedeutung für die Praxis der Rechtsanwendung gefiltertes juristisches Wissen. ————— 173 Zum Begriff des juristischen Wissens vgl. Schweighofer: Rechtsinformatik und Wissensrepräsentation, Springer Verlag, 1999, S. 16f. Vgl. auch Luft: „Wissen“ und „Information“ bei einer Sichtweise der Informatik als Wissenstechnik, in: Coy/Nake/Pflüger/Rolf/Seetzen/Stransfeld (Hrsg.), Sichtweisen der Informatik, Verlag Vieweg, 1992, S. 52ff; Steinmüller: Informationstechnologie und Gesellschaft, Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt, 1993, S. 236ff.
II. Juristische Argumentation und Arbeitsteilung
83
Der Rechtsanwender kann bei Kenntnis des kasuistischen Tatbestandsraums von T die Ergebnisse früherer Rechtsanwendung verwenden. Für ähnliche174 Sachverhalte kann er T' und damit die abgeleitete Rechtsnorm T' → R verwenden. Er muss die argumentative Entfaltung von T zu Tn hin nicht nochmals wiederholen. Eine Wiederholung der Argumentation auf Tatbestandsebene kann entfallen. Aber auch wenn die Ähnlichkeit zwischen den Sachverhalten nicht ausreicht, um T' direkt auf SV anzuwenden, kann die abgeleitete Rechtsnorm mit T' der Ausgangspunkt für weitere Interpretations- und Entfaltungsschritte sein. In diesem Fall kann der argumentative Aufwand für die Gewinnung von T' aus T vermieden werden.
3. Interne und externe Entscheidungsbegründung Statt der ursprünglichen Rechtsnorm T → R kann bei der Rechtsanwendung eine abgeleitete Rechtsnorm T' → R verwendet werden. Für den Rechtsanwender tritt die abgeleitete Rechtsnorm an die Stelle der ursprünglichen. Der Tatbestand, unter den er den Sachverhalt SV175 subsumiert, ist dann nicht mehr T sondern T'. Der (endgültige) Sachverhalt SV kann dann u.U. ohne weitere Entfaltung176 von T' unter diesen subsumiert werden. In diesem Fall eines unmittelbar möglichen Subsumtionsschlusses (vgl. S. 49ff) ist nur mehr die abschließende Überprüfung notwendig, ob (endgültiger) Sachverhalt und T' dieselbe Struktur aufweisen und ob die TEn.m und TRn in T' mit den SEn.m und SRn in SV gleichgesetzt werden können. Es ist jedoch auch möglich, dass eine weitere Entfaltung von T' auf den Sachverhalt SV hin notwendig ist. Es werden in diesem Fall die Zwischentatbestände T'1, ... bis hin zum letzten Zwischentatbestand, der auch der endgültige Tatbestand T'e ist, abgeleitet. ————— 174
Zur Ähnlichkeit von Sachverhalten vgl. S. 71 FN 160. Der Sachverhalt SV wird aus dem Fall F bereits in Hinblick auf T gewonnen (vgl. S. 36ff) und auch auf T durch fallbezogene Argumentation hin entfaltet. Da T und T' dieselbe Struktur aufweisen und T' nur eine Entfaltung von T ist, die im Rahmen der Rechtsanwendung wieder abgeleitet würde, ist ein Ersetzen von T durch T' möglich. 176 Dies ist dann möglich, wenn die Ähnlichkeit mit jenem Sachverhalt, auf den T ursprünglich zu T' (= der vom Einzelfall losgelöste T') entfaltet wurde, sehr groß ist. T' ist dann auch der endgültige Tatbestand. Eine Entfaltung des SV hin zu SVe durch fallbezogene Argumentation kann noch immer notwendig sein. 175
84
D. Juristische Arbeitsteilung
Wird T'e wieder vom Einzelfall zu T'' losgelöst und dem kasuistischen Tatbestandsraum von T hinzugefügt, dann ist bei einer späteren Rechtsanwendung u.U. keine Entfaltung von T' mehr notwendig, da der Sachverhalt unmittelbar unter T'' subsumiert wird. In beiden Fällen entfällt für den Rechtsanwender die Entfaltung von T zu T' durch generelle Argumentation auf der Tatbestandsebene und wird durch die Auswahl der „passenden“ abgeleiteten Rechtsnorm ersetzt. Damit unterscheidet sich bei der Anwendung einer abgeleiteten Rechtsnorm die Argumentation des Rechtsanwenders von jener, die der Adressat einer juristischen Entscheidung (z.B. Partei in einem Verfahren und Empfänger eines Bescheids177) erhält. Die Begründung einer Entscheidung zerfällt in die interne Begründung des Rechtsanwenders bei der Entscheidungsfindung und die externe, die der Adressat der Entscheidung erhält. Die interne Begründung einer Entscheidung setzt sich zusammen aus der konkreten, auf den Einzelfall bezogenen Argumentation zur Entfaltung des Sachverhalts vom rechtserheblichen SV zum entgültigen SVe und allfälliger Argumente bei der Entfaltung des abgeleiteten Tatbestands T' zum endgültigen Tatbestand T'e, falls T' und T'e nicht ident sind. Die für die Ableitung von T' aus T notwendigen Argumente und Entfaltungsschritte sind dem Rechtsanwender zwar bekannt, aber für die Fällung der konkreten Entscheidung nicht von Bedeutung.178 Es wird von T' und nicht von T ausgegangen. Nur dadurch kann der argumentative Aufwand für die Gewinnung von T' aus T vermieden werden. Die externe Begründung, die der Adressat der Entscheidung erhält, muss den Begründungszusammenhang zwischen T und T' aber enthalten. Beim Empfänger der Entscheidung können weder die Kenntnis der Details des kasuistischen Tatbestandsraums von T, noch das Wissen über die rechtlichen Zusammenhänge und die Argumentation zur Entfaltung von T in T' vorausgesetzt werden.179 Die externe Begründung setzt sich daher aus der internen Begrün————— 177 § 60 AVG: „In der Begründung sind die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen.“ Vgl. dazu Walter/Mayer: Verwaltungsverfahrensrecht, 7. Auflage, Manzsche Verlags- und Universitätsbuchhandlung, 1999, S. 180ff; Thienel: Verwaltungsverfahrensrecht, S. 220f; VwGH 90/07/0121, 19.5.1994: „Die Begründung bedeutet die Bekanntgabe der Erwägungen, auf denen die Behörde zur Überzeugung gelangt, dass ein bestimmter Sachverhalt vorliegt und dass damit der Tatbestand einer bestimmten Rechtsnorm verwirklicht ist. Die Begründung eines Bescheides hat Klarheit über die tatsächlichen Annahmen der Behörden und ihre rechtlichen Erwägungen zu schaffen.“ 178 Die Geltung der abgeleiteten Rechtsnorm T' → R muss sichergestellt werden. 179 Ein Verweis auf die Begründung anderer Bescheide (z.B. Vorinstanz) - was der Verwendung des kasuistischen Tatbestandsraums ähnlich ist - ist nur dann zulässig, wenn diese der Partei be-
II. Juristische Argumentation und Arbeitsteilung
85
dung und dem übernommen Begründungszusammenhang zwischen T und T' zusammen.
Abbildung 21: Interne und externe Entscheidungsbegründung
In der Praxis bedeutet diese Übernahme des Begründungszusammenhangs zwischen T und T' vielfach die Verwendung von Textbausteinen oder sonstigen Standardtexten.180 Der Rückgriff auf vom Einzelfall losgelöste Argumentationsstrukturen führt zur Verwendung von juristischen Textelementen, die ebenfalls vom Einzelfall losgelöst sind. Der reduzierte Aufwand bei der Entfaltung des Tatbestands durch generelle Argumentation entspricht einer Reduktion des mit der Erstellung von Begründungstexten verbundenen Aufwands.
————— kannt sind und darüber hinaus auf das in der Berufung enthaltene Vorbringen hinreichend eingegangen wird. (Thienel: Verwaltungsverfahrensrecht, S. 220.) 180 „PC-routinierte Richter nutzen heute ihre Chance und übernehmen ganze Textpassagen aus anderen, auch eigenen älteren Entscheidungen. So entstehen serienweise ‚Fließbandtextcollagen‘.“ (Grasnick: Entscheidungsgründe als Textcollage, S. 42.) Vgl. auch die Untersuchung der Praxis der Gestaltung und Verwendung von Textbausteinen bei der Erzeugung standardisierter Bescheidbegründungen Ehn/Strouhal: Die „rationale Maschine“: Sprache und Verständlichkeit der österreichischen Bescheide, Europäische Zeitschrift für Semiotische Studien 8 1996, Nr. 1.
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D. Juristische Arbeitsteilung
III. Juristische Arbeitsteilung und kasuistischer Tatbestandsraum Der kasuistische Tatbestandsraum ist ein Ergebnis der juristischen Praxis. Er entsteht durch die wiederholte Anwendung einer Rechtsnorm mit dem Tatbestand T auf unterschiedliche Sachverhalte. Er bildet (gefiltertes) juristisches Wissen der Rechtsanwendung ab, das bei zukünftiger Anwendung einer Rechtsnorm auf Sachverhalte verwendet werden kann. Die primäre Quelle dieses praktischen juristischen Wissens ist daher natürlich der einzelne Rechtsanwender, der die Rechtsnorm laufend anzuwenden hat. Seine praktische Erfahrung bei der Anwendung einer Rechtsnorm auf zahlreiche Sachverhalte führt zum Aufbau des kasuistischen Tatbestandsraums. Zwischentatbestände Tn, die er im Rahmen früherer Rechtsanwendung entfaltete, werden für ähnliche SV wieder herangezogen und damit vom Einzelfall losgelöst. Begründungszusammenhänge verselbständigen sich dabei zu standardisierten Begründungen. Solange dies jeder Rechtsanwender ausschließlich für sich tut, kommt es zu keinem Austausch juristischen Anwendungswissens. Es ist auf den Einzelnen beschränkt. Dieser kasuistische Tatbestandsraum, der nur auf eine einzelne Person beschränkt ist, heißt „privater Tatbestandsraum“. Verliert für der Rechtsanwender dieses Wissen an Bedeutung181, veraltet der private Tatbestandsraum und kann nicht mehr für die Rechtsanwendung herangezogen werden. Wie schnell dies geschieht, ist von der Dynamik des Rechtsgebiets (Zahl der Novellen, Beständigkeit der Rechtsprechung, ...) abhängig. Neben dem privaten Tatbestandsraum ist es aber auch möglich, „öffentliche Tatbestandsräume“ aufzubauen. In ihnen wird juristisches Anwendungswissen unabhängig von einzelnen Personen festgehalten. Öffentliche Tatbestandsräume entstehen durch die „Veröffentlichung“ des in den privaten Tatbestandsräumen enthaltenen Wissens. Durch sie wird das Anwendungswissen von Einzelpersonen losgelöst und ist Dritten zugänglich. Wird ein öffentlicher Tatbestandsraum von mehreren Personen gemeinsam genutzt, können diese die dadurch gebotene Möglichkeit zur Reduktion des argumentativen Aufwands zur Entfaltung des Tatbestands nützen. Sie wenden auf Sachverhalte SV die abgeleiteten Rechtsnormen an und übernehmen damit auch den Begründungszusammenhang von T und T'. Dies führt zu einer Vereinheitlichung der Praxis der Rechtsanwendung durch juristische Arbeitsteilung. ————— 181
Z.B. weil er sich dauerhaft anderen Rechtsproblemen zuwendet (Versetzung, ...).
III. Juristische Arbeitsteilung und kasuistischer Tatbestandsraum
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Juristische Argumentation und entfaltete Tatbestandsmerkmale werden durch eine Person - der damit in Bezug auf T' gleichsam die Stellung eines Legisten hat - entwickelt und in den öffentlichen Tatbestandsraum eingebracht. Die Ergebnisse dieser juristischen Arbeit werden von den anderen Rechtsanwendern übernommen. Ein gemeinsam genutzter, öffentlicher Tatbestandsraum dient damit der Herstellung bzw. Sicherung einer einheitlichen Anwendungspraxis einer Rechtsnorm in einer Organisation (Behörde). Diese Funktion der Vereinheitlichung der Rechtspraxis kann auch genutzt werden, um eine bestimmte Anwendungspraxis vorzugeben. Dies dann, wenn ein Tatbestandsraum vorgegeben wird und seine Beachtung bzw. Verwendung bei der Rechtsanwendung verpflichtend bzw. gleichsam verbindlich ist. Öffentliche Tatbestandsräume können z.B. über juristische Informationssysteme182 oder Kanzleiinformationssysteme, in die auch die automationsunterstützte Erstellung von Entscheidungstexten über Standardtexte integriert ist183, aufgebaut werden. Aber auch ohne die Verwendung EDV-gestützter Systeme finden sich im Rechtssystem Beispiele für die Gestaltung von öffentlichen Tatbestandsräumen durch die Publikation von - teilweise verbindlichen - Behelfen zur Auslegung von Rechtsnormen. So z.B. die Lohnsteuerrichtlinien184, die einen „Auslegungsbehelf“ zum Einkommensteuergesetz darstellen. Er wird „im Interesse einer einheitlichen Vorgangsweise“ mitgeteilt und ist ab einem Stichtag „generell anzuwenden“. ————— 182 Ein öffentlicher Tatbestandsraum ist Teil des in externen Speichern enthaltenen „externen subjektiven Wissens“ eines Juristen. Er ist damit Teil des „erweiterten subjektiven Wissens“, „das entweder im Langzeitgedächtnis des Juristen gespeichert oder durch zweckmäßige Zugriffsmechanismen in externen Speichern beherrscht wird“ (Schweighofer: Rechtsinformatik und Wissensrepräsentation, S. 17). Besonders Rechtsdatenbanken, die bereits dokumentalistisch aufbereitete juristische Argumentation bereitstellen - wie Rechtssatzdatenbanken (z.B. im RIS [http://www.ris.bka.gv.at], vgl. dazu Paschinger: VwGH Judikatur auf digitalen Medien, ZUV 1997, S. 17ff; Paschinger: Änderung der Rechtsprechung des VwGH im RIS, in: Schweighofer/Lachmayer (Hrsg.) IT in Recht und Staat, Verlag Österreich, 2002, S. 209ff.) - ermöglichen diesen Zugriff. 183 Vgl. Bund: Einführung in die Rechtsinformatik, Springer-Verlag, 1991, S. 238: „Ein solches System muss die allmähliche Ausfüllung eines Gliederungsgerüsts bis hin zum fertigen Text unterstützen. Das Rubrum sollte aus beim Gericht vorhandenen Dateien übernommen werden können. ... Es gibt aber richterliche Dezernate, in denen massenhaft ähnlich gelagerte Fälle zu entscheiden sind ... Hier ist es sinnvoll, die Textbausteine, die der Richter ohnehin in seinem Gedächtnis oder auf Papier dokumentierten Mustern entnehmen würde, im Textverarbeitungssystem bereitzuhalten.“ (Hervorhebung durch den Autor.) 184 Wenn nicht anders angegeben sind die folgenden Zitate der Einleitung zu den Lohnsteuerrichtlinien 1999, Erlass des BM f. Finanzen vom 27.11.1998, Z 07 0104/3-IV/7/98, entnommen.
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D. Juristische Arbeitsteilung
Die Lohnsteuerrichtlinien sind als „Zusammenfassung des geltenden Lohnsteuerrechts und damit als Nachschlagewerk für die Verwaltungspraxis und die betriebliche Praxis anzusehen“. „Bei Erledigungen haben Zitierungen mit Hinweisen auf diese Richtlinien zu unterbleiben.“ Aus den Lohnsteuerrichtlinien können keine „über die gesetzlichen Bestimmungen hinausgehenden Rechte und Pflichten“ abgeleitet werden. Die Lohnsteuerrichtlinien sind daher eine Sammlung der Argumentationen zur Entfaltung zahlreicher Tatbestände des Einkommenssteuergesetzes und enthalten teilweise auch ausführliche Darstellungen der entfalteten Tatbestände oder einzelner Tatbestandseigenschaften TEn.m. So z.B. Rz 1241 zu § 90185 EStG: „Antragsberechtigt ist jeder ‚Beteiligte‘, das heißt der Arbeitgeber oder - soweit es um eine Auskunft zu dem ihn konkret betreffenden Lohnsteuerabzug geht - auch der Arbeitnehmer.“
Abbildung 22: Öffentlicher Tatbestandsraum und juristische Arbeitsteilung
Die Tatbestandseigenschaft „Beteiligter“ wird in die beiden TEnm „Arbeitgeber“ und „Arbeitnehmer“ entfaltet. Für „Arbeitnehmer“ wird der Umfang der ————— 185 § 90 i.d.F. BGBl. 400/1988: Das Finanzamt der Betriebsstätte hat auf Anfrage eines Beteiligten darüber Auskunft zu geben, ob und inwieweit im einzelnen Fall die Vorschriften über die Lohnsteuer anzuwenden sind. ...
III. Juristische Arbeitsteilung und kasuistischer Tatbestandsraum
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Auskunft auf den Lohnsteuerabzug von „Arbeitnehmer“ eingeschränkt. Aus der Rechtsnorm Anfrage Beteiligter → Auskunft werden die beiden Rechtsnormen -
Anfrage Arbeitgeber → Auskunft und
-
Anfrage Arbeitnehmer → Auskunft über Lohnsteuerabzug von Arbeitnehmer
abgeleitet. Da der in den Lohnsteuerrichtlinien 1999 kundgemachte öffentliche Tatbestandsraum „generell anzuwenden“ ist, sind die beschriebenen abgeleiteten Rechtsnormen in der Praxis verbindlich, solange die Beziehung zwischen der ursprünglichen und den abgeleiteten Rechtsnormen mangelfrei ist. § 90 EStG wurde jedoch inzwischen novelliert186. Nach der geltenden Fassung kann nicht mehr ein Beteiligter, sondern eine Partei eine Anfrage stellen. Der in Rz 1241 der Lohnsteuerrichtlinien 1999 beschriebenen T' ist damit nicht mehr gültig. Der Rechtsanwender kann die abgeleiteten Rechtsnormen nicht mehr anwenden.
————— 186 § 90 EStG i.d.F. BGBl. I 132/2002: Das Finanzamt der Betriebsstätte (§ 81) hat auf Anfrage einer Partei tunlichst innerhalb von 14 Tagen darüber Auskunft zu geben, ob und inwieweit im einzelnen Fall die Vorschriften über die Lohnsteuer anzuwenden sind.
E. Rechtsanwendung und Formulare Das oben beschriebene Modell der juristischen Argumentation und Rechtsanwendung ist ein allgemeines Modell, das bis jetzt die Verwendung von Formularen bei der Erfassung eines Sachverhalts nicht berücksichtigt. Der Tatbestand T einer Rechtsnorm und der Sachverhalt SV werden auf einander durch generelle bzw. fallbezogene Argumentation zum endgültigen Tatbestand Te und endgültigen Sachverhalt SVe entfaltet. Stimmen Te und SVe in Struktur (TOn) und Eigenschaften (TEn.m, TRn) überein, kann durch den abschließende Subsumtionsschluss festgestellt werden, dass SV T erfüllt und die Rechtsfolge R eintreten soll. Durch die Bildung eines kasuistischen Tatbestandsraums zu einem Tatbestand T kann ein entfalteter Tatbestand Tn vom Einzelfall losgelöst und als T' in den Tatbestandsraum übernommen werden. Es wird dadurch eine abgeleitete Rechtsnorm T'sv → R gebildet, die über die Argumentation, mit der T zu Tn entfaltet wurde und mit der ursprünglichen Rechtsnorm Tsv → R verknüpft ist. Bei ähnlichen Sachverhalten ist es dann ausreichend, SV unter T' statt unter T zu subsumieren. In die Begründung der Entscheidung wird dann die Argumentation, mit der T zu Tn entfaltet wurde, übernommen. Ist T' Teil eines öffentlichen Tatbestandsraums, so kann die abgeleitete Rechtsnorm T'sv → R nicht nur von dem Rechtsanwender, der Tn zu T' vom Einzelfall losgelöst hat, sondern auch von Dritten genutzt werden. Juristische Argumentation im Rahmen der Rechtsanwendung wird dadurch zu einem arbeitsteiligen Vorgang. Ausgehend von diesem Modell der Rechtsanwendung wird im Folgenden die Bedeutung von juristischen Formularen für die Anwendung einer Rechtsnorm auf einen Sachverhalt SV untersucht. Es wird dargestellt, wie die Verwendung von Formblättern in „Formularverfahren“ den Vorgang der Rechtsanwendung verändert.
I. Formularverfahren
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I. Formularverfahren Formularverfahren187 sind juristische Verfahren, in denen auf Grund des vorgelegten Formularantrages ohne weiteres Ermittlungsverfahren188 entschieden wird. Das Formularverfahren ist eine Sonderform eines juristischen Verfahrens. Durch die ausschließliche Fixierung auf das Antragsformular handelt es sich bei Formularverfahren um die extreme Ausformung eines Verfahrens, in dem Formblätter zur Feststellung des Sachverhalts eingesetzt werden.189 Das Ermittlungsverfahren dient der Feststellung des für die Erledigung maßgebenden Sachverhalts (§ 37 AVG) und wird im Allgemeinen von der Behörde gestaltet. Sie bestimmt seinen Gang. (§ 39 AVG)190 Im Formularverfahren ist das anders. In diesem Verfahrenstyp wird die Entscheidung auf Grund des vorgelegten Formularantrags ohne weiteres Ermittlungsverfahren getroffen. Das Vorgehen bei der Feststellung des Sachverhalts unterscheidet sich daher vom allgemeinen Fall eines Ermittlungsverfahrens durch folgende Einschränkungen: ————— 187
Zum Begriff „Formularverfahren“ vgl. VwGH 94/12/0081 vom 14.9.1994: „‚Formularverfahren‘, d.h. die Entscheidung erfolgt auf Grund des unter Verwendung von Formblättern gestellten Ansuchens des Studierenden und der von ihm vorzulegenden Nachweise ...“ 188 Vgl. § 41 (4) StudFG BGBl. 343/1993 i.d.F. BGBl. 619/1994: „Auf Grund des vorgelegten Formularantrages ist ohne weiteres Ermittlungsverfahren unter zweckmäßiger Verwendung moderner technischer Hilfsmittel, insbesondere der automationsunterstützten Datenverarbeitung, mit Bescheid zu entscheiden.“ Gem. § 39 (3) StudFG BGBl. 343/1993 i.d.F. BGBl. 619/1994 sind für die Anträge „Formblätter zu verwenden die der Bundesminister für ... durch Verordnung festzulegen hat“. Diese Einschränkung des Ermittlungsverfahrens auf das Antragsformular gilt nicht für Rechtsmittelverfahren. Vgl. dazu VwGH 99/12/0170 vom 4.7.2001: „Gemäß § 41 Abs. 4 StudFG ist auf Grund des vorgelegten Formularantrages ohne weiteres Ermittlungsverfahren mit Bescheid zu entscheiden. Gemäß § 42 StudFG kann die Partei gegen Bescheide der Studienbeihilfenbehörde binnen zwei Wochen wegen behaupteter Rechtswidrigkeit Vorstellung an den Senat der Studienbeihilfenbehörde erheben. Dazu heißt es in den Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage (Stammfassung): ‚Da es sich bei der Entscheidung über den Studienbeihilfeantrag um ein abgekürztes Verfahren handelt, das teilweise dem Mandatsverfahren gemäß § 57 AVG nachgebildet ist, steht als Rechtsmittel die Vorstellung zur Verfügung. Es ist also erforderlichenfalls ein neues Ermittlungsverfahren unter Wahrung des Parteiengehörs durchzuführen und von der Studienbeihilfenbehörde in erster Instanz nochmals zu entscheiden.‘ Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. das Erkenntnis vom 14. September 1994, Zl. 94/12/0081) ist die Vorstellung nach dem StudFG ein modifiziertes remonstratives Rechtsmittel, über das zwar formell dieselbe Behörde, jedoch nach verschiedenen Regeln über die Willensbildung zu entscheiden hat.“ 189 Für Verfahren, in denen Formulare eine weniger dominante Stellung haben, sind die folgenden Ausführungen entsprechend anzupassen. 190 Vgl Thienel: Verwaltungsverfahrensrecht, S. 138ff; Walter/Mayer: Verwaltungsverfahrensrecht, S. 113ff.
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E. Rechtsanwendung und Formulare
-
Die Entscheidung wird auf Grund des Formularantrags getroffen: Die Behörde ist in der Wahl der Mittel, die sie zur Feststellung der Entscheidungsgrundlagen wählt, nicht frei. Das einzige „Werkzeug“, das ihr im Ermittlungsverfahren zur Verfügung steht, ist das Antragsformular. Der Inhalt des ausgefüllten Formblatts ist - zusammen mit den vorzulegenden Nachweisen, die aber nur der Überprüfung191 der Angaben im Formular dienen - die Grundlage der Entscheidung.
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Die Behörde entscheidet auf Grund des vorgelegten Formularantrags: Die Behörde füllt das Formular nicht aus, sondern erhält den Formularantrag vom Antragsteller vorgelegt. Sie stellt daher die Elemente des maßgebenden Sachverhalts nicht selbst fest, sondern ist auf die vom Antragsteller im Formblatt gemachten Angaben angewiesen. Da neben dem vorgelegten Antragsformular kein weiteres Ermittlungsverfahren durchgeführt wird, sind ausschließlich die vom Antragsteller im Formular gemachten Angaben die Basis der Entscheidung.
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Die Entscheidung wird ohne weiteres Ermittlungsverfahren getroffen: Die Feststellung des Sachverhalts ist mit dem Ausfüllen des Antragsformulars durch den Antragsteller abgeschlossen. Die Behörde verwendet nur diese Daten. Über die Auswertung des Formulars hinausgehende Ermittlungsschritte werden von der Behörde nicht gesetzt.192
Das ausgefüllte Antragsformular ist damit im Formularverfahren die Grundlage, aber auch die Grenze der juristischen Entscheidung. Was darin nicht enthalten ist, wird im Verfahren nicht berücksichtigt. Dadurch wird Vollständigkeit zu einem zentralen Merkmal des Formularverfahrens. Nur der vollständig im Formular festgehaltene Sachverhalt kann die Grundlage für eine inhaltlich richtige Entscheidung sein. Ist das Antragsformular unvollständig ausgefüllt, kann der gesamte Sachverhalt mangels der Möglichkeit weiterer Ermittlungsschritte durch die Behörde nicht festgestellt und das Verfahren nicht durchgeführt werden. Vollständigkeit ist aber nicht nur eine Anforderung an den Antragsteller, der das Formblatt ausfüllt. Sie bedeutet auch, dass im Antragsformular selbst die Möglichkeit vorhanden sein muss, alle rechtserheblichen Merkmale des Falls einzutragen. Für jedes Element des Sachverhalts muss im Formular ein ent————— 191 Dadurch ändert sich die Vorgangsweise der Behörde. An die Stelle der Erhebung und Feststellung der für die Entscheidung maßgebenden Fakten tritt die Überprüfung der Vollständigkeit und Richtigkeit der vom Antragsteller im Formblatt gemachten Angaben unter Verwendung der Beilagen zum Formularantrag. 192 Dadurch unterscheidet sich das Formularverfahren von dem Rechtsmittelverfahren, das im Anschluss an eine Entscheidung im Formularverfahren durchgeführt wird.
II. Tatbestand und Sachverhalt im Formular
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sprechendes Eingabeelement vorhanden sein. Diese Notwendigkeit der Vollständigkeit ist eine besondere An- und Herausforderung bei der Gestaltung von Formularen.
Abbildung 23: „Vollständigkeit“ im Formular
Für eine erfolgreiche Subsumtion des in das Formular eingetragenen Sachverhalts muss jedem Element von SV auch ein Element des Tatbestands T gegenüberstehen. Jedes Formularfeld, in das ein Element des Sachverhalts eingetragen wird, kann daher auch einem Element von T zugeordnet werden. Aus der Anforderung der Vollständigkeit für den Sachverhalt folgt daher, dass das Antragsformular im Formularverfahren auch eine vollständige Abbildung der Elemente von T enthält. Trägt der Antragsteller ein Sachverhaltselement in ein Formularfeld ein, ordnet er dieses auch einem Element von T zu. Er subsumiert das Merkmal des SV unter ein Merkmal von T. Das Antragsformular in einem Formularverfahren ist damit eine komplexe Schnittstelle zwischen Behörde und Antragsteller, die den Tatbestand abbildet. Das ermöglicht die - durch das Antragsformular angeleitete - Subsumtion des Sachverhalts unter T durch Eintragen von Elementen des SV in Formularfelder. Diese Subsumtion führt der Ausfüllende durch, also im Formularverfahren der Antragsteller, der den ausgefüllten Formularantrag der Behörde vorlegt. Durch den Einsatz von Formularen kann in Verfahren die sachverhaltsbezogene, vom Einzelfall abhängige Feststellung und Entfaltung des Sachverhalts - zumindest teilweise - auf den Antragsteller überwälzt193 werden. Antragsformulare sind damit ein zentrales Werkzeug bei der Gestaltung arbeitsteiliger juristischer Verfahren.
II. Tatbestand und Sachverhalt im Formular Das Antragsformular für ein Formularverfahren bildet den Tatbestand T bzw. T' der Rechtsnorm, die unter Verwendung des Formblatts auf mehrere Sachverhalte angewendet werden soll, ab194. Im Folgenden wird untersucht, wie ————— 193
Vgl. unten S. 112. Vgl. Fotheringham: Allgemeine Gesichtspunkte des Formulars, in: Grosse/Mentrup (Hrsg.), Bürger – Formulare – Behörde, Gunter Narr Verlag, 1980, S. 26ff; Brinckmann/Grimmer/Höhnmann/Kuhlmann/Schäfer: Formulare, S. 191ff; Grimmer, Formular, S. 3f. 194
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E. Rechtsanwendung und Formulare
das juristische Formblatt aus T gewonnen und auf welche Weise T bzw. T' in diesem dargestellt195 wird.
1. Die Abbildung des Tatbestands im Formular - ein Beispiel An Hand eines einfachen Beispielsachverhalts aus dem Gebiet der Studienförderung196 wird gezeigt, wie durch Entfaltung des Tatbestands T auf diesen Mustersachverhalt hin die für die Erfassung des Sachverhalts notwendigen Formularelemente gewonnen werden. Ausgangspunkt ist folgender minimaler197 Mustersachverhalt: X ist Student der Rechtswissenschaften an der Universität Innsbruck. Er hat das Studium in diesem Semester inskribiert. Er ist österreichischer Staatsbürger.
Der Tatbestand T, der im Formular abgebildet wird, ist dem Studienförderungsgesetz 1992 (StudFG) i.d.F. BGBl. 343/1993, BGBl. 619/1994 - also nicht der zur Zeit geltenden Fassung198 - entnommen. Die korrespondierenden Formulare, die T abbilden, sind in BGBl. 278/1994199 kundgemacht. ————— 195 Vgl. Lambertz: Bürgernahe Schriftsprache in der Verwaltung, Dissertation, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, 1990, S. 277ff; Brinckmann/Grimmer/Höhnmann/Kuhlmann/Schäfer: Formulare, S. 137ff; Grosse: Allgemeine Überlegungen zur sprachlichen Fassung von Vordrucken und Formularen, in: Grosse/Mentrup (Hrsg.), Bürger – Formulare – Behörde, Gunter Narr Verlag, 1980; Helbig: Der Aufbau und die Gestaltung der Vordrucke, in: Grosse/Mentrup (Hrsg.), Bürger – Formulare – Behörde, Gunter Narr Verlag, 1980; Diederich: Das Kommunikationsmittel „Formular“, in: Grosse/Mentrup (Hrsg.), Bürger – Formulare – Behörde, Gunter Narr Verlag, 1980; Schäfer: Ausgestaltung, S. 70ff; Havelka: „... auf frischer Tat betreten“ – Zur (amts-)sprachlichen Gestaltung von Formularen und Merkblättern der Bundespolizeidirektion Wien, Diplomarbeit, Universität Wien, 1998; Bundeskanzleramt: Richtlinien. 196 Das Verfahren nach dem StudFG ist ein typisches Formularverfahren, das sich einerseits durch die gesetzliche Auflage und andererseits durch die große Zahl an Erledigungen auszeichnet. An Universitäten wurden im Studienjahr 1996/97 25.875, 1997/98 26.323 Bewilligungen erteilt. An Universitäten der Künste 789 und 849. (Vgl. „548/AB (XXI. GP) - Situation der StudienbeihilfenbezieherInnen Anfragebeantwortung durch die Bundesministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur Elisabeth Gehrer zu der schriftlichen Anfrage (531/J) der Abgeordneten Dr. Kurt Grünewald, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Wissenschaft und Verkehr betreffend Situation der StudienbeihilfenbezieherInnen“ [http://www.parlinkom.gv.at/pd/pm/XXI/ AB/texte/005/AB00548_.html].) 197 Dieser Mustersachverhalt enthält nur einen kleinen Teil der für die Antragstellung notwendigen Sachverhaltselemente. Das StudFG legt zahlreiche, sehr komplexe Voraussetzungen für die Gewährung der Studienbeihilfe fest. In der FormularVO BGBl. 278/1994 werden 14(!) Formblätter kundgemacht, durch die die für eine Entscheidung relevanten Daten erhoben werden. 198 Gegenstand der folgenden Untersuchung ist die Struktur des Tatbestands, seine argumentative Entfaltung und seine Abbildung in einem Formblatt. Das Ziel dieser Untersuchung ist keine dogmatische Interpretation geltenden Fassung des StudFG, weshalb auch auf die Verwendung der aktuellen Fassung des StudFG und der dazugehörenden Formblätter verzichtet wird.
II. Tatbestand und Sachverhalt im Formular
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§ 2 StudFG in der genannten Fassung legt den „begünstigten Personenkreis“ für die Studienförderung fest: Förderungen können folgende Personen enthalten: 1. österreichische Staatsbürger (§ 3200) und 2. gleichgestellte Ausländer und Staatenlose (§ 4201).
————— Die gültige Fassung des StudFG und die aktuellen Formulare sind unter http://www.stipendium.at zu finden. 199 Verordnung des Bundesministers für Wissenschaft und Forschung über Formulare nach dem Studienförderungsgesetz 1992, BGBl. 278/1994. 200 § 3 (1) Folgende österreichische Staatsbürger können Förderungenerhalten: 1. ordentliche Hörer an österreichischen Universitäten, 2. ordentliche Hörer an der Akademie der bildenden Künste in Wien und an Kunsthochschulen, 3. Studierende an einer in Österreich gelegenen Theologischen Lehranstalt (Art. V § 1 Abs. 1 des Konkordates, BGBl. II Nr. 2/1934) nach Ablegung einer Reifeprüfung, 4. ordentliche Studierende an öffentlichen oder mit dem Öffentlichkeitsrecht ausgestatteten Pädagogischen Akademien, Berufspädagogischen Akademien oder Akademien für Sozialarbeit (ausgenommen deren Vorbereitungslehrgang), 5. ordentliche Studierende an Privatschulen, wenn diese mit dem Öffentlichkeitsrecht ausgestattet sind, ein eigenes Organisationsstatut haben und ihre Vergleichbarkeit mit den Pädagogischen Akademien oder Berufspädagogischen Akademien oder Akademien für Sozialarbeit auf Grund gleicher Bildungshöhe und gleichen Bildungsumfanges durch Verordnung des Bundesministers für Unterricht und Kunst festgestellt ist, 6. ordentliche Studierende an öffentlichen oder mit dem Öffentlichkeitsrecht ausgestatteten Land- und forstwirtschaftlichen berufspädagogischen Akademien, 7. ordentliche Studierende an mit dem Öffentlichkeitsrecht ausgestatteten Konservatorien, wenn sie die durch Verordnung des Bundesministers für Unterricht und Kunst bezeichneten Hauptstudiengänge besuchen (§ 5 Abs. 2), 8. Studierende an medizinisch-technischen Akademien und an Hebammenakademien, 9. Studierende von Fachhochschul-Studiengängen. (2) Den im Abs. 1 genannten, mit Öffentlichkeitsrecht ausgestatteten Schulen sind Privatschulen gleichgestellt, 1. die erstmals um das Öffentlichkeitsrecht angesucht haben oder 2. denen im vorangegangenen Schuljahr das Öffentlichkeitsrecht verliehen (und nicht entzogen) worden ist, wenn sie für das laufende Schuljahr um die neuerliche Verleihung angesucht haben. (3) Unter Kunsthochschulen im Sinne dieses Bundesgesetzes ist auch die Akademie der bildenden Künste in Wien zu verstehen. (4) Unter Akademien werden im Folgenden die im Abs. 1 Z 4, 5 und 6 genannten Einrichtungen verstanden. (5) Voraussetzung für den Anspruch auf Studienbeihilfe für die in Abs. 1 genannten Studierenden ist die Inskription, soweit eine solche in den Studien- und Ausbildungsvorschriften vorgesehen ist. 201 § 4 (1) Staatsbürger von Vertragsparteien des Übereinkommens zur Schaffung des Europäischen Wirtschaftsraumes (EWR) sind österreichischen Staatsbürgern gleichgestellt, soweit es sich aus diesem Übereinkommen ergibt. (2) Ausländer und Staatenlose sind österreichischen Staatsbürgern gleichgestellt, wenn sie vor der Aufnahme an einer im § 3 genannten Einrichtung 1. gemeinsam mit ihren Eltern wenigstens durch fünf Jahre in Österreich unbeschränkt einkommensteuerpflichtig waren, 2. in Österreich während dieses Zeitraumes den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen hatten und
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E. Rechtsanwendung und Formulare
Der Tatbestand T enthält daher gem. § 2 StudFG ein Tatbestandsobjekt TO1 mit folgenden Eigenschaften: -
TE1.1 = natürliche Person
-
TE1.2 = österreichischer Staatsbürger
-
TE1.3 = gleichgestellter Ausländer
-
TE1.4 = gleichgestellt staatenlos Zwischen den einzelnen TE1.m werden folgende Beziehungen definiert:202 T1 = TE1.1 ∧ ( TE1.2 ∨ TE1.3 ∨ TE1.4)
Der rechtserhebliche Sachverhalt203 enthält ein Sachverhaltsobjekt SO1, das folgende Eigenschaften aufweist: -
SE1.1 = natürliche Person
-
SE1.2 = Name X
-
SE1.3 = österreichischer Staatsbürger
-
SE1.4 = Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Innsbruck
-
SE1.5 = Inskription
Wird T auf den Sachverhalt SV hin entfaltet, müssen TE1.3 und TE1.4 nicht mehr weiter beachtet werden, da SO1 die Eigenschaft „österreichischer Staatsbürger“ (SE1.3) hat. Durch § 3 StudFG (vgl. S. 95 FN 200) wird der begünstigte Personenkreis mit österreichischer Staatsbürgerschaft weiter eingeschränkt. Förderungen kann nur erhalten, wer gem. Abs. 1 zusätzlich zu TE1.2 noch die Eigenschaft TE1.5 = ordentlicher Hörer an einer österreichischen Universität, ... oder TE1.13 = Studierender eines Fachhochschul-Studiengangs aufweist. Gem. § 5 ist die Inskription (= TE1.14) zusätzliche Voraussetzung für den Anspruch auf Studienbeihilfe, „soweit eine solche in den Studien- und Ausbildungsvorschriften vorgesehen ist“. Es gilt daher: TE1.2 ∧ (TE1.5 ∨ ... ∨ T1.13) ∧ TE1.14
In Hinblick auf SV und SE1.4 ( Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Innsbruck) kann dieser Ausdruck reduziert werden zu: T2 = TE1.1 ∧ TE1.2 ∧ TE1.5 ∧ TE1.14
————— 3. eine österreichische Reifeprüfung abgelegt haben, wenn diese eine Voraussetzung für die Zulassung zum Studium ist. (3) Flüchtlinge im Sinne des Artikels 1 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, sind österreichischen Staatsbürgern gleichgestellt. 202 Es muss sich um eine natürliche Person handeln, die entweder österreichischer Staatsbürger oder gleichgestellter Ausländer oder gleichgestellt staatenlos ist. 203 Vgl. dazu SV 1 S. 39.
II. Tatbestand und Sachverhalt im Formular
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Abbildung 24: Entfaltung und Subsumtion für das Beispiel ohne Formular
T2 ist in diesem Beispiel auch gleichzeitig der endgültige Tatbestand Te (vgl. S. 48, da eine weitere Entfaltung von T durch generelle Argumentation nicht mehr notwendig ist. Die Subsumtion des Sachverhalts unter Te ist ohne Formblatt problemlos möglich für dieses Beispiel, das sowohl in T als auch in SV nur einen Bruchteil der Elemente, die in einem realen Verfahren berücksichtigt werden müssen, enthält. In einem Formularverfahren wird jedoch ein Formblatt als Werkzeug, das die Subsumtion unterstützt, verwendet. Über das Antragsformular stellt die Behörde in formalisierter Weise Fragen204 an den Ausfüllenden, der durch Eintragen der Antworten eine Beschreibung seines individuellen Sachverhalts erzeugt. An welcher Stelle der Entfaltung der Tatbestandselemente wird nun beim Formularentwurf auf einen weiteren Entfaltungsschritt verzichtet und wie wird die Frage an den Antragsteller formuliert? Im Folgenden wird dies für die einzelnen TEn.m dargestellt.
a) Feld „Staatsbürgerschaft“ § 2 StudFG unterscheidet bei der Definition des begünstigten Personenkreises zwischen österreichischen Staatsbürgern und gleichgestellten Auslän————— 204 Bei der Verwendung eines Formulars handelt es sich „um eine asymmetrische Dialogsituation, in der eine Behörde ein streng formalisiertes Interview mit einem Bürger auf ein genau fixiertes Ziel hin führt.“ (Grosse: Allgemeine Überlegungen zur sprachlichen Fassung von Vordrucken und Formularen, S. 13.)
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E. Rechtsanwendung und Formulare
dern bzw. Staatenlosen. Das Merkmal der Staatsbürgerschaft entscheidet, ob die in § 3 StudFG aufgelisteten Voraussetzungen für den Erhalt einer Förderung ausreichen, oder ob zusätzlich noch weitere Tatbestandselemente (§ 4 StudFG) vorliegen müssen.
Abbildung 25: Fragefeld „Staatsbürgerschaft“
Die Staatsbürgerschaft ist damit ein logisches Entscheidungskriterium, das bei der Rechtsanwendung bestimmt, welche und wie viele Sachverhaltselemente im Verfahren erhoben werden müssen. Es ist eine Weggabelung im Verfahren, an der entschieden wird, wie bei der Sachverhaltsermittlung weiter vorzugehen ist. Dies muss auch im Formular abgebildet werden. Staatsbürgerschaft ist ein Rechtsbegriff, dessen Bedeutung beim Antragsteller als bekannt vorausgesetzt werden kann. Eine weitere Entfaltung ist daher nicht nötig. Im Formular wird daher direkt - „Besitzen Sie die österreichische Staatsbürgerschaft?“ - nach dem Tatbestandselement TE1.2 „österreichische Staatsbürgerschaft“ gefragt. Da die österreichische Staatsbürgerschaft nur entweder vorliegen kann oder nicht, werden dem Ausfüllenden auch gleich die zwei zulässigen Antworten vorgegeben: Ja („J“) oder Nein („N“). Bejaht der Antragsteller die Frage, indem er „J“ markiert, hat er das Element seines Sachverhalts SE1.3 dem Tatbestandselement TE1.2 zugeordnet. SE1.3 wurde beim Ausfüllen des Formulars unter TE1.2 subsumiert. Gleichzeitig wurde damit aber auch die Entscheidung getroffen, dass im konkreten Fall die in § 3 StudFG aufgelisteten Voraussetzungen ausreichen und keine zusätzlichen Tatbestandselemente (§ 4 StudFG) erfasst werden müssen.
II. Tatbestand und Sachverhalt im Formular
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Diese Entscheidung ist Teil des Formulars, weil in dem Formblatt mehrere wenn möglich sogar alle - mögliche Varianten des Tatbestands und die entsprechenden Tatbestandselemente abgebildet werden. Es werden im Vordruck mehrere ähnliche Tatbestände überlagert. Im Formular - im Fall des StudFG in einer Gruppe zusammengehörender Formulare - sind dann für alle Tatbestandselemente aller überlagerten T Frageelemente vorhanden, egal ob sie im konkreten Fall von Bedeutung sind oder nicht.205 Einzelne Formularelemente sind dann mehreren Tatbeständen T zugeordnet.
Abbildung 26: Fragefeld „Staatsbürgerschaft II“
Während des Ausfüllens des Formulars wird - geleitet durch die entsprechenden Anordnungen und Informationen im Formblatt - durch den Ausfüllenden ————— 205 Vgl. Grosse: Allgemeine Überlegungen zur sprachlichen Fassung von Vordrucken und Formularen, S. 18f: „Dabei ergibt sich für die Gestaltung des Vordrucks die Konsequenz, dass sehr viel mehr Text in Frage- und Spaltenform angeboten werden muss, als der Antragsteller eigentlich zu kennen braucht. Er hat eine sehr viel größere Menge der ihm unsympathischen Textsorte zu lesen, als ihm nötig erscheint. Ein krasses Beispiel hierfür dürfte der Fragebogen der Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen (ZVS) in Dortmund sein, wo der Studierende für die Beantragung seiner Immatrikulation etwa 150 Seiten lesen muss, um etwa 10 auszufüllen.“
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E. Rechtsanwendung und Formulare
jener Tatbestand T, der seinem Sachverhalt entspricht, ausgewählt. Dies geschieht dadurch, dass er die Kombination an Formularelementen, die die für seinen SV relevanten Elemente von T abbilden, auswählt und Antworten einträgt. Diese Möglichkeit der Abbildung mehrerer206 ähnlicher Tatbestände durch Überlagerung in ein und demselben Formular ist die kasuistische Elastizität des Formulars. F1: Die kasuistische Elastizität eines Formulars ist die Fähigkeit eines Formulars, mehrere ähnliche Tatbestände gleichzeitig abzubilden. Der Ausfüllende wählt beim Ausfüllen des Formulars den Tatbestand T, der seinem Sachverhalt SV entspricht, aus. Ist die Ähnlichkeit zwischen den einzelnen Tatbeständen und die Zahl der Formularelemente, die von diesen T gemeinsam genutzt werden, nicht ausreichend groß, so ist es u.U. notwendig, für die unterschiedlichen Tatbestände eigene Formulare zu entwerfen. Im Fall der durch § 2 StudFG getroffenen Unterscheidung würde dies bedeuten, dass ein Formular für Verfahren nach § 3 StudFG und ein Formular für Verfahren nach § 4 StudFG benötigt würde. Die Entscheidungsfrage nach der österreichischen Staatsbürgerschaft würde in beiden Formblättern entfallen, da sie bereits bei der Auswahl des entsprechenden Vordrucks gestellt und durch die Verwendung eines der beiden Formulare beantwortet würde. Da die Tatbestände nach § 3 und § 4 StudFG aber ausreichend ähnlich sind und sinnvoll überlagert werden können, ermöglicht die kasuistische Elastizität des Antragsformulars die Abbildung beider T. Hätte der Antragsteller auf die Frage nach der österreichischen Staatsbürgerschaft mit „Nein“ geantwortet, wäre er zu den Tatbeständen nach § 4 StudFG gelangt. Er müsste ein weiteres Formularfeld, das mit der soeben beantworteten Frage verbunden ist, ausfüllen. Der Fragetext „Wenn nein, welche?“ bezieht sich auf die soeben gegebene Antwort und gibt an, unter welcher Bedingung das Feld ausgefüllt werden muss. Im Gegensatz zur Frage nach der österreichischen Staatsbürgerschaft, bei der die Antwort bereits im Eingabefeld formuliert wird, muss der Ausfüllende hier einen von ihm selbst formulierten Text eintragen. Die Zahl aller möglichen Angaben (alle Staaten, staatenlos) ist so groß, dass ihre Auflistung zusammen mit ————— 206 In der Hilfe zum Internet-Formular zur elektronischen Abwicklung von Gewerbeangelegenheiten wird die Tatsache, dass eine Vielzahl von Tatbeständen im Formular abgebildet sind, so umschrieben: „Die Reihenfolge der Eingabe ist so angeordnet, dass daraus hervorgeht, welches Gewerbe unter welcher Adresse von welcher Person ausgeübt werden soll.“ (https://www.wien.gv.at/ wgrweb/WGR_WEB_Hilfe_DE.htm\#GA_Gew)
II. Tatbestand und Sachverhalt im Formular
101
einer Auswahlmöglichkeit alleine schon wegen des begrenzten Platzes in einem Papierformular207 nicht sinnvoll ist. In dem Formularelement wird nach den entfalteten Merkmalen von TE1.3 (gleichgestellter Ausländer) bzw. von TE1.4 (gleichgestellt staatenlos) gefragt. Gem. § 4 StudFG (vgl. S. 95) sind z.B. Staatsbürger von Vertragsparteien des EWR gleichgestellt, „soweit es sich aus diesem Übereinkommen ergibt“. Wird TE1.4 zu TE1.15 = Staatsbürger EWR, und dann weiter zu allen möglichen Vertragsstaaten des EWR (TE1.m, TE1.x+1, ...) entfaltet, dann können über das Textfeld Daten für jeden dieser TE1.m, TE1.m+1, ... erfasst werden. Auf Grund der kasuistischen Elastizität des Formulars überlagern sich alle diese Tatbestandselemente in diesem einen Formularfeld.208 Füllt der Antragsteller das Formular aus, so erfolgt die Subsumtion in mehreren Schritten: (1) Auswahl zwischen § 3 und § 4 StudFG. (2) Eintragen der Staatsbürgerschaft (SE1.3): Dadurch wird die Staatsbürgerschaft des Antragstellers in den rechtserheblichen Sachverhalt übernommen und allgemein unter das Tatbestandselement „Staatsbürgerschaft“ subsumiert. Es erfolgt jedoch im Gegensatz zu einer positiven Beantwortung der Frage nach der österreichischen Staatsbürgerschaft keine eindeutige Zuordnung zu einem bestimmten T. Es sind dem Formularfeld ja auf Grund der kasuistischen Elastizität nicht nur ein einzelnes, sondern mehrere TE1.m zugeordnet. Daher wird zur endgültigen Subsumtion noch ein dritter Schritt notwendig: (3) Zuordnung des Eintrags zu einem bestimmten TE1.m. Damit ist die Subsumtion von SE1.3 unter TE1.m abgeschlossen. Diese letzte Zuordnung kann der Ausfüllende nicht mehr durchführen, da sie erst vorgenommen wird, wenn das Formular für den konkreten Sachverhalt SV ausgewertet wird. Beim Fall des österreichischen Staatsbürgers kann der Antragsteller auf Grund der Eindeutigkeit der Beziehung zwischen TE1.2 und dem Fragefeld durch Eintragen einer positiven Antwort alleine subsumieren. ————— 207
In elektronischen Formularen stellen sich derartige Platzfragen nicht, da durch „ausklappbare“ Eingabeelemente auch eine große Zahl an Antworten zur Auswahl vorgegeben werden. (Vgl. z.B. die Liste zur Staaten- und Sprachauswahl auf http://www.hp.com, in der die Staaten in mehreren Ebenen zur Auswahl aufgelistet werden.) 208 In diesem Feld überlagern sich noch viel mehr Tatbestandselemente, da § 4 StudFG nicht nur Regelungen für Staatsbürger von EWR-Staaten, sondern auch für Staatsbürger anderer Staaten, Staatenlose und Flüchtlinge i.S.d. Art. 1 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge enthält.
102
E. Rechtsanwendung und Formulare
Bei dem Feld mit überlagerten Tatbestände folgt der „ Subsumtion durch Ausfüllen“ noch eine abschließende „Subsumtion durch Auswahl“. Den ersten Subsumtionsschritt führt der Antragsteller, den zweiten die Behörde durch.
b) Universität - Studium
Abbildung 27: Eingabefelder „Studium“
Für die Subsumtion von SE1.4 = „Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Innsbruck“ unter das TE1.5 = „ordentlicher Hörer an einer österreichischen Universität“ gilt dasselbe wie für das soeben dargestellte Textfeld zur Erfassung der Staatsbürgerschaft. In mehrere Formularfelder wird Studium und Universität eingetragen. Diese Felder bilden ebenfalls auf Grund der kasuistischen Elastizität Tatbestandselemente mehrere T209 ab. Dies wird hier besonders deutlich, da in der Frage für das Feld zur Erfassung des Studiums selbst die Überlagerung der Tatbestände mit „Studienrichtung(en)/ Studienzweig(e)/ Fachhochschulstudiengang“ angeführt wird.
c) Inskription Für das Tatbestandselement „Inskription“ (TE1.14) ist im Antragsformular kein Feld enthalten, in das der Ausfüllende Daten eintragen kann. Dies, obwohl § 3 Abs. 5 StudFG vorsieht, dass Inskription Voraussetzung für die Studienbeihilfe ist, „soweit eine solche in den Studien- und Ausbildungsvorschriften vorgesehen ist“. Der Nachweis der Inskription kann nur über die entsprechende Unterlagen, die der Student nach der Inskription erhält, geführt werden. Für das Verfahren selbst ist nur die Tatsache von Bedeutung, dass der Antragsteller inskripiert ist. Weitere Daten sind in diesem Zusammenhang nicht von Bedeutung. ————— 209
Vgl. die Aufzählung der Typen von Studieneinrichtungen in § 3 StudFG (FN 200).
II. Tatbestand und Sachverhalt im Formular
103
Es ist daher nicht notwendig, dass zu diesem Tatbestandselement im Formular ein Eingabefeld enthalten ist. Es reicht vielmehr aus, wenn als Nachweis der Inskription dem Antrag die Bestätigung beigelegt wird. Daher enthält die „Checkliste“ in der Informationsbroschüre, die den Antragsteller beim Ausfüllen des Antragsformulars unterstützt, einen Punkt „Nachweis der eigenen Inskription“ als Hinweis, dass diese Bestätigung dem Formularantrag beigelegt werden muss.
Abbildung 28: Nachweis über Beilagen
In diesem Fall wird die Subsumtion von SE1.5 unter TE1.14 ähnlich wie bei einem Verfahren, in dem kein Formular verwendet wird, durchgeführt. Der Antragsteller stellt den Nachweis, dass das Sachverhaltselement vorhanden ist, bereit und die Behörde subsumiert dieses unter das entsprechende Tatbestandselement. Ein wesentlicher Unterschied ist aber, dass nicht die Behörde sondern der Antragsteller im Rahmen des Ermittlungsverfahrens SE1.5 als rechtserhebliches Sachverhaltselement aus dem Fall gewinnt. d) Personendaten Der Tatbestand für dieses Beispiel enthält ein Element TE1.1 (Person), das bis jetzt nicht betrachtet wurde. An diesem Tatbestandselement zeigt sich, dass das Formular auch ein Arbeitsmittel für das durchzuführende Verwaltungsverfahren ist. Es dient im Formularverfahren nicht nur der vollständigen Erfassung der „materiell-rechtlichen“ Tatbestandselemente, die die inhaltliche Grundlage für die zu treffende Entscheidung darstellen. Im Formblatt sind auch Formularfelder zu finden, die auf Grund der Erfordernisse ein Verfahren durchzuführen, aufgenommen wurden.
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E. Rechtsanwendung und Formulare
Abbildung 29: Personendaten
SO1 ist der Antragsteller im Verfahren. Er muss daher im Verfahren eindeutig identifizierbar210 sein, muss z.B. für Verbesserungen des Antrags erreichbar sein und schließlich muss ihm auch ein Bescheid nach Abschluss des Verfahrens zugestellt werden. Die Erfassung all der für diese „Verfahrensnotwendigkeiten“ benötigten Daten erfolgt im Formularverfahren auch über das Antragsformular. ————— 210 Für die Identifikation wird häufig der Name des Antragstellers (u.U. in Kombination mit der Adresse oder Geburtsdatum) verwendet. Diese Merkmale sind meist ausreichend, aber nicht immer eindeutig. In vielen Verfahren werden daher gesonderte Identifikationsmerkmale wie z.B. Kennnummern verwendet. So auch im vorliegenden Formularverfahren, in dem die eindeutige Matrikelnummer bzw. das Personenkennzeichen an Fachhochschulgängen zur eindeutigen Bezeichnung des Antragstellers über Formularfelder erfragt werden. Sind bei eine Behörde die Daten für die Zustellung von (Name, Adresse, ...) bereits bekannt, ist es nicht notwendig sie nochmals über das Formular zu erfassen. Vgl. dazu z.B. Kurzbroschüre mit den häufigst gestellten Fragen zum ERV (http://www.justiz.gv.at/broschueren/download/erv_ faq.pdf): „Für jeden Teilnehmer am ‚Elektronischen Rechtsverkehr‘ wird eine Zeichenfolge (= Anschriftscode) erstellt, unter der dessen Name und Anschrift sowie eine Kennung, dass und in welcher Weise er am ‚Elektronischen Rechtsverkehr‘ teilnimmt, in der Datenbank der Bundesrechenzentrum GmbH gespeichert werden. Der Anschriftscode kann auch Bankverbindungen zur Einziehung der Gerichtsgebühren (AEV-Konto) und zur Einzahlung von Geldbeträgen an Antragsteller und deren Vertreter (Einzahlungskonto) sowie zusätzliche den Teilnehmer betreffende Angaben enthalten. Elektronisch angebrachte Eingaben müssen den jeweiligen Anschriftscode des Teilnehmers wiedergeben. Bei elektronischen Zustellungen dient er zur Bezeichnung des Empfängers. Der Anschriftscode ist sohin zur ungehinderten Teilnahme am ‚Elektronischen Rechtsverkehr‘ unerlässlich.“
II. Tatbestand und Sachverhalt im Formular
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Die Merkmale, die zur z.B. Beschreibung des Antragstellers nur aus Gründen der Verfahrensabwicklung benötigt werden, werden im Folgenden als „verfahrensbezogene Tatbestandselemente“ im Gegensatz zu den „materiellrechtlichen Tatbestandselementen“ bezeichnet. Manche verfahrensbezogene Tatbestandselemente ergeben sich aus den allgemeinen Notwendigkeiten, die mit der Führung eines Verfahrens verbunden sind (z.B. Name, Adresse des Antragsstellers), andere aus besonderen Verfahrensvorschriften. So enthält das dargestellte Formular nach dem StudFG Felder, in die „Kontonummer“, „Name des Kontoinhabers“, „Name des Geldinstitutes“ und „Bankleitzahl“ eingetragen werden. (Vgl. Abbildung 29 S. 104.) Sie sind ein Ergebnis der Entfaltung von § 47 Abs. 3 StudFG211, aus dem abgeleitet werden kann, dass der Empfänger der Studienbeihilfe ein Bankkonto haben muss. Personendaten, die meist verfahrensbezogene Tatbestandselemente sind, können aber in Verfahren auch Elemente der Grundlage für die materielle Entscheidung sein. So ist der Hauptwohnsitz bzw. Studienwohnsitz ein wesentliches Kriterium für die Höchststudienbeihilfe212. Die verfahrensbezogenen Tatbestandselemente werden genauso wie materiellrechtliche Elemente des Tatbestands durch Entfaltung gewonnen, wobei die Prämissen für die Entfaltung (vgl. S. 15, S. 47) entweder aus Verfahrensvorschriften oder sonstigen Regeln über die Vorgangsweise bei der Abwicklung von Verfahren gewonnen werden. In den in Abbildung 29 dargestellten Formularfeldern zur Erfassung der Sachverhaltsdaten über den Antragsteller ist die für Formulare typische Gruppierung von Formularfeldern, die sich auf dasselbe Tatbestandsobjekt TOn und damit auch auf dasselbe Sachverhaltsobjekt SOn - beziehen, erkennbar. Der gemeinsame Bezug auf TO1 wird in diesem Fall zusätzlich durch die Zwischenüberschrift „Angaben zum Antragsteller/zur Antragstellerin“ deutlich gemacht. Die Beziehung der Eigenschaften des Antragstellers - die SE1.m von SO1 - zu den verfahrensbezogenen Tatbestandselementen von TO1 ist eindeutig. Die Subsumtion erfolgt daher beim Eintragen in die Formularfelder.
————— 211 § 47 (3) StudFG BGBl. 343/1993 i.d.F. BGBl. 619/1994: Die Anweisung von Studienbeihilfen hat im bargeldlosen Zahlungsverkehr zu erfolgen. 212 § 26 StudFG.
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E. Rechtsanwendung und Formulare
2. Das Formular als Subsumtionswerkzeug Das vorangegangene Beispiel zeigt, dass sich im Formularverfahren durch den Einsatz von Formularen die Struktur der Rechtsanwendung im Vergleich zum ursprünglich beschriebenen Modell (vgl. S. 45) ändert. Im Formular werden Tatbestandselemente abgebildet und diesen Elementen von T Sachverhaltselemente durch Eintragen zugeordnet. Der Antragsteller tritt als Handelnder bei der Rechtsanwendung in Erscheinung, gewinnt - unter Anleitung durch das Formular - aus seinem Fall den rechtserheblichen Sachverhalt SVe und subsumiert ihn teilweise durch Eintragen in die Formularfelder. Im Folgenden werden die festgestellten Besonderheiten der Rechtsanwendung mit dem „Subsumtionswerkzeug“ Formular zusammengefasst und in Hinblick auf das Modell der arbeitsteiligen Rechtsanwendung interpretiert.
a) Der Tatbestand T im Formular Das juristische Formular ist im Formularverfahren eine Abbildung der durch generelle Argumentation entfalteten Elemente des Tatbestands T. Da die im Formblatt enthaltenen Merkmale im Verfahren nicht mehr weiter entfaltet werden, sondern in den Formularfeldern die entsprechenden Sachverhaltsmerkmale unter sie subsumiert werden, wird im Formular der endgültige Tatbestand Te dargestellt. Formulare werden nicht für die einmalige Rechtsanwendung verfasst, sondern dienen als Hilfsmittel für die Anwendung einer Rechtsnorm auf zahlreiche ähnliche Sachverhalte. Der im Formblatt abgebildete Tatbestand Te ist damit von einem einzelnen Fall losgelöst und Teil des kasuistischen Tatbestandsraums von T. Werden die Formulare – was z.B. bei den Formblättern nach dem StudFG, die durch VO kundgemacht werden und deren Benutzung generell verpflichtend ist – allgemein verwendet, so handelt es sich bei dem Formular um die Abbildung eines T' aus dem öffentlichen kasuistischen Tatbestandsraum von T (vgl. S. 86). Wie im obigen Beispiel dargestellt (vgl. S. 100) wird in dem Formular nicht nur ein einziger T' abgebildet, sondern eine Vielzahl von Tatbeständen überlagert. Diese Fähigkeit der gleichzeitigen Darstellung mehrerer Tatbestände ist die kasuistische Elastizität des Formulars. Mehrere - u.U. alle - T' des öffentlichen kasuistischen Tatbestandsraums werden dadurch in einem Formblatt gleichzeitig abgebildet.
II. Tatbestand und Sachverhalt im Formular
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Da bei Formularverfahren auf Grund des vorgelegten Formularantrages ohne weiteres Ermittlungsverfahren entschieden wird, muss bei dieser Verfahrensart der gesamte kasuistische Tatbestandsraum im Formblatt abgebildet sein. Auf Grund der kasuistischen Elastizität des Formulars können einzelne Formularfelder, wie z.B. jenes, in das die Staatsbürgerschaft eingetragen wird, mehreren Tatbestandselementen unterschiedlicher T' - in diesem Fall die durch das EWR-Abkommen gleichgestellten Staaten - zugeordnet sein. Abhängig von den in das Feld eingetragenen Daten wird dann der entsprechende T' gewählt.
Abbildung 30: Entfaltung und Subsumtion im Formularverfahren
Für andere Formularfelder besteht eine eindeutige Beziehung zu einem einzigen entfalteten Tatbestandselement. Die im Formular abgebildeten Tatbestandsmerkmale ergeben sich nicht nur aus der Entfaltung der materiellrechtlichen Voraussetzungen für den Eintritt der Rechtsfolge. Es gibt auch verfahrensbezogene Tatbestandselemente, die durch die Notwendigkeiten, die mit der Abwicklung eines juristischen Verfahrens verbunden sind, bestimmt werden. Welcher der vielen, durch die kasuistische Elastizität des Formulars gleichzeitig abgebildeten T' des öffentlichen Tatbestandsraums von T auf einen konkreten Sachverhalt angewendet wird, ergibt sich aus den Einträgen in die Formularfelder. Unterstützt durch die im Formblatt enthaltenen Ausfüllnormen (vgl. S. 126), die den Benutzer in Abhängigkeit von vorangegangenen Einträgen durch das Formular leiten, wird durch schrittweises Zuordnen von Sachverhaltselementen zu Tatbestandselementen der zum Sachverhalt passenden T' ausgewählt.
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E. Rechtsanwendung und Formulare
b) Die Subsumtion des Sachverhalts SV im Formular Unter Anleitung des Formulars gewinnt der Ausfüllende aus seinem konkreten Fall die rechtserheblichen Sachverhaltselemente und trägt sie - nachdem er sie u.U. noch auf die in den Formularfeldern verwendeten Begriffe hin entfaltet hat - in das Formular ein. Damit werden die einzelnen Sachverhaltselemente direkt den in den Formularfeldern abgebildeten Elementen des endgültigen Tatbestands Te zugeordnet. Eine weitere Entfaltung ist wegen der erfolgten Zuordnung zu den Tatbestandselementen nicht mehr notwendig, weshalb die eingetragenen Elemente von SV den endgültigen Sachverhalt SVe beschreiben. Durch die Zuordnung eines Sachverhaltselements zu einem Tatbestandselement wird dieses unter das entsprechende Element von T subsumiert. Im Formularverfahren beschreibt das vollständig ausgefüllte Antragsformular (mit Beilagen) das Ergebnis der Subsumtion eines endgültigen Sachverhalts SVe unter einen im Formblatt abgebildeten, endgültigen Tatbestand Te. Im Rahmen dieser Rechtsanwendung mit dem Formular sind drei Arten der Subsumtion zu unterscheiden: -
Subsumtion durch Ausfüllen,
-
Subsumtion durch Auswahl,
-
Subsumtion über Beilagen. aa) Subsumtion durch Ausfüllen
Bei der Subsumtion durch Ausfüllen trägt der Antragsteller die Daten eines Sachverhaltselements in ein Formularfeld ein und ordnet es damit dem Tatbestandselement, das durch das Feld abgebildet wird, zu. Die Behörde, die das ausgefüllte Formular bearbeitet, überprüft an Hand von Beilagen, ob diese von Antragsteller durchgeführte Subsumtion richtig ist. bb) Subsumtion durch Auswahl Diese Form der Subsumtion wird nur durchgeführt, wenn auf Grund der kasuistischen Elastizität des Formulars mehrere Tatbestandselemente einem Formularfeld zugeordnet sind. In diesem Fall muss an Hand der vom Antragsteller eingetragenen Daten die passende Tatbestandsvariante gewählt werden. Die Subsumtion durch Auswählen erfolgt, nachdem der Antragsteller die Subsumtion durch Ausfüllen vorgenommen hat. Sie wird von der Behörde durch-
III. Arbeitsteilige Verfahren und Formulare
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geführt.213 Der Subsumtionsvorgang ist in diesem Fall zweistufig und wird von verschiedenen Personen durchgeführt. Ob die Subsumtion durch Ausfüllen vom Antragsteller richtig vorgenommen wurde, muss von der Behörde auch in diesem Fall vor dem zweiten Subsumtionsschritt an Hand der Beilagen zum Formularantrag überprüft werden. Ist einem Formularfeld nur ein einziges Tatbestandselement eindeutig zugeordnet, dann ist eine Subsumtion durch Auswahl nicht notwendig und entfällt.
cc) Subsumtion über Beilagen Teilweise sind für Tatbestandselemente in Formularen keine Felder vorgesehen. Es muss dann nur die Existenz der dem Tatbestandselement entsprechenden Sachverhaltselemente durch Beilagen zum Formular überprüft werden. Bei dieser Form der Subsumtion gewinnt der Antragsteller unter Anleitung der im Formular enthaltenen Aufzählung der notwendigen Beilagen das entsprechende Sachverhaltsmerkmal. Die Subsumtion erfolgt, wenn die Behörde die Beilage prüft und feststellt, dass das von der Beilage beschriebene Sachverhaltselement dem Tatbestandselement untergeordnet werden kann.
III. Arbeitsteilige Verfahren und Formulare In Formularen wird der öffentliche kasuistische Tatbestandsraum eines T abgebildet. Durch einen öffentlichen kasuistischen Tatbestandsraum wird juristische Arbeitsteilung möglich (vgl. S. 86). Das Ergebnis einer einmal vorgenommenen Entfaltung (T') kann wiederverwendet werden und zusammen mit ————— 213 Z.B. wenn im Fall der Staatsbürgerschaft das Eingabefeld „Staat“ verschiedenen T' zugeordnet ist, die sich durch die im Gesetz aufgelisteten Staaten unterscheiden. Die konkrete Zuordnung zu einer der Tatbestandsvarianten erfolgt dann erst auf Grund des eingetragenen Inhalts. Die Notwendigkeit der nachträglichen Auswahl ist zum Teil eine Folge der Verwendung von Papierformularen mit begrenztem Platz. Die Verwendung von Listen mit den Tatbestandselementen, zwischen denen gewählt werden kann, würde im Formblatt viel Platz benötigen und seine Verwendung erschweren. Bei elektronischen Formularen ist es möglich, diese Listen in Formularfelder zu integrieren und sie bei Nichtbenutzung zu „verstecken“. In diesem Fall kann die Subsumtion durch Auswahl zusammen mit der Subsumtion durch Ausfüllen vom Antragsteller vorgenommen werden.
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E. Rechtsanwendung und Formulare
dem Begründungszusammenhang zwischen T und T' in die eigene Entscheidung integriert werde Beim bisher beschriebenen Modell juristischer Arbeitsteilung wird nur das Ergebnis der generellen Interpretation eines Tatbestands T wiederverwendet. Die einzelfallbezogene, individuelle Entfaltung des Sachverhalts SV auf T hin ist davon nicht betroffen. In dem Beispiel (S. 94) zur Abbildung des Tatbestands T in einem Formular wurde gezeigt, wie der Antragsteller durch Ausfüllen Sachverhaltselemente unter die im Formular abgebildeten Tatbestandselemente subsumiert. Durch die Verwendung eines Formulars kommt es auch auf der Seite des Sachverhalts zu einer Aufteilung der Arbeit zwischen der Behörde, die das Formular zur Sachverhaltsermittlung einsetzt, und dem Antragsteller, der das Formular ausfüllt. Der Ausfüllende führt juristische Arbeitsschritte durch, die ohne Verwendung des Formblatts Aufgabe der Behörde wären.
IV. Norm- und Sachverhaltsarbeit Die Gesamtheit der Arbeit, die bei der Anwendung einer Rechtsvorschrift auf einen konkreten Fall bzw. Sachverhalt zu leisten ist, ist die „Norm- und Sachverhaltsarbeit“214. Die Norm- und Sachverhaltsarbeit (im Folgenden A bezeichnet) setzt sich entsprechend dem in den vorangegangenen Ausführungen beschriebenen Modell der Rechtsanwendung aus folgenden Teilarbeiten zusammen:
————— 214
Der hier vorgestellte Begriff der „Norm- und Sachverhaltsarbeit“ unterscheidet sich wesentlich von dem in Müller: Juristische Methodik, 5. Auflage, Duncker & Humblot, 1993, S. 246ff dargestellten Begriff der Rechtsarbeit. Diese „betrifft nur die normorientierte Arbeit von Fachleuten. ... Rechtstheoretisch ist der Begriff der Rechtsarbeit dem Handeln professioneller Juristen auf dieselbe Weise vorbehalten wie methodologisch der Begriff der Konkretisierung. Beide sollten dagegen nicht auf normorientiertes Argumentieren und Verhalten nicht-juristischer Betroffener, Adressaten, Teilnehmer am Rechtsleben erstreckt werden. Auch diese haben tatsächliche Funktionen der Rechtskonkretisierung von kaum zu überschätzendem Ausmaß, wenn sie auch von der Wissenschaft gern übersehen zu werden pflegen. Diese Seite der Verwirklichung von Recht außerhalb spezifisch normierter juristischer Funktionen ist ‚Aktualisierung‘ genannt und der ‚Konkretisierung‘ im Rahmen von Rechtsarbeit zur Seite gestellt worden.“ (Müller: Juristische Methodik, S. 249.) Der Begriff der „Norm- und Sachverhaltsarbeit“ hingegen umfasst alle juristischen Arbeitsschritte, die im Rahmen der Rechtsanwendung „professionelle Juristen“ oder andere Personen durchführen. Diese Arbeit ist die Summe der Arbeitsschritte, die notwendig sind, um eine Rechtsvorschrift auf einen Fall anzuwenden.
IV. Norm- und Sachverhaltsarbeit
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-
Ermittlungsarbeit: Das ist jene juristische Arbeit, die notwendig ist, um aus dem konkreten Fall F den rechtserheblichen Sachverhalt SV zu gewinnen. Sie wird im Folgenden mit Ae bezeichnet.
-
Interpretationsarbeit: Die Interpretationsarbeit ist die juristische Arbeit, die notwendig ist, um den Tatbestand T und den rechtserheblichen Sachverhalt SV auf einander hin zu entfalten. Sie wird als Ai bezeichnet. Ai wiederum kann unterteilt werden in:
(1) generelle Interpretationsarbeit Aig: Dies ist die Arbeit, die geleistet werden muss, um den Tatbestand T mittels genereller Argumentation zum endgültigen Tatbestand Te zu entfalten. (2) individuelle Interpretationsarbeit Aii: Dabei handelt es sich um die juristische Arbeit, die für die Entfaltung des rechtserheblichen Sachverhalts SV zum endgültigen Sachverhalt SVe mittels individueller Argumentation notwendig ist. Die Größe von Aii und Aig ist proportional zu den bei der Rechtsanwendung durchgeführten Entfaltungsschritten. Es gilt: Ai = Aig + Aii -
Subsumtionsarbeit As: Dabei handelt es sich um die notwendige Arbeit für den abschließenden Einzelvergleich der TOn, SOn, TEn.m, SEn.m, TRn, SRn.
Zusätzlich können sich aus einer Verfahrenssituation noch weitere Typen juristischer Arbeit ergeben. So z.B. die mit der Auskunft an Antragsteller verbundene Arbeit oder die Arbeit, die zur Überprüfung von Unterlagen notwendig ist. Im einfachen Modell der Rechtsanwendung, das keine arbeitsteilige Vorgangsweise kennt, gilt für die Anwendung einer Rechtsvorschrift auf einen konkreten Fall F bzw. Sachverhalt SV: A = Ae + Ai + As
Für das Modell der Arbeitsteilung durch Verwendung eines abgeleiteten Tatbestands T' aus einem öffentlichen kasuistischen Tatbestandsraum von T ergibt sich folgende Beziehung: -
Für die Gewinnung von T' aus T: A1 =A1ig
-
Für die Rechtsanwendung unter Verwendung von T' gilt dann: A2 = Ae + Aii + A2ig + As
mit Aig = A1ig + A2ig 2
Wenn A ig = 0, dann kann T' ohne weitere Entfaltung auf einen Sachverhalt SV angewendet werden.
112 -
E. Rechtsanwendung und Formulare
Für den gesamten Rechtsanwendung:
Vorgang
gilt
aus
der
Sicht
einer
einzelnen
A = A1+A2 -
Berücksichtigt man, dass der abgeleitete Tatbestand T' mehrfach (bei x Rechtsanwendungen) verwendet wird und daher bei A1 nur der Anteil für eine Rechtsanwendung berücksichtigt werden kann, ergibt das für die Normund Sachverhaltsarbeit: A = A1/x +A2.
Je größer die Zahl x der Rechtsanwendungsfälle („juristische Transaktionen“) ist, desto geringer wird der Anteil von A1 für den einzelnen Fall. Es steigt die Ersparnis an Norm- und Sachverhaltsarbeit mit der Anzahl der juristischen Transaktionen.
1. Überwälzung von Sachverhaltsarbeit Wie sieht die Verteilung juristischer Arbeit bei der Verwendung von Formularen aus?
a) Die Arbeit des Formularlegisten Der Formularlegist entfaltet den Tatbestand T auf den endgültigen Tatbestand Te für einen (angenommenen oder realen) Sachverhalt hin. Für diesen Aufwand ist die Arbeit Aig anzunehmen. Für eine einzelne Entfaltung ist dies derselbe Aufwand, wie bei der Arbeitsteilung durch Verwendung eines abgeleiteten Tatbestands T' aus einem öffentlichen kasuistischen Tatbestandsraum. Es ist aber zu beachten, dass auf Grund der kasuistischen Elastizität des Formulars nicht nur ein einzelner, entfalteter Tatbestand Te im Formular abgebildet wird, sondern mehrere (x). Das ergibt für den Formularlegisten einen Aufwand von ungefähr xAig215. Zu dieser Arbeit ist noch der Arbeit für die Erstellung des Formulars (z.B. Erstellen der Vordrucke [grafische Gestaltung, ...], Erzeugen der Formularhilfe, ...), seine Verteilung und auch die Arbeit für die interne Schulung des Einsatzes in der Behörde hinzuzurechnen. Es ergibt sich daraus als Arbeitsaufwand: A1 = xAig + Aformularentwurf + Averteilung + Aschulung.
————— 215
Es wird angenommen, dass für alle x Entfaltungen der Aufwand gleich groß ist.
IV. Norm- und Sachverhaltsarbeit
113
Dieser Aufwand kann - wie alleine schon die Komplexität des obigen Beispiels der Abbildung eines T im Formular gezeigt hat - sehr groß sein.
Abbildung 31: Formular und juristische Arbeitsteilung
b) Die Arbeit bei der Rechtsanwendung Durch das Formular als Hilfsmittel für Erfassung eines Sachverhalts und für die Subsumtion des Sachverhalts SV unter T wird die gesamte individuelle Interpretationsarbeit auf den Ausfüllenden überwälzt. Er muss - unter Anleitung des Formblatts - aus dem Fall F den rechtserheblichen Sachverhalt SV gewinnen, die individuelle Interpretationsarbeit leisten und einen Teil der Subsumtionsarbeit (Subsumtion durch Ausfüllen) durchführen. Die ihm übertragene Arbeit ist damit: A2 = Ais + Ae + A2s
Für die Behörde bleibt nur mehr jene Arbeit, die für die Subsumtion durch Auswahl und für die Subsumtion über Beilagen nötig ist, über. Hinzu kommt aber noch die Notwendigkeit, die Antragsteller beim Ausfüllen zu unterstützen und ihnen Auskunft über Details des Verfahrens zu erteilen, hinzu. Ist das ausgefüllte Antragsformular bei der Behörde eingebracht, dann ist es ihre Aufgabe, die Angaben im Formular auf Vollständigkeit und Richtigkeit (an Hand der Beilagen) zu überprüfen. Diese Sicherstellung, dass die Grundlage für
114
E. Rechtsanwendung und Formulare
die Entscheidung im Formblatt richtig und vollständig abgebildet ist, gehört zu den zentralen Aufgaben der Behörde im Formularverfahren. Der Schwerpunkt der juristischen Arbeit der Behörde verschiebt sich damit von der Ermittlung von relevanten Fakten auf die Überprüfung, ob der Antragsteller die rechtserheblichen Sachverhaltselemente - unter Anleitung des Formulars - richtig und vollständig unter den entsprechenden T subsumiert hat. Die Struktur des Verfahrens nähert sich damit der der Verfahren im Instanzenzug an. Für die Behörde ergibt sich damit folgende Norm- und Sachverhaltsarbeit, die sie bei jeder Erledigung zu leisten hat216: A3 = AAuskunft, Hilfe + AÜberprüfung + A3s.
c) Juristische Arbeitsbilanz Wie ändert sich damit die zu leistende juristische Arbeit in einem Formularverfahren im Vergleich zu einem Verfahren, in dem kein Formular eingesetzt wird? Zunächst fällt auf, dass für ein einziges Verfahren die Gesamtarbeit Agesamt größer ist als A in einem Verfahren ohne Formblätter. Sie beträgt: Agesamt = A1 + A2 + A3
Ein Formular für ein einziges Verfahren, das durchzuführen ist, zu entwerfen ist daher im Allgemeinen nicht wirtschaftlich. Sind mehrere (x) Verfahren durchzuführen, dann ist die Arbeit, die in einem einzelnen Verfahren - in einer juristischen Transaktion - zu leisten ist: Agesamt = A1/x + A2 + A3.
Das bedeutet, dass für große Verfahrenszahlen („Massenverfahren“) die Arbeit des Formularlegisten, die nur anteilig in die Norm- und Sachverhaltsarbeit für eine einzelne juristische Transaktion eingerechnet wird, praktisch zu ver————— 216
Nicht berücksichtigt werden in diesem Modell reduzierte Kosten und Arbeitserleichterungen, die sich innerhalb der Behörde durch den Einsatz von Formularen ergeben. Vgl. dazu z.B. Bundeskanzleramt: Richtlinien, S. 7 (Hervorhebungen im Original): „Richtig eingesetzt lassen sich durch Formulare beachtliche Rationalisierungseffekte erzielen. So kann der Schreibaufwand wesentlich verringert werden. Auch die durch die Beschaffung und Verwaltung von Formularen verursachten Kosten sind in der Regel geringer als die ohne die Verwendung von Formularen entstehende Personalkosten. Zudem erlauben Formulare die Schematisierung von Arbeitsabläufen. Die formalisierte Datenerhebung verhindert überdies, dass vergessen wird, rechtzeitig die für den jeweiligen Verwaltungsakt wichtigen Daten zu erheben.“
IV. Norm- und Sachverhaltsarbeit
115
nachlässigen ist. Der Entwurf und die Gestaltung des Formblatts, sowie die damit verbundene Verteilung217 und Ausbildung zur Verwendung in den Behörden kann daher für Massenverfahren sehr aufwändig sein, ohne dass dadurch der Arbeitsaufwand für eine einzelne Transaktion besonders erhöht wird. Die beiden übrigen Arbeitsanteile fallen bei jeder Transaktion an. Sie sind jedoch zwischen dem Antragsteller und der Behörde aufgeteilt. Je mehr Normund Sachverhaltsarbeit auf den Antragsteller bei jeder Transaktion überwälzt werden kann, desto besser ist die Arbeitsbilanz für die Behörde. Es kann daher der juristische Überwälzungsfaktor RÜberwälzung als Verhältnis zwischen der Norm- und Sachverhaltsarbeit des Antragsstellers und der auf Behördenseite definiert werden. Es gilt: R Überwälzun g =
2 A 1 A 3 +A x
Ist der Überwälzungsfaktor Rüberwälzung > 1, dann ist aus der Sicht der Behörde die Verwendung eines Formblatts sinnvoller als die Durchführung des Verfahrens ohne Antragsformular. Der Antragsteller leistet in diesem Fall mehr Norm- und Sachverhaltsarbeit als Formularentwicklung und Behördenarbeit zusammen betragen. In der Arbeit A3, die die Behörde bei einer juristischen Transaktion zu leisten hat, ist der Arbeitsanteil AAuskunft, Hilfe enthalten. Dieser ist um so größer, je weniger benutzerfreundlich das Formblatt gestaltet ist. Muss die Behörde beim Ausfüllen des Formblatts durch den Antragsteller viel Unterstützung leisten, dann wird A3 sehr groß und RÜberwälzung < 1. Der Einsatz eines Formulars ist unter diesen Bedingungen nicht sinnvoll. Die Richtlinien für die Gestaltung von Formularen218 beschreiben diesen Umstand so: „Formulare sollen daher möglichst benutzerfreundlich gestaltet werden. Nur unter dieser Voraussetzung können Rückfragen und Fehler beim Ausfüllen des Formulars vermieden und kann damit der Verwaltungsaufwand minimiert werden. Wirtschaftlichkeit und Benützerfreudlichkeit der Formulargestaltung schließen demnach einander keineswegs aus.“
————— 217 Mit Formularservern und elektronischen Papierformularen kann die Verteilung der Formblätter kostengünstiger und bürgerfreundlicher gestaltet werden (vgl S. 134). 218 Bundeskanzleramt: Richtlinien, S. 7 (Hervorhebung im Original).
F. Die Wartung von Formularen I. Formular und Formularnovelle Bei der Darstellung der Funktion eines Formulars als „Subsumtionswerkzeug“ (vgl. S. 106) wurde festgestellt, dass Formulare den öffentlichen kasuistischen Tatbestandsraum eines T abbilden. Ein öffentlicher kasuistischer Tatbestandsraum ist die Grundlage für arbeitsteilige Rechtsanwendung (vgl. S. 86). Vom Einzelfall losgelöste Entfaltungen (T') eines Tatbestands T werden als abgeleitete Rechtsnormen T' → R zusammen mit dem Begründungszusammenhang im Tatbestandsraum öffentlich gemacht. Solange der Begründungszusammenhang zwischen T und T' gültig ist, ist es möglich, dass Dritte die abgeleitete Norm T' → R auf Sachverhalte anwenden und den Begründungszusammenhang in die Entscheidungsgründe übernehmen.
Abbildung 32: Das Formular als Abbildung des Tatbestands
Der Entwurf und die Verwendung von Formularen ist eine direkte Umsetzung dieses Konzepts der juristischen Arbeitsteilung. Der Formularlegist bildet den kasuistischen Tatbestandsraum von T in Formularfeldern ab. Dritte verwenden das Formular als Organisationsmittel und Subsumtionswerkzeug in Verfahren.
II. Der Umfang der Wartung
117
Die Richtigkeit der juristischen Entscheidungen, bei denen Formulare verwendet werden, hängt aber immer davon ab, ob der Begründungszusammenhang zwischen dem entfalteten T' und dem Ausgangstatbestand T gültig ist (vgl. S. 80). Ist er es nicht, darf T' und damit das Formblatt nicht mehr verwendet werden Die Rechtsordnung ist ein dynamisches System, das einem dauernden Wandel unterliegt. Permanent werden Rechtsnormen durch Novellen verändert, neue Rechtsvorschriften erlassen oder aufgehoben.
Abbildung 33: Formularnovellen
Gerade Massenverfahren in denen Formulare große Bedeutung haben, wie z.B. im Sozialrecht219, sind von dauernden Änderungen betroffen. Zusätzlich beeinflusst die Judikatur auch die Auslegung von Rechtsvorschriften und -begriffen. Die laufende Wartung von Formularen hat damit eine zentrale Bedeutung für deren Verwendbarkeit.
II. Der Umfang der Wartung Was bedeutet aber „ Wartung“ eines Formulars? Welche Arbeitsschritte sind damit verbunden? ————— 219 Das ASVG stand am 1. März 2001 vor seiner 180. Textänderung. (Vgl. Souhrada: SOZDOK NEU – Dokumentation des Sozialversicherungsrechts im Internet, in: Schweighofer/Menzel/Kreuzbauer (Hrsg.), Auf dem Weg zur ePerson, Verlag Österreich, 2001, S. 133 FN 14.)
118
F. Die Wartung von Formularen
Zuallererst bedeutet die Wartung eines Formulars die ständige Überprüfung der rechtlichen Grundlagen des Formulars. Damit sind nicht nur die Rechtsvorschriften gemeint, die die Grundlage für das Verfahren, in dem das Antragsformular verwendet wird, sind. Vielmehr müssen auch alle Argumente, mit denen die einzelnen Tatbestände, die im Formblatt abgebildet sind, entfaltet wurden, gewartet werden. Bei der Wartung von Formularen ist bei jeder einzelnen Änderung des Begründungszusammenhangs zwischen T und den im Formblatt abgebildeten T' die Auswirkung auf die einzelnen Formularelemente zu berücksichtigen. Für einen einzelnen T' sind die Auswirkungen auf das Formular leicht festzustellen: Jede Änderung an einem Tatbestandselement von T', also einem TEn.m oder einem TRn führt auch zu einer entsprechenden Änderung in einem Formularelement. Diese Änderung kann sein: -
Ein Tatbestandselement (TEn.m, TRn) fällt weg - das entsprechende Formularfeld entfällt auch.
-
Ein Tatbestandselement (TEn.m ,TRn) kommt hinzu - ein neues Formularfeld muss eingefügt werden.
-
Die Bedeutung eines Tatbestandselement (TEn.m, TRn) wird verändert - die Frage im entsprechenden Formularfeld ist anzupassen.
So weit scheint die Wartung eines Formulars kein Problem. Voraussetzung ist nur die Kenntnis der genauen Abbildungszusammenhänge zwischen T' und jedem einzelnen Formularfeld. Das bedeutet aber, dass eine genaue Dokumentation der Abbildungszusammenhänge zwischen Formblatt und abgeleitetem Tatbestand T' vorhanden sein sollte. Fehlt diese, dann wird die Wartung problematisch. Bei jedem Wartungsfall müssen dann sämtliche Argumentations- und Abbildungszusammenhänge erneut abgeleitet werden. Dies ist aufwändig und kann zu Fehlern führen. Sehr komplex wird das Problem der Formularwartung, wenn die kasuistische Elastizität (vgl. S. 100) des Formulars berücksichtigt wird. Die kasuistische Elastizität eines Formulars ist seine Fähigkeit, mehrere ähnliche Tatbestände zu überlagern und gemeinsam abzubilden. Einzelne Formularfelder können Tatbestandselementen mehrerer Tatbestände zugeordnet sein. Für die Wartung des Formulars bedeutet das, dass vor jeder Änderung eines Formularfelds überprüft werden muss, ob das Formularfeld nicht noch zusätzlich Elemente anderer Tatbestände abbildet. Ist dies der Fall, dann kann die Änderung am Feld nur vorgenommen werden, wenn die anderen T' von der Veränderung des Begründungszusammenhangs in gleicher Weise betroffen sind. Ist
II. Der Umfang der Wartung
119
das nicht der Fall, dann hat dies zusätzliche Änderungen in der Formularstruktur (z.B. Einfügen neuer Felder) zur Folge. Sind diese inhaltlichen Zusammenhänge aktualisiert, dann sind die Formulare neu zu gestalten. Dies betrifft auch die Formularhilfe. Durch die Einbettung des Formulars in das Verfahren sind u.U. auch noch Änderungen in der Verfahrenspraxis, z.B. Anpassungen von Benutzerschnittstellen (vgl. S. 136) notwendig. Die Wartung von Formularen ist daher eine sehr komplexe Tätigkeit. Sie kann als Sonderfall des juristischen Publizierens220 angesehen werden. Die Arbeit des Formularlegisten sollte ähnlich wie die Publikation von Normtexten221 durch an die Problemstellung angepasste EDV-Systeme unterstützt werden.
————— 220 Vgl. dazu Ebenhoch: Juristisches elektronisches Publizieren, in: Schweighofer/Menzel (Hrsg.), E-Commerce und E-Government, Verlag Österreich, 2000. 221 Vgl. dazu Babenhauserheide/Katzenbeisser: Elektronisches Landesrecht Nordrhein-Westfalen: Elektronisches Erstellen und Publizieren von Gesetzestexten und VerwaltungsvorschriftenTexten, in Schweighofer/Menzel/Kreuzbauer (Hrsg.), Auf dem Weg zur ePerson, Verlag Österreich, 2001; Konzelmann: Inhaltliche Fragen der computergestützten Normpublikation, in: Schweighofer/Menzel/Kreuzbauer (Hrsg.), Auf dem Weg zur ePerson, Verlag Österreich, 2001; Konzelmann: Rechnergestützte Edition von Normtexten, in: Schweighofer/Menzel (Hrsg.), E-Commerce und E-Government, Verlag Österreich, 2000.
G. Papier- und elektronisches Formular Im Folgenden werden die Bauelemente des „klassischen“ Formulars dargestellt. Im Anschluss daran werden die neuen Formulartypen, die elektronischen Formulare, die im Zusammenhang mit eGovernment immer größere Bedeutung bekommen, beschrieben.
I. Bauelemente des Papierformulars Juristische Formulare sind standardisierte Kommunikationsmittel, mit denen die Behörde die für ein Verfahren wesentlichen Tatbestandselemente beschreiben kann. Der Ausfüllende ermittelt unter Anleitung durch das Formular für „seinen Fall“ den rechtserheblichen Sachverhalt und subsumiert die Sachverhaltselemente unter die entsprechenden Tatbestandselemente durch Eintragen von Daten in Formularfelder. Im Folgenden werden die wesentlichen Strukturelemente, aus denen Formulare zusammengesetzt sind, im Überblick dargestellt.222 Es wird ein Überblick über die Bauelemente gegeben, aus denen Formblätter konstruiert werden. Dabei steht nicht die grafische Gestaltung, sondern die Funktion bei der Kommunikation zwischen Behörde und Ausfüllendem im Vordergrund.
1. Formularfelder Das zentrale Strukturelement des Formulars ist das Feld. Es ist das Bauelement, das die grundlegende Funktion des Formulars, den Dialog zwischen Behörde und Ausfüllendem ermöglicht.
————— 222
Vgl. dazu auch Helbig: Der Aufbau und die Gestaltung der Vordrucke.
I. Bauelemente des Papierformulars
121
a) Frage und Antwort im Feld Jedes Formularfeld besteht aus einer Frage und einem Antwortbereich. In diesen trägt der Ausfüllende die Antwort auf die an ihn gerichtete Frage ein.
Abbildung 34: Frage - Antwort im Formularfeld
Die Frage an den Ausfüllenden muss nicht wie in Abbildung 34 ein ausformulierter Fragesatz sein. Vielmehr besteht die Frage häufig nur aus einzelnen Worten oder Satzfragmenten wie z.B. in Abbildung 35.
Abbildung 35: Satzfragment
Es ist allerdings nicht einmal nötig, dass die Frage durch Worte formuliert wird. Vielmehr sind auch andere Darstellungsformen, insbesondere die Fragestellung durch Grafiken, möglich.
Abbildung 36: Fragestellung durch Grafik
Die Frage in einem Formularfeld muss nicht immer unveränderlich bereits beim Formularentwurf festgelegt sein. Vielmehr kann sich die Frage auch erst aus dem Eintrag in ein vorgelagertes Formularfeld ergeben und so dynamisch aus zuvor eingetragenen Daten ergeben.
Abbildung 37: Dynamische Fragestellung
Diese Form der bedingten Fragestellung wird häufig bei der Modellierung von Aussagen (Aussagesätzen) durch Formularfelder verwendet. So z.B. in den miteinander verketteten Formularfeldern in Abbildung 37. Die Felder sind mit Fragetexten so gekoppelt, dass nach vollständigem Ausfüllen aller Felder eine Aussage über die Inskription des Ausfüllenden entsteht. In der Formulargruppe, durch die die Jahreszahl des inskripierten Semesters erhoben wird, wird durch die Auswahl einer der Alternativen „WS“ und „SS“ die Frage für das dritte
122
G. Papier- und elektronisches Formular
Formularfeld, in das die Jahreszahl eingetragen wird, bestimmt. Die Frage lautet dann für dieses Feld entweder „Im WS“ oder „Im SS“. Die Frage des letzten Feldes in dieser Kette von Feldern ergibt sich wiederum aus den Einträgen in die ersten Felder. Sie kann erst dann sinnvoll beantwortet werden, wenn die Jahreszahl eingetragen wurde. Diese Form der dynamischen Fragestellung wird sehr häufig in Erledigungsformularen verwendet, in denen standardisierte Aussagen, die an einen konkreten Sachverhalt anzupassen sind, erzeugt werden müssen.
Abbildung 38: Aussagenkonstruktion
So z.B. in Abbildung 38223. Diese Kombination von Formularfeldern dient nicht in erster Linie dazu, Daten über einen Sachverhalt zu erfassen, um diese dann in einem Verfahren zu bearbeiten. Vielmehr werden in das Formular Sachverhaltsdaten eingetragen, um daraus eine rechtlich relevante Aussage zu erzeugen. Die Aussage selbst wird schrittweise von Formularfeld zu Formularfeld aufgebaut und mit jedem Eintrag vollständiger.
b) Feldtypen Es gibt zwei Arten von Feldern: (1) Auswahlfelder, (2) Textfelder. aa) Auswahlfelder Auswahlfelder224 sind jene Felder, die einen logischen Wert zugeordnet haben. Sind sie ausgefüllt, dann ist ihr Wert „JA“. Sind sie nicht ausgefüllt, dann ist ihr Wert „NEIN“. ————— 223 Vgl. Anhang III des Übereinkommen über ein gemeinsames Versandverfahren samt Anlagen und den dazugehörenden Anhängen sowie Zusatzprotokoll, BGBl. 632/1987. 224 Bundeskanzleramt: Richtlinien, S. 22.
I. Bauelemente des Papierformulars
123
Enthält ein Auswahlfeld keinen Text (wie z.B. in Abbildung 39), so bedeutet ein Markieren des Feldes beim Ausfüllen, dass der Frage zugestimmt wird. Wird das Feld nicht ausgefüllt, bedeutet es eine Verneinung der Frage.
Abbildung 39: Feldgruppe mit Alternativauswahl
Die Frage wird aber auch dann verneint, wenn der Ausfüllende das Feld u.U. nur aus Versehen nicht ausgefüllt hat. Dies deshalb, weil dem nicht ausgefüllten Auswahlfeld jedenfalls ein logischer „Standardwert“ zugeordnet ist, der dem der absichtlichen Verneinung entspricht. Manchmal ist es aber notwendig, dass sichergestellt wird, dass der Ausfüllende das Feld ausgefüllt und eine Aussage getroffen hat. In diesem Fall werden mehrere Auswahlfelder kombiniert. Nur wenn genau ein Auswahlfeld markiert ist, ergibt das eine zulässige Antwort wie z.B. in Abbildung 40.
Abbildung 40: Auswahlfeld „Ja-Nein“
Das eine Auswahlfeld fragt durch den Text „ J“ nach Zustimmung, das andere durch „N“ nach Ablehnung. Wenn keines oder beide Felder ausgewählt sind, ergibt dies eine ungültige Antwort. Es wird damit durch Bildung einer Feldgruppe eine 3-wertige Logik mit den Werten „ungültig/wahr/falsch“ realisiert. Grundlage dafür ist, dass nur eines der Felder in der Gruppe ausgewählt werden darf. Es ist aber auch möglich, mehr als zwei Auswahlfelder in einer logischen Gruppe zusammenzufassen. Das ist z.B. bei den Feldern in Abbildung 39 der Fall. Dem Ausfüllenden werden vier Antworten zur Auswahl gestellt, die einander inhaltlich ausschließen. Eine Antwort muss aber jedenfalls gegeben werden. Eine Gruppe von Auswahlfeldern kann aber auch so gestaltet sein, dass mehrere Antworten ausgewählt werden können. So z.B. in der Feldgruppe von Abbildung 41. Erkennbar ist das nicht aus der Struktur der Feldkombination, sondern es muss festgelegt werden durch die Ausfüllnorm (vgl. Abbildung 44 S. 22) „Treffen mehrere Gründe zu, so sind alle anzuführen“, auf die mit dem Verweis „1“ verwiesen wird.
124
G. Papier- und elektronisches Formular
bb) Textfelder Textfelder225 sind jene Felder in einem Formular, denen kein logischer Wert zugeordnet ist. Der Inhalt wird durch den Ausfüllenden frei formuliert und in das Feld eingetragen. Wird nichts in das Textfeld eingetragen, dann wird auf die im Formularfeld gestellte Frage keine Antwort gegeben.
Abbildung 41: Feldgruppe mit Mehrfachauswahl
Oft ist es aber notwendig bzw. erleichtert es der Behörde die Auswertung der Daten, die in ein Textfeld eingetragen sind, wenn die Antwort des Ausfüllenden eine bestimmte Form hat. In diesem Fall werden dann Masken eingesetzt, mit denen die Struktur des Eintrags oder sogar bestimmte Teile des Eintrags vorgegeben werden. So z.B. im Textfeld in Abbildung 37, in dem durch die Maske „19../..“ vorgegeben wird, in welcher Form die Jahreszahl einzutragen ist.
Abbildung 42: Textfeld mit Maske
Masken werden aber auch verwendet, um den Ausfüllenden bei der Überprüfung der Eingabe zu unterstützen. So wird das Textfeld in Abbildung 42, in das die Versicherungsnummer eingetragen wird, durch die Maske in Teilbereiche unterteilt. Wenn in jeden dieser Teilbereiche eine Ziffer eingetragen wird, hat die Antwort des Ausfüllenden die richtige Struktur. Bleibt einer davon jedoch leer, sind die eingegebenen Daten unvollständig. Dadurch kann der Antragsteller bereits beim Eintragen der Daten eine fehlerhafte Antwort erkennen. Diese Maske erleichtert auch die Überprüfung der Antwort bei der Bearbeitung des Formulars. ————— 225
Vgl. Bundeskanzleramt: Richtlinien, S. 20.
I. Bauelemente des Papierformulars
125
c) Feldgruppen Neben der logischen Verknüpfung von Auswahlfeldern finden sich in Formularen auch andere Formen der Gruppierung von Feldern.
aa) Tabellen Tabellen werden in Formularen immer dann verwendet, wenn zu einer Frage an den Ausfüllenden mehrere Antworten, die dieselbe Struktur haben, möglich sind. Die Tabelle wird durch die einmalige Fragestellung, aber mehrfache Wiederholung der für die Antwort notwendigen Antwortfelder gebildet.
Abbildung 43: Tabelle
Abbildung 43 enthält eine solche Tabelle. Die Fragen, durch die die Bedeutung der Felder in der Tabelle festgelegt wird, sind am Beginn der Tabelle angeführt. In jeder Zeile der Tabelle wiederholt sich die Feldstruktur und die Frage bezieht sich auf jede dieser Tabellenzeilen. Der Ausfüllende kann in diese Tabelle die Daten von drei Studien eintragen.
bb) Blockbildung Die Blockbildung von Formularfeldern ist die inhaltliche Zusammenfassung von einzelnen, von einander unabhängigen Feldern zu einer Gruppe. Blöcke können auch Gruppen von Auswahlfeldern oder sonstige Feldkombinationen enthalten. Meist wird ein Block gebildet, um Felder, die Daten zu einem bestimmten SOn erfassen, auch im Formular so anzuordnen, dass der gemeinsame Bezug auf SOn erkennbar wird. Häufig wird die inhaltliche Gemeinsamkeit auch durch Überschriften oder grafische Merkmale (Rahmen, Farbe, ...) unterstrichen.; Ein solcher Block von Formularfeldern ist in Abbildung 29 auf S. 104 dargestellt. Unter der Überschrift „Angaben zum Antragsteller/zur Antragstellerin“ sind zahlreiche Felder gruppiert, durch die Daten zu dem SOn „Antragsteller“ erfasst werden.
126
G. Papier- und elektronisches Formular
2. Formularnormen Formularnormen sind Anordnungen, die das Verhalten eines Benutzers beim Ausfüllen des Formblatts steuern. In Vordrucken sind folgende Typen von Formularnormen zu finden: (1) Ausfüllnormen, (2) Navigationsnormen, (3) Beilagenanordnungen.
a) Ausfüllnormen Ausfüllnormen sind Normen, die das Verhalten des Ausfüllenden beim Eintragen von Daten in Felder steuern. Durch sie wird angeordnet, in welcher Form die Antwort auf die im Formularfeld gestellte Frage erfolgen soll.
Abbildung 44: Ausfüllnormen
Ausfüllnormen sollen die Verwendung des Formulars unterstützen und dazu beitragen, dass der Ausfüllende die Fragen sowohl inhaltlich als auch formal richtig beantwortet. Typische Ausfüllnormen sind Anordnungen wie „in Blockschrift (vgl. Abbildung 29 S. 22) oder die in Abbildung 44 dargestellten Beispiele. Eine besondere Form der Ausfüllnormen, die Masken in Textfeldern, wurde bereits beschrieben (vgl. S. 124). Zusätzlich werden durch Ausfüllnormen auch logische Zusammenhänge bei Gruppen von Auswahlfeldern dargestellt, indem z.B. angeordnet wird, dass auch mehrere Felder auszufüllen sind (vgl. Abbildung 44, erstes Beispiel).
I. Bauelemente des Papierformulars
127
Da Formulare nicht nur vom Antragsteller ausgefüllt, sondern auch im Verfahren bearbeitet werden, sind auf Formularen häufig auch Felder zu finden, die nicht vom Antragsteller, sondern vom Sachbearbeiter ausgefüllt werden. Um zu verhindern, dass der Antragsteller irrtümlich auch Formularfelder, die dem Sachbearbeiter vorbehalten sind, ausfüllt, markieren Ausfüllnormen wie die in Abbildung 45 dargestellten jene Formularbereiche, die der Antragsteller beachten bzw. nicht beachten soll.
Abbildung 45: Ausfüllnormen, die Bereiche reservieren
b) Navigationsnormen Auf Grund der kasuistische Elastizität (vgl. S. 100) von Formularen, die zur Überlagerung mehrerer Tatbestände T in einem Formblatt führt, ist es notwendig, dem Ausfüllenden mitzuteilen, welche Formularfelder für seinen Sachverhalt von Bedeutung sind und welche er nicht beachten soll, da sie anderen Tatbeständen zuzuordnen sind.
Abbildung 46: Navigationsnormen
Dies geschieht durch Navigationsnormen. Diese Normen sind keine unbedingten Anordnungen wie z.B. Ausfüllnormen, sondern geben an, welche Felder im Anschluss an die Eingabe bestimmter Daten auszufüllen sind. Die Bedingung einer Navigationsnorm ist immer entweder die Tatsache, dass in ein oder mehrere Formularfelder überhaupt etwas eingetragen wurde, oder der Inhalt, der eingetragen wurde.
c) Beilagenanordnungen Beilagen sind ein wesentliches Element des Einsatzes von Formularen in Verfahren. Nur durch sie können die im Formular gemachten Angaben überprüft werden. Es ist daher wichtig, dass der Antragsteller alle für die Auswer-
128
G. Papier- und elektronisches Formular
tung des Formulars notwendigen Beilagen gemeinsam mit dem ausgefüllten Formblatt einbringt. Beilagenanordnungen sollen sicherstellen, dass dem Formular alle für die Bearbeitung nötigen Nachweise und Unterlagen beigelegt werden. Sie weisen den Antragsteller darauf hin, welche Beilagen notwendig sind und zählen diese - wenn möglich - auch auf.226 (Vgl. die Beilagenanordnung in Abbildung 44 auf S. 126.)
3. Ausfüllhilfe Ein wesentlicher Bestandteil in Formularen ist die Ausfüllhilfe. Durch sie soll der Ausfüllende, der mit der Verwaltungsmaterie meist nicht vertraut ist227, das für die Verwendung des Formulars notwendige Wissen vermittelt bekommen. Durch diese Unterlagen, die das Formblatt ergänzen, soll einerseits das Ausfüllen des Formularantrags für den Antragsteller erleichtert werden und andererseits die Zahl der fehlerhaften und damit zu verbessernden Anträge reduziert werden. Die Bearbeitung des Antrags wird damit auch für die Behörde einfacher und die Verfahrensdauer kann kurz gehalten werden. Die Informationsbroschüre zum Formularantrag nach dem StudFG umschreibt dies so: Weiterhin gilt: Wer die Broschüre und die INFO-Blätter aufmerksam liest, wird es leichter haben, gleich bei der Antragstellung einen vollständig ausgefüllten Antrag mit sämtlichen Beilagen abzugeben und so rascher zu seiner Beihilfe zu kommen.
Bei der Ausfüllhilfe kann unterschieden werden zwischen (1) Hilfe zum Formular, (2) Informationen zum Verfahren.
a) Hilfe zum Formular Die Hilfe zum Formular unterstützt den Ausfüllvorgang eines bestimmten Formblatts. Die Hilfematerialien enthalten konkrete Informationen zur Bedeutung einzelner Formularfelder. Sie enthalten aber auch Formularnormen, die das Ausfüllen eines Feldes steuern. ————— 226 „Formulare sollen angeben, ob und gegebenenfalls welche Unterlagen einem Formular beizuschließen sind und in welcher Form (Original, Fotokopie, beglaubigte Abschrift u. dgl.)“ (Bundeskanzleramt: Richtlinien, S. 25). 227 Vgl. Bundeskanzleramt: Richtlinien, S. 24.
I. Bauelemente des Papierformulars
129
Abbildung 47: Formularhilfe
Diese Hilfe bezieht sich meist auf einzelne Felder des Formblatts und soll Fragen, die unmittelbar beim Ausfüllen eines Feldes gestellt werden, beantworten. Dies zeigt auch der abgebildete Ausschnitt aus der Hilfe zum Antragsformular auf Gewährung einer Studienbeihilfe (Abbildung 47). Durch nochmalige Abbildung des Formulars und eine grafische Zuordnung der einzelnen Hilfetexte wird der Bezug der einzelnen Hilfetexte zu den entsprechenden Formularfeldern deutlich gemacht.
Abbildung 48: Gesetzestext und Formularhilfe
In der Formularhilfe wird das Zitat von Gesetzestexten so weit wie möglich vermieden.228 Werden Teile des Gesetzes in die Hilfe übernommen, so werden sie von der Fachsprache229 des Gesetzestextes in eine für den Ausfüllenden leichter verständliche Form gebracht. So bildet der Text aus der Hilfe zum Antragsformular auf Gewährung einer Studienbeihilfe (Abbildung 48) den umfangreichen Text von § 3 StudFG ab, der detailliert die Studieneinrichtungen aufzählt, deren Hörer bzw. Studierende Förderungen erhalten können (vgl. S. 95 FN 200). ————— 228 Vgl. Bundeskanzleramt: Richtlinien, S. 26: „ Gesetzestexte sollen – soweit notwendig - nicht wörtlich, sondern in einer auf den Formularzweck abgestellten erläuternden Form inhaltsgetreu wiedergegeben werden.“ (Hervorhebung im Original) 229 Vgl. Pfeiffer/Strouhal: Das Gesetz aus dem Baukasten – Zur Herstellung von Wirklichkeit durch juristische Sprachschablonen, in: Dressler/Wodak (Hrsg.), Fachsprache und Kommunikation, Österreichischer Bundesverlag, 1989, S. 19.
130
G. Papier- und elektronisches Formular
b) Informationen zum Verfahren Ist das Verfahren, in dem das Formular verwendet wird, sehr kompliziert und umfangreich, so kann es notwendig sein, zusätzlich zur Hilfe zum einzelnen Formular dem Antragsteller auch eine Hilfe zum Verfahren zur Verfügung zu stellen. Dies ist vor allem dann notwendig, -
wenn der zu erhebende Sachverhalt so komplex ist, dass mehrere Formulare verwendet werden müssen. Die Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Vordrucken und notwendigen Beilagen können dann nicht in der Hilfe zu einem einzelnen Formular dargestellt werden;
-
wenn das Verfahren sehr kompliziert ist und zusätzlich zum Vorgehen beim Ausfüllen des Formblatts auch „Hintergrundwissen“ über das Verfahren vermittelt werden muss;
-
wenn das Ergebnis des Verfahrens für den Antragsteller nicht einfach vorhersehbar ist und z.B. an Hand von Berechnungsbeispielen Möglichkeiten zur besseren Abschätzung des zu erwartenden Verfahrensausgangs bereitgestellt werden sollen.
Informationen zum Verfahren ersetzen nicht die Hilfe zum Formular, sondern ergänzen diese.
II. eGovernment und elektronische Formulare Unter dem Begriff „eGovernment“ wird der Einsatz der „heute verfügbaren Informationstechnologien in der öffentlichen Verwaltung“230 und die „Abwicklung geschäftlicher Prozesse im Zusammenhang mit Regieren und Verwalten (Government) mit Hilfe von Informations- und Kommunikationstechniken über elektronische Medien“231 zusammengefasst. eGovernment232 steht für die Modernisierung und Reform der Verwaltung mit Hilfe moderner Informations- und Kommunikationstechnik. Betroffen sind ————— 230 Reinermann: Verwaltung in der Informationsgesellschaft, in: König (Hrsg.), Deutsche Verwaltung an der Wende zum 21. Jahrhundert, Nomos Verlagsgesellschaft, 2002, S. 172. 231 Lucke/Reinermann: Speyrer Definition von Electronic Government, (URL: http://foev.dhvspeyer.de/ruvii), S. 1. 232 Folgende Bereiche des eGovernment werden unterschieden (Wimmer: E-Government im Trend der Verwaltungsinformatik, in: Schweighofer/Menzel/Kreuzbauer (Hrsg.), Auf dem Weg zur ePerson. Verlag Österreich, 2001, S. 251): - eDemocracy (politische Partizipation und Meinungsbildung, vgl. Palmer: Umfassende EGovernment-Strategien unter Einschluss von E-Democracy, Verwaltung und Management
II. eGovernment und elektronische Formulare
131
davon sowohl die internen Verwaltungs- und Geschäftsprozesse, wie auch die Kommunikation zwischen Verwaltung und Bürger.233 Die mit der Realisierung von eGovenment-Lösungen234 in der Verwaltung verbundenen Ziele235 sind neben Effizienzsteigerung und Kostenersparnis auch eine erhöhte Bürger- und „Kunden“236freundlichkeit237.
————— 8/2002, Nr. 5; Schefbeck: Elektronische Demokratie, in: Schweighofer/Menzel (Hrsg.), Ecommerce und E-Government, Verlag Österreich, 2000.); - eVoting (elektronische Wahlen, vgl. Menzel: Rechtsgrundlage zur elektronischen Wahl, in: Schweighofer/Menzel/Kreuzbauer (Hrsg.), IT in Recht und Staat, Verlag Österreich, 2002; Prosser/Kofler/Krimmer: e-Voting.at – Vom e-Government zur elektronischen Demokratie, in: Schweighofer/Menzel/Kreuzbauer (Hrsg.), IT in Recht und Staat, Verlag Österreich, 2002.); - eCourt (Rechtsprechung); - eAdministration (elektronische Verwaltungsverfahren); - eAssistance (Information für die Bereiche des täglichen Lebens). eGovernment wird häufig nicht als Oberbegriff für die genannten fünf Teilbereiche, sondern als Synonym für eAdministration verwendet. 233 Traunmüller/Lenk: Electronic Government als ganzheitlicher Ansatz, in: Schweighofer/ Menzel (Hrsg.), E-Commerce und E-Government, Verlag Österreich, 2000, S. 70. 234 Einen Überblick über eGovernment-Projekte bieten: Aichholzer/Schmutzer: E-Government in Österreich, in: Schweighofer/Menzel (Hrsg.), E-Commerce und E-Government, Verlag Österreich, 2000; Bußjäger: E-Government in Vorarlberg – Entwicklungsstand und Ausblick, in: Schweighofer/Menzel/Kreuzbauer (Hrsg.), IT in Recht und Staat,. Verlag Österreich, 2002, Prorok: E-Government in ¨ Osterreichs Städten – @mtsweg online, in: Bauknecht/Brauer/Mück (Hrsg.), Informatik 2001,Österreichische Computer Gesellschaft, 2001; Binder/Skerlan-Schuhböck: Bürgerservice der Stadt Wien im Internet, in: Schweighofer/Menzel (Hrsg.), E-Commerce und E-Government, Verlag Österreich, 2000; Wimmer, Maria: Impulse für e-Government: Internationale Entwicklungen, Organisation, Recht, Technik, Best Practices, Österreichische Computer Gesellschaft, 2002, S. 205ff; Went: Österreichisches e-government 2002 an Beispielen, in: Schweighofer/ Menzel/Kreuzbauer (Hrsg.), IT in Recht und Staat, Verlag Österreich, 2002; Weninger: FinanzOnline im Echtbetrieb, ÖStZ 1998; Weninger: FinanzOnline in der zweiten Ausbaustufe, ÖStZ 2000. Für Deutschland: Elsas: E-Government in Deutschland Version 2.001, in: Schweighofer/Menzel/Kreuzbauer (Hrsg.), Auf dem Weg zur ePerson, Verlag Österreich, 2001; Peters: EGovernment – eine kleine Tour d’horizon, CR 2003. Für die Schweiz: Holenstein/Suter: Stand der E-Government-Projekte in der Schweiz, in: Schweighofer/Menzel/Kreuzbauer (Hrsg.), Auf dem Weg zur ePerson, Verlag Österreich, 2001; Gisler: eGovernment Projekte des Bundes in der Schweiz, in: Bauknecht/Brauer/Mück (Hrsg.), Informatik 2001, Österreichische Computer Gesellschaft, 2001. 235 Rossnagel/Yildirim: Datenschutzgerechtes Electronic Government (URL: http://kobra .bibliothek.uni-kassel.de/handle/urn:nbn:de:hebis:34-2007112019649), S. 5ff. 236 „Mit der elektronischen Verwaltung wird im Verhältnis Bürger und Verwaltung das Ziel verfolgt, Bürgern den Umgang mit der Verwaltung möglichst leicht und schnell zu ermöglichen und die Bürgerberatung über das Internet zu verbessern. Der Bürger wird in der Rolle des ‚Kunden‘, die Verwaltung in der Rolle des ‚Dienstleisters‘ betrachtet.“ (Rossnagel/Yildirim: Datenschutzgerechtes Electronic Government, S. 6.) 237 Kritisch zu den bisher erreichten Ergebnissen Elsas: E-Government in Deutschland – Kritische Bestandsaufnahme aus Bürgersicht, in: Schweighofer/Menzel/Kreuzbauer (Hrsg.), IT in Recht und Staat, Verlag Österreich, 2002, S. 41: „Der direkte Nutzen von durchaus ambitionierten E-Government-Projekten erschließt sich dem Bürger bisher nur in Ausnahmefällen.“
132
G. Papier- und elektronisches Formular
Auf dem Gebiet des eGovernment werden drei Hauptelemente238 unterschieden: (1) Information, (2) Kommunikation, (3) Transaktion. Der Bereich der „Information“ umschreibt jene Dienste des eGovernment, die allgemeine Informationen in elektronischer Form bereitstellen. Der Benutzer nimmt diese Informationen, die z.B. auf einer Internetseite zu finden sind, entgegen. Seine Rolle ist dabei passiv. Kommunikation“ meint jenen Bereich des eGovernment, in dem der Benutzer Anfragen stellen oder Daten an die Behörde elektronisch übermitteln kann. Damit sind eMail-Dienste oder die Möglichkeit der elektronischer Eingaben (z.B. über Web-Formulare auf der Homepage einer Behörde) gemeint. Verfahren, die auf diese Weise eingeleitet werden, werden genau so abgewickelt wie jene, die auf konventionellen (nicht elektronischen) Eingaben beruhen. Dadurch unterscheiden sie sich von den „Transaktionsdiensten“. Dies sind Verfahren, die weitgehend oder zur Gänze elektronisch abgewickelt werden. Das Formular als Benutzerschnittstelle zwischen Bürger und Verwaltung hat in allen drei Bereichen des eGovernment große Bedeutung. Durch den Wechsel von papierbezogener zu elektronischer Kommunikation verändert sich das Formular. Es wird an die geänderten Möglichkeiten der Bereitstellung von Information angepasst und in die neuen Formen der elektronischen Verfahrensabwicklung integriert. Dabei wird das „klassische“ Papierformular entweder fast unverändert in die neuen Medien übernommen oder neue Formen der standardisierten Kommunikation entwickelt.
————— 238
Aichholzer/Schmutzer: E-Government in Österreich, S. 80; Aichholzer: Zukünftige Leistungsmodelle im Rahmen von e-Government, in: Schweighofer/Menzel/Kreuzbauer (Hrsg.), Auf dem Weg zur ePerson, Verlag Österreich, 2001, S. 242f; Fischer: Verwaltungs-Informationssysteme und Verwaltungsmodernisierung, Verwaltung und Management 8 2002, Nr. 1, S. 47f; Staatskanzlei des Kantons St. Gallen: E-Government: Strategie des Kantons St. Gallen, S. 12. Dies ist jedoch nicht die einzige Kategorisierung für eGovernment-Dienste. So teilt Cap Gemini Ernst & Young: Webbasierte Untersuchung des elektronischen Service-Angebots der Öffentlichen Hand öffentliche Dienste im Internet in folgende Servicekategorien ein: - Serviceangebote, die Einnahmen liefern, - Registrierungsdienste, - Leistungen für Bürger und Unternehmen, - Genehmigungen & Konzessionen.
II. eGovernment und elektronische Formulare
133
Den Hauptelementen des eGovernment (Information, Kommunikation und Transaktion) können folgende Formen des elektronischen Formulars239 zugeordnet werden: -
elektronische Papierformulare,
-
EDV-Benutzeroberflächen,
-
Datensatzdefinitionen.
1. Das elektronische Papierformular Der Begriff des elektronischen Papierformulars selbst enthält schon den Widerspruch, in dem diese Formularform gefangen ist. Sie ist dem „klassischen“, nicht elektronischen Formular verbunden, soll aber gleichzeitig den Weg zu elektronischen Verfahren und Medien bereiten. Das elektronische Papierformular ist eine direkte Abbildung eines bisher verwendeten Formblatts in digitaler Form. Es ermöglicht die Verteilung der Formblatts durch elektronische Kommunikationsformen (Internetseiten). Bei dieser Form der Abbildung wird das Aussehen des Papierformulars so weit wie möglich übernommen und dem Bürger eine „elektronische Kopie“ des Papierformulars bereitgestellt. Ein Ausdruck des elektronischen Papierformulars soll sich nicht bzw. fast nicht von dem „Originalformular“ unterscheiden. In den Verfahren selbst wird weiterhin das Papierformular verwendet. Der Bürger erhält einen einfachen Zugang zu den Formblättern, die er für ein Verfahren benötigt. Behördenwege, die ausschließlich der Information und Beschaffung von Vordrucken dienen, können entfallen. Das Formular wird verwendet, indem es über das Internet geholt und ausgedruckt240 wird. Danach ist jede Verbindung zu elektronischen Medien verloren und der Vordruck wird genauso wie ein konventionelles Formblatt ausgefüllt. ————— 239
Vgl. dazu auch Holznagel/Krahn/Werthmann: Electronic Government auf kommunaler Ebene – Die Zulässigkeit von Transaktionsdiensten im Internet, DVBl. 1999, S. 1479ff. 240 Aus den Hinweisen zum Ausfüllen und Drucken von Formularen auf dem Formularserver http://www.help.gv.at: „Die in HELP verfügbaren Formulare werden in den Formaten RTF und PDF angeboten. RTFFormulare sind von den gängigsten Textverarbeitungsprogrammen lesbar. Vorlagen bzw. Muster im RTF-Format (wie Bewerbungsschreiben) können von BenutzerInnen auf ihre Bedürfnisse angepasst werden. PDF-Formulare können mit dem kostenfreien Acrobat-Reader geöffnet, am Computer ausgefüllt und ausgedruckt werden. Sie haben zwei Möglichkeiten: - Sie können die Formulare ausdrucken und handschriftlich ausfüllen.
134
G. Papier- und elektronisches Formular
Bei Verwendung entsprechender Software ist u.U. auch ein Ausfüllen des Formulars am Computer möglich. Sind die Daten eingetragen, wird das Formular ausgedruckt und wie ein Papierformular benutzt. Im Verwaltungsverfahren selbst führt das elektronische Papierformular zu keiner Änderung. Es ist in der Klassifikation des eGovernment dem Bereich der Information zuzuordnen. Das elektronische Papierformular bietet für den Bürger einen erhöhten Komfort und leichteren Zugang zu den benötigten Verfahrensunterlagen. Um den Zugang noch weiter zu erleichtern, wurden im Internet zentrale Informationszentren, „Formularserver“ aufgebaut, auf denen der Bürger die am häufigsten benötigten elektronischen Papierformulare abrufen kann. In Österreich sind dies z.B. der allgemeine Formularserver help.gv.at241 oder die spezialisierten Formularserver der Studienbeihilfenbehörde242 oder des Bundesministerium für Finanzen243. Für die Behörde bedeutet diese Form der Informationsverteilung eine Entlastung, da der Informationsbedarf der Bürger bereits durch die Angebote im Internet befriedigt wird und der mit der Erteilung von Auskünften verbundene Aufwand entfällt. Zusätzlich sind auch Einsparungen im Bereich des Drucks und der Lagerhaltung von Formularen möglich, da die Formulare nur bei Bedarf vom Bürger selbst ausgedruckt werden.
————— - Sie können die Formulare am PC ausfüllen und dann ausdrucken. - Blenden Sie eventuell störende Formatierungszeichen mit dem Formatierungsbefehl („Ein- und Ausblenden nicht druckbarer Zeichen“) aus. - Springen Sie zwischen den Feldern mit Hilfe der Tabulator-Taste. - Achten Sie darauf, dass Sie das Formular nicht verändern (z.B. durch Drücken der Enter-Taste). - Sollte ein Feld für die Eingabe zu kurz sein, füllen Sie es bitte händisch aus. - Die Dokumente sind geschützt. Bitte heben Sie den Formularschutz nicht auf. - Überprüfen Sie nach dem Druck alle Angaben und ob diese vollständig lesbar sind. - Bestätigen Sie Ihre Angaben durch Ihre Unterschrift. Verwenden Sie ein möglichst starkes Papier für Ihren Ausdruck, mindestens jedoch Hartpost 80 g. Besser wäre ein noch stärkeres Papier.“ 241 http://www.help.gv.at; Vgl. dazu Dearing: Help.gv als Hebel der Verwaltungsentwicklung, in: Bauknecht/Brauer/Mück (Hrsg.), Informatik 2001, Österreichische Computer Gesellschaft, 2001; Moser: @mtshelfer online – www.help.gv.at, in: Schweighofer/Menzel (Hrsg.), E-Commerce und E-Government, Verlag Österreich, 2000. 242 http://www.stipendium.at. 243 Vgl. die „Formulardatenbank“ auf http://www.bmf.gv.at.
II. eGovernment und elektronische Formulare
135
2. EDV-Benutzeroberflächen Das elektronische Papierformular bildet das Aussehen des „konventionellen“ Formulars ab, wird aber nicht in die Abwicklung des Verfahrens integriert. Die Hauptaufgabe dieses Formulartyps ist die Bereitstellung einer elektronischen Kopie des Vordrucks. Bei EDV-Benutzeroberflächen ist es genau umgekehrt. Das Aussehen verliert an Bedeutung und die Möglichkeit, Daten in das Formular einzutragen, ist die primäre Aufgabe dieses Formulartyps. Die in das Formular eingetragenen Daten können durch Computerprogramme in weiteren Arbeitsschritten verarbeitet werden. Die Gestaltung der Benutzeroberflächen ist - im Gegensatz zu den Formularen, die nur mehr in einer Datensatzdefinition bestehen - so, dass sie vom Benutzer als Formulare wahrgenommen werden. Früher wurden die Eingabemasken auf den Bildschirmen daher auch häufig als „Formulare auf Glas“244, heute im Internet als „Web-Formulare“ bezeichnet. Abhängig vom Bereich, in dem das elektronische Formular eingesetzt wird, sind folgende Formulartypen zu unterscheiden: (1) Formulare für elektronische Anbringen, (2) Formulare für die elektronische Aktenformulare.
a) Elektronische Anbringen Das Formular für elektronische Anbringen ist ein Kommunikationsmittel zwischen Bürger und Behörde. Es dient der elektronischen Erfassung von Eingaben und ermöglicht damit die Kommunikation zwischen Bürger und Behörde. Die vom Benutzer in das Formular eingegebenen Daten werden an die Behörde übermittelt und können ohne Medienbruch245, also ohne fehleranfälliger und aufwändiger Neuerfassung, direkt in der Behörde weiterverarbeitet werden. ————— 244 Brinckmann/Grimmer/Höhnmann/Kuhlmann/Schäfer: Formulare im Verwaltungsverfahren, S. 179. 245 Vgl. Prorok: eGovernment: Von der Politik zur Praxis, ÖGZ 2002, S. 38. In Staatskanzlei des Kantons St. Gallen, E-Government: Strategie des Kantons St. Gallen wird das Ziel für das Projekt e-Taxes, einem System zur elektronischen Einreichung der Steuererklärung, angegeben als „die Überwindung des Medienbruchs zwischen Papier und elektronischem Produktionssystem. Das
136
G. Papier- und elektronisches Formular
Bei dieser Art des Formulars werden die eingetragenen Daten übermittelt. Das Aussehen des elektronischen Formulars, die Form, in der es beim Benutzer angezeigt wird, ist für die Behörde nach Erhalt der Daten nicht mehr von Bedeutung. Aus diesem Grund ist es nicht mehr notwendig, Kopien von Papierformularen auf dem Computer abzubilden. Bei Formularen, die im Internet angeboten werden („Web-Formulare“), werden daher häufig von Web-Browsern bereitgestellten Eingabeelemente eingesetzt, um Formulare für elektronische Anbringen zu realisieren. Unterschiede in der Darstellung, die von der Software, die der Benutzer verwendet abhängen, haben keine große Bedeutung.246 Ein typisches Beispiel für ein elektronisches Anbringen ist die Gewerbeanmeldung über das Internet. Binder und Skerlan-Schuhböck247 beschreiben, wie ein Verfahren zur Anmeldung eines Gewerbes beim Magistrat Wien248 als eGovernment-Lösung umgesetzt wird: Der Kunde „bestellt“ den Gewerbeschein elektronisch (per E-Mail). Prompt kommt die Antwort: Der Magistrat schlägt einen Termin für die Erledigung der Anmeldung vor und informiert den Kunden gleichzeitig telefonisch oder per E-Mail, welche Unterlagen benötigt werden. Der Kunde erscheint mit den richtigen Papieren zu dem vereinbarten Termin, kommt gleich dran und die Gewerbeanmeldung wird erledigt.
Durch die Übermittlung der Formulardaten in elektronischer Form kann das Verfahren schneller abgewickelt werden, da notwendige Erfassungsschritte für Daten entfallen.
b) Elektronische Aktenformulare Wird ein Verfahren in der Behörde mit EDV-Unterstützung oder gar mittels elektronischem Akt249 durchgeführt, dann ist - wenn die Daten nicht schon vom Antragsteller in elektronischer Form geliefert werden - die Erfassung der für ————— heißt, dass der Steuerpflichtige die Daten direkt so abliefern soll, dass sie in die produktive Datenbank NAPEDUV übertragen werden können.“ 246 Die Eingabeelemente für Formulare unterscheiden sich im Aussehen bei den einzelnen Browserprogrammen wie z.B. Mozilla, Opera, Internet Explorer .... Auch ist ihr Aussehen von der verwendeten Benutzeroberfläche bzw. dem eingesetzten Betriebssystem (Linux, Apple, Windows) abhängig. 247 Binder/Skerlan-Schuhböck: Bürgerservice der Stadt Wien im Internet, S. 117. 248 Vgl. das Web-Formular auf https://www.wien.gv.at/advwgrwebapp/public/GewAnm.aspx. 249 Vgl. dazu für den elektronischen Akt in der österreichischen Bundesverwaltung Grünwald: ELAK: Das österreichische Rahmenkonzept des Bundes für den elektronischen Akt, in: Bauknecht/Brauer/Mück (Hrsg.), Informatik 2001, Österreichische Computer Gesellschaft.
II. eGovernment und elektronische Formulare
137
die Verfahrensabwicklung benötigten Daten in Eingabemasken für den Computer notwendig. Wird in einem Verfahren ein „konventionelles“ Formular für die Antragstellung verwendet, dann ist es häufig sinnvoll, die Struktur des Antragsformulars in der Eingabemaske abzubilden. Das Formular und die Eingabemaske des Computerprogramms haben dann denselben Aufbau und können in gleicher Weise abgearbeitet werden. Abbildung 49 zeigt diesen Zusammenhang für das Formularverfahren nach dem StudFG. Es ist ein Teil des Antragsformulars einem Ausdruck der Eingabemaske gegenübergestellt.
Abbildung 49: Formular und EDV-Aktenbearbeitung
Deutlich ist erkennbar, dass sowohl das Formular, als auch die Erfassungsmaske für den Bildschirm dieselben Felder enthalten und dass auch die Reihenfolge der Formularfelder und der Eingabeelemente dieselbe ist, um eine schnelle und einfache Erfassung der Daten zu ermöglichen.
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G. Papier- und elektronisches Formular
3. Formular als Datensatzdefinition Die abstrakteste Form eines elektronischen Formulars ist die Datensatzdefinition. In ihr wird der Inhalt und die Struktur der Daten, die erfasst an die Behörde übermittelt werden, nur mehr durch die Beschreibung der einzelnen Datenfelder festgelegt. Papierformulare, Eingabemasken für elektronische Akte oder Web-Formulare, aber auch Software und Protokolle zum automatisierten Austausch von Daten zwischen Behörde und Bürger können dann aus dieser Beschreibung erzeugt werden.
Abbildung 50: Datensatzdefinition und Papierformular
Das ADV-Mahnverfahren250 in Österreich ist ein Beispiel für solche abstrakten Datensatzdefinitionen. Ein Ziel bei der Gestaltung dieses Verfahrens war ————— 250
Vgl. dazu Starl: Verfahrensautomation in der Justiz und Elektronischer Rechtsverkehr (ERV), in: Jahnel/Schramm/Staudegger (Hrsg.), Informatikrecht2, Springer Verlag, 2002. Mit der Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr (ERV 2006), BGBl. II Nr. 481/2005 wurde der ERV umgestaltet und an die erweiterten technischen Möglichkeiten der Internet (XML und Web-Services) angepasst. Details zu den technischen Grundlagen des ERV sind unter http://www.edikte.justiz.gv.at/edikte/km/kmhlp05.nsf/all/erv zu finden. An dieser Stelle werden in den Abbildungen noch die alten Schnittstellenbeschreibungen verwendet, da sie einfacher darzustellen sind und nur die prinzipiellen Zusammenhänge dargestellt werden.
III. Das Formular der Zukunft
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die effiziente elektronische Übermittlung der Daten und die daran anschließende Bearbeitung mittels EDV. Auf Grund einer Schnittstellenbeschreibung251 können Softwarefirmen eigene ERV-Module schreiben, die sie in Programme (z.B. Anwaltssoftware) einbinden. Die Gestaltung von Eingabemasken ist damit nicht mehr Gegenstand der Formulardefinition. Neben den elektronischen Anbringen ist es auch möglich, eine Mahnklage mittels eines „konventionellen“ Formulars252 einzubringen. Abbildung 50 zeigt die Beziehungen zwischen den beiden Formularen, dem Papierformular und dem abstrakten Formular, das durch die Datensatzdefinition festgelegt wird (in der Fassung vor ERV 2006). Aus der abstrakten Definition lässt sich das Papierformular ableiten.
III. Das Formular der Zukunft Die technische Entwicklung und der Einsatz von Formularen als Kommunikationsschnittstelle in Systemen des eGovernment wird eine neue Sichtweise dessen, was als Formular anzusehen ist, mit sich bringen. Schon die vorangegangenen Beispiele für elektronische Formulare haben gezeigt, dass die der Einsatz elektronischer Informationsdarstellung und Kommunikationsmittel einen abstrakten Formularbegriff notwendig machen. Während das „konventionelle“ Papierformular - und mit ihm das elektronische Papierformular - noch als „Ansammlung von Eingabefeldern“ angesehen werden kann, ist dies bei Datensatzdefinitionen nicht mehr der Fall. All die dargestellten Formulartypen hängen inhaltlich zusammen und sind nur unterschiedliche Darstellungsformen eines kasuistischen Tatbestandraums. Sie können jeweils in die andere transformiert werden (vgl. Abbildung 49 S. 137, Abbildung 50 S. 138). Da auf absehbare Zeit Papierformulare und elektronische Darstellungen von Formularen parallel eingesetzt werden, wird für die Formularlegistik die Notwendigkeit der Mehrfacherstellung inhaltlich übereinstimmender Formulare in verschiedenen Darstellungen und Medien bestehen. ————— 251
Unter http://www.edikte.justiz.gv.at/edikte/km/kmhlp05.nsf/all/erv sind Details zur Schnittstelle zu finden. 252 Unter http://weberv.dev.telekom.at/twiki/pub/Weberv/WebHome/EU_MV_Form_A.pdf ist der Antrag auf Erlass eines Europäischen Zahlungsbefehls als elektronisches Papierformular zu finden.
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G. Papier- und elektronisches Formular
Spätestens die Wartung dieser Formulare und das Abgleichen der verschiedenen Formulardarstellungen wird mit sehr großem Arbeitsaufwand verbunden sein. Dieser kann u.U. so groß sein, dass die kosteneffiziente Verwendung von Formblättern dadurch gefährdet wird. Das Formular der Zukunft wird daher aus einer abstrakten Beschreibung der Inhalte des Formulars (Tatbestandsmerkmale, verfahrensbezogene Elemente, ...) bestehen, aus der automationsunterstützt die unterschiedlichen Darstellungen des Formulars erzeugt werden. In einer formularbezogenen „Metasprache“ wird die Struktur des Tatbestands T, dessen Elemente durch das Formular erfasst werden, beschrieben. Zusätzlich werden auch die Beziehungen zwischen den einzelnen Formularelementen dargestellt. Dies Beschreibung des Formulars ist das „eigentliche“ Antragsformular253. Es wird je nach Bedarf in die unterschiedlichen Medien und Darstellungsformen umgesetzt. Auch wenn diese Gedanken im Augenblick noch sehr utopisch anmuten, so muss festgestellt werden, dass die technischen Grundlagen dafür durch Standards wie XML254 und die damit verbundenen Konzepte der Trennung der logischer Strukturen von Dokumenten und deren Darstellung bereits vorhanden sind. Sie werden im juristischen Bereich bereits erfolgreich eingesetzt255 und auch in der Legistik256 angewendet. Ihre Nutzung für die besondere juristische Dokumentart „Formular“257 ist daher absehbar.258
————— 253 Sollte eine Publikation des Formulars notwendig sein, dann wird die Datensatzbeschreibung die verbindliche Formulardefinition sein. U.U. mitpublizierte Formulardarstellungen (Papierformulare, ...) sind nur eine der möglichen Darstellungsformen, aber nicht das veröffentlichte „Formular“ selbst. 254 www.w3c.org/XML; Vgl. auch http://www.xml.org. 255 Vgl. Gantner: XML in Judikaturdatenbanken, in: Schweighofer/Menzel/Kreuzbauer (Hrsg.), Auf dem Weg zur ePerson, Verlag Österreich, 2001, Konzelmann: Rechnergestützte Edition von Normtexten. 256 Weichsel: Der elektronische Rechtserzeugungsprozess (E-Recht), in: Schweighofer/Menzel/ Kreuzbauer (Hrsg.), IT in Recht und Staat, Verlag Österreich, 2002, S. 196. 257 Mit XForms existiert bereits ein XML-Standard zur Beschreibung von Formularen (http://www.w3c.org/MarkUp/Forms/). 258 Für den Elektronischen Rechtsverkehr (ERV) wurde mit der Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr (ERV 2006), BGBl. II Nr. 481/2005 diese Umstellung auf die Verwendung von XML bereits vorgenommen. Details dazu sind zu finden unter http://www.edikte.justiz.gv.at/ edikte/km/kmhlp05.nsf/all/erv.
H. Rechtsfragen des Formulareinsatzes I. Der Rechtsakt „Formular“ Nach der Reinen Rechtslehre kann ein tatsächliches Substrat („Sein“) bei vorliegen bestimmter Voraussetzungen - insbesondere eines Verfahrens - als Rechtsakt („Sollen“) gedacht werden. Die Wirkung einer rechtlichen Deutung ist, dass rechtlich verbindlicher, objektiver Sinn259 geschaffen wird. Der Rechtsakt erhält damit eine rechtliche Existenz. Er ist geltend. Die Geltung ist die Existenzform des Sollens. Bei Antragsformularen sind zwei unterschiedliche Rechtsakt-Komponenten zu unterscheiden. Zum Einen kann das nicht ausgefüllte Formular selbst als (Teil) ein(es) Rechtsakt(es) angesehen werden. Das Formblatt ist in diesem Stadium eine Abbildung der durch Interpretation entfalteten Tatbestandselemente. Die Rechtsakteigenschaft des Formulars hängt von der bei der Normsetzung gewählten Rechtssatzform ab: Es kann ein Gesetz, eine Verordnung oder ein Erlass sein. Zum Anderen legt sich durch das Ausfüllen des Formblatts über die im Formblatt enthaltene generelle Abbildung von Tatbestandselementen die individuelle Beschreibung konkreter Sachverhaltsmerkmale. Es wird dem Vordruck durch das Ausfüllen des Formulars, insbesondere aber durch die Unterschrift und das Einbringen des Antragsformulars, eine neue rechtliche Bedeutung im Verfahrenskontext verliehen. Eine neue Form von Rechtsakt wird geschaffen. Ab diesem Zeitpunkt liegt ein rechtlich verbindliches Anbringen vor. Es mag dahingestellt bleiben, ob das Anbringen als prozeduraler Rechtsakt so ohne weiteres gleichgesetzt werden kann mit objektiven Rechtsquellen wie Gesetz oder Verordnung. Jedenfalls kann aber angenommen werden, dass auch ein rechtsgültiges Anbringen i.S.d. § 13 AVG im Sinne der Reinen Rechtslehre als Rechtsakt gedeutet werden kann. Die Konsequenz dieser Qualifikation des ausgefüllten Antragformulars als Rechtsakt ist, dass an diesen Rechtsakt Rechtsfolgen anknüpfen. Insbesondere verleiht die in sehr vielen Formularen enthaltene Klausel, dass die darin enthal————— 259
Kelsen: Reine Rechtslehre. 2. Auflage. Österreichische Staatsdruckerei, 1960, Nachdruck 1992, S. 2f.
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H. Rechtsfragen des Formulareinsatzes
tenen Angaben vollständig und richtig sind260, dem Formular den Charakter der Unabänderlichkeit, der durchaus mit der Rechtskraft von Verfahrensakten verglichen werden kann. Dies umso mehr, als in Formularverfahren ohne weiteres Ermittlungsverfahren nur auf Grund des vorgelegten Formularantrags entschieden wird.261 Möglicherweise besteht für diesen Fall auch eine prozedurales Defizit und ein Bedarf an Regeln, wie bereits ausgefüllte und rechtswirksam abgegebene Formulare nachträglich durch den Antragsteller geändert werden können. Die Rechtsaktqualität von Formularen kann Anlass sein, die bestehende Theorie der Rechtsakte, die sich bisher auf die „klassischen“ Rechtsquellen bezog, auszuweiten und auch auf prozedurale Handlungen in Hinblick auf ihre Deutung als „Rechtsakt“ anzuwenden. Dies umso mehr, da auch der höchstgerichtliche Rechtsschutz an den „klassischen“ Rechtssatzformen anknüpft und dadurch im Bereich des Formularwesen Rechtsschutzdefizite entstehen.
II. Formular und Ermittlungsverfahren Formularverfahren, wie jenes nach dem StudFG, werden häufig auf Grund besonderer Verfahrensvorschriften durchgeführt, die die zentrale Stellung der Antragsformulare festlegen. So ist im Verfahren nach dem StudFG der Antragsteller verpflichtet, das Formblatt zu verwenden262 und die Entscheidung der Behörde beruht ausschließlich auf dem wahrheitsgemäß und vollständig263 ausgefüllten Formularantrag ohne weiteres Ermittlungsverfahren.264
————— 260 Vgl. z.B. § 39 Abs. 5 1. Satz StudFG: „Der Studierende hat die maßgeblichen Familien- und Einkommensverhältnisse und die sonst für die Vollziehung dieses Bundesgesetzes erforderlichen Informationen wahrheitsgemäß und vollständig anzugeben.“ Dies bestätigt er im Formular durch seine Unterschrift. 261 Vgl. § 41 Abs. 3 StudFG. 262 § 39 Abs. 4: „Für die Anträge sind Formblätter zu verwenden, die der Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Kultur im Einvernehmen mit dem Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen durch Verordnung festzulegen hat.“ 263 § 39 Abs. 5: „Der Studierende hat die maßgeblichen Familien- und Einkommensverhältnisse und die sonst für die Vollziehung dieses Bundesgesetzes erforderlichen Informationen wahrheitsgemäß und vollständig anzugeben.“ 264 § 41 Abs. 3 StudFG: „Auf Grund des vorgelegten Formularantrags ist ohne weiteres Ermittlungsverfahren unter zweckmäßiger Verwendung moderner technischer Hilfsmittel, insbesondere der automationsunterstützten Datenverarbeitung, mit Bescheid zu entscheiden.“
II. Formular und Ermittlungsverfahren
143
Der Gang dieses Formularverfahrens, insbesondere das von der Behörde nicht durchzuführende Ermittlungsverfahren, weicht damit wesentlich von der im AVG festgelegten Vorgangsweise ab. Formblätter werden aber oft auch in Verfahren eingesetzt, für die die gesetzlichen Grundlagen für die Verfahrensführung keine Abweichung von den im AVG normierten Grundsätzen kennen. So z.B. das Verfahren auf Ausstellung eines Reisepasses nach dem Passgesetz 1992. Für dieses Verfahren liegt bei der Behörde ein Formular auf, das für die Antragstellung verwendet wird. Da die Voraussetzungen für die Ausstellungen eines Reisepasses nicht sehr umfangreich sind, enthält das vollständig ausgefüllte Antragsformular alle Sachverhaltselemente, die für die Durchführung des Verfahrens notwendig sind. Die Entscheidung kann ähnlich wie beim Verfahren nach dem StudFG auf Grund des ausgefüllten Formularantrags und der Beilagen getroffen werden. Das Text des PassG selbst enthält jedoch im Gegensatz zum StudFG überhaupt keinen Hinweis auf ein Antragsformular, geschweige denn besondere Verfahrensvorschriften mit der Verpflichtung zur Benutzung eines solchen. Für die Feststellung des Sachverhalts gilt daher das AVG.
1. Amtswegige Ermittlung Ein zentraler Grundsatz des Ermittlungsverfahrens in Verfahren nach dem AVG ist die Pflicht zur amtswegeigen Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts durch die Behörde.265. Sie hat den für die Erledigung der Verwaltungssache maßgebenden Sachverhalt von Amts wegen festzustellen (§ 39 Abs. 2 AVG). Ihr obliegt es, den Gang des Ermittlungsverfahrens und die Art und Reihenfolge der aufzunehmenden Beweise zu bestimmen. Nach der Rechtsprechung des VwGH266 trifft die Verpflichtung zur Feststellung des Sachverhalts die Behörde und kann von dieser nicht auf die Partei überwälzt werden. Werden in Verfahren Antragsformulare zur Ermittlung des rechtserheblichen Sachverhalts eingesetzt, dann passiert aber genau das. ————— 265 Walter/Mayer: Verwaltungsverfahrensrecht, S. 139f; Thienel: Verwaltungsverfahrensrecht, S. 174. 266 VwGH 899/48, 31.3.1949 (VwSlg 772 A/1949); 2517/77 23.05.1978 (VwSlg 9565 A/1978) und die darauf aufbauende ständige Rechtsprechung.
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H. Rechtsfragen des Formulareinsatzes
Die Behörde setzt das Antragsformular als standardisiertes Kommunikationsmittel zur Ermittlung der maßgebenden Elemente des Sachverhalts ein. Der Antragsteller gewinnt aus seinem Fall - unter Anleitung durch das Formblatt – die rechtserheblichen Sachverhaltselemente und subsumiert diese durch Eintragen in Felder unter die im Formblatt abgebildeten Tatbestandselemente. Erst wenn der Antragsteller das Formblatt vollständig ausgefüllt und eingebracht hat, wird das Verfahren eingeleitet. Die durch die Partei angefertigte Sachverhaltsbeschreibung ist Grundlage des Verfahrens. Das Ermittlungsverfahren reduziert sich dann auf die Auswertung des Antragsformulars. Die Behörde überprüft nur mehr an Hand der Beilagen, die dem Formularantrag angeschlossen sind, die Richtigkeit und Vollständigkeit der Angaben des Antragstellers. Sie ermittelt nicht mehr selbst, sondern überlässt das der Partei. Das Verfahren nähert sich inhaltlich einem Rechtsmittelverfahren an, in dem die Überprüfung des Rechtsakts „Formularantrag“ im Mittelpunkt steht. (Vgl. S. 109.) Das Antragsformular ermöglicht dadurch die Gestaltung arbeitsteiliger juristischer Verfahren. Die Verwendung des Formblatts führt zu genau der Überwälzung267 juristischer Arbeit auf den Bürger, die nach der Rechtsprechung des VwGH nicht zulässig ist. Verwendet die Behörde daher Formblätter zur Sachverhaltsfeststellung durch den Antragsteller, widerspricht das dem Verfahrensgrundsatz, dass die Behörde alle erforderlichen Beweise von Amts wegen aufzunehmen hat und dass diese Tätigkeit nicht auf die Partei überwälzt werden darf. Das Prinzip der Amtswegigkeit steht der Verwendung von Antragsformularen zur Sachverhaltsermittlung entgegen. Gestalten nicht besondere Verfahrensvorschriften das Ermittlungsverfahren abweichend von den im AVG festgelegten Grundsätzen, so führt das in der ständigen Rechtsprechung des VwGH festgestellte Verbot der Überwälzung der Sachverhaltsermittlung von der Behörde auf die Partei zur Rechtswidrigkeit der Verwendung von Antragsformularen.
2. Verfahrensökonomie Es ist aber möglich, dass die Verwendung von Formblättern durch andere Verfahrensgrundsätze oder Vorschriften des AVG legitimiert wird. ————— 267
Wird nur ein Teil des Sachverhalts über Antragsformulare erfasst, dann findet diese Überwälzung juristischer Arbeit für diesen Bereich des Sachverhalts statt.
II. Formular und Ermittlungsverfahren
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So räumt das AVG der Behörde weitgehendes Ermessen268 ein, wie sie den Ablauf des Ermittlungsverfahrens gestaltet. Sie bestimmt den Gang des Ermittlungsverfahrens und hat sich dabei aber von Rücksichten auf möglichste Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis leiten zu lassen (Grundsatz der Verfahrensökonomie, § 39 Abs. 2). Im Rahmen dieses Ermessens bei der Verfahrensgestaltung kann die Behörde standardisierte Hilfsmittel zur Sachverhaltsermittlung verwenden. Diese werden im Allgemeinen auch einer rationelleren Verfahrensabwicklung dienen. Antragsformulare werden dadurch - jedenfalls auf Behördenseite - auch eine Kostenersparnis zur Folge haben, da ja Aufwand zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts auf den Antragsteller überwälzt wird. Kann die Ermittlung des gesamten Sachverhalts durch die Verwendung eines Formblatts auf die Partei überwälzt werden und füllt der Antragsteller das Antragsformular richtig und vollständig aus, dann ist dem Grundsatz der Verfahrensökonomie optimal Rechnung getragen worden. Es wird die Sachverhaltsfeststellung auf die Partei „ausgelagert“ und damit gleichsam „privatisiert“. Das Ermittlungsverfahren entfällt damit praktisch für die Behörde und ihre Aufgabe wird auf eine Überprüfung der Einträge in das Formular und der Beilagen reduziert.269 Eine kostengünstigere und rationellere Durchführung des Ermittlungsverfahren ist aus Behördensicht kaum denkbar. Gem. § 56 AVG kann das Ermittlungsverfahren auch entfallen, soweit der maßgebende Sachverhalt von vornherein klar gegeben ist. Dies gilt auch für materielle Erledigungen, wenn auf Grund der vorliegenden Unterlagen der Sachverhalt feststeht und weitere Ermittlungen nicht notwendig sind.270 ————— 268
Der VwGH geht sogar so weit, dass er ein praktisch schrankenloses Ermessen der Behörde annimmt, wenn er feststellt, dass es der Behörde überlassen bleiben muss, welche Art von Erhebungen sie für notwendig erachtet. Die Erhebungen müssen nur in einem zeitlichen Zusammenhang zum Antrag (in diesem Fall gewerberechtliches Konzessionsgesuch) stehen und eine ausreichende Grundlage für die Beurteilung der Rechtsfrage bilden (VwGH 8/29, 20.9.1930 VwSlg 16282 A/1930; 862/73, 14.11.1973). Kritisch dazu Walter/Mayer: Verwaltungsverfahrensrecht, S. 117 Rz 275. 269 Der Gesetzgeber sieht anscheinend die Entgegennahme eines vollständig ausgefüllten Formularantrags und die Überprüfung der Einträge als eine Form des Ermittlungsverfahrens an. In § 41 Abs. 3 StudFG wird festgelegt, dass auf Grund des vorgelegten Formularantrags ohne weiteres Ermittlungsverfahren zu entscheiden ist. Da er von einem weiteren Ermittlungsverfahren spricht, muss schon eines vorangegangen sein. Das ist im Fall des Verfahrens nach dem StudFG die Entgegennahme des Antragformulars. 270 Thienel: Verwaltungsverfahrensrecht, S. 196. Vgl. auch VwGH 99/06/0168, 24.02.2000: „Kriterien für die Frage, ob eine mündliche Verhandlung durchzuführen ist, sind daher die in § 39 Abs. 2 letzter Satz AVG angeführten Gründe, nämlich die möglichste Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis für das Verfahren. Im vorliegenden Fall ergab sich der von der
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H. Rechtsfragen des Formulareinsatzes
Beschreibt das Antragsformular den Sachverhalt vollständig - wie z.B. beim Antrag auf Ausstellung des Reisepasses -, dann kann auf ein Ermittlungsverfahren verzichtet werden und ein Verfahren mit einem über das Antragsformular „privatisierten“ Ermittlungsverfahren ist zulässig. Entfällt das Ermittlungsverfahren, dann entfällt für die Partei aber auch die Möglichkeit, von ihrem Recht auf Parteiengehör Gebrauch zu machen. Die Geltendmachung dieses Rechts ist neben der Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts der zweite Zweck des Ermittlungsverfahrens (§ 37 AVG). Die in § 37 AVG genannten Verfahrenszwecke gehen jedoch Fragen der Verfahrensökonomie vor. Die Grenze der Verwendung von Antragsformularen liegt daher dort, wo das Recht auf Parteiengehör beschnitten wird.
3. Verzicht auf Parteiengehör In diesem Zusammenhang sind jene im Formular enthaltene Klauseln, dass die Daten „richtig und vollständig“ angegeben wurden, die bei Einreichen des Antragsformulars unterschrieben werden, als Verzicht auf das Rechts des Parteiengehörs zu interpretieren. Wenn aus Sicht der Behörde das Formular den gesamten Tatbestand abbildet bzw. den maßgeblichen Sachverhalt vollständig erfassen kann und der Antragsteller bestätigt, dass er die Daten des Falls vollständig und richtig eingetragen hat, dann ist die Voraussetzung des § 56 AVG gegeben. Das Ermittlungsverfahren und damit das Recht auf Parteiengehör entfällt. Der VwGH stellte aber im Zusammenhang mit einem unterfertigten Formular271 fest, dass auch im Verwaltungsrecht der Grundsatz des Zivilrechts gelten muss, dass der Unterfertigende eine Vorstellung vom ungefähren Inhalt des unterfertigten Textes hat. Im Allgemeinen wird der Antragsteller mit der Aussage über die Vollständigkeit und Richtigkeit der Formulardaten nicht auch einen vollständigen Rechtsverzicht auf Parteiengehör verbinden. Es ist daher zu bezweifeln, dass ein so formulierter Verzicht auf Parteiengehör wirksam ist. ————— Behörde festgestellte Widerspruch des Bauvorhabens zum Bebauungsplan allein aus den vom Beschwerdeführer eingereichten Unterlagen zum Bauansuchen. Es kann somit im Lichte des § 39 Abs. 2 AVG keine Rechtswidrigkeit darin erkannt werden, dass die vorliegende Abweisung des Bauansuchens ohne Abhaltung einer Bauverhandlung erfolgt ist.“ 271 In VwGH 82/02/0252, 23.3.1984, ZfVB 1984/6 S. 683, Nr. 3508 ging es um die Zustimmung eines Lenkers zu einer Blutprobe, wobei der Lenker einen Vordruck unterfertigte, den er ohne Brille nicht lesen konnte.
II. Formular und Ermittlungsverfahren
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Jedenfalls wird mit einer solchen Erklärung der Verzicht verbunden sein, im Rechtsmittelverfahren ein fehlendes Ermittlungsverfahren bezüglich der Formulardaten geltend zu machen. Nach der ständigen Rechtsprechung des VwGH272 können vor dem VwGH falsche Annahmen der Behörde, gegen die die Partei nicht aufgetreten ist, nicht geltend gemacht werden. Dies ist eine Folge der Mitwirkungspflicht der Partei am Verfahren und wird umso mehr auf Angaben der Partei zur Einleitung des Verfahrens zutreffen.
4. Mitwirkungspflicht Aus der allgemeinen Mitwirkungspflicht273 der Partei kann auch die Verpflichtung zur Verwendung des Antragformulars abgeleitet werden. Sie trifft die Partei, soweit es um Tatsachen geht, deren Ermittlung ohne Mitwirkung der Partei für die Behörde nicht möglich ist. Dies wird jedenfalls zutreffen bei persönlichen Daten des Antragstellers oder Sachverhaltsdaten, die nur der Antragsteller kennt. Werden sie im Antragsformular erhoben, so wird der Antragsteller diese Daten angeben müssen. Eine Verpflichtung, der Behörde weitergehende Daten anzugeben, besteht nicht. Die Mitwirkungspflicht geht nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs (vgl. S. 147 FN 272) nicht so weit, dass sich die Behörde die Durchführung eines ordentlichen Ermittlungsverfahrens ersparen dürfte. Es besteht keine Mitwirkungspflicht an der Erhebung von Elementen des Sachver————— 272 Zu Mitwirkungspflicht der Partei und Überwälzung der Ermittlung des Sachverhalts vgl. z.B. VwGH 95/01/0447, 19.3.1997: „Der Tatsache, daß ein Asylwerber der diesbezüglichen Annahme der Verwaltungsbehörden nichts entgegensetzt, käme nur in dem Umfang Bedeutung zu, in dem den Asylwerber eine Pflicht zur Mitwirkung an der Feststellung des Sachverhaltes traf. Wird eine derartige Pflicht verletzt, so kann dies dazu führen, daß die Behörde keine weiteren Erhebungen mehr durchführen muss und die wegen des Unterbleibens solcher Erhebungen vor dem Verwaltungsgerichtshof erhobene Verfahrensrüge abzulehnen ist. Die Mitwirkungspflicht, aus deren Verletzung sich dies ergeben kann, ist von Bedeutung, wo es der Behörde nicht möglich ist, von sich aus tätig zu werden. Insoweit aber die Behörde nicht gehindert ist, die in Frage kommenden Ermittlungen von Amts wegen vorzunehmen, besteht keine derartige Pflicht der Partei. Die Mitwirkungspflicht geht nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht so weit, dass sich die Behörde - die ihre Pflicht zur Feststellung des Sachverhaltes nicht auf die Partei überwälzen kann - die Durchführung eines ordentlichen Ermittlungsverfahrens ersparen dürfte (vgl. auch das hg. Erkenntnis vom 26. Jänner 1995, Zl. 94/19/0413). Abgesehen davon könnte selbst ein Verstoß der Partei gegen ihre Mitwirkungspflicht nur zur Folge haben, dass eine sich daraus ergebende Unvollständigkeit oder Unrichtigkeit der Sachverhaltsannahmen der belangten Behörde vor dem Verwaltungsgerichtshof nicht mehr geltend gemacht werden könnte.“ 273 Vgl dazu Bachler: Die allgemeine Mitwirkung der Parteien im Verwaltungsverfahren – ”Pflicht“ oder ”Recht“? ÖJZ 1995, S. 401; Wielinger/Gruber: Zur Frage der Mitwirkungspflicht der Parteien im Verwaltungsverfahren, ZfV 1983, S. 366.
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halts, wenn die Behörde in der Lage ist, die Ermittlungen dazu von Amts wegen durchzuführen.274 Aus der Mitwirkungspflicht ergibt sich keinesfalls, dass der Antragsteller ein von der Behörde bereitgestelltes Formblatt verwenden muss. Da das AVG für Anbringen275 eine weitgehende Formfreiheit (§ 13 Abs. 1 AVG) normiert, kann - wenn die Verwaltungsvorschriften nicht die Verwendung eines bestimmten Formblatts vorsehen - der Antragsteller selbst die Form des Antrags wählen. Die Mitwirkungspflicht ist auf die Daten, die auch in einem formlosen Antrag angegeben werden müssten, beschränkt.
III. Formular und Rechtsauskunft § 13a AVG verpflichtet die Behörde, Personen, die nicht durch berufsmäßige Parteienvertreter vertreten sind, die zur Vornahme ihrer Verfahrenshandlungen nötigen Anleitungen zu geben. Diese Belehrungspflicht bezieht sich nur auf die Verfahrenshandlungen in anhängigen Verfahren, nicht jedoch auf Fragen des materiellen Rechts.276 In Verfahren, in denen Formulare zur Ermittlung des Sachverhalts verwendet werden, können drei Ebenen des Informationsbedarfs des Antragstellers unterschieden werden: (1) Information über die Verfahrenssituation, (2) Information zum Ausfüllen des Formulars, (3) Information über die Rechtsgrundlagen des Verfahren. Diesen Ebenen entsprechen die folgenden Auskunfts- und Hilfemöglichkeiten in Formularverfahren: ————— 274 Walter/Thienel: Die österreichischen Verwaltungsverfahrensgesetze I, 2. Auflage, Manzsche Verlags- und Universitätsbuchhandlung, 1998, S. 576 E225 zu § 39 AVG. 275 Vgl. Wiederin: e-Government und Verwaltungsverfahrensrecht, in: Studiengesellschaft für Wirtschaft und Recht (Hrsg.), Internet und Recht, Linde Verlag, 2002, S. 49; Feik: EDV/ADV und Verwaltungsrecht – ausgewählte Probleme, in: Jahnel/Schramm/Staudegger (Hrsg.), Informatikrecht, 2. Auflage, Springer Verlag, 2002, S. 228ff; Connert: Die Rechtsgrundlagen für eGovernment, ÖGZ 2002, S. 10f; Hattenberger: Ausgewählte rechtliche Fragen des „e-Government“ – elektronisches Verwaltungsverfahren, in: Wimmer (Hrsg.), Impulse für e-Government: Internationale Entwicklungen, Organisation, Recht, Technik, Best Practices, Österreichische Computer Gesellschaft, 2002, S. 117; Hattenberger: Rechtliche Rahmenbedingungen des e-government, in: Potacs/Rondo-Brovetto (Hrsg.), Beiträge zur Reform der Kärntner Landesverwaltung, Manzsche Verlags- und Universitätsbuchhandlung 2001, S. 134. 276 Davy: Zur Rechtsbelehrung im Verwaltungsverfahren (§ 13a AVG), ÖGZ 1983, S. 58.
III. Formular und Rechtsauskunft
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(1) persönliche Rechtsbelehrung, (2) Formularhilfe, (3) elektronisches Formular als Informationssystem. Diese Formen der Unterstützung des Antragstellers sind unterschiedliche Ausprägungen der Rechtsauskunft. Sie gehen aber auch über die in § 13a AVG normierte Belehrung hinaus.
1. Persönliche Rechtsbelehrung im Verfahren Diese Form der Rechtsbelehrung entspricht jener von Verfahren ohne Antragsformular. Der Partei wird für ihre konkrete Verfahrenssituation erläutert, welche Verfahrenshandlungen sie vornehmen kann und welche Rechtsfolgen diese haben. Meistens wird sich im Zusammenhang mit Antragsformularen die Belehrung durch die Behörde beschränken auf den Hinweis, welches Formblatt für ein Verfahren zur Verfügung steht und welche Beilagen benötigt werden. U.U. ist auch eine Erläuterung zur Verwendung des Antragformulars, insbesondere der Vorgangsweise beim Ausfüllen, notwendig. In diesem Fall wird eine von der Formularhilfe bereitgestellte Funktion übernommen, die teilweise über die von § 13a AVG festgelegte Manuduktionspflicht hinausgeht. Ist es für die Behörde notwendig, den Antragsteller beim Ausfüllen des Formulars zu unterstützen, dann ist diese Tätigkeit nicht mehr von der Pflicht zur Rechtsbelehrung umfasst. Vielmehr wird dann das Ermittlungsverfahren wieder von der Behörde - zusammen mit dem Antragsteller - durchgeführt. Es kommt nicht zu der mit der Verwendung des Formblatts angestrebten Überwälzung juristischer Arbeit.
2. Formularhilfe Die Formularhilfe (vgl. S. 128) enthält Erläuterungen, welche Bedeutung die einzelnen Formularfelder haben und was der Benutzer in das Feld eintragen soll. Dies ist als Anleitung zur Gewinnung der maßgeblichen Sachverhaltselemente nicht der Rechtsbelehrung, sondern dem Ermittlungsverfahren zuzuordnen. Vielfach wird durch Ausfüllen von Formularfeldern auch eine verfahrensrechtliche Aussage modelliert. So kann der Antragsteller im Antragsformular
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nach dem StudFG durch Ausfüllen wählen, was er beantragt: entweder „Antrag auf Gewährung einer Studienbeihilfe“ oder „Antrag auf Erhöhung einer Studienbeihilfe“. Die Formularhilfe, die die Konsequenzen des Ausfüllens für das Verfahren erläutert, ist in diesem Fall als standardisierte Rechtsauskunft einzuordnen.
3. Informationssystem „Formular“ Im Bereich des eGovernment und der elektronischen Formulare entwickeln sich parallel zu den neuen Formularformen auch neue Ausprägungen der Formularhilfe. Entsprechend den Eigenschaften des neuen Mediums Internet sind diese Hilfesysteme oft als Hypertextsysteme gestaltet und verbinden die Funktionen der Erläuterungen, welches Formular für ein bestimmtes Verfahren benötigt wird, und der Ausfüllhilfe. Es sind dies elektronische Umsetzungen der beiden gerade dargestellten Auskunftssituationen. Auch wenn § 13a AVG von einer Belehrung, die in der Regel mündlich erfolgt, ausgeht, sind auch die elektronischen Umsetzungen bei entsprechendem Inhalt als Formen der Rechtsauskunft zu Verfahrensfragen einzuordnen. Diese Hilfesysteme enthalten aber häufig noch viel mehr Informationen. Durch die Form der vernetzten Darstellung und den einfachen Zugriff auf bereits vorhandene Daten (z.B. Gesetzestexte) entstehen um das elektronische Formular herum teilweise sehr umfangreiche Informationssysteme, die nicht nur die verfahrensrechtliche Bedeutung des Antragsformulars bzw. seine Benutzung darstellen, sondern auch juristische Zusatzinformation bieten. Derartige Systeme übernehmen bereits Teile einer materiell-rechtlichen Betreuung277 des Antragstellers. So informativ und interessant derartige materiell-rechtliche Informationssysteme auch sein mögen, die in § 13a AVG normierte Manuduktionspflicht setzen sie nicht um. Es kann sogar sein, dass durch die Fülle der angebotenen Informationen in Zusammenhang mit einer unübersichtlichen Gestaltung der Benutzeroberfläche der Zugang zu den von § 13a AVG umfassten Informationen nicht oder nur schwer möglich ist. Die Menge der angebotenen Informationen deckt dann die gesuchte Rechtsbelehrung zu. Der Benutzer verirrt sich in den Informationspfaden des Systems („Lost in Cyberspace“) und die Rechtsauskunft wird nicht gegeben. Das System kann dann nicht mehr als elektronische Umsetzung der Manuduktionspflicht eingeordnet werden. ————— 277
Raschauer: Allgemeines Verwaltungsrecht, Springer Verlag, 1998, S. 628.
IV. Rechtsschutz
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In diesen Fällen wird es dann notwendig - entgegen den Absichten, die mit eGovernment-Systemen verbunden sind -, die Rechtsauskunft auf konventionelle Weise (persönlich, telefonisch, ...) zu erteilen.
IV. Rechtsschutz 1. Selbstbindung der Behörde durch Formulare Formulare sind eine Abbildung eines durch generelle Argumentation entfalteten Tatbestands. Sie enthalten das Ergebnis eines juristischen Interpretationsvorgangs. Insbesondere bei Tatbestandselementen, deren Interpretation im Ermessen der Behörde liegt, können die Elemente des Formulars für den Antragsteller die einzige verlässliche Informationsquelle zur Rechtslage sein. Zusätzlich ist das Formular auch ein Organisationsmittel, mit dem der Verfahrensablauf gesteuert wird. Insbesondere kann es auch zahlreiche Angaben über Verfahrenshandlungen, die der Antragsteller setzen muss, enthalten. Dies können Aussagen z.B. über Fristen oder Beilagen, die in bestimmten Sachverhaltskonstellationen notwendig sind, sein. Sie können entscheiden, ob ein Antrag überhaupt gestellt wird oder nicht. Diese zusätzlichen Informationen sind meist in der Ausfüllhilfe enthalten. Die Behörde teilt damit dem Antragsteller durch das Formblatt eine Interpretation der Rechtslage mit. Sie erteilt über das Antragsformular eine Rechtsauskunft in standardisierter Form und legt damit das Verhalten des Antragstellers fest. Gleichzeitig bindet sie aber auch sich selbst an die erteilte Rechtsauskunft. Sie kann nicht willkürlich von ihrer Rechtsmeinung abgehen, die sie nicht nur in einem Einzelfall, sondern sogar in genereller Form für alle Formularbenutzer bekannt gegeben hat. Das Vertrauen des Antragstellers in die Verbindlichkeit der Angaben der Behörde wird dadurch geschützt. Dies ist eine Folge des auch im öffentlichen Recht geltenden278 Grundsatzes von Treu und Glauben. Die Behörde darf sich nicht ohne triftigen Grund in Widerspruch zu dem setzen, was sie früher vertreten hat und worauf andere vertraut haben.279 ————— 278 Stoll: Bundesabgabenordnung, Verlag Orac, 1994, S. 1293; Raschauer: Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 643. 279 Ritz: Treu und Glauben bei Rechtsauskünften, ÖStZ 1991, S. 286.
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H. Rechtsfragen des Formulareinsatzes
Für das Antragsformular gilt der Grundsatz von Treu und Glauben sowohl für die Ebene der Auskunft über Verfahrensdaten („Ausfüllhilfe“), als auch für den Bereich der Erfassung der maßgeblichen Sachverhaltsmerkmale. Soweit es die einzutragenden Elemente des Sachverhalts betrifft, darf der Antragsteller vertrauen, dass die Behörde im Formular nach den für das Verfahren maßgeblichen Elementen des Sachverhalts fragt. Und dass ein vollständig und richtig ausgefülltes Antragsformular auch tatsächlich eine für die Einleitung und Durchführung des Verfahrens ausreichende Grundlage darstellt. Die Durchführung des Verfahrens bzw. die Entscheidung darf - ohne dass die Behörde ein Ermittlungsverfahren durchführt - nicht von zusätzlichen Sachverhaltselementen oder Beilagen abhängig gemacht werden, die nicht im Formblatt enthalten sind. In diesem Sinn stellt der VfGH fest, dass es dem Prinzip von Treu und Glauben widerspricht, wenn eine Behörde eine Eingabe als (grob) mangelhaft erachtet, obgleich sich der Einschreiter eines von ihr selbst aufgelegten und von ihm ordnungsgemäß ausgefüllten Formulars bedient.280 Für die in der Formularhilfe enthaltenen Auskünfte gilt, dass der Antragsteller auf sie vertrauen kann. Wenn er sich an falsche Angaben im Vordruck hält, darf er dadurch keinen Nachteil erleiden, wenn diese Verfahrensfehler oder Fristversäumnisse281 zur Folge haben. Die Grenzen des Schutzes sind die gesetzlichen Vorschriften. Fordern diese ein besonderen Verhalten, so geht dies dem Vertrauensschutz vor. Das Legalitätsprinzip ist stärker als der Grundsatz von Treu und Glauben. Ein Abgehen von einer bestimmten Rechtsauffassung kann nicht als Verstoß gegen Treu und Glauben angesehen werden.282 Der Grundsatz von Treu und Glauben ist im materiellen Fragen vor allem bei Ermessensentscheidungen von Bedeutung. Bilden Formulare das Ergebnis von Wertungen und Ermessen beim Auslegen von Rechtsvorschriften in den Formularfeldern eines Antragformulars ab, so ist die Behörde an diese gebunden, wenn das Formular benutzt wird. ————— 280 VfGH B 2069/92, 1.7.1993 (VfSlg 13499/1933): Der Beschwerdeführer füllte ein Antragsformular für den Zivildienst so aus, dass er in die im Vordruck enthaltene, mit „Lebenslauf“ überschriebene Gliederung (1. Schulbildung, 2. Beruf, ...) direkt die entsprechenden Daten eintrug. Die Behörde verneinte in einem Bescheid das Vorliegen für die Voraussetzungen für die Ausnahme von der Wehrpflicht, da dem Antrag kein Lebenslauf beigelegt war. 281 VwGH 2004/77, 15.12.1977 (Fristversäumnis wegen falscher Fristen in einem Aushang der Behörde); VfGH B 3026/95, 27.11.1995, VfSlg 14334 (Fristversäumnis wegen Einbringen eines Antrags bei der falschen, im Informationsblatt zum Antragsformular angegebenen Behörde). 282 Ritz: Treu und Glauben bei Rechtsauskünften, S. 286.
IV. Rechtsschutz
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2. Rechtsschutzdefizite Grundsätzlich weicht der Rechtsschutz in einem Verfahren, in dem Antragsformulare zur Sachverhaltsermittlung verwendet werden, nicht vom allgemeinen Rechtsschutz für Verwaltungsverfahren ab. Problembereiche, die die Rechtswidrigkeit des Verfahrens zur Folge haben können, wurden auf den vorangehenden Seiten dargestellt. Problematisch erscheint in diesem Zusammenhang, dass der höchstgerichtliche Rechtsschutz an „klassischen“ Rechtsakten wie Bescheid oder Verordnung anknüpft, nicht jedoch an dem Rechtsakt „Formularantrag“. Erst mit dem eingebrachten Formularantrag ist der Beginn des Verfahrens und damit auch der Rechtsschutz in Verwaltungsverfahren verknüpft. Das Antragsformular selbst jedoch wird vor der Einleitung des Verfahrens durch den Antragsteller ausgefüllt. Dies geschieht in gewisser Weise in einem „rechtsfreien“ Raum. Der Formularantrag ist ein von der Behörde gestaltetes Kommunikationsmittel, das die Erklärungen des Antragstellers sowohl in Form als auch im Inhalt weitgehend vorgibt. Der Ausfüllende ist beim Formulieren an eine Darstellung der Rechtsmeinung der Behörde gebunden und muss diese benutzen. Damit ist er gezwungen, während des Ausfüllens diese Meinung in sein Anbringen zu übernehmen. Da die Interpretation der Rechtsnormen, die im Formular abgebildet sind, Teil des Anbringens wird, sollte dem Antragsteller auch eine erweiterte Informationsmöglichkeit über die Rechtsmeinung der Behörde zustehen. Insbesondere wäre eine Auskunftspflicht über die materiell-rechtliche Bedeutung einzelner Formularfelder wünschenswert. Zusätzlich sollte die Behörde auch Auskunft geben müssen, wenn für bestimmte Tatbestandselemente keine Formularfelder im Vordruck enthalten sind, obwohl eine Auslegung der dem Formblatt zugrunde liegenden Rechtsvorschriften zu dem Ergebnis kommen kann, dass diese für die Durchführung des Verfahrens von Bedeutung sind. Dies wäre eine weitergehende Auskunftspflicht als die in § 13a AVG normierte. Weiters sollte überlegt werden, allgemeine Verfahrensregeln für Formularverfahren im AVG zu normieren. Da die mit der Verwendung von Formularen verbundene Überwälzung der Sachverhaltsermittlung auf den Antragsteller im Gegensatz zum Prinzip der amtswegigen Sachverhaltsermittlung steht, wäre eine Auflösung dieses Gegensatzes wünschenswert.
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H. Rechtsfragen des Formulareinsatzes
Eine Gestaltung von Formularverfahren analog zum Mandatsverfahren, bei dem über das Rechtsmittel der Vorstellung ein ordentliches Ermittlungsverfahren erzwungen werden kann, wäre ein der Systematik des AVG entsprechender Ansatz.
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Personen- und Sachwortverzeichnis Adjunktion 31 Aktenformular, elektronisch 136 Alexy 15 - Entfaltung 16 siehe auch Entfaltung - externe Rechtfertigung 15 - interne Rechtfertigung 15, 18 Amtswegigkeit 144 Anbringen, elektronisch 135 Anwendungspraxis, einheitliche 87 Arbeitsbilanz, juristische 114 Arbeitsteilung, juristische 71 - Tatbestandsraum 86 - Zwischentatbestand 79 Argumentation 58 - fallbezogen 62 - generell 60 Ausfüllhilfe 128 Ausfüllnorm 126 Aussagenkonstruktion 122 Aussagenmodellierung 121 Auswahlfeld 122 Begründung 83 - extern 83 - intern 83 Begründungskette 78 - Bestandskraft 79 - fehlerfrei 78 - mangelhaft 78 - nachträglich 78 - Novelle 78 Begründungszusammenhang 84 Beilagenanordnung 127 Belehrungspflicht 148 Benutzeroberfläche 135 Blockbildung 125 Datensatzdefinition 138 Deutung 40 Differenzierung, negative 55
eAdministration 131 eGovernment 130 Elastitität, kasuistische 100 Engisch 5 - Subsumtion 8 Entfaltung 7 - formales Modell 68 Erfahrung, juristische 72 Erledigungsformular 122 Ermittlung, amtswegige 143 Ermittlungsarbeit 111 Ermittlungsverfahren 142 - Rechtsmittelverfahren 147 Exklusion 31 Fall 37 - Strukturierung 40 Fallelement 40 - Beschreibung 41 Feldgruppe 123 Feldtypen 122 Finalnorm 22 Formular 120 - Arbeitsteilung 109 - auf Glas 135 - Bauelemente 120 - elektronisches 120, 133 - Mitwirkungspflicht 147 - Papier 120 - Rechtsakt 141 - Rechtsanwendung 90 - Sachverhalt 93, 108 - Subsumtion 108 - Subsumtionswerkzeug 106 - Tatbestand 93, 106 - unterfertigt 146 - Vollständigkeit 92 - Wartung 116 Formularantrag 91 Formularfeld 120 Formularhilfe 128
Personen- und Sachwortverzeichnis Formularlegist 112 Formularnorm 126 Formularnovelle 117 Formularserver 134 Formularverfahren 91 - Antragsformular 91 - Ermittlungsverfahren 91 - VwGH 94/12/0081 91 Geschehen 36 Gesetzesbegriff 7 - Entfaltung siehe Enfaltung Gleichheitsgrundsatz 72 Hypertextsystem 150 Individualnamen 14 Individuenkonstante 15 Individuenvariable 14 Informationsbedarf 148 Interpretationsarbeit 111 - generelle 111 - individuelle 111 Kennzeichnung 49 Konjunktion 31 Lebenssachverhalt 6 Lohnsteuerrichtlinien 87 Mandatsverfahren 154 Manuduktionspflicht 148 Medienbruch 135 Mitwirkungspflicht 147 Navigationsnorm 127 Negation 31 Normarbeit 110 Normtypen 22 Obersatz siehe Syllogismus Ordnung 40 Papierformular elektronisch 133 Parteiengehör 146 - Verzicht 146 Rechtfertigung 15
- extern siehe Alexy - interne siehe Alexy
Rechtsakt 141 Rechtsanwendung 5, 21, 45 - Argumentation 58 - formale Modelle 5 - Formular 90 Rechtsarbeit 110 Rechtsauskunft 148 Rechtsaussage 22 Rechtsbelehrung 148 - Formularhilfe 149 - Informationssystem 150 - persönlich 149 - standardisiert 150 Rechtsfolge 10, 32 Rechtsnorm 22 - abgeleitet 79 - Geltung 80 - generell 22 - Parallelanwendung 28 Rechtsschutzdefizite 153 Rechtsvorschrift 6, 22 Regelhaftigkeit 72 Reine Rechtslehre 141 Relation 33 - normextern 33 - normintern 33 Richtigkeit 92 Rohsachverhalt 38 Sachverhalt 8, 36, 38 - ähnlich 71 - endgültig 39 - Entfaltung 58 - rechtserheblich 39 Sachverhaltsarbeit 110 - Überwälzung 112 Sachverhaltseigenschaft SEn.m 43 Sachverhaltsgewinnung 36 - Stufen 36 Sachverhaltsmerkmal 39 - Relevanz 39 - unwesentlich 6 Sachverhaltsobjekt SOn 43 Sachverhaltsrelation SRm 43 Schluss siehe auch Syllogismus - logischer 5 Selbstbindung 151
165
166
Personen- und Sachwortverzeichnis
Sollensurteil 6 Standardtext 85 Subordination 5, 8 - auslegende 9 Subsumtion 5, 8 - durch Ausfüllen 102, 108 - durch Auswahl 102, 108 - Einzelvergleich 10, 52 - Formular 108 - konkrete 9 - über Beilagen 109 Subsumtionsarbeit 111 Subsumtionsschluss 49 - Schlussebenen 56 Syllogismus 5 - der Rechtsanwendung 9 - Hin- und Herwandern des Blickes 7 - juristischer 10 - Obersatz 6 - Entfaltung siehe Syllogismus - Verbreiterung 7 - Prädikatenkalkül 13 - Prämissen 6 - richterlicher 9 - Untersatz 6 Syllogistik 11 Tabelle 125 Tatbestand 22 - Ausgangs- 47 - Bestandskraft 79 - endgültiger 47 - Entfaltung 58 - subjektiver 23 - Zwischen- 47 Tatbestandsbeschreibung 10 Tatbestandseigenschaft TEn 29 - negativ 54 - positiv 54 - Untereigenschaft 55 Tatbestandselement 25 - materiellrechtlich 105
- verfahrensbezogen 105
Tatbestandsobjekt TOn 27 - Klasse K(TO)n 28 - negativ 53 - positiv 53
Tatbestandsraum, kasuistischer 81 Formular 106 juristische Arbeitsteilung 86 öffentlich 86 privat 86 Tatbestandsrelation TRn 29 Tatsache, rechtserhebliche 39 Tatsachenelemente 38 Tatsachenfeststellung 37 Textbaustein 85 Textfeld 124 - Maske 124 Treu und Glauben 151 -
Überwälzungsfaktor 115 Untersatz siehe Syllogismus Verfahren, arbeitsteilige 109 Verfahrensinformation 130 Verfahrensökonomie 144 Vertrauensschutz 151 Verweis 33 - Zuständigkeit 33 Vollständigkeit 92 Vorwissen 72 Web-Formular 135 Wortgebrauchsregel 18 XForms 140 XML 140 Yoshino 19 Zwischentatbestand 75 - Bestandskraft 79