Die kategoriale Systematik in den "metaphysischen Anfangsgründen der Rechtslehre": Ein Beitrag zur Methodenlehre Kants 9783110849639, 3110088835, 9783110088830


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VORWORT
0. EINLEITUNG
1. DIE STELLUNG DER METAPHYSISCHEN ANFANGSGRÜNDE DER RECHTSLEHRE IM SYSTEM DER KRITISCHEN PHILOSOPHIE
1. Begründungsprobleme der metaphysischen Anfangsgründe der Weltweisheit
1.1. Zur Genese der Metaphysik der Sitten
1.2. Der Einfluß der Transzendentalphilosophie auf die metaphysischen Anfangsgründe der moralischen Weltweisheit
1.3. Die Priorität des Rechts in der ethischen Theorienbildung
1.4. Methodenprobleme metaphysischer Untersuchungen
1.5. Die Begründung theoretischer und praktischer Sätze
2. Die Grundlegung der Metaphysik des Rechts im Rahmen der Kritiken
2.1. Die Kritik als Propädeutik einer metaphysischen Wissenschaft
2.2. Die Rechtslehre als transzendentalphilosophische Disziplin
2.3. Die Bestimmung der Metaphysik als Wissenschaft
2.4. Systematische Einteilungen der Metaphysik
II. DIE BEGRÜNDUNG DER METAPHYSISCHEN ANFANGSGRÜNDE DER RECHTSLEHRE ALS APRIORISCHER RAHMEN EINER RECHTSPHILOSOPHIE
1. Die Stellung der metaphysischen Anfangsgründe im System der Metaphysik
1.1. Die konstituierende Funktion metaphysischer Anfangsgründe
1.2. Die Metaphysischen Anfangsgründe der Naturwissenschaft als fundierender Systemteil
1.3. Die Begründungsfunktion der Metaphysischen Anfangsgründe der Rechtslehre
1.4. Metaphysische Anfangsgründe als abgeschlossener apriorischer Teil einer Metaphysik des Rechts
2. Die Einheitsgrundlegung metaphysischer Systeme
2.1. Die doppelte Begründung der Systemeinheit in der Vernunft
2.2. Das systematische Verfahren der theoretischen und praktischen Vernunft
2.3. Die Idee des Ganzen im System der Freiheit
3. Die Kategorien als systematische Fundamentalprinzipien
3.1. Die Selbstbegründung der kritischen Philosophie durch die Kategorien
3.2. Die kategoriale Fundierung apriorischer Systeme der Natur und der Sitten
3.3. Die Bedeutung der Kategorien der Freiheit für die Metaphysik des Rechts
4. Die Prolegomena einer Metaphysik des Rechts
4.1. Der Aufbau der Vorrede und der Einleitungen der Metaphysik der Sitten
4.2. Die empirischen und apriorischen Voraussetzungen der Gegenstandsexposition
4.3. Die Notwendigkeit einer kategorialen Bestimmung des Anwendungsbereichs
4.4. Das Begehrungsvermögen nach Begriffen
III. DIE KATEGORIALE SYSTEMATIK IN DER PRINZIPIENTHEORETISCHEN GRUNDLEGUNG DER RECHTSLEHRE
1. Die Funktion der Kategorien für die Prinzipientheorie des Rechts
1.1. Die Bedeutung der Modalkategorien
1.2. Die Einteilung des Systems durch die Kategorie der Pflicht
1.3. Die Form des apriorischen Rechtssystems
2. Die kategoriale Bestimmung des Rechtsbegriffs
2.1. Die Relationskategorien als Grundlage des Rechtsbegriffs
2.2. Die metaphysische Konstruktion des Rechtsbegriffs
2.3. Anmerkung zu einer Besonderheit der Textgestaltung
3. Die Kategorientafeln des Rechts und ihre Anwendung
3.1. Die Bedeutung der Vorarbeiten zur Rechtslehre
3.2. Rechtsbegriffe als Kategorien der Möglichkeit der gemeinschaftlichen Willkür
3.3. Die Kategorien der Quantität und Qualität des Rechts
3.4. Die Kategorien des reinen intellektuellen Besitzes
4. Synthetische Rechtssätze a priori als Prinzipien der Freiheit
4.1. Analytische und synthetische Rechtssätze
4.2. Die Bedingungen der Möglichkeit des äußeren Mein und Dein
4.3. Die synthetische Einheit der Willkür als Schema der Rechtsbegriffe
4.4. Der Schematismus des Besitzes
Schlußbetrachtung
Literaturverzeichnis
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Die kategoriale Systematik in den "metaphysischen Anfangsgründen der Rechtslehre": Ein Beitrag zur Methodenlehre Kants
 9783110849639, 3110088835, 9783110088830

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Monika Sänger Die kategoriale Systematik in den „Metaphysischen Anfangsgründen der Rechtslehre"

w DE

G

Kantstudien Ergänzungshefte im Auftrage der Kant-Gesellschaft in Verbindung mit Ingeborg Heidemann herausgegeben von Gerhard Funke und Joachim Kopper 114

Walter de Gruyter • Berlin • New York 1982

Monika Sänger

Die kategoriale Systematik in den „Metaphysischen Anfangsgründen der Rechtslehre" Ein Beitrag zur Methodenlehre Kants

Walter de Gruyter • Berlin • New York 1982

ClP-Kurztitelaufnahme

der Deutschen

Bibliothek

Sänger, Monika: Die kategoriale Systematik in den „Metaphysischen Anfangsgründen der Rechtslehre" : e. Beitr. zur Methodenlehre Kants / Monika Sänger. - Berlin ; New York : de Gruyter, 1982. (Kantstudien : Erg.-H. ; 114) ISBN 3-11-008883-5 N E : Kantstudien / Ergäpzungshefte

© Copyright 1982 by Walter de Gruyter & Co., vormals G. J. Göschen'sche Verlagshandlung J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung - Georg Reimer - Karl J. Trübner - Veit & Comp., Berlin 30 - Printed in Germany — Alle Rechte der Übersetzung, des Nachdrucks, der photomechanischen Wiedergabe und der Anfertigung von Mikrofilmen — auch auszugsweise — vorbehalten. Druck: Werner Hildebrand O H G , Berlin 65 Bindearbeiten: Lüderitz & Bauer, Berlin 61

Dem Andenken meines Vaters

VORWORT Ein interessantes Problem der Kantischen Wissenschaftsphilosophie ist die Begründung von Apriorität und Systematik im einzelwissenschaftlichen gegenstandsbezogenen Bereich. Wenn Wissenschaft sich bestimmt als System, System aber vorgestellt wird als ein nach Prinzipien geordnetes Ganzes der Erkenntnis, dann müssen die Prinzipien Grundsätze der empirischen oder rationalen Verknüpfung dieser Erkenntnis in einem Ganzen sein. Dieses systematische Ganze, im Kantischen Werk ausgewiesen als Metaphysik, leistet erst eine Prinzipienanalyse für die Fundierung der Einzelwissenschaften. Systembegründend ist Metaphysik dann, wenn sie nur reine Vernunfterkenntnis aus bloßen Begriffen enthält und dieses apriorische Wissen den besonderen Wissenschaftsbereichen zur Verfügung stellt. Das Kantische Werk gibt hierfür ein Beispiel, da zweifellos in allen metaphysischen Anfangsgründen ein ernsthafter Versuch ^iner apriorischen Begründung gegenstandsbezogener metaphysischer Wissenschaft vorliegt. Von diesem systematischen Ansatz her muß die Rolle der Kritik

der reinen

und der praktischen

Vernunft

als

wissenschaftstheoretische Schriften neu durchdacht werden; sie allein leisten zwar durch die Kategorien eine Letztbegründung in Bezug auf apriorische Begriffe und Grundsätze, deren systematische Entfaltung bleibt aber der besonderen metaphysischen Wissenschaft überlassen. Das führt dann auf die Frage nach dem Gesamtentwurf von Wissenschaft und unmittelbar auf die Funktionsbestimmung von metaphysischen Anfangsgründen als propädeutische Systemstücke. Als Anfangs-gründe einer Wissenschaft, die in weiteren Teilen auf Erfahrung zielt, enthalten sie im Sinne einer einheitlichen Theorie die Bedingungen der Systematik überhaupt. Sie stellen die reinen Begriffe und Urteile zur Verfügung, welche den apriorischen Rahmen, d.i. die prinzipientheoretische Grundlegung im begrifflichen Teil bilden und haben auf diese Weise sowohl konstituierende als auch systemstiftende Funktion.

VIII

Vorwort

Metaphysische Anfangsgründe als apriorischer, abgeschlossener Teil eines gegenstandsbezogenen metaphysischen Systems zielen aber letztlich auf Erfahrung, denn nur hier kann der Gegenstand einer theoretischen oder praktischen Wissenschaft gegeben werden. So müssen sie dann besondere Begriffe zu den reinen Prinzipien in ihren Begründungsrahmen mit aufnehmen, die das Objekt bestimmen, die aber entweder empirisch sind oder aber einen Übergang zur Empirie leisten. Metaphysischen Anfangsgründen käme demnach eine Schlüsselstellung zwischen einer allgemeinen Metaphysik als reiner Philosophie und einer besonderen Metaphysik als Einzelwissenschaft zu, die die empirische Bestimmtheit der Gegenstände in sich aufnimmt. Wie kann aber dann noch Apriorität in der Fundierung geleistet werden? Wie kann der Ubergang erreicht werden von reiner Vernunftgesetzlichkeit in praktischer Hinsicht, in der die Frage von Apriorität und Systematik zweifelsfrei entschieden werden kann, zum Begriff endlich vernünftiger Wesen, d.h. zur Faktizität menschlichen Handelns im Bereich der Erfahrung? Dieses, das Verhältnis von Theorie und Praxis betreffende Problem, wird dadurch gelöst, daß die durch Kritik begründete Metaphysik in ihrem a priori begrifflichen Teil die prinzipientheoretische Grundlegung im besonderen Gegenstandsbereich in der Weise leistet, daß sie dem Verfahren der theoretisch wissenschaftlichen Vernunft folgend nun ihrerseits eine kategoriale Fundierung apriorischer Systeme der Natur und der Sitten vorstellig macht.

Die Arbeit lag Ende 1980 der Philosophischen Fakultät der Universität Bonn als Dissertation vor. Mein Dank gilt an dieser Stelle ganz besonders Frau Prof. Dr. I. Heidemann, die das Interesse weckte für die Beschäftigung mit kategorialer Systematik bei Kant und durch deren stete Anregung und Förderung diese Arbeit schließlich zustande kam. Zu Dank verbunden bin ich auch den Herausgebern der Kantstudien, Herrn Prof. Dr. G. Funke und Herrn Prof. Dr. J. Kopper für das Interesse

Vorwort an der Veröffentlichung sowie dem Verlag für sein freundl ches Entgegenkommen. Bonn 1982

Monika Sänger

INHALTSVERZEICHNIS

VORWORT

VII

0. EINLEITUNG

1

1. DIE STELLUNG DER MF.'l'A PHYSISCHEN

ANFANGSGRÜNDE

DER

HECHTSLEU Ii E IM SYSTEM DER KRITISCHEN PHILOSOPHIE

13

1. Begründungsprobleme der metaphysischen Anfangsgründe der Weltweisheit

13

1.1. Zur Genese der Metaphysik der Sitten 1.2. Der Einfluß der Transzendentalphilosophie

13 auf

die metaphysischen Anfangsgründe der moralischen Weltweisheit

19

1.3. Die Priorität des Rechts in der ethischen Theorienbildung

26

1.4. Methodenprobleme metaphysischer Untersuchungen

33

1.5. Die Begründung theoretischer und praktischer Sätze

37

2. Die Grundlegung der Metaphysik des Rechts im Rahmen der Kritiken

45

2.1. Die Kritik als Propädeutik einer metaphysischen Wissenschaft

45

2.2. Die Rechtslehre als transzendentalphilosophische Disziplin

52

2.3. Die Bestimmung der Metaphysik als Wissenschaft.

58

2.4. Systematische Einteilungen der Metaphysik

68

II. DIE BEGRÜNDUNG DER METAPHYSISCHEN RECHTSLEHRE

ANFANGSGRÜNDE

DER

ALS APRIORISCHER RAHMEN EINER RECHTSPHI-

LOSOPHIE

75

1. Die Stellung der metaphysischen Anfangsgründe im System der Metaphysik

75

1.1. Die konstituierende Funktion metaphysischer Anfangsgründe

75

XI

Inhaltsverzeichnis 1.2. Die

Metaphysischen

Anfangsgründe

der

Natur-

wissenschaft als fundierender Systemteil ....

79

1.3. Die Begründungsfunktion der Metaphysischen Anfangsgründe

der

Rechtslehre

84

1.4. Metaphysische Anfangsgründe als abgeschlossener apriorischer Teil einer Metaphysik des Rechts

88

2. Die Einheitsgrundlegung metaphysischer Systeme ...

94

2.1. Die doppelte Begründung der Systemeinheit in der Vernunft

94

2.2. Das systematische Verfahren der theoretischen und praktischen Vernunft

99

2.3. Die Idee des Ganzen im System der Freiheit .. 104 3. Die Kategorien als systematische Fundamentalprinzipien 3.1. Die Selbstbegründung der kritischen Philosophie durch die Kategorien 3.2. Die kategoriale Fundierung apriorischer Systeme der Natur und der Sitten

110 110 115

3.3. Die Bedeutung der Kategorien der Freiheit für die Metaphysik des Rechts 122 4. Die Prolegomena einer Metaphysik des Rechts

128

4.1. Der Aufbau der Vorrede und der Einleitungen d e r Metaphysik

der

Sitten

4.2. Die empirischen und apriorischen Voraussetzungen der Gegenstandsexposition

128

137

4.3. Die Notwendigkeit einer kategorialen Bestimmung des Anwendungsbereichs

145

4.4. Das Begehrungsvermögen nach Begriffen

151

III. DIE KATEGORIALE SYSTEMATIK IN DER PRINZIPIENTHEORETISCHEN GRUNDLEGUNG DER RECHTSLEHRE

157

1. Die Funktion der Kategorien für die Prinzipientheorie des Rechts

157

1.1. Die Bedeutung der Modalkategorien

157

XII

Inhaltsverzeichnis 1.2. Die Einteilung des Systems durch die Kategorie der Pflicht

163

1.3. Die Form des apriorischen Rechtssystems 170 2. Die kategoriale Bestimmung des Rechtsbegriffs .... 178 2.1. Die Relationskategorien als Grundlage des Rechtsbegriffs

178

2.2. Die metaphysische Konstruktion des Rechtsbegriffs

187

2.3. Anmerkung zu einer Besonderheit der Textgestaltung

195

3. Die Kategorientafeln des Rechts und ihre Anwendung 197 3.1. D i e B e d e u t u n g d e r Vorarbeiten

zur

Rechtslehre

197

3.2. Rechtsbegriffe als Kategorien der Möglichkeit der gemeinschaftlichen Willkür 199 3.3. Die Kategorien der Quantität und Qualität des Rechts 204 3.4. Die Kategorien des reinen intellektuellen Besitzes 209 4. Synthetische Rechtssätze a priori als Prinzipien der Freiheit

218

4.1. Analytische und synthetische Rechtssätze .... 218 4.2. Die Bedingungen der Möglichkeit des äußeren Mein und Dein

222

4.3. Die synthetische Einheit der Willkür als Schema der Rechtsbegriffe

228

4.4. Der Schematismus des Besitzes

233

Schlußbetrachtung

24 3

Literaturverzeichnis

25 1

0. EINLEITUNG "Wenn es über irgend einen Gegenstand eine Philosophie

(Sy-

tem der Vernunfterkenntnis aus Begriffen) gibt, so muß es für diese Philosophie auch ein System reiner,

von aller Anschau-

ungsbedingung unabhängiger Vernunftbegriffe, d.i. eine Metaphysik,

geben.

Mit dieser Bestimmung eines philosophischen Systems, die Kant in der Vorrede lehre

zu den Metaphysischen

Anfangsgründen

der

Tugend-

gibt, zeigt er grundlegende Probleme seiner Fundierung

und Methode auf. Dabei wird die Notwendigkeit der apriorischen Grundlegung einer praktischen Philosophie "als Pflichtenlehre" durch "metaphysische

Anfangsgründe"

für die reine Rechtslehre

besonders hervorgehoben, "um sie als wahre Wissenschaft

(syste-

matisch) , nicht bloß als Aggregat einzeln aufgesuchter Lehren 2 (fragmentarisch) aufstellen zu können" . Wenn es nun, nach obiger Bestimmung, über das Reaht

eine Philosophie im Sinne einer

reinen Rechtslehre geben soll, so muß für diese Rechtsphilosophie auch vorgängig eine Metaphysik

des Rechts möglich sein als

apriorisches System reiner Rechtsbegriffe und Grundsätze. Im Rahmen der Kantischen Wissenschaftsphilosophie ist damit aber nicht nur die Problematik der Konstitution einer reinen Rechtslehre angesprochen, sondern allgemein das Problem von Apriorität

und Systematik

in besonderen wissenschaftlichen Be-

reichen. Kant legt in seinem Werk insgesamt zwei Begründungs-

1

2

vi, 375. Die Werke Kants werden zitiert nach d^r Ausgabe der Preußischen Akademie der Wissenschaften, Berlin, 1900 ff., unter Angabe des Bandes und der Seitenzahl mit Ausnahme der Kritik der reinen Vernunft; hier folgt die Zitierweise der Originalausgabe unter Angabe von B. Die Rechtschreibung ist weitgehend der neueren Schreibweise angeglichen. Originalauazeichnungen in den Zitaten werden einheitlich kursiv wiedergegeben. VI, 375.

2

Einleitung

versuche besonderer Wissenschaftsbereiche vor, die er nach ihren Gegenstandsbereichen Natur und Sitten als Anfangsgründe fangsgründe

der Naturwissenschaft der Rechtslehre

und als

Metaphysische

Metaphysische

sowie der Tugendlehre

An-

ausarbeitete.

Um in diesen Bereichen den besonderen wissenschaftlichen Begriffen und Grundsätzen Apriorität zu sichern, bedarf es, den Forderungen der kritischen Philosophie entsprechend, transzendentalphilosophischer Methodik, die erst "wahre" oder "eigent3 liehe" Wissenschaft begründet. Sie steht dem "Aggregat einzeln aufgesuchter Lehren" gegenüber, welches notwendig darum fragmentarisch bleiben muß, weil ihm der methodische Leitfaden fehlt, der für ein philosophisches System nach Kant angebbar und in seiner Anwendung aufzeigbar sein muß. Im Rahmen dieser Wissenschaftsbegründung kommt den metaphysischen Anfangsgründen entscheidende Bedeutung zu, da sie apriorischen, systembegründenden Anspruch erheben können. Sie stellen die Prinzipientheorie des Rechts auf transzendentalphilosophischer Grundlage vor, indem sie, ausgewiesen als propädeutischer Systemteil mit kategorialer Strukturierung den apriorischen Rahmen einer reinen Rechtslehre hergeben. Ihre Fundierung eines besonderen philosophischen Systems wird im weiteren zu untersuchen sein, wobei sich vorab zwei Schwierigkeiten ergeben: 1 . Als a priori entworfenes System aus bloßen Begriffen muß ihre Struktur durch die Kategorien, die den "Leitfaden" jeder metaphysischen Untersuchung abgeben, vorgegeben sein. 2. Sie müssen das System der apriorischen Begriffe und Sätze bezogen auf den besonderen Gegenstand vortragen können. Apriorität muß gesichert werden, auch wenn empirische Begriffe in die Systematik mit einbezogen werden. In der bisher erschienenen Literatur zur Kantischen Rechtsphilosophie sind die Metaphysischen

3

Anfangsgründe

der

Rechts-

Die Ausführungen zum Kantischen Wissenschaftsbegriff stützen sich über die Kritik der reinen Vernunft hinaus besonders auf die Vorrede zu den Metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft, IV, 468 ff.

Einleitung

3

lehre unter diesen Aspekten noch nicht untersucht worden. Insgesamt besteht eher die Tendenz, sie so zu interpretieren, daß Kant die Forderung, die er an sein philosophisches System stellt, nicht erfüllt hat. Die von ihm veröffentliche

Rechts-

lehre leistet nach Ansicht vieler Interpreten nicht das, was sie nach obiger Bestimmung für sich beanspruchen will. Es lassen sich dann auch mannigfache Gründe für ein "Scheitern" der Kantischen Rechtsphilosophie finden, mag man nun dem hohen Alter Kants, in dem er seine Metaphysik

der Sitten

fer-

tigstellte, die Schuld geben oder der langen Entwicklungszeit der Metaphysik

der Sitten aus der sich ihre "vorkritische"

Pro-

venienz schließen läßt. Ist der erste Grund von keiner wissenschaftlichen Relevanz, so bedarf der zweite doch einer genaueren Erörterung. Den früheren Entwürfen zur Rechtsphilosophie Kants textkritisch nachzugehen, ist nicht Aufgabe dieser Arbeit. Sie ist umfassend und grundlegend geleistet worden in ausführlichen Quel4

lenanalysen zur Entwicklung der praktischen Philosophie Kants, auf deren Einzelergebnisse sich die folgenden Untersuchungen weitgehend stützen können, wenn auch einigen Grundthesen und Schlüssen der Interpreten nicht immer zugestimmt werden kann. So gelingt vor allem zwei neueren Untersuchungen zur Kantischen Rechtsphilosophie"* der Nachweis der Kontinuität in ihrer dreißigjährigen Entwicklungszeit. Aufgrund einer sorgfältigen Analyse eines umfangreichen Materials gelingt es den Interpreten 4

5

Vgl. hierzu besonders die Arbeit von Schmucker, Die Ursprünge der Ethik Kants in seinen vorkritischen Schriften und Reflexionen, Meisenheim/ Glan 1961 , die neben einer ausführlichen Quellenanalyse auch die Aufarbeitung der bis dahin erschienenen Literatur zur Genese der Kantischen Ethik enthält. Des weiteren Heinrich, Uber Kants früheste Ethik. Versuch einer Rekonstruktion. Kantstudien (54), 1963. Ritter, Der Rechtsgedanke Kants nach den frühen Quellen, Frankfurt/M. 1971. Würdigung und Kritik der Untersuchung bei Oberer, H., Zur Frühgeschichte der Kantischen Rechtslehre, Kantstudien (64) , 1973. Busch, W., Die Entstehung der kritischen Rechtsphilosophie Kants. Kantstudien Erg.-Heft 110, Berlin 1979.

4

Einleitung

zu zeigen, daß die Grundlegung des Rechtsdenkens sich in der Mitte der sechziger Jahre vollzogen haben muß, in der bereits wichtige Positionen der späteren Rechtslehre zu finden sind. Da keine veröffentlichte Schrift aus den Jahren 1764 - 1768 zur Rechts- und Staatsphilosophie vorliegt, findet sich lediglich in den im Nachlaß veröffentlichten handschriftlichen Äusserungen Kants zu Fragen des Rechts und des Staates das analysierte Material. Dabei kommt den Bemerkungen sowie Erläuterungen und Reflexionen zu den von Kant als Vorlesungskompendien benutzten Initia

philosophiae

praet-ieae von A. G. Batimgarten

(1760) und dem zweiten Teil des Iuris naturalis von G. Achenwall (1763)

c

besondere Bedeutung zu.

Zur Verdeutlichung sollen einige Hauptresultate zur Entwicklungsgeschichte der Kantischen Rechtslehre kurz zusammengefaßt werden. Die nachgelassenen rechtsphilosophischen Gedanken des frühen Kant nehmen ihren Ausgang von der Wolffschen Naturrechtslehre, bei deren Vermittlung den Initia Baumgartens besondere Bedeutung zukommt. Sie behandeln sowohl die Grundlagen der praktischen Philosophie als auch die des Naturrechts. Da Kant aus diesem zeitgenössischen Werk eine große Anzahl von Begriffen und Distinktionen entlehnt, wird allgemein in der Literatur angenommen, daß Baumgartens Initia das direkte Vorbild für die Metaphysik der Sitten, vor allem für die Unterscheidung von 7 Rechts- und Tugendlehre sei. Zwischen diesen frühen rechtsphilosophischen Entwürfen und der späteren Textgestalt der 6

7

XIX, 7 ff. und 325 - 442. Auf die Zuverlässigkeit der zeitlichen Einordnung der handschriftlichen Notizen, die sich auf die Datierung von Adickes stützt, kann hier nicht eingegangen werden. Das Problem wird deutlich in der Kritik Büschs an den Datierungsversuchen Ritters. Anderson, G., Kants Metaphysik der Sitten - ihre Idee und ihr Verhältnise zur Ethik der Wolffschen Schule. Kantstudien (28), 1928, S. 55: "Eine nicht geringe Anzahl der 'Vorbegriffe der Metaphysik der Sitten' gehen auf die Wölfische Schule zurück und sind durch den Untertitel 'Philosophia practica universalis' in ausdrückliche Beziehung zu Baumgartens Initia philosophiae practicae primae (S. 3) gesetzt, wo dieselben Worte als Uberschrift verwendet sind - in einem Werk also, das Kant seinen Vorlesungen zugrunde zu legen pflegte."

Einleitung

5

Metaphysik der Sitten lassen sich unzweifelhaft inhaltliche Ubereinstimmungen feststellen, was bei vielen Interpreten die Vermutung nahelegt, daß es sich bei der 1797 erschienenen Kantischen Rechtslehre um eine in den sechziger Jahren entwickelte, also "vorkritische" handelt, die von der Arbeit an der Transzendentalphilosophie nur wenig beeinflußt worden ist. Diese These paßt in diejenige Interpretationsrichtung, die von der Voraussetzung ausgeht, daß die praktische Philosophie Kants in ihrer Entwicklung nicht grundsätzlich von der neuen Problematik der theoretischen Philosophie betroffen wurde und für die Vertreter dieser Richtung ist es dann auch fraglich, "ob überhaupt von einer substanziell kritischen Ethik bei Kant gesprochen werden kann im Gegensatz zur vorkritischen." F ü r die Metaphysischen

Anfangsgründe

Q

der Rechtslehre

wird

diese Position vertreten durch Ritter, der es in seiner Arbeit unternimmt, eine genetische Erklärung des "unkritischen" Charakters der Rechtsphilosophie des späten Kant

zu erbringen.

Er vertritt die These, daß die Rechtslehre Kants nicht teilhat am Fortschritt der Kantischen transzendentalen Methode: "Seit Hermann Cohens 'Ethik des reinen Willens' (1904) ist man sich weitgehend darüber einig, daß Kants Rechtsphilosophie,

8

Schmucker, a.a.O., S. 376. Es besteht für Schmucker kein Zweifel, "daß sich der Philosoph über die Grundprinzipien seiner Ethik bereits in der ersten Hälfte der sechziger Jahre im wesentlichen klar geworden war und daß sich in dem folgenden Jahrzehnt und darüber hinaus auch in der Anwendung dieser Prinzipien ... kein grundsätzlicher Wandel mehr vollzogen hat". Ebd., S. 374. Auch Henrich weist darauf hin, daß die zwanzig Jahre später erschienene Grundlegung zur Metaphysik der Sitten kontinuierlich auf den 1765 gefaßten Plan zurückgeht, "eine Veröffentlichung über die metaphysischen Anfangsgründe der praktischen Weltweisheit vorzubereiten .. . Daß er sich so lange verzögerte, ist zwar nicht aus äußeren Gründen zu erklären. Kant fand sich in großen und mehrfach sich erneuernden Schwierigkeiten, als er daran ging, seine Grundidee zu explizieren, in sich konsequent zu machen und in Übereinstimmung mit der Lösung von Problemen der theoretischen Philosophie zu bringen, die er ebenfalls über mehrere Stufen voranbrachte. ... Aber der Gedanke, an dem sich diese Entwicklung orientierte, ist seit der Mitte der Sechziger Jahre stets derselbe geblieben". a.a.O., S. 404.

Einleitung

6

wie sie in der MdS niedergelegt ist, den Erfordernissen des 9 philosophischen Kritizismus nicht entspricht." Wie vor ihm eine Reihe von Interpreten, findet Ritter auch den Grund dafür: der alternde Kant hatte um 17 90 nicht mehr die "Muße" und wohl auch nicht mehr die Fähigkeit, sein grosses, dreißig Jahre geplantes Werk im Sinne der sytemtheoretischen Grundlegung seiner Kritiken zu vollenden.^ Mit seinen Thesen findet sich Ritter in Einklang mit bedeutenden und einflußreichen Interpretationen der Kantischen Rechtsphilosophie durch den Neukantianismus und Rechtspositivismus, so etwa mit R. Stammler und seiner Behauptung, daß Kant in seiner Rechtslehre die kritische Methode selbst nicht voll durchgeführt habe.^

Zu dem Schluß, daß Kant die kritische Methode auf dem

praktischen Gebiet wieder verlassen habe und insbesondere in der Rechtslehre der Metaphysik der Sitten die transzendentale Methode nicht zur Anwendung gekommen sei, kommt schon Haensel in seiner Untersuchung zur Kantischen Rechtslehre. Danach halte sich die "Metaphysik der Sitten" insgesamt "nicht auf der 12

Höhe seiner kritischen Hauptschriften".

Ebenso stellt Lisser

einen "Abweg von der kritischen Methode" heraus, und auch Dulckheit fragt schließlich, "aus welchen Mängeln des Systems

9 10

11 12

Ritter, a.a.O. S. 15/16. Für Ritter bedeutet es "eine Verengung von Kants Rechtsgedanken, wenn er mit jenem in schon beginnender Greisenschwäche und ohne Muße geschriebenem Werke, der MdS, identifiziert wird". a.a.O., S. 20. "Kant selbst klagte bereits seit 1970 ständig über Altersbeschwerden. ... Zwar lagen Kant zahlreiche Vorlesungen und Vorarbeiten zur MdS v o r , die aus den Jahrzehnten seit der ersten Vorlesung über Achenwalls Naturrecht (1767) stammten. Gleichwohl fällt die endgültige Bearbeitung des Stoffes der 'Rechtslehre' in eine Epoche so reicher schriftstellerischer Produktion (seit 1970), daß Kant nur wenig Muße für die Abfassung des 'Systems' blieb." Ebd., Anm. 15. Stammler, R. , Lehrbuch der Rechtsphilosophie, 3. Aufl., Berlin/Leipzig 1928, S. 35. Haensel, W., Kants Lehre vom Widerstandsrecht. Kantstudien Erg.-Heft 60, 1926, S. 1.

Einleitung

7

heraus dieses Scheitern der kantischen Rechtslehre zu verste13 hen" sei. Den Grund für das "Scheitern der Rechtsphilosophie liegt nach Meinung Dulckheits im "Versagen des kritischen Gedankens auf dem Gebiete der praktischen Philosophie". Methodische Mängel des Systems erscheinen als 1Ursache für eine unkritische Behandlung des Rechtsproblems. 4 Es ist die zeitliche, inhaltliche und methodische Kontinuität in der dreißigjährigen Entwicklung der Metaphysik der Sitten, die nach Meinung dieser Interpreten, im Gefolge des Neukantianusmus, eine kritische Rechtsphilosophie ausschließt. Denn, so folgert Ritter, sollte eine "Interdependenz" zwischen "theoretischem Kritizismus und Rechtsphilosophie" beobachtet werden können, dann müßte um 1769 auch ein "kritischer Geist" in den rechtsphilosophischen Gedanken Kants nachgewiesen werden können. Das sei aber nicht der Fall, da "Kants rechts- und sozialphilosophische Ansichten, wie er sie in der Mitte der sechziger Jahre hegte, sich in den Jahren nach 1769 bis hin zur Veröffentlichung der 'Metaphysik der Sitten' unbeeinflußt weiterentwickelten oder gar dieselben blieben".^ Ritter findet den Beweis ebenfalls in den fast wörtlich wiederkehrenden Formulierungen, die er in der Metaphysik der Sitten feststellen kann. Ein entscheidender Bruch finde nicht statt; alle Materialien, die Thesen über Recht und Staat enthalten, erweisen sich als in traditionellen und zeitgenössischen Naturrechtslehren begründet. Die Interpretation von den frühen Quellen her ergibt daher ein "neues, unerwartet konturenreiches

13

14 15

Lisser, K., Der Begriff des Rechts im System der kritischen Philosophie bei Kant. Kantstudien Erg.-Heft 58, 1922, S. 6. IXilckheit, G. , Naturrecht und positives Recht bei Kant. Leipzig 1923, S. 62. IXilckheit, a.a.O., S. 63 und 67. Ritter, a.a.O., S. 71/72. "Es bedarf keines weiteren Beweises, daß die in den zitierten Bemerkungen und Reflexionen entwickelten Bestimmungen des Rechtsprinzips bereits alle Momente von dessen Definition in der MdS enthalten. In den dreißig Jahren bis zur Abfassung der MdS haben sich nur Einzelheiten der Formulierung verändert." Ebd., S. 88.

Einleitung

8

Bild des Rechtsdenkers Kant und ein vielseitigeres Bild seines Rechtsgedankens", 1 ® wogegen die "Metaphysik der Sitten" eine "Verengung" dieser rechtsphilosophischen Gedanken bedeute. Erst die frühen Quellen ermöglichen nach Ritter eine authentische Kantische Interpretation der Metaphysik

der

Sitten.

Eine Kritik erfährt diese, sehr einseitige Interpretation der Rechtslehre bezogen auf die frühen Quellen bei Busch, der in seiner Untersuchung der Entstehung

der kritischen

Rechtsphilo-

sophie Kants nachgeht. Zwar leugnet Busch nicht, daß in die Rechtslehre der Metaphysik

der Sitten Bestandteile aus der Mit-

te der sechziger Jahre übernommen wurden, aber sie "bilden keineswegs, wie Ritter meint, das fertige Konzept von Kants Rechtsphilosophie, das dieser ohne 'Neuansatz' nur weiterentwickelte" . 1 Besonders problematisch für die Systematik der

Metaphysik

der Sitten wird die immer wieder vertretene These, daß zwischen den frühen Quellen und der 1797 veröffentlichten Rechtslehre nicht nur kein prinzipieller Neuansatz, sondern darüber 18 hinaus auch kein "Wechsel der Methode" stattgefunden habe. So stellen die Interpreten dann in der Rechtslehre der Metaphysik

der Sitten das Fehlen einer "transzendental gesicher-

ten Rechtsaprioristik" fest. Kants Versuche, die Begriffe und Kriterien des theoretischen Kritizismus in die praktische Philosophie einzuführen, sind nach Ritter 1 9 über "Analogien" und "Stilisierungen" nie hinausgelangt. Wenn man auch dem Ergebnis zustimmen muß, daß Kant in Anlehnung an zeitgenössische Naturrechtslehren schon um 1764 die Grundelemente und Positionen seiner erst 1797 erschienenen Rechtslehre entwickelt

16

17 18 19

Ritter, a.a.O., S. 20. Ritter analysiert hier als frühe Quellen die ' schon erwähnten Reflexionen und Erläuterungen zu den Baumgarten- und Achenwall-Kompendien. Busch, a.a.O., S. 54. Ritter, a.a.O., S. 268. Ebd., S. 339.

9

Einleitung hat,

so erscheint die Behauptung doch

fragwürdig, daß sich

dem "Stoff" auch die p r i n z i p i e n t h e o r e t i s c h e geändert

Grundlegung

zu

nicht

habe.

So w i r d der "Einfluß des Kritizismus" zwar auch v o n

Ritter

g e s e h e n , er sei aber n u r o b e r f l ä c h l i c h und ä u ß e r l i c h und

es

f i n d e auch eine "bloß äußere Übertragung von D e n k f i g u r e n

der

theoretischen

auf die praktische Philosophie"

c h o l o g i s c h e n Schlüssel

statt. Den

zur E r k l ä r u n g der s a c h l i c h nicht

gründeten Begriffsübertragungen"

liefere der K a n t i s c h e

stil, dem ein "unermüdlicher S y s t e m a t i s i e r u n g s w i l l e "

"psybe-

Denk-

unter-

20 stellt w i r d .

Ritter unternimmt es dann auch, d i e s e nur

s e r l i c h e B e g r i f f Ü b e r t r a g u n g von D e n k f i g u r e n d e r

aus-

theoretischen

P h i l o s o p h i e an k a t e g o r i a l e n B e i s p i e l e n zu e x e m p l i f i z i e r e n . zeigt d i e , in diesen Ä u ß e r u n g e n v e r t r e t e n e fundamentales Mißverständnis der

reinen

Vernunft.

Vernunft,

b e s o n d e r s aber der Kritik

Die k a t e g o r i a l e n B e s t i m m u n g e n in d e n

Anfangsgründen arbeiten

Interpretation

der K a t e g o r i e n t a f e l n

der

Rechtslehre,

der

der

Nun ein

Kritik

praktischen

Metaphysischen

in den B r i e f e n und

in den

zur R e c h t s l e h r e , die nicht übersehen w e r d e n

Vor-

können,

w e r d e n v o n Ritter als e i n e bloße "Übertragung" v o n Kategorien der t h e o r e t i s c h e n oder p r a k t i s c h e n P h i l o s o p h i e b e z e i c h n e t . 21 20 21

Ritter, a.a.O., S. 286/287. Ebd., S. 282 - 285: "Diese Versuche, die Kategorien des theoretischen Vernunftgebrauchs (die reinen Verstandesbegriffe) zu solchen der praktischen Vernunft umzuformen, stellen den Anfang einer Reihe von ähnlichen Ansätzen in den Reflexionen dar, die Kant später in der KpV ausbaute; dort übertrug er alle zwölf in der KrV erwähnten Kategorien auf die praktische Philosophie als 'Kategorien der Freiheit*. Eine ähnliche Übertragung der Kategorien auf die 'bürgerliche Gesetzgebung' findet sich skizziert in einem Brief an Jung-Stilling aus dem Jahre 1789. Diese Versuche führten nirgends dazu, die Kategorien der Freiheit oder der Gesetzgebung ähnlich zu deduzieren, wie Kant dies für die theoretische Philosophie in der KrV tatsächlich ausführte. Als eine letzte Erinnerung an diese Versuche ist es anzusehen, daß Kant in der MdS auf die Kategorien der Relation zurückgreift, um den Begriff der 'äußeren Gegenstände meiner Willkür' systematisch nach den drei Relationskategorien zu entfalten. Es fällt jedoch auf, daß Kant trotz der angeblichen Bedeutung der Kategorien als fundamentaler, jedem praktischen Urteil vorausliegenden Strukturen des reinen Willens in den Reflexionen dieser Zeit und in den späteren großen Werken, die praktische Philoso-

Einleitung Dem muß zunächst entschieden widersprochen werden. Kategorien lassen sich nicht "übertragen", sondern es lassen sich nur, unter bestimmten prinzipientheoretischen Voraussetzungen, Kategorientafeln entwickeln, wovon Kant in seinem Werk vielerlei Beispiele liefert. Das Fundierungsverhältnis, wenn kategoriale Gesetzlichkeiten miteinbezogen werden sollen, muß wohl differenzierter gesehen werden, da hiermit ein entscheidendes Problem philosophischer Theorienbildung angesprochen ist. Und es ist gerade die nachweisbare kategoriale Struktur der Metaphysischen Anfangsgründe

der Rechtslehre, welche die Behauptung

ihrer Identität mit den frühen rechtsphilosophischen Entwürfen zunichte macht, denn hier zeigt sich die unzweifelhafte Interdependenz zwischen kritischer Transzendentalphilosophie und später Rechtsphilosophie. Daß aus der dreißigjährigen Arbeit an der Metaphysik der Sitten auch andere Schlüsse gezogen werden können, zeigt der Kommentar Becks zur Kritik der praktischen

Vernunft. Nach dieser

Untersuchung ist es unwahrscheinlich, daß die Metaphysik der Sitten unter den Bedingungen, wie die Metaphysik in der Inaugural-Dissertation konzipiert worden sei, noch das gleiche Aussehen behalten habe; ihre ursprüngliche Gestalt mußte sich, 22 insbesondere in methodischer Hinsicht, ändern. Beck interpretiert

die Metaphysik

der Sitten als "Zielpunkt" des Kanti-

schen Denkens, welcher ihn inspirierte, die anderen Werke, wie die Kritik der reinen Vernunft, die Grundlegung der Sitten und die Kritik der praktischen

22

zur Metaphysik

Vernunft gleichsam

phie (und so auch die Rechtsphilosophie im Gefüge der praktischen Philosophie) in Wahrheit gerade nicht auf den Kategorien als Grundmauern errichtet. Plan und Ausführung stimmen nicht miteinander überein." Beck, L.W., Kants "Kritik der praktischen Vernunft". Ein Kommentar. München 1974, S. 19. "Daher konnte die Metaphysik der Sitten nicht mehr eine Fortsetzung der empirisch-anthropologischen Untersuchungen Shaftesburys sein. Fortan besteht Kant darauf, daß die Metaphysik der Sitten von aller Anthropologie unabhängig ist ... Sie enthält keine empirischen Begriffe der menschlichen Natur." Ebd. S. 20.

Einleitung als "Nebenprodukte" mitentstehen zu lassen.

23

Diese überaus

reichhaltige Produktion sei nur durch das ständige Hinauszögern der Metaphysik der Sitten möglich gewesen. Der Metaphysik der Sitten und ihrer dreißigjährigen Genese käme demnach ein ganz anderer systematischer Stellenwert im Rahmen der Kantischen Philosophie zu und es ist daher "abwegig zu sagen, daß Kants Rechtsphilosophie gegen Ende der 60er Jah24 re in wesentlichen Teilen fertig" gewesen sei . Genauso abwegig aber ist es zu vermuten, Kant habe bei der Abfassung seines großen rechtsphilosophischen Werkes ab 1790 dann einfach "seinen 'Autor'" Achenwall vor sich liegen gehabt, um Elemente des Kompendientextes ohne weitere in den Text der Metaphy25 sik der Sitten zu übernehmen. Es ist sicher zutreffender, anzunehmen, daß Kant eine seinen systematischen Ansätzen entsprechende Auswahl aus den zeitgenössischen Naturrechtslehren traf und seine Rechtslehre in der Metaphysik

der Sitten als durchaus eigenständiges Werk konzi-

pierte, das durch den Einfluß der Transzendentalphilosophie einen eben spezifisch Kantischen und durchaus nicht mehr Achenwallschen Charakter bekommen hat. Die fast wörtlich wiederkehrenden Begriffe und inhaltlichen Formulierungen beweisen nicht schon den "unkritischen" oder auch "vorkritischen" Charakter

der Kantischen Rechtsphilosophie. 2 6 Es wird hier im Gegenteil

23 24 25 26

Ebd., S. 28. Busch, a.a.O., S. 171. Ritter, a.a.O., S. 145, Anm. Vgl. hierzu die Ausführungen Oberers, a.a.O., S. 101: "Nichts zwingt zu der Annahme, die systematische Grundlegung eines Theorems müsse dessen inhaltlicher Ausarbeitung vorangehen oder nachfolgen, nichts zwingt zu der Erwartung, es müsse ein theoretischer Komplex, dessen Ausarbeitung zeitlich vorausliegt, seiner zeitlich nachfolgenden Systemeinbindung durch Veränderung angepaßt oder gar völlig erneuert werden; nichts zwingt, anzunehmen, es müßten Begründungsstücke im Begründeten wiederkehren, und schließlich erst recht nicht, es müßten inhaltliche Konstituentien einer ebenfalls begründeten parallelen Disziplin bzw. Theorie in ihrer Paralleldisziplin gleichfalls auftreten. In einen neuen Rahmen»-

Einleitung

12

zu zeigen sein, daß diese Metaphysik des Rechts, wie sie in der Fassung von 1797 vorliegt, mit ihren apriorischen Prinzipien juridisch-praktischer Vernunft, unzweifelhaft kritisch

ist.

Die Arbeit gliedert sich in 3 Teile, wobei der 1. Teil sich nochmals ausführlich mit der Genese der Metaphysik der Sitten befassen muß, um von vornherein die metaphysischen Anfangsgründe in systematischem Zusammenhang mit allgemeinen metaphysischen Methodenproblemen zu sehen-. So kommt dann hier aüch nicht mehr der inhaltliche Aspekt der frühen

rechtsphilosophischen

Entwürfe zum tragen, sondern die Reflexionen konzentrieren

sich

auf das wissenschaftsphilosophisch so interessante Verhältnis von propädeutischen Systemstücken und dem geplanten System der Metaphysik. Der neue Aspekt in der Betrachtung der metaphysischen Anfangsgründe bezüglich ihrer systematischen Ortsbestimmung als transzendentalphilosophische

Diziplin, durch die eine

kategoriale Fundierung der reinen Rechtslehre sichtbar wird, macht dann im 2. Teil ausführliche methodologische

Überlegun-

gen zur Verfahrensweise metaphysischer Untersuchung und Systemkonstitution notwendig, um die Anwendung der kategorialen Systematik in den metaphysischen Anfangsgründen abzusichern. Diese Systematik selbst darzustellen, ist das Ziel des 3. Teils, der methodisch versucht, kategorialanalytisch den Text der Metaphysischen

Anfangsgründe

der Rechtslehre

unter Einbezug kate-

gorialer Entwürfe zum Recht aus den Vorarbeiten

zur

Hechtslehre

zu bearbeiten.

soll das heißen, können also durchaus schon bekannte alte Inhalte eingepaßt werden, ohne daß damit inhaltliche Veränderungen derselben verbunden sein müßten; ... ."

I. DIE STELLUNG DER METAPHYSISCHEN

ANFANGSGRÜNDE

DER

RECHTS-

LEHRE IM SYSTEM DER KRITISCHEN PHILOSOPHIE 1. Begründungsprobleme der metaphysischen Anfangsgründe der Weltweisheit 1.1. Zur Genese der Metaphysik der Sitten Schon die frühen rechts- und moralphilosophischen Reflexionen Kants, die eine inhaltliche Nähe zur "Metaphysik der Sitten" bezüglich der Begriffe und Distinktionen zeigen, gaben einen Hinweis darauf, daß es sich bei dem 1797 erschienenen Werk nicht um ein spätes Ergebnis Kantischen Denkens handelt. Darüber hinaus lassen auch die Aussagen und Pläne Kants zu einer Metaphysik der Sitten in den Briefen den Eindruck entstehen, daß die systematischen und methodischen Probleme, metaphysische Anfangsgründe betreffend, ebenfalls in den sechziger Jahren anzusiedeln sind. Hier findet sich die erste Nennung der metaphysischen Anfangsgründe so früh, daß die Frage berechtigt sein muß, was denn Kant veranlaßt haben könnte, die Veröffentlichung eines inhaltlich weitgehend fixierten Werkes über dreißig Jahre lang zurückzustellen. Denn abgesehen von aller inhaltlichen Diskussion zur Genese der kritischen Rechtsphilosophie Kants, ergeben sich interessante Aspekte für die methodische Funktion metaphysischer Anfangsgründe moralischer Weltweisheit und ihre Zuordnung zu dem großen Methodenwerk der Metaphysik aus der Tatsache, daß die Pläne bis in die sechziger Jahre zurückgehen, Ausführung und Veröffentlichung aber über einen so langen Zeitraum hinausgeschoben wurden.

1

Zur Genese der Metaphysik der Sitten vgl. N a c h b e r i c h t e zur Kritik der praktischen Vernunft, V, 489 ff. und zur Metaphysik der Sitten, VI, 516 ff.

14

Stellung der MA im System der kritischen Philosophie 2 In den Briefen Kants

von 176 4 - 1773 ist die Nennung einer

"Metaphysik der Sitten" und "metaphysischer Anfangsgründe" sowohl der "natürlichen" wie auch der "praktischen Weltweisheit" mehrfach bezeugt unter Angaben des Fortschreitens und der baldigen Vollendung des Werkes. Kant nimmt aber jeweils von einer Publikation Abstand. Seine Schriften aus dieser Zeit behandeln überwiegend naturphilosophische und anthropologische, aber auch erkenntnistheoretische und methodologische Probleme. Dabei finden sich zur Methodologie der praktischen Philosophie keine Veröffentlichungen, sieht man von der 1764 erschienenen Untersuchung über die Deutlichkeit der Grundsätze der natürlichen 3 Theologie und Moral einmal ab. Kant spricht von "metaphysischen Anfangsgründen" zum ersten Mal in einem Brief an Lambert vom 31.12.1765, der sich in der Hauptsache mit dem Plan eines Werkes zur Methodologie der Me4 taphysik befaßt. Die philosophischen Erwägungen des Briefes konzentrieren sich auf die Art des "Verfahrens", um die "eigentümliche Methode der Metaphysik" deutlich und evident zu machen. Dieses Ziel, dem das sogenannte Hauptwerk gewidmet sein soll, wird aber, wohl aus verfahrenstechnischen Gründen oder wegen Auftretens methodologischer Schwierigkeiten zurückgestellt. Kant berichtet, daß während der Arbeit an dem "Haupt-

2

3

4

Dem Briefwechsel Kants kommt neben dem handschriftlichen Nachlaß eine besondere Quellenfunktion für die Entstehungsgeschichte der Kantischen Philosophie zu. Die einzigen Hinweise auf den möglichen Inhalt der frühen Metaphysik der Sitten, geben daher die schon erwähnten, im Nachlaß herausgegebenen Bemerkungen, Reflexionen und Erläuterungen zu den Baumgarten- und Achenwall-Kompendien, XIX, 7 ff. und XIX, 327 - 442. X, 54 ff.. "In einem Brief an Lambert ... kündigt er jenen schicksalhaften Plan an, der ihn in der einen oder anderen Form durch die folgenden Jahrzehnte und fast über den Rest seines Lebens anziehen und zuweilen sogar verfolgen sollte. Es war der Plan, ein Werk 'über die metaphysischen Grundlagen der praktischen Philosophie' zu schreiben." Beck, a.a.O., S. 18/19.

Zur Genese der Metaphysik der Sitten

15

werk" es sich offenbar als Mangel herauszustellen beginne, daß er nicht in der Lage sei, das "eigentümliche Verfahren" anhand von Beispielen "in concreto" zu zeigen. Diese Indemonstrabilität der neuen metaphysischen Methode an zureichenden Beispielen könnte ihm leicht den Vorwurf der "philosophischen Projektmacherei" einbringen, eine Unseriösität, die er selbst gerne der "falschen Philosophie" vorwirft. Um diesem Vorwurf zu entgehen und um die unnötige "Aufblähung" der Hauptschrift durch "weitläufige und doch unzulängliche Beispiele" zu vermeiden, kündigt er statt dessen im Sinne einer Propädeutik "metaphysische Anfangsgründe" sowohl der theoretischen wie auch der praktischen Philosophie an. Aus diesen Ausführungen zu den metaphysischen Anfangsgründen ergeben sich einige Probleme bezüglich ihrer formalen und ihrer inhaltlichen Seite. Deutlich unterscheidet Kant zwischen ihnen als propädeutische Schriften und dem geplanten Hauptwerk über die Methode der Metaphysik. Diese Differenzierung ist festzuhalten für die später wieder auftauchende Frage, welche Stellung metaphysische Anfangsgründe im geplanten System der Metaphysik einnehmen und was inhaltlich und methodisch unter ihnen gefaßt werden müßte. 1765 ist es zu einer Veröffentlichung dieser "kleineren Ausarbeitungen" nicht gekommen, obschon der "Stoff", wie Kant mitteilt, vor ihm fertig gelegen hat. über die inhaltliche Seite lassen sich einige Vermutungen anstellen, die verschiedentlich in der Literatur geäußert werden 6 , wenn auch der Frage nach der ursprünglichen Textgestalt der Ausarbeitungen und ihrem Verhältnis zum Text der 5

6

X, 56. "Daher, um nicht etwa einer neuen philosophischen Projektmacherei beschuldigt zu werden, ich einige kleinere Ausarbeitungen voranschicken muß, deren Stoff vor mir fertig liegt, worunter die metaphysischen Anfangsgründe der natürlichen Weltweisheit, und die metaphy. Anfangsgr. der praktischen Weltweisheit die ersten sein werden, damit die Hauptschrift nicht durch gar zu weitläufige und doch unzulängliche Beispiele allzu sehr gedehnt werde." Busch macht dazu in seiner kürzlich erschienenen Arbeit über die Entstehung der Rechtsphilosophie Kants präzise Angaben: "Wäre die angekündigte Schrift zustandegekommen, hätte sie 3 rational begründete Sätze vertreten, an denen Kant auch später festhielt. Es ist 1. die

16

Stellung der MA im System der kritischen Philosophie

erst 30 Jahre später erschienenen Metaphysischen

Anfangsgründe

der Rechts- und Tugendlehre hier nicht weiter nachgegangen werden soll. Einen Fortschritt, besonders in methodologischer Hinsicht, legt der Brief an Mendelssohn vom 8.4.1766 nahe, in dem Kant scharf die Metaphysik zeitgenössischer Provenienz kritisiert. Er setzt dagegen als Resultat seiner bisherigen Forschungen zur Methodologie der Metaphysik die "wichtigen Einsichten", die er in "dieser Disziplin" erlangt habe, "welche ihr Verfahren festsetzen" und durch die er in den Besitz eines "allgemeinen Richtmaßes" gelangt sei. Es wird deutlich, daß Kant, der seit einiger Zeit in der Lage zu sein glaubt, die "Natur" der Metaphysik und "die ihr unter den menschlichen Erkenntnissen eigentümliche Stelle einzusehen", nun ernsthaft daran denkt, seine bisherigen Versuche "der öffentlichen Beurteilung" vorzulegen. Ein weiterer Bericht über den Fortgang des Werkes findet sich in einem Brief an Herder, wahrscheinlich aus dem folgeng den Jahr,

und zwar diesmal unter genauer Angabe des Titels:

"Metaphysik der Sitten".

7 8

9

9

Kants Reflexionen über seine Arbeit

Erkenntnis, daß eine absolute Selbstverpflichtung im Bereich des Vertragsrechts möglich ist, wenn sich die Handlung unter einfachen kontradiktorischen Sätzen betrachten läßt ... 2. erkennt Kant, daß die Möglichkeit des Rechtsbegriffs und damit die Wahrhaftigkeit überhaupt Bedingung der Geselligkeit ist. ... 3. Nach dem Fall des kausal bestimmten Wölfischen Naturrechts ist es eine notwendige Folgerung, daß ein Wille auch ohne kausalen Erfolg in der Natur gut ist." Busch, a.a.O., S. 32/33. X, 70/71. X, 73/74. Das Datum des Briefes wird von Kant mit dem 9.5. 1767, von der Akademie-Ausgabe mit dem 9.5.1768 angegeben. "Der Brief ist von Kant falsch datiert (1767 statt 1768): Der zum Schluß erwähnte Albrecht Germann wurde erst 1768 als Subrektor nach Riga berufen (vgl. Diederichs, A.M. XXVIII, 1891, S. 147)." Immanuel Kant, Briefwechsel, Auswahl und Anmerkungen von Otto Schöndörfer, Hamburg 1972, S. 819. X, 74. Die Metaphysik der Sitten wurde vom Verleger Kanter angekündigt unter dem Titel "Kritik des moralischen Geschmacks". Vgl. hierzu Beck, a.a.O., S. 261, Anm. 9. Vor Kant wurde der Ausdruck wenig gebraucht. Der Titel "Metaphysik der

Zur Genese der Metaphysik der Sitten

17

konzentrieren sich jetzt darauf, "die eigentliche Bestimmung und Schranken der menschlichen Fähigkeiten und Neigungen zu erkennen". Dieser erkenntnistheoretisch subjektivistische Standpunkt, der die spätere Transzendentalphilosophie entscheidend prägt, wird hier auf dem Gebiet der praktischen Weltweisheit vorweggenommen, denn, so führt Kant aus, dieser neue Schritt sei ihm auf dem Gebiet der Sitten bereits gelungen. Er arbeite an einer "Metaphysik der Sitten" und hoffe, sie im Laufe des Jahres noch beenden zu können. Dieser Brief gibt auch einigen Aufschluß über den Plan des Werkes. Abweichend von den früheren metaphysischen Anfangsgründen sollen die Ausführungen nunmehr die "Grundsätze" und die "Methode" im Bereich der praktischen Weltweisheit enthalten. Näheres wird über Inhalt und Struktur nicht mitgeteilt, es wird aber das Bemühen deutlich, das am Ende der Untersuchungen über die Deutlichkeit der Grundsätze von 1764 noch bestehende Problem, die apriorischen Grundlagen der Moral zu bestimmen^, einer Lösung entgegenzuführen. Die Briefe Kants lassen insgesamt den Eindruck entstehen, daß die Metaphysik der Sitten in den Jahren 1765 - 1770 eines der Hauptanliegen Kants war, da sie nach ihrer neuen Bestimmung demonstrativ für eine neue Methode der Metaphysik bzw. der Philosophie überhaupt stehen sollte. In diesem Sinne kommt Kant in einem Brief an Lambert vom 2.9.1770 bei- Ubersendung seiner Dissertation wieder auf den früheren Plan einer

10

Sitten" geht nach Wundt zurück auf Canz, Disciplinae moiales omnes, 1739, der im Anhang dieses Werkes eine "Metaphysica moralis" entwikkelt, "also eine 'Metaphysik der Sitten', die mir sonst in der ganzen Literatur dieser Jahrhunderte nicht begegnet ist, obwohl sie vielleicht nicht so fern lag." Wundt, M., Die deutsche Schulphilosophie im Zeitalter der Aufklärung, Tübingen 1945, S. 223. "Hieraus ist zu ersehen, daß, ob es zwar möglich sein muß, in den ersten Gründen der Sittlichkeit den größten Grad philosophischer Evidenz zu erreichen, gleichwohl die obersten Grundbegriffe der Verbindlichkeit allererst sicherer bestimmt werden müssen, in Ansehung dessen der Mangel der praktischen Weltweisheit noch größer als der spekulativen ist, indem noch allererst ausgemacht werden muß, ob lediglich das Erkenntnisvermögen oder das Gefühl ... die erste Grundsätze dazu entscheide." II, 300.

Stellung der MA im System der kritischen Philosophie Metaphysik der Sitten zurück. Obwohl er im Rahmen seiner metaphysischen Bemühungen entscheidende Neuerungen und Fortschritte machen konnte, scheint ein Einfluß auf dieses Werk im Sinne eines methodischen Einschnitts nicht stattgefunden zu haben. Jedenfalls werden keine, durch die neuen Erkenntnisse notwendigen Veränderungen vermerkt. Die Ausweitung der in der Dissertation vorgelegten Ergebnisse geht eher in Richtung der theoretischen Philosophie als einer "propädeutischen Disziplin", welche als "negative Wissenschaft (phaenomologia generalis) vor der Metaphysik vorhergehen" müsse.^ Diese Propädeutik, welche die Metaphysik fundiert und sie gleichzeitig vor allen empirischen Prinzipien bewahren soll, bezieht sich in diesem Brief nun nicht mehr auf die Metaphysik der Sitten. Denn in seiner geplanten praktischen Philosophie handelt es sich nach Kants Angaben bereits um "Untersuchungen über die reine moralische Weltweisheit, in der keine empirischen Prinzipien anzutreffen sind" und die daher keiner besonderen Fundierung mehr bedürfen. Sie als "die Metaphysik der Sitten" herauszubringen, war zu diesem Zeitpunkt Kants Absicht. 1 2 Die Funktion der frühen Metaphysik der Sitten bestimmt sich so in zweierlei Hinsicht. Mit den Aussagen, nach denen sie das metaphysisch abgesicherte Fundament der praktischen Wissenschaften in prinzipientheoretischer Hinsicht darstellen soll, wird sie in die Nähe der 1797 erschienenen gerückt; die Bestimmung dagegen, nach der sie auch "in vielen Stücken den wichtigsten Absichten bei der veränderten Form der Metaphy13 sik den Weg bahnen soll, erinnert wieder an die ursprungliche Absicht, den metaphysischen Anfangsgründen der moralischen Weltweisheit bei der neuen methodischen Grundlegung der 11 x, 98. 12

13

X, 97. Dieses Moralwerk wurde dann auch von den Zeitgenossen Kants erwartet. So fragt Sulzer am 8.12.1770 an, ob denn Hoffnung bestehe, das "Werk über die Metaphysik der Moral bald zu sehen. Dieses Werk ist bei der noch so wankenden Theorie der Moral höchst wichtig." X, 112. X, 97.

Der Einfluß der Transzendentalphilosophie

19

Philosophie eine vorbereitende Funktion zukommen zu lassen, da sie die Möglichkeit geben, auf Beispiele "in concreto" schon hinweisen zu können.

1.2. Der Einfluß der Transzendentalphilosophie auf die metaphysischen Anfangsgründe der moralischen Weltweisheit .Das Verhältnis zwischen dem geplanten Methodenwerk der Metaphysik und der frühen Metaphysik der Sitten, besonders bezüglich ihrer Fundierung, wird aus den Briefen zwar letztlich nicht klar; es läßt sich aber durchaus folgern, daß die Metaphysik der Sitten, sowohl des Rechts als auch der Tugend, als "reine 14 moralische Weltweisheit" vorlag, bevor Kant die Prinzipien seiner Transzendentalphilosophie ausarbeitete. Dann drängt sich aber erst recht die Frage auf, warum das Moralwerk 1770 nicht erschienen ist, auch wenn man annimmt, daß Kants Interesse in viel stärkerem Maße der noch ungelösten, in der Dissertation angesprochenen Hauptaufgabe galt, eine Kritik der reinen Vernunft auszuarbeiten. Es läßt sich am ehesten vermuten, daß es sich nicht so sehr um zeitliche, sondern um Methoden- bzw. Fundierungsprobleme der Metaphysik der Sitten gehandelt haben muß. Nur so lassen sich Kants Ausführungen in einem Brief an Herz vom 7.6.1771 verstehen, in dem er die Notwendigkeit einer propädeutischen Disziplin unter Hinweis auf die ihm vorliegenden Materialien auch auf den Entwurf dessen bezieht, "was die1 5Natur der Geschmackslehre, Metaphysik und Moral ausmacht". Wenn hier insgesamt eine Erweiterung der "phaenomologia generalis" um die Grundzüge einer Theorie der Moral und des Geschmacks intendiert ist und die Moral als Teilbereich neben der Metaphysik in einem umfassenden Methodenwerk mitbehandelt werden sollte, so scheint doch noch ein Primat der Moralphilo14

15

"Ich habe mir vorgesetzt, ... meine Untersuchungen über die reine moralische Weltweisheit, in der keine empirischen Prinzipien anzutreffen sind, und gleichsam die Metaphysik der Sitten in Ordnung zu bringen und auszufertigen." X, 97. X, 123.

20

Stellung der MA im System der kritischen Philosophie

Sophie eindeutig vorzuliegen. Denn "in der Unterscheidung des Sinnlichen vom Intellektuellen in der Moral und denen daraus entspringenden Grundsätzen" habe es Kant, wie er ein Jahr später, am 21.2.1772 an Herz berichtet, "schon vorher ziemlich weit gebracht".16 Dieser praktische Teil des geplanten Werkes hat darum zeitlich Priorität, weil nach Kant die "Prinzipien des Gefühls, des Geschmacks und der Beurteilungskraft" schon zu seiner "ziemlichen Befriedigung entworfen" sind, bevor der Plan der Trans^endentalphilosophie entstand. Trotzdem soll ihr erster Teil, "der die Quellen der Metaphysik, ihre Methode und Grenzen enthält", zunächst ausgearbeitet werden; daran anschliessen sollte sich die Untersuchung über die "reinen Prinzipien der Sittlichkeit".17 Die Bewältigung der Probleme der theoretischen Metaphysik nimmt aber Kants Interesse völlig in Anspruch und so entsteht bei Lektüre der Briefe der Eindruck, daß die Metaphysik der Sitten deshalb in ihrer Ausarbeitung ganz zurückstehen muß. Es kann aber doch angenommen werden, daß sie unter dem Einfluß der voranschreitenden Arbeit an der Transzendentalphilosophie ebenfalls eine neue prinzipientheoretische Grundlegung erfahren mußte. Denn die neue Idee der Wissenschaft, die Kant im Begriff ist zu entwerfen, ermöglicht es ihm, "der Philosophie, dadurch auf eine dauerhafte Art eine andere und vor 18

Religion und Sitten weit vorteilhaftere Wendung zu geben". Der spätere Systemplan der Kritik der reinen Vernunft wird hier zum ersten Mal vorgestellt: einer grundlegenden Kritik wird 16 17

18

x , 129. X, 132. "Die Grenzen der Sinnlichkeit und der Vernunft. Ich dachte mir darin zwei Teile, einen theoretischen und praktischen. Der erste enthielt in zwei Abschnitten: 1. Die Phänomenologie überhaupt. 2. Die Metaphysik, und zwar nur nach ihrer Natur und Methode. Der zweite ebenfalls in zwei Abschnitten: 1. Allgemeine Prinzipien des Gefühls, des Geschmacks und der sinnlichen Begierde. 2. Die ersten Gründe der Sittlichkeit." X, 129. X', 144.

Der Einfluß der

21

Transzendentalphilosophie

die zweigeteilte Metaphysik folgen, die der Natur und Sitten, wovon aber immer noch die letztere, wegen der vorliegenden Ma19 terialien, zuerst erscheinen soll. Die ausgearbeitete Transzendentalphilosophie

sollte durch eine systematische

Darstel-

lung der Gesetze a priori der Sittlichkeit so die Voraussetzungen für eine Metaphysik der Sitten

enthalten.

Dieser sich immer stärker ausprägende Systemgedanke, nach dem sich alle bisherigen Untersuchungen immer mehr zu einem Ganzen zusammenschließen, bleibt nicht ohne Einfluß auf Kants philosophische Reflexionen. Durch ihn haben die "ehedem

stück-

weise auf allerlei Gegenstände der Philosophie verwandte

Unter-

suchungen systematische Gestalt gewonnen" und "allmählich

zur

Idee des Ganzen geführt, welche allererst das Urteil über den Wert und den wechselseitigen Einfluß der Teile möglich macht". Den methodischen Schlüssel zum System seiner bisherigen philosophischen Ausarbeitungen bietet ihm die Kritik nunft.

der reinen

Ver-

Nach ihrem Erscheinen spricht Kant in einem Brief an

Mendelssohn vom 16.8.1783 von einem "ersten Teil" der Moral, den er hofft, in Kürze "wo nicht völlig, doch meist zu Stande" zu b r i n g e n . ^ 19

20

21

"Ich werde froh sein, wenn ich meine Transzendentalphilosophie werde zu Ende gebracht haben, welche eigentlich eine Kritik der reinen Vernunft ist; alsdann gehe ich zur Metaphysik, die nur zwei Teile hat: die Metaphysik der Natur und die Metaphysik der Sitten, wovon ich die letztere zuerst herausgeben werde und mich darauf zum voraus freue." X, 145. X, 213 Auch Busch weist in seiner Untersuchung besonders auf die "Wendung von 1772" hin, "die die Formulierung des kategorischen Imperativs nach sich zieht" und "die alle vorherigen Ergebnisse als bloße Teilergebnisse erscheinen läßt". a.a.O., S. 171. Diese Wende wird dann teilweise auch interpretiert als eine der großen Peripetien in der Entwicklung der Kantischen Philosophie, die auf theoretischem und praktischem Gebiet zeitlich so deutlich verschieden liegen, daß Beck sogar die Forderung aufstellt, man müsse eine "Rousseauistischen Wende" in der Kantischen Ethik der "Kopernikanischen Wende" in seiner Erkenntnistheorie gegenüberstellen. Beck, a.a.O., S. 189. Mit der Veröffentlichung wurde auch gerechnet: vgl. Schütz vom 10.7. 1784: "Ich brenne vor Begierde und Sehnsucht nach Ihrer Metaphysik der Natur, der Sie doch auch gewiß eine Metaphysik der Sitten folgen lassen werden." und 23.8.1784: "Höchst erstaunlich war mirs, daß Sie den

22

Stellung der MA im System der kritischen Philosophie

Nachdem

1785 die Grundlegung zur Metaphysik der Sitten er-

schienen ist, entwirft Kant in den folgenden Jahren, besonders zwischen 1786 und 1787 eine Reihe von Plänen, die sowohl eine Metaphysik der Sitten als auch ein System der praktischen Philosophie betreffen. Veröffentlicht wird dagegen eine Schrift der theoretischen Metaphysik, die Metaphysischen der Naturwissenschaft.

Anfangsgründe

Daß es sich hier aber nicht um die an-

gekündigte Metaphysik der Natur handelt, die Kant stets nach einer Metaphysik der Sitten herauszugeben dachte, macht ein Brief an Schütz vom 13.9.1785 deutlich, der auf die besondere Funktion und Stellung dieser Metaphysischen Naturwissenschaft

Anfangsgründe

der

eingeht. Hinsichtlich besonders ihrer Funk-

tion als metaphysische Anfangsgründe im Gesamtsystem der zur erstellenden Philosophie besteht eine auffallende Parallelität 22 zu dem schon zitierten Brief an Lambert von 1765. Metaphysische Anfangsgründe sollten ursprünglich als propädeutische Schriften, die aber gleichsam schon eine Anwendung der reinen Metaphysik darstellen, vorhergehen, zu dem eigentümlichen Zweck, die "Aufblähung" des reinen Systems der Metaphysik zu vermeiden. Sie sollten es überdies Kant ermöglichen, bei der Erstellung dieses endgültigen Systems auf bereits vorgetragene "Beispiele in concreto" verweisen zu können. Analog formuliert Kant zwanzig Jahre später: "Ehe ich an die versprochene Metaphysik der Natur gehe, mußte ich vorher dasjenige, was zwar eine bloße Anwendung derselben ist, aber doch einen empirischen

Begriff

voraussetzt, nämlich die metaphysischen Anfangsgründe der Körperlehre, so wie, in einem Anhange, die der Seelenlehre abmachen; weil jene Metaphysik, wenn sie ganz gleichartig sein soll, rein sein muß, und dann auch, damit ich etwas zur Hand hätte,

22

Plan zur Metaphysik der Sitten auf Michaelis herausgeben wollen." X 393 und 396. Der letztgenannte Brief bezieht sich wohl auf die Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, die auch 1786 erscheint. Es ist aber nicht eindeutig zu bestimmen, ob Kant unter dem "ersten Teil der Moral" die wenig später erschienene Grundlegung zur Metaphysik der Sitten faßt, da er 1783 ebenfalls überlegt, ob er nicht ein "Lehrbuch der Metaphysik nach obigen kritischen Grundsätzen" in Handbuchform "zum Behuf akademischer Vorlesungen" herausgeben solle. Vgl. Brief an Mendelssohn\vom 16.8. 1783. X, 346. X, 56.

Der Einfluß der Transzendentalphilosophie

23

worauf als Beispiele in concreto, ich mich dort beziehen, und so den Vortrag faßlich machen könnte, ohne doch das System da23 durch anzuschwellen, daß ich diese mit in dasselbe zöge." In direktem Anschluß plant Kant die völlige Ausarbeitung der Metaphysik der Sitten, deren Material ihm ja vollständiger vorliegen mußte, als das zur Metaphysik der Natur. Mit Hinweis auf sein fortgeschrittenes Alter beklagt er die Schwierigkeit, seine Gedanken zu konzentrierter Arbeit zusammenhalten zu können, um "den Faden, der das ganze System verknüpft", nicht zu 24 verlieren.

Im Jahre 1787 gibt Kant dann den Plan der Veröf-

fentlichung einer Metaphysik der Sitten wiederum vorläufig auf und gibt statt dessen die Kritik der praktischen

Vernunft her-

aus. Ihr Erscheinen widerspricht den Erwartungen, die der Briefwechsel erweckt, wonach die Kritik der reinen

Vernunft

hinreichende systematische Fundierung auch für eine praktische Philosophie zu leisten vermag. Das aber scheint bei der Arbeit an der endgültigen Fertigstellung der Metaphysik der Sitten in den Jahren nach der Kritik der reinen Vernunft nicht mehr zuzutreffen. Methodisch stellte sich ein Mangel heraus, und die unzureichende kritische Grundlegung der Moral mußte dann auch zunächst durch eine weitere Kritik und eine zusätzliche Grund25 legung zur Metaphysik der Sitten behoben werden. Aus der Darstellung der Genese der Metaphysik der Sitten, die keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt, läßt sich nun zwar eine dreißigjährige Entwicklung ersehen, kaum aber die 23 24

25

X, 406. "Ich bin schon so ziemlich alt, und habe nicht mehr die Leichtigkeit, mich zu Arbeiten von verschiedener Art so geschwinde umzustimmen, wie ehedem. Ich muß meine Gedanken ununterbrochen zusammenhalten, wenn ich den Faden, der das ganze System verknüpft, nicht verlieren soll." X, 406/407. Wie beharrlich Kant aber sein Ziel verfolgt, zeigen Äußerungen in den Briefen, wenn er von seiner "unter Händen habenden Metaphysik der Sitten" spricht (an Eberhard vom 21.12.1792, XI, 384), oder Zeitgenossen die "Moral" oder die "Metaphysik der Sitten" erwarten (Kiesewetter vom 14.6.1791 und Fichte vom 17.(7)6.1794), XI, 253 und 493.

24

Stellung der MA im System der kritischen Philosophie

These von einer fehlenden Interdependenz zwischen Transzendentalphilosophie und Rechtsphilosophie ableiten. Im Gegenteil legen die Aussagen Kants in den Briefen zur Metaphysik der Sitten eher nahe, daß die neue Konzeption der Moralphilosophie und damit auch der Rechtslehre - entscheidend in Zusammenhang 26 mit der Arbeit an den Kritiken zu sehen ist. Den inneren Zusammenhang, den Kant zwischen Kritik und Metaphysik sieht, zeigt ein Brief an Bering vom 7.4.1786. Hier spricht er von zwei Plänen, die ihn nach der Grundlegung des Systems in der Kritik der reinen Vernunft beschäftigen: eine Metaphysik herauszugeben und ein System der praktischen Weltweisheit zu entwerfen. Da er erstere nicht vor zwei Jahren fertigzustellen gedenkt, kündigt er die "Umarbeitung" der "Kritik der reinen Vernunft" als Ersatz für die von allen erwartete Metaphysik an. Sollte diese Umarbeitung gelingen und zu seiner Zufriedenheit ausfallen, würde dann das System der Metaphysik entworfen werden und das System der praktischen Weltweisheit, die beide mit27 einander "vergeschwistert" sind. Wie eng schließlich der Zusammenhang zwischen der schon erschienenen Transzendentalphilosophie und der geplanten und immer wieder in Arbeit genommenen Metaphysik der Sitten gewesen sein muß, macht ein Brief an Herz vom 26.5.1789 deutlich, in dem Kant einen Ausblick auf die immense Arbeit gibt, die noch in Angriff zu nehmen sei und beklagt, daß er in seinem "66sten Jahre noch mit einer weitläufigen Arbeit" seinen "Plan vollenden (teils in Lieferung des letzten Teils der Kritik, nämlich dem der Urteilskraft,

welcher bald herauskommen soll, teils in

Ausarbeitung eines Systems der Metaphysik, der Natur sowohl

26

27

"Gleichwohl scheint ihm die Transzendentalphilosophie oder Kritik der reinen Vernunft, wie er sie in der Kritik der reinen Vernunft ausarbeitet, die Voraussetzungen für eine "Metaphysik der Sitten" zu enthalten, und zwar in ihrer doppelten Funktion einer systematischen Darstellung der Gesetze a priori der Sittlichkeit und einer nicht mehr spekulativen, sondern praktischen Antwort auf die traditionellen metaphysischen Fragen." Beck, a.a.O., S. 21. X, 441.

Der Einfluß der Transzendentalphilosophie

25

als der Sitten, jenen kritischen Forderungen gemäß) beladen" 28 sei. Das hier angesprochene Fundierungsproblem einer Metaphysik der Sitten wurde schon in zwei Briefen evident, die über eine Distanz von zwanzig Jahren (31.12.1765 an Lambert und 13.9.1785 an Schütz) vergleichbare Stellen aufweisen. In beiden nimmt Kant von vornherein eine methodische Trennung zwischen metaphysischen Anfangsgründen und einer Metaphysik als System vor. In beiden Briefen werden die metaphysischen Anfangsgründe als propädeutische Systemstücke für das Hauptwerk der Metaphysik vorgestellt. Diese systemtheoretisch bedeutsame Unterscheidung wirft, übertragen auf die Metaphysik der Natur und der Sitten, die ja nur in metaphysischen Anfangsgründen vorliegen, vielfältige Probleme auf. 1765 sollten metaphysische Anfangsgründe zur positiven Demonstration des geplanten eigentümlichen Verfahrens der Metaphysik an konkreten Beispielen dienen und 1785 ebenfalls die Beispiele "in concreto" enthalten, worauf die Metaphysik sich als reine Disziplin letztlich beziehen können muß. Das System der Metaphysik würde dadurch entlastet, vor allem aber fern dem Bereich der Empirie konzipiert und dargestellt werden können. Denn empirische Begriffe sollten nicht in eine reine Philosophie als System der Metaphysik gehören, sondern in den metaphysischen Anfangsgründen der Körper- und Seelenlehre "abgemacht" werden. Ein Ausgangspunkt der weiteren Untersuchung bleibt daher die Frage, um welches Systemstück es sich bei so verstandenen metaphysischen Anfangsgründen handeln kann, die nach den Briefstellen zweifellos zwischen Kritik und Metaphysik eine systemtheoretisch fundamentale Rolle einnehmen. Die Ausarbeitungen der metaphysischen Anfangsgründe der theoretischen und praktischen Weltweisheit laufen parallel zu den Arbeiten an dem grossen Methodenwerk der Metaphysik, der Kritik

der reinen

Ver-

nunft. Sie sollten dazu die konkreten und zureichenden Bei28

XI, 49.

26

Stellung der MA im System der kritischen Philosophie

spiele, an denen die neue metaphysische Methode dargestellt werden konnte, enthalten; sie unter diesem Aspekt herauszugeben, war auch Kants Intention. Hier schien sich indes ein Methodenproblem zu ergeben, so daß Kant vorrangig daran interessiert war, die Kritik der reinen Vernunft als neue Grundlage der Metaphysik zunächst auszuarbeiten. Damit verloren die schon früh konzipierten metaphysischen Anfangsgründe zwar ihre ursprüngliche Funktion; es kann aber nicht mehr daran gezweifelt werden, daß sie nun in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Methodenwerk stehen mußten und, wie im weiteren zu zeigen sein wird, auch stehen. Sie demonstrieren auch in ihren späteren Fassungen die transzendentale Methode, nur jetzt nicht mehr vorbereitend, sondern als Bestätigung ihrer Richtigkeit.

1.3. Die Priorität des Rechts in der ethischen Theorienbildung Wurde bisher die spezifische systemtheoretische Funktion der metaphysischen Anfangsgründe der praktischen Weltweisheit seit 1765 herausgestellt, so darf die Frage nach ihrer inhaltlichen Identität mit den Metaphysischen

Anfangsgründen

der

Rechtsleh-

re von 1797 nicht ganz außer acht gelassen werden, können doch Methodenreflexionen bezüglich der Kantischen Rechtsphilosophie nicht völlig von inhaltlichen Problemen absehen. Interessanter Anknüpfungspunkt ist hierfür die These in der Literatur, daß Kant die formale Begründung des Rechtsprinzips vor dem Moralprinzip gelungen sei, ja daß der formalistische Ansatz seiner Ethik aus rechtsphilosophischen Gedanken erwachsen ist. Die frühen rechtsphilosophischen Entwürfe im Nachlaß werden dabei nur am Rande berücksichtigt, denn in zwei veröffentlichten Texten zur Ethik stellt sich Kants frühe ethische Theorienbildung anders dar, als in den Reflexionen und Erläuterungen. Sowohl in dem 4. Abschnitt der Untersuchungen über die Deutlich29 keit der Grundsätze 29

II, 273 ff.

als auch in den

Vorlesungsankündigungen

Der Priorität des Rechts

27

zum Winterhalbjahr 1765/66^®, ist die Anlehnung an Shaftesbury und an Hutchesons Ausführungen über das moralische Gefühl noch sehr stark ausgeprägt. Beide Texte werden auch allgemein interpretiert als Zustimmung zur "moral-sense-theory", die aber doch gewisse Einschränkungen erfährt. "Die Versuche des Shaftesbury, Hutaheson und Hume" sind, "obzwar unvollendet und mangelhaft, gleichwohl noch am weitesten in der Aufsuchung der ersten Gründe aller Sittlichkeit gelangt". Insgesamt aber hat die "moralische Weltweisheit" nach Kant "dieses besondere Schicksal, daß sie noch eher wie die Metaphysik den Schein der Wissenschaft und einiges Ansehen von Gründlichkeit annimmt, wenn gleich keine von beiden bei ihr anzutreffen ist". 31 Die 4. Betrachtung der Untersuchung betrifft die Probleme einer Grundlegung der Ethik in der praktischen Philosophie überhaupt und damit auch der Rechtslehre, wobei letztlich offen bleibt, ob die Entscheidung bezüglich einer Fundierung auf die Seite der intuitiven Ethik oder der auf rationalen Prinzipien beruhenden Moral fallen würde. Die Betrachtung gibt eine erste Formulierung einer eigenen Ethiktheorie in der Auseinandersetzving mit den Vorgängern Kants durch die Analyse der traditionellen Theorien und der impliziten Schwierigkeiten. Wichtig ist vor allem die Wendung von Crusius her gegen den Wolffsehen Rationalismus, wenn Kant unter dem Einfluß der Engländer das moralische Gefühl als ersten inneren Grund des Begehrungsvermögens faßt, dann aber nicht näher bestimmt. Für die praktische Weltweisheit bleibt das Problem der Evidenz, das Thema des ganzen Werkes, zunächst ungelöst. Die ethische Prinzipienlehre wird zwar thematisiert, auch mit der Frage nach der obersten Regel der Moral, bzw. dem Grund der Verbindlichkeit, eine eigene Begründung einer "philosophia practica" von Kant angestrebt. Allein das Ende der Preisschrift läßt auf eine Unsicherheit der Methode, evidente Sätze für die 30 31

II, 303 ff. II, 311.

28

Stellung der MA im System der kritischen Philosophie

praktische Weltweisheit zu finden, schließen. Da auch von seinen Vorgängern in der praktischen Weltweisheit die nötige Deutlichkeit und Sicherheit der Grundbegriffe und Grundsätze noch nicht geliefert worden sind, sucht Kant deshalb mit seiner Frage nach der unmittelbaren obersten Regel der Moral den Grund aller Verbindlichkeit, der schlechterdings "unerweislich" sein muß. Hier wird ein formaler Grund antizipiert, der die ethischen Prinzipien in ihrer Evidenz durch das Erkenntnisvermögen sichert. Die Entscheidung Kants fällt aber nicht eindeutig aus; er läßt am Schluß offen, ob er die ethische Fundierung im Rahmen einer rationalen Ethik oder einer intuitiven Wertethik 32 leisten will. Folgt man der Genese der Kantischen Rechtsphilosophie, so findet sich zunächst vor 1763 keine Differenzierung von Recht und Ethik in einem Gesamtsystem der praktischen Philosophie. Sie setzt erst ein mit den Reflexionen zu Baumgarten. Danach wird die Philosophie dann eingeteilt in theoretische und praktische, die praktische wiederum in Moral und Klugheitslehre, die auch die Wirtschaft und Ökonomie einschließt. 33 Das Recht wird zwar im weitesten Sinne der Moral zugeordnet, aber von ihr geschieden durch das Kriterium der Verbindlichkeit. So ergibt sich schon früh, zurückgehend auf Crusius, eine Einteilung einer "Lehre von den Pflichten und Gesetzen (Recht der Natur im weiteren Sinne)", in "Ethik (Pflichten 32

33

II, 300. "Hieraus ist zu ersehen, daß, ob es zwar möglich sein muß, in den ersten Gründen der Sittlichkeit den größten Grad philosophischer Evidenz zu erreichen, gleichwohl die obersten Grundbegriffe der Verbindlichkeit allerst sicherer bestimmt werden müssen, in Ansehnung dessen der Mangel der praktischen Weltweisheit noch größer als der spekulativen ist, indem noch allererst ausgemacht werden muß, ob lediglich das Erkenntnisvermögen oder das Gefühl (der erste, innere Grund des Begehrungsvermögens) die erste Grundsätze dazu entscheide." "Philosophia practica: 1. prudentiae, 2. obligationis. prior vel privatae vel socialis. haec vel oeconomica vel politica. obligationis sive moralis vel imperfectae: Ethica, vel perfectae: Jus naturale. Jus sociale in statu 1. domestica, 2. vel civili in statu privato. a. Jus civile: Staatsrecht, b. Jus publicum. Völkerrecht." XIX, 10/11.

Die Priorität des Rechts

29

gegen sich selbst)" und "Recht der Natur im engeren Sinne (Pflichten gegen andere)". Im Anschluß an die frühe Ausgestaltung einer ethischen Lehre als Pflichtenlehre läßt sich unter dem Einfluß Rousseaus schon der Entwurf einer rechtlichen Gesellschaftsordnung verbunden mit einer Rechtsordnung mit der 34 Regel der Freiheit als Grundprinzip nachweisen. Danach schienen die Grundlegungsfragen einer Rechtslehre schon früh gelöst, denn die Evidenz rechtlicher Sätze schien in ganz anderer Weise gesichert als die der ethischen. Während die Bedeutung des Gefühls als materiales unerweisliches Kriterium der Ethiktheorie hervorgehoben wird, sind allein im Recht nur noch formale Kriterien gültig. "Es sind verschiedene Grade der Bestimmung unserer Willkür: 1. Nach allgemeinen Gesetzen der Willkür überhaupt, das Recht. 2. Nach allgemeinen Regeln des Guten überhaupt, die Gütigkeit. 3. Nach allgemeinen Regeln des Privatguten, die (vernünftige) Selbstliebe. 4. Nach den besonderen Regeln einer Privatneigung, der sinnliche Trieb. ... Das Recht gründet sich auf keine Bewegungsgründe der Gütigkeit." 35 Daß hierdurch eine Priorität der Gerechtigkeit und damit des 36 Rechtsprinzips deutlich wird, ist unzweifelhaft. Sie begründet vor allem die These vom zeitlichen Primat des Rechtsprinzips vor dem Moralprinzip, die hier noch einmal hervorgehoben werden muß, und stellt den Begriff des Rechts als Wurzel des 34

35 36

Vgl. dazu Beck: "Vor Kant hat nur Rousseau die Lehre von der Autonomie formuliert. Während die anderen Autoren des 18. Jahrhunderts das Gesetz nur als eine Beschränkung der Freiheit verstehen konnten, sah Rousseau den wesentlichen Zusammenhang zwischen Gesetz und Freiheit. Er entwickelte diesen Gedanken freilich nur in der politischen Philosophie, und hier konnte ihn Kant mit geringen Änderungen von ihm übernehmen. Aber Kant vertiefte den Gedanken der politischen Autonomie freier Bürger zu einer ethischen und metaphysischen Lehre. So kommt er dazu, mit Rousseau zu erklären, nur der Gehorsam gegen ein Gesetz, das man sich selbst gegeben hat, sei wirkliche Freiheit." a.a.O., S. 189. XIX, 96/97. Vgl. Busch, a.a.O. S. 9.

30

Stellung der MA im System der kritischen Philosophie 37

Formalismus der Kantischen Moralphilosophie genetisch heraus. Die frühe formale Begründung des Rechts zieht dann unter dem Einfluß Rousseaus nach den Untersuchungen Grundsätze

der Deutlichkeit der

eine "Verrechtlichung" der Ethiktheorie nach sich,

indem Kant die materialen Definitionsversuche der Evidenz ethischer Sätze verläßt und Bestimmungen des Rechtsbegriffs auf die Ethik überträgt. Die Neigung Kants besteht zunächst wohl darin, das Recht rein formalistisch, die Ethik dagegen sowohl material als auch formal zu begründen. Die nachgelassenen Bemerkungen um 1765 machen aber die Wende der Moralphilosophie zum Formalismus deutlich, da Kant in ihnen die Rechtskriterien zu solchen allgemein moralischer Art ausweitet, so daß sich die mit Zwischenstufen vorhandene Abstammung der kritischen Ethik aus anfangs nur für das Recht konzipierten Gedanken nachweisen läßt. Die Ergebnisse der genetischen Untersuchung zur praktischen Philosophie lassen nicht nur eine Unabhängigkeit des Rechts von der Ethik erkennen, sondern weisen auch die Entwicklung des kategorischen Imperativs aus dem Rechtsprinzip nach und sichern somit dem Rechtsprinzip den Primat vor dem Moralprinzip. Daraus kann gefolgert werden, daß die in der Antinomienlehre der Kritik der reinen Vernunft entwickelte Freiheitsproblematik aus der rechtsphilosophischen Arbeit Kants erwachsen 38 ist.

Für die Interpretation der Rechtslehre heißt das, daß

sie sich nicht auf die Resultate der kritischen Ethik, insbesondere nicht auf den positiven Freiheitsbegriff stützen darf. Denn in den Reflexionen

wird hinlänglich deutlich, daß sich

unter dem Einfluß Rousseaus zunächst der negative Freiheitsbegriff entwickelt, verstanden nur als Freiheit von fremdem Zwang, der die Unterwerfung unter den Willen anderer Menschen darstellt. 39 Ein positiver Freiheitsbegriff wird hingegen em37 38 39

Ritter, a.a.O., S. 97 ff. Vgl. dazu Oberer, a.a.O., S. 102. Vgl. Busch; Kant schließt sich dem von Locke und Rousseau entwickelten "selbstbezogenen, unmoralischen Freiheitsbegriff" an; a.a.O., S. 26.

Die Priorität des Rechts

31

pirisch-psychologisch gefaßt als Wille, der als Wirkung von Neigung und Trieb nur mit "seiner wahren oder eingebildeten 40

Wohlfahrt" zusammenstimmen können muß.

Damit tritt er schon

in die Nähe dessen, was Kant auch später noch als empirischpsychologische Freiheit versteht: die Unabhängigkeit von äußeren Faktoren, besonders fremder Willkür. Wie ausgeprägt dieser Gedanke schon in dieser frühen Phase seines Denkens war, zeigt Kant auch in der Nova Diluc-Ldatio, in der er "frei handeln" bestimmt als Handeln "in Übereinstimmung mit seinem Begehren, 41 und zwar mit Bewußtsein".

Der Freiheitsbegriff als "Unab-

hängigkeit von eines anderen nötigender Willkür" wurde von Kant im Zusammenhang mit Rousseaus "volonté générale" entwikkelt, und zwar zuerst auf dem Gebiet des Rechts, wobei er Recht definiert als "maximum der freien Willkür, wenn sie gegensei• j« 4 2 tig genommen wird . Schon sehr früh wird dieser negative

Freiheitsbegriff disku-

tiert als Unabhängigkeit des Menschen überhaupt: vom "Joch der Notwendigkeit" der Natur und vom "Willen eines anderen Menschen" . Die spezifisch transzendentale Freiheit ist hier zwar noch nicht formuliert; man kann aber schon einzelne Schritte in Richtung auf den transzendentalen Begriff der Freiheit im negativen, theoretischen Verstände sehen. Die positive sittliche Freiheit ist aber noch nicht angesprochen. Die frühe Definition des Freiheitsbegriffes nach rationalen Kriterien führt dagegen direkt auf die spätere Definition der politisch-rechtlichen Freiheit: "sie ist die Befugnis, keinen äußeren Gesetzen zu gehorchen, als zu denen ich meine Beistimmung habe geben können", 40 41 42

43

43

und der Bestimmung des äußeren Freiheitsgebrauchs

Siehe hierzu die von Ritter zitierten und ausführlich analysierten Bemerkungen "Von der Freiheit", a.a.O., S. 116 - 117. "Libere agere est appetitui suo conformiter et quidem cum conscientia agera." I, S. 403. Vgl. auch Reflexionen 6586. "Es sind verschiedene Grade der Bestimmung unserer Willkür: 1. Nach allgemeinen Gesetzen der Willkür überhaupt, das Recht." und 6596: "Alle Handlung des Rechts ist ein maximum der freien Willkür, wenn sie gegenseitig genommen wird.", außerdem 6593, in der besonders der Einfluß Rousseaus deutlich wird. XIX, S. 96 - 102. VIII, S. 350 Anm.

32

Stellung der MA im System der kritischen Philosophie

im Gemeinspruchi

"Der Begriff aber eines äußeren Rechts über-

haupt geht gänzlich aus dem Begriffe der Freiheit Verhältnisse der Menschen zu einander hervor...".

im äußeren 44

Obwohl hier die ganze Vielfalt der frühen Freiheitsthematik nicht weiter untersucht werden kann, wird doch die Bedeutung für die spätere Rechtslehre sichtbar. Das Recht hat schon immer Freiheit zum Ziel, und zwar in zweierlei Hinsicht: Freiheit vom Belieben anderer Menschen und Freiheit zur Selbstbestimmung. Kant legt auch später seiner Rechtslehre einen negativen Freiheitsbegriff als Unabhängigkeit der Willkür in ihrem äußeren Gebrauche von der Nötigung der Antriebe der Sinnlich45 keit zugrunde. Das Resultat der kritischen Ethik, der positive Freiheitsbegriff sittlicher Autonomie, darf nicht auf die Rechtslehre übertragen werden. Damit wird bestätigt, wie Ebbinghaus in Abgrenzung gegen die Rechtsphilosophie des Neukantianismus fordert, daß die Kantische Rechtslehre aufgrund des negativen praktischen Freiheitsbegriffs interpretiert werden muß. "Sie setzt nicht - wie die Tugendlehre - den Begriff der inneren Freiheit voraus, der fordert, daß das Gesetz Triebfeder 46 sein kann."

Für Ebbinghaus folgt daraus, und dieser Folge-

rung kann durchaus zugestimmt werden, daß der Versuch, das Recht in seiner objektiven Vollkommenheit als abhängig von der Gesetzgebung der inneren Freiheit und folglich der Ethik zu denken, eine im Sinne Kants völlig absurde Konsequenz ist, die man aus einer irrigen Interpretation der Abhängigkeit beider Gesetzgebungen vom Ethik kategorischen Imperativ dem obersten moralischen Recht und umfassenden Prinzip als gezogen hat. 47 44 45 46 47

VIII, s. 289. VI, S. 226. Ebbinghaus, J., Kants Rechtslehre und die Rechtsphilosophie des Neukantianismus. In: Kant. Hrsg. v. G. Prauss, Köln, 1973, S. 323. Ebd. Mit der gleichen Problematik befaßt sich auch die Untersuchung Ebbinghaus', Die Strafen für Tötung eines Menschen nach Prinzipien einer Rechtsphilosophie der Freiheit. Kantstudien Erg.-Heft 94, 1968, S. 21 ff.: "... die von Kant der Rechtslehre zu Grunde gelegte negative Freiheit der menschlichen Willkür von der Nötigung durch sinnliche Antriebe ist die unerläßliche Bedingung für alle mögliche Verantwor-

Methodenprobleme metaphysischer Untersuchungen

33

1.4. Methodenprobleme metaphysischer Untersuchungen Aus der Tatsache, daß die erste Konzeption der metaphysischen Anfangsgründe der praktischen Weltweisheit in eine Zeit fällt, in der auch die Methodologie der Metaphysik in das Zentrum Kantischen Denkens rückt, ergeben sich notwendige Überlegungen bezüglich der Interdependenz. Der so oft vertretenen These, daß Kant die kritische Begründung der Rechtswissenschaft, die als "Faktum" ihm doch vorgelegen habe (analog dem "Faktum der Naturwissenschaft"), nicht gelungen sei, ist entgegenzusetzen, daß es Kant sowohl in der frühen Phase seiner Rechtsphilosophie wie auch in der späteren Metaphysik der Sitten um diese Rechtswissenschaft primär gar nicht zu tun war. Sein Hauptanliegen galt nicht der Herausgabe eines neuen Lehrbuchs des Rechts oder gar dem Plan, ein "vernunftgemäßes Rechtsbuch 48 mit festgefügten Institutionen und Paragraphen zu entwerfen". Kant ging es mehr um das Problem von Anfangsgründen, als dem reinen Teil einer Wissenschaft, die dann in weiten Bereichen empirisch ist. In der Lösung dieser Aufgabe, die erst sehr spät zufriedenstellend geleistet werden konnte, und in den damit verbundenen Schwierigkeiten liegen die Gründe der langen Verzögerung der Metaphysik der Sitten. Erst nachdem die "richtige Denkungsart", die "gangbare Methode" gefunden war, konnte ein metaphysisch abgesichertes Fundament der praktischen Wissenschaften konzipiert werden. Die metaphysischen Anfangsgründe stellten sowohl von Anfang an kein inhaltliches, sondern ein prinzipien-, bzw. wissenschaftstheoretisches Problem für Kant dar. Es ist dann sehr unwahrscheinlich und nach näherer Analyse der Rechtslehre in der Metaphysik der Sitten auch unzutref-

48

tung des Menschen für seine Taten. Was aber die 'sittliche Freiheit' anlangt, ... so ist deren Möglichkeit in keiner Weise die Voraussetzung für die Gültigkeit des von Kants Rechtslehre vorausgesetzten negativen Freiheitsbegriffs." Diese Ansicht findet sich vor allem vertreten von Stammler in der Interpretation der Kantischen Rechtslehre, a.a.O., S. 35.

34

Stellung der MA im System der kritischen Philosophie

fend, daß die neue Gestalt der Metaphysik als Kritik der reinen Vernunft auf die Systematik der Rechtslehre keinen Einfluß ausgeübt haben soll. Im Gegenteil scheint dieser Einfluß, wie noch zu zeigen sein wird, besonders durch die Einwirkung der Systematik der Kritik physik

der Sitten

der reinen

Vernunft

im Aufbau der

"Scheitern" der rechtsphilosophischen Methode in den sischen

Meta-

entscheidend zu sein. Der Rede von einem

Anfangsgründen

der Rechtslehre

Metaphy-

nach transzendentalen

Gesichtspunkten kann hier nicht ohne weiteres zugestimmt werden. Dazu bedarf es einer genauen systematischen und methodologischen Untersuchung des metaphysischen Entwurfs des Rechts. Diese Untersuchung rechtfertigt sich nach Kants eigenen Aussagen im Briefwechsel, in dem schon immer ein enger Zusammenhang, wenn nicht gar ein wechselseitiges Verhältnis zwischen Kritik als Propädeutik und Metaphysik als System sichtbar wurde. Unter diesen Aspekten muß auch die Frage beantwortet werden, warum Kant die metaphysischen Anfangsgründe immer wieder hinausgeschoben hat, obwohl sie im Material weitgehend verfügbar waren.

Der Grund hierfür liegt in den methodischen

Schwierigkeiten

der Grundlegung und Durchführung einer Metaphysik des Rechts. Es ist durchaus annehmbar, daß Kant dann in der endgültigen Fassung, bei der ihm der methodische Rahmen durch die kritischen Grundlegungsschriften zur Verfügung stand, das alte Material wieder aufgegriffen hat und in diesen neuen Rahmen einpaßte. Ein Grund für das immer wieder sich verzögernde Erscheinen der Rechtslehre läge dann darin, daß Kant glaubte, "die auf dem Wege von der Kritik zur Metaphysik, d.h. systematischlogisch, vorgängigen Theoriestufen auch für die Veröffentli49

chung vorziehen zu sollen".

Die frühen ethischen und rechtsphilosophischen

Reflexionen

Kants stehen in engem Zusammenhang mit einer Betonung des Me49

Oberer, a.a.O., S. 102.

Methodenprobleme metaphysischer Untersuchungen

35

thodenproblems metaphysischer Untersuchungen. So sind zu Beginn seines Philosophierens für Kant thematisch metaphysische und kritisch methodologische Fragen unauflöslich verknüpft. Ein Beispiel ist der schon mehrfach zitierte Brief an Lambert vom 31.12.1765, in dessen Mittelpunkt die "eigentümliche Methode der Metaphysik" steht und der zum ersten Mal auch die Ausarbeitung "metaphysischer Anfangsgründe" thematisiert.^ Das Verfahren der Metaphysik, das Kant hier beschäftigt, stand vorher noch ganz im Rahmen der traditionellen Logik und ihres Schlußverfahrens, aber schon früh ist er von der Notwendigkeit einer grundlegenden Veränderung der Methode der Metaphysik und damit auch der Wissenschaft selbst überzeugt. Seine Einwände orientieren sich aber nicht an vereinzelten Theoremen oder Problemen, sondern Kant "suchte die Wurzeln des Irrtums tiefer". Eine so intendierte Revision konnte nur die "Methode der Philosophie" und die "Art und Weise, wie sie zur Erkenntnis von Prinzipien zu gelangen trachtete", betreffen. "So hatte er während seines ganzen Lebens, insbesondere aber auf dem Weg zur Kritik, nicht nur die Begriffe, sondern auch die Methoden seiner Gegner vor Augen, die seine Lehrer gewesen waren. Die Diskussion im Rahmen des Briefwechsels gibt Aufschluß über die Aktualität, die das Methodenproblem in der Mitte der sechziger Jahre für Kant hatte. Nach Aussagen Lamberts vom 13.11.1765 plante Kant "eine eigentliche Methode der Metaphysik" herauszugeben, die von Lambert Jnit Interesse erwartet wurde, da er zu dieser Zeit ebenfalls an einer "Architektonik" 52 arbeitete. Die Bedeutung Lamberts für die Methodologie der Philosophie und die Abhängigkeit Kants von dem von ihm konzipierten Systembegriff ist verschiedentlich hervorgehoben worden. Diese Diskussion kann hier nicht aufgegriffen und ent50 51

52

X, 56. Henrich, D., Kants Denken 1762/3.In: Studien zu Kants philosophischer Entwicklung. Hildesheim, 1967, S. 9. Der Vorrang des Methodenproblems wird auch betont in der Arbeit von Hinske, N. Kants Weg zur Transzendentalphilosophie. Stuttgart 1970, S. 119 ff. X, 51.

36

Stellung der MA im System der kritischen Philosophie

schieden werden; es sollte aber festgehalten werden, daß Lambert die Methodendiskussion mit Kant angeregt und gefördert hat. Er ist Kant "ein Mahner zu einer strengen Methode" gewesen, dem es gewiß war, "daß nur durch sie die Weltweisheit den Zustand beständiger Veränderung überwinden kann. ... Diese Erinnerung war wichtig in einer Zeit, da die Philosophie in methodische Haltlosigkeit zu versinken drohte oder sich selbst gegenüber der Psychologie aufgab". 53 Das Problem, die Frage nach dem Verfahren der Metaphysik, die es zu erneuern gilt, beschäftigt Kant, Lambert und Tetens in der gleichen Weise. Für sie ergibt sich ein Dilemma, da auf der einen Seite "die Strenge der metaphysischen Methode nicht aufgegeben werden" soll. Diese Forderung erhebt Kant noch in der kritischen Philosophie mit Verweis auf die hier vorzüglichen Leistungen Wolfis;" andererseits aber besteht die Gefahr, daß sich der Gegenstand dann in bloße Denkzusammenhänge verwandelt und der reale Gehalt verloren geht. Notwendige Denkform und realer Gehalt, beide machen ihre Ansprüche an die Me54 taphysik geltend". Kants Beitrag zum Methodenproblem, vorrangig der theoretischen Metaphysik, findet sich vor allem in den Briefen, Schriften und Vorlesungsankündigungen Mitte der sechziger Jahre. Wie schon ausgeführt wird vor allem in der 53

54

Wundt, a.a.O., S. 325. Zum Verhältnis Lambert - Kant siehe auch Baensch, I., Lamberts Philosophie und seine Stellung zu Kant, Tübingen und Leipzig 1902. Nach Windelband nimmt Lambert "als ein tüchtiger Mathematiker und Naturforscher unter diesen Methodologen des 18. Jahrhunderts eine achtbare Stellung" ein. "... es schwebte ihm eine Metaphysik vor, die aus solchen apriorischen Elementen ihr ganzes Begriffssystem ableiten sollte. Hieraus erwuchs für die 'Verbesserung der Metaphysik' die Aufgabe, diese ersten Wahrheiten aus dem Gesamtbestande der Erfahrung herauszulösen. Dafür aber suchte Lambert vergebens nach einem einheitlichen Prinzip (...) und seine 'Architektonik' begnügte sich schließlich mit einer äußerlichen Zusammenraffung." Windelband-Heimsoeth. Lehrbuch der Geschichte der Philosophie, Tübingen 1957, 15. Aufl., S. 396. Vgl. auch Vorländer, Philosophie der Neuzeit, Bd. V, Reinbeck/ Hamburg 1967, S. 32: "Es kam Lambert darauf an, die Philosophie mit den Methoden der modernen Naturwissenschaft in Einklang zu bringen, in deren Kenntnis er nicht nur Wolff, sondern auch Kant überlegen war." Wundt, a.a.O., S. 330.

Begründung theoretischer und praktischer Sätze

37

55 Untersuchung

über die Deutlichkeit

der Grundsätze

die Frage

nach der Natur der Gewißheit der Metaphysik der Frage nach der Methode der Metaphysik untergeordnet. Wie schon die Briefe zeigen, wird auch hier deutlich, daß Kant zu dieser Zeit schon in Ansätzen Einsicht in die wahre Methode der Metaphysik zu haben glaubt, und daß er die Preisfrage der Akademie beantwortete, weil er sich sicher im Besitze der Grundzüge eines neuen Begriffs der Metaphysik wähnt. Denn "wenn die Methode feststeht, nach der die höchstmögliche Gewißheit in dieser Art der Erkenntnis kann erlangt werden, und die Natur dieser Uberzeugung wohl eingesehen wird", so kann auch "anstatt des ewigen Unbestands der Meinungen" Sicherheit im methodischen Verfahren erlangt werden durch "eine unwandelbare Vorschrift der Lehrart". Diese Bemühungen seien vergleichbar mit denen Newtons, dessen Methode "in der Naturwissenschaft die üngebundenheit der physischen Hypothesen in ein sicheres Verfahren nach Erfahrung und Geometrie veränder-

1.5. Die Begründung theoretischer und praktischer Sätze Von den Denkern seiner Zeit unterscheidet sich Kant in dieser Phase deutlich durch sein Theorem der "unerweislichen Sätze", mit dem er systematisch die unbeweisbaren Grundsätze, die evidenten rationalen Prinzipien zusammenfaßt, die er aus der Analyse der "sicheren inneren Erfahrung" gewinnt. Damit ist eine Methode der Metaphysik in Anlehnung an die durch Newton eingeführte naturwissenschaftliche Analyse der Erfahrung gefunden, die zu gesicherten Ergebnissen führen kann. Für die Untersuchung wird gefordert, "durch sichere innere Erfahrung, d.i. ein unmittelbares augenscheinliches Bewußtsein" diejenigen Merkmale aufzusuchen, "die gewiß im Begriffe von irgend 55 56

I I , 273 I I , 275.

301.

38

Stellung der MA im System der kritischen Philosophie

einer allgemeinen Beschaffenheit liegen". Und wenn auch "das ganze Wesen der Sache" nicht erkannt werden kann, so dient das Verfahren doch dazu, "vieles in dem Dinge daraus herzuleiten".5^ Da die Metaphysik nicht, wie die Mathematik von willkürlich festgesetzten Begriffen deduktiv weiterschreiten und somit eine "neue" Wirklichkeit erzeugen kann, ist sie der empirischen Naturwissenschaft verwandt. Ihre Aufgabe besteht darin, das, was in der Wirklichkeit der inneren Erfahrung des Subjekts als ein zunächst unübersehbares Ganzes gegeben ist, zu verdeutlichen und aufzuhellen. "In der Weltweisheit", wo der Begriff der Sache, die erklärt werden soll, gegeben ist, "muß dasjenige, was unmittelbar und zuerst in ihm wahrgenommen wird, zu einem 58

unerweislichen Grundurteile dienen". So treffen sich in der Analyse der Erfahrung, der analytischen Methode, Philosophie und Experimentalphysik, denn "der Gedanken von unerweislichen Sätzen als Basis der philosophischen Analyse fügt sich in Kants Methodenbegriff".5 9 Die unerweislichen Grundsätze der Moral sind aber dadurch in ihrer Evidenz nicht gesichert. Sie werden in die Nähe der mathematischen Axiome gerückt, von denen sie jedoch begründungsmäßig unterschieden sind, da sie auf "unauflöslichen Gefühlen" beruhen. So bedeutet das Theorem der unerweislichen Sätze auf die praktische Weltweisheit angewandt, daß auch für die ersten Gründe der Sittlichkeit größtmögliche Gewißheit erlangt werden soll. Eine Lösung dieses Begründungsproblems sieht Kant zunächst in dem Prinzip der natürlichen Moral: der Verbindlichkeit, die als Fundamentalbegriff der Moralphilosophie die Evidenz und Deutlichkeit der Grundbegriffe und Grundsätze sichern soll. Kant sucht die Prinzipien der Möglichkeit der Verbindlichkeit auf und behauptet die Unerweislichkeit dieses obersten praktischen Prinzips und vor allem seine Unableitbarkeit 57 58 59

II, 286. II, 281/282. Henrich, a.a.O., S. 17

Begründung theoretischer und praktischer Sätze

39

aus einer der sittlichen Bestimmung vorausgehenden theoretischen Erkenntnis. Die sittliche Gewißheit hat ihren Ursprung im moralischen Gefühl und die Fundierung der praktischen Grundsätze in der praktischen Vernunft, die später die kritische Rechtslehre möglich machen wird, ist hier noch an keiner Stelle sichtbar. So ist auch das moralische Gefühl als der erste innere Grund alles Begehrungsvermögens von Anfang an nicht zweifelsfrei. Es bleibt die Frage offen, ob daraus Grundsätze des Handelns abgeleitet werden können und es muß nach Kant allererst noch ausgemacht werden, "ob lediglich das Erkenntnisvermögen oder das Gefühl ... die ersten Grundsätze dazu entscheide" . Das Bewußtsein des moralischen Gefühls mag zwar den Impuls zur Formulierung oberster praktischer Grundsätze geben, ihre Evidenz ist dadurch aber nicht gesichert, da die Begründungsfrage des sittlichen Bewußtseins noch nicht gelöst ist. Auch wenn das Bewußtsein des Gefühls "von der Schönheit und Würde der menschlichen

Natur"

die Formel für allgemeine sittliche

Verpflichtung abgeben kann, so ist damit die strikte Verbindlichkeit, auf der die Grundsätze des Rechts letztlich sich 62

aufbauen, nicht zu erklären.

Denn die Begründung der ober-

sten praktischen Grundsätze der Weltweisheit ist insgesamt noch nicht gelöst, und somit auch nicht die Begründung der formalen Prinzipien des Rechts, die zu dieser Zeit schon formuliert wurden. Die moralische Weltweisheit ist von der Wissenschaf tlichkeit , obwohl sie sich den Anschein gibt, noch weit entfernt, da ihre Fragen durch das "Sentiment" schon vor den "Vernunftgründen" entschieden werden. Der erste Weg zu dieser Sicherung zeigt sich in den Träumen eines

Geistersehers,

in denen Kant das Fundierungsverhältnis von Gefühl und Vernunft umkehrt. 60 61 62

Ii, 300. II, 217. Zum Problem des Verbindlichkeitsbegriffs und der damit verbundenen Entwicklung des formalen Rechtsbegriffs 1762 - 1765 siehe Busch, a.a.O., S. 3 - 44.

40

Stellung der MA im System der kritischen Philosophie Die Beweggründe menschlichen Handelns werden nicht mehr nur

in subjektiver Gültigkeit bestimmt, sondern als abhängig gesehen vom "allgemeinen menschlichen Verstände", in dem letztlich die Bestimmungsgründe des Handelns zu suchen sind. Aus diesem Abhängigkeitsverhältnis der eigenen Willkür von "der Regel des allgemeinen

Willens" entspringt "in der Welt aller

denkenden Naturen eine moralische Einheit und systematische Verfassung nach bloß geistigen Gesetzen". Die "in uns empfundene Nötigung unseres Willens zur Einstimmung mit dem allgemeinen Willen" wird dann das "sittliche Gefühl"

genannt.^

Obwohl hier sicher noch nicht von einer Lösung im kritischen Verstände gesprochen werden kann, wird doch schon eine Sicherung der Evidenz praktischer Grundsätze durch ihre Fundierung 64 im System deutlich.

Es fehlt dieser schon früh vorgestellten

Verfassungstheorie geistiger Wesen aber das Begründungsprinzip, obwohl viele Elemente später in die Rechtslehre übernommen werden, so der die Rechtsgemeinschaft fundierende Gedanke der allgemeinen und durchgängigen Wechselwirkung der Subjekte in einem System, der erst später eine kategoriale Begründung erfährt. Aber es ist interessant, daß schon so früh von Kant darüber reflektiert wird, daß nur durch den Rückgang auf einen Zusammenhang, auf ein System, Gesetze für Handlungen ethischer und juridischer Art begründet werden können. Die Frage nach dem Begründungsverhältnis, nach der Geltung des zu Begründenden wird schon früh zur Prinzipienfrage. Dabei wird die Sittlichkeit noch nicht in die so problematisierte Metaphysik einbezogen. In den Träumen bedarf sie einer sol-

63 64

II, 335. II, 335: "Sollte es nicht möglich sein, die Erscheinung der sittlichen Antriebe in den denkenden Naturen, wie solche sich auf einander wechselweise beziehen, gleichfalls als die Folge einer wahrhaftig tätigen Kraft, dadurch geistige Naturen ineinander einfließen, vorzustellen, so daß das sittliche Gefühl diese empfundene Abhängigkeit des Privatwillens vom allgemeinen Willen wäre und eine Folge der natürlichen und allgemeinen Wechselwirkung, dadurch die immaterielle Welt ihre sittliche Einheit erlangt, indem sie sich nach den Gesetzen dieses ihr eigenen Zusammenhanges zu einem System von geistiger Vollkommenheit bildet?"

Begründung theoretischer und praktischer Sätze

41

chen Letztbegründung anscheinend nicht, da sie auf "Empfindung" und "Glauben" beruht, aus denen sich unmittelbare sittliche Vorschriften ergeben.®^ So findet sich in dieser Zeit eine schwankende Beurteilung der Bedeutung einer neuen metaphysischen Grundlegung betreffs der Sitten, wobei es auffallend ist, daß zwar nicht in den gedruckten Schriften, wohl aber in den Briefen methodologische Reflexionen bezüglich der Grundlage auch der praktischen Weltweisheit gefordert werden. Die Gedanken sind aber nicht durchgängig bestimmend, da im gleichen Zeitraum diese Letztbegründung in Ausführungen, die an eine moral-sense-theory erinnern, für überflüssig gehalten wird. Somit ist es nicht erstaunlich, daß die schon Mitte der sechziger Jahre anzutreffenden systematischen Ansätze zu einer Rechtsmetaphysik nicht zum System der Metaphysik des Rechts ausgebaut werden konnten. Das Problem der systematischen Fassung des inhaltlich vorliegenden Gedankenguts war durch die ebenfalls vorliegenden traditionellen philosophischen Systeme nicht zu lösen. Die aus ihnen übernommenen Gedanken, Grundsätze und Thesen suchten eine neue systematische Form, die sich nicht mehr an der Schulphilosophie, sondern an dem neuen naturwissenschaftlichen Denken Newtons und seiner Nachfolger • 4.4. 66 orientierte. Schon früh etabliert sich der Gedanke, daß in der Metaphysik eine Grundwissenschaft zu entwerfen sei, die als Basis ein Gesamtsystem der Wissenschaften fundiert. Der "sichere Gang" ihrer Methode sollte Probleme der einzelnen Wissenschaften lösen. Die Bestimmung der Metaphysik al,s "eine auf allgemei67 nere Vernunfteinsichten angewandte Philosophie" zeigt im Ansatz schon die spätere Auffassung der Metaphysik als Wissenschaftstheorie, als rationalen Kern jeder philosophischen Disziplin. Auch der Nachricht über die Vorlesungen 1765/66 65 66

67

II, 370 und 411. Zur frühen Fassung des Systembegriffs vgl. besonders die schon 1755 erschienene Schrift Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels. I, 215 - 368. II, 292.

42

Stellung der MA im System der kritischen Philosophie

ist eine Betrachtung über diese eigentümliche Funktion der Metaphysik beigefügt: sie geht der Philosophie voraus, als ein 68

Organon dieser Wissenschaft.

Dieses Organon muß der Lehrer

der Philosophie "inne haben", "ehe er die Wissenschaft vorträgt" . Es soll Kritik und Vorschrift der gesamten Wissenschaft enthalten und einen genauen Grundriß entwerfen, "nach welchem ein solches Gebäude der Vernunft dauerhaft und regelmäßig soll aufgeführt werden".^^ In die wissenschaftstheoretische Aufgabe der Metaphysik paßt auch die Diskussion des Methodenproblems im Briefwechsel unter negativem Vorzeichen: die Methode, wenn sie dem Blendwerk des Wissens entgehen will,^® kann nicht auf Erweiterung ausgerichtet sein, sondern eher auf Grenzsetzung des Wissens. So schreibt Kant am 8.4.1766, daß er die Metaphysik weder gering noch entbehrlich erachte, daß es aber wohl darauf ankomme "auszumachen, ob es nicht hier wirklich Grenzen gebe, welche nicht durch die Schranken unserer Vernunft, nein der Erfahrung, die die data zu ihr enthält, festgesetzt" • ^ 71 sind. Kant konnte es nach diesen Ausführungen schon in den sechziger Jahren nicht mehr darum gehen, einen neuen "Achenwall", bzw. eine revidierte Fassung des zeitgenössischen Naturrechts herauszugeben. Aus der Genese der Kantischen Rechtsphilosophie geht durch die enge Verbindung, die zwischen den metaphysischen Anfangsgründen und dem Hauptwerk der Metaphysik besteht, gerade die Interdependenz zwischen kritischer Philosophie und Rechtsphilosophie hervor. Die Metaphysik als reine Philosophie ist schon früh auf eine Demonstration ihrer Methode bezüglich ihrer Anwendbarkeit und Richtigkeit im besonderen wissenschaftlichen Bereich angewiesen. Dazu dienen metaphysische Anfangsgründe, die den Uber-

68 69 70 71

II, 310. Ebd. X, 55. X, 72.

Begründung theoretischer und praktischer Sätze

43

gang leisten zum System der besonderen metaphysischen Gegenstände. Das zur Verfügung stehende Material reichte wohl offensichtlich für diese Aufgabe nicht. Es muß ein ständiges Problem gewesen sein, wie denn dieser wissenschaftstheoretische Vorgriff geleistet werden sollte. Es ist zu vermuten, daß trotz der inhaltlichen Fülle das methodische Verfahren nicht voll durchgeführt werden konnte, jedenfalls finden sich in den Erläuterungen

und Reflexionen

keine Anzeichen dafür; der metho-

dische Leitfaden fehlte, oder wenn Kant ihn zu dieser frühen Phase schon besaß, so bereitete doch seine Anwendung erhebliche Schwierigkeiten. Sie war erst in einer sehr viel späteren Phase möglich - und wie noch zu zeigen sein wird - , auch hier mit außerordentlichen systematischen und methodologischen Problemen verbunden. In der frühen Phase - und auch das ist offensichtlich geworden - konnte die Evidenz der Grundsätze der praktischen Philosophie nicht gesichert werden, damit auch nicht ein System von apodiktischen Rechtssätzen. Apriorische Kriterien ihrer Richtigkeit und Vollständigkeit waren nicht vorhanden. Möglich war nur eine rhapsodisch zu nennende Ansammlung von wichtigen Gedanken und Einsichten zu Recht und Staat, die wohl auch die Prinzipien einer Grundlegung enthalten und damit in die spätere Form der Rechtslehre fast wörtlich übernommen werden konnten. Was aber diesen frühen Ansätzen einer Rechtsmetaphysik fehlt und daher wohl auch der Grund ihrer NichtVeröffentlichung gewesen sein wird, ist das, was nach Kant ein eigentliches System der Philosophie auch in ihren besonderen Gegenstandsbereichen erst ausmachen kann: "die Einheit der mannigfaltigen Erkenntnisse unter einer Idee. Diese ist der Vernunftbegriff von der Form eines Ganzen, so fern durch denselben der Umfang des Mannigfaltigen so wohl, als die Stelle der Teile unter einander, a priori bestimmt 72 wird".

Es mußte Kants vorrangige Aufgabe sein, "den Plan

zum Ganzen einer Wissenschaft,

so fern sie auf Begriffen a

priori beruht, vollständig zu entwerfen, und sie mathematisch 72

B 860.

44

Stellung der MA im System der kritischen Philosophie 73

nach bestimmten Prinzipien abzuteilen",

bevor eine inhaltli-

che Darstellung dieser Wissenschaft möglich sein sollte.

73

B 109.

2. Die Grundlegung der Metaphysik des Rechts im Rahmen der Kritiken 2.1. Die Kritik als Propädeutik einer metaphysischen Wissenschaft Geht aus dem Briefwechsel hervor, daß nach den ursprünglichen Plänen Kants im Rahmen des Methodenwerkes der Metaphysik eine Grundlegung der theoretischen und auch der praktischen intellektuellen Erkenntnis enthalten sein sollte, so wird diese Gliederung der geplanten Kritik der reinen Vernunft in einen theoretischen und praktischen Teil nicht durchgehalten. 74 Ende 1773

schreibt Kant an Herz, daß er nach der Fertigstel-

lung der Transzendentalphilosophie zu einer zweiteiligen Metaphysik der Natur als auch der Sitten übergehen würde, wovon die Metaphysik der Sitten zuerst erscheinen solle. 75 Insgesamt vollzieht sich ein Wandel. Schien es in den vorkritischen Briefen, Schriften und Reflexionen noch so, als ob Kant die Metaphysik der Sitten weitgehend unabhängig von der 76 Transzendentalphilosophie herausgeben wollte, so entwickelt sich jetzt die Kritik der reinen Vernunft mehr und mehr zu ihrer unabdinglichen Voraussetzung. Bei dem veränderten Verhältnis von Kritik und Metaphysik handelt es sich um eine entscheidende methodische Grunddisposition: die Kritik ist Propädeutik zur Metaphysik in ihren beiden Abteilungen. So betont Kant dann auch die Notwendigkeit einer kritischen Fundierung, besonders für eine Metaphysik des Rechts in der Vorrede ersten Auflage der Kritik

der reinen

Vernunft:

ter ist das eigentliche Zeitalter der Kritik, unterwerfen muß. Religion, Ii 75

76

zur

"Unser Zeitalder sich alles

durch ihre Heiligkeit,

und

Gesetz-

X, 143 ff.; das genaue D a t u m des Briefes ist nicht angegeben. In den Briefen dieser Zeit zeigt sich schon die auch später beibehaltene Grunddisposition des Kantischen Systems: einer zunächst ungeteilten, dann aber dreigeteilten Kritik steht eine zweigeteilte Metaphysik gegenüber. Vgl. h i e r z u auch den Brief an Herder vom 9.5.1768, X, 73 ff.

46

Stellung der MA im System der kritischen Philosophie

gebung durch ihre Majestät, wollen sich gemeiniglich derselben entziehen. Aber alsdenn

erregen sie gerechten Verdacht wider

sich, und können auf unverstellte Achtung nicht Anspruch machen, die die Vernunft nur demjenigen bewilligt, was ihre freie 77 und öffentliche Prüfung hat aushalten können." In dieser Vorrede nimmt Kant dann auch Abstand von dem Prioritätsgedanken einer Metaphysik der Sitten und spricht 1781 nur noch von einer Metaphysik der Natur als "System der reinen 78(spekulativen) Vernunft", die er baldigst in Aussicht stellt. Der Ausdruck "spekulativ" verweist aber darauf, daß das System der reinen Vernunft immer noch zweiteilig gedacht wird und eine Ergänzung aussteht. Die Kritik der reinen Vernunft wird als Propädeutik bestimmt, der es zukommt, "die Quellen und Bedingungen ihrer Möglichkeit" darzulegen "und einen ganz verwachsenen Boden zu reinigen und 79 zu ebenen". Diese kritische Bodenbereitung der geplanten neuen Wissenschaft mußte vollzogen werden, um ein Fundament zu schaffen, auf dem das Gesamtsystem der besonderen Wissenschaften, die inhaltlich schon so gut wie fixiert waren, errichtet werden konnte. Intendiert war eine Grundlagenwissenschaft im Sinne einer kritischen Metaphysik, die aber wissenschaftstheoretisch auf die Fundierung einer Metaphysik als 80

Doktrin abzielt.

Kant benutzt zur Veranschaulichung dieses

Fundierungsverhältnisses eine räumliche Metapher: Vor Errichtung des "Gebäudes", zu dem das Material schon seit langem vorlag, sollte zunächst eine "Grundlegung desselben" erfol77 78 79 80

A XI, Anra. A XXI. A XXI. "Denn wenn ein solches System unter dem allgemeinen Namen der Metaphysik einmal zu Stande kommen soll (welches ganz vollständig zu bewerkstelligen, möglich und für den Gebrauch der Vernunft in aller Beziehung höchst wichtig ist): so muß die Kritik den Boden zu diesem Gebäude vorher so tief, als die erste Grundlage des Vermögens von der Erfahrung unabhängiger Prinzipien liegt, erforscht haben, damit es nicht an irgend einem Teile sinke, welches den Einsturz des Ganzen unvermeidlich nach sich ziehen würde." V, 168.

Die Kritik als Propädeutik

47

gen, die sich auf Umfang, Gültigkeit und Wert aller wissen81 schaftlichen Erkenntnis beziehen müßte. Kant führt den Gedanken in der Kritik weiter aus und spricht so zu Beginn der Transzendentalen Methodenlehre von einem "Gebäude", das nach Überschlagen des Bauzeuges" und der Bestimmung der "Festigkeit" und "Höhe" sich zwar bescheiden genug ausnimmt, aber insgesamt fundiert ist, im Gegensatz zu "Luftschlössern" früherer metaphysischer Entwürfe. Die metaphorische Umschreibung der Systemgrundlegung macht deutlich, daß es Kant "nicht sowohl um die Materialien, als 82

vielmehr um den Plan" ging, d.h. um "die Bestimmung der formalen Bedingungen eines vollständigen Systems der reinen Vernunft". 8 3 Im Sinne dieser prinzipientheoretischen Grundlegung führt die Kritik der reinen Vernunft "notwendig zur Wissen84 schaft", wobei sie aber auch wohl selbst vorgestellt wird als besondere Wissenschaft "der bloßen Beurteilung der reinen Vernunft, ihrer Quellen und Grenzen". Die transzendentale Grundfrage in der Einleitung der 2. Auflage: "Wie ist Metaphysik als Wissenschaft möglich?" muß sich dann vom Wissenschaftsbegriff her auf zwei Bereiche beziehen lassen können: eine kritische Grundlagenwissenschaft, derer die Philosophie bedarf, da sie "die Möglichkeit, die Prinzipien und den Umfang aller Erkenntnisse a priori bestimme" und eine metaphysische Wissenschaft, die dann das ganze System der reinen theoretischen als auch praktischen Vernunft ausmacht. Das so intendierte System der Transzendentalphilosophie würde als vollständiges System eine "ausführliche Analysis der ganzen 81 82 83

84

B 6. B 735. B 736. "Die Transzendental-Philosophie ist die Idee einer Wissenschaft, wozu die Kritik der reinen Vernunft den ganzen Plan architektonisch, d.i. aus Prinzipien, entwerfen soll, mit völliger Gewährleistung der Vollständigkeit und Sicherheit aller Stücke, die dieses Gebäude ausmachen. Sie ist das System aller Prinzipien der reinen Vernunft." B 27. B 22.

48

Stellung der MA im System der kritischen Philosophie

menschlichen Erkenntnis a priori enthalten"

85

müssen, was von 86

einer Kritik als Propädeutik nicht geleistet werden kann. Metaphysik und Kritik werden so eindeutig entworfen als Wissenschaft und deren Propädeutik, obgleich der Begriff der Metaphysik sowohl dem System der ganzen reinen Philosophie mit Inbegriff der Kritik als auch dem System der reinen Vernunft (Wissenschaft) zukommt, wobei letztere die Kritik zu ihrer 87 Voraussetzung hat. Die Kritik entscheidet über "Möglichkeit und Unmöglichkeit einer Metaphysik überhaupt" und bestimmt aus Prinzipien die Quellen, den Umfang und die Grenzen derselben. Sie ist, um eine weitere Metapher Kants zu übernehmen, der "Gerichtshof" , den die Vernunft im Verfahren ihrer Selbstprüfung einsetzt, um ihre gerechten Ansprüche gegen alle grundlosen Anmaßungen zu sichern. Da diese Selbstprüfung der Vernunft sowohl in theoretischer wie in praktischer Hinsicht erforderlich ist, um den Begründungsrahmen zukünftiger Wissenschaften "nicht durch Machtan89 Sprüche", sondern nach "ewigen und unwandelbaren

Gesetzen"

konzipieren zu können, formuliert Kant auch für das System der praktischen Philosophie die Notwendigkeit einer Grundlegung durch "eine Kritik der praktischen Vernunft überhaupt, die nur die Prinzipien ihrer Möglichkeit, ihres Umfanges und Grenzen vollständig ohne besondere Beziehung auf die menschliche Natur angeben soll". Dieses aber gehört zum90 "System der Kritik" und nicht zum "System der Wissenschaft".

85 86

87 88 89 90

B 27. "Zur Kritik der reinen Vernunft gehört demnach alles, was die Transzendental-Philosophie ausmacht, und sie ist die vollständige Idee der Transzendental-Philosophie, aber diese Wissenschaft noch nicht selbst; weil sie in der Analysis nur so weit geht, als es zur vollständigen Beurteilung der synthetischen Erkenntnis a priori erforderlich ist." B 28. B 869. A XII. A XII. V, 8.

49

Die Kritik als Propädeutik In den Kritiken erfährt so die zukünftige Metaphysik des Rechts, die ja dem geplanten System der Wissenschaften zuzu-

rechnen ist, ihre eigentliche Begründung im Sinne einer Letztbegründung ihrer apriorischen Begriffe und Grundsätze, deren systematische Entfaltung dann der metaphysischen Wissenschaft überlassen bleibt. Diese bleibt aber aus einer theoretischen Vernunftswissenschaft zunächst ausgeschlossen, da die Kritik der reinen Vernunft eingeschränkt wird auf die Untersuchung des Erkenntnisvermögens "mit Ausschließung des Gefühls der 91

Lust und Unlust und des BegehrungsVermögens".

Die systema-

tische Abgrenzung liegt hier im prinzipientheoretischen Begründungsverfahren: konstitutive Prinzipien a priori können im Gebiet des Erkenntnisvermögens nur durch den Verstand, im Gebiet des Begehrungsvermögens nur durch die Vernunft gegeben werden. Da die "Kritik der reinen Vernunft" die "vollständige Idee der Transzendental-Philosophie", wenn auch "diese Wissenschaft 92

noch nicht selbst"

ist, so muß auch die Rechtsphilosophie

als Teil der Moralphilosophie aus dem System der Transzendentalphilosophie, die bestimmt wird als "Weltweisheit der reinen bloß spekulativen Vernunft", ausgegliedert werden. Kant gibt als Begründung an, daß zwar die "obersten Grundsätze der Moralität und die Grundbegriffe derselben, Erkenntnisse a priori 93

sind

, das daraus folgende System der reinen Sittlichkeit

aber bei seiner Abfassung empirische Begriffe wie Lust und Unlust, Begierden und Neigungen mit einbeziehen muß. Da ferner "alles Praktische, so fern es Triebfedern enthält, ... sich auf Gefühle, welche zu empirischen Erkenntnisquellen 94

gehören",

bezieht, schließt Kant auch aus Gründen der Ad-

äquatheit des Gegenstandes die praktische Philosophie aus dem 91 92 93 94

V, 167 B 28. Ebd. B 29.

50

Stellung der MA im System der kritischen Philosophie

geplanten System der Transzendentalphilosophie aus, läßt sie aber dennoch, als reine Moralphilosophie im Sinne einer apriorischen

Wissenschaft gelten. Sie gehört zu den drei Vernunft-

wissenschaften, deren gemeinsames Konstituens eine apodiktische Gewißheit in den Begriffen und Grundsätzen ist: "Außer de£ Transzendentalphilosophie gibt es noch zwei reine Vernunftwissenschaften, eine bloß spekulativen, die andere praktischen 95 Inhalts: reine Mathematik, und reine Moral." Für die Mathematik würden sich bezüglich der Apriorität keine Zweifel ergeben, da sie in Bestimmung 9 6 der Objekte a priori ganz reine Erkenntnisse ermöglicht. In ihr ist das Ideal apriorischer Vernunftwissenschaft verwirklicht, das im Grunde auch für eine Metaphysik der Sitten, denn nichts anderes kann eine "reine Moral" enthalten, angestrebt wird. "In den allgemeinen Prinzipien der Sitten kann nichts Ungewisses sein, weil die Sätze entweder ganz und gar nichtig und sinnleer sind, oder bloß aus unseren Vernunftbegriffen fließen müssen." Der Schlüssel zu ihrer apodiktischen Gewißheit liegt allein "in uns und unserem reinen Denken". 97 Nicht eindeutig entschieden wird die Frage, in welchem Verhältnis die von Kant hervorgehobenen Vernunftwissenschaften einander zugeordnet werden müssen. Eine Parallelisierung scheint nicht möglich, da an anderer Stelle die Transzendentalphilosophie ausdrücklich die Voraussetzung für jeden anderen Wissenschaftsbereich der reinen Vernunft darstellt, da nur durch Fundierung ihrerseits der den Vernunftwissenschaften stets drohende Dogmatismus vermieden werden kann. In methodologischer Hinsicht hat die Transzendentalphilosophie Priorität: sie muß aller Metaphysik vorhergehen, da sie die Bedingungen und ersten Elemente aller Erkenntnis a priori enthält; ihr Zweck ist die Gründung einer kritischen Metaphysik überhaupt, sowohl der spekulativen wie auch der der praktischen. 95 96 97

B 508. B X. B 509.

51

Die Kritik als Propädeutik Metaphysik der Sitten, des Rechts und der Tugend, ist, inso-

fern sie Wissenschaft zu sein beansprucht, nur möglich aufgrund transzendentalphilosophischer Prinzipien, obgleich sie selbst nicht zur Transzendentalphilosophie gerechnet werden darf. Die gleiche apodiktische Gewißheit wie in der reinen Moral wird auch von Grundsätzen des Rechts gefordert, denn "was in allen möglichen Fällen Recht oder Unrecht

sei, muß man der Regel nach

wissen können, weil es unsere Verbindlichkeit betrifft, und wir zu dem, was wir nicht wissen können, auch keine Verbindlichkeit 98 haben". Insofern wird eine apriorische Rechtslehre einer reinen Moral als Vernunftwissenschaft zugeordnet werden müssen, da sie ebenfalls praktischen Inhalts ist und weder der Transzendentalphilosophie noch der reinen Mathematik zugehört. Dennoch wird oft zu Recht in der Literatur auf die Nähe der Rechtslehre zur Kritik der reinen

Vernunft hingewiesen. Nach

Lisser tritt die Rechtslehre in die Nähe zur Naturlehre, da Kant mit dem Individualansatz des Rechts in der Rechtslehre unmittelbar an die Erfahrungslehre herangerückt sei. Methodisch aber sei die Rechtslehre selbständig, da sie prinzipiell als ethische Disziplin überhaupt von der Naturlehre geschieden sei, vor allem ihrem Zweck und ihrer Begründung nach. Ihrer systematischen Stellung nach gehöre die Kantische Rechtslehre 99 zwischen die Erfahrungs- und Sittenlehre. Auch Anderson weist darauf hin, daß der Metaphysikbegriff der Metaphysik ten dem der Kritik der reinen Grundlegung

zur Metaphysik

der Sit-

Vernunft näher steht als dem der

der Sitten. Trotz der mannigfachen

Abweisungen bleibe die Metaphysik

der Sitten innerhalb der kri-

tischen Intentionen, insbesondere zeige sie aber manche Verwandtschaft mit der Kritik der reinen

Vernunft. Anderson sieht

keine prinzipielle Kluft zwischen der Metaphysik und den anderen Werken, sie stehe

98 99

B 504. Lisser, a.a.O., S. 14/15.

der

Sitten

im Gegenteil auf dem von

52

Stellung der MA im System der kritischen Philosophie

der Grundlegung

zur Metaphysik der Sitten und Kritik der prak-

tischen Vernunft geschaffenen B o d e n . ^ ^

2.2. Die Rechtslehre als transzendentalphilosophische Disziplin Wenn auch Kant in der Kritik der reinen Vernunft eine künftige Metaphysik des Rechts aus der dort entworfenen Transzendentalphilosophie ausgegliedert hat, so muß doch berücksichtigt werden, daß er im Fortgang seiner Arbeiten den Begriff der Transzendentalphilosophie erweitert hat in Hinsicht auf eine Prinzipientheorie des Denkens überhaupt.^^ Und wenn im weitesten Sinne das allgemeine Problem der Transzendentalphilosophie in den Kritiken durch die Frage bestimmt wird: Wie sind synthetische Urteile a priori möglich?, dann werden von diesem Problem auch grundlegend die Metaphysischen der Rechtslehre

Anfangsgründe

betroffen.

Da es in der Rechtsphilosophie im Grunde ebenfalls um die Frage geht: "Wie sind synthetische

Rechtssätze a priori mög-

lich (in Ansehung der Gegenstände der Erfahrung, denn in Ansehung der Gegenstände einer freien Willkür überhaupt sind es analytische)?" und die Antwort lautet:"Als Prinzipien der Freiheit als eines von der Natur unabhängigen Vermögens durch das 1 02

Gebot eines in der Idee gemeinschaftlichen Willens",

so muß

sie in den allgemeinen transzendentalphilosophischen Begründungsrahmen gestellt werden. Auch ihr methodisches Verfahren ist ein aus der Transzendentalphilosophie entlehntes: um "die transzendentale

Formale", d.i. die negative, des öffentlichen

Rechts entwickeln zu können, die besagt, daß "alle auf das Recht anderer Menschen bezogene Handlungen, deren Maxime sich 100 101

102

Anderson, a.a.O., S. 61. Zum Begriff der Transzendentalphilosophie siehe Flach, W., Transzendentalphilosophie und Kritik, in: Tradition und Kritik, Festschrift für Zocher, 1967, S. 69 - 83. XXIII, 276.

Die Rechtslehre als transz.phil. Disziplin

53

nicht mit der Publizität verträgt", unrecht sind, muß von aller "Materie des öffentlichen Rechts" abstrahiert werden, so daß die "Form der Publizität" übrig bleibt, welche die Möglichkeit eines Rechtsanspruchs in sich enthält und die ein Kriterium abgibt, die Rechtmäßigkeit "des gedachten Anspruchs (praetensio iuris) gleichsam durch ein Experiment der reinen Vernunft sofort zu erkennen".^^ Daß bei diesen Ausführungen eine, an die Kritik der reinen Vernunft erinnernde Methode angewandt wird, muß nicht weiter hervorgehoben werden. Interessant sind über diese formalen Interdependenzen hinaus noch die inhaltlichen, die sich besonders in der ausdrücklichen Thematisierung des Problemkreises "Recht-Politik" und der häufigen Verwendung von Metaphern aus 104 dem rechtlichen Bereich dokumentiert finden. Kant zeigte wohl

auch

bei

der Abfassung

der

Kritik

der

reinen

Vernunft

ein

stetes Interesse an rechtsphilosophischen Fragen, insbesondere was die Begründung des Rechtsbegriffs und der apriorischen Rechtssätze betrifft. So wird

in d e r

Einleitung

zur

Transzendentalen

Dialektik

eine

Definition der rechtlichen Freiheit in deutlichem Zusammenhang mit den Ergebnissen der Kritik schon vorweggenommen: "die Gesetze" sind "Einschränkungen unserer Freiheit auf Bedingungen, unter denen sie durchgängig mit sich selbst zusammenstimmt". Ihre Problematik fällt aber aus der Kritik heraus, da sie auf etwas gehen, "was gänzlich unser eigen Werk ist, und wovon 1 C5 wir durch jene Begriffe selbst die Ursache sein können", und in der Kritik diese prinzipielle Erkenntnis als syntheti103 104

105

VIII, 381. Vgl. hierzu besonders folgende Stellen: "Man kann die Kritik der reinen Vernunft als den wahren Gerichtshof für alle Streitigkeiten derselben ansehen;" B 780. "Die Kritik dagegen ... verschafft uns die Ruhe eines gesetzlichen Zustandes, in welchem wir unsere Streitigkeiten nicht anders führen sollen, als durch Prozeß," B 780. "... vor dem kritischen Auge einer höheren und richterlichen Vernunft...", B 767. "...den obersten Gerichtshof über'alle Streitigkeiten...", B 768, usf. B 357.

54

Stellung der MA im System der kritischen Philosophie

sehe Erkenntnis aus Begriffen ausgeklammert wird. Auch das einheitliche "Principium" aller bürgerlichen Gesetzgebung formuliert Kant wenig später, indem er fordert, daß "eine Verfassung von der größten menschlichen

Freiheit

nach Gesetzen, welche machen, daß jedes Freiheit mit der anderen ihrer zusammen bestehen kann" als notwendige Idee allen Gesetzen und Verfassungen zu Grunde gelegt werden muß. Sie stellt das "Maximum zum Urbilde" auf und ist Bedingung der Möglichkeit rechtlicher und gesetzlicher Zustände überhaupt. Bis zu welcher Vollendung die Menschheit in dieser Hinsicht je steigen mag, entzieht sich der Einzelerkenntnis, denn "das kann und soll niemand bestimmen, eben darum, weil es Freiheit ist, welche jede angegebene Grenze übersteigen kann". Wenn auch mit diesen transzendentalen Prinzipien von Recht und Gesetz gemäß der Kritik negative Kriterien der Rechtsphilosophie gegeben werden, so werden positiv über Idee und Ausführung keine Angaben gemacht. Das entspricht nun ganz der Funktion der Kritik als Propädeutik, die nur eine Grundlegung negativer Art für eine praktische Vernunftwissenschaft leisten kann, nämlich die Anmaßungen der Vernunft in diesem Wissenschaftsbereich zurückzuweisen in die von der Kritik gezogenen Grenzen. Eine positive Begründung der Rechtssätze kann daher hier gar nicht geleistet werden; sie bleibt metaphysischen Anfangsgründen vorbehalten, die das positive Komplement im Begründungsverfahren darstellen. Denn das Recht wird in einen Wissenschaftsbereich verwiesen, dessen "Natur es so mit sich bringt, daß eine jede darin vorkommende Frage, aus dem, was man weiß, schlechthin beantwortlich sein muß, weil die Antwort aus denselben Quellen entspringen muß, daraus die 107 Frage entspringt .

106 107

B 373/4. B 504.

55

Die Rechtslehre als transz.phil. Disziplin

Die Kritik der reinen Vernunft betont ausdrücklich, daß für das Recht apodiktische Gewißheit nachgewiesen werden können muß, und zwar aufgrund einer a priori gegebenen Regel, nach

1 08

der es erst entscheidbar wird, was Recht und Unrecht sei. Trotz dieser apodiktisch nachgewiesenen, apriorischen Prinzipien kann die Zurechenbarkeit nur auf den empirischen Charakter des Menschen bezogen werden. In diesem Sinne ist Kants Konsequenz zu verstehen, die moralischen Begriffe trotz ihrer Apriorität nicht zu den reinen Vernunftbegriffen zu zählen, da ihnen "Empirisches" zugrunde liegt. Diese methodische Entscheidung betrifft auch den Rechtsbegriff, obgleich es fraglich ist, ob er in diesem Sinne unter die moralischen Begriffe genommen werden kann, da die Methodenlehre ihn in die Reihe theoretischer Begriffe stellt, um an ihnen die Schwierigkeit philosophischer Definitionen zu demonstrieren; es kann "kein a priori gegebener Begriff definiert werden, z.B. Substanz, 109 Ursache, Recht, Billigkeit etc." Dennoch bleibt der Gegenstand der Rechtsphilosophie der "transzendentalen Philosophie fremd", denn der Rechtsbegriff geht letztlich, wie alle praktischen Begriffe, "auf Gegenstände des Wohlgefallens, oder Mißfallens, d.i. der Lust und Unlust, mithin, wenigstens indirekt auf Gegenstände unseres Gefühls. Da dieses aber keine Vorstellungskraft der Dinge ist, sondern außer der gesamten Erkenntniskraft liegt, so gehören die Elemente unserer Urteile, so fern sie sich auf Lust oder Unlust beziehen, mithin der praktischen, nicht in den Inbegriff der Transzendentalphilosophie, welche lediglich mit reinen Erkenntnissen a priori zu tun hat".^^ 1 Wie die Sicherung der praktischen Begriffe und Grundsätze im System der reinen Vernunft anzugehen ist, zeigt der Kanon der reinen Vernunft, unter dem Kant den "Inbegriff der Grundlos

109 110

V g l . B 504 - 508. B 756. B 829, Anm.

56

Stellung der MA im System der kritischen Philosophie

sätze a priori des richtigen Gebrauchs gewisser Erkenntnisvermögen überhaupt" versteht. Der Kanon wird zur eigentlichen Methodenlehre der praktischen Philosophie, da er den "richtigen Gebrauch der reinen Vernunft", "den praktischen

Vernunftge-

brauch" betreffend, untersuchen s o l l . ^ ^ Wenn aber, wie die Kritik vorher ausführte, das Recht auf dem Freiheitsprinzip beruht, so ist auch die Rechtsphilosophie hier eingeschlossen nach dem Grundsatz: "Praktisch ist alles, was durch Freiheit 112 möglich ist". Wenn auch die Inadäquanz des Gegenstandes "Behutsamkeit" notwendig macht, um nicht die "Einheit des Systems zu verletzen", so wird doch die Einbindung ins System gefordert. Die Einheit des Systems beim überschritt von der Transzendentalphilosophie zur praktischen Philosophie wird dadurch gewahrt, daß sich Kant "so nahe als möglich am Transzendentalen halte, und das, was etwa hierbei psychologisch, 11 3 d.i. empirisch sein möchte, gänzlich bei Seite setze". Mit diesem Verfahren sichert Kant seine Annahme, "daß es wirklich reine moralische Gesetze gebe, die völlig a priori

(ohne Rück-

sicht auf empirische Bewegungsgründe, d.i. Glückseligkeit) das Tun und Lassen, d.i. den Gebrauch der Freiheit eines vernünftigen Wesens überhaupt, bestimmen, und daß diese Gesetze schlechterdings

(nicht bloß hypothetisch unter Voraussetzung

anderer empirischen Zwecke) gebieten, und also in aller Absicht notwendig seien". Damit läßt sich erweisen, daß die reine Vernunft in ihrem praktischen, "nämlich dem moralischen Gebrauche, Prinzipien der Möglichkeit

der Erfahrung,

nämlich

solcher Handlungen, die den sittlichen Vorschriften gemäß in der Geschichte 114 u u halte.

des Menschen anzutreffen sein könnten",

ent-

In diesem transzendentalphilosophischen Rahmen erhalten so die Sätze der praktischen Weltweisheit erst ihr Begründung,

111 112 113 114

B B B B

824/825. 828. 829. 835.

Die Rechtslehre als transz.phil.

Disziplin

57

die vorher nicht geleistet werden konnte, denn erst in ihm wird die "objektive Realität" der Prinzipien der reinen Vernunft in ihrem praktischen, namentlich aber moralischen Gebrauche" gesichert. Dazu wird neben der "systematischen Natureinheit nach spekulativen

Prinzipien

der

Vernunft",

die allerdings nicht be-

wiesen werden kann, "eine besondere Art von systematischer Ein115 heit, nämlich die moralische", erforderlich; beides vereinigt gedacht unter der Idee der "systematischen Einheit der Zwecke"."Aber diese systematische Einheit der Zwecke in dieser Welt der Intelligenzen, welche, obzwar, als bloße Natur, nur Sinnenwelt, als ein System der Freiheit aber, d.i. moralische Welt

intelligibele,

(regnum gratiae) genannt werden kann,

führet unausbleiblich auch auf die zweckmäßige Einheit aller Dinge, die dieses große Ganze ausmachen, nach allgemeinen Naturgesetzen, so wie die erstere nach allgemeinen und notwendigen Sittengesetzen, und vereinigt die praktische Vernunft mit der s p e k u l a t i v e n . " ^ ®

Dieses philosophische System, das auf

die gesamte Bestimmung des Menschen geht und die Gesetzgebung der menschlichen Vernunft in ihren beiden

Gegenstandsbereichen,

dem der Natur und dem der Freiheit umfaßt, geht über die Transzendentalphilosophie, wie sie in der Kritik nunft

der reinen

Ver-

dargestellt wird, hinaus, beruht aber auf ihren Prinzi-

pien. In diesen weiteren Rahmen gestellt kann dann die

"Rechtsphi-

losophie, sofern sie als Wissenschaft will auftreten können", auch "eine Disziplin der Transzendentalphilosohie

im weiteren

Sinne" genannt werden. Im "engeren Sinne" ist Transzendentalphilosophie dann eine "Lehre von den Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung und der Gegenstände der Erfahrung", im weiteren Sinne eine "Theorie der Prinzipien aller

Einzelwissenschaften

und der Prinzipien möglicher Gegenstände dieser Einzelwissenschaften" , beruhend "auf der Übertragung des Transzendentalprinzips auf den Gesamtbereich der aktuellen 115 116

B 835 - 837. B 843/44.

Wissenschafts-

58

Stellung der MA im System der kritischen Philosophie

gliederung". Die Rechtslehre Kants als Transzendentalphilosophie im weiteren Sinne ist "wissenschaftlich mögliche Rechtsphilosophie" , "ist also Prinzipientheorie des Rechts und zugleich der Rechtswissenschaften, apriorische Wissenschaft von den Möglichkeitsbedingungen des Rechts und der Jurisprudenz" oder auch "Theorie der Bedingungen der Möglichkeit gültiger rechtlicher Handlungen und gültiger rechtlicher schriften".

Handlungsvor-

117

Wenn sich die Transzendentalphilosophie

(im engeren Sinne)

erst entfaltet in ihrem System, d.h. in der Metaphysik der Natur und der Metaphysik der Sitten, dann kann es sich auch bei der, auf die kritische Grundlegung folgende Metaphysik nur um eine "kritische" handeln. Denn auf die Kritik Vernunft

der

praktischen

können auch nur "kritische" metaphysische Anfangs-

gründe der Rechts- und Tugendlehre folgen, die, sollte die Ankündigung in der Vorrede zu den Metaphysischen der Rechtslehre

Anfangsgründen

nicht ganz widersinnig sein, eine "kritische",

d.h. transzendentalphilosophischen Prinzipien folgende, Grundlegung des Rechts und der Tugend enthalten.

2.3. Die Bestimmung der Metaphysik als Wissenschaft Wie ein Fortschreiten des systematischen

transzendentalphi-

losophischen Entwurfs zu denken ist, deutet Kant im letzten Teil der Kritik

der reinen

len Methodenlehre,

Vernunft

an. In der

einer Theorie philosophischer

TranszendentaErkenntnis

und Systematik, sind für die Bestimmung eines besonderen metaphysischen Systems die Aussagen zu Disziplin und Doktrin von Bedeutung. Disziplin leistet einen "negativen Beitrag und geht "nicht auf den Inhalt, sondern bloß auf die Methode der Erkenntnis aus reiner Vernunft", während die Doktrin den "po117

Oberer, H., Praxisgeltung und Rechtsgeltung, in: Lehrstücke der praktischen Philosophie und der Ästhetik, hrsg. von K. Bärthlein und G. Wolandt, Basel/Stuttgart, 1977, S. 87/88.

Bestimmung der Metaphysik als Wissenschaft sitiven Beitrag" für das System erbringt.

118

59

Das "doktrinale 11 9

Geschäft", das Kant nach Vollendung des "kritischen"

ange-

hen will, kann aber nichts anderes sein als ein Fortschreiten zu besonderen metaphysischen Gegenstandsbereichen. Begriff und Bestimmung der Metaphysik erscheinen so im Kantischen Werk in verschiedener Gestalt, und es ist vorab zu untersuchen, welche Bedeutung des Begriffs einer der Sitten, bzw. den Metaphysischen

Metaphysik

Anfangsgründen

der

lehre zugrunde gelegt werden muß. Schon die Kritik der

Rechtsreinen

Vernunft bestimmt die Metaphysik auf verschiedene Weise und steht mit keiner dieser Bestimmungen eindeutig in der theologischen Metaphysiktradition, obgleich Kant die Wolffsehe Gliederung der drei Entia: Gott, Welt, Seele als Gegenstände der metaphysica specialis wieder aufnimmt. Der Gegenstandscharakter wird aber schon in der Einleitung

der Kritik der

reinen

Vernunft relativiert im Sinne von aufgegebenen, nicht von erkennbaren Gegenständen. "Gott, Freiheit

und

Unsterblichkeit"

sind hier die "unvermeidlichen Aufgaben der reinen Vernunft selbst". 1 2 0 Diese transzendentale Aufgabenstellung unterscheidet sich deutlich von der traditionellen Metaphysik, die ganz isolierte spekulative Vernunfterkenntnis erstrebte, um zu einem gesicherten Wissen von metaphysischen Gegenständen zu gelangen, das sich gänzlich über alle Erfahrungserkenntnis erheben konnte. Dennoch bleiben auch für Kant die drei Ideen "Gott, und Unsterblichkeit"

Freiheit

der eigentliche Zweck aller Nachforschun-

gen der Metaphysik und zwar so,"daß der.zweite Begriff mit dem ersten verbunden, auf den dritten als notwendigen Schlußsatz führen soll". Von hier aus könnte sich auch möglicherweise eine Metaphysik der Sitten bestimmen. Denn die "Einsicht" in in die Ideen "würde Theologie, 118 119 120

B 738. V, 1 7 0 . B 7.

Moral, und, durch beider Ver-

60

Stellung der MA im System der kritischen Philosophie

bindung, Religion, mithin die höchsten Zwecke unseres Daseins, bloß vom spekulativen Vernunftvermögen und sonst von nichts an121 derem abhängig machen". Im System der Metaphysik würde durch die "systematische Vorstellung jener Ideen" und durch das, "was uns Erfahrung unmittelbar an die Hand gibt" von der "Seelenlehre,

zur Weltlehre,

und von da bis zur Erkenntnis Gottes fortgehen", der große "Ent122 wurf" vollzogen werden können. Wenn auch die Kritik der reinen Vernunft einen negativen Bescheid hinsichtlich des Beweises Gottes, der Unsterblichkeit und der Freiheit gibt, so gelangen doch die späteren Werke zu einer positiven Lösung, denn dort "kann für die drei großen Ideen der Metaphysik: für Gott, Freiheit und Unsterblichkeit aus praktischen123 Voraussetzungen die objektive Realität aufgewiesen werden". Für die spätere Ausarbeitung des Systems der Metaphysik wird aber diese Dreiteilung nicht zur Grundlage und auch der Metaphysikbegriff muß hierfür anders bestimmbar werden. Die Vorrede zur zweiten Auflage der Kritik der reinen Vernunft macht die neue Dimension einer Metaphysik deutlich, die einen Ubergang zu dem leistet, was Kant später ausgearbeitet hat. Die "Umänderung der Denkungsart" macht eine neue Metaphysik möglich, die nicht mehr Wissen von den Gegenständen ist, sondern, da sich die Gegenstände jetzt nach der spezifischen Einrichtung des sie erkennenden Vermögens richten, die Wissenschaft von den Bedingungen, die ein Wissen der Gegenstände ermöglichen. "Man versuche es daher einmal, ob wir nicht in den

121 122

123

B 395 Anrn. Ebd. "Eine Grundthese zieht sich durch alle Werke Kants: Die letzten Zwecke der Metaphysik und der menschlichen Vernunft im Ganzen sind die drei großen Themen: Gott, Freiheit und Unsterblichkeit." Martin, G., Immanuel Kant. Ontologie und Wissenschaftstheorie. 3. Aufl. Köln 1960, S. 149. Ebd. S. 150.

Bestimmung der Metaphysik als Wissenschaft

61

Aufgaben der Metaphysik damit besser fortkommen, daß wir annehmen, die Gegenstände müssen sich nach unserem Erkenntnis richten." 1 2 4 Im Rückgang auf die Bedingungen der Möglichkeit metaphysischer Erkenntnis kann Metaphysik nur noch Wissenschaft von den Regeln und Gesetzen der Erkenntnisart sein. Die Gesetzgebung der menschlichen Vernunft geht dann auch nur noch auf zwei Bereiche, die Natur und die Freiheit, die in einem System der Metaphysik relevant werden. Von dieser kritischen Wende her muß auch die Metaphysik

der Sitten gesehen werden, die nicht

mehr einen Gegenstand wie "Freiheit" beweisbar macht im Sinne einer ontologischen Gegebenheit, sondern die als Wissenschaft von den Bedingungen und Gesetzlichkeiten des menschlichen Freiheitsvermögens auftritt. So entgeht sie dem Vorwurf, Fortsetzung einer praktisch-dogmatischen Metaphysik zu sein. Metaphysik bleibt auch in dieser Bestimmung noch der "Endzweck" der Vernunft, an dem Kant festhält; er liegt aber nicht mehr in einer Gotteslehre, in der Seelen- und Weltlehre zusammenfHessen, sondern der höchste Zwecke des Daseins bestimmt sich aus dem Vernunftvermögen endlicher Wesen. Als "Wissenschaft vom letzten Zweck"

(in sensu cosmopolitico) ist sie der Vollen-

dungsbegriff der Wissenschaft, und eben deswegen "auch die Vollendung aller Kultur der menschlichen Vernunft, die unentbehrlich ist, wenn man gleich ihren Einfluß, als Wissenschaft, auf gewisse bestimmte Zwecke bei Seite setzt". Im Hinblick auf die Metaphysik

125

der Sitten ist der Endzweck

näher zu bestimmen, und zwar nicht mehr durch die drei Disziplinen der Kosmologie, Psychologie und Theologie, wie die Kritik der reinen 124 125 126

Vernunft nahelegt.

126

Endzweck als Zweck der

B XVI. B 878/879. Vgl. hierzu Heidegger, M., Kant und das Problem der Metaphysik. 4. Aufl., Frankfurt 1973, S. 200; "Kants Grundlegung der Metaphysik zielt auf eine Begründung der 'Metaphysik im Endzweck', der Metaphysica specialis, zu der die drei Disziplinen Kosmologie, Psychologie

62

Stellung der MA im System der kritischen Philosophie

Existenz eines Wesens kann er nur sein, wenn er in ihm selbst liegt. Daher ist in der Transzendentalen

Methodenlehre

der End-

zweck nur noch ein einziger: "die ganze Bestimmung des Menschen". Der Endzweck betrifft in diesem Sinne nicht etwas in einer transzendenten Sphäre Existentes, sondern er ist Entwurf der menschlichen Vernunft als Entwurf einer Ordnung, bzw. systematischen Einheit aller Zwecke, die "gänzlich unser eigen Werk" ist. Auf die Existenz des Menschen angewandt, wird das so entworfene "intelligible Reich der Zwecke" zur Idee einer Verfassung von der größten menschlichen Freiheit, die das "Maximum zum Urbilde aufstellt, um nach demselben die gesetzliche Verfassung der Menschen der möglich größten Vollkommen127 heit näher zu bringen . Kaulbach sieht in diesen und anderen Gedanken einen "modernen Zug metaphysischen Denkens". Metaphysik wird "eine durch philosophische Methode begründete Anleitung des praktischen Bewußtseins, sich in einer Welt einzurichten, in der es Zwecke, 128 Mittel und Sinngebung" für das menschliche Handeln gibt. Eine weitere Bedeutung des Metaphysikbegriffs in der der reinen

Vernunft

Kritik

verdient besonders für die methodologischen

Reflexionen erwähnt zu werden. Er steht in der alten ontologischen Tradition der metaphysica generalis begründet, wird aber neu gefaßt, wenn Kant von seiner Transzendentalphilosophie als von einer neuen Ontologie spricht. Sie ist "im engeren Verstände so genannte Metaphysik" und "betrachtet nur den Verstand,

und Vernunft selbst in einem System aller Begriffe und

Grundsätze, die sich auf Gegenstände überhaupt beziehen, ohne 129 Objekte anzunehmen, die gegeben wären (Ontologia)". Metaphysik in diesem Sinne ist ein vollendetes System; sie "ist 127 128

129

und Theologie gehören." B 373/374. Gerhardt, V. / Kaulbach, Fr., Kant. Darmstadt 1979, S. 11. "Kritische Metaphysik setzt den in seine 'Rechte' ein, der eine Welt entwirft, in der sich der Mensch als freies Wesen einzurichten vermag. Diese Welt wird als nicht objektiv beweisbar, sondern als für mein Denken und Handeln brauchbar erkannt." Ebd., S. 10. B 873.

Bestimmung der Metaphysik als Wissenschaft nichts als das Inventarium Vernunft,

63

aller unserer Besitze durch

systematisch geordnet"

131

kenntnis aus bloßen Begriffen".

reine

oder "reine VernunfterAls solche ist sie die Vor-

aussetzung aller weiteren, auf besondere

Gegenstandsbereiche

bezogene Metaphysik, für die sie als "Traktat 1 32von der Methode" den ganzen "Vorriß" zum System vorzeichnet. Die transzendentale Grundfrage: "Wie ist Metaphysik als Wissenschaft möglich?" zielt dann auf zweierlei: die Kritik will Metaphysik als Wissenschaft begründen, d.h. als apriorisches System. In ihrer programmatischen Ankündigung soll reine Vernunftwissenschaft konstituiert werden, als System, das allen Wissenschaften zugrundeliegende apriorische Grundsätze und Begriffe enthält. Ihr kommt die Aufgabe zu, über Möglichkeit oder Unmöglichkeit von Metaphysik überhaupt zu entscheiden und Quellen, Grenzen und Umfang derselben zu bestimmen. Systematische Metaphysik muß sich nach dem Plan der Kritik richten und nach Maßgabe der in ihr entworfenen Prinzipien abgefaßt werden. Dabei ist der Plan der Metaphysik selbst wiederum Metaphysik; eine Bestimmung, die interessante methodische Implikationen enthält. Die Kritik

der reinen

Vernunft

läßt sich da-

nach verstehen als Metaphysik in ihrem "ersten Teile", die als Wissenschaftstheorie auftritt, "da sie sich nämlich mit Begriffen a priori beschäftigt" und "den sicheren Gang einer Wissen1 33 schaft"

ermöglicht. Metaphysik als kritische Grundlagenwis-

senschaft enthält so die Bedingungen der Möglichkeit von apriorischer

Wissenschaft überhaupt. Sie stellt Methode und Leit-

faden jeder metaphysischen Untersuchung zur Verfügung, fundiert alle weiteren und besonderen metaphysischen Begriffe und Grundsätze. Metaphysik als Wissenschaftstheorie

beschäf-

tigt sich nur mit den "reinen Handlungen des Denkens" und fragt nach der Bedingung der Möglichkeit synthetischer Urtei130 131 132 133

A XX. IV, 469. A XXI. B XVIII.

64

Stellung der MA im System der kritischen Philosophie

le a priori, die erst systematische Gültigkeit in besonderen Wissenschaftsbereichen garantieren. Das für eine metaphysica specialis aus dem ersten Teil der Metaphysik

resultierende

negative Ergebnis ist gleichzeitig das Ergebnis der transzendentalphilosophischen Grundlegung und beschäftigt dann vornehmlich den zweiten Teil, dem ein weiteres Feld zugemessen wird. Er wird durch die Kritik in den "sicheren Gang der Wissenschaft" gebracht. In diesem zweiten Teil spricht Kant die vorher erörterte Metaphysik als Wissenschaft vom letzten Zweck, beschränkt auf spekulative Vernunfterkenntnis, an. Für sie ist die Kritik "Traktat von der Methode" und liefert sowohl Umriß als auch Grenzziehung und schreibt den inneren Bauplan vor, zu dem sie den ganzen Vorriß liefern soll mit der Endabsicht, die "unvermeidlichen Aufgaben der reinen Vernunft selbst" durch 1 34 "Prüfung des Vermögens oder Unvermögens der Vernunft aufzulösen. Beide Bestimmungen der Metaphysik in der Fortführung der metaphysica generalis bzw. specialis müssen noch ergänzt werden durch einen, dem Kantischen Werk immanenten Begriff von Metaphysik, der eine spezifische Bestimmung von metaphysischen Anfangsgründen sowohl der Naturwissenschaft als auch der Rechtsund Tugendlehre zuläßt. Er findet sich in der Definition der Metaphysik als "das System der reinen Vernunft das "die ganze

(Wissenschaft)",

(wahre sowohl als scheinbare) philosophische

Erkenntnis aus reiner Vernunft im systematischen

Zusammenhan-

ge" enthält. Nach den Bestimmungen der Architektonik

muß das

"System der reinen Vernunft" in zweifacher Hinsicht verstanden werden, wenn "dieser Name auch der ganzen reinen Philosophie mit Inbegriff der Kritik gegeben werden kann". Metaphysik als System der reinen Vernunft unternimmt es, sowohl das, "was jemals a priori erkannt werden kann", zu untersuchen, als auch das, "was ein System reiner philosophischer Erkenntnisse dieser Art ausmacht" , darzustellen.^ 134 135

B 7. B 869.

In diesen anderen Bestimmungen

Bestimmung der Metaphysik als Wissenschaft

65

findet sich ein Metaphysikbegriff, der, abgesetzt von der Tradition, einen sehr modernen wissenschaftstheoretischen Zug erkennen läßt. Ubersetzt man die Kantische Nomenklatur "in gegenwärtigen Diskussionen vertrautere Begriffe", so kann das "Wort 'Metaphysik'" verstanden werden "als allgemeine Bezeichnung für sich 'rein in Begriffen' bewegende Operationen".^"^ Metaphysik in diesem Verstände ist Grundlagenwissenschaft; sie ist apriorisches Wissen aus reiner Vernunft und enthält die reinen Prinzipien des Denkens als Voraussetzung aller wissenschaftlichen Reflexion. Dieser grundlegende Teil der Metaphysik enthält die Fundamentalbedingungen aller metaphysischen Systematik, sowohl die reinen Begriffe als auch die Prinzipien für synthetische Urteile a priori. Damit stellt sie das a priori begriffliche Gefüge für die wissenschaftliche Systematik der besonderen Begriffe bereit, mit denen sich Metaphysik dann "im weiteren Verstände" beschäftigt. Hier zeigt sich der Bezug der Metaphysik zum Gegebenen, indem sie die empirischen Grundbegriffe in den metaphysischen Begründungszusammenhang aufnimmt. Als apriorisches Wissen von besonderen Begriffen, die den Erfahrungsbezug leisten, werden so Natur und Recht als Gegenstände besonderer wissenschaftlicher Betrachtung in die metaphysische Systematik aufgenommen. Theoretische und praktische Philosophie, in der Tradition als Metaphysik und Moral auftretend, stellen hier keine getrennten Bereiche mehr dar, sondern die Sittenlehre ist "der zweite Fundamentalbereich des geplanten Systemgefüges einer als 'Wissenschaft' sich ausweisenden Metaphysik". 137

So gehören die Naturphilosophie, die Rechtsphilosophie und die Ethik in ihren metaphysischen Anfangsgründen, d.h. "in ihrem Grundlegungs- und Prinzipienteil zu dem 'besonderen Stamme' jenes 'ganzen' oberen Erkenntnisvermögens, welches unsere

136 137

Simon, J., Begriff und Beispiel. In: Kantstudien (62) 1971, S. 271. Heimsoeth, H., Transzendentale Dialektik. Vierter Teil: Die Methodenlehre , Berlin/New York 1971, S. 805.

66

Stellung der MA im System der kritischen Philosophie

Vernunft als solche ist". Die "ersten" Prinzipien, die "Anfangsgründe" in der nunmehr auszubauenden Metaphysik, sind transzendentale Prinzipien, "deren apodiktischer Gesetzescharakter bestimmt ist durch den 'Ursprung' aus reinen Quellen 1 38 a priori".

Positiv bestimmte Metaphysik der Natur und der

Sitten nimmt mit ihren metaphysischen Anfangsgründen eine Zwischenstellung zwischen Transzendentalphilosophie und Erfahrungswissenschaft ein. Kant bezeichnet diesen zweiten metaphysischen

Fundamentalbe-

reich als sein "doktrinales Geschäft", welches er nach Fertigstellung der Kritik zu vollenden hoffte. Die geplante Doktrin würde im wesentlichen eine "nach Maßgabe der Kritik der reinen 1 39 Vernunft abgefaßten systematischen Metaphysik" betreffen. Mit der Kritik

der Urteilskraft

beendigt Kant sein "ganzes kri-

tisches Geschäft", um "ungesäumt zum doktrinalen"

überzugehen,

d.h. zu einer auf die Kritiken folgenden Theorie, wobei die "Kritik der Urteilskraft" ausgenommen wird, "weil in Ansehung derselben die Kritik statt der Theorie dient" und "nach der Einteilung der Philosophie in die theoretische und praktische und der reinen in eben solche Teile der Metaphysik der 1 4 0 Natur und die der Sitten jenes Geschäft ausmachen werden". Für eine Metaphysik des Rechts ist so der in der Kritik reinen

Vernunft

der

unternommene Wissenschaftsentwurf mit der Un-

terscheidung eines kritischen und eines doktrinalen Teils von Bedeutung: die Kritik als Traktat von der Methode ist Propädeutik für ein künftiges System der Metaphysik, die Doktrin, 138 139 140

Ebd. S. 806. B XXX. V, 170. "Man kann auch sagen, die Kritik bleibe sonst selbst Philosophie rein aus Begriffen und als in Kants eigenem Sinne vorkritische Metaphysik ohne Erfahrungsbezug. Um es noch prononcierter auszusprechen: das zusätzliche Hinzukommen positiver metaphysischer Anfangsgründe vollendet erst die Kritik zur 'nachmetaphysischen 1 Kritik. Zwei metaphysische Ansätze, der bei reinen Prinzipien und der bei besonderen Begriffen, machen erst das Ganze der Kantischen Erfahrungsphilosophie aus." Simon, a.a.O., S. 295.

67

Bestimmung der Metaphysik der Wissenschaft in den beiden Gebieten der Natur und der Sitten. So ist denn

auch die erste Aufgabe, die sich für Kant nach Beendigung seines "kritischen Geschäfts" stellt, den Ubergang von der Kritik zur Doktrin, von der wissenschaftlichen Propädeutik zur Grundlegung besonderer metaphysischer Wissenschaftsbereiche zu leisten. Ihr sollte sich eine weitere Aufgabe anschließen, die fragmentarisch im Opus postumum

vorgestellt wird: der Ubergang

von der Systemgrundlegung zu dessen inhaltlicher

Vollendung,

d.h. der Ubergang von metaphysischen Anfangsgründen zum System der Metaphysik. Die Schwierigkeiten bei der Ausführung des Systems bestehen stets im "Überschritt",

den Kant in seinem Nach-

laßwerk für die Rechtslehre skizziert als besonderen Teil, der zwischen "reine und statutarische Rechtslehre" als

"einzuschie-

bender und den Zusammenhang derselben vermittelnder Teil der 1 41 Rechtslehre überhaupt" nötig wird. Für die reine Rechtslehre würde zunächst auf

transzendental-

philosophischer Grundlage eine Prinzipientheorie des Rechts gefordert werden müssen, die aber noch nicht den Anspruch erheben könnte, eine vollständige Metaphysik des Rechts zu sein. Denn die Begründung einzelner Wissenschaftsbereiche

vollzieht

sich zunächst in der Demonstration der transzendentalen Methode im Bereich der Einzelwissenschaften, wobei die dadurch konstituierten metaphysischen Anfangsgründe die "Bestätigung der Richtigkeit der Kritik der spekulativen sowohl als praktischen 1 42 Vernunft" gründe

liefern. Am Beispiel der Metaphysisehen

der Rechtslehre

kann so die

transzendentalphilosophisch

fundierte Errichtung einer auf besondere Gegenstände Metaphysik demonstriert werden.

141 xxi, 178. 142 B XLIII.

Anfangsgehende

68

Stellung der MA im System der kritischen Philosophie

2.4. Systematische Einteilungen der Metaphysik Wird in allen Schriften Kants die Metaphysik im Unterschied zu den Kritiken eindeutig als System entworfen und angestrebt, so ist die Art und Weise, wie sich das zukünftige oder schon vorliegende System der Metaphysik gliedert, in den einzelnen Stellen nicht eindeutig. Es lassen sich insgesamt drei relevante Systematisierungsversuche vorstellig machen, die möglicherweise noch differenzierter zu sehen sind. In der ersten, eher gegenstandsbezogenen Einteilung wird Kants Bindung an die abendländlische Metaphysiktradition noch einmal deutlich. Nach den, wie Kant sie nennt, "unvermeidlichen Aufgaben der reinen Vernunft", den drei großen Ideen der abendländischen Metaphysik, Gott, Freiheit und Unsterblichkeit die den eigentlichen Zweck dieser Wissenschaft auch ausmachend wird die Einteilung der metaphysischen Disziplinen in Theologi Moral und Religion vorgestellt. Eine Umkehrung dieser Ordnung durch unmittelbar in der Erfahrung Gegebenes führt Kant dann zu dem großen Entwurf von Seelenlehre

- Weltlehre

-

Gottesleh-

re. Diese Trinitas der Disziplinen findet sich durchgehend im Werk bis hin zum Opus postumum,

in dem noch in der zentralen

Thematik das System von Gott-Mensch-Welt in stets wiederkeh144 renden Entwürfen angestrebt wird. Auch die Architektonik

der reinen

Vernunft,

die "Kunst der

Systeme" nimmt die Dreiteilung wieder auf, faßt aber die beiden Systemteile der traditionellen Metaphysik

(generalis und

specialis) zusammen. "Demnach besteht das ganze System der Metaphysik aus vier Hauptteilen. 1. Der Ontotogie. tionalen rationalen 143 144

145

2. Der ra-

Physiologie.

3. Der rationalen Kosmologie. 4. Der 147 Theologie." Vorbereitet wird diese systemati-

B 395 Anm. Vgl. hierzu die Vielzahl der Stellen, vor allem im ersten Convolut, das das Thema vielfältig variiert vorstellt, so z.B. "Gott, die Welt und der an die Pflicht gebundene Mensch in der Welt." XXI, S. 86. B 874.

69

Systematische Einteilungen der Metaphysik sehe Einteilung durch die Ausführungen der Dialektik,

Transzendentalen

die es letztlich auch nicht mehr zulassen, von einer

direkten Fortführung der, in der Tradition die drei metaphysischen Gegenstände umfassenden Themenbereiche zu sprechen. Zwar ist auch in der Kritik der reinen Vernunft die Metaphysik noch die Wissenschaft, die auf die Auflösung der traditionellen, alle mögliche Erfahrung überschreitenden Probleme gerichtet ist; sie tut es aber durch die kritische Bodenbereitung mit negativem Bescheid. Kant verbindet, wie Heimsoeth in seinem Kommentar ausführt, mit dem überlieferten Namen "Ontologie" die Transzendentalphilosophie, die nicht mehr auf das "Seiende als solches" 1 46 zielt, sondern nur Verstand und Vernunft analysiert. Dieses ganze System der Metaphysik betrifft aber nur einen Teil des Systems "derselben", nämlich den spekulativen Teil, "der sich diesen Namen vorzüglich zugeeignet hat, nämlich die, welche wir Metaphysik

der Natur nennen, und alles, so fern es

ist (nicht das, was sein soll), aus Begriffen a priori er1 47 wägt".

Daher betreffen die gegenstandsbezogenen Eintei-

lungskriterien auch nicht, wie die Spezifikation zunächst vermuten läßt, das ganze System der Metaphysik, sondern nur das, 148 "was man im engeren Verstände Metaphysik zu nennen pflegt"; für diesen Teil allerdings beansprucht die Architektonik

Voll-

ständigkeit der Einteilung, die für den zweiten Hauptteil auch eine genauere Differenzierung angibt: "Der zweite Teil, nämlich die Naturlehre der reinen Vernunft, enthält zwei Abteilungen, 1 49 die physica rationalis und psychologia rationalis". Die erste Abteilung des zweiten Hauptstücks wurde ausgeführt in den Metaphysischen 146

Anfangsgründen

der Naturwissenschaft,

die

Heimsoeth, a.a.O., S. 808/809: "... soll nach der neuen Systemordnung die Wissenschaft: Transzendentalphilosophie vorangehen; sie verbindet Kant hier mit dem überlieferten Namen der 'Ontologie' (als welche ja in der überlieferten Metaphysik als 'erste' Philosophie auftrat), obgleich sie doch dem Vorgehen und Anspruch nach durchaus davon verschieden ist."

147 B 873. 148 B 870. 149 B 874/5.

70

Stellung der MA im System der kritischen Philosophie

zweite Abteilung nach diesen Ausführungen geplant. Eine Metaphysik der Sitten findet im Rahmen des spekulativen Teils keinen Platz. Er betrifft nur eine Metaphysik der Natur, die alle reinen Vernunftprinzipien aus bloßen Begriffen vom theoretischen Erkenntnisse der Dinge enthält. Ihr gegenüber stellt Kant eine Metaphysik des "praktischen Gebrauchs der reinen Vernunft", die er bestimmt als "reine Moral" oder "Metaphysik der Sitten", die die Prinzipien enthält, "welche das Tun und Lassen a priori bestimmen und notwendig machen. 1 ^® In dieser Einteilung der Metaphysik in einen Bereich der Natur und Sitten ist ein pragmatisches Kriterium der Unterscheidung der Gebrauch der Vernunft im spekulativen und praktischen Verstände. Der Ausgang vom Vernunftvermögen macht aber für die beiden metaphysischen Bereiche eine Verschiedenheit der prinzipientheoretischen Grundlegung deutlich. Die reine Sittenlehre, obgleich zu dem "besonderen Stamme menschlicher, und zwar philosophischer Erkenntnis aus reiner Vernunft" gehörig, wird für die Systematik des spekulativen Vernunftgebrauchs beiseite gesetzt, da es "von der äußersten Erheblichkeit" sei, "Erkenntnisse, die ihrer Gattung und Ursprünge nach von anderen unterschieden sind, zu isolieren, und sorgfältig zu verhüten, daß sie nicht mit anderen, mit welchen sie im Gebrauche gewöhnlich verbunden sind, in ein Gemische zusammenfließen" . Kant schließt aus diesen Gründen auch eine ähnlich präzise Einteilung der Metaphysik des praktischen Vernunftgebrauchs aus der Kritik der reinen Vernunft aus, liefert sie aber auch, entgegen der Erwartung, in der Kritik der praktischen

Vernunft

nicht. Denn hier wird der Leser von Kant belehrt: "Daß die Einteilung

aller praktischen Wissenschaften zur Vollständig-

keit nicht mit beigefügt worden, wie es die Kritik der speku150 151

B 870. Ebd.

Systematische Einteilungen der Metaphysik

71

lativen Vernunft leistete, dazu ist auch gültiger Grund in der Beschaffenheit dieses praktischen Vernunftvermögens

anzutref-

fen." Der Grund liegt im Gegenstand einer künftigen Metaphysik der Sitten, dessen wissenschaftstheoretische Bestimmung Schwierigkeiten vermuten läßt, die die Kritik

nicht thematisieren

kann. Die Metaphysik der Sitten wird projiziert als Pflichtenlehre, mit der Aufgabe, ein System der Pflichten zu entwerfen. Nun ist aber diese "besondere Bestimmung der Pflichten als Menschenpflichten, um sie einzuteilen", nur möglich, "wenn vorher das Subjekt dieser Bestimmung

(der Mensch) nach der Be-

schaffenheit, mit der er wirklich ist, obzwar nur so viel als in Beziehung auf Pflicht überhaupt nötig ist, erkannt worden". Diese Einteilung aber gehört in ein "System der Wissenschaft", 152 nicht aber in ein "System der Kritik". Von diesem Wissenschaftsbegriff her, der bei Kant ebenfalls nicht eindeutig bestimmbar ist, ergibt sich eine Spezifikation der Metaphysik, die der in der Architektonik entworfenen zu 1 53 widersprechen scheint. Philosophie kann gemäß der in der Kritik

der reinen

Vernunft

entworfenen Idee Wissenschaft in

zweierlei Hinsicht sein: erstens "ein System der Erkenntnis, die nur als Wissenschaft gesucht wird", was meint "die systematische Einheit dieses Wissens", zweitens "die Wissenschaft von der Beziehung aller Erkenntnis auf die wesentlichen der menschlichen Vernunft

Zwecke 154 (teleologia rationis humanae)",

je nachdem, ob das System nach dem "Schulbegriff" oder dem "Weltbegriff" der Philosophie eingeteilt wird. Nach dieser Systematik, die ein eher wissenschaftstheoretisches

Kriterium

zugrunde legt, wird die Kritik aus dem System der Metaphysik ausgegliedert. Sie geht als Propädeutik der Wissenschaft, dem System der reinen Vernunft vorher. Wissenschaft ist danach 152 153

154

V, 8. "Der Wettstreit der beiden Spezifikationen, die der Sache nach beide in der unmittelbaren Aussage auftauchen, ist in ihr selbst, soviel wir sehen können, nirgends zum Problem gemacht, geschweige denn aufgehoben." Zocher, R., Kants Grundlehre. Erlangen 1959, S. 136. B 866.

72

Stellung der MA im System der kritischen Philosophie

eingeschränkt auf Metaphysik, und die Kritiken enthalten nur deren prinzipientheoretische Grundlegung, ohne selbst den Anspruch einer "Wissenschaft" als System erheben zu können. Diese nicht mehr an traditionelle Muster gebundene, sondern dem Kantischen Werk immanente Einteilung tritt in der Kritik der Urteilskraft

als wissenschaftstheoretische Programmatik auf.

Sie dürfte für eine systematische Metaphysik der Sitten und deren metaphysische Anfangsgründe relevant sein. In der ersten Fassung der Einleitung in die Kritik der Urteilskraft

spricht Kant von einer systematischen Einteilung

der Philosophie in einen formalen und einen realen Teil, wobei letzterer unterschieden wird nach "dem ursprünglichen Unterschiede ihrer Objekte und der darauf beruhenden wesentlichen Verschiedenheit der Prinzipien einer Wissenschaft, die sie enthält". 1 5 5 Demnach wird ein theoretischer und ein praktischer Teil, eine Philosophie der Natur und eine der Sitten entworfen. Das dieser Philosophie zugrundeliegende "System der oberen Erkenntnisvermögen" muß dagegen dreiteilig ausfallen, wobei nur die Kritiken des Erkenntnis- und des Begehrungsvermcgens ihre Fortsetzung im gegenstandsbezogenen System der Metaphysik finden. "Die Philosophie, als doktrinales System der Erkenntnis der Natur sowohl als Freiheit" bekommt durch die Kritik des dritten Vermögens keinen "neuen Teil"; seine "Untersuchung wird als Teil zum System der Kritik der reinen Vernunft, nicht aber der doktrinalen Philosophie gehören." 15 ® Für das vorliegende Werk Kants, nicht für das von Kant in der Kritik der reinen Vernunft projizierte System der Metaphysik, ist die Einteilung in ein dreiteiliges kritisches Geschäft, dem das zweiteilige doktrinale, die Metaphysik der Natur und der Sitten folgt und dem erst eigentlich Wissenschaftscharakter zugesprochen werden kann, adäquat. Kritik als Propädeutik und Doktrin als Wissenschaft machen das ganze System der Philosophie aus. 155 156

XX, XX,

195. 205.

73

Systematische Einteilungen der Metaphysik

Kant hielt die vollständige Ausarbeitung des Systems für möglich "und für den Gebrauch der Vernunft in aller Beziehung höchst wichtig". Für das Zustandekommen eines solchen Systems aber "unter dem allgemeinen Namen Metaphysik", "muß die Kritik den Boden zu diesem Gebäude vorher so tief, als die erste Grundlage des Vermögens von der Erfahrung unabhängiger Prinzipien liegt, erforscht haben, damit es nicht an irgend einem Teile sinke, welches den Einsturz des Ganzen unvermeidlich 157 nach sich ziehen würde". Zocher spricht in seiner Interpretation des Kantischen Systems dann auch in diesem Sinne von der Transzendentalphilosophie als sich selbst fundierender Grundlehre, die ihrerseits die extrafundierende Grundlehre für eine begründungsbedürftige nicht-transzendentale Lehre, welche teils positive 158 Wissenschaft, teils Metaphysik ist, darstellt. In einem Stufengang von Fundierungen zwischen "letztfundierender transzendentaler Grundlehre" und "letztfundierter schlichter Sachlehre" entwickelt er eine differenzierte Systematik, die die Metaphysik als nicht-transzendentale zentrale und periphere Sachgrundlehre vorstellt. Nach Zocher ist nur die Metaphysik als periphere Sachgrundlehre für die metaphysische Methodologie interessant; die zentrale, als "Metaphysik überhaupt" in der Form der "drei Arten, die sich auf das durch die Postulatenlehre legitimierte 'Ethikotheologie'

'praktische Fürwahrhalten'

aufbauen:

(bezogen auf Gott), 'Ethikokosmologie'

(be-

zogen auf Freiheit) und 'Ethikopsychologie' (bezogen 159 auf UnSterblichkeit)" wird nicht weiter berücksichtigt.

157 158 159

V, 168. Zocher, a.a.O., S. 16/17. Zocher, a.a.O., S. 135/6. "Doch denkt sich Kant die Sache wohl so: Bei der Gliederung der Metaphysik in die der Natur und der Sitten denkt er an eine Metaphysik als Wissenschaft, mit der die später •praktisch-dogmatisch' genannte, auf das 'praktische Fürwahrhalten' aufgebaute nach seiner Meinung nicht konkurrieren Vann, die er dann auch aus einem Interesse für Metaphysik als Wissenschaft nicht weiter beachtet, ohne das für die Methodologie der Metaphysik hier entste-

74

Stellung der MA im System der kritischen Philosophie Für die Metaphysik der Sitten und die Problematik der meta-

physischen Anfangsgründe wird die Spezifikation einer "Metaphysik überhaupt" nicht zugrundegelegt werden können, da sie nicht als "praktisch-dogmatische" Metaphysik vorgestellt werden soll, sondern als auf die Kritik folgende Doktrin. Doktrin ist aber Lehre, d.i. Wissenschaft, die in einem theoretischen und einem praktischen Bereich zu behandeln ist. Die Kritik macht die Doktrin möglich, indem sie die Grenzen ihrer Rechtmäßigkeit setzt; die Kritik hat ein "Feld", das sich auf alle Anmaßungen der Doktrin erstreckt, aber nur die Doktrin hat ein "Gebiet" in Ansehung der Objekte.

Die systematische Doktrin

ist daher Metaphysik in ihren beiden Gegenstandsbereichen der Natur und der Sitten und enthält die bestimmenden Prinzipien zur Erkenntnis einer weiter auszuführenden

Naturphilosophie

sowie Moral- und Rechtsphilosophie, die in ihrer Anwendung ebenfalls auf den Bereich der Erfahrung gehen muß. Der Begründungszusammenhang und die Entfaltung des Systems wird an den Metaphysischen

Anfangsgründen

der Reahtslehve

aufgezeigt wer-

den können, da sie durch ihre kategoriale Struktur transzendentalphilosophisch fundiert sind und den apriorischen Rahmen einer reinen Rechtslehre vorgeben, andererseits aber durch den Rechtsbegriff, als einem besonderen metaphysischen

Begriff,

auf "Praxis", d.i. "auf in der Erfahrung vorkommende F ä l l e " ^ ^ gehen müssen.

160 161

hende Problem weiter zu bearbeiten." Ebd. S. 136. V, 176. VI, 205.

II. DIE BEGRÜNDUNG DER METAPHYSISCHEN

ANFANGSGRÜNDE

DER RECHTS-

LEHRE ALS APRIORISCHER RAHMEN EINER RECHTSPHILOSOPHIE 1. Die Stellung der metaphysischen Anfangsgründe im System der Metaphysik 1.1. Die konstituierende Funktion metaphysischer Anfangsgründe "Auf die Kritik der praktischen

Vernunft sollte das System,

die Metaphysik der Sitten, folgen". Daß Kant diesen, in der Vorrede der Metaphysischen

Anfangsgründe

der Rechtslehre

vor-

getragenen Plan nicht verwirklicht hat und in den folgenden Passagen auch die Gründe dafür nennt, ist in der Literatur bisher übersehen worden. Man "könnte", so formuliert Kant vorsichtig weiter, "ein aus der Vernunft hervorgehendes System", welches für eine "Rechtslehre als der erste Teil der Sittenlehre" verlangt wird, "die Metaphysik

des Rechts nennen", da

sie aber, aus noch zu untersuchenden Gründen, nicht möglich ist, so wird der "allein schickliche Ausdruck" für die vorgelegten Untersuchungen sein: "metaphysische Rechtslehre,

Anfangsgründe

der

weil ... nur Annäherung zum System, nicht dieses

selbst erwartet werden kann".^ Damit nimmt Kant die schon früh in seinen Briefen konzipierte Unterscheidung von Metaphysik und metaphysischen Anfangsgründen wieder auf; ein Problem, das während der Ausarbeitung der Kritiken

nicht mehr thematisiert

wurde. Hier erhebt sich die Frage, ob sich Kants frühes Verständnis der metaphysischen Anfangsgründe als propädeutische Schriften im System der Metaphysik auf die 1797 erschienenen Metaphysischen

Anfangsgründe

der Rechtslehre

übertragen läßt.

Insgesamt scheint es aber nicht mehr zulässig zu sein, von einer in der Metaphysik

der Sitten erschienenen Metaphysik

des Rechts zu sprechen, ohne sie im deutlichen Unterschied zu

1

vi, 205.

76

MA als apriorischer Rahmen einer Rechtsphilosophie

ihren metaphysischen Anfangsgründen zu sehen. Denn die Forderungen der Apriorität, des Systemcharakters und der Vollständigkeit, die Kant an eine Metaphysik des Rechts als demonstrierter Doktrin in der Vorrede stellt, sind nicht erfüllt worden; das metaphysische System selbst wird nicht geliefert, wohl aber seine prinzipientheoretische Grundlegung im Sinne eines rein begrifflichen Rahmens, der als fundierender Systemteil jeder, auf besondere Gegenstände bezogenen Metaphysik vorhergehen muß. Dieser Rahmen einer Wissenschaft kann nun nach Kants Verständnis keine Ansammlung von Begriffen und Grundsätzen sein, die eine Rechtsphilosophie fundieren, sondern er 2 ist selbst ein "a priori entworfenes System". Die ausgeführten Schwierigkeiten bei der Einteilung eines Systems der Metaphysik lassen eine eindeutige Bestimmung des systematischen Ortes der metaphysischen Anfangsgründe nicht ohne weiteres zu. Die Kritiken

geben keinen weiteren Aufschluß

über mögliche metaphysische Anfangsgründe der Rechts- und Tugendlehre, sie werden vor der Metaphysik

der Sitten

nirgends

erwähnt. Die Einteilung aber in Metaphysik der Natur und Metaphysik der Sitten wird in der Vorrede zur Rechtslehre zwar zunächst übernommen, dann aber sofort wieder eingeschränkt, in der Weise, daß hier die in der Architektonik

und anderswo

gekündigte Metaphysik der Sitten eigentlich noch nicht erwartet werden kann.

Wenn auch die Vorrede zunächst nach be-

kanntem Schema parallelisiert: Kritik der praktischen als Propädeutik zum System der Metaphysik Kritik

der reinen Vernunft

taphysik

der Natur,

Vernunft

der Sitten wie die

als Propädeutik zum System der Me-

so ergeben sich doch gerade die Interpre-

tationsschwierigkeiten und Mißverständnisse in der Literatur zur Rechtswissenschaft aus dieser Parallelisierung. Das Fun2 3

vi, 205. "... so wird für den ersten Teil der Metaphysik der Sitten allein schicklicher Ausdruck sein, metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre: weil, in Rücksicht auf jene Fälle der Anwendung, nur Annäherung zum System, nicht dieses selbst erwartet werden kann." VI, 205.

Die konstituierende Funktion MA

77

4

dierungsverhältnis muß zunächst anders dargestellt werden. So wird die Kritik reinen

Vernunft

zur Metaphysik

der praktischen

Vernunft

aus der Kritik

entwickelt unter Voraussetzung der der Sitten

der

Grundlegung

bezüglich der Präsentation des

Pflichtprinzips und der "Formel"^ selbst und nicht in das "System der Kritik" gelegt.^ Wer aber das System der Wissenschaft, der Natur oder der Sitten, dann erwartet, wird verwiesen auf 7 "Anfangsgründe"

dieser Wissenschaften, die Kant der Naturwis-

senschaft, aber nicht der Rechtswissenschaft, sondern der Rechtslehre und der Tugendlehre voranstellt. Nun mag diese Differenzierung ihren Unterschied in den sprachlichen Gepflogenheiten der Zeit haben, sie könnte aber auch wissenschaftstheoretisch begründet sein. Wenn es Kant in seinen schen Anfangsgründen

der Rechtslehre

Metaphysi-

um die prinzipientheore-

tische Grundlegung einer neuen kritischen

Rechtswissenschaft

zu tun war, die faktisch als Demonstration der transzendentalen Methode einer vorhandenen Rechtslehre vorliegt, dann ist zunächst zu belegen, daß es sich hier um den konstitutiven Teil eines gegenstandsbezogenen Wissenschaftsteils handelt, der zweierlei Funktionen haben soll: Er ist erstens apriorische Grundlage einer Wissenschaft, die in ferneren Teilen empirisch sein soll, d.h. daß dann metaphysische Anfangsgründe einer Metaphysik des Rechts die ersten Prinzipien einer möglichen Rechtswissenschaft bereitstellen. Er dient zweitens der Bestätigung der Richtigkeit der Ergebnisse der kritischen Grundlegung durch Anwendung des entwickelten methodischen Leitfadens, d.i. die Kategorientafel, zur Errichtung eines metaphysischen Systems aufgrund der in den Kritiken entwickelten 4

5 6 7

Das Problem der Parallelisierung, d.h. die Frage, inwieweit die Rechtslehre die Ergebnisse der Kritik der praktischen Vernunft zur Voraussetzung hat, wurde schon in I, 2 dieser Arbeit angesprochen. Die erwiesene genetische Unabhängigkeit des Rechtsprinzips von ethischen Prinzipien führte auf eine systematische Unabhängigkeit der Rechtslehre von Ergebnissen der kritischen Ethik. V, 8. Ebd. Anfangsgründe werden hier bestimmt als "erste" Prinzipien einer Wissenschaft, die sich von einer "Grundlegung" durch ihren Objektbezug unterscheiden.

78

MA als apriorischer Rahmen einer Rechtsphilosophie

Prinzipien, z.B. dem Freiheitsprinzip. Der paradigmatische Charakter der metaphysischen Anfangsgründe, der schon im Plan von 1765 enthalten ist, bleibt in diesen Bestimmungen unverändert. Im Rahmen einer metaphysischen Methodologie muß zunächst die systematische Stellung und die Struktur der so verstandenen Anfangsgründe einer Rechtslehre, die den Anspruch erheben, metaphysisch zu sein, untersucht werden, desgleichen ihr Verhältnis zu Lehre, Wissenschaft und System der Metaphysik. Denn "wenn es über irgend einen Gegenstand eine Philosophie" gibt, die alp "System der Vernunfterkenntnis aus Begriffen" auftreten will, so muß es für diese gegenstandsbezogene Philosophie auch "ein System reiner, von aller Anschauungsbedingung unabg

hängiger Vernunftbegriffe, d.i. eine Metaphysik geben".

Die Fundierung dieses Systems leisten metaphysische Anfangsgründe, denen in wissenschaftstheoretischer Hinsicht sowohl konstituierende als auch systematisierende Funktion zugesprochen werden muß. Metaphysisch sind Anfangsgründe der Rechtslehre dann zu nennen, wenn sie ein "System der Erkenntnis a priori aus bloßen Begriffen" des Rechts fundieren, das aber dann als "metaphysisches System ... in seiner Einteilung auch auf die empirische Mannigfaltigkeit jener Fälle Rücksicht nehmen müßte, um die Einteilung vollständig zu machen (welches zur Errichtung eines Systems der Vernunft eine unerläßliche 9 Forderung ist)".

Metaphysisch sind Anfangsgründe der Natur

und der Sitten, wenn sie ein System apriorischer Begriffe und Sätze bezogen auf den Gegenstand vortragen und sowohl für eine Metaphysik der Natur als auch des Rechts "Prinzipien der Anwendung jener allgemeinen obersten Grundsätze" von einem Gegenstand überhaupt "auf Gegenstände der Erfahrung" geben.^ Ohne diese systemstiftende Funktion von metaphysischen Anfangsgründen blieben die Aussagen über Gegenstände in den be8 9 10

V I , 375. V I , 205. VI, 261.

Die MANW als fundierender Systemteil

79

sonderen metaphysischen Wissenschaftsbereichen fragmentarisch, Aggregate "einzeln aufgesuchter Lehren".^

1.2.

Die

Metaphysischen

Anfangsgründe

der

Naturwissenschaft

als

fundierender Systemteil Der Mangel an Systematik, der der bloßen Lehre zukommt, welche erst durch metaphysische Anfangsgründe zur Wissenschaft, d.h. zum Systemteil wird, wird besonders in den Metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft thematisiert. Hier liegt die detaillierteste Spezifikation des Wissenschaftsbegriffs vor, die eine genauere Einordnung der metaphysischen Anfangs12 gründe bezüglich ihres systematischen Orts ermöglicht. Metaphysische Anfangsgründe sind in ihrer ausführlichen Bearbeitung von dem allgemeinen System der Metaphysik abzutrennen und als gesondertes Ganzes systematisch darzustellen. Die

Frage,

ob

es

sich

bei

den

Metaphysischen

Anfangsgründen

der Naturwissenschaft um einen einheitlichen Begründungsrahmen einer Metaphysik der Natur handelt oder ob von vier einzelwissenschaftlichen Grundlegungen gesprochen werden muß, wie die 13 Titelgebung der einzelnen Hauptstücke nahelegt, kann hier nicht entschieden werden. Sicher dagegen ist, daß durch ihr methodisches Verfahren erst "eigentliche Wissenschaft" konstituiert werden soll, die sich durch apodiktische Gewißheit auszeichnet im Gegensatz zur bloß empirischen Gewißheit der "uneigentlichen" Wissenschaft, die aber 1dennoch rational genannt 4 werden

muß,

insofern

sie

dem

Prinzip

der

systematischen

Me-

li

VI, 375.

12

Vgl. hierzu besonders die Untersuchungen von Plaas, P., Kants Theorie der Naturwissenschaft, Göttingen 1965. Erstes Hauptstück. Metaphysische Anfangsgründe der Phoronomie. VI, 480. Zweites Hauptstück. Metaphysische Anfangsgründe der Dynamik. 496. Drittes Hauptstück. Metaphysische Anfangsgründe der Mechanik. 536. Viertes Hauptstück. Metaphysische Anfangsgründe der Phänomenologie. 554. D.h. "wenn die Verknüpfung der Erkenntnis in diesem System ein Zusammenhang von Gründen und Folgen ist". IV, 468.

13

14

80

MA als apriorischer Rahmen einer Rechtsphilosophie

thode folgt. Die eigentliche Wissenschaft bedarf nun ihrerseits eines reinen Teils, auf den sich ihre apodiktische Gewißheit gründen könnte und dieser reine Teil (metaphysische Anfangsgründe) ist wiederum abgesondert und so vollständig als möglich vorzutragen.

Interessant ist bei diesem Ausgrenzungs-

verfahren das Ergebnis, das die metaphysischen Anfangsgründe als abgesonderten, apriorischen Teil, der in sich begrenzt ist, in einem prinzipiell unabschließbaren reinen Teil bestimmt. Der reine Teil ist insofern unabschließbar, als zu ihm noch mehr gehört "als in den Metaphysischen Anfangsgründen entwikkelt ist, nämlich alles, was durch die Konstruktion der Begriffe der Metaphysischen Anfangsgründe a priori eingesehen werden kann, also die 'rationalen Prämissen' der Physik, 'die den Gebrauch der Mathematik in ihr betreffen".^ Für die Metaphyaisahen

Anfangsgründe

der

Naturwissensohaft

ergibt sich hieraus eine doppelte Problemstellung: 1. Aufgrund welcher Prinzipien wird dieser, das System einer Wissenschaft konstituierende, abgeschlossene Teil möglich? 2. Was gehört inhaltlich zu ihm als für den BegründungsZusammenhang wesentlich? Der "reine Teil", der die apodiktische Gewißheit der "eigentlichen Wissenschaft" begründet, muß vollständig vorzutragen sein in der Bestimmung dessen, was reine Vernunft für sich

15

16

VI, 468/469. Plaas schlägt für die Ausgrenzung der Metaphysischen Anfangsgründe der Naturwissenschaft folgendes Schema vor: in der Stufenfolge von der bloß empirischen Gewißheit einer "Naturlehre" über "uneigentliche" und "eigentliche Naturwissenschaft" bis zur apodiktischen Gewißheit eines "reinen Teils", der als "Kern" metaphysische Anfangsgründe enthält. a.a.O., S. 111. Plaas, a.a.O., S. 112. Plaas verdeutlicht die Struktur der metaphysischen Anfangsgründe der Naturwissenschaft graphisch so: Metaphysische Anfangsgründe

physica pura

"Der reine Teil also hat gleichsam zu seinem Kern die M.A. und enthält außerdem das, was sich durch Anwendung der Mathematik daraus er-

Die MANW als fundierender Systemteil

81

alleine leisten kann.^ Das ist möglich durch einen transzendentalen Teil, der sich auf Gesetze bezieht, die den Begriff einer Natur überhaupt möglich machen, und einen besonderen Teil, in dem die transzendentalen Prinzipien angewandt werden auf die besondere Natur der Dinge, von denen ein empirischer Begriff gegeben ist. Beide Teile sind einer Metaphysik der Natur zugehörig und treten als konstituierende Teile einer eigentlichen Wissenschaft auf. In dem besonderen Teil aber, den metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft, wird ein besonderer Begriff ("abgesonderter Begriff"), der nach jederzeit empirisch ist, als gegeben zugrundegelegt. 1 8

Kant

Die dann adäquate metaphysische Methode ist das analytische Verfahren, in dem zunächst nichts Empirisches hinzugenommen wird, was nicht im Begriff als gegeben zugrundeliegt. Dann erfolgt eine vollständige Zergliederung des Begriffs von einer Materie überhaupt, bzw. dessen, was in dem abgesonderten, empirischen Begriff selbst anzutreffen ist, in Beziehung auf reine Anschauungen im Raum und in der Zeit nach transzendentalen Prinzipien. Danach bestimmt sich der Umfang der Erkenntnis, deren Vernunft über diese "besonderen Gegenstände" a priori fähig ist, denn "alle wahre Metaphysik ist aus dem Wesen des Denkungsvermögens selbst genommen und keineswegs darum erdichtet, weil sie nicht von der Erfahrung entlehnt ist, sondern enthält die reinen Handlungen des Denkens, mithin Begriffe und Grundsätze a priori". 1

9

Diese "reinen Handlungen des Denkens" aber machen nicht den Inhalt der metaphysischen Anfangsgründe aus, wie angenommen werden könnte, sondern Kant unterscheidet noch einmal in mathematische und metaphysische Denkoperationen, von denen nur die metaphysischen einen geschlossenen reinen Teil möglich

17 18 19

gibt." Ebd., S. 112/113. VI, 469. IV, 469/70. IV, 472.

82

MA als apriorischer Rahmen einer Rechtsphilosophie

machen, von dem dann Vollständigkeit erwartet werden kann. Während der transzendentale Teil Umfang und Grenzen der Erkenntnis überhaupt bestimmt, bestimmt der metaphysische Umfang und 20

Grenzen der Erkenntnis über einen "besonderen" Gegenstand. In dem analytischen Verfahren des metaphysischen Teils wird der Gegenstand mit "allen notwendigen Gesetzen" des Denkens verglichen, die in dem transzendentalen Teil aufgefunden wurden. Dieses Verfahren ergibt eine bestimmte Zahl von Erkenntnissen, "die sich völlig erschöpfen läßt". Das "Schema" aber, was diesem metaphysischen System seine Geschlossenheit und Vollständigkeit verleiht, ist die "Tafel der Kategorien", nach deren "vier Klassen ... sich auch alle Bestimmungen des allgemeinen Begriffs einer Materie überhaupt, mithin auch alles, was a priori von ihr gedacht, was in der mathematischen Konstruktion dargestellt, oder in der Erfahrung als bestimmter Gegenstand derselben gegeben werden mag, bringen lassen" müssen. "Mehr ist hier nicht zu tun, zu entdecken oder hinzuzusetzen, sondern allenfalls, wo in der Deutlichkeit oder Gründ21 lichkeit gefehlt sein möchte, es besser zu machen." Der so entstehende, die Metaphysik der Natur fundierende geschlossene Systemteil wird abgetrennt und für sich systematisch dargestellt in den Metaphysischen turwissenschaft.

Anfangsgründen

der Na-

Diese realisieren als "abgesonderte Metaphy-

sik" die Begriffe und Lehrsätze der Transzendentalphilosophie, die der allgemeinen Metaphysik, indem sie Beispiele herbeischaffen und "einer bloßen Gedankenform Sinn und Bedeutung" 22 unterlegen.

Systemtheoret-isch können die metaphysischen An-

fangsgründe nach diesen Ausführungen bestimmt werden als ge20

21 22

"Ein transzendentales Prinzip ist dasjenige, durch welchesdie allgemeine Bedingung a priori vorgestellt wird, unter der allein Dinge Objekte unserer Erkenntnis überhaupt werden können. Dagegen heißt ein Prinzip metaphysisch, wenn es die Bedingung a priori vorstellt, unter der allein Objekte, deren Begriff empirisch gegeben sein muß, a priori weiter bestimmt werden können." V, 181. IV, 476. IV, 478.

Die MANW als fundierender Systemteil

83

schlossene Theorie apriorischer "abgesonderter", auf einen Wissenschaftsbereich bezogener Begriffe und Grundsätze. Sie enthalten die reinen Prinzipien einer Wissenschaft, aber bezogen auf ihren je besonderen Gegenstand, d.h. bezogen auf "abgesonderte Begriffe", die ihrerseits als empirische Begriffe einer jeden besonderen Wissenschaft zugehören müssen. Insofern geben sie den Rahmen, die Grundlage einer Wissenschaft, die in ihren ferneren Teilen empirisch und unabschließbar, also als offenes System gedacht werden müßte. Das System dieser projizierten Wissenschaft ist, wenn ihr im Kantischen Sinne Einheit und Ganzheit zugesprochen werden soll, nur möglich durch ein a priori angesetzes Gefüge, eben jener in sich geschlossenen einheitlichen Theorie der metaphysischen Anfangsgründe, die ihrerseits transzendentalphilosophisch

fundiert,

auf eine in sich endlose Erfahrung zielen. Das Fundierungsverhältnis einer Metaphysik der Natur könnte daher für die Metaphysischen

Anfangsgründe

der

Naturwissen-

schaft vielleicht folgendermaßen dargestellt werden: Die Transzendentalphilosophie als Bedingung der Möglichkeit von Erkenntnis der Gegenstände überhaupt fundiert metaphysische Anfangsgründe als Bedingung der Möglichkeit von Erkenntnis besonderer Gegenstände. Metaphysische Anfangsgründe nun sind der Kern eines reinen Teils, der den Gegenstand nach "datis" der reinen Anschauung vorstellt und der nun wiederum die eigentliche Wissenschaft fundiert, in der die Vorstellung des Gegenstandes nach "datis" der empirischen Anschauung geleistet wird. Die Metaphysik der Natur als Wissenschaft zielt dann auf in sich nicht abschließbare Erfahrung und Erkenntnis eines Gegenstandes .

84

MA als apriorischer Rahmen einer Rechtsphilosophie

1.3. Die Begründungsfunktion der Metaphysischen der

Anfangsgründe

Reahtslehre

Wenn Kant auch die beiden metaphysischen Gegenstandsbereiche der Natur und der Sitten bezüglich ihrer apriorischen Fundierung und empirischen Anwendung parallelisiert, so findet sich doch für die Metaphysisohen

Anfangsgründe

der Reahtslehre

in

den kritischen Schriften keine klare Spezifikation des Fundierungsverhältnisses. Die dort vorhandenen Einteilungsversuche geben für das Problem ihrer systematischen Ortsbestimmung nicht viel Hilfe. Eine genauere Differenzierung findet sich erst in Vorrede und Einleitung der Rechtslehre, wo Kant empirische und eigentliche Rechtslehre, Rechtswissenschaft, Metaphysik des Rechts und metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre näher bestimmt. "Lehre", als Oberbegriff, wird von Kant nicht eindeutig definiert gebraucht; zumeist aber wohl im Sinne einer Doktrin verstanden, die gleichsam dann Wissenschaft genannt werden kann, "wenn sie ein System, d.i. ein nach Prinzipien 23 geordnetes Ganze der Erkenntnis" ist. Die Rechtslehre nun als Oberbegriff ist der "Inbegriff der Gesetze, für welche eine äußere Gesetzgebung möglich ist", die, insofern sie wirklich ist, "Lehre des positiven Rechts" heißt. Die Rechtswissenschaft dagegen bezieht die systematische Kenntnis der "natürlichen Rechtslehre" mit ein, die als reiner Teil gedacht 24 Das

werden muß, da sie "unwandelbare Prinzipien enthält".

positive Recht, an anderer Stelle auch statutarisches Recht als "aus dem Willen eines Gesetzgebers" hervorgehend beschrieben, ist eine bloß empirische, gleichwohl 25 systematische Ordnung der Das positive Recht, als

wirklichen gegebenen Rechtssätze.

durch den Rechtsetzungsakt des Gesetzgebers zustande gekommen, kann immer nur ein historisches sein. Denn "positiv" ist das Wirkliche im Sinne des positiv Gegebenen und Nachweisbaren, auf bestimmte Fakten Begrenzte. Ein positiv gewordenes Recht 23 24 25

VI, 229. IV, 467. VI, 237. Hier wird anscheinend die bekannte Unterscheidung aller Erkenntnisse zugrundegelegt: rein - empirisch oder rational - historisch.

85

Die Begründungsfunktion der MARL

ist ein existentes Recht als Rechtsordnung, das seine Begründung aus dem empirisch Gegebenen erfährt. An diesem empirischen bzw. nichtempirischen den Metaphysischen

Ursprung scheiden sich auch in

Anfangsgründen

der Rechtslehre

positive und

eigentliche Rechtslehre. In der Bestimmung eines nichtempirischen Teils der Rechtslehre folgt Kant zunächst der traditionellen Auffassung eines "Naturrechts", das allgemeinhin als das wahre Recht und der legitimierende Grund allen positiven Rechts bezeichnet wird. Als Richtschnur und Richtmaß aller Rechtsetzung stellt es die Kriterien der Uberprüfbarkeit dar, woran überhaupt Recht und Unrecht erkannt werden kann, da es "die Quellen jener Urteile in der bloßen Vernunft sucht (wiewohl ihm dazu jene Gesetze vortrefflich zum Leitfaden dienen können), um zu einer mögli26 chen positiven Gesetzgebung die Grundlage zu errichten". Aus diesen und anderen Stellen könnte man irrtümlich ableiten, es gäbe hier zwei voneinander getrennte Rechtslehren, etwa ein historisch gewordenes und ein von Natur aus bestehendes Rechtssystem. Dagegen enthält das Naturrecht eher die Essenz dieses Rechts, d.h. die Prinzipien und Grundsätze, die dem Recht aus apriorischen Voraussetzungen erwachsen; diese allgemeingültigen Gehalte sind anderswo zu suchen als in der historischen Wirklichkeit. Wenn unter Naturrecht nur das nichtstatutarische, mithin lediglich das a priori durch jedes Menschen Vernunft erkennbare Recht verstanden wird, so müssen in ihm die ersten Prinzipien liegen, die als bleibende Gehalte und allgemeingültige Kriterien positives Recht erst konstituieren. Die "natürlichen" Gesetze sind ausschließlich in ihrem Fundierungsverhältnis für die positiven zu sehen. Denn "es kann also eine äußere Gesetzgebung gedacht werden, die lauter positive Gesetze enthielte; alsdann aber müßte doch ein natürliches Gesetz vorausgehen, welches die Autorität des Gesetzgebers

26 VI, 230.

(d.i.

86

MA als apriorischer Rahmen einer Rechtsphilosophie

die Befugnis, durch seine bloße Willkür andere zu verbinden) 27

begründete" .

Dieser Ansatz an der Tradition und die Übernahme traditionell geprägter Elemente durchziehen die ganze Rechtslehre; sie führen aber bei der Frage nach der systematischen Stellung der Metaphysischen

Anfangsgründe

der Rechtslehre

nicht weiter. Ihr

Entwurf eines umfassenden Systems kann nicht aus dem traditionell vorgegebenen Naturrecht genommen, sondern nur systemimmanent aus dem Kantischen Werk vorstellig gemacht werden. Einen Hinweis gibt Kant durch die Einteilung in der Vorrede zur Metaphysik

der Sitten,

in der die Rechtslehre ausdrücklich

auf die Ergebnisse der Kritik der praktischen

Vernunft

bezogen

wird, d.h. daß auf die Propädeutik jetzt das System folgen 28 sollte.

Dieses aus der Vernunft hervorgehende metaphysische

System, bedarf nun eines reinen Teils, einer "Metaphysik des Rechts". Da der Begriff des Rechts zwar rein ist, aber doch auf alle in der Erfahrung vorkommenden Fälle anwendbar sein muß, ist das metaphysische System des Rechts prinzipiell unabschließbar, weil es in seiner Einteilung auch auf die empirische Mannigfaltigkeit Rücksicht nehmen müßte. So kann dann weder ein System des Rechts, als erster Teil der Sittenlehre, noch eine Metaphysik des Rechts erwartet werden, sondern lediglich metaphysische Anfangsgründe, die für das projizierte System allerdings die prinzipien-theoretische Grundlage darstellen und als ein in sich abgeschlossener Teil möglich werden, der das Recht "als a priori entworfenes System" vorstellig macht. In Analogie zu den Metaphysischen wissenschaft

Anfangsgründen

entsprechen auch die Metaphysischen

de der Rechtslehre

der NaturAnfangsgrün-

einer besonderen Metaphysik, der ein allge-

27 VI, 224. 28 VI, 205. "Auf die K r i t i k der praktischen sollte das System, die Metap h y s i k der Sitten folgen, welches in metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre und in eben solche für die Tugendlehre zerfällt (als ein Gegenstück der schon gelieferten metaphysischen A n f a n g s g r ü n d e der Naturwissenschaft) ... ".

87

Die Begründungsfunktion der MARL meiner metaphysischer Teil vorangehen muß. Während sich, wie

oben schon ausgeführt, der transzendentale Teil der Metaphysik der Natur mit der Bedingung der Möglichkeit des Begriffs einer Natur überhaupt befaßt, beschäftigt sich der besondere Teil "mit einer besonderen Natur dieser oder jener Art Dinge, von denen ein empirischer Begriff gegeben ist, doch so, daß außer dem, was in diesem Begriffe liegt, kein anderes empirisches 29 Prinzip zur Erkenntnis derselben gebraucht wird". Der besondere Teil ist damit sowohl von dem transzendentalen, ihn fundierenden als auch von der empirischen Naturforschung deutlich unterschieden. Für die Metaphysik der Sitten kann analog ein allgemeiner Teil nachgewiesen werden, der nur "die Idee und die Prinzipien eines möglichen reinen

Willens untersuchen"

soll

"und nicht die Handlungen und Bedingungen des menschlichen Wollens ü b e r h a u p t " . ^ Die Grundlegung

zur Metaphysik

der

Sitten

betont den fundierenden Charakter dieses allgemeinen Teils, der als "völlig isolierte Metaphysik der Sitten, die mit keiner Anthropologie, mit keiner Theologie, mit keiner Physik oder Hyperphysik, noch weniger mit verborgenen Qualitäten" vermischt sein darf und der "nicht allein ein unentbehrliches Substrat aller theoretischen, sicher bestimmten Erkenntnis der Pflichten, sondern zugleich ein Desiderat von der höchsten 31 Wichtigkeit zur wirklichen Vollziehung ihrer Vorschriften" ist. Dieser reine, allgemeine Teil weist nur nach, "daß die sittlichen Prinzipien nicht auf die Eigenheiten der menschlichen Natur gegründet, sondern für sich a priori bestehend sein müssen". Diese obersten Begriffe und Prinzipien müssen nun angewendet werden können auf den Menschen, und zwar nicht im Sinne einer praktischen Anthropologie, sondern in einem besonderen metaphysischen Teil auf den Begriff des Menschen als eines endlichen vernünftigen Wesens. Während der allgemeine Teil 29 30 31

IV, 470. IV, 390. IV, 410.

88

MA als apriorischer Rahmen einer Rechtsphilosophie

nur das Prinzip der Gesetzgebung für vernünftige Wesen überhaupt enthält, wird in einem besonderen, gleichwohl nicht empirischen, sondern ebenfalls reinen Teil gefordert, daß "aus solchen aber, wie für jede vernünftige Natur, also auch die menschliche, praktische Regeln müssen abgeleitet werden kön32 nen". Die systematische Stellung der Metaphysischen Anfangsgründe der Rechtslehre

ließe sich nach diesen Ausführungen so

darstellen: Die Transzendentalphilosophie, wie sie in der Kritik der reinen Vernunft als Propädeutik vorgestellt wird, fundiert den allgemeinen Teil der Metaphysik der Sitten, zu dem die Grundlegung zur Metaphysik

der Sitten und die Kritik der prakti-

schen Vernunft gerechnet werden müssen. Der allgemeine metaphysische Teil fundiert nun wiederum die besonderen Teile der Metaphysik der Sitten, die Metaphysischen Rechts- und Tugendlehre.

Anfangsgründe

der

Sie stellen den apriorischen Rahmen

der eigentlichen Wissenschaft vor und sind für diese fundierend und konstitutiv, wie am Beispiel der Rechtswissenschaft gezeigt werden kann.

1.4. Metaphysische Anfangsgründe als abgeschlossener apiorischer Teil einer Metaphysik des Rechts Metaphysische Anfangsgründe einer Rechtslehre lassen sich demnach systematisch bestimmen als abgesonderter, in sich geschlossener apriorischer Teil, der durch einen transzendentalphilosophischen und allgemeinen metaphysischen fundiert wird und als Kern einer Metaphysik des Rechts eine mögliche Rechtswissenschaft erst wiederum begründet. Diese Bestimmungen bezüglich der systematischen Einordnung und Funktion der Metaphysischen

Anfangsgründe

der Rechtslehre

lassen sich aus-

drücklich im Kantischen Werk nur schwer finden; als Beleg sollen aber drei Stellen angeführt und diskutiert werden.

32

IV, 410, Anm.

MA als abgeschlossener apriorischer Teil einer MdR 1. Die Vorrede

zur Metaphysik

der Sitten

89

bestimmt die "meta-

physischen Anfangsgründe als Text, der "das Recht, was zum a priori entworfenen System gehört", enthält. Er nimmt nur das vom Begriff des Rechts auf, was rein ist und sich vollständig einteilen läßt, wohingegen die Metaphysik des Rechts in der Einteilung "auch auf die empirische Mannigfaltigkeit jener 33 Fälle Rücksicht nehmen müßte"; hier kann dann Vollständigkeit nicht mehr erwartet werden. Die Sicherung der Vollständigkeit der Einteilung des Rechtsbegriffs in den metaphysischen Anfangsgründen wird aber notwendig, um die Wissenschaft als ein Vernunftsystem fernerhin konstituieren zu können. 2. Deutlicher findet sich die Forderung in den Vorarbeiten

zur

Rechtslehre, wonach eine "Einteilung aller Rechtsverhältnisse nach Prinzipien a priori ihrer Vollständigkeit und Ordnung" nach gefordert wird. "Auf derselben beruht die Metaphysik des 34 Rechts und ein Vernunftsystem, sonst ist es blos Aggregat". Auch hier werden Metaphysik des Rechts und ein ihr vorausgehender, vollständig apriorisch eingeteilter Teil getrennt vorgestellt, dessen fundierende und systemstiftende Funktion besonders betont wird. 3. Daß metaphysische Anfangsgründe vollständig müssen vorgetragen werden können, wird schon in den Metaphysischen gründen

der Naturwissenschaft

Anfangs-

ausdrücklich betont. Für eine

Metaphysik der Natur kann das erreicht werden, "weil der Gegenstand in ihr jederzeit mit allen

notwendigen Gesetzen des

Denkens verglichen werden muß", was "eine bestimmte Zahl von Erkenntnissen geben muß, die sich völlig erschöpfen Im Anhang

zu den Metaphysischen

Anfangsgründen

der

läßt".^ Rechtsleh-

re wird analog ebenfalls eine "Sicherung der Vollständigkeit" der Einteilung

der Rechtsbegriffe" gefordert, "weil jene Wis-

senschaft sonst kein Vernunftsystem,

sondern bloß aufgeraff-

tes Aggregat sein würde". Wie diese "Sicherung der Vollstän33 34 35

VI, 205. XXIII, 259. IV, 473.

90

MA als apriorischer Rahmen einer Rechtsphilosophie

digkeit" zu denken sei, wird nicht weiter ausgeführt. Im weiteren aber wird sie nicht mehr bezogen auf die Begriffe selbst, sondern auf ihre Topik.

Kant gibt zu bedenken, daß eine voll-

ständige Vorstellung der Einteilung aller Begriffe in metaphysischen Anfangsgründen nicht vorgelegt werden kann, da sie nach den Ausführungen in der Vorrede

zur Metaphysik

der

Sitten

nur in einer Metaphysik des Rechts geleistet werden könnte. Metaphysischen Anfangsgründe käme nur eine systematische Ortsbestimmung zu, durch die sie den Rahmen erstellen, in den eine systematische Einordnung der Begriffe nach bestimmten apriorischen Prinzipien möglich wird. Die Tafel dieser Einteilung muß allerdings vollständig vorgetragen werden können, denn die "Topik der Prinzipien muß, der Form des Systems halber vollständig sein, d.i. es muß der Platz zu einem Begriff

(locus com-

munis) angezeigt werden, der nach der synthetischen Form der Einteilung für diesen Begriff offen ist: man mag nachher auch dartun, daß einer oder der andere Begriff, der in diesen Platz gesetzt würde, an sich widersprechend sei und aus diesem Platze w e g f a l l e " . ^ Nach dieser Topik kann dann entschieden werden, ob dieser Begriff "nicht allein ohne inneren Widerspruch, sondern selbst auch ein notwendiger Begriff

(a priori in der Vernunft gegebener)

...

sei"."^

So wird "von einer metaphysischen Rechtslehre" nach Kant gefordert, "daß sie a priori die Glieder der Einteilung

(divisio

logica) vollständig und bestimmt aufzähle und so ein wahres System

derselben aufstelle". Sie allein gibt apodiktische Ge-

wißheit, welche Glieder zur "Ausfüllung der ganzen Sphäre des 38 eingeteilten Begriffs erfordert würden". Das Prinzip der Einteilung wird zwar im Unterschied zum empirischen als apriorisches bestimmt, das Schema zur geforderten Vollständigkeit 36 37 38

VI, 357. Ebd. VI, 284.

MA als abgeschlossener apriorischer Teil einer MdR wird aber nicht angegeben. In Analogie zu den Anfangsgründen

der Naturwissenschaft

91

Metaphysischen

ließe sich vermuten, daß

auch hier die Tafel der Kategorien und das Verfahren ihrer An39 wendung das Schema zur Vollständigkeit des Systems hergibt. Möglicherweise könnte hier analog die Kategorientafel aus der Kritik der praktischen

Vernunft

zugrundeliegen, wenn auch in

der Kantrezeption verschiedentlich festgestellt wird, daß gerade sie in der Metaphysik

der Sitten keine Anwendung findet.

Die Frage, welches Kriterium Apodiktizität und Vollständigkeit sichert und aufgrund welcher apriorischen Prämissen auch die metaphysischen Anfangsgründe als abgeschlossener Teil vorgestellt werden können, muß wohl zunächst offen bleiben. Denn daß sie als solcher anzusehen sind, ergibt sich nach der Untersuchung ihrer Ortsbestimmung im Systemplan der Metaphysik, die sie als a priori angesetztes begriffliches Gefüge im Sinne einer Topik, die als "Kern" oder als Rahmenbedingung die Einheit der Wissenschaft stiftet, nachweist. Metaphysische Anfangsgründe enthalten als einheitliche Theorie dann reine Begriffe und Urteile der Rechtslehre und zielen, wie die Vorrede ausführt, auf eine in sich endlose Erfahrung. Bei ihrem systematischen Entwurf ist der Rückgang notwendig bis zu den ersten Elementen der Transzendentalphilosophie als ihren Voraussetzungen, in der sie, auch wenn dies durchgängig bestritten wird, ihre Begründung finden, wobei sie zur Demonstration der transzendentalphilosophischen Methode, ihrer Begriffe und Urteile auf traditionelle Elemente der Rechtslehre zurückgreifen. Allein die Struktur, die Vollständigkeit beansprucht, muß hergeleitet werden können aus den Voraussetzungen eines metaphysischen Systementwurfs überhaupt unter Berücksichtigung des "Leitfadens" jeder metaphysischen Untersuchung, der Tafel der Kategorien. Da es sich aber um den besonderen Teil einer Metaphysik der Sitten handelt, müssen zu der prinzipientheoretischen Grund-

39 Vgl. IV, 476.

92

MA als apriorischer Rahmen einer Rechtsphilosophie

legung im begrifflich apriorischen Teil auch "abgesonderte" Begriffe gehören. Die Exposition des Rechtsbegriffs als prinzipiell "reiner", jedoch auf Praxis gestellter Begriff, unterscheidet ihn aber fundamental von anderen, einer jeden besonderen Wissenschaft zugehörigen Begriffen, wie sie z.B. die Naturwissenschaft im Begriff der Materie zugrundelegt. Wenn aber erst die beiden metaphysischen Ansätze, der bei reinen Prinzi40 pien und der bei besonderen Begriffen, das Ganze des Kantischen Wissenschaftsentwurfs ausmachen, werden Anfangsgründe

der'Rechtslehre

Metaphysische

sowohl Prinzipientheorie als

auch Gegenstandsbestimmung des Rechts leisten müssen.

40

Simon, J., a.a.O., S. 295.

2. Die Einheitsgrundlegung metaphysischer Systeme 2.1. Die doppelte Begründung der Systemeinheit in der Vernunft Die bisherigen Untersuchungen zu System und Methode der Metaphysik, die die metaphysischen Anfangsgründe als apriorischen abgeschlossenen Teil eines gegenstandsbezogenen metaphysischen Systems nachgewiesen haben, erfahren unter dem Aspekt 41

des Systembegriffs eine Bestätigung und Ausweitung.

Die Kan-

tische Systemauffassung gibt zudem die Möglichkeit einer Verifikation der Bestimmung des systematischen Orts der metaphysischen Anfangsgründe und ihrer strukturellen Einheit. Daß die Begründung eines metaphysischen Systems des Rechts nicht für sich betrachtet werden kann, sondern sich eingliedern lassen muß in jenes umfassende, von Kant projizierte System der Philosophie, das nur als ein "einziges, wahres" zu denken ist, folgt aus dem wissenschaftstheoretischen Ansatz Kants, der eine Fundierung des Systems in der Natur des menschlichen Denkens bezüglich seines Ursprungs und seiner Struktur sieht. Und da es für ihn "objektiv betrachtet, nur Eine menschliche Vernunft geben kann: so kann es auch nicht viel Philosophien geben". Es ist nur "Ein wahres System" der Philosophie "aus Prinzipien möglich, so mannigfaltig und oft widerstreitend man auch über einen und denselben Satz philosophiert haben

41

Die Literatur zum Systembegriff sieht Kant überwiegend nur in der Abhängigkeit von Lambert. Vgl. hierzu vor allem Ritsehl, 0., System und systematische Methode in der Geschichte des wissenschaftlichen Sprachgebrauchs und der philosophischen Methodologie, Bonn 1906 und v. Stein, A., Der Systembegriff in seiner geschichtlichen Entwicklung, Meisenheim 1968. Die Kantische Bestimmung des Systems in der Kritik der reinen Vernunft, B 860, wird hier in keinem Unterschied zu Lambert gesehen; es geschähe lediglich eine Einschränkung auf die Metaphysik. Zur adäquaten Erfassung des Systembegriffs und Systemverständnisses Kants vgl. Heidemann, I., Zum System der Kategorien bei Kant und Nicolai Hartmann in: bewußt sein. Hrsg. v. Buchen, J. u.a., Bonn 1975, S. 28 ff.

94

MA als apriorischer Rahmen einer Rechtsphilosophie 42

mag".

In diesen Ausführungen stehen einander prinzipientheo-

retische Einheit und inhaltliche Mannigfaltigkeit gegenüber, die als zusammenbestehend möglich gedacht werden müssen. Auf die Frage nach der Systemeinheit wird der Leser auf die Leistung der Vernunft hingewiesen, in der dann auch die prinzipientheoretische Grundlegung gesucht werden muß. So muß der Systemursprung, der logische Ort des Systems, auch eines Systems des Rechts, in der Gesetzlichkeit des Denkens gesucht werden, und nicht in der inhaltlichen Mannigfaltigkeit von positiven Rechtssätzen. Die systemstiftende Funktion des Denkens in Hinblick auf die Bildung des Systembegriffs und die Systemkonstitution wird zur zentralen Thematik der Kritik der Vernunft.

reinen

Die Transzendentalphilosophie rechtfertigt sich hier

als Wissenschaftstheorie, die im Rückgang auf die selbstevidente Setzung der systematischen Einheit in der "als gegeben" zugrundegelegten "reinen Vernunft" alle Einheit des Denkens, der Erkenntnis und der 43 Wissenschaft aus diesem "ursprünglichen Keim" erst entwickelt. Durch die von Kant gesetzte architektonische Eigenschaft der menschlichen Vernunft ergibt sich die Fundierung des Systems in der Natur des menschlichen Denkens; d.h. denken

(bestimmen

und reflektieren) ist immer schon systematisch denken, ist immer schon analysieren und synthetisieren. Der Grund liegt in der menschlichen Vernunft selbst, die "ihrer Natur nach architektonisch" ist, "d.h. sie betrachtet alle Erkenntnisse als gehörig zu einem möglichen System, und verstattet daher auch nur solche Prinzipien, die eine vorhabende Erkenntnis wenigstens nicht unfähig machen, in irgend einem System mit anderen 44 zusammen zu stehen".

42 43

44

VI, 207. "Diese Arbeit ist schwer und erfordert einen entschlossenen Leser, sich nach und nach in ein System hinein zu denken, was noch nichts als gegeben zum Grunde legt außer die Vernunft selbst und also, ohne sich auf irgend ein Faktum zu stützen, die Erkenntnis aus ihrem ursprünglichen Keimen zu entwickeln sucht." VI, 274. B 502.

Die doppelte Begründung der Systemeinheit

95

In dieser systematischen Apriorität des Denkens liegt auch die Apriorität des Systems begründet und seine Geltung kann nur von hier aus bestimmt werden, da nach Kant "kein System in der Welt diese Notwendigkeit wo anders herleiten" kann, "als aus den a priori zum Grunde liegenden Prinzipien der Mög45 lichkeit des Denkens selbst". Aus der ursprünglichen systematischen Einheit des Denkens folgt die Einheit aller Verstandeserkenntnis, die nach Kant wiederum ein "nach notwendigen Gesetzes zusammenhängendes System bildet. Daher macht der "Inbegriff" der Verstandeserkenntnis ein "unter einer Idee zu befassendes und zu bestimmendes System" aus, "dessen Vollständigkeit und Artikulation

zugleich

einen Probierstein der Richtigkeit und Echtheit aller hinein46 passenden Erkenntnisstücke abgeben kann". Der Verstand selbst, als absolute Einheit betrachtet, und seine Prinzipien der Möglichkeit der Erkenntnis sind durch ihr Strukturmerkmal der inneren Kohärenz zu einem System geordnet, in dem jeder Elementarbegriff eine durch den Zusammenhang bestimmte Stelle einnimmt. Wissenschaftstheoretisch ist diese Setzung der Einheit aller Erkenntnis von fundamentaler

Bedeutung,

denn sie lehrt die Geltungsabhängigkeit einzelner Prinzipien von einem Gesamtsystem. Dadurch, daß die reine Vernunft als abgesonderte, in sich selbst durchgängig verknüpfte Sphäre vorgestellt wird, in der alle Teile, Elemente und Prinzipien koordiniert und nicht subordiniert gedacht sind, ergibt sich ein wechselseitiges Bestimmungsverhältnis der Prinzipien aller Verstandeserkenntnisse, "weil, da nichts außer derselben ist, was unser Urteil innerhalb berichtigen könnte, jedes Teiles Gültigkeit und Gebrauch von dem Verhältnisse abhängt, darin er gegen die übrige in der Vernunft selbst steht, und wie bei dem Gliederbau eines organisierten Körpers der Zweck

45 46

IV, 474, Anm. B 89/90.

96

MA als apriorischer Rahmen einer Rechtsphilosophie

jedes Gliedes nur aus dem vollständigen Begriff des Ganzen ab47

geleitet werden kann".

Hieraus folgt nup, daß alle Einzelerkenntnisse nur im Systemzusammenhang gelten und sich wechselseitig bedingen und begründen; ferner, daß durch dieses a priori angesetzte Gefüge von Fundamentalprinzipien der theoretischen Erkenntnis die Einheitsgrundlegung jeder Wissenschaft erst möglich wird. Wissenschaft bestimmt sich dann als logisch-systematischer Zusammenhang von Erkenntnissen, der wiederum auf eine Vollständigkeit zielt, die nur durch die Vernunftidee des Ganzen der theoretischen Erkenntnis a priori im Zusammenhang in einem System möglich ist. Unter dem Ursprungsaspekt ist in der Theorie Kants nur ein "wahres System" aus Prinzipien möglich, da es nur eine menschliche Vernunft gibt und ihre Prinzipien zu dem System als a priori in ihr begründet angenommen werden müssen. Die reine Vernunft wird dabei selbst als ein System in durchgängiger Bezogenheit gedacht und ihre Prinzipien werden als systematisch und systematisierend begriffen. Diese wechselseitige Abhängigkeit der Prinzipien, die unter sich in systematischem Zusammenhang stehen, ist dabei angewiesen auf eine höhere systematische Vernunfteinheit, die Vollständigkeit des Systems intendiert und subjektiv zugleich als Maxime die Einheit des Sy48 stems fordert.

So wird in der kritischen Philosophie das Sy-

stem in doppelter Weise in der Vernunft gegründet und in seiner Geltung nachgewiesen. Seine Wurzeln liegen in der Spontaneität des Denkens, dem reinen Bewußtsein der Handlung, welche die Apriorität und den inneren Zusammenhang der Fundamentalprinzipien garantiert. Die "synthetische Einheit der Apper47 48

IV, 263. B 708. "Die Vernunfteinheit ist die Einheit des Systems; und diese systematische Einheit dient der Vernunft nicht objektiv zu einem Grundsatze, um sie über Gegenstände, sondern subjektiv als Maxime, um sie über alles mögliche empirische Erkenntnis der Gegenstände zu verbreiten."

Die doppelte Begründung der Systemeinheit

97

zeption" ist im System "der nächste Punkt, an dem man allen Verstandesgebrauch, selbst die ganze Logik und, nach ihr, die 49 Transzendental-Philosophie heften muß". Von diesem "Punkt" aus können die Systemprinzipien vorgegeben und die Systemstruktur entwickelt werden. Die so zu konstituierende Prinzipieneinheit betrifft das System als apriorisches Gefüge im Sinne einer einheitlichen Theorie, das seine Fundierung und Abgeschlossenheit in der Endlichkeit und Begrenztheit des Denkens sucht. Philosophie ist dann "das System der philosophischen Erkenntnisse oder der Vernunfterkenntnis aus Begriffen. Das ist der Schulbegriff von dieser Wissenschaft".^ Ihr Zweck ist "die systematische Einheit dieses Wissens, mithin die logisohe Vollkommenheit der Erkenntnis",^ d.h. alles theoretisch-wissenschaftlichen Verstandsgebrauchs. Der Einheitsgrund dieses Systems liegt in der systemstiftenden Funktion der Synthesis des menschlichen Verstandes, die sich am Leitfaden der Kategorien entfaltet. Die höchste Systemeinheit aber liegt in dem "Vernunftbegriff von der Form eines Ganzen", durch dessen Vermittlung sich die Prinzipien der reinen Vernunft systematisch, d.i. wissenschaftlich begreifen lassen. Hier geht Philosophie als Wissenschaftstheorie über ihre prinzipientheoretische Fundierungsfunktion hinaus und thematisiert das Problem des Gesamtzusammenhanges, der besonders im Anwendungsbereich der Metaphysik als apriorischer Wissenschaft von den besonderen Gegenständen Bedeutung gewinnt. Das System, gedacht als Prinzipieneinheit, das auf eine in sich endlose Erfahrung zielt und das letztlich unabschließbare System der Metaphysik begründet, findet seine höchste Synthesis in der projektierten Einheit der praktischen und theoretischen Vernunft am Leitfaden der Idee des Ganzen, die die systematische "Einheit aus dem Standpunkt der Zwecke" vorschreibt. Mit dieser letzten Bestimmung geht das System der Philosophie dann über reine Wissenschaftstheorie hinaus und wird "Wissenschaft von 49 50

B 135 Anra. IX, 23.

51 B 866.

98

MA als apriorischer Rahmen einer Rechtsphilosophie

der Beziehung aller Erkenntnis auf die wesentlichen Zwecke der 52 menschlichen Vernunft (teleologia rationis humanae)". Der so entworfene "Weltbegriff" von der Philosophie ist schon sehr früh von Kant konzipiert worden und gewinnt über die Kritiken hinaus Bedeutung für die praktische Philosophie und ihren be53 sonderen metaphysischen Geltungsbereich in der Rechtslehre. Diese Idee des Ganzen oder besser der "Vernunftbegriff von der Form eines Ganzen" als höchster formaler Einheit, zu der sich systematisches Denken in ständiger Annäherung wissen muß, ist das Auszeichnende an Kants Philosophie dem "Weltbegriff" nach. Im Bereich der theoretischen Philosophie strebt hier die Vernunft, die eigentliche Fähigkeit systematischen Denkens, von der partiellen Verstandeserkenntnis zur Erkenntnis des 54 Ganzen und gibt so die Zielangabe für den Verstand vor. Der "Weltbegriff" eines Systems, welcher jederzeit ein Produkt der spekulativen Vernunft ist, kann so über die Naturerkenntnis hinaus das Verlangen nach systematischer Einheit allein befriedigen, "denn Philosophie in der letzteren Bedeutung ist ja die Wissenschaft der Beziehung alles Erkenntnisses und Vernunftgebrauchs auf den Endzweck der menschlichen Vernunft, dem, als dem obersten alle anderen Zwecke subordiniert sind und sich ihm zur Einheit vereinigen m ü s s e n " . ^

52 53

54

55

B 867. Auf die Literatur zum Kantischen "Weltbegriff" von der Philosophie, die sich überwiegend mit der Kritik der Urteilskraft auseinandersetzt, kann hier nur verwiesen werden. Vgl. vor allem Düsing, K., Die Teleologie in Kants Weltbegriff. Kantstudien Erg.-Heft 96, 1968; Bartuschat, W., Zum systematischen Ort von Kants Kritik der Urteilskraft, Frankfurt/M. , 1972; Mertens, H., Kommentar zur ersten Einleitung zu Kants Kritik der Urteilskraft, München 1975. "Diese Vernunfteinheit setzt jederzeit eine Idee voraus, nämlich die von der Form eines Ganzen der Erkenntnis, welches vor der bestimmten Erkenntnis der Teile vorhergeht und die Bedingungen enthält, jedem Teile seine Stelle und Verhältnis zu den übrigen a priori zu bestimmen." B 673. IX, 24.

Syst. Verfahren der theor. und prakt. Vernunft

99

Spekulative Vernunft hat, bezogen auf die Systemkonstitution, vor allem drei Funktionen: ordnend, zielbestimmend und systemstiftend zu sein. In ihrer Ordnungsfunktion bezieht sie sich auf vom Verstand vorgegebene Begriffe, die sie aber nicht konstituiert, sondern sie "ordnet sie nur, und gibt ihnen diejenige Einheit, welche sie in ihrer größtmöglichen Ausbreitung haben können". 56 Auch in ihrem teleologischen Gebrauchs ist die Vernunft nicht konstitutiv, sondern nur regulativ, "nämlich den Verstand zu einem gewissen Ziele zu richten, in Aussicht auf welches die Richtungslinien aller seiner Regeln in 57 einem Punkt zusammenlaufen". Dieser "focus imaginarius" als höchste Projektion systematischer Einheit für alle Verstandeserkenntnis, läßt die Vernunft über die gegebene Ordnung der Dinge hinaus zu einer idealen Ordnung der systematischen Verknüpfung der Erfahrung fortschreiten. Diese systematische Verknüpfung ist nun nicht dem Verstand gegeben, sondern muß nach regulativen Ideen der Vernunft spontan aufgebaut werden. Insofern ist die spekulative Vernunft systemstiftend, da sie, als Vermögen der Prinzipien, alles, was der Verstand gedacht hat, unter eine höchste Einheit des Denkens zu bringen vermag. Sie "postuliert demnach vollständige Einheit der Verstandeserkenntnis, wodurch diese nicht bloß ein zufälliges Aggregat, sondern ein 5 nach notwendigen Gesetzen zusammenhängendes Sy• 8 stem wird .

2.2. Das systematische Verfahren der theoretischen und praktischen Vernunft Im Bereich der Naturwissenschaft, "welche es mit den Gegen59 ständen äußerer Sinne zu tun hat", geht nun die Methode der theoretischen Vernunft in bezug auf ihre höchste systematische 56 57 58 59

B 671. B 672. B 673. VI, 214

100

MA als apriorischer Rahmen einer Rechtsphilosophie

Einheit dahin, von der "Betrachtung des Physischen der Weltordnung zu der architektonischen Verknüpfung derselben nach Zwecken, d.i. nach Ideen hinaufzusteigen". Es ist also in diesem Bereich möglich, "ja notwendig", ein System der Prinzipien a priori "unter dem Namen einer metaphysischen Naturwissenschaft" zu errichten, wobei die "Erfahrung die Regel an die Hand" gibt und "Quell der Wahrheit" ist. 60 Diesem aufsteigenden methodischen Verfahren der theoretischen Vernunft wird das der praktischen entgegengesetzt: ein Herabsteigen Von Ideen, die die Erfahrung selbst allererst möglich machen. ^ Diese Ideen werden nicht mehr im Sinne von "Verbindungslinien", die in einem "focus imaginarius" ihre höchste systematische Einheit finden, verstanden; ihr Geltungsbereich bestimmt sich nicht von einer Theorie der Natur aus, sondern "nur sofern sie als a priori gegründet und notwendig eingesehen werden können, gelten sie als Gesetze, ja die Begriffe und Urteile über uns selbst und unser Tun und Lassen bedeuten gar nichts Sittliches, wenn sie das, was sich bloß von der Er62 fahrung lernen läßt, enthalten". Die in diesen Ausführungen zum Ausdruck kommende

Theorieunabhängigkeit legt die System-

konstitution rein in das Vermögen der praktischen Vernunft. "Nur das Praktische nach Freiheitsgesetzen kann Prinzipien haben, die von keiner Theorie abhängig sind; denn über die Naturbestimmungen hinaus gibt es keine Theorie",6^ von der aus ein System der Prinzipien a priori im Sinne einer Metaphysik der Sitten errichtet werden könnte. Vorliegende Theorien der Moral und des Rechts geben eben nicht analog "die Regel an die Hand" und können sich schon gar nicht als "Quell der Wahrheit" erweisen. Denn "wenn man sich etwa" ganz im Gegenteile verleiten ließe, "etwas aus der letzteren Quelle zum moralischen Grundsatze zu machen, so gerät man in Gefahr der gröbsten und 60 61 62 63

V I , 2 1 4 / 2 1 5 und B 3 7 5 . B 375. VI, 215. VI, 217.

Syst. Verfahren der theor. und prakt. Vernunft

101

64 verderblichsten Irrtümer",

da sich in Ansehung der sittlichen

Gesetze die Erfahrung "als Mutter des Scheins" erweisen würde. So wird dem Vernunftvermögen in seinem praktischen Anwendungsbereich eine ganz eigentümliche Fähigkeit zuerkannt: die Erzeugung der Idee einer Welt, die durch Handlung und Verhalten endlicher vernünftiger Wesen innere Vollständigkeit, Ordnung und systematische Einheit erhalten kann. Diese Idee ist nicht von ihrer Realisation abhängig, aber auch nicht von irgendeiner sie bestimmenden Theorie; sie wird bestimmt als etwas, "was gänzlich unser eigen Werk ist, und wovon wir durch jene Begriffe selbst die Ursache sein können". Wurde für die Einheitlichkeit der erkenntnistheoretischen Grundlegung ein Einheitsprinzip notwendig, weil "wir ohne dasselbe gar keine Vernunft, ohne diese aber keinen zusammenhängenden Verstandesgebrauch, und in dessen Ermangelung kein zureichendes Merkmal empirischer Wahrheit haben würden",

so

wird für die Systematik der praktischen Philosophie eine "besondere systematische Einheit" gefordert. Im methodischen Verfahren der Konstitution der höchsten systematischen Einheit in praktischer Hinsicht ist die Vernunft nicht mehr ordnend und regulativ, sondern setzend und gebietend und enthält so die "Prinzipien der Möglichkeit

der Erfahrung", d.h. der Handlun-

gen rechtlicher und moralischer Art vernünftiger Wesen, die "unter der Leitung solcher Prinzipien, Urheber ihrer eigenen 64 65

66

VI, 215. B 357. Vgl. auch V, 15 und B 828: "Dagegen würden reine praktische Gesetze, deren Zweck durch die Vernunft völlig a priori gegeben ist, und die nicht empirisch bedingt, sondern schlechthin gebieten, Produkte der reinen Vernunft sein." Kaulbach interpretiert diese und andere Stellen im Sinne einer "praktischen Weltmetaphysik". "An der Hand des Entwurfes einer vorbildlichen, idealen Welt deuten wir unsere Stellung im wirklichen, empirischen Handlungszusammenhang und gewinnen auf diese Weise Erkenntnis unserer Pflichten. ... Maßgebend beim Entwurf der vorbildlichen Welt sind Prinzipien einer Rechtsgesellschaft, ... Diese Welt entwirft die praktische Vernunft im Handelnden als Orientierungsrahmen, von dem sein moralisches Bewußtsein Gebrauch macht." Kaulbach, Fr., Das Prinzip Handlung in der Philosophie Kants. Berlin/New York 1978, S. 152. B 679.

102

MA als apriorischer Rahmen einer Rechtsphilosophie

und zugleich anderer dauerhaften Wohlfahrt sein w ü r d e n " . ^ Hier wird von Kant eine "besondere Art von systematischer Einheit" gefordert, durch die eine gänzlich neue Fundierung der allgemeinen praktischen Grundsätze durch praktische Vernunft möglich wird. In formaler Hinsicht bestimmt Kant diese systematische Einheit als "intelligible Welt", eine Idee von praktischer Realität, die schon in der Allgemeinen des Himmels

Naturgesahiohte

und Theorie

an der "systematischen Verfassung der Geisterwelt"

als eine in wechselseitiger Gemeinschaft stehender "immaterieller Naturen"

(Seelen) deutlich wird. Entscheidend an diesem

frühen hypothetischen Entwurf eines moralisch verstandenen Mundus intelligibilis, in dem abhängig von der "Regel des allgemeinen

Hillens"

in der Welt aller denkenden Naturen eine mo-

ralische

Einheit und systematische Verfassung nach bloß gei68 stigen Gesetzen" entspringt, scheint für die Systembildung einer praktischen Metaphysik nicht so sehr die in der Grundlegung zur Metaphysik

der Sitten wieder aufgenommene Idee

eines intelligiblen "Reichs der Zwecke", sondern die Verschiedenheit des Fundierungsverhältnisses von Systemen der theoretischen und praktischen Vernunft zu sein. In Hinblick auf die "systematische Verfassung des Weltenbaues" gilt es, "an der Ordnung der Natur" das "Systematische" zu entdecken und theo69 retisch zu erarbeiten, während eine "systematische Verfassung der "Geisterwelt" lediglich "aus dem Begriffe von der geistigen Natur überhaupt" geschlossen werden muß und zunächst ihre Unabhängigkeit von "irgend einer wirklichen und allgemein zugestandenen Beobachtung"

bewahrt.^

Wenn auch hier, wie schon in den Träumen eines

Geistersehers

das Fundierungsproblem auf zwei Welten, materielle und imma-

67 68 69 70

B 835/837 I I , 335. I, 221. I I , 333.

Syst. Verfahren der theor. und prakt. Vernunft

103

terielle, bezogen werden muß und noch nicht zwei Gesetzlichkeiten begründet werden, so findet sich doch schon hier eine Selbstbegründung im Praktischen, die später für die Systemgrundlegung der praktischen Philosophie in Bezug auf den Bereich der moralischen Gesetzlichkeit unabdingbar scheint. Denn wenn die Vernunft in ihren beiden Anwendungsbereichen besondere metaphysische Systeme konstituiert, so zeichnen sich diese nicht durch einen festen Bestand ontischer Gegebenheiten oder durch Abschließbarkeit im Sinne einer angebbaren Totalität aus. Hier muß die kritische, zu errichtende Metaphysik in ihren beiden Bereichen als offenes System verstanden werden, in das gleichwohl jeweils abgeschlossene Systeme als integrierte Bestandteile eingegliedert werden können. Kant weist darauf hin, daß für sie eine gesonderte Begründung möglich sein muß, denn sowohl die Wissenschaft als auch ein "Abschnitt derselben, der für sich ein System ausmacht", bedarf der "kritischen Beleuchtung", d.h. der "Untersuchung und Rechtfertigung, warum sie gerade diese und keine andere systematische Form haben müsse". So ist der Prozeß der Systembildung im Anwendungsbereich des theoretischen und praktischen Vernunftvermögens prinzipiell verschieden. Der "erste fängt an von dem Platze, den ich in der äußeren Sinnenwelt einnehme, und erweitert die Verknüpfung, darin ich stehe, ins unabsehlich Große mit Welten über Welten und System von Systemen, überdem noch in grenzenlose Zeiten ihrer periodischen Bewegung, deren Anfang und Fortdauer" . In Bezug auf den Systementwurf im Praktischen wird das Subjekt auf sich selbst gestellt und findet sich als "Intelligenz" in einer Welt wieder, die "nur dem Verstände spürbar ist, und mit welcher (dadurch aber auch zugleich mit allen jenen sichtbaren Welten) ich mich nicht wie dort in bloß zufälliger, sondern allgemeiner und notwendiger Verknüpfung 72 Die methodische Konsequenz ist das Fehlen jegli-

erkenne". 71 72

V, V,

89. 162.

104

MA als apriorischer Rahmen einer Rechtsphilosophie

eher "Richtungslinien"

im emprisichen Bereich und eine Re-

striktion auf den bewußt sich orientierenden Menschen, der Freiheit und Autonomie für sich in Anspruch nimmt. Wenn für die "Beurteilung des Weltgebäudes"

"die Maxime in Schwang ge-

kommen war, alle Schritte vorher wohl zu überlegen, die die Vernunft zu tun vorhat, und sie nicht anders als im Gleise einer vorher wohl überdachten Methode ihren Gang machen zu lassen", so wird die gleiche Maxime auch für die zu entwerfende Metaphysik der Sitten zutreffen müssen, um die angestrebte "Weisheitslehre" nicht in "Genieschwüngen" enden zu lassen. "Mit einem Worte: Wissenschaft

(kritisch gesucht und metho-

disch eingeleitet) ist die enge Pforte f re

die zur WetshsitsZeh~

führt". 7 3

2.3. Die Idee des Ganzen im System der Freiheit So wie die Gründung der höchsten systematischen Einheit durch den "Vernunftbegriff von der Form eines Ganzen" der Vernunft in ihrem theoretischen Anwendungsbereich das Ziel zukünftiger metaphysischer Systeme vorgibt, so stellt sich auch für die Vernunft in ihrem praktischen Anwendungsbereich eine philosophische und architektonische Aufgabe: "nämlich die Idee Ganzen

des

richtig zu fassen und aus derselben alle jene Teile in

ihrer wechselseitigen Beziehung auf einander vermittels der Ableitung derselben von dem Begriffe jenes Ganzen in einem 74 reinen Vernunftvermögen ins Auge zu fassen". Kant hat diese höchste Einheit eines Systems der praktischen Philosophie in verschiedener Weise entworfen und auch formuliert, so daß die für eine Metaphysik des Rechts maßgebliche Bestimmung nur schwer auszumachen ist. Schon in der Allgemeinen

Naturgeschichte

und Theorie

des

Him-

mels wird eine Systemeinheit an der "systematischen Verfassung 73 74

v, 1 6 3 . V,

10.

Die Idee des Ganzen im System der Freiheit

105

des Weltenbaues" entwickelt, die zwar naturwissenschaftlich orientiert ist, aber einen spezifischen direkten Bezug zu Kants staats- und rechtsphilosophischem Denken zuläßt, im besonderen zu der politischen Idee einer vollkommenen systematischen Weltverfassung, einem kosmopolitischen System der Staaten. In Kants Bemühung, die "gesamte Schöpfung" als ein einziges System zu begreifen, "welches alle Welten und Weltordnungen, die den ganzen unendlichen Raum ausfüllen, auf einen einzigen Mittelpunkt beziehend m a c h t " , ^ finden sich entscheidende Aussagen über Systemgeltung und Systemstruktur überhaupt. Die Quelle der systematischen Verbindung ist die "Attraktion", die Anziehung, die verbunden mit der "Zurückstoßung der Elemente" eine Regelmäßigkeit und Gleichförmigkeit der Relationen zwischen 76

den Systemelementen zuläßt.

Auf die Systemstruktur angewandt,

erscheint die Beziehung zwischen den Elementen als gleichmäßige Verbindung, bezogen auf einen gemeinschaftlichen Mittelpunkt. Abweichungen von der Regel innerhalb der Systemstrukturen finden nur stufenweise an der äußersten Grenze des Systems statt, "wo alle Bewegung aufhört". Für die "Geisterwelt" wird eine analoge systematische Verfassung durch die Wechselwirkung der Elemente "in welchem eine auf die andere beziehend ist", entworfen. Die Metaphysisahen

Anfangsgründe

der

Rechts-

lehre nehmen die "Analogie der Möglichkeit freier Bewegungen der Körper unter dem Gesetze der Gleichheit der Wirkung und 77

Gegenwirkung"

für die Darstellung der rechtlichen Gemein-

schaft wieder auf. Ebenso argumentiert die spätere

Besitzleh-

re in Analogie zu dem frühen Systementwurf mit der Kugeigegestalt der Erde als gemeinschaftlicher Fläche, auf die das Gesamtsystem der Menschen bezogen zu denken ist.

75 76

77

I, 311. I, 306 - 308. Siehe auch I, 310: "Wird denn nun jene systematische Verbindung, die wir vorher bei allen Teilen in Sonderheit erwogen haben, auch aufs Ganze gehen und das gesamte Universum, das All der Natur, in einem einigen System durch die Verbindung der Anziehung und der fliehenden Kraft zusammenfassen? Ich sage ja ...". VI, 232.

106

MA als apriorischer Rahmen einer Rechtsphilosophie

In der Kosmologie stellen die Systeme der Planeten und Fixsterne nur Subsysteme eines unendlichen Systems dar, einer "Welt von Welten", in der auch die "höheren Weltordnungen" nicht ohne Beziehung gegeneinander gedacht werden dürfen und die insgesamt ein unendliches System darstellen, in dem die bekannten Systeme nur den ersten Teil einer unendlichen Progression ausmachen in einem fortschreitenden Verhältnis von Welten zu Systemen.

Der hier entwickelte Gedanke des unendli-

chen Fortschritts, der ununterbrochenen Kontinuität, läßt ein Weltensystem als wenigstens logischen Progressus in infinitum denken, in den auch der Mensch, "der das Meisterstück der 78 Schöpfung zu sein scheint", eingegliedert werden kann. Gerade dieser Gedanke der Kontinuität und Progression wird für die Bestimmung eines metaphysischen Systems festgehalten werden müssen, denn Geschlossenheit und Offenheit als die beiden Enden des Kantischen Systemdenkens bleiben stets durchgängig bestimmend . Von hier ist es möglich, die für eine Rechtsphilosophie unerläßliche Freiheit

Idee einer"Verfassung von der größten

nach Gesetzen, welche machen, daß jedes

der anderen

ihrer

zusammen

bestehen

kann",

mensahliahen Freiheit

mit

notwendig zu denken

und "ob nun gleich das letztere niemals zu Stande kommen mag, so ist die Idee doch ganz richtig, welche dieses Maximum zum Urbilde aufstellt, um nach demselben die gesetzliche Verfassung der Menschen der möglich größten Vollkommenheit immer näher zu bringen". Diese Idee, nicht gegeben, sondern von der Vernunft aufgegeben, wird ein Problem für den Verstand, eine Aufforderung für das Subjekt, der Vollständigkeit in der Idee gemäß fortzuschreiten. Hier ist nur Annäherung möglich, "denn welches der höchste Grad sein mag, bei welchem die Menschheit stehen bleiben müsse, und wie groß also die Kluft, die zwischen der Idee und ihrer Ausführung notwendig übrig bleibt,

78

I, 318.

Die Idee des Ganzen im System der Freiheit

107

sein möge, das kann und soll niemand bestimmen, eben darum, weil es Freiheit ist, welche jede angegebene Grenze überstei79 gen kann". In den ethischen Grundlegungsschriften bestimmt Kant die höchste formale Einheit des Systems in praktischer Hinsicht, also einer Metaphysik der Sitten, durch die Idee von einem Reich der Zwecke als einer systematischen Verbindung vernünftiger Wesen durch gemeinschaftliche Gesetze. In der zur Metaphysik

der Sitten

Grundlegung

wird diese "Idee einer reinen Ver-

standeswelt als eines Ganzen aller Intelligenzen", wozu auch der Mensch als sinnlich bedingtes Wesen gehört, eine "brauchbare und erlaubte Idee zum Behufe eines vernünftigen Glaubens, wenn gleich alles Wissen an der Grenze derselben ein Ende 80 hat".

In der Metaphysik

der Sitten

wird der Gedanke nicht mehr

in der gleichen Weise herausgearbeitet, sondern Kant argumentiert hier bezüglich der höchsten Einheit, zu der die gesamte Rechtslehre gelangen kann, inhaltlich-material. Die "allgemeine und fortdauernde Friedensstiftung", die nicht "bloß einen Teil, sondern den ganzen Endzweck der Rechtslehre innerhalb den Grenzen der bloßen Vernunft" ausmacht, muß durch "die Vernunft a priori von dem Ideal einer rechtlichen Verbindung der Menschen unter öffentlichen Gesetzen überhaupt hergenommen werden". 81 Diese inhaltliche Argumentation bezüglich der höchsten Einheit eines metaphysischen Rechtssystems findet ihre formale Begründung nicht nur in dem "Prinzipium" aller bürgerlichen 82 Gesetzgebung in der Kritik der reinen Vernunft, sondern auch in der Kritik

der Urteilskraft , die den Menschen als den letz-

ten Zweck der Schöpfung bestimmt, "weil er das einzige Wesen" auf Erden ist, "welches sich einen Begriff von Zwecken machen 79 80 81 82

B 372 - 3 7 4 . IV, 4 6 2 . V I , 355. B 373/374.

108

MA als apriorischer Rahmen einer Rechtsphilosophie

und aus einem Aggregat von zweckmäßig gebildeten Dingen durch 83 seine Vernunft ein System der Zwecke machen kann". Die Unabdinglichkeit der Zwecksetzung gilt nicht nur für den Bereich der Naturgesetzlichkeit, in dem eine Erweiterung zum Unbedingten in den transzendentalen Ideen notwendig wird, sondern vor allem für den Bereich der Sollensgesetzlichkeit, für den die Natur keine Leitfäden vorgegeben hat. Denn der Mensch ist "nicht bloß wie alle organisierte Wesen als Naturzweck, sondern auch hier auf Erden als den letzten

Zweck der Natur,

in Beziehung auf welchen alle übrige Naturdinge ein System von 84 Zwecken ausmachen", anzusehen. Da sein Dasein als vernünftiges, d.i. moralisches Wesen den höchsten Zweck in sich selbst hat, kann auch die Idee des Ganzen als höchste formale Einheit im System der Freiheit und die daraus folgende Gesetzlichkeit 85 nur von der Vernunft in Spontaneität entworfen werden. Daraus folgt für ein metaphysisches System des Rechts, daß für den Bereich der äußeren Gesetzgebungssphäre nach Prinzipien der Freiheit ein oberster Zweck und damit die höchste Systemeinheit zunächst einmal bestimmt werden muß. "Denn jedes Glied soll freilich in einem solchen Ganzen nicht bloß Mittel, sondern zugleich auch Zweck und, indem es zu der Möglichkeit des Ganzen mitwirkt, durch die Idee des Ganzen wiederum seiner 86 Stelle und Funktion nach bestimmt sein". Die "Idee des Ganzen" aber richtig zu fassen, "und aus derselben alle jene Teile in ihrer wechselseitigen Beziehung aufeinander vermittelst der Abteilung derselben von dem Begriffe eines Ganzen in einem reinen Vernunftvermögen

... ist 87 nur durch die innigste Bekanntschaft mit dem System möglich". Und der "Baumeister eines

Systems" steht nach Kant zunächst vor einer nicht unerhebli-

83 84 85 86 87

V, V, V, V, V,

426/427. 429. 435. 3 7 5 , Anm. 10.

Die Idee des Ganzen im System der Freiheit

109

chen methodischen Schwierigkeit, nämlich vor der "Einteilung eines Systems", von der sowohl "Vollständigkeit" und auch "Stetigkeit"

in der Weise gefordert wird, daß "der Übergang vom

eingeteilten Begriffe zum Gliede der Einteilung in der ganzen Reihe der Untereinteilungen durch keinen Sprung 188

saltum) geschehe"

(divisio per

Die Methodenreflexion muß hier gleichsam

von unten wieder einsetzen, denn eine "Sicherung der Vollständigkeit der Einteilung der Rechtsbegriffe" kann nur erbracht werden aufgrund eines Plans, der Vollständigkeit und Stetigkeit im Grundriß garantiert. Das Bild vom "Baumeister" veranschaulicht die Schwierigkeit einer prinzipientheoretischen Grundlegung der Metaphysik des Rechts. Die Idee des Ganzen wird zwar von der praktischen Vernunft vorgegeben, die Methode der Untersuchung aber von ihr nicht entwickelt. Sie kann nur im Verfahren der theoretischen, eigentlich wissenschaftlichen Vernunft gesucht werden. Daraus folgt aber für den systematischen Aufbau einer besonderen Metaphysik des Rechts und der Tugend nach Abschluß des "kritischen Geschäfts" die Anwendung eines methodischen Leitfadens, der nur in den Kritiken entwickelt werden konnte. Für den praktischen Bereich wird eine a priori entworfene Theorie des Gebrauchs der freien Willkür aufbauen müssen auf der Selbstreflexion der praktischen Vernunft, auf ihr "Faktum", um dann am "Leitfaden jeder metaphysischen Untersuchung" weiterzuschreiten zur Entfaltung praktischer Grundsätze a priori. Dazu ist ein Ubergang notwendig von reiner Vernunftgesetzlichkeit zu dem Begriff eines endlichen vernünftigen Wesens und von hier dann wieder ein Übergang zur Faktizität menschlichen Handelns. Metaphysische Anfangsgründe der Rechts- und auch der Tugendlehre nehmen hier eine Schlüsselstellung ein im Ubergang von einer allgemeinen Metaphysik der Freiheit zur besonderen Metaphysik des Rechts. Wie der Ubergang von allgemeinen zu besonderen, apriorischen Teilen, von apriorischen zu empirischen zu denken ist, wird im weiteren noch zu entwickeln sein. 88

V I , Anm.

218.

3. Die Kategorien als systematische

Fundamentalprinzipien

3.1. Die Selbstbegründung der kritischen Philosophie durch die Kategorien Wenn die kritische Philosophie die Einheit des Systems und damit die Begründung aller wissenschaftlichen Prinzipien und Methoden auf die eine Grundgesetzlichkeit des menschlichen Denkens zurückführt, so rechtfertigt si$ von hier aus auch die systematische Apriorität und Geltung besonderer metaphysischer Wissenschaftsbereiche. Diese Letztbegründung betrifft vor allem die systematische Gültigkeit der synthetischen Urteile a priori, deren Wahrheit wir nach Kant zwar einzusehen vermögen, aber weder logisch beweisen noch empirisch stützen können. Das "Ich-denke", das von Kant als evidente Einsicht vorausgesetzt wird, liefert als erste und sicherste Grundlage die formale Verbundenheit der Vorstellung durch analytische Einheit und damit apriorische Begründung logischer Formen in der Grundvoraussetzung der Einheit des Selbst und des Bewußt90 seins.

Die synthetische Einheit der Apperzeption führt da-

bei auf die fundamentalen systematisierenden Fähigkeiten des Verstandes zurück. Im Rückgang auf die synthetische Natur des Bewußtseins überhaupt wird hier eine elementarlogische Funktion der Vernunft expliziert und die Problematik einer vor allem Denken unmittelbaren Synthesis des Verstandes angesprochen, deren systemstiftende Funktion die Einheit des Denkens erst ermöglicht und damit die Einheit der Erkenntnis und des Systems. In der Kritik

der reinen

Vernunft

wird die Syn- 91

thesis, "um deren Willen eigentlich die ganze Kritik da ist", und deren Evidenz zweifelsfrei ist, a priori vorausgesetzt. Sie begründet erst die ursprünglich synthetische Einheit der transzendentalen Apperzeption und ihre Selbstdifferenzierung 90 91

VII, 141. B 28.

Selbstbegründung der krit. Phil, durch die Kategorien 111 in den Kategorien durch die Möglichkeit einer Verbindung über92 haupt. Als systemstiftende kategoriale Möglichkeitsbedingung ist sie keine besondere Kategorie, sondern als Wesen der Vernunfttätigkeit in allen Kategorien enthalten, wodurch sie diesen wiederum synthetisierende und systematisierende Fähigkeiten verleiht. "Diese Einheit, die a priori vor allen Begriffen der Verbindung vorhergeht, ist nicht etwa jene Kategorie der Einheit", vielmehr setzt die Kategorie schon Verbindung voraus. "Also müssen wir diese Einheit (als qualitative § 12) noch höher suchen, nämlich in demjenigen, was selbst den Grunql der Einheit verschiedener Begriffe in Urteilen, mithin der Möglichkeit des Verstandes, sogar in seinem logischen Gebrauche, enthält." 9"? Die Synthesis kann zunächst bestimmt werden als reine Handlung, als Akt der Spontaneität der Vorstellungskraft, deren fundamentale Position noch unterstrichen wird, indem Kant die synthetische Einheit der Apperzeption als "höchsten Punkt" setzt, an dem der ganze Verstandesgebrauch und mit ihm die Logik anknüpfen muß. 94 Kants grundlegende Idee der Methodologie eines philosophischen Systems geht aus von dem Einheitsprinzip des Selbstbewußtseins, von dem alle Prinzipien und Sätze abgeleitet werden. Die synthetische i/r-einheit, die alles bedingt und auf deren Grund das ganze System der transzendentalen Logik aufgebaut werden muß, begründet nicht nur die methodische Einheit aller kategorialen Einheitsfunktionen, sondern auch als Be-

92 93 94

B 129 - 136. B 131. B 133 Anm. Dem Problem der Synthesis kann hier nicht weiter n a c h g e gangen werden. Es findet sich in der Literatur b e s o n d e r s bei G r o o s , K., Der Aufbau der Systeme, Leipzig 1924, S. 302 ff.; W i n d e l b a n d , W., Vom System der Kategorien,in: Sigwart-Festschrift, 1900; Hogrebe, W. , Kant und das Problem einer transzendentalen Semantik, Freiburg/München 1974, S. 86 ff.; G a m p , R., Die interkategoriale Relation und die dialektische Methode in der Philosophie Nicolai Hartmanns, Kantstudien Erg.-Heft 106, 1973.

112

MA als apriorischer Rahmen einer Rechtsphilosophie

dingung alles Denkens überhaupt die Prinzipien der Identität, Verschiedenheit und Kontinuität. Mit ihr ist ein Prinzip gefunden, das allererst die Notwendigkeit der Einteilung, also erst ein System ermöglicht. Diese Einteilung der Erkenntnisart selbst aber ist nichts anderes als die Selbstdifferenzierung des "Ich-denke" in den Kategorien, in denen so die Fundamental95 prinzipien zu einem System überhaupt zu suchen sind. Als vollständige Elementarbegriffe des Verstandes enthalten sie die Form eines Systems überhaupt, da sie "bloß die Form des Denkens möglich m a c h e n " , ^ und nach den vorigen Ausführungen der logische Ort eines Systems im Denken, d.i. in der Vernunft gesucht werden muß. Die Untersuchung in dieser Arbeit bezüglich der Kategorien beschränkt sich auf ihre Funktion als reine Denkgesetzlichkeiten und klammert ihre funktionale Bedeutung als "Gründe der 97 Möglichkeit aller Erfahrung überhaupt" aus. Damit werden sie nur betrachtet unter dem methodologischen Aspekt, und zwar inwiefern sie zunächst theoretische Gültigkeit im System garantieren. Dieser Aspekt wird von Kant selbst besonders hervorgehoben, da die Kategorien "vielleicht erhebliche Folgen in Ansehung der wissenschaftlichen Form aller Vernunfterkenntnis98 se haben könnten".

Daß die Tafel für den theoretischen Teil

der Philosophie den "Plan zum Ganzen einer Wissenschaft" hält, wird durch die Kritik

der reinen

Vernunft

ent-

selbst demon-

striert. "Erhebliche Folgen" ergeben sich aber darüber hinaus auch für das "doktrinale Geschäft", für die durch die Kritik begründete besondere Metaphysik, und zwar besonders bezüglich 95 96 97

98

IV, 322. IV, 474 Anm. B 167. Zum Stand der Diskussion in der gegenwärtigen Literatur siehe den Überblick bei Gerhardt/Kaulbach a.a.O., S. 2 - 23. Die weiteren Ausführungen stützen sich insbesondere auf die Arbeiten von Heidemann, I., Spontaneität und Zeitlichkeit. Kantstudien Erg.-Heft 75, 1958, Zum System der Kategorien, a.a.O., und Die Kategorientafel als systematische Topik, in: Akten des 4. Int. Kant-Kongresses Mainz 1974, S. 55 ff. B 109.

Selbstbegründung der krit. Phil, durch Kategorien

113

ihres a priori begrifflichen Teils und seiner prinzipientheoretischen Grundlegung. In dieser Hinsicht sind die Kategorien Gültigkeitsprinzipien eines Systems, beziehungsweise selber ein Prinzipiengefüge, "dessen Vollständigkeit und Artikulation zugleich einen Probierstein der Richtigkeit und Echtheit aller 99 hineinpassenden Erkenntnisstücke abgeben kann". Hieraus ergibt sich als Problem, wie das methodische Verfahren ihrer Anwendung vor allem für die Konstitution künftiger metaphysischer System im Bereich der Natur und der Sitten zu denken ist. Daß zur Selbstgründung der kritischen Philosophie die Funktion der Kategorientafel unbezweifelbar ist, kann hier als gesichert vorausgesetzt werden. Denn die "Kritik" geht als ausführliche Analysis der Erkenntnis auf ein formales System als Grundlegung der Metaphysik, etwa im Sinne einer einheitlichen kritischen Theorie von den Bedingungen der Möglichkeit der menschlichen E r k e n n t n i s . ^ ^ Die systemtheoretisch

relevante

Frage, wie denn synthetische Urteile a priori, d.h. wie Wissenschaft erst möglich wird, wird für die Kritik Vernunft

der

reinen

in der Weise gelöst, daß sie als "besondere Wissen-

schaft" nur der "Beurteilung der reinen Vernunft, ihrer Quellen und Grenzen" dient, und daß sie als Grundlagenwissenschaft wiederum nur Propädeutik zur Wissenschaft, die als System der reinen Vernunft projiziert wird, sein kann. Propädeutisch aber heißt nach der Kritik

der reinen

Vernunft

auch grundle-

gend, eine der möglichen Bedeutungen neben vorübend, vorbereitend u.a.m., was meint, daß der ganze Plan architektonisch, 101 d.i. aus Prinzipien entworfen wird.

Die "Einheit des Plans"

wird nun garantiert aufgrund einer "Tafel", welche ihre systematische Einheit nach innen durch das Prinzip der transzendentalen Apperzeption erhält - dadurch selbst ein System - wiederum systematisierend wirkt für die Behandlung "aller Gegen-

99 100 101

B 90. B XLIV. B 27.

114

MA als apriorischer Rahmen einer Rechtsphilosophie 1 02

stände der reinen Vernunft".

Die 12 Kategorien dieser Tafel

sind in bloß logischer Bedeutung als Funktionen des reinen Verstandes unbestimmt und gewinnen somit erst Bedeutung in ihrer systematischen Funktion nach außen. Sie können daher interpretiert werden als Grundmethoden oder Verfahrensweisen alles Inhaltdenkens überhaupt.

Diese Grundmethode des Systemati-

sierens, die dem System der Kategorien für alle Gegenstände der reinen Vernunft eigentümlich zukommt, wird in den

Prolego-

mena ausführlicher beschrieben. Für die Grundlegung einer Wissenschaft gibt das System der Kategorien "eine ungezweifelte Anweisung oder Leitfaden ab, wie und durch welche Punkte der Untersuchung jede metaphysische Betrachtung, wenn sie vollständig werden soll, müsse geführt werden: denn es erschöpft alle Momente des Verstandes, unter welche jeder andere Begriff gebracht werden muß". Dadurch wird "nun alle Behandlung eines jeden Gegenstandes der reinen Vernunft selbst wiederum systematisch". Die Anwendung dieses "Leitfadens" ist nach Kant so zu denken, daß er "immer durch dieselbe feste, im menschlichen Verstände a priori bestimmte Punkte geführt werden muß" und so "jederzeit einen geschlossenen Kreis bildet, der keinen Zweifel übrig läßt, daß der Gegenstand eines reinen Verstandesoder Vernunftbegriffs, so fern er philosophisch und nach Grundsätzen a priori erwogen werden soll, auf solche Weise 104 vollständig erkannt werden könne". Diese Ausführungen sind zunächst klar und scheinen keiner weiteren Erläuterung zu bedürfen. Kant verweist selbst auf die Anwendung in der Kritik der reinen Vernunftr 102 103

104

insbesondere

IV, 324/25. Vgl. Heidemann, I., Kategorientafel a.a.O., S. 55: "Unter diesem Aspekt kann die Tafel auf Grund der Leerheit der Kategorien als oberster Begriffe für alle Gegenstandsbestimmung, noch unabhängig vom Bezug auf die Sinnlichkeit gedacht, als ein Leerstellensystem oder als Klassifikationssystem gelten, das den jeweiligen systematischen Ort bestimmt." IV, 325.

Die kategoriale Fundierung apriorischer System

115

auf die "Tafel der Grundsätze", für die die "Tafel der Kategorien ... die ganz natürliche Anweisung" angibt, weil die Grundsätze nichts anderes als "Regeln des objektiven Gebrauchs" der Kategorientafel sind. 1

Auf die positive Zuordnung der

Kategorientafel zu allen übrigen Tafeln wie die "Tafel der Einteilung des Begriffs von Nichtsund der Transzendentalen

Dialektik

auf ihre Anwendung in

kann hier nicht weiter einge-

gangen werden. Sie beträfe das Problem der Anwendung des Systems der Kategorien in der Kritik

der reinen

Vernunft

selbst.

3.2. Die kategoriale Fundierung apriorischer Systeme der Natur und der Sitten Für die Fundierung eines metaphysischen Systems im Ganzen ist es entscheidend, daß für Kant eine Anwendung der Kategorientafel als Leitfaden metaphysischer Methodologie in zweierlei Hinsicht möglich ist. Die Tafel gibt, so Kant, bei der Untersuchung der Gegenstände der reinen Vernunft sche Einheit nach außen. Für die Kritik

systemati-

der reinen

Vernunft

heißt das zunächst systematische Einheit für ein mögliches System der Transzendentalphilosophie.

In diesem

Zusammenhang

kommen der Kategorientafel zwei systematische Funktionen zu, sie ist methodische Grundlage der Gegenstandssetzung als solcher und begründet zugleich die Grundlagen der besonderen Gegenstandsstruktur. Ihre wissenschaftstheoretische

Bedeutung

liegt vor allem darin, "wissenschaftskonstituierend

für die

Objektbestimmung der Grundsätze des reinen Verstandes wie als 'Plan zum Ganzen' einer jeden apriorischen Wissenschaft und 107 jeder entsprechenden Problemexposition zu sein". In der zweiten Funktion konstituiert sie den Bereich eines "beson105 106

107

B 200. B 346. "Weil die Kategorien die einzigen Begriffe sind, die sich auf Gegenstände überhaupt beziehen, so wird die Unterscheidung eines Gegenstandes, ob er Etwas, oder Nichts sei, nach der Ordnung und Anweisung der Kategorien fortgehen." Heidemann, I., System der Kategorien, a.a.O., S. 34.

116

MA als apriorischer Rahmen einer Rechtsphilosophie

deren" Metaphysik, für deren Methodologie sie als "Grundtafel" systematische Einheit garantieren soll. In diesen Aussagen wird eine komplexe Anwendungsproblematik deutlich. Daß die Kategorientafel die Bedingung von systematischer Wissenschaft, von Systemeinheit überhaupt ist, hat die Kritik der reinen Vernunft zweifelsfrei nachgewiesen. Wird ihre Evidenz geleugnet, bleibt alle Fundierung fraglich. Das Fundierungsverhältnis selbst wird aber nur in Ansätzen im Kantischen Werk dargestellt. Nimmt man Kants Aussagen ernst, nach denen die Kategorien sich nicht nur als Fundamentalprinzipien des in der Kritik der reinen Vernunft entworfenen Systems und seiner Fortführung auf besondere Gegenstände der Natur erweisen, sondern ihnen darüber hinaus auch systemkonstituierende Funktion für das "doktrinale Geschäft" zukommt, könnte mit ihrer Hilfe der Entwurf einer metaphysischen Methodologie auch im Anwendungsbereich der praktischen Vernunft und des daraus folgenden besonderen metaphysischen Systems versucht werden. In diesem Sinne würde die Kategorientafel als "systematische Topik ... Anweisung und Leitfaden eines dynamischen

Systems" abbil-

den, "das alle möglichen Systeme der reinen Philosophie in sich enthält und mit dem - in Verbindung mit dem jeweils Gegebenen - andere System erzeugt werden können. Die systematische Topik mag daher ein Systemmodell nannt werden".

zur Bildung apriorischer System ge-

1

Als logisches, in sich selbst gegründetes System bleibt die Kategorientafel als Funktion des reinen Verstandes leer und unbestimmt und stellt auch in ihrer transzendentalen Wendung noch keine inhaltliche Wissenschaft vor. Mit dem Begriff des Gegenstandes und der Konstitution der Gegenstandsbereiche der Natur und der Freiheit

ergibt sich erst der Begriff der Wis-

senschaft. Durch die von Kant entworfene prinzipielle Möglichkeit der transzendentalen Extrafundierung durch die Kategorien kommt ihnen entscheidende systematische Funktion nach außen

108

Heidemann, I., Kategorientafel,

a.a.O., S. 56/57.

Die kategoriale Fundierung apriorischer Systeme

117

zu. Konkret ist hier die Frage zu stellen, wie die Systembildung in den metaphysischen Anfangsgründen am methodischen Leitfaden der Kategorientafel möglich wird, um damit die Eingangsfrage der "Kritik": Wie ist Metaphysik als Wissenschaft möglich?" in positiver Hinsicht zu entscheiden. In bezug auf die "vorhabende spekulative Wissenschaft" wird sie dadurch beantwortet, daß der Verstand selbst wissenschaftliche Einheit garantiert, indem er durch seine Elementarbegriffe die Form des Systems enthält, denn "Vollständigkeit einer Wissenschaft" ist "nur vermittelst einer Idee des Ganzen der Verstandeserkenntnis a priori und durch die daraus nur durch ihren Zusammenhang 1 09 %n evnem System möglich". Die Bedingung der Möglichkeit des Einheitscharakters der Wissenschaft ist somit ein a priori angesetztes Prinzipiengefüge, welches durch die Kategorientafel vorgestellt wird. Sie gibt nach Kant "Anweisung" auf alle "Momente" einer zukünftigen metaphysischen Wissenschaft und bestimmt deren "Ordnung". Für die Metaphysischen der Naturwissensohaft

Anfangsgründe

werden die methodischen Konsequenzen die-

ses wissenschaftstheoretischen Entwurfs vorgestellt; in ihnen hat Kant seine "Probe" gegeben, und so läßt sich für die Metaphysik der Natur auch am ehesten bestimmen, wie "Momente" und "Ordnung" der Wissenschaft näher zu denken sind. Das "Systematische", was zur "Form einer Wissenschaft" geh ö r t , 1 1 0 wird al s apriorisches Natursystem vorgestellt, das der empirischen Naturerkenntnis vorausgeht und zu dem die Kritik die begrifflichen Grundlagen

(Urteile, Begriffe, Grund-

sätze) zur Verfügung stellt. Metaphysik der Natur ist somit apriorisches Wissen aus reiner Vernunft von der Natur der Dinge. Das durchgängig konstituierende Prinzip ist die Kategorientafel als "Grundtafel", die die Gliederung, das formale Moment vorgibt. 109 110 111

111

B 89. IV, 306. Auf die Anwendungsproblematik im Bereich der besonderen Metaphysik, für die die Kategorientafel der Vermittlung durch Grundsätze bedarf,

118

MA als apriorischer Rahmen einer Rechtsphilosophie

Durch das Verfahren ihrer Anwendung, den "Gegenstand ... je112

derzeit mit allen notwendigen Gesetzen des Denkens"

zu ver-

gleichen, ergibt sich eine bestimmte Anzahl von Erkenntnissen, die den Systemteil der Anfangsgründe der Naturwissenschaft im Sinne einer geschlossenen apriorischen Theorie von der Natur möglich machen. In den Ausführungen der Vorrede zu den Metaphysischen

Anfangsgründen

der Naturwissenschaft

ist die Funk-

tion der Kategorien für die Systembildung klar ausgewiesen, in der Durchführung ergeben sich jedoch erhebliche Schwierigkeiten. So wird der Ubergang von den apriorischen Prinzipien der allgemeinen Metaphysik zu der besonderen Metaphysik im Sinne Metaphysischer

Anfangsgründe

der Naturwissenschaft

als "Sprung"

oder "Riß" interpretiert, der besonders das Problem von Systematik und objektiver Erkenntnis betrifft.

Gemessen wird das

Ideal der Vermittlung von Systematik und gesicherter Erkenntnis an der Mathematik; hier folgt es aus der Gewißheit, die sie sowohl bezüglich ihres apriorischen Gegenstandes als auch der apriorischen Prinzipien haben kann. Die Metaphysik der Natur dagegen verfügt zwar über apriorische Prinzipien, der Kategorien und Grundsätze, der Gegenstand jedoch ist empirisch gegeben. "Das Entscheidende ist, daß zum begrifflichen, also apriorischen (oder 'metaphysischen') Teil jeder besonderer 114

Wissenschaft empirische Begriffe gehören müssen."

Es kann

hier nicht entschieden werden, inwiefern aus einer "glatten" Anwendung der transzendentalphilosophischen Prinzipien die

112 113

114

die ein Schema für die Metaphysik der Natur abgeben, verweisen vor allem Plaas, a.a.O., S. 68 ff. und Schäfer, L., Kants Metaphysik der Natur, Berlin 1966, S. 24. IV, 473. Die Diskussion um die Anwendung der Prinzipien der allgemeinen Metaphysik auf die besondere, resp. der Ontologia auf die Metaphysik der Natur kann hier nicht aufgegriffen werden. Vgl. hierzu vor allem die Untersuchungen von Plaas, a.a.O., Schäfer, a.a.O., und Hoppe, H., Kants Theorie der Physik, Frankfurt a.M. 1968. Eine Zusammenfassung der Diskussion mit kritischer Beurteilung bei Simon, a.a.O., S. 270 ff. Simon, a.a.O., S. 279. "Mit diesen Begriffen erhält der reine begriffliche Teil einer Naturwissenschaft erst eine mögliche Beziehung auf einen Gegenstand, die der Mathematik schon a priori mitgegeben ist."

Die kategoriale Fundierung apriorischer Systeme

119

besonderen Grundbegriffe der Metaphysik zu verstehen sind. Aber, sofern Wissenschaft konstituiert werden soll als System, müssen solche Grundbegriffe und Grundsätze notwendig vorausgesetzt werden, da sie auch in jeder wissenschaftlichen Grundlegung wirklich sind. Die Metaphysik der Natur und die Metaphysik der Sitten verlangen als besondere metaphysische Wissenschaftsbereiche auch einen je besonderen eigenen Ansatz. Die prinzipientheoretische Grundlegung folgt für beide aus dem transzendentalen Ansatz; nichts anderes besagt die von Kant ausdrücklich hervorgehobene "Leitfaden"-Funktion der Kategorientafel, die in den Metaphysischen turwissenschaft

Anfangsgründen

der Na-

so deutlich expliziert wird. Die besonderen

Begriffe, die das Objekt bestimmen, müssen aus einem anderen Bereich genommen werden, der entweder empirisch ist oder doch einen Übergang zur Empirie denken läßt. Es wird noch zu zeigen sein, daß insbesondere die Ubergangsfunktion von Apriorischem zu Empirischem das Eigentümliche des Kantischen Rechtsbegriffs U4. 115 ausmacht. Aufgrund solcher Reflexionen ist nun sicher zu fragen, ob sich für den begrifflichen, apriorischen Teil der besonderen Metaphysik der Sitten bezüglich des Rechts, also für sische Anfangsgründe

der Rechtslehre

Metaphy-

vergleichbare Probleme

wie für die Naturwissenschaft ergeben. Vorausgesetzt wird die These, daß die methodische Anwendung der Kategorientafel als Leitfaden metaphysischer Untersuchungen auch für eine Metaphysik des Rechts bezüglich ihres a priori begrifflichen Teils gelten muß, da Kant ausdrücklich betont, daß er seine Tafel als Leitfaden jeder metaphysischen Untersuchung verstanden wissen will und er andererseits auch für das Recht einen besonderen metaphysischen Teil fordert. Vorausgesetzt also, Kant versucht die kritische Begründung einer sich in der praktischen Philosophie entfaltenden Sittenlehre in besonderen metaphysischen Teilen der Rechts- und der Tugendlehre, so gilt 115

Vgl. VI, 205 "... reiner, jedoch auf Praxis (Anwendung auf in der Erfahrung vorkommende Fälle) gestellter Begriff".

120

MA als apriorischer Rahmen einer Rechtsphilosophie

die Frage zunächst wiederum dem Begründungsverhältnis. Daß Kant den beiden Kritiken

der theoretischen und praktischen

Vernunft hier analoge Bedeutung für die Grundlegung der Wissenschaften zuspricht, wird deutlich in der Vorrede zur Kritik der praktischen

Vernunft. Hier nimmt Kant für die beiden

Kritiken in Anspruch, daß "die Prinzipien a priori zweier Vermögen des Gemüts, des Erkenntnis- und Begehrungsvermögens, ausgemittelt und nach den Bedingungen, dem Umfange und Grenzen ihres Gebrauchs bestimmt" wären, darüber hinaus aber auch "zu einer systematischen, theoretischen sowohl als praktischen Philosophie als Wissenschaft sicherer Grund gelegt" wor• 116 den sei. Wieweit der Parallelismus zwischen den beiden Kritiken

be-

hauptet werden kann, soll im Rahmen dieser Untersuchung kurz überlegt werden. Unterschieden werden kann eine parallele negative und positive Aufgabe beider Propädeutiken: die negative Bestimmung liegt einmal in der Grenzziehung der reinen theoretischen, zum anderen der empirisch praktischen Vernunft. Als parallele positive Aufgabe sollen beide Kritiken nunft den "sicheren Gang einer Wissenschaft"

der Ver-

ermöglichen.^^

Stellt die Kritik der reinen Vernunft die fundamentalen Prinzipien der theoretischen Vernunft als Bedingungen der Möglichkeit von Naturgesetzen für eine künftige Naturwissenschaft zur Verfügung, so gibt die Kritik der praktischen bindung mit der Grundlegung

zur Metaphysik

Vernunft in Ver-

der Sitten das

Grundgesetz der sittlichen Erfahrung. Insofern ist auch diese Kritik Propädeutik, da sie einer zukünftigen Wissenschaft der Sitten die Aufgabe zuweist, diese Gesetzgebung im einzelnen auszuarbeiten. Dazu liefert sie den Aufweis der Grundsätze, die Pflicht möglich machen, als Gesetze der reinen praktischen Vernunft. Die Ausarbeitung in der Metaphysik

der

Sitten

ist so zu denken, daß diese Grundsätze auf den Menschen als be116 117

V, 12. Beck, a.a.O., S. 53 ff.

Die kategoriale Fundierung apriorischer Systeme

121

sonderes empirisches Wesen angewandt werden. Die Vorleistungen der Kritik

der praktischen

Vernunft

als Propädeutik sieht Beck

besonders in der grundlegenden Klärung der zentralen Frage der 118 Metaphysik der Sitten-. Wie ist ein synthetisch praktischer Satz möglich? Die Beantwortung kann nur durch den Nachweis des synthetischen Gebrauchs der reinen praktischen Vernunft in der Kritik

der praktischen

physik

der Sitten

Vernunft

und der Grundlegung

zur

Meta-

geleistet werden, durch den die Evidenz des

kategorischen Imperativs und damit die Autonomie des Willens gesichert werden. Um mit diesem eigentümlichen Gebrauch der praktischen Vernunft dem Vorwurf des Dogmatismus zu entgehen, bedarf es einer "Kritik dieses Vernunftvermögens selbst", da Sittlichkeit sonst als spekulatives "Hirngespinst" abgetan werden könnte. 119 Während die Grundlegung

zur Metaphysik

der Sitten,

wie Beck

ausführt, nur von der "Struktur der Sittlichkeit" handelt und durch analytische Methode die Formel sittlichen Handelns entdeckt, hat die Kritik

der praktischen

Vernunft

zu zeigen, daß

"reine Vernunft einen realen Gebrauch in der Praxis, nicht nur einen logischen Gebrauch in der hypothetischen Analyse des bloß möglichen Begriffs der Sittlichkeit oder in der Organisierung unserer Erfahrung zum Zwecke eines nur pragmatischen Erfolges hat". Darüber hinaus sind "die synthetischen Sätze a priori, die in der Analyse der Sittlichkeit gefunden wer120 gerechtfertigt".

den", durch sie "wirklich

Wenn die Kritik in diesem Sinne als Propädeutik zu verstehen ist, dann ist zunächst nach ihrem Verhältnis zum System der Wissenschaft zu fragen. Nach Abschluß der kritischen Grundlegung ist das System der zukünftigen Metaphysik in zweierlei Hinsicht denkbar:

118 119 120

VI, 249. Vgl. Beck, a.a.O., S. 60 f. IV, 445. Beck, a.a.O., S. 61/62.

122

MA als apriorischer Rahmen einer Rechtsphilosophie

1. In praktisch-dogmatischer Hinsicht als System von Gott, Freiheit, Unsterblichkeit. - Hier "beschreibt sie ihren Horizont, der, von der Freiheit, als übersinnlichem, aber durch den Kanon der Moral erkennbaren Vermögen theoretisch-dogmatisch anhebend, eben dahin auch in praktisch-dogmatischer, d.i. einer auf den Endzweck, das höchste in der Welt zu be121 fördernde Gut gerichteten Absicht zurückkehrt". 2. In praktisch-moralischer Hinsicht als System aller Grundsätze a priori der Sittlichkeit oder als "moralisch-praktische Vernunftwissenschaft, welche Metaphysik

der Sitten ge-

nannt werden kann", welche ebenfalls "die Freiheit, aber nicht nach dem, was es seiner Natur nach ist, sondern nach demjenigen, was es in Absehung des Tuns und Lassens für praktische Prinzipien begründet, zum Gegenstande hat".

1 22

Die methodologische Untersuchung dieser Arbeit kann sich nur auf das System der Metaphysik im praktisch-moralischen Verstände beziehen, welches aber ebenfalls vollständig nicht vorliegt, sondern wie die Metaphysik der Natur ein stets zurückweichendes Ideal war. Entstanden sind in beiden Teilen metaphysische Anfangsgründe, eine weitere Propädeutik künftiger metaphysischer Systeme.

3.3. Die Bedeutung der Kategorien der Freiheit für die Metaphysik des Rechts Nach diesen Ausführungen muß gefragt werden, welche prinzipientheoretischen Grundlagen nun die Kritik der Vernunft

praktischen

für die metaphysischen Anfangsgründe einer besonderen

Metaphysik des Rechts zur Verfügung stellt. Wenn für die theoretische Philosophie die Grundstruktur in der Entfaltung des

121 122

xx, XX,

293. 300.

Die Bedeutung der Kategorien der Freiheit

123

"Ich-denke" im kategorialen Prinzipiengefüge bezogen auf Anschauung einen Gegenstandsbereich konstituierte, so kann für die praktische Philosophie ein ähnliches Begründungsverhältnis aufgezeigt werden. Analog zum Prinzip der transzendentalen Apperzeption setzt Beck für die praktische Vernunft als "höchster Punkt" das vernünftige Begehren

("Ich begehre vernünftig"),

welches alle meine Vorstellungen des Begehrens begleiten kön123 nen muß.

Dieses "vernünftige Begehren" im Sinne einer "Kau-

salität der reinen Vernunft" wird in der Kritik Vernunft

der

praktischen

als "reines praktisches Prinzip" der Willensbestimmung

vorausgesetzt. Die Formen, in denen sich diese "Kausalität der reinen Vernunft" entfaltet, gibt Kant mit den Kategorien der praktischen Vernunft, oder wie er sie gorien

der Freiheit.

auch nennt, den

Kate-

Als "modi einer einzigen Kategorie, näm-

lich der der Kausalität, so fern der Bestimmungsgrund

dersel-

ben in der Vernunftvorstellung eines Gesetzes derselben besteht, welches als Gesetz der Freiheit die Vernunft sich selbst gibt und dadurch sich a priori als praktisch beweiset", bringen sie nicht wie die "reinen Verstandesbegriffe" das Mannigfaltige der sinnlichen Anschauung unter ein Bewußtsein a priori, sondern sie unterwerfen "das Mannigfaltige der rungen

Begeh-

der Einheit des Bewußtseins einer im moralischen Ge-

setze gebietenden praktischen Vernunft oder eines reinen Wil• „ 124 lens a priori . Sie gehen auf die "Bestimmung einer freien

Willkür"

durch auf "Handlungen", aber nicht als "Verhalten

und da-

intelligib-

ler Wesen", sondern auf Akte, die als "Begebenheiten in der Sinnenwelt" den Erscheinungen zugehörig sind. Um die Kategorien vor dem Vorwurf der "Leerheit" zu bewahren, da ihnen ja keine "Anschauung völlig korrespondierend gegeben werden

123

124

Beck, a.a.O., S. 136. "Das Mannigfaltige der Begierden wird durch die Vernunft nach praktischen Gesetzen oder Regeln verknüpft, und die Einheit des Gegenstandes, auf den sie abzielen, heißt 'das Gute'." Ebd., S. 137. V, 65.

124

MA als apriorischer Rahmen einer Rechtsphilosophie 125

kann",

werden sie bezogen auf den Grundsatz, den Kant als

"Faktum der reinen praktischen Vernunft" entwickelt, da sie "ein reines praktisches Gesetz a priori zum Grunde liegen" v ,K 126 haben. Kant spricht in diesem Zusammenhang nicht zwei verschiedene Denkgesetzlichkeiten an, sondern betont zunächst die Verschiedenheit der Vernunft, die mit den Begriffen der reinen spekulativen Vernunft "im Ubergange zu einem ganz anderen Gebrauche betrachtet wird, als den sie dort von ihnen machte. Ein solcher Ubergang macht aber eine Vergleichung des älteren mit dem neuen Gebrauche notwendig, um das neue Gleis von dem vorigen wohl zu unterscheiden und zugleich den Zusammenhang derselben 1 27 bemerken zu lassen". Der Grund der Vergleichung liegt darin, daß beide, die praktische und die spekulative, reine Vernunft sind und der "Unterschied der systematischen Form der einen von der anderen" nur durch "Vergleichung beider bestimmt" wer128 den kann.

Dem "systematischen Gang einer zu errichtenden

Wissenschaft" ist das Ganze aber schon vorgezeichnet, durch die "Kritik der reinen Vernunft". Von der "reinen praktischen Vernunft" wird "aus der Kritik der letzteren" ein System entwickelt, bei dem es darauf ankommt, "den rechten Gesichtspunkt, aus dem Ganze derselben richtig vorgezeichnet werden kann, 12 9 nicht zu das verfehlen". Für den Gang der wissenschaftlichen Untersuchung ist es daher auch von großer Wichtigkeit, "daß jeder Schritt, den man mit der reinen Vernunft tut, sogar im praktischen Felde, wo man auf subtile Spekulation gar nicht Rücksicht nimmt, dennoch 125 126

127 128 129

V, 65. Als Untersuchung zu Kommentar zu Kants einzig mir bekannte andersetzung. Seine mit einbezogen. V, 7. V, 89. V, 7/8.

den Kategorien der praktischen Vernunft ist der Kritik der praktischen Vernunft von Beck der ausführliche Versuch einer ernsthaften AuseinInterpretationsansätze werden auch im weiteren

Die Bedeutung der Kategorien der Freiheit

125

sich so genau und zwar von selbst an alle Momente der Kritik der theoretischen Vernunft anschließe, als ob jeder mit überlegter Vorsicht, bloß um dieser Bestätigung zu verschaffen, ausgedacht wäre . Die Anwendung der Kategorien ist anders als bei den sischen

Anfangsgründen

der Naturwissenschaft

Metaphy-

für die Rechts-

und Tugendlehre Kants umstritten. Die Beurteilung in der Literatur geht überwiegend dahin, daß Kant, "anders als bei seiner Tafel der theoretischen Kategorien" keinen "weiteren Gebrauch" von der Tafel der Kategorien der Freiheit macht, wobei hier unter "Gebrauch" offensichtlich eine parallele Anwendung in den metaphysischen Anfangsgründen verstanden w i r d . ^ ^ Es sollte zunächst darauf verwiesen werden, daß Kant schon in der Grundlegung

zur Metaphysik

der Sitten

von dem kategoria-

len Leitfaden Gebrauch macht, und daß auch einige Briefstellen und Vorarbeiten physischen

für eine kategoriale Konzeption der Meta-

Anfangsgründe

der Rechtslehre

sprechen. Da noch

nicht sicher geklärt ist, welche Kategorientafel hier zur Anwendung kommt, muß zunächst davon Abstand genommen werden, den "Gebrauch" der beiden Tafeln zu parallelisieren.

Vorausgesetzt

werden muß aber eine sehr viel differenziertere Anwendungsmöglichkeit der Kategorientafel der Kritik

der reinen

Vernunft.

Wie schon ausgeführt, ist sie der methodische Leitfaden jeder metaphysischen Untersuchung und liegt dem praktischen Gebrauch der reinen Vernunft unabhängig von jeder anderen konzipierten Tafel zugrunde; demonstriert werden kann das an der gung zur Metaphysik

130 131

der Sitten,

Grundle-

in der Kant zweifellos von den

V, 106. Vgl. hierzu auch Beck, a.a.O., S. 280, Anm. 30. "Da die Metaphysischen Anfangsgründe der Naturwissenschaft entsprechend der Kategorientafel der ersten Kritik aufgebaut sind, konnte man darauf gefaßt sein, daß die Tafel der Kategorien der Freiheit der gesamten Metaphysik der Sitten in ähnlicher Weise zugrunde liegen würde." Zur Bedeutung der Kategorien für die Grundlegung eines apriorischen Begriffsystems des Rechts siehe dagegen Hess, H.J., Die Obersten Grundsätze Kantischer Ethik und ihre Konkretisierbarkeit. Kantstudien Erg.-Heft 102, 1972.

126

MA als apriorischer Rahmen einer Rechtsphilosophie

Kategorien Gebrauch macht, und die vor der Konzeption der Kategorien der Freiheit entstanden sein dürfte. In dieser fundamentalen methodischen Funktion finden die Kategorien der theoretischen Vernunft ihren Anwendungsbereich in allen allgemeinen und besonderen metaphysischen Untersuchungen, also in gleicher Weise sowohl in den Kritiken als auch in den metaphysischen Anfangsgründen. Da die Kategorientafel der Freiheit schon eine "Anwendung" der "Grundtafel" im allgemeinen metaphysischen Bereich der reinen praktischen Vernunft ist, muß ihre Anwendung im besonderen metaphysischen Bereich der praktischen Philosophie in anderer Weise vorgestellt werden können. Beide Tafeln ermöglichen den "sicheren Gang der Wissenschaft bezüglich ihrer Gegenstandskonstitution. Die Kategorientafel der theoretischen Vernunft findet darüber hinaus aber noch eine weitere Verwendung methodischer Art, die in einer Graphik versuchsweise so vorgestellt werden könnte:

Kategorien der theoretischen Vernunft

-.— methodisch



methodisch

I



gegenstandskonstiuierend

gegenstandskonstituierend

Kategorien der praktischen Vernunft

Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft

i

Kritik der praktischen Vernunft

i

Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre und der Tugendlehre

Es ist unter diesem Aspekt problematisch zu fordern, daß die Kategorientafel der praktischen Vernunft den Metaphysischen Anfangsgründen

der Rechts-

und Tugendlehre

"in ähnlicher Weise"

zugrundeliegen müßte. Kant kann ihr nicht die gleiche Leitfadenfunktion für metaphysische Untersuchungen zusprechen, da sie bereits Anwendung des "Leitfadens" demonstriert. Daß aber

Die Bedeutung der Kategorien der Freiheit

127

die Kategorien der praktischen Vernunft weitere metaphysische Anfangsgründe konstituieren, wenn auch in anderer Hinsicht, wird von ihm ausdrücklich betont. "Dergleichen nach Prinzipien abgefaßte Einteilung ist aller Wissenschaft ihrer Gründlichkeit sowohl als Verständlichkeit halber sehr zuträglich. ... Auf diese Weise übersieht man den ganzen Plan von dem, was man zu leisten hat, sogar jede Frage der praktischen Philosophie, die zu beantworten, und zugleich die Ordnung, die zu befolgen 1 32 ist." Kant zeigt in diesem Zusammenhang auch auf, wie eine Anwendung zu denken sei: im Ubergang der Kategorien der Modalität, die den Begriff der Pflicht für die weitere metaphysische Untersuchung erst zur Verfügung stellen. Durch ihn wird in seiner Anwendung auf die sinnliche

Natur des Menschen, der

sich damit als verpflichtetes Wesen begreift, die Konstitution einer besonderen Metaphysik des Rechts im Sinne einer äußeren Pflichtenlehre erst möglich.

132 v, 67.

4. Die Prolegomena einer Metaphysik des Rechts 133 4.1. Der Aufbau der Vorrede und der Einleitungen der Metaphysik der Sitten Für eine nähere Bestimmung der metaphysischen Anfangsgründe als apriorischer, in sich geschlossener Teil einer Metaphysik des Rechts, in dem die kategoriale Systematik zur Anwendung kommt, ergibt sich zunächst ein Textproblem. Folgt man Kants Aussagen in der Metaphysik

der Sitten, so vollzieht sich diese

Rahmenkonstitution nicht in den beiden Teilen der Rechtslehre, dem Privatreaht

und dem öffentlichen

Reaht, sondern in ihnen

vorhergehenden "Prolegomenen", die den Systementwurf einer 134 praktischen Philosophie überhaupt vorstellen. Die "Prolegomenen" enthalten, wie Kant ausführt, eine oberste Einteilung des Systems nach Prinzipien, die einer Einteilung der Rechtslehre vorausgeht; des weiteren eine Bestimmung des Gegenstandes, bzw. des Bereichs der besonderen Wissenschaft und die Erörterung des methodischen Verfahrens der Untersuchung. Insgesamt ergeben sie einen rein begrifflichen oder apriorischen Rahmen, der in der Metaphysik

der Sitten

in drei-

facher Weise vorliegt: 1. einer Metaphysik der Sitten überhaupt

(VI, 211 - 221 und

239 - 242.11) 2. einer Rechtslehre

(VI, 205 - 210 und 229 - 238 und 242.12

- 19) 3. einer Tugendlehre

133

134

(VI, 375 - 413).

Dem Begriff Prolegomenon wird hier nicht die Bedeutung von "Vorübung" oder Vorbemerkung zugrundegelegt, sondern die in der Bestimmung der Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik enthaltene eines Planes einer künftigen Metaphysik oder einer Einleitung zu einer Wissenschaft; vgl. IV, 263. "Da es nun in Ansehung des angebornen, mithin inneren Mein und Dein keine Rechte, sondern nur Bin Recht gibt, so wird diese Obereinteilung als aus zwei dem Inhalte nach äußerst ungleichen Gliedern be-

Vorrede und Einleitungen der MdS Die genannten Vorreden

und Einleitungen

129

enthalten im wesentli-

chen das, was die prinzipientheoretische Grundlage einer besonderen metaphysischen Wissenschaft ausmacht, ohne der Beispiele aus ihrem empirischen Anwendungsbereich zu bedürfen. Sie enthalten den apriorischen Rahmen der Rechtslehre und sind daher unabhängig von der Terminologie und dem Stoff, der diesen Rahmen später ausfüllt und der in dem ersten Teil, dem Privatreoht

und dem zweiten Teil, dem öffentlichen

Reoht

der

Rechtslehre vorliegt. Der in der Begründung dieses eingefügten inhaltlichen Materials sichtbar werdende Systementwurf ist in systematischer Abhängigkeit zu der kritischen Philosophie zu interpretieren, d.h. als Demonstration für die Richtigkeit der transzendentalen Methode, auch wenn die inhaltlichen Ausführungen oft in die Nähe traditioneller Naturrechtslehren treten. 1 35 Dem Nachbertaht

der Akademieausgabe

zufolge erschienen

die beiden Schriften der Rechts- und Tugendlehre einesteils gesondert als metaphysische Anfangsgründe, wobei die sischen

Anfangsgründe

der Rechtslehre

Metaphy-

eine Vorrede und die dop-

pelte Einleitung in die Metaphysik der Sitten und die Rechtslehre enthalten, andererseits werden beide Schriften vereint herausgegeben unter dem Titel "Die Metaphysik der Sitten in zwei Teilen", einem "Obertitel", der gleichlautend

jeder der

beiden Schriften vorgesetzt ist. Diese Titelgebung ruft die Erwartung einer Homogenität in Aufbau und Durchführung hervor, die im vorliegenden Werk nicht erfüllt w i r d . ^ ^ Plan und Ausführung in formaler Hinsicht stimmen vielfach für die Metaphysik

135 136

der Sitten

nicht überein. Ihre beiden Tei-

stehend in die Prolegomenen geworfen und die Einteilung der Rechtslehre bloß auf das äußere Mein und Dein bezogen werden können". VI, 238. VI, 519. Interessant ist hierzu der Vergleich mit den Metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft, da es sich auch hier um vier besondere metaphysische Anfangsgründe handelt, nämlich der Phoronomie, Dynamik, Mechanik und Phänomenologie; ihnen könnte analog der Obertitel vorgeheftet werden: Metaphysik der Natur in vier Teilen.

130 le

MA als apriorischer Rahmen einer

Rechtsphilosophie

sind nicht homogene Elemente eines einzigen großen Werkes

über die Moral als System der Pflichten überhaupt, sondern zwei je verschiedene, besondere metaphysische

Systemgrundle-

gungen, die aber gleichwohl in ihrer prinzipientheoretischen Grundlegung vieles gemeinsam haben. Kant evoziert den Eindruck der homogenen Gliederung des Systems durch sein Schema der "Einteilung

der Moral

als eines

Systems

der Pflichten

über-

haupt. yv. Elementarlehre -A N Rechtspflichten, Tugendpflichten S N Privatrecht, öffentliches R.

Methodenlehre ^ A ^ Didaktik Asketik

und so weiter, alles, was nicht bloß die Materialien, sondern auch die architektonische Form einer wissenschaftlichen

Sit-

tenlehre enthält; wenn dazu die metaphysischen

Anfangsgründe 137 die allgemeinen Prinzipien vollständig ausgespürt haben." Diese Einteilung wird im Werk selbst nicht berücksichtigt. Elementarlehre und Methodenlehre finden ihre Anwendung nur in der Tugendlehre, die allgemeine Rechtslehre wird nicht mehr eindeutig als Elementarlehre ausgewiesen, und die ethische Methodenlehre bezieht sich wiederum in ihren Abschnitten daktik" und "Asketik" nur auf die vorhergehende

"Di-

Tugendlehre,

während sie für das ganze System erwartet wird. Nach dem Text der Metaphysik

der Sitten

müßte die Einteilung so vorgestellt

werden: System der^Pflichten Rechtspflichten /\ Privatrecht, öffentl. Recht

137

VI, 242.

Tugendpflichten . A Elementarlehre Methodenlehre A r v Didaktik Asketik

Vorrede und Einleitungen der MdS

131

Das hieße aber in der Konsequenz, daß eine Elementarlehre der Rechtspflichten nicht durchgeführt worden ist und explizit wird sie auch im Text nirgends genannt. Dem könnte entgegengehalten werden, daß Kant in den beiden metaphysischen Anfangsgründen zwei besondere Elementarlehren, eine der Rechts- und eine der Tugendpflichten geliefert habe. Hier liegt die Schwierigkeit schließlich im Nachweis der Systemstücke, die diese Elementarlehre enthalten.^® Wenn die metaphysischen Anfangsgründe eindeutig als Elementarlehren ausgewiesen werden könnten, dann müßte die Methodenlehre, der Kantischen Einteilung des Systems zufolge, aus ihnen ausgegliedert werden. Das ist aber in den Metaphysischen Anfangsgründen der Tugendlehre, die die Methodenlehre allerdings unter einem anderen systematischen Aspekt eingliedert, nicht der Fall. Sie gibt eine "Einteilung der Ethik nach Prinzipien eines

Systems

der einen

praktischen

Vernunft.

Ethische r

Elementarlehre A Dogmatik Kasuistik

A

Methodenlehre A . Katechetik Asketik

Diese Einteilung gibt als "Grundriß des Ganzen" die "Form der Wissenschaft" vor. 138

139

139

Vgl. hierzu den Anfang der Metaphysischen Anfangsgründe der Tugendlehre, der ebenfalls eine mehrdeutige Bestimmung der Elementarlehre zuläßt. Der ethischen Elementar lehre Erster Teil VI, 417 Der Tugendlehre Erster Teil Ethische Elementar lehre VI, 421 Diese Einteilung läßt zweierlei Interpretationsmöglichkeiten zu: Es wird eine Elementarlehre in ihren beiden Bereichen (Pflicht gegen sich selbst und Pflichten gegen andere) konstituiert, und die Tugendlehre ist ein Teil derselben; oder der Begriff Elementarlehre m u ß einmal in übergeordneter Weise verstanden werden und zum anderen als ein Teil der Tugendlehre. VI, 413.

132

MA als apriorischer Rahmen einer Rechtsphilosophie

Kant, auf diese Schwierigkeit aufmerksam geworden, gibt eine unzureichende Erklärung für die Uneinheitlichkeit im Aufbau: die Ethik hat es mit weiten, die Rechtslehre mit engen Pflichten zu tun, wobei letztere,"welche ihrer Natur nach strenge (präzis) bestimmend sein muß, eben so wenig wie die reine Mathematik einer allgemeinen Vorschrift

(Methode), wie im Urtei-

len verfahren werden soll, bedarf, sondern sie durch die Tat 1 40 wahr macht .

In diesen Aussagen liegt eine andere Bestim-

mung der Methodenlehre vor, als in der Kritik der reinen

Ver-

nunft und der Logik, in denen sie die Lehre "von der Form einer Wissenschaft überhaupt oder von der Art und Weise, ... das Mannigfaltige der Erkenntnis zu einer Wissenschaft zu verknüpfen" ist. In diesem Sinne leistet die transzendentale Methodenlehre "die Bestimmung der formalen Bedingungen eines voll141 ständigen Systems der reinen Vernunft". Für die praktische Vernunft ist das analog nicht möglich, denn "unter der Methodenlehre

der reinen praktischen

kann man nicht die Art

(sowohl

im Nachdenken als im Vortrage) mit reinen praktischen Grundsätzen in Absicht auf ein wissenschaftliches

Erkenntnis dersel-

ben zu verfahren verstehen, welches man sonst im

Theoretischen

eigentlich allein Methode nennt". Unter der Methodenlehre der reinen praktischen Vernunft muß man mit Kant vielmehr die Art verstehen, "wie man den Gesetzen der reinen praktischen Vernunft Eingang

in das menschliche Gemüt, Einfluß

auf die Maxi-

me desselben" verschafft, das heißt, wie die "objektiv praktische Vernunft auch subjektiv praktisch" gemacht werden könne. 1 42 Es erhebt sich hier die Frage, inwieweit diese Bestimmung der Methodenlehre auf den Teil der praktischen Philosophie, in dem es nur um die Legalität menschlicher Handlungen geht, zutreffen kann. Für die Tugendlehre, als dem Teil, der die "Moralität der Gesinnungen" bewirken soll, ist die "Methoden140 141 142

VI, 411. IX, 139. V , 151.

Vorrede und Einleitungen der MdS lehre einer moralischen Bildung und Übung" ohne weiteres ein1 43

sichtig.

Für die ethische Elementarlehre folgt aus dem

"Zweck der Menschheit in unserer Person" die "Pflicht gegen sich selbst", die im I. Teil abgehandelt wird; der "Zweck der Menschen" und die daraus folgenden "Pflichten gegen andere" behandelt der II. Teil. Nach dieser Systematisierung des "objektiven Verhältnisses des Gesetzes zur Pflicht" folgt auch aus dem "Recht der Menschheit in unserer eigenen Person" die "Pflicht gegen sich selbst" und aus dem "Recht der Menschen" die "Pflichten gegen andere", die nun analog in den beiden Tei144 len der rechtlichen Elementarlehre abgehandelt werden müßten. Diese Parallelisierung kann aber am Text nicht verifiziert werden, denn sowohl Privatrecht, wie auch öffentliches Recht behandeln nur das "Recht der Menschen" und damit nur die äußeren Rechtspflichten, die Kant nach dem zweiten Satz des Ulpian "neminem laede" formuliert. Die erste Formel des "honeste vive", die Kant entwickelt als "sei ein rechtlicher Mensch" und damit "aus dem Rechte der Menschheit in unserer eigenen Person erklärt", muß als innere Rechtspflicht der äußeren vorhergehen. Sie kann nur ein einziges, nämlich das angeborene Recht umfassen, welches, als Bedingung der Möglichkeit allen Rechts überhaupt in den "Prolegomenen" entwickelt, den äußeren Rechtspflichten vorhergehen muß. Der dritte Teil des Systems der Rechtspflichten, nach Ulpian "suum cuique tribue", ist die Ableitung der äußeren Rechtspflicht vom Prinzip der inneren Rechtspflicht durch Subsumtion und lautet: "Tritt in einen Zustand, worin Jedermann das Seine gegen jeden Anderen gesichert 1 45

sein kann."

Sein Bereich kann nur das öffentliche

Recht

sein, das die Person als Glied der politischen Gemeinschaft betrachtet unter dem staatsrechtlichen, völkerrechtlichen und weltbürgerrechtlichen Aspekt.

143 144 145

V, 1 6 1 . VI, 240. VI, 236/237.

134

MA als apriorischer Rahmen einer Rechtsphilosophie

In diesem Sinne können die ganzen Metaphysischen gründe der Rechtslehre

Anfangs-

als Elementarlehre von den Rechtspflich-

ten aufgefaßt werden, die nach der "allgemeinen Enteilung der 1 46 Rechtspflichten" in drei Teile zerfällt. Das würde aber eine vorherige Exposition von Rechtspflichten überhaupt, bzw. des Verhältnisses von Recht und Pflichten notwendig machen. Denn der Mensch wird in der "Lehre von den Pflichten" zwar "nach der Eigenschaft seines Freiheitsvermögens" vorgestellt, dieser Teil betrifft jedoch nur die Menschheit in seiner Person, also den T e i l d e r von empirischen Bestimmungen unabhängigen Persönlichkeit, welcher zwar nicht die eigentliche Rechtslehre ausmacht, sie aber fundiert. Denn die Lehre von den Pflichten als Rechts- und Tugendpflichten zielt auf den Menschen als eben mit "jenen Bestimmungen behafteten Subjekt", für den der moralische Imperativ, "welcher ein pflichtgebietender Satz ist", gilt und "aus welchem nachher das Vermögen, andere zu verpflichten, d.i. der Begriff des Rechts, entwickelt werden kann". 1 4 7 Diese rein begriffliche Grundlegung, die den Rahmen der Rechtslehre ausmacht, der dann mit besonderen Rechtssätzen das "Recht der Menschen" betreffend ausgefüllt werden kann, ist im Kantischen Text schwer auszumachen. Er muß, da er dem Privatrecht und öffentlichen Recht zugrundeliegt, in Vorrede und Einleitungen sichtbar werden, da sonst ein wichtiger Teil in der Fundierung fehlen würde.

146

147

VI, 236. Diese Einteilungsversuche haben ihre Bedenklichkeiten und ihre ganze Problematik wird erst dann offensichtlich, wenn den metaphysischen Anfangsgründen der kategorialen Ordnung folgende Gliederungspunkte zugrundegelegt werden. Vgl. hierzu Hess, a.a.O., S. 122, der die Einteilung der äußeren Erwerbung auf die Relationskategorien und des öffentlichen Rechts auf die Quantitätskategorien zurückführt, ohne den Sachverhalt genauer zu analysieren. VI, 239. "Den formalen Rahmen um dieses sachlich derart zusammenhängende Gebiet gibt wiederum das Schema der Logik her, wobei die Elementarlehre aus den Rechts- und den Tugendpflichten besteht, die Methodenlehre sich jedoch, da Methode eine allgemeine Vorschrift bedeutet, die Rechtslehre aber enge und keine weiten Gebote enthält, allein auf die Ethik erstreckt." Anderson, G., a.a.O., S. 53.

Vorrede und Einleitungen der MdS

135

Die Unklarheiten und Schwierigkeiten, die sich bei diesem Interpretationsansatz ergeben, liegen möglicherweise in Textaufbau und -anordnung begründet. Deshalb werden für das hier angestrebte Interpretationsverfahren die relevanten Systemstücke in umgestellter Reihenfolge berücksichtigt: I. Einleitung ten

in

(VI, 211

die

ten überhaupt II.

III.

Vorrede

Metaphysik

der

- 2 2 1 ) , Einteilung

(205 -

Tafel

der

Einleitung

in IV

Abschnit-

Metaphysik

der

Sit-

(239 - 242.11),

zu d e n Metaphysischen

lehre

Sitten der

Anfangsgründen

der

Rechts-

209),

Einteilung in

die

der

Rechtslehre

Rechtslehre,

(210),

Abschnitt A

- E

(229 -

233.29), Anhang

zur

Einteilung

Einleitung der

in

die

Rechtslehre

Rechtslehre (236 - 2 3 8 u n d

(233 -

236.16),

2 4 2 . 12 -

19) .

Die ursprüngliche Anordnung erschwert eine zusammenhängende Interpretation, da argumentativ die allgemeine Einleitung und d i e Einteilung

der

Metaphysik

der

Sitten

unmittelbar

aneinan-

der anschließen und von einer Einteilung der Rechtslehre wiederum ein logisch kontinuierlicher Übergang zur eigentlichen Rechtslehre in ihren beiden Teilen ohne Einschub möglich . , 148 ist. Vom Begründungszusammenhang her ist auch nicht einzusehen, w a r u m d i e Einteilung

der

Metaphysik

der

Sitten

überhaupt

zwi-

schen die Einleitung in die Rechtslehre und die Rechtslehre selbst gehoben wurde - die o.g. Einteilung bezieht sich auf beide Teile der Metaphysik der Sitten; sie enthält die wichtige "architektonische Form" einer wissenschaftlichen Sittenbzw. Pflichtenlehre überhaupt und bestimmt insgesamt den Ge-

148

Zur Frage, warum Kant die Einleitung in die Rechtslehre zwischen Einleitung und Einteilung der Metaphysik der Sitten überhaupt eingeschoben hat, geben weder Nachbericht der Akademieausgabe noch der Briefwechsel eine Auskunft; möglicherweise liegt der Grund nur im editorischen Verfahren, da er von der Sachlogik her nicht einsehbar ist.

136

MA als apriorischer Rahmen einer Rechtsphilosophie

gegenstandsbereich und die grundlegenden Prinzipien. Sie stellt eine neue Metaphysik vor, die nicht mehr ein System von Gegenständen darstellt, sondern von Grundsätzen, Regeln und Gesetzen. Insofern ist die allgemeine Einleitung in die Metaphysik der Sitten keine Wiederholung des schon in den Kritiken Ausgeführten, sondern sie muß notwendigerweise den beiden Teilen der metaphysischen Anfangsgründe vorausgehen. Ihre fundamentale Leistung soll im weiteren hervorgehoben werden. Sie besteht vor allem aus der unerläßlichen Weiterführung des in der Grundlegung

zur Metaphysik der Sitten Begrün-

deten, nämlich die apriorischen Rahmenbedingungen für eine Theorie des handelnden Menschen überhaupt zu liefern, sofern dieser Gegenstand einer praktischen Philosophie sein soll. Wie schon früher ausgeführt, enthält die Grundlegung im Sinne einer allgemeinen Metaphysik der Sitten die "Idee und die Prinzipien eines möglichen reinen Willens", d.h. der "Grund der Verbindlichkeit" wird "a priori lediglich in Begriffen der reinen Vernunft" gesucht, während in einer besonderen Metaphysik der Sitten die "Natur des Menschen, oder den Umständen in der Welt, darin er gesetzt ist", hinzugenommen werden müssen, da Handlungen sonst nicht erklärt werden können. Zur besonderen Metaphysik der Sitten gehören so auch "die Handlungen und Bedingungen des menschlichen Wollens überhaupt, welche größtenteils 1 49 aus der Psychologie geschöpft werden" - sie sind aus dem allgemeinen metaphysischen Teil ausgesondert. Erst wenn diese Bedingungen erfüllt sind, können die besonderen Bereiche menschlichen Handelns in der Rechts- und der Tugendlehre untersucht werden. Die allgemeine Einleitung

in die Metaphysik

der Sitten hat

somit eine wichtige Ubergangsfunktion. Sie geht von der, in der Grundlegung

zur Metaphysik der Sitten vorgestellten Be-

dingung der Möglichkeit von sittlichen Handlungen überhaupt

149

IV, 389/390.

Empirische und apriorische Voraussetzungen

137

aus, legt selbst die Bedingung der Möglichkeit von sittlichen menschlichen Handlungen dar, als Grundlage der Bedingungen der Möglichkeit rechtlicher und insoweit äußerer menschlicher

Hand-

lungen, ohne die eine Rechtslehre nur empirisch fundiert werden könnte. Die in ihrem systematischen Stellenwert so ausgewiesene Einleitung

in die Metaphysik

der

Sitten

zeigt dann die

Einbettung der Rechtslehre in den Gesamtzusammenhang des Kantischen Systems, d.h. sie stellt die Metaphysischen gründe

der Rechtslehre

Anfangs-

begründungsmäßig in den Systemzusammen-

hang der kritischen Philosophie. Dadurch erbringt sie den Nachweis einer systematischen Interdependenz zumindest methodischer Art zwischen Kritiken

und Metaphysischen

Anfangsgründen.

Von diesem Ansatz her ist es möglich, den Nachweis einer transzendentallogischen Konstitution eines besonderen metaphysischen Systems zu erbringen, von dem aus es wiederum wird, die Metaphysischen

Anfangsgründe

unmöglich

der Rechtalehre

von

ihrem Ansatz her als "unkritisches Spätprodukt"

auszuweisen

und abzulehnen. Der Interpretationszusammenhang

zwingt dazu,

sie als echtes Systemstück

aufzufassen.

4.2. Die empirischen und apriorischen Voraussetzungen der Gegenstandsexposition Da es bei der "Einteilung einer Vernunftwissenschaft

gänz-

lich auf diejenige Verschiedenheit der Gegenstände ankommt, deren Erkenntnis verschiedener Prinzipien b e d a r f " , 1 5 0

ist die

Exposition des Gegenstandes unerläßliche Voraussetzung für metaphysische Anfangsgründe, wenn sie den Anspruch erheben wollen, a priori begrifflicher Rahmen für diesen

Gegenstandsbe-

reich zu sein. Denn das "doktrinale Geschäft", welches Kant in der Kritik

der

Urteilskraft

in seinen beiden Teilen als 151 Metaphysik der Natur und der Sitten ankündigt, ist metaphysische, auf besondere Gegenstände bezogene 150 151

V, 172. V, 170.

Wissenschaft

138

MA als apriorischer Rahmen einer

Rechtsphilosophie 152

oder gegenstandsbezogene schen

Anfangsgründe

stand in der Vorrede

"Sachphilosophie".

der Naturwissenschaft

Die

Metaphysi-

stellen ihren Gegen-

vor als Natur, nicht überhaupt,

sondern

als spezielle Natur, d.h. die physica rationalis ist Körperlehre als Theorie der äußeren Natur. Hier kann das wissenschaftliche Verfahren zurückgreifen auf das "Zeugnis der Erfahrung", obgleich alle Prinzipien, wenn sie in "strenger Bedeutung allgemein" gelten sollen, aus "Gründen a priori abgeleitet werden" m ü ß t e n . ^ ^ Wenn der Begriff der Materie so bestimmt wird im Rückgriff auf eine vorliegende Theorie der Natur, so können die metaphysischen Anfangsgründe einer praktischen Vernunftwissenschaft bei der Bestimmung des Gegenstandsbereichs eben nicht analog auf eine vorliegende Theorie vom Menschen zurückgreifen. Und sie liegt darum nicht vor, w e i l es nach Kant über Naturbestimmungen hinaus keine Theorie gibt und das "Praktische nach Freiheitsgesetzen Prinzipien haben kann, die von keiner Theorie abhängig sind". Hier mag auch der Grund liegen, warum Kant in der Methodenlehre Vernunft

der Kritik

der

reinen

nur eine apriorische Einteilung der theoretischen Wis-

senschaften gibt, die dann grundlegend wird für die Sachphilosophie im theoretischen Bereich. Darüber hinaus enthält sie, wie auch die Methodenlehre

der Kritik

der praktischen

Vernunft,

keine Einteilung der praktischen Wissenschaften, sie versteht sich eher 15 4 als "Methodenlehre einer moralischen Bildung und Übung" und tangiert somit die Rechtslehre nur bedingt. Denn in der Rechtslehre kommt es nicht darauf an, den "Gesetzen der reinen praktischen Vernunft Eingang fluß

ins menschliche Gemüt,

auf die Maximen desselben zu verschaffen", um

der Gesinnungen zu bewirken"

Ein-

"Moralität

hier geht es allein um die

Legalität menschlicher Handlungen. Da die Einteilung der praktischen Wissenschaften jedoch eine empirische Kenntnis des Menschen für die Definition der besonderen Pflichten als 152 153 154 155

Vgl. hierzu Zocher, a.a.O., S. 74: "Metaphysik sophie hat zum Thema bestimmte Objekte". VI, 215. V, 161. V, 151.

dagegen als Sachphilo-

Empirische und apriorische Voraussetzungen

139

menschliche Pflichten voraussetzt, ist die Bestimmung des Gegenstandes für die Metaphysischen

Anfangsgründe

der Rechts-

lehre auf zweierlei Art erforderlich. Zunächst a priori aus praktischer Vernunft heraus. Die Grundlegung

zur Metaphysik

der Sitten bestimmt den Gegenstand einer praktischen Philosophie als "Faktum der reinen Vernunft" a priori aus der praktischen Vernunft selbst heraus. Sie setzt einerseits die praktische Vernunft voraus, von der aus eine apriorische Bestimmung möglich wird. "Unter dem Begriffe eines Gegenstandes der praktischen Vernunft" wird "die Vorstellung eines Objektes als einer möglichen Wirkung durch Freiheit"^^ verstanden. In einer weiten Bedeutung kann "Gegenstand" hier sein, die "durch Handlungen hervorgebrachten Sachverhalte und das Handeln selbst". 1 5 7 Andererseits setzt die Bestimmung die empirische Kenntnis der menschlichen Natur voraus, die aus der Psychologie oder auch der Anthropologie entnommenen Bedingungen menschlichen 15 8

Wollens und Handelns überhaupt.

Daher muß eine praktische Philosophie, als apriorische Pflichtenlehre, auch wenn sie durch das Faktum der reinen praktischen Vernunft und damit unabhängig von der besonderen Natur der menschlichen Vernunft fundiert ist, doch die Definitionen des Lebens, des Begehrungsvermögens und der Lust voraussetzen, wie es in der Kritik der praktischen

Vernunft auch

geschieht. Diese Definitionen bilden erst die Grundlage für die Bestimmungen von Imperativ, Achtung und Pflicht, auf der dann Grundsätze und Begriffe entwickelt und für die praktische Philosophie bereitgestellt werden können. Systematisch weitergeführt wird diese Theorie vom handelnden Menschen im System der praktischen Philosophie selbst, in dem die Ergebnisse der

156 157 158

V, 57. Beck, a.a.O., S. 128. IV, 390.

140

MA als apriorischer Rahmen einer Rechtsphilosophie

fundierenden allgemeinen Metaphysik auf die empirischen Bestimmungen vom Menschen angewandt werden. Wie die Überleitung zu denken sei, zeigt die allgemeine Einleitung

in die Metaphysik

der Sitten.

Bevor die besonderen Be-

reiche menschlichen Handelns in Recht und Moral bestimmt werden können, muß die Gesetzlichkeit der reinen Vernunft anwendbar sein auf die menschliche Natur in der Mannigfaltigkeit ihrer empirisch anerkannten Formen. Die Gegenstandsexposition muß so apriorische und empirische Voraussetzungen bedenken und von daher ist auch der Ansatz der Einleitung zu verstehen, der die Notwendigkeit einer Gegenstandsanalyse unter psychologischen Aspekten vorstellig macht. Der Gegenstand einer Metaphysik der Sitten in ihren beiden Teilen der Rechts- und Tugendlehre ist nicht - wie immer wieder angenommen wird - das Recht und die Tugend oder die Rechtswissenschaft. Wie in der Naturwissenschaft nach Kantischen Bestimmungen die Objekte die Gegenstände äußerer oder innerer Sinne sind, so ist in der Rechtswissenschaft das Objekt, bezogen auf den Gegenstand der praktischen Vernunft als einer durch Freiheit möglichen Wirkung: die Freiheit der Willkür in ihrem äußeren Gebrauche. Recht, so führt Kant aus, kann als oberster Begriff für die metaphysischen Anfangsgründe nicht gelten, da er selbst schon Glied einer Einteilung ist, "dazu noch der eingeteilte Begriff fehlt". Der zu suchende, einzuteilende Begriff "ist der Akt 1 59 der freien Willkür überhaupt". Und "wenn daher ein System der Erkenntnis a priori aus bloßen Begriffen Metaphysik

heißt,

so wird eine praktische Philosophie, welche nicht Natur, sondern die Freiheit

159

der Willkür zum Objekte hat, eine Metaphy-

VI, 218 Anm.: "Auch was der oberste eingeteilte Begriff zu der Einteilung Recht oder Unrecht (aut fas aut nefas) sei, hat seine Bedenklichkeit. "

Empirische und apriorische Voraussetzungen

141

sik der Sitten voraussetzen und bedürfen".^® Diese Objektivation macht materiale

Bestimmungen notwendig, die als unerläß-

liche Definitionsstücke der eigentlichen Untersuchung vorangestellt werden. Der psychologische oder besser anthropologische Exkurs zu Beginn der Einleitung

in die Metaphysik

der

Sitten

ist so Voraussetzung einer Analyse des Gegenstandes der "vorhabenden besonderen Wissenschaft". Der Exkurs beinhaltet erstens eine Analyse der Sinnlichkeit, insofern sie Anwendungsbereich der metaphysischen Anfangsgründe ist. Er zeigt zweitens die Möglichkeit einer Metaphysik der Sitten bezüglich ihrer apriorischen Anwendung. Drittens unternimmt er eine Einschränkung, wie weit psychologisch-anthropologische Begriffe für die metaphysischen Anfangsgründe relevant sind. Die Analyse der Sinnlichkeit dient der Verifikation des Ergebnisses der Kritik der Erkenntnisvermögen, daß eine apriorische Wissenschaft, eine Doktrin, die "ein Gebiet in Ansehung 162 der Objekte" untersucht, möglich ist. Dazu können beide Vermögen, Verstand und Vernunft, der logischen Form nach auf Prinzipien, gleich welchen Ursprungs sie auch sein mögen, angewandt werden; sie haben überdies eine eigene Gesetzgebung dem Inhalte nach. Diese zwei verschiedenen Gesetzgebungen sind beide nur "auf einem und demselben Boden der Erfahrung" möglich. Dieser "Boden" der Erfahrung kann nun wiederum nur "Sinnlichkeit" sein, was heißt, daß entweder nur durch die Sinne (Empfindung) oder Gefühl (Lust oder Unlust) erfahren werden kann. 163

160 vi, 216. 161 162 163

VI, 211 - 214. V, 176. "Aber der Boden, auf welchem ihr Gebiet errichtet und ihre Gesetzgebung ausgeübt wird, ist immer doch nur der Inbegriff der Gegenstände aller möglichen Erfahrung. ... Verstand und Vernunft haben also zwei verschiedene Gesetzgebungen auf einem und demselben Boden der Erfahrung, ohne daß eine der anderen Eintrag tun darf." V, 174/5.

142

MA als apriorischer Rahmen einer Rechtsphilosophie

Wenn der Gegenstandsbereich einer Metaphysik sowohl der Natur als auch der Sitten durch Erfahrung bestimmt wird, dann setzt Kant auch folgerichtig in der Einleitung sik der Sitten

in die

Metaphy-

in einer Anmerkung eine Analyse der Sinnlich-

keit voraus. Die Notwendigkeit dieses vorangestellten Definitionsstückes der Sinnlichkeit leuchtet sofort ein, wenn man nach der Anwendung der Gesetzlichkeit der reinen praktischen Vernunft fragt, die in der allgemeinen praktischen Metaphysik nur formal bestimmt wurde. Kant erklärt in der Anmerkung "Sinnlichkeit durch das Subjektive unserer Vorstellungen überhaupt", 1 64 was meint: unsere allgemeine Affizierbarkeit. Dieses Anwendungsgebiet der metaphysischen Anfangsgründe in theoretischer wie in praktischer Hinsicht wird nun verschieden bestimmt. a) Das Subjektive der Vorstellung wird Erkenntnisstück. Hier ist Sinnlichkeit nach der theoretischen Philosophie das Vermögen der Anschauung, das Subjektive unserer Erkenntnis. Kant bezeichnet diese Fähigkeit, Wahrnehmungen zu empfangen, auch als Sinn, eine Empfänglichkeit des Subjekts bezogen auf Gegenstände. Wird das Subjektive der Vorstellung der Form nach auf ein Objekt bezogen, heißt es Anschauung; wird es der Materie nach bezogen, heißt es Empfindung. ^ ^ Die Empfindung als Materie der Anschauung beruht auf Affektion des sinnlichen Vermögens durch die Dinge. Sie kommt nach der Kritik der reinen

Vernunft zustande durch die "Wirkung

eines Gegenstandes auf die Vorstellungsfähigkeit, so fern wir 166 von demselben affiziert werden". So drückt die äußere Empfindung "eben sowohl das bloß Subjektive unserer Vorstellungen der Dinge außer uns aus, aber eigentlich das Materielle (Reale) derselben

164 165 166 167

V I , 2 1 1 Anm. Ebd. B 34. V, 1 8 9 .

(wodurch etwas Existierendes gegeben

Empirische und apriorische Voraussetzungen

143

Das "Materielle, Reale" des Gegenstandes bleibt von der subjektiven, psychischen Beschaffenheit der wahrnehmenden Person abhängig, wird aber Erfahrung durch Subsumierung unter reine Verstandesbegriffe. Der Gegenstand für das Subjektive der Vorstellung ist in der theoretischen Philosophie immer ein sinnlicher Gegenstand. Somit bestimmt sich das Feld der Untersuchung für die Metaphysischen

Anfangsgründe

der

Naturwissenschaft

durch die "Gegenstände in der Anschauung" als "bloße Erschei168 nung".

Gegenstandsbereich der theoretischen Philosophie,

der auf die Kritik der reinen "Natur in materieller

Vernunft

folgenden Doktrin, ist

Bedeutung genommen, ... als der Inbe-

griff aller Dinge, so fern sie Gegenstände

unserer Sinne, mit-

hin auch der Erfahrung sein können, worunter also das Ganze aller Erscheinungen, d.i. die Sinnenwelt mit Ausschließung al169 ler nicht sinnlichen Objekte, verstanden wird . Metaphysik der Natur macht durch ihren transzendentalen Teil nicht nur den Begriff einer Natur überhaupt möglich, sondern "sie beschäftigt sich mit einer besonderen Natur oder jener Art Dinge, von denen ein empirischer Begriff gegeben ist". Die schen Anfangsgründe

der Naturwissenschaft

Metaphysi-

legen in ihrem me-

thodischen Verfahren den empirischen Begriff der Materie zugrunde, "doch so, daß außer dem, was in diesem Begriffe liegt, kein anderes empirisches Prinzip zur Erkenntnis derselben gebraucht wird" und sucht dann "den Umfang der Erkenntnis, deren die Vernunft über diese Gegenstände a priori fähig ist". 1 71 b) Das Subjektive der Vorstellungen kann kein Erkenntnisstück werden; es enthält nichts zur Erkenntnis des Objekts bares. Nach der Anmerkung in der Einleitung

Brauch-

bezieht sich in

der zweiten Bestimmung der Sinnlichkeit das Subjektive "aufs Subjekt", "und alsdann heißt diese Empfänglichkeit der Vorstellung Gefühl, welches die Wirkung der Vorstellung

(diese

mag sinnlich oder intellektuell sein) aufs Subjekt enthält 160 169 171

V, 175. IV, 267. IV, 470.

144

MA als apriorischer Rahmen einer Rechtsphilosophie

und zur Sinnlichkeit gehört". Gefühl wird von Empfindung im Kantischen Werk unterschieden. Gefühl ist in der der Sitten

Metaphysik

"die Fähigkeit, Lust oder Unlust bei einer Vorstel-

lung zu haben, ... weil beides das bloß Subjektive

im Verhält-

nisse unserer Vorstellung und gar keine Beziehung auf ein Ob172 jekt zum möglichen Erkenntnisse desselben ... enthält". Eine parallele Stelle in der Kritik

der Urteilskraft

nennt das

Subjektive an einer Vorstellung, "was gar kein werden

kann,

Erkenntnisstüak 17 3 ... die mit ihr verbundene Lust oder Unlust".

Gefühl drückt, anders als die Empfindung, den Zustand des Subjekts aus und bezieht das Subjektive der Vorstellung nicht aufs Objekt, sondern aufs Subjekt. In dieser doppelten subjektiven Bedeutung ist eine Objektivität sinnlicher Erlebnisse nicht möglich, da "die Lust oder Unlust aber

(am Roten und Süßen)

schlechterdings nichts am Objekte, sondern lediglich Beziehung aufs Subjekt ausdrückt". Näher, so führt Kant weiter aus, können "Lust und Unlust für sich" nicht geklärt werden, sondern nur ihre Folgen für gewisse Verhältnisse aufgezeigt wer.=, 174 den. Diese Ausführungen erschweren eine Bestimmung des Gegenstandsbereichs der Metaphysik

der Sitten.

Die Definition des

Begehrungsvermögens zu Beginn der Einleitung

setzt einen dif-

ferenzierten Gegenstandsbegriff voraus: "durch seine Vorstellungen Ursache der Gegenstände dieser Vorstellungen zu sein." "Gegenstand" kann bei Kant betreffen das "Dasein oder einer H a n d l u n g " . ^

eines Objekts

In beiden Fällen ist Gegenstand be-

stimmt nicht als Ding an sich, sondern in der Anschauung als bloße Erscheinung. Wenn der Gegenstand der Metaphysik der Natur als sinnliches Objekt bestimmt wurde, kann der Gegenstand einer Metaphysik der Sitten nach o.g. Bestimmung nur die Handlung sein. Handlungen werden nun nach Kant bestimmt als Akte

172 173 174 175

V I , 2 1 1 Anm. und V, 1 8 9 . VI, 212. V, 2 0 7 .

211/212.

Kategoriale Bestimmung des Anwendungsbereichs

145

der freien Willkür. Demnach wäre die "freie Willkür" sowohl in ihrem äußeren wie inneren Gebrauche der eigentliche Gegenstand, den die metaphysischen Anfangsgründe der Rechts- bzw. Tugendlehre ihren Untersuchungen zugrundelegen. Für die Rechtslehre läßt sich diese Objektivation durch maßgebliche Stellen belegen. Eine praktische Philosophie, die sich nach Kant als Metaphysik versteht, hat "nicht Natur, son176 dern die Freiheit der Willkür zum Objekte". Bei der Einteilung des Systems kann, so führt Kant in einer Anmerkung aus, von Recht und Unrecht als obersten Begriffen nicht ausgegangen werden, sondern von dem dazugehörigen "obersten eingeteilten Begriff", dem "Akt der freien Willkür". Schließlich wird, wie bei der Untersuchung des methodischen Verfahrens noch zu zeigen sein wird, der Rechtsbegriff definiert durch die Bestimmung des Verhältnisses der freien Willkür. Auch werden alle Versuche, reine Rechtssätze zu konstruieren, durch die Bestimmung der freien Willkür nach Kategorien bestimmt. Zur Bestimmung seines Gegenstandes beginnt Kant mit einem Exkurs, d.h. er stellt die Definition des Begehrungsvermögens voran, und zwar in anthropologisch-psychologischer wie auch logischer Hinsicht.

4.3. Die Notwendigkeit einer kategorialen Bestimmung des Anwendungsbereichs Wenn der Gegenstandsbereich der Metaphysik der Natur und auch der Sitten durch Sinnlichkeit, welche Erfahrung möglich macht, bestimmt ist, Sinnlichkeit aber das Vermögen des Menschen ist, das in theoretischer und praktischer Hinsicht unabdingbar

vorausgesetzt werden muß, so kann der Anwendungsbe-

reich einer Metaphysik der Sitten nur der Mensch sein. Demzufolge stellt die Einleitung

176 vi, 216.

in die Metaphysik

der Sitten den

146

MA als apriorischer Rahmen einer Rechtsphilosophie

Menschen auch als Anwendungsbereich vor, und zwar anthropologisch bestimmt als ein Wesen, dem das Vermögen "Leben" zugesprochen wird als Fähigkeit, seinen Vorstellungen gemäß zu handeln. Eine Analyse der empirisch praktischen Vernunft

(des unteren

Begehrungsvermögens) erscheint hier notwendig, um die in der Kritik der praktischen

Vernunft noch ausstehende "Einteilung

aller praktischen Wissenschaft zur Vollständigkeit" nachzuholen. "Denn die besondere Bestimmung der Pflichten als Menschenpflichten, um sie einzuteilen, ist nur möglich, wenn vorher das Subjekt dieser Bestimmung

(der Mensch) nach der Beschaf-

fenheit, mit der er wirklich ist ... erkannt worden. ... Die Einteilung gehört also hier zum System der Wissenschaft, nicht 1 77 zum System der Kritik." So leistet diese allgemeine Einle^tung eine Bestimmung des Menschen, wie er "wirklich" ist, eingeschränkt auf den Menschen als verpflichtetes, sinnlich bedingtes Wesen. Das Begehrungsvermögen ist nach der Kritik der praktischen 178 Vernunft und Metaphysik der Sitten die subjektive Bedingung des Lebens überhaupt, d.h. auch einer Handlung überhaupt. Damit aber eine Handlung real stattfinden kann, muß ein Objekt des Begehrens vorhanden sein, d.h. ein Gegenstand als Zweck der Handlung muß vorgestellt werden können. Dieser Zweck, d.i. die Vorstellung von der Realität eines Gegenstandes, bewirkt erst das Handeln - und das Begehrungsvermögen ist nach Kant jenes Vermögen im Menschen, "durch seine Vorstellungen Ursache der Gegenstände dieser Vorstellungen zu sein". Die bewegenden Kräfte menschlicher Handlungen werden in die empirisch praktische Vernunft gelegt und somit Gegenstand einer praktischen Philosophie, in der allerdings der Versuch einer apriorischen Bestimmung der "Bewegungsgründe" oder "Triebfedern" versucht werden muß. Hierin unterscheidet sich eine Metaphysik der Sit177 V, 8. 178 V, 9 Anm. und VI, 211, Anm.

Kategoriale Bestimmung des Anwendungsbereichs

147

ten von einer moralischen Anthropologie, "welche nur die subjektive, hindernde sowohl als begünstigende Bedingungen der Ausführung

der Gesetze der ersteren in der menschlichen Natur 179 ... enthalten würde . In einer Metaphysik der Sitten als

einem "System der Erkenntnis a priori aus bloßen Begriffen" aber haben die anthropologischen Bestimmungen nur sekundäre Funktion; sie sollen lediglich die Möglichkeit einer apriorischen Anwendung aufzeigen, nicht den Anwendungsbereich

selbst

zum Gegenstand machen dürfen. Kant macht am Beispiel des Begehrungsvermögens, wie schon in den Metaphysischen gründen

der Naturwissenschaft,

Anfangs-

wiederum die Notwendigkeit ei-

nes apriorischen Teils einer in ihren weiteren Teilen empirischen Wissenschaft vorstellig: "So wie es aber in einer Metaphysik der Natur auch Prinzipien der Anwendung jener allgemeinen obersten Grundsätze von einer Natur überhaupt auf Gegenstände der Erfahrung geben muß, so wird es auch eine Metaphysik der Sitten darin nicht können mangeln lassen, und wir werden oft die besondere Natur

des Menschen, die nur durch Erfah-

rung erkannt wird, zum Gegenstande nehmen müssen, um an ihr die Folgerungen aus den allgemeinen moralischen Prinzipien zu seigen, ohne daß jedoch dadurch der Reinigkeit der letzteren etwas benommen, noch ihr Ursprung a priori dadurch zweifelhaft wo. wird ^ gemacht . 180 Hiermit ist ein Grundproblem Kantischer Philosophie angesprochen: Wie ist sichere wissenschaftliche Erkenntnis möglich, wenn empirische Begriffe in die Untersuchung mit einbezogen werden müssen? Wegen der Notwendigkeit der empirischen Begriffe für die Konstitution ihres Systems hatte bereits die Kritik

der reinen

Vernunft

die praktische Philosophie aus der

Transzendentalphilosophie im engeren Sinne ausgeschlossen. Denn wie sollte Apriorität gewährleistet werden, wenn metaphysische Anfangsgründe einer zu errichtenden praktischen Wls-

179 180

VI, 217. VI, 216/17.

148

MA als apriorischer Rahmen einer Rechtsphilosophie

senschaft Begriffe, die insgesamt empirischen Ursprungs sind, "notwendig in die Abfassung des Systems der reinen Sittlich181

keit mit hineinziehen müssen".

Metaphysische Anfangsgründe wurden bisher bestimmt als der reine, a priori begriffliche Teil einer metaphysischen Wissenschaft, hier einer Metaphysik der Sitten, die Prinzipien enthalten soll, "welche das Tun und Lassen a priori bestimmen und 1 82

notwendig machen".

Die "Begriffe der Lust und Unlust, der

Begierden und Neigungen etc., die insgesamt empirischen Ursprungs sind", müssen dabei vorausgesetzt werden. Sie bestimmen die Triebfedern, die Antriebe menschlichen Handelns, die, soll eine Handlung Zustandekommen, als Bewegungsgründe notwendig hinzugenommen werden müssen. "Denn alles Praktische, sofern es Triebfedern enthält, bezieht sich auf Gefühle, welche zu empirischen Erkenntnisquellen gehören." 183 Das Problem der apriorischen Grundlegung einer praktischen Philosophie hat Kant gesehen und zwei mögliche wissenschaftliche Verfahrensweisen zur Gegenstandsbestimmung vorgeschlagen: das anthropologisch-psychologische Verfahren, bei dem die Begriffe des Begehrungsvermögens und der Lust definitorisch so vorgestellt werden, daß von der Bestimmung des Gefühls als einer Unterart der Sinnlichkeit ausgegangen wird, und "das Gefühl der Lust der Bestimmung des Begehrungsvermögens zum Grunde gelegt würde (wie es auch wirklich gemeinhin so zu geschehen pflegt), dadurch aber das oberste Prinzip der praktischen 184 Philosophie notwendig empirisch ausfallen müßte". Für die Möglichkeit eines solchen Verfahrens gibt Kant zu Beginn der Einleitung

in die Metaphysik

der Sitten ein Beispiel. Das Be-

gehrungsvermögen wird in Hinblick auf das Gefühl der Lust und Unlust analysiert. Auf dieser Grundlage würde sich ein reiner 181 182 183 184

B 29. B 870. B 29; vgl. A 15 statt "Triebfedern" V, 9 Anm.

"Bewegungsgründe"!

149

Kategoriale Bestimmung des Anwendungsbereichs Teil schwerlich errichten lassen, da von empirischen

Bestimmun-

gen zu reinen Begrifflichkeiten nicht aufgestiegen werden kann. Eine praktische Philosophie könnte dann im Kantischen Wissenschaftsverständnis nicht "eigentliche

Wissenschaft"

genannt

werden, da ihre Prinzipien bloß empirische wären und keine 1 85 Darstellung a priori erlauben würden. Denn Metaphysik oder reine Philosophie, heißt nach Kant "reine Vernunfterkenntnis 186 aus bloßen Begriffen", und dieser Bestimmung könnte eine so fundierte Metaphysik der Sitten nicht genügen. Von aus der Psychologie entlehnten Begriffen sollte daher in einem reinen Teil ein "Gebrauch der Vernunft" gemacht werden, "der aufs Ganze derselben geht". 1 87 Die Anmerkung in der Vorrede nunft

zur Kritik

der praktischen

Ver-

gewinnt für eine Theorie der praktischen Philosophie an

Bedeutung, da Kant in ihr ansatzweise ein methodisches Verfahren vorstellt, das dem der Metaphysischen Naturwissenschaft

Anfangsgründe

der

folgt. Empirische, aus der Psychologie über-

nommene Begriffe wie Begehrungsvermögen und Lust werden der Untersuchung zugrunde gelegt, und zwar in der Weise, daß der Begriff des Begehrungsvermögens kategorial bestimmt wird und seine empirische Wirkungsweise, o b dabei die Lust zugrunde gelegt werden muß "oder ob sie auch unter gewissen

Bedingungen

nur auf die Bestimmung desselben folge, durch diese Erklärung unentschieden bleibt; denn sie ist aus lauter Merkmalen des reinen Verstandes, d.i. Kategorien, zusammengesetzt, die 188 nichts Empirisches enthalten". Dieses methodisch analoge Verfahren stützt die These, daß metaphysische Anfangsgründe sowohl im Rahmen einer Metaphysik der Natur als auch der Sitten, als reiner Teil einer "eigentlichen Wissenschaft" zu bestimmen sind. Sie führen in beiden Fällen ihren empirisch gegebenen Gegenstand durch die 185 186 187 188

IV, 471. XV, 469. V, 9 Anm. Ebd.

"Posi-

150

MA als apriorischer Rahmen einer Rechtsphilosophie

tionen des Denkens", die Kategorien, d.h. sie vergleichen ihren Gegenstand "jederzeit mit allen notwendigen Gesetzen des Denkens" und erreichen eine bestimmte Anzahl von Erkenntnissen, 189 "die sich völlig erschöpfen läßt". Sie ergeben so einen vollständigen Rahmen von Begriffen und Grundsätzen, der in seiner Anwendung metaphysische Wissenschaft konstituiert. In Anwendung auf die Metaphysischen

Anfangsgründe

der

Rechts-

lehre ergibt sich als erste Konsequenz, daß der Begriff des Rechts dem methodischen Verfahren der Untersuchung nicht zugrundegelegt werden kann. Seine Einteilung würde der Vollständigkeit entbehren, da er nach Kant zwar ein "reiner, jedoch auf die Praxis

(Anwendung auf in der Erfahrung vorkommende Fäl-

le) gestellter Begriff ist, mithin ein metaphysisches

System

desselben in seiner Einteilung auch auf die empirische Mannig1 90 faltigkeit jener Fälle Rücksicht nehmen müßte". Vollständigkeit und Apriorität aber sind oberste Forderungen an metaphysische Anfangsgründe überhaupt. Es muß also das am Rechtsbegriff genommen werden, was als zu einem a priori entworfenen System gehörig gedacht werden kann und einer vollständigen Einteilung fähig ist. Ein Teil der Bestimmung des Rechts muß a priori vollständig vorgetragen werden können, um schen

Anfangsgründen

der Rechtslehre

Metaphysi-

im Sinne eines

apriorisch

fundierenden Teils möglich zu machen, denn die Notwendigkeit dieses reinen Teils leugnen, hieße, die Rechtslehre als eigentliche Wissenschaft überhaupt leugnen. Damit wäre aber auch jeder empirischen Rechtspraxis das Fundament entzogen, welche damit die "subjektive Notwendigkeit, d.i. Gewohnheit, statt der objektiven, die nur in Urteilen a priori

stattfindet",

zum Prinzip nehmen müßte und damit auch die Möglichkeit der apriorischen Erkenntnis des Rechts, als eines reinen Vernunftbegriffs, nicht zulassen könnte. "Was Schlimmeres könnte aber diesen Bemühungen wohl nicht begegnen, als wenn jemand die unerwartete Entdeckung machte, daß es überall gar kein Erkennt189 190

IV, 473. VI, 205.

Das Begehrungsvermögen nach Begriffen

151

nis a priorigebe, noch geben könne". Denn das hieße letztlich nach Kant, "als ob jemand durch Vernunft beweisen wollte, daß 191 es keine Vernunft gebe".

4.4. Das Begehrungsvermögen nach Begriffen Da für die Fundierung der Rechtslehre ein empirisches Verfahren in seiner Unmöglichkeit nachgewiesen wurde, müssen die Prinzipien der apriorischen Methode in anderer Hinsicht ausgemacht werden. Das Begehrungsvermögen mit seinen empirischen Implikationen wird schon in der Kritik der praktischen Vernunft definiert durch die Anwendung der Kategorie der Kausalität: "LEBEN ist das Vermögen eines Menschen, nach Gesetzen des Begehrungsvermögens zu handeln. Das BEGEHRUNGSVERMÖGEN ist das Vermögen desselben, keit

der

durah

seine

Gegenstände

Vorstellungen dieser

Ursache

Vorstellungen

zu

von

der

.192

sein."

WirklichDieses

Verfahren der kategorialen Bestimmung wird in der EinleiLung in

die

Metaphysik

der

Sitten

übernommen:

"Begehrungsvermögen

ist das Vermögen, durch seine Vorstellungen Ursache der Gegen193 Vom Empirischen geht

stände dieser Vorstellungen zu sein."

Kant dann ganz ab in der Bestimmung des "Begehrungsvermögens nach Begriffen", durch die er den apriorischen Rahmen vorgibt, der nicht mehr auf einem empirischen Fundament ruht, sondern 1 94 eine von ihm ganz verschiedene Struktur und Funktion hat.

191 192 193 194

v, 12. V, 9 Anm. VI, 211. Interpretationsproblem bleibt eine genaue Bestimmung des Begehrungsvermögens nach Begriffen; hier ist mir bisher keine zufriedenstellende Definition oder Darstellung gelungen. Problematisch bleibt dabei besonders, was Kant mit "nach Begriffen" meint und wogegen er es abgrenzen will.

152

MA als apriorischer Rahmen einer Rechtsphilosophie

Kants Bestimmung des "Begehrungsvermögens nach Begriffen" erlaubt zunächst drei Interpretationen, die sich nicht ausschliessen müssen. Sie folgen dem Unterschied einer Bestimmung "nach Begriffen", wobei Begriffe als logische, transzendentale und metaphysische Prinzipien genommen werden können, aufgrund deren Kant auch drei Möglichkeiten einer prinzipientheoretischen Grundlegung vorstellt. 1 . Das Begehrungsvermögen wird logisch bestimmt, in Abgrenzung gegen die vorausgehende psychologische Bestimmung. Im Sinne der Logik

läge hier der Versuch einer Nominaldefinition des

Begehrungsvermögens vor, die nur das "logische Wesen" des Gegenstandes bezeichnet "oder bloß zur Unterscheidung desselben i 95

von anderen Objekten" dient.

Eine solche Bestimmung bedürf-

te nur der Erkenntnis aller der Prädikate, "in Ansehung deren ein Objekt durah seinen Begriff bestimmt ist". Um das "logische Wesen des Körpers" zu bestimmen, müssen nicht die Data in der Natur aufgesucht werden, sondern die Reflexion sollte sich "nur auf die Merkmale richten, die als wesentliche Stücke

(con-

stitutiva, rationes) den Grundbegriff desselben ursprünglich konstutieren. Denn das logische Wesen ist ja selbst nichts anderes als der erste Grundbegriff eines Dinges

aller notwendigen

Merkmale

(esse conceptus) . "^

2. Das Begehrungsvermögen wird transzendental bestimmt als Bedingung der Möglichkeit von Praxis überhaupt. Insofern es als Kausalität vorgestellt wird, wird es bestimmt nach zwei Begriffen, dem Natur- oder dem Freiheitsbegriff. Diese Interpretation legt die Kritik der Urteilskraft

nahe, die den Willen

als Begehrungsvermögen und dieses somit als "eine von den mancherlei Natursachen in der Welt" bestimmt, die sich dadurch von den anderen auszeichnet, daß sie "nach Begriffen wirkt", "zum Unterschiede von der physischen Möglichkeit oder Notwendigkeit einer Wirkung, wozu die Ursache nicht durch Begriffe 195 196

IX, 143. IX, 61.

Das Begehrungsvermögen nach Begriffen

153

(sondern wie bei der leblosen Materie durch Mechanismen und 197

bei Tieren durch Instinkt) zur Kausalität bestimmt wird".

Der Unterschied aber, ob der Begriff, der der Kausalität des Willens die Regel gibt, ein Natur- oder Freiheitsbegriff

ist,

ist wesentlich für den doktrinalen Bereich der Philosophie. Er fundiert das "Praktisch-mögliche"

einer praktischen oder theo-

retischen Philosophie, und eine praktische Philosophie ist nur insofern zu denken, als der Freiheitsbegriff, wenn er als das Bestimmende des Begehrungsvermögens gedacht wird, auch allererst moralisch-praktische Prinzipien möglich macht. "Denn ist der die Kausalität bestimmende Begriff ein Naturbegriff, so sind die Prinzipien technisch-praktisch-,

ist er aber ein Frei-

heitsbegriff, so sind diese moralisch-praktisch-.

und weil es

in der Einteilung einer Vernunftwissenschaft gänzlich auf diejenige Verschiedenheit der Gegenstände ankommt, deren Erkenntnis verschiedener Prinzipien bedarf, so werden die ersteren zur theoretischen Philosophie

(als Naturlehre) gehören, die an-

deren aber ganz allein den zweiten Teil, nämlich (als Sitten1 9« lehre) die praktische Philosophie, ausmachen." 3. Das Begehrungsvermögen wird metaphysisch bestimmt, d.h. es wird die Bedingung a priori vorstellig gemacht, "unter der allein Objekte, deren Begriff empirisch gegeben sein muß a prio1 99 ri weiter bestimmt werden können". So ist "das Prinzip der praktischen Zweckmäßigkeit, die in der Idee der eines freien Willens

Bestimmung

gedacht werden muß, ein metaphysisches

Prinzip: weil der Begriff eines Begehrungsvermögens als eines Willens doch empirisch gegeben werden muß szendentalen Prädikaten gehört)

fahren wird besonders in den Metaphysischen Naturwissenschaft

(nicht zu den tran-

Dieses methodische VerAnfangsgründen

der

deutlich. Sie machen eine weitere apriori-

sche Bestimmung des empirisch gegebenen Begriffs der Materie 197 198 199 200

V, 1 7 2 . Ebd. V, 1 8 1 . V, 1 8 2 .

154

MA als apriorischer Rahmen einer Rechtsphilosophie

vorstellig, indem sie den Gegenstand nach den "allgemeinen Ge201 setzen des Denkens" betrachten. Dieses Verfahren wird möglich, weil "alle wahre Metaphysik aus dem Wesen des Denkungsvermögens selbst genommen" ist und "Begriffe und Grundsätze 202 a priori" als "reine Handlungen des Denkens" enthält. Die notwendigen Denkgesetzlichkeiten sind aber nichts anderes als die "reinen Verstandesbegriffe", die Kategorien. Nur nach ihnen läßt sich die Bestimmung des Gegenstandes völlig erschöpfen, da sie absolute Vollständigkeit der Bestimmung gewährleisten. Eine "abgesonderte Metaphysik" würde dabei einer "allgemeinen" unschätzbare Dienste erweisen, insofern sie eine Realisierung der Begriffe

(der Transzendentalphilosophie)

lei-

stet, indem sie "einer bloßen Gedankenform Sinn und Bedeutung" 203 unterlegt.

Diese Möglichkeit der Interpretation wird für

metaphysische Anfangsgründe relevant, wenn die Kategorien als "Leitfaden" jeder metaphysischen Untersuchung

genommen werden

Dabei wird "metaphysisch" in wissenschaftstheoretischer

Hin-

sicht genommen und auf apriorische Methode und Systematik eingeschränkt. Durch sie allein kann aufgrund kategorialer Bestimmungen das Wissen von einem Gegenstand, dessen Begriff empirisch gegeben ist, gesichert und für "eigentliche" Wissenschaft verfügbar werden. Der zu bestimmende Gegenstand der Metaphysischen gründe

der Rechtslehre

Anfangs-

ist nun nicht das Begehrungsvermögen

überhaupt, sondern ein "Teil des Begehrungsvermögens nach Begriffen": die freie Willkür in ihrem äußeren Gebrauche. Die Willkür, sowohl sinnlich

(empirisch) als auch a priori be-

stimmbar, erlaubt zunächst eine logische Einteilung. Das methodische Verfahren mit dem "Akt der freien Willkür" als der "oberste

eingeteilte

Unrecht"

teilt nicht den Begriff selbst ein, sondern seine

201 202 203

IV, IV, IV,

473. 472. 478.

Begriff"

zu der Einteilung "Recht

oder

Das Begehrungsvermögen nach Begriffen

155

"Sphäre", wobei die Glieder der Einteilung dann mehr in sich 204 enthalten als der eingeteilte Begriff selbst. Die Willkür, von Kant bestimmt als das "Vermögen, nach Belieben zu tun oder zu lassen", ist die Möglichkeit einer Handlung überhaupt. Sie wird zwar durch Antriebe affiziert, aber nicht bestimmt. Insofern ist sie ihrem negativen Begriffe 20 5nach Unabhängigkeit oder Freiheit im praktischen Verstände. So bestimmt schon die Kritik der reinen Vernunft die Willkür als das eigentliche freie Vermögen im Menschen; und zwar einmal negativ als "Freiheit im praktischen

Verstände",

Willkür von der Nötigung

d.h. als "Unabhängigkeit der

durch Antriebe der Sinnlichkeit". Po-

sitiv bestimmt ist die Freiheit der Willkür Spontaneität insofern, als sie ein Vermögen ist, eine neue Kausalkette in der Natur zu beginnen. Dabei ist sie sinnlich, sofern sie durch Bewegursachen der Sinnlichkeit affiziert wird

(arbitrium sen-

sitivum), aber dennoch frei (liberum), "weil Sinnlichkeit ihre Handlung nicht notwendig macht, sondern dem Menschen ein Vermögen beiwohnt, sich, unabhängig von der Nötigung durch sinn20 6 liehe Antriebe, von selbst zu bestimmen". Die Grundlegung

zur Metaphysik

der Sitten

stellt den Willen

vor als Vermögen der Prinzipien, als reine Vernunft, insofern sie a priori praktisch ist. Ohne Ansehen des Objekts soll die allgemeine praktische Metaphysik die Idee und die Prinzipien eines möglichen reinen Willens untersuchen und nicht die Handlungen und Bedingungen des menschlichen Wollens überhaupt. Zu ihrer Voraussetzung hat sie den transzendentalen Freiheitsbegriff, so daß die prinzipientheoretische Grundlegung aus reiner praktischer Vernunft auf Gesetze der Freiheit zurückgeht, 204 205

206

Vgl. hierzu IX, 146 vom "Begriff der logischen Einteilung" und die "Allgemeine Regel der logischen Einteilung". "Der Begriff der freien Willkür ist also der Begriff einer doppelten Bestimmtheit von endlichen Vernunftwesen in praktischer Hinsicht: freie Willkür ist das sinnliche Vermögen der Handlungsbestimmung durch (begriffliche) Vorstellungen und zugleich das vernünftige Vermögen der Handlungsdetermination unter Gesetzen der reinen Vernunft." Oberer, Praxisgeltung und Rechtsgeltung, a.a.O., S. 101. B. 562.

156

MA als apriorischer Rahmen einer Rechtsphilosophie

die letztlich nur aus einem bestehen. Wenn sie im besonderen metaphysischen Bereich auf den handelnden Menschen, d.h. auf seine besondere psycho-physische Disposition, nämlich Freiheit im praktischen Verstände als "Unabhängigkeit der Willkür von der Nötigung der Antriebe der Sinnlichkeit" angewandt werden soll, so ist dieses sinnlich bestimmbare Vermögen, "gewisse Regeln der Handlungen sich zu Maximen zu machen", nichts anderes als freie Willkür. Denn der Wille des Menschen ist "die unbedingte Gesetzgebung seiner eigenen reinen praktischen Vernunft" und die "Willkür nur das sinnlich bestimmbare Vermögen, gewisse Regeln der Handlungen sich zu Maximen zu machen." Daraus folgt unmittelbar, daß "nur die Willkür, nicht der Wille frei, d.i. als Vermögen unter zweien entgegengesetzen Handlungen oder Gegenständen zu wählen frei genannt werden" , 207 kann.

207

XXIII,

256.

III. DIE KATEGORIALE SYSTEMATIK IN DER

PRINZIPIENTHEORETISCHEN

GRUNDLEGUNG DER RECHTSLEHRE 1. Die Funktion der Kategorien für die Prinzipientheorie des Rechts 1.1. Die Bedeutung der Modalkategorien Eine Metaphysik der Sitten, die die "Freiheit der Willkür" zum Objekte hat, läßt sich auf zweierlei Art bestimmen: sie ist sowohl "System der Erkenntnis a priori aus bloßen Begriffen" als auch "dunkel gedachte Metaphysik, die jedem Menschen in seiner Vernunftanlage beiwohnt".^ Mag auch die zweite Bestimmung als Bedingung der Möglichkeit von praktischem Verhalten überhaupt aller ethischen

Reflexion

vorangehen, so ist doch für eine apriorische, d.h. eigentlich wissenschaftliche Bestimmung der "Freiheit der Willkür in ihrem äußeren Gebrauche", als dem Objekt einer Metaphysik der Sitten, nur die erste Bestimmung relevant. Die "Freiheit der Willkür" muß aus bloßen Begriffen erkannt werden können, da Wissenschaft sich nur konstituieren kann, wenn eine apriorische Bestimmung des Objekts gewährleistet ist. Diese Fundierung erlaubt dann die Formulierung allgemeiner oberster Grundsätze, die auf den Anwendungsbereich, die besondere Natur des Menschen bezogen werden und eingeschränkt auf den äußeren Bereich reine Rechtssätze

ergeben.

Wenn die These zutrifft, daß die Kategorien als Leitfaden jeder metaphysischen Untersuchung Apriorität im einzelwissenschaftlichen Bereich garantieren und die Metaphycicchen fangsgründe

der Reehtslehre

An-

sich als apriorischer Rahmen ei-

ner besonderen Metaphysik verstehen, so müssen sie auch dem Leitfaden folgend konstituiert 1

VI, 216.

sein.

Die kategoriale Der Kritik

der praktischen

Systematik

Vernunft

Metaphysik der Sitten die "Kategorien

zufolge würden für die der Freiheit"

derer Bedeutung gewinnen, da sie, anders als die der Natur" auf die Bestimmung einer freien

an beson-

"Kategorien

Willkür

gehen". Sie

sind "praktische Elementarbegriffe"i m Unterschied zu den theoretischen, die sich auf Sinnlichkeit beziehen, bzw. "die Form 2 eines reinen Willens in ihr". Diese Kategorien gehen nur "die praktische Vernunft überhaupt" an und sie müßten insofern auch in den durch praktische Vernunft konstituierten

einzelwissen-

schaftlichen Bereichen zur Anwendung kommen. Und es ist hier nicht mehr die Frage, ob Kant von ihnen Gebrauch gemacht hat, sondern wie er sie verwendet, um "den Plan Wissenschaft,

zum Ganzen

einer

so fern sie auf Begriffen a priori beruht, voll-

ständig zu entwerfen". "Unter dem Begriffe eines Gegenstandes der praktischen Vernunft" versteht Kant die "Vorstellung eines Objekts als einer möglichen Wirkung durch Freiheit". Bei der Bestimmung des Gegenstandes wendet er die Modalitätskategorien der theoretischen Vernunft an: "Ein Gegenstand der praktischen Erkenntnis als einer solchen zu sein, bedeutet also nur die Beziehung des Willens auf die Handlung, dadurch er oder sein Gegenteil wirklich gemacht w ü r d e , und die Beurteilung, ob etwas ein Gegenstand der reinen

praktischen Vernunft sei, oder nicht, ist nur

die Unterscheidung der Möglichkeit oder Unmöglichkeit, dieje4 nige Handlung zu wo^-len". In diesem Selbstbezug der praktischen Vernunft, durch den sie ihren Gegenstand

selbst hervorbringt, liegen die eigent-

lichen Interpretationsschwierigkeiten.

Insofern sie ihren Ge-

genstand selbst möglich macht durch ihr Wollen und ihn in der Beziehung des Willens auf die Handlung verwirklichen kann, beweist sie gleichzeitig seine Notwendigkeit. Sie folgt aus der 2 3 4

V, 65/66. B 109. V, 57.

159

Die Bedeutung der Modalkategorien

moralischen, nicht physischen Möglichkeit einer Handlung, bei der nicht der Gegenstand, d.i. zufällig, sondern das Gesetz, d.i. notwendig, des Willens als Bestimmungsgrund wird. Kant bestimmt in der Kritik

der praktischen

angenommen Vernunft

als

alleinige Objekte "die vom Guten und Bösen". Diese werden bei der Errichtung der Kategorientafel der Freiheit vorausgesetzt. Die Kategorien der Freiheit gehen dann nicht mehr auf Bestimmung der Objekte, sondern auf die Bestimmung einer "freien Willkür", wobei sie die "Form eines reinen Willens"

zugrunde-

legen, d.i. ein reines praktisches Gesetz a priori. So verstanden können die Kategorien der Freiheit so allgemein genommen werden, "daß der Bestimmungsgrund jener Kausalität auch außer der Sinnenwelt in der Freiheit als Eigenschaft eines intelligibelen Wesens angenommen werden kann"."' Die Kategorien der praktischen Vernunft ermöglichen so in ihrem Selbstbezug als reine Vernunft einen allgemeinen metaphysischen Teil einer Metaphysik der Sitten, der auf intelligible Wesen überhaupt geht. Der Gegenstandsbereich einer besonderen metaphysischen Wissenschaft liegt aber in der Erfahrung und wird durch Sinnlichkeit bestimmt. Es muß also der Ubergang gefunden werden von den Bestimmungen eines vernünftigen Wesens überhaupt, dessen Bestimmungsgründe auch "außer der Sinnenwelt" gelten und einem sinnlich bedingten Wesen, dessen Handlungen zwar nicht notwendig durch Sinnlichkeit bestimmt, aber doch nur im Bereich der Erfahrung sichtbar werden können. Dabei wird den Modalkategorien in der Kategorientafel der praktischen Vernunft eine besondere Funktion zuerkannt.^ Sie erlauben den Ubergang von dem allgemeinen metaphysischen Teil zu einem je besonderen, da "die Kategorien der Modalität den Übergang von praktischen Prinzipien überhaupt zu denen der 5 6

V, 67. Zur Problematik der Modalitätskategorien vgl. die Aufarbeitung der Literatur bei Beck, a.a.O., S. 281, Anm. 45 - 49.

160

Die kategoriale Systematik

Sittlichkeit, aber nur problematisch

einleiten, welche nachher

durchs moralische Gesetz allererst dogmatisch

dargestellt wer-

den können".^ Kant selbst hält hierzu eine nähere Erläuterung für unnötig, da die Tafel "für sich verständlich genug" sei. Da er für sie den Anspruch erhebt, eine nach Prinzipien abgefaßte Einteilung aller praktischen Wissenschaft zu liefern und so nicht nur den "Plan", sondern auch die zu befolgende

"Ord-

nung" entworfen zu haben, muß zunächst bei einer Einteilung der besonderen metaphysischen Wissenschaft, wie sie in der allgemeinen Einleitung

in die Metaphysik

der Sitten

vorgestellt

wird, auch von dieser Tafel ausgegangen werden.

Zu interpretieren ist zunächst der Begriff "dogmatisch", der das Verfahren kennzeichnet, aufgrund dessen die Prinzipien der Sittlichkeit durch moralische Gesetze allererst dargestellt werden können. Den Übergang zu diesen Prinzipien leiten die Modalkategorien ein. In der Kritik

der reinen

Vernunft

ver-

steht Kant unter dem dogmatischen Verfahren der Vernunft ein "aus sicheren Prinzipien a priori strenge" beweisendes.

Eine

Metaphysik als Wissenschaft muß daher auch "notwendig dogmatisch und nach der strengsten Forderung systematisch, mithin g schulgerecht

(nicht poplulär) ausgeführt werden".

dogmatische Verfahren nicht konsequenterweise dem Dogmatismus verfallen muß, macht auch die Kritik

Daß das unkritischen der

Urteils-

kraft deutlich. Hier ist es das Verfahren der "bestimmenden Urteilskraft" mit9 einem, in seiner objektiven Realität gesicherten Begriff.

"Wir verfahren m i t einem Begriffe

(wenn er

gleich empirisch bedingt sein sollte) dogmatisch, wenn wir ihn als unter einem anderen Begriffe des Objekts, der ein Prinzip der Vernunft ausmacht, enthalten betrachten und ihn diesem gemäß bestimmen".^

Wie das dogmatische Verfahren, wel-

ches sich an das kritische anschließen müßte, in der der praktischen 7 8 9 10

v, 67. B XXXVI. V , 396. V , 395.

Vernunft

Kritik

vorzustellen sei, führt Kant an der

Die Bedeutung der Modalkategorien

161

relevanten Stelle nicht weiter aus. Als Erläuterung gibt er lediglich, daß die "problematische" Einleitung im weiteren der "dogmatischen" Darstellung bedarf.

1

Dieser Ubergang aber von

praktischen Prinzipien zu denen der Sittlichkeit würde, da er in die Wissenschaft und nicht in die Kritik gehört, von einer allgemeinen Einleitung

in die Metaphysik

der Sitten

zu erwar-

ten sein. Die Leistung der Modalitätskategorien bezüglich der Gegenstandskonstitution einer besonderen metaphysischen Wissenschaft, betont schon die Kritik

der reinen

Vernunft,

wonach

sie keine Bestimmung zu den Dingen hinzutun, sondern, da, "wenn der Begriff eines Dinges schon ganz vollständig ist, man nur noch von diesem Gegenstande fragen kann, "ob er bloß möglich, oder auch wirklich, oder wenn er das letztere ist, ob er gar 12 auch notwendig sei". Voraussetzung ist der Begriff von einem Gegenstande überhaupt, der nach Kategorien, die "die einzigen Begriffe sind, die sich auf Gegenstände überhaupt beziehen", bestimmt wird. Für die Metaphysik

der Sitten

ist dieser Gegen-

stand der "Akt der freien Willkür überhaupt". Seine apriorische Bestimmung erfolgt ebenfalls nach den Modalitätskategorien der praktischen Vernunft. Die Argumentation folgt dem ersten Kategorienpaar des Erlaubten - Unerlaubten, wonach die "Akte" oder "Handlungen" zunächst danach bestimmt werden, ob sie "erlaubt oder unerlaubt, d.i. moralisch möglich oder unmöglich"

sind.^

Die logische Möglichkeit allein zu beweisen, reicht für eine Metaphysik der Sitten aber nicht aus, die als spezielle Metaphysik einen Gegenstandsbereich konstitutieren soll. Es geht hier also um die Wirklichkeit bzw. Verwirklichung des Gegen11

v,

12

B 2 6 6 . "Die Umkehrung der Denkungsart erhält den Sinn, daß der Kreis, der um die Bestimmung des Objekts in den drei Positionen (1 - 3) zu ziehen ist, von einer vierten Position abhängig ist, die in die Bestimmung des Objekts nicht eingeht. Das Objekt ist immer schon das Entworfene". Heidemann, Kategorientafel, a.a.O., S. 6 3 .

67.

13

VI,

221.

162

Die kategoriale

Systematik

standes analog den Modalitätskategorien in der Kritik tischen

Vernunft,

der

prak-

die ebenfalls jenseits seiner Bestimmung nach

der Möglichkeit, Wirklichkeit oder Notwendigkeit des Gegenstandes fragen. Hier bedarf es der empirischen Anschauung, um seine Realmöglichkeit vorzustellen. "Denn, daß der Begriff vor der Wahrnehmung vorhergeht, bedeutet dessen bloße Möglichkeit; die Wahrnehmung aber, die den Stoff zum Begriff hergibt, ist der 14 einzige Charakter der Wirklichkeit". Für die Gegenstände der Metaphysik der Sitten kann die empirische Anschauung als materiale

Bedingung nicht angenommen werden. Die Notwendigkeit

des schon erörterten Selbstbezugs der reinen praktischen Vernunft läßt sie die materiale Bedingung in sich selbst suchen. Sie kann dann nichts anderes sein als das "Faktum der reinen Vernunft", das unmittelbare Bewußtsein eines praktischen Gesetzes. Durch diesen Selbstbezug der reinen praktischen Vernunft liegt im Aufweis der Wirklichkeit ihrer Gegenstände zugleich der Beweis ihrer Notwendigkeit. So entstehen die moralisch möglichen und, wenn sie wirklich sind, auch notwendigen, d.h. verbindlichen Handlungen, woraus dann für jene der Begriff einer Pflicht

entspringt.

Aus Kants Ausführungen kann gefolgert werden, daß mit dem Begriff der Pflicht zugleich die Realmöglichkeit der Gegenstände der Metaphysik der Sitten bewiesen ist. Eine so verstandene Metaphysik der Sitten

"zu haben,

ist selbst

Pflicht,

und jeder Mensch hat sie auch, obzwar gemeiniglich nur auf dunkle Art in sich; denn wie könnte er, ohne Prinzipien a priori eine allgemeine Gesetzgebung in sich zu haben glaub e n ? " ^ Die Modalkategorien der Freiheit bestimmen so den Menschen als Gegenstand der praktischen Philosophie in einer ganz spezifischen Weise, er ist nicht mehr nur vernünftiges Wesen, sondern verpflichtetes W e s e n , wenn auch diese Verpflichtung nur "auf dunkle Art" gedacht werden kann. Diese "dunkel gedachte Metaphysik", die mit 14 15

B 272. VI, 216.

Verpflichtungscharak-

163

Die Einteilung des Systems

ter auftritt, ist eine "Vernunftanlage", die apriorische Prinzipien einer allgemeinen Gesetzgebung als "Pflicht" enthält.^® Diese Anlage kann wiederum nichts anderes sein als "Freiheit", bzw. "unsere eigene Freiheit (von der alle moralische Gesetze, mithin auch alle Rechte sowohl als Pflichten ausgehen)" und die wir nur kennen, "durch den moralischen Imperativ, welcher ein pflichtgebietender Satz ist, aus welchem nachher das Vermögen, andere zu verpflichten, d.i. der Begriff des Rechts, entwickelt werden kann".^ Indem die Wirklichkeit des Gegenstandes (= Freiheit der Willkür) durch den Begriff der Pflicht bewiesen ist, wird im letzten Kategorienpaar die Notwendigkeit der Verpflichtungsverhältnisse aufgezeigt und hier der eigentliche Übergang zur speziellen Metaphysik in ihren beiden Teilen geleistet, die sowohl die Verpflichtungsverhältnisse im äußeren wie im inneren Sinne vorstellt.

1.2. Die Einteilung des Systems durch die Kategorie der Pflicht Die Einteilung der besonderen Metaphysik der Sitten in ihren beiden Teilen, d.i. "die Einteilung aller praktischen Wissenschaften zur Vollständigkeit", welche in das "System der Wissenschaft" selbst gehört, führt Kant dann auch gemäß seiner 18

Ankündigung

in der Metaphysik der Sitten durch. Das wird hier

auch allererst möglich, da das Subjekt der "Bestimmung der Pflichten als Menschenpflichten", der Mensch, nach seiner wirklichen Beschaffenheit erkannt und damit die Grundlage der Einteilung gegeben worden war. In der Einteilung

der Metaphysik

der Sitten

überhaupt,

die

eine Einteilung des Systems der Wissenschaft nach der KateT6 17 18

VI, 376. VI, 239. V , 8.

164

Die kategoriale Systematik

gorientafel der Freiheit vorstellig macht, ist die allgemeine Metaphysik der Sitten die "Lehre von den Pflichten", in der der Mensch nach "der Eigenschaft seines Freiheitsvermögens ... 19 vorgestellt werden kann und soll". Diese den noumenalen Bereich betreffende Metaphysik, entworfen in der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten und der Kritik der praktischen Vernunft, muß auf den Menschen bezogen werden als homo phaenomenon, der nur als solcher Gegenstand einer speziellen Metaphysik werden kann, da die "physischen Bestimmungen", ohne die ein Anwendungsbereich nicht gedacht werden karin, hinzugenommen werden müssen. Aufgrund seiner physischen Bestimmtheit kann auch nur ein Verpflichtungsverhältnis zustande kommen, das nach den Kategorien der Modalität "vollkommene" und "unvollkommene" Pflichten umfaßt. 20 Das offensichtliche Problem besteht zunächst darin, daß die dritte Kategorie nicht die Synthese der ersten beiden, sondern eine Unterteilung des ersten Teils der zweiten Kategorie zu sein scheint. Die Pflicht vollkommene

-

Das Pflichtwidrige

unvollkommene Pflicht

Das widerspricht aber den Ausführungen in der Kritik der reinen Vernunft, nach denen die "Verbindung der ersten und zweiten" erst "den dritten Begriff" durch einen besonderen Aktus des Verstandes hervorbringt. Denn auch für die praktische Philosophie gilt, "daß allerwärts eine gleiche Zahl der Kategorien jeder Klasse, nämlich drei sind, welches eben sowohl zum Nachdenken auffordert, da sonst alle Einteilung a priori durch Begriffe Dichotomie sein muß. Dazu kommt aber noch, daß die dritte Kategorie allenthalben aus der Verbin21 dung der zweiten mit der ersten ihrer Klasse entspringt". Die Trichotomie der Einteilung ist ein Merkmal der Kritik, da "die systematische Vorstellung des Denkungsvermögens" stets 19 20 21

V, 239. V, 66. B 110.

Die Einteilung des Systems

165

"dreiteilig" ausfällt, dagegen das System der "besonderen Philosophie", dem der Verstand a priori Gesetze der Natur, dagegen Vernunft Gesetze der Freiheit an die Hand gibt", nur "zweiteilig" sein kann. So leistet die Kategorie der Pflicht den Übergang von der allgemeinen zur besonderen praktischen Metaphysik in ihren beiden Teilen als Pflichtenlehre der vollkommenen und unvollkommenen Pflichten. Durch diese Unterteilung, die eine rechtliche und ethische Bedeutung von Pflicht zuläßt, wird der Rah22 men einer Metaphysik der Sitten vorgegeben. Beide Pflichten werde in der Metaphy sik der Sitten

als apo-

diktisch bestimmt, und der Unterschied besteht nur darin, daß in einem Fall eine gewisse Handlung, im anderen eine Handlung unter einer bestimmten Maxime geboten ist. Aufgrund dieser Voraussetzungen wird dann auch der Plan der "vorhabenden Wissenschaft" anhand der Modalitätskategorien der praktischen Vernunft für eine Metaphysik der Sitten entworfen. Ausgehend von der Kategorie der Pflicht, die bezogen wird auf den äusseren Verpflichtungsgrund: Recht

und den inneren: '¿weck, er-

gibt sich unter Berücksichtigung der beiden Aspekte des Gegenstandes

(homo noumenon und phaenomenon) für die Metaphysik der

Sitten folgende "Einteilung Gesetzes zur Pflicht".

22

23

23

nach dem objektiven Verhältnis des

Beck schlägt zur Interpretation folgendes Schema vor, das der Lehre von den vollkommenen und unvollkommenen Pflichten in der Metaphysik der Sitten entspricht: "2. Handlungen, die wirklich pflichtgemäß oder pflichtwidrig sind, d.h. rechtmäßige oder rechtswidrige Handlungen 3. Handlungen, die notwendig sind, weil sie pflichtgemäß sind, d.h. moralisch gute Handlungen a) vollkommene Pflichten b) unvollkommene Pflichten." Beck, a.a.O., S. 281, Anm. 48. VI, 240.

166

Die kategoriale Systematik Vollkommene Pflicht

A

1. Das Recht der Menschheit x in unserer eigenen Person

2. /Das Recht der Menschen

1J

in

•a c m c

0)

(Rechts=)

Cr

Pflicht (Tugend=)

3. Der Zweck der Menschheit in unserer Person

f )

> g,

.c o

4. ^Der Zweck der Menschen

V

Unvollkommene Pflicht

Die "Akte der freien Willkür" als Gegenstand und ihre Anwendung im Bereich der Sinnlichkeit erfahren von der Kategorie der Pflicht her ihre apriorische Bestimmung. Im methodischen Verfahren geht Kant hier von der allgemeinen Metaphysik der Sitten, die die Kategorie der Pflicht

(wie alle Kategorien der

Freiheit) auf die Existenz vernünftiger Wesen überhaupt bezieht, über zu einer speziellen Metaphysik der Sitten. Sie nimmt ihren Gegenstand aus dem phaenomenalen Bereich und bestimmt ihn als das am Menschen, was "frei" ist - die freie 24 Willkür.

Denn nur auf ein freies Vermögen kann die Katego-

rie der Pflicht sinnvoll angewendet werden. Die Freiheit der Willkür kann nachgewiesen werden als Phänomen

durch Beispiele

der Erfahrung, obgleich sie, wie Kant ausdrücklich betont, selbst nicht Erscheinung sein kann. Der Mensch als

"Sinnenwe-

sen" zeigt ein Vermögen der Entscheidung; er kann für oder wider seine Vernunft wählen, und Erfahrung beweist oft genug, daß es geschieht. Dennoch kann auf diesen Sätzen der Erfahrung keine Theorie der freien Willkür aufbauen, "denn ein Anderes ist, einen Satz

(der Erfahrung) einräumen, ein Anderes, ihn zum Er-

klärungsprinzip 24

(des Begriffs der freien Willkür) und allge-

"Von dem Willen gehen die Gesetze aus; von der Willkür die Maximen. Die letztere ist im Menschen eine freie Willkür; der Wille, der auf nichts Anderes, als bloß auf Gesetz geht, kann weder frei noch unfrei genannt werden, weil er nicht auf Handlungen, sondern unmittelbar auf die Gesetzgebung für die Maxime der Handlungen (also die praktische Vernunft selbst) geht, daher auch schlechterdings notwendig und selbst keiner Nötigung fähig ist. Nur die Willkür als kann frei genannt werden." VI, 226.

Die Einteilung des Systems meinen Unterscheidungsmerkmal (vom arbitrio bruto s. servo) machen: weil das Erstere nicht behauptet, daß das Merkmal notwendig zum Begriff gehöre, welches doch zum Zweiten erforderlich 25 ist".

Ein bloß "theoretisches Erkenntnis der möglichen Be-

stimmung der Willkür, d.i. praktischer Regeln" ist möglich durch die Vorstellung der Handlungen oder Akte der freien Willkür als Pflicht, d.h. es muß ein Gesetz geben, "welches die Handlung, die geschehen soll, objektiv als notwendig vorstellt, d.i. welches die Handlung zur Pflicht macht". 2 6 27 Aus diesen "formalen Gesetzen des Gebrauchs der Willkür", die gleich mathematischen Postulaten apodiktische Sätze sind, läßt sich ein System apriorischer Rechtssätze aufbauen. Sie gründen in dem Verpflichtungsgrund der Willkür in ihrem äusseren Gebrauche, dem Recht,

und lassen den inneren Verpflich-

tungsgrund, den Zweck, unberücksichtigt, der im Bereich der 28 Tugendlehre seine Anwendung findet. Die Analogie unerweislicher apodiktischer praktischer Sätze zu mathematischen Postulaten erinnert an die Anfangsgründe

der Naturwissenschaft,

Metaphysischen

wo das Kriterium eigent-

licher Wissenschaftlichkeit in der Mathematik, bzw. Mathematisierbarkeit naturwissenschaftlicher Sätze gefunden wurde. "Ich behaupte aber, daß in jeder besonderen Naturlehre nur so viel eigentliche darin Mathematik 25 26 27 28

29

Wissenschaft angetroffen werden könne, als 29 anzutreffen ist." Wenn auch dieser wissen-

V I , 226/27. V I , 218. V I , 246. "Pflicht im Verhältnis auf's Recht der Menschen Pflicht im Verhältnis auf den Zweck f Jus et Ethica, Beziehung auf die Freiheit der Willkür oder auf das Objekt derselben." X X I I I , 258. IV, 470. D i e Rolle der Mathematik für die Metaphysischen Anfangsgründe der Naturwissenschaft wird auch von den Interpreten hervorgehoben. S o Plaas, a.a.O., S. 113: "Kant macht die Anwendung der Mathematik zum Kriterium dafür, wieviele 'eigentliche Wissenschaft' in einer besonderen Naturlehre enthalten ist. Daraus sieht man, daß 'Anwendung' der Mahtematik nicht auf den reinen Teil beschränkt gedacht wird, sondern offenbar des reinen Teils auf die gesamte, empirische, aber apodiktische

168

Die kategoriale Systematik

schaftstheoretisch so bedeutende Grundsatz nicht in gleicher Weise auf die Rechtslehre als eigentlicher Wissenschaft zutreffen dürfte, so ist doch die Anwendung mathematischer Verfahrensweisen und Analogien in der Rechtslehre, z.B. bei der Konstruktion des Rechtsbegriffs, auffallend. Für das Recht, seinen logischen Verhältnissen nach, kann nachgewiesen werden, daß das apriorische Wissen vom Recht als äußerem Pflichtverhältnis auf unerweislichen apodiktischen Sätzen gründet, die nach dem Satz des Widerspruchs verknüpft werden; damit ist aber noch nicht entschieden, wie "synthetische Rechtssätze a priori möglich" sind, "ohne daß ein anderes Recht, d.i. der Besitz, schon vorausgesetzt würde".

Ihre Sicherung ist nur

durch ein apriorisches Verfahren denkbar, bei dem die Kategoriensystematik den Leitfaden vorgibt. Nachdem die Modalkategorien der Freiheit im Ubergang von allgemeinen metaphysischen Prinzipien zu besonderen den Gegenstand der Metaphysik der Sitten a priori bestimmt hatten, muß nun das methodische Verfahren nach Maßgabe des transzendentalphilosophischen Entwurfs den Gegenstand "jederzeit mit allen notwendigen Gesetzen des Denkens" vergleichen, welches "eine bestimmte Zahl von Erkenntnissen geben muß, die sich völlig 31 erschöpfen läßt". Da die notwendigen Denkgesetzlichkeiten, die gleichzeitig das Schema abgeben zur "Vollständigkeit eines metaphysischen Systems", mit der Tafel der Kategorien vorgestellt wurden, ist auch in den Metaphysischen

Anfangsgründen

der Rechts lehre zur erwarten, daß der Gegenstand der Rechtslehre, die freie Willkür in ihrem äußeren Gebrauche, durch die Positionen der Kategorientafel geführt wird. Im Text der Rechtslehre wird dieses methodische Vorgehen nicht deutlich sichtbar, gleichwohl aber doch im im öffentlichen

Recht und im Weltbürgerrecht

Privatrecht,

implizit ange-

wandt. Neben vielen, überwiegend inhaltlichen Systemstücken

30 31

(eigentliche) Wissenschaft XXIII, 302. IV, 473.

sich

erstreckt."

169

Die Einteilung des Systems

findet sich aber auch eine Vielzahl von rechtlichen Lehrstücken, die kategoriale Bestimmungen enthalten. Sie scheinen sich auf eine nirgends entwickelte Tafel der Rechtsbegriffe zu stützen, die hypothetisch als Kategorientafel des Rechts konstruiert werden könnte. So setzt z.B. das Privatrecht

mit der Besitz-

lehre wieder ein beim Gegenstandsbereich mit modalen Bestimmungen, die jedoch weder auf die Modalitätskategorien der theoretischen

noch der praktischen Vernunft zurückgehen, sondern

auf ganz spezifische Kategorien des Rechts verweisen. Wenn diese These zutrifft, daß die Modalitätskategorien jeweils den Übergang leisten von allgemeinen zu besonderen Wissenschaftsbereichen, dann könnte hier vorab der Systementwurf der Rechtslehre so beschrieben werden: Nachdem die Kategorien der Freiheit eine Tafel des Rechts überhaupt möglich gemacht haben, ist in der weiteren Entwicklung aufgrund dieser Tafel eine Spezifikation erforderlich, allerdings jetzt am "Leitfaden" der Kategorientafel der Kritik

der reinen

Vernunft,

zwar bezüglich des besonderen Gegenstandsbereiches.

und

Hierdurch

ergäben sich im vollständigen Durchgang eine Bestimmung des Rechts und die Errichtung aller fundamentalen

synthetischen

Rechtssätze a priori. Die Schwierigkeit der Interpretation liegt nun darin, daß Kant im Text nur ansatzweise das kategoriale Verfahren durchführt und die ausführlichen Vorarbeiten

zur Rechtslehre, die

Kategorientafel des Rechts enthalten, nicht übernommen hat. Vorrede

und Einleitung

in die Rechtslehre

wären zunächst da-

raufhin zu überprüfen, inwiefern sie dem Anspruch gerecht werden, die prinzipientheoretische Grundlegung einer Rechtslehre, die nur auf das äußere Mein und Dein bezogen werden kann, zu liefern. Das methodische Verfahren schließt dabei an die Voraussetzung an, daß die metaphysischen Anfangsgründe einer Metaphysik der Sitten eingeteilt werden nach dem Gebrauch der Willkür, also nach dem Anwendungsbereich der besonderen metaphysischen Wissenschaft, nicht nach den Gesetzen, die als rei-

170

Die kategoriale Systematik

ne praktische Vernunftgesetze immer innere Bestimmungsgründe sind. Diese fallen darum in einen allgemeinen metaphysischen Bereich und werden von hier der Vernunft zur Verfügung gestellt. Um den hohen Ansprüchen von Apriorität und Vollständigkeit in metaphysischen Anfangsgründen genügen zu können, muß die freie Willkür in ihrem äußeren Gebrauche als Grundbestimmung von Etwas, das ein Gegenstand äußerer Sinne sein kann, also von rechtlichen Handlungen "nach Begriffen", d.h. jetzt: nach "reinen Verstandesbegriffen", bestimmbar sein.

1.3. Die Form des apriorischen Rechtssystems In der Vorrede

zur Rechtslehre stellt Kant durch die Bestim-

mung des Rechtsbegriffs als reinen, "jedoch auf Praxis (Anwendung auf in der Erfahrung vorkommende Fälle)" gestellten Begriff gleichzeitig die beiden Teile eines zukünftigen Systems des Rechts vor. Das, was am Rechtsbegriff "rein" genannt werden kann, macht die metaphysischen Anfangsgründe einer Rechtslehre aus. Sie müssen als a priori entworfenes, abgeschlossenes System vorgestellt werden können. "Es wird daher hiermit, so wie mit den (früheren) metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft, auch hier gehalten werden: nämlich das Recht, was zum a priori entworfenen System gehört, in den Text, die Rechte aber, welche auf besondere Erfahrungsfälle bezogen 32

werden, in zum Teil weitläufige Anmerkungen zu bringen."

Den zweiten Teil, der die "Anwendung" des ersten Teils "auf in der Erfahrung vorkommende Fälle" darstellen würde, sieht Kant in der Vorrede

als den noch nicht zu leistenden an, ob-

gleich der Einbezug der Praxis erst das ganze metaphysische System vollständig machen würde. Durch den Begriff der "Praxis" läßt sich der Anwendungsbereich dann bestimmen, wenn die Definition aus der Kritik

der

reinen

Vernunft

hinzugenommen wird,

nach der "praktisch" alles das ist, "was durch Freiheit mög32

VI,

205/206.

Die Form des apriorischen Rechtssystems

171

lieh ist", d.h. was mit den "Bedingungen der Ausübung unserer 33 freien Willkür" zusammenhängt. Für diesen Anwendungsbereich ist ein abgeschlossenes System nicht darstellbar, weil in seiner Einteilung auch auf die "empirische Mannigfaltigkeit" der in der Erfahrung vorkommenden Fälle Rücksicht zu nehmen sei, "um die Einteilung vollständig zu machen (welches zur Errichtung eines Systems der Vernunft eine unerläßliche Forderung ist),Vollständigkeit der Einteilung des Empirischen aber un34 möglich ist". Durch diesen ersten Teil der Vorrede schränkt Kant sein Vorhaben deutlich auf die Vorstellung der "Form des Systems" ein und beansprucht keineswegs, das System einer Metaphysik des Rechts selbst liefern zu können. Besonders aber die "folgende Einleitung" sollte die "Form des Systems" einer Metaphysik der Sitten "vorstellig und zum Teil auch anschaulich machen". In den folgenden Teilen geht die Vorrede zur Rechtslehre nicht in diesen, wissenschaftstheoretisch so bedeutenden Uberlegungen fort, sondern beschäftigt sich vielmehr mit allgemeinen Problemen einer Metaphysik der Sitten und eines Vernunftsystems überhaupt. Überwiegend sind die weiteren Ausführungen als Antwort auf Rezensenten zu verstehen, die sich vor allem auf die Kritiken beziehen.

Erst gegen Ende der Varrcdc kommt

Kant wieder auf Probleme der Rechtslehre zurück und nennt hier zwei weitere Gründe, die es ihm verbieten, das vollständige System vorzustellen. Er bezieht sich auf die Unverhältnismäßigkeit der ausgearbeiteten und vorgestellten Teile der Rechtslehre, weil er besonders gegen Ende "einige Abschnitte mit minderer Ausführlichkeit bearbeitet" habe. Diese Bemerkung betrifft das öffentliche Recht, welches auf knapp 40 Seiten abgehandelt wird, wobei das Weltbürgerrecht

nur noch einen Pa-

ragraphen, dargestellt auf zwei Seiten, umfaßt. Die Schwierigkeit der Bearbeitung liegt, wie hier noch einmal deutlich 33 34 35

B 828. VI, 205. Vgl. hierzu den Nachbericht,

VI, 520/21.

Die kategoriale Systematik

172

sichtbar wird, in der zu behandelnden Materie, nicht in der vorgestellten Methode. Das methodische Verfahren, das scheint Kant hier sicher, ist gefunden, denn eine ausführliche Bearbeitung der letzten Abschnitte könne "aus diesen", d.i. den ersten, "leicht gefolgert" werden. Die Materie zum Privatrecht,

das Kant relativ ausführlich

bearbeitet vorlegt, stellt keine Schwierigkeiten für ihn dar. Sie ist "fast durchweg dem Achenwall

entnommen".

Zu Kants

Zeiten war diese traditionelle Rechtslehre in ihrer Gültigkeit gesichert, anders hingegen verhält es sich mit der Materie zum Öffentlichen

Recht. Sie ist "eben jetzt so vielen Diskussionen

unterworfen und dennoch so wichtig ..., daß sie den Aufschub des entscheidenden Urteils auf einige Zeit wohl rechtfertigen" 37

kann.

Dieser Aufschub bereitet gleichwohl für die Erstellung

des Systems keine Schwierigkeiten, da er später "leicht gefolgert" werden kann, was aber bedeuten würde, daß der Leitfaden der Folgerung gegeben sein muß. Wenn die Methode entwickelt und die Form des Systems vorstellig gemacht wurde, kann auch eine zukünftige Ausarbeitung, wenn die "Zeit" es zulassen würde, keine Schwierigkeiten mehr bereiten. 38 In der Einleitung

in die Rechtslehre,

den anderen Einleitungen Tugendlehre)

die im Unterschied zu

(in die Metaphysik

der Sitten und die

in Paragraphen A - E gegliedert ist, stellt Kant

unter der Frage "Was die Rechtslehre sei?" nun nicht die Form des angekündigten Systems vor. Er geht zunächst auf traditionelle Elemente der Rechtswissenschaft zurück und unterscheidet ein Naturrecht vom positiven Recht, bzw. Rechtsklugheit von Rechtswissenschaft und natürlicher Rechtslehre. Läßt 36 37 38

VI, 520. VI, 209. Das Zeitproblem ist hier in doppelter Hinsicht zu nehmen: "Zeit" bezieht sich sicher auf das fortgeschrittene Alter Kants, das ihn zu einer schnellen Veröffentlichung der Metaphysik der Sitten zwang; zum anderen wird hier auch der historische Zeitpunkt, der es ihm verbot, ein endgültiges Urteil in politisch-systematischer Hinsicht abzugeben, gemeint sein.

Die Form des apriorischen Rechtssystems

173

der erste Satz von § A noch an die vorigen Ausführungen zur Gegenstandsbestimmung durch die Modalitätskategorien d e r Freiheit denken

("Der Inbegriff der Gesetze, für welche eine äußere 39

Gesetzgebung möglich ist, heißt Rechtslehre

(Ius)"),

so be-

reitet die weitere Ausführung für die Interpretation einige Schwierigkeiten. Die Verwendung des Terminus "wirklich" geschieht in völlig anderer Hinsicht, nämlich nicht "wirklich" im oben erörterten Sinne der Realmöglichkeit eines Gegenstandes der praktischen Philosophie, sondern historisch wirklich, d.h. "aufgeschrieben" als positives Recht. Ein weiteres Problem gibt die "äußerliche" Kenntnis der äußeren Gesetze, "d.i. in ihrer Anwendung auf in der Erfahrung vorkommende Fälle", die dann "wohl Rechtsklugheit genannt werden kann". Ganz im Rahmen der Tradition bewegt sich Kant im Schlußsatz von § A , in dem er dem Ius naturae die prinzipientheoretische

Bedeutung

zukommen läßt, die alle mehr oder weniger idealistischen Naturrechtslehren vertreten. 4 0 Die "systematische Kenntnis der natürlichen Rechtslehre

(Ius naturae)" gibt die "unwandelba-

ren Prinzipien" zu aller positiven Gesetzgebung her.

41

Der § A läßt sich nur schwer mit den ersten und zweiten Abschnitten der Vorrede

verbinden, in denen sehr viel genauer

und im Einklang mit transzendentalphilosophischen

Erkenntnis-

sen "Rechtslehre" bestimmt wird. Auch von einer Metaphysik des Rechts, um die es Kant ja gerade hier zu tun ist, ist in § A der Einleitung

nicht die Rede. So wäre es, nach der hier ver-

tretenen Interpretation problematisch und letztlich auch wohl nicht zutreffend, die in § A angesprochene natürliche Rechtslehre mit den metaphysischen Anfangsgründen und das positive Recht oder die Rechtswissenschaft mit der Metaphysik des Rechts in der Vorrede

gleichzusetzen. Denn Kants Leistung liegt wohl

gerade darin, daß er nicht die "unwandelbaren Prinzipien"

39 40 41

VI, 229. Vgl. hierzu Welzel, H., Naturrecht tingen 1962. VI, 229.

und materiale

Gerechtigkeit.

in

Göt-

174

Die kategoriale Systematik

einem gegebenen Naturrecht sucht, wie die Tradition vor ihm, sondern daß er, transzendentalphilosophische Prinzipien zugrundelegend, eine neue Begründung apriorischer

Rechtssätze

versucht. Somit ist der traditionellen Bestimmung der Rechtslehre in § A sicher die Bestimmung in der Vorrede

vorzuziehen.

Dieses Verfahren ist auch darum berechtigt, weil Kant den Gedanken, was denn nun das Naturrecht ausmache und was zum positiven Recht gehöre, in dieser Form nicht weiterführt. Mit der,den § B einleitenden Frage: "Was ist Recht?" nimmt Kant die in der allgemeinen Einleitung• in die Metaphysik Sitten

der

vorgestellte Disjunktion wieder auf und fragt nach dem

dazugehörigen "Gattungsbegriff", unter den Recht und Unrecht fallen und nach dem "Kriterium" ihrer Unterscheidung. Bei diesen Überlegungen kommt Kant wieder auf die "bloße Vernunft" als Quelle und Instanz für den Begriff des Rechts, den er seinen Metaphysischen

Anfangsgründen

der Rechtslehre

zugrundelegt.

Danach wird der Rechtsbegriff dann nicht mehr synthetisch durch Rückgriff auf traditionelle Elemente definiert, sondern analytisch aus dem Begriff der Willkür, jenseits aller empirisehen Prinzipien entwickelt.

42

Um zur Definition: "Das Recht ist also der Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des anderen nach einem allgemeinen Gesetze der Freiheit zusam43

men vereinigt werden kann"

zu kommen, sind nach Kant einige

Vorüberlegungen notwendig. Vorausgesetzt wird die "Einteilung nach dem subjektiven Verhältnis der Verpflichtenden und Verpflichteten der Sitten

42

43

in Abschnitt III der Einteilung

der

Metaphysik

überhaupt.

VI, 229/230. Hier nimmt die Interpretation Abstand von Untersuchungen zum Rechtsbegriff, wie sie in der Literatur vorliegen, u.a. bei Lisser, K. ; Kaufmann; Ritter, a.a.O. VI, 230.

Die Form des apriorischen Rechtssystems 2.

1. ii

"Das rechtliche Verhältnis des Menschen zu Wesen, die weder Recht noch Pflicht haben."ii

3.

175

II

"Das rechtliche Verhältnis des Menschen zu Wesen, die sowohl Recht als Pflicht haben."II 4. "Das rechtliche Verhältnis

II

"Das rechtliche Verhältnis des

II

Menschen zu Wesen, die lauter

des Menschen zu einem Wesen',

Pflichten und keine Rechte ha-

was lauter Rechte und keine

ben . "

M 44 Pflicht hat (Gott)."

Bei Betrachtung der Subjekte, bei denen ein Verhältnis des Rechts zur Pflicht gedacht werden kann, ergibt sich nur in Position 2 der Tafel ein reales Verhältnis zwischen Recht und Pflicht. Nach § B der Einleitung in die Rechtslehre muß die Pflicht als "der moralische Begriff", der dem Begriff des

45 Rechts korrespondierenden Verbindlichkeit angesehen werden. Der Bezug des Rechtsbegriffs auf eine moralisch verstandene, ihm korrespondierende Verbindlichkeit ist nicht als von vornherein gegeben anzusehen, denn der Rechtsbegriff kann sich durchaus auf empirische Fälle beziehen, die durch eine ihnen eigene Verbindlichkeit auch einen direkten Bezug zulassen. Vor den Gefahren einer so entstehenden empirischen 46 Rechtslehre warnt Kant ausdrücklich im vorhergehenden Text.

Wenn aber

Pflicht nichts anderes ist, als "durch Gesetz bestimmte Verbindlichkeit" oder "objektive Notwendigkeit einer Handlung 44 45

46

VI, 241. Hier folgt die Interpretation der Originalausgabe (Hrsg. v. Weischedel), in der die Klammer den "moralischen Begriff" durch "derselben" auf die korrespondierende Verbindlichkeit bezieht, während die Akademieausgabe in "desselben" verbessert, wonach der "moralische Begriff" dann auf den "Begriff des Rechts" bezogen werden müßte. Letzteres würde im Zusammenhang dieser Interpretation einige Schwierigkeiten bereiten und es ist hier nicht einzusehen, warum an dieser Stelle der Originaltext verbessert werden müßte. "Eine bloß empirische Rechtslehre ist (wie der hölzerne Kopf in Phädrus' Fabel) ein Kopf, der schön sein mag, nur schade! daß er kein Gehirn hat." VI, 230.

Die kategoriale Systematik

176

aus Verbindlichkeit", so ist in ihr der "moralische Begriff" gefunden.^ Der Begriff des Rechts in Beziehung zur Pflicht konstituiert ein reales Verhältnis "von Menschen zu Menschen", als Wesen, 48

die sowohl Rechte als auch Pflichten haben.

Dieses "reale

Verhältnis" der Menschen untereinander macht den Inhalt einer Rechtslehre aus, der durch die Modalkategorien der Freiheit seine apriorische Bestimmung erhalten hat. Die Handlungen des Menschen als eines verpflichteten Wesens werden eingeteilt als Akte der Willkür in äußere und innere, wobei seiner physischen Beschaffenheit nach ein inneres, unvollkommenes und ein äußeres, vollkommenes Verpflichtungsverhältnis konstituiert werden kann. So sind die beiden Teile des "Systems der allgemeinen Pflichtenlehre", die von Kant auch als Ethik oder Sittenlehre 49 bezeichnet wird, a priori bestimmt. Wird die Metaphysik

der Sitten in ihren beiden Teilen allge-

mein als System der Pflichtenlehre vorgestellt, so ist vorab in beiden Systemteilen den "ersten Gründen ... nachzuspüren; denn irgend einer muß doch als Philosoph auf die ersten Gründe dieses Pflichtbegriffs hinausgehen: weil sonst weder Sicherheit noch Lauterkeit ... überhaupt zu erwarten w ä r e " . ^

47

48 49

50

XXXII, 250. "Pflicht ist diejenige Handlung, zu welcher jemand verbunden ist. Sie ist also Materie der Verbindlichkeit und es kann einerlei Pflicht (der Handlung nach) sein, ob wir zwar auf verschiedene Art dazu verbunden werden können." VI, 222. VI, 241. Auf die hier sichtbar werdende doppelte Bestimmung des Ethikbegriffs kann nicht weiter eingegangen werden. Man wird den Kantischen Schriften wohl am gerechtesten, wenn Ethik in einer engeren und einer weiteren Bedeutung gefaßt wird: so als Lehre von den Pflichten überhaupt, Recht- und Tugendlehre umfassend und als Ethik im Sinne einer Tugendlehre, bzw. einer Lehre von den Tugendpflichten. Beides findet sich in der Metaphysik der Sitten durchgängig und gleichzeitig bezeugt. VI, 376.

Die Form des apriorischen Rechtssystems

177

Für die Rechtslehre wird die Notwendigkeit und auch die Möglichkeit solcher Anfangsgründe nicht bezweifelt, "denn sie betrifft nur das Förmliche

der nach Freiheitsgesetzen im äußeren

Verhältnis einzuschränkenden Willkür".

1

Damit ist der Rahmen

einer Rechtslehre präzise bestimmt, die es dann "bloß mit der formalen

Bedingung der äußeren Freiheit (durch die Zusammen-

stimmung mit sich selbst, wenn ihre Maxime zum allgemeinen Ge52 setz gemacht wurde), d.i. mit dem Recht, zu tun" hat. Die formale Bedingung der äußeren Freiheit aber ist a priori bestimmt durch die Maxime: "daß nämlich die Freiheit des Handelnden mit Jedes anderen Freiheit nach einem allgemeinen Gesetz zusammen bestehen k ö n n e " . ^ Indem die Rechtslehre so die äußere Freiheit unter Gesetze bringt, gibt sie damit die Ge54 setze für die Handlungen. Entfaltet werden die Gesetze aus dem obersten "Rechtsprinzip",

welches ein analytischer Satz

ist, denn um den äußeren Zwang, "so fern dieser ein dem Hindernisse der nach allgemeinen Gesetzen zusammenstimmenden äusseren Freiheit entgegengesetzter Widerstand

(ein Hindernis des

Hindernisses derselben) ist", einsehen zu können, "darf nicht über den Begriff der Freiheit" hinausgegangen werden.

51 52 53 54 55

VI, VI, VI, VI, VI,

375. 380. 382. 388. 396.

2. Die kategoriale Bestimmung des Rechtsbegriffs 2.1. Die Relationskategorien als Grundlage des Rechtsbegriffs Die Modalkategorien der Freiheit bestimmten den Menschen als Gegenstand der praktischen Philosophie im Sinne eines verpflichteten Vernunftwesens; wobei die Kategorie der Pflicht dann die Verpflichtungsverhältnisse vorstellte, die der Mensch eingehen kann. Der Begriff des Rechts nun, in Beziehung zur Pflicht gesetzt, kennt nur ein reales Verhältnis, das von Menschen zu Menschen,als Wesen, denen sowohl Rechte als auch Pflichten zuk o m m e n . ^ Um diesen Gegenstandsbereich

jetzt zu bestimmen,

wird der Rechtsbegriff, bezogen auf die Pflicht, durch die Relationskategorien geführt, wodurch sich eine vollständige Bestimmung des Rechts ergibt. Sowohl die Kritik nunft

als auch die Prolegomena

der reinen

Ver-

betonen die besondere Rolle der

Relationskategorien bei der Konstitution der Grundsätze einer besonderen Wissenschaft; sie ermöglichen die Grundsätze, die als eigentliche Naturgesetze die reine Naturwissenschaft

fun-

d i e r e n . ^ Die Ausführungen Kants in § 25 der Prolegomena

gewin-

nen aber nicht nur an Wichtigkeit, wenn

naturwissenschaftliche

Grundlagen bestimmt werden sollen; sie beziehen sich auf wissenschaftliche Grundsätze überhaupt und sind damit - bei aller gebotenen Vorsicht einer Übertragung - auch auf die grundlegenden Rechtssätze anwendbar.

Nach § 25 müssen alle Erscheinungen unter die Relationskategorien subsumiert werden, so zunächst unter "den Begriff der Substanz, welcher aller Bestimmung des Daseins als ein Begriff 58 vom Dinge selbst zum Grunde liegt". Auch die erste Relations56 57

58

VI, 241. IV, 307. Zur Bedeutung besonders der Analogien der Erfahrung für die gegenwärtige Physik siehe u.a. die Beiträge von L. W. Beck und C. F. v. Weizsäcker in: Kant. Zur Deutung seiner Theorie von Erkennen und Handeln. Hrsg. v. G. , Prauss, Köln 1973. IV, 307.

Die Relationskategorien als Grundlage des Rechtsbegriffs

179

kategorie der Kategorien der praktischen Vernunft geht auf einen Begriff, der allen moralischen und rechtlichen

Sätzen

notwendig zum Grunde gelegt werden muß: "Auf die Persönlich59 keit . Der Begriff erlaubt es, eine nicht-empirische "Ordnung der Dinge" zu knüpfen, "die nur der Verstand denken kann", und in der, nach den bisherigen Ausführungen

apriorische

Rechtssätze angesiedelt sein müssen. "Persönlichkeit", nach der Kritik

der praktischen

Vernunft,

ist "die Freiheit und Un-

abhängigkeit von dem Mechanismus der ganzen Natur, doch zugleich als ein Vermögen eines Wesens betrachtet, welches eigentümlichen, nämlich von seiner eigenen Vernunft

gegebenen,

reinen praktischen Gesetzen, die Person also, als zur Sinnenwelt gehörig, ihrer eigenen Persönlichkeit unterworfen

ist,

so fern sie zugleich zur intelligibelen Welt gehört". Für den rechtlichen Bereich, der als besonderer metaphysischer das Empirische mit einbeziehen muß, ist eine Modifikation dieser ersten Relationskategorie, besonders des Persönlichkeitsbegriffs, unerläßlich. Ohne diesen Hintergrund

müßten

die Rechtssätze als empirisch aus dem Begriff der Person abgeleitete verstanden werden. In den "Vorbegriffen zur Metaphysik der Sitten" wird

Person

von Sache durch das Kriterium der Zurechnungsfähigkeit

unter-

schieden. "Person ner Zurechnung

ist dasjenige Subjekt, dessen Handlungen ei-

fähig

sind".

Mit diesem Begriff beschreibt Kant den handelnden Menschen, dem freie Willkür zugeschrieben werden muß und der "keinen anderen Gesetzen als denen" unterworfen ist, die er

"(entweder

allein oder wenigstens zugleich mit anderen) sich selbst gibt". Diese, durch die Selbstgesetzgebung mie der Person

sichtbar werdende Autono-

ist möglich durch die Percönlichkeit,

Kant sowohl in psychologischer als auch moralischer 59 60

v, 66. V, 87.

die Hinsicht

180

Die kategoriale Systematik

vorstellt. "Die moralische

Persönlichkeit ist also nicht an-

ders, als die Freiheit eines vernünftigen Wesens unter moralischen Gesetzen (die psychologische aber bloß das Vermögen, sich der Identitätseiner selbst in den verschiedenen Zuständen seines Daseins bewußt zu werden)".

Die moralische Persönlich-

keit, welche Freiheit vom Naturmechanismus und die Fähigkeit, sich selbst gegebenen Gesetzen zu unterwerfen, voraussetzt, ist als Bedingung der Möglichkeit einer freien Willkür überhaupt Gegenstand einer allgemeinen Metaphysik der Sitten, die 62 "die Idee und die Prinzipien eines möglichen reinen Willens" überhaupt untersucht. "Der Begriff des Rechts" in Relation zur Pflicht geht nach der Einleitung

in die Reehtslehre dagegen auf die Person, die

sich darstellt in den Akten ihrer freien Willkür im äußeren Gebrauche, die bereits als Objekte der Metaphysik der Sitten bestimmt wurden. Nach dem Grundsatz der Persönlichkeit betrifft das rechtliche Verhältnis nur "das äußere und zwar praktische Verhältnis einer Person gegen eine andere, sofern ihre Handlungen als Facta aufeinander (unmittelbar oder mittelbar) Einfluß haben können".®^ Vom Begriff der Person ausgehend, sind die Akte der freien Willkür als Handlungen eines identischen Subjekts zu verstehen. Gemäß dem Grundsatz der Beharrlichkeit der Substanz muß die handelnde Person als autonomes Rechtssubjekt vorgestellt werden, bei dem auf der Grundlage der Persönlichkeit des zu Verpflichtenden ein Verhältnis von Recht zu Pflicht gedacht werden kann. In § B der Einleitung

64

führt Kant den Begriff des Rechts im

Verhältnis zur Pflicht gemäß der Ordnung der Relationskategorien weiter. Dieses methodische Verfahren fordert, daß im 61 62 63 64

VI, 223. IV, 390. VI, 230. Beck interpretiert die erste Kategorie daher etwas zu kurz als Regel, "daß alle Handlungen als Handlungen eines Subjekts zu beurteilen sind", nimmt aber in den Erläuterungen dazu den anderen Aspekt wieder mit auf. "Die erste dieser Kategorien entspricht der Kategorie Subsistenz / In-

Die Relationskategorien als Grundlage des Rechtsbegriffs 181 theoretischen Verstände nun "weil etwas ist, betrachtet werden muß", wie etwas überhaupt Ursache sein kann, d.h. daß im praktischen Verstand jetzt "auf den Zustand der Person" reflektiert werden muß. Kants Aussagen im Text, daß es sich nicht um das "Verhältnis der Willkür auf den Wunsch

(folglich auch auf das

bloße Bedürfnis) des Anderen, wie etwa in den Handlungen der Wohltätigkeit oder Hartherzigkeit, sondern lediglich auf die Willkür des Anderen" handelt, bedürfen einiger Erläuterungen bezüglich des Wirkungsverhältnisses der Willkür. Es ist zu klären, inwiefern Willkür auf Willkür wirken kann und was aus diesem, kategorlal gefaßten Verhältnis für den Rechtsbegriff gewonnen werden kann. Nach der Kritik der reinen Vernunft führt die Kausalität "auf den Begriff der Handlung, diese auf den Begriff der Kraft, und dadurch auf den Begriff der Substanz".®^ "Wo Handlung, mithin Tätigkeit und Kraft ist, da ist auch Substanz, und in dieser allein muß der Sitz jener fruchtbaren Quelle der Erscheinungen gesucht werden."

Nach diesen Grundsätzen muß der erste Grund

aller Wirkungen in einem Subjekt liegen, was selbst nicht wechselt; die Wirkung, bzw. das Wirkungsverhältnis, kann also nicht die Substanz betreffen, sondern nur ihren Zustand. Auf das praktische Verhältnis bezogen, würde jetzt interpretiert werden müssen, daß, wie oben ausgeführt, das "praktische Verhältnis einer Person gegen eine andere" insofern modifiziert werden muß, als nicht Person auf Person im Sinne von Substanz auf Substanz wirkt, sondern der Zustand einer Person auf den Zustand der anderen Person.^

65 66 67

härenz in der ersten Kritik, und sie ist hinreichend klar. Ebenso wie die Substanz eine Ursache ist, die sich im Wechsel ihrer Merkmale (Attribute) erhält, so ist die Person eine intelligible Substanz, die sich in ihren Handlungen behaupten soll. Da nur eine Person Zwecke setzt, so ist sie selbst demnach Zweck an sich oder Selbstzweck. Moralische Werte sind stets Werte einer Person." a.a.O., S. 145. B 249. B 250. Beck, a.a.O., S. 146, schlägt hierzu drei mögliche Interpretationen vor, die aber für eine kategoriale Bestimmung des Zustandes der Person nicht zureichen.

182

Die kategoriale Systematik

Da die empirischen Implikationen des Zustandsbegriffs wie Wunsch, Bedürfnis u.a. in § B ausgeschlossen werden, ist ein nichtempirischer Zustand der Person zu finden, der aber den Ubergang zum empirischen Zustand zu leisten vermag. Das ist darum eine unerläßliche Forderung für die Prinzipientheorie des Rechts, weil ein Zustand vorausgesetzt werden muß, der für alle Rechtssubjekte als gleich angenommen werden kann, was bei der moralischen, besonderen Verfassung der Person oder dem Glück und Unglück als Zustand des Einzelnen nicht zutrifft. Wenn die "Persönlichkeit" das "Beharrliche, als das Substratum alles Wechselnden", darstellt, so muß der Zustand der Person die Bedingungen der Möglichkeit des Bewirkens und Bewirktwerdens enthalten, ohne daß die Persönlichkeit verändert wird. Auf das rechtliche Verhältnis angewandt, ist "der Zustand (status iuridicus) ... das Verhältnis der Willkür zur Willkür 68 anderer dadurch jedermann gewisser Rechte fähig ist". Anzunehmen ist demnach ein unveränderliches Rechtssubjekt, das in einem Zustand sich befindet, der gleich allen anderen Zuständen der übrigen unveränderlichen Rechtssubjekte ist und wobei eine Wirkung des einen Zustandes auf den anderen zu denken ist. Der Zustand, der für alle Rechtssubjekte gleich ist und damit formale Bedingung des rechtlichen Verhältnisses sein kann, ist der Zustand eines freien Gebrauchs der Willkür überhaupt. Inhaltlich gefüllt werden kann dieser Zustandsbegriff mit den Ausführungen zum "angeborenen Recht" in der Einteilung Rechtslehre.

Hier ist die "Freiheit

der

(Unabhängigkeit von eines

Anderen nötigender Willkür), sofern sie mit jedes Anderen Freiheit nach einem allgemeinen Gesetz zusammen bestehen kann," als angeborenes Recht das "einzige, ursprüngliche, jedem Menschen kraft seiner Menschheit zustehende Recht". Alle anderen Bestimmungen, wie "die angeborene Gleichheit,

d.i. die Unab-

hängigkeit nicht zu mehrerem von Anderen verbunden zu werden, als wozu man sich wechselseitig auch verbinden kann; mithin die Qualität des Menschen sein eigener 68

XXIII, 2 39.

Herr

(sui iuris) zu

Die Relationskategorien als Grundlage des Rechtsbegriffs sein, imgleichen die eines unbescholtenen

Menschen

183

(Iusti),

weil er vor allem rechtlichen Akt keinem Unrecht getan hat; endlich auch die Befugnis, das gegen andere zu tun, was an sich ihnen das Ihre nicht schmälert ... liegen schon im Prinzip der angeborenen Freiheit und sind wirklich von ihr nicht

(als Glie-

der der Einteilung unter einem höheren Rechtsbegriff) unters c h i e d e n . " ^ Von diesen Bestimmungen aus ist eine Anwendung auf empirische Zustandsbestimmungen möglich. Der äußere Zustand, in dem das rechtliche Verhältnis Wirklichkeit werden kann, wird von Kant später als "bürgerlicher Zustand" eingeführt, in welchem die Rechtssubjekte, die "im wechselseitigen Einflüsse gegen einander stehend, des rechtlichen Zustandes unter einem sie vereinigenden Willen, einer Verfassung

(constitutio), be70 dürfen, um dessen, was Rechtens ist, teilhaftig zu werden Denn ein jeder Zustand bedarf nach Kant einer Verfassung

(con-

stitutio) , "sie mag nun blos objektiv in dem Begriffe eines Prinzips möglicher Zustände bestehen oder subjektiv ein Aktus der Willkür sein, so ist er immer ein Verhältnis der vereinig71 ten Willkür".

Nun ist durch die Vorstellung des Begriffs der

Person und der freien Willkür noch nicht hinreichend und zwingend der Einfluß der Akte der freien Willkür erklärt. Für den Fortgang der Argumentation in § B der Einleitung

muß noch eine

besondere Verstandeshandlung vorgenommen werden, um zu der Aussage zu kommen, daß es sich um ein wechselseitiges Verhältnis der Willkür der Form nach handelt, in dem die "Handlung eines von beiden sich mit der Freiheit des anderen 72 nach einem allgeDenn auch hier

meinen Gesetze zusammen vereinigen lasse".

gilt der Satz der theoretischen Philosophie, daß, wenn der Begriff der Ursache und der einer Substanz verbunden werden, "noch nicht so fort der Einfluß, 69 70 71

72

d.i. wie eine Substanz Ursache von

VI, 237/238. VI, 311. XXIII, 239. Für diese Ausführungen ist eine doppelte Interpretation des Zustandsbegriffs vorauszusetzen, die einmal den Zustand als "Zuständigkeit" bestimmt im subjektiven Verstände als Bedingung der Möglichkeit der rechtlichen Handlung und zum anderen als "Zustand" im Sinne eines objektiv faßbaren äußeren Verhältnisses, indem sich die Subjekte aufgrund ihrer "Zuständigkeit" befinden. VI, 230.

184

Die kategoriale Systematik

etwas in einer anderen Substanz werden könne, zu verstehen" ist, weil "dazu ein besonderer Actus des Verstandes erforderlich" wird. Eine Verknüpfung, in der die "Willkür des einen mit der Willkür des anderen nach einem allgemeinen Gesetze der 74 Freiheit zusammen vereinigt werden kann", kann nur in einem Ganzen gedacht werden, in einer Sphäre, in der die Teile nicht sub-, sondern koordiniert vorgestellt werden müssen. Ist die zweite Relationskategorie grundlegend für die gesamte praktische Philosophie, so kann die Kategorie der Gemeinschaft als grundlegend für die Prinzipientheoirie des Rechts bestimmt werden. Sie ist Bedingung der Möglichkeit eines wechselseitigen Verhältnisses der Willkür von Subjekten, die in einer Rechtssphäre miteinander verbunden sind. Kants Aussagen zum disjunktiven Urteil, zur Kategorie der Gemeinschaft und zur dritten Analogie der Erfahrung mögen das verdeutlichen. Das Verhältnis des Denkens im disjunktiven Urteil ist das "der eingeteilten Erkenntnis und der gesammelten Glieder der Einteilung untereinander". Dabei betrachtet das Denken mehrere Urteile im Verhältnis gegeneinander, aber nicht in der Abfolge, sondern in der logischen Entgegensetzung und zugleich der Gemeinschaft, sofern "sie zusammen die Sphäre der eigentlichen Erkenntnis ausfüllen".75 Das disjunktive Urteil zeigt "Gemeinschaft der Erkenntnisse", die sich ausschließlich im Ganzen der wahren Erkenntnis bestimmen. Das Verfahren des Verstandes, ein Ding als teilbar zu denken, dessen Teile sich ausschließen und doch in einem Ganzen verbunden sind, macht eine Sphäre notwendig, die "als ein Ganzes in Teile" vorgestellt wird, welche nicht subordiniert, sondern koordiniert, d.h. wechselseitig bestimmend gedacht werden. Diese Verknüpfung im Ganzen der Dinge, zugleich und wechselseitig, wird durch die Kategorie der Gemeinschaft möglich und zeigt "eine ganz andere Art der Verknüpfung ..., als die, so im bloßen Verhältnis der Ursache 73 B 111. 74 75

V I , 230. B 98/99.

Die Relationskategorien als Grundlage des Rechtsbegriffs zur Wirkung

185

(...) angetroffen w i r d " . ^ Das Ganze, als Sphäre

vorgestellt, ist räumlich gesehen und die Anwendung von Urteil und Kategorie der Gemeinschaft wird nur aufgrund räumlicher Vorstellungen möglich. "Wir können aber die Möglichkeit der Gemeinschaft

(der Substanzen als Erscheinungen) uns gar wohl

faßlich machen, wenn wir sie uns im Räume, also in der äußeren Anschauung vorstellen. Denn dieser enthält schon a priori formale äußere Verhältnisse als Bedingungen der Möglichkeit der realen

(in Wirkung und Gegenwirkung, mithin der Gemeinschaft) 77

in sich".

Diese letzte Bestimmung des Rechtsbegriffs beruht auf Beweisgängen, wie sie sich analog in den Ausführungen zur dritten Analogie der Erfahrung finden lassen. Der "Grundsatz Zugleichseins, meinschaft"

nach dem Gesetze der Wechselwirkung,

besagt: "Alle Substanzen,

des

oder Ge-

sofern sie im Räume als

zugleich wahrgenommen werden können, sind in durchgängiger 78 Wechselwirkung". Dieses Zugleichsein als Existenz des Man79 nigfaltigen in derselben Zeit bestimmt das Verhältnis der Substanzen, bzw. das Verhältnis des Einflusses der Substanzen, welches nicht anders gedacht werden kann als das Verhältnis der Gemeinschaft oder der Wechselwirkung. Das "Wort Gemeinschaft", aber so führt Kant an dieser Stelle aus, "ist in unserer Sprache zweideutig, und kann so viel als 80 communio, aber auch als commercium bedeuten". Die Communio, welche alle Gegenstände als zugleich existierend verknüpft vorstellt, ist subjektive Gemeinschaft, die mit der objektiven Gemeinschaft

(commercium) in gegenseitigem Bedingungsver-

hältnis steht: "die Wahrnehmung der einen, als Grund, macht die Wahrnehmung des anderen" möglich und umgekehrt. Die reale 76 77 78 79 80

B 112. B 293. B 256. "Dinge sind zugleich, so fern sie in einer und derselben Zeit existieren." B 258. B 260.

186

Die kategoriale Systematik

Gemeinschaft aber ist der wechselseitige Einfluß der Substanzen, von Kant bestimmt als dynamische Gemeinschaft, welche Bestimmungen und Wirkungen der Kausalität der wechselseitig sich bedingenden Substanzen enthält. "Durch dieses Commercium machen die Erscheinungen, so fern sie außer einander, und doch in Verknüpfung stehen, ein Zusammengesetztes aus (compositum reale), und dergleichen Composita werden auf mancherlei Art O*

möglich." So ist die "Einheit des Weltganzen, in welchem alle Erscheinungen verknüpft sein sollen, ... offenbar eine bloße Folgerung des insgeheim angenommenen Grundsatzes der Gemeinschaft aller Substanzen, die zugleich seien". Die ideale Gemeinschaft ist Grund der Möglichkeit einer empirischen Erkenntnis, der Koexistenz. Von jeder empirischen (realen) Gemeinschaft muß auf die ideale, als ihre Bedingung zurückgeschlössen werden. 82 Diese Überlegungen der theoretischen Philosophie gelten analog auch für die rechtliche Gemeinschaft. Die Kategorie der Gemeinschaft ist Bedingung der Möglichkeit der a priori bestimmten rechtlichen Handlungen und damit der apriorischen Recntssätze. Voraussetzung ist dabei nach der Kategorie der Substanz die Persönlichkeit, die als Person in ein praktisches äußeres Verhältnis treten kann, nach der Kategorie der Kausalität die freie Willkür als Zustand der Person, die die Bedingung der Möglichkeit rechtlicher Akte darstellt, nach der Kategorie der Gemeinschaft aber erst der wechselseitige Einfluß der beiderseitigen freien Willkür in einer gemeinschaftlich gedachten Rechtssphäre. Aus dieser Ableitung ergibt sich die Definition des Rechts als: "Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des anderen nach einem allgemeinen Gesetze der Freiheit zusammen vereinigt werden kann." 8 3

81 82 83

B 261/262. B 2 6 5 , Anm. VI, 230.

Die metaphysische Konstruktion des Rechtsbegriffs

187

2.2. Die metaphysische Konstruktion des Rechtsbegriffs Im analytischen Verfahren wurde in Hinsicht auf alle apriorischen Momente die kategoriale Struktur des Rechtsbegriffs vorgestellt. Das aus ihr folgende allgemeine Rechtsgesetz, von Kant als Idee oder Postulat bezeichnet, geht auf alle vernünftigen Wesen überhaupt. Da der Rechtsbegriff aber auch ein auf Erfahrung gestellter Begriff ist, überdies der Gegenstand der Rechtslehre in der Erfahrung

zu bestimmen ist, muß ein Uber-

gang geleistet werden von apriorischen Gesetzlichkeiten zu Grundbegriffen, die die in der Erfahrung vorkommenden Akte der freien Willkür im äußeren Gebrauche bestimmen. Die Methode, nach der der Bezug des Rechtsbegriffs zur Erfahrung hergestellt wird, ist "gleichsam" die Konstruktion des Begriffs in der Anschauung: "Das Gesetz eines mit jedermanns Freiheit notwendig zusammenstimmenden wechselseitigen Zwanges unter dem Prinzip der allgemeinen Freiheit ist gleichsam die

Konstruktion

jenes Begriffs, d.i. Darstellung desselben in einer reinen Anschauung a priori, nach der Analogie der Möglichkeit freier Bewegungen der Körper unter dem Gesetze der G lcichhei L der \Hv84 kung und Gegenwirkung." Hier folgt Kant scheinbar dem in der Kritik

der reinen

Ver-

nunft dargestellten methodischen Verfahren der Mathematik, für deren Erkenntnis die Konstruktion

der Begriffe unerläßliche

Forderung ist. "Einen Begriff aber konstruieren,

heißt: die 85 ihm korrespondierende Anschauung a priori darstellen." Für

die Konstruktion ist erforderlich, daß ein Begriff a priori (ein nicht empirischer Begriff) schon eine reine Anschauung 86 in sich enthält.

So wird der mathematische "Begriff eines

Triangels" konstruiert, d.h. er wird "a priori in der Anschauung" gegeben, "und auf diesem Wege eine synthetische, aber

84 85 86

VI, 232. B 741. B 747.

188

Die kategoriale Systematik Q

rationale Erkenntnis"

-1 erreicht. Das Verfahren der mathema-

tischen Konstruktion kann, nach Aussagen der Kritik der Vernunft

reinen

für den Rechtsbegriff aber nicht zutreffen. Kant ord-

net ihn den a priori gegebenen Begriffen wie Ursache, Substanz zu, die als transzendentale Begriffe kein Konstruktionsverfahren in der reinen Anschauung zulassen. Denn der Begriff der Ursache geht nicht auf Anschauung, "die den Begriff der Ursache in concreto darstellt, sondern zu den Zeitbedingungen überhaupt, die in der Erfahrung dem Begriffe der Ursache gemäß gefunden werden möchten. Ich verfahre also bloß nach Begriffen, und kann nicht durch Konstruktion der Begriffe verfahren". 8 8 Die Metaphysischen

Anfangsgründe

der Naturwissenschaft

wei-

ten das Konstruktionsverfahren aus, indem sie den Begriff einer metaphysischen Konstruktion einführen und ihn gegen den der mathematischen abgrenzen. Es entsteht hier der Eindruck, daß Kant auch für den zweiten apriorischen Wissenschaftsbereich, die Metaphysik, ein Konstruktionsverfahren einführen will, das er für die Metaphysik des Rechts in der Einleitung Rechtslehre,

§ E, vorstellt.

89

in die

Für die metaphysische Konstruktion könnte eine Analogie gebildet werden zu anderen metaphysischen Verfahrensweisen, die auf a priori gegebene Begriffe gehen, wie metaphysische Erörterung oder metaphysische

Deduktion. Es kann aber dann nicht

mehr um die "Darstellung des Begriffs in der reinen Anschauung 87 88 89

B 750. B 750 Anm. Auf die Bedeutung der metaphysischen Konstruktion für die Metaphysik geht vor allem Schäfer ein. Vgl. Schäfer, L. , Kants Metaphysik der Natur, Berlin 1966, bes. "§ 4 Über die Konstruktion als Methode der Metaphysik der Natur". Schäfer weitet dieses Verfahren aus zur Grundmethode des "realen Systems der Philosophie", der Metaphysik der Natur und der Sitten. "Das reale System der Philosophie, die eigentliche Metaphysik, kennt als Methode also das Verfahren der Konstruktion in dem oben skizzierten Sinn, wie wir ihn gegen mathematische Konstruktion und reine apriorische, transzendentale Synthesis abhoben." Ebd., S. 38.

Die metaphysische Konstruktion des Rechtsbegriffs

189

a priori" gehen, die ihm objektive Realität und Gültigkeit verschafft, wohl auch nicht um die "Erzeugung" eines besonderen 90 Begriffs unter einer Kategorie. Das Verfahren nach dem Konstruktionsprinzip kann für die metaphysische Methode demnach nur zutreffen, wenn es im Sinne der Ver—Anschaulichung genommen wird. Die metaphysische Konstruktion wäre dann ein symbolisches Verfahren, das im Kantischen Text durch die Einschrän91 kung: "gleichsam"

belegt werden könnte, was meint, "als ob"

der Begriff ein konstruierbarer wäre. Denn der Begriff der juridischen Freiheit entzieht sich jeder Konstruktion im mathematischen Verstände, wie auch das Freiheitsgesetz keines Schematismus, wohl aber der symbolischen Darstellung fähig ist. Die Begriffe der Freiheit und auch der des Rechts sind keine sinnlichen, aber so weit sie konstruierbare, analytische Bestandteile haben, lassen sie sich ver-anschaulichen. Dazu bedürfen wir nach Kant aber wieder der Beispiele der äußeren Anschauung; so kann die Vorstellung des Rechtsbegriffs "aus den Verhältnissen der äußeren Erscheinung durch Erfahrung er92 borgt sein". Da Recht und Zwang aus der Analytik des Rechtsbegriffs nach dem Satz des Widerspruchs hervorgehen, d.h. daß das Recht, als eine autonome Gesetzlichkeit der Vernunft bzw. des Willens schon im Bewußtsein der Verbindlichkeit einen inneren Selbstzwang offenbart, kann Kant den "Begriff des Rechts in der Möglichkeit der Verknüpfung des allgemeinen wechsel-

93

seitigen Zwanges mit jedermanns Freiheit unmittelbar setzen". Dieser Zwang, verstanden als "striktes Recht", stellt gleichsam seine äußere Seite vor als "Verhinderung eines Hindernis90

91 92 93

Vgl. hierzu Plaas, P., a.a.O., S. 76; "metaphysische Konstruktion eines Begriffs heißt: gemäß dem inhaltlich im Begriff Enthaltenen etwas a priori darstellen in dem, was als Bedingung des Denkens gegeben ist ... d.h. also: nicht Anschauungen, sondern Begriffe erzeugen" (S. 74) ; den besonderen Begriff der Materie "unter der Kategorie der Substanz zu erzeugen, heißt die metaphysische Konstruktion des empirischen Begriffs der Materie" (76). Siehe hierzu auch die kritische Stellungnahrae von Simon, a.a.O., S. 283 Anm. VI, 232. B 38. VI, 232.

Die kategoriale Systematik

190

ses der Freiheit" nach der Kategorie der Gemeinschaft, aus der die Idee einer vereinigten Willkür zuerst entspringt. Die Möglichkeit der Verknüpfung des allgemeinen wechselseitigen Zwanges mit jedermanns Freiheit gründet in dem Bewußtsein der Verbindlichkeit eines jeden nach dem Gesetze, fußend auf dem Prinzip des Rechts, der Freiheit im praktischen Verstände. Die beiden Momente des Rechtsbegriffs, die Kant in § D und § E der Einleitung

in die Reahtslehre

vorstellt, sollen nun "konstru-

iert" werden, indem die Darstellung in der reinen Anschauung a priori versucht wird. Die apriorischen Formen aber der Anschauung sind Raum und Zeit, gemäß denen Kant die Konstruktion für den "dynamischen Begriff" eines unter allgemeine Gesetze gebrachten, mit ihm zusammenstimmenden durchgängig wechselseitigen und gleichen Zwanges durchführt, dem aber "noch ein bloß formaler in der reinen Mathematik

(z.B. der Geometrie)

zum Grunde liegt" und der ebenfalls einen Versuch der Veranschaulichung erfährt. Denn die Vernunft hat dafür gesorgt, "den Verstand auch mit Anschauungen a priori zum Behuf der Konstruktion des Rechtsbegriffs so viel möglich zu versor94

gen".

Alle Darstellung durch Versinnlichung kann nach Kant

nun zweifacher Art sein: entweder schematisch oder symbolisch, denn "alle Anschauungen, die man Begriffen a priori unterlegt, sind also entweder Sahemate oder Symbole, wovon die ersteren direkte, die zweiten indirekte Darstellungen des Begriffs enthalten". 95 Die symbolische Darstellung eines Begriffes, den nur die Vernunft denken kann und dem keine sinnliche Anschauung angemessen ist, geschieht "vermittels einer Analogie (zu welcher man sich auch empirischer Anschauungen bedient). "Die Analogiebildung ist ein "Geschäft" der Urteilskraft, die zuerst "den Begriff auf den Gegenstand einer sinnlichen Anschauung und dann zweitens die bloße .Regel der Reflexion über jene Anschauung auf einen ganz anderen Gegenstand, von dem der erstere 94 95

V I , 233. V, 352.

Die metaphysische Konstruktion des Rechtsbegriffs

191

nur das Symbol ist", a n w e n d e t . ^ Analogie, in qualitativer Bedeutung, definiert Kant an anderer Stelle als die "Identität des Verhältnisses zwischen Gründen und Folgen

(Ursachen und

Wirkungen), sofern sie ungeachtet der spezifischen Verschiedenheit der Dinge ... statt findet.

... Das Prinzip der Befug-

nis, so zu schließen, liegt in der Einerleiheit eines Grun97 des".

Für das rechtliche Verhältnis führt Kant das Verfahren

der Analogie exemplarisch in der Kritik

der Urteilskraft

durch:

"So kann ich mir nach der Analogie mit dem Gesetze der Gleichheit der Wirkung und Gegenwirkung in der wechselseitigen Anziehung und Abstoßung der Körper unter einander auch die Gemeinschaft der Glieder eines gemeinen Wesens nach Regeln des Rechts denken; aber jene spezifischen Bestimmungen

(die ma-

terielle Anziehung oder Abstoßung) nicht auf diese übertragen und sie den Bürgern beilegen, um ein System, welches Staat heißt, auszumachen". 98 Kant nimmt bei der Darstellung des Rechtsbegriffs in § E der Einleitung

in die Reohtslehre

Bezug auf die Kritik

der

reinen

Vernunft,

indem er die erste Konstruktion durchführt mit Hilfe 99 der dritten Analogie der Erfahrung, und die zweite mit Hilfe der Axiomen der Anschauung. 1 " 0 Im er.sten Fall werden analog die physikalischen Körper und die Rechtssubjekte

aufeinander

bezogen, wobei das tertium comparationis die Identität des Verhältnisses von Gründen und Folgen ist, d.h. beide sind in dem Gesetze der Gleichheit der Wirkung und Gegenwirkung in Analogie zu denken. Darüber hinaus darf nicht geschlossen werden, da die "spezifischen Bestimmungen

(die materielle Anziehung

oder Abstoßung)" aus dem Bereich physikalischer

Notwendigkeit

nicht in das rechtliche Verhältnis übertragen werden darf. "Man kann sich zwar von zwei ungleichartigen Dingen eben in dem Punkte ihrer Ungleichartigkeit eines derselben doch nach 96

V,

97

V,

98

V,

352. 464

Anm.

464/65.

99

B

256.

100

B

202.

Die kategoriale Systematik

192

einer Analogie

mit dem anderen denken-, aber aus dem, worin sie

ungleichartig sind, nicht von einem nach der Analogie auf das andere sahließen,

d.i. dieses Merkmal des spezifischen Unter-

schiedes auf das andere übertragen."^^

Ein solcher fehlerhaf-

ter Analogieschluß liegt vor, wenn die Übertragung der physikalischen Notwendigkeit, nach der die Gleichheit der Wirkung und Gegenwirkung im Bereich der Natur erfolgt, auch für den rechtlichen Bereich angenommen wird. Dann könnte mit Recht behauptet werden, Kant habe die Freiheitsidee an die naturwissenschaftliche Notwendigkeitsüberlegung

geopfert.

102

Es kann also legitimerweise nur geschlossen werden, daß das rechtliche Verhältnis gedacht werden muß nach dem Grundsatz des Zugleichseins, nach dem Gesetze der Wechselwirkung

oder

Gemeinschaft, d.h. daß die RechtsSubjekte wechselseitig aufeinander einfließen analog der Bewegung physikalischer Körper, in ihrem wechselseitigen Einfluß jedoch nicht bestimmt von physikalischer Notwendigkeit, sondern durch Gesetzmäßigkeiten der praktischen Freiheit, unabhängig von Bestimmungen der Natur. Da diese praktische Freiheit als Prinzip des Rechts nicht darstellbar ist, führt Kant die Analogie auch nur für die äußere sichtbare Seite des Rechts durch, den Zwang der äußeren Handlung. Für das System des Rechts heißt das, daß dieses Denkmodell, entlehnt aus der theoretischen Philosophie, aufgrund der Kategorie der Gemeinschaft nur für das äußere Verhältnis autonomer Rechtssubjekte zugrundegelegt werden kann. Die Analogie mit physikalischen Zusammenhängen ist also mit der gebotenen 101 102

V, 464/65. Vgl. hierzu Kaulbach, Der Begriff der Freiheit in Kants Rechtsphilosophie, in: Philosophische Perspektiven, hrsg. v. Berlinger/Fink, V, 1973, S. 84. Das Mißverständnis der Analogiebildung findet sich häufig in der Literatur, so bei Lisser, K., a.a.O., S. 23: "Das Gesetz der Gleichheit der Wirkung und Gegenwirkung wird von Kant ganz unbedenklich im Gebiet der Ethik und hier wieder besonders in der Rechtslehre analog angewandt (...). Der rechtliche Zustand wird geradezu definiert als ein Zustand der Gleichheit der Wirkung und Gegenwirkung...".

Die metaphysische Konstruktion des Rechtsbegriffs

193

Vorsicht durchzuführen, damit die durch das Recht geregelten Akte der freien Willkür in ihrem äußeren Gebrauche nicht den Notwendigkeitscharakter gleich den Naturvorgängen erhalten. Sonst würde hier nur ein Handlungsspielraum konstituiert, wie er in einem System zwar koordinierter, aber in ihrer Bewegungsfreiheit sich einschränkender Körper gegeben ist. In diesem Zusammenhang scheint es wichtig, nachzuvollziehen, wie Kant die Analogie durchführt. Die Analogie behauptet nicht die unvollkommene Ähnlichkeit zweier Dinge, sondern "vollkommene Ähnlichkeit zweier Verhältnisse zwischen ganz unähnlichen Dingen". Recht und bewegende Kraft sind z.B. ganz unähnliche Dinge, aber in ihrem Verhältnis ist doch völlig Ähnlichkeit. So kann denn auch eine Analogie zwischen dem rechtlichen Verhältnis menschlicher Handlungen und dem mechanischen Verhältnisse der bewegenden Kräfte gedacht werden, ohne daß behauptet würde, daß das mechanische Verhältnis nun auch für die Rechtssubjekte gelten müßte: "Ich kann gegen einen andern niemals etwas tun, ohne ihm ein Recht zu geben, unter den nämlichen Bedingungen eben dasselbe gegen mich zu tun; eben so wie kein Körper auf einen anderen mit seiner bewegenden Kraft wirken kann, ohne dadurch zu verursachen, daß der andere ihm eben so viel ent• v. ., gegen wirke . 103 Betrifft das erste Konstruktionsverfahren den dynamischen Begriff des Rechts, so macht Kant deutlich, daß ihm "noch ein bloß formaler in der reinen Mathematik (z.B. der Geometrie) zum Grunde liegt." Auch dieser "formale" Begriff des Rechts ist der Darstellung fähig, da "die Vernunft dafür gesorgt" hat, "den Verstand auch mit Anschauungen a priori zum Behuf der Construktion des Rechtsbegriffs so viel wie möglich zu versorgen." Auch hier ist wieder zu beachten, daß es sich nicht um eine mathematische Analogie, sondern eine metaphysische handelt, die Veran103

IV, 357.

Die kategoriale Systematik

194

schaulichung als im Symbol darstellen meint. In der Analogie, die "das Gerade teils dem Krummen,

teil dem Schiefen"

entgegen-

setzt und wonach "die Rechtslehre das Seine einem jeden (mit 104

mathematischer Genauigkeit) bestimmt wissen will",

zeigt

sich vor allem die logische Strenge und Bestimmtheit, die dem Kantischen Rechtsdenken eigen i s t . ^ ^ Der formale Rechtsbegriff, der dem dynamischen Rechtsbegriff zugrunde liegt und die Bestimmung mit "mathematischer Genauigkeit" erinnern vielleicht an "mathematisches Kalkül", wenngleich die Analogie hier nicht überzogen werden darf. Kant selbst macht die Einschränkung bei ihrer Einführung, indem er ihr den Sinn verleiht, nicht den Rechtsbegriff adäquat darstellen zu können, sondern lediglich durch die "Konstruktion des Begriffs" gewisse Eigenschaften an ihm zu entdecken, die durch Ableitung nicht möglich wären, ähnlich "wie wir nun in der reinen Mathematik die Eigenschaften ihres Objekts nicht unmittelbar vom Begriffe ableiten, sondern nur durch die Konstruktion des Begriffs entdecken können".^ Kants Ideal eines Rechtsbegriffs lag wohl in der Exaktheit der mathematischen Gesetzlichkeit, das ihn auch nach einer der Mathematik ähnlichen Formel suchen ließ. Diese "Formel ist der einzige echte Probierstein einer konsequent bleibenden Gesetzgebung, ohne welche das so genannte ius certum immer ein frommer Wunsch bleiben w i r d " . ^ ^ Schon früh versuchte Kant die Nähe unerweislicher apodiktischer praktischer Sätze zu mathematischen Postulaten aufzuzeigen, da das "vortrefflichste, was die Mathematik an sich hat", in der mathematischen Evidenz liegt, die nur durch eine strenge Scheidung der reinen und der 104 105

106 107

V I , 233. V g l . hierzu Ritter, der einen "rechtslogischen Ansatz" in Kants Denken über das Rechtsprinzip herausarbeitet, a.a.O., S. 8 8 f; ebenso spricht Cassirer, E., Philosophie der Aufklärung, Berlin 1918, S. 317, von einer "Matheraatisierung des Rechts" bei Kant. "Vertreter der m o d e r n e n Strukturlehre des Rechts, die mit dem Kalkül mathematischer Logistik auch Modelle rechtlicher Handlungen zu entwerfen sich b e m ü h e n , verweisen ... auf Kant als Vorläufer." V I , 233. V I I I , 348.

Anmerkung zu einer Besonderheit der Textgestaltung

195

108 angewandten Wissenschaft möglich ist.

Es muß in diesem Zu-

sammenhang daran erinnert werden, daß das Kriterium eigentlicher Wissenschaftlichkeit in der Mathematik, bzw. in der Mathematisierbarkeit naturwissenschaftlicher Sätze gefunden wur1 09 de.

Die Anwendung der Mathematik in den Metaphysischen

fangsgründen

der Naturwissenschaft

An-

macht Kant ja zum Kriterium

dafür, wieviel "eigentliche Wissenschaft"

in einer besonderen

Naturlehre und analog auch Rechtslehre enthalten ist. Daß die Mathematisierung des Rechts nur in Analogie, also symbolisch vor sich gehen kann, ist aus dem oben Ausgeführten

ersichtlich.

Dennoch muß aber auch vom Recht, seinen logischen Verhältnissen nach, gefordert werden können, daß es auf unerweislichen apodiktischen Sätzen gründet, deren Struktur nach dem Satz des Widerspruchs offensichtlich gemacht werden kann. Da der Rechtsbegriff nur die Akte der freien Willkür in ihrem äußeren Gebrauche zum Gegenstand hat, wird seine Konstruktion auch im Räume, als der äußeren Anschauungsform a priori möglich.

2.3. Anmerkung zu einer Besonderheit der Textgestaltung Die Konstruktion des Rechtsbegriffs macht eine Besonderheit in der Textgestaltung der Metaphysik

der Sitten

deutlich, vor-

nehmlich durch einen A b s c h n i t t , ^ ^ der durch Einrückung vom übrigen § E abgesetzt ist. Diese Praxis findet sich aber schon in Abschnitt IV der Einleitung

in die Metaphysik

der

Sitten.

Hier werden die "Vorbegriffe" Verbindlichkeit, Pflicht, Maxime u.a.m. definitorisch vorgestellt und im Rückgriff auf transzendentalphilosophische Ergebnisse erläutert. Diese Rückbezüge werden von Kant engzellig im Text deutlich eingerückt abgehoben. Sie sind im weiten Sinne als "Anmerkungen" zu verstehen, die. Kant notwendig erschienen, um den fortlaufenden Bezug zu seinen transzendentalphilosophischen Gedanken aufzuzeigen. So 108 109 110

V , 9 3 , vgl. auch IV, 410. IV, 470. VI, 232.30 - 233.29.

196

Die kategoriale Systematik

nimmt die lange Anmerkung, die den Verbindlichkeitsbegriff erläutert, Bezug zu von der Grundlegung zur Metaphysik ten und der Kritik der praktischen

der Sit-

Vernunft her Bekanntem. Be-

griffe wie Pflicht, Wille, Willkür und die Bestimmung der Sittenlehre als Lehre von den Pflichten überhaupt, werden erinnernd eingebracht und als Grundbegriffe dem a priori entworfenen System der Metaphysik

der Sitten zur Verfügung gestellt.

Was hier mit Anmerkungen oder besser Zusätzen gekennzeichnet wird, ist aber deutlich von dem unterschieden, was Kant in der Vorrede zur Rechtslehr^ als Anmerkungen angekündigt hat, die sich vom "Text" so unterscheiden sollen, daß sie sich "auf besondere Erfahrungsfälle" beziehen. Diese Anmerkungen aber, die sich nur auf Beispiele aus dem Empirischen stützen könnten, sind aus dem Text der Rechtslehre nur sehr schwer herauszulösen. Kant hat das angekündigte Verfahren der methodischen Trennung nicht durchgeführt, so daß überwiegend die apriorische Rahmenkonstitution ("das Recht") mit Beispielen aus geltendem Recht ("die Rechte") eng miteinander verflochten sind.

3. Die Kategorientafeln des Rechts und ihre Anwendung 3.1. Die Bedeutung der Vorarbeiten

zur

Rechtalehre^^

Nach diesen Ausführungen zu einem metaphysischen wurf in Vorrede

und Einleitung

Systement-

der Rechtslehre wäre zu erwar-

ten, daß Kant von seinen Überlegungen der Modal- und Relationskategorien her nun zu einer allgemeinen Tafel der Rechtsbegriffe käme, im Sinne von "Kategorien der Möglichkeit dieser gemeinschaftlichen Willkür", oder auch "Prinzipien a priori der Möglichkeit der Erfahrung der Handlung nach Freiheitsgeset11 2

zen"

wie Kant in den Vorarbeiten

zur Rechtslehre

formuliert.

Verschiedene Ansätze und Versuche, eine Tafel der rechtlichen Begriffe zu entwerfen, finden sich vor allem in den ten zum Privatrecht Entwurf

in Kant's

und einem Zusammenhängenden, handschriftlicher

Nachlaß.

Vorarbei-

signierten

Es ist in diesem

Zusammenhang entscheidend, daß sich die Entwürfe zu Kategorien des Rechts und ihre Zuordnung in einer möglichen Tafel erst hier finden lassen und noch nicht in den frühen Reflexionen, die ja nach einer These von Ritter in ihren Bestimmungen des Rechtsprinzips "bereits alle Momente von dessen Definition in der MdS" ^

enthalten sollen. Kategoriale Bestimmung des Rechts

oder Rechtsbegriffe als Kategorien der Möglichkeit der gemeinschaftlichen Willkür wird man aber in diesen frühen Reflexionen vergebens suchen, da sie gemäß dem Entwicklungsgang 111

112 113

des

Auf die Möglichkeit, die Vorarbeiten als wertvolle Hilfe zur Interpretation der Metaphysik der Sitten heranzuziehen, verweist vor allem Lehmann, G.; "Im letzten Bande von Kants handschriftlichem Nachlaß (Band XXIII der Akademieausgabe) befinden sich zahlreiche Vorarbeiten zur Metaphysik der Sitten (1797). Unter ihnen überwiegen die Vorarbeiten zur Rechtslehre. Und unter diesen wieder die zum Privatrecht (Sachenrecht). Es liegt daher nahe, zu fragen, ob der dunkle, schwierige, und an manchen Stellen verdorbene Text der Druckschrift mit Hilfe der Vorarbeiten erläutert werden kann - eine Frage, die hier nicht zum erstenmal gestellt wird." Lehmann, G., Kants Besitzlehre, in: Beiträge zur Geschichte und Interpretation Kants. Berlin, 1969, S. 195. XXIII, 302/303. Ritter, a.a.O., S. 88.

Die kategoriale Systematik Kantischen Systems und der metaphysischen Methode erst nach der Kritik der reinen

Vernunft möglich werden konnten. Diesen

Entwürfen zu Kategorien des Rechts soll nachgegangen werden unter der Fragestellung, ob aus ihnen eine allgemeine Tafel abgeleitet werden kann, auf die auch die Textstellen, welche kategoriale Bestimmungen in der Rechtslehre selbst enthalten, bezogen werden können. Dieses Verfahren scheint insofern schwierig, als die Zuordnung der einzelnen Entwürfe verschiedene Möglichkeiten zuläßt, die diskutiert werden sollten. Es muß zunächst offenbleiben, ob die verschiedenen Entwürfe in einem Verhältnis innerer Kohärenz zueinander stehen. Hier werden alle die Tafeln vorgestellt (ohne Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben), die einen Bezug zum Text der

Reohtslehre

zulassen bzw. zu allen rechtlichen Lehrstücken, die kategoria11 4 le Bestimmungen enthalten. Kant entwirft Kategorien des Rechts oder des Besitzes mit ganz verschiedenen Anspruch auf Allgemeinheit; neben prinzipientheoretisch grundlegenden Tafeln finden sich auch solche, die lediglich auf die besonderen Begriffe bestimmter Teile der Rechtslehre gehen, z.B. der Besitzlehre. Von der Notwendigkeit der kategorialen Vermittlung ist Kant zu Anfang des hängenden , signierten

Zusammen-

Entwurfs offensichtlich überzeugt. Denn

der idealische Besitz, der bei

empirischen Besitzverhältnis-

sen notwendig vorausgesetzt werden muß, setzt selbst "einen reinen intellektuellen Besitz nach bloßen Kategorien der Gewalt über Sachen und Einfluß der Willkür gegen einander voraus, der nicht auf Zeit und Raumes Bedingungen beruht und welcher aus dem Begriffe der äußeren Macht über das Brauchbare 11 5 nach Freiheitsgesetzen analytisch abgeleitet werden kann". Es finden sich in den Vorarbeiten

zur Reohtslehre

insgesamt

sechs verschiedene Entwürfe, die einen Begriff durch alle Po114

115

Da hier nicht entschieden werden kann, ob die Anordnung in Band XXIII der Akademieausgabe der Reihenfolge der zeitlichen Entstehung entspricht, wird der systematische Aspekt bei der Zuordnung der entscheidende sein. XXIII, 211.

Rechtsbegriffe als Kategorien

199

sitionen der Kategorientafel führen, ihn also der Quantität, Qualität, Relation und Modalität nach bestimmen. Sie werden hier chronologisch kurz vorgestellt, in der Analyse wird aber unter systematischen Gesichtspunkten ihre Reihenfolge verändert werden müssen. (1) Kategorien der Gewalt über Sachen (Besitz eines Objekts). (216)

(2) "Kategorien der Quantität und Qualität des Rechts." (218) (3) "Einteilung der allgemeinen Rechtsgesetze."

(238/239).

(4) "Die 12 Kategorien des bloß-rechtlichen Besitzes." (274) (5) "Die Kategorien des Rechts, welche die Willkür schlechthin bestimmen." (298) (6) "Die Rechtsbegriffe sind Kategorien der Möglichkeit dieser gemeinschaftlichen Willkür."

(302)

(7) Kategorien der bürgerlichen Gesetzgebung (Briefentwurf an Jung-Stilling, 1.3.1789). Die Interpretation wird versucht im Anschluß an die Argument a t i o n , w i e sie in d e n Einleitungen

in die

Metaphysik

der

Sit-

ten und in die Reahtslehre anhand der Modal- und Relationskategorien entwickelt wurde.

3.2. Rechtsbegriffe als Kategorien der Möglichkeit der gemeinschaftlichen Willkür Die erste Tafel, die aus den Vorarbeiten zur Reahtslehre hier analysiert werden soll, findet sich in dem Zusammenhängenden Entwurf, dem wegen seiner inneren Geschlossenheit und Systematik eine besondere Bedeutung zukommt. In diesem Entwurf unternimmt Kant den Versuch der Zuordnung von der Rechtslehre zugrundeliegenden Begriffen zu Tafeln, die man in Anlehnung an die Kategorientafeln der theoretischen und praktischen Vernunft als Kategorientafeln der Rechtsbegriffe vorstellen könnte. Der Entwurf reflektiert weiter im Zusammenhang auch über eine mögliche Schematisierung der Rechtsbegriffe und die daraus folgenden synthetischen Rechtssätze a priori sowie das

200

Die kategoriale Systematik

Problem ihrer Anwendung. Als erste, grundlegende Tafel der Rechtslehre soll hier der Versuch Kants vorgestellt werden, die Begriffe der Freiheit und der Willkür durch die vier Positionen der Qualität, Quantität, Realität und Modalität zu führen. Ausgang ist der Zustand der Person, d.h. der äußeren Freiheit als Unabhängigkeit der Willkür von der Willkür anderer. Der rechtliche Zustand ist "die Möglichkeit, anderer Willkür durch seine bloß Willkür zu w i d e r s t e h e n " . ^ ^ Das Verhältnis, in dem sich alle Rechtssubjekte im Zustand der wechselseitig

einfließenden

Willkür befinden, ist der Begriff einer vereinigten Willkür. "Die Rechtsbegriffe sind dann Kategorien der Möglichkeit dieser gemeinschaftlichen Willkür", da der rechtliche Zustand

(status

iuridicus) als "das Verhältnis der Willkür anderer" bestimmt wird, weil "jedermann gewisser Rechte fähig ist." Dieser Verhältnis ist immer das Verhältnis der vereinigten Willkür, in dem verschiedene Beziehungen zwischen Freiheit und Willkür stattfinden und welches gemäß der Ordnung der Kategorien in den Vorarbeiten

differenziert dargestellt wird, "denn zwischen Frei-

heit und Willkür finden vierlei Beziehungen statt": 1. der Freiheit zur Freiheit, 2. der Willkür zur Freiheit, 3. der Freiheit zur Willkür und 4. der Willkür zur Willkür. Für diese wie auch für die anderen Tafeln ist die Idee einer Gemeinschaft der Willkür der Ansatz für ihr Verständnis. Tafel

(3):

"1. Der Freiheit zur Freiheit. Allgemeinheit des Rechtsprinzips überhaupt

2. Die Übereinstimmung der Willkür mit der Freiheit, die Qualität des Rechts 4. a) b) c)

116 117

3. Der Freiheit mit der Willkür eines jeden, die Relation der Willkür zu Objekten

Der Willkür mit der Willkür die Möglichkeit der Vereinigung derselben die Wirklichkeit (actus) der Vereinigung, Notwendigkeit, die Beharrlichkeit, die schon im Begriffe liegt."117

XXIII, 302. X X I I I , 239. Die A n o r d n u n g des durchgängig formulierten Originaltextes in den vier Positionen der Kategorientafel stammt von m i r . Diese Pra-

Rechtsbegriffe als Kategorien

201

Zu dieser kategorialen Ordnung der Beziehung von Freiheit und Willkür in vier Positionen fügt Kant noch hinzu: "Diese Modalität betrifft entweder das Verhältnis der Willkür zu Sachen, oder der Willkür zur Willkür oder der Person zur Person als (instar) Sache und die Erwerbung ist a) der Apprehension, b) der Acceptation, c) der Constitution d.i. der Verfassung im Privatverhältnis der Person". 118 Hiermit scheint in der Tat so etwas wie der Versuch der Konstitution einer allgemeinen Kategorientafel des Rechts vorzuliegen, bei der der Anmerkung zu den Modalitätskategorien besondere Wichtigkeit zukommt. Gehen die ersten drei Positionen auf das rechtliche Verhältnis zwischen vernünftigen Subjekten überhaupt, so leisten die Modalitätskategorien den Übergang zu den besonderen Gegenstandsbereichen der Rechtslehre, bzw. des Privatrechts, die dann auftreten als Sachenrecht, persönliches Recht, auf dingliche Art persönliches Recht. Die Tafel der Begriffe Freiheit und Willkür selbst stellt das Recht in abstracto vor, das Recht einer Person überhaupt (als Noumenon). Dieses Recht, "wenn es zwischen Menschen als reinen Intelligenzen in keinem Verhältnisse zu Sachen und zu einander in Raum und Zeit gedacht worden, ist leicht nach allgemeinen Regeln zu bestimmen. Man hat nichts nötig als die Freiheit und Willkür in Verhältnis auf einander entweder un119 mittelbar oder vermittelst der Sachen einzuteilen". Von dieser Stelle her wäre die Interpretation der oben genannten Tafel als allgemeine, grundlegende zu rechtfertigen. Kant wirft ja bekanntlich den traditionellen Rechtslehren vor, daß sie bisher verabsäumt hätten, das "Recht einer Person überhaupt" abzuhandeln und statt dessen das "Menschenrecht (das Verhältnis der Freiheit in Raum und Zeit)" unternommen haben. "Doch kann man allgemein sagen, daß alles äußere Recht als 118 119

xis wird auch bei der V o r s t e l l u n g der anderen Tafeln XXIII, 239. XXIII, 299.

durchgeführt.

Die kategoriale Systematik

202

Besitz der Willkür Anderer

(da man die Willkür derselben in

seiner Gewalt hat) auf der Idee einer Gemeinschaft der Willkür beruhe, die, wenn der Mensch als Sinnenwesen betrachtet wird, um dieses Recht in concreto zu acutieren, 1. die sinnliche Bedingungen der Rechtsbestimmung in Ansehung der Sache erfordert, worunter allein ein gemeinschaftlicher Wille möglich 2. solche, dadurch er wirklich

wird

wird, 3. die Bedingung des Ge-

brauchs der Personen als Sachen, wodurch ein vereinigter Wille , . . , „ 120 notwenavg wird . Das Recht in abstracto gehört aber, nach der Einleitung die Rechtslehre überhaupt

in

in die "Prolegomenen" als Recht einer Person

(homo noumenon). Es entspringt aus der "Idee eines

a priori vereinigten Willens (weil diese Vereinigung Pflicht ist)" und ist die Quelle allen Rechts; die empirische Vereinigung des Willens dagegen ist von Raum und Zeit abhängig und gehört in die eigentliche Rechtslehre. Das "abstrakte" Recht 1 21

beruft sich nicht auf ein schon existentes Naturrecht,

son-

dern auf die Idee der Verpflichtung überhaupt, nach der es nur ein einziges Recht gibt und zwar gemäß dem obersten pflichtgebietenden Satz, aus dem "nachher das Vermögen, andere zu verpflichten, d.i. der Begriff des Rechts, entwickelt werden 1 22

kann .

Von dieser Bestimmung des Rechtssubjekts seiner

"Menschheit" gemäß als verpflichtetes vernünftiges Subjekt kann dann das Recht des Menschen als homo phaenomenon entwikkelt werden. An diesem Punkt setzt auch erst die eigentliche, wiewohl apriorisch bestimmte Rechtslehre ein, da erst von hier aus die Bestimmung des Gegenstandsbereiches der Akte der freien Willkür in ihrem äußeren Gebrauche möglich ist. Dieses apriorische Verhältnis der vereinigten Willkür nun vorausgesetzt und durch die Positionen der Kategorientafel geführt, ergibt Rechtsbegriffe, die als "Kategorien der Möglichkeit dieser 120 121

122

XXIII, 299/300. Kant verweist nur auf gewisse Ähnlichkeiten der E i n t e i l u n g : "Die A b sicht, weswegen m a n eine solche Einteilung in das System des Naturrechts eingeführt hat..." VI, 238. VI, 239.

Rechtsbegriffe als Kategorien Gemeinschaftlichen Willkür" in den Vorarbeiten

203 zum

Privatreaht

vorgestellt werden. Tafel (6): "1. Der Quantität nach, die der Allgemeinheit der Einstimmung zu diesem Gesetze 2. der Qualität nach die des Besitzes, der Beraubung desselben (res. nullius), der Einschränkung 4. a, b, c,

3. a, b, c,

der Relation zu Sachen Personen der Personen als Sachen

der Modalität, mögliche Vereinigung wirkliche notwendige

nach den drei Kategorien der Relation. Alle diese gehen vor dem Verhältnis in Raum und Zeit voraus und das Mein und Dein in Raum und Zeit wird durch jene Kate, . „123 gorien bestimmt. Für diese Begriffe ist die als Tafel (3) vorgestellte die Voraussetzung. Sie bestimmte zunächst vermittels der Kategorien der Relation die Ubereinstimmung der Freiheit mit der Willkür eines jeden und führte dann durch die Möglichkeit und Wirklichkeit dieser Vereinigung zur Notwendigkeit derselben. Von der Notwendigkeit der vereinigten Willkür, die dann in Raum und Zeit auch Wirklichkeit werden soll, geht aber die oben genannte Tafel

(6) schon aus. Sie dagegen leistet den Übergang

von einer allgemeinen kategorialen Bestimmung des Verpflichtungsverhältnisses, in dem sich der Mensch als noumenales Subjekt überhaupt befindet, zu einem phaenomenalen Rechtssubjekt, das sich im Rechtszustand des inneren und äußeren Mein und Dein befindet.

123

XXIII,

302.

204

Die kategoriale Systematik

Hiermit wären schon zwei Tafeln gefunden, die in grundlegender Weise Geltung erhalten für eine apriorische Rechtslehre. Die erste führt die beiden Grundbegriffe der praktischen Philosophie Freiheit und Willkür durch die vier Positionen, die zweite schon spezifischer den Grundbegriff der Rechtslehre, d i e vereinigte

Willkür.

3.3. Die Kategorien der Quantität und Qualität des Rechts Die Rechtsbegriffe als Kategorien der Möglichkeit der gemeinschaftlichen Willkür leisten für die Rechtslehre die prinzipientheoretische allgemeine Grundlegung in der Weise, daß aus ihnen inhaltlich bestimmtere Rechtsbegriffe abgeleitet werden können. Die Frage bleibt offen, warum Kant sie nicht in den Text der Metaphysik der Sitten übernommen hat. Anders verhält es sich mit einem, inhaltlich differenzierten kategorialen Entwurf, der sich konkret auf das Privatrecht bezieht und dessen grundlegende Systemstücke in den Text des Privatrechts auch übernommen wurden, wodurch eine kategoriale Strukturierung des Textes im Ganzen deutlich wird. Deshalb kommt auch diesem dritten Entwurf grundlegende prinzipientheoretische Bedeutung zu. Er findet sich, wie die erste Tafel

(3) in d e m Zusammenhängenden

Entwurf

in d e n

Vorarbeiten

zur Rechtslehre. Um die Besitzlehre entfalten zu können, versucht Kant, Begriffe des Rechts zu entwickeln, die er "Kategorien der Quantität und Qualität des Rechts" nennt und die wohl, in eine Tafel gebracht, den differenziertesten kategorialen Entwurf bieten. Gemäß der Ordnung der Kategorien der reinen theoretischen Vernunft teilt Kant die Begriffe in mathematische und dynamische ein. Auch in den anderen Formulierungen scheint hier eine starke Anlehnung an die Grundtafel in der Kritik der reinen Vernunft vorzuliegen. Die erste Gruppe der "Kategorien

Kategorien der Quantität und Qualität des Rechts

205

des Rechts" sind "1. Mathematische der Freiheit eines jeden in der synthetischen Einheit der Willkür zur formalen Bestimmung des Rechts, damit niemand dem Anderen Unrecht tue." Die zweite Gruppe betrifft "2. Dynamische der Relation und Modalität in Ansehung der Realität der Willkür in Absicht auf ihr Objekt. Ein Recht der Materie nach (nicht bloß der Form, dadurch vorgestellt wird, daß etwas Recht sei)". In der Ordnung ergeben sich Kategorien der Tafel (2) 1."a Einseitige, vielseitige, allseitige Bestimmung der Willkür zu synthetischer Einheit b) Gebot, Erlaubnis und Verbot."

2."a Relation. Sachenrecht, persönliches Recht Gemeinschaftsrecht. b) Modalität. Möglichkeit der Vereinigung der Willkür über ein Objekt, Wirklichkeit dieser Vereinigung (im pacto) und Notwendigkeit dieser Vereinigung in der unione civile als dem einzigen statu l e g a l i . " 1 2 4

Die Uneinheitlichkeit der Formulierungen zeigt, daß es sich auch hier um einen Entwurf handelt, den Kant, aus welchen Gründen auch immer, nicht mehr vollständig ausgeführt hat. In dem Text der Rechtslehre aber nehmen kategoriale Systemstücke auf die oben vorgestellte Tafel Bezug, wie später bei einem Textvergleich noch zu zeigen sein wird. Problematisch ist zunächst Kants Titel "Kategorien der Quantität und Qaulität des Rechts" - handelt es sich hier doch um eine vollständige Ausführung aller vier Positionen. Die Tafel leistet die Bestimmung der 124

XXIII,

218.

206

Die kategoriale Systematik

Willkür einmal zu ihrer synthetischen Einheit, zum anderen in Absicht auf ihr Objekt. Die ersten Bestimmungen gehen auf die Form von Willensverhältnissen überhaupt. Der Idee nach bestimmen sie das äußere Verhältnis der Willkür vernünftiger Wesen gegeneinander; es entstehen apriorische Rechtssätze, mathematischen Axiomen vergleichbar. Dieses Recht "der Form" nach leitet sich ausschließlich aus der Idee der vereinigten Willkür her. Das Recht "formaliter", so führt Kant an anderer Stelle aus, betrifft das "Verhältnis einer Person zu einer Handlung, nach welchem sie durch dieses jemanden nach Gesetzen der Freiheit zu zwingen befugt ist". Dieser Satz erläutert die Formulierung in der Tafel: "damit niemand dem anderen Unrecht tue". Die "Form" des Rechts betrifft demnach nicht formale Rechtssätze, sondern die "Form" der Willensverhältnisse und ist eigentlich ein "inneres Recht", beruhend auf dem Selbstzwang, dem "Recht der Menschheit zu des Menschen eigner Person", aus dem "äußeres Recht", nämlich die "Befugnis, andere zu zwingen", erst hervorgehen kann.

1 25

Der Vorteil solcher kategorialer Bestimmung der Willkür wird in der Anwendung deutlich. Es geht Kant nicht nur um klarere systematische Gliederung der Begriffe, sondern auch um Vollständigkeit der Bestimmung, die nur durch den Leitfaden der Kategorien geleistet werden kann. Diese These soll am Beispiel der Qualitätskategorien:

Gebot - Erlaubnis - Verbot verifi-

ziert werden. In einer Anmerkung im Präliminarartikel gen Frieden

zum

Ewi-

findet sich eine Reflexion, in der Kant darauf hin-

weist, daß "bisher nicht ohne Grund bezweifelt worden"

sei,

"ob es außer dem Gebot

(leges

(leges praeceptivae) und Verbot

prohibitivae) noch Erlaubnisgesetze

(leges permissivae) der

reinen Vernunft geben könne". Denn die Einteilung ist, wenn nicht von apriorischen Gesetzlichkeiten ausgegangen wird, nicht zwingend, "denn Gesetze überhaupt enthalten

einen Grund ob-

jektiver praktischer Notwendigkeit, Erlaubnis aber einen der

125

XXIII,

276.

Kategorien der Quantität und Qualität des Rechts

207

praktischen Zufälligkeit gewisser Handlungen". Es ist das "Herumtappen unter vorkommenden Fällen", welche zur Unsicherheit und auch Unscharfe der Einteilung führte. Kant dagegen nimmt für sich in Anspruch, die Einteilung nach einem "Prinzip" geleistet zu haben. "Ich habe hiermit nur beiläufig die Lehrer des Naturrechts auf den Begriff einer lex permissiva, welcher sich einer systematisch-einteilenden Vernunft von selbst dar126 bietet, aufmerksam machen wollen". Das Erlaubnisgesetz wurde zwar bisher im statutarischen Recht gebraucht, aber nur in zufälliger Weise, dagegen machte erst der Leitfaden der Kategorien seine Notwendigkeit sichtbar, und zwar als "einschränkende Bedingung" und nicht als "Ausnahme". 127 Die Interdependenz von Transzendentalphilosophie und Rechtslehre wird an der Tafel (2) der Vorarbeiten wohl am deutlichsten. Kant formuliert analog zur Kritik der reinen Vernunft und bezeichnet die zweite Abteilung als "dynamische" Kategorien, die auch hier auf die Existenz der Gegenstände gehen, das Faktum des Rechts. Sie stellen das Recht der Materie nach vor, die nichts anderes ist als "die Realität der Willkür in Absicht auf ihr Objekt". So wie die dynamischen Kategorien des reinen Verstandes sich auf die Existenz der Gegenstände richten "entweder in Beziehung auf einander oder auf den Ver1 28

stand",

so sind die dynamischen Kategorien des Rechts ent-

weder auf das Subjekt gerichtet oder auf die Vereinigung der Willkür.über das Objekt. Das Recht "materialiter" betrachtet, ist "das Verhältnis einer Person zu einem Gegenstande ihrer Willkür außer ihr, nach welchem sie ihn zu besitzen gegen an1 29 dere nach Gesetzen der Freiheit Zwang ausüben kann". Die Arten des "Meinen" außer mir können aber - nach den Relationskategorien - wiederum nur drei sein: "Es hängt entweder 126 127

128 129

VIII, 347 Anra. Auf die grundlegende Funktion der lex permissiva der praktischen nunft in § 2 des Privatrechts wird weiter unten noch einzugehen sein. B 110. XXIII, 277.

Ver-

208

Die kategoriale Systematik

1) eine Sache, oder 2) eine Handlung des andern oder 3) ein Zustand zu handeln und zu leiden von meiner Willkür nach Gesetzen der Freiheit ab. Dieses sind die drei Arten des Meinen außer mir". 1 3 0 An dieser Stelle kann nun eine eigentliche Rechtslehre, die es mit den Objekten der Willkür zu tun hat, einsetzen, wenn die Modalitätskategorien zur Notwendigkeit dieser Vereinigung der Willkür geführt haben. Kant betont aber, daß diese Vereinigung "nicht an sich selbst (die Vereinigung der Willkür, wodurch diese Einheit selbst äußerlich zur Pflicht gemacht wird und wodurch alles Unrecht abgehalten wird ist die des Status civilis und rechtmäßig), sondern nur so fern man ein Recht gründen 131 will notwendig" ist. Ist ihre Notwendigkeit erwiesen, so bestimmt sich nach der Einteilung des äußeren Mein und Dein gemäß der Relationskategorien dann die systematische Einteilung einer Rechtslehre: 1. "Sachen" = "Sachenrecht" 2. "Handlungen eines andern" = "das persönliche Recht" 3. "Personen außer uns" = "das allerpersönlichste Recht Standesrecht (ius in statu personarum fundatum)". "Das erste Recht ist in einer Sache fundiert. Das zweite ist gar nicht fundiert, das dritte in Personen als Sachen fun132 /Idiert". Will man die bisher erläuterten Kategorientafeln systematisch zuordnen, so scheinen sie insgesamt Versuche zu sein, Grundbegriffe bzw. Grundprinzipien der Rechtslehre überhaupt unter eine kategoriale Einheit zu bringen. Kants Absicht nach Aussagen in der Vorrede

und der Einleitung

in die

Reahtslehre

ist es, die Notwendigkeit von grundlegenden Rechtssätzen nach130 131 132

XXIII, 230. XXIII, 216. XXIII, 236.

Kategorien des reinen intellektuellen Besitzes

209

zuweisen und ihre Vollständigkeit in dem systematischen Teil der metaphysischen Anfangsgründe zu garantieren. Wurde ersteres bis dahin zur Aufgabe des Naturrechts gerechnet, so genügte zur Uberprüfung der Vollständigkeit das statutarische Recht. Für Kant aber garantiert die theoretische Gültigkeit im System nur der von der Transzendentalphilosophie herkommende methodische Leitfaden, der bei allen metaphysischen Anfangsgründen der besonderen Wissenschaften angewendet werden können muß. So geht es auch bei den oben analysierten Entwürfen zur Rechtslehre um einen a priori begrifflichen Teil, der, vor aller inhaltlichen Fassung der Rechtslehre, eine prinzipientheoretische Grundlegung zu geben vermag. Die kategorialen Entwürfe sind dann die Gültigkeitsprinzipien für diesen formalen systematischen Teil, indem sie die apriorische Fundierung des materialen Teils erst leisten können.

3.4. Die Kategorien des reinen intellektuellen Besitzes In den kategorialen Bestimmungen der Willkür stellten die dynamischen Kategorien des Rechts, die entweder auf das Objekt oder auf die Vereinigung der Willkür über das Objekt gerichtet sind, das Recht der Materie nach vor und bestimmten somit die Form der Besitzlehre, eines Teils der materialen Rechtslehre. Für eine vollständige apriorische Fundierung dieser Besitzlehre schienen Kant aber weitere kategoriale Entwürfe notwendig, die den Übergang zu den besonderen Gegenstandsbereichen seiner Rechtsphilosophie leisten und sie strukturieren sollten. Nach den bisher vorgestellten Rechtsbegriffen als "Kategorien der Möglichkeit der gemeinschaftlichen Willkür" bestimmt sich der juridische Besitz eines Objekts nicht von den Bedingungen des Objekts und seiner Existenz in Raum und Zeit her, "sondern bloß von Verhältnissen meiner Willkür zur Willkür anderer nach Gesetzen der Freiheit". Die sinnlichen Be-

210

Die kategoriale Systematik

dingungen des physischen Besitzes stehen unter den "Kategorien des Rechts, welche die Willkür schlechthin bestimmen. Diese Kategorien sind Tafel (5) 1. der Größe Allgemeinheit, jeden zu zwingen, der im physischen Besitz der Sache ist, die mir angehört; 2. der Qualität wie Rechte erworben, verloren, eingeschränkt werden als Realität eines Besitzes, nicht bloß der Freiheit, der

3. der Relation a) der Sachen in Substanz (die auch für sich ohne Wirkung meiner Willkür existieren)

b) der Handlung eines andern: die Negation, bloß Keinem seine Freiheit zu schmälern, ent- wozu ihn meine Willkür nötigt, gegensteht, die mit der actione c) der Gemeinschaft, da einer iusta verbunden ist und des andern Person, d.i. einen gewissen Zustand desselben von die limitation, da die Freiihm abhängig macht, in welchem heit eines jeden durch dieses jener bloß durch die Willkür Recht eingeschränkt wird. des andern ist. d) der Modalität da dieses Recht entweder selbst loß möglich oder auch wirklich oder auch jedem Menschen notwendig zukommt."^ Diese "Kategorien des Rechts" bestimmen den Gegenstandsbereich der Rechtslehre als Bedingungen der Möglichkeit des "äußeren Mein und Dein" überhaupt. Im ausgeführten Text der Rechtslehre

werden sie in dieser kategorialen Ordnung nicht

mehr vorgestellt; bei genauerer Untersuchung läßt sich aber der Eindruck gewinnen, daß die Ausführungen im

Privatrecht

dem Gedankengang der oben vorgestellten "Tafel" folgen. So legt Kant in § 2 des Privatrechts

die Kategorien der Quanti-

tät und Qualität zugrunde, da "die Willkür formaliter im Gebrauch der Sachen mit jedermanns äußeren Freiheit nach all-

133

XXIII, 298.

Kategorien des reinen intellektuellen

211

Besitzes

gemeinen Gesetzen "zusammenstimmen muß, weil "die reine praktische Vernunft keine andere als formale Gesetze des Gebrauchs 134 der Willkür zum Grunde legt"; der § 4 wird deutlich durch die Relationskategorien

strukturiert.

Zur Erläuterung der Tafel

(5) fügt Kant im Nachlaß wenig hin-

zu. Er führt lediglich aus, daß die Bestimmungen in der Tafel jenseits, d.h. unter Weglassung von Raum und Zeit zu verstehen sind, daß also ein Verhältnis der Willkür zueinander

(mittel-

bar oder vermittels der Sachen) nach Gesetzen der Freiheit übrig bleibt. Dieses ist aber ein bloß gedachtes Verhältnis, nicht ein erkanntes, da letzteres der Voraussetzung einer Anschauung bedürfte, worin es physisch, d.h. in Raum und

Zeit,

gegeben werden kann. Für ein rechtliches, d.i. äußeres Verhältnis der freien Willkür heißt das, daß "Kräfte nach Gesetzen der Freiheit äußerlich und gegeneinander ausgeübt"

werden.

Dieses Kräftefeld, in dem freie Willkür wirkt, erinnert an die Analogie zu der physikalischen Gesetzlichkeit der Wirkung und Gegenwirkung in die Reohtslehre.

(Anziehung - Abstoßung) in § E der

Einleitung

So wird auch hier das Verhältnis in der

Analogie übertragen, nicht aber die verursachende

Naturnotwen-

digkeit, denn das Verhältnis der Willkür im Erfahrungsbereich bestimmt sich nicht nach seinen Gesetzlichkeiten, sondern nach Gesetzen der Freiheit. "Freiheit und Willkür

(die letztere in

Raum und Zeit) gibt zuerst Prinzipien a priori der Erweiterung der Willkür über die Willkür anderer in Ansehung des Gebrauchs brauchbarer Dinge, denn da kann nach den Bedingungen Von Raum und Zeit allererst ein Widerstreit

entspringen".

Synthetische Rechtssätze werden so möglich durch Erweiterung der Willkür zu synthetischer Einheit im Verhältnis auf das Objekt in Raum und Zeit, d.h. im Erfahrungsbereich. Nach dem synthetischen Grundsatz des Rechts: "Handle so, daß nach Prinzipien der Freiheit deine Willkür mit anderer ihrer in Anse134

VI, 246.

135

XXIII,

296.

Die kategoriale Systematik

212

hung ihrer Objekte überhaupt zusammen bestehen kann",^® kann die synthetische Einheit des Rechts erst bestimmt werden in Ansehung der Sachen, der Personen und dieser als Sachen. Das Verhältnis der Willkür erweitert sich dabei synthetisch in Ansehung des Besitzes eines Objekts von einer "potentialen" allgemeinen Vereinigung der Willkür, die bloß als möglich gedacht wird, zu einer "aktualen" besonderen Vereinigung, die dann wirklich sein muß. Letztere wird wirklich, d.h. Recht im Erfahrungsbereich, "wenn ich durch meine Willkür anderer ihre in Ansehung des Objekts der Willkür anderer bestimmen kann und zwar nach Gesetzen der Freiheit von allen Bedingungen des Raumes und der Zeit und unabhängig, z.B. daß eine Sache, die ich meinen Kräften unterworfen habe und sie darin erhalte, mein bleibe unangesehen meines Physischen Besitzes". Der hier angesprochene intelligible Besitz eines Objekts ist vorausgesetzt, denn zur Erkenntnis gehört zunächst der Begriff von einem Objekt überhaupt. Der dem Recht zugehörige Begriff ist der eines Objekts der Willkür und "vom Objekt der Willkür (als einem Vermögen, ein Objekt zu brauchen) der Besitz der Bedingung des wirklichen Gebrauchs eines gegebenen Gegenstandes". Der Begriff von Besitz eines Gegenstandes richtet sich nun danach, ob das Objekt der Willkür nur gedacht oder als gegeben (in Raum und Zeit) vorgestellt wird. Danach ist dann der Besitz entweder "physisch oder bloß ein rechtlicher Besitz". Der bloß-rechtliche Besitz ist "eine Verknüpfung mit dem Subjekt durch bloße Begriffe der synthetischen oder er1 38

weiternden Einheit der Willkür in Ansehung des Objekts". Die "bloßen Begriffe" als reine Verstandesbegriffe, die eine synthetische Erweiterung möglich machen, sind wohl wieder nur kategorial zu verstehen, die als "Kategorien des bloß-rechtlichen Besitzes" das Recht der Materie nach, d.h. das "Mein und Dein" bestimmen. Ihre Tafel im Entwurf stellt Kant in den 136 137 138

XXIII, 297. XXIII, 297/8. XXIII, 222.

Kategorien des reinen intellektuellen Besitzes Vorarbeiten

213

ebenfalls vor. "Die 12 Kategorien des bloß-recht-

lichen Besitzes. Mein Recht ist Tafel

(4)

Der

Quantität

1.) eigenmächtig 2.) eingewilligt von einem anderen 3.) abgeleitet vom Besitz aller Der Qualität

Der

Relation

1.) des Vermögens des Gebrauchs 1.) der Substanz d.i. der Sa2.) der Unabhängigkeit einer Sache vom Gebrauch anderer d.i. der Freiheit

chen

2.) der Kausalität, des Versprechens Anderer

3.) der Einschränkung der Will- 3.) der Gemeinschaft, des kür anderer durch meine wechselseitigen Besitzes Freiheit. der Personen. Der

Modalität

1.) provisorisches Recht 2.) erworbenes 3.) angebornes äußeres Recht."

139

In dieser Tafel finden sich einige Bestimmungen, die von Kant immer wieder aufgegriffen und versuchsweise geordnet werden. Es bestehen teilweise Übereinstimmungen mit den "Kategorien der Möglichkeit der Gemeinschaftlichen Willkür" und den "Kategorien des Rechts" arbeiten

(Tafel 6)

(Tafel 5), wie sie in den Vor-

mehrfach vorgestellt werden. Hier soll noch die Frage

offen gelassen werden, ob es sich bei den Versuchen um Ausformungen einer einzigen Tafel der Kategorien des Rechts handelt oder ob die Entwürfe verschiedene Kategorientafeln zulassen. Die letztgenannte Tafel (4) hat den Vorzug, daß Kant ihr einen Titel gegeben hat "Kategorien des bloß-rechtlichen Besitzes", was ihre systematische Einordnung erleichtert, da in der Rechtslehre der bloß-rechtliche Besitz einen systemati139 XXIII, 274.

214

Die kategoriale Systematik

sehen Stellenwert hat. Er ist die Bedingung der Möglichkeit des idealischen und realen Besitzes, zwischen denen eine Antinomie möglich ist. Die rechtlich-praktische Vernunft hat zu unterscheiden zwischen dem Besitz als Erscheinung und dem Vernunftbegriff. Die Antinomie mit der Thesis: "Es ist

möglich,

etwas Äußeres als das Seine zu haben, ob ich gleich nicht im Besitz desselben bin",läßt sich dahin entscheiden, daß beide Sätze wahr sind: "der erstere, wenn ich den empirischen Besitz (possessio phaenomenon), der andere wenn ich unter diesem Wort den reinen intelligibelen Besitz (possessio noumenon) ver140 stehe".

Die Möglichkeit des reinen intelligiblen Besitzes

kann für sich nun gar nicht eingesehen werden, und der Begriff eines bloß-rechtlichen Besitzes, wiewohl er kein

empirischer,

d.h. von Raum-und Zeitbedingungen abhängiger Begriff ist, hat dagegen den augenscheinlichen Vorzug der praktischen Realität, "d.i. er muß auf Gegenstände der Erfahrung, deren Erkenntnis von jenen Bedingungen abhängig ist, anwendbar sein". 141 Faßtman die beiden Gruppen der Kategorien des bloß-rechtlichen, d.h. reinen intellektuellen Besitzes zusammen, so geht die erste im Sinne von mathematischen Kategorien wieder auf die Bestimmung der Einheit der Willkür in Ansehung des Besitzes eines Objekts, und die zweite Gruppe als dynamische Kategorien, die auf die Existenz der Gegenstände gehen, richtet sich auch hier auf das Objekt der Willkür selbst. Die drei Arten der Vereinigung der Willkür zu ihrer synthetischen Einheit über ein Objekt können nur sein nach der Ordnung der hier vorgestellten Relationskategorien des Rechts: in Ansehung der Sachen, der Personen und dieser als Sachen. Sie bestimmen den Gegenstandsbereich der Rechtslehre und enthalten das Prinzip der Gründung des äußeren Mein und Dein. Sie zeigen die vollständige Beziehung der Gegenstände, in die man sich ein Recht erwerben kann, die ja nur solche sein können, von denen sich der Besitz dieser Objekte denken läßt. Nach der "Exposition 140 VI, 255. 141 VI, 253.

Kategorien des reinen intellektuellen Besitzes

215

des Begriffs vom äußeren Mein und Dein" können auch in § 4 des Privatreohts

die äußeren Gegenstände der Willkür nur drei sein:

nach der Kategorie der Substanz: der Besitz einer Sache, als Substanz, die auch für sich ohne Wirkung meiner Willkür existiert: "1) eine (körperliche) Saahe außer mir;" nach der Kategorie der Kausalität: der Besitz der Handlung eines anderen, wozu ihn meine Willkür nötigt, das Versprechen: "2) die Willkür eines anderen zu einer bestimmten Tat

(praesta-

tio);" nach der Kategorie der Gemeinschaft: der wechselseitige Besitz der Personen, d.h. die wechselseitige Abhängigkeit des Zustandes der einen Person von der anderen, in welchem jene nur durch die Willkür der anderen ist: "3) der Zustand eines Anderen in Verhältnis auf mich."

1 42

Diese drei äußeren Gegenstände der Willkür führt Kant in den Vorarbeiten

nun wiederum durch die Positionen der Kategorien-

tafel, wobei er mit Modalitätsbestimmungen beginnt. Das dann durchgeführte regressive Verfahren, im Gegensatz zum progressiven im Entwurf der übrigen Tafeln, geht aus von der unbezweifelbaren Existenz der "äußeren Gegenstände meiner Willkür", die jetzt ihrerseits vollständig kategorial bestimmt werden. Der Versuch, aus diesen Ausführungen apriorische Rechtssätze zu formulieren, müßte zu einer vollständigen prinzipientheoretischen Grundlegung des Privatrechts führen. Daß Teile dieser Vorarbeiten, wenn auch nicht das ausgearbeitete Ganze in den Text der Rechtslehre übernommen wurden, zeigte bereits die "Einteilung der Erwerbung des äußeren Mein und 1 43 Dein".

In der Tafel (1) der Vorarbeiten werden nun als ge-

geben zugrundegelegt "die Gegenstände, in die man sich ein 142 143

VI, VI,

247. 259/260.

216

Die kategoriale Systematik

Recht erwerben kann" und die "so mancherlei sein können, als sich Besitz dieser Objekte denken läßt: 1.) Der Besitz einer Sache, 2.) des erklärten Willens einer Person, 3.) der Besitz einer Person gleich als der Besitz einer Sache." Im analytisch- regressiven Verfahren geht Kant dann die Positionen der Kategorientafel durch: "In Beziehung auf den ersteren darf die Vereinigung der Willkür nur als möglich, auf den zweiten Besitz muß sie als wirklich, in Beziehung auf den dritten als notwendig angesehen werden. Die erste geht aufs Objekt als Substanz, die zweite als Handlung, die dritte als wechselseitiger Einfluß, die erste ist Gründung eines Besitzes, die zweite Ausschließung, die dritte Einschränkung eines Besitzes durch das Recht des andern. Endlich Eines gegen Einen oder eines gegen viele oder • ,, „144 eines gegen jedermann. Faßt man die Aussagen Kants in den Vorarbeiten zu den drei äußeren Gegenständen der Willkür zusammen, wodurch sich der Besitz eines Objekts bestimmt, und ordnet sie jeweils gemäß der vier Positionen der Kategorientafel, so ergibt sich in der Tat eine apriorische und vollständige Bestimmung dessen, was über den Besitz eines Objekts ausgesagt werden kann. Gleichzeitig wird aber durch die nachfolgende Skizze, welche diesen Versuch einer kategorialen Zuordnung darstellt, die kategoriale Systematik der Besitzlehre offensichtlich.

144

XXIII, 216.

Kategorien des reinen intellektuellen Besitzes

217

Der Besitz eines Objekts ist 1. als Besitz einer Sache (= Sachenrecht) der Quantität nach Einheit (einer gegen einen) der Qualität nach

der Relation nach

Realität (Gründung eines Besitzes)

Substanz (geht aufs Objekt als Substanz)

der Modalität nach Möglichkeit (mögliche Vereinigung der Willkür) 2. als erklärter Wille einer Person (= persönliches Recht) der Quantität nach Vielheit (einer gegen viele) der Qualität nach

der Relation nach

Negation (Ausschließung eines Besitzes)

Kausalität (Objekt als Handlung)

der Modalität nach Wirklichkeit (wirkliche Vereinigung der Willkür) 3. als der Besitz einer Person gleich als Besitz einer Sache (= auf dingliche Art persönliches Recht) der Quantität nach Allheit (einer gegen jedermann) der Qualität nach

der Relation nach

Limitation (Einschränkung eines Besitzes durch das Recht des anderen)

Gemeinschaft (Objekt als wechselseitiger Einfluß

der Modalität nach Notwendigkeit (notwendige Vereinigung der Willkür in Ansehung des Besitzes)

4. Synthetische Rechtssätze a priori als Prinzipien der Freiheit 4.1. Analytische und synthetische Rechtssätze Wenn diese kategorialen Entwürfe, die hier versuchsweise in Tafeln gebracht worden sind, keine unnütze Spielerei mit Begriffen der Rechtsphilosophie sein sollen, so müssen sie ihre Notwendigkeit im systematischen Begründungszusammenhang

der

apriorischen Rechtslehre erweisen; das heißt, es muß gezeigt werden können, wie aus ihnen synthetische Rechtssätze a priori als Prinzipien der Möglichkeit der Erfahrung, d.h. "in Ansehung der Gegenstände der Erfahrung, denn in Ansehung der Ge-

145

genstände der freien Willkür überhaupt sind es analytische", hergeleitet werden können. Die zentrale Frage der Kantischen Rechtsphilosophie: Wie ist 146 ein synthetischer Rechtssatz a priori möglich? , setzt zu ihrer Beantwortung diesen a priori begrifflich abgesteckten Rahmen voraus. Denn das Problem der Geltung der synthetischen Rechtssätze a priori kann nicht gelöst werden analog den analytischen Rechtssätzen, die aus dem angeborenen Recht, welches nur ein einziges ist, evident hervorgehen und über deren Wahr1 47 heit nach dem Satz des Widerspruchs entschieden werden kann. Ein analytischer Rechtssatz, wie z.B.: "Ein jeder äußerer Gegenstand der Willkür ist durch die Einstimmung der Willkür Anderer Mein 145 146 147

148

(ohne auf Zeit und Ortsverhältnisse zu sehen)",

1 48

XXIII, 276. VI, 249. Dem Begriff von "analytisch" liegt hier die Bestimmung in der Kritik der reinen Vernunft zugrunde, wonach die Wahrheit analytischer Sätze nach Gesetzen der Logik und Bedeutungsregeln der Sprache entschieden werden kann. Siehe auch Patzig, G., Die logischen Formen praktischer Sätze in Kants Ethik, in: Kant, hrsg. v. G. Prauss, Köln 1973, S. 207 ff. XXIII, 276.

Analytische und synthetische

219

Rechtssätze

bereitet nach Kant keine Schwierigkeiten; er wird aber von ihm nicht als konstitutives Element in die eigentliche Rechtslehre genommen, sondern in die "Prolegomenen geworfen", als nur "Ein Recht" betreffend in Ansehung des "angebornen, mithin inneren 149

Mein und Dein".

Da die Sicherung der Wahrheit synthetischer Rechtssätze a priori nach logischen Gesetzlichkeiten allein nicht erfolgen kann, sie aber für eine metaphysische Rechtswissenschaft in ihrem allgemein gültigen Wahrheitsanspruch zugrundegelegt werden müssen, bedürfen sie anderer Gültigkeitsprinzipien.

Ihre

Apriorität gründet in ihrer Eigenschaft als Vernunftgesetzlichkeiten, und so geben sie auch als synthetische Urteile a priori den formal-logischen Rahmen einer metaphysischen Rechtswissenschaft ab und müssen für die Gegenstandskonstitution

not-

wendig vorausgesetzt werden. Kant gibt auf die Frage, wie ihre Möglichkeit denn gedacht werden kann, die "Antwort:

Als Prin-

zipien der Freiheit als eines von der Natur unabhängigen Vermögens durch das Gebot eines in der Idee gemeinschaftlichen 150 Willens".

Diese Notwendigkeit synthetischer Sätze a priori

für die Gegenstandskonstitution und ihre Wirklichkeit in jeder theoretischen Vernunftwissenschaft wird bereits in der der reinen Vernunft gesichert.

Kritik

Für die Rechtslehre ergibt sich nun das Problem, wie synthetische Rechtssätze a priori möglich sind, ohne daß ein empirisches Rechtsverhältnis, "ohne das ein anderes Recht d.i. der 151

Besitz schon vorausgesetzt würde".

Die Frage nach den synthetischen Rechtssätzen a priori in Ansehung der Erfahrung, nicht aufgrund von Erfahrung, stellt sich im Text der Rechtslehre so grundlegend, daß erst nach dem Aufweis ihrer Gültigkeit die Fragen angegangen werden kön149 150 151

VI, 238. XXIII, 276. XXIII, 302.

220

Die kategoriale Systematik

nen: "wie ist ein bloß

rechtlicher

(intelligibler) Besitz

mög-

lich?" in der sich dann die eigentliche Frage des auflöst: "Wie ist ein äußeres

Mein

Privatrechts 152 möglich?". Für

und Dein

die Durchführung der Besitzlehre ira Privatrecht

ist die Siche-

rung der Apriorität der Rechtssätze daher von grundlegender Bedeutung. Die analytischen Sätze der Besitzlehre werden von Kant dann auch nach dem Satz des Widerspruchs entschieden, so in Ansehung des physischen Besitzes, da der "Satz von einem empirischen rechtmäßigen Besitz" nicht "über das Recht einer Person in Ansehung ihrer selbst"

hinausgeht.

Grundlage des synthetischen Verfahrens der

rechtlich-prakti-

schen Vernunft ist hierbei das Postulat als "eine Voraussetzung a priori der praktischen Vernunft, einen jeden Gegenstand meiner Willkür als objektiv mögliches Mein oder Dein anzusehen und z u behandeln". Dieses Postulat erlaubt eine Erweiterung der praktischen Vernunft im Sinne einer Befugnis", die aus d e m "bloßen Begriffe vom Rechte" nicht herausgebracht werden könnte: "nämlich allen andern eine Verbindlichkeit aufzulegen, die sie sonst nicht hätten, sich des Gebrauchs gewisser

Gegenstän-

d e unserer Willkür zu enthalten, weil wir zuerst sie in unseren 1 53 Besitz genommen haben". Im Deduktionsverfahren der Rechtslehre fundiert dieses liche Postulat allererst den intelligiblen

Besitz

recht-

(possessio

noumenon) als einen Vernunftbegriff, der, sollte der physische Besitz

(possessio phaenomenon) in der Erscheinung möglich wer-

den, notwendig vorausgesetzt werden muß. Nun geht die Vernunft, als das Vermögen der Prinzipien "niemals zunächst auf Erfahrung, oder auf irgend einen Gegenstand, sondern auf den Verstand,

den mannigfaltigen Erkenntnissen desselben Einheit 154 a priori durch Begriffe zu geben". Nur der Verstand m i t seinen Kategorien geht auf Anschauung, die Vernunft geht nur 152 153 154

VI, 249. VI, 246/247. B 358.

Analytische und synthetische

221

Rechtssätze

auf Begriffe und Urteile des Verstandes selbst. Diese, durch die Kritik

der reinen

Vernunft

vorgegebene Bestimmung des Ver-

hältnisses von Verstand und Vernunft behält ihre Gültigkeit auch in den besonderen metaphysischen

Wissenschaftsbereichen.

Der intelligible Besitz als Vernunftbegriff geht nicht auf den empirischen Begriff des physischen Besitzes, der bestimmt wird als "Inhabung", sondern auf den Verstandesbegriff des rechtlichen

Besitzes,

bloß

dessen er bedarf, um die rechtliche Rea-

lität des intelligiblen Besitzes abzuleiten. Das Verfahren m i t dem Rechtsbegriff stellt Kant in Anlehnung an die theoretische Philosophie in § 7 des Privatrechts

so dar:

"Der Rechtsbegriff, der bloß in der Vernunft liegt, kann nicht unmittelbar

auf Erfahrungsobjekte und auf den Begriff eines

empirischen Besitzes,

sondern muß zunächst auf den reinen Ver-

standesbegriff eines Besitzes daß statt der Inhabung

überhaupt angewandt werden, so

(detentio), als einer empirischen Vor-

stellung des Besitzes, der von allen Raumes- und gen abstrahierende Begriff des Habens, stand als in meiner

Gewalt

Zeitbedingun-

und nur daß der Gegen-

(in potestate mea positum esse) sei,

gedacht werde." Das Mein und Dein soll in der Anwendung auf Gegenstände nicht nach sinnlichen Bedingungen, sondern nach

Verstandesbegriffen

gedacht werden, was nur möglich ist, wenn der Besitz der auf Raum und Zeit bezogene, bereits

bloßrechtliche konkretisierte

Verstandesbegriff des rechtlichen Habens ist, der unter Rechtsbegriffe "subsumiert werden kann".

Kant fordert hier einen

"reinen intellektuellen Besitz nach bloßen Kategorien der Gewalt über Sachen und Einfluß der Willkür gegen einander", aus dem dann die "rechtliche Realität des idealischen Besitzes" m i t Hilfe des "synthetischen Prinzips, nach welchem jeder verbunden ist und wechselseitig auch berechtigt ist, in seinem Verhältnisse zu Sachen und Menschen sich und andere auf die

155

VI, 253.

222

Die kategoriale Systematik

Bedingung einzuschränken nach welcher ihr Gebrauch zu der Idee eines gemeinschaftlichen Willens zusammen stimmen kann", abgeleitet werden kann.^"^ 4.2. Die Bedingungen der Möglichkeit des äußeren Mein und Dein Wie Kant dieses synthetische Verfahren der rechtlich-praktischen Vernunft durchführt, soll am Beispiel des äußeren Mein und Dein im l'rivatrecht dargestellt werden. Nach einer allgemeineren prinzipientheoretischen Grundlegung in den § § 1 - 1 0

des Privatrechts

lationskategorien die "Einteilung

wird durch Anwendung der Reder Erwerbung

des

äußeren

Mein und Dein" vorgestellt, nach der sich auch die drei Teile des Privatrechts

bestimmen. Diese Einteilung der Rechte wird

durch die Quantitätskategorien bezogen auf die Gründe der Erwerbung durch den Akt der einseitigen, doppelseitigen oder allseitigen Willkür. Mit den Quantitätskategorien setzt die Nominaldefinition auch ein, nach der das Recht in einer Sache "das Recht jeden Besitzer

derselhen"^^ist.

tigen Akt der Willkür"

Es beruht auf einem

gegen

einsei-

(voluntas unilateralis s. propria)",

der aber nur gedacht werden kann durch die Vereinigung der Willkür aller, die in ein praktisches Verhältnis gegeneinander kommen können. Dieser allseitige , a priori notwendig vereinigte Wille ist als Prinzip Voraussetzung der "Ubereinstimmung der freien Willkür eines jeden mit der Freiheit von jedermann" , der "ein Recht überhaupt und also auch ein äußeres 158 Mein und Dein möglich" macht. Daß diese Argumentation wiederum nur auf der Grundlage der 3. Relationskategorie, als der Grundkategorie des Rechts, erfolgen kann, ist ohne weiteres klar. 156 157 158

XXIII, 211. VI, 259/260. VI, 263.

Möglichkeit des äußeren Mein und Dein

223

Nach dem Grundsatz der vereinigten Willkür wird auch die Realität des Besitzes entwickelt, denn nach der Realdefinition

ist

"das Recht in einer Sache ... ein Recht des Privatgebrauchs einer Sache, in deren (ursprünglichen, oder gestifteten) Ge159

samtbesitz ich mit allen andern bin". Besitzes ist die "Besitznehmung

Zur Gründung eines

(apprehensio), als der Anfang

der Inhabung einer körperlichen Sache im Räume

(possessionis

physicae)" notwendig, "welche ein Akt der Willkür ist".^ ^ Der Anfang der Erwerbung, bzw. die erste Erwerbung einer Sache kann aber keine andere sein als die des Bodens. Bei Anwendung dieser Grundsätze anhand von zeitgenössischen Beispielen gesteht Kant schließlich die Schwierigkeit der Durchführung in Ansehung der Erfahrung ein, denn "die Unbestimmtheit in Ansehung der Quantität sowohl als der Qualität des äußeren erwerblichen Objekts macht diese Aufgabe (der einzigen ursprünglichen äusseren Erwerbung) unter allen zur schwersten sie aufzulösen".^^ Der Relation nach geht die Erwerbung auf das Objekt als Substanz, denn der Boden ist "in Ansehung alles Beweglichen auf demselben als Substanz, Inhärenz

die Existenz des Letzteren aber nur als

zu betrachten, und so wie im theoretischen Sinne die

Akzidenzen nicht außerhalb der Substanz existieren können, so kann im praktischen das Bewegliche auf dem Boden nicht das Seine von jemandem sein, wenn dieser nicht vorher als im rechtlichen Besitz desselben befindlich

(als das Seine desselben)

1 62 angenommen wird".

Kant betont, daß dieser

vom äußeren Mein und Dein, so fern es Substanz

"Reohtsbegriff ist", nur als

Vernunftbegriff gedacht werden kann, unter den nun nicht der empirische Besitz, sondern ein reiner Verstandesbegriff subsumiert werden muß, welcher dann den synthetischen Rechtssatz der Verknüpfung des Besitzes "mit mir als subjektive Bedingung der Möglichkeit des Gebrauchs" möglich macht. 159 160 161 162 163

VI, VI, VI, VI, VI,

261. 263. 266. 261. 268.

Letztlich

224

Die kategoriale Systematik

kann dann der Modalität nach durch das rechtliche Vermögen des Willens, jeden zu verbinden, der einseitige "Akt der Besitznehmung und Zueignung" gültig werden und so die Erwerbung mit allen rechtlichen Folgen möglich sein. Die Grenzen des rechtlich-möglichen Besitzes bestimmen sich nach der möglichen Vereinigung der Willkür in einem bürgerlichen Zustand, der der eigentlich rechtliche Zustand ist. 1 64 Gemäß seinem systematischen Entwurf argumentiert Kant im § 22 "Vom persönlichen Recht" auf der Grundlage der Kausalitätskategorie und setzt wieder ein mit der Quantität, denn der "Besitz der Willkür eines Anderen, als Vermögen sie durch die meine nach Freiheitsgesetzen zu einer gewissen Tat zu bestimmen, (das äußere Mein und Dein in Ansehung der Kausalität eines Anderen), ist ein Recht (dergleichen ich mehrere gegen eben dieselbe Person oder gegen Andere haben kann)".^ ^ Daher kann die Erwerbung eines persönlichen Rechts auch niemals einseitig , d.h. "ursprünglich und eigenmächtig sein", sondern es ist stets ein Akt der vereinigten Willkür zweier Personen, also ein doppelseitiger Akt. Nur so kann er dem Prinzip des Rechts, der Einstimmung der Freiheit der eigenen Willkür mit der Freiheit von jedermann gemäß sein. Damit wird der Qualität nach der Besitz des Willens eines anderen durch einseitigen Akt ausgeschlossen, da das rechtliche äußere Verhältnis der Besitznehmung der Willkür eines anderen nur möglich ist im Zugleichsein und aus einem einzigen gemeinsamen Willen hervorgehend. So erwerbe ich der Relation nach "nur die Kausalität der Willkür des Anderen in Ansehung einer mir versprochenen Leistung" und keine "äußere Sache" (Substanz), sondern eine "Tat", "dadurch jene Sache in meine Gewalt gebracht wird, damit ich 166 sie zu der meinen mache" . Der Modalität nach könnten Sachen durch einseitige Willkür erworben werden, wenn sie auf die Bedingungen der Möglichkeit der doppelseitigen Willkür in Anse"164 165 166

VI, 267. VI, 271. VI, 273/274.

Möglichkeit des äußeren Mein und Dein

225

hung desselben Objekts eingeschränkt wird. Leistungen einer anderen Person aber können nur erworben werden durch die Wirk167 lichke.it einer doppelseitigen Einstimmung nach dem Grundsatz der auch wirklichen Vereinigung der Willkür. Im "Von dem auf dingliche Art persönlichen Recht" wird die Notwendigkeit der kategorialen Systematik evident und am Beispiel des "Rechts der häuslichen Gesellschaft" für die Vollständigkeit der Einteilung hervorgehoben. "Hierbei fällt also in die Augen, daß der Titel eines auf dingliche

Art

persönli-

chen Rechts in der Rechtslehre noch über dem des Sachen- und persönlichen Rechts notwendig hinzukommen müsse, jene bisheri1 68

ge Einteilung also nicht vollständig gewesen ist".

Kant

rechtfertigt ihn gegen die Kritik eines Rezensenten in dem Anhang erläuternder

Bemerkungen,

als einen notwendigen, a priori

in der Vernunft gegebenen Begriff, der durch die Verbindung des dinglichen und des persönlichen Rechts zu einem Begriffe "in der vollständigen Tafel der Einteilung" der Rechtsbegriffe angetroffen werden müsse. Daß dieser neu hinzugekommene Rechtstitel immer schon stillschweigend in Gebrauch gewesen sei, ohne daß eine apriorische Begründung

geleistet worden wäre, belegt Kant an zeitgenös-

sischen Beispielen. So problematisch sie auch sein mögen, so ist doch die Definition ihrer möglichen Relativierbarkeit enthoben. Auf dem Grundsatz der "Gemeinschaft freier Wesen, die durch den wechselseitigen Einfluß (der Person des einen auf das andere) nach dem Prinzip der äußeren Freiheit eine Gesellschaft von Gliedern eines Ganzen

(Kausalität)

(in Gemeinschaft

stehender Personen) ausmachen", kann eine Erwerbungsart dieses Zustandes durch allseitige Willkür, d.h. durchs Gesetz

(lege)"

gedacht werden. Das Recht aber "des Besitzes eines äußeren Gegenstandes als einer Sache und des Gebrauchs desselben als ei167 XXIII, 228. 168 VI, 282. 169 VI, 357/358.

226

Die kategoriale Systematik

ner Person"

ist eingeschränkt durch das Recht des anderen,

"nämlich das Recht der Menschheit in unserer eigenen Person, ... welches ein natürliches Erlaubnisgesetz zur Folge h a t " . ^ ° Der Modalität nach kann dann dieses Recht nur möglich und wirklich werden durch die Notwendigkeit der wechselseitigen Vereinigung der Willkür in Ansehung des Besitzes. Diese kurzen Ausführungen stellen gleichsam einen Rekonstruktionsversuch des a priori begrifflichen Rahmens der Besitzlehre vor, in den Kant seine inhaltlichen Systemstücke eingepaßt hat. Dazu muß aber vorab "von einer metaphysischen Rechtslehre" gefordert werden, "daß sie a priori die Glieder der Einteilung (divisio logica) vollständig und bestimmt aufzähle", denn nur von diesem Ansatz her kann ein wahres System erstellt werden, jenseits aller fragmentarischen, empirischen Einteilung. "Eine Einteilung nach einem Prinzip a priori rischen) kann man nun dogmatisch

(im Gegensatz der empi171 nennen" und die Wissen-

schaft, die nach diesen Prinzipien verfährt, das "dogmatische Geschäft" der Vernunft. Daß auch die rechtliche Verbindung der Menschen unter öffentlichen Gesetzen einer metaphysischen Rahmenkonstitution bedarf, geht aus der Überleitung in § 42 hervor, wonach aus dem Privatreaht

im natürlichen Zustand das

"Postulat des öffentlichen Rechts" hervorgeht: "du sollst im Verhältnisse eines unvermeidlichen Nebeneinanderseins mit allen anderen aus jenem heraus in einen rechtlichen Zustand, d.i. den einer austeilenden Gerechtigkeit, übergehen". 172 Dieser "unter Gesetzen gesicherte Zustand des Mein und Dein in einer Menge einander benachbarter Menschen" bedarf zu seiner Begründung der Metaphysik, weil alle Beispiele der Erfahrung "trüglich sind", und nur erläutern, hingegen nichts be173 weisen können.

170 171 172 173

VI, VI, VI, VI,

276. 284. 307. 355.

Möglichkeit des äußeren Mein und Dein

227

Die öffentlichen Gesetze, gemäß denen nun ein Recht gesichert oder verschafft werden kann, werden in einem Briefentwurf an Jung-Stilling vom 1. März 1789 nach der Ordnung der Kategorien, eingeteilt. Diese Gesetzgebung, von Kant als bürgerliche vorgestellt, hat das "natürliche Recht der Menschen

... zu reali-

sieren, d.i. unter allgemeine, mit angemessenem Zwange begleitende, öffentliche Vorschriften zu bringen, denen gemäß jedem sein Recht gesichert, oder verschafft werden kann. Tafel

(7) Nach der Ordnung der Kategorien müssen sie 1. was die Quantität betrifft so gegeben werden, als ob einer sie für alle und alle für einen jeden einzelnen freiwillig beschlossen hätten.

2. Die Qualität des Zwecks die3 ser Gesetze, als Zwangsgesetze, ist nicht Glückseligkeit, sondern Freiheit für jeden, seine Glückseligkeit selbst, worin er sie immer setzen mag, zu besorgen, nur daß er anderer ihrer, gleich rechtmäßigen Freiheit, nicht Abbruch tut.

Die Relation der Handlungen, welche Zwangsgesetzen unterworfen sind, ist nicht die des Bürgers auf sich selbst, oder auf Gott, sondern bloß auf andere Mitbürger, d.i. öffentliche Gesetze gehen auf äußere Handlungen.

4. Die Modalität der Gesetze ist, daß die Freiheit nicht durch willkürliche Zwangsgesetze, sondern nur die, ohne welche die bürgerliche Vereinigung nicht bestehen kann und die also in dieser schlechthin notwendig sind, eingeschränkt werde. "174 Wenn auch die Textbezüge zum öffentliehen

Recht mit erheb-

lich größeren Schwierigkeiten herauszustellen sind, sei darauf verwiesen, daß Kant wohl auch hier eine der kategorialen Ordnung folgende systematische Staatsrechtslehre vorzutragen ge174

XI,

10.

228

Die kategoriale Systematik

dachte. Ansätze sind sicher auszumachen, so die Prämisse, daß die Gesetze "a priori notwendig, d.i. aus Begriffen des äußeren Rechts überhaupt" gefolgert werden müssen und nicht vom statutarischen Recht her begründet werden können. ^ ^ Jede "wirkliche Vereinigung zu einem gemeinen Wesen" hat zu ihrer Norm die "Form eines Staats überhaupt, d.i. der Staat in der Idee, wie er nach reinen Rechtsprinzipien sein soll". Daher kann auch die gesetzgebende Gewalt nach der Ordnung der Quantität nur "der übereinstimmende und vereinigte Wille Aller, so fern ein jeder über Alle und Alle Uber einen jeden ebendasselbe beschließen"

sein.^

4.3. Die synthetische Einheit der Willkür als Schema der Rechtsbegriffe Das Recht ist, wie Kant mehrfach ausführt, eine reine Vernunftidee, der der korrespondierende Gegenstand in der Erfahrung nicht gegeben werden kann. Neben dieser hinlänglich gesicherten Apriorität behauptet Kant aber gleichwohl die praktische Realität des Rechtsbegriffs, woraus folgt, daß er als reiner, von Raum- und Zeitbedingungen unabhängiger Begriff "auf Gegenstände der Erfahrung, deren Erkenntnis von jenen Be17 7

dingungen abhängig ist, anwendbar sein" muß.

Nun läßt nach

dem Text der Rechtslehre aber der Vernunftbegriff des Rechts keinen unmittelbaren Bezug auf Erfahrungsobjekte zu; es bleibt also das Problem, wie er auf den empirischen Begriff des Besitzes bezogen werden kann. Denn die Gegenstände der Erfahrung sind die des "möglichen äußeren Mein und Dein", die nicht unter einen reinen Vernunftbegriff subsumiert werden können. 175 176

177

VI, 313. VI, 313/314. Hier wäre eine interessante Weiterführung im Text der Metaphysik der Sitten und der anderen politischen Schriften denkbar, inwiefern das System des Staates in der Fortführung bis zum Weltbürgerrecht durch die Kategorien der rechtlich-praktischen V e r n u n f t konstituiert wird. VI, 252/253.

Schema der Rechtsbegriffe

229

Das Verfahren mit dem Rechtsbegriffe in Ansehung der Gegenstände der Erfahrung "als des möglichen äußeren Mein und Dein, ist folgendes: Der Rechtsbegriff, der bloß in der Vernunft liegt, kann nicht unmittelbar

auf Erfahrungsobjekte und auf

den Begriff eines empirischen Besitzes,

sondern muß zunächst

auf den reinen Verstandesbegriff eines Besitzes

überhaupt an-

gewandt werden". Mit diesem Subsumtionsverfahren von Verstandesbegriffen unter den Rechtsbegriff ist aber nur ein intellektuelles Verhältnis zum Gegenstand ausgedrückt, unabhängig von dem Verhältnis desselben in Raum und Zeit. Die reinen Verstandesbegriffe sind nun, wie in den vorigen Kapiteln deutlich wurde, ihrerseits die Bedingung der Möglichkeit des empirischen Mein und Dein überhaupt und bestimmen als Kategorien das äußere Rechtsverhältnis. In allen vorgestellten kategorialen Entwürfen der Rechtsbegriffe drückte sich lediglich ein intellektuelles Verhältnis zum Gegenstand aus, in dem die rechtlich-praktische Vernunft sich das Objekt der Willkür dachte, abgesehen vom Besitz in der Erscheinung. Aus dieser apriorischen Fundierung bestimmte sich auch die "Gültigkeit eines solchen Begriffs vom Besitze allgemeingeltenden

(possessio noumenon) als einer 178

Gesetzgebung".

Nun ist schwer einzusehen, wie denn die Menschen, "die durch Raum, Zeit und Privatwillkür getrennt sind, doch in Ansehung der Objekte ihrer Willkür vereinigt werden können". Durch bloße Vernunftidee vorgestellt ist das Mein und Dein in Ansehung der Sachen, der Personen und der Personen als Sachen zwar begreiflich, und es lassen sich auch reine Grundsätze des Mein und Dein angeben, "aber die Einschränkung des Besitzes auf Raumes- und Zeitbedingungen bringt Schwierigkeiten in Unmöglichkeit der adäquaten Erfüllung jener Vernunftidee hervor, weil Freiheit keinen sinnlichen Gesetzen unterworfen werden kann".179

178 179

VI, 253. XXIII, 305/6.

230

Die kategoriale Systematik

Dadurch entsteht eine Lücke im Beweisgang der Rechtslehre, denn es ist nicht einzusehen, wie die "Anwendung des Prinzips der Möglichkeit des äußeren Mein und Dein", welches gänzlich intellektuell ist, auf die Empirie, "auf Gegenstände der Erfahrung" (§ 7) gedacht werden soll, wenn einerseits die Rechtsbegriffe von Anschauungsformen ganz unabhängig, andererseits aber die empirischen Rechtsverhältnisse von Raum- und Zeitbedingungen abhängig sind. Denn auch der reine Verstandesbegriff vom Besitz überhaupt, als der von allen Raum- und Zeitbedingungen abstrahierende Begriff eines Habens, macht zwar die Vermittlung von Vernunftund empirischem Begriff möglich, stellt aber das Verfahren seiner Anwendung auf den empirischen Besitz der Inhabung selbst nicht vor. Die reinen Verstandesbegriffe des Rechts, die Kant als Kategorien des Rechts vorstellt, enthalten alle Bedingungen des intellektuellen, d.h. bloß-rechtlichen Besitzes. Sie allein geben aber keine Erkenntnis des äußeren Mein und Dein, obwohl der Erwerb eines Objekts als rein intellektueller Akt denknotwendig vorhergehen muß. Die Bedingungen des physischen Besitzes sind die Verhältnisse in Raum und Zeit. Ein äußerer Gegenstand der Willkür, durch intellektuelle Begriffe gedacht und a priori eingesehen, gibt zwar reine Grundsätze des Mein und Dein, diese Grundsätze bestimmen aber nicht den empirischen Besitz in Raum und Zeit; "folglich sind alle diese Begriffe an sich leer (als Kategorien) und die Rechtsbegriffe können nur Erkenntnis werden, wenn der Wille anderer vorgestellt wird, 180 wie er erscheint und sich äußerlich den Sinnen offenbart". So gilt für die Bildung aller synthetischen Rechtssätze a priori der Grundsatz, daß sie nur - wie die theoretischen Grundsätze - möglich sind durch die Kategorien in Anwendung auf die Form der Sinnlichkeit, da sie insgesamt Sätze sind, 180

XXIII,

277.

Schema der

231

Rechtsbegriffe

die die Erweiterung der Willkür durch ein äußeres Objekt enthalten. Da synthetische Rechtssätze sich auf ein Mein und Dein außer uns beziehen, sagen sie mehr von der Willkür und ihrem Vermögen aus, als in analytischen Rechtssätzen durch bloße Freiheit gedacht wird. Bei ihrer Bildung darf aber dem Prinzip analytischer Grundsätze, die das Verhältnis der Willkür zur Willkür anderer bestimmen, nie widersprochen werden. Darum sind synthetische Rechtssätze auch nur möglich durch Widerspruchsfreiheit des Besitzes eines äußeren Mein und Dein und der Freiheit nach allgemeinen Gesetzen, so daß die Bedingung a priori der Vereinbarkeit der Willkür in Ansehung eines Objekts auch die Bedingung der Möglichkeit des bloß-rechtlichen Besitzes der Dinge ist. So bedarf es eines Dritten, was einerseits mit den reinen Rechtsbegriffen, andererseits mit dem empirischen Rechtsverhältnis in Gleichartigkeit stehen muß und als vermittelnde Vorstellung sowohl intellektuell als auch sinnlich bestimmt werden kann. Das synthetische Prinzip a priori, d.h. die Bedingung dieser Sätze kann nur die Idee der vereinigten Willkür in Ansehung aller brauchbaren Objekte ausser uns sein. Diese Argumentation der Rechtslehre läuft auf einen Schematismus hinaus, der wohl in den Vorarbeiten, nirgends aber in der Rechtslehre selbst durchgeführt wird. Ein Lehrstück vom Schematismus der Rechtsbegriffe aber würde die Lücke im Beweisgang der Rechtslehre schließen können. Uber die Gründe, die Kant bewogen haben mögen, es nicht in den Text der Metaphysik der Sitten zu übernehmen, können nur Vermutungen angestellt werden. Der Schematismus würde noch in die allgemeine Prinzipientheorie der Rechtslehre (§§ 1- 10) gehören und hätte seinen systematischen Ort in § 7 "Anwendung des Prinzips der Möglichkeit des äußeren Mein und Dein auf Gegenstände

Erfahrung"

181

1 82

Werbung".

und § 10 "Allgemeines Prinzip der äußeren ErSo rechtfertigt sich auch der Versuch, hier den-

noch einen Schematismus im BegründungsZusammenhang der 181 182

der

VI, 252 - 255. VI, 258 259.

Meta-

Die kategoriale Systematik

232

physischen

Anfangsgründe

der Reahtslehre

als notwendiges Be-

weisstück vorzustellen, von einer Textstelle der her. In dem Zusammenhängenden

Entwurf

Vorarbeiten

führt Kant nach der Ent-

wicklung der Kategorien des Rechts und der Vorstellung des synthetischen Prinzips a priori des erwerblichen Rechts die Notwendigkeit einer Schematisierung vor. Zur "Erkenntnis eines rechtlichen Erwerbs" wird "vorher ein Schematism der äußeren intellektuellen Verhältnisse der Willkür zu ihren Objekten

(ge-

mäß den Gesetzen der Freiheit) angestellt werden müssen", weil "Objekte der Sinne nicht unter reine Verstandesbegriffe als Arten unter ihre Gattung subsumiert werden können". Nur durch diesen Schematismus "(der auch a priori aber in Beziehung auf die Verhältnisse in Raum und Zeit geschieht) kann allein die Bedingung der Möglichkeit des äußeren erwerblichen Rechts der Menschen als Gegenstandes der Erfahrung" gegeben werden. Und nur unter dieser Bedingung allein kann auch "der Gegenstand 183

den Kategorien subsumiert werden".

Kant formuliert hier in Anlehnung an die Kritik Vernunft

der

reinen

einen Schematismus, der notwendig wird, da die rei-

nen Rechtsbegriffe

(Kategorien) in Vergleichung mit sinnli-

chen Objekten ganz ungleichartig sind, sie können niemals angeschaut werden. Die Schemata des reinen Verstandes sind bestimmungen

"Zeit-

a priori nach Regeln", die einerseits mit den Ka-

tegorien, andererseits mit der Erscheinung in Gleichartigkeit stehen. Analog wird auch in den Vorarbeiten

für die rechtlich-

praktische Vernunft ein "Schematismus eines Rechts außer 184

mir"

als Vermittelndes eingesetzt, das einerseits mit den

Rechtskategorien, andererseits mit der empirischen Rechtserwerbung gleichartig ist. Die synthetische Einheit der Willkür qualifiziert sich zu einem solchen Schema, da sie sowohl intellektuell als auch sinnlich bestimmt werden kann. "Die synthetische Einheit der 183 184

XXIII, 221. B 184 und XXIII, 228.

Der Schematismus des Besitzes

233

Willkür als freie äußere Willkür so fern sie (diese Einheit) als Bedingung der Möglichkeit der Unterscheidung des Mein und 185 Dein betrachtet wird, ist der Grund der Rechtsbestimmung". Der Zustand, in dem das Mein und Dein allererst erworben werden kann, ist der eines vereinigten Willens, welcher die Einstimmung der Willkür in Ansehung desselben Objekts nach allgemeinen Gesetzen der Freiheit derselben im äußeren Gebrauch zuerst möglich macht. Notwendig vorausgesetzt wird dabei die Vereinigung der Willkür aller Menschen in Ansehung aller Objekte, denn "durch dasselbe Prinzip, also der Erwerblichkeit, das alle Menschen haben, ziehen sie sich auch die Verbindlichkeit zu, allein der Idee der Vereinigung ihrer Willkür über eben dasselbe Objekt nach Freiheitsgesetzen gemäß erwerben zu können. - Also ist das Prinzip der Erwerbung das der Einschränkung jeder auch der einseitigen Willkür auf die Bedingung der Ubereinstimmung mit einer allgemeinen möglichen Vereinigung der Willkür über dasselbe Objekt". 186

4.4. Der Schematismus des Besitzes Wenn

a u c h d i e Metaphysischen

Anfangsgründe

der

Rechtalehre

die Schematisierung der Rechtsbegriffe nicht mehr ausdrücklich thematisieren, so argumentieren sie doch auf der Grundlage des in den Vorarbeiten zur Rechtslehre Entwickelten. Gültig bleibt auch für die Rechtslehre selbst, daß "die Möglichkeit, etwas außer sich als das Seine zu haben", nur dann a priori eingesehen werden kann, "wenn der äußere Gegenstand der Willkür bloß durch intellektuelle Begriffe gedacht wird". Dann entstehen "reine Grundsätze vom Mein und Dein", durch die der empirische Besitz in Raum und Zeit nicht bestimmt werden kann. Wie die reinen Verstandesbegriffe, die nur Erkenntnis werden können in Anwendung auf Erscheinung, so entgehen auch die Rechtsbegriffe ihrer Leerheit und damit praktischen Bedeu185 186

XXIII, 330. XXIII, 219.

234

Die kategoriale

Systematik

t u n g s l o s i g k e i t n u r , " w e n n der W i l l e a n d e r e r v o r g e s t e l l t wie er erscheint und

sich äußerlich den Sinnen

wird, 1fi7 offenbar".

Aber auch aufgrund dieses analogen Verfahrens der schen und rechtlich-praktischen ma des Rechts

theoreti-

Vernunft kann von einem

Sche-

im B e w e i s g a n g n i c h t e i g e n t l i c h g e s p r o c h e n

den, da sich der Rechtsbegriff

der Darstellung

in d e r

Anschauung entzieht und der äußere Freiheitsbereich auch keiner Schematisierung reinen Verstandesbegriffe

wer-

reinen

mithin

f ä h i g ist. D e r S c h e m a t i s m u s

in s e i n e r B e d e u t u n g a l s

der

konstituti-

v e s P r i n z i p d e r t h e o r e t i s c h e n P h i l o s o p h i e d a r f auf d i e

Prin-

zipientheorie

werden.

d e s R e c h t s nicht o h n e w e i t e r e ü b e r t r a g e n

Das Verfahren der rechtlich-praktischen Vernunft als ein fahren der reinen praktischen Vernunft d i e Kritik Dort

der

praktischen

Vernunft

ü b e r h a u p t m ü ß t e so

näher zu bestimmen

Verdurch

sein.

ist "die U r t e i l s k r a f t der r e i n e n p r a k t i s c h e n V e r n u n f t

denselben Schwierigkeiten retischen" ; während Verstandesbegriffe Schematismus

unterworfen, als die der reinen

j e d o c h das P r o b l e m d e r A n w e n d u n g d e r

eben theo-

reinen

auf die Gegenstände der Erfahrung durch

g e l ö s t w u r d e , w i r d es für d i e p r a k t i s c h e n

den

Vernunft-

b e g r i f f e w i e d e r t h e m a t i s i e r t w e r d e n m ü s s e n , da für sie "in ner sinnlichen Anschauung

etwas Korrespondierendes

werden kann". Für die reine praktische

Urteilskraft

ergibt

sich die besondere Schwierigkeit, wie denn die Gesetze Freiheit, sen, auf geschehen

a l s B e g e b e n h e i t e n , d i e in d e r

ü b e r n o m m e n w e r d e n , d a sie auf

l i c h k e i t d e r Handlung

a l s einer B e g e b e n h e i t

in d e r

"die

direkt

gehen k a n n , kann es auch kein "Schema eines Falles nach

187

XXIII, 277.

UrMög-

Sinnenwelt"

D e n n d a r e i n e V e r n u n f t n i c h t auf E r s c h e i n u n g

"Schema

werden"

der reinen theoretischen

teilskraft kann nicht

zen" , s o n d e r n n u r e i n

müs-

Sinnenwelt

und a l s o s o f e r n zur N a t u r g e h ö r e n , a n g e w a n d t

sollen. Das Subsumtionsverfahren

ausgeht.

der

zu d e n e n a u c h d i e R e c h t s g e s e t z e g e z ä h l t w e r d e n "Handlungen

kei-

gefunden

(wenn d i e s e s W o r t h i e r

Geset-

schick-

Der Schematismus des Besitzes

235

1 88

lieh ist) eines Gesetzes selbst" geben.

Gesetze der Freiheit

als Vernunftgesetze bedürfen zu ihrer Anwendung auf Gegenstände der Erfahrung des Verstandes, "welcher einer Idee der Vernunft", und hierzu ist auch die Rechtsidee zu rechnen, "nicht ein Schema der Sinnlichkeit, sondern 189 ein Gesetz ... zum Behuf der Urteilskraft unterlegen kann". Dieses "Schema", oder wie Kant auch formuliert, der "Typus" muß auch angenommen werden können für Rechtsgesetze in einer reinen Rechtslehre. Kaul190 bach

spricht von einem "Schematismus auf höherer Stufe", der

"in der Metaphysik

der Sitten

eine Rolle spielt, wo es um die

Realisierung von rechtlichen Ideen in erscheinenden Rechtsinstitutionen geht". Nun stellt die Kritik

der reinen

Vernunft

aber neben dem

transzendentalen Schema noch ein Schema des regulativen Prinzips des empirischen Gebrauchs der Vernunft vor, um ihre Ideen zu realisieren. Die Probleme, die in dem Schematismus

"der

äußeren intellektuellen Verhältnisse der Willkür zu ihren Objekten

(gemäß den Gesetzen der Freiheit)" enthalten sind, ent-

fallen, wenn das Schema zur "Richtschnur" des empirischen Gebrauchs der Vernunft dienen soll" und mithin nicht "als konsti191 tutives, sondern bloß als regulatives Prinzip gilt". Dann aber scheint ein Widerspruch zu bestehen, wenn Kant in den Vorarbeiten

im Sinne des transzendentalen Schemas argumentiert

und apriorische Anschauungsformen annimmt, um zu einer Erkenntnis des äußeren Mein und Dein gelangen zu können; es sei denn, es würde nur in einem analogen Verfahren Anschauung a priori dazugenommen werden, "um zum Schema der Begriffe in den Grundsätzen des Mein und Dein, welche 1 92 auf Gegenstände möglieher Erfahrung gehen, zu dienen".

188

189 190 191 192

V, 68. Zum Problem eines "moralischen Schematismus" siehe vor allem Silber, J.R., Der Schematismus der praktischen Vernunft. Kantstudien (56) 1965. V, 69. Kaulbach, Fr., Schema, Bild, Modell.In: Kant, a.a.O., S. 121. B 702 - 703. XXIII, 228.

236

Die kategoriale Systematik

Dieses aber wäre ein symbolisches Verfahren, nach dem zwar dem Rechtsbegriff eine regulative, aber keine konstitutive Funktion zukommen würde; dem jedoch widersprechen nicht nur die Vorarb eiten, sondern auch der Text der Rechtslehre selbst. In § 7 wird deutlich, daß die Bedingung der Darstellung des Rechtsbegriffs, der nicht "unmittelbar auf Erfahrungsobjekte" bezogen werden kann, nicht in einer irgendwie zu veranschaulichenden physischen Seite der Rechtsidee gründet. Der Vernunftbegriff muß zunächst auf reine Verstandesbegriffe angewendet werden - im Beispiel Kants "den reinen Verstandesbegriff eines Besitzes überhaupt", so daß "statt der Inhabung (detentio), als einer empirischen Vorstellung des Besitzes, der von allen Raumes- und Zeitbedingungen abstrahierende Begriff des Habens" gedacht werden muß. Dieses, wohl nicht mehr symbolisch zu verstehende Subsumtionsverfahren der rechtlich-praktischen 193 Vernunft, wird in den Vorarbeiten an mehreren Stellen ausgearbeitet und könnte in seinen Grundgedanken so zusammengefaßt werden: 1 94 Das Recht als praktischer Vernunftbegriff kann durch die Sinne nicht direkt vorgestellt werden, es sei denn, im symbo1 95 lischen Verfahren. Da er aber objektive praktische Realität beansprucht, muß er sich auf Gegenstände der sinnlichen Anschauung, d.h. Akte der Willkür in Raum und Zeit, beziehen lassen. Die Freiheit der Willkür selbst, so führt Kant aus, kann nicht schematisiert werden, nur der "physische Aktus der Will-

193

194

195

Kant betont ausdrücklich in der Kritik der praktischen Vernunft, daß gerade diese "Typik der Urteilskraft ... vor dem Mystics der praktischen Vernunft, welcher das, was nur zum Symbol dienete, zum Schema macht", bewahrt. V, 71. Auf die Bedeutung dieser Stellen weist besonders Lehmann in seiner Interpretation der "Besitzlehre" hin. "Der Vergleich mit den Vorarbeiten zeigt aber auch, daß der Druckschrift etwas fehlt: die Lehre vom Schematismus, übertragen auf das Verhältnis des physischen Besitzes zum intelligiblen". Lehmann, G. , Kants Besitzlehre. In: Beiträge, a.a.O., S. 201. Vgl. hierzu § E der Einleitung in die Rechtslehre. VI, 232 - 233.

Der Schematismus des Besitzes kür

237

(die schon ihr physisches Schema hat)".^®® Die Subsumtion

des empirischen Besitzes unter den Begriff des

intellektuellen

Besitzes, d.i. seine Darstellung in einer möglichen Erfahrung, geht nur indirekt über ein Zwischenglied vor sich. Die reinen Rechtsbegriffe als Kategorien der Möglichkeit der gemeinschaftlichen Willkür müssen bezogen werden auf Gesetze als juridische Akte der vereinigten Willkür, welche die Willkür dann erst in Ansehung von Mein und Dein in der Erfahrung vereinigen. Das Recht als Vernunftbegriff kann so nur anschaulich gemacht werden in Raumesverhältnissen "durch den Schematism

des 1 97

zes, der empirisch sein kann, nicht des Rechts".

Besit-

Der Besitz

kann, im Gegensatz zum Recht in bloß intellektueller als auch physischer Bedeutung verstanden werden. "Der erste ist der, dessen Bedingungen bloße reine Verstandesbegriffe (Kategorien), der zweite, dessen Bedingungen die Verhältnisse in Raum und in 1 98 der Zeit sind".

Denn: "Das Prinzip der Realität des zum aus-

schließlichen Gebrauch der Objekte der Willkür erforderlichen Besitzes ist sinnlich". Dagegen ist "die Einheit der Willkür verschiedener in Ansehung desselben Objekts ohne Beziehung auf Raum und Zeit die intellektuelle hinreichende Bedingung des 199 Rechtsbesitzes".

Die Idee der Einheit der Willkür wurde

schon kategorial näher bestimmt und ist in Ansehung des Besitzes sowohl intellektueller Akt als auch empirische Gegebenheit des äußeren Mein und Dein. Ein Schematismus "der äußeren intellektuellen Verhältnisse der Willkür zu ihren Objekten" nach Gesetzen der Freiheit, den Kant in den Vorarbeiten

bezogen auf

das Sachenrecht, persönliche Recht und auf dingliche Art persönliche Recht entwickelt, soll hier vorgestellt werden: "1.) Ein Objekt, das als keinem angehörig gegeben ist, von dem ich aber will, es solle mein sein und welches ein für sich bestehendes unpersönliches Ding (Substanz) ist, d.i. als Sache im Räume erwerbe ich durch einseitige Handlung der Apprehension, die der Zeit nach die 196 197 198 199

X X I I I , 275. XXIII, 277. XXIII, 217. XXIII, 305.

Die kategoriale Systematik

238

erste ist. Also ist die Priorität der Apprehension die sinnliche Bedingung der Erwerbung - Alles unter der Idee einer Vereinigten Willkür. 2. ) Das Objekt der Willkür eines andern, was doch auch ein Gegenstand der meinigen ist, erwerbe ich von jenem vermittelst der wirklichen Vereinigung der Willkür durch acceptation d.i. durch Besitznehmung dessen, von dessen Besitz der Andere absteht (zu meinem Vorteil): also durah doppelseitige Handlung (gegeben und annehmen). 3. ) Einen persönlichen Gegenstand meiner Willkür erwerbe ich gleich einer Sache durch einseitige Handlung der Apprehension, so fern sie die doppelseitige Aktus der Vereinigung notwendig macht (das sind bloß intellektuelle Begriffe), das Schema davon ist die Apprehension einer Person als einer Sache, wo der Zustand der Freiheit eines derselben durch einen Willen aufgehoben wird, der selbst durch eine Tat objektiv notwendig wird."200

Die Bedingungen der Darstellung dieses Rechts in der Anschauung sind nun

"die physische apprehension, acceptation und

subjektion anderer Personen". Der Akt der Erwerbung in Raum und Zeit begründet aber nicht die Möglichkeit des Erwerbs des äußeren Rechts überhaupt, sondern die Rechtsakte stehen unter den "Kategorien der Rechtserwerbung oder des erworbenen Rechts nach reinen Verstandesbegriffen a priori", welche die intellektuelle Apprehension, Akzeptation und Subjektion des Objekts der Willkür sind. Wenn zur Erkenntnis eines rechtlichen Erwerbs ein Schematismus der äußeren intellektuellen Verhältnisse der Willkür zu ihren Objekten gemäß Freiheitsgesetzen vorauszusetzen ist, so wird durch die apriorische Beziehung auf die Verhältnisse in Raum und Zeit die Subsumtion des Gegenstandes als Objekt der Sinne unter Kategorien als reine Verstandesbegriffe erst möglich. Der intellektuellen Apprehension, Akzeptation und Subjektion des Objekts der Willkür korrespondieren nun die physische Apprehension, Akzeptation und Subjektion als Bedingungen der Darstellung des Rechts in con201

creto.

Mithin wird auch hier ein "Schematismus der Zeit-

folge" entworfen, der die Bedingung der Möglichkeit der Sub200 201

XXIII, XXIII,

221. 305.

Der Schematismus des Besitzes

239

sumtion der Objekte der Sinne unter reine Verstandesbegriffe enthält. Der Gedanke der Apprehension als Akt der Besitznehmung wird 202

in § 10 der Rechtslehre übernommen.

Sie ist ein Moment der

ursprünglichen Erwerbung eines Gegenstandes, der keinem angehört, da sie sonst der Freiheit anderer nach allgemeinen Gesetzen widerstreiten würde. "Diese Apprehension

ist die Besitz-

nehmung des Gegenstandes der Willkür in Raum und der Zeit; der Besitz also, in den ich mich setze, ist (possessio phaenome,„ 203 non)". Wenn die Priorität der Apprehension die sinnliche Bedingung der Erwerbung ist, so ist die Apprehension eine einseitige Handlung in der Zeit, durch die eine Sache im Räume erworben wird. Sie gehört daher als in der Zeit existierend nicht zum intellektuellen Besitz als dessen Bestimmung, sondern ist die sinnliche Bedingung des physischen Besitzes, die die Erkenntnis des intellektuellen vermittelt, d.i. seine Darstellung in der Erfahrung ermöglicht. So ist die Apprehension die Subsumierung des empirischen Objekts unter den intellektuellen Begriff des Besitzes, der a priori durch Kategorien des Mein und Dein bestimmt ist. Daraus folgt, daß das empirische Mein und Dein sich "auf die Subsumtion der Apprehension

(das Ob-

jekt) unter die Idee der vereinigten Willkür in Ansehung der 204

äußeren Objekte überhaupt" gründet.

Also stehen die Regeln

des Schematismus des Besitzes unter dem intellektuellen Verhältnis der Willkür nach Freiheitsgesetzen. Denn der rechtlichen Erwerbung entspringt Verbindlichkeit, die aber nur dann 202

203

204

Mit der Apprehension als sinnlicher Bedingung der Verträge in der Zeit argumentiert auch der § 19 "Vom persönlichen Recht". Vgl. dazu besonders: VI, 272/273. VI, 258. Der Begriff Apprehension als Akt der Besitznehmung muß unterschieden werden von seiner Bedeutung in der theoretischen Philosophie als "Aufnahme in die Synthesis der Einbildungskraft". Nach der Kritik der reinen Vernunft ist Apprehension die Zusammenfassung des Mannigfaltigen in der Wahrnehmung. XXIII, 308.

Die kategoriale Systematik

240

für die freie Willkür anderer gilt, wenn sie sich jeder selbst zuzieht. Eine Erwerbung durch einseitige Willkür kann nicht gedacht werden, da die vereinigte Willkür derer vorausgesetzt werden muß, die sich diese Verbindlichkeit schaffen und wechselseitig kontrahieren. "Durch dasselbe Prinzip, also der Erwerblichkeit, das alle Menschen haben, ziehen sie sich auch die Verbindlichkeit zu, allein der Idee der Vereinigung ihrer Willkür über eben dasselbe Objekt nach Freiheitsgesetzen gemäß erwerben zu können. Zusammenfassend kann der Gedankengang der Bedingung der Möglichkeit snythetischer Rechtssätze in den Vorarbeiten Rechtslehre

mit Bezug zu den Metaphysisahen

Rechtslehre

so vorgestellt werden:

zur

Anfangsgründen

der

Das Recht im äußeren Verhältnis der Willkür ist ein praktischer Vernunftbegriff. Ihm läßt sich keine korrespondierende Anschauung geben. Er hat aber dennoch objektive praktische Realität, d.h. es muß ihm ein Gegenstand, eine Handlung in der sinnlichen Anschauung

(Raum und Zeit) gegeben werden können.

Dies kann nur gedacht werden durch einen Schematismus, der nicht dem Rechtsbegriff, sondern dem physischen Akt der Willkür, sofern diese als frei gedacht wird, korrespondiert. Die Freiheit der Willkür kann aber wiederum nicht schematisiert werden, sondern nur der physische Akt der Willkür, der bloß als Schema des Besitzes betrachtet wird. "Der physische Besitz der Inhabung muß bloß als Schema des intellektuellen (des Rechts) durch die bloße Willkür im

Besitzes

(rechtlichen) Mein und

Dein gedacht werden." Das Schema des Besitzes ist nur zu verstehen und anwendbar, wenn der intellektuelle Besitz die Darstellung des empirischen Besitzes in der Anschauung ist. Reine Anschauungsformen von Raum und Zeit müssen dazu genommen werden, "um zum Schema der Begriffe in den Grundsätzen des Mein und Dein, welche auf Gegenstände möglicher Erfahrung gehen, zu dienen. Dieser Schematism 205

XXIII,

219.

eines Rechts außer mir ist nun

Der Schematismus des Besitzes

241

a) das Verhältnis des Gegenstandes der Willkür außer mir im Räume, b) der Willkür anderer zu der meinigen in der Zeit, c) der Personen gegen einander, so fern die eine zum Mein oder Dein der andern gehören kann - und zwar so fern ihre Willkür durch Raum oder Zeit oder durch ihr eigen Vermögen, ihren Zustand in diesen selbst zu bestimmen, von dem Objekt • ii. 206 getrennt sind

206

XXIII,

228.

SCHLUSSBETRACHTUNG Gegenstandsbezogene Philosophie, die als "System der Vernunfterkenntnis aus Begriffen" Wissenschaft zu sein beansprucht, bedarf gemäß der Kantischen Methodenlehre zu ihrer Begründung der Metaphysik. Kants Leistung liegt hier insbesondere in der Errichtung einer kritischen Metaphysik als einem System reiner, von allen Anschauungsbedingungen unabhängiger Vernunftbegriffe, die als Grundlagenwissenschaft auf die Fundierung einer Metaphysik als Doktrin zielt. Dem wissenschaftstheoretischen Ansatz Kants zufolge liegen Ursprung und Struktur der Wissenschaften in der Struktur des menschlichen Denkens überhaupt. Von hier begründet sich die prinzipientheoretische Fundierung einer Philosophie dem "Schulbegriff" nach, die die logische Vollkommenheit alles theoretisch-wissenschaftlichen Verstandesgebrauchs zum Ziel hat und das System aller Vernunfterkenntnis aus Begriffen ermöglicht. Der Verstand selbst, als Einheit betrachtet, und seine Prinzipien der Möglichkeit der Erkenntnis sind durch ihr Strukturmerkmal der inneren Kohärenz zu einem System geordnet, in dem jeder Elementarbegriff eine durch den Zusammenhang bestimmte Stelle einnimmt. Methodologisch ist diese Setzung der Einheit aller Erkenntnis von fundamentaler Bedeutung, denn sie lehrt die Geltungsabhängigkeit einzelner Prinzipien von einem Gesamtsystem. Dadurch, daß die Vernunft als abgesonderte, in sich selbst durchgängig verknüpfte Sphäre vorgestellt wird, in der alle Teile, Elemente oder Prinzipien der reinen Vernunft koordiniert und nicht subordiniert gedacht sind, ergibt sich ein wechselseitiges Bestimmungsverhältnis der Prinzipien aller Verstandeserkenntnis. Daraus folgt, daß alle Einzelerkenntnisse nur im Systemzusammenhang gelten und sich wechselseitig bedingen und begründen. Durch dieses a priori angesetzte Gefüge von Fundamentalprinzipien der theoretischen Erkenntnis wird die Einheitsgrundlegung jeder Wissenschaft erst möglich. Das Prinzipiengefüge, welches mit den Kategorien, Grundsätzen und Ideen alle Prinzipien und Regeln

244

Schlußbetrachtung

zu einem System umfaßt, läßt sich als einheitliche, geschlossene Theorie interpretieren; als sich selbst begründendes, logisch vollständiges System fundiert es wiederum alle, auf besondere Gegenstände bezogene metaphysische Systeme. Die Schwierigkeiten in der Interpretation der Kantischen Wissenschaftsphilosophie treten erst auf, wenn von der allgemeinen metaphysischen Prinzipientheorie zu einzelwissenschaftlichen Begründungszusammenhängen geschritten wird und der Grad der Wissenschaftlichkeit der besonderen metaphysischen Systemteile am transzendentalphilosophischen Ideal gemessen werden soll. Kant hat dieses Problem nicht thematisiert und erweckt oft, besonders in seinen Vorreden und Kinleitungen, den Eindruck des kontinuierlichen Ubergangs, der Homogenität seiner philosophischen Konzeption von Kritik und Doktrin. Für eine demonstrierte Doktrin zielen seine Forderungen ebenso auf Apriorität, Systemcharakter und Vollständigkeit, was er aber für die prinzipientheoretische Grundlegung eines rein begrifflichen Rahmens der Rechtslehre nur in Ansätzen erreicht. Diese Ansätze aber zeigen eben eine kategoriale Konzeption der Kantischen Rechtslehre in der Metaphysik der Sitten, so daß durch die Anwendung des transzendentalphilosophischen Leitfadens metaphysischer Untersuchungen die Interdependenz zwischen Transzendentalphilosophie und besonderen metaphysischen Systemen offensichtlich wird. Von einem "unkritischen Spätprodukt" kann so nicht mehr die Rede sein, denn wenn auch hier nicht entschieden werden kann, ob sich eine kontinuierliche Entwicklung des Kantischen Rechtsdenkens nachweisen läßt, so steht doch fest, daß der Einfluß der Transzendentalphilosophie auf das seit den 60iger Jahren vorliegende Material kein "oberflächlicher" und "äußerer" gewesen sein kann. Das ständige Hinauszögern einer Metaphysik der Sitten mag in Methodenproblemen seine Gründe gehabt haben und durch die Ausarbeitung der kritischen Grundlegungsschriften bedingt gewesen sein; es ist aber schon immer ein Bezug von den metaphysischen Anfangsgründen zu dem Plan des Hauptwerkes über die Methode der Metaphy-

Schlußbetrachtung

245

sik zu erkennen. Und erst durch die kritische Grundlegung und die Ausarbeitung einer allgemeinen Metaphysik der Sitten, die auf intelligible Wesen überhaupt geht, wird die apriorische Fundierung auch der besonderen metaphysischen Wissenschaft von Recht und Tugend, deren Gegenstand durch Sinnlichkeit bestimmt ist, möglich. Es ist das Besondere am Kantischen Wissenschaftsentwurf, daß der apriorische Rahmen der besonderen Begriffe bedarf, durch deren Vergleichung mit allen Positionen des Denkens Vollständigkeit des metaphysischen Systems garantiert wird. So versucht Kant auch für eine metaphysische

Rechtslehre

nicht, wie die Tradition vor ihm von unwandelbaren Prinzipien eines gegebenen Naturrechts herkommend, sondern von transzendentalphilosophischen Begründungszusammenhängen aus die Fundierung apriorischer Rechtssätze. Reine Prinzipien und besondere Begriffe sind die wesentlichen Bestandteile der sischen

Anfangsgründe

der Rechts lehre;

Metaphy-

sie geben den apriori-

schen Rahmen einer jeden besonderen metaphysischen Wissenschaft, die in ihren weiteren Teilen im Bereich der Erfahrung ihre Anwendung findet.

Metaphysische Anfangsgründe sind daher in ihrer wissenschaftsbegründenden Funktion gleichzeitig Demonstration der Richtigkeit der transzendentalphilosophischen Methode durch Anwendung des dort entwickelten methodischen Leitfadens. Die nicht unerheblichen Schwierigkeiten des Fundierungsverhältnisses von Kritik und demonstrierter Doktrin sind hier dargelegt worden, wobei aber insgesamt sichtbar geworden ist, daß die Struktur der Metaphysischen

Anfangsgründe

der Rechtslehre,

die den Obergang

von dem System der allgemeinen Metaphysik zu einer besonderen Metaphysik des Rechts darstellen, durch Kategorien bestimmt ist. Die Kategorien der theoretischen Vernunft, denen als Strukturprinzip ein eigener wissenschaftslogischer Status zukommt, garantieren als Leitfaden jeder metaphysischen Untersuchung Apriorität auch im besonderen metaphysischen Bereich. Ein interessantes Problem stellen in diesem Zusammenhang die kategorialen Entwürfe von Rechtsbegriffen dar, bei denen die

Schlußbetrachtung

246

Relationskategorien zwar generell für die praktische Philosophie Bedeutung erhalten, die Kategorie der Gemeinschaft aber letztlich die Bedingung a priori der Möglichkeit der Bestimmung rechtlicher Handlungen und damit apriorischer Rechtssätze überhaupt abgibt. Die Interdependenz von Transzendentalphilosophie und Rechtslehre wird an den kategorialen Entwürfen der Rechtsbegriffe evident, denn es konnte gezeigt werden, daß sich die rechtlichen Lehrstücke in der Metaphysik

der

Sitten,

die kategoriale Bestimmungen enthalten, auf Entwürfe der Rechtsbegriffe als "Kategorien der Möglichkeit der gemeinschaftlichen Willkür"

stützen.

In dem Versuch, von dem Text der Metaphysik Berücksichtigung der Vorarbeiten

der Sitten

zur Rechtslehre

unter

einen apriori-

schen, wissenschaftsbegründenden Rahmen zu rekonstruieren, ergab sich eine kategoriale Systematik der Rechtslehre, die ihre Gültigkeit ganz unabhängig von materialen Bestimmungen behauptet. Hier wäre eine systematische Interpretation des rechts

und des öffentlichen

Rechts

Privat-

noch zu leisten, da beide

unter dem kategorialen Aspekt an vielen Stellen Interpretationsansätze bieten. Die kategoriale Systematik vom Ansatz her aufzuzeigen und die Begründung der Rechtslehre in den transzendentalphilosophischen Rahmen zu stellen, war das Ziel dieser Arbeit. Gemäß der Kantischen Methodenlehre muß am Leitfaden der Kategorien von allgemeinen zu besonderen metaphysischen Begründungszusammenhängen geschritten werden, so daß letztlich alle Probleme der Wissenschaftsbegründung auf Probleme des Ubergangs von einem Systemteil zum anderen zielen. Noch im Opus postumum fordert Kant, daß dieser Ubergang nicht als "Sprung"

(fragmentarisch), sondern systematisch als

schritt"

zu leisten sei, "weil wahre Wissenschaft, unter wel-

chem Titel sie auch stehe, im Allgemeinen mit jeder Anderen

"über-

(einer Enzyklopädie)

(wenigstens dem Formalen nach) auf gewisse

Weise verwandt ist". Zwischen einer reinen und einer angewandten Rechtslehre wird noch "ein besonderer, zwischen beiden einzuschiebender und den Zusammenhang derselben vermit-

Schlußbetrachtung telnder Teil der Rechtslehve

überhaupt

247 nötig als ein Übergang"

im System der durch die Einheit des Objekts untereinander verwandten Wissenschaften.

Vermittelt werden müßte zwischen der

Systematik der reinen Rechtsbegriffe, die für sich Apriorität und vollständige Bestimmung beanspruchen und der prinzipiellen Unabschließbarkeit einer Metaphysik des Rechts in Hinsicht auf die Akte der freien Willkür in ihrem äußeren Gebrauche. Der Geschlossenheit der apriorischen Rahmenkonstitution

steht

so die Offenheit eines inhaltlich unabschließbaren Rechtssystems gegenüber. Das Problem der metaphysischen Anfangsgründe ist so wesentlich auch ein Problem des Übergangs von apriorischen zu empirischen Systemstücken, von Theorie und Praxis. Dieses Problem liegt aber schon im Rechtsbegriff selbst. Das Recht als Freiheitsbegriff ist eine reine Vernunftidee, besitzt aber nach Kant einen wesentlichen Bezug zur Praxis. Es muß möglich sein, wenn eine reine Rechtslehre nicht ganz widersinnig

erscheinen

soll, den Begriff in der Erfahrung anzuwenden. Das ist, nach den Grundsätzen der theoretischen Vernunft nur möglich durch einen Schematismus, der die Synthese der anschaulichen und begrifflichen Elemente gestattet. Und eine Vernunftidee zu schematisieren ist ebenfalls nur möglich, wenn sowohl dem Begrifflichen wie auch dem Sinnlichen gegenüber etwas Gleichartiges gegeben werden kann. Die synthetische Einheit der Willkür qualifizierte sich zu einem Schema, da sie sich sowohl intellektuell als auch sinnlich bestimmbar erwies. Dieses Schema ist ebenso als Entwurf und damit als Leistung der rechtlich-praktischen Vernunft anzusehen, wie die Rechtsidee und ihre Entfaltung in den Rechtsbegriffen als den Kategorien der gemeinschaftlichen Willkür. Es ist schließlich die Kantische Idee des Rechts selbst, die den hypothetischen Entwurf einer systematischen Verbindung verschiedener vernünftiger Wesen erlaubt, durch gemeinschaftliche Gesetze vom Standpunkt der

1

XXI,

178.

248

Schlußbetrachtung

Zwecke aus. Das so fundierte Rechtssystem kann dann einen formal verbindlichen Rahmen für jede menschliche Ordnung im äusseren Freiheitsspielraum abgeben, in den die verschiedenen gesellschaftlichen Inhalte eingehen können. Die ausgeführte Doktrin als angewandte Einzelwissenschaft unterliegt dann durch die Instanz der Vernunft der ständigen Uberprüfbarkeit. Auf dieser Grundlage ist auch das Ideal der "Verfassung der größten menschlichen Freiheit" keine chimärische Idee mehr, sondern ein Problem für den Verstand, dem Menschen als durch die Vernunft der Spontaneität und Freiheit befähigten Wesens aufgegeben. Der Entwurf einer auf Rechtsprinzipien beruhenden, freiheitlichen Gesellschaftsordnung, nach Kant die höchste Aufgabe der Menschengattung, ergibt sich aus der Denknotwendigkeit einer universalen, rein gesellschaftlichen Rechtsordnung, wie sie Kant am Ende seiner Rechtslehre entwickelt, die jedes Rechtssubjekts verpflichtet, mitzuarbeiten an der möglichen Koexistenz aller. Die aus der reinen Vernunft entspringende Idee einer friedlichen, durchgängigen Gemeinschaft aller Völker auf Erden, beruht auf einer Norm, "die durch die Vernunft a priori von dem Ideal einer rechtlichen Verbindung der Menschen unter öffentlichen Gesetzen überhaupt hergenomo

men werden muß".

Die systematische Verbindung verschiedener vernünftiger Wesen durch gemeinschaftliche Gesetze aber ist eine politische Idee und so zielt die Rechtslehre in der Metaphysik der Sitten eher auf die Politik als auf die Rechtswissenschaft. In ihren letzten Abschnitten findet sich eine a priori aus der Vernunft gewonnene reine Staatstheorie nach Prinzipien des Rechts, die die Prinzipien des äußeren Menschenrechts überhaupt sind. Hier liegt das Problem in der Konkretisierbarkeit des reinen Rechtssystems durch das Medium der Politik, das Kant besonders in seinen Abhandlungen nach 1781 vielfältig thematisiert. Von reinen Rechtsprinzipien, die für sich noch keine Anleitung zum 2 Vi, 355.

Schlußbetrachtung

249

Handeln bieten, müßte der Weg zu politischen Grundsätzen gefunden werden, die im Einklang mit der Moral die legale Form aller öffentlichen Handlungen vorschreiben und damit die Konstitution einer freiheitlichen Gesellschaft ermöglichen. Durch den Einbezug der Empirie, der äußeren Handlungen im Erfahrungsbereich, bleibt das vollständige System des handelnden Menschen nur in Annäherung erreichbar. Da der Anwendungsbereich des formalen Systems in den Bereich der Politik, bzw. des Politikers fällt, kommt beiden in der Kantischen Rechtsphilosophie eine besondere Stellung zu. Vermittels einer ihm zugesprochenen politischen Urteilskraft verbindet der "moralische Politiker"

reine

Rechtsprinzipien und politische Sachzwänge nach dem Grundsatz alles politischen Handelns, wonach den reinen Rechtsprinzipien objektive Realität zukommt, "d.i. sie lassen sich ausführen; und danach müsse auch von Seiten des Volks im Staate und weiterhin von Seiten der Staaten gegen einander gehandelt werden; die empirische Politik mag auch dagegen einwenden, was sie wol3 le". Der Prozeß, in dem Kant die Grundidee seiner Rechts- und politischen Philosophie und ihre Konkretisierbarkeit immer neu zu formulieren sucht, bleibt in seinem Werk letztlich unabgeschlossen. So findet die Kantische Rechtsphilosophie in der Vernunftidee einer friedlichen, durchgängigen Gemeinschaft aller Völker auf Erden als einem rechtlichen Prinzip ihren systematischen Abschluß; und die Idee der sie verwirklichenden Staatsverfassung, welche zugleich absolutes Gebot ist, beruht ebenfalls auf der nach Rechtsbegriffen urteilenden praktischen Vernunft. Im noch auszuführenden, auf die Akte der freien Willkür in ihrem äußeren Gebrauch bezogenen System wird es darum gehen, "von einer Metaphysik

des Rechts

(welche von allen Erfah-

rungsbedingungen abstrahiert) zu einem Grundsatze der

Politik

(welcher diese Begriffe auf Erfahrungsfälle anwendet) und vermittelst dieses zur Auflösung einer Aufgabe der letzteren dem allgemeinen Rechtsprinzip gemäß zu gelangen". Dazu wird der 3

VIII, 380.

Schlußbetrachtung

250 Philosoph

"1) ein Axiom, d.i. einen apodiktisch gewissen Satz, der unmittelbar aus der Definition des äußeren Rechts (Zusammenstimmung der Freiheit eines Jeden mit der Freiheit von Jedermann nach einem allgemeinen Gesetze) hervorgeht, 2) ein Postulat (des äußeren öffentlichen Gesetzes, als vereinigten Willens Aller nach dem Prinzip der Gleichheit, ohne welche keine Freiheit von Jedermann Statt haben würde, 3) ein Problem geben, wie es anzustellen sei, daß in einer noch so großen Gesellschaft dennoch Eintracht nach Prinzipien der Freiheit und Gleichhalt erhalten werde (nämlich vermittelst eines repräsentativen Systems); welches dann ein Grundsatz der Politik sein wird, deren Veranstaltung und Anordnung Dekrete enthalten wird, die, aus der Erfahrungserkenntnis der Menschen gezogen, nur den Mechanism der Rechtsverwaltung, und wie dieser zweckmäßig einzurichten sei, beabsichtigen. - Das Recht muß nie der Politik, wohl aber die Politik jederzeit dem Recht angepaßt werden".

4

VIII,

429.

LITERATURVERZEICHNIS a) Die in der Arbeit zitierten Kantischen Schriften Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels oder Versuch von der Verfassung und dem mechanischen Ursprünge des ganzen Weltgebäudes, nach Newtonischen Grundsätze abgehandelt. Gesammelte Schriften. Hrsg. 1755 von der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften, später: von der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Berlin, Leipzig 1900 ff. = Akademie-Ausgabe Bd. I. Principiorum primorum cognitionis metaphysicae nova dilucidatio. 1755. Akademie-Ausgabe Bd. I. Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen. 17 64. Akademie-Ausgabe Bd. II. Untersuchung über die Deutlichkeit der Grundsätze der natürlichen Theologie und der Moral. 1764. Akademie-Ausgabe Bd. II. Nachricht von der Einrichtung seiner Vorlesungen in dem Winterhalbjahre von 1765 - 1766. Akademie-Ausgabe Bd. II. Träume eines Geistersehes, erläutert durch Träume der Metaphysik. 1766. Akademie-Ausgabe Bd. II. De mundi sensibilis atque intelligibilis forma et principiis. 17 70. Akademie-Ausgabe Bd. II. Kritik der reinen Vernunft. 1. Auflage 1781. Akademie-Ausgabe Bd. IV. Kritik der reinen Vernunft. 2. verb. Auflage 1787. Hrsg. von I. Heidemann, Stuttgart 1966. Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten können. 1783. Akademie-Ausgabe Bd. IV. Grundlegung zur Metaphysik der Sitten. 1785. Akademie-Ausgabe Bd. IV. Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft. 1786. Akademie-Ausgabe Bd. IV. Kritik der praktischen Vernunft. 1788. Akademie-Ausgabe Bd. V.

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KANT-STUDIEN ERGÄNZUNGSHEFTE Im Auftrage der Kant-Gesellschaft in Verbindung mit Ingeborg Heidemann herausgegeben von Gerhard Funke und Joachim Kopper

Inge K r e b s

Paul Natorps Ästhetik Groß-Oktav. XII, 327 Seiten. 1976. Ganzleinen DM 7 2 , ISBN 3 11 006587 8 (Band 109) W e r n e r Busch

Die Entstehung der kritischen Rechtsphilosophie Kants 1762-1780 Groß-Oktav. X, 176 Seiten. 1979. Ganzleinen DM 8 2 , ISBN 3 11 007874 0 (Band 110) Georg Kohler

Geschmacksurteil und ästhetische Erfahrung Beiträge z u r A u s l e g u n g v o n K a n t s „ K r i t i k d e r ästhetischen U r t e i l s k r a f t " Groß-Oktav. XVIII, 381 Seiten. 1980. Ganzleinen DM 8 6 , ISBN 3 11 008019 2 (Band 111) Josef Schmucker

Die Ontotheologie des vorkritischen Kant Groß-Oktav. X, 307 Seiten. 1980. Ganzleinen DM 1 2 0 , ISBN 3 11 008130 X (Band 112) P e t e r Schulthess

Relation und Funktion Eine s y s t e m a t i s c h e u n d entwicklungsgeschichtliche U n t e r s u c h u n g z u r theoretischen P h i l o s o p h i e K a n t s Groß-Oktav. XII, 339 Seiten. 1981. Ganzleinen DM 8 4 , ISBN 3 11 008439 2 (Band 113)

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