Die Vorstellung der Eigenständigkeit in der Rechtswissenschaft: Ein Beitrag zur juristischen Systematik und Terminologie [1 ed.] 9783428416134, 9783428016136


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Die Vorstellung der Eigenständigkeit in der Rechtswissenschaft: Ein Beitrag zur juristischen Systematik und Terminologie [1 ed.]
 9783428416134, 9783428016136

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H E I N Z WAGNER

Die Vorstellung der Eigenständigkeit in der Rechtswissenschaft

Schriften zur

Rechtstheorie

Heft 11

Die Vorstellung der Eigenständigkeit i n der Rechtswissenschaft Ein Beitrag zur juristischen Systematik und Terminologie

Von

Prof. Dr. H e i n z Wagner

D U N C K E R

&

H U M B L O T / B E R L I N

Alle Rechte vorbehalten © 1967 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1967 bei Buchdruckerei Bruno Luck, Berlin 65 Printed in Germany

Inhalt Einleitung

7

Erstes

Kapitel

Bedeutung der Untersuchung

Zweites

9

Kapitel

Die Funktionen dieser Relationsbegriffe

21

1. Abschnitt:

Verknüpfung zwischen zwei Erkenntnisobjekten

21

2. Abschnitt: objekten

Qualifizierung der Beziehung zwischen diesen Erkenntnis-

3. Abschnitt:

Verschiedenartigkeiten dieser Beziehungen

22

4. Abschnitt:

Zweck dieser Qualifizierung

23

22

1. Sigelartige Kurzfassung

23

2. Bündelung der Normen, die das Regime des Rechtsbegriffs ausmachen

24

3. „Eigenständig" u n d „abgeleitet" als Elemente f ü r den Bau eines Systems

24

4. Heuristische F u n k t i o n

25

5. Veranschaulichung unanschaulicher Beziehungen

26

6. Absehen von topischen Erwägungen

28

5. Abschnitt: Exkurs: „Eigen" und „abgeleitet" als Elemente der K o n struktionsjurisprudenz

Drittes

29

Kapitel

Probleme und Gefahren dieser Relationsbegriffe

33

6. Abschnitt:

Ordnungsfolgen nicht stringent beweisbar

33

7. Abschnitt:

Keine Ordnungsfolge erlaubt stringente Schlußfolgerungen

34

Inhalt

6 8. Abschnitt:

V e r w i r r u n g der Ordnungsfolgen

1. Absoluter Gebrauch

35 35

a) Gegenständliche Verabsolutierung

36

b) Inhaltliche Verabsolutierung

37

9. Abschnitt: Gefahren der Veranschaulichung u n d des Absehens von topischen Erwägungen 52 10. Abschnitt:

Mögliche Relationen nicht terminologisch scheidbar

57

11. Abschnitt:

Promiscuierung i n Fußnoten

59

Viertes

Kapitel

Beispiele juristisch-dogmatischer Eigenständigkeit

60

12. Abschnitt: Eigenständigkeit k r a f t ontologischer Begründung, dargestellt an der Frage nach dem Träger der Souveränität

60

13. Abschnitt: Eigenständigkeit k r a f t normativer Regelung, dargestellt am Beispiel der Bundesstaatslehre

67

14. Abschnitt: Eigenständigkeit k r a f t rechtspolitischen Wollens, dargestellt am Beispiel von Gemeinde, europäischen Gemeinschaften u n d Grundrechten 79 1. Dilemma der gegenwärtigen Methodenlehre

79

2. Eigenständigkeit als unangreifbare Rechtsposition

86

3. Eigenständigkeit als unbelastete Rechtsposition

86

4. Eigenständigkeit als Kompetenzquelle

91

Fünftes

Kapitel

Ergebnis: Eigenständigkeit u n d Abgeleitetheit als Konstruktionselemente der Rechtssystematik

93

1. F u n k t i o n dieser Qualifikationen

93

2. Gefahren ihrer Handhabung

95

Literaturverzeichnis

102

Stichwortverzeichnis

103 Hinweis:

Ν verweist auf K a p i t e l u n d Fußnote der vollen Bibliographierung; Ν ohne Kapitelangabe verweist auf Fußnote innerhalb des laufenden Kapitels.

Einleitung Die Rechtswissenschaft muß sich um klare Begriffe bemühen. Für die eigentlichen Rechtsbegriffe — sie mögen Tatbestände präzisieren, Rechtsinstitute bezeichnen oder Rechtsfolgen festsetzen — war dies immer selbstverständlich. Aber juristische Aussagen bestehen nicht nur aus Rechtsbegriffen, sondern sie stellen Sätze, also Beziehungseinheiten dar. I n diesen Sätzen stehen (u. a.) auch Beziehungs- und Beiwörter (Kopula, Relationsbegriffe und Epitheta). Z u den meistgebrauchten juristischen Relationsbegriffen gehören „eigen" und „abgeleitet" nebst ihren Äquivalenten: „eigenständig", „ursprünglich", „originär", „primär", „aus eigenem Recht", „unabgeleitet", „selbständig", „vorstaatlich" und: „delegiert", „übertragen", „nachgeordnet", komplementär", „sekundär", „unselbständig". Deren jeweiliger Sinn ist aber meist ganz unklar. Das mag der folgende Abschnitt zeigen. I m folgenden stehen jeweils „eigenständig" u n d „abgeleitet" f ü r die übrigen mehr oder weniger synonymen Relationsbegriffe. Soweit i n den verschiedenen Materien n u r bestimmte Relationsbegriffe üblich sind, werden diese benutzt.

Da alle Satzteile zusammen eine Beziehungseinheit bilden, nutzen die schärfsten Rechtsbegriffe nichts, wenn die Relationsbegriffe unklar bleiben. Man kann sagen, daß ein Satz nur so klar ist wie sein unklarster Satzteil. Die Theorie der formalen Sprachen hat sich gerade dieser Satzteile angenommen und dabei säkulare Probleme und Antinomien gelöst oder doch richtiger formuliert. Für den semiotisch Vorgebildeten ließe sich das hier erörterte Problem auf wenigen Seiten erschöpfend abhandeln. Die meisten hier gebrachten Beispiele über die Verwendung von „eigen" und „abgeleitet" sind für ihn auf den ersten Blick ersichtlich syntaktisch sinnlose oder bis zur Bedeutungslosigkeit unklare Aussagen. Da aber der Geisteswissenschaftler erfahrungsgemäß die semiotischen Methoden, ihre Terminologie („eigen" und „abgeleitet" müßten danach als „Funktoren" bezeichnet werden) und die nicht ganz vermeidbare Formalisierung (Kalkülisierung) der Sprache scheut, sei das Problem ausschließlich mit herkömmlichen Methoden erörtert. Die Untersuchung beschäftigt sich m i t der Argumentationsmethode, nicht m i t einem bestimmten sachlichen Problem. Die bei dieser Argumentation gebrauchten Vorstellungen der Eigenständigkeit und Abge-

8

Einleitung

leitetheit finden sich i n allen systematischen Wissenschaften. Da i n diesen Wissenschaften, vor allem i n der Philosophie, Erkenntnistheorie und Methodenlehre das Argumentationsproblem oft klarer formulierbar ist, werden mitunter Beispiele aus diesen Bereichen zur Verdeutlichung herangezogen. Eine Denktechnik soll dargestellt werden, die sich auf den verschiedensten Gebieten findet, und die dort ähnliche denktechnische Probleme meistern soll. Sie war daher anhand dieser verschiedenen Materien zu erläutern. Da auf diesen Gebieten aber die sachlichen Probleme verschieden sind, mußten diese Probleme wenigstens andeutungsweise erklärt werden. Betrachtete man die Arbeit nur unter dem Gesichtspunkt der beispielhaft herangezogenen Materien, dann bekommt sie den Anschein des Mancher- und Vielerlei. Aber eine Denktechnik muß nun eben immer anhand sachlicher Probleme dargestellt werden; ist sie derart verbreitet, daß sie sich i n vielen Bereichen findet, dann muß die Darstellung zwangsläufig von mancherlei sprechen. Auch ein Handbuch der Logik spricht etwa von der Sterblichkeit der Menschen, von der Sterblichkeit einiger Philosophen oder von Sokrates, und es spricht von weißen Schwänen und den plötzlich i n Australien gefundenen schwarzen Schwänen und der damit bis dahin als gültig angesehenen Induktion („alle Schwäne sind weiß"); weder soll damit zur Unsterblichkeit Stellung genommen noch eine Biographie Sokrates' noch ein botanisches Handbuch geschrieben werden. Genauso muß die vorliegende Studie von mittelalterlichen Staatstheorien und philosophischen Vorstellungen, vom Bundesstaat und von den europäischen Gemeinschaften, von Grundrechten und vom Völkerrecht sprechen. Aber alle diese Sachprobleme werden ausschließlich der Denktechnik wegen gebracht, und so möchte diese Arbeit gelesen werden.

„Je ne dispute jamais d u n o m pourvu qu'on m'avertisse du sens qu'on l u i donne." (Pascal)

Erstes

Kapitel

Bedeutung der Untersuchung M i t dem Nachlassen des dogmatischen Bemühens hat auch die Argumentation aus der „Eigenständigkeit" (E.) und ihrer meist gleichsinnig gebrauchten Äquivalente scheinbar an Bedeutung verloren. Das zeigt ein Vergleich m i t dem begriffsjuristischen und rechtspositivistischen Schrifttum, vor allem zur Bundesstaatslehre der Jahrhundertwende, das sich heiß bemühte, die E. gewisser Verbände und Rechtspositionen nachzuweisen. Seit die Begriffsjurisprudenz an Kredit verloren hat, strengt sich kaum noch jemand an, die E. zu begründen; allerorten aber w i r d die E. behauptet und hieraus deduziert. Noch immer werden alle nur denkbaren Rechtssubjekte als „eigenständig" begriffen. Individuum, Familie, Gemeinde, Selbstverwaltungskörperschaften aller A r t , Tarifpartner, Verwaltung und Staatsorgane, autonome Provinz und Region, Bundesland, Staat, Europäische Gemeinschaften, Staatenverbindungen aller A r t wie OECD und Vereinte Nationen, alle sind sie „eigenständig", und innerhalb dieser Rechtssubjekte w i r d um die Eigenständigkeit ihrer einzelnen Organe gestritten. Alle diese Rechtspositionen sowie Ausmaß und Schranken ihrer Befugnisse und ihr Verhältnis zu anderen Organen und Rechtssubjekten werden i n den Termini: „eigen", „eigenständig", „ursprünglich", „originär", „primär", „aus eigenem Recht", „unabgeleitet" und: „abgeleitet", „delegiert", „übertragen", „nachgeordnet", „komplementär", „sekundär", erörtert. Was meint aber der Jurist, wenn er einem Rechtssubjekt die Eigenständigkeit zu- oder aberkennt? Die Frage bringt viele, die so argumentieren, in Verlegenheit. Da aber aus dem „eigenständigen" oder „abgeleiteten" Charakter des Rechtssubjekts oder seiner Befugnis wichtige Folgerungen gezogen werden, die Eigenständigkeit also Prämissenqualität genießt, müssen sie sich w o h l irgendetwas dabei denken. Manche Antworten werden auch gegeben; m i t ihnen w i r d die Lage aber geradezu verfahren. Es zeigt sich nämlich, daß i n der Begründung für die

10

Bedeutung der Untersuchung

Eigenständigkeit oder ihrem Wesen kaum zwei Antworten miteinander vereinbar sind. Einige Beispiele zeigen es: Es gehört zu den Riten des deutschen Staatsrechts, die Eigenständigkeit der Länder zu betonen. „Die Länder sind als Glieder des Bundes Staaten mit eigener — wenn auch gegenständlich beschränkter — nicht vom Bund abgeleiteter, sondern von ihm anerkannter staatlicher Hoheitsmacht", heißt es i n Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts 1 . Das gesamte staatsrechtliche Schrifttum könnte für ähnliche Formulierungen zitiert werden 2 . Etwaige K r i t i k e n werden noch immer so erledigt: „Der Begriff der Herrschaft kraft eigenen Rechts (Laband/ Jellinek) ist deshalb noch immer vorzuziehen 3 ." Die Autoren scheinen aber mit diesen Worten recht Verschiedenes zu verbinden. Die einen verstehen die Eigenständigkeit als Synonym zur Souveränität 4 , die anderen bringen Tatsachen aus der deutschen Geschichte5, ein Dritter verweist auf irgendeine ziemlich belanglose normative Detailregelung, etwa auf die selbständige Haushaltswirtschaft der Länder 6 . Bleibt so die Eigenständigkeit i m intersubjektiven Sinne unbegründet, so w i r d sie nichtsdestoweniger sofort zur Prämisse, aus der wichtigste und hochpolitische Folgerungen gezogen werden. Das Bundesverfassungs1 BVerfGE 1. 15 ff. (34); 6. 309 ff. (346 f.); ebenso Badischer Verwaltungsgerichtshof, VerwRspr 4 (1952) S. 201. 2 Statt aller Nachweise sei auf die erschöpfenden Belege von Usteri, Theorie des Bundesstaates (1954) hingewiesen; ferner Harbich, Der Bundesstaat u n d seine Unantastbarkeit (Schriften zum öffentlichen Recht, Bd. 20, 1965) S. 16 A n m . 19; ferner Schlochauer, öffentliches Recht (1957) S.24 I I I . 3 Schindler, Verfassungsrecht u n d soziale S t r u k t u r (3. unveränd. Aufl. 1950) S. 114; auch die neueste Darstellung, die Allgemeine Staatslehre von Krüger, (1964) S. 189 stellt fest: „Die Theorie, die i n der Ursprünglichkeit der Herrschermacht das K r i t e r i u m des Staates sieht, verdient nicht zuletzt deswegen Beachtung, w e i l sie ungeachtet mancher K r i t i k heute noch die deutsche Praxis beherrscht." 4 Maunz-Dürig, Grundgesetz. Kommentar, A r t . 20 Ziff. 5: „ A u f dem i h m zustehenden Aufgabengebiet hat jeder Staat (Zentralstaat oder Gliedstaat) die höchste unabgeleitete Staatsgewalt (Souveränität)"; ebenso Maunz, Deutsches Staatsrecht (15. Aufl. 1966) S. 180; ähnlich Dennewitz, Bonner K o m m e n tar, A r t . 3 1 I I l a : „ B u n d u n d Länder müssen . . . souverän sein u n d daher originär Recht setzen können (Prinzip der geteilten Souveränität)"; so praktisch Harbich (N. 2) S. 18 f. N u r erwähnt sei, daß die Lehre der geteilten Souveränität seit v. Seydel (Nachweise s. u. Ν . I V 40) als endgültig widerlegt gilt (s. etwa Laband, Staatsrecht des Deutschen Reiches, Bd. 1, 5. A u f l . 1911, S. 62) u n d sonst von keiner Seite vertreten w i r d . 5 Vertragliche Reichsgründung 1871 durch die deutschen Staaten. « Wernicke , Bonner Kommentar, A r t . 20 I I l b : „Die Ursprünglichkeit (Eigenständigkeit) (seil, der deutschen Länder) steht außer Frage. V o r allem ihre Verfassungsautonomie u n d selbständige Haushaltswirtschaft w i e auch ihre aktive Relation zum Ganzen, d. i. i m wesentlichen ihre Beteiligung an der Willensbildung des Bundes . . . lassen ihre Herrschaftsgewalt nicht als „abgeleitet" erscheinen."

Bedeutung der Untersuchung gericht hat daraus gefolgert, daß der Bund nicht i n die Gestaltung der verfassungsmäßigen Ordnung der Länder eingreifen und nicht durch Bundesgesetz deren Wahlperioden verlängern könne 7 . Derartige Bundesgesetze seien verfassungswidrig. I m Konkordatsurteil wurde ein Bundesland u. a. m i t diesem Argument von den Verpflichtungen eines die Bundesrepublik bindenden Konkordats entbunden 8 . Auch nichtstaatliche Verbände sollen eigenständig sein. Die Diskussion u m die Eigenständigkeit der Gemeinde 9 und um die Qualität ihrer Satzungen und Rechtssetzungsakte als originärer oder abgeleiteter Rechtsquellen 10 nahm zeitweise den Charakter von Glaubensbekenntnissen an. Für die einen ist die Gemeindegewalt ursprünglich, originär, eigenständig, ein dem natürlichen oder eigenen Wirkungskreis entspringendes Recht, das nicht von der Staatsgewalt abgeleitet, übertragen, delegiert, sondern vom Staat vorgefunden und höchstens anerkannt oder sanktioniert sei. Dem steht die Lehre von der abgeleiteten, staatlich verliehenen Gemeindegewalt gegenüber. Das Schrifttum pflegt die Autoren dementsprechend tabellarisch gegenüberzustellen; jede Ansicht kann beliebig lange Listen von Autoren für sich buchen. Auch für andere verselbständigte Verwaltungseinheiten wie öffentlich-rechtliche Verbände 11 , für Wirtschaftsverbände 12 und sonstige Verbände aller A r t w i r d die Eigenständigkeit erörtert. Sachlich soll es i n diesem Streit um Inhalt und Grenzen der Gemeindegewalt und die damit verbundenen Einzelfragen gehen, vor 7 BVerfGE 1. 15 ff. (34). 8 BVerfGE 6. 309 ff. (346 f.). 9 Für die Eigenständigkeit: Verfassungsgerichtshof v o n Rheinland-Pfalz (Rhpf Verwaltungsblatt 1948 S.221; GVB1 1948 S.243): das gemeindliche Selbstverwaltungsrecht ist „ein eigenes und natürliches Recht der Gemeinden neben u n d gegenüber dem Staatsverwaltungsrecht"; ähnlich: Bayerischer Verfassungsgerichtshof, V G H E 2. 143 ff. (163); gegen die Eigenständigkeit: BVerfGE 1. 91 ff. (94); Badischer Verwaltungsgerichtshof (N. 1); Harbich (N. 2) S. 16 u n d Anmerkungen; älteres Schrifttum f ü r u n d gegen die Eigenständigkeit bei Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts (9. Aufl. 1966) S. 441 A . 4; neueres Schrifttum bei Hamann, Autonome Satzungen u n d V e r fassungsrecht (1958) S. 18 ff. u n d Lohr, Satzungsgewalt u n d Staatsaufsicht (1963) S. 41 ff., insbes. S. 49 A n m . 74; neueste Darstellung: Gönnenwein, Gemeinderecht (1963) S. 44 f. 10 Nachweise bei Forsthoff, (N. 9) S. 446; Hamann (N. 9); Gönnenwein (N. 9) S. 145; Peters, Lehrbuch der V e r w a l t u n g (1949) S. 264 f.; Klein, i n : Die Ü b e r tragung rechtsetzender Gewalt i m Rechtsstaat (hrsg. v. Genzer u n d Einbeck, 1952) S. 109; Fleiner, Institutionen des Deutschen Verwaltungsrechts (8. A u f l . 1928) S. 80 Lohr (N. 9) S. 39 f.: „ . . . autonome Satzungsgewalt (ist) ein eigenes subjektiv-öffentliches Recht zur selbständigen, d. h. nicht unmittelbar v o m Staat abhängigen Gesetzgebung f ü r den eigenen Wirkungsbereich." 11 s. etwa die Schriften von Linckelmann (Ν. 127). 12 E. R. Huber, Selbstverwaltung der Wirtschaft (1958) S.40; ders., W i r t schaftsverwaltungsrecht, Bd. 1 (2. A u f l . 1953) S. 110.

12

Bedeutung der Untersuchung

allem um das Ausmaß der Staatsaufsicht (Fach- oder Rechtsaufsicht) und um die Weisungsbefugnis. Aber die detaillierte Regelung des geltenden Rechts nimmt dem Theorienstreit jede Bedeutung. Auch die Anhänger der eigenständigen Gemeindegewalt räumen ein, daß Bereich und Schranken der Gemeindeautonomie von der staatlichen Gesetzgebung bestimmt werden 1 3 . Der Staat kann stets auf die Organisation der Selbstverwaltungsverbände durch und nach Maßgabe der Gesetze einwirken; dies gilt für die Verleihung der Rechtsfähigkeit oder der Eigenschaft einer Körperschaft des öffentlichen Rechts, für den Einfluß auf die Verbandssatzung und die Organbestellung, für die Abgrenzung der Kompetenzen und Verleihung hoheitlicher Befugnisse, für die Normierung der Rechte und Pflichten der Verbandsmitglieder, für die Regelung der Staatsaufsicht. Heute nehmen diese Körperschaften i n steigendem Maße auch noch Auftragsangelegenheiten wahr 1 4 . Rechtstechnisch unterscheiden sich beide vor allem darin, daß die Selbstverwaltungsangelegenheiten nur der Rechtsaufsicht, die Auftragsangelegenheiten auch der Fachaufsicht und damit der Weisung unterliegen. Nun mag man erstere als eigene, letztere als übertragene Aufgaben bezeichnen 15 ; m i t diesem synonymen Verständnis würde kein Streit aufkommen. Aber die Vertreter der Eigenständigkeit bestehen auf irgendeinem prinzipiellen oder substantiellen Unterschiede, den sie aber niemals nachweisen konnten. Die vorgebrachten Gründe sind i n der Tat verwirrend. Nach naturrechtlichen und genossenschaftlichen Gedankengängen sollen Gemeinde und sonstige organisierte Verbände kraft Wesens Herrschaftsgewalt über ihre Mitglieder haben. Diese originäre Gewalt sei ihnen von Natur aus angeboren, durch Vernunft gegeben, resultiere aus ihrer Natur 1 6 . Diese vornehmlich von der organischen Staatslehre entwickelte Auffassung w i r d neuerdings noch von dem Subsidiaritätsprinzip gestützt 17 ; Selbstverwaltungskörperschaf ten und « Fleiner (N. 10) S.79; Huber, Selbstverwaltung (N. 12) S.40. Die weiteren kommunalrechtlichen Unterscheidungen mögen hier u n berücksichtigt bleiben, vgl. etwa Gönnenwein (N. 9). is Gönnenwein (N. 9) S. 173. 16 Gierke , Das Deutsche Genossenschaftsrecht, Bd. 1 (1868, 1954) S. 744ff.; ders., Deutsches Privatrecht, Bd. 1 (1936) S. 142 ff.; Preuss, Gemeinde, Staat, Reich als Gebietskörperschaften (1889); weitere Nachweise bei Lohr (N. 9) S. 41. 17 Grundlegend zum Subsidiaritätsprinzip m i t erschöpfenden Nachweisen: Herzog, Subsidiaritätsprinzip und Staatsverfassung, i n : Der Staat, 1963, S. 399 ff.; Beispiele i n juristischer L i t e r a t u r etwa: v. Nell-Breuning, Staatsl e x i k o n (Herder), Bd. 7 (1962) S. 826 ff.; i m Staatsrecht: Krüger (N. 3) S. 772 ff. (Nachweise); ferner: Süsterhenn-Schäfer, Kommentar der Verfassung für Rheinland-Pfalz (1950) S. 218 f.; Süsterhenn, Das Subsidiaritätsprinzip als Grundlage der vertikalen Gewaltenteilung, Festschrift f ü r Nawiasky (1956) S. 141 ff.; Spreng-Birn-Feuchte, Die Verfassung des Landes Baden-Württemberg (1954), S. 241; Boehme, Recht, Staat u n d Wirtschaft, Bd. 1 S. 114.

Bedeutung der Untersuchung Wirtschaftsverbände berufen sich darauf. Daneben finden sich historisierende Argumente. I n unzähligen Wendungen heißt es, die Gemeinde sei „älter als der Staat", als natürliche Lebensgemeinschaft älter als dieser, daher vorstaatlich und von i h m vorgefunden und anerkannt 1 8 . Dieses Argument erhielt nach 1945 neuen Auftrieb, da der Wiederaufbau unseres Staatslebens zunächst auf lokaler Ebene begann 19 . Sie zwingt die Gegenmeinung zu dem leicht zu führenden Nachweis, daß viele Gemeinden ihre Existenz gerade einem staatlichen Schöpfungsakt verdanken 20 . Die Argumentation artet zwangsläufig i n Heimatforschung aus, wenn etwa die Ursprünglichkeit der nach 1919 aus den ostelbischen Gutsbesitzen hervorgegangenen Gemeinden erörtert w i r d 2 1 . Das zeigt, auf welch abwegige Ebene beide Ansichten geraten, wenn auf rechtsdogmatischer Ebene historisierende Argumente überhaupt nur zugelassen werden. Andere berufen sich auf normative Formulierungen, etwa auf A r t . 11 der bayerischen Verfassung, i n dem die Gemeinden als „ursprüngliche Gebietskörperschaften des öffentlichen Rechts" bezeichnet werden 2 2 . Während die einen diese Formulierung für vorbildlich halten 2 3 , W. Weber 2 4 meint, damit habe der „bayerische Verfassungsgesetzgeber i n einem alten und übrigens ziemlich müßigen; Theorienstreit ein Bekenntnis abgelegt, nicht mehr und nicht weniger", sieht Harbich darin die historische Aussage, daß die Gemeinde i n der Regel alter sei als der Staat 2 5 . « Nachweise: Lohr , (N.9) S.41ff. i» BadVerwGH, Verw.Rspr. 4. 201; V e r f G H v o n Rheinland-Pfalz, Rhpf. Verw. Bl., 1948, S.222; Eibl, Bayer. Bürgermeister, 1949, S. 178; David, Die Satzungsgewalt der Gemeinden i n Nordrhein-Westfalen, (Diss. Münster 1949) S. 24 (2. Aufl. 1961). 20 Peters, Grenzen der kommunalen Selbstverwaltung i n Preußen (1926) S. 22 f.; Nawiasky-Leusser-Schweiger-Zacher, Die Verfassung des Freistaates Bayern (1964) A r t . 11 Rdn. 4. Hamann (N. 9) S. 21, läßt dahingestellt, ob die Gemeinden ursprüngliche Gebietskörperschaften seien, „was zumindest bezüglich der aus früheren „Gutsbezirken" nach 1918 gebildeten Gemeinden i m vormaligen Preussen durchaus problematisch erscheinen muß." 22 Nachweise bei Lohr (N. 9) S. 43. Ebenso lautet A r t . 1 der bayerischen Gemeindeordnung; ferner E n t w u r f zur Verfassung v. Rheinland-Pfalz: „Die Gemeinden und Gemeindeverbände haben ein natürliches Recht auf Selbstverwaltung. Das Selbstverwaltungsrecht ist nicht v o m Staate abgeleitet." (zit. nach Lohr, S. 43 A 24). 23 Imboden, Gemeindeautonomie u n d Rechtsstaat, i n : Demokratie u n d Rechtsstaat, Festschrift f ü r Giacometti (1953) S. 91 A . 6; Gebhard, Die Gemeindeordnung f ü r den Freistaat Bayern v o m 25. Januar 1952, i n : V e r fassung u n d Verwaltung i n Theorie u n d Wirklichkeit, Festschrift f ü r Laforet (1952) S. 377 ff. (385). Staats- und Selbstverwaltung i n der Gegenwart (1953) S. 53. 2 ® (N. 2) S. 16, und: „Keineswegs k a n n damit die Originalität i. S. der U n abgeleitetheit der Staatsgewalt gemeint sein."

14

Bedeutung der Untersuchung

Wie sinnlos-zirkulär die Argumentation werden kann, zeige ein einziger Satz: ob die Gemeinde eine ursprüngliche Gebietskörperschaft sei oder nicht, könne dahingestellt bleiben; jedenfalls gebe es i m Bereiche des GG keine „eigenständige, originäre, d. h. nicht vom staatlichen Gesetz abgeleitete Normsetzungsgewalt: Den . . . Selbstverwaltungsorganen fehlt die hierzu begriffsnotwendige Ursprünglichkeit" 2 6 . Damit ist die A r m u t aus der Povertät begründet. I n diese Kontroverse w i r d auch der Rechtsbegriff der „mittelbaren Staatsverwaltung" gerissen 27 . Der Begriff erlaubt, alle nicht zur unmittelbaren Staatsverwaltung gehörenden und rechtlich verselbständigten Verwaltungsträger gemeinsam zu betrachten. Die Anhänger der Eigenständigkeit derartiger Verbände wollen die Selbstverwaltung nicht zur mittelbaren Staatsverwaltung rechnen, w e i l es keine übertragene Staatsverwaltung, sondern eigene Verwaltung sei. Auch innerhalb des staatsrechtlichen Aufbaus w i r d das Verhältnis seiner Gewalten sowie Stellung und Befugnisse seiner Organe i n diesen Termini erörtert. Man denke an die Diskussion u m die E. der Verwaltung, wobei es u m die selbständige Normsetzungsbefugnis der Verwaltung, u m Handeln ohne spezielle gesetzliche Ermächtigung und um die Nachprüfungsbefugnis der Gerichte geht 28 . Noch heute gilt der Satz Labands, die selbständige Normsetzungsbefugnis i m Gegensatz zur abgeleiteten, delegierten Rechtsquelle bedeute, daß nur der originäre Inhaber kraft eigenen Rechts Gesetzesgewalt habe 29 . Daß hierbei manche Tautologien einfließen, ist offensichtlich; noch deutlicher etwa i n dem Satz: „Dort, wo sie (sc. die Verwaltung) eigene Aufgaben erfüllt, ist sie eigenständig 80 ." 26

Autonome Satzungen, (N. 9) S. 21. Z u m Begriff m i t Nachweisen: Forsthoff, (N. 9) S. 436 ff. (4441); Z u r Diskussion u m Eigenständigkeit u n d mittelbare Staatsverwaltung vgl. die Kontroverse zwischen Rietdorf, Z u m staatsrechtlichen Lehrbegriff der „ m i t Zum telbaren Staatsverwaltung", D Ö V 12 (1959) S. 671 ff., u n d Linckelmann, staatsrechtlichen Lehrbegriff der „mittelbaren Staatsverwaltung", ebenda, S. 561 ff.; nochmals: Z u m staatsrechtlichen Lehrbegriff der „mittelbaren Staatsverwaltung", ebenda, S. 813 ff.; Z u r Eigenart u n d Weiterentwicklung der wasserwirtschaftlichen Selbstverwaltung (o. J.). 27

28 Peters, Die V e r w a l t u n g als eigenständige Staatsgewalt (1965) s. ferner: Kaufmann, Erich: A r t . Verwaltung, Verwaltungsrecht, i n : Wörterbuch des Deutschen Staats- u n d Verwaltungsrechts (Stengel-Fleischmann, 2. Aufl., Tübingen 1914) Bd. 3 S. 688 ff.; jetzt i n : Gesammelte Schriften (1960) Bd. 1: A u t o r i t ä t u n d Freiheit, S. 91 f.

2» Laband, S. 11 f.

Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, 5. Aufl., Bd. 2 (1911)

30 Winkler, geändert).

W D S T R L , Heft 24, Diskussion (in der Veröffentlichung leicht

Bedeutung der Untersuchung Als eigenständig w i r d auch die Kirchenrechtsordnung bezeichnet 31 . Theoretisch geht es u m das systematische Verhältnis zwischen Staatsund Kirchenrecht; sachlich geht es um die kirchliche Autonomie (Satzungsgewalt, Verwaltungs- und Personalhoheit, Freiheit von staatlicher Aufsicht und staatlichen Gerichten; noch nicht völlig geklärt ist die Wirkung der Grundrechte und z.T. der Rechtsschutz durch staatliche Gerichte i m kirchlichen Bereich). Strittig ist, ob das gemäß A r t . 137 Abs. 3 S. 1 Weimarer Verfassung i m Rahmen „des für alle geltenden Gesetzes" staatliche Recht insoweit i m kirchlichen Bereich gilt, als es unter den Begriff des für alle geltenden Rechts fällt 3 2 . Man kann darin eine Verpflichtung der Kirche sehen, durch eigene Rechtsetzung die grundlegenden Normen unserer Rechtsordnimg i n ihrem Bereich zu verwirklichen oder eine unmittelbare Geltung annehmen. Auch hier ist wieder die verbale Verwirrung festzustellen. Während der B G H die Kirche als eigenständig und dem Staate eingegliedert bezeichnet 33 , sieht Hamann das Kirchenrecht als originär, nicht vom Staate abgeleitet und nicht dem Staate eingegliedert an 3 4 . Andererseits heißt es auf der folgenden Seite, das heutige Kirchenrecht werde vom Problem der Einordnung der Kirchen i n den Staat beherrscht. Nicht nur Träger hoheitlicher Gewalt und ihre Befugnisse sollen eigenständig sein, sondern auch Familie und Individuum. Der Eigenständigkeit und Vorstaatlichkeit der Grundrechte werden geradezu Elegien geschrieben. Es genügt, an die „Vorstaatlichkeit des Eigentumsrechts" zu erinnern 3 5 . Meist werden zur Begründung die naturrechtlichen Vorstellungen von den angeborenen, unzerstörbaren und vorstaatlichen Rechten des Individuums bemüht; auch historisierende A r gumente finden sich. Nun hat die K r i t i k von der Idee vorstaatlicher Rechtspositionen, genauer: vorgesellschaftlichei Positionen, die nur als gesellschaftliche Beziehungen begriffen werden können, wenig übrig gelassen, und die Berufung auf die Vorstaatlichkeit w i r k t i n Diskussionen um moderne Fragen eher komisch als überzeugend 36 . 31 B G H Z 12. 321 ff. (323); O L G Schleswig, DVB1 55, S. 675, A n m . Tietgen; Hesse, Rechtsschutz durch staatliche Gerichte i m kirchlichen Bereich (1956) z.B. S. 55, 78, 119; W. Weber-Peters, W D S T R L 11 (1954) S. 153 ff., 177 ff.; Hamann, Das GG f ü r die B R D v. 23. M a i 1949. E i n Kommentar f ü r Wissenschaft u n d Praxis (2. Aufl. 1961) S. 495 ff. (Nachweise); Krüger, Herbert: Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht 6 (1957) S. 72 ff., 79. (Rezension von Hesse). 32 s. Hesse (N. 31) S. 71 ff. 33 B G H Z 12. 321 ff. (323). 34 N. 31 S. 496. 35 Z u m vorstaatlichen Eigentumsrecht: BadVerwGH, VerwRspr. 1. 379, 387; Bayer. VerfGH, VerwRspr. 1. 387; Wintrich, Recht, Staat, Wirtschaft, Bd. 4 S. 145; Wolff, Gedächtnisschrift f ü r Jellinek (1955) S. 35 zu A . 13. 36 z . B . i m „Streit u m die private Tonbandaufnahme" (Löffler, N J W 1962 S. 996) : „Heute ist . . . das geistige Eigentum nicht ein dem Urheber v o m

16

Bedeutung der Untersuchung

Andererseits w i r d die Qualifizierung als eigenständig oder abgeleitet keineswegs nur als epitheton ornans oder als theoretisches Systemstreben empfunden. Wer die E. einem Rechtsträger zu- oder abspricht, setzt sich schnell der K r i t i k aus, er nehme es nicht so genau m i t dem Rechtsstaat, er sei totalitär. So heißt es, die Ableitung der Gemeindegewalt vom Staate entspringe einem machtstaatlichen Denken und sei m i t einem demokratischen Rechtsstaat unvereinbar 3 7 . Wäre der Vorw u r f nicht unsinnig, dann wäre die herrschende Lehre der westeuropäischen Staaten machtstaatlichem Denken verhaftet und m i t dem Rechtsstaat unvereinbar. Umgekehrt soll es m i t der Nichtableitung der Gewalt der Verwaltung sein: „Ursprüngliche, eigene Regelungsgewalt" (der Verwaltung) ist immer das Kennzeichen des totalitären Staates. I m Rechtsstaat ist sie immer abgeleitete Normsetzungsgewalt 38 ." Träfe der Vorwurf zu, würden w i r i n einem totalitären Staat leben — oder w i r müßten schnell irgendeine weitreichende Delegationsnorm i n das GG hineininterpretieren. Umgekehrt sagt Imboden, der w o h l kaum totalitärer Neigungen verdächtig ist, „die Behörden vermöchten nicht zu befehlen, wenn sie sich nicht auf eigene Autorität zu stützen vermöchten" 39 . Die Argumentation ließe sich ebenso i m ausländischen Schrifttum nachweisen. I n allen Bundesstaaten w i r d so u m das Verhältnis von Bund und Gliedstaaten argumentiert, wenn auch die Begriffe gegenüber der deutschen Lehre seltsam vertauscht erscheinen. Denn das US-Schrifttum betont gerade den abgeleiteten Charakter der Bundesgewalt, deren Befugnisse nur „granted" seien 40 . Die Rechtsvergleichung gerät dann i n gewisse terminologische Schwierigkeiten, etwa wenn sie die Frage der implied powers erörtert, die zwar der abgeleiteten amerikanischen Bundesgewalt zustehen, nicht aber der ursprünglichen deutschen Bundesgewalt 41 . Ähnlich ist die Argumentation in gegliederten Einheitsstaaten. Das gesamte staatsrechliche Schrifttum Italiens erörtert die Stellung der Regionen und Provinzen und ihr Verhältnis zum Gesamtstaat i n diesen Termini 4 2 . Für die französische Diskussion u m die Rechtsstellung der Gemeinde und die Befugnisse des BürgerStaat nach Gutdünken verliehenes Privileg, sondern ein vorstaatliches M e n schenrecht." 37 Nachweise bei Lohr (N. 9) S. 45. 38 v. d. Heydte (N. 30), S. 218 (in der Veröffentlichung leicht geändert). 39 Die Staatsformen (1959) S. 60/61; ebenso Wolff , Verwaltungsrecht, Bd. 2 (1962) § 7 6 I d 8 : „ A l s Organe müssen die Behörden eigenständig sein." 40 s. das Schrifttum zu A r t . I Section der US-Verfassung. 41 Nachweise bei Maunz-Dürig (N. 4) A r t . 70 Ziff. 25 ff. (31). 42 So Italien f ü r die Autonomie der Provinzen u n d Regionen, vgl. MonacoCansacchi, L a Costituzione Italiana (8. Aufl. 1959) S. 67 u n d 70; propria postesta legislativa, aber Unterschied zu „selbständig"; Giannini , Autonomia

Bedeutung der Untersuchung meisters lassen sich die A r g u m e n t e aus d e r E. i n gleicher M a n n i g f a l t i g k e i t nachweisen w i e f ü r

Deutschland43.

F ü r das Völkerrecht sei a n d i e G r u n d l a g e n d i s k u s s i o n u n d den T h e o rienstreit u m Monismus u n d Dualismus erinnert 44. Auch hier w i r d erö r t e r t , ob sich die S t a a t s g e w a l t v o m V ö l k e r r e c h t ableitet, d e l e g i e r t ist, oder ob sie als e i g e n s t ä n d i g u n d o r i g i n ä r k o n z i p i e r t sein m u ß . D e r seit e i n e m h a l b e n J a h r h u n d e r t w ä h r e n d e S t r e i t k l i n g t m e h r i n f o l g e E r m a t t u n g ab, als daß er entschieden w ä r e . N a c h w i e v o r w e r d e n u n v e r e i n b a r e A r g u m e n t e f ü r oder gegen die A b l e i t u n g der Staatsgewalt v o m Völkerrecht vorgebracht u n d w e r d e n alle n u r denkbaren F o l g e r u n g e n gezogen. F r ö h l i c h e U r s t ä n d f e i e r t die A r g u m e n t a t i o n i m Recht d e r Europäischen Gemeinschaften 45. D i e N a t u r dieser R e c h t s o r d n u n g 4 6 , i h r e r O r 47 gane u n d ihrer Hoheitsgewalt48, Ausmaß u n d Grenzen ihrer Befugnisse, F r e i h e i t u n d B i n d u n g gegenüber V ö l k e r - u n d staatsrechtlichen

pubblica i n : Enciclopedia del diritto; G. Balladore, 5. Aufl. 1957, S. 299 A . 1; Pallieri , D i r i t t o cost., S. 301, A. 1; Paladin , L a potestà legislativa regionale (1958); L a nuova Costituzione Italiana (Turin, 4. A u f l . 1951). 43 Vollständigste Darstellung bei Carré de Malberg, Contribution à la Théorie générale de l'Etat, Bd. 1 (1920, 1962) S. 179 ff. 44 Z u m Folgenden: Wagner, Monismus u n d Dualismus: eine methodenkritische Betrachtung zum Theorienstreit, AöR 89 (1964) S. 212 ff.; vgl. ferner die Diskussion u m die Staatensukzession, Kap. I V Abschnitt 14, Ziff. 3, T e x t zu A n m . 101 ff. 45 Ausführliche Darstellung der sachlichen Problematik i n : Wagner, Beschlußrecht, S.97ff.; 257 ff. 46 Statt aller m i t ausführlichen Nachweisen Schlochauer, Das Verhältnis des Rechts der EWG zu den nationalen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten, A V G 11 (1963/64) S. 1 ff., 2 f.: „Hieraus folgt, daß internationale Organisationen oder Behörden, die zwar von ihren Mitgliedern weitgehend unabhängig, aber nicht m i t eigenen . . . Hoheitsrechten ausgestattet sind, keine Supranationalität besitzen. Nach dem gegenwärtigen Stand des internationalen Organisationsrechtes können n u r die . . . Europäischen Gemeinschaften . . . als supranationale Organisationen bezeichnet werden." Gemeinschaftsordnung nicht ableitbar, also Norm-Setzungsbefugnis aus eigenem Recht; z. B. Ophüls, Juristische Grundgedanken des Schumanplans, Neue Juristische Wochenschrift 1951, S. 289: Es handle sich u m eine „ m i t eigener Hoheit ausgestattete supranationale Gemeinschaft", die sich so von einem „internationalen Verband m i t gemeinsamen Organen" unterscheide. Neuester Versuch einer Argumentation aus der Eigenständigkeit der Gemeinschaften: Ophüls, Staatshoheit u n d Gemeinschaftshoheit. Wandlungen des Souveränitätsbegriffs, i n : Recht i m Wandel, Festschrift Carl Heymanns Verlag, 1965, S. 519 ff. (547 ff.). 47 Z u r Lehre von den „eigenen" u n d „gemeinsamen" Organen s. Wagner, Beschlußrecht, S. 150 ff. 48 Nahezu alle Autoren sprechen von eigener, originärer, nicht-abgeleiteter Hoheitsgewalt; a. A. Friauf, Die Notwendigkeit einer verfassungskonformen Auslegung i m Recht der westeuropäischen Gemeinschaften, AöR 85 (1960) S. 226 f.: Die hoheitliche Gewalt leite sich von der mitgliedstaatlichen Gewalt 2 Wagner

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Bedeutung der Untersuchung

Schranken w e r d e n i n diesen T e r m i n i e r ö r t e r t . D i e E i g e n s t ä n d i g k e i t u n d U n a b g e l e i t e t h e i t dieser Rechtsordnung, der G e m e i n s c h a f t s g e w a l t u n d der Gemeinschaftsorgane unterscheide die s u p r a n a t i o n a l e G e m e i n schaft v o n der i n t e r n a t i o n a l e n O r g a n i s a t i o n , die k e i n e eigene Rechtso r d n u n g , sondern n u r e i n B ü n d e l v e r t r a g l i c h e r B e z i e h u n g e n d a r s t e l l e 4 9 . W e i l die Gemeinschaften o r i g i n ä r seien, u n t e r l ä g e n sie w e d e r d e n B i n d u n g e n der M e n s c h e n r e c h t s k o n v e n t i o n 5 0 noch den n a t i o n a l e n V e r fassungsschranken 5 1 . V o r a l l e m gelte die G r u n d r e c h t s b i n d u n g n i c h t f ü r s i e 5 2 ; w e i l die R e c h t s o r d n u n g der Gemeinschaften e i g e n s t ä n d i g sei, d e r o g i e r t e n N o r m e n auch i m i n n e r s t a a t l i c h e n B e r e i c h entgegenstehendes R e c h t 5 3 . W e i l es sich u m eigene R e c h t s o r d n u n g e n h a n d l e , seien die Gemeinschaften n i c h t m e h r d u r c h actus c o n t r a r i u s auflösbar; ebensow e n i g k ö n n t e n die M i t g l i e d s t a a t e n u n t e r e i n a n d e r noch A b k o m m e n ü b e r M a t e r i e n abschließen, die d e n V e r t r ä g e n u n t e r l i e g e n oder sonstige v e r t r a g s w i d r i g e Beschlüsse fassen 5 4 . W e i l H o h e B e h ö r d e u n d K o m m i s ab. Sie beruhe nicht auf einem vorrechtlichen originären Erwerbstatbestand, sondern leite sich aus dem Abschluß der Verträge zwischen den M i t g l i e d staaten als dem Gründungsakt ab; ebenso Wolff , Verwaltungsrecht, Bd. 1 (6. Aufl. 1965) S. 27 (ohne Begründung). 49 s. Zitat Schlochauer (N. 46). 50 G. Erler, Das GG und die öffentliche Gewalt internationaler Staatengemeinschaften, V V D S T R L 18 (1960) S. 7 ff., S. 83 (Aussprache); ein verblüffendes Ergebnis: Außerkraftsetzung des Völkervertragsrechts durch Z u sammenschluß. Thieme, Das GG . . . (wie N. 50) S. 53; a. A. Friauf, Die Staatenvertretung i n supranationalen Gemeinschaften (1960) S. 96: w e i l der Ministerrat nicht Träger einer „originären Gesetzgebungsgewalt" sei, sei er i n seinen Beschlüssen an die Verträge und die nationalen Verfassungsbestimmungen gebunden. 52 Z . B . Schule, Grenzen der Klagebefugnis vor dem G H der Montanunion, ZaöRV 16 (1955—56) S. 227 ff., 235 ff. (243 f.): „ . . . ist die neue Rechtsordnung eigenständiger, rechtlich originärer Natur. Sie braucht u n d k a n n infolgedessen i n ihren Einzelheiten nicht mehr dieselben Merkmale aufweisen, wie sie die nationalen Rechtsordnungen gezeigt haben." „Die i n den Staatsverfassungen verbürgten Grundrechte w i r k e n nicht gegenüber den Gemeinschaftsinstanzen." Kaiser, Z u r gegenwärtigen Differenzierung von Recht und Staat; Staatstheoretische Lehren der Integration, österreichische Zeitschrift für öffentliches Recht, Bd. 10 (1960) S. 413 ff. (420). Die Gemeinschaften „erweisen ihre rechtliche Eigenständigkeit, w o immer sie sich über eine Verfassungsordnung der Mitgliedstaaten u n d ihren Anspruch auf souveräne Geltung hinwegsetzen". 53 „Aus der Eigenständigkeit des Rechts der Montangemeinschaft ergibt sich . . . der (innerstaatliche, der Verfasser) Vorrang vor dem einzelstaatlichen Recht der Mitgliedsstaaten. Eine ausdrückliche Bestimmung hierüber, so etwa wie sie vergleichsweise i n A r t . 31 des Bonner GG enthalten ist, fehlt zwar i m Vertrage. Dieser Vorrang ergibt sich jedoch unmittelbar aus dem Gründungsakt der Gemeinschaft", Much, Die Amtshaftung i m Recht der EGKS (1952) S. 22; Ophüls (N.46). s 4 Dazu ausführlich m i t Nachweisen: Wagner, Beschlußrecht, S. 97 ff.; vgl. etwa: Much (N. 53): „Die Ausübung hoheitlicher Gewalt durch ihre Organe erfolgt ausschließlich ex iure proprie. Keine Entscheidung . . . der H B . . .

Bedeutung der Untersuchung

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sion eigene und ursprüngliche Normsetzungsgewalt besäßen, könnten die Räte weder Angelegenheiten dieser Organe evozieren noch ihre Beschlüsse anstelle der Kommissionsbeschlüsse setzen 55 . Die Frage nach der eigenen und ursprünglichen Normsetzungsgewalt verquickt sich schließlich mit der Frage, ob die Beschlüsse als Gesetze oder als Verordnungen zu qualifizieren seien, weil Gesetzesgewalt ursprüngliche Gewalt, Verordnungsgewalt abgeleitete Normsetzungsbefugnis sei 56 . Sachlich geht es hierbei um das Ausmaß der Normsetzungsbefugnis. Eine eigenständige Normsetzungsgewalt soll sich allein aus der Aufgabe der Gemeinschaften ergeben und keines Nachweises bedürfen; abgeleitete Normsetzungsbefugnis soll auf den delegierten Raum beschränkt sein. Terminologisch herrscht hier eine ziemliche Verwirrung, weil der eine Autor etwa den Organen eine originäre Rechtsetzungsbefugnis zugesteht, die aber jeweils einer speziellen Ermächtigungsnorm bedürfe, i n obigen Termini also nicht selbständig ist 5 7 , der andere Autor originäre und selbständige Rechtsetzungsbefugnis verneint, jedoch i n Art. 155 VEWG eine Ermächtigungsnorm für die Kommission zur Durchführung des Vertrages sieht, i m Ergebnis also doch zu einer selbständigen Normsetzungsbefugnis gelangt 58 . Es scheint also Träger eigener (ursprünglicher) Hoheitsgewalt und Träger abgeleiteter Gewalt zu geben 59 . Ebenso scheint es eigene und abgeleitete nichthoheitliche Rechte zu geben. Die Anhänger der einen oder anderen Ansicht werden mitunter des Totalitarismus verdächtigt kann durch einen übereinstimmenden Beschluß aller Mitgliedstaaten aufgehoben werden (S. 15)." 55 Falls die Verträge dies nicht ausdrücklich vorsehen. se „Obwohl i n dem EWG-Vertrag und i n dem EAG-Vertrag Rechtsetzungsakte der Gemeinschaften als Verordnungen bezeichnet werden, handelt es sich dabei nicht u m Rechtsätze aus einer abgeleiteten Rechtsetzungsbefugnis . . . Vielmehr muß die Rechtsetzungsbefugnis der Europäischen Gemeinschaften als originär angesehen werden. Die Verordnungen würden daher besser als europäische Gesetze bezeichnet werden"; Glaesner, Übertragung rechtsetzender Gewalt auf internationale Organisationen i n der völkerrechtlichen Praxis, DöV 1959, S. 653 ff. (656). 57 So Glaesner (N. 56) S. 653 ff. 58 So Kraushaar, Zur Kompetenz der Kommissionen der Europäischen Gemeinschaften zum Erlaß von Verordnungen, DöV 1959, S. 726 ff.; zum Ganzen: Wagner, Beschlußrecht, S. 257 ff.; Rabe, Das Verordnungsrecht der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (1963). 59 Vgl. etwa Wolff I: „ M a n k a n n unterscheiden: a) Träger bzw. Subjekte ursprünglicher hoheitlicher Gewalt, deren Funktionen von dem oder den Trägern des Gemeinwesens selbst bestimmt werden. Das sind i n der BRD (außer den Kirchen) nur Bund und Länder; b) Träger bzw. Subjekte abgeleiteter hoheitlicher Gewalt, denen materiell öffentliche Funktionen nicht ursprünglich, der staatlichen Rechtsordnung vorausgehend, zukommen, sondern erst von einem Träger ursprünglicher hoheitlicher Gewalt übertragen oder überlassen worden sind."



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Bedeutung der Untersuchung

und aus dem Unterschied werden wichtigste Rechtsfolgen begründet; leider ließ sich der Unterschied nicht aufweisen. Außerdem w i r d für jeden nur denkbaren Träger die Eigenständigkeit und Ursprünglichkeit vindiziert und abgestritten: für Vereinte Nationen und europäische Gemeinschaften, für Bund und Länder, Kirchen, Gemeinden, Verbände aller Art, für Familie und Individuum. So ist wohl die Frage berechtigt: Was meint eigentlich der Jurist, wenn er „eigenständig" sagt, meint er überhaupt etwas damit?

Zweites

Kapitel

Die Funktionen der Relationsbegriffe „eigenständig" — „abgeleitet44 Doch so w i r r auch der praktische Gebrauch dieser Relationsbegriffe sein mag, grundsätzlich haben sie sehr präzise Funktionen. Diese Funktionen erfüllen „eigenständig" und „abgeleitet" i n fast allen Wissenschaften.

2. Abschnitt Verknüpfung zwischen zwei Erkenntnisobjekten W i r d ein Erkenntnisgegenstand (in der Rechtswissenschaft etwa ein Rechtsträger — Staat, Land, Gemeinde, Verband, Individuum — oder ein Recht — Schadensersatzansprüche der Hinterbliebenen aus §§ 844, 845 BGB) als eigenständig oder als abgeleitet bezeichnet, so w i r d er immer (ausdrücklich oder stillschweigend) m i t einem anderen Erkenntnisgegenstand verknüpft, d. h., zu ihm i n Beziehung gesetzt. Der souveräne Staat ist eigenständig gegenüber anderen völkerrechtlichen, kirchlichen oder innerstaatlichen Gewaltenträgern; das Bundesland ist eigenständig gegenüber dem Bund; Gemeinden, Verbände, Individuen sind eigenständig gegenüber dem Staat usw. Die Schadensersatzansprüche aus §§ 844, 845 BGB stehen den Hinterbliebenén aus eigenem Recht zu, d.h. sie leiten sich nicht aus dem Vermögen des Verletzten ab, sind diesem Vermögen gegenüber eigenständig. Ein Erkenntnisgegenstand ist also immer nur gegenüber einem anderen Gegenstand eigenständig oder w i r d von einem anderen Gegenstand abgeleitet. Die Relationsbegriffe eigenständig und abgeleitet setzen somit immer zwei Erkenntnisobjekte (im Recht: Rechtsträger, Rechtsinhaberschaf ten) zueinander i n Beziehung; ein Objekt kann auch gegenüber mehreren anderen Objekten eigenständig sein (das Individuum gegenüber Staat, Land und Gemeinde).

22 Die Funktionen der Relationsbegriffe „eigenständig" — „abgeleitet" 2. Abschnitt Qualifizierung der Beziehung zwischen diesen Erkenntnisobjekten Das Ziel dieser Verknüpfung ist i n allen Wissenschaften dasselbe: Zwischen Erkenntnisgegenständen werden Beziehungen (Ordnungsfolgen, Nexi) behauptet oder verneint. Die Worte: „eigenständig", „ursprünglich", „originär" und: „abgeleitet", „übertragen", „derivativ" sollen die A r t dieser Beziehungen ausdrücken. Diese Beziehungen können ganz verschiedener Natur sein: zeitlich-historisch, genetisch, kausal, logisch, erkenntriistheoretisch, psychologisch, wertmäßig usw. Dabei besagen „abgeleitet" und seine Äquivalente, daß der so qualifizierte Erkenntnisgegenstand zu einem anderen i n irgendeinem Folge-, Nachordnungs-, Abhängigkeits- oder Inferioritätsverhältnis steht; dagegen steht die als „eigenständig" oder „ursprünglich" erkannte Position selbst zu keiner anderen Position i n einem derartigen Nachordnungsverhältnis.

3. Abschnitt Versdiiedenartigkeit dieser Beziehungen Der Sinn dieser Inbeziehungsetzung hängt von der A r t des Verhältnisses zwischen diesen Erkenntnisobjekten ab. Geht es u m genetische Verhältnisse, dann stammt das als abgeleitet erkannte Objekt von dem anderen ab, während das als eigenständig qualifizierte Objekt nicht i n dieser Weise abstammt. So ist bei vielen Kulturerscheinungen strittig, ob sie von einer gemeinsamen Wurzel abstammen (sich von ihr ableiten) oder sich eigenständig entwickelt haben. Man denke an Sprachen, Märchen, Sagen (Sintflutsagen!), religiöse Motive, gesellschaftliche und juristische Institutionen. Ähnliches gilt für kausale Bezüge. Kurz, das i n der jeweiligen Relation als eigenständig oder originär erkannte Objekt ist Einsatzpunkt des Denkens oder Endpunkt des Suchens i m Rahmen der jeweils erörterten Beziehung und ist weiterer Ableitung weder fähig noch bedürftig. Das bedeutet: Eine Argumentation u m eine solche (zunächst mögliche, m i t der Qualifizierung als eigenständig aber verneinte) Beziehung — sie mag zeitlich-geschichtlicher, genetischer, mechanisch-kausaler oder rechtlicher Natur sein, — w i r d also bei dem als ursprünglich erkannten Erkenntnisobjekt stehen bleiben. Sie w i r d nicht über ihn hinausgehen, nicht über ihn hinaus fragen, nicht weitere Ableitungen für diesen suchen. Das ist gerade bei rechtlichen Beziehungen augenfällig: Die Kette

Zweck dieser Qualifizierung

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derivativer Erwerbstitel findet beim originären Erwerb ihr Ende; mögliche vorhergehende Inhaberschaften interessieren nicht. Die Herleitung dynastischer Legitimität w i r d sich beim ursprünglichen Gründer der Dynastie beruhigen. Wem das Volk als Ausgangspunkt der Staatsgewalt gilt (Art. 20 Abs. 2 S. 1), bedarf keiner weiteren Ableitung aus dem Transzendenten (Gott). Umgekehrt steht das als abgeleitet qualifizierte Objekt zu einem anderen Objekt i n einem irgendwie nachgeordneten Verhältnis (genetischer, kausaler, logischer u. a. Natur). I m kausalen Sinne leitet sich die Wirkung aus einer Ursache ab; diese gilt es aufzuspüren, man beruhigt sich nicht mit der Wirkung, die niemals selbst causa sui sein kann. Die vergleichende Religionswissenschaft hat für unzählige Motive der jüdischen, christlichen oder islamischen Religion ihre Herkunft aus früheren vorderasiatischen Religionen nachgewiesen. Unsere Schriftzeichen haben sich nicht eigenständig entwickelt, sondern leiten sich von früheren semitischen Zeichen ab. Die meisten Sprachen werden auf (konstruierte) gemeinsame Ursprachen zurückgeführt; bei einigen ist dies bis jetzt nicht gelungen. Und eine abgeleitete Rechtsinhaberschaft w i r d auf eine frühere Rechtsinhaberschaft zurückgeführt.

4. Abschnitt Zweck dieser Qualifizierung Die Qualifizierung dieser jeweiligen Beziehung durch die Worte ,eigenständig" und „abgeleitet" hat mehrere Funktionen:

1. Sigelartige Kurzfassung „Eigenständig" und „abgeleitet" sind zunächst nur Kurzfassungen, Sigel der entsprechenden Beziehungen. Statt zu sagen, eine Sprache habe sich aus einer früheren Sprache genetisch entwickelt, sagt man, sie leite sich aus i h r ab. Statt ausführlich zu erzählen, der Gründer einer Dynastie habe die Krone nicht von seinem Vorgänger erhalten, sondern sie „sich selbst aufs Haupt gesetzt", bezeichnet man i h n als originären Inhaber; gleichzeitig ist damit ausgedrückt, daß ein weiteres Zurückgehen i m Rahmen dieser Beziehungen unnötig wäre. Für den originären Rechtserwerb gelten andere Normen als für den derivativen; für den als originär bezeichneten Erwerb werden alle Erwägungen über eine mögliche frühere Inhaberschaft ausgeschlossen. Statt breit auszuführen, daß die Haushalte der Länder und Gemeinden weder ein-

24 Die Funktionen der Relationsbegriffe „eigenständig" — „abgeleitet" heitlich erstellt werden noch miteinander verzahnt sind, bezeichnet man die Haushaltswirtschaft der Gemeinden kurz als eigenständig. „Eigenständig" und „abgeleitet" (nebst ihren Äquivalenten) sind also schematisierte Kurzfassungen, Sigel eines komplizierteren Sachverhalts. 2. Bündelung der Normen, die das Regime des Rechtsbegriffs ausmachen „Eigenständig" und „abgeleitet" sind nicht nur Sigel für die Qualifizierung, sondern auch für das damit verbundene Normenregime. Nach den Vorstellungen vieler Logiker besteht zwischen 1. u n d 2. kein Unterschied, da der Begriff sich durch die Gesamtheit seiner Urteile, der Rechtsbegriff sich durch sein Regime definiere. Der K l a r h e i t wegen sei hier unterschieden.

Originäres und derivatives Recht unterliegen verschiedenen Normen hinsichtlich des Erwerbs und der Qualität des Rechtes: Das derivative Recht muß dem, von dem es der jetzige Inhaber erworben hat, tatsächlich zugestanden haben oder es muß gutgläubig erworben worden sein; alle diese Normen gelten für den originären Erwerb nicht. Das derivativ erworbene Recht ist grundsätzlich i n dem Maße belastet und Einwendungen ausgesetzt, wie es bei dem Vorgänger war (nemo plus iuris transferre potest quam ipse habet); originärer Rechtserwerb dagegen führt zu lastenfreiem Recht 1 . Das zeigt sich deutlich beim Erwerb i m Enteignungsverfahren und in der Zwangsvollstreckung. Tatsächlich erw i r b t der Enteignende das Eigentum oder das Nutzungsrecht 2 vom Enteigneten, der Erwerber i m Zwangsvollstreckungsverfahren vom Vollstreckungsschuldner; rechtlich gesehen erwirbt er originäres, d. h. lastenfreies Eigentum oder eine vorrangige Nutzungsberechtigung*. Und wenn die Schadensersatzansprüche aus §§ 844, 845 BGB als „eigene Rechte" qualifiziert werden, so gelten sie in der Person des Hinterbliebenen als originär entstanden und die Erbschaftsgläubiger des Getöteten haben keinen Zugriff 4 .

3. „Eigenständig" und „abgeleitet" als Elemente für den Bau eines Systems Über die Bündelung des für die jeweilige Rechtsposition geltenden Normenregimes hinausgehend sind die Relationsbegriffe „eigenständig" 1 Z u m originären und derivativen Erwerb vgl. Soergel-Siebert-Oechsler, Kommentar zum B G B I I I (9. Aufl. 1960) Vorbem. § 929 A. 2. 2 Z . B . für Schutzstreifenrechte für Energieversorgungsleitungen. 3 B G H Z 12, 357 (368). 4 s. jedoch T e x t zu Ν . I V . 122.

Zweck dieser Qualifizierung

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und „abgeleitet" schließlich Elemente jedes systematischen Denkens, gleichgültig, wie „geschlossen" oder „offen" das System ist 5 . Sie sind daher i n allen systematischen Wissenschaften zu Hause und — richtig angewandt — legitim und unentbehrlich. Wissenschaft w i l l das Chaos der (wahrnehmbaren und der übersinnlichen) Welt ordnen, d.h. die Erkenntnisobjekte zueinander i n Beziehung setzen und so systematisieren. Wissenschaft ist ein Ganzes von verknüpften Erkenntnissen. Die Einzelheiten (etwa naturwissenschaftliche Daten: sog. Protokollsätze; i m Recht etwa normative Regelungen oder gerichtliche Entscheidungen) werden so zueinander i n Beziehung gesetzt und zu einem Ganzen verbunden 6 . Dieses Ganze mag eine begrenzte Zusammenfassung (z.B. über das Verhältnis von Staat und Gemeinde) oder ein Gesamtsystem (ζ. B. Bund - Länder - Gemeinden, übrige Verbände, übrige Rechtsträger, einzelne Gewalten und die hierarchisch gegliederten Behörden) sein. Ohne diese Beziehungsvorstellungen läßt sich kein System aufbauen und kann nicht systematisch gedacht werden. 4. Heuristische

Funktion

Die Qualifizierung als „eigenständig" oder „abgeleitet" hat darüber hinaus immer auch eine heuristische Funktion, d.h., sie soll zu neuen, noch nicht oder zur Zeit nicht gegebenen Normen führen 7 . Diese Funktion teilt die Qualifizierung m i t Theorien, Dogmen, Prinzipien und Systemen. Sie werden damit praktisch zu einem Anweisungsschema für die Praxis. So wurden lange Zeit aus der dualistischen oder monistischen Theorie alle Fragen über das Verhältnis zwischen Völkerrecht und Landesrecht gefolgert: Normadressat des Völkerrechts, Transformationserfordernis, innerstaatliche Normqualität; Kollisionsregelung bei entgegenstehendem Landesrecht; Auslegungsgrundsätze; Revisibilität usw. 8 . Alle Fragen über die Stellung des Konkursverwalters w u r den nach der Amts- oder Vertretungstheorie entschieden9. Ebenso werden aus der irgendwie begründeten E. einer Rechtsposition alle möglichen Rechtsfolgen gezogen: die Ungebundenheit der 5 Z u m „offenen System" vgl. den gegen Viehwegs Topik u n d Jurisprudenz (3. Aufl. 1965) gerichteten Aufsatz von Diederichsen, Topisches und systematisches Denken i n der Jurisprudenz, N J W 1966, S. 697 ff. und: Horn, N J W 67, 601; ferner: Esser, Grundsatz und Norm, S. 141 ff. β I m Einzelnen ausführlich: Wagner, Theorie. 7 Ausführlich: Wagner, Theorie, I I I 2. 8 Ausführlicher: Wagner, Monismus und Dualismus. 9 s. Rosenberg, Zivilprozeßrecht (9. Aufl. 1961) §39 I I 3; Wagner, Theorie, I I I 2.

26 Die Funktionen der Relationsbegriffe „eigenständig" — „abgeleitet" Länder gegenüber dem Reichskonkordat 10 ; die Unzuständigkeit des Bundes zu Eingriffen i n Landeswahlgesetze 11 ; die Nichtgeltung staatlicher Gesetze und Nichtgewährung staatlichen Rechtsschutzes i m kirchlichen Bereich 12 ; alle möglichen Unabhängigkeiten von Gemeinden, Verwaltungseinheiten und Individuen vom Staate 13 ; die Nichtbindung der Nachfolgestaaten an vertragliche Verpflichtungen 14 ; die Freiheit der europäischen Gemeinschaften gegenüber der Menschenrechtskonvention und den nationalen Verfassungsbindungen 15 . Aus dem ursprünglichen Erwerb des Eigentums w i r d die Lastenfreiheit gefolgert 16 , und aus dem eigenen Recht der Hinterbliebenen (§§ 844, 845 BGB) w i r d der Zugriff der Nachlaßgläubiger abgelehnt 17 . Umgekehrt: wer die E. — m i t irgendeiner Begründung — ablehnt, w i r d wahrscheinlich alle obigen Probleme gegenteilig lösen: z.B. die Bindung der europäischen Gemeinschaften an die nationalen Verfassungen bejahen 18 . Aus der Abgeleitetheit einer Rechtsposition (z.B. Normsetzungsgewalt) w i r d ihre Unterordnung unter eine höhere Position begründet 19 . 5. Veranschaulichung

unanschaulicher

Beziehungen

Die Relationsbegriffe „eigen" und „abgeleitet" erfüllen schließlich eine letzte Funktion: die Veranschaulichung. Die Rechtssprache bedient sich oft der Technik der Vergegenständlichung ideeller Phänomene und Vorgänge, u m sie unseren raum-zeitgebundenen Sinnen näherzubringen. Dazu faßt sie diese Phänomene und Vorgänge körperlich-räumlich (oder geometrisch) und zeitlich. So spricht man von Ubertragung und Belastung eines Rechtes, als handle es sich dabei u m ein körperliches Etwas, während es sich doch u m rein ideelle Vorgänge handelt. Bestes Beispiel ist die Vorstellung der juristischen Person: Eine Personenmehrheit ist untereinander durch Rechte und Pflichten verbunden und t r i t t nach außen mehr oder weniger geschlossen auf. i ° s. Ν . I 8. 11 s. Ν . I 7. 12 s. Ν . I 31 ff. 13 s. ζ. Β. Ν . I 35. 1 4 s. K a p i t e l I V Abschnitt 14 Ziffer 3, Text zu A n m . 101 ff. 1* K a p i t e l I V Abschnitt 14 Ziffer 3, T e x t zu A n m . 107 ff. ie N. 1. K a p i t e l I I Abschnitt 1. « s. Friauf , Ν . I 48. 19 Vorrang der Verfassung; Vorrang des Gesetzes gegenüber der V e r ordnung.

Zweck dieser Qualifizierung

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Um diese rein ideellen Beziehungen zu veranschaulichen, werden sie zu einer Person hypostasiert. Keine Beschreibung kann die ideellen Beziehungen der Mitglieder untereinander, die zu dem geschlossen Auftreten dieser Personenmehrheit gegenüber Dritten führen, anschaulicher wiedergeben, als die der gegenständlichen Welt entnommene Vorstellung der Person. Daß auch die Hypostasierung ihre Grenzen und ihre Gefahren hat, sei i m folgenden Kapitel dargelegt. Nicht nur die substantivistischen Rechtsbegriffe bedienen sich der Technik der Veranschaulichung; auch Vorgänge und Verhältnisse lassen sich so veranschaulichen: die Vorstellung der juristischen Sekunde veranschaulicht zeitliche Bezüge 20 . Beim Durchgangserwerb entsteht durch mehrfache Übertragung eines Anwartschaftsrechts eine Kette von Durchgangsstationen, über die sich bei Zahlung der letzten Kaufpreisrate das Anwartschaftsrecht i n ein Vollrecht umwandelt. Erfolgt bei einer dieser Durchgangsstationen eine Pfändung, so führt sie zu einer Belastung des Eigentums mit dem Pfändungspfandrecht, sobald der Vollerwerb eintritt. W i r d dagegen der Durchgangserwerb abgelehnt, so vollzieht sich der Erwerb des Vollrechts unter Umgehung der Durchgangsstationen unmittelbar zwischen dem Vorbehaltseigentümer und dem Inhaber des Anwartschaftsrechts, und zwischenzeitliche Pfändungen sind wirkungslos 2 1 . Beide Male w i r d die Entscheidung nicht mit Konstruktionen getroffen, sondern ausschließlich mit Wertungserwägungen; „Kette", „Durchgang" und „juristische Sekunde" übersetzen nur nachträglich diese Entscheidung in raum-zeitgebundene Vorstellungen, indem sie einen „Vorgang" konstruieren. Räumlich-gegenständliche Vorstellungen werden schließlich entwikkelt, um Rechtsschutz gegen Eingriffe i n Fällen zu gewähren, i n denen ein absolutes Recht sich nur langsam durchsetzt, ζ. B. Recht am Arbeitsplatz (Tätigkeitsbereich) und räumlich-gegenständlicher Bereich der 20 Wieacker, Die juristische Sekunde. Z u r Legitimation der Konstruktionsjurisprudenz, i n : Existenz u n d Ordnung, Festschrift f ü r E. Wolf (1962) 421 ff. 21 Westermann, Sachenrecht (5. Aufl. 1966) S. 218: „Ob der Erwerber des Anwartschaftsrechts unmittelbar oder mittelbar Eigentum erwirbt, d. h. ob der frühere Anwartschaftsberechtigte zunächst f ü r eine „juristische Sekunde" Eigentümer w i r d oder nicht, ist für die Frage der Stellung der Sache i n einem Haftungsverband von Bedeutung (§§559, 1120 BGB)". B G H Z 20, 88: Bei Übertragung des Anwartschaftsrechts nach §930 und nachfolgender Pfändung der Sache beim früheren Berechtigten w i r d die Pfändung bei Bedingungseintritt nicht wirksam. Es findet kein Durchgangserwerb statt. B G H Z 35, 85 (88), Durchgangserwerb abgelehnt; ferner: Baur, Sachenrecht (3. Aufl., 1966) S. 565; Wolff-Raiser, Sachenrecht (10. Aufl., 1957) S. 12 A. 14; Staudinger-Berg (11. Aufl. 1956) Randz. 28 d zu §929; Palandt-Hoche (25. Aufl. 1966) Anm. 6 B b , aa.

28 Die Funktionen der Relationsbegriffe „eigenständig" — „abgeleitet" Ehe. Man denke weiter an Vorstellungen wie: rechtsfreier Raum und Innengesellschaft. Auch Relationen können anschaulich dargestellt werden. Manche Relationsbegriffe sind unanschaulich: „gerechter", „zweckmäßiger" appellieren nicht an unser Raum-Zeit-Verständnis. Andere Relationen dagegen lassen sich i n raum-zeitlichen Vorstellungen ausdrücken; so auch die Relationsbegriffe, u m die es hier geht. „Eigenständig" und „abgeleitet" drücken die Beziehungen mithilfe geometrisch-kausaler Vorstellungen aus; „originär", „vorstaatlich", „vorgegeben" machen von unserer Vorstellungskraft i m Rahmen der Kategorie Zeit Gebrauch. I n all diesen Fällen w i r d so mithilfe anschaulicher Relationsbegriffe die juristische Beziehung zwischen zwei Rechtsbegriffen wiedergegeben, w i r d so das rechtliche Verhältnis i n der Anschauung dargestellt. Daß aber gerade diese Ubersetzung von Wertentscheidungen i n raumzeitliche Bezüge und das Arbeiten m i t diesen Vorstellungen erhebliche Gefahren hat, sei i m Kapitel I I I gezeigt. 6. Absehen von topischen Erwägungen Die Veranschaulichung rechtlicher Beziehungen hat gleichzeitig noch eine andere Funktion: sie erlaubt ein Absehen von rechtspolitischen Erwägungen und Wertentscheidungen. Wie ganz allgemein Theorie und Dogma — aber auch das Vorgehen der Begriffs- und Konstruktionsjurisprudenz — übersetzt die Qualifizierung „eigenständig" oder „abgeleitet" die für bestimmte Rechtsbeziehungen maßgeblichen topischen Argumente i n ein technisch-autonomes Instrumentarium. Sie können daher auch technisch-autonom, d. h. unter Absehen der zugrundeliegenden Werterwägungen gehandhabt werden und erlauben so ein einfacheres Arbeiten. Dabei entfallen die maßgeblichen topischen Erwägungen nicht, jedenfalls nicht, solange diese Qualifikationen sachgerecht gehandhabt werden; denn diese Erwägungen sind ja i n die Qualifikationen eingeflossen, haben sie erst bestimmt. Derartige Konstruktionselemente sind — wie Dogmen überhaupt — eine Verdichtung von Wertungen. Das Konstruktionselement der E. und Vorstaatlichkeit irgendeiner Rechtsposition transformiert die für deren Beziehungen maßgeblichen Werturteile i n technische Regeln und stellt sie auf die technisch-regulative Ebene der nachprüfbaren Akte 2 2 . Gleichzeitig werden diese Beziehungen der immer unentschiedenen Diskussion über rechtspolitisch Wünschenswertes und wertmäßig Richtiges entzogen. Die immer gegensätzlichen Motive und Gesinnungsurteile werden damit 22 Esser, Grundsatz und N o r m (2. Aufl. 1964) S. 358.

Exkurs: E. als Element der Konstruktionsjurisprudenz

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aus der Diskussion gedrängt. Es ist gerade die Funktion des Dogmas, derartige Diskussionen auszuschalten. I m Chaos widersprechender Wertmeinungen und Zweckmäßigkeitserwägungen, die kaum i n ein deutliches Rangverhältnis gesetzt werden können, schafft die räumlichgeometrische Vorstellung der Eigenständigkeit, die zeitliche Vorstellung der Ursprünglichkeit oder Vorgegebenheit klare Rangverhältnisse und einen kanonisierbaren Einsatzpunkt. Ihre Kanonisierung (durch höchstrichterliche Rechtsprechung und h. L.) stellt sie jenseits aller Motive und Gesinnungsurteile und entzieht sie ein für alle M a l dem Streit der Gefühle und den durch den besonderen Fall provozierten ad-hoc-Argumenten 23 .

5. Abschnitt Exkurs: E. und Ableitung als Elemente der Konstruktionsjurisprudenz Das Arbeiten m i t den Relationsbegriffen „eigen" und „abgeleitet" kann als systematisches Argumentieren und als Konstruktionsjurisprudenz bezeichnet werden. Zusammenfassen und Veranschaulichen verschiedener juristischer Beziehungen und damit Qualifizierung einer Rechtsposition i m Verhältnis zu anderen Positionen einerseits, A b leiten weiterer Rechtsbeziehungen aus dieser Qualifizierung andererseits machen das Wesen systematischer Argumentation aus 24 . Nun gehört es seit langem zum guten Ton, Rechtspositivismus, Begriffs- und Konstruktionsjurisprudenz zu verdammen. Oft geschieht dies pauschal, oft steht eines für das andere. Aber wenn auch diese drei rechtswissenschaftlichen Methoden zueinander Affinitäten zeigen, so sollten sie doch unterschieden werden 2 5 : Der Rechtspositivist w i l l nur Normen bestimmter Qualität („positives Recht") 26 anerkennen; diese mögen Gesetze und Verordnungen („Gesetzespositivismus"), Präzedentien, gewohnheitsrechtliche Normen, sozio23 Esser, N. 22 u. S. 303: „Dogmatik ist die bindende Übersetzung eines Lebenskonflikts u n d seines ursprünglich durch Erfahrung gewonnenen W e r t Lösungsschlüssels i n ein „technisches" Wissen- u n d Sprachgebiet, i n welchem die Begriffe und Dogmen als scheinbarer Selbstzweck i n Wahrheit n u r repräsentativ für die Gesamt-Vereinbarkeit u n d Folgerichtigkeit der so gefundenen Einzelantworten einstehen und ihre rationale Nachprüfbarkeit und Lehrbarkeit verbürgen." s. ferner: Viehweg, Zweierlei Rechtsdogmatiken, Ν . I V 82. 24 s. Wagner, Theorie. 2 s Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft (1960) S. 20 f. A n m . 1. 2 « Z u diesem Begriff s. vor allem Ago, Der Begriff des positiven Rechts i n der Völkerrechtstheorie, A V R 6 (1956—57) S. 257 ff.; franz., engl., italien.

30 Die Funktionen der Relationsbegriffe „eigenständig" — „abgeleitet" logische Verhältnisse oder von der Wissenschaft gebildete Rechtsbegriffe („wissenschaftlicher Positivismus") sein 27 . Ausgeschlossen bleiben alle Erwägungen außerhalb dieses Bereiches: politische, moralische (die Rechtsidee), naturrechtliche, religiöse und utilitaristische Wertungen. Der Begriffsjurist 28 glaubt, m i t dem Begriff auch alle Rechtssätze zu haben; Begriff und Rechtssatz scheinen ihm ein für alle M a l in naturwissenschaftlicher Kausalität unlösbar verbunden. Ist ein Phänomen unter einen Begriff subsumiert, so ist der Fall für ihn gelöst. Unter Konstruktionsjurisprudenz versteht man ein Arbeiten m i t pandektistischen Rechtsbegriffen und Systemargumenten ohne Einsatz von Wert- und Zweckmäßigkeitsvorstellungen. Juristische Entscheidung aus der Qualifizierung einer Rechtsposition als eigenständig oder abgeleitet ist eine solche konstruktive Lösung. Es mag dahinstehen, inwieweit diese „formalen Kategorien" Werterwägungen i n sich aufgenommen haben und repräsentieren; jedenfalls bleiben bei ihrer A n wendung „materiale Kategorien" (z.B. die Rechtsidee) außer Ansatz. I n der Blütezeit der Pandektistik schien dieses Vorgehen höchste Gerechtigkeit zu verbürgen, w e i l es die Entscheidung scheinbar der subjektiven W i l l k ü r entzog. Der Glaube hat sich als falsch erwiesen, wie das Schrifttum zur „Inversionsmethode" nachgewiesen hat 2 9 . Zwar kann ein gut konstruiertes Begriffssystem tatsächlich viele Wertungen i n sich aufnehmen und dann ein Arbeiten ermöglichen, bei dem weitgehend von diesen Wertungen abgesehen wird, genauso, wie man i n der Mathematik von allen Inhalten absehen kann. Aber nur ein für uns nicht mehr nachvollziehbarer Glaube an die Lückenlosigkeit eines Systems und an eine prästabilierte Wesenhaftigkeit der verwendeten Termini konnte annehmen, daß formale Kategorien auch i n allen nicht vorgesehenen Fällen, deren topische Wertungsargumente also nicht i n sie eingebracht wurden, zu gerechten Lösungen führen würden. Und auch bezüglich der vorgesehenen Fälle garantieren die formalen Kategorien nur solange gerechte Entscheidungen, wie die ins Formale verschlüsselten Werterwägungen dieselben bleiben; diese Erwägungen ändern sich aber i n unserer schnellebigen Zeit immer öfter. Deshalb Fassungen i n : Annuaire Français Droit International 3 (1957) S. 14 ff.; A m e r i can Journal of International L a w 51 (1957) S. 691 ff.; Studi i n onore di Tomaso Perassi, Bd. 1 S. 51 ff. 27 Z u den verschiedenen Formen des Positivismus: Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit (1952) S. 253 ff.; Boehmer, Grundlagen der bürgerlichen Rechtsordnung, Bd. I I T e i l 1 (1951) S.89ff.; Larenz (N.25) S.34ff. 28 Z u r Begriffsjurisprudenz: Wieacker (N.27) S. 193 f., 239 f., 253 ff.; Boehmer (N.27) S.59ff.; eingehend: Larenz (N.25) S. 16ff. 29 Führend w a r Heck, Nachweise s. Ν . I V 31; zusammenfassend: Boehmer, (N.27) S.82, 188; f ü r das öffentliche Recht: Triepel, N . I V 3 1 .

Exkurs: E. als Element der Konstruktionsjurisprudenz

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müssen heute die m i t formalen Kategorien erarbeiteten Lösungen immer noch zusätzlich an materialen Kategorien überprüft werden. Und der letzte Vorwurf: Dem nur i m Denkschema der Konstruktionsjurisprudenz Erzogenen bleiben Rechtsidee und sozialadäquates Judiz fremd. Deshalb w i r d die Konstruktionsjurisprudenz heute theoretisch allgemein verworfen, praktisch aber, wie Abschnitt I gezeigt hat, allgemein befolgt. Das pflegt oft i n ein und denselben Abhandlungen zu geschehen. So schleppen w i r das Stückwerk einer Methode mit, deren Voraussetzungen entfallen sind 8 0 . Erst das neuere Schrifttum erkennt, daß mit dieser globalen Verwerfung nichts getan ist 8 1 . Einmal erarbeitete Methoden lassen sich nicht ohne Schaden i n Bausch und Bogen über Bord werfen; vielmehr müssen ihre brauchbaren Teile bewahrt und ihre Schwächen überwunden werden. E i n Lippenbekenntnis ist jedenfalls keine Uberwindung. „Konstruktionsjurisprudenz" beinhaltet noch andere Aspekte, die wenigstens angedeutet werden sollen. I n Philosophie, Erkenntnistheorie und Methodenlehre hat „Konstruktion" mehrere Bedeutungen, die meist durcheinandergehen 82 . I n jeder dieser Bedeutungen hat die „Konstruktion" ihre relative Berechtigung und kann bei unkontrolliertem Gebrauch zu Fehlern führen; gleiches gilt für ihre Anwendung i n der Rechtswissenschaft. M i t Konstruktion bezeichnet man zunächst das Verfahren, gegebene Gegenstände i n ihre Elemente zu zerlegen (analytischer Teil), u m daraus wieder Gegenstände zusammenzubauen (synthetischer Teil). Dies mag der Gegenstand sein, von dem man ausgegangen ist, dann dient das Verfahren der Uberprüfung einer Hypothese. Oder man baut neue Gegenstände zusammen, wie etwa bei der Herstellung künstlicher Rohstoffe. Dieser am klarsten i n der Chemie erfaßbare Vorgang findet sich auch i n der Rechtswissenschaft: man zerlegt die gegebenen Rechtsinstitute i n ihre Elemente und konstruiert neue 33 . Ein immer weiter verfeinerter Begriffsapparat (Rechtsgeschäft — Rechtshandlung — Willenserklärung usw.) erlaubt dieses kombinatorische Arbeiten. Damit 30 Coing, Die Lage der soziologischen Jurisprudenz. Z u r Frage der j u r i stischen Methode i m Privatrecht, Universitas 7 (1952) S. 241 ff. Wieacker, (N. 27) S. 255. 32 s. etwa Eisler, Wörterbuch der philosophischen Begriffe, Bd. I S. 847 ff. sub verbo: Konstruktion; ferner ausführlich: Sigwart, Logik, 4. Aufl. (1920) 2. Bd. S. 9 ff. 33 Es genügt, etwa Iherings Schriften der ersten Periode zu lesen, u m die chemische, j a geradezu alchimistische Terminologie zu erkennen. Nachweise bei Larenz (N. 25) S. 23 f.

32 Die Funktionen der Relationsbegriffe „eigenständig" — „abgeleitet" kann die Rechtswissenschaft Phänomene erfassen, die nicht ausdrücklich normiert sind, d. h. zu denen das Gesetz (Präzedenz, Gewohnheitsrecht) schweigt. I n Anlehnung an dieses Verfahren w i r d auch oft das schrittweise Vorgehen bei komplizierten Fällen Konstruktionsjurisprudenz genannt. Gegen diese Konstruktionsjurisprudenz wurden zwei Vorwürfe erhoben 34 . Die frühe K r i t i k , etwa die der Freirechtsschule, warf ihr vor, lebensfremd und mechanisch ohne rechtliche Wertungen zu arbeiten. Das Absehen von Werterwägungen war zweifellos eines der Ideale der Konstruktionsjurisprudenz. Die heutige K r i t i k w i r f t ihr vor, sehr w o h l Werterwägungen angestellt, diese aber erschlichen und mehr oder weniger unbewußt eingeführt zu haben. Zum anderen bezeichnet man m i t Konstruktion die Darstellung des Gegebenen aus Prämissen (Prinzipien). I m Anschluß an Kant mag man vereinfachend sagen, daß das Gegebene aus dem Nichtgegebenen konstruiert, das bereits i n der Anschauung Vorliegende m i t unanschaulichen Mitteln, lediglich m i t dem Verstand, nach- oder neukonstruiert wird. A m reinsten findet sich dieses Verfahren i n der Mathematik. Hier werden gegebene Figuren und Erkenntnisse (ζ. B. die Winkelsumme i m Dreieck) aus mathematischen Axiomen (Prämissen) errechnet. Dieses i n den einzelnen Wissenschaften i n verschiedenem Maße anwendbare Verfahren findet sich auch i n der Rechtswissenschaft: wenn etwa der Staat aus dem Begriff der bürgerlichen Gesellschaft konstruiert w i r d 3 5 . Man bezeichnet es daher auch als Konstruktion, wenn gegebene Institute, gesetzliche Normierungen und Fallösungen aus Prinzipien konstruiert oder erklärt werden 3 6 . Ein letzter, bereits behandelter Aspekt: die Veranschaulichung. Hier haben w i r die Umkehrung des kantschen Konstruktionsverständnisses vor uns: bei Kant das Erklären des anschaulich Gegebenen mit unanschaulichen Mitteln (Deduktion aus Prämissen), jetzt das Anschaulichmachen des i n der Anschauung nicht Vorliegenden, die Darstellung von Begriffen und Begriffsverhältnissen i n der Anschauung. u Gute Darstellung u n d K r i t i k der Methode Iherings bei Larenz (N.25) S. 22 ff. 35 s. etwa Wundt, Logik der exakten Wissenschaften (Bd. 2 der Logik) (4. Aufl. 1920) S. 36. 36 Vgl. Lalande, Vocabulaire technique et critique de la philosophie sub verbo: construire ζ. Β . . . . déduire tout u n ensemble donné d'un principe ou d'un petit nombre de principe. On appelle en ce sens „construction juridique", par exemple, l'opération par laquelle toutes les règles du droit romain relatives à l'héritage sont ramenées à la seule formule: „Haeres sustinet pronam defuncti".

Drittes

Kapitel

Probleme und Gefahren dieser Relationsbegriffe Die Rechtspositionen stehen untereinander i n bestimmten Beziehungen oder Beziehungslosigkeiten, die sich als Rechte und Pflichten oder Freiheit von Rechten und Pflichten konkretisieren. Die Summe dieser Beziehungen zwischen zwei oder mehreren Trägern w i r d durch die Relationsbegriffe „eigenständig" und „abgeleitet" oder deren Ä q u i valente ausgedrückt. Dieses Vorgehen findet sich wohl i n allen Wissensgebieten. Der menschliche Geist muß so vorgehen, daß er die einzelnen Phänomene miteinander verknüpft und zwischen ihnen bestimmte Ordnungsfolgen (Nexi) herstellt; anders könnte er die Vielfalt der Erscheinungen nicht beherrschen. Aber diese Webertätigkeit ist m i t Gefahren verbunden, w e i l die Fäden, d.h. die Beziehungen schnell falsch geknüpft werden können. Diese Gefahren seien schematisch nach den i m II. Abschnitt aufgezeigten Funktionen gruppiert: Probleme und Gefahren dieser Relationsbegriffe seien vorweg allgemein dargestellt; die juristischen Materien seien anschließend i m Zusammenhang gebracht, w e i l sich bei ihnen jeweils mehrere Probleme mischen.

6. Abschnitt Ordnungsfolge nicht stringent beweisbar K a u m eine Ordnungsfolge kann stringent bewiesen werden. Vielleicht lassen sich zeitlich-historische oder genetische Ordnungsfolgen klar beweisen. Aber schon bei der kausalen Folge beginnen die Zweifel. Manche erkenntnistheoretischen Richtungen leugnen die Erkennbarkeit der Kausalität: erkennbar sei lediglich die zeitliche Abfolge; die „Kausalität" sei eine nachträgliche Hinzufügung des menschlichen Geistes und sollte besser unterbleiben. Das Kausalprinzip w i r d seit der A n t i k e aus ganz verschiedenen Gründen angezweifelt 1 , i n der Gegenwart vor allem deswegen, w e i l gewisse sub1 Heyde, Johannes Erich, Entwertung der Kausalität? F ü r u n d wider den Positivismus (1957); s. vor allem die schematische Zusammenstellung der Kausalitätskritiken S. 33.

3 Wagner

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Probleme und Gefahren dieser Relationsbegriffe

atomare Geschehnisse ohne ersichtliche Ursache auftreten 2 . V o n a l l diesen K r i t i k e n interessiert hier n u r der Einwand, sie sei nicht wahrnehmbar; wahrnehmbar sei n u r die zeitliche Aufeinanderfolge. Näheres s.u.

Das mag hier dahinstehen. Aber jedenfalls können die für die Rechtswissenschaft wesentlichen Ordnungsfolgen nicht stringent bewiesen werden. Juristische Ordnungsfolgen sind immer rechtspolitische Entscheidungen und drücken Rechte und Pflichten, Befugnisse und Reaktions- oder Duldungspflichten aus. Sie sind durch Erwägungen der Gerechtigkeit und der Zweckmäßigkeit bestimmt; hier stehen sich immer gegensätzliche Erwägungen gegenüber. Für Wertrelationen bedarf es keiner Erörterung mehr, daß sie nur innerhalb einer schon vorher akzeptierten Weltanschauung eindeutig sind 3 . Gleiches gilt aber auch für alle sonstigen Relationen, die irgendeine Abhängigkeit oder Überlegenheit ausdrücken; gerade u m diese geht es i m Recht. Hier hängt die Begründung der Ordnungsfolge — m i t der dann alle Schlußfolgerungen stehen und fallen — von metajuristischen Entscheidungen ab. 7. Abschnitt Keine Ordnungsfolge erlaubt stringente Schlußfolgerungen Juristische Relationen sind aber nicht nur nicht stringent beweisbar, sie erlauben auch — die Ordnungsfolge einmal angenommen — keine stringenten Schlußfolgerungen. Wer die Schlußfolgerung bestreiten w i l l , kann die Prämisse (d.h. die Ordnungsfolge) zugeben und doch die entgegengesetzte Schlußfolgerung ziehen (immanente Kritik). Das technische M i t t e l hierzu ist — neben der Scheidung der Ordnungsfolgen 4 — die Einführung einer Hilfsvorstellung. Gegen die Einführung einer Hilfsvorstellung k a n n auch methodologisch nichts vorgebracht werden. Z w a r hat Kelsen den Grundsatz der Denkökonomie ins Recht einführen wollen m i t der weitgehenden Folge, daß die einfacheren Konstruktionen, d.h., diejenigen, die m i t weniger Vorstellungen auskämen, auch juristisch richtiger seien 5 . A b e r das ist n u r auf G r u n d der neukantianischen Vorstellungen Kelsens (der damaligen Zeit) möglich, die 2 s. bei Heyde (N. 1) S. 51. s Brecht, Arnold, Politische Theorie (1961). 4 s.u. Abschnitt 8. 5 Z u der oft formulierten Ökonomieregel s. N. 7 u. Heyde (N. 1) Stichwortverzeichnis: „Ökonomieregel", insbes. die Nachweise. Kelsen hat die Ökonomieregel i n der von Mach formulierten Fassung übernommen, ausführlich: Jockel, Hans Kelsens rechtstheoretische Methode. Darstellung u n d K r i t i k ihrer Grundlagen u n d hauptsächlichsten Ergebnisse (1930).

Verwirrung der Ordnungsfolgen

35 6

dem System letztlich ontologische Dignität zuschrieben . Sagte doch der Neukantianer: „Das Erkennen schafft den Gegenstand." Dann w a r es folgerichtig, die Gesetze des Gegenstandes v o m Denken abhängig sein zu lassen. Daß damit unzulässigerweise ein alter Grundsatz der S y s t e m b i l d u n g 7 auf das Erkennen der Gegenstände u n d schließlich auf das Sein selbst übertragen wurde, ist heute unstrittig.

So konnte der Deismus einen persönlichen Schöpfergott anerkennen (also die Welt von Gott „ableiten" i m kausal-genetischen Sinne) und trotzdem den weiteren Einfluß Gottes auf die Welt verneinen. Gott habe sich nach der Erschaffung der Welt zurückgezogen und die einmal erschaffene Welt ihren Gesetzen überlassen. So konnte der Deist, ohne Gottesleugner zu sein 8 , die M i t w i r k u n g Gottes an der Erhaltung der Geschöpfe, die Wunder und jede natürliche Offenbarung leugnen. Da es dann keine Offenbarungsreligion gab, sondern nur eine Vernunftreligion, war der Weg frei für Aufklärung und materialistisches Denken 9 . Gerade diese Nichtstringenz w i r d sich i n der juristischen Diskussion allerorts zeigen.

8. Abschnitt Verwirrung der Ordnungsfolgen Die größte Gefahr i m Gebrauch dieser Relationsbegriffe ist die Verwirrung der Ordnungsfolgen, d. h., daß die Beziehungen, die zwischen zwei oder mehreren Erkenntnisobjekten bestehen, verwechselt werden. 2. Absoluter

Gebrauch

Der gröbste Fehler wäre der absolute Gebrauch dieser Relationsbegriffe. Man könnte eine gegenständliche und eine inhaltliche Verabsolutierung unterscheiden. « Z u den neukantischen Gedankengängen Kelsens s. Wagner, Monismus u n d Dualismus: eine methodenkritische Betrachtung zum Theorienstreit, AöR 89 (1964) S. 212 ff. 7 Bereits die Scholastiker hatten den Grundsatz aufgestellt, die Zahl der Prinzipien nicht unnötigerweise zu vermehren. Bei Occam etwa erscheint er i n der Formulierung: entia non sunt multiplicanda praeter necessitatem. Newton machte i h n zu seiner „1. Regel": „ A n Ursachen zur Erklärung n a t ü r licher Dinge soll man nicht mehr zulassen, als w i r k l i c h sind u n d zur E r k l ä r u n g jener Erscheinungen ausreichen" (s. Heyde, N. 1, S. 155); Mach: „ E i n Höchstmaß von Erkenntnissen durch ein Mindestmaß von Begriffen u n d Urteilen zu erzielen" (und ähnliche Formulierungen, s. Heyde, S. 44f.; 156; Lalande, S. 739). 8 Als der er allerdings meist angesehen wurde. Z u m Deismus allgemein: alle philosophischen u n d theologischen Lexika. 9 Uber die weiteren Bedeutungen dieses Begriffes s. Verweis N. 8. z*

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Probleme und Gefahren dieser Relationsbegriffe a) Gegenständliche Verabsolutierung

Die gegenständliche Verabsolutierung liegt dann vor, wenn eine bestimmte Relation, die also zwischen zwei Erkenntnisobjekten ausgesagt wird, dem einen Objekt schlechthin, also gegenüber allen nur möglichen anderen Objekten zugesprochen wird. Diese Verabsolutierung ist auch außerhalb der Rechtswissenschaft ein häufiger Fehler. Bei manchen Relationsbegriffen w i r d er von der Syntax verhindert: sie können aus syntaktischen Gründen nicht ohne eine gegenständliche Ergänzung stehen: „ähnlich", „eingedenk" verlangen die Ergänzung (also den Erkenntnisgegenstand, der zu dem ersten i n Beziehung gesetzt wird). Andernfalls wäre die Aussage schon rein syntaktisch (also unter Absehen aller Bedeutungen und Inhalte) sinnlos. Andere Relationsbegriffe können zwar von Syntax wegen ohne Ergänzung stehen; semantisch muß sie jedoch hinzugedacht werden. Das macht meist keine Schwierigkeiten: wenn von zwei Gegenständen die Rede ist, kann man abkürzend sagen, der eine Gegenstand sei „größer" oder „älter". Die richtige Ergänzung („als der andere Gegenstand") ist selbstverständlich; niemand kommt auf den Gedanken, die Aussage, Paul sei größer (als Hans), zu verabsolutieren und Paul auf Grund dieser Aussage auch für größer als Fritz und alle anderen zu halten. Aber die Möglichkeit, die Relation ohne Ergänzung auszusagen, verleitet dazu, den Relationsbegriff als eine allgemeine Eigenschaft des ersten Gegenstandes aufzufassen, auch gegenüber Erkenntnisobjekten, für die er nicht zutrifft. Beispiele^„Ein volles Faß" k a n n m i t jedem I n h a l t gefüllt sein, aber nicht m i t L u f t , das wäre ein „leeres Faß". I n einem Strafurteil hieß es, einem Weinhändler seien „volle Flaschen" gestohlen worden. Das w a r f ü r den Strafrichter n u r deswegen von Interesse, w e i l fraglich war, wieviele Personen als Täter infrage kamen u n d Größe u n d Schwere der entwendeten Ware festgestellt werden mußten. Der Bestohlene hatte eidlich ausgesagt, es seien „volle Flaschen" gewesen. Der Händler stützte sich gegenüber der Versicherungsgesellschaft auf dieses U r t e i l ; diese wies nach, daß unter den gestohlenen Flaschen eine große Anzahl von m i t Wasser gefüllten Schaufensterflaschen gewesen waren. Hatte der Händler einen Meineid geschworen, als er von „vollen Flaschen" sprach? Auch die berühmten Paradoxien des Zenon lösen sich, w e n n m a n die Ordnungsfolgen beachtet: sie beruhen auf einer Vertauschung der zeitlichen u n d räumlichen Ordnungsfolge. Beispiel einer solchen Paradoxie: Der schnelle A c h i l l könne eine Schildkröte nie einholen, w e n n diese auch n u r einen geringen Vorsprung habe, denn er müsse i n jedem einzelnen Augenblick erst noch den P u n k t erreichen, von dem i m gleichen Augenblick die Schildkröte bereits aufbricht. Der Vorsprung, den die Schildkröte 10 Aus Erdmann, S. 9 f.

Karl

Otto, Die K u n s t Recht zu behalten (3. Aufl. 1924)

Verwirrung der Ordnungsfolgen

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bereits hat, werde zwar immer kleiner, könne aber niemals gleich N u l l werden — : Der I r r t u m liegt i n der Verwechslung u n d Vertauschung des zeitlichen Nacheinander m i t dem räumlichen Hintereinander. Ähnlich: Der fliegende Pfeil ruht, denn er ist i n jedem Moment nur an einem O r t 1 1 . Zahlreiche A n t i n o m i e n des Altertums (z.B.: E i n Kreter sagt: „ A l l e Kreter lügen") werden heute aufgelöst, indem man das Sprechen über die Gegenstände u n d das Sprechen über die Sprache unterscheidet 1 2 .

Es ist gerade der Sinn der formalisierten Sprachen, derartige Verwechselungen bereits syntaktisch, also unabhängig von der Bedeutung der gebrauchten Zeichen, unmöglich zu machen 13 . Heideggers bekannter Satz: „Das Nichts nichtet", wäre hier bereits syntaktisch unzulässig („syntaktischer Unsinn"), ganz unabhängig davon, was er sagen w i l l 1 4 . Z u diesen Relationsbegriffen, die syntaktisch ohne Ergänzung stehen können und dann leicht absolut — oder jedenfalls i n unrichtige Beziehungen — gesetzt werden können, gehören „eigenständig" und „abgeleitet". Geht diese Ergänzung aus der Diskussion eindeutig hervor, dann ist der ergänzungslose Gebrauch ungefährlich, der übliche ergänzungslose Gebrauch aber führt zwangsläufig zur Verabsolutierung 15 . b) Inhaltliche Verabsolutierung Auch wenn der zweite Erkenntnisgegenstand ausgesagt oder vom Hörer richtig ergänzt w i r d („das Individuum ist eigenständig"; zu ergänzen: „gegenüber der staatlichen Gewalt", vielleicht auch: „gegenüber gesellschaftlichen Mächten"), besteht die Gefahr, daß die behauptete Relation i n dem Sinne verabsolutiert wird, daß sie i n jeder Beziehimg angenommen wird. Aber die beiden Gegenstände stehen immer nur i n bestimmter Hinsicht i n der ausgesagten Relation: „ A ist dem Β ähnlich", „ A ist größer als B " gelten nur i n bestimmter Hinsicht. Die Ähnlichkeit t r i f f t sicher nicht auf alle nur denkbaren Merkmale und Eigenschaften zu. W i r d die Größenrelation von zwei Schuljungen ausgesagt, dann bezieht sie sich sicher auf die körperliche Entwicklung, genauer: auf die Körpergröße. Ist dagegen von zwei Schriftstellern die Rede, dann denkt niemand an die körperliche Größe. 11 L i t e r a t u r zu Zenons Paradoxien: Überweg - Praechter, Philosophie des Altertums ( l . T e i l des Grundriß der Geschichte der Philosophie, 12. Aufl., Nachdruck 1961), Literaturangaben zu § 17. Dazu die L i t e r a t u r zur modernen Mengenlehre, die diese Paradoxien m i t einer sorgsameren Behandlung des Begriffes „unendlich" auflöst (die unendliche theoretische Teilbarkeit einer Strecke oder eines Zeitabschnittes besagt nichts gegen dessen Endlichkeit). 12 Z u r Unterscheidung von Objektsprache u n d Metasprache vgl. etwa Stegmüller, Das Wahrheitsproblem und die Idee der Semantik (1957) S. 38 ff.; ders., Hauptströmungen der Gegenwartsphilosophie (2. Aufl. 1960) S. 415 ff. ™ Nachweise: N. 12. 14 Stegmüller, Hauptströmungen (N. 12) S. 384. 15 s. i m Folgenden insbes. b).

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Probleme und Gefahren dieser Relationsbegriffe

I n diesen einfachen und übersichtlichen Fällen des täglichen Lebens lassen sich die verschiedenen Relationen meist ohne Nachdenken auseinanderhalten. Umgangssprachliches Denken ist kein Systemdenken, i n dem jeder Gegenstand ein für alle M a l seinen Ort hat und seine Beziehungen zu allen anderen Gegenständen ein für alle M a l feststehen. Das Systemdenken (selbst ein „System partieller Systeme" oder „offener Systeme") weist den von i h m erfaßten Beständen einen festen Ort an und bestimmt damit ihre Beziehungen zu allen anderen systemimmanenten Gegenständen. Dabei w i r d aber leicht übersehen, daß Systeme meist nur für bestimmte Aspekte aufgestellt werden und daher auch nur über bestimmte Relationen etwas aussagen: ethische Systeme über Wertrelationen, genetische Systeme über zeitliche und abstammungsmäßige Bezüge usw. Manche heute überwundenen Weltanschauungen haben hier an eine Einheit der Bezüge geglaubt und damit vielleicht auch ein „großartig geschlossenes Weltbild" erstellt, aber die Entwicklung für Jahrhunderte gehemmt. Die heutige Diskussion muß sich stets bewußt bleiben, von welchen Relationen sie spricht und bei Relationsbegriffen stets fragen, welche Beziehungen der Sprechende damit meint. Die Schwierigkeit, mögliche Relationen auseinanderzuhalten, ist wohl eine der größten i n Philosophie, Erkenntnistheorie und Methodenlehre. Denn je nach Standpunkt, methodischer Grundanschauung und persönlichem Unterscheidungsvermögen lassen sich beliebig viele Ordnungsfolgen zwischen den Erkenntnisgegenständen spannen. Was immer der Mensch erkennt oder zu erkennen glaubt, verknüpft er mit einem vielschichtigen Netz von Beziehungen, und methodisches Denken findet beliebig viele Möglichkeiten der Reduktion und der Ableitung. Leider lassen sich diese möglichen Ordnungsfolgen selten klar scheiden und fließen leicht durcheinander. Das verwirrt die Diskussion, denn was für die eine Ordnungsfolge gilt, muß nicht für die andere Folge gelten, denn nichts Irdisches scheint i n jeder Beziehung causa sui zu sein; auch der originäre Erwerb leitet sich wiederum aus dem Gesetz ab 1 6 , und selbst der Gründer der Dynastie ist zumindest genetisch weiter zurückführbar. Die nicht weiter ableitbare Staatsgewalt leitet sich andererseits nach säkularisierter Auffassung vom Volke ab (Art. 20 GG), nach der Grundnormhypothese der Reinen Rechtslehre vom Völkerrecht und nach christlicher Lehre von Gott. Die Diskussion w i r d kaum zu einem guten Ende kommen, wenn jeder der Streitenden an andere Beziehungen denkt oder sich überhaupt nicht klar ist, wovon er spricht. i® s. T e x t zu A n m e r k u n g I I 1.

Verwirrung der Ordnungsfolgen

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Die gesamte Methodenlehre und große Teile der Philosophiegeschichte ließen sich als Versuch darstellen, zu eindeutigen und i n ihrer Abgrenzung allgemein anerkannten Ordnungsfolgen zu gelangen. So mag die Methodenlehre zwischen räumlichen, zeitlichen, logischen, kausalen, psychologischen und modalen Beziehungen unterscheiden und für einzelne Beziehungen wiederum Unterrelationen aufstellen 17 . Aber weder über diese Kategorien noch über ihre Abgrenzung besteht Einigkeit; deshalb meint jeder Philosoph, der andere habe entweder unscharf oder zwecklos-subtil gedacht. Noch entmutigender ist richtungsmäßige Vertauschbarkeit dieser Beziehungen, wie die Erörterung u m Kausalität und Finalität zeigt: Einem zeitlichen Ablauf ist nicht anzusehen, ob er kausal oder final oder zweckursächlich determiniert ist oder ob überhaupt nur eine zeitliche Abfolge vorliegt 1 8 . Gegeben ist niemals das Abhängigkeitsverhältnis, sondern nur die zeitliche Aufeinanderfolge; alles übrige ist vom Verstand hinzugefügt. Da so keine Richtung der Dependenz eindeutig gegeben ist, läßt sich jede Ursache auch als Mittel, jede Wirkung auch als Zweck auffassen und umgekehrt 1 9 . So läßt sich jeder Kausalprozeß ebenso gut als Finalprozeß verstehen. Diese Schwierigkeit hat dazu geführt — und darauf kommt es hier allein an — daß die möglichen Ordnungsfolgen immer neu aufgesplittert und kombiniert wurden. Das Ergebnis ist eine unübersehbare Menge von Kausa-Begriffen und ad-hoc zusammengeleimten Ordnungsfolgen, die i n keiner Weise aufeinander reduziert, d. h. i n ein einheitliches Schema gebracht werden können. Schon die Wortbildungen (wie causa finalis, Endursache, zweckursächlich u. a.) zeigen, daß hier Ordnungsfolgen zunächst unterschieden und dann wieder zusammengelegt wurden. K l a r geschieden und dann wieder vermengt sind Kausal- und Finalrelation vor allem i n den biologischen Wissenschaften, wie die Entelechie-Vorstellung zeigt 20 . Die gleiche Unmöglichkeit, Relationen i n allgemein anerkannter Weise zu scheiden, zeigt uns schließlich jede Geschichte der Begriffe a priori und a posteriori: was der eine Denker als apriorisch ansieht, hält der andere für aposteriorisch 21 ; gleiches gilt ζ . B. f ü r kausale Beziehung: Ursache — M i t t e l — Zweck (causa efficiens, causa finalis usw.) vgl. ferner Schopenhauers berühmte Dissertation: Über die vierfache Wurzel des Satzes v o m zureichenden Grunde. S. die zahlreichen Kausa-Begriffe bei Eisler. s. etwa Bavink, Ergebnisse u n d Probleme der Naturwissenschaften (9. A u f l . 1949) S. 218 ff. Andere haben die Kausalität auf die „Gewohnheit des Erlebens" reduziert, also auf eine psychologische Relation (s. Heyde, N. 1, S. 42 ff). ι» Zusammenfassend: N. Hartmann, Teleologisches Denken (1951); Hegel: Die Ursache k a n n n u r deshalb die W i r k u n g hervorbringen, w e i l diese schon der G r u n d ihres Wirkens ist. 20 Nachweise: Eisler, sub verbo: Entelechie (Bd. I, S. 344 ff.). 21 Vgl. etwa Fels, Was ist apriori und aposteriori, Philosophisches Jahrbuch 38 (1925) 201 ; N. Hartmann, Das Problem des A p r i o r i i n der platonischen

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Probleme u n d Gefahren dieser Relationsbegriffe

f ü r analytische oder synthetische U r t e i l e 2 2 . H i n g e w i e s e n sei f e r n e r auf die so schwer e n t w i r r b a r e n O r d n u n g s f o l g e n v o n L o g i k , g r a m m a t i k a lischer S y n t a x u n d Psychologie, eine Diskussion, i n d e r j e d e r folgende D e n k e r d e m v o r h e r g e h e n d e n Psychologismus v o r g e w o r f e n h a t 2 3 ; g l e i ches g i l t f ü r M e t a p h y s i k u n d A n t i m e t a p h y s i k 2 4 , f ü r I d e a l i s m u s u n d M a t e r i a l i s m u s 2 5 . E r w ä h n t k a n n schließlich das Gegensatzpaar M o n i s m u s — D u a l i s m u s i n d e r Philosophiegeschichte w e r d e n : D i e Q u a l i f i z i e r u n g eines D e n k e r s als M o n i s t e n besagt ü b e r h a u p t nichts, solange n i c h t genau k l a r g e l e g t ist, i n w e l c h e r B e z i e h u n g er m o n i s t i s c h d e n k t . Es g i b t n i c h t d e n M o n i s t e n oder D u a l i s t e n . D i e T e r m i n i bezeichnen die P r i n z i p i e n d e r E i n h e i t u n d der Z w e i h e i t . N u n s i n d alle P h ä n o m e n e u n t e r b e i d e n P r i n z i p i e n b e t r a c h t b a r ; aber m a n k a n n n i c h t die m o n i s t i schen u n d die dualistischen A s p e k t e g l e i c h z e i t i g erfassen. Der Monist w i l l meist irgendeinen anerkannten Gegensatz aufheben u n d das eine auf das andere zurückführen (von i h m ableiten), verneint also die E. beider Prinzipien. Der ethische Dualismus geht von dem Gegensatz gut u n d böse aus, der religiöse Dualist glaubt an Gott u n d Teufel, der n a t u r philosophische Dualismus setzt Geist u n d Materie gegeneinander (andere wieder: Geist u n d Leben) 2 6 ; der anthropologische Dualismus spricht von Leib u n d Seele, der erkenntnistheoretische Dualismus von Sinnlichkeit u n d Verstand, Descartes etwa von res cogitans u n d res extensa. Je nach dem dualistischen Gegensatzpaar, das er angreift, u n d seiner philosophischen Grundanschauung f ü h r t der Monist meist eines der Prinzipien auf das andere zurück. So leitet etwa der metaphysische Monismus alle W i r k l i c h keit v o n einem einzigen Prinzip ab: der Materialismus aus der Materie, der Spiritualismus aus dem Geist usw.; der psychologische Monist glaubt an die Einheit von Gehirn u n d Seele; der erkenntnistheoretische Monismus reduziert den Gegensatz von Sein u n d Bewußtsein, Objekt u n d Subjekt, physisch u n d psychisch, Innen- u n d Außenwelt, vor allem: Erscheinung u n d Philosophie, Sitzungsberichte der preußischen Akademie der Wissenschaften, phil.-hist. Klasse 15 (1935), wieder abgedruckt i n : Kleinere Schriften, Bd. 3 (1957) 48; J. Lötz, Z u m Problem des Apriori, Mélanges Maréchal, Bd. 2, S. 62. 22 Nachweise: Eisler, sub verbo: U r t e i l (Bd. I I I S. 344 ff.). 23 Wenn etwa Schopenhauer (Welt als W i l l e u n d Vorstellung, Bd. 2, 1922, S. 13 f. darlegt, daß Lockes Philosophie eine K r i t i k der Sinnesfunktionen, Kants Lehre eine K r i t i k der Gehirnfunktionen gewesen sei; vgl. etwa Husserl , Logische Untersuchungen, Bd. 1 (4. Aufl. 1928); vgl. ferner die i n Deutschland wenig bekannte Schrift von Ch. Serrus, Le parallélisme logicogrammatical (Paris 1933). 24 Nachweise: Eisler, sub verbo: Metaphysik (Bd. I I S. 126 ff.), s. v o r allem aber auch die marxistische Literatur, die sämtliche Denkrichtungen nicht streng parteiamtlicher Prägung als Metaphysik bezeichnet. 25 Jede einzelne idealistische Richtung neigt dazu, jede andere Richtung als materialistisch zu bezeichnen und umgekehrt. So gelten die Neopositivisten doch allgemein nicht als Idealisten, u n d doch sehen die Vertreter des dialektischen Materialismus i n ihnen n u r eine Spielart des Idealismus, vgl. etwa Grundlagen der marxistischen Philosophie (Autorenkollektiv, übers, aus dem Russischen, 1964) S. 685 ff. 26 Oder noch weiter: Geist u n d Seele (Klages).

Verwirrung der Ordnungsfolgen

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D i n g an sich, erkennendes Subjekt u n d zu erkennendes Objekt auf eines der beiden Elemente.

Alle diese Dualismen-Monismen treten nie alle i n einem Denker auf: Man kann i n religiösen Dingen dualistisch und erkenntnistheoretisch oder psychologisch monistisch denken. So gilt Kelsen als der bekannteste Monist i n der Rechtswissenschaft, weil er Völker- und Landesrecht i n ein einheitliches System bringt; hinsichtlich des Gegensatzes von Sein und Sollen dagegen ist er der entschiedenste Dualist: Er geht von zwei voneinander unabhängigen („eigenständigen") Ordnungen, nämlich der Seins- und der Sollensordnung aus. Und ob Kelsen i n den übrigen hier angedeuteten Problemen dualistisch oder monistisch denkt, steht ganz dahin. Daß umgekehrt selbst ein Wechsel der Betrachtungsweise den einzelnen Denker bald als Monisten, bald als Dualisten erscheinen läßt, zeigt die Beurteilung Triepels: Er gilt zurecht als Begründer des dualistischen Verhältnisses von Völker- und Landesrecht; gleichwohl hat man von i h m gesagt, er sei Monist gewesen, weil er den Staat an das Völkerrecht für gebunden erklärte 2 7 . Man kann eben nicht nur die Phänomene, sondern auch das Denken über die Phänomene sub specie unitatis oder sub specie diversitatis, der Ableitung oder der Eigenständigkeit ansehen. Vor allem, besonders auch i n der Rechtsdogmatik, ist das geschichtlich und terminologisch bedingte dunkle Gefühl zu überwinden, die Priorität (Eigenständigkeit, Ursprünglichkeit usw.) sei eine unteilbare, und die historische oder genetische Priorität habe die dogmatischen, logischen, erkenntnistheoretischen, psychologischen, wertmäßigen u. a. Prioritäten zur Folge oder sei von ihnen ungeschieden. Von bestimmten gedanklichen Voraussetzungen aus mögen bestimmte Ordnungsfolgen ungeschieden bleiben, wie i m scholastischen Weltbild. Dieses Denken ging aus vom Prinzip der Einheit (principium unitatis), von dem Satz: omnis m u l t i derivatur ab uno 2 8 und führte alle Ordnungsfolgen auf Gott als prima causa zurück (reductio ad unum). Dann erschien eine Scheidung der Ordnungsfolgen zwecklos, dann erschien jede causa efficiens gegenüber der causa finalis als unwesentlich 29 . Dazu trat der mittelalterliche Wortrealismus mit der Annahme, die Universalien, 27

Nachweise: Wagner, Monismus oder Dualismus, S. 236 A . 84. 28 Dazu und zur Verketzerung des „binarius numero infamis", des ketzerischen „ponere dua principia" vgl. die Nachweise bei Gierke, Genossenschaftsrecht, 3. Bd. (1881, 1954) 515 f. 29 F ü r das Verhältnis von Gott als causa prima und den Ursachen i n u n serem Sinn, die als causae secundae belanglos erschienen, s. Heyde (N. 1) S. 17.

Probleme u n d Gefahren dieser Relationsbegriffe

42 d.h.

die A l l g e m , e i n b e g r i f f e

seien ontologisch

und

psychologisch-er-

k e n n t n i s m ä ß i g „ f r ü h e r " als die w i r k l i c h e n E i n z e l d i n g e ( u n i v e r s a l i a s u n t ante rem), w a s z u der V e r q u i c k u n g des griechischen Gegensatzes des A l l g e m e i n e n u n d Besonderen m i t d e m des f r ü h e r u n d später f ü h r t e . Schließlich h i e l t m a n auch die a l l g e m e i n e n U r t e i l e (die i n d e r q u a s i k a n o n i s i e r t e n d e d u k t i v e n aristotelischen L o g i k d e n besonderen U r t e i l e n v o r a n g i n g e n ) i n j e d e r H i n s i c h t , also auch ontologisch, logisch u n d m e thodologisch f ü r w e r t v o l l e r als die besonderen ( „ s p ä t e r e n " ) U r t e i l e u n d d i e D e d u k t i o n f ü r w e r t v o l l e r als die I n d u k t i o n 3 0 . Das k a n n m a n sich k a u m wörtlich genug vorstellen. Als der bedeutende u n d einflußreiche K a r d i n a l Bellarmine das kopernikanische Weltsystem verwarf, weigerte er sich, zur Prüfung auch n u r einmal durch ein Fernrohr zu sehen, w e i l die Ergebnisse „philosophisch absurd" s e i e n 3 i . Noch Kepler, einer der Begründer der modernen Kosmologie, hält die apriorische Dedukt i o n (aus göttlichen Vernunftswahrheiten) f ü r wissenschaftlicher als die empirische Erkenntnis, u n d er zeigt daher f ü r die Beobachtungen Kopernikus', obwohl deren Ergebnisse m i t den seinen übereinstimmen, n u r V e r achtung, w e i l dieser „aus den Erscheinungen, aus den Wirkungen, a posteriori, wie w e n n ein Blinder seinen Schritt m i t einem Stab stützt, mehr durch glücklichen Einfall als durch ein zuverlässiges Schlußverfahren festgestellt u n d sich zurechtgelegt hat", wogegen er die (gleichen) Ergebnisse „durch Gründe, die a priori, aus den Ursachen, aus der Idee der Schöpfung hergeleitet sind, aufs sicherste festgestellt u n d erfaßt h a t " 3 2 . Das f ü h r t d a n n dazu, d e m i n i r g e n d e i n e m S i n n e p r i o r i t ä r e n

(origi-

nären) O b j e k t (Rechtsträger, Rechtsinhaber) i n j e d e r j u r i s t i s c h e n B e z i e h u n g gleichfalls f ü r h ö h e r r a n g i g z u h a l t e n , k u r z : d e m z e i t l i c h P r i o r i t ä r e n auch g r ö ß t e Rechte u n d w e i t e r e Befugnisse zuzuschreiben. Diese noch h e u t e so störende V e r q u i c k u n g v o n zeitlicher (historischer,

er-

k e n n t n i s m ä ß i g e r usw.) P r i o r i t ä t u n d W e r t u r t e i l d u r c h z i e h t T h e o l o g i e 3 3 ,

30 Ζ. B. bei Albert von Sachsen, Quaestiones subtilissimae A l b e r t i de Saxonia super libros posteriorum (Venedig 1497), zitiert nach Prantl, Carl, Geschichte der L o g i k i m Abendlande, 4. Bd. (1870, 1957) S.78 A . 302: demonstratio quaedam est procedens ex causis ad affectum et vocatur demonstratio a p r i o r i et demonstratio propter q u i d et potissima — alia est demonstratio procedens ab effectibus ad causas et talis vocatur demonstratio a posteriori et demonstratio quia et demonstratio non potissima.

s. etwa Dampier, Geschichte der Naturwissenschaft (1952) S. 143; ausführlicher: Crombie, V o n Augustinus bis Galilei. Die Emanzipation der Naturwissenschaft (2. Aufl. 1965) S. 439 ff. 82 Zitat aus Kepler, W i d m u n g der ersten Auflage des Mysterium graphicum, Ausgabe Augsburg 1923 (übers.).

Cosmo-

33 Beispiel der Argumentation: „Also jegliches Geschöpf, das der Glückseligkeit fähig ist . . . , gewinnt sie nicht aus sich selbst, w e i l es j a aus nichts erschaffen ist, sondern aus dem, von dem es erschaffen ist", Augustinus, V o m gültigen Gottesstaat, Buch I I , K a p i t e l 1.

Verwirrung der Ordnungsfolgen

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Philosophie 34 und selbst die mittelalterliche Physik 3 5 . Noch heute sind thomistische Denker geneigt, nominalistisches Denken i n den Gesellschaftswissenschaften für schädlich, ja für rechtswidrig zu halten 3 6 . Nun ist hier nicht mittelalterliches Denken zu kritisieren. Aber seine gedanklichen Voraussetzungen, die es zur Annahme einer durchgehenden Einheit führten, sind für uns nicht mehr verbindlich. Deshalb ist eine Verquickung der verschiedenen Prioritäten m i t einem Werturteil nicht mehr zulässig 37 . Besonders erwähnt müßte eine i m m e r wiederkehrende Verwechslung von Ordnungsfolgen werden, die zeitliche A b l e i t u n g m i t den logisch-systematischen, erkenntnistheoretischen u n d juristischen Ableitungen. Das sei i n Abschnitt 9 gesondert dargestellt.

I n der Rechtswissenschaft trägt weiter zur Verwirrung der Ordnungsfolgen bei, daß i m Verfolg der verschiedenen Untersuchungen jede Rechtsposition schon einmal i n irgendeinem Sinne als „eigenständig" qualifiziert worden ist. Dagegen ist an sich nichts zu sagen, denn i n irgendeinem Sinne ist jeder denkbare Erkenntnisgegenstand „eigenständig", d. h. abgesondert, sonst würde er nicht m i t einem gesonderten Begriff erfaßt. Die Besonderung ist gerade die Funktion der Begriffe. Ebenso sind jede Rechtsposition, jeder Rechtsträger und jede Rechtsbefugnis i n irgendeinem Sinne „eigenständig", sonst würden sie nicht gesondert erfaßt. I m Rahmen der jeweiligen Untersuchung mag daher die Qualifizierung „eigenständig" zutreffen. Es geht dabei um bestimmte Ordnungsfolgen, d.h. u m bestimmte Beziehungen zwischen zwei m Sarkastisch dazu: Fr. Nietzsche: „Die andere Idiosynkrasie der Philosophen ist nicht weniger gefährlich; sie besteht darin, das Letzte u n d das Erste zu verwechseln . . . das Höhere darf nicht aus dem Niederen wachsen, darf überhaupt nicht gewachsen sein. Moral: Alles, was ersten Ranges ist, muß causa sui sein. Die H e r k u n f t aus etwas anderem gilt als Einwand, als Wert-Anzweiflung. A l l e obersten Werte sind ersten Ranges, alle höchsten Begriffe, das Seiende, das Unbedingte, das Gute, das Wahre, das V o l l k o m mene — das alles k a n n nicht geworden sein, muß folglich causa sui sein." Der Marxismus (in der Leninschen Fortbildung) hat hiervon entscheidend Abstand genommen. Nach i h m entsteht das Höhere aus dem Niederen: aus unbelebter Materie Leben, aus Leben Bewußtsein; s. Grundlagen (N. 25) S. 124 ff. aß Ausführlich: Lenoble, Robert, Mersenne ou la naissance d u mécanisme, (Paris 1943). 36 Vgl. etwa Ε. v. Hippel, Allgemeine Staatslehre (1963); auch die kritische Auseinandersetzung von Nawroth OP auf thomistischer Grundlage m i t dem Neoliberalismus beginnt m i t einer großangelegten Darstellung des Universalienstreites (Die Sozial- u n d Wirtschaftsphilosophie des Neoliberalismus, 1961). 37 Während die marxistische Lehre noch weitgehend bei der Einheit dieser Ordnungsfolgen verharrt; vgl. etwa H. Kreschnak, Z u r Einheit v o n Logischem u n d Historischem i n der Erkenntnistheorie, Deutsche Zeitschrift f ü r P h i l o sophie 1963 S. 422 ff.

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Probleme und Gefahren dieser Relationsbegriffe

Rechtspositionen. I m Rahmen seiner Untersuchimg kann daher der Autor gerade von seinem Objekt ausgehen, es ausschließlich hinsichtlich der von i h m untersuchten Beziehungen prüfen und es auf Grund gerade dieser Beziehungen als „eigenständig" qualifizieren. Dann mag er allen anderen Objekten die E. absprechen oder sie gar nicht behandeln; andere Objekte und andere Beziehungen sind nicht i n seinem Blickfeld. Man kann geradezu als Regel aufstellen: jeder Autor qualifiziert das gerade von i h m untersuchte Rechtssubjekt als „eigenständig". Das zeigt sich besonders i m Verhältnis zwischen Staat — europäischen Gemeinschaften — übrigen internationalen Organisationen. So sehen noch immer deutsche staatsrechtliche Abhandlungen das einzige K r i t e r i u m zur Abgrenzung von Staat und Gemeinde i n der ursprünglichen (originären) Hoheitsgewalt des Staates. Diese originäre Hoheitsgewalt w i r d als Souveränität bezeichnet und diese dahingehend verstanden, daß „keine übergeordnete Gewalt vorhanden sein darf, deren Willen dem staatlichen Willen bindende Weisungen geben kann". Alsdann werden der Bundesrepublik die so verstandene Souveränität und ursprüngliche Hoheitsgewalt zugesprochen 38 . Daß es seit langem europäische Gemeinschaften (und in schwächerem Maße sonstige Integrationsgemeinschaften) gibt, die sehr wohl „den staatlichen Willen bindende Weisungen geben" können, w i r d nicht gesehen. Die Literatur zu den europäischen Gemeinschaften ihrerseits vindiziert die begehrte E. und Ursprünglichkeit der Gemeinschaftsgewalt für ihr Untersuchungsobjekt. U m die Neuartigkeit der europäischen Gemeinschaften zu betonen, spricht sie allen anderen Integrationsgemeinschaften und internationalen Organisationen (etwa der OEEC/ OECD) die E. und Ursprünglichkeit ab und versucht, sie auf bloße Vertragsverhältnisse zu reduzieren 39 . Das Schrifttum zur OECD wiederum qualifiziert diese Gemeinschaft als „eigenständig", und ebenso ließe sich dies für alle übrigen internationalen Organisationen nachweisen. Eine Zusammenschau des Schrifttums zeigt sich dann so: Der Staat kann Grundrechte, Gemeinde- und Länderautonomie nicht beeinträchtigen, weil Individuum, Familie, Gemeinden und Länder originär, vorgefunden, vor aller Normierung sind. Die Organe der europäischen 38

So Harbig, Der Bundesstaat und seine Unantastbarkeit (Schriften zum öffentlichen Recht, Bd. 20, 1965) S. 16, 18 ff.; die allgemeine Entwicklung des heutigen Souveränitätsverständnis bei Wagner, Beschlußrecht, S. 48 ff. se Einige Nachweise s. N. 42 ff.; ferner: Wagner Beschlußrecht, S. 96 u n d passim.

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Gemeinschaften sind an eben diese Grundrechte nicht gebunden, w e i l sie wiederum eigenständig und originär sind. Darin braucht kein sachlicher Widerspruch zu liegen, aber dem Unbefangenen muß es als ein sie et non erscheinen. Das Argument der Eigenständigkeit w i r d wertlos, wenn alle Rechtssubjekte als eigenständig begriffen werden. Dann ist der fragliche Gegenspieler zu dem untersuchten Rechtssubjekt ebenfalls eigenständig; eigenständig steht gegen Eigenständigkeit und w i r d zum epitheton ornans. Dann hat die Gemeinde kraft Eigenständigkeit die Befugnisse in ihrem Bereich, und der Staat kann kraft Eigenständigkeit alles an sich ziehen; aber zwischen ihnen stehen die eigenständigen Länder 4 0 , und beide können weder gegenüber den eigenständigen europäischen Gemeinschaften noch gegenüber dem eigenständigen Individuum irgendetwas ausrichten. Und nicht nur die einzelne europäische Gemeinschaft ist eigenständig, sondern jede von ihnen, und wenn die EGKS kraft Eigenständigkeit weitere Kompetenzen beansprucht, so beeinträchtigt sie die Kompetenzen der nicht weniger eigenständigen EWG oder der OECD. Sind aber Individuum, Familie, Gemeinde, sonstige Selbstverwaltungskörperschaften, autonome Provinzen, Länder, Mitgliedstaaten, europäische Gemeinschaften und weitere Verbände (OEEC, VN) alle eigenständig, so ist nichts ausgerichtet oder läuft auf die Tautologie hinaus, jeder habe die i h m zustehenden Befugnisse. Die Argumentation aus der Eigenständigkeit ist nur möglich, w e i l jeder Autor sein Objekt — es sei Individuum, Gemeinde oder europäische Gemeinschaft — isoliert betrachtet und gegen andere potentielle Bewerber und fast immer gegen den Staat abschirmen w i l l . Daß so jeder Autor zum Augenblicksdogmatiker wird, muß die juristische Diskussion unnötigerweise erschweren. Denn das untersuchte Objekt steht immer noch i n anderen Beziehungen. Alle zusammengestellten Phänomene sind auch in irgendeinem Sinne verbunden und aufeinander bezogen: gänzlich beziehungslose Phänomene würde niemand gegenüber- und also zusammenstellen. Vollends in der sozialen Welt gibt es keine rundum eigenständigen Phänomene. Außerhalb des Rahmens der jeweiligen Untersuchung, d.h. herausgerissen aus einem bestimmten Bezugsnetz und i n ein anderes gestellt, behält eine Rechtsposition selbstverständlich nicht ihre vorherige Bezugsposition, weder gegenüber anderen Rechtspositionen noch hinsichtlich anderer Ordnungsfolgen. Kein Rechtssubjekt ist gegenüber allen anderen Subjekten (oder gegenüber einem bestimmten Subjekt) i n 40 Zur „länderfreundlichen" gegen die „selbstverwaltungsfreundliche" A u s legung von A r t . 28 GG s. Becker, i n Handbuch der kommunalen Wissenschaft u n d Praxis, Bd. 1 S. 142.

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Probleme und Gefahren dieser Relationsbegriffe

jeder Beziehung eigenständig; das Wesen des Rechtssubjekts ist es gerade, i n ein Netz von Rechtsbeziehungen gestellt zu sein. Die Eigenständigkeit kann also immer nur relativ sein, relativ hinsichtlich anderer Subjekte und relativ hinsichtlich bestimmter Bezüge (und d.h. hinsichtlich bestimmter Probleme). „Eigenständigkeit" und „Abgeleitetheit" sind, wie alle Relationsbegriffe, nur innerhalb ihrer jeweiligen Relation sinnvoll. Gerade die „Eigenständigkeit" eines Rechtssubjektes ist meist polemisch gegen ein ganz bestimmtes anderes Rechtssubjekt gerichtet, dessen Einfluß negiert oder gemindert werden soll. Das ist fast immer der Staat 4 1 . Die ganze Argumentation ist nur aus diesem Gegensatz verständlich und w i r d ohne i h n zu sinnloser Abstraktion. Denn natürlich sind die Erwägungen, die für oder gegen die Eigenständigkeit eines Rechtssubjektes, einer Befugnis oder eines Rechtes sprechen, für die einzelnen Subjekte, Befugnisse und Rechte verschieden. Über die Qualifikation „eigenständig" fließen dann Erwägungen i n die Diskussion, die zwar bezl. des einen Rechtssubjektes sinnvoll sind, nicht aber bezl. des anderen. Wenn Staat, internationale Organisationen und europäische Gemeinschaften, Länder und Gemeinden, Gewalten und Behörden, Kirchen, Verwaltungs- und Wirtschaftsverbände, Familie und Individuum eigenständig sind, dann sind doch w o h l ganz verschiedene Relationen gemeint; irgendwelche Beziehungen müssen ja w o h l zwischen all diesen Rechtsträgern bestehen. So kann die polemisch gegen den Staat gerichtete Eigenständigkeit und Ursprünglichkeit des Individuums, dieses Synonym für Vorstaatlichkeit und damit für Freiheit vom Staate, nichts m i t der ebenfalls und gerade für den Staat gegenüber eingegliederten Gebietskörperschaften und gesellschaftlichen (früher: feudalen, kirchlichen) Mächten vindizierten Eigenständigkeit und Ursprünglichkeit gemein haben. Darüber hinaus bestehen selbst zwischen zwei bestimmten Rechtssubjekten sehr verschiedene Beziehungen, so daß dasselbe Rechtssubjekt i m Verhältnis zu dem anderen bald als eigenständig, bald als abgeleitet erscheint. Wie eigenständig Gemeinde (etwa bzl. der Haushaltsführung) oder Individuum (etwa bzl. seines grundrechtsgeschützten Bereiches) auch sein mögen, so gibt es doch unbestreitbar Einwirkungsmöglichkeiten seitens des Staates. Jedes Rechtssubjekt steht damit i n vielfältigen Bezugsnetzen. Bezeichnen „eigenständig" und „abgeleitet" entsprechend der jeweiligen Untersuchung aber immer nur eine bestimmte Beziehung oder bestimmte Beziehungen, dann kann die jeweilige Qualifizierung nicht ohne weiteres auf ganz andere Beziehungen (Beziehungen anderen I n halts oder zu anderen Rechtspositionen) übertragen werden. Vielmehr müssen die für die Qualifizierung einer bestimmten Beziehung spregi s. Zitat Krüger,

Kapitel I V Abschnitt 14, Ziffer 2, Text zu N. 86.

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chenden Gründe daraufhin geprüft werden, ob sie auch für die andere Beziehung gelten oder überhaupt nur relevant sind. Ist man sich darüber klar, dann erscheinen oft die für die E. geltend gemachten Gründe für die zu lösende Frage (z.B. für die gesuchte Rechtsfolge) seltsam unmaßgeblich. Man wende versuchsweise die „Einsetzungsregel" der Logik an und setze ζ. B. die für die E. angeführten normativen Regelungen selbst ein und lasse sie so unmittelbar die gesuchte Rechtsfolge begründen. Dann würde etwa die Freiheit der Länder gegenüber dem Reichskonkordat aus ihrer selbständigen Haushaltswirtschaft u. ä. begründet; dann w i r d m i t dem klassifikatorischen Streben mancher Völkerrechtler, Beschlüsse internationaler Organisationen als eine von völkerrechtlichen Verträgen unterschiedene Rechtsquelle anzuerkennen, i m innerstaatlichen Bereich der Ubergesetzesrang von Beschlüssen der europäischen Gemeinschaften begründet. Ohne den Rösselsprung über die E. spränge die Unmaßgeblichkeit der Argumente ins Auge. Wie irrelevant die für die Eigenständigkeit i m einen Sinne sprechenden Argumente für die Frage, ob eigenständig oder abgeleitet, i n einem anderen Sinne sein können, sei an einigen Beispielen gezeigt. Wie eigenständig die europäischen Gemeinschaften gegenüber den Mitgliedstaaten sein mögen, sie unterliegen Bindungen des GATT-Verbandes 42 , sind insoweit also nicht eigenständig. Aber auch diesem Verband gegenüber sind sie i n bestimmter Beziehung eigenständig, wenn sie etwa einheitlich anstelle der Mitgliedstaaten auftreten. Umgekehrt: Aus dem rechtssystematischen Bedürfnis, die Rechtsordnung der europäischen Gemeinschaften gegen diese weiteren Verbände oder gegen das allgemeine Völkerrecht 4 3 abzuheben, lassen sich keine Schlüsse ziehen über ihr Verhältnis zu den nationalen Rechtsordnungen. I n ähnlicher Weise wurden die Organbeschlüsse internationaler Organisationen als eigene Völkerrechtsquellen bezeichnet, u m sie von den i n A r t . 38 Abs. 1 des Statuts des Internationalen Gerichtshofs genannten Völkerrechtsquellen abzuheben 44 . Offensichtlich kann das klassifikatorische 42

Allen, The European Common Market and the G A T T (1960). Sperduti spricht von der Eigenständigkeit der Gemeinschaftsrechtsordnung, u m den Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten, die j a Rechtssubjekte der Gemeinschaften geworden sind, nicht die Völkerrechtssubjektivität zusprechen zu müssen (Natura giuridica della CECA, Comunità internazionale 12 (1957), S. 452; ebenso hebt Much, Amtshaftung, ( N . I 53) S. 21, die E G K S so gegen die Völkerrechtsordnung u n d die staatlichen Ordnungen ab. 44 A r t . 38 Abs. 1 zählt n u r Verträge, Gewohnheitsrecht, allgemeine Regeln und Schrifttum, nicht aber Organbeschlüsse auf; zu den Stimmen, die die Organbeschlüsse als selbständige Quelle ansehen wollen, s. Tammes, Decisions of international organs as a source of international law, Académie de Droit International, Recueil des Cours, Bd. 94 (1958) S. 261 ff. (266, A n m . 3). 43

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Probleme und Gefahren dieser Relationsbegriffe

Streben, die Organbeschlüsse gegen die völkerrechtlichen Verträge abzuheben, nicht nunmehr als Beleg verwendet werden, die Beschlüsse der europäischen Gemeinschaften über die innerstaatlichen Grundrechte zu stellen oder den Rat an die Beschlüsse der Kommission zu binden. Genau das geschieht aber, wenn Autoren für die Prävalenz der Gemeinschaftsbeschlüsse Nachweise anführen, daß die Organbeschlüsse schon immer als eigenständig anerkannt worden wären. So werden etwa (zu recht) i n der völkerrechtlichen Rechtsquellenlehre das Gewohnheitsrecht als primäre oder originäre, das gesetzte (vertragliche) Recht als sekundäre oder abgeleitete Rechtsquelle bezeichnet, w e i l das Gewohnheitsrecht dem vertraglichen (und allem gesetzten) Recht historisch und rechtslogisch vorausgehe, da es feststelle, wie der Vertrag zustandekomme, welche Rechtswirkungen er entfalte und wie er außer Kraft trete 4 5 . Aber diese Ursprünglichkeit führt zu keiner Überlegenheit i n den Rechtsfolgen, vor allem zu keinem rechtlichen Vorrang des ungesetzten Rechts; beide Rechtsquellen sind grundsätzlich 46 gleichwertig und können einander derogieren 47 . Eindeutig mischen sich beide Bezüge i n der Diskussion um die Völkerrechtssubjektivität nichtstaatlicher Rechtsordnungen, wie sie besonders eingehend i m italienischen Schrifttum geführt w i r d 4 8 . I h r liegt der Gedanke zugrunde, daß Staaten aus sich heraus, d. h. kraft außerrechtlicher Gegebenheiten Rechtssubjekte des Völkerrechts seien, während Staatenverbindungen diese auf Grund Rechtsakts erlangten. Die Autoren wollen so die Frage nach den Völkerrechtssubjekten neu durchdenken und eine umfassende Betrachtung der i n ihren äußeren Erscheinungsformen unterschiedlichen nichtstaatlichen Organisationsgebilde unter einheitlichen Gesichtspunkten ermöglichen 49 . Natürlich sind auch die i n diesem Sinne abgeleiteten Rechtsordnungen wiederum insoweit eigenständig, als sie gegenüber den Staaten eine gewisse rechtliche Abgelöstheit besitzen und darum auch wieder eigen45 So besonders i n der italienischen Völkerrechtslehre (norma primaria u n d norma secundaria); vgl. etwa R. Quadri , D i r i t t o internazionale publico (3. Aufl. Palermo 1960), S. 88 ff. 4 ® M i t der Einschränkung, daß ungesetztes Recht über gewisse M o d i des gesetzten Rechts bestimmt. 47 M i t diesem Wortverständnis etwa Morelli , Gaetano, Cours général de droit international public, Ree. ( N . I I I 44) 89 (1956), 441 ff. (462); ähnlich Verdross, i n : Wörterbuch des Völkerrechts und der Diplomatie, Bd. 3 (1929) S. 182; Sperduti , Norme giuridiche primarie e fondamento del diritto, Rivista d i d i r i t t o internazionale 39 (1956), S. 12 ff. 48 Ausführliche Darstellung u n d Nachweise bei Mosler, Die Erweiterung des Kreises der Völkerrechtssubjekte, ZaöRV 22 (1962), 1 ff. (22 ff.). 49 V o r allem hinsichtlich der begrenzten Völkerrechtssubjektivität: N u r ursprüngliche Völkerrechtssubjekte sollen die volle, die abgeleiteten Rechtssubjekte dagegen n u r eine begrenzte Rechtspersönlichkeit haben.

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ständige Rechtsordnungen 50 . I n dieser Diskussion u m die Völkerrechtssubjekte werden so (zu recht) aus der soziologischen Eigenständigkeit Rechtsfolgen hergeleitet; sachlich ist dies die Diskussion u m Staat und Nichtstaat. Ähnlich verschiedene Relationen zeigt der bundesstaatliche Bereich: die Vereinigten Staaten von Amerika verfügen gegenüber dritten Staaten über originäre und eigenständige Gewalt; trotzdem gesteht die Lehre dem Bund nur delegierte, übertragene (granted) Befugnisse zu. Und die Bundesrepublik verfügt auch i m staatsrechtlichen Bereich über eigenständige und originäre Gewalt. Darin liegt kein Widerspruch und kein Unterschied: die amerikanische Lehre hat beide Male verschiedene Relationen i m Auge, und zum deutschen Staatsrecht liegt nur eine unterschiedliche Betrachtungsweise vor. Die Vielfalt der Relationen und die dadurch bedingte Polyvalenz der Wörter „eigenständig" und „ursprünglich" führen zu säkularen Scheinproblemen und unermüdlichem Aneinandervorbeireden. Man nehme einen Satz, der zum Grundbestand staatsrechtlicher Dogmatik gehört: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus", Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG. Während der eine darin „eine klare Absage an die katholische Staatsauffassung" sieht, andere dem widersprechen 51 , sieht Imboden 52 darin eine Scheinlösung, denn „die Behörden vermöchten nicht zu befehlen, wenn sie sich nicht auf eigene Autorität zu stützen vermöchten, wenn nicht dem von ihnen erhobenen Ordnungsanspruch eine selbständige Legitimation innewohnte". Offensichtlich redet hier jeder von Verschiedenem. Man sollte anerkennen, daß für eine säkularisierte Staatstheorie die Staatsgewalt keiner überirdischen Ableitung fähig oder bedürftig ist. U m Verschiedenes geht es auch i n der Kontroverse Scheuner-Harbich 53. Scheuner möchte die Frage der Originarität u n d Unabgeleitetheit der Staatsgewalt als Scheinproblem a b t u n 5 4 , da jede Machtausübung der Legitimation, d.h. der A b l e i t u n g bedürfe; er spricht also von der Legitimation der Machtausübung. Harbich dagegen systematisiert bestehende Machtträger u n d setzt Staat u n d Gemeinde i n ein dogmatisch-systematisches Verhältnis zueinander. Auch Wolff 55 spricht den Behörden „Eigenständigkeit" zu u n d unter50 s. etwa Mosler ( N . I I I 48) S. 33: Morelli , A p p u n t i sulla CECA, Rivista d i diritto internazionale, 37 (1954), 3 ff. (9). 61 Nachweise bei v. Mangoldt-Klein A r t . 20 V 4 a; Maunz-Dürig A r t . 20 Ziffer 47. 52 Die Staatsformen (1959) 60f.; da aber Imboden nicht angibt, was er m i t „eigener A u t o r i t ä t " meint, läßt sich nicht eindeutig erkennen, wovon er eigentlich spricht. ss Harbich, (N. 38) S. 17. 54 Daß eine Bundesstaatslehre ohne diese belasteten Vorstellungen geschrieben werden kann, zeigt Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der B R D (Karlsruhe 1967). w Bd. 2, §74 I f 6; §76 I d 8.

4 Wagner

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Probleme und Gefahren dieser Relationsbegriffe

scheidet sie (als Organe) so von bloßen Organteilen, den Ämtern. Offensichtlich liegen hier keine sachlichen Differenzen vor, sondern jeder redet v o n Verschiedenem. Die A b l e i t u n g der Gewalt von Gott hat metaphysischapologetische, die A b l e i t u n g v o m Volke soziologisch-politisch-konstruktive Bezüge i m Auge. Die eigene A u t o r i t ä t der Behörden bei Imboden meint politische, bei Wolff rein rechtstechnische Bezüge 5 6 .

Besonders die m i t „eigenständig" oder „abgeleitet" bezeichneten rein rechtstechnischen Beziehungen sind verschiedenster Natur und ganz verschieden ausgestaltet. So w i r d etwa die E. der Länder u. a. m i t ihrer selbständigen Haushaltswirtschaft begründet 57 . Aber auch bei Gemeinden und sonstigen Verwaltungsträgern verschiedenster A r t und selbst bei rechtlich unselbständigen Verwaltungseinheiten spricht man von haushaltsrechtlicher E. 5 8 . Aber die haushaltsrechtliche E. der Länder besagt, daß Bundes- und Länderhaushalte nicht verzahnt sind; bei den übrigen Verwaltungsträgern meint die E. lediglich eine selbständige Kassenführung. Beide Male verwendet man dasselbe Wort. E. kann auch die Fähigkeit einer Verwaltungseinheit bedeuten, Zurechnungsendpunkt für alle oder bestimmte Handlungen zu sein. I n diesem Sinne sind die europäischen Gemeinschaften „eigenständig", da sie zuordnungsfähige Rechtsordnungen und Rechtsträger sind. Ihre Organe handeln rechtlich für die Gemeinschaften und nicht — wie nach der Theorie der gemeinsamen Organe — für die Mitgliedstaaten 59 . Ihre Akte werden daher den Gemeinschaften zugerechnet, nicht den M i t gliedstaaten, falls sie nicht kraft ausdrücklicher Bestimmung namens der Mitgliedstaaten handeln 6 0 . Für vertragliche, deliktische und hoheitliche Beeinträchtigungen durch Gemeinschaftsorgane haften die Gemeinschaften 61 . Innerhalb der Gemeinschaften folgt aus der so verstandenen Ε. ζ. B., daß gegen Organakte keine Anfechtungs- und Haftungsklagen vor nationalen Gerichten möglich sind. Genauso w e r d e n g e m e i n d l i c h e A k t e d e r Gemeinde, A k t e v o n sonstigen eigenständigen V e r w a l t u n g s t r ä g e r n diesen zugerechnet. D i e e i g e n es Gemeint ist damit: die Behörde handelt durch ihre einzelnen Abteilungen u n d Beamten. Deren Handlungen werden nicht diesen, sondern der Behörde als Ganzem zugerechnet. „Behörden haben also, auch w e n n sie Weisungen unterworfen sind u n d i m Einzelfall eine Weisung befolgen, ihre Entscheidungen nach außen i n eigener rechtlicher Verantwortung zu treffen. Behördenteile sind dagegen nicht eigenständig. Sie entscheiden namens der (Gesamt-) Behörde, der i h r Verhalten zugerechnet w i r d " (a.a.O. §76 I d 8 ) . Ähnlich: die Ausführung der Bundesgesetze durch die Länder als eigene Angelegenheit, vgl. A r t . 83 ff. GG. 58 « s.Vgl. N. etwa I 6. BundesbahnG. und BundespostG.; ferner die Eigenbetriebsverordnung. 59 Z u r Theorie der gemeinsamen Organe: Wagner, Beschlußrecht, S. 150 ff. 60 Wie ζ. B. gemäß § 14 Übergangsabkommen zum Vertrag über die EGKS. Vgl. etwa A r t . 215 VEWG.

Verwirrung der Ordnungsfolgen

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ständige Verwaltungseinheit haftet für ihre Handlungen und ist prozessual Partei. Wie verschieden aber trotzdem die tatsächliche Ausgestaltung sein kann, zeigt das positive Recht. Erinnert sei an die verschiedenen Einflußmöglichkeiten des Bundes auf die Ausführung der Gesetze durch die Länder nach A r t . 83 ff. GG, auf die Möglichkeiten der Passivlegitimation bei der Verletzung der Verkehrssicherungspflicht an Bundesstraßen 62 und an die unterschiedlich geregelte Passivlegitimation bei behördlichen Maßnahmen 63 . Vielfältige rechtstechnische Beziehungen werden schließlich m i t dem Wort von der E. der Verwaltung angesprochen 64 . Gefordert w i r d damit, daß die Verwaltung nicht ausschließlich auf die Ausführung der Gesetze beschränkt sei; daß der Vorbehalt des Gesetzes nicht i n den Bereich der Leistungsverwaltung ausgedehnt werde und nicht für jegliches Tätigwerden eine (ausdrückliche oder stillschweigende) gesetzliche Ermächtigung vorliegen müsse; daß nicht jeder Ermessensbegriff i n einen unbestimmten Rechtsbegriff umgedeutet werde; daß der imbestimmte Rechtsbegriff nicht v o l l überprüfbar sei 65 ; daß nicht mithilf e des formell-subjektiven Rechts auf fehlerfreie Ermessensausübung der Ermessensspielraum zu sehr eingeschränkt werde. Und gänzlich anderes meint Loew enstein, wenn er von originären und abgeleiteten Verfassungen spricht und damit originelle und kopierte Verfassungen meint 6 6 . I n ähnlichem Sinne spricht Mayer von der Eigenständigkeit des bayerischen Polizeirechts und meint damit eine von dem gemeindeutsch-preußischen Polizeirecht unabhängige Entwicklung 6 7 ; keineswegs ist damit gemeint, das bayerische Polizeirecht unterliege i n geringerem Maße dem GG als das Polizeirecht der übrigen Länder. 62 Vgl. etwa Marschall, Bundesfernstraßengesetz, Kommentar (2. Aufl. 1963), S. 128 ff. (Randz.7 zu §3). 63 Vgl. die Ausführungsgesetze der Länder zu §78 Abs. 1 V w G O : Der V A w i r d teils als Handlung der Behörde, teils als Handlung des Trägers dieser Behörde verstanden. 64 Vgl. Peters, Die V e r w a l t u n g als eigenständige Staatsgewalt — Kölner Rektoratsrede — (1965). 5 β W e i l eben nicht „ n u r eine Auslegung richtig sein könne"; Nachweise Wolff Bd. 1 § 31 I c. es Verfassungslehre (1959) S. 144 ff.; nach diesem Wortverständnis wäre die belgische Verfassung originär; die preußische Verfassung von 1856 wäre abgeleitet, w e i l i h r die erstere als V o r b i l d gedient hat. 67 Mayer, Franz, Die Eigenständigkeit des bayrischen Verwaltungsrechts, dargestellt an Bayerns Polizeirecht (1958); dazu Wacke, Die Eigenständigkeit des bayerischen Polizeirechts, DVB1 1959 S. 13 ff.



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Probleme und Gefahren dieser Relationsbegriffe

Bedeutet somit „eigenständig" immer nur die Besonderung i n irgendeinem bestimmten Sinne, so fließen m i t dem Argument der Eigenständigkeit alle diese irgendwelchen Sinne zusammen; die Identität des Wortes verwürfelt alle zu scheidenden Vorstellungen. Dann w i r d die dogmatische Verdichtung, die i n dem Wort „eigenständig" zum Ausdruck kommt, überbewertet, und man schließt aus einer irgendwelchen Eigenständigkeit auf totale Eigenständigkeit. Man übersieht, daß eine derartige Ubersetzung i n bildhafte Symbole nur bestimmte Werturteile aufnehmen kann und glaubt sämtliche auftretenden Wertungskonflikte ein für alle M a l entschieden. Dieser dogmatische Definitiventscheid kann aber schlechterdings nur soweit reichen, wie die i h n stützenden Erwägungen relevant sind 6 8 : Die Eigenständigkeit ist nicht eine und unteilbar, und einen Satz: Semel originalis semper originalis gibt es nicht. Gegen derartige Differenzierungen w i r d oft eingewandt, m a n könne die Beziehungen nicht so trennen, dürfe die Zusammenhänge nicht so zerreißen. Wer so spricht, verschließt sich einfach der Tatsache, daß jede Rechtsposition i n den verschiedensten Beziehungen steht u n d daß kein Relationsbegriff ein Absolutum sein kann. Niemand würde aus der Feststellung, die anläßlich von Körpergrößen gefallen ist, Hans sei größer als Fritz, schließen, Hans sei auch geistig größer, noch etwa, er sei größer als Georg, Heinz u n d K u n z oder er sei charakterlich, geistig usw. größer. Bei der Qualifizierung der Eigenständigkeit dagegen ist dieser Schluß geradezu üblich. Wer sich der Differenzierung verschließt, verwendet weiter ganz unmaßgebliche Argumente; i n Sachen Gemeindegewalt z.B. muß er untersuchen, w a n n die Gemeinde entstanden ist, also Heimatforschung betreiben oder die Geschichte nach 1945 nachzeichnen; wer Belege sammelt, k a n n n u r seitenweise verbale Ansichten gegenüberstellen, ohne daß er sagen könnte, was sein Treiben eigentlich soll. Er argumentiert weiter i n Tautologien, entweder offen sichtbar („die Verwaltung ist eigenständig soweit sie ursprünglich ist") oder sehr oft verdeckt, w e n n er irgendeine Rechtsbeziehung aus der Eigenständigkeit begründet; denn meist formuliert er damit eine bloße Tautologie des thema probandi. Dieser Z w a n g zur Differenzierung findet sich aber überall i n der Rechtswissenschaft. So bedürfen w i r j a auch der Distinktionen, u m die Vorstellung der Gewaltenteilung m i t dem Prinzip v o n der Einheit der Staatsgewalt zu harmonisieren, etwa so: Die Vorstellung der Gewaltenteilung zerlege gedanklich die Staatsgewalt, die als solche nicht teilbar sei 6 9 .

9. Abschnitt Gefahren der Veranschaulichung und des Absehens von topischen Erwägungen Eine der Funktionen unserer Relationsbegriffe ist es, unanschauliche Beziehungen anschaulich-vorstellbar auszudrücken. I m I I . Kapitel, Abes Die Ausführungen Wieackers werden. 69 Maunz-Düng,

(Text zu N. 84) können auch hier angeführt

A r t . 20 Ziffer 76.

Gefahren der Veranschaulichung

53

schnitt 4 Ziffer 5 und 6 wurde gezeigt, daß die Rechtswissenschaft sich dieser Technik bedient, u m sinnlich nicht wahrnehmbare Vorgänge und Wertungen i n vorstellbare, also raum-zeit-gebundene Begriffe zu übersetzen. Dieses Verfahren ist ungefährlich, solange die Vorstellung des anschaulichen Bereichs ausschließlich i m übertragenen Sinne verstanden werden kann. Kann die dem sinnlichen Bereich entnommene Vorstellung aber auch i m nicht übertragenen Sinne sinnvollerweise verstanden werden, dann muß dies zwangsläufig zu falschen Vorstellungen und Schlußfolgerungen führen. Oben wurde bereits auf die juristische Person und deren Funktion hingewiesen: Bündelung und Umsetzung der für Personenvereinigungen geltenden Normen i n einen räumlich-gegenständlich vorstellbaren Begriff. So große Dienste uns diese bildhafte Vorstellung auch leistet, sie hat wie jede Anthropomorphierung ihre Gefahren 70 ; es genügt, auf die Verwirrungen organologischer Theorien hinzuweisen. Aber auch abgesehen von allen ins Metaphysische abgleitenden Schlußfolgerungen verhindert die Vorstellung der personifizierten Personenmehrheit m i t unter sachgerechte Entscheidungen. Man denke an die großen Schwierigkeiten der Rechtsprechung, den Gläubigern der juristischen Person i n bestimmten Fällen den „Durchgriff" auf das Vermögen der Gesellschafter zu gestatten 71 — und welcher Bilder es dazu wieder bedurfte 7 2 ! Gleiches gilt für alle Arten des Insichtätigwerdens — angefangen von Klagen der Mitglieder einer Vereinigung gegeneinander 73 über die Streitigkeiten von Verfassungsorganen bis zum Vorgehen der Polizei gegen Hoheitsträger 74 . Das ist verständlich, denn die Übersetzung i n bildhafte Vorstellungen geschieht ja gerade zu dem Zwecke, die daraus sich ergebenden Schlußfolgerungen zu ziehen und widersprechende abzuweisen. Es ist daher grundsätzlich richtig, wenn Durchgriff und Insichhandlungen ausgeschlossen bleiben. Es gibt jedoch Fälle, in denen rechtspolitische Gründe für Durchgriff und Insichtätigwerden sprechen: für diese Fälle ist die Ubersetzung ins Anschauliche ein Hindernis. 70 Vgl. Wolff I I S. 3: Die Vorstellung der juristischen Person als Organismus „versperrt die Einsicht i n die wahre S t r u k t u r der Organisation u n d verleitet zu der durch Unübersehbarkeit der sozialen K r ä f t e scheinbar bestätigten fatalistischen Annahme, die gegebenen Organisationen müßten w i e selbständige Lebewesen hingenommen werden". Ferner: Wagner, Theorie. 71 Nachweise bei Serick, Rechtsform und Realität juristischer Personen (1955). 72 Z . B . : „ t o pierce and look behind the v e i l of personality", Nachweise Ν . 71, S. 65 ff.

73 Z u m Problem des Insichprozesses s. Hoffmann, Die Beiladung des Staates — ein Problem des Insichprozesses, Bay VB1. 5 (1959) S. 324 ff., m i t Nachweisen Fußn. 1; ferner: O V G B e r l i n N J W 1963, 1939; V G H München N J W 1964. 218. 7* Rudolf, Polizei gegen Hoheitsträger (Recht u n d Staat, Heft 312) 1965.

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Probleme und Gefahren dieser Relationsbegriffe

Ähnliches ließe sich von der juristischen Sekunde und ähnlichen, dem räumlich-zeitlichen Bereich entnommenen Vorstellungen sagen 75 . Unsere gewöhnlichen Vorstellungen sagen uns: Wo nichts ist, k a n n nichts werden, und diese Vorstellungen haben sich zu dem philosophischen (ζ. B. Descartes) und juristischen Satz verdichtet: ex nihilo n i h i l fit. Daraus folgt z. B. i n der kausaldeterminierten Welt, daß Nichtexistentes nicht noch einmal vernichtet werden kann; i m juristischen Bereich würde diese Annahme mitunter zu unsachgemäßen Lösungen führen. Deshalb sind nach unserem Recht sowohl nichtige Verwaltungsakte anfechtbar als auch nichtige statusschaffende Verträge beseitigbar. Die Rechtshandlungen des durch nichtigen Verwaltungsakt berufenen Beamten sind gültig.

Die gleiche Gefahr besteht bei den Worten „eigenständig" und „abgeleitet" und ihren Äquivalenten. Hier werden Begriffe für Relationen juristischer Ordnungsfolgen verwendet, die eindeutig aus anderen Ordnungsfolgen stammen. Sie drücken eine juristische Wertung aus, nämlich die Tatsache, daß eine bestimmte Ordnungsfolge über ein bestimmtes Subjekt nicht hinausgeführt werden und ihr Ende finden soll — die Kette der Berechtigungsnachweise w i r d beim originären Erwerber abgebrochen. Abgesehen von der geometrischen Vorstellung „abgeleitet" entstammen die entsprechenden Relationsbegriffe der Kategorie Zeit. „Ursprünglich", „originär" u. a. besagen, daß es bzl. der fraglichen Ordnungsfolge kein „früher" geben soll. „Vorstaatlich" besagt, daß bzl. der fraglichen Beziehung die staatliche gesetzte Norm nicht unter allen Umständen das letzte Wort sein soll und ruft zur Normtranszendenz auf. So berechtigt und unentbehrlich diese sprachlich-dogmatische Technik ist, so verständlich ist es, daß sich zeitliche (d.h. geschichtliche) Ordnungsfolgen einschleichen, auch wo sie nichts zu suchen haben. Die Sprache zwingt sie auf. Wie schwierig es ist, sich von diesem Zwang zu befreien, zeigt die säkulare Vermengung zeitlich-geschichtlicher und logisch-systematischer Ordnungsfolgen bei bestimmten Sachproblemen; ihre sachgerechte Erörterung l i t t und leidet daran. Das beste Beispiel bietet die Lehre vom Gesellschaftsvertrag 76 und ihre wechselvolle Geschichte. Gesellschafts- und Unterwerfungsvertrag gleich welcher Konstruktion können immer nur als logische Prämissen verstanden werden, aus denen dann Staatsformen, Institutionen oder Normen deduziert werden, sei es, um sie zu erklären, zu rechtfertigen, zu finden, sei es, um sie vernunftsgemäß zu erweisen und so für sie zu kämpfen. Hierfür ließen sich vom 75 s. u. Text zu N. 84. 76 Beispiel einer solchen Formel: „Ego huic homini, vel huic coetui, autoritatem et jus meum regendi meipsum concedo, ea conditione, u t t u quoque tuam autoritatem et jus t u u m t u i regendi i n eundem transferas." — L e viathan cap. 17, I I I , p. 131 ed. Molesworth. —

Gefahren der Veranschaulichung M i t t e l a l t e r bis z u r G e g e n w a r t b e l i e b i g v i e l e A u t o r e n a n f ü h r e n 7 7 . Diese logisch-systematische Prämisse k a n n n u r aus b e s t i m m t e n K o n z e p t i o n e n über die S t e l l u n g des I n d i v i d u u m s i m o r g a n i s i e r t e n V e r b a n d b e g r ü n d e t w e r d e n . So v e r s t a n d e n i s t die K o n s t r u k t i o n v o m Gesellschaftsvertrag eine der w i r k u n g s m ä c h t i g s t e n T h e o r i e n des Staatsrechts gewesen. W e n i g e V o r s t e l l u n g e n h a b e n w i e sie m i t g e h o l f e n , unsere g e g e n w ä r t i g e S t e l l u n g als S t a a t s b ü r g e r z u gestalten; k e i n e T h e o r i e k a n n besser u n d einfacher die g e g e n w ä r t i g e n Staatssysteme (westlicher w i e östlicher Prägung) i n k l a r e n u n d übersichtlichen V o r s t e l l u n g e n zusammenfassen u n d so e r k l ä r e n . Sofort u n s i n n i g w i r d aber die V o r s t e l l u n g v o m Gesellschaftsvertrag, w e n n m a n sie geschichtlich v e r s t e h t , die logisch-systematische P r ä misse geschichtlich l e g i t i m i e r e n oder f a l s i f i z i e r e n w i l l : D i e D i s k u s s i o n u m einen r e a l e n geschichtlichen V o r g a n g ist f ü r beide D i s k u s s i o n s p a r t n e r e i n I r r w e g . Daß beide O r d n u n g s f o l g e n auseinander g e h a l t e n w e r d e n müssen, w a r e i g e n t l i c h z u a l l e n Z e i t e n b e k a n n t . Statt aller seien die klaren Ausführungen von Kant wiedergegeben 7 8 . „ A l l e i n dieser Vertrag (contractus originarius oder pactum sociale genannt), als Koalition jedes besonderen u n d Privatwillens i n einem V o l k zu einem gemeinschaftlichen u n d öffentlichen W i l l e n (zum Behuf einer bloß rechtlichen Gesetzgebung), ist keineswegs als ein F a k t u m vorauszusetzen nötig (ja als ein solches gar nicht möglich); gleichsam als ob aller erst aus der Geschichte vorher bewiesen werden müßte, daß ein Volk, i n dessen Rechte und Verbindlichkeiten w i r als Nachkommen getreten sind, e i n m a l w i r k lich einen solchen Actus vernichtet, u n d eine sichere Nachricht oder ein Instrument davon uns, mündlich oder schriftlich, hinterlassen haben müsse, u m sich an eine schon bestehende bürgerliche Verfassung f ü r gebunden zu achten. Sondern es ist eine b l o ß e I d e e der Vernunft, die aber ihre unbezweifelte (praktische) Realität hat: nämlich jeden Gesetzgeber zu verbinden, daß er seine Gesetze so gebe, als sie aus dem vereinigten W i l l e n eines ganzen Volks haben entspringen k ö n n e n , u n d jeden Untertan, so fern er Bürger sein w i l l , so anzusehen, als ob er zu einem solchen W i l l e n m i t zusammen gestimmet habe. Denn das ist der Probierstein der Rechtmäßigkeit eines jeden öffentlichen Gesetzes. Ist nämlich dieses so beschaffen, daß ein ganzes V o l k u n m ö g l i c h dazu seine Einstimmung geben k ö n n t e (wie ζ . B . daß eine gewisse Klasse von U n t e r t a n e n erblich den Vorzug des H e r r e n s t a n d e s haben sollten), so ist es nicht gerecht; ist es aber n u r möglich, daß ein V o l k dazu zusammen stimme, so ist es Pflicht, das Gesetz f ü r gerecht zu halten: gesetzt auch, daß das V o l k itzt i n einer solchen Lage, oder Stimmung seiner Denkungsart wäre, daß es, w e n n es darum befragt würde, wahrscheinlicherweise seine Beistimmung verwei77 Nachweise bei Gierke, Johannes Althusius und die Entwicklung der naturrechtlichen Staatstheorien, 5. unveränderte Ausgabe (1958); G.Jellinek, Allgemeine Staatslehre (3. Auflage 6. Neudruck 1959) S. 204 ff. 78 Über den Gemeinspruch: Das mag i n der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis (Insel-Ausgabe, Bd. 6, 1964, S. 153 f.; ähnlich: Jellinek (N. 77) S. 214 ff.

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Probleme und Gefahren dieser Relationsbegriffe

gern würde." Ferner: „Der Geschichtsurkunde dieses Mechanismus nachzuprüfen ist vergeblich, d . i . m a n k a n n zum Zeitpunkt des Anfangs der bürgerlichen Gesellschaft nicht herauslangen (denn die Wilden errichten k e i n Instrument ihrer Unterwerfung unter das Gesetz, u n d es ist auch schon aus der N a t u r der Menschen anzunehmen, daß sie es m i t der Gewalt angefangen haben werden)."

Doch w i r d bekanntlich die Theorie vom Gesellschaftsvertrag immer m i t historischen Argumenten angegriffen, die auf die Boutade reduziert werden können, noch niemand habe einen solchen Gesellschaftsvertrag ausgegraben. Klarer werden dagegen beide Ordnungsfolgen bei der Diskussion um die Rechtsstellung der Familie geschieden. Geschichtlich gesehen ist die Familie älter als der Staat; i n diesem Sinne ist sie also vorstaatlich und ursprünglich. Rechtslogisch und rechtssystematisch dagegen ist der Staat primär und ist die Familie abgeleitet, sekundär. Andernfalls wären die Familie und damit auch der Einzelne nicht staatlichem Recht unterworfen, stünde das Familienrecht nicht zur Disposition des Gesetzgebers und wäre kein systematisches Staatsrecht aufbaubar. Für diese Scheidung der Ordnungsfolgen ließen sich beliebig viele Denker anführen, von Tin. von Aquiri 79 bis Kelsen 80. Immer durcheinander geraten beide Beziehungen i n der Diskussion u m Staatenbund und Bundesstaat. Denn geschichtlich sind meist die Gliedstaaten vorgegeben; sie haben meist den Bund begründet. So ist das Deutsche Reich 1871 von den verbündeten Regierungen geschaffen worden, so ist die Reichsverfassung i m Vertragswege zustandegekommen. Der logisch-systematische Aufbau eines Staates aber setzt m i t der Verfassung ein, der gegenüber die Gliedstaaten — auch i n ihrer Gesamtheit — nachgeordnet sind. Sie können z.B. nicht mehr die Verfassung nach Gutdünken abändern, sie sind nicht mehr Herren des Verfassungsvertrages. Diesem Vorgang gegenüber ist das Argument, die Gliedstaaten seien dem Bund zeitlich vorausgegangen, seien also (geschichtlich) vorgegeben, originär usw., gänzlich unmaßgeblich. Geschichtlich mag der Bundesstaat sich von einem Rechtsakt der (und von den) Gliedstaaten ableiten, rechtssystematisch und staatsrechtlich nicht 8 1 . Allerdings entstehen hier außergewöhnliche Schwierigkeiten, w e i l f ü r Staatenbund u n d Bundesstaat z.T. verschiedene Erwägungen gelten u n d unterschiedliche politisch-soziologische Gegebenheiten den systematischen Aufbau bestimmen. Das hat vor allem die Erörterung u m die europäischen Gemeinschaften erneut gezeigt 82 . 79 „Die Familie ist vor dem Staat, aber dem Staat nicht vorgegeben." so Reine Rechtslehre, S. 338. 81 Nachweise bei Wagner, Beschlußrecht, S. 97 ff. 82 Das habe ich an anderer Stelle nachzuweisen versucht, Beschlußrecht.

Mögliche Relationen nicht terminologisch scheidbar

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Beide Ordnungsfolgen werden schließlich immer bei der Erörterung der Rechtsstellung der Gemeinden durcheinander gebracht 83 . Aber wie immer man über die Eigenständigkeit der Gemeinden denken mag, das historische Argument, sie seien zeitlich vor dem Staat dagewesen, hat i n dieser Diskussion nichts zu suchen, w i l l man nicht i n die Heimatforschung fallen. So ist es eigentlich paradox u m die Beziehungswörter „originär"/ „nachgeordnet" pp bestellt. Sie drücken juristische Wertungen i n zeitlichen Bezügen aus, u m diese Wertungen sinnlich anschaulich zu gestalten. Ziemlich zwangsläufig strömen nun über diese Bezugswörter der Zeit auch reale zeitliche Bezüge i n die Diskussion, die hier nichts zu suchen haben. Überlegtes Vorgehen muß sich von diesem Sprachzwang befreien, sobald er uns inadäquate Bezüge aufzuzwingen droht. Was Wieacker so ausdrückt: „Es bleibt also dabei, daß jene Bilder der juristischen Dogmatik, die auf elementare Gesetzlichkeiten i n der äußeren Welt bezug nehmen, i n der Tat nichts anderes sind als die bekannten ,Rechenpfennige' : wissenschaftliche Symbole, gleichsam Notierungen . . . , deren Bedeutung i n der Veranschaulichung und Verständigung über rechtliche Probleme, ja i n einer Selbstbefreiung des produktiven dogmatischen Denkens liegt, aus denen sich aber keine Entscheidungsmaximen gewinnen lassen, die nicht schon beim Ansatz dieser Bilder vorgegeben wären, und die sich außerdem jeder Zeit durch explizite wissenschaftliche Verfahren stellen müssen. Prüfstein einer Rechtswissenschaft ist, ob sie fähig ist, sich jederzeit durch explizite Kontrolle ihrer Ergebnisse aus dem Zwang dieser Bildersprache zu befreien. Es bleibt also dabei, daß das nützliche Papiergeld der ,naturhistorischen' Bildersprache nur umlauffähig ist, solange volle Sachdeckung, solange gleichsam jederzeitige Bereitschaft seiner Herausgeber zur Einlösung in das Gold der unmittelbaren S a c h bezüge besteht 84 ." 20. Abschnitt Mögliche Relationen nicht terminologisch scheidbar Die möglichen Ordnungsfolgen lassen sich terminologisch nicht ein für allemal unterscheiden. Es sind ihrer zu viele, sie können immer neu kombiniert werden, und die Sprache verfügt nur über eine begrenzte Zahl von Ausdrücken. Auch hierzu könnten beliebig viele Beispiele aus Philosophie, Erkenntnistheorie und Methodenlehre gebracht werden; statt aller sei wieder auf die zahllosen Kausa-Begriffe verwiesen. Es 83 Nachweise Ν . I. 9 ff. 84 Ν . I I . 20.

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Probleme und Gefahren dieser Relationsbegriffe

nutzt auch wenig, die Termini irgendwie zu kombinieren (causa finalis, End- oder Zweckursache) 85 ; das befriedigt die übrigen Denker niemals, und das Ergebnis ist eine ziemliche Verwirrung. Hier gibt es nur einen sicheren Weg: zu Beginn der Argumentation klar angeben, von welcher Relation man spricht. I m folgenden genügt die abgekürzte Sprachweise. Auch i n der Rechtswissenschaft hat man immer wieder versucht, die verschiedenen m i t „eigenständig" und „abgeleitet" bezeichneten Relationen zu unterscheiden und für die einzelnen Beziehungen einen Ausdruck (eines der Äquivalente) zu reservieren. Man w i l l also, u m die verschiedenen Relationen auseinanderzuhalten, die Synonymkette von „eigenständig", „ursprünglich" usw. aufbrechen und bestimmte Relationen gesondert bezeichnen. Schon früh wurde gesehen, daß Herrschaftsgewalt zu eigenem Recht übertragen werden könne 8 6 ; ebenso leitet der Eigentümer sein Recht vom vorherigen Eigentümer ab und hat doch ein eigenes dingliches Recht. „Originär" und „eigen" bezeichnen dann Verschiedenes. So werden etwa historische und systematischdogmatische Ordnungsfolgen geschieden und die erste als „ursprünglich", die zweite als „eigenständig" bezeichnet 87 . Aber gerade „originär" versteht die herrschende Lehre seit Jellineks Formel von der „ursprünglichen Hoheitsgewalt" des Staates nicht i m historischen, sondern i m dogmatischen Sinne. Denn nach Jellinek sollen der Staat „ursprüngliche", die Gemeinde zwar „eigene", aber „abgeleitete" Befugnisse haben 88 . A l l e derartigen terminologischen Versuche enden i m terminologischen Chaos. Dann wirbeln „eigen, aber nicht abgeleitet", „ursprünglich, aber nicht originär", „eigen und abgeleitet" oder noch verwegenere Kombinationen nur so durcheinander 89 . Es gibt eben unzählige denkbare Relationen und i n jeder Sprache nur eine begrenzte Zahl synonymer Relationsbegriffe. Die möglichen Beziehungen, i n die ein Erkenntnisgegenstand gestellt werden kann, können niemals erschöpfend terminiert werden.

w s. Text zu N. 17 ff. ββ Nachweise bei Hancke, S.21; Dock (Ν. I V 26) S.33f.; das eigene Recht müsse nicht originär i n der Person seines Inhabers entstanden sein: So leitet der eigenständige Monarch seine Rechte von seinem dynastischen Vorgänger ab, aber auch von Gott und/oder dem Volke. 87

So w o h l von Hamann, Autonome Satzung (Ν. I. 9) S.21. es Oben N . I I I 67; ebenso Krüger , ( N . I 3 ) S. 189 i n Verbindung m i t S. 866. 89 Z . B . Hamann (N. 19) S. 35: nicht „ureigentümlich"; S. 36: nicht originäre i g e n e " , sondern übertragene Funktionen; außerdem w i r d jeder von jedem mißverstanden; ferner Zitate Ν . I. 30, 38.

Promiscuierung in Fußnoten

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11. Abschnitt Promiscuierung in Fußnoten Schließlich muß unsere Belegmethode zur Verwirrung der Ordnungsfolgen führen. Denn hier werden Autoren, die von ganz verschiedenen Ordnungsfolgen sprechen, nicht nach diesen Folgen klassifiziert, sondern danach, ob sie den behandelten Rechtsträger als eigenständig oder abgeleitet qualifizieren. Da die Autoren i n verschiedenen Epochen geschrieben haben, sind die Worte „eigenständig" und „abgeleitet" das einzig sie Verbindende, während sie von ganz Verschiedenem reden, d.h., während ihre Argumente nicht zusammenpassen. Dann w i r d etwa für die Eigenständigkeit eines Rechtsträgers ein Autor der ontologisch-christlichen Richtung („originäre Gewalt von Gott verliehen") neben einem Rechtspositivisten („wie sich aus der Regelung des § X ergibt") i n Anspruch genommen — von jemandem, der an beider Voraussetzungen nicht glaubt, und der niemals deren implizite Grundlagen anführen würde. Aber man mache sich einmal die Mühe und lese i n einer beliebigen Zusammenstellung über die Eigenständigkeit der Gemeinde die für und gegen diese Anschauung gruppierten Autoren 9 0 : Sie haben tatsächlich nur die zwei Worte „eigenständig" und „abgeleitet" gemeinsam.

90 Vgl. etwa bei Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts (9. Aufl. 1966) S. 441 A n m . 4 . Macht m a n sich einmal die Mühe, die Belege etwa f ü r oder gegen die gemeindliche Eigenständigkeit irgendeiner Zusammenstellung nachzulesen, dann zeigt sich, daß viele Autoren außer dem W o r t „eigenständig" weder i n der Sache noch i n der Intention etwas gemein haben: die Lehre v o n den Staatenverbindungen hat lediglich mangels Besserem den nicht-souveränen Staat gegenüber der Gemeinde durch die „Eigenständigkeit" abgegrenzt, einem zwar k a u m beweisbaren, aber ebenso k a u m widerlegbaren Epithet. Dogmatisch stellte sie damit alles Satzungsrecht vor die Wahl, entweder als Stück delegierter Gesetzgebujigsgewalt i m Gesetz oder als bloßer A n w e n dungsfall der Vertragsfreiheit i m Rechtsgeschäft aufzugehen (sog. statua legalia und statua conventionalis; ausführliche Nachweise bei Gierke, Deutsches Privatrecht, Bd. 1 Ν . 1 16, S. 146, A. 18 ff.); es w a r nicht ihre Absicht, den Umfang der gemeindlichen Selbständigkeit zu beschränken, wie ihnen m i t u n t e r vorgeworfen w i r d .

Viertes

Kapitel

Beispiele juristisch-dogmatischer Eigenständigkeit A n drei Problemkreisen soll die Argumentation der E. näher untersucht werden. Sachlich standen die Autoren jeweils vor ganz verschiedenen Problemen. Gemeinsam ist allen Problemen folgendes: Welcher von zwei Rechtsträgern soll dem anderen gegenüber eigenständig i m rechtssystematischen Sinne sein, bei welchem soll die hierarchische Stufenfolge einsetzen? Ganz verschieden sind dann i n den Problemkreisen die Rechtsfolgen, u m die es jeweils geht. Aber i n allen drei Materien stellt sich die Frage, wie die jeweilige E. denn begründet, m i t welchen Ordnungsfolgen sie legitimiert werden konnte. Anders ausgedrückt: Alle Parteien gehen davon aus, daß die eigenständige Rechtsposition i n juristischem Sinne (hinsichtlich der juristischen Ordnungsfolge) günstiger gestellt ist als die abgeleitete. Deshalb vindizieren sie für ihre Rechtsposition die E. Wie, d.h. m i t welchen Ordnungsfolgen begründen sie die E.? I m Laufe der Zeit wurden hierzu ganz verschiedene Ordnungsfolgen bemüht. I m folgenden w i r d jeweils auf den analytischen T e i l (Kapitel I I u n d I I I ) verwiesen.

12. Abschnitt Eigenständigkeit kraft ontologischer Begründung dargestellt an der Frage nach dem Träger der Souveränität Die Staatstheorie des Mittelalters war eng m i t der Philosophie und der Theologie verbunden; wie i n jenen Disziplinen herrschten ontologische Beziehungen vor. Dem ontologischen Denken entsprechend wurden geistige Begriffe wesenhaft, substanzhaft, substantivistisch verstanden, z.B. auch die meisten Termini der Rechtssprache. Der damaligen Argumentation entstammt terminologisch noch manche moderne Fragestellung, so etwa die Frage nach der „Herkunft" der Gewalt

E. kraft ontologischer Begründung (Souveränität)

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i m Staate 1 , i m Bundesstaate 2 oder i n den europäischen Gemeinschaften 3 und innerhalb eines Staates etwa die Frage nach der Herkunft „der Gewalt der Verwaltung" 4 . I n diesem Denken kommen mehrere Faktoren zusammen. Nach mittelalterlicher Vorstellung findet sich das konstituierende Ordnungsprinzip des Weltganzen, das principium unitatis, i n jeder Teilordnung der Welt wieder, auch i n der menschlichen Gesellschaftsordnung 5 , was zur äußeren Verbandseinheit der gesamten Menschheit, zu einem universellen Gemeinwesen führt 6 . Dieses Gemeinwesen war zwar i n eine geistliche und eine weltliche Lebensordnung gespalten und die Gewalt über jede Ordnung als sacerdocium und imperium auf zwei verschiedene Träger verteilt 7 ; aber jede Ordnung selbst sowie die Gewalt über diese Ordnung war einheitlich-substanzhaft verstanden. Diese Gewalt konnte ursprungsmäßig nur von Gott stammen, nur von i h m abgeleitet werden. Deshalb die Frage nach ihrer „Herkunft", und deshalb kleidete das Mittelalter auch alle Fragen nach dem Verhältnis der irdischen Gewalten zueinander i n historisierende Fragestellungen; daher die säkulare Fragestellung, wie denn das weltliche Schwert an den Kaiser gekommen sei, über den Papst, wie es die kuriale Partei sah, oder unmittelbar, wie es die imperiale Partei vertrat. So wie die Kirche es allgemein für ketzerisch erklärte, „ponere dua principia", so erklärte sie es für ketzerisch: „ponere duos vicarios sequales i n terris 8 ." Daraus beantwortete sie alle Fragen über das Verhältnis von Staat und Kirche, über Stand und Rang von Monarch und Papst: Der Kaiser habe sein A m t nur mittelbar von Gott, unmittelbar aber vom Papst. Dieser habe i h m das weltliche Schwert nur zu kirchlichem Amtsrecht verliehen; der Kaiser sei also nur oberster Vasall des Papstes. Er habe daher sein A m t nach Anweisung der Kirche zu führen, der die Beaufsichtigung, Leitung und Korrektur aller Regentenhandlungen zustünde. Der Papst sei Richter des Kaisers, er könne ihn bestrafen, absetzen, seine Richtersprüche abändern, die Untertanen vom Treueid entbinden, bei Vakanz einen neuen Kaiser 1

Von Gott oder v o m Volke. 2 Hierzu könnte das gesamte staatstheoretische Schrifttum der Bundesstaaten bis zum 1. Weltkrieg angeführt werden. 3 Z. B. Herbert Krüger, Über die H e r k u n f t der Gewalt der Staaten u n d der sog. supranationalen Organisationen, D Ö V 1959, S. 721 ff.; Ophüls (Ν. I 46). 4 s. Ν . I. 28 ff. s Nachweise bei Gierke , Genossenschaftsrecht Bd. 3, S. 516 A . 4 f. β Nachweise bei Gierke , (Ν. 5) S. 517. 7 Was das allegorisierende Denken als Zweischwerterlehre ausdrückte; vgl. etwa Sachsenspiegel, Landrecht, I : „ Z w e i swert liz got i n ertriche zu beschermene die kristenheit. Dem pabiste daz geistliche, deme koninge daz wertliche." β Nachweise: Gierke , (Ν. 5) S. 519 ff.

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Beispiele juristisch-dogmatischer Eigenständigkeit

bestimmen 9 . Demgegenüber bemühte sich die imperiale Partei u m den Nachweis, daß sacerdocium und imperium zwei getrennte Sphären seien, und daß das weltliche Schwert, das imperium, unmittelbar von Gott komme 1 0 . Von dieser Prämisse ausgehend, wies sie alle Ansprüche des Papstes zurück 11 . Auch innerhalb beider Ordnungen wurden alle Machtfragen m i t entsprechenden Argumenten erörtert: i m kirchlichen Bereich das Verhältnis zwischen Papst und Patriarch, zwischen Konsilium und Papst 12 , i m weltlichen Bereich zwischen den rivalisierenden Monarchen. So wurde das Verhältnis zwischen Ost- und Westkaiser behandelt, wobei nachgewiesen wurde, wie Rom die Welt „de jure" unterworfen, wie unter Konstantin das imperium vorübergehend auf die Griechen, später auf die Deutschen übergegangen sei 13 . Die Nachweise wurden i n einer für uns fast unlesbaren A r t geführt: aus der Bibel und ihrer Auslegung, aus der unübersehbaren Masse der Kirchenväter, aus Augustinus' Gottesstaat, aus der mittelalterlichen Geschichtssage (Äneassage), aus der antiken Staatsphilosophie (Aristoteles' Politik) und aus der Masse des römischen, kanonischen und imperialen Rechts. Das kann hier dahinstehen; auf die A r t der Argumentation kommt es an. Und diese Argumentation findet sich wieder i m Verhältnis zwischen Volk und Monarchen, das wiederum als Frage nach Herkunft der Gewalt oder nach dem ursprünglichen Gewalthaber gestellt wurde. Die Königspartei sah den Monarchen, die Monarchomachen das Volk als Inhaber der Souveränität an 1 4 . Aus ihrer jeweiligen Prämisse beantworteten beide das Verhältnis des Volkes (oder der Stände) zum Herrscher; es ging daher immer u m sehr modern anmutende Fragen. Jede dominierende Beziehung wurde » Nachweise: Gierke , (Ν. 5) S. 527 ff. 10 A m ausführlichsten bei Dante; Nachweise zum Ganzen: Gierke (Ν. 5) S. 534 ff. N u r der Vollständigkeit halber sei die Ansicht der imperialen Minderheit genannt, wonach auch das sacerdocium dem Kaiser unterstellt sei. (Marsilius von Padua). 11 Beispiel der Argumentation: „were es, das der Keiser das Reich v o n dem Babste hette, so möcht man i n weltlichen Sachen sich berufen v o n dem Kaiser an den Babst". (Glosse Sachsenspiegel). Nachweise: Gierke , (Ν. 5) S. 540 f., 581 ff. 13 s. Gierke , (Ν. 5) S. 541 ff.; Α. 54. 14 Z u m Ganzen: Gierke , Johannes Althusius u n d die Entwicklung der naturrechtlichen Staatstheorien (5. Aufl. 1958); Treumann, Die Monarchomachen. Eine Darstellung der revolutionären Staatslehren des X V I . Jahrhunderts (1895); Schnur, Individualismus u n d Absolutismus (1963); ders., Die französischen Juristen i m konfessionellen Bürgerkrieg des 16. Jahrhunderts (1962).

E. kraft ontologischer Begründung (Souveränität)

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als Beziehung einer eigenständigen, ursprünglichen gegenüber einer abgeleiteten Rechtsposition gefaßt; wer diese Beziehung bekämpfte, leugnete die Ableitung und berief sich seinerseits auf Eigenständigkeit. So berief sich der Monarch gegenüber allem Ansinnen des Volkes (der Stände) auf seine eigenständige und ursprüngliche Gewalt oder auf seine Verleihung durch Gott, so daß er nur an göttliches Recht gebunden, nur Gott gegenüber verantwortlich sei. Da etwaige Rechte des Volkes gegenüber dem Herrscher, etwaige irdische Schranken für dessen Herrschaftsgewalt nur begründbar schienen, wenn die Herkunft der Gewalt aus dem Volke bewiesen war, bemühten sich die Verteidiger der Volksrechte u m diesen Nachweis aus der Bibel und m i t den bekannten Konstruktionen vom Gesellschafts- und Herrschaftsvertrag. Aus der Herkunft der Gewalt vom Volke folgerten sie alle fürstenfeindlichen Ansinnen: Das Recht des Volkes auf eine beliebige Staatsform, auf Wahl des Monarchen, auf Umschränkung der Rechte des Gewählten i m Rahmen des Volkswillens, auf ein Mitwirkungsrecht des Volkes beim Erlaß der Gesetze, auf Bindung des Fürsten an die Gesetze, auf Verantwortlichkeit des Fürsten für seine Taten, auf ein Rücknahmerecht (Widerrufsrecht) bei Herrschaftsmißbrauch, auf ein Rückfallsrecht beim Tode des Fürsten und auf Widerstands- und Revolutionsrecht bis zum Tyrannenmord. Der „ursprüngliche", „eigenständige" usw. Inhaber, die „Quelle" der Herrschaft sollte diese Fragen zu seinen und gegen den Inhaber nur abgeleiteten Rechts beantworten dürfen; deswegen wurden — nach heutiger Ausdrucksweise — alle Verfassungsfragen i n diesen Termini ausgetragen. Methodisch ist dieses Vorgehen korrekt — solange man an die Grundlagen glaubt. Solange man sich die Gewalt einheitlich-substantivistisch vorstellt oder solange man Äußerungen der Kirchenväter als Beweise ansieht, solange man die Äneassage dergestalt versteht oder sich die Schwerterverleihung nach A r t der Schlüsselverleihung Petri in irgendeinem Sinne vorstellt, solange ist diese Argumentationsmethode nicht zu beanstanden. Die Frage, ob (und wann, ob bewußt) das symbolhafte Denken der damaligen Zeit allegorisierend dogmatisierte 1 5 oder an irgendeinen realen V o r gang der Schwerterverleihung glaubte, ist f ü r kausales Denken so schwierig zu entscheiden, wie bei vielen vorneuzeitlichen Tätigkeiten. So w a r der Glaube an die Alchimie ungefähr 1500 Jahre geradezu universell, die 15 Allgemein zu Allegorie u n d Allegorese (allegorische Interpretation) s. etwa Friedrich, Allegorische Interpretation, i n : Fischer-Lexikon, L i t e r a t u r I I 1 (1965) m i t Nachweisen; ferner: Lenoble ( N . I I I 3 5 ) ; zu ähnlichen Allegorien i m Staatsrecht (Vater-Sohn-Bruderbild; Luminarientheorien) vgl. die Nachweise bei Knoll, August M., Das Vaterbild i n der Barock-Soziologie, i n : Wirtschaft, Gesellschaft u n d K u l t u r , Festgabe f ü r M ü l l e r - A r m a c k (1961) S. 547 ff.

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Beispiele juristisch-dogmatischer Eigenständigkeit

klügsten Köpfe glaubten an sie — u n d w i r wissen nicht eigentlich, was die Alchimisten wollten, ob sie Chemie, Philosophie oder Theologie trieben 1 6 . Die Vorstellung, nicht des Goldes wegen, sondern zur Läuterung des sündigen Menschen m i t Tiegeln zu laborieren u n d so (auch die geistige) Welt i n einen reineren Zustand zu überführen, ist f ü r uns nicht nachvollziehbar, wie die moderne Forschung n u r freimütig zugeben kann. Manche Lehren der K a b bala, besonders der Glaube an den realen Eingriff ins Weltgeschehen durch Buchstabenverstellung, geht von einem uns unvorstellbaren Einheitsdenken aus u n d k a n n gar nicht v o m kausal determinierten Denken her begriffen werden 1 7 . Ebenso schwierig wäre die Frage zu beantworten, ob die Astrologen an eine kausal determinierte Beeinflussung oder an bloße Parallelitäten glauben 1 8 . N u r — w i r sollten wissen, was w i r tun. Jede juristische Berufung auf die Staatslehre des Mittelalters muß sich bewußt sein, daß deren Autoren von einem Einheitsdenken u n d damit von einer Einheit der Ordnungsfolgen ausgingen, wie es für uns nicht mehr möglich i s t 1 9 .

Jedoch — und das ist für die gesamte Diskussion u m die Eigenständigkeit wichtig — kein Gegner läßt sich so aus dem Sattel heben. Gerade die mittelalterlichen Staatstheorien zeigen, daß jeder jede Herkunftsprämisse akzeptieren, also e concessis argumentieren und doch zu seinem gewünschten Ergebnis gelangen kann 2 0 . Jede Vorstellung über Herkunft, Eigenständigkeit und Ursprünglichkeit ist mit jeder beliebigen Ausgestaltung denkmöglich. Immer finden sich Stimmen, die die praktische Ausgestaltung, die der einen Herkunftstheorie eigen sein soll, aus der gegenteiligen Vorstellung entwickeln, ja sich gerade des gegenteiligen Ausgangspunktes für ihre Zwecke bedienen. Das wurde oben am Beispiel des Deismus gezeigt. I m mittelalterlichen Staatsrecht waren die denktechnischen M i t t e l entweder die Scheidung der Ordnungsfolgen oder die Einführung weiterer Hilfshypothesen. Jede juristische Theorie kann mit zusätzlichen Hilfsvorstellungen zu jedem gewünschten Ergebnis gelangen. I m Laufe der Jahrhunderte haben sich z.B. alle Parteien des Gedankens der Volkssouveränität (d.h. der Herkunft der Gewalt vom Volke) bedient. Solange noch der Papst als irdisch ursprünglicher Inhaber der Gewalt i m Spiele war, ergriff die Kaiserpartei durchaus den Gedanken der Volkssouveränität und sah das Volk als ursprünglichen Inhaber der Gewalt an, u m so die Kaiserherrschaft auf das Volk begründen zu können und von der päpstlichen Schwerterverleihung frei zu werden 2 1 . So 16

Vgl. etwa E. J. Holmyard, Alchemy (1957), Pinguin Book, S. 14, 151 f. Insbes. zur Buchstabenverstellung vgl. die L i t e r a t u r zur Kabbala. 18 Auch hier k a n n nur allgemein auf die wissenschaftliche L i t e r a t u r über die Astrologie verwiesen werden. i» Vielleicht k a n n man i m Denken von Fr. J. Stahl ein derart einheitliches W e l t b i l d finden. 20 s. bei K a p i t e l I I I Abschnitt 7; Wagner, Die Theorie i n der Rechtswissenschaft, JuS 1963 S. 457 ff. 21 Eine Streitfrage, die zu vermittelnden Ansichten führte; vgl. v.d.Heydte, Die Geburtsstunde des souveränen Staates (1952); Von Gierke , Althusius (N. 14) S. 124 ff.; Genossenschaftsrecht (N.5) S. 569 ff. 17

E. kraft ontologischer Begründung (Souveränität)

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war selbst eine absolute Monarchie begründbar, und die Hohenstaufen beriefen sich auf den Gedanken der Herkunft der Gewalt aus dem Volke gegenüber dem Papst 22 . So konnten sie dem Papst gegenüber einen Rechtstitel anführen; keineswegs akzeptierten sie die damit verbundenen revolutionären Folgen. Umgekehrt haben die Monarchomachen den theokratischen Gedanken durchaus m i t Volkssouveränität und Gesellschaftsvertrag verbinden können, und sogar die kirchliche Partei (Jesuiten) hat mit dem Gedanken der Volkssouveränität die päpstliche Stellung zu stärken versucht: Indem sie die Superiorität der Kirche aus deren unmittelbar göttlicher Herkunft ableiteten, die Staatsgewalt nur mittelbar von Gott, nämlich über das V o l k herleiteten, den Staat also nur als Produkt eines menschlichen Willensaktes begriffen, konnten sie den Fürsten für absetzbar ansehen und dem Papst die Anrufung des Volkes gegenüber dem ketzerischen Herrscher ermöglichen. Die Jesuiten machten sich hier die gegen den Monarchen gerichteten revolutionären Folgerungen zunutze, die m i t der Herkunft der Gewalt vom Volke verbunden waren 2 3 , was dem sich gegenüber dem Papst gleichfalls auf diese Ursprungshypothese berufenden Monarchen keineswegs einfiel. Die Ambivalenz der Herkunftshypothese zeigten wieder die Kämpfe um das Verhältnis von Monarch und Volk, etwa die Frage der Volksbefugnis gegenüber dem legitim bestellten Herrscher. Der Kampf wurde um die Vorstellungen der translatio oder concessio imperii geführt 2 4 . War die Herleitung der Gewalt vom Volk auf den Herrscher als bloße concessio gedacht, so verblieb die Substanz der Gewalt beim Volke, während dem Herrscher nur der usus zukam. Daraus wurde die Rücknehmbarkeit der Gewalt usw. gefolgert 25 . Mochte die Herrschaft dem Monarchen „zu eigenem Recht" zustehen, so konnte er doch dieses Recht verwirken, ließen sich Rechte des Volkes gegen den Monarchen begründen; mochte die Herrschaft ihren (grundsätzlichen oder bloß irdischen) Ursprung i m Volke haben, so ließen sich doch auch nach dieser Ansicht unwiderrufliche, also Volksfeste Monarchenrechte begründen. So konnten die Anhänger der absoluten Fürstensouveränität die Macht des Herrschers „ursprünglich" vom Volk ableiten; gleichwohl können sie eine endgültige, unangreifbare Fürstenposition i n jeder beliebigen Ausgestaltung aufbauen. Es genügte, die zusätzliche Vorstellung der definitiven Übertragung (translatio imperii), der Über22 Gierke , (Ν. 5) S. 576. 23 Nachweise bei Treumann, (N. 14) S. 36 f. 24 Z u r Natur der Herrschaftseinräumung als translatio oder concessio: Gierke , Althusius (N. 14) S. 123 ff.; Genossenschaftsrecht (N. 5) S. 575 ff. 25 Nachweise: Gierke, (Ν. 5) S. 575 Α. 159; f ü r franz. Autoren des 15. Jahrhunderts: S. 581 A . 172; ferner: Schnur (N. 14). 5 Wagner

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Beispiele juristisch-dogmatischer Eigenständigkeit

tragung „abdicative" statt „cumulative" einzuführen 26 , u m eine definitive Übertragung an den Herrscher, einen endgültigen Verzicht seitens des Volkes, eine unwiderrufliche, niemals rücknehmbare Herrschaftseinräumung zu begründen 27 . Auch die Vorstellung der Ersitzung der endgültigen Herrschaft durch den Monarchen macht diese trotz Herleitung aus dem Volke Volksfest 28. Trotz der Ableitung vom Volke konnte das Monarchenrecht so völlig losgelöst von seiner Quelle gedacht werden, so daß es sich gegen das Volk richten konnte und von i h m unabhängig, sein Inhaber unverantwortlich blieb. Für die Neuzeit genüge der Hinweis auf die gegensätzlichen Konstruktionen des Gesellschaftsvertrages von Rousseau und Hobbes, u m die Vereinbarkeit gleicher Ursprungshypothesen m i t gegensätzlichen Ausgestaltungen zu zeigen. Dieser doppelte Nexus, einerseits Ableitung der Gewalt vom Volk, andererseits Eigenständigkeit der Monarchengewalt, zwingt die Autoren zur terminologischen Unterscheidung beider Verhältnisse. Die Gewalt stammt „ursprünglich" vom Volk (noch „ursprünglicher" von Gott) und steht jetzt dem Monarchen als „eigenes" Recht zu. Die Folge davon ist — genau wie heute — eine große terminologische Verwirrung. Die damals vorherrschende Terminologie drückte dies so aus, daß derivatives und eigenes Recht vereinbar seien 29 . Dieselben Gedankengänge hat i n anderer Darstellung Herb. Krüger entw i c k e l t 3 0 ; sie seien auszugsweise u n d wörtlich wiedergegeben: Viele Phänomene der Staatlichkeit können befriedigend gedeutet werden, w e n n man sie aus der Idee des Systems erklärt. Das System w i r d zum K r i t e r i u m der Richtigkeit wissenschaftlicher Erkenntnis u n d Konstruktion überhaupt.. Denn . . . Dem System w o h n t eine eigene V i t a l i t ä t inne. Nach u n d nach stößt es alle unsystematischen Elemente aus dem sich entwickelnden Staat ab, je mehr sich die Menschen einer systematischen Denkweise ergeben. Da z.B., w o m a n das Leistungsprinzip aus dem Systemgedanken entwickelt hat, lassen sich Erbämter nicht mehr halten, gleichgültig, ob gegen die Inhaber dieser Ä m t e r persönlich oder wegen ihrer Leistungsfähigkeit etwas einzu26

Nachweise: Dock, Der Souveränitätsbegriff von Bodin bis zu Friedrich dem Großen (1897) S. 3 3 1 ; Hancke, Bodin. Eine Studie über den Begriff der Souveränität (1894) S. 21 f.; Gierke, (Ν. 5) 5.575 Α. 158. 27 Ganz die gleiche Technik bei Triepel, Delegation u n d Mandat i m öffentlichen Recht (1942): z.B. „abschiebende" u n d „konservierende" Delegation. 28 W e i l die Legisten die H e r k u n f t der Gewalt aus dem V o l k m i t volksfestem (unwiderruflichem) Monarchenrecht durch den Gedanken der E r sitzung verbanden, bestimmten französische Verfassungen, die Souveränität sei „imprescriptible" (Nachweise: Duguit, Traité de Droit Constitutionel, Bd. 1, 1921, S. 454 ff.). 29 Nachweise: Hanke , (N.26) S.21f.; Dock , (N.26) S.33f. so Krüger, Allgemeine Staatslehre (1964) S. 83 ff. (ζ. T. gekürzt).

E. k r a f t normativer Regelung (Bundesstaatslehre)

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wenden ist oder nicht. Ganz allgemein geht es dem Denken des Staates als System darum, die historische Argumentation durch die systematische zu ersetzen. Z . B . : w e m soll die Herrschaft i m Gemeinwesen zustehen? Historische Argumentation: Gott hat diese Herrschaft A d a m aufgetragen; von A d a m haben sie alle Väter, vor allem aber die Landesväter geerbt. (So noch F i l m e r 1688; gegen i h n ist der 1. der T w o Treatises on Government von J. Locke gerichtet.) Historisch, auch w e n n m a n behauptet, die Römer hätten mittels der „ L e x regia" die Herrschaft v o m Volke auf den princeps übertragen u n d hieraus schließt, daß deswegen auch heute nicht den Völkern, sondern den Fürsten die Herrschaft zustehe. Systematisch hingegen ist es gedacht, w e n n man Herrschaft n u r k r a f t der Zustimmung der Beherrschten gelten läßt u n d es daher den vernünftigen Überlegungen der Beherrschten anheimgibt, ob sie die Herrschaft selbst ausüben oder einen D r i t t e n damit beauftragen wollen. Ebenso wichtig ist es, ob m a n den I n h a l t f ü r die Vollmacht des Menschen historisch oder systematisch gewinnt. Denkt m a n historisch, dann muß m a n diese Vollmacht zurückführen auf eine Einzahl oder Vielzahl von geschichtlichen Vorgängen, mittels deren der Herrscher seine Befugnisse erworben hat. Das Ergebnis k a n n dann n u r eine zufällige, unvollständige, dem Gegenstand nicht entsprechende Summe sein — die „Landeshoheit" zum U n t e r schied von der Staatsgewalt, die den Herrscher gerade gegenüber neu auftretenden Notwendigkeiten i m Stich läßt. Eine solche Auffassung nötigt ferner etwa zu der Folgerung, der Mensch habe i m Streitfall zu beweisen, daß er das i n Frage stehende Recht seinerzeit erworben, u n d zwar rechtmäßig erworben habe. Es finden sich daher i n den staatsrechtlichen L e h r büchern, die von solcher Auffassung ausgehen, umfangreiche Erörterungen über das „Ausmaß der Landeshoheit" — Erörterungen, die i m gleichen Augenblick gegenstandslos werden, i n dem m a n dazu übergeht, diese V o l l macht — als M i t t e l — systematisch aus einer Prämisse — dem Gemeinwohl zu deduzieren. Sein Gegenbild findet dieser Gegensatz von historischer u n d systematischer Argumentation i n der Stellung des Bürgers. M a n k a n n — historisch — diese Stellung als die Summe der „Privilegien" darstellen, die der Einzelne i m Laufe der Zeit durch Erbgang oder Verleihung erworben hat. M a n k a n n aber auch folgern aus der Mensch- oder Bürgerqualität, indem m i t solcher Qualität gewisse Rechte notwendig gegeben sein müssen.

13.

Abschnitt

Eigenständigkeit k r a f t normativer Regelung dargestellt a m Beispiel der Bundesstaatslehre I m Rechtspositivismus begegnen w i r e i n e m r a d i k a l a n d e r e n D e n k e n : D e r D o g m a t i k e r w o l l t e sich a u f Sätze des p o s i t i v e n Rechts beschränken. A u s i h n e n b a u t e er seine dogmatischen Gebäude, sie a l l e i n k o n n t e n das D o g m a l e g i t i m i e r e n . Voraussetzungsgemäß h ä t t e er die „ E i g e n s t ä n d i g k e i t " eines Rechtssubjektes n i c h t historisch, p o l i t i s c h oder teleologisch b e g r ü n d e n d ü r f e n ; i n w e l c h h o h e m M a ß e i h m diese E r w ä g u n g e n i m m e r unterflossen, h a b e n i m Staatsrecht e t w a Triepel st

u n d Kelsen,

im Zivil-

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Beispiele juristisch-dogmatischer Eigenständigkeit

recht vor allem Heck 31 nachgewiesen. Daß er darüber hinaus die Dogmatik mehr oder weniger ontologisch verstand, sei nur vermerkt; w e i l er die Rechtsbegriffe als selbständige Wesenheiten auffaßte, ihnen also eine ontologische Struktur zubilligte, verlieh er der gesamten Dogmatik eine ontologische Dignität 3 2 . Das kann hier dahinstehen; festzuhalten ist, daß er sein dogmatisches Gebäude nur aus Sätzen des positiven Rechts aufbauen wollte 3 3 . Dementsprechend sollten auch Eigenständigkeit und Ursprünglichkeit allein aus Sätzen des positiven Rechts begründet werden. Also eine andere Absicht als bei den vorpositivistischen Lehren. Die früheren Lehren wollten bestehendes positives Recht aus nichtnormativen Fakten begründen, oder ein anderes positives Recht erkämpfen. I n der Zeit des Rechtspositivismus verzichtet die Lehre weitgehend auf eine K r i t i k der bestehenden Rechte und w i l l die Masse der Rechtsnormen systematisch erfassen. Die marxistische Lehre spricht geradezu von der Funktion der positivistischen Staatsrechtslehre: Hinnahme und Apologetik der bestehenden Ordnung, bewußter Verzicht auf K r i t i k und Umwandlung 3 4 . Die dogmatische Eigenständigkeit soll sich also nur noch am positiven Recht ausweisen. Methodisch ein vertretbares Vorgehen, das aber an der Vielfalt der zu systematisierenden Rechtssätze scheitern wird. Gerade die hier vorgeschlagenen Kriterien der Eigenständigkeit belasten noch heute die Diskussion. Sie haben sich sämtlich als ungeeignet erwiesen, tauchen aber alle noch i n der Diskussion u m die Eigenständigkeit aller möglichen Rechtssubjekte auf. Selbst i n die Diskussion um die europäischen Gemeinschaften sind sie sämtlich eingedrungen.

31 Triepel, Staatsrecht u n d P o l i t i k (1927); Kelsen, Das Problem der Souveränität (2. A u f l . 1928); Hauptprobleme der Staatsrechtslehre (1911); Reine Rechtslehre (2. Aufl. 1960). Heck, Grundriß des Schuldrechts (1929, 1958); Grundriß des Sachenrechts (1930, 1960); Begriffsbildung und Interessenjurisprudenz (1932); Z u r „Inversionsmethode" vgl. insbesondere das A n schauungsmaterial bei Boehmer, Grundlagen der bürgerlichen Rechtsordnung, Bd. 2 T e i l 1 u. 2 (1951/52); zum Ganzen methodologisch: Esser, G r u n d satz u n d N o r m i n der richterlichen Fortbildung des Privatrechts (2. Aufl. 1964). 32 Vgl. statt aller etwa Laband, (Ν. I 4), V o r w o r t z. l . A u f l . S . V I : „ist die Schaffung eines neuen Rechtsinstituts, welches einem höheren u n d allgemeineren Rechtsbegriff überhaupt nicht untergeordnet werden kann, gerade so unmöglich w i e die Erfindung einer neuen logischen Kategorie oder die Entstehung einer neuen N a t u r k r a f t " . Z u r naturhistorischen Methode auch Wieacker ( N . I I 20) 445ff. 33 Wagner, Theorie. 34 Polak, Karl, Z u r D i a l e k t i k i n der Staatslehre (1963) S. 201 ff. (213)); Lukäcs, Georg, Die Zerstörung der Vernunft, (1954) S. 462 f., 482 f.

E. kraft normativer Regelung (Bundesstaatslehre)

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Die erstrebte Reinheit hat der Rechtspositivismus bei den verschiedenen Problemen i n unterschiedlichem Maße erreicht. So hat er die Eigenständigkeit und Ursprünglichkeit der Krone gegenüber der Volksvertretung immer historisch begründet. Der Monarch sei vor der Verfassung dagewesen und habe diese nur oktroyiert. Daher spreche die Zuständigkeitsvermutung für die Krone und sei die Befugnis der Volksvertretung nachzuweisen 35 . Hier hat der Rechtspositivist immer geschichtlich argumentiert statt — wie er nach seinen so viel berufenen Voraussetzungen doch hätte t u n müssen — nur logisch-systematisch vorzugehen. I n der Diskussion u m den Bundesstaatsbegriff und die Eigenständigkeit und Ursprünglichkeit der eingegliederten Staaten befleißigte sich der Rechtspositivismus größerer Reinheit: hier wollte er Eigenständigkeit und Ursprünglichkeit allein aus Sätzen des positiven Rechts nachweisen. Auch diese unterschiedliche Argumentation ist erklärlich: Beide Male diente sie der Rechtfertigung des Bestehenden: des selbständigen Verordnungsrechts der Krone und des Staatscharakters des deutschen Reiches. Der Rechtspositivismus hatte das monarchische Prinzip vorgefunden und akzeptiert. Das historische prius schien ein starkes Argument, um das selbständige Verordnungsrecht der Krone zu erklären und so zu rechtfertigen; so wurde es i n die Dogmatik übernommen. Anders war es beim deutschen Reich: es war durch völkerrechtlichen Vertrag entstanden, sollte aber nun von einer Verfassung zusammengehalten werden. Hier war die vertragliche Entstehung zwar geschichtlich nicht zu leugnen, aber diese geschichtliche Tatsache durfte nicht i n die Dogmatik gelangen. Sachlich ging es darum, mit den Mitteln der Zeit, d.h. m i t rechtspositivistischen Methoden, die Souveränität des deutschen Reiches und die Staatsqualität der Länder des deutschen Reiches nachzuweisen und diese Länder von den Gemeinden wesensmäßig zu unterscheiden. Das Problem stellte sich so: Solange (die irgendwie definierte) Souveränität als Wesensmerkmal des Staates gilt, steht jede Lehre von den Staatenverbindungen i n dem Dilemma, dem integrierenden Verband oder den Gliedverbänden den Staatscharakter absprechen zu müssen. 35 von Seydel, Bayerisches Staatsrecht, Bd. 1 (1. Aufl. 1884) S. 352; C. Bornhak, Preußisches Staatsrecht, Bd. 1 (2. Aufl. 1911) S. 64 ff.; Anschütz, Die gegenwärtigen Theorien über den Begriff der gesetzgebenden Gewalt u n d den Umfang des königlichen Verordnungsrechts nach preußischem Staatsrecht (2. Aufl. 1901) S. 2 ff.; für Holland: de Savornin Lohman, Onze Constitutie (1901) S. 24, 44 (dagegen: Krabbe, Die Lehre der Rechtssouveränität, 1906, S. 80 ff.); Z u m Monarch als Träger der Staatsgewalt, dem die Gewalt als „eigenes Recht" zustehe: Kaufmann, Erich, Studien zur Staatslehre des monarchischen Prinzipes, 1906, soweit auszugsweise i n : Gesammelte Schriften Bd. 1 (1960) I f f .

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Beispiele juristisch-dogmatischer Eigenständigkeit

D i e L e h r e v o m S t a a t e n b u n d h a t sich f ü r die erste L ö s u n g entschieden 3 0 , der Bundesstaat w a r f die gleiche F r a g e auf. D i e S t a a t s q u a l i t ä t des Bundes d r ä n g t e sich auf, u n d die G l i e d e r w o l l t e n w e i t e r h i n S t a a t e n sein 3 7 . D i e Folge w a r e i n w e n i g ergiebiges S c h r i f t t u m , das eine i r g e n d w i e verstandene S o u v e r ä n i t ä t m i t der i r g e n d w i e v e r s t a n d e n e n Staatsq u a l i t ä t der deutschen G l i e d s t a a t e n i n E i n k l a n g b r i n g e n w o l l t e . M a n h a t t e m e h r e r e logische M ö g l i c h k e i t e n . W o l l t e m a n n i c h t d e n B u n d e s staatsbegriff schlechthin als Rechtsbegriff leugnen, so m u ß m a n e n t w e d e r beiden ( B u n d u n d Gliedstaat) S o u v e r ä n i t ä t z u e r k e n n e n oder nichtsouveräne S t a a t e n a n e r k e n n e n . Der Bundesstaatsbegriff wurde von zwei entgegengesetzten Richtungen als Rechtsbegriff verneint. Die einen bestritten die Staatsqualität der Gliedstaaten, sahen den B u n d als dezentralisierten Einheitsstaat u n d die Glieder als Selbstverwaltungskörperschaften 3 8 an, die anderen bestritten die Staatsqualität des Bundes u n d sahen i n Bundesstaaten n u r völkerrechtliche V e r tragsverhältnisse souveräner Staaten 3 9 . Die Lehre von der geteilten Souveränität ist i n Deutschland m i t den Namen Tocqueville-Waitz verbunden u n d herrschte bis 1866; sie wurde von M. von Seydel endgültig widerlegt 4 0 . D i e herrschende L e h r e i n D e u t s c h l a n d h a t sich f ü r d e n n i c h t s o u v e r ä n e n S t a a t ausgesprochen. D a n n e n t s t e h t sofort das P r o b l e m , d e n n i c h t s o u v e r ä n e n G l i e d s t a a t v o n der a u t o n o m e n P r o v i n z u n d der G e se Ausführliche Nachweise: Kunz, Josef L·., Die Staatenverbindungen (1929), S. 442 ff. 37 A r t . 1 Deutsche Reichs Verfassung v. 1871. 38 Ζ. B. Zorn, Streitfragen des Deutschen Staatsrechtes, Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 37, (1881) S. 292 ff. (314 ff.); Annalen des deutschen Reiches, 1884, S. 461, 480; Das deutsche Staatsrecht, Bd. 1, (1880, 2. Aufl. 1895), S. 84 (a.A. zu Zorn: Usteri, (Ν. 12), S. 214 f.); Held, (in einigen V e r öffentlichungen; i m übrigen schwankend, vgl. Ebers, Die Lehre v o m Staatenbunde, (1910) S. 112ff.); Borei , Etude sur la souveraineté de L'Etat fédéral (1886) 75 ff. 39 So — i m Anschluß an J. C. Calhoun, i n : The Works of J. C. C. (2. Aufl.), Bd. 1, New York, 1863 S. 146 — v. Seydel, Der Bundesstaatsbegriff, Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 28 (1872), 185 ff.; wieder abgedruckt: Staatsrechtliche und politische Abhandlungen (1893), 76 ff.; Commentar zur Verfassungs-Urkunde f ü r das Deutsche Reich (2. Aufl. 1897), S. 20 ff. Ganz richtig sagt Seydel: „Der Schriftsteller, der m i r i n der Grundfrage des deutschen Staatsrechts am fernsten steht, steht m i r i n der Grundfrage des allgemeinen Staatsrechts am nächsten": Zorn, Commentar S. 10; folgerichtig sah Seydel i n den Reichsgesetzen nur völkerrechtliche Verträge, S. 40 ff. ; gegen beide Positionen vgl. Laband, (N. 14) Bd. 1, S. 60 ff. u n d A . 2. 4ο Waitz, Grundzüge der P o l i t i k (1862) S. 162 ff. (166); ν . Seydel, Der Bundesstaatsbegriff (N. 39) ; Wer die Teilbarkeit der Souveränität annimmt, kann sie nicht, wie die damalige h. L. i n Deutschland als Eigenschaft der Staatsgewalt verstehen, sondern versteht sie synonym als Staatsgewalt selbst und spricht über die Kompetenzverteilung zwischen B u n d u n d Gliedern. Vollständigste Nachweise für und gegen die Teilbarkeit: Usteri (Ν. 12) S. 92 f. Α. 37 u. 38.

E. kraft normativer Regelung (Bundesstaatslehre)

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meinde zu scheiden. Die großen Anstrengungen der deutschen Wissenschaft, positivrechtlich-strukturelle Abgrenzungsmerkmale zu finden, sind hier nicht zu referieren 41 ; es genüge, daß sie sich nicht finden ließen. Der gleiche Nenner für die Eigenständigkeit von Preußen und Bayern einerseits, Schwarzburg-Sonderhausen, Schwarzburg-Rudolfstadt, Reuss ältere Linie, Reuss jüngere Linie usw. andererseits ließ sich eben nur historisch erklären.. Die deutsche Lehre hat erst nach völliger Erschöpfung um die Jahrhundertwende die Unmöglichkeit eingesehen, resigniert 42 und es bei den Laband-J ellinekschen Kriterien von der „eigenen" und „ursprünglichen Herrschaftsgewalt" bewenden lassen 43 . Soweit mag noch alles richtig sein. Gebietsverbände, die Staaten sind, zeichnen sich durch eine eigene, ursprüngliche, nicht weiter ableitbare Gewalt aus, ihre Rechtsordnung leitet sich von keiner weiteren oder höheren Ordnung ab. I n dieser Formulierung hat das Laband- Jellineksehe Kriterium von der Herrschaft kraft eigenen Rechts größten Einfluß gehabt 44 . Voraussetzungsgemäß muß nun ein Satz des positiven Rechts die Eigenständigkeit begründen. Hier setzt nun die endlose Diskussion um den „eigenständigen" oder „abgeleiteten" Charakter gliedverbandlicher Rechtsordnungen, Organe, Befugnisse ein 4 5 . Hier ist aber auch die Widerlegung all der Gründe zu finden, die heute für die so oder so verstandene Eigenständigkeit der Gemeinden, der deutschen Länder, der europäischen Gemeinschaften vorgebracht werden. Daß sich aus der historischen Ableitung, aus der A r t der Entstehung keine rechtsdogmatische Eigenständigkeit begründen läßt, ist früh be41 Gute Aufzählung bei Meyer-Anschütz, Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts (7. Aufl. 1919) S. 7 f. 42 Statt vieler ähnlicher Stimmen: „ w e i l man nachgerade an der Voraussetzung einer Lösung verzweifelt, an der Möglichkeit, begriffliche Grenzsteine zwischen Staat und Gemeinde aufzustellen, die nicht der nächste Wanderer, der dieses Weges zieht, m i t leichter Hand umwerfen könnte", Preuss, Selbstverwaltung, Gemeinde, Staat, Souveränität, i n : Staatsrechtliche Abhandlungen, Festgabe für Laband, Bd. 2 (1908) S. 199 ff. (210); Heller, Die Souveränität (1927) S. 115. 43 Alles Nähere, w i e die Entwicklung beider Autoren u n d Unterschiede: Usteri ( N . I 2 ) S. 128 ff. 44 Vollständigste Nachweise über diesen Einfluß i n den Lehren von G. Meyer, Anschütz, Fleiner, Rehm, Löning, Hatschek, Blumer-Morel, Ruck, Stier-Somlo, Giese, Carré de Malberg bei Usteri, S. 127 A. 24; Nachweise für K r i t i k : S. 128, A. 31. 45 F ü r die Chronologie der aufeinanderfolgenden Begründungen vgl. die i m folgenden angeführten Arbeiten von Gerber, Jellinek, Laband, Rosin, Preuss; die bei weitem ausführlichsten Nachweise aus dem deutschen Schrifttum gibt Wenzel, Juristische Grundprobleme (1920), der allerdings ganz i n diesem Denken befangen bleibt; vollständigste Nachweise auch f ü r nichtdeutsche Autoren: Usteri, (Ν. I 2) S. 127 ff.

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Beispiele juristisch-dogmatischer Eigenständigkeit

merkt worden 4 6 . Der Eigentümer, der sein Recht derivativ erworben hat, ist nicht weniger Eigentümer zu eigenem Recht wie der originäre Erwerber, der Nießbraucher nicht weniger Inhaber zu eigenem Recht. Und i m öffentlichen Recht ist nach moderner Auffassung der Gewaltenträger, der seine Macht nicht vom primus acquirens ableitet, dies zu eigenem Recht; kurz, Sukzession schließt „eigenes" Recht nicht aus. Manche Staaten der Gegenwart sind historisch von anderen ableitbar oder sind wie das deutsche Reich 1871 durch Akte der Einzelstaaten gegründet, also geschichtlich aus ihnen abgeleitet. Bei einer Vermengung historischer und rechtlicher Kategorien führt dies zu einer seltsamen Umkehrung: Der Rechtstitel w i r d zum Odium 4 7 ! Trotzdem gerät gerade i m Bereich der Rechtsverbände die zeitliche Ordnungsfolge i m m e r i n sämtliche anderen Folgen, w i r d aus der A r t der Entstehung (Vertrag) immer auf die A r t der Rechtsordnung geschlossen, werden historische Tatsachen ins Dogma aufgenommen und alsdann Rechtsfolgen deduziert 48 . Ebenso ungeeignet ist die Möglichkeit der Beendigung: Die Möglichkeit unfreiwilligen Verlustes schließt „eigenes" Recht nicht aus, sowenig wie die Möglichkeit öffentlich-rechtlicher Enteignimg das Eigentum vernichtet 49 . Trotzdem w i r d dieses Argument häufig für irgendwelche rechtlichen Details herangezogen, die man aus der Eigenständigkeit herleiten w i l l . So soll etwa die Bestandsgarantie der Länder 5 0 und der italienischen autonomen Provinzen 5 1 die Eigenständigkeit begründen. Auch für die europäischen Gemeinschaften w i r d die Eigenständigkeit damit begründet, daß die übertragene Gewalt nicht zurücknehmbar sei; umgekehrt w i r d die angebliche Unwiderruflichkeit aus der Eigenständigkeit begründet 52 . 46 G. Jellinek, Die Lehre von den Staatenverbindungen, (1882); Rosin, Souveränität, Staat, Gemeinde, Selbstverwaltung, Kritische Begriffsstudien, Annalen des Deutschen Reiches, 1883, S. 265 ff. (277); Wenzel , (N.45) S. 271 ff. 47 Gegen diese Vermengung: Jahrreiß, Mensch u n d Staat, (1957) S. 240, 284, 295: „ I n h a l t u n d Wesen einer Ordnung ist das eine, ihre Entstehungsgrundlage das andere" (S. 240). 48 Z . B . Friauf, (N. 148): Die hoheitliche Gewalt der europäischen Gemeinschaften leite sich von der mitgliedstaatlichen Gewalt ab. Sie beruhe nicht auf einem vorrechtlichen originären Erwerbstatbestand, sondern leite sich aus dem Abschluß der Verträge zwischen den Mitgliedsstaaten als dem Gründungsakt ab. « Jellinek, (N. 46) S. 42 m i t weiteren Beispielen; Laband, (Ν. 14) Bd. 1, S. 106; Wenzel, (N.45) S.27. so Jacobi, Der Rechtsbestand der Deutschen Bundesstaaten (1917), S. 110 f.; Einheitsstaat oder Bundesstaat (1919), S. 16; dagegen Wenzel (N.45) S.279ff. 51 Denen ausdrücklich die Staatsqualität abgesprochen w i r d ; vgl. zu deren „Eigenständigkeit" etwa: Monaco-Cansacchi, (N. 142) S. 67 f. 52 Jaenicke, Bundesstaat oder Staatenbund, Festschrift f ü r Bilfinger, (Völkerrechtliche u n d staatsrechtliche Abhandlungen, 1954) S. 71 ff.; ders., H a n d -

E. k r a f t normativer Regelung (Bundesstaatslehre)

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D i e deutsche Rechtswissenschaft suchte die K r i t e r i e n d e r E i g e n s t ä n d i g k e i t i n der A r t der I n n e h a b u n g . Lassen w i r die A u t o r e n beiseite, die das P r o b l e m einfach v o n e i n e m B e g r i f f i n d e n a n d e r e n schieben u n d die E i g e n s t ä n d i g k e i t aus der U r s p r ü n g l i c h k e i t e r k l ä r e n 5 3 , k l a r e R a b u l i s t i k t r e i b e n 5 4 , sich a u f apodiktische F e s t s t e l l u n g e n b e s c h r ä n k e n 5 5 , oder v o m „ i n sich selbst r u h e n d e n R e c h t " sprechen. Diese F o r m u l i e r u n g e n f i n d e n sich teils als selbständige B e g r ü n d u n g e n w i e e t w a i n d e r e i g e n a r t i g e n psychologisch-politischen, v o r n e h m l i c h aber polemischen D e u t u n g der u r s p r ü n g l i c h e n G e w a l t b e i Robert Redslob: „schöpft i h r e M a c h t , t r ä g t i h r e K r a f t i n sich s e l b s t " 5 6 ; t e i l s m i t a n d e r e n G r ü n d e n , w i e b e i Laband: „Eigenes a u f sich selbst beruhendes u n d nach f r e i e m W i l l e n auszuübendes" H o h e i t s r e c h t 5 7 . D a n n b l e i b e n eine m a t e r i e l l e u n d eine f o r m e l l e A r t dieser B e s t i m m u n g . D i e m a t e r i e l l e B e s t i m m u n g w i l l v o n d e r V e r schiedenheit der A u f g a b e n ausgehen: der eigenständige G e w a l t h a b e r e r f ü l l e n a t i o n a l e , allseitige Zwecke, die G e m e i n d e ö r t l i c h e u n d spe-

wörterbuch der Sozialwissenschaften, (Bd. 9, 1956) sub verbo: Staatenverbindungen, S. 731; dagegen Carstens, Die kleine Revision des Montanvertrages ZaöRV 1961, S. I f f . ; nach dieser verfehlten Ansicht könnten die M i t gliedstaaten die Befugnisse der E G K S auch nicht auf die E W G übertragen. M a n wende nicht ein, es handele sich u m ein „Aufgeben lassen", nicht u m eine Rücknahme: A u d i das ist, von der „eigenständigen" Rechtsordnung aus gesehen, eine Rücknahme der Befugnisse. 53 s. Z i t a t zu Ν . 126. 54 Staat i m Bunde habe zwar begrenzten, aber prinzipiell unbegrenzten Wirkungsbereich; gleiche terminologische Versuche etwa f ü r die kaiserlichen Wahlkapitulationen: die K a p i t u l a t i o n beschränke die Vollkommenheit, aber nicht die Souveränität der kaiserlichen Macht (dagegen Pufendorf, de statu imperii, Kap. 5 Ziff. 4, i n der Übersetzung von Bresslau, 1923); umgekehrt: die Beschränkung der Souveränität nehme dem Kaiser die plenitudo potestatis, taste aber nicht die summitas (summa potestà) an, Nachweise bei Dock (N. 26) S. 46 ff. 55 Einen Satz wie „die deutschen Länder sind originäre Staaten" mag m a n glauben oder von Wortaberglauben reden. Abschließend: Heuss, „Manche dieser Staaten sind weniger originär als originell", Parlamentarischer Rat, Stenographischer Bericht, S. 41. 56 Abhängige Länder. Eine Analyse des Begriffes v o n der ursprünglichen Herrschergewalt (1914) S. 50, 63; dagegen eingehend: Wenzel, "Ursprüngliche Herrschergewalt" u n d der Staatsbegriff, Festgabe f ü r Bergbohm (1919) S. 174 ff.; Jahrreiß, A Ö R 53 (1928) S. 317. 57 Bd. 1 (N. 14) S. 70; für die europäischen Gemeinschaften spricht Ophüls von „einer i n sich selbst ruhenden, m i t eigener Hoheit ausgestatteten supranationalen Gemeinschaft" (Über die Auslegung der europäischen Gemeinschaftsverträge, Festgabe f ü r Müller-Armack, S. 279 ff. (289)). „ I n sich selbst ruhen" ist die unwissenschaftliche Formulierung der Feststellung, daß der Betrachter die Gewalt nicht weiter ableitet. M i t dieser Formulierung soll gleichzeitig der Anschein einer Erklärung gegeben werden, w a r u m der Betrachter nicht weiter regressieren w i l l ; so soll die sonst sofort fällige Frage vermieden werden. Das „ i n sich selbst ruhen" scheint der Sprache der M y s t i k anzugehören, (vgl. Ekkehard: Gott ist ein „insitzen i n sich selber").

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Beispiele juristisch-dogmatischer Eigenständigkeit

zielle 58 . M i t diesem Merkmal wird, dem Aufkommen der Interessenjurisprudenz entsprechend 59 , der Zweckgedanke i n die Lehre von den Gebietsverbänden eingeführt. Aber w i l l nicht alles auf die Tautologie hinauslaufen, die Gemeinde erfülle gemeindliche (örtliche), der Staat staatliche Zwecke, so muß der Unterschied nach den geregelten Materien begründet werden. Doch sowenig wie Völker- und Staatsrecht nach dem Inhalt ihrer Normen geschieden werden können, so wenig ließen sich Staat und Gemeinde derart scheiden. Rosin konnte nicht klarmachen, wieso etwa das Land Reuss ältere Linie m i t 22.000 Einwohnern nationale Aufgaben erfülle 6 0 , während Städte wie Hamburg und Berlin nur gemeindliche Aufgaben wahrnehmen sollten. Heute wäre diese Ansicht noch weniger vertretbar. Die Gemeinde hat keinen qualitativ eigenen, vom Staate distanzierten Aufgabenbereich mehr 6 1 . Die formellen Bestimmungsversuche wollen die Eigenständigkeit aus irgendeiner positivrechtlich-strukturellen ungleichartigen Ausbildung beider Verbandsgewalten ablesen, irgendeinen Grad der Landesautonomie, irgendwelches eigentlich zufälliges und unwesentliches positivrechtliches Detail zum K r i t e r i u m der Eigenständigkeit erheben. Die zunächst von G. Jellinek vorgebrachte Formel vom „unkontrollierbaren Recht" 6 2 wurde schnell logisch und rechtstatsächlich widerlegt. Eigenes Recht ist nur i m Gegensatz zum fremden Recht sinnvoll 6 3 ; beide schließen sich nicht aus: Es lassen sich beliebig viele zivilistische und publizistische Beispiele anführen, i n denen jemand ein fremdes Recht entweder i m eigenen Namen oder zwar vertretungsweise und als fremdes Recht geltend macht, aber ein eigenes Recht darauf hat, es vertretungsweise geltend zu machen. Man denke an frühere ehegüterrechtliche Regelungen oder an die verfassungsmäßigen Rechte der deutschen Länder bzgl. der Auftragsangelegenheiten. Das „eigene Recht" muß damit überhaupt fallen gelassen werden; daher stammen die terminologischen Scheidungen von „eigenem" und „ursprünglichem" Recht 64 . Und m i t der Erhebung des (zufälligen) Merkmals der fehlenden A u f sichtsbefugnis zum K r i t e r i u m des eigenen Rechts werden alle Rechtsstellungen vernichtet: man denke etwa an die Aufsichts- und Kontroll58 Rosin (N. 46) S. 276 ff., S.291; Brie, Theorie der Staatenverbindungen (1886) S. 4 ff. (5/6); Nachweise f ü r Frankreich: Carré de Malberg (N. 143). 59 Worauf Osten (Ν. 12) S. 136 ff. verweist. Auch Laband (Ν. 14) S. 67/68 erkennt den Ansatz von Rosin als eine teleologische Lösung. 60 v. Seydel, Commentar (Ν. 39) S. 10. « Forsthoff (Ν. I 9) S. 441/442. Lehre von den Staatenverbindungen (1882). « Hancke (N. 26) S. 21. m s. schon früher: Gerber, Über öffentliche Rechte (1852), S. 63f.: der Monarch habe eigenes Recht, nicht dagegen der Präsident der Republik, der es i m fremden Namen verwalte.

E. kraft normativer Regelung (Bundesstaatslehre)

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möglichkeiten i m Bundesstaat oder an die Kontrollmöglichkeiten des Vormundschaftsgerichts 65 . Die Formel vom „eigenen unkontrollierbaren Recht" wurde auch von Jellinek später aufgegeben 66 . Herrschend wurde die Jellinek-Labandsche Formel, wonach nicht mehr das „eigene", sondern das „ursprüngliche Herrschaftsrecht" sich durch die „Erzwingbarkeit m i t eigenen Mitteln", „durch ursprüngliche Zwangsmittel" auszeichne. Nur der Staat habe das Recht, m i t zwingender Gewalt zu befehlen, nicht die Gemeinde 67 . I n dieser Fassung w i r d die Lehre von der ursprünglichen Hoheitsgewalt heute meist vertreten 6 8 . Diese Bewandtnis hat es, wenn etwa der EGKS die eigene Gewalt m i t der Begründung verweigert wird, sie könne nicht von sich aus die europäische Einheit schaffen. Offensichtlich w i r d hier irgendein Grad der Autonomie, irgendeine Einwirkungsmöglichkeit des einen Verbandes auf den anderen oder sein Fehlen, kurz irgendein Aspekt landesmäßiger, provinzieller oder regionaler, gemeindlicher oder sonstiger verbandlicher Autonomie zum K r i t e r i u m der Eigenständigkeit erklärt 6 9 . Noch bändeweise ließe sich über die Versuche berichten, die Eigenständigkeit oder Ursprünglichkeit positivrechtlich zu begründen. Hat man aber einmal diese Technik begriffen, so kann man sich die weitere Arbeit von Logik wegen ersparen. Es ist immer so: Der Rechtspositivist w i l l bestimmte Verbände scheiden. Weil er sich methodisch auf normative Fakten beschränkt, muß er irgendeinen zufällig vorliegenden Satz des positiven Rechts zur differentia specifica erheben. Also muß er irgendeinen Grad, irgendeinen Aspekt der Verbandsautonomie zum K r i t e r i u m der Eigenständigkeit erklären, genauer: i n Eigenständigkeit umbenennen. Die Lage w i r d noch wirrer. Die Lehre von der Eigenständigkeit oder Ursprünglichkeit als Wesenskriterium des Staates rief die Kämpfer für Gemeindeautonomie auf den Plan. Denn „alle derartigen Versuche

es Eingehend Rosin (N.46) S.277f.; Borei (Ν. 38) S. 81 ff. ββ G. Jellinek , Gesetz u n d Verordnung (1887) S. 191; ders., Allgemeine Staatslehre (3. Aufl. 6. Neudruck 1959) s. 489/90, diese Wendung w i r d m i t unter übersehen, w i e Usteri , (Ν. 12, S. 131) richtig bemerkt. «7 Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte (1892; 2. Aufl. 1905) S. 275 ff.; ders. Allgemeine Staatslehre (N.66); Laband, (N. 14) Bd. 1 S.70. «8 Z . B . von Eschenburg, S. 45 ff.

Staat u n d Gesellschaft i n Deutschland (1956)

Daneben w i r d „ursprünglich" allerdings noch i m m e r i m geschichtlichen Sinne verstanden, z.B. von Hamann (N. 19) S.21. β® Wenn etwa die Ursprünglichkeit der Gemeinschaften aus der Einschaltung von Verbandsorganen i n das Revisionsverfahren begründet w i r d , Thieme (N.I51) S.72f.

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Beispiele juristisch-dogmatischer Eigenständigkeit

einer besonderen Qualifizierung des Rechtstitels der Gliedstaatsgewalt" erfolgen natürlich auf Kosten der Korporation, die sich nun m i t „fremdem" Rechte begnügen muß 7 0 . Die Anerkennung nichtsouveräner Staaten und die dadurch bedingte Suche nach einem Gliedstaat und Gemeinde scheidenden K r i t e r i u m hatte als harmlose theoretische Konstruktion begonnen; sie implizierte wichtige Folgerungen. Auf rechtstheoretischer Ebene stützte sie das Staatswillensdogma, wonach alles Recht nur ein Ausfluß staatlichen Willens sei. Auf rechtspolitischer Ebene implizierte sie die Ansicht, alle Verbandsgewalt, vor allem die Gemeindeautonomie sei vom Staate verliehen, umfangmäßig allein von i h m bestimmt und stehe zu seiner Disposition. I n dem nun anhebenden Streit wurde nicht immer gesehen, daß die Kämpfer auf verschiedenen Ebenen marschierten. Die Anhänger Labands und Jellineks führten die Diskussion auf normativer Ebene; ihre Gegner, vor allem die Vertreter der organischen Staatslehre (Gierke und Preuss) ließen sich keineswegs i n diesen engen Rahmen spannen. Wenn Fleiner zugunsten gemeindlicher Eigenständigkeit vorbringt, der Staat sei nicht alleiniger Schöpfer des Rechts 71 , so bringt er soziologische Argumente gegen das Staatswillensdogma vor, die von der rechtstheoretischen Konstruktion der Ableitung vom Staate durchaus zu trennen sind. Daß die Vertreter der ursprünglichen Gemeindegewalt daneben immer auch geschichtliche Argumente vorbrachten, sei nur erwähnt. Darüber hinaus wollten sie e concessis argumentieren und die für die staatliche Eigenständigkeit oder Ursprünglichkeit vorgebrachten positivistischen Argumente auch für das Gemeinderecht nachweisen. Als Folge sind hier rechtspolitische und rechtsphilosophische Erwägungen, Implikationen aus der Diskussion um Staat, Bundesstaat, Souveränität und Staatswillensdogma, Normen der positivrechtlichen Ausgestaltung, soziologisierende Betrachtungen und Motive der Heimatforschung zu einem Knäuel verwoben, das so leicht niemand aufspult. Drei Gründe erschweren zur Zeit eine sachliche und terminologische Verständigung. Zum ersten tauchen i n der Diskussion alle i n der wechselvollen Geschichte der Gebietsverbände für die Eigenständigkeit und Ursprünglichkeit vorgebrachten und lange widerlegten Gründe wieder auf, so daß sie zwar von keinem einzelnen Autor voll i n Anspruch genommen 70 Gierke, Labands Staatsrecht u n d die deutsche Rechtswissenschaft, Schmollers Jahrbuch f ü r Gesetzgebung, V e r w a l t u n g u n d Volkswirtschaft i m Deutschen Reich, Bd. 7, 1883 S. 1097 ff. (1163), Nachdruck 1961, S. 67. 71 (Ν. 110) S. 79/80.

E. kraft normativer Regelung (Bundesstaatslehre)

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werden, aber insgesamt durch das Schrifttum geistern, so wie sie sich bei Eliminierung des Zeitfaktors aus den überwundenen Lehren von den Gebietsverbänden vorfinden würden, wie i n einem mehrfach belichteten Film. Verbunden m i t der variablen positiv-rechtlichen Ausbildung w i r d die Argumentation m i t der „Ursprünglichkeit" usw. schnell undurchsichtig, und wer sich dieser argumentationsbedingten Gründe nicht bewußt ist, kann nur — wie es oft für die gemeindliche Eigenständigkeit geschieht — seitenweise „Gegenansichten" über die Verbandsnatur zusammenstellen. I m deutschen Staatsrecht kombiniert sich jeder Autor so aus den verschiedenen Schichten irgendetwas zusammen 72 . Das alles ist eigentlich längst bekannt. Jeder nach der Eigenständigkeit suchende Autor hat die Unhaltbarkeit der Ausführungen seiner Vorgänger nachgewiesen und alle zusammen haben so dargelegt, daß noch jeder Autor i n diesen Begriff hineingelegt hat, was er herausholen wollte 7 3 , kurz, daß er seine Prämissen erschlichen hat. Aber spätestens seit den Veröffentlichungen Kelsens 74, dessen kritischer Beitrag nach allgemeiner Bezeugung doch von allen Schulen anerkannt w i r d 7 5 , dürfte die Eigenständigkeit der Länder nicht mehr normativ begründet werden. Kelsen hat unwiderleglich nachgewiesen, daß gewisse Unterscheidungen auf der normativ-positivistischen Ebene unmöglich sind, daß insbesondere die verschiedene Qualität der Gebietsverbände — von der Gemeinde bis zur Völkerrechtsgemeinschaft — durch keine Weise normativ-strukturell begründet werden kann 7 6 . Es kann auch von Logik wegen nicht anders sein. Sollte Deutschland etwa seine Staatsqualität deshalb verlieren, w e i l es irgendeine, i m politischen Leben vielleicht ganz untergeordnete Strukturfrage so oder so zugunsten der Länder regelt? Sollten die Länder ihre (angebliche) Staatsqualität etwa deswegen verlieren, w e i l das Stabilisierungsgesetz ihre selbständige Haushaltswirtschaft einschränkt 77 ? Wie so oft hat der 72

Nachweise K a p i t e l I. Jahrreiß, AöR 53 (1928) S. 317 (Besprechung von Redslobs Sociétés des Nations); Heller, Souveränität (N. 42) S. 115 f.; neuerdings: Usteri, (N. 12). 74 Das Problem der Souveränität und die Theorie des Völkerrechts (1920, 1928) S. 66 ff. ; Allgemeine Staatslehre (1925) S. 118 f. ™ Selbst v o m gegensätzlichen Standpunkt w i r d erkannt, daß keine methodische Rückkehr vor Kelsen mehr möglich ist, vgl. statt aller den H a u p t vertreter der Integrationslehre, Smend, Verfassung u n d Verfassungsrecht (1928) jetzt i n Staatsrechtliche Abhandlungen (1955), S. 124. 76 So wenig, wie diese Unterschiede rein soziologisch begründet werden können: Auch die extremen Anhänger der Gegenrichtungen verneinen einen juristisch beachtlichen Unterschied (z.B. Preuss, Georg Scelle). 77 s. Zitate i n Ν . 16. 73

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Beispiele juristisch-dogmatischer Eigenständigkeit

Rechtspositivismus auch hier die Detailregelungen einer geschichtlichen Situation verabsolutiert und zum „Wesen" erhoben. Dann müssen vom rechtspositivistischen Standpunkt aus die Gebietsverbände entweder als qualitativ gleich anerkannt werden, muß die Lehre von der Homogenität von Staat und Gemeinde gelten, die nur als Stufen der Dezentralisation erkannt werden können, wie Kelsen 78 und seine Anhänger folgerichtig vertreten. Dann unterscheiden sich Staat und Gemeinde nur i n der Stufenhöhe, und diese Stufenhöhe kann u . U . Unterscheidungsmerkmal sein. Oder man muß Kriterien nicht-normativer A r t , d. h. hier: soziologische und politische Kriterien, einführen 79 . A u f rechtspositivistischer Ebene ist die „Eigenständigkeit" insoweit immer die Begründung der distinctio impossibile, unmöglich überhaupt oder unmöglich zu begründen m i t den vom Autor anerkannten Methoden und Kriterien und besagt, daß der Autor seine Rechtsfolgen nicht begründen kann. Sie ist eine Argumentationsmethode, die notwendige Unterscheidungen liefert, und die jede Betrachtungsweise i n ihr System aufnehmen muß, die sich offiziell anderen Ordnungen verschließt, sich i n einen zu engen Rahmen bindet und nur bestimmte Argumente zuläßt. Es ist ihre Aufgabe, die unbedingt erforderlichen aber nur durch Kriterien anderer Ebenen ermöglichten Unterscheidungen zu übernehmen, meist u m soziologische, ethische oder teleologische begründete Scheidungen zu ermöglichen. So muß der Marxismus von antogonistischen und nicht-antogonistischen Widersprüchen sprechen 80 , von denen innerhalb der sozialistischen Gesellschaft nur die zweiten vorkommen könnten, u m nicht jedem Feind das beneficium antithesi hegeliani zuzugestehen; so muß er sprechen von sinnlosen und sinnvollen Kriegen, u m nicht die zwischen kapitalistischen Staaten geführten Kriege als „Lokomotiven i m Leben der Völker" anerkennen zu müssen. Ganz ebenso muß der Rechtspositivismus zwischen ursprünglicher und abgeleiteter Verbandsgewalt unterscheiden. 7 8 Allgemeine Staatslehre (N.74) S. 117; General Theory of L a w and State, (3. Aufl. 1949), S. 385; gleiche Ansicht Kelsens f ü r den Unterschied zwischen Staatenbund und Bundesstaat, Allgemeine Staatslehre, S. 193; Souveränität (N.74) S. 287; General Theory, S. 316ff. 79 So f ü r die Anhänger Kelsens, die Souveränität als Völkerrechtsunmittelbarkeit verstehen, Kunz, Staatenverbindungen (N. 36) S. 18 ff.; Verdross, Die Verfassung der Völkerrechtsgemeinschaft (1926) S. 129 f. (a. A . heute); Guggenheim, Lehrbuch des Völkerrechts, Bd. 1 (1948) S. 163. e® W. Koslowski, Antagonistische u n d nichtantagonistische Widersprüche (1956); Grundlagen der marxistischen Philosophie ( N . I I I 2 5 ) S.250ff.

E. kraft rechtspolitischen Wollens

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14. Abschnitt Eigenständigkeit kraft rechtspolitischen Wollens dargestellt an Beispielen aus der gegenwärtigen Diskussion 1. Dilemma

der gegenwärtigen

Methodenlehre

Unserer gegenwärtigen Diskussion haftet eine große Schwäche an: Der Jurist hat nicht mehr den M u t zu sagen: so soll, so muß es sein. I n einer pluralistischen Gesellschaft m i t verschiedenen, einander widersprechenden Gesellschaftszielen und Wertungen, aber auch angesichts der K r i t i k an allen Evidenzaussagen, fühlt er sich dazu nicht mehr legitimiert. Sein Argument wäre auch wenig überzeugend, denn man könnte i h m jederzeit entgegenhalten: es soll, es muß anders sein. Aber wie es sein soll, das ist gerade die Frage. I m Naturrecht und i m Rechtspositivismus war die Argumentation einfacher: man konnte transzendieren: auf Gott und christliche Dogmen, auf spekulativ naturrechtliche Prinzipien oder auf ein pandektistisch-wissenschaftliches oder normpositivistisches Rechtssystem. A l l e diese transzendenten Verankerungen (aber auch der naive Glaube an eindeutige Deduktionsmöglichkeiten) sind entfallen. W i r können nur auf unser Wollen transzendieren; aber dieses Wollen ist vielfältig und widersprüchlich, und so getrauen w i r uns nicht — anders als etwa der Marxist oder der Thomist — die Entscheidungen klar zu begründen. Der Richter weiß, daß er mehr ist als „bouche de la loi"; ob er aber Recht anwendet oder setzt, er müßte seine Entscheidung ja als die richtige begründen. Dazu dient — u. a. — die Vorstellung der E. und Ableitung: sie verschlüsselt das juristische Wollen i n objektiv-juristisch aussehende Chiffren. Natürlich hat der Jurist dabei kein gutes Gewissen, denn er glaubt weder an eine ontologisch begründete, noch an eine systematische E., der irgendeine normative K r a f t zukäme. Dann w i r d aber die Begründung aus der E. nur zu oft zur baren Tautologie des thema probandi und besagt nichts weiter als: W i r wollen die Landesgewalt oder die Gemeindegewalt nicht weiter ableiten, m i t allen juristischen Folgerungen, die sich hieraus ergeben. Ist die so begründete E. die sigelartige Abreviatur des rechtspolitischen Willens, dann ist methodisch nichts zu sagen. Aber man soll keine Verankerung jenseits des rechtspolitischen Willens vortäuschen. Es ist daher zu begrüßen, wenn bzgl. der Rechte des Individuums heute mehr und mehr auf inhaltliche Vorstellungen wie „Menschen-

80

Beispiele juristisch-dogmatischer Eigenständigkeit

bild" u. ä. zurückgegriffen wird. Der hiergegen erhobene Vorwurf, das BVerfG lege i n das GG etwas hinein, was nicht drin stehe, mag zutreffen. Aber das BVerfG ist zu der Argumentation „Menschenbild des GG" gezwungen, da es für Verletzungen des GG zuständig ist, nicht für Verletzungen irgendeines Menschenbildes. Aber die Argumentation hat den Vorteil, die Wertentscheidungen jedenfalls offener auszusprechen, als es ein bloßes Zurückgreifen auf Systemargumente vermöchte. D a m i t ist noch nicht zu den Vorwürfen Forsthoff s Stellung genommen, das BVerfG beschränke die Bewegungsfreiheit der politischen Gewalten (Gesetzgebung und Verwaltung) zu sehr 8 1 .

Die marxistische Rechtslehre ist hier i m Vorteil. Sie erkennt nur ein Wollen als rechtmäßig an, auf das sie, zugegebenermaßen und eindeutig transzendiert. Sie greift also immer auf einen Inhalt, auf die sozialistische Gesetzlichkeit, zurück; darin beruht die i m Westen oft verkannte „Parteilichkeit" von Rechtsprechung und Rechtswissenschaft 82 . Weil die marxistische Lehre somit immer auf einen Inhalt zurückgreifen kann (der allerdings noch jeweils zentral, d. h. von der Partei, bestimmt und ausgelegt wird), braucht sie unsere Vorstellung über E. und Ableitung nicht; man w i r d sie i m marxistischen Schriftt u m vergeblich suchen. Aus diesen Gründen sowie aus dem Streben nach systematischer Einheit w i r d heute i n einer Reihe von Materien das Argument der E. und Ableitung bemüht. M i t der (irgendwie begründeten oder lediglich behaupteten) E. w i l l man Kompetenzen für einen Rechtsträger gewinnen 8 3 , eine Rechtsinhaberschaft als unbelastet ausweisen 84 oder einen Rechtsträger vor Eingriffen durch andere Rechtsträger schützen 85 . 2. Eigenständigkeit

als unangreifbare

Rechtsposition

Die Rechtswissenschaft gebraucht das rechtsdogmatische Argument der Eigenständigkeit, u m Rechtspositionen, die normativ ungesichert β 1 Forsthoff, Die U m b i l d u n g des Verfassungsgesetzes, Festschrift f ü r Carl Schmitt (1959) S. 35; ders., Z u r Problematik der Verfassungsauslegung (1961). Gesamtkritik: Hollerbach, Auflösung der rechtstaatlichen Verfassung? Z u E. Forsthoffs Abhandlung, AöR 85 (1960) S. 241; ferner Wagner, Interpretation, S. 554 ff. 82 Zur Parteilichkeit allgemein: Opitz, Wissenschaftlichkeit und Parteilichkeit, i n : Wissenschaft contra Spekulation, (Akademie-Verlag, B e r l i n 1964) S. 238 ff.; zur Parteilichkeit i m Recht s. die Beiträge i n „Staat u n d Recht" 1958, S. 567 ff. (Fischer); 1961, S. 658 ff., 671 (Petzold); 1961, S. 607 ff., 630 f. (Polak); 1963, S. 831 ff., 839 ff. (Siebert); Ferner Viehweg, Zweierlei Rechtsdogmatiken, i n : Philosophie u n d Recht, Festschrift f ü r Emge (1960) S. 106 ff. 83 s. Unterabschnitt 4. 84 s. Unterabschnitt 3. 85 s. Unterabschnitt 2.

E. kraft rechtspolitischen Wollens

81

sind oder sich normativ nicht sichern lassen, gegen Eingriffe zu sichern. Dazu transzendiert sie ins Außer- oder Vor-Normative und nennt diesen außer-normativen Ansatzpunkt: Eigenständigkeit, Ursprünglichkeit, Vorstaatlichkeit, Vorgegebenheit. Damit w i l l man sagen, daß diese Position nicht von der staatlichen Rechtsordnung geschaffen sei, sich nicht von ihr ableite und deshalb auch nicht zu ihrer Verfügung stehe. Dann erscheint die zu söhützende Rechtsposition als causa sui (ursprünglich) und jede rechtliche Beziehung zu dem Rechtssubjekt, von dem ihr derartige Übergriffe oder Bindungen drohen, (d. h. meist vom Staat) w i r d verneint. Hier sind eigenständig und abgeleitet die dogmatische Verdichtung außernormativ gefällter Werturteile. Wer für die Eigenständigkeit, Ursprünglichkeit oder Vorstaatlichkeit eintritt, w i l l damit sagen: W i r müssen aus rechtspolitischen Gründen dem Individuum, der Familie, der Gemeinde oder den europäischen Gemeinschaften eine Sphäre zuerkennen, deren Regelung ihnen allein obliegt, und i n die der Staat nicht eingreifen kann. Diese Haltung mag empirisch (Erfahrung m i t totalitären Rechtsordnungen), wertphilosophisch, theologisch begründet sein, i h r mögen bloße rechtspolitische Erwägungen zugrunde liegen (z. B. Notwendigkeit der Integration und deshalb Zuerkennung weitester Kompetenzen und größter Freiheit für die europäischen Gemeinschaften); welcher A r t diese Erwägungen auch immer sein mögen: Eigenständigkeit und Ursprünglichkeit sind das Ergebnis dieser außernormativen Überlegungen und sollen für die normative Betrachtung Ausgangspunkt sein. Anders ausgedrückt: Eine rechtspolitische Wertung, ein volitiver A k t , w i r d zum rechtsdogmatischen Grundsatz verdichtet und soll so quasi-normativer Bestandteil der Rechtsordnung werden. Das Streben, eine Rechtsposition gegenüber einem anderen Subjekt mit dieser Argumentation unangreifbar zu machen, zeigte sich i n der Vergangenheit bei dem Versuch, die Stellung des Monarchen Volksfest abzuschirmen. Indem man die Herleitung der Gewalt vom Volke verneinte, sprach man dem Volke jeden Einfluß auf den Monarchen ab. Man leitete die Gewalt von Gott ab oder erklärte sie als irdisch ursprünglich, jedenfalls zerschnitt man irgendwelche Herleitung vom Volk. Die kuriale Partei leitete die von Gott kommende temporale Gewalt über den Papst, um dessen Ansprüche gegenüber dem Kaiser zu begründen; die imperiale Partei leitete die kaiserliche Gewalt unmittelbar von Gott ab oder über das Volk, jedenfalls unter Ausschluß des Papstes. I n der Gegenwart sollen m i t dieser Technik bestimmte Rechtsstellungen staats- oder gesetzesfest gemacht werden. Verbänden (Gemeinden, autonomen Körperschaften verschiedener Art, Ländern) soll die Autonomie, Individuum und Familie sollen Grundrechte gesichert, dem Staat die entsprechende Dispositionsmöglichkeit entzogen 6 Wagner

82

Beispiele juristisch-dogmatischer Eigenständigkeit

werden. Krüger hat das wohl am klarsten ausgedrückt, wenn er schreibt, „daß jede Herauskehrung eines Vorgegebenseins praktisch darauf hinausläuft, daß der Adressat dieser Erklärung nicht nur die Bestimmung über den betreffenden Gegenstand verliert, sondern daß er darüber hinaus der Ausfüllung des Blanketts „Vorgegebenheit" durch mehr oder weniger legitimierte Prätendenten, letzten Endes durch ein beliebiges Individuum unterworfen wird" 8 ®. I n dem Dilemma, von Staats wegen normiert zu sein und gleichzeitig sich gegen staatliche normative Eingriffe sichern zu wollen, stehen alle staatlich normierten Rechtspositionen. Gemeindliche Autonomie und Grundrechte können zu eigenem Recht übertragen, verliehen oder eingeräumt sein. Sie können i n verschiedenem Ausmaß gegen Eingriffe geschützt werden: Eingriffe sind nur durch Gesetz oder nur durch qualifiziertes Gesetz möglich oder sie sind — i n bestimmtem Umfange: Kern, Wesensgehalt — dem gesetzlichen Zugriff entzogen. Die deutsche Lehre spricht von institutionellen Garantien 8 7 . Sogar dem Verfassungsgesetzgeber selbst sollen sie zuweilen kraft ausdrücklicher Bestimmung entzogen sein 88 . Welche Stufe der Hierarchie gesetzter Normen diese Sperre auch aussprechen mag, immer stellt sich das Bedürfnis ein, diese Rechtsposition auch der Dispositionsbefugnis dieser Normstufe zu entziehen. Wiederum mithilfe gesetzter Normen ist dies nicht möglich. Alle derartigen weiteren Verfestigungen müssen zu einer naturrechtlichen, vorrechtlichen, vorstaatlichen, faktischen, vorgesetzten, jedenfalls normtranszendenten Ordnung gespannt werden. Dies versucht die zweite Konzeption, wenn sie diese Rechtspositionen als „eigenständig" „ u r sprünglich" begreift. Die Möglichkeiten einer solchen Verfestigung hängen von der Vorstellung über das Verhältnis von Staat und Recht ab. Wer Staat und Rechtsordnung gleichsetzt oder das Recht durch den Staat entstehen läßt, muß die zu schützende Position i n einer vorrechtlichen oder soziologischen Ordnung gründen lassen und sie dabei doch als eine quasi-rechtliche Position ansehen. Grundrechtlich geschützte Positionen sind dann natürliche Freiheitssphären, aus denen nach Uber8« Krüger, Allgemeine Staatslehre (Stuttgart 1964) S. 173 f. 87 s. hierzu Maunz-Dürig, A r t . 1 Ziffer 97 ff.; ferner Carl Schmitt, Freiheitsrechte u n d institutionelle Garantien der Reichsverfassung (1931); Verfassungslehre (1928, 1965) S. 170 ff.; weitere Nachweise bei Weber, Werner, Staats- und Selbstverwaltung i n der Gegenwart (1953) S. 90 A . 3; sie können als Bestandsgarantie der einzelnen Rechtsposition oder als Garantie des staatlichen Aufbaues gedacht werden; f ü r Länder- u n d Gemeindeautonomie vgl. BVerfGE 5 S. 34 ff. u n d Nachweise bei Weber, S. 35 ff.; Walz, i n : Handbuch der kommunalen Wissenschaft u n d Praxis, Bd. I (1956), S. 240; Becker, ebenda, S. 117 ff.; neuerdings Gönnenwein, Gemeinderecht (1963) S. 27 ff. 88 A r t . 79 Abs. 3 GG.

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stülpung der Rechtsordnung naturgemäß Rechte fließen; Personenverbände aller A r t sind dann vorkonstituierte Ordnungen, die der Staat vorfindet, nicht schafft. Für wen die Rechtsordnimg weiter als der Staat reicht — sie sei naturrechtlich oder soziologisch konzipiert — der kann auch diese Positionen als Rechtspositionen ansehen. Man mag auch die staatliche Rechtsordnung für weiter halten, als die Dispositionsbefugnis der Normsetzer dieser Ordnung reicht. Eigenständig oder ursprünglich ist insoweit nichts anderes als: Vom Staate vorgefunden, vorstaatlich, angeboren, unveräußerlich. Die normative Ausbildung dieser Rechtspositionen soll keine eigentliche Normierung, sondern Erkenntnis, Anerkennung und bloße Deklaration des Vorgefundenen sein. Wenn der Staat den Rechtskreis der Familie oder der Gemeinden normiere, dann übertrage er kein Recht auf diesen Personenkreis, sondern verleihe nur dem immanenten Recht positiven Ausdruck 8 9 . Diese Konstruktionen stehen vor erheblichen Schwierigkeiten. Eine Rechtsposition w i r d i n der normierten Ausbildung nunmehr zur vornormativen erklärt. Historisch und soziologisch kann diese Eigenständigkeit heute nicht mehr begründet werden: Der i n Freiheit schweifende Wilde ist nurmehr eine Karikatur, und die Frage nach der vorstaatlichen Gemeinde würde zur Heimatforschung werden. Kurz, die Eigenständigkeit i m Sinne von Unangreifbarkeit kann nicht kraft Historie, sondern nur kraft rechtspolitischen Wollens und also kraft Betrachtungsweise an die Normen herangebracht werden; jede andere Begründung ist heute unhaltbar. Aus rechtspolitischen und rechtsphilosophischen Gründen soll die Stellung der Gemeinde oder des Einzelnen dogmatisch so verstanden werden. Dies ist die einzige vertretbare Begründung. N u n wollen manche Verfassungen diese Betrachtungsweise sozusagen als normativen Bestandteil aufnehmen, indem sie irgendwie zu verstehen geben, daß die Normierung nicht als Normierung, sondern als Deklaration zu verstehen sei. Die bayerische Verfassung bezeichnet die Gemeinden als ursprüngliche Gebietskörperschaften 90 . Andere Verfassungen nehmen keine Stellung i n diesem Theorienstreit, aber nach Wortlaut und Anlage scheinen ihre Verfasser von der einen oder anderen Konzeption beherrscht gewesen zu sein. So sollen etwa die Menschenrechte nach der französischen Erklärung von 1789 als Rechte i m Staate und daher jederzeit durch Gesetze einschränkbar, die Menschenrechte der B i l l of Rights von V i r 89 Sogen, organische Theorie; s. außer Gierke S. 206 u n d N. 42 S. 199 ff., 222 f. »o s. Ν . 122.

6*

vor allem Preuss, Ν . 116,

Beispiele juristisch-dogmatischer Eigenständigkeit

84

ginia von 1776 als vorstaatliche Rechte konzipiert sein 9 1 . Die Schwäche derartiger deklaratorischer Bestimmungen liegt auf der Hand. Jede Normierung einer Rechtsposition bringt die Gefahr m i t sich, daß die Position als bloßes Produkt dieser N o r m u n d damit zur Verfügung des Normierenden stehend angesehen w i r d . Daher durchlaufen alle verfassungsgebenden Versammlungen stereotyp jene Erörterungen, daß eine positivrechtliche Normierung die Gefahr berge, die betreffende Rechtsposition als erst durch die Verfassung geschaffen und also auch so wieder abschaffbar anzusehen u n d daß die feierlichste Betonung, es handle sich u m eine bloße Deklaration von Vorgefundenem, diese Gefahr nicht bannen könnte. U m die Methode zu erkennen, ist es gleichgültig, ob es sich u m Monarchenrechte 92 oder Grundrechte 9 3 handelt. Wenn moderne Verfassungen dennoch nicht auf die Normierung von Grundrechten verzichten, so der rechtstechnischen normativen B i n d u n g wegen 9 4 ; u m die Vorteile ohne die Nachteile zu haben, spricht die deutsche Lehre v o m Doppelcharakter derartiger Bestimmungen als Normativbestimmungen u n d als Anerkennung 9 5 . F ü r diese abwehrende F u n k t i o n des Relationsbegriffes „eigenständig" ließen sich noch beliebig viele Beispiele finden. I n diesem Sinne spricht man ζ. B. von der E. der Verwaltung 96. D a m i t w i l l m a n die V e r w a l t u n g gegen gewisse gegenwärtige Bestrebungen schützen, die den Einfluß des Gesetzgebers u n d der Gerichte ausdehnen und die V e r 91

Redslob, Die Staatstheorien der französischen Nationalversammlung von 1789, (Leipzig 1912) S. 92 ff. (100/101); Jahrreiß, Z u m System einer Verfassungslehre, Archiv für Rechts- und Wirtschaftsphilosophie 23 (1929—30) 342 ff. (347 f.). 92 K l a r die Diskussion der Charte von 1814: „Les auteurs, partant de ce principe, que la royauté préexistait aux toutes autres institutions, qu'elle les dominait toutes et que tout émanait d'elle, ne crûrent pas même devoir énoncer ce fait primordial. Ils eussent craint, en inscrivant dans la Charte les droits essentiels de la monarchie, de paraître les faire découler de cette loi et les subordonner à son existence." „ L a discussion s'engagea d'abord sur cette question: Convenait-il . . . de placer en tête de la Charte la déclaration . . . que le gouvernement français était monarchique et que la couronne héréditaire . . . Mais,. M . . . l u i répondait que c'était là des principes fondamentaux antérieurs à toutes les lois et qu'on ne pouvait qu'affaiblir en les soumettant à une délibération et à u n vote" (Viel-Castel , Histoire de la restauration, Bd. 1, Paris 1860, S. 416, 422 f.). 93 Maunz, (N. 14) S. 85 „Denn sobald ein Grundrecht i n einem Gesetz enthalten ist, kann der I r r t u m entstehen, als unterliege es nun den Schicksalen dieses Gesetzes"; Nachweise zur Diskussion für das GG bei von Mangoldt-Klein, Das Bonner Grundgesetz, I (2. Aufl. 1957) S. 93 ff. 94 Z u den V o r - und Nachteilen der Normierung: Peters, Grenzen der kommunalen Selbstverwaltung i n Preußen, S. 24 f. 9 5 Becker, i n : Handbuch der Kommunalen Wissenschaft und Praxis, (N. 86) S. 140. 9 ® Dazu besonders: Peters, Die Verwaltung als eigenständige Staatsgewalt — Kölner Rektoratsrede — (1965).

E. kraft rechtspolitischen Wollens

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w a l t u n g beschränken. Diese Tendenzen lassen sich kurz so zusammenfassen: die gesamte Verwaltungstätigkeit sei ausschließlich auf die Ausführung der Gesetze beschränkt; der für die Eingriffsverwaltung entwickelte Gesetzesvorbehalt müsse auch auf die Leistungsverwaltung ausgedehnt werden; ein Ermessen der V e r w a l t u n g sei i m Rechtsstaat bedenklich, etwaige Ermessensbegriffe seien als Rechtsbegriffe u m zudeuten (und also v o m Richter v o l l nachprüfbar); soweit ein E r messen zulässig sei, habe der Einzelne ein formell subjektives öffentliches Recht auf fehlerfreie Ermessensausübung, möglichst m i t „ E r messensreduzierung auf N u l l " . Gegen diese Bestrebungen, die sämtlich die V e r w a l t u n g beschränken, w i r d geltend gemacht, die V e r w a l t u n g sei eigenständig. Hier ist die abwehrende F u n k t i o n besonders deutlich. Dieselbe F u n k t i o n hat die behauptete E. der Kirchen 97. N u r geht es hier u m einige andere Sachfragen: Geltung der Grundrechte i m kirchlichen Bereich (z. B. i n Personalfragen), Rechtsschutz durch die staatlichen Gerichte usw. I n Übertragung der i m innerstaatlichen Bereich entwickelten Gedankengänge w i r d m i t den Begriffen „eigenständig" u n d „abgeleitet" auch i m Rahmen außerstaatlicher Verbände argumentiert. Nicht n u r sollen so die europäischen Gemeinschaften 98 mitgliedstaatenfest gemacht werden, sondern auch Hohe Behörde und Kommissionen ratsfest. Immer stellt sich das gleiche Problem: die Rechtsstellungen lassen sich normativ nicht absolut sichern, denn da die sichernde N o r m von den Staaten gesetzt ist, kann sie auch v o n ihnen (gegenüber der E W G Kommission handelnd i m Ministerrat) wieder aufgehoben werden. Die Berufung auf die E. soll diese Einflußnahme abschneiden 99 . Schließlich findet sich das A r g u m e n t der so verstandenen E. i n manchen Abstufungen. I m Rahmen der Vorstellung des sog. Subsidiaritätsprinzips 100 ist damit nicht jede Einflußnahme des Staates auf die eigenständigen Rechtssubjekte schlechthin geleugnet. Hier ist n u r gemeint, daß jede Maßnahme gegenüber dem eigenständigen Rechtssubjekt ihre Erforderlichkeit nachweisen muß. Dieses Subsidiaritätsprinzip w i r d bekanntlich i m Verhältnis von Staat u n d ("eigenständiger") Gesellschaft aufgestellt u n d besagt, daß der jeweils weitere Verband (Staat gegenüber der Gemeinde oder Zweckverband, Gemeinde gegenüber privater Initiative) n u r tätig werden solle, wenn die K r a f t des „kleineren Lebenskreises" oder des Einzelnen nicht ausreiche. »7 Nachweise: N. 131—34. »8 Nachweise: N. 145 ff. 99 Nachweise: Wagner, Beschlußrecht, S. 97 ff.; 277 ff.; 348 ff. 100 Nachweise: Ν . 117.

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Beispiele juristisch-dogmatischer Eigenständigkeit 3. Eigenständigkeit

als unbelastete

Rechtsposition

Ebenso w i r d die Freiheit von Bindungen m i t der E. des evtl. unbelasteten Hechtssubjekts begründet. Indem dieses Rechtssubjekt zur causa sui erklärt w i r d , werden alle Belastungen verneint, die i h m möglicherweise von einer anderen Rechtsposition her überkommen sein könnten. Diese Argumentation findet sich z. B. i n der Diskussion u m die Staatensukzession 101 : der Nachfolgestaat beruft sich auf die Ursprünglichkeit seiner Staatsgewalt, u m den von seinem Vorgänger eingegangenen Bindungen und Verpflichtungen zu entgehen. Seine Staatsgewalt leite sich nicht von der Staatsgewalt des früheren Staates ab, sei nicht übertragen, sondern beruhe auf dem eigenen W i l l e n der neuen Gewalt. Deshalb unterliege sie nicht den Bindungen, denen diese Staatsgewalt unterlegen habe. Es ist eine Scheinbegründung. Denn soll das Völkerrecht nicht sinnlos werden, dann müssen die Bindungen und Verpflichtungen, die i n einem bestimmten T e r r i t o r i u m irgendwie lokalisiert sind, zumindest i m Grundsatz fortbestehen. Das Völkerrecht ist auch grundsätzlich so verfahren; sehr fraglich mag die Begründung einer solchen E i n t r i t t s verpflichtung sein und die Entscheidung darüber, welche Verpflichtungen fortgelten sollen. Die rechtstheoretischen Ansichten über originäre und abgeleitete Gewalt haben damit nichts zu tun. So kann z. B. Kelsen infolge seiner Identifizierung von Staat und Rechtsordnung keine rechtliche K o n t i n u i t ä t von der früheren zur neuen Rechtsordnung sehen 1 0 2 ; von seinem Standpunkt lehnt er zurecht die Scheidung von abgeleiteter und ursprünglicher Gebietshoheit für das Völkerrecht a b 1 0 3 und spricht nicht vom Ubergang der Verträge 1 0 4 , sondern von einer völkerrechtlichen Eintrittsverpflichtung. I m Sinne obiger Ausführungen w i r d hier also eine zusätzliche Hilfshypothese verwendet. Nach allen Ansichten ist dann zu prüfen, welche Verträge v o n Völkerrechtswegen — kraft Ubergang oder k r a f t Eintrittsverpflichtung — für den neuen Staat weitergelten und welche nicht. Auch das Bundesverfassungsgericht hat i m Konkordatsurteil ähnliche Scheinbegründungen nicht vermieden 1 0 5 . W e i l die Länder Staatsqualität ιοί Nachweise bei Dahm, Völkerrecht, Bd. 1 (1958) S. 83, 100 ff.; ferner Folz, Zur Frage der Bindung neuer Staaten an das Völkerrecht, Der Staat 1963, 319 ff. 102 Théorie générale du droit international public. Ree. des Cours de l'Académie de Droit international (Haag) 42 (1932) 121 ff. (312 ff., 337). los S. 318. 104 S. 320. los BVerfGE Bd. 6. 309 ff. (346 f.).

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und ursprüngliche Hoheitsgewalt besäßen, seien sie nicht an überkommene Verpflichtungen des Bundes gebunden; dies w i r d i m Einzelnen mit Argumenten aus dem GG gestützt. Zu Recht rügt Jahrreiß 106, daß der Verfassungsgeber bei Abfassung des GG an das Völkerrecht gebunden gewesen und gehalten gewesen sei, seine eingegliederten Verbände i n diesen Bindungen zu halten, wie ursprünglich er sie auch sonst habe konzipieren wollen. Besonders i m Wehrstreit

u n d f ü r die europäischen

Gemeinschaften

wurde erörtert, ob die neugebildeten Gemeinschaften den Bindungen unterliegen, die für die Mitgliedstaaten gelten. Wer diese Bindung verneinte, berief sich auf die Eigenständigkeit und Ursprünglichkeit der Gemeinschaften 107 . Weil die Gemeinschaftsgewalt eigenständig sei, unterliege sie weder den Bindungen der Menschenrechtskonvention 108 , noch den mitgliedstaatlichen Verfassungsschranken oder grundrechtlichen Beschränkungen. Deshalb müsse bei einer Neukonstituierung derartiger Gemeinschaften auch nicht der Grundsatz der Gewaltenteilung beachtet werden 1 0 9 . Weil die Gemeinschaften neukonstituiert, ursprünglich seien, dürfe man nicht von einer Übertragung von Hoheitsrechten sprechen 110 . Übertragung impliziere i n irgendeiner Form den Gedanken „nemo plus juris transferre potest quam ipse habet" und führe zur „Hypothekentheorie" 1 1 1 . Wo es sich aber nicht um Ubertragung, sondern um Neukonstituierung originärer Rechtsordnungen handle, könnten auch derartige Beschränkungen nicht übergehen. Die Eigenständigkeit wird, wenn überhaupt, mit reichlich konstruktiven Argumenten begründet. Die Übertragung von Hoheitsrechten als Teiιοβ Völkerrecht und Bonner GG, i n : Staat und Bürger, Festschrift W. Apelt (1958) S. 159. (162 f.). 107 Nachweise für den Wehrstreit: s. insbes. das Gutachten von Kaufmann, i n : K a m p f u m den Wehrbeitrag, Bd. I I (1953) S. 42 ff. los Thieme, 151. i° 9 Diese Frage der strukturellen Homogenität oder Kongruenz der B R D und der neuen Gemeinschaften wurde vor allem i m Wehrstreit ausführlich erörtert; s. Der K a m p f u m den Wehrbeitrag, 3 Bde. (1952/1958); etwa: Kraus, i n Bd. 2 S. 551; Nachweise des Streitstandes bei v. Mangoldt-Klein, (N. 93) A r t . 24 I I I 5d; zusammenfassend: Kruse, Strukturelle Kongruenz u n d Homogenität, i n : Festschrift für H. Kraus (1954) S. 112 ff. Dagegen: Badura, V V D S T R L Heft 23; Zusammenfassend: Wagner, Beschlußrecht, S. 248. no Z. B. Scheuner, Die Rechtsetzungsbefugnis internationaler Gemeinschaften, i n : Völkerrecht und rechtliches Weltbild, Festschrift für Verdross (1960) S. 232; Dahm, Völkerrecht, Bd. 2 (1961) S. 657, 678; Jaenicke, Die EGKS, ZaöRV (1951—52) S. 727 ff., 730; Jerusalem, Recht der Montanunion (1954) S. 11; Kunz, Supranational Organs, American Journal of International L a w (1952) S. 690 ff.; Reuter, L a CECA, Recueil (Ν. 102) Bd. 81 (1952) S. 519 ff.; Ophüls (Ν. 146) S. 561 ff. m D . h . zur Bindung durch nationale Grundrechte (Schüle, Ν . I 51), 243); Bindung durch gemeinsame westeuropäische Vorstellungen Kaiser, V V D S T R L , 18, S. 88 f., Aussprache). Krüger (N. 3) S. 722, 725 f.

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Beispiele juristisch-dogmatischer Eigenständigkeit

l e n d e r S t a a t s g e w a l t w i d e r s p r e c h e d e m staatsrechtlichen D o g m a v o n der U n t e i l b a r k e i t der S t a a t s g e w a l t . L a souveraineté est i n d i v i s i b l e , sagt die französische L e h r e u n d m e i n t dasselbe, da sie — anders als d i e deutsche L e h r e — u n t e r S o u v e r ä n i t ä t d i e S t a a t s g e w a l t v e r s t e h t 1 1 2 . D i e S t a a t s g e w a l t sei n i c h t m e h r als e i n B ü n d e l v o n Rechten k o n z i p i e r t , w i e nach f r ü h e r e n V o r s t e l l u n g e n , s o n d e r n als „ r e i n e P o t e n z " , d i e i m L a u f e d e r Geschichte n a c h d e n j e w e i l i g e n F o r d e r u n g e n zeitgeistiger, ideologischer u n d r e a l p o l i t i s c h e r B e w e g g r ü n d e i m h ä u f i g e n Wechsel Lebensgebiete herangezogen u n d v o n sich abgestoßen h a b e 1 1 3 . E i n e solche K o n s t r u k t i o n w ü r d e auch d e n G e m e i n s c h a f t e n n i c h t gerecht: Sie k ö n n e w e d e r e r k l ä r e n , wieso Befugnisse e n t s t e h e n k ö n n t e n , d i e einzelne S t a a t e n v o r h e r n i c h t besessen h ä t t e n 1 1 4 , noch Befugnisse, d i e k e i n e i n z e l n e r Staat v o r h e r h a b e ausüben k ö n n e n , „ w e i l v i e l e Befugnisse d u r c h d e n V e r t r a g erst geschaffen w u r d e n u n d d e n M i t g l i e d s t a a t e n j e d e n f a l l s i n dieser F o r m b i s h e r n i c h t z u s t a n d e n " 1 1 5 . Sie 112 Petot, Des Communautés européennes à la fédération, Revue générale de droit international public, 1960, S. 335 ff. (339): Die Übertragung „correspond à la croyance qu'on peut découper les souverainetés en tranches, puis recomposer les éléments dont la réunion va former la collectivité nouvelle. Cette éventualité eut fort surpris quand régnait les doctrines sur l ' i n d i visibilité du pouvoir souverain" ; v. Mangolt-Klein (N. 93) A r t . 24 I I I 6 sehen daher i n A r t . 24 eine Durchbrechung des Satzes von der Unteilbarkeit der Staatsgewalt. 113 Erler, W D S T R L Heft 18 S.21 u n d S. 18; ders.: Staatssouveränität u n d internationale Wirtschaftsverflechtung, Berichte der Deutschen Gesellschaft f ü r Völkerrecht, Hef11 (1957) S. 29 ff.; Völkerrechtliche Forschung, 1955 S. 31 ff.; Gutachten Kaufmann, Scheuner u n d Stellungnahme der Bundesregierung i n : Der K a m p f u m den Wehrbeitrag, Bd. 2 S. 55, 119 ff.; 9; K.H.Klein , Übertragung von Hoheitsrechten (1952) S. 14ff.; Krüger, D Ö V 1959 S. 724; nach spätmittelalterlicher Auffassung waren die Funktionen der Staatsgewalt nicht wie heute Willensäußerungen eines personifiziert gedachten Staates, sondern einzelne Rechte, die m i t der Person des Herrschers als dessen persönliche Befugnisse verbunden waren (jura majestatis, regalia maiora). Sie mußten deshalb einzeln bestimmt u n d behandelt werden (z.B. Gesetzgebung, Justiz, Begnadigungs-, Steuerrecht usw.). Jeder A u t o r hat sie i n ziemlich chaotischer Reihenfolge aufgezählt. Beste Darstellung dieser A n schauungen, w e i l unmittelbar auf Quellen gestützt: Dock, S. 57 ff.; Hancke, S. 47 ff. (N. 26). n 4 Dieses von Smend für die Opposition i m Wehrstreit gegen die E V G entwickelte Argument (Der K a m p f u m den Wehrbeitrag, Bd. 1 S. 152, Bd. 2 S. 562 ff.) widerspricht der modernen Staatsauffassung, w e i l es dem Staat alle nicht i n der Verfassung erwähnten Hoheitsrechte abspricht. Da das G G keine Militärhoheit normiere, handle es sich u m „ein neues, i m bisherigen System ihrer materiellen Hoheitsrechte nicht vorgesehenes Hoheitsrecht" (Bd. 1, S. 152), und könne daher auch nicht übertragen werden. Die A u f fassung ist m i t den heutigen Ansichten über die Staatsgewalt als Potenz unvertretbar u n d Smend ist nicht m i t i h r durchgedrungen (gegen Smend z.B. Süsterhenn, ebenda, Bd. 1 S.260f.; vor allem ausführlich Scheuner, ebenda, Bd. 2 S. 111 ff.).

us Wohlfarth, Europäisches Recht, Jahrbuch f ü r Internationales Recht, Bd. 9, 1960 S. 12 ff. (29) wendet damit ein Argument, das i m Wehrstreit

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könne vor allem keine durchgängige, einheitliche Hoheitsgewalt der Gemeinschaften erklären, sondern führe zu einem Mosaik, einem Bündel verschiedenartiger Gewalten. Eine solche zusammengebündelte Gewalt habe keine Befugnis, i n den sechs Hoheitsbereichen der M i t gliedstaaten tätig zu werden. Man w i l l die europäischen Gemeinschaften d e s h a l b als eigene, originäre, neukonstituierte Rechtsordnungen erkennen 1 1 6 . Und weil die europäischen Gemeinschaften dergestalt als eigenständig angesehen werden müssen, könne die Verbandsgewalt logischerweise nicht den Bindungen unterliegen, denen die Gewalt der Mitgliedstaaten unterlag. Der Einwand zeigt, zu welchen Scheinproblemen unklare Vorstellungen über die Funktionen der Theorie führen. Theorien haben verschiedene Funktionen 1 1 7 ; eine dieser Funktionen ist es, anschauliche Vorstellungen zu ermöglichen. Man sieht hinter diesen „Erklärungen" keine ontologische Realität, sondern w i l l Bezüge i n mechanistischen Bildern ausdrücken. Derartige Abbildrealismen stoßen irgendwann auf ihre Grenzen. So kann etwa i n der Physik die Erzeugung eines Elektronenpaars aus einem Lichtquant nicht mechanistisch erklärt werden, da ein Lichtquant nicht aus zwei Elektronen zusammengesetzt werden kann. I n der Physik w i r d dann diese Theorie insoweit nicht mehr herangezogen; i m Recht entstehen Scheinprobleme und unmaßgebliche Begründungen. Spricht man von „übertragenen Hoheitsrechten" einer so gebildeten Hoheitsgewalt und stellt sich die „übertragenen Hoheitsrechte" nach A r t sechs gebündelter Holzstäbe vor, so manövriert man sich i n die Frage, was denn der deutsche Holzstab i n Frankreich ausrichten könne; stellt man sich die nationalen Hoheitsgewalten als von ihren Verfassungen „grundrechtlich verkürzt" vor, so w i r d man von der Vorstellung verschieden langer Stäbe beunruhigt. Die deutsche Lehre sagt deshalb, das Wort „übertragen" i n A r t . 24 GG dürfe nicht „naturalistisch" verstanden werden 1 1 8 . Macht man sich diesen sprachlichen Vorgang klar, so kann man sich der Unmaßgebgegen die Möglichkeit supranationaler Gemeinschaften vorgebracht wurde, nunmehr zugunsten der Unbeschränktheit der Gemeinschaften. 116 Z . B . Krüger, (N. 3); Münch, Fritz, Die Abgrenzimg des Rechtsbereiches der supranationalen Gemeinschaft gegenüber dem innerstaatlichen Recht. Berichte der deutschen Gesellschaft für Völkerrecht, Heft 2 S.73ff., 78f.; französische Fassung: Actes officiels du Congrès international d'études sur la CECA (Mailand-Stresa, 1957), Bd. 2 S. 2 ff.; Catalano, Les sources d u D r o i t de la CECA, ebenda, Bd. 2; Mosler, Internationale Organisation u n d Staatsverfassung, Festschrift f ü r Wehberg (1956) S. 273 ff., Monaco, L a comunità sopranazionale nelP ordinamento internazionale, Comunità internazionale 1953 S. 441. h? Z u m Folgenden ausführlich: Wagner, Theorie, I I I . ne Krüger (N. 3) S. 722; gleiche Warnung etwa für das W o r t „brechen" i n A r t . 31 GG.

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Beispiele juristisch-dogmatischer Eigenständigkeit

lichkeit der Argumentation für die Frage der Grundrechtsbindimg nicht verschließen. Die theoretischen Schwierigkeiten, die m i t der Vorstellung von einer Übertragung verbunden sind, leuchten ein, und man mag deshalb die Vorstellung von einer Neukonstituierung vorziehen. Aber unzulässig ist es, aus diesen Konstruktionsschwierigkeiten auf die Unbeschränktheit der Gemeinschaftsorgane zu schließen. Wie man sich diese Neukonstituierung denken w i l l , mag hier dahinstehen. Wie alle Hechtssubjekte können auch die Mitgliedstaaten eine Verbandsgewalt schaffen, die ihnen gegenüber Rechte besitzt. Aber ob diese neukonstituierte Rechtsordnung grundrechtlich verfaßt ist, hängt nicht von Konstruktionserwägungen ab, sondern allein von unseren rechtspolitischen Anschauungen. Auch die neukonstituierte, originäre, eigenständige Gemeinschaftsgewalt kann grundrechtlich gebunden gedacht werden. Denn „Gewalt kann heute gar nicht anders denn als verfaßte und verrechtlichte Gewalt entstehen, jedenfalls wenn Verfassungs- und Rechtsstaaten hierbei am Werk gewesen sind: Sie müssen als zur Schöpfung von unverfaßter und unverrechtlichter Gew a l t unfähig angesehen werden" 1 1 9 . Andere Intentionen können der BRD gar nicht unterstellt werden. Diese Erwägungen müssen über Bindung und Ungebundenheit der Gemeinschaften entscheiden, nicht begriffsjuristische Kunststücke 1 2 0 oder Konstruktionserwägungen. Man mag die Vorstellung einer Neukonstituierung vorziehen, w e i l dann die einheitliche Gemeinschaftsgewalt auch besser vorstellbar sei, und w e i l sie die Tatsache besser erklären könne, daß auch die Staaten noch konkurrierend zuständig seien 121 . Aber Systemästhetizismus ist kein sachliches Argument. K l a r zeigt sich diese Bedeutung des Unbelastetseins wieder am Beispiel des „eigenen Rechts". Wer sich auf ein „eigenes Recht" beruft, behauptet nicht nur weite Befugnisse, sondern lehnt etwaige Belastungen aus einer Sphäre ab, die für die Entstehung des Rechts kausal waren. u» Krüger, (N. 3) S. 726. 120 E i n Beispiel solcher Argumentation bietet Kaufmann, Erich, i n : Der K a m p f u m den Wehrbeitrag, Bd. 2 S. 42 ff. Obwohl er darin mehrfach gegen den Positivismus polemisiert, verfällt er i n eine der Hochzeit der Begriffsjurisprudenz würdige Argumentation: Er legt den Wortlaut von A r t . 24 GG („übertragen") als „betrauen" aus, zudem ausschließlich i n fremder Terminologie — conférer statt transférer — (S. 54) u n d folgert: „da es sich u m keine Transferierung von Hoheitsrechten handelt, sondern u m ein Betrauen, eine Ausstattung m i t Hoheitsrechten, k a n n der Satz „nemo plus iuris transferre potest quam ipse habet" keine Anwendung finden". (S. 55) Z u Recht spricht Klein (ebenda, S. 466 ff.) von einem bloßen Wortspiel (S. 471, Zit. des Schriftsatzes der SPD-Bundesfraktion v o m 18.10.1952). 121 Natürlich wäre all das m i t dem Gedanken einer Übertragung ganz genau so vorstellbar, und umgekehrt könnte man bei einer Neukonstituier u n g sich ganz dieselben gedanklichen Schwierigkeiten auftürmen.

E. kraft rechtspolitischen Wollens

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Die §§844, 845 BGB gewähren den Hinterbliebenen des Getöteten Ansprüche „aus eigenem Recht". Damit w i r d gesagt, daß sie i n der Person der Hinterbleibenen entstanden sind, d. h., sie stehen ihnen nicht qua Erben zu, gelangen nicht über den Nachlaß an sie und teilen nicht dessen rechtliches Schicksal. Weder konnte der Getötete über sie verfügen noch unterliegen sie dem Zugriff der Erbschaftsgläubiger. Umgekehrt teilen alle Ansprüche, die sich aus der Person des Verstorbenen ableiten, das Schicksal der Erbmasse; insbesondere können sich die Erbschaftsgläubiger aus ihnen befriedigen. Aber auch hier müssen die möglichen Relationen unterschieden werden. Denn trotz aller E. können diese Ansprüche nicht entstehen, wenn der unmittelbar Verletzte selbst keine Ansprüche haben würde. Vertraglicher Haftungsausschluß gegenüber dem unmittelbar Verletzten schließt auch die Ansprüche Dritter aus 1 2 2 und bei Verschulden des unmittelbar Verletzten bei der Entstehung des Schadens gelten die Vorschriften des § 254, § 846 BGB. Insoweit sind die Ansprüche also gerade nicht eigenständig. Und so werden die beamtenrechtlichen Ansprüche auf Hinterbliebenenversorgung bald kraftvoll als eigene Rechte bezeichnet, um auszudrücken, daß sie nicht zum Nachlaß gehören 123 , bald ebenso kraftvoll abgeleitet genannt, u m ihre Abhängigkeit von der Ruhegehaltsberechtigung des Verstorbenen auszudrücken 124 . 4. Eigenständigkeit als Kompetenzquelle M i t dem Argument der E. w i l l man schließlich eine Auslegungsregel für Kompetenzfragen gewinnen. E. und eigenes Recht besagen dann, daß aus dem Wesen der Rechtsstellung bestimmte Befugnisse fließen. So flössen die Hoheitsrechte aus der Monarchenstellung und heute aus dem Wesen des Staates. So soll die Gemeinde kraft Wesens die Befugnis haben, ihren Bereich zu regeln. Nach dem gewöhnlichen Wortgebrauch ist der eigenständige Träger davon befreit, den Nachweis einer formellen Delegation zu führen. Insoweit treffen sich Autoren, die für ursprüngliche Rechte der Gemeinde eintreten und solche, die gemeindliche Befugnisse vom Staate ableiten, sie aber der Gemeinde „zu eigenem Recht übertragen" sehen 126 . Über die tatsächliche, d . h . v o m positiven Recht bestimmte Kompetenzverteilung ist damit noch wenig ausgemacht. Es ist oft bemerkt worden, daß Gebietskörperschaften, die von der Staatslehre als „abgeleitet" qualifiziert werden (autonome Provinzen u n d Regionen), „autonomer" sein, d . h . 122 RGZ 117, 102 ff.; 128, 229 ff. (233). 123 So allgemein die Literatur. 124 Dogmatische Einordnung dahingestellt i n : B G H DVB1 1952, 731; B G H ZBR 1955, S. 145; wie oben: Fischbach, BBG, Bd. 2 (1965), vor §121. 125 Terminologische Nachweise bei Becker i n : Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis (hrsg. v. Peters) Bd. 1 (1956) S. 119 f., 140.

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Beispiele juristisch-dogmatischer Eigenständigkeit

mehr Befugnisse haben können, als die i m dogmatischen Sinne eigenständigen12^

So soll das Individuum kraft Wesens seine als persönlich erachteten Belange selbst regeln können. Und so sollen internationale Organisationen und europäische Gemeinschaften kraft ihrer Eigenständigkeit und kraft ihrer Qualität als derartige Verbände bestimmte Befugnisse besitzen oder alle Befugnisse haben, die zur Erreichung ihrer Ziele erforderlich sind. Auch die E. als Kompetenzquelle betrifft i n den einzelnen Fällen recht Verschiedenes. So kann die E. etwa besagen sollen, daß der eigenständige Träger seine Befugnisse nicht nachweisen muß, entweder überhaupt nicht (so meist der Staat) oder i n bestimmtem Rahmen (so die Gemeinde); dagegen muß der Träger bloß abgeleiteter Befugnisse diesen Nachweis führen. Die Kompetenzvermutung spricht für das eigenständige Rechtssubjekt. I n anderen Fällen sind recht spezifische Befugnisse gemeint. So kann etwa der Ehemann gewisse Rechte der Ehefrau als eigene Rechte geltend machen, d.h., prozessual w i r d er weitgehend als Inhaber der Rechte angesehen. Viele Rechtsträger machen bestimmte Befugnisse m i t dem Argument des eigenen Rechts geltend; selbst i m politischen Bereich spricht man vom „Kanzler aus eigenem Recht".

126 U n d zur Kompetenzfrage zwei moderne Autoren, deren Argumentation v o m gegensätzlichen Ausgangspunkte sich t r i f f t : Becker, (N. 125) S. 120 f.: „ M a n k a n n trotz Herleitung aus der Staatsgewalt sagen, daß die Selbstverw a l t u n g ihre Wurzel i n der Idee einer von der unmittelbaren Staatsgewalt unabhängigen V e r w a l t u n g h a t " ; umgekehrt E.Walz, ebenda, S. 240: Auch originäre Rechte stünden i n Grenzen zur Verfügung des Gesetzgebers.

Fünftes

Kapitel

Ergebnis: Eigenständigkeit und Abgeleitetheit als Konstruktionselemente der Rechtssystematik 1. Funktion

dieser Qualifikation

Die Qualifizierungen „eigenständig", „ursprünglich", „vorstaatlich" und „abgeleitet" (oder ihre Äquivalente) sind Elemente rechtssystematischer Konstruktionen. Ein ausschließlich topisch vorgehendes und m i t Wertungen argumentierendes Denken bedarf ihrer nicht. Die Vorstellung der Eigenständigkeit und Abgeleitetheit erlaubt damit zum einen den Aufbau von Systemen und systemgerechte Einzellösungen und zum anderen i n gewissem Maße ein Absehen von rechtspolitischen und Wertungsargumenten. Sie haben somit vorwiegend systematisierende und heuristische Funktionen. „Eigenständig" und „abgeleitet" drücken bestehende oder erstrebte Beziehungen oder Beziehungslosigkeiten systematisch und leicht vorstellbar aus. Dabei bezeichnen „eigenständig", „ursprünglich", „originär", „vorgefunden" usw. eine gewisse Abgelöstheit eines Rechtssubjekts, eines Rechtes oder einer Befugnis gegenüber anderen Subjekten, Rechten oder Befugnissen; die als „abgeleitet" gedachte Rechtsposition steht i n einer bestimmten Nachordnung und Unterlegenheit gegenüber einer anderen Rechtsposition. Diese Beziehungen und Beziehungslosigkeiten sind vielfältiger Natur. Sie mögen kausalgenetischer, geschichtlich-zeitlicher, normativer, rechtspolitischer oder sonstiger Natur sein; sie mögen als bestehend erkannt oder als rechtspolitische Forderung aufgestellt werden, immer werden sie mit Hilfe dieser Konstruktionselemente anschaulich ausgedrückt und i n ein vorstellbares System gebracht. Die Vorstellung der E. und der Abgeleitetheit ist vor allem unentbehrlich für den Aufbau weiterer oder begrenzterer Systeme. Die Rechtswissenschaft muß, wie alle Wissenschaften, ihre verschiedenen Erkenntnisgegenstände oder ihre Begriffe systematisch verknüpfen. Sie ist sogar stärker als andere Wissenschaften, ja fast ausschließlich auf die Erkenntnis von Beziehungen beschränkt, während sie viele Bezugsobjekte (Mensch, Familie usw.) vorfindet. Sie beschäftigt sich aus-

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E. als Konstruktionselement der Rechtssystematik

schließlich mit dem Verhalten von Menschen (Individuen oder irgendwie gruppierten Personenmehrheiten) zueinander oder von Menschen zu sonstigen Gegenständen. Die ganze Rechtsordnung stellt sich so als ein Komplex von Beziehungen dar, und die Rechtswissenschaft könnte daher als Beziehungswissenschaft (Wissenschaft der sozialen Beziehungen) bezeichnet werden. U m i n dieses Chaos der Beziehungen Ordnung und Ubersicht zu bringen, bedient man sich räumlich-zeitlicher Vorstellungen (eigenständig, originär, derivativ) und schafft sich so Perspektiven. So setzt etwa die Rechtsquellenlehre die Rechtsquellen derart untereinander i n Beziehung, daß sie zusammen eine Normenpyramide bilden. Die jeweiligen Beziehungen zwischen den Trägern der Rechtssetzungsbefugnisse und der Rechtsquellen werden durch den Ableitungszusammenhang ausgedrückt: die rangniedrigere Rechtsquelle erscheint als von der ranghöheren abgeleitet, die sich ihrerseits wieder von einer ranghöheren Quelle ableiten kann. Erst dieser die ganze Rechtsordnung restlos erfassende Ableitungszusammenhang erlaubt den allgemeinen Einsatz von Konfliktregeln wie Vorrang der ranghöheren Norm, Vorrang des Gesetzes, Vorbehalt des Gesetzes usw. Nur so kann die jeweilige Überlegenheit bestimmter Rechtsquellen (z. B. der Verfassung), bestimmter Rechtssetzungsträger (z. B. des Parlaments) und der zentralen gegenüber höheren Instanzen gesichert werden. Dieser Ableitungszusammenhang i m Aufbau der Rechtsquellen muß zwangsläufig i n irgendeiner Rechtsquelle einen Endpunkt (Einsatzpunkt) finden, über den hinaus nicht gefragt, der selbst nicht weiter abgeleitet wird. Dies drückt das Wort von der Eigenständigkeit (Ursprünglichkeit) aus. Anders ließe sich kaum eine Rechtsquellenlehre aufbauen. Nicht nur eine gesamte Rechtsordnung w i r d i n dieser Weise perspektivisch geordnet, sondern auch die Rechtsbeziehungen kleinerer Kreise oder auch nur zwischen zwei Rechtspositionen können so geordnet dargestellt werden. Dann geht es nicht mehr um den Aufbau einer Gesamtrechtsordnung, sondern um das gesamte Verhältnis zwischen diesen beiden Rechtspositionen. Denn dieses Verhältnis erschöpft sich oft nicht in einer einzigen Rechtsbeziehung, sondern besteht aus einer Vielzahl von Beziehungen. W i r d eine solche Rechtsposition gegenüber einer anderen als „eigenständig" oder „ursprünglich" bezeichnet, dann heißt das soviel wie: diese andere Rechtsposition hat keinerlei Einflußmöglichkeiten. Oder auch: eine dritte Rechtsposition (z.B. der Erbschaftsgläubiger) hat gegen die eigenständige Rechtsposition (z. B. des Hinterbliebenen eines deliktisch Getöteten, § 844 BGB) nicht die Zugriffsmöglichkeiten, die sie gegen die Position hatte, von der sich die nicht eigenständige Rechtsposition (z. B. des Erben) ableitet.

E. als Konstruktionselement der

echtssystematik

Dieses dogmatisch-systematische Ordnungsverfahren, die Übersetzung von Rechtsbeziehungen oder Wertentscheidungen i n räumlich-zeitliche Vorstellungen, ist berechtigt und unbedingt erforderlich. Kein Rechtssystem kann vollständig auf diese Konstruktionsmöglichkeiten verzichten, und auch die Rechtspraxis braucht derartige einfach zu handhabende Techniken. Die Dschungelhaftigkeit mancher Materien des modernen Rechts rührt gerade von der mangelnden dogmatischen Durchdringung her. Ist eine Rechtsposition als „eigenständig" oder „abgeleitet" erkannt, so lassen sich hieraus — bei richtiger Anwendung — neu auftauchende Fragen systemgerecht lösen (heuristische Funktion). Sie erlauben schließlich dem mit ihnen Arbeitenden, von rechtspolitischen und Wertungsargumenten weitgehend abzusehen, da die rechtspolitische und Wertentscheidung bereits m i t der Qualifizierung als „eigenständig" oder „abgeleitet" gefallen ist. Die Funktionen der Qualifizierung als „eigenständig" oder „abgeleitet" lassen sich daher so darstellen: Systematisches und anschaulich-vorstellbares Zusammenfassen des Normenregimes einer Rechtsposition gegenüber einer anderen: Deduzierbarkeit weiterer systemgerechter Fallösungen bei weitgehendem Absehen von den für den Fall sonst anzustellenden rechtspolitischen Erwägungen und Wertentscheidungen. 2. Gefahren

dieser

Handhabung

Doch der Umgang mit diesen Konstruktionselementen ist m i t Fehlerquellen gespickt. Sie lassen sich so zusammenfassen: Keine der beiden Qualifikationen kann zwingend bewiesen werden, und — umgekehrt — keine Qualifikation erlaubt zwingende Schlußfolgerungen (a); die vielfältigen mit „eigenständig" und „abgeleitet" qualifizierten Beziehungen geraten schnell durcheinander, wozu auch die Funktionen der Veranschaulichung und des Absehens von topischen Erwägungen beitragen (b). a) Eigenständigkeit und Abgeleitetheit einer Rechtsposition werden oft als Prämissen verwendet, aus denen Rechtsfolgen deduziert werden. Sie sollten daher nicht nur apodiktisch behauptet, sondern begründet werden. Aber keine Qualifizierung kann i m eigentlichen Sinne bewiesen werden 1 . Eine solche Beweisführung setzt Unterschiede auf phänomenologischer Ebene voraus; der Unterschied liegt also nicht i n den Phä1 s. Kapitel I I I Abschnitt 6.

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E. als Konstruktionselement der Rechtssystematik

nomenen, sondern allein i m Betrachter, der die eine oder die andere Konstruktion wählt. Für die Gültigkeit einer solchen Qualifikation kann nur angeführt werden, daß sie besser mit den Fakten (oder was dafür gilt: die evtl. gemeinsame intentio dogmatica, Rechtssätze, soziologische Erkenntnisse, politische Gegebenheiten oder rechtspolitische Erfordernisse oder Wünsche) vereinbar sei als die andere Qualifikation. Aber jede Konstruktion kann auch anscheinend widersprechende Fakten absorbieren. Denktechnisch genügt die Einführung einer zusätzlichen Vorstellung, u m die Konstruktion wieder stimmig zu machen 2 . Ob die Staatsgewalt als von Gott oder vom Volk kommend gedacht wird, ist m i t jeder staatsrechtlichen Lösung vereinbar 3 . Wer i n der Diskussion u m die Staatensukzession von der Ursprünglichkeit der Gewalt des Nachfolgestaates ausgeht, kann m i t hilfe einer völkerrechtlichen Eintrittspflicht zu allen gewünschten Bindungen gelangen 4 . So können für die jeweils behauptete Eigenständigkeit oder Abgeleitetheit zwar Gründe angeführt werden, sie können aber niemals als objektives Recht nachgewiesen werden. Auf phänomenologischer Ebene läßt sich durch nichts i n der Welt ein Unterschied nachweisen. Nur zu oft täuscht die Behauptung, es gebe eigene und abgeleitete Hoheitsgewalten, eigenständige und abgeleitete Rechtsordnungen, derartige Unterschiede vor. Der Staatsrechtler erklärt meist nur den Staat für ursprünglich, der Völkerrechtler meist den gerade von i h m untersuchten Staatenverband. Die meisten Autoren, die über die europäischen Gemeinschaften schreiben, heben deren eigenständige Rechtsordnung, eigenständige Verbandsgewalt und eigene Organe hervor, und reduzieren alle anderen staatenintegrierenden Verbände auf bloße vertragliche Verpflichtungen. Der Fehler ist offensichtlich: unter dem Schein, unterschiedliche Tatbestände vergleichend gegenüberzustellen, w i r d an beide eine verschiedene Betrachtungsweise herangetragen, w i r d für beide Phänomene ein verschiedener Konstruktionsstandpunkt eingenommen, sonst nichts 5 . Der methodisch unkritische Leser soll an objektive, phänomenologisch nachweisbare Unterschiede glauben, während beide Male nur der subjektive Beitrag, die intentio dogmatica verschieden ist. Scholastisches Mittelalter und selbst noch die vernunftrechtliche Neuzeit begründeten die Eigenständigkeit i m wesentlichen aus historisch-ontologischen Beziehungen 6. Diese Beziehungen wurden während des Mittelalters aus 2 s. K a p i t e l I I I Abschnitt 7. » s. K a p i t e l I V Abschnitt 12. 4 s. K a p i t e l I V Abschnitt 14 Ziff. 3. 5 Z u diesem Fehler ausführlicher: Kelsen, (Ν. I V 31) S. 311 ff. β s. K a p i t e l I V Abschnitt 12.

Das Problem der Souveränität

E. als Konstruktionselement der Rechtssystematik Bibel, Kirchenvätern, Geschichte und Mythologie gewonnen; mit den Gesellschaftsvertragstheorien begann die Konstruktion aus der Vernunft. Solange die Theorien über die Herkunft der Gewalt als ontologische Realerklärungen verstanden werden, solange sind deduktiv gewonnene Rechtsfolgen methodisch berechtigt. Uber die Prämissen (Herkunft der Gewalt von Gott, Volk oder von Äneas) mag man streiten, aber e concessis war diese Methode einwandfrei. Aber schon damals zeigte sich: Von jeder theoretischen Ausgangsposition läßt sich jedes Ergebnis, von jeder Herkunftstheorie läßt sich jede positiv-rechtliche oder gewünschte Regelung begründen 7 . Heute können historisch-ontologische Gründe nicht mehr ernsthaft vorgebracht werden. Der Positivismus ging umgekehrt vor 8 . Er wollte keine Rechtsfolgen aus ontologischen Beziehungen ableiten und noch weniger für Rechtsfolgen streiten, die vom positiven Recht abwichen. Sein Ziel w a r es, die Sätze des positiven Rechts i n ein System zu fassen, Bestehendes begrifflich derart zu rechtfertigen, daß es aus Oberbegriffen abgeleitet erschien. Dabei stieß er u. a. auf das Problem, die Gebietsverbände abzugrenzen, genauer: Die Staatspersönlichkeit der deutschen Länder zu rechtfertigen, indem er sie als wesensverschieden von eingegliederten Gebietsverbänden (Gemeinden) auswies. Infolge der i h m eigentümlichen Beschränkung auf normative Fakten mußte er alle sonstigen legitimierenden Ordnungsfolgen ontologischer, historischer, rechtspolitischer A r t ausschließen. Er suchte irgendeinen Satz des positiven Rechts, der alle Staatsordnungen und nur diese auszeichnete, wollte diesen Rechtssatz aber erst als differentia specifica des Staates anerkennen, nachdem er i h n „Eigenständigkeit", „Ursprünglichkeit" u. ä. genannt hatte. Ein solcher Rechtssatz hätte naturgemäß nichts über andere Rechtsfolgen aussagen können. Die gegenwärtige Dogmatik schleppt noch immer Vorstellungen und Argumente aus diesen früheren Glaubensschichten mit. Die Vorstellung von der „Herkunft der Gewalt" entstammt ontologischem Denken, das die irdische Gewalt substantiell-einheitlich verstand. Die Formulierung reißt geradezu die Argumente m i t i n die gegenwärtige Diskussion, die i m säkularisierten Rechtsdenken sinnlos sind; zu welchen Mysterienkulten gerade diese Fragestellung i n säkularisierter Denkwelt führt, zeigt das unübersehbare und wenig ergiebige Schrifttum des 19. Jahr7 s. K a p i t e l I V Abschnitt 12, T e x t zu A n m . 20 ff. β s. K a p i t e l I V Abschnitt 13. 7 Wagner

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E. als Konstruktionselement der Rechtssystematik

hunderts über das Wesen der Personenmehrheit 9 . Belastend w i r k t sich auch die Argumentation des zeitlich nahen rechtspositivistischen Schrifttums aus, das die Eigenständigkeit aus irgendwelchen zufälligen normat i v e n Details erweisen wollte. Anders als unter dem Gesetzespositivismus erscheint uns heute der Nachweis der Eigenständigkeit aus normativen Detailregelungen wenig geeignet. Stringenz hat diese Begründung nur, solange m a n an i n variable, substanzhafte Rechtsbegriffe u n d ein aus ihnen gebildetes Rechtssystem glaubt, die beide eine ontologische Seinsstruktur aufweisen und daher n u r aufzufinden seien. Glaubt m a n an ein solches einziges Rechtssystem, dann entfließen ihnen alle Rechtsfolgen m i t Zwangsläufigkeit. Entfällt diese Voraussetzung, dann verliert die Argumentation aus der Eigenständigkeit, die aus normativer Detailregelung begründet w i r d , ihren zwingenden Charakter. Verliert die k r a f t normativer Detailregelung begründete Eigenständigkeit ihren Charakter als zwingende Prämisse, so verbürgt sie höchstens noch eine systemgerechte Rechtsfolge 10. I h r heuristischer Wert ist damit k l a r ; daß aber auch eine systemgerechte Lösung nicht ohne weiteres auch eine rechtspolitisch richtige Lösung ist, muß heute nicht mehr ausgeführt werden. Schließlich ist das Systemargument auch deshalb nie zwingend, w e i l jede Konstruktion jedes scheinbar w i d e r sprechende F a k t u m absorbieren kann; es genügt die Einführung einer Hilfshypothese 1 1 . Da der Grundsatz der Denkökonomie nicht rechtskonstitutiver Natur ist 1 2 , sprechen n u r systematische, nicht aber rechtslogische Gründe gegen diese Absorption. Werden also die jeweilige Eigenständigkeit, Vorstaatlichkeit oder Vorgegebenheit n u r apodiktisch behauptet, nicht aber begründet, so übernehmen bloße Konstruktionselemente verdeckterweise Funktionen irgendeines Naturrechts. Dann transzendiert die Argumentation aus der Eigenständigkeit über die N o r m hinaus, ohne an das Transzendente zu glauben oder auf Glauben zu rechnen. Deswegen w i l l sie keinesfalls das Normtranszendente (die Vorgegebenheit einer Rechtsposition) nennen 1 3 . Die deutsche Lehre hat immer m i t ungewöhnlicher Schärfe Kelsens erkenntnistheoretische-rechtslogische Grundnormhypothese als bloße F i k t i o n be9 Gesellschaft, Körperschaft, Gesamthandsgemeinschaft, sonstige Mehrheiten von Schuldnern und Gläubigern. 10 s. Kapitel I I Abschnitt 4 Ziff. 3 u n d 4. h Beispiele bei Kapitel I I I Abschnitt 7; Kapitel I V Abschnitt 12, Text zu Anm. 20 ff. 12 s. Kapitel I I I Abschnitt 7. 13 s. Kapitel I V Abschnitt 14 Ziff. 1 und 2; Zitat Krüger ebenda, Anm. 86.

E. als Konstruktionselement der Rechtssystematik

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kämpft — und bleibt stattdessen bei der nicht einmal rechtslogisch haltbaren Eigenständigkeit! b) Jedes Argumentieren m i t den Qualifikationen „eigenständig" und „abgeleitet" setzt voraus, daß man sich vorher über die Bezüge verständigt, die den Ableitungszusammenhang legitimieren sollen 14 . Die Ableitung aller Rechtspositionen vom Staate ist vorwiegend rechtssystematischer, daneben auch voluntaristisch-etatistischer Natur. Die A b leitung aller Gewalt vom Volke ist soziologisch - apologetisch - rechtspolitischer Natur, die Ableitung der Gewalt von Gott gebraucht metaphysische Bezüge. Gemeinsam ist allen, daß sie den Einzelnen nur als Endpunkt erfassen. Wer dagegen umgekehrt von der Eigenständigkeit des Einzelnen spricht, setzt diesen als Einsatzpunkt; seine Bezüge sind rechtsphilosophischer Natur oder bloß rechtstechnischer A r t (Technik der Kompetenz Verteilung nach Fülle und Zuweisung). Alle diese Bezüge können gedacht werden, jedes dieser Bezugssysteme ist i m Rahmen seiner Erörterung berechtigt. Aber sie dürfen nicht durcheinandergebracht werden. Leider gelingt die Verständigung darüber, welche Ordnungsfolgen über Eigenständigkeit und Abgeleitetheit bestimmen sollen, selten. Z u dieser Verwirrung trägt weiter bei, daß die Worte dieser Qualifikationen der räumlich-zeitlichen Vorstellungswelt entstammen und rechtliche Wertungen i n derartigen Vorstellungen ausdrücken. So nützlich und wertvoll diese Veranschaulichungsfunktion ist 1 5 , so schwierig ist es, diese Vorstellungen abzuwehren, wo sie stören. Werden wertmäßige Erwägungen i n Begriffe zeitlich-historischer Beziehungen übersetzt, so geraten nahezu zwangsläufig auch zeitlich-historische Argumente i n dogmatische Erörterungen. So sind zeitlich - geschichtliche, ontologisch - kausale, logisch - systematische, teleologisch - rechtspolitische, ethische, soziologische u n d normative O r d nungsfolgen miteinander verquickt oder geradezu verfilzt; dadurch werden untereinander bezugslose Argumente i n die Diskussion gebracht. N u r so k a n n es geschehen, daß i n einer modernen Untersuchung über die gemeindliche Satzungsgewalt die Geschichte der ostelbischen Gutsbesitzer-Gemeinden f ü r die dogmatische Stellung der Gemeinden überhaupt erörtert w i r d 1 6 . Die Argumentation aus Eigenständigkeit und Ableitung unterliegt damit der Gefahr jeder Konstruktionsjurisprudenz: übersetzt sie einmal ihre W e r t entscheidungen i n raum-zeitliche Bezüge, so unterstellt sie sich der Welt kausaldeterminierter Gesetzlichkeit, der sie sich auch dann k a u m entziehen kann, w e n n Kausal- u n d Wertentscheidung verschieden sind 1 7 . Die Tyrannei der Wortgleichheit zwingt uns dann die falschen Assoziationen, Argumente " s. K a p i t e l I I I Abschnitt 8. " s. K a p i t e l I I Abschnitt 4 Ziffer 5; K a p i t e l I I I Abschnitt 9. iß s. Ν . 121. 17 s. K a p i t e l I I I Abschnitt 9.

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u n d Rechtsfolgen auf. Z u dieser verfehlten Übernahme irrelevanter A r g u mente trägt schließlich unsere Technik der „Belege" bei, die die Autoren ausschließlich danach gruppiert, ob sie die Gemeinde „eigenständig" nennen oder nicht. Wer n u r immer irgendeine selbständige Ausgestaltung „eigenständig" genannt hat, w i r d als Eideshelfer verfußnotet für die Freiheit gegenüber allen anderen Rechtssubjekten u n d i n jeder Beziehung 1 8 .

Schließlich w i r k t sich eine der wichtigsten Funktionen dieser Qualifikationen gefährlich aus: das Umsetzen topischer Argumente (rechtspolitischer Erwägungen und Wertentscheidungen) i n technisch-regulative Begriffe 1 9 . Hiermit ist es paradox bestellt. Denn einerseits sollen diese Begriffe — wie alle dogmatischen Entscheidungen — gerade das H i n und Her topischer Argumente vermeiden; andererseits ist es klar, daß gerade damit die für den anstehenden Fall maßgebenden Argumente unter den Tisch fallen können. Die Qualifikation als „eigenständig" oder „abgeleitet" darf daher nur solange Prämisse sein, wie sie auch die topischen Argumente des anstehenden Falles i n sich aufgenommen haben. M. a. W., jede mit systematisch-konstruktiven Erwägungen erzielte Entscheidung muß heute auch einer topisch geführten Argumentation standhalten 20 . • Der unreflektierte Gebrauch von „eigenständig" und „abgeleitet" usw. verstößt damit gegen die Regeln der Syntax (Gebrauch eines Relationsbegriffes als Absolutum) und w i r d zu einer eigentümlich irrationalen Technik. „Eigenständig" w i r d so mehr zu einem gefühlsbeladenen, Assoziationen hervorrufenden Wort als zu einem rationalen Begriff, zu einer terminologischen Steigerung. Das zeigt sich schließlich an manchen Begründungen, wonach der eigenständige Träger seine Gewalt „ i n sich selbst schöpfe", die eigenständige Gewalt „ i n sich selbst ruhe" 2 1 . Das ist keine rationale Argumentation mehr, sondern Begriffsdichtung 22 .

" s. K a p i t e l I I I Abschnitt 11. 19 s. K a p i t e l I I Abschnitt 4 Ziff. 6; K a p i t e l I I I Abschnitt 9. 20 s. Z i t a t Wieacker, K a p i t e l I I I Abschnitt 9, T e x t zu A n m . 84. 21 s. Ν . I V 57. 22 Was sich besonders deutlich zeigt an Argumenten: der Aufopferungsgedanke sei ein „apriorisches Recht", (Wohlfarth, JR 1935, S. 75, 79; apriorisch wovon? von der Rechtsordnung? Also ein „vorrechtliches Redit"? Die V e r wendung derartiger Oxymora (z.B. „tönende Stille", „blendende D u n k e l heit") ist die Domäne der Dichtung u n d sollte aus der wissenschaftlichen Sprache verbannt bleiben (s. dazu etwa Adorno, Noten zur Literatur, Bd. 1, 1958 S. 16 ff.); ferner: Wagner, Interpretation i n L i t e r a t u r u n d Rechtswissenschaft, AcP 1965, S. 520 ff., insbes. S. 530, T e x t zu A n m . 28.

E. als Konstruktionselement der

echtssystematik

Und für die Methodologie sollte die Arbeit gezeigt haben, daß es falsch und ungenügend ist, die Konstruktionsjurisprudenz verbal zu verdammen und ihre Elemente ungeprüft und uneinheitlich zu verwenden. Dies ist falsch, denn i n begrenztem Maße ist sie unerläßlich. Und es ist ungenügend, denn ihre Gefahren werden nur vermieden, wenn man sich über ihr Wesen und ihre Grenzen klar ist.

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Stichwortverzeichnis Abkürzungsfunktion 23 f., 53 Ableitungszusammenhang 94, 99 Allegorie 61 Anm., 63 analytisch 40 a posteriori, a p r i o r i 39 Auftragsangelegenheiten 12 Begriffsjurisprudenz 28 ff., 90 Begriffsystem 30 Behörden 9, 16, 49 Beschlüsse internationaler Organisationen 47 f. Bund, -esland, -esstaat, -eslehre 9 f., 26, 44 ff., 50, 72, 79, 81, 86 f., 49, 56, 59, 67 ff., 97 Bündelung von Hechtssätzen 24, 53

Finalität 39, 41, 58 Fußnoten 52, 59, 100 Gemeinde, -autonomie, -gewalt 4 ff., 11, 24, 26, 50, 52, 57, 59, 69 ff., 79, 81 f f , 91, 97 Gemeinschaften, europäische — 17 ff., 26, 44 ff., 50, 56, 59, 68, 71 f., 81, 85, 87 f f , 92, 96 Gesellschaftsvertrag 54 f f , 97, 63, 66 Grundnormhypothese 38, 98 Grundrechte 15, 44 f , 81, 83 Gutsbesitzergemeinden, ostelbische — 13, 52, 99

Deismus 35, 64 Denkökonomie, Grundsatz der — 34 f., 98 derivativ: s. Erwerb Dogma 25, 28 f., 49, 52, 54, 67 f., 72 Dualismus 17, 25, 40 f., 61 Durchgangserwerb: s. Sekunde, j u ristische — Durchgriff auf das Vermögen der Gesellschafter 53

Haushaltsführung, selbständige — 10, 23 f , 46 f , 50, 77 H e r k u n f t der Gewalt 38, 49, 59 f f , 81, 97 Herrschaft k r a f t eigenen Rechts 10, 58, 71 Herrschaftsgewalt 12, 58, 71, 99 ff. Heuristik 25, 98 Hilfsvorstellung, Einführung einer — 34 f , 64 f , 96, 98 Hinterbliebene, Ersatzansprüche der - n 21, 24, 26, 94, 91 Historisierende Argumentation 66 f. Hypothekentheorie i n den europäischen Gemeinschaften 87

Eigentum 15 Einsetzungsregel der Logik 47 Enteignungsverfahren 24 Entelechie 39, 58 Erkenntnistheorie 38 f., 57 Ersitzung der Hoheitsgewalt 66 Erwerb: originärer —, derivativer — 23 f., 26, 38, 54, 58, 66, 72

I n d i v i d u u m 15, 26, 40 f f , 79, 81, 83, 92, 99 implied powers 16, 49 Inhaber k r a f t eigenen Rechts 14 Insichtätigwerden, -prozeß 53 institutionelle Garantie 82 Interessenjurisprudenz 74 Inversionsmethode 30, 68

Fachaufsicht 12 Familie 15, 40 ff., 56, 81

Juristische Person 26 f , 53

Causa sui 23 Concessio i m p e r i i 62, 65

Kirchenrechtsordnung

15, 26, 46, 85

104

Stichwor

Kompetenzquelle 91 f., 99 Konkordatsurteil 11, 26, 47, 86 f. K o n s t r u k t i o n 31, 76, 83, 96 -sjurisprudenz 28 ff., 99 L a n d : s. Bundesland Marxistische Argumentation 78 ff. Menschenbild 79 f. Menschenrechtskonvention 26, 87 Metasprache 37 A n m . Methodenlehre 38 f., 57, 79 Monarchomachen 62, 65 Monismus 17, 25, 40 f., 61 Objektsprache 37 A n m . OECD 9, 4 ff. Ordnungsfolge 22 ff., 33 ff., 54 erkenntnistheoretische — 33 f. genetische —35 kausale — 22, 33 f. logische — 22, 33 mechanistische — 22, 33 psychologische — 22, 33 wertmäßige — 41 ff. zeitlich-historische — 22, 58 Beweisbarkeit der — 33 f. stringente Schlußfolgerung in der — 34 Verabsolutierung der — 35 ff. Organe, Theorie der gemeinsamen Organe 50 Organisationen, internationale — 40 originär: s. Erwerb Paradoxien 36 f. Papst 61 ff. Personenmehrheit, -Vereinigung 26 f., 53, 97 f. Philosophie 43 Prinzip 25, 32 Priorität 41 Provinz, autonome — 16, 45, 70, 72, 91 Raum-zeitgebundene Vorstellung: s. Veranschaulichungsfunktion Rechtsaufsicht 12 rechtspolitische Erwägungen: s. T o pik

Rechtspositivismus 29, 68 f., 78 f., 97 Rechtsquellen 11, 14, 47 f., 94 Region: s. Provinz Scholastik: mittelalterliches A r g u mentieren 35 Anm., 41, 43, 61 ff., 96 Sekunde, juristische — 27, 54 Selbstverwaltung (s. auch unter Gemeinde) 14 Selbstverwaltungsangelegenheiten 12 Selbstverwaltungskörperschaften 12, 14, 45 Souveränität ?.0, 44, 60 ff., 69 f. Staat 59 Staatenbund 9, 48, 56, 70, 96 Staatensukzession 26, 86, 96 Staatsaufsicht 9, 16, 49 Staatsorgane 9, 16, 49 Staatsverwaltung, mittelbare — 14 Subsidiaritätsprinzip 12, 85 Syntax 36 f. System 24 f., 30, 35, 38, 49, 66 f., 80, 90, 93 f., 98 Theorie 25 Topik, topisches Argumentieren 28, 30, 52 ff., 95, 100 translatio i m p e r i i 62, 65 Transzendenz 23, 54, 98 Veranschaulichungsfunktion 26 ff., 32, 51 ff., 57, 89, 95, 99 Vergegenständlichung: s. Veranschaulichungsfunktion Verwaltung, Eigenständigkeit der — 14, 51 f., 84 f. VN 9 Völkerrechtsquellen 47 f. Völkerrechtssubjekte 49 Wehrstreit 87 Zweckursache: s. Finalität Zwangsvollstreckung: Eigentumserwerb i n der — 24 Zweischwerterlehre 61 ff. Zurechnungsendpunkt 50