Brahms gewidmet: Ein Beitrag zu Systematik und Funktion der Widmung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts 9783737004374, 9783847104377, 9783847004370


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German Pages [487] Year 2015

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Brahms gewidmet: Ein Beitrag zu Systematik und Funktion der Widmung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts
 9783737004374, 9783847104377, 9783847004370

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Abhandlungen zur Musikgeschichte

Band 28

In Verbindung mit Ulrich Konrad, Hans Joachim Marx und Martin Staehelin herausgegeben von Jürgen Heidrich

Andrea Hammes

Brahms gewidmet Ein Beitrag zu Systematik und Funktion der Widmung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts

Mit zahlreichen Abbildungen

V& R unipress

®

MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen

www.fsc.org

FSC® C083411

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISSN 2198-6215 ISBN 978-3-8471-0437-7 ISBN 978-3-8470-0437-0 (E-Book) ISBN 978-3-7370-0437-4 (V& R eLibrary) Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhältlich unter: www.v-r.de Alle abgebildeten Quellen stammen aus den Beständen des Brahms-Instituts an der Musikhochschule Lübeck. Abdruck mit freundlicher Genehmigung. Ó 2015, V& R unipress GmbH in Göttingen / www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Printed in Germany. Titelbild: Johannes Brahms, Fotografie, Kabinettformat, Berlin 1889, Brahms-Institut an der Musikhochschule Lübeck Druck und Bindung: CPI buchbuecher.de GmbH, Birkach Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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I. Theoretische und historische Grundlegungen . . . . . . . . . . . . . 1. Die Widmung als Forschungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Paratextforschung und Textbegriff nach G¦rard Genette . . . . 1.2 Zum Potential der Widmung als musikwissenschaftlicher Forschungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zum Form- und Funktionswandel der Widmung musikalischer Werke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Die Widmung in der Frühzeit des Notendrucks: Aufstieg der Gönnerwidmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Kontinuität und Wandel: Die Blütezeit der Gönnerwidmung . 2.3 Abkehr von der Gönnerwidmung und Neubesinnung auf alte Werte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Die Widmung zur Brahms-Zeit: Ein Überblick . . . . . . . . .

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II. Brahms im Kontext: Zur Widmung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zu Differenz und Analogien der Konzepte gedruckter und handschriftlicher Widmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Materielle Übereignung – ideelle Widmung . . . . . . . . . . Private Übereignung – öffentliche Widmung . . . . . . . . . . Mehrfache handschriftliche Übereignungen – exklusive gedruckte Widmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Zur unterschiedlichen Ausprägung der handschriftlichen Übereignung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Zur unterschiedlichen Ausprägung der gedruckten Widmung . 2. Die Widmung als kommunikativer Akt . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

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III. Netzwerk »Brahms gewidmet« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Brahms contra Liszt: Die Widmungen aus Perspektive des historisch-ästhetischen Parteienstreits . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Öffentliches Zeugnis – Die Widmung als Positionierung im Parteienstreit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Widmungen von ›Neudeutschen‹? . . . . . . . . . . . . . . . . Henri Gobbi – Der Sonderfall der handschriftlichen Übereignung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wege der Annäherung – die Bedeutung des Beziehungsnetzwerks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Diskussion der Großform – Adolf Jensen . . . . . . . . . Brahms als Bachliebhaber – Die Widmung Carl Tausigs . . . . 2. Brahms in europäischer Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . Voraussetzungen der Brahms-Rezeption . . . . . . . . . . . . 2.1 Der »böhmische Brahms« und seine Schüler – Brahms in Böhmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Volksmusik und Chortradition – Brahms in England . . . . . 2.3 »L’Italia non conosce di Brahms che poche opere« – Brahms in Italien und Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Konservatorien als Orte der Brahms-Vermittlung . . . . . . . 3.1 Die Berliner Hochschule als Hort des Konservatismus . . . . . 3.2 Anziehungspunkt Musikstadt: Das Leipziger Konservatorium. 3.3 Widmungen aus Frankfurt: Musikleben contra Hochschulatmosphäre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zur Widmung nicht-musikalischer Werke . . . . . . . . . . . . . 4.1 Variationen der Bezugnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Reaktionen des Widmungsträgers . . . . . . . . . . . . . . . .

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3. Zur Funktion und Intention von Widmungen . . . . . . . . . . . 3.1 Reziprozität? Die Widmung als kalkulierter Werteinsatz im materiellen und symbolischen Gabenaustausch . . . . . . . 3.2 Der »bürgerliche« Brahms als Verweigerer von bürgerlichen Konventionen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Funktionen von Widmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Widmung – Gegenwidmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unterstützung – Dank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Dedikation als Werbung . . . . . . . . . . . . . . . . . . Selbstlose Freundschaftswidmung? . . . . . . . . . . . . . . 4. Der Widmungstext als Informationsträger . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

IV. Nähe und Distanz: Brahms im Spiegel der ihm gewidmeten Werke . 1. Brahms und die »Idee der Kammermusik«: Kompositorische Strategien der Nähe in ausgewählten Beispielen . . . . . . . . . . 1.1 »Sclavische Abhängigkeit«? – Einige Überlegungen zum Begriff des Epigonalen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Kompositorische Strategien der Nähe und Distanz in ausgewählten Beispielen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Felix Otto Dessoff und Heinrich von Herzogenberg – bewusste Brahms-Nachfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . »Nachdrücken« als Stilmerkmal . . . . . . . . . . . . . . . . . Motivisch-thematische Ableitung . . . . . . . . . . . . . . . . Konfliktrhythmus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Konstruierte Einfachheit: Brahms und die »Idealisierung« der unterhaltenden Musik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Brahms als populärer Bezugspunkt – Überlegungen zu Nachund Weiterkompositionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 »Kann denn Brahms Walzer componiren?« Der Walzer als Kunstmusik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zur Zyklusbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufhebung der Tanzbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kompositorischer Kontrapunkt: Der »Millionen-Walzer« von Johann Strauss (Sohn) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Ungarisches Kolorit – Widmungen an Brahms und Liszt im Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Der Umgang mit historisch tradiertem Volksliedmaterial . . . 3. Sinfonie nach Brahms? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Max Reger und der Plan einer Sinfonie . . . . . . . . . . . . . »Ich werde nie eine Symphonie komponieren!« Brahms als Beethoven-Nachfolger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Analogien zum Widmungsverhalten von Johannes Brahms . . 4. Den Manen Brahms’: Widmungen in der Funktion eines Requiems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Besonderheiten von Titel und Widmungsadresse bei posthumen Dedikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . An der »Schwelle« zum Werk . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Musikalisch-kompositorische Charakteristika der posthumen Widmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vokale Totenklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Instrumentale Totenklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ein Deutsches Requiem op. 45 als Klagegesang für seinen Komponisten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

4.3 Ausblick: Widmungen von Komponisten des 20. Jahrhunderts V. Anhänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Liste der Widmungswerke . . . . . . . . . . . Verwendete Zeitschriftensigel . . . . . . . . . 2. Prosopographisches Lexikon der Widmenden

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Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Vorwort

Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2014/15 von der Musikhochschule Lübeck als Dissertation angenommen und für den Druck nur geringfügig überarbeitet. Eine solche Arbeit kommt nicht ohne vielfältige Unterstützung zustande. Danken möchte ich an erster Stelle Prof. Dr. Wolfgang Sandberger, der als Betreuer nicht nur den Anstoß zur Beschäftigung mit dem spannenden Thema gab, sondern auch von Beginn bis Ende der Bearbeitungszeit stets ein offenes Ohr für Fragen hatte, unzählige wertvolle Anregungen gab und vor allem immer wieder mit seiner Begeisterung ansteckte. Die Possehl-Stiftung Lübeck hat es mir ermöglicht, im Rahmen einer Promotionsstelle am Brahms-Institut an der Musikhochschule Lübeck tätig zu sein. Meine Kollegen am Institut, vor allem Dr. Fabian Bergener, Stefan Weymar und Carola Timmer, sowie die Teilnehmer des Doktorandenkolloquiums haben die Arbeit mit manchem guten Hinweis und Ratschlag, vor allem aber mit viel Verständnis begleitet. Herrn PD Dr. Stefan Keym danke ich für die Bereitschaft, das Zweitgutachten zu übernehmen, für gute Gespräche und manche konstruktiven und hilfreichen Anmerkungen. Diese haben die Arbeit im Detail sehr verbessert. Herr Prof. Dr. Christoph Flamm übernahm dankenswerter Weise das Drittgutachten. Den Herausgebern sei für die freundliche Aufnahme in die Reihe »Abhandlungen zur Musikgeschichte« herzlich gedankt, ebenso dem Verlag Vandenhoeck & Ruprecht für die Betreuung während der Drucklegung. Meine Familie und viele Freunde haben mich während der dreijährigen Phase der Erarbeitung auf vielfältige Art und Weise begleitet. Sie haben immer wieder bereitwillig Teile der Arbeit Korrektur gelesen, sie auf Verständlichkeit geprüft, fachliche Rückmeldung gegeben und nicht zuletzt auch spontan technische Probleme gelöst. Für all dies sei ihnen gedankt. Vor allem möchte ich ihnen jedoch für ihre große Geduld danken und dafür, dass sie neben der Arbeit stets für den notwendigen Ausgleich gesorgt haben.

Einleitung

Als Johannes Brahms am 3. April 1897 starb, hinterließ er eine eigenhändig geführte Liste mit dem Titel »Widmungen«1: Es sind 74 Kompositionen verzeichnet, die ihm zwischen 1853 und 1897 offiziell im Druck gewidmet wurden. Begonnen wurde die Liste allerdings wohl erst 1875 – das Nachtragen älterer Dedikationen und die Kontinuität der Eintragungen bis zu seinem Tod machen vor allem deutlich, wie ernst Brahms die Zueignung als Instrument der Ehrerweisung zeitlebens nahm. Das Verzeichnis ist allerdings nicht ganz vollständig: Bis zu seinem Tod wurden Brahms mindestens 88 musikalische Werke zugeeignet, bis 1902 kamen acht weitere Kompositionen, die dem Andenken des Verstorbenen geweiht sind, hinzu. Daneben bedachten auch einige Literaten, bildende Künstler und Wissenschaftler den berühmten Komponisten mit einer Widmung.2 Viele Dokumente – vor allem Briefe – und das eigene Widmungsverhalten lassen zusätzlich erahnen, dass die Dedikation für Brahms mehr darstellte, als eine rein konventionelle Sitte. Sie ist vielmehr als »das ehrenvollste und freundlichste Geschenk, das gegeben und empfangen werden kann«3 von großer ideeller Bedeutung. Mit dieser Haltung steht Brahms im Umfeld des 19. Jahrhunderts nicht alleine. Künstler und Wissenschaftler verwandten auf die Auswahl der Wid1 Vgl. A-Wst, Sign.: H.I.N.–67452, S. 48–53. Die Liste reicht von der frühesten (1853, Clara Schumann, Drei Romanzen op. 21) bis zur letzten Zueignung vor seinem Tod (1897, Walter Rabl, Klavierquartett op. 1) und hat insgesamt 74 Einträge. Geht man von 96 bekannten Widmungswerken aus, von denen zehn erst nach dem Tod von Brahms veröffentlicht wurden, so ist die Liste fast vollständig. 2 Bildende Kunst: Max Klinger, Amor und Psyche (1880) und Brahms-Phantasie (1894); Literatur : Hedwig Kiesekamp, Ebbe und Fluth. Gedichte (1896); Gustav Wendt, Sophocles’ Tragödien (1884); wissenschaftliche Beiträge: Eduard Hanslick, Musikalisches Skizzenbuch. Neue Kritiken und Schilderungen (1888); Hugo Riemann, Katechismus der Kompositionslehre (1889); Adalbert Kupferschmied, Linguistisch-kulturhistorische Skizzen und Bilder aus der deutschen Steiermark (1888). 3 Brahms an Ernst Rudorff, [25.] Januar 1869, Dank für die Widmung der Fantasie für Klavier op. 14, BW III, S. 153.

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Einleitung

mungsträger ihrer zu veröffentlichenden Werke viel Sorgfalt, die Gesellschaft maß der Ehre großes ideelles Gewicht bei. Carl Reinecke – auch er bedachte Brahms mit einer Zueignung – benannte einst die Gründe: »[…] da in den meisten Fällen die Bücher und Notenhefte in Hunderten und Tausenden von Exemplaren in die Welt gehen, so wird auch der Name dessen, der neben dem Autor auf dem Titel verzeichnet ist, mit hinausgetragen in alle Welt, und wie wollte man den schelten, der sich dadurch geehrt fühlt!«4

In der musikwissenschaftlichen Fachliteratur zum 19. Jahrhundert erweist sich die Widmung allerdings trotz ihrer offensichtlich beträchtlichen Bedeutung als nur in Einzelfällen beachtete Marginalie. Und auch über die zeitliche Begrenzung des 19. Jahrhunderts hinaus ist das Phänomen der offiziellen Zueignung von Kompositionen und die damit verbundenen Implikationen kaum reflektiert worden. Relativ gut erschlossen ist allein die Frühzeit der Widmung musikalischer Werke, Monographien von Raimund Redeker und Dagmar Schnell sowie ein Kongressbericht der Universität Leiden behandeln den Zeitraum vom 16. bis zum frühen 17. Jahrhundert.5 Doch ab ca. dem 18. Jahrhundert unterlag die Widmung in Bedeutung, Form und Ausdruck einem grundlegenden Wandel, der auch Auswirkungen auf die heutige Bewertung haben muss. Übergreifende Betrachtungen existieren kaum, vereinzelte Ausnahmen beziehen sich im Regelfall auf den Adressatenkreis eines einzelnen Widmenden, der prosopographisch beleuchtet wird.6 Davon abgesehen beschäftigen sich Aufsätze mit einzelnen Fallbeispielen.7 In den einschlägigen Handbüchern des Faches, etwa in

4 Carl Reinecke: Eine Plauderei über die Dedikation musikalischer Werke, in: Deutsche Revue 27 (Mai 1902), S. 205–211, hier S. 205. 5 Raimund Redeker : Lateinische Widmungsvorreden zu Meß- und Motettendrucken der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, Eisenach 1995; Ignace Bossuyt u. a. (Hg.): »Cui dono lepidum novum bellum?« Dedicating latin works and motets in the sixteenth century (= Supplementa Humanistica Lovaniensia, XXIII), Leuven 2008; Dagmar Schnell: In lucem edidit. Der deutsche Notendruck der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts als Kommunikationsmedium; dargestellt an den Vorreden, Osnabrück 2003. 6 In besonderer Weise ist hier natürlich auf Wolfgang Seibolds Studie zu Robert Schumanns Widmungsträgern zu verweisen: Wolfgang Seibold: Familie, Freunde, Zeitgenossen. Die Widmungsträger der Schumannschen Werke, Sinzig 2008. 7 Vgl. z. B. zur Widmung der 2 Motetten op. 74 von Brahms an Philipp Spitta: Wolfgang Sandberger : »Musikwissenschaft und Musik«. Johannes Brahms im Dialog mit Philipp Spitta, in: Musik und Musikforschung. Johannes Brahms im Dialog mit der Geschichte, hg. v. Wolfgang Sandberger u. Christiane Wiesenfeldt, Kassel 2007, S. 9–36; zur Widmung der Violinsonate op. 108 an Hans von Bülow Hans-Joachim Hinrichsen: Späte Versöhnung. Die Violinsonate op. 108 und ihre Widmung an Hans von Bülow, in: Spätphase(n)? Johannes Brahms’ Werke der 1880er und 1890er Jahr. Internationales musikwissenschaftliches Symposium Meiningen 2008, hg. v. Maren Goltz, Wolfgang Sandberger und Christiane Wiesenfeldt, München 2010, S. 129–140. Relativ gut ist die Forschungslage zu Beethovens Widmungsträgern, vgl. u. a. Birgit Lodes: »Von Herzen – möge es wieder – zu Herzen gehen!« Zur Widmung von Beethovens

Einleitung

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MGG2, NewGrove, Riemann oder im Neuen Handbuch der Musikwissenschaft hat die Widmung bislang keinen Eingang als unabhängiger Eintrag gefunden – in entsprechenden Lexika des 19. Jahrhunderts ist sie dagegen durchaus verzeichnet. Das wissenschaftliche Interesse nimmt allerdings sichtlich zu. 2009 schloss Emily H. Green ihre Dissertation ab, die sich mit Dedications and the Reception of the Musical Score, 1785–18508 beschäftigt und in diesem Zusammenhang erstmals anhand eines größeren Quellenbestandes grundlegende Fragen übergreifender Art zu einem bestimmten Themenkreis und zu einem bestimmten Zeitraum behandelt. Aber auch in der deutschsprachigen Musikwissenschaft rückt das Potenzial der Dedikationen zunehmend in den Fokus, die Auseinandersetzung mit der Thematik gewinnt in jüngster Zeit deutlich an Dynamik. Ausdruck der grundlegenden Neubewertung des Phänomens ist auch eine Tagung zum Generalthema »Widmungen bei Haydn und Beethoven. Personen – Strategien – Praktiken«, die im September 2011 in Bonn unter der gemeinsamen Ägide des Beethoven-Archivs Bonn und des Joseph Haydn-Instituts Köln stattfand.9 Die aktuell behandelten Fragestellungen und Ansätze stellen sich allerdings in ihrer theoretischen Fundierung relativ unsystematisch dar. In anderen geistesund kulturwissenschaftlichen Fächern ist die Situation anders zu bewerten: Seit den bahnbrechenden und heute noch grundlegenden Überlegungen G¦rard Genettes zum Konzept der Paratextualität10 haben Fächer wie die Literatur- und Kulturwissenschaft zunehmend auch die Widmung als Forschungsgegenstand entdeckt, sowohl in der Theoriebildung als auch in praktischer Anwendung. Daran anschließend sind verschiedene Abhandlungen zum Generalthema des Missa solemnis, in: Altes im Neuen. Festschrift Theodor Göllner zum 65. Geburtstag, hg. v. Bernd Edelmann u. Manfred Hermann Schmid, Tutzing 1995, S. 295–306. 8 Emily H. Green: Dedications and the Reception of the Musical Score, 1785–1850, Dissertation Cornell University 2009. Die Arbeit ist, da bislang nicht im Verlag erschienen, im Fachhandel nicht erhältlich und muss über einen amerikanischen Lieferdienst bestellt werden – ihre Verbreitung ist deswegen eingeschränkt. 9 Ein Tagungsbericht soll 2015 erscheinen. 10 Genette hatte 1981 mit dem Konzept der Paratextualität, gewissermaßen der Rahmung eines Textes, die theoretische Grundlage für alle folgenden Überlegungen geschaffen und dabei auch Aspekte der Widmung betrachtet. Der Begriff wurde erstmals eingeführt in: Palimpsestes, dann erweitert und näher erläutert in der bahnbrechenden Studie Seuils, Paris 1987 (deutsch: Paratexte. Das Buch vom Beiwerk des Buches, Frankfurt a. M. 1989). Genettes Überlegungen sind allein auf literarische Werke bezogen. Das Konzept lässt sich aber auch auf andere Bereiche der Kunst übertragen und wird auch ganz selbstverständlich in diesem Sinn verwendet. Für musikalische Werke, die ja üblicherweise wie Literatur in Buchform erscheinen, ist die Übertragung leichter möglich als im Falle bildender Kunst. In einigen Bereichen müssen – bedingt beispielsweise durch die unterschiedliche Materialität von Kernwerk und Paratexten – Anpassungen und Erweiterungen des Konzepts vorgenommen werden. Diese werden in den folgenden Kapiteln näher erläutert und ausgeführt.

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Einleitung

Paratextes und der Widmung im Speziellen entstanden.11 Diese theoretischen Grundlegungen werden – mit Ausnahme der wichtigen Studie Genettes – in der musikwissenschaftlichen Forschung bislang kaum beachtet. Sie weisen für den musikalischen Forschungsbereich aufgrund der großen Komplexität des Betrachtungsgegenstandes aber auch einige Probleme auf: Literarische Widmungen sind nicht in allen Belangen gleichzusetzen mit Widmungen musikalischer Werke.12 Eine explizit auf musikwissenschaftliche Belange zugeschnittene theoretische Vorarbeit, die die Problematik der Dedikation in all ihren Facetten beleuchtet und einen Versuch der umfassenden Einordnung wagt, gibt es allerdings bisher nicht. Ein weiteres wichtiges Desiderat bleibt daneben die Betrachtung verschiedener Widmungen eines Personenkreises, deren einendes Merkmal der gleiche Adressat ist.13 Diese Lücke wird mit der vorliegenden Arbeit zu schließen versucht. Sie soll flankierend zu und aufbauend auf die wichtigen Modelle der Literatur- und Kulturwissenschaft einen Beitrag zur Theoriebildung der musikwissenschaftlichen Widmungsforschung leisten. Dabei wird davon ausgegangen, dass die Widmung im Zusammenspiel all ihrer Bestandteile – also Widmungstext, Werktext und die Person des Widmenden – Auskunft zu geben vermag über die zeitgenössische Rezeption von Werk und Person von Johannes Brahms. Ausgangspunkt dieser Überlegungen ist der von Birgit Lodes im Rahmen der Bonner Tagung geprägte Begriff der »musikalischen Passgenauigkeit« zwischen Widmungswerk und Adressaten: In den Augen der Zeitgenossen wurde durch die Dedikation und die damit verbundene ideelle Übertragung der Eigentumsrechte eine enge Verbindung zwischen der gewid-

11 Vgl. z. B. Arnold Rothe: Der literarische Titel, Frankfurt 1986. Neuere Veröffentlichungen sind u. a. Till Dembeck: Texte rahmen. Grenzregionen literarischer Werke im 18. Jahrhundert (Gottsched, Wieland, Moritz, Jean Paul), Berlin 2007; Frieder von Ammon und Herfried Vögel (Hg): Die Pluralisierung des Paratextes in der Frühen Neuzeit, Berlin 2008. Auch Abhandlungen, die sich allein mit der Widmung beschäftigen und diese nicht im Rahmen des Generalthemas Paratextforschung betrachten, sind erschienen, so z. B.: Gabriele Schramm: Widmung, Leser und Drama. Untersuchungen zu Form und Funktionswandel der Buchwidmung im 17. und 18. Jahrhundert, Hamburg 2003. 12 Anders als bei der Widmung literarischer Werke ist beispielsweise die unterschiedliche Textualität von Widmung und Kernwerk zu beachten. Wegen ihr kann bei der Widmung musikalischer Werke weniger als in der Literatur das Phänomen bewusst unterlaufen werden. Die verschiedentlich zu findende Zueignung an Protagonisten des nachfolgenden Buchs ist so nicht möglich. Dagegen ist der Sonderfall des Hommage- oder Zitatwerks stärker zu beachten. 13 Eine Ausnahme bildet Horst Walters Aufsatz Haydn gewidmete Streichquartette, in: Joseph Haydn. Tradition und Rezeption. Bericht über die Jahrestagung der Gesellschaft für Musikforschung Köln 1982, hg. v. Georg Feder, Heinrich Hüschen und Ulrich Tank, Regensburg 1985, S. 17–53. Außerdem Ruth Smith: Dedications of opera and oratorio librettos to the royal family, 1711–46, in: Göttinger Händel-Beiträge 15, hg. v. Laurenz Lütteken u. Wolfgang Sandberger, Göttingen 2014.

Einleitung

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meten Komposition und der Person des Bewidmeten geschaffen, eine gewisse Passgenauigkeit wurde vorausgesetzt. Zunächst soll die Widmung musikalischer Werke der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in ihrer Eignung als Gegenstand musikwissenschaftlicher Forschung verortet werden: Grundlage bilden dafür zum einen die Paratexttheorie G¦rard Genettes, zum anderen die an ihn anknüpfenden Nachfolgemodelle. Ein Überblick über die Geschichte und den Wandel der Widmung musikalischer Werke leitet sodann zum Thema des zweiten Hauptkapitels: Anhand vielfältigen Quellenmaterials wird das Phänomen der Dedikation der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet und die Widmung an Brahms theoretisch kontextualisiert. Dabei wird unter anderem versucht, einen Beitrag zur Terminologiedebatte zu leisten14, indem das Problem der Unterscheidung zwischen handschriftlicher und gedruckter Widmung historisch geprüft und die Notwendigkeit einer größeren Trennschärfe verdeutlicht wird. Denn aufgrund mangelnder Einordnungskriterien war eine qualifizierte Unterscheidung bislang entweder nicht möglich oder wurde durch die terminologische Unschärfe verhindert. Die Erarbeitung eines Kommunikationsmodells und einer Übersicht möglicher Widmungsfunktionen fügt schließlich dem Brahmsbild neue Facetten hinzu: Im Abgleich mit den Gepflogenheiten der Zeit werden Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen Brahms und seinen Zeitgenossen deutlich, die die Brüchigkeit der bürgerlichen Identität15 des Wahlwieners betonen. Fundiert durch die Methodik der Netzwerkforschung16 nimmt das dritte Hauptkapitel sodann die Widmungen an Brahms vermittelt über ihre Komponisten in den Blick. Verschiedene Gruppen von Widmenden werden systema14 Bisherige Untersuchungen versuchen, die Problematik über eine Unterscheidung zwischen Widmung, Dedikation und Zueignung in den Griff zu bekommen. Doch eine einheitliche Benennung konnte sich noch nicht durchsetzen: Während Genette, Paratexte, S. 115, von der gedruckten Zueignung gegenüber der handschriftlichen Widmung spricht, kehrt Burkhard Moenninghoff diese Terminologie ins Gegenteil und spricht von gedruckter Widmung und handschriftlicher Dedikation (Burkhard Moennighoff: Die Kunst des literarischen Schenkens. Über einige Widmungsregeln im barocken Buch, in: Ammon/Vögel, Pluralisierung des Paratextes, S. 337–352, hier S. 339). Axel Beer schließlich stellte für die Musikwissenschaft die gedruckte Widmung gegen die handschriftliche Zueignung. Alle diese terminologischen Varianten sind historisch nicht zu begründen. 15 Vgl. zu diesem Themenkreis u. a. die Beiträge im Ausstellungskatalog: Wolfgang Sandberger u. Stefan Weymar (Hg.): Johannes Brahms – Ikone der bürgerlichen Lebenswelt? (= Veröffentlichungen des Brahms-Instituts an der Musikhochschule Lübeck, Bd. IV), Lübeck 2008 und Laurenz Lütteken: Brahms – eine bürgerliche Biographie?, in: Brahms-Handbuch, hg. v. Wolfgang Sandberger, Kassel 2009, S. 24–43. 16 Die Netzwerkforschung ist in der empirischen Sozialforschung entstanden. Für einen ersten Einblick in Methodik, Zielsetzung und Entwicklung: Handbuch Netzwerkforschung, hg. v. Christian Stegbauer und Roger Häußling, Wiesbaden 2010.

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Einleitung

tisiert und über zugrundeliegende Widmungsspezifika ihre Besonderheiten herauskristallisiert. Dabei sind die Fragen nach der Motivation einer jeden Zueignung und der ›Weg zu Brahms‹ Ausgangspunkt: Es wird deutlich, dass die Auswertung und Beschäftigung mit Dedikationen auch ihren Beitrag zu aktuellen Fragen des Faches zu leisten vermag. So wird beispielsweise im Blick auf die Widmungen eines heute als ›neudeutsch‹ deklarierten Adolf Jensen oder Carl Tausig die Auswirkung des Parteienstreites auf das Leben des einzelnen Komponisten in ein neues Licht gerückt. Die Konstruktion des Wurzelns in einer gemeinsamen musikhistorischen Vergangenheit17 und der Bezug auf das gemeinsame Erbe spielt in diesen Dedikationen eine besonders große Rolle.18 Ebenso werden in der Herkunft der Widmenden die Verbreitungslinien des Ruhms von Brahms gespiegelt. Abschließend stehen die Widmungswerke selber im Mittelpunkt des Interesses: Das Streben nach einer gewissen musikalischen Passgenauigkeit wird bereits in der grundlegenden Analogie zwischen der gattungsspezifischen Verteilung der zugeeigneten Werke und dem Œuvre von Brahms abgebildet. Das Brahms-Bild der zeitgenössischen Komponisten kann deshalb anhand vielfältiger Fragestellungen beleuchtet werden. Brahms wurde so offenkundig in seinem Einsatz volksmusikalischer Gattungen, Techniken und Passagen stark rezipiert, während der Sinfoniker Brahms aufgrund des übergroßen Respekts und pragmatischer, im Druckwesen begründeter Probleme nach der Herausgabe seiner ersten Sinfonie op. 68 gar nicht mehr bedacht wurde. Die kompositorische Beschäftigung mit seinem sinfonischen Werk findet dennoch statt – auf anderer Ebene: Auffällige Leerstellen anstatt erwarteter Widmungen wie im Falle der Sinfonie op. 50 Heinrich von Herzogenbergs lassen dies ersichtlich werden. Der Untersuchungszeitraum dieser Arbeit wurde aus vielfältigen Gründen auf den Zeitraum bis 1902 beschränkt: In diesem Jahr erschien Brahms’ letztes Werk mit Opuszahl (die Elf Choralvorspiele op. posth. 122), was eine Zäsur in der unmittelbaren Brahms-Rezeption bedeutete. Die Komponisten, die Brahms in den Jahren nach seinem Tod bis 1902 ein Werk widmeten, waren unmittelbare 17 Im »Glaubensbekenntnis« des Liszt-Schülers und bekennenden Wagner-Liebhabers Adolf Jensen spielten bezeichnenderweise nicht die Ikonen der ›Neudeutschen Schule‹, sondern andere Komponisten die vorherrschende Rolle. 1863 hatte er formuliert: »Die Grundpfeiler aller Musik, alles Vergangenen, Bestehenden und Zukünftigen sind für mich ewig: Beethoven und Schumann. Wer an sie glaubt, der hat das ewige Leben. Amen!« (Arnold Niggli: Adolf Jensen [= Berühmte Musiker. Lebens- und Charakterbilder nebst Einführung in die Werke der Meister, hg. v. Heinrich Reimann, Bd. VIII], Berlin 1900, S. 26). 18 Adolf Jensens Fantasiestücke op. 7 gehen von der Existenz einer Schumann-Schule aus, zu der beide Komponisten zugehörig seien (vgl. Adolf Jensen an Brahms, 24. Mai 1862, A-Wgm, Sign.: Brahms-Nachlass, Briefe Adolf Jensen an Johannes Brahms 173, 1), Carl Tausig rückt mit seinen für Klavier übertragenen Choral-Vorspielen von J. S. Bach den Bezug zum Leipziger Thomaskantor in den Mittelpunkt.

Einleitung

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Zeitgenossen, die den Adressaten ihres Werks oftmals persönlich kannten und somit einen direkten Zugang zu seinem Œuvre hatten. Die Betrachtung dieser Dedikationen, die ihre Legitimation zum großen Teil aus der Funktion des Requiems zogen und auch deswegen ungewöhnlich oft Brahms’ eigenes Deutsches Requiem zum Bezugspunkt wählten, ist Mittelpunkt des Kapitels »Den Manen Brahms’«. Mit Fortschreiten des 20. Jahrhunderts ändert sich die Herangehensweise der Widmenden, die neue Bezugspunkte finden müssen. Ein zumindest kursorischer Überblick über Hommage- und Widmungskompositionen bis zur Gegenwart öffnet deswegen den Horizont und bietet mögliche Anknüpfungspunkte für weitere Fragestellungen.

I.

Theoretische und historische Grundlegungen

1.

Die Widmung als Forschungsgegenstand

1.1

Paratextforschung und Textbegriff nach Gérard Genette

Als Begründer der wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem »Beiwerk des Buches«, also solcher Elemente einer Veröffentlichung, die nicht im engen Sinn zum Kerntext zu rechnen sind, gilt der französische Literaturwissenschaftler G¦rard Genette. Seine 1987 erschienene Studie Seuils (auf Deutsch veröffentlicht als Paratexte. Das Buch vom Beiwerk des Buches)19 erregte in Fachkreisen große Aufmerksamkeit und Resonanz. Denn die Paratextforschung ermöglichte erstmals eine durch ein theoretisches Modell fundierte Auswertung der metatextuellen Bestandteile eines Buchs. Auch vorher wurden die nun als Paratexte etablierten Elemente freilich zum Gegenstand wissenschaftlicher Betrachtung20, sie boten Material, um sich eine genauere Vorstellung vom Autor, seinen Intentionen und Ansichten bilden zu können. Mit Genettes Studie entstand aber erstmals ein theoretisches Gerüst, das die Forschung zu so unterschiedlichen Phänomenen wie Vorwort, Titel, Motto, Widmung aber auch darüber hinausgehende auktoriale Äußerungen, Rezensionen21 oder Werbeanzeigen systematisch zusammenfasste. In der Nachfolge Genettes und in produktiver Auseinandersetzung mit seinen Thesen entstanden Ausdifferenzierungen und damit verbunden Neubewertungen des Systems der Paratexte22, Zweige wie die Wid19 G¦rard Genette: Seuils, Paris 1987 (deutsche Ausgabe: Paratexte. Das Buch vom Beiwerk des Buches, Frankfurt a. M. 1989). 20 Ein Beispiel ist eine Studie zum Widmungsbrief in der französischen Literatur von Wolfgang Leiner (Wolfgang Leiner : Der Widmungsbrief in der französischen Literatur (1580–1715), Heidelberg 1965). 21 Paratextuelle Elemente müssen in der Auffassung Genettes demnach nicht zwingend auktorialen Ursprungs oder vom Autor legitimiert sein. Auch jegliche andere Quelle, die sich ursächlich mit dem Text eines Werks beschäftigt, kann je nach Fragestellung zu dessen Paratext werden. 22 Z. B. Arnold Rothe: Der literarische Titel, Frankfurt 1986. Neuere Veröffentlichungen sind

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Theoretische und historische Grundlegungen

mungsforschung23 wurden auf Basis der Erkenntnisse von Seuils neu geschaffen. Die Rezeption der Thesen Genettes beschränkt sich dabei längst nicht mehr nur auf die Literaturwissenschaft, sondern wurde schnell auf andere Fachgebiete ausgeweitet, so dass mittlerweile z. B. Studien aus Kunstgeschichte und Kulturwissenschaften vorliegen und das Konzept der Paratextualität zunehmend auf andere Medienformen angewandt wird.24 Freilich ist Genette in einigen Punkten nicht unwidersprochen geblieben25, aus der kritischen Auseinandersetzung entstanden Nachfolgekonzepte wie das ›textual framing‹.26 Aber trotz mancher Kritik sind die Überlegungen Genettes immer noch als Ausgangs-, Bezugs- und Reibungspunkt der wissenschaftlichen Beschäftigung mit den Elementen im direkten Umfeld eines Werks unumstritten. Der von Genette entwickelten Theorie der Paratexte liegt ein erweitertes Textverständnis zugrunde: Als Paratext werden grundsätzlich jene Elemente bezeichnet, die nicht zum Kernwerk selber gehören, seinen Text aber einrahmen und verlängern. Dadurch geben sie, meist vom Autor legitimiert, wichtige Hinweise zur gewünschten Rezeption. Die Verbindung zum eigentlichen Kerntext ist durchaus verschieden ausgeprägt. Denn der Begriff des Paratextes bildet den Rahmen für zwei Unterkategorien, die durch unterschiedliche räumliche Nähe zum Kerntext gekennzeichnet sind – um eine Formel Genettes zu zitieren: »Paratext = Peritext + Epitext«.27 Unter dem Terminus »Paratext« werden zum einen solche Elemente gefasst, die bereits rein formal zum Erscheinungsbild des Drucks gehören, also in den Korpus des jeweiligen Buchs mit einbezogen sind. Diese sogenannten Peritexte, wie Titel, Vorwort, Widmung, Verlagsinformationen usw., sind durch ihren Standort zumindest als Teil der Werkveröffentlichung definiert. Viele – wenn auch nicht alle – Peritextformen sind bevorzugt

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u. a. Dembeck, Texte rahmen; Ammon/Vögel, Die Pluralisierung des Paratextes. Auch Abhandlungen, die sich allein mit der Widmung beschäftigen und diese nicht als eines von mehreren Themen im Rahmen einer weiter gefassten Studie zum Generalthema Paratextforschung betrachten, sind erschienen, so z. B. Schramm, Widmung. Ein Beispiel für die erhöhte Aufmerksamkeit, die der Widmung seitens der Wissenschaft mittlerweile entgegengebracht wird, ist das an der Basler Universität angesiedelte Forschungsprojekt »I margini del libro«, das zum Ziel hat, eine Datenbank zur italienischen Widmung aufzubauen (www.margini.unibas.ch). Vgl. u. a. Werner Wilhelm Schnabel: Über das Dedizieren von Emblemen. Binnenzueignungen in Emblematiken des 16. und 17. Jahrhunderts, in: Ars et amicitia. Beiträge zum Thema Freundschaft in Geschichte, Kunst und Literatur. Festschrift Martin Bircher, hg. v. Ferdinand van Ingen u. Christian Juranek, Amsterdam 1998, S. 115–166; Klaus Kreimeier u. Georg Stanitzek (Hg.): Paratexte in Literatur, Film, Fernsehen, Berlin 2004; Alexander Böhnke: Paratexte des Films. Über die Grenzen des filmischen Universums, Bielefeld 2007. Vgl. Einleitung, in: Ammon/Vögel, Pluralisierung des Paratextes, S. XVII. Werner Wolf: Framing Fiction. Reflections on a Narratological Concept and an Example: Bradbury, Mensonge, in: Grenzüberschreitungen: Narratologie im Kontext, hg. v. Walter Grünzweig u. Andreas Solbach, Tübingen 1999, S. 97–124, hier S. 106f. Genette, Paratexte, S. 13.

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auf dem Titelblatt zu finden: Dies ist der Ort, der als »Portal«28 den Weg zum Werktext bereitet und durch seine Gestaltung die Aufmerksamkeit des potenziellen Rezipienten wecken soll. Zum anderen umfasst der Begriff des Paratexts aber auch solche Bestandteile, die von der eigentlichen Veröffentlichung unabhängig überliefert werden. Auktoriale schriftliche und mündliche Äußerungen wie Interviews, Briefe und Tagebücher, aber auch nicht-auktoriale Verlagsanzeigen, Rezensionen usw. werden dagegen in Genettes Studie als Epitexte bezeichnet. In der Geschichtswissenschaft würden solche das Werk betreffende Nachrichten im Normalfall als Sekundärquellen betrachtet werden – der Begriff des Epitextes stellt demgegenüber eine nähere Anbindung an den Kerntext fest. Die Aussage des Epitextes betrifft demnach die Substanz des Werks, auf das er sich inhaltlich bezieht. Es wurde allerdings bereits verschiedentlich festgestellt29, dass diese Definition auch Probleme birgt: Wo hört der Epitext, der im direkten Umfeld des Werks angesiedelt ist, auf, wo beginnt das unübersichtliche Feld der nur im weiteren Sinn auf die Primärquelle bezogenen Dokumente? Anhand der vom Kerntext getrennten Überlieferung ist immerhin leicht nachzuvollziehen, dass die epitextuellen Elemente nicht zum Werktext in seiner engeren Bedeutung zu zählen sind. Sie sind nicht Bestandteil des Buchs oder Kunstwerks in seiner materiellen Einheit und damit auch kein Teil des eigentlichen Werktextes. Die Beurteilung der Peritexte, die ja integraler Teil des Druckwerks sind, ist komplexer. Oftmals ist nicht klar zu entscheiden, inwiefern sie dem Kerntext zuzurechnen sind. Sie bilden gewissermaßen eine ›Schwelle‹30, eine Übergangszone, sie sind »zwar noch nicht der Text, aber bereits Text«.31 Denn ihre Hauptaufgabe besteht darin, in direkter Verbindung zum Kerntext diesen zu kommentieren und seine Aufnahme zu steuern.

28 Vgl. zur Metaphorik der »Tür«, der räumlichen Übergangszone, durch die der Leser mit der Rezeption der Paratexte auf dem Weg zum Werk schreitet, v. a. Uwe Wirth: Paratext und Text als Übergangszone, in: Raum und Bewegung in der Literatur. Die Literaturwissenschaft und der Spatial Turn, hg. v. Wolfgang Hallet u. Birgit Neumann, Bielefeld 2009, S. 167–180, hier S. 171ff. 29 So z. B. bei Stanitzek/Kreimeier, Paratexte, S. 7. 30 Vgl. den Titel von Genettes Buch: Seuils. Im Titel der deutschen Ausgabe – Paratexte. Das Buch vom Beiwerk des Buches – geht die im Original durch die Titelmetapher implizierte Rolle der Paratexte als Übergangszone, Schwelle zwischen Text und Nicht-Text leider verloren. Stattdessen werden die Paratexte zu »Beiwerk« erklärt, was schon im Titel als degradierende Interpretation der Übersetzung zu entziffern ist. Denn die nahe Anbindung an den Kerntext wird damit zumindest relativiert. Frieder von Ammon und Herfried Vögel haben dieser Interpretation in ihrem Vorwort zur Studie Die Pluralisierung des Paratextes dementsprechend auch deutlich widersprochen, ohne freilich den Bezug zur deutschen Ausgabe von Seuils in klaren Worten zu benennen (vgl. Ammon/Vögel, Pluralisierung des Paratextes, S. IX). 31 Genette, Paratexte, S. 14.

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Theoretische und historische Grundlegungen

Die Metapher der Schwelle impliziert in ihrer Durchlässigkeit nach beiden Seiten bereits die Schwierigkeit einer genauen Abgrenzung von Text und Paratext – oder genauer von Text und Peritext. Tatsächlich ist die Definition einer eindeutigen Trennlinie gar nicht das Ziel, werden doch in der poststrukturalistischen Texttheorie statische Textgrenzen ohnehin immer mehr in Frage gestellt.32 Auch Paratexte gelten deswegen als unbestimmte Übergangszone. Die Frage, in welchem Maß Peritexte Bestandteil des Werks seien, wird demnach kontrovers beantwortet. Doch ob nun im Gegensatz zur Einschätzung Genettes nicht nur »Beiwerk«33, ob »textual framing«34, »Rahmung«35, »liminale Diskurse«36 oder »(wie auch immer äußerliche) Bestandteile des Textes«37: Übereinstimmend wird zumindest festgehalten, dass die den Text umgebenden Elemente auf irgendeine Weise in den Zusammenhang des Werktextes eingebunden seien. Die definitorischen Schwierigkeiten ergeben sich vor allem aus der Diversität der unter dem Begriff subsumierten Elemente, eine große Rolle spielt u. a. ihre unterschiedliche Anbindung an den oder Abgrenzung vom Kerntext. Tatsächlich wirft Genette selber diese Frage gar nicht auf. Die von ihm als »Schwelle« bezeichnete paratextuelle Zone erscheint so in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts38 präziser als Kontinuum zwischen Text und Kontext, auf dem die einzelnen Paratexte je nach spezifischer Nähe zum und Relevanz für den Kerntext unterschiedliche Positionen einnehmen können. Während der verlegerische Peritext (Plattennummer, Auflage usw.) grundsätzlich relativ geringe Bedeutung39 für das Verständnis des Kerntexts hat, zeigt beispielsweise der Werktitel die schwierige Abgrenzung von Text und Paratext auf. Er ist einerseits 32 Vgl. Wirth, Paratext und Text, S. 167. 33 Vgl. Ammon/Vögel, Pluralisierung des Paratextes, S. IX, nach denen der Paratext längst nicht nur »Beiwerk« des Buches sei (»zu groß ist sein ästhetischer Eigenwert, und zu wichtig nimmt er sich selbst«). 34 Wolf, Framing Fiction, S. 106f. 35 Werner Wolf: Prologe als Paratexte und/oder dramatische (Eingangs)-Rahmungen? ›Literarische Rahmung‹ als Alternative zum problematischen Paratext-Konzept, in: Ammon/ Vögel, Pluralisierung des Paratextes, S. 79–89. 36 Erich Kleinschmidt: Gradation der Autorschaft. Zu einer Theorie paratextueller Intensität, in: Ammon/Vögel, Pluralisierung des Paratextes, S. 1–18, hier S. 2. 37 Dembeck, Texte rahmen, S. 22. 38 Auch im Folgenden beziehen sich die Überlegungen dieses Kapitels ausdrücklich auf den begrenzten Zeitraum der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts – also im weitesten Sinn der Zeit des kompositorischen Wirkens von Johannes Brahms. Gerade im 20. Jahrhundert setzt durch moderne intermediale Kunstkonzepte im Bereich der Musik ein so grundlegender Wandel des Paratextkonzepts ein, dass eine eigene Untersuchung notwendig wäre. Denn die präzise Trennung von Text und Paratext wird damit fast unmöglich. 39 Doch auch an dieser Stelle muss bereits wieder differenziert werden. Der Preis scheint in der Tat vernachlässigt werden zu können, die genaue Bezeichnung der Auflage (z. B. »Erstdruck«, »zweite, durchgesehene und verbesserte Auflage«) bietet dagegen teilweise sehr wohl Informationen zur Werkgenese und damit auch zum Werktext.

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nach Genette eindeutig dem Paratext zuzuordnen, wird andererseits gerade im Bereich der Literatur auf das Engste mit dem von ihm bezeichneten Text verbunden. Manch ein Romantitel steht so paradigmatisch für ein ganzes Werk. Grundsätzlich sind zwei Titelarten zu unterscheiden, sie werden von Genette als »formaler« und »thematischer Titel« bezeichnet.40 Während der formale Titel auf äußere Merkmale wie die Gattung rekurriert, sich also auf den Text in seiner Eigenschaft als Objekt bezieht, bezieht sich der thematische Titel auf inhaltliche Aspekte des Werks. Dieser Variante wird gemeinhin eine engere Verbindung zum Werk zugesprochen als dem formalen Titel – kann dieser doch potenziell viele Werke beschreiben.41 Doch die Einschätzung, dass die Verbindung zum Werktext deswegen weniger stark sei, gilt es zumindest zu relativieren: Gerade Brahms vertrat den Anspruch, dass auch der formale Titel dem Werkinhalt möglichst genau entsprechen solle. So diskutierte er mit Elisabeth von Herzogenberg Alternativtitel für die der Freundin gewidmeten Rhapsodien op. 7942 und griff auch in die Benennung ihm gewidmeter Werke ein, wenn die Bezeichnung den kompositorischen Gegebenheiten nicht entsprach: Gegenüber Georg Hendrik Witte vertrat er die Meinung, dieser solle den für zwei der ihm gewidmeten Walzer op. 7 vorgesehenen Titel »Kanon« vermeiden.43 Geradezu penibel weist er nach, welche Stellen sich mit der Benennung als Kanon rieben: »Dürfte ich außer meinem herzlichsten Dank noch eine Bitte äußern – und zwar fast dringend – so wäre es: Sie möchten die Ueberschrift ›Canon‹ beidemal streichen. Vor allem überhaupt an und für sich; dann aber möchten sich Stellen wie in Nr. VII Takt 3 und 4, in Nr. IX Takt 5 nicht wohl mit jenem Titel vertragen.«44

Auch der formale Titel steht also im Idealfall in Wechselwirkung mit dem von ihm bezeichneten Werk. Beide Benennungsvarianten sind folglich normalerweise auf das Engste mit dem Opus, auf das sie sich beziehen, verbunden – auch in Folgeauflagen bleibt der einmal gewählte Name deswegen üblicherweise bestehen. Die kommunikative Anbindung des Titels an den Kerntext ist demnach besonders stark und lässt ihn tatsächlich an der Schwelle zwischen Text und Paratext stehen. Für jede Form des Paratexts muss die Entscheidung, ob sie eher in Richtung des Texts oder des Kontexts tendiert, allerdings einzeln getroffen werden. Was ist – neben der Einordnung der Titel – mit der Beurteilung von Vorreden, Motti oder eben Widmungen? Eine allumfassende Definition des Paratexts kann den Unterschieden seiner einzelnen Teilelemente nicht gerecht werden. Doch mit 40 41 42 43 44

Genette, Paratexte, S. 19. Genette, Paratexte, S. 78. Vgl. BW I, S. 112ff. Witte kam der Aufforderung nach, im Erstdruck wird der Titel vermieden. Brahms an Georg Hendrik Witte, Brief o. D., zit. n. Witte, Erinnerungen.

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dem Bild des Kontinuums zwischen Text und Kontext kann zumindest der Durchlässigkeit der paratextuellen Zone in beide Richtungen entsprochen werden. Die schwierige Unterscheidung zwischen Paratext und Text, die Grenzlinie zwischen Kern- und Gesamtwerk, wird im Bereich der Literatur allerdings manchmal bewusst umgangen oder verunklart: So kann der Autor paratextuelle Elemente in den Rahmen des Kerntextes mit einbeziehen, indem er z. B. die Widmung auf dem Schmutztitel an die Hauptperson des nachfolgenden Romans richtet.45 Johann Wolfgang von Goethe integrierte in ähnlicher Weise die Vorrede des ersten Teils seines Faust in den Werktext – die Schwelle zwischen Text und Paratext wird überschritten und aufgehoben. Im Rahmen eines musikalischen Werks ist dies nur weitaus eingeschränkter möglich. Denn die Bruchstelle zwischen Kerntext und paratextueller Zone wird bereits visuell deutlich: Der Werktext grenzt sich durch seine unterschiedliche Medialität klar von den üblicherweise durch Text oder Grafik gekennzeichneten Paratexten ab, auch die Widmung kann damit nur schwer mit der eigentlichen Komposition verwoben werden. Diese klarere Trennschärfe schließt aber eine musikimmanente Problematik ein. Denn die Einteilung in Text im eigentlichen Sinn und eine davon abgrenzbare, da in ihrer Medialität abweichende Notenschrift erweist sich als nicht konsistent. Was genau ist also Notentext, was Paratext? Grundsätzlich gilt: Der in der Druckausgabe festgeschriebene Notentext hat als »Zweck […], Klingendes als Lesbarkeit«46 zu gestalten. Er bildet die Niederschrift des Werks, nicht aber das Kunstwerk selber ab, das erst in seiner klingenden Form manifestiert werden muss. In dieser Lesart sind Vortragsbezeichnungen, Tempo- und dynamische Vorgaben sowie Akzidentien trotz ihrer abweichenden Medialität untrennbar als Substanz des Notentextes zu verstehen – denn sie gehören zum klingenden Kunstwerk in der Vorstellung des Komponisten und sollen in jede Aufführung einfließen. Für den Zuhörer sind sie dann quasi musikalisch chiffriert im Werk erkennbar.

45 Bereits im 17. Jahrhundert widmet Charles Sorel die dritte Ausgabe des Francion: »Für Francion. Lieber Francion, wem könnte ich Ihre Geschichte zueignen als Ihnen selbst?« (zit. n. Genette, Paratexte, S. 130). Auch im 20. Jahrhundert sind solche Strategien nachzuvollziehen. Die M¦moires de Hadrien (1951) von Marguerite Yourcenar sind ebenfalls dem Titelhelden Hadrian zugeeignet – nicht ohne Grund am Ende des Werks: Erst nach dem vollständigen Lesen des Textes kann der Rezipient die spezielle Widmung nachvollziehen. Luigi Pirandello widmet gar fünf Jahre nach der Veröffentlichung des Romans Il fu Mattia Pascal den Essay Umorismo (Veröffentlichung 1908, Widmungstext: »Alla buon’anima di Mattia Pascal bibliotecario«) Mattia Pascal, dem Helden seines Romans Il fu Mattia Pascal. Beide Werke betrachten die gleiche Grundfrage (»Wer bin ich?«), die Figur des Protagonisten und Widmungsträgers verbindet sie auch in den Gedanken des informierten Lesers. 46 Hans-Heinrich Eggebrecht: Was ist Notenschrift?, in: Musik als Text. Bericht über den Internationalen Kongress der Gesellschaft für Musikforschung Freiburg im Breisgau 1993, hg. v. Hermann Danuser u. Tobias Plebuch, Bd. 1, Kassel 1998, S. 75.

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Schwieriger wird die Zuordnung zu Text und Paratext im Beispiel der für das romantische Charakterstück typischen Motti. Sie sind, wenn der Notentext das Ziel verfolgt, »Klingendes als Lesbarkeit« zu gestalten, ohne Zweifel der paratextuellen Rahmung des Werks zuzuordnen – der Rezipient kann sich entscheiden, ihre Aussage zu ignorieren und trifft damit eine »musikästhetische Entscheidung«47, ohne dass die klingende Gestalt unmittelbar verändert würde. Und doch wird bei Vernachlässigung die Werksubstanz verändert: Die Anbindung an den Werktext ist so eng, dass das Motto auf dem Kontinuum zwischen Text und Kontext auf der Schwelle zum Text steht. Deutlich wird dies am Beispiel des Andante aus Brahms’ Klaviersonate op. 1: Der Text des zugrundeliegenden »altdeutschen Minnelieds« ist den Noten unterlegt und spiegelt sich sogar in ihrer Faktur. Denn der im Gedicht beschriebene Wechsel zwischen Vorsänger und Chor wird dargestellt durch den Wechsel zwischen Einstimmigkeit und Vierstimmigkeit. Der »Gedanke der ästhetischen Autonomie«48 von Instrumentalmusik wird an dieser Stelle eindeutig konterkariert: Ohne Kenntnis des mitgeteilten Liedtextes ist die spezifische Werkgestaltung durch Brahms nur in Teilen nachzuvollziehen. Rudolf Bibl greift dieses Vorgehen in seiner »Dem Andenken Johannes Brahms’ gewidmet[en]« Trauerfuge für Orgel op. 83 auf und unterlegt die verwendeten Motive aus Ein Deutsches Requiem op. 45 seines Widmungsträgers mit dem jeweiligen Text.49 Aber auch andere Motti und außermusikalische Programme sind eng mit der jeweiligen Komposition verwoben: Sie bilden – im besten paratextuellen Sinn – erste (vom Komponisten gewünschte) Zugriffspunkte auf den Werktext, auf seine Aussage und Faktur. Als Inspirationsquelle des Komponisten werden so nicht selten eigenständige Kunstwerke zum Paratext eines neuen Werks. Brahms’ Ballade op. 10/1 ist so auf Grundlage der schottischen Ballade Edward entstanden.50 Zwar ist das Bezugswerk nicht komplett in die Erstausgabe integriert, muss doch durch den als Quellenangabe im Druck gegebenen Verweis als wichtiger, für die Werkgestalt konstitutiver Paratext behandelt werden. 47 So Carl Dahlhaus im Abschnitt Absolute Musik als ästhetisches Paradigma, in: Die Idee der absoluten Musik, in: 19. Jahrhundert I. Theorie / Ästhetik / Geschichte: Monographien (= Gesammelte Schriften, Bd. 4), hg. v. Hermann Danuser, Laaber 2002, S. 11–24, hier S. 11. 48 Ebd., S. 14. 49 Dies sind konkret der Beginn des zweiten Satzes »Denn alles Fleisch, es ist wie Gras« sowie eine Stelle des sechsten Satzes, »Herr, Du bist würdig zu nehmen Preis und Ehre und Kraft«. 50 Carl Dahlhaus hat über Brahms’ Edward sogar gesagt, es liege »nahe, von Programmusik zu sprechen«, vgl. Carl Dahlhaus: Absolute Musik, in: Europäische Musikgeschichte 2, hg. v. Sabine Ehrmann-Herfort, Ludwig Finscher u. Giselher Schubert, Kassel 2002, S. 691f. Dahlhaus ist mit dieser Einschätzung nicht allein; gerade in der Frühzeit der BrahmsRezeption, in Zeiten des aufkommenden Parteienstreits, wurden Frühwerke von Brahms in die Nähe der Programmmusik gerückt. So wird das Andante der Klaviersonate Nr. 3 op. 5 in den Schumanniana von Adolf Schubring als Programmmusik bezeichnet (NZfM 56/13 [28. März 1862], S. 103).

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Bei der Bewertung der Anbindung peritextueller Elemente an den Kerntext spielen die Parameter des Originalitätsanspruchs und des Kunstwerkbegriffs demnach eine wichtige Rolle. Dies wirkt sich auch auf die ihnen zugewiesene Funktion im Rezeptionsprozess aus: Denn Paratexte werden über die Jahrhunderte hinweg im Normalfall ganz offensichtlich als veränderbar erachtet und können im Falle einer Neuedition meist ohne Probleme ersetzt werden oder ganz wegfallen (unabhängig davon, ob dies mit der Intention des Autors vereinbar sein mag). Der Kerntext gilt dagegen als das eigentliche Kunstwerk gerade seit der im 19. Jahrhundert beginnenden Herausgabe der kritischen Editionen und Gesamtausgaben als unveränderlich, geradezu sakrosankt. In der Lesart eines metatextuellen Textverständnisses sind Peritexte (und damit auch die Widmung) allerdings unzweifelhaft Teil des Gesamtkunstwerks – eine Neubewertung ihrer Anbindung an den Kerntext sollte demnach auch zu einer Neubewertung ihrer Rolle im Rezeptionsprozess führen. Das gilt zumindest, sofern sie auktorial geschaffen oder durch den Autor legitimiert sind: Sie sind Teil eines »Gesamtkunstwerks« oder einer Inszenierung, die den Zugriff auf das Werk im Sinn des Autors steuern und lenken soll. Ihre Hauptfunktion ist also kommunikativ : »Und so heißt Paratext als Schwelle auch dasjenige, was jenseits des Textes, jenseits seiner Textualität zu situieren wäre. Der Paratext weist in diesem Sinn über das bloß Textuelle hinaus auf die kommunikative Einbindung des Textes. […] Insofern Paratextualität als ein Schema zur Stiftung textueller Einheit die Ausdifferenzierung privilegierter erster Zugriffspunkte des Textes ermöglicht, können diese privilegierten Einheiten des Textes, eben die Paratexte, zugleich als (wie auch immer äußerliche) Bestandteile des Textes und als gleichsam bereits in die rekursiven Zusammenhänge der Kommunikation eingebunden begriffen werden.«51

Die von Till Dembeck in Bezug auf literarische Werke getroffene Aussage lässt sich auch auf Kompositionen übertragen: Der Komponist tritt über das Instrument der paratextuellen Rahmung in Kommunikation mit dem Rezipienten. Beim fünften Stück aus Max Regers Sieben Fantasiestücken op. 26 umfasst das peritextuelle Gerüst Titel und Untertitel. Sie sind in ihrer Anordnung direkt über dem Notentext tatsächlich »erste Zugriffspunkte« auf das nachfolgende Werk, stehen sie doch dem Pianisten bei jedem Aufschlagen der Noten direkt vor Augen. Und ihre Aussage ist substantiell mit dem Gehalt der Komposition verbunden, Reger nutzt ihre Gestalt, um wichtige Informationen zum Entstehungshintergrund und zur Inspiration des Stückes mitzuteilen. Bereits der Titel des Gesamtwerks (Fantasiestücke) kann dem Spieler wichtige Hinweise auf die Grundatmosphäre geben. Die Stimmung des fünften Stückes wird durch den Kopftitel (Resignation) benannt. Durch den Untertitel wird diese Information 51 Dembeck, Texte rahmen, S. 22.

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konkretisiert: »– 3. April 1897 – J. Brahms †«. Ganz klar setzt Reger einen Bezugspunkt zum Tod des von ihm verehrten Brahms und legt damit gleichzeitig den Entstehungskontext des Klavierstücks offen.52 Es ist ein Bezugspunkt, der viele stilistische Annäherungen innerhalb des Werks, die in einem Zitat des Themas aus dem Andante der Sinfonie Nr. 4 e-Moll op. 98 kulminieren, in ein neues Licht rückt: Durch die Informationen des Peritextes wird die so nah an Brahms angelehnte Komposition aus dem Verdacht des Epigonalen endgültig herausgelöst. Und auch Brahms machte sich nachweislich Gedanken, welche Informationen dem Publikum als »erste Zugriffspunkte«53 bei der angemessenen Aufnahme seiner Werke behilflich seien, wie ein Brief an den Verleger Rieter anlässlich der Herausgabe der Variationen über ein Thema von Robert Schumann op. 23 zeigt: »Sie wissen, daß dies Thema der letzte musikalische Gedanke Schumanns war ; mir scheint es wohl angemessen, daß man das Publikum dies in einer Notiz (auf der ersten Notenseite) wissen lasse«.54 Es spielte offenkundig nicht allein der Gehalt der mitgeteilten Information, sondern auch die Wahl des geeigneten Standorts eine Rolle: Brahms wollte die Information direkt mit dem Notentext in Verbindung gebracht wissen und betonte nicht zuletzt dadurch ihre Wichtigkeit für den musikalischen Gehalt seiner Variationen. Denn durch die Platzierung oberhalb des Notentextes wird der Hinweis potenziell stärker mit dem Werktext verbunden, als bei einer Platzierung auf dem Titelblatt.55 Till Dembeck ist demnach zuzustimmen. Genauso wie über den konkreten Werktext tritt der Komponist auch über die Auswahl und Gestaltung der peritextuellen Elemente mit dem Rezipienten in Kommunikation. Und es ist hinzuzufügen: Er tut dies im Normalfall bewusst, um die Aufnahme seines Werks zu lenken.56 52 Resignation war anlässlich des ersten Todestages von Brahms entstanden. Vgl. Helmut Wirth: Johannes Brahms und Max Reger, in: Brahms-Studien 1, im Auftrage der BrahmsGesellschaft Hamburg e. V. hg. v. Constantin Floros, Hamburg 1974, S. 91–112, hier S. 98. 53 S. o., Dembeck, Texte rahmen, S. 22. 54 Brahms an Rieter-Biedermann, [22. November 1862], BW XIV, S. 75f. 55 Dass der Wunsch nach Mitteilung der Inspirationsquelle tatsächlich mit dem musikalischen Gehalt der Variationen zusammenhing, beweist ein Brief von Brahms an Joseph Joachim: »Ich gebe nämlich Variationen über das Thema von Schumann heraus, das er in seiner Krankheit schrieb. Da scheint es mir nun einfach angemessen, daß man dazu schreibt: ›komponiert den – Febr. 1854‹. Frau Schumann ist nicht dafür und ich mag natürlich ihrem Gefühl nur leise widersprechen. Mir kommt jedoch eher diese Geheimnistuerei weniger zart vor, besonders da das Thema wirklich wie ein wehmutvolles leises Abschiedswort klingt und die Variationen sich nicht allzusehr von dieser Idee entfernen« (Brahms an Joseph Joachim, [29. Dezember 1862], S. 331). Die Information wurde letztendlich wegen der Einwände Claras nicht in den Erstdruck aufgenommen. 56 Genette, Paratexte, S. 14f., schließt in den Begriff des Epitextes ausdrücklich auch Elemente ein, die nicht textuell sondern faktisch sind. Anknüpfend an die eben getroffenen Überlegungen eröffnet sich damit allerdings ein weites Feld, das das Konzept des Peritextes potenziell über die Textebene hinaus öffnen könnte (diese Problematik umgeht Genette, indem er dramatische Textsorten nicht in seine Überlegungen einschließt). Denn dass die bewusste

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Theoretische und historische Grundlegungen

In allen angeführten Beispielen wird deutlich, dass der Komponist die paratextuelle Rahmung als Möglichkeit sah, den Rezipienten auf bestimmte Aspekte seines Werks, die ihm besonders wichtig erschienen, speziell hinzuweisen. Unzählige Beispiele sind nachweisbar, in denen er auf die Planung dieser das Werk umgebenden Elemente viel Gewicht legte. Immer wieder zeigt sich auch, dass die Öffentlichkeit diese Botschaften beim ersten Zugriff auf eine Komposition nutzte. Zahllose Rezensionen ziehen so aus Titel oder Dedikation Informationen bezüglich des betreffenden Werks. Der Rezensent der Franz Liszt gewidmeten Phantasiebilder op. 10 von Adolph Heinrich Sponholz vermerkte dementsprechend bereits im ersten Satz, dass die Widmung des ihm bislang unbekannten Künstlers an Liszt ebenso wie der Titel gegenüber dem Inhalt der Komposition bestimmte »Erwartungen erreg[e]«57 – Widmung und Titel fungieren als Informationsträger. Ein Vergleich zeigt aber : Während den Zeitgenossen des 19. Jahrhunderts der Titel, Motti oder auch die Widmung durchaus als wichtige Interpretationshilfe galten und im engen Umfeld des Kernwerks verortet wurden58, ist heute tendenziell eine Abkehr von dieser Idee zu erkennen. In aktuellen (nicht kritischen) Neueditionen von Kompositionen werden Widmungen und originale Vorworte oftmals als nicht relevant weggelassen, ihre Steuerung der Werkaufnahme durch den Komponisten der Gedankenwelt des 19. Jahrhunderts nicht fremd ist, zeigen z. B. die sorgfältigen Planungen eines »Gesamtkunstwerks« durch Richard Wagner. Dieser Begriff wurde zwar nicht von Wagner geprägt, wird von ihm aber 1849 in seiner Schrift Die Kunst und die Revolution und später in Die Kunst der Zukunft zur Legitimation seines Konzepts des Musikdramas verwendet. Möchte man die von Genette dem Paratextkonzept zugrunde gelegte Textebene nun verlassen, können auch Wagners eindeutige Regieanweisungen zu den Musikdramen, die Mitteilungen an seine Freunde und letztlich auch die Konstruktion des Festspielhauses in Bayreuth als idealer Aufführungsort des Ring der Nibelungen zu einem Äquivalent des traditionellen Paratextes werden: Wagner versucht, über diese Elemente die Aufführung und Rezeption seiner Kompositionen zu steuern (vgl. zu den die Konstruktion des Festspielhauses betreffenden Überlegungen Richard Wagners: Bayreuth [Das Bühnenfestspielhaus], in: Gesammelte Schriften und Dichtungen, Bd. 9 [hier besonders die Rede zur Eröffnung des Festspielhauses am 22. Mai 1872]). Da sie zwar nicht den Werktext, wohl aber die Aufführung eng umgeben, würde der Status eines reinen Epitextes ihnen nicht gerecht. Sogar der Aufführungsort könnte so in der Nachfolge Genettes durchaus zum peritextuellen Bestandteil des Werks werden. Diese Erweiterung des Peritextkonzepts brächte freilich das Verlassen der Ebene des Notentextes mit sich und bedürfte damit grundlegender weiterer Überlegungen: Vor allem die Problematik des Werkbegriffs, der sich in der Komposition eben auch in der Aufführung manifestiert, müsste thematisiert werden. Dies kann an dieser Stelle nicht geleistet werden. Der Notentext wäre jedenfalls in dieser Lesart nur noch ein Teil des Kunstwerks – wenn auch unzweifelhaft der wichtigste. 57 Vgl. NZfM 15/5 (16. Juli 1841), S. 17. Auf diesen Aspekt wird im weiteren Verlauf noch eingegangen werden. 58 In Übereinstimmung mit den Überlegungen zur Erweiterung des Peritextes (vgl. FN 56) können auch die Regieanweisungen Wagners als Beispiel dienen. Das moderne Regietheater sieht solche Mitteilungen freilich im Normalfall nicht als Vorgaben, sondern nur als Denkanstöße zur Beschäftigung mit der Partitur an.

Die Widmung als Forschungsgegenstand

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Informationen werden meist höchstens als Anstoß zur Interpretation, nicht aber als bindende Vorgaben aufgefasst. Die Rezeption der Paratexte kann also vom Autor eindeutig gewünscht werden, ist aber im Grunde in der heute vorherrschenden Vorstellung keine Voraussetzung für eine legitime und stimmig und sinnvoll erscheinende Lesart der Komposition: Der moderne Rezipient geht von der Prämisse aus, dass lebendige Kunst immer auch Selektion und Interpretation sei. Ob diese Einschätzung nun in allen Fällen die ganze Substanz eines Werks trifft, sei wenigstens angezweifelt. Denn die Zusammenschau der eben angeführten Beispiele macht zumindest deutlich, dass Paratexte wichtige Informationen zum Werkhintergrund transportieren – Informationen, die den Kern der Komposition berühren und untrennbar mit ihrer Entstehung und Faktur verbunden sind. Jede Aufführung einer Komposition kann natürlich rein auf der Basis des Notentextes und losgelöst von allen paratextuellen Elementen erfolgen. Doch das würde in vielen Fällen den Intentionen des Komponisten nicht gerecht: Im Idealfall ist die Aufführung, die den End- und Kulminationspunkt der über die Paratexte geführten Kommunikation zwischen Komponist und Interpret darstellt, deswegen vielmehr eine bereits durch die Rezeption und Interpretation der paratextuellen Elemente beeinflusste Lesart, die sich dadurch den ursprünglichen Intentionen des Komponisten annähert. Dies geschähe ganz im Sinn des Anspruchs der modernen Gesamtausgaben, die sich als Ziel setzen, das Werk »in einer Gestalt vorzulegen, die vom Komponisten fixiert oder autorisiert ist.«59 In dieser Hinsicht scheint es diskussionswürdig, ob der bislang übliche Verzicht vieler Editionen auf die Mitteilung und kritische Bewertung des peritextuellen Gerüsts tatsächlich angemessen ist.

1.2

Zum Potential der Widmung als musikwissenschaftlicher Forschungsgegenstand

Die Widmung ist in der dargestellten Gemengelage aus Text und Kontext, Kerntext und Paratext als (meist auktorialer) Peritext zu verorten. Doch was kann sie konkret leisten und aussagen? Sind Widmungen relevant für die Beantwortung musikwissenschaftlicher Fragestellungen? Wird also aus »musikalische[m] Kontext« »musikologischer Text«?60 Zu einer grundlegenden Klärung der Relevanz von Widmungen für die musikwissenschaftliche Forschung fehlt bislang eine systematische, für fachspezifische Fragestellungen nutzbare Wid59 Ulrich Leisinger : Der Rezeptionstext als Problem kritischer Ausgaben, in: Danuser/Plebuch, Musik als Text 2, S. 130. 60 So der Titel eines Aufsatzes von Rüdiger Schumacher : Musikalischer Kontext als musikologischer Text. Ritualmusik im balinesischen Hinduismus, in: Danuser/Plebuch, Musik als Text 1, S. 227.

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Theoretische und historische Grundlegungen

mungstheorie. Zu unterschiedlich sind die Anforderungen, als dass Theorien anderer Fächer ohne Anpassung übernommen werden könnten. So kommt es zu Schwierigkeiten, wenn die für Literatur geltenden Maßstäbe der intertextuellen Bezugnahme zwischen Widmung und Werktext an Kompositionen angelegt werden.61 Andererseits sind in musikalischen Werken die Möglichkeiten der stilistischen Bezugnahme auf das Œuvre eines ebenfalls komponierenden Widmungsadressaten vielfältiger – die Widmung wird in diesem Fall durch konkret nachzuweisende Verweise auf das Werk ihres Adressaten im Notentext legitimiert. Es existieren also in beiden Fällen intertextuelle Bezugnahmen, die allerdings auf unterschiedlichen Voraussetzungen beruhen. Um die Vergleichbarkeit des untersuchten Materials zu gewährleisten, sollte zusätzlich zur Einschränkung der Gültigkeit eines Theoriemodells für einen bestimmten Fachbereich wegen der Wandlungen des Phänomens und inhaltlicher Bedeutungsverschiebungen des Widmungsbegriffs auch eine zeitliche Begrenzung vorgenommen werden. Diese Überlegungen begrenzen Gültigkeitsbereich und Zielsetzung dieser Arbeit: Es sollen auf die Belange musikwissenschaftlicher Forschung zugeschnittene Beiträge zum theoretischen Konzept der Widmung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erarbeitet werden. Anschließend soll am konkreten Beispiel der Brahms gewidmeten Werke der Erkenntnisgewinn dargestellt werden. Allgemein wird die Widmungsforschung aller Fächer bislang von einer Fragestellung dominiert: Wer widmet und wie ist seine Beziehung zum Adressaten? Für diese Studien ist freilich der Begriff der Widmungsforschung nicht ganz zutreffend und wird unpräzise verwendet. Es handelt sich vielmehr entweder um prosopographisch-biographische Studien62 zum Widmungsadressaten oder um ›Widmungstextforschung‹: Die Aufmerksamkeit ist hier über die Formulierung des Zueignungstexts allein auf den Adressaten und den Widmenden und ihre Beziehung fokussiert, während andere Komponenten (wie besonders das Widmungswerk selber) kaum bis gar nicht beachtet werden. Tatsächlich dient der Widmungstext musikalischer Werke in den historischen Gegebenheiten des 19. Jahrhunderts zuallererst als Hinweis auf eine Beziehung zwischen Komponist und Widmungsträger.63 Diese muss nicht unmittelbar und persönlich sein, auch mittelbare Kenntnis der Person und Werke über Dritte sind ausreichend. Doch ausgehend von dieser Erkenntnis möchte diese Arbeit über den bisher vorherrschenden Ansatz hinausgehen. Denn um das gesamte Potenzial der Widmung für die musikwissenschaftliche Forschung einschätzen und aus61 Vgl. dazu S. 24f. 62 Im musikwissenschaftlichen Bereich ist vor allem zu nennen Seibold, Familie, Freunde, Zeitgenossen. Widmungstext und Widmungswerk werden nicht systematisch näher beleuchtet, es wird allerdings auch keinesfalls der Anspruch formuliert. 63 Vgl. das Kapitel III. Netzwerk »Brahms gewidmet«.

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schöpfen zu können, sollte der gesamte Widmungsvorgang in all seinen Facetten in den Blick genommen werden: Was verraten uns Widmungen mit all ihren Bestandteilen (von der materiellen Manifestation des Widmungstextes bis zum gewidmeten Werk) und in all ihren Wechselwirkungen im 19. Jahrhundert über den jeweiligen Komponisten des gewidmeten Werks, über seine Intentionen und den Entstehungskontext der Komposition? Was lassen Zueignungen über die biographischen Bezüge hinaus eventuell auch über das Widmungswerk, den Empfänger der Dedikation und vor allem über dessen eigenes Werk erkennen? Denn wenn im 19. Jahrhundert eine Beziehung zwischen Komponist und Adressat vorausgesetzt wird, deutet das wiederum auf eine bewusste und als wichtige Entscheidung erachtete Auswahl einer bestimmten Komposition und des auf sie bezogenen Adressaten hin. Ein Bezug zwischen Werk und Adressat wird so als wahrscheinlich angesehen werden müssen. Dieser kann vielfältig sein, er bewegt sich in einem Spannungsfeld zwischen bewusster Nähe und Distanz, kompositorisch-stilistischer Annäherung und Abgrenzung oder der Übernahme äußerlicher Eigenheiten. Dies kann beispielsweise die Auswahl bestimmter Titel64, Gattungen65, Instrumente66 oder formeller Gestaltungsmittel bedeuten. Die Beziehung des widmenden Komponisten zum Adressaten, die sich aus der Summe seiner Erfahrungen mit Werk und Person des Widmungsträgers ergibt, mag sich also zumindest in einigen Fällen in Bezugnahmen jeglicher Art im Widmungswerk spiegeln. Demnach wird der Adressat zum Indikator möglicher intertextueller Bezugnahmen innerhalb der Komposition, die die Auswahl seiner Person als Widmungsträger erklären. Der Widmungstext kann deswegen als Hinweis auf eine hermeneutisch nutzbare Intertextualität gelesen werden, die als ein möglicher Schlüssel zum Verständnis der Komposition und der Dedikation dienen kann. Nicht zufällig ist auch die Paratextforschung aus der Intertextualitätstheorie heraus entstanden.67 Wenn mit Julia Kristeva der Text als intertextuelles Geflecht von Bezugnahmen zu verstehen ist, ist die Widmung als Spur, Verweis auf diese Bezugnahmen zu lesen: »Jeder Text baut sich als Mosaik von Zitaten auf, jeder Text ist Absorption und Transformation eines anderen Textes. An die Stelle der Intersubjektivität tritt der

64 Vgl. die Neuen ungarischen Tänze J. H. Wallfischs oder den Schicksalsgesang Ernst Seyffardts mit Widmung an Brahms. 65 Vgl. die große Anzahl der Brahms gewidmeten Streichquartette. 66 Vgl. z. B. die vielen Widmungen von Violinkonzerten an den berühmten Geiger Joseph Joachim, u. a. durch Johannes Brahms, Robert Schumann und Anton†n Dvorˇ‚k. 67 Die Intertextualitätstheorie wurde erstmals theoretisch formuliert von Julia Kristeva in: Die Revolution der poetischen Sprache, Frankfurt a. M. 1978.

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Begriff der Intertextualität, und die poetische Sprache lässt sich zumindest als eine doppelte lesen.«68

Über den speziellen Fall der Paratextforschung wird über den Widmungstext also eine Spur hin zu einem Gewebe intertextueller Bezüge gelegt, das wiederum potenziell für die Rezeptionsforschung nutzbar gemacht werden kann.69 Diese Thesen werden gestützt durch zeitgenössische Aussagen. Für das konkrete Beispiel der Brahms gewidmeten Walzer op. 23 von Theodor Kirchner bemerkt Arnold Niggli so, diese seien eine »Tondichtung, zu der unser Componist wohl unmittelbar durch das Brahms’sche Vorbild (op. 39) angeregt wurde und die er auch dem berühmten Freunde gewidmet hat«.70 Aus der Beschäftigung mit Brahms’schen Kompositionen heraus ist also die Wahl des Widmungsträgers motiviert – ohne dass direkte Melodiezitate nachzuweisen wären. Es ist zu vermuten, dass die Dedikation Niggli den ersten Anstoß für diese Annahme gegeben hatte. Dieser Hinweis wurde dann freilich durch die musikalische Faktur der Walzer gestützt: Die Form der kleinformatigen Konzertwalzer für Klavier (des Walzers Brahms’scher Faktur also im Gegensatz zur Strauss’schen71 ›Walzerkette‹), bestimmte Kompositionsstrategien und die Besetzung weisen unmissverständlich auf Brahms als Bezugspunkt hin.72 Auf ganz andere Weise, aber ebenso im Sinn einer intertextuellen Bezugnahme nutzte Pietro Mascagni die Zueignung als Ort des Dialogs mit den Rezipienten. Seine Oper Le maschere (1901) trägt die im Kontext des 19. Jahrhunderts durchaus ungewöhnliche Dedikation »Mir selbst mit ausgezeichneter Hochachtung und unveränderlicher Zuneigung«. Verständlich wird der Text bei Kenntnis der überaus schlechten Publikumsaufnahme seiner einige Jahre zuvor 68 Kristeva, Revolution der poetischen Sprache, S. 348. Hervorhebungen im Original. 69 Die Paratextforschung beruht demnach auf Intertextualität hermeneutisch-strukturalistischer Prägung: »wenn ein Autor bei der Abfassung eines Textes sich nicht nur der Verwendung anderer Texte bewußt ist, sondern auch vom Rezipienten erwartet, daß er diese Beziehung zwischen seinem Text und anderen Texten als vom Autor intendiert und als wichtig für das Verständnis seines Textes erkennt.« (Ulrich Broich: Formen der Markierung von Intertextualität, in: Intertextualität. Formen, Funktionen, anglistische Fallstudie, hg. v. Ulrich Broich u. Manfred Pfister, Tübingen 1985, S. 31). Paratexte sollen Interpretationshilfen geben, den Leser sich nicht im Sinn einer poststrukturalistischen Intertextualität in einem »labirinto potenzialmente infinito« verlieren lassen (so Umberto Eco: Postille a Il nome della rosa, in ders.: Il nome della rosa, Mailand 2006, S. 507–533, hier S. 525. Erstmals veröffentlicht in Alfabeta 49 [Juni 1983]). 70 Arnold Niggli: Theodor Kirchner. Ein biographisch-kritischer Essay, Leipzig [ca. 1886], S. 29. 71 Der Name Strauss wird für alle Familienmitglieder im Rahmen dieser Arbeit nach der Ansetzungsform der Gemeinsamen Normdatei (GND; Johann Strauss [Sohn]: 11861908X) geschrieben. Diese Schreibvariante entspricht der Unterschrift der Familienmitglieder, auch auf dem Erstdruck des Brahms gewidmeten Walzers Seid umschlungen Millionen op. 443 wird der Komponist als »Johann Strauss« genannt. 72 Vgl. hierzu näher das Kap. »Kann den Brahms Walzer komponieren?« Der Walzer als Kunstmusik.

Die Widmung als Forschungsgegenstand

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erschienenen Oper Iris (1898). Die Widmung wirkt als hermeneutischer Schlüssel – und ist Spiegel des Selbstwertgefühls. Denn über die im Zueignungstext gelegte Spur lässt Mascagni die neue Oper auch als Diskussionsbeitrag und musikalische Antwort auf den erlittenen Misserfolg wirken. Interessant ist die sehr spezielle Dedikation vor allem, da die hier beschriebene Entschlüsselung auch unter den Brahms-Freunden anzutreffen ist, unter jenem Personenkreis also, der potenziell für eine Widmung an Brahms infrage kam.73 Die Zueignung diente den Zeitgenossen in beiden Fällen als erster Zugriffspunkt auf ein Werk und als Hinweis auf intertextuelle Bezugnahmen. Der Komponist selber spekulierte darauf, dass der Rezipient »diese Beziehung zwischen seinem Text und anderen Texten als vom Autor intendiert und als wichtig für das Verständnis seines Textes erkennt.«74 Im Umkehrschluss nun kann die Herausfilterung dieser intertextuellen Bezugnahmen, Anspielungen und Abgrenzungen auf und gegenüber dem Widmungsträger genutzt werden für die musikwissenschaftliche Rezeptionsforschung: Wie rezipierten zeitgenössische Komponisten den im Umfeld des Parteienstreites so oft auf absolute Musik reduzierten Brahms? Wie wurden seine Werke von den Kollegen aufgenommen und bewertet? Die Annahme, dass dieser eben skizzierte Weg der Auswertung der Gesamtheit der Bestandteile einer Widmung für die Musikwissenschaft lohnenswert sei, ist nicht nur aus einzelnen zeitgenössischen Bemerkungen abgeleitet. Sie ist vor allem der Erkenntnis geschuldet, dass die theoretischen Überlegungen der Paratextforschung auch im philosophischen Umfeld des 19. Jahrhunderts ihre Anknüpfungspunkte haben, der Lebenswelt der Protagonisten also nicht fremd waren. Es geht – wie in der Paratextforschung Genettes – bereits im theoretischen Diskurs des 19. Jahrhunderts um ein neues Verständnis des Textbegriffes. So sieht Friedrich Schleiermacher, der Begründer einer umfassenden Hermeneutik75, schon 1810 den Leser eines Textes in der Pflicht, zum

73 Vgl. Reinecke, Dedikation, S. 210. 74 Vgl. Broich, Intertextualität, S. 31. In diesem Sinn bemerkte der Brahms widmende Eugen d’Albert: »Die Mitangabe einiger bedeutsameren [sic] Widmungen ist für solche Leser bestimmt, die derartiges im Sinne des alten Wahrwortes: Sage mir, mit wem du umgehst, und ich will dir sagen, wer du bist‹ [sic] zu deuten verstehen.« (Artur Smolian: d’Albert, Eugen, in: Monographien moderner Musiker, Bd. 2, Leipzig 1907, S. 19). 75 Ursprünglich sind Schleiermachers Überlegungen im Rahmen von Universitätsvorlesungen entstanden. Sie sind zum ersten Mal veröffentlicht in: Friedrich Schleiermacher : Hermeneutik und Kritik. Mit einem Anhang sprachphilosophischer Texte Schleiermachers, hg. u. eingeleitet von Manfred Frank, 5. Aufl., Frankfurt a. M. 1993. Schleiermacher (1768–1834) ist von Hause aus Theologe, seine theoretischen Abhandlungen demnach aus der praktischen Notwendigkeit theologischer Fragestellungen heraus entstanden. Letztlich baut auf Schleiermachers Erkenntnissen allerdings die gesamte Intertextualitätsforschung und damit auch die Paratexttheorie G¦rard Genettes auf. So nutzt Genette die Paratexte ganz im Verständnis

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umfassenden Verständnis zusätzlich zum Werk den Kontext desselben zu entschlüsseln. Ist Hermeneutik ursprünglich wörtlich übersetzt die Kunst des Verkündens, Dolmetschens, Erklärens und Auslegens76, erweitert Schleiermacher übereinstimmend mit seiner Forderung nach einem tieferen Werkverständnis das Analyserepertoire. Nicht nur die grammatikalische, auch eine »philosophische« Analyse sei vonnöten, um ein Werk in Gänze zu verstehen: »Die Aufgabe ist auch so auszudrücken, die Rede zuerst eben so gut und dann besser zu verstehen als ihr Urheber. Denn weil wir keine unmittelbare Kenntniß dessen haben, was in ihm ist, so müssen wir vieles zum Bewußtsein zu bringen suchen was ihm unbewußt bleiben kann außer sofern er selbst reflektirend sein eigener Leser wird. Auf der objectiven Seite hat er auch hier keine andern Data als wir.«77

Sprache wird also nicht mehr auf rein textueller Ebene betrachtet, das persönliche Moment des Autors, die Gesamtheit seiner (historischen) Erfahrungen werden integriert. Es kann an dieser Stelle nicht das Ziel sein, die im heutigen musikwissenschaftlichen Diskurs nicht unumstrittenen78 Erkenntnisse Schleiermachers zu verteidigen. Wichtig ist allein die Feststellung, dass hermeneutische Denkansätze im Panorama des 19. Jahrhunderts vertreten waren. Auf musikalische Werke übertragen bedeutet dies: Nicht allein der ›objektive‹ Notentext zählte auf dem Weg zum umfassenden Verständnis und zur Interpretation einer Komposition. So bietet die Kenntnis der dem Notentext so nahe stehenden Motti gerade in den Werken von Brahms »einen Einblick in die semantischen Spuren seiner vermeintlich absoluten Musik.«79 Von der bereits erwähnten Quellenangabe zur Ballade op. 10/180 bis zu den unter den Noten der Klaviersonate op. 1 mit angegebenen Zeilen des Minneliedes »Verstohlen geht der Mond auf« gilt: Gerade die Entscheidung des Komponisten, diese Inspirationsquellen im Rahmen der Werkveröffentlichung nicht zu unterdrücken, spricht für ihre Wichtigkeit in einem umfassenden Rezeptionsprozess.

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Schleiermachers, um »die Rede erst eben so gut und dann besser zu verstehen als ihr Urheber«. Der Begriff ist abgeleitet vom Namen des Götterboten Hermes, der den Menschen Botschaften des Göttervaters Zeus überbrachte – also als Ausleger und Dolmetscher fungierte. Schleiermacher, Hermeneutik und Kritik, S. 31f. Die Kritik bezieht sich vor allem auf die erstmals von Carl Dahlhaus formulierte Schlussfolgerung, dass die Biographik als Methode notwendig aus der hermeneutischen Forderung erwachse, dass das Werk nicht für sich stehen könne, sondern zwingend als Teil eines Kontexts verstanden werden müsse. Die starke Kritik an der Biographik wird damit zur Kritik an Schleiermachers Musikphilosophie (Carl Dahlhaus: Wozu noch Biographien?, in: Melos/NZ 1 [1975], bes. S. 80 und S. 82). Marion Gerards: Frauenliebe – Männerleben. Die Musik von Johannes Brahms und der Geschlechter-diskurs im 19. Jahrhundert, Köln 2010, S. 210. »Nach der schottischen Ballade: ›Edward‹ [in Herders ›Stimmen der Völker‹]«. Vgl. den Erstdruck vom Februar 1856, S. 3.

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In diesem Kontext können nun auch Widmungen als mögliche Informationsquellen gesehen werden. Sie sind demnach wie Motto oder Titel zum Gesamtwerk gehörig und beim Erschließen der Werkintention hilfreich, auch die Gesellschaft des 19. Jahrhunderts begriff sie in diesem Verständnis als Teil eines größeren Ganzen. Die Komponisten wussten, dass eine veröffentlichte Dedikation dem Rezipienten ihre Absichten mitteilt und erhellt: Die Widmung eines Werks spreche »eines Theils selbst aus, was ich von dieser Composition halte«81 bemerkte dementsprechend Wenzel Thomas Tomaschek gegenüber seinem Verleger Ambrosius Kühnel. Und Robert Schumann schrieb an Clara Wieck: »ich denke mir auch bei meinen Dedicationen etwas, die doch immer mit der Entstehung einen Zusammenhang haben soll[en]«.82 Auch der Brahms-Freund Joseph Joachim betonte die enge Verbindung von Widmung und Komposition. In der Formulierung der Bitte um Widmungserlaubnis seiner Variationen für Viola op. 10 an Herman Grimm ist dieses Verständnis klar ersichtlich: »Magst Du nun Deinen Namen mit meinem auf dem gedruckten Titelblatt verbinden – und des Stückes Pathe sein zur Erinnerung an den uns so lieben Tag? Ich könnte mich darüber freuen, wenn du ›Ja‹ sagtest, denn zu niemand hat, was in der Composition gesagt ist, nähern Bezug als zu Dir, dem das Thema Geist und Herz verwandt ist.«83

Aber auch die Öffentlichkeit ging selbstverständlich von möglichen Verbindungen zwischen einer Komposition und ihrem Widmungsträger aus. So brachte ein Rezensent von Constantin Bürgels Variationen über ein eigenes Thema op. 2 über die Widmung die im Stück gezeigte Kunstfertigkeit in Kontrapunktik mit dem Unterricht beim unumstrittenen Meister dieses Fachs, Friedrich Kiel, in Verbindung: »Das Op. 17 seines Lehrers ist wohl die Norm und

81 Wenzel Johann Tomaschek an seinen Verleger Ambrosius Kühnel, 24. Juli 1813. Zit. n. Axel Beer : Musik zwischen Komponist, Verlag und Publikum: die Rahmenbedingungen des Musikschaffens in Deutschland im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts, Tutzing 2000, S. 366. Dieses Widmungsverständnis ist allerdings nicht neu: Schon im 16. Jahrhundert bietet die Widmung einen von mehreren möglichen Schlüsseln zum Werkverständnis. Rabelais verfasst so seine Widmungen nicht etwa allein, um einen Protektor zu gewinnen, sondern »Damit es [das Buch] nicht gestaltlos und gleichsam kopflos ans Licht kommt« (»Ne igitur in lucem sic ut erat deformis et veluti akephalo prodiret….«; aus der Widmung von FranÅois Rabelais an Jean Du Bellay in der Zopographia antiquae Romae von Giovanni Bartolomeo Marliani, Lyon [Gryphe] 1534, fol. *4re. Zitat und Übersetzung nach Sabine Vogel: Kulturtransfer in der frühen Neuzeit. Die Vorworte der Lyoner Drucke des 16. Jahrhunderts [= Spätmittelalter und Reformation, Neue Reihe, Bd. 12], Tübingen 1999, S. 7.) 82 Robert Schumann an Clara Wieck, 13. März 1839, zit. n. Eva Weissweiler (Hg.): Clara und Robert Schumann. Briefwechsel. Kritische Gesamtausgabe, Bd. 2: 1839, Frankfurt a. M. u. Basel 1987, S. 442. 83 Joseph Joachim an Herman Grimm, 30. August 1855, Joachim-BW I, S. 293.

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der Beweggrund gewesen, dass der Schüler eine ähnliche Arbeit mit seinem Op. 2 zu liefern gedachte.«84 Die Widmung wurde also durch die Gesellschaft des 19. Jahrhunderts entsprechend der Forderungen ihres Zeitgenossen Schleiermacher dazu verwendet, das Werk möglichst umfassend, »eben so gut«85 wie der Komponist zu verstehen. Manchmal stehen gar Widmung und Titel bestimmter Werke in direktem Zusammenhang. Joseph Joachim erwog aufgrund einer geplanten Widmung der Drei Stücke für Violine und Pianoforte op. 5 an Gisela von Arnim eine Titeländerung, um mögliche Missinterpretationen zu vermeiden: »Wie willst Du in der Dedication der 3 Stücke (auf Deinen Namen) genannt sein? Sie liegen jetzt in einer Abschrift vor mir und sollen nach Leipzig in den Verlag. Doch wohl nur einfach: Gisela v. Arnim, ohne Hochwohlgeboren und ohne verehrungsvoll! Nicht wahr? Und vielleicht fällt Dir auch ein minder prosaischer Titel als ›3 Stücke‹ ein. Anfangs wollte ich schreiben: ›Wirkliches und Geträumtes‹, aber abgesehen davon, daß es mir zu pretentiös klingt, könnte es [in Zusammenhang mit der Widmung] zu Deuteleien Anlaß geben, und da ist mir [der] hölzernste Titel lieber, als einer der den Leuten Anlaß zu Fantasien giebt.«86

Die Widmung wirkt sich hier auf die Formulierung des Titels aus – tatsächlich nimmt sie darüber hinaus nicht selten auch Einfluss auf die graphische Gestaltung des Titelblattes. Denn die paratextuellen Elemente eines Werks befruchten sich im Idealfall gegenseitig. Sie dienen dann alle dem Ziel, eine bestimmte Lesart des Werks zu fördern und wirken als Steine eines Mosaiks, die zu einer möglichst konkreten oder assoziativen Darstellung des Werkinhalts zusammengesetzt werden sollen. Durch die Beschränkung der paratextuellen Reflexion auf bestimmte Aspekte einer Komposition kann der erste Zugriff auch bewusst in eine bestimmte Richtung gesteuert werden. Diese Überlegungen betreffen vor allem die verschiedenen Bestandteile des Titelblatts, also Titel, Untertitel, Angaben zu Komponist und Verleger, Opuszahl, evtl. Motti, eine Widmung, die graphische Gestaltung usw.: Durch die prominente Platzierung 84 Neue Berliner Musikzeitung 18/41 (12. Oktober 1864), S. 322. Bürgel widmete später Brahms seine Variationen über ein Original-Thema für Klavier zu vier Händen op. 30. 85 S. o., S. 34. 86 Joseph Joachim an Gisela v. Arnim, 11. Januar 1854, zit. n. Joachim-BW I, S. 145f. Die endgültige Formulierung lautete: »Drei Stücke für Violine und Pianoforte komponiert und Frl. Gisela von Arnim gewidmet von Jos. Joachim«. Tatsächlich kursierten 1853 Gerüchte über eine mögliche Verlobung Joachims mit Gisela von Arnim, denen Joachim auch mit der Integration einer »F.A.E.«-Motivik (»Frei aber einsam«) in die Gisela gewidmeten Stücke begegnete (vgl. Joachim an Robert Schumann, 29. November 1853, Joachim-BW I, S. 109). Die Stücke waren in den Augen seiner Bekannten so eng mit Gisela verbunden, dass Franz Liszt sie sogar als »Gisellen« bezeichnete (vgl. Liszt an Joachim, 28. März 1854, JoachimBW I, S. 178). Gisela von Arnim heiratete 1859 Herman Grimm, dem Joachim 1855 die Variationen für Viola op. 10 gewidmet hatte.

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wirkt das Titelblatt als »Portal«87, durch das der Rezensent auf ein Werk aufmerksam gemacht werden soll. Auf seine aussagekräftige Gestaltung wird deswegen besonderes Augenmerk gelegt. Die Planung eines optisch ansprechenden Titelblattes liegt nun allerdings nicht, wie beim Notentext, allein in der Verantwortung des jeweiligen Künstlers. Denn die Werbung möglicher Käufer fällt in das Interessengebiet des Verlegers, der merkantile Aspekt steht für ihn im Vordergrund. Es gilt also, einen Kompromiss zwischen den künstlerischen Vorstellungen des Komponisten und den teils anders gelagerten Interessen des Verlegers herzustellen. Und auch, wenn im Einzelfall nicht klar zu entscheiden ist, auf wessen Initiative die Gestaltung eines Titelblattes zurückgeht, ist davon auszugehen, dass Verleger und Komponist im Regelfall in Austausch standen. Den Komponisten war jedenfalls daran gelegen, über das Titelblatt Hinweise auf den musikalischen Gehalt des Werks zu transportieren. Brahms hatte so konkrete Vorstellungen hinsichtlich der Ausgestaltung des Titelblatts seiner Variationen über ein Thema von Robert Schumann op. 23: »Da in diesem Falle nun wohl bei der Komposition des Titelblattes Rücksicht darauf genommen wird, so wollte ich gebeten haben, daß eine zu düstre Färbung vermieden werde. Die Melodie klingt sanft und leise, wie ein freundlicher Abschiedsgruß; also möge der Titel möglichst zart, ruhig und einfach gehalten sein.«88

Wie aber nun konkret über den Peritext Widmung und eine planvoll korrespondierende graphische Gestaltung des Titelblattes Hinweise auf den Werkinhalt, auf Inspirationsquellen und Vorbilder transportiert werden konnten, sei am Beispiel einiger Titelblätter aus dem Umfeld der Brahms dedizierten Kompositionen gezeigt. Das Element der Widmung hat in diesen Fällen auch eine sinnstiftende Funktion – erst durch ihren Text und das Zusammenspiel mit den Informationen der anderen peritextuellen Elemente werden die Ausgestaltung des Titelblatts und teilweise auch der Titel selber verständlich. Verschiedene Herangehensweisen sind auszumachen. Clarence Lucas widmete Brahms 1897 sein Praeludium et fuga für Klavier op. 32. Die Gesamtheit aller Elemente des Titelblatts evoziert eine Trauersituation – Schriftart und Anordnung sowie die lateinische Formulierung des kompletten Textes weisen deutliche Ähnlichkeit mit der Gestaltung eines Grabsteines auf. Die Einfachheit und Strenge des Blattaufbaus unterstützen diesen Eindruck, auf graphische Elemente wird vollkommen verzichtet: Auf inhaltlicher Ebene korrespondiert die Anlage mit der Strenge der Gattung der Fuge. Auch das Motto – »ad astra per aspera« – weist auf die grundlegende Anlage des Werks hin, selbst wenn diese 87 Vgl. zur Metaphorik der »Tür«, der räumlichen Übergangszone, durch die der Leser mit der Rezeption der Paratexte auf dem Weg zum Werk schreitet, v. a. Wirth, Paratext und Text, S. 171ff. 88 Brahms an Rieter-Biedermann, [5. Juli 1862], BW XIV, S. 73.

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durch den in piano und in cis–Moll gehaltenen Schluss bewusst gebrochen wird. Sinnstiftend wirkt aber vor allem der Widmungstext: »In Memoriam IOANNES BRAHMS. Obiit MDCCCDXCVII A. D.« Der Tod des Widmungsträgers und das Andenken an ihn lassen die Atmosphäre der Trauer in neuem Licht erscheinen, auch dem Motto wird eine neue Bedeutungsnuance verliehen. »Ad astra per aspera«: Durch die Widmung wird zum einen die Hoffnung auf ein Leben im Jenseits für den Verstorbenen ausgedrückt. Zum anderen kann sie als Verweis auf die Bedeutung seines kompositorischen Schaffens dienen, indem er über das Zitat in die Nachfolge Beethovens gestellt wird – gleichzeitig eine ästhetische Positionierung. Der heute vollkommen unbekannte J. H. Wallfisch, von dem nicht einmal der Vorname sicher festgestellt werden kann, widmete Brahms seine Neuen Ungarischen Tänze »im Andenken«.89 Der Titel erhält seinen Sinn wiederum durch die Widmung. Denn durch sie wird unmissverständlich deutlich, in welcher Tradition sich Wallfisch bewegt: Das »Neu« wird erst in seiner Eigenschaft als intertextueller Verweis auf die Vorgängerkompositionen des Widmungsträgers Brahms verständlich. Dieser Bezugsrahmen wird durch das prominent platzierte Foto von Brahms noch verstärkt – deutlich kommt in der ikonographischen Verwertung des Widmungsträgers das merkantil motivierte Denken des werbenden Verlegers und Komponisten zum Tragen. Dass allerdings nicht immer eine Dedikation notwendig war, um die eigene Komposition über die Gestaltung der paratextuellen Elemente des Titelblatts in den Kontext des Werks eines anderen Komponisten zu stellen, zeigt das Beispiel Imre Alföldys. Die Formulierung des Titels (Die berühmten ungarischen Tänze für Klavier) gibt den entscheidenden Hinweis auf die Ungarischen Tänze WoO 1 von Brahms als Bezugspunkt. Die Verbindung über den Titelhinweis wurde als so deutlich aufgefasst, dass die direkte Nennung des Bezugsrahmens gar nicht notwendig war. Konkretisiert wurde der Titelverweis spätestens in der Übersicht des Heftinhalts: Alföldy wählte nur solche Melodien, die bereits Brahms als Grundlage seiner Ungarischen Tänze verwendet hatte. Im Peritext des Vorworts90 lässt sich schließlich nachvollziehen, dass Alföldy sich kompositorisch jedoch von seinem berühmten Vorgänger abzusetzen suchte – der bewusste Verzicht auf eine Widmung wird damit im Nachhinein verständlich. Schon früh war die Widmung als Ort der Mitteilung werkrelevanter Informationen eingesetzt worden. Doch was sich früher in ausführlichen Briefen an die (meist adligen) Widmungsträger äußerte, in denen die Vorzüge der 89 Wann sie genau erschienen sind, war nicht zu eruieren. Da die Tänze keine Opuszahl tragen, war auch keine Einordnung über wenige andere Wallfisch zuzuschreibende Kompositionen, deren Erscheinungsdatum über Hofmeister’s Monatsberichte näher eingegrenzt werden kann, möglich. 90 Vgl. zur Widmung näher IV. 2. 3 Ungarisches Kolorit, bes. ab S. 338.

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J. H. Wallfisch, Neue Ungarische Tänze, Berlin 1897, Titelblatt

Komposition gepriesen wurden91, hat im 19. Jahrhundert eine völlig neue Qualität: In der Kürze des Textes wird der Name des Adressaten zum Hauptinformationsträger. Dieser Wandel kann zeitlich in etwa in Übereinstimmung 91 Vgl. z. B. die ausführlichen Widmungsbriefe von Heinrich Schütz. Im Kapitel II. 4 Der Widmungstext als Informationsträger wird genauer auf den Gehalt und Wandel dieses Peritextes eingegangen.

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Theoretische und historische Grundlegungen

Imre Alföldy, Die berühmten ungarischen Tänze, Berlin 1879, Titelblatt

gebracht werden mit einem fundamentalen Wandel des Widmungswesens, der mit Ausgang des 18. Jahrhunderts einsetzt.92 War vorher die Widmung vor allem ein Weg zur Beschaffung finanzieller Mittel, bekommt sie mit der zunehmenden Loslösung und Unabhängigkeit der Komponisten vom Hof ein 92 An dieser Stelle kann der Wandel nur grob skizziert werden, eine ausführlichere Betrachtung erfolgt im Kapitel I. 2. 3 dieser Arbeit.

Die Widmung als Forschungsgegenstand

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stärker persönliches Moment. Die Zueignung eines Werks wird nun in dem Bewusstsein vorgenommen, es in den Augen der Öffentlichkeit auf immer mit einer bestimmten Person zu verbinden. Die Auswahl des Adressaten, bzw. eines Widmungswerks für einen bestimmten Adressaten, wurde deswegen genau durchdacht. Es ist diese starke Reflexion, die vermuten lässt, dass in den meisten Fällen ein (wie auch immer gearteter) Bezug des Werks zum Empfänger der Widmung vorhanden war. Deswegen fiel auch die Entscheidung, den Widmungsempfänger im Druck zu veröffentlichen, oder aber »privat« zu halten sehr bewusst. So widmete Brahms dem Klarinettisten Richard Mühlfeld seine Klarinettensonaten op. 120 eben nicht im Druck, sondern nur handschriftlich im Autograph. Dem Komponisten war klar, dass die Veröffentlichung einer Widmung dem Publikum einen hermeneutischen Schlüssel zum Werk gab, denn sie konnte möglicherweise die Antwort geben auf eine von Schleiermacher formulierte Frage: »Es fragt sich, wie ist der Verf. zu dem Gedanken gekommen, woraus das Ganze sich entwickelt, d. h. welche Beziehung hat es zu seinem ganzen Leben und wie verhält sich der Entstehungsmoment in Verbindung mit allen andern Lebensmomenten des Verfassers?«93

Diese Arbeit möchte also die Widmung zur Beantwortung einer neuen Fragestellung nutzen: Der Widmungstext wird in seiner paratextuellen Beschaffenheit und in der Funktion einer »Schwelle« zum eigentlichen Kerntext als Spur und Hinweis auf integrierte Bezugnahmen verstanden. Dies nicht im Sinn eines poststrukturalistischen Intertextualitätsbegriffs, sondern vielmehr im strukturalistisch-hermeneutischen Sinn der Schleiermacher-Nachfolge. Gleichzeitig wird die rein strukturalistisch-hermeneutische Aufdeckung intertextueller Bezüge allerdings überwunden: Im doppelten Rückschluss wird aus dem Widmungstext auf einen im Notentext gespiegelten intertextuellen Brahms-Bezug geschlossen, dessen Entschlüsselung wiederum zum Verständnis der BrahmsRezeption durch zeitgenössische Komponisten beitragen soll. Die Paratextforschung wird damit in mehrfacher Weise nutzbar gemacht: für biographische sowie für rezeptionshistorische und analytische Ergebnisse.

93 Schleiermacher, Hermeneutik und Kritik, S. 156.

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2.

Theoretische und historische Grundlegungen

Zum Form- und Funktionswandel der Widmung musikalischer Werke

Eigentlich ist die Tradition der Widmung94 ein in der Antike wurzelndes religiöses Phänomen: Die ursprüngliche, heute als Synonym zum Begriff der Widmung verwendete Bezeichnung ›Dedikation‹ ist etymologisch abzuleiten vom spätlateinischen de¯dicare¯, Kompositum aus dicare (kundgeben, weihen) und de- als Intensivum von dicere (reden, sagen).95 Ausgedrückt wurde die »Widmung eines Gebäudes oder eines Gegenstandes an eine Gottheit oder eine gottähnliche Person«96 – noch im 16. Jahrhundert wird im englischen Sprachgebrauch der religiöse Begriff »to consecrate« als Alternativbezeichnung zum (üblicheren) »to dedicate« verwendet.97 Eine Widmung ist ursprünglich also eine Opfergabe, eine religiöse Handlung, die auch von der jüdischen und christlichen Religion übernommen wurde. In der Bibel sind in Gleichnissen einige Beispiele wie die Opferung Isaaks durch seinen Vater98 überliefert: Der wertvollste Besitz wird durch den Gläubigen Gott geweiht – gewidmet –, um die eigene Wertschätzung und Ehrfurcht auszudrücken. Die Vorstellung, dass Gottheiten für Schutz und Segnung im Gegenzug Opfer dargebracht werden müssen, lässt sich als System von Gabe und Gegengabe, Hilfestellung und Entlohnung99 auch auf den weltlichen Lebensbereich anwenden. Das Konzept wurde folgerichtig bereits in der griechischen Antike übertragen: Noch ohne konkrete Benennung als Widmung oder Dedikation stellten Autoren wie Hesiod (7. Jh. v. Chr.) oder Archimedes (3. Jh. v. Chr.) ihren Werken Grußworte in Form eines Briefes voran.100 Die Adressaten sind meist Freunde, die auch um Kritik des vorliegenden Werks gebeten werden. 94 Um die Gegebenheiten und Besonderheiten der Widmung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts richtig einschätzen zu können, ist die Kenntnis ihrer Voraussetzungen und damit ihrer historischen Entwicklung unumgänglich. Doch der kursorische Überblick über ein so komplexes Phänomen bedarf der Beschränkung. Deswegen soll in diesem Rahmen das Augenmerk hauptsächlich auf die in der vorliegenden Arbeit untersuchte Kategorie der im Erstdruck mitgeteilten Zueignung musikalischer Werke gelegt werden. 95 Friedrich Kluge: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, bearb. v. Elmar Seebold, 23., erw. Aufl., Berlin u. New York 1995, S. 165. 96 Wolfgang Leiner : Art. »Dedikation«, in: Historisches Wörterbuch der Rhetorik, Bd. 2, hg. v. Gert Ueding, Tübingen 1994, S. 452–457, hier S. 452. 97 Adrian Room: Bloomsbury Dictionary of Dedications, London 1990, S. xi. Auch im heutigen Sprachgebrauch wird »to consecrate« im religiösen Kontext noch mit der Hauptbedeutung »weihen« oder »heiligen« verwendet. 98 Gen 22,1–19. 99 Vgl. zur Anwendung dieses Konzepts noch im 19. Jahrhundert das Kapitel II. 3. 1 dieser Arbeit. 100 Vgl. zur Entwicklung der Widmung in der Antike u. a. Christian Schöffel: Martial, Buch 8. Einleitung, Text, Übersetzung, Kommentar (= Palingenesia, Bd. 77), Stuttgart 2002.

Zum Form- und Funktionswandel der Widmung musikalischer Werke

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Bereits zwischen dem 1. Jh. v. Chr. und dem 1. Jh. n. Chr. bildet sich neben der Adressierung an Freunde und Gleichgesinnte aber auch die später so wichtige Gönnerwidmung heraus: In der Hoffnung auf finanzielle und ideelle Unterstützung werden meist adligen Förderern und einflussreichen Politikern Werke zugeeignet. Heute wird als Inbegriff der Kunstförderung jener Epoche Gaius Cilnius Maecenas (ca. 70–8 v. Chr.), der Namensgeber des Mäzens und des Mäzenatentums, verstanden. Der Begriff des Mäzenatentums ist über seine Person unter anderem rekurrierend auf das Widmungswesen entstanden, Maecenas gilt als Archetyp des Adressaten, der für empfangene Zueignungen eine finanzielle oder materielle Belohnung zahlte.101 Wie fest sich das einstmals religiöse Konzept in der Folgezeit in der säkularen Lebenswelt verankert, ist auch an der Herausbildung eines weltlichen Synonyms zum religiösen Begriff der Dedikation zu sehen – das später umgekehrt in den religiösen Bereich übernommen wird: Noch vor dem 9. Jahrhundert taucht im deutschen Sprachgebrauch der Begriff »widmen« in der Ursprungsbedeutung »mit einer Schenkung ausstatten« in der Literatur auf.102 Im Spätmittelalter bildet sich in synonymer Bedeutung zusätzlich das Kompositum »zueignen« in seiner Ursprungsform »ze eigen geben« heraus.103

2.1

Die Widmung in der Frühzeit des Notendrucks: Aufstieg der Gönnerwidmung

Neu ist die Praxis der Widmung zum Zeitpunkt der Erfindung des Buch- und Notendrucks also nicht, wird sie doch seit Jahrhunderten im Rahmen von 101 Nachdem Horaz 35 v. Chr. Maecenas sein erstes Satirenbuch gewidmet hatte, schenkte dieser ihm ca. 33 v. Chr. »gleichsam als Gegengeschenk für die Widmung« ein Gut in den Sabiner Bergen. Vgl. Q. Horatius Flaccus: Satiren, erkl. von A. Kießling, 7. Aufl. hg. v. R. Heinze, Berlin 1959, S. 297. Der Begriff des ›Mäzenatentums‹ wird angelehnt an diesen Urtypus der Kunstförderung seit dem 16. Jahrhundert als Bezeichnung des kunstfördernden Gönnertums verwendet, vgl. Kluge, Etymologisches Wörterbuch, S. 548. 102 Kluge, Etymologisches Wörterbuch, S. 889: »(< 9. Jh.). Mhd. widemen, ahd. widamen ›ausstatten‹ zu ahd. widamo ›Aussteuer‹. […] Ausgangsbedeutung ist also ›mit einer Schenkung ausstatten, mitgeben‹.« 103 Deutsches Wörterbuch, Bd. XVI, begründet von Jakob und Wilhelm Grimm, Leipzig 1974, Sp. 334. Ursprünglich in der Bedeutung einer rechtskräftigen, eindeutigen Überweisung von Besitz wird es schon früh auch in der Bedeutung von weihen, »etwas der Gottheit, ihrem Heiligthum oder Dienst förmlich übergeben« (ebd.) verwendet. Der Terminus »zueignen« nimmt also in seiner Übertragung vom weltlichen in den religiösen Bereich genau den umgekehrten Weg wie sein heutiges Synonym »dedizieren«. Nach Grimms Wörterbuch nimmt die Verwendung ab der Mitte des 19. Jahrhunderts in der Bedeutung »widmen« ab (ebd., Sp. 337). In den Widmungstexten an Brahms lässt sich diese Tendenz allerdings nicht ohne weiteres ablesen; immerhin wird eine Form von »zueignen« in einem Viertel der Fälle, nämlich 23 Mal, verwendet.

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Theoretische und historische Grundlegungen

handschriftlichen Zueignungen eines Manuskripts verwendet. Deswegen ist es nur folgerichtig, dass ihr schon in der Frühzeit des Musikdrucks eine wichtige Rolle zukam. Während allerdings im Bereich der Literatur die humanistische Freundschaftswidmung an Gleichgesinnte im Rückgriff auf antikes Gedankengut einen erneuten Aufschwung erfährt, wird bei Kompositionen ganz im Sinn des Mäzenatentums bevorzugt die Möglichkeit genutzt, durch Dedikationen an Gönner die eigene Arbeit finanziell abzusichern. Die Entlohnung konnte dabei sowohl Folge als auch Voraussetzung einer Widmung sein. Einerseits konnte der Widmende nach Annahme der Dedikation auf ein Geschenk des Adressaten als Entlohnung für die erwiesene Ehre hoffen. Diese materielle Remuneration war zwar nicht vorgeschrieben, ist aber insgesamt als üblich zu bezeichnen. So erhielt der venezianische Priester und Komponist Marc’ Antonio Mazzone (1556–1626), nach der Bitte um die Erlaubnis, sein Primo libro delle canzoni a quattro voci (1591) Herzog Vincenzo Gonzaga104 widmen zu dürfen, 28 Scudi, um die entstandenen Druckkosten zu decken.105 Doch mussten die erwarteten Vorteile nicht in jedem Fall finanzieller Art sein: Auch ideelle Förderung, die Erwartung allgemeiner Protektion etwa, die erhoffte Empfehlung an potentielle Arbeitgeber oder die Verbindung des Werks mit einem berühmten Namen als Werbung und zum Schutz desselben106 sind häufige Widmungsgründe. Andererseits ist auch die Zueignung als Dank für bereits erhaltene Hilfestellungen bekannt. Das betrifft bereits den frühesten Druck polyphoner Musik überhaupt: Dem ersten Buch der Harmonice musices odhecaton von 1501 ist sogar eine Doppelwidmung vorangestellt. Sowohl der zuständige Verleger Ottaviano Petrucci107, als auch Gönner Bartolomeo Budrio108 wenden sich in Widmungsbriefen vom 15. Mai 1501 an den venezianischen 104 Vincenzo Gonzaga (1562–1612) war 1587–1612 Herzog von Mantua. Als Förderer der Künste holte er z. B. Claudio Monteverdi und den Maler Rubens an seinen Hof. 105 Vgl. Jane A. Bernstein: Financial Arrangements and the Role of Printer and Composer in Sixteenth-Century Italian Music Printing, in: Acta Musicologica 63/1 (Januar–April 1991), S. 39–56; hier S. 49. 106 Da es kein Urheberrecht gab, war der Nachdruck von Werken, auch in veränderter Form, nicht verboten. Die Widmung an eine hochgestellte Persönlichkeit bot dem Werk insofern Schutz, als zu grobe Entstellungen des Werktexts vom Widmungsträger als Beleidigung seiner Person aufgefasst werden konnten. Deswegen wurden sie meist vermieden. 107 Ottaviano Petrucci (1466–1539) ist der Erfinder des Musikdruckes mit beweglichen Metalllettern und gilt mit dem erwähnten ersten Buch der Harmonice musices odhecaton gemeinhin auch als Begründer des Drucks polyphoner Musik. 108 Bartolomeo Budrio, dessen Leben fast gänzlich im Dunkeln liegt, hat Petrucci wohl den Kontakt zu Donato vermittelt. Anders als oft angenommen, ist Budrio nicht zweiter Widmungsadressat, sondern selber Verfasser eines Briefes, der zwischen Empfehlungs- und Widmungsschreiben angesiedelt ist. Der Text ist in einer englischen Übersetzung wiedergegeben bei Gustav Reese: The first Printed Collection of Part-Music (The Odhecaton), in: The Musical Quarterly 20/1 (Januar 1934), S. 39–76, hier S. 50f.

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Patrizier und Diplomaten Girolamo Donato (1457–1511), der durch finanzielle Unterstützung die Entwicklung der neuartigen Drucktechnik und damit den Druck der Harmonices ermöglicht hatte. Beide Widmungstexte sind, wie im 16. Jahrhundert üblich, in lateinischer Sprache verfasst und nach allen Regeln rhetorischer Kunst gestaltet. Der Dank für die gewährte Hilfe ist hauptsächlicher inhaltlicher Topos – in der ersten Widmung eines gedruckten Musikwerks wird damit eine Widmungsfunktion aufgezeigt, die sich in unterschiedlichen Ausprägungen von den ersten religiösen Dankopfern bis über die Zueignungen an Brahms hinaus als wichtig erweisen wird. Die Nutzung der Widmung zur Finanzierung eines Drucks und die üblichen Umstände der Veröffentlichung von Kompositionen spiegeln sich in der Frühzeit des Notendrucks in einem erweiterten Personenkreis, der für die Zueignung verantwortlich zeichnen konnte. Anders als in späteren Zeiten hatte im 16. Jahrhundert üblicherweise nicht allein der Komponist das Privileg, sein Werk einem Gönner zuzueignen. Die Widmung nahm vielmehr grundsätzlich derjenige vor, der das finanzielle Risiko der Drucklegung trug109, im Fall des Sammeldrucks Harmonice musices odhecaton I also der Verleger Ottaviano Petrucci. Aber auch Bearbeiter und anderweitig mit dem Druck verbundene Personen hatten das Recht zu widmen. Wenn in der Frühzeit des Drucks musikalischer Werke der Komponist gleichzeitig als Aussteller einer Widmung fungierte, handelte es sich dementsprechend meist um sogenannte ›Kommissionsdrucke‹, die vom Autor in finanzieller Selbstverantwortung veröffentlicht wurden. Trotzdem erhofften auch sie sich nicht nur Unterstützung finanzieller oder materieller Art: Palestrinas Dedikation des Missarum Liber Secundus (1567) an den spanischen König Philipp II. kann durchaus auch als kirchenpolitische Positionierung verstanden werden110, während Claudio Monteverdis erstes Madrigalbuch (1587) wohl in der Absicht, Eingang in politisch einflussreiche Kreise der Veroneser Gesellschaft zu gewinnen, an Marco Verit—111 adressiert ist. Der Kreis potenzieller Widmender ist allerdings nur während einer recht kurze Episode derart umfassend. Bereits um 1530/1540 beginnt die Bedeutung der Verlegerwidmung zu schwinden und wird zunehmend von der bis zur Gegenwart üblichen Komponistendedikation verdrängt. Zum einen liegt 109 Vgl. Bernstein, Financial Arrangements, v. a. S. 45. 110 Es ist anzunehmen, dass Palestrina die Widmung in der Hoffnung auf eine Stellung am spanischen Hof vornahm, doch ist die Wahl des Widmungsträgers der vier- bis sechsstimmigen Messen auch in ihrer möglichen Verortung im kirchenpolitischen Kontext interessant: Philipp II. hatte sich besonders in der Schlussphase des Tridentinischen Konzils zugunsten der polyphonen Musik eingesetzt. Vgl. Michael Heinemann: Giovanni Pierluigi Palestrina und seine Zeit, Laaber 1994, S. 71. 111 Graf Marco Verit— aus Verona war bekannter musikalischer Patron seiner Heimatstadt und ist der erste Widmungsträger eines Werks von Monteverdi außerhalb seiner Heimat Cremona.

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Theoretische und historische Grundlegungen

dies an der Zunahme von Individualdrucken, die vom Komponisten initiiert und finanziert wurden112, zum anderen ist es der Ausdruck eines neuen kompositorischen Selbstverständnisses: Der Drucker wird nicht mehr als – handwerklicher – Urheber der Veröffentlichung angesehen, der Verleger gilt nicht mehr als alleiniger Eigentümer des Werks. Beide Rollen übernimmt der zunehmend aus der Anonymität heraustretende Komponist als kreativer Schöpfer der Werke.113 Doch auch der Kreis möglicher Adressaten ist im 16. Jahrhundert weit gefasst. In späteren Jahrhunderten wegen des Exklusivitätsanspruchs unmöglich, konnte in dieser Periode ein Werk nicht nur mehrere Widmungen an einen Adressaten beinhalten114, sondern auch parallel Zueignungen an verschiedene Personen tragen. Es sind allerdings Ausnahmefälle, bei denen genau Wichtigkeit und sozialer Stand der Adressaten unterschieden wurden. Ein Beispiel ist Homerus Herpols Novum et insigne opus musicum, in quo textus Evangelium totus anni […] exprimitur (Nürnberg 1565). Der erste Adressat, Otto Truchsess von Waldburg (1514–1573), Kardinal und Bischof von Augsburg, ist finanzieller Unterstützer des Druckes, während der zweite Adressat, Johann Egolf von Knöringen115, wohl den Kontakt zum Verleger, aber auch zwischen dem Komponisten und dem späteren Gönner von Waldburg hergestellt hatte.116 Schon in der Anfangszeit des Notendrucks stellte die Widmung musikalischer Werke jedenfalls nicht die Ausnahme, sondern viel eher die Regel dar. »Dedications become the norm«117, das Phänomen wird zur Institution – dies ist auch an der schon in der Frühzeit einsetzenden Konventionalisierung der Abläufe anlässlich eines Widmungsaktes erkennbar, die bis in die Brahms-Zeit gültig sind.118 So musste der Widmende beim Adressaten die Erlaubnis zur Dedikation einholen, dieser hatte damit die Möglichkeit, unangebrachte Zueignungen abzulehnen. Sogar der Text der zu veröffentlichenden Widmung musste im Vorhinein genehmigt werden.119 Dadurch war gewährleistet, dass der 112 Vgl. Demmy Verbeke: »Ergo cape et canta sanctos quos fecimus hymnos«. Preliminaries in sixteenth-century motet editions by composers from the low countries, in: Bossuyt u. a., »Cui dono lepidum novum bellum?«, S. 51. 113 Redeker, Lateinische Widmungsvorreden, S. 361. 114 Vgl. die erwähnte Doppelwidmung des Odhecaton musicale I an Girolamo Donato. 115 Johann Egolf von Knöringen (1537–1575), Schüler der Humanisten Glareanus und Johann Hartung und nach dem Tod des Bischofs Otto Truchsess von Waldburg ab 1573 dessen Nachfolger. Vgl. Friedrich Roth: Art. »Johann Egolf von Knöringen«, in: Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 50 (1905), S. 683–684. 116 Vgl. Nele GabriÚls: Reading (between) the lines: what dedications can tell us, in: Bossuyt u. a., »Cui dono lepidum novum bellum?«, S. 78f. 117 Vgl. Thomas Schmidt-Beste: Dedicating Music Manuscripts: On Function and Form of Paratexts in Fifteenth- and Sixteenth-Century Sources, in: Bossuyt u. a., »Cui dono lepidum novum bellum?«, S. 86. 118 Vgl. zur Thematik der Widmung als kommunikativer Akt ausführlich das Kapitel II. 2. 119 Schramm, Widmung, S. 22.

Zum Form- und Funktionswandel der Widmung musikalischer Werke

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Name des Bewidmeten nur mit von ihm genehmigten Werken in Verbindung gebracht wurde. Doch auch bei Annahme der Dedikation war das immer wieder erwähnte Überreichen eines Dankgeschenks keine zu erfüllende Pflicht, sondern blieb Konvention und damit im Grunde freiwillig.

2.2

Kontinuität und Wandel: Die Blütezeit der Gönnerwidmung

Die skizzierte Entwicklung setzte sich in der Folge bruchlos fort. Weiterhin wurden bis auf wenige Ausnahmen120 elaborierte Widmungsbriefe an adlige Gönner gerichtet, nun meist vom Komponisten selber.121 Immer noch spielten Schutz und Förderung, beispielsweise zur Druckfinanzierung, die wichtigste Rolle bei der Auswahl der Adressaten: Heinrich Schütz bedankte sich im Widmungsbrief der Symphoniae Sacrae III bei seinem Dienstherren und Widmungsträger, dem Kurfürsten Johann Georg I. von Sachsen (1585–1656), für »bewilligte gnädigste Mittel wordurch [sic] die Publicirung oder Auslassung meiner Musicalischen Arbeit hinfüro auch weiter gefördert und derer Verlag erleichtert werden kan.«122 Die Widmung eines Werks war, wie schon im 16. Jahrhundert, meist selbstverständlich; es stand für die Komponisten »nicht die Entscheidung, ob sie ihr Werk widmen sollen, sondern die Überlegung, wem sie ihr Werk zuschreiben können […] am Anfang des Dedikationsverfahrens.«123 Ein weiteres Mal sei aus einem Widmungsbrief von Heinrich Schütz zitiert: »Als nach vollbrachter Ausfertigung gegenwärtigen meines geringfügigen doch verhoffentlich wohlnutzbarlichen Werckleins ich meine Gedancken hin und her gerichtet 120 Heinrich Schütz widmete seine Geistliche Chormusik SWV 369–397 dem Bürgermeister und Rat der Stadt Leipzig – auch bei ihm allerdings ein singuläres Ereignis. Bei anderen Komponisten, wie z. B. Michael Praetorius, ist sogar überhaupt keine Widmung an Bürgerliche bekannt. Vgl. Walter Engelhardt (Bearb.): Generalregister (= Gesamtausgabe der musikalischen Werke von Michael Praetorius, Bd. 21), Wolfenbüttel u. Berlin 1960, S. 121. 121 Einschränkungen gibt es allerdings noch bis mindestens zum Ende des 18. Jahrhunderts: Ignaz Pleyel richtete beispielsweise die Widmung eines Drucks Haydn’scher Streichquartette an Napoleon. Und noch 1784 eignete der Verleger Christoph Torricella die Erstausgabe von Wolfgang Amadeus Mozarts KV 333 (315c) etc. Therese Johanne Gräfin von Cobenzl, geb. Gräfin de Montelabate (1755 bis nach 1794) zu. Die Adressatin der ebenfalls vom Verleger verantworteten Zueignung des Erstdrucks von Mozarts KV 265 (300e) war 1785 Josepha Auernhammer (1758–1820). Vgl. Gertraut Haberkamp: Die Erstdrucke der Werke von Wolfgang Amadeus Mozart. Textband (= Musikbibliographische Arbeiten, Bd. 10/I), Tutzing 1986, S. 41. 122 Zit. n. Erich H. Müller : Heinrich Schütz. Gesammelte Briefe und Schriften, Regensburg [1930], S. 201–204. 123 Schramm, Widmung, S. 17. Die hier in Bezug auf literarische Werke getroffene Aussage lässt sich in vergleichbarem Maß auch auf Drucke von Kompositionen beziehen.

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Theoretische und historische Grundlegungen

und bey mir erwogen weme solche meine eigentlich zu dem Chor gerichtete Arbeit ich dediciren und zuschreiben möchte habe ich nach gehaltener meines Gemüthes Berathschlagung endlichen doch befunden daß sie niemandten billicher als meinen Hoch- und Vielgünstigen Herren zu offeriren mir gebühren wollen.«124

Obwohl Schütz seine Geistliche Chormusik SWV 369–397 als »eigentlich zu dem Chor gerichtete Arbeit« verstand, war die Widmung an einen anderen Adressaten – der indirekt natürlich trotzdem mit dem hier angesprochenen Thomanerchor aus Leipzig in Verbindung stand – selbstverständlich und unproblematisch. An der Formulierung wird deutlich, dass die Person des Auftraggebers oder Inspirators und des Widmungsträgers nicht in jedem Fall zusammenfallen mussten. »Komponiert für« heißt im Kontext des 17. Jahrhunderts nicht automatisch »gewidmet«, der Widmungsträger musste umgekehrt nicht der Initiator oder Inspirator des ihm zugeeigneten Werks sein. Falls beide Personen zusammenfielen, wurde dies oft durch eine entsprechende Formulierung angedeutet. Die später u. a. bei Beethoven125 übliche Widmungsformulierung »compos¦e et dedi¦e« hat also einen historischen Hintergrund: Sie rührt aus einer Zeit der oftmals pragmatischen Gönnerwidmung, in der Komposition und Dedikation noch stärker getrennt waren. Es wird zu zeigen sein, dass sich diese Einstellung in der Folgezeit umfassend ändert. Neben diesen Konstanten hatte sich eine grundlegende Veränderung schon zu Beginn des neuen Jahrhunderts durchgesetzt: Der bislang meist lateinische Widmungstext126 wurde nun in der jeweiligen Landessprache verfasst. Die früheste bekannte volkssprachliche Widmungsabhandlung stammt freilich bereits aus dem 16. Jahrhundert, es ist die 1536 erschienene italienische Dedikation von Adrian Willaerts Liber quinque missarum an Alessandro de’ Medici, Fürst von Florenz (1510–1537).127 Zu dieser Zeit noch absolute Ausnahme, beginnt sich die volkssprachliche Widmung im Laufe des 16. und beginnenden 17. Jahrhunderts zumindest für weltliche Musikdrucke durchzusetzen, auch Monteverdis schon 124 Widmungstext der Geistlichen Chormusik SWV 369–397 an den Rat der Stadt Leipzig. Zit. n. Müller, Schütz-Briefe, S. 190–192. 125 Ein Beispiel ist die 4. Sinfonie B-Dur op. 60, »compos¦e et d¦di¦e — Monsr. le Comte d’Oppersdorff par LOUIS van BEETHOVEN«. 126 Latein wurde in den vorangegangenen Jahrhunderten als lingua franca besonders in der offiziellen Kommunikation (dazu zählte auch die Widmung) mit höhergestellten Personen als die übliche Sprache angesehen. Auch hier bestätigen jedoch Ausnahmen die Regel. Antonio Gardanos Widmungsbrief der 1566 erschienenen Sammlung Di Cipriano de Rore il quinto libro di madrigali a cinque voci an Herzog Ottavio Farnese ist z. B. auf Italienisch verfasst. 127 Die Widmung ist nicht von Willaert selbst, sondern vom verantwortlichen Verleger Francesco Marcolini da Forl‡. Sie ist zit. in Franz Xaver Haberl: Messen Adrian Willaert’s, gedruckt von Franc. Marcolini da Forli, in: Monatshefte für Musikgeschichte III/6 (1871), hg. v. der Gesellschaft für Musikforschung, S. 82f.

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erwähnter Widmungsbrief zum ersten Madrigalbuch an Marco Verit— erschien auf Italienisch.128 Zu Beginn des 17. Jahrhunderts ist die Verwendung der Muttersprache in den meisten Fällen zur Norm geworden, für Heinrich Schütz war deutsch die übliche Sprache der Widmungsbriefe: Nach seinem ersten Werk im Druck, den Italienischen Madrigalen SWV 1–19, deren Widmung an Landgraf Moritz von Hessen-Kassel, passend zum Ausstellungsort Venedig, auf Italienisch verfasst ist, ist nur eine einzige Ausnahme bekannt. Es sind die lateinischen Motetten Cantiones Sacrae SWV 53–93, die, korrespondierend zur Gattung, dem Fürsten Hans Ulrich von Eggenberg129 mit lateinischem Text dediziert sind. Auch sonst wurde die Sprache oft in Abhängigkeit vom Inhalt der Komposition gewählt. Michael Praetorius verfasste dementsprechend lateinische Zueignungen für die fünf Ausgaben seiner lateinischen Psalmen, Motetten, Messen, Hymnen, Gesänge und Magnifikats. Bei seinen Werken in deutscher Sprache, z. B. den neun Teilen der Musae Sioniae: Deudsche [sic] Psalmen und geistliche Lieder, sind dagegen grundsätzlich auch die Dedikationen auf Deutsch gehalten.130 Johann Sebastian Bach ist in seinen Widmungsgepflogenheiten ebenfalls der Gönnerwidmung verpflichtet. Anders als die Generation seiner Kinder steht er noch ganz in der Widmungstradition des 17. Jahrhunderts. Werke wie die Kunst der Fuge BWV 1080 (Adressat: König Friedrich der Große) oder die Brandenburgischen Konzerte BWV 1046–1051 (an Christian Ludwig, Markgraf von Brandenburg) tragen Widmungen an hochgestellte Persönlichkeiten, von denen sich Bach durchaus einen Vorteil erhoffte: »Im übrigen, mein Gnädigster Herr, bitte ich Eure Königliche Hoheit untertänigst, die Güte haben zu wollen, mir weiterhin wohl beigetan zu sein […]«.131 Die Auswahl seiner Widmungsadressaten lässt keine zeituntypischen Besonderheiten erkennen. Die Empfänger sind, wie seit langem üblich, fürstliche Auftraggeber und Dienstherren, denen Bach zu Dank verpflichtet war. Einzig die geringe Anzahl seiner Widmungen ist 128 Allein bei Drucken von Messen war dagegen auch nach 1650 der Widmungstext meist auf Latein abgefasst, vgl. Redeker, Lateinische Widmungsvorreden, S. 1. 129 Hans Ulrich von Eggenberg (1568–1634) war Hofkammerpräsident und Ratgeber Ferdinands II. und damit einer der einflussreichsten Männer am kaiserlichen Hof in Wien. Der Widmungsbrief ist abgedruckt in Müller, Schütz-Briefe, S. 75–77. 130 Vgl. den lateinischen Widmungsbrief des Musarum Sioniar: Motectae et Psalmi Latini (1607) an Heinrich Julius. Die deutschen Widmungsbriefe der ersten vier Teile der Musae Sioniae: Deudsche Psalmen und geistliche Lieder gehen an: Elisabeth, Herzogin zu Braunschweig und Lüneburg (1. Teil, 1605); Hedwig, Herzogin und Kurfürstin zu Sachsen (2. Teil, 1607); Ernst, Graf zu Holstein, Schaumburg und Sterneberg (3. Teil, 1607); Friedrich, Pfalzgraf bei Rhein (4. Teil, 1607). Es wurden die Digitalisate der Exemplare der Königlichen Bibliothek, Kopenhagen unter http://www.kb.dk/en/nb/samling/ma/digmus/ pre1700_indices/ praetorius.html eingesehen (letzter Zugriff am 16. November 2011). 131 Aus dem Widmungsbrief der Brandenburgischen Konzerte an Christian Ludwig, Markgraf von Brandenburg vom 24. März 1721.

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Theoretische und historische Grundlegungen

ungewöhnlich. Dass Bach nur so wenige seiner Kompositionen mit einer Dedikation versah, hängt mit seinem Selbstverständnis als kirchlicher Komponist zu Ehren Gottes132, aber auch seiner jeweiligen Anstellung zusammen. Nicht von ungefähr sind die wenigen einer bestimmten Person zugeeigneten Kompositionen weltlichen Charakters und außerhalb einer dienstlichen Verpflichtung entstanden. Zusätzlich war für Bach als Thomaskantor Kirchenmusik Gebrauchsmusik – bestimmt für die einmalige Nutzung, weswegen ihm auch die Wiederverwendung musikalischen Materials unproblematisch erschien.133 Eine für die Ewigkeit bestimmte Widmung wird dadurch freilich sinnlos. Dies ist durchaus eine neue Entwicklung, man denke an Komponisten wie Heinrich Schütz oder Michael Praetorius, die gerade für ihre geistlichen Werke einen Widmungsadressaten suchten. In diesem Fall standen die Kompositionen allerdings ohne konkreten Bezug zu einem bestimmten Gottesdienst oder anderen kirchlichen Ereignis.

2.3

Abkehr von der Gönnerwidmung und Neubesinnung auf alte Werte

Christoph Wolff merkt in seiner einschlägigen Bach-Monographie an, es sei einem Hofmusiker im 18. Jahrhundert nur mit Zustimmung seines fürstlichen Dienstherren möglich gewesen, einen anderen Widmungsadressaten für eines seiner Werke zu wählen.134 Doch diese These verallgemeinert die Gepflogenheiten zu stark. Freilich trifft sie für den Beginn des 18. Jahrhunderts noch zu und ist in bestimmten Fällen sogar noch im 19. Jahrhundert gültig.135 Und doch 132 Die Zueignung geistlicher Werke an Gott musste offensichtlich nicht konkret formuliert werden, sondern war im Werkkontext impliziert. Sie ist in der Signierung der Manuskripte Bachs am Beginn mit »J. J.« (»Jesu Juva«) und am Ende mit »S. D. G.« (»Soli Deo Gloria«) ersichtlich. Die implizite Widmung an Gott ist auch in späterer Zeit bekannt, Anton Bruckner plante seine 9. Sinfonie WAB 109 »Dem lieben Gott« zu widmen. Das Werk blieb durch den Tod Bruckners unvollendet – es wäre von Interesse, ob Bruckner wirklich plante, die Widmung in den Druck aufzunehmen, oder ob sie verschwiegen worden wäre. Obwohl natürlich Sinfonien mit religiösem Rahmen nicht unbekannt sind (die bekannteste ist wohl Mendelssohns »Lobgesang«), ist bislang aus dem 19. Jahrhundert keine Dedikation einer Sinfonie mit einer ausdrücklich an Gott gerichteten Widmung bekannt. 133 Man denke nur an so populäre Beispiele wie den Eingangschor des Bach’schen Weihnachtsoratoriums: Jauchzet, frohlocket ist ursprünglich unter dem Titel Tönet, ihr Pauken Teil des Dramma per Musica Tönet, ihr Pauken! Erschallet, Trompeten! BWV 214. 134 Wolff sieht dies als Hinweis darauf, dass die Brandenburgischen Konzerte BWV 1046–1051, dem Markgrafen von Brandenburg während Bachs Köthener Dienstzeit gewidmet, schon früher entstanden sein müssen, also in ihrer Entstehung nicht in Verbindung mit dem Köthener Fürsten stehen (Christoph Wolff: Johann Sebastian Bach, 2. Aufl., Frankfurt a. M. 2007, S. 254). 135 Joseph Haydn erlangte so erst spät die Erlaubnis, Werke für andere Personen als seinen Arbeitgeber zu komponieren, so Wolfram Steinbeck in der Begrüßung zum Kongress

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beginnt sich die Praxis der Gönnerwidmung im Grunde schon mit der Bach nachfolgenden Generation um 1750 stark zu ändern, als Folge eines tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandels, der Europa im gesamten 18. und beginnenden 19. Jahrhundert ergriff. Vor allem die Herausbildung eines neuen, erstarkten Bürgertums und der Übergang von feudaler zu bürgerlicher Gesellschaft begünstigte die verstärkte Loslösung des kulturellen Lebens vom Hof. Es ist ein Spannungsfeld zwischen der bürgerlichen Forderung nach Partizipation einerseits und dem unter dem Eindruck von politischen Repressionen zunehmenden Rückzug in den Bereich der geschützten Häuslichkeit: Mit der Begründung bürgerlicher Gesangsvereine (z. B. die Singakademie zu Berlin, gegründet 1791) oder Konzertreihen136 und dem sich herausbildenden Hausmusikwesen wuchs das Bedürfnis nach neuen Kompositionen, die im Druck auch für Laien leicht verfügbar waren.137 Mit den neuen Verdienstmöglichkeiten durch das Bürgertum als potentielle Schüler und Käufer der Musikdrucke und einhergehend mit dem neuen bürgerlichen Selbstbewusstsein begann für die Komponisten eine zunehmende ideelle und finanzielle Loslösung von den adligen Dienstherren und Gönnern. Gerade innerhalb der politischen Grenzen der deutschen Staaten wurde diese Entwicklung begünstigt, da sich die neu entstehende Schicht oftmals weniger über Besitz (wie z. B. in England oder Frankreich durchaus üblich) als vielmehr über Bildung, zu der – natürlich – auch die Musikausübung zählte, definierte:

»Widmungen bei Haydn und Beethoven. Personen – Strategien – Praktiken« am 29. September 2011 in Bonn. 136 Vgl. z. B. die 1743 begründete Reihe der Großen Konzerte am Leipziger Gewandhaus, in der bis ins 19. Jahrhundert hinein fast ausschließlich Werke zeitgenössischer Komponisten aufgeführt wurden. 137 Wie sehr sich viele Komponisten und Verlage am Geschmack und Bedarf des bürgerlichen Publikums orientierten, zeigt Axel Beer in seiner Studie Musik zwischen Komponist, Verlag und Publikum. Die Rahmenbedingungen des Musikschaffens in Deutschland im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts, Tutzing 2000. Jan Willem Willems fragt so beim Verlag Bureau de Musique: »Welche Art Werke, gehen in Ihrem Verlag am besten? oder von welcher Musik haben Sie den mehrsten Absatz? wenn ich dies weiß, so kann ich mich im Componiren darnach richten.« (13. Juni 1811, zit. n. ebd., S. 201). Die Verleger baten im Gegenzug die Komponisten immer wieder »machen Sie es nur ja nicht barbarisch schwer« (Carl Friedrich Peters an Louis Spohr, 11. April 1823, ebd., S. 211). Fritz Simrock druckte aus ähnlicher Motivation das Brahms gewidmete Streichquartett op. 34 von Anton†n Dvorˇ‚k nicht. Ein Brief legt nahe, dass Brahms die Ablehnung des Werks (das anschließend bei Schlesinger verlegt wurde) auch auf die von Simrock befürchteten negativen Reaktionen der potentiellen Käufer schiebt: »Haben Sie die Duette von Dvorˇ‚k bloß einzeln herausgegeben? Und die Quartette? Ich kann mir denken, wie genörgelt wurde, und die Leute sollen nur soviel Musik erst in sich haben und schreiben können!« (Brahms an Fritz Simrock, [25. Juni 1878], BW X, S. 77).

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Theoretische und historische Grundlegungen

»Bürgerliches Selbstverständnis und bürgerliches Selbstbewusstsein heißt, gebildet zu sein. Bildung dient dazu, sich abzusetzen: nach ›oben‹ gegen den herrschenden Adel, nach ›unten‹ gegen das nachdrängende Kleinbürgertum.«138

Dieser Entwicklung wurde seitens der Komponisten durch die Dedikation leichterer Gebrauchsmusik an Schüler oder den ›Amateur‹ allgemein139 Rechnung getragen. Abgeschlossen ist der dynamische Prozess allerdings erst weit im 19. Jahrhundert. Die gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen bilden sich auch in einer Tendenz zur Abnahme gewidmeter Werke ab. Dieser Rückgang hängt neben dem skizzierten Wandel auch mit der Kritik am ökonomischen Missbrauch durch die bislang vorherrschende Gönnerwidmung zusammen.140 Ironisch überspitzt thematisierte ein Kolumnist 1820 die zum reinen Bettelbrief verkommene Zueignung: »Hochgeborner, hochgebietender! Gnädiger und – sehr reicher Herr! Der Ehre, Sie zu kennen, habe ich mich nicht zu rühmen, eben so wenig des Glücks, von Ihnen gekannt zu seyn; wohl aber find’ ich ein Vergnügen daran, daß dem so ist, denn nun kann ich um so eher ohne Rückhalt mit Ihnen sprechen und unsere Bekanntschaft damit anfangen: daß ich Sie zu meinem Gönner und Wohlthäter erwähle. Befremdend wird dies Ihnen nicht seyn, denn ich habe eine unendliche Zahl von Vorgängern, nach denen ich mich bilde, und ich hoffe, gleich diesen bald Zeitungs=Notizen verbreiten zu können, welche von Brillant=Ringen, goldenen Dosen und goldenen Münzen sprechen, die mir geschenkt worden sind. Was übrigens den Dedikations=Steckbrief über Dero Person betrifft, so sind wir Schriftsteller gescheidt genug, daß wir, um ein zwanzigseitiges Lob in alle Welt zu schicken, von Jemand nur zu wissen brauchen: er sey reich. Die Neben=Tugenden, als etwa: Weisheit, Gerechtigkeit und Wissenschaftlichkeit, schließen sich von selbst an; wir finden auch alle Lobsprüche, die wir diesen Eigenschaften ertheilen, sogleich bestätigt, wenn wir – die Freigebigkeit nicht vermissen¸ und je leerer unsere Magen, je voller an Tugenden finden wir unsere Gönner.«141

Auf diese (Un-)Sitte reagierend griffen Herrscher und Städte zunehmend sogar zum Verbot, um die Flut der ihnen dedizierten Werke – deren Verfasser eine Entlohnung erwarteten und dementsprechend die Finanzen belasteten – einzudämmen. So auch 1798 der Senat der Stadt Hamburg: 138 Pia Schmid: Zeit des Lesens – Zeit des Fühlens. Anfänge des deutschen Bildungsbürgertums. Ein Lesebuch, Berlin 1985, S. 8. 139 Vgl. die Beispiele von Widmungen musikalischer Werke an den ›Amateur‹ von 1790–1850 bei Green, Dedications and Reception, S. 17. 140 Vgl. Schramm, Widmung, S. 608. Die Aussage ist bezogen auf literarische Produkte, kann aber so auch auf die Widmung musikalischer Werke übertragen werden. 141 Eine Dedikation, die über Dedikationen spricht, in: Der Gesellschafter oder Blätter für Geist und Herz 44stes Blatt (17. März 1820), S. 193f. (drei Teile). In der Fortsetzung wird ebenfalls deutlich, wie kalkuliert die Widmungen vorgenommen wurden; es wird gezeigt, welche Entlohnung für bestimmte Formulierungen erwartet wurde: »Eine Dedikation ist ein Wechselbrief, den ein sinnreicher Schriftsteller auf einen geldreichen Mäzen trassirt und der nach Sicht (und ohne Nachsicht) zu zahlen ist.« (ebd., S. 198).

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»Der Senat der Reichsstadt sieht sich durch die Menge der Einsendungen und Dedikationen litterarischer Produkte von sehr ungleichem Wert, womit er seither überhäuft worden, veranlaßt, hiermit öffentlich bekannt zu machen, daß er künftig jede dergleichen ohne vorherige Anfrage an Ihn gelangende Mitteilung oder Dedikation unbeantwortet lassen werde.«142

Dieser Einschnitt führte freilich nicht zum vollkommenen Niedergang der Zueignung. Der bis jetzt vorherrschende Aspekt der Einwerbung finanzieller Mittel konnte durch die neuen Verdienstmöglichkeiten mehr und mehr in den Hintergrund treten, die Gründe für Zueignungen differenzierten sich aus. Es ist verstärkt eine persönliche Motivation zu erkennen: Gewidmet wird mehr und mehr aus Dankbarkeit, Freundschaft, Verehrung an Freunde, Kollegen, Gleichgesinnte. Ein Komponist, der den skizzierten Funktionswandel in verschiedener Hinsicht durch sein Widmungsverhalten treffend charakterisiert, ist Wolfgang Amadeus Mozart. Zum einen setzte er die Dedikation nur noch sporadisch ein, anders als im 17. Jahrhundert trat für ihn vor die Wahl eines bestimmten Adressaten die grundsätzlichere Entscheidung, ob ein Werk überhaupt eine Dedikation tragen solle. In Zeiten, da das Instrument der Widmung auf vielen Ebenen hinterfragt wurde, tragen nur neun der 78 zu seinen Lebzeiten erschienenen Erstdrucke eine auktoriale Widmung. Mozart war die traditionelle Form der Gönnerwidmung allerdings immer noch vertraut, die ersten fünf seiner neun Drucke mit Widmung gingen an fürstliche Gönner.143 Doch 1785 kommt es zum Bruch: Während im 17. Jahrhundert Widmungen an Verleger und Musiker noch »auffallend selten«144 zu finden waren, hat sich Mozarts Selbstverständnis diesbezüglich geändert. Die Überzeugung, dass das Komponieren ein vollwertiger Beruf sei, ermöglichte es ihm, den 1785 bei Artaria in Wien erschienenen Erstdruck seiner sechs Streichquartette der Jahre 1782–1785 142 Jubiläumszeitung des Hamburgischen Korrespondenten, 1880, zit. n. Schramm, Widmung, S. 29. 143 Die ersten vier Widmungen des acht- bis zehnjährigen Mozart gehen wohl auf seinen Vater Leopold zurück. Auffällig ist, dass alle vier Zueignungen adligen Damen zugedacht waren. Ihre Zustimmung zu einer Widmung durch einen jungen Knaben war offenbar leichter zu erreichen, als die der Männer, die sich durch die Widmung an ihre Gattinnen oder anderweitig Verwandte aber trotzdem angesprochen fühlen konnten. Vgl. Haberkamp, Erstdrucke Mozart, S. 39f.: KV 6/7 (op. 1): »d¦di¦es — Madame Victoire de France« (LouiseMarie-Th¦rÀse de Bourbon, zweite Tochter Ludwigs XV); KV 8/9 (op. 2): »d¦di¦es — Madame la Comtesse de Tess¦, Dame de Madame la Dauphine« (Adrienne-Catherine Comtesse de Noailles, 1741–1814); KV 10–15 (op. 3): »d¦di¦es — sa Majest¦ Charlotte Reine de la Grande Bretagne« (Charlotte Sophie, Königin von England, geb. Prinzessin von Mecklenburg-Strelitz, 1744–1818); KV 26–31 (op. 4): »d¦di¦es — S. A. S. Madame la Princesse de Nassau-Weilbourg, n¦e Princesse d’Orange« (Caroline, Prinzessin von Nassau-Weilburg, 1743–1787). 144 Schnell, In lucem edidit, S. 171.

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Theoretische und historische Grundlegungen

Joseph Haydn zuzueignen, aus »Schuldigkeit […] denn ich habe von Haydn erst gelernt, wie man Quartetts schreiben müsse«.145 Die Tendenz, im Rahmen einer Widmung die kompositorische Leistung eines Kollegen zu würdigen, der umgekehrt das Werk ebenfalls fachlich bewerten konnte, setzte sich freilich bei Mozart nur bedingt fort. Die drei folgenden letzten Zueignungen wurden an Verehrerinnen und Schülerinnen aus dem niederen Adel vergeben.146 Wie ernst die Widmung nun allerdings über die rein äußerliche Ehrerbietung auch ideell als symbolische Übereignung eines Inhaltes genommen wurde, zeigt eine Passage des Mozart’schen Widmungsbriefes an Haydn: »Da questo momento, Io ti cedo i miei diritti sopra di essi«.147 Die verwendete Terminologie tut ein übriges, um die ideelle Wichtigkeit zu unterstreichen – »i sei figli«, die Kinder des eigenen Geistes, werden vom Vater selber dem Adressaten übergeben, in der Hoffnung, dieser sei ihnen »Padre, Guida, ed Amico«.148 Neben die im Wandel begriffene Gönnerwidmung traten also vor allem Freundschafts- und Kollegenwidmungen. In einigen Fällen sind diese privater motivierten Formen auch schon früher bekannt, nun aber verdrängen sie die Gönnerwidmung als wichtigste Zueignungsart. Immer mehr wurde der Widmung eine soziale Funktion innerhalb der Gesellschaft zugesprochen, sie diente dem Aufbau von Netzwerken, dem Ausdruck von Dank und Freundschaft und wurde ein Indikator für die individuelle Beziehung zwischen dem Widmendem und seinem Adressaten.

2.4

Die Widmung zur Brahms-Zeit: Ein Überblick

Im Lauf des 19. Jahrhunderts verschoben sich Bedeutung und Funktion der Widmung endgültig. Durch das veränderte Dedikationsverhalten nahm die zeitweilig so gesunkene Wertschätzung durch Gesellschaft und auch Kompo-

145 Es handelt sich um die Quartette KV 387, 421, 428, 458, 464 und 465. Der Ausspruch Mozarts wird überliefert bei Johann Friedrich Rochlitz: Anekdoten aus Mozarts Leben (Fortsetzung), in: AmZ 1/4 (24. Oktober 1798), Sp. 53. 146 KV 376 (374d) etc. an seine Klavierschülerin Josepha Barbara Auernhammer (1758–1820), KV 475 + 457 an Maria Theresia von Trattner (1758–1793), KV 521 an Maria Anna Clara (1766–1791) und Maria Barbara (1769–1844) Natorp; vgl. Haberkamp, Erstdrucke Mozart, S. 40f. 147 »Ab diesem Moment trete ich dir meine Rechte an ihnen ab.« Widmungsbrief der sechs Quartette, zit. n. Wolfgang Amadeus Mozart: Streichquartette, hg. v. Ludwig Finscher (= Neue Mozart-Ausgabe VIII/20/Abt. 1/2), Kassel u. a. 1962, S. XVII. 148 Ebd. Diese Terminologie wird auch im 19. Jahrhundert weiter verwendet: Oft wird der Widmungsadressat als Gevatter oder Pate bezeichnet und damit in die Verantwortung für die betreffende Komposition genommen. Vgl. dazu auch S. 68.

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nisten wieder zu, sodass Carl Reinecke am Ende des 19. Jahrhunderts wieder konstatieren konnte: »Das Beste, was einer spendieren kann, um dem andern seine Liebe oder Freundschaft, seine Anhänglichkeit oder Dankbarkeit zu beweisen, ist, wenn er ihm ein Werk eigenen Schaffens zu eigen gibt oder, wie man im gewöhnlichen Leben sagt, dediziert.«149

Bereits in diesem kurzen Zitat wird klar : Die Widmung hat zum einen den Wandel hin zu größerer Persönlichkeit vollzogen, ist zum anderen aber auch wieder als Ehre für den Adressaten gesellschaftsfähig geworden. Ausdruck findet der Paradigmenwechsel in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vor allem durch die nun endgültige Abkehr von der reinen Gönnerwidmung. Darin nun eine vollkommene, intellektuell durchdrungene und begründete Lösung der bürgerlichen Kultur von den Strukturen der bislang feudalen Gesellschaftsorganisation zu sehen, greift allerdings zu weit. Was in zwar eingeschränkten, aber weiterhin vorhandenen Sonderrechten auf politischer und gesellschaftlicher Ebene seinen Ausdruck findet150, wird auch im Blick auf den Zueignungsbrauch unterstrichen: Natürlich wurden weiterhin Adligen und anderen sozial Höhergestellten Werke dediziert. Insgesamt hat die Zahl aber stark abgenommen, die Widmung an Angehörige des Bürgertums herrscht vor. Außerdem ist eine Zueignung nun meist nicht mehr an die Erwartung einer finanziellen Entlohnung geknüpft. Eine Anekdote aus Karl Goldmarks Erinnerungen aus meinem Leben zeigt, für wie ungewöhnlich das Widmen an Adlige in der Erwartung eines Geldgeschenks nun erachtet wurde: »Eines Tages war ich zu Besuch bei Ignaz Brüll in Baden bei Wien (Sommeraufenthalt), als Professor Anton Door eintrat und mir ein versiegeltes Paket hinlegte. ›Was ist das?‹ fragte ich. Er : ›Ich habe mit Ferdinand Laub (berühmter Geiger) deine Suite der in Karlsbad weilenden russischen Großfürstin Helene vorgespielt. Ich habe mir erlaubt, in deinem Namen ihr die Widmung anzutragen – und dieses Paket wurde mir für dich übergeben.‹ Es war ein ansehnlicher Geldbetrag. Ich war etwas erstaunt über das selbstherrliche Gebaren meines alten, lieben Freundes Door, denn ich habe außer einigen Künstlern nie jemandem etwas gewidmet und von der Großfürstin hatte ich bis dahin keine Ahnung, aber ich gestehe, daß der Geldbetrag in meiner damaligen äußerst prekären Lage mir sehr willkommen war.«151 149 Carl Reinecke: Erlebnisse und Bekenntnisse. Autobiographie eines Gewandhauskapellmeisters, hg. v. Doris Mundus, Leipzig 2005, S. 185. 150 Thomas Nipperdey konstatiert für die Zeit des Übergangs am Beginn des 19. Jahrhunderts, dass»doch ein starker Überhang der ständischen Gesellschaft erhalten [bleibt]. Das wird vor allem deutlich am Adel; er bleibt politisch und sozial noch lange ein Stand.« Vgl. Thomas Nipperdey : Deutsche Geschichte 1800–1866. Bürgerwelt und starker Staat, München 1998, S. 255. Ebd., S. 255–271 wird eine differenzierte Beschreibung der sich ändernden Rollenverteilung von Bürgern und Adligen im neuen, »bürgerlichen Staat« gegeben. 151 Karl Goldmark: Erinnerungen aus meinem Leben, Wien 1922, S. 96.

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Noch am Anfang des 19. Jahrhunderts hatte Beethoven dagegen durchaus eine Entlohnung intendiert, er erhielt für die Dedikation seiner Polonaise op. 89 von der Zarin von Russland 50 Dukaten.152 Wie kalkuliert – wenn auch oft erfolglos – er die Widmung als Verdienstmöglichkeit einsetzte, zeigt ein Brief an Charles Neate, Gründungsmitglied der Londoner Philharmonic Society : »Perhaps you find some lover of musick, to whome the Trio, and the Sonate with the violin, Mr Ries has Sold to Mr. Birchall or the Symphony arranged for harpsichord might be dedicated, and from whom there might be expected a present.«153

Mit diesem geschäftstüchtigen Gebaren stand er nicht alleine, auch andere Komponisten wie Franz Schubert wählten ihre Widmungsträger in vielen Fällen durchaus nach ihrer Bereitwilligkeit zur finanziellen Förderung aus.154 In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts ist aber mehr und mehr das Verschwinden dieser Widmungsintention zu beobachten – auch wenn sie noch bekannt war. Richard Wagner verzichtete deswegen auf die direkte Zueignung seines Texterstdruckes des Rings der Nibelungen an den Großherzog von Weimar. Aus dem Bericht an Franz Müller155 spricht vor allem Angst, durch die noch mit Konventionen belastete Geste unbeabsichtigt nicht intendierte Erwartungen auszudrücken: 152 Überhaupt ist Beethoven unter den Komponisten des 19. Jahrhunderts mit am stärksten den alten Widmungstraditionen verhaftet, was auch mit seinem Status als Komponist ohne Anstellung zusammenhängen mag: Die Widmungen an Adlige waren ihm als Einkommensquelle notwendiges Mittel zum Zweck. Nur acht seiner 62 Widmungsträger sind demnach Bürgerliche. Die Bitte um Widmungserlaubnis des ersten Druckes des Elfjährigen an den Kurfürsten Maximilian Friedrich von Köln – geschrieben wohl von seinem Lehrer Christian Gottlob Neefe – zeigt in seiner Anlehnung an die Rhetorik barocker Widmungsbriefe den Versuch, über das Mäzenatentum die Karriere aufzubauen: »Und darf ich’s nun Erlauchtester! wohl wagen, die Erstlinge meiner jugendlichen Arbeiten zu Deines Thrones Stufe zu legen? und darf ich hoffen, daß Du ihnen Deines ermunternden Beifalles milden Vaterblick wohl schenken werdest? – O, ja! fanden doch von jeher Wissenschaften und Künste in Dir ihren weisen Schüzzer [sic], grosmuthigen Beförderer, und aufspriesendes Talent unter Deiner holden Vaterpflege Gedeihn.« Zit. n. Ludwig van Beethoven. Briefwechsel Gesamtausgabe. Band 1, 1783–1807, hg. im Auftrag des Beethoven-Hauses Bonn von Sieghard Brandenburg, S. 1. Helmut Loos zieht jedenfalls die Schlussfolgerung, dass Beethoven mit seinen Widmungen primär finanzielle Vorteile angestrebt habe, also noch der Mäzenatenwidmung verhaftet gewesen sei (vgl. Helmut Loos: Beethoven und die Widmungskomposition, in: Beethoven. Studien und Interpretationen, Bd. 4, hg. v. Mieczysław Tomaszewski u. a., Krakûw 2009, S. 15). 153 Beethoven an Charles Neate, 18. Mai 1816. Zit. n. Brandenburg, Beethoven-Briefwechsel 3, S. 262. 154 Am 2. November 1821 schreibt Schubert an seinen Freund Josef von Spaun: »Nun aber muß ich Dir berichten, daß meine Dedikationen ihre Schuldigkeit getan haben, nämlich der Patriarch hat 12 und der Fries durch Verwenden des Vogl 20 Dukaten springen lassen, welches mir sehr wohl tut.« (zit. n. Otto Erich Deutsch: Schubert. Die Dokumente seines Lebens, Kassel 1964, S. 138). 155 Franz Müller (1806–1876), Regierungsrat in Weimar.

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»[…] in dem Vorworte spreche ich mich über die Möglichkeit der Aufführung des Werkes aus, und gebe da auch den einzig mir erfolgreich dünkenden Weg einer fürstlichen Übernahme dieser Sorge, in allgemein gefasstem Sinne an. Eine wirkliche Widmung des Werkes an den Herrn Grossherzog war daher aus dem Grunde unmöglich, weil durch eine solche […] Andeutung zu einer speziellen Aufforderung an Seine Königliche Hoheit sich gestaltet hätte, und hierdurch der Entschliessung des Herrn Grossherzog ungeziemend präjudiziert worden wäre.«156

Ob und wie häufig die Widmung im 19. Jahrhundert noch als Verdienstmöglichkeit verwendet wurde, wird zu einem großen Teil vom Selbstbild des jeweiligen Komponisten aber auch des Empfängers157 bestimmt. Während Brahms, bürgerlich geprägt, eher selten adligen Personen widmete, ist es bei Beethoven noch die häufigste Art der Zueignung.158 Er ist einer der wenigen Komponisten des 19. Jahrhunderts, bei denen die Widmung an reiche Gönner diejenige an Freunde oder Kollegen weit überwiegt. Die Tendenz ist aber absteigend, besonders in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts spricht auch die Widmung an Adlige oftmals vielmehr den Freund159, den Musikkenner160 oder den politisch Bewunderten an, als in Erwartung einer Entlohnung Tribut an eine soziale Stellung zu zollen.161 Brahms schien so, nur zehn Jahre nach dem be156 Richard Wagner an Franz Müller, 8. Mai 1863, zit. n. Richard Wagner : Sämtliche Briefe, Bd. 15: Briefe des Jahres 1863, hg. v. Andreas Mielke, Wiesbaden 2005, S. 152. Die erwähnte Ausgabe ist der Druck des Operntextes, der 1863 bei J. J. Weber in Leipzig erschien. Im Vorwort geht Wagner auf die Idee eines Festspielhauses und auf die schwierige Finanzierung ein. Reiche und großzügige Musikliebhaber seien zur Realisierung nötig. Er endet mit der Frage: »Wird dieser Fürst sich finden?«. 157 Er musste bereit sein, für die Widmung zu zahlen. So wird in der zeitgenössischen Presse vereinzelt noch von Komponisten berichtet, die in Folge von Widmungen an Würden- und Amtsträger Auszeichnungen und Ehrungen zuerkannt bekamen. Franz Ziehrer erhielt z. B. von Papst Pius IX. für die Dedikation einer Messe die »Medaille für Kunst und Wissenschaft, welche von einem vom Staatssecretär Cardinal Antonelli unterzeichneten Schreiben begleitet war« (AmZ 6/51 [10. Dezember 1871], S. 814). Die erhaltenen Geschenke konnten durchaus auch skurril sein. So meldete die LAmZ 2/26 (26. Juni 1867), S. 211, Albert Dietrich habe von der Großherzogin von Oldenburg für die Dedikation einer nicht näher spezifizierten Komposition (u. a. tragen die Sechs Lieder op. 16 eine Dedikation an die Großherzogin) eine »werthvolle Busennadel« erhalten. 158 Vgl. die Zueignung der Waldstein-Sonate op. 53 an seinen Förderer Ernst Graf Waldstein (1762–1823), oder seines Tripelkonzertes op. 56 an Fürst Lobkowitz (1772–1816). In solchen Fällen erwartete auch Beethoven keine direkte Dankesbezeugung in Form von finanzieller Unterstützung. 159 Vgl. Brahms’ Widmungen an Hans von Bülow oder Elisabeth von Herzogenberg. 160 Vgl. Brahms’ Widmung an Anna von Hessen, eine gute Bekannte Clara Schumanns. 161 Vgl. im Zusammenhang mit Schumann dazu auch: Bernhard R. Appel: Vom Einfall zum Werk. Robert Schumanns Schaffensweise (= Schumann Forschungen, Bd. 13), Mainz 2010, S. 177. Die gelegentlich übliche Einordnung der Widmungsadressaten eines Komponisten in adlig und bürgerlich allein nach dem Nachnamen, wie sie Helmut Loos (vgl. Loos, Beethoven, S. 14) oder Ernst Herttrich (Beethovens Widmungsverhalten, in: Der »männliche« und der »weibliche« Beethoven, hg. v. Cornelia Bartsch, Beatrix Borchard u. Rainer

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sorgten Brief Wagners, bei der Widmung seines Triumphliedes op. 55 an den deutschen Kaiser Wilhelm I. anlässlich der Siege im deutsch-französischen Krieg keine direkte Entlohnung mehr zu erwarten. Neben dem eigenen Beitrag zur politischen Propaganda war »[d]er kaiserliche Dank […] ohne Zweifel in den Augen des glühenden Patrioten die würdigste und ehrenvollste Beantwortung seines einfachen Briefes.«162 Und dies, obwohl Carl Reinecke im gleichen Kontext für die Widmung seiner Ouvertüre Friedensfeier an den Kaiser den Kronenorden vierter Klasse zuerkannt bekam.163 Insgesamt kennzeichnet Brahms in seinem differenzierten Widmungsverhalten wie kein anderer Komponist den vollzogenen Wandel von der feudalen zur bürgerlichen Gesellschaft, steht andererseits in bestimmten Verhaltensweisen aber auch quer zur Tradition und den Gepflogenheiten seiner unmittelbaren Zeitgenossen. Erkennbar ist dies auf mehreren Ebenen: in der Wahl der (meist bürgerlichen) Adressaten, denen er immer persönlich verbunden war, in seinem reflektierten Umgang mit dem Instrument der Widmung, in brieflichen Äußerungen. »Daß ich eine Widmung unter allen Umständen für ein schönes Geschenk halte, zeigen Dir meine Titel, die selten eine tragen!«164 schrieb er an den Sänger Julius Stockhausen. Gegenüber dem Verleger Simrock bemerkte er anlässlich der Widmung seines Klavierkonzertes Nr. 2 B-Dur op. 83 an seinen Lehrer Eduard Marxsen: »Ich bin so schwerfällig im Widmen – überhaupt im Entschlussfassen!«165 Beide Äußerungen machen deutlich: Brahms traf wegen der hohen ideellen Bedeutung der Geste für jedes Werk erneut die Entscheidung für oder gegen eine Widmung. Insgesamt dedizierte er nur 32 seiner 121 zu Lebzeiten erschienenen Werke mit Opuszahl, die Adressaten sind vor allem nahe Bekannte und Freunde. Dies ist nicht ungewöhnlich. Die Seltenheit, in der Brahms ein Werk mit einer Zueignung verband, ist dagegen nicht unbedingt Ausdruck einer allgemeinen Entwicklung, vielmehr markiert er das untere Ende einer Skala. Diese wird nach oben hin von Komponisten wie Fr¦d¦ric Chopin oder Max Reger begrenzt, die fast jedem ihrer Drucke eine Zueignung beifügten.166 Sowohl ältere als auch jüngere Komponisten dedizierten demnach im

162 163 164 165 166

Cadenbach, Bonn 2003, S. 221–236, hier S. 222–224) vornehmen, ist in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert zunehmend aussagelos. Wenn Brahms Elisabeth von Herzogenberg oder Hans von Bülow ein Werk widmet, müssten diese als Adlige eingestuft werden, obwohl Brahms den guten Bekannten oder Freund ansprechen wollte und auch in den Formalia der Widmung wenig Wert auf den Adelstitel legen musste. Kalbeck II, S. 352. AmZ 6/19 (10. Mai 1871), S. 308. Brahms an Julius Stockhausen anlässlich der Widmung von Stockhausens Vier Gesängen an Brahms, 16. Februar 1872, BW XVIII, S. 78. Brahms an Fritz Simrock, [16. Mai 1882], BW X, S. 208. Fr¦d¦ric Chopin: 59 von 65 Werken mit Opuszahl; Max Reger : 126 von 146 Werken mit Opuszahl.

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Normalfall mehr als Brahms, durchschnittlich die Hälfte ihrer Werke.167 Nur in Ausnahmefällen wird noch weniger gewidmet. So trägt nur ein einziges Werk Gustav Mahlers – die Sinfonie Nr. 8 – eine Dedikation, gerichtet an seine Frau Alma. Auch die Zeitgenossen schätzten Brahms als zurückhaltend in der Vergabe von Widmungen ein.168 Carl Reinecke – der Brahms selber seine Cellosonate op. 238 zueignete – fasst zusammen: »Auffallend wählerisch ist Brahms hinsichtlich derer gewesen, die er durch Widmungen ehrte.«169 Im Zuge der Diskussionen um eine angemessene Form ist die Dedikation also – unabhängig vom gesellschaftlichen Rang des Adressaten – in vielen Fällen persönlicher geworden. Dies ist eine Rückbesinnung auf die humanistischen Prinzipien der Widmung (literarischer) Werke des 16. Jahrhunderts, aber auch auf die Freundschaftswidmung der griechischen Antike. Die schon bei Mozarts Widmung der »Haydn-Quartette« erkennbar starke ideelle Aufladung des Begriffs, die unter anderem die symbolische Abtretung der Werkrechte an den Adressaten einschließt, ist indirekt auch eine Rückbesinnung auf die etymologische Bedeutung des Wortes »dedizieren«, das eine quasi-religiöse Handlung suggeriert.170 Die ursprünglich religiöse Bedeutung war im 19. Jahrhundert allgemein bekannt, wie der Eintrag in Mendels Musikalischem ConversationsLexikon von 1873 zeigt: »Dedication (von dem latein. dedicatio) nannten die alten Römer den feierlichen Act der Einweihung eines öffentlichen Gebäudes, durch den es der Obhut einer Gottheit übergeben wurde. Jetzt gebraucht man das Wort für Zueignung und Widmung aller Arten von Kunstsachen, Schriften u.s.w., was früher durch vorangestellte längere oder kürzere Vorreden und Briefe, seit etwa dem 16. Jahrhundert durch nach römischen Mustern gebildete Aufschriften geschah. […]«171

Der skizzierte Wandel zu einer persönlicheren Form der Widmung – die eigentlich den Bogen von der Frühzeit des antiken Widmungswesens in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts spannt – ermöglicht erst die vorliegende Untersu167 Ludwig v. Beethoven: 91 von 130 Werken; Franz Schubert: 88 von 180 Werken; Carl Maria v. Weber : 46 von 81 Werken; Robert Schumann: 75 von 148 Werken; Felix Mendelssohn Bartholdy : 43 von 72 Werken; Robert Fuchs: 80 von 117 Werken. 168 So z. B. Anton Door, der sich allerdings in einem Punkt irrt: Brahms hat trotz seiner Zurückhaltung bei Widmungen für wesentlich mehr als vier seiner im Druck erschienenen Kompositionen Adressaten ausgewählt (Anton Door : Persönliche Erinnerungen an Brahms, in: Die Musik 2/15 [1903], S. 218). Auch Eduard Hanslick, der immerhin von Brahms die Walzer op. 39 gewidmet bekam, hat mehrfach betont, sein Freund sei »mit Dedikationen stets auffallend sparsam, ja in den letzten zwanzig Jahren fast gänzlich zurückhaltend gewesen« (vgl. Eduard Hanslick: Johannes Brahms’ Erinnerungen und Briefe, in ders.: Am Ende des Jahrhunderts 1895–1899. Der »Modernen Oper« VIII. Teil, Berlin 1899). 169 Reinecke, Dedikation, S. 210. 170 Vgl. die einführenden Worte am Beginn des Kapitels, S. 42f. 171 Musikalisches Conservations-Lexikon, Bd. 3, hg. v. Hermann Mendel, Berlin 1873, S. 98.

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chung: Mit dem im Lauf des 18. und 19. Jahrhunderts herausgebildeten neuen Berufsbild entstand neben der Dedikation an Freunde und Bekannte die Möglichkeit, Kollegen durch die Zueignung eines Werks Dankbarkeit für gewährte Unterstützung und Lob oder kollegiale Anerkennung auszudrücken und berufliche Netzwerke aufzubauen. Die Mozart’sche Widmung an Haydn ist ein frühes Beispiel dieser Kollegenwidmung172, die sich rasant ausbreitete und in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ihren Höhepunkt fand. Sind bis Mozart weniger als zehn solcher Dedikationen von Komponist an Komponist oder Instrumentalist bekannt und von 1785 bis 1800 immerhin bereits 29 zu verzeichnen, so finden sich von 1800 bis 1850 fast 200 dieser Zueignungen.173 Und nun, zwischen 1855 und 1902, erhielt alleine Brahms fast 100 Widmungen von Werken seiner Kollegen. Weder vorher noch nachher hätte ein lebender Komponist eine solche Flut ihm zugeeigneter Werke erwarten können – als neue Form der alten, in Verruf geratenen Zueignungssitte.174

172 Es ist allerdings nicht die erste. Das früheste bekannte Beispiel ist die Widmung eines 1592 in Venedig erschienen Sammelbandes mit Psalmvertonungen von 14 italienischen Komponisten an ihren Kollegen Giovanni Pierluigi Palestrina (»Ad celeberrimum ac Praestantissimum in arte Musica Coryphaeum D. Jo: Petrum Aloysium Praenestinum«). Vgl. Heinemann, Palestrina und seine Zeit, S. 57. 173 Die Zahlen wurden erhoben von Emily H. Green: Between Text and Context: Schumann, Liszt and the Reception of Dedications, in: Journal of Musicological Research 28/4 (2009), S. 312–339, hier S. 313. 174 Die Erwartungshaltung ist nun freilich eine grundlegend andere. Vgl. in diesem Kontext zum System der Gabe und Gegengabe im 19. Jahrhundert das Kap. II. 3. 1.

II.

Brahms im Kontext: Zur Widmung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts

1.

Zu Differenz und Analogien der Konzepte gedruckter und handschriftlicher Widmung

»HERRN JOHANNES BRAHMS in Hochachtung« und »Seinem geliebten Lehrer Herrn Eduard Marxsen. Leipzig im Decbr. 1867 Ferd. Thieriot«: Diese zwei Widmungstexte an zwei verschiedene Adressaten haben nur vordergründig nicht das Geringste miteinander zu tun. Denn beide sind immerhin von derselben Person verfasst (dem Hamburger Komponisten Ferdinand Thieriot), betreffen dasselbe Werk (Thieriots Trio f-Moll für Pianoforte, Violine und Violoncell op. 14) und sind sogar auf demselben Exemplar des 1867 bei Fritzsch in Leipzig erschienenen Drucks niedergeschrieben.175 Es könnte sich demnach auf den ersten Blick um zwei gleichwertige Widmungsträger für ein und dasselbe Werk handeln. Doch es gibt einen signifikanten Unterschied: Während die Widmung an Brahms als konzeptioneller Bestandteil des Werks auf das Titelblatt gedruckt ist, ist die an Eduard Marxsen176 gerichtete Zuschrift nachträglich handschriftlich auf den rechten oberen Rand dieses Exemplars eingetragen. Anschaulich sind damit die zwei grundsätzlichen Möglichkeiten der materiellen Erscheinung verdeutlicht, in denen dem Rezipienten ein Widmungstext177 begegnen kann: Er wird handschriftlich in ein einzelnes Exemplar eingetragen oder als integraler Bestandteil in allen druckgleichen Exemplaren einer Auflage

175 Exemplar im Besitz des Brahms-Instituts an der Musikhochschule Lübeck, Sign. ABH 1.7.7.52, vgl. auch das Digitalisat unter www.brahms-institut.de (Digitaler Notenschrank, »Brahms gewidmet«). 176 Marxsen war sowohl Brahms als auch Thieriot verbunden: Beide hatte er in Hamburg unterrichtet. 177 Im Folgenden wird für Widmungstext oft die verkürzte Form Widmung (oder Dedikation, Zueignung) verwendet. Dies ist zwar etwas unpräzise, da die Widmung alle Komponenten des Vorgangs einschließen sollte und der Text nur seine materielle Manifestation ist, entspricht aber dem Sprachgebrauch der Forschungsliteratur. Dementsprechend wird als umfassende Bezeichnung der Begriff des Widmungsvorgangs oder -aktes eingeführt.

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mitgeteilt. Die ›Mehrfachwidmung‹ des Trios von Thieriot ist im Kontext der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts tatsächlich kein Einzelfall. Handschriftliche und gedruckte Widmungen eines Einzelexemplars finden sich auch bei anderen Werken, manchmal können sie sogar zur ›Doppelwidmung‹ an eine einzige Person werden. Auf einem Exemplar seines Klaviertrios Es-Dur op. 9, »Herrn Johannes Brahms« schon im Druck dediziert, notierte der Wiener Komponist Karl Nawratil z. B. zusätzlich handschriftlich: »Dem Meister Johannes Brahms in dankbarer Verehrung K Nawratil«.178 Die Adressaten von handschriftlicher und gedruckter Widmung vereinigen sich also in einer Person. Um diesem Konstrukt Sinn zu verleihen, müssen sich die Geltungsbereiche beider Eintragungen unterscheiden. Es liegt nahe, dass sich der unveränderliche Drucktext auf die gesamte Werkauflage bezieht, während die handschriftliche Formel die Übereignung eines konkreten Exemplars anzeigt. Beide grundlegend zu unterscheidenden Spielarten der Widmung sind demnach Ausdruck einer Schenkung, lassen aber auch eindeutige formale und inhaltliche Unterschiede erkennen. Im wissenschaftlichen Diskurs ist die verwendete Terminologie deswegen heterogen und teils unscharf, die Problematik eines jeden Definitionsversuchs ist leicht zu umreißen: Überwiegen bei gedruckter und handschriftlicher Widmung einende Merkmale oder Unterschiede? Sind also beide Phänomene unter einen Oberbegriff – nämlich dem der Widmung, Zueignung oder Dedikation – zu subsumieren oder ist eine begriffliche Differenzierung sinnvoll, die im besten Fall durch die gewählte Benennung die inhaltliche Bewertung des gesamten Phänomens reflektieren müsste? G¦rard Genette, wie in so vielen Belangen bezüglich der Widmung der erste, der diese spezielle Frage mit all ihren theoretischen Implikationen aufgreift, plädiert für die Differenzierung; freilich ist die deutsche Übersetzung unpräzise: Während der französische Originaltext von der gedruckten »d¦dicace« im Gegensatz zur handschriftlichen »envoi« spricht, wird in der deutschen Version zwischen der (gedruckten) Zueignung eines Werks gegenüber der (handschriftlichen) Widmung eines einzelnen Exemplars unterschieden179 – der in der französischen Ausgabe klare Rekurs auf die Materialität des Eintrags geht damit verloren. Einige deutsche literatur- und kulturwissenschaftliche Folgepublikationen schließen sich dennoch dieser Terminologie an.180 Doch andere Autoren setzen sich bewusst ab. So benennt Burkhard Moennighoff in augenscheinlichem Wi178 Original im Brahms-Nachlass, A-Wgm. Widmungstext abgedruckt bei und zit. n. Otto Biba: Johannes Brahms in Wien. Ausstellungskatalog des Archivs der Gesellschaft der Musikfreunde, Wien 1983, S. 69. 179 Genette, Paratexte, S. 115. 180 Z. B. Schnabel, Dedizieren von Emblemen, S. 122. In diesem Sinn auch Christoph Jürgensen: »Der Rahmen arbeitet«. Paratextuelle Strategien der Lektürelenkung im Werk Arno Schmidts, Göttingen 2007, S. 83.

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derspruch zu Genettes Terminologie, ja eigentlich in genauem Gegensatz, gerade den gedruckten Widmungstext als Widmung. Handschriftliche Eintragungen seien dagegen als Dedikation zu bezeichnen.181 In musikwissenschaftlichem Rahmen stellte Axel Beer jüngst in ähnlicher Weise die gedruckte Widmung gegenüber der handschriftlichen Zueignung182 terminologisch zur Debatte. Die Verwendung der Termini wird zwar grundsätzlich zu Beginn der jeweiligen Untersuchungen durch den Autor reflektiert und für den Rahmen seiner Studie als gültige Nomenklatur festgelegt. Trotz der an anderen Stellen eindeutigen Bezugnahme auf die grundlegende Studie Genettes lässt aber z. B. Moennighoff keine kritische Beschäftigung mit den Bezeichnungen Genettes oder den Lösungsvorschlägen anderer Autoren erkennen. Auch seine eigene Wortwahl wird nicht argumentativ untermauert. Es stehen letztlich also divergierende Modelle ohne Diskussion ihrer Vor- und Nachteile nebeneinander. Alle vorgestellten terminologischen Varianten sind aber mit einer gemeinsamen Problematik konfrontiert: Sie sind rein systematisch begründet, die Verwendung der Begrifflichkeiten kann in keinem Fall historisch rückgebunden werden. Letztlich erscheint deswegen die Wahl sowohl bei Genette/Schnabel als auch bei Moennighoff/Beer aus der Perspektive des 19. Jahrhunderts als nicht vollkommen konsistent und nach inhaltlichen Gesichtspunkten ableitbar. Wie schon seit jeher sind nach einschlägigen etymologischen Wörterbüchern Widmung, Dedikation und Zueignung sowohl im 19. Jahrhundert als auch im heutigen Sprachgebrauch183 nämlich als Synonyme definiert, suggerieren also inhaltlich dasselbe Phänomen. Bereits am Beginn des 19. Jahrhunderts hatte Johann Christoph Adelung in seiner Definition im Grammatisch-kritischen Wörterbuch (1808) die Analogie der drei Begriffe betont.184 Und im Lauf des Jahrhunderts hatte sich an dieser Einschätzung nichts Grundlegendes geändert, das Grimm’sche Wörterbuch setzt in seiner ersten Ausgabe noch 1930 alle drei Begrifflichkeiten gleich.185 Die Benennungen waren und sind also beliebig aus181 Moennighoff, Kunst des literarischen Schenkens, S. 339. 182 Im Vortrag »Widmungen in der Geschichte des Musikdrucks. Ein historischer Überblick«, gehalten am 30. September 2011 im Rahmen des Kongresses »Widmungen bei Haydn und Beethoven. Personen – Strategien – Praktiken«, veranstaltet vom Beethovenhaus Bonn und dem Haydn-Institut Köln. 183 Vgl. z. B. die entsprechenden Artikel in Kluge, Etymologisches Wörterbuch. 184 Unter dem Stichwort »Zueignung« findet sich die Definition: »Widmen, dediciren, von Schriften. Einem ein Buch zueignen, zuschreiben. Daher die Zueignung, die Dedication, und die Zueignungsschrift, die Schrift, worin solches geschiehet.« Johann Christoph Adelung: Grammatisch-kritisches Wörterbuch der hochdeutschen Mundart, Bd. 4, Wien 1808, Sp. 1747. 185 Dies freilich anhand eines Beispiels aus dem Jahr 1828: »[…] eine widmung, zueignung oder wie sie (sonst) … lieber für dedication hören mögen« hatte Wilhelm Meuselbach laut einem Brief von Jacob Grimm zu erwarten. So lautet das unter dem Eintrag »Widmung« im Deutschen Wörterbuch von Wilhelm (1785–1863) und Jacob Grimm (1785–1863) zitierte

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tauschbar – und eignen sich demnach nur bedingt zur Unterscheidung zweier offensichtlich unterschiedlicher, aber dennoch eng verbundener Phänomene. Auch die Verwendung der Begrifflichkeiten im Sprachgebrauch des 19. Jahrhunderts spricht für diese Sichtweise. Denn alle genannten Begriffe wurden parallel sowohl für handschriftliche als auch gedruckte Widmungstexte verwendet.186 Aus dem historisch gewachsenen System des Widmungswesens heraus erschienen die Gemeinsamkeiten beider Phänomene also offenbar für die Benennung relevanter als die offenkundig vorhandenen und auch erkannten Unterschiede, die im Idealfall in einer zur Diskussion zu stellenden Terminologie reflektiert werden sollten. Es sind – neben der unterschiedlichen äußeren Erscheinungsform – vor allem ideelle Differenzen zu nennen. Bereits G¦rard Genette hat sie in überzeugender Weise dargelegt: Die (gedruckte) Zueignung eines Werks beziehe sich auf die »ideelle Wirklichkeit eines Werkes«187, während die (handschriftliche) Widmung auf die »stoffliche Wertigkeit eines einzelnen Exemplars, das dabei im Prinzip als Gabe überreicht oder auch verkauft wird«188 rekurriere. Eine Terminologie zu entwickeln, die sowohl den zeitgenössischen Gepflogenheiten des Untersuchungszeitraumes, als auch heutigen wissenschaftlichen Standards entspricht, dürfte durch die erläuterte Diskrepanz zwischen einheitlichem Sprachgebrauch einerseits und inhaltlichen Unterschieden andererseits fast unmöglich sein. Es ist fraglich, ob die Verwendung der in einer bestimmten, gemeinsamen Bedeutung eingebürgerten Begrifflichkeiten in unterschiedlichen Definitionen hier Erfolg versprechend ist. Dies gilt gerade im Beispiel (Bd. 29, Sp. 1435). Band 29 war 1930 erarbeitet worden, ist allerdings erst 1960 in der ersten Auflage erschienen. 186 Auch innerhalb handschriftlicher Widmungstexte wurden diese Begriffe verwendet, allerdings um einiges seltener als im Druck. Ein Komponist wie Brahms bewies in seiner Anwendung durchaus Sinn für die den Varianten inhärenten Unterschiede. Nur ein einziger seiner bekannten handschriftlicher Widmungstexte verzichtet nicht auf das performative Verb. Vgl. dazu näher S. 69f. 187 Diese konkrete Schenkung, die durch die handschriftliche Widmung ausgedrückt wird, spiegelt sich teilweise auch im Text der Zueignung. So im Fall einer Partiturabschrift von Beethovens Missa solemnis mit zahlreichen autographen Eintragungen des Komponisten. Der Wiener Musikliebhaber Julius Grosser vermachte sie Brahms mit der handschriftlichen Eintragung: »[…] wüßte ich keinen aus der Zahl der deutschen Musiker, der würdiger wäre, diese von Beethoven’s Hand geheiligte Partitur zu besitzen, als Johannes Brahms – sie sei hiemit [sic] sein eigen.« Zit. n. Otto Biba: Brahms in Wien, in: Brahms und seine Zeit. Symposion Hamburg 1983, hg. v. Constantin Floros, Hans Joachim Marx u. Peter Petersen (= Hamburger Jahrbuch für Musikwissenschaft, Bd. 7), Laaber 1984, S. 265. 188 Genette, Paratexte, S. 115. Leider wird im weiteren Verlauf seiner Studie nicht erläutert, wie die von ihm vorgeschlagene Terminologie in diesem Kontext einzuordnen ist und wie sie die unterschiedlichen Bedeutungsebenen verdeutlichen soll. Genau in diesem Sinn definiert aber auch Moennighoff, Kunst des literarischen Schenkens, S. 339, der sich in der Terminologie von Genette abgrenzt, die Unterschiede: »Mit der handschriftlichen Widmung ist eine tatsächliche, mit der gedruckten eine symbolische Schenkung verbunden«.

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Hinblick auf die Problematik der dann unvermeidlichen Uneinheitlichkeit der historischen Quellen mit den sie betrachtenden wissenschaftlichen Untersuchungen. Eine Möglichkeit, die sowohl in systematischer, als auch historischer Hinsicht den Unterschieden und Gemeinsamkeiten zumindest annäherungsweise gerecht wird, ist die Einführung des Begriffs der ›Übereignung‹ zur Bezeichnung handschriftlich niedergeschriebener Zuschriften. Durch diese terminologische Abgrenzung gegenüber der gedruckten Widmung wird der durch den handschriftlichen Eintrag transportierte Charakter des materiellen Geschenks gestärkt, trotzdem aber die Nähe zum Phänomen der gedruckten Widmung gewahrt. Schon das durch die Gebrüder Grimm begründete Deutsche Wörterbuch verweist dementsprechend einerseits zwar anhand eines Beispiels des 17. Jahrhunderts auf eine teilweise analoge Verwendung der Begriffe Übereignung und Widmung.189 In der Definition bestätigt sich aber die stofflichkonkrete Materialität als typisches Charakteristikum des übereigneten Guts: Es werden bezeichnenderweise eine »Wiese« und ein »Blumenstrausz« übereignet.190 Von übereigneten Büchern etwa, deren gedruckte Widmung sich auf die ideelle und nicht die materielle Ebene des übereigneten Guts bezöge, ist dagegen nicht die Rede. Natürlich bleibt trotz alledem auch bei der Differenzierung in handschriftliche Übereignung und gedruckte Widmung, Zueignung oder Dedikation die terminologische Diskrepanz zwischen historischer Quelle und wissenschaftlicher Untersuchung bestehen. Deswegen soll in dieser Arbeit im Sinn einer pragmatischen Lösung und zur leichteren Unterscheidbarkeit beider Phänomene der handschriftliche Eintrag zwar grundsätzlich als Übereignung bezeichnet werden, während die Bezeichnungen Zueignung, Widmung und Dedikation als Synonyme für gedruckte Widmungen gleichberechtigt verwendet werden. Wo, z. B. bei der Zitation von zeitgenössischem Quellenmaterial, die Bezeichnung einer handschriftlichen Übereignung als Widmung jedoch unumgänglich ist, wird dies entsprechend angezeigt. Die demnach trotz allem in diesem Punkt unvermeidbare terminologische Unschärfe macht es umso notwendiger, sich die unterschiedlichen Bedeutungsebenen und Wertigkeiten beider Phänomene in allen Facetten vor Augen zu führen und Gemeinsamkeiten und Unterschiede klar zu benennen. Denn sowohl auf formaler als auch auf inhaltlicher Ebene sind Differenzen zwischen handschriftlichem und gedruckten Eintrag ersichtlich: Der Rahmen wird gesteckt durch die drei Gegensatzpaare materiell – ideell, privat – öffentlich und Mehrfachwidmung – Exklusivität.

189 Art. »übereignen«, in: Grimm, Deutsches Wörterbuch XI/II (Teilbd. 23), Sp. 169. 190 Ebd.

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Materielle Übereignung – ideelle Widmung Gemeinsam ist beiden Varianten, dass sie die materielle Manifestation eines Aktes der Abtretung von Eigentumsrechten darstellen – freilich unter sehr unterschiedlichen Prämissen und mit unterschiedlichem Wirkungsgrad. Ein handschriftlicher Übereignungstext ist gemeinhin als der Ausdruck einer rein materiellen Schenkung in privatem Rahmen zu betrachten. Der neue Besitzer erhält demnach zwar das betreffende Exemplar als Geschenk, hat aber keine darüber hinausgehenden, besonders den Inhalt des Werks berührenden Rechte. Die im Druck verbreitete Dedikation bedeutet dagegen die symbolische Abtretung der Rechte an den geistigen Inhalten. Sie betrifft das Werk selber in seinem ursprünglichsten Sinn als immaterielles Geistesprodukt. Zwar ist damit auch die gedruckte Zueignung als Ausdruck der Überreichung eines Geschenks zu betrachten191, dieses ist aber nun rein ideeller Natur. Es bestehen tatsächlich durch die Widmung keinerlei materielle Ansprüche; die Eigentumsrechte an den einzelnen Exemplaren bleiben, obwohl sie alle den Namen des Widmungsträgers tragen, unberührt. Ein Widmungsexemplar im eigentlichen Sinn kann es deswegen bei einer gedruckten Widmung nicht geben. Handschriftliche Eintragungen sind also im Gegensatz zur gedruckten Dedikation – obwohl oft gleich benannt – ganz im Sinn Genettes eher als Ausdruck widmungsähnlicher Schenkungen anzusehen. Besonders die divergierende ideelle Bedeutung beider Spielarten bedingt, dass einer jeden Widmung des 19. Jahrhunderts eine reflektierte Entscheidung für den gedruckten oder handschriftlichen Eintrag vorausging. Aus dieser Entscheidung ergeben sich wiederum Konsequenzen für die formale Gestaltung der Zuschrift. Sie äußern sich im 19. Jahrhundert vor allem in der unterschiedlichen Vorgehensweise während des Übertragungsaktes.192 Die angeführten Diskrepanzen manifestieren sich im 19. Jahrhundert auf formaler Ebene vor allem in den unterschiedlichen, vom Widmungsschreiber zu erfüllenden Voraussetzungen, die zur Dedikation berechtigten: Denn es können nur Besitzansprüche abgetreten werden, die tatsächlich in der Verfügungsgewalt des Widmenden liegen. Um ein Werk im Druck zueignen zu dürfen und so vor den Augen der Öffentlichkeit einen Teil seiner Rechte am geistigen Inhalt des Werks symbolisch an den Adressaten abzutreten, musste der Aussteller im

191 Die Funktion der Widmung als Geschenk hat unter anderem weitreichende Auswirkungen auf die gesellschaftliche Wahrnehmung und Erwartungshaltung. Auf diese Einbindung der Widmung in die sozialwissenschaftlich relevante ›Theorie der Gabe‹, als deren Urheber Marcel Mauss und Jacques Derrida gelten, wird im Kapitel II. 3 Zur Funktion und Intention von Widmungen ausführlich eingegangen. 192 Vgl. in diesem Zusammenhang auch das Kap. II. 2 Die Widmung als kommunikativer Akt, S. 88.

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19. Jahrhundert deshalb das Kriterium des geistigen Eigentums am Werkinhalt erfüllen – musikalische Werke konnten demnach im Normalfall nur vom Komponisten selber dediziert werden. In verschiedenen Äußerungen aus dem Umkreis der Widmungen an Brahms193 wird dies deutlich. Brahms berichtete über eine Aufführung des ihm gewidmeten Streichquartetts op. 42/1 an dessen Komponisten Heinrich von Herzogenberg: »Heute spielt Heckmann Ihr – unser Quartett Nr. 1«.194 Auch Joseph Joachim bezeichnete sein Brahms gewidmetes Concert in ungarischer Weise für Violine und Orchester op. 11 gegenüber dem Widmungsträger als »mein, oder eigentlich jetzt Dein ungarisches Konzert.«195 Noch über diese floskelhafte Benennung der Besitzverhältnisse hinausgehend thematisierte Brahms verschiedentlich die Auswirkungen einer Widmung, die sich in der geteilten Verantwortung für das zugeeignete Werk ausdrückten. Die Äußerungen betreffen sowohl die Rolle des Widmenden als auch des Widmungsträgers: »Du wirst Dich hüten, wieder um ein Konzert zu bitten«, schrieb er scherzhaft anlässlich der Widmung seines Violinkonzertes op. 77 an Joseph Joachim. »Etwas entschuldigt, daß das Konzert Deinen Namen trägt, Du also für den Violinsatz so ein wenig verantwortlich bist.«196 Tatsächlich hatte der Geiger Brahms bei der Erarbeitung des Violinparts stark unterstützt, auch das wird durch den Widmungstext visualisiert. Nur ein Jahr zuvor hatte Brahms im Brief anlässlich seiner Annahme der Widmung des Streichquartetts F-Dur op. 7 von Felix Otto Dessoff süffisant bemerkt, »die Schläge kriegen wir dann auch gemeinschaftlich wenn die Leute es zu kindlich finden.«197 Nicht nur in diesem Fall verwendete Brahms den Verweis auf seine durch die Widmung transportierten und visualisierten Eigentumsrechte, um hintersinnig Kritik an einer ihm zugeeigneten Komposition zu äußern. Gegenüber Philipp Wolfrum bemerkte er dementsprechend: »Da die Sonate doch gewissermaßen die meine ist, so möchte ich sie auch behandeln wie meine ganz eigene. Sind diese einmal gedruckt, so sehe ich sie möglichst freundlich u. ohne Kritik an – sonst gäb’s ja schon gar kein Vergnügen!«198 193 Die hier getroffenen Aussagen können trotz der Begrenzung des untersuchten Repertoires als repräsentativ für die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts gelten. Joseph Joachim schrieb so am 9. Januar 1954 an Franz Liszt anlässlich eines geplanten Konzertes (zit. n. JoachimBW I, S. 142): »Hättest Du außerdem zu der ungarischen Rhapsodie von Liszt Lust, die ich mit Stolz die meine nennen darf ?« 194 Brahms an Heinrich v. Herzogenberg, [21. November 1884], BW II, S. 40. 195 Joachim an Brahms, [Anfang Januar 1861], BW V, S. 297. Für die Widmung der Sinfonie Nr. 6 g-Moll op. 32 bedankte sich Joachim in ähnlicher Weise beim Komponisten Niels W. Gade mit den Worten, er sei stolz, dass »Ihre neueste Sinfonie mir gehört« (vgl. Joachim an Gade, Mitte Oktober 1858, Joachim-BW II, S. 27). 196 Brahms an Joseph Joachim, [22. Juni 1879], BW VI, S. 170f. 197 Brahms an Felix Otto Dessoff, [zwischen dem 21. und dem 25. Juni 1878], BW XVI, S. 182. 198 Brahms an Philipp Wolfrum, [ca. Oktober 1882], zit. nach Auktionskatalog Hans Schneider,

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Die enge Verbindung, die durch den Dedikationsakt zwischen dem Widmungsträger einerseits und dem übereigneten Werk andererseits entsteht, wird in der Korrespondenz teilweise noch auf anderer Ebene deutlich: Der Adressat wird terminologisch in die ›Familie‹ des Komponisten und seiner Geisteskinder (den Kompositionen) einbezogen. Ganz in der Tradition der Mozart’schen Widmung seiner Streichquartette an »padre, guida et amico« Haydn wird dem Widmungsträger vom Komponisten die Patenschaft angetragen. Der ›Vater‹ überträgt damit eine gewisse Verantwortung an den »Gevatter« – so die Bezeichnung, die Julius Otto Grimm für Brahms, den Widmungsträger seiner Zweiten Suite in Canonform für Orchester op. 16 wählte.199 Der Akt der Veröffentlichung einer Dedikation ist damit geradezu eine symbolische Taufe der betreffenden Werke, die unter dem Schutz und Namen sowohl des Widmungsträgers (des Paten) als auch des Urhebers (dessen Rolle gleichzusetzen ist mit der eines Elternteils) der Öffentlichkeit vorgestellt und übergeben werden. Die Verfasser eines handschriftlichen Übereignungstextes müssen dagegen statt der Autorschaft nur das Kriterium des materiellen Eigentums am Widmungsexemplar erfüllen. Dementsprechend ist die Gruppe möglicher Urheber weit gefasst: Die Möglichkeit der schriftlichen Übereignung und Weitergabe eines beliebigen Exemplars steht nicht nur dem jeweiligen Komponisten des Werks, sondern auch jedweder anderen Person offen – sofern sie Besitzer des Autographs oder Drucks ist. Da nun der Aussteller also nicht in jedem Fall mit dem auf dem Titelblatt angegebenen Komponisten übereinstimmen muss, ist der Text normalerweise vom Widmenden signiert.200 Auch auf die zitierte handschriftliche Übereignung Thieriots an Eduard Marxsen trifft dies zu. Tutzing 3. Dezember 1971, S. 5. Im Brief bedankt sich Brahms für die »freundliche Widmung Ihrer ersten Arbeit«. Diese Orgelsonate b-Moll ist allerdings Joseph Rheinberger gewidmet. Mutmaßlich hatte Wolfrum Brahms aus Anlass der Bitte um Widmungserlaubnis auch dieses bereits gedruckte Werk zur Ansicht zugesandt, Brahms hatte die Nummerierung dann im Antwortbrief verwechselt. Dies führte zur falschen Datierung des vorliegenden Briefes auf 1879, dem Jahr der Drucklegung der Orgelsonate b-Moll. Tatsächlich ist die Brahms gewidmete Orgelsonate Nr. 3 f-Moll op. 14 erst 1883 im Druck erschienen. Da Brahms im Brief ein gerade im Druck befindliches eigenes Quintett (wohl op. 88) erwähnt und nach Informationen eines vorherigen Briefes gerade aus Italien zurückgekehrt war, dürfte das Schreiben vielmehr im Oktober 1882 entstanden sein. 199 Vgl. die Formulierung der brieflichen Bitte um Widmungserlaubnis von Julius Otto Grimm (8. Mai 1870) an Brahms: »Darf ich Dich also zu Gevatter bitten?« (BW IV, S. 119). Die Terminologie ist im Kontext des 19. Jahrhunderts durchaus üblich. Auch Joseph Joachim trug so Herman Grimm an, »des Stückes Pathe« (der Variationen für Viola op. 10) zu sein (30. August 1855, Joachim-BW I, S. 292). 200 In der Form »Für X von Y« (vgl. Brahms, handschriftliche Übereignung des Abendliedes aus den Vier Quartetten für Sopran, Alt, Tenor, Bass und Klavier op. 92/3 an Wilhelm Lindeck [1833–1911], den Vermögensverwalter von Brahms und Bruder des Dirigenten und Brahms-Freundes Hermann Levi: »Herrn Wilhelm Lindeck zu freundlichem Versuch angeboten von J. Brahms.«) oder als direkte Unterschrift, z. B.»X zur Erinnerung. Y« (J. P.

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Der von der gedruckten Widmung klar zu unterscheidende Bezugsrahmen war den Zeitgenossen im Kontext des 19. Jahrhunderts immer deutlich, anders wäre eine ›Doppelwidmung‹, wie sie durch den eingangs erwähnten doppelten Zueignungstext Karl Nawratils an Brahms ausgedrückt wurde, kaum plausibel zu erklären.201 Auch eine ganz andere Spielart der ›Doppelwidmung‹ eines Exemplars mag verdeutlichen, dass im Druck veröffentlichte Widmungen als zum Werk gehörig betrachtet wurden, handschriftliche dagegen nur mit dem jeweiligen Einzelexemplar verbunden waren: In der autographen Stichvorlage seiner Sechs Gesänge op. 6 trug Brahms die für das Titelblatt des Drucks vorgesehene Dedikation an Minna und Luise Japha zur Information des Verlegers Bartholf Senff in den Titel integriert ein.202 Diese Widmung hinderte ihn allerdings nicht daran, genau dieses Exemplar mit einer zusätzlichen Übereignung versehen Julius Otto Grimm zu schenken. Unten auf dem Titelblatt findet sich die Aufschrift »Meinem lieben Julius zur Erinnerung an Kreisler jun.«203 Bereits in diesem frühen Stadium wurde also schon zwischen dem offiziellen Widmungsträger des zukünftigen Drucks und dem privaten Adressaten des Exemplars unterschieden – die offensichtliche Funktion des Autographs als Stichvorlage machte die Gültigkeit der ebenfalls handschriftlichen Zueignung an die Schwestern Japha für den Druck verständlich. Private Übereignung – öffentliche Widmung Typisch ist am Beispiel der autographen Stichvorlage der Sechs Gesänge op. 6 die unterschiedliche Formulierung der beiden Eintragungen: Während die offizielle, im Druck zu veröffentlichende Widmung den Akt der Zueignung durch das Verb »gewidmet« deutlich macht204, fehlt bei Brahms im Rahmen handschrift-

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Gotthard: Sechs Stücke in Tanzform: »Johannes Brahms zur Erinnerung an gemüthlich verlebte Stunden J. P. Gotthard Wien 20. Mai 868«). Der gedruckte Widmungstext betrifft auch in diesem speziellen Fall, in dem sowohl Adressat als auch Aussteller der gedruckten und handschriftlichen Texte jeweils identisch sind, immaterielle und vor allem ideelle Ansprüche des Adressaten hinsichtlich des kompositorischen Inhalts. Der handschriftliche Text bezieht sich dagegen auf das konkrete überreichte Exemplar des Werks, das durch die Übereignung den Besitzer wechselt. »Sechs Gesänge j für Tenor oder Sopranstimme [darüber vom Verlag geändert zu: »Sopran« bzw. »Tenor«] j mit Begleitung des Pianoforte j componirt von j Johannes Brahms. op. 6. [rechts: »Fräulein Luise und Minna Japha gewidmet.«]« Es folgt die Angabe zur Reihenfolge der Lieder. Das Original befindet sich im Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien, Angaben zit. n. McCorkle, Brahms-Werkverzeichnis, S. 18. McCorkle, Brahms-Werkverzeichnis, S. 18. Nur bei einer einzigen Widmung – der des Tafelliedes op. 93b »den Freunden in Krefeld zum 28.ten Januar 1885« zugeeignet – verzichtet Brahms auf die Verwendung eines performativen Verbs. Diese Ausnahme ist schon dadurch bemerkenswert, dass sie die einzige datierte Dedikation ist, sie also Bezug auf ein bestimmtes Ereignis nimmt – in diesem Fall konkret auf die Feier des 50-jährigen Stiftungsfestes der Krefelder Konzertgesellschaft. So wird der

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licher Eintragungen ein solches Verb üblicherweise.205 Dies ist ein konkreter Hinweis, dass Brahms der Charakter des materiellen Geschenks, der im Gegensatz zur ideellen Widmung mit der Übereignung verbunden war, sehr bewusst war. Im kursorischen Überblick erweist sich diese reflektierte Wortwahl als typisch für die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts – nur wenige Zeitgenossen waren in der Verwendung der Formulierungen nicht so differenziert.206 Der Geschenkcharakter bedingt freilich, dass dem handschriftlich eingetragenen Adressaten eines Einzelexemplars meist die Exklusivität als einzigem Widmungsträger eines Werks verwehrt blieb: Gerade Komponisten machten von der Möglichkeit Gebrauch, verschiedene Exemplare ein und desselben Werks ihrer Feder – egal, ob zwei Drucke oder mehrere Abschriften207 – verschiedenen Personen mit einer persönlichen Aufschrift zu überreichen. Dies geschah unabhängig davon, ob das Werk bereits einen offiziell im Druck vermerkten Widmungsträger aufwies. Die eingangs zitierten zwei Zueignungen des Exemplars des Klaviertrios op. 14 von Ferdinand Thieriot sind nur eines von unzähligen Beispielen. In diesem speziellen Fall ist allerdings immerhin ein gemeinsamer Bezugsrahmen aller Beteiligten gegeben. Denn Marxsen, der Adressat der handschriftlichen Übereignung, war in Hamburg sowohl der Lehrer Brahms’ als auch Thieriots gewesen und hatte deswegen offenkundig Interesse an beiden am ›offiziellen‹, im Druck niedergelegten Widmungsvorgang beteiligten Personen. Meist rekurrieren die Texte handschriftlicher Übereignungen aber auf eine sehr persönliche Verbindung allein zwischen dem Schenkenden und dem Empfänger, oft handelt es sich z. B. um ein bestimmtes gemeinsames Erlebnis. »Als Erinnerung an das erste gemeinschaftlich gehörte philharmonische Concert, von Schwester Helene. Weihnachten 1889« lautet die Übereignung auf einer Partitur der Klavierausgabe der Brahms im Druck zueigentlich durch die gedruckte Widmung formulierte Anspruch der zeitlich unbegrenzten Gültigkeit zumindest eingeschränkt. Unter den Widmungen an Brahms enthält ebenfalls die Mehrzahl ein performatives Verb, konkret betrifft dies 84 der 96 Widmungen. Vgl. dazu auch Kap. II. 4 Der Widmungstext als Informationsträger, dort bes. S. 142. 205 Einzige Ausnahme ist die handschriftliche Übereignung des Tafelliedes op. 93b, »Alwinchen und Mariechen j u. einigen Andern j freundlichst gewidmet! j J. Brahms.« »Alwinchen und Mariechen« gehörten allerdings auch zur Gruppe der »Freunde in Crefeld«, denen das Werk im Druck zugeeignet war. 206 Vgl. z. B. das in Brahms’ Bibliothek überlieferte Exemplar von Heinrich Dieters Junge Liebe. Rückschau einer jungen Braut, 2Salzburg 1895. Die handschriftliche Übereignung auf dem Titelblatt lautet »Herrn Dr. Johannes Brahms in Verehrung und Dankbarkeit gewidmet. S. 17/10.95. H. Dieter.« (Kurt Hofmann: Die Bibliothek von Johannes Brahms. Bücher- und Musikalienverzeichnis, Hamburg 1974, S. 24). Diese Formulierung stellt allerdings die absolute Ausnahme dar. 207 Vgl. die handschriftlichen Übereignungen von zwei autographen Exemplaren von Der Überläufer op. 48/2 durch Brahms an Rosalie Leser und Ida Flatz (McCorkle, BrahmsWerkverzeichnis, S. 190f.).

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geeigneten Symphonischen Variationen op. 27 von Jean Louis Nicod¦.208 Die Adressatin ist namentlich nicht näher spezifiziert, kann allerdings mit einiger ˇ esky´ Dub in Tschechien identifiziert Sicherheit als Martha von Schmitt aus C 209 werden. Auch die Übereignung des Autographs von Robert Schumanns Sinfonie Nr. 4 d-Moll op. 120 an Joseph Joachim bezog sich auf private Ereignisse, weswegen Schumann sie nicht im Druck mitteilen ließ. Er wollte die durch ihn gezogene emotionale Verbindung zwischen Werk und Freund (so ist es im Übereignungstext vermerkt) »im Stillen«210 halten. Wie bereits die dritte Sinfonie erschien auch diese schließlich im Erstdruck ohne offiziellen Widmungsträger.211 Der unterschiedliche Öffentlichkeitsgrad von handschriftlichem und gedrucktem Eintrag ist an den angeführten Beispielen gut zu erkennen. Der handschriftliche Text verbleibt normalerweise in privatem Rahmen, die Öffentlichkeit hat an dem Vorgang nicht teil. Deswegen kann er auf Begebenheiten Bezug nehmen, die nur dem Schenkenden und dem Adressaten gegenwärtig sind. Die Einmaligkeit der Aktion, aus der keine weiteren Verpflichtungen oder Rechte resultieren, wird durch das oft mitgeteilte genaue Datum der Übereignung verdeutlicht.212 Der gedruckte Widmungstext wird – augenscheinlich, um den hohen ideellen Wert auszudrücken – der Öffentlichkeit dagegen bewusst mitgeteilt: Ohne Datum, um die unbegrenzte Gültigkeit zu betonen, die eigentlich auch alle Folgeauflagen betreffen sollte.213 Dieses Bewusstsein, dass die 208 Exemplar des Brahms-Instituts an der Musikhochschule Lübeck (Digitalisat unter www.brahms-institut.de). 209 Dies über den Besitzvermerk auf dem Titelblatt (rechts oben: »Martha v. Schmitt.«): Es handelt sich wohl um ein Geschenk der Helene von Schmitt an ihre Schwester Martha von ˇ esky´ Dub in Tschechien. Martha von Schmitt, verh. Ginzkey aus Böhmisch Aicha, heute C Schmitt stand unter anderem mit Anton Bruckner in Kontakt (vgl. Anton Bruckner : Sämtliche Werke. Kritische Gesamtausgabe, Bd. 24/2: Briefe 1887–1896, hg. v. Andrea Harrandt u. Otto Schneider, Wien 2003, S. 320). 210 Der handschriftliche Text auf dem Autograph lautet: »Als die ersten Klänge dieser Symphonie entstanden, da war Joseph Joachim noch ein kleiner Bursch; seitdem ist die Symphonie und noch mehr der Bursch größer gewachsen, weshalb ich sie ihm auch, wenn auch nur im Stillen – widme. Düsseldorf,d. 23sten Dec. 1853. Robert Schumann.« Zit. n. Seiboldt, Familie, Freunde, Zeitgenossen, S. 134. Die trotz der Privatheit große Wichtigkeit der Aussage wird durch die Verwendung des Wortes »widmen« angezeigt. 211 Die ersten beiden Sinfonie tragen dagegen Widmungen an Friedrich August II., König von Sachsen (Sinfonie Nr. 1 B-Dur op. 38) bzw. Oscar I., König von Schweden und Norwegen (Sinfonie Nr. 2 C–Dur op. 61). Bernhard Appel bringt dies in Verbindung mit dem Revolutionsjahr 1848, nach dem der republikanische Komponist keine politische Widmung eines repräsentativen Werks mehr vergeben wollte. Vgl. Appel, Schumanns Schaffensweise, S. 177. 212 Vgl. zu weiteren Aspekten der spezifischen Formulierung des Widmungstextes das Kapitel II. 4 Der Widmungstext als Informationsträger. 213 Intendiert war also auch die Übernahme in weitere Auflagen, was allerdings von den Verlegern oft nicht beachtet wurde. Sollte eine Widmung auf keinen Fall weiter über-

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Exklusivität des Widmungsträgers alle Ausgaben eines Werks betreffe, ist zur Brahms-Zeit besonders stark. Weder unter den Brahms gewidmeten noch unter den von Brahms an andere Personen gerichteten Kompositionen ist ein Werk zu finden, dass in einer parallelen Ausgabe (z. B. für ein anderes Land) oder einer Folgeauflage einen gegenüber dem Erstdruck veränderten Widmungsträger aufweist. Oft wurde die Dedikation freilich in einer späteren Auflage oder Neuausgabe, besonders nach dem Tod eines oder beider Protagonisten, einfach weggelassen. Anders wird dies in der Zeit unmittelbar vor Brahms gehandhabt: Solange die Widmung primär funktional-pragmatisch und nicht ideell angesehen wurde214, konnten die Werke ohne größere Probleme auch im Druck in verschiedenen Ausgaben parallel verschiedenen Personen zugeeignet werden. Ein Beispiel ist die komplexe Widmungslage der Hebriden-Ouvertüre von Felix Mendelssohn Bartholdy. Der deutsche Erstdruck des Klavierarrangements von 1833 ist Mendelssohns Freund Franz Hauser zugeeignet215, der englische Erstdruck der Philharmonic Society, der Partiturdruck von 1835 »Seiner Königlichen Majestät dem Kronprinz von Preußen«.216 Die Auswahl der verschiedenen Adressaten trägt einerseits pragmatische Züge, lässt aber auch Rückschlüsse auf die soziologische Komponente einer jeden Entscheidung für einen bestimmten Widmungsträger zu. Denn die Funktion und die Wertigkeit der unterschiedlichen Fassungen korrespondiert mit der gesellschaftlichen Stellung der Adressaten. Das Klavierarrangement, primär für die Zwecke der privaten, hausmusikalinommen werden, da der Adressat sich als der Ehre nicht würdig erwiesen hatte, wurde dies von den Komponisten explizit vermerkt, vgl. Max Reger an seinen Verleger Simrock, 3. April 1915: »Schon jetzt bitte ich Sie davon Notiz zu nehmen, daß bei einer Neuauflage der Partitur op. 132 die Widmung ›Der Meininger Hofkapelle zur Erinnerung‹ unbedingt gestrichen werden muß […]. Diese Gesellschaft hat sich zum Schluß in Meiningen gegen mich noch geradezu hanebüchen benommen. Das war einfach unglaublich, umsomehr, als ich ganz allein durch Geldsammlungen, Konzerte etc die nicht festangestellten Mitglieder dieses Orchesters, welche der Herzog bei Ausbruch des Krieges sofort entlassen hat, ernährte, mit Ausnahme derjenigen, die Stellung anderwärts gefunden haben oder die im Felde sind.« Zit. n. Susanne Popp (Hg.): Briefe an den Verlag N. Simrock. Max Reger, Stuttgart 2005, S. 227f. 214 Vgl. zum primär merkantilen Aspekt der Widmung bis zum 18. Jahrhundert die Ausführungen im Kapitel I. 2 Zum Form- und Funktionswandel der Widmung musikalischer Werke. 215 Franz Hauser (1794–1870) war ein mit Mendelssohn befreundeter Opernsänger, Pädagoge und Musikaliensammler. Die Widmung ist in einem Brief vom 18. September 1833 an den Verleger Breitkopf & Härtel mitgeteilt (vgl. Felix Mendelssohn Bartholdy : Briefe, Bd. 1: Briefe an deutsche Verleger, ges. u. hg. v. Rudolf Elvers, Berlin 1968, S. 30f.). 216 Der spätere preußische König Friedrich Wilhelm IV. (1795–1861, Regierungszeit 1840–1858). Der Druck ist Bestandteil eines Sammeldrucks der drei Konzertouvertüren Mendelssohns bei Breitkopf & Härtel, allerdings nicht, wie ursprünglich von Mendelssohn gewünscht, unter der einheitlichen Opuszahl 27.

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schen Aufführung bestimmt217, wurde so an den Freund gerichtet. Die für öffentliche Zwecke gedachten Drucke der Originalfassung für Orchester erhielten dagegen mit Bedacht in beiden Fällen als Widmungsträger Personen des öffentlichen Lebens. Trotzdem weisen die Widmungen unterschiedliche Implikationen auf: Der englische Druck wurde bewusst mit jener Konzertgesellschaft in Verbindung gebracht, die die erste Aufführung bestritten hatte – die Widmung ist in diesem Rahmen einerseits dankbare Höflichkeitsadresse, diente andererseits aber auch der Werbung auf dem Markt eines Mendelssohn zwar wohlgesonnenen, aber nichtsdestotrotz fremden Landes. Die Widmung des Partiturdrucks von 1835 trägt dagegen den Charakter einer öffentlich-politischen Positionierung.218 Privatheit und Öffentlichkeit, Status und Funktion: Das sehr spezielle Widmungsvorgehen weist jedenfalls zum einen darauf hin, dass zumindest in bestimmten Fällen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts Arrangements219 durchaus ein eigenständiger Charakter zugestanden wurde und auch verschiedene Druckzusammenstellungen ideell als »neue« Werke gelten konnten. Zum anderen konnte sich aber auch die Ehrung einer Person durch Widmung auf nur eine Auflage beziehen. Während Dankbarkeit oder Freundschaft in den meisten Fällen sowohl gedruckte als auch handschriftliche Spielart begründen können, sind andere Widmungsintentionen gerade nur durch die mitinformierte Öffentlichkeit sinnvoll. So wird der Adressat eines handschriftlich eingetragenen Grußes in jedem Fall noch leben. Denn der Sinn ist in diesem Fall an den persönlichen Empfang des Geschenkes durch den Adressaten gebunden. Eine gedruckte Widmung kann dagegen auch posthum die Verehrung für und Verbindung zum verstorbenen Widmungsträger verdeutlichen, in der Funktion eines ›Requiems‹ oder ›Nachrufs‹. Dies war den Komponisten klar und wurde von ihnen als Möglichkeit zur eigenen Positionierung genutzt. Carl Reinecke, der kurz nach dem Tod von Brahms dessen »Manen«220 die Sonate für Violoncello und Klavier op. 238 zueignete, bemerkte dazu, er habe 217 Vgl. zum Charakter des Klavierarrangements näher Michael Struck: Zwischen Konzertsaal und Wohnzimmer: Brahms und das Klavier, in: Johannes Brahms – Ikone der bürgerlichen Lebenswelt?, hg. v. Wolfgang Sandberger u. Stefan Weymar (= Veröffentlichungen des Brahms-Instituts an der Musikhochschule Lübeck, Bd. 4), Lübeck 2008, S. 18. 218 So käme eine Deutung als Vermittlungsversuch im Streit um das 1834 vom Vater des Kronprinzen verbotene Niederrheinische Musikfest in Frage. Tatsächlich wurde das Fest 1836 wieder erlaubt. Vermittelt wurde der Kompromiss durch den Neffen des Königs, also den Cousin des von Mendelssohn bedachten Widmungsadressaten. 219 Den Charakter eines eigenständigen Werks tragen solche Arrangements im Gegensatz zu Bearbeitungen freilich nicht. Michael Struck bezeichnet sie passend als »Ersatz-Fassungen für Ersatz-Situationen« (Struck, Brahms und das Klavier, S. 21). 220 Nach altrömischer Vorstellung sind Manen die Geister der Verstorbenen, die als in der Unterwelt wirkende Gottheiten verstanden wurden.

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»doch stets eine ehrliche Bewunderung für seine Werke gehabt und glaube dies auch öffentlich dadurch bekundet zu haben, daß ich meine Sonate Op. 238 für Violoncell und Pianoforte den Manen Johannes Brahms’ gewidmet habe.«221

Den Widmenden war also sehr bewusst, dass der Druck einer Dedikation einen öffentlichen Akt darstellte, der den Namen des Adressaten auf immer mit dem Werk in Verbindung bringen würde. Das begründet auch, warum eine solche gedruckte Widmung im Gegensatz zur handschriftlichen Variante noch stark an ein historisch gewachsenes kommunikatives Regelwerk222 gebunden war : Der Empfänger der Zueignung sollte dadurch eine Verbindung seines Namens mit einem seiner Meinung nach unpassenden Werk verhindern können. Auch deswegen traf der Widmende bereits vor der Anfrage eine sehr bewusste Entscheidung für einen bestimmten Adressaten und für oder gegen den Druck des Dedikationstextes. Es sind komplexe Gedankengänge, mit denen ein Komponist wie Brahms die im Einzelfall getroffene Entscheidung begründete. So wurde unter den Zeitgenossen allgemein vermutet, Brahms habe die Akademische Festouvertüre op. 80 anlässlich der Verleihung der Ehrendoktorwürde durch die Universität Breslau komponiert. Erstaunlicherweise widmete er das Werk der Universität aber nicht im Druck, sondern bedachte sie nur mit einem Prachtexemplar mit handschriftlicher Übereignung.223 Die Begründung wird vier Jahre nach dem Druck in einem Brief an Simrock nachträglich ersichtlich: Für ihn, Brahms, sei das Werk nicht ausschließlich mit seiner »lumpigen Doktorenschaft« verbunden, sondern habe eigentlich einen allgemeingültigeren, politisch-gesellschaftlich motivierten Charakter. Sie bilde nämlich ein Panorama von 1809 durch die »schönsten und schlimmsten Studenten- und Burschenschaftszeiten […] bis – 1870 hinan!«224 ab. Die durchaus vorhandene Verbindung zwischen Werk und potenziellem Adressaten225 war also nach seiner Darstellung für eine gedruckte Dedikation nicht ausreichend. Tatsächlich ist die fehlende Zueignung damit auch Ausdruck der für Brahms so typischen Ver221 Reinecke, Erlebnisse, S. 168. Vgl. zur dieser Widmung inhärenten Positionierung im ästhetischen Parteienstreit das Kap. III. 1, bes. ab S. 169. 222 Vgl. Kap. II. 2 Die Widmung als kommunikativer Akt, hier bes. das Modell auf S. 91. 223 Brahms an Fritz Simrock, [5. Juli 1881], BW X, S. 179: »Für Breslau wünsche ich natürlich ein gestochenes Exemplar prachtvoll gebunden, und es ist wohl in Ordnung, daß ich die Widmung schreibe, denn sie soll nur in dies Exemplar kommen.« 224 Brahms an Fritz Simrock, [9. März 1885], BW XI, S. 91. 225 Grundlegend ist in dieser Hinsicht die Zitation von Studentenliedern wie Wir hatten gebauet ein stattliches Haus, dem Fuchsenritt und Teilen des Landesvaterliedes. Den Abschluss bildet das Studentenlied Gaudeamus igitur – das nach Brahms durchaus mitgesungen werden durfte (Brahms an Charles Villiers Stanford, März 1892, zit. n. Robert Pascall: Orchestermusik, in: Sandberger, Brahms-Handbuch, S. 476–541, hier S. 533). Tatsächlich war das Werk für den Festakt am 4. Januar 1881 komponiert worden. Vgl. zum Kontext der Akademischen Festouvertüre op. 80 Pascall, Orchestermusik, S. 531–534.

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schleierung von Bezügen226, um verschiedene Deutungen seiner Werke zu ermöglichen. Denn die Verbindung zur akademischen Welt (der Brahms nie offiziell als Student angehört hatte227) schafft ohne Zweifel einen der Verleihung der Doktorwürde angemessenen Rahmen. Doch der durch eine Widmung unvermeidlich konstruierte Zusammenhang der Komposition mit Breslau hätte die Brahms ebenfalls wichtige gesellschaftlich-politische Rezeption zumindest erschwert. Die Zueignung seiner Zwei Motetten op. 74 an Philipp Spitta stellte Brahms dagegen aus anderen Gründen in Frage: »Widme ich dem Musikgelehrten und Bachbiographen Motetten, so sieht es aus, als ob ich Besonderes, Mustergültiges in dem Genre machen zu können glaubte, usw. usw.«228 In diesem Fall wurde die Widmung trotz der Skrupel schließlich im Druck veröffentlicht – Spitta hatte über Joseph Joachim bereits von der ihm zugedachten Ehre erfahren. In anderen Fällen wurden geplante Zueignungen dagegen aus den verschiedensten Gründen wieder zurückgezogen: Noch in der Stichvorlage der Vier Balladen und Romanzen op. 75 hatte er als für den Druck vorgesehene Zueignung vermerkt: »Frau Elisabeth von Herzogenberg geb. von Stockhausen zugeeignet«.229 Später kamen ihm allerdings Zweifel an der Angemessenheit des Inhalts, die Texte schienen ihm zunehmend unpassend für eine Frau. In einem Brief an Fritz Simrock bemerkte er : »Nr. 1 [Edward] und Nr. 4 [Walpurgisnacht] sind zu schauderhaft, Nr. 2 [Guter Rat] und 3 [So laß uns wandern!] zu liederlich für eine Dame«.230 Die Elisabeth von Herzogenberg bereits mitgeteilte Dedikation erfolgte nicht, das Werk wurde Julius Allgeyer zugeeignet, der Brahms den Text der ersten Ballade (Edward) vorgestellt hatte.231 Richard Heuberger, der Brahms 226 Vgl. v. a. das Kap. II. 3. 2, bes. ab S. 110. 227 Trotzdem hatte er einen persönlichen Zugang zu den in der Ouvertüre zitierten Liedern entwickelt, die damit auch einen autobiographischen Bezug darstellen: Nach Auskunft Eduard Hanslicks hatte er sie »mit Joachim in den Studentenkreisen Göttingens oft und begeistert gesungen« (Eduard Hanslick: Concerte, Componisten und Virtuosen der letzten fünfzehn Jahre. Kritiken [1870–1885], Berlin 1886, S. 298). 228 Brahms an Simrock, [31. Oktober] 1878, BW X, S. 91. Philipp Spitta veröffentlichte 1873–1879 seine zweibändige Bachbiographie. Vgl. zu dieser Widmung auch Sandberger, »Musikwissenschaft und Musik«. 229 Stichvorlage zu den Vier Balladen und Romanzen op. 75, Brahms-Institut an der Musikhochschule Lübeck, Sign.: Bra : A2 : 36. 230 Brahms an Fritz Simrock, [12. September 1878], BW X, S. 84. 231 Der Text der Ballade Edward ist in Johann Gottfried von Herders Stimmen der Völker in ihren Liedern (1773) in einer deutschen Übersetzung mitgeteilt. Das Original der Ballade ist in der schottischen Ursprungsfassung unter anderem in Thomas Percys Sammlung Reliques of Ancient English Poetry, die 1865 nur acht Jahre vor der Übersetzung Herders erschien, überliefert. Die ursprüngliche Widmungsadressatin Elisabeth von Herzogenberg erhielt später die Zwei Rhapsodien op. 79 gewidmet, zu denen sie sich vorher dezidiert geäußert hatte. Vgl. Elisabeth v. Herzogenberg an Brahms, 4. Februar 1880, BW I, S. 110. Zum Thema auch Sandberger, »Musikwissenschaft und Musik«, S. 24.

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die Dedikation seiner Orchestersuite Aus dem Morgenlande op. 25 zu Weihnachten 1887 bereits angekündigt hatte, ließ diese dagegen nach der von Brahms geäußerten Kritik erst 13 Jahre später veröffentlichen. Widmungsträger war nun nicht der – seit 1897 verstorbene – Brahms, sondern Eusebius Mandyczewski.232

Mehrfache handschriftliche Übereignungen – exklusive gedruckte Widmungen Dem Empfänger waren handschriftliche und gedruckte Zueignung aus unterschiedlichen Gründen wertvoll: Beide sind auf unterschiedliche Art und Weise Ausdruck einer persönlichen Auszeichnung des Adressaten durch den Schreiber. Die Besonderheit eines gedruckten Widmungstextes liegt in der durch die Gleichartigkeit und Unveränderlichkeit aller Exemplare einer Ausgabe bedingten herausgehobenen Stellung des Empfängers als alleiniger Adressat, eine Exklusivität, die durch mögliche Übereignungen des Einzelexemplars nicht revidiert wird. Damit wird die im Erstdruck vermerkte Dedikation zum höchstmöglichen öffentlichen Ausdruck von Anerkennung, Freundschaft oder Verehrung. Übereignungen machen dagegen jedes Einzelexemplar, egal ob Druck oder Abschrift, zu einem individuellen Geschenk. Sie stellen den einzigen »autographen und damit gewissermaßen einmaligen Teil eines gedruckten Buches«233 dar und sind deswegen für Autographensammler besonders interessant. Die Persönlichkeit der Inschrift und die direkte Adressierung sind als privater Ausdruck der Wertschätzung zu verstehen. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts baten in einigen Fällen Bekannte und Freunde sogar explizit um die Ausstellung einer handschriftlichen Zueignung für ihre Sammlung. Brahms thematisierte dies verschiedentlich in seinen Übereignungstexten, freundlich anlässlich der Übereignung der Quartette Sehnsucht und Nächtens op. 112/1+2 an die Sängerin Antonie Speyer-Kuffrath (»An Frau Antonie Speyer-Kuffrath auf freundliches Verlangen und in herzlicher Gesinnung. J. B«234), ironisch auf einem Autograph seiner Sieben Lieder op. 62/1–4: »Seinem Freunde Carl Reinthaler (auf Verlangen!)«235 Diese Art des Sammelns von Autographen setzt sich heute 232 Vgl. zur von Brahms geäußerten Kritik den Tagebucheintrag Heubergers (Richard Heuberger : Erinnerungen an Johannes Brahms. Tagebuchnotizen aus den Jahren 1875 bis 1897, hg. v. Kurt Hofmann, Tutzing 1971, S. 158), sowie zur zurückgezogenen Widmung Johannes Behr : Johannes Brahms. Vom Ratgeber zum Kompositionslehrer (= Schweizer Beiträge zur Musikforschung, Bd. 6), Kassel 2007, S. 54f. und Peter Grunsky : Epigone oder gescheiterter Reformer? Richard Heuberger in historischer Sicht, in: Brahms-Kongress Wien 1983, hg. v. Susanne Antonicek u. Otto Biba, Tutzing 1988, S. 187–198, hier S. 192. 233 Genette, Paratexte, S. 134. 234 Angaben nach McCorkle, Brahms-Werkverzeichnis, S. 450. 235 Brahms-Institut an der Musikhochschule Lübeck (Digitalisat unter www.brahms-institut.de).

Konzepte gedruckter und handschriftlicher Widmung

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in veränderter Form236 in den zahlreichen Signierstunden von Autoren und Künstlern fort. Eine persönliche Bekanntschaft zwischen dem Signierenden und dem Buchbesitzer wird dort zwar häufig durch pseudo-persönliche Formulierungen, vor allem die Nennung des Namens (»Für XY mit den besten Wünschen«), suggeriert, ist aber meist nicht vorhanden.

1.1

Zur unterschiedlichen Ausprägung der handschriftlichen Übereignung

Ist bei der Übereignung eines gedruckten Buchs die handschriftliche Inschrift der einzige autographe und damit einzigartige Anteil, so muss die Wertigkeit eines mit einer persönlichen Zuschrift überreichten Autographs noch höher sein. Denn hier entscheidet sich der Schenkende anders als im Fall des in einer ganzen Auflage druckgleichen Buchs, die Eigentumsrechte an einem einmaligen Besitz abzutreten. Und es ist noch eine weitergehende Differenzierung möglich – auch die Wertigkeit von übereigneten Autographen lässt sich unterscheiden: Handelt es sich um die Niederschrift des gesamten Opus oder einen Teil des Werks? Ist es ein originales Arbeitsexemplar oder im Sinn eines Albumblattes bereits für einen bestimmten Adressaten entstanden? Tendenzen, die Hinweise zur Bewertung geben können, finden sich in äußerlichen und inhaltlichen Merkmalen, z. B. in den von Brahms anlässlich verschiedener Anlässe niedergeschriebenen Übereignungstexten.237 Gesamtautographe wichtiger Kompositionen wie Konzerte und Sinfonien sind von Brahms dem Inhalt und Stil der Texte nach nur an gute Freunde und enge Bezugspersonen vergeben worden. Indikator ist die Beschreibung jedes Adressaten als »Freund« oder die Verwendung des Personalpronomens »Seiner«/»Seinem«. Häufigste Adressatin ist Clara Schumann, an die immerhin gut ein Drittel der insgesamt elf Übereignungen eines Gesamtautographs gerichtet sind.238 Die Übereignungen sind von unterschiedlichen Beweggründen motiviert, haben aber stets einen persönlichen Hintergrund: Anlass war gewöhnlich 236 Verändert vor allem in einem Punkt: Das Exemplar befindet sich meist schon im Besitz des Adressaten, der Eintrag stellt damit nicht mehr den symbolischen Ausdruck einer tatsächlichen Übereignung dar. 237 Es wurden also in diesem Fall die Übereignungen an Brahms nicht beachtet. Dies war vor allem sinnvoll, da sich zwar mit Sicherheit übergreifende Merkmale finden ließen, der Stil des Textes neben allgemeinen Konventionen aber immer auch von den Eigenarten eines jeden Widmenden beeinflusst wird. Alle in der Folge betrachteten Übereignungstexte sind zu finden bei McCorkle, Brahms-Werkverzeichnis. 238 An sie gehen konkret die Autographe der Sechzehn Variationen fis-Moll für Klavier über einThema von Robert Schumann op. 9, Variationen und Fuge B-Dur für Klavier über ein Thema von Händel op. 24, der Klavierauszug von Ein Deutsches Requiem op. 45 und die Fassung für vierhändiges Klavier der Sinfonie Nr. 2 D-Dur op. 73.

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ein besonderes Ereignis (der Geburtstag Claras bei op. 24, Weihnachten bei op. 45) oder Claras Eigenschaft als Ehefrau Robert Schumanns (Autograph der Variationen über ein Thema Robert Schumanns op. 9). Immer aber wahrte Brahms darüber hinaus eine gewisse musikalische Passgenauigkeit und bedachte die Rolle Clara Schumanns als Pianistin: Alle übereigneten Autographe zeigen entweder originale Klavierwerke oder sind Bearbeitungen für Klavier. So gingen ihr besonders wichtige Werke wie Ein Deutsches Requiem op. 45 und die Sinfonie Nr. 2 op. 73 im Klavierauszug bzw. der Fassung für vierhändiges Klavier zu. Erstaunlicherweise ist der Text abgesehen von der persönlichen Adressierung gewöhnlich relativ allgemein gefasst. Konkrete Anlässe für eine Übereignung werden im Normalfall nicht genannt, die immer wiederkehrenden inhaltlichen Topoi umfassen Dank, Erinnerung, Verehrung. Diese Diskrepanz zwischen der engen Beziehung von Adressat und Widmendem, die oftmals sogar als Freundschaft bezeichnet werden kann, und dem (relativ) förmlichen Text deutet auf eine vergleichsweise hohe Wertigkeit hin. Dies wird auch dadurch nahe gelegt, dass Brahms – anders als bei Widmungen im Druck – auch umfangreiche und damit besonders wertvolle Autographe großer Werke übereignete: »Seinem herzlich geliebten Hans v. Bülow in treuer Freundschaft. Johs Brahms. [links:] Wien, 8. Januar 1890« lautet die Inschrift auf dem Autograph der Sinfonie Nr. 3 op. 90.239 Es wäre zu erwarten, dass der Text bei solch wertvollen Geschenken kein Ausstellungsdatum beinhalte, um ähnlich einer gedruckten Widmung Zeitlosigkeit und nicht anlassgebundene Gültigkeit zu implizieren. Doch das ist, wie am Beispiel des Autographs der 3. Sinfonie bereits deutlich wird, nicht der Fall. Zwar ist die Datierung seltener als bei der Übereignung von Autographen weniger umfangreicher Werke, Teilautographen und Albumblättern, ist aber immerhin bei der Hälfte der bekannten handschriftlichen Übereignungen von Gesamtautographen von Brahms zu finden.240 Im Fall der Albumblätter und spontan für Übereignungszwecke niedergeschriebenen Werkteile ist der Adressatenkreis weiter gespannt – konnten Autographensammler doch durchaus auch persönlich um ein solches Geschenk bitten. Die Übereignung eines Gesamtautographs wäre bei solchen Anfragen ungeeignet gewesen, da das Exemplar tatsächlich einmalig und damit zu wertvoll gewesen wäre. Daneben war der Brauch, im Rahmen eines Albums handschriftliche Einträge von Freunden, Bekannten und berühmten Zeitgenossen zu sammeln, im 19. Jahrhundert weit verbreitet. Die Kopie eines einzelnen Liedes 239 Text widergegeben n. McCorkle, Brahms-Werkverzeichnis, S. 371. 240 Das betrifft konkret sechs der elf Übereignungen. Vgl. z. B. die der Klarinettensonaten op. 120 an Richard Mühlfeld: »Hrn. Richard Mühlfeld dem Meister seines schönen Instrumentes in herzlich dankbarer Erinnerung. J. Brahms. Ischl im Som[m]er 95.« Laut McCorkle, Brahms-Werkverzeichnis, S. 480, markiert die Datierung den Zeitpunkt des Geschenks.

Konzepte gedruckter und handschriftlicher Widmung

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oder eines Melodiezitats war zu diesem Zweck relativ rasch hergestellt und damit anders als die wertvollen Gesamtautographen von Sinfonien, Konzerten und ganzen (Lieder-)Zyklen in diesem Sinn nicht einmalig. Geht ein solches Autograph an Fremde oder nur entfernte Bekannte, ist dies erkennbar an der relativ einheitlichen Formulierung des Übereignungstextes. Der inhaltliche Horizont umfasst wiederum Dank, Erinnerung, Verehrung, zusätzlich Abschied (v. a. bei Albumblättern), der Tonfall der Adressierung ist aber im Gegensatz zu den Übereignungen von Gesamtautographen distanzierter. Ist die Übereignung dagegen an Freunde und gute Bekannte gerichtet, kann ihr Text sehr persönlich gestaltet sein und auf bestimmte Anlässe oder textuelle und musikalische Anknüpfungspunkte zwischen Werk und jeweiligem Adressat Bezug nehmen. Eine Abschrift des Liedes Über die Heide op. 86/4 übereignete Brahms beispielsweise seinem sonntäglichen Ausflugspartner : »An Ludwig Rottenberg fröhlicheren Wanderschritt wünschend!«241 Die Sechs Gesänge op. 3 von Brahms zeigen in ihrer außergewöhnlich gut überlieferten Bandbreite der Widmung und Übereignungen die skizzierten unterschiedlichen Reflexionsebenen. Der Druck ist »Bettina von Arnim gewidmet«, während das Gesamtautograph mit der persönlicheren und undatierten Adressierung vom »junge[n] Kreisler« »Seinem lieben Julius242 zur freundlichen Erinnerung« übereignet wird. Abschriften einzelner Lieder der Sammlung verschenkt Brahms vor allem an entferntere Bekannte, so die Nr. 1 an »Herrn Laurens zur freundlichen Erinnerung an Johs Brahms. Düsseldorf d. 16tn Oct. 53«.243 Eine Abschrift des Lieds Nr. 2 steht im Album Luise Japhas244 – ohne, dass überhaupt ihr Name genannt worden wäre: »Zur freundlichen Erinnerung von Johs Brahms [links:] Düsseldorf im October 53« lautet die Formulierung des Widmungstextes. Handschriftliche Übereignungstexte sind im 19. Jahrhundert also die per241 Der Komponist Ludwig Rottenberg (1864–1932), der 1892 auf Empfehlung von Brahms und Hans von Bülow Nachfolger Felix Otto Dessoffs als Erster Kapellmeister der Oper Frankfurt wurde, unternahm mit Robert Kahn und Brahms sonntägliche Ausflüge in die Umgebung von Wien, bei denen Brahms stets vorauseilte. Vgl. den Bericht von Robert Kahn: Erinnerungen an Brahms, in: Brahms-Studien 10, hg. im Auftrag der Johannes-Brahms-Gesellschaft Internationale Vereinigung e. V. von Martin Meyer, Tutzing 1994, S. 45. 242 Der »liebe Julius« ist Julius Otto Grimm, der Brahms 1871 seine Zweite Suite in Canonform für Orchester op. 16 widmete. 243 Der französische Maler Jean-Joseph-Bonaventure Laurens (1801–1890) hatte Brahms bei dessen ersten Aufenthalt im Hause Schumann Ende September 1853 kennengelernt und ihn bei dieser Gelegenheit auf Wunsch Robert Schumanns porträtiert. Entstanden ist die berühmte Silberstiftzeichnung des jungen Brahms im Profil. Die handschriftliche Übereignung einer Abschrift von Liebestreu op. 3/1 ist wohl als direkte Gegengabe und Dank zu interpretieren. 244 Luise Japha war 1853 – also im Widmungsjahr – zum Studium nach Düsseldorf gezogen, wo sie ihre aus Hamburg herrührende Bekanntschaft mit Brahms erneuerte und vertiefte.

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Brahms im Kontext: Zur Widmung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts

sönliche und oftmals spontane Manifestation des Aktes der Schenkung materieller Werte, während die gedruckte Zueignung im Gegensatz dazu geplant, reflektiert und öffentlich geschieht.245 Die verschiedenen Beispiele zeigen, dass die Zeitgenossen klar zwischen beiden Formen der Wertschätzung differenzierten. Brahms nahm dementsprechend Schenkungen mit handschriftlicher Adressierung nicht in seine eigenhändig geführte Liste der ihm zugeeigneten Werke auf.246 Beide Formen können in ihren Differenzen und Gemeinsamkeiten bei der Beantwortung unterschiedlicher Fragen dienlich sein. Die Übereignung gibt Hinweise auf Beziehungen persönlicher Art, ist also vor allem für biographische Fragestellungen nutzbar zu machen.247 Dagegen ist gerade aus dem Bewusstsein einer größeren Öffentlichkeit heraus zu vermuten, dass Werke mit einer gedruckten Dedikation in den meisten Fällen in irgendeinem direkten Zusammenhang mit dem Widmungsträger stehen. Denn als wichtiger Bestandteil des ›Werkportals Titelseite‹248 ist die Widmung zwar nicht direkter Teil der Werksubstanz, gibt aber im Zusammenspiel mit den anderen paratextuellen Elementen wichtige Hinweise auf mögliche Interpretationen und Rezeptionsansätze.

1.2

Zur unterschiedlichen Ausprägung der gedruckten Widmung

Nicht nur innerhalb der handschriftlichen Übereignungen lassen sich weitere Ausdifferenzierungen treffen, auch in der Kategorie der gedruckten Zueignung existieren unterschiedliche Ausprägungen. Sie beziehen sich, ähnlich, wenn auch freilich mit anderem Schwerpunkt als die Übereignungen, auf verschiedene Formen der Veröffentlichung, die eine unterschiedliche Wertigkeit implizieren. Diese hängt in formaler Hinsicht vor allem mit dem genauen Standort des Widmungstextes und damit mit seiner Gültigkeit für ein Gesamt- oder Teilopus zusammen. Denn im 19. Jahrhundert wird der Widmungstext musikalischer 245 Vgl. in diesem Sinn schon Schnabel, Dedizieren von Emblemen, S. 122. 246 Diese ist in dem eigenhändigen Musikalien- und Bücherverzeichnis enthalten (Vgl. A-Wst, Sign.:H. I. N. 67.452, Ia 85.172). 247 Es ist ein Sonderfall, wenn eine ursprünglich handschriftliche Übereignung im Nachhinein dem Leser im Sinn eines hermeneutischen Schlüssels mitgeteilt wird. Vgl. Richard Wagner : »Noch in der ersten Zeit des offenen Wutgeschreies, in welcher wir uns jetzt befanden, hatte Uhlig nun bereits auch eben dieses Oper und Drama kennengelernt. Ich hatte ihm nämlich davon das Originalmanuskript geschenkt; da es zierlich in Rot eingebunden war, verfiel ich darauf, als Widmung, im Gegensatz zu dem Goetheschen ›Grau, mein Freund, ist alle Theorie‹, einzuzeichnen: ›Rot, mein Freund, ist meine Theorie‹« (Richard Wagner : Mein Leben, hg. v. Martin Gregor-Dellin, München 1983, S. 480). 248 Vgl. das Kapitel I. 1. 1 Paratextforschung und Textbegriff nach G¦rard Genette, v. a. ab S. 36.

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Werke in aller Regel auf dem Titelblatt integriert, meist über dem Werktitel oder direkt auf ihn folgend. Andere, nur selten verwendete Möglichkeiten sind die Anordnung auf der ersten Notenseite oder der Druck eines eigenen Vorsatzblattes, der Widmungsseite. Ein Zueignungstext direkt über dem Notentext ist mit wenigen Ausnahmen249 vor allem bei Binnendedikationen, also der Widmung nur eines Teils des Gesamtdruckes, zu finden. Diese Form der Zueignung ist vor allem bei Liedsammlungen und Klavierstücken üblich, deren einzelne Nummern – ein Lied etwa – als in sich abgeschlossene Teilkompositionen unterschiedlichen Adressaten zugedacht werden können. Tatsächlich findet man z. B. bei Max Reger die Binnenwidmung besonders häufig: In seinem Œuvre sind die genannten Gattungen stark vertreten, er ist außerdem im Vergleich einer der produktivsten Widmungsschreiber seiner Zeit.250 Brahms hat dagegen nur zwei Binnenwidmung geplant, auch von diesen die gewichtigere aber letztlich nicht in dieser Form veröffentlicht.251 Nur das Wiegenlied op. 49/4 ist im Untertitel »(An B. F. in Wien)« gerichtet.252 Unter den knapp 100 Brahms gewidmeten Werken sind nur fünf Beispiele bekannt, bei denen der Widmungstext über den Noten angeordnet ist: Ferruccio Busonis Etüde op. 17, Max Regers Rhapsodie aus den Six Morceaux pour le Piano op. 24 sowie Resignation aus den Sieben Fantasiestücken op. 26, Josef Suks Klavierquintett g-Moll op. 8 und Hanka Uysdals Abendlied. Doch ist bei Suk, Busoni und Uysdal die Entscheidung für diesen Standort der äußeren Gestaltung des Drucks geschuldet, ein aufwändig gestaltetes Titelblatt fehlt in allen drei Veröffentlichungen. Nur bei Max Regers Rhapsodie op. 24/6 und Resignation op. 26/5 ist von wirklichen Binnenwidmungen zu reden. Ideell sind diese Widmungen, in denen ein im Druck vereinigtes Opus in seinen Bestandteilen oft auf mehrere Adressaten verteilt ist, den Zueignungen eines Gesamtwerks untergeordnet. Es ist die Inspirationsquelle des speziellen Teilopus, die im Fall Regers durch die Zueig249 Vgl. z. B. die Widmung des Klavierquintetts g-Moll op. 8 von Josef Suk an Brahms. 250 Üblich ist die Dedikation von ca. der Hälfte der mit Opuszahl veröffentlichten eigenen Werke. Während Brahms diese Zahl mit ca. 1/4 deutlich unterschreitet, tragen gar 126 der 146 veröffentlichten Kompositionen Max Regers eine Widmung. 251 Dies betrifft die Dedikation der Streichquartette op. 51, Theodor Billroth zugeeignet. Aus einem Brief von Brahms an Billroth vom [Juli 1873] (Otto Gottlieb-Billroth: Billroth und Brahms im Briefwechsel, Berlin u. Wien 1935, S. 199) wird ersichtlich, dass die Widmung ursprünglich nur das Quartett Nr. 1 c–Moll op. 51/1 betreffen sollte. Darüber, wem das zweite Quartett dediziert werden sollte, kann nur spekuliert werden. Gottlieb-Billroth vermutet, es sei Joachim zugedacht gewesen, die Widmung aber wegen des ausbrechenden Streits zwischen den Komponisten zurückgezogen worden. Vgl. Gottlieb-Billroth, Briefwechsel, S. 199, Anm. V. 252 Dieses wohl populärste Lied von Brahms erhielt Bertha Faber zur Geburt des Sohnes zugeeignet.

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nungen an Brahms offengelegt wird.253 Der als Untertitel gesetzte Text der Klavierminiatur Resignation op. 26/5 (»3. April 1897 – J. Brahms †«) gleicht im Verbund mit dem sprechenden Titel sogar eher einem Motto als einer Widmung. Bei beiden Klavierstücken wird die Unterordnung der Binnenwidmung besonders augenfällig, da sie jeweils einer Gesamtdedikation strukturell nachgestellt ist. Die Six Morceaux pour le piano op. 24 sind so vollständig – inklusive der Brahms gewidmeten Rhapsodie Nr. 6 – »Frau Teresa CarreÇo254 verehrungsvoll zugeeignet«, die Sieben Fantasiestücke op. 26 »Herrn Philipp Scharwenka«255 dediziert. Diese Unterordnung, die einer Doppelwidmung gleich kommt, war möglich, da es sich um posthume Dedikationen handelt, sie also vom bereits verstorbenen Widmungsträger Brahms nicht als Affront aufgefasst werden konnten. Auch an anderer Stelle ist zu beobachten, dass solche Texte von der Zueignung an eine noch lebende Person überlagert werden konnten.256 Die Widmung an den Verstorbenen wurde in diesen Fällen deutlich in die Funktion eines Untertitels gedrängt, dessen ideelle Bedeutung gering war. Im Bestand der zahlreichen Binnenwidmungen Regers ist dieses Vorgehen aber singulär und sonst nicht zu beobachten. Analog zu Brahms’ eigenem Widmungsverhalten betreffen sonstige Zueignungen immer die ganze Veröffentlichung, bei Liedern und Klavierstücken einen gesamten Liederkreis oder Klavierzyklus257, sie sind üblicherweise auf dem Titelblatt des Druckes vermerkt. Die drei Veröffentlichungen258, die davon abweichen, sind als Ausnahmen zu betrachten. Ein separates Widmungsblatt wurde, bedingt durch die nun übliche Kürze 253 Beide Werke lassen das Vorbild der Kompositionen des Widmungsträgers dann auch in ihrer kompositorischen Faktur deutlich erahnen; die Rhapsodie in ihren Anklängen an die Rhapsodien op. 79, Resignation in der Kulmination im Zitat des Themas des zweiten Satzes der Sinfonie Nr. 4 e-Moll op. 98. 254 Teresa CarreÇo (1853–1917), venezolanische Pianistin, u. a. von 1892–1895 in dritter Ehe verheiratet mit Eugen d’Albert. 255 So die Angabe in Fritz Stein (Hg.): Thematisches Verzeichnis der im Druck erschienenen Werke von Max Reger einschließlich seiner Bearbeitungen und Ausgaben, Leipzig 1953, S. 39. Philipp Scharwenka (1847–1917) war als älterer Bruder des Brahms-Bewunderers und -Bekannten Xaver Scharwenka indirekt auch mit der Gruppe der Brahms widmenden Komponisten verbunden. 256 Noch auffälliger ist dieses Vorgehen bei einer Klavierballade Carl Ýrp‚d Dopplers. Der genaue Titel des 1883 in New York erschienenen Werks lautet: Den Manen Schubert’s. Erste Ballade für das Piano-Forte op. 10. Darüber ist die offizielle Widmung gesetzt – »Miss Helen Sands« ist die Adressatin, die Erwähnung Schuberts wird zum Teil des Titels und hat die Funktion, die musikalische Inspirationsquelle offenzulegen. 257 An Brahms: z. B. die Rosenlieder von Karel Bendl oder die Fünf Motetten von J. G. E. Stehle. Von Brahms: z. B. die Sechs Gesänge op. 3 an Bettina von Arnim oder die Magelone-Romanzen op. 33 an Julius Stockhausen. 258 Dies sind die Erstdrucke der Widmungswerke von Hanka Uysdal, Josef Suk und Ferruccio Busoni.

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des Widmungstextes259, nur noch selten verwendet, fast ausschließlich – so zumindest im Falle der Widmungen von Brahms260 – für die Zueignung an Angehörige des Adels.261 Vielleicht sind es die immer noch vorhandenen Reste eines vorrevolutionären Standesbewusstseins, die dies begründen. Allerdings wurde auch hier nach Stand unterschieden: Nicht allen Adligen wurde das Privileg eines Widmungsblattes zuerkannt. Nur drei der Widmungsträger Brahms’scher Werke – ausschließlich Angehörige des Hochadels, die noch Regierungsrechte wahrnahmen – konnten diese Ehre beanspruchen.262 Die Dedikation der Klaviersonate op. 5 von Brahms an Gräfin Ida von Hohental, einer in Leipzig ansässigen Adligen, ist dagegen auf dem Titelblatt abgedruckt. Die Widmung an Angehörige des Hochadels oder andere für würdig befundene Adressaten konnte sogar mehrfach Ausdruck finden, graphisch und textuell: Der Reichsadler, als Symbol des Kaisers schon an sich Ausdruck der von Wilhelm I. angenommenen Widmung, erscheint, losgelöst vom ebenfalls mit bildlichen Elementen und Symbolen versehenen Widmungsblatt, im Erstdruck des Triumphliedes op. 56 auf dem Titelblatt. Brahms erhielt als Bürgerlicher dagegen üblicherweise kein separates Widmungsblatt. Nur eine Ausnahme ist bekannt: die Zueignung von Charles Villiers Stanfords Songs of Old Ireland. Dies hängt 259 Es ist zu vermuten, dass diese Änderung der Gepflogenheiten auch aus finanziellen Überlegungen der Verleger resultiert. Vgl. zur veränderten äußeren Form des Widmungstextes das Kapitel II. 4 Der Widmungstext als Informationsträger, hier bes. ab S. 139. 260 Das vollständige Fehlen von Beratungen oder Diskussionen zwischen Brahms und seinen Verlegern über mögliche Widmungsblätter scheint aber immerhin für das Vorhandensein einer gewissen Konvention auch über Brahms hinaus zu sprechen. Auch bei der – geplanten aber nicht ausgeführten – Widmung der Oper Ritter P‚sm‚n von Johann Strauss (Sohn) an »einen unserer Alliierten Monarchen« dachte der Verleger Simrock trotz der nur allgemeinen Mitteilung des Komponisten selbstverständlich an ein eigenes Widmungsblatt: Simrock an Strauss, 28. November 1891: »Eine Dedication für einen unserer kaiserlichen Herren läßt sich jederzeit in Cl. A. u. in Partitur anbringen. Aber – es erfordert pro primo Zeit, ein Dedicationsblatt zu machen – u. 2tens wieder Zeit, es in die bereits gedruckten Clav. Auszüge einheften zu lassen. Auch muß ich genau darüber informiert sein, wie das Dedicationsblatt gehalten werden soll – ob mit Krone u.s.w.–? und eventuell muß ich dazu die genauen heraldischen Vorlagen mir von Ihnen erbitten.« Zit. n. Mailer V, S. 374. 261 Prinzessin Anna von Hessen war zum Zeitpunkt der ersten Widmung von op. 34 noch gemeinsam mit ihrem Mann Anwärterin auf den Thron von Hessen-Kassel (1866 durch die Annexion durch Preußen verloren); 1871 zum Zeitpunkt der Widmung von op. 34bis ist das Verfahren in der Schwebe (erst 1873 verzichtet ihr Mann endgültig auf die Regierungsrechte). Subtil ist die Gestaltung der Widmungsblätter : Auf dem ersten Widmungsblatt ist als fürstliches Symbol noch die Krone abgebildet, anlässlich der Widmung von op. 34bis, zu deren Zeitpunkt das Verfahren der Thronbesteigung unentschieden schien, wird zwar noch ein eigenes Widmungsblatt verwendet, auf den Abdruck jeglicher fürstlicher Symbole allerdings verzichtet. Vielleicht war dies eine bewusste politische Entscheidung des Verlegers. 262 Kaiser Wilhelm I.: Triumphlied op. 55; Prinzessin Anna v. Hessen: Klavierquintett f-Moll op. 34 und Sonate für zwei Klaviere f-Moll op. 34bis; Herzog Georg v. Sachsen-Meiningen: Gesang der Parzen op. 89.

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mit landestypischen Gepflogenheiten zusammen, sowohl Komponist als auch Verlag des Erstdrucks (Boosey, London) waren in England ansässig. Der englische Dedikationstext war üblicherweise ausgedehnter als im deutschsprachigen Raum, eine eigene Widmungsseite deswegen nicht unüblich.263 Diese Aussagen beziehen sich allerdings grundsätzlich nur auf Kompositionen – im Rahmen literarischer Werke ist zwar der Gebrauch der ausführlichen Widmungsabhandlung in Briefform ebenfalls zurückgegangen, die Verwendung einer Widmungsseite aber auch im deutschen Kulturraum noch üblich.264 Sonstige Widmungen an Brahms sind entweder als Überschrift am Kopf der Titelseite gedruckt oder in den Werktitel integriert wiedergegeben. Die direkte Verbindung mit dem konkreten Titel – in der Formulierung »komponiert und gewidmet« zur Zeit Beethovens noch Standard – ist allerdings einer kursorischen Übersicht der historischen Drucke zufolge im Laufe der 1860er Jahre zunehmend aufgegeben worden. Dies gilt auch für das Umfeld von Brahms: Bis 1865 wurden alle an Brahms gerichteten Werke mit einer solchen Zueignung gedruckt265, danach ist nur noch ein einziges Beispiel – Felix Otto Dessoffs Streichquartett op. 7 von 1878 – belegbar. Auch in Brahms’ eigenem Widmungsverhalten ist dieser Bruch auszumachen, allerdings erst später ab 1878. Bezeichnenderweise geht er einher mit den außergewöhnlichen, da mehrfach verworfenen, geänderten und wieder aufgenommenen Widmungen der Zwei Motetten op. 74 an Philipp Spitta und der Balladen und Romanzen op. 75 an Julius Allgeyer (geplante Adressatin: Elisabeth v. Stockhausen).266 263 Vgl. Modern dedications, in: Henry B. Wheatley : The dedications of books to patron and friend. A chapter in literary history, London 1887. Die Widmung Stanfords an Brahms – »To JOHANNES BRAHMS, I dedicate with respect and gratitude these melodies of my native country. Cambridge, August, 1882.« – ist sogar eher knapp gehalten. Vgl. zur Unterscheidung der Textvarianten das Kap. II. 4 Der Widmungstext als Informationsträger. 264 Vgl. z. B. die Widmungsseite in Max Schneidewin: Die antike Humanität, Berlin 1897 (das Werk enthält unter anderem ein Kapitel zur Geschichte der Buchwidmung). Das Gesamtwerk ist an »DEN HOCHVERDIENTEN VIELJÄHRIGEN DECERNENTEN j FÜR DAS HÖHERE SCHULWESEN IN PREUSSEN j HERRN j WIRKLICHEN GEHEIMEIN OBERREGIERUNGSRATH A. D. j DR. L. WIESE j ZU DEM TAGE SEINES VOLLENDETEN NEUNZIGSTEN LEBENSJAHRES j dem 30. December 1896 j IN HOHER VEREHRUNG GEWIDMET« Schneidewin verbindet alte und neue Form der Widmung literarischer Werke, indem er zusätzlich zu diesem Widmungsblatt dem eigentlichen Text eine fünfzehnseitige Abhandlung, in Briefform gehalten und mit »Widmung« überschrieben, voranstellt. Sie erfüllt die Funktion des Vorworts. 265 Clara Schumann: Drei Romanzen op. 21 (1855); Robert Schumann: Konzert-Allegro op. 134 (1855); Robert Schumann: Des Sängers Fluch op. 139 (1858); C. G. P. Grädener : Klaviertrio op. 35 (ca. 1860/61); Woldemar Bargiel: III. Fantasie für Klavier op. 19 (1860); Joseph Joachim: Violinkonzert in ungarischer Weise op. 11 (1861); Adolf Jensen: Sonate op. 25 (1865). 266 Vgl. zu den Umständen dieser beiden Widmungen bereits oben, ab S. 75. Zur Widmung der Zwei Motetten op. 74 ausführlich auch Wolfgang Sandberger : »Musikwissenschaft und Musik«, S. 9–36.

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Grund für den Wandel267 dürfte vor allem die unkompliziertere Handhabung für die Verleger gewesen sein. Widmungen konnten bei später Entscheidung für oder gegen einen Adressaten einfacher hinzugefügt werden oder auch ohne Veränderung der restlichen Titelblattgestaltung wegfallen. Anlässlich der im Entstehungsprozess recht spät geplanten Widmung des Klavierquartetts op. 26 an Elisabeth Rösing schrieb Brahms so an Peter Joseph Simrock: »Sollte mein Wunsch bezüglich des Titels zu spät kommen und jemand schon seine Phantasie dafür angestrengt haben, so ließe sich vielleicht die Widmung oben auf dem Titel noch anbringen, was mir freilich im ganzen nicht recht lieb ist.«268

Inhaltlich wäre die Dedikation mit dieser Änderung jedoch weniger gewichtig geworden – und war vielleicht deswegen Brahms »im ganzen nicht recht lieb«. Die Verbindung des »komponiert und gewidmet« impliziert jedenfalls stärker die Einbeziehung des Adressaten in den Entstehungsprozess der Komposition und damit eine besonders starke wechselseitige Beziehung zwischen seiner Person und dem ihm gewidmeten Werk. Die Widmung wird somit über die Platzierung als integraler Bestandteil des Kernwerks dargestellt und die Entscheidung für den Adressaten auf eine Stufe mit der kompositorischen Arbeit gestellt. Die nun isolierte graphische Darstellung der Zueignung hebt dieses enge Wechselspiel auf. Das Klavierquartett op. 26 erschien allerdings letzten Endes ohne die von Brahms gewünschte Dedikation. Über das Warum kann nur spekuliert werden, denn tatsächlich ist das Titelblatt genau wie dasjenige seines parallel erschienenen Schwesterwerks gestaltet – es weist nur an Stelle der im Klavierquartett op. 25 in den Titel integrierten Zueignung an Baron von Dalwigk eine auffällige Leerstelle auf. Da auch Brahms sich äußerst verwundert über den »leere[n] Raum«269 zeigte, ist ein Missverständnis in der Druckphase am wahrscheinlichsten. Mit den Zwei Motetten op. 74 wechselte jedoch auch bei Drucken von Brahms-Werken endgültig der Standort der Widmung. Allgemein ist in diesem Zeitraum zu beobachten, dass sich mit der veränderten Anordnung auch die optische Gestaltung änderte: Es war bis ins 19. Jahrhundert hinein durchaus üblich, den Namen des Widmungsadressaten optisch dem des eigentlichen Komponisten fast gleichzusetzen. Dies gilt auch noch für die Titelblätter jener Werke, die die Widmung an Brahms in den Titel integrierten. Wie stark die 267 Während beispielsweise Robert Schumann, wie tendenziell die meisten Komponisten der Generation vor und von Brahms, seine Widmungen in den Titel integriert, bevorzugen jüngere Komponisten, wie z. B. Max Reger, die Platzierung über dem Werktitel. Dass der Wandel wie bei Brahms direkt innerhalb des Œuvres eines einzigen Komponisten nachzuvollziehen ist, ist aber ungewöhnlich. 268 Brahms an Peter Joseph Simrock, [März 1863], BW IX, S. 42. 269 Brahms an Peter Joseph Simrock, [Ende] August 1863, BW IX, S. 44.

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Johannes Brahms, Klavierquartett op. 25, Bonn 1863, Titelblatt mit Widmung an Baron von Dalwigk

Wirkung dieser Gestaltung sein konnte, thematisierte Heinrich von Herzogenberg anlässlich des Drucks seiner Variationen über ein Thema von Johannes Brahms op. 23. Diese sind Brahms zwar nicht offiziell zugeeignet, aber als eindeutige Hommage doch dem Umkreis der Widmung zuzurechnen. Herzogenberg schrieb Brahms:

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Johannes Brahms, Klavierquartett op. 26, Bonn 1863, Titelblatt mit Leerstelle anstatt einer Zueignung

»Wenn Sie das Notenheft entrollen, werden Sie zuerst glauben, eine Komposition von sich selbst, die Ihnen noch neu ist, vor Augen zu haben. Unser lieber Astor [der Verleger] hat das Stück offenbar nur in der boshaften Absicht genommen, Simrock mit diesem Titelblatt in tausend Ängste zu versetzen. Auch verkauft es sich so besser an kurzsichtige ›Messfremde‹, die über das dicke ›Johannes Brahms‹ so sehr alle Besinnung verlieren, daß sie die kleine Anmerkung [Herzogenbergs eigenen Namen] dar-

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unter gar nicht bemerken. Ich lache natürlich, Astor hoffentlich auch; so lachen Sie denn mit.«270

Doch diese Hervorhebung des Adressaten wurde zunehmend unüblich, sie geht zugunsten oft stark verzierter, aber kleinerer Nennungen zurück. Alle Dedikationen an Brahms, die am Kopf des Titelblattes angeordnet sind, zählen zu dieser Kategorie. Die Gründe mögen dieselben wie diejenigen sein, die zur Änderung des Standortes führten: Platzsparende Widmungen ließen sich ohne große Änderungen der sonstigen Gestaltung einfügen, größere benötigten zu viel Platz.

2.

Die Widmung als kommunikativer Akt

»Wer etwas mitteilt, setzt Kommunikation in die Welt, die sich im weiteren Verlauf seiner Kontrolle entzieht.«271 Diese grundlegende These, die im Bereich der modernen Netzwerkanalyse zu verorten ist, bestätigt sich in ihrem Befund in den Reaktionen auf Widmungen aller Zeiten: In ihrer Eingebundenheit in den kommunikativen Zusammenhang eines Werks, ihrer Eigenschaft als »erster Zugriffspunkt«272 auf ein Werk ist auch die im Druck mitgeteilte Zueignung von der Überlegung betroffen, dass die Reaktionen auf eine einmal veröffentlichte Aussage weder vom Urheber noch vom Adressaten zu steuern seien. Da also jede publizierte Dedikation den Adressaten in den Augen der Rezipienten unweigerlich und unwiderruflich in ein enges Verhältnis mit dem ihm gewidmeten Werk setzt, muss die Öffentlichkeit immer als dritte Konstante in den Widmungsprozess mit einbezogen werden. Und wie das Werk vom Namen eines etwaigen berühmten Widmungsträgers profitiert, bewahrt es diesen gleichzeitig vor der Vergessenheit, wie der Bürgermeister Hamburgs, Carl Petersen, anlässlich der an ihn gerichteten Widmung von Brahms’ Fest- und Gedenksprüchen op. 109 formulierte: »durch Ihre Widmung [wird] meine Person in die Nachwelt hinüber genommen«.273 270 Heinrich v. Herzogenberg an Brahms, 1. August 1876, BW I, S. 1. 271 Steffen Albrecht: Netzwerk und Kommunikation. Zum Verhältnis zweier sozialwissenschaftlicher Paradigmen, in: Netzwerkanalyse und Netzwerktheorie. Ein neues Paradigma in den Sozialwissenschaften,hg. v. Christian Stegbauer, Wiesbaden 2010, S. 165–178, hier S. 168. 272 Dembeck, Texte rahmen, S. 22. Vgl. zur kommunikativen Funktion von Paratexten auch die Ausführungen im Kapitel I. 1. 1 Paratextforschung und Textbegriff nach G¦rard Genette, bes. ab S. 26. 273 Bürgermeister Dr. Carl Petersen an Brahms, 19. März 1890, zit. n. Kurt Hofmann: Brahmsiana der Familie Petersen – Erinnerungen und Briefe, in: Brahms-Studien 3, im Auftrage der Brahms-Gesellschaft Hamburg e. V. hg. v. Helmut Wirth, Hamburg 1979, S. 69–105, hier S. 90. Carl Reinecke bestätigt diese Ansicht Petersens in seiner Plauderei

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Um diesen Überlegungen Rechnung zu tragen, musste die geplante Widmung sorgfältig vorbereitet werden, bevor mit der Gestaltung des Titelblattes und mit der Entscheidung über die Anordnung und Formulierung des Dedikationstextes begonnen werden konnte. In der Frühzeit des Notendrucks galt die im Druck veröffentlichte Widmung gar als Rechtsakt.274 Deshalb hatten Komponisten, die die Dedikation eines Werks planten, ein komplexes Regelwerk zu beachten, das verschiedenste Aspekte der Kommunikation betraf. Die zugrundeliegenden Richtlinien entwickelten sich aus der in dieser Zeit vorherrschenden Zueignung an adlige Gönner : Der unterschiedliche soziale Rang von Widmendem und Adressat bestimmte im feudal geprägten gesellschaftlichen Umfeld des 16. und 17. Jahrhunderts die notwendige Formalität der Abläufe.275 Denn das Komponieren galt als Handwerk, der Komponist hatte somit in der Regel einen niederen sozialen Status – damit wurde anlässlich der Dedikation an Adlige eine ausgedehnte und zeremoniell anmutende Kommunikation nötig, die dem gesellschaftlichen Abstand zwischen den Protagonisten gerecht wurde. Dementsprechend unterlagen besonders inhaltliche und stilistische Aspekte der Korrespondenz einem strengen Reglement. Die Bestimmungen betrafen u. a. die Notwendigkeit einer vorherigen Bitte um Widmungserlaubnis und die Übersendung des gedruckten Werks durch den Widmenden sowie die Versendung eines Dankbriefs seitens des Adressaten. In diesem Rahmen mussten gewisse Etikette in der Formulierung von Anrede- und Grußformeln, typische inhaltliche Topoi (wie z. B. der stets angebrachten captatio benevolentiae276) und der angemessene sprachliche Stil des kommunikativen Austauschs beachtet werden.277 All diese ungeschriebenen Gesetze waren der jeweiligen Situation – je nach eigenem sozialem Rang und der Beziehung zum Widmungsträger – anzupassen.

274 275 276 277

über die Dedikation musikalischer Werke (S. 205): »[…] da in den meisten Fällen die Bücher und Notenhefte in Hunderten und Tausenden von Exemplaren in die Welt gehen, so wird auch der Name dessen, der neben dem Autor auf dem Titel verzeichnet ist, mit hinausgetragen in alle Welt, und wie wollte man den schelten, der sich dadurch geehrt fühlt!« Vgl. zu diesem Thema die Ausführungen bei Schramm, Widmung, S. 19–24. Vgl. Schramm, Widmung, S. 19. Leiner, »Dedikation«, S. 455. Wie konventionalisiert und allgemeingültig diese Regeln waren, zeigen vorformulierte Beispielbriefe, die zur Orientierung des potenziellen Schreibers dienen sollten. So findet sich z. B. ein »Danck-Schreiben wegen eines zugeschriebenen Buches« in: Talanders getreuer Wegweiser zur Teutschen Rede-Kunst, 1692, S. 1210 (vgl. Schramm, Widmung, S. 22). Die kommunikativen Regeln galten dabei nicht nur im hier besonders beachteten deutschsprachigen Raum. Für Italien hat Alessandra Villa beispielsweise die Notwendigkeit einer vorherigen Widmungsanfrage deutlich herausgestellt. Vgl. Alessandra Villa: Tipologia e funzionamento del sistema della dedica nell’Italia del Rinascimento, in: Line@editoriale 2 (2010), S. 26–48 (eingesehen unter : http://e-revues.pum.univ-tlse2.fr/1/ lineaeditoriale/article.xsp?numero= 2& id_article =Article_ 002–783; letzter Zugriff: 17. Oktober 2012).

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Aus dem historischen Befund von überlieferten Briefen und Berichten lässt sich aus den schriftlich nie fixierten Regeln ein ›Kommunikationsmodell‹ abstrahieren, das den grundlegenden Ablauf einer Widmung von der Wahl des Adressaten bis hin zur veröffentlichten – und damit ausgeführten – Dedikation abbildet: Es sind also üblicherweise drei eine jede Widmung begleitende Briefe zu erwarten: die Bitte um Widmungserlaubnis, die offizielle Erteilung derselben und der Dankbrief des Empfängers nach der Übersendung des Druckes. Wie stark sich die einzelnen Komponisten im 19. Jahrhundert an das Kommunikationsmodell hielten, hängt zum großen Teil von Charakter und Stellung, aber auch der Angehörigkeit zu einer bestimmten Generation ab. Ein gegenüber Autoritäten extrem unterwürfiger und demütiger Komponist wie Anton Bruckner278 hätte es sich wohl niemals angemaßt, seinen meist höhergestellten oder berühmteren Widmungsträgern ohne vorherige Anfrage ein Werk zu widmen. Die Überlieferung der betreffenden Briefwechsel ist zwar in den seltensten Fällen vollständig dokumentiert, trotzdem bilden die erhaltenen brieflichen Dokumente eine wichtige Quelle der Widmungsforschung: Sie sind für biographische, rezeptionshistorische und analytische Fragestellungen nutzbar. Denn oft geben die Komponisten selber in ihrer Begründung der Zueignung bereits Hinweise auf bestimmte Ereignisse279 oder Kompositionen aus dem Werk des Adressaten280, die ihnen als Inspiration gedient hätten und die damit zur analytischen Vergleichsfolie des Widmungswerks werden können. Die im 19. Jahrhundert zunehmend zurückgehende Widmung an Adlige281 und die sich dadurch immer stärker angleichende soziale Stellung von Widmendem und Adressaten ließ den hohen Formalitätsgrad der Kommunikation nun aber gesellschaftlich nicht mehr unbedingt erforderlich erscheinen: Eine

278 Constantin Floros bezeichnet Bruckner als »sprichwörtlich fromme[n], streng-, dogmenund autoritätsgläubige[n] Katholik«. Constantin Floros: Brahms und Bruckner. Studien zur musikalischen Exegetik, Wiesbaden 1980, S. 73–83, hier S. 17. 279 Vgl. Max Bruch, der sein Bedürfnis, Brahms ein Werk zu widmen (die Sinfonie op. 28), ursächlich mit seiner Bewunderung für Ein Deutsches Requiem op. 45 in Verbindung bringt: »Gerade in diesen Tagen drängt es mich besonders, Ihnen dies auszusprechen; Ihr durch und durch vortreffliches, groß gedachtes, tief empfundenes, gewaltiges ›Requiem‹ liegt vor mir« (Bruch an Brahms, 22. Dezember 1868, BW III, S. 92). Bei der Uraufführung der siebensätzigen Fassung im Bremer Dom war er anwesend gewesen. 280 Hermann Goetz nennt so die Quartette seines Widmungsadressaten als erste Anregung, einen eigenen kompositorischen Versuch in dieser Gattung zu wagen: »Verehrter Herr Brahms, ich habe mir erlaubt, über beifolgendes Quartett Ihren Namen zu setzen. Es war nicht mehr als billig, weil Ihre Klavierquartette A-dur und g-moll zuerst in mir den Gedanken anregten, diese Form zu bearbeiten« (Hermann Goetz an Brahms, 6. Juni 1870, zit. n. Marek Bob¦th: Hermann Goetz. Leben und Werk, Winterthur 1996, S. 215). 281 Vgl. zum Rückgang der Gönnerwidmung das Kapitel I. 2. 3.

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größere Lockerheit, ja manchmal sogar Unbedarftheit im Umgang mit den althergebrachten Regeln ist die Folge. Aus zeitgenössischen Dokumenten282 ist aber zu erkennen, dass die über Jahrhunderte hinweg praktizierten und im Modell skizzierten Prinzipien der angemessenen Kommunikation anlässlich einer Widmung auch im 19. Jahrhundert noch Gültigkeit hatten. Ähnlich wie in den vergangenen Jahrhunderten galt es für die Komponisten auch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein komplexes Regelwerk zu beachten. Allerdings nicht mehr als festgeschriebene, zu befolgende Pflicht, als quasi-zeremonielle Handlung, sondern im Sinn einer Gepflogenheit, der Beachtung von Höflichkeitsnormen: Zunehmend konnte – mit dem Übergang von der feudalen zur bürgerlichen Gesellschaft – das einstmals feste Regelwerk, in dem die offizielle, gedruckte Werkwidmung einem Rechtsakt gleichkam, vernachlässigt werden. Das führte im 19. Jahrhundert allerdings wiederholt zu Problemen: Noch gegen Ende des Jahrhunderts herrschte teilweise unter den Komponisten, aber auch der Gesellschaft große Unsicherheit, ob eine offizielle Anfrage an den Adressaten vor der Widmung überhaupt noch nötig sei. War die Bitte um Widmungserlaubnis hingegen einmal versandt, sorgten schon die gültigen Etikette bezüglich der brieflichen Korrespondenz des 19. Jahrhunderts für einen weiteren regelkonformen Verlauf des Zueignungsaktes: Einen Brief, egal welchen Inhalts, unbeantwortet zu lassen, hätte einen groben Verstoß gegen alle gängigen Höflichkeitsnormen bedeutet283 – die Anfrage bedingt demnach die Antwort, die Übersendung des Widmungswerks den Dankbrief. Die Kernfrage zu Beginn eines jeden Dedikationsaktes betraf also die Notwendigkeit der vorherigen Bitte um Widmungserlaubnis. Vielen Widmenden des ausgehenden 19. Jahrhunderts erschien sie trotz des sich zunehmend angleichenden sozialen Standes beider Protagonisten weiterhin notwendig. Denn der Grundgedanke der eingangs zitierten These284, nach dem sich die Reaktionen auf einmal veröffentlichte Kommunikation der eigenen Kontrolle entziehen, war in seinem Inhalt auch den Widmenden und der Gesellschaft des 19. Jahrhunderts bewusst. Gerade im 19. Jahrhundert betraf eine im Druck veröffentlichte Widmung nicht mehr nur eine vom Werkinhalt losgelöst zu betrachtende Ehre, die oft aus pragmatischen Gründen eingesetzt wurde. Als »ehrenvollste[s] […] Geschenk«285 angesehen, durften die Rezipienten nun anhand einer Dedi282 Es sind dies vor allem die erhaltenen Briefe zu Widmungen verschiedenster Komponisten, aber auch Reaktionen auf Versäumnisse. Vgl. z. B. den auf S. 96f. zitierten Brief Max Regers an Hans Koeßler bezüglich der Notwendigkeit der Bitte um Widmungserlaubnis. 283 Rainer Baasner : Briefkultur im 19. Jahrhundert. Kommunikation, Konvention, Postpraxis, in: Briefkultur im 19. Jahrhundert, hg. v. Rainer Baasner, Tübingen 1999, S. 1–36, hier S. 17. 284 Albrecht, Netzwerk und Kommunikation, S. 168. 285 Brahms an Ernst Rudorff, [25.] Januar 1869, BW III, S. 153.

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kation vielmehr mit einer gewissen musikalischen Passform rechnen, die ihnen den ersten Werkzugriff zu erleichtern vermochte: Die Person des Adressaten und die ihm zugedachte Komposition sollten möglichst in einigen Aspekten korrespondieren.286 Setzte ein Rezipient diese Annahme als gegeben voraus, musste die Information der Widmung seine Werkaufnahme steuern. Da der Empfänger so gerade durch die hohe ideelle Wertigkeit der Dedikation im 19. Jahrhundert auf das Engste mit der jeweiligen Komposition verbunden wurde, sollte er durch die vorherige Anfrage die Möglichkeit bekommen, die Zueignung von ihm unpassend erscheinenden Werken abzulehnen.287 Deswegen wurde meist mit dem Brief auch das betreffende Werk selber in einer handschriftlichen Fassung übersandt. Der Adressat sollte sich anhand des Notentextes von der Qualität ein Urteil bilden können. Aus finanziellen Überlegungen wurden diese Manuskripte später teils zurückgeschickt oder vom Komponisten zurückgefordert. So auch 1869 von Ernst Rudorff nach der Übersendung seiner Fantasie für Klavier op. 14 an Brahms: »Wollen Sie so gut sein und mir mein Stück hierher schicken, so sparen Sie mir freilich eine erneute Kopie; wann es weiter zum Verleger wandert, weiß ich noch nicht, ich will aber versuchen, bald damit zustande zu kommen.«288

Die Adressaten machten allerdings nur selten von ihrem Recht der Erlaubnisverweigerung Gebrauch, die Unhöflichkeit einer Absage wurde nur bei gravierenden inhaltlichen und ästhetischen Mängeln als gerechtfertigt angesehen. Da sich bereits die Widmenden selber bei der Auswahl von Werk und Widmungsempfänger um größtmögliche Vorsicht bemühten, waren diese Voraussetzungen nur selten gegeben. Brahms bezeichnete demnach die ihm zugedachte Widmung von Paul Heyssigs Fantasie für Klavier op. 3 gegenüber Simrock zwar als »nicht ganz gehörig und passend und geschmackvoll«289, akzeptierte sie aber nichts286 Vgl. zu den Hintergründen bereits Kapitel I. 1. 2, ab S. 31. 287 In typischer Manier – ironisch und hintergründig – thematisiert Brahms dies gegenüber Hanslick: »Soeben den Titel zu vierhändigen Walzern schreibend, die nächstens erscheinen sollen, kam mir ganz wie von selbst dein Name mit hinein. Ich weiß nicht, ich dachte an Wien, an die schönen Mädchen, mit denen du vierhändig spielst, an dich selbst, den Liebhaber von derlei, den guten Freund und was nicht. […] Ist es dir recht, daß es dabei bleibe, so danke ich gehorsamst; wünschest du jedoch aus irgendeinem Grund die Sache nicht, so wende ein Wort daran und der Stecher kriegt Gegenordre. Es sind zwei Hefte kleiner unschuldiger Walzer in Schubert’scher Form – willst du sie nicht und lieber deinen Namen auf einem gehörigen viersätzigen Stück, ›befiehl, ich folge‹« (Brief o. D. [vor dem 14. April 1866]). Hanslick hatte gegen die Widmung (natürlich) nichts einzuwenden: »Daß die Zueignung deiner Walzer mir Wonne und Ehre bereitet – brauchst Du’s zu fragen?« (14. April 1866, beide Briefe zit. n. Christiane Wiesenfeldt: Johannes Brahms im Briefwechsel mit Eduard Hanslick, in: Sandberger/Wiesenfeldt, Musik und Musikforschung, S. 283). 288 Ernst Rudorff an Brahms, 28. Januar 1869, BW III, S. 154f. 289 Brahms an Fritz Simrock, [2. Mai 1890], BW XII, S. 22.

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destotrotz. Auch Wagner bat anlässlich der ihm angetragenen Widmung von Bruckners Sinfonie Nr. 3 um Bedenkzeit, nahm sie nach Prüfung der Partitur aber schließlich an.290 Es sind bislang nur zwei geplante Widmungen bekannt, die Brahms ablehnte.291 Allerdings formulierte er zumindest im Fall von Wilhelm Puchtlers Großen Etüden die Absage nicht einmal selbst, sondern ließ seinen Verleger Simrock die unangenehme Aufgabe übernehmen. Gleichzeitig mit der Bitte um Dedikationserlaubnis hatte Puchtler Brahms gebeten, ihm bei der Suche eines Verlags behilflich zu sein. Die von Brahms geforderte Absage der Drucklegung durch Simrock, der sich allerdings »schon lieber vier Backenzähne ausreißen«292 lassen wollte, als Ähnliches ein zweites Mal zu übernehmen, ist nicht erhalten. Doch kam sie offensichtlich der Verweigerung der Widmungserlaubnis gleich – im an Puchtler gerichteten Antwortbrief auf die Widmungsanfrage nämlich hatte Brahms zwar Schwierigkeiten bei der Verlegervermittlung und Kritikpunkte am Werk anklingen lassen, aber der Dedikation keine eindeutige Absage erteilt.293 Gegenüber Simrock wurde er deutlicher : 290 Vgl. Anton Bruckner: 3. Symphonie d-Moll. Revisionsbericht, vorgelegt von Thomas Röder (= Anton Bruckner. Sämtliche Werke, Bd. 3), Wien 1997, S. 246. 291 Wilhelm M. Puchtler : Große Etüden; Jakob Ludwig Bruhns: »50 Klavierstücke zu oder über 50 Etüden von Czerny« (Titelangabe nach dem Schreiben Brahms’ an Fritz Simrock, [30. Januar 1896], BW XII, S. 190). 292 Fritz Simrock an Brahms, 28. Juni 1877, zit. n. Kurt Stephenson (Hg.): Johannes Brahms und Fritz Simrock. Wege einer Freundschaft. Briefe des Verlegers an den Komponisten (= Veröffentlichungen aus der Hamburger Staats- und Universitäts-Bibliothek, Bd. 6), Hamburg 1961, S. 105. 293 Er berührte die Frage der Widmungsannahme gar nicht. Offenbar hoffte er tatsächlich, die für ihn so unangenehme Situation durch die Ablehnung der Drucklegung zu lösen. Vgl. Brahms an Wilhelm M. Puchtler, [Frühjahr 1877], abgedruckt bei Robert Münster : »… Sie interessieren möglicherweise die Zukünftler«. Der spätromantische Komponist Wilhelm Maria Puchtler im Urteil von Liszt und Brahms, in: Neue Zürcher Zeitung 97 (27./28. April 1991), o. S.: »[…] für Ihre freundliche Absicht mir Ihre Etüden zu widmen hätte ich Ihnen gewiss längst meinen herzlichsten Dank gesagt – könnte ich nur im Übrigen Ihren Wünschen einigermassen nachkommen. […] Mit blossem Schön u. Gut ist es ja in keiner Hinsicht gethan u. zu weiterem fehlt mir die Zeit. Schliesslich hat man in dem Fall so viel zu fragen als zu sagen, namentlich wenn man nur ein Werk des Autors sieht u. nur ein so besonderes – u. immerhin doch energisch einseitiges wie das Ihre. Aber auch für den Verleger weiss ich nicht zu sorgen ; sie müssen denn erlauben dass ich die Etüden einfach z. B. an Hrn. Simrock schickte, in welchem Fall er sie jedenfalls genauer ansehen würde. Er ist so musikalisch dass er – jedenfalls immer gern selbst sieht u. urtheilt. Er wird aber, aus andern Gründen, aber wie ich wird er nach andern Werken und Weiterem fragen. Die Etüden sind ganz ausnahmsweise schwer, Ich möchte annehmen, dass Sie sie spielen können – also sich als Virtuosen jedenfalls Ansehen verschaffen werden. Eigentlich möchte mir das der Weg scheinen den die Etüden zunächst zu gehen haben? Aber verzeihen Sie, Sie haben sehr bequem mit drei Worten zu fragen, aber ich rede wie in das Leere, da ich von Ihnen nichts weiss u. von Ihrer Musik doch nicht genug um eingehender mich auszusprechen.«

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»Die Etüden sind horrend schwer und sehr unpraktisch, wie mir scheint. Ich möchte einmal seinen Fingersatz dazu sehen. Auch sind sie ja sehr lang. Sie interessieren möglicherweise die Zukünftler – er sollte sie Liszt widmen. Die andern Sachen sind bloß hässlich, was die Etüden nebenbei sind.«294

Offensichtlich war die von Brahms ausgehende und über Simrock vermittelte Absage vor allem aus ästhetischen Gründen motiviert, die den sensiblen Bereich des Parteienstreits zwischen ›Konservativen‹ und ›Neudeutschen‹ berührten.295 Die Widmenden hatten also im Normalfall nicht mit einer Verweigerung der angetragenen Ehre zu rechnen. Und doch zeigt gerade die sporadisch genutzte Möglichkeit der Ablehnung, dass der vorherigen Bitte um Widmungserlaubnis in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mehr als eine rein symbolische Bedeutung zukam. Wäre die Anfrage allein konventionell zu verstehen, oder, wie Brahms in einem Brief an Max Reger formulierte »[e]ine Erlaubnis aber […] dazu doch nicht nötig!«296 gewesen, so wären die gelegentlichen Ablehnungen gegenüber dem Widmenden und der rezipierenden Gesellschaft nicht mehr zu legitimieren gewesen. Es gilt also: Die Bitte um Widmungserlaubnis an Angehörige des gleichen sozialen Standes war zwar inhaltlich meist überflüssig und oft eine rein konventionelle Geste, wurde aber nichtsdestotrotz formell als wichtig angesehen. Wie zuvor durch den sozialen Status des adligen Adressaten bedingt, bleibt das Zeremonielle der Widmungsanfrage dadurch in der Kontinuität früherer Jahrhunderte bestehen – freilich auf anderer Ebene, der Formalitätsgrad entspricht nun dem ideellen Ansehen des Dedikationsbrauches. Die Beachtung des kommunikativen Regelwerks war also durchaus konfliktbeladen. Besonders aussagekräftig sind in dieser Hinsicht allerdings nicht Widmungen, die an Individuen gerichtet sind, sondern solche, als deren Empfänger ein sozialer Personenverband fungiert. Die oft komplexe Struktur einer Gruppe (Empfänger einer Widmung war meist ein [Musik-]Verein oder ein Orchester) führt zu teils extremen Diskrepanzen der Interessenlagen und Problembewertung ihrer Mitglieder. Dies muss sich auf jede notwendige gemeinschaftliche Entscheidungsfindung – auch der über die Annahme von Widmungen – auswirken: Ein einzelner Adressat mag im Sinn der Konfliktvermeidung zur Vernunftentscheidung fähig sein. Anders ein Verbund von Personen, der in seiner ganz speziellen Gruppendynamik im Zusammenspiel der Entscheidungs- und Kompetenzträger um einen Konsens in strittigen Fragen ringen muss. Anstatt sich auf einen gemäßigten Standpunkt zu einigen, fällt 294 Brahms an Fritz Simrock, [6. Juni 1877], BW X, S. 37. 295 Vgl. zu den ästhetischen Implikationen dieser Widmung auch Kap. III. 1. 2, ab S. 176. 296 Überliefert in einem Brief Max Regers an Hans Koeßler, Mai 1896, zit. n. Susanne Popp: Der junge Reger. Briefe und Dokumente vor 1900 (= Schriftenreihe des Max-Reger-Instituts Karlsruhe, Bd. 15), Wiesbaden 2000, S. 265.

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der getroffene Entschluss dann meist extremer aus297 – die Folge ist zum Beispiel die Ablehnung einer Dedikation aus formalen Gründen. Um solche schwierigen und langwierigen Diskussionen zu vermeiden, wird das Befolgen von klaren Regeln besonders befürwortet. Das führte auch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts für Komponisten, die die Widmung eines Werkes an eine Gruppe planten, zu besonderen Ansprüchen an die Regelkonformität: Um Konfliktpotenziale zu vermeiden, musste gerade in diesen Fällen auf die Einhaltung von existenten, eventuell aber als unnötig oder veraltet erachteten Regeln und Bräuchen geachtet werden. Das Verfassen einer Bitte um Widmungserlaubnis war unter diesen Bedingungen auch am Ende des 19. Jahrhunderts unbedingt angebracht. Max Reger ließ dieses Feingefühl bei der Zueignung seiner 5 Volkslieder für Männerchor298 an den Münchner Lehrergesangverein vermissen, woraufhin der Verein die Widmung wegen der Missachtung der kommunikativen Regeln beanstandete. Die Sitte der vorherigen Anfrage war in den Augen zumindest einiger Mitglieder noch fest und zwingend als Teil des Widmungsaktes verankert. Wie wichtig demnach trotz der seltenen Nutzung das Recht auf Ablehnung einer Widmung noch war, zeigt die Schilderung des Vorfalls in einem Brief Regers an seinen Vetter Hans Koeßler299 recht eindrücklich. Er sei deswegen an dieser Stelle ausführlich zitiert: »Herr Sturm, dem ich schon in meinem 1. Briefe an ihn die offizielle Mittheilung machte, daß ich dem Lehrergesangverein meine 5 ausgewählten Volkslieder für Män[n] erchor widmen wollte u. den ich bat, dies den Herren des Vereins bekannt zu geben, schreibt mir also in seinem Briefe, der sehr lange auf sich warten ließ (bis vorige Woche) folgendermaßen: ›Daß Sie dem Lehrergesangvereine Volkslieder gewidmet haben, überrascht mich umsomehr, da eine Vorlage derselben vor deren Drucklegung von dem Verein nicht erfolgt ist.‹ Ich gestehe Ihnen, hochverehrter Herr Vetter, [Einschub: daß ich] diesen Satz nicht [Einschub: verstehe]! Soll der Satz vielleicht so aufgefaßt werden, daß ich das Manuskript der Chöre zuerst dem Vereine gewissermaßen zur ›Korrektur‹ hätte vorlegen müssen! Oder wie sollte der Satz sonst verstanden werden! Abgesehen davon, daß es im [m]erhin eine Ehre ist, wen[n] man bewidmet wird, sind meine Chöre derart gesetzt, daß sie selbst die strengste Kritik nicht zu scheuen brauchen. Überdies hätte Herr Sturm aus den ihm gesandten ›Redenden Künsten‹ so viel entnehmen kön[n]en, daß er es mit mir als mit keinem Charlatan zu tun gehabt hätte, so daß also der Lehrerge297 Vgl. Werner Auer-Rizzi: Entscheidungsprozesse in Gruppen. Kognitive und soziale Verzerrungstendenzen, Wiesbaden 1998, S. 61. 298 Max Reger : Fünf Volkslieder für Männerchor bearbeitet, »Dem M ü n c h n e r L e h r e r g e s a n g - v e r e i n hochachtungsvoll gewidmet«, WoO, München 1899. 299 Beide Komponisten gehören davon unabhängig zu der Gruppe der Komponisten, die mit einer Widmung auf den Tod von Brahms reagierten.

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sangsverein mit einer auch ›unvorhergesehenen‹ Widmung von mir aus keinerlei moralisches Risiko übernom[m]en hätte. Dieses Vorherfragen= u. Vorlegen ist überhaupt nicht Mode. Ich habe bisher den Herren: Richard Strauß, F. B. Busoni, Fr. Lamond, Sam de Lange, Dr. Hugo Riemann, Prof. Hans Koeßler, Theodor Kirchner, Dr. Carl Fuchs etc etc. Werke gewidmet, ohne vorher einen der Herren, deren Namen den besten Klang in der musikalischen, in der ganzen gebildeten Welt haben, um Erlaubnis zu fragen oder das betreff. Werk vorzulegen. Alle diese Herren bedankten sich in höflichster u. liebenswürdigster Weise bei mir für die Auszeichnung. Nur einmal machte ich eine Ausnahme – nämlich bei J. Brahms.300 Ich frug bei Brahms, der bekan[n]tlich in Widmungsangelegenheiten sehr kritisch war, an u. vor mir liegt der in den liebenswürdigsten Worten gehaltene Antwortbrief J. Brahms’ an mich u. entnehme ich demselben folgenden Satz: ›Zudem gedenken Sie mir auch noch das schöne Geschenk einer Widmung zu gön[n]en. Aber eine Erlaubnis dazu ist doch nicht nöthig!‹ Sie sehen selbst bei dem großen Brahms war eine Anfrage meinerseits überflüssig. Ich habe die Widmung ›Dem Münchner Lehrergesangsverein hochachtungsvoll gewidmet‹ trotzdem auf dem schon längst gestochenen Titelblatte stehen gelassen u. glaube ich Ihnen hiermit einen Beweis geliefert zu haben, daß ich nicht so kleinlich empfindlich bin.«301

Bitterlich beschwerte sich der erst 26-jährige Reger302 also über die unpassende Reaktion des Lehrergesangvereines, dessen künstlerische Leistung er zwar sehr schätzte, dem er aber nicht persönlich verbunden war.303 Das vorherige Anfragen sei eben nicht mehr »Mode«. Bemerkenswert, dass er gleichzeitig Brahms in 300 Der angesprochene Brief ist nicht überliefert, muss aber um den 9. April 1896 datiert sein. Er betrifft die Widmung einer Reger’schen Sinfonie, die aber mutmaßlich nie vollendet wurde. Eine Dedikation Regers an Brahms ist erst aus der Zeit nach 1897, also nach dem Tod des Widmungsträgers, bekannt. 301 Max Reger an Hans Koeßler, 1. Februar 1899, zit. n. Popp, Der junge Reger, S. 381f. 302 Seine Einschätzung bezüglich des Kommunikationsmodells ist also nicht mit einer bereits großen Bekanntheit zu erklären. Selbst in seinem jugendlichen Alter und als relativ unbekannter Komponist sieht er eine Widmung seinerseits als unbedingt ehrend für den Adressaten an. Die Ehre ist also letztlich bereits der Widmung an sich inhärent und hängt ideell weniger mit äußeren Qualitätsmerkmalen zusammen. 303 Offenbar stellt die Widmung zum einen den Dank für die Aufführung seiner Hymne an den Gesang durch den Verein dar und ist zum anderen der Versuch, seine Bekanntheit in München zu erhöhen. Seine Einschätzung zur Notwendigkeit der Bitte um Widmungserlaubnis hat also mit einer möglichen Bekanntschaft mit dem Widmungsträger nichts zu tun. Vgl. zu der Widmungsvorgeschichte einen Brief an seinen Vetter Hans Koeßler (vom 22. Januar 1898, zit. n. Popp, Der junge Reger, S. 365f.), in dem es heißt: »Ich wäre Ihnen nun sehr dankbar, wen[n] Sie im ›Münchner Lehrergesangverein‹ Ihren Einfluß aufbieten würden, daß genan[n]ter Verein diesen Chor [Hymne an den Gesang] vielleicht baldmöglichst aufführt. Als geborenem Bayern kom[m]t es mir doch hauptsächlich darauf an, auch in München bekan[n]t zu werden, u. hoffe ich, daß auch die Herren Lehrer Münchens meinem Chor Interesse entgegenbringen dürften, da ich ja selbst Lehrerssohn bin. […] u. [würde] mir dan[n] erlauben, dem Verein als Zeichen meiner Dankbarkeit einen neuen Chor […] zu komponieren u. zu widmen.« Aus anderen Äußerungen (an Ernst Guder, 22. Dezember 1898; Popp, Der junge Reger, S. 369) wird deutlich, warum Reger an einer Verbindung mit dem Lehrergesangverein gelegen war : »Der ›Lehrergesangverein‹ in München, der beste Män[n]ergesangverein (170 aktive Mitglieder) […]«.

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seiner strikten Beachtung des kommunikativen Regelwerks kannte und achtete: Er holte die Widmungserlaubnis ein, sah die angeblich so kritische Haltung des »großen Brahms« gegenüber der möglichen Missachtung der Widmungsregeln allerdings explizit als Ausnahme an. Brahms maß der Bitte um Widmungserlaubnis im Vergleich zu anderen Komponisten tatsächlich größere Bedeutung zu. Das lässt sich sowohl aus seinem eigenen Widmungsverhalten, als auch an den verschiedenen, teils bereits zitierten Reaktionen auf ihm zugedachte Dedikationen herauslesen. Vor der Widmung seiner Klaviersonate Nr. 2 fis-Moll op. 2 an Clara Schumann wandte er sich sogar an ihren Ehemann304, um die Widmungserlaubnis zu erlangen. Umgekehrt betonte er aber immer wieder auch die Freiwilligkeit des Brauches, nahm unangekündigte Dedikationen meist freundlich auf.305 Ist Brahms also in seiner Einstellung tatsächlich nur noch ein Relikt vergangener Tage, ein Traditionalist, der den Anschluss an die »Mode« verpasst hatte? Sicherlich etablierten sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zunehmend neue Konventionen, die Rahmenbedingungen für das Widmungswesen waren in der Veränderung begriffen. Der um 40 Jahre jüngere Reger konnte im Gegensatz zu Brahms deswegen bereits freier mit den Gepflogenheiten umgehen. Doch es ist keinesfalls so, dass die Beachtung der traditionellen Regeln allein als Generationenfrage gelten kann. Schon Beethoven brach in bestimmten Fällen, gerade bei der (seltenen) Widmung an Bürgerliche, mit dem Modell306, andere Komponisten aus der Generation um Reger (wie Robert Fuchs) folgten ihm dagegen auch am Ende des 19. Jahrhunderts sehr wohl regelmäßig. Sonst hätte der Lehrergesangsverein, um auf das Beispiel Regers zurückzukommen, nicht in dieser Weise erstaunt auf das Fehlen einer vorherigen Anfrage reagieren können. Eigentlich ist die Frage, ob es sich um eine »Mode« handele 304 Dieser hatte im Recht der Zeit die Vormundschaft über seine Frau und demnach die Vollmacht, für sie Entscheidungen zu treffen. Vgl. Brahms an Robert Schumann, 29. November 1853, Litzmann, Briefe I, S. 3. 305 Vgl. Brahms an Hans Huber, [nach dem 14. Januar 1878], Zimmermann, Brahms in der Schweiz, S. 59. 306 Eine geradezu absurde Situation entsteht, als Beethoven erst drei Jahre nach dem Druck der Adelaide op. 46 (1797) das Widmungswerk dem Adressaten, dem Dichter des der Vertonung zugrundeliegenden Textes, Friedrich von Matthisson (1761–1831), übersendet – unter vielfacher Entschuldigung, dass er ihn vorher gar nicht benachrichtigt habe: »Sie erhalten hier eine Composition von mir, welche bereits schon einige Jahre im Stich heraus ist und von welcher Sie vielleicht zu meiner Schande noch gar nichts wissen. Mich entschuldigen und sagen, warum ich Ihnen etwas widmete, was so warm von meinem Herzen kam und Ihnen gar nichts davon bekannt machte, das kann ich nicht, vielleicht dadurch, daß ich anfänglich Ihren Aufenthalt nicht wußte, zum Theil auch wieder meine Schüchternheit, daß ich glaubte, mich übereilt zu haben, Ihnen etwas gewidmet zu haben, wovon ich nicht wußte, ob es Ihren Beifall hätte.« Vgl. Ludwig v. Beethoven an Friedrich v. Matthisson, 4. August 1800, zit. n. Brandenburg, Beethoven-Briefwechsel 1, S. 52.

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oder nicht, jedoch sekundär. Die Erwartungshaltung der Adressaten und rezipierenden Öffentlichkeit, die sich eben noch nicht vollkommen an die neue Art des Widmens gewöhnt hatte, bestimmt letzten Endes gerade bei der Widmung an soziale Gruppen die Gepflogenheiten. Oder, frei formuliert nach den Erkenntnissen des Soziologen und Brahms-Zeitgenossen Georg Simmel: Die angemessene Handlungsweise wird maßgeblich vorgegeben von der Wechselwirkung, also der Wahrnehmung, Erwartungshaltung und Handlung beider Akteure in einer gemeinsamen sozialen Situation.307 Denn vor allem in der Dedikation an persönlich Unbekannte, an berühmte Personen des öffentlichen Lebens – zu denen auch Brahms zählte – war man eigentlich nach wie vor um größtmögliche Höflichkeit bemüht.308 In den allermeisten dieser Fälle liegen die entsprechenden Briefe, die um Widmungserlaubnis bitten, vor, oder ihre frühere Existenz ist nachweisbar.309 Die Regeln der Kommunikation waren also gesellschaftlich zumindest noch so verankert und dadurch bindend, dass junge Komponisten, die sie gerade bei dem eben skizzierten Adressatenkreis als unnötig oder veraltet ansahen und ganz selbstverständlich umgehen wollten, oftmals unangenehm von den Reaktionen überrascht wurden und – wie Reger – in Schwierigkeiten gerieten. Das zeigt auch eine Unstimmigkeit zwischen dem Komponisten Hans Huber und seinem Verleger Rieter-Biedermann. Huber hatte Brahms seine Walzer für Klavier zu 4 Händen, Violine und Violoncell op. 27 in »geheime[r] Freude« ohne vorherige Anfrage widmen wollen. Sein Verleger sah die Widmungsanfrage bei der Dedikation an persönlich unbekannte und berühmtere Kollegen dagegen als selbstverständlich an und gab sich erstaunt, dass Brahms von der Widmung nichts wusste. Der junge Schweizer musste dies schmerzhaft erfahren: 307 Noch darüber hinausgehend baut Simmel seine ganze Gesellschaftstheorie auf »Wechselwirkungen« zwischen mindestens zwei Akteuren auf. Vgl. Georg Simmel: Soziologie. Untersuchungen über die Formen der Vergesellschaftung (= Georg Simmel Gesamtausgabe, Bd. 11), hg. v. Otthein Rammstedt, Frankfurt a. M. 1992, bes. S. 13–20 und den Exkurs: Wie ist Gesellschaft möglich?, ebd., S. 42–61. Simmel selber hat übrigens nie einen Widmungsträger für den Druck eines seiner Werke bestimmt. 308 In diesen Fällen rechnete die Öffentlichkeit bis ins 20. Jahrhundert hinein mit der vorherigen Anfrage, weswegen die Annahme der Widmung durchaus als Qualitätsmerkmal galt. Vgl. die Rezension der Werke Richard von Pergers in Wilhelm Altmann: Handbuch für Streichquartettspieler. Ein Führer durch die Literatur des Streichquartetts, Bd. 2, Wilhelmshaven 1972, S. 101. 309 So ist beispielsweise im Fall der Widmung der Songs of old Ireland von Charles Villiers Stanford eine Bitte um Widmungserlaubnis zwar nicht aufzufinden, ihre Existenz aber nachweisbar. Zum einen ist die schriftliche Zustimmung zur Widmung von Brahms erhalten, zum anderen berichtet Eugen d’Albert, er habe bei einem persönlichen Treffen mit Brahms Stanfords Brief aus dem Englischen übersetzt (Eugen d’Albert an Marie Joshua, 15. März 1882, abgedruckt bei Christopher Fifield: True artist and true friend. A biography of Hans Richter, Oxford 1993, S. 184).

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»Nun erhalte ich von dem betreffenden Verleger Rieter-Biedermann einen wirklich deprimirenden Brief, worin er mich aufs heftigste angreift, ihn hintergangen zu haben, weil Sie nichts von der Dedikation wüßten. Dieser Brief hat mich den [sic] auch so moralisch niedergedrückt, daß ich es kaum wage, Sie verehrter Meister, anzufragen ob Sie mir die Ehre gön[n]en möchten, Ihnen das Heft ›Walzer‹ zu dediciren.«310

Es ist deutlich erkennbar, dass die Verleger, die ja in vielen Fällen die Übersendung des fertigen Druckes übernahmen, Angst hatten, etablierte Komponisten und berühmte Zeitgenossen mit unangebrachten Widmungen zu belästigen – und dafür ihrerseits zur Verantwortung gezogen zu werden. Denn es versuchten unzählige junge Komponisten durch eine Dedikation einen berühmten Fürsprecher zu gewinnen; »›so was‹ kommt jeden Tag, man kann sich’s nicht arg genug vorstellen«311, beschwerte sich Brahms gegenüber Fritz Simrock. Die Bitte um Widmungserlaubnis war deswegen für die Verleger oftmals noch so selbstverständlich, dass Rieter-Biedermann die fehlende Zustimmung von Brahms erstaunt und verärgert zur Kenntnis nahm. Brahms allerdings beruhigte Huber in der umgehend verfassten offiziellen brieflichen Widmungserlaubnis: »Mir ist ungemein leid das die ehrende Freundlichkeit welche Sie mir zu erweisen dachten Ihnen Unangenehmes bereitet hat. Ich halte die Widmung eines Werkes für das schönste u. werthvollste Geschenk das man geben kann, daß man deshalb um Erlaubniß zu fragen habe glaubte ich nicht.«312

Auffällig die Verwendung des Konjunktivs »glaubte«: Obwohl Brahms unter seinen Zeitgenossen bekannt war für seine genaue Befolgung der kommunikativen Regeln, war er von der heftigen negativen Reaktion des Verlegers RieterBiedermann überrascht. Gute Freunde, die sich einer positiven Aufnahme der Zueignung sicher sein konnten, verzichteten dagegen häufiger und ohne Probleme auf eine offizielle Anfrage, um den Empfänger mit dem öffentlichen Zeichen ihrer Verehrung und Zuneigung überraschen zu können. Dass man sich trotzdem bewusst war, wenn nicht eine Regel, so doch zumindest eine Gepflogenheit zu missachten, zeigen die Entschuldigungsbriefe, die meist parallel zur Übersendung des Druckes zugestellt wurden. Ludwig van Beethoven schrieb an Franz313 und Antonie 310 Hans Huber an Brahms, 14. Januar 1878; A-Wgm, Sign.: Brahms-Nachlass, Briefe Hans Huber an Johannes Brahms 166, 1. 311 Brahms an Fritz Simrock, [30. Januar 1896], BW XII, S. 190. Im Brief informiert Brahms Simrock über die von ihm abgelehnte Widmung eines Werks des Lübecker Komponisten Jakob Ludwig Bruhns. 312 Brahms an Hans Huber, [nach dem 14. Januar 1878], Zimmermann, Brahms in der Schweiz, S. 59. 313 Franz Brentano (1765–1844) ist der Halbbruder des Dichters Clemens Brentano. Er und seine Familie lernten Beethoven 1810 in Wien kennen, wo die Brentanos zwischen 1809 und 1812 wohnten.

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Brentano, deren Tochter Maximiliane er zuvor ohne vorherige Anfrage seine Klaviersonate Nr. 30 E-Dur op. 109 gewidmet hatte: »[…] ich war vorlaut ohne anzufragen, indem ich ihrer Tochter Maxe ein werk von mir widmete, mögten Sie dieses als ein Zeichen meiner immerwährenden Ergebenheit für Sie u. ihre ganze Famil[i]e aufnehmen – geben Sie aber dieser Dedikation keine üble Deutung auf irgend ein Intereße oder gar auf eine Belohnung – dies Würde mich sehr kränken, Es gibt ja wohl noch edlere Beweggründe, denen man d. g. zuschreiben kann, wenn man schon durchaus Ursachen finden wollte«.314

Auch anlässlich der Widmungen an Brahms finden sich, z. B. von Max Bruch315, solch höfliche Bitten um Verzeihung. Der Sänger Julius Stockhausen, der Brahms ohne vorherige Anfrage seine Vier Gesänge widmete, fühlte sich zu besonders starker Entschuldigung bemüßigt: »Verzeih’ mir die Sünde, geliebter Meister ; es wird wohl die einzige seyn.«316 In einigen Fällen konnte die Bitte um Widmungserlaubnis also durchaus wegfallen. Anlässlich einer geplanten Dedikation an Adlige wurde sie aber dennoch unter den Komponisten des 19. Jahrhunderts übereinstimmend als Pflicht angesehen, das Bewusstsein für den in früheren Jahrhunderten eminent wichtigen gesellschaftlichen Standesunterschied wirkte in diesem Fall trotz des fundamentalen Wandels der Zueignungspraxis fort.317 Selbst ein Komponist wie Beethoven, der dem Kommunikationsmodell längst nicht immer Folge leistete, stimmte der Notwendigkeit dieser Höflichkeitsgeste gegenüber Adligen zu: Man dürfe »ungefragt […] Königen nicht einmal etwas widmen«.318 Umgekehrt bedeutete die erteilte Widmungserlaubnis aber nicht den notwendigen Vollzug derselben: Dedikationen wurden auch nach der Erlangung der offiziellen Widmungserlaubnis vonseiten des Widmungsschreibers wieder zurückgezogen, wenn der Widmungsgrund hinfällig wurde oder das zugedachte Werk unpassend erschien. Der standardisierte Ablauf eines Zueignungsaktes 314 Ludwig van Beethoven an Franz Brentano, 20. Dezember 1821, zit. n. Brandenburg, Beethoven-Briefwechsel 4, S. 465. 315 Max Bruch an Brahms, 22. Dezember 1868, BW III, S. 92: »Gleichzeitig mit diesen Zeilen, verehrter Freund, wird die Partitur meiner Symphonie bei Ihnen eintreffen. Ich habe mir erlaubt, sie Ihnen ohne vorherige Anfrage zu widmen, und hoffe, Sie werden sie deshalb nicht weniger freundlich aufnehmen. Indem ich mein Werk mit Ihrem Namen schmücke, lieber Brahms, wünsche ich Ihnen vor allem zu beweisen, wie hoch ich Ihre Begabung und Ihre Leistung zu schätzen weiß, – wie sehr ich als mitstrebender Kunstgenosse mich an Ihrer wahrhaft bedeutenden und sich noch stets steigernden Produktivität erfreue und begeistere.« 316 Julius Stockhausen an Brahms, 28. Dezember 1871, BW XVIII, S. 76. 317 Dieser Konsens drückt sich auch in den separaten Widmungsblättern aus, die bei Brahms nur noch bei Dedikationen an Angehörige des regierenden Adels üblich sind. Vgl. das Kap. II. 1. 2 dieser Arbeit, bes. S. 66. 318 Ludwig van Beethoven an den Verlag Breitkopf & Härtel, 9. Oktober 1811, zit. n. Brandenburg, Beethoven-Briefwechsel 2, S. 215.

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konnte also jederzeit unterbrochen werden. Das berühmteste Beispiel für einen Rückzug ist mit Sicherheit Beethovens geplante Widmung seiner Sinfonie Nr. 3 op. 55, der »Eroica«, an Napoleon.319 Doch auch im Umkreis von Brahms finden sich solche Fälle, so die bereits angesprochene an ihn gerichtete und zurückgezogene Zueignung der Orchestersuite Aus dem Morgenlande op. 25 von Richard Heuberger.320 Im Gegensatz zur offiziellen Anfrage und Erteilung der Widmungserlaubnis ist die Versendung eines Briefes nach der Übersendung des fertiggestellten Drucks als Höflichkeitsgeste und Ausdruck der Dankbarkeit für das gewährte Geschenk fast immer zu erwarten.321 Neben manchmal floskelhaften Dankesformeln geht der Widmungsträger meist auf inhaltliche Aspekte des Werks ein, an Lob (und Kritik) wird nicht gespart. Auch Brahms vereinte im Brief stets die beiden Elemente des Danks für die erwiesene Ehre und des Urteils über das Widmungswerk. Dabei versuchte er allerdings oft, der Formulierung von zu direkter Kritik zu entgehen. Mit seinem Ruf als schlechter Briefeschreiber kokettierend, verwies er wiederholt auf ein nahes Treffen, bei dem über die Komposition zu »plaudern«322 sei, er wolle »nicht erst loben; denn darin habe ich einen bösen Ruf u. werde immer missverstanden.«323 Ob diese angekündigten Gespräche jemals stattfanden, ist nicht bekannt. Doch trotz des wiederholten Ausweichens vor einer Beurteilung scheute er sich andererseits nicht, teilweise süffisante Kritik zu formulieren. In seltenen Fällen griff er sogar direkt in das Werk ein und monierte seiner Meinung nach nicht gelungene Stellen.324 Diese 319 Nachdem Beethoven die Widmung, enttäuscht von Napoleons Kaiserkrönung, zurückgezogen hatte, eignete er die Eroica nach der Vollendung seinem Gönner, dem Fürsten Joseph Franz Maximilian Ferdinand von Lobkowitz (1772–1816) zu. 320 Vgl. S. 75f. Dazu auch Heuberger, Brahms, S. 158, Grunsky, Richard Heuberger, S. 192 und Behr, Brahms, S. 54f. 321 Selbst Max Reger, der sich nicht an das Kommunikationsmodell gebunden fühlte, berichtet von den Dankesbriefen, die er als Reaktion auf Widmungen erhalten habe. Vgl. Popp, Der junge Reger, S. 381. 322 Z. B. an Hermann Goetz, [n. d. 6. Juni 1870], zit. n. Bob¦th, Hermann Goetz, S. 216: »Ich würde eingehender schreiben und behaglich einzelnes loben, doch hoffe ich sehr, diesen Sommer in die Schweiz zu kommen, und es plaudert sich doch besser über Musik…«. An Julius Otto Grimm, [Anfang 1871], BW IV, S. 122: »Ich kann nur hoffen, über diesen neuen kanonischen Dauerlauf nächstens mit Dir plaudern zu können«. 323 Brahms an Julius Stockhausen, 16. Februar 1872, BW XVIII, S. 77. 324 Vgl. Briefe an Ernst Rudorff (vom [25.] Januar 1869, BW III, S. 153), Joseph Rheinberger (vom [28. Februar 1871], Kalbeck II, S. 338) usw. Gegenüber Georg Hendrik Witte äußerte er gar konkrete Änderungswünsche: »Dürfte ich außer meinem herzlichsten Dank noch eine Bitte äußern – u. zwar fast dringend – so wäre es: Sie möchten die Ueberschrift ›Canon‹ beidemal streichen. Vor Allem überhaupt, an u. für sich; dann aber möchten sich Stellen wie in No VII Takt 3 u. 4, in No IX Takt 5 nicht wohl mit jenem Titel vertragen.« [Sommer 1867], zit. n. Hans Winking: Brahms in Essen. Die beiden Besuche von Johannes Brahms in Essen im März 1884 und November 1885 auf Einladung von Georg Hendrik Witte, Dr. i. Vorb. Ich

Die Widmung als kommunikativer Akt

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Freiheiten nahm er sich vor allem gegenüber jüngeren Kollegen. Die Tendenz zu einem ironischen und leicht herablassenden Ton wie auch zum Vermeiden einer direkt zu formulierenden Werkkritik zeigt sich schon sehr früh. Bereits 1862 monierte der erst 29-jährige Brahms süffisant das große Selbstvertrauen325 des nur vier Jahre jüngeren Adolf Jensen bezüglich der eigenen Kompositionen, sah aber von einer direkten Kritik des ihm gewidmeten Werks ab: »Sie gehen in so schönem crescendo vorwärts, daß man im[m]er sagen kann: das Letzte, das Beste. Möchte es noch lange so fort u. aufwärts gehen, so daß Sie stets mit gleicher Befriedigung wie auf diese, so auf viele folgende Arbeiten sehen können. Möchte Ihnen auch die Gabe erhalten bleiben mit der Sie so froh Ihr Schaffen betrachten, gewiß, viele Künstler dürften Sie darum beneiden. Fast möchte ich mich freuen, daß es mir hier (ohne Noten) nicht möglich ist Ihnen über Einzelnes in Ihren Werken was mir besonders oder auch weniger wohl gefällt zu schreiben. Ich schreibe solches so ungern wie ich es gern mit Ihnen durchspräche.«326

Jeder Dankesbrief ist eine direkte Reaktion auf die Übersendung des gedruckten Widmungswerks und bildet damit den Abschluss der Dedikationshandlung. Auch er ist also eingebunden in die im Kommunikationsmodell dargestellte übliche Abfolge einer Widmung. Durch diese Einbettung lassen sich seltene danke Herrn Hans Winking, der mir freundlicherweise das Manuskript seiner Arbeit bereits vor Veröffentlichung zur Verfügung gestellt hat. 325 Dieser hatte in der brieflichen Mitteilung der Dedikation geschrieben: »Mit Hingebung und künstlerischem Ernst schrieb ich dieselben und nahm nach Ihrer Vollendung mit grosser Freude wahr, dass in Ihnen das enthalten sei, was hineinzulegen ich mich bemüht hatte. Es ist leicht ersichtlich, welche Vorbilder mir dabei vorschwebten und durch den kräftigen Geist dieser Schule besonders erstarkt, glaube ich vielleicht diesem oder jenen Anhänger derselben etwas Interessantes geboten zu haben, halte somit meine Arbeit für keine verlorene.« Besonders dürfte Brahms allerdings ein anderer Satz gestört haben: »Danken Sie mir nicht dafür – es würde mich beschämen.« Vgl. Jensen an Brahms, 24. Mai 1862, A-Wgm, Sign.: Brahms-Nachlass, Briefe Adolf Jensen an Johannes Brahms 173, 1. Der Bericht, Brahms habe bemerkt, »Jensens Briefe sind voller Eitelkeit, auch hatte er die Manier, über seine eigenen Sachen brieflich zu philosophieren. Das brächte ich nicht zustande!« (Heuberger, Brahms, S. 29), wird im Licht dieser Aussagen verständlich. Offenbar strahlte Jensen auch gegenüber der Öffentlichkeit ein fast als übermäßig betrachtetes Selbstvertrauen bezüglich seines Könnens aus. In einer Rezension zur Brahms ebenfalls gewidmeten Sonate fis-Moll für Klavier op. 25 wird in der AmZ 3/3 (18. Januar 1865), Sp. 46, jedenfalls von Jensens »mangelhaft ausgebildete[r] Selbstkritik« gesprochen. 326 Brahms an Adolf Jensen, [23. Juni 1862], Dankbrief anlässlich der Widmung der Fantasiestücke für Klavier op. 7, D-LEu, Sammlung Wustmann, Sign.: NL 297/4/Nr. 168. Zit. n. dem Digitalisat unter http://histbest.ub.uni-leipzig.de/receive/UBLNachlassWustmann_kalliope_00000167 (letzter Zugriff: 10. März 2015). Gerade im Ausweichen vor klarer Kritik scheint allerdings trotzdem Brahms’ eigenes Gefühl der kompositorischen Überlegenheit durch – und das, obwohl die oben zitierte Rezension zu Jensens zweitem Widmungswerk beide Komponisten im Jahr 1865 noch auf eine Stufe stellt: »Die schön ausgestattete Sonate ist Johannes Brahms zugeeignet, dem sie ein Sporn sein möge, die Sonate ebenfalls wieder zu cultiviren und dabei Jensen’s Errungenschaft auf diesem Gebiet zu beachten, ohne in die Fehler der ersten drei Sätze zu verfallen.«

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Brahms im Kontext: Zur Widmung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts

Ausnahmen, in denen keine briefliche Reaktion auf eine zugeeignete Komposition erfolgte327, erklären. Bei Brahms kommt dies nur vor, wenn der Widmende seinerseits die Regeln missachtete, z. B. die Übersendung des gedruckten Widmungswerks vergaß: »Die Eschmannsche Widmung könnten Sie mir auch gelegentlich senden, es scheint, er vergißt’s oder versäumt’s, was übrigens sein Gutes hat, da ein Dankbrief nicht bequem zu schreiben ist«328 schrieb er 1878 an Fritz Simrock. Damit entfiel in Übereinstimmung mit den Kommunikationsregeln seiner Zeit329 die Pflicht zur Erwiderung – was Brahms in Anbetracht seiner »ganz absonderliche[n] Schreibfaulheit«330 mit Sicherheit nicht missfallen hat.

3.

Zur Funktion und Intention von Widmungen »Man beabsichtigt dadurch [die Widmung] entweder seinen Dank oder die Hochachtung gegen Jemand auszusprechen oder sich der Beförderung und Unterstützung einer hochgestellten Person zu empfehlen.«331

Bis in das 18. Jahrhundert hinein sind die Vorteile einer Dedikation für den Widmenden klar ersichtlich: Die Gönnerwidmung an fürstliche Mäzene und Auftraggeber spielte als wichtigste Dedikationsart in Kunst, Literatur und Musik die größte Rolle. Nach ihrem Rückgang332 funktionierten die ökonomischen Prinzipien dieser traditionellen Dedikation allerdings in vielerlei Hinsicht nur noch eingeschränkt – auch ausgelöst durch das kritische Hinterfragen einer Widmungspraxis, in der die Zueignung nur noch ein »Bettelbrief«333 sei. In der folgenden Neuorientierung, die eine Hinwendung zur privateren Widmung 327 Da die Überlieferung der Korrespondenz in keinem Fall als vollständig angesehen werden kann, reicht das Fehlen eines Briefes allein nicht zur Annahme aus, er sei nie geschrieben worden. 328 Brahms an Fritz Simrock, [4. Dezember 1878], BW X, S. 97. Eschmann hatte Brahms den sechsteiligen Zyklus für Klavier Licht und Schatten op. 62 gewidmet. 329 Vgl. Baasner, Briefkultur, S. 17. Trotz dieser »Schreibfaulheit« war Brahms allerdings das Bezeugen der Dankbarkeit für eine erhaltene Widmung im Normalfall eine Herzensangelegenheit, wie u. a. ein Brief an Felix Otto Dessoff zeigt: »[…] schreiben aber muß ich nach Carlsruh [sic] zunächst an Lachner. Ich habe so viel Sympathie für das Geschenk einer Widmung und ihm noch nicht gedankt. Das soll mit diesem geschehen.« (19. März 1878, BW XVI, S. 169). 330 Brahms an Hermann Goetz, [nach dem 6. Juni 1870], zit. n. Bob¦th, Hermann Goetz, S. 216. 331 Musikalisches Conversations-Lexikon, Bd. 3, hg. v. Hermann Mendel, Berlin 1873, S. 98. 332 Vgl. Kap. I. 2. 3. 333 Diana Stört: »… aus Herz und Hand des Freundes« – Untersuchungen zu Form und Funktion der handschriftlichen Widmung im 18. Jahrhundert am Beispiel der Gleimbibliothek zu Halberstadt (Magisterarbeit), http://www.goethezeitportal.de/fileadmin/PDF/ db/wiss/gleim/stoert_widmung.pdf, S. 29.

Zur Funktion und Intention von Widmungen

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bedeutet, war auch die Zueignungen an Adlige nun in den meisten Fällen weniger an die Standesperson und den möglichen Mäzen, als vielmehr an den passionierten Musikkenner oder die bewunderte Figur des politischen oder öffentlichen Lebens gerichtet.334 Freilich war die Widmung aus finanziellen Motiven noch bekannt und wurde vor allem zu Beginn des Jahrhunderts bei der Wahl möglicher Adressaten im positiven wie negativen Sinn bedacht.335 Doch allgemein ist vor allem ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein Wandel zu beobachten: Brahms illustriert ihn in der veränderten Erwartungshaltung hinsichtlich einer Entlohnung für die Widmung seines Triumphliedes op. 55 an Kaiser Wilhelm I.336 – sie weicht klar von der bislang üblichen Haltung von Komponisten wie Ludwig van Beethoven oder auch Richard Wagner ab. In Übereinstimmung mit den von G¦rard Genette für dieselbe Zeit in Bezug auf Widmungen literarischer Werke gezogenen Schlüssen müsste damit die »bittstellende Zueignung« eigentlich als »obsolet«337 bezeichnet werden. Doch schon am eingangs zitierten Artikel des Musikalischen Conservations-Lexikons von 1873, also direkt aus dem interessierenden Untersuchungszeitraum, wird deutlich: Genettes Einschätzung trifft zumindest im Bereich der Widmung musikalischer Werke so nicht zu. Auch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts verblieb die Dedikation in weiten Teilen in einem – wenn auch veränderten – Gerüst von Erwartungen verwurzelt. Denn: Auch, wenn in den Bitten um Widmungserlaubnis meist die eigene Dankbarkeit und die durch die Annahme der Zueignung empfangene Ehre in den Vordergrund gestellt wurden, ist eine gänzlich ›selbstlose‹ Widmung zwar zu beobachten, aber längst nicht der Regelfall. Freilich ist die direkte Bitte um finanzielle Entlohnung im Normalfall nicht mehr anzutreffen – die Art der erwarteten Hilfestellung hat sich substanziell verändert. Falls überhaupt hinter einer Dedikation die Bitte um materielle »Beförderung und Unterstützung«338 verborgen war, ist diese im Ausdruck subtiler als in den vorangegangen Jahrhunderten. Neben den durch das neue Bürgertum veränderten Verdienstmöglichkeiten der Komponisten und der veränderten Struktur des Adressatenkreises liegt dies zum Teil auch an neuen Druckkonventionen: Die finanzielle Verantwortung für die Drucklegung eines Werks lag nicht mehr beim Komponisten, dieser erhielt vielmehr vom Verleger

334 So oft bei Robert Schumann. Er richtete Dedikationen an adlige Personen grundsätzlich weniger an die hohe Standesperson, als an den passionierten Musikliebhaber (vgl. Appel, Schumanns Schaffensweise, S. 117f.). 335 Vgl. Kap. I. 2. 4 Die Widmung zur Brahms-Zeit: Ein Überblick, bes. S. 55. 336 Brahms hatte nach dem Bericht Max Kalbecks (Kalbeck II, S. 352) keine materielle Entlohnung erwartet. Siehe auch S. 57f. 337 Genette, Paratexte, S. 128. 338 Musikalisches Conversations-Lexikon, Bd. 3, hg. v. Hermann Mendel, Berlin 1873, S. 98.

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Brahms im Kontext: Zur Widmung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts

eine Bezahlung und trat damit die Rechte an der Veröffentlichung an ihn ab.339 Eine durch die Widmung eingeworbene finanzielle Hilfe zur Ermöglichung des Drucks war also nicht mehr nötig. Anstatt auf Geldgeschenke, Ämter oder öffentliche Ehrungen zu hoffen, liegt der erwartete Gewinn deswegen nun vermehrt im aktiven Einsatz des Widmungsträgers für Person und Werke des Widmenden. Dieser Einsatz wurde auch durch die im kulturellen Gedächtnis verankerte symbolische Tragweite der Zueignung befördert. Denn der Widmungsträger sah sich durch die Bedeutung des Widmungsakts als symbolische Übertragung der Eigentumsrechte auch moralisch in einer nunmehr mit dem Komponisten geteilten Verantwortung für die Verbreitung des Werks, das seinen Namen trug. Diese konnte er beispielsweise in Form von positiven Rezensionen in (Fach-)Zeitschriften, die Vermittlung von Aufführungen, die Aufnahme ins eigene Konzertrepertoire oder Hilfe bei der Drucklegung fördern.340

3.1

Reziprozität? Die Widmung als kalkulierter Werteinsatz im materiellen und symbolischen Gabenaustausch

Im Kontext des 19. Jahrhunderts erscheint in den Korrespondenzen in Bezug auf eine Zueignung immer wieder der Begriff der »Gabe« oder des »Geschenks«. So auch bei Brahms, der die Widmung einst gegenüber Ernst Rudorff als »das ehrenvollste und freundlichste Geschenk, das gegeben und empfangen werden kann« bezeichnete.341 Doch die Verortung der Dedikation in einer Gemengelage ökonomischer Interessen verliert auch in diesem Kontext ihre Relevanz nicht. Denn die Idee des Geschenks impliziert zwar scheinbar Selbstlosigkeit342, doch in der Soziologie ist unumstritten, dass das Konzept der Gabe Reziprozität und ökonomische Erwartungen nicht ausschließt, sondern sogar fordert: »Ohne 339 Vgl. zu den Eigentumsverhältnissen von Verlagsartikeln Beer, Rahmenbedingungen des Musik-schaffens, S. 63ff., zur Geschäftsbeziehung von Komponisten und Verlegern ebd., S. 168–186. Die Ergebnisse für das erste Drittel des 19. Jahrhunderts lassen sich in den meisten Details auf die Folgezeit übertragen. 340 Dazu bereits Emily Green, Between Text and Context, S. 331: »In the later eighteenth century, when dedications came to be directed not only to patrons but also to friends, beloveds, musicians, and composers, such dedicatees certainly could not offer court positions or payment in return for offerings presented to them, nor, I believe, were they expected to. Instead, they provided reviews or performances of works, or, most interestingly, return dedications«. 341 Brahms an Ernst Rudorff, [25.] Januar 1869, BW III, S. 152. 342 Vgl. Jacques Derrida: Falschgeld. Zeit geben I, München 1993, S. 17: »Aber ist die Gabe, wenn es sie gibt, nicht auch gerade das, was die Ökonomie unterbricht? Gerade das, was dem Tausch nicht mehr stattgibt, weil es den ökonomischen Kalkül suspendiert? Gerade das, was den Kreis öffnet, um sich der Reziprozität oder der Symmetrie, dem gemeinsamen Maß entgegenzustellen und so die Rückkehr in Rückkehrlosigkeit zu verkehren?«

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äußeren Zwang verpflichtet die Gabe zu einer Gegengabe und ist deshalb zugleich Ausdruck von individueller Freiheit und kollektiver Verpflichtung«.343 Der Philosoph Jacques Derrida geht in seinen Überlegungen noch einen Schritt weiter, er negiert die Existenz der Gabe, die sich wegen der ihr inhärenten reziproken Eigenschaften344 selbst auflöse. Denn: Schon die Annahme und damit die bloße Anerkennung als Geschenk seitens des Empfängers gebe dem Schenkenden ein »symbolisches Äquivalent« zurück, sie »eröffnet und konstituiert die Dimension des Tausches und der Schuld, mitsamt dem Gesetz oder dem Befehl der Zirkulation, in der die Gabe annulliert wird«.345 Wie viel mehr gilt diese These für die Veröffentlichung einer Widmung, die schon konzeptionell einen den Widmungsakt begleitenden Leistungsaustausch suggeriert: Die Rezipienten gingen bis zum Ende des 19. Jahrhunderts davon aus, dass der Widmungsträger die ihm angetragene Ehre vor dem Druck offiziell angenommen hatte346, wodurch die Widmung von der positiven Aufnahme des Empfängers abhängig war und der Geschenkcharakter im Verständnis Derridas annulliert wurde. Die Gabe der Dedikation wird damit gleichzeitig zum Tausch; während sie den Widmungsträger als Person erhöht und ehrt, seinen Namen »unsterblich« macht347, erhöht sie gleichzeitig – gerade bei einem im Bereich des Widmungswerks als Kapazität anerkannten Adressaten – auch den Rang der Komposition und ihres Urhebers.348 Tatsächlich sahen die Komponisten die Widmungsannahme durch einen so renommierten Kollegen wie Brahms als große persönliche Ehre an. In der sozialen Lebenswelt der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts steigerte dieser Ehrzuwachs den gesellschaftlichen »Verkehrskurs«349 der eigenen Person und trug somit zu ihrem mit Anstrengung »erworbene[n] Sozialwert«350 bei. Da die Ehre in ihrer soziologisch definierten 343 Frank Hillebrandt: Praktiken des Tauschens. Zur Soziologie symbolischer Formen der Reziprozität, Wiesbaden 2009, S. 137. 344 Es sind vor allem die grundsätzlich bei jeder Gabe zu erwartenden zirkulären Ausgleichsbestrebungen, die den Gabencharakter aufheben. 345 Derrida, Falschgeld, S. 24. 346 Vgl. die Ausführungen zum Kommunikationsmodell in Kap. II. 2, in der Übersicht bes. S. 91. 347 So Robert Schumann am 11. September 1837 in der Bitte um Widmungserlaubnis für seine Davidsbündlertänze op. 6 an den Goethe-Enkel und Mendelssohn-Schüler Walther Wolfgang von Goethe (1818–1885), zit. n. Appel, Schumanns Schaffensweise, S. 176. 348 Vgl. dazu auch Appel, Schumanns Schaffensweise, S. 176f. 349 Als »rechtlich anerkannter Verkehrskurs des Menschen« hat der Brahms-Zeitgenosse und Jurist Karl Binding die Ehre definiert. Vgl. Karl Binding: Die Ehre und ihre Verletzbarkeit, Leipzig 1892, S. 6. U. a. zit. v. Dagmar Burkhard: Eine Geschichte der Ehre, Darmstadt 2006, S. 89, die ebd., S. 89–112 einen Überblick über die Rolle der Ehre in der Gesellschaft des 19. Jahrhunderts bietet. 350 Vgl. zum Begriff der Ehre als »erworbener Sozialwert« Binding, Ehre und ihre Verletzbarkeit, S. 15.

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Gestalt als »symbolisches Kapital«351 ebenso wie die Widmung als immaterielles Objekt innerhalb eines ökonomisierten Tauschgeschäfts gelten kann, war die Bringschuld des Adressaten je nach Erwartungshaltung des Widmenden gegebenenfalls bereits durch die Annahme der Zueignung getilgt. Nachvollzogen werden kann der symbolische Zyklus des wechselseitigen Ehrzuwachses anhand der Widmung von Ernst Rudorffs Fantasie für Klavier op. 14 an Brahms. Während Brahms im Dankbrief die ihm zugedachte Dedikation als das für ihn »ehrenvollste und freundlichste Geschenk, das gegeben und empfangen werden kann«352 pointierte, hatte Rudorff selber bereits in der Bitte um Widmungserlaubnis gleichsam als Spiegelung dieser Definition die positive Aufnahme seiner Bitte und die damit erteilte Erlaubnis zur öffentlichen Zueignung als ihm erwiesene Ehre aufgefasst: »Sollten Sie soweit damit einverstanden sein, daß Sie die Musik würdig fänden, in eine solche Verbindung mit Ihrem Namen zu treten, so wäre mir das die größte Freude, die mir künstlerisch widerfahren könnte.«353 Heinrich von Herzogenberg bekam analog »einen wahren Respekt vor meinen eigenen Kindern«354, den Drei Streichquartetten op. 42, weil Brahms ihre Zueignung angenommen hatte. Auch für ihn war demnach die Widmungsannahme gleichsam der Lohn für die Dedikation, der (symbolische) Zyklus aus Gabe und Gegengabe war abgeschlossen. Durch diese direkt an den Widmungsakt geknüpfte Reziprozitätskette werden allerdings auch jene Zueignungen latent ökonomisiert, die eigentlich in der Intention ihres Urhebers ohne jedes Kalkül entstanden sind: Die Zueignung bleibt je nach Ausdeutung der rezipierenden Öffentlichkeit ein Beitrag zum gesellschaftlichen Prestige355 des Widmenden, der auf diese Rezeption keinen steuernden Einfluss besitzt. Nicht immer sind also Funktion und Intention einer Widmung zu hundert Prozent deckungsgleich. Auch, wenn jene Widmungsintentionen überwiegen, die sich der Kategorisierung innerhalb des ökonomischen Grundgerüsts verweigern, können sie nicht verhindern, dass eine mitschwingende Ebene des Leistungsaustauschs vermutet wird. Auf dieser Ebene konnte sich auch ein Widmungsadressat zur passenden Gegengabe über die Widmungsannahme hinaus verpflichtet fühlen, ohne dass der Widmende dies konkret artikuliert oder überhaupt intendiert hatte.

351 Geprägt wurde der Begriff von Pierre Bourdieu: Entwurf einer Theorie der Praxis. Auf der ethnologischen Grundlage der kabylischen Gesellschaft, Frankfurt a. M. 1976, S. 349f., dazu auch Burkhard, Geschichte der Ehre, S. 89. 352 Brahms an Ernst Rudorff, [25.] Januar 1869, BW III, S. 153. 353 Ernst Rudorff an Brahms, 2. Januar 1869, BW III, S. 152. 354 Heinrich v. Herzogenberg an Brahms, 24. März 1884, BW II, S. 21. 355 Der Begriff des Prestiges ersetzte ab 1870 vermehrt den Begriff der Ehre, vgl. Burkhard, Geschichte der Ehre, S. 99.

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Es handelt sich um eine gesellschaftlich verankerte Konvention, die eine angemessene Reaktion seitens des Adressaten notwendig erscheinen ließ. Die Dedikation ist somit auch nach Abnahme der Gönnerwidmung keine isolierte Handlung, sondern potenziell eingebunden in einen reziproken Leistungsaustausch zwischen Adressat und Widmendem.356 Dies entspricht dem Grundsatz, dass Leistungen – und als deren Sonderfall wird innerhalb der Sozialwissenschaften auch die Gabe betrachtet357 – immer im Austauschprinzip vergeben würden. Durch die über Generationen im gesellschaftlichen Gedächtnis festgeschriebenen kulturellen Schemata des Tauschens, die »habituell verankerte[n], von den Akteuren inkorporierte[n] Deutungsmuster«358, die ungeschriebenen Gesetze des Ausgleichs und des ›nichts-schuldig-bleibens‹ konnten die Widmenden und Rezipienten auch ohne konkret formulierte Forderungen eine Reaktion des Adressaten erwarten, genauso wie diese dem Empfänger nahegelegt wurde. Doch natürlich konnte die Dedikation auch die Rolle der Gegengabe einnehmen: Sie wurde als Dank und Äquivalent für bereits erhaltene Unterstützung eingesetzt: »Nun zum Schlusse nochmals meinen besten herzlichen Dank für Ihren Artikel, für die so warme Sprache u. überhaupt für Alles. Wie aber schon geschrieben kan[n] ich meine große Schuld an Sie nur dadurch einigermaßen glatt machen durch die Widmung eines größeren Werkes! Selbes wird bald folgen.«359

Der konkrete, hinter einer spezifischen Widmung stehende Grund (oder die verschiedenen Widmungsgründe) wurde im typischerweise sehr kurzen Widmungstext des 19. Jahrhunderts allerdings im Normalfall nicht mehr direkt benannt. Anhaltspunkte, die die Motivation der jeweiligen Zueignung und die daran gebundene Erwartungshaltung gegebenenfalls erklären können, bieten demnach zum einen die am Widmungsvorgang beteiligten Personen und ihre Beziehung untereinander360, vor allem aber auch die erhaltene Korrespondenz anlässlich der Widmungen. Daneben können Vorworte, Berichte und andere 356 Vgl. zu diesem Thema Christian Stegbauer : Reziprozität. Einführung in soziale Formen der Gegenseitigkeit, 2Wiesbaden 2011. 357 Die Gabe wird zur Leistung, indem nach Derrida ihr Konzept ihre Auflösung bedingt. Wenn nun nach Hillebrandt, Praktiken des Tauschens, S. 135, die Gabe eine »Bringschuld« beim Beschenkten hervorruft, ist ihre Ökonomisierung offensichtlich. Der Begriff »Leistung« wird demnach in der Soziologie für das Konzept der Gabe vollkommen selbstverständlich eingesetzt, vgl. z. B. Stegbauer, Reziprozität, S. 51 und 69. 358 Hillebrandt, Praktiken des Tauschens, S. 97. 359 Max Reger an Cäsar Hochstetter, 16. November 1898, zit. n. Popp, Der junge Reger, S. 256. Hochstetter erhielt in der Folge die Zueignung der Cinq PiÀces pittoresques pour Piano — quatre mains op. 34. Bei dem angesprochenen Artikel Hochstetters handelt es sich um Max Reger. Biographisch-kritische Skizze, in: Die Redenden Künste 5/7 + 8 (12. u. 19. November 1898). 360 Dies hat schon Arnold Rothe erkannt (Der literarische Titel, S. 368).

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sekundäre Quellen herangezogen werden. Grundsätzlich ist in der brieflichen Kommunikation das Kalkül, das Rechnen mit einer Gegengabe des Adressaten allerdings nicht erwähnt. In vielen Briefen an den avisierten Widmungsadressaten Brahms scheinen im Gegenteil Begründungen der Zueignungsabsicht auf, die die Dedikationen in einen anderen Kontext stellen: »Ein begeisterter Schwärmer Ihrer Musik & ein junger Tonkünstler in der Sturm & Drang=periode, der schon Werke in die Öffentlichkeit gelangen ließ, wollte seinen Gefühlen freien Lauf laßen & als kleines Zeichen seiner Verehrung Ihnen ein opus Walzer widmen«361 »Sollten Sie soweit damit einverstanden sein, daß Sie die Musik würdig fänden, in eine solche Verbindung mit Ihrem Namen zu treten, so wäre mir das die größte Freude, die mir künstlerisch widerfahren könnte«362 »Es [die Widmung] war nicht mehr als billig, weil Ihre Klavierquartette A-dur und gmoll zuerst in mir den Gedanken anregten, diese Form zu bearbeiten«.363

Immer wieder spiegeln sich auch in sonstigen Bitten um Widmungserlaubnis die hier anklingenden Topoi. Dankbarkeit, künstlerische Inspiration, verehrender Respekt – diese Schlagworte umreißen das Spektrum der genannten Widmungsgründe. Die an den berühmten Kollegen gerichtete Zueignung wird damit auf die Ebene des künstlerischen Austauschs und der kompositorischen Anerkennung gehoben, die persönliche Verehrung des Komponisten Brahms wird in den Vordergrund gestellt. Diese Thematik kehrt mit kleinen Varianten trotz der so unterschiedlichen Beziehung ihrer Schreiber zum Adressaten des Briefs immer wieder. Doch nicht alle potenziellen Widmungsgründe finden in den Äußerungen ihren Niederschlag. Denn der briefliche Verkehr zwischen Widmendem und Adressat unterlag Höflichkeitsnormen und Konventionen364, die das Nennen weiterer, eventuell dem eigenen Vorteil verpflichteter Widmungsgründe verhinderte. Gerade bei jungen, unbekannten Komponisten, die Brahms nicht persönlich kannten, ihm deswegen mit besonderer Höflichkeit begegnen mussten, zeigt dies Auswirkungen. Die folgende Tabelle fasst deswegen überblicksartig die grundlegenden zu erwartenden Reaktionen auf Widmungen musikalischer Werke in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zusammen. Dabei zeichnet sich das Bild einer symbolischen oder indirekten, da in den meisten Fällen nicht an finanzielle Mittel gebundenen Ökonomie, deren je spezifische Ausprägung vom aktiven Einsatz des Adressaten oder seiner grundsätzlichen Passivität bestimmt wird. 361 Hans Huber an Brahms, 14. Januar 1878; A-Wgm, Sign.: Brahms-Nachlass, Briefe Hans Huber an Johannes Brahms 166, 1. 362 Ernst Rudorff an Brahms, 2. Januar 1869, BW III, S. 153. 363 Hermann Goetz an Brahms, 6. Juni 1870, zit. n. Bob¦th, Hermann Goetz, S. 215. 364 Vgl. Baasner, Briefkultur, S. 14ff.

Zur Funktion und Intention von Widmungen

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(nach Green)

3.2

Der »bürgerliche« Brahms als Verweigerer von bürgerlichen Konventionen?

Brahms setzte sich sowohl in seinem eigenen Widmungsverhalten als auch in seiner Reaktion auf erhaltene Zueignungen in einigen Punkten deutlich von der skizzierten Erwartungshaltung aktiver Ausgleichsbestrebungen ab. Es ist evident, wie sehr es ihm widerstrebte, die Widmung als ›Bezahlung‹, als Druckmittel zur Erlangung weiterer Leistungen einzusetzen und anzusehen. Konse-

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quent nimmt er sie stattdessen tatsächlich als Geschenk365 im ursprünglichsten Wortsinn an366 und weigert sich gleichzeitig offenkundig, die Dedikation eigener Werke als Gegengabe einzusetzen oder einen anderweitigen Ausgleich für erhaltene Zueignungen anzustreben. Damit löst sich der in seiner Befolgung der Kommunikationsregeln eher konservativ wirkende Brahms367 wiederum in einem quer zur Tradition stehenden Verständnis von Widmung aus den bürgerlichen Prinzipien des Gabentauschs und aus jeglichen wirtschaftlichen und ökonomischen Interessen – obwohl das von ihm befolgte Kommunikationsmodell aus der Dedikation an Mäzene zu erklären ist. Brahms bemühte sich jedoch demgegenüber geradezu, zu offensichtliche Dedikationen zu vermeiden, auch um jedem Anschein an eine Funktion der Bezahlung oder des Ausgleichs auszuweichen.368 Der Automatismus Gabe – Gegengabe wird auf der seinerseits beeinflussbaren Ebene der aktiven Ökonomisierung von ihm sowohl in seinem eigenen Widmungsverhalten als auch in seiner Reaktion auf empfangene Zueignungen gebrochen. Es scheint, als solle die Förderung seiner Kompositionen durch Mäzene und Bewunderer, denen durch die Widmung gedankt würde oder die durch die Widmung mit ihrem Namen zum dauerhaften Erfolg der Komposition beitragen sollten, für unnötig erklärt werden. Einen Anknüpfungspunkt für dieses spezielle Verhalten bietet die Autonomieästhetik369 des 19. Jahrhunderts.370 Eigentlich im Umkreis der literarischen Frühromantik entstanden, wurde sie am Ende des 18. und im beginnenden 19. Jahrhundert zunehmend auf die Sphäre der Musik übertragen: Ausgehend vom Gedanken, dass Musik in ihrem Wert für sich stehen können sollte, entspannen sich Diskurse, die zum musikästhetischen Paradigma einer in der Instrumentalmusik verkörperten »absoluten« Musik führen sollten.371 Obwohl Matthias Schmidt 365 Der Begriff des »Geschenks« oder der »Ehre« lässt sich korrespondierend dazu in verschiedenen der Brahms’schen Dankesbriefen anlässlich einer Widmung finden, so an Landgraf Alexander von Hessen, Ernst Rudorff, Bernhard Scholz, Ernst Seyffardt, Adolf Wallnöfer oder Anton†n Dvorˇ‚k. 366 Nach Derrida, Falschgeld, S. 24f., kann sich der Empfänger einer Gabe allerdings nicht aus dem Zyklus von Gabe und Gegengabe herauslösen: Er kann zwar aus dem Kreislauf reziproker Verbindlichkeiten ausbrechen, doch bereits durch das Anerkennen des Geschenks als Geschenk wird sein Gabencharakter annulliert. 367 Vgl. das Kapitel II. 2 Die Widmung als kommunikativer Akt. 368 In der Rückschau wurde dieses Vorgehen als außergewöhnlich betrachtet, so verwunderte es Specht, dass gerade Ignaz Brüll als Dank für seine Hilfe bei der Vorführung seiner Werke keine Zueignung erhalten habe (Richard Specht: Johannes Brahms. Leben und Werk eine deutschen Meisters, Hellerau 1928, S. 204). 369 Als ein wichtiger Vordenker der Autonomieästhetik der Brahms-Zeit ist nicht von ungefähr der Brahms nahestehende Eduard Hanslick zu nennen. 370 Vgl. Matthias Schmidt: Johannes Brahms. Ein Versuch über die literarische Selbstreflexion (= Taschenbücher zur Musikwissenschaft, Bd. 137), Wilhelmshaven 2000, bes. S. 38–48. 371 Vgl. grundsätzlich Carl Dahlhaus: Die Idee der absoluten Musik, in: 19. Jahrhundert I. Theorie / Ästhetik / Geschichte: Monographien (= Gesammelte Schriften, Bd. 4), hg. v.

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Brahms im Panorama der musikästhetischen Diskurse der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in keiner Position zur Gänze aufgehen sieht372, ist Brahms mit seinem konzeptuellen Anspruch des Schaffens »dauerhafter Musik«373 den Ideen einer autonomen Musik zumindest in wichtigen Teilen verpflichtet. Seine grundsätzliche Sympathie für derartige Überlegungen lässt sich unter anderem an dem Umstand ablesen, dass er als jugendliches Pseudonym mit »Kreisler junior« eine Figur E. T. A. Hoffmanns wählte, der als Vordenker dieser romantischen Musikästhetik gilt. Trotz dieser Übereinstimmungen lehnte er allerdings eine durch poetische Motti inspirierte Musik nicht grundsätzlich ab.374 Bei Übertragung der musikalisch-inhaltlichen auf die allgemein-gesellschaftliche Ebene reibt sich die Autonomieästhetik nun in grundsätzlichen Punkten mit den bürgerlichen Prinzipien des Gabentauschs. Denn die Vorstellung von autonomer Musik setzt in letzter Konsequenz einen autonomen Künstler voraus. Das bedingt auch, dass der Komponist seine Person auf dieser Ebene aus gesellschaftlichen Zwängen und Konventionen herauslösen muss. Umgekehrt ist auf dieser Grundlage die Förderung begabter Kollegen vom Zwang befreit, auf eine Dedikation reagieren zu müssen. Grundlage der Hilfestellungen kann dann vielmehr allein das Können des jeweiligen Künstlers sein. Aus einem von Richard Heuberger überlieferten Kommentar lässt sich ermessen, dass Brahms tatsächlich die Dedikation als Garant einer erfolgreichen Karriere kritisch sah.

Hermann Danuser, Laaber 2002,S. 11–128. Es ist nicht unerheblich, dass erste wichtige Überlegungen einer romantischen Musikästhetik von primär literarisch tätigen Denkern wie Wilhelm Heinrich Wackenroder, Ludwig Tieck und E. T. A. Hoffmann stammen (Dahlhaus, Idee der Kammermusik, S. 14–16 und Schmidt, Musikalische Selbstreflexion, S. 39–42). Sie haben die Autonomieästhetik in ihrer Gültigkeit auch für die kompositorische Ebene der Kunst theoretisch verortet. Dabei entstanden die Grundzüge und Vorläufer dessen, was heute als Ästhetik der ›absoluten Musik‹ begriffen wird. Vgl. zum von Richard Wagner geprägten Begriff der ›absoluten Musik‹ Carl Dahlhaus: Umwege der Begriffsgeschichte, in: Dahlhaus, Idee der Kammermusik, S. 24–42. 372 Schmidt, Musikalische Selbstreflexion, S. 48. 373 Vgl. den Bericht von Gustav Jenner : Johannes Brahms als Mensch, Lehrer und Künstler. Studien und Erlebnisse, Marburg 1905, S. 74. Dazu auch Schmidt, Musikalische Selbstreflexion, S. 29. 374 So stellte er selber gerade frühen Werken wie dem Andante der Klaviersonate Nr. 3 f-Moll op. 5 literarische Motti oder Gedichtzeilen voran. Bezeichnenderweise ist gerade das Autograph seiner Klaviersonate op. 1, deren Andante auf dem altdeutschen Minnelied »Verstohlen geht der Mond auf« beruht, mit dem Pseudonym Kreislers gezeichnet. Constantin Floros ist auf diesen Aspekt des ästhetischen Denkens von Brahms ausführlich eingegangen, er schreibt die eigentliche treibende Kraft der Ablehnung jeglicher Programmmusik im Kontext des Parteienstreits ganz richtig Eduard Hanslick zu, der in Übereinstimmung mit dieser ausschließlichen Ablehnung zugunsten absoluter Musik auch Brahms in seinen frühen Kompositionen vor 1862 am »Scheideweg« sah (Eduard Hanslick: Aus meinem Leben, 2. Bd., Berlin 1894, S. 14, auch zit. bei Constantin Floros: Brahms – ein autonom schaffender Komponist?, in: ders., Brahms und Bruckner, S. 79).

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Vielmehr war ihm die von Äußerlichkeiten unabhängige Qualität der Werke entscheidend: »Sehen sie, Hiller hat meistens das ›Äußerliche‹ angestrebt, seine Werke sind Fürstlichkeiten gewidmet, die ihm dafür ihre Orden zusandten. Er war bei den Großen wohlgelitten. Dagegen mag heute kein Mensch mehr etwas von seiner Musik wissen und Hiller ist infolgedessen verbittert und innerlich unglücklich. Man kann nicht zugleich Gott und den Menschen dienen!«375

Die bewusste Betonung der Unabhängigkeit von den gesellschaftlichen Normen des Gabentauschs wird bei Brahms auf vielen Ebenen deutlich. So auch auf dem Gebiet der Widmungskonventionen376 : Nie setzte Brahms eigene Widmungen als Gegenwidmung ein – mit der einzigen Ausnahme der Zueignung der Vier ernsten Gesänge op. 121 an Max Klinger, die (auch) als Dank für die Widmung der Brahms-Phantasie verstanden werden kann377 – obwohl dies im zeitlichen Kontext378 ein absolut erwartbares Verhalten wäre. Den Zeitgenossen fiel dieses ungewöhnliche Verhalten durchaus negativ auf. Max Bruch bemerkte jedenfalls, Brahms habe »die Zueignung meiner 1. Symphonie nie erwidert«379 – Grund genug für ihn, den Kollegen als potenziellen Widmungsadressaten seines Oratoriums Das Lied von der Glocke op. 45380 auszuschließen. Ebenso vermeidet Brahms es als Meister der Verschleierung und Verunklarung, direkte Bezüge zwischen erhaltenen Gaben oder Ehrungen einerseits und Dedikationen seiner Werke andererseits zu betonen. Dies beginnt bereits in der hintersinnigen Formulierung der Widmung an seinen Lehrer Eduard Marxsen – den er im Widmungstext gewiss sehr bewusst nicht nur als »Lehrer«, sondern in erster Linie als »Freund« bezeichnete.381 Steht einem die zumindest ambivalente Haltung, die Brahms nach Überlieferung Kalbecks gegenüber der Qualität seines Unterrichts bei Marxsen äußerte382, vor Augen, wird die Wortwahl verständlich: 375 Heuberger, Brahms, S. 31, datiert die Aussage auf den 6. Oktober 1885. 376 Vgl. zu den Widmungen von Brahms Wolfgang Sandberger : Text – Paratext – Kontext: zu den Widmungen von Johannes Brahms, Vortrag gehalten auf der Jahrestagung der Gesellschaft für Musikforschung in Kiel 2011, Dr. i. V. 377 Vgl. zum Kontext v. a. Jan Brachmann: »Ins Ungewisse hinauf…« Johannes Brahms und Max Klinger im Zwiespalt von Kunst und Kommunikation, Kassel 1999, S. 45. Dazu auch Ursula Kersten: Max Klinger und die Musik, Frankfurt a. M. 1993, bes. S. 108–112. Beide gehen allerdings nicht auf den Aspekt einer möglichen Gegenwidmung ein. 378 Vgl. dazu S. 121f. 379 So Bruch in einem Brief vom 8. Januar 1879 an Fritz Simrock, zit. n. Karl Gustav Fellerer : Max Bruch 1838–1920 (= Beiträge zur rheinischen Musikgeschichte, Bd. 103), Köln 1974, S. 84. 380 Das Oratorium wurde schließlich auf einer eigenen Widmungsseite »dem Andenken Schiller’s«, des Textdichters, gewidmet. 381 »Seinem theuren Freunde und Lehrer j EDUARD MARXSEN j zugeeignet.« 382 Kalbeck I, S. 34. Im Folgenden wird auch deutlich, dass Brahms sogar die Kompositionen seines Lehrers zu Korrekturzwecken zugesandt bekam.

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Brahms gab der Dedikation durch die gewählte Formulierung ein privates Gesicht, stattete seinen Dank ab, positionierte sich gleichzeitig allerdings als gleichwertiger oder gar überlegener Komponist. Im Februar 1890 wurden die Fest- und Gedenksprüche op. 109 kurz nach der Verleihung der Ehrenbürgerschaft an Brahms durch seine Geburtsstadt Hamburg mit einer Widmung an den Hamburger Bürgermeister Carl Petersen383 veröffentlicht. Zuvor hatte Brahms Simrock in der Phase der Drucklegung gebeten, das für den Bürgermeister bestimmte Prachtexemplar bloß nicht als »Muster« seines Bürgerbriefes zu gestalten, wohl um den Aspekt eines offiziellen Dankes zu vermeiden.384 Es war ihm dementsprechend äußerst wichtig, dass das Werk nicht einzeln, exponiert erscheine, »op. 110 muß zugleich da sein«.385 In der Widmungsanfrage hatte Brahms dagegen allerdings durchaus zugegeben, »Verehrung und Dankbarkeit« seien die Triebfeder der Zueignung. Nur vordergründig missachtete er hier seine eigene Gewohnheit, nie aus einem Gefühl der Verpflichtung heraus mit einer Widmung zu reagieren, betonte er doch indirekt auch gegenüber Petersen, dass das Werk originär nicht anlässlich der Verleihung entstanden sei – schließlich wären als alternative Widmungsträger noch »Bismarck oder Moltke«386 in Betracht gekommen. Der Hintergrund, vor dem sich dieses Opus entfaltet, war also nicht rein autobiographisch, sondern – wie das Triumphlied op. 55 – vor dem Panorama der aktuellen nationalen politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen national gespannt.387 Demnach ist sogar eine doppelte Verschleierung zu beobachten: Bereits die Widmung an 383 Vgl. zum Kontext dieser Widmung Hofmann, Brahmsiana der Familie Petersen. 384 Dies gilt umso mehr, als auch die Uraufführung auf dem Musikfest in der Hamburgischen Gewerbe- und Industrieausstellung am 9. September 1889 in engem zeitlichen Zusammenhang zur Verleihung der Ehrenbürgerschaft stand. 385 Beide Zitate Brahms an Fritz Simrock, 29. Dezember 1889, BW XII, S. 16. 386 Brahms an Carl Petersen, Oktober 1889, zit. n. Hofmann, Brahmsiana der Familie Petersen, S. 88f. 387 Vgl. zu Entstehungshintergrund und Kontextualisierung des Werks v. a. Jürgen Heidrich: »… der getreue Eckart des über alles geliebten Vaterlandes«? Johannes Brahms, das »Dreikaiserjahr« und die »Fest- und Gedenksprüche« op. 109, in: Spätphase(n)? Johannes Brahms’ Werke der 1880er und 1890er Jahre. Internationales musikwissenschaftliches Symposium Meiningen 2008, hg. v. Maren Goltz, Wolfgang Sandberger und Christiane Wiesenfeldt, München 2010, S. 88–95. In der eigenen Ausdeutung des Kompositionshintergrundes spannt Brahms den Bogen über wichtige Ereignisse der jüngeren deutschen Geschichte bis hin zu der von ihm bereits mit dem Triumphlied gewürdigten Reichsgründung. Inspiriert sind die einzelnen Sprüche demnach vom Sieg der Truppen über Napoleon in der Völkerschlacht bei Leipzig (1813), der Kapitulation der französischen Truppen in der Schlacht von Sedan (1. September 1870) und der demonstrativ in Versailles veranstalteten Kaiserkrönung des preußischen Königs Wilhelm I. Brahms an Hans von Bülow, [30. Mai 1889], Kalbeck IV, S. 184: »Es sind drei kurze hymnenartige Sprüche für achtstimmigen Chor a cappella, die geradezu für nationale Fest- und Gedenktage gemeint sind, und bei denen recht gern gar ausdrücklich die Tage Leipzig, Sedan und Kaiserkrönung angegeben sein dürften. (Doch besser nicht!)«.

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Petersen kann als typisch Brahms’sche Verunklarung der wahren Werkhintergründe gelesen werden, sollten seine Inspirationsquellen »Doch besser nicht!«388 bekannt werden. Hintergründig wird aber auch darauf geachtet, den Bezug zum Datum der Ehrenbürgerschaftsverleihung nicht zusätzlich durch eine graphische Gestaltung des Titelblatts als Analogon des Bürgerbriefs zu betonen. Warum nun gerade diese Widmung trotz der so klar erkennbaren Skrupel des Widmenden veröffentlicht wurde, lässt sich am ehesten durch gesellschaftliche Konventionen erklären, denen Brahms sich in seinem sonstigen Widmungsverhalten erfolgreich zu entziehen suchte: Die Verweigerung einer Gegengabe an Bürgermeister Petersen hätte auch einen direkten Affront gegenüber dem in den Vorgang stark involvierten Hans von Bülow bedeutet – dem die ökonomischen Prinzipien des Gabentauschs offensichtlich bindend erschienen. Denn die Vermittlung der Hamburger Ehrenbürgerschaft an seinen Freund war seine persönliche Gegengabe für den Erhalt der Widmung der Violinsonate Nr. 3 d-Moll op. 108. Brahms geriet unter Zugzwang, wollte er Bülow nicht gegenüber den gemeinsamen Hamburger Bekannten in Misskredit bringen – ein Phänomen, dass die Sozialwissenschaft als Mauss-Regel bezeichnet: Die Erwartungshaltung an eine Gegengabe wird noch stärker, wenn Personen des eigenen, engeren Beziehungsnetzwerks aktiv in den Gabenaustausch involviert sind.389 Aber noch weitere Aspekte des Dedikationsverhaltens von Brahms sind vor dem Hintergrund des Prinzips des Gabenaustauschs erstaunlich; sie betreffen bereits den jungen, am Beginn seiner Karriere stehenden Komponisten. Denn es wird auf den ersten Blick verwundern, dass Brahms die Möglichkeit nicht nutzte, seinen ersten Druck, die Klaviersonate op. 1, mit einer Widmung an Robert Schumann zu versehen – als Dank für Beratung bei der Drucklegung, für Unterstützung, für das öffentliche Lob im Aufsatz Neue Bahnen und nicht zuletzt als öffentliches Zeichen der ihn ehrenden Bekanntschaft.390 Stattdessen wählte er als Widmungsträger den gleichaltrigen Künstler Joseph Joachim. Hier mögen hauptsächlich Überlegungen zur angemessenen Widmungsabfolge entscheidend gewesen sein: Brahms schrieb noch 1855 an Schumann »ich möchte nur mit den Namen Joachim und Clara Schumann abwechseln, bis ich den Mut hätte, Ihren Namen einmal hinzusetzen; der wird mir wohl so bald nicht kommen.«391 388 Brahms an Fritz Simrock, 30. Mai 1889, Kalbeck IV, S. 184. 389 Christian Stegbauer : Reziprozität, in: Stegbauer/Häußling, Handbuch Netzwerkforschung, S. 113–124, hier S. 115. 390 Dass ihm die Förderung, die er Schumann verdankte, stets bewusst war, zeigt sich in einem Detail: Ebenso wie im Rahmen von Widmungen üblich, bezieht er Schumann in die ›Familie‹ der Werke mit ein. Wird der Adressat einer Zueignung üblicherweise als Pate des betreffenden Werks genannt (zu diesem Konzept S. 68), geht Brahms noch einen Schritt weiter und bezeichnet die Kompositionen als »Pflegekinder« seines Förderers (Brahms an Schumann, Dezember 1853, Litzmann, Briefe I, S. 3). 391 Brahms an Robert Schumann, 30. Januar 1855, zit. n. Litzmann, Briefe I, S. 69.

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Auch Joachim war zwar als Geiger ungemein populär und feierte als Komponist große Erfolge, konnte aber trotz seiner Popularität in der kompositorischen Bedeutung nicht mit dem etablierten Meister Schumann verglichen werden. In dieser Hinsicht war er der Sphäre von Brahms, dem aufstrebenden Künstler, zwar noch überlegen, aber ungleich näher. Die an ihn gerichtete Widmung formulierte demnach einen bei der Veröffentlichung des Erstlingswerks besonders angemessenen balancierten Ausgleich zwischen bescheidenem Habitus und Anspruchsformulierung. Auch persönliche Gründe konnten die Widmung an den »besten Freunde«392 zusätzlich legitimieren, hatte Joachim Brahms doch ebenso wie Schumann bei der Werkauswahl für die erste Veröffentlichung beraten und dabei eine besondere Vorliebe für die ihm gewidmete Sonate gezeigt.393 In dieser Hinsicht erhält allerdings diese frühe Zueignung einen gewissen Grad der Ökonomisierung: Dedikation als Dank und Ausgleich für Unterstützung. In der wenige Monate später verfassten offiziellen Widmungsanfrage anlässlich der ersten Widmung an Clara Schumann führte Brahms indessen den Gedanken einer Widmung an Schumann noch fort. Er schrieb an den verehrten Freund, er wolle durch die Zueignung an seine Frau »Ihnen doch so gerne ein kleines Zeichen meiner Verehrung und Dankbarkeit übergeben.«394 Ein Detail dieser Formulierung verdient besondere Aufmerksamkeit: »Ihnen«, nicht etwa allein »Ihrer Gemahlin« sollte die Klaviersonate fis-Moll op. 2 gewidmet sein. Die Dedikation an die Gattin seines Gönners ist also auch im Sinn einer verschleierten Hommage zu lesen – zumal Schumann gerade diese Sonate als besonders gelungen hervorgehoben hatte.395 Über die Widmung der Opera 2 und 9 an Clara Schumann wurde ihr Mann demnach von Brahms gleichsam widmungsstrategisch eingekreist396 – die Dedikation an die Ehefrau erschien Brahms offenbar aus gesellschaftssoziologischen Überlegungen heraus weniger gewagt. Da er konventionell die Erlaubnis des Ehemanns einholte, war immerhin auch dieser dank der speziellen Formulierung über die mitschwingende Ehrung seiner Person informiert. Nichtsdestotrotz mag Brahms an einer offiziellen Zueignung an Schumann auch die Offensichtlichkeit und Erwartbarkeit des Leistungsaus392 Brahms an Joseph Joachim, [20. November 1853], BW V, S. 18. 393 »Willst Du aber (und ich stehe doch zu sehr auf dem ›Idealisten=Standpunkt‹, um das nicht wünschen zu wollen) der musikalischen Menschheit gleich mit Deiner musikdurchzogenen Stirn ins Gesicht sehen, wenn Du sie anrufst, so gebe als op. I die beiden Sonaten (in C und fis) hinaus […]« (Joseph Joachim an Brahms, [18. Oktober 1853], BW V, S. 15). 394 Brahms an Robert Schumann, 29. November 1853, Litzmann, Briefe I, S. 3. 395 Vgl. Brahms an Joseph Joachim, 17. Oktober 1853, BW V, S. 14. 396 So die Formulierung Prof. Dr. Bernhard Appels in seiner Einführung zum letzten Tag des Internationalen musikwissenschaftlichen Kongresses »Widmungen bei Haydn und Beethoven. Personen – Praktiken – Strategien«, veranstaltet vom Beethoven-Archiv Bonn und dem Joseph Haydn-Institut Köln (29. September bis 1. Oktober 2011).

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tausches missfallen haben. Denn dass er die Widmung seiner ersten gedruckten Werke zwar sorgfältig plante und auch ihre Wirkung auf die Öffentlichkeit bedachte, aber offenbar bereits in diesem Stadium nicht ernsthaft über eine Widmung an Schumann nachdachte, zeigt ein kurz vor der Drucklegung seiner ersten Kompositionen verfasster Brief an Joachim: »Ich habe mich entschlossen, doch meine ersten Sachen zu verwidmen; schreib mir doch Deine Herzensmeinung, ob es auch besser ist zu lassen. Um das Raisonnement der Leute sollte man sich nicht kümmern. Ich dachte Sonate in C meinem besten Freunde, Sr. Gnaden, dem Herrn Konzertmeister, Sonate in fis moll der Frau Schumann, op. 3 Lieder Bettina, der freien Frau, zuzueignen. Es sieht doch eigentlich nicht schön aus, den Erstlingswerken solche Namen vorzusetzen. Ich werde es doch wahrscheinlich lassen.«397

Dass er sich nun um das »Raisonnement der Leute« nicht kümmerte, stimmt freilich nur bedingt – indem er sich aus bestimmten bürgerlichen Konventionen bewusst herauslöste. Doch gerade dieser Schritt geschah aus dem klaren Bewusstsein für die Reaktion der Öffentlichkeit. Alle sorgfältigen Planungen und das Aufscheinen von signifikanten Leerstellen anstatt zu erwartender Widmungen weisen jedenfalls darauf hin, dass Brahms in der Öffentlichkeit das Bild des unabhängigen und deswegen selbstlos widmenden Künstlers verkörpern wollte. Jeder Anschein des Komponierens pragmatischer, funktioneller Musik wird zugunsten unabhängiger (und in diesem Sinn ›absoluter‹) Musik vermieden.398 Widmungen gehen deswegen bevorzugt an Freunde und Bekannte, auch Bewunderer innerhalb eines privaten Rahmens. Und doch: Bei näherer Betrachtung lässt sich auch am Widmungsverhalten von Brahms in einem bestimmten Aspekt das typische Kalkül eines jungen Komponisten erkennen. Offensichtlich rechnete auch der junge Brahms bei der Dedikation seiner frühen Werkveröffentlichungen mit der positiven Wirkung eines bekannten Widmungsträgers. Zumindest in diesem frühen Stadium gilt die Einschätzung Philipp Spittas nur bedingt, der sagt: »Er trat nicht persönlich für seine Werke ein; waren sie veröffentlicht, so überließ er sie gelassen ihrem Schicksal«.399 Denn Brahms hält an der regelmäßigen Zueignung seiner Werke nur bis zur Dedikation seiner Balladen für das Pianoforte op. 10 an Julius Otto Grimm fest. 397 Brahms an Joseph Joachim, [20. November 1853], BW V, S. 18. Die Antwort Joachims lässt ahnen, wie sehr der Geiger das Kompositionstalent seines begabten Freundes bereits in diesem frühen Stadium bewunderte: »Alles übrige richte so ein, wie Dir’s Vergnügen macht, sowohl was Widmungen als Spielen im Quartett anlangt; Du gehörst zu denen, die eben machen dürfen, was sie wollen: es wird das Rechte, wenn es nicht das Rechte von vornherein ist« (Joseph Joachim an Brahms, [ca. 21. November 1853], BW V, S. 20). 398 Dementsprechend wies Brahms gegenüber Heuberger das Komponieren von »Gelegenheitssachen« weit von sich (Heuberger, Brahms, S. 49). 399 Philipp Spitta: Johannes Brahms, in: Zur Musik, Berlin 1892, S. 389.

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Die Widmungsträger dieser frühen Opera sind alle nicht nur mit dem Komponisten persönlich bekannt, es handelt sich ausnahmslos um bekannte und gut vernetzte Personen des öffentlichen Lebens. Gleich drei seiner ersten vier verlegten Werke tragen so eine Zueignung an einen bekannten Interpreten400, dessen Name bei der Verbreitung dienlich sein konnte. Dass dieser Aspekt in Brahms’ Überlegungen wohl eine Rolle spielte, ihm zumindest aber die öffentliche Wirkung klar vor Augen stand, zeigt die bereits zitierte Äußerung gegenüber Joseph Joachim: »Es sieht doch eigentlich nicht schön aus, den Erstlingswerken solche Namen vorzusetzen.«401 Gleich die ersten Werke mit solch bekannten Widmungsträgern in Verbindung zu bringen, vermittelte im Umfeld der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts große Ambitionen und viel Selbstbewusstsein. Charakterzüge, die Brahms zwar besaß, deren Effekt auf die Öffentlichkeit aber von ihm zumindest genau hinterfragt wurde. Das Ergebnis der Überlegungen spricht für sich: Alle drei Widmungen wurden trotz der anfänglichen Bedenken verwirklicht. Ein Aspekt kann Brahms die Entscheidung für die Dedikationen erleichtert haben: Er konnte tatsächlich auch in diesen frühen Dedikationen stets auf eine persönliche Beziehung zum Adressaten verweisen.402 Eine Zueignung allein aus Kalkül konnte so verneint werden. Mit zunehmendem Erfolg mag ihm der Aspekt der Werbung durch Widmung unwichtiger erschienen sein – er nutzt das Instrument der Zueignung nur noch unregelmäßig, besonders größere Werke tragen keine Zueignung mehr. Es scheint, als habe Brahms die zu erwartenden Vorteile für nicht mehr nötig befunden, seine eigene Bekanntheit als groß genug erachtet. Die Seltenheit seiner folgenden Dedikationen steigerte nun gleichzeitig für die bedachten Adressaten noch ihren Wert. 400 Die Klaviersonate Nr. 1 C–Dur op. 1 an Joseph Joachim, die Klaviersonate Nr. 2 fis-Moll op. 2 an Clara Schumann. Das Scherzo op. 4 ist dem bekannten Leipziger Pianisten und Konservatoriumslehrer Ernst Ferdinand Wenzel zugeeignet. 401 Brahms an Joseph Joachim, [20. November 1853], BW V, S. 18. 402 Über die Beziehung zu Clara Schumann braucht nicht mehr gesprochen zu werden. Brahms selber nannte Joseph Joachim im bereits zitierten Brief vom [20. November 1853] seinen »besten Freunde« (BW V, S. 18), ebenso bezeichnete er Julius Otto Grimm als »mein bester und liebster Freund hier in Leipzig« (Brahms an Joseph Joachim, [Mitte Dezember 1853], BW V, S. 26). Albert Dietrich gehörte zum engen Kreis der Freunde um Brahms, die Clara Schumann nach dem Zusammenbruch ihres Mannes beistanden. 1853 hatte er mit Brahms und Schumann die FAE-Sonate für Joseph Joachim komponiert. Die anderen Widmungsträger der opp. 1–10 waren Brahms weniger eng verbunden, aber doch persönlich bekannt. Ernst Ferdinand Wenzel, den Widmungsträger des Scherzos op. 4 hatte er so 1853 in Leipzig kennengelernt. Auch ihn bezeichnet Brahms in der Widmungsadresse als »Freund«. Am konventionellsten wirkt mit Sicherheit die Dedikation der Klaviersonate Nr. 3 f-Moll op. 5 an Gräfin Ida von Hohenthal, die er im Jahr 1853 über Grimm kennengelernt hatte. Die Leipziger Gönnerin hatte seinen Bruder Fritz als Klavierlehrer für ihre Kinder engagiert.

120 3.3

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Funktionen von Widmung

Widmung – Gegenwidmung Während Brahms in seinem Dedikationsverhalten in mancherlei Hinsicht ein erstaunlich von der Tradition abweichendes403 Verständnis von Widmung zeigte, reagierten seine Adressaten oft konventioneller auf die ihnen erwiesene Ehre und suchten nach Wegen der Vergeltung. Es ist nicht auszuschließen, dass Brahms in bestimmten Fällen mit solchen Reaktionen rechnete und beispielsweise anlässlich der Dedikation des Klavierquintetts op. 34 an Prinzessin Anna von Hessen insgeheim durchaus die Möglichkeit der so wertvollen Gegengabe des Mozart-Autographs mit bedachte.404 Formuliert hat er einen solchen Anspruch freilich nie: Prinzessin Anna von Hessen und Bettina von Arnim revanchierten sich dennoch zeitnah mit wertvollen Geschenken405, Hans von Bülow wagte sich für die Dedikation der Violinsonate Nr. 3 d-Moll op. 108 gar erst offiziell zu bedanken, nachdem seine die ›Ausgleichsschuld‹ durch die Vermittlung der Verleihung der Hamburger Ehrenbürgerschaft erfolgreich beglichen war : »Für die Standeserhöhung, welche Du mir durch die Zueignung Deiner herrlichen Dmoll=Sonate gewährt hast, konnte ich Dir, das begreifst Du, nicht wohl früher meinen innigst gerührten Dank sagen, als bis die Deinige erfolgt war.«406

403 Es ist ein von der Tradition abweichendes Verständnis – nicht aber unbedingt modern zu nennen. Denn allein das Widmungsverhalten eines um so viel jüngeren Kollegen wie Max Reger, der die Dedikation durchaus sehr kalkuliert in der Hoffnung auf den eigenen Vorteil einsetzte, beweist das Gegenteil. Auch die am Ende des 19. Jahrhunderts zunehmende »hermetische Intimisierung« (so Stört, Widmung, S. 27) von Widmungen, bei denen der Empfänger nur noch chiffriert dem Eingeweihten erkenntlich war, ist nur bedingt dieser Art des Zueignens angenähert. Zwar wird die Widmung hier zunehmend aus einem ökonomischen Widmungskonzept herausgelöst (so ist z. B. die Werbefunktion eines berühmten Namens außer Kraft gesetzt), allerdings wird auch die Funktion der öffentlichen Ehrung nicht mehr bedient. Gerade diese Eigenschaft wusste Brahms allerdings, der die Widmung als großes Geschenk betrachtete, zu schätzen. 404 Das Autograph von Mozarts Sinfonie g-Moll KV 550 wurde Anna von Hessen bezeichnenderweise von Clara Schumann als passende Gegengabe für die von Brahms erhaltene Widmung empfohlen. Dies vermutet z. B. Otto Biba, in: »Ich schwelge in Mozart…« Mozart im Spiegel von Brahms. Eine Ausstellung im Brahms-Institut an der Musikhochschule Lübeck (= Veröffentlichungen des Brahms-Instituts an der Musikhochschule Lübeck, Bd. 3), hg. v. Wolfgang Sandberger, Lübeck 2006, S. 52f. und Stefan Weymar, ebd., S. 58. 405 Anna von Hessen schenkte Brahms das Autograph von Mozarts g-Moll-Sinfonie KV 550, Bettina von Arnim eine Gesamtausgabe ihrer und ihres Mannes (des Dichters Achim von Arnim) gesammelten Werke. 406 Hans von Bülow an Brahms, [24. Mai] 1889, zit. n. Hans von Bülow. Die Briefe an Johannes Brahms, hg. v. Hans-Joachim Hinrichsen, Tutzing 1994, S. 66.

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Ganz selbstverständlich wird hier die geleistete Unterstützung bei der Verleihung der Ehrenbürgerschaft als explizite – und erwartbare! – Gegengabe für die Widmung positioniert. Eduard Hanslick, der berühmte Musikkritiker, setzte sich dagegen im Rahmen seiner beruflichen Möglichkeiten direkt für das ihm gewidmete Werk, die vierhändigen Walzer op. 39 ein. Er rezensierte das Opus sehr positiv in der LAmZ des Jahres 1866 und wählte damit eine recht übliche Variante der Vergeltung, die als Werbung direkt dem Komponisten und seinem Werk zugutekam. So unterschiedlich die jeweils gewählten Strategien des Ausgleichs je nach beruflicher und privater Situation auch waren: Ließ die Begabung der Widmungsträger dies zu, war die Beantwortung einer Dedikation auf gleichem Weg die erste Wahl. Ausnahmslos alle kompositorisch tätigen Adressaten Brahms’scher Werkzueignungen eigneten Brahms ihrerseits später ein Werk zu.

Die bereits zeitgenössisch so bezeichnete Gegenwidmung war im Kontext des 19. Jahrhunderts eine recht häufig anzutreffende Reaktion auf Widmungen. Der Bezug zwischen den beiden Dedikationen wurde demnach durchaus hergestellt – Liszt bezeichnete die Widmung seiner b-Moll-Sonate an Schumann aus-

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drücklich als »Gegenwidmung«407 für die immerhin schon 15 Jahre früher empfangene Zueignung der Schumann’schen Fantasie op. 17, Carl Reinecke versuchte durch die Dedikation seiner Gigue für Klavier op. 119 an Joseph Rheinberger »zugleich eine alte Schuld abzutragen«.408 Die Bezeichnung ›Gegenwidmung‹ wird jedoch in der Korrespondenz anlässlich der Zueignungen an Brahms nie verwendet, teilweise werden konkrete andere Widmungsgründe genannt, so von Julius Stockhausen: »Warum mir dein Name zuerst in den Sinn kam, ist leicht erklärlich. Dein warmer & ernster Geist spornt seit einem Jahrzehnt die ganze deutsche Jugend zum Besseren, Höchsten an; was Wunder, wenn dein alter Sänger der von Dir so viel Schönes gesungen und oft durch deine Nähe begeistert wurde es auch versucht hat den inneren Stimmen, ich möchte fast sagen, den Empfindungs-Registern, Klang & Ausdruck zu geben!«409

Und mit Sicherheit war der Wunsch, eine empfangene Dedikation gebührend zu vergelten nicht der einzige Widmungsgrund. Es kreuzen sich zwei verschiedene Entscheidungsprozesse: Das Gefühl der Verpflichtung, das den Empfänger latent zur Formulierung einer Gegenwidmung drängt, trifft sich in einem spezifischen Werk mit der Wahl eines passenden Adressaten. Beide Prozesse können zwar in enger Verbindung stehen und sich überlagen, können aber auch als getrennte Abläufe verstanden werden. Während das Gefühl einer gewissen ›Widmungspflicht‹ oftmals durch soziologisch fixierte Abläufe des ökonomisierten Gabentauschs ausgelöst wird, ist die Wahl eines passenden Widmungsträgers für ein spezifisches Werk beeinflusst von den zeitgenössischen Vorstellungen einer inhaltlich-musikalischen Passgenauigkeit – so in der Begründung der Zueignung der Lieder Stockhausens an Brahms. Die konkrete Realisation einer womöglich schon länger intendierten Gegenwidmung findet demnach normalerweise erst bei Übereinstimmung eines Werkinhalts mit dem Profil des avisierten Adressaten ihren Abschluss. Oft geschah dies in zeitlicher Nähe, die Reaktion konnte aber durchaus auch im Abstand vieler Jahre erfolgen. Dass sie trotz der langen Latenzphase410 noch als Gegenwidmung wahrgenommen wurde, zeigt das Beispiel der Liszst’schen Widmung an Schumann.

407 Franz Liszt an Wilhelm Joseph v. Wasielewski, 9. Januar 1857, zit. n. Franz Liszts Briefe, Bd. 1, gesammelt und hg. v. La Mara, Leipzig 1893, S. 256. 408 Carl Reinecke an Joseph Rheinberger, 8. Januar 1872, zit. n. Wanger/Irmen, RheinbergerBriefe 4, S. 92–93. Rheinberger hatte drei Jahre zuvor, im Jahr 1869, seine Toccatina op. 19 »Herrn Capellmeister C. Reinecke in Hochachtung gewidmet«. 409 Julius Stockhausen an Brahms, 28. Dezember 1871, BW XVIII, S. 76. 410 So die Bezeichnung in der Soziologie für die Zeit zwischen Gabe und Gegengabe, die von einer gewissen Erwartungshaltung geprägt sein kann (vgl. Stegbauer, Reziprozität Handbuch, S. 115).

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Unterstützung – Dank »Alle solche Dedication [sic] haben oft einen kleinen Egoismus zum Grunde; wenn ein junger Künstler überhaupt an Meister Compositionen schikt, so will er doch eigentlich nichts, als gelobt seyn oder – seine Handschrift. Solcher Egoismus schadet aber nichts u. hat gute Folgen«.411

Im Tagebucheintrag von Robert Schumann ist angedeutet, was vor allem junge Komponisten zur Widmung an einen berühmten Kollegen motivierte: »Egoismus«. Nur, wenn Kosten und Nutzen zumindest ausgeglichen schienen, war der persönliche Einsatz lohnend.412 Das bedeutete allerdings nicht zwingend einen aktiven Einsatz des Adressaten. Die investierte Mühe des Widmenden wurde im Gegenzug über die Auszeichnung durch die Widmungsannahme hinaus durch die die Erweiterung des persönlichen Netzwerks oder der möglichen eigenen Positionierung in politischen, gesellschaftlichen und ästhetischen Fragen413 belohnt. Auch bei einer Gegengabe war diese aber nicht immer an die Unterstützung des Widmungswerks gebunden; die Leistung eines materiellen oder symbolischen Äquivalents als Ausgleich der Bringschuld war verbreitet. Sie reichte von Geschenken, wie z. B. einer »Busennadel«414, die – als Relikt der ›alten‹ Gönnerwidmung – Albert Dietrich für eine Widmung an die Großherzogin von Oldenburg zuerkannt bekam, bis zur Unterstützung des Widmenden ohne direkten Bezug zum Widmungswerk. Die Hilfestellung ist, je nach gesellschaftlicher und beruflicher Stellung des Adressaten, auf vielen Ebenen vorstellbar : Sie konnte z. B. in der Vermittlung von Ämtern, Verlegern oder – bei Komponisten – in der kritischen Begleitung des weiteren Schaffens resultieren. Auch die aktive Integration in das eigene Netzwerk war von Belang: Nachdem Jean Louis Nicod¦ Clara Schumann 1876 sein Andenken an Robert Schumann. 411 Robert Schumann, zit. n. Eismann, Tagebücher I, S. 110f., Eintrag vom 15. August 1828. Auch Brahms selber sammelte Autographe verschiedener, von ihm besonders geschätzter Personen – gerne erhielt er sie auch als Reaktion auf eine Widmung, wie ein Bericht Rudolf von der Leyens andeutet: »[…] als Kuriosum erzählte mir Brahms, er habe aus dem Kabinett des Kaisers für seine Widmung [des Triumphliedes op. 55] nur ein Dankesformular, unterzeichnet ›von Wilmowski‹ erhalten. ›Wie gerne hätte ich statt dessen ein vom Kaiser selbst unterzeichnetes Schriftstück für meine Autographensammlung besessen!‹ fügte er hinzu« (Rudolf von der Leyen: Johannes Brahms als Mensch und Freund, Düsseldorf und Leipzig 1905, S. 33). 412 Vgl. zur sogenannten »Tit for tat«-Regel Stegbauer, Reziprozität, Einführung, S. 34–36. 413 Vgl. wiederum die Widmung des Triumphliedes op. 55. In der politischen Atmosphäre des Jahrzehnts konnte eine vom deutschen Kaiser offiziell angenommene Zueignung zum Vorteil gereichen – weniger natürlich in Wien, als gerade innerhalb des neu gegründeten Deutschen Bundes, da Brahms außerhalb seiner Grenzen in Wien wohnte. Die Entscheidung für einen Widmungsträger wie Brahms oder Liszt kam dagegen einer ästhetischen Positionierung im Spannungsfeld des sogenannten Parteienstreits zwischen ›Konservativen‹ und ›Neudeutschen‹ gleich. 414 LAmZ 2/26 (26. Juni 1867), S. 211.

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Brahms im Kontext: Zur Widmung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts

Sechs Phantasiestücke op. 6 zugeeignet hatte, berichtete Joseph Joachim bezeichnenderweise an Ernst Rudorff, die Widmungsträgerin habe ihn als Folge der Dedikation mit der Person des jungen Künstlers vertraut gemacht: »Ich wurde durch Frau Schumann auf ihn [Nicod¦] aufmerksam gemacht, die ja nicht ganz unzugänglich für Zeichen unbedingter Schwärmerei für alles, was ihren Namen trägt, ist: an amiable weakness, und immerhin noch ein kleiner Tribut, den ihre Größe äußerlicher Berühmtheit zahlt.«415

Es ist anzunehmen, dass Clara Schumann bei dieser Vermittlung, die eigentlich vielmehr ein Heranführen an die Werke Nicod¦s darstellte, besonders die herausgehobene Stellung Joachims in musikalischen Kreisen im Blick hatte: Dank seiner Position und Kontakte konnte seine Bekanntschaft für junge, unbekannte Künstler von unschätzbarem Wert sein. Auch an Brahms wandten sich überdurchschnittlich viele junge Komponisten, um die Widmungserlaubnis zu erlangen. Durch die Vielzahl heute relativ unbekannter bis vollkommen vergessener Komponisten unter den Widmenden sind freilich nicht alle Geburtsjahre ermittelbar, immerhin sind aber über die Hälfte der biographisch gut einzuordnenden Komponisten zum Zeitpunkt der Widmung unter 35 Jahre alt.416 Darüber hinaus tragen 33 (also immerhin ein gutes Drittel) der Brahms zugeeigneten Kompositionen eine niedrige Opuszahl zwischen eins und zehn. Weitere sechzehn Widmungswerke sind gänzlich ohne eine solche erschienen417 – gerade, wenn im Selbstverlag gedruckt, ein Hinweis auf Schwierigkeiten noch nicht etablierter Künstler oder ›Gelegenheitskomponisten‹418 bei der Suche nach einem Verleger. Die in Relation zur Gesamtzahl der Dedikationen recht hohe Anzahl an Widmungen solch junger oder unbekannter Künstler vermag freilich im 19. Jahrhundert kaum zu überraschen – wohl aber die Reaktion des Widmungsadressaten. Brahms war tatsächlich grundsätzlich bereit, jungen Talenten im Rahmen seiner Möglichkeiten zur Seite zu stehen. Das äußert sich an seinem 415 Joseph Joachim an Ernst Rudorff, 4. September 1877, Joachim-BW III, S. 184. 416 77 Lebensdaten konnten verifiziert und ausgewertet werden, bei Mehrfachwidmenden wurde das Jahr der Erstwidmung als entscheidend gewertet. 417 Neunmal wurde Brahms ein Werk mit einer Opuszahl zwischen eins und fünf gewidmet (Bödecker op. 3; Delaborde op. 3; v. Dobjansky op. 2; v. Hessen op. 2; Heyssig op. 3; Kreuz opp. 1 u. 2; Schlegel op. 2; Rabl op. 1), 14x opp. 6–10 (Barblan op. 6; Dessoff op. 7; Jensen op. 7; Schweida op. 7; Witte op. 7; Goetz op. 6; v. Perger op. 8; Suk op. 8; Nawratil op. 9; Ashton op. 10; Barth op. 10; Gegenbauer op. 10; Stöckhardt op. 10; Wallnöfer op. 10). Dazu kommen außerdem: 16 Werke ohne Opuszahl (Anzoletti, v. Baußnern, Hinton, Koeßler, Lachner, Marxsen, Stanford, Stockhausen, Tausig, Uysdal, Tilike, Vilhar, Wallfisch, Westerhout, Wurmbrand, Zemlinsky). Einige dieser Komponisten scheinen eher Gelegenheitskomponisten gewesen zu sein, wofür auch der gelegentliche Selbstverlag spricht. 418 Die Ordnungszahlen entstanden ursprünglich vorrangig zur besseren Zuordnung der Werke eines Komponisten innerhalb eines Verlags.

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Wirken als Preisrichter, als Gutachter, aber vor allem auch in seiner Empfehlung junger Komponisten an einen Verlag.419 Und doch macht seine Reaktion auf ihm zugeeignete Werke aufs Neue seinen Bruch mit dem traditionellen Widmungsverhalten deutlich: Mit aktiver Unterstützung konnte nicht gerechnet werden, die mögliche Erwartungshaltung der Widmenden wurde immer wieder unterlaufen. Wieder einmal geriert sich Brahms als unabhängiger Künstler, der sich von konventionellen Zwängen und Erwartungen befreit. Trotzdem lassen sich einige der Dedikationen tatsächlich mit Brahms’ vielfältigem Engagement420 für beachtenswerte Werke anderer Komponisten in Verbindung bringen, freilich unter umgekehrten Vorzeichen: Die Widmung ist der Dank für bereits erhaltene Zuwendungen, es sind also wiederum die Widmenden, die sich den gesellschaftlichen Normen und Traditionen verhaftet zeigen. 419 Bereits Eduard Hanslick verweist kurz nach dem Tod von Brahms im zweiten Teil seines Nekrologs auf den Verstorbenen recht ausführlich auf diesen Umstand (vgl. Eduard Hanslick: Johannes Brahms’ Erinnerungen und Briefe, in ders.: Am Ende des Jahrhunderts [= Der modernen Oper, VIII. Teil], 3. Aufl., Berlin 1899, S. 372–409, hier S. 406f.). In der neueren Forschungsliteratur beschäftigt sich vor allem die Dissertation von Johannes Behr (Behr, Brahms) ausführlich mit dieser Facette der Persönlichkeit von Brahms. 420 Dieses Engagement drückt sich freilich nicht so systematisch aus, wie dasjenige Robert Schumanns, der eine Liste von »Componisten nach meinem Sinn« (1847 begonnen) mit 20 Namen führte (auch Brahms ist – als vorletzter Eintrag vor Joseph Joachim – mit dem Zusatz »princeps« zu finden); vgl. den Auszug aus dem »Projectenbuch«, in: Robert Schumanns Briefe. Neue Folge, zweite vermehrte u. verbesserte Aufl., hg. v. F. Gustav Jansen, Leipzig 1904, S. 531f. (dort Anm. 459).

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Brahms im Kontext: Zur Widmung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts

Eine möglicherweise im Rahmen einer Widmung an Brahms erwartete Hilfestellung ist Unterstützung bei der Verbreitung des Widmungswerks durch Aufführungen. Dass berühmten Pianisten wie Clara Schumann und Franz Liszt vor allem Klavierwerke zugeeignet wurden, hatte nämlich vor allem praktische Gründe: Man erhoffte sich die Aufnahme des entsprechenden Werks in das Repertoire des Künstlers. Entsprechende Überlegungen sind schon als Grundlage der Widmung der Fantasie op. 17 von Robert Schumann an Franz Liszt zu erkennen421, musste Schumann doch wegen eines Fingerleidens den Traum von der Virtuosenkarriere früh begraben. Tatsächlich setzte sich Liszt über mehr als zehn Jahre hinweg mit Aufführungen für das ihm gewidmete Werk ein422 und nahm es auch in sein Unterrichtsprogramm auf. Schumann war jedenfalls der Gedankengang nicht fremd, aufgrund einer Widmung verstärkten Einsatz des Adressaten als Interpret zu erwarten. Dies hat er zu anderer Gelegenheit – nämlich in der Rückschau auf die Widmung seiner Toccata op. 7 an den hervorragenden Pianisten Ludwig Schuncke – klar geäußert: »Wenn man Jemandem etwas dedicirt, wünscht man, daß er’s vorzugsweise spiele«.423 Schuncke, mit Schumann gut befreundet, hatte die Widmung demnach unter anderem dafür erhalten, dass er sie »in ganzer Vollendung«424 spielte und deswegen als Interpret besonders geeignet schien.425 Die Widmung wurde tatsächlich so sehr als Objekt mit Eigenwert auf dem Tauschmarkt gesehen, dass sie in seltenen Fällen gar im Vorhinein als nüchtern formuliertes Gegenangebot für eine in direkten Worten geforderte Leistung positioniert wurde. So von Max Reger : 421 Die briefliche Bitte um Widmungserlaubnis ist leider nicht erhalten, Schumann hat ihren Inhalt jedoch in seinem Briefverzeichnis festgehalten. Dort heißt es, er habe gebeten, Liszt »[m]öchte sich m. Composition annehmen.« Zit. n. Wolfgang Seibold: Robert und Clara Schumann in ihren Beziehungen zu Franz Liszt, Bd. 1, Frankfurt a. M. 2005, S. 75. 422 Vgl. zur Widmung und ihrem Effekt auf Franz Liszt Roe-Min Kok: Fantasie für Klavier op. 17, in: Robert Schumann. Interpretationen seiner Werke, Bd. 1, hg. v. Helmut Loos, Laaber 2005, S. 103f., auch Seibold, Schumann, Bd. 2, S. 20f. u. 26f., der zwei Briefe Liszts zitiert (vom 1. März 1839 und 5. Juni 1839), in denen er in direkter Reaktion auf die Zueignung verspricht, sich durch Aufführungen für das Werk einzusetzen. 423 Die Widmung eines der »schwierigsten Clavierstücke« an den hervorragenden Pianisten kam also nicht zufällig zustande. Stellen zit. n. Robert Schumanns Schuncke-Aufsatz (NZfM 4/44 [31. Mai 1836], S. 183); vgl. zur Widmung auch Seibold, Familie, Freunde, Zeitgenossen, S. 292–294. Weitere Beispiele können angeführt werden. Reinecke versicherte Joseph Rheinberger bereits im Dankesbrief vom 15. Mai 1869 (Wanger/Irmen, RheinbergerBriefe 3, S. 46), er werde die ihm gewidmete Toccatina für Pianoforte op. 19 in sein Repertoire aufnehmen: »Ich hoffe, für die Verbreitung des Werks in dieser und jener Weise Einiges thun zu können und werde zunächst sie mir selber recht hübsch in die Finger spielen, um sie recht bald in unserem Tonkünstler-Verein vortragen zu können.« In diesem Sinn ist auch ein Brief Regers an Simrock zu verstehen: »Wen[n] Sie irgend einen bekan[n] ten Geigenpädagogen wissen, der sich für op. 131b besonders interessiert, so bin ich gerne bereit, demselben op. 131b zu dedizieren« (zit. n. Popp, Briefe an N. Simrock, S. 73). 424 Vgl. NZfM 4/44 (31. Mai 1835), S. 183. 425 Allerdings starb Schuncke bereits einige Monate nach der Widmung im Dezember 1834.

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»Ich wäre Ihnen nun sehr dankbar, wen[n] Sie im ›Münchner Lehrergesangverein‹ Ihren Einfluß aufbieten würden, daß genan[n]ter Verein diesen Chor [Hymne an den Gesang] vielleicht baldmöglichst aufführt. Als geborenem Bayern kom[m]t es mir doch hauptsächlich darauf an, auch in München bekan[n]t zu werden, u. hoffe ich, daß auch die Herren Lehrer Münchens meinem Chor Interesse entgegenbringen dürften, da ich ja selbst Lehrerssohn bin. […] u. [würde] mir dan[n] erlauben, dem Verein als Zeichen meiner Dankbarkeit einen neuen Chor […] zu komponieren u. zu widmen.«426

Dieser Aspekt kann nun freilich bei der Widmung an Brahms keine größere Rolle gespielt haben: Sieht man von den Werken des Ehepaares Schumann und Joseph Joachims ab427, hat Brahms sich nicht nachweisbar aktiv in der Rolle des Pianisten oder Dirigenten für ein ihm zugeeignetes Werk eingesetzt. Zwei Ausnahmen, die Brahms allerdings nicht in der Rolle des Interpreten, sondern des Programmgestalters bzw. Konzertveranstalters zeigen, können an dieser grundlegenden Einschätzung nichts ändern. 1895 hatte er laut eines Berichts des Musikalischen Wochenblatts die Aufführung des ihm gewidmeten Streichquartetts Nr. 2 Es-Dur op. 11 von Eugen d’Albert durch das Böhmische Streichquartett befördert: »Die Anwesenheit Johannes Brahms’ in Leipzig wollte das Böhmische Quartett der HH. Hoffmann, Suk, Nedbal und Wihan aus Prag wahrnehmen, um dem Meister mit einer ausschliesslich Compositionen von ihm umfassenden Kammermusik zu huldigen. Das Programm wurde aber schliesslich auf Wunsch des Gefeierten abgeändert, und statt dreier Werke bot es nur das Fmoll-Clavierquintett des Meisters. Daneben kamen Schubert (mit dem Amoll-) und E. d’Albert (mit dem Esdur-Streichquartett) zu Wort.«428

Auch d’Albert war bei der Aufführung zugegen – er hatte im Klavierquintett op. 34 von Brahms den Klavierpart übernommen. Im Fall der zweiten angesprochenen Ausnahme kann dagegen nicht einmal festgestellt werden, ob zum Konzerttermin die Widmung des betreffenden Werks bereits angekündigt war : Am 25. Januar 1874 fand in Wien im dritten »Gesellschafts-Concert« des Singvereins unter der Leitung von Brahms die Uraufführung der Frühlings-Hymne op. 23 von Karl Goldmark statt.429 Goldmark dirigierte seine Komposition selber 426 Max Reger an Hans Koeßler, 22. Januar 1898, Popp, Der junge Reger, S. 365f. 427 Vgl. v. a. Renate und Kurt Hofmann: Johannes Brahms als Pianist und Dirigent. Chronologie seines Werkes als Interpret, Tutzing 2006. Das Ungarische Konzert von Joachim präsentierte Brahms zwei Mal vor der offiziellen Widmung (30. März 1860, 26. November 1860) und einmal nach erfolgtem Druck (10. Januar 1875) im Konzert. Daneben führte er mehrfach einzelne Sätze auf. Als Pianist spielte Brahms am 29. Mai 1856 die ihm gewidmete Romanze op. 21/1 von Clara Schumann (vgl. ebd., S. 41). Auch Robert Schumanns Ballade Des Sängers Fluch op. 139 (28. Februar 1857, 5. Januar 1873, ebd., S. 131) und das KonzertAllegro op. 134 (22. April 1869, ebd., S. 120) führte er auf. 428 MWb 26/7 (7. Februar 1895), S. 83. 429 Hofmann, Brahms als Pianist und Dirigent, S. 136. Auf dem Programm standen außerdem

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– auch in diesem Fall beteiligte Brahms sich also nicht aktiv in der Rolle des Interpreten, stellte aber die Plattform für die Aufführung zur Verfügung. Die offizielle Veröffentlichung der Widmung des ein Jahr später im Druck erschienenen Werks liegt allerdings nach der durch die Aufführung erwiesenen Unterstützung. Wieder wird eine Zueignung also möglicherweise aus Dank ausgesprochen worden sein: Für die ermöglichte Aufführung und die dadurch öffentlich gezeigte Wertschätzung von Komponisten und Werk. Die knapp 100 an Brahms gerichteten Dedikationen betrafen also offenbar ohne Ausnahme weniger den Pianisten und Dirigenten, als vielmehr den renommierten Komponisten Brahms. Das liegt nahe, hat Brahms doch mit zunehmendem kompositorischem Erfolg die Tätigkeit als ausübender Künstler nur äußerst sporadisch ausgeübt. Es schließt allerdings natürlich nicht aus, dass gerade Klavierwerke in dem Bewusstsein gewidmet wurden, dass Brahms als Pianist ein besonders kompetenter Beurteiler der Qualität sei – immerhin stellen reine Klavierwerke mit 44 Kompositionen den absolut größten Anteil der Widmungswerke, wobei Kammermusikwerke mit Beteiligung des Klaviers430 noch nicht mitgezählt sind. Da die Aufführung der Werke durch Brahms also offensichtlich nicht angestrebt werden konnte, wäre anzunehmen, dass bei einer Zueignung an den berühmten Komponisten Empfehlungen an potenzielle Verleger erwartet wurden. Denn in der Konkurrenz um einträgliche neue Musikalien griffen diese gerne auf die Hinweise etablierter Komponisten zurück.431 Es war deswegen Usus, sich um Vermittlung eines berühmten Kollegen zu bemühen, um einen interessierten Verleger für die eigenen Werke zu finden.432 Brahms’ Name wurde als Werbedas Vorspiel zur Oper »Die sieben Raben« von Rheinberger und Mozarts Davide Penitente KV 469. 430 Neun Streichtrios, -quartetten und -quintetten stehen immerhin zehn Klaviertrios, -quartette und-quintette gegenüber. 431 Vgl. Beer, Rahmenbedingungen des Musikschaffens, S. 161–167. Der fünfte Kritische Brief an eine Dame in der AmZ 12/41 (10. Oktober 1877), Sp. 649f., greift die Problematik der Verlagssuche junger Künstler publizistisch auf und kommt zu dem Ergebnis, dass die Empfehlung durch bekannte Kollegen das sicherste Mittel zum Erfolg sei. Die Verleger baten tatsächlich immer wieder um eine Einschätzung bestimmter Werke, so auch Edmund Astor (Verlag Rieter-Biedermann), dem Brahms z. B. in Bezug auf Richard v. Perger antwortete: »Herrn von P[erger] kenne ich, sein Streich-Trio aber nicht. Von Vorsicht und Vertragsglück kann aber doch bei einem Streich-Trio nicht die Rede sein!?« (Brahms an Edmund Astor, [15. Januar 1888], BW XIV, S. 375). Das Trio op. 12 erschien tatsächlich im Verlag Rieter-Biedermann. 432 Das Dilemma der jungen Komponisten nennt Brahms in seiner Empfehlung C. G. P. Grädeners an den Verleger Bartholf Senff: »Herrn Grädeners Bedingungen würden wohl sehr bescheiden sein, ja, sie würden vielleicht einmal ganz verschwinden können, da er das gewöhnliche Malheur junger Künstler hat, keine Verleger finden zu können« (Brahms an Bartholf Senff, [19. Juni 1855], BW XIV, S. 19). Der laut Brahms »junge Künstler« zählte zum Zeitpunkt der Empfehlung allerdings bereits 41 Jahre.

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mittel als attraktiv empfunden, gerade gegenüber Simrock, der als Hausverleger des Wieners gelten konnte. Diesen Gedankengang kann man unter anderem in einer wohl geplanten, aber nie veröffentlichten Widmung Adolf Wallnöfers beobachten. Nachdem Brahms im Mai 1879 die Werke des Sängers Simrocks Aufmerksamkeit empfohlen hatte, schrieb dieser postwendend: »Wallnöfer? Ja – der offerierte mir schon vergangenen Sommer in Berchtesgaden Klavierstücke oder dergl.: Ihnen gewidmet, unter den Worten: ›Da Sie (ich) ja ein Vertreter dieser ›Richtung‹ (sic!) sind, so hoffe ich, daß Sie sich gern entschließen‹ – damit hatte ich vorläufig genug und ›entschloß‹ mich nicht – ‘s ist gar zu albern.«433

Auch wenn von der im Brief angesprochenen Widmung nichts bekannt ist434, so zeigt sie doch, wie kalkuliert der Name von Brahms und das Instrument der Widmung gegenüber Verlegern verwendet wurde – in diesem Fall freilich wirkungslos. Unter anderem, weil Brahms nichts von der geplanten Zueignung ahnte, also seine Zustimmung nicht gegeben haben konnte. Doch die Zahlen scheinen trotz dieses einzelnen Misserfolgs für sich zu sprechen: Immerhin 17 der Komponisten435, die Brahms ein Werk widmeten, wurden von ihm zur Drucklegung empfohlen. Allerdings könnte der erhaltenen Korrespondenz zufolge nur eine einzige dieser Empfehlungen potenziell als Folgehandlung aus einer Zueignung resultieren436 – falls überhaupt eine Verbindung bestanden hat, bedingt viel eher umgekehrt nach dem bereits bekannten Muster die Empfehlung eines Werks die Widmung desselben als Dank.437 Nur in seltenen Fällen ist 433 Fritz Simrock an Brahms, 12. Mai 1879, zit. n. Stephenson, Brahms und Simrock, S. 142. 434 Erst 1879 – im Jahr der Empfehlung – erschien Wallnöfers Kantate Grenzen der Menschheit im Verlag Breitkopf & Härtel mit Widmung an Brahms. Der Dankbrief des Adressaten ist zwar laut Poststempel auf den 6. April 1880 zu datieren, doch steht zu vermuten, dass der Brief in einem falschen Umschlag aufbewahrt wird. Da die Hofmeister-Monatsberichte das Erscheinen des Klavierauszugs sowie der Solo- und Chorstimmen schon für Februar 1879 verzeichnen (dieses Datum ist auch auf einem in der Städtischen Musikbibliothek, München befindlichen, später zu datierenden Manuskript genannt), wäre eine solch späte Reaktion des Widmungsträgers höchst unwahrscheinlich. Welches Opus die im Brief Simrocks genannten, angeblich Brahms zugeeigneten Klavierstücke darstellen, ist nicht bekannt; unter den gedruckten Werken Wallnöfers ist erst als op. 22 das Impromptu, Intermezzo und Notturno für Pianoforte (1880) zu nennen. 435 Rudolf Bibl, Anton†n Dvorˇ‚k, Anna von Dobjansky, Johann Karl Eschmann, Robert Fuchs, C. G. P. Grädener, Heinrich v. Herzogenberg, Alfred Heyssig, Karl Nawratil, V†teˇzslav Nov‚k, Walter Rabl, Julius Röntgen, Anton Rückauf, Joseph Suk, Johann Strauss, Adolf Wallnöfer, Alexander v. Zemlinsky. Die Empfehlungen liegen meist vor, in wenigen Fällen auch weit nach dem Widmungszeitpunkt. 436 Es handelt sich um die bereits angesprochene Widmung Adolf Wallnöfers (s. o., FN 434), der nur drei Monate später (im Mai 1879) eine Empfehlung an Simrock folgt. Allerdings ist der Ablauf und die genaue Datierung der Dedikation mit einigen Unsicherheiten belegt (s. o.), sodass auch hier die Abfolge Widmung – Empfehlung nicht als vollkommen gesichert gelten kann. 437 So z. B. bei Anton†n Dvorˇ‚k, Karl Nawratil und Walter Rabl, um nur einige zu nennen.

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dieses Vorgehen freilich so zweifelsfrei belegbar wie im Rahmen der Dedikation von V†teˇzslav Nov‚ks Eklogy (Eklogen) für Klavier op. 11: Nov‚k wurde von Brahms mehrfach für das kaiserliche Staatsstipendium vorgeschlagen438, 1896 konkret aufgrund seiner eingereichten »drei Hefte Clavierstücke (und ein Concert)«.439 Wann genau Brahms das Gutachten verfasst hat, ist nicht bekannt. Doch muss das Datum um den 12. Oktober 1896 liegen. Denn die vorgelegten Kompositionen hatten Brahms so zugesagt, dass er sie an diesem Tag an Simrock empfahl: »Hier fand ich bei den Arbeiten für das kaiserl. Stipendium welche von einem jungen Prager ›Novak‹. Namentlich 3 Hefte Klavierstücke empfehle ich Dir gradezu, ein Klavierkonzert kann einstweilen auf sich beruhen. Du kannst ja bei Dvor‚k noch seinethalben anfragen. 20. Jahre alt usw.«440

Für Gutachten und Verlagsempfehlung bedankte sich der 20-jährige Nov‚k umgehend mit der Widmung eines der drei von Brahms »gradezu« empfohlenen Klavierwerke. Die Bitte um Widmungserlaubnis ist nicht erhalten, offenbar hatte Nov‚k Simrock um Vermittlung gebeten, denn bereits am 4. November konnte Brahms in Bezug auf die ihm wohl kurz zuvor mitgeteilte Widmungsabsicht an Simrock schreiben: »Herrn Nowak in Prag danke ich gelegentlich für seine freundliche Absicht, mir von seinen Klavierstücken zu widmen – ich kann nicht alle Briefe schreiben!«441 Die Empfehlung bedingte also die Widmung. Nur in seltenen Fällen geht dagegen das Widmungsgesuch mit der direkten Bitte um Empfehlung an einen Verleger einher. In diesem Fall sind Widmung und direkte Entlohnung, da von der erfolgreichen Drucklegung abhängig gemacht, einmal mehr potenziell eng miteinander verknüpft. Doch merkt man besonders in diesem Kontext, wie sehr es Brahms widerstrebte, aufgrund einer Widmung zur Reaktion gezwungen zu sein: Gerade jene Zueignungen lehnte er ab. Wilhelm Puchtler trug 1871 Brahms seine Großen Etüden zur Empfehlung an Simrock und gleichzeitig zur Zueignung an. Da der Druck allerdings nicht zustande kam, wurde auch die Dedikation hinfällig. Ein Umstand, der Brahms nicht ungelegen gekommen sein mag, hatte er doch die Kompositionen stark kritisiert.442 Auch die intendierte Widmung von Jakob Ludwig Bruhns aus Lübeck, der offenbar eine öffentliche Stellungnahme oder Empfehlung erwartet hatte, nahm er nicht an:

438 1894, 1895, 1896. Vgl. die bei Behr, Brahms, S. 138ff. abgedruckten Kommissionsberichte sowie das Brahms’sche Gutachten zu 1896, S. 117. 439 Gutachten zum kaiserlichen Staatsstipendium, zit. n. Behr, Brahms, S. 117. 440 Brahms an Fritz Simrock, [12. Oktober 1896], BW XII, S. 202. 441 Brahms an Fritz Simrock, [4. November 1896], BW XII, S. 204. 442 Vgl. Brahms an Fritz Simrock, [6. Juni 1877], BW X, S. 33.

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»Bruhns aus Lübeck schickt mir bei Dir erschienene zwei Klavierkanons und nebenbei 50 Klavierstücke zu oder über 50 Etüden von Czerny, die er mir widmen will!!! und!!! natürlich vorher gelobt haben! Kann man nun auf so was grob, fein oder überhaupt antworten!? Und ich tat es eben, ganz artig. Aber ›so was‹ kommt jeden Tag, man kann sich’s nicht arg genug vorstellen.«443

Constantin Bürgel vermied diesen Konflikt, indem er Brahms erst anlässlich der Übersendung des bereits gedruckten Widmungswerks um Unterstützung seiner Karriere bat – in direkten Worten, allerdings ohne allzu konkrete Forderungen zu formulieren.444 Eine Antwort oder spätere Empfehlung durch Brahms ist allerdings nicht bekannt, nach der Widmung scheint zwischen den beiden Komponisten kein direkter Kontakt mehr bestanden zu haben. Die Dedikation als Werbung Brahms war also grundsätzlich nicht bereit, eine Widmung als Verpflichtung zur Reaktion in Form einer materiellen oder ideellen Gegengabe zu sehen. Das heißt natürlich nicht, dass sich eine Dedikation an ihn von vorneherein nicht ›lohnte‹: Allein die Annahme der Dedikation setzte bereits Mechanismen in Gang, die automatisch in diversen Vorteilen für den Widmenden resultierten.445 Und auch darüber hinaus konnte die Dedikation zum gewünschten Erfolg führen, indem Brahms nämlich den Komponisten nun verstärkt zur Kenntnis nahm. Indirekt führte so die Widmung von Robert Fuchs sehr wohl zur erhofften Unterstützung, die auch diverse Empfehlungen an Verlage beinhaltete: Fuchs hatte sich durch die Zueignung seines Klaviertrios op. 22 im Jahr 1880 direkten Zugang zu Brahms verschafft, in der Folgezeit unterstützte dieser den jungen Komponisten regelmäßig446 – allerdings ohne, dass Fuchs im Kontext der Widmung um Hilfe gebeten hätte, oder dass Brahms jemals selber einen Bezug zu dem ihm gewidmeten Werk hergestellt hätte. Immer war beiden Seiten – Komponist und Adressaten – der Klang und die 443 Brahms an Fritz Simrock, [30. Januar 1896], BW XII, S. 190. Leider ist der besagte Antwortbrief von Brahms an Bruhns nicht erhalten. Jakob Ludwig Bruhns (1853–1923) ließ tatsächlich bei Schlesinger Fünfzig Stücke zu Karl Czernys »Kunst der Fingerfertigkeit« op. 74c drucken, die laut Angabe in den Hofmeister Monatsberichten im Mai 1897 erschienen sind. Auf dem Druck ist jedoch keine Widmung an Brahms abgedruckt (ich danke Herrn Arndt Schnoor ; Stadtbibliothek Lübeck, für diese Auskunft). 444 Constantin Bürgel an Brahms, 14. Mai 1879, abgedr. in Peter Schmitz: »Verstoßen Sie mich nicht, denken Sie meiner.« Bittbriefe an Johannes Brahms, in: Brahms-Studien 16, im Auftrag der Johannes-Brahms-Gesellschaft Internationale Vereinigung e. V. hg. v. Beatrix Borchard u. Kerstin Schüssler-Bach, Tutzing 2011, S. 127–160. 445 Sie entsprechen den in der Tabelle der Gegengaben verzeichneten passiven Vorteilen. 446 U. a. 1881 Empfehlung an Simrock, 1884 an Robert Lienau (Musikalienhandlung Schlesinger, Berlin), 1890 an Dr. Abraham (Verlag Peters), 1890 an Edmund Astor (Verlag RieterBiedermann), daneben kompositorische Ratschläge und finanzielle Darlehen.

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Wirkung des auf dem Titelblatt vermerkten Namens bewusst, so dass sich durchaus auch ohne weitere konkrete Erwartungen der Einsatz des Widmenden ›rechnete‹. Er durfte sich in einem Kontext, in dem gesellschaftliches Prestige und Ehre eine wichtige Rolle spielten, persönlich geehrt fühlen, den klingenden Namen auf das Titelblatt ihrer Komposition setzen zu können. Der blinde Landgraf Alexander Friedrich von Hessen empfand dies so stark, dass er sich den Dankbrief von Brahms, den er anlässlich der Widmung des Fantasiestücks für Klavier op. 2 erhalten hatte, in Brailleschrift übertragen ließ, um ihn immer zur Verfügung zu haben.447 Neben dieser rein privaten Komponente wirkte sich die durch die Widmung ausgedrückte öffentliche Anerkennung andererseits aber zusätzlich ganz konkret in Werbung und Verkauf aus: Die Rezipienten sahen die gedruckte, also von Brahms akzeptierte Dedikation als ›Qualitätsmerkmal‹ an. In einer Rezension der Four Songs op. 1 von Emil Kreuz wurde in der englischen Fachpresse demnach mitgeteilt, die Lieder seien Brahms »›by kind permission‹«448 gewidmet – die Zitationsweise lässt darauf schließen, dass Kreuz selber oder der Verleger diese Information bewusst als Werbemaßnahme verbreitet hatten. Die verkaufsfördernde Wirkung des Namens eines berühmten Adressaten449 ließ auch einen ökonomischen Vorteil erwarten. Max Reger nutzte das Instrument der Dedikation deswegen teilweise durchaus berechnend, die konkrete Person des Widmungsträgers tritt hinter seiner (beruflichen) Funktion und Vernetzung im gesellschaftlichen Kosmos zurück: »Wen[n] Sie irgend einen bekan[n]ten Geigenpädagogen wissen, der sich für op. 131b besonders interessiert, so bin ich gerne bereit, demselben op. 131b zu dedizieren«.450 Die erwarteten Vorteile sind klar umrissen: Widmung zum einen in der Hoffnung, der Geigenpädagoge würde sich in seinem Umfeld für die Verbreitung der Drei Duos im alten Stil für zwei Violinen op. 131b einsetzen. Aber ein etwaiger berühmter Name, »irgend eine[s] bekan[n]ten Geigenpädogen«, der auf dem Titelblatt notiert werden konnte, versprach auch schon an sich in der öffentlichen Wahrnehmung und bei Verlegern große Vorteile. So konnte eine Komposition mit entsprechender Widmung auf erhöhtes Interesse und größeren Absatz bei potenziellen Käufern hoffen: »Ich hoffe diese Dedication wird den Absatz dieses Werkchens (wenigstens in Hamburg) befördern, da Methfessel dort ein sehr geachteter Ge-

447 Vgl. Ralph Philipp Ziegler : Alexander Friedrich Landgraf von Hessen (1863–1945): Leben und Werk eines Komponisten zwischen Romantik und Moderne, Kassel 2001, S. 74. 448 The monthly musical record (1. Juni 1889), S. 135. 449 Vgl. zum Werbefaktor einer Widmung Beer, Rahmenbedingungen des Musikschaffens, S. 366–372. 450 Max Reger an den Verlag Simrock, 25. April 1914, zit. n. Popp, Briefe an N. Simrock, S. 73.

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sangslehrer ist«451 berichtete Friedrich Kuhlau anlässlich der Widmung einer Liedersammlung an Albert Methfessel seinem Verleger Peters. Methfessel war tatsächlich nicht allein in Hamburg, sondern weit über die Grenzen hinaus als Sänger und wichtiger Protagonist der Musikfestkultur452 breiten Massen von (Laien-)Sängern, die wichtige Abnehmer einer solchen Liedersammlung waren, präsent. Auch wenn in diesem Fall eine konkrete Person bedacht werden sollte, war also ihre gesellschaftliche Stellung und Funktion erneut ausschlaggebend für ihre Wahl als Widmungsadressat. Und auch Heinrich Hofmann, der Brahms zuvor seine Ungarische Suite op. 16 gewidmet hatte, war sich der Wirkung eines bekannten Widmungsträgers bewusst: »Nun möchte ich mir für dieses, wie ich glaube, wohlgelungene Werk die Protection Ihres großen Namens sichern und frage deßhalb bei Ihnen an, ob es Ihnen Freude machen würde, wenn ich Ihnen das Sextett widme?«453 schrieb er an den bekannten Geigenvirtuosen Johann Lauterbach – in der Hoffnung, der klingende Name würde die Verbreitung seines Streichsextetts fördern. Durch diese Kalkulation wurde das Veröffentlichen einer Komposition mit berühmtem Widmungsträger auch für den Verleger interessant – er konnte sich ein größeres Interesse seitens der Öffentlichkeit erhoffen und durch geschickte Werbung454 auch bei Werken unbekannter Komponisten mit einer gewinnbringenden Produktion rechnen. In diesem Sinn ist auch eine Widmung wie die der ersten Folge der Slawischen Rhapsodien op. 45 Anton†n Dvorˇ‚ks an den russischen Baron Paul Grigorievich Dervies zu verstehen. Dvorˇ‚k bemerkte jedenfalls gegenüber Fritz Simrock, dass der potenzielle Widmungsadressat Dervies nicht nur ein »sehr reicher Mann«, sondern vor allem auch »ein großer Musikliebhaber« und »mit den größten Künstlern der Welt«455 bekannt sei. Das eröffnete dem Verleger einen großen potenziellen 451 Friedrich Kuhlau an Peters, 22. August 1824 (Beer, Rahmenbedingungen des Musikschaffens, S. 366). 452 Albert Methfessel hatte u. a. bereits 1810 beim ersten (neuen) deutschen Musikfest in Frankenhausen als Sänger unter Louis Spohr eine wichtige Rolle gespielt und damit seinen großen Ruhm begründet. Vgl. Friedhelm Brusniak: Methfessel, Albert, in: Neue Deutsche Biographie 17 (1994), S. 230f. (Onlinefassung); URL: http://www.deutsche-biographie.de/ pnd116953829.html. Zu Methfessels genauer Rolle bei dem Musikfest und zur schwierigen Einordnung, welches Musikfest das erste im eigentlichen Sinn gewesen sei, Samuel Weibel: Die deutschen Musikfeste des 19. Jahrhunderts im Spiegel der zeitgenössischen musikalischen Fachpresse (= Beiträge zur rheinischen Musikgeschichte, Bd. 168), Berlin 2006, S. 183 und 249–255. 453 Der – undatierte – Brief Heinrich Hofmanns an Johann Lauterbach wird in einem Artikel der Zeitschrift Die Gegenwart mitgeteilt (Aus dem Briefwechsel eines Geigerkönigs, in: Die Gegenwart 92 [1902], S. 91). 454 Der Name des Widmungsträgers wurde z. B. oft in den veröffentlichten Verlagsanzeigen genannt. 455 Anton†n Dvorˇ‚k an Simrock, 1. Februar 1879, zit. n. Anton†n Dvorˇ‚k: Korespondence a Dokumenty. Kritck¦ Vyd‚n† [Korrespondenz und Dokumente. Kritische Ausgabe], Bd. 1, hg. v. Milan Kuna, Prag 1987–1989, S. 157. Die Verbindung zu Baron Dervies kam wohl über

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Absatzmarkt, während dem international noch relativ unbekannten Dvorˇ‚k die Widmung zur eigenen Vernetzung in der durch den Baron repräsentierten gesellschaftlichen Sphäre möglicher reicher Käufer und Förderer nur zum Vorteil gereichen konnte. Eine besondere Möglichkeit der Werbung bietet eine spezielle Spielart der Widmung, von der unzählige Beispiele überliefert sind456 : Schüler eigneten mit Vorliebe ihren Lehrern ein Werk zu. Der erwartete Vorteil ist nun wiederum direkt mit der Dedikation verbunden, auch wenn vordergründig die Ehrung des (ehemaligen) Lehrmeisters im Vordergrund stehen mag. Denn die Zueignung entstand zwar im Normalfall aus dem Gefühl der aufrichtig empfundenen Dankbarkeit457, mit Sicherheit auch aus Gründen der zu erfüllenden Konvention. Gleichzeitig wurde allerdings der Nachweis geliefert, den Unterricht bei einem renommierten Meister, bevorzugt der Komposition, erfolgreich bestanden zu haben. Dieser erkannte durch die Annahme der Widmung und das damit verbundene öffentliche Eintreten für die Qualität des ihm zugeeigneten Werks die bei ihm erworbenen Fähigkeiten an. Meist betrifft die Dedikation ein Werk niedriger Opuszahl, der Lehrer wird damit über den Unterricht hinaus zum Starthelfer für die Karriere seines Schülers. Korrespondierend wird im Widmungstext, oft in der Formulierung »von seinem Schüler XXX«458 oder »für seinen Lehrer XXX«459, das besondere Verhältnis der Protagonisten öffentlich

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Dvorˇ‚ks Freund und Kollegen Karel Bendl (der 1896 Brahms ebenfalls ein Werk widmete) zustande (vgl. Klaus Döge: Dvorˇ‚k. Leben – Werke – Dokumente, Mainz2 1997, S. 189). Bendl war von 1878–1881 Kapellmeister des Barons, der sich in Nizza äußerst positiv über die Slawischen Tänze op. 46 Dvorˇ‚ks geäußert hatte (Döge, Dvorˇ‚k, S. 191). Vgl. z. B. die entsprechenden Widmungen allein aus der Gruppe derjenigen, die auch Brahms eine Komposition zueigneten. Richard Barth: Romanze op. 3 an Joseph Joachim; Philipp Wolfrum: Orgelsonate Nr. 1 op. 1 an Joseph Rheinberger ; Waldemar v. Baußnern: Sinfonie Nr. 1 an Woldemar Bargiel (unveröffentlicht); Max Reger : Sonate für Violine und Klavier Nr. 1 d-Moll op. 1 an Hugo Riemann. Brahms’ Widmung an seinen ehemaligen Klavierlehrer Eduard Marxsen (Klavierkonzert Nr. 2 op. 83) ist hier ebenfalls einzuordnen, wenn sie auch untypischerweise eine relativ hohe Opuszahl aufweist und aus einer Zeit stammt, in der Brahms als Komponist bereits anerkannter war, als es sein früherer Lehrer jemals sein sollte. Widmungen von Schülern an ihre (ehemaligen) Lehrer sind allerdings kein neues Phänomen des 19. Jahrhunderts, vgl. die Liste der Schüler-Lehrer-Widmungen zwischen 1784 und 1834 bei Green, Dedications and Reception, S. 27f. Vgl. in der AmZ 39/17 (17. April 1837), Sp. 269, eine Rezension der Fugen und Vorspiele für die Orgel von Friedrich Rühmstedt: »Der Verf. [Friedrich Rühmstedt] ist ein Schüler Rinck’s und hat dieses sein erstes durch den Druck bekannt gemachtes Orgelwerk aus Liebe und Dankbarkeit seinem Lehrer zugeeignet. Von gerathenen Schülern hat man Dank, von ungerathenen keinen, denn wer will dir in der Hölle danken?« Z. B. Felix Mendelssohn Bartholdy, Sieben Charakter-Stücke op. 7, Ludwig Berger »zugeeignet von seinem Schüler Mendelssohn«; Quartett für Pianoforte, Violine, Viola, Violoncello op. 1, »componirt und Herrn J. N. Hummel zugeeignet von seinem Schüler Ferd. Hiller«. Edmund v. Weber, Drei Streichquartette op. 8, »— Son Gran maitre, Joseph Haydn«.

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thematisiert. Die meist sorgfältig geplante Wortwahl verrät trotz der Kürze des Texts einiges über den kompositorischen Anspruch des Widmenden – wenn zum Beispiel der Schüler seinen Status als dem Meister untergeordneter Zögling abzuschwächen suchte und damit das eigene Werk aus der Rolle einer Schülerkomposition herauslöste. Ferdinand Ries bezeichnete so seinen früheren Lehrer Ludwig van Beethoven in der Widmung seiner Sinfonie op. 80 (1818) als »son ami«, nachdem er in der ebenfalls an Beethoven gerichteten Widmung seiner Klaviersonaten op. 1 seinen Status als »son ¦lÀve« noch angegeben hatte.460 Seltener ist die Widmung eines Lehrers an seinen Kompositionsschüler, sofern es sich nicht um ein Lehrwerk handelt. Denn die Zueignung bedeutete unter den Vorzeichen des besonderen Verhältnisses der Protagonisten eine besondere Auszeichnung: Der Lehrmeister schätzte die Leistung seines ehemaligen Zöglings so hoch ein, dass er sie durch die Zueignung öffentlich anerkannte – ein Beispiel ist die Dedikation Eduard Marxsens an den bereits berühmten ehemaligen Klavier- und Kompositionsschüler Johannes Brahms. Der Werbefaktor einer Zueignung an einen berühmten Komponisten oder Musiker beruhte neben der allgemeinen Beliebtheit großer Namen jedoch vor allem auf der ästhetischen und stilistischen Orientierungshilfe, die dem Publikum durch die Widmung zur Bewertung des in Frage stehenden Werks an die Hand gegeben wurde: Es machte einen Unterschied, ob ein Klavierwerk der Pianistin Clara Schumann oder dem Virtuosen Franz Liszt zugeeignet war. Beide standen für so gegensätzliche Kunstauffassungen, dass bereits die von ihnen offiziell angenommene Dedikation eine bestimmte inhaltliche und stilistische Ausrichtung der jeweiligen Komposition suggerierte. In dieser Hinsicht sind auch zwischen den Widmungswerken an die Komponisten Liszt und Brahms Unterschiede zu erwarten. Dem potenziellen Käufer wurde durch die Zueignung ein erster Hinweis auf den wesentlichen zu erwartenden Stil des Notentexts geliefert – der natürlich in Einzelfällen auch in die Irre führen konnte.461 Immerhin wurde aber über die ästhetische Verortung der Widmung das Zurückgreifen auf vermeintlich vertraute und bevorzugte musikalische Literatur vereinfacht.

460 Vgl. die Liste der Schüler-Lehrer-Widmungen bei Green, Dedications and Reception, S. 27. 461 So ist der Brahms gewidmete Walzer Seid umschlungen, Millionen op. 443 von Johann Strauss (Sohn) keineswegs stilistisch an die Walzerwerke des Widmungsträgers angenähert.

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Gerade der Name Brahms462 konnte noch weit nach dem Tod des Widmungsträgers die positive Aufnahme eines Werks durch den Rezipienten bedingen. Das führte gar so weit, dass bestimmten Werken bis ins 20. Jahrhundert hinein nur aufgrund ihrer Dedikation an Brahms eine gewisse Qualität zugesprochen wurde, wie eine Rezension der Werke Richard von Pergers in Wilhelm Altmanns Handbuch für Streichquartettspieler zeigt. Hier heißt es noch 1929 zum Brahms gewidmeten Streichquartett op. 8: »Das erste 1886 als op. 8 herausgekommene (g) kenne ich nicht; es kann nur gut sein, denn sonst würde Brahms seine Widmung nicht angenommen haben.«463

Selbstlose Freundschaftswidmung? Auch wenn grundsätzlich also die Möglichkeit bestand, eine Widmung als Grundlage eines Gabenaustauschs zu sehen, ist die Erwartungshaltung des Widmenden abhängig von den bekannten Gepflogenheiten seines Adressaten. Da den Zeitgenossen die Brahms’sche Einstellung offenbar nur zu bewusst war, vermieden sie meist von vorneherein offen fordernde Widmungen und setzten ihre Zueignungen entweder als Dank oder als reine Freundschaftsgabe ein. Recht viele der Komponisten sind so immerhin vor der Dedikation von ihrem späteren Adressaten gefördert worden, sodass Dankbarkeit zumindest eine Rolle bei der Widmung gespielt haben mag.464 Neben dem Verständnis der Widmung als Teil eines Leistungstausches gibt es allerdings auch eine nicht zu vernachlässigende ›Restmenge‹ von Widmungsintentionen, die im ökonomisierten Widmungskonzept nicht recht aufgeht. Der Aspekt der Privatheit rückt in den Vordergrund, wenn ihr Gewicht im Rahmen einer Dedikation überwiegt. Zwar kann auch die Zueignung als Ausdruck von Freundschaft ohne weitere damit verbundene Erwartungen im Sinn des Ehr462 Immerhin betonte Joseph Viktor Widmann (Johannes Brahms in Erinnerungen, 2Berlin 1898, S. 64), dass das Lob von Brahms, als das auch die Annahme einer Widmung galt, für junge Künstler erstrebenswert schien: »Es versteht sich, daß Brahms selbst auch in Thun […] Besuch empfing, ebenso von Kapellmeistern, jungen Komponisten, Klavier spielenden Damen, welche […] auf einen Lobspruch aus seinem Munde hofften, den sie dann als weitere Empfehlung würden benutzt haben«. Auch Eduard Hanslick stellte heraus, dass der Name Brahms einer jungen Karriere nützlich sein konnte: »Die Sympathie eines so bedeutenden und berühmten Künstlers wie Brahms dürfte Ihnen nicht blos erfreulich, sondern auch nützlich sein u. ich glaube, Sie sollten ihm schreiben […] u. allenfalls etwas von Ihren Werken schicken.« (Hanslick an Dvorˇ‚k, 30. November 1877, zit. n. Döge, Dvorˇ‚k, S. 165). Aus diesem Hinweis resultierte die Widmung des Streichquartetts op. 34. 463 Zitiert wurde die an dieser Stelle gleichlautende Ausgabe von 1972 (Altmann, Handbuch für Streichquartettspieler II, S. 100). 464 In den allermeisten Fällen fehlt freilich der letzte Beweis, Grundlage für die Vermutung sind vielmehr die gesellschaftlichen Normen des 19. Jahrhunderts und die eben formulierten Beobachtungen zum Brahms’schen Widmungsverhalten.

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austausches nicht als sinnlose ›Investition‹, sondern als Gegengabe verstanden werden: Sie ist Ausgleich für bereits empfangene Hilfe, Freundschaft und andere Leistungen.465 Eine latente Ökonomisierung bleibt also stets vorhanden. Trotzdem steht dieser Gedanke gerade gegenüber guten Bekannten oder Freunden sowohl im Moment der Widmung als auch beim Empfang derselben zumindest nicht im Vordergrund. Ausdruck von allgemeiner, nicht an ein bestimmtes Ereignis gebundener Bewunderung, Dankbarkeit, Freundschaft – dies ist der Rahmen dieser Widmungsintentionen.466 Gabe und Gegengabe können in diesem Fall nicht als eindeutiger Reziprozitätszyklus aufeinander bezogen werden.467 Dieser Beobachtung entspricht die Tatsache, dass gerade bei Dedikationen von Freunden oder guten Bekannten die Anfrage um Widmungserlaubnis am Ende des 19. Jahrhunderts ohne größere Probleme entfallen konnte; der Geschenkcharakter, der die Gabe potenziell aus der Ökonomisierung herauslösen soll, wird damit in gewisser Weise nicht bereits durch die Annahme aufgelöst.468 Die Soziologie spricht an dieser Stelle trotzdem wenn nicht von direkter, so doch von generalisierter Reziprozität469 : Freundschaftliche Hilfestellung, aber auch ein generelles Interesse und die Unterstützung der Karriere eines jungen Komponisten, durch die Vermittlung von Ämtern und die Integration seiner Person in das eigene Netzwerk teils prominenter Persönlichkeiten etwa, kann so zwar bei großer zeitlicher Distanz selten in direkter Ursächlichkeit auf eine Dedikation zurückgeführt werden oder als Auslöser einer Widmung nachgewiesen werden. Trotzdem trug ein durch die Unterstützung ausgelöstes Gefühl der Dankbarkeit und Verpflichtung auch unbewusst dazu bei, neben anderen Faktoren eine Widmung potenziell mit auszulösen.470 In den meisten 465 Dazu gehören u. a. auch nicht zählbare Leistungen wie der Genuss, den Werke des Adressaten dem Widmenden bereitet haben. Vgl. die Tabelle S. 111. 466 Carl Reinecke formulierte dies so: »Das Beste, was einer spendieren kann, um dem andern seine Liebe oder Freundschaft, seine Anhänglichkeit oder Dankbarkeit zu beweisen, ist, wenn er ihm ein Werk eigenen Schaffens zu eigen gibt oder, wie man im gewöhnlichen Leben sagt, dediziert« (Reinecke, Erlebnisse, S. 185). 467 Im Bereich der Sozialwissenschaften wird in diesem Fall von generalisierter Reziprozität gesprochen, da sich die ausgetauschten Leistungen »nicht auf einen eindeutig benennbaren Gabenzyklus zwischen zwei Personen« zurückführen lassen (Stegbauer, Reziprozität, S. 29). Bei direkter Reziprozität werden dagegen im Sinn der »Tit for Tat«-Regel (»Wie Du mir, so ich Dir«) von beiden Parteien ungefähr äquivalente Leistungen erwartet. Vgl. zu diesem Thema Stegbauer, Reziprozität. 468 Da die Widmung in diesen Fällen bereits vor Kenntnis des Adressaten durch die Drucklegung faktisch geworden ist, kann sie der Empfänger weder annehmen noch ablehnen – sie ist bereits ohne sein Zutun existent. Für Derrida ist allerdings der Geschenkcharakter trotz allem annulliert: Allein durch die Existenz des Geschenks und seine – wie auch immer verspätete – Wahrnehmung durch den Empfänger (vgl. Derrida, Falschgeld, S. 24). 469 Stegbauer, Reziprozität, S. 29. Vgl. auch oben, FN 467. 470 Grundsätzlich spielt die generalisierte Reziprozität wegen der ihrem Konzept inhärenten Vagheit und der Unmöglichkeit ihres Nachweises (läge ein solcher vor, würde sie in das Feld

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Brahms im Kontext: Zur Widmung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts

Widmungen überlagern sich allerdings Aspekte der Privatheit und der Ökonomie, je nach Blickwinkel gewinnt ein Bereich die Überhand. Aber unabhängig von der ausschlaggebenden Intention und Motivation ist bei der Bewertung einer Zueignung stets zu bedenken: Entscheidet sich ein Komponist, einem seiner Werke eine Widmung beizufügen, ist dem eine bewusste Auswahl des Widmungsträgers und die Abwägung der Konsequenzen vorausgegangen. Auch viele Widmungen an Brahms sind im Kontext langjähriger Freundschaften und Bekanntschaften zu sehen, sie sind – meist ohne dass weitere Forderungen formuliert würden – Ausdruck der jeweiligen Beziehung. Da eine jede Freundschaft als ständige Abfolge gegenseitiger materieller und ideeller bzw. symbolischer Gabenaustausche charakterisiert werden kann471, spielt der Reziprozitätsgedanke zwar weiterhin eine nicht zu unterschätzende Rolle, die Dedikation lässt sich aber meist kaum auf ein bestimmtes Ereignis, eine bestimmte Gabe zurückführen. Doch tatsächlich kamen die immateriellen, einer jeden Widmung an den berühmten Johannes Brahms inhärenten Vorteile wie Werbefaktor, Ehre und Anerkennung natürlich auch jenen Komponisten zugute, die ihre Widmung primär als Ausdruck des Dankes oder der Freundschaft verstanden wissen wollten. Es ist also kaum jemals möglich, einen einzelnen Widmungsgrund herauszukristallisieren. Vielmehr überschneiden sich gewollte und nicht intendierte, geplante und zufällige Vorteile, teilweise abhängig von der nicht vorhersehbaren Reaktion des Widmungsträgers, teilweise von der Aufnahme durch die Öffentlichkeit bestimmt. Mit dem Druck einer Widmung gibt der Widmende jedenfalls die Kontrolle aus der Hand, kann die Reaktionen des Widmungsträgers und der Öffentlichkeit nicht mehr steuern. ***

Im Vergleich der Funktion der Widmung von und der seines Umfeldes an Brahms wird deutlich, dass Brahms, der in der Befolgung formaler Regularien anlässlich einer Zueignung so traditionell anmutet, sich in dieser Hinsicht in vielerlei Punkten bewusst aus den tradierten bürgerlichen Konventionen herauslöste. Egal ob in seinen eigenen Widmungen oder in der Reaktion auf die Vielzahl der ihm zugeeigneten Werke: Nie ließ er sich zur Beachtung gesellschaftlicher Konventionen zwingen, bewahrte seine Unabhängigkeit und steuerte auch dadurch die Rezeption seiner Person. Sein Umfeld musste sich mit dieser Sichtweise arrangieren – und bewahrte sich doch zum großen Teil das traditionelle Bezugssystem des ökonomisierten Gabentauschs. Dem Ausnahder direkten Reziprozität einzubeziehen sein) eine untergeordnete Rolle. Deswegen möge an dieser Stelle der Hinweis auf ihre Existenz genügen. 471 Vgl. Stegbauer, Freundschaft als Beziehungsform.

Der Widmungstext als Informationsträger

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mekomponisten Brahms wurde die Sonderrolle, die er sich durch sein bewusstes Abgrenzen gegenüber den bürgerlichen Prinzipien des Gabentauschs schuf, offenbar nicht geneidet – darauf deutet zumindest die sehr hohe Zahl der ihm zugeeigneten Werke hin. Für ihn gilt also die Einschätzung von Marcel Mauss nicht, der 1924 in seinem Pionierwerk zur Soziologie der Gabe festgestellt hatte: »Die nicht erwiderte Gabe erniedrigt auch heute noch denjenigen, der sie angenommen hat, vor allem, wenn er sie ohne Gedanken an Erwiderung annimmt.«472

4.

Der Widmungstext als Informationsträger

Ob und in welchem Maße die Komponisten anlässlich einer Widmung eine Entlohnung erwarteten, oder die Zueignung selber als geeignetes Mittel des Dankes und des Ausgleichs einsetzten, hängt neben der eigenen Persönlichkeit auch von ihrem Verhältnis zum Widmungsträger ab: Junge, unbekannte Komponisten spekulierten eher auf Vorteile als Freunde, die mit ihrer Zueignung vor allem einen Ausdruck ihrer Wertschätzung verbunden wissen wollten. Trotz seiner Kürze kann die genaue Formulierung des Texts der Widmung hier in vielen Fällen nützliche Hinweise geben, die die Einordnung der Beziehung zumindest erleichtern können. Vor allem die Literaturwissenschaft kennt unterschiedlichste Ansätze, den Text gedruckter Zueignungen nach seiner Ausführlichkeit und äußeren Erscheinung zu kategorisieren. Sie können an dieser Stelle nicht ausführlich diskutiert werden, es sei deswegen zur weiteren Information auf die einschlägige Fachliteratur verwiesen.473 Am sinnvollsten scheint im Fall der Widmung musikalischer Werke die grundlegende Einteilung Werner Wilhelm Schnabels.474 472 Marcel Mauss: Die Gabe. Form und Funktion des Austauschs in archaischen Gesellschaften, Frankfurt a. M. 1968, S. 157. 473 Die Vorschläge umfassen z. B.: ›Widmungstafel‹ (nach antiker Inschrift), ›Widmungsrede‹ (dargestellte zeremonielle Überreichung auf Widmungsbildern), ›Widmungsbrief‹ (gedrucktes Begleitschreiben), ›Widmungsgeste‹ (elliptische Form, nur Adressat wird genannt) und ›Widmungsvermerk‹ (am Schluss eines Vorwortes integrierte Übereignung) (vgl. Christian Wagenknecht: Widmung, in: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft 3, hg. v. Jan-Dirk Müller, Berlin 2003, S. 842–845, hier S. 842f.); alternativ z. B. Wolfgang Leiner : Unterscheidung v. a. von Dedikationen mit und ohne Widmungstext: Unterscheidung verschiedener Beschreibungsebenen (Einbindung vs. Eigenständigkeit, sprachl. Realisation, vgl. Leiner, Widmungsbrief, S. 119); Arnold Rothe: Unterscheidung in Widmungsvermerk (auf Titelblatt) und Dedikationsschreiben (dem Titelblatt nachfolgend) (vgl. Arnold Rothe: Wandlungen des Widmungsrituals, in: Formen innerliterarischer Rezeption [= Wolfenbütteler Forschungen, Bd. 34], hg. v. Wilfried Floeck, Dieter Steland und Horst Turk, Wiesbaden 1987, S. 7–20, hier S. 7). 474 Vgl. Schnabel, Dedizieren von Emblemen, S. 115–166.

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Brahms im Kontext: Zur Widmung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts

Der Literaturwissenschaftler macht anhand der Widmung von Emblematiken des 16. und 17. Jahrhunderts drei Varianten des Widmungstextes aus, die sich vor allem durch zwei Parameter voneinander abgrenzen lassen: Dedikationsabhandlung, Dedikationspassage und Dedikationsadresse lassen sich zum einen in Länge und Ausführlichkeit des Textes differenzieren und sind zum anderen an unterschiedlichen Standorten in den Kontext des Gesamtwerks integriert.475 Die Dedikationsabhandlung476 ist ein relativ ausführlicher, von Titelblatt, Vorwort und anderen Werkelementen graphisch und inhaltlich unabhängiger Text. Bis zum grundlegenden Wandel der Widmungsfunktionen im ausgehenden 18. und 19. Jahrhundert477 stellt diese Form den weitaus größten Anteil aller Widmungstexte musikalischer Werke. In der Gestalt eines Briefes wird auf einem eigenen, meist hinter dem Titelblatt eingefügten Widmungsblatt ausführlich die Intention der Zueignung erläutert. Dabei wird der Adressat persönlich angesprochen und seine großmütigen Taten und Charaktereigenschaften in oft formelhaften und standardisierten Sätzen gepriesen. In meist verschleierter Form wird schließlich um Entlohnung oder Fortsetzung der bisher gewährten Unterstützung gebeten. Über diese die Widmung direkt betreffenden Passagen hinaus bietet die Abhandlung dem Komponisten zusätzlich den Raum, um unter dem Vorwand der Zueignung der Gesamtheit der Rezipienten indirekt mögliche Werkhintergründe zu vermitteln – genannter und intendierter Adressatenkreis differieren also. In der Fachliteratur wird die Dedikationsabhandlung wegen ihrer äußeren Abfassungsform oft als Widmungsbrief478 bezeichnet. Allerdings ist dies ein Terminus, der ab dem 18. Jahrhundert wegen seiner leichten Verwechslung mit der brieflichen Bitte um Widmungserlaubnis vermieden werden sollte. Tatsächlich ist der Ursprung derselbe: So wurde in der Frühzeit der Dedikation die offizielle Bitte um Widmungserlaubnis nicht selten auch als Dedikationstext im Druck veröffentlicht. Ebenfalls recht umfangreich ist die Dedikationspassage, allerdings als Teilabschnitt eingebettet in ein allgemeines Vorwort o. ä. Inhaltlich ist sie deswegen meist beschränkt auf die Nennung des Adressaten und eine performative Zueignungsformel. Mit der im 18. und 19. Jahrhundert aufkommenden Kritik an der zunehmenden Ökonomisierung der Widmung und dem damit verbundenen Wandel der Widmungsgepflogenheiten setzt sich allerdings die Tendenz zur weiteren 475 Zu diesem Einteilungskonzept ebd., S. 125–127. 476 Einen recht ausführlichen Überblick über die Geschichte der Dedikationsabhandlung in musikalischen Werken und ihren Niedergang bietet Green, Dedications and Reception, S. 62. 477 Siehe für nähere Informationen das Kapitel I. 2 Zum Form- und Funktionswandel der Widmung musikalischer Werke. 478 Genette, Paratexte, S. 121f., verwendet das leicht abgewandelte ›Widmungsepistel‹.

Der Widmungstext als Informationsträger

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Verknappung des Zueignungstextes musikalischer Werke durch479 : Umfang und Gestalt stellen sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts recht einheitlichstereotyp dar, die Dedikationsabhandlung ist nur noch in Ausnahmefällen bekannt. Wenn Adolf Jensen noch im Jahr 1862 die Widmung seiner Romantischen Studien. Ein Cyclus von siebzehn Clavierstücken op. 8 in einer ausführlichen, an die Widmungsadressatin »Frau Johanna Köhler, geborene Bornträger« gerichteten Abhandlung in Briefform begründet, nutzt er jedoch dieselben Prinzipien wie seit jeher : Die Dedikationsabhandlung wird in der Funktion eines Vorwortes neben der Widmungsbegründung als Ort einer öffentlich zugänglichen Werkeinführung genutzt, die den Rezipienten näher mit der Komposition vertraut machen kann. Eben jener Jensen hatte allerdings im selben Jahr die Zueignung seiner Fantasiestücke op. 7 an Brahms als knappe Widmungsadresse gestaltet480, die Formulierung der 1865 folgenden Widmung der Sonate für das Pianoforte op. 25 ist ebenfalls in der kurzen Form gehalten. Auch für Jensen stellte demnach die an Johanna Köhler gerichtete Widmungsabhandlung eine Besonderheit dar, die sich aus der Notwendigkeit ergab, den ungewöhnlichen Ansatz der Kompositionen zu erklären und einige kompositorische Erscheinungen zu legitimieren.481 Üblicherweise wird nun also der Druck einer Dedikationsadresse, meist in der Form eines elliptischen Einzelsatzes, bevorzugt. Die Bezeichnung »Adresse« weist auf die Entwicklung aus der früheren Abhandlung in Briefform hin: Diese ist nun meist reduziert auf die Nennung des Empfängers.482 In einigen Fällen (so bei zwölf der 96 Brahms gewidmeten Werke) ist diese Ableitung besonders unmittelbar ersichtlich. Dann nämlich, wenn die Zueignung als dativisch gesetzter Name des Empfängers483 oder in der direkten Adressierung auftritt: »An Johannes Brahms.«484 Die Sitte der Zueignung ist also nach dem durch die harte Kritik bedingten zeitweiligen Niedergang485 wieder so üblich, 479 Das 18. Jahrhundert kann als Übergangszeit gelten. So ist bei sechs der neun Widmungen Mozarts eine ausführliche Abhandlung zu finden, vgl. Haberkamp, Erstdrucke Mozart, S. 39. 480 »An Johannes Brahms.« 481 Ziel Jensens war es, »Scenen aus dem Leben eines treuen Freundes musikalisch zu illustriren«, deren »innere[r] Zusammenhang« sich der Adressatin »wohl am ehesten enthüllen« werde. Mit eben jener Einführung versucht Jensen, eine gewisse Gestaltlosigkeit zu erklären und der zu erwartenden Kritik an einer »Neigung zum Phantastisch-Schwärmerischen, Mysteriösen« zuvor zu kommen. 482 Dies ist meist eine Form von widmen, zueignen oder dedizieren. 483 Z. B. »Herrn Johannes Brahms«, beispielsweise bei Hermann Goetz, Karl Nawratil und Anton Rückauf, oder in der tschechischen Variante »Joh. Brahmsovi« durch Josef Suk. 484 Vgl. die Widmungsadressen Jean Louis Nicod¦s, George Henschels, Carl Tausigs, Adolf Jensens und Anton†n Dvorˇ‚ks. Beide französischen Widmenden (George Alary und ElieMiriam Delaborde) verwenden genau diese Formulierung in der französischen Variante »— J. Brahms«. 485 Nur neun der Erstdrucke von Werken Mozarts tragen eine Widmung, zur Brahms-Zeit ist

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Brahms im Kontext: Zur Widmung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts

dass der direkte Ausdruck des performativen Aktes durch ein Verb wie widmen, zueignen oder dedizieren nicht unbedingt nötig ist. Arnold Rothe erklärt den damit auf linguistischer Ebene einhergehenden Wegfall des konkreten Zueignungsaktes mit einem auch durch die kriegerischen Auseinandersetzungen des Jahrhunderts geforderten »übliche[n] Zwang zur Ökonomie«.486 Allerdings ist diese These zu relativieren. Der Wegfall eines eigenen Widmungsblatts, die nun vorherrschende Integration der Widmung in das Titelblatt mag so zu erklären sein. Das Fehlen des performativen Verbs ist aber eher die Konsequenz aus der Vergangenheit der Dedikation in Briefform, von der eben nur die Adresse, gewissermaßen die Überschrift und Anrede, verbleibt.487 Überhaupt ist diese Art der Zueignung längst nicht allein üblich. Bei den Dedikationen an Brahms ist sie sogar eindeutig in der Unterzahl: 84 der 96 Widmungen beinhalten eine Form des Wortes »widmen« oder ein Äquivalent. Brahms selber hat sogar nur in einem einzigen Fall auf die Verwendung eines solchen Verbes verzichtet: Die Zueignung des Tafellieds op. 93b lautet »Den Freunden in Crefeld zum 28.ten Januar 1885«488 – schon an sich eine ungewöhnliche, da datierte Widmung, die die Komposition als anlassgebunden ausweist.489 Deswegen erscheint auch die von Genette vorgeschlagene weitere Ausdifferenzierung der Widmungsadresse in einfache Zueignung (reine Namensnennung) und begründete Zueignung (als Übergangsform der längeren Widmungsvarianten)490 für die musikalische Widmung der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als nicht zielführend: Zu selten ist die reine Namensnennung, zu wenig ausführlich und von dieser abgesetzt die begründete Zueignung. Die im 18. und verstärkt im 19. Jahrhundert in der Literatur zu beobachtende Tendenz zur Umdeutung491 des Widmungstextes ist zwar auch in der Formulierung der Zueignung musikalischer Werke vorhanden, allerdings wesentlich schwächer ausgeprägt. Das liegt vor allem daran, dass in der Literatur der Bezug auf inhaltliche Komponenten des Werks stärker sein kann. Denn der eigentliche

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die Zueignung von ca. der Hälfte der eigenen Werke üblich – die Tradition hat sich also in der Zwischenzeit wieder erholt. Rothe, Der literarische Titel, S. 365. Vgl. in ähnlichem Sinn Christian Wagenknecht: Das Taufen von Begriffen. Am Beispiel der Widmung, in: Zur Terminologie der Literaturwissenschaft. Akten des IX. Germanistischen Symposions der Deutschen Forschungsgemeinschaft Würzburg 1986, hg. v. Christian Wagenknecht, Stuttgart 1988, S. 423–436, hier S. 435. Das performative Verb fehlt umgekehrt bei über 95 % der bekannten handschriftlichen Übereignungen von Brahms – ein weiterer Hinweis auf die Unterschiedlichkeit von handschriftlicher und gedruckter Widmung. Gewidmet zur Feier des 50-jährigen Stiftungsfestes den Damen der Krefelder Konzertgesellschaft, der Textanfang lautet »Dank der Damen«. Zum Fest hatte man Brahms nach Krefeld eingeladen. Genette, Paratexte, S. 123. Z. B. die Verkürzung des Adressatennamens auf die Initialen: »Für F.« o. ä.

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Widmungsakt, der in einer symbolischen Übertragung der Rechte an einen genannten Adressaten ausgedrückt wird, weicht in diesen Fällen zurück zugunsten einer Widmung, die sich ganz in den Dienst des betreffenden Werks stellt. In einigen Fällen wird der Widmungstext literarischer Werke im Sinn einer »Ästhetisierung«492 sogar zum Bestandteil des Kerntextes selber und verliert in unterschiedlichem Maß seine ursprüngliche Funktion. Luigi Pirandello konnte auf dieser Grundlage Mattia Pascal, dem fiktiven Helden seines Romans Il fu Mattia Pascal, fünf Jahre nach der Veröffentlichung durch ein komplexen Netz an Verweisen und intertextuellen Bezügen den über die gleiche Thematik handelnden Essay Umorismo widmen.493 Der Leser soll nach der Lektüre die Verbindung ziehen, die Widmung als Teil des literarischen Konstrukts begreifen. Diese Integration in den direkten Werktext kann im Kontext der Widmung musikalischer Werke durch das intermediale Zusammenspiel unterschiedlicher Elemente wie Notenschrift und Text nicht in demselben Maße stattfinden. Wohl aber kann auch die Widmung im Zusammenspiel mit den anderen Paratexten des Drucks bewusst Hinweise auf den ästhetischen und gesellschaftlichen Kontext der Komposition geben. Olivier Messiaen verweist dementsprechend in der Widmung »en hommage — l’Ange de l’Apocalypse, qui lÀve la main vers le ciel et disant: ›Il n’y aura plus de Temps‹« seines Quatuor a la Fin du Temps direkt auf die Thematik der endzeitlichen Apokalypse des Johannes, die in der Formulierung des Werktitels wieder aufgegriffen wird. Doch dieses Spiel mit den Regeln wird erst möglich, nachdem sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts auch bei der Zueignung von Kompositionen vermehrt die Tendenz durchzusetzen beginnt, den Widmungstext und damit die Hauptinformationsquelle zu möglichen Bezügen zwischen Widmendem und Adressaten zu verschleiern. Es ist der kurz vor 1900 zunehmend einsetzende Hang zu einer »hermetischen Intimisierung«494, in dem bewusst weder das Dedikationsmotiv, noch die Art der Beziehung zwischen Widmungsschreiber und -empfänger aufgedeckt wird. In diesem Zusammenhang ist eine Dedikation wie Max Regers Zueignung seiner 10 Lieder op. 15 (1895) zu verstehen. Der Widmungstext lautet schlicht: »Dir!«495 Olivier Messiaen widmete wiederum sein ThÀme et Variations 492 Rothe, Wandlungen des Widmungsrituals, S. 17. 493 Vgl. das Kap. I. I. Die Widmung als Forschungsgegenstand: Zur Paratextforschung, hier bes. S. 24. 494 Stört, Widmung, S. 27. 495 Die Widmung bezieht sich wohl auf eine unglückliche Verlobung des 21-Jährigen – ein höchst privates Thema also. Die einzelnen Nummern tragen so bezeichnende Namen wie Scheiden (Nr. 6), Verlassen hab ich mein Lieb (Nr. 9) oder Trost (Nr. 10). Vgl. Popp, Der junge Reger, S. 178. In ähnlicher Weise gibt Hans Pfitzners Widmung seiner Sinfonie op. 46 »An die Freunde« dem Rezipienten Rätsel auf, die Adressaten sind nicht ohne weiteres zu identifizieren. Vgl. dazu Rolf Tybout: An die Freunde. Die Widmung von Hans Pfitzners Sinfonie op. 46, in: Acta Musicologica 74/2 (2002), S. 195–218.

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pour violon et piano im Erstdruck »pour «.496 Durch diese Verschleierung werden gleich mehrere bislang eminent wichtige Funktionen der gedruckten Zueignung ad absurdum geführt. Zum einen wird der Öffentlichkeitsgrad zumindest in Bezug auf das früher immer mitintendierte öffentliche »Bekenntnis« zur Person des Widmungsadressaten unwichtig, die Positionierung ihr gegenüber wird damit aufgegeben. Die Intimisierung, die in der Widmungsformulierung Messiaens so eindeutig aufscheint, wird aber in bestimmten Fällen (so bei der Widmung Regers) in gewisser Weise in ihrer Wendung zum Privaten auch zu einer Öffnung: Indem nämlich die Formulierung nun bewusst so offen gewählt ist, dass sich jeder Rezipient als Adressat angesprochen fühlen mag.497 Außerdem wird der Werbefaktor eines mit der Komposition verbundenen berühmten Namens in diesen Fällen nun endgültig nicht mehr genutzt. In heutigen Veröffentlichungen herrschen diese Spielarten der Widmung, die das originär öffentliche Phänomen entweder primär privat nutzen (und damit den Rezipienten in gewisser Weise aus dem Diskurs ausschließen) oder es im Sinn einer Ästhetisierung aller Paratexte als Teil eines Gesamtkunstwerks einsetzen, vor. Im Rahmen der Dedikation musikalischer Werke im 19. Jahrhundert stellen beide Varianten aber noch die Ausnahme dar ; es liegt in der Natur der Sache, dass unter den identifizierten Widmungen an Brahms eigentlich kein Fall zu finden sein kann. Nur ein einziges Werk ist zweifelsfrei Brahms zugeeignet, obwohl der Name des Widmungsträgers nicht genannt wird. Der Münchner Komponist Joseph Rheinberger erfuhr während der Arbeit an seiner Messe op. 187 vom Tod des Wiener Meisters, dem er bereits 1871 seine Zwei Claviervorträge über ein Thema von Händel op. 45 gewidmet hatte. Nur wem der Bezugsrahmen des Todes des nicht näher benannten Adressaten bewusst war, konnte das Motto »Sincere in memoriam« als verschleierte Dedikation an 496 Dies ist eigentlich eine doppelte Verschleierung: Die Notation muss als Chiffre des Tonbuchstabens ›Mi‹ entziffert werden, sein persönlicher Kosename für seine Ehefrau Claire Debois (1910–1959). 497 Noch stärker ist diese Öffnung gegenüber unspezifischen Adressatenkreisen beispielsweise in dem »Allen Vorurteilsfreien gewidmet[en]« Violinkonzert (1898) Joseph Miroslav Webers (1854–1906). Von einer Intimisierung kann hier nicht mehr gesprochen werden. Vielmehr wird bewusst mit einer freien Form der Widmung gespielt ; der Rezipient kann auf Grundlage der Kenntnis seiner eigenen Person selber entscheiden, ob er angesprochen ist. Gleichzeitig mag die Widmung ein subtiler Hinweis auf überraschende Inhalte des Werks sein – die eben nur »Vorurteilsfreie« verstehen werden. Vorläufer dieser Widmungen mit offenem Adressatenkreis sind in gewissem Sinn die barocken und vorklassischen Kompositionen, die im Titel eine relativ weitgefasste Zielgruppe nennen, anstatt einzelne Personen anzusprechen: Man denke nur an die Sonaten »für Kenner und Liebhaber« von C. P. E. Bach, die allerdings explizit keine Widmung darstellen. Ein sehr frühes – vielleicht das erste – Beispiel einer solch unspezifischen Widmung eines musikalischen Werks ist Johann Matthesons einsätzige Klaviersonate von 1713, »derjenigen Person gewidmet, die sie am besten spielen wird«.

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Brahms dechiffrieren. Doch diese bewusst elliptische Auslassung des Namens eines Widmungsadressaten ist die Ausnahme. Ausgehend von dieser Prämisse kann der Text einer Dedikation einige für die wissenschaftliche Auswertung wichtige Erkenntnisse liefern. Natürlich sind die nutzbaren Informationen in der knappen Form der Dedikationsadresse des 19. Jahrhunderts geringer als in ausführlicheren Widmungstexten früherer Jahrhunderte. So ist zumindest eingeschränkt Werner W. Schnabel zuzustimmen, der im Fall der einsätzigen Dedikationsadresse die »Interpretation der enthaltenen Äußerungen und deren Differenzierung nach autor-, empfänger-, publikums- und textbezogenen Anlässen und Wirkungsabsichten«498 für kaum möglich erachtet. Doch bei veränderter Fragestellung ist es keineswegs so, dass einsätzige Dedikationsadressen »kaum oder gar kein«499 auswertbares Material bieten. Dies trifft nur für die anfangs beschriebenen rein appellativen Adressierungen zu. In den Formen, die als Vollsatz ein performatives Verb enthalten, wird dem Rezipienten dagegen oft eine grundlegende Beschreibung des Verhältnisses von Widmendem und Empfänger gegeben. Gerade bei ansonsten weitgehend unbekannten Personen kann diese von unschätzbarem Wert für die biographische Kontextualisierung – und damit für eine erste Einschätzung der Widmungsintention – sein. Es sind meist adjektivische Zusätze wie »freundschaftlichst« oder »verehrungsvoll«, die Hinweise auf die persönliche Nähe zum Adressaten geben. Auch Zuschreibungen wie »dem Meister«500 oder »seinem Freunde«501 wirken in dieser Hinsicht erhellend, gerade, da Brahms selber bei der Einordnung einer Bekanntschaft oder Freundschaft genau differenzierte. Besonders dem Begriff des Freundes maß er einige Bedeutung zu. Obwohl er mit Anton†n Dvorˇ‚k bereits korrespondiert hatte und seine Werke sehr schätzte, bemerkte er beispielsweise Simrock gegenüber im Juni 1878: »Ich kenne D. nicht.«502 Dementsprechend überlegten in Analogie zum Brahms’schen Widmungsverhalten auch die Komponisten und Verleger ihrerseits sehr genau, mit welchem Text sie eine Widmung im Druck übermittelten. Die mit Bedacht gewählten Formulierungen der Texte der zwei an Brahms gerichteten Widmungen Adolf Jensens spiegeln so eine fortschreitende Bekanntschaft zwischen den beiden jungen Komponisten: Während die Fantasiestücke für das Pianoforte op. 7 1862 noch recht neutral »An Johannes Brahms« gerichtet sind, wird die Sonate (Fis moll) für das Pianoforte op. 25 nur drei Jahre später »JOHANNES BRAHMS freundschaftlichst zugeeignet«. Ob nun die Verbindung zwischen Jensen und Brahms freundschaftlich 498 499 500 501 502

Schnabel, Dedizieren von Emblemen, S. 122. Ebd. Z. B. Algernon Ashton. Vgl. die Widmung Albert Dietrichs. Brahms an Fritz Simrock, [25. Juni 1878], BW X, S. 76.

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genannt werden kann, sei dahingestellt. Unstrittig ist jedenfalls, dass sich beide Komponisten zunehmend über kompositorische Fragestellungen austauschten und dass die Brahms gewidmete Sonate ein Ergebnis dieses Austauschs darstellt.503 Wichtige Hilfestellungen konnten in dem Prozess der Wahl eines geeigneten Textes für die Zueignung die Verleger bieten, die in vielen Fällen auch bereits Werke von Brahms verlegt hatten und denen seine Vorlieben vertraut waren. Fritz Simrock riet Johann Strauss so von der gewünschten Widmungsformulierung »Herrn Doktor Brahms freundschaftlich zugeeignet«504 ab, schlug stattdessen kurz darauf das einfache »Johannes Brahms freundschaftlichst gewidmet oder besser noch Joh[annes] Br[ahms] gewidmet«505 vor. Als Begründung bemerkte er, rekurrierend auf Brahms’ eigene Gewohnheiten: »er selbst hat es so am liebsten!«506 Die sukzessive Änderung des Widmungstextes veranschaulicht das von Simrock erkannte Brahms’sche Selbstverständnis – oder vielmehr das Verständnis, das der Komponist von sich selber vermitteln wollte: Dem bekannten Ausdruck des Komponisten gemäß: »Orden sind mir wurscht, aber haben will ich sie!«507 hat Brahms selber von der öffentlichen Verwendung seines Ehrendoktortitels stets abgesehen, sicher auch um das Bild der eigenen Bescheidenheit und Bürgerlichkeit in der Öffentlichkeit zu steuern. Auch in der Planung seiner eigenen Widmungstexte betonte er wiederholt gegenüber den Verlegern die Überflüssigkeit von Titeln, holte jedoch trotzdem stets die Zustimmung des Widmungsträgers ein.508 Dementsprechend riet Simrock Strauss

503 Sie bezieht sich auf eine Unterhaltung zu Jensens Vier Impromptus op. 20, die Jensen ursprünglich als Sonate konzipiert hatte und zu der Brahms daraufhin bemerkt hatte, es seien »vier hübsche Klavierstücke, aber keine Sonate« (Heuberger, Brahms, S. 29). Die Widmung der Klaviersonate fis-Moll op. 25 stellte dann den Versuch dar, dieser Kritik eine kompositorische Antwort entgegenzusetzen. Vgl. das Kap. III. 1 Brahms contra Liszt: Der Parteienstreit aus Sicht der Widmenden, bes. ab S. 160 (zu den Vier Impromptus op. 20) und S. 183 (zur Klaviersonate fis-Moll op. 25). 504 Strauss an Simrock, 20. Februar 1892, in: Johann Strauß. Briefe und Dokumente. Bd. VI, 1892–1893, im Auftrag der Johann-Strauß-Gesellschaft Wien ges. und kommentiert v. Franz Mailer, Tutzing 1996, S. 104. 505 Strauss an Simrock, 22. März 1892, in: Mailer VI, S. 157. 506 Ebd. 507 Vgl. z. B. Alfred Orel: Johannes Brahms. Ein Meister und sein Weg (= Musikerreihe, Bd. 3), Olten 1948, S. 214. 508 Vgl. Brahms an Peter Joseph Simrock anlässlich der Widmung seines Klavierquartetts Nr. 1 g-Moll op. 25 an Baron Reinhard von Dalwigk, Mai 1863: »Wie ich ihn kenne, ist auch der Mann liberal genug, um so wenig wie ich die (noch dazu nicht wohlklingenden) Titel zu vermissen und eine Freundlichkeit so einfach anzunehmen, wie sie geboten ist«, BW IX, S. 43f. Noch vor der Verleihung des Doktortitels durch die Universität Breslau schreibt Brahms anlässlich der Widmung der Streichquartette op. 51 an Theodor Billroth: »Du hast so viele Titel, daß ich nicht weiß – welche ich weglassen soll? Wer keine zu tragen gewohnt ist, geht vorsichtiger mit dem Zeug um! – Magst Du mir wohl diese nötige Modulation angeben?« ([Juli 1873], zit. n. Gottlieb-Billroth, Briefwechsel, S. 199). Auch anlässlich der

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noch vor der Streichung des Adjektivs »freundschaftlich«, von der Verwendung des Doktortitels abzusehen. Trotzdem ist die gelegentliche Verwendung des Doktortitels in den Widmungen an Brahms von Bedeutung. Insgesamt 14 Komponisten wählten direkt ab dem Zeitpunkt der Verleihung des Titels durch die Universität Breslau 1878509 diese Variante der distanzierten, förmlichen Titulierung. Hummel, Ferdinand

Suite für Pianoforte zu vier Händen op. 15, »Herrn Dr. Johannes Brahms verehrungsvoll zugeeignet«, Berlin (Carl Paez) 1878.

Stehle, J. G. E.

5 Motetten op. 44, »Herrn Dr. Johannes Brahms hochachtungsvollst gewidmet.«, Stuttgart u. a. (Krüll) [1879].

Wolfrum, Philipp

3. Sonate für Orgel f-Moll op. 14, »Herrn Dr. JOHANNES BRAHMS in unbegrenzter Verehrung gewidmet«, München (Jos. Aibl) 1883.

Busoni, Ferruccio

6 Etüden für Klavier op. 16 (daraus Nr. 4 für die linke Hand), »Herrn Dr. Johannes Brahms verehrungsvollst gewidmet«, Leipzig (Breitkopf & Härtel) 1883. Etüde für Klavier op. 17, »Herrn Dr. Johannes Brahms verehrungsvollst gewidmet.«, Leipzig (Breitkopf & Härtel) 1884.

Seyffardt, Ernst H.

Schicksalsgesang für Altsolo, gemischten Chor und Orchester op. 13, »HERRN DR. JOHANNES BRAHMS in Verehrung zugeeignet«, Klavierauszug, Hamburg (Cranz) [1884].

Gretscher, Franz

Fantasie über »Guten Abend, gut’ Nacht« für Pianoforte, op. 55, »Herrn Dr. Johannes Brahms gewidmet«, Berlin (Simrock) 1886.

Heyssig, Alfred

Fantasie für Klavier op. 3, Johannes Brahms gewidmet, »Herrn Dr. Johannes Brahms zugeeignet«, Berlin (Simrock) [1890].

Rückauf, Anton

Klavierquintett F-Dur op. 13, Stimmen, »Herrn Dr. Johannes Brahms«, Leipzig (Kistner) [1891].

Hessen, A. F. von

Fantasiestück für Klavier op. 2, »Herrn Dr. Johannes Brahms in Verehrung gewidmet«, Frankfurt (Steyl & Thomas) 1892.

Stöckhardt, Reinhold

3 Klavierstücke op. 10, »Herrn Dr. Johannes Brahms in herzlicher Verehrung gewidmet«, Berlin (Raabe & Plothow) [1894].

Hinton, Arthur

»Weiße Rosen« (Josef Huggenberger), Lieder, »Dr. JOHANNES BRAHMS verehrungsvoll gewidmet.«, München (Schmid) o. J. [ca. 1894–1896]

Tilike, Ilda

Zigeunerlied op. 103,7 übertragen für Pianoforte, »Herrn Dr. Johannes Brahms gewidmet«, Berlin (Simrock) 1896. Sapphische Ode op. 94,4 übertragen für Pianoforte, »Herrn Dr. JOHANNES BRAHMS. gewidmet«, Berlin (Simrock) 1896.

Rabl, Walter

Quartett für Klavier, Violine, Clarinette (oder Bratsche) und Violoncell op. 1, »Herrn Dr. Johannes Brahms verehrungsvoll zugeeignet«, Berlin (Simrock) 1897.

Uysdal, H[anka]

Lieder für Tenor und Sopran mit Klavier, Heft I (Abendlied: »Herrn Dr. Johannes Brahms gewidmet«), Wien (Selbstverlag) o. J.

Widmung der Rhapsodien op. 79 fragte er Elisabeth von Herzogenberg an, ob sie mit ihrem Adelstitel genannt sein wolle ([Mai 1880], BW I, S. 114). 509 Der Titel wurde Brahms im März 1878 verliehen, schon im selben Jahr wurde er durch Ferdinand Hummel zur Widmung seiner Suite für Pianoforte zu vier Händen op. 15 verwendet.

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Neben der sich dadurch bietenden Möglichkeit einer ungefähren Datierung von Drucken ohne Jahr510 deutet sie auf die Wertschätzung akademischer Titel und Strukturen durch den Widmenden.511 Die Komponisten waren offenbar auf größtmögliche Formalität des Widmungstextes bedacht. Bei Betrachtung der Dedikationen lassen sich zwei plausible Gründe für diese distanzierte Haltung finden: Zum einen ist der Zusatz »Dr.« in den meisten Fällen ein Hinweis darauf, dass keine direkte persönliche Verbindung zu Brahms bestand. Während bei acht der Komponisten gar keine Bekanntschaft vor dem Widmungszeitpunkt nachzuweisen ist512, ist der Kontakt der übrigen zum Adressaten ihrer Dedikation allenfalls als locker oder nur sporadisch und höchst unregelmäßig zu bezeichnen. Kurz vor der Zueignung des Klavierquintetts F-Dur op. 13 von Anton Rückauf informierte Brahms beispielsweise den Verleger Simrock, der ihn – wegen der möglichen Drucklegung einiger Werke – um Informationen gebeten hatte, er habe Rückauf »lange nicht gesehen und von ihm was gehört«, könne also »nichts Rechtes« über ihn sagen und keine nähere Auskunft über die Qualität seiner Arbeiten geben.513 Daneben sind die Widmenden oftmals wesentlich jünger als der Adressat ihres Werks und nicht mehr der Generation um Brahms zugehörig. So sind immerhin acht der vierzehn Widmenden mehr als 20 Jahre jünger als Brahms, bei drei weiteren ist das Geburtsdatum nicht bekannt.514 Heinrich von Herzogenberg eignete dem »hochverehrten Freunde« seine Drei Streichquartette für 2 Violinen, Bratsche und Violoncell op. 42 zu. Die in der 510 Die Widmungen können erst nach der Ernennung zum Ehrendoktor der Universität Breslau im Jahr 1878 vorgenommen worden sein. In vielen Fällen kann allerdings auch ohne diesen Hinweis aus Plattennummer des Drucks oder der Stelle des Eintrags in Brahms’ eigenhändiger Widmungsliste (A-Wst, Sign.: H.I.N.–67452) eine einigermaßen genaue Datierung vorgenommen werden. Nur Hanka Uysdals Abendlied – im Eigenverlag erschienen und nicht in der Liste der Widmungen verzeichnet – konnte bisher gar nicht datiert werden. Es muss also dem Widmungstext zufolge zumindest nach 1878 gedruckt worden sein. 511 So wird es kein Zufall sein, dass beispielsweise gerade Philipp Wolfrum bei der Widmung seiner 3. Orgelsonate an Brahms diesem den Doktortitel beisetzt. Wolfrum selber erhielt kurz nach der Widmung einen Ruf an die Universität Heidelberg. Ihm lag also als akademisch Tätigen die korrekte Verwendung solcher Titel nahe. Gleichzeitig hatte er selber aber mehrfach Probleme, seine eigene Professur wissenschaftlich zu legitimieren: Erst nach einigen Jahren der Lehrtätigkeit wurde er von der Universität Leipzig promoviert. 512 Dies betrifft Gretscher, Hinton, Hummel, Stehle, Stöckhardt, Tilike, Uysdal, Wolfrum. 513 Brahms an Simrock, [30. Oktober 1890] (BW XII, S. 33). Auch das Widmungswerk, »ein neues Klavier=Quar= oder Quintett« wird in dem Brief erwähnt. Simrock nahm allerdings von der Veröffentlichung Abstand, das Quintett erschien 1891 bei Kistner im Druck. Zuvor hatte Brahms Rückauf in den Jahren 1878 und 1879 in seiner Eigenschaft als Kommissionsmitglied für das Staatsstipendium empfohlen. 514 Mehr als 20 Jahre jünger sind: Busoni, v. Hessen, Hinton, Hummel, Rabl, Rückauf, Seyffardt, Wolfrum. Nicht zu ermitteln war das genaue Geburtsdatum von Tilike, Uysdal und Heyssig.

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Forschung unbestrittene Ambivalenz seiner Beziehung zu Brahms spiegelt sich im Widmungstext. Zwar bezeichnete er den berühmteren Kollegen, gerechtfertigt durch den langjährigen persönlichen Kontakt, als »Freund«. Doch entschied er sich – sicher nicht zufällig – für den in diesem vertrauten Rahmen etwas steif anmutenden Zusatz »hochverehrt«. Auch ihm war bewusst, dass Brahms seine kompositorischen Versuche fast geringschätzte, dass er eher den Kontakt zu Herzogenbergs Frau Elisabeth aufrechterhielt.515 Eine gewisse Distanz, eine gefühlte Unterlegenheit des Widmenden in kompositorischen Belangen ist spürbar. Walter Rabl widmete Brahms nach dem Gewinn des Wettbewerbs der Wiener Gesellschaft der Musikfreunde und nach der danach erfolgten Empfehlung des Werks an den Verleger Simrock die Preiskomposition, ein Quartett für Klavier, Violine, Clarinette (oder Bratsche) und Violoncell op. 1, mit den Worten »Herrn Dr. Johannes Brahms verehrungsvoll zugeeignet«.516 Schon anhand des Widmungstextes werden verschiedene Hinweise darauf gegeben, dass zwischen Brahms und Rabl keine tiefere persönliche Bekanntschaft bestand: Rabl verwendet das unpersönlichere »Herr«, den akademischen Titel »Dr.« und den Zusatz »verehrungsvoll«. Alles deutet darauf hin, dass der 1873 geborene Rabl Brahms als Meister und Vorbild seiner eigenen Generation junger Komponisten sah. Dies umso mehr, da Brahms sich eindeutig für die Kompositionen des jungen Kollegen einsetzte: als Preisrichter des Wettbewerbs und in der Empfehlung an Simrock.517

515 Vgl. zum Verhältnis des Ehepaares Herzogenberg zu Brahms Behr, Brahms, S. 32ff und Bernd Wiechert: Heinrich von Herzogenberg. Studien zu Leben und Werk, Göttingen 1997. 516 Walter Rabl: Quartett für Klavier, Violine, Clarinette (oder Bratsche) und Violoncell op. 1, Berlin 1897. 517 Die skizzierten möglichen Erkenntnisse zum biographischen Kontext lassen sich beim Blick über das enge Brahms-Umfeld hinaus noch erweitern: Auch die Qualität und die Zielgruppe der Kompositionen kann beleuchtet werden. Allein der Name Brahms spricht für einen gewissen Qualitätsstandard. Wenn nun aber Giuseppe Martucci seine Sonata per Violino e Pianoforte op. 22 (ca. 1876) »All’Esimio Dilettante FERDINANDO ALVAREZ DI TOLEDO« widmet, dem »hervorragenden Dilettanten« also, ist die ganz spezielle Zielgruppe des Werks über die Person des Widmungsträgers hinaus klar umrissen: Der fähige Laie sollte in der Lage sein, das Werk aufzuführen – gleichzeitig also ein impliziter Fähigkeitsnachweis jedes Instrumentalisten, der die Aufführung wagt.

III.

Netzwerk »Brahms gewidmet«

Beim Blick auf die Gruppe jener 88 Freunde, Bekannten und Kollegen, die Brahms eines oder mehrere ihrer Werke widmeten, bildet sich ein vielschichtiges Geflecht aus Freundschaft, Kollegialität, gegenseitiger Bewunderung, Verpflichtung und Wohlwollen ab: Aus der Summe aller Relationen ergibt sich ein komplexes, weit gefächertes Netzwerk, in das alle Protagonisten über ihre Widmung an Brahms eingebunden sind.518 Die Akteure sind freilich vielfältigen unterschiedlichen Einflüssen ausgesetzt519, ihr berufliches und privates Umfeld, ihre Ausbildung und Herkunft (in allen Bedeutungsebenen des Wortes520) prägte ihre kompositorische Tätigkeit und muss sich auch auf ihre Beziehung zu Brahms ausgewirkt haben. Brahms wird dementsprechend im Rahmen der Zueignungen in verschiedenen Rollen angesprochen: Als guter Freund, Kollege, als Hauptvertreter der ›Konservativen‹, als Deutscher oder Wiener – immer ist aber sein Status als bedeutender Komponist der Gegenwart von Belang. Die verschiedenen Sichtweisen auf Brahms spiegeln sich im Idealfall auch in den Umständen der Widmungsakte und nicht zuletzt in den Widmungswerken selber, die damit zu Zeugnissen einer teils sehr differenzierten und personalisierten Brahms-Rezeption werden. Doch in der Gesamtstruktur des Netzwerks der Widmenden werden auch übergeordnete Rezeptionsmuster erkennbar, in deren Kontext individuelles Handeln erst richtig einzuordnen ist. Denn einerseits ist – so die These der Sozialen

518 Brahms stellt das Zentrum und Bindeglied dar. Das Netzwerk der dedizierenden Komponisten ist demnach personenzentriert: Sein ausschließendes Merkmal ist die über die Zueignung manifestierte Verbindung aller Teilhaber zu einer einzigen Person. 519 Denn es handelt sich bei diesem Beziehungsnetzwerk natürlich keinesfalls um einen isolierten Mikrokosmos, die Widmung an Brahms ist vielmehr ein möglicher Filter, der es zulässt, einen Ausschnitt eines größeren Zusammenhangs unter einem besonderen Blickwinkel zu betrachten. Die Protagonisten sind immer zusätzlich als Teil ihrer jeweiligen kulturellen und gesellschaftlichen Sphäre, besonders aber als Mitglieder der Musiklandschaft des 19. Jahrhunderts zu verstehen. 520 Also u. a. national, gesellschaftlich und familiär.

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Netzwerk »Brahms gewidmet«

Netzwerkanalyse521 – »das Ganze mehr als die Summe seiner Teile«522, andererseits wird aus der Betrachtung strukturellen Verhaltens auch das Handeln des Individuums verständlicher.523 Die Verortung aller Widmenden innerhalb des Netzwerks »Brahms gewidmet« lässt also – so die These – den Rückschluss auf Besonderheiten bei der Dedikation bestimmter Personengruppen zu. Wenn davon ausgegangen wird, dass nur solche Komponisten eine Widmung an Brahms in Betracht zogen, die seine kompositorische Arbeit wertschätzten, wird aufgezeigt, in welchen Kreisen Brahms besonders rezipiert wurde – ein Fingerzeig auf seine Stellung in verschiedenen Kreisen seiner Zeitgenossen. Zwischenmenschliche Kontakte sind die Grundlage eines jeden Personennetzwerks. Um die Verortung524 einer Person im Geflecht der Beziehungen nachvollziehen zu können, müssen möglichst alle Relationen zwischen ihr und den anderen Akteuren des jeweiligen Netzwerks betrachtet werden.525 Mit wem und auf welcher Ebene interagiert diese Person? An welcher Stelle finden sich Verknüpfungen, treffen sich Freunde oder Bekannte? Zumindest eine Verbindung zu Brahms kann vorausgesetzt werden: Getreu der Maxime, dass »soziale Phänomene« – und als solche sind Widmungen zu werten – »Ausdruck der Beziehungen zwischen den Elementen sozialer Systeme«526 seien, ist eine jede 521 Der theoretische Ansatz der Untersuchung sozialer Netzwerke ist in der Sozialen Netzwerkanalyse (kurz: SNA) zu verorten, die mit ihren grundlegenden Ansatzpunkten genau an den eben formulierten Überlegungen anknüpft. Erwachsen ist die SNA aus der allgemeineren Netzwerkforschung, als deren Begründer Jacob Moreno (Who shall survive? foundations of sociometry, group psychotherapy and sociodrama, New York 1936) gilt. Für einen kurzen historischen Abriss der Netzwerkforschung siehe Michael Schneck: Die Wurzeln der Netzwerkanalyse, in: Stegbauer/Häußling, Handbuch Netzwerkforschung, S. 21–28. 522 Christian Stegbauer: Weak und Strong Ties. Freundschaft aus netzwerktheoretischer Perspektive, in: Netzwerkanalyse und Netzwerktheorie. Ein neues Paradigma in den Sozialwissenschaften, hg. v. Christian Stegbauer, Wiesbaden 2008, S. 105–119, hier S. 13. 523 Ebd., S. 22. 524 Ein Netzwerk wird als ein abgegrenzter Set von Knoten und ein Set der für diese Knoten definierten Kanten verstanden und visualisiert. Jeder Knoten ist die formale Repräsentation einer in das Netzwerk eingebundenen Person, jeder Kanten illustriert eine Relation zwischen zwei Knoten. Die Kanten bilden damit als Ausdruck von Beziehungen die Untersuchungsgrundlage einer jeden Netzwerkanalyse. Freilich ist die unreflektierte Darstellung der Beziehungen als Netzwerk nicht zielführend. Eine jede Betrachtung muss in dem kritischen Bewusstsein erfolgen, dass zwischenmenschliche Beziehungen hierarchisch sind – ein Umstand, der in der bislang üblichen zweidimensionalen Visualisierung, in der alle Kontakte zunächst gleichwertig sind, nicht gespiegelt wird. Vgl. die entsprechende Kritik am Konzept der Netzwerkforschung durch Jürgen Osterhammel: Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts, Jubiläumsausgabe München 2013, S. 1010. 525 Christian Stegbauer (Hg.): Netzwerkanalyse und Netzwerktheorie. Ein neues Paradigma in den Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2010. 526 Jessica Haas und Thomas Malang: Beziehungen und Kanten, in: Stegbauer/Häußling, Handbuch Netzwerkforschung, S. 89–98, hier S. 89.

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Zueignung als materielle und ideelle Manifestation einer spezifischen Beziehung zwischen der Person des Widmenden und des Adressaten zu lesen. Jedweder Urheber einer Dedikation ist demnach in irgendeiner Weise – direkt oder indirekt, persönlich oder mittelbar – mit Brahms verbunden, die Spannweite reicht von enger Freundschaft über Kollegialität bis hin zu einer ersten Kontaktaufnahme, die durch die Bitte um Widmungserlaubnis markiert wird.527 Hat ein Widmender vor der Dedikation keinen persönlichen Kontakt zu Brahms gehabt, ist seine Einbindung in den engen Brahms-Kreis (der an vielen Punkten mit dem Netzwerk der Widmenden übereinstimmt) besonders aufschlussreich. Denn »Beziehungen sind ›transitiv‹. Damit ist gemeint, dass Beziehungen über Freunde vermittelt werden, d. h. sie sind vom bestehenden Beziehungsnetz abhängig.«528 Die Schnittstellen der Netzwerkstruktur können demnach potenzielle Wege der Kontaktaufnahme zu Brahms aufzeigen, tatsächlich geschieht die erste Annäherung überdurchschnittlich oft über eine sogenannte »bridge«, also über die Vermittlung eines anderen Mitglieds des Netzwerks.529 Ausschlaggebend ist für die Bewertung der spezifischen Beziehung zu Brahms grundsätzlich der Widmungszeitpunkt. Denn Beziehungen sind dynamisch: Gerade die 527 Im Sinn des Soziologen Mark Granovetter, der grundsätzlich zwischen starken und schwachen Verbindungen (»strong ties« bzw. »weak ties«) unterscheidet, sind bereits die notwendige Kommunikation anlässlich einer Dedikation an sich und die Widmung selber als schwaches Band zwischen den beiden Protagonisten zu werten. Vgl. zum Konzept Mark Granovetter: The Strength of Weak Ties, in: American Journal of Sociology 78 (1973), S. 1360–1380. S. 1361: »The strength of a tie is a (probably linear) combination of the amount of time, the emotional intensity, the intimacy (mutual confiding), and the reciprocal services which characterize the tie.« Vgl. zum soziologischen Hintergrund, der die Komponisten zur Bitte um Widmungserlaubnis verpflichtete, das Kapitel II. 2 Die Widmung als kommunikativer Akt. 528 Christian Stegbauer: Freundschaft als Beziehungsform. Von der Formalen Soziologie zu Harrison White, in: Strong ties, weak ties. Freundschaftssemantik und Netzwerktheorie, hg. v. Natalie Binczek und Georg Stanitzek, Heidelberg 2010, S. 311–330, hier S. 325. Vgl. auch Granovetters Konzept der ›forbidden triad‹ (Granovetter, Strength of Weak Ties, S. 1363). 529 Dem bridge-Konzept zugrunde liegt die Annahme, dass zwei gute Bekannte einer Person sich mit einiger Wahrscheinlichkeit auch gegenseitig kennen werden – je enger die Freundschaft zur gemeinsamen Bezugsperson, desto wahrscheinlicher ist die über diese vermittelte Bekanntschaft untereinander : Es ist also keine Überraschung, dass Albert Dietrich, nachdem er in den Kreis Schumanns eingeführt worden war, bald über diesen Kontakt auch Brahms kennenlernte. Natürlich steht Brahms ab einem gewissen Zeitpunkt als international bekannter Komponist im Fokus der musikinteressierten Öffentlichkeit, sodass ein emotionaler Bezug zu Person und Werk auch über die Rezeption seiner Kompositionen aufgebaut werden konnte. Trotzdem ist in vielen Fällen, gerade für Komponisten, die aus anderen Ländern stammten, oder in ihrer ästhetischen Musikanschauung eher der ›neudeutschen Schule‹ nahestanden eine Vermittlung über einen gemeinsamen Bekannten nachweisbar. Aus den Verflechtungen und Querverbindungen zwischen allen Mitgliedern des Netzwerks »Brahms gewidmet« ergeben sich demnach Anhaltspunkte, wie Außenstehende Bezüge zum späteren Widmungsträgers herstellten, um schließlich durch die Widmung selber Eingang in das Beziehungsnetz zu erlangen.

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Widmung des Klaviertrios C–Dur op. 22 ist so der Startpunkt eines gesteigerten Interesses, das Brahms den Werken des jungen Robert Fuchs entgegenbrachte530 – und wird zum Ausgangspunkt einer langjährigen Bekanntschaft, die Fuchs auch in der Gestaltung seines beruflichen Fortkommens half.531 Andere Komponisten wie Eugen Philips oder Franz Gretscher hatten dagegen nach dem abgeschlossenen Widmungsakt keine verbürgte Verbindung mehr zu Brahms. Die Widmung bleibt in diesem Fall Ausdruck eines singulären Kontakts. In der Summe der unterschiedlichen Widmungsakte zeigt das Netzwerk somit auch soziale Strukturen, Aufstiegs- und Freundschaftsstrategien, die mit einer Zueignung verfolgt werden konnten. Grundsätzlich dient die Kenntnis der Art der Beziehung eines Widmenden zu seinem Adressaten532 nicht nur der Auswertung des Netzwerks, sondern kann auch bei der Werkanalyse von Interesse sein. Denn besonders die Widmungen guter Freunde und Bekannte gehen von einem oftmals intimen, von Brahms selber gesteuerten Zugang zu den Werken des Adressaten aus. Die Komponisten 530 Dies galt auch für andere Komponisten. An Edmund Astor schrieb Brahms: »Für Fuchs, Perger und Thieriot wäre ich Ihnen gern und herzlich verbunden; auf das letztere Werk bin ich recht begierig.« ([5. Oktober 1890], BW XIV, S. 389). Alle drei Komponisten hatten Brahms zuvor eine ihrer Kompositionen gewidmet. 531 So bot Brahms Fuchs wiederholt finanzielle Hilfe an, vermittelte Aufführungen seiner Werke und empfahl seine Kompositionen verschiedenen Verlegern. Vgl. zur Beziehung zwischen Brahms und Fuchs grundlegend Peter Schmitz: Zögling und Übervater? Zum Verhältnis der Komponisten Robert Fuchs und Johannes Brahms, in: Sandberger, Spätphase(n)?, S. 183–195. Vgl. zur Rolle weiterer Widmungen bei der Annäherung Fuchs’ an Brahms Kap. III. 3, ab S. 244. Dazu auch Adalbert Grote: Robert Fuchs. Studien zu Person und Werk des Wiener Komponisten und Theorielehrers (= Berliner musikwissenschaftliche Arbeiten, Bd. 39), München u. Salzburg 1994, S. 23–25. 532 Es würde zu weit führen, an dieser Stelle die soziologische Kategorisierung von Beziehungen zu thematisieren. Verwiesen sei auf Jan Mewes: Soziologische Theorien persönlicher Beziehungen, in: ders.: Ungleiche Netzwerke – Vernetzte Ungleichheit. Persönliche Beziehungen im Kontext von Bildung und Status, Wiesbaden 2010, S. 19–41. Um die unterschiedliche Beziehungsintensität zwischen den zwei Hauptakteuren einer Dedikation im Rahmen der Widmungsforschung wissenschaftlich auswerten zu können, ist für Genette, Paratexte, S. 128f., der Anspruch der Zueignung entscheidend: Widmungen an private Adressaten stellen eine persönliche Beziehung in den Mittelpunkt, die Wahl eines öffentlichen Adressaten betont dagegen die Aspekte einer öffentlichen Beziehung. Einen möglichen Kritikpunkt führt Genette selber an: Da es sehr wohl möglich ist, eine private Beziehung zu einem öffentlichen Adressaten zu pflegen und da sich private und öffentliche Anteile einer Widmung mitunter stark vermischen können, ist eine Einordnung in einigen Fällen unmöglich. Darüber hinaus wird der Fokus sehr stark auf den Blickwinkel des Widmenden gelegt und implizit ausgedrückt, dass es sich um eine einseitige Beziehung handele. Doch beide Seiten sind wichtig. Auch das spezifische Interesse (oder Nicht-Interesse), dass Brahms den ihm widmenden Komponisten entgegenbrachte, ist von Belang – an dieser Stelle greift das Instrumentarium Genettes zu kurz. Eine logische und konsistente Systematisierung von Beziehungsgraden ist allerdings ohnehin kaum zu erreichen. Denn Beziehungen sind nicht objektiv messbar (Stegbauer, Freundschaft, S. 317), dafür in ihrer Entwicklung dynamisch und in ihrer Bewertung subjektiv.

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mögen deswegen, falls eine kompositorische Bezugnahme vorliegt, andere Strategien der Annäherung wählen, als Personen, die Brahms nicht persönlich kannten. So kann die Zueignung auch der konkrete Ausdruck gegenseitiger kompositorischer Hilfestellung sein und sogar zum Ausgangs- oder Endpunkt eines komplexen künstlerischen Dialogs werden: Brahms widmete Joseph Joachim sein Violinkonzert D-Dur op. 77, weil er von diesem Ratschläge hinsichtlich der Gestaltung des Violinparts erhalten hatte und ihm die Endgestalt des Werks dementsprechend viel verdankte.533 Felix Otto Dessoff und Julius Stockhausen eigneten umgekehrt Brahms genau jene Kompositionen zu, über die sie sich zuvor mit dem späteren Widmungsadressaten ausgetauscht hatten. Freilich hatte Stockhausen vergeblich auf eine unmittelbare Bewertung gehofft. Doch schließlich wurde die Dedikation, obwohl die öffentliche Reaktion auf die Vier Gesänge keinesfalls negativ534 war, Ausgangspunkt einer – späten – Werkkritik. Sie erfolgte als kompositorische Replik: 1877 komponierte Brahms zur Taufe von Stockhausens erstem Sohn ein »Wiegenlied für Klein u. Groß frei nach H. H. und Jul. St.«.535 Grundlage bildete das dritte der ihm gewidmeten Lieder, So blinken die Wellen. Der hintergründige Begleitbrief zur Übersendung der Brahms’schen Liedvariante, die später als Es liebt sich so lieblich im Lenze op. 71/1 veröffentlicht wurde, zeigt, dass Brahms tatsächlich eine kompositorische Antwort auf die Widmung Stockhausens intendiert hatte: »Morgen seid Ihr gewiß guter Laune u. du nimmst auch einen schlechten Witz nicht übel. Aber ich finde kein Wiegenlied für kleine – u. keine Melodie zu einem für große Kinder. – Nehme ich wo ich finde u. Du siehst daß auch gar Deine Musik fortzeugt!«536

Es wurde in der Brahms-Forschung bereits darauf hingewiesen, dass Es liebt sich so lieblich im Lenze eigentlich eine kompositorische Verbesserung des von Brahms als ungelenk empfundenen Versuchs Stockhausens darstellt.537 Dies ist 533 Vgl. z. B. die ausführlichen Korrespondenzen von Brahms und Joseph Joachim zu ihren jeweiligen in Entstehung begriffenen Kompositionen (BW Vund VI). Immer wieder schickt Brahms Manuskripte seiner noch ungedruckten Werke auch an andere Freunde, u. a. an Clara Schumann. Seinerseits beriet er Bekannte wie Felix Otto Dessoff oder Julius Stockhausen auch hinsichtlich kompositorischer Probleme in ihren Werken. 534 Vgl. z. B. die Rezension in SmW 47 (1872), S. 737: »Und da müssen wir denn sagen, daß diese Bekanntschaft uns eine sehr erfreuliche ist, indem aus jedem Lied ein feines, distinguirtes Talent hervorleuchtet, und überall Wohlgelungenheit der Charakterisirung und verständnißinniges Eingehen in die vom Dichter vorgezeichnete Stimmung sich mit anziehendem und dabei natürlich=ungezwungenem melodischen Gebahren verbindet. Daß auch der gesanglichen Wohlangemessenheit und Dankbarkeit auf ’s Beste Rechnung getragen ist, kann am Ende bei einem Stockhausen nicht Wunder nehmen.« 535 Überschrift des Stockhausen übersandten Autographs (McCorkle, Brahms-Werkverzeichnis, S. 303). 536 Brahms an Julius Stockhausen, [1. April 1877], BW XVIII, S. 130. 537 In diesem Sinn z. B. Behr, Brahms, S. 18–20.

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schon daran zu erkennen, dass Brahms sich nicht am Originaltext Heinrich Heines orientiert, sondern die textlichen Anpassungen Stockhausens übernimmt.538 Die Grundstruktur der Vertonung bleibt ebenfalls erhalten, nach der unveränderten Übernahme der Anfangstakte beginnt allerdings eine sukzessive Umarbeitung auf allen Ebenen, Brahms führt seine Variante weitaus weniger schematisch fort als Stockhausen. Es sind Veränderungen im Detail, die Stockhausen unweigerlich klarmachen mussten, wie kritisch Brahms seinem Kompositionsversuch gegenüberstand. So ist die grundsätzliche arpeggierte Bassbewegung zu den Wörtern »Ein Reiter« beibehalten – allein die neu eingefügten Triolen mit ausgespartem mittlerem Ton zeugen von der kompositorischen Raffinesse von Brahms. Wichtigste inhaltliche Änderung ist allerdings mit Sicherheit die Rückkehr der Endtakte zum Beginn des Liedes, die der ursprünglichen, ironisch gefärbten Intention Heines gerechter wird. Es ist es an dieser Stelle nicht das Ziel, kompositorische Entscheidungen im Einzelfall durch biographische Momente erklären zu wollen. Dies entspricht der durchaus kritischen Sicht der heutigen Musikwissenschaft auf die Methodik der Biographik.539 Trotzdem können aber die Hinweise für eine differenzierte Rezeptionsforschung im eben skizzierten Sinn genutzt werden.540 Deswegen wird versucht, über die Umstände der Widmungen Facetten verschiedener BrahmsBilder zu extrahieren: Wie wurde Brahms im Umfeld der ästhetischen Diskussionen des Parteienstreits positioniert? Gab es durch die nationale und kulturelle Herkunft (mit-)bestimmte besondere Sichtweisen auf Brahms? Oder : 538 U. a. Peter Jost: Brahms als Liedkomponist. Studien zum Verhältnis von Text und Vertonung, Stuttgart 1992, S. 95. 539 Vgl. zu den (zeitgenössischen) Versuchen, Werke von Brahms durch inhaltsästhetische und biographische Methoden zu deuten Christian Martin Schmidt: Johannes Brahms und seine Zeit, 2. durchges. Aufl., Laaber 1998, S. 160–163. Ausgehend von der grundlegenden Kritik von Autoren wie Carl Dahlhaus (z.B. Dahlhaus, Biographien, S. 82) und Hermann Danuser (z.B. Kann Poetik die Biographik retten?, in: Melos/NZ 1 [1975], S. 286–287), die der Biographik in unterschiedlicher Radikalität das Existenzrecht absprechen, wird allerdings zunehmend differenziert: Die Biographik wird mittlerweile durchaus in der Verknüpfung mit anderen musikwissenschaftlichen Teildisziplinen (wie der Rezeptionsforschung) als legitimes (Hilfs-)Mittel zur Beantwortung spezifischer musikwissenschaftlicher Fragestellungen verstanden. Klar ist dagegen die Ablehnung der heroenfixierten Biographik des 19. und besonders der problematischen ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts (vgl. dazu allgemein die Aufsätze in: Musik und Biographie. Festschrift für Rainer Cadenbach, hg. v. Cordula Heymann-Wentzel und Johannes Laas, Würzburg 2004. Darin bes. Arnfried Edler: Zum Verhältnis von musikalischer Biographik und Gattungsgeschichte, S. 234–244 und Beatrix Borchard: Mit Schere und Klebstoff. Montage als wissenschaftliches Verfahren in der Biographik, S. 30–45). 540 Vgl. bes. Peter Ahnsel: Die Entschlüsselung der musikalischen und außermusikalischen Sinngebung eines musikalischen Werkes durch biographische und enstehungsgeschichtliche Forschungen, in: Wozu Biographik? Zur Rolle biographischer Methoden in Vermittlungsprozessen und Musikanalyse. Bericht über die Tagung der Fachgruppe »Musikwissenschaft und Musikpädagogik« der Gesellschaft für Musikforschung, Lüneburg 30. November – 1. Dezember 2002, hg. v. Andreas Waczkat, Rostock 2003, S. 12.

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Welchen Einfluss hatte das Studium an einem bestimmten Konservatorium auf das Brahms-Bild? Biographische Untersuchungen bilden also nur den Ausgangs-, nicht den Endpunkt der Überlegungen.

1.

Brahms contra Liszt: Die Widmungen aus Perspektive des historisch-ästhetischen Parteienstreits

Im Koordinatensystem der musikästhetischen Landschaft der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ist die Verortung des einzelnen Komponisten bestimmt durch ein komplexes Geflecht aus Eigen- und Fremdpositionierungen, die sich aus dem kompositorischen Schaffen und aus der zeitgenössischen Rezeption ergeben. In der Bewertung des ausgerufenen Parteienstreits und seiner Diskussion um die zukünftige ästhetische Ausrichtung der Musik in seiner Relevanz für die Schaffenswelt des einzelnen Komponisten hat sich deshalb in der Forschungsliteratur eine differenzierte Sichtweise etabliert.541 Dies liegt vor allem an der mittlerweile unstrittigen Erkenntnis, dass der Absolutheitsanspruch der Parteienbildung und des Gegensatzes zwischen der sogenannten ›Neudeutschen Schule‹ und den ›Konservativen‹ so nicht aufrecht zu erhalten sei. Denn es wird schnell deutlich, dass die in den teils polemischen Positionierungen der Zeitgenossen542 und in der frühen publizistischen und musikwissenschaftlichen Aufarbeitung543 so streng formulierte Grenze zwischen den Lagern in vielen 541 An aktueller Literatur sind besonders zu nennen: Thomas Kabisch: Konservativ gegen Neudeutsch, oder : Was heißt »Außermusikalisch«?, in: Ehrmann-Herfort u. a., Europäische Musikgeschichte 2, S. 831–879; Wolfram Steinbeck: Die Neudeutschen, Franz Brendel und die nationale Idee eines vereinten Europa, in: Weimarer Liszt-Studien 5, Laaber 2008, S. 51–61; Ulrich Tadday : Tendenzen der Brahms-Kritik im 19. Jahrhundert, in: Sandberger, Brahms-Handbuch, S. 112–127, Wolfgang Sandberger : »Altdeutsch« versus »Neudeutsch« – aus der Sicht von Johannes Brahms, Dr. i. Vorb. sowie der für 2015 angekündigte Sammelband Die Neudeutsche Schule. Dokumente zum musikalischen Parteienstreit im 19. Jahrhundert, hg. v. Detlef Altenburg u. a., Köln Dr. i. Vorb. Immer noch relevant sind auch Norbert Meurs: Neue Bahnen? Aspekte der Brahms-Rezeption 1853–1868 (= Musik und Musikanschauung im 19. Jahrhundert. Studien und Quellen, Bd. 3), Köln 1996; Christian Martin Schmidt: Rezeption, in: ders.: Johannes Brahms und seine Zeit, Laaber 1998, S. 155–170; Robert Determann: Begriff und Ästhetik der »Neudeutschen Schule«. Ein Beitrag zur Musikgeschichte des 19. Jahrhunderts (= Sammlung musikwissenschaftlicher Abhandlungen, Bd. 81), Baden-Baden 1989; Imogen Fellinger : Brahms und die Neudeutsche Schule, in: Brahms und seine Zeit. Symposion Hamburg 1983, hg. v. Constantin Floros, Hans Joachim Marx u. Peter Petersen (= Hamburger Jahrbuch für Musikwissenschaft, Bd. 7), Laaber 1984, S. 159–169. 542 So z. B. Eduard Hanslick für die konservative Seite und Franz Brendel sowie (anfangs) Hans von Bülow für die ›Neudeutschen‹. 543 In dieser Tradition steht beispielsweise Max Kalbecks umfangreiche Brahms-Biographie, die die Unterschiede zwischen Brahms und Liszt bzw. Wagner akzentuiert.

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Fällen eine gewisse Unschärfe aufweist und Schwellencharakter besitzt. Jeglicher Abstufungsgrad, von Toleranz und Akzeptanz beider Pole bis hin zur extremen Polemisierung und kompromisslosen Verfechtung des Wahrheitsanspruchs einer Position, tritt unter den Protagonisten auf. Auch der Wandel der persönlichen Einstellung ist nicht selten zu beobachten – an so berühmten Beispielen wie dem früheren Wagner-Anhänger und späteren Brahms-Freund Hans von Bülow kann die Variabilität der Verortung des Einzelnen innerhalb des Koordinatensystems musikästhetischer Prämissen deutlich werden. Sie zeigt klar, wie wichtig die Vermeidung jeglicher Pauschalisierung und die differenzierte Bewertung des spezifischen Einzelfalls sind. Aber auch in der im Kontext des Parteienstreits so prominenten und vermeintlich leicht zu verortenden Identifikationsfigur gegen die ›Neudeutschen‹, Johannes Brahms, werden die unterschiedlichen Faktoren, die bei einer differenzierten Bewertung in Betracht gezogen werden müssen, überaus deutlich. Bereits in seinen überlieferten Selbstaussagen wird die Sicherheit einer festen, kategorialen Einordnung dekonstruiert544 : Brahms, der sich in seiner Eigenschaft als Mitherausgeber der berühmten Erklärung gegen die ›Neudeutschen‹ 1860 als junger und bislang kaum mit eigenen Kompositionen an die Öffentlichkeit getretener Künstler auf der einen Seite so unzweifelhaft als Kontrahent der »Zukünftler«545 darstellte, wollte eben diesen Protest bei genauerer Hinsicht gar nicht auf die gesamten Vertreter der ›Neudeutschen Schule‹ verstanden wissen: »Beklage usw. ich bloß die ›Verirrungen, wie sie in Werken vorkommen‹, so beklage ich Wagner, Berlioz, alle möglichen. Wie wir schreiben und abfertigen, kann man nur Lisztsche Sudeleien abfertigen. Über ›Verirrungen‹ usw. kann man debattieren und sich streiten. Eben wir können und brauchen uns durchaus solchem Scheißzeug gegenüber auf keine wissenschaftlichen Erörterungen einzulassen. Ich wünschte hauptsächlich, wir könnten den Namen Liszt anbringen, damit man uns nicht Verstocktheit gegen Wagner usw. vorwerfen kann.«546 544 Vgl. z. B. Tadday, Brahms-Kritik, S. 123f. und Fellinger, Brahms und die Neudeutsche Schule. 545 Erst ein Jahr vor der Veröffentlichung der Erklärung hatte Franz Brendel in seinem Aufsatz Zur Anbahnung einer Verständigung (NZfM 50 [1859], S. 265–273) versucht, die bis zu diesem Zeitpunkt verwendeten Begrifflichkeiten der »Zukünftler«, der »Zukunftsmusik« abzulösen. Erst der in diesen Zeilen postulierte Alleinvertretungsanspruch hinsichtlich der legitimen musikalischen Nachfolge Beethovens hatte den öffentlichen Protest der ›Konservativen‹ in Form der Erklärung wohl hervorgerufen. Vgl. zur begrifflichen Einordung des zuvor verwendeten »Zukunftsmusik« Christa und Peter Jost: »Zukunftsmusik«. Zur Geschichte eines Begriffs, in: Musiktheorie 10/2 (1995), S. 119–135. Doch die von Brendel angestoßene Umbenennung der »Zukünftler« in »Neudeutsche« hatte sich unter den Zeitgenossen nur teilweise durchgesetzt – gerade die Gegner der »Neudeutschen« verwendeten die Bezeichnung »Zukünftler« weiter mit bewusst abwertend-negativer Konnotation. So auch Brahms an Fritz Simrock, [6. Juni 1877], BW X, S. 37. 546 Brahms an Joseph Joachim, [9. Mai 1860], BW V, S. 279.

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Von drei Komponisten, die gemeinhin in der ästhetischen Diskussion von Beginn an als Speerspitze der ›Neudeutschen‹ positioniert wurden547, wollte Brahms demnach zwei (nämlich Hector Berlioz und Richard Wagner) explizit nicht in seine Grundsatzkritik einbezogen wissen. Die augenscheinliche Aversion gegen Franz Liszt und die Kritik an den kompositorischen, aber eben auch publizistischen Methoden der ›Neudeutschen Schule‹ ist dagegen in Teilen auch durch persönliche Frustration zu erklären: Die systematische Ignoranz548 gegenüber seinen Werken in der Neuen Zeitschrift für Musik, dem von Franz Brendel geführten publizistischen Organ der »Zukunftsmusiker«, und negative Erlebnisse mit Liszt549 können die ablehnende Einstellung Brahms’ über die bestehenden ästhetischen Divergenzen hinaus zusätzlich bestärkt haben. Doch die Öffentlichkeit hatte von dieser privat kommunizierten differenzierten Einordnung keine Kenntnis, was die oftmals polemisch geführte Debatte der Fachpresse zusätzlich befeuern musste. Zwar ist die Erklärung in ihrer Wirkung manches Mal überschätzt worden550, doch für die Öffentlichkeit bot sie im Fall 547 Martin Geck listet detailliert Belegstellen vom 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart auf, die Liszt, Wagner und Berlioz als Trias im Rahmen einer ›Neudeutschen Schule‹ definieren (Zwischen Romantik und Restauration. Musik im Realismus-Diskurs 1848–1871, Stuttgart 2001, S. 127–132). 548 Die NZfM wird so als »Neue Zeitschrift« explizit im Text der Erklärung genannt, die sich damit nicht nur gegen ›neudeutsche‹ Komponisten, sondern auch gegen einen publizistisch geführten Feldzug zur Wehr zu setzen sucht (zum Thema: Walter Frisch: Brahms and Schubring: Musical Criticism and Politics at Mid–Century, in: 19th Century Music VII/3 [1984], S. 271–281, hier S. 273f.). 549 Zwar wird der von William Mason kolportierte Bericht, Brahms sei bei einem Vorspiel der h-Moll-Sonate Liszts eingeschlafen, wohl in das Reich der Legende verwiesen werden müssen (William Mason: Memories of a Musical Life, New York 1901, S. 29–31; vgl. Kalbeck I, S. 85f., der die Begebenheit schon der »Klatscherei« Rem¦nyis zuweist), doch die belastete Stimmung zwischen den Komponisten ist nicht von der Hand zu weisen. Aber auch diese Beziehung muss differenziert bewertet werden: Noch 1882 sandte Brahms Liszt sein erstes Klavierkonzert zur Begutachtung. Im Rahmen der Recherchen zum BrahmsBriefwechsel-Verzeichnis (BBV) am Brahms-Institut an der Musikhochschule Lübeck (Wolfgang Sandberger, Christiane Wiesenfeldt: Brahms-Briefwechsel-Verzeichnis [BBV]: chronologisch-systematisches Verzeichnis sämtlicher Briefe von und an Johannes Brahms, gefördert von der Deutschen Forschungsgemeinschaft unter Mitarbeit von Fabian Bergener, Peter Schmitz und Andreas Hund, www.brahms-institut.de, 2010) wurde in der russischen Nationalbibliothek St. Petersburg das Anschreiben Brahms’ aufgefunden, in dem der 49-Jährige Liszt »geradezu devot« (Sandberger, »Altdeutsch« versus »Neudeutsch«, S. 7f.) um eine Einschätzung der Komposition bittet. Er erhielt eine durchaus bemerkenswerte Reaktion: »Offen gesagt, beim ersten Lesen dieses Werkes schien es mir etwas graufarbig; doch bin ich allmälig [sic] ins Klare und Helle gekom[m]en. Es besitzt den prägnanten Charakter eines ausgezeichneten Kunstwerkes, wo Gedanken und Empfindungen sich im edlen Gleichmass bewegen« (Franz Liszt an Brahms, 15. April 1882, zit. n. Otto Biba: Brahms, Wagner und Parteiungen in Wien. Texte und Beobachtungen, in: Musica 36/1 [Januar/Februar 1983], S. 18–22, hier S. 19). 550 Vgl. Meurs, Neue Bahnen?, S. 82; Tadday, Brahms-Kritik, S. 123.

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des noch unbekannten Brahms eine erste Richtschnur. An der ersten der zwei Widmungen Adolf Jensens an Brahms aus dem Jahr 1862 wird allerdings deutlich, dass die publizistisch vollzogene Lagerbildung in ›Konservative‹ und ›Neudeutsche‹ in der Schaffensrealität des einzelnen Komponisten oftmals noch keine bestimmende Rolle spielte – zumindest aber Brahms trotz seines Engagements im Rahmen der Erklärung noch nicht als kompositorische Gallionsfigur der ›Konservativen‹ und direkter Antagonist Liszts etabliert war. Dies liegt zum Teil an der speziellen Weise, in der er von Robert Schumann noch vor dem Erscheinen erster Werke im berühmten Aufsatz Neue Bahnen551 als kommender Komponist von Weltrang positioniert wurde – Brahms galt um 1860 als aufstrebender, aber noch nicht etablierter Komponist der Schumann-Nachfolge552 : »Brahms wird mit einem Schlag zum Tagesgespräch, ohne daß auch nur eine seiner Kompositionen bekannt ist. Dies markiert den Ausgangspunkt der Brahms-Rezeption: Der erste Ruhm beruhte nicht auf Werken (sie lösten zwar Schumanns Empfehlungsschreiben aus, waren für die Öffentlichkeit jedoch nicht existent), sondern allein auf dem Zeugnis eines führenden Komponisten der Zeit. Sensation machte nicht Brahms’ Musik, sondern Schumanns Artikel. Und der bildete gleichsam die Folie für jede weitere Auseinandersetzung, war deren unumgängliche Voraussetzung.«553

Die geringe Auswirkung des Manifests554 auf diese Einschätzung hat mehrere Gründe. Sie erklärt sich neben der ungeplanten Veröffentlichung in einer in der Fachwelt wenig wahrgenommenen Zeitschrift vor allem aus der niedrigen Zahl der zu diesem Zeitpunkt publizierten Kompositionen Brahms’: Die Stilisierung seiner Person als kompositorische Identifikationsfigur der ›Konservativen‹ hatte zur Voraussetzung, dass er die Phase des kompositorischen Stillschweigens überwand, die nach der Veröffentlichung des Schumann-Artikels und der darauffolgenden Verlegung der ersten Opera ihren Anfang genommen hatte. Auch Adolf Jensens erste Widmung ist von diesen Voraussetzungen geprägt. Zum Zeitpunkt der Widmung seiner Fantasiestücke für das Pianoforte op. 7 war gerade erst die fast fünfjährige Veröffentlichungspause zwischen dem Druck der Vier Balladen op. 10 (Februar 1856) und der Serenade op. 11 (Dezember 1860) 551 Robert Schumann hatte 1853 mit diesem Aufsatz seinen jungen Kollegen Brahms der Musikwelt noch vor der Veröffentlichung eines ersten Werks als kommenden Komponisten von Weltrang vorgestellt. Vgl. zur Wirkmacht dieses Aufsatzes auf das Brahmsbild Constantin Floros: Brahms – der »Messias« und »Apostel«. Zur Rezeptionsgeschichte des Artikels »Neue Bahnen«, in: Die Musikforschung 36 (1983), S. 24–29. Floros hatte bereits in seiner Studie Brahms und Bruckner. Studien zur musikalischen Exegetik eine Deutung von Neue Bahnen vorgestellt; auch auf die sich an die Veröffentlichung anschließende musikwissenschaftliche Kontroverse geht er in seinem späteren Aufsatz ein. 552 Meurs, Neue Bahnen?, S. 82; Floros, »Neue Bahnen«, S. 28f. betont, dass sich diese Deutung als Folge von Neue Bahnen noch bis in die 1890er gehalten habe. 553 Meurs, Neue Bahnen?, S. 12. 554 Dazu Meurs, Neue Bahnen?, S. 81f.; Tadday, Brahms-Kritik, S. 123.

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von Brahms vergangen. Doch Jensen nahm die nun folgenden Veröffentlichungen, mit denen Brahms bewusst einen Kontrapunkt zum ästhetischen Ausdruck der ›neudeutschen‹ Richtung setzte, die in seinen ersten Kompositionen durchaus noch aufzuspüren war555, im Rahmen der Dedikation nicht zur Kenntnis: Er fand seinen persönlichen Anknüpfungspunkt in der gemeinsamen Schumann-Verehrung. Denn er war zwar kurze Zeit Schüler Liszts gewesen (diesem widmete er sein Klaviertrio f-Moll WoO) und hegte zeitlebens eine große Bewunderung für Wagner.556 Doch er war auch Schumann-Verehrer557 und galt bereits unter den Zeitgenossen als sein legitimer Nachfolger im Bereich der Liedkomposition. Diese Schumann-Verehrung war freilich für einen jungen Anhänger der Fortschrittspartei nichts Ungewöhnliches. Liszt selber hatte in seiner Interpretation des Schumann’schen Œuvres wiederholt versucht, den Kollegen, dem er 1854 seine h-Moll-Sonate widmete558, auch theoretisch verbrämt für seine Zwecke zu vereinnahmen.559 Und Hans von Bülow, zu dieser Zeit noch Verfechter der »Zukunftsmusik«, versuchte 1863 Jensen in Fortführung und Ergänzung der kurz zuvor erschienenen Schumanniana-Serie Adolf Schubrings als Nachfolger Schumanns zu positionieren. Gleichzeitig betonte er die Anschlussfägigkeit dieser ästhetischen Ausrichtung an Liszt und die ›Neudeutsche Schule‹.560 Der »Schumann-Schule«561 Schubrings liegt eine u. a. auf

555 Sandberger, »Altdeutsch« versus »Neudeutsch«, S. 4f. 556 Jensen stellte so Brahms und Wagner als die beiden bedeutendsten zeitgenössischen Komponisten unmittelbar nebeneinander (vgl. Arnold Niggli: Adolf Jensen [= Berühmte Musiker. Lebens- und Charakterbilder nebst Einführung in die Werke der Meister, hg. v. Heinrich Reimann, Bd. VIII], Berlin 1900, S. 69). 557 1863 hatte er als »Glaubensbekenntnis« formuliert: »Die Grundpfeiler aller Musik, alles Vergangenen, Bestehenden und Zukünftigen sind für mich ewig: Beethoven und Schumann. Wer an sie glaubt, der hat das ewige Leben. Amen!« (Niggli, Jensen, S. 26). 558 Clara Schumann, die die übersandte Sonate an Stelle ihres bereits erkrankten Mannes entgegennahm, verwies in ihrem Tagebucheintrag vom 25. Mai 1854 allerdings auf ›neudeutsche Charakteristika‹ wie den »blinde[n] Lärm – kein gesunder Gedanke mehr, alles verwirrt, eine klare Harmoniefolge ist da nicht mehr herauszufinden!« und kam zu dem Schluss: »Und da muß ich mich nun noch bedanken – es ist wirklich schrecklich.« (vgl. Berthold Litzmann: Clara Schumann. Ein Künstlerleben. Nach Tagebüchern und Briefen, 2. Bd.: Ehejahre 1840–1856, S. 317). 559 Franz Liszt proklamierte in seinem dreiteiligen Robert Schumann-Aufsatz den Komponisten und Kritiker so als Wegbereiter und ersten Repräsentanten der Programmmusik (Franz Liszt: Robert Schumann, in: NZfM 42/14, 15, 18 [36. März, 6. und 27. April 1855], S. 145–153, 157–165, 189–196, hier bes. S. 196, dazu auch Meurs, Neue Bahnen?, S. 68). Zum Thema auch Seibold, Schumann und Meurs, Neue Bahnen?, S. 67f. Unzählige Briefe, die Liszts Bewunderung für Schumann auch nach dessen Tod dokumentieren, sind erhalten. 560 Hans von Bülow : Einige Worte über Adolf Jensen als Nachtrag zu den Schumanniana im vorigen Jahrgang dieser Blätter, in: NZfM 59/18 (30. Oktober 1863), S. 145–148. 561 DAS [Adolf Schubring]: Schumanniana Nr. 5. Die Schumann’sche Schule, in: NZfM 55/7 (9. August 1861), S. 53.

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Selmar Bagge562 zurückgehende Dreiteilung der musikalischen Landschaft zugrunde. Diese spaltet sich im Gegensatz zu der sich in der Folge ergebenden Trennung in ›Neudeutsch‹ und ›Konservativ‹ in drei musikalische Lager, die ihren Fokus entweder auf die »(alte) Form«, den »(neuen) Inhalt« oder mit »gleiche[m] Gewicht auf Form und Inhalt« legten. Brahms wird auf Grundlage von Neue Bahnen in die dritte Gruppe der »Schumannianer« eingeordnet.563 Es ist davon auszugehen, dass Jensen als Schumann-Enthusiast sowohl diesen Aufsatz als auch bereits Neue Bahnen rezipiert hatte. Dieser enthusiastischen Ankündigung entsprechend dürfte er die ersten gedruckten Kompositionen des fast gleichaltrigen Brahms interessiert erwartet haben. In diesem Kontext sind die Widmungen eines Liszt-Schülers und Schumann-Verehrers zu lesen, die sonst kaum zu erklären wären. Denn die zwei Dedikationen aus den Jahren 1862 und 1865 – also in unmittelbarer Nachfolge des Manifestes – liegen ungewöhnlich früh: Sie stammen aus einer Periode, aus der ansonsten nur Widmungen enger Freunde und Bekannter vorliegen. Besonders die erste Widmung der Fantasiestücke für Klavier op. 7 lässt sich nur in Bezug auf Robert Schumann, Neue Bahnen und die Schumanniana Schubrings nachvollziehen: Der konzertierende Pianist Brahms, der sich vor allem mit Klavierwerken der Öffentlichkeit kompositorisch vorgestellt hatte, wurde mit romantischen Charakterstücken der Schumann-Nachfolge bedacht. Tatsächlich stellt Jensen in der Mitteilung der Widmung an Brahms die Existenz einer Schumann-Schule heraus und geriert sich (in Vorgriff auf den ein Jahr später erschienenen Artikel Bülows) als Mitglied der Vereinigung: Der Brahms-Artikel der Schumanniana-Serie564 war nur einen Monat vor der Mitteilung der Widmung erschienen und bietet offenkundig den Anknüpfungspunkt. Dagegen wird die aktuelle Problematik des Konfliktes um die Zukunftsmusik durch das Konstrukt einer gemeinsamen Basis im Lager der ›Schumannianer‹ verschwiegen: »Fritz Schuberth hat Ihnen, wie er mir schrieb, ein für Sie bestimmtes Exemplar meiner Fantasiestücke bereits zugestellt. Mit Hingebung und künstlerischem Ernst schrieb ich dieselben und nahm nach Ihrer Vollendung mit grosser Freude wahr, dass in Ihnen das enthalten sei, was hineinzulegen ich mich bemüht hatte. Es ist leicht ersichtlich, welche Vorbilder mir dabei vorschwebten und durch den kräftigen Geist dieser Schule besonders erstarkt, glaube ich vielleicht diesem oder jenen Anhänger derselben etwas Interessantes geboten zu haben, halte somit meine Arbeit für keine verlorene. Ob 562 Vgl. Selmar Bagge: Zur gegenwärtigen Parteistellung auf musikalischem Gebiet, in: ders.: Gedanken und Ansichten über Musik und Musikzustände in einer Reihe gesammelter Aufsätze, Wien 1860, S. 126–135. 563 So schon ebd., ausführlich dann in DAS [Adolf Schubring]: Schumanniana Nr. 8. Die Schumann’sche Schule. IV. Johannes Brahms, in: NZfM 56/12–16 (21.+28. März, 4., 11.+18. April 1862), S. 93–96, 101–104, 109–112, 117–119, 125–128. 564 Vgl. ebd.

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Andere meiner Ansicht sind, ist eine Frage, welche erst die Zukunft beantworten wird. Doch gleichviel! Ich befinde mich wenigstens in einer angenehmen Selbsttäuschung, welche mir den Muth eingab, Ihnen, dem eifrigsten Vertreter der Richtung, der auch ich angehöre, die Ehre habe, diese Stücke zu dediciren.«565

Trotz der sich aus der unterschiedlichen Stellung im Parteienstreit ergebenden ästhetischen Divergenzen ist dieses Herstellen einer musikalischen Passgenauigkeit bezeichnend: Die sprechenden Titel (wie z. B. »Ballscene« oder »Nachtfeier«) und die teils vorangestellten literarischen Motti der Fantasiestücke verweisen so nicht nur auf Schumann566, sondern auch auf den jungen Brahms. Dieser wurde gerade aufgrund von Werken wie der Klaviersonate Nr. 1 op. 1 (der im Andante der Text des Minneliedes »Verstohlen geht der Mond auf« beigefügt ist) und der Klaviersonate Nr. 3 op. 5, deren Andante als Motto einige Zeilen eines Sternau-Gedichts vorangestellt sind567, nicht allein als Schumann-Jünger, sondern auch als potenzieller ›Neudeutscher‹ gehandelt. Wie unsicher die ästhetische Stellung von Brahms in der Frühzeit seiner öffentlichen Wahrnehmung tatsächlich war, lässt sich leicht daran ablesen, dass er in der musikalischen Fachpresse als ›neudeutsch‹ apostrophiert wurde568 und sogar Liszt selber ihn anfänglich als hoffnungsvollen jungen Komponisten einordnete.569 In den genannten Werken werden tatsächlich literarische und poetische Anknüpfungspunkte ersichtlich, die bei konsequenter Weiterführung potenzielle Fäden zur Programmmusik spinnen könnten.570 Auch aufgrund dieser Kompositionen 565 Adolf Jensen an Brahms, 24. Mai 1862, A-Wgm, Sign.: Brahms-Nachlass, Briefe Adolf Jensen an Johannes Brahms 173, 1. 566 V. a. auf die Fantasiestücke op. 12, deren zweites Stück den gleichen Titel trägt – »Aufschwung« – wie die erste Nummer aus Jensens Fantasiestücken. 567 Wie eng der Konnex zur Gruppe um Franz Liszt gezogen wurde, zeigt sich auch daran, dass das Andante der Klaviersonate Nr. 3 op. 5 in den Schumanniana von Adolf Schubring als Programmmusik bezeichnet wird (NZfM 56/13 [28. März 1862], S. 103). 568 Vgl. Otto Jahn, der 1854 in einer Rezension von Richard Wagners Lohengrin Brahms als Teil der »Organe der Zukunftsmusiker« versteht. Brahms habe, so Jahn, analog zu Wagner, der den Zukunftsmusikern »eine neue Aera für die Oper« beschert habe, eine »neue Area für die Quartettunterhaltungen« begründet (Die Grenzboten 13 [1854], S. 81ff., Wiederabdruck in: Otto Jahn: Gesammelte Aufsätze über Musik, Leipzig 1866, hier S. 112); Selmar Bagge formulierte 1861 in einer Rezension der Serenade A-Dur op. 16, es gebe »nicht Wenige […], welche Brahms einfach zu den Zukunftsmusikern werfen«, eine Einordnung, die er in der Folge für die frühen Werke als gerechtfertigt anerkennt, zumindest für op. 16 allerdings zu widerlegen sucht (DMZ 2/6 [9. Februar 1861], S. 42–44, hier S. 42; abgedruckt bei Meurs, Neue Bahnen?, S. 122–129). 569 Immerhin subsummierte Liszt noch 1870 »Etuden von […] Brahms« unter »manches für mich Neue und Lobenswerthe« (Franz Liszt an Siegmund Lebert, 10. Januar 1870, La Mara, Liszt-Briefe 2, S. 157). 570 Carl Dahlhaus hat beispielsweise zur Ballade Edward bemerkt, »es liegt […] nahe, von Programmusik zu sprechen«, vgl. Dahlhaus, Absolute Musik, S. 691f. Zumindest in den von Constantin Floros herausgefilterten Kriterien für Programmmusik von Franz Liszt muss diese Einschätzung bestätigt werden: Edward hätte auch für den Hauptvertreter der Pro-

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wird das vor allem von Eduard Hanslick kolportierte Bild des ›absoluten‹ Musikers Brahms zunehmend dekonstruiert.571 Was nun allerdings in der Wahrnehmung der ›Konservativen‹ den Unterschied zu dem Vorgehen in den Werken Liszts ausmachte, hat Hanslick zu begründen versucht: »Niemand denkt mehr so engherzig, dem Tonsetzer jede poetische Anregung versagen zu wollen, welche die Beziehung zu einem äußern Stoff ihm verbietet. Die Musik wird zwar nimmermehr im Stande sein, das bestimmte Object auszudrücken oder dessen wesentliche Merkmale so darzustellen, daß man sie ohne die Ueberschrift erkenne, – allein sie mag immerhin die Grundstimmung davon nehmen und mit der deutlichen Benennung an der Stirn wenigstens anspielend, wenn auch nicht darstellend wirkend. Die Hauptbedingung wird immer bleiben, daß die Musik, allem Titel und Programm zutrotz, denen sie ihre Färbung leiht, doch immer auf ihren eigenen Gesetzen ruhe, specifisch musikalisch bleibe, so daß sie auch ohne Programm einen in sich klaren selbstständigen Eindruck mache. Dies nun ist die erste wichtige Einwendung, die man gegen Liszt erheben muß, daß er dem Sujet seiner Symphonien eine weit größere mißbräuchliche Mission auferlegt: nämlich den fehlenden musikalischen Inhalt entweder geradezu zu ersetzen oder dessen Atrocitäten [Scheußlichkeiten] zu rechtfertigen.«572

Dass sich diese Begründung, die den Werken Liszts in der Folge ihren Eigenwert abspricht, höchst brüchig ist und sich als inkonsistent erweisen muss, wurde wiederholt betont.573 Doch die von Hanslick geführte Argumentation macht deutlich: Die Fremdwahrnehmung bestimmt das Bild eines Komponisten mit. Tatsächlich ist die Parteienbildung in ihrem Ursprung eine in großen Teilen von Theoretikern geführte philosophische Debatte – nicht ohne Grund gilt Franz Brendels Geschichtsphilosophie als Kern des ästhetischen Programms der ›Neudeutschen‹.574 Erst durch diese philosophische Grundierung konnte in einem Lager zusammengeführt werden, was stilistisch und national575 nicht

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grammmusik als ein Beitrag zu dieser gelten müssen (vgl. Constantin Floros: Grundsätzliches über Programmusik, in: Programmusik. Studien zu Begriff und Geschichte einer umstrittenen Gattung [= Hamburger Jahrbuch für Musikwissenschaft, Bd. 6], Laaber 1983, S. 23). Zu Brahms’ differenzierter Einstellung gegenüber poetisch und literarisch beeinflusster Musik bezieht Floros bereits im Kontext einer Betrachtung des Parteienstreits ausführlich Stellung (Floros, Brahms und Bruckner, S. 74f.). In diesem Sinn z. B. Floros, Brahms und Bruckner, S. 73–83. Eduard Hanslick: »Les pr¦ludes«. Symphonische Dichtung für grosses Orchester von Franz Liszt (aufgeführt von der Gesellschaft der Musikfreunde am 8. März 1857), in: Geschichte des Concertwesens in Wien, Teil 2: Aus dem Concertsaal. Kritiken und Schilderungen aus den letzten 20 Jahren des Wiener Musiklebens. 1848–1868, Wien 1870, S. 118), zit. auch bei Kabisch, Konservativ gegen Neudeutsch, S. 853f. Vgl. Kabisch, Konservativ gegen Neudeutsch, S. 855. Vgl. dazu ebd., S. 867 und Determann, »Neudeutsche Schule«, S. 57–73. Dass der Name ›Neudeutsch‹ in seiner Betonung des Nationalen zumindest irreführend ist – man denke an Liszt oder Berlioz –, haben schon die Zeitgenossen erkannt (Niederrheinische

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hätte stringent begründet werden können. Und auch die ›Konservativen‹, die erst mit Neue Bahnen und der so unglücklich verlaufenen Veröffentlichung des Manifests eine ähnliche Bedeutung als fest umrissene Gruppe erlangten576, beriefen sich nicht ohne Grund als Legitimation wiederholt auf Hanslicks Schrift Vom Musikalisch-Schönen – was aus musiktheoretischer Sicht zumindest fragwürdig erscheint.577 Während die ›Neudeutsche Schule‹ mit Liszt und Wagner kompositorische Bezugsgrößen besaß, war in konservativen Kreisen gerade auf dem Höhepunkt der Diskussion durch den bereits länger zurückliegenden Tod von Felix Mendelssohn Bartholdy und den Tod von Robert Schumann eine Lücke entstanden, die nun in der Rezeption der Öffentlichkeit mit Brahms gefüllt wurde.578 Mit zunehmendem Erfolg konnte Brahms von Hanslick, Bülow und anderen in der Presse als kompositorische Identifikationsfigur stilisiert werden, zu der er sich durch sein Engagement hinsichtlich der Erklärung in frühester Zeit der Eskalation selber angeboten hatte: »man nahm ihn als Antagonisten Wagner’s; – man b r a u c h t e einen Antagonisten!«579 Dies war ein Vorgang, den Brahms selber kaum beeinflussen konnte. In dieser komplexen Gemengelage ist die Frage nach der grundsätzlichen Position der Widmenden im Parteienstreit aufschlussreich. Immerhin wurde von der Dedikation zunehmend auch ein Hinweis auf die ästhetische Verortung des betreffenden Werks und seines Komponisten erwartet. Eine Besprechung der Sonate fantastique op. 1 von Heinrich Gottwald, Hans von Bülow gewidmet, lässt dies ersichtlich werden. Denn der spätere Brahms-Freund und -Verehrer Bülow galt 1860 noch als glühender Verfechter der Musik Wagners und Liszts: »Würde es uns die Dedikation dieses Werkes nicht schon sagen (sie ist an H. v. Bülow gerichtet), wir könnten auch sonst keinen Augenblick zweifelhaft sein, wo unser Autor sein Lager aufgeschlagen hat, aus welcher Schule er hervorgegangen ist.«580

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Musik-Zeitung 7 [1859], S. 325f., dazu auch Geck, Musik im Realismus-Diskurs, S. 129 und Kabisch, Konservativ gegen Neudeutsch, S. 867). Dazu Kabisch, Konservativ gegen Neudeutsch, S. 867f. Tatsächlich heißt es am Ende des Artikels: »Es waltet in jeder Zeit ein Bündniß verwandter Geister. Schließt, die Ihr zusammengehört, den Kreis fester, daß die Wahrheit der Kunst immer klarer leuchte, überall Freude und Segen verbreitend.« Brahms wird als »starker Streiter« im Kreise aufgenommen (vgl. Floros, Brahms und Bruckner, S. 112f.). Auch Hanslick nutzte seine Schrift in diesem Sinn, obwohl das, wie Kabisch, Konservativ gegen Neudeutsch, S. 848–858, darstellt, in ihrem Ursprung und theoretischen Prämissen zumindest schwierig ist. Als Nachfolger Mendelssohns also weniger in stilistischer Hinsicht, als in ästhetischer Positionierung. Vgl. Kabisch, Konservativ gegen Neudeutsch, S. 867f., Carl Dahlhaus: »Wagnerianer« und »Brahminen«, in: Ehrmann-Herfort u. a., Europäische Musikgeschichte 2, S. 881–902, hier S. 887f. So Friedrich Nietzsche: Der Fall Wagner. Zweite Nachschrift, in: Friedrich Nietzsche. Kritische Studienausgabe, Bd. 6, hg. v. Giorgio Colli u. Mazzino Montinari, Neuausgabe München 1999, S. 47; vgl. auch Sandberger, »Altdeutsch« versus »Neudeutsch«, S. 11. Deutsche Musik-Zeitung 1/8 (16. Februar 1860), S. 60.

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Junge Komponisten, die in diesem musikästhetischen Spannungsfeld aufwuchsen und während des Höhepunkts der Auseinandersetzung am Beginn der 1860er Jahre ihre Ausbildung erhielten, thematisierten allerdings aus dem Abstand einiger verflossener Jahre wiederholt die Unsicherheit und Überforderung, die sie angesichts der nicht selten sehr polemisch geführten Diskussionen verspürt hatten. Der von 1870 bis 1874 am als besonders konservativ geltenden Leipziger Konservatorium ausgebildete Schweizer Musiker Hans Huber charakterisiert treffend den inneren Konflikt, dem ein jeder Komponist in diesem Umfeld ausgesetzt war – und analysiert seine Folgen für das eigene kompositorische Œuvre: »Eng befreundet mit ausgezeichneten Männern wie Dr. Hugo Riemann, Otto Klauwell und andern stand ich mitten im tobenden Kampf der Neudeutschen contra Klassiker. Wir alle wurden in diesem Circulum Wien, Bayreuth, Weimar und Leipzig tüchtig herumgeworfen. Aus diesen begreifbar wechselnden Stimmungen heraus mag sich in meine ersten Werke leider eine gewisse Stillosigkeit hineingeschlichen haben, die erst später einer stärker hervortretenden Individualität weichen musste. Wie haben es doch in dieser Hinsicht die Jüngeren – was Kunstmoral betrifft – leichter!«581

1.1

Öffentliches Zeugnis – Die Widmung als Positionierung im Parteienstreit

Eine Widmung an Brahms konnte zwischen den Polen ›neudeutsch‹ und ›konservativ‹ zunehmend als kalkulierte Aussage im Sinn einer kompositorischästhetischen Positionierung verstanden und eingesetzt werden: als öffentliches Bekenntnis zur musikästhetischen Anschauung der ›Konservativen‹, als deren lebender Hauptvertreter Brahms im Meinungsbild der Presse und Öffentlichkeit galt. Gerade den 22 Musikern, die dem kammermusikalischen ›Bollwerk‹582 ein 581 Zit. n. Edgar Refardt: Hans Huber. Leben und Wirken eines Schweizer Musikers, Zürich 1944, S. 81f. Das Zitat zeigt auch, wie sehr der Name bestimmter Städte mit einer bestimmten musikästhetischen Ausrichtung konnotiert war. Das konservative Leipzig, das Wien von Brahms, das Bayreuth Wagners, das Weimar Liszts: In der Vorstellung der Zeitgenossen waren Stadt und die vorherrschende Ausrichtung innerhalb ihres musikalischen Gesellschaftslebens, ja, sogar Stadt und Name eines einzigen Komponisten so eng verbunden, dass man es verstand, die zugrundeliegenden Korrelationen auch ohne direkte Nennung aufzulösen. Die Stadtnamen stehen hier im Sinn einer Synekdoche für das Zusammenspiel aus städtischen Besonderheiten wie dem Konzertleben, der öffentlichen Meinung – vertreten durch Konzertpublikum und Rezensenten – und der Ausrichtung besonderer kompositorischer Kapazitäten. Jene Faktoren sind also für die Einordnung entscheidend, die einen jungen Komponisten in der eigenen Stilfindung ohne jede Frage beeinflussen mussten. 582 Vgl. zur Außenpositionierung Brahms’ als Kammermusiker im Umfeld des Parteienstreits Schmidt, Brahms und seine Zeit, S. 163f.; Willi Kahl: Die Neudeutschen und die Kammermusik, in: Die Musik 20/6 (März 1928), S. 429–433, v. a. ein Zitat von Rudolf Louis, ebd., S. 430.

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Kammermusikwerk dedizierten, wird die Aussagekraft ihrer Widmung in dieser Hinsicht bewusst gewesen sein. Dass gerade die eifrigsten Anhänger der ›Konservativen‹ Brahms ein Werk zueigneten, kann deswegen nicht überraschen. So sind unter anderem Widmungen von all jenen Komponisten bekannt, die sich laut einem Brief von Brahms an Joseph Joachim bis zum 19. März 1860 grundsätzlich bereit erklärt hatten, einen öffentlichen Protest gegen die von den ›Neudeutschen‹ beanspruchte Deutungshoheit über die Musik der Zukunft zu unterschreiben: Er habe, so Brahms, »ein Ja empfangen von Dietrich, Bargiel, Wüllner, Bruch und Kirchner. Grädener ist auch dabei.«583 Am 5. Mai 1860 konnte er schließlich zusätzlich die Zusage u. a. von Carl Reinecke vermelden.584 Bedeutsam wird in diesem Kontext der Zeitpunkt einer Widmung wie der des Klaviertrios op. 35 von Carl Georg Peter Grädener, der seine Unterschrift unter die Stellungnahme zugesagt hatte: Sie erschien im Jahr des Manifests und ist damit kalkuliertes kammermusikalisches Bekenntnis und feste Positionierung an der Seite von Brahms. Bernhard Scholz hatte sogar im Mai 1860 neben Julius Otto Grimm, Joseph Joachim (auch sie widmeten Brahms je eine Komposition) und Brahms selber das durch eine Indiskretion zu früh erschienene Manifest in der Berliner Zeitung Echo unterzeichnet. Zwar hat der überzeugte Brahmine Scholz im Laufe seiner kompositorischen Tätigkeit unter anderem auch neun Opern komponiert585, doch zur Dedikation an die Identifikationsfigur gegen die Fortschrittspartei und als gleichzeitiger Ausdruck der eigenen ästhetischen Ausrichtung kam bezeichnenderweise nur eine Kammermusikkomposition in Frage – und zwar »das beste, was ich bis jetzt an derartigem geschrieben habe«.586 Tatsächlich ist das Quintett neben der als konservativ geltenden Gattung587 auch inhaltlich vom 583 Brahms an Joseph Joachim, [19. März 1860], BW V, S. 264. 584 Brahms an Joseph Joachim, [etwa 5. Mai 1860], BW V, S. 273. 585 Die Opern Scholz’ Carlo Rosa (1858); Ziethen’sche Husaren (1869); Morgiane (1870); Golo (1875); Der Trompeter von Säckingen (1877); Die vornehmen Wirte (1883); Ingo (1898); Anno 1757 (1903); Mirandolina (1907) tragen keine Opuszahlen. 586 Bernhard Scholz an Brahms, 28. Juni 1878, BW III, S. 218. Bezeichnenderweise zieht Scholz das Quintett qualitativ damit jenem Quartett für zwei Violinen, Viola und Violoncell G-Dur op. 46 vor, das, kurz zuvor entstanden, auch dank des Juroren Brahms den Preis des Florentiner Quartett-Vereins gewonnen hatte. Das Quintett kann also durchaus aus Dankbarkeit direkt mit Widmung an Brahms komponiert worden sein. Darauf weist auch ein Brief von Luise Scholz an Brahms vom 26. November 1877 hin: »Bernhard ist frisch und heiter wie je, auch wieder schaffensfreudig: ein neues ›Streichquintett‹ mit zwei Celli ist fix und fertig, und dazu haben Sie allein ihn durch die Anerkennung seines ›Quartetts‹ (die überhaupt in jedem Sinne die wohltätigste Wirkung auf ihn hatte) angeregt, wofür ich Ihnen von Herzen danke.« Zit. n. BW III, S. 215. 587 Vgl. z. B. Carl Dahlhaus: Brahms und die Idee der Kammermusik, in: Brahms-Studien 1, im Auftrage der Brahms-Gesellschaft Hamburg e. V. hg. v. Constantin Floros, Hamburg 1974, S. 48.

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Widmungsträger und konservativen Idealen inspiriert: Gerade die konsequente thematische Arbeit belegt dies. Nicht zuletzt wegen der Orientierung an Prinzipien der klassischen Kammermusikproduktion, die sich u. a. in der sehr traditionellen Formgebung äußert, wurde das Quintett folgerichtig als »Werk eines Beethoven- und Brahms-Epigonen«588 bezeichnet. Die Annäherung beschränkt sich allerdings auf allgemeine formale und stilistische Ähnlichkeiten – konkrete Bezüge auf eindeutig benennbare Werke von Brahms lässt der Notentext nicht erkennen. Solch plagiative, zumindest aber betont epigonale Tendenzen verboten sich überdies in einem Werk, das über Widmung und Gattung den Anspruch einer ästhetischen Positionierung und eines kompositorischen Qualitätsnachweises beanspruchte. Dementsprechend hatte Scholz eine Komposition einer der wenigen kammermusikalischen Gattungen gewählt, die Brahms zu diesem Zeitpunkt589 noch nicht mit einem eigenen Opus – das als konkreter Bezugspunkt hätte herangezogen werden können – bereichert hatte.590 In dieser Hinsicht fällt Scholz’ Dedikation aus dem Rahmen der üblichen Widmungen: Im Normalfall bewegten sich die Zueignungen im Feld jener Gattungen, von denen bereits eine Komposition von Brahms vorlag. So auch die vier Kammermusikwidmungen Heinrich von Herzogenbergs, die in ähnlicher Weise wie die Widmung von Scholz auch als kompositorische Positionierung zu verstehen sind.591 Nach einer Zeit einer gewissen Offenheit592 gegenüber den Werken der ›Neudeutschen‹ wurde der Wahlleipziger zunehmend zum glühenden Verfechter des Kompositionsstils von Brahms – die ›Neudeutschen‹ 588 Altmann, Handbuch für Streichquartettspieler III, S. 228. Analog dazu hatte bereits kurz nach dem Erscheinen ein Rezensent geäußert, Scholz sei ein Komponist, »der befruchtet von den Ideen Schubert’s, Schumann’s und Brahms’ auch die Blüthen seiner Muse zu schönen lebensvollen Gebilden gezeitigt hat. B. Sch. ist Meister in der Behandlung des schwierigen Quartettstyls, nächst Kiel und Brahms dürfte es ihm keiner der Neueren darin gleichthun […]« (Der Klavier-Lehrer. Musik-paedagogische Zeitschrift 2/1 [1. Januar 1879], S. 7). 589 Das Streichquintett Nr. 1 F-Dur op. 88 erschien 1882 im Erstdruck, das Quintett Nr. 2 G-Dur op. 111 zehn Jahre später (1892). 590 Da Rezensenten gerade aufgrund von Widmungen derlei Vermutungen schnell äußerten (vgl. dazu Kap. I. 1. 1, ab S. 32), steht zu vermuten, dass Scholz sich bewusst dem direkten Vergleich mit einer konkreten Brahms’schen Komposition entzogen hat. Die Konstruktion eines Zusammenhangs hätte sonst jedenfalls nahegelegen. Das zeigt auch Hermann Goetz, der die Widmung seines Klavierquartetts op. 6 an Brahms mit der Inspiration durch die Klavierquartette von Brahms begründet. 591 Vgl. in diesem Sinn auch Wiechert, Herzogenberg, S. 166. 592 So orientiert sich Odysseus op. 16 stilistisch an der Symphonischen Dichtung, in der Kantate Columbus op. 11 werden von Friedrich von Hauseggers in der Grazer Tagespost (6. Dezember 1870) Anklänge an Wagner ausgemacht (vgl. Michael Aschauer : Einheit durch Vielfalt? Das Klavierkammermusikwerk ausgewählter »Konservativer« um Johannes Brahms [= Europäische Hochschulschriften. Reihe XXXVI: Musikwissenschaft, Bd. 247], Graz 2003, S. 84 und Wiechert, Herzogenberg, S. 141–144 und 147–160).

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stilisierte er nun gar zum »feindlichen Lager«.593 Obwohl Herzogenberg auch die anderen Kompositionen des von ihm verehrten Meisters sehr schätzte594 und sein Werkverzeichnis durchaus eine große Anzahl von Liedern und Klaviermusik aufweist, war gerade für die erste Widmung die ›reinste‹ Gattung der Kammermusik – das Streichquartett – die passende Wahl. Anders als Scholz und Herzogenberg sprach der Gewandhauskapellmeister Carl Reinecke nach der Widmung seiner Sonate für Cello und Klavier op. 238 an die »Manen Johannes Brahms« (1898) sogar explizit davon, durch die Dedikation ein öffentliches Zeichen seiner Hochachtung gegenüber dem Verstorbenen gegeben zu haben.595 Dieser Ausdruck der Wertschätzung ist wegen der komplizierten Stellung Reineckes im musikästhetischen Diskurs seiner Zeit besonders als (späte) Rechtfertigung und Positionierung zu lesen: Reinecke ist – obwohl er die Unterzeichnung der Erklärung einst zugesichert hatte596 – zeitlebens ein ambivalentes Verhältnis zu den inhaltlichen Positionen beider gegnerischen Seiten des Konflikts nachgesagt worden. In ästhetischer Hinsicht stand der als extrem konservativ geltende Gewandhauskapellmeister allerdings den Prämissen der Verfechter einer ›absoluten‹ Musik näher – er lehnte die Programmmusik der ›Neudeutschen‹ klar ab. Bis zuletzt beklagte er, dass ihm der Zugang und der Schlüssel zum tieferen Verständnis der Kompositionen des ihm auf persönlicher Ebene so sympathischen Liszt verwehrt geblieben seien.597 Reineckes negative Einstellung gegenüber dem Ideal der Programmmusik sorgte nun aber im Umkehrschluss keinesfalls für die kritiklose Anerkennung und Bewunderung von Brahms: Aussagen seiner Kompositionsschüler am Leipziger Konservatorium belegen, dass Reinecke aus seiner kritischen Haltung gegenüber der Person und einigen Werken des Wieners keinen Hehl machte.598 Spätere Rechtfertigungsversuche in den autobiographischen Erlebnissen und Bekenntnissen eines Gewandhauskapellmeisters können so auch nicht darüber 593 Zit. n. Wiechert, Herzogenberg, S. 85. 594 Das zeigt z. B. ein Brief vom 27. April 1877, in dem Herzogenberg ausführlich auf die Lieder opp. 69–72 eingeht, die Brahms ihm im Manuskript gesandt hatte (BW I, S. 21–25). 595 Reinecke, Erlebnisse, S. 168. 596 Brahms an Joseph Joachim, [etwa 5. Mai 1860], BW V, S. 273. 597 Denn trotz der inhaltlichen Differenzen ihrer kompositorisch-ästhetischen Standpunkte schätzte er den Menschen und Pianisten Liszt, dem er persönlich verbunden war, sehr. Kurzzeitig hatte er 1851 während eines Parisaufenthaltes auf Bitten Liszts sogar dessen Töchter Blandine und Cosima im Klavierspiel unterrichtet. Vgl. auch Reinecke, Erlebnisse, S. 214: »Es ist mir Zeit meines Lebens ein Herzenskummer gewesen, dass ich mich diesem grossen Künstler und guten Menschen niemals durch aufrichtige Bewunderung seiner Kompositionen habe dankbar erweisen können, aber es ist mir trotz allen Bemühens stets versagt geblieben, mich für dieselben zu erwärmen. Wer mich deshalb einseitig und beschränkt schilt, hat von seinem Standpunkt aus vielleicht recht, aber in Glaubenssachen wie im Kunstgeschmack kann man sich nun einmal zu nichts zwingen.« 598 Vgl. Stanford, Pages, S. 157.

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hinwegtäuschen, dass das persönliche Verhältnis zu Brahms zeitlebens kompliziert war. Wiederholt sah Reinecke sich Vorwürfen seitens der Brahms-Anhänger ausgesetzt, er befördere die Aufführung der Musik von Brahms in seiner Eigenschaft als Gewandhauskapellmeister nicht genug und sei aus diesem Grund für den zeitweiligen Leipziger Misserfolg der Kompositionen des Wiener Meisters mit zu verantworten.599 Tatsächlich tendierte Reinecke in seiner Leipziger Amtszeit allerdings allgemein dazu, die zeitgenössische Musikproduktion zugunsten der Werke eines historischen Kanons zumindest zu vernachlässigen.600 Jegliche besondere Missachtung von Brahms’schen Kompositionen stritt er in seiner Autobiographie dagegen vehement ab. Er konnte aber nicht umhin zuzugeben, er gehöre nicht zu jenen, die »Brahms unmittelbar neben unsere großen Klassiker stellen«.601 Implizit versagte er durch diese Aussage und seine hinlänglich dokumentierte gleichzeitige Einstellung gegenüber der Programmmusik sowohl den ›Neudeutschen‹ als auch den Verfechtern einer dauerhaften Musik um Brahms die Anerkennung, die legitime Nachfolge Beethovens angetreten zu haben: Die Komponisten des klassischen Repertoires waren aus seiner Warte von beiden Seiten nicht erreicht worden. Die gegenseitige Wahrnehmung von Reinecke und Brahms scheint insgesamt geprägt von nie ausgesprochenen Unterstellungen und Verdächtigungen – nicht ohne Grund schrieb man Reinecke unter anderem fälschlicherweise das Verfassen einer 1854 in der Süddeutschen Musikzeitung erschienenen Rezension zu, in der die ersten im Druck erschienenen Brahms’schen Kompositionen, insbesondere die frühen Sonaten, negativ bewertet wurden.602 Auch Brahms hing dem Irrglauben der Autorenschaft Reineckes bis zu seinem Tod an. Reinecke hingegen ahnte nach eigener Darstellung von den Unterstellungen nichts, Brahms hatte sich offenbar nie mit dem von ihm Verdächtigten über die Anschuldigung ausgesprochen, sondern sie geflissentlich ignoriert.603 Umgekehrt kritisierte 599 Kolportiert wird diese Einschätzung besonders von Johannes Forner (Hg.): Die Gewandhauskonzerte zu Leipzig. 1781–1981. Mit einem zusammenfassenden Rückblick von den Anfängen bis 1781, Leipzig 1981, S. 97. Peter Schmitz hat diese These ausführlich diskutiert und teilweise relativiert (vgl. Peter Schmitz: Johannes Brahms und der Leipziger Musikverlag Breitkopf & Härtel [= Abhandlungen zur Musikgeschichte, Bd. 20], Göttingen 2009, S. 142ff.). 600 Vgl. Helmut Loos: Reineckes Programmgestaltung, in: Die Tonkunst 2010/4, S. 477–482, besonders S. 481. Dazu auch Kathrin Seidel: Carl Reinecke und das Leipziger Gewandhaus (= Musikstadt Leipzig. Studien und Dokumente, hg. v. Thomas Schinköth, Bd. 2), Hamburg 1998, v. a. ab S. 67. 601 Reinecke, Erlebnisse, S. 168. 602 Ebd. 603 Vgl. den Bericht in den Erlebnissen Reineckes, S. 168: »Diese Äußerung hat mich doppelt gerührt, als ich drei Jahre nach seinem Tode durch seinen Biographen Max Kalbeck erfuhr, daß Brahms mich immer für den Verfasser eines Artikels gehalten hat, der im Jahre 1854 in der bei Schott in Mainz erschienenen Süddeutschen Musikzeitung seine ersten Werke in

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Brahms mehrfach die kompositorische Leistung des Leipzigers, er hatte – so überliefert es zumindest Richard Heuberger – Reineckes Talent einst als »ein ganz, ganz kleines«604 geschmäht. Sollte Reinecke diese Meinung bekannt gewesen sein, überrascht es nicht, dass er das Risiko einer Widmung erst nach dem Tod des Adressaten einging: Eine Bitte um Widmungserlaubnis war nun nicht mehr nötig, eine als Affront aufzufassende Ablehnung seitens des Widmungsträgers ausgeschlossen. Ein abschließendes Urteil zu fällen, bedürfte weiterer Untersuchungen – doch mit Sicherheit sind die Vorwürfe der Zeitgenossen gegenüber Reinecke in ihrer Absolutheit zu revidieren: Er lehnte keinesfalls Brahms’ Œuvre pauschalisiert ab, seine Kritik betrifft vielmehr bestimmte Werke. Immerhin setzte er sich wiederholt auch für Kompositionen von Brahms ein, u. a. mit der Erstaufführung der siebenteiligen Fassung von Ein Deutsches Requiem im Leipziger Gewandhaus am 18. Februar 1869. Die eigene schwierige Stellung im Konflikt und die Anschuldigungen des Brahms’schen Lagers waren Reinecke aber durchaus bewusst und belasteten ihn.605 Die Widmung der Sonate op. 238 an den kurz zuvor verstorbenen Brahms, die seine »Hochachtung« nun öffentlich ausdrückte, sollte in dieser Hinsicht als kalkuliertes Bekenntnis dienen. Denn trotz persönlicher Differenzen stand Reinecke in der Kontroverse um die Musikausrichtung der Zukunft ganz grundsätzlich auf der Seite der ›Konservativen‹. Diese Gesinnung wollte er zumindest in seinen Erlebnissen und Bekenntnissen vermittelt wissen: »Meine Verehrung für Brahms ist ganz deshalb, weil er jene Form stets hoch und heilig gehalten hat und nie etwas schuf, was einer Programmusik nur im Entferntesten ähnlich sieht.«606 Eine posthume Widmung bot die Möglichkeit, diese Einstellung zu unterstreichen und öffentlich gegenüber allen Kritikern zu demonstrieren – zumal der verstorbene Widmungsträger keine Einwände erheben konnte. Die Dediabfälliger und gehässiger Weise behandelte. Wer mir das angetan hat, das Gerücht auszusprengen, das bei allen Freunden von Brahms und bei ihm selbst Glauben fand, ahne ich nicht, und es schmerzt mich, daß Brahms diesen Verdacht mit ins Grab genommen hat. Ich selbst habe den Artikel nie gelesen und erfuhr bis dahin nicht einmal etwas von dessen Existenz!« Dass Brahms tatsächlich Reinecke für den Urheber hielt, beweist hingegen ein Eintrag im Tagebuch Richard Heubergers (vgl. Heuberger, Brahms, S. 98f.), der Brahms zitiert: »Merkwürdig ist, daß Reinecke mein erster Rezensent war. Als meine erste Sonate erschien, veröffentlichte Reinecke in einer in Mainz erscheinenden Musikzeitung eine Rezension über das Stück und machte es recht schlecht. Man hat ihm’s damals sehr verübelt!« 604 Heuberger, Brahms, S. 96f. 605 So beklagte sich Reinecke, er sei stets missverstanden worden, was sein Verhältnis zu Brahms beträfe, sei er doch der erste gewesen, »der jedes neu erscheinende Werk von Brahms sofort zur Aufführung brachte, auch in der Zeit, da er noch wenig Verständnis fand […] das Alles vergaß man oder wollte man vergessen.«Zit. n. Johannes Forner : Johannes Brahms in Leipzig. Geschichte einer Beziehung, Leipzig 1987, S. 44. 606 Ebd., S. 171.

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kation der Sonate op. 238 ist demnach in erster Linie eine kompositorische Strategie der Stellungnahme. Die Sonate zeigt sich im Gesamtbild ihrer textuellen und paratextuellen Bestandteile aus Widmung, Besetzung und Werkcharakter und in ihrer Eigenschaft als öffentliches Bekenntnis zum Musikideal des Verstorbenen als Trauermusik eines Brahminen mit durchaus eigenen Zügen. Bereits die Wahl der Besetzung wirkt kalkuliert: Das Cello, von Brahms einmal »mein Instrument«607 genannt, wirkt mit seinem warmen, dunklen Ton als optimale Besetzung des Ausdrucks von Trauer und Klage um den Verstorbenen. Die Sonate wird folgerichtig in einer Rezension zur Uraufführung als »erfüllt von trauernder Wehmuth«608 beschrieben. Tatsächlich erscheinen gerade die ersten beiden Sätze auch stilistisch als Referenz an den Widmungsträger.609 Ob die Widmung nun wirklich einen Sinneswandel widerspiegelt oder ob sie von Reinecke pragmatisch eingesetzt wurde, um die eigene Reputation zu lenken, ist ohne weiteres Quellenmaterial schwer zu entscheiden. Zumindest in den Augen des Rezensenten der NZfM hatte sich Reinecke jedenfalls rehabilitiert: Er ernannte die Sonate und besonders »dieses Allegro und vor allem das Andante mesto zu pietätvollem [sic] Denkmälern dauernder Freundschaft.«610 Andere kritische Stimmen konnte die Dedikation dagegen nicht zum Verstummen bringen. Der Leipziger Pianist und Konservatoriumslehrer Alfred Richter zweifelte jedenfalls noch im Jahr 1913 an der Aufrichtigkeit des Widmenden, sah die Zueignung vielmehr in Übereinstimmung mit einem Ausspruch Petrarcas als Bedürfnis nach Harmonie und als Kapitulation eines alten Mannes vor dem Konflikt mit den Zeitgenossen an: »Um seinen Pauluszustand611 zu erklären, hat er übrigens später bei Brahms’ Tod ein Werk geschrieben, das ›den Manen Brahms’‹ gewidmet war. Dabei fällt mir unwillkürlich das Zitat aus Petrarca ein, das Schopenhauer in einer Vorrede zu einer neuen

607 Tagebuchnotiz Richard Heubergers zum 8. Dezember 1894, vgl. Heuberger, Brahms, S. 73. 608 NZfM 93/3 (1897), S. 479. 609 Vgl. zur Komposition näher das Kapitel IV. 5 dieser Arbeit. Weitere Hinweise bietet auch Christiane Wiesenfeldt: Zwischen Beethoven und Brahms. Die Violoncello-Sonate im 19. Jahrhundert (= Kieler Schriften zur Musikwissenschaft, Bd. 51), Kassel 2006, S. 387–389. 610 NZfM 93/2 (3. November 1897), S. 479. 611 Paulus von Tarsus († um 65 n. Chr.) verfolgte als überzeugter Pharisäer die Anhänger des gekreuzigten Jesus von Nazareth. Nach einer Erscheinung des Auferstandenen setzte sich der durch dieses Ereignis Bekehrte als Missionar für die christliche Urgemeinde ein. Seine innere Wandlung wird durch die gängige Redensart »Vom Saulus zum Paulus« beschrieben. Eine Widmung aus einem aus solch tiefer, innerer Überzeugung erwachsenen Sinneswandel bezüglich seiner Position zur Person des Adressaten sprach Richter Carl Reinecke also ab, denn »wenn einer, der den ganzen Tag läuft, am Abend ankommt, ist es genug« (Übersetzung des Petrarca-Spruchs).

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Auflage eines seiner Werke auf sich selbst anwendet: si quis tota die currens, ad vesperam pervenit, satis est.«612

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Widmungen von ›Neudeutschen‹?

Im nur kurz angerissenen konfliktreichen Kontext des 19. Jahrhunderts ist es bemerkenswert, dass auch nach der von Unsicherheiten geprägten Phase der frühen 1860er Jahre, für die Jensens Widmung der Fantasiestücke op. 7 ein Beispiel bildet, Komponisten, die in der Forschung gemeinhin eindeutig der ›Neudeutschen Schule‹ zugerechnet werden, Brahms ein Werk zueigneten. Wieder zeigen sich die Durchlässigkeit der ästhetischen Grenzen und die zunehmende Toleranz unter den Anhängern beider Lager. Denn wenn sich ein Komponist für die Widmung an Brahms entschied, musste er zumindest ein gewisses Maß an Akzeptanz und Bewunderung für die Werke des Adressaten aufweisen – unter den Widmenden, die in der heutigen Forschungsliteratur üblicherweise der ›neudeutschen‹ Ästhetik zugerechnet werden, sind dementsprechend nur Vertreter einer gemäßigteren Ausrichtung zu finden: Sie konnten die Gegenposition würdigen und aus beiden Polen die für ihre kompositorische Arbeit hilfreichen Errungenschaften aufgreifen. Es ist kein Zufall, dass dies vor allem (aber nicht ausschließlich) Komponisten einer jüngeren Generation betrifft, die die Kontroverse in all ihrer Härte nur aus Erzählungen kannten und deswegen im eigenen Zugang unbefangener waren.613 Kompromisslose ›Neudeutsche‹ der Generation um Liszt sind unter den Widmenden also nicht vertreten. So ist es nur folgerichtig, dass Clara Schumann 1879 in ihrem Tagebuch als zumindest eingeschränkt löbliche Ausnahmen der komponierenden »Wagner-Richtung«, der sie eine »entsetzlich große und verderbliche« Tragweite zuerkennt, unter drei Namen immerhin zwei jener Komponisten aufzählt, die Brahms trotz ästhetischer Differenzen schätzten und ihm als öffentlichen Ausdruck dieser Wertschätzung ein Werk widmeten:

612 Alfred Richter : Aus Leipzigs musikalischer Glanzzeit. Erinnerungen eines Musikers, hg. v. Doris Mundus, Leipzig 2004, S. 175. 613 Wie fest dagegen z. B. die Einstellung Clara Schumanns war, zeigen späte Äußerungen der Künstlerin zu Liszt und Wagner. Liszt bezeichnete sie noch einen Tag nach seinem Tod in einem Tagebucheintrag vom 1. August 1886 als »schlechte[n] Componist – auch hierin für viele verderblich, doch dies nicht so nachhaltig, weil seinen Compositionen alle oben genannten Eigenschaften, die er als Virtuos besitzt, fehlen; sie sind trivial, langweilig und sicher werden sie mit seinem Hinscheiden bald ganz aus der Welt schwinden« (vgl. Litzmann, Künstlerleben III, S. 479). Brahms positionierte sie in eben diesem Tagebuch am 10. Januar 1889 im Gegensatz dazu als »kräftige gesunde Gestalt«, an der die Menschheit vom »Wagner-Delirium« gesunden könne (Litzmann, Künstlerleben III, S. 479).

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»Außer etwa [Adolf] Jensen, [Jean Louis] Nicod¦, Hoffmann hat keiner mehr Ohr für Wohlklang; es ist entsetzlich, wie die Leute mit den Harmonien herumspringen, Auflösungen sind ganz überflüssig… und wie wenig Natur haben die jungen Componisten!«614

Am eindeutigsten wird heute allerdings aus der Gruppe der Widmenden der Liszt- und Wagnerschüler Carl Tausig, der bis zu seinem Tod eng mit seinen Lehrern verbunden blieb, der ›neudeutschen Schule‹ zugeordnet. Neben ihm gelten vor allem Jean Louis Nicod¦, Leander Schlegel, Johann Carl Eschmann, Anton Urspruch, Adolf Jensen, Johann Gustav Eduard Stehle und Philipp Wolfrum in ihrer Ausrichtung tendenziell als Sympathisanten und Vertreter der »Zukünftler«. Viele von ihnen waren sogar wie Tausig zeitweise Schüler von Liszt (zu nennen sind unter anderem Jensen oder Urspruch), andere standen in engem Kontakt mit Wagner : Eschmann ist zu seinem Zürcher Freundeskreis zu zählen. Andere Komponisten wie Hans Huber werden in der heutigen Forschung zwar nicht unbedingt der ›neudeutschen Schule‹ zugeordnet, geben selbst aber zumindest eine – teils nur zeitweilige – Sympathie für Wagner, Liszt und deren musikästhetischen und kompositorischen Ideale an.615 Mehrere Gründe sind für die Annäherung der genannten Komponisten an Person und Kompositionsstil von Brahms anzuführen, die schließlich in einer Dedikation resultierte. Wichtig ist das persönliche Beziehungsnetzwerk: Einige Komponisten – wie z. B. Urspruch616 – hatten Brahms über gemeinsame Kontakte persönlich kennen und schätzen gelernt. Zusätzlich beförderte das Abflauen der öffentlich geführten theoretischen Debatte das Umdenken. Nach dem Höhepunkt der Auseinandersetzungen in der Zeit des Manifests erschienen die mit solcher Vehemenz geführten Diskussionen folgenden Generationen von Komponisten zunehmend unwichtig. Auch früher involvierte Musiker, die ihre extreme Position mehr und mehr revidierten und relativierten, konnten mit Abstand die Verve, mit der der Streit einst geführt wurde, bedauern: »Man hat seiner Zeit – dem Himmel sei Dank, ist das Streitobject aus der Mode gekommen – die ›Zukunftsmusik‹ mit dem ›rothen Gespenst‹ in der Politik verglichen 614 Tagebucheintrag Clara Schumanns vom Oktober 1879, zit. n. Litzmann, Künstlerleben III, S. 404. 615 Huber, der erst Richard Wagner verehrte und sich dann Brahms zuwandte, soll diesem allerdings in späteren Jahren wiederum kritisch gegenüber gestanden haben. So soll er, berichtet Friedrich Hegar an Widmann, der sehr kritischen Rezension Selmar Bagges zur 4. Sinfonie op. 98 von Brahms uneingeschränkt zugestimmt haben: »Unter den Ersten, die ›Kreuzige ihn‹ schrien, war Hans Huber, der seine Zustimmungsadresse mit den Worten begann: bravo bravissimo!« (vgl. Sibylle Ehrismann: Engagierte Verehrung und kühles Befremden: Die Brahms-Rezeption in der Schweiz bis 1900, in: Internationaler BrahmsKongress Gmunden 1997. Kongreßbericht, hg. v. Ingrid Fuchs [= Veröffentlichungen des Archivs der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien, Bd. 1], Tutzing 2001, S. 181). 616 Urspruch hatte mit Clara Schumann am Frankfurter Konservatorium unterrichtet.

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und vielleicht nicht mit Unrecht. Ihre Anhänger durften zum Theil destructiv-radicaler Tendenzen beschuldigt werden, wie denn auch Herzog Ernst von Coburg-Gotha, bei jeder Begegnung mit Franz Liszt an einem der kleinen thüringischen Höfe, die Frage: ›Halten Sie sich noch immer Ihre Räuberbande?‹ niemals zu unterlassen pflegte. Die ›Röthesten‹ unter uns hätten, wäre Gelegenheit geboten gewesen, vielleicht gar ein paar Monate lang ›Pariser Commune‹ gespielt. Aber wie trotz aller Barbarei der Standpunkt der Pariser Ursurpatoren gegenüber den Versailler Ursurpatoren nicht als der des sonnenklaren absoluten Unrechts bezeichnet werden darf, so dürften für die in jener Epoche von uns verübten Extravaganzen (zum Theil Repressalien), Respectlosigkeiten, kurz ›Flegeleien‹ aller Art, denn doch billiger Weise einige mildernde Umstände in Betracht zu ziehen sein. Karl Tausig beklagte, wie, mehr oder weniger, alle seine Mitpatienten in jener ›Entwicklungskrankheit‹, die auch von ihm begangenen Toll- und Thorheiten; niemals kam es ihm jedoch in den Sinn, den feurigen Enthusiasmus zu bereuen, der schließlich doch auch der Motor der Extravaganzen, der Stamm dieser Auswüchse gewesen war […].«617

Der Ausschnitt aus dem 1871 veröffentlichten Nekrolog Bülows auf den mit nur 29 Jahren verstorbenen Carl Tausig – der Brahms 1869 seine Klavierübertragungen von Choral-Vorspielen von Joh. Seb. Bach gewidmet hatte – verdeutlicht, dass die zeitweilig so verbittert geführte Diskussion um die musikästhetische Ausrichtung ab der Mitte der 1860er Jahre zumindest sukzessive etwas an Kraft verlor. Dieselbe Meinung scheint ebenfalls in der bereits zitierten Aussage Hans Hubers durch: Auch der Schweizer Komponist betont, dass die Ausbildung jüngerer Komponistengenerationen weniger von ästhetischen Diskussionen und Streitigkeiten geprägt sei, als dies in der Zeit seiner Ausbildung der Fall gewesen sei. Die jungen Komponisten hätten es demnach in der »Kunstmoral […] leichter«.618

617 Aus dem ausführlichen Nekrolog Hans von Bülows auf Carl Tausig in den SmW 29/35 (22. August 1871), S. 545–553, hier S. 549. In der zitierten Passage nutzte Bülow die Form des Nekrologs, die doch eigentlich der Trauer um einen bestimmten Menschen und der Würdigung seiner Leistungen Raum bieten soll, um musikpolitisch Stellung zu beziehen. Diese Funktion wurde durchaus erkannt und der hier ausgedrückte Sinneswandel Bülows wiederum publizistisch verarbeitet, vgl. S. B. [Selmar Bagge]: Herrn v. Bülow’s Geständnisse, in: AmZ 6/39 (27. September 1871), S. 609–611. 618 Refardt, Hans Huber, S. 81f. Arnold Schönberg bestätigt in seinem vielzitierten Aufsatz Brahms, der Fortschrittliche: »Was 1883 eine unüberbrückbare Kluft erschien, war 1897 kein Problem mehr. Die größten Musiker jener Zeit, Mahler, Strauss, Reger und viele andere, waren unter dem Einfluß beider Meister groß geworden. […] Was damals ein Streitobjekt gewesen war, war zum Unterschied zwischen zwei Persönlichkeiten, zwei Ausdrucksstilen geschrumpft, nicht gegensätzlich genug, die Einbeziehung von Eigenschaften beider in ein Werk zu verhindern« (Arnold Schönberg: Brahms, der Fortschrittliche, in ders.: Stil und Gedanke, Leipzig 1989, S. 99–143, hier S. 100. Auch zit. bei Schmidt, Brahms und seine Zeit, S. 160).

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Henri Gobbi – Der Sonderfall der handschriftlichen Übereignung Das Wissen um die musikpolitische Brisanz der ästhetischen Kontroverse wird manche Widmung an Brahms verhindert haben. Denn ihm selber war die Aussage einer Dedikation im Kontext des Parteienstreits bewusst, folgerichtig lehnte er trotz einer gewissen Toleranz Widmungen von Werken ab, die ihm zu sehr von dem durch ihn vertretenen musikästhetischen Ideal abwichen. So verweigerte er 1877 über die Druckablehnung seines Verlegers Simrock indirekt619 die Annahme der ihm angetragenen Dedikation von Etüden Wilhelm Maria Puchtlers. Inhaltliche und ästhetische Ansichten divergierten in diesem Fall zu stark. Zwar konstatierte ein Nachruf auf den jung verstorbenen Puchtler, dieser habe, obwohl »ursprünglich Neuromantiker [= ›Neudeutscher‹] bis zum Extrem«, doch »mit jedem neuen Werk an Klarheit gewonnen«620 – Brahms ging diese Annäherung allerdings offenkundig nicht weit genug, er stellte eine zu große Ähnlichkeit der Großen Etüden mit den Idealen der von Liszt vertretenen Ästhetik fest: »Die Etüden sind horrend schwer und sehr unpraktisch, wie mir scheint. Ich möchte einmal seinen Fingersatz dazu sehen. Auch sind sie ja sehr lang. Sie interessieren möglicherweise die Zukünftler – er sollte sie Liszt widmen. Die andern Sachen sind bloß hässlich, was die Etüden nebenbei sind.«621

Die abgelehnten Etüden wurden offenbar nie gedruckt, auch im Manuskript waren die Noten nicht auffindbar. Ein Abgleich mit den im Brief formulierten Schlagworten zur vertiefenden Sicht auf die von Brahms vertretenen Kriterien einer ästhetisch korrekten Kompositionsweise war demnach unmöglich. Festzuhalten bleibt aber, dass Brahms seinen Namen in keinem Fall über eine Dedikation mit einem Werk verbunden wissen wollte, welches er eindeutig der Liszt’schen Ästhetik der »Zukünftler« zuordnete. Dies schon allein, da sich die öffentliche Reaktion auf eine einmal im Druck mitgeteilte Zueignung, die unweigerlich ein enges Verhältnis zwischen dem entsprechenden Werk und seinem Namen herstellte, seinerseits nicht mehr steuern ließ. Eine angenommene und daraufhin im Druck veröffentlichte Widmung war für Brahms also in jedem Fall 619 Indirekt, da die Antwort auf die Bitte um Widmungserlaubnis in typischer Art und Weise vage gehalten ist. Weder eine Zustimmung noch Ablehnung ist aus dem Text abzulesen. Die Kritik ist allerdings deutlich und berührt genau die Felder, die Brahms bei Kompositionen der ›Neudeutschen‹ monierte: Das Werk sei ein »energisch einseitiges« und »ganz ausnahmsweise schwer, Ich möchte annehmen, dass Sie sie spielen können – also sich als Virtuosen jedenfalls Ansehen verschaffen werden. Eigentlich möchte mir das der Weg scheinen den die Etüden zunächst zu gehen haben?« Vgl. zu dieser Widmung bes. Münster, Puchtler, o. S. 620 AmZ 17/6 (8. Februar 1882), S. 89f. Aber auch der Rezensent muss anerkennen, dass selbst in Puchtlers letztem Werk »die neudeutsche Wildheit« noch nicht ganz überwunden sei. 621 Brahms an Fritz Simrock, [6. Juni 1877], BW X, S. 37.

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eine indirekte ästhetische Positionierung seinerseits: Auch die Ablehnung einer Dedikation ist damit eine – freilich weniger öffentliche, da im Normalfall nur vom Komponisten des betreffenden Werks wahrgenommene – Aussage in der Kontroverse, die zusätzlich indirekt die öffentliche Wahrnehmung der eigenen Position steuerte. Denn das als unpassend empfundene Werk konnte ohne Widmung die Rezeption der eigenen Person nicht beeinflussen. Vielleicht aus diesem Grund wählte der ungarische Komponist und LisztSchüler Henri Gobbi keine Dedikation, sondern einen privateren Weg, um Brahms seine Wertschätzung zu beweisen. Gobbi stellte sich mit seiner PremiÀre grande Sonate dans le Style hongrois pour le piano op. 13 seinem späteren Lehrer Liszt vor – ihm, seinem »Ideal und gütigen Leitstern«622, widmete er später auch den Druck dieses Werks.623 Die Öffentlichkeit stellte in der Folge einen direkten Zusammenhang zwischen Werk und Widmungsträger her : Gobbis Sonate, »die erste ›ungarische Sonate‹«, sei »mehr fantasirt als componirt. Wie man aber Beides in Eines fassen kann, wird Herr Gobbi z. B. in Liszt’s so großartig fantasirter als kunstvoll componirter Hmoll-Sonate finden«.624 Ungarische Thematik verbindet sich mit betont fantasieartiger Kompositionsweise – genau deswegen hätte das Werk Brahms nur schwer offiziell zugeeignet werden können.625 Denn dieser zeigte in seinen Kompositionen zwar ebenfalls eine Vorliebe für Ungarismen, fasste diese allerdings bewusst in die tradierten kunstmusikalischen Formen. Er legte besonderen Wert auf die »künstlerische Form«626 seiner Kompositionen, während Liszt das »phantastisch epische Element«627 als unabdingbares Charakteristikum der Musik seines Heimatlandes bezeichnete. 622 Vgl. die handschriftliche Übereignung einer für das Liszt-Jubiläum 1873 komponierten Festkantate von Henri Gobbi: »Dem großen Meister Herrn Dr. Franz Liszt, meinem Ideal und gütigen Leitstern diese kleine Arbeit, als schwachen Beweis meiner unbegrenzten Verehrung und Dankbarkeit.« Zit. n. Franz Liszt: Briefe aus ungarischen Sammlungen, 1835–1886, gesammelt und erläutert von Margit Prah‚cs, aus dem Ungarischen übertragen von Tilda Alpari, Basel u. Kassel 1966, S. 397. 623 Henri Gobbi: 1.ere grande sonate dans le style hongrois, »õ monsieur l’Abb¦ Dr. FranÅois Liszt«,Pest: Rûzsavölgyi o. J. Vgl. zur Widmung auch die Rezension in den SmW 28/3 (11. Januar 1870), S. 35. Die Art und Weise der Kontaktaufnahme über eine Sonate mit ungarischer Thematik wird Gegenstand sorgfältiger Planung gewesen sein: Die Konstruktion einer gemeinsamen biographischen und künstlerischen Basis in der gemeinsamen Nationalität stellte ein probates Mittel dar, um sich die Aufmerksamkeit Liszts zu sichern. Auch sonst setzte sich Gobbi für die Werke seines Lehrers ein, besonders jene mit ungarischem Bezug. So übersetzte er eine Studie Korn¦l Abr‚nyis zu Liszts Ungarischer Krönungsmesse aus dem Ungarischen ins Deutsche (vgl. die Verlagsanzeige in AmZ 6/40 [4. Oktober 1871], Sp. 638). 624 Rezension in den SmW 28/3 (11. Januar 1870), S. 35. 625 Vgl. zur Thematik der Widmungen mit ungarischem Kolorit auch Kap. IV. 2. 3. 626 Richard Barth: Johannes Brahms und seine Musik, Hamburg 1904, S. 52. 627 Franz Liszt: Die Zigeuner und ihre Musik in Ungarn, dt. bearb. v. Peter Cornelius, Pest 1861, S. 257.

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Jene Sympathie, die Gobbi als Schüler und Freund für die Werke Liszts zeigte, und die sich unter anderem in der ihm gewidmeten Sonate manifestiert, schloss jedoch die Wertschätzung anderer Komponisten nicht aus: Gobbi achtete auch die kompositorische Leistung von Brahms. Er hatte ihn auf einer Wienreise in der Mitte der 1860er Jahre kennengelernt628 und bemühte sich in seiner Heimat Ungarn als Pianist aktiv um die Verbreitung seiner Werke.629 Dieser Wertschätzung verlieh er besondere Bedeutung: Gerade seine Liszt zugeeignete Grande Sonate op. 13 überreichte er anlässlich eines Konzertes in Pest630, bei dem Brahms persönlich anwesend war, in einem Exemplar mit handschriftlicher Übereignung auch Brahms.631 Die Doppelwidmung zeigt: Gobbi konnte die unvoreingenommene Bewertung der Qualität der Komposition durch Brahms trotz der gedruckten Widmung an Liszt voraussetzen. Wege der Annäherung – die Bedeutung des Beziehungsnetzwerks Die Übereignung Gobbis an Brahms diente primär als privates Geschenk und Ausdruck der Wertschätzung – die Voraussetzung ist deswegen noch viel mehr als im Rahmen einer gedruckten Dedikation die persönliche Bekanntschaft. Persönlicher Kontakt ist aber auch das Merkmal, das die meisten Komponisten ›neudeutscher‹ Prägung, die Brahms ein Werk im Druck dedizierten, fast ausnahmslos einte: Sie standen mit dem Adressaten ihrer Dedikation oder mit Personen seines engen Bekanntenkreises in direktem Austausch und konnten so einen Bezug zu Brahms aufbauen und einen tieferen Einblick in sein Werk gewinnen. Gute Brahms-Freunde sind hier ideale Multiplikatoren einer 628 Vgl. Szilvia Gyöngyösi: Gobbi Henrik, a Zeneaakad¦mia zongoratan‚ra. Liszt ¦s Gobbi kapcsolata, in: Muszika 44/10 (Oktober 2001), S. 34. 629 Vgl. Stefan Fricke: Zwischen Volks- und Kunstmusik. Aspekte der ungarischen Musik, Saarbrücken 1999. 630 Pest ist neben Buda und ­buda eine der drei Städte, die 1873 zur heutigen ungarischen Hauptstadt Budapest vereinigt wurden. 631 »Herrn Johannes Brahms j achtungsvoll j Henri Gobbi j Pesth 7/12 1867«. Vgl. Fricke, Ungarische Musik, S. 58. Kurt und Renate Hofmann (Brahms als Pianist und Dirigent, S. 100f.) verzeichnen für den 7., 9. und 10. Dezember 1867 Konzerte unter Mitwirkung von Brahms in Budapest. Stimmt die Übertragung des Widmungsdatums, muss der Druck früher als im gemeinhin angenommenen Jahr 1868 (eine zweite Auflage beim Pesther Verlag Rûzsavölgyi wird auf 1870 datiert) entstanden sein, spätestens nämlich 1867 – mithin vor dem ersten persönlichen Zusammentreffen Liszts mit Gobbi. In einem Brief vom Februar 1867 bedankt sich Liszt für die Übersendung von Kompositionen durch Gobbi und lobt besonders jene Grande Sonate (vgl. Michael Short [Hg.]: Liszt Letters in the Library of Congress [= Franz Liszt Studies Series, Nr. 10], Washington 2003, S. 166). Sie war ihm also nachweisbar schon 1867 bekannt und kann durchaus im selben Jahr mit der Widmung gedruckt worden sein. Tatsächlich kann die erste Auflage, die bei T‚borszky ¦s Parsch verlegt wurde, aber auch ohne Widmung erschienen sein – dies wäre zwar ungewöhnlich, aber nicht undenkbar.

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Brahmsbegeisterung und konnten den Abstand zwischen Komponisten und zukünftigem Widmungsadressaten überbrücken.632 Denn oftmals bildete ein erstes Treffen mit dem späteren Widmungsträger den Ausgangspunkt für den Aufbau von Respekt und Anerkennung und einer damit einhergehenden Annäherung an Brahms. Anton Urspruch traf beispielsweise als Kollege von Clara Schumann am Konservatorium in Frankfurt am Main erstmals persönlich mit Brahms zusammen und widmete ihm in der Folge seinen Hymnus Ave maris stella.633 Auch der Annäherungsweg des Schweizer Komponisten Hans Huber verläuft grundsätzlich in ähnlichen Bahnen. Huber bevorzugte trotz seines Studiums am sehr konservativ ausgerichteten Leipziger Konservatorium bei Carl Reinecke anfangs klar die Kompositionen Wagners und Liszts. So wie Carl Tausig änderte er allerdings zunehmend seine dezidiert fortschrittliche Einstellung. Bezeichnete er noch 1872 Richard Wagner als den »genialsten Mann des Jahrhunderts«634 und bemerkte, der Name »Fuge« verursache schon einen »Schrei des Entsetzens und der Furcht«635, zollte er gerade Brahms bald zunehmend Respekt. Er hatte ihn in seinem letzten Leipziger Studienjahr 1873/74 persönlich kennengelernt – im Haus des Brahmsfreundes und -Widmenden Heinrich von Herzogenberg. Huber zeigte sich nach dem Treffen zutiefst begeistert: »Das Zusammenleben mit dem genialsten und geistreichsten der neueren absoluten Komponisten werde ich nie vergessen. Ich habe ihn durch Zufall und glückliches Zusammentreffen von den verschiedensten Seiten kennen gelernt; als ausgezeichneten Dirigenten, feinen Klavierspieler, wie auch liebenswürdigen Menschen. Ich hatte selbst die Ehre, im Hause von Herzogenberg mit ihm seine vierhändigen Ungarischen Tänze durchspielen zu können, was mir ungeheuer interessant und lehrreich war«.636

Ein persönliches Treffen an seinem Studienort Leipzig, vermittelt über einen gemeinsamen Bekannten, hatte also den Ausschlag gegeben: 1878 dedizierte er, der sich nun in der Bitte um Widmungserlaubnis selber als »begeisterter Schwärmer Ihrer Musik«637 bezeichnet, Brahms seine Walzer für Klavier zu 4 Händen, Violine und Violoncell op. 27, ein Werk, das wie eine Synthese aus der Beschäftigung mit den unterschiedlichen Ausprägungen des Brahms’schen Walzer-Œuvre erwachsen zu sein scheint.638 632 Sie wirken damit als ›bridge‹ im Sinn der Netzwerkforschung. Vgl. zum Konzept Granovetter, Strength of Weak Ties, S. 1364. 633 Vgl. zu Urspruch am Frankfurter Konservatorium auch Kap. III. 3. 3. 634 Gian Bundi: Hans Huber. Die Persönlichkeit nach Briefen und Erinnerung, Basel 1925, S. 42. 635 So in einem Brief vom April 1872, zit. n. Bundi, Hans Huber, S. 34. 636 Bundi, Hans Huber, S. 51f. 637 So in der Bitte um Widmungserlaubnis, die Hans Huber am 14. Januar 1878 an Brahms sandte. 638 Vgl. dazu näher das Kapitel IV. 2. 2, zu Huber ab S. 325.

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Auch bei Johann Carl Eschmann, eigentlich enger Bekannter Wagners639, ist mit dem ersten persönlichen Treffen eine tiefe Bewunderung für die Brahms’sche Musik auszumachen. Wie bei Huber ist zumindest der erste vertiefte Kontakt mit den Kompositionen von Brahms über einen gemeinsamen Bekannten, auf den ebenfalls eine Widmung zurückzuführen ist, entstanden. Er erlernte bei Theodor Kirchner, dem engen Bekannten Brahms’ in Winterthur, das Bratschen-Spiel und kam spätestens dort mit Kompositionen seines späteren Widmungsadressaten in Kontakt. 1866 lernte er ihn auch persönlich kennen.640 Im selben Jahr erschien in der AmZ das Urtheil eines schweizerischen Musikers über Brahms – das Akronym J. C. E. des Unterzeichnenden kann unschwer mit dem Name Eschmanns in Verbindung gebracht werden. In diesem Text nimmt der Autor Brahms vor jeglicher Kritik aus dem ›neudeutschen‹ Lager in Schutz: »Wenn eine reiche Phantasie, eine Schöpferkraft, die fähig ist, in einer Kunst ganz neue, noch ungeahnte Pfade zu betreten, dieser Kunst ganz neue, noch unentdeckte Gebiete zuzuführen, wenn Tiefe und Poesie der Empfindung, verbunden mit vollkommener Beherrschung aller technischen Hülfsmittel, wenn Geistesadel, in unablässigem Studium der hervorragendsten schon vorhandenen Kunstwerke geläuterter Geschmack, Fleiss, sonstige vielseitige und reiche Bildung und ernstestes Streben nach dem Höchsten, – wenn diese Eigenschaften vereinigt den Meister machen, so verdient Brahms diesen Titel, wie gegenwärtig kein Anderer. […] Wenn die Kritik Brahms Manierirtheit [sic] vorwirft, so thut sie sehr Unrecht; jeder bedeutende, auch der bedeutendste Componist hat seine eigene Manier, an der man ihn sogleich erkennt und die ihn scharf von Andern unterscheidet, Beethoven so gut als Bach, Mozart, Haydn, Schubert, Schumann, Mendelssohn, Gade. Alle Achtung vor der Manier eines Componisten, der nichts Anderes sein und geben will, als sich selber! Brahms mag wohl hie und da auch seine Schrullen und Eigenheiten haben; die finden sich aber bei jeder hervorragenden Individualität. […] Somit sei denn unsere innigste und festeste Ueberzeugung ausgesprochen, dass das, was Robert Schumann einige Jahre vor seinem zu frühen Hinscheiden in prophetischem Geiste über Brahms ausgesprochen hat, sich vollständig erfüllen wird und muss; diese Ueberzeugung gewannen wir sogleich von dem Augenblick an, wo wir die erste Serenade kennen lernten, und sie wurde mit jedem

639 Eschmann, Schüler des Wagner-Freundes Alexander Müller, hatte Wagner in den 1850er Jahren in Zürich kennengelernt, spielte in Konzerten unter seiner Ägide als Geiger und zählte zu seinem Bekanntenkreis. Vgl. zur wechselhaften Stellung Eschmanns zu Wagner v. a. Chris Walton: Richard Wagner’s Zurich. The Muse of Place, New York 2007, bes. S. 129–137. 640 Dieses erste persönliche Treffen fand im Haus des gemeinsamen Bekannten Theodor Billroth statt. Vgl. zur Beziehung von Brahms und Eschmann auch Werner G. Zimmermann: Johannes Brahms und J. Carl Eschmann, in: ders.: Brahms in der Schweiz. Eine Dokumentation, Zürich 1983, S. 57–58.

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folgenden Werke auf ’s Neue bestätigt. Im unwandelbaren Glauben an diese Erfüllung wollen wir denn hiermit unsern Artikel beschliessen.«641

Spätestens mit diesem Artikel war Eschmann auch öffentlich in das Lager von Brahms übergewechselt, in seinen Ein Hundert Aphorismen griff er die ›Neudeutsche Schule‹ schließlich in klaren Worten an.642 Der persönliche Kontakt, der in allen geschilderten Fällen über gemeinsame Kontakte vermittelt wurde, half, die durch die ästhetischen Diskussionen aufgebauten Barrieren abzubauen und Respekt vor der Leistung des in der öffentlichen Wahrnehmung als konservativ eingeschätzten Brahms zu wecken. Die Annäherung wurde freilich dadurch erleichtert, dass auch Brahms durch eine grundsätzliche Offenheit gegenüber den Werken dieser Komponisten gekennzeichnet ist: Er hatte seinen ›neudeutschen‹ Zeitgenossen gegenüber eine durchaus differenzierte Meinung. Mit einigen der Widmenden ›neudeutscher‹ Prägung, wie Tausig, Eschmann oder Urspruch stand er zeitweilig in regem Kontakt und schätzte ihre Werke sehr. Aber auch gegenüber den Hauptkontrahenten zeigte er Respekt: Trotz der Unterschiede in der Bewertung musikästhetischer Fragen musste Joseph Joachim in einem Brief an seine Frau konstatieren, Brahms lasse »gerne bewundernd von Wagner sich vernehmen«643, er wisse die Opern des Meisters durchaus zu schätzen.644 Doch die Unvoreingenommenheit, die ihn Musiker wie Tausig respektieren ließ, hatte Grenzen: Der Musik Liszts stand er kritisch gegenüber. Zwar »pries [er] Liszts Charakter ungemein«645, nahm aber eine dezidiert ablehnende Haltung gegenüber seinen Kompositionen ein.646

641 Urtheil eines schweizerischen Musikers über Brahms, in: AmZ 1/26 (27. Juni 1866), S. 208f. 642 Chris Walton bescheinigt Eschmann auch auf Grundlage dieser Quelle, er sei in seinen letzten Jahren »wholly into the Brahmsian camp« gewechselt (Walton, Richard Wagner’s Zurich, S. 137). 643 Joseph Joachim an Amalie Joachim, 15. Juli 1870 (Joachim-BW III, S. 47). 644 So wollte Brahms auch das Manifest gegen die ›Neudeutschen‹ explizit nicht auf Wagner bezogen wissen. Am 1. Januar 1863 hatte Brahms sich gegenüber Joachim in einem Brief sogar als »Wagnerianer« bezeichnet, um sich von »der leichtsinnigen Art, wie die Musiker hier gegen ihn sprechen« bewusst abzusetzen (BW V, S. 326, dazu Sandberger, »Altdeutsch« versus »Neudeutsch«, S. 6f.). Die Selbsteinschätzung ist demnach auch von topographischen Voraussetzungen beeinflusst – im sehr konservativen Wien galt bereits Brahms als »Wagnerianer«, während er in anderer Umgebung als konservativer Gegenspieler betrachtet wurde. 645 Heuberger, Brahms, S. 36. 646 »Zuerst war ich bei Liszt, fand jedoch bald, daß ich nicht dorthin tauge. Da war gerade die schönste Zeit, da all das Zeug entstand, die ›Symphonischen Dichtungen‹ und dergleichen und das wurde mir bald entsetzlich. Ich war doch damals schon ein energischer Kerl und wußte, was ich wollte. Nach ein paar Wochen ging ich fort und seitdem, so oft ich auch mit Liszt noch äußerlich ganz freundschaftlich verkehre, war’s wie abgeschnitten zwischen uns.« Vgl. Heuberger, Brahms, S. 60.

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Fast noch aufschlussreicher als die Kenntnis der genauen Gründe der Ablehnung einer Widmung (wie im Falle Puchtlers) ist deswegen der – freilich mit der gebotenen Vorsicht zu treffende – Umkehrschluss: Die Widmungen, die Brahms annahm, müssen, auch wenn sie von aus heutiger Sicht als ›neudeutsch‹ klassifizierten Komponisten herrühren, seinem ästhetischen Urteil bis zu einem gewissen Maß standgehalten haben. Einmal mehr wird die Sorgfalt, die die Komponisten auf die Auswahl verwendeten, unterstrichen. Kein Komponist eignete Brahms eine Oper zu, ebenso wenig Sinfonische Dichtungen, die einen inhaltlichen Bezug zu den Idealen der ›Neudeutschen‹ evoziert hätten. Die Ausnahme der Sinfonischen Variationen Koeßlers und Nicod¦s, die beide ein Programm tragen, sind aus der zugrundeliegenden Form der Variation, insbesondere der Orchestervariation heraus zu erklären, für die Brahms paradigmatisch mit seinem Schaffen – vor allem den Haydn-Variationen op. 56 – stand. Gerade Koeßler umging mit seinen Variationen, die den Anspruch »eine[r] Art Brahmsbiographie, eine[r] Menschenschilderung in Tönen«647 vertraten und deren Teile deswegen in einer ersten Fassung programmatische Überschriften mit Bezug zum Leben von Brahms erhalten sollten648, aber das Problem der Anerkennung durch den Widmungsträger : Als Zueignung, die erst nach dem Tod des Adressaten gedruckt wurde, konnte sich der Widmungsträger nicht mehr gegen eine Veröffentlichung aussprechen. Und es scheint zumindest zweifelhaft, ob Brahms, der durch die Vernichtung von Briefen und Materialien des kompositorischen Prozesses seiner Werke die Wahrnehmung seiner Person auch post mortem im Rahmen seiner Möglichkeiten zu beeinflussen suchte, einer solchen musikalischen Ausdeutung seines Lebens zugestimmt hätte. Die Widmungswerke der Anhänger der ›Neudeutschen‹ lassen sich stattdessen in dem abgesteckten Feld der auch in konservativen Kreisen gängigen Gattungen einordnen: Trios, Quartette und ähnliche Kammermusikwerke sind zwar bezeichnenderweise nicht zu verzeichnen, wohl aber ein Klavierzyklus Eschmanns, eine Orgelsonate des Bachforschers Philipp Wolfrum (eines Münchner Schülers von Rheinberger und Wüllner), das oratorische Ave maris Stella Urspruchs. Wie nun Komponisten trotz aller Differenzen ganz konkret über den biographischen auch einen kompositorischen Zugang zum »kammermusikalischen Bollwerk« fanden, sei am Beispiel der Widmungen zweier Lisztschüler – Carl Tausig und der zweiten Zueignung des bereits erwähnten Adolf Jensen – exemplarisch dargestellt. 647 Ferdinand Pfohl: Hans Koeßler. Sinfonische Variationen für grosses Orchester, Leipzig 21902, S. 5. 648 Pfohl, Koessler, Sinfonische Variationen, S. 5 überliefert folgende sprechende Titel: »Klage um den Totgeweihten«, »Des Meisters Tod und Begräbnis«, »Brahms als Freund«, »Brahms als Freund der Kinder und der Natur«, »Brahms als Humorist«, »Brahms als Beispiel der Nachahmung«.

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Die Diskussion der Großform – Adolf Jensen Adolf Jensen hatte Brahms, dem durch die Ankündigung im Aufsatz Neue Bahnen legitimierten Schumann-Nachfolger und Komponist von drei Klaviersonaten, bereits 1862 im künstlerischen Diskurs zweier aufstrebender Künstler die Fantasiestücke für das Pianoforte op. 7 zugeeignet. Die zweite Widmung der Klaviersonate fis-Moll op. 25 konnte nun, drei Jahre später, von anderen Voraussetzungen ausgehen, die in der intensivierten Bekanntschaft beider Komponisten begründet liegen: Die Dedikation bezieht sich auf eine vorausgegangene Diskussion von Formproblemen der Sonatenkomposition649 – Brahms wird damit aus dem reinen Umfeld des Schumann-Nachfolgers gelöst. Denn Richard Heuberger überliefert, dass Brahms einst zu einer Sonate Jensens gesagt habe, es seien »vier hübsche Klavierstücke, aber keine Sonate«650. Es ist nicht eindeutig zu belegen, auf welches Werk sich dieser Ausspruch bezieht, doch die briefliche Kommunikation anlässlich der späteren Widmung lässt vermuten, dass Brahms sich auf jene Sonate bezog, die von Jensen schließlich – wohl in Reaktion auf die Kritik – in ihren Einzelsätzen unter dem Titel Vier Impromptus op. 20 veröffentlicht wurde.651 In der Mitteilung der Dedikation von op. 25 spielt Jensen offenkundig auf die vorherige Kritik an: Brahms, als »Mann der Sonate« könne am besten beurteilen, ob die neue, ihm gewidmete Sonate anders als die vorherige, »die aus vier ganz guten Stücken bestand und die ich daher auch bei Fritz Schuberth als Op. 20 unter dem Titel ›Vier Impromptus‹ herausgegeben habe«, seinen Ansprüchen genüge und nun eine »›wirkliche‹ Sonate« sei.652 Aufschlussreich ist in dieser Hinsicht eine Rezension der Vier Impromptus von Louis Köhler, die im Rekurs auf eine Rezension Robert Schumanns der Impromptus op. 142 D 935 Franz Schuberts653 aufzeigt, dass die eigenständig veröffentlichten 649 Vgl. zum Folgenden auch: Wayne C. Petty : Brahms, Adolf Jensen and the Problem of the Multi-Movement Work, in: Music Analysis 22/1–2 (März 2003), S. 105–137. 650 Heuberger, Brahms, S. 29. 651 Dieser Meinung ist auch Robert Münster, vgl. Petty, Brahms, Jensen, S. 106. Petty selber argumentiert, auch die Sonate op. 25 könne der eigentliche Argumentationsgegenstand gewesen sein. Doch dies ist aufgrund der sehr speziellen Widmungsgeschichte mit großer Wahrscheinlichkeit auszuschließen. 652 Vgl. Adolf Jensen, Brief an Brahms vom 22. November 1864, A-Wgm, Sign.: BrahmsNachlass, Briefe Adolf Jensen an Johannes Brahms 173, 2. Wie zur Betonung der Einzelstellung eines jeden Impromptus wählte Jensen schließlich in der Druckfassung in Einzelheften für jedes Stück einen eigenen Widmungsadressaten: Nr. 1 Sturm und Drang »Herrn Carl Tausig gewidmet«, Nr. 2 Liebestraum »Herrn Hans v. Bronsart gewidmet«, Nr. 3 Intermezzo »Herrn Rudolph Niemann gewidmet« und Nr. 4 Rückblick »Herrn Dr. Hans v. Bülow gewidmet«. 653 Schumann hatte bemerkt, die Impromptus seien eigentlich zusammenhängend als Sonate zu verstehen (vgl. NZfM 9/48 [14. Dezember 1838], S. 193; dazu auch Georg Eismann: Robert Schumann. Ein Quellenwerk über sein Leben und Schaffen, Bd. 2, Leipzig 1956, S. 52f.).

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Stücke in der Rezeption schließlich doch an der Grenze zur Sonate angesiedelt wurden: »Man kennt die vier Impromptus von Franz Schubert, Op. 142, und hat das Richtige gefunden, wenn man die Stücke als zusammengehörig in einer Sonate begreift. Auch die vier Hefte Impromptus von Jensen bilden eine Sonate, freilich eine sehr ausgedehnte, die als solche vielleicht Verleger und Käufer abgeschreckt haben würde – kein gutes Zeichen der Zeit. Wir erkennen in Jensen’s Impromptus gediegen gearbeitete Stücke, die auf der Grenze zwischen zweien Entwicklungsstadien des Componisten stehen: dem formellen und ideellen Schaffen. Die grossen Dimensionen einer Sonate, wie diese, mussten dem (zur Zeit der Entstehung dieses Werkes noch jugendlichen) Componisten nicht geringe Schwierigkeiten in den Weg legen: er machte, begeistert im schwungvollen Anlaufe der Phantasie, eine grosse Kraftanstrengung, für die nicht durchweg volle Tragkraft der Gedanken vorhanden war.«654

Dass Jensen sich die Kritik des gleichaltrigen und noch keineswegs unumstrittenen Brahms so zu Herzen nahm und ihm den Titel »Mann der Sonate« verlieh, zeigt den kompositorischen Anspruch, den Brahms durch die Veröffentlichung dreier Sonaten unter den fünf ersten Werken mit Opuszahl formuliert hatte. Wie die Sinfonie auf dem Gebiet orchestraler Musik galt die Sonate im Bereich der Kammer- und Klaviermusik als ambitionierte Gattung, zu der nur befähigte Komponisten einen relevanten Beitrag leisten konnten.655 Brahms selber hatte zum Widmungszeitpunkt bereits drei Sonaten veröffentlicht, während Jensen sich mit den in der Folge als Impromptus veröffentlichten Klavierstücken zum ersten Mal an die große Form gewagt hatte – und in den Augen Brahms’ gescheitert war. Die einige Jahre später komponierte und Brahms gewidmete So-

654 In der Folge werden die einzelnen Stücke als »Allegro-Heft«, »Andante«, »Scherzo-Heft« und »Finale-Heft« bezeichnet und kurz charakterisiert. Rezension von Louis Köhler, in: Neue Berliner Musikzeitung 19/3 (18. Januar 1865), S. 19. Jensen hatte Köhler 1850 vorgespielt, um bei ihm Aufnahme als Klavierschüler zu erlangen, wurde aber von diesem wegen Überlastung an eine Schülerin weiterverwiesen (vgl. Niggli, Jensen, S. 7). Später verband sie eine enge Bekanntschaft (Niggli, Jensen, S. 23) und es steht zu vermuten, dass Köhler von der Entstehung der Impromptus als Sonate Kenntnis hatte – Jensen hatte sie jedenfalls noch am 6. April 1862 in Königsberg (der gemeinsamen Heimat Köhlers und Jensens) als Sonate vorgetragen (vgl. Niggli, Jensen, S. 18). Die Bedenken hinsichtlich formaler Mängel der Impromptus blieben aber auch später ein Thema. Niggli, Jensen, S. 18: »Vielleicht am empfindlichsten tritt der Mangel an organischer Form, das musivische der Darstellung in den 4 Impromptus op. 20 zu Tage […]«. 655 In einer Rezension zu einer Klaviersonate Jean Louis Nicod¦s (AmZ 15/1 [7. Januar 1880], Sp. 10) heißt es: »Wir begrüssen eine neue Sonate immer mit Freude und denken unwillkürlich: der Verfasser muss ein guter Musiker sein, sonst wagte er sich nicht an ein solches Werk«. Zur Thematik auch Gero Ehlert: Architektonik der Leidenschaften. Eine Studie zu den Klaviersonaten von Johannes Brahms (= Kieler Schriften zur Musikwissenschaft, Bd. 50), Kassel 2005, S. 26f.

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nate op. 25 sollte trotz gegenteiliger Versicherungen656 sein einziger Beitrag zur Gattung bleiben, in dieser Einzelstellung wurde sie rezipiert und auch kritisiert: »Aus den Andeutungen über die Richtung, welche Herr Jensen verfolgt, wird der Leser bereits entnommen haben, dass in grösseren Tonstücken, wobei das Nebeneinander von Empfindungs-Ausdrücken nicht genügt, sondern das concentrirte Ineinander von gestaltungsfähigen musikalischen Ideen die Hauptsache ist, unser Künstler nicht so Bedeutendes leistet wie in der rein lyrischen Gattung.«657

Aber zum Zeitpunkt der Komposition und Widmung waren diese späteren Vorbehalte noch nicht entscheidend. Die Brahms gewidmete Sonate ist ein Beitrag des durch die Kritik angegriffenen Jensen zur kompositionstheoretischen Problemstellung der ›Großform‹ Sonate.658 Der Bezug auf den Widmungsträger zeigt sich bereits in der Wahl der Tonart: Jensen verwendete das pianistisch unbequeme fis-Moll, das auch Brahms in seiner Klaviersonate fisMoll Nr. 2 op. 2 eingesetzt hatte.659 Diese besondere Tonart schafft wiederum einen Konnex zum gemeinsamen Bezugspunkt Schumann, dessen erste Klaviersonate op. 11 ebenfalls in fis-Moll konzipiert ist. Über die unmittelbaren Vorgänger hinaus stellt Jensen sich allerdings – wie Brahms und Schumann – bewusst in die Tradition der großen virtuosen fis-Moll-Sonate des 19. Jahrhunderts, die in der überlieferten Tonartencharakteristik Sonaten »mit besonders tiefem (und düsterem) emotionalen Gehalt«660 schafft. Stärksten Ausdruck findet dieser Grundgestus in der Bezeichnung des Scherzos als »unheimlich bewegt, mit prägnanten Rythmen [sic]«; eine Konzertrezension konstatierte in Bewusstsein der Tradition den »ernste[n] und schwermüthige[n] Grundton der Sonate«.661 Doch die Trias Schumann – Brahms – Jensen löst sich wiederum von den Vorgängern, in dem alle drei Komponisten – anders als Ferdinand Ries, Ignaz Moscheles, Johann Nepomuk Hummel und auch Felix Mendelssohn Bartholdy vor ihnen – ihre Sonate in der Tonikavariante Fis-Dur enden lassen. Darüber hinaus zeigen sich Anknüpfungspunkte zwischen Brahms und Jensen weniger in musikalischen Anklängen, als vor allem in konzeptuellen Momenten, die die Wichtigkeit der vorherigen Formdiskussion für die Widmung unter656 Jensen hatte in der Mitteilung der Widmung an Brahms noch betont, er habe »in diesem speciellen Zweige der Musik […] die höchste Befriedigung gefunden und in ihm einen der edelsten und fesselndsten erkannt, der mich noch zu mancher Arbeit anregen wird.« Vgl. Jensen an Brahms, 22. November 1864, A-Wgm, Sign.: Brahms-Nachlass, Briefe Adolf Jensen an Johannes Brahms 173, 2. 657 Neue Berliner Musikzeitung 21/4 (23. Januar 1867), S. 27. 658 In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war eine zweite Widmung an einen Adressaten ungewöhnlich – gerade, wenn es sich nicht um einen guten Freund handelte. 659 Vgl. zu Analyse und Rezeption der Sonate ausführlich Ehlert, Klaviersonaten von Brahms, S. 181–297. 660 Thomas Schmidt-Beste: Die Sonate, Kassel 2005, S. 147. 661 SmW 25/7 (Januar 1867), S. 110.

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streichen. Der virtuosen Tradition662 der fis-Moll-Sonate hatte auch Brahms mit »mehr neudeutschem als Beethovenschen Oktavendonner«663 und einer bei allem Formgehalt rhapsodisch-fantasieartigen Konzeption Rechnung getragen. Zusammenhalt wird durch das trotz aller Freiheiten klar erkennbare Festhalten an der Form der ›klassischen‹ Sonate gewährleistet. Diesen Spagat zwischen freier Entfaltung und Formgebundenheit nimmt Jensen bei aller Individualität seiner musikalischen Sprache als positive Herausforderung an. Dies zeigt sich unter anderem in dem trotz virtuosen Themen sehr klaren und regelmäßigen Formaufbau in Groß- und Kleinform: Während in den Ecksätzen die Sonatensatzform Anwendung findet, sind die beiden Mittelsätze als ABA-Form konzipiert. In Teilen ist eine Analogie zu Brahms unverkennbar : Die fis-Moll-Sonate op. 2 ist tatsächlich die einzige Klaviersonate Brahms’, deren Finalsatz eine Sonatensatzform aufweist664 – Gero Ehlert erklärt dies durch das betont rhapsodische Moment, das durch die traditionelle Form gebunden werden müsse. In ähnlicher Form verfährt auch Jensen in seinem zweiten Sonatenversuch: Das Finale erscheint trotz des bereits in der Spielanweisung »So schnell als möglich, in leidenschaftlicher Bewegung« angezeigten virtuos-rhapsodischen Charakters in der Großform sogar gebundener als der erste Satz.665 Jensen geht in dem Streben nach der mustergültigen Sonatenform allerdings konsequenter vor als Brahms, der in ausgewählten Momenten bewusst aus dem Gerüst des Satzbaus ausbricht und damit dem rhapsodisch-virtuosen Grundcharakter seiner Sonate Rechnung trägt. Dies betrifft sowohl ungewöhnliche tonale Beziehungen als auch den Umgang mit den traditionellen Formschemata, indem er beispielsweise den Eintritt von formaler und harmonischer Reprise trennt666 oder im Scherzo dem Trio übermäßiges Gewicht verleiht und die Wiederholung des Scherzo-Teils durch ein hinzugefügtes Tremolo in »gesteigerte Unruhe«667 versetzt. Jensen, dessen Scherzo mit fugiertem Hauptthema668 wie dasjenige von Brahms ein walzermäßiges Trio in der Tonikaparallele D-Dur bringt, verbleibt dagegen im traditionellen Formschema: Das Trio ist bedeutend weniger gewichtig als das Scherzo, das nach dem Trio in notengetreuer Wiederholung 662 Ferdinand Ries hatte mit seiner Grande Sonate Fantaisie Intitul¦e L’Infortun¦e op. 26 (1808) den Grundstein gelegt (Ehlert, Klaviersonaten von Brahms, S. 182; Schmidt-Beste, Die Sonate, S. 147). 663 Rudolf Gerber : Johannes Brahms, Potsdam 1938, S. 15. 664 Ehlert, Klaviersonaten von Brahms, S. 300. 665 Sonatenhauptsatz mit Coda. Der Seitensatz erscheint in der Reprise vermittelt über H-Dur (T. 444–467) in Fis-Dur. 666 Ehlert, Klaviersonaten von Brahms, S. 204. 667 Ebd., S. 253. 668 Auch der Scherzo-Teil ist als ABA-Form (mit Einleitung) konzipiert, greift also die Großform des Satzes auf: Dem fugierten Hauptthema in fis-Moll folgt eine virtuose Passage mit Sechzehntelläufen in cis–Moll, bevor das Hauptthema erneut in fis-Moll aufgegriffen wird.

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erklingt.669 Dieses klare Festhalten an der überlieferten Form wird wiederum durch die Dedikation verständlich: Die Sonate demonstrierte die Beherrschung der Satzkunst; etwaige Freiheiten hätten dieses Ziel unterminiert. Auch der Phrasenbau innerhalb der thematischen Komplexe ist deswegen bewusst strukturiert. So ist der Hauptsatz des vierten Satzes aus 24 Takten (acht mal drei) zusammengesetzt. Die ersten acht Takte exponieren dabei in der oktavierten rechten Hand das thematische Material, das von pendelnden Achtelbewegungen begleitet wird. Der abschließende Eis-Klang erweist sich dabei als Durchgangsklang, der durch den Fis-Dur-Beginn des zweiten Abschnitts zeitweilig aufgelöst und dann fortgeführt wird. In den folgenden vier Takten wird Fis-Dur durch ein wiederholtes Zweitaktmotiv mit Tonwiederholungen akzentuiert, die Pendelbewegung in Achteln ist nun in die Mittellage verlagert und in der rechten Hand zusätzlich auf Viertel augmentiert. Hier zeigt sie sowohl in ihrer oberen Ebene als auch in Basslage einen Orgelpunkt auf Fis bzw. fis. Der das Motiv abschließende Terzfall fis – d wird nach der Wiederholung abgespalten und bildet die Grundlage für die folgende Passage, die ab T. 16 endgültig zu fisMoll zurückkehrt und kadenzierend auf der ersten Zählzeit von T. 25 ihren tonikalen Abschluss findet. Die strukturierte Regelmäßigkeit wird allerdings im Höreindruck durch Synkopierung, Motivabspaltung, -verkürzung und die insistierende Wiederholung der Motivkomponenten, die eine gewisse Atemlosigkeit und Zerrissenheit suggerieren, konterkariert. Auch die durchlaufende pendelnde Achtelbewegung trägt zum rastlosen, unruhig-bewegten Klangbild bei. Das rhapsodisch-virtuose Thema wird somit erst durch seinen regelmäßigen Aufbau formal »sonatensatzförmig strukturiert«670, ein Verfahren, das Ehlert besonders für den Eingangssatz der fis-Moll-Sonate von Brahms als konstitutiv erkennt. Auch in der Themenverarbeitung zeigt sich ein deutlicher Fortschritt zu den weitgehend separierten Themen und musikalischen Gedanken in den ebenfalls als Sonate konzipierten Impromptus op. 20.671 Besonders in der Durchführung des Finalsatzes werden über die Verarbeitung von Haupt- und Seitensatzthema strukturelle Ähnlichkeiten beider Komplexe offengelegt und weiterverarbeitet. So wird ab T. 157ff. die Chromatik des Hauptmotivs des Seitensatzes und der Dreiklangsfall des Hauptsatzthemas so verbunden, dass die Ableitung von beiden Formteilen möglich erscheint.

669 T. 148–222 entspricht T. 13–87. 670 Vgl. Ehlert, Klaviersonaten von Brahms, S. 187. 671 So schon Niggli, Jensen, S. 43.

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Adolf Jensen, Sonate fis-Moll op. 25, 4. Satz, T. 157ff.

Adolf Jensen, Sonate fis-Moll op. 25, 4. Satz, Hauptsatz, T. 1ff.

Adolf Jensen, Sonate fis-Moll op. 25, 4. Satz, Seitensatz, T. 74ff.

Trotzdem weist Jensens Sonate gerade in der Themenbehandlung genau jene Punkte erneut auf, die Brahms mutmaßlich zu der Kritik an den Impromptus veranlasst hatten.672 Hatte Louis Köhler so die übermäßige Ausdehnung der vier Stücke kritisiert, ist auch die Sonate op. 25 mit 44 Seiten des Erstdrucks wesentlich länger als die durchschnittliche Klaviersonate von Brahms. Die ersten Kritiker nahmen daran Anstoß und forderten mehr Konsequenz in der Themenverarbeitung. Zur Exposition des ersten Satzes heißt es, »[e]in Componist von gereifter Selbstkritik würde die fünf Seiten, welche dieser erste Theil fast vollkommen ausfüllt, auf drei reduciert haben, gewiss zum Vortheil des Stückes.«673 Die Länge ergibt sich tatsächlich zum großen Teil aus der Wiederholung einzelner Formteile, die im ersten Satz sogar die Logik des Sonatensatzes untergräbt: Nach der Einführung des Themas mit zweifacher abschließender fis672 Wayne C. Petty, Brahms, Jensen, S. 107–110, hat dies besonders für den ersten Satz herausgearbeitet. 673 AmZ 3/3 (18. Januar 1865), Sp. 46f.

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Moll-Kadenz (T. 1–24, Kadenzierung T. 17–24) und einer anschließenden DDur-Passage (T. 25–40) werden die ersten 24 Takte notengetreu wiederholt. Die sich daraus ergebende ABA-Form674 des Hauptsatzes bedingt eine bogenförmige Geschlossenheit, die der Offenheit des Formteils innerhalb der Großform des Sonatensatzes zuwiderläuft. »Form und Gedanke« üben demnach keinen »wesentlich bestimmenden Einfluss auf einander«675 aus, was nach Gustav Jenner von Brahms als wichtigste Eigenschaft der Sonatensatzform genannt wurde. Die mangelnde Konsequenz in der Durchführung und Verarbeitung des thematischen Materials und eine damit verbundene fehlende angemessene modulatorische Durchführung und Knappheit der Anlage wurde Jensen auch vom Rezensenten der AmZ in den ersten drei Sätzen wiederholt vorgeworfen, der zusammenfassend konstatiert: »Was im Ganzen fehlt, ist die concise, alles Ueberflüssige abstossende Form, die consequente Entwicklung, die strenge Durchführung.«676 Dass Jensen Brahms trotz der Individualität seiner Tonsprache über Tonart und einige formale Aspekte als Bezugspunkt setzt, wurde allerdings bei Erscheinen nicht erkannt. Vielmehr wurde das Werk mit Schumann und Beethoven in Verbindung gebracht677 und Jensen trotz gewisser Vorbehalte als Vorbild für Brahms positioniert. Trotzdem wurde die Widmung als Teil eines Dialogs verstanden – in dessen Rahmen Brahms aufgefordert wurde, selber wieder aktiv zum Repertoire der Sonate beizutragen und damit im laufenden Diskurs kompositorisch Stellung zu beziehen. Immerhin hatte er, obwohl von Jensen als »Mann der Sonate« bezeichnet, seit mehr als zehn Jahren keine Sonate mehr veröffentlicht: »Die schön ausgestattete Sonate ist Johannes Brahms zugeeignet, dem sie ein Sporn sein möge, die Sonate ebenfalls wieder zu cultiviren und dabei Jensen’s Errungenschaft auf diesem Gebiet zu beachten, ohne in die Fehler der ersten drei Sätze zu verfallen.«678

Brahms als Bachliebhaber – Die Widmung Carl Tausigs Nicht selten fand mit dem Fortgang der Karriere – auch dies thematisierte Bülow im Nekrolog auf Carl Tausig – gerade bei Komponisten einer jüngeren Generation ein Sinneswandel, eine Relativierung der eigenen Position statt: Tendierte man in der Anfangsphase zu extremen Meinungen, konnte man parallel zur Entwicklung eines eigenen, individuellen Stils zunehmend auch andere Posi674 675 676 677 678

Vgl. zum Folgenden bereits Petty, Brahms, Jensen, S. 110. Jenner, Brahms, S. 61; vgl. auch Petty, Brahms, Jensen, S. 110. AmZ 3/3 (18. Januar 1865), Sp. 48. Vgl. die Rezensionen in der AmZ 3/3 (18. Januar 1865) und in den SmW 23 (1865), S. 148f. AmZ 3/3 (18. Januar 1865), Sp. 48.

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tionen akzeptieren und würdigen. Während der zum Zeitpunkt des Manifestes bereits 36-jährige Reinecke auch in der Rückschau stets von der eigenen Position als »Glaubensdingen«679 sprach, seine Meinung also nie grundlegend änderte, bereute der um 17 Jahre jüngere Tausig seine »Entwicklungskrankheit«, die sich im »Zukunftsfieber« äußerte, laut Bülow zumindest in der von ihm ausgeübten extremen Form.680 Ein interessanter Aspekt: Auch Bülow selber, der hier so selbstverständlich von »Fieber« und von »Krankheit« spricht, die ihn selbst ebenfalls betroffen habe, vollzog erst in diesen Jahren den Prozess der Wandlung vom Wagner- und Liszt-Bewunderer zum Verfechter Brahms’scher Musik. Erst 1872 – also noch nach der Veröffentlichung des Nekrologs – hatte er auch persönlichen Kontakt zu Brahms, dessen Kompositionen er zuvor so abgelehnt hatte. Ein Kontakt, der schließlich 1889 in der Widmung der Violinsonate d-Moll op. 108 durch Brahms gipfelte.681 Der Nachruf auf Tausig wird damit gleichzeitig zur frühen Rechtfertigung der veränderten ästhetischen Positionierung der eigenen Person. Den Liszt-Schüler und Wagner-Verehrer682 Tausig verband seit einem WienAufenthalt 1861 – also nur ein Jahr nach der Veröffentlichung des Manifests gegen die ›Neudeutschen‹ – trotz der unterschiedlichen Ansichten in musikästhetischen Fragen eine enge Bekanntschaft mit dem zunehmend als kompositorischer Hauptvertreter der ›Konservativen‹ geltenden Brahms, der 1864 sogar als sein Trauzeuge bei der Hochzeit mit Seraphine Vrabely fungierte.683 Die gegenseitige Wertschätzung beruhte zu einem großen Teil auf der gegenseitigen Anerkennung der jeweiligen künstlerischen Leistung: Tausig bewunderte Brahms als ihm ebenbürtigen Klavierspieler, aber ebenso als »hochbedeutenden Tonkünstler«.684 Brahms wiederum sprach dem berühmten Pianisten, für dessen Interpretation er seine Variationen über ein Thema von Paganini op. 35

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Reinecke, Erlebnisse, S. 214. Nekrolog auf Carl Tausig, SmW 29/35 (22. August 1871), S. 549. Vgl. zu dieser Widmung Hinrichsen, Späte Versöhnung. Richard Wagner verfasste gar den Text für Tausigs Grabstein: »Reif sein zum Sterben, Des Lebens zögernd sprießende Frucht, Früh reif sie erwerben In Lenzes jäh erblühender Flucht, War es dein Loos, war es dein Wagen, Wir müssen Dein Loos wie dein Wagen beklagen.« Wagner hat diese Inschrift u. a. im Aufsatz Das Bühnenfestspielhaus zu Bayreuth zitiert. Vgl. auch Peter Rummenhöller : Franz Liszt und seine Schüler in Berlin: Carl Tausig (1841–71), in: Studia Musicologica Academiae Scientiarum Hungaricae 42/1, 2 (2001), S. 65. 683 Vgl. Carl Tausig an Brahms, Brief o. D., zit. n. Biba, Brahms, Wagner und Parteiungen, S. 20. Auch die Braut war Brahms als hervorragende Pianistin bekannt. Für die Interpretation durch sie und ihre Schwester Stephanie – die Brahms 1880 als Zeichen ihrer Verehrung den Druck von Drei Klavierstücken ihrer Feder widmete – hatte er eine Fassung seiner vierhändigen Walzer op. 39 für zwei Klaviere erstellt: Brahms hat diese Bearbeitung nach eigener Aussage »express für die hübschen« komponiert, vgl. BW XIV, S. 143. 684 Bülow, Nekrolog auf Carl Tausig, in: SmW 29/35 (22. August 1871), S. 550.

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schrieb685, im Verbund mit Peter Cornelius zu, »durchaus keine Lisztianer [zu] sein und gewesen sein [zu] wollen« und im übrigen »mit dem kleinen Finger mehr [zu] leisten als die übrigen mit dem ganzen Kopf und allen Fingern«.686 Trotzdem wurde Tausig in Wien als »Zukunfts-Liszt« bezeichnet687 und auch in pianistischer Hinsicht explizit mit Liszt, der ihm die Zwei Episoden aus Lenaus Faust widmete, verglichen: »Unser alter Hausfreund, der Magister Meyer, wollte aus bester Quelle wissen, Herr Tausig sei einer der jüngsten von den blassen, haarumflatterten Jünglingen, welche für die Zukunftsmusik wirken, er reise speciell für das Haus Liszt; ein Anderer bestritt das und meinte, Tausig sei der wiedererstandene Liszt, oder er müsse es bald werden. Was ist Wahrheit? Wo gibts Einigkeit in Kunstsachen!«688

Das kompositorische Œuvre des vor allem pianistisch tätigen Tausig ist schmal und weitgehend in Vergessenheit geraten: Nur acht Opuszahlen wurden für Soloklavierwerke eigener Feder vergeben.689 Daneben existieren wenige originale Werke ohne Opuszahl, seine Schaffenskraft äußerte sich aber vor allem auf dem Gebiet der Transkription und Bearbeitung von bekannten Kompositionen für sein Instrument, dem Klavier. Auch bei einem Großteil dieser Bearbeitungen zeigt sich seine Verankerung in der Ästhetik des Klaviervirtuosen Liszt und der ›Zukunftsmusiker‹690 : Er erstellte Klavierfassungen sämtlicher Sinfonischer Dichtungen seines Lehrers Liszt, die dieser selber korrigierte (sie blieben unveröffentlicht) und bearbeitete mehrere Auszüge aus Werken Wagners, besonders seiner Musikdramen.691 Daneben stehen nur vereinzelte Transkriptionen von Werken Chopins, Berlioz’, Webers, Schuberts, und Scarlattis, vor allem aber

685 Nach Alan Walker entstanden die Variationen aus dem Bestreben, sich gegenseitig möglichst unspielbare Passagen vorzulegen (Alan Walker : Reflections on Liszt, Cornell 2005, darin das Kap. Liszt and his Pupils: Carl Tausig, S. 60–78, hier S. 65). 686 Brahms an Joseph Joachim, [29. Dezember 1862], BW V, S. 332. 687 Das berichtet Liszt 1858 selber an Wagner, vgl. Rummenhöller, Liszt und seine Schüler, S. 66. 688 MWb 1/27 (1. Juli 1870), S. 419, Besprechung der pianistischen Leistung Tausigs in Form eines (fiktiven) Briefwechsels. 689 Opp. 1a, 1b, 1c bis Opus 6. Es sind allerdings offenbar einige Kompositionen größeren Umfangs – so etwa Sinfonische Dichtungen – verloren (Walker, Reflections on Liszt, S. 64). 690 Liszt hatte ihn 1860 ausdrücklich neben anderen als Mitglied »unserer Verbindung der ›Neudeutschen Schule‹« genannt und hinzugefügt: »Mögen sie das Werk fortsetzen, was wir begonnen haben – die Ehre der Kunst und der innere Werth der Künstler verpflichtet sie dazu. Unsere Sache kann nicht untergehen, sollte sie auch gegenwärtig nur wenige Vertheidiger haben« (La Mara, Liszt-Briefe 1, S. 367). 691 Vorspiel zu Die Meistersinger von Nürnberg, für vierhändiges Klavier und in der Fassung für Klavier solo; Kaiser-Marsch; Meditation aus Die Meistersinger von Nürnberg; Drei Paraphrasen aus Tristan und Isolde (Liebesszene, Brangänens Gesang/Matrosenlied, Melodie des Hirten); Zwei Transkriptionen aus der Walküre (Ritt der Walküren, Siegmunds Liebesgesang).

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Beethovens und Johann Sebastian Bachs. Eine Bearbeitung einer Komposition von Brahms ist dagegen nicht unter den überlieferten Werken. Nur zwei zeitgenössischen Komponisten hat Tausig die Widmung eines seiner wenigen Werke zugedacht, der Unterschied zwischen den beiden Adressaten könnte größer nicht sein. Liszt und Brahms – ausgerechnet mit den beiden sich konträr gegenüberstehenden Hauptprotagonisten des ausgerufenen Parteienstreits fühlte er sich so eng verbunden, dass er ihnen als öffentlichen Ausdruck der persönlichen und künstlerischen Verbundenheit ein Werk zueignete. Seine Bewunderung für seinen Lehrer Liszt kommt in der Widmung der Nouvelles soir¦es de Vienne – Valses-Caprices d’aprÀs J. Strauss (1862)692 zum Ausdruck, die bereits im Titel offen mit Liszts eigenen, neun Jahre zuvor komponierten Soir¦es de Vienne – Valses-Caprices d’aprÀs Schubert korrespondieren und sich damit wenig subtil in die Nachfolge der Komposition des Lehrers zu stellen suchen. Die ausdrückliche Widmung betont und verstärkt die durch die Titel ersichtliche Relation zusätzlich. Das Vorgehen des jungen, 21-jährigen Tausig ähnelt mithin auf gewisse Weise dem jener Komponisten, die in Anlehnung an Brahms eine Vielzahl von Ausgaben ›Neuer Ungarischer Tänze‹ veröffentlichten. Die Widmung an den Verfechter der ›dauerhaften Musik‹, Johannes Brahms, war in Anbetracht der kompositorischen Fixierung Tausigs auf das Ideal der ›Neudeutschen‹ ungleich komplizierter : Als Widmungswerk wählte er mit Rücksicht auf den Adressaten folgerichtig weder eine seiner wenigen Originalkomposition (wie seine der Programmmusik nahestehende Sinfonische Ballade Das Geisterschiff op. 1c), noch die verschiedenen Bearbeitungen Liszt’scher oder Wagner’scher Werke. »An JOHANNES BRAHMS« gerichtet ist vielmehr die Druckausgabe der Choral-Vorspiele von Joh. Seb. Bach für Klavier übertragen, 1871 im Jahr seines frühen Todes bei Fürstner in Berlin veröffentlicht. Enthalten sind in der Sammlung Bearbeitungen von Wir glauben All an einen Gott BWV 680, zwei Stücken aus der Sammlung des Orgelbüchleins (Das alte Jahr vergangen ist BWV 614, O Mensch, bewein dein Sünde groß BWV 622), außerdem O Lamm Gottes, unschuldig BWV 656, Vater unser im Himmelreich BWV 737 und Meine Seele erhebt den Herrn BWV 648. Bach war im 19. Jahrhundert Bezugs- und Ausgangspunkt nicht nur der Komponisten konservativer Prägung; auch die als ›neudeutsch‹ apostrophierten Komponisten nutzten ihn, um ihre Kunstausrichtung zu legitimieren.693 In sei692 Auch die Täglichen Studien sind Liszt gewidmet. Da sie jedoch erst posthum (1873) von Heinrich Ehrlich herausgegeben wurden, kann nicht entschieden werden, ob die Zueignung von Tausig oder vom Herausgeber stammt. 693 Vgl. Wolfgang Sandberger : Brahms, der ›Altdeutsche‹? Überlegungen zur Bedeutung des Kontrapunkts bei Johannes Brahms, in: Philosophie des Kontrapunkts (= Musik-Konzepte. Neue Folge. Sonderband XI/2010, hg. v. Ulrich Tadday), München 2010, S. 101–120, hier S. 111f.

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ner Vorliebe und Verehrung für den Leipziger Thomaskantor sah Tausig deswegen eine konkrete Verbindung zu Brahms, er brachte den Subskribenten der Bach-Gesamtausgabe in seinem historischen Interesse explizit mit Bach in Verbindung. Die Zueignung ist deshalb als direkte Hommage an den gemeinsamen Bezugspunkt zu lesen. Gut möglich, dass der Widmung gar gemeinsame Diskussionen über die Möglichkeiten einer idealen Bach-Übertragung vorausgingen. Ein direkter Beweis lässt sich zwar nicht erbringen, doch Brahms hatte im Jahr der Veröffentlichung der Transkriptionen bei einem Berlin-Besuch im Haus Tausigs übernachtet. Dort hatte er eventuell das Widmungswerk vorgestellt bekommen. Immerhin hatte sich auch Brahms im zeitlichen Umfeld mit der Übertragung von Bachwerken für Klavier beschäftigt: Aus den 1870ern stammt die berühmte Übertragung der Chaconne694 für die linke Hand allein und noch 1871, also im Jahr der Widmung Tausigs, hatte er in Hamburg mutmaßlich seine – nicht erhaltene – Bearbeitung der Toccata BWV 540 im Konzert gespielt.695 Vielleicht hatte er Tausig sogar erst auf die Choralvorspiele aufmerksam gemacht: In seinem Besitz sollen sich Handschriften von elf Choralvorspielen des Thomaskantors befunden haben.696 Auch die intensive Beschäftigung mit der Edition der Bachausgabe des von Tausig transkribierten O Lamm Gottes unschuldig BWV 656 ist verbürgt.697 Die übliche schriftliche Bitte um Widmungserlaubnis oder ein entsprechender Antwortbrief sind jedenfalls nicht überliefert – ein Indiz für das persönliche Gespräch, das die briefliche Kommunikation ersetzte. Die Bach-Begeisterung verbindet sich in der Dedikation mit der gemeinsamen pianistischen Tätigkeit: Brahms, der später das Konzertieren fast gänzlich aufgab, war zum Zeitpunkt der Dedikation durchaus noch in Konzerten als Pianist zu hören. Mit Tausig hatte er sich in dessen Wiener Zeit am Beginn der 1860er Jahre wiederholt zum vierhändigen Spiel getroffen.698 Am 17. April 1864

694 Sie wurde 1878 als Teil seiner Studien für das Pianoforte veröffentlicht, in deren Rahmen parallel auch zwei Bearbeitungen eines Prestos von Bach erschienen. Vgl. zum besonderen Verhältnis Brahms’ zur Chaconne Brahms an Clara Schumann, Juni 1877 (Litzmann, Briefe II, S. 111). Vgl. zur Kontextualisierung dieser Bearbeitung im Rahmen anderer ChaconneÜbertragungen Georg Feder : Geschichte der Bearbeitungen von Bachs Chaconne, in: BachInterpretationen, hg. v. Martin Geck, Göttingen 1993, S. 168–189. 695 Hofmann, Brahms als Pianist und Dirigent, S. 126. 696 Siegmund Helms: Johannes Brahms und Johann Sebastian Bach, in: Bach-Jahrbuch 57 (1971), Berlin 1971, S. 13–81, hier S. 51. 697 Russell Stinson: The reception of Bach’s organ works from Mendelssohn to Brahms, Oxford 2006, S. 164f. 698 Kalbeck II, S. 37f. Neben der Beschäftigung mit vierhändigem Spiel wurde philosophiert – Tausig studierte in Wien an der Universität Philosophie (vgl. Walker, Reflections on Liszt, S. 65).

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hatten sie sogar gemeinsam Brahms’ Sonate op. 34bis aufgeführt.699 Nach dem Bericht Kalbecks soll Eduard Hanslick Brahms einen positiven Einfluss auf das Klavierspiel Tausigs zugesprochen haben: Sein Klavierspiel sei durch den Verkehr mit Brahms »menschlicher«700 geworden. Denn anders als der Virtuose Tausig, dem eine zwar brillante Technik, aber auch eine gewisse »Kälte«701 und Härte702 nachgesagt wurde, war Brahms für sein tiefes Ausdeuten der von ihm gespielten Werke bekannt: »Gut aufgelegt, weiss Brahms die verborgensten Intentionen eines Beethoven, Schubert – vorzüglich Schumann in geistvollster Weise zur Geltung zu bringen, seine besondere Specialität jedoch bilden die Vorträge Bach’cher [sic] Orgelsachen auf dem Clavier, deren ursprünglichen Klangcharakter er durch erstaunlichste Tonfülle und eigenthümlichste Behandlung des Instruments geradezu unnachahmlich festzuhalten weiss.«703

In Anbetracht dessen, dass Brahms 1870, also im direkten Umfeld der Widmung, besonders für seine Interpretationen von Bachs Orgelwerken am Klavier gerühmt wurde, ist nun auch die Dedikation Tausigs eine bewusste Verneigung vor dem Interpreten Brahms – in der Hoffnung, dieser möge das Werk in sein Konzertrepertoire aufnehmen.704 Das bot auf dem hart umkämpften Wiener Musikmarkt klare Vorteile: Das Wien des 19. Jahrhunderts kann als Hort der ›Konservativen‹ gelten, in dem sowohl Wagner empfindlich gescheitert war, als auch Tausig bei seinem einjährigen Aufenthalt der endgültige künstlerische Durchbruch nicht gelungen war.705 Gerade deswegen ist der Wunsch nach Erfolg auf diesem schwierigen Terrain, das von Brahms bereits erfolgreich erobert worden war, ein möglicher Widmungsgrund. Brahms selber hatte sich bezeichnenderweise nach seiner Übersiedlung im Jahr 1862 u. a. mit Aufführungen seiner eigenen Übertragung der Toccata F-Dur BWV 540/1 dem Wiener Publi699 Walker, Reflections on Liszt, S. 66; Hofmann, Brahms als Pianist und Dirigent, S. 80. Auch Max Kalbeck berichtet von diesem Konzert (Kalbeck II, S. 60 und 105). 700 Kalbeck II, S. 40. 701 MWb 1/6 (4. Februar 1870), S. 86. 702 Tausig wird noch 1871 als »Claviermaschine« bezeichnet (AmZ 6/26 [28. Juni 1871], Sp. 412). Im Musikalischen Wochenblatt heißt es 1870: »Tausig führt ein gar strenges, eisernes Regiment über die Tonschaaren; mit einer Vehemenz, die oft hart an Vergewaltigung streifte, entriss er dem Piano, was es nicht gutwillig hergeben wollte« (MWb 1/27 [1. Juli 1870], S. 419). 703 Theodor Helm in einer allgemeinen Charakteristik von Leben und Werk von Brahms, MWb 1/4 (21. Januar 1870), S. 58. 704 Der Wunsch, so die Verbreitung der betreffenden Komposition zu befördern, war anlässlich einer Zueignung nicht ungewöhnlich (vgl. S. 126). Es ist allerdings nicht bekannt, dass Brahms der unausgesprochenen Bitte nachgekommen wäre. 705 Robert Eitner : Art. »Tausig, Karl«, in: Allgemeine Deutsche Biographie, hg. v. d. Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 37 (1894), S. 474. Eitner zitiert v. a. Presseberichte zu Konzerten, die seine Aussage stützen.

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kum als Pianist vorgestellt.706 Diese Überlegung gilt um so mehr, als die Widmung einer Transkription deutlich aus dem Rahmen der sonst üblichen Dedikationen herausfällt: Dem berühmten Komponisten wurden bevorzugt ambitionierte Werke eigener Feder zugeeignet. Eine Transkription, deren künstlerischer Eigenwert zumindest umstritten war, ist dagegen nur selten als Widmungswerk anzutreffen.707 Tausig ist allerdings nicht der einzige Komponist, der die Beziehung zwischen Bach und Brahms bewusst anerkennt. Auch Charles Villiers Stanford hatte in seinen Erinnerungen geschrieben: »Brahms, who was a past-master in sixteenth-century music and methods, imbibed his learning in Hamburg from Marxsen, and through him was a lineal descendant of Bach, as was also Wagner through Weinlig.«708 Und Brahms selber war die von einigen Kollegen gezogene Verbindung durchaus bekannt; er hegte die Befürchtung, diese durch die Zueignung seiner Zwei Motetten op. 74 an den Bach-Forscher Philipp Spitta noch zu stärken.709 Es gibt trotzdem immerhin drei Komponisten, die den Bezug durch eine Widmung gegenüber der Öffentlichkeit betonten: Neben Tausig bezogen sich auch Richard Barth und Otto Barblan auf Brahms, den kenntnisreichen Bach-Liebhaber.710 In der zwölften Variation (Takt 97) seiner Brahms 706 Vgl. die Aufführungsliste bei Stinson, Reception of Bach’s organ works, S. 139. Das BrahmsInstitut an der Musikhochschule Lübeck verwahrt ein Exemplar des Programmzettels vom 29. November 1862, der die sorgfältige Dramaturgie des Konzertabends ersichtlich werden lässt. So stellte Brahms sich am Beginn mit seinem Klavierquartett op. 26 vor, interpretiert vom in Wien sehr erfolgreichen Hellmesberger-Quartett. 707 Nur zwei weitere Komponisten eigneten Brahms dementsprechend Transkriptionen zu, in beiden Fällen betraf ihn das jeweilige Werk allerdings direkt: Ferruccio Busoni übertrug das Brahms bereits in der Originalfassung gewidmete Konzertallegro von Robert Schumann für zwei Klaviere und beließ den Originalwortlaut der Widmung auf dem Titelblatt. Deswegen ist nicht zu entscheiden, ob er – in Übereinstimmung mit Brahms – sein eigenes Verdienst am Werk so geringschätzte, dass er die Dedikation Schumanns einfach bestehen ließ, oder ob es eine Neuwidmung der Bearbeitung ist, die damit den eigenständigen Kunstwerkcharakter betonen würde. Ilda Tilike widmete Brahms Bearbeitungen von zwei seiner eigenen Werke: Sie übertrug die Sapphische Ode op. 94/4 und das Zigeunerlied op. 103/7 für Klavier. 708 Stanford, Pages, S. 274. 709 Vgl. S. 75 und Sandberger, »Musikwissenschaft und Musik«, S. 9–36. 710 Die Motetten Stehles sind dagegen vielmehr allgemein an den Kenner »alter« Gattungen und Formen, weniger an den Bach-Liebhaber Brahms gerichtet: Ihr lateinischer Text und die ungewöhnliche Besetzung für zweistimmigen Chor und Orgel, die mit keiner Motette Bachs korrespondiert (vgl. zur Besetzung der Bachmotetten Hans-Joachim Schulze u. Christoph Wolff: Bach Compendium. Analytisch-bibliographisches Repertorium der Werke Johann Sebastian Bachs. Vokalwerke, Teil III, Leipzig 1988, S. 943–976), weisen darauf hin. Auch Ferdinand Hummels Suite (1. Allemande. 2. Courante. 3. Sarabande. 4. Air. 5. Gigue.) für Pianoforte zu vier Händen op. 15 ist in ihrem Bezug auf die bei J. J. Froberger etablierten Formschemata – die allerdings auch Bach wiederholt in meist abgewandelter Form aufgriff – in diesem Sinn einzuordnen.

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gewidmeten Passacaglia für Orgel op. 6 verwob Barblan als Motiv das Kontrasubjekt des »Thema fugatum« der Passacaglia c–Moll BWV 582 des Thomaskantors. In den Noten ist diese Motivübernahme allerdings nicht kenntlich gemacht und damit nur dem Kenner ersichtlich. Das zu diesen auch Brahms gehörte, ist unzweifelhaft – Barblan konnte über das Notenzitat eine subtile Nachricht an den Widmungsträger richten und die gemeinsame Bach-Nachfolge akzentuieren. Der von Brahms sehr geschätzte Violinist Barth wiederum dedizierte Brahms eine Partita für Violine solo op. 10711, die ganz nach den Modellen der Solopartiten Bachs712 gestaltet ist. Freilich richtet er sich weniger nach der alten, bei Johann Jakob Froberger etablierten Suitenform Allemande – Courante – Sarabande – Gigue713, die Bach in den ersten beiden seiner drei Solopartiten für Violine abgewandelt einsetzte. Die Partita lässt sich im formalen Aufbau am ehesten mit der Partita III BWV 1006 in Verbindung bringen, indem Adagio und Fuga als das dort eingesetzte Präludium gesehen werden, denen sich eine freie Reihe von Tanzsätzen anschließt. Wie die Partita Bachs umfasst Barths Komposition so zwei Menuette und endet traditionell mit einer Gigue im 6/8-Takt. Auch die stark polyphone Kompositionsweise, die ein hohes Maß an Mehrstimmigkeit evoziert, lehnt sich an Bachs Solopartiten an. In einem anderen Detail geht Barth nun freilich über sein Vorbild hinaus: In seiner Partita müssen nicht mehr alle Sätze in derselben Tonart stehen – das Werk endet sogar nicht mehr in der Ausgangstonart. Der Aufbau ist in dieser Hinsicht fast spiegelbildlich angelegt, der Wechsel von f-Moll nach F-Dur befindet sich genau in der Mitte der Satzfolge, mit Beginn des Menuetts II.714 Doch trotz dieser Unter711 Erstaunlicherweise handelt es sich bei der Partita erst um das zweite Werk des Geigers für sein Instrument (als op. 6 war eine Violinromanze erschienen). Er hatte zuvor vor allem Liedkompositionen verfasst, die von Brahms sehr geschätzt wurden (vgl. den Bericht Hedwig Kiesekamps: Richard Barth. Ein Erinnerungsblatt zu seinem 60. Geburtstag, in: Festschrift der Hamburger Singakademie und des Hamburger Lehrer-Gesangvereins, Hamburg 1910, S. 5, zit. n. Kurt Hofmann, Johannes Brahms in den Erinnerungen von Richard Barth. Barths Wirken in Hamburg, Hamburg 1979, S. 86). Da Barth allerdings mit Brahms vor allem in seiner Eigenschaft als Geiger bekannt war, schätzte er offenbar die Partita als passenderes Widmungswerk ein. Wie sehr er Brahms daneben mit Bach verband, lässt sich unter anderem in seiner Schrift Johannes Brahms und seine Musik ablesen, in der er Brahms und seine Vorliebe für Bach direkt thematisiert (vgl. z. B. ebd., S. 16f.). 712 Nicht nur die Partita op. 10 verweist auf Barths Vorliebe für die Soloviolinwerke Bachs, auch eine Ciacona op. 21 legt von dieser Verehrung Zeugnis ab. 713 Vgl. zu Johann Jakob Froberger z. B. David Starke: Frobergers Suitensätze, Darmstadt 1972. Die Bedeutung Frobergers für die Klaviersuite war allerdings auch schon im 19. Jahrhundert bekannt (Franz Beier : Über Johann Jacob Froberger’s Leben und Bedeutung für die Geschichte der Klaviersuite, Leipzig 1883). Diesem traditionellen Formschema folgte – anders als Barth – Ferdinand Hummel in seiner Brahms gewidmeten Suite (1. Allemande. 2. Courante. 3. Sarabande. 4. Air. 5. Gigue.) für Pianoforte zu vier Händen op. 15. 714 I. Adagio/Fuga: f-Moll, II. Allemande: f-Moll, III. Menuet I: f-Moll / Menuet II: F-Dur, IV. Aria: F-Dur, V. Gigue: F-Dur. Freilich wird in der Spielabfolge das Menuett I wiederholt, der

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schiede ist der Verweis auf Bach im Kontext der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts allein schon durch die Wahl der Gattung unverkennbar. Dass nun auch Brahms diese Verbindung einer kompositorischen Hommage an den Leipziger Thomaskantor mit einer Widmung an seinen Namen gezogen haben muss, zeigt wiederum das erwähnte Zögern anlässlich der geplanten eigenen MotettenZueignung an Spitta. Auch hier war genaugenommen nur die Gattung als Anspielung auf Bach zu lesen, die Widmung hätte als Verweis interpretiert werden müssen. Tausigs Bezug auf Bach ist freilich ungleich deutlicher. Eine kompositorische Annäherung an den Widmungsträger, die in einer persönlichen musikalischen Handschrift und Faktur erkennbar wäre, verbirgt sich hinter der Dedikation nun allerdings – dem Charakter einer Übertragung entsprechend – nur indirekt, ist aber erkennbar. Denn auch in seiner Eigenschaft als Transkripteur und Bearbeiter wurde Tausig eigentlich mit seinem Lehrer und musikalischen Ziehvater Liszt verglichen, dessen Bearbeitungen von Beethovens Sinfonien in einer zeitgenössischen Rezension als wichtigstes Vorbild und direkter Maßstab des Schülers genannt werden715 : Als spezifisches Merkmal seiner Bearbeitungen sah die Fachpresse seinen recht freien Umgang mit der Bearbeitungsgrundlage an, der sich in größeren Eingriffen in die musikalische Faktur und in den Tonsatz äußerte und in seiner Prägung durch das Virtuosentum begründet lag. Als reine Transkription kann diese Vorgehensweise freilich kaum noch bezeichnet werden – der Bearbeitungscharakter, das »Nachschaffen« tritt in den Vordergrund716 : »[Bisher] wurde versäumt, das, was das Original nothwendig und naturgemäss [durch die Bearbeitung] einbüssen musste, relativ zu ersetzen durch eine Modelung desselben nach Maassgabe der veränderten Darstellungsbedingungen, aus dem neuen Darstellungsmittel den Geist spontan neu erblühen zu lassen. Dies bedingt nun allerdings die Fähigkeit, das Original im Sinne der neuen Darstellungsverhältnisse anzuschauen, es diesen gemäss zu reproduciren; es setzt mit einem Worte ein subjectiv=künstlerisches Verhältniss des Bearbeiters zum Stoffe voraus. Diese Forderung der innersten, wirklich

Höreindruck ist also weniger eindeutig. Doch in der Druckanordnung ist es durchaus auffällig, dass der Tonartenwechsel nach zweieinhalb von fünf Sätzen stattfindet. 715 MWb 2/47 (17. November 1871), S. 741f. Es handelt sich tatsächlich um eine Besprechung der Choralvorspiele. In der Folge wird darauf hingewiesen, dass sich diese Orgeltranskriptionen allerdings im Ergebnis von Tausigs üblicher Vorgehensweise signifikant abheben. Auch in der Besprechung anderer Transkriptionen und Arrangements ist die unterschiedliche Beurteilung der Angemessenheit einer freien Übertragung von Originalwerken immer wiederkehrendes Thema (so z. B. MWb 1/51 [16. Dezember 1870], S. 812; MWb 2/48 [24. November 1871], S. 757). 716 In der zeitgenössischen Wahrnehmung wurde zwischen Transkription und Arrangement, bearbeiten und übertragen allerdings nicht unterschieden. Vgl. zur terminologischen Diskussion Valerie Woodring Goertzen: The Piano Transcriptions of Johannes Brahms, Diss. University of Illinois at Urbana-Champaign 1987, S. 3.

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schöpferischen Betheiligung der Subjectivität hat die Neuzeit mit Entschiedenheit zur Geltung gebracht.«717

Tausig galt als Transkripteur der Liszt-Nachfolge – wie gegensätzlich dagegen Brahms in der zeitgenössischen Rezeption auch in dieser Hinsicht wahrgenommen wurde, lässt sich aus einer Konzertrezension der AmZ von 1872 ablesen, die nun gerade die Notentreue als oberste Maxime des Transkripteurs und Brahms als Beispiel dieser Vorgehensweise lobt: »Er [Brahms] ist aufgrund richtiger musikgeschichtlicher Einsicht viel zu sehr durchdrungen von der Wahrheit der Chrysanderschen, d. h. der echt künstlerischen Grundsätze, um sich dazu verirren zu können, Kunstwerke von allererstem Rang durch allerlei Aufputz und ›Verschönerungen‹ der großen Masse mundgerecht – will sagen ohrgerecht – machen zu wollen.«718

Brahms bevorzugte es tatsächlich in der Korrespondenz mit seinen Verlegern klar, solcherlei Übertragungen anonym zu veröffentlichen719, um den eigenen kompositorischen Anteil in den Augen der Rezipienten zusätzlich zurückzudrängen. Und er entsprach in dieser Zurücknahme der eigenen Person einem Ideal, das in der zeitgenössischen Diskussion als Kontrapunkt zu Liszt und seinen Transkriptionen angesehen wurde: »Das Arrangement ist als solches kein Kunstwerk, erhebt aber auch nicht den Anspruch eines zu sein; es ist ein Auskunftsmittel, um einem berechtigten Bedürfniss zu genügen. Ist es auch hier nicht möglich, die absolute Treue dem Original gegenüber zu wahren, weil der Wechsel des Materials unausbleiblich kleine Abweichungen (zum Beispiel in der Figuration) fordert, je nachdem die Natur des einen Darstellungsorgans Dinge ausschliesst, die in dem andern möglich sind: so bleibt doch die Tendenz immer nur die, diesen Mangel an völliger Uebereinstimmung möglichst verschwinden zu machen. Die Transcription dagegen prahlt mit einem Schimmer von selbständiger Production, der sich, bei Lichte besehen, in allem Hauptsächlichen als ein erborgter erweist, und schadet, weil sie durch den Schein von Einheit, in den sie sich hüllt, den Sinn für das eigentlich Einheitliche, natürlich Gewachsene abstumpft. […] Man kann in der Scheu einem vorhandenen Kunstwerk keinerlei fremde Elemente aufzuzwängen, 717 MWb 2/47 (17. November 1871), S. 742. 718 AmZ 7/48 (27. November 1872), Sp. 773. Rezension zum Antrittskonzert Brahms’ als Leiter der Wiener Gesellschafts-Konzerte am 10. November 1872, speziell zur Aufführung des Dettinger Tedeums von Händel. 719 So wurde auf dem Titelblatt von Franz Schuberts Großer Messe in Es-Dur D 950 (RieterBiedermann 1865) der Bearbeiter Brahms verschwiegen. Auch beim Arrangement eigener Werke bevorzugte er die Anonymität (so z. B. Brahms an Rieter, 15. Oktober 1870, BW XIV, S. 190f.; in ähnlicher Hinsicht auch Brahms an Bartholf Senff, [6. November] 1871, BW XIV, S. 201; dazu auch Helmut Loos: Zur Klavierübertragung von Werken für und mit Orchester des 19. und 20. Jahrhunderts [= Schriften zur Musik, Bd. 25], München/Salzburg 1983, S. 57f.). Zu den Klaviertranskriptionen von Brahms bes. Goertzen, Piano Transcriptions of Brahms.

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nicht feinfühlig, nicht streng genug werden […]. Wollt ihr arrangieren, so lasst dem Andern, was des Andern ist, habt nur das eine Bemühen, so ungefärbt als möglich den Eindruck des Originals wiederzuspiegeln, und sorgt dafür, dass man euch selbst wo möglich ganz und gar vergesse; wollt ihr dagegen componiren, so versucht entweder völlig auf eigenen Füssen zu stehen, oder aber, wenn sich eure schöpferische Begeisterung an fremdem Stoff entzündet, so nehmt euch nicht Liszt, sondern Brahms zum Vorbild, lernt von ihm, anstatt nur Production zu heucheln, ein entlehntes Motiv so wahrhaft in euch aufnehmen, dass auf seiner Grundlage eine Neuschöpfung zu entstehen vermag, die euer volles ehrliches Eigenthum ist. [R.]«720

Die Unterschiede in der Vorgehensweise und dem Verständnis der Natur der Transkription lässt sich aus kompositorischer Sicht auf eine Frage reduzieren: Wird den Transkriptionen ein künstlerischer Charakter zugestanden oder ist die Übertragung eine handwerkliche Übung, die nur dem Verfügbarmachen sonst schwer zugänglicher Werke dient?721 In diesem Kontext muten die beiden Widmungen Ilda Tilikes merkwürdig an. Sie übertrug Brahms’ Sapphische Ode op. 94/4 und das Zigeunerlied op. 103/7 für Klavier, änderte die Tonarten und fügte in recht freier Manier Füllstimmen hinzu, um einen möglichst angemessenen Klaviersatz zu erreichen. Tilike sah die Übertragungen als ihr geistiges Eigentum an und erkannte ihnen den Charakter eines eigenständigen Kunstwerks zu – nur so sind die Widmungen, die den Ausdruck der ideellen Übertragung von Eigentumsrechten darstellen, zu erklären. Trotzdem ist Tilikes Name auf dem Titelblatt gegenüber der Angabe des Originalkomponisten Brahms verschwindend klein gedruckt. Als Skurrilität präsentiert sich deswegen die oben auf dem Titelblatt angeordnete Zueignung – auch diese in Schriftart und Größe auffälliger als die Namensangabe Tilikes: Sie wirkt fast als Eigenwidmung. Es erscheint fraglich, ob Brahms bei vorheriger Kenntnis dieser Widmung zugestimmt hätte. Doch Tilike hatte ihm wohlweislich von ihren Plänen erst nach der Drucklegung berichtet.722 Tausig war in der Wahl seiner Übertragungsinstrumente vorsichtiger. Aus gutem Grund, denn in der aufgeheizten Situation der Presse im Kontext des Parteienstreits wurde auch diese Grundsatzfrage auf die Unterschiede zwischen ›neudeutsch‹ und ›konservativ‹ bezogen: »Verglichen mit anderen Arrangements, z. B. mit den vorstehend besprochenen von Jadassohn, sind diese des Herrn Franz Liszt weit freier gehalten; sie sind selbständiger, insofern also auch mehr künstlerischer Natur. Wir machen hierbei wieder die Be720 Transcription und Paraphrase [Schluss], in: AmZ 11/4 (26. Januar 1876), Sp. 49 und 52. 721 Vgl. zu dieser Fragestellung bereits den einleitenden Kommentar eines Themenheftes der Zeitschrift Musiktheorie unter dem Titel »Transkription und Virtuosität« (Musiktheorie 25/ 3 [2010], bes. S. 194). 722 Vgl. Ilda Tilike an Brahms, 29. Oktober 1896, A-Wst, Sign.: H.I.N. 203.385, Jb 171.936, Nr. 113.

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Ilda Tilike, Zigeunerlied (aus Op. 103 No. 7) von Johannes Brahms, »übertragen für Pianoforte«, Berlin 1896, Titelblatt

merkung, dass die musikalische Fortschrittspartei es noch immer am besten versteht, mit dem durch sie erzeugten Tonmaterial künstlerisch frei zu schalten. Diese Anerkennung mag manchem conservativen Duckmäuser hart in den Ohren klingen, ist aber einfach ein Act der Gerechtigkeit.«723 723 Rezension zu Liszt’s Arrangements für Klavier aus Wagner-Opern; AmZ 10/48 (1. De-

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Wieder einmal wird allerdings am Beispiel der Widmung Tausigs deutlich, dass die Außenpositionierung, die Verortung also der Transkription auf dem Koordinatensystem der Positionen des Parteienstreits, durch äußere Rezeption bestimmt war. In der Eigenbetrachtung der Komponisten war die strikte Positionierung in dieser Frage dagegen offenbar nicht notwendig, die Wahl der Werkzeuge richtete sich vielmehr nach den Bedürfnissen des Originalwerks, der Funktion, die die jeweilige Übertragung erfüllen sollte – und gegebenenfalls nach dem Widmungsträger. Die unterschiedliche Übertragungsweise wäre dann zumindest nicht allein mit ästhetischen Prämissen und einer daraus abzuleitenden Verortung im Parteienstreit zu erklären, sondern würde sich auch aus Tausigs – und Liszts – Rolle als führende Klaviervirtuosen ihrer Zeit724 ergeben: Die Ansprüche, die sie an ihre Transkriptionen stellten, waren aus dieser Perspektive notwendigerweise anders gelagert, als die des vorwiegend kompositorisch tätigen Brahms. Auch er war zum Zeitpunkt der Widmung Tausigs zwar noch pianistisch tätig725, doch in seinem Selbstverständnis war er Komponist, der der freien Bearbeitung eigener Werke höchst kritisch gegenüber stand; seine Beurteilung des Kunstwerkcharakters ist von diesen Prämissen geprägt.726 In der Bearbeitung der Choralvorspiele hatte Tausig allerdings einen Weg gefunden, der sowohl den Ansprüchen seines Lehrers Liszt, seiner eigenen ästhetischen Leitlinie, als auch den Maximen des Widmungsträgers gerecht wurde. Denn auch Liszt hatte in seinen frühen Bearbeitungen der Werke Bachs auf größtmögliche Notentreue geachtet – ein jeglicher Eingriff in die Kompositionen des Thomaskantors galt ihm als »Versündigung«.727 An diese Richtlinien hatte Tausig sich freilich nicht in allen seiner drei Bach-Bearbeitungen (die nach Siegmund

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zember 1875), Sp. 761. Helmut Loos lehnt diese Deutung ab, er betont, Liszt habe die »Unantastbarkeit des Originals« sehr ernst genommen und durch Zusätze und Veränderungen nur das Gesamtwerk in seinen »klanglichen Elementen« übertragen wollen (Loos, Klavierübertragung, S. 51). So hatte derselbe – anonyme – Autor der Rezension der Liszt’schen Wagner-Transkriptionen nur zwei Seiten zuvor in einer Besprechung von Schumann-Transkriptionen von Jadassohn diesem zugestanden, er nehme sich (da eng am Original orientiert) keine »Virtuosenfreiheiten« (AmZ 10/48 [1. Dezember 1875], Sp. 759). Das Bild des Virtuosen Liszt wirkt nach, obwohl dieser 1847 die Virtuosenlaufbahn eigentlich aufgegeben hatte. Zwar begann die Häufigkeit der Auftritte als Pianist schon Anfang der 1870er Jahre abzunehmen, doch noch 1869 hatte Brahms eine Konzerttournee mit Julius Stockhausen unternommen, am 22. Januar 1871 spielte er im Konzert in Wien den Solopart seines Klavierkonzerts Nr. 1 d-Moll op. 15 (vgl. Hofmann, Brahms als Pianist und Dirigent, bes. S. 124). Deswegen bearbeitete er die meisten seiner Orchesterwerke selber für Klavier – so konnte er die Form, in der sie an die Öffentlichkeit kamen, beeinflussen (Goertzen, Piano Transcriptions of Brahms, S. 6f. und 15f.). Michael Heinemann: Bach: Liszt, in: Bach und die Nachwelt, Bd. 2: 1850–1900, hg. v. Michael Heinemann u. Hans-Joachim Hinrichsen, Laaber 1999, S. 127–162, hier S. 133. Später änderte sich diese vorsichtige Herangehensweise freilich.

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Helms ausnahmslos von Brahms zur Kenntnis genommen wurden728) gehalten: Während er die Brahms gewidmeten Choralvorspiele und das Präludium, Fuge und Allegro BWV 998 weitestgehend notengetreu übertrug, hatte er die Toccata und Fuge BWV 565729 »für das Clavier zum Concertvortrag frei bearbeitet«, sie war seinerzeit in den Konzerten der Klaviervirtuosen äußerst beliebt.730 Doch Carl Georg Peter Grädener hatte immerhin bereits 1870 Tausigs Vorgehen bei der Herausgabe einer instruktiven Ausgabe von Bachs Wohltemperiertem Klavier ausdrücklich gelobt, da er »lediglich reproducirend« verfahren sei.731 Gerade in der Übertragung der Choralvorspiele mag zusätzlich die Achtung vor dem religiösen Stoff die Bearbeitung als brillante und virtuose Konzertstücke verhindert haben.732 Anders als in den verschiedenen Bearbeitungen von Sonaten Domenico Scarlattis oder einiger Schubert-Werke (u. a. des Andantino und Variationen op. 84/1, des Rondo brillant sur des Motifs originaux franÅais op. 84/2 und der Polonaise m¦lancolique op. 95/3), die er – in die kompositorische Faktur eingreifend – dem modernen Zeitgeschmack brillanter Klavierkompositionen anpasste, beschränkte sich Tausig bei den Choralvorspielen fast immer auf eine möglichst detailgetreue Übertragung der Opera für die Zwecke und die besonderen technischen Möglichkeiten des Klaviers. Damit folgte er letzten Endes dem althergebrachten, auch von Brahms bevorzugten Weg der Transkription: Er verdoppelte, wo musikalisch sinnvoll, ob der größeren Wirkung die Pedalstimme, fasste die übrigen Stimmen in der rechten Hand zusammen, veränderte die musikalisch-kompositorische Faktur bis auf das Ausschreiben einiger Triller und hinzugefügte Dynamikangaben und Vortragsbezeichnungen aber grundsätzlich nicht. In Vater unser im Himmelreich nach BWV 737 verzichtet Tausig sogar bis auf eine allgemeine piano-Angabe gänzlich auf eigene Angaben zu Lautstärke und Vortrag. Ausnahmen bestätigen allerdings hinsichtlich der eingehaltenen Werktreue die Regel: Auch in der Übertragung der Schlussfuge aus O 728 Helms, Brahms und Bach. Nach den Einträgen ebd., S. 54 und 57 haben sich zumindest alle Bachtranskriptionen Tausigs im Nachlass von Brahms befunden. 729 Ein Vergleich der Noten zeigt, dass die Angabe »BWV 538 (?)« von Helms nicht zu halten ist. 730 Vgl. Stinson, Reception of Bach’s organ works, S. 120. 731 Auch wenn die Schwierigkeiten hier anders gelagert erscheinen, da es sich nicht um eine Transkription für ein anderes Instrument handelt, zeigt doch die Würdigung Grädeners, dass Tausig im Umgang mit Werken Bachs eine besondere Vorsicht walten ließ: »Wohl nun, wenn alles hierauf Bezügliche mit einer Pietät Hand in Hand geht, wie sie in dem jüngst bei M. Bahn (T. Trautwein’sche Buch- und Musikalienhandlung) in Berlin erschienenen ›Wohltemperirten Clavier von Seb. Bach bearbeitet und herausgegeben von Carl Tausig‹ geübt worden – eine Pietät, welche, den Kern der Sache selbst unangetastet lassend, lediglich reproducirend verfährt und den Meister selbst in seiner Urgestalt aufzeigt, ohne ihm Etwas vom Eigenen zu nehmen, von Fremdem aufzubürden« (Carl Georg Peter Grädener, AmZ 5/4 [26. Januar 1870], Sp. 29). 732 Vgl. dazu auch Stinson, Reception of Bach’s organ works, S. 120.

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Lamm Gottes unschuldig BWV 656 (ab T. 104) greift Tausig eigentlich nur auf das bereits eingeführte Mittel der Stimmverdopplung – nicht nur der Pedalstimme – zurück. Doch einhergehend mit dem Tausch einiger Noten zwischen den einzelnen Stimmen und hinzugefügten Vortrags- und Dynamikbezeichnungen wird der Fugencharakter des Originals des dritten Verses (bei Tausig überschrieben mit »Grandioso e poco pi¾ largo«) zugunsten einer größeren Finalwirkung wenn nicht gänzlich, so doch in weiten Teilen aufgehoben. Den von Bach in den letzten neun Takten abschließend eingesetzten Orgelpunkt auf A, der am Klavier durch das schnellere Verklingen und das dadurch notwendige mehrmalige Anschlagen des Tons nicht originalgetreu zu realisieren wäre, gibt Tausig, wohl wegen dieser eingeschränkten Interpretationsmöglichkeiten, völlig auf. Trotz aller Werktreue, die die Widmung einer solchen Übertragung an Brahms grundsätzlich ermöglichte, steht dem virtuosen Pianisten also auch in den Bach-Übertragunen stets der mögliche Effekt einer Aufführung im Konzertsaal vor Augen. Vielleicht hatte sich die Dedikation an Brahms aber sogar in der Formulierung des Titels ausgewirkt: Während die ebenfalls fast notengetreue Ausgabe des Präludium, Fuge und Allegro BWV 998 als Bearbeitung Tausigs deklariert ist733, sind die Choralvorspiele – deutlich zurückhaltender – »übertragen«.734 Dass Tausigs Wertschätzung für Wagner und Liszt allerdings trotz der Widmung an Brahms keinesfalls erloschen war, zeigt die Gründung des Bayreuther Patronatsvereins im selben Jahr unter seiner Ägide: Ein Verein, der die Festspielidee Wagners aktiv unterstützte. Tausig war also trotz aller ästhetischen Diskussionen in der Lage, beide Lager für ihre kompositorischen Leistungen zu schätzen. Wichtiger als jede kompositionstechnische und ästhetische Annäherung an den Bearbeiter Brahms ist aber ohnehin der über die Widmung aufgebaute Konnex zwischen Brahms und Johann Sebastian Bach. ***

Carl Tausig, Adolf Jensen, Henri Gobbi: Drei Liszt-Schüler, die sich trotz des Parteienstreites auf je eigene Art und Weise mit Brahms und seiner Musik beschäftigten und seine kompositorische Leistung würdigten und anerkannten. Die Wahl des jeweiligen Widmungswerks drückt diesen Respekt aus, indem 733 Wenn natürlich auch nicht als »freie Bearbeitung«, wie im Fall der Toccata und Fuge BWV 565. 734 Auch die Ungarischen Tänze WoO 1 sind laut Angabe des Titelblatts nur von Brahms »gesetzt«, nicht aber komponiert. Wie Tausig vermied Brahms es also, die Tänze als eigene Kompositionen zu bezeichnen. Vgl. zu den Diskussionen um die korrekte Benennung der Tätigkeit Brahms’ Kap. IV. 2. 3, bes. ab S. 337.

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Anknüpfungspunkte und Beziehungen zwischen dem eigenen Schaffen und dem Werk des Widmungsträgers hergestellt und betont werden. Nie hätte Tausig Brahms seine Sinfonische Ballade »Das Geisterschiff« op. 1c gewidmet, der als Programmmusik eine Ballade aus den Nordlands-Poesien von Moritz Graf Strachwitz (1822–1847) zugrunde gelegt ist – nicht zu reden von etwaigen Dedikationen seiner Bearbeitungen Liszt’scher Sinfonischer Dichtungen und Wagner-Paraphrasen. Die Zueignung eines solchen Werks hätte mangelnden Respekt vor der Person und dem Schaffen seines Adressaten ausgedrückt. Aus der Betrachtung der Widmungen möglicher ›Neudeutscher‹ an Brahms wird über die Analyse der einzelnen Werke hinaus vor allem eines deutlich: Die zu Beginn der 1860er Jahre die musikalische Welt beherrschende Debatte um die Musik der Zukunft verlor zunehmend ihr Konfliktpotenzial.735 Ohnehin ist die Verquickung beider Lager auf persönlicher Ebene klar ersichtlich. Diese Interaktion bildet sich im Netzwerk der Brahms widmenden Komponisten ab – es ist evident, wie wichtig gemeinsame Bekannte (die die Überschneidungen der jeweiligen Beziehungsnetzwerke darstellen) für den Aufbau eines Bezugs zwischen dem späteren Widmenden und Brahms war. Aus dieser erfolgreichen Vermittlung ergibt sich dann in der Folge erst eine Erweiterung des Netzwerks ›Brahms gewidmet‹. Anknüpfungspunkte für eine mögliche Widmung gab es in jedem Einzelfall über die persönliche Bekanntschaft hinaus auch im kompositorischen Schaffen: eine gemeinsame Vorliebe für einen bestimmten Komponisten etwa, oder das Interesse für die Problematik einer bestimmten, auch von Brahms gepflegten Gattung (Variation, Klaviersonate). Die in der Frühzeit oftmals so dogmatisch und schablonenhaft vorgenommene Einteilung der Musiklandschaft der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in zwei Kreise von ›Neudeutschen‹ und ›Konservativen‹ ohne nennenswerte künstlerische Interaktion dekonstruiert sich dementsprechend auch in der Betrachtung der Widmungsforschung immer mehr. Wieder einmal beweist sich stattdessen: Netzwerke und Personenbeziehungen sind dynamisch – und in ihren Grenzen durchlässig. Die Widmung kann dennoch in gewissen Fällen, vor allem aber mit zeitlicher Einschränkung, als Positionierung im musikästhetischen Kontext verstanden werden. Noch bei Reinecke ist dies der Fall, besonders aber zu erwarten ist eine solche Dedikation von Komponisten explizit konservativer Ausrichtung aus der Frühzeit der Zueignungen an Brahms, als sich die kompositions-ästhetische 735 Wie pragmatisch junge Komponisten die Situation oft sahen, zeigt ein Ausspruch Stanfords: »A well-known lady musician sitting next me at the rehearsal of an early Richter concert at which Brahms’ minor Symphony and Wagner’s ›Meistersinger‹ Overture were given, when I expressed my admiration for both, told me that it was impossible for me to like the one if I liked the other. My answer was that I was one degree happier than she was, for I liked one thing in the world more than she could« (zit. n. Stanford, Pages, S. 136).

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Debatte auf ihrem Höhepunkt befand. Indirekt erkennbar ist diese Funktion beispielsweise an den Zueignungen der potenziellen und tatsächlichen Unterzeichner736 des Manifests gegen die ›Neudeutschen‹, die nicht nur alle Brahms ein Werk widmeten, sondern auch untereinander teilweise eng befreundet waren und sich als Ausdruck dieser Beziehungen Kompositionen zueigneten.737 Später nimmt die Funktion der ästhetischen Positionierung vor allem unter den Widmenden einer jungen Generation ab, dann herrscht die persönliche Bewunderung für einen Komponisten vor. Dies ist nicht selten daran zu erkennen, dass die Komponisten – wie etwa Tausig, Jensen oder Urspruch – sowohl Brahms als auch Liszt oder Wagner ein Werk widmeten.

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Veröffentlichungen wie The dedications of books to patron and friend von Henry B. Wheatley aus dem Jahr 1887738, das Bloomsbury Dictionary of Dedications von Adrian Room739 oder Forschungsprojekte wie I margini del libro an der Universität Basel740 zeigen deutlich: Der Widmung wird in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht nur im deutschsprachigen Gebiet eine wichtige ideelle Rolle zuerkannt. Auch in anderen Kulturräumen und Nationen ist die Überlegung, ob und wem ein Werk zu widmen sei, als grundlegende Entscheidung während der Entstehung und Veröffentlichung desselben präsent. Dem entspricht der Bestand der Brahms gewidmeten Werke: Insgesamt 25 der 97 Kompositionen gehen von Komponisten aus, die aus Gebieten außerhalb Österreichs und der deutschen Staaten stammen741 – sie machen demnach über ein Viertel des Gesamtkonvolutes aus. Die topographische Verortung der Dedikationen im Zusammenhang mit dem Datum ihrer Entstehung gibt dabei Hinweise auf das internationale Fortschreiten der Brahms-Rezeption. Denn sein 736 Vgl. oben, S. 167, Brahms an Joseph Joachim, [19. März 1860], BW V, S. 263f. 737 So richtete z. B. Julius Otto Grimm auch an Franz Wüllner, Woldemar Bargiel, Joseph Joachim, Max Bruch und Carl Reinecke, um nur einige zu nennen, eine Werkwidmung. Wegen der teilweise sehr schlechten Quellenlage sind darüber hinaus mit Sicherheit noch nicht alle Widmungen bekannt. 738 Henry B. Wheatley : The dedications of books to patron and friend. A chapter in literary history, London 1887. 739 Adrian Room: Bloomsbury Dictionary of Dedications, London 1990. 740 Vgl. www.margini.unibas.ch. Das Projekt beschäftigt sich mit Widmungen in der italienischen Literatur bis in das 20. Jahrhundert hinein. 741 Österreich und das Gebiet des späteren Deutschen Reichs wurden außer Acht gelassen, da Brahms hier jeweils ansässig war. Andere deutschsprachige Gebiete wie die Schweiz oder in Teilen auch Böhmen wurden dagegen einbezogen, da sie zwar nicht durch die Sprache, wohl aber durch andere (z. B. politische oder kulturelle) Grenzen von den deutschen Gebieten getrennt waren.

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mit der Veröffentlichung von Kompositionen wie Ein Deutsches Requiem op. 45 und den Ungarischen Tänzen WoO 1 verbundener endgültiger kompositorischer Durchbruch um das Jahr 1868 hatte sich bereits in einer zunehmenden Anzahl von Zueignungen aus den deutschsprachigen Ländern abgebildet.742 Zeitlich versetzt erreichten Brahms nun vermehrt Bitten um Widmungserlaubnis aus anderen Kulturkreisen, so aus Böhmen (ab 1877)743 und von der britischen Insel (seit 1879).744 Die Widmungen lassen sich in ihrer Eigenschaft als Ausdruck einer – wie auch immer gearteten – Brahms-Rezeption auch als Ergebnis von Kulturtransfer745 in seiner Definition als Prozess des raum-, grenz- und gesellschaftsübergreifenden Austauschs von materiellen und immateriellen Gütern, Ideen und Strategien deuten. Ausgehend von dieser Grundannahme verrät die Gesamtschau der Zueignungen eines Kulturraumes exemplarisch, welche Eigenschaften des Werks und der Person von Brahms im spezifischen Umfeld besonders rezipiert wurden oder als typisch für die deutschsprachige Musikkultur galten. Die Widmungen sind als Folge des Transfers freilich bereits Ausdruck eines dynamischen Assimilierungs- und Rezeptionsprozesses746, der über die Widmungs742 Die Widmungszahlen steigen ab 1870 von ca. ein bis zwei pro Jahr auf Spitzenwerte von sechs (1870) bzw. fünf (1871) Zueignungen pro Jahr an. 743 Von Dvorˇ‚k (Jahr der Widmung: 1877), Suk (1893), Nov‚k (1896) und Bendl (1896). 744 Von Henschel (1879), Stanford (1882), Ashton (1883), Kreuz (1889), Hinton (o. J.), Lucas (1897). 745 In den 1980er Jahren zur Erforschung deutsch-französischer Beziehungen begründet (vgl. zusammenfassend Michael Espagne: Vorwort, in: Ver-rückte Kulturen. Zur Dynamik kultureller Transfers [= Stauffenberg Discussion, Bd. 22], hg. v. Federico Celestini u. Helga Mitterbauer, Tübingen 2003, S. 7–10), hat sich die Kulturtransferforschung von Beginn an auch in der Musikwissenschaft etabliert. Zu nennen sind in erster Linie zwei Mitglieder des Grazer Sonderforschungsbereichs »Moderne – Wien und Europa um 1900«, Federico Celestini und Gregor Kokorz. Beide haben die Methode nicht nur für Forschungen innerhalb ihres Fach eingesetzt, sondern auch wichtige, fachübergreifend theoriebildende Literatur zu diesem Thema vorgelegt (z. B. Federico Celestini: Um-Deutungen. Transfer als Kontextwechsel mehrfach kodierbarer kultureller Elemente, in: Ver-rückte Kulturen. Zur Dynamik kultureller Transfers [= Stauffenberg Discussion, Bd. 22], hg. v. Federico Celestini u. Helga Mitterbauer, Tübingen 2003, S. 37–51). Neuere Literatur zu spezifisch musikwissenschaftlichen Fragestellungen bieten u. a. Friedhelm Brusniak u. Klaus-Peter Koch (Hg.): Phänomene und Wege musikkulturellen Austausches. Deutschland und Russland im 18. Jahrhundert (= Arolser Beiträge zur Musikforschung, Bd. 8), Sinzig 2002; Erik Fischer (Hg.): Musikinstrumentenbau im interkulturellen Diskurs (= Berichte des interkulturellen Forschungsprojekts »Deutsche Musikkultur im östlichen Europa«, Bd. 1), Stuttgart 2006; Stefan Keym: Symphonie – Kulturtransfer. Untersuchungen zum Studienaufenthalt polnischer Komponisten in Deutschland und zu ihrer Auseinandersetzung mit der symphonischen Tradition 1867–1918, Hildesheim 2010; Inga Mai Groote: Östliche Ouvertüren. Russische Musik in Paris 1870–1913 (= Schweizer Beiträge zur Musikforschung, Bd. 19), Kassel 2014. 746 Die inhaltliche Definition des Transfers als Prozess setzt die Anerkennung eines mehrstufigen und komplexen Vorganges voraus, der vom ersten Kontakt mit fremden kulturellen Gütern, Ideen oder Technologien über ihre bewusste Ablehnung oder Aneignung bis hin

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kompositionen die einheimische Kulturproduktion bereicherte. Gleichzeitig wurde dem Widmenden über den Namen des Adressaten der Zugang zum deutschsprachigen Markt erleichtert – und damit der topographisch umgekehrte Transfer von kompositorischen Strategien und Werktexten begünstigt. Beispiel für diese Wechselseitigkeit sind die Englischen Tänze (English Dances) für Pianoforte zu vier Händen op. 10 von Algernon Ashton: Sie sind einerseits von den Walzern op. 39 des Widmungsträgers inspiriert, liefern andererseits den Versuch, das Konzept der Tänze von Brahms auf die eigene kompositorische Tradition zu übertragen. Diese Züge der englischen Kultur werden dann wiederum bewusst in die Heimat des Widmungsadressaten getragen, die Englischen Tänze sind bei Simrock in Berlin erschienen und somit auch für den deutschen Rezipienten bestimmt. Nachweis dieser Ausrichtung ist u. a. das Titelblatt, das den englischen Titel erst in zweiter Linie nennt. Bei der Betrachtung muss freilich die Auswirkung sich überlappender und schwer voneinander abzugrenzender Räume und Grenzen auf die Identität(en) des einzelnen Widmenden immer mit bedacht werden. Nicht ohne Grund hat sich die Grenzforschung747 in den letzten Jahrzehnten in enger Verknüpfung mit der Kulturtransferforschung entwickelt.748 Denn Grenzen sind zum einen hyzur (Teil-)Assimilierung in den eigenen Kontext und damit ihrer Anerkennung als Teil der eigenen kulturellen Sphäre reicht. Dazu z. B. Sven Trakulhun: Bewegliche Güter. Theorie und Praxis der Kulturtransferforschung, in: Musik-Sammlungen – Speicher interkultureller Prozesse, Teilbd. A (= Berichte des interkulturellen Forschungsprojekts »Deutsche Musikkultur im östlichen Europa«, Bd. 2), hg. v. Erik Fischer, Stuttgart 2007, S. 72–94, hier S. 87. 747 Entstanden ist die Grenzforschung in ihrer heutigen Ausprägung – obwohl die Problematik der Grenzziehung schon im 19. Jahrhundert thematisiert wurde – in den 1970er Jahren aus den Erfahrungen und Herausforderungen, die die politischen Umbrüche um 1989, die zunehmende Dekonstruktion des Nationalstaats und schließlich das wachsende Europa (mit der Frage nach europäischer Identität) an Historiker und Sozialwissenschaftler stellten (vgl. zur Einführung Etienne FranÅois, Jörg Seifarth u. Bernhard Struck: Einleitung. Grenzen und Grenzräume: Erfahrungen und Konstruktionen, in dies. [Hg.]: Die Grenze als Raum, Erfahrung und Konstruktion. Deutschland, Frankreich und Polen vom 17. bis zum 20. Jahrhundert, Frankfurt a. M. 2007, S. 7–32). Als wichtiges theoretisches Grundlagenwerk dieser neuen Grenzforschung gilt Frederik Barth: Ethnic Groups and Boundaries, Oslo 1969. Die letzten zwei Jahrzehnte haben eine schier unüberblickbare Menge an theoriebildender Literatur zu Grenze, Raum und Identität beigetragen, vgl. z. B. Petra Deger u. Robert Hettlage (Hg.): Der europäische Raum. Konstruktion europäischer Grenzen, Wiesbaden 2007; Peter Cornelius Mayer-Tasch: Raum und Grenze, Wiesbaden 2013; Georg Kreis: Europa und seine Grenzen mit sechs weiteren Essays, Bern, Stuttgart u. Wien 2004. In der Geschichtswissenschaft ist das Konzept der hybriden und vielfältigen Grenzen und Räume gerade in Bezug auf das komplexe 19. Jahrhundert ein wichtiges Modell (vgl. in diesem Sinn z. B. Osterhammel, Verwandlung der Welt, S. 176–180; Wladimir Fischer : Räume und Grenzen in Österreich-Ungarn 1867–1918. kulturwissenschaftliche Annäherungen, Tübingen 2010). 748 Die Zusammenarbeit betrifft v. a. die Kritik an der von Marc Bloch schon 1928 geforderten vergleichenden Geschichtsbetrachtung (Marc Bloch: Für eine vergleichende Geschichtsbe-

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brid, durchlässig und wandelbar, zum anderen vielfältig. Politische, kulturelle, sprachliche und ökonomische Grenzen, um nur einige zu nennen, bestimmten die gefühlte Identität des Menschen, sind aber nur in den seltensten Fällen deckungsgleich.749 Die Vielschichtigkeit der Grenzziehungen wird gerade in der politischen und gesellschaftlichen Gemengelage des 19. Jahrhunderts mit einem zunehmenden Nationalbewusstsein der Gesellschaft und den sich in der Konsequenz neu gründenden Nationalstaaten zur Herausforderung des Historikers.750 Der Problematik wechselnder staatlicher Grenzziehungen kann durch ein kritisches Hinterfragen der Konstruktion von politisch oder kulturell motivierter »Nation« und ihrer Auswirkung auf die gefühlte Identität des Einzelnen zumindest teilweise begegnet werden. Wichtig ist vor allem die Anerkennung von dynamischen Kulturräumen, die nicht mit Staatsgrenzen korrespondieren müssen.751 Auch diese sind allerdings durch Assimilation, Abgrenzung und Verflechtung in ständigem Wandel begriffen und teils eng miteinander verwoben. Sie können aber trotz allem eine kulturell bedingte Identität des Einzelnen konstruieren helfen. Auch Brahms betrafen die politischen Grenzverschiebungen. Die Gründung des Deutschen Reiches 1870/71 war nach den Richtlinien der bereits seit 1848 in der Frankfurter Nationalversammlung der Paulskirche diskutierten sogenannten ›kleindeutschen Lösung‹ erfolgt – also ohne den politischen Einbezug der österreichischen Gebiete, in deren Grenzen Brahms seit seinem Umzug nach Wien lebte. Trotz dieser räumlichen Entfernung und den politischen Umtrachtung der europäischen Gesellschaften, abgedr. in: Alles Gewordene hat Geschichte. Die Schule der Annales in ihren Texten 1929–1992, hg. v. Matthias Middell u. Steffen Sammler, Leipzig 1994, S. 121–167), die für die Grenzforschung fruchtbar gemacht werden sollte und in der Kulturtransferforschung abgelehnt wird (v. a. vom [Mit-]Begründer des Forschungszweiges, Michael Espagne). Ganze Sammelbände beschäftigen sich über diese Kritikpunkte hinaus mit Kulturtransfer unter dem Blickpunkt der Grenze, vgl. z. B. Lothar Jordan u. Bernd Kortländer (Hg.): Nationale Grenzen und internationaler Austausch. Studien zum Kultur- und Wissenschaftstransfer in Europa, Tübingen 1995. 749 Dies allein schon wegen ihrer unterschiedlichen Beschaffenheit. Die Kategorisierung wird allerdings je nach Blickwinkel auf verschiedenen Ebenen vorgenommen, so wird z. B. zwischen immobilen geographischen Grenzen, konjunkturellen Grenzen mittlerer Dauer (ökonomisch, konfessionell, sozial) und ereignishaften Grenzen (territorial, durch Kriege usw. verschoben) unterschieden (FranÅois u. a., Grenzen und Grenzräume, S. 21). Osterhammel, Verwandlung der Welt, S. 177, grenzt tatsächliche von symbolischen Grenzen ab, ein Ansatz, dem auch Mathias Bös in seinem Konzept von räumlichen und relationalen Grenzen folgt (vgl. Mathias Bös: Ethnizität und Grenzen in Europa, in Deger/Hettlage, Der europäische Raum, S. 49–70, hier S. 52). 750 Problematisch ist v. a., dass kulturelle oder sprachliche Grenzen oftmals in ihrer Anpassung nicht mit den sich ändernden, recht kurzlebigen politischen Grenzen Schritt halten. Dies wirkt sich auf die Identität der im Grenzraum lebenden Menschen aus. Vgl. FranÅois u. a., Grenzen und Grenzräume, S. 21. 751 Vgl. zum Konzept des dynamischen Kulturraums und zur Schwierigkeit seiner Abgrenzung Trakulhun, Bewegliche Güter, bes. S. 72f. u. S. 86f.

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schwüngen blieb die gefühlte Identität von Brahms deutsch und äußerte sich unter anderem in der Komposition und Dedikation des Triumphliedes op. 55. Der 1872 in unmittelbarer Nähe zur Reichsgründung veröffentlichte Siegesgesang sollte nach Kalbeck752 ursprünglich als Anspielung auf den deutsch-französischen Krieg und die durch Preußen und seine Verbündeten gewonnene Schlacht bei Sedan gar den Untertitel »Auf den Sieg der deutschen Waffen« tragen. Dieser außermusikalische Kontext sollte sich auch in der Dedikation spiegeln: Der Bismarck-Verehrer Brahms wollte das Werk Kaiser und Reichskanzler widmen. Im Druck erschien jedoch nur die Widmung an Kaiser Wilhelm I. Voraussetzungen der Brahms-Rezeption Wichtige Voraussetzung für jede Widmung bildete die Möglichkeit des Urhebers, sich mit dem Adressaten vertraut zu machen. Bereits der zeitliche Ausgangspunkt der Zueignungen eines geographisch oder kulturell begrenzten Gebiets753 lässt demnach Rückschlüsse auf den jeweiligen Stand der Rezeption von Person und Werk von Brahms zu – eine Dedikation an den Komponisten machte schließlich nur bei zu erwartender positiver Aufnahme durch die Zielgruppe, die rezipierende Öffentlichkeit, Sinn. Je nach politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Rahmenbedingungen ist der Zugang zur Brahms’schen Musik deswegen individuell geprägt. Er ist auch abhängig von der strukturellen Offenheit des Kulturraums und seiner Gesellschaft gegenüber Außeneinflüssen, die die eigene Tradition potenziell verändern.754 Denn gerade im 19. Jahrhundert, Zeit der Herausbildung von Nationalstaatlichkeit, äußerten sich politische und kulturelle Unabhängigkeitsbestrebungen teils auch in der Musik in einer verstärkten Zuwendung zu nationalen Schulen.755 Aus nationalpolitischen 752 Kalbeck II, S. 345. 753 Gerade in Zeiten der sich neu formierenden Nationalstaatlichkeit und eines erwachenden Nationalbewusstseins unter den Bürgern können die Grenzen politischer Staatlichkeit und gefühlter kultureller Verbundenheit differieren. Dieses Umstandes gilt es sich stets bewusst zu sein. 754 Tatsächlich ist allerdings auch eine sogenannte Nationalkultur eine nur »scheinbar originäre Einheit«. Auch sie basiert »auf einem Wechselspiel zwischen Eigenem und Fremden, das sie immer schon als hybride Kultur kennzeichnet und in deren Wechselspiel allein die Modi der Selbst- und Fremdzuschreibung sich verschieben.« Vgl. Bettina Schlüter : Interdisziplinäre Perspektivierung – Kulturtransfer, in: Musikinstrumenten-bau im interkulturellen Diskurs (= Berichte des interkulturellen Forschungsprojektes »Deutsche Musikkultur im östlichen Europa«, Bd. 1), hg. v. Erik Fischer, Stuttgart 2006, S. 33–38, hier S. 34. 755 Vgl. z. B. zu den selbstbewussten Bestrebungen nach einer tschechischen Nationalmusiksprache, die trotz allem an die Errungenschaften der westeuropäischen Kunstmusik anknüpfen und ihr auf Augenhöhe begegnen sollte Jaroslav Strˇitecky´ : Kultur der Kritik. Musik im Zwiespalt nationaler Bewußtseinsbildung, in: Böhmen im 19. Jahrhundert, hg. v. Fer-

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Gründen konnte die Beschäftigung mit Komponisten anderer Nationen dann abgelehnt werden. Diese Wechselwirkung756 wirkt sich konkret auf die kulturelle Praxis der Widmung aus, sie beeinflusst, wie sich die spezifische Annäherung an den Widmungsadressaten Brahms vollzog. Die Möglichkeiten der Brahms-Rezeption hingen in der Anfangsphase von drei hauptsächlichen Faktoren ab: Der Verfügbarkeit des Notenmaterials, den Rezensionen und Berichten der (Fach-) Presse und der Mobilität und den damit verbundenen Reisebewegungen von Musikern. Sie dienten als Träger des Transfers, die »nicht von Nation zu Nation erfolgen, sondern immer an Individuen, Gruppen oder Netzwerke gebunden sind«.757 Alle drei Faktoren stehen freilich in Wechselwirkung. Die Reisebewegungen von Musikern758, egal, ob als längere Bildungs- oder kürzere Tourneereise759 konzipiert, die in ihrer Rolle als potenzielle Mittler für eine weite Verbreitung von Neuerungen im musikalischen Leben sorgten760, fanden sowohl in Richtung der deutschsprachigen Gebiete statt761, als auch von dort in die weiteren Länder Europas. Zunehmend geriet auch der nordamerikanische Kontinent als lohnendes Ziel in den Fokus der Musiker. Es waren die in diesem Rahmen stattfindenden Konzerte, die dem interessierten Publikum als hauptsächliche Plattform die neuen Entwicklungen in der internationalen Musikwelt konkret erlebbar machten. Auslandstourneen von Angehörigen des engen Brahms-Kreises, wie z. B. von Clara Schumann, Julius Stockhausen oder Joseph Joachim, auch Reisen von Brahms selber, anlässlich derer seine Kompositionen aufgeführt wurden, waren dementsprechend erste Schritte zur internationalen Verbreitung der Werke von Brahms. Die politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Rahmenbedingungen sind freilich als Kontext unverzichtbar : Sie wirken sich auch konkret auf Konzertreisen und Verlagsar-

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dinand Seibt im Auftrag des Adalbert Stifter Vereins, München u. Frankfurt a. M. 1995, S. 87–98. Vgl. Endre H‚rs u. a.: Zentren peripher : Vorüberlegungen zu einer Denkfigur, in: dies. (Hg.): Zentren, Peripherien und kollektive Identitäten in Österreich-Ungarn (= Kultur – Herrschaft – Differenz, Bd. 9), Tübingen u. Basel 2006, S. 1–15, hier S. 5f. Vgl. Trakulhun, Bewegliche Güter, S. 76. Mit dem Konzept des reisenden Musikers beschäftigen sich u. a. die Beiträge des Sammelbandes: Musiker auf Reisen. Beiträge zum Kulturtransfer im 18. und 19. Jahrhundert, hg. v. Christoph-Hellmut Mahling, Augsburg 2011. Ulrich Konrad hat das Reiseverhalten von Musikern zwischen 1700 und 1900 typisiert und in sieben Kategorien gefasst. Er subsummiert Reisen zum Zweck der Ausbildung unter der Kategorie der »Bildungsreise«. Vgl. Ulrich Konrad: Der Musiker und seine Reisen, in: Mahling, Musiker auf Reisen, S. 9–22, hier S. 15. Zur Tourneereise ebd., S. 18. Zu diesem Thema u. a. Keym, Symphonie-Kulturtransfer. Besonders die Ausdifferenzierung und der gute Ruf der deutschen Musikhochschullandschaft, wo der Beruf des Musikers professionell erlernt werden konnte, verstärkten die Migrationswege in Richtung der deutschen Gebiete. Diesem Einfluss deutscher Konservatorien auf die Brahms-Rezeption soll an anderer Stelle weiter nachgegangen werden (III. 3 Die Konservatorien als Orte der Brahms-Vermittlung).

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tikel aus. So hatte der weitgehend kommerzialisierte englische Konzertmarkt im Gegensatz zum politisch eingeschränkteren, für Ausländer restriktiveren Markt Frankreichs eine große Anziehungskraft für Künstler und Musikalienverleger des deutschsprachigen Kulturraums.762 Umgekehrt halfen aber auch Studienund Konzertaufenthalte ausländischer Künstler in Wien oder anderen Städten Österreichs und des Deutschen Bundes (und späteren Deutschen Reiches), wo Brahms auf den Konzertbühnen und im Musikalienhandel ab einem gewissen Zeitpunkt präsenter war, die Brahmsrezeption zu fördern. Nach ihrer Rückkehr konnten sich die Künstler in ihrer Heimat aktiv im Rahmen von Konzerten oder als Konservatoriumslehrer für die weitere Verbreitung der Kompositionen von Brahms einsetzen. Für die konkrete Einordnung der kulturellen Identität der Widmenden bergen die Migrationsbewegungen allerdings Probleme. Dies mag der Lebensweg von Eugen d’Albert illustrieren, der zwar gebürtiger Engländer ist, aber seit 1881 permanent im deutschsprachigen Raum wohnte – erst in Wien, dann innerhalb der Grenzen des Deutschen Reichs. Er selber legte größten Wert auf die Auswirkungen dieses Umzugs auf seine Identität und betonte stets sein »unverfälschtes Deutschtum«.763 Durch seinen langjährigen Aufenthalt in deutschsprachigen Gebieten ist er für die Beantwortung der im Rahmen dieses Kapitels relevanten Fragestellungen zum Zeitpunkt seiner Widmung an Brahms (sie stammt aus dem Jahr 1893764) kaum noch als Komponist des englischen Kulturkreises zu werten. Denn sein Kontakt zu Brahms konnte durch seinen Wohnsitz in Wien persönlich, direkt und regelmäßig erfolgen, ihm standen alle Wege der Annäherung offen, die auch Komponisten aus deutschsprachigen Ländern nutzen konnten. Umgekehrt war er nicht mehr aktiver Teil des englischen Musiklebens und vermittelte seine spezifischen Brahms-Erfahrungen über sporadische Konzertreisen hinaus nicht in seiner Heimat weiter. Interessant sind deswegen für die Betrachtung unter dem Blickwinkel internationaler Brahms-Rezeption vor allem solche Komponisten, die ihren ständigen Wohnsitz in einem fremden Kulturraum hatten und anders als d’Albert außer für temporäre Aufenthalte, z. B. zu Studienzwecken, besonders aber zum Zeitpunkt der Widmung, nicht innerhalb der deutschen oder österreichischen Grenzen lebten. Die hier angelegten Kriterien gelten freilich auch für deutsche Komponisten, die ihre Wirkungsstätte zum Widmungszeitpunkt bereits dau762 Simon McVeigh: A Free Trade in Music. London during the Long 19th Century in a European Perspective, in: Journal of Modern European History 5/1 (März 2007), S. 67–94, hier bes. S. 69–74. 763 So der Bericht von Eduard Hanslick in: Fünf Jahre Musik (1891–1895) (= Der »Modernen Oper«, Bd. 7), Berlin 1896, S. 269. 764 Eugen d’Albert: Quartett No. 2 (Es-dur) für 2 Violinen, Bratsche u. Violoncell op. 11, Berlin [1893].

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erhaft in einen anderen Kulturraum verlegt hatten, so für George Henschel, der zum Zeitpunkt der Widmung an Brahms bereits lange in England ansässig war. Die Widmung seines Serbischen Liederspiels kann zwar einerseits – wie die Widmung des Triumphliedes von Brahms – als Dedikation eines in der Diaspora ansässigen Deutschen an den Landsmann innerhalb eines diskontinuierlichen sozialen Raums gelten765, zeigt aber andererseits, z. B. in der Gattungswahl, auch unverkennbare Züge einer spezifisch englischen Brahms-Rezeption.766 Ungarische Komponisten entschlossen sich dagegen umgekehrt nur dann zur Dedikation, wenn sie ihren Lebensmittelpunkt langfristig in deutsche oder österreichische Gebiete verlegt hatten.767 In den ungarischen Gebieten selber war Brahms zwar durchaus präsent, allerdings nicht anerkannt genug, als dass sich ein Komponist zur Dedikation entschieden hätte. Die entsprechenden Widmungen werden aus diesem Grund im Rahmen dieses Kapitels nicht intensiver behandelt. Unterstützt und verstärkt wurde die Wirkung der Vermittlung durch reisende Musiker durch die Verfügbarkeit des Notenmaterials. Denn gerade in Bezug auf die Wahrnehmung von Vokalmusik wirkten sich die Grenzverläufe der verschiedenen Sprachräume mit ihren Barrieren naturgemäß aus. Simrock drang deswegen ab dem Druck des Triumphliedes op. 55 im Jahr 1872 darauf, entsprechende Werke von Brahms in zweisprachigen Ausgaben herauszugeben, um die Rezeption auf dem günstigen englischen Markt zu befördern. Alle ab diesem Zeitpunkt in seinem Verlag herausgegebenen Vokalkompositionen des Wieners sind mit englischen Übersetzungen der Texte veröffentlicht.768 Da nun im englischsprachigen Raum landessprachliche Ausgaben verfügbar waren, wurden sie

765 Wieder wird auf die Vielschichtigkeit von Identitäten hingewiesen: Als diskontinuierliche soziale Räume (dazu Osterhammel, Verwandlung der Welt, S. 173f.) werden z. B. Kulturräume verstanden, zu denen sich nicht nur Mitglieder eines geographisch fest umgrenzten Territoriums zuordnen lassen können. Auch in der Diaspora – also dem politischen und kulturellen Ausland – ansässige Personen können sich in ihrer Identität immer noch stärker dem Kulturraum ihrer Herkunft zugehörig fühlen. 766 Auf diese Widmung wird im Kap. IV. 2. 4 (S. 348) näher eingegangen. 767 Es handelt sich um Dedikationen von Karl Goldmark und Stephanie von Vrabely, auch die Zueignung des engen Brahms-Freundes Joseph Joachim ist an dieser Stelle zu nennen. Goldmark war bereits 1844 im Alter von 14 Jahren von Ungarn nach Wien übergesiedelt, wo er bis zu seinem Tod im Jahr 1914 lebte. Vrabely, 1849 in Pressburg (heute Bratislava, Slowakei) im Königreich Ungarn geboren, war ebenfalls in Österreich ansässig, 1869 heiratete sie den österreichischen Grafen Ernst von Wurmbrand. Joachim, 1831 in Kittsee in der Nähe von Pressburg geboren, kam 1838 zum Violinstudium nach Wien und verbrachte sein Leben nach dem Besuch des Leipziger Konservatoriums 1843–1849 innerhalb der Grenzen des späteren Deutschen Reiches. Vgl. zu ihrem Verhältnis zu Brahms die jeweiligen Einträge im Prosopographischen Lexikon im Anhang dieser Arbeit. 768 Von op. 74 bis op. 103 befindet sich der englische Text nicht in der Hauptausgabe, sondern in parallel veröffentlichten Bearbeitungen.

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in Konzerten und Presse gut rezipiert.769 In der Folge stammt aus diesem Gebiet eine im Vergleich hohe Anzahl von Widmungen entsprechender Gattungen. Aus anderen Ländern dagegen, wo landessprachliche Ausgaben fehlten, sind erst spät oder gar keine Widmungen von Vokalmusik bekannt. Auch wegen der durch die tschechischen Texte seiner Lieder geschaffene Sprachbarriere hatte sich vielleicht Anton†n Dvorˇ‚k für die Widmung eines Streichquartetts an Brahms entschieden, obwohl dieser seine Lieder kompositorisch sehr schätzte. Später drängte er auf die Drucklegung seiner Zigeunerlieder auf Deutsch, um die Verankerung seiner Kompositionen auf dem deutschsprachigen Markt voranzutreiben.770 Karel Bendls Brahms gewidmete Rosenlieder erschienen bei Simrock sogar sofort in einer dreisprachigen Ausgabe.

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Der »böhmische Brahms« und seine Schüler – Brahms in Böhmen

Die besondere politische Situation Böhmens als wirtschaftlich zentraler, politisch (und kulturell) allerdings marginalisierter Teilstaat des Vielvölkerstaats Österreich-Ungarn771 hatte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auch Auswirkungen auf die durch Widmungen transportierte kompositorische Rezeption von Brahms. Die erste Aufführung eines Brahms-Werks innerhalb der Grenzen der Länder Böhmischer Krone ist recht früh bereits für das Jahr 1856 zu verzeichnen. Am 9. März stand auf dem Programm der Kammermusik-Matinee in der Musikanstalt Josef Proksch in Prag das Klaviertrio Nr. 1 H-Dur op. 8.772 Das Werk wurde vom Rezensenten der Bohemia als »interessanteste aber auch schwierigste Nummer« des Konzertes eingeschätzt.773 Doch eine wirkliche öffentliche Wahrnehmung des Komponisten im Konzertleben in Böhmen nahm erst in den 1870er Jahren ihren Anfang und betraf dann vor allem seine Klavi769 Vgl. z. B. den Bericht Fr[ederick] Niecks: Modern Song-writers. IV. Johannes Brahms, in: The Musical Times 27/521 (1. Juli 1886), S. 387–391. 770 Gerade in Böhmen decken sich Sprachgrenze und politische Grenze allerdings nicht. Die böhmische Oberschicht war traditionell deutsch geprägt, die Bevölkerung beginnt sich erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gegen diese hegemoniale Denkstruktur zur Wehr zu setzen. 771 Die Perspektive wird hier von Wien als Zentrum des Kaiserstaates bestimmt. Denn der gewählte Blickwinkel ändert die Hierarchisierung grundlegend: Prag, für Böhmen wichtigstes Zentrum, wird aus Wiener Perspektive so zu kultureller Peripherie. Vgl. zu diesem Thema H‚rs u. a., Zentren peripher, bes. S. 1 und S. 4. 772 Zdeneˇk Nouza: Beobachtungen zu Brahms’ Stellung im tschechischen Musikleben seiner Zeit, in: Brahms-Kongress Wien 1983, hg. v. Susanne Antonicek und Otto Biba, Tutzing 1988, S. 405–426, S. 405. 773 Bohemia 29/62 (12. März 1856), S. 356. Die Rezension von Franz Balthasar Ulm aus der deutschsprachigen Zeitung ist teilweise abgedruckt bei Nouza, Brahms im tschechischen Musikleben, S. 405.

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erwerke und Lieder. Selbst Clara Schumann verzichtete auf ihren Reisen nach Böhmen darauf, Werke ihres Freundes in ihre Programme aufzunehmen.774 Ein einziges Konzert nur hat Brahms selber in Prag gegeben, am 11. Februar 1880.775 Böhmen war in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in einer Phase politischer, vor allem aber nationaler und kultureller Selbstfindung: In Reaktion auf das nach dem Revolutionsjahr 1848 neu erstarkte Nationalbewusstsein776 und in Protest auf die durch die Staatsführung betriebene Marginalisierung der politischen Rechte sowie die nicht erfüllten Forderungen nach einer dem Vorbild des Österreichisch-Ungarischen Ausgleichs von 1867777 ähnlich weitreichenden Autonomie wurde die tschechische Sprache und Kultur als Ausdruck der eigenen Identität kultiviert und mit neuem Leben gefüllt. Diese innere Abkehr vom Konzept eines binationalen und mehrsprachig geprägten Böhmen war neu: Seit dem 17. Jahrhundert waren deutsche Sprache und deutsch geprägten Kultur bevorzugt worden. Und noch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts war unter der geistigen und kulturellen Führung einer in großen Teilen deutsch geprägten Elite das gesellschaftliche Konzept eines gemäßigten Utraquismus vorherrschend gewesen, das die vorgeblich höhere Wertigkeit des Deutschen nicht angriff. Auch der Musikkritiker Eduard Hanslick, deutschsprachiger Böhme aus Prag, war in diesem Umfeld sozialisiert worden: Nie hatte er tschechisch gelernt, zeitlebens sah er sich in seiner nationalen Identität als österreichischer Deutscher.778 Doch nach europäischem Vorbild wurde die alte, deutsch geprägte und übernationale Adelskultur zunehmend ersetzt durch eine spezifisch tschechische Bürgerlichkeit. Nicht zu unterschätzen ist in diesem Kontext die »kompensatorische Funktion von Kultur und Sprache in Gesellschaften, denen die politisch-staatliche Souveränität verwehrt ist«.779 Die Bestrebungen nach einer 774 Nouza, Brahms im tschechischen Musikleben, S. 406. 775 Hofmann, Brahms als Pianist und Dirigent, S. 189; Nouza, Brahms im tschechischen Musikleben, S. 412. 776 Die Umwälzungen wurden auf deutscher Seite lange ignoriert, was Theodor Pisling 1861 zu einer Betrachtung der tschechisch-böhmischen Nationalbestrebungen veranlasste. Vgl. [Theodor Pisling]: Germanisierung oder Czechisierung? Ein Beitrag zur Nationalitätenfrage in Böhmen, Leipzig u. Hamburg 1861. 777 Mit dem Österreichisch-Ungarischen Ausgleich, Folge der nach der österreichischen Niederlage immer dringlicher gewordenen Nationalitätenfrage innerhalb des Vielvölkerstaates, wurde das k. u. k. Kaisertum Österreich in die bis 1918 bestehende k. u. k. (Doppel-) Monarchie Österreich-Ungarn umgewandelt. Ungarn wurde damit in verfassungsrechtlicher Hinsicht in vielen Aspekten autonom. 778 Vgl. Irina Wutsdorff: Die prästrukturalistische Theorielinie der tschechischen Ästhetik und die (deutschsprachige) Musikästhetik des 19. Jahrhunderts, in: Prozesse kultureller Integration und Desintegration. Deutsche, Tschechen, Böhmen im 19. Jahrhundert (= Veröffentlichungen des Collegium Carolingum, Bd. 103), hg. v. Steffen Höhne und Andreas Ohme, München 2005, S. 309–332, hier S. 310. 779 Steffen Höhne: Öffentlichkeit und nationaler Diskurs im Vormärz. Sprache und Kultur als Signifikanten nationaler Desintegration, in: Prozesse kultureller Integration und Desinte-

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spezifischen Nationalkultur sind somit Ausdruck der Forderung nach Änderung der politischen und sozialen Verhältnisse.780 Auch das Musikleben, bis ca. 1860 stark von der deutschen Tradition des Kulturraumes geprägt, wurde in die Unabhängigkeitsbestrebungen integriert. Noch im 18. Jahrhundert hatte Böhmen dagegen sprichwörtlich als ›Konservatorium Europas‹ gegolten781 – ein Umfeld, aus dem es aufgrund mangelnder Chancen auszubrechen galt, Musikermigrationen waren an der Tagesordnung.782 Dies änderte sich nun. 1860 wählte Bedrˇich Smetana783 bewusst den umgekehrten Weg und kehrte aus Göteborg in seine Heimat zurück, um die Bestrebungen um eine nationale tschechische Musik aktiv mitgestalten zu können. Vor diesem Hintergrund war eine Widmung an den deutschen Komponisten Brahms nicht zu erwarten, die Musiklandschaft war bestimmt von der Herausbildung einer national geprägten Musikkultur, die die Muttersprache, das Symbol der eigenen Kultur, in Musik fasste: Das Volkslied und die nationale Oper rückten in den Fokus der Aufmerksamkeit von Öffentlichkeit und Komponisten.784 Das Interesse an ausländischer Musik, gar deutscher Instrumentalmusik, wurde durch den Paradigmenwechsel gemindert. Zusätzlich galt insbesondere Brahms’sche Kammermusik – vor allem seine Streichquartette – als schwer zugänglich, die Werke wurden »von dem Publikum sowie auch von den meisten Kritikern beim ersten Anhören nur wenig verstanden«.785

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gration. Deutsche, Tschechen, Böhmen im 19. Jahrhundert (= Veröffentlichungen des Collegium Carolingum, Bd. 103), hg. v. Steffen Höhne und Andreas Ohme, München 2005, S. 1–30, hier S. 3. 1861 hatte Theodor Pisling analog konstatiert, gerade die kleineren Kulturkreise, zu denen er auch die Tschechen zählte, würden ihre Kultur aus Angst vor vollständiger Assimilation durch die großen politischen Verbunde in neuester Zeit besonders bewahren (Pisling, Germanisierung oder Czechisierung?, S. 10–12). Vgl. H‚rs u. a., Zentren peripher, S. 5. Für diese Einordnung steht paradigmatisch die 1773 veröffentlichte Reisebeschreibung von Charles Burney : Tagebuch seiner musikalischen Reisen. Bd. 3: Durch Böhmen, Sachsen, Brandenburg, Hamburg und Holland, Hamburg 1773, S. 2–12. Dazu vertiefend Heike Müns: Migrationsstrategien der böhmischen Musikanten im 18. und 19. Jahrhundert, in: Vom Wandergesellen zum ›Green Card‹-Spezialisten. Interkulturelle Aspekte der Arbeitsmigration im östlichen Mitteleuropa (= Münchener Beiträge zur Interkulturellen Kommunikation, Bd. 14), hg. v. Klaus Roth, Münster 2003, S. 63–80, bes. S. 63f. Auch wegen der vielen Migrationen werden böhmische Komponisten des 18. Jahrhunderts von der Musikforschung auf analytisch-struktureller Ebene oft noch wie selbstverständlich in die (deutsche) Mannheimer oder Berliner Schule integriert. Johann Stamitz gilt so als einer der Hauptvertreter der Mannheimer Schule, die Musikerfamilie Benda wird der Berliner Schule zugeordnet. Vgl. Detlef Gojowy : Musik, in: Böhmen im 19. Jahrhundert, hg. v. Ferdinand Seibt im Auftrag des Adalbert Stifter Vereins, München, Frankfurt a. M. 1995, S. 75–86, hier S. 76. Bedrˇich Smetana unterstützte u. a. die tschechische Nationalstaatsbewegung. Vgl. Strˇitecky´, Kultur der Kritik, S. 95. Nouza, Brahms im tschechischen Musikleben, S. 408.

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Brahms war in diesem Klima nur wenig in den Konzertsälen präsent. Die Komponisten des Landes waren aber zur Brahms-Rezeption auf die raren Konzerte angewiesen. Denn eine reguläre Kompositionsausbildung existierte noch nicht. Erst 1890 wurde am Prager Konservatorium nach seiner Vereinigung mit der Prager Orgelschule (an der auch Dvorˇ‚k als ausübender Künstler ausgebildet worden war) eine Kompositionsklasse eingerichtet. Viele Komponisten ließen sich deswegen vor diesem Datum fern der Heimat ausbilden. Wien war ein beliebtes Ziel, da man als Böhme offiziell Bürger der k. u. k.-Monarchie war. Deutsch war als Amtssprache auch in Böhmen Teil des täglichen Lebens, der Wechsel nach Wien zumindest aus sprachlicher Perspektive also relativ einfach zu bewerkstelligen. In dieser Situation waren der persönliche Kontakt und das eigene Netzwerk für eine Widmung entscheidend. So auch bei dem Böhmen Alfred Heyssig, der das Konservatorium in Wien besuchte786 und den Brahms 1885 an seinen Verleger empfahl.787 Als fünf Jahre später tatsächlich Werke Heyssigs von Simrock gedruckt wurden, widmete er Brahms seine Fantasie für Klavier op. 3. Auch Anton Rückauf, wie Hanslick deutschstämmiger Böhme, der bereits 1878 nach Wien umgesiedelt war und dort als Pianist und Lehrer wirkte, kannte Brahms persönlich.788 Ihn empfahl Brahms 1878, also bereits im Jahr des Umzugs nach Wien, für das Staatsstipendium, eine zweite – jedoch negativere – Beurteilung für das Jahr 1879 liegt ebenfalls vor.789 Sein Klavierquintett F-Dur op. 13 ist »Herrn Dr. Johannes Brahms« gewidmet. Die Widmungen Rückaufs und Heyssigs sind durch den zumindest sporadischen persönlichen Kontakt zum Widmungsträger, der durch den gemeinsamen Wohnsitz Wien fast unumgänglich gewesen sein wird, leicht zu erklären. Doch auch vier in Böhmen ansässige Komponisten, die nicht in Wien oder Deutschland ausgebildet wurden oder sich dort längere Zeit aufhielten, widmeten Brahms ein Werk: Anton†n Dvorˇ‚k, Karel Bendl, Josef Suk und V†teˇzslav Nov‚k. Auch in diesen Fällen ist freilich das Beziehungsnetzwerk relevant, der Kontakt ist allerdings stets transitiv vermittelt. Alle Zueignungen sind rückführbar auf eine erste ›Ursprungsdedikation‹, nämlich auf die des Streichquartetts d-Moll op. 34 von Anton†n Dvorˇ‚k. Sie bildete den Startpunkt einer langen

786 Vgl. Stanislav Adamec (Hg.): Zˇid¦ v Kysˇperku 1700–1945. Prˇ†speˇvek k historii meˇsta Letohradu, Letohrad 2001, S. 92. 787 Brahms an Fritz Simrock, [25. April 1885], BW XII, S. 97. Dem Wortlaut ist zu entnehmen, dass Brahms Heyssig in Wien persönlich begegnet war. 788 Dass er nun, wie 1912 von Breithaupt behauptet, als Schüler von Brahms zu gelten hat, ist allerdings unwahrscheinlich. Vgl. Rudolf Maria Breithaupt: Die natürliche Klaviertechnik, Bd. 1, Leipzig 1912, S. 755. 789 Beide Beurteilungen gingen als persönliche erste Einschätzung der Bewerberlage durch Brahms dem gemeinschaftlichen Kommissionsbericht aller Gutachter voraus (abgedruckt bei Behr, Brahms, S. 115f.).

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und zeitweise intensiven Beziehung zwischen den beiden Komponisten790, am Beginn stand wie so oft eine Empfehlung, mit der Brahms die Karriere eines Kollegen zu fördern suchte. Viermal hatte Dvorˇ‚k seit 1874 in seiner Eigenschaft als Staatsbürger der k. u. k.-Monarchie Österreich-Ungarn das Österreichische Staatsstipendium erhalten791 – in der Gutachterkommission saß seit dem Jahr 1875 Brahms.792 Am 30. November 1877 informierte der ebenfalls als Gutachter tätige Hanslick seinen jungen böhmischen Landsmann über das große Interesse, das Brahms seinen zur Begutachtung eingereichten Werken entgegenbrachte. Er riet ihm, dieses aktiv zum Vorantreiben seiner kompositorischen Karriere zu nutzen: »Johannes Brahms, der gemeinschaftlich mit mir diesen Antrag gestellt hatte, interessiert sich sehr für Ihr schönes Talent u. hat besonderes Wohlgefallen an Ihren 2stimmigen böhm. Liedern, die auch mir ausnehmend gefallen. Die Sympathie eines so bedeutenden und berühmten Künstlers wie Brahms dürfte Ihnen nicht blos erfreulich, sondern auch nützlich sein u. ich glaube, Sie sollten ihm schreiben (Wien, Wieden, Karlsgasse 4) u. allenfalls etwas von Ihren Werken schicken. […] Vielleicht schicken Sie ihm ein Exemplar u. etwas von Manuscripten dazu – es wäre doch wünschenswerth, daß Ihre Sachen über das engere czechische Vaterland, das ohnehin nichts für Sie thut, bekannt würden.«793

Dies war ganz in Dvorˇ‚ks Sinn, der nur ein Jahr zuvor gegenüber Rudolf Wirsing, dem Intendanten des Prager Interimstheaters, brieflich geäußert hatte, er hege »doch einmal die Hoffnung in Deutschland [als Komponist] durchzudringen«.794 Deutlich zeigt sich Dvorˇ‚ks Verankerung im Hegemonialdenken der unmittelbaren Vergangenheit und der Tradition der Musikermigration vergangener Zeiten795 : Obwohl er selber in späteren Jahren durchaus versuchte, die eigenen kulturellen Wurzeln auch in seiner Musik zu betonen796, scheint in 790 Vgl. zum Verhältnis von Dvorˇ‚k und Brahms besonders John Clapham: Dvorˇ‚k’s relations with Brahms and Hanslick, in: The Musical Quarterly 57/2 (April 1971), S. 241–254. 791 Zur Bewerbung berechtigt waren »mittellose, aber hoffnungsvolle« Künstler aller Fachrichtungen, die Bürger der »im Reichsrathe vertretenen Königreichen und Ländern« waren (Begleitschreiben der Gutachter an den Referenten der Musikkommission von 1889, zit. n. Behr, Brahms, S. 102). 792 Brahms war als Kommissionsmitglied Nachfolger des 1875 als Kapellmeister nach Karlsruhe verzogenen Felix Otto Dessoff. 793 Eduard Hanslick an Anton†n Dvorˇ‚k, 30. November 1877, zit. n. Döge, Dvorˇ‚k, S. 165. 794 Anton†n Dvorˇ‚k an Rudolf Wirsing, 3. Juli 1876, vgl. Döge, Dvorˇ‚k, S. 164. 795 Vgl. zusammenfassend zur böhmischen Musikermigration vergangener Jahrhunderte oben, S. 215, außerdem Müns, Migrationsstrategien, S. 63. 796 Er kämpfte um die Veröffentlichung der böhmischen Texte seiner Lieder, an denen sein Verleger Simrock nur wenig Interesse zeigte. Auch Widmungen und Titelseiten sollten besonders ab 1880 tschechisch gehalten sein – laut Dvorˇ‚k auch, um dem Drängen seiner patriotisch gesinnten böhmischen Landsleute entgegenzuwirken. Vgl. zum politischen Druck, der sowohl aus seiner Heimat, als auch von der zunehmend anti-böhmisch einge-

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seinem Bestreben nach Anerkennung im deutschsprachigen Bereich Europas die von Wien geförderte kulturelle Hierarchisierung auf. Wien wurde von ihm als musikalisches und kulturelles Zentrum des Reichs begriffen, am eigenen Ruf in der deutschsprachigen Gesellschaft der kompositorische Erfolg bemessen. Seine Freundschaft mit Brahms einerseits und sein kultureller Hintergrund und böhmischen Wurzeln andererseits prädestinierten deswegen Hanslick, der sich ganz den hegemonialen Grundideen der k& k-Monarchie verpflichtet fühlte797, für die Rolle des Kontaktvermittlers geradezu.798 Am 3. Dezember 1877799 nahm der junge Dvorˇ‚k Kontakt zu Brahms auf und bat ihn um Hilfe bei der Kontaktierung potenzieller Verleger. Bereits eine Woche nach der erfolgreichen Vermittlung an Simrock kündigte der dankbare Komponist die Widmung eines Streichquartetts an, das er Brahms bereits mit seinem ersten Brief zugesandt hatte800 : »Nun wage ich es noch eine ehrerbietige Bitte an Sie, hochverehrter Meister, zu richten. Erlauben Sie mir, dass ich Ihnen aus Dankbarkeit und tiefster Hochachtung für Ihre unvergleichlichen Schöpfungen die Dedication meines D moll Quartettes anbieten darf! Würde es mir ja doch zu der größten Ehre gereichen und ich würde der glücklichste Mensch […]«.801

Über den Druck dieses konkreten Werks war zum Zeitpunkt der Widmungsanfrage noch nicht entschieden. Simrock, der es als »in vieler Beziehung unreif

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stellten österreichischen und deutschen Gesellschaft auf ihn ausgeübt wurde, und der ihn zur Positionierung zwang, Döge, Dvorˇ‚k, S. 191–204. Deswegen plädierte er für die tschechische Version seines Vornamens auf Drucken seiner Werke. Vgl. zu den nationalpolitisch motivierten Unstimmigkeiten Dvorˇ‚ks mit Fritz Simrock die Korrespondenz, abgedr. bei Döge, Dvorˇ‚k, bes. S. 366 und 376–378. So stellte er sich gegen die böhmisch-tschechischen Unabhängigkeitsbestrebungen, die dem von ihm erlebten friedlichen Nebeneinander von Böhmen und Deutschen unter deutscher Führung zuwiderliefen, vgl. Wutsdorff, Prästrukturalistische Theorielinie, S. 310. Der Wunsch nach Erfolg innerhalb der deutschsprachigen Gebiete und die Empfehlung durch den gegenüber der Unabhängigkeitsbestrebung Böhmens kritischen Hanslick soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass Dvorˇ‚k der Nationalbewegung durchaus sympathisierend gegenüberstand. Nie hat der Böhme die deutsche Sprache richtig erlernt und stand mit Simrock im andauernden Konflikt über die richtige (da tschechische) Schreibart seines Vornamens. Trotzdem ermöglichten ihm seine tendenzielle Offenheit und der eher pragmatische Umgang mit der Thematik eine rasche internationale Karriere, während z. B. Smetanas Bekanntschaft anfangs auf seine Heimat beschränkt blieb. Vgl. dazu Gojowy, Musik, bes. S. 85f. Dvorˇ‚k an Brahms, 3. Dezember 1877, vgl. Döge, Dvorˇ‚k, S. 166. Dort ist zu lesen: »Indem ich Euer Wohlgeboren nochmals um Ihre hochgeschätzte Gunst flehe, [mir dieselbe auch für die Zukunft zu bewahren, ?] bitte ich zugleich um die gütige Erlaubniß, Ihnen einige meiner Kammermusik und Instrumentalcompos. zur gefälligen Ansicht vorlegen zu dürfen« (Dvorˇ‚k an Brahms, 3. Dezember 1877, zit. n. Döge, Dvorˇ‚k, S. 166). Dvorˇ‚k an Brahms, 23. Januar 1878, zit. n. Dvorˇ‚k, Korespondence a Dokumenty I, S. 134.

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und mitunter recht – ›wüscht‹«802 empfand, konnte sich trotz der warmen Empfehlung von Brahms nicht zur Aufnahme in den Verlag durchringen, das Quartett erschien daraufhin bei Schlesinger. Es ist bemerkenswert, dass Dvorˇ‚k trotz der offensichtlichen Bevorzugung seiner Vokalmusik durch Simrock ein kammermusikalisches Werk als Widmungskomposition wählte: Der Verweis auf den Gattungsdiskurs des Streichquartetts, das als die reinste Form der Instrumentalmusik galt und einen gewissen kompositorischen Anspruch formulierte, ist unverkennbar. Denn obwohl Brahms’ Kammermusik im böhmischen Musikleben als kompliziert galt, war es Dvorˇ‚k ein Anliegen, Brahms mit einer Komposition zu bedenken, die er wohl gerade vor dem Hintergrund der Streichquartette op. 51 des Widmungsträgers als passend empfand. Brahms, dessen »unvergleichliche Schöpfungen« in der Widmungsanfrage konkret angesprochen werden, stand in seiner Heimat mit seinem Schaffen paradigmatisch für diese Gattung – auch dies also eine Form der Anpassung an den Adressaten, auch aber der Hinwendung zum avisierten deutschsprachigen Markt. Dvorˇ‚k konnte auf eine günstige Wirkung der Widmung spekulieren – auf dem ›Werkportal Titelseite‹ diente der Name Brahms als ›Eintrittskarte‹ in die Gunst der deutschen Rezipienten.803 Dass nun die Dedikation über den Gattungsdiskurs hinaus in der Hauptsache als Dank für die erwiesene Unterstützung zu lesen ist, wird im Zusammenhang mit einer zweiten Dedikationsanfrage ersichtlich. Diese richtete Dvorˇ‚k nur wenige Tage später an Eduard Hanslick: Beide Männer, die für seinen Erfolg am deutschsprachigen Markt mitverantwortlich waren, sollten parallel mit einer Zueignung bedacht werden.804 Welches Werk konkret von Dvorˇ‚k in Betracht gezogen worden war, oder ob die Anfrage prinzipieller Natur war und noch keine zur Zueignung bestimmte Komposition bereitlag, ist nicht mehr zu entscheiden. Die Hanslick gewidmeten Legenden op. 59 sind jedenfalls erst drei Jahre später entstanden. Erst über 15 Jahre später, 1893, trug ein weiterer böhmischer Komponist Brahms eine Widmung an. Mehrere Gründe sorgten nun für günstigere Voraussetzungen. So war Brahms in den 1880er und 1890er Jahren endgültig mit seinen Werken in Böhmen präsent und etabliert. Auch die Komponistenausbildung war 1890 mit der Gründung einer regulären Ausbildungsklasse für Tondichter am Prager Konservatorium auf sichere Grundlagen gestellt worden.

802 Fritz Simrock an Brahms, 18. Juni 1878, zit. n. Stephenson, Brahms und Simrock, S. 120. 803 Dvorˇ‚k steht damit ganz in der Tradition der Vorteilswidmungen junger Komponisten, die bereits Robert Schumann erkannt hatte (vgl. S. 123). 804 Zwar ist der Brief an Hanslick nicht erhalten, wohl aber die offizielle schriftliche Annahme der Widmung vom 5. Februar 1878. Vgl. Clapham, Dvorˇ‚k’s relations with Brahms and Hanslick, S. 242.

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Der Leiter des Konservatoriums, Geigenprofessor Anton†n Bennewitz805, selber ausgewiesener Brahms-Kenner und im Konflikt der Nationalitäten dank seiner deutsch-tschechischen Herkunft in einer Mittlerposition, hatte sich 1890 bewusst gegen eine Ausrichtung der neuen Komponistenausbildung im Sinn der Nationalromantik Smetanas entschieden – er hatte vielmehr den nunmehr auch im Ausland berühmten Anton†n Dvorˇ‚k als Leiter der Klasse berufen. Diese Entscheidung sollte sich für die Brahms-Rezeption junger Komponisten und für zukünftige Dedikationen als richtungsweisend erweisen. Mit der von Dvorˇ‚k geleiteten Kompositionsklasse sind alle weiteren bekannten Zueignungen aus Böhmen verbunden. Allerdings hatte das Konservatorium schon vor diesem Datum mit Konzerten zur Brahms-Rezeption in Prag beigetragen, 1880 war es unter anderem durch die Aufführung der Sinfonie Nr. 2 op. 73 für die erste Aufführung einer Brahms-Sinfonie in der Stadt verantwortlich.806 Widmungen sind trotzdem erst nach dem Antritt Dvorˇ‚ks als Kompositionslehrer zu verzeichnen. Wieder wird damit die Wichtigkeit persönlicher Beziehungen für die Brahms-Rezeption deutlich. Dvorˇ‚k, der in England sogar als »Böhmischer Brahms« bezeichnet wurde807, konnte seinen Schülern die Brahms’sche Musikästhetik nahebringen. Trotzdem galt Brahms im Unterricht nicht paradigmatisch als Ideal, Dvorˇ‚k schätzte vielmehr bei seinen Schülern das Talent der Innovation am höchsten: »Was für ein Lehrer Dvorˇ‚k war? Das läßt sich mit zwei Worten ausdrücken: Lehrer – Künstler. Er war Lehrer nur für Talente. Schüler, die aus Versehen oder Neugierde zu ihm kamen, wußte er schnell loszuwerden. ›Die Musik ist eine Freikunst‹, pflegte er dabei oft zu sagen. Er war ein bewunderungswürdiger Praktiker, der jede unserer Arbeiten einer eingehenden Prüfung unterzog und uns auf unsere Ungeschicklichkeiten und Fehler durch sehr passende Äußerungen aufmerksam machte. ›Manchmal ist mir dabei zum Weinen, aber wir lernen viel dabei‹ seufzte einmal Josef Suk. Und er hatte völlig recht. Dvorˇ‚ks Schule war streng, aber wohltuend, wie eine kalte Brause. Ein Pedant war Dvorˇ‚k natürlich nie und lobte mit offensichtlicher Freude originelle Einfälle.«808

Seine Rolle in der Entstehung späterer Dedikationen ist vor allem in seinem steten Einsatz für besonders begabte Studenten zu suchen: Er nutzte seine 805 Anton†n Bennewitz (1833–1926), Sohn eines preußischen Vaters und einer tschechischen Mutter, war Geigenprofessor und 1882–1901 auch Leiter des Prager Konservatoriums. Er war 1856 an den frühesten Aufführungen Brahms’scher Werke in Prag beteiligt. 806 Aufführung am 21. November 1880 durch das Schülerorchester des Prager Konservatoriums. Vgl. Nouza, Brahms im tschechischen Musikleben, S. 414. 807 Vgl. Kurt Honolka: Anton†n Dvorˇ‚k in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, Reinbek bei Hamburg 1974, S. 68. 808 Ausschnitt aus der Grabrede V†teˇzslav Nov‚ks auf Dvorˇ‚k, zit. n. Otakar Sˇourek (Hg.): Anton†n Dvorˇ‚k in Briefen und Erinnerungen, dt. Übersetzung v. Bedrˇich Eben, Prag 1954, S. 148.

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Kontakte nach Wien, vor allem zu Brahms, um ihre Karriere zu befördern und ihnen den Weg zum internationalen Durchbruch zu ebnen. Hier wirkte er als Kontaktvermittler, genauso, wie Hanslick zuvor für ihn. Gleich zwei seiner Schüler, die Brahms ein Werk widmeten (Josef Suk und V†teszlav Nov‚k809), bewarben sich wie ihr Lehrer nach Beendigung ihrer Studien auf das Österreichische Staatsstipendium. Es wurde ihnen auch dank des positiven Gutachtens von Brahms gewährt – ihr Unterricht bei Dvorˇ‚k hatte keinen geringen Einfluss auf die günstige Beurteilung. Josef Suk, 1891/92 Schüler und ab 1898 sogar Schwiegersohn Dvorˇ‚ks, bewarb sich 1892 um das Stipendium. Aus dem Kommissionsbericht wird ersichtlich, wie eng seine künstlerische Qualifikation mit seinem Unterricht bei Dvorˇ‚k in Verbindung gebracht wurde – auch von Brahms, der mit für den Bericht verantwortlich zeichnete: Dass Suk »die Compositionsschule Dvorˇak’s am Prager Conservatorium mit Auszeichnung absolvirt« habe, wird als Qualitätsmerkmal herausgestellt.810 1893 lernte Suk, der als zweiter Geiger des Böhmischen Streichquartetts mehrfach in Wien weilte, Brahms auch persönlich kennen. Aus diesem Jahr datiert das Widmungswerk, das Klavierquintett g-Moll op. 8, das allerdings erst 1921 in einer überarbeiteten Fassung im Druck erschien. Aus den Angaben Suks in seinen Wiener Brahms-Erinnerungen ist ersichtlich, dass der Komponist erst 1895 in einem persönlichen Gespräch um die Widmungserlaubnis bat. Die Zueignung, »einem kleinen Beweise meiner großen Verehrung«811, ist der Dank für die Förderung, die Brahms dem talentierten Geiger und Komponisten auch nach der Gewährung des Staatsstipendiums zuteilwerden ließ. So kolportiert Suk selber, erst auf die Empfehlung von Brahms sei im Haus Simrock die Streicherserenade op. 6 erschienen.812 Darüber hinaus 809 Sie gelten als die »besten« und »Lieblingsschüler« Dvorˇ‚ks (vgl. Jir† Berkovec: Josef Suk, Prag u. Bratislava 1969, S. 9). 810 Zit. n. Behr, Brahms, S. 136. Die persönlichen Gutachten von Brahms sind aus den Jahren 1890–1895 leider nicht erhalten. 811 Josef Suk: Aus meiner Jugend. Wiener Brahms-Erinnerungen von Josef Suk, in: Der Merker 2/4 (25. November 1910), S. 147–150, hier S. 148. 812 Vgl. Suks Bericht über die Umstände der Empfehlung an Simrock: »Kurze Zeit nachher fand Brahms zufällig bei einem seiner Freunde in Zürich ein aufgeschlagenes Partiturmanuskript, das er mit großem Interesse durchblätterte, ohne das Titelblatt anzusehen. Der anwesende Verleger Simrock nahm die Partitur in die Hand, und als er am Titelblatte die Worte ›Serenade für Streichinstrumente von Josef Suk‹ las, gab Meister Brahms seiner Freude über die Komposition Ausdruck. Die Folge war, daß Simrock die Partitur mitnahm und binnen eines Monats herausgab.« Zit. n. Suk, Brahms-Erinnerungen, S. 147f. Das Jahr der Empfehlung lässt sich auf den Zeitraum zwischen 1893 und 1895 eingrenzen – warum nun die Serenade aber erst 1896 erschien, bleibt unklar. Die Datierung ergibt sich aus dem Zeitraum zwischen dem ersten Besuch Suks bei Brahms 1893 und der Widmungsanfrage von 1895, der die Empfehlung in jedem Fall vorausging. Der Besuch, anlässlich dessen Suk Brahms um die Erlaubnis zur Dedikation bat, muss unmittelbar vor dem 14. März 1895

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ist für die Widmung aber auch die musikalische Inspiration durch den Widmungsadressaten von Belang, Suk hatte im Jahr des Entstehens seines Quintetts das Klavierquintett f-Moll op. 34 von Brahms im Rahmen der Wien-Tournee mit dem Böhmischen Streichquartett aufgeführt.813 Auch V†teˇzslav Nov‚k, Student von Karel Bendl und Dvorˇ‚k und eng befreundet mit Suk, wurde von Brahms mehrfach für das Österreichische Staatsstipendium positiv begutachtet. Wie bei Suk wird bereits im ersten Kommissionsbericht von 1894 der Unterricht bei Dvorˇ‚k als Qualitätsmerkmal herausgestellt. Wie hoch Nov‚k den Einfluss von Brahms in der Kommission bewertete, verdeutlichen die eingesandten Kompositionen bei der Erstbewerbung: Er wählte seine »Klaviervariationen über ein Thema von R. Schumann«814 (aus dem Jugendalbum op. 68/34), die folgerichtig das besondere Interesse der Gutachter erregten815, zur Einsendung aus. Sowohl Gattung als auch Thema zeugen von der Kenntnis des Komponisten und Schumann-Freundes Brahms, die Nov‚k wohl durch Dvorˇ‚k vermittelt worden war. Die erneute Bewerbung aus dem Jahr 1896 war aus Sicht des Komponisten aber besonders erfolgreich. Denn sie resultierte in einer Empfehlung an den Verleger Simrock: »Hier fand ich bei den Arbeiten für das kaiserl. Stipendium welche von einem jungen Prager ›Novak‹. Namentlich 3 Hefte Klavierstücke empfehle ich Dir gradezu, ein Klavierkonzert kann einstweilen auf sich beruhen. Du kannst ja bei Dvor‚k noch seinethalben anfragen. 20. Jahre alt usw.«.816

Tatsächlich erschienen die »3 Hefte Klavierstücke« als Serenaden, Barcarolen, Eklogen (jeweils 4 Klavierstücke) opp. 9, 10 und 11. Die Eklogen op. 11 tragen als Zeichen der Dankbarkeit eine Widmung an Brahms, den Vermittler des Drucks. Karel Bendl, der dritte Widmende des Prager Konservatoriums, ist zwar kein Schüler Dvorˇ‚ks, als langjähriger Freund und Kollege aber eng mit ihm verbunden. Bendl, den Dvorˇ‚k seit der gemeinsamen Ausbildung an der Orgelschule in Prag kannte, wurde von diesem als »einer meiner ältesten Freunde«817 bezeichnet. In der Zeit seines Amerika-Aufenthaltes von 1894 bis 1897 vertrat Bendl den Freund am Prager Konservatorium. Dass nun auch in diesem Fall eine erste Annäherung an Brahms über den gemeinsamen Freund vollzogen wurde,

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stattgefunden haben – an diesem Tag wurde das Widmungswerk, das Klavierquintett op. 8, erstmals in Wien unter Anwesenheit von Brahms aufgeführt. Nouza, Brahms im tschechischen Musikleben, S. 419. So die Bezeichnung im Kommissionsbericht von 1894, zit. n. Behr, Brahms, S. 139. Vgl. den Bericht der Gutachterkommission zum Staatsstipendium des Jahres 1894 (unterzeichnet ist der Bericht von Brahms und Eduard Hanslick. Die Unterschrift des dritten Kommissionsmitglieds, Karl Goldmark, fehlt; er »war diesmal noch nicht hier«), abgedruckt bei Behr, Brahms, S. 138f. Brahms an Fritz Simrock, [12. Oktober 1896], BW XII, S. 202f. Vgl. Sˇourek, Dvorˇ‚k, S. 210.

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lässt sich bislang nicht durch Quellenmaterial beweisen, ist aber als höchst wahrscheinlich anzunehmen. Denn obwohl Bendl bereits wesentlich früher als Dvorˇ‚k in Böhmen als Komponist Anerkennung fand818, widmete auch er Brahms erst nach dem Beginn der Tätigkeit Dvorˇ‚ks am Konservatorium ein Werk. Auch in diesem Fall erschien die Komposition im Verlag Fritz Simrocks. Im Brahms-Nekrolog der tschechischen Musikzeitung Dalibor ist zusammengefasst: »Einem großen Teil unserer tschechischen Musikergemeinde war Brahms ein rechter Freund, ein aufrichtiger Berater, ein uneigennütziger Beschützer.«819 In ihrer Gesamtheit zeigen die Zueignungen klar, dass die zur Förderung notwendigen Beziehungen zwischen Brahms und der jungen Komponistengeneration transitiv vermittelt wurden. Dies war besonders wichtig, da Brahms durch seine Tätigkeit als Kommissionsmitglied des Österreichischen Staatsstipendiums, seiner guten Vernetzung mit weiteren Komponisten, vor allem aber Verlegern und in seiner internationalen Bekanntheit eine Schlüsselrolle für den Erfolg der Karriere außerhalb der Grenzen Böhmens spielen konnte. Denn ihr Wohnort an der Peripherie der k& k-Monarchie verwehrte den Komponisten manch nützlichen Kontakt, der zum Durchbruch hätte führen können. Andererseits wurde die Bewerbung auf das Österreichische Staatsstipendium erst durch die politische Anbindung Böhmens an Österreich-Ungarn ermöglicht. Der Name Brahms wurde als Türöffner auf dem deutschsprachigen Markt gegenüber Verlegern und möglichem Publikum strategisch positioniert: Dvorˇ‚k, Nov‚k und Suk hatte Brahms mit Erfolg seinem Verleger Simrock empfohlen, auch das Widmungswerk Bendls erschien im Berliner Verlagshaus. Wenn nun Zdeneˇk Nouza sagt, Brahms habe sich neben Dvorˇ‚k in Böhmen vor allem um Suk und Nov‚k verdient gemacht820, so ist dies der Vermittlerrolle Dvorˇ‚ks zuzuschreiben. Denn die Parallelen zwischen seinem Werdegang und dem seiner Schüler sind auffällig. Beide Schüler wählten als Modell den gleichen Weg wie ihr Lehrer, um die eigene kompositorische Karriere zu betreiben: Nach der erfolgreichen Bewerbung um das Österreichische Staatsstipendium821, das den ersten Anknüpfungspunkt darstellte und Brahms mit ihren Werken vertraut machte, wurde auf Vermittlung ihres ehemaligen Lehrers der direkte Kontakt zu Brahms hergestellt. Das Interesse und die wohlwollende Anteilnahme von 818 819 820 821

Vgl. Döge, Dvorˇ‚k, S. 68. Zit. n. ebd., S. 419. Nouza, Brahms im tschechischen Musikleben, S. 420. Dass nun das Stipendium jeweils nach Beendigung des Unterrichts am Prager Konservatorium zugestanden wurde, kann die zentrale Rolle Dvorˇ‚ks nicht angreifen. Grundsätzlich wurden im Rahmen des Stipendiums keine Schüler zugelassen: Es sollte die Fort- und Weiterbildung solcher Künstler gefördert werden, die schon in die Öffentlichkeit getreten waren, also bereits am Beginn ihrer Karriere standen. Vgl. den Kommissionsbericht für 1889: »Nr. 1 Gustav Nowak und Nr. 2. Fr. Picka sind beide noch Schüler, somit schon aus formellen Gründen abzuweisen.« Zit. n. Behr, Brahms, S. 131.

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Brahms an den Kompositionen der jungen Böhmen führten zur Unterstützung und Verlagsempfehlung – aus Dankbarkeit und im Sinn reziproken Austauschs resultierte dann die Dedikation. Dvorˇ‚k eröffnete durch seine Kontakte den jungen Schülern also Perspektiven einer größeren Bekanntschaft und besseren Förderung, genauso, wie Hanslick dies zuvor ihm ermöglicht hatte. Daneben konnte er durch den eigenen regen Notenaustausch mit Brahms und die intime Kenntnis seiner Werke die Grundlage für eine erfolgreiche Annäherung seiner Schüler an Brahms legen. Die Vermittlung fand demnach auf vielfältige Weise statt. Dass neben Hinweisen auf das Staatsstipendium und Hilfen bei der Kontaktaufnahme für die Widmenden auch die Beschäftigung mit Brahms’schen Kompositionstechniken relevant war, überliefert Nov‚k: »Für mich war Brahms der beste Lehrer der motivischen Arbeit und der Form-Proportionalität, das wirksamste Gegenmittel für meinen Weltschmerz.«822 Weitere ehemalige Schüler des »Böhmischen Brahms« bewarben sich nicht um das Stipendium823, widmeten folgerichtig auch Brahms kein Werk. Warum sich nun auch darüber hinaus keine weiteren Dedikationen ergaben, lässt sich an mehreren Punkten plausibel erklären: Trotz der zunehmenden Anerkennung Brahms’scher Kompositionen und der Werke deutscher Romantiker im öffentlichen Konzertleben, verlief die Entwicklung vor allem nach der politischen Unabhängigkeit des Landes noch verstärkt in Richtung einer eigenständigen Musikkultur, die zum Aufbau der nationalen Identität beitragen sollte. Zunehmend wurden auch diejenigen Komponisten politisiert, die zuvor aus Opportunismus von den Vorteilen ihrer Teilhabe an der k& k-Monarchie ÖsterreichUngarns profitiert hatten: Nov‚k lehnte so 1912 eine Professur am Wiener Konservatorium auch aus nationalpolitischen Erwägungen ab.824 Auch auf seinen individuellen Musikstil hatte die Politisierung Auswirkungen, allgemein wird das Jahr der Widmung, 1896, als Wendepunkt in seinem Schaffen angesehen. Zunehmend entfernte Nov‚k sich von der Prägung Dvorˇ‚ks und Brahms, die in den Brahms gewidmeten Eklogen aufscheint.825 Sein Œuvre, anfänglich bestimmt von Kammermusik, Klaviermusik und Liedern, wurde immer stärker durch Volksmusikstudien beeinflusst. Nach der intensiven Beschäftigung mit mährischer Folklore orientierte Nov‚k sich vermehrt am musikalischen Impressionismus, Vokalmusik, Sinfonische Dichtungen und Orchestermusik be822 In seinen Memoiren, zit. n. Nouza, Brahms im tschechischen Musikleben, S. 421. 823 Vgl. die erhaltenen Kommissionsberichte der Jahre 1875 bis 1896, zit. bei Behr, Brahms, S. 118–141. ˇ erny´, Klaus Döge u. Undine Wagner : Art. »Nov‚k, V†teˇzslav«, in: MGG2, Perso824 Jarom†r C nenteil, Bd. 12, Sp. 1219. 825 Vgl. Milosˇ Schnierer (Hg.): V†teˇzslav Nov‚k. Mitbegründer der tschechischen Musik des 20. Jahrhunderts, Brünn 1989, S. 65. Die opp. 15 (Tschechische Tänze) und 16 (Mährische Volkslieder) markieren die Wende.

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stimmen in dieser Phase seinen Werkkatalog.826 Seine veränderte Sichtweise hinsichtlich einer modernen Musikästhetik, die nicht mehr an den Traditionslinien der deutschen Klassiker und Romantiker orientiert ist, die er von Dvorˇ‚k vermittelt bekam, ist symptomatisch: Brahms war nicht mehr tonangebend und zeitgemäß als Bezugspunkt für junge Komponisten. Bald führte auch sein Tod die Zueignungen junger Komponisten zumindest in Teilen ad absurdum. Sowohl Suk als auch Nov‚k unterrichteten zwar in der Zeit nach seinem Tod am Konservatorium in Prag827, Brahms konnte ihren Schülern aber nicht mehr als Gönner dienen.

2.2

Volksmusik und Chortradition – Brahms in England

»Am bemerkenswerthesten ist mir die weit über meine Erwartungen hinaus gehende, rasche Verbreitung Brahms’scher Werke. Mit Schumann gieng es weit langsamer voran.«828 Was Joseph Joachim in einem Bericht von einer Konzertreise aus Manchester brieflich an Ernst Rudorff zu berichten weiß, spiegelt sich in verschiedensten Aussagen aus den 1870er Jahren wider : England hatte gerade in Zentren wie London, Cambridge und Manchester829 nach zögerlichem Beginn eine starke Affinität zur Musik von Brahms entwickelt, seine Kompositionen hatten sich auf den Konzertpodien und in Kolumnen und Rezensionen der Zeitungen einen festen Platz erobert.830 Von »großem Respect«831 weiß Clara Schumann zu berichten, George Henschel informiert Brahms über die »Verehrung für Sie«, in der London »keiner andern Stadt der Welt«832 nachstehe – eine

826 Dazu Schnierer, V†teˇzslav Nov‚k, u. a. S. 32. 827 Nov‚k: Professor ab 1909, Suk: ab 1922, allerdings für Violine. Seine Schüler waren demnach in der Mehrzahl nicht kompositorisch tätig. 828 Joseph Joachim an Ernst Rudorff, 14. März 1877, Joachim-BW III, S. 174. Joachim weilte auf einer Konzertreise in Manchester. Anlass der Reise war die geplante Verleihung der Ehrendoktorwürde an ihn und Brahms. Joachim reiste letztendlich allein und führte am 8. März 1877 in Cambridge die 1. Sinfonie op. 68 seines in Wien gebliebenen Freundes auf. 829 Robert Pascall: Frühe Brahms-Rezeption in England, in: Internationaler Brahms-Kongress Gmunden 1997. Kongreßbericht, hg. v. Ingrid Fuchs (= Veröffentlichungen des Archivs der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien, Bd. 1), Tutzing 2001, S. 293–342, hier S. 293. 830 Vgl. zur Brahms-Rezeption in England Michael Musgrave: Brahms and England, in: Brahms 2. Biographical, documentary and analytical studies, hg. v. dems., Cambridge 1987, S. 1–20. 831 »Die Engländer haben einen großen Respect vor Brahms, sie verstehen ihn gewiß nicht mehr als die Deutschen, aber sie sind für große Künstler viel pietätvoller.« (Litzmann, Künstlerleben III, S. 576f.). 832 George Henschel an Brahms, 7. April 1879; zit. n. George S. Bozarth: Johannes Brahms & George Henschel. An Enduring Friendship (= Detroit Monographs in Musicology/Studies in Music, Nr. 52), Sterling Heights u. Michigan 2008, S. 188. Unterstreichungen von Henschel.

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Entwicklung, die vor allem den unzähligen Konzertreisen von Künstlern des Brahms-Kreises zu verdanken ist, die auf ihren Tourneen seine Werke zur Aufführung brachten. Der bekannte und oft bemühte Topos833 mangelnder eigener künstlerischer Kapazitäten Englands wurde auch von Hanslick als Begründung für die zahlreichen Konzerte auswärtiger Künstler genutzt: »Was von musikalischen Kräften einflußreich und bedeutend ist, gehört der Fremde an. Deutsche Componisten, Virtuosen und Lehrer, italienische Sänger, französische Tänzer, herrschen in London. Die musikalische Einfuhr in diesem Land ist enorm, seine Ausfuhr Null.«834

Hanslicks Aussage unterstreicht die traditionelle Offenheit des Landes gegenüber Komponisten anderer Nationalität, die zunehmend auch Brahms zugutekam: Die abgeschottete Insellage führte seit jeher zum Streben nach kultureller, wissenschaftlicher und wirtschaftlicher Einfuhr, die die Neuerungen des europäischen Festlandes auf der britischen Insel verfügbar machte. Dies galt auch für den Bereich der Musik; der offene und kommerzialisierte, nach den Gesetzen des freien Marktes orientierte Konzertmarkt, der die einheimischen Künstler nicht bevorzugte835, zog bewusst ausländische Interpreten an: Besonders der deutsch geprägten Musik wurde als universelle Sprache in einer Linie von Bach über Beethoven bis in die Gegenwart hinein größte Bedeutung zubemessen.836 Die Brahms-Rezeption wurde demnach weniger von einer strukturellen Ablehnung deutscher Komponisten, als vielmehr von der Bevorzugung der Werke eines historischen Kanons erschwert, in dem zeitgenössische Musik kaum Platz fand. Die Auftritte und regen Kontakte und Freundschaften von reisenden Virtuosen des Brahms-Kreises zu englischen Musikern sorgten jedoch für den Austausch von Noten und Novitäten837, Brahms reihte sich in die Tradition erfolgreicher deutscher Komponisten wie Georg Friedrich Händel und Felix

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Der Brief wurde im Jahr der Widmung von Henschels Serbischem Liederspiel op. 32 geschrieben. Auch Theodor Fontane hatte so 1854 von der Musik als »Achillesferse Englands« gesprochen (Theodor Fontane: Die Musikmacher, in: Ein Sommer in England, Dessau 1854, S. 27). Eduard Hanslick: Briefe aus London (1862), in ders.: Aus dem Concert-Saal, S. 511. Vgl. McVeigh, Free Trade in Music, bes. S. 69–74. McVeigh konstatiert (ebd., S. 74): »In this respect London’s music may directly be contrasted with that of Paris, where significant state involvement in the arts was designed to advance the cause of French culture.« McVeigh, Free Trade in Music, S. 82. So konzertierte Joseph Joachim regelmäßig in London, leitete unter anderem 1877 in Cambridge die englische Erstaufführung der 1. Sinfonie op. 68 von Brahms und suchte den Austausch mit seinen Kollegen. Clara Schumann setzte sich als Pianistin für die Werke ihres engen Freundes ein, Julius Stockhausen als Sänger. Gerade diesen drei engen BrahmsFreunden wurde auch von englischen Autoren das Verdienst an der ersten Verbreitung Brahms’scher Kompositionen auf der britischen Insel zugeschrieben. Vgl. Felix White: Brahms’ Music in England (2 Teile), in: The Sackbut 11/7 + 8 (1931), S. 176–181, 220–223, hier bes. S. 177.

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Mendelssohn Bartholdy ein, ohne jemals englischen Boden betreten zu haben. Auch die junge Komponistengeneration wurde so durch die Besuche von deutschsprachigen Künstlern an die Musik von Brahms herangeführt: »It was through Clara Schumann, Joachim, and Stockhausen that Parry first learned of Brahms whose music was relatively unknown in Britain. Contemporary music in London was still a scarce commodity.«838 Der hier angesprochene Parry übrigens widmete Brahms zwar nicht offiziell ein Werk, betrauerte aber 1897 seinen Tod mit einer (ungedruckten) Elegy for Brahms.839 Zeitlich analog zu der sich in England verbreitenden regelrechten »BrahmsBewegung«840 beginnt die Reihe der Widmungen 1879 mit einer Dedikation des 1877 nach London ausgewanderten Brahms-Freundes und -Interpreten George Henschel.841 In den 1880er Jahren wird die Verehrung von Brahms auf der britischen Insel dann zunehmend durch Widmungen meist junger Komponisten842 belegt: Neben deutschen und österreichischen Musikern stellen die hier ansässigen Komponisten die stärkste Gruppe Widmender, mit Dedikationen von Algernon Ashton, George Henschel, Arthur Hinton, Emil Kreuz, Charles Villiers Stanford und Clarence Lucas. Gerade die widmenden Komponisten hatten beste Kontakte zum engen Brahms-Kreis, hatten Brahms teilweise auch selber kennengelernt. So zum Beispiel Stanford, der mit Joachim befreundet war und Brahms durch Ferdinand Hiller vorgestellt wurde. Henschel war selber ein guter Bekannter von Brahms, Hinton hatte bei Rheinberger, der Brahms selber ein Werk widmete, studiert. Die Biographien der Widmenden legen allerdings nahe, dass die in einer Dedikation resultierende Verehrung der Musik von Brahms durch junge englische Komponisten nicht allein in der Vermittlung durch Brahms-Freunde zu erklären ist. Ein ausgedehnter Aufenthalt im Heimatland des späteren Widmungsträgers, der ihnen die Möglichkeit bot, den Adressaten ihrer Dedikation auch persönlich zu 838 Dibble, Parry, S. 80 (zu 1871). 839 Zahlreiche Zitate aus dem Werk des Verstorbenen, unter anderem des C–Dur-Chorals aus dem Finale der in England besonders geschätzten 1. Sinfonie, sind verarbeitet. Uraufgeführt wurde die Trauerkomposition erst 1918 kurz nach dem Tod Parrys. Das Konzert wurde von Charles Villiers Stanford dirigiert, der selber als großer Brahms-Kenner gelten kann und dies auch durch eine Widmung ausgedrückt hat. Die Elegy for Brahms wurde so im Todesjahr Parrys zum Requiem für ihren eigenen Komponisten. Vgl. auch Kap. IV. 4. 840 So Robert Pascall: Brahms und die Kleinmeister, in: Brahms und seine Zeit. Symposion Hamburg 1983, hg. v. C. Floros, H. J. Marx u. P. Petersen (= Hamburger Jahrbuch für Musikwissenschaft, Bd. 7), Laaber 1984, S. 199–210, hier S. 204. 841 Es ist demnach eigentlich die Widmung eines deutschen Sängers, in der sich allerdings bestimmte Besonderheiten englischer Dedikationen ausmachen lassen. Dies betrifft beispielsweise die Wahl einer volksmusikalisch geprägten Komposition. Vgl. auch S. 232 dieses Kapitels. 842 Ashton, Henschel, Hinton, Kreuz und Stanford waren zum Widmungszeitpunkt alle jünger als 30 Jahre, Lucas gerade einmal 31 Jahre alt.

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erleben, ist in fast allen Fällen nachzuweisen. Wie wichtig der persönliche Kontakt für das Entstehen einer Zueignung tatsächlich war, zeigt indirekt eine Zeitungsnotiz aus einem Nachruf auf Brahms. Zur Situation des Royal College of Music heißt es dort: »There the students were fed and nurtured and reard [sic] on Brahms, and not a little of the academical sterility of the original work they produced was due to the faithful attempts they made to follow in the footsteps of the great German master.«843

Auch den englischen Studenten waren die Kompositionen von Brahms also durchaus vertraut – so sehr, dass sogar eine gewisse Anlehnung innerhalb ihrer Werke vermutet wurde. Doch eine Dedikation erwuchs aus dieser Beschäftigung im Normalfall eben nicht.844 Diesen Ausdruck der Verehrung verwendeten fast ausschließlich jene Komponisten, die im deutschsprachigen Gebiet einen direkten Zugang zu Brahms erlangt hatten. Zwei der dedizierenden Komponisten, nämlich George Henschel und Emil Kreuz (der seinen Namen 1914 anglisierte und sich in Thornfield umbenannte), sind sogar gebürtige Deutsche, die ihre Karriere und ihren Lebensmittelpunkt 843 Morning Advertiser (5. April 1897), zit. n. Ingrid Fuchs: Das Brahms-Bild des ausgehenden 19. Jahrhunderts im Ausland am Beispiel ausgewählter Nachrufe, in: Internationaler Brahms-Kongress Gmunden 1997. Kongreßbericht, hg. v. Ingrid Fuchs (= Veröffentlichungen des Archivs der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien, Bd. 1), Tutzing 2001, S. 161–174, hier S. 164, FN 22. 844 Die Ausnahme bildet Emil Kreuz, dessen Widmungen aus der Zeit unmittelbar nach seinen Studien am Royal College of Music bei Charles Villiers Stanford datieren. Kreuz war allerdings gebürtiger Deutscher und hatte zuvor in Köln bei Georg Japha Violinunterricht genossen.

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allerdings früh nach England verlegten. Kreuz absolvierte bereits sein Kompositionsstudium nach Violinstudien in Köln845 dank eines Stipendiums in London am neugegründeten Royal College of Music bei Stanford. Besonders Henschel, der bereits früh als Sänger unter Brahms gewirkt hatte und in persönlichem Kontakt mit ihm stand, machte sich mit Erstaufführungen Brahms’scher Werke in England846 um das Œuvre des späteren Widmungsträgers seines Serbischen Liederspiels verdient. Und auch Ashton hatte einen engen Bezug nach Deutschland: Er war nach dem Tod seines Vaters 1863 vierjährig nach Leipzig gekommen, um erst nach dem Studium im Jahr 1882 nach London zurückzukehren. Aber auch die übrigen widmenden Komponisten hatten schon früh die Möglichkeit, die deutsche Musiklandschaft, in der Brahms bereits früher etabliert war, kennenzulernen. Denn die Ausbildung von Komponisten und ausübenden Künstlern an deutschen Konservatorien galt als angesehen, sodass relativ viele junge Briten ihre Studien in das Land von Bach, Beethoven und Brahms verlegten.847 Gerade das als konservativ geltende Leipziger Konservatorium, an dem Carl Reinecke die Komponistenklasse leitete, zog die jungen Komponisten an. So studierten Stanford848 und Ashton in der Bachstadt, auch Henschel hatte vor seiner Auswanderung dort seine Ausbildung erfahren. 845 Bei Georg Japha (1835–1892), verheiratet mit Meta Japha, der Schwester seiner Cousinen und guten Brahms-Freundinnen Minna und Luise Japha. Bereits hier sind also erste biographische Anknüpfungspunkte zu Brahms vorhanden. 846 Z. B. die englischen Erstaufführungen des Triumphliedes op. 55 und des Doppelkonzertes op. 103 (mit Joachim und Hausmann). 847 Vgl. zum Ansehen deutscher Musik (und Musik-Ausbildung) in England Erik Dremel: »Always Germany, the obsessive point of comparison«: Englische Musiker an deutschen Konservatorien im 19. Jahrhundert, in: Deutschland und England. Beiträge zur Musikforschung, hg. v. d. Bachwochen Dill e. V., München u. Salzburg 2003 (= Jahrbuch der Bachwochen Dill 2002), S. 21–37, hier S. 36. Dremel betont allerdings auch, dass viele englische Studenten enttäuscht von der sehr konservativen Ausbildung in ihr Heimatland zurückkehrten. Nichtsdestotrotz diente gerade das Leipziger Konservatorium »einer Großzahl ausländischer Schüler als Ausgangs- und Verbindungspunkt bei der organisierten Bekanntschaft mit einer durchstrukturierten Musikkultur« (Wasserloos, Leipziger Konservatorium, S. 97). Die Royal Academy of Music London richtete sogar ein Mendelssohn Scholarship ein, das Studenten einen dreijährigen Aufenthalt in Leipzig ermöglichte (Schenk, Hochschule zu Berlin, S. 70). Dem widerspricht nicht, dass viele Studenten zu weiteren Studien an andere Konservatorien aufbrachen. Vgl. Wasserloos, Leipziger Konservatorium, in der Zusammenfassung v. a. S. 97–100. 848 Stanford hatte nach eigener Aussage allerdings Brahms-Kompositionen bereits in seiner Dubliner Jugendzeit durch seinen Lehrer Michael Quarry kennengelernt. Dieser war seinerseits ebenfalls in Leipzig ausgebildet worden: »›Michael Quarry, who, he said, opened my eyes to Schumann, whose music I had never seen; to the choral works of Bach, and to Brahms.‹ ›We spent hours,‹ he writes, ›over four-hand arrangements of the Brahms Serenades, the Sextets and Hungarian Dances; and he taught me the Handel Variations and even the D minor Concerto.‹« (vgl. Thomas F. Dunhill: Charles Villiers Stanford. Some Aspects of His Work and Influence, in: Proceedings of the Musical Association [1926/27], S. 41–65, hier S. 47).

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Hinton war von Joseph Rheinberger in München ausgebildet worden. Ein Großteil der Widmenden war demnach in der deutschen Tradition ausgebildet worden, ihre Lehrer waren Komponisten, die ihrerseits Brahms ein Werk dediziert hatten. Dass die Wichtigkeit dieser Studien bei Brahms nahe stehenden Komponisten für die Dedikationen nicht zu unterschätzen ist, zeigt der Blick auf den Widmungszeitpunkt. Emil Kreuz849 und Arthur Hinton veröffentlichten ihre Widmungswerke unmittelbar nach Beendigung ihres Studiums bei einem Komponisten, der Brahms ebenfalls ein Werk gewidmet hatte. Alle widmenden Komponisten waren aber auch untereinander verbunden, sie bildeten wichtige Punkte im Netzwerk der englischen Musikszene und bekleideten prominente Positionen im Musikleben des Landes. Stanford waren so alle anderen Widmenden seines Landes bekannt: als Mitstudent in Leipzig von Ashton, Lehrer von Kreuz und Kollege von Henschel und Parry. Von den wichtigsten kompositorisch tätigen Komponisten der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ist eine Widmung an Brahms bekannt ist – Ausnahmen wie Alexander Mackenzie (1847–1935) und Arthur Sullivan (1842–1900) sind besonders auf dem Brahms fernliegenden Gebiet der Oper und Operette tätig gewesen, eine Widmung war deswegen nicht zu erwarten. Außerdem sind die Brahms widmenden Komponisten Teil einer neuen, jungen Komponistengeneration, Mackenzie und Sullivan dagegen geringfügig älter. Durch die enge Vernetzung der musikalischen Elite beider Länder und die oft in Deutschland erfahrene Ausbildung junger Komponisten bildet nun nicht jede Widmung an sich in ihrem Entstehungshintergrund eine Besonderheit: Neben den verschiedenen Möglichkeiten der Annäherung ist vor allem von Belang, dass Brahms bei dem durchschnittlichen Konzertpublikum so gut eingeführt war, dass eine Widmung an ihn angemessen rezipiert werden konnte. Sowohl Hinton als auch Kreuz wählten den renommierten Adressaten so mit einiger Sicherheit auch aus Prestige- und Werbegründen, standen sie doch noch ganz am Beginn ihrer kompositorischen Karriere. Der musikalische Inhalt der Widmungswerke weist einige landesspezifische Besonderheiten auf. Besondere Anerkennung fand beim englischen Konzertpublikum neben der 1. Sinfonie (EA 1877 in Cambridge durch Joachim) dank der englischen Chortradition Ein Deutsches Requiem.850 Wenn nun in der Fachliteratur festgestellt wurde, die Lieder seien 849 Kreuz hatte in London bei Stanford studiert, die Dedikationen seiner opp. 1 und 3 stammen zusätzlich aus dem Jahr der näheren Bekanntschaft mit einem weiteren Brahms-Freund: 1888 hatte er im Dezember sein Londoner Debut unter Henschel mit dem Violapart in einer Aufführung von Berlioz’ Harold en Italie bei den London Symphony Concerts gegeben. Vgl. den Bericht Music. The Week, in: The Athenæum 3190 (15. Dezember 1888), S. 821. Dort heißt es: »The solo viola part was played in a masterly Manner by Mr. Emil Kreuz, who, though still a student at the Royal College of Music, may already be considered an artist.« 850 Pascall, Frühe Brahms-Rezeption, S. 293.

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dagegen – wegen ihrer schlechten Übersetzung – nur verhalten angenommen worden851, so ist dies zumindest zu hinterfragen. Denn zum einen tritt die englische Presse schon 1886 mit einem ausführlichen Artikel zu Brahms als Liedkomponist hervor852, der Nachruf der Musical Times853 nennt gerade das Lied als Ort der größten Kunstfertigkeit des Verstorbenen. Zum anderen lässt sich aber auch in den Widmungswerken eine Bevorzugung vokaler Gattungen nachvollziehen: Vor allem Lieder und Gesänge wurden an Brahms adressiert. Der in deutschsprachigen Gebieten (auch aufgrund der Diskussionen des Parteienstreits) besonders als Kammermusiker verehrte Komponist wurde dagegen in England nicht bedacht, es trägt kein Quartett, Trio oder Quintett, keine Sonate seinen Namen. Dass nun keine großformatigen Werke in der Nachfolge des Requiems, sondern das klavierbegleitete Lied als Form des Widmungswerks so beliebt war, zeigt, dass Brahms zumindest in Komponistenkreisen in seinen Liedkompositionen rezipiert wurde. Tatsächlich waren in England so gut wie alle Werke in Lizenzausgaben leicht erhältlich und die Lieder durchaus im Konzertleben präsent.854 Die (halb-)privaten Salonkonzerte, die einen großen Bereich des Musiklebens ausmachten855, bedingten einen hohen Bedarf an geeignetem Notenmaterial, der auch durch die an Brahms gerichteten Neukompositionen befriedigt wurde.856 Dass auch dem Publikum die Brahms’schen Lieder und ihre Ästhetik vertraut waren, darf gerade wegen der Zueignungen vorausgesetzt werden857: Nur wenn potenzielle Käufer den Namen des Adressaten mit qualitativ hochwertigen Werken in Verbindung brachten, war eine 851 Vgl. Fuchs, Brahmsbild, S. 165, die sich vor allem auf die Auswertung von Nachrufen stützt. 852 Fr[ederick] Niecks: Modern Song-writers. IV. Johannes Brahms, in: The Musical Times 27/521 (1. Juli 1886), S. 387–391. 853 The Musical Times 38/651 (1. Mai 1897), S. 298. 854 Pascall, Frühe Brahms-Rezeption, S. 304f. Immer wieder finden sich in der Tages- und Fachpresse sehr positive Besprechungen dieser Aufführungen, so z. B. in The Athenaeum 3393 (5. November 1892), S. 637: »The first of the Saturday Popular Concerts attracted an enormous audience, thanks probably to Brahms’s Vocal Quartets and Gipsy Songs, Op. 112, which, as before, received perfect justice from Mr. and Mrs. Henschel, Madame Fassett, and Mr. Shakespeare.« 855 »Das Musizieren im kultivierten privaten Kreise war damals weit verbreitet, und in den Londoner Salons fanden anspruchsvolle Unterhaltungskonzerte statt.« Pascall, Frühe Brahms-Rezeption, S. 296. 856 Zwar sind die Widmungswerke von Hinton, Ashton und Henschel bei deutschen Verlegern erschienen. Doch zumindest Simrock liefert im Falle Ashtons und Henschels gleich Übersetzungen der Titelseiten und der Lieder Henschels mit, zielte also durchaus auf einen englischen Markt. Dazu passt, dass die aufgefundenen Rezensionen überwiegend aus England stammen. 857 Für Deutschland heißt es dagegen 1875 in der AmZ: »[…] je selbständiger er gerade in der einstimmigen Vocalcomposition auftritt, desto auffallender ist es, dass seine Lieder, einige wenige leicht verständliche ausgenommen, die Verbreitung bisher nicht gefunden haben, die sie verdienen.« H[ermann] D[eiters]: Neue Lieder von Johannes Brahms, in: AmZ 10/39 (29. September 1875), Sp. 614.

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Widmung erfolgversprechend.858 Tatsächlich zeigt die Reaktion auf die Widmungskompositionen im Umkehrschluss, dass das Brahms’sche Liedideal nicht negativ konnotiert gewesen sein kann: Gerade die Folgen der LiebesliederWalzer und die Zigeunerlieder waren beliebt. Zu Henschels Brahms gewidmetem Liederspiel heißt es in der Presse: »He has taken the ›Liebeslieder‹ of Brahms for his model, and so successfully, that there is every reason to believe the ›Liederspiel‹ will become equally popular.«859 Verbunden ist die Konzentration auf Vokalmusik bei Henschel und den anderen Widmenden zusätzlich oft mit dem Einsatz von volksmusikalischen und nationalen Koloriten. Noch 1862 hatte Hanslick eine englische nationale Musik als Desiderat erklärt: »Daß England keine nationale Musik besitzt, ist Thatsache. Es hat keine Componisten hervorgebracht, die, mit den Genies anderer Völker verglichen, bedeutend und eigenthümlich heißen dürften. […] Die englische Nation besitzt einen sehr mäßigen musikalischen Schatz in ihren Volksliedern, und – was nicht minder entscheidend ist – keinen eigentlichen Nationaltanz.«860

Harold Truscott versucht zu erklären, dass die Verbindung von volkstümlicher Musik und Choraltradition aber trotz allem einen Nerv der Zeit auch in England traf: »During the last two decades of the nineteenth century there was no English style to which one could make any reference, and this particularly applies to keyboard music. This had been largely in abeyance since Boyce’s death. It was with the enormous development of music on the continent, and in particular in the German-speaking countries, that we had to catch up. When, about the turn of the century, English composers began to try to form an English style, it was largely through folk-song that they did so.«861

Diese Einschätzung wird durch die Dedikationen gestützt. Bereits die ersten beiden Widmungen von Henschel und Stanford nehmen auf das historische Interesse von Brahms an Volksliedüberlieferungen Bezug862 : Henschel vertonte 858 Anders als für böhmische Widmende war für Englands Komponisten nicht der Faktor der Werbung auf dem deutschen Markt entscheidend, sondern der Vorteil auf der heimischen Bühne. 859 The Examiner 3713 (29. März 1879), S. 403. Seit der Veröffentlichung wurde das Serbische Liederspiel demnach mit den Liebeslieder-Walzern von Brahms in Verbindung gebracht. Dieser Konnex wird durch musikalische und inhaltliche Fäden gesponnen – ihnen soll allerdings an anderer Stelle nachgegangen werden (vgl. das Kapitel IV. 2. 4 Der Umgang mit historisch tradiertem Volksliedmaterial). 860 Hanslick, Aus dem Concertsaal, S. 511. 861 Harold Truscott: Algernon Ashton. The Case for Revival, in: Musical Opinion (1959), o. S. 862 An dieser Stelle soll nur auf den allgemeinen Bezug zur Volksmusikbegeisterung von Brahms eingegangen werden. Eine weiterführende Betrachtung beider Widmungen findet sich im Kapitel IV. 2. 4.

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im Rahmen seines Serbischen Liederspiels – unter anderem Robert Schumann stand mit seinem Spanischen Liederspiel op. 74 Pate – Texte aus Th¦rÀse Albertine Louise von Jacob Robinsons (Pseudonym TALVJ) Übersetzung der Volkslieder der Serben.863 Nur kurz zuvor hatte er sich mit Brahms über die erste Vertonung serbischer Volkslieder in der Übersetzung TALVJs durch Carl Loewe unterhalten – und diese hochgelobt.864 Auch Stanford, gebürtiger Ire und Pionier865 der Verbreitung Brahms’scher Musik in England866 wählte bewusst kein Orchesterwerk, sondern eine Sammlung alter Volksliedmelodien seiner Heimat: »A short time after the Cambridge performance, I had made my first collection of Irish folk-songs, and knowing the interest which Brahms took in such work, I asked and obtained his leave to dedicate it to him.«867 Algernon Ashtons Englische Tänze op. 10 sind zwar keine Vokalmusik, verweisen aber ebenfalls auf das volksmusikalische Interesse des Widmungsadressaten. Ashton komponierte mehrere solcher Tanzfolgen mit nationalem Bezug: Neben den Drei spanischen Tänzen op. 7 auch Drei schottische Tänze op. 18 und Drei irische Tänze op. 26. Das Widmungswerk ist das erste bei Simrock gedruckte. Es bleibt Spekulation, ob Ashton den Komponisten der Ungarischen Tänze WoO 1 und der erfolgreichen Walzer op. 39, die seit einer ersten Aufführung durch Clara Schumann 1871 in London in England bekannt waren, bewusst als Adressaten seiner Englischen Tänze wählte, um bei der Bewerbung im Berliner Verlag Vorteile zu erlangen. Ein kompositorischer Bezug über das Sujet hinaus ist nicht auszumachen, sprengen die Tänze doch bereits im Umfang den äußerlichen Rahmen der hausmusikalischen Miniaturen von Brahms. Festzuhalten bleibt aber, dass Simrock, der durch die Brahms’schen 863 Th¦rÀse Albertine Louise von Jacob Robinson (TALVJ) (Hg.): Volkslieder der Serben, 2 Bde., 1825/26, zweite Aufl. 1833, dann erneut 1853. 864 Die VI Serbenlieder Loewes erschienen 1825 parallel zur Übersetzung TALVJs, einer Schwägerin des Komponisten. Vgl. zum Gespräch von Brahms und Henschel über diese Lieder George Henschel: Personal Recollections of Johannes Brahms. Some of his letters to and pages from a journal kept by George Henschel, Boston 1907, S. 46. 865 Vgl. John Alexander Fuller-Maitland: A Door-keeper of Music, London 1929, S. 65. 866 Stanford war Brahms mehrere Male begegnet, das erste Treffen fand 1874 während seines Studienaufenthaltes in Leipzig statt, auch danach kam es sporadisch zu Zusammentreffen. Er konnte sich aber für die Persönlichkeit des von ihm so bewunderten Komponisten nicht erwärmen. Bereits nach der ersten Begegnung bezeichnete er Brahms als »silent and unapproachable« (vgl. Stanford, Pages, S. 135). Auch danach sollte sich sein Eindruck nicht grundlegend ändern: »It was most interesting to meet Brahms, though – shall I dare say it–I have no affinity für him! A big brain I know, and a small heart I think. Somehow I felt he had none of the divine sympathy which we meet with in our best beloved J. J.« Brief von Stanford an Joseph Joachim, zit. n. Paul Rodmell: Charles Villiers Stanford, Aldershot 2002, S. 183. 867 Zit. n. Stanford, Brahms, S. 112. Den nicht überlieferten Widmungsbrief – auf Englisch verfasst – hatte Brahms sich von Eugen d’Albert übersetzen lassen (so d’Albert an Marie Joshua, 15. März 1882, vgl. Fifield, Hans Richter, S. 184), der, genau entgegengesetzt zum Weg von Kreuz und Henschel, von England nach Deutschland emigrierte.

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Tanzkompositionen und die Slawischen Tänze Dvorˇ‚ks gute Erfahrungen mit der Veröffentlichung von kunstmusikalisch aufbereiteten Nationaltänzen gesammelt hatte, alle weiteren Tanzkompositionen Ashtons in seinen Verlag aufnahm. Auffällig ist das aufwendig gestaltete Titelblatt: Es verweist wie auch die Strauss’schen Walzer auf ein vom Verleger kalkuliertes Interesse breiter Bevölkerungsschichten, auch der Laien. Nach dem Tod von Brahms ändert sich das Sujet der Widmungswerke, das Requiem-artige Gedenken rückt in den Vordergrund.868 Nun durchaus mit Bezügen auf orchestrale Werke des Widmungsträgers, wie das Zitat des C–DurChorals aus dem Finale der 1. Sinfonie in der bereits erwähnten Elegy for Brahms von Charles Hubert Hastings Parry. Auch Clarence Lucas, gebürtiger Kanadier, der nach einem privaten Studium in Paris und einer Anstellung als Dozent am Toronto College of Music für Harmonie und Kontrapunkt seit 1893 mit Unterbrechungen in London lebte, trug mit seinem Praeludium et Fuga für Klavier zu dieser Art des Andenkens bei.869 Wie Lucas genau in das Netz der englischen Musiklandschaft um Stanford eingebunden war, bedarf noch weiterer Untersuchungen. Dank seiner Ehe mit Clara Asher, einer englischen Schülerin Clara Schumanns, dürfte er aber in den Kreis der englischen Brahms-Liebhaber integriert gewesen sein. Durch die historisierenden Gattungen Fuge und Praeludium wird Brahms als Liebhaber alter Musik gedacht, das Motto »ad astra per aspera« verweist auf den Anspruch der Beethoven-Nachfolge des Verstorbenen. Der Erfolg scheint groß gewesen zu sein; schon ein Jahr nach der Erstausgabe bei Chapell (London) erschien 1898 eine revidierte Ausgabe im Verlag Forsyth Brothers (London). Die Widmungen englischer oder in England ansässiger Komponisten lassen demnach nationale Merkmale erkennen, die in der spezifischen Situation des zeitgenössischen englischen Musiklebens und der dadurch beeinflussten Brahms-Rezeption begründet liegen. Besonders die Wahl der Gattung ist abhängig von der national und kulturell geprägten Rezeption Brahms’scher Werke, die ihre besondere Ausprägung durch die englische Chormusiktradition und private Salonkonzerte erhält. Mag der Verzicht auf großformatige Chor- und Orchesterwerke auch auf den ersten Blick verwundern, so ist er doch in diesem Kontext gut zu verorten. Klar wird auch, dass die Brahms-Begeisterung, die zu einer Widmung führte, mit der Ausnahme Lucas’ immer mit deutscher Herkunft oder mit dem Studium an einem deutschsprachigen Konservatorium einherging. Diese Korrelation, die natürlich mit einer allgemeinen engen Anbindung

868 Hier wird nur überblicksartig auf diese Widmungen eingegangen. Nähere Betrachtungen sind im Kapitel IV. 4 Den Manen Brahms’ zu finden. 869 Vgl. zur grabsteinartigen Titelblattgestaltung bereits Kap. I. 1. 2, S. 37.

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der englischen Musikszene an die deutschsprachige Kultur korrespondiert, kann die Widmungen erklären.

2.3

»L’Italia non conosce di Brahms che poche opere« – Brahms in Italien und Frankreich

Auch fehlende Zueignungen haben im Kontext der Rezeptionsgeschichte eines Komponisten eine Aussagekraft, sie weisen z. B. auf eine nur eingeschränkte Durchsetzung seiner Musik im jeweiligen Land hin. In Italien und Frankreich, zwei Ländern, die nur Ausgangspunkt weniger Widmungen an Brahms waren, waren so zwei Hauptzugangswege zum Brahms’schen Œuvre nur bedingt zu nutzen: Einerseits waren öffentliche Konzerte, deren Programm ein Brahmswerk beinhaltete, als Podium und Distributionsmedium rar, andererseits fehlte es bis auf wenige Ausnahmen an im Musikleben einflussreichen Kennern und Liebhabern von Brahms. Beide Problemkreise bedingen und verstärken einander : Fehlt es an Künstlern, die sich für die Verbreitung eines bestimmten Komponisten einsetzen, wird sein Name in die Programmgestaltung nur bedingt Eingang finden. Dies wiederum verhindert den Kontakt der breiteren Öffentlichkeit mit den Werken, sodass weitere Personen, die sich in der Folge aktiv für die weitere Vermittlung einsetzen könnten, nur schwer gewonnen werden. Gerade in Frankreich gab es zusätzlich Eingriffe seitens des Staats, die das Konzertieren ausländischer Künstler, die für eine größere Varianz des Konzertprogramms hätten sorgen können, erschwerten. So war der Konzertmarkt zugunsten einheimischer Künstler reglementiert870, französische Konzertunternehmungen wurden mit nicht unerheblichen Summen subventioniert.871 Die Bestrebungen, den eigenen Komponisten und Künstlern ein möglichst gutes Umfeld zu bieten, sind demnach ein Hemmnis des Kulturtransfers, der in anderen Ländern wie England unverzichtbar war. Italien und Frankreich eint, dass die Entwicklung ihrer Musikkultur Wege eingeschlagen hatte, die sie vom Kompositionsstil Brahms’ entfernte. Bekannt ist der Ausspruch Claude Debussys, der in Bezug auf Brahms einmal gesagt haben soll: »Fuyons, il va d¦velopper«872 – Debussy war als Wegbereiter des Impressionismus wichtiges Vorbild für die junge französische Komponistengeneration. 870 Vgl. McVeigh, Free Trade in Music, S. 74, der dieses Vorgehen mit der Tradition des offenen englischen Markts kontrastiert. 871 Vgl. Eduard Hanslick: Die französische Regierung und die Musik, in: ders.: Musikalische Stationen (= Der »Modernen Oper«, Bd. 2), Berlin 1901, S. 198–210, bes. ab S. 202. Die Erstausgabe erschien 1879. 872 Dazu Marc Vignal: Brahms und Frankreich, in: Internationaler Brahms-Kongress Gmunden 1997. Kongreßbericht, hg. v. Ingrid Fuchs, Tutzing 2001, S. 281–288, hier S. 283.

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Auch andere französische Komponisten der Epoche, wie Edouard Lalo, Gabriel Faur¦, Camille Saint-SaÚns und Paul Dukas873, bewerteten die Kompositionen ihres deutschen Kollegen kritisch. In Konzerten wurde Brahms dementsprechend erst spät berücksichtigt.874 Ein erstes Konzert mit reinem Brahms-Programm fand erst am 7. Mai 1883 zu Brahms’ 50. Geburtstag in Nice statt875, die erste Aufführung einer Sinfonie (der Sinfonie Nr. 2 D-Dur op. 73) konnte erst im November 1892 in Paris verzeichnet werden.876 Vereinzelte Widmungen aus einem solchen Kontext sind freilich gerade wegen der ungünstigen Ausgangslage als interessant zu werten: George Alary eignete Brahms 1891 sein Sextuor pour 2 Violons, 2 Altos et 2 Violoncelles op. 35 zu, Elie-Miriam Delaborde ca. 1875 sein Morceau Romantique pour Piano et Orchestre d’instruments — cordes op. 3. Wie genau Alary und Delaborde den Kontakt zum Widmungsträger herstellten, ist nicht bekannt. Zumindest Delaborde hatte sich allerdings als Schüler von Ignaz Moscheles und Adolf von Henselt innerhalb der deutschen Grenzen aufgehalten und war später auch als Pianist mehrfach in deutschen Sälen aufgetreten. Da vor allem Auftritte aus den späten 1860er und frühen 1870er Jahren nachzuweisen sind, konnte die Widmung auch dazu dienen, sich den neuen Markt zu erschließen und sich auch als Komponist im Ausland zu etablieren. Delaborde führte das Morceau Romantique als Quintett jedenfalls auch außerhalb seiner Heimat wiederholt auf, allerdings mit nur mäßigem Erfolg: »Sehr unerfreulich war dagegen die Bekanntschaft mit seinen eigenen Compositionen, einer schwülstigen und inhaltsleeren Ouverture zu ›Attila‹, welche der Concertgeber mit Prof. Brassin vierhändig spielte, dann einer Transcription aus ›Carmen‹ und einem Morceau romantique en quintette, von Delaborde, Auer, Werschbilowitsch, Hildebrandt und Hille gespielt; in dem letzten Stücke kam noch obendrein das Streichquartett fast ganz auseinander und hätten sich die Herren etwas mehr Mühe geben können, um das Quintett so einzustudiren, wie es sich gehört, wenn man es vor dem Publicum spielt.«877

Die Widmung Alarys erklärt sich dagegen vor allem aus der Gattungswahl: Für die nur wenig bediente Form des Streichsextetts konnten in jüngerer Zeit vor allem die beiden Sextette von Brahms als gattungskonstituierend gelten. In ihrer 873 Für Dukas stellt Dominik Rahmer freilich ein etwas ausgewogeneres Bild dar, er habe Brahms trotz aller Kritik in einigen Punkten durchaus positiv beurteilt. Nichtsdestotrotz sei grundsätzlich die Kritik an den Kompositionen des Wahlwieners vorherrschend – gerade wegen einer spezifisch deutschen Kompositionsweise: Es sei »[b]eaucoup de biÀre dans sa musique«. Vgl. Dominik Rahmer: Die musikkritischen Schriften von Paul Dukas (= Bonner Schriften zur Musikwissenschaft, Bd. 9), Frankfurt a. M. 2010, v. a. S. 89–94, Zitat auf S. 91. 874 Vgl. zu Brahms’ schwieriger Stellung im zeitgenössischen französischen Musikleben bes. Vignal, Brahms und Frankreich, S. 281–288. 875 Ebd., S. 285. 876 Ebd., S. 283. 877 Rezension zu einer Aufführung in St. Petersburg, MWb 14/26 (21. Juli 1883), S. 333.

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Nachfolge bewegt sich auch das Sextett Alarys, der im französischen Umfeld keine Vorbilder finden konnte878 und so über die Dedikation an Brahms sein Werk in eine Gattungstradition stellte: »Es ist Brahms gewidmet und verrät, daß der Franzose mit dessen Kompositionsart und Technik sich eingehend beschäftigt und sie liebgewonnen hat. […] Wo aber in der Familie die Brahmsschen Sextette, die freilich den Höhepunkt der Sextettliteratur bedeuten, erklingen, sollte man gelegentlich doch zu diesem französischen Sextett greifen.«879

Der Anknüpfungspunkt an Brahms lässt sich nach Altmann vor allem in der Themenbildung verorten. Die Themen sind in der Tat zum einen recht sanglich gestaltet und zum anderen an den Bedürfnissen guter thematischer Verarbeitung ausgerichtet. Schon am Beispiel des ersten Satzes wird deutlich, dass Alary die Technik der thematischen Entwicklung und Ableitung von Brahms adaptiert: Die abwärts gerichtete Viertelbewegung des zweiten Taktes und die rhythmische Verbindung von zwei Achteln mit angehängter punktierter Viertel (T. 3) sind Elemente, die satzkonstituierend wirken. Die das zweite Thema beherrschende Triolenbewegung dringt in der Verarbeitung immer wieder in Material des ersten Themas ein, sodass beide Themen verschränkt werden. Insgesamt erscheint der gesamte Satz durch die Reduktion auf Motivkomponenten, rhythmische Strukturen und Verschränkung beider Komponenten fast ausschließlich auf die Grundlage des thematischen Materials und seiner Verarbeitung gestellt, ohne größere neuere melodische Ideen generieren zu müssen. Gleichzeitig wird aber auch die spezifisch französische Tradition, in der Alary sich bewegt, deutlich, vor allem in seinem Hang zur chromatischen Erweiterung des tonalen Systems hebt er sich von Brahms ab. Frankreichs Widmende konnten also trotz der geringen Verbreitung der Werke Brahms’ einen je spezifischen Anknüpfungspunkt für ihre Zueignung finden. Ähnlich war die Situation in Italien: Auch im Land der romantischen Oper Verdis konnte Brahms, der so begeistert von seinen italienischen Reisen zu berichten wusste, erst spät Fuß fassen.880 Denn das Hauptaugenmerk des musikalischen Gesellschaftslebens und der Komponisten lag weniger auf den von ihm vertretenen Gattungen, als vielmehr auf der Opernproduktion. Alfredo 878 Dazu Michael Kube: Brahms’ Streichsextette und ihr gattungsgeschichtlicher Kontext, in: Die Kammermusik von Johannes Brahms. Tradition und Innovation. Bericht über die Tagung Wien 1997, hg. v. Gernot Gruber, S. 149–174, v. a. die aufschlussreiche Liste von Streichsextetten bis 1916 (hier ist auch Alary aufgeführt), die den Kontext, in dem Alary sein Sextett komponierte, umreißt. 879 Altmann, Handbuch für Streichquartettspieler III, S. 278. 880 Vgl. zur Verbreitung der Kompositionen von Brahms in Italien den Kongressbericht Schumann, Brahms e l’Italia. Convegno Internazionale (Roma, 4–5 novembre 1999) (= Atti dei Convegni Lincei, Bd. 165), hg. v. der Accademia Nazionale dei Lincei, Rom 2001.

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Untersteiner musste jedenfalls nach dem Ableben des Komponisten in seinem Nekrolog auf Brahms konstatieren: »L’Italia non conosce di Brahms che poche opere, e neppure le pi¾ grandi.«881 Vor allem die Sinfonien konnten im Gegensatz zur durchaus positiven Aufnahme einiger Kammermusikwerke kaum überzeugen. Dementsprechend sind nur zwei Widmungen (zwei Kammermusikwerke) italienischer Komponisten, die nicht längerfristig in Wien lebten, bekannt. Beide, Marco Anzoletti und Niccolû van Westerhout882, heute außerhalb Italiens weitgehend unbekannt, eint ein besonderes biographisches Merkmal: Sie waren in Italien mit jenen akademischen Kreisen in engere Verbindung gekommen, die sich trotz aller Schwierigkeiten um eine Verbreitung der deutschen zeitgenössischen Musik, besonders von Schumann und Brahms, bemühten. Anzoletti, hochbegabter Geiger, wurde nach dem Studium in Mailand und in Wien bei Jacob Grün883 sowie ausgedehnten Konzertreisen durch Europa bereits 1889 mit 22 Jahren als Lehrstuhlinhaber des Faches Violine an das Konservatorium in Mailand berufen. Eben jener Lehrstätte und dem Orchester der Scala waren die ersten Interpreten Brahms’scher Musik in Mailand ausnahmslos verbunden. Mit ihnen stand auch der junge Anzoletti, der allerdings wahrscheinlich bereits im Rahmen seiner Wiener Violinstudien884 mit den Werken seines späteren Widmungsträgers in Berührung kam, in Kontakt: Besonders Carlo Andreoli, Klavierdozent und Dirigent am Konservatorium, gilt heute als Verfechter der Instrumentalmusik von Schumann und Brahms. Nach zögerlichem Beginn in den 1870er Jahren wurden in den Konservatoriumskonzerten und der Societ— del Quartetto die Aufführungen von Brahms-Kompositionen verstärkt – auch Anzoletti trat in diesem Rahmen als Violinist mit Werken von Brahms auf. Als Komponist ist Anzoletti heute kaum noch bekannt. Sein umfänglicher Werkkatalog885 wird von Instrumentalmusik, besonders Kammer881 Gazzetta Musicale di Milano 52/15 (5. April 1897), zit. n. Schumann, Brahms e l’Italia, S. 193. 882 Marco Anzoletti: Variationen für Violine und Klavier über ein Thema [aus op. 87/2. Satz] von Brahms, Berlin (Simrock) 1894; Niccolý van Westerhout: Klaviersonate f-Moll, Milano (Ricordi) 1890. 883 Vgl. Antonio Carlini: Art. »Anzoletti, Marco«, in: MGG2, Personenteil, Bd. 1, Sp. 803. Jacob Grün (1837–1916) war Schüler des Joachim-Lehrers Joseph Böhm. Seit 1868 wirkte er als Mitglied der Wiener Philharmoniker und seit 1877 als Violinlehrer am Wiener Konservatorium. 884 Der Endpunkt des Wien-Aufenthaltes konnte zeitlich nicht näher eingegrenzt werden, angesichts der verfügbaren biographischen Daten zum Komponisten und zu der Unterrichtstätigkeit von Grün am Wiener Konservatorium wird das Studienende aber nach dem bekannten Startpunkt 1886 spätestens im Jahr 1889 (dem Jahr, in dem Anzoletti den Lehrstuhl für Violine am Mailänder Konservatorium erhielt) anzusetzen sein. 885 Ein vollständiger Werkkatalog ist noch Desiderat, es existiert aber eine Beschreibung des Gesamtwerks und ein Verzeichnis der Instrumentalmusik, vgl. Francesca Deflorian: Marco

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musik, dominiert. Ein für das von der Oper dominierte Italien ungewöhnliches Œuvre, das dazu beitrug, dass nur wenige seiner Kompositionen einen Verleger seines Heimatlandes überzeugen konnten. Diese Schwierigkeit mag zur Dedikation an Brahms beigetragen haben. Denn durch die Unterstützung886 des berühmten Widmungsträgers wurden die Variationen für Violine und Klavier über ein Thema [aus op. 87, 2. Satz] von Brahms in das Programm des Berliner Verlags Simrock aufgenommen – ein Versuch, auf einem der Instrumentalmusik geneigteren Markt Fuß zu fassen. Nach bisherigem Kenntnisstand blieb es jedoch das einzige Werk des Italieners, das bei Simrock gedruckt wurde. Die Dedikation diente in diesem Fall also in besonderem Maß als Qualitätsnachweis gegenüber Verleger und potenziellen (deutschen) Käufern: Dass Brahms dieses Werk eines weitgehend unbekannten Komponisten über eines seiner eigenen Themen für gut genug befand, es über die Widmung zusätzlich mit seinem Namen zu verbinden, suggerierte höchste Wertschätzung. In der Gattung des Widmungswerks spiegelt sich außerdem ein Kriterium der BrahmsRezeption in Mailand, das im bereits zitierten Nekrolog Untersteiners genannt wird: Brahms wurde vor allem als Kammermusiker gelobt und anerkannt. Dementsprechend vereint Anzoletti die für das Œuvre von Brahms so wichtige Form der Variation887 mit einem Zitat aus dem Klaviertrio op. 87 des Widmungsträgers, das ihm als Variationsgrundlage diente – Brahms äußerte gegenüber Simrock: »Daß sie eine ganz ernsthafte, fleißige Arbeit sind, sieht man auf den ersten Blick.«888

Anzoletti. A Preliminary Catalog of His Instrumental Works, Masterarbeit eingereicht an der Rice University, Houston (Texas), ms., 2005; eingesehen unter http://scholarship.rice.edu/handle/1911/17766 (letzter Zugriff: 8. März 2013). 886 Wohl auf Nachfrage des Verlegers, dem Anzoletti die Variationen zugesandt hatte, äußerte sich Brahms zumindest tendenziell positiv : Sie seien »eine ganz ernsthafte, fleißige Arbeit«. Weiter reichte sein Einsatz allerdings nicht: »Ich hatte aber wirklich nicht die Geduld, sie weiter anzusehen. Da Sie nun unter allen Umständen mit dem Herrn korrespondieren müssen – so schicke ich Ihnen hier seinen letzten Brief und bitte Sie nur, doch gewiß ausbündig höflich und artig zu sein – aus Rücksicht gegen mich, und weil Sie es ja für mich mit sein müssen!« Brahms an Fritz Simrock, [19. März 1894], BW XII, S. 118. 887 Den Aufführungsdaten zufolge waren in Mailand zumindest die Händelvariationen und die Paganini-Variationen vor 1894, dem Jahr von Anzolettis Widmung, bekannt. Die Variationen und Fuge B-Dur für Klavier über ein Thema von Händel op. 24 erklangen erstmals am 18. Dezember 1884 (Klavier: Eugen d’Albert), die Variationen über ein Thema von Paganini op. 35 am 20. März 1873 (Klavier : Maria JaÚll). Vgl. die Auflistung von Mailänder Konzerten mit Brahms-Werken bei Antonio Rostagno: Ricezioni di Schumann e Brahms a Milano e a Bologna nell’Ottocento, in: Schumann, Brahms e l’Italia, S. 169–174. 888 Brahms an Fritz Simrock, [19. März 1894], zit. nach BW XII, S. 118. Auch an Anzoletti soll Brahms Antonio Carlini (Art. »Anzoletti, Marco«, in: MGG2, Personenteil, Bd. 1, Sp. 805) zufolge eine ausführliche Würdigung des Widmungswerks geschrieben haben. Sie konnte allerdings nicht aufgefunden werden.

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Eine wichtige Person für die Brahms-Rezeption in Italien und so auch in Mailand, ist der italienische Komponist, Dirigent und Pianist Giuseppe Martucci889 – der darüber hinaus auch als Förderer Richard Wagners zu gelten hat. In seiner Person kreuzen sich die Lebenswege der italienischen Widmenden: War Anzoletti Martucci höchstwahrscheinlich durch dessen wiederholte Konzerttätigkeit in den Sälen Mailands bekannt, hatte Westerhout ihm sogar seine erste Kenntnisnahme der Werke von Brahms zu verdanken. In Neapel890, dem Wirkungsort Westerhouts, etablierte sich deutsche Instrumentalmusik nur langsam, anfangs vor allem in den Schumann-Aufführungen des halb-privaten Circolo Cesi. Der Begründer, Beniamino Cesi, war Konservatoriumsdozent und der Lehrer des jungen Martucci gewesen. Martucci kehrte 1880 nach ausgedehnten Konzertreisen als Dozent an seine ehemalige Ausbildungsstätte zurück und sammelte um sich eine Gruppe junger Personen, denen die Förderung der deutschen zeitgenössischen Instrumentalmusik am Herzen lag – ihnen schloss Westerhout sich an. Durch die Vermittlung Martuccis lernte er die Werke von Brahms wertschätzen und drückte dies öffentlich durch die Widmung seiner Klaviersonate f-Moll aus. Die Wahl eines Klavierwerks ist nicht zufällig, waren doch aufgrund der halbprivaten Anfänge und der Prägung Martuccis als Pianist besonders die Klavierwerke des Deutschen in den Konzerten Neapels präsent. Wie eng Westerhout in seiner ästhetischen Prägung mit derjenigen von Brahms korrespondierte, drückte er in anderem Zusammenhang aus: »Io non sono un innovatore, perch¦ questa parola non ha senso comune in arte: sono un continuatore, il mio orgoglio À questo«.891 Und doch brachte ihm die Freundschaft mit Gabriele D’Annunzio auch Brahms’ Antagonisten des Opernfachs, Richard Wagner, nahe. Dies in solchem Maß, dass er in der Literatur als »wagneriano pure sangue«892 bezeichnet worden ist. Doch Westerhout schätzte beide Komponisten aufgrund ihrer spezifischen Errungenschaften, der im deutschsprachigen Gebiet noch aktuelle Parteienstreit spielte im Opernland Italien eine nur untergeordnete Rolle. 889 Giuseppe Martucci (1856–1909) wurde am Conservatorio San Pietro a Majella in Neapel ausgebildet und kehrte nach Konzerttourneen durch Italien, Frankreich und England 1880 als Professor für Klavier dorthin zurück. Von 1886–1902 wirkte er als Direktor des Liceo Musicale in Bologna, bevor er 1902 als Leiter des Conservatorio in seine Ausbildungsstadt Neapel zurückkehrte. Nach dem Bericht Widmanns ist Martucci Brahms am 9. Mai 1888 in Bologna begegnet (Widmann, Brahms in Erinnerungen, S. 148–150, dazu Imogen Fellinger : Welche Bedeutung hatte die Kammermusik im Leben von Brahms?, in: Die Kammermusik von Johannes Brahms. Tradition und Innovation. Bericht über die Tagung Wien 1997, hg. v. Gernot Gruber, Laaber 2001, S. 11–26, hier S. 17). 890 Zur Verbreitung der Werke von Brahms in Neapel vgl. Pier Paolo de Martino: Schumann e Brahms nella Napoli di Martucci, in: Schumann, Brahms e l’Italia, S. 225–254. 891 Zit. n. Galliano Ciliberti (Hg.): Un musicista crepuscolare: Niccolý van Westerhout (1857–1898), Bari 2007, S. 244. 892 Zit. n. Ciliberti, Niccolý van Westerhout, S. 24f.

Die Konservatorien als Orte der Brahms-Vermittlung

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Eigentlich alle im Druck veröffentlichten Werke Westerhouts tragen eine Dedikation an einen Zeitgenossen, dem sich der Komponist verbunden fühlte, in der Regel über eine persönliche Bekanntschaft. In der Summe bilden die Widmungen somit wichtige Kontakte seines persönlichen Beziehungsnetzwerks ab.893 Die Zueignung an Brahms ist insofern als Ausnahme zu betrachten, als einerseits bislang keine direkte Bekanntschaft zwischen Brahms und Westerhout nachzuweisen war und er andererseits mit Abstand der bekannteste der Adressaten ist. Die Zueignung an den berühmten Kollegen ist also im Widmungsverhalten Westerhouts eine Besonderheit und lässt die Verehrung des Italieners für seinen deutschen Kollegen umso bedeutsamer erscheinen. Beide Widmungen an Brahms aus dem Opern-affinen Italien lassen Berührungspunkte erkennen: Sie zeigen, dass Brahms im Musikleben Italiens zum einen besonders im Rahmen bestimmter Gattungen eine Rolle spielte, zum anderen aber die Kenntnis seiner Werke von der Einbindung der jeweiligen Person in bestimmte Kreise abhing. Beide widmenden Komponisten waren fest in den akademischen Kreisen der Musikkonservatorien verhaftet und bewegten sich trotz weit voneinander entfernter Wohnorte im Norden und Süden des Landes in einem ähnlichen Netzwerk, das durch die Person Giuseppe Martuccis (mit-)geprägt wurde. Im Fall der Widmungswerke hängt die jeweilige Gattungswahl eng mit den spezifischen Gegebenheiten beider Städte, die die Rezeption der Werke des Widmungsträgers zusätzlich steuerten, und der eigenen Person zusammen: Waren in Mailand durch das besondere Engagement der Societ— di Quartetto gerade die Kammermusik von Brahms gut vertreten, wurde in Neapel eher das Klavierœuvre gepflegt. War Anzoletti in seiner Stellung als gefeierter Violinvirtuose eher daran gelegen, das Repertoire für das eigene Instrument zu erweitern, orientierte sich der heute vor allem als Opernkomponist im Bewusstsein verankerte Westerhout an den ihm näher liegenden Klavier. Beide Widmungen sind also Frucht ihres Landes und ihrer Zeit – beide bilden die Brahms-Rezeption Italiens auf je eigene Weise ab.

3.

Die Konservatorien als Orte der Brahms-Vermittlung

Eine systematische Aufarbeitung der Geschichte der akademischen Musik- und Kompositionsausbildung der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts muss bislang als Desiderat gelten.894 Die vorhandenen einzelnen Studien zu bestimmten 893 Vgl. ebd., S. 75f. 894 In diesem Sinn äußert sich z. B. Dietmar Schenk: Die Hochschule für Musik zu Berlin. Preußens Konservatorium zwischen romantischem Klassizismus und Neuer Musik, 1869–1932/33, Stuttgart 2004, S. 16. Unlängst wies Stefan Keym auf das Fehlen einer vergleichenden Schau der deutschen Hochschulen des 19. Jahrhunderts hin. Vgl. Stefan Keym:

242

Netzwerk »Brahms gewidmet«

Hochschulen895 machen eine überblicksartige Gesamtschau in Hinblick auf Unterrichtsgestaltung, ästhetische Ausrichtung oder (internationale) Ausstrahlung auf Musik- und Kompositionspraxis der Zeit umso wünschenswerter. Und auch, wenn anhand des Bestandes von Zueignungen über Linien der Brahms-Vermittlung gesprochen wird, kommt man nicht umhin, die Konservatorien als potenzielle Verbreitungsträger in den Blick zu nehmen. Die Widmungen gehen jedenfalls in einer überdurchschnittlichen Zahl von (ehemaligen896) Schülern solcher Lehrenden aus, die ihrerseits Brahms ein Werk gewidmet haben. 46 Personen – also über 50 Prozent – der widmenden Komponisten sind in das System der Lehrer-Schüler-Beziehungen integriert. Bei einigen897 der weiteren Widmenden ist die verfügbare Quellenbasis zu schmal, um gesicherte Aussagen über den Ausbildungsweg treffen zu können. Grundsätzlich gilt jedenfalls: Die Mehrzahl junger Widmender, die nicht der Generation von Brahms zugehörig sind, ist im Umkreis einiger bestimmter Kompositionslehrer und Konservatorien zu verorten. Es kommt sogar vor, dass in direkter Linie drei Generationen widmender Komponisten nachzuverfolgen sind: So wurde Ernst Rudorff am Leipziger Konservatorium von Carl Reinecke in Komposition unterwiesen. In seine eigene Klasse – 1869 hatte Joseph Joachim ihn als Ersten Klavierlehrer an das neugegründete Berliner Konservatorium berufen898 – wurden später Fritz Kauffmann und Ferdinand Hummel aufgenommen.899 Der ebenfalls bei Reinecke ausgebildete Charles Villiers Stanford gab sein Wissen in London an Emil Kreuz weiter, Robert Fuchs (in Wien Schüler von Felix Otto Dessoff) unterrichtete Alexander Zemlinsky. Dieser sollte Brahms schließlich so verehren, dass er in seinen Brahms-Erinnerungen angab, er sei während seiner Ausbildungszeit am Wiener Konservatorium »wie besessen von

895

896 897 898 899

Leipzig oder Berlin? Statistik und Ortswahlkriterien ausländischer Kompositionsstudenten um 1900 als Beispiel für einen institutionsgeschichtlichen Städtevergleich, in: Musik – Stadt. Traditionen und Perspektiven urbaner Musikkultur, Bd. 3: Musik in Leipzig, Wien und anderen Städten im 19. und 20. Jahrhundert: Verlage – Konservatorien – Salons – Vereine – Konzerte, hg. v. Stefan Keym u. Katrin Stöck, Leipzig 2011, S. 142–164, hier S. 142f. Zur Berliner Hochschule: Schenk, Hochschule zu Berlin; zu Leipzig v. a. Yvonne Wasserloos: Das Leipziger Konservatorium der Musik im 19. Jahrhundert. Anziehungs- und Ausstrahlungskraft eines musikpädagogischen Modells auf das internationale Musikleben (= Studien und Materialien zur Musikwissenschaft, Bd. 33), Hildesheim, Zürich u. New York 2004. Die Widmungen stammen grundsätzlich aus der Zeit nach Studienende, wohl vor allem, da Schülerkompositionen für die Widmung an einen so anerkannten Komponisten nicht angemessen schienen. So. z. B. bei Hanka Uysdal, Ilda Tilike, Eugen Philips, Franz Gretscher oder J. C. Gegenbauer. Vgl. Schenk, Hochschule zu Berlin, S. 120f. Die Widmungen der Protagonisten sind: Carl Reinecke: 3. Sonate für Klavier und Violoncello op. 238, Leipzig 1898; Ernst Rudorff: Fantasie für Klavier op. 14, Berlin 1869; Fritz Kauffmann: Streichquartett g-Dur op. 14, Berlin 1888; Ferdinand Hummel: Suite für Pianoforte zu vier Händen op. 15, Berlin 1878.

243

Die Konservatorien als Orte der Brahms-Vermittlung Lehrender

Schüler

Ausbildungsstätte

Ausbildungsjahre

W. Bargiel

W. Baußnern

Ak. d. Künste, Berlin

1882–88

F. Hummel

Ak. d. Künste, Berlin

ab 1871 1852–57

E. Rudorff

Privat, Berlin

K. Bendl

V. Novák

Kons. Prag

ca. 1889–1892 (?)

F. O. Dessoff

R. Fuchs

Kons. Wien

1865–1868

H. von Herzogenberg

Kons. Wien

ab 1862

A. Wallnöfer

Kons. Wien

ab ca. 1869

R. v. Perger

Kons. Wien

k. A.

A. F. von Hessen

Privat, FfM

ab 1884

J. Suk

Kons. Prag

1891/92

V. Novák

Kons. Prag

1891/92

A. Zemlinsky

Kons. Wien

ab 1887

A. Dvo ák R. Fuchs

H. v. Herzogenberg A. F. v. Hessen J. Joachim

R. Barth

Kons. Berlin

ab Sommer 1894

Privat, Hannover (Geige)

1863–1867

A. F. v. Hessen

Kons. Berlin (Geige)

ab Sommer 1894

T. Kirchner

J. C. Eschmann

Privat (Bratsche)

[1850–1859]

E. Marxsen

L. Bödecker

Privat, Hamburg

k. A.

F. Thieriot

Privat, Hamburg

vor 1868

W. Rabl

Wien (privat?)

nach 1892

A. Rückauf

Wien (privat?)

nach 1882

F. Busoni

Privat, Leipzig

ca. 1885

H. Huber

Kons. Leipzig

1870–1874

C. Villiers Stanford

Kons. Leipzig

1874/75

K. Nawratil C. Reinecke

J. G. Rheinberger

E. Rudorff

G. Henschel

Kons. Leipzig

ab 1867/68

A. Ashton

Kons. Leipzig

1875–80

G. H. Witte

Kons. Leipzig

1862–65

E. Rudorff

Kons. Leipzig

1857–1862

L. Schlegel

Kons. Leipzig

ab 1861

M. Bruch

Kons. Köln (Klavier)

1853–57

A. Hinton

Kgl. MS München

1893/94

F. Thieriot

Kgl. MS München

vor 1868

Ph. Wolfrum

Kgl. MS München

1876–1878

H. Koessler

Kgl. MS München

F. Kauffmann

1871–1874 1878–1881

F. Hummel

Ak. d. Künste, Berlin (Klavier)

C. Schumann

A. von Dobjansky

Privat, Düsseldorf

ab 1871 um 1867/68

C. V. Stanford

E. Kreuz

RCoM, London

ab 1880

C. Tausig

A. v. Dobjansky

Privat (Klavier)

Winter 1867/68

S. v. Vrabely

Privat (Klavier)

n. a.

A. Urspruch

A. F. von Hessen

Raff-Kons. FfM

ab 1884

F. Wüllner

H. Koessler

Kgl. MS München

1871–1874

Ph. Wolfrum

Kgl. MS München

ab 1876

244

Netzwerk »Brahms gewidmet«

dieser Musik [gewesen]. Aneignung und Beherrschung dieser wundervollen, eigenartigen Technik galt mir damals als ein Ziel.«900 Es wurde bereits an anderer Stelle901 darauf eingegangen, dass gerade junge Komponisten auf eine möglichst gute Vernetzung in der Musik- und Musikverlagslandschaft angewiesen waren. Auch über Widmungen suchten sie früh wichtige Kontakte herzustellen, Brahms war in diesem Fall wegen seiner herausragenden Vernetzung und Stellung im Musikleben ein geschätzter Adressat. Dabei konnte der Lehrer eine wichtige Rolle bei der Kontaktvermittlung spielen902 : Heinrich von Herzogenberg, Anna von Dobjansky und Richard Barth903 wurden z. B. von ihren Lehrern mit Brahms bekannt gemacht. Und auch der ambitionierte Robert Fuchs erhielt durch die Vermittlung seines Lehrers – in Verbindung mit einer geschickten Widmungsstrategie – Eingang in den Wiener Brahmskreis. Fuchs widmete früh sowohl dem engen Brahms-Vertrauten Theodor Billroth als auch seinem ehemaligen Lehrer Felix Otto Dessoff904 eine Komposition. Die Zueignungen hatten in der »Funktion des Konstituierens öffentlicher Netzwerke«905 strategische Bedeutung bei der Annäherung an den Brahms-Kreis.906 Denn Brahms waren seine Werke zwar bereits bekannt907, er hatte aber noch nicht persönlich von ihm Notiz genommen. Das Kalkül, sollte es sich um ein solches gehandelt haben, ging auf: Dessoff stellte schon im Dankbrief für die ihm dedizierte Klaviersonate op. 19 in Aussicht, das Werk des einstigen Schülers seinem berühmten Freund vorzustellen: »Heute nachmittag

900 Vgl. Alexander Zemlinsky : Brahms und die neuere Generation. Persönliche Erinnerungen, in: Musikblätter des Anbruch 4/5–6 (März 1922), S. 69. 901 Vgl. Kap. II. 3. 3, bes. ab S. 123. 902 Es wurde bereits auf Anton†n Dvorˇ‚ks Wirken als Beispiel dieser Art der Förderung eingegangen (vgl. Kap. III. 2. 1). Gerade junge Studenten, Angehörige einer neuen Generation, die noch nicht endgültig in die Musiklandschaft eingebunden waren, waren auf solche vermittelten Kontakte oft angewiesen. Je berühmtere Kontakte vorzuweisen waren, je enger z. B. die Verbindung zum beruflichen und persönlichen Netzwerk von Brahms war, desto eher war die Chance geboten, von ihm und der ihm nahe stehenden Fachwelt wahrgenommen zu werden und auf diese Weise das eigene Werk positionieren zu können. 903 Der Lehrer Heinrich von Herzogenbergs war Felix Otto Dessoff, Anna von Dobjansky wurde von Clara Schumann unterrichtet, Richard Barth von Joseph Joachim. Im Fall von Herzogenberg und Dobjansky sorgte Brahms als Folge der Bekanntschaft für die Veröffentlichung erster Werke. 904 An Theodor Billroth ging das Klavierquartett op. 15 (1876), an Felix Otto Dessoff im selben Jahr die Klaviersonate op. 19. 905 Stört, Widmung, S. 25. Öffentlich vor allem, weil der Abdruck berühmter Namen, der ihre Einbindung in das Beziehungsnetzwerk des Widmenden implizierte, eine starke Werbefunktion gegenüber der Öffentlichkeit besaß. Vgl. das Kap. II. 3. 1 und zur absichtsvollen Formulierung des Widmungstexts Kap. II. 4. 906 Grote, Robert Fuchs, S. 23–25, vermutet jedenfalls eine strategische Bedeutung der Widmungen an Billroth und Dessoff. 907 Vgl. zum ersten Kontakt zwischen Brahms und Fuchs Grote, Robert Fuchs, S. 22–25.

Die Konservatorien als Orte der Brahms-Vermittlung

245

kommt Brahms von Baden herüber. Ich bin neugierig, was er dazu sagt […]«.908 Kurz darauf erklang das Werk in einer der Soir¦en des Brahms-Kreises im Hause Billroth und fand großen Anklang. Billroth berichtete an Fuchs: »Es wird Sie auch freuen zu hören, wie sehr Brahms dies Werk von Ihnen schätzt.«909 1878 konnte Fuchs schließlich Brahms persönlich als Widmungsadressaten wählen, in der Bitte um Widmungserlaubnis spricht der junge Komponist zur Rechtfertigung seines Anliegens von der »überaus freundliche Theilnahme, welche Sie in letzter Zeit meinem Streben gegenüber beweisen«.910 Diese »freundliche Theilname« war der Vermittlung seines Lehrers Dessoff zu verdanken, die Zueignung an Brahms sollte in der Folge der Auftakt einer langen Bekanntschaft werden, während der Brahms den jungen Kollegen stets zu fördern suchte. Noch Jahre später lobte Brahms das ihm zugeeignete Trio als besonders gelungene Komposition.911 Es ist im Vergleich zu Fuchs’ übrigen Werken tatsächlich besonders nah an der Kompositionstechnik von Brahms orientiert: Die motivisch-thematische Arbeit ist bewusst sehr konsequent und umfasst neben der Reduktion auf Motivkomponenten auch rhythmische Veränderungen.912 Kontrapunktische Episoden, wie z. B. die kanonische Stimmführung in Cello und Geige zu komplementären Begleitfiguren des Klaviers in T. 94, durchziehen das ganze Werk. Die stilistische Nähe wird im Licht der widmungsstrategischen Überlegungen verständlich: Fuchs wählte eine Komposition, die seinem Verständnis der kompositorischen Vorlieben von Brahms entsprach – sein individuelles BrahmsBild wird gespiegelt. Von besonderem Interesse ist jedoch auch sein späteres Verhalten gegenüber einem begabten eigenen Schüler. Denn er gab die durch Dessoff erfahrene Förderung weiter, indem er Brahms zur Aufführung einer Sinfonie Alexander Zemlinskys einlud und so für ein erstes Zusammentreffen sorgte.913 Brahms wiederum nahm an Zemlinskys weiterem Werdegang – in erstaunlicher Parallelität zu seinem Verhalten gegenüber Fuchs – Anteil, lud den jungen Kollegen zur Diskussion seines Streichquintetts d-Moll ein und bot finanzielle Unterstützung an.914 Zemlinsky widmete dem verstorbenen Brahms seine Kantate Frühlingsbegräbnis.

908 909 910 911 912 913 914

Felix Otto Dessoff an Robert Fuchs, 29. September 1877, zit. n. Grote, Robert Fuchs, S. 24f. Theodor Billroth an Robert Fuchs, 14. Januar 1878, zit. n. Grote, Robert Fuchs, S. 24. Robert Fuchs an Brahms, 24. November 1878, zit. n. Grote, Robert Fuchs, S. 27. Heuberger, Brahms, S. 48, Anh. 33. Vgl. Grote, Robert Fuchs, S. 104. Vgl. Zemlinsky, Brahms, S. 69. Vgl. ebd., S. 70.

246 3.1

Netzwerk »Brahms gewidmet«

Die Berliner Hochschule als Hort des Konservatismus

Als besonders traditionsgebunden915 galten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Hochschulen in Leipzig, Berlin, Wien, München und Köln – zugleich jene Städte, in denen besonders viele Komponisten, die Brahms im Lauf ihrer späteren kompositorischen Karriere ein Werk widmeten, studierten. Es ist nur folgerichtig, dass ein Konservatorium eher ›neudeutscher‹ Prägung wie in Weimar nicht zu einem solchen Zentrum der Brahms-Rezeption wurde und keine Widmung eines Absolventen bekannt ist. Eine Auswertung der Widmenden nach dem Ort ihrer Ausbildung ergibt folgendes Bild:

Von den zwölf in Berlin ausgebildeten Widmungskomponisten wurden allein acht vom Leiter der Kompositionsklasse, Friedrich Kiel, unterrichtet, obwohl gerade er nicht zu den engen Bekannten von Brahms zu zählen ist. In der Bitte um Widmungserlaubnis seiner Variationen über ein eigenes Thema für Klavier zu vier Händen op. 30 gibt Constantin Bürgel gegenüber Brahms den Unterricht Kiels als Grund für seine Brahms-Begeisterung an: »Daß ich zu Ihren aufrichtigsten Verehrern zähle, werden Sie in Anbetracht der musikalischen Erziehung, die ich vor Jahren in der ausgezeichneten Schule Friedrich Kiel’s genossen, und dann, falls Ihnen meine bisher veröffentlichten Arbeiten, vorzugsweise die zuletzt erschienen [sic] acht Werke von op. 22 bis incl. 29 nicht unbekannt geblieben sein sollten, mir gewiß gern glauben und als selbstverständlich erachten.«916

915 So bringt Aschauer, Einheit durch Vielfalt, S. 86f., anhand von zeitgenössischen Quellen gerade Rheinbergers Hinwendung zum Konservatismus mit seiner Entscheidung in Verbindung, das konservative Umfeld der Münchner Hochschule, an der er ausgebildet wurde, nicht zu verlassen. 916 Constantin Bürgel an Brahms, 24. März 1879, A-Wgm, Sign.: Brahms-Nachlass, Briefe Constantin Bürgel an Johannes Brahms 51, 1.

Die Konservatorien als Orte der Brahms-Vermittlung

247

Brahms widmende Schüler Friedrich Kiels: Waldemar v. Baußnern

HS. Berlin

1882–1888

Constantin Bürgel

privat

ab 1860

George Henschel

HS. Berlin

ab 1870

Ferdinand Hummel

HS. Berlin

ab 1871

Fritz Kauffmann

HS. Berlin

1878–1881

Jean-Louis Nicodé

HS. Berlin

ab 1869

Ernst H. Seyffardt

HS. Berlin

ca. 1882

Charles Villiers Stanford

HS. Berlin

1876

Doch tatsächlich ist die angesprochene Berliner Kiel-Schule auf das Engste verbunden mit der Hochschulatmosphäre, die ein günstiges Klima für Bürgels Brahms-Verehrung schuf: Auch, wenn Kiel selber sich nicht in die Liste der Brahms-Widmenden eingetragen hat – das Leben der Hochschule wurde auf Schlüsselpositionen von strikten Vertretern einer konservativen Musikausrichtung bestimmt: Mit dem Leiter Joseph Joachim, Ernst Rudorff als Erstem Lehrer der Klavierabteilung, Woldemar Bargiel, Heinrich von Herzogenberg und anderen setzten enge Brahms-Freunde den ästhetischen Kurs917, den Kiel als verantwortlicher Kompositionslehrer mit vertrat. Joachim legte als Leiter des Konservatoriums auf die Homogenität der ästhetischen Ausrichtung des Lehrpersonals größten Wert918 und verwies Schüler, die den kompositorischen Idealen der ›Neudeutschen‹ zu nahe standen, sogar der Hochschule.919 Die Verankerung im akademischen Lehrbetrieb solch konservativer Prägung sicherte den Kontakt der jungen Komponisten mit den Grundlinien einer musikalischen Ausrichtung, die gerade in der durch den Parteienstreit mitgeprägten Atmosphäre der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ab einem gewissen Zeitpunkt unweigerlich Brahms als einen der großen zeitgenössischen Vertreter gelten lassen musste. Darüber hinaus wurde die konkrete Brahms-Rezeption der Schüler durch die Person Joachims gefördert, der als gefeierter Violinist großen Einfluss auf das Musikleben der Stadt besaß: 917 Schenk, Hochschule zu Berlin, S. 49, sagt zum Einfluss des Brahms-Kreises an der Hochschule: »Dieser kleine Kreis namhafter und befreundeter Musiker prägte die Hochschule über Dekaden.« 918 Am 6. September 1869 schrieb Joachim so an Rudorff: »Das Gute an unserem Institut ist bis jetzt dass wir kein einziges unsympathisches Element aufgenommen haben« (Joachim-BW III, S. 31). Vgl. dazu auch Schenk, Hochschule zu Berlin, S. 48. 919 Vgl. Beatrix Borchard: Stimme und Geige. Amalie und Joseph Joachim. Biographie und Interpretationsgeschichte (= Wiener Veröffentlichungen zur Musikgeschichte, Bd. 5, hg.v. Reinhard Kapp und Markus Grassl), Wien 2005, S. 312. Auch Ernst Rudorff beteiligte sich an dieser Art der Verteidigung konservativer Ideale (vgl. Zimmermann, Lehrtätigkeit Kiels, S. 53f.).

248

Netzwerk »Brahms gewidmet«

»Johannes Brahms lebte in Wien und war fern, Joseph Joachim aber, sein Freund und Anhänger war in Berlin, und in seiner sonst durchaus verehrungswürdigen Persönlichkeit besaß die Reaktion ihren einflußreichsten Vertreter. […] ein großer Teil der Musiköffentlichkeit […] anerkannte verehrungsvoll seine Autorität und folgte seinen Neigungen und Abneigungen.«920

Durch Joachim, der den Kompositionen seines Freundes auch bei den in den Hochschul-Statuten verankerten Soireen des bald über die Grenzen hinaus berühmten Joachim-Quartetts großen Raum gewährte921, war innerhalb der Hochschule der Kontakt aller Studenten mit den Werken von Brahms gewährleistet.922 Gleichzeitig beeinflusste aber auch der jeweilige Lehrer durchaus einzelne Facetten des Brahms-Bildes seiner Schüler, wie an der Widmung Bürgels zu erkennen ist: Helga Zimmermann hat nachgewiesen, dass der ungewöhnlich starke Einsatz kontrapunktischer Finessen bei auffällig vielen KielSchülern zu entdecken ist.923 Die Kontrapunktik galt nun auch als Domäne von Brahms – ein möglicher kompositorischer Anknüpfungspunkt, den Bürgel in seinem Brief angesprochen haben mag, als er von seinem Unterricht in Berlin als Voraussetzung für seine Brahms-Begeisterung sprach. Tatsächlich ist in diesem Licht auch die Wahl eines Variationenwerks als Widmungskomposition bezeichnend. Denn hier konnte Bürgel seine kontrapunktischen Fertigkeiten besonders akzentuieren. Die Beeinflussung fand demnach jedoch weniger durch aktive Einflussnahme Kiels, als vielmehr durch die grundlegende Ausrichtung des Unterrichts statt.

3.2

Anziehungspunkt Musikstadt: Das Leipziger Konservatorium

Während die Königliche Hochschule in Berlin durch ihr Kollegium ein gutes Umfeld für die Beschäftigung mit Brahms bot, ist die Ausgangslage in Leipzig eine durchaus andere. Das Konservatorium, 1843 gegründet, zog im 19. Jahr920 Bruno Walter : Thema und Variationen. Erinnerungen und Gedanken, Frankfurt a. M. 1960, S. 40f., zit. n. Borchard, Stimme und Geige, S. 313f. 921 Borchard, Stimme und Geige, S. 535f. Nach einer Auszählung der Programme des JoachimQuartetts ist Brahms tatsächlich der einzige zeitgenössische Komponist, der regelmäßig in den Konzerten des Quartetts gespielt wurde. Das Programm war sonst stark historisch angelegt und auf Kanonbildung (v. a. Beethoven, Mozart, Schubert, auch Schumann und einige Werke Cherubinis) bedacht. 922 Schenk, Hochschule zu Berlin, S. 208, vergleicht die Präsenz Brahms’ in den Konzertprogrammen mit der Präsenz der Werke Beethovens und Mozarts. Die oben angedeutete Stellung im Repertoire des Joachim-Quartetts unterstützt diese Aussage. 923 Dazu Helga Zimmermann: Untersuchungen zum Kompositionsunterricht im Spannungsfeld von Traditionalismus und neudeutscher Schule, dargestellt am Beispiel der Lehrtätigkeit Friedrich Kiels (1821–1885), Hagen 1987, S. 150f.

Die Konservatorien als Orte der Brahms-Vermittlung

249

hundert dank seines guten Rufes unzählige Studenten aus der ganzen Welt zum Musikstudium nach Sachsen. Gleichzeitig galt es als das vielleicht am konservativsten ausgerichtete Konservatorium im deutschsprachigen Gebiet. Der Schweizer Hans Huber berichtet noch für 1870 von einer extrem kritischen Rezeptionskultur gegenüber den Werken der ›Neudeutschen‹, insbesondere Franz Liszts: »Als ich im Jahre 1870 in Leipzig meine Konservatoriumsstudien begann, herrschte über Liszts Schaffen noch die traditionelle Kritik von Mendelssohn, Schumann und andern; die ›Kritik der Kritik‹ existierte nur in wenigen Köpfen. Oskar Paul, mein erster Kompositionslehrer, gab uns sein Urteil mit folgenden Worten ab: ›Schade um Liszt mit seinen schönen Ideen und Themen, aber er hat leider nichts gelernt.‹ Und dazu war dieser Lehrer der Hauptkritiker Leipzigs. Unwillkürlich denkt man an den weitblickenden Geist Berlioz, der die Kritiker Liszts schon in den dreissiger Jahren mit den gesunden Worten apostrophierte; ›Um kritisieren zu können, muss man verstehen; um verstehen zu können, muss man fühlen.‹«924

Der Jurist Heinrich Conrad Schleinitz925, seit Mendelssohns Tod im Jahr 1847 Leiter des Konservatoriums, hielt nach Alfred Richter926 sogar den Stil von Brahms für zu fortschrittlich und mahnte die Zöglinge seiner Einrichtung, sich »nicht vom Verführer [= den Verfechtern einer fortschrittlichen Kompositionsweise] umgarnen zu lassen«. Sie sollten sich allein der »reinen Sache« verpflichtet fühlen. In dieser Tradition wirkte auch Carl Reinecke als Klavier- und Kompositionslehrer. Er war im Jahr 1860 als Nachfolger von Julius Rietz (1812–1877) als Gewandhauskapellmeister und Lehrer am Konservatorium aus dem rheinischen Barmen927 in die Bach-Stadt gezogen. Reinecke, der zuvor bereits am Kölner Konservatorium als Klavierlehrer gewirkt und dort unter anderem Max Bruch zu seinen Schülern gezählt hatte, genoss in Leipzig bald als Pädagoge viel Einfluss. Dorothea Mundus schreibt ihm gar »unbestritten Weltruf«928 zu. Überlieferte zeitgenössische Aussagen seiner Schüler lassen diese einseitige Einschätzung allerdings anzweifeln. Es liegen zwar durchaus positive Äußerungen zu Reineckes Unterricht vor, wie z. B. von Huber, der die pädagogischen Fähigkeiten seines Lehrers sehr schätzte.929 An924 Hans Huber: Liszt und Busoni, in: Basler Nachrichten 15 (1917), zit. n. Refardt, Hans Huber, S. 103. 925 Heinrich Conrad Schleinitz (1805–1881), ursprünglich Rechtsanwalt in Leipzig, wirkte von 1847 bis zu seinem Tod 1881 als Konservatoriumsdirektor. Als sein Nachfolger trat Otto Günther an (bis 1897), dann wurde Carl Reinecke als Direktor berufen (bis 1902). 926 Alfred Richter (1846–1919) hatte als Sohn des Konservatoriumlehrers Ernst Friedrich Richter und in seiner eigenen Rolle als Reinecke-Schüler (1866–69), aber auch als Lehrer des Instituts (1873–84) einen guten Einblick in die Funktionsweise der Institution. 927 Seit 1929 ein Stadtteil von Wuppertal. 928 Reinecke, Erlebnisse, S. 303. 929 Brief Hans Hubers an seine Eltern, o. D., zit. n. Bundi, Hans Huber, S. 12: »Ich gewinne bei

250

Netzwerk »Brahms gewidmet«

dererseits wussten Schüler wie Charles Villiers Stanford im Rückblick auch von negativen Erfahrungen zu berichten, die bis zu einer kompletten Ablehnung der Unterrichtsmethoden führten: »His composition training had no method about it whatever. He occasionally made an astute criticism and that was all. He never gave a pupil a chance of hearing his own work, the only really valuable means of training, and the better the music, the less he inclined to encourage it. He was in fact the embodiment of the typical ›Philister.‹«930

Schon in den Aussagen der prozentual geringen Anzahl jener Reinecke-Schüler, die später Brahms ein Werk widmeten, lässt sich demnach die ambivalente Beurteilung Reineckes, die in der Forschungsliteratur betont wird931, nachvollziehen. Die Unzufriedenheit mit dem Leipziger Konservatorium und dem Unterricht Reineckes führte zu zahlreichen Abwanderungen, wegen der ähnlichen ästhetischen Ausrichtung – die sich allerdings auf unterschiedliche Weise ausprägte – besonders nach Berlin. Immerhin achtzehn Komponisten sind in das Geflecht der Hochschulwechsel zwischen Berlin und Leipzig932 integriert. Diese wandernden Komponisten waren im Lauf ihrer Ausbildung unterschiedlichen Einflüssen ausgesetzt und konnten durch ein sich stets erweiterndes persönliches Netzwerk ihre Brahms-Erfahrungen an verschiedenen Orten gesammelt haben und von den unterschiedlichen Schwerpunkten und Vorteilen profitieren. Unzweifelhaft aber wirkten die Anziehungskraft des Konservatoriums in Leipzig und der trotz aller Einschränkungen positive Ruf Reineckes auf potenzielle Schüler aller Länder fort. Es wurde bereits darauf eingegangen933, dass Reinecke trotz Ablehnung der Programmmusik keineswegs enthusiastischer Brahms-Bewunderer war. Es ist also nicht davon auszugehen, dass er innerhalb seines Unterrichts die Vermittlung von Brahms-spezifischen Kompositionsstrategien besonders akzentuierte – Stanford berichtet sogar vom Gegenteil.934

930

931 932 933 934

diesem Lehrer immer mehr ; sein strenges Urtheil, seine Erfahrenheit, überhaupt sein ganzes Wesen als Lehrer kommt dem Componisten geistig zu gut.« Später widmete Huber seinem ehemaligen Lehrer als öffentliches Zeichen seiner Wertschätzung seine Ballet-Musik zu Goethe’s Walpurgisnacht. Tänze für Pianoforte zu 4 Händen op. 23. Stanford, Pages, S. 157. Stanford berichtet außerdem, der Unterricht bei Friedrich Kiel in Berlin sei für seine Ausbildung wesentlich ertragreicher gewesen, als der Aufenthalt am Leipziger Konservatorium (vgl. Stanford, Pages, S. 156f. u. 166f., dazu auch Keym, Leipzig oder Berlin?, S. 156). Auch andere ehemalige Studenten wie Edward Grieg standen dem Unterricht Reineckes kritisch gegenüber. Vgl. dazu Ute Schwab u. Harald Herresthal: Edvard Grieg und sein Verhältnis zu Carl Reinecke, in: Studia Musicologica Norvegica 25 (1999), S. 157–167, hier u. a. S. 165f. Keym, Leipzig oder Berlin?, S. 156. Auch insgesamt führten die Wechsel häufiger von Leipzig nach Berlin als umgekehrt. Vgl. Keym, Leipzig oder Berlin?, S. 156. Vgl. Kap. III. 1. 1, S. 169f. Vgl. die Beurteilung Reineckes durch seinen ehemaligen Schüler Charles Villiers Stanford:

Die Konservatorien als Orte der Brahms-Vermittlung

251

Trotzdem widmeten auffallend viele, nämlich immerhin neun seiner Kompositionsschüler (nicht nur aus der Zeit am Leipziger Konservatorium) dem von ihrem Lehrer auch im Unterricht geschmähten935 Brahms im Lauf ihrer Karriere ein Werk: Max Bruch, Ernst Rudorff, Algernon Ashton, Charles Villiers Stanford, Hans Huber, Georg Hendrik Witte, George Henschel, Ferruccio Busoni und Leander Schlegel. Reinecke ist damit in Bezug auf spätere Widmungen der Schüler der am häufigsten vertretene Lehrer.936 Vor allem günstige äußere Rahmenbedingungen sorgten für diese auf den ersten Blick erstaunliche Diskrepanz: Es wird deutlich, dass neben dem Konservatoriums-Unterricht die Gestaltung des öffentlichen Musiklebens eine nicht unerhebliche Rolle für eine aktive Brahms-Rezeption der Nachwuchskomponisten spielte. Viele Konservatoriumsschüler betonten in der Rückschau auf ihre Studienzeit, wie sehr sie vom Rang Leipzigs als Musikstadt profitiert hätten. Dies galt besonders wegen des reichhaltigen Konzertangebots. So konnte zum einen die eigene Repertoirekenntnis auf breiter Basis erweitert werden und andererseits »My master in composition was Karl Reinecke, to whom Sterndale Bennett had given me an introduction. Of all the dry musicians I have ever known he was the most desiccated. He had not a good word for any contemporary composer, even for those of his own kidney. He loathed Wagner, once describing Elsa to me as a young woman without brains enough to make out the list of clothes for the wash, sneered at Brahms, and had no enthusiasm of any sort.« (Stanford, Pages, S. 156). 935 Ebd. 936 Annähernd gleich viele spätere Widmende unterrichtete nur Kiel in Berlin (insgesamt acht), daneben sind vor allem Rheinberger (vier), Bargiel (drei) und Dessoff (ebenfalls drei) zu nennen.

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der Aufenthalt von Künstlern internationalen Rangs zur Erweiterung des beruflichen Netzwerks genutzt werden. Das Konservatorium bot den Schülern die Möglichkeit, vom vielfältigen Musikleben ohne finanzielle Einschränkungen zu profitieren – Reinecke setzte sich z. B. für die Möglichkeit kostenloser Hauptprobenbesuche der Konservatoristen im Gewandhaus ein.937 Denn Konzerte galten von den Gründungstagen des Konservatoriums an als »Bildungsmittel für angehende Tonkünstler«938, ihr kostenloser Besuch gehörte zum Unterrichtskonzept. Diese Rahmenbedingungen waren bei aller Kritik des Unterrichts höchst attraktiv, Stanford zog so das Konzertleben Leipzigs dem in Berlin trotz des dort besseren Unterrichts klar vor.939 Denn in Berlin940, Wien und anderen Städten existierte keine Kooperation zwischen der Ausbildungsstätte und den konzertveranstaltenden Institutionen, sodass jeder Konzertbesuch teuer bezahlt werden musste.941 Brahms war im musikalischen Leben Leipzigs trotz der angeblichen Missachtung durch den Konzertkalender des Gewandhauses und Reinecke durchaus präsent.942 Nach einem vielversprechenden Beginn der Rezeption seiner Werke im Jahr 1853 und einer folgenden Durststrecke setzten sich seine Kompositionen seit Beginn der 1870er Jahre zunehmend in den musikbegeisterten Kreisen der Stadt durch, sie wurden im Gewandhaus, aber mehr noch in Vereinigungen wie dem Riedel-Verein, dem Männergesangverein Arion943 oder dem Allgemeinen Deutschen Musikverein aufgeführt. Auch am Konservatorium fanden sich seine Werke zunehmend auf den Prüfungsprogrammen. Daneben bildete sich ein sich stetig erweiternder Kreis besonderer Brahms-Liebhaber heraus, die – wie das Ehepaar Herzogenberg oder Philipp Spitta – teils zu engen Freunden des Komponisten wurden.944 Brahms reiste selber bis 1860 und besonders von 1873 937 Vgl. Carl Reinecke: Was sollen wir spielen? Briefe an eine Freundin, Leipzig 1866, S. 43. 938 Emil Kneschke: Das Conservatorium der Musik in Leipzig. Seine Geschichte, seine Lehrer und Zöglinge. Festgabe zum 25jährigen Jubiläum am 2. April 1868, Leipzig 1868, S. 8; Marion Recknagel: Auswahl für böhmische Studenten: Die drei Konservatorien in Prag, Wien und Leipzig, in: Musik – Stadt. Traditionen und Perspektiven urbaner Musikkultur, Bd. 3: Musik in Leipzig, Wien und anderen Städten im 19. und 20. Jahrhundert: Verlage – Konservatorien – Salons – Vereine – Konzerte, hg. v. Stefan Keym u. Katrin Stöck, Leipzig 2011, S. 205. 939 Stanford, Pages, S. 142ff.; Keym, Leipzig oder Berlin?, S. 158. 940 Als Ausnahme müssen in Berlin die Soireen des Joachim-Quartetts gelten. Da das Quartett in den Hochschulstatuten verankert war, wurde den Schülern kostenfreier Eintritt zu den Hauptproben gewährt. Diese Regelung galt allerdings nicht für die offiziellen Konzertabende, die im Abonnement angeboten wurden. 941 Recknagel, Böhmische Studenten, S. 208. 942 Vgl. für einen Überblick über das Verhältnis Brahms – Leipzig Forner, Brahms in Leipzig. 943 Vgl. zum Arion allgemein Stefan Greiner : Der Akademische Gesangverein Arion 1849–1936. Eine singende Studentenverbindung aus der Blütezeit der Leipziger Gesangvereine, Markkleeberg 2011. 944 In einem Brief vom 9. Februar 1884 (Litzmann, Künstlerleben III, S. 451) anlässlich der

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bis 1888 mehrfach für Konzerte und Besuche in die Pleißestadt. Nicht wenige der Studenten machten anlässlich dieser Aufenthalte erste persönliche Erfahrungen mit ihrem späteren Widmungsadressaten. Bei seinem vorerst letzten Besuch in Leipzig im November 1860 trat Brahms auf Wunsch des Direktors Schleinitz sogar im Konservatorium auf. Gemeinsam mit Clara Schumann stellte er seine Serenade A-Dur op. 60 in der Fassung für Klavier zu vier Händen vor, die in der originalen Orchesterversion nur vier Tage zuvor im offiziellen Konzert durchgefallen war.945 Doch während der Musikalischen Abendunterhaltung am 30. November zeigte sich besonders der Student Ernst Rudorff946, der zeitlebens dem Brahms’schen Œuvre gegenüber durchaus kritisch eingestellt war947, begeistert. Clara Schumann berichtet in ihrem Tagebuch: »Den 30. November spielten wir Johannes und ich, die zweite Serenade auf besonderen Wunsch Schleinitz im Conservatorium, weil die Schüler sie nur einmal in der Probe Aufführung der 3. Sinfonie im Leipziger Gewandhaus berichtet Elisabeth v. Herzogenberg an Clara Schumann trotz allem von einer ambivalenten Aufnahme: »Das Publicum war für Leipzig auch recht nett, in der Probe sogar warm, aber da hat die warmblüthige Jugend das Wort, Am Abend konnte man nicht viel mehr sagen, als daß die Freunde von Brahms, die allerdings etwas numerisch zugenommen haben, den Sieg davon trugen über die zähe Masse des eigentlichen Gewandhauspublicums, das nach wie vor kein rechtes Herz für Brahms hat…« 945 Vgl. z. B. eine negative Rezension von Eduard Bernsdorf, der der Serenade attestiert, sie sei ein »zwischen Wollen und Nichtkönnen umherschwannkend[es]« Werk und dazu noch ein »urlangweiliges Product« (SmW 18 [29. November 1860], S. 604). 946 Rudorff war Mitglied der ersten Kompositionsklasse Reineckes und trotz der illustren Gesellschaft – seine Mitstudenten waren Edward Grieg und Arthur Sullivan – der bevorzugte Student des Lehrers: »Nachdem ich Köln verlassen hatte begann meine Lehrtätigkeit erst wieder im Jahre 1860, als ich nach Leipzig berufen war. Als ich zu meiner ersten Kompositionsstunde ins Klassenzimmer des Konservatoriums trat, sassen dort drei Jünglinge, die sich mir vorstellten als: Sullivan, Grieg und Rudorff. Aus allen dreien ist etwas geworden! Letzterer ist seit 1869 hochgeschätzter Lehrer an der Berliner Königl. Hochschule. Ich halte ihn für den bedeutendsten Musiker des damaligen Triumvirats, obgleich sein Name viel weniger berühmt ist, als der seiner beiden Studiengenossen. […] aber ernste Orchesterwerke finden nicht so leicht Verbreitung wie eine burleske Oper, oder wie Lieder, lyrische Stücke für Klavier und ähnliches.« Vgl. Carl Reinecke: Meine Schüler und ich. Eine Plauderei von Carl Reinecke, erstmals abgedruckt in NzfM 78/24 (1911); S. 374. 947 Trotz der mannigfaltigen Bezüge zu Brahms-Freunden wie Clara Schumann, Bargiel, Joachim oder den Herzogenbergs hatte Rudorff stets ein gespaltenes Verhältnis zu den kompositorischen Arbeiten von Brahms. Viele Werke verehrte er, andere konnte er nicht verstehen. Nur kurz nach der aus Januar 1869 datierenden Widmung schrieb er im November 1869: »Es ist wunderlich, wie die Welt mit einem so bedeutenden Menschen, wie Brahms es ist, verfährt. Von den einen wird er in der lächerlichsten Weise angegriffen und verkleinert, bleibt ganz und gar unverstanden, die anderen aber vergöttern ihn so masslos, dass man auch nicht überall einstimmen kann.« Zit. n. Ernst Rudorff: Johannes Brahms. Erinnerungen und Betrachtungen, in: Schweizerische Musikzeitung/ Revue Musicale Suisse 97/3–5 [März/April/Mai 1957], hier erster Teil, S. 81.

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gehört. Sie machte wieder den schönsten Eindruck auf Alle. Rudorff war ganz entzückt davon, das freute mich besonders, weil ich ihn so schwer an die Sachen von Johannes bringen konnte…«948

Drei Tage zuvor hatte bereits in der Musikalischen Morgenunterhaltung des Konservatoriums das Streichsextett op. 18 seine Aufführung gefunden – unter Mitwirkung Joachims und Röntgens, Clara Schumann und Brahms befanden sich unter den Konzerthörern.949 Es wurde demnach vonseiten der Konservatoriumsdirektion Wert darauf gelegt, den Schülern möglichst vielfältige Begegnungen mit zeitgenössischen Komponisten und ihrem Werk zu ermöglichen.950 Dass auch der zu diesem Zeitpunkt noch keinesfalls kompositorisch etablierte Brahms von diesem Einsatz profitierte, zeigt die Formulierung des zitierten Berichts von Clara Schumann. Die Begeisterung Rudorffs für die Serenade op. 60 ist jedenfalls der Startpunkt einer Bekanntschaft, die im Jahr 1869 einen vorläufigen Höhepunkt in der Widmung der Fantasie für Klavier op. 14 findet. Sie ist das Ergebnis der Aufforderung Brahms’ an Rudorff, ihm eigene Kompositionen zur Ansicht und Kritik zuzusenden. Für dreizehn Jahre ist Brahms danach Leipzig ferngeblieben. Nichtsdestotrotz blieb sein Name durch das Engagement befreundeter Künstler, die seine Werke zumindest sporadisch in ihre Konzertprogramme aufnahmen, präsent.951 Trotzdem: Mit Ausnahme Georg Hendrik Wittes, der im Jahr 1868 mit der Widmung seiner Walzer op. 7 direkt auf die Veröffentlichung der Brahms’schen Walzer op. 39 reagierte, studierten die übrigen Widmenden erst zu einer Zeit, in der sich Brahms zunehmend in Leipzig durchsetzte952 und auch wieder zu Be-

948 Litzmann, Künstlerleben III, S. 90. 949 Vgl. den Bericht von Bernsdorf in den SmW 18 (29. November 1860), S. 605. Clara Schumann berichtet in ihrem Tagebuch, dass das Sextett unter den anwesenden Zuhörern »entschieden zündete« (Litzmann, Künstlerleben III, S. 89). Das Werk war erst einen Monat zuvor (am 20. Oktober 1860) – ebenfalls unter Mitwirkung Joachims – in Hannover uraufgeführt worden. 950 Ein größerer Einsatz für Brahms kann dennoch nicht konstatiert werden – sieht man einmal von der in einem Konservatoriumskonzert erfolgten Uraufführung des Klavierquintetts fMoll op. 34 am 22. Juni 1866 ab. Erst ab den 1870er Jahren erscheint der Name Brahms auch wiederholt auf den Prüfungsprogrammen. 951 So berichtet Clara Schumann am 22. Dezember 1866 aus Leipzig an Brahms (zit. n. Litzmann, Künstlerleben III, S. 198): »Dein Trio (ich hatte es mir von Simrock erbeten) hatten wir schön einstudirt, und der Hornist war vortrefflich! ich glaube, er hat nicht einmal gekickst, und das will doch viel sagen, freilich hatte er Ventilhorn, zum Waldhorn war er nicht zu bringen. Das Scherzo wurde am lebhaftesten applaudirt, dann aber zündete der letzte Satz, der wie aus der Pistole geschossen ging, zumeist und wir wurden gerufen…« 952 Bereits 1874 sprach der Rezensent der AmZ anlässlich eines Brahms-Besuches in der PleißeStadt von einer regelrechten »Brahms-Woche« und von der »Anerkennung und Verehrung, welche derselbe in hiesigen Kunstkreisen genießt« (AmZ 9/8 [25. Februar 1874], Sp. 121). 1878 wurde in derselben Zeitung (Amz 13/4 [23. Januar 1878], Sp. 61) schließlich anlässlich

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suchen anreiste. Gerade Hans Huber, bekennender Anhänger Richard Wagners, bezeichnete Brahms erst nach einer Begegnung im Haus der gemeinsamen Bekannten Heinrich und Elisabeth von Herzogenberg, während der er mit Brahms dessen Ungarische Tänze spielte, als den »genialsten und geistreichsten der neueren absoluten Komponisten«.953 Vier Jahre später widmete er ihm in offenem Bezug auf die Brahms’schen Walzerkompositionen als »begeisterter Schwärmer Ihrer Musik«954 seine Walzer für Klavier zu 4 Händen, Violine und Violoncell op. 27.955 Der in Leipzig aufgewachsene Reinecke-Schüler Algernon Ashton nutzte dagegen verschiedene öffentliche Konzerte zum Kennenlernen der Werke von Brahms: Noch 1922 spricht er von dem Eindruck, den die erste Aufführung der Sinfonie Nr. 1 c–Moll op. 68 in Leipzig unter der Leitung des Komponisten auf ihn gemacht habe956 – mit Sicherheit wird Ashton auch bei späteren Leipzig-Besuchen von Brahms bei Konzerten im Gewandhaus anwesend gewesen sein. Insgesamt gehen die Widmungen durch Reinecke-Schüler weniger von einem spezifisch gestalteten Unterricht aus, als vielmehr von einer günstigen Konstellation der Rahmenbedingungen, bestehend aus einer den konservativen Kreisen zugeneigten Hochschule und einem zunehmend von Freunden des Widmungsträgers (mit-)geprägten musikalischen Leben der Stadt, das von den Studenten intensiv genutzt werden konnte. Und dennoch: Eine besondere Ge-

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eines Konzerts unter Mitwirkung von Brahms in Leipzig der Komponist als »neuerdings hier sehr gefeierte[r] Gast« bezeichnet. »Johannes Brahms weilte mehr wie acht Tage unter uns. Das Zusammenleben mit dem genialsten und geistreichsten der neueren absoluten Komponisten werde ich nie vergessen. Ich habe ihn durch Zufall und glückliches Zusammentreffen von den verschiedensten Seiten kennen gelernt; als ausgezeichneten Dirigenten, feinen Klavierspieler, wie auch liebenswürdigen Menschen. Ich hatte selbst die Ehre, im Hause von Herzogenberg mit ihm seine vierhändigen Ungarischen Tänze durchspielen zu können, was mir ungeheuer interessant und lehrreich war […]«. Brief Hubers ohne Adressat [wohl an den Vater], o. D. [1874], zit. n. Bundi, Hans Huber, S. 51f. Brahms hielt sich vom 29. Januar bis zum 8. Februar 1874 zu einer sogenannten »Brahms-Woche« in Leipzig auf und wirkte bei dieser Gelegenheit bei drei Konzerten persönlich mit. Es war der erste Besuch des Komponisten seit dem Misserfolg seiner Serenade A-Dur op. 60 im November 1860. In Hubers Zitat wird deutlich, wie klar der Wagner-Enthusiast Brahms bei aller Anerkennung von der ästhetischen Linie der ›Neudeutschen Schule‹ abgrenzte: Der Parteienstreit spiegelt sich wider. Hans Huber an Brahms, 14. Januar 1878, A-Wgm, Sign.: Brahms-Nachlass, Briefe Hans Huber an Johannes Brahms 166, 1. Vgl. zu dieser Widmung ausführlich das Kapitel IV. 2. 2, ab S. 325. Leserbrief veröffentlicht in der Musical Times (1. April 1922), S. 267 (»Mr. Scholes, how dare you?«): »This Symphony is assuredly one of the most glorious ever written, and nothing in the whole of musical literature is more wonderfully thrilling than the Introduction to the magnificent Finale. I had the privilege of hearing this Symphony under the immortal composer’s own direction, when it was first produced at Leipzig in 1876 […]«. Die Datierung wird allerdings mit größter Wahrscheinlichkeit auf falscher Erinnerung beruhen. Eine erste Aufführung im Gewandhaus, in deren Programmzettel von der Sinfonie als Novität, als »neu«, die Rede ist, fand nicht 1876, sondern erst am 18. Januar 1877 statt.

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meinsamkeit unter den Dedikationen mag indirekt aus dem Unterricht Reineckes erwachsen sein. Ungewöhnlich stark sind unter den Zueignungen Leipziger Schüler Klaviermusik-Kompositionen957 vertreten – und unter ihnen wiederum Tanzzyklen. Witte und Huber beziehen sich mit ihren Brahms gewidmeten kleinformatigen Walzern auf das Vorbild der vierhändigen Walzer op. 39, Ashton bietet mit seinen Englischen Tänzen eine individuelle Ausdeutung des nationalen Tanzes, dessen Vorbild sich in den Ungarischen Tänzen WoO 1 verorten lässt. Kammermusikalische Gattungen wie Streichquartett oder Klaviertrio sind dagegen trotz der großen kammermusikalischen Tradition des Konservatoriums nicht vertreten.958 Zeugnisse und Inskriptionslisten der Hochschule beweisen959, dass die Widmenden zum großen Teil sowohl Kompositions- als auch Klavierunterricht bei Reinecke genossen. Es nahm also neben dem Kompositionslehrer auch der hervorragende Pianist und Klavierpädagoge960 stilprägend auf das Œuvre seiner Schüler – und damit indirekt auf die Widmungskompositionen an Brahms – Einfluss.

3.3

Widmungen aus Frankfurt: Musikleben contra Hochschulatmosphäre

Das Hoch’sche Konservatorium in Frankfurt am Main961 gehört, trotz der Beschäftigung enger Brahms-Vertrauter wie der Ersten Klavierlehrerin Clara Schumann, des Gesanglehrers Julius Stockhausen und des späteren Direktors Bernhard Scholz, nicht zu den vorrangigen Multiplikatoren der Brahms-Begeisterung unter jungen Komponisten. Es ist auch nicht zu der Gruppe der Konservatorien explizit konservativer Ausrichtung zu rechnen; die Grundausrichtung der Hochschule tendierte zumindest unter der Ägide des ersten Leiters Joachim Raff bis zur Berufung des neuen Direktors Scholz (der sich aber nicht als erfolgreicher Kompositionslehrer etablieren konnte) in der Orientierung der Komponistenausbildung eher in Richtung einer ›neudeutschen‹ Ästhetik.962 957 Nämlich von sechs der neun Widmenden: Witte, Huber, Ashton, Schlegel, Rudorff und Busoni. 958 Widmungen von Werken der klassischen Gattungen der Kammermusik waren eher aus dem akademischen Umfeld Wiens zu erwarten, so gehäuft von den Schülern Felix Otto Dessoffs (der Brahms selber ein Streichquartett widmete) und Karl Nawratils (er dedizierte Brahms ein Klaviertrio). Vgl. Kap. IV. 1, S. 286. 959 Vgl. http://www.hmt-leipzig.de/hmt/bibliothek/hmtarchiv/digitales-hmt-archiv. 960 Tatsächlich wirkte Reinecke auch als Pädagoge für Klavier, Ensemble und Chor. 961 Gegründet am 22. September 1878 als Stiftung des 1874 verstorbenen Joseph Hoch, Frankfurter Bürger, zum Zweck der Ausbildung von Musikern allen Alters. 962 An dieser Stelle kann auf einige Aspekte nur hingewiesen werden. Ausführliche Angaben zur Geschichte der Hochschule sind nachzulesen in Peter Cahn: Das Hoch’sche Konservatorium in Frankfurt am Main (1878–1978), Frankfurt a. M. 1979.

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Anders ist die Situation des öffentlichen Musiklebens der Stadt am Main zu bewerten: Hier war das kompositorische Œuvre der als konservativ bezeichneten Komponisten, insbesondere dasjenige von Brahms, durchaus präsent. Dies ist vor allem mit der Person von Clara Schumann in Verbindung zu bringen: Schon in den 1860er Jahren hatte sie auf Konzertreisen in Frankfurt mit Brahms’schen Werken Begeisterung erregt963, 1878 trat sie die Stelle als Erste Klavierlehrerin am neu gegründeten Konservatorium an. Aus wiederholten Besuchen von Brahms im Haus der Freundin entwickelten sich schnell Aufführungen seiner Werke im Rahmen der sogenannten Museums-Konzerte. Regelmäßig berichtet Clara ab 1878 in ihrer Korrespondenz vom »Enthusiasmus«964 und »Beifallssturm«965, der die Aufführungen begleitete. Das Konservatorium wurde trotz seiner ›neudeutsch‹ geprägten Grundathmosphäre durch die in den Konzerten engagierten Kollegen bereits früh »zu einem Zentrum authentischer Brahms-Interpretation«966, in der Ausbildung der praktischen Musiker wurden Brahms’sche Kompositionen als Unterrichtsmaterialien eingesetzt.967 Doch hatte diese Praxis naturgemäß nur wenig bis keine Auswirkung hinsichtlich potenzieller Widmungen, da die ausgebildeten Instrumentalisten meist nicht als Komponisten hervortraten. Anders ist die inhaltliche Ausrichtung der Kompositionsklasse zu bewerten. Die deutliche Diskrepanz zwischen praktischer Musikausbildung und öffentlichem Musikleben einerseits – in deren Grenzen Brahms durchaus präsent war – und der kompositorischen Ausbildung andererseits erklärt sich durch die spezielle Disposition der Person des Leiters der Hochschule, Joachim Raff. Raff, ehemaliger Privatsekretär Liszts, ist im Spannungsfeld der ästhetischen Musikanschauungen des 19. Jahrhunderts nicht eben leicht zu verorten. Zwar wandte er sich, beginnend mit seiner Schrift Die Wagnerfrage968, zunehmend 963 Clara Schumann an Brahms, 24. November 1866 (Litzmann, Künstlerleben III, S. 196f.): »Von meinen Concert=Erlebnissen wüßte ich nur zweier besonderer Freuden zu erwähnen: die erste war die Aufführung Deines A=Dur=Quartetts in Frankfurt, das ich in zwei tüchtigen Proben bis auf ’s Feinste einstudiert hatte und eine, für Frankfurt unerhört (wo sie sich auf ihre Zöpfe noch gehörig was zu Gute thun) enthusiastische Aufnahme fand. Meine Freude, daß es so schön ging, war groß, und ich fühlte mich in der begeistertsten Stimmung und genoß in vollen Zügen das herrliche Werk!« 964 Vgl. z. B. im Brief an Mathilde Wendt (21. April 1888, Litzmann, Künstlerleben III, S. 502), in Bezug auf eine Aufführung der Violinsonate Nr. 2 A-Dur op. 100. 965 Vgl. z. B. Clara Schumann an Lida Bendemann, 13. März 1891 (Litzmann, Künstlerleben III, S. 533). Die Aussagen sind bezogen auf eine Aufführung der Variationen über ein Thema von Haydn op. 56b. 966 Cahn, Das Hoch’sche Konservatorium, S. 61. 967 Nach Cahn, Das Hoch’sche Konservatorium, S. 68, aber erstaunlicherweise nicht im am klassischen Kanon ausgerichteten Unterricht Clara Schumanns, in dessen Rahmen gar keine Werke zeitgenössischer Komponisten auf dem Ausbildungsplan standen. 968 Die Wagnerfrage. Kritisch beleuchtet von Joachim Raff. Erster Theil: Wagner’s letzte künstlerische Kundgebung im »Lohengrin«, Braunschweig 1854. Ein zweiter Teil ist nie erschienen.

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vom Kreis der ›Neudeutschen‹ ab, stand ihnen in ästhetischen Fragen aber doch näher als dem konservativen Kreis. Das äußert sich auch in dem Bemühen, von den Gründungstagen des Konservatoriums an bei der Verpflichtung von Lehrern explizit konservativer Richtung (wie Clara Schumann) jeweils ein ›neudeutsch‹ orientiertes Gegengewicht zu installieren.969 Daneben behielt der Konservatoriumsdirektor den Unterricht in freier Komposition allein der eigenen Person vor und verhinderte so eine rein konservative Ausbildung der Studenten. Als Lehrbücher für seinen Unterricht wählte Raff die verschiedenen Veröffentlichungen Ludwig Bußlers.970 Bußler – ebenfalls ›neudeutsch‹ geprägt – nannte noch 1882 am Ende seiner Geschichte der Musik im Überblick über das aktuelle Musikleben neben den ambivalent bewerteten Schumann und Chopin trotz seines erkennbaren Bemühens um Objektivität allein solche Komponisten, die im Parteienstreit zur Gruppe der ›Neudeutschen‹ tendierten, an erster Stelle werden Wagner und Liszt angeführt.971 Es ist also nicht erstaunlich, dass die Kompositionsklasse des Konservatoriums weder für Brahms-Enthusiasten besonders anziehend wirkte, noch junge Komponisten zu begeisterten Liebhabern seiner Musik oder einer konservativen Musikanschauung ausbildete. Dementsprechend beschäftigte die Anstalt zwar zum Unterricht der ausübenden Künstler Dozenten, die Brahms persönlich nahe standen und ihm eine ihrer Kompositionen widmeten (dies nicht zwingend während ihrer Zeit in Frankfurt)972, aber kaum eine Dedikation von Schülern ging aus ihr hervor. Die drei Ausnahmen – Zueignungen an Brahms sind verbürgt von den RaffSchülern Anton Urspruch, Algernon Ashton und Landgraf Alexander Friedrich von Hessen – sind dann auch auf anderweitig geknüpfte Verbindungen zu Brahms zurückzuführen. Urspruch, privater Klavierschüler von Raff und von diesem als Schüler an Franz Liszt empfohlen, wirkte nach seinem Studium als Lehrer am neugegründeten Hoch’schen Konservatorium und lernte über seine Kollegin Clara Schumann Brahms persönlich kennen. Hatte Urspruch sich vor 969 Anfangs ist dies Joseph Rubinstein, der als Gegenpart zu Clara Schumann eingestellt wird. Er scheidet allerdings bereits nach zwei Monaten wieder aus dem Lehrdienst aus. Auch in Clara Schumanns Überlegungen spielten die offensichtlichen ästhetischen Differenzen vor der Annahme der Stelle eine Rolle, in ihrem Tagebuch notiert sie ihre Zweifel: »[…] kann ich mit Raff, der mir als Musiker durchaus unsympathisch ist, an einem Institut wirken?« (zit. n. Litzmann, Künstlerleben III, S. 369, Tagebucheintrag vom 24. Februar 1878). 970 Vgl. Cahn, Das Hoch’sche Konservatorium, S. 64. Ludwig Bußler (1838–1900) unterrichtete Musiktheorie am Stern’schen Konservatorium in Berlin und verfasste musiktheoretische Lehrschriften. 971 Vgl. den Abschnitt Nachfolger [Beethovens], in: Ludwig Bußler : Geschichte der Musik. Sechs Vorträge über die fortschreitende Entwicklung der Musik in der Geschichte, Berlin 1882, S. 161–171. 972 Es handelt sich um Widmungen von Clara Schumann, Julius Stockhausen, Anton Urspruch und Bernhard Scholz. Allein die Widmung Urspruchs ist aber in der Periode seiner Frankfurter Tätigkeit entstanden.

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diesem persönlichen Kontakt noch kritisch über Brahms geäußert973, schätzten die beiden Künstler einander trotz unterschiedlicher ästhetischer Anschauungen bald sehr. Diese Wertschätzung drückte Urspruch in der Widmung seines Hymnus Ave maris stella (1889) – das erste große Chorwerk des Komponisten, komponiert unter der Verwendung eines gregorianischen Chorals – aus. Urspruch unterrichtete seinerseits ab 1884 Alexander Friedrich von Hessen am Raff-Konservatorium. Der blinde Landgraf hatte zuvor am Hoch’schen Konservatorium bei Raff studiert. An Urspruch schätzte er nach eigener Aussage besonders das »unbefangene Verhältnis« zum Parteienstreit. Nach anfänglicher Bevorzugung der ›neudeutschen‹ Musikästhetik wandte sich der Landgraf jedoch mit mehr und mehr Interesse und Verständnis den Kompositionen von Brahms zu. Seine ausgedehnten Studien führten ihn unter anderem zu den Brahms-Freunden Felix Otto Dessoff (Privatunterricht in Frankfurt), Joseph Joachim und Heinrich von Herzogenberg (am Konservatorium in Berlin). Wichtiger jedoch ist seine seit 1881 bestehende persönliche Bekanntschaft mit Brahms, die von der Verbindung zwischen Brahms und der kunstliebenden Mutter Alexander Friedrichs, Prinzessin Anna von Hessen, herrührte. Dieser hatte Brahms 1864 sein Klavierquintett f-Moll op. 34 gewidmet.974 Die Widmung des Landgrafen kann demnach unter anderem auch als Antwort (und Gegenwidmung) des komponierenden Sohnes auf die Ehrung seiner Mutter gelten. Ashton wiederum, von 1880 bis 1882 Raffs Kompositionsschüler in Frankfurt, hatte zuvor fünf Jahre bei Reinecke in Leipzig studiert, war also vor seiner Frankfurter Studienzeit durch die konservative Leipziger Schule gegangen. Auch hier ist demnach das technische und kompositorische Verständnis für Brahms nicht in Frankfurt gelegt worden, Ashton hatte vielmehr in Leipzig mehrere Aufführungen Brahms’scher Werke unter der Leitung des Komponisten besuchen können und Brahms hier höchstwahrscheinlich auch persönlich kennengelernt.975 Die Widmungen von Absolventen des Dr. Hoch’s Konservatorium zeigen, wie stark bei einer tendenziell nicht als konservativ einzustufenden kompositorischen Ausbildung eine potenzielle Zueignung vom jeweiligen Beziehungsnetz973 Vgl. z. B. einen Brief vom 21. Januar 1878 an Joachim Raff, in dem sich Urspruch über die ungerechte Aufnahme seiner Werke beschwert: »Herr Brahms und seine Clique haben nämlich durch allerhand Manöver einen ganz unfähigen und unfeinen Musiker an Herbeck’s Stelle gebracht, damit man nach den ersten 2 Konzerten sehnlichst nach Herrn Brahms wieder verlange« (zit. n. Briefwechsel zwischen Urspruch und Raff in den Jahren 1871 bis 1875, auf: http://www.antonurspruch.de/download.htm [letzter Zugriff: 19. August 2013]). 974 Brahms hatte Prinzessin Anna von Hessen über Clara Schumann kennengelernt. 975 Er besuchte nach eigenen Angaben unter anderem die Leipziger Erstaufführung der Sinfonie Nr. 1 c–Moll op. 68 im Jahr 1878 unter der Leitung des Komponisten in Leipzig. Vgl. Algernon Ashton: Mr. Scholes, how dare you?, in: Musical Times (1. April 1922), S. 267.

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werk des Komponisten abhängig ist. Alle drei Komponisten sind vor dem Zeitpunkt der Zueignung im Umfeld des engeren Brahms-Kreises zu verorten und lernten ihren späteren Widmungsträger über die Vermittlung gemeinsamer Bekannter persönlich kennen. Die Herausbildung eines positiven Brahms-Bildes ist demnach bei Schülern eines Lehrers ›neudeutscher‹ Prägung vor allem von einer grundlegenden Offenheit der jungen Künstler und den Gegebenheiten des örtlichen Musiklebens und der dort wirkenden Persönlichkeiten abhängig, die ihren kompositorischen Werdegang mit bestimmen können. Nach dem Tod Raffs wurde die Berufung Franz Wüllners als Direktor favorisiert – dieser trat die Stelle jedoch auf eigenen Wunsch nicht an976, woraufhin Bernhard Scholz das Amt angetragen wurde. Es spricht für die Bedeutung des Brahms-Kreises, der sich in so vielen Personen mit dem Netzwerk »Brahms gewidmet« überschneidet, dass allein zwei eng mit Brahms verbundene Musiker für das Amt in Frage kamen. Es mag erstaunen, dass auch nach der Berufung von Scholz (der Brahms selber eine Komposition gewidmet hatte) kein Student der Hochschule Brahms ein Werk widmete. Denn wirklich bekam das Konservatorium unter der Leitung des Brahms-Freundes insgesamt eine konservativere Ausrichtung. Dies führte sogar zur Abspaltung einiger Lehrender und Schüler, die aus Protest gegen den ›Verrat‹ gegenüber dem verstorbenen Leiter Raff im April 1883, nur einen Monat nach Dienstantritt von Scholz, das konkurrierende Raff-Konservatorium gründeten. Urspruch, der die Kompositionsklasse nach Raffs Tod geleitet hatte, schied – um eine Degradierung zu vermeiden – mit dem Antritt des neuen Leiters aus dem Dienst aus und schloss sich dem Raff-Konservatorium an. Scholz war damit offiziell der einzige Dozent für freie Komposition, hatte als Pädagoge aber nur wenige Erfolge zu verzeichnen. Schon bald lief ihm der von Brahms empfohlene Lehrer für Kontrapunkt, Iwan Knorr, den Rang als beliebtester Kompositionslehrer am Konservatorium ab. Warum nun trotz der so überaus günstigen Konstellation aus dieser Phase keine Widmung an Brahms hervorging, bleibt unklar. Vermutlich wirkte einerseits der unter Raff erworbene Ruf fort, sodass Anhänger der konservativen Richtung bevorzugt an anderen Hochschulen ihr Studium aufnahmen. Andererseits war der nur mäßige Ruf Scholz’ als Kompositionslehrer977 nicht eben förderlich, um fähige Bewerber in die Kompositionsklasse aufnehmen zu können.

976 In einem Brief an Clara Schumann begründet Wüllner die Absage mit dem Wunsch, seine Dirigententätigkeit fortzuführen. Vgl. Franz Wüllner an Clara Schumann, 21. Dezember 1882, Litzmann, Künstlerleben III, S. 440. 977 Auch die auf die gesamte Hochschule bezogene negative Presse hatte mutmaßlich Auswirkungen. 1883 erschien so ein Artikel Die Krisis des Hoch’schen Conservatoriums in Frankfurt a. M. (MWb 14/7 [8. Februar 1883], S. 84f.), in dem Scholz als »steifer Pedant von der äussersten Rechten« diskreditiert wurde.

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Zur Widmung nicht-musikalischer Werke

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Egal, ob Leipzig, Berlin oder Frankfurt: Trotz der vordergründig so eindeutigen Verbindung zwischen bestimmten Lehrern und einer hohen Anzahl an Widmungen ist die Einschätzung, dass die Wahl eines bestimmten Lehrers allein zur Begünstigung einer Dedikation an Brahms führte, zumindest teilweise zu revidieren. Unzweifelhaft sammelten sich an den Konservatorien, die der ›neudeutschen‹ Ästhetik ablehnend gegenüber standen, vermehrt Studenten, die Brahms in der Folge ein Werk zueigneten. Doch das äußere Umfeld, das Musikleben und damit die Möglichkeit, über den theoretischen Unterricht hinaus in Kontakt mit der Musik des späteren Widmungsträgers zu treten, ihn vielleicht sogar selber kennenzulernen, ist mindestens ebenso sehr von Belang: Wieder einmal erweist sich das Beziehungsnetzwerk als überaus wichtig. Trotzdem kann der Unterricht an bestimmten Hochschulen als ein Indikator für eine erhöhte Widmungswahrscheinlichkeit gelten – als erster Hinweis auf eine grundlegende Beschäftigung des Studenten mit bestimmten kompositorischen Werten, die es dann freilich durch das persönliche Netzwerk und den direkten Kontakt mit Brahms zu vertiefen galt. Grundsätzlich erfüllen die Lehrer der Konservatorien konservativer Prägung also eine multiplikatorische Funktion im Rahmen eines kompositorischen Ideals, das sie entweder selber durch persönliches Engagement erweiterten – sie also besonders begabte Schüler bewusst in ihr Netzwerk und bei Brahms einführten – oder das durch äußere Faktoren angereichert wurde.

4.

Zur Widmung nicht-musikalischer Werke

Die fächerübergreifende Widmung an berühmte Künstler ist in der Geschichte der Dedikation nicht ungewöhnlich. Auch Brahms haben zwischen 1880 und 1898 acht Zueignungen aus Bildender Kunst, Literatur und Wissenschaft erreicht, die er höchst dankbar aufnahm und in der handschriftlichen Zusammenstellung der ihm zugeeigneten Werke vermerkte. Es ist für die Rezeptionslenkung nicht unerheblich, dass alle Werke, auch die beiden Radierungszyklen Max Klingers, trotz ihrer Heterogenität in Buchform vorliegen. Dies hat vor allem Auswirkungen auf die äußere Gestaltung des Widmungstextes, die Dedikationen erhalten – angelehnt an die zeitgenössisch gängigen Formen der Widmung literarischer Werke978 – ausnahmslos ein zwi978 Im Umkehrschluss wird so die im Kapitel I. 2 erwähnte Sonderentwicklung der musikalischen Dedikation der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nochmals belegt und aufgezeigt.

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schen Titel- und Vorsatzblatt eingefügtes separates Widmungsblatt. Der typische elliptische Charakter979 und die bei Widmungen an Brahms gelegentlich noch anzutreffende Integration der Zueignungsadresse in den Werktitel (»komponiert und gewidmet«), die die Einbindung der Dedikation in den Werkzusammenhang unterstreicht, fällt mit dieser Gestaltung weg. Noch heute ist der Unterschied evident, hat sich der Brauch eines eigenen Widmungsblattes bei literarischen Werken doch weitestgehend erhalten. Da eine gewisse Popularität des Adressaten wegen der nicht zwingend musikinteressierten Zielgruppe mehr denn je Voraussetzung einer angemessen Rezeption ist, liegt die erste Zueignung später als bei musikalischen Werken: Der junge, gerade 23-jährige Leipziger Graphiker, Maler und Bildhauer Max Klinger (1857–1920), der Brahms seit jeher verehrte980, hatte ihm 1879 sein erstes zur 979 Wie bei Widmungen musikalischer Werke gehen aber auch bei literarischen Werken die Widmungsabhandlungen stark zurück, dies allerdings etwas zeitversetzt (vgl. Stört, Widmung, S. 29). In Italien waren ausführliche Abhandlungen dagegen noch bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts üblich (vgl. die Beispiele bei Maria Antonietta Terzoli: I testi di dedica tra secondo Settecento e primo Ottocento: metamorfosi di un genere, in: D¦nouement des lumiÀres et invention romantique, Actes du colloque de GenÀve, 24–25 novembre 2000, R¦unis par G. Bardazzi et A. Grosrichard, GenÀve/Droz 2003, S. 161–192 (Wiederveröffentlichung in: Margini. Giornale della dedica e altro 1 (2007) (www.margini.unibas.ch/web/ it/index.html). 980 Jan Brachmann hat das Verhältnis von Brahms und Klinger mit allen Implikationen ausführlich thematisiert (Brachmann, Brahms und Klinger). Vgl. auch Stefan Weymar : »… als ob die Musik ins Unendliche weitertöne«. Johannes Brahms und Max Klinger, in: Bezie-

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Veröffentlichung vorgesehenes Werk Radierte Skizzen op. 1981 zueignen wollen. Der Verleger hatte ihm jedoch »vom Standpunkt des Portemonnaies«982 abgeraten; im Verlagsort Brüssel waren Brahms und seine Musik offensichtlich nicht hinreichend bekannt, um als Werbung für den Verkauf eines graphischen Werks dienlich zu sein. Erst Amor und Psyche op. 5 konnte ein Jahr später mit Widmung an Brahms bei einem Münchner Kunstverlag veröffentlicht werden. Bei Widmungen von Drucken musikwissenschaftlicher Fachliteratur war die Popularität von Brahms aus anderen Gründen unabdingbar. Denn eigentlich waren ihre Urheber auf das Engste mit der kompositorischen Elite vernetzt und sprachen musikalische Fachkreise an, die Zielgruppe ihrer Veröffentlichungen war demnach früher mit Brahms vertraut. Hier rechtfertigt der Inhalt der Werke den späten Widmungszeitpunkt: Ein Komponist als Adressat musste unweigerlich als Hinweis auf die ästhetische Positionierung des Autors gelten – ein noch nicht gänzlich etablierter Komponist wäre dem nur schwerlich gerecht geworden. Auch bei augenscheinlich privaten Widmungen von Freunden spielte demnach die Rolle von Brahms im öffentlichen Leben und seine kompositorischen Fähigkeiten eine nicht zu unterschätzende Rolle. Wie auch bei musikalischen Widmungen üblich überlagern sich private und öffentliche Faktoren. Unter den Pseudonymen L. Rafael und Helene Kordelia veröffentlichte die gute Sopranistin983 Hedwig Kiesekamp (1844–1919) einige Gedichtbände.984 Mehrere ihrer Werke finden sich in Brahms’ Bibliothek, seit 1884 hatte sie ihm regelmäßig ihre neuesten Veröffentlichungen zukommen lassen, deren handschriftliche Übereignungen die Verehrung der Verfasserin bezeugen.985 Das handschriftliche Gedicht, das Kiesekamp in dem Brahms überreichten Exemplar986 ihrer ihm auch im Druck zugeeigneten Gedichtsammlung Ebbe und Flut eintrug, stellt den Kulminationspunkt dar :

981 982 983

984 985 986

hungszauber. Johannes Brahms – Widmungen, Werke, Weggefährten (= Veröffentlichungen des Brahms-Instituts an der Musikhochschule Lübeck, Bd. V), hg. v. Wolfgang Sandberger u. Stefan Weymar, München 2011, S. 20–33. Es handelt sich um eine Folge unverbundener Einzelradierungen. Sie erschien ohne Widmung. Max Klinger an den Berliner Antiquar Leo Liepmannssohn, 16. Januar 1880; vgl. Kersten, Klinger und Musik, S. 49. Ein so bekannter Komponist wie Max Reger schrieb für ihre Interpretation einige seiner Lieder. Kalbeck (Kalbeck II, S. 462) überliefert ihr erstes Zusammentreffen mit dem von ihr tief verehrten Brahms im Jahr 1873, bei dem sie dem Komponisten einige seiner Lieder vortrug. Später sang sie unter seiner Leitung in einigen Konzerten öffentlich seine Werke (z. B. als Sopran in Ein Deutsches Requiem op. 45 am 5. Februar 1876 in Münster (Kalbeck III, S. 67: »Sopran durchaus über 30 Grad R¦aumur«). Tiefen der Sehnsucht, Abendgluten, Neue Gedichte. Vgl. die Eintragungen bei Hofmann, Bibliothek von Brahms, S. 62. Vgl. Hofmann, Bibliothek von Brahms, S. 62f.

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»An Johannes Brahms. Sing ich deine Lieder wird der Tag mir hell Wird im Herzensgrunde Wach des Lebens Quell. Zieht mit Rauschen brausend durch ein selig Land, Und die schönsten Blumen Blühn an seinem Strand. Wo ich eine pflückte Ward ein Lied daraus. Nimm nun Du sie wieder die bei Dir zu Haus! Münster i. W. L. Rafael Nov. 1896 Hedwig Kiesekamp.«987

Brahms stand in seiner öffentlichen Rolle als Komponist im Fokus der Widmenden – erst dieser Umstand machte ihn zum logischen Adressaten der recht heterogenen Gedichtsammlung, als deren Inspirator er positioniert wird. Freilich wird Kiesekamp, deren Gedichte immerhin unter anderem von Max Reger988 vertont wurden, auch die Möglichkeit einer Vertonung durch den Widmungsträger in Betracht gezogen haben. Auch in der Widmung Klingers wird Brahms nicht primär als Privatperson, die Klinger noch gar nicht bekannt war, angesprochen: »Dem Musiker Johannes Brahms in Verehrung zugeeignet vom Künstler«. Tatsächlich hatte Klinger befürchtet, Brahms könne »der Wortlaut« des Widmungstexts »mißfallen«989 – diese Befürchtungen bezogen sich wohl auf den Umstand, dass Klinger sich als »Künstler« trotz seines jugendlichen Alters mit dem berühmten »Musiker« auf eine Stufe stellte. Seine Unsicherheit betonte Klinger zusätzlich dadurch, dass er im typischen Bescheidenheitstopos den Wert seiner Zueignung in Frage stellte, da sie von »einem [musikalischen] Laien« käme, er habe Brahms jedoch durch die Zueignung »für die glücklichen Stunden, die das Hören und die Erinnerung an die Aufführung Ihrer Werke mir bereiteten, einen kleinen Theil meines Dankes abgestattet«.990

987 Ebd. 988 So schrieb Kiesekamp allein die Texte für sieben der Schlichten Weisen op. 76 (Nr. 22, 27, 41, 42, 53, 54, 56) Regers, auch op. 111a/1 und 111b/2 sind auf Grundlage ihrer Gedichte entstanden. 989 Max Klinger an Brahms, 15. Dezember 1880, Kersten, Klinger und Musik, S. 164. 990 Ebd.

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4.1

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Variationen der Bezugnahme

Auch bei fächerübergreifenden Dedikationen war der Bezug auf Aspekte von Person und Werk des Adressaten das Ideal – wegen des unterschiedlichen Mediums musste er freilich anders ausfallen, als bei der Widmung musikalischer Werke. Viele berühmte Beispiele könnten unter anderem von Widmungswerken angeführt werden, die sich in der künstlerischen Ausdeutung eines konkreten Werks ihres Adressaten versuchen; die Vertonung eines literarischen Textes scheint dafür geradezu prädestiniert. Beethoven hatte so nach der Komposition seiner Kantate Meeresstille und Glückliche Fahrt op. 112 diese »dem Verfasser der Gedichte dem UNSTERBLICHEN GOETHE hochachtungsvoll gewidmet«.991 Auch Peter Cornelius widmete dem Dichter 1816 in einem ausführlichen Widmungsbrief als »einem schwachen Wiederscheine Ihrer lebendigen Schöpfungen«992 seine Bilder zu Goethes Faust. In diesen Fällen liegt die Widmung in der Verbindung des Werks zum Adressaten, dem Autor des vertonten Textes, begründet. Umgekehrt kann auch der – freilich kompliziertere – Bezug eines literarischen Werks oder einer Arbeit aus dem Bereich der Bildenden Kunst auf eine Komposition die Zueignung bedingen. So etwa in der Konzeption von Klingers Brahms-Phantasie Rad.-Op. XII993, inspiriert von Kompositionen des Adressaten und als künstlerischer Dialog weniger als Illustration denn als (dem Titel entsprechend) freie Fantasien994 über den Inhalt der Werke aufbereitet. Bereits der Werktitel lässt, wie viele Titel (Fantasie, Intermezzi, Capriccio) des musikalisch interessierten Klinger, Bezüge zum Medium der Komposition herstellen, ebenso die Nummerierung seiner Arbeiten nach Opuszahlen. Die Brahms-Phantasie geht jedoch über solch allgemeine Anklänge an die Materie der Komposition hinaus, rekurriert immer wieder konkret auf ihre musikalische Bezugsgröße und Inspirationsquelle. Inhaltlich lassen sich die Blätter in zwei Kategorien unterteilen. Da sind zum einen jene Radierungen, die Klinger auf konkrete Werke von Brahms bezieht. Zu 991 Vgl. den Widmungstext der Erstausgabe, Wien [1823], Digitales Archiv des BeethovenHauses Bonn (http://www.beethoven-haus-bonn.de/sixcms/detail.php?template=startsei te_digitales_archiv_de), letzter Zugriff: 24. November 2013. 992 Vgl. den Widmungsbrief. Goethe hatte die Zeichnungen schon vor der angetragenen Widmung in einem ausführlichen Brief vom 8. Mai 1811 gewürdigt – daraufhin nannte Cornelius die Dedikation als »Bedingung« für die Überlassung der Illustrationen an den Verleger (vgl. Peter Cornelius an den Verleger Friedrich Wenner, 29. Juni 1811). Alle Briefe als Scan unter www.goethezeitportal.de verfügbar [letzter Zugriff am 24. Mai 2012]. 993 Vgl. ausführlich Brachmann, Brahms und Klinger, S. 121–150. 994 Vgl. Max Klinger an Brahms, Brief o. D., abgedruckt bei Kersten, Klinger und Musik, S. 166: »Vor allem war es mir bei diesen Sachen nicht um ›Illustrations‹ zu thun, sondern darum, von den Entscheidungen aus, in die uns Dichtung und vor allem Musik zieht, uns blind zieht, Blicke über den Gefühlskreis zu werfen, und von da aus mitzusehen weiterzuführen, zu verbinden oder zu ergänzen.«

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diesem Zweck erstellte er nicht allein illustrierende sondern auch ausdeutende, erweiternde ›Randglossen‹, die den mitgeteilten Notentext »ergänzen«995 : Alte Liebe (bezogen auf op. 72/1), Sehnsucht (op. 49/3), Am Sonntag Morgen (op. 49/1), Feldeinsamkeit (op. 86/2), Kein Haus, keine Heimat (op. 94/5) und Schicksalslied (op. 54). Die eröffnenden Accorde, die vor dem Kapitel des Schicksalsliedes eingeordnete Evocation und die Folge der Radierungen zur Thematik des Prometheus sowie die abschließende Seite Der befreite Prometheus sind dagegen Abfolgen ganzseitiger Radierungen unterschiedlicher Länge, die keine im Werkkatalog von Brahms zu verortende Inspirationsquelle aufweisen. Sie einen den Zyklus in der Motivik des Künstlers und der Figur des Prometheus und stiften damit wiederum einen Zusammenhang zwischen den Künstlern Brahms und Klinger. Die Entstehung der Brahms-Phantasie hat allerdings auch einen biographisch motivierten Hintergrund: Brahms hatten die von ihm angeregten Titelblattentwürfe Klingers zu seinen Vier Liedern op. 96 und den Sechs Liedern op. 97, die im März 1886 bei Simrock erschienen, nicht überzeugen können.996 Nach Lesart Ursula Kerstens997 sollte die 1894 fertiggestellte Brahms-Phantasie, die ursprünglich als Geschenk zum 60. Geburtstag des Komponisten geplant worden war, als Versuch der Wiedergutmachung dienen. Gerade vor diesem Hintergrund wird ersichtlich, warum Klinger im Brief an Brahms so stark betonte, er habe nicht einen erneuten Versuch der »Illustrations«998 vorgenommen, sondern die Arbeit auf eine andere Ebene gehoben – dies sicherte der Brahms-Phantasie im Gegensatz zu den Titelblattentwürfen einen Eigenwert als selbstständiges Kunstwerk. Die Brahms-Phantasie kommt freilich, anders als Amor und Psyche, ohne die direkte Nennung von Brahms als offiziellem Widmungsträger aus. Doch dass das Kunstwerk dennoch über die inhaltlich klar formulierten Bezüge hinaus als im besten Sinn Brahms zugeeignet verstanden werden kann, zeigen die Formulierungen, mit denen Klinger Brahms von der Phantasie unterrichtete: Es sei eine 995 Vgl. ebd. 996 Vgl. Brahms an Simrock, [24. März 1886], BW XI, S. 116: »Ich kann nicht helfen – aber mir gefallen die Blätter einstweilen gar nicht, und ich glaube immer, Ihr Eilen ist schuld. Wenn Klinger jetzt keine Zeit hatte, so hätten Sie ihn in Frieden lassen sollen. Besser gelegentlich ein schönes Blatt, das schöne Wirkung macht, als jetzt diese, die, wie ich fürchte, nur erschrecken. Aber, es ist bloß meine einstweilige Meinung, ich habe sie noch niemanden gezeigt.« Und am 25. März 1886: »Jetzt ist die Geschichte einmal in den Dr[eck] gefahren – schade um die schöne u. gute Absicht – aber jetzt sind wohl weitere Versuche überflüssig. Der erste mußte überzeugen!« Zit. n. d. Original, Brahms-Institut a. d. Musikhochschule Lübeck, Sign. Bra : B1 : Sim-2 : 15. 997 Kersten, Klinger und Musik, S. 59. 998 Max Klinger an Brahms, Brief o. D., abgedruckt bei Kersten, Klinger und Musik, S. 166. Vgl. dazu auch Weymar, Brahms und Klinger, v. a. S. 22f.

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Arbeit, »die Ihren Namen trägt und auf Ihren Werken fusst«999, er lege Brahms die »Fantasie Ihres Namens zu Füßen«1000. Beide Formulierungen, die die symbolische Zueignung des Werks ausdrücken, sind Teil einer ausführlichen Korrespondenz, die das zugrundeliegende Schema der üblichen Kommunikation anlässlich einer Widmung erkennen lässt.1001 Dass auch Brahms die Sendung als Ausdruck einer Widmungsabsicht verstand, zeigt unter anderem seine Einschätzung, dass ein offizieller Dankbrief notwendig sei; er bat aus diesem Grund Simrock um die Adresse des Künstlers.1002 Auch die spätere Zueignung der Vier ernsten Gesänge op. 121 an Klinger, die einzige Brahms’sche Dedikation, die als Gegenwidmung verstanden werden könnte, weist auf diese Annahme hin. Auf andere Weise knüpfen die beiden Brahms gewidmeten musikwissenschaftlichen Veröffentlichungen von Eduard Hanslick und Hugo Riemann an Werk und Person ihres Widmungsträgers an: Die Widmung weist nicht auf eine direkte Thematisierung der Musik des Adressaten hin, sondern kann als Ausdruck der Wertschätzung und der Übereinstimmung bestimmter musiktheoretischer Sichtweisen gelesen werden. Hanslick und Riemann, anerkannte Rezensenten und Musiktheoretiker, die beide in unterschiedlichem Maße mit Brahms verbunden waren, waren aufgrund ihrer beruflichen Funktion auf das Engste in das musikalische Netzwerk eingebunden. Ihre Veröffentlichungen richteten sich dementsprechend vor allem an ihre Fachkollegen und praktische Musiker und Komponisten – jene Personen also, die mit der Musik und der ästhetischen Verortung von Brahms vertraut waren. In beiden Fällen ist die Dedikation deswegen zugleich als hermeneutischer Schlüssel zum ersten Verständnis des Inhalts zu lesen. Die Widmungen scheinen tatsächlich eher in diesem grundsätzlichen Verweis auf die musikästhetische und -theoretische Positionierung der Autoren ihre Ursache zu haben, als in einer konkreten inhaltlichen Beschäftigung mit Brahms. Hugo Riemann widmete dem »Meister Dr. Johannes Brahms« seinen Katechismus der Kompositionslehre. Er ist Teil einer vierzehnbändigen Reihe von Lehrbüchern Riemanns zu verschiedensten Themen der Musiktheorie, alle im Rahmen der Illustrierten Katechismen des Verlags Max Hesse erschienen. In Verbund mit dem Titel, der Wahrheitsanspruch erhebt und den Untersu999 Max Klinger an Brahms, Brief o. D., abgedruckt bei Kersten, Klinger und Musik, S. 166. 1000 Max Klinger an Brahms, 8. Oktober 1894, Kersten, Klinger und Musik, S. 168. 1001 Ankündigung des Werks, mit Übersendung zur Voransicht: Max Klinger an Brahms, [vor dem 26. Dezember 1893]; Reaktion von Brahms (angekündigt am 26. Dezember 1893 in einem Brief an Simrock); Übersendung des Drucks (Klinger an Brahms, 8. Oktober 1894); Dankbrief von Brahms an Klinger (o. D., abgedruckt bei Kalbeck II, S. 362). Vgl. zum Kommunikationsmodell Kap. II. 2, S. 91. 1002 Brahms an Fritz Simrock, [26. Dezember 1893], BW XII, S. 113.

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chungsgegenstand mit dem Topos des Religiösen und Sakralen in direkten Bezug setzt, wirkt der Widmungstext doppelt stark hermeneutisch aufgeladen: Brahms, der »Meister«, wird als würdiger Widmungsträger eines Katechismus indirekt als kompositorisches Ideal stilisiert, dem eine Ausnahmestellung und Vorbildwirkung zugesprochen wird. Der im Widmungstext angeführte Doktortitel, der für den Wissenschaftler Riemann von besonderer Bedeutung gewesen sein mag, suggeriert als akademische Würde eine objektiv hohe Qualität seines kompositorischen Stils. Tatsächlich ist Brahms als Beispiel für einige behandelte Punkte des Lehrbuchs auch Gegenstand der inhaltlichen Beschäftigung. Brahms erfährt zwar nicht mehr Beachtung als andere Komponisten – allein die Widmung hebt ihn aus ihrem Rahmen heraus –, doch bereits diese seinem Werk geschenkte Aufmerksamkeit missfiel ihm: »Brahms verhielt sich zunächst gegenüber meiner Absicht der Bewidmung ziemlich abwehrend. ›Sie glauben nicht, was ich unter schlechten Lehrbüchern zu leiden gehabt habe, was ich alles habe verlernen müssen‹, so etwa suchte er sich der ihm zugedachten ›Ehrung‹ zu entziehen, akzeptierte dieselbe allerdings aber doch am Ende seines Briefes.1003 Als ich ihn dann, nachdem das Unglück geschehen und das mit seinem Namen prunkende Werkchen in seinen Händen war, in Hamburg wiedersah, war er auffallend kratzbürstig, beinahe zornig und zwar, wie sich bald herausstellte, darum, weil ich sowohl in dem Buche als auch um dieselbe Zeit in Zeitungsartikeln den Versuch unternommen hatte, gewisse ›seltsame Noten bei Brahms‹ ihrer Natur und Wirkung nach zu erklären und zu begründen. Es war ihm geradezu unangenehm, daß ich klipp und klar dargelegt hatte, was er in solchen Fällen machte. ›Aber i’ bitt’ Sie, i’ bin doch dabei intressiert‹, platzte er schließlich geradezu heraus, somit meine Darstellung als richtig anerkennend und mir doch zugleich eine Art Indiskretion vorwerfend. Kein Zweifel – er liebte es nicht, sich in die Karten sehen zu lassen.«1004

Die technische Beschreibung der eigenen kompositorischen Vorgehensweise war dem Widmungsträger offenbar zu direkt, zu wenig ließ sie Raum für eigene Interpretation und die Wirkung seiner Musik. Die von ihm so forcierte Maskierung und Verschleierung von Bezügen wurde so hintertrieben. Hanslick, der Brahms seit 1855 kannte und ihm seit 1863 freundschaftlich verbunden war, hat diese Scheu seines Adressaten vor theoretischen Erklärungen seiner Kompositionen zum Thema gemacht: »Mit äußerster Strenge überwacht er jedes Wort, das nur entfernt als eine Beeinflussung zugunsten der Verbreitung oder Aufnahme seiner Werke gedeutet werden könnte.«1005 Nicht 1003 Der angesprochene Brief, der die Widmungserlaubnis enthalten hat, ist leider nicht erhalten. 1004 Dr. Hugo Riemann: Brahms und die Theorie der Musik, in: Programmheft zum 10. September 1909, 1. Deutsches Brahmsfest, Königliche Odeon München. Exemplar im Bestand des Brahms-Instituts Lübeck, als Scan (www.brahms-institut.de) digital zugänglich. 1005 Hanslick, Aus meinem Leben II, S. 16.

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ohne Grund spielt Brahms in dem ihm gewidmeten Musikalischen Skizzenbuch vordergründig keine Rolle – in Kenntnis der Brahms’schen Einstellung und mit Blick auf seine Reaktion auf die (allerdings erst zwei Jahre später erschienene) Dedikation Riemanns wird diese Zurückhaltung verständlich. Umso mehr, da Hanslick bewusst war, dass Brahms auch zu Rezensionen und Artikeln über sein Werk grundsätzlich schwieg: »Nie hat er mir über meine zahlreichen Brahms=Artikel ein Wort gesagt, obwohl es mich manchmal gefreut hätte, ihm Vergnügen gemacht zu haben. Um so freudiger überraschte mich eines Tages die Dedikation seiner reizenden Walzer zu vier Händen, op. 39. Ist doch Brahms bekanntlich äußerst sparsam mit Widmungen.«1006

Hanslick las die Brahms’sche Widmung demnach durchaus als Dank für sein Bemühen um die Verbreitung der Kompositionen. Er hütete sich aber gleichzeitig, dies im eigenen Widmungswerk (vielleicht gar durch ein nur dem Brahms’schen Œuvre gewidmetes Buch) zu akzentuieren. Vielleicht wegen des enthaltenen Brahms-Artikels hatte dementsprechend Philipp Spitta seine Aufsatz-Sammlung Zur Musik Brahms nicht offiziell gewidmet1007 – gleichzeitig aber Brahms gegenüber betont: »Daß mein Buch Ihnen gewidmet ist, werden Sie gemerkt haben. Die Form der Widmung nur weicht von der landesüblichen etwas ab, und wer sie nicht versteht, nun – der braucht sie nicht zu verstehen.«1008 Auch über den BrahmsAufsatz hinaus hätte der Inhalt eine Widmung gerechtfertigt – insgesamt scheint das Buch eine verschleierte Gegenwidmung für die Spitta zugeeigneten Motetten op. 74: Die Leerstelle erhält ihre Signifikanz so auch im Aufsatz Kunstwissenschaft und Kunst, der grundlegend das Verhältnis zwischen Theoretiker und Künstler zu fassen sucht und damit auch auf die komplexe Beziehung zwischen Spitta und Brahms bezogen werden kann.1009 Wie aber korrespondiert der Inhalt des Musikalischen Skizzenbuchs von Hanslick mit der Wahl des Adressaten? Auf den ersten Blick überhaupt nicht, beinhaltet es doch lange Artikel über Wagner und Liszt.1010 Noch unverständlicher wird die Widmung, wenn Hanslick selber berichtet, wie wenig Brahms dem Genre der Oper – dem der Hauptteil der enthaltenen Rezensionen gewidmet ist – zugetan gewesen sei: »Am wenigsten liegt ihm Opernmusik am Herzen. ›Du weißt, ich verstehe nichts vom Theater,‹ pflegt er zu sagen, wenn er schon nach dem ersten Akt einer neuen Oper, die ich mit Interesse anhöre, Reißaus

1006 1007 1008 1009 1010

Ebd. Vgl. dazu bes. Sandberger, »Musikwissenschaft und Musik«, S. 10f. Philipp Spitta an Brahms, 10. April 1892, BW XVI, S. 89. Sandberger, »Musikwissenschaft und Musik«, S. 10–13. Eine ausführliche Rezension »Tristan und Isolde« von Richard Wagner (S. 3–27) und ein Todtenkranz für Franz Liszt (S. 176–195).

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nimmt.«1011 Doch die Widmung an Brahms ist trotz dieser inhaltlichen Ausrichtung als hermeneutischer Schlüssel lesbar. Denn der ästhetische Rahmen den Hanslick vertritt, lässt sich durchaus mit den Ansichten des Widmungsträgers vergleichen. Darauf gibt die Dedikation einen Hinweis. Als Beispiel für diese inhaltliche und ästhetische Übereinstimmung kann der Nachruf auf Liszt dienen – dem Brahms nach eigener Aussage schon vor dem Erscheinen mit Spannung entgegensah.1012 Die hier von Hanslick postulierte Einschätzung der Person und Werke von Liszt stimmt tatsächlich, obwohl im Rahmen eines Nachrufs gewissen Zwängen der Pietät unterworfen, in grundlegenden Punkten mit der von Brahms zu verschiedenen Gelegenheiten vertretenen Position überein: Beide erkennen durchaus die charakterlichen Vorzüge des ›Neudeutschen‹ an1013, bedauern allerdings seine Eigenbezogenheit und Eitelkeit. Seine kompositorischen Errungenschaften beurteilen sie aus ästhetischer Perspektive negativ : Hanslick lobt so zwar die Klavierkompositionen1014, findet für die Orchestermusik aber deutliche Worte der Kritik, die sich klar von der Linie der ›Konservativen‹, die jegliche Programmmusik ablehnt, leiten lässt. Liszts Kompositionen seien »Werke von angefochtenem Werth und schwankendem Erfolg«1015, die folglich eher wegen der Persönlichkeit ihres Komponisten als aus ihrer künstlerischen Bedeutung heraus solch große Erfolge zu verzeichnen hätten: »Gemeinsam ist allen [Sinfonischen Dichtungen] das Ueberwiegen blendender Aeußerlichkeit über den musikalischen Kern, der fieberhaft nach Neuem ringenden Anstrengung über die schöpferische Kraft. Die ›Symphonischen Dichtungen‹ erwuchsen sämmtlich aus demselben falschen Princip, daß Liszt mit poetischen Elementen componiren will, anstatt mit musikalischen; daß er statt eines einheitlichen musikalischen Organismus uns die vermeintliche ›Nachdichtung‹ irgend eines berühmten PoÚms giebt, welche desto bedenklicher ausfällt, je getreuer sie sein will.«1016

1011 Hanslick, Aus meinem Leben II, S. 18. 1012 Brahms an Theodor Billroth, [8. August 1886], zit. n. Gottlieb-Billroth, Briefwechsel, S. 396: »Auf seinen Lisztartikel freue ich mich –, obwohl ein Artikel nichts ist für den Mann und seine Geschichte!« 1013 Heuberger, Brahms, S. 36: »Er pries Liszts Charakter ungemein, was er übrigens stets tat.« 1014 Eduard Hanslick: Musikalisches Skizzenbuch. Neue Kritiken und Schilderungen (= Der modernen Oper, Bd. 4), 3. Aufl., Berlin 1888, S. 173. Die Ungarischen Rhapsodien Liszts sind für ihn »wahrhaft geniale Reproduction der Zigeunermusik«. 1015 Hanslick, Musikalisches Skizzenbuch, S. 168. 1016 Zu den Sinfonischen Dichtungen vgl. Hanslick, Musikalisches Skizzenbuch, S. 174. Auch Brahms hatte gerade die Sinfonischen Dichtungen genannt, wenn er seine Abneigung gegenüber den Kompositionen Liszts ausdrückte (Heuberger, Brahms, S. 60): »Zuerst war ich bei Liszt, fand jedoch bald, daß ich nicht dorthin tauge. Da war gerade die schönste Zeit, da all das Zeug entstand, die ›Symphonischen Dichtungen‹ und dergleichen und das wurde mir bald entsetzlich. Ich war doch damals schon ein energischer Kerl und wußte,

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Aufgrund der erkannten Mängel beurteilt Hanslick die Aufnahme der Werke Liszts in den Kanon der Musikgeschichte kritisch.1017 Auch Brahms hat diese Einstellung zum Widmungszeitpunkt offenkundig geteilt.1018 Die ästhetische Positionierung Hanslicks, die innerhalb des Musikalischen Skizzenbuchs mehrfach und nicht allein im Liszt-Nachruf deutlich durchscheint, wurde demnach trotz der nicht auf Brahms bezogenen Thematik durch die Widmung bereits vor Beginn des Werktextes für den Rezipienten kenntlich gemacht. Tatsächlich hatte der bekannte Kritiker und Rezensent diese öffentliche ästhetische Rückversicherung in Fachkreisen wohl nur bedingt nötig. Doch die Widmung entsprang mit großer Wahrscheinlichkeit zusätzlich einem konkreten Anlass: Hanslick hatte Brahms in dessen Sommerresidenz am Thuner See besucht1019 und dort offenbar sein neuestes Opus fertiggestellt – die Datierung des Widmungstextes (»Hoffstetten am Thuner See. September 1887.«) gibt den Hinweis. Es ist davon auszugehen, dass Brahms an der Entstehung und Fertigstellung der Arbeit Anteil genommen und die Inhalte mit Hanslick diskutiert hatte. Ein Zusammenspiel aus persönlichem Anlass und inhaltlicher Übereinstimmung, der Zweiklang, der so oft Widmungen begleitete, scheint auf. Diese Art der Widmung verfolgte Hanslick auch in weiteren Bänden der Reihe Der modernen Oper.1020 Adalbert Kupferschmied und Gustav Wendt bezogen sich – ihren Fähigkeiten angemessen – mit ihrer Widmung nicht auf die Musik von Brahms. Um ihrer Verehrung Ausdruck zu verleihen, konnten sie sich nicht auf eigene Kompositionen oder musiktheoretische Werke stützen. Doch die persönliche Bekanntschaft mit Brahms ermöglichte ihnen die Wahl des passenden Widmungswerks. Kupferschmied, »schöngeistige[r] Arzt der Kaltwasserheilanstalt«1021 in Mürzzuschlag, wo Brahms mehrfach die Sommermonate verbrachte, traf diesen 1885 zum ersten Mal. Dem Interesse des Gastes für Land und Leute ist es zu verdanken, dass der auch literarisch tätige Mediziner Brahms seine Linguistischkulturhistorischen Skizzen und Bilder aus der deutschen Steiermark zueignete.

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was ich wollte. Nach ein paar Wochen ging ich fort und seitdem, so oft ich auch mit Liszt noch äußerlich ganz freundschaftlich verkehre, war’s wie abgeschnitten zwischen uns.« Hanslick, Musikalisches Skizzenbuch, S. 175: »Nun diese mächtige bezaubernde Persönlichkeit das Zeitliche gesegnet, wird das ›Ewige‹ seiner Tondichtungen eine harte Probe zu bestehen haben.« Er hatte nach dem Bericht Heubergers Liszt tatsächlich schon als junger Komponist gerade wegen der Sinfonischen Dichtungen abgelehnt. Heuberger, Brahms, S. 60. Brahms berichtet Simrock in einem [31. August 1887] aus Thun von der Ankunft des Ehepaares Hanslick (BW XI, S. 159). So in Fünf Jahre Musik (= Der »Modernen Oper«, Bd. 7), Berlin 1896, »Herrn Dr. Victor von Miller-Aichholz und Frau Olga von Miller zu freundlichem Andenken Ed. H. Gmunden, 11. September 1895.« Kalbeck III, S. 438.

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Auch ein weiteres Buch, das Mürzzuschlag als Terrain-Cur-Ort im SemmeringGebiet behandelt, ist in Brahms’ Bibliotheksbeständen zu finden. Gustav Wendt, der Großvater Wilhelm Furtwänglers und zum Widmungszeitpunkt Direktor des Großherzoglichen Gymnasiums Karlsruhe1022, hatte Brahms 1861/62 (das genaue Datum ist nicht bekannt) als Angehöriger des Münsteraner Kreises1023 um die Brahms-Freunde Julius Otto Grimm und Joseph Joachim kennengelernt. Auch Clara Schumann gehörte zu seinem Bekanntenkreis. Brahms und Wendt verband eine große Sympathie, es wurden sogar Urlaube gemeinsam verbracht. Brahms bewunderte die Fähigkeiten des Altphilologen und äußerte sich geradezu enthusiastisch über die ihm zugeeignete Übersetzung der Sophokles-Tragödien. Im Dankbrief1024 kündigte er eine eingehende weiterführende und vergleichende Beschäftigung mit ebenfalls verfügbaren Sophokles-Übersetzungen Donners1025 und Übertragungen der Werke Aristophanes’ sowie der Elektra des Sophokles durch Seeger1026 an. Die Dedikation war für ihn Inspiration für weitere Studien. Max Kalbeck rezipierte die Widmung deswegen sogar als Schlüssel zum Verständnis der vierten Sinfonie, die Brahms als »ein paar Entr’actes […] – was man so zusammen gewöhnlich eine Symphonie nennt«1027 bezeichnet hatte: Er führt die Bezeichnung auf die Beschäftigung mit den Tragödien Sophokles’ zurück.1028 Beide Widmungen konnten sich des Interesses ihres Adressaten an der Thematik des übereigneten Werks sicher sein – ihre Zueignung ist demnach motiviert aus der persönlichen Bekanntschaft und der damit verbundenen Kenntnis der Interessen des Widmungsträgers.

1022 Heute Bismarck-Gymnasium. 1023 Auch Hedwig Kiesekamp gehörte diesem Kreis an. In Münster ist demnach vermittelt durch die Person des Brahms-Freundes Julius Otto Grimm eine starke Konzentration besonderer Brahms-Verehrer auszumachen. 1024 Brahms an Gustav Wendt, Brief o. D., zit. n. Kalbeck III, S. 480. 1025 Donner veröffentlichte Sophokles-Übersetzungen, die 1868 schon in der 6. Auflage erschienen. 1026 Seeger, eher für Aristophanes-Übersetzungen bekannt, verfolgte jahrelang das Projekt einer Sophokles-Übersetzung, veröffentlichte aber nur die Elektra (Ludwig Seeger : Sophokles. Elektra, in: Hellas und Rom, 1. Abt.: Die Dichter des Hellenischen Alterthums in einer organischen Auswahl aus ihren Meisterwerken. Nach den besten vorhandenen Uebertragungen […], Bd. 2, hg. v. Karl Borberg, Stuttgart 1842, S. 514–557. 1027 Brahms an Hans von Bülow, zit. n. Kalbeck III, S. 447. 1028 Kalbeck III, S. 480, FN 1, dazu auch Wolfgang Sandberger: »Pathos der Sachlichkeit« – Johannes Brahms in der Deutung Wilhelm Furtwänglers, in: Brahms-Studien 14, S. 313.

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4.2

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Reaktionen des Widmungsträgers

Brahms, künstlerisch und literarisch höchst interessiert, reagierte auf nicht-musikalische Widmungen oftmals unbefangen und richtiggehend enthusiastisch: Klingers Amor und Psyche, berichtet er Fritz Simrock, habe ihm »nicht wenig Spaß gemacht, mehr als eine Sonate oder Suite«1029 ; auch die Brahms-Phantasie zog er in seiner Begeisterung vielen Kompositionen vor: »Die neueste Brahms=Phantasie nur anzuschauen, ist mehr Genuß, als die zehn letzten zu hören.«1030 Und im Dankbrief an Gustav Wendt anlässlich der ihm gewidmeten Übersetzung der Sophokles-Tragödien klingt nichts von jener oft ironisch gefärbten Distanz und Kritik durch, die trotz der stets vorhandenen Dankbarkeitsbezeugung so viele seiner Reaktionen auf zugeeignete Kompositionen färbt: »Ihr Brief und Ihre Sendung gehören zu den Freuden und Auszeichnungen, die ich als die schönsten und größten empfinde, die mir werden können. Der Gedanke, daß ein Mann wie Sie beim Abschluß einer so großen, herrlichen Arbeit meiner gedenken kann, daß meine Musik ihm in Momenten des Ruhens von solcher Arbeit etwas sein konnte, der Gedanke gibt mir ein so schönes, erwärmendes Gefühl, daß ich Ihnen dafür wie für die Widmung selbst danken muß. Lassen Sie mich nicht weiter versuchen, Ihnen auszusprechen, wie sehr und dankbar ich so seltene, ernsteste Freude empfinde – auch für das große Geschenk, das mir und der Welt dadurch wird, lassen Sie mich fürs erste nur dadurch danken, daß ich es eifrigst und liebevollst genieße.«1031

Als Laie in der Altphilologie, in Literatur und Bildender Kunst fiel es dem Widmungsempfänger leichter, die ihm zugeeigneten Werke unbefangen zu genießen, ohne ihre Qualität in der Eigenschaft des Fachmanns kritisch beurteilen zu können und zu müssen. Denn auch wenn das Werk mit seinem Namen verbunden war, blieb seine Stellung als Komponist von ihr unbeeinflusst. Anders verlief deswegen die Bewertung potenzieller Widmungen musikwissenschaftlicher und -theoretischer Fachliteratur. An dieser Stelle hatte Brahms die mögliche Aus- oder Fehldeutung seiner Kompositionsverfahren zu befürchten. Dies führte, begründet mit der Angst vor »schlechten Lehrbüchern«1032, fast zur Ablehnung der Zueignung Riemanns. Anders freilich bei Hanslick: Da seine eigene Musik in diesem Werk nicht tangiert wurde, nahm Brahms die Widmung gerne an und versuchte sogar, die Verbreitung des Bandes aktiv zu befördern.1033 Auch die anderen Werke empfahl er mit Nachdruck der Aufmerksamkeit 1029 1030 1031 1032

Brahms an Fritz Simrock, Brief o. D. [28. Juni 1881], BW X, S. 177. Brahms an Eduard Hanslick, 6. Januar 1891, zit. n. Kalbeck IV, S. 336. Kalbeck III, S. 480. Dr. Hugo Riemann: Brahms und die Theorie der Musik, in: Programmheft 10. September 1909, 1. Deutsches Brahmsfest, Königliche Odeon München (Digitalisat unter www.brahms-institut.de). 1033 Vgl. Brahms an Fritz Simrock, [18. Dezember 1887], (BW XI, S. 169).

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Netzwerk »Brahms gewidmet«

seines Bekanntenkreises1034 und wählte sie wiederholt als Geschenke1035 – neben seiner durch die Widmung durchaus geweckten Eitelkeit und Begeisterung fühlte er sich als Adressat in der Verantwortung für die möglichst weite Verbreitung des Kunstwerks, das seinen Namen trug. Hält man sich dagegen die Vorsicht vor Augen, mit der er jegliche Verbindung von Hilfestellungen seiner Seite mit ihm gewidmeten Kompositionen vermied, wird diese Haltung doppelt bedeutsam.

1034 Brahms beurteilte Amor und Psyche z. B. als »höchst interessant und talentvoll« (an Fritz Simrock, [28. Juni 1881], BW X, S. 177); er »empfahl sie [die Blätter] überall zum Ankauf« (Kalbeck III, S. 297). Simrock bat er, eine Kopie an Clara Schumann zu senden (Peter Clive: Brahms and His World. A Biographical Dictionary, Lanham, Maryland u. a. 2006, S. 264). 1035 Vgl. Brahms an Fritz Simrock, [18. Dezember 1887] (BW XI, S. 169), in dem zwei Widmungswerke als mögliche Weihnachtsgeschenke in Betracht gezogen werden: »Ich bin Weihnachtsabend in Meiningen. Wäre es wohl möglich, daß Sie mir dorthin besorgen könnten: Sophokles’ Tragödien, übersetzt von G. Wendt (Cotta). Wo möglich, schön oder überhaupt gebunden. Ist es in keiner Gestalt vorrätig, so könnten Sie mir doch Hanslicks neues Buch (gebunden) schicken?« Hanslicks Druck ist also bereits Ende 1887 erschienen, die Druckangabe, die gemeinhin das Jahr 1888 als Veröffentlichungsdatum nennt, ist offenbar falsch.

IV.

Nähe und Distanz: Brahms im Spiegel der ihm gewidmeten Werke

96 Kompositionen von 88 Komponisten können der Gruppe der Brahms zwischen 1853 und 1902 zugeeigneten Werke zugewiesen werden. Setzt man grundsätzlich die mehrfach angesprochene musikalische Passgenauigkeit der Widmungswerke zum Adressaten voraus, wird durch die hohe Zahl der Dedikationen die Bedeutung ersichtlich, die die Kompositionen von Brahms als Anregung und Inspiration, als Reibungspunkt und Reflexionsgrundlage für seine komponierenden Kollegen besaßen.1036 Die in den Widmungszahlen gespiegelte Bedeutung von Brahms steigert sich freilich dynamisch mit seiner zunehmenden nationalen und internationalen Reputation.1037 Ein erster Anstieg der Widmungen ist genau mit jenem Jahr in

1036 Natürlich ist die Zahl auch abhängig von den Widmungsgepflogenheiten. Die erst im 18. Jahrhundert endgültige Verankerung der Kollegenwidmung, (vgl. Kap. I. 2. 3), ist u. a. unabdingbare Voraussetzung. Aber auch im Rahmen des 19. Jahrhunderts und im Vergleich mit den Dedikationen an andere Komponisten der Zeit ist die Zahl der Widmungen an Brahms erstaunlich hoch. Da Komponisten auch aus pragmatischen Gründen, z. B. wegen der verkaufsfördernden Wirkung eines beliebten Widmungsträgers, Zueignungen vergaben (vgl. Kap. II. 3. 1), lassen sich mit gebotener Vorsicht anhand der Widmungszahlen auch Aussagen über die Beliebtheit eines Komponisten bei den potenziellen Rezipienten von Musikalien – den musikliebenden Laien also – treffen. 1037 Es ist allerdings zu beachten, dass nicht alle Drucke genau datiert werden können und deswegen die eruierten Zahlen nur Tendenzen abbilden. Wenn das Veröffentlichungsdatum nicht auf dem Druck genannt ist, diente die Plattennummer als Datierungshilfe (v. a. unter Benutzung von Otto Erich Deutsch: Musikverlagsnummern. Eine Auswahl von 40 datierten Listen 1710–1900, Berlin 1961. Weitere Orientierung bot das von der HTWK Leipzig und der Hochschule für Musik und Theater Leipzig projektierte »Musikverlagswiki. Arbeitshilfe zur Datierung von Musikdrucken«, http://www.musikdrucke.htwkleipzig.de/wordpress/; letzter Zugriff: 22. April 2013). In manchen Fällen konnte jedoch kein Exemplar der Erstausgabe eingesehen werden, die Widmung ist aber in Sekundärquellen zweifelsfrei belegt (so im Fall der Vier Gesänge opp. 1 und 2 von Emil Kreuz). Dann geben Opuszahl (zur Verortung des Werks im Kontext des Gesamtœuvres), Einträge in den Hofmeister’s Monatsberichten (vgl. http://www.hofmeister.rhul.ac.uk/2008/index.html), Verlagsanzeigen oder die briefliche Kommunikation anlässlich der Widmung Hinweise zur Datierung. Außerdem kann anhand der Eintragung in Brahms’ eigenhändiger Liste

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Verbindung zu bringen, in dem Brahms mit der Veröffentlichung und Aufführung von Werken wie den Ungarischen Tänzen WoO 1 und Ein Deutsches Requiem op. 45 breiten Massen bekannt wurde: Wird vor 1868 Brahms im Normalfall1038 nur ein oder gar kein Werk pro Jahr gewidmet, steigt die Zahl 1868 und 1869 bereits auf zwei Dedikationen pro Jahr an und erreicht 1870/71 mit sechs bzw. fünf Widmungen eine vorläufige Spitze. Dass dieser Anstieg mit Brahms’ Durchbruch als Komponist und den Schlüsselwerken seines Erfolgs von 1868 zusammenhängt, wird durch das Beispiel Max Bruchs verdeutlicht.1039 Die Dedikation seiner Sinfonie op. 28 ist eine der ersten primär kollegial motivierten Widmungen an Brahms1040, zuvor stammen die Zueignungen meist von Freunden und guten Bekannten.1041 Und Bruch benennt in der brieflichen Mitteilung der Dedikation die Begeisterung für Ein Deutsches Requiem op. 451042 als

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der an ihn gerichteten Zueignungen eine ungefähre Eingrenzung des möglichen Widmungszeitraums vorgenommen werden. Ausnahme ist ausgerechnet 1855, das Jahr der ersten Widmungen: Sowohl Clara als auch Robert Schumann dedizierten Brahms ein Werk. 1856, 1858, 1860–62 und 1865 ist je eine Dedikation an Brahms gerichtet worden, 1857, 1859, 1863, 1864, 1866 und 1867 keine. Die sonst obligatorische Bitte um Widmungserlaubnis fehlt in diesem Fall, dies wird von Bruch auch thematisiert. Er hoffe, so der Wortlaut, Brahms möge die Widmung »deshalb nicht weniger freundlich aufnehmen«. Vgl. Max Bruch an Brahms, 22. Dezember 1868, BW III, S. 92. Vgl. zur Beziehung von Brahms und Bruch z. B. Claudia Valder-Knechtges: Max Bruch und Johannes Brahms, in: Max Bruch in Sondershausen (1867–1870), anlässlich des ersten Max-Bruch-Festes hg. v. Peter Larsen, Göttingen 2004, S. 49–68. U. a. vom Ehepaar Schumann, von Albert Dietrich, Joseph Joachim und Grädener. Auch, wenn das konkrete musikalische Material nicht als direkte Inspiration diente,

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einen der Gründe für die Wahl von Brahms als Adressaten seiner Sinfonie. Mit zunehmendem Erfolg wird Brahms also als Widmungsträger über den Kreis seiner nächsten Freunde hinaus interessant – die steigende Wahrnehmung und Anerkennung seiner Werke durch die Kollegen spiegelt sich in der wachsenden Zahl der an ihn gerichteten Zueignungen. Für die Jahre 1878/79 ist mit insgesamt elf verbürgten Zueignungen eine weitere Spitzenzahl zu verzeichnen: Es ist der Zeitraum, in dem Brahms in schneller Folge mit seinen ersten beiden Sinfonien vor das Publikum trat und dadurch verstärkt als legitimer Nachfolger Beethovens wahrgenommen wurde.1043 Dass diese Ereignisse sich auch auf seine Rezeption durch die zeitgenössischen Komponisten auswirkten, wird durch den Anstieg der Dedikationen zumindest angedeutet. Felix Otto Dessoff hatte sich z. B., so seine Erklärung, durch die Sinfonie Nr. 2 op. 73 motiviert gefühlt, ein größeres Werk zu schaffen1044 und das Ergebnis, sein Streichquartett op. 7, deswegen Brahms gewidmet. Die Konsequenz wird vom Komponisten selber klar benannt: Der erste Satz des Quartetts sei konkret »durch ein Zurückrufen der Stimmung des 1. Satzes Deiner 2. Sinf. entstanden«.1045 Insgesamt schlagen sich die Reaktionen auf die ersten Sinfonien aber nicht in der Zueignung bestimmter Gattungen nieder. Es ist zwar in der Gesamtschau immer wieder zu erkennen, dass Werke wie die Neuen Ungarischen Tänze können demnach indirekt Widmungen mit Ein Deutsches Requiem verbunden werden: Das Werk hat die betreffenden Komponisten endgültig von Brahms überzeugt – und damit die (spätere) Zueignung ermöglicht. Landgraf Alexander Friedrich von Hessen, der Brahms 1892 sein Fantasiestück für Klavier op. 2 widmete, sagte: »Das ›Deutsche Requiem‹ war es dann auch, das mir nach einer Zeit des Schwankens die Gewißheit gab, daß Brahms d e r zeitgenössische Musiker sei, der meinem eigenen künstlerischen Schaffen am nächsten sei« (vgl. Aus meinen Erinnerungen an Brahms, in: Morgenblatt der Frankfurter Zeitung [6. Mai 1933], zit. n. Ziegler, A. F. v. Hessen, S. 64). 1043 Richard Barth zieht so mehrfach die Verbindung zwischen Beethoven und Brahms als seinem Nachfolger, u. a. in Bezug auf die Sinfonie Nr. 1 (Barth, Brahms und seine Musik, S. 44). 1044 Sein insgesamt nicht sehr umfangreiches Werkverzeichnis umfasst bis zu diesem Zeitpunkt Lieder (opp. 4, 5 und 6) und Klaviermusik (opp. 2 und 3). Vgl. das Werkverzeichnis von Joachim Draheim, in Joachim Draheim u. Albert Jahn (Hg.): Otto Dessoff (1835–1892). Ein Dirigent, Komponist und Weggefährte von Johannes Brahms. Anlässlich der OttoDessoff-Ausstellung in Karlsruhe, Wien, Baden-Baden, Chemnitz, Dresden, Frankfurt am Main, Kassel, Leipzig und Zwickau, München 2001. 1045 Dessoff an Brahms, 5. Juni 1878, BW XVI, S. 175. In einem späteren Brief geht Dessoff noch weiter auf die Inspiration ein: »Am letzten Tage des Jahres bekomme ich einen Brief von Grün, voll Entzücken über die Sinfonie. Da vergegenwärtige ich mir die Stimmung des 1. Satzes und wie schön der ist und werde über mein eigenes dumpfes Dahinvegetieren furchtbar traurig und denke, ich will doch einmal versuchen, ob ich denn wirklich garnichts zu Stande bringe und schreibe den 1. Theil vom 1. Satz nieder, und am Neujahrstage die Durchführung und in 14 Tagen war das Ding fertig.« (Dessoff an Brahms, [ca. 29./ 30. Juni bis ca. 4./5. Juli 1878], BW XVI, S. 187).

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Wallfischs Bezug auf besonders geschätzte und beliebte Kompositionen des Widmungsträgers nehmen. Dies geschieht jedoch nie in direkter Folge auf den Erstdruck des Bezugswerks. Es scheint, als habe der in diesen Fällen potenziell mögliche direkte Vergleich mit einem besonders bekannten Werk nicht nur Vorteile, sondern auch Risiken geborgen: Zu stark wurde die Aufnahme dann von der hohen, durch die Widmung geweckten Erwartungshaltung beeinflusst.1046 So verteilen sich die Werke, die in ihrer Faktur und Widmung offenkundig auf Brahms’ vierhändige Walzer op. 39 verweisen, in ihrer Veröffentlichung immerhin auf die Jahre 1868 bis 1878.1047 Und Hermann Goetz, der Brahms sein Klavierquartett E-Dur op. 6 dedizierte, »weil Ihre Klavierquartette A-dur und g-moll zuerst in mir den Gedanken anregten, diese Form zu bearbeiten«1048, ließ nach dem Druck der Brahms’schen Quartette immerhin sieben Jahre verstreichen, bevor er ihn um die Annahme der Widmung bat. Außerdem kann eine Annäherung – wie am Beispiel des Streichquartetts op. 7 von Dessoff darzustellen sein wird – durchaus auch gattungsübergreifend erfolgen. Trotzdem ist die Häufung von Widmungswerken bestimmter Gattungen in bestimmten Jahren auffällig. So fokussieren sich die ersten Widmenden deutlich auf Klaviermusik, in Dedikationen von Clara und Robert Schumann, Woldemar Bargiel und Adolf Jensen. Alle Werke rekurrieren auf jenes Instrument, mit dem sich der pianistisch ausgebildete Brahms der Öffentlichkeit kompositorisch vorstellte. Gerade der heute vorrangig als Liedkomponist bekannte Jensen bezieht sich explizit auf die drei als opp. 1, 2 und 5 veröffentlichten Klaviersonaten seines Widmungsträgers – mit der Widmung seiner Fantasiestücke für Klavier op. 7, besonders aber mit der Zueignung seiner einzigen Klaviersonate op. 25, die sich schon in der gemeinsamen, ungewöhnlichen Tonart fis-Moll mit der Klaviersonate op. 2 von Brahms verbinden lässt.1049 Die Übereinstimmung der gewidmeten Werke mit Grundzügen des Œuvres von Brahms zeigt sich in besonderer Klarheit allerdings nicht beim Blick auf das Einzelwerk, sondern in den übergeordneten Strukturen. So sind alle Gattungen, zu denen Brahms einen kompositorischen Beitrag geleistet hat, vertreten. Neben den Klavierwerken (ca. 35 %) werden vor allem Kammermusikwerke (25 %) gewidmet, Sinfonien finden sich dagegen unter den Widmungswerken nur zwei: Beide stammen aus der Zeit vor der Veröffentlichung von Brahms’ 1. Sinfonie.1050 1046 Richard Barth widmete dementsprechend Brahms nicht die von ihm direkt inspirierten Walzer für Klavier zu vier Händen op. 2 oder 4 oder die Folge seiner (allerdings ungedruckt gebliebenen) Liebes-Walzer, sondern eine Partita für Violine solo op. 10. 1047 Von Hans Huber, Georg Hendrik Witte und Theodor Kirchner, vgl. Kap. IV. 2. 2. 1048 Hermann Goetz an Brahms, 6. Juni 1870, zit. n. Bob¦th, Hermann Goetz, S. 215. 1049 Diese Widmung wurde im Rahmen von Kap. III. 1 Brahms contra Liszt: Der Parteienstreit aus Sicht der Widmenden näher betrachtet, vgl. bes. ab S. 183. 1050 Dass nach dem Entstehen dieses Werks keine Widmung einer Sinfonie mehr datiert, ist ein

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Einzig die im Vergleich zu den gewidmeten Kammermusikwerken um die Hälfte geringere1051 Anzahl zugeeigneter Vokalwerke korrespondiert nicht mit der großen Bedeutung der Gattung für das kompositorische Schaffen von Brahms. Sie kann dagegen sehr wohl mit der zumindest im Vergleich geringeren Beachtung, die den Vokalwerken seitens der Öffentlichkeit zuteilwurde, in Verbindung gebracht werden.1052 Brahms galt gerade unter den Anhängern der sogenannten ›Konservativen‹ als exzellenter Kammermusiker, wurde im Kontext des Parteienstreits als kammermusikalisches Gegengewicht gegen die ›Neudeutschen‹ positioniert. Dem entspricht, dass er von Komponisten des deutschsprachigen Raumes, für die der ästhetische Diskurs eine besonders hohe Relevanz besaß, bevorzugt mit Kammer- oder Klaviermusik bedacht wurde. Ein außergewöhnlich hoher Anteil der dedizierten Vokalkompositionen stammt demnach von im Ausland ansässigen Komponisten, besonders aus England1053, wo der Ruf Brahms’ als Kammermusiker offenbar weniger Auswirkungen hatte. Auch diese musiksoziologische Komponente, die einen Einblick in die unterschiedlichen Linien der Brahms-Rezeption ermöglicht, spiegelt sich also in den statistischen Werten des hier behandelten Werkbestands. Über die statistischen Details hinaus, die erste Zugriffspunkte auf die Brahms-Rezeption der mitschaffenden Komponisten bieten, können die Kompositionen auch inhaltlich fruchtbar gemacht werden. Denn es wird davon ausgegangen, dass die Widmungswerke in ihrer Gesamtheit als ein aus vielen und vielfältigen Facetten zusammengesetzter Spiegel wirken, der Brahms, sein Œuvre und seine kompositorische und gesellschaftliche Stellung aus der Sicht seiner komponierenden Zeitgenossen reflektiert. Besondere Bedingungen ermöglichen diesen Einblick in die über die Widmungswerke transportierte Brahms-Wahrnehmung. Eine wichtige Voraussetzung ist so, dass trotz eines neuen Geniebegriffs1054 im Untersuchungszeitraum die künstlerisch-kreative

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Hinweis auf die große zeitgenössische Bedeutung der Sinfonien von Brahms und der zunehmenden Scheu, dem großen Sinfoniker eigene Werke zu widmen. Diesem Aspekt soll in einem eigenen Kapitel (IV. 3 Sinfonie nach Brahms?) näher nachgegangen werden. Elf Vokalwerken stehen genau doppelt so viele Kammermusikwerke gegenüber. Vgl. Peter Jost: Lieder und Gesänge, in: Sandberger, Brahms-Handbuch, S. 208–267, hier S. 211. Dem wurde in Kap. III. 2. 2 Volksmusik und Chortradition – Brahms in England bereits nachgegangen. Ausgangspunkt ist die v. a. literarische »Sturm- und Drangperiode im ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhundert«, in dem das »künstlerische Genie […] an die Spitze der Menschheit gestellt [wird]«, vgl. Hans Brög: Zum Geniebegriff. Quellen, Marginalien, Probleme, Düsseldorf 1973, S. 43ff. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war dieser Geniekult zwar noch verankert, wurde aber zunehmend kritisch hinterfragt (z. B. von Friedrich Nietzsche, vgl. Susanne Kogler : Autorschaft, Genie, Geschlecht. Einleitende Überlegungen zum Thema, in: Autorschaft – Genie – Geschlecht. Musikalische Schaffensprozesse von der frühen Neuzeit bis zur Gegenwart, hg. v. Kordula Knaus u. Susanne Kogler,

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Auseinandersetzung mit Inspirationsquellen nicht verpönt war.1055 Auch Brahms schuf mit seinen Variationen über ein Thema von Robert Schumann op. 23 eine stilistische Hommage an den gerade verstorbenen Freund und Förderer1056 und konnte zu vermuteten Reminiszenzen seiner ersten Sinfonie an das Freudenthema aus Beethovens Neunter mit feiner Ironie antworten, dass doch »jeder Esel«1057 die Ähnlichkeit hören könne. Doch auch er selber diente als Bezugspunkt. Clara Schumann bemerkte so zu Heinrich von Herzogenbergs Variationen über ein Thema von Johannes Brahms zu vier Händen op. 231058 : »Man merkt wohl sehr Deinen Einfluß, doch das schadet nicht, fällt solcher auf fruchtbaren Boden«1059 Aussagen dieser Art sind ein Verweis darauf, dass die Zeitgenossen einen bestimmten ›Ton‹ mit Brahms in Verbindung brachten – ein

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Köln u. a. 2013, S. 9). Matthias Schmidt bringt diesen Prozess mit der Herausbildung einer Ästhetik »absoluter« Musik in Verbindung (Schmidt, Musikalische Selbstreflexion, S. 23). AmZ 12/34 (22. August 1877), Sp. 539f.: »Wenn ich sage, dass es hin und wieder an Brahms erinnert, so soll damit dem Componisten kein Vorwurf gemacht sein. Man kann sehr wohl sich einem Andern geistig anschliessen und dabei doch eigne Wege gehen, das zeigt ja Brahms selbst, bei dem ja anfangs auch z. B. Schumann’scher Einfluss zu verspüren war. Jeder empfängt die hauptsächlichsten Anregungen von dem, der ihm am sympathischsten ist und der Eine baut auf dem Andern weiter. So war es und so wird es in alle Zukunft bleiben. Zeigt sich im Uebrigen specifisch Eignes bei einem Componisten, so ist wenig darauf zu geben, wenn sporadisch der eine oder andere Anklang an das erwählte Vorbild sich findet. Das ist noch keine eigentliche Nachahmung, vor der allerdings unter allen Umständen gewarnt werden muss.« Im Verlauf seiner Karriere musste der Komponist dann freilich eine eigenständige Tonsprache entwickeln (vgl. zur in der zeitgenössischen Musikästhetik verankerten grundsätzlichen Forderung nach Individualität, aber auch Selbstreflexion Schmidt, Musikalische Selbstreflexion, S. 23). An dieser Stelle sei die feine Schwelle zwischen Epigonentum und lernendem Nachschaffen nur angedeutet. Sie wird in Kap. IV. 1. 1, ab S. 289, näher beleuchtet. Vgl. zur Thematik auch Walter Frisch: The Early Works of Arnold Schoenberg, 1893–1908, Berkeley 1993, S. 3f. Schon das Thema weist darauf hin: Brahms dachte, es sei der letzte musikalische Gedanke des Verstorbenen gewesen und wollte dies auch in den Noten anmerken. Eben dem Charakter des Abschiednehmens, den er im Thema spürte, fühlte er sich auch in der Gestaltung seiner Komposition verpflichtet: »Ich gebe nämlich Variationen über das Thema von Schumann heraus, das er in seiner Krankheit schrieb. Da scheint es mir nun einfach angemessen, daß man dazu schreibt: ›komponiert den – Febr. 1854‹. Frau Schumann ist nicht dafür und ich mag natürlich ihrem Gefühl nur leise widersprechen. Mir kommt jedoch eher diese Geheimnistuerei weniger zart vor, besonders da das Thema wirklich wie ein wehmutvolles leises Abschiedswort klingt und die Variationen sich nicht allzusehr von dieser Idee entfernen« (Brahms an Joseph Joachim, [29. Dezember 1862], S. 331). Auch in der konkreten musikalischen Gestaltung ist diese Anlehnung nachzuvollziehen. So stellt Brahms analog zu den Schumann’schen Geistervariationen (in denen dieser das Thema verarbeitet hatte) die ersten drei Variationen in Es-Dur und komponiert ebenso wie der Verstorbene eine Variation in kanonischer Technik. Kalbeck III, S. 109, FN 43. Es ist auffallend, dass dieses Werk die gleiche Opuszahl trägt, wie Brahms’ SchumannVariationen. Die Parallele muss in den Augen Herzogenbergs klar ersichtlich gewesen sein: Beide Werke huldigten einem musikalischen Vorbild. Clara Schumann an Brahms, 14. August 1876, Litzmann, Briefe II, S. 73.

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Ton, der sich so von dem anderer Komponisten unterschied, dass er in Werken Dritter nachvollzogen werden konnte. Brahms war klar, dass seine Werke in manchem Fall als Modell für das Schaffen von Kollegen gedient haben mochten. Er selber zog dann – durchaus mit ironisch-selbstkritischem Unterton – die Verbindung. Die Widmung von Josef Suks Klavierquintett g-Moll op. 8 nahm er so noch vor der Beschäftigung mit dem Notentext zum Anlass, einen Bezug zu seinem Klavierquintett f-Moll op. 34 zu vermuten: »›Also ein Klavierquintett! Selbstverständlich haben Sie bei der Arbeit mein Klavierquintett vor sich gelegt und immer gesagt: Nur nicht so!‹«1060 Nichtsdestotrotz erweist sich die Vermutung des Widmungsadressaten in diesem Fall als irreführend: Suks Quintett ist keinesfalls einfache Stilkopie des Brahms’schen Quintetts, sondern beweist trotz seines Status’ als Frühwerk große Eigenständigkeit. Auch im Falle der Sinfonie op. 28 von Max Bruch irrte Brahms, als er (noch ohne Kenntnis der Noten, deren Ankunft sich wegen der Weihnachtsfeiertage verspätete) allein auf Grundlage der Mitteilung der Widmung vermutet hatte, »einstweilen helfen sich Gedächtnis und Phantasie und blasen mir, so gut es geht, Trompeten und Pauken in es, zugeeignete und eigene Melodien vor«.1061 Die Kompositionen von Brahms wurden also immer wieder als Vorbild für das eigene Schaffen betrachtet – eine wichtige Voraussetzung für das Zusammensetzen eines klingenden Brahms-Bildes. Die Widmungswerke erweisen sich in mehrfacher Hinsicht als besonders gute Untersuchungsgrundlage für die Entschlüsselung1062 der verschiedenen Facetten dieses Bildes. Ein Vorteil ist die Möglichkeit der genauen Ein- und Abgrenzung des zu untersuchenden Bestandes nach einem klaren Kriterium: Die offizielle Dedikation an Brahms ist entscheidend. Wichtiger noch sind jedoch die latenten Implikationen, die in einer Widmung der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mitschwingen. Denn die Erwartungshaltung der Gesellschaft machte die Widmungskomposition potenziell zur »musik-semiotische[n] Referenz auf eine namentlich genannte Person«.1063 So sah Joseph Joachim in der vierten Veränderung der Variationen 1060 Suk, Brahms-Erinnerungen, S. 148. 1061 Brahms an Max Bruch, 25. Dezember [1868], BW III, S. 94. In der Folge lernte Brahms allerdings die ihm zugeeignete Sinfonie durchaus schätzen, vgl. Brahms an Bruch, [21. Februar 1870], BW III, S. 97f. 1062 Diese Entschlüsselung ist zu großen Teilen noch Forschungsdesiderat. In diesem Sinn äußert sich auch Walter Frisch: »nowhere do we get a genuinely critical or comparative account of Brahms’s reception among composers of the period: of how his music affected that of his followers.« (Frisch, Schoenberg, S. 4, FN 2). 1063 Vgl. Hermann Danuser: Hommage-Kompositionen als ›Musik über Musik‹, in: Jahrbuch des Staatlichen Instituts für Musikforschung Preußischer Kulturbesitz (1996), S. 52–64, hier S. 54. Dort heißt es vorher bereits (ebd., S. 53): »Eine veränderte Perspektive eröffnet sich nun allerdings dann, wenn die in Frage stehende Bezugsperson Musiker oder gar Kom-

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über ein Thema von Robert Schumann op. 9 von Brahms den Charakter der Widmungsträgerin, Clara Schumann, aufscheinen: »Das ist so rein, so keusch. Man hört die Dedikation durch!«1064 Doch auch kompositorische Bezüge sind gegeben: Clara hatte kurz zuvor dasselbe Thema in Variationen behandelt1065, darüber hinaus verschränkt Brahms in der zehnten Variation ein Thema der Widmungsträgerin mit dem ihres Mannes.1066 Der werkimmanente Bezugspunkt wird also durch eine Widmung visualisiert, als sichtbarer Verweis auf dem Titelblatt, das als »erste[r] Zugriffspunkt«1067 auf ein Werk und seinen Inhalt dient. Das gilt keinesfalls nur für Dedikationen an Brahms, sondern ist bei Werken, die Komponisten dediziert wurden, im Kontext des 19. Jahrhunderts Usus. In Rezensionen scheint diese Erwartungshaltung auf: »Es ist nur billig, jungen ungekannten [sic] Componisten mit Nachsicht engegenzukommen. Der obengenannte, dessen Namen wir zum erstenmal begegnen, tritt indeß anspruchsvoller auf. Er hat seine Composition Franz Liszt zugeeignet, und sie auf dem Titel mit dem Ausdrucke ›Phantasiebilder‹ belegt, was Beides Erwartungen erregt.«1068

Diese »Erwartungen« konnten dann mit dem Inhalt des zu besprechenden Werks abgeglichen werden, wie eine Rezension der Brahms gewidmeten Four Songs op. 1 von Emil Kreuz zeigt: »The reader may guess from the dedication that Mr. Kreuz is an admirer and disciple of Brahms«. Die geäußerte Vermutung bestätigt der Rezensent in der Folge: »and this guess he will find borne out in the

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ponist ist. Nicht, daß dabei ganz andere Schichten des menschlichen Charakters oder der Lebensführung zutage träten als bei Menschen außerhalb der Musiziersphäre, weder im positiven noch im negativen Sinn. Per se sind Komponisten weder für eine Glorifizierung noch für eine Perhorreszierung geeignet. Aber weil sie sich musikalisch artikuliert haben, bietet sich die Möglichkeit einer musikalischen Bezugnahme. Dies allererst schafft Raum für Hommage-Kompositionen, die in musikalischer Hinsicht eine Auseinandersetzung mit einer verehrten Person realisieren. Auf diese Weise – und nur so – kann die Bezugnahme auf einer Ebene erfolgen, die die ureigene Ebene der Tonkunst ist.« Joseph Joachim an Brahms, 27. Juli [1854], BW V, S. 49. Clara Schumann: Variationen über ein Thema von Schumann op. 20. Diese spezielle Variation (Nr. 10), die sich auf Claras Romanze bezieht, die wiederum als Grundlage für Robert Schumanns Impromptus op. 5 gedient hatte, wurde zusammen mit der elften Variation erst spät aufgenommen. Das eingelegte Blatt ist auf Claras Namenstag, den 12. August datiert. Vgl. auch einen Brief an Joseph Joachim vom 12. September 1854 (BW V, S. 59): »Zu meinen Variationen sind noch zwei neue gekommen, in der einen spricht Klara!« Dembeck, Texte rahmen, S. 22. NZfM 15/5 (16. Juli 1841), S. 17, Rezension der Phantasiebilder op. 10 von Adolph Heinrich Sponholz. In einer anderen Widmung an Liszt (bzw. die Weimarer Hofkapelle) wird der Druck ersichtlich, den die Komponisten durch die Erwartungshaltung verspürten. Joseph Joachim schrieb zur Übersendung seiner Hamlet-Ouvertüre an Liszt (16. November 1854, Joachim-BW I, S. 226): »[…] noch immer habe ich eine Art Scheu, sie nach Weimar zu senden. Gedruckt, und mit so gewichtiger Dedication, lassen die Dinge andres hoffen als man findet.«

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music.«1069 Die Verbindung zwischen Widmung und Werkinhalt wurde vor allem bei jungen oder unbekannten Komponisten gezogen. Waren die widmenden Komponisten dagegen etablierte Künstler, wurde die Zueignung eher als Ausdruck der Wertschätzung eingeordnet, der nicht unbedingt in die Rezension mit einfloss. Mit der durch die Zueignung erregten Erwartungshaltung konnte ein Komponist freilich auch spielen und sich bewusst vom Widmungsträger absetzen. Auch dies ist dann wiederum als ein möglicher Weg der Brahms-Rezeption zu verstehen. Im Allgemeinen konnte und kann aus einer Widmung an Brahms aber zumindest eine bestimmte Güte des entsprechenden Werks abgeleitet werden.1070 Denn dass eine Brahms gewidmete Komposition trotz möglicher Nähe zum Vorbild einem gewissen kompositorischen Anspruch genügen sollte, war unzweifelhaft – sie musste dem Anspruch des Adressaten gerecht werden, der die Widmungserlaubnis erteilte. Der Blick, der in der Folge auf das Konvolut der Zueignungen gerichtet wird, ist durch die unterschiedlichen Fragestellungen vielfältig und perspektivenreich, kann aber trotzdem nur schlaglichtartig sein: Sowohl Werke einer bestimmten Gattung, als auch inhaltlich-thematisch verknüpfte Kompositionen werden auf Spezifika untersucht, auch die Frage nach dem Ausbleiben bestimmter Dedikationen wird gestellt. So sollen verschiedene Wege der musikalischen Annäherung beleuchtet werden, die die Dedikation in den Augen der Zeitgenossen legitimierten.1071

1069 The monthly musical record (1. Juni 1889), S. 135. Die Noten der Widmungswerke von Kreuz sind leider vergriffen und konnten nicht eingesehen werden. 1070 So z. B. im Lexikoneintrag zu Richard von Perger in Wilhelm Altmanns Handbuch für Streichquartettspieler (Bd. II, S. 101), dem die Widmung an Brahms als Qualitätsmerkmal gilt: »Das erste 1886 als op. 8 herausgekommene [Streichquartett] (g) kenne ich nicht; es kann nur gut sein, denn sonst würde Brahms seine Widmung nicht angenommen haben.« Vgl. zur Annahme der Dedikation durch den Adressaten das Kapitel II. 2. 1071 Es ist nicht das Ziel der Analysen, den Kompositionen einen bestimmten ästhetischen und künstlerischen Rang zu- oder abzusprechen. Die skizzierten Kategorien, die als Entscheidungshilfen für die Auswahl der für die Analyse relevanten Werke dienen können, sind gleichfalls nicht als ausschließlich und unumstößlich zu betrachten: Auch ein Komponist, der sich seinem Widmungsträger kompositorisch als ebenbürtig betrachtet, kann sich so bewusst für die Komposition einer an das Werk des Adressaten angenäherten Hommage-Komposition entscheiden. Ein Beispiel sind die Variationen über ein Thema von Robert Schumann op. 23 von Brahms, die über die Themengrundlage hinaus das Werk des Freundes ehren. Zusätzlich spielen äußere Faktoren eine Rolle. In vielen Fällen ist die Quellenlage entweder so komplex oder so schlecht, dass eine Entscheidung nur über die Abwägung aller Vor- und Nachteile getroffen werden kann.

284

1.

Nähe und Distanz: Brahms im Spiegel der ihm gewidmeten Werke

Brahms und die »Idee der Kammermusik«1072 : Kompositorische Strategien der Nähe in ausgewählten Beispielen

Weitaus der größte Teil der Brahms zugeeigneten Werke ist der instrumentalen Kammermusik zuzuordnen: 17 Trios, Quartette, Quintette und Sextette unterschiedlicher Besetzung, daneben Sonaten und andere Werke in Solo- und Duobesetzung. Auch die 42 Klavierkompositionen sind in der Definition der Zeitgenossen teilweise dem kammermusikalischen Repertoire zugeordnet worden.1073 Insgesamt 63 der 96 Widmungswerke wären in diesem Verständnis als Bestandteil dieser Kategorie anzusehen. Die Zahl korrespondiert sowohl mit der quantitativen Bedeutung innerhalb des Œuvres von Brahms als auch mit der Wertschätzung der komponierenden Zeitgenossen. Im Detail lassen sich weitere Analogien zum Werkkatalog von Brahms erkennen: So ist bei Auswertung der Kammermusik für die Besetzung Trio und größer die Anzahl der Werke mit Klavier (zehn von 18 Kompositionen) recht hoch. Auch Brahms verwendet immerhin in der Hälfte seiner Werke in Parallelbesetzung das Klavier. Wie große Bedeutung das Vorbild des Widmungsadressaten für die Betrachtung des konkreten gewidmeten Einzelwerks potenziell haben kann1074, wird auch dadurch ersichtlich, dass bei fast allen Dedikationen (mit Ausnahme des Streichquintetts op. 47 von Bernhard Scholz) bereits ein Werk in analoger Besetzung von Brahms vorlag. Nur die Partita für Violine solo von Richard Barth fällt aus diesem Bezugsrahmen – sie findet ihre Eignung als Widmungswerk in anderen Parametern.1075 Besonders deutlich wird der potenzielle Zusammenhang zwischen 1072 Geprägt wurde dieser Satz von Carl Dahlhaus als Titel seines Aufsatzes im ersten Band der Brahms-Studien (Dahlhaus, Brahms und Kammermusik). 1073 Die Definition der Kammermusik ist in der Brahms-Zeit ein problematisches Feld. Vgl. grundlegend Hartmut Krones: Zum Begriff der »Kammermusik« in nachklassischer Zeit bis zum Tod von Johannes Brahms, in: Die Kammermusik von Johannes Brahms. Tradition und Innovation. Bericht über die Tagung Wien 1997, hg. v. Gernot Gruber, Laaber 2001, S. 121–138. Anhand zeitgenössischer Lexikoneinträge lässt sich das unterschiedliche Verständnis der Kammermusik verfolgen. Adolf Prosniz zählte 1875 zur Kammermusik noch »Claviermusik in ihren zahlreichen Formen« (zit. n. ebd., S. 126), teilweise gehörte auch Vokalmusik dazu. 1074 Denn es fordert »an nahezu jedem Werk den Blick auf das Davor und das Danach – mithin auf den Besetzungs- oder Gattungskontext einer Komposition –, um einzelne Aspekte im historischen Kontext adäquat deuten zu können.« (vgl. Kube, Tradition und Innovation, S. 149). 1075 Sie betont vor allem die gemeinsame Bachbegeisterung, vgl. S. 196. Das oftmals als Morceau romantique en quintette (z. B. MWb 14/26 [21. Juni 1883], S. 333) bezeichnete Werk Elie-Miriam Delabordes ist dagegen eigentlich für die Besetzung Klavier mit kleinem Streichorchester (»Double quatuor au minimum«) geschrieben. Auch der Komponist selber führte das Werk allerdings wiederholt in Quintettbesetzung auf (vgl. ebenfalls MWb 14/26 [21. Juni 1883], S. 333) und legitimierte so die Einschätzung der Zeitgenossen.

Brahms und die »Idee der Kammermusik«

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Œuvre des Widmungsadressaten und Gattung der zugeeigneten Werke jedoch in der Widmung des Klarinettenquartetts Es-Dur op. 1 von Walter Rabl: Er kann zwar kein Quartett derselben Besetzung von Brahms als Vorbild nennen, hat aber durch das Klarinettentrio op. 114, das Klarinettenquintett op. 115 und die zwei Klarinettensonaten op. 120 der von Brahms am Ende seines Lebens besonders forcierten Kammermusik mit Klarinette einen klaren Bezugsrahmen.1076 Fast alle kammermusikalischen Werke von Brahms werden demnach durch Widmungswerke gespiegelt, nur die exotische Besetzung des Horntrios op. 40 hat keine Parallelkomposition.1077 Brahms’ kammermusikalische Werke werden bereits zeitgenössisch zu den »durch ihre Bedeutung quasi-classischen Schöpfungen«1078 gezählt und damit zum gleichsam wichtigsten Vertreter eines historischen Kontexts, in den das Zueignungswerk gestellt wird.1079 Unzweifelhaft wurde Brahms gerade im Streit um die Ausrichtung der Musik ›nach Beethoven‹ als kammermusikalische Identifikationsfigur zur Abgrenzung gegenüber den ›Neudeutschen‹ ausgerichtet.1080 Denn in der Einschätzung der ›Zukünftler‹ galt die Komposition von Kammermusik noch in den 1880er Jahren verbreitet nicht als lohnend, wie Rudolf Louis in der Rückschau berichtet: »›Ich selbst erinnere mich,‹ so erzählt er, ›wie wir als angehende Musikbeflissene Ende der achtziger Jahre uns in einer gewissen Nobile sprezzatura aller Kammermusik gefielen, die wir – mit der einzigen großen Ausnahme der letzten Quartette Beethovens – auch in ihren Meisterwerken (deren Schönheiten wir uns darum keineswegs verschlossen) als eine mindere Gattung ansahen. ›Kammermusik verdirbt den Charakter‹ –, so ging damals unter uns die Rede‹«1081 1076 Die Zueignung Rabls wurde allerdings durch die auch von Brahms protegierte Ausschreibung eines Wettbewerbs für Kammermusik mit mindestens einem Bläser (dazu Behr, Brahms, S. 198–203) zumindest mit angeregt. Der äußere Anlass ist also nicht allein in der unabhängigen kompositorischen Inspiration durch den späteren Widmungsadressaten zu suchen, er liegt vielmehr auch in der Dankbarkeit dafür begründet, dass Brahms das Werk nach der Preisvergabe an Simrock zum Verlag empfahl. 1077 Georg Hendrik Witte sandte jedoch immerhin Brahms sein Hornquintett (1871) zur Begutachtung und Kritik – an dem dieser die mangelnde Eigenständigkeit der Hornstimme bemängelte (vgl. Gaston Dejmek: Georg Hendrik Witte. Leben und Werk – Ein Beitrag zur Geschichte des Essener Musikvereins, in: Musikfest der Stadt Essen vom 12. bis 17. März 1938. Festschrift aus Anlaß des 100jährigen Bestehens des Essener Städtischen Musivereins, hg. v. Stadtamt für Kunst, Essen 1938, S. 8–40, hier S. 31). 1078 MWb 13/14 (30. März 1882), S. 162. 1079 Kube, Tradition und Innovation, S. 172, stellt die Streichsextette von Brahms in ihrer Funktion als »Muster einer sich erst spät etablierenden Gattung« heraus. Brahms gewidmet ist in dieser Tradition das Streichsextett George Alarys, dass in Kubes Liste von Sextetten bis 1918 auch Erwähnung findet. 1080 So z. B. durch Hermann Deiters in einer Rezension der drei Streichquartette von Brahms in der AmZ 13/30 (24. Juli 1878), Sp. 472. 1081 Diese Einschätzung Rudolf Louis’ wird überliefert bei Willi Kahl: Die Neudeutschen und die Kammermusik, in: Die Musik XX/6 (März 1928), S. 429–433; hier S. 430.

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Nähe und Distanz: Brahms im Spiegel der ihm gewidmeten Werke

Diese ästhetische Positionierung schlug sich auch in den Widmungen an Brahms nieder.1082 So kommen im Vergleich relativ wenige an ihn gerichtete kammermusikalische Werke aus dem Ausland, wo die Diskussion weniger präsent war. Dagegen zeigt sich eine Häufung bei Komponisten jener Städte, in denen Brahms über einen längeren Zeitraum ansässig gewesen war : Überdurchschnittlich oft stammen sie aus dem Wiener1083 und Hamburger1084 Umfeld. Damit wird zumindest ein Kontrapunkt zur Einschätzung Otto Bibas gesetzt, dass in Wien die Kammermusik von Brahms nicht verstanden worden sei.1085 Die sehr konservative Ausrichtung des Wiener Musiklebens1086 begünstigte vielmehr die kompositorische Beschäftigung mit Brahms auf kammermusikalischer Ebene. Dies zeigt sich beispielsweise in der Dedikation des Klaviertrios Nr. 2 Es-Dur op. 35 von Carl Georg Peter Grädener in der unmittelbaren Nachfolge des Manifests gegen die ›Neudeutschen‹. Gerade diese Dedikation, die kurz vor dem Umzug des Hamburgers in das konservative Wien datiert, kann auch als kalkulierte Selbstdarstellung und Einführung in das umkämpfte Wiener Konzertleben gelten. Imogen Fellinger hat darauf hingewiesen, dass die durch die Komposition von Kammermusik vertretene ästhetische Positionierung für Brahms zwar durchaus relevant war, er jedoch vielmehr gerade in dieser Gattung den Anspruch des Schaffens dauerhafter Musik verwirklicht sah. Deswegen sei seine Selbstkritik gegenüber eigenen Werken an dieser Stelle am ausgeprägtesten gewesen.1087 Dem entspricht, dass Brahms auch über die Grenzen der Parteienbildung hinweg im Bereich der Kammermusik als stilbildend und -konstituierend anerkannt wurde. Denn während für Komponisten der Generation um Brahms die durch eine kammermusikalische Widmung mögliche Positionierung im Parteienstreit unweigerlich eine mehr oder minder große Rolle spielte, war dieser Aspekt mit dem Aufwachsen einer neuen Generation zunehmend zu vernachlässigen.1088 Trotz allem blieb Brahms jedoch eine kammermusikalische Größe, mit der sich jeder junge Komponist in seinem Schaffen auseinander 1082 Vgl. Kap. III. 1. 1 Öffentliches Zeugnis – Die Widmung als Positionierung im Parteienstreit. 1083 Knapp die Hälfte (nämlich acht von 17) der kammermusikalischen Widmungswerke im engen Sinn (Trio, Quartett, Quintett, Sextett) kommen von in Wien ansässigen Komponisten (d’Albert, Dessoff, Fuchs, Nawratil, Perger, Rabl, Rückauf) oder von Komponisten, die Brahms in Wien kennengelernt hatten und die Widmung in diesem Kontext vergaben (v. a. Fritz Kauffmann). Diese Zahl ist besonders beachtlich, da die Wiener Widmenden in der Gesamtzahl nur ca. ein Fünftel aller widmenden Komponisten ausmachen. 1084 Thieriot und Grädener, der allerdings sowohl dem Wiener als auch dem Hamburger Kontext zuzuordnen ist. 1085 Biba, Kammermusik, S. 54f. 1086 Dazu u. a. Biba, Kammermusik im Wien der Brahms-Zeit. 1087 Fellinger, Kammermusik, S. 21. 1088 Vgl. Kap. III. 1. 2, ab S. 174.

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setzen musste. Unabhängig von Parteinahmen in den musikästhetischen Diskussionen war er weiterhin Vorbild und idealer Widmungsadressat, gerade, da kompositorische Kapazitäten wie Liszt oder Wagner das Feld der Kammermusik im engeren Sinn1089 nicht bereichert hatten. War Wagner für den Bereich der Oper und Liszt für Klavierwerke und Sinfonische Dichtungen der ideale Bezugspunkt, war Brahms dies für Trios, Quartette und Quintette. Doch seine Dominanz auf diesem Gebiet, die ihn einerseits für eine Widmung so attraktiv machte, barg für die Komponisten auch Gefahren. Da anhand der Information der Zueignung mit einer gewissen musikalischen Annäherung gerechnet wurde, waren Rezensenten gegenüber dem Notentext schnell mit dem Vorwurf des Epigonentums bei der Hand. Das Ziel, als eigenständiger Komponist wahrgenommen zu werden, war damit gefährdet. Deswegen spiegelt sich auch der große Anspruch Brahms’ gegenüber den eigenen kammermusikalischen Werken im Widmungsverhalten der zeitgenössischen Komponisten. Aus beiden Gründen hatte Eugen d’Albert Brahms erst sein zweites Streichquartett Es-Dur op. 11 »verehrungsvollst« gewidmet – obwohl gerade das erste Streichquartett op. 7 stilistisch besonders mit Brahms in Verbindung gebracht wurde.1090 Dem zweiten, als »Prachtopus«1091 gefeierten Quartett wurde dagegen größere Reife bescheinigt: »[…] eine schöne Individualität spricht sich in Jedem ihrer Takte aus. Wenn heute Jemand den liebenswürdigen Componisten fragen wollte, zu welcher Richtung er sich bekenne, so darf er wahrlich stolz antworten ›selber Aner‹. Ja, er hat sich selbst gefunden; ein schöner Sieg über fremde Einflüsse, über eigene Unsicherheit ist errungen, und es klingt etwas wie Siegesjubel aus dem letzten Satz des Quartetts […]«1092

Nichtsdestotrotz finden sich auch in dem musikalisch eigenständigen Werk Anknüpfungspunkte, die aus einer gemeinsamen musikalischen Ästhetik resultieren und für die erforderliche grundlegende musikalische Nähe zum Adressaten sorgen: So wurde z. B. in einer Rezension die große Eigenständigkeit der Stimmen erkannt, die das Werk geradezu sinfonisch wirken lassen.1093 Auch der Kammermusik von Brahms wird gemeinhin eine enge Verbindung zu sinfonischer Musik bescheinigt.1094 Trotz der bewussten Distanz im Widmungswerk 1089 Franz Liszt war als Klaviermusikkomponist und Konzerpianist, der die Werke in sein Repertoire aufnehmen konnte, natürlich auch für Widmungen interessant. 1090 Vgl. z. B. Altmann, Handbuch für Streichquartettspieler II, S. 149f. 1091 MWb 26/7 (7. Februar 1895), S. 83. 1092 MWb 24/24 (25. Mai 1893), S. 315f., Rezensent: Martin Krause. Auch Altmann, Handbuch für Streichquartettspieler II, S. 149f., weist auf die größere Selbstständigkeit der Tonsprache im Gegensatz zum an Brahms orientierten ersten Streichquartett op. 7 hin. 1093 Vgl. ebd. 1094 Robert Schumann hat schon den ersten Kammermusikwerken von Brahms bescheinigt, »verschleierte Symphonien« zu sein (vgl. Barth, Brahms und seine Musik, S. 56). Dieser

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geht d’Albert aber bereits in der Wahl des Adressaten seines ersten Streichquartetts einen ersten Schritt auf dem Weg einer ›strategischen Einkreisung‹ des kompositorischen Bezugspunkts Brahms: Es ist dem guten Brahms-Freund »Herrn Professor Dr. Joseph Joachim in Verehrung gewidmet«. Brahms und d’Albert waren zwar zum Zeitpunkt der Veröffentlichung schon fünf Jahre persönlich miteinander bekannt, doch d’Albert galt Brahms bislang nur als hervorragender Pianist. Joachim konnte sich als Geiger nicht nur für die Aufführung des ihm gewidmeten Quartetts einsetzen, sondern auf diesem Weg auch Brahms mit dem ersten veröffentlichten Kammermusikwerk d’Alberts bekannt machen. Es ist jedenfalls bezeichnend für d’Alberts Brahms-Bild, dass erst der Gattungsdiskurs des Streichquartetts ihn, der seinen Katalog gedruckter Werke mit der orchestralen, großen Form eröffnet hatte1095, zur Widmung veranlasste, obwohl er Brahms in seiner Rolle als Interpret eher mit den Klavierkonzerten opp. 15 und 83 verknüpfen musste. Doch auch bei anderen Komponisten begegnet wiederholt der Wunsch, Brahms nur das Beste der eigenen kammermusikalischen Produktion zu widmen. Bernhard Scholz war sich so sicher, in seinem Streichquintett op. 47 Brahms »das beste, was ich bis jetzt an derartigem geschrieben habe« zu widmen.1096 Es ist bezeichnenderweise gerade er, der sich zusätzlich weiteren Vergleichen mit Brahms entzieht, indem er eine Gattung wählt, die Brahms zu diesem Zeitpunkt noch nicht bedient hatte. Felix Otto Dessoff, der wegen kompositorischer Zweifel »aufrichtig gestanden, recht bange [war], ob nicht andere Leute die Widmung als eine Dreistigkeit meinerseits auffassen würden«1097 gab das Widmungswerk erst in den Druck, als Brahms ihn von der Qualität seines Streichquartetts überzeugt hatte. Umgekehrt wird die besonders sorgfältige Auswahl kammermusikalischer Widmungswerke auch darin ersichtlich, dass Brahms selber in einigen Fällen gerade das ihm zugeeignete Kammermusikwerk als herausragendes Opus des Werkkatalogs der betreffenden Komponisten einschätzte, so z. B. bei Robert Fuchs1098, Heinrich von Herzogenberg1099 oder Eugen d’Albert.1100 Für die analytische Betrachtung mit dem

1095 1096 1097 1098 1099

sinfonische Zuschnitt wurde in der Folge auch im Brahms gewidmeten Klaviertrio op. 35 von Grädener erkannt (Deutsche Musik-Zeitung 2/47 [23. November 1861], S. 372). Z. B. eine Suite op. 1, das Klavierkonzert op. 2, die Sinfonie op. 4. Vgl. Bernhard Scholz an Brahms, 28. Juni 1878, BW III, S. 218. Felix Otto Dessoff an Brahms, 30. Oktober 1878, BW XVI, S. 207. »Besonders tief geht Fuchs ja nirgends; in den Symphonien streift er hie und da das Tiefere. Aber er ist so anmutig, in seinen Grenzen, die er doch nur in dem mir gewidmeten Trio ernstlich überschritten hat.« Vgl. Heuberger, Brahms, S. 48, Anh. 33. Z. B. Brahms an Elisabeth von Herzogenberg, 22. Dezember 1886, BW II, S. 136. Auch Brahms an Heinrich v. Herzogenberg, 28. März 1884, BW II, S. 23: »Ich war recht sicher, mich der Musik freuen zu dürfen, es ist so sehr der Fall, daß ich mich einstweilen scheue, die Feder laufen zu lassen. Ich möchte zu sehr loben, und Sie gar irgendwie mißtrauisch werden! Jedenfalls aber ist das große Opus Ihr bestes, und wenn Ihre Frau es nun am

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Ziel, Spuren der Brahms-Rezeption anhand der dedizierten Werke nachzuvollziehen, sind freilich gerade jene Kompositionen interessant, die sich trotz dieser Bestrebungen mutmaßlich in einigen Punkten in besonderer Weise an das Vorbild ihres Adressaten anlehnen. Die Auswahl kann in Grenzen bereits anhand äußerer Faktoren getroffen werden – um sie nachvollziehbar zu gestalten, seien allerdings zuerst einige Überlegungen zum Begriff des Epigonalen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erlaubt.

1.1

»Sclavische Abhängigkeit«? – Einige Überlegungen zum Begriff des Epigonalen

Der Begriff des Epigonen, abgeleitet vom Altgriechischen »epigonoi« (Nachgeborener), war bis weit in das 18. Jahrhundert hinein keinesfalls negativ belegt; erst mit Aufkommen eines spezifischen Geniebegriffs wurde der Epigone in der Kunst zunehmend als schöpferisch minder begabter Gegenentwurf zum genialen Künstler positioniert.1101 Doch noch weit im 19. Jahrhundert ist eine sehr ambivalente Wahrnehmung nachzuverfolgen, eine einheitliche Definition hatte sich nicht durchgesetzt. Während Karl Immermann 1836 in seinem vielzitierten Roman Die Epigonen eine Haltung kritischer Reflexion einnahm1102, fühlten sich die Herausgeber der 1846–48 erschienenen Zeitschrift Die Epigonen als Nachfolgende im positiven Sinn: Sie stilisierten sich als Erben des freiheitlichen Gedankenguts der Französischen Revolution, deren Fehler und Unzulänglichkeiten allerdings nicht negiert wurden – die Schwierigkeiten, an denen die Vorväter scheiterten, galt es in produktiver Nachfolge vielmehr zu überwinden.1103 Erst um 1860 sind in deutschen Lexika erste Einträge zum Stichwort »Epigone« belegt, was auf eine zunehmende Verankerung im Sprachgebrauch und eine Vereinheitlichung der Definition hinweist.1104 Damit beginnt sich auch eine kritische Bewertung des Epigonen in der Kunst durchzusetzen – 1889 wird

1100 1101 1102 1103

1104

Klavier durchschwärmt, da denken Sie nur, daß ich von Anfang bis Ende sehr vergnügt sekundiere.« Vgl. den Bericht bei Heuberger, Brahms, S. 77. Vgl. zum Wandel der Definition des Begriffs u. a. Manfred Windfuhr : Der Epigone. Begriff, Phänomen und Bewußtsein, in: Archiv für Begriffsgeschichte 4, Bonn 1959, S. 182–209. Karl Immermann: Die Epigonen. Familienmemoiren in neun Büchern, in ders.: Werke, hg. v. Benno von Wiese, Bd. 2, Frankfurt a.M., Wiesbaden 1971–1977, S. 120. Vgl. Die Epigonen, in: Die Epigonen 1 (1846), S. 7–15. Der Begriff des Epigonen wird von den herausgebenden Junghegelianern damit eigentlich im etymologischen Sinn des Nachgeborenen und Erben verwendet, der zwar in einer gewissen Tradition steht, diese aber überwinden kann. Vgl. Hartmut Wecker : Der Epigone Ignaz Brüll. Ein jüdischer Komponist im Wiener Brahms-Kreis (= Reihe Musikwissenschaft, Bd. 5), Pfaffenweiler 1994, S. 16.

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als Definition in der vierten Auflage von Meyer’s Konversationslexikon angegeben: »Im weitern Sinn bezeichnet man in der Literatur und überhaupt in der Geschichte als E. diejenigen, welche sich aus Mangel an eignen schöpferischen Fähigkeiten darauf beschränken, die Ideen ihrer epochemachenden Vorgänger weiter zu verbreiten und zu verarbeiten.«1105

Doch noch immer ist gerade auf dem Gebiet der Kompositionskunst nicht jede Form des »Nachschaffens« negativ belegt, drei grundlegende Formen lassen sich unterscheiden. Der Epigone im eigentlichen Sinn ist demnach ein Komponist, der aus Mangel an schöpferischer Kraft sein Schaffen ganz nach den Modellen eines Vorgängers ausrichtet, ohne diese Anlehnung als Schwäche der eigenen Arbeit zu erkennen und zu bekämpfen1106 : Er ist von der Qualität des eigenen Tuns überzeugt und sieht die Kritik seiner unmittelbaren Zeitgenossen als ungerechtfertigt an. Klar davon abzugrenzen sind Künstler, deren Schaffen zwar epigonale Züge aufweist, die sich aber des eigenen Unvermögens deutlich bewusst sind und eben »durch die Einsicht in die eigene Abhängigkeit zur Überwindung dieses Zustandes gelangen können«.1107 Die Fähigkeit zur Selbstkritik und -reflexion und der Wunsch, die Abhängigkeit zu überwinden und allzu klare Übernahmen zu vermeiden, bewahrt sie demnach vor der Veröffentlichung rein epigonaler Werke. Felix Otto Dessoff formulierte den kompositorischen Anspruch in Bezug auf seine Fünf Lieder op. 8: »Daß ich nicht aus ›eigenem tiefen Bronnen‹ schöpfen kann, darüber kann ich ja wohl keinen Augenblick unklar sein. Wenn ich mich nun an einen Componisten anlehne, so mache ich mir auch gar keine Vorwürfe darüber. Nur wäre es mir peinlich, wenn diese Anlehnung am Ende sclavische Abhängigkeit oder gar Plünderung wäre.«1108

Dieses Bewusstsein für die Grenze zwischen eigenschöpferischer Arbeit mit epigonalen Zügen und rein epigonalen Werken mit plagiativen Tendenzen hob die oftmals nur gelegentlich kompositorisch Tätigen aus der Masse der unbewussten Epigonen hervor.1109 Auch die Rezensenten verbanden mit der Anleh1105 Art. »Epigone«, in: Meyer’s Konversationslexikon, Bd. 25, 4. Aufl., Leipzig 1889, S. 698. Auch Franz Brendel bezeichnete Epigonen als Künstler, die die Leistung der Genies »ausbeuten« (in Liszt’s symphonische Dichtungen, zit. in: Wolfram Steinbeck: Die Symphonie im 19. und 20. Jahrhundert, Bd. 1: Romantische und nationale Symphonik [= Handbuch der musikalischen Gattungen, Bd. 3/1], Laaber 2002, S. 159). 1106 Diese Komponisten werden meist rein negativ bewertet: »Es sind die den bahnbrechenden Genies sich anschließenden Nachfolger, die das weiter ausbeuten, wozu jene den Grund gelegt haben« (so Franz Brendel in: Liszt’s symphonische Dichtungen, S. 142f., zit. n.: Steinbeck, Symphonie, S. 159). 1107 Wecker, Ignaz Brüll, S. 17. 1108 Felix Otto Dessoff an Brahms, 30. Oktober 1878, BW XVI, S. 207f. 1109 Eine Äußerung in der AmZ aus dem Jahr 1816 zeigt aber, dass direkte Übernahmen selten

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nung an die Tonsprache eines anderen Komponisten in speziellen Fällen nicht nur negative Konnotationen, wie Martin Krauses Rezension der Sinfonie c–Moll op. 50 Herzogenbergs zeigt: Sie sei ihm, so der Rezensent, »als eine einzige Riesenreminiscenz, allerdings im besten Sinn des Wortes, an Johannes Brahms erschien[en].«1110 Auffällig ist, dass gerade solche Werke – so auch die Sinfonie Herzogenbergs – oftmals keine Widmung tragen, der Komponist sie also offenkundig nicht noch stärker mit dem stilistischen Bezugspunkt in Verbindung bringen wollte. Überwiegend positiv wurde schließlich das Bemühen junger Komponisten erkannt, sich zu Übungszwecken in die Nachfolge eines großen Meisters zu stellen, das stilnachschaffende Komponieren1111 galt dann als Übergangsstufe auf dem Weg zur eigenen Tonsprache des gereiften Künstlers. So bemerkte Hermann Kretzschmar 1884 in Bezug auf die unmittelbar dem ersten Widmungsopus an Brahms vorausgehenden Kompositionen Herzogenbergs: »Den Charakter einer Durchgangsepoche tragen einzelne der neuen Werke unverkennbar. Momente der Anlehnung an Brahms und an Schumann sagen uns deutlich, dass der Componist seine Bildung noch nicht abgeschlossen hat. Wenn er eines Tages – und vielleicht ist dieser Tag ziemlich nahe –, zu voller Selbständigkeit durchgedrungen, seine Kräfte alle sammeln wird, so dürfte uns ein Meisterwerk ersten Ranges im grossen Stile gewiss sein […]«.1112

Auch die jungen Komponisten selber sahen das Nachschaffen als Notwendigkeit auf dem Weg zum eigenständigen Künstler. Sie vollzogen die Annäherung an stilistische Vorbilder durchaus bewusst, wie Alexander Zemlinsky in Bezug auf seine Brahms-Bewunderung zu berichten weiß: »Aneignung und Beherrschung als Vorsatz des Komponisten aufgefasst wurden: »Musikalische Diebstähle sind selten eigentlicher Raub fremden Eigenthums, sondern Entlehnungen aus Armuth. Statt origineller Melodien wachsen in dem Nicht-Genie Reminiszenzen des Schongehörten.« (AmZ 18/49, 4. Dezember 1816, Sp. 847–848, zit. n. Behr, Brahms, S. 44). 1110 Martin Krause, in: MWb 16/12 (12. März 1885), S. 155. Auch Clara Schumann hatte einst in einem Brief vom 14. August 1876 zu den Variationen über ein Thema von Johannes Brahms gegenüber Brahms recht positiv bemerkt: »Man merkt wohl sehr Deinen Einfluß, doch das schadet nicht, fällt solcher auf fruchtbaren Boden […]« (Litzmann, Briefe II, S. 73). 1111 Wecker, Ignaz Brüll, S. 16, grenzt diese Art der Nachahmung vom Epigonentum klar ab: »Das Phänomen des Epigonentums ist abzugrenzen gegen die Nachahmung, wie sie von Aristoteles als Lehre begründet wurde. Sie zielt nicht auf das sklavische Kopieren der Vorbilder, sondern ihr Resultat soll diesen nur ähnlich sein, also auch eigenschöpferische Momente enthalten.« 1112 Hermann Kretzschmar : Neue Compositionen von Heinrich von Herzogenberg [opp. 34–41], in: MWb 15/40 (25. September 1884, S. 483–485, hier S. 483f. In ähnlichem Sinn urteilte auch Hugo Riemann über den jungen Max Reger: »Er ist an Bach, Beethoven u. Brahms großgezogen u. hat sich Brahms Technik bereits in erstaunlicher Weise assimiliert, sodaß er bald genug ganz auf eigenen Füssen stehen wird.« Hugo Riemann an C. F. Peters, 22. Oktober 1892, zit. n. Popp, Der junge Reger, S. 123f.

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dieser wundervollen, eigenartigen Technik galt mir damals als ein Ziel.«1113 Wichtig war allerdings, dass in der Folge der Übergang zum eigenen, individuellen Stil gelang. Auch von diesem Schritt auf dem Weg zum eigenständigen Künstler berichtet Zemlinsky : »Mit dem Bestreben, sich selbst zu finden, war auch eine energische Wendung von Brahms weg gegeben«.1114 Der Weg der Abgrenzung wurde von Kollegen und Presse begleitet und Werke der sich etablierenden Komponisten auf dieser Grundlage bewertet: »Indem Reger als Ausdrucksmittel für das, was ihn musikalisch bewegte, Brahmsens Technik übernahm, hat er auch soviel Ausdruck selbst, soviel Brahms’schen Geist in sich aufgenommen, daß er in bedingtem Maße die Fähigkeit, seine Arbeiten auf ihre Eigenheit zu prüfen, verloren hat. Der Umstand nun, daß dieser epigonenhafte Zug, der bisher seinen Kompositionen als wesentlichster Bestandteil anhaftete, in einigen Werken neueren Datums weniger auffällig hervortritt, lenkt für die Zukunft, mehr wie bisher, unsere Blicke auf Max Reger als auf einen Mann, der ein bedeutendes Wort mitzureden hat.«1115

Die erfolgte Ablösung und Hinwendung zur individuellen Tonsprache wurde dann gebührend anerkannt – so in der zitierten Besprechung von Eugen d’Alberts zweitem Streichquartett.1116 Die differenzierte Haltung der Zeitgenossen lässt erkennen, wie stark die heutige Bewertung eines Komponisten als Brahms-Epigone von der sehr negativ belegten Ausdeutung des Begriffs im 20. und 21. Jahrhundert geleitet ist.1117 Im Rahmen dieser Arbeit ist allerdings von diesem Standpunkt eine gewisse kritische Distanz zu wahren: Zieht man in Betracht, dass zum einen das Anlegen heutiger Maßstäbe und Meinungen hinsichtlich eines ›Brahms-Tons‹ vermieden werden soll und zum anderen die Besonderheit einer Widmung an Brahms die Komponisten animierte, ihre besten Werke zur Dedikation auszuwählen, erscheint eine besondere Gruppe als Untersuchungsgrundlage besonders geeignet. Es sind jene Komponisten, die sich der eigenen Unterlegenheit und der Gefahr des Epigonentums bewusst waren und dies thematisierten und reflektierten. Die aus Werken dieser Künstler extrahierten Besonderheiten können dann freilich mit weiteren Kompositionen aus dem Bestand der kammermusikalischen Widmungen abgeglichen werden, deren Urheber eine weniger offene Haltung 1113 Vgl. Zemlinsky, Brahms, S. 69. 1114 Ebd. 1115 Vgl. eine Übersicht über die Reger’schen Orgelwerke in der Allgemeinen Musik-Zeitung 28/41 (13. Oktober 1899), S. 610. 1116 Vgl. oben, S. 287. 1117 Vgl. zur Problematik der Bewertung des Epigonen im heutigen Sprachgebrauch und die Abweichung vom historischen Bild des 19. Jahrhunderts Dean C‚ceres: Der Komponist, Dirigent und Pädagoge Woldemar Bargiel (1828–1897). Ein Beitrag zur Musikgeschichte des ›unbekannten‹ 19. Jahrhunderts (= Abhandlungen zur Musikgeschichte, Bd. 17), Göttingen 2010, S. 171ff.

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hinsichtlich der eigenen Brahms-Nachfolge einnehmen. Keinesfalls soll allerdings mit der Spurensuche intendiert werden, dass die in Frage stehenden Kompositionen rein epigonale Werke seien – zu sehr wird mit diesem Begriff auch eine mindere musikalische Qualität in Verbindung gebracht.

1.2

Kompositorische Strategien der Nähe und Distanz in ausgewählten Beispielen.

Felix Otto Dessoff und Heinrich von Herzogenberg – bewusste Brahms-Nachfolge Im günstigsten Fall sind es die Komponisten selber, die in Sekundärquellen bestimmte Stellen ihres Widmungswerks auf Brahms zurückführen. Selten ist dies natürlich in so eindeutiger Weise belegbar, wie am Beispiel des Quartetts für zwei Violinen, Viola und Violoncell op. 7 von Felix Otto Dessoff. Er selber war davon überzeugt, in seiner nur sporadischen kompositorischen Tätigkeit als Brahms-Epigone gelten zu müssen.1118 Dieser Mangel an Originalität, den der eigentlich als Dirigent tätige Dessoff sich selber zuschrieb, ist zwar wegen der Qualität seiner wenigen veröffentlichten Kompositionen1119, besonders jenes Brahms gewidmeten Streichquartetts op. 7, zu relativieren. Trotzdem lässt die mehrfach formulierte Selbsteinschätzung den Schluss zu, dass viele der kompositorischen Entscheidungen innerhalb des Widmungsquartetts tatsächlich von Brahms inspiriert seien. Der Kompositionsstil des berühmten Freundes galt ihm jedenfalls als anzustrebendes Ideal: »Wenn Du wüßtest, wie ich fortwährend bestrebt bin, es nach Deinem Sinne zu machen, oder wenigstens so, wie ich glaube, daß es Dir nicht mißfallen könnte«.1120 Auch diese hinsichtlich einiger parallel zum Widmungswerk an Brahms übersandter Lieder1121 geäußerte Furcht vor zu großer stilistischer Nähe zum Vorbild zeichnet ein recht selbstkritisches Bild seines Charakters. Für Dessoff stellte sich weniger die Frage, ob die Kompositionen von Brahms inspiriert und beeinflusst seien, als vielmehr, ob die

1118 Mehrere Briefe, vor allem aus dem zeitlichen Umkreis der Widmung, thematisieren dies. Vgl. z. B. die bereits zitierte Selbsteinschätzung Dessoffs gegenüber Brahms vom 30. Oktober 1878 (BW XVI, S. 207f.): »Daß ich nicht aus ›eigenem tiefen Bronnen‹ schöpfen kann, darüber kann ich ja wohl keinen Augenblick unklar sein. Wenn ich mich nun an einen Componisten anlehne, so mache ich mir auch gar keine Vorwürfe darüber. Nur wäre es mir peinlich, wenn diese Anlehnung am Ende sclavische Abhängigkeit oder gar Plünderung wäre.« 1119 Das Werkverzeichnis umfasst nur zehn Werke mit Opuszahl. 1120 Felix Otto Dessoff an Brahms, 19. Juni 1878, BW XVI, S. 177. 1121 Diese wurden schließlich als Fünf Lieder op. 8 veröffentlicht.

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Nähe und Distanz: Brahms im Spiegel der ihm gewidmeten Werke

Lieder »sich nicht gar zu sehr in Deinen Spuren bewegen«1122 : Der Grad der Annäherung war das entscheidende Kriterium. Das Quartett op. 7 stellt mit den Liedersammlungen opp. 8 und 9 den ersten veröffentlichten Kompositionsversuch nach 18-jähriger Pause dar1123 ; nach einigen Liedern und zwei Opera Klaviermusik ist es der erste kompositorische Schritt innerhalb dieser Gattung. Der Versuch, nach so langer Pause wieder produktiv-neuschaffend tätig zu werden, war konkret aus der Beschäftigung mit Brahms’ Sinfonie Nr. 2 op. 73 hervorgegangen.1124 Die Wahl der kammermusikalischen Gattung trotz der sich sogar in hörbaren Anklängen äußernden Inspiration durch ein sinfonisches Werk ist einerseits aussagekräftig für das Brahms-Bild Dessoffs, andererseits Spiegel seiner Selbsteinschätzung: Es ist anzunehmen, dass er sich wegen seines »Mangel[s] an Produktionskraft«1125 die Komposition einer großformatigen Sinfonie schlicht nicht zutraute. Immerhin hatte auch Brahms lange um diese Gattung ringen müssen. Ein Streichquartett war dementsprechend zwar kleiner dimensioniert, formulierte aber nichtsdestotrotz einen dem Vorbild angemessenen kompositorischen Anspruch. Doch dass nun aus dem »Zurückrufen der Stimmung des 1. Satzes Deiner 2. Sinf.«1126 sein Streichquartett entstand, zeigt daneben auch, wie sehr Dessoff seinen Widmungsträger spezifisch in seiner Rolle als Kammermusikkomponist rezipierte und schätzte. Das Quartett ist demnach ein besonders klarer Spiegel des Brahms-Bildes seines Komponisten, der sich so sehr bemühte, den Idealen seines Vorbildes gerecht zu werden. Auch Heinrich von Herzogenberg sah seine Werke den Kompositionen von Brahms untergeordnet, er wurde von den Zeitgenossen als sein »Epigone«1127 eingeordnet und bemühte sich trotzdem stets vor allem, dem Anspruch des Freundes gerecht zu werden. Er frage sich, teilte er anlässlich seiner zweiten Widmung an Brahms sowohl dem bereits schwer erkrankten Adressaten als auch Joachim mit, »bei jedem Notenkopf: was wird Brahms dazu sagen? – der Gedanke an ihn und sein Urtheil hat aus mir gemacht soviel eben wurde; er war mein Fleiß, mein Ehrgeiz, mein Muth.«1128 In der Rolle, die Brahms für sein 1122 1123 1124 1125 1126 1127

Dessoff an Brahms, 19. Juni 1878, BW XVI, S. 177. 1860 waren bei Scheel in Kassel die 4 Lieder op. 4 erschienen. Vgl. Dessoff an Brahms, [ca. 29./30. Juni bis 4. und 5. Juli 1878], BW XVI, S. 187. Dessoff an Brahms, 16. März 1878, BWXVI, S. 167. Dessoff an Brahms, 5. Juni 1878, BW XVI, S. 175. Vgl. SmW 35 (1877), S. 595. Gegenstand der Rezension sind die Variationen über ein Thema von Johannes Brahms, die schon in der Themengrundlage eine Erläuterung für die große stilistische Nähe bieten. Allerdings erkannte der Rezensent, Herzogenberg habe in diesem Werk »immer nur in Reflexion« gearbeitet, er sei »in den Strudel« des »Genies« zu tief hineingeraten. 1128 Heinrich v. Herzogenberg an Joseph Joachim, 30. März 1897 (Joachim-BW III, S. 468f.). Vgl. in fast gleicher Formulierung Herzogenberg an Brahms, 26. März 1897, BW II, S. 276.

Brahms und die »Idee der Kammermusik«

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Schaffen einnahm, verglich er sich mit dem »grünen Jüngling«, als der einst Brahms vor den großen Robert Schumann getreten war. Freilich betonte er gleichzeitig die Überzeugung, nie wie sein Vorbild den kompositorischen Kinderschuhen entwachsen zu sein: »[…] wenn Sie aber eine Ahnung davon hätten, wie irgendein hingeworfenes Wort von Ihnen in mir weiterarbeitet, so würden Sie’s begreiflich finden, daß ich immer wieder zu Ihnen komme, trotzdem Sie mich darin gerade nicht sehr ermutigen. Ein Meister wie Sie hätte auch viel zu tun, wollte er alle Liebe, die er durch seine bloße Existenz und Erscheinung einflößt, erwidern, ja auch nur begreifen; denn Sie haben sich durch vertraulichen Umgang an sich selbst gewöhnen können, und die Leute, zu denen Sie in einem ähnlichen Verhältnis stünden, sind alle tot. Als Sie mit Schumann verkehrten, waren Sie, glaube ich, 17 Jahre alt; mir scheint, ich werde Ihnen gegenüber nie älter werden, wie höchstens 18 Jahre; einem so grünen Jüngling müssen Sie schon einmal eine Art Liebesbrief nachsehen!«1129

Auf Grundlage dieser Aussagen kann es nicht mehr verwundern, dass tatsächlich auch Brahms in den Kompositionen Herzogenbergs sein eigenes Vorbild erkannte – und hintersinnig äußerte, deswegen an diesen Werken in besonderem Maß zu sehen, wo er selbst sich noch zu verbessern habe: »Mehr wie bei anderen Kollegen muß ich bei Heinz’ Sachen an mich denken und werde daran erinnert, wie und wo – ich eben auch zu lernen und zu machen versuche.«1130 Besonders das erste ihm gewidmete Opus, die drei Streichquartette op. 42, sah Brahms allerdings noch Jahre nach der Zueignung als »eine Art Höhepunkt«1131 im Schaffen Herzogenbergs an, hatte sie zuvor schon als »Ihr bestes [Opus]« bezeichnet1132 – ein weiterer Nachweis für die These, dass die Komponisten bei der Zueignung an einen berühmten Kollegen gerade im Rahmen der Kammermusik auf ihre besten Werke zurückgriffen. Nichtsdestotrotz sind stilistische Einflüsse von Brahms ohne jeden Zweifel zu erkennen und werden auch vom Komponisten in der brieflichen Mitteilung der Widmung eingeräumt.1133

1129 Heinrich v. Herzogenberg an Brahms, 25. November 1880, BW I, S. 128. Gegenstand des Briefes waren Herzogenbergs Geistliche Volkslieder op. 28, die er Brahms zur Beurteilung vorlegte. Eine Antwort, in der Brahms dem Wunsch auf Kritik über die Formulierung einiger Gemeinplätze hinaus nachkommt, ist allerdings nicht erhalten. 1130 Brahms an Elisabeth v. Herzogenberg, 15. Januar 1887, BW II, S. 149f. 1131 Vgl. Brahms an Elisabeth v. Herzogenberg, [22. Dezember 1886], BW II, S. 136. 1132 In gewohnt überschwänglicher Weise kommentierte Herzogenberg die Freude, die ihm das Lob seines Vorbildes, das dieser ihm in einem Brief vom 28. März 1884 mitgeteilt hatte (vgl. BW II, S. 23), bereitet habe (vgl. Herzogenberg an Spitta, 4. April 1884, Wiechert, Herzogenberg, S. 109). 1133 »Nebenbei beleuchten Sie auch unbewußt meinen eigenen kleinen Weg so liebevoll, daß ich die Dämmerung, in der ich eigentlich wandern sollte, gar nicht bemerke und gottvergnügt einen ganzen Haufen solcher Sachen, wie diese Quartette, in die Welt setze. Diese hatten nun gar noch das besondere Glück, sich bei Ihnen hintenaufsetzen zu dürfen, und

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»Nachdrücken« als Stilmerkmal Neben der allgemeinen Annäherung an das, was Dessoff als kompositorisches Ideal in den kammermusikalischen Werken und der Tonsprache seines Freundes verkörpert sah, gab er selber Bedenken hinsichtlich eines Details seiner Komposition an, die den individuellen Blick auf das Œuvre seines Freundes offenlegt: Er befürchtete Reminiszenzen innerhalb des ersten Satzes an den als Inspirationsquelle dienenden ersten Satz der zweiten Sinfonie von Brahms. Die Angst vor direkten Übernahmen, die aus einer stilistisch-kompositorischen Annäherung »sclavische Abhängigkeit oder gar Plünderung«1134 machte, war für Dessoff stets präsent. Denn plagiativ durchsetztes Komponieren hätte die Berechtigung, das Werk als schöpferischen Eigenakt darzustellen und damit auch das Recht zur Widmung, das grundlegend auf der Abtretung geistigen Eigentums beruhte, zunichte gemacht.1135 Im Brahms gewidmeten Streichquartett op. 7 beziehen sich die Vorbehalte des Komponisten auf eine konkrete musikalische Phrase: »Daß ich nun eine Variante im Schlusssatz Deines 1. Theiles im Gedächtnis behalten haben sollte ist schier unmöglich, denn selbst Deine populärsten Stellen behalten sich nicht gleich auswendig, wie viel weniger da aus dem Zusammenhang gerissene Phrasen; und doch, da steht’s. Nun habe ich Dein Stück 3 mal gelesen und es ist mir nicht aufgefallen und heute früh 6 Uhr sitze ich beim Caf¦ und lese wieder und wie ich an die Stelle komme, denk’ ich, mich rührt der Schlag, denn ich wollte heute das 4tett an Gurckhaus1136 schicken. Nun bitte, sage mir umgehend, ob jetzt auch noch eine Ähnlichkeit da ist. Das Wiederholen und Drücken auf den letzten Takt einer Phrase kommt nämlich häufig bei Dir vor, und da ich mich doch sehr viel mit Deiner Musik beschäftige, so mag ich’s wohl daher haben und da trifft’s denn einmal durch Taktart, Bindung u.s.w. gerade recht infam zusammen.«1137

Die betreffenden Stellen sind in Sinfonie und Streichquartett leicht auszumachen: Die Technik des »Nachdrückens« findet sich bei Brahms am Ende der Exposition (T. 164ff.), bei Dessoff ab T. 50 des ersten Satzes, als Bestandteil des Seitensatzthemas.

1134 1135

1136 1137

ich habe einen wahren Respekt vor meinen eigenen Kindern gekriegt!« Heinrich v. Herzogenberg an Brahms, 24. März 1884, BW II, S. 22. Felix Otto Dessoff an Brahms, 30. Oktober 1878, BW XVI, S. 207f. Die Äußerung eines Schreibers der AmZ aus dem Jahr 1816 ist Ausdruck dieser Einstellung: »Musikalische Diebstähle sind selten eigentlicher Raub fremden Eigenthums, sondern Entlehnungen aus Armuth. Statt origineller Melodien wachsen in dem Nicht-Genie Reminiszenzen des Schongehörten.« Vgl. AmZ 18/49 (4. Dezember 1816), Sp. 847–848, zit. bei Behr, Brahms, S. 44. Dessoffs Schwager Carl Gurckhaus leitete den Musikverlag Kistner, in dem das Quartett erschien. Dessoff an Brahms, [zwischen dem 29./30. Juni und dem 4. und 5. Juli 1878], zit. n. BW XVI, S. 187.

Brahms und die »Idee der Kammermusik«

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Johannes Brahms, Sinfonie Nr. 2 D-Dur op. 73, 1. Satz, T. 164–175, Flöten I + II

Felix Otto Dessoff, Streichquartett F-Dur op. 7, 1. Satz, T. 49–59, Partitur

Tatsächlich stimmen die Abschnitte nicht nur im klar erkennbaren »Wiederholen und Drücken auf den letzten Takt einer Phrase« überein, sondern auch in anderen Parametern: Rhythmischer Aufbau in Achtel und Vierteln, melodische Linie und der Charakter des 34-Taktes lassen die Angst vor »directen Reminiszenzen« verständlich werden.1138 1138 Brahms versuchte diese Angst freilich zu zerstreuen und riet Dessoff eindringlich, das Quartett ohne Änderungen zu drucken: »Eines der dummsten Capitel der dummen Leute ist das von den Reminiszenzen. Die betreff. kleine Stelle bei mir ist, so vortrefflich auch alles Übrige sein mag, wirklich ganz und gar nichts. Bei Dir aber ist gerade die Stelle von einer allerliebsten warmen, schönen und natürlichen Empfindung. Verdirb nichts, rühr nicht daran, Du kannst gar nicht oft so schön sprechen – doch, Du fängst ja erst an zu plaudern! Eigentlich hätte ich nichts sagen und hernach mir das herrenlose Gut nehmen sollen. Keine Note darfst Du daran ändern.« (zit. n. BW XVI, S. 191).

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Nähe und Distanz: Brahms im Spiegel der ihm gewidmeten Werke

Für die Rekonstruktion des Brahms-Bildes von Dessoff ist allerdings weniger der konkrete Anklang interessant, als vielmehr seine Einschätzung, dass die von ihm imitierte Figur des »Nachdrückens« besonders typisch für die Tonsprache von Brahms sei. Brahms selber sah dieses Element dagegen nicht als zwingend konstituierend für seinen kompositorischen Stil an. Für ihn war die von Dessoff erkannte Ähnlichkeit vernachlässigenswert, er spielte die betreffende Stelle in seiner Sinfonie in ihrer Bedeutung als »wirklich ganz und gar nichts« herunter.1139 Doch in der Perspektive von außen muss die Häufung solcher Wendungen auffällig gewesen sein. Mit dem Wissen um ein zumindest von Dessoff als Besonderheit eingeschätztes Element der Tonsprache von Brahms erscheint nun auch eine eigentlich unscheinbare Stelle im ersten Satz von Karl Nawratils1140 Brahms gewidmeten Trio für Pianoforte, Violine und Cello op. 9 in neuem Licht: Auch Nawratil verwendet die Figur des wiederholenden Insistierens auf den letzten Ton einer Phrase und lässt diese in eine aus Sekunden und Terzen zusammengestellte melodische Abwärtsbewegung münden – eigentlich sogar ein doppeltes Nachdrücken.

Karl Nawratil, Klaviertrio op. 9, 1. Satz, T. 167–177

Nawratil selber hat diese Passage freilich nie mit Brahms in Verbindung gebracht. Doch vielleicht war auch ihm das »Nachdrücken« in der Tonsprache seines Adressaten vertraut. Bereits ein Überblick, der sich auf die Sichtung der kammermusikalischen Werke beschränkt, lässt jedenfalls deutlich werden: Das »Nachdrücken auf den letzten Ton einer Phrase« ist wirklich – in unterschiedlich starker Ausprägung – in verschiedenen Kompositionen von Brahms zu entdecken. Schon in der Klaviersonate op. 2 lässt sich in T. 10–13 ein ähnliches Vor-

1139 Brahms an Dessoff, [vermutlich zwischen dem 1./2. und 5. Juni 1878], BW XVI, S. 191. 1140 Eigentlich ist Carl Nawratil wegen seines Alters nach der eingangs bevorzugten Auswahl als Beispiel nicht geeignet, aber z. B. der Umstand, dass er den um 21 Jahre jüngeren Brahms um Vermittlung bei Verlegern bat, lässt darauf schließen, dass ihm die eigene kompositorische Unterlegenheit bewusst war. Die zeitgenössische Presse freilich schätzte gerade die Widmungskomposition: »Es sei sofort gestanden, daß uns dieses Trio als eines der angenehmsten unter der neuesten einschlägigen Literatur erschienen ist: Gehör, Geist und Gemüth finden darin Ergötzung« (SfmW [1881], S. 930).

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gehen beobachten. Freilich ist das Insistieren an dieser Stelle eher Innehalten als Beenden einer Phrase. Die Tonfolge fis–gis–a wird zunächst in gleicher Rhythmisierung, darauf folgend auf Triolen verkürzt wiederholt, um schließlich in eine abfallende Achtelfolge zu münden. Gerade diese an das »Nachdrücken« anschließende Melodiebewegung mit Weiterentwicklungs- und Überleitungsfunktion, die auch bei Nawratil zu beobachten ist, wird auch in anderen Kompositionen von Brahms eingesetzt: So lässt sie sich im ersten Satz der Ursprungsfassung des Klaviertrios op. 8 (T. 397–399) nachvollziehen, indem sich der Nachdrückfigur eine Skala von c bis fis anschließt und ebenso im Klavierquartett op. 26 (T. 91–96) – hier mit einer chromatischen Skala von fis bis c. Im Schwesterquartett op. 25 findet sich bereits im ersten Satz ähnliches; das »Nachdrücken« entwickelt sich hier (T. 27–32) allerdings als aufwärts gerichtete Sequenzierung.

Motivisch-thematische Ableitung Mit dem Aspekt des »Nachdrückens« begab sich Dessoff – bewusst oder unbewusst – bereits auf ein zweites Gebiet der Brahms zugeschriebenen Tonsprache, das sich auch im Streichquartett op. 7 nachweisen lässt: Das Seitensatzthema zeigt nur eine, immerhin die deutlichste Ausprägung der Ableitung und des Wiederaufgreifens thematischen Materials, das schon zuvor im Bereich der Fortspinnung des Hauptsatzes eingesetzt worden war. Das von Brahms inspirierte »Nachdrücken« taucht also eigentlich in weniger auffälliger, aber nichtsdestotrotz unverkennbarer Weise bereits vor der von Dessoff benannten Stelle auf:

Felix Otto Dessoff, Streichquartett op. 7, 1. Satz, T. 23–28

Die entsprechenden Passagen bilden demnach im Streichquartett keinesfalls nur einen unwichtigen Nebeneinfall sondern sind in die motivisch-thematische Arbeit eingebunden. Umso aussagekräftiger ist es, dass Dessoff gerade diese Stellen als typisch für einen spezifischen Brahms-Ton ansah – innerhalb eines Werks, das nach eigener Aussage in seiner Gesamtheit aus dem Zurückrufen

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Nähe und Distanz: Brahms im Spiegel der ihm gewidmeten Werke

Brahms’scher Kompositionen entstanden sei. Diese besondere Form der Ableitung ist allerdings nur ein Beispiel für die intensive motivisch-thematische Arbeit, die Dessoffs gesamtes Werk, besonders aber den ersten Satz, kennzeichnet. Damit folgte er wiederum dem Vorbild, das Brahms ihm in seiner eigenen Kammermusik bot. Im Kreis der Brahms widmenden Komponisten wird in den Arbeiten des Wieners immer wieder »eine thematische Arbeit, die ihresgleichen sucht«1141 betont, man bezeichnete Brahms als »beste[n] Lehrer der motivischen Arbeit«.1142 Für die Klaviersonate Nr. 2 fis-Moll op. 2 konkretisierte Richard Barth dies schließlich und erkannte genau jenes Verfahren als konstitutiv für die thematische Arbeit von Brahms an, für das Arnold Schönberg später den Begriff der »entwickelnden Variation« prägen sollte: Die Ableitung alles thematischen Materials voneinander und die Reduktion auf Motivkomponenten. »Man beachte nur, welche Rolle im ersten Satze die vier ersten Noten des Hauptthemas spielen: an dem Eintritt des Basses nach dem Abschluß der Einleitung auf der Fermate, ferner beim Eintritt des zweiten Themas in Cis–moll u. s. f.«1143

Diesem Prinzip folgt auch Dessoff. Als eminent wichtig für die Bildung des gesamten ersten Satzes erweist sich bereits das thematische, rhythmische und melodische Material des Hauptthemas. Dessoff entwickelt daraus einen Seitensatz, der trotzdem dem Postulat entgegengesetzter Charaktere gerecht wird. Der Quintgang abwärts, der Sextsprung der ersten Violine im sechsten Takt mit anschließender fallender Terz und der Grundrhythmus einer Halben mit folgender Viertel in Intervallsprüngen prägen den ganzen Satz. Besonderes Gewicht erhält allerdings das Intervall der kleinen Sekunde, das sich – eingeführt als Abschluss einer jeden melodischen Phrase des Hauptthemas – in Verbindung mit dem Quintgang in der modulierenden Fortspinnung als einheitskonstituierend erweist. Beide Elemente werden auch zu tragenden Säulen des zweiten Themas, der Quintgang nun in Umkehrung, die kleine Sekunde als Phrasenabschluss, die in die Figur des »Nachdrückens« mündet. Schon wenige Takte später erscheint das Nachdrücken erneut, der Aufgang wird abgespalten und erscheint nun erstmals in der punktierten Form des Eingangs (und beweist damit den inneren Zusammenhang), er wird in Intensität gesteigert und mündet schließlich im Abgang in Triolen, der zum zweiten Thema führt. Fast wird auch hier der Beginn als »Nachdrücken« begreifbar, bevor der Umkehrpunkt des Endes des Hauptthemas wie vorher auch im Nachdrücken endet. Der Beginn des lyrisch-bewegten zweiten Themas wird aber trotz dieser guten thematischen 1141 Barth, Brahms und seine Musik, S. 24. 1142 So V†teˇzslav Nov‚k in seinen Memoiren, zit. n. Nouza, Brahms im tschechischen Musikleben, S. 421. 1143 Barth, Brahms und seine Musik, S. 24.

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Verlinkung und Ableitung (die ein früheres Ansetzen möglich erscheinen lässt) durch den klaren Eintritt der Dominanttonart C–Dur und den Unisono-Einsatz des Quartetts deutlich angezeigt. Besonders der Sextsprung und die kleine Sekunde werden formkonstituierend, ebenso die Skala abwärts, die allerdings nun einen Quartraum umschließt. In der Durchführung wird besonders die punktierte Skalenbewegung zur Modulation eingesetzt (durch Hoch- oder Tiefalterierung einzelner Töne). Daneben spielt der Themenkopf des zweiten Themas mit seiner kleinen Sekunde, die ja eine starke Verlinkung zum ersten Thema herstellt und ebenfalls modulatorisch einsetzbar ist, eine große Rolle. Schließlich wird die Skala zu abfallenden gebrochenen Dreiklangbewegungen in Achteln. Die thematische Ableitung des skalierten Aufgangs des zweiten Themas aus der punktierten Skala des Hauptthemas wird ab T. 105 (Buchstabe E) betont: Beide Varianten werden direkt nacheinander präsentiert. Die Dichte und Verknappung der motivisch-thematischen Arbeit, das Ableiten einzelner Themenkomponenten voneinander lässt sich auch an anderen Widmungswerken nachverfolgen. Herzogenberg lässt so gerade in dem Brahms kurz vor seinem Tod zur Widmung angetragenen Klavierquartett op. 95 »die scharf akzentuierten Einleitungsakkorde zur motivischen Keimzelle des ganzen Satzes werden.«1144 Darüber hinaus erkennen Rezensionen die thematische Arbeit innerhalb weiterer Widmungswerke als von Brahms beeinflusst an. So in George Alarys Streichsextett op. 35, auf dessen intensive thematische Arbeit bereits eingegangen wurde1145 : »Es ist Brahms gewidmet und verrät, daß der Franzose mit dessen Kompositionsart und Technik sich eingehend beschäftigt und sie liebgewonnen hat. Die thematische Verarbeitung ist in diesem Sextett weit kunstvoller als in op. 17«1146

Auch Hermann Goetz leitet in seinem Brahms gewidmeten Klavierquartett op. 6 die verwendeten Motive und Themen voneinander ab: Michael Aschauer hat die konstitutive Bedeutung der rhythmischen Struktur, des Sekundintervalls sowie des Quart- und Quintsprungs des viertaktigen Hauptthemas deutlich gemacht.1147 Goetz hatte tatsächlich selber betont, dass sein Quartett von Brahms’ Werken der gleichen Gattung angeregt sei.1148 Und gerade die Exposition des Brahms’schen Klavierquartetts op. 25 hat schon Carl Dahlhaus zusammen mit der Exposition des Klaviertrios op. 8 als »Paradigmata entwickelnder Variation« 1144 1145 1146 1147

Wiechert, Einleitung. Vgl. S. 237, Kap. III. 2. 3. Altmann, Handbuch für Streichquartettspieler III, S. 277. Vgl. eine Tafel mit den hauptsächlichen Ableitungen bei Aschauer, Einheit durch Vielfalt, S. 110–114. 1148 Vgl. die Widmungsanfrage, Goetz an Brahms, 6. Juni 1870, zit. n. Bob¦th, Hermann Goetz, S. 215.

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bezeichnet.1149 Wie eng sich Robert Fuchs in seinem Brahms gewidmeten Klaviertrio op. 22 an die Technik der thematischen Verknappung – die er selber an Brahms’ Spätwerk hervorhebt1150 – orientiert, haben zuerst Adalbert Grote, dann auch Michael Aschauer anschaulich dargelegt.1151 Max Bruch schließlich sagt – in umgekehrter gattungsübergreifender Analogie wie Dessoff – zu seiner Brahms gewidmeten Sinfonie op. 28: »Ich habe sehr viel Nachdruck auf thematische Durchführung gelegt«.1152 Konfliktrhythmus Auch auf der Strukturebene der Rhythmik lassen sich Einflüsse von Brahms auf die ihm widmenden Komponisten nachverfolgen. Eduard Hanslick hat einen in den Widmungswerken nachzuvollziehenden Aspekt der Tonsprache von Brahms hervorgehoben: »Drei Elemente, welche in der modernsten deutschen Musik eine große Rolle spielen, verwendet Brahms mit auffallender Vorliebe; die Syncope, den Vorhalt und die Gleichzeitigkeit verschiedenartiger Rhythmen und Tactarten. In diesen Punkten, der Syncope namentlich, dürfte Brahms kaum mehr weiter gehen, als er in neuester Zeit gegangen.«1153

Weitere Zeitgenossen wie Marie Lipsius (Pseud. La Mara)1154, Philipp Spitta1155 oder Max Reger1156 bis hin zu Musikwissenschaftlern des 20. Jahrhunderts1157 sehen die sogenannte Konfliktrhythmik – in horizontaler und vertikaler Betrachtung – ebenfalls als stilkonstituierend für Brahms an. Spuren dieses Brahms-Verständnisses sind in den gewidmeten Werken nachzuweisen. Bestes Beispiel ist Max Reger, der an Brahms die »die Figuration die ich so liebe 2 zu 3«1158 besonders hervorhob und diese folgerichtig in den Widmungswerken ausgiebig einsetzte: Wiederholt treten sowohl in der Rhapsodie op. 24/6 als auch

1149 Carl Dahlhaus: Brahms und die Idee der Kammermusik, in: NZfM 134 (1973), S. 559. Vgl. auch Aschauer, Einheit durch Vielfalt, S. 110. 1150 Schmitz, Fuchs und Brahms, S. 191. 1151 Grote, Robert Fuchs, S. 104f.; Aschauer, Einheit durch Vielfalt, S. 121f. Dazu auch S. 211. 1152 Max Bruch an Hermann Levi, zit. n. Steinbeck, Symphonie, S. 174. 1153 Hanslick, Concerte, S. 169. Betrachtungsgegenstand ist die erste Sinfonie. 1154 La Mara: Johannes Brahms, neu bearb. Einzeldr. a. d. Musikal. Studienköpfen, Leipzig 1921, S. 6. 1155 Spitta, Brahms, S. 393. 1156 Max Reger äußerte sich in verschiedenen Briefen – bevorzugt an Adalbert Lindner – in diesem Sinn. 1157 Günter Weiss-Aigner : Johannes Brahms. Violinkonzert D-Dur, S. 40. 1158 Max Reger an Adalbert Lindner, 15. Februar 1893 (Popp, Der junge Reger, S. 135, Gegenstand der Betrachtung sind die opp. 1 und 2).

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in Resignation op. 26/5 Passagen auf, in denen Triolen und Achtel simultan in rechter und linker Hand gegeneinander gesetzt werden.

Max Reger, Rhapsodie op. 24/6, T. 36/37

Für Brahms’ eigene Klavierwerke galten diese Passagen als typisch, er verwendet sie tatsächlich auffallend oft. So oft, dass es den Zeitgenossen ungewöhnlich erschien – und sie die entstehenden Schwierigkeiten bei Erscheinen neuer Werke fürchteten. Theodor Billroth mutmaßte in einem Brief zum Andante von Brahms’ soeben entstandenem Klavierkonzert Nr. 2: »Hanslick wird wieder nervös werden, wenn er mit der einen Hand Achtel und mit der anderen Triolen spielen soll«.1159 So ist u. a. die Solopassage ab T. 25 durch Konfliktrhythmik geprägt, die komplexe rhythmische Struktur geht über die Anwendung Regers um ein weites hinaus. Auch in vielen Kammermusikwerken ist die Neigung, Achtel und Triolen simultan erklingen zu lassen, unverkennbar, z. B. in den Klavierquartetten op. 25 (v. a. im 2. Satz, z. B. ab T. 78) und op. 26 (1. Satz, T. 56ff., im zweiten Satz ab T. 26 oder T. 66), besonders ausgeprägt auch im dritten Satz der Cellosonate op. 38. Neben Max Reger griffen viele weitere Komponisten diesen Teil der Tonsprache von Brahms im Widmungswerk auf. Dies geschieht analog zur Einschätzung, dass diese Art der Konfliktrhythmik besonders für den Klaviersatz von Brahms wichtig sei, besonders oft in Kammermusikwerken mit Klavierbeteiligung. Allerdings nicht nur: In Felix Otto Dessoffs Streichquartett op. 7 ist besonders der zweite Satz, das Andante, durchzogen von simultan erklingenden Triolen- und Achtelbewegungen. Robert Fuchs setzt sie in seinem Klaviertrio dagegen bereits in T. 22/23 innerhalb der Klavierstimme ein, ebenso Karl Nawratil (im dritten Satz, ab T. 117, werden in der Klavierstimme Sechzehntel gegen Sechzehnteltriolen gestellt), in sehr ausgedehnter Form Dvorˇ‚k (vgl. z. B. ab T. 35) oder Herzogenberg in allen vier Widmungswerken.1160 Leander Schlegel bewegt sich besonders eng am Vorbild von Brahms. Seine Brahms gewidmete Ballade op. 2 lässt sich in der bereits im ersten Satz eingesetzten Gegenüber1159 Theodor Billroth an Brahms, 11. Juli 1881, Gottlieb-Billroth, Briefwechsel, S. 313. 1160 Allerdings wird gerade der Klaviersatz von op. 95 fast gänzlich ausgespart.

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Nähe und Distanz: Brahms im Spiegel der ihm gewidmeten Werke

stellung von Achteln und aufsteigenden Triolen sowie im einleitenden Oktavsprung trotz anderer Tonart, eines auftaktigen Beginns und veränderter Fortführung mit Brahms’ Intermezzo op. 116/2 vergleichen:

Johannes Brahms, Intermezzo op. 116/2, T. 1–3

Leander Schlegel, Ballade op. 2, T. 1–3

Auffällig bleibt, dass besonders jene Komponisten die als Brahms-typisch angesehene Form der Konfliktrhythmik in gehäuftem Maß verwenden, die entweder am Beginn ihrer Karriere standen (vgl. Fuchs oder Dvorˇ‚k), die eigene kompositorische Fähigkeit geringschätzten (Dessoff) oder als enge Bekannte und ästhetische Verbündete Brahms’ gelten können (Herzogenberg, Nawratil). Besonders frühe Widmungen oder Werke solcher Kunstgenossen, die ihre eigenen Fähigkeiten als dem Adressaten ebenbürtig erachten (z. B. Jensen), tragen diese Züge dagegen kaum. Die kunstvollen horizontalen rhythmischen Überlagerungen in der zweiten Variation des zweiten Satzes von Hermann Goetz’ Klavierquartett op. 6 zeigen freilich, dass der Widmende auch bewusst in kleinem Rahmen der spezifischen Technik von Brahms huldigen konnte, ohne sie an anderer Stelle im Übermaß in die eigene Tonsprache einzubeziehen.1161 Was sich als Konfliktrhythmik in horizontaler Ebene als simultanes Erklingen von geraden und ungeraden Zählzeiten äußert, kann sich auf vertikaler Ebene auch als Verschiebung und Verschleierung von Taktschwerpunkten, als Hemiolik und Synkopik, als »das Hineinspielen des geraden Taktes in den unge1161 Auch an anderen Stellen des Quartetts werden immer wieder Achtel und Triolen gegeneinander gestellt, doch die Variation zeigt die bewusste Überspitzung dieser Technik und ihre Konzentration auf engem Raum.

Brahms und die »Idee der Kammermusik«

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raden«1162 darstellen. Gerade die »seit Händel’s Zeiten fast verschwundene Hemiole« sei erst durch Brahms, so Philipp Spitta weiter, »wieder zu Ehren gekommen.«1163 Was Spitta hier in seiner theoretischen Abhandlung als aus der Historie übernommene Elemente des geschichtsbewussten Brahms neutral darstellt, hat ihn an anderer Stelle in der Häufigkeit des Auftretens gestört: »[d]er Mann kann, glaube ich, keine vier Takte im 34 Takt mehr schreiben ohne Hemiolen. Diese Manier wird mir allmählich lästig«1164 schrieb er an Heinrich von Herzogenberg in Bezug auf Brahms’ Klaviertrio op. 87. Auch dieses Element findet sich gehäuft in Dessoffs Streichquartett op. 7. In jedem Satz ist die Verwendung von Hemiolik und das Verschleiern des Schwerpunkts nachweisbar (so z. B. besonders deutlich im ersten Satz, T. 115–120), oftmals hergeleitet aus der Verkürzung einzelner Figuren und Motive. Im vierten Satz wird die Verschiebung des Taktschwerpunkts sogar zum satzkonstituierenden und tragenden Merkmal. Dass Dessoff, der sich in seiner kompositorischen Tätigkeit so klar auf Brahms bezog, dies nicht zufällig einsetzt, beweist der Blick auf sein etwas später entstandenes Streichquintett op. 101165, das gleichzeitig das letzte seiner im Druck erschienenen Werke darstellt. Das Opus setzt mit Hemiolik ein, der Wechsel zwischen 3/2 und 34-Puls bestimmt den Eingang und wird deutlich erst im achten Takt in den 34-Takt aufgelöst. Die Vorlage bietet Brahms in noch deutlicherer Form beispielsweise in op. 116/5. Heinrich von Herzogenbergs Vorliebe für Synkopierung und Verunklarung des Taktmaßes wurde von Zeitgenossen sogar direkt mit dem Vorbild von Brahms in Verbindung gebracht: »Seine Sachen stoßen beim ersten Hören jeden natürlichen Menschen ab, sie sind in Brahms’scher Art geschrieben, die Betonung fällt meist auf den schlechten Tactteil, & man kann vor Syncopen nicht treten […]«.1166 Es ist nur folgerichtig, dass sich Spuren dieser Einschätzung auch in den Widmungswerken nachweisen lassen. Am deutlichsten zu erkennen ist die Vorliebe für Synkopierungen und Taktverschiebungen im 3. Satz, Allegro molto, des Quartetts op. 43/3. Aber auch das Klavierquartett op. 95 ist bereits im Beginn bestimmt von Betonungen »auf den schlechten Tactteil«. Anhand der brieflichen Kommunikation lässt sich an den Widmungswerken aber auch nachvollziehen, wie Widmende möglicherweise die kompositorischen 1162 1163 1164 1165

Spitta, Brahms, S. 393. Ebd. Spitta an Herzogenberg, 28. Dezember 1882 (zit. n. Wiechert, Herzogenberg, S. 112). Das Quintett ist – durchaus ungewöhnlich und nicht den Streichquintetten von Brahms entsprechend – für die Besetzung von zwei Violinen, einer Bratsche und zwei Violoncelli gesetzt. Es trifft sich darin mit dem Brahms gewidmeten Streichquintett op. 47 von Bernhard Scholz. 1166 So die Einschätzung Hedwig von Holsteins gegenüber Franziska Rheinberger (Wanger/ Irmen, Rheinberger-Briefe 4, S. 168).

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Intentionen des Widmungsträgers missverstanden. Denn für Brahms musste trotz der durch den Einsatz von Konfliktrhythmik hervorgerufenen Verunklarung eine gewisse Orientierung innerhalb musikalischer Phrasen gewährleistet sein, die Ordnung im Chaos durch Konsequenz damit sinnbildlich hergestellt werden. In diesem Sinn äußerte er sich im Dankschreiben für die Widmung von Ernst Rudorffs Fantasie für Pianoforte op. 14: »Mir scheint, Sie behandeln den Rhythmus etwas rücksichtslos oder sorglos. Ich muß bekennen, daß ich dem Versuch nicht widerstehen kann, gleich das erste Stück Ihrer neuen ›Phantasie‹ – ohne seinen sanft-träumerischen Charakter zu vergessen – in etwas regelmäßigere Taktzahl zu bringen; z. T. wird es mir schwer, den ersten Takt einer Melodie gelegentlich als zweiten gelten zu lassen.«1167

Was für Brahms als vorübergehende Verschleierung des Taktschwerpunkts durchaus auch am Beginn eines Werks legitim ist, wird von Rudorff übertrieben: Tatsächlich wechselt der gefühlte Taktpuls von Rudorffs erstem Thema durch Phrasierung und Bogensetzung mehrfach zwischen 2/4 und 34-Takt. Rudorffs Versuch, sich der musikalischen Sprache von Brahms anzunähern, musste demnach wegen mangelnder Durchdringung der Intentionen und des Kompositionsprozesses des Vorbildes scheitern. Ein eigentlich ursächlich Brahms zugeschriebenes kompositorisches Ausdrucksmittel schlägt dadurch in das Gegenteil um: Was bei Brahms eingebunden in den Gesamtkontext Mittel zum Zweck ist, macht durch Überspitzung den Zweck zum Mittel. ***

Die hier nur schlaglichtartige Betrachtung einzelner Facetten, die von den Zeitgenossen als typisch für die Tonsprache von Brahms erkannt wurde, zeigt: Es sind gerade solche oft flüchtige Elemente, die in Widmungswerken übernommen wurden, ohne in den Augen ihrer Komponisten das betreffende Werk in den Kontext des Epigonalen zu rücken. Sie schaffen Nähe, ohne die kompositorische Eigenständigkeit ihrer Komponisten zu gefährden. Denn in diesem Fall wäre eine Widmung nicht mehr gerechtfertigt gewesen.

1167 Brahms an Ernst Rudorff, [25.] Januar 1869, zit. n. BW III, S. 153.

Brahms und die »Idealisierung« der unterhaltenden Musik

2.

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Konstruierte Einfachheit: Brahms und die »Idealisierung« der unterhaltenden Musik »Die Natur war schön, wenn sie zugleich als Kunst aussah; und die Kunst kann nur schön genannt werden, wenn wir uns bewußt sind, sie sei Kunst, und sie uns doch als Natur aussieht.«1168

In den zeitgenössischen Rezensionen und Betrachtungen der verschiedenen Ausgaben von Brahms’ Walzern op. 39, op. 52 und 65, den Heften Ungarischer Tänze, den Zigeunerliedern oder den Volksliedvertonungen wird immer wieder ein spezieller Aspekt des Brahms’schen Kompositionsstils betont, der fast vermuten ließe, der zum Zeitpunkt der Komposition der Ungarischen Tänze WoO 1 bereits seit 64 Jahren verstorbene Immanuel Kant habe seine hier zitierte Aussage direkt auf Brahms bezogen wissen wollen: Unterhaltungsmusik und Volksmusik werden von Brahms so überformt, dass sie den Ansprüchen und Hörgewohnheiten der Konzertgänger genügen, ohne ihren speziellen Charakter zu verlieren. Die Melodien, egal ob überliefert oder neu erfunden, werden so mit kunstmusikalischen, oft kontrapunktischen Satztechniken verschränkt oder in künstlerisch sanktionierte Formen gegossen. Gleichzeitig werden volksmusikalische Prinzipien, gerade die für Volkslieder als spezifisch angesehene Einfachheit der Melodie, in Kompositionen anderer Gattungen überführt: »Dann zieht sich etwas Volksliedartiges durch alle seine Werke, und dies ist es eigentlich, glaube ich, was seiner Musik den herzgewinnenden Zauber verleiht.«1169 Setzt man Kants Natur-Begriff mit volkstümlichem Charakter gleich, wird die Parallele zu Brahms deutlich: Natürlichkeit, Volkstümlichkeit wird durch seine Kompositionen vermittelt als Kunst mit volkstümlichen Zügen. Dieses Prinzip ist von den Zeitgenossen werk- und gattungsübergreifend nachvollzogen worden, Philipp Spitta zeigt z. B. die übereinstimmende Herangehensweise in Ungarischen Tänzen und Walzern auf: »Brahms hat dem Walzer das Heimathsrecht in der höheren Kunstmusik zurückerworben. Zuerst als Clavierstück behandelt, erfuhr er alsbald durch Hinzuziehung des Gesangs eine weitere Idealisirung. Aehnliches vollzog sich an ungarischen Tanz= und Liedweisen. Brahms erfand diese nicht selbst, that aber aus Eignem so viel und so Wesentliches hinzu, daß man seine ›Ungarischen Tänze‹ fast als Originalschöpfungen

1168 Immanuel Kant: § 45: Schöne Kunst ist eine Kunst, sofern sie zugleich Natur zu sein scheint, in: Kritik der Urteilskraft (1790), mit Einl. u. Bibliographie hg. v. Heiner F. Klemme, mit Sachanmerkungen von Piero Giordanetti (= Philosophische Bibliothek, Bd. 507), 3. Aufl., Hamburg 2009, S. 241. 1169 Vgl. Albert Dietrich: Erinnerungen an Johannes Brahms in Briefen aus seiner Jugendzeit, hg. v. Irene Hempel, Leipzig 1989, S. 25f.

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ansehen kann. Jeder weiß, wie anregend er durch all dies auf die mitlebenden Componisten gewirkt hat.«1170

Den Konnex zum Konvolut der Widmungswerke spricht Spitta direkt an: Brahms habe durch seine Kompositionen »anregend« auf die »mitlebenden Componisten gewirkt«. Sein kompositorisches Konzept bot die Möglichkeit einer Repertoireerweiterung, die sowohl dem Bedürfnis nach Einfachheit und Exotik als auch dem Anspruch an ›kunstvolle‹ Musik Rechnung trug. Objektivität und Authentizität der Quellenwiedergabe war nicht entscheidend, das Schaffen von dauerhafter Musik war das Ziel: »Ich zeige solche Gedichte und Melodien, die mir schön und gut erscheinen […]. Über den Streit ›echt oder unecht‹ komme ich leicht weg.«1171 Zahlreiche kompositorische ›Trittbrettfahrer‹ und Nachfolger blieben nicht aus: »Ist es Mode oder liegt es in der Luft oder folgt man, bewusst oder unbewusst, dem von einem Auserwählten gegebenen Signal, oder wie lässt sichs sonst erklären, dass periodenweise unsere Componisten auf ein und dieselbe Musikgattung verfallen und nicht müde werden, in ihr zu produciren? Letztere Vermuthung dürfte etwas für sich haben, der Erfolg des Meisters reizt zur Nachahmung und verführt Andere. Und wen könnte man in diesem Fall wohl als Verführer denunciren? Sollte es wieder der böse Mann, der Brahms sein, der schon einmal mit seinen ungarischen Tänzen so viel compositorisches Unheil anrichtete?«1172

Diese Frage stellte sich der Rezensent einiger Hefte mit Walzer- und Tanzkompositionen, von denen allerdings Brahms keines gewidmet war. Längst nicht alle Komponisten wählten also ihren mutmaßlichen Inspirator als Adressaten ihres Werks aus. Exemplarisch mag für diese Entscheidung Richard Barth stehen. Der von Brahms sehr geschätzte Violinist verfasste zwar zwei Folgen von Walzern für Klavier zu vier Händen, die von Brahms inspiriert sind1173 und schrieb sogar eine 1170 Spitta, Brahms, S. 398. 1171 Brahms an Hermann Deiters, [29. Juni 1894], BW III, S. 127. Vgl. auch Brahms an Philipp Spitta, [6. April 1894], gegen die an größtmöglicher Objektivität der Wiedergabe orientierte Volksliedsammlung, den Deutschen Liederhort (1893), von Ludwig Erk und Franz Magnus Böhme. Brahms betont, »[daß] ich mich für die gar so philiströsen Texte und Melodien, wie sie seit Erk so gepflegt werden, nicht interessieren kann« (zit. nach BW XVI, S. 100). 1172 Kritische Briefe an eine Dame. 17. Tanz- und tanzartige Compositionen für Clavier, in: AmZ 13/44 (30. Oktober 1878), Sp. 700f. Thema sind in diesem Abschnitt die unzähligen Tanzkompositionen für Klavier, die vom Verfasser auf den Erfolg von Brahms’ Walzern op. 39 zurückgeführt werden. Die Rezension beschäftigt sich konkret mit Kompositionen von Stephen Heller (Walzer op. 145), Xaver Scharwenka (Sechs Walzer für das Pianoforte op. 28), Friedrich Siebmann (Walzer-Improvisationen für das Pianoforte op. 57), Otto Klauwell (Drei Klavierstücke in Walzerform op. 16), Wilhelm Kienzl (Bunte Tänze op. 10), Ludwig Grünberger (Ungarischer Zigeunermarsch) und Jean Louis Nicod¦ (Charakteristische Polonaise op. 5). 1173 Deutsche Walzer für Klavier zu vier Händen op. 2 (1870); Neue deutsche Tänze für Klavier

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Folge von zwölf Liebes-Walzern1174 in derselben Besetzung wie Brahms’ Liebeslieder-Walzer. Brahms gewidmet ist jedoch eine Partita für Violine solo op. 10, die auf kein analoges Werk im Œuvre des Adressaten verweisen kann. Barth löst sich durch diese Entscheidung aus dem potenziellen Abgleich mit dem als übergroß angesehenen Vorbild heraus – er schafft Nähe vielmehr über die Betonung des gemeinsamen Interesses für Johann Sebastian Bach, dessen SoloPartiten den Bezugspunkt bilden. Andere Widmende knüpften dagegen vielfältig an Brahms’ Interesse für volkstümliche Musik und Tanzmusik an.

Freilich schuf auch Brahms seine Kompositionen nicht ohne Kontext, Vorbilder wie Franz Schubert im Bereich der Walzerkomposition und des Volksliedes benennt er selber. Und doch erkannten in ihm die Komponisten der Gegenwart etwas genuin Neues, Walzer oder Ungarische Tänze wurden selbst zu vier Händen op. 4 (1876). Auskunft über die Inspirationsquelle gibt Julius Otto Grimm, der an Brahms anlässlich der Übersendung seines eigenen Widmungswerks schreibt: »Richard Barth, unser immer vorzüglicherer Geiger, fragt, ob er Dich wohl grüßen lassen darf ? – Er leidet an mancher Ansteckung von Dir, – so hat er neulich sehr hübsche vierhändige Walzer zu komponieren sich erlaubt.« Vgl. Julius Otto Grimm an Brahms, 25. Dezember 1870; BW IV, S. 121. Barth selber hat diesen Band des Brahms-Briefwechsels nach dem Tod beider Freunde herausgegeben und hätte mit Sicherheit falsche Informationen über eigene Werke getilgt. 1174 Textdichterin ist Hedwig Kiesekamp. In Barths Liebes-Walzern finden demnach zwei Künstler, die Brahms ein Werk widmeten, in einer erneuten Brahms-Hommage zusammen. Im Teilnachlass Barths hat sich von diesem nicht im Druck erschienenen Werk ein auf das Jahr 1888 datiertes Autograph erhalten (Brahms-Institut an der Musikhochschule Lübeck, Inv.-Nr. ABH 4.265).

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ohne Widmung auf sein Vorbild zurückgeführt. Das Neue, über das Brahms in den Augen der Zeitgenossen solchen Gattungen das »Heimathsrecht in der höheren Kunstmusik«1175 erwarb, spiegelt sich nun – so die These – in den betreffenden Widmungswerken.1176

2.1

Brahms als populärer Bezugspunkt – Überlegungen zu Nach- und Weiterkompositionen

Die Brahms gewidmeten Werke volksmusikalischen Charakters oder Ursprungs eint ein Merkmal: Viel häufiger als z. B. Kammermusikwerke werden sie in ihrer Inspiration auf konkrete Kompositionen des Widmungsträgers zurückgeführt – sie haben einen äußerst populären Bezugspunkt. Dieser wurde vom Rezipienten in einem Umfeld, in dem eine »Walzer-Epidemie«1177 und die Flut an Ungarischen Tänzen ganz selbstverständlich auf Brahms bezogen wurden, ohne Weiteres erkannt und eingeordnet. Schon der Titel gab in Verbindung mit dem Text der Widmung den Zeitgenossen den Hinweis auf das Modell des Komponisten. Dieser konnte wiederum mit der dadurch geweckten Erwartungshaltung der Rezipienten rechnen. Der Unterschied zum epigonalen Komponieren ist klar umrissen: Es handelt sich nicht um eine – unbewusste – Nähe mit Tendenz zur Stilkopie, sondern um eine bewusst vollzogene und durch die Widmung öffentlich gemachte Bezugnahme innerhalb eines ansonsten idealerweise eigenständigen Werks. Bezug stiftend sind nur einzelne Aspekte wie die gemeinsame inhaltliche Thematik, eine bestimmte Gattung (wie der Walzer) aber auch Elemente der Tonsprache o. ä., die über einen sprechenden Titel transportiert werden. Neben der ambitionierten Nachfolge, deren Ergebnis als Produkt einer individuellen ›Weiterkomposition‹ bezeichnet werden könnte, kommt es gerade auf diesem Gebiet relativ häufig zu Produktionen von kompositorischen ›Trittbrettfahrern‹, die vom Erfolg eines konkreten Werks profitieren wollten und zu diesem Zweck z. B. ganze Heerscharen von ›Neuen ungarischen Tänzen‹ schufen. Als Frucht der pragmatischen Überlegungen ergeben sich zuweilen regelrechte ›Nachkompositionen‹, die stilistisch-kompositorisch am Vorbild orientiert sind. Sie bewegen sich oftmals nah am Feld des Epigonalen, der merkantile Aspekt spielt für die Entstehung eine tragende Rolle. Sowohl Verleger als auch Komponisten waren sich bestimmter Modewellen bewusst, die es zu 1175 So Philipp Spitta, vgl. FN 1170. 1176 Die Teilung des Kapitels in verschiedene Unterkapitel nach gattungs- und kulturspezifischen Gesichtspunkten ist pragmatischen Überlegungen geschuldet und soll eine bessere Strukturierung gewährleisten. 1177 AmZ 13/39 (25. September 1878), Sp. 615.

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bedienen galt: Fritz Simrock bat so Anton†n Dvorˇ‚k, ihm Tänze »in der Art«1178 der erfolgreichen Ungarischen Tänze von Brahms zu liefern. Die Slawischen Tänze op. 46 Dvorˇ‚ks können nun keinesfalls als stilistische ›Nachkomposition‹ bezeichnet werden, darauf weist bereits der komplette Verzicht auf das Verwenden überlieferter Volkstanzthemen hin. Und doch zeigt die formale Orientierungshilfe, die Simrock dem Komponisten an die Hand gab, wie sehr der Glanz erfolgreicher Verlagsartikel abstrahlte. Es wandten sich umgekehrt aber auch viele Komponisten an Verleger, um Hinweise zu bekommen, welche Art von Kompositionen besonders gefragt sei.1179 Dies half ihnen, im Konkurrenzkampf am umkämpften Musikalienmarkt zu bestehen. Auch im direkten Brahmsumfeld mussten die Komponisten ihr Schaffen an solchem Pragmatismus ausrichten, wie Robert Fuchs in der Rückschau betont: »Kurz vorher starb der alte Chef der Verlagsfirma Kistner, für den ich soviele Klavierstücke schrieb. Ich tat dies aus rein praktischen Gründen, ich brauchte Geld.«1180 In diesem Umfeld konnte die Orientierung an beliebten Vorgängerkompositionen hilfreich sein. Besonders stark wirkt der Verweis auf eine direkte Nachoder Weiterkomposition eines berühmten Werks, wenn die Verbindung schon im Titel betont wurde, vor allem durch das Adjektiv »neu«. Der Käufer konnte demnach erwarten, dass bestimmte Aspekte der Bezugskomposition übernommen und weiterverfolgt wurden: Theodor Kirchners Neue Davidsbündlertänze op. 17 und Neue Kinderszenen op. 55 stellen sich so direkt in die Nachfolge Robert Schumanns.1181 Noch deutlicher wird die Bezugnahme, wenn eine Widmung die Verbindung zusätzlich stärkt. Carl Tausigs Nouveaux Valses-caprices verweisen in diesem Sinn sowohl in Titel als auch in der an Liszt gerichteten Widmungsadresse auf die Valses Caprices seines ehemaligen Lehrers. Den

1178 Vgl. Simrock an Anton†n Dvorˇ‚k, Anfang März 1878, und konkretisierend ein Schreiben vom März 1878, beide in Teilen zit. v. Döge, Dvorˇ‚k, S. 178f. Brahms gegenüber stellte Dvorˇ‚k allerdings die formale Orientierung an den Ungarischen Tänzen als eigene Überlegung dar : »Da ich aber nicht wußte, wie das recht anzufangen, habe ich mich bemüht, mir Ihre berühmten ›Ungarischen Tänze‹ zu verschaffen, und werde ich mir erlauben, mir dieselben als ein mustergültiges Vorbild zur Bearbeitung der betreffenden ›Slawischen‹ zu nehmen.« (Anton†n Dvorˇ‚k an Brahms, 24. März 1878, zit. n. Dvorˇ‚k, Korespondence a Dokumenty I, S. 140). 1179 Jan W. Wilms an das Bureau de Musique, 13. Juni 1811 (zit. n. Beer, Rahmenbedingungen des Musikschaffens, S. 201ff.): »Welche Art von Werke, gehen in Ihrem Verlag am besten? oder von welcher Musik haben Sie den mehrsten Absatz? wenn ich dies weiß, so kann ich mich im Componiren darnach richten.« 1180 Zit. n. Anton Mayr : Erinnerungen an Robert Fuchs, Graz 1934, S. 32. 1181 Die Titel zielen auf den Vergleich mit Schumanns Davidsbündlertänzen op. 6 und Kinderszenen op. 15. Auch Titelstrukturen wie Kirchners Nachklänge Florestan und Eusebius op. 53 oder Ideale op. 33, die über die Angabe von Geburtstagen auf die Inspiratoren der enthaltenen Klavierstücke verweisen, sind so zu verstehen.

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Urhebern der Originalkompositionen waren diese direkten Nachahmungen freilich nicht immer angenehm, wie Richard Heuberger berichtet: »Reinecke liebte auch das Nachahmen. So habe Robert Schumann ihm, Brahms, wiederholt gesagt, daß es ihn ärgere, daß Reinecke sofort Fughetten herausgebe, wenn er welche mache, und Variationen, wenn er welche veröffentliche.«1182

Eine besondere Form der Weiterkomposition im Umfeld von Brahms bezieht sich allerdings nicht auf seine eigenen Kompositionen, sondern auf ein ihm gewidmetes Werk: Carl Michael Ziehrer veröffentlichte mit seinem Walzer Diesen Kuß der ganzen Welt op. 442 1892 eine Fortsetzung von Johann Strauss’ Seid umschlungen, Millionen op. 443 – der »Johannes Brahms gewidmet« ist.1183 Nicht nur die Ergänzung der beiden Titel zu einem Gesamtzitat der Anfangszeile der berühmten Ode an die Freude, sondern auch die fast gleichen Opuszahlen sind nicht zu übersehen. Die Erstaufführung des Walzers von Ziehrer erfolgte tatsächlich am 5. Mai 1892 bei der Eröffnung der internationalen Musik- und Theaterausstellung in Wien, für die auch Strauss Seid umschlungen, Millionen als Auftragskomposition verfasst hatte. Beide Walzer erklangen also zusammen im Kontext der Weltausstellung. Auch Brahms hat die Verbindung zwischen beiden Tänzen möglicherweise gezogen, wie die Zusammenstellung beider Titel in einem Brief an Theodor W. Engelmann nahelegt: »NB. Strauß ist auch hier u. Ihre Frau kann den Millionen-Kuß an der Quelle haben!«1184 Die angesprochenen finanziellen Erwägungen scheinen besonders in den Brahms gewidmeten Neuen ungarischen Tänze des heute völlig unbekannten J. H. Wallfisch auf, die den merkantilen Aspekt durch die Gestaltung des Titelblatts mit einem Foto des verstorbenen Brahms zusätzlich betonen. Es waren allerdings nicht immer ökonomische Überlegungen ausschlaggebend für eine im Titel angezeigte Nachfolge: Als aus Bewunderung motivierte kompositorische Reaktion und eigenständige thematische ›Weiterkomposition‹ ist Ernst Seyffardts Schicksalsgesang op. 13 einzuordnen. Seyffardt widmete Brahms 1884 dieses kurz nach der Rückkehr von einem einjährigen Studienaufenthalt in Wien entstandene Chorwerk, das im Titel auf das Schicksalslied op. 54 rekurriert. Zwar liegen beiden Kompositionen unterschiedliche Texte zugrunde, doch die Thematik des dem Schicksal unterworfenen Menschen verbindet sie. Während Brahms den Text Goethes erst durch einen optimistischen Schluss ins Positive wendet, ist die Aussage des Schicksalsgesangs jedoch schon in der Textvorlage positiv : Der Mensch kann durch Reue sein Schicksal beeinflussen. Die Besetzung des Opus Seyffardts für Altsolo, Chor und Orchester erinnert freilich eher 1182 Heuberger, Brahms, S. 97. 1183 Vgl. zu dieser Widmung S. 330ff. in diesem Kapitel. 1184 Brahms an Theodor W. Engelmann, [14. Juli 1892], BW XIII, S. 151.

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an die kurz vor dem Schicksalslied veröffentlichte Alt-Rhapsodie op. 53. Musikalisch erweist sich das Widmungswerk dagegen als durchaus eigenständige Komposition, die den Text Geibels auch lautmalerisch ausdeutet.1185 Doch kleine Referenzen wie der aus der Tiefe aufsteigende Beginn und das Aufgreifen der in der Brahms’schen Einleitung zum Schicksalslied konstitutiven Rhythmusstruktur aus Viertel mit nachfolgender Achteltriole in T. 13/14 machen den Inspirator über den Titel hinaus kenntlich.

2.2

»Kann denn Brahms Walzer componiren?« Der Walzer als Kunstmusik

»Wie? Eine Recension über Wa l z e r in dieser sonst so ernsthaften Zeitung? Und an der Spitze des Blattes? Und Walzer von B r a h m s , diesem Componisten, der von Manchen für unklar, verworren und immer in höheren Regionen ›schwebelnd und nebelnd‹ angesehen wird? K a n n denn Brahms Wa l z e r componiren?«1186

Was bei Erscheinen der Walzer op. 39 zumeist noch mit Erstaunen zur Kenntnis genommen wurde, mochte nach Studium des Heftes kaum ein Rezensent mehr bezweifeln: Der »ernste, schweigsame Brahms, der ächte Jünger Schumann’s, norddeutsch, protestantisch und unweltlich wie dieser«1187 konnte tatsächlich Bedeutendes zur Gattung des Tanzes beitragen. Die anfängliche Unsicherheit ergab sich vor allem daraus, dass Walzer und Tanzmusik im Wien des 19. Jahrhunderts trotz ihrer zunehmenden Präsenz in den Konzertsälen als niedere Gattungen betrachtet wurden, die den Ansprüchen der Kunstmusik (hier gleichgesetzt mit reiner Konzertmusik) nicht in vollem Maß entsprechen konnten.1188 Denn trotz der neuen Funktion als Konzertstück blieb die Tanzbarkeit eine grundlegende Anforderung, was Flexibilität und kompositorische Freiheiten beschränkte.1189 1849 reflektierte Eduard Hanslick 1185 Die einleitende Passage »starr und unwandelbar« wird durch Pause und Unisonoführung der Stimmen vertont, die herabgegossene »volle Schale des Zorns« durch abfallende Kaskaden der Violinen versinnbildlicht. 1186 S[elmar] B[agge]: Recensionen. Vierhändige Walzer von Joh. Brahms. Op. 39, in: LAmZ 1/37 (12. September 1866), S. 293–296, hier S. 293. 1187 Charakterisierung von Brahms durch den Widmungsträger der Walzer op. 39, Eduard Hanslick, in einer Rezension des Werks in der LAmZ 1/43 (24. Oktober 1866), S. 346–347. 1188 Die Walzerproduktion bestand im Wien des 19. Jahrhunderts vor allem aus Walzerketten in der Nachfolge von Johann Strauss (Vater) und Gustav Jenner. Spätestens mit den Kompositionen von Johann Strauss (Sohn) eroberten sie neben den Ballsälen auch den Konzertsaal, die umjubelten Auftritte der berühmten, von Johann Strauss (Vater) gegründeten Wiener Johann Strauss Capelle sind der Inbegriff dieser Entwicklung. 1189 Die vorausgesetzte Tanzbarkeit hat z. B. ein recht starres Formschema zur Folge: Die gerade in Wien unglaublich populär gewesenen Ketten bestehen aus meist vier bis sechs Tänzen mit Introduktion und Coda, im Begriff des Wiener Walzers wird der Gesamtkomplex zusammengefasst (vgl. zur Begründung dieser Form durch Joseph Lanner Franz

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im Nekrolog auf Johann Strauss (Vater) kritisch den aktuellen Stand der Walzerproduktion: »Vom rein künstlerischen Standpunkt erscheint die Tanzmusik jedenfalls untergeordneten Ranges, indem sie, blos unterstützende und beigesellte Kunst, zunächst einem fremden Zwecke dient, nämlich den Tanzschritt mit Takt und Rhythmus zu begleiten. Wenn die Tanzmusik nicht höher hinaus will, so thut ein Hackmesser denselben Dienst. Der Werth jeder Kunstgattung steigt oder fällt jedoch mit den Anforderungen, die man ihr stellt. Unsere Anforderung an die Tanzmusik geht dahin, daß sie nicht blos das Stampfen der Tänzer im Takt erhalte, sondern deren Seelenleben verstehe, ihre Stimmung und Leidenschaft interpretire, steigere, veredle. […] Die gegenwärtige Form der Walzermusik birgt ein großes Hemmniß für deren künstlerische Entwicklung und für jeden Componisten, der ihr eine bessere Mitgift von Talent oder Kenntniß zubringt. Die enge, festgeschlossene Form des Walzers läßt auch die kleinste Entwicklung einer Melodie nicht zu, diese ist, so wie sie zu Ende gekommen, auch spurlos abgethan, um einer zweiten, dritten u. s. f. Platz zu machen, bis alle fünf Walzer wie eine unzusammenhängende Bilderreihe in einem Guckkasten abgerollt sind. Zu einem Tanz sind (außer Introduction und Finale) fünf Walzer, also wenigstens fünf neue Themen, nothwendig, meist jedoch noch einmal so viel, da gewöhnlich zum zweiten Theil jedes Walzers wieder ein neues Motiv verwendet wird. Es ist dies eine unkünstlerische Verschwendung, welche die begabteste Productionskraft bald erschöpfen muß.«1190

In den etablierten Aufführungsreihen der Konzertsäle und bei anspruchsvoller Hausmusik hatte das Genre in den Augen der Verfechter einer reinen Kunstmusik keinen Platz, »Tonsetzer und Kritiker« blickten darauf »gewöhnlich mit souveräner Verachtung«1191 herab. Doch zur Mitte des Jahrhunderts begann sich die abwertende Einschätzung zu ändern. Louis Ehlert, der 1868 betonte, es gebe »heut zu Tage wohl keinen Musiker, welcher diese Formen nicht ebenbürtig Magnus Böhme: Geschichte des Tanzes in Deutschland. Beitrag zur deutschen Sitten-, Litteratur- und Musikgeschichte, Bd. 1: Darstellender Teil, Leipzig 1886, S. 274. Dass der Name Brahms in dieser Darstellung nicht auftaucht, liegt daran, dass sich der Autor auf Tanzmusik im eigentlichen Sinn – also tanzbare Musik – beschränkt). Die speziellen Anforderungen der Tanzmusik schränkten die Entwicklungs- und Gestaltungsmöglichkeiten des Walzers freilich auch über die äußere Form hinaus ein. Agogik, Änderungen in Rhythmik und Metrik mussten zugunsten der Gewährleistung problemloser Tanzbarkeit zurückweichen. 1190 Eduard Hanslick: Johann Strauß († 25. September 1849), in: ders., Aus dem Concert-Saal. Kritiken und Schilderungen aus den letzten 20 Jahren des Wiener Musiklebens nebst einem Anhang: musikalische Reisebriefe aus England, Frankreich und der Schweiz, Wien 1870, S. 13–16, hier S. 13f. Nichtsdestotrotz schätzte Hanslick die Walzer von Strauss, die auch »außerhalb des Ballsaales, noch Gehalt genug besassen, um musikalisch zu interessiren«. Er nutzte die hier zitierte inhaltliche »Abschweifung« (ebd., S. 13) innerhalb des Nekrologs, vielmehr gerade, um die Leistungen des Walzerkönigs als Ausnahmebeispiel an Qualität zu würdigen. 1191 Ebd., S. 13.

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neben alle strengeren der klassischen Zeit stellen würde«1192, war zwar in seiner uneingeschränkt positiven Sichtweise nicht repräsentativ, doch siebzehn Jahre nach der Veröffentlichung von Hanslicks Strauss-Nekrolog eröffnete eine Rezension der Walzer op. 39 von Brahms sogar das Gesamtheft der AmZ. Freilich sah sich der Rezensent zur Rechtfertigung seines Artikels genötigt: »Wenn wir nun in einem Werke viel, sehr viel Schönes finden, so dass es Mühe kostet, die Schönheiten alle aufzuzählen und zu begründen, dann kann es uns gleichgültig sein, ob das Werk den bescheidenen Titel ›Walzer‹ führt, und wir fangen gleich eine Nummer mit der Recension an, damit wir Raum genug haben darüber zu reden.«1193

Brahms schuf tatsächlich mit diesem Heft abweichend von der Tradition der Walzerkette eine auf Schubert fußende, aber dennoch eigenständige Ausdeutung der Form.1194 Seine Walzer op. 39 sind kleinformatige, oft intime, kammermusikalische Stücke für Klavier, in einer Gruppe zusammengestellt und veröffentlicht, aber nicht zwingend zur zyklischen Aufführung gedacht.1195 Introduktion, Überleitungen und Coda entfallen dementsprechend. Vor allem aber sind sowohl die Walzer op. 39 als auch die Liebeslieder-Walzer opp. 52 und 65 keinesfalls tanzbar – und setzen sich damit deutlich vom Vorbild Schuberts ab.1196 Temposchwankungen, genaue Vortragsbezeichnungen und die Kürze 1192 Neue Berliner Musikzeitung 22/6 (5. Februar 1868), S. 44. 1193 LAmZ 1/37 (12. September 1866), S. 293–296. 1194 Bereits seit 1810 hatte sich parallel zur Walzerkette der Einzelwalzer zu etablieren begonnen, Franz Schubert ist der erste Höhepunkt dieser Form zuzuschreiben – sowohl Fr¦d¦ric Chopin als auch Brahms stehen in je eigener Weise in seiner Nachfolge. Die Entwicklung des großformatigen, meist zyklischen Konzertwalzers Strauss’scher Faktur (egal, ob von Vater oder Sohn) wurde von Schubert aufgebrochen, hin zum kleineren Salonwalzer, -ländler oder Deutschen. Im Gegensatz zu Brahms schuf Chopin in dieser Tradition relativ ausgedehnte, virtuose Konzertwalzer, deren Länge eine Einzelveröffentlichung erlaubte. Vgl. zum Walzer bei Franz Schubert v. a. Walburga Litschauer u. Walter Deutsch: Schubert und das Tanzvergnügen, Wien 1997. 1195 Vgl. Heuberger, Brahms, S. 162f. 1196 Die Verbindung zur Tanzmusik war bei Schubert immer gegeben. Er schrieb seine Tänze primär für den Ballsaal, improvisierte sie häufig spontan im Rahmen privater Hausbälle (vgl. dazu die Beschreibung des engen Schubert-Freundes Joseph Sonnleithner : »Er besuchte manchmal Hausbälle in vertrauten Familienkreisen; er tanzte nie, war aber stets bereit, sich ans Klavier zu setzen, wo er stundenlang die schönsten Walzer improvisierte; jene, die ihm gefielen, wiederholte er, um sie zu behalten und in der Folge aufzuschreiben.« Zit. n. Litschauer/Deutsch, Schubert, S. 3). Überleitungen zwischen den einzelnen Tänzen, und die übergreifende tonartliche Disposition stellten aus den Einzelnummern Schuberts in vielen Fällen wiederum Tanzketten und Zyklen zusammen, die ohne Unterbrechung zum Tanz aufgespielt werden konnten. Nach den Erinnerungen der Freunde Schuberts wurden die Folgen, Ketten und Zyklen allerdings in doppelter Funktion gebraucht, sie waren sowohl für den Tanz als auch für den rein musikalischen Konzertvortrag geeignet (Litschauer/Deutsch, Schubert, S. 7). In ihrer oft spontanen Entstehung sind sie zwischen anlassbezogen erfundener, improvisatorischer Gebrauchsmusik und gedrucktem Werk anzusiedeln (ebd., S. 3).

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führen den eigentlichen Legitimierungsgrund der Tanzmusik – das Tanzen – ad absurdum: Die von Hanslick im Strauss-Nekrolog geforderte »höhere Stufe«, die die Gattung auf der Ebene der Kunstmusik ansiedelt, ist erreicht. Trotz der Integration von kompositorischen Strategien wie Kontrapunktik und Kanonik geht die Einfachheit der volkstümlichen Musik aber nie verloren. Widmungsträger des ersten eigenständigen Brahms’schen Tanzwerks, der Walzer op. 39, war genau jener gute Freund Hanslick, der 1849 die zitierte Kritik der Walzerform veröffentlicht hatte. Vielleicht ist die eigentlich so widersprüchlich scheinende Widmung also im Kontext eines anspielungsreichen Austauschs zu lesen1197, indem Brahms versuchte, auf Grundlage der Einschätzung Hanslicks eine eigene Ausdeutung des Genres zu wagen, die sich teilweise vom Lösungsvorschlag des Theoretikers absetzte.1198 Die Widmung der gesellschaftlich als Unterhaltungsmusik deklarierten Walzer an den promovierten Akademiker und ›Kritikerpapst‹1199 ist immerhin deutlicher Ausdruck der kunstmusikalischen Ambition. Brahms jedenfalls dachte beim Komponieren »an Wien, an die schönen Mädchen, mit denen Du vierhändig spielst, an Dich selbst, den Liebhaber von derlei …«.1200 Der Austausch setzte sich nach dem Druck des Widmungswerks noch fort. Denn Hanslick reagierte auf die Wid-

1197 Es ist eine tönende Antwort – ähnlich und doch abweichend von Brahms’ auf Ludwig Erks und Franz Magnus Böhmes Deutschen Liederhort reagierende Volksliedsammlung. Vgl. Brahms an Hermann Deiters, [29. Juni 1894]: »Eigentlich ist diese meine Sammlung das – was von einer großen Streitschrift gegen Böhme übriggeblieben ist, an dessen Büchern ich ungemein viel auszusetzen habe. Diese meine Beispiele sprechen jedoch nur von einem: dass ich mich für die gar so philiströsen Texte und Melodien, wie sie seit Erk so gepflegt werden, nicht interessieren kann; ich zeige solche Gedichte und Melodien, die mir schön und gut erscheinen und seit längster Zeit lieb und wert sind.« (BW III, S. 127f.). 1198 Dieser hatte im Rahmen des Nekrologs vorgeschlagen: »Wir meinen nämlich so: der Walzertanz (zum Unterschiede vom einzelnen Walzer) sollte nicht aus fünf selbstständigen, zusammenhanglos aneinander gereihten Stücken bestehen, deren jedes 1 oder 2 neue Motive verschlingt, sondern er hätte Ein abgeschlossenes zusammenhängendes Ganze [sic] zu bilden. Dazu würden 1 oder 2 Hauptthemen hinreichen, denen (innerhalb der Grenzen der Tanzbarkeit) die freieste musikalische Entwicklung gegönnt und geboten wäre. Die geeignetste Form würde sich bald herausstellen, allenfalls die erweiterte Rondoform, oder die zweitheilige mit Wiederholung beider Theile und Coda […]. Nur durch diese einheitliche Form könnte der Componist dem doppelten Uebel entgehen, ein halb Dutzend neue Motive erfinden, um sie dann nutzlos vergeuden zu müssen; nur durch sie könnte der Walzer als Musikstück sich zu künstlerischem Werth und Inhalt entwickeln und ausgeprägten Charakter erhalten, während die gegenwärtigen Walzerpartien als Ganzes es kaum zu einer Physiognomie bringen.« Vgl. Hanslick, Strauß, S. 15f. 1199 Der Doktortitel erschien sogar im Widmungstext. Da Brahms für sorgfältige Planung der Widmungen und genaue Kalkulation der Wirkung auf die Öffentlichkeit stehen kann, ist dies zumindest erwähnenswert. 1200 So Brahms an Eduard Hanslick, [vor dem 14. April 1866], zit. n. Wiesenfeldt, Briefwechsel, S. 282.

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mung mit einer Rezension, in der er den Walzern genau jene Attribute zuschrieb, die er 1849 als fehlend bemängelt hatte: »Wirkliche Tanzmusik wird natürlich Niemand erwarten: Walzer-Melodie und -Rhythmus sind in künstlerisch freier Form behandelt und durch vornehmen Ausdruck gleichsam nobilisirt. Trotzdem stört darin keine künstelnde Affectation, kein raffinirtes, den Total-Eindruck überqualmendes Detail – überall herrscht eine schlichte Unbefangenheit, wie wir sie in diesem Grade kaum selbst erwartet hätten.«1201

Auch die Zeitgenossen teilten diese Einschätzung größtenteils, die überlieferten Äußerungen zeigen, welche Bedeutung dem Topos der Gattungserhöhung beigemessen wurde: Brahms mache die eigentlich »niedrigere Stufe der Gattung«1202 vergessen, er habe sie »zur Höhe des Künstlerischen«1203 erhoben, analog habe er durch seine Bearbeitung die Melodien der Ungarischen Tänze WoO 1 in »eine künstlerische Form zu fassen«1204 vermocht. Und die Brahms gewidmeten Walzer legen ebenfalls Zeugnis von dieser Entwicklung ab: Georg H. Witte integrierte kontrapunktische Satztechniken, Hans Huber begründete seine Dedikation in der brieflichen Bitte um Widmungserlaubnis damit, dass Brahms die Gattung »so herrlich idealisirt«1205 habe. Beide legen ihren Widmungsadressaten damit auf je eigene Art auch als wichtige musikalische und kompositorische Inspirationsquelle offen. Das wichtigste Moment der Brahms’schen Walzer gegenüber den bekannten Kompositionen eines Strauss war also das kunstmusikalische Element, das nun Eingang fand und die Gattung endgültig vom reinen Tanz- und Unterhaltungsgenre löste. Die öffentliche Wahrnehmung wurde jedenfalls durch den Erfolg von Brahms nachhaltig positiv beeinflusst: Rezensenten rechtfertigten die Aufnahme ihrer Artikel in »ernsthaften«1206 Zeitungen nun mit dem Hinweis auf sein Vorbild, unzählige Komponisten versuchten, mit der Neukomposition von Walzerheften von der großen Nachfrage zu profitieren. Der potenzielle Bekenntnis- und Werbefaktor einer Widmung kommt deshalb in diesem Umfeld besonders zum Tragen, die Dedikation half, sich von der Vielzahl neu erscheinender Tanzkompositionen abzusetzen. Den Namen des Komponisten der bewunderten, aber auch kritisch hinterfragten1207 Walzer op. 39 und der Liebes1201 1202 1203 1204 1205

Rezension der Walzer op. 39, LAmZ 1/43 (24. Oktober 1866), S. 346–47. Vorankündigung des Drucks in der LAmZ 1/33 (15. August 1866), S. 265. LAmZ 1/37 (12. September 1866), S. 293–296. Barth, Brahms und seine Musik, S. 54. Hans Huber an Brahms, 14. Januar 1878, A-Wgm, Sign.: Brahms-Nachlass, Briefe Hans Huber an Johannes Brahms 166, 1. 1206 LAmZ 1/37 (12. September 1866), S. 293–296. 1207 Z. B. die Rezension eines Konzerts in Paris (NZfM 64/18 [24. April 1868], S. 155): »Den aufmerksamen Zuhörer, und nur an solche kann sich ein Componist von Brahms’ gestaltender Kraft wenden, muß dies Flattern von einer Musikblüthe zur andern peinlich

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lieder-Walzer abdrucken zu dürfen, bedeutete ein Qualitätsmerkmal – immerhin hatte Brahms der Widmung zugestimmt. Gleichzeitig wurde so bereits auf dem Titel deutlich, in welcher stilistischen Nachfolge sich die Komponisten sahen: Weder Strauss noch Chopin hatten mit ihren Walzern Pate gestanden, sondern Johannes Brahms. Drei Komponisten eigneten Brahms ein Heft Walzer zu: Hans Huber, Georg Hendrik Witte und Theodor Kirchner. Tatsächlich wird die Brahms-Nachfolge in allen Kompositionen bereits in der äußeren Form ersichtlich. Es handelt sich ausnahmslos um Sammlungen kurzer Walzer, die in ihrer Gesamtschau ein Kaleidoskop an Stimmungen und Charakteren entfalten. Die Funktion der Tanzbegleitung wird in ihrer Konzeption bewusst aufgegeben. Denn das lyrische und melancholische Element wird nach dem Vorbild von Brahms, der es z. B. im Walzer op. 39/7 eingesetzt hatte, verstärkt integriert. Auch dies ist eine Entwicklung, die sich von Strauss absetzt, der seine Walzer bewusst in heiterem Charakter hielt.1208 Brahms galt schnell auch den Rezensenten als Maßstab neuer Walzerkompositionen: »Dass Brahms mit seinen vierhändigen Walzern Nachahmer finden werde, dachten wir gleich.«1209 Mit diesen Worten kündigt eine Rezension die erste bekannte Komposition an, die explizit Bezug auf das Vorbild der Walzer op. 39 nimmt. Besprochen werden die Walzer op. 7 des Reinecke-Schülers Georg Hendrik Witte. Schon zuvor hatte Witte Walzer veröffentlicht – er schlägt allerdings mit den 1868 veröffentlichten Tänzen in Anlehnung an Brahms einen neuen Weg des Komponierens ein. Zum ersten Mal verwendet er die Bezeichnung als Titel einer ganzen Walzerfolge, auch die von Brahms übernommene Besetzung für Pianoforte zu vier Händen ist neu. Seine beiden ersten Tanzopera, als Opus 1 und Opus 3 veröffentlicht, standen dagegen als einzelne Konzertwalzer in der Tradition Fr¦d¦ric Chopins1210 – ebenfalls nicht primär für den Ballsaal bestimmt, jedoch der Form des Johann Strauss (Sohn) näher stehend. sein, und die Mühe, dem Tonkünstler zu folgen, erscheint ihm eine verlorene. Waren nicht Chopin’sche Walzer da, um dem Componisten als Formbilder zu dienen? Oder, wenn er echte Wiener Walzer schreiben wollte, haben nicht Strauss und Lanner mustergültige Formen gefunden?« 1208 Zum einen aus der Erwartungshaltung der Zuhörer heraus, denn das Publikum besuchte »ein Strauss-Concert in der Erwartung, heiter gestimmt zu werden.« (Johann Strauss an Eduard Strauss, Brief von 1893 oder 1894, zit. n. Andreas Ballstaedt: Die Walzer von Johann Strauß [Sohn] – Gebrauchsmusik oder Werk?, in: Johann Strauß. Zwischen Kunstanspruch und Volksvergnügen, hg. v. Ludwig Finscher u. Albrecht Riethmüller, Darmstadt 1995, S. 76–96, hier S. 81). Zum anderen aber auch, weil das Tanzen bei starken Unterschieden des Stimmungsgehalts und den damit verbundenen Temposchwankungen unmöglich geworden wäre. 1209 LAmZ 3/10 (4. März 1868), S. 78. 1210 Zum Walzer op. 1 wurde bei Erscheinen festgestellt: »Witte’s fein harmonisirter, dabei thematisch behandelter ›Walzer‹ erinnert an Chopin, verräth aber als Op. 1 ein nicht

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Die Brahms gewidmeten Walzer op. 7 entstanden nach Aussage des 25-jährigen Komponisten in der Gattung angemessener entspannter Atmosphäre – allerdings an ungewöhnlichem Ort, nicht in Wien, sondern im Elsass.1211 In einem nicht näher datierbaren Brief vom Sommer 1867 hatte Brahms die Widmung offiziell angenommen, es war der Beginn einer zwar losen, aber andauernden Bekanntschaft.1212 Der kompositorische Bezugsrahmen ist im analytischen Befund des Notentextes unverkennbar, die Walzersammlung ist ganz deutlich durch Brahms und seine zwei Jahre zuvor erschienenen HausmusikWalzer op. 39 geprägt: »Spasshaft war uns, als wir das neue Heft aufschlugen, den ersten Walzer in H-dur zu sehen; auch in Nr. 5 konnten wir uns eines Lächelns nicht erwehren. Sonst aber müssen wir Witte zugestehen, dass er eine selbstständige Arbeit geliefert hat, die sich nur freilich zu Brahms’ Walzern wie das Talent zum Genie verhält. Es ist etwas Mühsames, am unrechten Ort gelehrt Scheinendes in diesen Walzern, das sich schwer mit der Anmuth verträgt, die doch in erster Linie hier walten müsste.«1213

Ohne Zweifel wollte Witte seine Inspirationsquelle zusätzlich zur Widmung offenlegen und musikalisch hör- und erfahrbar machen – er ließ dementsprechend, wie Brahms selber bemerkte, mit der Konzeption des ersten Walzers seinem Widmungsträger »auch mittelst Noten einen freundlichen Gruß zukom [m]en«1214 : Der Walzer Nr. 1 wirkt fast als Variation, als Paraphrase des Walzers op. 39/1. Die Annäherung wird bereits in Tonart und äußerer Form ersichtlich, beide Tänze stehen in der als Eingangstonart ungewöhnlichen Tonart H-Dur und folgen demselben Modulationsplan.1215 Sie umfassen daneben die gleiche

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geringes Talent […]« (LAmZ 1/10 [7. März 1866], S. 80); zum Walzer op. 3 heißt es analog: »Der Walzer von Witte, an sich immerhin nicht übel gemacht, zeigt wenig Eigenthümlichkeit und erscheint als Nachahmung Chopin’s, der nur der poetische Duft des Urbildes fehlt.« LAmZ 1/29 (18. Juli 1866), S. 232. »Ich hatte damals in dem reizend gelegenen Fabrikstädtchen Thann im Ober=Elsaß vorübergehend eine Musiklehrerstelle angenommen und fühlte mich in der schönen Gegend und unter den netten Menschen so behaglich, daß ich das gewohnte Leipziger Leben und Treiben vorläufig gar nicht sonderlich vermißte. Dieser glücklich=heiteren Stimmung verdankt ein als op. 7 erschienenes Heft ›Walzer für das Pianoforte zu 4 Händen‹ sein Entstehen.« Vgl. Georg Hendrik Witte: Erinnerungen an Johannes Brahms. Zur 25. Wiederkehr seines Todestages am 3. April, in: Rheinisch-westfälische Zeitung 290 (2. April 1922). Die Walzer op. 7 sind allerdings gleichzeitig auch das letzte Werk dieser Gattung im nicht sehr umfänglichen Œuvre Wittes – der Werkkatalog zählt bis op. 18, dazu kommen einige Werke ohne Opuszahl. Abgesehen von einer überarbeiteten Fassung seines op. 7 (1882) veröffentlichte er keine neuen Walzer mehr. LAmZ 3/10 (4. März 1868), S. 78. Antwort auf die Bitte um Widmungserlaubnis, Brahms an Witte, Sommer 1867, zit. n. Winking, Brahms in Essen. Die neue Tonart des Mittelteils b und die Rückkehr zur Ausgangstonart werden dabei sowohl bei Brahms als auch bei Witte durch einen Orgelpunkt auf Fis, dann H gestärkt.

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Taktzahl und weisen Übereinstimmungen in der Gestaltung von Rhythmik1216, Agogik und Dynamik auf. Trotz der Bezugnahme gelingt es Witte aber, im Detail eine recht eigenständige Lösung zu erarbeiten. Während Brahms so am Ende des ersten Achttakters eine unerwartete Umdeutung einsetzt, eine Kadenz in disMoll verwendet, um zum Mittelteil in Fis-Dur überzuleiten, übernimmt Witte zwar die Basswendung (vgl. T. 7 und 8), verbleibt in der Harmonisierung aber im traditionelleren Rahmen und setzt die Tenorklausel DD–D als Abschluss ein (Cis – Fis).

Johannes Brahms, Walzer op. 39/1, T. 1–8

Georg Hendrik Witte, Walzer op. 7/1, T. 1–8

Zur Zyklusbildung

Über die Ähnlichkeit der beiden Eingangswalzer hinaus sind jedoch auch weitere, von Brahms übernommene Prinzipien nachzuvollziehen, die Einblicke in die Sichtweise des Komponisten auf sein Vorbild erlauben. Sie betreffen vor allem die Zyklusbildung. Denn wiederholt scheinen in zeitgenössischen Betrachtungen der Walzer op. 39 und der Liebeslieder-Walzer Zweifel auf, ob Brahms die Nummern als nur zusammen veröffentlichte Einzelwalzer oder als 1216 Teil a: durch legato geprägt, b: staccato, a’: wiederum legato.

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konzeptionelles Gesamtwerk ansah. Vor allem der letzte, lyrische Walzer des op. 39, der so gar keine Finalwirkung aufkommen lässt, wurde hinterfragt. Und auch vereinzelte Aussagen von Brahms, der offensichtlich für eine nicht zusammenhängende Aufführung offen war1217, trugen zur Unsicherheit bei. Die äußere Form der Walzer half nicht mehr bei der Einordnung: Coda und Überleitungstakte zwischen den einzelnen Nummern entfallen ausnahmslos, ebenso die Auflösungsbezeichnung zu Beginn eines neuen Walzers, um die neue Tonart anzuzeigen. Bei Schubert-Tänzen ist diese Form des Übergangs dagegen noch anzutreffen. Der Verzicht ist eine logische Konsequenz aus der Aufgabe der Tanzbarkeit, die ja bereits durch die Zusammenstellung von Walzern sehr unterschiedlicher Stimmung erreicht wird. Während die Notation Schubert’scher Walzerdrucke eindeutig auf eine zumindest mögliche durchgängige Wiedergabe ohne Pause abzielt, konnte jeder einzelne Walzer von Brahms, Kirchner, Huber und Witte auch für sich alleine stehen. In der grundlegenden äußeren Form folgten also alle drei Widmenden dem kompositorischen Vorbild ihres Adressaten – schon dies würde eine Dedikation legitimieren. Doch trotzdem sah Witte die Walzer op. 39 eher als Zyklus an. Darauf weisen Parallelen in der Tonartendisposition hin, die er in größerer Konsequenz als sein Vorbild weiterführt. Als besonders zusammenhangstiftend wurde eigentlich eine tonartliche Rahmung angesehen1218, wie sie oft in den Walzerzusammenstellungen Schuberts anzutreffen ist. Witte erkennt aber offensichtlich eine konzeptionelle Zweiteilung des Zyklus’ op. 39: eine Entsprechung der Walzer Nr. 1 und 8 (H-Dur / BDur) und 9 und 16 (beide d-Moll). Vergleicht man die Anlage Wittes, so ist die Ähnlichkeit evident: Die Walzer Nr. 1 und 6 stehen in H-Dur, Nr. 7 und 12 in GDur. Doch auch innerhalb des Gesamtwerks ist die tonale Disposition ähnlich. Krehahn erkennt das zyklusstiftende Moment bei Brahms in der Abfolge von Walzern mit Quint- und Terzverwandtschaft: »Bei den Sammelwerken läßt die Tonartendisposition der einzelnen Stücke erkennen, daß Brahms durchaus an eine zyklische Bindung, also den geschlossenen Vortrag aller Stücke eines Opus’ dachte. Dabei greift er auf Quint- und (häufiger) Terzverwandtschaften, die teilweise enharmonisch verwechselt erscheinen (z. B. die Tonartenfolge hMoll/As-Dur in op. 76/2–3, die als h – Gis zu lesen ist) oder einen Wechsel von gleichnamigem Dur bzw. Moll zurück.«1219

1217 Er soll so zur Aufführung der Liebeslieder-Walzer op. 52 am 7. November 1892 unter Mandyczewski gesagt haben, »[m]an solle dergleichen nach Gusto repetieren können.« (Heuberger, Brahms, S. 162). 1218 Vgl. Litschauer/Deutsch, Schubert, S. 109. 1219 Thomas Krehahn: Der fortschrittliche Akademiker. Das Verhältnis von Tradition und Innovation bei Johannes Brahms, München u. Salzburg 1998, S. 64.

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Dies ist eine Technik, die auch Witte anwendet. Durch die gemeinsame Ausgangstonart H-Dur ergibt sich somit für beide Komponisten als tonaler Raum der Bereich H-Dur/E-Dur mit Medianten und A-Dur. Die Tonartenfolge sah Witte offenbar im Brahms’schen Walzerwerk als zyklusbildend an – und gab diesem Fakt mehr Gewicht als dem verunklarenden lyrischen Schlussstück. Folglich entschied er sich zu größerer Eindeutigkeit und beschloss seine Walzer op. 7 mit einer Nummer mit deutlicher Finalwirkung. Auch in anderen Details merkt man den Versuch, durch kompositorische Mittel einen stärkeren inneren Zusammenhalt der Einzelnummern zu erlangen als Brahms. Dies erreicht Witte vor allem durch thematische Ableitungen und das Wiederaufgreifen von Themen. Gerade das Hauptmotiv des siebten Walzers bezieht sich mit seiner charakteristischen Punktierung auf den ersten und fünften Tanz des Gesamtopus:

Georg Hendrik Witte, Walzer op. 7/1, Primo, T. 1ff.

Georg Hendrik Witte, Walzer op. 7/5, Primo, T. 1ff.

Georg Hendrik Witte, Walzer op.7/7, Primo, T. 1ff.

In ähnlicher Weise wie Witte, aber dennoch individuell ging auch Kirchner mit Fragen der Zyklusbildung um. Er war unter den Komponisten, die Brahms Walzer widmeten, mit Sicherheit die Person, die dem Widmungsträger am nächsten stand.1220 In seinem Œuvre hat er wiederholt Bezüge zu kompositorischen Vorbildern hergestellt und diese durch Widmungen oder durch die Ti1220 Vgl. die Beschreibung des Verhältnisses im prosopographischen Lexikon dieser Arbeit.

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telformulierung kenntlich gemacht. Am stärksten wirken in dieser Hinsicht Kompositionen wie Ideale op. 33 (die Widmungsträger der einzelnen Nummern der Sammlung werden verschleiert durch Angabe ihres Geburtstags und -monats mitgeteilt) oder die Gedenkblätter op. 82. Auch die Nachklänge Florestan und Eusebius op. 53 sind in ihrem Verweis auf das Vorbild Robert Schumanns mehr als deutlich. Die Brahms gewidmeten Walzer op. 23 kommen ohne solche Hinweise aus – Kirchner begnügt sich mit der Angabe des Widmungsträgers auf dem Titelblatt und der Übernahme bestimmter Merkmale der äußeren Form. Die Annäherung ist damit insgesamt weniger explizit als bei Witte. Doch wie dieser teilt Kirchner seine Walzer op. 23 in zwei Reihen von je sechs Tänzen auf, die in zwei Einzelheften veröffentlicht wurden und durch ihre Tonartendisposition verbunden sind. Die tonale Rahmung vermeidet er allerdings. Während das erste Heft auf absteigenden Quinten beruht (je zweimal Es–As–Des), sind die Walzer des zweiten Heftes vor allem durch Terzbeziehungen verknüpft (C–Es–G/ e–E–B–Des).1221 Anders als Witte nähert sich Kirchner seinem Bezugspunkt Brahms wiederum in der Wahl eines lyrischen Schlussstücks: Gerade, da das lebhafte Element im zweiten Heft überwiegt1222, bilden die fließenden Achtelbewegungen und der im piano gehaltene Schluss einen träumerischen Kontrapunkt.1223 Einzig Hans Huber übernimmt die traditionelle Zyklusbildung Schuberts: Die Walzer op. 27 sind sowohl tonartlich gerahmt (die Walzer Nr. 1 und 12 stehen in D-Dur) als auch noch konsequenter thematisch verlinkt als die Tänze Wittes. So wird das Thema des ersten Tanzes im Mittelteil des Schlussstücks als Reminiszenz wieder aufgegriffen.

Aufhebung der Tanzbarkeit In der bereits zitierten Rezension der AmZ heißt es zu den Walzern Wittes: »Es ist etwas Mühsames, am unrechten Ort gelehrt Scheinendes in diesen Walzern«.1224 Die Übernahme von Kompositionsmodellen des strengen Satzes in den volkstümlichen Walzer – genau dies hatte Brahms durch den Einsatz doppelter Kontrapunktik im letzten Walzer von op. 39 erreicht, ohne den Charakter der Gattung zu untergraben. Auch Witte integrierte – in den Augen der Zeitgenossen mit weniger Erfolg – kontrapunktische Passagen, wollte ursprünglich zwei 1221 Vgl. zur Ähnlichkeit dieses Ansatzes mit den bevorzugten Tonartendispositionen bei Brahms wiederum Krehahn, Der fortschrittliche Akademiker, S. 64. 1222 Die Walzer 7, 8, 9 und 11 sind mit der Spielanweisung »lebhaft« versehen. 1223 In Kirchners übrigen Walzersammlungen ist dagegen die Finalwirkung durch einen lebhaften Schlusssatz unterstrichen. Einzige Ausnahme bildet der im Piano verklingende Schlusswalzer Nr. 6 (Moderato cantabile) der Sammlung Reflexe op. 76. 1224 LAmZ 3/10 (4. März 1868), S. 78.

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Nummern mit »Canon« betiteln. Ein Vorhaben, von dem ausgerechnet Brahms ihm abriet: »Dürfte ich außer meinem herzlichsten Dank noch eine Bitte äußern – u. zwar fast dringend – so wäre es: Sie möchten die Ueberschrift ›Canon‹ beidemal streichen. Vor Allem überhaupt, an u. für sich; dann aber möchten sich Stellen wie in No VII Takt 3 u. 4, in No IX Takt 5 nicht wohl mit jenem Titel vertragen.«1225

»Vor Allem überhaupt, an u. für sich« hatte ja auch er selber, der Meister der Verschleierung, von der direkten Benennung der kontrapunktischen Technik in seinen Walzern abgesehen. Dies wohl auch, um den strengen Satz nicht zu offensichtlich in Konflikt mit der ursprünglich leichten Walzeratmosphäre zu setzen. Die angesprochenen Takte, die seine Skrupel besonders weckten, beziehen sich auf Stellen, in denen sich die Kanonik durch die Stimmführung zeitweilig im scheinbaren homophonen Satz auflöst – ein Gleichklang, der im polyphonen Satz schon seit der Renaissance verboten war.1226 Im Walzer Nr. 9 wird so durch die Melodiestruktur in Verbindung mit dem Einsatzabstand einer Viertel und in der Sekunde zwangsläufig der oktavierte Zusammenklang beider Stimmen erreicht. So im von Brahms kritisierten Takt 5, noch verschärft aber in T. 13–15 oder im vorletzten Takt.

Georg Hendrik Witte, Walzer op. 7/9, T. 10–15

Über die Bewertung des Widmungswerks teilt Brahms die strengen Maßstäbe, die er an sein eigenes Kanonschaffen anlegte, mit. Und es wird deutlich, dass er Verstöße gegen Satzregeln, sofern sie musikalisch legitimiert waren, nicht unbedingt kritisierte. Auch von Witte hatte er ausdrücklich nicht die Änderung der monierten Stellen, sondern allein die Streichung des irreführenden Titels gefordert. Dem kam Witte im Erstdruck nach. An Brahms gemahnt aber auch die Verwendung komplexer rhythmischer Strukturen, im ausführlichen Gebrauch hemiolischer Passagen, Synkopierung 1225 Brahms an Georg Hendrik Witte, Sommer 1867, zit. n. Winking, Brahms in Essen. 1226 Und auch in den Lehrbüchern des 19. Jahrhunderts wurde vor dem Gleichklang gewarnt. 1884 hatte Salomon Jadassohn (Die Lehre vom Canon und von der Fuge, Leipzig 1884, S. 1) Variantenreichtum im Rhythmus und gegenläufig geführte Melodien gefordert, um den Kanoncharakter zu erhalten.

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und Verschiebungen des Taktschwerpunkts. Es sind Ausdrucksmittel, die natürlich nicht allein auf die Rezeption der Walzer op. 39 zurückgeführt werden können1227, sondern auf einen von den Zeitgenossen erkannten allgemeinen Brahms-Ton hinweist.1228 Und doch verbindet sich die Hemiole als Ausdrucksmittel mit einer durch Brahms etablierten Eigenschaft des Walzers: Sie hätte im Rahmen eines primär zum Tanzen bestimmten Stücks nicht in diesem Maß eingesetzt werden können, erst durch den grundlegend mit Brahms verbundenen Funktionswandel rücken solche kompositorischen Gestaltungsmittel in den Fokus der Komponisten. Witte setzt diese Techniken gleich mehrfach ein. Verwiesen sei vor allem auf den Walzer Nr. 5, in dem die Verschiebung des Taktschwerpunkts (vgl. T. 5ff.) und Hemiolenbildung (u. a. T. 20ff.) strukturbildend sind. Kirchner greift dies in seinen Walzern op. 23 in noch größerer Konsequenz auf – so ist der gesamte Walzer op. 23/5 durch ausgedehnte hemiolische Passagen (vgl. z. B. T. 1–10), Taktverschiebungen und gegeneinandergesetzte Rhythmik (z. B. das Ende) entscheidend geprägt. Der Einsatz dieser Elemente ist so auffällig, dass Arnold Niggli ein elementar wichtiges Stilmerkmal hinter dieser Methode vermutet: Anders als in den Walzern op. 34 könne »von eigentlichen Tanzstücken so gut wie keine Rede« sein, da »der Componist im Gegentheil das Gleichmass des Walzerrhythmus fast eigensinnig unterbricht und aufhebt«.1229 Einzig Hans Huber schließt sich wiederum diesem Vorbild nicht an – für ihn sind andere Strukturmerkmale der Brahms’schen Walzer entscheidend. Huber, wie Witte Reinecke-Schüler, hat nicht nur in seinen Brahms gewidmeten 12 Walzern für Violine, Cello und Klavier zu vier Händen op. 27 auf die Form stilisierter Tänze zurückgegriffen: Zwei Ländler-Folgen1230 stehen drei Walzer-Sammlungen1231 gegenüber. In ihrer äußeren Form zumindest stehen sie alle in der Nachfolge der Tänze Brahms’ und Schuberts, es handelt sich ausschließlich um kurze, oft intime Charakterstücke. Tatsächlich wurden in den Ländlern op. 11 bereits »merkliche Brahms-Reminiszenzen« erkannt.1232 Schon die frühen Ländler (zumindest der Opuszahl nach vor den Walzern op. 27 ent1227 Gerade die Hemiole wird deswegen als Stilmittel auffällig oft in Widmungswerken aufgegriffen. Vgl. Kap. IV. 1. 2, ab S. 304. 1228 Philipp Spitta hatte z. B. in Bezug auf das Klaviertrio op. 87 bemerkt, »[d]er Mann kann, glaube ich, keine vier Takte im 34 Takt mehr schreiben ohne Hemiolen.« Vgl. Philipp Spitta an Heinrich v. Herzogenberg, 28. Dezember 1882 (zit. n. Wiechert, Herzogenberg, S. 112). Dazu ausführlicher Kap. IV. 1. 2, bes. ab S. 305. 1229 Niggli, Kirchner, S. 29. 1230 15 Ländler vom Luzerner See op. 11 [ca. 1879]; 10 Ländler vom Luzerner See op. 47 [1879]. 1231 12 Walzer für Violine, Cello und Klavier zu vier Händen op. 27 (1878); 12 Walzer für Violine, Cello und Klavier zu vier Händen op. 54 (1881); Walzer für das Pianoforte zu vier Händen op. 59 (1880). 1232 Vgl. Walter Labhart: Anmerkungen zur Klaviermusik schweizerischer Romantiker, in: Revue musicale suisse (1973), S. 268–274, hier S. 274.

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standen) sind offenbar nicht explizit als Zyklus gedacht: Zwischen den einzelnen Tänzen werden keine Auflösungszeichen und neuen Vorzeichen als Übergänge angegeben, eine Coda ist nicht angefügt. Dennoch wird Zyklizität impliziert, alle Sammlungen sind durch zwei Stücke derselben Tonart (meist B-Dur1233) gerahmt. Huber beschäftigte sich also schon vor der Veröffentlichung des Widmungswerks mit der Komposition stilisierter kleinformatiger Tänze – deren neues Gesicht, das sich so deutlich von den Tanzwalzern Strauss’scher und Chopin’scher Faktur abwendet, er Brahms zuschrieb: Dieser habe »die Walzerform so herrlich idealisirt«1234 und damit einen neuen Weg der Tanzkomposition beschritten. Versteht man den Begriff der idealisierten Form als Ergebnis einer neuartigen Kompositionsweise, die das Schaffen von Werken zum Ziel hat, die für die private Kammermusikaufführung geeigneter scheinen als für die Begleitung des Tanzvergnügens, zeigt sich dasselbe Verständnis, das schon bei Witte aufscheint: Dank Brahms wird aus Unterhaltungs- und Gebrauchsmusik eigenständige Kunstmusik. Tatsächlich wird in einer zeitgenössischen Betrachtung des Widmungswerks die von Huber für Brahms so betonte Idealisierung der Tanzmusik auf die Kompositionen des Widmenden rückgespiegelt: Huber habe in seinen Walzern op. 27 in »der äusseren Form des Tanzes idealeren Inhalt«1235 transportiert. Huber zeigte jedoch auch über die Widmung der 12 Walzer op. 27 hinaus mehrfach kompositorisch seine Verehrung für die Walzer von Brahms, etwa in der metatextuellen Beschäftigung im Rahmen eines Zitatwerks: Als op. 71 führt sein Werkverzeichnis die Variationen über einen Walzer von JOHANNES BRAHMS für Pianoforte zu vier Händen, als Grundlage der Komposition diente der Walzer op. 39/15.1236 Huber vereint also in einem Werk zwei wichtige Züge des Brahms’schen Komponierens und stellt sich neben der Verwendung des Zitats auch in die Nähe seines Variationenschaffens. Doch damit nicht genug: Auch mit den zwei Liebeslieder-Walzer-Folgen opp. 52 und 65 beschäftigte der Schweizer sich wiederholt, war besonders fasziniert von der speziellen Besetzung des Vokalquartetts mit vierhändigem Klavier : Er komponierte drei Opera1237 für diese Besetzung. Die erste der beiden Folgen ist sogar unter der1233 So bei den opp. 11, 47, 59. 1234 Huber an Brahms, Brief vom 14. Januar 1878, A-Wgm, Sign.: Brahms-Nachlass, Briefe Hans Huber an Johannes Brahms 166, 1. 1235 AmZ 13/39 (25. September 1878), Sp. 615f. 1236 Brahms sagte in einem undatierten Brief an Hans Huber dazu: »Ich wünsche mir einen hübschen Vierhändigen [Auszug], um es behaglich genießen zu können. Ihnen aber wünsche ich recht freudigen Ernst oder ernste Freudigkeit, um das Ganze zu vollenden.« Zit. n. Refardt, Hans Huber, S. 60. 1237 Vokalquartette für vier Singstimmen und Klavier zu vier Händen op. 52, Leipzig 1879; Lenz- u. Liebeslieder. Ein Liederspiel f. gem. Chor, Solo u. Pfte zu 4 Hdn op. 72, Leipzig 1884 sowie 10 Quartette aus Goethes westöstlichem Divan op. 69.

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selben Opuszahl – nämlich als op. 52 – wie das erste Heft der Liebeslieder-Walzer erschienen und legt damit die Inspirationsquelle des Schweizers gleichsam über die Verortung im Gesamtœuvre verschleiert offen. Die Walzer op. 27, Brahms gewidmet, sind zwölf Jahre nach den Walzern op. 39 wie diese bei Rieter-Biedermann erschienen. Dem Schweizer Verleger wird nach dem großen Erfolg der Tänze von Brahms ein Nachfolgewerk höchst willkommen gewesen sein. Die Walzer Hubers wirken jedenfalls fast wie der Versuch einer kompositorischen Synthese des Walzerschaffens seines Vorbildes: Aus den Walzern op. 39 wird ein direktes Zitat integriert, die Besetzung ist in ihrer Originalität eine eigenständige Referenz an die Liebeslieder-Walzer opp. 52 und 65. Der vierhändige Klavierpart wird allerdings nicht von einem Vokalquartett, sondern von Violine und Cello begleitet. Die Vorgehensweise, ein Zitat des Widmungsadressaten als direkte Hommage in das eigene Werk zu integrieren, findet sich bei Huber wiederholt: In den Kirchner dedizierten Walzern op. 59 ist im vorletzten Walzer als Abschluss ein »Thema aus Kirchner’s op. 34«1238 in die musikalische Faktur eingewoben. In analoger Weise zitiert der Walzer op. 27/11 an derselben Stelle ein Motiv des Tanzes op. 39/2 von Brahms. Doch die ganze Nummer baut grundlegend auf der Struktur des zitierten Walzers auf. Als einheitsstiftendes Material dient der h-d-g-Takt des Brahms’schen Themas, der in rhythmischen und melodischen Transpositionen ebenso wie die melodische Abwärtsbewegung die motivisch-thematische Grundlage bildet. Im Fall der Liebeslieder-Walzer op. 52 von Brahms erschwerte die ungewohnte Besetzung die Rezeption: Vierhändige Walzer waren zwar bekannt, in Zusammenhang mit einem Vokalquartett jedoch nicht. Die vom Verleger Simrock durchgesetzte Angabe »canto ad libitum« auf dem Titelblatt führte demnach zu der Fehlinterpretation, Brahms habe den Gesang nicht als genuinen Bestandteil des Werks betrachtet.1239 Bei der Veröffentlichung der Neuen Liebeslieder op. 65 im Jahr 1875 wurde der Zusatz jedoch als Reaktion auf diese Rezeption getilgt – ein Beispiel, dem Huber folgte. Auch die von ihm gewählte 1238 Der secondo-Part übernimmt zu Beginn des A-Dur-Teils wörtlich die ersten acht Takte aus der vierten Nummer (Grazioso) der Kirchner’schen Sieben Walzer op. 34. 1239 Dies betont auch eine Rezension in der AmZ 5/21 (25. Mai 1870), S. 163f.: »Indem er Stücke für das Instrument und den Gesang zugleich componirt, den letzteren aber, so selbstständig und ausdrucksvoll er ihn auch behandelt, doch für willkürlich betrachtet wissen will: hat er deutlich genug gesagt, dass ihm zur Aussprache seiner künstlerischen Intention, der ihn bewegenden und zum Schaffen erregenden Empfindungen das Instrument vollkommen genüge, dass es ihm völlig Alles sage, was er hat sagen wollen, dass zum vollständigen Hervortreten der künstlerischen Idee das Hinzukommen des Gesanges durchaus unwesentlich sei. Wir halten dies Zeugniss eines der berufensten Künstler für bezeichnend in einem Zeitpunkte, wo von nicht-künstlerischer Seite die Trennung von vocaler und instrumentaler Musik wie ein Erisapfel unter Künstler und Kunstfreunde geworfen, der letzteren alle selbständige Ausdrucksfähigkeit abgesprochen worden ist, soweit sie ihr nicht über das Wort verliehen werde […]«.

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Besetzung aus vierhändigem Klavier und Streichduo ist in der Geschichte des Walzers nicht eben häufig anzutreffen, es ist wohl das erste Beispiel überhaupt. Dennoch wurde die ungewöhnliche Besetzung in der Nachfolge von Brahms ohne jegliche Beanstandung akzeptiert, das Besondere zwar durchaus erkannt, nicht aber hinterfragt oder problematisiert.1240 Tatsächlich verwendet Huber den Klavier- bzw. Streicherpart in ähnlicher Funktion wie Brahms. Grundsätzlich hatte dieser jeden Vokalpart in der Klavierbegleitung gedoppelt, was die Angabe »canto ad libitum« erst ermöglichte. Zumindest in den meisten Fällen folgt Huber dieser Vorgehensweise und lässt damit den problemlosen Verzicht auf die Streicher in fast allen Nummern potenziell zu. Eine zeitgleich zur Erstveröffentlichung erstellte Fassung für Klavier zu vier Händen allein konnte deswegen ohne größere Eingriffe in die kompositorische Faktur funktionieren. Wie komplex die Öffentlichkeit auf eine Widmung reagierte und ihre Werkwahrnehmung von ihr (mit-)bestimmen ließ, kann anhand dieses Beispiels nachverfolgt werden. Denn der Erfolg der Huber’schen Walzer wirkte sich indirekt wiederum auf die Rezeption des Brahms’schen Vorbilds aus. Nur ein Jahr nach der Veröffentlichung wird in der AmZ eine Bearbeitung der Walzer op. 39 von Brahms durch Friedrich Hermann als Novität angezeigt.1241 Gesetzt sind die Tänze nun für die Besetzung Violine, Violoncello und Klavier zu vier Händen – jene Besetzung, die Huber in seinen Walzern mit Brahms in Verbindung gebracht hatte. ***

In all ihrer Heterogenität einen die Walzer Hubers, Kirchners und Wittes mehrere Merkmale, die für eine übereinstimmende Rezeption der Walzer des Widmungsadressaten sprechen: Die Auflösung der traditionellen Walzerkette in kleinformatige, hausmusikalische Einzelwalzer wird konsequent betrieben. Doch während bei Brahms die Verunklarung des Zyklusgedankens als konstituierendes Merkmal erscheint, werden bei den ihm widmenden Komponisten die zyklusbildenden Elemente vielmehr auf verschiedene Art betont. Damit korrespondierend wird die u. a. von Schubert für Sammeldrucke bevorzugte 1240 Vgl. eine Rezension in der AmZ 13/39 (25. September 1878), Sp. 615f.: »Walzer für Pianoforte zu vier Händen, Violine und Violoncell kommen nicht alle Tage vor und schon aus dem einen Grunde sollte man sich mit dem vorstehenden bekannt machen.« 1241 Vgl. die Verlagsanzeige, z. B. in der AmZ 14/7 (12. Februar 1879), Sp. 112. Nur wenig später wird eine Bearbeitung desselben Arrangeurs von vier Tänzen Woldemar Bargiels für dieselbe Besetzung angezeigt (AmZ 14/23 [4. Juni 1879], Sp. 367). Friedrich Hermann (1828–1907), Geiger und Violinprofessor am Leipziger Konservatorium, der unter anderem bei Mendelssohn und David studiert hatte, machte sich kompositorisch vor allem durch solche Arrangements einen Namen.

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Anzahl von zwölf Walzern übernommen – Brahms weicht in den Walzern op. 39, dem gemeinsamen Bezugspunkt, zwar von dieser Norm ab (die Sammlung umfasst 16 Walzer), aber die Anzahl der integrierten Nummern war offenbar für die zeitgenössischen Komponisten kein entscheidendes Merkmal des neuen Stils. Vielmehr wird über dieses Element eine künstlerisch-intellektuelle Nachfolge in der Linie Schubert – Brahms konstruiert. Dies ist vor allem deswegen bemerkenswert, da Brahms als Neuerer und Idealisierer der Gattung dargestellt wird, während sein direkter Bezug zu Schubert oft überhaupt nicht thematisiert wird. Einzig zwei Rezensionen sprechen die Verbindung, die Brahms selber stets zog1242, an, unter anderem der Kritiker des Musikalischen Wochenblatts, der die Walzer op. 39 als »unverkennbar, oft bis zur wortgetreuen Copie den deutschen Tänzen, Op. 33, von Franz Schubert nachgebildete Tanzstücke«1243 darstellt. Die Walzerkomponisten Kirchner, Huber und Witte betonten die Verbindung dagegen über die Wahl der Anzahl von Walzernummern hinaus nicht. Die Rolle Brahms’ als Liebhaber Schubert’scher Tänze ist dennoch rezipiert worden – die Brahms gewidmeten Ländler von Vinzenz Lachner und die Zehn Stücke in Tanzform von Johann Peter Gotthard führen Brahms über die Widmung auf sein eigenes kompositorisches Vorbild zurück. Beide Komponisten zeigen ihre Verankerung in der Tradition durch den klaren Zykluscharakter : Die Tänze gehen ineinander über und sind durch die Tonartendisposition verknüpft – bei Lachner durch die nur selten verlassene Grundtonart1244, bei Gotthard als Gang durch den Quintenzirkel. 1242 Er nannte gegenüber Hanslick (Brief vom [14. April 1866], zit. n. Wiesenfeldt, Briefwechsel, S. 283) die Tanzkompositionen Schuberts als Vorbild und sprach über seine Tänze als »kleine unschuldige Walzer in Schubertscher Form«. 1243 So Theodor Helm: Ungarische Musik in deutschen Meistern, in: MWb 2/52 (22. Dezember 1871), S. 832. In diesem Sinn auch Louis Ehlert, Neue Berliner Musikzeitung 22/6 (5. Februar 1868), S. 44: »Franz Schubert hat in seinen ›deutschen Tänzen‹, welche durch die Gesammtausgabe seiner Claviercompositionen jetzt allgemein bekannt sind, die ersten Keime einer Kunstgattung gelegt, welche den Versuch machen sollte, unsere heimischen Tanzformen mit dem ganzen Inhalt deutschen Gemüthslebens auszufüllen und zu vergeistigen. In den ›Polonaisen‹ griff seine gestaltende Kraft schon zu grösseren Formen, in einigen seiner ›Märsche‹ sahen wir endlich einen architektonisch gegliederten Bau vor uns. Liszt, dem der ewig denkwürdige Ruhm bleibt, das Genie Schubert’s auf seinen Wunderhänden durch ganz Europa getragen zu haben, arbeitete jene kleinen Edelsteine, von denen die ›deutschen Tänze‹ und Walzer strotzten, zu köstlichen Geschmeiden um, und machte daraus seine ›Soir¦es de Vienne‹. Seit jener Zeit hat der Kunstwalzer, wie die Polonaise und Mazurka, durch Chopin’s epochemachendes Claviergenie allgemeine Geltung erhalten, und es giebt heut zu Tage wohl keinen Musiker, welcher diese Formen nicht ebenbürtig neben alle strengeren der klassischen Zeit stellen würde. In dem vorliegenden Werk hat Brahms auf die gemüthstiefe Weise Franz Schubert’s zurückgegriffen, aber nicht mit der blöden Befangenheit eines Nachahmers, sondern mit dem Instinkt einer genialen Natur.« 1244 Tonartenfolge: G–G–G–G–G–G–B/G–G–G–H/G–G–G; Appendix: Intermezzo and Finale: in H, das Finale endet in G.

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Beiden Komponisten können tatsächlich auch biographische Anknüpfungspunkte zu Schubert nachgewiesen werden. Lachners Bruder Franz war mit Schubert befreundet, seine Ländler sind im Sinn Schuberts als lose »Kette«1245 gestaltet, deren einzelne Nummern trotz der Tonartendisposition beliebig ausgelassen und ausgetauscht werden können.1246 Auf diese Tradition weisen auch Intermezzo und Finale hin, die separat am Ende des Drucks positioniert sind, um ihre beliebige Einschaltung zu erleichtern. Gotthard hatte 1869 20 SchubertLändler aus dem Besitz von Brahms bearbeitet und herausgegeben – lange Zeit wurde diese Bearbeitung sogar Brahms zugeschrieben1247, der Gotthard allerdings nur kompositorisch beraten hatte.1248 In diesem Kontext ist die Widmung der Zehn Stücke in Tanzform zu betrachten. In ihrer Verknüpfung durch Überleitungstakte1249, in ihrer Rahmung durch ein und denselben Tanz, der quasi die Funktion von Introduktion und Coda übernehmen kann, können durchaus Bezüge zu Schubert-Ländlern und Deutschen hergestellt werden. Aber auch die Vermeidung klarer Gattungsbezeichnungen (die nur selten durch Angaben wie »im Walzer-Zeitmass«1250 umgangen werden) weisen auf die Tradition Schuberts hin. Kompositorischer Kontrapunkt: Der »Millionen-Walzer« von Johann Strauss (Sohn) »Johannes Brahms muß mit einer Dedication, einem Walzer meiner Composition bedacht werden. Ich will diesen Walzer populär, aber dennoch gewürzt und gepfeffert ohne Einbuße des Zwecks eines Walzers, haltend auf einem Simrock’schen Präsentierteller seiner Zeit, ihm unterbreiten. Er darf jedoch nichts davon erfahren!«1251

Gegen Ende des Jahres 1891 kündigte Johann Strauss (Sohn)1252 seinem Verleger Simrock die Komposition eines neuen Walzers an, der später im Volksmund 1245 »Kette« ist hier nach Schubert’scher Art definiert, die Walzerkette nach Strauss’scher Manier bildet sich in dieser Terminologie erst ab 1826 (dazu Litschauer/Deutsch, Schubert, S. 116 und 122). 1246 Sie können z. B. verglichen werden mit den 12 Ländlern D 790 (op. 171) von Schubert, die von Brahms aus einer einzigen Quelle herausgegeben wurden. 1247 David L. Brodbeck: Brahms’s Edition of Twenty Schubert Ländler : An Essay in Criticism, in: Brahms Studies. Analytical and Historical Perspectives, hg. v. George S. Bozarth, Oxford 1990, S. 229–250. 1248 Johannes Behr : Franz Schuberts 20 Ländler D366/D814 – nicht bearbeitet von Johannes Brahms, in: Die Musikforschung 64/4 (Oktober–Dezember 2011), S. 358–367. 1249 Die Überleitungen sind allerdings eher Anleihen bei Strauss. 1250 So die Tempobezeichnung für Johann Peter Gotthards Tanz op. 58/3. 1251 Johann Strauss an Fritz Simrock, 25. November 1891, Mailer V, S. 370. 1252 Der Name Strauss wird – wie bereits an anderer Stelle erwähnt – für alle Familienmitglieder im Rahmen dieser Arbeit nach der Ansetzungsform der Gemeinsamen Normdatei (GND; Johann Strauss [Sohn] unter : 11861908X) geschrieben. Dies entspricht der eigenen

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unter dem Namen »Millionenwalzer« bekannt werden sollte – noch vor dem Titel und sogar vor Beginn der Kompositionsarbeiten stand die Zueignung fest: »Johannes Brahms gewidmet«. In Anbetracht der üblichen musikalisch-kompositorischen Annäherung an den Adressaten ist es eine unerwartete Dedikation. Denn Seid umschlungen, Millionen op. 443 birgt in dieser Hinsicht keinerlei Zugeständnisse an den Widmungsträger, Strauss schreibt einen Wiener Walzer seiner persönlichen Faktur : traditionell mit den Formteilen Introduktion – Tempo di Valse – vier Walzernummern und einer ausgedehnten Coda. Er verwendet damit genau die Form der von ihm weiterentwickelten Wiener Walzerkette, von der sich Brahms in seinem eigenen Schaffen so deutlich absetzte. Dass diese Herangehensweise schon vor Beginn der Komposition feststand, macht der Brief an Simrock unmissverständlich klar : Den hausmusikalischen Miniaturen seines Widmungsträgers setzte Strauss bewusst das Schlagwort »populär« entgegen, er wollte die mit der Aufgabe der Tanzbarkeit verbundene »Einbuße des Zwecks eines Walzers« um jeden Preis vermeiden. Damit steht er Kirchner, Huber und Witte diametral entgegen, die die Widmung an Brahms auch in dem Bewusstsein nutzten, sich öffentlich zur von Brahms verkörperten neuen Art des Walzerkomponierens zu bekennen. Strauss stand die Möglichkeit einer solch bekenntnishaften Widmung nicht offen, galt er doch ebenfalls als Bezugspunkt – für eine andere Art des Komponierens allerdings. Dass Brahms sich in seinen Walzern klar von der Tradition der StraussDynastie absetzte, sagt jedoch nichts über seine Einschätzung der Qualität der Strauss’schen Kompositionen aus. Zumindest die frühen Walzer bewertete er ungemein positiv, die Wertschätzung zeigt sich in verschiedenen Äußerungen wie z. B. gegenüber Fritz Simrock im November 1889: »Na, die Abende mit Strauß! Und der Frau! und der Champagner! und den Walzern!«1253 Im halböffentlichen Rahmen legen verschiedene Doppelalbumblätter von Strauss und Brahms Zeugnis des künstlerischen Respekts ab. Im Rahmen handschriftlicher Übereignungen verneigte Brahms sich immer wieder vor der kompositorischen Leistung seines Wiener Kollegen, so z. B. gegenüber Gräfin Lucietta Wilczek oder der Strauss-Stieftochter Alice.1254 Unterschrift der Familienmitglieder, auch auf dem Erstdruck des Brahms gewidmeten Walzers Seid umschlungen Millionen op. 443 wird der Komponist als »Johann Strauss« geführt. 1253 Brahms an Fritz Simrock, [4. November 1889], BW XII, S. 12. 1254 »Gräfin Lucietta Wilczek j zur geneigten Erin[n]erung«, darunter Notation eines achttaktigen Zitats des ›Kaiserwalzers‹, darunter links: »Wien am 25ten Dec. j 89.«, rechts: »Johann Strauss«, darunter : »u. j Johannes Brahms« (vgl. das Autographenalbum in der Sammlung des Brahms-Instituts an der Musikhochschule Lübeck, Sign.: Bra: A4 : 3, Inv.Nr.: ABH 1.2.44); Fächer der Strauss-Stieftochter Alice: Johann Strauss notiert die ersten vier Takte des Donauwalzers, darunter von Brahms’ Hand: »Leider nicht von Johannes Brahms!«

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Wie nun Strauss seinerseits die Werke von Brahms bewertete, wird in der Forschung ambivalent beantwortet. Max Kalbeck immerhin, mit beiden Komponisten eng verbunden, schätzt die Beziehung »einseitig« ein, Brahms habe Strauss nämlich »durchschaut«, während Strauss »von Brahms so gut wie gar nichts wusste« und zu ihm »in scheuer Bewunderung […] als zu einer allgemein beglaubigten Autorität, mit der nicht gut Kirschen essen sei« aufsah.1255 Diese Bekanntschaft findet nun in der Widmung von Seid umschlungen, Millionen op. 443 ihren öffentlichen Ausdruck – auch wenn die von Richard von Perger kolportierte Mitteilung, dass Brahms Strauss einst vorgeworfen habe, dieser habe ihm »noch keine einzige Note gewidmet«1256 und der »Millionenwalzer« sei die prompte Reaktion gewesen, ins Reich der Fabel verwiesen werden muss.1257 Nichtsdestotrotz: Die Bestätigung der persönlichen und fachlichen Wertschätzung ist ein Aspekt, der sich hinter der Zueignung verbirgt; einer freilich nur von mehreren. Schon mehrfach wurde Strauss im Umgang mit Brahms Kalkül unterstellt1258 – dies ist eine Spur, die sich in der Tat in der Dedikation verfolgen lässt. Denn der Stern des »Walzerkönigs« war im Sinken begriffen. Der vorauszusehende, auch von Brahms befürchtete Misserfolg der Oper Ritter P‚sm‚n hatte Strauss einen großen Teil seines Ansehens gekostet, nach Eberhard Würzl ist der neue Walzer »ein weiterer Versuch des alternden Walzerkönigs Johann Strauss, sich wenigstens in seinem ureigenen Machtbereich als absoluter Herrscher zu behaupten.«1259 In dieser Situation konnte ein gelungener neuer Walzer mit einem so berühmten Widmungsträger wie Brahms Strauss nur zum Vorteil gereichen. Und dies in mehrfacher Hinsicht: gegenüber Brahms selber, gegenüber dem Verleger Simrock, der hoffen durfte, durch guten Absatz einen Teil des durch Ritter P‚sm‚n verursachten finanziellen Verlustes auszugleichen1260 und 1255 Kalbeck IV, S. 164. Würzl, Johannes und Johann, S. 568 zieht so auch das Fazit, dass »weder eine persönliche noch eine Künstlerfreundschaft« zwischen den beiden Kollegen bestanden habe. 1256 Richard v. Perger, in: Die Zeit, Wien (2. Juni 1909), zit. n. Eberhard Würzl: Johannes und Johann – keine Künstlerfreundschaft, in: Internationaler Brahms-Kongress Gmunden 1997. Kongreßbericht, hg. v. Ingrid Fuchs (= Veröffentlichungen des Archivs der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien, Bd. 1), Tutzing 2001, S. 553–570, hier S. 553. 1257 Allein der skrupulöse Umgang von Brahms mit dem Instrument der Widmung lässt den Wahrheitsgehalt dieser Begebenheit höchst fragwürdig erscheinen, lehnte Brahms doch selber Widmungen, die sich mit Forderungen jeglicher Art verbanden, konsequent ab. Dazu auch Würzl, Johannes und Johann, S. 553. 1258 Vgl. Würzl, Johannes und Johann, S. 567f. Der dort zitierte Brief beweist tatsächlich, dass Strauss den Kompositionen von Brahms zumindest kritisch gegenüber stand. 1259 Eberhard Würzl, »Seid umschlungen Millionen« op. 443. Johann Strauß’ Abschied vom Walzerkönigtum, in: Johann Strauß. Zwischen Kunstanspruch und Volksvergnügen, hg. v. Ludwig Finscher und Albrecht Riethmüller, Darmstadt 1995, S. 97–114, hier S. 97. 1260 Strauss jedenfalls sah den neuen Walzer auch als finanziellen Ausgleich für den durchgefallenen Ritter P‚sm‚n an: »Wenn die Composition ausfallen sollte als der Titel schön ist – so können Sie auf die Oper husten. Aller Sorgen sind Sie enthoben.« (Strauss an Simrock,

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als Werbung gegenüber den potenziellen Käufern. Da der »Millionenwalzer« ursprünglich anlässlich der Eröffnung der Internationalen Ausstellung für Musik und Theaterwesen in Wien seine Uraufführung erfahren sollte, war das zu erwartende öffentliche Interesse ohnehin groß – und konnte durch die Widmung noch gesteigert werden. Zwei Aspekte weisen auf diesen Gedankengang des Komponisten besonders hin, sie betreffen formale und inhaltliche Überlegungen von Strauss. Im Vorfeld des Druckes wurde so der genaue Widmungstext, ein nicht zu unterschätzendes Medium der Rezeptionslenkung1261, diskutiert. Strauss plante, sowohl den akademischen Rang als auch die eigene Beziehung zum prominenten Adressaten zu unterstreichen: »Widmung der Walzer? Ich glaube auf der rechten Seite des Blattes (oberhalb): ›Herrn Doktor Brahms freundschaftlich zugeeignet‹ entspräche dem Zwecke.«1262 Es ist wahrscheinlich, dass dieser Wortlaut besonders dem »Zwecke« der Werbung entsprechen sollte. Eine enge, persönliche Bindung zwischen den Widmungsprotagonisten wurde durch die Betonung des freundschaftlichen Verhältnisses evoziert und hätte in den Augen der Rezipienten die qualitative Anerkennung der Strausswalzer durch Brahms noch einmal unterstrichen. Doch Simrock, dem in seiner Eigenschaft als Verleger die Eigenheiten von Brahms vertraut waren, riet ab: »Dedication an Brahms lautet besser, einfach so: Johannes Brahms freundschaftlichst gewidmet oder besser noch Joh Br gewidmet«1263 lautete sein deutlich abgeschwächter und neutraler Vorschlag. Die Begründung ist durchaus aufschlussreich: »er selbst hat es so am liebsten!«1264 Die von Brahms bevorzugte schlichte aber auch verschleiernde Widmung, die keinen Vorteil suchte und die Unabhängigkeit des Künstlers betonte, scheint auf.1265 Dass Strauss tatsächlich dem Denken der Widmung als Werbefaktor, das eigentlich vorrangig unter jungen Komponisten verbreitet war, verhaftet war, zeigt

1261 1262 1263 1264 1265

[7. Februar 1892], zit. n. Mailer VI, S. 81f.). Simrock war vom Erfolg so überzeugt, dass er den Walzer bereits vor Beginn der Komposition in einem Prospekt vom 11. Februar 1892 »an alle österr. Firmen« anzeigt (Würzl, »Seid umschlungen Millionen, S. 101). Auch er verband den Walzer mit finanziellem Ausgleich, wie ein Brief an Strauss vom 14. März 1892 zeigt (Mailer VI, S. 133f.): »Ja – lieber Freund! Was soll ich sagen, wenn Sie über ›P‚sm‚n‹ verstimmt sind?! Sie kriegen Ihr schönes Geld, eine horrende Summe, von mir herein – ich decke noch nicht einmal die Herstellungskosten des Materials – u. habe mein großes Capital verloren. Wo ist für mich ein Ersatz?? […] [S. 134:] Ich mache Ihnen gewiß keinen Vorwurf! Aber – ein bisl sehr hart ist doch bisher Alles für mich, – u. ich hoffe, Sie machen es mir in Zukunft etwas leichter. Jetzt sorgen Sie nur daß ein ›Millionen-Walzer‹ auskommt der sich ›gewaschen‹ hat, – u. der dabei auch Sie u. mich ›wascht‹«. Vgl. Kap. II. 4 Der Widmungstext als Informationsträger. Johann Strauss an Fritz Simrock, 20. Februar 1892, Mailer VI, S. 104. Fritz Simrock an Johann Strauss, 22. März 1892, Mailer VI, S. 157. Ebd. Vgl. zu den Grundzügen von Brahms’ Widmungsverhalten Kap. II. 3. 2.

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auch eine Notiz von Strauss’ dritter Ehefrau Adele an Eduard, den Bruder ihres Mannes. Hier wird deutlich, dass Strauss seinen sinkenden Ruf kannte und der Wirkung und dem Klang des eigenen Namens allein nicht mehr traute. Der bevorzugte Text der Werbeanzeigen enthielt deswegen auch die Information, wem das Werk zugeeignet sei – eine Strategie, die am Ende des 19. Jahrhunderts zwar noch bekannt war, aber längst nicht in jedem Fall angewandt wurde.1266 Strauss jedoch erschien die Angabe gerade in Verbindung mit dem »Millionenwalzer« wichtig: »Lieber Eduard, Jean vergaß dich aufmerksam zu machen dass es heißen muß: ›Der für die Musik u. Th. Ausstellung componirte u Dr Brahms gewidmete Walzer: Seid umschlungen Millionen‹«.1267 In vorherigen Annoncen war auf den prominenten Widmungsträger nicht eingegangen worden: »›Seid umschlungen, Millionen‹, Walzer für die internationale Theater- und Musik-Ausstellung komponirt von Johann Strauß (Unter dessen pers. Leitung.)«1268 Nur zwei Tage nach der brieflichen Information war der Fehler korrigiert und Brahms als Widmungsträger präsent.1269 Beide besonders öffentlichkeits- und werbewirksamen Aspekte (die anlassgebende Ausstellungseröffnung und der berühmte Widmungsträger) waren damit im Text vereint. Unwillkürlich mag man nun wegen der fehlenden kompositorischen Nähe mögliche Bezüge des Titels zum Widmungsträger vermuten – Brahms wäre dann über das von Beethoven in seiner 9. Sinfonie vertonte Zitat aus Schillers Ode an die Freude als Nachfolger Beethovens positioniert worden. Aber keinerlei in die Komposition integrierte Brahms- oder Beethovenzitate stützen die These. Ein Blick in die genaue Chronologie der Entstehung liefert weitere Hinweise, die gegen eine absichtsvolle Verbindung von Brahms und Beethoven sprechen. Tatsächlich stand zwar die Widmung des Walzers an Brahms bereits vor Beginn der Komposition fest, der Titel war jedoch wiederum vor der Widmung entstanden.1270 Auch in der weiteren Korrespondenz ist nie eine Verbindung zwi1266 Eine Durchsicht der Verlagsanzeigen in historischen Zeitschriften wie der AmZ lässt vermuten, dass die Widmungsadressaten vor allem in solchen Fällen mitgeteilt wurden, in denen sie eine bekannte Person des öffentlichen oder musikalischen Lebens betrafen, deren Name als Werbung nutzbar gemacht werden konnte (vgl. z. B. AmZ 11/9 [1. März 1876], Sp. 144). Die Angabe von genaueren Zahlen, z. B. der Anzeigen mit oder ohne Angabe des Adressaten erübrigt sich allerdings, da keine verlässlichen Daten vorliegen, wie viele der Werke überhaupt einen Widmungsträger aufweisen. Hier wären für belastbare Aussagen weitere Studien nötig. 1267 Nachsatz von Adele Strauss in einem Brief ihres Mannes Johann an seinen Bruder Eduard Strauss, 23. März 1892, Mailer VI, S. 155. 1268 Abgedruckt bei Mailer VI, S. 155. 1269 So in der Neuen freien Presse 9908 (25. März 1892), vgl. Mailer VI, S.158. 1270 Im November 1891 wird eine Dedikation an Brahms erstmals angekündigt, allerdings ohne dass Strauss ein bestimmtes Werk im Blick gehabt hätte (vgl. Johann Strauss an Fritz Simrock, 25. November 1891, Mailer V, S. 370). Der Titel erscheint in den Quellen erst wesentlich später. In Briefen vom 6. und 7. Februar spricht Strauss erstmals von einer

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schen Titel und Widmungsträger gezogen worden. Vielmehr erschien das Zitat, das den Gedanken eines universalen, allumfassenden Walzers in sich birgt, als Motto für eine Auftragskomposition einer internationalen Ausstellung, die potenziell Massen anspricht, sinnfällig. Auch die Gestaltung des Titelblattes mit einer Weltkugel unterstrich nach Angaben Simrocks, der den Entwurf selber gefertigt hatte, diesen Aspekt.1271 Strauss selber sah freilich eine weitere Konnotation: Nach dem Misserfolg des Ritter P‚sm‚n wollte er, der unbestrittene Walzerkönig, wiederum die Massen begeistern und die Millionen mit seiner Musik umschlingen: »Von jetzt ab laße ich nach reiflicher Erwägung den Pasman fallen – wende mich den Millionen zu – die Sie umschlingen sollen durch einen einfachen Walzer!!!«1272 Erst nach Festsetzung des Titels für den Ausstellungswalzer wurden Walzer und Widmungsträger vereint. Der genaue Zeitpunkt war nicht zu rekonstruieren. Am 20. Februar teilte Strauss Simrock, der bereits mit den Planungen für die Titelseite beschäftigt war, die Widmung – und den Widmungsträger – jedenfalls auf konkrete Anfrage mit.1273 Dies wird mit Beginn der Komposition im März nochmals bekräftigt: »Morgen fange ich an mich der Walzercomposition: Seid umschlungen ernstlich zu beschäftigen. Der Walzer ist Brahms gewidmet. Ob er so ausfällt als Sie u. ich wünschen – weiß ich nicht. Ich habe aber nicht Ursache mich in rosiger Laune zu befinden.«1274

Die zeitliche Abfolge macht deutlich, dass nicht immer offensichtlich erscheinende Verknüpfungen primär mit der Widmung in Zusammenhang zu bringen

1271 1272

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konkreten Walzerkomposition, zieht aber noch keine Verbindung zu Brahms als Widmungsträger. Vgl. Johann Strauss an Fritz Simrock, [6. Februar 1892], Mailer VI, S. 76 und Strauss an Simrock, [7. Februar 1892], Mailer VI, S. 81f. Der Titel war ursprünglich als »Millionen seid umschlungen« vom Strauss-Freund und Berliner Humoristen Julius Stettenheim vorgeschlagen worden, dann aber hatte sich Strauss schnell für den Wortlaut Schillers entschieden, den auch Simrock bevorzugte (vgl. die Unterstreichungen in einem Brief von Simrock an Strauss, vom 8. Februar 1892, Mailer VI, S. 83). Fritz Simrock an Johann Strauss, 31. März 1892, Mailer VI, S. 175f. Johann Strauss an Fritz Simrock, [7. Februar 1892], Mailer VI, S. 81f. Im Nachgang der (überaus erfolgreichen) Premiere des Walzers wird deutlich, wie stark der Komponist selber sich vor der Reaktion des Publikums gefürchtet hatte: »Mein jüngstes Kind: Seid umschlungen Beine: eine Nachtgeburt – (nicht Nachgeburt) hat seinen ersten Schrei im Musikvereinssaal gethan (vergangenen Sonntag) der Vater hat dabei viel geschwitzt – denn das Kind hat fürchterlich geheult u. gejammert – das Kind hat so viel Angst gehabt vor der Taufe – die Mutter hat’s schreien lassen – sie hat ja eigentlich nichts dazu gethan. Alles hat sich um das Kindl erbarmt – schließlich hat Alles mit ihm geschrieen – der Vater hat wie ein Schwein weiter geschwitzt – schließlich war durch den Schweiß des Vaters die Taufe möglich geworden.« Johann Strauss an Louise [Simon], [Ende März 1892], Mailer VI, S. 167. Johann Strauss an Simrock, 20. Februar 1892, Mailer VI, S. 104: »Widmung der Walzer? Ich glaube auf der rechten Seite des Blattes (oberhalb): ›Herrn Doktor Brahms freundschaftlich zugeeignet‹ entspräche dem Zwecke.« Johann Strauss an Fritz Simrock, 12. März 1892, Mailer VI, S. 131.

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sind. Doch trotzdem ist anzunehmen, dass Strauss und auch Simrock die Vorteile der möglichen Interpretation bewusst und gern in Kauf nahmen. Hanslick war jedoch in seiner Rezension von Seid umschlungen, Millionen op. 443 der Bezug zwischen den beiden so unterschiedlichen Komponisten, der die Dedikation legitimierte, auch ohne Titelbezug vollkommen klar : »Geniale Naturen erkennen einander auch auf den verschiedensten Gebieten. Brahms und Strauß – ist doch jeder von ihnen der Erste in seinem Fach. Brahms repräsentiert die Pairskammer, Strauß das Abgeordnetenhaus der Musik.«1275

2.3

Ungarisches Kolorit – Widmungen an Brahms und Liszt im Vergleich

Wie mit seinen Walzern op. 39 feierte Brahms auch mit seinen Ungarischen Tänzen WoO 1 große Erfolge, sie trafen einen Nerv der Zeit. Unzählige Nachfolgewerke wurden veröffentlicht, die Verleger verlangten sogar nach derartigen Novitäten. Simrock bestellte beispielsweise die Slawischen Tänze Dvorˇ‚ks nach ihrem Vorbild: »Damit wir uns wegen der Tänze verstehen: ich meine nicht, daß es wörtlich Tänze sein sollen zum Tanzen, sondern mehr in der Weise, wie Brahms die ungarischen bearbeitet hat, wohl etwas leichter, jedoch nicht kinderleicht, brilliant und effektvoll, wechselnd in der Stimmung und in der Farbe, wechselnd in der Empfindung und nicht zu kurz.«1276

Die von Simrock angeführten Eigenschaften der Ungarischen Tänze – nicht zum Tanzen bestimmt, effektvoll, wechselnde Stimmungen und Empfindungen – könnten zum großen Teil freilich auch auf die Walzer op. 39 bezogen werden: Das Modell des kunstmusikalisch gehobenen Gesellschafts- und Volkstanzes ist universal einsetzbar.1277 Es ist jedoch nur eine einzige schon im Titel erkenntlich auf die Ungarischen Tänze bezugnehmende Dedikation bekannt. Es sind Wall1275 Feuilleton in der Neuen Freien Presse (6. April 1892), zit. n. Mailer VI, S. 162. 1276 Fritz Simrock an Anton†n Dvorˇ‚k, 18. März 1878, zit. n. Döge, Dvorˇ‚k, S. 180. Auch Max Bruch hatte seine Schwedischen Tänze op. 63 in der Nachfolge von Brahms geschaffen. 1277 In der Rezeption zeigt sich die enge Verbindung beider Tanzopera im freien Umgang mit den volksmusikalischen Grundlagen, die kalkuliert im kunstmusikalischen Kontext eingesetzt werden. Ausgerechnet in der Sammlung genuin »deutscher« Tänze habe Brahms den ungarischen Tonfall am besten getroffen. Besonders der Walzer op. 39/14 wird herausgehoben: »der behäbige deutsche Ländler hat sich mit einem Male als der wildeste nationale Cs‚rd‚s entpuppt. Da besinnt sich denn der deutsche Künstler Brahms noch rechtzeitig, dass er ja diesmal keine ungarischen Tänze schreiben wollte, und sieh, der Meister, von dem er den Magyarismus übernommen, Franz Schubert, führt ihn jetzt von ersterem weg zur süssen deutschen Weise zurück; ihr gehören die beiden letzten ›Walzer‹ wieder vollständig an.« (Helm, Ungarische Musik, S. 833). Dazu auch Adam Gellen: Brahms und Ungarn. Biographische, rezeptionsgeschichtliche, quellenkritische und analytische Studien, Tutzing 2011, S. 466f.

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fischs Neue ungarische Tänze, die dem verstorbenen Brahms im »Andenken« gewidmet sind. Warum so wenige der meist jungen Künstler, die Ungarische Tänze schrieben, den Werbeeffekt einer Zueignung an den Erfolgskomponisten nutzten, kann nicht abschließend beantwortet werden. Vielleicht war die Diskussion um den Eigenanteil der Tänze, um die angeblich verwirrende Angabe »gesetzt« oder »komponiert« zu vehement geführt worden. Ohne Widmung konnte man die eigene Arbeit diesem strittigen Punkt entziehen. Viele Rezipienten fühlten sich jedenfalls von Brahms nicht ausreichend über die Ursprünge der verwendeten Melodien informiert: »Ueber die Originale dieser Tänze und das Verhältniss der Brahms’schen Bearbeitung werden wir nicht unterrichtet, und so namentlich nicht darüber, wie weit auch die vorliegende Zusammenstellung und Abrundung zu einem Ganzen, sowie die harmonische Bearbeitung originell ist oder wie weit hier die Hand des Bearbeiters reicht.«1278

Diese Art der Verschleierung der Quellengrundlage, der Verwischung der Grenze zwischen originärem und übernommenem Material ist zwar bei Brahms auch an anderer Stelle zu beobachten1279, doch sie wurde am Beispiel der Ungarischen Tänze mit besonderem Nachdruck diskutiert. Die nachfolgenden Komponisten versuchten, mit dieser Situation angemessen umzugehen. Nicht gewidmet, aber mit deutlichem Bezug auf Brahms, sind deswegen Die berühmten ungarischen Tänze des Ungarn Imre Alföldy (veröffentlicht im Jahr 1879) als ein musikalisch-kompositorischer ›Beitrag‹ zur Debatte zu verstehen – in ähnlich ostentativer Weise hatte Brahms später seine Deutschen Volkslieder WoO 33 gegen Erk und Böhmes Deutschen Liederhort positioniert.1280 Auf dem Titelblatt der Tänze wird der Name Brahms nicht erwähnt, trotzdem wird die Bezugnahme durch die Gestaltung subtil verdeutlicht. Zum einen weist der Aufbau des Blattes mit einer großformatigen Zierornamentik am linken Rand grundlegende Ähnlichkeit mit der Erstausgabe der Ungarischen Tänze WoO 1 auf. Daneben assoziieren besonders zwei Begriffe der Titelformulierung die Tänze mit denjenigen von Brahms: »berühmt« und »bearbeitet«.1281 Gerade die Bezeichnung als »berühmte« Tänze lässt sich nur über die kompositorische Vermittlung von Brahms verstehen.1282 Die Verbindung war so selbstverständ-

1278 Rezension von Hermann Deiters, AmZ 4/14 (7. April 1869), S. 109. 1874 schließlich veröffentlichte die AmZ unter der Rubrik Vermischte literarische Mittheilungen als »Notiz«, die von außen zugegangen sei, die musikalischen Grundlagen aller zehn Tänze der ersten Folge (AmZ 9/22 [3. Juni 1874], Sp. 347f.). 1279 Vgl. z. B. Brahms an Hermann Deiters, [29. Juni 1894], BW III, S. 128. 1280 Vgl. zur »Streitschrift« (so Brahms) v. a. FN 1197 dieses Kapitels. 1281 »Die berühmten ungarischen Tänze für das Piano bearbeitet von IMRE ALFÖLDY.« 1282 So wurden ja auch die Brahms nicht gewidmeten Hefte Ungarischer Tänze in der Fach-

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lich, dass die Nennung des Bezugspunktes nicht notwendig erschien – ein Indiz für die Wirkmacht der Brahms’schen Ungarischen Tänze im zeitgenössischen Musikleben. Doch zum anderen verweist auch die bewusste Benennung als Bearbeitung indirekt auf Alföldys Auseinandersetzung mit Brahms. Denn die von Brahms verwendete Bezeichnung »gesetzt« für seine zwischen Arrangieren und Komponieren angesiedelte Tätigkeit wird von Alföldy in klarer Abgrenzung und Zurücknahme der eigenen Person vermieden. Brahms ist also bereits auf dem Titelblatt allgegenwärtig. Doch erst das Vorwort macht unzweifelhaft deutlich, warum eine ›offizielle‹ Widmung undenkbar war : Brahms wird zwar als Inspirator positioniert, von dem es sich allerdings in positiver Weise abzusetzen galt. Die Distanzierung zeigt sich vor allem in formeller Hinsicht: Alföldy wollte den Klängen und Melodien seiner Heimat ihre rechtmäßige Stellung zurückgeben, indem er die jeweilige Herkunft und die Urheber der Originalmelodien genau benannte: »Es dürfte im Auslande nur wenig bekannt sein, dass die nachstehenden beliebten ungarischen Tänze, welche in dem Johannes Brahms’schen Arrangement die Runde durch die Welt machten, nicht nur ihre Nationalmelodien, sondern auch die Componisten derselben besitzen, von denen sogar noch einige leben. Ich betrachte es daher als einen Act der Gerechtigkeit gegen meine Landsleute wenn ich eine selbstständige Bearbeitung ihrer Compositionen veröffentliche und dabei zugleich ihren Autornamen sowie die Titel der betreffenden Tänze namhaft mache.«1283

Er nahm also nicht grundsätzlich an der Bearbeitung und den kompositorischen Eingriffen durch Brahms Anstoß, sondern kritisierte einzig den unangemessenen Umgang mit den Quellen. Dieses Manko suchte er durch die Neubearbeitung der Melodien der ersten Folge der Ungarischen Tänze zehn Jahre nach ihrem Erscheinen zu revidieren. Die zwei Hefte beschränken sich allerdings auf sieben Nummern der Vorlage: Sie enthalten – in dieser Reihenfolge – die von Brahms in den Ungarischen Tänzen Nr. 2, 1, 8, 5, 3, 6 und 4 verwendeten Originalmelodien. Der erhoffte Erfolg blieb aber zumindest im großen Rahmen aus, während sich der Siegeszug der Brahms’schen Version fortsetzte. Keine einzige Rezension des von Alföldy veröffentlichten Hefts konnte bisher nachgewiesen werden.1284 Ob Brahms selber den musikalischen Diskussionsbeitrag zur Kenntnis nahm, ist nicht klar ; in der einschlägigen Auflistung der Bestände seiner Bibliothek1285 presse immer wieder auf ihn zurückgeführt. Vgl. z. B. AmZ 13/44 (30. Oktober 1878), Sp. 700f. 1283 »Zur Erklärung«, als Vorwort zur Ausgabe: Die berühmten ungarischen Tänze für das Piano bearbeitet von IMRE ALFÖLDY, Berlin 1879. 1284 Doch obwohl die Resonanz unter den Kritikern offenbar gering blieb, nahm der Verleger Ries & Erler immerhin zwei der Tänze in die von E. D. Wagner und F. Brissler 1897 herausgegebenen Beliebten Clavier-Compositionen in der Bearbeitung für 2 Claviere zu 8 Händen auf. Vgl. die Verlagsanzeige im MWb 28/47 (18. November 1897), S. 642. 1285 Hofmann, Bibliothek von Brahms.

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finden sich die Hefte nicht. Er ließ sich von der Debatte jedenfalls nicht beeinflussen. Nur ein Jahr nach dem Druck der Berühmten Ungarischen Tänze veröffentlichte er eine zweite Serie Ungarischer Tänze, in der die Verschleierung der verwendeten Quellen noch verstärkt wird: Bis heute konnten nicht alle der Tänze mit original ungarischen Melodien in Verbindung gebracht werden.1286 Auch der bereits erwähnte J. H. Wallfisch war sich nach dem Tod von Brahms der Brisanz der Diskussion noch bewusst und thematisierte sie in der Titelformulierung seiner Tänze. Die genaue Benennung lautet »Neue Ungarische Tänze [ORIGINAL=COMPOSITIONEN] für das Pianoforte componiert« – die Sammlung ist Brahms offiziell gewidmet. Neu und original – die Bemühung, bereits an dieser prominenten Stelle auf den eigenen kompositorischen Anspruch zu verweisen und Beschwerden über etwaige ungenannte Vorlagen zu vermeiden, ist klar ersichtlich. Doch trotz der gezogenen Trennlinie zur Arbeit von Brahms ist der Versuch, von der Popularität desselben zu profitieren, überdeutlich: Ein großes Altersportrait des Widmungsadressaten schmückt das Titelblatt. Dies ist ein singulärer Vorgang bei dem in dieser Studie untersuchten Repertoire und nur erklärbar durch den vorherigen Tod des Abgebildeten. Niemals hätte der skrupulöse Brahms einer solchen ikonographischen Zurschaustellung seiner Person zugestimmt. Neben der am Beispiel der Ungarischen Tänze geführten Quellendiskussion war Brahms aber auch Adressat weiterer Werke mit ungarischem Bezug. Sie rekurrieren auf sein in vielen Kompositionen gespiegeltes Interesse an den Klängen dieser Kultur1287, das bereits auf den frühen Konzertreisen mit Eduard Rem¦nyi geweckt wurde. Der oft bemühte Antagonismus Brahms – Liszt auf dem Gebiet des Parteienstreits könnte auch an dieser Stelle Auswirkungen gehabt haben: Liszt bot sich als gebürtiger Ungar, der sich auch kompositorisch für das Land seiner Herkunft einsetzte, als Widmungsadressat solcher Werke ebenfalls geradezu an. Im Vergleich der Zueignungen an beide Komponisten kann einem möglichen unterschiedlichen Verständnis in der Rezeption der Zeitgenossen nachgegangen werden. 1286 Nach Gellen, Brahms und Ungarn, S. 472–475 und 653–663, fehlt ein solcher Quellennachweis zurzeit noch für die Nummern 14 und 16. Aus einem Brief von Brahms an den Verleger E. W. Fritzsch erschließt sich, dass offenbar zumindest der Tanz Nr. 14 tatsächlich »original Brahms« ist (BW XIV, S. 314). 1287 Dazu v. a. Gellen, Brahms und Ungarn. Ungarische Elemente finden sich z. B. in den Zigeunerliedern op. 103 (auch bei diesem Werk wurde von den Rezensenten, z. B. in der Neuen Musik Zeitung [1892], S. 98, darauf hingewiesen, dass der Anteil genuin ungarischer Elemente gering sei), in einzelnen Nummern der Walzer op. 39 (v. a. der Tanz Nr. 14 zeigt deutliche Ungarismen. Das konstatierten bereits Eduard Hanslick und Max Kalbeck, vgl. Kalbeck II, S. 194, sowie ebd., Anm. 1. Dazu auch Gellen, Brahms und Ungarn, S. 466f.) oder im »Rondo alla Zingarese«, dem Schlusssatz des Klavierquartetts Nr. 1 gMoll op. 25.

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Die Zusammenstellung der Widmungen an Liszt zeigt, dass dieser durchaus in seiner Rolle als gebürtiger Ungar, die er selber stets unterstrich, wahrgenommen wurde. Schon ein Blick auf die Nationalität der Widmenden verdeutlicht dies. Fünf der sieben ermittelten Dedikationen mit entsprechender Thematik wurden von in Ungarn geborenen und aufgewachsenen Komponisten und Autoren1288 veröffentlicht, die so auf die gemeinsame Herkunft Bezug nahmen. Liszt, der international vielleicht bekannteste Ungar der Mitte des 19. Jahrhunderts, wurde also trotz seiner Zugehörigkeit zur deutschsprachigen Oberschicht als internationaler Repräsentant des Landes wahrgenommen. Sein Interesse an der Kultur seines Volkes war ein explizit etymologisches und auch wissenschaftliches. Brahms dagegen erhielt zwar ebenfalls Zueignungen ungarischer Komponisten1289, doch lebten diese zum Zeitpunkt der Widmung ausnahmslos im österreichischen Staatsgebiet und setzten in den gewidmeten Werken keinerlei Bezugspunkte zur Musik ihrer Heimat. Das ungarische Element ist zwar in ihrem Gesamtœuvre durchaus vertreten, als Zugang zum Werk ihres Adressaten waren ihnen aber andere Charakteristika entscheidend. Am

1288 Henri Gobbi, Stephanie von Vrabely, Karl Kertbeny, Jûszef S‚gh und Emil Thewrewk von Ponor. 1289 Von Joseph Joachim, Karl Goldmark (Frühlings-Hymne für Chor, Altsolo und Orchester op. 23, Mainz [1874]) und der – ebenfalls Liszt widmenden – Stephanie von Vrabely (3 Klavierstücke, Wien 1880).

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deutlichsten wird diese Einstellung in der Person Stephanie von Vrabelys, die Liszt ein Concertstück im ungarischen Styl für zwei Pianoforte widmete. Brahms erhielt dagegen die Dedikation von 3 Klavierstücken.1290 Sie rezipierte Brahms also nicht in seinem Einsatz für die Melodien Ungarns, sondern begegnete ihm in ihrer Rolle als begabte Pianistin, die auch Brahms sehr schätzte. Auch Karl Goldmark nahm nicht auf die Ungarn-Begeisterung des Adressaten Bezug, seine Brahms gewidmete Frühlingshymne op. 23 wurde vom Kritiker mit dem Schicksalslied in Verbindung gebracht.1291 Prominente Ausnahme ist das Concert (in ungarischer Weise) für die Violine mit Orchesterbegleitung op. 11 von Joseph Joachim. Hier ist die Widmung begründet durch die enge Freundschaft der beiden Komponisten und ihren Austausch über kompositionstechnische Fragestellungen auch in eben jenem Konzert, dessen Widmung Brahms erhalten sollte. Tatsächlich entspricht es aber auch den Grundzügen seines Kompositionsideals: Der unverkennbar ungarische Tonfall wird durch die klassische Form gebunden. Die in den Widmungswerken gespiegelte Sichtweise spiegelt sich auch in der Rezeption durch die Fachpresse: Brahms gebe »ein farbenglühendes Bild der Puszta, aber noch immer in deutschem Rahmen«, »die deutsche organisch geordnete Form« müsse nicht aufgegeben werden, er wolle »nicht selbst magyarisiert werden, sondern [bleibe] d e u t s c h e [ r ] Künstler«. Liszt dagegen sei, obwohl deutscher Künstler, in betreffenden Werken »nach jeder Richtung hin, also auch in der Form, vollständig auf ungarischen Grund und Boden gestellt«, er schaffe »national-ungarische Werke«.1292 Diese Einschätzung Theodor Helms korrespondiert mit der Sichtweise der Komponisten und Theoretiker : Der Ungar Liszt, der selber eine Schrift Die Zigeuner und ihre Musik in Ungarn veröffentlicht hatte1293, erhielt neben den ihm zugeeigneten Kompositionen auch Widmungen einiger theoretischer Schriften, die sich mit Aspekten der ungarischen Musik und Kultur beschäftigten. Liszt wurde damit in den Widmungen als Künstler gesamtungarischer Bedeutung anerkannt. Die Dedikationen eines Musiklexikons, einer Veröffentlichung zum Thema Die Ungarische Rhythmik und eines Albums hundert ungarischer Dichter zeigen deutlich seine Stellung als bedeutendster zeitgenössischer ungarischer Tonsetzer im Diskurs um original 1290 Betitelt Fragen, Minnelied, Gondoliere (vgl. die Angaben im Art. »Wurmbrand-Stuppach, Stephanie Gräfin«, in: Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich, Bd. 58, hg. v. Constant von Wurzbach, Wien 1889, S. 312–314, hier S. 313). Die Noten konnten leider nicht eingesehen werden. 1291 MWb 7 (1876), S. 269. 1292 Alle Zitate Helm, Ungarische Musik, S. 833f. 1293 Franz Liszt: Des Boh¦miens et de leur musique en Hongrie, Paris 1859. In dieser Arbeit wurde die deutsche Ausgabe von 1861 verwendet: Die Zigeuner und ihre Musik in Ungarn, deutsch bearb. v. Peter Cornelius, Pest 1861.

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ungarische Musik, aber auch Kultur. Er stand unter anderem auch mit den ihm widmenden Wissenschaftlern in Kontakt und tauschte sich mit ihnen wiederholt aus.1294 Sein Interesse an der ungarischen Kultur geht in der Einschätzung der Widmenden über dasjenige von Brahms, der sich in allgemeiner Form für volksmusikalische Quellen interessierte, weit hinaus: Es betrifft Ungarn selber, seine Wurzeln und die Klänge seiner Heimat. Er kritisierte deswegen die Herangehensweise »civilisirter Künstler«, die die ungarische Musik in das Korsett der Kunstmusik zu pressen suchten: Sie hätten das Wesen dieser Klangsprache nicht durchdrungen.1295 Er selber wollte in seinen Kompositionen allerdings – anders als Brahms – eine adäquate zeitgenössische ungarische Musiksprache schaffen. Gerade diesen Ansatz kritisierte Brahms wiederum an den Ungarischen Rhapsodien.1296 Diese Perspektive setzt sich in den Widmungen ungarischer Komponisten fort. Vrabely und Gobbi widmeten Liszt so Werke mit ungarischer Thematik, setzten allerdings keine überlieferten Volksmelodien ein. Sie versuchten als gebürtige Ungarn einen zeitgenössischen ungarischen Stil zu definieren, den auch Liszt in seinen Werken zu bereichern suchte. Dieser Ansatz wurde wahrgenommen, zur Sonate Gobbis hatte ein Rezensent festgestellt: »Wir heben dieses Opus als die erste ›ungarische‹ Sonate – Liszt gewidmet – hervor.«1297 Neben der Herkunft spiegelt sich in den Kompositionen jedoch immer auch 1294 Vgl. z. B. den Brief an Emil Thewrewk von Ponor vom 14. Januar 1873 über die Thematik der ungarischen Rhythmik (in La Mara [Hg.]: Letters of Franz Liszt, Bd. 2: From Rome to the End, New York 1894, S. 225). Das Ergebnis der Recherchen sollte ihm später gewidmet werden. Doch von Ponor war offensichtlich Liszts mangelnde ungarische Sprachpraxis bekannt: Er widmete ihm die deutsche Ausgabe seines Werks. 1295 Die Einschätzung, die Liszt, Zigeuner und ihre Musik, S. 145f., gegenüber Beethoven und Schubert äußerte, könnte tatsächlich auch Brahms betreffen: »Wie unzureichend die civilisirten Musiker sich mit dem Genius der Zigeunermusik vertraut zu machen gewußt haben, davon kann man sich überzeugen, wenn man Meister wie Beethoven und Schubert die dieser Form wesentlichst eignen Züge unsicher wiedergeben sieht. […] Beide lebten in Wien und mochten diese Musik hinlänglich kennen, um von ihr frappirt zu sein. […] Aus der Art wie sie die entlehnten Motive behandelten, geht augenscheinlich hervor, daß sie hier nicht mit dem Bewußtsein einer ganz andren, auf verschiednen [sic] Principien und Grundlagen ruhenden Kunst zu Werke gingen. Sie hielten diese Melodien eben für Fragmente, die durch ungeschickte, unkünstlerische Hände entstellt waren, glaubten ihnen durch ein Restauriren nach unsren tonalen Regeln ihren Werth wiederzugeben; sie nahmen diese Kunst mehr auf ihr Feld h e r ü b e r , als sie versuchten, sich auf ihr eignes Gebiet h i n ü b e r zu begeben, und durften es von diesem ihrem Standpunkte für eine genügende Ehre halten, die sie diesen Fragmenten anthaten, wenn sie einige von ihnen der Vergessenheit entzogen und sie als glänzenden Demantstaub [sic], als funkelnde Sandkörnchen in kostbarer Goldfassung aus ihren Händen hervorgehen ließen.« 1296 Brahms an Simrock (Kalbeck II, S. 142): »Ich bin nämlich kein Freund der Lisztschen Rhapsodien und habe immer gewünscht, er möchte auch (wie in seinen ersten Ausgaben) nur nachgeschrieben haben.« 1297 SmW 28/3 (11. Januar 1870), S. 35.

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Liszts Stellung als herausragender Klaviervirtuose seiner Zeit, der etwaige Widmungswerke in sein Repertoire aufnehmen konnte. Liszt wurden ausschließlich Klavierwerke gewidmet, während Brahms unter anderem ein Solokonzert und ein Orchesterwerk zugeeignet bekam. Vielleicht wirkte sich auch die Rezeption der Schriften Liszts aus, der die ›normale‹ Besetzung eines Sinfonieorchesters für das adäquate Umsetzen der Spielanforderungen ungarischer ›Zigeunermusik‹ problematisierte1298 und das Klavier als akzeptablen Kompromiss positionierte: »Das Clavier, obwohl es im Orchester die grelle Klangfarbe des Cymbals nicht ersetzen könnte, vereinigt immerhin mehrere Bedingungen in sich, kraft deren es mehr als andre Instrumente befähigt wird, ein Orchester solcher Nomadenvirtuosen zu simuliren.«1299

Liszt bezog sich mit seiner Aussage offenbar nicht auf Neukompositionen im ungarischen Stil – anders sind Sinfonische Dichtungen wie Hungaria nicht zu erklären. Aber zumindest in der Auswahl des passenden Widmungsträgers für Heinrich Hofmanns Ungarische Suite mit Benutzung ungarischer Nationalmelodien für großes Orchester op. 16, Brahms »verehrungsvoll zugeeignet«, mögen diese Überlegungen eingeflossen sein. Inhaltlich und kompositionstechnisch folgen die an Liszt adressierten Werke den wichtigsten Anforderungen, die dieser in der Musik der ›Zigeuner‹ – die er in seiner theoretischen Abhandlung mit der Musik Ungarns gleichsetzte – festgestellt zu haben glaubte: Er postulierte vor allem die »Wichtigkeit […der] Virtuosität«1300 und erkannte das »phantastisch epische Element«1301 als konstitutiv für den ungarischen Stil an. Dementsprechend betonen auch die Widmungswerke das freie, rhapsodische und improvisatorische Element. Der deutsche Komponist Theodor Kullak benannte es schon im Titel: Seine Liszt gewidmeten M¦lodies hongroises op. 68 tragen den Untertitel »Improvisations pour le piano«. Henri Gobbis PremiÀre grande Sonate dans le Style hongrois pour le piano op. 13 war nach Auffassung eines Rezensenten ebenfalls »mehr fantasirt

1298 Liszt, Zigeuner und ihre Musik, S. 253: »Auch die Klangmassen unsrer Orchester eignen sich nicht dazu [der Wiedergabe von ungarischer Musik], und diese müßten in ihren gewöhnlichen Instrumentations-Zusammensetzungen manche Ändrungen erleiden um den Charakter eines Zigeunerorchesters reproduziren zu können. Wir besitzen zu viel Zwischenstimmen, zu viel vermittelnde Klänge, zu viel sanfte, schimmernde Farbengebung um durch ihre unbehutsame Anwendung nicht zum Verwischen gewisser Härten verleitet zu werden, welche von der Czigany-Musik unzertrennlich sind.« 1299 Ebd. 1300 Ebd., S. 253. 1301 Ebd., S. 257.

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als componirt«1302 – da der Notentext nicht zugänglich war, konnte diese Aussage nicht überprüft werden. Beide Elemente, die von Liszt und den Widmenden bewusst eingesetzt wurden, um möglichst authentische Klänge Ungarns zu schaffen, wurden von Brahms abgelehnt. Aus der Sichtweise des Komponisten, der Elemente der Volksmusik einsetzte, um im Rahmen von Kunstmusik ›dauerhafte‹ Werke zu schaffen, nahm er die Herausforderung an, seine Kompositionen den Vorbehalten, die Liszt in seiner »Vorrede zu unsrem Zigeuner=Epos, den ›Ungarischen Rhapsodien‹«1303 formuliert hatte, entgegenzusetzen. Liszt hatte nämlich bemerkt, »der Versuch, die Zigeunerkunst auf das gemeinsame Feld unsrer Musik zu übertragen würde mehr als einem Hinderniß begegnen.«1304 Bei Kalbeck ist überliefert, dass Brahms aber genau dieses Ideal des Übertragens für das eigene Schaffen in Anspruch nahm. Die Liszt’schen Ungarischen Rhapsodien gefielen ihm auch aus diesem Grund überhaupt nicht.1305 Ein Umstand, der sich auch in den ihm gewidmeten Werken spiegelt. 1882 heißt es in der Musical Times zu Heinrich Hofmann: »Hofmann has turned national music to very good account, showing, indeed, a special aptitude for its treatment from a classic point of view.«1306 Die vermeintlich so fantastisch-rhapsodisch, ungarisch geprägten Themen werden demnach auch in der Ungarischen Suite an die Tradition und Hörgewohnheiten der Kunstmusik rückgebunden. Diese Herangehensweise zeigt sich auf mehreren Ebenen. Kontrapunktik und besonders fugierte Formteile (so z. B. im dritten Teil »In der Puszta«, T. 100ff. im paarigen Einsatz von Violine 2 und Bratsche, sodann Violoncello und Kontrabass) finden allenthalben ihren Einsatz. Daneben gibt ein satzübergreifendes Formkonzept Struktur und Halt. So ist die Coda eigentlich das Wiederaufgreifen des letzten Formteils des ersten Satzes (»Im Krönungssaal«, ab S. 14). Auch die Besetzung mit traditionellem Sinfonieorchester weist auf die Überformung durch westeuropäische Kompositionsstrategien hin. An der Rezeption der Widmung kann jedenfalls nachvollzogen werden, wie sehr die Zeitgenossen diese Strategien des Umgangs 1302 SmW 28/3 (11. Januar 1870), S. 35: »Wir heben dieses Opus als die erste ›ungarische‹ Sonate – Liszt gewidmet – hervor […] Die weitere Ausarbeitung der Sonate indessen hat wenig festen Halt, sie ist mehr fantasirt als componirt. Wie man aber Beides in Eines fassen kann, wird Herr Gobbi z. B. in Liszt’s so großartig fantasirter als kunstvoll componirter Hmoll-Sonate finden, die ein Meisterwerk in der thematischen Metamorphose, frei in’s Weite zu schweifen scheint und sich dennoch beständig auf festvorgezeichneter Bahn hält.« 1303 So der Titel des XX. Kapitels von Die Zigeuner und ihre Musik in Ungarn in der Inhaltsübersicht. 1304 Liszt, Zigeuner und ihre Musik, S. 257. 1305 Vgl. Kalbeck III, S. 142. 1306 Joseph Bennett: Heinrich Hofmann, in: The Musical Times 23/470 + 471 (1. April + 1. Mai 1882), S. 181–185 u. 253–256, hier S. 254.

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mit Nationalmelodien mit Brahms in Verbindung brachten. August Reissmann stellte beispielsweise 1892 fest, der überragende Erfolg der Ungarischen Suite sei zu großen Teilen erst durch seine Stellung in der Tradition der Ungarischen Tänze möglich gewesen.1307

2.4

Der Umgang mit historisch tradiertem Volksliedmaterial

Über die Widmungen wird das Bewusstsein der Zeitgenossen für eine bestimmte Facette der Persönlichkeit von Brahms transportiert: Es ist der sammelnde und rezipierende Brahms in seinem Interesse für das Volkslied, für historisch tradierte Texte und Melodien nicht nur des deutschen Sprachgebiets, sondern auch anderer Kulturkreise. Das Interesse des Sammlers schlägt sich neben den Materialien zu Volksliedern und Volksmelodien in seiner Bibliothek auch in Korrespondenzen, vor allem aber in Veröffentlichungen wie den Deutschen Volksliedern WoO 33 und 34 nieder. Zwei Komponisten nehmen nun über Widmungen auf Brahms in der romantischen Sicht des am Historischen und Volkstümlichen Interessierten Bezug. Dabei handelt es sich um zwei in England ansässige Komponisten – über die Bedeutung dieser nationalen Komponente wurde an anderer Stelle bereits gesprochen.1308 Beide eint ihr Bezug auf historisch tradiertes Quellenmaterial aus dem Kontext des Volksliedes, beide geben schon im Titel Hinweise auf ihre jeweilige Bezugsgröße: Charles Villiers Stanford mit den Songs of old Ireland, George Henschel mit seinem Serbischen Liederspiel (Servian Romances) op. 32. Sicherlich ist kritisch zu berücksichtigen, dass nur zwei Werke in diesem Kontext als Untersuchungsgrundlage dienen können. Doch beide Beispiele beleuchten auf je spezifische Weise das BrahmsBild ihrer Komponisten. Die Songs of old Ireland Stanfords sind freilich weniger in ihrer kompositorischen Faktur als in der allgemeinen Aussage der Widmung interessant. Denn Stanford sah sich nicht als Komponist, sondern als Herausgeber und Arrangeur1309 der traditionellen Melodien seiner Heimat, die er mit neuen, volkstümlichen Texten verbindet. Ganz in der Tradition der Ungarischen Tänze von Brahms sind die Lieder deswegen ohne Opuszahl veröffentlicht und laut Angabe des Titelblatts nicht komponiert, sondern »ARRANGED BY C. VILLIERS STANFORD«.1310 Die Widmung der Sammlung zeigt nun, wie stark Brahms auch im Ausland für die Beschäftigung mit und die Sammlung von historischen 1307 1308 1309 1310

August Reissmann: Illustrirte Geschichte der deutschen Musik, Leipzig 1892, S. 164. Vgl. Kap. III. 2. 2, bes. ab S. 230 zu den Spezifika der Widmungen aus England. Die Lieder sind demnach »arranged by«, nicht »composed by« Stanford. So die Angabe auf dem Titelblatt des Erstdruckes.

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Originalquellen stand. Stanford selber stand Brahms in dieser Hinsicht nahe. Die Herausgabe der Volksmusik seines Heimatlandes Irland half dem in England ansässigen Komponisten darüber hinaus allerdings auch bei der Konstitution der eigenen nationalen Identität im Kontext des konfliktreichen politischen Verhältnisses zwischen dem Vereinigten Königreich von Großbritannien und Irland.1311 Die Sammlung der Brahms gewidmeten Lieder ist die erste1312 im Druck erschienene Veröffentlichung Stanfords mit irischem Nationalkolorit – es ist bemerkenswert, dass als Widmungsträger trotz des nationalen Hintergrundes kein Ire gewählt wurde, sondern der in Wien ansässige Deutsche. Wichtiger als die Konstruktion nationaler Zusammenhänge1313 erschien Stanford demnach das von der Herkunft losgelöste Interesse für volksmusikalische Traditionen. Dass Brahms seine eigenen Sammlungen weniger aus ethnologisch-wissenschaftlichem Interesse denn als Grundlage für eigene Kompositionen und Bearbeitungen sah1314, scheint bei der Widmung freilich keine Rolle gespielt zu haben. Immerhin zeigt Stanford in seinem Bemühen um möglichst große Annäherung seines Arrangements an die historischen Gegebenheiten des Entstehungskontextes ein grundlegend von Brahms zu unterscheidendes Verständnis von der Funktion des Volksliedes, das an späterer Stelle noch näher beleuchtet werden soll. Wie aber hatte Stanford die Bekanntschaft mit den Werken von Brahms gemacht? Zum einen im Rahmen seines Studiums in Leipzig, einer Zeit, in der er Brahms auch persönlich begegnete. Zum anderen aber bereits vor diesem Zeitpunkt in Irland, bei seinem ebenfalls in Leipzig ausgebildeten Lehrer Mi-

1311 Erst in der Folge des anglo-irischen Krieges wurde 1922 der Irische Freistaat gebildet. Er genoss als Vorgängerstaat der Irischen Republik anders als Nordirland größere Autonomie gegenüber dem Königreich. 1312 In der Folgezeit kamen weitere Liedersammlungen hinzu, trotz des unterschiedlichen Eigenanteils teilweise sogar mit Opusnummern: Irish Songs and Ballads (1893); Songs of Erin op. 76 (1901 veröff.); The Irish Melodies of Thomas Moore, restored and arranged op. 60 (1895 veröff.); daneben verschiedene Einzellieder als Teil anderer Veröffentlichungen. Auch sonst herrscht eine starke Beschäftigung mit irischer Thematik, Volksmusik und Folklore vor, die Stanford in Neukompositionen inspirierten. Neben anderen beinhalten z. B. folgende Werke Anklänge an irische Folklore oder gehen auf originales Material irischer Volksmusik zurück: die Oper Shamus O’Brien op. 61, die Sinfonie Nr. 3 fMoll ›The Irish‹ op. 28, mehrere Irish Rhapsodies und Irish Dances; Irish Fantasies op. 54 für Violine und Klavier ; Irish Dances op. 89; Irish Folksongs op. 78, die Hymne für gemischten Chor St. Patrick’s Breastplate WoO; An Irish Idyll op. 77 u. v. m. 1313 Diese betonte Stanford dann in der Widmung seiner Songs of Erin (1901) an die kurz zuvor verstorbene Queen Victoria – er erkannte damit den politischen Status Irlands als Teil von Großbritannien faktisch an. 1314 Gottfried Scholz: Das Volkslied und Johannes Brahms, in: Volksmusik. Wandel und Deutung, hg. v. Gerlinde Haid, Ursula Hemetek u. Rudolf Pietsch, Wien 2000, S. 454–460, hier S. 454f.

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chael Quarry.1315 Obwohl Stanford die Werke von Brahms sehr schätzte, war er allerdings von der Persönlichkeit des Wieners weniger angetan – er bezeichnete ihn als »silent and unapproachable«.1316 Kompositorische Einflüsse von Brahms sind in seinem Œuvre wiederholt auszumachen, so weist Robert Pascall am Beginn des zweiten Evening Service op. 12 ein kurzes Zitat aus Brahms’ 2. Sinfonie nach.1317 Und doch entschied er sich für die Widmung einer Sammlung von Volksliedern, die keine Originalkompositionen darstellten, ihn also nicht als Komponisten profilieren konnten. Der Bezug zwischen Werk und Widmungsträger wurde über das gemeinsame Interesse an solchen Quellen hergestellt – eine These, die sich durch persönliche Angaben Stanfords belegen lässt: »A short time after the Cambridge performance, I had made my first collection of Irish folk-songs, and knowing the interest which Brahms took in such work, I asked and obtained his leave to dedicate it to him.«1318 Der Ausschnitt aus Stanfords Tagebuchnotizen zeigt aber auch, dass der äußere Anlass zur Widmung eben nicht von volksmusikalischen Werken des Widmungsträgers ausging, sondern von einer Aufführung der Sinfonie Nr. 1 unter Joseph Joachim in Cambridge, die Stanford zutiefst begeisterte. Er selber hatte sich federführend für die Verleihung der Ehrendoktorwürde an Brahms durch die Universität eingesetzt – der Festakt sollte den Rahmen des angesprochenen Konzertes bilden. Brahms lehnte die Ehrung zwar ab, die Aufführung wurde allerdings verwirklicht. Auslöser und Bezugnahme sind also differenziert zu betrachten: Bildete die Verehrung Brahms’scher Originalkompositionen den Aus1315 In seinen persönlichen Brahms-Erinnerungen A few memories of Johannes Brahms (in ders.: Studies and Memories, London 1908, S. 108, zuerst in der Zeitschrift Leisure Hour [1904] veröffentlicht) berichtet Stanford aus dieser Zeit: »[…] I shall never forget the amazing effect which was produced upon me by hearing the variations on a theme of Handel, or how much of my small pocket-money I spent in buying as many of his works as I could get. I knew nothing of the Schumann article, nor anything about him save his music, and the grip it took of me at fifteen has never relaxed since.« 1316 Stanford, Pages, S. 135. Brahms antwortete kurz darauf: »Geehrtester Herr, Mit vieler Freude höre ich von Ihren alten irischen Melodien u. wenn Sie mir Ihre Ausgabe zueignen wollen so kann das ja nur meine Freude verdoppeln. Hoffentlich lesen Sie so genügend Deutsch wie ich Englisch; – zu schreiben darf ich es allerdings nicht versuchen u. bitte das zu entschuldigen. Ich hoffe Ihre Sendung bald erwarten zu dürfen u. sehe ihr mit größtem Interesse entgegen. In ausgezeichneter Hochachtung ergeben J. Brahms« (Brahms an Charles Villiers Stanford, [17. März 1882], zit. n. Pascall, Frühe Brahms-Rezeption, S. 332). Brahms las allerdings längst nicht »so genügend […] Englisch«, wie er im Brief an Stanford behauptete. Den Brief um Widmungserlaubnis ließ er sich von d’Albert während ihres ersten längeren Treffens übersetzen. Vgl. Eugen d’Albert an Marie Joshua, 15. März 1882: »I translated for him a letter from Mr Stanford, asking permission to dedicate his new edition of fifty Irish melodies to him.« Zit. n. Fifield, Hans Richter, S. 184. 1317 Pascall, Frühe Brahms-Rezeption, S. 307. Tatsächlich handelt es sich eher um eine strukturelle Ähnlichkeit als um ein direktes Zitat. 1318 Vgl. Stanford, Brahms, S. 112.

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gangspunkt, wurde durch die Dedikation selber der Enzyklopäde und (musik-) historisch interessierte Brahms angesprochen. Der Eindruck einer kompositorisch so ambitionierten Sinfonie schlägt sich nieder in der Widmung einer Volksliedsammlung – eine ungewöhnliche Verbindung. Doch ein Bezugspunkt zu Cambridge ist auszumachen: Der Ordinarius für Musik in Cambridge war George Alexander Macfarren, dessen Ehefrau Natalia1319 regelmäßig für die Übersetzung Brahms’scher Vokalkompositionen – auch von Volksliedern – in das Englische sorgte. Hier hatte Stanford einen ganz konkreten Anknüpfungspunkt, eine Quelle, durch die er auch von den Sammelaktivitäten seines Widmungsträgers erfahren haben mochte. Brahms, der Volksmusikinteressierte – eine Verbindung, die gerade im Lied-affinen England bei dem gebürtigen Iren Stanford auf offene Ohren stieß. Stanford wandte sich in seiner Widmung konkret an den Sammler und Herausgeber Brahms. George Henschel, ebenfalls in England ansässig, aber als erfolgreicher Sänger deutscher Herkunft gut mit Brahms bekannt, wählte eine andere Herangehensweise: Er vertonte serbische Volksliedtexte in deutscher Übersetzung neu und gab sie als Serbisches Liederspiel op. 32 an die Öffentlichkeit. Damit wählte er einen dem von Stanford gewählten diametral entgegengesetzten Weg: Brachte Stanford alte Melodien mit neuen Texten in Verbindung, vertonte Henschel alt überlieferte Texte neu. Ein Vorgehen, das dem Ideal von Brahms entspricht: Es entstehen auf der Grundlage des historisch überlieferten Textmaterials neue Kompositionen, die sich als Lieder im Volkston präsentieren. Das Brahms gewidmete Serbische Liederspiel ist insofern besonders interessant, als es offensichtlich in Reaktion auf ein Gespräch der Komponisten über die Vertonung serbischer Volkslieder entstand und damit eingebunden ist in einen Austausch über künstlerische Grundsatzfragen. Grundlage des Diskurses1320 bildeten Carl Loewes VI Serbenlieder op. 15, komponiert auf Textbasis der von Th¦rÀse Albertine Louise von Jacob Robinsons (genannt TALVJ) übersetzten und veröffentlichten Sammlung Volkslieder der Serben.1321 TALVJ, eine Schwägerin1322 Loewes, hatte die Vorlagen auf Anregung Johann Wolfgang von Goethes und im Rahmen der Volksmusikbegeisterung des beginnenden 19. Jahrhunderts als Anthologie veröffentlicht. Schon während der 1319 Eigtl. Clarina Thalia Andrae (1827–1916). 1320 Henschel selber berichtet davon in seinen Brahms-Erinnerungen: »We spoke, among other things, of Carl Loewe, Brahms thinks highly of his ballads and Servian songs. ›However, with us in Vienna‹, he said, ›Loewe is, to my regret, much over-rated. One places him, in his songs, side by side with, in his ballads, above, Schubert, and overlooks the fact that what with the one is genius, with the other is merely talented craft…‹« (Henschel, Recollections, S. 46). 1321 Th¦rÀse Albertine Louise von Jacob Robinson (genannt TALVJ): Volkslieder der Serben, 2 Bde., erstmals erschienen 1825/26, dann 1833, dann 1853. 1322 Loewe heiratete 1821 in erster Ehe TALVJs Schwester Julie (sie stirbt bereits 1822).

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Übersetzungsarbeit hatte sie die Texte ihrem Schwager überlassen, sodass 1825 parallel zu ihrer Übersetzung die VI Serbenlieder op. 151323 erscheinen konnten – wie die Textvorlage sind sie Goethe, dem Inspirator und Motivator beider Sammlungen, zugeeignet. Auch Henschel nutzte nun die Volkslieder TALVJs, um eine eigene Interpretation, einen Lösungsversuch der Vertonung von Volksliedtexten zu gestalten. Brahms hatte in der Zeit des Gesprächs über Loewes Serbenlieder ebenfalls mit der Komposition von Liedern nach serbischen Texten begonnen. Er bevorzugte jedoch die Übersetzungen Siegfried Kappers1324, acht Lieder sind disparat im Rahmen von Liederheften erschienen.1325 Henschel legte dagegen eine Folge von zehn Liedern vor, die durch den inhaltlichen roten Faden der unglücklichen Liebe – beleuchtet aus unterschiedlichsten Blickwinkeln – verbunden sind und durch den Titel ›Liederspiel‹ einen inneren Zusammenhang beanspruchen.1326 Für diese Vorgehensweise kann er auf berühmte Vorgänger verweisen, Robert Schumanns Spanisches Liederspiel etwa oder Heinrich von Herzogenbergs Deutsches Liederspiel op. 14. Doch gerade der Widmungsträger Brahms hat diese Gattung nicht bedient – zumindest hat er kein Werk offiziell mit diesem Titel versehen. Trotzdem kann Henschel sich durchaus auch in der äußeren Form seines Widmungswerks auf Brahms beziehen. Denn die Liebeslieder-WalzerFolgen1327 erfüllen die relativ wenigen formalen Kriterien des Liederspiels in der Definition der thematisch lose verbundenen Liedsammlung1328 mit gemeinsa1323 Das Heft beinhaltet die Lieder Mädchen und Rose, Beim Tanze, Überraschung, Des Jünglings Segen, Liebesliedchen, Kapitulation. 1324 Brahms hat Kapper als Übersetzer aus dem Böhmischen auch sonst sehr geschätzt und empfahl ihn über Simrock z. B. Anton†n Dvorˇ‚k zur Übertragung seiner tschechischen Liedtexte (vgl. Simrock an Dvorˇ‚k, 19. Januar 1878, Döge, Dvorˇ‚k, S. 170). 1325 »Schwarzer Wald, dein Schatten ist so düster« op. 65/12 (aus den Liebeslieder-Walzern op. 65); »Mädchenfluch« op. 69/9 (aus den Neun Gesängen op. 69); »Mädchenlied« op. 85/3 (aus den Sechs Liedern op. 85; ebenfalls enthalten in den Serbenliedern Loewes); »Das Mädchen« und »Der Falke« opp. 93a/2, 5 (aus den Sechs Liedern und Romanzen op. 93a); »Das Mädchen« und »Vorschneller Schwur« opp. 95/1 und 5 (aus den Sieben Liedern op. 95). Abgesehen von »Schwarzer Wald, dein Schatten ist so düster«, einer Nachdichtung eines serbischen Textes aus Daumers Polydora, sind alle Liedtexte entnommen von Siegfried Kapper: Die Gesänge der Serben, 2 Bde., Leipzig 1852. Auffällig ist, dass Brahms nur Gedichte des zweiten Bandes vertont. 1326 Die Form des Liederspiels, noch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts als Bezeichnung für ein Schauspiel mit eingeflochtenen Liedern gängig, hatte auch am Ende des Jahrhunderts noch Bedeutung. Nun aber als Bezeichnung für eine besondere Form des Liederzyklus mit innerem thematischen Zusammenhang. Trotz der inhaltlichen Verbindung konnten die einzelnen Nummern allerdings in durchaus unterschiedlichen Besetzungen dargeboten werden. Vgl. Susanne Johns: Art. »Liederspiel«, in: MGG2, Sachteil, Bd. 5, Sp. 1328–1335. 1327 Diese Verbindung zieht bereits Bozarth, Brahms & Henschel, S. 280. 1328 Die Bezeichnung »Zyklus« wurde an dieser Stelle bewusst vermieden. Denn dass die Liebeslieder-Walzer zwar die gemeinsame Liebesthematik kennzeichnet, sie aber keine

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mer Thematik und unterschiedlichen Besetzungen eigentlich zur Gänze. Herzogenberg stellte sich so mit seinem Deutschen Liederspiel op. 14, für Soli (Sopran, Tenor), gemischten Chor und Begleitung des vierhändigen Klaviers, bewusst in die Nachfolge von Brahms.1329 Und auch, wenn Brahms’ Zigeunerlieder op. 103 erst nach dem Serbischen Liederspiel entstanden sind, zeigen sie doch, dass Henschel und Brahms eine grundlegende kompositorisch-stilistische Übereinkunft verband. Wie Herzogenberg im Deutschen Liederspiel und Brahms später in seinen Zigeunerliedern stellt Henschel seine Texte aus Volksliedern eines Landes zusammen, Besetzung (Vokalquartett mit Klavierbegleitung) und Liebesthematik stimmen mit Brahms überein. Und wie in den Liebesliedern Brahms’ variiert die Besetzung der Gesangsstimmen zwischen Sololiedern (eines für jede Stimmlage), Duos und Quartetten1330, sodass die ganze Bandbreite möglicher Stimmlagenzusammenstellungen genutzt wird. Gerade die Zigeunerlieder, die Henschel auch als Interpret vertraut waren,1331 waren jedenfalls in der englischen Wahlheimat Henschels bekannt und beliebt. Ihre Ähnlichkeit zum Serbischen Liederspiel, die sich in einer im Gegensatz zur Textauswahl der Liebeslieder-Walzer größeren Konsequenz der Herkunft der vertonten Texte zeigt, war Gegenstand der Besprechungen der Fachpresse: Durch die Widmung konnte eine gewisse Einflussnahme auf spätere Werke des Widmungsträgers vermutet werden. Das Liederspiel Henschels wurde dementsprechend von den Rezensenten als »kindred work«1332 bezeichnet. Auch zeitgenössische Komponisten zogen die stilistische Verbindung. Max Bruch zum Beispiel bezeichnete das Serbische Liederspiel als »gar nicht übel, wenn auch Nachahmung von Brahms«.1333 Und noch im Januar 1908 wurde in der Brüsseler

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dramatische Handlung verbindet, ist allgemein anerkannt. Dies trifft allerdings ebenso auf die Lieder von Henschels Serbischem Liederspiel zu. Ein Umstand, der in der Fachpresse für Irritation sorgte: »The defect of the work is the want of connection in the several numbers, which gives rise, on the occasion of the performance, to some amusement and no little bewilderment; but as there is considerable merit in the work, the lack of unity may readily be pardoned« (The Monthly musical record 9 [Mai 1878], S. 79). Vgl. Susanne Johns: Art. »Liederspiel«, in: MGG2, Sachteil, Bd. 5, Sp. 1334. Die Abfolge Quartett – Solo (B) – Duett (A, S) – Solo (T) – Quartett – Solo (S) – Duett (A, S) –Solo (A) – Duett (T, B) – Quartett legt eine planvolle Anlage des Besetzungsplans nahe. Er hatte z. B. in der Londoner Erstaufführung am 26. November 1888 gesungen (vgl. Musical life in London, in: The Magazine of Music [Januar 1889], S. 3). MISCELLANEOUS CONCERTS, in: The Monthly musical record (Juli 1889), S. 161. Tatsächlich wurde das Serbische Liederspiel in der zeitgenössischen englischen Fachpresse sowohl mit den Liebeslieder-Walzern (vgl. z. B. The Examiner 3713 [29. März 1879], S. 403: »He has taken the ›Liebeslieder‹ of Brahms for his model, and so successfully, that there is every reason to believe the ›Liederspiel‹ will become equally popular.«) als auch den Zigeunerliedern verglichen (so heißt es in der Musical Times 33/587 [1. Januar 1892], S. 26, das Liederspiel sei »not unworthy to be compared with the ›Zigeunerlieder‹ of Brahms, to whom, by the way, it is dedicated.«). Zit. n. Fellerer, Bruch, S. 144.

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Erstaufführung Henschels Liederspiel mit den Liebeslieder-Walzern von Brahms kombiniert.1334 Durch die Widmung ist zu erwarten, dass sich die Lieder grundsätzlich im Rahmen der Brahms’schen Liedästhetik – die ja vom Volksliedideal beeinflusst war – bewegt. Henschel war aus dem Blickwinkel des Sängers und Interpreten Brahms’scher Werke, der Brahms seit dem Niederrheinischen Musikfest 1874 auch persönlich verbunden war, die Ästhetik seines Widmungsträgers wohlvertraut. Besonders interessant ist aber die Einstellung Henschels gegenüber historischen Materialien. Es besteht ein besonders augenfälliger Unterschied zur Vertonung Carl Loewes, der durchaus in Parallelität zum Œuvre von Brahms gelesen werden kann. Denn es lässt sich bei Henschel und Brahms ein sehr ähnlicher Umgang mit authentischen Quellen verfolgen: Loewe hatte sich nicht nur auf die von TALVJ übersetzten Texte als Quelle beschränkt, sondern sie mit Ausnahme des Liedes Liebesliedchen auf Grundlage von serbischen Volksmelodieskizzen vertont. Diese in der Liedsammlung von Vuk1335 veröffentlichten Skizzen hatten seine Auswahl der zu vertonenden Lieder konkret beeinflusst – es sind die einzigen an dieser Stelle überlieferten Melodien. Ihre Nutzung stellte im Verständnis Loewes offenbar einen wichtigen Faktor dar, um größtmögliche Authentizität zu gewährleisten. Hier nun setzte sich Henschel, der ebenfalls Vorlagen aus TALVJs Serbenliedern gewählt hatte, bewusst von seinem Vorgänger ab – in solchem Maße, dass bemerkt worden ist, Henschels Liederkreis habe »mit dem serbischen Volksmelos nichts gemeinsames«.1336 Er schuf auf Grundlage der Texte vielmehr neue Kompositionen, die auf keinerlei historisches musikalisches Material zurückgreifen. Diese Herangehensweise, die tradierte Texte eines Kulturkreises von der kompositorischen Tradition löst, ist nun eine entscheidende Übereinstimmung mit dem Widmungsträger Brahms. Die geringe Integration slawisch anmutender Kompositionstechniken in einem Werk, das immerhin den suggestiven Untertitel »Eine Reihe altserbische Volkslieder« führt und in der Titelblattgestaltung die Farben der serbischen Flagge aufgreift, wird so zur bewussten Aussage im Dialog mit dem Widmungsträger aber auch dem – verstorbenen – Vorgänger Loewe. In dieser Hinsicht kam das Serbische Liederspiel den Intentionen von Brahms näher als die Songs of old Ireland Stanfords, der sich in seinem Arrangement im Gegensatz zu

1334 Vgl. Konzertanzeige und Rezension in: L’Art Moderne 28 (1908), S. 28 bzw. S. 30. 1335 Melodieaufzeichnungen Franciszek Mireckis, von Vuk in seinem zweiten Liederband 1815 veröffentlicht (Vuk Stefanovic´ Karadzˇic´ : Narodna srbska pjesnarica, Becˇ 1815). 1336 Vera Bojic´ : Talvjs Übersetzungen der serbischen Volkslieder und ihre Vertonungen, in: TALVJ. Therese Albertine Luise von Jakob-Robinson (1797–1870). Aus Liebe zu Goethe: Mittlerin der Balkanslawen, hg. v. Gabriella Schubert und Friedhilde Krause, Weimar 2001, S. 23–34, hier S. 27.

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früheren, diatonischen Arrangements1337 im Sinn historischer Korrektheit bemüht hatte, den Liedern ihre Originalmodalität zurückzugeben. Denn das Volksliedverständnis von Brahms bewegte sich trotz der Sammelleidenschaft in anderen Bahnen. Entscheidend schien ihm nicht größtmögliche Authentizität und Objektivität als Herausgeber. Er dachte vielmehr stets als Komponist, der sein Augenmerk auf die Wirkung, auf das Ergebnis des Gesamtkunstwerks legte. Max Kalbeck formuliert den Maßstab, den Brahms an die Vertonung von Volksliedtexten stellte und zieht die Verbindung zu seinem Umgang mit anderem volksmusikalischen Quellenmaterial: Brahms halte »den Volksliedern gegenüber denselben Standpunkt inne […], den er bei den Ungarischen Tänzen einnahm: den rein künstlerischen.«1338 Der bei Henschel zugrunde gelegten Denkweise folgten schließlich auch weitere Komponisten, die Texte aus den Serbenliedern von TALVJ vertonten: Nach einer Auflistung Bojic´s1339 verwendeten Heinrich von Herzogenberg, Hans Huber, Max Reger und Alexander Winterberger1340 die von TALVJ übersetzten Texte als Grundlage für (teils nur einzelne) Liedvertonungen. Von diesen vier Komponisten standen drei Brahms erwiesenermaßen kompositorisch nahe: Herzogenberg, Huber und Reger widmeten Brahms unter anderem eines ihrer Werke – wenn auch nicht die hier in Frage stehenden Lieder. Alle drei verzichteten auf die Integration serbischer Folklore- und Volksliedmelodien. Winterberger wiederum, heute vor allem für seine Bekanntschaft mit Franz Liszt bekannt, orientierte sich offenbar an Loewe. Aus dieser Inspiration heraus nutzte er historisches Volksliedmaterial aus dem serbischen Raum. Obwohl von Brahms keinerlei Vertonungen von TALVJ-Texten vorliegen, ist also am Beispiel der TALVJ-Vertonungen über die direkte Widmung Henschels hinaus eine spezifische Art des Umgangs mit Volksliedtextvorlagen zu beobachten, die mit Brahms’ Einstellung korrespondiert und von einem Kreis ihm verbundener Komponisten genutzt wurde. Mit den »gar so philiströsen Texte[n] und Melodien, wie sie seit Erk so gepflegt werden«1341, mit den skrupulös am Original sich orientierenden Herausgebern von Volkslied- oder Tanzsammlungen konnte Brahms nichts anfangen. In diesem eigentlich romantisch zu bezeichnenden Verständnis, das eine 1337 Z. B. John Stevenson Moore’s Irish Melodies 1807–1834; Michael Balfe 1859 Neuarrangement. 1338 Kalbeck I, S. 399. 1339 Bojic´, Talvjs Übersetzungen, S. 28. 1340 Heinrich v. Herzogenberg: Sieben serbische Mädchen-Lieder (Übersetzung von Talvj) für eine Mezzo-Sopran-Stimme mit Begleitung des Pianoforte op. 45; Hans Huber : z. B. Tschippewäisches Liebeslied, veröffentlicht als Nr. 3 der Sieben Gesänge nach Volksliedern op. 72a; Max Reger : z. B. Der Knabe an die Mutter und Schlimm für die Männer op. 75/3 und 7; außerdem Alexander Winterberger : z. B. Die Kranzwinderin und Armes Kind aus den Sieben Volkspoesien op. 52/3 und 4. 1341 Brahms an Philipp Spitta, [6. April 1894], BW XVI, S. 100.

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Übereinstimmung mit Clemens Brentanos und Achim von Arnims Des Knaben Wunderhorn verrät1342 – immerhin hat Brahms auch Texte aus dieser Sammlung vertont und Achims Ehefrau Bettina von Arnim eine seiner spärlichen Widmungen zugedacht –, ist Brahms Prototyp für eine Strömung der Volksliedrezeption, die bis weit in das 20. Jahrhundert hineinreicht. Erst die Entwicklung von Ethnologie und Philologie als Wissenschaftszweige änderte hier Grundlegendes. Nichtsdestotrotz waren für Brahms wichtige Prinzipien des Volksliedes fundamental für seine Liedästhetik. In seinem Streben nach ›dauerhafter‹ Musik, nach Kompositionen, die in ihrer spezifischen Qualität jeglichen Modeströmungen entzogen seien und somit in ihren Maßstäben unbegrenzte Gültigkeit hätten, bot das seit Jahrhunderten im Repertoire verankerte Volkslied, ein »klare[r] Spiegel der Volksseele«1343, einen kompositorischen Anhaltspunkt. Matthias Schmidt hat das Ergebnis der durch Volkslieder beeinflussten Liedkomposition als »Prinzip einer im Detail komplexen Schlichtheit« formuliert.1344 Diese geplante und konstruierte Klarheit und Einfachheit, die sich besonders in einer einfachen, sangbaren Melodie ausdrücke, sei es, die Brahms konkret von seinen Zeitgenossen unterscheide.1345 Gustav Jenner, Brahms-Freund und tätig als Komponist und Dirigent, hat die dahinter verborgenen kompositorischen Prinzipien genauer benannt: »Die bestimmende Herrschaft der Melodie und klar empfundene, gut contrapunktierte Bässe waren ihm unbedingtes Erfordernis, das auch bei kunstvollster Ausgestaltung des ganzen Liedes in Kraft blieb.«1346 Genau diese Ansprüche hatte Brahms einst im Rahmen des Gespräches über Loewes Serbenlieder auch gegenüber Henschel formuliert1347, und genau diese 1342 Besonders in mündlich überlieferte Texte wurde eingegriffen, es wurden sogar eigene Dichtungen der Herausgeber aufgenommen. Die Begründung dieser Eingriffe, die vom Widmungsträger des ersten Bandes, Goethe, in einer Rezension durchaus begrüßt wurden, lag im Ziel der Sammlung: Des Knaben Wunderhorn sollte dezidiert keine kritische Edition darstellen. Vgl. zu diesem Thema ausführlich Armin Schlechter : Des Knaben Wunderhorn. Eine Momentaufnahme des populären Liedes, in: Ruperto Carola 1/2008, S. 4–9. 1343 Barth, Brahms und seine Musik, S. 53. 1344 Schmidt, Musikalische Selbstreflexion, S. 126. 1345 Jost, Lieder und Gesänge, S. 215f. Brahms selber benennt diesen Unterschied 1860 gegenüber Clara Schumann: »Das Lied segelt jetzt so einen falschen Kurs, daß man sich ein Ideal nicht fest genug einprägen kann. Und das ist mir das Volkslied.« Zit. ebd. und Litzmann, Briefe I, S. 294. 1346 Jenner, Brahms, S. 40. 1347 »›In writing songs‹, he cautioned me, ›you must endeavor to invent, simultaneously with the melody, a healthy, powerful bass. You stick too much to the middle parts. In that song in E flat, for instance‹ – he again referred to ›Where Angels linger‹ – ›you have hit upon a very charming middle part, and the beginning of the melody, too, is very lovely, but you make that the main thing, the bass is not important enough in relationship to them, and that is your mistake. And then, my dear friend let me counsel you: no heavy dissonances on the unaccentuated parts of the bar, please! That is weak. I am very fond of dissonances,

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Anweisungen versuchte Henschel auch bei der Komposition seiner Serbenlieder zu beherzigen. Darauf weist zumindest die meist klar syllabische und rhythmisch den deklamatorischen Anforderungen folgende Textvertonung, von der nur im Falle der »singenden Nachtigall« abgewichen wird, hin. Sie ist in der Tat volksliedhaft und wird durch eine kontrapunktische Klavierbegleitung unterstrichen. Damit trifft Henschel sich in wichtigen Punkten mit den Grundsätzen der Vertonungen serbischer Liedtexte durch Brahms.

3.

Sinfonie nach Brahms?

Im Konvolut der Brahms gewidmeten Werke ist eine auffällige Leerstelle zu erkennen: Es gibt keine »Sinfonie nach Brahms«, zumindest keine, die ihm nach der Uraufführung seiner Sinfonie Nr. 1 c–Moll op. 68 im November 1876 und der im darauffolgenden Jahr erfolgten Drucklegung zu Lebzeiten im Druck gewidmet worden wäre. Alle anderen Genres, in denen Brahms kompositorisch wirkte, wurden dagegen durch Zueignungen derselben Gattungen bedient. Und gerade die besonders erfolgreichen Werke des fast hundertfachen Widmungsträgers wie die Ungarischen Tänze WoO 1, die Walzer op. 39 aber auch Ein Deutsches Requiem op. 45 zogen eigentlich Nachahmer und Widmungen nach sich – so viele, dass der zeitgenössische Rezensent dies gar als »Unheil«1348 ansehen konnte. Auch vor 1876 sind nur zwei an Brahms adressierte Sinfonien bekannt, sie stammen von Max Bruch1349 und Albert Dietrich. Da sich die Komponisten bei der Auswahl der passenden Widmungskomposition meist an den auch von Brahms bedienten Gattungen orientierten1350, ist die geringe Anzahl zu diesem Zeitpunkt nicht ungewöhnlich. Die beiden erwähnten Werke entstanden 1868/ 69; ihre Drucke mit der offiziellen Zueignung an Brahms erschienen 18681351

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you’ll agree, but on the heavy, accentuated parts of the bar, and then let them be resolved easily and gently.‹« (Henschel, Recollections, S. 44f.). Vgl. in Bezug auf die Ungarischen Tänze die Nr. 17 aus der Reihe Kritische Briefe an eine Dame mit dem Titel Tanz- und tanzartige Compositionen für Clavier, in: AmZ 13/44 (30. Oktober 1878), Sp. 700f. Zur Brahms gewidmeten Sinfonie op. 28 bes. Mathias Falke (mit ausführlicher Analyse): Die Symphonie zwischen Schumann und Brahms: Studien zu Max Bruch und Robert Volkmann (= musicologica berolinensia. Texte und Abhandlungen zur historischen, systematischen und vergleichenden Musikwissenschaft, Bd. 14), Berlin 2006, S. 19–52. So sind mehr als zwei Drittel der Brahms gewidmeten Werke Kammer- und Klaviermusik. Anders, als wiederholt (so z. B. bei Falke, Symphonie, S. 22) dargestellt, ist Bruchs Sinfonie Nr. 1 op. 28 demnach wohl nicht 1870, sondern bereits 1868 gedruckt worden. Neben dem Wortlaut der Widmungsmitteilung an Brahms, die unmissverständlich auf eine bereits erfolgte Drucklegung hinweist (Bruch sagt so, er habe die Widmung »ohne vorherige Anfrage« vorgenommen, vgl. Max Bruch an Brahms, 22. Dezember 1868, BW III, S. 92), ist

Sinfonie nach Brahms?

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bzw. 1870. Die Sinfonie Dietrichs wurde demnach erst einige Zeit nach der Uraufführung verlegt. Beide Kompositionen waren im Konzertsaal sehr erfolgreich, sie gehören zu den am häufigsten aufgeführten sinfonischen Werken ihres Jahrzehnts.1352 Aber Brahms kann – anders als z. B. bei den Widmungen, die auf die Veröffentlichung der Walzer op. 39 reagierten und dies auch deutlich in der musikalischen Faktur widerspiegeln1353 – auch über die Gattungsgrenzen hinaus1354 nur bedingt als kompositorischer Bezugspunkt gelten: Zumindest im Fall Bruchs ist die Widmung nachweislich nach Beendigung des Kompositionsprozesses im Jahr 1868 entstanden. Brahms hatte sich äußerst positiv über das zu diesem Zeitpunkt noch nicht vollendete Werk geäußert, das Bruch ihm bei einem Treffen in Köln vorgestellt hatte.1355 Aus Dankbarkeit für das Lob und unter dem tiefen Eindruck des eben uraufgeführten Deutschen Requiems1356 nahm Bruch die Zueignung in den Druck auf. Er selber hatte die benannten Gründe gegenüber Brahms als ursächlich für die Entscheidung dargestellt: »Indem ich mein Werk mit Ihrem Namen schmücke, lieber Brahms, wünsche ich Ihnen vor allem zu beweisen, wie hoch ich Ihre Begabung und Ihre Leistung zu schätzen weiß, – wie sehr ich als mitstrebender Kunstgenosse mich an Ihrer wahrhaft bedeutenden und sich noch stets steigernden Produktivität erfreue und begeistere. Gerade in diesen Tagen drängt es mich besonders, Ihnen dies auszusprechen; Ihr durch und durch vortreffliches, groß gedachtes, tief empfundenes, gewaltiges ›Requiem‹ liegt vor mir […] Es wäre begreiflich und verzeihlich, wenn Sie, der Sie so fest in sich ruhen und seit Jahren so energisch Ihren eigenen Weg verfolgen, für die Arbeit Ihrer Kunstgenossen wenig Interesse hätten. Um so mehr freute es mich, daß Sie mir Pfingsten in Köln so deutlich das Gegenteil bewiesen; Ihr lebendiger Anteil, Ihr aufrichtiges, warm ausgesprochenes Wohlgefallen an meiner Symphonie haben mir eine ganz besondere Freude

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als wichtiger Nachweis eine Verlagsanzeige in der AmZ 3/48 (25. November 1868), S. 384 anzuführen, die das Erscheinen für den 30. November desselben Jahres ankündigt. Vgl die Auswertung der Konzertdaten durch Rebecca Grotjahn, in dies.: Die Sinfonie im deutschen Kulturgebiet 1850 bis 1875. Ein Beitrag zur Gattungs- und Institutionsgeschichte (= Musik und Musikanschauung im 19. Jahrhundert. Studien und Quellen, Bd. 7), Sinzig 1998, S. 215f. Vgl. zu diesem Thema das Kapitel IV. 2. 2 »Kann den Brahms Walzer componieren?«. Dass eine solche Beeinflussung durchaus im Bereich des Möglichen lag, zeigt Dessoffs Streichquartett F-Dur op. 7, das besonders im ersten Satz von der Sinfonie Nr. 2 D-Dur op. 73 des Widmungsträgers inspiriert ist. Vgl. Kap. IV. 1. 2, bes. ab S. 293. Vgl. zu dieser Begebenheit Valder-Knechtges, Bruch und Brahms, S. 52f. Siehe auch Max Bruch an Brahms, 22. Dezember 1868, BW III, S. 92. Max Bruch war bei der Uraufführung der siebensätzigen Fassung von Ein Deutsches Requiem op. 45 unter der Leitung Carl Reinthalers im Bremer Dom unter den Zuhörern gewesen. Er kannte das Werk aber schon vorher, hatte den Notentext gemeinsam mit Clara Schumann und Ernst Rudorff en d¦tail studiert. Clara Schumann berichtete daraufhin an Brahms, sie seien die Komposition sogar mehrfach durchgegangen, »gleich zweimal und es ging ihnen wie mir, sie waren auch ganz ergriffen.« Vgl. Clara Schumann an Brahms, 11. Januar 1867, Litzmann, Briefe I, S. 551.

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gemacht und schon damals den Wunsch in mir erweckt, Ihren Namen mit diesem Werk dauernd zu verbinden.«1357

An der Formulierung dieses Briefes lassen sich Aspekte des kompositorischen Selbstbildes von Bruch exemplarisch verdeutlichen. So zeigt sich, dass die Zueignung aus Sicht des Komponisten der Ausdruck eines Kontaktes zweier gleichwertiger Künstler war. Keinesfalls handelt es sich um die Dedikation eines sich kompositorisch unterlegen Fühlenden an den unerreichbar scheinenden Genius – obwohl die Leistung des anderen durchaus anerkannt wird. Diese selbstbewusste Haltung stimmt mit dem in der zeitgenössischen Presse überlieferten Persönlichkeitsbild Bruchs überein. In der Rezension einer frühen Aufführung der Sinfonie unter dem Dirigat des Komponisten wird Bruch so vom Rezensenten bescheinigt, ihm habe »im persönlichen Auftreten […] eine bescheidene Zurückhaltung«1358 gefehlt. Gleichzeitig verweist der im Brief dennoch aufscheinende Bescheidenheitstopos auf das zunehmend ambivalente Verhältnis der beiden Kollegen, in dem sich Bruch stets kompositorisch missachtet und unverstanden fühlte.1359 Doch auch über die Formulierung des Widmungstexts wird das Selbstbewusstsein, das die Komposition, aber auch die Dedikation eines solch ambitionierten Werks verlangte, transportiert. Dies gilt für die Zueignungen sowohl Bruchs als auch Dietrichs. Denn ob nun Ausdruck der Selbsteinschätzung oder Versuch einer öffentlichen Profilierung: Beide Textvarianten beschreiben das Verhältnis zu Brahms als freundschaftlich, obwohl vor allem Bruch und Brahms eher rein kollegiale Gefühle verbanden. Beide Komponisten weisen so eine untergeordnete Rolle von sich.1360 Im Rahmen 1357 Max Bruch an Brahms (Bitte um Widmungserlaubnis), 22. Dezember 1868, BW III, S. 92. 1358 AmZ 3/52 (23. Dezember 1868), S. 415, Rezension zur Aufführung am 4. Dezember 1868 in Oldenburg. 1359 Besonders Max Bruch hat mit zunehmendem Ruhm von Brahms unter der Kritik an seinen Werken gelitten. Er hatte den Eindruck, Brahms würde von den Kritikern ohne Grund bevorzugt, obwohl doch jeder von ihnen seine Vorzüge habe: »Immer wieder begegnet man – aber nur bei Pressebengels, nicht beim Publikum dem eselhaften Gegensatz: Johannes Brahms – bedeutend; Max Bruch – unbedeutend… Ich verlange nur, daß man mich in meiner Art neben ihm gelten lasse, weiter nichts. Ich habe keine Lieder und Klaviersachen und Kammermusik geschrieben wie er ; und er hat keinen Frithjof und Odysseus geschrieben und wird es nie« (Max Bruch an Fritz Simrock, 20. November 1877, zit. n. Fellerer, Bruch, S. 75). 1360 Brahms und Bruch kannten sich seit spätestens 1860. Immer wieder kamen allerdings Misstöne in der Beziehung auf. Trotz des Respekts, den Bruch gerade anfangs der kompositorischen Tätigkeit von Brahms zollte, hatte er Schwierigkeiten mit der Persönlichkeit des schnell erfolgreicheren Kollegen. 1877 – also sieben Jahre nach der Widmung – konstatierte Bruch sogar mit deutlicher Polemik gegenüber dem gemeinsamen Verleger : »Treffe ich mit Brahms im Himmel zusammen, so lasse ich mich in die Hölle versetzen« (Max Bruch an Simrock, 2. Oktober 1877, zit. n. Fellerer, Bruch, S. 75). Mit Albert Dietrich verband Brahms eine enge Bekanntschaft. Das Widmungswerk bewertete Brahms allerdings kritisch. Gegenüber dem Komponisten hielt er sich zwar mit direkter Kritik zurück,

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anderer Widmungen anzutreffende Zusätze, die die Zueignung in den Kontext von »Verehrung«1361 oder Hochachtung1362 rücken, haben keinen Platz. Analog stellt Claudia Valder-Knechtges heraus, dass die Zueignung Bruchs auch als Aussage im seinerseits zunehmend wahrgenommenen Konkurrenzkampf zu werten sei, als Ausdruck der Genugtuung, noch vor dem bekannteren Kollegen eine Sinfonie vollendet zu haben.1363 Im Kontext der an Brahms gerichteten Sinfonien sind nun aus der speziellen Kompositions- und Widmungsgeschichte heraus anders als bei Zueignungen von Werken anderer Gattungen nicht primär Strategien bewusster musikalischkompositorischer Anlehnung an oder Abgrenzung von Brahms nachzuweisen. Getreu der These, dass auch Leerstellen – fehlende, aber eigentlich zu erwartende Widmungen also – etwas auszusagen vermögen, ist vielmehr nach Erklärungen zu suchen, die schlüssig darlegen, warum die Widmung einer Sinfonie an Brahms offenbar für einen langen Zeitraum unmöglich erschien. Eine alleingültige Antwort ist freilich kaum zu finden – wohl aber verschiedene Gründe, die in ihrem Zusammenspiel Zueignungen solch ambitionierter Werke verhindert haben mögen. Unter anderem haben die oftmals schwierigen äußeren Umstände, die der Musikalienmarkt für den Druck von Sinfonien bereithielt, zur Situation beigetragen. Einen möglichen Schlüssel zum Verständnis bietet das Schicksal von Waldemar von Baußnerns Sinfonie Nr. 2 h-Moll. Nach Brahms’ Tod hatte Baußnern sie 1899 dem berühmten Kollegen im »Andenken« dedizieren wollen – allerdings ist das Werk und damit auch die Dedikation nur im Manuskript überliefert. Dass die Widmung unveröffentlicht blieb, ist jedoch weniger einer bewussten Entscheidung Baußnerns, als der fehlenden Risikobereitschaft der Musikverleger geschuldet: Kein Verlagshaus nahm die Sinfonie in sein Programm auf. Im Verständnis des Komponisten gehörte der Name des Widmungsträgers jedoch trotz allem untrennbar zum Gehalt des Werks. Im Programmzettel1364 der Weimarer Erstaufführung vom 17. Februar 1911 unter der

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bemerkte aber gegenüber Clara Schumann: »In Oldenburg wird Dir dann eine Sinfonie von Dietrich vorgespielt werden. Da brauche lieber etwas mehr Sanftmut als Aufrichtigkeit!« (Brahms an Clara Schumann, Oktober 1868, Litzmann, Briefe I, S. 602). Z. B. Ernst H. Seyffardt: Schicksalsgesang für Altsolo, gemischten Chor und Orchester op. 13, Hamburg 1884, »HERRN DR. JOHANNES BRAHMS in Verehrung zugeeignet.« Z. B. Johann Gustav Eduard Stehle: 5 Motetten op. 44, Stuttgart 1879, »Herrn Dr. Johannes Brahms hochachtungsvollst gewidmet.« Bruch habe, so Valder-Knechtges, Bruch und Brahms, S. 53, Brahms bereits vor der Widmung zur Komposition einer Sinfonie aufgefordert und sei in seinem Ziel, als gleichbedeutender Komponist wahrgenommen zu werden, über die frühere Fertigstellung der eigenen Sinfonie froh gewesen. Programmzettel zum Abonnement-Konzert im Weimarer Hoftheater vom 17. Februar 1911. Digitales Archiv des Thüringischen Hauptstaatsarchivs Weimar (Sign.: Theater-

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Leitung Baußnerns ist die Widmung so z. B. ganz selbstverständlich vermerkt: »Dem Andenken Johannes Brahms’ gewidmet«. Dementsprechend ist der Zueignungstext auch heute noch in der Rezeption auf das Engste mit dem Werktext verbunden. Das Schicksal, nicht in den Druck zu gelangen, das auch Baußnerns übrige sieben Sinfonien teilten1365, könnte durchaus auch andere Sinfonien mit intendierter Widmung an Brahms ereilt haben – wenn sich der Komponist einer Sinfonie überhaupt die Mühe machte, einen offiziellen Adressaten auszuwählen und die Widmungserlaubnis einzuholen: Zu unsicher war die Perspektive, das Werk gedruckt zu sehen. Denn der Absatzmarkt für Noten wurde in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vor allem von Laien gebildet, in der Mehrzahl passionierte Hausmusiker, die die erworbenen Notenausgaben zum eigenen Musizieren verwendeten. Dieser Tatsache wurde von den Verlegern Rechnung getragen, die besonders Klaviermusik und Lieder (also hausmusiktaugliche Kompositionen) veröffentlichten. Der ohnehin sehr kostspielige Druck von Orchesterwerken, besonders von Sinfonien, rentierte sich wegen des kleineren Absatzmarktes dagegen kaum, er wurde als finanzielles Risiko eingestuft.1366 Deswegen wurden solche Veröffentlichungen nur spärlich in das Verlagssortiment aufgenommen. Schon bei der Verlegersuche für eigentlich gut verkäufliche kammermusikalische Werke konnten unbekannte Komponisten in Schwierigkeiten geraten1367 – der Druck von Sinfonien war für sie schier unmöglich. Im Normalfall durften nur bereits bekannte und etablierte Musiker auf die Übernahme eines so schwierigen Verlagsprodukts hoffen: Ihre Sinfonien wurden aus Prestigegründen gedruckt. In anderen Fällen erhoffte sich der Verleger im Kampf um vielversprechende Nachwuchskomponisten einen Vorteil, wenn er sich bereit erklärte, auch Sinfonien zur Drucklegung anzunehmen. Der Verleger Bote & Bock schrieb so an Dvorˇ‚k: »Sie werden aber selbst wissen, daß vom geschäftlichen Standpunkt heraus der Verlag einer Sinfonie, wenn so eine nicht gerade einen außerordentlich durchschlagenden zettel, 2120/148; http://archive.thulb.uni-jena.de/ThHStAW/receive/ThHStAW_perfor mance_00012565; letzter Zugriff am 20. November 2013). 1365 Vgl. die Würdigung Baußnerns durch Hermann Keller anlässlich seines 60. Geburtstages in der Neuen Musik-Zeitung 5 (1927), S. 80f. 1930 kam zu den hier aufgeführten sieben Sinfonien eine weitere hinzu. Im Werkverzeichnis Baußnerns werden also acht Sinfonien geführt, daneben existiert zusätzlich eine Kammersinfonie für Orgel und zehn Streicher aus dem Jahr 1916. 1366 Dass dies unter anderen Vorzeichen schon für den Beginn des Jahrhunderts gelten kann, belegt Beer, Rahmenbedingungen des Musikschaffens, S. 274f. 1367 Vgl. z. B. zur besonders schwierigen Situation für Komponisten kammermusikalischer Werke in Wien Otto Biba: Die Kammermusik im Wien der Brahmszeit, in: Die Kammermusik von Johannes Brahms. Tradition und Innovation. Bericht über die Tagung Wien 1997, hg. v. Gernot Gruber, Laaber 2001, S. 47–62, hier bes. S. 49–53. Brahms bezeichnete die Probleme bei der Verlegersuche einmal als »gewöhnliche[s] Malheur« junger und unbekannter Künstler, vgl. Brahms an Bartholf Senff, 19. Juni 1855, BW XIV, S. 19.

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Erfolg hat, ein umso undankbares [sic] Unternehmen ist, als die Herausgabe derartiger Werke in Partitur und Stimmen und Klavierauszug mit ganz ungeheuren Kosten verbunden sind. Wenn wir dessen ungeachtet uns zur Annahme Ihrer Sinfonie bereit erklären, so geschieht es in der Hoffnung, daß wir durch fernere Werke von Ihnen entschädigt werden […].«1368

Selbst der bereits berühmte Brahms thematisierte, wenn auch in Anbetracht seines bisherigen Erfolges durchaus mit ironischem Unterton, gegenüber seinem Verleger Fritz Simrock vor der Fertigstellung seiner Sinfonie Nr. 1 c–Moll op. 68 das Dilemma der schwierigen Drucklegung: »Schade, daß Sie nicht Musikdirektor sind, sonst könnten Sie eine Symphonie haben. Am 4ten ist sie in Karlsruhe. Ich erwarte von Ihnen und andern befreundeten Verlegern ein Ehrengeschenk, daß ich Sie nicht mit solchen Sachen behellige.«1369

Nur die beliebtesten Sinfonien, deren Publikumserfolg in Aufführungen aus dem Manuskript oder aus Abschriften bereits hinreichend erprobt war, konnten über die Werke solch großer Berühmtheiten wie Brahms hinaus auf Aufnahme in ein Verlagssortiment hoffen. Die beiden Brahms gewidmeten Sinfonien Dietrichs und Bruchs erfüllten dieses Kriterium: Sie gehören zu den zwanzig am häufigsten aufgeführten Sinfonien-Novitäten der Jahre 1850 bis 1875.1370 Der große Publikumserfolg, den die Werke verzeichnen konnten, bewog die Verleger Rieter-Biedermann bzw. Cranz schließlich zum Druck.1371 Aber selbst Max Bruch, der durch den immensen Erfolg seines Violinkonzertes Nr. 1 g-Moll op. 261372 bereits den Massen bekannt war, konnte sich dem Erstellen eines 1368 Bote & Bock an Anton†n Dvorˇ‚k, 3. Februar 1879, zit. n. Döge, Dvorˇ‚k, S. 357. 1369 Brahms an Fritz Simrock, [24. Oktober 1876], BW X, S. 14. Natürlich druckte Simrock das Werk trotz des finanziellen Risikos. 1370 25 bzw. 20 Aufführungen. Vgl. Grotjahn, Sinfonie, S. 215f. Beide gehören allerdings zu den von Grotjahn so benannten »Mode-Sinfonien« (ebd., S. 224). Der anfängliche Erfolg war also nicht von Dauer, die Zahl der Aufführungen nimmt nach einigen Saisons rapide ab (vgl. ebd., S. 221–224). 1371 Doch eine Vielzahl von Aufführungen konnte auch aus anderem Grund bei der Verlegersuche hilfreich sein: Sie rentierte sich für den Verlag gegebenenfalls auch finanziell. Denn die Aufführenden konnten verpflichtet werden, im Nachhinein bei etwaiger Drucklegung die Noten zu erwerben – für den Verleger eine schon im Voraus sichere Einnahmequelle. Vgl. einen Brief Max Bruchs an Joseph Joachim: »Dieselbe [die 3. Sinfonie] ist noch Manuscript und mein unbeschränktes Eigenthum; lästige und schwierige Verhandlungen mit Verlegern fallen also von selbst weg! Ich werde sie Ihnen mit Vergnügen zur Aufführung in einem unter Ihrer Leitung stattfindenden Concerte überlassen; das Comit¦ hätte sich nur zu verpflichten, sie später, nach dem Erscheinen, anzuschaffen« (10. August 1886, Joachim-BW III, S. 297). 1372 Der Kompositionsprozess dauerte seit 1864 an, die Uraufführung der ersten Fassung fand schließlich anlässlich des Niederrheinischen Musikfests am 24. April 1866 statt, die der überarbeiteten Fassung am 7. Januar 1868 in Bremen. Das 1868 gedruckte Konzert ist – wie das Violinkonzert op. 77 von Brahms – Joseph Joachim gewidmet, der Bruch bei der Überarbeitung beraten hatte und die Bremer Uraufführung als Solist bestritten hatte.

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vierhändigen Klavierauszugs, den er eigentlich aus künstlerischen Überlegungen ablehnte, nicht entziehen.1373 Denn Klavierauszüge großer Werke, besonders vierhändige, waren als hausmusikalische Alternativen, die ein aktiv musizierendes Kennenlernen erlaubten, beim Publikum beliebt: »in einer Zeit ohne Schallplatte, Rundfunk, CD und Internet war dies die einzige praktikable Möglichkeit, orchestrale, chorsinfonische oder auch kammermusikalische Werke in den eigenen vier Wänden erklingen zu lassen – in ›Ersatz-Fassungen für Ersatz-Situationen‹«.1374

Die praktischen Arrangements waren deswegen oft – so auch im Fall der Sinfonie Bruchs – Voraussetzung von Verlegerseite, um eine weite Verbreitung und die damit verbundene finanzielle Rentabilität solch umfangreicher Kompositionen zu gewährleisten.1375 Max Reger und der Plan einer Sinfonie Es ist anzunehmen, dass wegen Problemen bei der Drucklegung einige offizielle Widmungen von Sinfonien an Brahms verhindert wurden. Tatsächlich kann neben der ungedruckten Sinfonie Nr. 2 Baußnerns zumindest in einem weiteren Fall der Plan einer Zueignung unzweifelhaft nachgewiesen werden: Der junge Max Reger trug Brahms im April 18961376 die Dedikation einer noch nicht fertiggestellten Sinfonie Nr. 1 in h-Moll an, deren Notentext heute als verschollen gilt. Es ist nicht mit Sicherheit festzustellen, ob das Werk gar nicht vollendet wurde oder ob der von Reger avisierte Verleger den Druck ablehnte. Eine Mit1373 An den Widmungsträger Brahms, der nach dem Erscheinen eines solchen gefragt hatte (Brahms an Max Bruch, [21. Februar 1870], BW III, S. 97), schreibt er : »Die Sinfonie klingt im Auszug erbärmlich; ich hasse nichts mehr als Klavier-Auszüge und doch muß man sich überwinden und sie in die Welt senden.« Max Bruch an Brahms, 6. Mai 1870, BW III, S. 99. 1374 Michael Struck: Requiem in wechselnden Gestalten – Werk-, Gebrauchs-, Phantom- und Aufführungsfassungen, in: »Ich will euch trösten…« Johannes Brahms – Ein deutsches Requiem, Lübeck 2012, hg. v. Wolfgang Sandberger, S. 29. Vgl. auch Thomas Christensen: Four-Hand Piano Transcription and Geographies of Nineteenth-Century Musical Reception, in: Journal of the American Musicological Society 52/2 (Sommer 1999), S. 255–298. 1375 Vgl. dazu Christensen, Piano Transcription, S. 259f. Auch Brahms kannte die Notwendigkeit von Klavierarrangements, er schrieb am [31.] Januar 1869 an Rieter-Biedermann zum Arrangement seines Deutschen Requiems: »Ich habe mich der edlen Beschäftigung hingegeben, m. unsterbliches Werk auch für 4 händige Seele genießbar zu machen. Jetzt kann’s nicht untergehen. Übrigens ist es ganz vortrefflich geworden u. außerdem sehr leicht spielbar, wirklich ganz u. gar leicht u. flott zu spielen.« Zit. n. dem Original im Bestand des Brahms-Instituts an der Musikhochschule Lübeck (Sign.: Bra : B 1 : Rie : 1). 1376 Das genaue Datum der Anfrage ist nicht bekannt, kann aber über die Datierung des mitgesandten Exemplars der Orgelsuite op. 16, offiziell »den Manen Bachs« gewidmet, annäherungsweise bestimmt werden. Der handschriftliche Übereignungstext lautet: »Dem so hochverehrten u. tiefst bewunderten Meister Herrn Dr. Johannes Brahms j ganz ergebenst j Max Reger j Wiesbaden, 9. April 1896.«

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teilung des Komponisten am Jahresende 1896 über eine große finanzielle Einbuße wird aber in der Reger-Forschung gemeinhin als Hinweis gewertet1377, dass das Londoner Verlagshaus Augener zu diesem Zeitpunkt die Sinfonie endgültig ablehnte. Es ist aus Sicht der Widmungsforschung zu bedauern, dass keinerlei musikalisches Material des ambitionierten Werks bekannt ist. Denn der frühe Zeitpunkt der Widmungsanfrage lässt vermuten, dass die Sinfonie eine hohe kompositorische Passgenauigkeit zum Werk des Adressaten aufweisen sollte. Ein Blick auf das Gesamtkonvolut der Widmungen Regers zeigt jedenfalls, dass dieser immer wieder plante, exemplarische Kompositionen bestimmter Gattungen besonders verehrten Meistern derselben zuzueignen. So sollte ein kompositorischer Konnex hergestellt und das ambitionierte Wirken in einer bestimmten Traditionslinie herausgestellt werden. Die Planung dieser Zueignungen erfolgte mehrfach bereits vor der Komposition der entsprechenden Werke. So hatte Reger z. B. Joseph Rheinberger die Zueignung eines nicht näher spezifizierten Orgelwerks angekündigt – ohne nähere Angaben zum noch nicht fertiggestellten (eventuell noch gar nicht begonnenen) Werk machen zu können. Er wolle seine »aufrichtige Bewunderung für Ihre so grandiosen Orgelsonaten und andern Orgelwerke zum Ausdruck […] bringen. […] Um nun dieser Bewunderung auch einen sichtbaren Ausdruck zu verleihen, möchte ich Ihnen, hochgeehrter Herr Geheimrath, gerne eines meiner neuen Orgelwerke dedicieren, und gestatte mir hiermit die ergebenste Anfrage, ob Sie die grosse Güte hätten, die Dedikation eines neuen Orgelwerkes. von mir entgegenzunehmen. Das Werk würde ungefähr die Opuszahl 48 oder 49 bekommen […]«.1378

Die Dedikation und letzten Endes auch die Komposition der Phantasie und Fuge für Orgel über B-A-C-H op. 46 ist also in der besonderen Verehrung Regers für die Orgelkompositionen seines Adressaten begründet. Doch darüber hinaus schien dem selbstbewussten Reger offenbar eine exemplarische Widmung an den für ihn unbestrittenen zeitgenössischen Meister der Orgelkomposition als seinen eigenen Werken angemessen.1379 Diese Vorgehensweise, die sich auch in der Zueignung der Orgelsuite op. 16 an die Manen Bachs1380 und der geplanten, 1377 Vgl. Popp, Der junge Reger, S. 282. 1378 Reger an Rheinberger, 7. Januar 1900 (zit. n. Wanger/Irmen, Rheinberger-Briefe 7, S. 114). 1379 Wie sehr sich Reger mit den Größen bestimmter Gattungen maß und sie als vergleichende Koordinaten für die Verortung seines eigenen Schaffens sah, bemerkte er gegenüber Adalbert Lindner : »Diese Brahms’schen Tondichtungen tragen doch alle schon in ihrem Notenbilde ein charakteristisches Gepräge! […] Herr Lehrer, meine Werke werden einmal auch in ganz besonderes Gepräge haben!« Zit. n. Adalbert Lindner : Max Reger. Ein Bild seines Jugendlebens und künstlerischen Werdens, Stuttgart 1922, S. 33. 1380 Brahms erstaunte das Selbstbewusstsein, das der Zueignungstext aufzeigt. Die »allzu

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aber nicht ausgeführten Widmung eines Klavierkonzertes an Ferruccio Busoni verfolgen lässt1381, lässt nun den Rückschluss zu, dass Reger Brahms besonders als Sinfoniker schätzte.1382 Die für Reger also nicht ungewöhnliche Form der Widmungsanfrage vor Fertigstellung der Partitur1383 ist jedenfalls als Hinweis auf eine enge Verbindung zwischen der im Entstehen begriffenen Sinfonie und dem Widmungsträger zu werten – denn offenbar war bereits zu diesem Zeitpunkt des Kompositionsprozesses das Werk in der Vorstellung Regers so eng mit Brahms verbunden, dass ein anderer Widmungsträger undenkbar schien. Aber ein weiterer Hinweis auf Bezüge zwischen der Brahms zu widmenden Sinfonie und dem Widmungsträger wiegt stärker : Eine knappe briefliche Beschreibung durch Reger lässt die Vermutung zu, dass die Sinfonie über die formale Dedikation hinaus auch als kompositorisch-stilistische Hommage an den Widmungsträger Brahms gedacht war. Gegenüber seinem Lehrer und späteren Biographen Adalbert Lindner hat Reger sich nämlich dezidiert zur Faktur seiner bis zu diesem Zeitpunkt ambitioniertesten Komposition geäußert. Es gebe, so die Auskunft des Komponisten, »als letzten Satz eine ›Passacaglia‹ […], an die sich ein Trauermarsch schließt; eine Symphonie, die ppp verhallt in Hmoll, sogar so geschrieben«.1384 Die im Rahmen einer Sinfonie recht ungewöhnliche Satzform der Passacaglia gemahnt unwillkürlich an das Beispiel der Brahms’schen Sinfonie Nr. 4 op. 98. Von der so untypischen Atmosphäre des Schlusssatzes in Passacagliaform zeigte sich Reger jedenfalls nach dem Besuch einer Aufführung der Sinfonie Nr. 4 besonders beeindruckt. Seine Bewunderung

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kühne Widmung« habe ihn »erschreckt«, so die Formulierung in der Antwort an Reger (vgl. Popp, Der junge Reger, S. 265). Reger kündigte Busoni am 11. Mai 1895 die Widmung des Klavierkonzerts Nr. 2 an (Brief vom 11. Mai 1895, abgedruckt in Else von Hase-Koehler [Hg.]: Max Reger. Briefe eines deutschen Meisters, Leipzig 1928, S. 44), konnte am 17. Juli 1895 aber nur die erfolgte Zueignung von Bach-Bearbeitungen verkünden (ebd., S. 46), für die sich Busoni mit der Zueignung der ersten drei der Sechs Stücke für Pianoforte op. 33b (1895) bedankte (vgl. Popp, Der junge Reger, S. 254). Im Dankbrief Regers anlässlich der Zueignung Busonis wird die geplante Erwiderung der Dedikation durch die Zueignung des Klavierkonzerts Nr. 2 erneut bekräftigt und angekündigt (Brief vom 6. September 1895, vgl. ebd.). Da das Konzert aber nie vollendet wurde, unterblieb auch die Widmung (vgl. z. B. Stein, RegerWerkverzeichnis, S. 20). Diese Einschätzung wird durch einen Brief Regers gestützt, in dem er Brahms auf der Grundlage seiner zweiten bis vierten Sinfonie als Sinfoniker »direkt zu Beethoven« stellt (Max Reger an Adalbert Lindner, 6. April 1894, vgl. Lindner, Max Reger, S. 276). Dem entspricht auch, dass Reger in seinem 1898 entstandenen Klavierstück Resignation ein Zitat aus Brahms’ Sinfonie Nr. 4 e-Moll op. 98 integrierte. Im Normalfall bevorzugten es die Komponisten, die Widmungsanfrage nach Fertigstellung des Werks zu versenden, um so das Manuskript zur Ansicht mitschicken zu können. Da Reger diese Möglichkeit nicht offen stand, sandte er neben dem Brief seine Orgelsuite op. 16 als Arbeitsprobe. Max Reger an Adalbert Lindner, 19. Mai 1896, zit. n. Popp, Der junge Reger, S. 267.

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fasste er in einem Brief – wiederum an Adalbert Lindner – zusammen. In direktem Bezug auf den letzten Satz der Brahms-Sinfonie resümiert er dort: »Ich weiß nur, daß das ein herrliches Werk ist. Natürlich, wer in der Musik nur den Ausdruck seiner persönlichen sentimentalen Stimmung sucht, dem kann die echte Kunst eines Bach, Beethoven und Brahms n i c h t gut gefallen. Herb, furchtbar herb, melancholisch, nicht appassionata! ist sie. Nur im vierten Satze schreibt er apassionata vor. Das ist aber auch ein Finale!«1385

Der zurückgenommene Schluss seiner eigenen Sinfonie im »ppp«, der die übliche Finalwirkung hintertreibt, hat seine Entsprechung dagegen in der Sinfonie Nr. 3 op. 90 des Widmungsträgers. »Ich werde nie eine Symphonie komponieren!« Brahms als Beethoven-Nachfolger Eine wichtige Ursache für die so wenigen Widmungen von Sinfonien kann über die äußeren Schwierigkeiten der Drucklegung hinaus auch in dem übergroßen Respekt vieler Anhänger gegenüber dem Sinfoniker Brahms gefunden werden. Ein Respekt, der einhergehend mit dem zunehmenden Bekanntheitsgrad von Brahms wuchs, und den er selber in seiner hinlänglich dokumentierten Einstellung1386 gegenüber Beethoven vorgelebt hatte. Denn bereits die mit Spannung erwartete erste Sinfonie half, Brahms’ Status als bedeutender Sinfoniker zu manifestieren, der Vergleich mit Beethoven wurde sofort gezogen: »Schon lange hatte man auf sie gewartet und einander gespannt gefragt, wie die wohl aussehen würde. – Nun war sie da und Anhänger wie Gegner Brahms’ schauten sich verblüfft in die Augen! War denn diese I. Symphonie wirklich die erste? […] Nun war sie da, die C–moll-Symphonie und hatte eingeschlagen, wie eine Bombe! Auf der einen Seite die neue Enttäuschung, daß Brahms sich abermals an die alte Form gehalten hatte; auf der andern Seite Jubel und Freude über ein Werk, das über das Maß dessen, was man erwartet hatte weit, weit hinausging. Seit Beethovens Tagen hatte man ein solches Meisterstück auf dem Gebiete reiner Instrumental=Musik nicht gesehen und gehört; es ist deshalb auch nicht allzu verwunderlich, wenn man, darauf hinweisend, die C–moll-Symphonie emphatisch die ›zehnte‹ Symphonie nannte.«1387

Richard Barths Bericht ist ohne Zweifel durch die positiv verzerrende und verklärende Brille des zeitlichen Abstandes und seine persönliche Beziehung zu 1385 Max Reger an Adalbert Lindner, Anfang Juni 1890, zit. n. Lindner, Max Reger, S. 66. 1386 Bekannt und häufig zitiert ist vor allem der Ausspruch vom »Riesen Beethoven«, der hinter ihm marschiere und Brahms durch seinen übermächtigen Schatten daran hindere, eine Sinfonie zu schreiben (gegenüber Hermann Levi Anfang der 1870er Jahre, überliefert bei Kalbeck I, S. 165). 1387 Barth, Brahms und seine Musik, S. 44.

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Brahms1388 beeinflusst. Tatsächlich ist aber die erkennbare Begeisterung des Brahms nahestehenden Teils der Gesellschaft im Kontext der Widmungsforschung besonders relevant. Denn es sind die Anhänger der Brahms’schen Musik, die grundsätzlich als potenzielle Widmende zu gelten haben. Als meist den konservativen Kreisen verbundene Künstler war ihnen die Form der Sinfonie die ambitionierteste und größte, die nach dem übergroßen Vorbild der Sinfonie Nr. 9 d-Moll op. 125 Beethovens nach einhelliger Meinung nur von den begabtesten unter ihnen mit neuem Sinn und Gehalt gefüllt werden konnte. Dieser Respekt vor den Hürden und Schwierigkeiten, die die Komposition einer Sinfonie stellte, war so fest verankert, dass in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bereits das Vorlegen eines solchen Werks als äußerst ambitioniert galt. Hermann Deiters hatte so in einer Rezension im Blick auf die Brahms gewidmete Sinfonie Albert Dietrichs festgehalten, »[s]chon der Entschluss, eine Symphonie zu schreiben, und die glückliche Ausführung dieses Entschlusses muss als ein bemerkenswerthes Ereigniss bezeichnet werden.«1389 Und nun wurde die erste Sinfonie von Brahms sogar bereits kurz nach Erscheinen in der Rezeption als »zehnte Symphonie«1390 Beethovens apostrophiert. Der mit der Veröffentlichung seiner weiteren Sinfonien noch steigende Respekt ließ die Widmung einer Sinfonie an das als kompositorische Kapazität anerkannte Vorbild zunehmend gewagt erscheinen. Dies auch, da Brahms der Zueignung zustimmen musste. Es wäre in jedem Fall ein immenser kompositorischer Anspruch formuliert worden. Der übergroße Respekt, den gerade junge Komponisten gegenüber Brahms verspürten, zeigt sich jedenfalls in vielen Äußerungen und Widmungsanfragen anlässlich geplanter Dedikationen von Werken auch weniger ambitionierter Gattungen.1391 Reger ist als junger Künstler in seinem großen Selbstbewusstsein eine absolute Ausnahme, die geplante Dedikation seiner ersten Sinfonie an Brahms ist eine bewusste Formulierung des eigenen Anspruchs und Selbstbewusstseins: 1388 Barth war Geigenschüler Joachims gewesen und wurde von Brahms wegen seines ausgezeichneten Spiels sehr geschätzt. Er widmete Brahms 1892 seine Partita für Violine allein op. 10, London u. a. 1892. 1389 Vgl. die Rezension Hermann Deiters in der AmZ 4/17 + 18 (26. April u. 3. Mai 1871), Sp. 257–262 und 273–278, hier Sp. 257. 1390 »Erst seit meiner Kenntniß der zehnten Symphonie, alias der ersten Symphonie von Johannes Brahms, also erst seit sechs Wochen, bin ich so unzugänglich und hart gegen Bruch-Stücke und dergleichen geworden. Ich nenne sie zehnte, nicht, als ob sie nach der ›neunten‹ zu rangiren wäre; ich würde sie eher zwischen die zweite und die ›Eroica‹ stellen« (Hans von Bülow : Ausgewählte Schriften 1850–1892. Briefe und Schriften, Bd. 3, Leipzig 1896, S. 369). 1391 So drückt sich z. B. Ehrfurcht in den Bitten um Widmungserlaubnis aus: gegenüber der Person Brahms bei Anton†n Dvorˇ‚k oder Heinrich von Herzogenberg, gegenüber seinen Walzern op. 39 bei Hans Huber und gegenüber seinen Klavierquartetten bei Hermann Goetz.

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Brahms jedenfalls zeigte sich schon von der Widmung der Orgelsuite op. 16 an Bach erschrocken1392, Reger hatte sie ihm in einem Exemplar mit handschriftlicher Übereignung an den »Meister« übersandt. Die kritische Haltung Brahms’ wird im Licht seines eigenen Widmungsverhaltens verständlich: Er selber hatte aus Furcht vor dem Anschein übergroßen Selbstbewusstseins und kompositorischen Anspruchs sogar erwogen, die Widmung seiner Motetten op. 74 an Philipp Spitta zurückzuziehen – denn »[w]idme ich dem Musikgelehrten und Bach-Biographen Motetten, so sieht es aus, als ob ich Besonderes, Mustergültiges in dem Genre machen zu können glaubte.«1393 Diesen Eindruck galt es in jedem Fall zu verhindern. Und nun erschien gerade der in dieser Beziehung so vorsichtige und skrupulöse Brahms dem jungen Reger auf dem Gebiet der Sinfonik als der größte Meister des Faches1394, mit dem es sich in seinem orchestralen Erstlingswerk1395 zu messen galt. Doch gerade der hier so selbstbewusst auftretende Max Reger hat in seinem Leben keine ›echte‹1396 Sinfonie in den Druck gegeben, er hat sie noch nicht einmal ungedruckt in Aufführungen vor die Öffentlichkeit treten lassen. Festzuhalten bleibt jedoch: Nur wenige Komponisten der jungen Generation werden diese Haltung, die fast als ›Unverfrorenheit‹ bezeichnet werden kann, besessen haben. Am mangelnden kompositorischen Selbstbewusstsein mag es unter anderem1397 auch gelegen haben, dass Heinrich von Herzogenberg eine offizielle Widmung seiner Sinfonie Nr. 1 c–Moll op. 50 trotz deutlicher Orientierung an äußeren Formalia der ersten Sinfonie von Brahms vermied. Herzogenberg, der Brahms wiederholt klar als seine kompositorische Richtlinie positionierte und ihm insgesamt vier Kammermusikwerke in zwei Opera dedizierte, hat mit seiner Sinfonie zwar keinesfalls ein rein epigonales Werk geschaffen – der Rezensent Martin Krause nannte sie trotz allem »eine einzige Riesenreminiscenz, allerdings im besten Sinne des Wortes, an Johannes Brahms«.1398 Eine Einschätzung, die vor allem im Blick auf viele formale Aspekte, die das Vorbild der ersten Sinfonie 1392 Brahms an Max Reger, [Mai 1896], Popp, Der junge Reger, S. 265. 1393 Brahms an Fritz Simrock, [31. Oktober] 1878, BW X, S. 91. 1394 Er stellte ihn immerhin »als Symphoniker direkt zu Beethoven«. Max Reger an Adalbert Lindner, 6. April 1894, Popp, Der junge Reger, S. 184. 1395 Erst zwischen 1903 und 1905 entstand die Sinfonietta op. 90, die 1905 im Verlag Lauterbach & Kuhn als erstes in den Druck gegebenes Orchesterwerk Regers erschien. Bezeichnenderweise ist das Opus »[m]einen lieben Freunden Karl Lauterbach und Dr Max Kuhn« gewidmet – somit hatte der Verlag einen ganz besonderen Grund, die Sinfonietta in sein Verlagsprogramm aufzunehmen. 1396 In seinem Werkverzeichnis ist neben Serenaden und Ouvertüren nur die bereits erwähnte Sinfonietta op. 90 verzeichnet. 1397 Auch die bei Kammermusikwerken bessere Möglichkeit einer ästhetischen Positionierung in der Frage um die Musikausrichtung der Zukunft wird eine Rolle gespielt haben. Vgl. dazu das Kap. III. 1, bes. ab S. 166. 1398 Martin Krause, MWb 16/12 (12. März 1885), S. 155.

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op. 68 von Brahms ganz deutlich aufzeigen, verständlich wird – auch wenn der Höreindruck diese offensichtliche Anlehnung konterkariert: Jegliche triviale Epigonalität im Sinn einer starken Orientierung am thematischen Material des Vorbildes ist klar vermieden, die Tonsprache Herzogenbergs ist über die äußere Form hinaus in weiten Teilen eigenständig.1399 Bezeichnend ist, dass Herzogenberg sich bewusst an das erste sinfonische Werk von Brahms anlehnte1400, um sein erstes veröffentlichtes Orchesterwerk nach einer Phase stilistischer Unentschlossenheit und der sich anschließenden Abwendung von Wagner und Liszt1401 zu kontextualisieren: Auch Brahms hatte um die Fertigstellung der ersten Sinfonie ringen müssen. Beide Werke stehen in c–Moll, enden aber mit einem Satz in der parallelen Durtonart, beide Werke stellen einen Allegro-Satz im 6/8-Takt mit langsamer Introduktion an den Beginn1402, im vierten Satz der Sinfonie Herzogenbergs vermutet Krause sogar eine direkte Reminiszenz an den vierten Satz des Parallelwerks von Brahms.1403 Tatsächlich ist das Hauptthema des Satzes demjenigen von Brahms im Grundgestus zumindest sehr nahe. Evoziert wird die ähnliche Stimmung durch dieselbe Lage, den Wechsel der Klangfarbe durch die Intonation des Themas durch Streicher und sodann oktaviert durch die Holzbläser1404, denselben Grundton (g) und die gebundenen, fließenden Viertel- und Achtelbewegungen. Gesteigert wird die Ähnlichkeit noch durch die vorangestellte Überleitung zwischen drittem und viertem Satz, 1399 Philipp Spitta hatte dementsprechend die Einschätzung Krauses nicht teilen können: »Was ist das für ein Esel, welcher unter dem Namen Krause sich im M. W. bemerkbar macht? Grade bei dieser Sinfonie finde ich keine Brahms-Anklänge« (Spitta an Herzogenberg, 13. März 1885, zit. n. Ulrike Schilling: Philipp Spitta. Leben und Wirken im Spiegel seiner Briefwechsel, Kassel 1994, S. 74). Heinrich von Herzogenberg unterstrich dagegen, »im Grunde muss jedes Kunstwerk wenigstens in seinen Keimen eine Riesenreminiscenz sein (das Wort ist gut und neu!)« (Herzogenberg an Spitta, 14. März 1885, Schilling, Philipp Spitta, S. 75). 1400 Er schätzte die Sinfonie außerordentlich, sprach von ihr als »Elementarereignis«, »Säule am Wege« und wollte ihren Notentext »auswendig […] lernen« (Herzogenberg an Brahms, 15. Februar 1877, BW I, S. 17f.). 1401 Dazu Wiechert, Herzogenberg, S. 140–146. Sein Odysseus. Symphonie für grosses Orchester op. 16 ist so noch an die Gattung der Sinfonischen Dichtung angelehnt, die einzelnen Sätze tragen Überschriften, die einen poetischen Kontext definieren. Nach der dramatischen Kantate Columbus op. 11 (die als »Bekenntnis zu Wagner« stilisiert wurde, vgl. Wiechert, Herzogenberg, S. 147–160), Odysseus und der zunehmenden Abwendung von den ästhetischen Prämissen der ›Neudeutschen‹ beherrschen für lange Zeit Kammermusik und Lieder das Œuvre. Vgl. das Werkverzeichnis bei Wiechert, Herzogenberg, S. 273–313. Tatsächlich ist die Sinfonie op. 50 zwar nicht die erste Sinfonie Herzogenbergs (WoO 1, 2, 25, 28 und 29 liegen in ihrer Entstehung früher), aber die erste, die er in den Druck gab und mit einer Opuszahl gleichsam legitimierte. 1402 Dazu bereits Bernd Wiechert, Einführungstext zur Aufnahme bei CPO. 1403 Vgl. MWb 16/12 (12. März 1885), S. 155. 1404 Das Thema der Brahms-Sinfonie umfasst allerdings mit 16 doppelt so viele Takte wie dasjenige Herzogenbergs.

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die als Choralbearbeitung in c–Moll vor dem eigentlichen Finale in C–Dur mit Brahms’ langsamer Einleitung korrespondiert. Herzogenberg freilich sah die Überleitung vielmehr als bewusste Reminiszenz an Johann Sebastian Bach und konnte nicht verstehen, dass der Rezensent dies nicht erkannt habe.1405

Johannes Brahms, Sinfonie Nr. 1 c–Moll op. 68, 4. Satz, T. 1–8, Violinen

Heinrich von Herzogenberg, Sinfonie Nr. 1 c–Moll op. 50, 4. Satz, T. 1–8, Violinen

Es liegen tatsächlich zumindest die Ursprünge des ersten Satzes in der zeitlichen Umgebung von Vollendung und Drucklegung der Sinfonie Nr. 1 op. 68 von Brahms im Jahr 18771406 : 1877/78 hatte Herzogenberg ein 1877 komponiertes Streichquartett c–Moll WoO 34 als Grundlage einer Sinfonie WoO 29 verwendet. Mit dieser unzufrieden, entwarf Herzogenberg 1884 im Rückgriff auf ihr thematisches Material die Sinfonie Nr. 1.1407 Doch die Sinfonie wurde ohne Widmung veröffentlicht – mit Blick auf den klar erkennbaren kompositorischen Bezugsrahmen eine bedeutende Leerstelle: Brahms konnte aus Gründen der Bescheidenheit, aus Furcht vor dem direkten Vergleich nicht als Adressat dienen, wegen der deutlichen Verbindung zu seinem Werk konnte allerdings auch keine andere Person diese Lücke füllen. Der Respekt vor dem »Riesen«1408 Beethoven hatte lange Zeit ein sinfonisches Erstlingswerk von Brahms verhindert – diese Skrupel waren mit der Veröffentlichung seiner erste Sinfonie überwunden, setzten sich aber nun im Widmungsverhalten einer jungen Generation gegenüber dem »Riesen« ihres eigenen Lebensumfelds fort.

1405 Philipp Spitta an Heinrich v. Herzogenberg, 13. März 1885, zit. n. Schilling, Philipp Spitta, S. 75. 1406 Am 18. Januar 1877 wurde die Sinfonie im Gewandhaus zu Leipzig aufgeführt, anlässlich dieser Aufführung wohnte Brahms bei dem in Leipzig ansässigen Ehepaar Herzogenberg (BW I, S. 10f.). 1407 Herzogenberg an Spitta (zit. bei Wiechert, Einführung CPO): Die Sinfonie sei »im großen Ganzen die alte C moll, allerdings nur der 1. Satz, und auch der nur in den Themen.« Dazu auch Wiechert, Herzogenberg, S. 164. 1408 So Brahms gegenüber Hermann Levi Anfang der 1870er Jahre (vgl. Kalbeck I, S. 165).

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Analogien zum Widmungsverhalten von Johannes Brahms Schwierigkeiten bei der Drucklegung und übergroßer Respekt vor dem Vorbild: Neben diesen denkbaren Hindernissen auf dem Weg zur Widmung einer Sinfonie mochte zusätzlich Brahms’ eigenes, sehr spezielles Widmungsverhalten Auswirkungen zeigen. Die Statistik der ihm zugeeigneten Kompositionen lässt jedenfalls wie bereits angesprochen1409 bei aller gebotenen Vorsicht einige Analogien zwischen den Gattungen der ihm gewidmeten Werke und seinen eigenen Dedikationen aufscheinen. Erstaunlich wenige großformatige Werke mit Orchester- oder chorsinfonischer Besetzung waren ihm zugedacht, genau jene Gattungen, bei denen er selber überwiegend auf den Abdruck einer offiziellen Widmung verzichtete. Denn als Person, die das Bild des privat, ja, bürgerlich widmenden Komponisten zu evozieren suchte, widmete er vor allem ›bürgerliche‹ Kammer- und Klaviermusik. Er nutzte nur in seltenen Ausnahmen die Möglichkeit, jene Werke mit ›öffentlichem‹ Werkcharakter, die die Aussage des bürgerlich verwurzelten Komponisten konterkariert hätten, mit einem offiziellen Widmungsträger zu schmücken.1410 Andere zeitgenössische Komponisten, wie etwa Max Bruch1411, suchten dagegen gerade für ihre großen Orchesterwerke einen geeigneten Adressaten. Tatsächlich wurden Werke ›öffentlichen‹ Charakters allgemein bevorzugt an Personen des öffentlichen Lebens gerichtet. Während Anton Bruckner seine Sinfonie Nr. 9 gar »dem lieben Gott« widmen wollte, ist es also kein Zufall, dass auch Brahms – der solche Zueignungen üblicherweise vermied – gerade für das politisch motivierte Triumphlied und die öffentlichkeitswirksamen Fest- und Gedenksprüche mit Kaiser Wilhelm und dem Hamburger Bürgermeister Carl Petersen Personen des öffentlichen Lebens als Adressaten wählte. Freunde oder Bekannte, zu denen er eine enge persönliche Beziehung pflegte, verband er dagegen bevorzugt mit ›privaten‹ Kammermusikwerken oder Liedern. Die wenigen Ausnahmen betreffen die Zueignung seines 2. Klavierkonzerts an seinen ehemaligen Klavierlehrer Eduard Marxsen und die Widmung des Violinkonzerts an seinen guten Freund, den berühmten Geigenvirtuosen Joseph Joachim. Beide Widmungen 1409 Vgl. Kap. IV, S. 278. 1410 In diesem Verhalten trifft er sich ausgerechnet mit seinem kompositorischen Gegenpart Franz Liszt. Auch dieser betont, »wie ungern und selten ich mich auf Dedicationen einlasse – zumal schon gar Dedicationen an mir ganz unbekannte Leute und Gesellschaften«. Gerade seine Hauptwerke wie die Symphonischen Dichtungen sowie die Graner Messe S 9 trügen deswegen bewusst keine Zueignung (Franz Liszt an den Verleger C. F. Kahnt, 19. Dezember 1860, zit. n. La Mara, Liszt-Briefe 1, S. 381f.). 1411 So tragen alle Konzerte und alle drei Sinfonien eine Widmung. Neben der Sinfonie Nr. 1 op. 28 an Johannes Brahms sind die Adressaten Joseph Joachim (Sinfonie Nr. 2 op. 36) und die »Symphony-Society in New York« (Sinfonie Nr. 3 op. 51). Joseph Joachim ist gleich mehrfacher Widmungsträger Bruchs: Neben der Sinfonie op. 36 sind die Zueignungen des ersten und dritten Violinkonzerts an ihn gerichtet.

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sind über die Besetzung allerdings eng mit dem Künstlertum des Adressaten verbunden. Doch auch an dieser Stelle scheint die sorgfältige Überlegung von Brahms auf: Besonders den Entschluss der Dedikation an Marxsen zweifelte er an. Erst spät hatte er sich überhaupt für den Widmungsträger1412 entschieden und bemerkte trotzdem in einem Brief an Simrock kurze Zeit später, er sei sich unsicher, ob er mit der Zueignung die richtige Wahl getroffen habe: »Die Widmung heißt also: Seinem teuren Freunde und Lehrer Eduard Marxsen gewidmet. Ich merke bei Ihrem ›Ja‹ erst recht, wie schwerfällig und unschlüssig ich bin! Mir wäre ein ›Nein‹ grade so recht gekommen!«1413 Wenige Zueignungen Werke öffentlichen Charakters von Brahms stimmen also mit relativ wenigen Widmungen von Werken gleicher Gattung an Brahms überein. Brahms entschied sich so auch bei keiner seiner vier Sinfonien für eine Dedikation1414 – und erhielt, abgesehen von den Widmungen Bruchs und Dietrichs, die vor seinen eigenen Sinfonien erschienen waren, zeit seines Lebens keine Zueignung eines solchen Werks. Bei jeder Dedikation, die zustande kam oder verworfen wurde, wird ein komplexes Zusammenspiel verschiedener Überlegungen zum Entschluss geführt haben. In der überwiegenden Zahl potenzieller Sinfonie-Zueignungen werden so auch nicht ein bestimmter Grund, sondern verschiedene Ursachen für das Scheitern bestimmend gewesen sein. Trotzdem fand – wenn auch manchmal unbewusst – weiterhin eine Beschäftigung mit den Sinfonien von Brahms auf kompositorischer Ebene statt. Manchmal (so bei der Sinfonie Herzogenbergs) wurde der Bezug verschwiegen und keine Dedikation abgedruckt. In anderen Fällen spiegelt sich aber die Reflexion des sinfonischen Schaffens von Brahms auch in den Widmungswerken wider, beispielsweise in Regers Klavierstück Resignation, das mit dem Zitat des Hauptthemas des zweiten Satzes der Sinfonie Nr. 4 e-Moll op. 98 endet. Es sei darüber hinaus erinnert an die Dedikation Felix Otto Dessoffs, die an anderer Stelle bereits thematisiert worden ist: Aus der ausführlichen Korrespondenz zwischen Brahms und Dessoff wird die Angst Dessoffs vor zu starken »Reminiszenzen«1415 seines Streichquartetts an ein Werk seines Adressaten deutlich. Bezeichnenderweise handelt es sich bei dem Bezugswerk nicht um ein Kammermusikwerk des Widmungsträgers, sondern um den ersten Satz seiner kurz zuvor erschienenen Sinfonie Nr. 2 D-Dur op. 73. Gattungsübergreifend wurde also das sinfonische Werk von Brahms doch noch zum wichtigen Bezugspunkt einer Widmung. 1412 Vgl. Brahms an Fritz Simrock, [16. Mai 1882], BW X, S. 208. 1413 Brahms an Fritz Simrock, [21.] Mai 1882, BW X, S. 209. 1414 Vgl. z. B. Reinecke, Dedikation, S. 210, der richtig bemerkt, wie kritisch und wählerisch Brahms allgemein in der Vergabe von Widmungen gewesen sei. 1415 Felix Otto Dessoff an Brahms, [zwischen dem 29./30. Juni u. dem 4. u. 5. Juli 1878], BW XVI, S. 187.

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4.

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Den Manen Brahms’: Widmungen in der Funktion eines Requiems

»Ich wollte das Stück eigentlich dem Andenken Anselm Feuerbachs widmen; verschleiere das, indem ich seine Mutter nenne«1416 – der von Brahms mitgeteilte Entschluss, den Druck seiner Nänie op. 82 nicht dem verstorbenen Maler Anselm Feuerbach, sondern dessen Stiefmutter Henriette1417 zu widmen, kann paradigmatisch stehen für eine Eigenschaft, die Brahms’ gesamten Umgang mit der Vergabe von Dedikationen kennzeichnet. Sei es aus Sorge, dass ein verstorbener Widmungsadressat zu stark als Inspirationsquelle rezipiert und damit den unabhängigen Wert des Werks verringern würde, sei es, dass Brahms der Gedanke, dass der jeweilige Widmungsträger nicht mehr aktiv in den Prozess der Zueignung involviert war, missfiel: Es ist von ihm keine posthume Zueignung überliefert. Die Wahl einer Person aus dem direkten Umfeld des Verstorbenen als Adressatin der Nänie, die die Dedikation als Geste der geteilten Trauer verstehen konnte und der die Komposition Trost und Stütze sein mochte1418, ist auch Reaktion auf das Dilemma, dass der Verstorbene die Ehrung nicht mehr direkt annehmen konnte. Die Entscheidung, solche posthumen Ehrerbietungen bewusst mit Blick auf die Rezeption der eigenen Person und des betreffenden Werks zu vermeiden1419, ist allerdings in der Geschichte der Widmung musikalischer Werke keineswegs der Regelfall. Was aus der Tradition des antiken 1416 Brahms an Dr. Max Abraham, [7.] Oktober 1881, BW XIV, S. 333. Bei dem »Stück« handelt es sich um Brahms’ Nänie op. 82, die im Verlag Peters erschien. 1417 Die Schriftstellerin Henriette Feuerbach (1812–1892) war die zweite Ehefrau von Feuerbachs Vater Paul Johann Anselm Feuerbach (1798–1851). Sie gilt als große Förderin ihres Stiefsohnes. 1418 Auch thematisch passt die Widmung an die Mutter des Verstorbenen: Der von Brahms vertonte Text Schillers greift nämlich in der Bezugnahme auf den Klagegesang der Thetis um ihren gefallenen Sohn Achilleus auch die Thematik der um den verstorbenen Sohn trauernden Mutter auf: »Nicht errettet den göttlichen Held die unsterbliche Mutter, Wann er, am skäischen Tor fallend, sein Schicksal erfüllt. Aber sie steigt aus dem Meer mit allen Töchtern des Nereus, Und die Klage hebt an um den verherrlichten Sohn« – auch in dieser Hinsicht bot sich Henriette Feuerbach also als Widmungsträgerin an. 1419 Die Angewohnheit, keine posthumen Zueignungen zu vergeben, ist wiederum in Verbindung zu bringen mit Brahms’ eigenem Widmungsverhalten. So z. B. mit seinem Bemühen, sich als unabhängiger und nicht von Widmungen abhängiger Künstler und Komponist zu gerieren. Die von ihm deshalb bevorzugte private Freundschaftswidmung konnte gegenüber verstorbenen Personen des öffentlichen Lebens so nicht funktionieren – der einzige Vorteil hätte in diesem Fall bei ihm gelegen. Ein anderer Hinderungsgrund ist sein Festhalten an den tradierten kommunikativen Regeln – wiederum als Folge seiner selbstreflexiven Haltung. Bei einer posthumen Widmung hatte der Bewidmete nicht mehr die Chance, die eigene Wahrnehmung in der Öffentlichkeit zu steuern. Gerade Brahms, der durch die Vernichtung von privater Korrespondenz und Skizzen sein Bild in der Nachwelt zu beeinflussen suchte, wird diesen Grund auch für sein Verhalten gegenüber potenziellen Widmungsträgern als eminent wichtig eingestuft haben.

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Trauergesangs am Grab eines Verstorbenen entstand1420, wird vielmehr verbreitet fortgesetzt in der Tradition der posthumen Werkwidmung: Ganz selbstverständlich dedizierten über die Jahrhunderte Komponisten von Josquin Desprez1421 über Luigi Cherubini1422 bis hin zu Max Reger1423 verstorbenen Kollegen, Freunden oder verehrten Künstlern ein Werk. Auch Brahms’ Lehrer Eduard Marxsen reagierte mit einer Elegie für das Pianoforte, »den Manen J. N. Hummels geweiht«, auf den Tod Johann Nepomuk Hummels am 17. Oktober 1837.1424 Andere Kompositionen sind auch ohne direkte Widmung als eindeutig auf einen Verstorbenen bezogen zu verstehen. Die mit beiden Spielarten, sowohl der Zueignung als auch der Hommage-Komposition, verfolgten Ziele waren durchaus unterschiedlich, zwei Hauptfunktionen sind allerdings auszumachen. Direkt nach dem Tod wurden vorrangig Gedenkkompositionen verfasst, die den erlittenen Verlust und die Trauer reflektieren. So setzte Robert Schumann seinem Freund Ludwig Schuncke1425 mit der Dedikation der Toccata C–Dur op. 7 ein »Denkmal […] so hoch und schön ich’s vermag«.1426 Der im Brief angesprochene 1420 Die musikalische Totenklage ist eine »anthropologische Grundkonstante« (Dorothea Hofmann: Der Komponist als Heros. Mechanismen zur Bildung von kulturellem Gedächtnis, Essen 2003, S. 29): Sowohl im antiken Griechenland als auch im alten Rom wurde an Totenbahre und Grab gesungen (vgl. zum Thema u. a. Günther Wille: Klagelieder bei der Totenehrung in Rom, in: ders.: Musica Romana. Die Bedeutung der Musik im Leben der Römer, Amsterdam 1967). 1421 Vgl. die von Jean Molinet gedichtete und durch Desprez vertonte Deploration Nymphes des Bois auf den Tod Johannes Ockeghems. 1422 Trauer-Kantate auf den Tod Joseph Haydns. Ein Kuriosum der Entstehungsgeschichte: Die Kantate wurde bereits Anfang 1805 vor dem Tod des Widmungsträgers komponiert – auf ein Gerücht hin, das fälschlicherweise den Tod Haydns verkündete. 1423 Orgelsuite Nr. 1, den Manen Bachs gewidmet. Diese Suite hatte Reger Brahms zur Ansicht übersandt, um ihn zur Annahme der Widmung einer noch zu komponierenden Sinfonie zu bewegen. Vgl. zu den Hintergründen dieser geplanten Widmung ab S. 360. 1424 Das Werk, erst 1838 als op. 22 bei Böhme erschienen, wurde bereits am 4. November 1837, also nur knapp drei Wochen nach dem Tod des Widmungsträgers, von Wahrlieb im Freischütz rezensiert (vgl. Jane Vial Jaffe: Eduard Marxsen and Johannes Brahms, Diss., The University of Chicago 2009, S. 145). Dies deutet auch auf den engen Zusammenhang zwischen dem unmittelbaren Eindruck des Todes und der Komposition hin. 1425 1810–1834; oft auch unter dem französisierten Vornamen Louis geführt. Der früh verstorbene Pianist und Komponist zog 1833 nach Leipzig und begründete mit Robert Schumann die NZfM. 1426 Robert Schumann an Ignaz von Frickens, 28. November 1834, zit. n. Seibold, Familie, Freunde, Zeitgenossen, S. 291. Die Widmung ist aber nicht nur dem Andenken des todkranken Freundes gewidmet, sondern gleichzeitig auch als Gegenwidmung für die Grande Sonate g-Moll op. 3 zu verstehen, die Schuncke Schumann bereits 1832 zugeeignet hatte. Die Formulierung der Widmungsadresse stärkt den Bezug zwischen den beiden Dedikationen noch zusätzlich: Die Schumann zugeeignete Grande Sonate Schunckes trug die Inschrift »dedi¦e — son ami Robert Schumann«. Schumann schreibt in direkter Analogie »Dedi¦e õ SON AMI LOUIS SCHUNCKE«. Tatsächlich hatte Schumann dem hervorragenden Pianisten nach eigener Aussage die Toccata aber »aus vielen Gründen« gewidmet

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Denkmalcharakter ist allerdings in diesem speziellen Fall vorausgegriffen: Schuncke, ein enger Freund Schumanns, starb erst am 7. Dezember 1834. Er war aber zum Zeitpunkt des Briefes schon schwer an Tuberkulose erkrankt. Mit größerem zeitlichem Abstand zum Ableben des Adressaten ändert sich die Hauptfunktion der Widmung, die persönliche Ebene geht mehr und mehr verloren. Es wird nun durch die Dedikation an einen in den Kanon der Musikgeschichte eingegangenen Komponisten vermehrt die kompositorische Bezugnahme und Nachfolge in der durch den Verstorbenen verkörperten Traditionslinie suggestiv dargestellt. Die Werbung für das eigene Können steht im Vordergrund – ohne, dass der Adressat um Erlaubnis zur Verwendung seines Namens gebeten werden muss. In vielen posthumen Dedikationen überschneiden sich freilich die Ziele des Ausdrucks persönlicher Trauer und der kompositorischen Traditionsbildung. Pauschalisiert kann festgestellt werden, dass vorrangig aus Trauer erwachsene Widmungen meist aus dem unmittelbaren zeitlichen Umfeld des Todes des Adressaten stammen1427, die direkte und oft persönliche Verbindung zum Bewidmeten spielt eine große Rolle. Anders die Versuche, sich über die Dedikation in die Nachfolge eines berühmten Vorgängers zu stellen: Oft ist in diesen Fällen der Abstand zum Tod des Adressaten recht groß. Denn einer solchen Zueignung wird erst dadurch ihr eigentlicher Sinn verliehen, dass der Widmungsträger und seine Werke in einen allgemeinen Kanon eingegangen sind. Auch Brahms wurden zwischen 1897 und 1902, also zwischen dem Tod des Widmungsträgers und der Veröffentlichung seines letzten Werks mit Opuszahl (den Elf Choralvorspielen für Orgel op. posth. 122), in der Fortsetzung dieser langen Tradition immerhin mindestens sieben Werke offiziell gewidmet: Dazu kommen Werke, die den Bezug zu Brahms im Werktitel eindeutig herstellen, aber entweder überhaupt nicht in den Druck gelangten1428, oder und dies wohl bereits vor der Krankheit Schunckes geplant – denn in Schumanns Schuncke-Aufsatz von 1836 heißt es: »Wenn man Jemandem etwas dedicirt, wünscht man, daß er’s vorzugsweise spiele […] Da mir kein Ton entging, den er anschlug, so hatte ich meinen leisen Aerger, daß er sich nicht darüber machte, und spielte sie ihm, vielleicht um ihn zum Studiren zu reizen, zu Zeiten aus meiner Stube in seine hinüber. […] Wie aber staunte ich, als er […] die Toccata in ganzer Vollendung vorspielte und mir bekannte, daß er mich einigemale belauscht und sie sich im Stillen ohne Clavier herausstudirt, im Kopfe geübt habe.« (NZfM 4/44 [31. Mai 1836], S. 183). 1427 Der Begriff der zeitlichen Nähe ist allerdings relativ weit gefasst, wie die Widmung der Symphonischen Variationen von Hans Koeßler an Brahms zeigt. Tatsächlich bedeutet »zeitliche Nähe« eher, dass der Widmende den Verstorbenen noch persönlich kennen lernen und so eine unmittelbare Beziehung aufbauen konnte. Dies ist bei dem in dieser Arbeit als Untersuchungsgrundlage festgelegten Zeitrahmen bis 1902 in jedem Fall gegeben. 1428 Z. B. Charles Hubert Hastings Parry : Elegy for Brahms (ungedruckt, komponiert 1897 unter dem Eindruck des Todes von Brahms, Uraufführung bei einem Gedenkkonzert zu

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seinen Namen im Sinn einer Hommage-Komposition einsetzten. Oft wurde sich in diesen Fällen musikalischer Themen des Adressaten als Grundlage eines Werks bedient und dies bereits im Titel angezeigt. Die Grosse Fantasie über Weisen von Johannes Brahms für Orchester von Willy Weide ist nur eines von verschiedenen überlieferten Beispielen.1429 Da der Widmungsträger von der Ehrung keine Kenntnis nehmen konnte, erschien eine offizielle Dedikation offenbar unnötig – dem Rezipienten war der enge Zusammenhang zwischen Werk und Geehrtem auch so ersichtlich. Daneben konnten freilich auch äußere Umstände die Dedikation verhindern: Einige Kompositionen, die Brahms zwar eindeutig nach seinem Tod zugeeignet werden sollten, sind z. B. zumindest nicht unmittelbar in ein Verlagsprogramm aufgenommen worden. Die Begründung liegt, wie bereits im Rahmen der seltenen Widmung sinfonischer Werke1430, zu einem großen Teil in Besetzung und Umfang der Kompositionen: Es sind nach 1897 – zumindest in der Relation zu ihrem Anteil an der Gesamtzahl der Widmungen – ungewöhnlich viele groß besetzte orchestrale und chorsinfonische Werke mit engem Bezug zu Brahms zu verzeichnen. Wurde Brahms zu Lebzeiten im Rahmen von Widmungen besonders als Kammermusiker und Komponist von Klaviermusik rezipiert1431, rücken Parrys eigenem Tod am 8. November 1918 unter dem Dirigat von Charles Villiers Stanford). 1429 Willy Weide: Grosse Fantasie über Weisen von Johannes Brahms für Orchester, [nach 1900]. Die Fantasie erschien bei Brahms’ Hausverleger Simrock, der ein Werk, das seinem erfolgreichen verstorbenen Freund und Geschäftspartner gedachte, mit Sicherheit gern in den Verlagskatalog aufnahm. 1430 Vgl. das Kapitel IV. 3 Sinfonie nach Brahms?, bes. ab S. 357. 1431 Zusammen machen Klavier- und Kammermusik über zwei Drittel, nämlich 66 von 96 aller gewidmeten Werke bis 1902 aus. Zum Vergleich: Nur 17 orchestrale oder chorsinfonische Werke sind Brahms zugeeignet worden. Nimmt man dagegen die Zahlen für den Zeitraum

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nun Gattungen größerer Besetzung in den Fokus. Die Gründe werden in den erhaltenen Sekundärquellen nicht näher erläutert, die zur Aufführung in großem Rahmen bestimmten Werke mochten wegen der damit verbundenen stärkeren Öffentlichkeit dem Andenken an einen großen Komponisten aber würdiger erscheinen, als die primär privaten, hausmusikalischen Gattungen von Liedern oder Kammermusik. Im Umkehrschluss wurde dann allerdings die Suche eines Verlags problematisch: Waldemar von Baußnerns Sinfonie Nr. 2 (»dem Andenken Brahms’«), Alexander Zemlinskys Kantate Frühlingsbegräbnis (»Dem Andenken Johannes Brahms’ gewidmet.«) und Charles Hubert Hastings Parrys Elegy for Brahms sind groß besetzte Orchesterwerke, die sich aufgrund der hohen Produktionskosten und der geringen Aussicht auf rentable Verkaufszahlen für den wirtschaftlich denkenden Verleger nicht rechneten und ungedruckt blieben.1432 Es gibt aber in allen Fällen Hinweise, dass die Widmungstexte trotz alledem eigentlich für den Druck bestimmt waren. Denn eine handschriftliche Übereignung ergab mit ihrem traditionellen Geltungsbereich durch den Tod des Adressaten keinen Sinn: Sie konnte schlicht nicht rezipiert werden. Die Zuschriften wurden jedenfalls auch von der Öffentlichkeit so eng mit dem Werk verbunden, dass sie in Rezensionen stets erwähnt und auch in spätere Drucke aufgenommen wurden.1433 Deshalb können sie als Vergleichsmaterial wichtige Details zum Bild beitragen, das direkt nach dem Tod von Brahms durch die Kollegen und Zeitgenossen von seiner Person gezeichnet wurde.

zwischen 1897 und 1902 und rechnet auch jene Kompositionen hinzu, die offensichtlich als Widmungswerk gedacht waren, aber nicht im Druck erschienen, so sind immerhin die Hälfte, nämlich fünf von zehn Werken, mit Orchester bzw. großem Chor besetzt. 1432 Alexander Zemlinsky konnte so bis 1914 keines seiner mit Orchester besetzten Werke (dies schließt auch die mit Orchester begleiteten Chorwerke ein) im Druck veröffentlichen; die Erstausgabe der Partitur von Frühlingsbegräbnis erschien – mit Angabe der Widmung, herausgegeben von Antony Beaumont – sogar erst im Jahr 2000 bei Ricordi. 1433 Der Programmzettel der als Weimarer Erstaufführung deklarierten Aufführung der Sinfonie Nr. 2 von Waldemar von Baußnern unter der Leitung des Komponisten am 17. Februar 1911 im Großherzoglichen Hoftheater in Weimar verzeichnet dementsprechend als Zusatz zum Titel »Dem Andenken J o h a n n e s B r a h m s ’ gewidmet.« (Digitales Archiv des Thüringischen Hauptstaatsarchivs Weimar, Sign.: Theaterzettel, 2120/168, unter http://archive.thulb.uni-jena.de/ThHStAW/receive/ThHStAW_performance_00012565 [letzter Zugriff: 20. November 2013]). Vgl. oben zur Erstausgabe von Alexander Zemlinskys Frühlingsbegräbnis.

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4.1

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Besonderheiten von Titel und Widmungsadresse bei posthumen Dedikationen

Die an verstorbene Adressaten gerichteten Dedikationsadressen der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sind in ihrer Formulierung relativ formalisiert. Zwei verschiedene Grundvarianten treten in leicht abgewandelten Formen immer wieder auf und herrschen auch unter den Widmungen an den verstorbenen Johannes Brahms vor : Gewidmet wird »in memoriam« (alternativ in der deutschen Übersetzung »dem Andenken«) oder aber »den Manen« des jeweiligen Widmungsträgers. Die durch den Tod des Adressaten grundlegend veränderte Widmungssituation wird demnach in der Wortwahl des Widmungstextes unverkennbar gespiegelt. Denn Brahms kann für posthume Widmungen nicht mehr als direkter Ansprechpartner fungieren, der die Dedikation offiziell annimmt, sie durch diesen Schritt legitimiert und sich damit als Bürge für das ihm gewidmete Werk einsetzen lässt. Eine wichtige Ebene der Dedikation, die an die direkte Kommunikation zwischen Widmendem und Adressaten gebunden ist, geht verloren. Als Resultat muss auch die Funktion der Dedikation als durch die Widmungsannahme vermittelter Qualitätsnachweis verschwinden. Folgerichtig wird der Adressat in jeder der üblichen Formulierungen des Zueignungstextes in die Rolle des passiven Empfängers gedrängt: Gewidmet wird nun bei strenger Auslegung des Wortlauts seinem Andenken, nicht aber ihm selber. Ideell bleibt Brahms damit zwar Empfänger der Ehrung, primärer Adressat des veröffentlichten Textes wird durch den Perspektivenwechsel jedoch an seiner Statt der Käufer. Durch seine Rezeption wird der posthumen Zueignung Sinn verliehen, auch durch seinen Kauf und sein Spiel der gewidmeten Komposition wird das Andenken an den Verstorbenen bewahrt und verbreitet. Zwar ist die Information der Öffentlichkeit auch bei allen anderen Widmungen ein wichtiges Ziel. Obwohl sich die Ausrichtung nur in Nuancen ändert, ist der graduelle Unterschied allerdings unverkennbar : Durch den Wegfall des eigentlichen Adressaten als real existierende Person, die beispielsweise bei der genauen Formulierung des Widmungstextes besonders beachtet werden muss, wird die Gruppe der Rezipienten als vierter Faktor neben Adressat, Komponisten und Werk entscheidender. Er wird noch stärker als zwar passives aber einflussreiches Moment in den Widmungsvorgang mit einbezogen. Der skizzierte Perspektivenwechsel ist in allen Formulierungen ersichtlich, am auffälligsten im Wortlaut »Den Manen J. Brahms’«. Tatsächlich wird diese Textvariante im 19. Jahrhundert sogar mit leichter Präferenz verwendet, sie tritt immerhin auch in der Hälfte der posthumen Widmungen an Brahms auf.1434 Die

1434 Konkret tritt die Formulierung in den Widmungstexten von Koeßler, Reger und Reinecke

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Nähe und Distanz: Brahms im Spiegel der ihm gewidmeten Werke

Textstruktur wirft jedoch die Frage auf, an wen das Werk tatsächlich gerichtet ist: an Brahms oder, im Sinn einer Stellvertreterwidmung, tatsächlich an jene »Manen«? Verständlich wird die Wortwahl im Blick auf die Wortetymologie und die Verwendungsgeschichte des Begriffs. Als »Manen« wurden in der Antike die Seelen des Totenreichs, die als in der Unterwelt ansässige Gottheiten galten, bezeichnet.1435 Sie mussten nach dem Tod eines Menschen durch Gaben besänftigt werden, um die gute Aufnahme des Verstorbenen in der Unterwelt zu gewährleisten. Bewerkstelligt wurde dies durch Grabbeilagen oder durch an die Gottheiten gerichtete Opfergaben der Hinterbliebenen. Als ein solches Opfer konnte nun auch die Komposition und darauffolgende Zueignung eines Werks angesehen werden: Die Widmung wird im eigentlichen Wortsinn zur Opfergabe, ein nur indirekt an den Adressaten gerichteter Beitrag zu seinem Seelenheil. Mit Aufkommen der Antikebegeisterung des sich neu formierenden Bildungsbürgertums wurde im 19. Jahrhundert schließlich die auf römischen Grabsteinen häufig anzutreffende Widmungsformel »D[is] M[anibus]«, »den Manen geweiht«, wieder aufgegriffen und vor allem anlässlich von Werkwidmungen vermehrt eingesetzt – freilich in freierer Interpretation. Einige Facetten des in den zeitgenössischen Lexika durchaus überlieferten1436 antiken Kontextes gingen bei der Transferierung des Konzepts in das neue Jahrhundert verloren: Die Totengeister blieben nun in ihrer Funktion als eigentliche Adressaten unbeachtet, ideell galt der Text weiterhin als normale Dedikation, die an die Person des Verstorbenen gerichtet war. Die einstmals religiöse Konnotation geht damit allerdings verloren. Eine jede Widmung an die Manen, die Totengeister, ist demnach im 19. Jahrhundert also tatsächlich genau wie andere Formulierungen als Widmung an Brahms selber zu lesen, als ein bildungsbürgerlich besonders geschätztes Synonym für Texte, die ihm im »Andenken« oder »in memoriam« gedenken.

An der »Schwelle« zum Werk Die Widmung an Verstorbene zeigt besonders deutlich die paratextuelle Schwellenfunktion der Dedikation im Sinn G¦rard Genettes1437: Sie schwankt zwischen der Funktion des Titelbestandteils und der Dedikation und steht damit genau auf der Schwelle, dem Übergang zwischen Text und Kontext. In dieser auf. Lucas (und Rheinberger) widmen »in memoriam«, Wallfisch und Bibl »dem Andenken«. 1435 Vgl. Art. »Manen«, in: Brockhaus, Studienausgabe, Bd. 14, Leipzig 2001, S. 147. 1436 Vgl. z. B. Art. »Manen«, in: Meyers Konversations-Lexikon, Bd. 11, 4. Aufl., Leipzig u. Wien 1890, S. 184f.; Art. »Manen«, in: Pierer’s Universal-Lexikon, Bd. 10, Altenburg 1860, S. 821f. 1437 Vgl. zu diesem Kontext das Kapitel I. 1. 1.

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unbestimmten Zwischenstellung legitimiert sie in besonderer Weise die Beschreibung der paratextuellen Widmung als »Seuils«. Denn vor allem die Formulierung »den Manen XYZ« konnte auch als Teil des Werktitels verstanden werden, sodass eine weitere offizielle Widmung derselben Komposition an einen zweiten (lebenden) Adressaten möglich wurde. Die Funktion der Widmung verschiebt sich hier zur Funktion des (Unter-)Titels. Zwar gilt auch der Werktitel gemeinhin als Paratext, doch die Einbindung in sein Gefüge rückt die Dedikation näher an den eigentlichen Werkkontext. Denn die Widmung kann trotz der als unbegrenzt intendierten Gültigkeit in Folgeauflagen getilgt werden, der Titel bleibt im Normalfall auch in späteren Ausgaben auf das Engste mit dem Werk, das er beschreibt und dem er den Namen gibt, verbunden. Damit einhergehend ist bei einer solchen in den Titel eingebundenen Dedikation der Hinweis auf kompositorische Bezugnahmen zum Œuvre oder der Person des Adressaten noch stärker einzuschätzen, als bei einer ›normalen‹ Zueignung. Natürlich handelt es sich bei solch speziellen Doppelwidmungen in Titel und als Widmungsadresse um Einzelfälle. Und doch konnte Carl Ýrp‚d Doppler 1883 sein Opus 10 mit dem Titel Den Manen Schubert’s. Erste Ballade für das Pianoforte1438 offiziell »Miss Helen Sands« zueignen. Das Titelblatt trägt also zwei Widmungstexte, deren unterschiedliche Funktion im Kontext jedoch klar ersichtlich ist: »Miss Helen Sands« ist die eigentliche Adressatin, während die Erwähnung Schuberts als Teil des Titels die musikalische Inspirationsquelle offenlegt. Ein Vorgehen, das bei zwei lebenden Adressaten aus Gründen des Anstands und der gesellschaftlichen Etikette unmöglich erschienen wäre. Auch in den an den verstorbenen Brahms gerichteten Werken ist diese Tendenz, die Widmung als integrativen Titelbestandteil zu verstehen, zumindest ansatzweise nachzuvollziehen. So lassen die unter den Ausführungen zur Binnenwidmung1439 bereits betrachteten Dedikationen Max Regers entsprechende Anzeichen der Umdeutung der Widmungsfunktion erkennen, in beiden Fällen ist ein zweiter, auf das Gesamtopus bezogener Adressat auf dem Titelblatt präsent.1440 Der Vorgang ist freilich weniger offensichtlich als im Fall Dopplers, da sich die eine Widmung nur auf einen Teil des Opus bezieht, während die zweite das Gesamtwerk betrifft. Und doch sind gewisse Parallelitäten nicht von der Hand zu weisen: Bei beiden Komponisten fiel die Wahl auf einen zweiten 1438 Carl Ýrp‚d Doppler: Den Manen Schubert’s. Erste Ballade für das Piano-Forte op. 10, New York 1883, gewidmet »Miss Helen Sands«. Es ist nicht klar, ob das Werk Carl Doppler oder seinem Sohn Ýrp‚d Doppler zuzuordnen ist. Da der Sohn allerdings zwischen 1880 und 1883 als Lehrer am Grand Conservatory in New York wirkte und die Ballade dort verlegt wurde, scheint sich seine Autorenschaft anzudeuten. 1439 Vgl. bes. ab S. 81. 1440 Die Sieben Fantasiestücke op. 26 sind an Philipp Scharwenka gerichtet, die Six morceaux pour le piano op. 24 der Pianistin Teresa CarreÇo zugeeignet.

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Widmungsträger, der dem Verstorbenen zumindest im Sinn der für das 19. Jahrhundert gültigen Widmungsregeln strukturell übergeordnet ist. Es ist damit freilich keinesfalls eine Überordnung in Bezug auf die Bedeutung für den musikalischen Inhalt angedeutet – hier verhält sich die Rangfolge eher umgekehrt. Denn der mit dem Werktitel verwobene Untertitel weist direkt auf die musikalische Inspirationsquelle hin, nicht ohne Grund ist er in den meisten Fällen an einen Komponisten gerichtet. Auf diese Weise wurde die Widmung der Six morceaux pour le piano op. 24 von Reger an die Pianistin Teresa CarreÇo der Zuschrift der Rhapsodie – eines Teils des Drucks – »Den Manen J. Brahms’« widmungstheoretisch über- und in der Bedeutung für den musikalischen Gehalt untergeordnet. Die Gesamtwidmung von Regers Sieben Fantasiestücke op. 26 an Philipp Scharwenka wird dagegen durch den Untertitel des Klavierstücks Resignation op. 26/5 (»3. April 1897 – J. Brahms †«) in ein anderes Licht gerückt: Resignation war anlässlich des ersten Todestages von Brahms komponiert worden.1441 Am Beispiel dieses Klavierstücks wird die Bedeutung des Binnenwidmungstexts für den musikalischen Gehalt sehr deutlich. Denn der geschaffene Bezug wird auf kompositorischer Ebene durch die stilistische Annäherung an Brahms klar gespiegelt. Resignation gilt aufgrund des vollgriffigen Klaviersatzes, der deutlich zutage tretenden Konfliktrhythmik und spezifischen Harmonik fast als Stilkopie der Tonsprache von Brahms1442, die schließlich im Zitat des Hauptthemas des zweiten Satzes seiner Sinfonie Nr. 4 e-Moll op. 98 mündet. Der Beginn des Intermezzos op. 116/6 oder Edward op. 10/1 mit ihrer Vorliebe für oktavierte Bassfortschreitungen lässt die Ähnlichkeit klar aufscheinen. Auch die hemiolische Schwerpunktsetzung im 34-Takt (z. B. T. 5f.) oder die auch in Brahms’ späten Klavierwerken immer wieder aufscheinende ABA’-Form weist auf einzelne Facetten des kompositorischen Brahms-Bildes von Reger hin. Die analytischen Befunde werden jedenfalls durch Äußerungen Regers gestützt. Wenn seine Aussage in Betracht gezogen wird, es sei an Brahms’ Klaviersatz »die Figuration die ich so liebe 2 zu 3«1443 besonders charakteristisch, so erscheinen die gegen Achtel gesetzten Triolen des Schlusses in besonderem Licht – obwohl diese Figuration im Gegensatz zur charakterkonstituierenden Stellung in Brahms’ Intermezzo op. 116/2 nur eine untergeordnete und sporadisch eingesetzte Funktion zugewiesen bekommt. Doch darüber hinaus birgt auch die allgemeine Charakteristik des Werks manche Annäherung an das Vorbild. Dies betrifft etwa die konzentrierte thematische Arbeit, die die Ableitung und Abspaltung von Motivkomponenten und -varianten beinhaltet. So enthält bereits die melodische und rhythmische Linie des Hauptmotivs (T. 1) die – wenn auch 1441 Wirth, Brahms und Reger, S. 98. 1442 Vgl. besonders Frisch, Schoenberg, S. 14–19. 1443 Max Reger an Adalbert Lindner, 15. Februar 1893 (Popp, Der junge Reger, S. 135).

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transponierte und augmentierte – Grundstruktur des als Abschluss zitierten Themas der Sinfonie Nr. 4 e-Moll op. 98 von Brahms und bildet die Keimzelle und Klammer für das gesamte Werk. Gerade im Vergleich mit den weiteren Nummern der Fantasiestücke op. 26 lässt sich daneben nachvollziehen, wie sehr Brahms für Reger als Meister des im Detail komplexen Ausdrucks gegolten haben muss. Das kompositionsästhetische Ideal des Einfachen im Komplexen führt in Verbindung mit der Trauerthematik in Resignation zu einer im Gegensatz zu den übrigen Stücken auffälligen Schlichtheit des Ausdrucks, die sich im Verzicht auf Dissonanzenreichtum und Chromatik1444, auf brillante Läufe und Klangkaskaden und große rhythmische Freiheiten äußert. Dem entspricht die Formgebung: Die Bezeichnung »Fantasie« galt für Brahms als Legitimation gewisser Freiheiten, es »erlaubt ja der Titel ›Phantasie‹ alles Mögliche«.1445 Doch eine gründliche und konsistente Formbildung war ihm erst Grundlage solcher Abweichungen.1446 Resignation wirkt im direkten Vergleich mit den anderen Fantasiestücken op. 26 tatsächlich harmonisch und rhythmisch gebundener ; das sonst stark fantastische und rhapsodische Moment kommt in der klar erkennbaren ABA’-Form, die auch in den Taktzahlen 15 + 25 + 15 höchst symmetrisch wirkt, weniger zum Tragen. Nur im Detail ist zu erkennen, dass die Form individuell gefüllt wurde; so z. B. in der unregelmäßigen Phrasenbildung des Beginns. Auch die eigentlich so offensichtlich erscheinende Liedform ABA’ erweist sich als nicht vollkommen konsistent: Die kleinteilige Gliederung zeigt vielmehr eine a-a’-b-a’’-CodaFormgebung1447, die gerade mit der modulierenden Funktion des b-Teils und der strukturellen Ähnlichkeit seiner Rhythmik mit dem thematischen Material von a auch als Annäherung an die Sonatenform gelesen werden kann. Ein solch individueller Umgang mit traditionellen Formen ist wiederum ein Verfahren, das Reger selber auf Brahms zurückführt: »Ein Joh. Brahms hat es uns bewiesen, daß die ›Form‹ überhaupt ein ganz u. gar abstrakter Begriff ist; den[n] er springt – trotzdem alle Kritiker ihn ›formvollendet‹ erklären, gerade mit der Form am freiesten um.«1448 1444 Reger hat gegenüber Adalbert Lindner einmal bemerkt, bei Brahms fehlten »chromatische Scalen […] fast ganz« (6. April 1894, zit. n. Popp, Der junge Reger, S. 183f.). 1445 Brahms an Ernst Rudorff, [25.] Januar 1869, zit. n. BW III, S. 153. 1446 Vgl. ebd. die bereits zitierte Äußerung zu Ernst Rudorffs Fantasie op. 14: »Mir scheint, Sie behandeln den Rhythmus etwas rücksichtslos oder sorglos. Ich muß bekennen, daß ich dem Versuch nicht widerstehen kann, gleich das erste Stück Ihrer neuen ›Phantasie‹ – ohne seinen sanft-träumerischen Charakter zu vergessen – in etwas regelmäßigere Taktzahl zu bringen; z. T. wird es mir schwer, den ersten Takt einer Melodie gelegentlich als zweiten gelten zu lassen.« 1447 Agnes Michalak: Max Regers Charakterstücke für Klavier zu zwei Händen, Karlsbad 2007, S. 96–101. 1448 Max Reger an Adalbert Lindner, 6. April 1894, zit. n. Popp, Der junge Reger, S. 183f.

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Die Widmung an den verstorbenen Brahms wird von Reger demnach als deskriptiver Teil des (Unter-)Titels eingesetzt, der sich auf den musikalischen Gehalt bezieht. Der Titel wird damit zum mottoähnlichen Widmungstitel, der die kompositorische Inspirationsquelle aufdeckt. Was hier für Resignation nachgewiesen wurde, gilt auch für die Zueignung der Rhapsodie op. 24/6: Der direkte Verweis auf die Rhapsodien op. 79 des Widmungsadressaten ist leicht zu entziffern. Im Detail des Klaviersatzes, in der wiederum klaren Formgebung und der Rhythmisierung zeigen sich dann Facetten des spezifischen Brahmsbildes von Reger. Doch der Zueignung kommt zusätzlich eine dramaturgische Bedeutung innerhalb des Werkaufbaus zu. Denn die Dedikation »den Manen J. Brahms’« hebt gerade das letzte Stück der Six Morceaux hervor und weist es so bereits äußerlich als Kulminationspunkt der im Druck vereinten Klavierstücke aus. Die These, dass eine Doppelwidmung bei lebenden Widmungsträgern unmöglich erschienen wäre, wird gestützt durch die Tatsache, dass bei beiden Opera Regers kein anderes Stück einen eigenen (lebenden) Adressaten aufweist – das Vorgehen anlässlich der Zueignungen an Brahms ist singulär. Es ist allerdings darauf hinzuweisen, dass dieses besondere Verständnis der posthumen Widmung im Kontext des 19. Jahrhunderts die Ausnahme darstellt und formal an die Platzierung der Zueignung an den Verstorbenen direkt über einem abgrenzbaren Teil des Opus’ oder als Titelformulierung gebunden ist. Andere über oder nach dem Gesamttitel angeordnete posthume Widmungen wurden dagegen ohne weiteren Klärungsbedarf als vollgültige Dedikation wahrgenommen.1449 Neben dieser speziellen Form des Widmungstitels wird bei posthumen Dedikationen auch sonst nicht selten ein sprechender Titel gewählt, der den Trauercharakter des Werks betont. Herrmann Scholtz nannte sein den Manen Franz Schuberts zugeeignetes Klavierstück op. 39 »Trauerklänge«1450, Robert Schumann veröffentlichte seine einzige durch die Dedikationsadresse als solche bezeichnete posthume Widmung unter dem ausführlichen Titel Sieben Lieder von Elisabeth Kulmann zur Erinnerung an die Dichterin für eine Singstimme mit Begleitung des Pianoforte op. 104.1451 Unter den in Erinnerung an Brahms verfassten Musikstücken sind ebenfalls aussagekräftige Titel zu finden: Auch 1449 Vgl. in diesem Sinn z. B. die Aussage Carl Reineckes zur Widmung seiner Sonate Nr. 3 GDur für Klavier und Violoncello op. 238 an die »Manen Brahms« (Reinecke, Erlebnisse, S. 168). 1450 Herrmann Scholtz: Trauerklänge. Den Manen Robert Schumann’s. Klavierstück op. 39, Leipzig o. J. Der Druck im Verlag Leukart wird in den Hofmeister Monatsheften für 1875 angezeigt. 1451 Schumann geht über diesen Titel noch hinaus, indem er ein die Widmung erläuterndes Vorwort verfasst und zusätzlich jedes der enthaltenen Stücke mit Blick auf das Leben der Dichterin kommentiert.

Den Manen Brahms’: Widmungen in der Funktion eines Requiems

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Rheinbergers Missa (sincere in memoriam) und die Trauerfuge (Cm.) f. Org., m. Benutzung zweier Motive aus dem Deutschen Requiem v. Brahms op. 83 von Rudolf Bibl stellen bereits im Titel den Bezug zum Tod des Widmungsträgers her. Im Fall der 1897, also kurz nach dem Tod von Brahms entstandenen, aber ungedruckt gebliebenen Elegy for Brahms von Parry ersetzte der deutliche Titelbezug im Zusammenhang mit dem Entstehungsdatum der Komposition im Todesjahr von Brahms eine unmissverständliche Zueignung. Erneut werden paratextuelle Werkelemente zu Verweisen auf die Verbindung von Werk, Widmungsträger und Werkinspiration – diesen Effekt vermag freilich auch die grabsteinartige Gestaltung des Titelblatts des Praeludium et Fuga op. 32 von Clarence Lucas1452 oder die Verwendung eines Porträtfotos des Verstorbenen durch J. H. Wallfisch zu unterstützen.

4.2

Musikalisch-kompositorische Charakteristika der posthumen Widmung

In den direkt nach dem Tod des Adressaten aus dem Gefühl der persönlichen Betroffenheit heraus gewidmeten Werken spielt das Leid und die Trauer als Motiv eine überproportional große Rolle. Über die Hinweise, die durch die Gestaltung der paratextuellen Bestandteile gegeben wurden, sollte das Werk selber in seinem musikalischen Gehalt dem Trauertopos entsprechen. Dies wirkt sich auf die Auswahl einer geeigneten Widmungskomposition aus, Gattungen mit großer Formstrenge oder sakraler Funktion erhalten viel Gewicht: Zwei Fugenkompositionen, eine Messe, eine Kantate und Sinfonische Variationen, die ursprünglich mit Überschriften aus dem Leben des Verstorbenen versehen waren, wurden der Erinnerung an Brahms gewidmet. Der Versuch, bereits in der Wahl der passenden Gattung ein adäquates Umfeld für Trauer zu schaffen, ist evident. Die Vermittlung der angemessenen Stimmung überlagert in einigen Fällen sogar die sonst gegebene gattungsmäßige Übereinstimmung der Widmungswerke zum Œuvre von Brahms: Joseph Rheinberger eignete ihm so im direkten Umfeld seines Todes eine Messe zu, obwohl keine vollendete Messkomposition von Brahms1453 vorliegt. Und obwohl auch Brahms vor allem mit den Variationen über ein Thema von Jos. Haydn für Orchester op. 56a auf dem Gebiet der Orchestervariation tätig gewesen war, lassen sich die Sinfonischen Variationen Hans Koeßlers – eines Vetters des ebenfalls Brahms posthum wid1452 Vgl. die Ausführungen ab S. 37 im Kapitel I. 1. 2. 1453 Die 1856 konzipierte und später zu Teilen in die Motette Warum op. 74/1 eingeflossene, Fragment gebliebene Missa canonica für vier- bis sechsstimmigen Chor a cappella WoO 18 wird Rheinberger nicht gekannt haben. Brahms hat sie nicht veröffentlichen oder aufführen lassen, erst 1984 erschien eine von Otto Biba im Zusammenhang mit dem Kyrie WoO 17 herausgegebene Druckfassung im Verlag Doblinger.

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menden Max Reger – nicht direkt mit einem Werk des Adressaten vergleichen. Gerade ihr außermusikalisches Programm, das ursprünglich für jede Variation eine vom Leben des Widmungsträgers inspirierte Überschrift vorsah, weist auf ein grundlegend anderes Konzept hin.1454 Koeßler verschwieg die aus dem Leben Brahms’ gezogene Programmatik allerdings schließlich ganz1455, nur der Widmungstext verweist in der Druckausgabe noch auf den ›außermusikalischen‹ Hintergrund.

Vokale Totenklage 1897 reagierte Paul Heyse mit seinem Gedicht Johannes Brahms † auf den Tod von Brahms, die ersten Zeilen lauten: »Und noch ein glorreich hochgefürstet Haupt j Hat dieser wilde Lenz der Welt geraubt. j Ein Haupt, das äußrer Würden sich entschlug, j Doch in dem Reich der Schönheit Krone trug! j Ihm ward in Tönen wundersamer Art j Das tiefste Weltgeheimnis offenbart, j Und was zu seiner lauschenden Seele drang, Beseelt ausströmen mußt’ es sein Gesang, j Voll heil’gen Tiefsinns, der am stumpfen Ohr j Der flachen Menge freilich sich verlor, j Da leichtre Kunst am lauten Markt sich bläht j Und Zügelloses hoch im Preise steht […]«1456

Heyses Gedicht wurde nach bisherigem Kenntnisstand nicht vertont – viele andere der unzähligen Trauergedichte aller Jahrhunderte1457 dienten dagegen als Grundlage einer Gedenkkomposition. Ein Umstand, der vor allem aus inhaltlichen Gesichtspunkten zu erklären ist: Durch den Einbezug der literarischen Komponente kann Trauer besonders konkret ausgedrückt werden. Auch des1454 Die Überschriften werden in der ausführlichen Besprechung Pfohls überliefert (vgl. Pfohl, Koessler, Sinfonische Variationen). Das Verschweigen der von Koeßler ursprünglich thematisch an Leben und Persönlichkeit von Brahms gebundenen Überschriften steht im Einklang mit dem Bemühen des Widmungsträgers Brahms, mögliche Inspirationsquellen – sofern sie sich nicht als Zitat oder Grundlage eines Variationenwerks darstellen – zu verschleiern. 1455 Ebd. 1456 Vgl. Paul Heyse: Johannes Brahms †, in: Frühling am Gardasee, in: ders.: Gesammelte Werke, Reihe 1, Band 5, Stuttgart 1924, Nachdruck: Hildesheim, Zürich, New York 1991, S. 393–394. 1457 An dieser Stelle seien nur zwei von unzähligen Beispielen herausgegriffen: Den Manen Schillers (Gedicht aus der Sammlung von Heinrich Kämpchen: Was die Ruhr mir sang, Bochum 1909, S. 130, Incipit: »Vor hundert Jahren, Zu früh der Welt noch, Ist er gestorben.«); Den Manen Johann Gottfried Pahls von Wilhelm Zimmermann, aus: Gedichte, Stuttgart 1839, S. 408–411, letzte Strophe: »Gerne schmückt den Sarg geliebter Todten Noch die Freundschaft mit dem Blumenkranz. Und der Sänger wählt das Lied zum Boten Nach den Ufern jenes sel’gen Lands. Beut das Leben, wie in diesen Tagen, Wenig, was die Harfe feiern kann: Ziemt’s, an todter Männer Grab zu klagen, Und ich klage dich, du warst ein Mann«.

Den Manen Brahms’: Widmungen in der Funktion eines Requiems

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wegen haben Vokalkompositionen bei posthumen Widmungen normalerweise ein leichtes Übergewicht, dass unter den entsprechenden an Brahms gerichteten Werken instrumentale Gattungen eine größere Rolle spielen, ist eher ungewöhnlich. Denn durch die Vertonung von Trauergedichten entsteht potenziell ein durch Wort und Ton vermitteltes Totengedenken, das oftmals durch den Text nahegelegt wird: In vielen solcher Gedichte – auch aus dem Kontext des 19. Jahrhunderts – wird der Topos der Musik als bevorzugtes Medium der Totenklage verwendet, in der Tradition alter Klagegesänge werden bekannte Topoi wie Harfenklänge usw. aufgegriffen.1458 In der Vertonung verschränken sich literarische und kompositorische Ebene im Idealfall zu einem homogenen Werk.1459 Nicht selten ist die entstandene Vokalkomposition dem besungenen Verstorbenen auch offiziell gewidmet. Doch auch andere, oftmals religiöse Texte mit nicht personengebundener, allgemeingültiger Aussage scheinen in besonderer Weise für die Widmung an Verstorbene geeignet: Messen, Requiems oder Kantaten mit Trauerthematik sind in diesem Sinn einsetzbar. So komponierte Luigi Cherubini eine bereits angesprochene Kantate auf den Tod Joseph Haydns, während die Nänie Alois Anton Polzellis »den Manen des verewigten Joseph Haydn als Pfand heiliger und dankbarer Erinnerung geweiht von seinem Zöglinge« ist. Oftmals sind die Werke nicht nur Trauermusik für den Verstorbenen, sondern ebenso Trost für die Hinterbliebenen, so auch Ein Deutsches Requiem op. 45.1460 In dieser Sichtweise hatten die Komponisten es bereits kurz nach Erscheinen begriffen; das 1878 komponierte Deutsche Requiem Theodor Günzels1461, das den von Brahms zusammengestellten Text neu vertont, legt davon Zeugnis ab: »Ein Verehrer Ihrer Compositionen, habe ich mich auch in den Besitz Ihres Requiems gesetzt. Der Tod meiner Schwester stimmte mich so, daß ich meine schwachen Kräfte der Composition eines Trauertextes zu widmen gedachte. Der Text Ihres Requiems

1458 Vgl. z. B. die letzte Strophe von Wilhelm Zimmermanns Klagegedicht Den Manen Johann Gottfried Pahls (vgl. FN 1457), in der die Tradition des antiken Grabgesangs – symbolisiert durch den Sänger – und die Harfe als Instrument der Klage aufgegriffen werden. Auch Brahms’ An eine Äolsharfe op. 19/5 nach dem Gedicht von Eduard Mörike gehört eigentlich hin diese Kategorie. 1459 Ferdinand Baake (1800–1881) vertonte so Natalie von Herders Gedicht Den Manen Hummels, in dem es unter anderem heißt: »Verstummt ihr holden Klänge, zarten Lieder, Gebt Raum der bittren Klage, wie dem Schmerz. Der Töne Meister weckt euch nimmer wieder, Sein seelenvolles Spiel ergreift das Herz Nicht mehr durch seines Zaubers Allgewalt, Sein Schwanenlied ist leise nun verhallt.« 1460 Vgl. die von Brahms getroffene Auswahl des zu vertonenden Textes, die er z. B. gegenüber Carl Reinthaler brieflich [ca. 9. Oktober 1867] begründet hat (BW III, S. 12). 1461 Karl Theodor Günzel (1829–1893) wirkte als Kantor in Mühlhausen (vgl. Reinhard Jordan u. Harald Rockstuhl: Chronik der Stadt Mühlhausen in Thüringen, Bd. 7: 1976–2000, Bad Langensalza 2008, S. 243).

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umgab mich zu aller Zeit, so daß ich an die Bearbeitung desselben ging, und zwar für ein [?] seit Jahren unter meiner Leitung stehenden Verein für Kirchenmusik a. c.«1462

In diesem speziellen Fall sollte das Requiem dem Komponisten selber zur Verarbeitung des Verlustes dienen und erhielt keine Dedikation. ›Stellvertreterwidmungen‹ an Hinterbliebene, bei denen also der Trost des oder der Trauernden der Ehrung des Verstorbenen zumindest strukturell gleichgeordnet wurde, sind aber im 19. Jahrhundert immer wieder anzutreffen.1463 Unter den Widmungen an Brahms sind textlich konkret auf den Verstorbenen bezogene Vokalkompositionen nicht zu finden. Freilich ist die gesungene Totenklage nichtsdestotrotz vertreten. Es reihen sich auf den ersten Blick zwei Werke in die lange Tradition ein, nämlich Joseph Gabriel Rheinbergers Missa (sincere in memoriam) und Alexander Zemlinskys Kantate Frühlingsbegräbnis. In beiden Fällen weist die Entstehungsgeschichte allerdings Parallelen auf, die eine Komposition allein aus Trauer um den Verlust von Brahms heraus widerlegen. Denn beide Werke scheinen zwar thematisch wie gemacht als Zeichen öffentlicher Trauer, entstanden aber trotzdem zumindest in großen Teilen vor dem Tod des Widmungsträgers. Joseph Rheinberger hatte Brahms bereits 1871 Zwei Claviervorträge op. 45 gewidmet. Während der Komposition des Credos seiner neuen Messe erfuhr er vom Tod des Kollegen und trug das Datum in die Partitur ein.1464 Die auf Seite 173 des Manuskripts vermerkte Widmung »Fideliter in memoriam« wurde schließlich – in den Titel integriert – zu »Missa (sincere in memoriam)«, die in ein stilisiertes Kreuz integrierte Titelinitiale »M« stärkt den Bezug zusätzlich. Vielleicht eine ›späte Versöhnung‹1465, hatte es doch kurz nach der ersten Widmung ernste Zerwürfnisse zwischen ihm und Brahms gegeben.1466 Die durchaus seltene zweite Widmung eines Komponisten an einen Kollegen liegt demnach in dem zufälligen Zusammentreffen des Zeitpunkts des Todes mit der Komposition eines thematisch passenden Werks begründet. Die Textauswahl bestätigt den Eindruck eines eher spontanen Widmungsentschlusses: Sie ist keineswegs auf die liturgischen Bedürfnisse eines Requiems zugeschnitten1467, wie der Titel suggerieren könnte, sondern enthält allein die 1462 Günzel an Brahms, 18. Oktober 1878, A-Wgm, Sign.: Brahms-Nachlass, Briefe Th. Günzel an Johannes Brahms 135, 1. 1463 So widmete Jean Louis Nicod¦ der Witwe Clara Schumann ein Werk mit dem sprechenden Titel Andenken an Robert Schumann. Sechs Phantasiestücke op. 6, Leipzig 1876. 1464 Vgl. das Faksimile im Kritischen Bericht in Joseph Gabriel Rheinberger : Messen für gleiche Stimmen (= Rheinberger-Gesamtausgabe, Reihe IA, Bd. 1), hg. v. Wolfgang Hochstein, Stuttgart 1998, S. 285. 1465 Diese Formulierung entstand in Analogie zu Hinrichsen, Späte Versöhnung. 1466 Die Widmung der Zwei Claviervorträge op. 45 Rheinbergers datiert aus dem Jahr 1871. Es wird vermutet, dass das Zerwürfnis auch auf der kritischen Bewertung der Claviervorträge durch den Widmungsträger Brahms beruht. 1467 Im Rahmen einer Requiem-Vertonung wird üblicherweise das spezifisch für die Toten-

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Teile des normalen Messordinariums. Dass dementsprechend weniger die kompositorische Faktur entscheidend für die Wahl des Adressaten war, wird auch durch die Verschleierung des Widmungsträgers ausgedrückt: Der Name von Brahms wird im Erstdruck nicht benannt – die Messe wird so zum öffentlichen, aber gleichzeitig sehr privaten Ausdruck von Trauer. Auch Alexander Zemlinsky erfuhr erst während der Instrumentierungsarbeiten1468 an seiner Kantate Frühlingsbegräbnis von Brahms’ Tod. Und doch ist die Zueignung des Werks, das im Manuskript »dem Andenken Johannes Brahms’« gewidmet ist, grundsätzlich anders gelagert als im Fall der Messe Rheinbergers. Denn der Brahms’sche Einfluss spielte offenkundig schon während des Kompositionsprozesses eine Rolle – die Dedikation scheint nur noch logische Schlussfolgerung aus der vorhandenen Verbindung und der passenden Thematik1469 zu sein. So ist einerseits die Wahl der Textvorlage des auch von Brahms sehr geschätzten Paul Heyse und eine unverkennbare Ähnlichkeit des einleitenden Hauptmotivs mit dem Beginn des zweiten Satzes »Denn alles Fleisch, es ist wie Gras« aus Ein Deutsches Requiem des Widmungsträgers ein sicheres Indiz für den Bezugsrahmen.1470 Besonders die Übereinstimmung der Tempobezeichnung (»marschmäßig«), aber auch die oktavierten Quartsprünge im Bass, sowie die absteigende Linie der Violinen verweisen unzweifelhaft auf das originäre Material von Brahms.1471 Auch inhaltlich ist die Zueignung angemessen: Subtil stützt sich der Trauermarsch des Frühlingsbegräbnisses auf den Trauermarsch des Requiems – durch die spätere Widmung schreibt Brahms so gleichsam den Klagegesang auf seinen eigenen Tod. Sowohl Rheinberger als auch Zemlinsky erfuhren also während des Kompositionsprozesses, dass Brahms verstorben sei. Die passende Thematik ihres gerade in der Entstehung begriffenen Werks und ihre Trauer ließen sie sich dann für die Widmung entscheiden. Zweimal war demnach nicht in erster Linie eine explizit als Trauermusik für Brahms entstandene Komposition (die musikalische

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messe gedachte Messproprium mitvertont. Credo und Gloria, eigentlich Teile des Ordinariums, entfallen dafür. Oft wird als Jahr der Fertigstellung 1896 angegeben. Zwar sind große Teile der Partitur unzweifelhaft in diesem Jahr entstanden. Doch wie Antony Beaumont im Vorwort der von ihm herausgegebenen Erstausgabe nachgewiesen hat, nennt Zemlinsky selber im Programm der Uraufführung 1897 als Jahr der Fertigstellung. Auch der Eintrag der Widmung auf der Partitur weist darauf hin. Immerhin beginnt die Kantate mit einem Trauermarsch. Im Text Paul Heyses heißt es: »Elfenschaaren ziehn den Wald entlang, Die mit Klaggesang Ihren Freund, den todten Lenz, bestatten«. Diese Ähnlichkeit hat Antony Beaumont im Vorwort seiner bei Ricordi erschienenen Ausgabe des Werks bereits deutlich herausgestellt. Beide Notenbeispiele neu gesetzt nach dem Auszug von Beaumont, Einleitung, S. 3.

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Nähe und Distanz: Brahms im Spiegel der ihm gewidmeten Werke

Johannes Brahms, Ein deutsches Requiem, 2. Satz, T. 1–4

Alexander Zemlinsky, Frühlingsbegräbnis, 1. Satz, T. 1f.

Inspiration vermuten ließe) für die Widmung vorgesehen. Stattdessen überlagerte der allgemein formulierte Todes-Topos diese Spur. Instrumentale Totenklage Dass nun alle anderen an Brahms gerichteten Widmungskompositionen, die die Funktion eines Requiems erfüllen, allerdings keine Vokalwerke sind, spiegelt vor allem einen Aspekt des öffentlichen Bildes des Widmungsträgers: Trotz seiner wichtigen Beiträge auf dem Gebiet von Lied und oratorischer Musik wurde Brahms auch nach seinem Ableben von seinen komponierenden Zeitgenossen gerade in der Rolle des Instrumentalkomponisten geschätzt und rezipiert. Dies zeigt auch der Blick auf Würdigungen seiner Person durch Komponistenkollegen, beispielhaft sei an die bekannte Einschätzung Eusebius Mandyczewskis erinnert: »Mehr noch als auf jedem anderen Gebiete offenbart er hier seine eigenartige Begabung als absoluter Musiker. Dieses Gebiet kennt weder die Anlehnung an den Text, noch den Glanz der Virtuosität, noch die Farbenpracht des Orchesters; einzig der musikalische Gedanke, in dem sich die Empfindung des Komponisten ausdrückt, herrscht hier, und seine schöne Form. Für eine etwas in sich gekehrte Natur, für einen so aus dem tiefsten Innern schaffenden Komponisten wie Brahms, war es das nächstliegende Gebiet.«1472

1472 Vgl. Kalbeck I, S. 460.

Den Manen Brahms’: Widmungen in der Funktion eines Requiems

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Für diese Sichtweise sind die Gattungen der posthumen Widmungswerke ein weiteres Indiz. In Vokalkompositionen konnte durch die Textebene relativ unkompliziert die Verbindung zur Trauer oder zum Tod eines bestimmten Menschen – des Widmungsträgers – hergestellt werden. In Instrumentalkompositionen ist das Schaffen eines unmissverständlichen Bezugs dagegen etwas schwieriger. Um einen leicht zu dechiffrierenden Hinweis auf den Adressaten zu geben, wurde bei der Widmung an Komponisten häufig ein Zitat aus einer Komposition des Betrauerten aufgenommen. Dieses Verfahren wurde bei der Dedikation an noch lebende Komponisten wesentlich seltener verwendet und in der Hauptsache als thematische Grundlage eines Variationenwerks eingesetzt. Nach dem Tod aber diente das Zitat auch in anderen Kompositionen der hörbaren Identifizierung des Verstorbenen in der ihn betrauernden Partitur. Während zu Lebzeiten Brahms’ oftmals Zitate aus abgelegenen Kompositionen als Fremdmaterial in das betreffende Variationenwerk einbezogen wurden, um eine möglichst freie künstlerische Bearbeitung zu ermöglichen1473, ist nun eine deutliche Abkehr von dieser Angewohnheit zu beobachten: Im Mittelpunkt des Interesses stehen nun gerade die bekanntesten Werke von Brahms, die symbolisch für den kompositorischen Erfolg des Widmungsträgers stehen können. Ein Schwerpunkt liegt einerseits auf dem sinfonischen Werk, Max Reger lässt seine Resignation op. 24/6 so in einem wie aus der Ferne herüberklingenden Zitat der Sinfonie Nr. 4 e-Moll op. 98 kulminieren. Um die Originaltonart des zitierten Themas beibehalten zu können, beschließt er das Stück sogar in der Dominante der Ausgangstonart. Die ungedruckt gebliebene Elegy for Brahms des bereits erwähnten Parry zitiert unter anderem den berühmten C–Dur-Choral aus der Sinfonie Nr. 1 c–Moll op. 68 – allerdings in Moll, um die Traueratmosphäre zu unterstreichen. Andere Komponisten betonen den Trauertopos noch stärker, indem sie durch Zitation und thematische Allusion das Deutsche Requiem op. 45 zum Trauergesang für seinen eigenen Komponisten werden lassen. So z. B. Rudolf Bibl, der 1897 eine Trauerfuge (Cm.) f. Org., m. Benutzung zweier Motive aus dem Deutschen Requiem v. Brahms op. 83 veröffentlichte.1474 Zeitpunkt und Auswahl der Thematik würden den Adressaten und die Inspirationsquelle auch ohne direkte Widmung unmissverständlich deutlich machen. Doch zusätzlich trägt die Fuge den Widmungstext »Dem Andenken Johannes Brahms’ gewidmet«. 1473 Z. B. Heinrich v. Herzogenberg: Variationen über ein Thema von Johannes Brahms zu vier Händen op. 24, die Grundlage ist »Mei Mueter mag mi net« aus den Sechs Gesängen op. 7. 1474 Bibl hatte als Organist an der Wiener Aufführung von Ein Deutsches Requiem op. 45 unter der Leitung von Brahms mitgewirk. Er kannte also das Werk auch aus der Perspektive des Interpreten, der darüber hinaus auch mit dem Komponisten in Kontakt stand, sehr gut. Er hatte kurz vor der Komposition der Trauerfuge ein Requiem (Missa pro defunctis) op. 79 (1897) komponiert, das wie die Trauerfuge in c–Moll steht.

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Und auch, wenn die Kantate Frühlingsbegräbnis von Alexander Zemlinsky in großen Teilen vor dem eigentlichen Ableben von Brahms entstanden ist, wird der bereits erwähnte Anklang des Themas an den zweiten Satz von Ein Deutsches Requiem im Nachhinein zum idealen Ausdruck des Schmerzes. Beide Komponisten wählten als Bezugspunkt dasselbe Thema aus dem Deutschen Requiem: Es ist der Trauermarsch »Denn alles Fleisch, es ist wie Gras«, der offenbar besonderen Eindruck auf die zeitgenössischen Komponisten gemacht hatte und somit bevorzugt als Grundlage der eigenen Trauer gewählt wurde. Die vermehrte Verwendung von Zitaten entspricht dem Funktionswandel der Widmung nach dem Tod des Adressaten: Zu Lebzeiten stand trotz einer angestrebten gewissen kompositorischen Passgenauigkeit der Nachweis der musikalischen Eigenständigkeit im Fokus, da Brahms das zugeeignete Werk immerhin nach künstlerischen Maßstäben bewerten und annehmen musste.1475 Nach seinem Tod rückte jedoch die kompositorische Anerkennung seiner Leistung in den Vordergrund. Und dies konnte am besten durch die Anspielung auf seine erfolgreichsten und ambitioniertesten Werke erreicht werden. Gleichzeitig konnte der widmende Komponist – wie bereits mehrfach angesprochen – gegenüber seinen Zeitgenossen die Komposition in einen bestimmten Kontext rücken und so die eigene Person in die kompositorische Nachfolge des Verstorbenen rücken. Grundsätzlich führt die Annäherung an das Werk des Adressaten deshalb weiter als bei Widmungswerken, die vor seinem Tod komponiert wurden. Es steht deswegen zu vermuten, dass bei posthumen Dedikationen tatsächlich der Widmungsträger im Normalfall schon vor der Komposition des betreffenden Werks feststand, dass das Werk also ursächlich als Gedenk- oder Hommage-Komposition entstand. Die starke kompositorische Bezugnahme korrespondiert auf anderer Ebene auch mit dem bereits diskutierten veränderten Wortlaut des Widmungstextes, der die direkte Motivation der Widmung spiegelt. Vor dem Tod von Brahms waren Zueignungstexte dagegen stets so allgemein gehalten, dass der eigentliche Anstoß der Dedikation im Normalfall nicht ersichtlich war. Es gilt also in der Zusammenschau aller paratextuellen Elemente mit dem Werktext: Da die posthume Widmung eine eindeutige Funktion als Klage um den Verstorbenen erfüllte, die bereits im Widmungstext anklang, war das Rekurrieren auf das Œuvre des Adressaten als Ehrerbietung angemessen und sinnvoll. Doch auch wenn kein direktes Zitat auf den Widmungsträger verweist, wird zumindest durch andere Methoden eine Traueratmosphäre evoziert. Beliebt war u. a. die Integration eines Trauermarsches in den Werkkontext. Während Bibl und Zemlinsky zu diesem Zweck Brahms’ eigene Vorlage aus dem Deutschen Requiem verwendeten, schrieben Baußnern (im dritten Satz seiner Sinfonie), 1475 Vgl. die Ausführungen zum Kommunikationsmodell in Kap. II. 2.

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Koeßler (im Beginn der ersten Variation mit ihren langsam dahinschreitenden Kontrabasspizzicati) und auch Reinecke (im Beginn des zweiten Satzes seiner Sonate mit seinen schreitenden Viertelbewegungen) ihren eigenen musikalischen Trauermarsch. In der Rezeption wurde dies als intertextueller Hinweis auf den Widmungsträger gelesen. So schreibt ein Rezensent zur Cellosonate op. 238 von Carl Reinecke, die »den Manen Brahms« gewidmet ist: »Reinecke’s neue Clavier-Violoncellosonate (Gdur) trägt die Widmung ›den Manen Johannes Brahms’‹, und demgemäß kennzeichnet sich auch ihr Inhalt als ein durchweg ernster. […] Trauermarschähnlich zieht der zweite Satz, ein Andante mesto, vorüber, in welchem der ausdrucksvolle elegische Gesang fast ohne Ausnahme dem Violoncello zuertheilt ist.«1476

Der Topos des Trauermarschs ist freilich nur ein möglicher Weg zur Darstellung der Verbindung zwischen Widmung und Werk, auch darüber hinaus wurde die Sonate Reineckes als ideales Abbild der Trauer empfunden. Sie sei »vor allem in den beiden ersten Sätzen erfüllt von trauernder Wehmuth; getreu den Schmerz abspiegelnd, den der um zehn Jahre ältere Tondichter empfunden hat bei dem Scheiden seines Landsmannes, der, gleich ihm, zu Robert Schumann in den innigsten freundschaftlichen Beziehungen gestanden […].«1477

Nichts klingt in diesen Worten an von dem schwierigen Verhältnis, das Widmenden und Adressaten verband – der Tod und die darauffolgende Dedikation riefen das Bild des trauernden Freundes hervor: Die Widmung wird zum Mittel der Eigendarstellung und Rezeptionslenkung. Besonders eindrucksvoll ist die kompositorische Vermittlung von Trauer indes in den Sinfonischen Variationen Hans Koeßlers zu erkennen. Er plante mit der Widmungskomposition eine »Art Brahmsbiographie, eine Menschenschilderung in Tönen«1478 zu erstellen – die den Variationen ursprünglich vorangestellten, aber zurückgezogenen Titel stellten einen Bezug zu verschiedenen Aspekten der Persönlichkeit und des Lebens von Brahms her. Diese wurden dann in den Variationen als Facetten seines Charakters und seines Lebens musikalisch chiffriert dargestellt. Als ›per aspera ad astra‹-Komposition1479 entspricht das Werk bereits grundsätzlich einer für Klagegesänge charakteristischen Anlage, die am Ende der Trauer Hoffnung vermitteln möchte. Hier verbinden sich die Variationen mit dem Praeludium et Fuga von Clarence Lucas, der den Spruch »ad astra per aspera« gar auf dem Titelblatt seiner Komposition als Motto voranstellt. Besonders die Einleitung 1476 SmW 56 (15. März 1898), S. 321. Der Charakter des Trauermarschs wird vor allem durch die zu Beginn ruhig dahinschreitenden Viertelbewegungen des Klavierparts evoziert. 1477 NZfM 93/2 (3. November 1897), S. 479. Eine ausführliche Analyse dieser Sonate findet sich bei Wiesenfeldt, Violoncello-Sonate, S. 386–389. 1478 Pfohl, Koessler, Sinfonische Variationen S. 5. 1479 Entgegen der Grundtonart cis–Moll enden die Variationen in Des-Dur.

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und die ersten beiden Variationen Koeßlers – ursprünglich überschrieben mit »Klage um den Todgeweihten« und »Tod und Begräbnis« – sind nun dem Ausdruck von Trauer gewidmet. Hans Pfohl beschrieb einst die Stimmung der Einleitung als »breites Cismoll von der feierlichen Haltung eines alten Klageliedes«1480, eine Stimmung, die sich in der ersten Variation bruchlos fortsetzt. Aus leisem Geflüster im pianissimo, mit zerrissenen, tastenden Phrasen der con sordino spielenden Streicher und den Seufzern der Holzbläser entwickelt sich peu — peu eine emotionale Klage: Durch die zunehmende Verkürzung der Notenwerte (Achtel werden zu Triolen), chromatische Wendungen und eine sich in mehreren Anläufen zum fortissimo steigernde Dynamik wird kurz vor Beginn der zweiten Variation (T. 83) ein emotionaler Höhepunkt der Trauer erreicht. Ein kurzes Aufbäumen im Zusammenklang des gesamten Orchesters erreicht den Spitzenton a3 – dann fällt die dramatische Entwicklung im abrupten Piano wieder in sich zusammen. Die zweite Variation ist zweigeteilt, was inhaltlich in Verbindung zu bringen ist mit dem ursprünglichen Thema von Tod und Begräbnis. Pfohl liest die Variation als »feierliche Ceremonie der Trauer«, bei der durch den anfänglichen düsteren Posaunenton »Requiemklänge«1481 hervorgerufen würden. Wieder ist die bereits in der ersten Variation so typische Steigerung vom pp zum ff (hier aber in mehreren Wellen) und die Verkürzung der Notenwerte (Triolen werden zu 32tel-Sextolen) zu beobachten. Ein erster Höhepunkt (der den Tod kennzeichnen könnte) wird durch einen Beckenschlag (T. 110) angezeigt, dann beginnt ein neuer Aufbau (die Beerdigung symbolisierend), bis nach einem erneuten ff und einem Beckenschlag die Variation im Piano verklingt. Die folgenden Variationen wenden sich dann in den ursprünglichen Überschriften einzelnen Aspekten des Lebens des Verstorbenen zu. Um ausgehend von der Atmosphäre der Trauer den Bezug zum Adressaten auch ohne direkte Zitate stärken zu können, wurde zusätzlich auf typische Topoi aus dessen Werk rekurriert. Die Annäherung kann hier auf unterschiedlichsten Wegen erfolgen. Sie beginnt bei Reinecke bereits in der anspielungsreichen Wahl der Besetzung. Das Cello hatte Brahms einmal als »mein Instrument«1482 bezeichnet, es kann deswegen besonders gut als Verbindungsglied zwischen Brahms und dem Trauertopos vermitteln. Dies auch, da es mit seinem warmen, dunklen Ton als optimale Besetzung des Ausdrucks von Trauer und Klage wirkt. Tatsächlich erscheinen darüber hinaus aber gerade die ersten beiden Sätze auch stilistisch als Referenz an den Widmungsträger, sie wurden dementsprechend 1480 Pfohl, Koessler, Sinfonische Variationen, S. 6. 1481 Pfohl, Koessler, Sinfonische Variationen, S. 8. 1482 »Ich habe zwar selbst einmal gegeigt, aber mein Instrument war das Cello«, so Brahms im Dezember 1894 im Gespräch gegenüber Richard Heuberger (Heuberger, Brahms, S. 73).

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als »pietätvollem [sic] Denkmälern dauernder Freundschaft«1483 gelesen. Als besonders charakteristisch für die Brahms’sche Tonsprache wurde eine gewisse Tendenz zur gehäuften Verwendung von Terzen und Sexten gesehen – ein Phänomen, auf das an anderer Stelle bereits eingegangen wurde1484 und das nun auch wieder in der Bewertung der Sonate Reineckes auftaucht: »In straffen, energischen Rhythmen vollzieht sich der Übergang zum zweiten Thema, dessen weiche Linien (Terzen und Sexten auf doppeltem Orgelpunkt im Baß) mit entschiedenster Absichtlichkeit auf bei Brahms oft vorkommende ähnliche und für ihn typisch gewordene Stellen hinweisen. Auch die Figuration der Melodie möchte man als Brahms durchaus nachempfunden bezeichnen.«1485

Das hier angesprochene Seitenthema des ersten Satzes (T. 89–97) ist in der Melodielinie dem Klavier anvertraut, der Orgelpunkt in der Cellostimme angesiedelt.

Carl Reinecke, Sonate für Violoncello und Klavier op. 268, 1. Satz, T. 89–97

Es ist ebenfalls ein – anders getönter – Ausdruck dieser für Brahms als typisch erkannten Ausharmonisierung der Melodie in Terzen und Sexten, wenn Reger, der »die Verdoppelung der Terze c e durch unteres c [zu lesen als e]«1486 als besonders auffällig für Brahms bezeichnet hatte, dies in der Brahms gewidmeten Rhapsodie in auffälligem Maß einsetzt: Der Dreiklang aus Terz mit verdoppelter Oktave und Unterterz der oberen Oktave (bzw. Sexte der unteren) wird im Andante (Formteil C) immer wieder zur Ausharmonisierung der Oberstimme genutzt (vgl. z. B. T. 63/64). Auch auf die »die Gleichzeitigkeit verschiedenartiger 1483 1484 1485 1486

Alle Zitate: NZfM 93/2 (3. November 1897), S. 479. Vgl. Kap. VI. 1. 2. SmW 56 (15. März 1898), S. 321. Max Reger an Adalbert Lindner, 15. Februar 1893, vgl. Popp, Der junge Reger, S. 135. Das »untere c« muss als »unteres e« gelesen werden, es beruht entweder auf einem Versehen Regers oder auf einem Lesefehler des Editors. Dies zeigt sich am direkten Vergleich mit den Vergleichswerken von Brahms: Reger hatte seine Aussage konkret auf die Klaviersonaten opp. 1 und 2 bezogen – man beachte dementsprechend bereits den direkten Beginn der Sonate op. 1.

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Rhythmen und Tactarten« als »auffallende Vorliebe«1487 Brahms’ wurde bereits eingegangen. Was Reger als »die Figuration die ich so liebe 2 zu 3«1488 bezeichnete und direkt mit der Tonsprache von Brahms verband, musste in Resignation eine Rolle spielen: Teile der Durchführung (ab T. 36) und vor allem die Reprise (ab T. 42) legen Zeugnis von einer Vorliebe für das gleichzeitige Gegeneinanderstellen von Achtelbewegungen und Triolen ab, die für Brahms besonders in den Kammermusikwerken der mittleren Opuszahlen charakteristisch ist.1489 Auch Carl Reinecke verwendet das Mittel der Konfliktrhythmik – wenngleich in weniger ausgeprägtem Maß.1490 Doch es wird deutlich, dass die Wege der Annäherung innerhalb der posthum gewidmeten Klaviermusik und kammermusikalischen Werke insgesamt im Rahmen dessen verbleiben, was schon zu Lebzeiten des Widmungsträgers als tonsprachenkonstituierend angesehen wurde: Elemente wie Konfliktrhythmik oder ein Hang zu »Terzen- und Sextenseligkeit«1491 gelten dementsprechend auch im Rückblick für den spezifischen Kompositionsstil von Brahms als typisch.

Ein Deutsches Requiem op. 45 als Klagegesang für seinen Komponisten Einen besonderen Weg der Annäherung an Brahms wählte Rudolph Bibl. Dieser ergibt sich aus dem direkten Kontakt zum Widmungsadressaten: Als Organist der Wiener Erstaufführung unter der Leitung des Komponisten war Bibl mit dem Deutschen Requiem besonders vertraut. Seine Trauerfuge unter Benützung zweier Motive aus dem Deutschen Requiem op. 83, »Dem Andenken Johannes Brahms gewidmet«, ist Abbild dieses besonderen Zugangs. Tatsächlich ist die Beschreibung »unter Benützung zweier Motive aus dem Deutschen Requiem« nicht ganz korrekt, da sich die Komposition in weiten Teilen als Orgeltranskription des Bezugswerks herausstellt: Nur der als Eingangs- und Verbindungsglied fungierende A-Teil1492 ist im eigentlichen Sinn eine kompositorische Eigenleistung Bibls. Der in strenger Fugenform gehaltene, auf einem chromatischen Aufgang mit gegengestellten Synkopen basierende Abschnitt wirkt allerdings gerade in der Form des Themas ebenfalls als Annäherung an einen 1487 Hanslick, Concerte, S. 169. 1488 Max Reger an Adalbert Lindner, 15. Februar 1893, vgl. Popp, Der junge Reger, S. 135. 1489 Vgl. z. B. das Klavierquartett op. 25 (S. 24, 31 oder 33 des Erstdrucks) oder das Finale der Cellosonate op. 38 (z. B. S. 19 der Klavierpartitur). 1490 Vgl. z. B. T. 32ff. des Andante mesto. 1491 In der Rezeption von Hans Hubers Brahms gewidmeten Walzern op. 27 spielte bis weit ins 20. Jahrhundert dementsprechend eine gewisse auf Brahms zurückgeführte »Sextenseligkeit« eine Rolle. Vgl. z. B. die Einschätzung in der Revue musicale suisse/Schweizerische Musikzeitung (1973), S. 274. 1492 T. 1–81 und T. 103–148, die Fuge folgt dem grundsätzlichen Aufbau ABA’C.

Den Manen Brahms’: Widmungen in der Funktion eines Requiems

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spezifischen Brahms-Ton und kann so in modulierender Funktion1493 als Mittler zwischen zwei originalen Requiem-Abschnitten wirken. Denn Formteil B, T. 82–102, folgt von Tempobezeichnung (»Langsam, marschmäßig«) über Tonart, Lage und Notentext nahezu komplett detailgetreu dem Beginn des Trauermarsches »Denn alles Fleisch, es ist wie Gras«, T. 22–42 des zweiten Satzes der Brahms’schen Partitur. Allein im ausgedünnten Satz sind Abweichungen ersichtlich. So werden in Oktaven geführte Gesangsstellen als Einzelstimme dargestellt, auf einige Nebenstimmen wird verzichtet. Formteil C beruht dagegen auf einem – wiederum notengetreuen – Zusammenschnitt des triumphalen »Herr, du bist würdig«-Allegros des sechsten Satzes (beginnend ab T. 208). Von T. 223 (Buchstabe G1494) der Vorlage springt die Trauerfuge zu T. 330 (Buchstabe N) und schließt somit den Schluss der Fuge direkt an den Eingang an.1495 Die Wahl dieses zweiten verwendeten Motivs ist bedeutsam und aufschlussreich für Bibls Verständnis und Interpretation der Brahms’schen Requiem-Konzeption. Zum einen eignet es sich in seiner Eigenschaft als Fuge besonders gut als Teil einer Trauerfuge, zum anderen kann Bibl so der grundlegenden ›per aspera ad astra‹-Konstruktion des Deutschen Requiems Rechnung tragen: Auch seine Trauerfuge endet trotz der dem Trauertopos angemessenen Grundtonart c–Moll in triumphalem C–Dur, Bibl schließt sich inhaltlich der Trost spendenden Gesamtsicht des verstorbenen Brahms an. In diesem Punkt trifft er sich wiederum mit einem anderen Widmenden – obwohl dieser ein reines Instrumentalwerk verfasst hat: Auch Carl Reinecke setzt seiner Brahms gewidmeten Sonate op. 238 in G-Dur eine langsame Einleitung in g-Moll voran, beschließt das Werk aber mit einem energischen Finale, das die Traueratmosphäre der beiden ersten Sätze in ein hoffnungsfrohes Gesamtbild fasst. Das erste, kraftvoll-rhythmische Thema des Satzes schwankt noch zwischen G-Dur und e-Moll (Halbschluss in T. 5), doch beendet wird die Sonate durch einen »hymnenartigen Gesang«1496 des Violoncellos. Aber Bibl ist auch in seinem metatextuellen Verständnis auf das Engste mit Brahms verbunden. In der Konzeption der Anzeige der verwendeten Vorlagen seines thematischen Materials folgt er auffallend dem Vorgehen des jungen 1493 Der Übergang vom Eingangsteil in c–Moll zum b-Moll-Teil »Denn alles Fleisch« wird über eine Kadenz in F-Dur (SD/D von c bzw. b) mit Orgelpunkt F erreicht. Im vermittelnden Mittelteil erklingt die Eingangsfuge erst in b-Moll, dann (wiederum vermittelt durch f) in der Eingangstonart c–Moll, allerdings mit starker Betonung der Dominante G (Themeneinsätze und Orgelpunkt), die wiederum überleitet zum energisch-hoffnungsvollen C–Dur-Teil (»Herr du bist würdig«). 1494 Die Angaben gehen vom Erstdruck der Partitur aus, die wohl auch Bibl zur Verfügung stand. 1495 Dies kann funktionieren, da die betreffenden Anschlussstellen sowohl in Tonart (C) als auch vertonter Textstelle (»Herr du bist würdig«) korrespondieren. 1496 SmW 56 (15. März 1898), S. 321.

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Nähe und Distanz: Brahms im Spiegel der ihm gewidmeten Werke

Brahms: Genauso, wie dieser dem Erstdruck seiner Klaviersonate op. 1 den Text des verwendeten Liedes »Verstohlen geht der Mond auf« unterlegte, ist auch im Erstdruck der Trauerfuge der Text aus Ein Deutsches Requiem den Noten beigefügt. Da sich die Motivübernahmen als Transkription des originalen Notentexts erweisen, ist der Wechsel zwischen dem Unisono aller vier Chorstimmen und paariger Zweistimmigkeit, wie in der Sonate, in der musikalischen Faktur nachvollziehbar. Sowohl bei Brahms als auch bei Bibl kann dies als Hinweis darauf gelesen werden, dass die textuelle Ebene eine Rolle für das umfassende Verständnis der Komposition spielen sollte – auch, wenn sie in der Aufführung nicht erklingt. ***

Tendenziell ist in den posthumen Widmungen an Brahms eine noch stärkere kompositorisch vermittelte Reflexion von Werk und Person des Widmungsträgers zu erkennen, als dies vor 1897 der Fall ist. Die Gründe dafür sind aus der Psychologie des Widmungsakts leicht nachzuvollziehen. Galt es vor dem Tod von Brahms den zukünftigen Widmungsträger von der eigenständigen Qualität des eigenen Schaffens zu überzeugen, sollte nun vor allem den Zeitgenossen die Trauer vermittelt werden, vor allem aber auch das eigene Schaffen in einen ganz bestimmten Kontext gerückt werden. Hier war es hilfreich, möglichst deutliche musikalische Zeichen zu setzen. Während aber beispielsweise in der Auswahl zu verwendender Zitate eine deutliche Änderung der Herangehensweise zu erkennen ist, die im Einklang mit dem Ziel steht, einen möglichst deutlichen Verweis auf das Œuvre des Widmungsadressaten zu integrieren, hat sich das Bild des Kompositionsstils nicht wesentlich verändert: In den Kompositionen, die nachdrücklich auf Brahms als kompositorisches Vorbild bezogen sind, herrschen Strategien wie der ausgeprägte Einsatz von Konfliktrhythmik, bestimmte Melodiebildungen und ein von Brahms inspirierter Umgang mit der Form vor.

4.3

Ausblick: Widmungen von Komponisten des 20. Jahrhunderts

Die im Druck mitgeteilte Widmung in ihrer Eigenschaft als öffentlicher Akt und der Rezipient als feste Größe des Vorgangs – eine bestimmte Form der Dedikation stellt diese Aspekte, die bereits als besondere Merkmale der Widmung an Verstorbene genannt wurden, besonders in den Fokus. Es ist die posthume Widmung, deren Hauptfunktion darin besteht, zwischen Widmendem und Adressaten »eine intellektuelle Abstammung zur Schau stellen, ohne den sol-

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cherart zum Schirmherrn bestellten Vorgänger zu konsultieren«.1497 Anders als die Widmung, die in der Hauptsache als Ausdruck unmittelbarer Trauer entstanden und damit zumindest Resultat einer persönlichen Auseinandersetzung mit Person und Werk des Verstorbenen ist, wird hier der gesamte Vorgang noch ein Stück mehr als üblich in die Öffentlichkeit gerückt. Denn nun ist der Adressat gar nicht mehr als Teilhaber in den Prozess integriert – weder kann er in den formalen Vorgang eingreifen (etwa durch Ablehnung der Widmung), noch ist der Widmungstext überhaupt als Ausdruck einer unmittelbaren Betroffenheit an seine Person gerichtet (wie es bei Trauerwidmungen zumindest noch ideell der Fall ist). Der letzte Aspekt einer direkten und wenigstens teilweise privaten Kommunikation zwischen Widmendem und Adressaten geht verloren, übrig bleibt ein öffentlicher Akt, dessen Ergebnis in erster Linie als Information für den Rezipienten konzipiert ist. Es ist allerdings davon auszugehen, dass die meisten posthumen Widmungen sowohl den Aspekt des Gedenkens und der Trauer, als auch das Darstellen einer »intellektuelle[n] Abstammung« in sich tragen. Das wichtige Kriterium der relativen zeitlichen Nähe zum Todesdatum von Brahms lässt die meisten der hier betrachteten posthumen Widmungen tatsächlich als besondere Form des Requiems erscheinen: Der Aspekt des Trauerns wird klar in den Vordergrund gerückt. Immerhin zwei Dedikationen sind aber aus unterschiedlichen Gründen trotz des Rekurrierens auf den Trauertopos tatsächlich vorrangig jener von Genette beschriebenen Form einer Zurschaustellung einer »intellektuelle[n] Abstammung« ohne notwendige vorherige Konsultation von Brahms zuzuordnen. Beide, nämlich die 3. Sonate für Klavier und Violoncello op. 238 von Carl Reinecke und die Neuen Ungarischen Tänze von J. H. Wallfisch sind auch die einzigen posthum dedizierten Werke, die nicht bereits im Titel oder in der Wahl der Gattung Zugeständnisse ihrer Komponisten an den Tod des Widmungsträgers kenntlich machen. Während bei Wallfisch die werbewirksame Inszenierung der Widmung1498 den Aspekt der Trauer überwiegt, ist es in der Sonate von Carl Reinecke vor allem das Eingeständnis, er habe durch die Dedikation auch eine eigene Positionierung angestrebt, die das Werk aus der primären Form des Requiems herauslöst und das Eigeninteresse des Widmenden klar in den Vordergrund stellt. Es ist eine logische Konsequenz, dass die Form der Widmung als Zeichen der künstlerischen Nachfolge mit Zunahme des zeitlichen Abstands zum Tod des Adressaten erst zunimmt. Dann verringert sich ihre Zahl aber wieder. Denn 1497 Genette, Paratexte, S. 129. 1498 So ist das Titelblatt offenbar vor allem aus merkantil motivierten Gründen mit einem Altersportrait von Brahms geschmückt, um bereits auf den ersten Blick die eigene Positionierung zu betonen.

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sobald die Generation der Zeitgenossen verstorben ist, sind auch jene Komponisten verschwunden, die Brahms als Freund, Bekannter oder Kollege menschlich nahe standen und daraus die Legitimation der Widmung zogen. Alle nachfolgenden Komponistengenerationen müssen dagegen einen Bezug konstruieren – der sich anfangs meist aus einer vermeintlichen künstlerischen Nachfolge speist, die sich im Widmungswerk spiegelt. Gemeint ist hier der Zeitraum, in dem die Stilistik des Bewidmeten noch als kompositorisches Modell dienen konnte. Entfernt sich die kompositorische Realität aber immer weiter von dem Ideal des Verstorbenen, tritt die Beschäftigung mit seinem Œuvre in eine neue Phase ein: Nun gilt es, sich die kompositorischen Essenzen des Werks des Widmungsträgers kreativ anzuverwandeln und sie für die eigene Tonsprache fruchtbar zu machen.1499 Daneben werden einzelne Kompositionen als Inspirationsquelle für individuelle kompositorische Reflexionen genutzt. Werke wie Wolfgang Rihms Nähe fern, das eine Betrachtung über die vier Sinfonien von Brahms darstellt, oder die Brahms-Reflexionen (Vier Kommentare und ein Zwischenspiel) von Horst Lohse legen Zeugnis von dieser Art der Beschäftigung ab, ohne dass sie eine offizielle Widmung an Brahms aufweisen.1500 Es muss dabei nicht zwingend ein kompositorischer Bezug hergestellt werden. György Ligetis Horntrio stellt sich so über den Titel »Hommage — Brahms« ganz in die Tradition des Widmungsträgers. Dies ist allerdings nur als Hinweis auf seine grundlegende Wichtigkeit im Gattungsdiskurs zu verstehen: Direkte kompositorische Bezüge sind nicht intendiert gewesen.1501 In besonderer Weise werden die Variationen ohne Fuge für großes Orchester über »Variationen und Fuge« 1499 Die hier nur kurz in den Fokus gerückte Widmungsform ist freilich im Rahmen des in dieser Arbeit relevanten Werkbestandes nicht zu finden. Die Beschränkung des Untersuchungszeitraums lässt sich mehrfach begründen: Vor allem würde durch das sonst unkontrollierte Anwachsen des zu untersuchenden Materials, aber auch durch sich fundamental ändernde Widmungsbräuche eine Bewertung der dann sehr heterogenen Werke und Vorgehensweisen ungemein erschwert werden. Vorerst muss die Beschäftigung mit dem geschilderten Werkbestand mit Ausnahme eines Aufsatzes von Hans-Ulrich Fuß (»Brahms the Progressive«? Aspekte des Brahms-Bildes in Hommage-Kompositionen seit 1970, in: Johannes Brahms Quellen – Text – Rezeption – Interpretation. Internationaler Brahms-Kongreß Hamburg 1997, hg. v. Friedhelm Krummacher und Michael Struck i. Verb. m. Constantin Floros und Peter Petersen, München 1999, S. 553–577) als Forschungsdesiderat gelten; eine Untersuchung wäre allerdings eine wichtige Bereicherung des Brahms-Bildes des 20. Jahrhunderts. 1500 Vgl. zu Hommage-Kompositionen an Brahms von Komponisten des 20. Jahrhunderts Fuß, Hommage-Kompositionen. Zu Lohse ebd., S. 562f. Auf S. 575–577 ist eine Auswahl der auf Brahms bezogenen Werke nach 1970 zusammengestellt. 1501 Ligeti begründet die Widmung so mit der Bedeutung des Horntrios op. 40: Bei der Komposition eines Trios dieser Besetzung sei es immer Brahms, »dessen Horntrio als unvergleichliches Beispiel dieser Kammermusik-Gattung am musikalischen Himmel schwebt« (zit. n. Constantin Floros: György Ligeti. Zwischen Avantgarde und Postmoderne, Wien 1996, S. 167).

Den Manen Brahms’: Widmungen in der Funktion eines Requiems

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über ein Thema von Händel für Klavier op. 24 von Johannes Brahms 1861/62 (1973) von Mauricio Kagel zur metatextuellen Beschäftigung Kagels mit der Person von Brahms, indem nach der dreizehnten Variation ein maskierter Brahms eine an die Bewohner seiner Vaterstadt Hamburg gerichtete Rede hält. Diese in die Partitur integrierte Ansprache wird in einem fiktiven Briefwechsel zwischen Brahms und Kagel im Programmheft der Uraufführung paratextuell weitergeführt.1502

1502 Vgl. zur Anlage der Komposition Kagels Jürgen Maehder : Funktionen der Sprechstimme im experimentellen Musiktheater Mauricio Kagels, in: Stimmen, Klänge, Töne. Synergien im szenischen Spiel, hg. v. Hans-Peter Bayerdörfer, Tübingen 2002, S. 217.

V.

Anhänge

1.

Liste der Widmungswerke

Die Widmungswerke werden nach Genres geordnet aufgeführt, innerhalb dieser Kategorie nach alphabetischer Reihenfolge der Komponistennamen. Diese sind – soweit möglich – nach der Ansetzungsform der GND gelistet. In der Kategorie »Rezensionen« werden sowohl reine Werkrezensionen als (auch nur kurze) Konzertbesprechungen bis zum Jahr 1902 angegeben.

Verwendete Zeitschriftensigel Allgemeine musikalische Zeitung

AmZ

Leipziger Allgemeine musikalische Zeitung

LAmZ

Deutsche Musik-Zeitung

DMZ

Musikalisches Wochenblatt

MWb

Neue Zeitschrift für Musik

NZfM

Signale für die musikalische Welt

SmW

The Musical Times

MT

Bruch, Max

Delaborde, Elie M.

Dietrich, Albert Hermann

Grimm, Julius Otto

Hofmann, Heinrich

1

2

3

4

5

Komponist

JOHANNES BRAHMS j gewidmet.

Zweite Suite in Canonform für Orchester op. 16, Leipzig (Rieter-Biedermann)

Ungarische Suite. Mit Benutzung ungarischer National- JOHANNES BRAHMS j melodien für grosses Orchester op. 16, Berlin (Erler) verehrungsvoll zugeeignet.

Seinem Freunde Johannes Brahms j gewidmet.

JOHANNES BRAHMS j in Freundschaft zugeeignet. — j J. Brahms

Widmungstext

Orchesterwerke Sinfonie (Es-Dur) (I.Allegro maestoso. II.Scherzo. III.Grave und Finale) für Grosses Orchester op. 28, Bremen (Cranz) Morceau Romantique pour Piano et Orchestre d’instruments — cordes (Double Quatuor au minimum) op. 3, Paris (Duroilly) Sinfonie (in D-moll) für grosses Orchester op. 20, Leipzig (Rieter-Biedermann)

Werk

Rezensionen/ Konzertbesprechungen

[1873]

[1871]

[1870]

AmZ 3/ 13 (1869), S. 103; AmZ 4/45 (1869), S. 358; AmZ 6/ 17, Sp. 257–262 Leipziger Tonhalle (zum Konzert am 3. 3. 1870); AmZ 5/21 (1870), S. 165; SmW 28/ 15 (1870), S. 231 SmW 31/57 (1873), S. 908

AmZ 3/52 (1868), S. 415; AmZ 4/9 (1869), S. 67–69 (Chrysander) [ca. 1875] MWb 14/26 (1883), S. 333

[1868]

Jahr

400 Anhänge

Ballade über eine Norwegische Volksmelodie für Orchester op. 36, Berlin u. a. (Simrock) Concert-Allegro mit Introduction für das Pianoforte mit Begleitung des Orchesters op. 134, Leipzig (Senff)

Nicod¦, Jean Louis

Röntgen, Julius

Schumann, Robert

8

9

10

JOHANNES BRAHMS j gewidmet. JOHANNES BRAHMS j zugeeignet

Symphonische Variationen für grosses Orchester, Leip- Den Manen j Joh. zig (Seemann) Brahms’. Symphonische Variationen (Cmoll) für grosses Orches- An Johannes Brahms. ter op. 27, Leipzig (Breitkopf & Härtel)

Koeßler, Hans

7

Johannes Brahms j gewidmet.

Widmungstext

Joachim, Joseph Concert (in ungarischer Weise) für die Violine mit Orchesterbegleitung op. 11, Leipzig (Breitkopf & Härtel)

Werk

6

Komponist

(Fortsetzung)

1855

1892

[1884]

[1901]

[1861]

Jahr

Rezensionen/ Konzertbesprechungen DMZ 2/8 (1861), S. 61f.; Presse (Wien, 23. Februar 1861, zit. in: Hanslick, Sämtliche Schriften I/5, S. 320–324); DMZ 2/32 (1861) , S. 254f. ; Niederrhein. Musik-Zeitung 10/20 (1862), S. 156 Die Zukunft 35 (1902), S. 426 Hanslick, Aus dem Tagebuche eines Musikers. Die moderne Oper 6. 1892; MWb 1886 (Nr. 24/25); Sonntagsblatt d. New-Yorker Staatszeitung (6. März 1892) MWb 25/16 (1894), S. 190

Liste der Widmungswerke

401

Widmungstext

Schumann, Robert

Seyffardt, Ernst Hermann

Urspruch, Anton

Wallnöfer, Adolf Die Grenzen der Menschheit. Gedicht von Goethe für HERRN JOHANNES Alt,– oder Baryton Solo, gemischten Chor und Orchester BRAHMS j verehrungsop. 10, Leipzig (Breitkopf & Härtel) vollst zugeeignet

14

15

16

17

Herrn Doctor Johannes Brahms j in Verehrung gewidmet

1879

[1889]

HERRN DR. JOHANNES [1884] BRAHMS j in Verehrung zugeeignet.

JOHANNES BRAHMS j zugeeignet

1858

1897

Sincere in memoriam

Missa (sincere in memoriam) für dreistimmigen Frauenchor mit Orgelbegleitung [g-Moll] op. 187 für Frauenstimmen und Orgel, Leipzig (Forberg) Des Sängers Fluch Ballade nach Ludwig Uhland bearbeitet von Richard Pohl für Solostimmen, Chor u. Orchester op. 139, Elberfeld (Arnold) Schicksalsgesang. [»]Starr und unwandelbar mit ehernen Füssen Durch Zeit und Wechsel schreitet das Schicksal.« Gedicht von E. Geibel. für Alt solo, gemischten Chor und Orchester op. 13, Hamburg (Cranz) Ave maris stella. Hymnus für Chor, Orchester und Orgel (ad libitum) op. 24, Hamburg (Cranz)

Rheinberger, Joseph

13

[1874]

Reinthaler, Karl Martin

12

[1875]

Jahr

In der Wüste. nach Psalm 63 für Soli, Chor u. Orchester JOHANNES BRAHMS j op. 26, Hamburg (Cranz) freundschaftlich zugeeignet.

Goldmark, Karl

Chorwerke mit Orchester Frühlings-Hymne (Maibetrachtung) Gedicht von Geyer JOHANNES BRAHMS j für Chor, Alt-Solo und Orchester op. 23, Mainz (Schott) zugeeignet.

Werk

11

Komponist

(Fortsetzung)

Schweizerische Musikzeitung 29/22 (1888), S. 179f.; MT 41/683 (1900), S. 51; MWb 22/2 (1891), S. 20f. NZfM 53/7 (1886), S. 70

Niederrhein. MusikZeitung 5/11 (1857), S. 87f. Musikpädagogische Blätter (1884), S. 102

MWb 7 (1876), S. 269; SmW 33/45 (1875), S. 712 AmZ 4/13 (1869), S. 102; AmZ 4/13, S. 103; Bremer Courier zur UA (5. 3. 1869) Neue musikalische Presse 7 (1898)

Rezensionen/ Konzertbesprechungen

402 Anhänge

Bendl, Karel

Gotthard, Johann Peter

Henschel, George

Hinton, Arthur

Kreuz, Emil

Kreuz, Emil

18

19

20

21

22

23

Komponist

(Fortsetzung)

Vier Lieder für Sopran (oder Tenor) mit Pianoforte op. 3, London (Augener & Co)

Weiße Rosen. 6 Lieder. Dichtungen von Josef Huggenberger für eine Singstimme mit Begleitung des Pianoforte, München (Schmid) Vier Gesänge für Tenor mit Pianoforte op. 1, London (Augener & Co)

Serbisches Liederspiel (Servian Romances.) Eine Reihe altserbischer Volkslieder, nach der Talvj’schen Uebersetzung für eine und mehrere Singstimmen (Sopran, Alt, Tenor und Bass) mit Begleitung des Pianoforte, op. 32, Berlin (Simrock)

Vokalwerke Rosenlieder für dreistimmigen Frauenchor und Klavier op. 121, Berlin (Simrock) Ave Maria für Tenor, Männerchor und Orgel op. 39, Wien (Gotthard)

Werk

Dr JOHANNES BRAHMS j verehrungsvoll gewidmet.

Johannes Brahms j in Verehrung gewidmet. Seinem Freunde Johannes Brahms in Verehrung zugeeignet. [vgl. AmZ 1867, S. 252] An Johannes Brahms.

Widmungstext

1889

1889

[1896]

1879

[ca. 1864]

1896

Jahr

MT 27/517 (1886), S. 142; The Musical Standard 32/1171 (1887), S. 21; The Monthly musical record 9 (1878), S. 79; The Academy (1879), S. 292; The Examiner 3713 (1879), S. 403; MT 33/587 (1892), S. 26 The New Quarterly Musical Review 3/12 (1896), S. 198 The monthly musical record (1. Juni 1889), S. 135 The monthly musical record (1890), S. 190

Rezensionen/ Konzertbesprechungen

Liste der Widmungswerke

403

Stanford, Charles Villiers

Stehle, Johann Gustav Eduard

Stockhausen, Julius

Uysdal, Hanka

Wüllner, Franz

Alary, Giulio

24

25

26

27

28

29

Komponist

(Fortsetzung) Widmungstext

Jahr

Herrn Dr. Johannes Brahms gewidmet. Johannes Brahms j gewidmet.

»Abendlied«, aus: Lieder für Tenor und Sopran mit Klavier, Heft I, Wien (Selbstverlag) Miserere (Psalm 50.) für Doppelchor und Soli op. 26, Bremen (Cranz) Kammermusik Sextour pour 2 Violons, 2 Altos et 2 Violoncelles op. 35, Paris (Hamelle)

õ j J. Brahms.

JOHANNES BRAHMS j zugeeignet.

Vier Gesänge mit Begleitung des Pianoforte, Wien (Gotthard)

[1891]

[1871]

[o. J. ]

1871

»Songs of old Ireland. A collection of fifty irish Melodies« [To j JOHANNES [1882] für Singstimme und Klavier, London (Boosey & Co) BRAHMS, j I dedicate with respect j and gratitude j these melodies j of my native country. j Cambridge, j August, 1882.] 5 Motetten op. 44, Stuttgart u. a. (Krüll) Herrn Dr. Johannes [1879] Brahms j hochachtungsvollst gewidmet.

Werk

MWb 14/26 (1883), S. 333

AmZ 5/23 (1870), S. 182

Anzeige mit Auszügen aus positiven Rezensionen, in: Musica Sacra 30 (1897), S. 251 SmW 30/47 (1872), S. 737; NZfM 68/41 (1872), S. 406

Rezensionen/ Konzertbesprechungen Saturday review of politics, literature, science and art 57/1471 (1884), S. 31; The musical world 61/52 (1883), S. 811

404 Anhänge

Anzoletti, Marco Barth, Richard

Dessoff, Felix Otto Dvorˇ‚k, Antonin Fuchs, Robert

33

35

34

32

Werk

Widmungstext

Johannes Brahms j gewidmet. JOHANNES BRAHMS j verehrungsvoll zugeeignet. Quartett für zwei Violinen, Viola und Violoncell [F-Dur] Johannes Brahms j geop. 7, Leipzig (Kistner) widmet Quartett (D moll) für zwei Violinen, Bratsche und Vio- An Johannes Brahms! loncello op. 34, Berlin (Schlesinger) Trio für Pianoforte, Violine und Violoncell [C–Dur] op. 22, Leipzig (Kistner)

Variationen für Violine und Klavier über ein Thema [aus op. 87, 2. Satz] von Brahms, Berlin (Simrock) Partita (Adagio, Fuga, Allemande, Menuet I. II., Aria, Gigue.) für Violine allein op. 10, London u. a. (Schott)

Albert, Eugen d’ Quartett No. 2 (Es-dur) für 2 Violinen, Bratsche u. Vio- Johannes Brahms j verloncell op. 11, Stimmen, Berlin (Bote & Bock) ehrungsvollst zugeeignet.

31

30

Komponist

(Fortsetzung)

[1877]

[1878]

[1892]

1894

[1893]

Jahr

AmZ 14/23 (1879), Sp. 360f. Mus. Centralblatt (1884), S. 49

Rezensionen/ Konzertbesprechungen MWb 24/24 (1893), S. 315f (Martin Krause); MWb 26/7 (1895), S. 83; MWb 26/27 (1895), S. 343; Die Gesellschaft 9 (1893), S. 1057; Hanslick: Orchesterkonzerte (1894), in: ders., Fünf Jahre Musik, S. 268f.

Liste der Widmungswerke

405

Kauffmann, Fritz

Nawratil, Karl

Perger, Richard von

41

42

43

40

Herzogenberg, Heinrich von Huber, Hans

39

38

Trio für Pianoforte, Violine und Cello [Es-Dur] op. 9, Hamburg u. a. (Rather u. a.) Quartett G moll für zwei Violinen, Bratsche und Violoncell op. 8, Wien (Rebay & Robitschek)

Jahr

Herrn j Johannes Brahms. Johannes Brahms j verehrungsvoll gewidmet.

[1886]

[1881]

[1888]

1878

1897

1884

[1860]

Herrn Johannes Brahms. [1870]

Widmungstext

JOHANNES BRAHMS j gewidmet Seinem hochverehrten Freunde j JOHANNES BRAHMS j zugeeignet Zweites Quartett (B-Dur) für Pianoforte, Violine, Brat- JOHANNES BRAHMS j sche und Violoncell op. 95, Leipzig (Rieter-Biedermann) zugeeignet. Herrn j Johannes Walzer für Pianoforte zu 4 Händen, Violine und Violoncell op. 27, Leipzig (Rieter-Biedermann) Brahms j in grösster Verehrung j gewidmet. Quartett (in G dur) für 2 Violinen, Viola und Cello op. 14, Johannes Brahms j geBerlin (Paez) widmet.

Grädener, Carl Georg Peter Herzogenberg, Heinrich von

37

2tes Trio für Pianoforte, Violine und Violoncell [Es-Dur] op. 35, Hamburg (Schuberth) Drei Quartette für 2 Violinen, Bratsche und Violoncell op. 42, Leipzig (Rieter-Biedermann)

Goetz, Hermann Quartett in E dur für Pianoforte, Violine, Viola und Violoncell op. 6, Stimmen, (Plattendruck), Leipzig (Breitkopf & Härtel)

Werk

36

Komponist

(Fortsetzung)

SmW 39 (1888), S. 249

Neue Berliner Musikzeitung 41/ (1887), S. 60; Neue musikalische Presse 7 (1898), S. 51; MWb 27/21 (1896), S. 268 SmW 39 (1881), S. 930

AmZ 13/39 (1878), Sp. 615f.

MWb 15/4 (1884), S. 44; MWb 15/47 (1884), S. 581

Rezensionen/ Konzertbesprechungen Neue Zürcher Zeitung (31. Januar 1871); MWb 2/10 (1871), S. 155; SmW 29/10 (1871), S. 151; MWb 4/9 (1873) DMZ 2 (1861), S. 5

406 Anhänge

[1878]

Quintett (Fdur) für Pianoforte, zwei Violinen, Viola und Herrn Dr. Johannes Violoncell op. 13, Stimmen, Leipzig (Kistner) Brahms.

JOHANNES BRAHMS j gewidmet Joh. Brahmsovi.

Quintett für 2 Violinen, Viola und 2 Violoncells op. 47, Breslau (Hainauer)

Klav†rn† kvintet [g-Moll] op. 8 [Erstveröffentlichung: Prag: Hudebn† Matice 1921]

Rückauf, Anton

Scholz, Bernhard

Suk, Josef

47

48

49

1893

[1891]

Sonate (No. 3) für Pianoforte und Violoncell op. 238, Leipzig (Breitkopf & Härtel)

Reinecke, Carl

46

Herrn Dr. Johannes 1897 Brahms j verehrungsvoll zugeeignet Den Manen Johannes 1898 Brahms.

Quartett (Es dur) für Pianoforte, Violine, Clarinette (oder Bratsche) und Violoncell op. 1, Berlin (Simrock)

Rabl, Walter

45

1895

??

Jahr

Klaviertrio Nr. 2 D-Dur op. 28, Leipzig (Otto Junne)

Widmungstext

Philips, Eugen

Werk

44

Komponist

(Fortsetzung) Rezensionen/ Konzertbesprechungen Die Redenden Künste 3, S. 433 MWb 28/41 (1897), S. 549f; Neue MusikZeitung (1897), S. 101 NZfM 93/2 (1897), S. 479; SmW 56 (1898), S. 321 (15.3.) Gesellschaft zur Förderung dt. Wissenschaft, Kunst und Literatur in Böhmen (1891), S. 131; Neue Musikalische Presse 8 (1899), S. 8 AmZ 14/6 (1879), S. 94; Der Klavierlehrer, 1879, S. 7; Die Gegenwart 13–14 (1878), S. 430. Musikpädagogische Blätter 18/1 (1895), S. 9; Neue fr. Presse (1895), S. 8; Music. A monthly Magazine 7/6 (1895), S. 516

Liste der Widmungswerke

407

Ashton, Algernon

Bargiel, Woldemar Bibl, Rudolf

Bödecker, Louis

Bürgel, Constantin

51

52

54

55

53

Thieriot, Ferdinand

50

Komponist

(Fortsetzung)

HERRN JOHANNES BRAHMS j in Hochachtung.

Trio F moll für Pianoforte, Violine u. Violoncell op. 14, Leipzig (Fritzsch)

Variationen über ein Thema von Franz Schubert für Klavier op. 3, Berlin (Simrock) Variationen über ein eigenes Thema für Klavier zu vier Händen op. 30, Mainz (Schott)

Klavierstücke im Romanzenton op. 45, 2 Hefte, Wien (Buchholz & Diebel)

Fantasie (III) für Pianoforte op. 19, Breslau (Leuckart)

Johannes Brahms gewidmet Herrn Dr. Johannes Brahms in Verehrung gewidmet. Herrn Johannes Brahms in Verehrung gewidmet ??

Klavierwerke Englische Tänze (English Dances) für Pianoforte zu vier Dem Meister j JOHANHänden op. 10, Berlin (Simrock) NES BRAHMS j gewidmet.

Widmungstext

Werk

[1879]

1871

1883

[1860]

1883

[1867]

Jahr

SmW 29/21 (1871), S. 331

Musik. Centralblatt 3 (1883), S. 301; Musikpädagogische Blätter 7/ 8 (1884), S. 178; MWb 17/29 (1886), S. 366 NZfM 69 (1873), S. 169

Rezensionen/ Konzertbesprechungen Die Tonhalle (1868), S. 262f.; Unsere Zeit, Neue Folge 4/2 (1868), S. 237f; Neue Berliner Musikzeitung 23/6 (1869), S. 41f; NZfM 64/13 (1868), S. 105; LAmZ 3/24 (1868), S. 188

408 Anhänge

62

61

60

59

58

57

[1886]

Gretscher, Franz Fantasie über das beliebte Wiegenlied »Guten Abend, Herrn Dr. Johannes gut’ Nacht« (aus Op. 49 No 4) von Johannes Brahms für Brahms gewidmet. Pianoforte, op. 55, Berlin (Simrock)

Jahr

63

Sechs Etüden für Klavier op. 16, Leipzig (Breitkopf & Härtel)

Widmungstext

HERRN DR. JOHANNES [1883] BRAHMS VEREHRUNGSVOLLST GEWIDMET Busoni, Etude. Tema e Variazioni op. 17, Leipzig (Breitkopf & Herrn Dr : Johannes [1884] Ferruccio Härtel) Brahms verehrungsvollst gewidmet. Busoni, Konzert-Allegro für Pianoforte und Orchester in d-Moll Johannes Brahms zuge- 1888 Ferruccio op. 134 von R. Schumann für zwei Pianoforte zu vier eigne Händen bearbeitet (B 109), Leipzig (Breitkopf & Härtel) 1870 Dobjansky, Capriccieto et Nocturne für Piano op. 2, Berlin (Simcompos¦s et dedi¦s — Anna von rock) Monsieur JOHANNES BRAHMS Eschmann, Licht und Schatten. Sechs Clavierstücke op. 62, Berlin Herrn Johannes Brahms [1878] Johann Karl (Simrock) j freundschaftlich zugeeignet. Gegenbauer, J. C »Transcription de m¦lodies hongroises« op. 10, Ham1880 burg (Cranz) Gotthard, 10 »Stücke in Tanzform« für Pianoforte zu zwei Händen Johannes Brahms j zu[1870] Johann Peter op. 58, Wien (Gotthard) geeignet

Busoni, Ferruccio

Werk

56

Komponist

(Fortsetzung)

AmZ 5/ 39 (1870), S. 306; SmW (1870), S. 12

Rezensionen/ Konzertbesprechungen

Liste der Widmungswerke

409

Heyssig, Alfred

Hummel, Ferdinand

Jensen, Adolf

Jensen, Adolf

Kirchner, Theodor Lachner, Vinzenz

Lucas, Clarence

65

66

67

68

69

71

70

Hessen, Alex. Friedrich von

64

Komponist

(Fortsetzung) Widmungstext

Praeludium et Fuga op. 32, London (Chappell, bzw. Forsyth Brothers)

12 Ländler (Rustic Dances) with Intermezzo and Finale for Pianoforte, London (Augener)

Walzer für Pianoforte op. 23, 2 Hefte, Leipzig (Peters)

Sonate (Fis moll) für das Pianoforte op. 25, Leipzig (Senff)

[1862]

[1878]

1890

[1892]

Jahr

In Memoriam j IOANNES BRAHMS. j Obiit MDCCCXCVII, A. D.

1897/ 1898

JOHANNES BRAHMS j [1865] freundschaftlichst zugeeignet JOHANNES BRAHMS j [1876] gewidmet. A Christmas Gift to Jo- [1879] hannes Brahms

Fantasiestück für Klavier op. 2, Frankfurt (Steyl & Tho- Herrn Dr. Johannes mas) Brahms j in Verehrung j gewidmet. Fantasie für Pianoforte op. 3, Berlin (Simrock) Herrn Dr. Johannes Brahms j zugeeignet. Suite (1.Allemande. 2.Courante. 3.SarabanHerrn Dr. Johannes de. 4.Air. 5.Gigue.) für Pianoforte zu vier Händen op. 15, Brahms j verehrungsvoll Berlin (Carl Paez) zugeeignet Fantasiestücke für das Pianoforte op. 7, Hamburg, An Johannes Brahms. (Schuberth)

Werk

Neue Berliner Musikzeitung 16/31 (1862), S. 243 AmZ 3/3 (1865), Sp. 45–48; SmW 23 (1865), S. 148f. MWb 9/35 (1878), S. 420 (H. Kretzschmar) MWb 10 (1879), S. 238; Athenaeum (1879), S. 482 The musical Standard 9/219, (1898), S. 171

SmW 37 (1879), S. 234

Rezensionen/ Konzertbesprechungen

410 Anhänge

Reger, Max

Rheinberger, Joseph

Rudorff, Ernst

Scharwenka, Xaver Schlegel, Leander Schmitt, Hans

75

76

77

78

81

80

79

Schumann, Clara

Nov‚k, V†teˇzslav Reger, Max

73

74

Marxsen, Eduard

72

Komponist

(Fortsetzung)

[1855]

[1869] HERRN JOHANNES BRAHMS j in Verehrung zugeeignet. JOHANNES BRAHMS j [1877] zugeeignet Herrn Dr. Johannes 1882 Brahms gewidmet 1894

Brillante Clavier-Etuden op. 65, 2 Hefte, Wien (Doblinger) Drei Romanzen für Pianoforte op. 21, Leipzig (Breitkopf JOHANNES BRAHMS j & Härtel) freundschaftlichst gewidmet

Romanzero für das Pianoforte op. 33, Bremen (Praeger & Meier) Ballade für Pianoforte op. 2, Mainz (B. Schott’s Söhne)

Zwei Claviervorträge No. 1. SCHERZOSO. No. 2. Capriccio über ein Thema von Händel op. 45, 2 Hefte, Leipzig (Forberg) Fantasie für Pianoforte op. 14, Berlin (Simrock)

1898

1896

3. April 1897 – J. Brahms 1899 † Johannes Brahms j [1871] freundlichst gewidmet.

Johannes Brahms j zugeeignet Den Manen J. Brahms’

Meinem lieben Johannes 1884 Brahms j gewidmet.

100 Veränderungen über ein Volkslied für Pianoforte. Versuch, die verschiedenen Rhythmen und Taktarten auch die weniger gebräuchlichen oder seltenen in einem zusammenhängenden Tonstück zu vereinigen, Berlin (Simrock) Eklogen Eklogy Vier Clavierstücke op. 11, Berlin (Simrock) »Six morceaux« op. 24 für Klavier, daraus Nr. 6 (Rhapsodie), Leipzig (Forberg) »Resignation« für Klavier op. 26 Nr. 5, Leipzig (Forberg)

Jahr

Widmungstext

Werk

MWb 7 (1876), S. 313

Die Redenden Künste 5/ 30 (1899) Die Redenden Künste 5/ 30 (1899) Urania 30 (1873), S. 88

Rezensionen/ Konzertbesprechungen

Liste der Widmungswerke

411

Strauss, Johann (Sohn)

Tausig, Carl

Tilike, Ilda

Tilike, Ilda

Vilhar, Franz Serafin Vrabely, Stephanie von Wallfisch, J. H.

Westerhout, Niccolý van

84

85

86

87

88

91

90

89

83

Schweida, Rudolf Stöckhardt, Reinhold

82

Komponist

(Fortsetzung)

[nach 1897]

Neue Ungarische Tänze [ORIGINAL= COMPOSITIONEN] für das Pianoforte, Berlin (Richter)

Klaviersonate f-Moll, Milano (Ricordi)

1880

3 Klavierstücke, Wien (Gotthard) Dem Andenken an Johannes Brahms gewidmet.

[ca. 1879]

1890

1896

1896

1871

[1892]

[1894]

Drei Klavierstücke zu zwei Händen op. 10, Berlin (Raabe Herrn Dr. Johannes & Plothow) Brahms j in herzlicher Verehrung j gewidmet. Seid umschlungen Millionen Walzer für die Internatio- Johannes Brahms j genale Ausstellung für Musik und Theaterwesen in Wien widmet [für Klavier solo] op. 443, Berlin (Simrock) Choral-Vorspiele für die Orgel (Pedal und Manual) von An JOHANNES Johann Sebastian Bach für das Clavier übertragen, Berlin BRAHMS. (Fürstner) Zigeunerlied (Gipsy Song) (aus Op. 103 No. 7) von JoHerrn Dr. Johannes hannes Brahms übertragen für Pianoforte, Berlin (Sim- Brahms j gewidmet. rock) Sapphische Ode op. 94,4 übertragen für Pianoforte, Herrn Dr. JOHANNES Berlin (Simrock) BRAHMS. j gewidmet. Albumblätter für Pianoforte

Jahr 1870

Widmungstext

7 Klavierstücke op. 7, Pesth (Rûzsavölgyi)v

Werk

Fortunio (1892), zit. in Ciliberti, S. 229

Neue Freie Presse (Hanslick, 6. April 1892) AmZ 10/48 (1875), Sp. 759; MWb 2/48 (1871), S. 758

Rezensionen/ Konzertbesprechungen

412 Anhänge

Barblan, Otto

Bibl, Rudolf

Lange, Samuel de Wolfrum, Philipp

Klinger, Max

Klinger Max

93

94

95

97

98

96

Witte, Georg Hendrik

92

Komponist

(Fortsetzung) Widmungstext

Herrn Dr JOHANNES BRAHMS j in unbegrenzter Verehrung gewidmet

Dem Andenken Johannes Brahms‘ gewidmet

[1883]

1887

1897

1895

1868

Jahr

Nicht-musikalische Widmungen Bildende Kunst Amor und Psyche. Ein Märchen des Apulejus. Illustriert Dem Musiker j Johannes 1880 in 46 Original-Radierungen, op. 5, München Brahms j in Verehrung zugeeignet j vom j Künstler. Brahms-Phantasie, Rad.-Op. XII, Berlin 1894

Trauerfuge (Cm.) f. Org., m. Benutzung zweier Motive aus dem Deutschen Requiem v. Brahms. Op. 83, Leipzig (Rieter-Biedermann) Sonate (No. 5 in c–Moll) für die Orgel op. 50, Leipzig (Rieter-Biedermann) Dritte Sonate in F moll für Orgel op. 14, München (Jos. Aibl)

Walzer für das Pianoforte zu 4 Händen, op. 7, Bremen Johannes Brahms j zu(Praeger & Meier) geeignet. Orgelwerke Passacaglia für Orgel op. 6, Leipzig (Rieter-Biedermann) Johannes Brahms gewidmet.

Werk

MT 24/481 (1883), S. 157

Zeitschrift der Internationalen Musik-Gesellschaft 4/10 (1902/03), S. 648f.

Rezensionen/ Konzertbesprechungen AmZ 3/10 (1868), S. 78; SmW 26 (1868), S. 478

Liste der Widmungswerke

413

103 Riemann, Hugo

1888

1896

Jahr

Johannes Brahms ge1884 widmet 1898 Johannes Brahms dem Unsterblichen in treuer Erinnerung an herzliche Freundschaft und Reisekameradschaft gewidmet

Johannes Brahms j gewidmet

Widmungstext

Musikwissenschaft Musikalisches Skizzenbuch. Neue Kritiken und Schilde- Meinem lieben Freunde j 1888 rungen (= Der »modernen Oper« 4. Theil), Berlin Johannes Brahms. j Hoffstetten am Thuner See. j September 1887. j Ed. Hanslick Katechismus der Kompostionslehre (Musikalische Dem Meister j Dr. 1889 Formenlehre), 2 Bde., Leipzig Johannes Brahms j gewidmet.

Sizilien und andere Gegenden Italiens. Reiseerinnerungen

102 Widmann, Joseph Viktor

102 Hanslick, Eduard

Linguistisch-kulturhistorische Skizzen und Bilder aus der deutschen Steiermark, Karlsruhe Sophocles’ Tragödien, 2 Bde., Stuttgart

Literatur Ebbe und Fluth. Gedichte, Leipzig

Werk

Kiesekamp, Hedwig [Pseud. L. Rafael] 100 Kupferschmied, Adalbert 101 Wendt, Gustav

99

Komponist

(Fortsetzung) Rezensionen/ Konzertbesprechungen

414 Anhänge

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2.

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Prosopographisches Lexikon der Widmenden

Sofern die Biographien der Widmenden in den einschlägigen Nachschlagewerken MGG2 oder NewGrove aufgenommen sind, wird in den lexikalischen Einträgen auf die Wiedergabe des dort nachzulesenden Lebenswegs verzichtet. Im Zentrum steht stattdessen das Verhältnis der Einzelpersonen zu Brahms, mit besonderem Augenmerk auf die Beziehung zum Widmungszeitpunkt. Alle Personennamen wurden (soweit erfasst) in ihrer Schreibung an die Gemeinsame Normdatei (GND) angepasst. BD: Überlieferte Briefdokumente zum Widmungsakt. Aufgelistet nur nach Datum, die Veröffentlichungsgeschichte und Standort können leicht im digitalen Briefwechselverzeichnis (BBV, www.brahms-institut.de) nachgeschlagen werden. Daneben Berichte des widmenden Komponisten über die Umstände der Dedikation. Alary, Giulio Eugenio Abramo (28. 11.1850, Aurillac/Frankreich – 1928) Offenbar war der Franzose Alary, Sohn des bekannteren Jules Alary (*1814 Mantua, † 1891 Paris, v. a. als Opernkomponist bedeutend), flüchtig mit Brahms bekannt, viele Quellen sind allerdings nicht erhalten. In einer undatierten Korrespondenzkarte zeigt er ihm zumindest seine Hochzeit an. In der einschlägigen Brahms-Literatur findet sich sein Name allerdings nicht. Es ist davon auszugehen, dass anlässlich der Widmung brieflicher Kontakt bestand. BD: – Albert, Eugen d’ (10. 4. 1864, Glasgow – 3. 3. 1932, Riga) Seit der Übersiedlung d’Alberts von England nach Wien und der Aufnahme des persönlichen Kontaktes zu Brahms (am 2. Februar 1882, über Hans Richter vermittelt), schätzte Brahms den jungen d’Albert besonders wegen seiner pianistischen Fähigkeiten. Er sah ihn bis zu seinem Tod als bevorzugten Interpreten seiner Klavierkonzerte und nannte ihn scherzend seinen »Hofpianisten«. Anekdotisch der Bericht d’Alberts über das erste Treffen mit Brahms, in dessen Rahmen er ihm die Bitte um Widmungserlaubnis von Charles Villiers Stanford aus dem Englischen übertragen habe. D’Alberts kompositorische Ambitionen sah Brahms gespalten, nach Aussage Heubergers schätzte er die zwei Streichquartette, darunter das ihm gewidmete op. 11, als Höhepunkt ein. Ansonsten sei »[a]lles voll Fleiß, Verstand und so weiter, aber ohne Persönlichkeit.« D’Albert gegenüber merkte er im Widmungswerk Anklänge an das Schaffen Clementis an, setzte sich aber nichtsdestotrotz für die Aufführung ein: Er bat das Böhmische Streichquartett bei einem eigentlich ausschließlich seinen Werken gewidmeten Konzert ein Mischprogramm, u. a. mit dem Widmungsquartett d’Alberts,

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aufzuführen (MWb 26/7, S. 83). Dies ist als Reaktion auf eine Widmung seinerseits als durchaus ungewöhnlich und als Beweis unbedingter Wertschätzung zu anzusehen. BD: Brahms an d’Albert, [1893] Alexander Friedrich, Landgraf von Hessen (25. 1. 1863–26. 3. 1945) Die Bekanntschaft zwischen Brahms und dem blinden Landgraf Alexander Friedrich von Hessen (Schüler u. a. von Felix Otto Dessoff, Heinrich v. Herzogenberg und Anton Urspruch) nahm schon vor dem ersten Treffen ihren Anfang: Alexanders Mutter, der kunstliebenden Prinzessin Anna von Hessen, die Brahms über Clara Schumann kennengelernt hatte, widmete dieser sein Klavierquintett f-Moll op. 34. 1881 besuchte Brahms den Sitz der Familie in Philippshöhe, wo er auch mit ihrem Sohn zusammentraf. Von diesem Zeitpunkt an sind gelegentliche Zusammentreffen verbürgt, u. a. 1891 kurz vor dem Widmungszeitpunkt. Brahms schätzte Alexander Friedrich als guten Geiger, wich einer Beurteilung des kompositorischen Talents aber aus (zum Widmungswerk gab er dem Landgrafen den sybillinischen »Rath [sich] bis zur Vollendung des Werks nicht durch Critik die Laune verderben zu lassen« [Brief Brahms an A. F., 11. 3. 1891]). Dieser wiederum urteilte trotz seiner anhaltenden Bewunderung für Wagner über Brahms, dieser sei »d e r zeitgenössische Musiker […], der meinem eigenen künstlerischen Schaffen am nächsten sei«. BD: Brahms an Alexander Friedrich v. Hessen, Januar 1892 Anzoletti, Marco (4. 6. 1866, Trient/Italien – 23. 1. 1929, Trient/Italien) Der einzige verbürgte Kontakt zwischen dem Mailänder Komponisten und Brahms fand anlässlich der Widmung statt, Brahms schickte Anzoletti nach Aussage desselben als Reaktion auf das Widmungswerk eine ausführliche Würdigung zu (nicht im BBV verzeichnet). Da Anzoletti jedoch vor der Dedikation in Wien studiert hatte, liegt ein persönlicher Kontakt zu dieser Zeit im Bereich des Möglichen. Vor allem war Anzoletti allerdings Teil des an der Mailänder Hochschule entstandenen Kreises um Carlo Andreoli und später Giuseppe Martucci, der sich für die zeitgenössische deutsche Musik und ihre Verbreitung in Italien einsetzte. Gerade in der Societ— di Quartetto gelangte auch Kammermusik zur Aufführung. In diesem Rahmen trat auch Anzoletti als Interpret Brahms’scher Kompositionen auf. BD: Brahms an Simrock, [19. März 1894] Ashton, Algernon (9. 12. 1859, Durham/England – 10. 4. 1937, London/England) Der englische Komponist Algernon Ashton hat einen Großteil seiner Kindheit in Leipzig verbracht und dort bei Carl Reinecke studiert, bevor er zu Raff nach

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Frankfurt wechselte. Die Widmung an Brahms datiert ein Jahr nach seinem Umzug nach London im Jahr 1882. Die Englischen Tänze op. 10 wurden bei Simrock in einer zweisprachigen Ausgabe veröffentlicht und dienten wohl auch der Positionierung auf dem neuen, englischen Markt. Vielleicht hatte die Widmung an Brahms auch Simrock als Qualitätsnachweis gedient. Jedenfalls sind die Tänze, nur eines mehrerer solcher Opera mit Nationaltänzen (vgl. z. B. auch die Irischen, Schottischen und Spanischen Tänze), die erste Komposition, die in den Bonner Verlag aufgenommen wurden und markieren den Startpunkt einer längerfristigen Zusammenarbeit. Ein sporadischer brieflicher Kontakt zu Brahms scheint zumindest nach der Widmung bestanden zu haben – einziger Nachweis ist allerdings die Formulierung der drei erhaltenen Briefe Ashtons an Brahms (mit dem Incipit »Wie alljährlich…«). In Leserbriefen an die Musical Times äußerte Ashton sich wiederholt zu Werken von Brahms – immer positiv, aber nicht in blinder Kritiklosigkeit. BD: – Barblan, Otto (22. 3. 1860, S-chanf, Oberengadin/Schweiz – 19. 12. 1943, Genf/ Schweiz) Zwischen Otto Barblan und Brahms ist bislang kein direkter Kontakt belegt, auch die mit einiger Sicherheit anlässlich des Widmungsakts gewechselten Briefe sind nicht bekannt. Über das Widmungswerk kann allerdings auf einige Facetten des Brahms-Bildes von Barblan geschlossen werden: Brahms wird mit einer Passacaglia für Orgel op. 6 als Meister der althergebrachten Form angesprochen. Über die Integration eines Bachzitats (Kontrasubjekt des »Thema fugatum« der Passacaglia c–Moll BWV 582) konstruiert Barblan zusätzlich eine gemeinsame Verankerung in der Nachfolge und Tradition Bachs und betont die gemeinsame Verehrung des Thomaskantors. BD: – Bargiel, Woldemar (3. 10. 1828, Berlin – 23. 2. 1897, Berlin) Woldemar Bargiel hatte vielfältige Verbindungen zu Brahms: Als Stiefbruder Clara Schumanns, als Kollege bei der Erarbeitung einer Chopin-Edition, als Komponist, der sich in ähnlichen Kreisen bewegte. Die gegenseitige Wertschätzung war anfangs groß, die Komponisten tauschten ihre Werke zur Begutachtung und Kritik aus. An Weihnachten 1856 übereignete Brahms Bargiel ein Autograph seiner Fuge as-Moll (C‚ceres, Woldemar Bargiel, S. 109). Im folgenden Jahr widmete Bargiel Brahms auf dem Höhepunkt ihres freundschaftlichen Kontaktes seine Fantasie für Pianoforte op. 19 – in der Bitte um Widmungserlaubnis betont Bargiel, er wolle mit der Dedikation ausdrücken, »wie sehr ich mit deinem Streben übereinstim[m]e, es werth halte und zu verstehen glaube«. Brahms schätzte das Widmungswerk ungewöhnlich hoch, was

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sich auch darin ausdrückt, dass er es in seinen Klavierunterricht integrierte und nach eigener Aussage einer Schülerin vorspielen wollte. Die in der Widmung ausgedrückte kompositorische und menschliche Übereinstimmung ließ in der Folge nach: Bargiel fühlte sich zunehmend von Brahms, aber auch seiner Schwester Clara Schumann unverstanden und sogar ungerecht behandelt, so z. B. als er die Nachfolge des erkrankten Heinrich v. Herzogenberg als Leiter der Berliner Kompositionsklassen übernehmen wollte. Das Misstrauen gegenüber den ehemaligen Verbündeten begründet er auch mit der Reaktion auf seine Kritik an Werken von Brahms: »diese Gesellschaft kommt nicht darüber hinweg, daß ich nicht ein unbedingter Anbeter von Brahms’ Musik bin.« An anderer Stelle resümierte er schließlich seinen Meinungswandel bezüglich des früher von ihm so anerkannten Brahms: »Wahrhaftig, es ist kein Neid, wenn ich ausspreche: Ich beneide Brahms um keines seiner Werke«. BD: Bargiel an Brahms, 31. Mai 1859; Brahms an Bargiel, [Juni 1859] Barth, Richard (5. 6. 1850, Groß-Wanzleben – 25. 12. 1923, Marburg) Der Schüler Joseph Joachims ist heute vor allem als hervorragender Geiger in Erinnerung geblieben. Auch Brahms schätzte seine interpretatorischen Fähigkeiten und nannte ihn als möglichen Interpreten seines Violinkonzertes. Er hatte Barth über Joachim 1864 kennengelernt, engerer Kontakt bestand allerdings erst seit 1878. Nach diesem Datum unterstützte Brahms die Karriere des Geigers immer wieder aus Bewunderung für sein Spiel, empfahl ihn so für Stellungen in Marburg und Krefeld. 1892 schenkte er ihm schließlich das Manuskript des Eröffnungssatzes seiner A-Dur-Violinsonate, aus dem selben Jahr datiert die an Brahms gerichtete Widmung von Barths Partita für Violine allein op. 10, die die gemeinsame Vorliebe für Bach akzentuiert. Auch nach Brahms’ Tod erwies Barth sich als intimer Kenner seiner Musik und schrieb z. B. eine Studie Johannes Brahms und seine Musik (1904). Daneben gab er den Briefwechsel zwischen Brahms und Julius Otto Grimm, der ihn als Konzertmeister nach Münster berufen hatte, heraus (BW X). In einem Nachruf Theodor Birts heißt es 1924 resümierend: »B. wuchs heran mit dem Heranwachsen der Brahmskunst und er verwuchs mit ihr. Er hat mit als einer der Träger der Brahms-Periode in der neueren Musikgeschichte zu gelten.« BD: – Baußnern, Waldemar von (29. 11. 1866, Berlin – 20. 8. 1931, Potsdam) Es ist keine persönliche Bekanntschaft zwischen dem in Siebenbürgen aufgewachsenen Baußnern und Brahms belegt. Baußnern studierte in Berlin in der Meisterklasse Woldemar Bargiels (ab 1885), sowie bei Friedrich Kiel und fand wohl hier seinen Anknüpfungspunkt zu Brahms. Im Kontext des Parteienstreits

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bekannte er sich klar zur Anti-Wagner-Richtung. Er war Nachfolger von Bernhard Scholz in der Leitung des Hoch’schen Konservatoriums in Frankfurt a. M. BD: – Bendl, Karel (16. 4. 1838, Prag/Tschechien – 20. 9. 1897, Prag/Tschechien) Eine direkte Verbindung zwischen Brahms und Bendl ist nicht bekannt. Bendl ist jedoch seit der gemeinsamen Ausbildung an der Prager Orgelschule eng mit Anton†n Dvorˇ‚k befreundet gewesen und vertrat diesen von 1894–97 am Prager Konservatorium. Wie Suk und Nov‚k (diesen unterrichtete er während Dvorˇ‚ks Amerika-Aufenthalt in Komposition) wird er über Dvorˇ‚k vermittelt näheren Bezug zu Brahms gewonnen haben – auch sein Widmungswerk erschien beim Stammverleger von Brahms und Dvorˇ‚k, Fritz Simrock. BD: – Bibl, Rudolf (6. 1. 1832, Wien – 2. 8. 1902, Wien) Rudolf Bibl, Organist am Wiener Stephansdom und Hofkapellmeister, spielte in mehreren Konzerten unter Brahms, so z. B. am 15. November 1863 in Brahms’ erstem Konzert als Dirigent der Singakademie und in der Wiener Aufführung von Ein Deutsches Requiem op. 45 den Orgelpart. Diese spezifischen BrahmsErfahrungen spiegeln sich in seiner Trauerfuge für Orgel op. 83, die auf der Verwendung zweier Motive aus Ein Deutsches Requiem gründet. Bibl komponierte das Werk kurz nach dem Tod von Brahms und widmete es seinem Andenken. Zuvor hatte er ihm bereits 1883 seine Klavierstücke im Romanzenton op. 45 zugeeignet. Brahms empfahl ihn Simrock auf die Frage nach einem »praktischen Setzer für Harmonium« (Stephenson, Brahms und Simrock, S. 57). BD: – Bödecker, Louis (1845, Hamburg – 5. 6. 1899, Hamburg) Über den Hamburger Komponisten Louis Bödecker ist nur wenig bekannt, seine Verbindung zu Brahms liegt vollkommen im Dunkeln. Vielleicht bestand eine Basis in der gemeinsamen Heimatstadt. Kompositorisch nahmen gerade zu Beginn der kompositorischen Karriere von Bödecker Variationen einen großen Raum ein (soweit über die Daten von Hofmeisters Monatsheften zu ermitteln, z. B. opp. 2, 3, 7, 8) – hier konnte Brahms auch kompositorisch als Bezugspunkt dienen. Der offenbar vor allem als Kritiker tätige Bödecker galt allerdings den Zeitgenossen kompositorisch nicht unbedingt als große Begabung: »Herr Bödecker, der, wie bekannt, über hervorragende Leistungen die schärfsten Kritiken schreibt, dürfte bezüglich der Vorführung eigener Compositionen noch vorsichtiger verfahren. Sprechen seine Geistesproducte auch immerhin für sein ernstes Streben, so ist ihr Inhalt doch nicht hervorragend oder vielmehr nicht

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anziehend genug, um ausschliesslich ein Concert-Programm füllen zu können.« (MWb 24/46 [9. November 1893], S. 620). BD: – Bruch, Max (6. 1. 1838, Köln – 20. 10. 1920, Friedenau, Nähe Berlin) Brahms und Bruch lernten sich 1860 in Köln kennen, wenig später gehörte Bruch zu denjenigen, die nach Aussage Brahms’ gegenüber Joachim bereit waren, das geplante Manifest gegen die ›Neudeutschen‹ zu unterzeichnen. Die weitere Beziehung zwischen den beiden Kollegen ist allerdings höchst ambivalent verlaufen: Bruch verbitterte mit wachsender Popularität von Brahms zunehmend und fühlte sich in seiner kompositorischen Tätigkeit zu Unrecht kritisiert – sowohl von Brahms als auch der Öffentlichkeit: »Immer wieder begegnet man – aber nur bei Pressebengels, nicht beim Publikum dem eselhaften Gegensatz: Johannes Brahms – bedeutend; Max Bruch – unbedeutend… Ich verlange nur, daß man mich in meiner Art neben ihm gelten lasse, weiter nichts. Ich habe keine Lieder und Klaviersachen und Kammermusik geschrieben wie er ; und er hat keinen Frithjof und Odysseus geschrieben und wird es nie.« Die Widmung ist allerdings Ausdruck beidseitiger künstlerischer Anerkennung: Brahms hatte Bruchs Sinfonie op. 28 sehr gelobt, dieser wiederum begründete die Dedikation dieses Werks neben der Dankbarkeit für die Anerkennung mit seiner tiefen Bewunderung für Ein Deutsches Requiem. Allerdings scheint bereits in der Mitteilung der Widmung die später so ausgeprägte Ambivalenz der Beziehung auf: Bruch bezeichnet sich zwar als »mitstrebender Kunstgenosse«, ist sich gleichzeitig aber des eigenen unterlegenen Rufs bewusst: Es sei »begreiflich und verzeihlich, wenn Sie, der Sie so fest in sich ruhen und seit Jahren so energisch Ihren eigenen Weg verfolgen, für die Arbeit Ihrer Kunstgenossen wenig Interesse hätten.« Die (fehlende) Reaktion auf die Widmung war wiederum Anlass für Verärgerung seitens des Widmenden: Brahms hatte sich zwar mehrfach brieflich bedankt und das Werk ausführlich gewürdigt, sich aber nie mit einer Gegenwidmung eines eigenen Werks erkenntlich gezeigt. Noch über zehn Jahre später schließt Bruch wegen dieses Affronts Brahms als Widmungsadressaten seines Moses aus. BD: Bruch an Brahms, 22. Dezember 1868; Brahms an Bruch, 25. Dezember [1868]; Brahms an Bruch [21. Februar 1870]; Bruch an Brahms, 6. Mai 1870 Bürgel, Constantin (24. 6. 1837, Liebau/Schlesien – 1909) Constantin Bürgel setzte sich mit Brahms anlässlich der geplanten Widmung seiner Variationen über ein eigenes Thema für Klavier zu vier Händen op. 30 in Verbindung – eine darüber hinausgehende Bekanntschaft ist nicht verbürgt. Die Dedikation ist als Teil einer strategischen Karriereplanung zu betrachten, wie der Blick in die überlieferte Kommunikation verrät. In der Bitte um Wid-

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mungserlaubnis herrschen Höflichkeits- und Verehrungstopoi vor, Bürgel nennt seinen Unterricht bei Friedrich Kiel in Berlin als spezifischen Nachweis für seine Bewunderung der Brahms’schen Kompositionen. Im Begleitbrief zur Übersendung des Widmungswerks wird die eigentliche Motivation deutlicher : Bürgel klagt über die ungerechtfertigte Missachtung seiner Kompositionen seitens der Öffentlichkeit und bittet Brahms in deutlichen Worten um Ratschläge und Unterstützung. Der Name Brahms als Werbefaktor, die Zueignung gleichzeitig als Instrument der Annäherung: Eigentlich ist diese von Bürgel gewählte Vorgehensweise vorzugsweise bei sehr jungen Komponisten zu beobachten. Es ist demnach eine bekannte Strategie an eher ungewöhnlichem Ort, die aber offenbar nicht zum gewünschten Erfolg führte. Denn über die offenbar erteilte Widmungserlaubnis hinaus ist keinerlei Reaktion von Brahms bekannt. BD: Bürgel an Brahms, 24. März 1879; Bürgel an Brahms, 14. Mai 1879 Busoni, Ferruccio (1. 4. 1866, Nähe Florenz/Italien – 27. 7. 1924, Berlin) Der Italiener Busoni siedelte 1883 nach Wien über und trat gleich in Kontakt zu Brahms, der sich nach eigener Angabe in dieser Anfangszeit sehr für den jungen Komponisten interessierte und ihn als Schüler an Nottebohm vermittelte. Einige Begegnungen sind aus dieser Zeit bekannt, so besuchte Busoni Brahms zur Begutachtung einiger Werke, unter denen sich auch die Widmungswerke (die Sechs Etüden für Klavier op. 16 und die Etude. Tema e Variazioni op. 17) befanden. Die beiden Kompositionen zeugen von Busonis besonderem Interesse für die Variationenwerke von Brahms, was sich auch darin äußert, dass er zwei davon in sein Repertoire als Interpret aufnahm. Zunehmend kühlte die Verbindung allerdings ab, Brahms zeigte sich von Busoni (dieser hatte Nottebohm bald verlassen) menschlich enttäuscht, schrieb ihm aber nichtsdestotrotz noch 1885 eine Empfehlung an Reinecke in Leipzig. Busoni befasste sich auch danach weiter mit den Kompositionen seines Widmungsträgers. Er bearbeitete mehrere seiner Werke, nahm einige Kompositionen in sein pianistisches Repertoire auf und sorgte für eine ungewöhnliche Doppelwidmung: Er bearbeitete das Brahms gewidmete Konzert-Allegro op. 134 Robert Schumanns für zwei Klaviere zu vier Händen. Auf dem Druck wurde die ursprüngliche Zueignung wieder abgebildet, sodass sie in diesem speziellen Fall als Gemeinschaftsprodukt sowohl auf Schumann als auch auf den Bearbeiter Busoni bezogen werden kann. BD: Bericht in Roggenkamp, Brahms und Busoni, S. 32 Delaborde, Elie M. (7. 2. 1839, Paris/Frankreich – 9. 12. 1913, Paris/Frankreich) Ein direkter Kontakt zwischen Brahms und dem französischen Pianisten und Komponisten Delaborde ist nicht bekannt, auch Briefe anlässlich des Widmungaktes sind nicht überliefert. Die Zueignung Delabordes wird wohl zu-

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mindest teilweise als Marktpositionierung und Werbung gedient haben – die historischen Rezensionen lassen den Schluss zu, dass Delaborde, der in Leipzig studiert hatte, zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Widmungswerks verstärkt als Pianist in Deutschland auftrat und sich auch als Komponist positionieren wollte. Auch der Umstand, dass sich ein Exemplar der Komposition im Nachlass Joseph Joachims findet, deutet auf die strategische Werbefunktion des Adressaten hin: Delaborde hatte die Noten offenbar dem Joachim-Quartett für eine mögliche Aufführung zukommen lassen, die aber nie stattfand. Das Morceau Romantique für Klavier und Streicher op. 3 führte Delaborde im Rahmen seiner Konzerttourneen zumindest einmal (1883) auch als Quintett auf. Dieses Konzert schränkt den Widmungszeitpunkt, der sonst nicht näher zu bestimmen ist, auf ein Datum ante quem ein. Eine Reaktion von Brahms ist nicht bekannt. BD: – Dessoff, Felix Otto (14. 1. 1835, Leipzig – 28. 2. 1892 Frankfurt a. M.) Die freundschaftliche Beziehung zwischen Dessoff und Brahms, die mit Brahms’ Ankunft in Wien im Jahr 1862 ihren Ausgang nahm (nach einem ersten Treffen in Leipzig 1853), war geprägt von vielfältigen persönlichen und künstlerischen Kontakten. Dessoff engagierte sich als Dirigent schon früh für die Kompositionen des noch unbekannten Brahms, u. a. mit Uraufführungen. Als Professor am Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien unterrichtete er einige Komponisten, die später Brahms ein eigenes Werk zueignen sollten (u. a. Richard v. Perger, Robert Fuchs, Heinrich v. Herzogenberg). Die Freundschaft blieb auch bestehen, als Dessoff 1875 von Wien nach Karlsruhe übersiedelte, hier leitete er 1876 die Uraufführung der Sinfonie Nr. 1 op. 68. Die Widmung seines Streichquartetts op. 7 fällt in die Zeit neuer Kompositionsversuche in Karlsruhe, zu denen sich Dessoff auch durch die zweite Sinfonie von Brahms inspiriert sah. Sie verdeutlicht vor allem, wie sehr sich Dessoff Brahms in kompositorischer Sicht untergeordnet fühlte: Tatsächlich sah er sich trotz der Veröffentlichung einzelner Kompositionen zeitlebens als Interpret und nicht als neuschaffender Künstler. Eine umfängliche Korrespondenz mit Brahms belegt die Skrupel hinsichtlich möglicher Reminiszenzen seines Streichquartetts an die Sinfonie Nr. 2 des späteren Widmungsträgers. Brahms konnte Dessoff jedoch schließlich trotz deutlicher Anklänge von der Drucklegung des Werks überzeugen und erhielt es als Dank zugeeignet. Nach dem Tod Dessoffs bekräftigte Brahms gegenüber Clara Schumann nochmals seinen Respekt für den Verstorbenen – als Mensch und als Künstler : »Er war ein vortrefflicher Mensch und ein lebhaft empfindender, fein gebildeter Musiker.« BD: Dessoff an Brahms, 16. März 1878; Brahms an Dessoff, 19. März 1878; Brahms an Dessoff, 22. März 1878; Brahms an Dessoff, 31. März 1878; Dessoff an Brahms, 5. Juni 1878; Brahms an Dessoff, undatiert (BW XVI, S. 176); Dessoff an

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Brahms, 19. Juni 1878; Brahms an Dessoff, [zwischen dem 21. und dem 25. Juni 1878]; Dessoff an Brahms, [ca. zwischen dem 29./30. Juni und dem ca. 4. und 5. Juli 1878]; Brahms an Dessoff, [vermutlich zwischen 1./2. und 5. Juni 1878]; Dessoff an Brahms, 7. Juli 1878; Dessoff an Brahms, 19. Oktober 1878; Brahms an Dessoff, 28. Oktober 1878 Dietrich, Albert (28. 8. 1829, Meißen – 20. 11. 1908, Berlin) Albert Dietrich lernte Brahms 1853 im Düsseldorfer Freundeskreis Schumanns kennen, seitdem bestand ein freundschaftlicher Kontakt. So war Dietrich an der Komposition der FAE-Sonate für Joseph Joachim beteiligt. Auf künstlerischer Ebene setzte sich Dietrich als Dirigent für Brahms ein (u. a. mit Aufführungen des Deutschen Requiems), als Freund machte er ihn zum Taufpaten seines ersten Sohnes. Auch im sogenannten Parteienstreit stand Dietrich an der Seite des Freundes und hatte sich bereiterklärt, das Manifest gegen die ›Neudeutschen‹ zu unterzeichnen. Abbild der zu dieser Zeit so engen Beziehung sind die Sechs Gesänge op. 7, die Brahms seinem Freund 1854 zueignete. Die 1868 vollendete und 1870 gedruckte und Brahms offiziell gewidmete Sinfonie op. 20 von Dietrich kann in diesem Kontext als Gegenwidmung betrachtet werden. Mit der Reaktion des Widmungsträgers scheint Dietrich jedoch gehadert zu haben, nur ein Jahr später schrieb er an Max Bruch: »Übrigens habe ich die Erwartung längst aufgegeben, daß er sich für anderer Arbeiten je interessieren werde.« Nichtsdestotrotz blieb zeitlebens eine herzliche Verbindung zwischen den beiden langjährigen Freunden bestehen, der Dietrich 1898 mit seinen Erinnerungen an Johannes Brahms, besonders aus seiner Jugendzeit ein Denkmal setzte. BD: Brahms an Dietrich, 1869; Brahms an Dietrich, Februar 1870; Brahms an Clara Schumann, Oktober 1868 Dobjansky, Anna von (Lebensdaten nicht bekannt) Die russische Pianistin Anna von Dobjansky, Klavierschülerin Clara Schumanns und Carl Tausigs, suchte während eines Sommeraufenthaltes in Baden-Baden 1869 kompositorischen Rat bei Brahms. Brahms half bei der Verbesserung einiger Werke und empfahl diese auf die Bitte Dobjanskys hin an seinen Verleger Simrock, der die opp. 1–4 veröffentlichte. Wohl aus Dankbarkeit erschien op. 2 mit der Widmung an Brahms. Späterer Kontakt ist nicht verbürgt, eine Fotografie Dobjanskys findet sich aber in Brahms’ Nachlass (heute im BrahmsInstitut an der Musikhochschule Lübeck). BD: Brahms an Simrock, [29. August 1869]; Brahms an Simrock, [4. September 1869]; Brahms an Simrock, [5. Oktober 1869]; Brahms an Simrock, Dezember 1869

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Dvorˇák, Anton†n (8. 9. 1841, Nelahozeves/Tschechien – 1. 5. 1904, Prag/ Tschechien) Der erste briefliche Kontakt zwischen Brahms und Dvorˇ‚k wurde über Dvorˇ‚ks böhmischen Landsmann Eduard Hanslick vermittelt: Hanslick hatte mit Brahms eine Gutachtertätigkeit für die Vergabe des Österreichischen Staatsstipendiums übernommen, auf das sich 1877 auch Dvorˇ‚k beworben hatte. Anschließend berichtete er Dvorˇ‚k von dem Interesse, das Brahms an seinen Werken bezeugt habe und riet ihm, sich für weitere Unterstützung an ihn zu wenden. Dvorˇ‚k schickte Brahms tatsächlich verschiedene Kompositionen zur Ansicht und zur Vermittlung an Simrock. Nachdem Simrock die Werke tatsächlich in seinen Verlag aufgenommen hatte, richtete Dvorˇ‚k sowohl an Brahms als auch an Hanslick Bitten um Widmungserlaubnis – sie sind demnach als Dank für die erwiesene Unterstützung zu interpretieren, konnten daneben aber auch als Türöffner auf dem deutschen Markt genutzt werden. Denn Dvorˇ‚k hatte schon früh bemerkt, er hege »doch einmal die Hoffnung in Deutschland [als Komponist] durchzudringen« – der Name Hanslicks und Brahms war in diesem Umfeld als Werbefaktor nicht zu unterschätzen. Allerdings wurde gerade das Widmungsquartett nicht bei Simrock gedruckt, obwohl sich Brahms mehrfach danach erkundigte: Simrock empfand die zwei ihm zur Ansicht vorgelegten Quartette »in vieler Beziehung unreif und mitunter recht – ›wüscht‹? Erfindung hat er wohl – aber die Arbeit macht oft den Eindruck des unsagbar Gequälten?« Die von gegenseitiger Wertschätzung geprägte Beziehung blieb bis zum Tod von Brahms bestehen. Als Leiter der Kompositionsklasse des Prager Konservatoriums vermittelte Dvorˇ‚k schließlich eigenen Schülern den Kontakt zu Brahms (und übernahm damit die Rolle, die Hanslick für ihn gespielt hatte), der schließlich ebenfalls in dankbaren Widmungen resultierte (von Suk, Nov‚k). Dvorˇ‚k war sich des fortwährenden Interesses von Brahms für seine Karriere und seiner wichtigen Förderung bis ans Lebensende bewusst: 1894 schrieb er an seinen Förderer : »und Vieles, Vieles andere sagt mir, welch einen unschätzbaren Gönner ich in Ihnen habe – und so kann ich heute nur die schlichten Worte sagen: Dank, herzlichster Dank sei Ihnen für alles, was Sie mir und für mich getan haben!« BD: Dvorˇ‚k an Brahms, 23. Januar 1878; Brahms an Dvorˇ‚k, [Ende] März 1878; Dvorˇ‚k an Brahms, 15. Oktober 1879; Brahms an Simrock, [4. April 1878]; Simrock an Brahms, 18. Juni 1878; Brahms an Simrock, [25. Juni 1878] Eschmann, Johann Carl (12. 4. 1826, Winterthur/Schweiz – 27. 10. 1882, Zürich/ Schweiz) Der Mendelssohn-Schüler Johann Carl Eschmann kam mit Kompositionen von Brahms spätestens in Winterthur (1850–1859) in Berührung: Hier war er als guter Bekannter und zeitweiliger Bratschenschüler des Brahms-Freundes

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Theodor Kirchner Teil des musikalischen Gesellschaftslebens. Unter Kirchners Ägide wurden viele Brahms-Werke gespielt und aufgeführt. In ästhetischen Streitigkeiten verhielt er sich trotz dieser Brahms-affinen Umgebung weitestgehend neutral: Er hatte auch Richard Wagner persönlich kennengelernt und zählte zu dessen Zürcher Freundeskreis. Engeren Kontakt zu Brahms knüpfte Eschmann 1866 in Zürich, im selben Jahr erschien in der AmZ ein Artikel Urtheil eines schweizerischen Musikers über Brahms, gezeichnet von J. C. E. Obwohl Eschmann überwiegend als Klavierpädagoge tätig war, interessierte Brahms sich durchaus auch für sein kompositorisches Schaffen – 1878 empfahl er ihn seinem Verleger Simrock mit der Bemerkung, Eschmann brauche eigentlich die »Empfehlung nicht; da Sie ja Luckhardts viele Auflagen mit Neid sehen«. Simrock nahm die Kompositionen in seinen Verlag auf, aus demselben Jahr datiert – wohl als Dank für diese entscheidende Unterstützung – die Widmung des Klavierzyklus Licht und Schatten an Brahms. Ebenfalls aus 1878 stammen Bearbeitungen Brahms’scher Werke durch Eschmann, die gerade für das Widmungsjahr eine intensive Beschäftigung mit dem Schaffen des berühmten Bekannten nahelegen. Wie Brahms das Widmungswerk einschätzte, ist nicht überliefert. Eine gewisse kritische Distanz ist aber anzunehmen: Obwohl für Brahms das Schreiben eines Dankbriefes als Reaktion auf eine jede Zueignung sonst unerlässlich schien, war er im Falle Eschmanns (so ein Kommentar an Simrock) froh, dies unterlassen zu können. Der Kontakt blieb dennoch bis zu Eschmanns Tod bestehen, 1892 schrieb Brahms an die Witwe: »Wie gern erinnere ich mich alter Zeiten, Ihres lieben Mannes, Ihres lieben behaglichen Heims, in dem es einem so herzlich wohl sein konnte.« BD: Eschmann an Brahms, 16. März 1878; Brahms an Simrock, [4. April 1878]; Brahms an Simrock, [4. Dezember 1878]; Simrock an Brahms, 9. Oktober 1878 Fuchs, Robert (15. 2. 1847, Frauental a. d. Laßnitz/Österreich – 19. 2. 1927, Wien/Österreich) In der Beziehung von Brahms und Fuchs spielte das Instrument der Widmung eine wichtige Rolle: So sind Fuchs’ Zueignungen an zwei Angehörige des engen Brahms-Kreises (sein Lehrer Dessoff und Theodor Billroth) wohl auch aus der Überlegung entstanden, so über die Annäherung an Personen des nahen Brahms-Umfeldes auch diesem vorgestellt zu werden. Das Kalkül ging auf, beide Adressaten stellten Brahms in der Folge die Kompositionen vor. Zwei Jahre später konnte Fuchs es wagen, auch Brahms, der sich bereits lebhaft für seine Werke interessierte, sein Klaviertrio op. 22 zuzueignen. Das Konzept der Widmung zur Netzwerkerweiterung ging auf: In der Folge begann eine lange Beziehung, in deren Verlauf Brahms Fuchs mehrmals an Verleger empfahl und ihn ideell und finanziell unterstützte. Trotz seiner Vorliebe für Fuchs, den er seinen »besonderen Liebling« nannte, war Brahms allerdings nicht kritiklos gegenüber

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den Kompositionen des Jüngeren: »Besonders tief geht Fuchs ja nirgends; in den Symphonien streift er hie und da das Tiefere. Aber er ist so anmutig, in seinen Grenzen, die er doch nur in dem mir gewidmeten Trio ernstlich überschritten hat.« BD: Fuchs an Brahms, 24. November 1878; Fuchs an Brahms, 27. November 1878 Gegenbauer, J. C. (Lebensdaten nicht bekannt) Von Gegenbauer ist keinerlei biographisches Material überliefert, noch nicht einmal die Vornamen sind mit Sicherheit zu nennen. Die Brahms gewidmeten Neuen ungarischen Tänze mit einem Altersportrait des verstorbenen Adressaten weisen jedenfalls darauf hin, dass Gegenbauer von Brahms und dem Erfolg seiner Ungarischen Tänze WoO 1 profitieren wollte. BD: – Goetz, Hermann (7. 12. 1840, Königsberg – 3. 12. 1876, Hottingen bei Zürich/ Schweiz) Wann genau das erste Treffen zwischen Brahms und Goetz stattgefunden hat, ist nicht mehr nachzuvollziehen, mehrere Jahre werden in der Literatur genannt, die sich um das Jahr 1865 bewegen (vgl. z. B. Bob¦th, Hermann Goetz und Clive, Brahms and His World). Die Mitteilung der Widmung des Klavierquartetts op. 6 von Goetz legt allerdings nahe, dass Goetz zwar zu diesem Zeitpunkt mit dem Werk von Brahms vertraut war, ihm aber persönlich nicht nahe stand. Am Brief selber zeigt sich Goetz’ bewundernde, aber durchaus nicht kritiklose Haltung gegenüber den Werken von Brahms: So benennt er einerseits dessen Klavierquartette als direkte Inspirationsquelle des Widmungswerks, bekannte aber auch Vorbehalte gegenüber anderen Kompositionen: So seien ihm »auch bei Ihren Werken im Einzelnen wohl einmal einige Bedenken aufgestiegen […]. So rührte jene Rezension in der A.M.Z. über die Zürcher Aufführung des Goetheschen Fragmentes von mir her. Doch das sind Nebendinge. Was Ihr gesamtes Kunstschaffen und Ihre künstlerischen Erfolge betrifft, so können Sie überzeugt sein, daß wenige eine herzlichere Freude daran haben können als ich.« Auch über das Schicksalslied sind von Goetz im MWb 1873 (S. 433) kritische Äußerungen zu Aspekten der Instrumentation verbürgt. Brahms zeigte sich gegenüber Simrock jedoch über die Zueignung erfreut. Auch in der Folge blieb das Verhältnis beider Komponisten aber auf eine kollegiale Ebene beschränkt, der Austausch einiger Briefe belegt sporadischen Kontakt. Beide hegten künstlerischen Respekt vor der Leistung des Anderen; nach dem frühen Tod von Goetz unterstützte Brahms Ernst Frank durch Durchsicht der Partitur bei der Vollendung der Oper Francesca da Rimini des Verstorbenen und besuchte auch die Uraufführung des Werks.

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BD: Goetz an Brahms, 6. Juni 1870; Brahms an Goetz, [nach dem 6. Juni 1870]; Brahms an Carl Jacob Melchior Rieter-Biedermann, [Wien, 20. Juni 1870] Goldmark, Karl (18. 5. 1830, Keszthely/Ungarn – 2. 1. 1915, Wien) Karl Goldmark, in Wien ansässiger ungarischer Komponist, wird Brahms kurz nach dessen Ankunft in Wien im Jahr 1862 kennengelernt haben – er selbst konnte das genaue Datum in seinen Lebenserinnerungen nicht nennen. Unzweifelhaft ist jedoch, dass er zu den ersten Bekannten und Verbündeten von Brahms in Wien zählte: Als Kritiker der Constitutionellen Oesterreichischen Zeitung unterstützte er den Neuankömmling durch positive Rezensionen. Auch als Bratschist eines Streichquartetts setzte er sich für dessen Kompositionen ein, gemeinsam erstellten sie Gutachten für das österreichische Staatsstipendium. Trotz eines zeitweise recht engen Kontakts war das Verhältnis bis zum Schluss gespalten, Goldmark fühlte sich oft missverstanden (er äußerte: »Sein Verkehr mit mir war überhaupt wechselvoll, heute herzlich warm, intim, morgen kalt, zurückhaltend, spröde.«), Brahms äußerte sich kritisch über seine Kompositionen (Brahms an Ignaz Brüll: »Ich liebe Goldmarks Musik nicht, aber ich schätze ihn um seiner Tüchtigkeit willen.«). Zur Widmung selber ist nur wenig bekannt, offenbar wurde die Frühlingshymne jedoch in einem Konzert unter der Mitwirkung von Brahms uraufgeführt – Goldmark erwähnt sie dennoch in seinen Lebenserinnerungen in Zusammenhang mit Brahms überhaupt nicht. BD: – Gotthard, Johann Peter, eigtl. Pazd†rek, Bohumil (19. 1. 1839, Drahanovice/ Mähren – 17. 5. 1919, Voslau bei Wien) Gotthard war Brahms aus Wien bekannt, zeitweise war er sein Wiener Verleger. Gotthard war Brahms allerdings auch als Komponist ein Begriff: 1885 hielt Brahms ihn für einen aussichtsreichen Kandidaten des Österreichischen Staatsstipendiums. Der Zeitpunkt der beiden Widmungen liegt früher, zumindest die zweite Widmung ist eng verknüpft mit einem künstlerischen Dialog der beiden Protagonisten der späteren Zueignung: Die 1869 von Gotthard herausgegeben Ländler Schuberts waren lange Zeit der Herausgeberschaft Brahms’ zugeschrieben worden, der Gotthard aber wohl nur beratend zur Seite gestanden hatte. Die Widmung der Zehn Stücke in Tanzform Gotthards aus dem folgenden Jahr ist im Kontext dieser gemeinsamen Bemühungen um die Tänze Schuberts zu betrachten. Dies gerade, da es sich um die zweite an Brahms gerichtete Zueignung Gotthards handelte – dies ist durchaus ungewöhnlich. Bereits 1864 hatte Gotthard »seinem Freunde« Brahms ein Ave Maria für Männerchor dediziert. BD: –

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Grädener, Carl Georg Peter (14. 1. 1812, Rostock – 10. 6. 1883, Hamburg) Im Oktober 1854 schrieb Brahms an Joseph Joachim: »Ich habe Grädener jetzt kennen lernen, soll auch seine Werke zur Durchsicht bekommen; ich bin sehr neugierig, d. h. ich freue mich darauf.« Der Kontakt sollte bald freundschaftlich werden, die Komponisten, die beide in Hamburg aufgewachsen waren, sahen sich regelmäßig. Grädener schätzte den um 22 Jahre jüngeren Brahms ungemein und unterstützte ihn schon früh publizistisch. Er ist unter anderem Autor eines Artikels über Brahms und sein Sextett aus dem Jahr 1864. Noch früher datiert allerdings die Widmung seines Klaviertrios op. 35: Die Zueignung ist in ihrem unmittelbaren Erscheinen nach dem Entstehen des Manifests gegen die ›Neudeutschen‹ als kalkulierter, kammermusikalischer Ausdruck der Positionierung an der Seite Brahms’ zu werten. Dies besonders, da Grädener die Erklärung bereits unterzeichnet hatte, bevor sie schließlich durch Indiskretion mit weniger Unterschriften erschien. Auch nach der Widmung blieb die Verbindung zwischen den beiden Hamburgern bestehen, Grädener siedelte kurz vor Brahms nach Wien über, wo sich beide regelmäßig sahen. BD: Herzogenberg an Brahms, 26. 3. 1897; Herzogenberg an Joachim, 30. März 1897 Gretscher, Franz (26. 4. 1816, Koblenz – 1895, Kalvarienberg, NeuenahrAhrweiler) Es sind keine Dokumente zu einem direkten oder brieflichen Kontakt zwischen Brahms und Gretscher, Musiklehrer in Bad Neuenahr und Vater des Komponisten Philipp Gretscher, bekannt. Das Widmungslied, eine Fantasie über das beliebte Wiegenlied »Guten Abend, gut’ Nacht« von Brahms, ist jedoch durch den engen Bezug zum Widmungsträger leicht zu erklären und belegt darüber hinaus die Beschäftigung des Musiklehrers mit den Kompositionen des Widmungsadressaten. Laut William Horne (Horne, Brahms’ Variations on a Hungarian Song) verbinden sich beide Komponisten vor allem in ihrem Interesse für Variationen über Volksthemen – auch in dieser Beziehung ist die Wahl des Widmungswerks bezeichnend. BD: – Grimm, Julius Otto (6. 3. 1827, Pernau bzw. Pärnu/Estland – 7. 12. 1903, Münster) Julius Otto Grimm und Brahms verband bereits seit 1853 eine Freundschaft, beide wohnten nach dem Selbstmordversuch Robert Schumanns zeitweise zur Unterstützung Clara Schumanns in Düsseldorf. Ausdruck der gegenseitigen Wertschätzung sind u. a. die handschriftlichen Übereignungen seiner opp. 1 und 3, die Brahms Grimm zukommen ließ. Eine vorübergehende Trübung des Verhältnisses konnte durch die Vermittlung Joseph Joachims geklärt werden. Das

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Widmungswerk, die Kanonische Suite Nr. 2, passt sich in das Bild seiner Kompositionen ein: Ab 1860 ist eine Konzentration auf das Kanonschaffen zu erkennen. Grimm war sich der Reaktion der Öffentlichkeit sehr wohl bewusst und thematisierte sie in seiner Bitte um Widmungserlaubnis an Brahms: Er habe die Imitationen unmerklich eingerichtet – »[i]m Grunde geht’s auch keinen Menschen was an, ob ich zu meinem Privatvergnügen nochmals mich in Imitationen ausdrücke oder nicht«. Nach anfänglichen Ambitionen wurden schließlich wegen der hohen Arbeitsbelastung als Dirigent, aber auch wegen Skrupeln gegenüber dem Talent des übermächtigen Brahms fast nur noch kleinere Lied- und Chorwerke veröffentlicht. Brahms beurteilte das Widmungswerk, »diesen neuen kanonischen Dauerlauf« vorsichtig und gewohnt ausweichend, monierte aber immerhin die fehlende »Zivilehe zwischen Baß und Sopran«. Nur im Kontext der Uraufführung ist sein Kommentar, »daß man sonst nicht so einfach mitläuft, wie bei einer Sinfonie« zu verstehen: Die Suite wurde zumindest in der Rezension der Leipziger Tonhalle als Sinfonie betitelt. BD: Grimm an Brahms, 8. Mai 1870; Brahms an Grimm, Mai 1870; Grimm an Brahms, 25. Dezember 1870; Brahms an Grimm, [Anfang 1870] Henschel, George (18. 2. 1850, Breslau – 10. 9. 1934, Aviemore/Schottland) George Henschel (Studium bei Reinecke in Leipzig und bei Kiel in Berlin) lernte Brahms laut seinen Personal Recollections beim Niederrheinischen Musikfest in Köln 1874 kennen. Danach blieb der Kontakt bestehen, Henschel wirkte als Sänger unter Brahms und setzte sich besonders nach seiner Übersiedlung nach England (1877) als Sänger und Dirigent für seine Werke ein. So war er u. a. verantwortlich für die englische Erstaufführung des Triumphlieds und des Doppelkonzerts op. 103 (mit Joseph Joachim). Brahms sandte ihm mehrfach über seine Verleger Exemplare ausgewählter Kompositionen zu, u. a. die Magelone-Romanzen. Auch kompositorisch war Henschel tätig und tauschte sich mit Brahms über eigene Werke aus. Im Rahmen eines solchen Gesprächs über kompositorische Fragestellungen ist auch die Widmung seines Serbischen Liederspiels an Brahms zu sehen: In seinen Personal Recollections berichtet Henschel, er habe sich 1876 mit Brahms über die Serbenlieder Loewes unterhalten und Brahms habe ihm Tipps zur Liedkomposition gegeben: Die Widmung aus dem Jahr 1879 kann als persönlicher Beitrag zu diesem Austauschs über die Komposition von Liedern zu historisch tradiertem Textmaterial verstanden werden. Bezeichnenderweise wählte Henschel wie Loewe die Übersetzungen TALVJs als Kompositionsgrundlage. BD: Henschel an Brahms, 7. April 1879

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Herzogenberg, Heinrich von (10. 6. 1843, Graz/Österreich – 9. 10. 1900, Wiesbaden) In beiden Widmungen Herzogenbergs kommt das tiefe, aber ambivalente Verhältnis der Musiker zum Ausdruck: Brahms und Herzogenberg hatten sich 1863/ 64 über den Lehrer Herzogenbergs, Otto Dessoff, kennengelernt. Der persönliche Kontakt wurde aber erst zehn Jahre später wieder aufgenommen – Herzogenberg war nun mit der von Brahms sehr geschätzten Elisabeth, geb. Stockhausen, verheiratet. Die ausführliche Korrespondenz zeigt deutlich, dass Brahms weniger wegen Herzogenberg, als vielmehr wegen dessen Frau, deren Meinung er auch in kompositorischen Fragen sehr schätzte, den Kontakt hielt: Elisabeth von Herzogenberg erhielt sogar eine seiner seltenen Werkwidmungen – ihr sind die Rhapsodien op. 79 zugeeignet. Heinrich von Herzogenberg suchte dagegen immer wieder vergeblich den kompositorischen Rat des Freundes und sandte ihm eigene Kompositionen zur Ansicht zu. Brahms wich der direkten Beurteilung jedoch stets aus, in vielen Kommentaren gegenüber Dritten wird seine Kritik deutlich. Obwohl Herzogenberg dies schmerzlich bewusst war, suchte er trotzdem stets die Anerkennung des Freundes. In Bezug auf seine Brahms gewidmeten Quartette op. 42 schrieb er so, er habe, da Brahms die Widmung angenommen habe, »einen wahren Respekt vor meinen eigenen Kindern gekriegt!« Tatsächlich schätzte Brahms die Quartette als den Höhepunkt des Herzogenberg’schen Schaffens ein. Als dieser dem bereits todkranken Brahms die Widmung seines Klavierquartetts op. 95 ankündigte (es sollte schließlich erst nach dem Tod des Widmungsträgers erscheinen) resümierte er abschließend die komplexe Beziehung gegenüber dem Adressaten: »Zwei Dinge kann ich mir nicht abgewöhnen: Daß ich immer komponiere, und daß ich dabei ganz wie vor 34 Jahren mich frage, ›was wird Er dazu sagen?‹ ›Er‹, das sind nämlich Sie. Sie haben nun zwar seit längeren Jahren nichts dazu gesagt; was ich mir deuten mag, wie ich will. Meiner Verehrung für Sie hat es aber keinen Eintrag getan. Und so betone ich sie wieder einmal durch eine Zueignung, die Sie mir freundlich zugute halten mögen!« BD: Elisabeth von Herzogenberg an Brahms, 10. März 1878; Brahms an Herzogenberg, März 1878; Elisabeth von Herzogenberg an Brahms, 6. Januar 1884; Herzogenberg an Brahms, 24. März 1884; Brahms an Herzogenberg, [28. März 1884]; Herzogenberg an Spitta, 4. April 1884; Brahms an Herzogenberg, [21. November 1884]; Brahms an Herzogenberg, 1. Dezember 1884; Elisabeth v. Herzogenberg an Brahms, 4. Dezember 1884; Brahms an Elisabeth von Herzogenberg, 22. Dezember 1886 Heyssig, Alfred (Lebensdaten unbekannt) Zur Verbindung zwischen Brahms und dem Böhmen Alfred Heyssig ist nur wenig bekannt. Heyssig war zum Studium nach Wien gezogen, wo er auch mit

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Brahms in Kontakt kam. Nachweis dafür ist eine briefliche Empfehlung Heyssigs durch Brahms an Simrock (1885), in dem von ihm als »einem höchst prachtvollen und praktischen Komponisten« gesprochen wird. Als jedoch 1890/91 tatsächlich die opp. 1–6 im Verlag Simrock erschienen, wehrte sich Brahms dagegen, dass Heyssig aufgrund der Empfehlung nun in den musikalischen Kreisen als sein »besonderer Schützling und Liebling« bekannt sei. In diesem Licht erschien ihm auch die Widmung der Fantasie op. 3, die wohl als Dank für die Vermittlung zu werten ist, »nicht ganz gehörig und passend und geschmackvoll«. Nichtsdestotrotz könne er sie dem jungen Böhmen nicht übelnehmen. Nach dieser Episode findet Heyssig im Umfeld von Brahms keinerlei Erwähnung mehr, weitere Werkveröffentlichungen sind nicht zu ermitteln. BD: Brahms an Simrock, [2. Mai 1890] Hinton, Arthur (20. 11. 1869, Beckenham, Kent/England – 11. 8. 1941, Rottingdean, Sussex/England) Arthur Hinton hatte nach bisherigem Kenntnisstand keinen nennenswerten persönlichen Kontakt zu Brahms. Die Widmung ist im Kontext seines Studiums in München bei Joseph Rheinberger (1893/94) zu sehen: Weisse Rosen wurde ca. 1896 in München bei Schmid veröffentlicht. Die Presse seines Heimatlandes urteilte: »Here the Brahms influence is quite perceptible, though not so much as one might imagine, from the fact that the songs are dedicated to the ›Master‹ himself.« Zurück in seiner Heimat gehörte Hinton zum Kreis um Charles Villiers Stanford, der für die Brahms-Pflege in England eminent wichtig war. BD: – Hofmann, Heinrich (13. 1. 1842, Berlin – 16. 7. 1902, Thüringen) Hofmann war mit Brahms wohl nicht persönlich bekannt. Die Widmung sucht ihren Anknüpfungspunkt in der Beschäftigung mit ungarischen Volksweisen, die Hofmann später auch mit Neuen ungarischen Tänzen unterstrichen hat. Diese wurden von der Presse in der Folge den Tänzen von Brahms an die Seite gestellt. Brahms diente in der Zueignung aber auch als Werbefaktor : Mit der ihm gewidmeten Ungarischen Suite gelang Hofmann der endgültige Durchbruch, in den 1870ern und 80ern galt er als einer der beliebtesten Komponisten. In folgenden Verlagsanzeigen seiner Werke wurde auf den besonderen Erfolg der Suite immer wieder hingewiesen: »Aeusserst wenige Orchestersachen der Neuzeit können ähnliche glänzende Erfolge aufweisen, wie die Hofmann’schen Compositionen; so wurde beispielsweise die ›Ungarische Suite‹ in Zeit [sic] von 1 12 Jahren in 103 verschiedenen Städten […] zur Aufführung gebracht.« BD: –

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Huber, Hans (28. 6. 1852, Eppenburg, Solothurn/Schweiz – 24./25. 12. 1921, Locarno) Huber war Reinecke-Schüler am Leipziger Konservatorium, der ihn in seiner Jahresbeurteilung 1874 einen »der fleissigsten und talentvollsten Schüler« nannte. In Leipzig trat Huber über die in Leipzig ansässige Familie Herzogenberg in Kontakt mit Brahms. Er berichtet über dieses erste Zusammentreffen im Jahr 1874: »Das Zusammenleben mit dem genialsten und geistreichsten der neueren absoluten Komponisten werde ich nie vergessen. Ich habe ihn durch Zufall und glückliches Zusammentreffen von den verschiedensten Seiten kennen gelernt; als ausgezeichneten Dirigenten, feinen Klavierspieler, wie auch liebenswürdigen Menschen. Ich hatte selbst die Ehre, im Hause von Herzogenberg mit ihm seine vierhändigen Ungarischen Tänze durchspielen zu können, was mir ungeheuer interessant und lehrreich war […]«. In der Folge heißt es: »Ich habe seit Brahms hier war und mir Mut eingesprochen hat, wieder kolossale Freude am Arbeiten und Componieren.« Seiner Dankbarkeit und Verehrung verlieh Huber durch die Widmung der Walzer op. 27 Ausdruck. Sie sind kompositorisch klar beeinflusst von den Walzern op. 39 des Widmungsadressaten, im elften Walzer ist ein Brahms-Zitat integriert. Trotz seiner Bewunderung für Brahms war seine Stellung im Parteienstreit nach eigener Aussage unbestimmt: Er schätzte auch Wagner und Liszt sehr. Tatsächlich sollte sich seine positive Beurteilung von Brahms in der Folge zumindest in Teilen revidieren: Bezeichnete er sich in der Bitte um Widmungserlaubnis noch als »begeisterter Schwärmer Ihrer Musik«, wurde seine Einstellung in späteren Jahren zunehmend kritisch. BD: Huber an Brahms, 14. Januar 1878; Brahms an Huber, [nach dem 14. Januar 1878] Hummel, Ferdinand (6. 9. 1855, Berlin – 24. 4. 1928, Berlin) Zwischen Ferdinand Hummel und Brahms hat es keinen tiefergehenden Kontakt gegeben. Hummel, Berliner Schüler Woldemar Bargiels, Friedrich Kiels und Ernst Rudorffs, war wohl durch das Brahms-affine Umfeld der Berliner Hochschule an die Kompositionen von Brahms herangeführt worden. Die Widmung der Suite für Pianoforte zu vier Händen op. 15 ist Zeugnis der Verehrung eines Brahms-Enthusiasten, der in der Bitte um Widmungserlaubnis bemerkt, »daß Ihre, von Gott begnadete Muse, mich erst zur Kenntniß von erhabenerem Schaffen gemacht hat, als dies bis jetzt der Fall gewesen ist.« Brahms scheint trotz der Widmung kaum Notiz von seinem Bewunderer genommen zu haben. Jedenfalls fragte er Simrock drei Jahre später, als ihm von Härtel eine Bearbeitung seiner Klaviersonate op. 2 von Hummel vorgelegt worden war : »Schreiben Sie doch, wer und was ist eigentlich Ferd. Hummel?« BD: Hummel an Brahms, 5. November 1877

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Jensen, Adolf (12. 1. 1837, Königsberg – 23. 1. 1879, Baden-Baden) Das Verhältnis zwischen Brahms und dem fast gleichaltrigen Adolf Jensen ist komplex: Als Komponist begriff sich der heute meist als ›neudeutsch‹ eingeordnete Liszt-Schüler und Wagner-Verehrer Jensen anfangs eigentlich als »Schumannianer« – und damit als mitstrebender Kunstgenosse von Brahms. Dessen erste Veröffentlichungen hatte er (wohl wegen der enthusiastischen Ankündigung Schumanns in Neue Bahnen) aufmerksam verfolgt und ihm in Betonung der gemeinsamen Schumann-Nachfolge seine Fantasiestücke für das Pianoforte op. 7 gewidmet. Die Reaktion von Brahms fiel allerdings kühl aus. Bemerkenswert ist diese Zueignung vor allem deshalb, weil sie aus einer Zeit stammt, aus der sonst nur Dedikationen enger Freunde und Bekannter vorliegen: Brahms war als Komponist noch nicht endgültig etabliert und als öffentlicher Adressat wenig interessant. Nur die von Jensen konstruierte gemeinsame Basis im Schumann-Lager lässt die Widmung verständlich werden. Als Teil einer komplexen Diskussion zur Großform Sonate kam es 1865 allerdings sogar zu einer zweiten Widmung: Jensen eignete Brahms – in Verteidigung des eigenen Schaffens gegenüber dem kritischen Brahms – seine Klaviersonate op. 25 zu. In den 1870er Jahren sind nach einem ersten kurzen Treffen 1860 dann vereinzelte Begegnungen verbürgt, enger Kontakt bestand aber wohl nie. Dies wohl auch, da Jensen sich stets in seiner kompositorischen Leistung von Brahms missachtet und zu Unrecht kritisiert fühlte. BD: zu op. 7: Jensen an Brahms, 24. Mai 1862; Brahms an Jensen, [23. Juni 1862]; zu op. 25: Jensen an Brahms, 22. November 1864 Joachim, Joseph (28. 6. 1831, Kittsee bei Pressburg – 15. 8. 1907, Berlin) Das freundschaftliche, zeitweise aber nicht unbelastete Verhältnis zwischen Brahms und Joseph Joachim ist hinlänglich bekannt: Es nahm 1853 seinen Ausgang und war besonders in der ersten Zeit, auch während der gemeinsamen Sorge um Robert Schumann, eng. Beide verband ein unbedingter Respekt vor der Leistung des anderen, wobei Joachim in Briefen schon früh andeutet, Brahms als kompositorisch überlegen anzusehen. Die Widmung des Violinkonzerts in ungarischer Weise op. 11 (1861 gedruckt) stammt aus einer Zeit intensiven künstlerischen Kontakts zwischen den zwei aufstrebenden Künstlern. Schon früh hatten Brahms und Joachim sich zu kompositorischen Fragestellungen beraten, berühmt ist ihr gemeinsames Studium von Kanons. Auch die Widmung ist vor allem Ausdruck dieses kompositorischen Austauschs: Seit 1858 hatte Joachim Brahms wiederholt Teile des Konzerts zur Kritik vorgelegt. Insgeheim hatte Brahms stets auf die Zueignung von Joachims Edward-Ouvertüre gehofft; als sich der Druck des Werks zerschlug, trug Joachim ihm die Dedikation des Konzerts an, da »Du ja ein freundschaftliches Faible für das ungarische Gewächs hast«. Gleichzeitig kann die Widmung als Gegengabe für

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die in der Frühzeit der Freundschaft erhaltene Zueignung von Brahms’ erstem gedruckten Werk mit Opuszahl (Klaviersonate op. 1) gelten. 1879 erhielt Joachim in Analogie zur Widmung seines Konzerts nach künstlerischer Beratung das Violinkonzert op. 77 von Brahms zugeeignet. BD: Joachim an Brahms, 4. Dezember 1858; Brahms an Joachim, 7. Dezember 1858; Joachim an Brahms, 19. Dezember 1858; Joachim an Brahms, ca. 20. März 1869; Joachim an Brahms, Anf. Mai 1859; Joachim an Brahms, 26. November 1859; Brahms an Joachim, 10. März 1860; Joachim an Brahms, ca. 22. März 1860; Joachim an Brahms, ca. 26. März 1860; Brahms an Joachim, 18. September 1860; Joachim an Brahms, [8. Oktober 1860]; Brahms an Joachim, [15. Oktober 1860]; Brahms an Joachim, [13. Dezember 1860]; Joachim an Brahms, [Anfang Januar 1861]; Brahms an Clara Schumann, 1860 (Litzmann II, S. 78) Kauffmann, Fritz (17. 06. 1855, Berlin – 29. 9. 1934, Magdeburg) Fritz Kauffmann, heute vor allem durch seine Tätigkeit als Dirigent in Magdeburg in Erinnerung, studierte an der Brahms sehr verbundenen Berliner Hochschule Klavier bei Ernst Rudorff und Komposition bei Friedrich Kiel. Direkten Kontakt mit Brahms konnte er 1881 als Mendelssohn-Stipendiat in Wien aufbauen, wo sich Brahms für ihn interessierte. Die Widmung von ca. 1888 könnte an diese Zeit der persönlichen Begegnung anknüpfen. Spätere Treffen oder Korrespondenzen sind nicht bekannt. BD: – Kirchner, Theodor (10. 12. 1823, Neukirchen/Erzgeb. – 18. 9. 1903, Hamburg) Ungefähr seit 1856 (das Datum des ersten Kennenlernens ist unklar) kannten Brahms und Kirchner sich, die gemeinsame ästhetische Musikanschauung ließ Kirchner unter anderem einer Unterzeichnung eines Rundschreibens zur Erklärung gegen die ›Neudeutschen‹ zustimmen. Aber erst ab 1865 kam es zu einer Vertiefung der Bekanntschaft, die in eine freundschaftliche Beziehung mündete. Kirchner machte sich besonders um die Verbreitung der Kompositionen seines Freundes in seiner Wahlheimat verdient und vermittelte ihm u. a. den Kontakt zu Hermann Goetz und Widmann. Brahms wiederum schätzte vor allem die Fähigkeiten des versierten Arrangeurs (beurteilte jedoch die Bearbeitungen seiner eigenen Werke ambivalent) und unterstützte den in ärmlichen Verhältnissen lebenden Freund immer wieder finanziell. 1872 verließ Kirchner die Schweiz, 1874 kam es nach längerer Pause wieder zu einem Treffen mit Brahms. Die Widmung der Walzer op. 23 ist neben ihrer Funktion als Ausdruck der Verehrung vor allem kompositorisch motiviert: Die Sammlung nimmt klar Bezug auf die Walzer op. 39 des Widmungsträgers. Damit reiht Kirchner sich neben Hans Huber oder Georg H. Witte in die Reihe jener Komponisten ein, die Brahms als

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»Idealisierer« der unterhaltenden Musik sahen und ihm in dieser Eigenschaft durch die Zueignung die Referenz erwiesen. BD: – Koessler, Hans (1. 1. 1853, Waldeck – 23. 5. 1926, Ansbach) Koeßler lernte Brahms über seinen Lehrer Franz Wüllner kennen: Dieser machte Brahms, der in der Folge regen Anteil an Koeßlers Karriere nahm, auf den begabten Studenten aufmerksam. 1883 berichtet Brahms an Wüllner, er sei hocherfreut über einen Besuch Koeßlers gewesen, den er bei dieser Gelegenheit erstmals persönlich kennenlernte. Auch später ist Koeßler Gegenstand der Korrespondenz zwischen Wüllner und Brahms, so, als Brahms sich 1889 erfreut über die Verleihung des ersten Preises des Wettbewerbs des Wiener Tonkünstlervereins an Koeßler (für einen sechzehnstimmigen Psalm) zeigte. Das Widmungswerk, Sinfonische Variationen, ist von Koeßler als Hommage an den verstorbenen Förderer geplant gewesen und sollte ursprünglich Überschriften mit Bezug zum Leben des Verstorbenen erhalten. Dies wurde aber schließlich – wohl, da zu wenig subtil – in der Druckfassung verworfen. BD: – Kreuz, Emil, Nachname 1914 geändert in Thornfield (25. 5. 1867, Elberfeld, heute Wuppertal – 3. 12. 1932, London od. Brüssel?) Eine persönliche Bekanntschaft ist zwischen Brahms und Emil Kreuz nicht belegt. Trotzdem sind schon früh potenzielle Anknüpfungspunkte in der Biographie von Kreuz zu erkennen: So studierte er in Köln bei Georg Japha, dem Cousin und Schwager der engen Brahms-Freundinnen Luise und Minna Japha, Violine, bevor er mit einem Stipendium ausgestattet an das Royal College of Music in London wechselte. Hier war er bis 1888 Schüler von Charles Villiers Stanford und gab im Dezember 1888 sein Debut als Violinist in den London Symphony Concerts unter George Henschel. Direkt nach Studienende widmete er Brahms in diesem Brahms-affinen Umfeld zwei Opera: die Vier Gesänge op. 1 und die Vier Lieder op. 3. Auch später setzte er sich mit Brahms’ Vokalwerken auseinander und erstellte beispielsweise für Konzerte englische Fassungen einiger Lieder (vgl. MT [1. Mai 1913], S. 319). BD: – Lachner, Vinzenz (19. 7. 1811, Rain am Lech – 22. 1. 1893, Karlsruhe) Der um viele Jahre ältere Lachner hatte Brahms während seiner Zeit als Kapellmeister in Mannheim persönlich kennengelernt, mit ihm und Clara Schumann verband ihn große gegenseitige Wertschätzung. Brahms achtete seine Meinung in kompositorischen Belangen: In der Korrespondenz äußerte Lachner eine durchaus differenzierte Sicht auf die Kompositionen des Kollegen, den er

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trotz allem als ihm selber kompositorisch weit überlegen einschätzte. Brahms sei ein Komponist, »der mit jedem neuen Werke unser geistiges Nationalvermögen erweitert, dessen völlige u. letzte Erkenntnis erst einer späteren Zeit vorbehalten ist.« Im historischen Parteienstreit stand er fest auf der Seite der Konservativen um Brahms und reichte 1873 in Mannheim sogar wegen eines Streits mit der Wagner-Partei seine vorzeitige Pensionierung ein. Die 12 Ländler (Rustic Dances) with Intermezzo and Finale erschienen 1879 bei Augener in London als »A Christmas Gift to Johannes Brahms«. BD: – Lange, Samuel de (22. 2. 1840, Rotterdam/Niederlande – 17. 7. 1911, Stuttgart) Samuel de Lange ist für die niederländische Brahms-Rezeption ein wichtiger Name: Schon sein gleichnamiger Vater war flüchtig mit Brahms bekannt und besuchte ihn 1873 in Tutzing. Der Sohn war sowohl als Pianist als auch als Organist an wichtigen niederländischen Aufführungen Brahms’scher Kompositionen beteiligt, so führte er 1866 u. a. mit Emanuel Wirth das Klavierquartett op. 26 in Rotterdam auf und wirkte bei der niederländischen Erstaufführung des ersten Klavierkonzerts als Solist mit. Auch unter dem Dirigat von Brahms spielte er mehrfach, dieser übereignete ihm die von ihm ausgesetzte Orgelstimme von Mozarts Venite populi nach einem gemeinsamen Konzert des Werks. Die Widmung der Orgelsonate Nr. 5 op. 50 ist im Licht dieser zwar flüchtigen, aber dennoch kontinuierlichen Verbindung des Organisten an den berühmten Komponisten zu betrachten, Lange lebte und arbeitete zum Widmungszeitpunkt nicht mehr in den Niederlanden, sondern in Stuttgart. BD: – Lucas, Clarence (19. 10. 1866, Ontario/Kanada – 1. 7. 1947, SÀvres/Frankreich) Der kanadische Komponist und Musikschriftsteller Clarence Lucas war mit Brahms persönlich nicht bekannt. Seinen Anknüpfungspunkt zum späteren Widmungsadressaten, dem er 1897 mit seinem Praeludium et Fuga ein musikalisches Denkmal setzte, wird in der Zeit seines Londoner Aufenthalts (ab 1893, privater Lehrer für Musiktheorie und Kontrapunkt) zu suchen sein, wo er durch die enge Verbindung des englischen und deutschen Musiklebens die Möglichkeit hatte, Brahms’ Kompositionen im Konzert zu hören. Den Eingang in die Kreise der musikalischen Gesellschaft Londons konnte ihm seine erste Ehe mit einer Schülerin Clara Schumanns, Clara Asher, erleichtern. BD: – Marxsen, Eduard (23. 7. 1806, Nienstedten bei Altona – 18. 11. 1887) Die Widmung Eduard Marxsens, Lehrer des jugendlichen Brahms in Hamburg, ist im Kontext der Bemühungen des mittlerweile berühmten Brahms für die

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Kompositionen seines ehemaligen Förderers zu sehen: »Mein Lehrer Marxsen hat am 19ten November ein fünfzigjähriges Jubiläum. Ich weiß, daß es ihm eine ungemeine Freude wäre – wenn er noch was von sich gedruckt sähe. Namentlich auf beifolgende 100 Variationen bildet er sich viel ein – nun, und kann es ja auch! Kurz, ich möchte sie auf meine Kosten drucken lassen und hoffe, Sie behandeln mich menschlich dabei«, so ein Brief Brahms’ an Simrock. Das ein Jahr später (1884) bei Simrock im Verlag erschienene Werk ist demnach Brahms aus Dankbarkeit zugeeignet, gleichzeitig kann es als Gegenwidmung für den Erhalt der Widmung des Klavierkonzerts Nr. 2 op. 83 (1881) gelten. BD: Brahms an Simrock, [1. November 1883] Nawratil, Karl (7. 10. 1836, Wien – 6. 4. 1914, Wien) Seit dem Anfang der 1860er Jahre waren Nawratil und Brahms nach Aussage Nawratils miteinander bekannt. Vor allem in der Anfangszeit war der persönliche Kontakt relativ stark, Nawratil wurde auf Empfehlung von Brahms Schüler Nottebohms. Das 1881 Brahms gewidmete Klaviertrio op. 9 zeigt deutlich Nawratils kompositorische Ambitionen – die von Brahms allerdings nicht ernst genommen wurden. Das Verhältnis kühlte zunehmend ab, in einer von Nawratil gewünschten Empfehlung seiner Person an den Verleger Simrock deutet Brahms an, er habe den eigentlich als Advokat ausgebildeten Nawratil als Komponist immer nur als »Liebhaber«, als Amateur, betrachtet. Nichtsdestotrotz bestand auch beruflicher Kontakt, 1886 sollte Nawratil neben Brahms und Karl Goldmark Preisrichter des Preisausschreibens des Tonkünstlervereins werden. BD: – Nicodé, Jean Louis (12. 8. 1853, Jerczik bei Poznan/Polen – 5. 10. 1919, Langebrück bei Dresden) Über die Korrespondenz anlässlich der Widmung von Nicod¦s Sinfonischen Variationen op. 27 hinaus ist kein Kontakt zwischen Brahms und Jean Louis Nicod¦ belegt. Die Widmung des sonst von den Zeitgenossen eher der ›neudeutschen‹ Richtung zugeordneten Nicod¦ ist höchstwahrscheinlich motiviert durch Brahms’ gattungskonstituierende Beiträge zum Gebiet der Orchestervariation. Zumindest indirekt war Brahms aber bereits vor der Zueignung mit einigen Kompositionen Nicod¦s in Kontakt gekommen, auch in diesem Fall über eine Dedikation. Clara Schumann hatte ihm über Joachim Klavierstücke zukommen lassen – es handelt sich um die Sechs Phantasiestücke op. 6, gewidmet dem Andenken an Robert Schumann. Die Gründe für die Vermittlung Clara Schumanns nennt Joachim: Diese sei »ja nicht ganz unzugänglich für Zeichen unbedingter Schwärmerei für alles, was ihren Namen trägt«. BD: Brahms an Nicod¦, [12. Januar 1884]; Brahms an Nicod¦, [23. Oktober 1884]

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Novák, V†teˇzslav (5. 12. 1870, Kamenice nad Lipou/Tschechien – 18. 7. 1949, Skutec, Ostböhmen) V†teˇzslav Nov‚k, tschechischer Komponist und Pädagoge, war als Student des Prager Konservatoriums ab 1889 u. a. Schüler von Karel Bendl, bevor er 1891 zeitgleich mit Josef Suk in die neugegründete Kompositionsklasse Anton†n Dvorˇ‚ks aufgenommen wurde. Nov‚k erhielt von 1894 bis 1896, u. a. auf Empfehlung von Brahms, das österreichische Staatsstipendium. 1896 reichte Nov‚k zum Zweck der Beurteilung für das Stipendium auch »3 Hefte Clavierstücke« ein, die Brahms und Dvorˇ‚k schließlich Simrock als Verlagsartikel empfahlen. Unter ihnen befanden sich die Eklogen, die Nov‚k Brahms als Dank für die Vermittlung widmete. In seinen tschechischen Memoiren sagte Nov‚k zum Brahms’schen Einfluss auf seine Musik: »Für mich war Brahms der beste Lehrer der motivischen Arbeit und der Form-Proportionalität, das wirksamste Gegenmittel für meinen Weltschmerz.« BD: Brahms an Simrock, [12. Oktober 1896]; Brahms an Simrock, [4. November 1896] Perger, Richard von (10. 1. 1854, Wien – 11. 1. 1911, Wien) Richard von Perger kannte Brahms aus Wien, wiederholt wird in der Literatur angegeben, er sei kurze Zeit sein Schüler gewesen. Brahms empfahl ihn ab 1877 wiederholt für das Österreichische Staatsstipendium, bevor er schließlich 1895 nach seiner Rückkehr aus Rotterdam als Mitglied der Jury des Wiener Tonkünstlervereins sein Kollege wurde – u. a. wurde 1896 Walter Rabl der erste Preis für sein später Brahms gewidmetes Klarinetten-Trio zuerkannt. Perger selber war sich der Bedeutung, die Brahms für sein Fortkommen zukam, durchaus bewusst, er sagte: »Ich verdanke ihm so ziemlich alles, was ich in meiner öffentlichen Tätigkeit erreicht habe«. Trotzdem bemühte er sich um eine kritische Distanz zu den Kompositionen seines Förderers – seine Kammermusik schätzte er am höchsten ein: »Die größten künstlerischen Taten hat Brahms auf dem Gebiete der Kammermusik und der Komposition für die Menschenstimme zu verzeichnen.« Dementsprechend ist die Wahl des Streichquartetts op. 8 als Widmungswerk nur angemessen. Es ist wohl als Dank für die Unterstützung zu verstehen – gerade, da es in seiner Entstehung und Drucklegung im Jahr 1886 direkt aus der Zeit der wiederholten Empfehlungen für das Staatsstipendium stammt. BD: – Philips, Eugen (Lebensdaten unbekannt) Zu Eugen Philips sind keinerlei biographische Daten überliefert, demnach kann auch der Bezugspunkt zu Brahms nicht näher bestimmt werden. Da die meisten der von ihm komponierten Werke bei Andr¦ in Offenbach verlegt wurden, steht

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zu vermuten, dass Philips mit einem Offenbacher Fabrikanten selben Namens, der 1880/81 der Frankfurter Hochschule eine Spende zukommen ließ, in Verbindung gebracht werden muss. In Ermangelung anderer Eindrücke soll an dieser Stelle die Rezension eines seiner Werke (eines Trios c–Moll op. 20; Brahms gewidmet ist das Klaviertrio op. 28) aus der AmZ 1872, S. 609 zitiert werden: »Eine hochachtbare Arbeit ist das! – Herr Philips, dessen Bekanntschaft wir eben erst durch das vorliegende Trio gemacht haben, gehört unter die nicht allzu grosse Zahl von lebenden Componisten, die bei starker Begabung rechtschaffen studirt, ernstlich über ihre Kunst nachgedacht und volle Klarheit über die anzustrebenden Ziele gewonnen haben. Es ist eine wahre Herzensfreude für den Kritiker, wenn ihm eine neue künstlerische Persönlichkeit entgegentritt, bei der er von vorneherein die Ueberzeugung gewinnt, dass ihr Wirken ein der Kunst heilsames sein wird. […] Der (wohl noch jüngere) Tonsetzer bekennt sich in seinem Werke durchaus als Schüler der Grossmeister auf dem Gebiete der Kammermusik.« BD: – Rabl, Walter (30. 11. 1873, Wien – 14. 7. 1940, Klagenfurt Der erste Kontakt des Nawratil-Schülers zu Brahms kam über den Wettbewerb des Wiener Tonkünstlervereins 1896 zustande: Rabl hatte sein Quartett für Pianoforte, Violine, Klarinette (oder Bratsche) und Violoncell op. 1 eingereicht, das den ersten Preis zuerkannt bekam. Brahms, der für den Wettbewerb zwei Preise gestiftet hatte und im Preisrichterkomitee saß, empfahl das Werk – wie auch das Klarinettentrio Alexander Zemlinskys (3. Preis) – Simrock zum Verlag. Tatsächlich nahm dieser das Quartett in sein Verlagsprogramm auf, als Dank eignete Rabl es dem Vermittler Brahms zu. Nach Behr setzte sich Brahms auch für die Aufführung durch das Soldat-Roeger-Quartett ein und war selber im Konzert kurz vor seinem Tod anwesend. Dies wäre das letzte Konzert, das Brahms besucht hat. BD: Brahms an Simrock, [3. Dezember 1896]; Brahms an Simrock, [17. Dezember 1896]; Brahms an Simrock, [23. Dezember 1896] Reger, Max (19. 3. 1873, Brand/Opf. – 11. 5. 1916, Leipzig) Brahms war für Max Reger vor allem zu Beginn seiner kompositorischen Tätigkeit größtes Vorbild: »Nämlich, Brahms ist der einzige, von dem man in unserer Zeit – ich meine der einzige unter den lebenden Komponisten – etwas lernen kann; und ich kann behaupten, ohne im geringsten arrogant zu werden, daß ich Brahms sehr gut verstehe.« Diese unbedingte Zustimmung wurde mit zunehmendem kompositorischem Selbstbewusstsein allerdings etwas relativiert, auch wenn eine grundlegende Wertschätzung immer bestehen blieb. Immer wieder scheint in Briefen an Dritte zum einen aber auch die kritische

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Sicht der Persönlichkeit von Brahms auf, zum anderen ein gewisser Neid auf die Publikumsgunst, die Brahms – im Gegensatz zu ihm – entgegengebracht wurde. Im Mai 1896 nahm der 23jährige Reger erstmals brieflichen Kontakt zu Brahms auf, um ihm die Widmung einer noch nicht vollendeten Sinfonie anzutragen. Auch wenn das Werk – und damit die Zueignung – nie erschien, legt der Widmungsversuch Zeugnis von Regers großem künstlerischen Selbstvertrauen ab: Er verfolgte mehrfach die Strategie, Werke bestimmter Gattungen von ihm als exemplarisch angesehenen Meistern zu dedizieren. In der Folge wurden wenige Briefe ausgetauscht, Brahms bat um ein Foto des jungen Kollegen. Dies ist durchaus als Zeichen der Anerkennung der kompositorischen Leistung (Reger hatte ihm ein Exemplar seiner »den Manen Bach’s« gewidmeten Orgelsuite übersandt, deren Widmungstext Brahms wegen der damit verbundenen Formulierung des eigenen kompositorischen Anspruchs »erschreckte«) gelten kann. Dass Reger Brahms vor allem auch als Sinfoniker schätzte, beweist dann auch das Brahms zum Andenken komponierte Klavierstück Resignation: Es kulminiert in einem Zitat der vierten Sinfonie des Widmungsträgers. ist dagegen Eine Rhapsodie für Klavier aus demselben Jahr, »Den Manen von Johannes Brahms« gewidmet, legt Zeugnis von Regers Begeisterung für den Komponisten von Klaviermusik ab, die Reger zuvor auch in Briefen gegenüber Dritten mehrfach betont hatte. BD: – Reinecke, Carl (23. 6. 1824, Altona/dän. Reich – 10. 3. 1910, Leipzig) Das Verhältnis zwischen Brahms und Reinecke ist stets ambivalent gewesen – auch die den »Manen Brahms« gewidmete Cellosonate op. 238 legt davon Zeugnis ab. Beide Musiker waren sich seit 1853 bekannt, hatten aber sowohl auf persönlicher als auch kompositorischer Ebene wiederholt mit Differenzen und gegenseitigen Missverständnissen zu kämpfen. Gerade Reinecke wurde in seiner Eigenschaft als Gewandhauskapellmeister von Parteigängern Brahms’ vorgeworfen, dessen Kompositionen vernachlässigt zu haben. Reinecke hatte dies immer bestritten – ein Blick auf die Konzertprogramme zeigt, dass er sich tatsächlich durchaus für bestimmte Werke von Brahms einsetzte und andererseits die vermutete Vernachlässigung von Brahms einer allgemeinen Hinwendung zu einem als klassisch eingeschätzten Repertoire entspricht. In den historischen Parteienstreitigkeiten hatte er sich zwar bereiterklärt, die Erklärung gegen die ›Neudeutschen‹ zu unterschreiben, war aber eigentlich keiner Seite zuzurechnen. Trotzdem fühlte er sich den Konservativen näher : »Meine Verehrung für Brahms ist ganz deshalb, weil er jene Form stets hoch und heilig gehalten hat und nie etwas schuf, was einer Programmusik nur im Entferntesten ähnlich sieht.« Die Zueignung der Cellosonate war deswegen nach eigener Aussage kalkulierte Positionierung sowohl in ästhetischer Sicht als auch im Blick auf seine um-

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strittene Einstellung gegenüber der kompositorischen Leistung von Brahms. Die Bedeutung dieser Zueignung wird besonders durch seine unbedingte Wertschätzung des Phänomens der Widmung unterstrichen: Er schrieb eine Plauderei über die Dedikation musikalischer Werke und thematisierte die an ihn gerichteten Zueignungen in den Erlebnissen und Bekenntnissen. Dort heißt es: »Das Beste, was einer spendieren kann, um dem andern seine Liebe oder Freundschaft, seine Anhänglichkeit oder Dankbarkeit zu beweisen, ist, wenn er ihm ein Werk eigenen Schaffens zu eigen gibt oder, wie man im gewöhnlichen Leben sagt, dediziert.« BD: – Reinthaler, Carl (13. 10. 1822, Erfurt – 13. 2. 1896, Bremen) Reinthaler und Brahms verband seit der Bremer Uraufführung des Deutschen Requiems unter der Leitung Reinthalers ein freundschaftliches Verhältnis. Albert Dietrich hatte den Bremer Organisten und Dirigenten der Singakademie zuvor auf das Werk aufmerksam gemacht. In der danach einsetzenden Korrespondenz spiegelt sich die gegenseitige künstlerische und kompositorische Wertschätzung, beide stellen dem jeweils anderen eigene Werke und Kompositionspläne vor. Die Zueignung der Psalmvertonung In der Wüste. nach Psalm 63 für Soli, Chor u. Orchester op. 26 ist klarer Ausdruck der neuen Freundschaft: Obwohl erst 1874 im Druck erschienen, fand die Uraufführung bereits 1869, also nur ein Jahr nach der Aufführung des Requiems, statt. Ein Brief von Brahms vom 30. Oktober 1868 zeigt, dass er bereits zu diesem Zeitpunkt über die Existenz der Komposition im Bilde war. Die Analogie der Besetzung des Requiems zum späteren Widmungswerk lässt eine Inspiration durch das Erlebnis der Uraufführung wahrscheinlich werden. Es ist nur der Auftakt mehrerer Psalmvertonungen Reinthalers. Der Kontakt zwischen Reinthaler und Brahms blieb auch in der Folge bestehen, auch wenn er zunehmend sporadisch wurde und Reinthaler nie zum engsten Kreis um Brahms zählte. BD: Brahms an Reinthaler, [vor dem 30.] Oktober 1868; Brahms an Reinthaler, [26.] Februar 1870; Brahms an Reinthaler, [12.] Dezember 1870; Reinthaler an Brahms, 14. Dezember 1870 Rheinberger, Joseph (17. 3. 1839, Vaduz/Liechtenstein – 25. 11. 1901, München) Rheinbergers Frau lernte den »vielgeliebten Johannes« 1864 kennen, fünf Jahre später berichtet sie in ihrem Tagebuch, ihr Mann und Brahms seien bei Franz Wüllner zu Gast gewesen, wo Brahms über Rheinbergers Musik »gestaunt« habe. Am 23. Juli 1870 war Brahms schließlich erstmals zu Besuch im Hause Rheinbergers, auch hier berichtet Fanny Rheinberger von einer positiven Einschätzung der Kompositionen Rheinbergers durch Brahms. Im Kontext dieser

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freundschaftlichen Annäherung ist die Widmung der Zwei Klaviervorträge op. 45, die im Januar 1871 bei Forberg erschienen, zu betrachten. Das zweite Stück, ein Variationensatz über ein Thema aus Händels Oratorium Alexander Balus kann als äußerliche Bezugnahme auf Brahms’ Händel-Variationen gewertet werden. Im Laufe der 1870er Jahre wurde das Verhältnis zusehends getrübt, als Auslöser kann auch eine kritische Bewertung der Widmungskomposition durch Brahms gelten. Als Rheinberger jedoch während der Komposition einer Messe vom Tode Brahms’ erfuhr, trug er das Datum in das Manuskript ein und widmete die Komposition als Missa (sincere in memoriam) dem Andenken von Brahms – eine Art »späte Versöhnung« seinerseits. BD: zu op. 45: Brahms an Rheinberger, [28. Februar 1871]; Franziska Rheinberger an Johann Peter Rheinberger, 1. März 1871 Röntgen, Julius (9. 5. 1855, Leipzig – 13. 9. 1932, Utrecht) Röntgen, seit 1878 Klavierlehrer in Amsterdam, begegnete Brahms mehrfach während seiner Studienzeit in Leipzig und während der Konzertreisen des Wieners durch die Niederlande (1878, 1882, 1884, 1885). Zu diesen Anlässen wirkte er auch als Pianist in Konzerten von Brahms mit. Später sind Treffen aus Anlass von Röntgens eigenen Konzertreisen nach Wien belegt. Auch im Jahr der Widmung (1896) trafen die beiden Künstler in Wien aufeinander. Die Ballade über eine Norwegische Volksmelodie op. 36 hatte Röntgen Brahms im Manuskript mitgeteilt, der die Komposition an Simrock empfahl und ausdrücklich darauf hinweist, dass Röntgen »auf mein besonderes Loben hin« an ihn als Verleger herantreten werde. Die Widmung der Bearbeitung der Ballade für zwei Klaviere (op. 36b) ist demnach wohl als Dank für Lob und Unterstützung bei der Verlegersuche im Rahmen einer zwar nicht sehr intensiven aber beständigen Bekanntschaft zu werten. Röntgen gab 1918 den Briewechsel zwischen Th. W. Engelmann und Brahms (BW XIII) heraus. BD: Brahms an Simrock, [28. März 1896] Rückauf, Anton (13. 3. 1855, Prag/Tschechien – 19. 9. 1903, Wien/Österreich) Anton Rückauf ist seit seiner Übersiedlung nach Wien im Jahr 1878 dem weiteren Kreis um Brahms zuzurechnen: Brahms hatte 1878 und 1879 ein Gutachten über ihn für das Österreichische Staatsstipendium angefertigt, Rückauf wirkte mehrfach als Begleiter Brahmsscher Lieder – u. a. bei der Uraufführung der Vier ernsten Gesänge. Am 30. 10. 1890 gab Brahms – wohl auf direkte Nachfrage – Simrock eine Einschätzung des kompositorischen Schaffens Rückaufs und erwähnte: »Von seinen Freunden wird ein neues Klavier=Quar= oder Quintett gelobt.« Dies wird das spätere Widmungswerk sein. Allerdings wurde das Klavierquintett F-Dur op. 13 nicht bei Simrock gedruckt, sondern erschien im folgenden Jahr mit der Widmung »Herrn Dr. Johannes Brahms« bei Kistner. Der

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kollegiale, aber entfernte Kontakt zwischen den beiden Komponisten bestand auch in der Folge, Rückauf war so auch bei der Beerdigung von Brahms anwesend. BD: – Rudorff, Ernst (18. 1. 1840, Berlin – 31. 12. 1916, Berlin) Der Klavierlehrer Woldemar Bargiel vermittelte Rudorff den ersten Kontakt zu seiner Halbschwester Clara Schumann. Diese weckte wiederum das Interesse Brahms’ an dem jungen Musiker und versuchte umgekehrt, Rudorff die Kompositionen von Brahms nahe zu bringen. Nach Rudorffs eigener Rückschau ist sein Verhältnis sowohl zu Person als auch Werk von Brahms stets ambivalent geblieben: Clara Schumann war so 1860 hoch erfreut, als Rudorff sich von der Serenade op. 16 ungemein angetan zeigte: »Rudorff war ganz entzückt davon, das freute mich besonders, weil ich ihn so schwer an die Sachen von Johannes bringen konnte…« Die Widmungsannahme durch einen so berühmten Komponisten war für ihn freilich trotzdem »die größte Freude, die mir künstlerisch widerfahren könnte«. Diese markiert den Anfangspunkt einer zumindest flüchtigen Bekanntschaft. Durch Clara Schumann aufmerksam gemacht, hatte Brahms Rudorff im Sommer 1869 wiederholt aufgefordert, ihm einmal eigene Kompositionen zur Ansicht vorzulegen. Rudorff kam dem nach und trug Brahms im selben Brief die Widmung der übersandten Fantasie für Pianoforte op. 14 an – im Antwortbrief geht Brahms kritisch auf Aspekte der rhythmischen Strukturierung ein, nimmt die angetragene Zueignung aber an. Auch in der Folge ist das Verhältnis der Komponisten nur locker gewesen, Rudorff sagte selber nach dem Tod von Brahms, mit dem er an der Chopin-Ausgabe zusammengearbeitet hatte: »Ich stand ihm persönlich zu wenig nahe, um nicht vor allem das Allgemeine des Verlustes auf das stärkste zu empfinden.« BD: Rudorff an Brahms, 2. Januar 1869; Brahms an Rudorff, [25.] Januar 1869; Rudorff an Brahms, 28. Januar 1869; Brahms an Rudorff, Januar 1870 Scharwenka, Xaver (6. 1. 1850, Pozn‚n/Polen – 8. 12. 1924, Berlin) Scharwenka und Brahms standen seit ihrem zufälligen, über den gemeinsamen Bekannten Eugen d’Albert vermittelten Zusammentreffen beim Sommerurlaub in Saßnitz auf Rügen in freundschaftlichem, aber losem Kontakt. Im Kontext dieses Kennenlernens ist auch die Widmung von Scharwenkas Romanzero op. 33 an Brahms zu betrachten: Die Komposition war während des Urlaubs entstanden und dem neuen Bekannten als Nachklang der gemeinsam verlebten Stunden und als Nachweis einer großen Verehrung der kompositorischen Leistung des Widmungsträgers zugeeignet worden. BD: Brahms an Scharwenka, [Sommer 1875]

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Schlegel, Leander (2. 2. 1844, Oegstgeest bei Leiden/Niederlande – 20. 10. 1913, Overveen bei Haarlem/Niederlande) Schlegel war Leipziger Student Carl Reineckes gewesen, verbrachte sein berufliches Leben allerdings in den Niederlanden. Dort war er vor allem als Pianist tätig, setzte sich aber auch als Dirigent, u. a. mit einer Aufführung des Deutschen Requiems, für Brahms ein. Es sind nur wenige Begegnungen beider Komponisten bekannt, die erste bezieht sich unmittelbar auf die Widmung von Schlegels Ballade für Pianoforte op. 2. Max Kalbeck bezieht die Episode auf das Jahr 1876: Schlegel habe Brahms nach einem Konzert in Utrecht in seinem Hotel besucht und ihm die ihm gewidmete Ballade vorgespielt. Die Reaktion des Widmungsträgers sei allerdings verhalten gewesen: »Der Kommentar von Brahms war : ›Sie spielen aber sehr schön Klavier, das Instrument klingt ja sehr schön‹. Über die Qualität der Komposition sagte er nichts.« Der Erstdruck ist allerdings auf das Jahr 1882 zu datieren, er wird bestätigt durch den Eintrag der Widmung in Brahms’ eigenhändige Widmungsliste – es ist also der von Kalbeck angegebene Zeitpunkt des Treffens zu hinterfragen. Da sich Brahms und Schlegel auch auf einem Konzert in Haarlem im Jahr 1881 begegnet sind und Brahms sich auch im Januar 1882 auf Konzertreise in den Niederlanden aufhielt, könnte sich die Episode auch zu einem dieser Anlässe zugetragen haben. Insgesamt war Schlegel in seiner musikästhetischen Positionierung keinesfalls als unbedingter Parteigänger Brahms’ zu verstehen: So gründete er 1873 die Wagner-Gesellschaft Haarlems. Trotzdem wurde er in kompositorischer Sicht noch 1909 in einer Kritik im Neuen Wiener Tageblatt als der »Haarlemsche Brahms« bezeichnet. BD: – Schmitt, Hans (14. 1. 1835, Koben/Böhmen – 14. 1. 1907, Wien) Zum Leben von Hans Schmitt oder gar einem Kontakt zu Brahms ist nicht viel überliefert. Klar ist allerdings, dass Schmitt in Wien ansässig war, dort von 1862–1900 in der Klavierausbildung am Konservatorium wirkte und über diese Tätigkeit zumindest flüchtig mit Brahms in Berührung gekommen sein muss. Die Widmung der Brillanten Clavier-Etüden fügt sich nahtlos in seinen sonstigen Werkkatalog ein: Schmitt ist vor allem als Komponist von Studienwerken für das Klavier bekannt. BD: – Scholz, Bernhard (20. 3. 1835, Mainz – 26. 12. 1916, München) Brahms und Scholz waren befreundet, als Kapellmeister in Breslau setzte Scholz sich stark für die Kompositionen seines Freundes ein. 1881 regte er die Verleihung der Ehrendoktorwürde an Brahms durch die Universität Breslau an und erwartete im Gegenzug eine »Doktor-Symphonie«. Entstanden ist allerdings die

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Akademische Festouvertüre, die noch nicht einmal der Universität gewidmet ist. In kompositorischen Belangen fühlte Scholz sich Brahms immer unterlegen. Das Lob seines Streichquartetts op. 46 war so Inspiration genug für ein neues Streichquintett op. 47, wie seine Frau berichtet: »Bernhard ist frisch und heiter wie je, auch wieder schaffensfreudig: ein neues Streichquintett mit zwei Celli ist fix und fertig, und dazu haben Sie allein ihn durch die Anerkennung seines Quartetts (die überhaupt in jedem Sinne die wohltätigste Wirkung auf ihn hatte) angeregt, wofür ich Ihnen von Herzen danke.« Da Brahms demnach die Entstehung des Werks mitverursacht hatte, ist die freundschaftliche Zueignung die logische Folge. Die Wahl eines Kammermusikwerks ist aber auch ästhetische Positionierung: Scholz unterschrieb trotz der kritischen Würdigung Richard Wagners das Manifest gegen die ›Neudeutschen‹, als Widmung an das kammermusikalische Idol der ›Konservativen‹ kam dementsprechend nur ein Kammermusikwerk in Frage – und zwar »das beste, was ich bis jetzt an derartigem geschrieben habe«. BD: Luise Scholz an Brahms, 26. November 1877; Scholz an Brahms, 28. Juni 1878; Brahms an Scholz, [Anfang Juli 1878]; Brahms ans Scholz, [Ende September 1878] Schumann, Clara, geb. Wieck (13. 9. 1819, Leipzig – 20. 5. 1896, Frankfurt a. M.) Das Verhältnis von Brahms und Clara Schumann, die sich 1853 im Hause der Schumanns kennenlernten, ist seit jeher Objekt vieler Spekulationen. Zum Zeitpunkt der Widmung jedenfalls stand die gute Freundschaft beider, die sich auch auf tiefe künstlerische Hochachtung gründete, auf ihrem Höhepunkt. Die Zueignung stammt zusätzlich aus der Zeit, in der Brahms seine Freundin nach der Erkrankung ihres Mannes und seiner Einweisung in Endenich stark unterstützte. Die erste der Brahms gewidmeten Romanzen op. 21 hatte der Adressat bereits 1855 als Manuskript mit handschriftlicher Übereignung zum 22. Geburtstag erhalten, sie wurde mit zwei weiteren Romanzen 1856 gedruckt. In der erhaltenen Korrespondenz zwischen Clara und Brahms ist die Widmung nicht erwähnt, sodass eventuelle weitere Hintergründe offen bleiben müssen. Bereits 1854 hatte Brahms Clara wiederum seine Sonate op. 2 und seine Variationen op. 16 über ein Thema ihres Mannes zugeeignet. BD: – Schumann, Robert (8. 6. 1810, Zwickau – 29. 7. 1856, Endenich) Brahms kam 1853 mit dem Wunsch, den renommierten Komponisten Schumann kennenzulernen und einer Empfehlung Joseph Joachims nach Düsseldorf. In der Folge sollte sich Schumann stark für die Karriere seines jungen Kollegen einsetzen, bekanntester Ausdruck dessen ist mit Sicherheit der enthusiastische Artikel Neue Bahnen, den Schumann veröffentlichte, bevor

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überhaupt ein Werk von Brahms im Druck vorlag. Auch bei der Drucklegung seiner ersten Werke unterstützte er ihn im Anschluss – Brahms vermied es jedoch, ihm aus Dankbarkeit eine dieser frühen Kompositionen zuzueignen. Auch später ist keine Widmung an den Förderer entstanden, ob aus Ehrfurcht oder da nach dem Tod Schumanns für den nie posthum widmenden Brahms dies nicht mehr in Frage kam, ist nicht abschließend zu entscheiden. Vor allem in seinen Variationen op. 9 und op. 23 hat sich Brahms freilich sehr wohl kompositorisch mit seinem Mentor beschäftigt. Schumanns Konzertallegro op. 134 ist dagegen die erste an Brahms gerichtete Widmung überhaupt – ein Umstand, der Brahms sehr bewusst war (Litzmann, Briefe I, S. 66). Schumann hielt sich zu dieser Zeit nach seinem Selbstmordversuch bereits in der Klinik in Endenich auf, Brahms hatte die Drucklegung des Werks zwischenzeitlich bei Senff betrieben und die Zueignung wohl auch aus Dankbarkeit für diese Hilfestellung erhalten. Die Widmung der erst 1858 gedruckten Ballade Des Sängers Fluch op. 139 geht dagegen auf Clara Schumann zurück, nachdem Brahms bei der Erstaufführung mitgewirkt und den Harfenpart auf dem Klavier gespielt hatte. BD: zu op. 134: Brahms an Clara Schumann, 29. Januar 1855; Brahms an Robert Schumann, 30. Januar 1855; Brahms an Clara Schumann, 23./24. Februar 1855 Schweida, Rudolf (Lebensdaten unbekannt) Die Art der Verbindung zwischen Rudolf Schweida und Brahms ist unbekannt. Da Schweida allerdings als Pianist und Komponist in Wien wirkte, ist eine zumindest entfernte Bekanntschaft im Bereich des Möglichen. In der NZfM wird er 1861 als »einer der begabteren jungen Componisten unserer Stadt« bezeichnet, 1867 wird in der Zeitschrift für die österreichischen Gymnasien mitgeteilt, dass »dem Tonkünstler Rudolf Schweida aus Wien« ein Stipendium zuerkannt wird. Näheres zu den Umständen der Widmung aus dem Jahr 1870 ist nicht bekannt. BD: – Seyffardt, Ernst H. (6. 5. 1859, Krefeld – 30. 11. 1942, Partenkirchen) Seyffardt schätzte Brahms sehr, seitdem er in Köln die erste Sinfonie und das Deutsche Requiem kennengelernt hatte. Versehen mit einem an Brahms gerichteten Empfehlungsschreiben von Joseph Joachim und Ferdinand Hiller reiste er für eine Studienreise (von Oktober 1881 bis April 1882) nach Wien und traf dort einige Male mit Brahms zusammen. Unter anderem spielte er ihm auch eigene Werke vor. Nach der Rückkehr nach Berlin und der Wiederaufnahme des Studiums bei Friedrich Kiel entstand unter dem Eindruck der Reise u. a. der Brahms gewidmete Schicksalsgesang (1883, ED 1884). Auch später setzte er sich

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als Dirigent der Freiburger Liedertafel (ab 1887) für Brahms-Werke ein und traf auch noch vereinzelt mit Brahms zusammen. BD: Brahms an Seyffardt, [3. Dezember 1884] Stanford, Charles Villiers (30. 9. 1852, Dublin/Irland – März 1924, London/ England) Charles Villiers Stanford kam mit den Kompositionen von Brahms nach ersten Annäherungen über seinen irischen Lehrer Michael Quarry schon während seiner Studienzeit in Leipzig (C. Reinecke) und Berlin (u. a. F. Kiel) intensiv in Kontakt, 1873 ist die erste persönliche, aber nur flüchtige Begegnung verbürgt. Obwohl Stanford den Komponisten Brahms sehr schätzte, kam er nach eigener Auskunft mit dessen Charakter allerdings weniger gut zurecht – er empfand ihn als kühl und unzugänglich. Nach seiner Rückkehr setzte er sich in Cambridge für die Kompositionen von Brahms ein und war maßgeblich daran beteiligt, dass diesem 1876 gemeinsam mit Joseph Joachim die Ehrendoktorwürde angetragen wurde. Diese lehnte Brahms bekanntermaßen wegen der Reisestrapazen ab. Auf dem Konzert zur Verleihung der Ehrung an Joachim wurde allerdings unter Leitung Joachims die erste Sinfonie von Brahms aufgeführt – dies beeindruckte Stanford nachhaltig. Im Nachgang widmete er Brahms seine Bearbeitung von Songs of Old Ireland, mit der Begründung, er wisse, wie sehr Brahms sich für alten Volkstexte und -weisen interessiere: Eugen d’Albert übersetzte Brahms die briefliche Bitte um Widmungserlaubnis. Ab 1882 gehörte Stanford als Professor dem neugegründeten Royal College of Music an, wo er unter anderem Emil Kreuz unterrichtete. Ein letztes Zusammentreffen fand beim Abendessen anlässlich des letzten Auftretens als Dirigent von Brahms im Januar 1896 statt. BD: Eugen d’Albert an Marie Joshua, 15. März 1882; Brahms an Stanford, [17. März 1882] Stehle, Johann Gustav Eduard (17. 2. 1839, Steinberg/ Württemberg – 21. 6. 1915, St. Gallen) Es ist kein direkter Kontakt zwischen dem in St. Gallen ansässigen Organisten und Dirigenten Stehle und Brahms bekannt. Stehle, dessen Sohn in München von Rheinberger unterrichtet wurde, war kompositorisch vor allem auf dem Gebiet der Kirchenmusik tätig. Seine Motetten-Widmung von 1879 ist zeitlich unmittelbar in Verbindung zu bringen mit der Veröffentlichung von Brahms’ Motetten op. 79, hier lag wohl der Widmungsgrund. BD: – Stöckhardt, Reinhold (6. 4. 1831, Bautzen – 29. 1. 1901, Berlin) Zwischen dem preußischen Ministerialbeamten und Komponisten Stöckhardt ist keine persönliche Bekanntschaft belegt. Auch die Korrespondenz anlässlich

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der Widmung ist nicht überliefert. Stöckhardt gehörte allerdings zum Düsseldorfer Kreis um Theodor Fontane und Clara Schumann und könnte dort theoretisch eine Verbindung zu Brahms geknüpft haben. BD: – Stockhausen, Julius (22. 7. 1826, Paris/Frankreich – 22. 9. 1906, Frankfurt a. M.) Julius Stockhausen stand seit dem 34. Rheinischen Musikfest in Düsseldorf (1856) in freundschaftlichem Kontakt mit Brahms. Als berühmter Sänger war er ein wichtiger Interpret und Botschafter der Brahms’schen Kompositionen im Inund Ausland. 1868 ging er u. a. mit Brahms auf Tournee nach Dänemark, sang im selben Jahr die Baritonpartie in der Uraufführung des Deutschen Requiems in Bremen. Stockhausen hat nur gelegentlich komponiert und nur ein einziges Werk in den Druck gegeben – es sind die Brahms gewidmeten Vier Gesänge. Schon bei den ersten Kompositionsversuchen hatte Stockhausen Brahms als Inspirationsquelle seiner schöpferischen Arbeiten angegeben: »Wenn ich an Dich denke so kommt mir immer das Componiren in den Sinn, & so habe ich nun angefangen etwas zu schreiben.« Auch vor der Drucklegung hatte Stockhausen Brahms mehrfach um eine Einschätzung der kompositorischen Qualität gebeten, die Brahms aber stets geschickt umging. Darüber hinaus kann die Dedikation aber auch als Gegengabe für die Magelone-Romanzen op. 33 gelten, die Brahms dem Sänger gewidmet hatte. Nach der Veröffentlichung der Vier Gesänge gab Stockhausen das Komponieren ganz auf – vielleicht auch wegen der schließlich doch subtil geäußerten Kritik des Widmungsadressaten. In einem kompositorischen Dialog hatte Brahms als Taufgeschenk für sein Patenkind, den Sohn Stockhausens, das Lied So blinken die Wellen aus den Vier Gesängen »frei nach H.H. und Jul. St.« vertont und mit der ›Verbesserung‹ seine kritische Einstellung klar zum Ausdruck gebracht. Das Lied wurde später als Es liebt sich so lieblich im Lenze op. 71/1 veröffentlicht. BD: Stockhausen an Brahms, [23.] August 1871; Brahms an Stockhausen, [zwischen 24. August und 6. September 1871]; Stockhausen an Brahms, 6. September 1871; Brahms an Stockhausen, September 1871; Stockhausen an Brahms, 28. Dezember 1871; Brahms an Stockhausen, 16. Februar 1872 Strauss, Johann (Sohn) (25. 10. 1825, St. Ulrich bei Wien – 3. 6. 1899, Wien) Oftmals wurde das Verhältnis zwischen Brahms und Strauss als freundschaftlich beschrieben – dies wird jedoch zunehmend hinterfragt. Es war allerdings zumindest von Brahms’ Seite geprägt von tiefem Respekt vor der künstlerischen Leistung des Anderen. Obwohl Brahms auch im Bereich des Walzer-Komponierens seinen eigenen Weg beschritt, schätzte er die Kompositionen des »Walzerkönigs« ungemein hoch ein. Die beiden Komponisten hatten sich gegen

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Ende der 1870er Jahre kennengelernt, pflegten aber erst seit 1889 engeren Kontakt. Zu dieser Zeit hatte Brahms gegenüber Simrock Strauss als geeigneten Geschäftspartner empfohlen. 1891 hatte nun auch Brahms die Oper P‚sm‚n kritisiert. Strauss kündigte Simrock kurz darauf die Dedikation eines noch nicht näher spezifizierten Walzers an Brahms an – es solle sich aber auf jeden Fall um einen typischen Walzer Strauss’scher Faktur handeln. Erst später verbindet die sich hier angekündigte Zueignung mit dem sogenannten »Millionen-Walzer«, der für die Weltausstellung konzipiert war. Mehrfach betont Strauss in der Korrespondenz mit Dritten die Positionierung des Walzers als Ausgleich des P‚sm‚n-Misserfolgs. In diesem Licht konnte zum einen die Widmung an einen berühmten Zeitgenossen wie Brahms zum Vorteil beim vorsichtig gewordenen Publikum gereichen, zum anderen erscheint der Titel in einem neuen Licht: Die Millionen, die umschlungen werden sollen, sind das potenzielle Publikum des Walzers – das Beethoven-Zitat ist damit weniger in Bezug auf eine mögliche Beethoven-Nachfolge des Widmungsträgers Brahms zu lesen. Die durchaus berechtigte Frage nach der im Normalfall zu erwartenden musikalischen Passgenauigkeit beantwortete Eduard Hanslick: »Geniale Naturen erkennen einander auch auf den verschiedensten Gebieten. Brahms und Strauß – ist doch jeder von ihnen der Erste in seinem Fach. Brahms repräsentiert die Pairskammer, Strauß das Abgeordnetenhaus der Musik.« Brahms schätzte auch den »Millionen-Walzer« sehr, äußerte sich über spätere Walzer von Strauss aber zunehmend kritisch. BD: Strauß an Simrock, 25. November 1891; Strauß an Simrock, 20. Februar 1892; Simrock an Strauß, 17. März 1892; Simrock an Strauß, 21. März 1892; Simrock an Strauß, 22. März 1892; Brahms an Strauß, 26. März 1892 Suk, Josef (4. 1. 1874, Krˇecˇovice bei Prag/Tschechien – 29. 5. 1935, Benesˇov bei Prag/Tschechien) Die Bekanntschaft Suks und Brahms’ wurde über Dvorˇ‚k vermittelt, den Lehrer und Schwiegervater Suks. Brahms schlug Suk in der Folge dreifach erfolgreich für das Österr. Staatsstipendium vor (u. a. 1892 und 1893). Als Mitbegründer und zweiter Violinist des berühmten Böhmischen Streichquartetts traf Suk mehrfach auf Konzertreisen mit Brahms zusammen. Im Rahmen einer Konzertreise trug er ihm 1893 in Wien die Widmung seines Klavierquintetts op. 8 erfolgreich an, als Dank für die Unterstützung der eigenen kompositorischen Karriere und aus Bewunderung für das Werk des Widmungsträgers (vgl. Suk, Brahms-Erinnerungen). Auf der Konzertreise 1893 hatte das Böhmische Streichquartett unter anderem auch Brahms’ eigenes Klavierquintett aufgeführt. BD: Bericht in Suk, Brahms-Erinnerungen, S. 148

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Tausig, Carl (4. 11. 1841, Warschau – 14. 7. 1871, Leipzig) Carl Tausig verband seit einem Wien-Aufenthalt 1861(hier studierte er an der Universität) trotz unterschiedlicher Ansichten in musikästhetischen Fragen eine enge Bekanntschaft mit Brahms. Dieser fungierte 1864 sogar als sein Trauzeuge bei der Hochzeit mit Seraphine Vrabely, der Schwester Stephanie Gräfin von Wurmbrands. Bis zu Tausigs frühem Tod im Jahr 1871 pflegten beide Komponisten den Kontakt, der von großem künstlerischem Respekt geprägt war, und trafen sporadisch aufeinander. Die Widmung ist neben ihrer Funktion als Ausdruck der künstlerischen Wertschätzung auch die Betonung einer gemeinsamen Bach-Nachfolge und der Versuch, über den Namen Brahms in Wien als Künstler den Durchbruch zu erlangen: Brahms war zum Widmungszeitpunkt noch pianistisch tätig, sodass Tausig auf die Aufnahme des Widmungswerks in das Repertoire des Adressaten hoffen konnte. Von etwaigen Aufführungen ist allerdings nichts bekannt. BD: – Thieriot, Ferdinand (7. 4. 1838, Hamburg – 4. 8. 1919, Hamburg) Ferdinand Thieriot stammt wie Brahms selber aus Hamburg – und hatte ebenfalls ersten Unterricht bei Eduard Marxsen. Diese frühe Verbindung unterstreicht Thieriot selber auf einem Exemplar seines Brahms gewidmeten Trios op. 14: Es ist zusätzlich »Seinem geliebten Lehrer Herrn Eduard Marxsen« handschriftlich übereignet (Ex. Brahms-Institut Lübeck). Später setzte er seine Studien bei Joseph Rheinberger in München fort. Eine beiderseitig wohlwollende Bekanntschaft hat schon in gemeinsamen Hamburger Tagen bestanden. Brahms schätzte Thieriot als Mensch und Musiker und brachte dies wiederholt zum Ausdruck. So bat er z. B. Edmund Astor um die Zusendung von Kompositionen Thieriots. Thieriot wiederum brachte als Cellist, einmal mit einiger Sicherheit auch mit Brahms selber, einige Brahms-Werke zur Aufführung. Drei Jahre nach der Zueignung, im Jahr 1870, wurde Thieriot schließlich nach einer Empfehlung durch Brahms künstlerischer Direktor des Steiermärkischen Musikvereins Graz: Er hatte sich in direkter Konkurrenz gegenüber Heinrich von Herzogenberg durchgesetzt. BD: – Tilike, Ilda (Lebensdaten unbekannt) Der einzige Kontakt der in Vergessenheit geratenen Komponistin zu Brahms ist anlässlich der Widmungen verbürgt: Nach dem Erscheinen der Bearbeitung zweier Brahmsscher Werke für Klavier aus ihrer Feder wandte sich Tilike in einem Brief an Brahms, um ihm die Dedikation der Neuerscheinungen anzuzeigen. Brahms nahm diese Widmungen allerdings nicht in seine handschrift-

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liche Liste der ihm zugeeigneten Werke auf, wohl auch, da es sich um keine originären Kompositionen Tilikes handelte. BD: Tilike an Brahms, 29. Oktober 1896 Urspruch, Anton (17. 2. 1850, Frankfurt a. M. – 11. 1. 1907 Frankfurt a. M.) Anton Urspruch, Liszt-Schüler, lernte Brahms über Clara Schumann kennen, die wie er am Hoch’schen Konservatorium in Frankfurt a. M. lehrte. Urspruch war hier seit 1878 Lehrer für Klavier und Kontrapunkt, von 1878 bis 1880 somit auch Kollege von Julius Stockhausen. 1883 verließ er das Konservatorium nach einem Streit mit Bernhard Scholz und lehrte seitdem am neugegründeten Raff-Konservatorium in Frankfurt. Bei mehreren Frankfurt-Besuchen von Brahms sind Urspruch und Brahms sich persönlich begegnet. BD: – Uysdal, Hanka (Lebensdaten unbekannt) Es ist weder etwas zur Verbindung zwischen Brahms und Hanka Uysdal, noch zur Biographie der Widmenden bekannt. Es handelt sich offenbar um eine adlige Wiener Gelegenheitskomponistin aus schlesischem Geschlecht (in Teschen sind die Ritter Walcher von Uysdal ansässig), die unter den Namen H. Uysdal und Hanka von Walcher-Uysdal wenige Werke veröffentlicht hat. BD: – Vilhar, Franz Serafin (5. 1. 1852, Senozˇecˇe/Slowenien – 4. 3. 1928, Zagreb/ Kroatien) Den einzigen Bericht hinsichtlich eines direkten Kontaktes zu Brahms hat der Komponist selber in seinen Lebenserinnerungen gegeben: »Er empfiehl mir, diese doch an seinen Lehrer Franz Liszt zu senden, der sie Verlegern weiter empfehlen könnte. Ich folgte diesem Rat und wählte den kleinen Zyklus meiner Klavierkompositionen mit dem Titel Albumblätter. Diese Kompositionen erschienen später in meinem ersten Band Sladbi unter dem Titel Spomenice. Nach längerer Zeit hat mir Liszt meine Kompositionen zurückgesendet, ohne etwas dafür zu unternehmen. Um auch andere Meinungen darüber zu hören, schickte ich sie an Johannes Brahms, der mir höflich darauf antwortete und mir viel Erfolg in der begonnenen Komponistentätigkeit wünschte. Kurze Zeit danach gab es ein bedeutendes Konzert in Temeswar, u. zw. Mit dem berühmten Violinisten Josef Joachim, der mit J. Brahms kam. Sobald sie in Temeswar ankamen, besuchte ich Brahms, der mir mit seiner äußerlichen Erscheinung sehr imponierte. Er empfing mich freundlich und lud mich zum Mittagessen ein. Vor dem Essen stellte er mir Joachim vor. Ich war glücklich, mit so großen Künstlern eine Weile zu verbringen. Ihr Konzert war ein Erfolg.« BD: –

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Wallfisch, J. H. (Lebensdaten unbekannt) Der heute vollkommen unbekannte Wallfisch kann biographisch nicht verortet werden, noch nicht einmal seine Vornamen sind bekannt. In Hofmeister’s Monatsberichten sind einige Klavierkompositionen und Lieder verzeichnet. BD: – Wallnöfer, Adolf (26. 4. 1854, Wien/Österreich – 9. 6. 1946, München Adolf Wallnöfer, Schüler u. a. von Otto Dessoff, ist Brahms im Rahmen seiner Sängertätigkeit einige Male begegnet. Ein enger freundschaftlicher Kontakt bestand jedoch nie. Wallnöfer hat nur einige Kompositionen veröffentlicht – vor allem Lieder –, zu seinen Liedern op. 6 bemerkte das MWb (12. September 1879), es seien »Anklänge an Brahms« zu erkennen. Christiane Wiesenfeldt stellt heraus, dass das Instrument der Widmung von Wallnöfer besonders im Sinn der Kontaktpflege zu großen Musikern genutzt worden sei. Die Dedikation an Brahms ist tatsächlich die erste an einen prominenten Zeitgenossen. Nach der Widmung (Brahms hatte das Werk im Dankbrief vorsichtig kritisiert) ist kein direkter Kontakt zwischen Wallnöfer und Brahms verbürgt. BD: Brahms an Wallnöfer, [6. April 1880] Westerhout, Niccolû van (1857, Mola di Bari/Italien – 1898, Neapel/Italien) Niccolû van Westerhout ist Brahms mutmaßlich nie begegnet. Er war jedoch als Teil des Circolo Cesi in Neapel im Umkreis Beniamino Cesis und Giuseppe Martuccis mit der Musik, besonders den Klavierwerken von Brahms in Berührung gekommen. Die Kenntnis dieser Verankerung ist für das Verständnis der Wahl des Widmungswerks unverzichtbar : Westerhout widmete Brahms eine Klaviersonate. Diese Zueignung ist umso bedeutsamer, als Westerhout eigentlich Zueignungen nur an Personen seines Bekanntenkreises vergab; wichtige Strukturen seines Netzwerks bilden sich in den Werkdedikationen ab. Über die allgemeine Wertschätzung der Werke von Brahms konnte aber auch eine grundlegende Übereinstimmung in künstlerischer Sicht als Widmungsgrund dienen. Westerhout war auch mit der Musik von Wagner und Liszt vertraut. In einer wichtigen Ansicht stimmte er jedoch mit Brahms überein: Er fühlte sich nicht als kompositorischer Neuerer, sondern als in einer langen Tradition stehend. »Io non sono un innovatore, perch¦ questa parola non ha senso comune in arte: sono un continuatore, il mio orgoglio À questo« Im wenig kammermusikaffinen Italien konnte der Name von Brahms schließlich über diese gemeinsame Grundansicht hinaus im Rahmen einer Widmung als wichtige Werbung positioniert werden. Die zeitgenössische Presse verglich so die Sonate wie selbstverständlich mit den Werken ihres Widmungsträgers: »senza ombra di adulazione, potrebbe portare la firma di Brahms, al quale À

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dedicata.« Brahms selber nannte die ihm gewidmete Klaviersonate »bewundernswert«. BD: – Witte, Georg Hendrik (16. 11. 1843, Utrecht/Niederlande – 3. 2. 1929, Essen) Witte, von 1862 bis 1865 in Leipzig Schüler Carl Reineckes, nahm anlässlich der Widmung erstmals brieflich Kontakt zu dem von ihm sehr verehrten Brahms auf. Nach diesem Zeitpunkt bestand sporadischer brieflicher Kontakt, Witte setzte sich in seiner Eigenschaft als Musikdirektor in Essen (ab 1872) immer wieder für Brahms und seine Werke ein. Am 2. März 1884 und im November 1885 dirigierte Brahms in Essen auf Einladung Wittes in den seinen Kompositionen gewidmeten Konzerten. Witte setzte sich auch noch nach dem Tod von Brahms für diesen ein und gab 1898 u. a. das Doppelkonzert op. 102, »erläutert von G. H. Witte« heraus (Verlag H. Bechhold). BD: Brahms an Witte, [Sommer 1867] Wolfrum, Philipp (17. 12. 1854, Schwarzenbach am Wald – 8. 5. 1919, Samaden, Grisons) Zwischen dem Schüler J. G. Rheinbergers und Fr. Wüllners in München und dem Widmungsträger seiner Orgelsonate Nr. 3, Johannes Brahms, ist keine persönliche Bekanntschaft verbürgt. Wolfrum sah trotz seiner Verehrung von Liszt die gemeinsame Vorliebe für J. S. Bach als Bindeglied zu Brahms: Mendelssohn, Schumann, Brahms, Liszt und Wagner waren für ihn als Glieder einer Bachgemeinde verbunden: »Natürlich liebten die meisten von ihnen ihren Bach in ihrer Art, und da suchte wohl jeder etwas andres bei ihm, aber sie glaubten alle an ihn, er war ihnen wenigstens die Summe des musikalischen Könnens.« (Nieden, Philipp Wolfrum, S. 88) BD: Brahms an Wolfrum, [Mai 1878] Wüllner, Franz (28. 1. 1832, Münster – 7. 9. 1902, Braunfels) Franz Wüllner hat als einer der wichtigsten Brahms-Dirigenten zu gelten, er machte sich erst in München, dann in Köln um die Aufführung seiner Kompositionen verdient. Schon seit 1853 persönlich bekannt, ist ihre ausgedehnte Korrespondenz zwischen 1863 und 1872 leider nicht überliefert – dies schließt auch den Widmungszeitpunkt (1871) mit ein. Die genauen Umstände der Widmung sind deswegen nicht bekannt. Sie ist aber im Kontext einer von gegenseitigem Respekt geprägten Beziehung gepflegt. Brahms hielt Wüllner so »für einen unserer tüchtigsten gebildetsten Musiker«. In seiner Trauerrede auf den verstorbenen Brahms wird wiederum die große Verehrung Wüllners für die kompositorische Leistung des berühmten Kollegen deutlich: »Wir haben längst erkannt, daß er ein großer, ein einziger Meister, ein König war im Reiche der

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Kunst, an den keiner der Lebenden heranreicht. Wenn wir heute ergriffen und erschüttert sind durch seinen Tod, wenn wir wehmuthsvoll klagen, ihn verloren zu haben, so wollen wir andererseits dem Himmel danken, der uns einen solchen Meister gesendet, wollen dem theuren Meister selbst danken für die unerschöpflichen Reichthümer, die er uns hinterlassen hat, wollen uns geloben, stets den höchsten Idealen unserer Kunst in gleicher Weise rücksichtslos treu zu bleiben, wie der uns zu früh Entrissene.« BD: – Vrabely, Stephanie von, Pseudonyme: u. a. Stephanie Brand-Vrabely, Gräfin von Wurmbrand (26. 12. 1849, Pressburg – 1919, Wien?) Stephanie Gräfin von Wurmbrand und ihre Schwester Seraphine (die Ehefrau Carl Tausigs) waren Brahms als vorzügliche Pianistinnen bekannt: »Express für die Hübschen« schrieb er die Fassung für zwei Klaviere seiner Walzer op. 39 (vgl. BW XIV, S. 143), die sie am 17. März 1867 aus dem Manuskript aufführten. Nach ihrer Hochzeit mit dem Grafen Ernst von Wurmbrand zog sie sich aus dem öffentlichen Konzertleben zurück und konzentrierte sich auf die Komposition, zumeist von Klaviermusik und Liedern. Brahms schenkte ihr autographe (Teil-) Abschrift von WoO 27 mit handschriftlicher Widmung: »Fräulein Stephanie Vrabely zu freundlichem Gedenken Joh Brahms« BD: – Zemlinsky, Alexander von (14. 10. 1871, Wien/Österreich – 15. 3. 1942, New York/USA) Alexander Zemlinsky trat laut eigener Angabe in seinen Lebenserinnerungen in den »beiden letzten Lebensjahren« von Brahms mit diesem in persönlichen Kontakt – vermittelt durch seinen Lehrer Robert Fuchs. 1895 empfahl Brahms den jungen Zemlinsky in seiner Eigenschaft als Gutachter für das Österreichische Staatsstipendium. Gerade in seiner Wiener Studienzeit zeigte er sich begeistert von den Kompositionen von Brahms: »[ich] kannte die meisten Werke von Brahms gründlich, und war wie besessen von dieser Musik. Aneignung und Beherrschung dieser wundervollen, eigenartigen Technik galt mir damals als ein Ziel.« Im Dezember 1896 gewann Zemlinsky mit seinem Klarinetten-Trio op. 3 den dritten Preis im Kompositionswettbewerb des Tonkünstlervereins – den ersten Preis hatte Walter Rabl errungen, mit eben jener Komposition, die er später Brahms widmen sollte. Brahms war an der Ausführung des Wettbewerbs beteiligt und empfahl sowohl Zemlinsky als auch Rabl an seinen Verleger Simrock, der beide Preiskompositionen in seinen Verlag aufnahm. Unter dem Eindruck der Nachricht des Todes von Brahms vollendete Zemlinsky seine Kantate Frühlingsbegräbnis (die bereits mit einer Reminis-

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zenz an Ein Deutsches Requiem beginnt) und widmete sie dem Andenken des Verstorbenen. BD: –

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Personenregister

Abraham, Max (Verleger) 131, 370 Adelung, Johann Christoph 63 Adrienne-Catherine, Comtesse de Noailles 53 Alary, Giulio 141, 236 f., 285, 301, 404, 415 Albert, Eugen d’ 33, 82, 99, 127, 211, 233, 239, 286–288, 292, 347, 405, 415 f., 443, 447 Alessandro de’ Medici, Fürst von Florenz 48 Alexander Friedrich, Landgraf von Hessen 112, 124, 132, 148, 243, 258 f., 277, 416 Alföldy, Imre 38, 40, 337 f. Allgeyer, Julius 75, 84 Altmann, Wilhelm 136, 237 Ammon, Frieder von 21 Andreoli, Carlo 238, 416 Anna, Prinzessin von Hessen 57, 83, 120, 259, 416 Annunzio, Gabriele d’ 240 Anzoletti, Marco 124, 238–241, 405, 416 Archimedes 42 Aristophanes 272 Arnim, Achim von 120, 353 Arnim, Bettina von 79, 82, 118, 120, 353 Arnim, Gisela von 36 Aschauer, Michael 301 f. Asher, Clara 234, 436 Ashton, Algernon 124, 145, 206 f., 227, 229–234, 243, 251, 255 f., 258 f., 408, 416 f.

Astor, Edmund (Verleger) 87 f., 128, 131, 154, 450 Auernhammer, Josepha Barbara 47, 54 Baake, Ferdinand 383 Bach, Carl Philipp Emanuel 144 Bach, Johann Sebastian 16, 49–51, 75, 131, 144, 175, 180, 189, 192–197, 201–203, 226, 229, 249, 284, 291, 309, 360–363, 365, 367, 371, 412, 417 f., 440, 450, 453 Bagge, Selmar 162 f., 174 Barblan, Otto 124, 195 f., 413, 417 Bargiel, Woldemar 84, 134, 167, 205, 243, 247, 251, 253, 278, 292, 328, 408, 417 f., 432, 443 Barth, Richard 124, 134, 195 f., 207, 243 f., 277 f., 284, 300, 308 f., 363 f., 405, 418 Baußnern, Waldemar von 124, 134, 243, 247, 357 f., 360, 374, 388, 418 Beer, Axel 15, 51, 63 Beethoven, Ludwig van 12 f., 16, 38, 48, 51, 56 f., 59, 63 f., 84, 98, 100–102, 105, 117, 135, 158, 161, 168, 170, 180, 186, 189, 192, 194, 197, 226, 229, 234, 248, 258, 265, 277, 280, 285, 291, 334, 342, 362–365, 367, 449 Benda, Familie 215 Bendl, Karel 82, 134, 206, 213, 216, 222 f., 243, 403, 419, 438 Bennewitz, Anton†n 220 Berger, Ludwig 134

480 Berlioz, Hector 158 f., 164, 191, 230, 249 Bernsdorf, Eduard 253 f. Biba, Otto 286, 381 Bibl, Rudolf 25, 129, 376, 381, 387 f., 392–394, 408, 413, 419 Billroth, Theodor 81, 146, 180, 244 f., 270, 303, 425 Binding, Karl 107 Bismarck, Otto von 115, 209, 272 Bödecker, Louis 124, 243, 408, 419 Böhm, Joseph 238 Böhme, Franz Magnus 308, 316, 337 Bojic´, Vera 351 f. Bourbon, Louise-Marie-Th¦rÀse de 53 Boyce 232 Brendel, Franz 157–159, 164, 290 Brentano, Antonie 100 f. Brentano, Clemens 100, 353 Brentano, Franz 100 f. Brentano, Maximiliane 101 Brissler, F. (Herausgeber) 338 Bronsart, Hans von 183 Bruch, Max 90, 101, 114, 167, 205, 243, 249, 251, 276, 281, 302, 336, 350, 354–357, 359 f., 364, 368 f., 400, 420, 423 Bruckner, Anton 50, 71, 90, 94, 368 Bruhns, Jakob Ludwig 94, 100, 130 f. Brüll, Ignaz 55, 112, 427 Budrio, Bartolomeo 44 Bülow, Hans von 12, 57 f., 78 f., 115 f., 120, 157 f., 161 f., 165, 175, 183, 189 f., 272 Bürgel, Constantin 35 f., 131, 246–248, 408, 420 f. Bußler, Ludwig 258 Busoni, Ferruccio 81 f., 97, 147 f., 195, 243, 251, 256, 362, 409, 421 Caroline, Prinzessin von NassauWeilburg 53 CarreÇo, Teresa 82, 377 f. Cesi, Beniamino 240, 452 Charlotte Sophie, Königin von England 53 Cherubini, Luigi 248, 371, 383

Personenregister

Chopin, Fr¦d¦ric 58, 191, 258, 315, 318 f., 326, 329, 417, 443 Christian Ludwig, Markgraf von Brandenburg 49 f. Comte d’Oppersdorff 48 Cornelius, Peter 191, 265 Czerny, Carl 94, 131 Dahlhaus, Carl 25, 34, 156, 163, 284, 301 David, Ferdinand 328 Debois, Claire 144 Debussy, Claude 235 Deiters, Hermann 285, 308, 316, 337, 364 Delaborde, Elie Miriam 124, 141, 236, 284, 400, 421 f. Dembeck, Till 26 f. Derrida, Jacques 66, 107, 109, 137 Dervies, Paul Grigorievich 133 Desprez, Josquin 371 Dessoff, Felix Otto 67, 79, 84, 104, 124, 155, 217, 242–245, 251, 256, 259, 277 f., 286, 288, 290, 293 f., 296–300, 302–305, 355, 369, 405, 416, 422 f., 425, 430, 452 Dieter, Heinrich 70 Dietrich, Albert 57, 119, 123, 145, 153, 167, 276, 354–357, 359, 364, 369, 400, 423, 441 Dobjansky, Anna von 124, 129, 244, 409, 423 Donato, Girolamo 44–46 Donner, Johann Jacob Christian 272 Door, Anton 55, 59 Doppler, Carl Ýrp‚d 82, 377 Du Bellay, Jean 35 Dukas, Paul 236 Dvorˇ‚k, Anton†n 31, 51, 112, 129 f., 133 f., 136, 141, 145, 206, 213, 216–225, 234, 243 f., 303 f., 311, 336, 349, 358 f., 364, 405, 419, 424, 438, 449 Ehlert, Gero 186 f. Ehlert, Louis 314, 329 Ehrlich, Heinrich 192 Elisabeth, Herzogin zu Braunschweig und Lüneburg 49 Engelmann, Theodor W. 312, 442

Personenregister

Erk, Ludwig 308, 316, 337, 352 Ernst, Graf von Wurmbrand 212 Ernst, Graf Waldstein 57 Ernst, Graf zu Holstein, Schaumburg und Sterneberg 49 Ernst, Herzog von Coburg-Gotha 175 Eschmann, Johann Karl 104, 129, 174, 180–182, 243, 409, 424 f. Farnese, Ottavio (Herzog) 48 Faur¦, Gabriel 236 Fellinger, Imogen 286 Ferdinand II., Kaiser des Heiligen Römischen Reiches 49 Feuerbach, Anselm 370 Feuerbach, Henriette 370 Feuerbach, Paul Johann Anselm 370 Flatz, Ida 70 Forl‡, Francesco Marcolini da (Verleger) 48 Frickens, Ignaz von 371 Friedrich August, König von Sachsen 71 Friedrich, Pfalzgraf bei Rhein 49 Friedrich II., König von Preußen 49 Friedrich Wilhelm IV., König von Preußen 72 Froberger, Johann Jakob 195 f. Fuchs, Carl 97 Fuchs, Robert 59, 98, 129, 131, 154, 242–245, 286, 288, 302–304, 311, 405, 422, 425 f., 454 Furtwängler, Wilhelm 272 Gade, Niels W. 67, 180 Gardano, Antonio 48 Gegenbauer, J. C. 124, 242, 409, 426 Geibel, Emanuel 313, 402 Genette, G¦rard 13–15, 19–23, 27 f., 33, 62–64, 66, 80, 88, 105, 142, 154, 376, 395 Georg, Herzog v. Sachsen-Meiningen 83 Glareanus, Henricus Loriti 46 Gobbi, Henri 176–178, 203, 340, 342–344 Goethe, Johann Wolfgang von 24, 80, 107, 250, 265, 312, 326, 348 f., 353, 402, 426 Goethe, Walther Wolfgang von 107 Goetz, Hermann 90, 102, 104, 110, 124,

481 141, 168, 278, 301, 304, 364, 406, 426 f., 434 Goldmark, Karl 55, 127, 212, 222, 340 f., 402 427, 437 Gonzaga,Vincenzo (Herzog von Mantua) 44 Gotthard, Johann Peter 69, 329 f., 403, 409, 427 Gottwald, Heinrich 165 Grädener, Carl Georg Peter 84, 128 f., 167, 202, 276, 286, 288, 406, 428 Granovetter, Mark 153 Green, Emily H. 13, 111 Gretscher, Franz 147 f., 154, 242, 409, 428 Grieg, Edward 250, 253 Grimm, Herman 35 f., 68 Grimm, Jacob 43, 63, 65 Grimm, Julius Otto 68 f., 79, 102, 118 f., 167, 205, 272, 309, 400, 418, 428 f. Grimm, Wilhelm 43, 63, 65 Grosser, Julius 64 Grote, Adalbert 302 Grün, Jacob 238 Grünberger, Ludwig 308 Guder, Ernst 97 Günzel, Karl Theodor 383 f. Gurckhaus, Carl 296 Händel, Georg Friedrich 77, 144, 198, 226, 229, 239, 305, 347, 397, 411, 442 Hans Ulrich, Fürst von Eggenberg 49 Hanslick, Eduard 11, 59, 75, 93, 112 f., 121, 125, 136, 157, 164 f., 194, 211, 214, 216–219, 221 f., 224, 226, 232, 267–271, 273 f., 302 f., 313–316, 329, 336, 339, 414, 424, 449 Hartung, Johann 46 Hauser, Franz 72 Haydn, Joseph 13 f., 47, 50 f., 54, 59 f., 63, 68, 117, 134, 180, 182, 257, 371, 381, 383 Heckmann, Robert 67 Hedwig, Herzogin und Kurfürstin zu Sachsen 49 Hegar, Friedrich 174 Heine, Heinrich 155 f. Helene, Großfürstin von Russland 55

482 Heller, Stephen 308 Helm, Theodor 194, 341 Helms, Siegmund 202 Henschel, George 141, 206, 212, 225–233, 243, 247, 251, 345, 348–354, 403, 429, 435 Henschel, Lillian 231 Henselt, Adolf von 236 Herbeck, Johann 259 Herder, Johann Gottfried von 34, 75 Herder, Natalie von 383 Hermann, Friedrich 328 Herpol, Homerus 46 Herzogenberg, Elisabeth von 23, 57 f., 75, 147, 149, 252 f., 255, 288, 295, 367, 430, 432 Herzogenberg, Heinrich von 16, 67, 86–88, 108, 129, 148 f., 168 f., 179, 243 f., 247, 252 f ., 255, 259, 280, 288, 291, 293–296, 301, 303–305, 325, 349 f., 352, 364–367, 369, 387, 406, 416, 418, 422, 428, 430, 432, 450 Hesiod 42 Heuberger, Richard 75 f., 102, 113, 118, 171 f., 183, 271, 312, 390, 415 Heyse, Paul 382, 385 Heyssig, Alfred 124, 129, 147 f., 216, 410, 430 f. Heyssig, Paul 93 Hiller, Ferdinand 114, 134, 227, 446 Hinton, Arthur 124, 147 f., 206, 227, 230 f., 243, 403, 431 Hoch, Joseph 256 Hochstetter, Cäsar 109 Hoffmann, Ernst Theodor Amadeus 113 Hoffmann, Karel 127 Hofmann, Heinrich 133, 343 f., 400, 431 Holstein, Hedwig von 305 Horatius Flaccus 43 Huber, Hans 98–100, 110, 166, 174 f., 179 f., 243, 249–251, 255 f., 278, 317 f., 321, 323, 325–329, 331, 352, 364, 392, 406, 432, 434 Hummel, Ferdinand 147 f., 195 f., 242 f., 247, 410, 432

Personenregister

Hummel, Johann Nepomuk 371, 383 Ida, Gräfin von Hohenthal Immermann, Karl 289

134, 185,

83, 119

Jacob Robinson, Th¦rÀse Albertine Louise von 233, 348 f., 351 f., 403, 429 Jadassohn, Salomon 199, 201, 324 JaÚll, Maria 239 Jahn, Otto 163, 277 Japha, Georg 228 f., 435 Japha, Luise 69, 79, 229, 435 Japha, Meta 229 Japha, Minna 69, 229, 435 Jenner, Gustav 189, 313, 353 Jensen, Adolf 16, 84, 103, 124, 141, 145 f., 160–163, 173 f., 182–189, 203, 205, 278, 304, 410, 433 Joachim, Amalie 181 Joachim, Joseph 27, 31, 35 f., 67 f., 71, 75, 81, 84, 116–119, 124 f., 127, 134, 155, 158, 167, 169, 181, 191, 205, 210, 212, 225–227, 229 f., 233, 238, 242–244, 247 f., 252–254, 259, 272, 276, 280–282, 288, 294, 340 f., 347, 359, 368, 401, 418, 422 f., 428 f., 445–447 Johann Georg I., Kurfürst von Sachsen 47 Joseph Franz Maximilian Ferdinand, Fürst von Lobkowitz 57, 102 Joshua, Marie 99, 233, 347, 447 Julius, Heinrich 49 Kagel, Mauricio 397 Kahn, Robert 79 Kalbeck, Max 114, 157, 170, 194, 209, 263, 272, 332, 342, 344, 352, 444 Kant, Immanuel 307 Kapper, Siegfried 349 Kauffmann, Fritz 242 f., 247, 286, 406, 434 Keller, Hermann 358 Kersten, Ursula 266 Kertbeny, Karl 340 Kiel, Friedrich 35, 168, 246–248, 250 f., 418, 421, 429, 432, 434, 446 f.

Personenregister

Kienzl, Wilhelm 308 Kiesekamp, Hedwig 11, 263 f., 272, 309, 414 Kirchner, Theodor 32, 97, 167, 180, 243, 278, 311, 318, 321–323, 325, 327–329, 331, 410, 425, 434 Klauwell, Otto 166, 308 Klinger, Max 11, 114, 261–267, 273, 413 Knöringen, Johann Egolf von 46 Knorr, Iwan 260 Koeßler, Hans 92, 95–97, 124, 127, 182, 372, 375, 381 f., 389 f., 401, 435 Köhler, Johanna 141 Köhler, Louis 183 f., 188 Krause, Martin 287, 291, 365 f. Krehahn, Thomas 321 Kretzschmar, Hermann 291 Kreuz, Emil 124, 132, 206, 227–230, 233, 242 f., 275, 282 f., 403, 435, 447 Kristeva, Julia 31 f. Kuhlau, Friedrich 133 Kuhn, Max 365 Kühnel, Ambrosius (Verleger) 35 Kullak, Theodor 343 Kupferschmied, Adalbert 11, 271, 414 Lachner, Franz 330 Lachner, Vinzenz 104, 124, 329 f., 410, 435 Lalo, Edouard 236 Lamond, Frederic 97 Lange, Samuel de 97, 413, 436 Lanner, Joseph 313, 318 Laub, Ferdinand 55 Laurens, Jean-Joseph-Bonaventure 79 Lauterbach, Johann 133 Lauterbach, Karl 365 Lebert, Siegmund 163 Leser, Rosalie 70 Levi, Hermann 68, 302, 363, 367 Ligeti, György 396 Lindeck, Wilhelm 68 Lindner, Adalbert 302, 361–363, 365, 378 f., 391 f. Lipsius, Marie 302 Liszt, Blandine 169

483 Liszt, Cosima 169 Liszt, Franz 16, 28, 36, 67, 94 f., 121–123, 126, 135, 146, 157–166, 169, 173–179, 181 f., 190–192, 197–201, 203–205, 249, 257 f., 269–271, 282, 287, 311, 329, 336, 339–344, 352, 366, 368, 432 f., 451–453 Lodes, Birgit 14 Loewe, Carl 233, 348 f., 351–353, 429 Loewe, Julie 348 Lohse, Horst 396 Louis, Rudolf 166, 285 Lucas, Clarence 37, 206, 227, 234, 376, 381, 389, 410, 436 Macfarren, George Alexander 348 Macfarren, Natalia 348 Mackenzie, Alexander 230 Maecenas, Gaius Cilnius 43 Mahler, Alma 59 Mahler, Gustav 59, 175 Mandyczewski, Eusebius 76, 321, 386 Marliani, Giovanni Bartolomeo 35 Martucci, Giuseppe 149, 240 f., 416, 452 Marxsen, Eduard 58, 61, 68, 70, 114, 124, 134 f., 195, 243, 368 f., 371, 411, 436 f., 450 Mascagni, Pietro 32 f. Mason, William 159 Matthisson, Friedrich von 98 Mauss, Marcel 66, 116, 139 Mazzone, Marc’ Antonio 44 Mendelssohn Bartholdy, Felix 50, 59, 72 f., 107, 134, 165, 180, 185, 227, 229, 249, 328, 424, 434, 453 Messiaen, Olivier 143 f. Methfessel, Albert 132 f. Meuselbach, Wilhelm 63 Miller zu Aichholz, Olga 271 Miller zu Aichholz, Viktor 271 Mirecki, Franciszek 351 Moennighoff, Burkhard 62–64 Molinet, Jean 371 Moltke, Helmuth Karl Bernhard von 115 Monteverdi, Claudio 44 f., 48 Mörike, Eduard 383 Moritz, Graf Strachwitz 204

484 Moritz, Landgraf von Hessen-Kassel 49 Moscheles, Ignaz 185, 236 Mozart, Leopold 53 Mozart, Wolfgang Amadeus 47, 53 f., 59 f., 68, 120, 128, 141, 180, 248, 436 Mühlfeld, Richard 41, 78 Müller, Alexander 180 Müller, Franz 56 f. Mundus, Doris 249 Napoleon Bonaparte 47, 102, 115 Natorp, Maria Anna Clara 54 Natorp, Maria Barbara 54 Nawratil, Karl 62, 69, 124, 129, 141, 243, 256, 286, 298 f., 303 f., 406, 437, 439 Neate, Charles 56 Nedbal, Oskar 127 Neefe, Gottlob 56 Nicod¦, Jean Louis 71, 123 f., 141, 174, 182, 184, 247, 308, 384, 401, 437 Niemann, Rudolph 183 Nietzsche, Friedrich 165, 279 Niggli, Arnold 32, 325 Nouza, Zdeneˇk 223 Nov‚k, Viteˇszlav 129 f., 206, 216, 220–225, 243, 300, 411, 419, 424, 438 Nowak, Gustav 223 Ockeghem, Johannes 371 Oscar I., König von Schweden und Norwegen 71 Otto, Truchsess von Waldburg 46 Pahl, Johann Gottfried 382 f. Palestrina, Giovanni Pierluigi 45, 60 Parry, Charles Hubert Hastings 227, 230, 234, 372–374, 381, 387 Pascall, Robert 347 Paul, Oskar 249 Percy, Thomas 75 Perger, Richard von 99, 124, 128, 136, 154, 243, 283, 286, 332, 406, 422, 438 Peters, Carl Friedrich (Verleger) 51, 133, 291 Petersen, Carl 88, 115 f., 368 Petrarca, Francesco 172

Personenregister

Petrucci, Ottaviano 44 f. Pfitzner, Hans 143 Philipp II., König von Spanien 45 Philips, Eugen 154, 242, 407, 438 f. Pirandello, Luigi 24, 143 Pisling, Theodor 214 f. Pius IX, Papst 57 Pleyel, Ignaz 47 Polzelli, Alois Anton 383 Ponor, Emil Thewrewk von 340, 342 Praetorius, Michael 47, 49 f. Proksch, Josef 213 Prosniz, Adolf 284 Puchtler, Wilhelm Maria 94, 130, 176, 182 Quarry, Michael

229, 347, 447

Rabelais, FranÅois 35 Rabl, Walter 11, 124, 129, 147–149, 243, 285 f., 407, 438 f., 454 Raff, Joachim 256–260, 416, 451 Redeker, Raimund 12 Reger, Max 26 f., 58, 72, 81 f., 85, 92, 95–99, 102, 109, 120, 126 f., 132, 134, 143 f., 175, 263 f., 291 f., 302 f., 352, 360–365, 369, 371, 375, 377–380, 382, 387, 391 f., 411, 439 f. Reinecke, Carl 12, 55, 58 f., 73, 88, 122, 126, 137, 167, 169–172, 179, 190, 204 f., 229, 242 f., 249–253, 255 f., 259, 312, 318, 325, 369, 375, 380, 389–393, 395, 407, 416, 421, 429, 432, 440, 444, 447, 453 Reinhard, Baron von Dalwigk 85 f., 146 Reinthaler, Carl 76, 355, 383, 402, 441 Reissmann, August 345 Rem¦nyi, Eduard 159, 339 Rheinberger, Franziska 305, 441 f. Rheinberger, Joseph 68, 102, 122, 126, 128, 134, 144, 182, 227, 230, 243, 246, 251, 361, 376, 381, 384 f., 402, 411, 431, 441 f., 447, 450, 453 Richter, Alfred 172 f., 204, 249 Richter, Ernst Friedrich 249 Richter, Hans 415

Personenregister

Riemann, Hugo 11, 13, 97, 134, 166, 267–269, 273, 291, 414 Ries, Ferdinand 56, 135, 185 f. Rietz, Julius 249 Rihm, Wolfgang 396 Röntgen, Julius 129, 254, 401, 442 Rösing, Elisabeth 85 Rothe, Arnold 109, 139, 142 f. Rottenberg, Ludwig 79 Rubens, Peter Paul 44 Rubinstein, Joseph 258 Rückauf, Anton 129, 141, 147 f., 216, 243, 286, 407, 442 f. Rudorff, Ernst 11, 92 f., 102, 106, 108, 110, 112, 124, 225, 242 f., 247, 251, 253 f., 256, 306, 355, 379, 411, 432, 434, 443 Rühmstedt, Friedrich 134 S‚gh, Jûszef 340 Saint-SaÚns, Camille 236 Sandberger, Wolfgang 9 Sands, Helen 82, 377 Scarlatti, Domenico 191, 202 Scharwenka, Philipp 82, 377 f. Scharwenka, Xaver 82, 308, 411, 443 Schiller, Friedrich 114, 334 f., 370, 382 Schlegel, Leander 124, 174, 243, 251, 256, 303 f., 411, 444 Schleiermacher, Friedrich 33 f., 36, 41 Schleinitz, Heinrich Conrad 249, 253 Schmidt, Matthias 112, 280, 353 Schmitt, Hans 411, 444 Schmitt, Helene von 71 Schmitt, Martha von 71 Schnabel, Werner Wilhelm 63, 139, 145 Schneidewin, Max 84 Schnell, Dagmar 12 Schnoor, Arndt 131 Scholtz, Herrmann 380 Scholz, Bernhard 112, 167–169, 256, 258, 260, 284, 288, 305, 407, 419, 444 f., 451 Scholz, Luise 167, 445 Schönberg, Arnold 175, 300 Schopenhauer, Arthur 172 Schubert, Franz 56, 59, 82, 93, 127, 168,

485 180, 183 f., 191 f., 194, 198, 202, 248, 309, 315, 321, 323, 325, 328–330, 336, 342, 348, 377, 380, 408, 427 Schuberth, Fritz 162, 183 Schubring, Adolf 25, 161–163 Schumann, Clara (geb. Wieck) 11, 27, 35, 57, 77 f., 84, 98, 116–119, 123 f., 126 f., 135, 155, 161, 173 f., 179, 193, 210, 214, 225–227, 233 f., 242 f., 253 f., 256–260, 272, 274, 276, 280, 282, 291, 353, 355, 357, 384, 411, 416–418, 422 f., 428, 434–437, 443, 445 f., 448, 451 Schumann, Robert 12, 16, 27, 31, 35–37, 57, 59, 71, 77–79, 84 f., 98, 105, 107, 116–119, 121–123, 125–127, 153, 160–163, 165, 168, 180, 183, 185, 189, 194 f., 201, 219, 222, 225, 229, 233, 238, 240, 248 f., 258, 276, 278, 280, 282 f., 287, 291, 295, 311–313, 323, 347, 349, 371 f., 380, 384, 389, 401 f., 409, 421, 423, 428, 433, 437, 445 f., 453 Schuncke, Ludwig 126, 371 f. Schütz, Heinrich 39, 47–50 Schweida, Rudolf 124, 412, 446 Senff, Bartholf (Verleger) 69, 128, 198, 358, 446 Seyffardt, Ernst 31, 112, 147 f., 247, 312, 357, 402, 446 f. Siebmann, Friedrich 308 Simmel, Georg 99 Simrock, Fritz (Verleger) 51, 58, 74 f., 83, 87, 93–95, 100, 115, 104, 114–116, 126, 129–133, 145 f., 148 f., 158, 176, 207, 212 f., 216–219, 221–223, 231, 233, 238 f., 254, 266 f., 271, 273 f., 285, 311, 327, 330–336, 342, 349, 356, 359, 365, 369, 373, 405, 407–412, 416 f., 419, 423–426, 431 f., 437–439, 442, 449, 454 Simrock, Peter Joseph (Verleger) 85, 146 Smetana, Bedrˇich 215, 218, 220 Sonnleithner, Joseph 315 Sorel, Charles 24 Spaun, Josef von 56 Speyer-Kuffrath, Antonie 76 Spitta, Philipp 12, 75, 84, 118, 195, 197,

486 252, 269, 295, 302, 305, 307 f., 310, 325, 352, 365–367, 430 Spohr, Louis 51, 133 Sponholz, Adolph Heinrich 28, 282 Stamitz, Johann 215 Stanford, Charles Villiers 74, 83 f., 99, 124, 169, 195, 204, 206, 227–230, 232–234, 242 f., 247, 250–252, 345–348, 351, 373, 404, 415, 431, 435, 447 Stehle, Johann Gustav Eduard 82, 147 f., 174, 195, 357, 404, 447 Sterndale Bennett, William 251 Stettenheim, Julius 335 Stevenson, John 352 Stöckhardt, Reinhold 124, 147 f., 412, 447 f. Stockhausen, Julius 58, 75, 82, 101 f., 122, 124, 155 f., 201, 210, 226 f., 256, 258, 404, 430, 448, 451 Strauß, Richard 97 Strauss, Adele 334 Strauss, Alice 331 Strauss, Eduard 318, 334 Strauss, Johann (Sohn) 32, 83, 129, 135, 146, 192, 234, 312 f., 315–318, 326, 330–336, 412, 448 f. Strauss, Johann (Vater) 313–316 Suk, Josef 81 f., 124, 127, 129, 141, 206, 216, 220–223, 225, 243, 281, 407, 419, 424, 438, 449 Sullivan, Arthur 230, 253 Tarsus, Paulus von 172 Tausig, Carl 16, 124, 141, 174 f., 179, 181–183, 189–195, 197–199, 201–205, 243, 311, 412, 423, 450, 454 Therese Johanne, Gräfin von Cobenzl, Gräfin von Montelabate 47 Thieriot, Ferdinand 61 f., 68, 70, 154, 243, 286, 408, 450 Tieck, Ludwig 113 Tilike, Ilda 124, 147 f., 195, 199 f., 242, 412, 450 f. Toledo, Ferdinando Alvarez di 149 Tomaschek, Wenzel Thomas 35 Torricella, Christoph (Verleger) 47

Personenregister

Trattner, Maria Theresia von Truscott, Harold 232

54

Untersteiner, Alfredo 238 f. Urspruch, Anton 174, 179, 181 f., 205, 243, 258–260, 402, 416, 451 Uysdal, Hanka 81 f., 124, 147 f., 242, 404, 451 Valder-Knechtges, Claudia 357 Verit—, Marco 45, 49 Victoria, Königin von Großbritannien und Irland 346 Vilhar, Franz Serafin 124, 412, 451 Vrabely, Seraphine 190, 450, 454 Vrabely, Stephanie von (Gräfin von Wurmbrand) 190, 124, 212, 340 f., 412, 450, 454 Vuk, Stefanovic´ Karadzˇic´ 351 Wackenroder, Wilhelm Heinrich 113 Wagner, E. D. (Herausgeber) 338 Wagner, Richard 16, 28, 56–58, 80, 94, 105, 113, 157–159, 161, 163, 165 f., 168, 173 f., 179–181, 190–192, 194 f., 200 f., 203–205, 240, 251, 255, 257 f., 269, 287, 366, 416, 419, 425, 432 f., 436, 444 f., 452 f. Wallfisch, J. H. 31, 38 f., 124, 278, 312, 336 f., 339, 376, 381, 395, 412, 452 Wallnöfer, Adolf 112, 124, 129, 243, 402, 452 Wasielewski, Wilhelm Joseph von 122 Weber, Carl Maria von 59, 191 Weber, Joseph Miroslav 144 Weber, Edmund von 134 Weide, Willy 373 Wendt, Gustav 11, 271–274, 414 Wendt, Mathilde 257 Westerhout, Niccolý van 124, 238, 240 f., 412, 452 Widmann, Joseph Viktor 136, 174, 240, 414, 434 Wiesenfeldt, Christiane 452 Wihan, Hanusˇ 127 Wilczek, Lucietta 331

487

Personenregister

Wilhelm I., Deutscher Kaiser 58, 83, 105, 115, 123, 209, 368 Willaert, Adrian 48 Willems, Jan Willem 51 Wilms, Jan W. 311 Winking, Hans 103 Winterberger, Alexander 352 Wirsing, Rudolf 217 Witte, Georg Hendrik 23, 102, 124, 243, 251, 254, 256, 278, 285, 317–326, 328 f., 331, 413, 434, 453 Wolff, Christoph 50 Wolfrum, Philipp 67 f., 134, 147 f., 174, 182, 243, 413, 453

Wüllner, Franz 167, 182, 205, 243, 260, 404, 435, 441, 453 Würzl, Eberhard 332 Yourcenar, Marguerite

24

Zemlinsky, Alexander 124, 129, 242, 243–245, 291 f., 374, 384–386, 388, 439, 454 Ziehrer, Carl Michael 312 Ziehrer, Franz 57 Zimmermann, Helga 248 Zimmermann, Wilhelm 382 f.