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German Pages 584 Year 1996
Lothar Weyhe . Levin Goldschmidt
Hamburger Rechtsstudien herausgegeben von den Mitgliedern des Fachbereichs Rechtswissenschaft I der Universität Hamburg Heft 88
Levin Goldschmidt Ein Gelehrtenleben in Deutschland Grundfragen des Handelsrechts und der Zivilrechtswissenschaft in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts
Von Lotbar Weybe
Duncker & Humblot · Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Weyhe, Lothar: Levin Goldschmidt : ein Gelehrtenleben in Deutschland ; Grundfragen des Handelsrechts und der Zivilrechtswissenschaft in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts / von Lothar Weyhe. Berlin : Duncker und Humblot, 1996 (Hamburger Rechtsstudien ; H. 88) Zug!.: Hamburg, Univ., Diss., 1994/95 ISBN 3-428-08671-6 NE:GT
Alle Rechte vorbehalten © 1996 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübemahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0072-9590 ISBN 3-428-08671-6 Gedruckt auf aIterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
9
Meinen Eltern
Vorwort Diese Arbeit wurde im Wintersemester 1994/95 von dem Fachbereich Rechtswissenschaft I der Universität Hamburg als Dissertation angenommen. Ihr hauptsächlicher Teil entstand während meiner Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Seminar für Deutsche und Nordische Rechtsgeschichte der Universität Hamburg. Allen Angehörigen und Mitarbeitern dieses Seminars wie auch des benachbarten Seminars für Römisches Recht und Vergleichende Rechtsgeschichte der Universität Hamburg gebührt Dank für die freundliche Unterstützung, die meine Arbeit in vielfältiger Weise erfahren hat. Dies gilt insbesondere für meinen Doktorvater, Herrn Professor Dr. Götz Landwehr, der den Gegenstand der Arbeit vorgeschlagen hat und der ihren Fortgang mit großer Geduld und vielen Verbesserungsvorschlägen gefördert hat. Herrn Prof. Dr. Karsten Schmidt danke ich für die Erstattung des Zweitgutachtens, Herrn Prof. Dr. Seiler für seine Bemühung um eine Veröffentlichung der Arbeit in den "Hamburger Rechtsstudien". Besonderen Dank schulde ich meinen Eltern, deren Geduld und ständigen Zuspruch die Arbeit - wie alles in meinem Leben - unendlich viel verdankt. LothaT Weyhe
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
23
1. Teil Das Leben eines jüdischen Gelehrten in Deutschland 1829 - 1897
24
A. Herkunft und Jugend 1829 - 1847 ..................................................
24
I. Danzig; Herkunft und Umfeld ............ .. ..................................
24
11. Schulzeit .....................................................................
26
B. Studienzeit 1847 - 1851 ............................................................
27
I. Beginn der Studienzeit ...................................................... . .
27
11. Die Revolution von 1848 .....................................................
31
III. Das Studium der Rechtswissenschaft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
34
I. Berlin 1847 - 1849 .............................. , . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
34
2. Bonn 1849 .................................................................
35
3. Heidelberg 1849/50 ........................................................
37
4. Berlin 1850/51 .............................................................
43
5. Promotion in Halle 1851 ...................................................
47
C. Auskultatur und Referendariat 1851 - 1854 .........................................
50
I. Danzig..................... . ..................................................
50
11. Deutschlandreise 1854 ........................................................
55
10
Inhaltsverzeichnis
D. An der Universität Heidelberg 1855 -1870.........................................
61
I. Die Habilitation 1855 ................ . .......... . .......... . .......... . .......
61
11. Privatdozent an der Universität Heidelberg 1855 - 1860 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
62
I. Lehrtätigkeit ........ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
62
2. Persönliche Verhältnisse ...................................................
64
III. Die Gründung der "Zeitschrift für das gesammte Handelsrecht" 1857/58 ......
68
IV. Die Ernennung zum außerordentlichen Professor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
73
V. Als außerordentlicher Professor in Heidelberg 1860 - 1866 ....................
77
VI. Die Ernennung zum ordentlichen Professor ...................................
83
VII. Die letzten Jahre in Heidelberg 1866 - 1870 ..... . .......... . .......... . .......
91
E. Am Reichsoberhandelsgericht in Leipzig 1870 - 1875 ..............................
92
I. Goldschmidt und das Reichsoberhandelsgericht ...............................
93
I. Die Berufung an das Reichsoberhandelsgericht ............................
93
2. Die Tätigkeit am Reichsoberhandelsgericht ................................
98
11. Das Leben in Leipzig .........................................................
99
III. Werk und Wirken außerhalb des ROHG ...... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 1. Internationale Beziehungen ................................................ 10 I
2. Die Vorbereitung des BGB ................................................. 107 IV. Der Abschied von Leipzig ...................... . .......... . .................. 119 1. Die Berufung an die Universität Berlin ..................................... 119
2. Die Wahl in den Deutschen Reichstag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121
F. In Berlin 1875 - 1897 .............................................................. 122 I. Die ersten Jahre in Berlin ..................................................... 122 1. Der Umzug nach Berlin .................................................... 122
2. Im Deutschen Reichstag 1875 - 1877 ...................................... 123 3. Der erste gesundheitliche Zusammenbruch 1877 ........................... 127
Inhaltsverzeichnis 11. An der Universität Berlin
11
129
1. Der Berliner Lehrstuhl ..................................................... 129
2. Politisches und gesellschaftliches Engagement ............................. 132 3. Die wissenschaftlichen Höhepunkte........................................ 150 4. Der endgültige gesundheitliche Zusammenbruch 1892 ..................... 153
2. Teil Goldschmidt und die Wissenschaft von Recht und Handelsrecht in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts
158
A. Tätigkeitsbereiche des Schaffens Goldschmidts ..................................... 158 I. Schriften...................................................................... 158 1. Überblick......................... . .......... . .......... . .................. 158
2. Handbuch des Handelsrechts............................................... 159 a) Entstehung und Anlage des Handbuchs ................................ 159 b) Aufnahme und Wirkung des Handbuchs .... .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. 165 c) Die "Universalgeschichte des Handelsrechts" .......................... 167 3. Sonstige rechtswissenschaftliche Schriften ................................. 170 11. Die ,,zeitschrift für das gesammte Handelsrecht" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 III. Aus Goldschmidts Rechtsprechungstätigkeit .................................. 184 1. Mitgliedschaft im Spruchkollegium der Universitäten Heidelberg und Berlin ......................................................................... 184 2. Goldschmidts Einfluß auf die Rechtsprechung des ROHG . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 a) Auf Goldschmidts Vortrag beruhende Entscheidungen des ROHG ...... 185 b) Der "Leipziger Theaterprozeß" ........................................ 188 c) Entscheidungen zur Gehilfenhaftung ................................... 193 d) Kaufrecht .............................................................. 196 IV. Aus Goldschmidts Lehrtätigkeit; Schriften zur Juristenausbildung ............. 199 1. Lehrveranstaltungen und Vorlesungs grundrisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 a) Vorlesungsprogramm .................................................. 199
12
Inhaltsverzeichnis b) Grundrisse zu Goldschmidts Vorlesungen .............................. 200 aa) Encyklopädie der Rechtswissenschaft im Grundriß ................ 200 bb) System des Handelsrechts......................................... 202 2. Schriften zur Juristenausbildung ........................................... 203
B. Aus Goldschmidts rechts wissenschaftlichem Werk
213
I. Al1gemeines Bürgerliches Recht.............................................. 214
I. Al1gemeiner Teil des bürgerlichen Rechts.................................. 214 a) Geschäftsfähigkeit und Deliktsfähigkeit Minderjähriger................ 214 b) Stel1vertretung, insbesondere Prokura.................................. 218 2. Schuldrecht ................................................. . . . . . . . . . . . . . .. 222 a) Grundfragen des Haftungsrechts: Der "Lucca-Pistoja-Aktienstreit" ..... 222 b) Gehilfenhaftung .;..................................................... 232 c) Kaufrecht ................................................ . .. . . . . . . . . . .. 250 3. Sachenrecht ....................................................... . ....... 255 a) Die Sachen .............. . ............................................. 255 aa) Das Geld .......................................................... 256 bb) Ware und Wert .................................................... 257 b) Das Recht des Besitzes . . . . . . . .. . .. . . . .. . . .. .. . . . .. . . .. . . .. .. .. . . . . . .. .. 258 c) Der Eigentumserwerb vom Nichtberechtigten .......................... 263 11. Die Abgrenzung von Handelsrecht und bürgerlichem Recht ................... 269 I. Der "Relativismus" von Handelsrecht und bürgerlichem Recht ............. 270 2. Objektives und subjektives System. . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . .. . . ... .. . . .. ... .. 274 111. Wertpapierrecht............................................................... 278
I. Die "Eigentums theorie" ................................................... 279 2. Die Wertpapiertheorien .................................... .. .............. 281 3. Die Traditionspapiere ...................................................... 286 a) Historische Grundlagen ................................................ 287 b) Die "symbolische Tradition" ........................ . .................. 289 c) Die dingliche Wirkung des Konnossements ............................ 291 d) Der Lagerschein und der Ladeschein ................................... 295 e) Die gemeinrechtliche Grundlage von Goldschmidts Lehre.............. 296 f) Die Wirkungsgeschichte von Goldschmidts Lehre ...................... 299
Inhaltsverzeichnis IV. Transportrecht
13 307
I. Das Transportrecht vor dem ADHGB .................. . ................... 307 2. Das ,,receptum nautarum cauponum stabulariorum" ........................ 311 3. Der Ausschluß der Haftung durch die Eisenb.-B.=R.s ...................... 320 4. Die weitere Entwicklung des Eisenbahnrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 337 5. Der Streit um die Gültigkeit des Eisenb.-B.=R.s von 1874 .................. 339 V. Gesellschaftsrecht ............................................................ 350
1. Recht der Personenhandelsgesellschaften .................................. 351
a) Die Societe en commandite ............................................ 351 b) Die Kritik an der Scheidung von stiller Gesellschaft und Kommanditgesellschaft im ADHGB .................................................. 359 aa) Die Kritik des Entwurfs eines preußischen HGB ................... 359 bb) Die Scheidung von stiller Gesellschaft und Kommanditgesellschaft im Gesetzgebungsverfahren ....................................... 363 cc) Das Gutachten von 1860 .......................................... 365 c) Formen der Beteiligung ........................................... ,.... 369 d) Die Definition der oHG; Gesellschaft und Scheingesellschaft .......... 373 e) Das Vermögensrecht der Personengesellschaft .......................... 378 aa) Grundlage des Vermögensrechts .......................... . ........ 378 bb) Konkurs der oHG ................................................. 378 cc) Mithaftung des eintretenden Gesellschafters....................... 381 dd) Aufrechnung mit und gegen Gesellschaftsforderungen .......... . .. 382 ee) Selbständigkeit des Gesellschaftsvermögens ....................... 382 2. Die Gesetzgebung des Aktienrechts ........................................ 384 a) Die Aufhebung des Konzessionssystems ............................... 385 b) Rechtspolitische Gutachten aus den 70er Jahren.......... . ............. 387 c) Die Aktiennovelle 1884 ................................................ 389 3. Genossenschaftsrecht: Das Genossenschaftsgesetz von 1889 ............... 397 a) Das deutsche Genossenschaftsrecht .................................... 397 b) Der Streit um die Solidarhaft der Genossen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 399 c) Die Sachverständigenkommission von 1887 und das Genossenschaftsgesetz von 1889 . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 405 d) Die weitere Entwicklung ........... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 409
14
Inhaltsverzeichnis 4. Grundfragen des Gesellschaftsrechts ....................................... 411 a) Grundlagen der Gesellschaftsformen................................... 411 b) Der "Mehrheitsverband" ............................................... 414 5. Gutachten zu Fällen aus dem Gesellschaftsrecht ............................ 416 VI. Rechtsgeschichte ............................................................. 418 1. Römisches Recht .......................................................... 419
a) Geschichte des Römischen Rechts ..................................... 419 b) Institutionengeschichte ............................................. . . .. 421 aa) "Das Seedarlehen des Callimachus" ............................... 421 bb) Urkunden im klassischen Altertum ................................ 426 2. Deutsche Rechtsgeschichte ................................................ 428 a) Deutsche Staats- und Rechtsgeschichte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 428 aa) Alter und Herkunft des Stadtrechts von Wisby ..................... 428 bb) "Die deutsche Hansa" ............................................. 431 cc) Geschichte der Juristenausbildung in Deutschland................. 433 b) Deutsches Privatrecht.................................................. 433 aa) Die Haus- und Hofmarke ......... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 433 bb) Der Eigentumserwerb vom Nichtberechtigten ..................... 434 3. Geschichte des Handelsrechts. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 438 a) Entwicklung des Handelsrechts .................................. . ..... 439 b) Geschichte einzelner handelsrechtlicher Institute ....................... 440 aa) Systematische Gesamtdarstellung in der "Universalgeschichte des Handelsrechts" von 1891 .......................................... 440 bb) Handelsgeschäfte im Mittelalter ................................... 441 cc) Geschichte des Maklerrechts ...................................... 441 c) Geschichte des europäischen Seerechts ................................. 443 aa) Das Wisbysche Seerecht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 444 bb) Geschichte der Rezeption des römischen Rechts im europäischen Seerecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 450 cc) "Lex Rhodia und Agermanament" ........... . ..................... 452 dd) Geschichte der Seeversicherung ................................... 462 d) Geschichte der Handelsrechtswissenschaft ............................. 465 VII. Grundfragen der Rechtswissenschaft.......................................... 471 1. Methodik der Rechtswissenschaft....... . ................... . .............. 471
a) Das immanente Recht.................................................. 471
Inhaltsverzeichnis
15
b) Das positive Recht..................................................... 475 aa) Das Gesetzesrecht ................................................. 475 (I) Die Bedeutung des Gesetzesrechts ............................ 475 (2) Subjektive und objektive Auslegungslehre .................... 479 (3) Das Lückenproblem ........................................... 482 bb) Das Gewohnheitsrecht ............................................ 485 c) Das Verhältnis vom positiven zum immanenten Recht.................. 489 d) "Induktive" und "historisch-genetische" Methode ...................... 494 2. Grenzbereiche ............................................................. 496 a) Die Überbewertung des ökonomischen Moments: Goldschmidt und Wilhelm Endemann .................................................... 497 b) Die Überbewertung des dogmatischen Moments: Goldschmidt und Heinrich Thöl .......................................................... 505 aa) bb) cc) dd)
Thöls Bedeutung für das Handelsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. Thöl und Goldschmidt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. Der Streit um die Gültigkeit des Eisenb.-B.=R.s von 1874 ......... Die methodische Bedeutung der Auseinandersetzung ..............
506 509 511 520
Anhang: Schüler Goldschmidts, insbesondere: Max Weber und Philipp Heck
526
Literatur- und Quellenverzeichnis
532
Verzeichnis der Schriften Goldschmidts
546
I. Schriften verzeichnis ................................................................ 546
2. Anhang ......................................... . ................................... 574 a) Bildnisse Goldschmidts ..................... . ..................... . .......... . .. 574 b) Urkunden und Autographen..................................................... 574 c) Gedruckte Auszüge aus Aktenmaterial über Goldschmidt ..................... . .. 575 d) Verzeichnis von Werken anderer Autoren, die Goldschmidt gewidmet sind ...... 576 e) Biographien, Nachrufe und Würdigungen Goldschmidts ......................... 576 Sachverzeichnis
579
Abkürzungen (Gesetze ohne Zusatz sind Gesetze des Norddeutschen Bundes, des Deutschen Reiches oder der Bundesrepublik Deutschland. Die abgekürzte Angabe eines Gesetzes mit Zusatz einer Jahreszahl bezeichnet das jeweilige Gesetz in der in dem angegebenen Jahr geänderten Fassung.) ABGB
Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch für Österreich vom I. 6. 1811
AcP
Archiv für die civilistische Praxis, hrsg. v. J. C. Gensler, C. J. A. Mittermaier u.a., Heidelberg, Freiburg i.B., Tübingen, Bd. Iff., 1818ff.
ADB
Allgemeine Deutsche Biographie. Bd. I - 56, Leipzig 1875 1912
ADHGB
Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch von 1861, BGBI. 1869, S. 404 - 602
ADWO
Allgemeine Deutsche Wechselordnung von 1848 in der Fassung der Nürnberger Novellen von 1861, BGBI. 1869, S. 382 - 403
AGB-Ges.
Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen vom 9. 12. 1976, BGBI. I, S. 3317ff.
AGO
Allgemeine Gerichtsordnung für die Preußischen Staaten von 1793/95,1816
AktG
Aktiengesetz - 1937 vom 30. I. 1937, RGBI. 11937, S. 107ff.; - 1965 vom 6. 9. 1965, BGBI.I 1965, S. 1089ff.
ALR
Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794
AöR
Archiv für öffentliches Recht (des Öffentlichen Rechts), hrsg. v. P. Laband, F. Stoerk u.a., Freiburg i.B., Leipzig 1886ff.
Arch. f. Bürg. R.
Archiv für Bürgerliches Recht, hrsg. v. J. Kohler, V. Ring, P. Oertmann, Bd. 1 - 43, Berlin 1889 - 1919
Arch. f. Dt. WR (u. HR)
Archiv für Deutsches Wechselrecht (ab Band 6: und Handelsrecht), hrsg. v. E. Siebenhaar, Th. Tauchnitz u.a., Leipzig 1851 1869; N. F. 1870 - 1873
Arch. f. prakt. Rechtswiss. Archiv für praktische Rechtswissenschaft aus dem Gebiete des Civilrechts, Civilprocesses und Criminalrechts, hrsg. v. M. Schäfer u.a., Bd. I - 28, Darmstadt, Marburg und Leipzig 1852 - 1897 Arch. f. Th. u. Prax. HR
Archiv für Theorie und Praxis des Allgemeinen deutschen Handelsrechts (Bd. 26ff., 1872ff.: Handels- und Wechselrechts), hrsg. v. F. B. Busch u.a., Bd. 1 - 48, Leipzig 1863 - 1888
Abkürzungsverzeichnis
17
Beitr. Preuß. R.
Beiträge zur Erläuterung des Preußischen (Bd. 16ff., 1872ff.: des Deutschen) Rechts, hrsg. v. J. A. Gruchot u.a., Bd. 1 - 73, Hamm, Berlin 1857 - 1933
BGB
Bürgerliches Gesetzbuch vom 18. 8. 1896, RGBI. 1896, S. 195ff.
BGBI.
Bundesgesetzblatt (des Norddeutschen Bundes), Berlin 1867 1870
BGBI. IIII
Bundesgesetzblatt (der Bundesrepublik Deutschland) Teil I I Teil 11, Bonn 1949ff.
BGH
Bundesgerichtshof
BGHZ
Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen, Köln, Berlin, München, Bd. I ff., 1951ff.
BOHG
Bundesoberhandelsgericht
BOHGE
Entscheidungen des Bundes-Oberhandelsgerichts (s. ROHGE)
BOHG-Ges.
Gesetz, betreffend die Errichtung eines obersten Gerichtshofes für Handelssachen vom 12.6. 1869, BGBI. 1869, S. 201 - 210
BT-Drs.
Bundestags-Drucksache (Verhandlungen des Deutschen Bundestages, Anlagen zu den stenographischen Berichten, Bonn 1950ff.)
BVerfG
Bundesverfassungsgericht
C.
Codex lustinianus
c.
Kapitel
Carolina
Peinliche Gerichtsordnung Kaiser Karls V. von 1532
C. decomm.
frz. Code de commerce vom 13.9. 1807
Centr.-Org.
Central-Organ für das deutsche Handels- und Wechselrecht, hrsg. v. G. Löhr, Bd. 1 - 9, Elberfeld 1865 - 1873.
Code Civil
Code Civil des
CPO
Civilprozeßordnung vom 30. I. 1877, RGBI. 1877, S. 83ff.
D.
Digesten (D. I, I, 10, I = Digesten, Buch I, Titel 1, Fragment (= lex) 10, § I)
DDR
Deutsche Demokratische Republik
ders.
derselbe Autor
dies.
dieselbe Autorin
DJZ
Deutsche Juristen-Zeitung, hrsg. v. P. Laband, O. Liebmann, C. Schmitt u.a., Berlin 1896 - 1936
Fran~ais
vom 31. 3.1804.
DRiG
Deutsches Richtergesetz, BGBI. 1972, S. 713ff.; 1984, S. 995f.
EG ...
Einführungsgesetz zum/zur ...
Eisenb.-B=R.
Eisenbahn-Betriebs=Reglement
Entw. ADHGB I I 11
Entwurf eines ADHGB (nach den Beschlüssen der ersten I zweiten Lesung). In: Lutz, Protokolle, Beilagen-Band (I), S. 141 ff.
Entw.IBGB
Entwurf zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Entwurf erster Lesung 1888
2 Weyhe
18
Abkürzungsverzeichnis
Entw. 11 BGB
Entwurf zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Entwurf zweiter Lesung (Bundesratsvorlage) 1895
Entw. InsO 1992
Gesetzentwurf der Bundesregierung: Entwurf einer Insolvenzordnung (InsO), BT-Drs. 12/2443 vom 15.4. 1992 (mit Begründung). In: BT-Drs., 12. Wahlperiode, Bd. 445, Bonn 1992.
Entw. preuß. HGB 1111
Entwurf eines Handelsgesetzbuchs für die Preußischen Staaten (Entwurf und revidierter Entwurf; die Druckausgabe 1857 enthält nur den revidierten Entwurf)
EVO
Eisenbahn-Verkehrs-Ordnung
fl.
Gulden
GenG
Gesetz, betreffend die Erwerbs- und Wirthschaftsgenossenschaften - 1889 vom 1. 5.1889, RGB!. 1889, S. 55 - 93; - 1897 in der Fassung von Art. 13 EG HGB 1897, RGB!. 1898, S. 810 - 845; - 1933 in der Fassung vom 20. 12. 1933, RGBI. I 1933, S.1089ff.; - 1973 in der Fassung vom 9. 10. 1973, BGBl.I 1973, S. 1451ff., jetzt BGB!. I 1994, S. 2202ff.
GG
Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. 5. 1949, BGB!. 11949, S. Iff.
GmbH
Gesellschaft mit beschränkter Haftung
GmbH-Gesetz
Gesetz, betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung vom 20. 4. 1892, RGB!. 1892, S. 477ff.
GVG
Gerichtsverfassungsgesetz vom 27. 1. 1877, RGB!. 1877, S. 41ff.
HGB
Handelsgesetzbuch vom 10.5.1897, RGB!. 1897, S. 219ff.
HHStR
Hamburger Stadtrecht von 1603/05
HRG
Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte, hrsg. v. Adalbert Erler und Ekkehard Kaufmann, Berlin 1971 ff.
Hrsg.
Herausgeber
hrsg. v.
herausgegeben von
InsO
Insolvenzordnung vom 5. 10. 1994, BGB!. I, S. 2866ff.
lusCommune
lus Commune, Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Europäische Rechtsgeschichte, hrsg. v. H. Coing, Bd. 1ff., Frankfurt a.M. 1967ff.
Jbb. Dogm.
Jahrbücher (Bd. 32ff., 1893ff.: Jherings Jahrbücher) für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts (Bd. 37ff., 1897ff.: des bürgerlichen Rechts), hrsg. v. C. F. v. Gerber und R. Jhering, Bd. 1 - 90, Jena 1857 - 1942
Jb. d. gern. Dt. R.
Jahrbuch des gemeinen Deutschen Rechts, hrsg. v. Bekker u. Muther, Bd. 1 - 4, Leipzig 1857 - 1863
Jg.
Jahrgang
Abkürzungsverzeichnis JuS
Juristische Schulung, München 1961 ff.
JW
Juristische Wochenschrift, Leipzig 1872 - 1944
JZ
Juristenzeitung, Tübingen 1951 ff.
19
KG
Kommanditgesellschaft
kg!.
königlich
KO
Konkursordnung vom 10.2. 1877, RGB!. 1877, S. 351ff.; RGB!. 1898, S. 612ff.
Kril. Vjs. f. Gesetzgebung Kritische Vierteljahrsschrift für Gesetzgebung und Rechtswisu. Rechtswiss. sensehaft, hrsg. v. J. Poezl, Bd. 1 - 68, München 1859 - 1944 Kril. Zs. f. d. ges. Rechtswiss.
Kritische Zeitschrift für die gesammte Rechtswissenschaft, hrsg. v. Brinckmann, Marquardsen, Dernburg, Hillebrand u. Stintzing, Heidelberg 1853 - 1859
Lebensbild
Levin Goldschmidt, Ein Lebensbild in Briefen, hrsg. v. Adele Goldschmidt, Berlin 1898
Lfg.
Lieferung
Ii. Sp.
linke Spalte
lil.
Buchstabe (als Untergliederungspunkt)
Lit. Centralb!.
Literarisches Centralblatt für Deutschland, hrsg. v. F. Zarncke, Jg. 1 - 95, Leipzig 1851 - 1944
Mol.
Motive zum BGB
m.w.N.
mit weiteren Nachweisen
NDB
Neue Deutsche Biographie. Bd. 1ff., Berlin 1953ff.
Neues Arch. f. HR
Neues Archiv für Handelsrecht, hrsg. v. J. F. Voigt u. E. Heiniehen, Bd. I - 4, Hamburg 1858 - 1866
N.F.
Neue Folge
NJW
Neue Juristische Wochenschrift, Frankfurt a.M., München I 947ff.
OAG
Oberappellationsgericht
Oesterr. Vjs.
Oesterreichische Vierteljahressc~rift für Rechts- und Staatswissenschaft, hrsg. v. F. Haimerl, Bd. I - 18, Wien 1858 - 1866
oHG
offene Handelsgesellschaft
0.1.
ohne Angabe des Erscheinungsjahres
OLG
Oberlandesgericht
OT
Obertribunal
PA
Personalakte Goldschmidt, Universität Heidelberg
pr.
primum, vor der ersten Untergliederung
preuß.
preußisch
Preuß. Eisenb.-Ges.
Gesetz über die Eisenbahn-Unternehmungen vom 3. Il. 1838, Preuß. G.=S. 1838, S. 505 - 516
2*
20
Abkürzungsverzeichnis
Preuß. G.=S.
Gesetz-Sammlung für die Königlich-Preußische Staaten, Berlin 1812f.; Gesetz-Sammlung für die Königlich Preußischen Staaten, Berlin 1814ff.
Preuß. Jbb.
Preußische Jahrbücher, hrsg. v. R. Haym, H. v. Treitschke, H. Delbrück u.a., Berlin 1858 - 1935
Preuß. JMBI.
Justizministerialblatt für die Preußische Gesetzgebung und Rechtspflege, Berlin 1838ff.
Preuß. StGB
Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten v. 14. 4. 1851, Preuß. G.=S. 1851, S. 101 - 178.
Prot.
Protokolle der 2. BGB-Kommission
R
Rückseite
Rdnr. / Rdnrn.
Randnummer / Randnummern
re. Sp.
rechte Spalte
Rev. de droit int.
Revue de Droit International et de Ugislation Compan!e. Organe de l'Institut de Droit International. London, Brüssel, Paris, Den Haag, Berlin, Turin, Bern, New York 1874ff.
RG
Reichsgericht
RGBI. (I)
Reichsgesetzblatt (Teil I), Berlin 1871 - 1945
RGZ
Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen (Bd. 1 - 50: in Civilsachen), hrsg. v. den Mitgliedern des Gerichtshofes, Bd. 1 172, Leipzig, Berlin 1880 - 1944
RHPfiG
Gesetz, betr. die Verbindlichkeit zum Schadensersatz für die bei dem Betrieb der Eisenbahnen, Bergwerke etc. herbeigeführten Tödtungen und Körperverletzungen, vom 7. 6. 1871 (Reichshaftpflichtgesetz), RGBI. 1871, S. 207 - 209
ROHG
Reichsoberhandelsgericht
ROHGE
Entscheidungen des Reichs-Oberhandelsgerichts (Bd. 1 u. 2 in erster Auflage: des Bundes-Oberhandelsgerichts), hrsg. v. Mitgliedern (Bd. 1 u. 2: den Räthen) des Gerichtshofs, Bd. 1 - 25, Erlangen, Stuttgart 1871 - 1880
RStGB
Reichsstrafgesetzbuch vom 15.5.1871, RGBI. 1871, S. 127ff.
RT-Drs.
Sammlung sämmtlicher Drucksachen des Reichstages des Norddeutschen Bundes / des Deutschen Reiches, Berlin 1867ff., 1871 ff.
R.=Verf.
Die Verfassung des Norddeutschen Bundes vom 16. 4. 1867, BGBI. 1867, S. 2ff. / des Deutschen Reichs vom 16. 4. 1871, RGBI. 1871, S. 63ff.
RVO
Reichsversicherungsordnung vom 19. 7. 1911, RGBI. 1911, S. 509ff., in der Fassung vom 15. 12. 1924, RGBI. 1924, S. 779ff.
Sächs. BGB
Bürgerliches Gesetzbuch für das Königreich Sachsen von 1863/ 65
Abkürzungsverzeichnis
21
SeuffArch
Archiv (ab Bd. 12ff., 1859 ff: J. A. Seuffert's Archiv) für Entscheidungen der obersten Gerichte in den deutschen Staaaten, hrsg. v. 1. A. Seuffert, Bd. Iff., München 1847ff.
Sp.
Spalte
Ssp. Ldr.
Landrecht des Sachsenspiegels (Ssp. Ldr. 11 59 § 4 = Sachsenspiegel, Landrecht, 2. Buch, Art. 59, § 4)
StB
Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages des Norddeutschen Bundes / des Deutschen Reiches, Berlin I 867ff., 1871ff.
StGB
Strafgesetzbuch in der Fassung vom 2. 1. 1975 / 10. 3. 1987, BGBI. 11975, S. 2ff., 1987, S. 945ff.
Th.
Theil
UAH
Uni versitätsarchi v Heidelberg
u.d.T.
unter dem Titel
URG 1870
Gesetz, betreffend das Urheberrecht an Schriftwerken, Abbildungen, musikalischen Kompositionen und dramatischen Werken vom 11. 6. 1870, BGBI. 1870, S. 339ff.
URG 1965
Gesetz über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (Urheberrechtsgesetz) vom 9. 9. 1965, BGBI. 1965 I, S. 1273ff.
U. v.
Urteil vom
Venn. Schr. I bzw. 11
Vennischte Schriften von L. Goldschmidt, hrsg. v. Hennan Veit Simon, 1. u. 2. Bd., Berlin 1901
vgl.
vergleiche
WG
Wechselgesetz vom 21. 6.1933, RGBI. 1933 I, S. 399ff.
xr.
Kreuzer
ZGB der DDR
Zivilgesetzbuch der DDR vom 19. 6. 1975, Gesetzblatt der DDR, Teil I, Berlin 1975, S. 465ff.
ZHR
Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht (Band 1 - 59, 1858 1907: Zeitschrift für das gesammte Handelsrecht; Band 60 - 123, 1907 - 1960: Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Konkursrecht; Band 124ff., 1962ff.: Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht. ); Erlangen (Bd. I ff.), Stuttgart (Bd. 20ff., 1874ff.), Heidelberg (Bd. 14Iff., 1977ff.)
ZNR
Zeitschrift für neuere Rechtsgeschichte, Wien I 979ff.
ZPO
Zivilprozeßordnung vom 30. 1. 1877 in der Fassung vom 12. 9. 1950/3. 12. 1976, BGB1.I1950, S. 533ff., 1976, S. 3281ff.
ZRGGA
Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung, Bd. Iff., Weimar I 880ff., WienlKölniGraz I 980ff., WienlKöln 1990, WienlKölnlWeimar 1991 ff.
ZRGRA
Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Romanistische Abteilung, Bd. Iff., Weimar 1880ff., WienlKölniGraz 1980ff., WienlKöln I 987ff., WienlKölnlWeimar 1991 ff.
22
Abkürzungsverzeichnis
Zs.
Zeitschrift
Zs. f. d. Priv.- u. öff. R. d. Ggw.
Zeitschrift für das Privat- und öffentliche Recht der Gegenwart, hrsg. v. C. S. Grünhut, Bd. 1 - 42, Wien 1874 - 1916
Zs. f. dt. R.
Zeitschrift für deutsches Recht und deutsche Rechtswissenschaft. Hrsg. v. Beseler, Reyscher und Wilda, Bd. 1 - 20, Leipzig u. Tübingen 1839 - 1861
Zs. f. gesch. Rechtswiss.
Zeitschrift für geschichtliche Rechtswissenschaft. Hrsg. v. F. C. v. Savigny, C. F. Eichhorn, J. F. L. Göschen, Bd. 1 - 6, Berlin 1815 - 1828
Einleitung Im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts verlor die deutsche Rechtswissenschaft einige ihrer bedeutendsten Vertreter, die ihr in den voraufgegangenen Jahrzehnten europäische, wenn nicht gar Weltgeltung verschafft hatten. Zu beklagen war der Tod Bernhard Windscheids, Rudolph von Jherings und Karl Friedrich Gerbers. Ihre Namen sind den Juristen heutiger Zeit, die auch Grundlagenfragen der Rechtswissenschaft in ihre Arbeit einbeziehen, noch durchaus geläufig. Als im Jahre 1897 der Handelsrechtler Levin Goldschmidt nach langer, schwerer Krankheit verstarb, wurde er mit den soeben Genannten nicht nur in eine Reihe gestellt, sondern sogar prophezeit, daß sein Ruhm den der anderen noch überdauern werde. Diese Erwartung hat sich nicht erfüllt. Sie zeigt indessen, welche Bedeutung diesem Mann von seinen Zeitgenossen eingeräumt wurde. Die Gründe für diese große Anerkennung, die Goldschmidt zu Lebzeiten genoß, wie die Gründe dafür, daß er anders als die zuvor Genannten weitgehend in Vergessenheit geriet, sollen Gegenstand des Folgenden sein.
1. Teil
Das Leben eines jüdischen Gelehrten in Deutschland 1829 - 1897 Goldschmidts Lebenslauf und seine wissenschaftliche Laufbahn weisen zahlreiche Besonderheiten auf, die sie von den Biographien seiner zeitgenössischen Kollegen abheben 1 •
A. Herkunft und Jugend 1829 - 1847 I. Danzig; Herkunft und Umfeld
Levin Goldschmidt wird am 30. Mai 1829 in Danzig geboren. Sein Vater David Goldschmidt, der mit seiner Frau Henriette, geborene Laser noch vier weitere Kinder hat 2 , ist Kaufmann in Danzig, seine Söhne Meyer3 und Laser4 werden ebenfalls Kaufleute. Die Familie Goldschmidt ist wohlhabend. Der Vater gehört zu den Vorstehern der 1822 gegründeten Korporation der Kaufmannschaft und nimmt unter I Von den Biographien Goldschmidts befassen sich insbesondere seine eigenen Lebensläufe von 1851 und 1855 sowie die - noch von eigener Bekanntschaft mit Goldschmidt getragenen - Nachrufe und Würdigungen von Adler, Grünhut, Laband, Pappenheim, Riesser, Ring und Seelig sowie von den später entstandenen die Würdigung Sinzheimers mit biographischen Einzelheiten. Am ergiebigsten ist der Nachruf von Pappenheim. Reiches Material enthalten auch Goldschmidts Schriften zur luristenausbildung und Politik, insbesondere Rechtsstudium 1887 und Reichstagswahl 1887. Zur Zitierweise s. Seite 532, 546 und 576. 2 Sara, Fanny, Meyer und Laser; von den Söhnen ist Levin der jüngste s. Lebensbild S. 155 (Brief an seinen Vater v. 12. 8. 1855). Offensichtlich bevorzugten Goldschmidts Eltern Vornamen, die unter Mitgliedern der jüdischen Gemeinde häufig oder hebräischen Ursprungs waren. Bei Levin unterlief ihnen jedoch ein Irrtum, da dieser Name nicht hebräischen (so aber H. eh. Schnack, Vollständige ... Sammlung deutscher Vor- und Taufnamen, Hamburg 1888, S. 53), sondern niederdeutschen Ursprungs (Lutz Mackensen, 3876 Vornamen, 2. Aufl., München 1974, S. 113) ist. 3 Er wird als Inhaber eines Getreide-Kommissionsgeschäfts Geheimer Kommerzienrat, Richter am Kommerz-Kolleg und Vorsteher der Ältesten der Danziger Kaufmannschaft und informiert seinen Bruder über Danziger Handelsbräuche: Goldschmidt, Miscellen 1884, S. 29 in Fußn. *) = Verm. Sehr. 11, S. 130. 4 Er war 2. Stellvertreter des Verwaltungsrats der Danziger Rhederei-Aktiengesellschaft: Art. 22 des Statuts, Preuß. G.=S. 1856, S. 102 - 114, 107; vgl. aber Götz Landwehr, Die Organisationsstrukturen der Aktienunternehmen, in: KarlOtto Scherner / Dietmar Willoweit, Vom Gewerbe zum Unternehmen, Darmstadt 1982, S. 251 - 302, 292 Fußn. 119.
A. Herkunft und Jugend 1829 - 1847
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ihnen eine bedeutende Stellung ein5 . Als Kaufmann profitiert er von dem wenn auch zunächst nur allmählichen Aufschwung Danzigs und Preußens nach den Napoleonischen Kriegen, als die Stadt wieder zur besonders für den Getreidehandel bedeutenden Ostsee-Hafenstadt aufsteigt und die Bevölkerung erheblich zunimmt 6 . Daß Goldschmidt seine handelsrechtlichen Interessen seiner Herkunft aus einer Kaufmannsfamilie verdanke, ist naheliegend. Allerdings beschränkten sich seine Neigungen nicht auf die rechtliche Analyse der im Handelsverkehr vorkommenden Geschäftsoperationen, sondern waren weitaus komplexer. Die Familie Goldschmidt ist jüdischen Glaubens. Religionsbedingten Benachteiligungen ist sie während Goldschmidts Jugendzeit nicht ausgesetzt. Nachdem in der Zeit der Aufklärung die geistigen Voraussetzungen dazu gelegt worden waren, hatte Anfang des 19. Jahrhunderts allmählich und mit vielen Rückschlägen die als Judenemanzipation bezeichnete rechtliche Gleichstellung der Juden mit der übrigen Bevölkerung begonnen. Die rechtliche Stellung der Juden in Danzig, die rund 2 - 3 % der Bevölkerung ausmachen 8 , bleibt indessen unklar. 1812 war zwar das "Edikt, betreffend die bürgerlichen Verhältnisse der Juden in dem Preußischen Staate"9 erlassen worden, wonach die bisher nur unter dem Schutz des preußischen Staates dort wohnhaften Juden "für Einländer und Preußische Staatsbürger zu achten" waren (§ 1) und daher grundsätzlich "gleiche bürgerliche Rechte und Freiheiten mit den Christen" genießen sollten (§ 7); jedoch war Danzig, das 1793 bei der zweiten Teilung Polens erst preußisch geworden war, seit dem Tilsiter Frieden von 1807 10 Freistaat unter französischer Oberhoheit gewesen und wurde erst 1815, also nach Erlaß des Edikts von 1812, wieder in den preußischen Staat eingegliedert 11. An die sich daraus ergebenden Folgen für die Rechtsstellung der Juden in Danzig knüpften sich zahlreiche Zweifelsfragen 12, die auch durch eine Kabinetts=Ordre vom 25. 4. 1832 13 , die grundsätzlich das Edikt von 1812 für anwendbar erklärte, nicht ausgeräumt wurden 14. Die jüdische Bevölkerung Danzigs, "wo", so Gold5 Hans-Georg Siedler, Danzig: Chronik eines Jahrtausends, Düsseldorf 1990, S. 246. Zur politischen Haltung der Danziger Kaufmannschaft s. R. Ruhnau, Danzig: Geschichte einer dt. Stadt, Würzburg 1971, S. 83 u. Treitschke, Ordensland, S. 124. 6 Erich Keyser, Die Stadt Danzig. Stuttgart, Berlin 1925, S. 138 - 140; Ruhnau, Danzig, S. 69f., 76, 80ff. 7 So insbes. Laband S. 296. 8 Vgl. Ruhnau, Danzig, S. 70, 76. 9 Edikt v. 11. 3.1812, Preuß. G.=S. 1812, S. 17 - 22. 10 Friedens=Traktat mit Frankreich v. 9. 7. 1807, Preuß. G.=S. 1806 - 1810 (gedruckt 1822), S. 153 - 164. II Patent wegen der Besitznahme des an Preußen zurückfallenden Theiles des Herzogthums Warschau (und anderer Gebietsteile) v. 15.5. 1815, Preuß. G.=S. 1815, S. 45f. 12 Simon, Staatsrecht I, S. 564f.; Beilagen der Denkschrift zu dem Entwurfe einer Verordnung über die Verhältnisse der Juden, in: Bleich, Landtag I, S. 279ff., 288f. 13 Abgedruckt bei Simon, Staatsrecht I, S. 565. 14 s. Vollständige Verhandlungen 1847, S. 1ff., 4.
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1. Teil: Ein jüdischer Gelehrter in Deutschland 1829 - 1897
schmidt, "noch altpatrizischer Stolz und französische Reminiscencen neben einander bestanden"15, wurde jedoch nach den liberalen Bestimmungen von 1812 - freilich mit den für ganz Preußen geltenden späteren Einschränkungen - behandelt l6 . Auch in Danzig mußten die jüdischen Kaufleute die volle soziale Anerkennung der übrigen Mitbürger aber erst mühsam erringen, was ihnen - nach Goldschmidts eigenem, wenn auch aus zeitbedingten politischen Gründen möglicherweise gefarbten Zeugnis - auch gelungen istI?: "Ich selbst", so Goldschmidt 1887 18 , "sehe auf jeden meiner nächsten, und schon entschlafenen Angehörigen, deren Namen nicht der kleinste Makel trübt, mit nicht weniger berechtigtem Stolz, als der Abkömmling des vornehmsten Geschlechts auf seine Ahnen und seine Sippe."
11. Schulzeit
Schüler jüdischen Glaubens unterlagen seit Einführung der allgemeinen Schulpflicht in Preußen an den preußischen Gymnasien keinen besonderen Zugangs beschränkungen l9 . Goldschmidt besucht zunächst eine private Knabenschule in Danzig 20, mit 11 Jahren wechselt er auf das städtische Gymnasium 21 . Unter den Lehrern des Danziger städtischen Gymnasiums sind besonders zwei hervorzuheben 22 : Theodor Hirsch und Joachim Marquardt. Hirsch23 unterrichtete Geschichte und Geographie. Er war bekannt für seine Art, strebsame Schüler zu selbständiger Forschungsarbeit anzuleiten 24 . Marquardt25 unterrichtete Latein, wobei er nicht die sprachliche Seite der klassischen Philologie, sondern die reale, den behandelten Gegenstand als das Hauptsächliche zu besprechen pflegte 26 . Des Einflusses von Hirsch und Marquardt auf sein eigenes Werk ist Goldschmidt sich später durchaus bewußt gewesen: Wie auch Hirsch habe Marquardt, so Goldschmidt noch 1882, "bei den Schülern höherer Klassen historischen Sinn und lebendige Anschauung der realen Faktoren des Völkerlebens zu wecken" gewußt, "ohne doch 15
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416.
Goldschmidt, Reichstagswahl 1887, S. 52. Vgl. Simon, Staatsrecht I, S. 565. s. Pappenheim S. 2 Goldschmidt, Reichstagswahl 1887, S. 52. Vgl. Richarz, Eintritt, S. 147f. Goldschmidt, Lebenslauf, De societate S. 77. Pappenheim S. 2. s. Goldschmidt, Rechtsstudium 1887, S. 266; Marquardt 1882. 1806 - 1881, s. Winkelmann, ADB 13 (1881), S. 506 - 509. Winkelmann, ADB 13 (1881), S. 507. 1812 - 1882, s. E. Förstemann, Art. Marquardt, Joachim, in: ADB 20 (1884), S. 413 -
26 Förstemann, ADB 20 (1884), S. 414. Einen Eindruck davon vermittelt sein Werk Das Privatleben der Römer, I. u. 2. Th., 2. Aufl., Leipzig 1886.
B. Studienzeit 1847 - 1851
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die unerläßliche sprachliche Schulung zu vernachlässigen .... Dieses Bild der frühen Jugendzeit ist unverändert geblieben,m. 1847 erhält Goldschmidt sein Reifezeugnis und damit die Universitätsreife 28 . B. Studienzeit 1847 - 1851 I. Beginn der Studienzeit
Schon zu Schulzeiten war es Goldschmidts Wunsch gewesen, Geschichts- oder Rechtswissenschaften zu studieren; das Studium der Rechtswissenschaft zog ihn besonders an, denn diese Wissenschaft stand infolge der Schriften Savignys besonders unter dem Einfluß des im 19. Jahrhundert alle Wissenschaftszweige beherrschenden Historismus und bot als praktische Wissenschaft Aussichten auf einen künftigen Beruf - ein in dem vom Kaufmannswesen geprägten Haushalt der Goldschmidts sicherlich nicht unwesentlicher Faktor. Der Aufnahme eines rechtswissenschaftlichen Studiums hätte auch kein unmittelbares Hindernis im Wege gestanden; insbesondere war den Juden in Preußen das Studieren auch dieses Faches nicht verboten. Gleichwohl hatte sich ihre Rechtsstellung seit dem Edikt von 1812 deutlich verschlechtert, und diese Verschlechterung bezog sich gerade auf die von Goldschmidt erstrebten Laufbahnen 1: Das Edikt von 1812 hatte zwar in seinen §§ 7 und 8 den Juden die gleichen bürgerlichen Rechte wie den übrigen Preußen eingeräumt und ihre Fähigkeit, akademische Schul- und Lehr- sowie Gemeindeämter zu bekleiden, verkündet, aber schon § 8 hatte die Fähigkeit zur Bekleidung sonstiger öffentlicher Ämter einer besonderen gesetzlichen Regelung vorbehalten. In Art. 16 Satz 3 der Deutschen Bundesakte von 1815 2 hatten die vertragschließenden Staaten vereinbart, den Juden die ihnen von den jeweiligen Staaten bereits eingeräumten Rechte zu erhalten. Trotzdem 3 wurden - Anlaß war eine Auseinandersetzung Friedrich earl von Savignys mit dem Hegel-Schüler Eduard Gans - in einer preußischen "Bekanntmachung" von 1822 die §§ 7 und 8 des Ediktes von 1812 "wegen der bei der Ausführung sich zeigenden Mißverhältnisse" aufgehoben4 . 27 Goldschmidt, Marquardt 1882; zu Hirschs Werk s. auch Goldschmidt, Krit. Zs. f. d. ges. Rechtswiss. 3, S. 198 - 201; ZHR 2 (1859), S. 174 - 177. 28 s. dazu Lebensbild S. I f. - Für Preußen war die in einem humanistischen Gymnasium erworbene Hochschulreife (ALR II 12 §§ 64, 77, 78f.) seit dem Prüfungsreglement v. 23. 12. 1788 (zur Entstehung: Hans-Georg Herrlitz, Studium als Standesprivileg, Frankfurt a.M. 1973, S. 99 - 108) Voraussetzung der Immatrikulation an einer preuß. Universität. 1 Vgl. zum Folgenden den Überblick von Richarz, Eintritt, S. 164 - 172, insbe~. S. 164 167. 2 Preuß. G.=S. 1818, Anhang S. 143 - 155 (8. 6. 1815). 3 s. dazu Simon, Staatsrecht I, S. 562. 4 Preuß. G.=S. 1822, S. 224, datiert 4. 12. 1822, obwohl sie vom 18. 8. 1822 stammte (Horst Fischer, Judentum, Staat und Heer in Preußen im frühen 19. Jahrhundert, Tübingen
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1. Teil: Ein jüdischer Gelehrter in Deutschland 1829 - 1897
Die Rechtsstellung der Juden wurde erneut während des Ersten Vereinigten Preußischen Landtages 1847 in Berlin5 beraten. Hier stand die Frage der Zugangsberechtigung zu öffentlichen Ämtern im Mittelpunkt6 . Dem Vorbringen ethischer Prinzipien7 und den Hinweisen auf das dem Preußischen Staat nutzbar zu machende geistige Potential 8 wurden in der Diskussion immer wieder die Umstände entgegengehalten, die 1822 angeblich zur "Lex Gans" geführt hätten 9 , sowie das Unbehagen, "hier bei uns Christen durch Juden regieren zu lassen"lO. In der Sitzung der Kurie der Drei Stände am 15. Juni 1847 verlieh dieser Stimmung der Mehrheit beider Häuser des Landtages, die in den unklaren Vorstellungen eines preußisch"christlichen" Staates befangen warlI, der noch junge Abgeordnete von Bismarck Ausdruck 12• Auch die Stellung der Juden an den Universitäten, besonders an den juristischen Fakultäten wurde erörtert, wobei die Ablehnung sich nur gegen die Promotion zum Doktor beider Rechte l3 , gegen die Habilitierung jüdischer Gelehrter und ihre Zulassung zu Lehrämtern richtete, während die Zulassung von Juden zum Studium der Rechte überhaupt nicht in Frage stand l4 . Das Ergebnis der Beratungen war das "Gesetz über die Verhältnisse der Juden" vom 23. Juli 184i 5 . § 2 des Gesetzes regelte die "Zulassung zu öffentlichen Ämtern" dahingehend, daß Juden Staatsämter nur bekleiden durften, wenn damit "die Ausübung einer richterlichen, polizeilichen oder exekutiven Gewalt nicht verbunden" war; an den Universitäten durften sie zu Lehrämtern jeder Art an den medizinischen, mathematischen, naturwissenschaftlichen, geographischen und sprachwis1968, S. 60). Zum Rechtscharakter dieser Kabinetts-Ordre, die als Folge ihrer Entstehung in der Folgezeit als "Lex Gans" bezeichnet wurde, s. Eichhorn in Vollständige Verhandlungen 1847, S. 97f. 5 Zu den Hintergründen der Einberufung s. E. R. Huber, Verfasungsgeschichte 11, S. 492 498; Valentin, Geschichte I, S 62 - 81, zur Behandlung der Emanzipationsfrage S. 77 -79. 6 Vollständige Verhandlungen 1847, S. X ff., XXXVII ff. (Denkschrift zum Entwurf); S. 73ff. (Debatte der Herren-Kurie am 15.6. 1847) 7 Vollständige Verhandlungen 1847, S. 102f. (Graf York). 8 Vollständige Verhandlungen 1847, S. 195ff., zur "Rechtskunde" S. 197 (Camphausen). 9 Vollständige Verhandlungen 1847, S. 94ff. 10 Vollständige Verhandlungen 1847, S. 75 (nach Vergleich zur Lage in den USA). 11 s. dazu auch Treitschke, Dt. Geschichte im 19. Jahrhundert, 5. Teil, 6. Aufl., Leipzig . 1914 (Neudruck Königsteinffs. 1981), S. 629 - 636, insbes. S. 633 - 635. 12 Vollständige Verhandlungen 1847, S. 224 - 227 (= Bleich, Landtag IV, S. 178ff.), insbes. S. 224, 225: "Ich bin kein Feind der Juden ... Ich gönne ihnen auch alle Rechte, nur nicht das, in einem christlichen Staate ein obrigkeitliches Amt zu bekleiden ... Ich gestehe, daß ich voller Vorurtheile stecke, ... und es will mir nicht gelingen, sie weg zu disputiren ... "; vgl. dazu Lothar Gall, Bismarck, Frankfurt a.M. 1980, S. 55 - 61. 13 Dr. utr(iusque) jur(is), d. h. des weltlichen (jus civile) und des kirchlichen (jus canonicum) Rechts 14 s. den Bericht des Regierungs-Kommissars Brüggemann, in: Vollständige Verhandlungen 1847, S. 327ff., 330 - 332. 15 Preuß. G.=S. 1847, S. 263 - 278. - Entwurf: Vollständige Verhandlungen 1847, S. I ff.
B. Studienzeit 1847 - 1851
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senschaftlichen Fakultäten zugelassen werden, an anderen Fakultäten jedoch überhaupt nicht. Auch diese Vorschriften standen in Widerspruch zu Art. 16 Satz 3 der Deutschen Bundesakte von 1815. Welche staatsrechtlichen Folgen sich an diesen Verstoß knüpften, war aber unklar. Das Gesetz wurde allgemein als gültig angesehen und danach verfahren. Als Goldschmidt sich also anschickt, zu Ostern 1847 die Universität Berlin zu beziehen, sieht er sich folgender Lage gegenüber: Das Studium der Rechtswissenschaft ist ihm zwar nicht verwehrt. Das Hindernis liegt aber in den sich an das Studium der Rechtswissenschaften anknüpfenden Berufsaussichten. Diesen steht weitgehend § 2 des Gesetzes von 1847 entgegen, wobei der Ausschluß der Juden von den rechtswissenschaftlichen Lehrämtern kaum eine Rolle spielt, da Goldschmidt an das Einschlagen dieser Laufbahn zu dieser Zeit nicht denkt: An das rechts wissenschaftliche Studium schloß sich in Preußen als Voraussetzung für das spätere Ergreifen eines juristischen Berufes der praktische Vorbereitungsdienst an l6 . Dieser war bis 1849 in der Allgemeinen Gerichtsordnung von 1793/95 17 geregelt. Der unbesoldete (§ 2) Vorbereitungsdienst begann nach grundsätzlich dreijährigem (Anhang § 448) Universitätsstudium (§ 1) mit einer Aufnahmeprüfung (§ 3, Anhang § 450) und der Ausbildung als Auskultator (§§ 5 - 8); daran schloß sich das Referendariatsexamen (2. Staatsexamen, § 9f.) und nach Ernennung zum Referendarius (§§ 11f.) die Tätigkeit als Referendar (§§ 13ff., Anhang § 451) an. Diese Beschäftigungen waren nicht mit "Ausübung einer richterlichen ... Gewalt" im Sinne von § 2 des Gesetzes von 1847 verbunden; denn Auskultatoren durften nur unselbständig (Aktenstudium, passive Teilnahme an Beratungen, Protokollführung) tätig werden, und auch Referendare selbständig nur in Anwaltsfunktionen (§ 16); sie wurden auch faktisch überwiegend nur als Protokollführer und für sonstige Schreibarbei ten eingesetzt 18. Juden konnten daher in den Vorbereitungsdienst aufgenommen werden. Zwar bestimmte § 12 S. 1 AGO III 4, daß "ein wesentliches Erforderniß bei der Zulassung zum Referendariat ... ein ordentlicher Lebenswandel und ein nach den Vorschriften der gesunden Vernunft und des Christenthums eingerichtetes Betragen" sei, doch bezog sich das, wie sich aus Satz 2 ergab, auf die sittlichen Grundlagen der Lebensführung, nicht auf die Zugehörigkeit zur christlichen Religion. Nach Abschluß des Referendariats boten sich im wesentlichen drei Möglichkeiten: je nach gezeigten Leistungen und Fähigkeiten das Verbleiben im Staatsdienst als Rat an einem Obergericht nach erfolgreicher Prüfung (§§ 20ff., Anhang §§ 452ff.) oder an einem Untergericht (§§ 32ff.). Beides war Juden durch § 2 des Gesetzes von 1847 verwehrt. Oder, ebenfalls nach Prüfung, das Eintreten in den 16 Darstellung des Ganges der praktischen Juristenausbildung bei Goldschmidt, Rechtsstudium 1887, S. 172 - 175, 191 - 196; Hattenhauer, JuS 1989, S. 514 - 517. 17 AGO Teil 111, Titel 7, §§ 448ff. u. Anhang. 18 Hiergegen die Kritik Goldschmidts, Rechtsstudium 1887, S. 193 und passim.
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1. Teil: Ein jüdischer Gelehrter in Deutschland 1829 - 1897
Stand der "Justizkommissarien", also der preußischen Anwaltschaft (§ 35 LY.m. II17 §§ 13f., Anhang § 463)19. Diese waren zwar auch "als wirkliche Staatsdiener anzusehen" (§ 462), übten aber keine der nach § 2 des Gesetzes von 1847 verwehrten Tatigkeiten aus (vgl. AGO II 7 §§ 1 - 3, 27f., 39). Für einen jüdischen Studenten der Rechte hätte also nur die Möglichkeit bestanden - von dem ganz unattraktiven Eintritt in den Justizdienst als "Subalterner" (II 4 § 36) abgesehen -, unmittelbar im Anschluß an das Referendariat Rechtsanwalt zu werden. Aber auch dies war mit der Unsicherheit behaftet, daß die Zulassung zum Justizkommissarius der staatlichen Genehmigung (AGO II 7 §§ 1 Abs. 2; 2) bedurfte, deren Erteilung oder Verweigerung an keine näher geschilderten Voraussetzungen geknüpft und die nicht einklagbar war20 . Angesichts dieser Situation resigniert Goldschmidt zunächst21 . Da er an seiner Begabung zu naturwissenschaftlichen Fächern zweifelt 22 , entschließt er sich wie viele seiner Glaubensgenossen zu dieser Zeit23 , die Medizin zu wählen. Zu Ostern 1847 beginnt er sein Studium in Berlin. Die naturwissenschaftlichen Grundvorlesungen für Mediziner im ersten Semester hört Goldschmidt weitgehend lustlos 24 und besucht daneben Vorlesungen der philosophischen Fakultät25 bei Michelet und Ludwig Eduard Heydemann 26 . Dieser gehört eigentlich der juristischen Fakultät an und lehrt Naturrecht und Rechtsenzyklopädie. Daß Goldschmidt Jahrzehnte später durch seine glänzendste Berufung einmal Nachfolger Heydemanns auf dessen umgewidmetem Lehrstuhl werden wird, kann er zu dieser Zeit natürlich nicht ahnen. Goldschmidt tritt in Berlin einer studentischen Verbindung bei, der Landsmannschaft "Normannia", der auch sein Danziger Jugendfreund Brettner27 angehört.
19 Die Bezeichnung "Rechtsanwalt" für die Justizkommissarien wurde durch § 30 Abs. 1 der Verordnung v. 2. 1. 1849 (Preuß. G.=B. 1849, S. Hf.) eingeführt. 20 s. auch Goldschmidt, Rechtsstudium 1887, S. 179f.; Reichstagswahl1887, S. 53. 21 Lebensbild S. 8 (an seine Mutter, 9. 10. 1847). 22 Lebensbild S. 8f., s. auch S. IOff. Diese zogen ihn aber an: die Ansätze Jherings und Burkhard Wilhelm Leists (1819 - 1906, Landsberg, Geschichte III 2, Text S. 835 - 839, Noten S. 350f.) zu einer Analyse von Rechtssätzen nach Prinzipien der Naturwissenschaft verfolgte er aufmerksam (Lebensbild S. 149, s. auch Rückert, Handelsrechtsbildung S. 47), und in Heidelberg gehören die Physiker Hermann HeImholtz und Philipp Jolly zu seinem Bekanntenkreis. 23 Richarz, Eintritt, S. 172 - 178. 24 Lebensbild S. 9f. (17.11. 1847); die Dozenten sind genannt in De societate 1851, S. 75 und Rechtsstudium 1887, S. 266. 25 s. Lebensbild S. 11. 26 1805 - 1874, s. Landsberg, Geschichte III 2, Noten S. 268; Teichmann, ADB 12 (1880), S. 349f. Auch Michelet war ursprünglich Jurist: Lasson in ADB 55 (1910), S. 842 - 844, 842. 27 s. Lebensbild S. 32 - 40, 46 - 52, 64 - 68, 80 - 82, 88 - 91, 97f., lOH., 107, 193f. Brettner, der gleichfalls Medizin studiert, schließt sein Studium 1849 ab und wird später Arzt am Danziger Krankenhaus (Lebensbild S. 107 Fußn.
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Die "Normannia" war 1842 abseits der bestehenden Corps und Burschenschaften als Progreßvereinigung 28 gegründet worden 29 , 1847 wendet sie sich unter maßgeblicher Beteiligung Goidschmidts 30 weiter vom Corps wesen ab. Zwei- bis dreimal die Woche findet eine Zusammenkunft statt, jede Woche wird von einem Mitglied ein Aufsatz politischen oder philosophischen Inhalts vorgelesen und anschließend diskutieret. Die Organisation solcher Aktivitäten liegt Goldschmidt, er wird die Gründung ähnlicher Clubs als Auskultator in Danzig wiederholen. 11. Die Revolution von 1848
1848 erlebt Goldschmidt den Ausbruch der Revolution in Berlin 32 mit. Er sympathisiert mit den Zielen der Revolution, insbesondere dem Konstitutionalismus und den Einheitsbestrebungen 33 . Die Ereignisse vom März 1848 schildert er in ausführlichen Briefen an seine Eltern 34 , zunächst aufgeregt nach der Räumung des Platzes vor dem königlichen Schloß und dem anschließenden Barrikadenkampf am 18. März 1848 35 - "Gestern Nachmittag ist hier die Revolution ausgebrochen,,36-, dann mit zunehmender Empörung über den Einsatz von Militär und Polizei gegen die aufgebrachte Bevölkerung 37 . Er hofft zunächst auf einen Erfolg der Revolution; als der König am 21. März 1848 unter den Farben Schwarz-Rot-Gold durch die Stadt reitet38 , jubelt Goldschmidt: "Eine neue Aera hat begonnen - leider, daß Kartätschenschüsse sie eröffnen mußte(n),,39. Goldschmidts stets angegriffene Gesundheit hindert ihn nicht, sich an revolutionären Aktivitäten zu beteiligen 4o . Zwar klagt er schon früh über unerklärliche 28 Zu den Progreßverbindungen s. Heer, Geschichte III, S. 2. In der Zeit schwankender Bereitschaft der Burschenschaften zur Aufnahme von Studenten jüdischen Glaubens (s. Richarz, Eintritt, S. 153 - 157) waren sie religiös ungebunden. 29 1844 Landsmannschaft, 1924 Burschenschaft, 1936 aufgelöst: Heer, Geschichte IV, S.206. 30 So Heer, Geschichte III, S. 63f.; die Jahresangabe ,,1846" S. 63 kann allerdings nicht zutreffen, da Goldschmidt erst im Frühjahr 1847 nach Berlin karn, s. Lebensbild S. 3. 31 Lebensbild S. 6 (3.8.1847); Heer, Geschichte III, S. 169. 32 Ausführliche Darstellung der Ereignisse bei E. R. Huber, Verfassungsgeschichte H, S. 571 - 586, 710 -764; Valentin, Geschichte I, S. 424 - 458, 461ff.; H, S. 42 -74, 227 - 293. 33 Lebensbild S. 16f. (an seine Eltern, 8. 3. 1848). 34 Lebensbild S. 17 - 24, 28 - 31. 35 Dazu E. R. Huber, Verfassungsgeschichte H, S. 573 - 575. 36 Lebensbild S. 17 (19. 3. 1848). 37 Lebensbild S. 22f. (7. 8. 1848), 28ff. (13. 11. 1848 nach Verhängung des Ausnahmezustandes über Berlin am 12. 11. 1848); vgl. damit Valentin, Geschichte I, S. 430ff. (Frühjahr 1848); H, S. 271ff. (Herbst 1848). 38 Dazu E. R. Huber, Verfassungsgeschichte H, S. 579f. 39 Lebensbild S. 19 (21. 3. 1848). 40 Lebensbild S. 21 - 24 (7. 8. 1848).
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Kopfschmerzen und Anfälle von Niedergeschlagenheit - ein Leiden, das ihn sein ganzes Leben verfolgen und zum Schluß geradezu tragische Ausmaße annehmen wird -, und ein Porträt von ihm im 19. Lebensjahre 41 zeigt einen schmächtigen, bläßlichen, schon in diesem Alter eine Brille tragenden Jüngling mit intelligenten Gesichtszügen. Dennoch läßt er sich als Mitglied der "Normannia" bewaffnen und nimmt bis zum August 1848 an Schießübungen und Protestmärschen teil, auf denen die Studenten wiederholt von Soldaten angegriffen werden42 . Schon bald aber zeigt sich, daß Goldschmidt dem weiteren Verlauf der Revolution durchaus mit Vorbehalten gegenübersteht. Das Erstarken der "radikalen Partei" nach dem Sturm auf das Zeughaus am 15. Juni 1848 bedauert er wegen der Folgen 43 : "das Ministerium hat abgedankt" - das liberale Ministerium Camphausen war am 20. 6. 1848 zurückgetreten 44 - "und wir werden wieder 8 Tage lang in einem provisorischen, d. h. anarchischen Zustande leben. Nehmen jetzt nicht kräftige Männer die Zügel in ihre Hände, so ist zunehmende Zerrüttung und gänzliche Auflösung im Innem, Krieg nach Außen die Folge." Daß Goldschmidt sich die "kräftigen Männer" gerade auf seiten der Regierung, nicht etwa der aufständischen Bevölkerung und Studenten wünscht45 , ist symptomatisch: Seine grundsätzliche Einstellung ist staatsbejahend, im Staatswesen erblickt Goldschmidt die Garantie für den Schutz vor Anarchie und den Erhalt der Rahmenbedingungen für die Entfaltung der Freiheiten des Individuums. Diese Einstellung, zunächst noch möglicherweise unbewußt bei ihm vorhanden, wird später bestimmend für seine politischen Aktivitäten für die Nationalliberale Partei wie auch für seine Bewunderung Bismarcks. Diese Haltung läßt ihn die Niederschlagung der Revolution und die folgende Restauration eher ertragen als seinen Freund Brettner, den er vor unüberlegten Versuchen, das Geschehene zu revidieren, wamt46 , aber auch in eindringlichen Briefen gegen dessen Resignation ankämpft; der Politik dürfe nicht ganz zugunsten der Wissenschaft entsagt werden, um durch allmählichen Wandel die alten Ziele von Einheit und Konstitutionalismus zu verwirklichen 47 •
Lebensbild, hinter S. 32. Lebensbild S. 20. Zur Beteiligung der Studentenverbindungen an den Unruhen in Berlin s. Heer, Geschichte III, S. 166ff. 43 Lebensbild S. 20f. (21. 6. 1848); vgl. auch S. 24. 44 Dazu und zum neuen Ministerium Hansemann s. Valentin, Geschichte 11, S. 71 - 73; E. R. Huber, Verfassungsgeschichte 11, S. 727 - 729. 45 s. auch den ausführlichen Brief an seinen Schwager v. 26. 12. 1848, in Lebensbild S. 43ff. Dies scheint als Folge des Zeughaussturms der allgemeinen Stimmung in Berlin entsprochen zu haben, s. Valentin, Geschichte 11, S. 71. 46 Lebensbild S. 32 - 40 (19.11. - 11. 12. 1848). 47 Lebensbild S. 46 - 52 (17. 1. u. 20. 3. 1849), insbes. S. 49. - Die Umstände, die zur Einheit Deutschlands führen sollten, sieht Goldschmidt erstaunlich konkret voraus (S. 45): "Wahrlich es wird eines auswärtigen Krieges bedürfen, um alle tüchtigen Elemente ... zusammenzuführen, dem engeren Vaterlande den Genuß seiner Freiheit, Deutschland die langersehnte Einheit zu gewähren". 41
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Auf einen weiteren Aspekt von Goldschmidts Abkehr von revolutionären Aktionen muß besonders hingewiesen werden: Eines der für ihn als Juden für sein ganzes Leben entscheidenden Ziele der Revolution, die bürgerliche Gleichstellung der Juden, hatte sich schon bald nach ihrem Ausbruch verwirklicht. Diesen Teilerfolg drohte nun ein allzu gewalttätiger und umwälzender Fortgang der Revolution zunichte zu machen 48 . Die Beschränkungen, die sich Goldschmidts Berufswünschen durch das Judengesetz von 1847 so kurz vor dem Beginn seines Studiums in den Weg gestellt hatten, schienen aber zunächst - nach noch nicht einmal einem Jahr ihres Bestandes - unerwartet entfallen zu sein: Unter dem ersten Eindruck der Revolution hatte die Regierung Camphausen die bereits am 6. April 1848 verkündete "Verordnung über einige Grundsätze der künftigen Preußischen Verfassung,,49 ausgearbeitet, deren § 5 bestimmte: "Die Ausübung staatsbürgerlicher Rechte ist fortan von dem religiösen Glaubensbekenntnisse unabhängig." Für Goldschmidts Hoffnungen und Ängste ist es daher symptomatisch, wenn er am 25. September 1848 seinen Eltern schreibt: ,,vieles, um das wir noch im vorigen Jahre flehten, ist erreicht. - Auch der Jude kann jetzt nach seiner Neigung, nach seinen Talenten den Weg einschlagen, den er beliebt; auch er braucht sein Glück nicht mehr mit Abschwörung seines Glaubens zu erkaufen", in unmittelbarem Anschluß daran die revolutionären Ausschreitungen von Berlin und Frankfurt schildert und schließlich die Befürchtung äußert, die Revolution könne in einem der Extreme von "Absolutismus oder ... Anarchie" enden 5o . Zu Ostern 1848, die oben genannte Verordnung ist kaum verkündet, wechselt Goldschmidt von der medizinischen Fakultät in die juristische5l . Daß mit der rechtlichen Gleichstellung der Juden nicht auch die tatsächliche Gleichstellung erreicht ist und daß sich nicht einmal die rechtliche Gleichstellung als vollständig erweisen würde, sollte Goldschmidt freilich noch erfahren. Seine Befürchtung, der mit § 5 der Verordnung vom 6. 4. 1848 eingeschlagene Weg könnte wieder verlassen werden, bewahrheitet sich jedoch nicht. Die preußische Verfassung von 1848 52 bestimmte in Art. 4 S. 3, daß die "öffentlichen Aemter ... für alle dazu Befähigten gleich zugänglich" seien, garantierte in Art. 11 S. 1 die Religionsfreiheit und bestimmte in Art. 11 S. 2 ausdrücklich: "Der Genuß der bürgerlichen und staatsbür48 s. etwa Lebensbild S. 25 (an Sara, 1. 9. 1848). - Daß die Revolution in dieser Hinsicht nicht nur Gutes zu bringen versprach, hatte sich schon im März 1848 in Rheinhessen gezeigt, wo es im Zuge revolutionärer Unruhen auch zu Ausschreitungen gegen Juden gekommen war: Valentin, Geschichte I, S. 355. 49 Preuß. G.=S. 1848, S. 87f.; dazu E. R. Huber, Verfassungsgeschichte 11, S. 579f. 50 Lebensbild S. 27, s. auch S. 21 ff. Schon im Mai hatte er sich besorgt über den Widerstand geäußert, der in der Nationalversammlung dem Verfassungsentwurf des Ministeriums Camphausen entgegengebracht wurde: Lebensbild S. 19 (23. 5. 1848); vgl. E. R. Huber, Verfassungsgeschichte 11, S. 586. 51 Lebensbild S. 20 (23. 5. 1848). 52 Verfassungsurkunde für den Preuß. Staat v. 5. 12. 1848, Preuß. G.=S. 1848, S. 375 391. Zu dieser, der "oktroyierten Verfassung" E. R. Huber, Verfassungsgeschichte 11, S. 729732,763 - 766; Valentin, Geschichte 11, S. 290 - 293.
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gerlichen Rechte ist unabhängig von dem religiösen Bekenntnisse und der Theilnahme an irgend einer Religionsgesellschaft. " Diese Grundrechte wurden - mit nur geringfügigen Änderungen - in die revidierte Verfassung von 185053 übernommen 54 und von Rechtslehre und Rechtsprechung allen Anfechtungsversuchen der Reaktionszeit zum Trotz zunehmend als unmittelbar geltendes und bindendes Recht anerkannt 55 .
III. Das Studium der Rechtswissenschaft
Goldschmidts Studienzeit führt ihn nach seinem Übertritt von der medizinischen in die juristische Fakultät von Berlin über Bonn nach Heidelberg und von dort wieder zurück nach Berlin56 . 1. Berlin 1847 -1849 In Berlin vertieft sich Goldschmidt zunächst in staats- und strafrechtliche Studien sowie das Römische Recht bei Rudolf Gneist57 und Friedrich Ludwig Keller58 , von denen letzterer bleibenden Eindruck bei ihm hinterläßt59 . Goldschmidt hat Keller immer als seinen eigentlichen Lehrer des römischen Rechts empfunden; er sei "unter allen Romanisten dieses glänzendsten Jahrhunderts der civilistischen Wissenschaft die den klassischen Römischen Juristen kongenialste Natur gewesen,,60. Keller war Schweizer und trug daher das Römische Recht, das in seiner Heimat nicht rezipiert worden war, nicht als geltendes gemeines Recht vor, sondern "als unerreichtes Muster wißenschaftlicher und praktischer Ausbildung,,61, und zwar anhand konkreter, in den Quellen überlieferter Streitnme62 . Da jedoch in Ausführliche Darstellung bei E. R. Huber, Verfassungsgeschichte 11, S. 54 - 128. Verfassungs-Urkunde für den Preuß. Staat v. 3l. 12. 1850, Preuß. G.=S. 1850, S. 17 35, Art. 4 S. 3 u. Art. 12 S. 1 u. 2. 55 Anschütz, Verfassungsurkunde, S. 220f.; E. R. Huber, Verfassungsgeschichte 11, S. 105 - 107, 106. 56 Über Goldschmidts Studienzeit s. seinen Lebenslauf in De societate 1851, S. 77f.; Rechtsstudium 1887 passim; Lebensbild S. 8 - 98; Heidelberger Rechtslehrer 1887, S. 168 173; Pappenheim S. 2f. 57 Zu Gneist (1816 - 1895): Landsberg, Geschichte III 2, Text S. 963 - 975; H. Ridder, HRG 3 (1971), Sp. 1719 - 1722. 58 Zu Keller (1799 - 1860): Landsberg, Geschichte III 2, Text S. 465 - 47l. 59 Lebensbild S. 45 (26. 12. 1848). 60 Rechtsstudium 1887, S. 89; s. schon De societate 1851, S. 78; vgl. Pappenheim S. 3. Auch Landsberg, Geschichte III 2, Text S. 465, würdigt Keller als eine Persönlichkeit, die "an unmittelbar persönlicher Bedeutung selbst wohl noch Puchta übertroffen" habe, dessen Nachfolger auf dem ursprünglich Savignyschen Berliner Lehrstuhl er war. 61 Keller in einern Schreiben v. 12. 12. 1824, abgedruckt bei A. B. Schwarz, Pandektenwissenschaft und heutiges romanistisches Studium, Zürich 1928, S. 36f., 37. 53
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seinen Pandektenvorlesungen63 gerade die handelsrechtlich bedeutsamen Institute64 - im Vergleich zu Böcking, den Goldschmidt später in Bonn hören sollte nur kurz behandelt wurden, sind es wohl besonders die "ausgezeichneten Interpretationsübungen,,65, die Goldschmidt veranlassen, Keller eine so große Bedeutung für seine eigene Entwicklung zuzuschreiben. In Berlin ist in Goldschmidts Augen wegen der Revolution und ihrer Folgen an eine konzentrierte Fortsetzung seines Studiums allerdings nicht zu denken 66 . Nachdem er den Plan, an eine rheinische Universität zu gehen, zunächst zurückgestellt hatte, scheint ihm Anfang 1849 auch aus gesundheitlichen Gründen ein Verlassen Berlins zugunsten der Rheinlande geraten 67. 2. Bonn 1849
Zu Ostern 1849 wechselt Goldschmidt zunächst an die Universität Bonn. Das Rheinland war Heimat einer ausgeprägt liberalen Strömung des Vonnärz68 , und daher war auch die Revolution von 1848 an der Rheinischen Friedrich-WilhelmsUniversität Bonn nicht spurlos vorübergegangen69 • Obgleich Goldschmidt sich von den politischen Zeitumständen auch in Bonn zunächst nicht ganz lösen kann 7o, er selbst nicht mehr politisch aktiv 7 !; im Mittelpunkt seiner Bonner Zeit stehen nun tatsächlich seine Studien72 . Bonn lädt denn auch als kleinere Universität zu einem beschaulichen Leben ein73. 62 Bluntschli, Denkwürdiges I, S. 37f.; Landsberg, Geschichte III 2, Text S. 469. - Der Nachwelt gilt Keller als verdient weniger um das römische Privatrecht als um das römische Zivilprozeßrecht (F. L. v. Keller, Der römische Civilprocess, 6. Aufl., bearb. v. Ad. Wach, Leipzig 1883) und die schweizerische Privatrechtspraxis: Landsberg, Geschichte III 2, Text S. 467ff.; s. auch Goldschmidt, Rechtsstudium 1887, S. 89. 63 Pandekten, Vorlesungen von Friedr. Ludwig von Keller, aus dem Nachlasse hrsg. v. E. Friedberg, Leipzig 1861. 64 Zum Seedarlehen hat Keller die Habilitationsschrift seines Schülers noch zitiert: Keller, Pandekten, § 296, S. 567f. 65 Rechtsstudium 1887, S. 266. - Kellers Übungen haben auch auf Bluntschli besonders gewirkt: Bluntschli, Denkwürdiges I, S. 38. 66 Lebensbild S. 25 (an Sara, I. 9. 1848), S. 35ff. (an Brettner, 25. 11. 1848). 67 Lebensbild S. 5lf. (an Brettner, 20.3. 1849). 68 s. Heide Thielbeer, Universität und Politik in der Deutschen Revolution von 1848, Bonn 1983, S. 97 - 102. 69 K. Th. Schäfer, Verfassungsgeschichte der Universität Bonn, Bonn 1968, S. 140 - 142. Sie führten erst 1860 zu einer Reform. 70 Lebensbild S. 54 - 70. 71 Lebensbild S. 59f. (23. 6. 1849). Auch Paul Heyse fand später die von ihm, Abeken u. Goldschmidt empfundene Anteilnahme "für die revolutionären Vorgänge am Rhein und im Badischen" rückschauend "ziemlich fragwürdig": Jugenderinnerungen, S. 97f. 72 Als Tagesablauf schildert er seinen Eltern (Lebensbild S. 59f., s. auch S. 63f.): 6.30 Uhr Aufstehen, 7 Uhr Kolleg, anschließend Kaffee u. leichte Lektüre; 10 Uhr Lesekabinett der
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Engen Kontakt hat Goldschmidt, dem die Bonner Studenten nicht behagen74 , nur zu einigen Berliner Verbindungsfreunden 75 , darunter Bernhard Abeken, ein bereits im 8. Semester stehender Jurist, mit dem Goldschmidt auch nach dessen Rückkehr in seine Braunschweiger Heimat befreundet bleibt76 und der wie Goldschmidt Mitte der 70er Jahre als nationalliberaler Abgeordneter in den Deutschen Reichstag einziehen wird77 , und Paul Heyse, "eine zarte, weibliche Seele, ein junger Dichter, höchst talentvoll, von mädchenhaftem Aussehen". Heyse78 ist tatsächlich Dichter: Aus musischem Hause stammend79 , hatte er in Berlin mit Dichtem und Schriftstellern wie Emanuel Geibel und Theodor Fontane verkehrt und bereits einige Gedichte veröffentlicht. Goldschmidt und Heyse beschäftigen sich mit der italienischen Literatur und Geschichte 80, eine Arbeit, die für beide Früchte tragen wird: Goldschmidt wird sie später bei seinen Forschungen auf dem Gebiet der Geschichte des Handelsrechts der romanischen Staaten nützlich sein, Heyse wird sich schon bald auch als Übersetzer aus dem Italienischen einen Namen machen. Gemeinsam unternehmen die Freunde Ausflüge in die damals noch beschauliche Umgebung Bonns 81 . Vielleicht sind es diese idyllischen Reminiszenzen, die dazu führen, daß Heyse und Goldschmidt - wie auch ihren Biographen - der Bonner Aufenthalt als unwesentliche Zwischenepisode erscheint. Die juristische Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms- Universität steht zu dieser Zeit, ohne deshalb unbedeutend zu sein, nicht in ihrer Blüte 82 . Goldschmidt besucht Vorlesungen von Böcking, Walter und Eulenberg83 . Böcking liest Römisches Recht, Zivilprozeßrecht und Strafrecht 84 , Ferdinand Walter Römische Universität (Zeitungen u. Fachblätter); 11 - 13 Uhr Kolleg bei Walter oder Böcking. Nachmittags Studien mit Freunden: 14 - 16 Uhr mit Heyse Italienisch, 16 - 17.30 Uhr mit Abeken deutsche Staats- und Rechtsgeschichte. Abends Beisammensein mit Freunden. 20 oder 21 23 Uhr schließlich Römisches Recht allein zu Hause. 73 Zu den Studienbedingungen im Bonn jener Zeit s. HäroldtlHerzberg in D. Häroldt (Hrsg.), Stadt und Universität, Bonn 1969, S. 193ff., 200, 346ff., 351 ff. 74 Noch 1887 berichtet er, daß "der Unfleiß in Bonn jede Vorstellung" überschritten habe: Rechtsstudium 1887, S. 267. 75 Lebensbild S. 62 - 64, 62 (an Sara, 11. 7. 1849). 76 Ein Brief Goldschmidts an Abeken v. 22. 8. 1857 (Faksimile) ist abgedruckt bei Liebmann, Juristische Fakultät, S. 162. 77 Abeken (1826 - 1901), später Rechtsanwalt in Braunschweig, gehört dem Reichstag von 1874 bis 1877 an: Schwarz, MdR, S. 251. 78 1830 - 1914; Literatur-Nobelpreis 1910. - Mahr, Die Krokodile, S. 478 - 483; ders., in: GrimmlMax, Deutsche Dichter 6, S. 174 - 182; Martini, NDB 9 (1972), S. 100 - 102. 79 s. A. Leskien, K. W. L. Heyse, ADB 12 (1880), S. 380f. 80 Heyse, Jugenderinnerungen, S. 95; Goldschmidt, Lebensbild S. 57f. 81 Lebensbild S 59f. (an die Eltern, 23. 6. 1849); s. auch Lebensbild S. 57 (an Brettner) und Heyse an Emanuel Geibel, 1. 6. 1849, in Petzet, S. 61 ff., 61. 82 Zur juristischen Fakultät Bonns zwischen 1840 und 1849 s. Friedrich von Bezold, Geschichte der Rheinischen Friedrich-Wilhelms- Universität (Bd. 1), Bonn 1920, S. 404 - 409. 83 Lebensbild S. 59; De societate 1851, S. 77.
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und Deutsche Rechtsgeschichte, Deutsches Privatrecht, Kirchenrecht und Rechtsphilosophie85 , Eulenberg86 lehrt als Privatdozent gerichtliche Medizin. Am stärksten wird Goldschmidt von Böcking beeinflußt. Böcking 87 war geradezu ein "Pfeiler der Bonner Abteilung der historischen Schule,,88. Kennzeichen seines Stils war die detaillierte Vertiefung in selbst kleinste Einzelheiten; diese sollten Grundlage der zu ziehenden Folgerungen sein, nicht abstrakte oder unklar definierte Vorstellungen 89 . Daher hatte er mit seinen Quellen- und Werk-Editionen weitaus mehr Erfolg als mit seinem Pandektenlehrbuch9o , einer an der Überzahl der ins Detail gehenden Anmerkungen gescheiterten systematischen Darstellung91 . Die Parallele zu Goldschmidts Handbuch des Handelsrechts ist auffallend, und Goldschmidts Worte, "eine Menge der ,schönsten Principien' fallen über Bord, sobald man mit der verachteten ,Casuistik' Ernst macht,,92, könnten ebenso gut von Böcking stammen. Ein Einfluß Böckings auf Stil und Werk Goldschmidts drängt sich damit geradezu auf. Goldschmidt erhält mit ihm nach seiner Schulzeit bei Marquardt und nach Kellers Berliner Vorlesungen zum drittenmal einen Lehrer, dessen Begeisterung für das römische Altertum sich äußert in einer eingehenden Beschäftigung mit den einzelnen Quellen und dem Bestreben, die Bewunderung der Größe römischen Rechts konkret aus den von ihm gegebenen Antworten auf eine Vielzahl einzelner Fragen zu begründen: ein Moment, das sich auch in Goldschmidts Bearbeitungen römisch-rechtlicher Materien wiederfinden wird.
3. Heidelberg 1849/50 Am 27. Oktober 1849 schreibt sich Goldschmidt, durch die Bonner Vorbereitung für sein weiteres Studium gut präpariert, in die Matrikel der Universität Heidelberg ein 93 . Wenig, Verzeichnis, S. 28; Bezo1d, Geschichte, S. 404f. Wenig, Verzeichnis, S. 326. 86 1814 - 1902. Wenig, Verzeichnis, S. 70f. 87 1802 - 1870. - Landsberg, Geschichte III 2, Text S. 476 - 481, und insbes. Stintzing, in: ADB 2 (1875), S. 785 -787. 88 Landsberg, Geschichte III 2, Text S. 476. 89 Vgl. Landsberg, Geschichte III 2, Text S. 477f., 478f.; vgl. auch Langhein, Analogie, S. 51f., 51. 90 Eduard Böcking, Pandekten des römischen Privatrechts aus dem Standpunkte unseres heutigen Rechtssystems, 1. Bd., 2. Auf!., Bonn 1853. 91 Dazu Landsberg, Geschichte III 2, Text S. 478f. Daß auch in Böckings Vorlesungen unter einer Flut von Einzelheiten die systematische Linie nur schwer auszumachen war, belegt der Grundriß zu seiner Vorlesung: Pandekten. Ein Lehrbuch ... im Grundrisse, 4. Aufl., Bonn 1852. 92 Handbuch I, 2. Auf!. 1874, S. XI. 93 Dabei zahlt er, da er von einer anderen Universität nach Heidelberg wechselt, "zum Behuf des Fonds für die Bibliothek, der Belohnung des Logis-Commissärs u.s.F." (Akademi84
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Die juristische Fakultät der Universität Heidelberg ist in den 50er Jahren des 19. Jahrhunderts Anziehungspunkt für Studierende der Rechtswissenschaft aus ganz Deutschland94 . Hier wirken führende Wissenschaftler in allen großen Bereichen der Rechtslehre: für das römische Recht Karl Adolf von Vangerow, dessen "Pandektensemester" geradezu legendär sind, für das deutsche Recht und damit die Partikularrechte und das "modeme" Recht sowie das Strafrecht Karl Anton Josef Mittermaier und für Staatsrecht und Staatswissenschaften Robert von Mohl, daneben zahlreiche weitere für das Geistesleben des 19. Jahrhunderts bedeutende Gestalten. Dies sowohl wie auch die politischen Verhältnisse im Großherzogturn Baden machen Heidelberg gerade für zahlreiche preußische Studenten, die eine Universität außerhalb Preußens besuchen wollen, überaus attraktiv. Die juristische Fakultät ist die größte der "Ruperto-Carola"; ihre Studenten stellen zu dieser Zeit regelmäßig mindestens die Hälfte der Studierenden der gesamten Universität95 . In Heidelberg kommt Goldschmidt endlich dazu, seine juristischen Kenntnisse zu konsolidieren. Nun widmet er sich ganz seinen Studien, von Politik96 und engeren Freundschaften hält er sich fem 97 . Als seine Heidelberger Lehrer nennt Goldschmidt98 die für ein Semester hohe Zahl von acht: Mittermaier, Mohl, Zoepfl, Deurer, Brinckmann, Jolly, Morstadt und Schlosser. Vangerow, ein "Ideal von einem Lehrer,,99 und für viele Studenten der Grund, nach Heidelberg zu kommen, hört er nur "zuweilen", obwohl er dessen Vortragsstil sehr lobt 100. Das deutet darauf hin, daß Goldschmidt bereits tief in die Materie des Pandektenrechts eingedrungen ist, denn begabte und fortgeschrittene Studenten wurden von Vangerows Vorlesungen weniger angezogen, da dieser sich auf die Lehren des historischen römischen Recht beschränkte 10 I. Die Bedeutung der von Goldschmidt hervorgehobenen Lehrer ist unterschiedlich. Über Deurers Leben ist nichts näheres zu ermitteln 102; ein von ihm 1849 versche Gesetze für die Kur-Badische Universität zu Heidelberg v. 31. 5. 1805, Titel I § 1, in: Matrikel VI, S. 691 ff., 691) die errnäßigte Aufnahmegebühr von 7 fl. 20 xr.: Matrikel VI, S. 82ff., 97 (Nr. 295). - Während des Sommer- und Wintersemesters 1849/50 immatrikulieren sich 12 weitere Studenten jüdischen Glaubens (von insgesamt 380 Immatrikulationen) in Heidelberg, davon 8 für das Studium der Rechtswissenschaft: Matrikel VI, S. 82ff. u. 711. Einen Gesamtüberblick gibt Richarz, Eintritt, S. 109 - 112. 94 Landwehr, Juristen, S. 658f., 659, 670f., 673ff. 95 Goldschmidt, Rechtslehrer 1887, S. 167f., 168 Fußn. 5; Wolgast, Zeitalter, S. 16; Landwehr, Juristen, S. 659. 96 Lebensbild S. 73 ff, 73 (18. 10. 1849); S. 74ff., s. auch S. 79f. (an Sara, 13. 12. 1849) 97 Lebensbild S. 86f. (an Sara, 28. 1. 1850), 88f., 89 (an Brettner, 1. 7. 1850). Zur Heidelberger Studentenschaft s. von Mohl, Lebenserinnerungen I, S. 221, u. Bluntschli, Denkwürdiges III, S. 23. 98 De societate 1851, S. 77. 99 So von Mohl, Lebenserinnerungen I, S. 229; s. auch G. Weber, Erinnerungen, S. 239ff.; Bluntschli, Denkwürdiges III, S. 20; Landsberg, Geschichte III 2, Text S. 602 - 606, 606. 100 Lebensbild S. 76ff., 76 (an die Eltern, 22. 10. 1849). 101 So von Mohl, Lebenserinnerungen I, S. 229.
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öffentlichter Grundriß zu seiner Vorlesung läßt erkennen, daß er das römische Recht auf solider Grundlage gelehrt und die Studenten angeregt hat, das Gelehrte selbständig nachzuprüfen lO3 . Morstadt lO4 , der während Goldschmidts Heidelberger Studienzeit verstarb, schneidet im Urteil seiner Zeitgenossen sehr schlecht ab: Er konnte kurzweilig vortragen und ritt häufig gehässige Angriffe gegen seine Kollegen lO5 ; sein wissenschaftliches Wirken dagegen war nahezu ohne Wert - "der", so Goldschmidt, "oberflächlichste und unwissendste Professor, der mir je vorgekommen ist" - und von seinem Charakter her scheint er geradezu widerwärtig gewesen zu sein 106. Zoepfl war gleichsam der staatsrechtliche Widerpart zu von Mohl 107 ; seine ahistorische Behandlung des deutschen Staatsrechts steht in merkwürdigem Widerspruch zu seinen Verdiensten um die deutsche Rechtsgeschichte 108. Beherrscht wurde die Staatsrechtslehre in Heidelberg von Robert von Mohl 109, der einen großen Einfluß in der Politik wie auch in der Wissenschaft des Staats- und Verwaltungsrechts ausübte. Bei JOllyllO hört Goldschmidt Deutsches Privatrecht, ohne ihm zunächst näher zu treten 111. Dies geschieht erst nach seiner Rückkehr nach Heidelberg als Privat102
ßen.
s. Jammers, Juristenfakultät, S. 56. - Deurer wurde 1851 ordentlicher Professor in Gie-
103 Wilhelm Deurer, Grundriss für Äußere Geschichte und Institutionen des Römischen Rechts, Heidelberg 1849; sein programmatisches Vorwort S. III f. könnte auch vor einem der Grundrisse Goldschmidts stehen, s. S. III: "Da akademische Vorträge wesentlich den Charakter von wissenschaftlichen Vorträgen haben müssen: so darf anerkanntermassen der Lehrer sich nicht begnügen, den Zuhörern bloß Resultate mitzutheilen, sondern er muss ihnen auch Mittel und Wege bezeichnen, auf welchen er sie gewonnen. Bei Vorträgen über positives Wissen ist daher die Angabe der Quellen und der Literatur nicht als eine gelehrte Ausschmückung derselben zu betrachten, sondern als ein nothwendiger Bestandtheil, als ein Mittel für den Zuhörer zur eigenen Forschung, und zur Prüfung und Controie der Resultate des Lehrers." 104 1792 - 1850. Zu Morstadt, Zoepfl, von Mohl, Jolly s. R. B. Weidle, Die Staatsrechtslehrer der Universität Heidelberg im 19. Jahrhundert, Frankfurt a.M. 1986, S. 39ff., 50ff. u. 67ff. 105 s. Lebensbild S. 77 (an die Eltern, 22. 10. 1849); von Mohl, Lebenserinnerungen, S.233. 106 Goldschmidt, Rechtsstudium 1887, S. S. 90; von Mohl, Lebenserinnerungen I, S. 233; G. Weber, Erinnerungen, S. 229ff.; s. auch Jammers, Juristenfakultät, S. 58f. Auch Positives über Morstadt bei Hans Scherrer, ADB 22 (1885), S. 329 - 339. 107 Vgl. von Mohl, Lebenserinnerungen I, S. 232; G. Weber, Erinnerungen, S. 234ff.; Bluntschli, Denkwürdiges III, S. 21. 108 Landsberg, Geschichte III 2, Text S. 545 - 548. 109 1799 - 1875. - Landsberg, Geschichte III 2, Text S. 401 - 411; Stolleis, HRG 3 (1984), Sp. 617 - 621; E. Forster, in Kleinheyer/Schröder, Juristen, S. 191 - 194; H. Maier, Staatslehre, S. 219 - 233. - Der 1. Bd. seiner Erinnerungen gibt ein anschauliches, wenn auch stark subjektiv gefärbtes Bild vom Lehrkörper der Universität Heidelberg, deren juristischer Fakultät er 1847 bis 1861 angehörte. 110 1823 - 1891. III Goldschmidt über Jolly 1897, S. 29.
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1. Teil: Ein jüdischer Gelehrter in Deutschland 1829 - 1897
dozent, als Jolly zu einem seiner engsten Freunde wird. Jolly betätigt sich politisch als Liberaler mit deutlichen Sympathien für Preußen; er steht damit zu dieser Zeit gegen die herrschende Strömung in Baden ll2 . Wissenschaftlich widmet er sich hauptsächlich den Gegenständen des "modemen" Rechts, dem Urheber-, Aktiengesellschafts- und Wertpapierrecht, die er von einem mehr wirtschaftlichen als dogmatisch-logischen Standpunkt aus behandelt ll3 . Nach 1866 wird Jolly zum bedeutendsten Politiker Badens in der Zeit der Gründung des Deutschen Reiches 114. Besonders bedeutsam für Goldschmidt werden die Kollegien bei Mittermaier, Brinckmann und Schlosser. Friedrich Christoph Schlosser ll5 , schon ein greiser Mann, gilt seinen Zeitgenossen als bedeutendster deutscher Historiker, seine Wirkung auf die deutsche Geschichtsschreibung und Geschichtsphilosophie, aber auch das deutsche Bürgertum ist ungemein groß. Goldschmidt ist von seinem Vortrag begeistert l16 , und Schlossers universalgeschichtlicher AnsatzlI? bleibt nicht ohne Einfluß auf Goldschmidts eigene rechtshistorische Studien. Als weiterer bedeutsamer Historiker dieser Zeit lehrt Ludwig Häusser in Heidelberg. Auch an seinen Vorlesungen und Übungen nimmt Goldschmidt gelegentlich teil 11 8. Sie beeindrukken ihn so, daß er 1855, während der Vorbereitung zu seiner Habilitation als Privatdozent in Heidelberg, eine Veranstaltung Häussers besucht, um sich von "der kunstvollen Darstellung" und "dem tiefen sittlichen Ernst des Mannes" faszinieren zu lassen 1l9. Um Häusser hat sich in Heidelberg ein Kreis natioalliberaler Gelehrter gebildet, die sich für eine baldige kleindeutsche Reichseinigung unter preußischer Hegemonie einsetzen 120. Nach Beginn seiner akademischen Laufbahn in Heidelberg wird auch Goldschmidt zu diesem Kreis gehören. Unter den Juristen sind es Mittermaier und Brinckmann, zu denen es Goldschmidt besonders zieht. Das Arbeitsgebiet Karl Josef Anton Mittermaiers - von seiner politischen Betätigung als "schwankender Liberaler", derentwegen er nach Goldschmidt "von einem politischen Gegner nicht mit Unrecht in Gestalt einer zärtlichen Großmutter karrikirt" wurde l21 , abgesehen - erstreckte sich über das ganze Gebiet des Deut112 Lothar GaU, Art. JoUy, Julius, in: NDB 10 (1974), S. 589 - 591, S. 589; Baumgartenl JoUy, JoUy, S. 28f. 113 Goldschmidt über JoUy 1897, S. 34. 114 GaU, JoUy, NDB 10 (1974), S. 589; BaumgartenlJoUy, Jolly, S. 38ff. ll5 Zu Schlosser (1776 - 1861) s. vor allem Wilhelm Dilthey, F. ehr. Schlosser (1874), in: ders., Gesammelte Schriften XV, 2. Aufl. 1981, S. 37 - 52; Wegeie, ADB 31 (1890), S. 533 541. 116 Lebensbild S. 79 (an Sara, 13. 12. 1849). 117 Dilthey, Gesammelte Schriften XV, 2. Aufl., S. 44ff. 118 Goldschmidts Name soll in den Teilnehmerbögen einer Übung Häussers verzeichnet sein: Marcks, Häusser, S. 340 in Fußn. 1. 119 Lebensbild S. 144 (19.1. 1855). 120 Ein Überblick über Häussers (1818 - 1867) politisches und gesellschaftliches Wirken in Heidelberg bei P. Fuchs, NDB 7 (1966), S. 456 - 459, 457f.
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sehen Privatrechts, des Strafrechts und bereits der Rechtsvergleichung 122 . Goldschmidt hört bei ihm nicht das Deutsche Privatrecht, in dessen Rahmen Mittermaier ausführlich das Handelsrecht behandelt, sondern Strafrecht. "Seine Vortragsweise", so Goldschmidts Charakterisierung, "ist durchaus originell und gleicht einer gemüthlichen Unterhaltung über die verschiedenartigsten Gegenstände" 123, was zwar häufige Abschweifungen und die Heranziehung einer großen Stoffülle bedeutet, aber auch dazu führt, daß Mittermaier in seinen Ausführungen auch immer wieder auf eigene Erlebnisse oder auf Gerichtsakten tatsächlich verhandelter Fälle zurückgreift 124 , um dem juristischen Stoff Substanz zu geben 125 . Dieser Stil kommt Goldschmidts eigener Arbeitsweise, die ebenfalls davon geprägt ist, ein möglichst umfangreiches Material in seine Untersuchungen einzubeziehen, sehr entgegen. Goldschmidt hat sich dieser Eigenheiten der Mittermaiersehen Lehrmethode später dankbar erinnert 126 : "So war sein Lehrstuhl eine Kanzel der Freiheit und Menschlichkeit, und der Samen, den er in die Herzen seiner Zuhörer gestreut hat, wiegt manchen scharfen dogmatischen Lehrsatz und manche gründliche Quelleninterpretation auf." Damit räumt er freilich auch die Schwächen von Mittermaiers Methode ein. Der Einfluß der Strafrechtsvorlesungen auf Goldschmidt ist bleibend 127, und ihretwegen widmet Goldschmidt seine Dissertation 1851 neben Brinckmann auch Mittermaier. Trotz seiner strafrechtlichen Interessen findet in Heidelberg der endgültige Umschwung auf das Gebiet des Handelsrechts statt, das im Mittelpunkt von Goldschmidts späterem Wirken stehen wird. Obgleich das Handelsrecht zu dieser Zeit üblicherweise noch als Teilgebiet des deutschen Privatrechts behandelt wurde, wurden an manchen Universitäten schon seit einiger Zeit gelegentlich handelsrechtliehe Spezialvorlesungen angeboten 128, meistens von Privatdozenten. In Hei121 Lebensbild S. 76f., 77 (an die Eltern, 22. 10. 1849). - Wegen seiner politisch wenig festen Haltung soll Mitterrnaier auch das Vorbild für die seinerzeit sehr populäre Satire von J. H. Detmold u. A. Schrödter "Thaten und Meinungen des Herrn Piepmeyer, Abgeordneten zur Nationalversammlung zu Frankfurt am Main", 1848/49, gewesen sein: Nachwort von R. Theilmann zum Nachdruck Dortmund 1979, S. 119ff., 126f. 122 Zum Werk Mitterrnaiers (1787 - 1867) s. Landwehr, Mitterrnaier, S. 29 - 55; speziell zu Mitterrnaier als HandeisrechtIer ders., Handelsrechtswissenschaft, S. 63 - 66 und Goldschmidt, Mitterrnaier 1867, S. 417 - 442. - Die Literatur über Mitterrnaier ist inzwischen unüberschaubar geworden, s. zuletzt Winfried Küper (Hrsg.), Carl Jos. Ant. Mitterrnaier. Symposium 1987 in Heidelberg, Heidelberg 1988 mit Nachweisen in den einzelnen Beiträgen; KleinheyerlSchröder, Juristen, S. 181 - 185; Michael Hettinger, Carl J. A. Mitterrnaier - Jurist zwischen zwei deutschen Reichen, in: ZRG GA 107 (1990), S. 433 - 461. 123 Lebensbild S. 77. 124 Lebensbild S. 88 (15. 3. 1850); Rechtsstudium 1887, S. 266. 125 Vgl. dazu auch Jammers, Juristenfakultät, S. 64. 126 Goldschmidt, Mitterrnaier 1867, S. 422f., 441. 127 Vgl. Pappenheim S. 3 Fußn. 7; s. etwa Verpflichtung 1856 (Voraussetzungen der Strafmündigkeit) u. BesitzIehre 1884, § 12, S. 138 - 140 (Gewahrsamsbruch beim Diebstahl). 128 s. K. Lehmann, Entwicklung, S. 4f. in Fußn. 4.
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de1berg gab es solche Vorlesungen, seit der Hamburger earl Heinrich Ludwig Brinckmann 129 sich hier 1846 habilitiert hatte, regelmäßig. Wie groß der Einfluß Brinckmanns auf Goldschmidt in einzelnen Sachfragen wirklich ist, läßt sich nicht genau feststellen 130. In einer Besprechung von Brinckmanns Lehrbuch des Handelsrechts findet Goldschmidt lobende Worte für seinen ehemaligen Lehrer l3l , äußert aber auch grundlegende Kritik 132 . Eines jedoch hat Brinckmann mit Sicherheit bewirkt 133 : daß der junge, noch hauptsächlich vom Strafrecht angezogene Goldschmidt trotz des großen Einflusses des Kriminalisten Mittermaier bleibend für das Handelsrecht, und zwar gerade die wissenschaftliche Behandlung des Handelsrechts gewonnen wird. Als Goldschmidt Heidelberg nach zwei Semestern verläßt, um nach Berlin zuriickzukehren, geschieht das in dem Bestreben, seine weiteren Studien vornehmlich dem Handelsrecht zu widmen. Am Ende seines einjährigen Aufenthaltes hat Goldschmidt sein Ziel, "durch verdoppelte Thätigkeit manche Sünden friiherer Nachlässigkeit auszumerzen,,134, erreicht. Zum Abschluß seines Studiums kehrt Goldschmidt zum Wintersemester 1850 an die Universität Berlin zuriick. Vorher tritt er zusammen mit Abeken eine Reise durch die Alpen und nach Frankreich an; später wird er, des Erholungswertes dieser Reise eingedenk 135, öfters auf Reisen gehen, um Heilung von den ihn immer stärker bedrängenden körperlichen und geistigen Leiden zu suchen l36 . 129 1809 - 1855; zu Brinckmann s. Landwehr, Handelsrechtswissenschaft, S. 66 - 69; G. Schmidt, Geschichte, S. 338. 130 Das gilt insbesondere für die Bedeutung der "Usance", die schon Gegenstand von Brinckmanns Habilitationsschrift war (Das Gewohnheitsrecht im gemeinen Civilrechte ... und die Handelsüsancen, 1. Th., Heidelberg 1847; der 2. Teil, der sich speziell mit der HandeIsusance beschäftigen sollte, s. S. III, ist nicht erschienen) und auf die die Rechtsquellenlehre in seinem Handelsrechtslehrbuch von 1853 aufbaut: Die Usance gehe als eigentliche Rechtsquelle des Handelsrechts dem subsidiären römischen Recht vor; ermitteln lasse sie sich insbesondere daraus, was die ,,Natur der Sache" jeweils fordere (Lehrbuch, S. 15, 17). Dieser Begriff findet sich in Goldschmidts Handbuch des Handelsrechts wieder, hier aber nicht als Quelle des Gewohnheitsrechts, sondern als das dem jeweiligen Lebensverhältnis "immanente Recht" (Goldschmidt, Handbuch I, 2. Aufl. 1874, S. 302). Und während Brinckmanns Ausführungen latent gegen Thöl gerichtet sind (Landwehr, Handelsrechtswissenschaft, S. 68), für den "das römische Recht durchweg das deutsche Handelsrecht durchdringt" (Thöl, Handelsrecht I, 4. Aufl. 1862, S. 16), bevorzugt Goldschmidt zwar wie Brinckmann die Darstellung des bereits kodifizierten gegenüber dem ungeschriebenen gemeinen Handelsrecht, geht aber häufig den eigentümlichen Mittelweg, den Vorrang äußerlich nichtrömischer Rechtssätze mit Brinckmann zu bejahen, dann aber im Sinne Thöls nachzuweisen, daß sie mit den Prinzipien des römischen Rechts durchaus übereinstimmen. 131 ZHR 4 (1861), S. 467; s. auch Pappenheim S. 3 u. Fußn. 10 (S. 3f.). 132 Er bemängelt fehlende Klarheit in den Ausführungen, zu geringe Gründlichkeit der historischen Untersuchungen von Rezeptionsvorgängen und die Systematik des Werkes: ZHR 4 (1861), S. 467, 468; in den Einzelfragen behandelt er dann freilich nur noch den von Endemann verfaßten Teil des Werkes, S. 469ff. 133 Goldschmidt, Rechtslehrer 1887, S. 174. 134 Lebensbild S. 89 (an Brettner, Juni 1850). 135 Lebensbild S. 92f. (an Sara, 29. 9.1850).
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4. Berlin 1850/51
Im letzten Semester seines Studiums, dem Wintersemester 1850/51 in Berlin, wo der revolutionäre Drang von noch einem Jahr zuvor verebbt und wieder endgültig Ruhe eingekehrt ist, hört Goldschmidt nochmals Friedrich Ludwig Keller sowie Heffter und Heydemann 137 . Bei Heffter, der für seinen praktischen Sinn bekannt ist 138, hört er V61ker- und Strafrecht, von Heydemann läßt er sich in das preußische Privatrecht, das zu dieser Zeit außer von Heydemann nur von wenigen wirklich wissenschaftlich durchdrungene Privatrecht des Preußischen Allgemeinen Landrechts von 1794, einführen 139 . Seine weiteren Bemühungen sind aber auf das Examen und bereits auf die Promotion gerichtet 140. Der Eintritt in den praktischen Vorbereitungsdienst der Juristenausbildung setzte in Preußen zu dieser Zeit voraus, daß ein mindestens dreijähriges juristisches Universitätsstudium abgeschlossen worden war. Dieser Abschluß mußte entweder das erste Staatsexamen sein, das sogenannte Auskultatorexamen, oder aber die Promotion an einer preußischen Universität l41 . Diese Praxis beruhte wohl darauf, daß die preußischen Universitäten vor der eigentlichen Promotion eine umfangreiche schriftliche und mündliche Prüfung abnahmen, die ihrem Inhalt nach dem Auskultatorexamen entsprach 142. Voraussetzung für die Zulassung zur Promotion war nur der Nachweis eines dreijährigen Studiums an einer deutschen Universität, nicht die vorherige Ablegung der Auskultator- oder einer sonstigen Staatsprüfung, die aber einen Teil der für die Qualifikation zur Promotion erforderlichen Universitätsprüfung ersetzen konnte l43 . Die preußische Justizverwaltung legte seit den 40er Jahren des 19. Jahrhunderts jedenfalls äußerlich wieder größeren Wert auf die wissenschaftliche Vorbildung der Auskultatoren, da nach der AGO "gründliche und zusammenhangende Kenntnisse in der Theorie der Rechtswissenschaft überhaupt"
136 So schon im Herbst 1853 eine Italienreise nach bestandenem Referendarexamen: Lebensbild S. 111 f., s. auch S. 176. 137 De societate 1851, S. 78. 138 Landsberg, Geschichte III 2, Text S. 299f., 392. 139 Rechtsstudium 1887, S. 83; Pappenheim S. 3 Fußn. 6. 140 Lebensbild S. 93f., 95. 141 Goldschmidt, Rechtsstudium 1887, S. 267; s. auch Laband, Lebenserinnerungen, S. 41. - Die Anerkennung der Promotion als Studienabschluß findet sich merkwürdigerweise in den preuß. Ausbildungsordnungen nicht ausdrücklich ausgesprochen: AGO II 4 §§ lff., Anhang §§ 448ff.; Circulare, die Examina pro auscultatura et referendiatu betreffend (AGO III 4 § 3), v. 6. 8. 1827, Jahrbuch für die Preuß. Gesetzgebung, hrsg. v. K. A. von Kamptz, 30. Bd., Berlin 1827, S. 136; Regulativ v. 10. 12. 1849, Preuß. JMB!. 1849, S. 491ff. Auch eine gesetzliche Aufhebung dieser Praxis anläßlich der Neuordnung der Juristenausbildung findet sich nicht, s. insbes. das Gesetz v. 6. 5. 1863, Preuß. G.=S. 1869, S. 656 - 658, §§ I - 5. 142 s. etwa die Promotionsordnungen von Berlin und HaUe, abgedruckt bei G. Schmidt, Geschichte, S. 388ff. und 389f. 143 So in HaUe nach Punkt 2 der Promotionsordnung.
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die Voraussetzung der Zulassung zur Auskultatur bilden 144 und die AuskultatorPrüfung ihrer Überprüfung dienen sollten 145. Daß Goldschmidt sich zum gegenüber dem Auskultator-Examen ungleich seltener angestrebten Abschluß des Studiums durch Promotion entschließt, zeigt, daß schon jetzt, im Sommer 1851, ihm der Gedanke, einmal selbst die akademische Laufbahn einzuschlagen, nicht mehr allzu fern liegt. An Förderung durch seine Lehrer mangelt es ihm nicht. So verdankt er das Thema für seine Dissertation seinem Heidelberger Lehrer des Handelsrechts Brinckmann l46 . In Berlin setzt sich insbesondere Keller "lebhaft" 147 dafür ein, Goldschmidt die Promotion an der Berliner Universität zu ermöglichen. Die Zulassung zur Promotion wird Goldschmidt in Berlin jedoch verweigert l48 . Diese Ablehnung wird damit begründet, daß die juristische Promotion in Berlin nur zum Doctor juris utriusque (= juris civilis et canonici) erfolge, die darin enthaltene Würde eines Doktors des kanonischen Rechts ihren Inhaber zu einem Sitz im Konsistorium, der Behörde für die Verwaltung der Angelegenheiten der evangelischen Kirche l49 , berechtige und die Ausübung eines solchen Amtes für einen Angehörigen der jüdischen Religion natürlich ausgeschlossen sei 150. Ein Recht auf einen Sitz im Konsistorium stand freilich in Preußen ohnehin nur den bei den Regierungen angestellten Räten zu I51, zu denen Juden auch weiterhin nicht berufen wurden. Goldschmidt versucht zudem, das ihm entgegengehaltene Argument mit der AGO III 4 § 3 und Anhang § 450. Allgemeine Verfügung v. 16. 11. 1844, betreffend die Zulassung der Rechts-Kandidaten zur ersten juristischen Prüfung, Preuß. JMB!. 6 (1844), Nr. 125, S. 25lf. - Dennoch bleibt diese Praxis in Preußen merkwürdig, da das Mißtrauen der preuß. Justizverwaltung gegenüber der akademischen Ausbildung sogar dazu geführt hatte, daß die Beteiligung von Professoren am Auskultator-Examen (das nicht als Abschlußprüfung des Studiums, sondern als Aufnahmeprüfung für den Justizdienst gesehen wurde) mit der wenig überzeugenden Begründung abgeschafft worden war, daß sie sich nicht überall organisatorisch durchführen lasse: Regulativ v. 10. 12. 1849, JMB!. 1849, S. 491ff., 11 AIS. 2. 146 Rechtsstudium 1887, S. 266f. 147 Rechtsstudium 1887, S. 267. 148 Rechtsstudium 1887, S. 379 in Anm. 219 am Ende. 149 ALR 11 11 § 145; Dienst-Instruktion für die Provinzial- Konsistorien v. 23. 10. 1817 (Preuß.G.=S. 1817, S. 237 - 245), §§ lf., 6f., 9 (nach vorübergehender Abschaffung der Konsistorien 1808 bis 1815); s. Friedrich Bluhme, System des in Deutschland geltenden Kirchenrechts, Bonn 1858, S. 142 - 145. Ihre ursprüngliche Bedeutung als Rechtsprechungsorgan in Kirchenangelegenheiten hatten die Konsistorien im 19. Jahrhundert fast vollständig verloren, s. Hartmut Maurer, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit der evangelischen Kirche, Göttingen 1958, S. 11 f. 150 Rechtsstudium 1887, S. 379 in Anm. 219 am Ende. Dies war auch die Haltung Savignys, s. Ring, Erinnerungen I, S. 120. 151 § 7 Abs. 2 der Verordnung betreffend die Ressort- Verhältnisse der Provinzialbehörden für das evangelische Kirchenwesen v. 27. 6. 1845 (Preuß. G.=S. 1845, S. 440 - 443) in Verbindung mit § 46 Abs. 3 der Instruktion zur Geschäftsführung der Regierungen in den Kg!. Preuß. Staaten v. 26.10.1817 (Preuß. G.=S. 1817, S. 248 - 282). 144 145
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Erklärung seiner Bereitschaft zum Verzicht auf dieses Recht zu entkräften. Aber der für die Zulassung zur Promotion zuständige Dekan der juristischen Fakultät, der hochkonservative Friedrich Julius Stah1 152 , selbst jüdischer Herkunft und im Alter von 17 Jahren zum Protestantismus konvertiert, bleibt in einem persönlichen Gespräch mit Goldschmidt l53 unnachgiebig. Stahl kann nicht wissen, daß er damit einem Juristen die Promotion verweigert, der einmal einer seiner Nachfolger als Dekan der Berliner Juristischen Fakultät werden wird l54 . Goldschmidt hat Stahl dessen Haltung niemals verziehen und sich später nur abfällig über Stahls Persönlichkeit und sein politisches Wirken geäußert 155. Dieser Schärfe gegen Stahl steht eine Zurückhaltung bei der Beurteilung Savignys gegenüber, die geradezu auffallend ist. Denn Savigny war als führender Kopf der Berliner Juristenfakultät wie später als preußischer Justizminister in mindestens ebensolchem Ausmaß wie Stahl dafür mitverantwortlich, daß den Juden in Preußen die Promotion und die Aufnahme in den Staatsdienst verwehrt blieben. Seine abwehrende Haltung gegenüber der Judenemanzipation, die in der Form herablassendironisch war, aber in religiös-traditionellen Vorstellungen gründete, hat sich zwar in Savignys Werk kaum niedergeschlagen l56 . Savignys private Abneigung gegen Juden war aber in der Öffentlichkeit durch die bereits erwähnte Auseinandersetzung mit Eduard Gans und die Veröffentlichungen seiner Schwägerin Bettina von Arnim l57 bekannt. Seine Worte zu Bettina von Arnim, "Ein Jude kann und darf niemals Privatdozent oder Lehrer an einer preußischen Universität werden,,158, deren fortdauernde Geltung Goldschmidt noch erfahren sollte, finden sich ,!ls Anekdote von zweifelhaftem Erbauungswert in mehreren Sammlungen von Juristenanekdoten l59 . Schließlich trägt auch das restriktive Judengesetz von 1847 die Unter152 Bemhard Pahlmann, Friedrich Julius Stahl, in: KleinheyerlSchröder, Juristen, S. 265 268; Landsberg, Geschichte III 2, Text S. 370 - 375; Hattenhauer, Grundlagen, Rdnm. 419 426. 153 Rechtsstudium 1887, S. 379 in Anm. 219. 154 Vgl. Riesser S. 13f. in Fußn. 2). 155 Reichstagswahl 1887, S. 53; Rechtsstudium 1887, S. 379 in Anm. 219. 156 s. aber etwa Stimmen für und wider neue Gesetzbücher, in: Zs. f. gesch. Rechtswiss. 3 (1817), S. I - 52, 23f. 157 Insbes. Bettina von Amim, Die Günderode, 1839, Ausgabe Frankfurt a.M. 1982, S. 308 - 310, 39lf. 158 So berichtet von dem Mediziner und späteren Schriftsteller Max Ring (1817 - 1901), Erinnerungen I, S. 120f., 121 oben. Ring gehörte zwischen 1838 und 1840 zu den Gästen auf Bettina von Amims Berliner Abendgesellschaften, auf denen auch Savigny und der Jurist B. H. Oppenheim erschienen, auf den sich die mitgeteilte Äußerung Savignys bezog (S. 119 121). Bettina von Amims Begehr an Savigny, der Habilitierung Oppenheims zuzustimmen, soll nur "im Scherz" erfolgt sein (S. 120). 159 SO Z. B. Eduard Stemplinger, Vom Jus und von Juristen, München 1939, S. 59; Gottfried Heindll Herbert Schambeck, Advokaten sind wie die Adler, Wien 1979, S. 40 (alle unter unrichtiger Wiedergabe der Umstände: Daß Savigny seine Schwägerin vor seiner Äußerung "lange und durchdringend" angesehen hätte, berichtet Ring, Erinnerungen I, S. 120f., nicht!). Bettina von Amim soll in ihrem Frankfurter Dialekt ihrem Schwager darauf die Ant-
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schrift des Ministers Savigny. In einer Rede, die er 1864 in Heidelberg auf Savigny hält und in der er Savigny als den Begründer der neuen deutschen Rechtswissenschaft preist, bringt Goldschmidt indessen eine Schilderung der Persönlichkeit Savignys l60, in der alles dies nicht auch nur andeutungsweise einen Niederschlag findet. Auch in seinen späteren Aufzählungen der Benachteiligungen, denen er als Jude in jungen Jahren in Preußen ausgesetzt war, fehlt jeder Hinweis auf den Einfluß, den Savigny auf diese Haltung des preußischen Staats hatte. Vielleicht liegt dies daran, daß ihm jeder persönliche Bezug zu Savigny, den er nie gesehen hat l61 , fehlte, vielleicht fürchtete Goldschmidt aber auch, daß Hinweise auf die persönlichen Schwächen Savignys die nahezu uneingeschränkt anerkennende Beurteilung der Grundgedanken von dessen Werk beeinträchtigen könnten, an die er selbst methodisch anknüpfte und um deren Erhalt in der Zeit des sich ausbreitenden Gesetzespositivismus er kämpfte. Die Hartnäckigkeit, mit der jüdischen Studierenden an preußischen Universitäten trotz des Art. 12 der Verfassung von 1850 noch über viele Jahre die Promotion verweigert wurde, mutet befremdlich an. Die maßgeblichen Persönlichkeiten wie Stahl und Savigny konnten sich offensichtlich nicht von ihrer hergebrachten Haltung lösen, wie sie auch bei den Beratungen des Ersten Vereinigten Preußischen Landtages von 1847 zutage getreten war 162 . Wie wenig konsequent die Handhabung dieser Promotionssperre war, zeigt die Tatsache, daß es jüdischen Studierenden nicht völlig verwehrt war, in.Preußen oder anderswo in Deutschland - zu promovieren. Insbesondere ließen einige Universitäten die Promotion nur zum Doktor des weltlichen Rechts (Doctor juris civilis) zu. Diese Möglichkeit war schon bei den Beratungen des Vereinigten Preußischen Landtags 1847/48 über die Frage der Judenemanzipation angesprochen worden, ausführlich von dem Regierungskommissar Brüggemann l63 . Anlaß für seine Ausführungen war, daß der Doktorgrad zu dieser Zeit noch regelmäßig zu dem Zweck erworben wurde, anschließend die akademische Laufbahn einzuschlagen. Brüggemann hatte die Absicht, Juden den Zugang zu Lehrämtern an den juristischen Fakultäten weiterhin zu versagen, nicht nur damit begründet, daß die "christlich-germanische Lebensanschauung" der Mehrheit preußischer Untertanen nicht wort gegeben haben: "Was! ... nicht einmal Privatdozente solle die lude werde, nicht einmal verhungern därfe se!", s. Ring, Erinnerungen I, S. 121 oben. Diese Antwort, die die ökonomische Lage der Privatdozenten treffend analysiert, wird meist in einer pathetischeren hochdeutschen Form zitiert (s. etwa Richarz, Eintritt, S. 2IOf., 211). 160 Vortrag Savigny 1864, S. 623 - 627; Art. Savigny 1865, S. 98ff. - Simon, Einleitung, S. IX, charakterisiert sie als "zartsinnige und doch streng objektive" Würdigung. 161 Ein letzter Versuch anläßlich der 50-lahr-Feier der Berliner Universität im Oktober 1860 scheitert, weil Savigny den Festlichkeiten fernbleibt, s. Lebensbild S. 237f., 238 (an Fitting, 1. 11. 1860). 162 Nicht bestimmend war dagegen zu dieser Zeit der erst später aufgekommene pseudorassische Antisemitismus; vgl. Goldschmidt Rechtsstudium 1887, S. 267. 163 Referat vor der Kurie der Drei Stände am 17.6. 1847, in Vollständige Verhandlungen, S. 327ff., 33lf.
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durch diese Zulassung von Männern mit einer anderen ,,religiösen und natürlichen Anschauung ... getrübt werden" solle, sondern auch mit einem scheinbar formellen Argument: Die Lehrbefugnis an einer juristischen Fakultät setze die ordentliche juristische Promotion voraus, diese erfolge aber stets zum Doctor juris utriusque, und deren kirchenrechtlicher Teil sei "von jeher ... als eine kirchliche Würde angesehen worden", könne also einem Juden unmöglich zustehen. Die Würde des Doktors beider Rechte sei auch unteilbar, so daß Juden eben überhaupt nicht juristisch promoviert werden könnten. Alle diese Ausführungen hätten nach den Verfassungen von 1848 und 1850 allerdings Makulatur werden müssen, denn das Recht zum Erwerb eines akademischen Grades war ein staatsbürgerliches Recht im Sinne von Art. 12 S. 2 der preußischen Verfassung von 1850 164 . Einer Promotion Goldschmidts in Berlin hätte seine Religionszugehörigkeit deshalb nicht im Wege stehen dürfen; auch die Statuten der Universität boten für seine Zurückweisung keine Grundlage. Die Ablehnung Stahls fußte zudem auf einer veralteten Rechtslage. Denn selbst wenn man den Grad des Doctor juris canonici als kirchliche Würde ansah, war die Frage, ob sie zur Ausübung von kirchlichen Ämtern berechtige, seit der Verfassung von 1850 der Klärung der evangelischen Landeskirche zu überlassen l65 . Eine Möglichkeit, die Zulassung zur Promotion zu erzwingen, bestand allerdings nicht. Goldschmidt hätte deshalb zwar nach Heidelberg ausweichen können, wo schon in den 40er Jahren Studienabsolventen jüdischen Glaubens zum Doktor nur des weltlichen Rechts promovieren konnten. Dem stand aber entgegen,odaß er beabsichtigte, anschließend in den praktischen Vorbereitungsdienst der preußischen Juristenausbildung einzutreten; denn nur die juristische Promotion an einer preußischen Universität wurde in Preußen als Ersatz für das Auskultator-Examen anerkannt. Anderenfalls hätte Goldschmidt auch dieses noch ablegen müssen. Anders als in der Situation vor 1848 bietet sich ihm aber diesmal ein Ausweg: Auch unter den preußischen Universitäten befindet sich eine, die die Promotion nur zum Doktor des weltlichen Rechts zuläßt. Es ist die Universität Halle-Wittenberg in Halle.
5. Promotion in Halle 1851 Tatsächlich werden Goldschmidt in Halle außer den bereits geschilderten Einschränkungen keine Hindernisse bereitet. Daß gerade die Universität Halle sich in der Frage der Promotion jüdischer Kandidaten offen zeigte, ist etwas überraschend. Zum einen nämlich gab es in Halle So rückblickend 1912 Anschütz, Verfassungsurkunde, S. 225. Artt. 13 - 17. Es dauerte allerdings einige Jahre, bis die preuß. Kirchenverfassung entsprechend neu geordnet worden war: Christoph Link, Die Entwicklung des Verhältnisses von Staat und Kirche, in: Kurt G. A. Geserich / H. Pohl / G.-Chr. v. Unruh (Hrsg.), Dt. Verwaltungsgeschichte, Bd. 3, Stuttgart 1984, S. 527 - 559, 532 - 538. 164
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eine starke, auf Restauration der Zustände vor der Revolution gerichtete Strömung unter dem Historiker Heinrich Leo 166, zum anderen waren gerade an der Universität Halle konfessionelle Fragen von besonderer Bedeutung. So beharrte noch zu Anfang des 20. Jahrhunderts die Universität darauf, daß der § 4 der alten Universitätsstatuten, wonach "nur Lehrer und Beamte evangelischer Konfession zuzulassen und anzustellen" seien, weiterhin gelte, obwohl diese Vorschrift mit Art. 12 der Verfassung von 1850 und dem späteren Gesetz des Norddeutschen Bundes vom 3. Juli 1869 sicherlich unvereinbar war 167 . Vielleicht wurden diese Dinge an der Juristischen Fakultät anders gesehen; wahrscheinlicher ist aber, daß gerade die Universitätsstatuten der Fakultät die Zulassung jüdischer Doktoranden leichter machten, erlaubten sie doch eine Kombination der von Brüggemann 1847 erwogenen Möglichkeiten, nämlich zum einen die Promotion der Doktoranden nur zum Doctor juris civilis, zum anderen die allseitige Gewißheit, daß die Promovierten jedenfalls in Halle später nicht als Privatdozenten aufgenommen werden würden 168. Die Promotion in Halle erforderte nicht eine vorangegangene Immatrikulation in Halle l69 . Der Kandidat hatte eine in lateinischer Sprache abgefaßte Dissertation, einen Lebenslauf und Zeugnisse über seine bisherige Ausbildung einzureichen; dann hatte er, sofern er noch kein juristisches Staatsexamen abgelegt hatte, ein Tentamen abzulegen, anschließend mußte er zwei Exegesen aus dem römischen und kanonischen Recht anfertigen, dann folgte, nachdem das Promotionshonorar eingezahlt worden war, das Rigorosum, in Halle eine mündliche Prüfung "über alle wesentlichen Zweige des juristisch-akademischen Studiums", schließlich folgten die beiden Teile der "eigentlichen Promotion": die öffentliche Verteidigung zunächst der Disssertation, dann der dieser anzuhängenden mindestens sechs Thesen gegenüber zunächst mindestens zwei ordentlichen, vom Kandidaten selbst gewählten Opponenten, dann gegenüber den übrigen Anwesenden, denen das Recht zu opponieren zustand. Diese Verteidigung hatte in lateinischer Sprache zu erfolgen 17o. Goldschmidt zweifelt zunächst noch, ob er für die ihn erwartenden Prüfungen reif sei, die er auch fürchtet, weil er keinen seiner künftigen Prüfer aus Lehrveranstaltungen kennt. Dennoch macht er sich im Wintersemester 1850 an die Abfassung seiner Dissertation 171, die er zunächst in Deutsch niederschreibt. Damit ist er im Januar 1851 fertig 172 und übersetzt die Arbeit ins Lateinische. Sie ist von der 166
64.
Albrecht Timm, Die Universität Halle-Wittenberg, Frankfurt a.M. 1960, S. 62ff., 62 -
s. insbes. Anschütz, Verfassungsurkunde, S. 225. Allerdings fielen Privatdozenten möglicherweise nicht unter § 4 der Statuten, vgl. Anschütz, Verfassungsurkunde, S. 225. 169 Die Promotionsordnung der Juristischen Fakultät der Universität Halle ist abgedruckt bei G. Schmidt, Geschichte, S. 389f. 170 Anders erst ab 1876, s. G. Schmidt, Geschichte, S. 390. l7l Lebensbild S. 93f. (nach Braunsberg, 23. 12. 1850). 172 Lebensbild S. 95ff., 96 (an Sara, 26. I. 1851). 167 168
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Wahl des Themas, nicht eine juristische Einzelfrage, sondern mit der Societe en commandite ein ganzes Rechtsinstitut, und dessen Ausführung her für eine juristische Dissertation ungewöhnlich, doch gelingt sie ihm vorzüglich. Die Doktorprüfung findet im Mai 1851 statt. Obwohl Goldschmidt als jüdischer Kandidat nur die Würde eines Doctor juris civilis zu erwarten hat, wird ihm die kirchenrechtliche Exegese nicht erlassen. Das Rigorosum vor den ordentlichen Professoren der Hallischen Juristenfakultät, darunter Karl Witte 173 , L. W. H. Wasserschleben l74 , J. F. L. Göschen 175 und Karl Georg Bruns l76 ist "nicht schwer und ... in wenigen Stunden beendet"I77. Darauf folgt die Verteidigung der Dissertation und der dieser angehängten sieben Thesen 178. Als ordentliche Opponenten fungieren drei Freunde Goldschmidts, die Juristen Jacobi und Gessner sowie der Medizinstudent Loewenhart. Am 27. Mai 1851, drei Tage vor Goldschmidts 22. Geburtstag, ist die Prüfung beendet 179. Mit ihrem Ergebnis kann Goldschmidt sehr zufrieden sein: Er wird summa cum laude promoviert, indes nur "ad summos in jure civili honores". Die Nichterteilung der kanonischen Doktorwürde war jedoch, da der Doctor juris civilis allgemein als vollwertig angesehen wurde, bedeutungslos, und so kann Goldschmidt sich darüber lustig machen, "zu solcher Einseitigkeit gelangt" zu sein 180. Freilich verbirgt sich hinter dieser nach außen gezeigten Unbekümmertheit eine tiefe Verbitterung über die in Berlin erfahrene Zurücksetzung. Die Berliner Juristische Fakultät hat das Goldschmidt zugefügte Unrecht 25 Jahre später dadurch wieder gutzumachen gesucht, daß sie bei seiner Berufung an die Universität Berlin im Jahre 1875 seinen Doktortitel auf das kanonische Recht erstreckte 181, so daß Goldschmidt gleichsam an zwei Universitäten für einen vollständigen Doktortitel promoviert wurde. Seinen Groll konnte sie damit allerdings nicht beseitigen: Noch 1887 verleiht er öfLandsberg, Geschichte III 2, Text S. 483. Landsberg, Geschichte III 2, Noten S. 250f. 175 Landsberg, Geschichte III 2, Text S. 287 - 289. 176 Landsberg, Geschichte III 2, Text S. 751 - 756. Bruns' Bemühungen um die genauere Erforschung der historischen Grundlagen des geltenden Rechts im römischen Recht und seinen Einsatz für eine Kodifikation des dt. bürgerlichen Rechts hat Goldschmidt wiederholt hervorgehoben: ZHR 26 (1881), S. 337; 29 (1884), S. 332. 177 Lebensbild S. 100f., 100 (4. 6. 1851); vgl. Rechtsstudium 1887, S. 311. Die schriftlichen Arbeiten waren dagegen von Nachrichten über den schlechten Gesundheitszustand seiner Mutter überschattet, Lebensbild S. 98ff. (11. 5. 1851). 178 De societate 1851, S. 79. Von ihnen beschäftigten sich nur zwei mit handelsrechtlichen Fragen, nämlich die erste über die Rechtsnatur des Wechsel vertrages und die letzte aus dem Gesellschaftsrecht, so daß Goldschmidt den letzten Akt des Promotionsverfahrens auf seinem Spezialgebiet glanzvoll eröffnen und abschließen konnte. Die übrigen Thesen betrafen Fragen des römischen Rechts, des preuß. Strafrechts, des dt. Privatrechts, des gemeinen dt. Strafrechts und des Erbrechts. 179 De societate 1851, Titelblatt. 180 Lebensbild S. 100f., 100 (nach Braunsberg, 4.6. 1851). 181 Pappenheim S. 4. 173
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fentlich seiner Empörung darüber Ausdruck, daß das Verbot glaubens bedingter Benachteiligung in Art. 12 der Preußischen Verfassung von 1850 zu jener Zeit "ein todter Buchstabe geblieben" sei 182. Mit seiner Promotion hat Goldschmidts Universitätsausbildung einen wenn auch ungewöhnlichen, so doch glänzenden Abschluß gefunden. Seine 1851 in Halle gedruckte Dissertation l83 bleibt eines seiner gelungensten Werke und bildet die Grundlage seines wissenschaftlichen Rufes 184. Goldschmidt kehrt sogleich nach Abschluß der Prüfung in seine Heimatstadt zurück, um schon eine Woche später am Danziger Stadtgericht seine praktische Ausbildung zu beginnen. Er nimmt sich allerdings vor, daneben "die theoretische, eigentlich wissenschaftliche Beschäftigung nicht aufgeben" zu wollen 185.
C. Auskultatur und Referendariat 1851 - 1854 I. Danzig
Goldschmidt kann zwar in seiner Heimatstadt Danzig ohne zeitliche Verzögerung in den praktischen Vorbereitungsdienst der preußischen Juristenausbildung eintreten. Auch hier ist er aber seiner Religionszugehörigkeit wegen Repressalien ausgesetzt. Das Präsidium des Appellationsgerichts Marienwerder, zu dessen BeReichstagswahl 1887, S. 53f., 54. Die Arbeit ist Goldschmidts Heidelberger Lehrern C. J. A. Mittermaier und C. H. L. Brinckmann gewidmet (De societate 1851, S. III f.), wobei die Initialen des ersteren versehentlich "J. A. c." und letzterer als "R. Brinkmann" gedruckt erscheinen, was wohl auf einer Personenverwechslung beruht (Heinrich Rudolf Brinkmann war Rat am OAG Kiel und veröffentlichte zwischen 1830 und 1870 mehrerere Schriften zur deutschen und römischen Rechtsgeschichte und zur Justizverwaltung Schleswig-Holsteins). Brinckmann hat sich in seinem Lehrbuch des Handelsrechts von 1853, S. 204 in Fußn. *), für die Widmung öffentlich bedankt. Über den Grund für diese Widmung s. Goldschmidt, Heidelberger Rechtslehrer 1887, S. 173f. u. De societate 1851, S. 78. 184 Die Bewertung der Dissertation mit "summa cum laude" sollte durch ihren wissenschaftlichen Erfolg bestätigt werden: Das Werk, das weite Verbreitung fand (noch heute ist in zahlreichen Bibliotheken ein Exemplar vorhanden), war die erste und bis zur Einführung des ADHGB von 1861 die einzige monographische Abhandlung über die Gesellschaftsform der societe en commandite in ihrer in Deutschland als Kommanditengesellschaft verbreiteten Art (vgl. Gierke, Genossenschaftsrecht I, S. 986 Fußn. 55; Gerber, System, 7. Auf!. 1860, S. 487 in Fußn. *). Ausführlich verwertet findet sich Goldschmidts Arbeit in Brinckmanns Lehrbuch des Handelsrechts (S. 204 - 231), der neben Thöls "Handelsrecht" einzigen bedeutenden Darstellung des deutschen Handelsrechts vor dem ADHGB. Auch später wurde Goldschmidts ausführliche historische Grundlegung mehrfach genutzt: Gierke Genossenschaftsrecht I S. 986ff., insbes. Fußn. 53; Endemann, Studien I, S. 361ff.; zuletzt Gerber/Cosack, System, 17. Auf!., S. 383 Fußn. 1 zu § 225; ihre Bedeutung in dieser Hinsicht schwand erst durch die von Goldschmidt selbst angeregten Forschungen auf diesem Gebiet: Goldschrnidt, Universalgeschichte 1891, S. 258 in Fußn. 84. 185 Lebensbild S. 100 f., 10 1. 182 183
C. Auskultatur und Referendariat 1851 - 1854
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zirk das einstmals unabhängige Danzig gehört 1 und dem die Einstellung der Auskultatoren und Referendare obliegt, macht Goldschmidts Aufnahme in den Justizdienst davon abhängig, daß er eine schriftliche Erklärung abgibt, wonach er trotz seiner Aufnahme als Auskultator "auf keinerlei Anstellung im Staatsdienst rechnen" könne 2 . Dieses Verlangen, das erkennbar noch auf der Bestimmung des § 2 Abs. 1 des Judengesetzes von 1847 beruht, steht erneut in Widerspruch zu Art. 12 der Verfassung von 1850. Die Justizverwaltung sucht damit einem Mann den Weg in den preußischen Justizdienst zu verschließen, der keine 20 Jahre später Erstmitglied des ersten deutschen obersten Gerichtshofes nach Auflösung des Reichskammergerichts werden wird. Die wiederum erfahrene Herabsetzung verstärkt Goldschmidts Verbitterung 3 , die ihn, Phasen vorübergehender patriotischer Euphorie überdauernd, sein ganzes Leben nicht mehr verlassen wird. Goldschmidt beginnt den ersten Teil seiner praktischen Ausbildung, die dem Referendariat vorgeschaltete Auskultatur, bei dem Danziger Stadt- und Kreisgericht. Dort, an "einem der besten preußischen Kollegialgerichte,,4 wird er "unter Leitung einzelner ungewöhnlich hervorragender, zum Theil auch wissenschaftlich vollkommen durchgebildeter Männer,,5 tätig. Wahrend er später harsche Kritik an dem "ertödtenden und immer mehr verknöchernden Formalismus" der preußischen Gerichtspraxis seiner Zeit übt6 , weist er immer wieder darauf hin, daß die Mängel wissenschaftlicher Bildung der Richter wie auch die der juristischen Ausbildung nicht förderliche, ganz unselbständige Beschäftigung der Auskultatoren und Referendare als bloße Schreiber oder Protokollführer an den Danziger Gerichten, im Gegensatz schon zum Appellationsgericht Marienwerder, nicht vorgekommen seien 7 • Für die Richtigkeit dieser Aussage mag sprechen, daß Baum Hambrook 8, seit 1850 am Danziger Stadt- und Kreisgericht und für Goldschmidt "bestimmender Lehrer in der Preußischen Praxis,,9, 1876 Staatsanwalt, dann Rat beim ROHG und schließlich Reichsgerichtsrat wird. Das Verhältnis zwischen Ausbildern und Auskultatoren an den Danziger Gerichten ist gut; Goldschmidt bleibt auch nach seinem Weggang aus Danzig mit vielen seiner Ausbilder "in freundlichster Verbindung"iO. Zusammen mit Kollegen und Ausbildern gründet er 1852 mehrere kleine Vereinigungen 11 • I Verordnung über die Aufhebung der Privatgerichtsbarkeit ... sowie über die anderweitige Organisation der Gerichte, v. 2. I. 1849 (Preuß. G.=S. 1849, S. I - 13), §§ 24, 25 Abs. I. 2 Reichstagswahl1887, S. 53. 3 Lebensbild S. 101 f., 102 (an Brettner, 22. 8. 1851). 4 Rechtsstudium 1887, S. 102. 5 Studium 1878, S. 10; s. auch Rechtsstudium S. 102. 6 Rechtsstudium S. 96 - 102, 100; vgl. auch Präjudicien 1857, S. 55 - 57; ZHR 3 (1860), S. 279 f.; Beseler u. Pape 1889, S. 4. 7 Rechtsstudium S. 225 f., 267. 8 1818 - 1897; s. Schaaf, Anlage I: Mitglieder des ROHG und des RG, in: Lobe, Reichsgericht, S. 337 ff., 354. 9 Rechtsstudium S. 334; vgl. Pappenheim S. 5 Fußn. 13.
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Die erste Zeit von Goldschmidts Auskultatur ist dem Strafrecht gewidmet 12. Schon früh darf Goldschmidt nahezu selbständig auch Fälle schwerer Kriminalität bearbeiten, sei es bei den Ermittlungen, wo er selbständig Beschuldigte verhört 13 , oder vor Gericht als Ankläger, Beisitzer oder Verteidiger 14 . Wenngleich seine Verteidigungen im Rahmen der Auskultatur erfolgen, erhält Goldschmidt für sie Entgelte, seine ersten eigenen Einnahmen 15. Sein erster Auftritt als Verteidiger betrifft einen Fall, der für ihn von besonderer persönlicher Bedeutung ist l6 : Sein Freund, der Medizinstudent Loewenhart ist vor dem Schwurgericht in Halle angeklagt. Er hatte sich mit einem Studenten adeliger Herkunft, den er gefordert hatte, in gewöhnlicher Schlägermensur duelliert und war dabei wohl ohne Absicht seines Gegners schwer verwundet worden. An sich unterfie1en derartige studentische Zweikämpfe nach dem Reglement wegen Einrichtung der akademischen Gerichtsbarkeit bei den Universitäten 17 der akademischen Gerichtsbarkeit; das galt jedoch nach dessen § 9 lit. b nur, wenn sie ohne "bedeutende Verwundung" beendet wurden. Wegen der Verwundung Loewenharts kam für die Beteiligten hier deshalb zunächst das allgemeine preußische Strafrecht und damit die Vorschrift des ALR II 20 § 689 zur Anwendung, wonach der nichtadelige Duellteilnehmer wegen Mordversuchs zu bestrafen war; § 8 des oben genannten Reglements sah dagegen nur akademische Disziplinarmaßnahmen bis zur Relegation oder Gefängnis bis zu vier Wochen vor, ALR II 20 § 669 für den adligen Duellanten immerhin ein- bis dreijährige Festungsstrafe. Die Diskrepanz stach ins Auge, zumal Loewenhart selbst ja der Verwundete war. Goldschmidts Versuch, in der Hauptverhandlung das Gericht dazu zu bewegen, statt des ALR doch die milde Vorschrift des Reglements anzuwenden, scheitert, und sein Freund wird zu zehn Jahren Festungshaft verurteilt. Gleichwohl gelingt es Goldschmidt, ihm auf unorthodoxe Weise zu helfen: Seine Ausführungen über die Ungerechtigkeit der gesetzlichen Regelung veranlassen die Geschworenen 18 des Prozesses dazu, ein Rechtsstudium 1887, S. 267. Lebensbild S. 108; Rechtsstudium 1887, S. 267. 12 Lebensbild S. 103 f. (4. I. 1852). 13 Lebensbild S. 103 f. 14 Rechtsstudium 1887, S. 227 f. 15 Als er 1856 an der Universität sein erstes Kollegiengeld einnimmt (20 fl., von denen die Hälfte an die Universität Heidelberg fällt), scherzt er: "Ich bin ordentlich stolz, denn beinahe sind die Erträge meiner Vertheidigungspraxis schon erreicht!": Lebensbild S. 183. 16 s. den Bericht von Pappenheim S. 5 f., dem Goldschmidts handschriftliche Unterlagen noch vorgelegen haben. 17 v. 28. 12. 1810, Preuß. G.=S. 1810, S. 142 ff. IS Durch die Verordnung über die Einführung des mündlichen und öffentlichen Verfahrens mit Geschworenen in Untersuchungssachen v. 3. 1. 1849, Preuß. G.=S. 1849, S. 14 - 47, waren in Preußen der reformierte Strafprozeß (§§ 1 ff.) u. Schwurgerichte (§§ 62 ff.) mit 12 Geschworenen (§ 93) eingeführt worden. - Die rechtliche Würdigung des von den Geschworenen nur in tatsächlicher Hinsicht zu beurteilenden Verhaltens des Angeklagten (§§ 100 ff.) oblag allein den Richtern (§§ 120 ff.). 10
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c. Auskultatur und Referendariat 1851 - 1854
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von Goldschmidt entworfenes Gnadengesuch einzureichen. Dieses hat Erfolg: Loewenhart wird nach Verbüßung von nur zwei Monaten Festungshaft begnadigt und entlassen. Falls das von Pappenheim angegebene Datum der Hauptverhandlung, 25. Oktober 1851, stimmt, litt die Verurteilung Loewenharts allerdings ohnehin an einem äußerst schwerwiegenden rechtlichen Mangel; denn das gesamte Strafrecht des Preußischen Allgemeinen Landrechts (ALR 11 20) war durch das Einführungsgesetz zum neuen Preußischen Strafgesetzbuch vom 14. April 1851 mit Wirkung vom 1. Juli 1851 aufgehoben und durch das Strafgesetzbuch ersetzt worden 19 . Auch auf Taten, die - wie der Zweikampf zwischen Loewenhart und seinem Gegner von Se1chow - vor diesem Datum begangen worden waren, war es anzuwenden, soweit es mildere Strafen als das bisherige Strafrecht vorsah 2o • Das war hier der Fall, denn nach § 168 Abs. 1 des Preuß. StGB von 1851 hätte Loewenhart wegen Teilnahme an einem Zweikampf nur die Strafe der Einschließung von 3 Monaten bis 5 Jahren gedroht21 . Es dürfte nicht unerheblich zum Erfolg des Gnadengesuches beigetragen haben, daß diese Gesetzesänderung von Gericht, Anklage und Verteidigung übersehen worden war. Loewenhart22 , der bald nach seiner Entlassung aus der Haft sein Medizinstudium beendet und einige Jahre als Arzt für Allgemeinmedizin und als Nervenarzt praktiziert, wird 1855 Privatdozent in Halle, später Mitarbeiter Virchows in Berlin; ab 1859 leitet er verschiedene Irrenanstalten. Er dient der Familie Goldschmidts, der ihn häufiger besucht23 , auch als medizinischer Ratgeber, doch scheint er nicht wegen Goldschmidts eigenen Anfällen depressiver Verstimmungen konsultiert worden zu sein. Als diese Mitte der 70er Jahre ein wirklich ernsthaftes Ausmaß erreichen, ist Löwenhardt bereits verstorben. Vielleicht ist es der ungewöhnliche Erfolg seiner Bemühungen in dieser Sache, der Goldschmidt in der Folgezeit weiterhin zwischen akademischer und praktischer Laufbahn schwanken läßt. Diese Unentschiedenheit und die geringen Aussichten, als Jude in Preußen in der praktischen Laufbahn bleiben zu können, umgekehrt die ungewissen Aussichten auf eine akademische Laufbahn außerhalb Preußens rufen bei Goldschmidt verstärkt Anfälle von Selbstzweifeln und Mutlosigkeit hervor: "Träge und langsam schleppt sich das Leben hin - ohne wirklichen Genuß, ohne Grund zum Mißvergnügen - ein ewiges Hin- und Herwogen und Kämpfen freundlicher und feindlicher Kräfte. Mangel an innerer Ruhe und Befriedigung, momentane Unfähigkeit zu ernstem Studium, zu mehr als gewöhnlicher Berufsarbeit quälen mich und erzeugen in mir ... Mißbehagen,,24. EO Preuß. StOB (Preuß. O.=S. 1851, S. 93 - 100), Artt. I, 11 Abs. 1. EO Preuß. StOB, Art. IV. 21 Die Strafe der Einschließung entsprach der der Festungshaft, § 205 RStOB 1871. 22 Zu Löwenhardt (1827 - 1869), wie er seinen Namen später schreibt, s. J. Pagel, Emil Oscar Löwenhardt, in: Biographisches Lexikon der hervorragenden Ärzte, 2. Aufl., 3. Bd., Berlin u. Wien 1931, S. 828; Bandorf, in: ADB 19 (1884), S. 361. 23 Lebensbild S. 113, 116. 19
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Um sich von der Beschäftigung mit dem Strafrecht zu lösen und sich dem ihm wissenschaftlich reizvolleren Handelsrecht zuwenden zu können, beschließt Goldschmidt, zum März 1853 für einige Monate an das Danziger Kommerz- und Admiralitätskollegium zu wechseln 25 . Dieses war das auch nach der teilweisen Neuordnung der preußischen Gerichtsverfassung von 1849 neben dem neu organisierten Stadt- und Kreisgericht weiterhin zulässige erstinstanzliche besondere Gericht für Handelssachen 26 . Schon bald, nach inzwischen zweijährigem Vorbereitungsdienst, steht Goldschmidt wieder vor der Wahl seines weiteren Lebensweges, zwischen praktischer und akademischer Laufbahn. Je drängender die Entscheidung wird, desto stärker werden bei ihm die Anzeichen einer Depression: "Je näher ich dem Momente komme, wo ich die Entscheidung über meine Lebensaufgabe treffen soll, um so mehr fürchte ich mich vor meiner eigenen Halbheit, vor meiner grenzenlosen Zersplitterungssucht, vor meinen nur höchst mittelmäßigen Anlagen,m. Aber noch etwas anderes läßt Goldschmidt vor dem Verlassen der praktischen Laufbahn zurückschrecken: der ökonomische Aspekt. Waren Auskultatur und Referendariat auch unbesoldet28 , so stand an ihrem Ende doch die Aussicht auf eine einträgliche Beschäftigung als Richter oder Advokat - bei Goldschmidt freilich nach wie vor getrübt durch die preußische Praxis, keine Juden in den Staatsdienst zu übernehmen. Die Wahl der akademischen Laufbahn dagegen hätte bedeutet, auf unbestimmt viele Jahre auf jede feste Besoldung zu verzichten und als Einkommen nur Kollegiengelder in völlig ungewisser Höhe einzunehmen. Schon jetzt empfindet Goldschmidt den Gedanken, "noch Jahre lang unselbständig aus dem Beutel eines noch so liebevollen Vaters zehren zu müssen", als äußerst unbefriedigend 29 .
In diesem Schwanken setzt sich das augenblickliche Übergewicht seiner praktischen Tätigkeit zunächst gegen seine wissenschaftlichen Interessen durch: Goldschmidt beschließt, seinen Vorbereitungsdienst fortzusetzen, und meldet sich im Frühjahr 1853 zum damals zweiten Examen der praktischen Juristenausbildung in Preußen, der Referendariats-Prüfung 3o . Dieses Examen war vor dem Appellationsgericht abzulegen; für die Auskultatoren bei den Danziger Gerichten war das Appellationsgericht Marienwerder zuständig 31 . Das Examen bestand aus einer mündlichen Prüfung, die von zwei Appellationsgerichtsräten in Gegenwart eines der Lebensbild S. 106 f., 106 (an Fanny, 21. 9. 1852). Lebensbild S. 109 f., 110 (9. 1. 1853); vg!. Rechtsstudium 1887, S. 225. 26 Verordnung v. 2. 1. 1849 (Preuß. G.=S. 1849, S. I ff.), § 18 Abs. 3; Überblick über die ältere preuß. Gerichtsverfassung bei Kern, Geschichte, S. 64. 27 Lebensbild S. 109 f., 109 (nach Braunsberg, 9. 1. 1853). 28 AGO III 4 § 2; s. dazu Hattenhauer, JuS 1989, S. 515. 29 Lebensbild S. 109 f., 110. 30 Geregelt in Teil I und 11 B des Regulativs v. 10. 12. 1849, Preuß. JMB!. 11 (1849), S. 491 ff. 31 Preuß. JMB!. 1849, S. 350 f. (357 Nr. 16). 24 25
C. Auskultatur und Referendariat 1851 - 1854
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Präsidenten des Gerichts abgenommen wurde, und einem danach anzufertigenden schriftlichen Probe-Referat, einer zivilrechtlichen Relation. Die mündliche Prüfung umfaßte einen Aktenvortrag (mit zweitägiger Vorbereitung) und dann eine Prüfung über materielles und prozessuales Landrecht, ,jedoch unter Vergleichung der gemeinrechtlichen Bestimmungen,,32. Der Termin zur mündlichen Prüfung wird auf den 23. März 1853 festgesetzt 33 . Goldschmidt besteht dieses Examen ohne weiteres 34 und tritt nunmehr von der Auskultatur in das Referendariat über35 . Der Ausbildungsordnung gemäß36 verbleibt er bei einem erstinstanzlichen Gericht und setzt seine Ausbildung bei dem Danziger Kommerz- und Admiralitätskollegium fort, eine Ausbildungsstation, die er, da seinem "Lieblingsfache" angehörend, als "nicht anstrengend" empfindet37 .
11. Deutschlandreise 1854
Für das Handelsrecht wiedergewonnen und ohne den Druck, sich rasch entscheiden zu müssen38 , trifft Goldschmidt die Entscheidung über seine weitere Laufbahn ganz unvermittelt. Er muß erkennen, daß eine Aufnahme in den preußischen Staatsdienst, und sei es auch nur als Vorstufe zum Übergang in die Advokatur, ihm als Juden nicht gewährt werden wird. Aussichten auf eine berufliche Laufbahn gleich welcher Art hat er damit in Preußen definitiv nicht. Goldschmidt läßt sich deshalb im Sommer 1854 beurlauben und tritt im Juli eine Reise durch Deutschland und Österreich an, um aus eigener Erfahrung festzustellen, wie in verschiedenen deutschen Staaten die Aussichten sind, sich an dortigen Universitäten zu habilitieren oder zur Advokatur zugelassen zu werden. Die Reise beginnt Anfang Juli in Berlin und führt von dort über Heidelberg, Stuttgart, Tübingen, Augsburg, München, Linz, Wien, Prag, Teplitz, Dresden, Leipzig, Halle, Jena, Göttingen und Hamburg zurück nach Berlin, wo Goldschmidt Mitte August wieder anlangt. Über die einzelnen Stationen seiner Reise hat er seinem Vater brieflich detailliert Bericht erstattet; diese Briefe39 bieten das Bild einer Bildungsreise40 Nr. 11 B 2 Abs. 1 des oben angegebenen Regulativs. Lebensbild S. 110 (11. 3.1853). 34 Er berichtet von seiner mündlichen Prüfung, daß sein Examinator, "ein sehr würdiger und tüchtiger Preußischer Praktiker" und der erste Appellationsgerichtsrat, den er persönlich kennenlernt, ihn "durch seine Unkenntniß des römischen Rechts in peinliches Erstaunen" gesetzt habe: Rechtsstudium 1887, S. 267. 35 Bekanntmachung der Ernennung: Preuß. JMB!. 1853, S. 205. 36 Teil 11 C des Regulativs v. 10. 12. 1849. 37 Lebensbild S. 114 (an Fanny, 24.3. 1854). 38 Also entgegen Pappenheim S. 4 nicht erst am Ende der grundsätzlich eineinhalbjährigen Referendariatszeit. 39 Lebensbild S. 115 - 135. 32 33
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1. Teil: Ein jüdischer Gelehrter in Deutschland 1829 - 1897
durch das Deutschland der Mitte des 19. Jahrhunderts. Ihrer gleichsam kulturellen Ergiebigkeit steht freilich ein bezogen auf ihren eigentlichen Zweck deprimierendes Ergebnis gegenüber. Goldschmidt nutzt die Reise, um viele seiner Bekannten und Freunde aufzusuchen. In Heide1berg findet er eine besonders freundliche Aufnahme bei seinen ehemaligen Lehrern Mittermaier, von Mohl und Brinckmann. In München besucht er Paul Heyse, der trotz seiner Jugend bereits ein bekannter Dichter ist und zusammen mit anderen überwiegend aus Norddeutschland stammenden Dichtem unter Führung des Lübeckers Emanuel Geibel einer Künstlerkolonie angehört, die sich auf Anregung des kunstliebenden bayerischen Königs gebildet hat. Den für die deutsche Literatur um die Jahrhundertmitte sehr bedeutsamen Geibel 41 lernt Goldschmidt bei Heyse kennen42 , ebenso den Schweizer Juristen Johann Caspar Bluntschli 43 , dessen Fakultätskollege und politischer Mitstreiter er später in Heidelberg sein wird. Mit ähnlicher Freundlichkeit wie in Heidelberg wird Goldschmidt auf der Rückreise an der Universität Göttingen aufgenommen 44 , wo er Otto Stobbe45 kennenlernt. Diese "weitere angenehme Bekanntschaft,,46 wird später zu einer engen, wenn auch überwiegend brieflich gepflegten Freundschaft, die bis zum Tode Stobbes 1887 anhalten wird47 . In Hamburg schließlich läßt Goldschmidt sich von dem Advokaten Isaak Wolffson über die Aussichten als Anwalt in dieser Stadt unterrichten 48 . Wolffson war neben Gabriel Rießer, dessen politisches Wirken sich über die Grenzen Hamburgs hinaus auf alle deutschen Staaten erstreckte, einer der bedeutenden Vorkämpfer der deutschen Judenemanzipation 49 und hatte erst 1849 als zweiter jüdischer Glaubensangehöriger überhaupt die hamburgische Anwaltszulassung erhalten5o . Auch die Verbindung mit Wolffson hält über seinen Hambur40 Vgl. Joseph Strelka, Der literarische Reisebericht, in: Jahrbuch für Internationale Germanistik, 3. Jg., Frankfurt a.M. 1971, S. 63 -75, 70 -72. 41 1815 - 1884. - Mahr, Die Krokodile S. 469 - 477; ders., in: Grimm/Max, Deutsche Dichter 6, S. 38 - 44. 42 Lebensbild S. 123. 43 Lebensbild S. 123; Mahr, Die Krokodile, S. 48 f., 68 ff. 44 Ordinarien der Juristischen Fakultät bei Wilhelm Ebel, Catalogus Professorum Gottingensium 1734 - 1962, S. 51. 45 1831 - 1887. Über Stobbe s. zuletzt B.-R. Kern, HRG 4 (1990), Sp. 1998 - 2001. 46 Lebensbild S. 133. 47 Goldschmidt hat Stobbe zwei Nachrufe gewidmet: Preuß. Jbb. 59 (1887), S. 596 - 600 = Lebensbild S. 481 - 485 = Verm. Sehr. I, S. 675 - 681, datiert 22. 5. 1887, u. ZHR 34 (1888), S. 676 f., datiert 1. 3. 1888. - Der erste Band von Goldschmidts Handbuch des Handelsrechts ist in seinen ersten beiden Auflagen Stobbe (und H. Fitting) u. der zweite Band von Stobbes Handbuch des deutschen Privatrechts ist Goldschmidt gewidmet. 48 Lebensbild S. 135. 49 Biographische Daten über Rießer und Wolffson bei G. Schmidt, Geschichte, S. 357 f. bzw. 348 f.; - Über Rießer: M. Isler, GabrieI Rießer's Leben, 2. Aufl., Frankfurt a.M. u. Leipzig 1871, s. auch G. Schmidt, Geschichte S. 47 f.; zu Wolffson: Erich Lüth, Isaak Wolffson 1817 - 1895, Hamburg 1963.
C. Auskultatur und Referendariat 1851 - 1854
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ger Aufenthalt hinaus an; noch 1875 zählt Goldschmidt dessen Sohn zu seinem engeren Bekanntenkreis 51 . Das sachliche Ergebnis von Goldschmidts Treffen ist freilich entmutigend: Die ökonomischen Aussichten eines Anwalts in Hamburg werden ihm als sehr schlecht geschildert, da es bereits mehr Advokaten gebe, als ihr Auskommen finden könnten 52 . Erfolgreich ist Goldschmidts Besuch in Hamburg aber in anderer Hinsicht: Er studiert die - später häufig von ihm als Beleg für handelsrechtliche Gewohnheiten herangezogene 53 - Praxis des Hamburger Handelsgerichts 54 und er lernt die (noch heute bestehende) Commerzbibliothek mit ihrem umfangreichen Bestand an auch älterer handelswissenschaftlicher und -rechtlicher Literatur kennen55 . Auf ihre Kataloge hat Goldschmidt auch für die Anfertigung der Bibliographien seines Handbuchs des Handelsrechts zurückgegriffen56 . Es gelingt ihm in Hamburg auch, einige Werke für seine eigene allmählich wachsende wissenschaftliche Privatbibliothek zu erstehen. Denn die Gelegenheit, Bücher zu erwerben, ließ Goldschmidt sich nie entgehen und Außenstehenden erlaubte er die "Benutzung seiner reichen Bibliothek" gem 57 • Die von Goldschmidt gesammelten juristischen Werke fielen nach seinem Tode an das juristische Seminar der Berliner Universität58 . Von Hamburg aus kehrt Goldschmidt über Berlin nach Danzig zurück. So angenehm seine Reise in kultureller Hinsicht verläuft, so unerfreulich ist sie im Hinblick auf das Ziel, dem sie eigentlich hatte dienen sollen59 . 50 Rießer, an den er in Teplitz eine Empfehlung erhalten hatte (Lebensbild S. 128), scheint Goldschrnidt dagegen nicht aufgesucht zu haben, aber in Berlin arbeitet er später in der jüdischen Gemeinde mit dessen Neffen Jacob Riesser zusammen; zu diesem s. Wininger, National-Biographie 5, S. 198 f.; 7, S. 398. 51 Lebensbild S. 385. 52 Ob diese Auskunft zutraf, ist freilich zweifelhaft, s. G. Schmidt, Geschichte, S. 156 f., 157. 53 Vgl. Handbuch I, 2. Auf!. 1874, S. 182 f.; Goldschmidt, ZHR 10 (1866), S. 607: "Das Handelsgericht der ersten Handelsstadt Deutschlands ist in seiner fünfzigjährigen Praxis ein treuer Wächter und Wahrer des ungeschriebenen Handelsrechts gewesen; es hat vortrefflich verstanden, die Grundsätze des gemeinen Civilrechts den Bedürfnissen des Handels gemäß zu verwenden". 54 Rechtsstudium 1887, S. 268. - Siehe z. B.: Sammlung von seerechtlichen Erkenntnissen des Handelsgerichts zu Hamburg, hrsg. v. W. Ullrich, 1. Heft, Hamburg 1858, 2. Heft 1861, dazu Goldschmidt, ZHR 5 (1862), S. 306; s. auch ZHR 3 (1860), S. 620. 55 Zur Commerzbibliothek in der Mitte des 19. Jahrhunderts s. Berta Backe-Dietrich, Die Geschichte der Commerzbibliothek, in: 250 Jahre Commerzbibliothek der Handelskammer Hamburg 1735 - 1985, Hamburg 1985, S. 11 - 110,34 ff. 56 s. die Danksagung in Handbuch, 1. Auf!., I I, 1864, S. IX. 57 Max Weber, Geschichte, S. 2. 58 H. Brunner!W. Kahl! A. Hellwig, Juristische Fakultät: Das juristische Seminar, in Lenz, Geschichte, 3. Bd., S. 26. 59 Zu den Berufsperspektiven von Juristen jüdischen Glaubens im Gebiet des Deutschen Bundes für die Zeit bis 1848 s. auch den Überblick von Richarz, Eintritt, S. 178 - 188.
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1. Teil: Ein jüdischer Gelehrter in Deutschland 1829 - 1897
Schon der Beginn der Reise in Berlin ist in dieser Hinsicht wenig verheißungsvoll 6o . Im Justizministerium erklärt ihm der Geheime Justizrat Friedländer, daß im gegenwärtigen Zeitpunkt mit einer Übernahme Goldschmidts in den besoldeten preußischen Staatsdienst nicht zu rechnen sei, und versucht ihn auf die Zeit nach Ablegung seines Referendarexamens zu vertrösten, da die religionsbedingte Zugangsbeschränkung dann vielleicht gefallen sein werde. Den von Goldschmidt beantragten Urlaub bewilligt er ohne Einwände. Im Unterrichtsministerium wird Goldschmidt ebenso freundlich, aber ebenso bestimmt jede Hoffnung auf ein akademisches Lehramt an einer preußischen Universität genommen. Der zuständige Geheimrat Schultze beruft sich dazu auf die Haltung seines Ministers 61 . Er Schultze - sei mit Eduard Gans befreundet gewesen, und auch Gans habe sich trotz starker Protektion schließlich taufen lassen, um voranzukommen. In diesem Hinweis liegt möglicherweise ein vorsichtiger Rat an Goldschmidt, wie er die sich ihm in den Weg stellenden Hindernisse rasch und endgültig umgehen könne. Als Goldschmidt aber nachdrücklich erklärt, sich nicht taufen lassen zu wollen, zeigt Schultze Verständnis - nur helfen könne er ihm nicht. Goldschmidt sieht sich damit von seinem eigenen Heimatland auf die Reise ins Ausland geschickt, um eine Anstellung zu finden. Die Haltung des preußischen Staates freilich war repräsentativ für die Verhältnisse der anderen Staaten des Deutschen Bundes. Die Advokatur war, zum Teil als Ergebnis der Revolution von 1848, für Juden inzwischen zwar vielerorts zugänglich, so in Hamburg, Württemberg 62 , Bayern und sogar Österreich; stets aber setzte sie den Erwerb des jeweiligen Staatsbürgerrechts, forensischen Vorbereitungsdienst und die Ablegung mehrerer Prüfungen über einen längeren Zeitraum hinweg voraus. In den Ländern, wo sie noch unfrei war, hing sie zudem von einer besonderen Zulassungsgenehmigung ab. Auch die ökonomischen Aussichten für einen von auswärts zugereisten Advokaten waren allgemein ungünstig. Ähnlich schlecht waren die Aussichten auf eine akademische Laufbahn 63 . Symptomatisch hierfür ist, wie es Goldschmidt in Bayern ergeht. Am 21. Juli 1854 hat er ein Gespräch mit dem bayerischen Kultusminister von Zwehl 64 • Dieser redet ihm zunächst zu, er möge sich doch an einer bayerischen Hochschule habilitieren, Lebensbild S. 115 f. Das war im Kabinett Manteuffel K. O. v. Raumer (E. R. Huber, Verfassungsgeschichte III, S. 160 f.). 62 Allerdings enthielt § 27 Abs. 2 der Verfassungsurkunde für das Königreich Württemberg vom 25. 9. 1819, abgedruckt bei Hans Bold (Hrsg.), Reich und Länder, München 1987, S. 299 - 334, noch einen Vorbehalt bezüglich der Angehörigen der nichtchristlichen Religionsgemeinschaften. 63 Überblick über die Zahl von Privatdozenten jüdischer Herkunft an deutschen Universitäten in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts bei Richarz, Eintritt, S. 206 - 217 (Tabelle S. 208): Danach gab es 1848 nicht einmal ein halbes Dutzend ungetaufter Juden unter den Lehrern an deutschen Universitäten. 64 Th. v. Zwehl (1800 - 1875) galt als liberal-konservativ: Huber, Verfassungsgeschichte III, S. 183. 60 61
C. AuskuItatur und Referendariat 1851 - 1854
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als Preuße brauche er keinerlei Benachteiligungen zu fürchten. Den weiteren Verlauf des Gespräches schildert Goldschmidt S065: "Ich fragte darauf weiter, ob nicht ein Moment Bedenken erregen könnte: Ich sei Jude. Der Minister stutzte, und äußerte: ,Da kann ich Ihnen freilich keine Hoffnung machen.' Ich entgegnete: ,Ich werde natürlich nicht Canonisches Recht dociren.' Der Minister: ,Ja freilich - aber das ist bei uns Grundsatz.' Darauf ich: ,Das steht also fest?' Der Minister: ,Ja wohl. ' Darauf empfahl ich mich." Ähnlich ergeht es Goldschmidt in Jena und Halle. In Leipzig sagt man ihm die Habilitation zu, weist aber darauf hin, daß ein Aufstieg vom Privatdozenten zum außerordentlichen oder ordentlichen Professor ausgeschlossen sei. In Göttingen versichert man ihm, keine religionsbedingten Vorurteile zu kennen, ihn aber nicht habilitieren zu können, da die Habilitation den Doctor utriusque juris unabdingbar voraussetze. Widersprüchlich sind die Angaben, die Goldschmidt für die österreichische Monarchie erhält66 • Moritz Stubenrauch 67 , Ordinarius in Wien, versichert Goldschmidt, daß zumindest die Wiener Juristenfakultät keine Vorbehalte kenne. Der Unterrichtsminister Graf Thun und der Ministerialrat Tomaschek bestätigen zwar die formelle Zugangsfreiheit zu akademischen Ämtern, lassen gleichwohl aber ihre Abneigung gegen die Zulassung jüdischer Gelehrter durchscheinen, was angesichts der Tatsache, daß über die Zulassung nicht die Fakultäten, sondern das Unterrichtsministerium mit kaiserlicher Genehmigung zu befinden hatte, nur schlechte Aussichten verhieß. Zwar werden Goldschmidt Beispiele für an österreichischen Universitäten lehrende jüdische Professoren genannt, aber die Betreffenden hatten sich durchweg taufen lassen, und Aussichten boten sich ihnen nur, wenn sie sich katholisch hatten taufen lassen. Goldschmidt findet schließlich nur zwei Universitäten, die keine Vorbehalte gegen die Zulassung jüdischer Privatdozenten zeigen, das württembergische Tübingen und das badische Heidelberg. In Tübingen bieten sich indessen nur ungewisse Aussichten68 . Goldschmidt wird zwar von dem Vizekanzler der Universität Carl Friedrich Gerber69 freundlich empfangen 70, vertraulich wird ihm aber mitgeteilt, daß die Studenten eine Abneigung gegen norddeutsche Dozenten hegten und deren Lehrveranstaltungen fernblieben. Da für Goldschmidt das Einschlagen der akadeLebensbild S. 124 f., 125. Lebensbild S. 125 - 128. 67 1811 - 1865, s. K. w., in: ADB 36, S. 709 f.; s. auch Goldschmidt ZHR 3 (1860), S. 622 - 624; 8 (1865), S. 204 - 206. 68 Lebensbild S. 122 f. 69 Zu Gerber (1823 - 1891) s. Landsberg, Geschichte III 2, Text S. 778 ff., 785 f.; B. Koehler, HRG I (1971), Sp. 1530 - 1532. 70 Gerber hat auch den Beginn von Goldschmidts schriftstellerischem Werk wohlwollend kommentiert, s. Gerber, System, 7. Aufl., S. 483 in Fußn. 2, S. 487 in Fußn. *), S. 487 in Fußn. *). 65
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1. Teil: Ein jüdischer Gelehrter in Deutschland 1829 - 1897
mischen Laufbahn auch unter dem ökonomischen Aspekt der wirtschaftlichen Selbständigkeit steht, scheidet damit auch Tübingen für ihn als Ort künftiger akademischer Tätigkeit aus. Von den vielen Orten, an denen Goldschmidt eine Stelle zu erlangen hoffte, bleibt damit nur Heidelberg übrig 71. Heidelberg ist keine kleine Landesuniversität wie Tübingen, sondern eine deutsche Universität, mit Lehrern wie Hörern aus nahezu allen deutschen Staaten, und sie ist eine nach wie vor attraktive Universität, ziehen doch insbesondere Vangerow, Mittermaier und von Mohl viele Studenten an. Die beiden letzteren und Brinckmann reden Goldschmidt stark zu, die Habilitation in Heidelberg zu beantragen, Mittermaier und von Mohl versichern ihm sogar, daß sie in der Juristenfakultät nicht nur für ihn stimmen, sondern auch die Mehrzahl der übrigen Ordinarien zu einer Zustimmung bewegen würden. Die Konkurrenz unter den zahlreichen Privatdozenten um Hörerzahlen ist freilich groß, und die Erlangung einer außerordentlichen oder gar ordentlichen Professorenstelle ungewiß. Aber eine Alternative sieht Goldschmidt trotz nagender Selbstzweifel72 und der Aussicht, mit mehreren seiner ehemaligen Lehrer um Hörer konkurrieren zu müssen 73 , für sich nicht mehr. Im Herbst 1854 tritt Goldschmidt aus dem preußischen Referendariatsdienst aus und beantragt die Zulassung zur Habilitation an der Universität Heidelberg. Es wäre ebenso reizvoll wie müßig zu überlegen, ob diese Entscheidung anders ausgefallen wäre, wenn Goldschmidt in seiner Lebensplanung keinen religionsbedingten Einschränkungen mehr ausgesetzt gewesen wäre. Die Betrachtung von Goldschmidts Weg vom Studium bis zur Habilitation gewährt jedenfalls einen tiefen Einblick in die sich zu dieser Zeit wandelnden Anschauungen in einer gesellschaftlich wichtigen Frage. Infolge der Revolution von 1848 waren die die Rechte der Juden beschränkenden Gesetze fast überall formell gefallen; faktisch galten sie jedoch weiter. Konnten sich die Verantwortlichen jedoch in der Zeit zuvor einfach auf die bestehenden Gesetze oder Gewohnheiten und einen nicht hinterfragten Generalkonsens berufen, so waren sie nun einem gewissen Begründungszwang ausgesetzt. Jetzt wurde deutlich, daß sich niemand mehr so recht zu seinen Vorurteilen bekennen mochte, deren Ursachen im Westen Deutschlands jedenfalls schon längere Zeit weggefallen waren. Es ist auffallend, wie Goldschmidt immer wieder unter Berufung auf Umstände abgewiesen wurde, auf die die Ablehnenden keinen Einfluß zu haben vorgaben. Offensichtlich war es den Verantwortlichen, an die Goldschmidt sich jeweils wandte, peinlich, dem intelligenten jungen Mann allein deshalb eine Absage erteilen zu müssen, weil er Jude war. Es kündigte sich hierin ein Umbruch an, der in den 60er Jahren auch tatsächlich eintrat, als die religiösen Vorurteile der herrschenden gesellschaftlichen Schichten allmählich verschwanden.
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Lebensbild S. 116 - 1I9. Lebensbild S. 119, s. auch S. 135 f. u. 136 (10.11. bzw. 31. 12. 1854). Lebensbild S. 117.
D. An der Universität Heidelberg 1855 - 1870
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D. An der Universität Heidelberg 1855 - 1870 I. Die Habilitation 1855
Im Januar 1855 siedelt Goldschmidt nach Heidelberg um, im Gepäck einige, bereits in Danzig begonnene wissenschaftliche Arbeiten 1 • Mohl und Mitterrnaier halten ihre Versprechen und führen Goldschrnidt sQgleich bei den Ordinarien der Juristenfakultät ein 2 . Auch Vangerow sichert ihm seine Unterstützung zu. Zoepfl und Roßhirt empfindet Goldschmidt dagegen als recht skurril. Aber nur Achilles Renaud, seit 1851 in Heidelberg, "ein durchaus gemachter Mensch, von der lächerlichsten Pedanterie", zeigt sich Goldschrnidt gegenüber verschlossen; vielleicht fürchtet er, der gerade zum neben Thöl bedeutendsten deutschen Lehrer des Handelsrechts aufzusteigen im Begriff ist 3 , die Konkurrenz des jungen Gelehrten, der sich durch seine Dissertation als begabter Handelsrechtler ausgewiesen hat, vielleicht aber entspringt diese Zurückhaltung auch einfach seinem unzugänglichen Wesen, das im Gegensatz zu seiner lebhaften Vortragsweise steht4 . Die Besuche bei den Nichtordinarien bringen Goldschrnidt dagegen einige Ernüchterung, leben doch viele von ihnen in erbärmlichen Verhältnissen. Seinen alten Lehrer des Handelsrechts Brinckrnann findet er schwer krank vor; er stirbt noch im gleichen Jahr. Die Universitätsangelegenheiten gehören im Großherzogtum Baden zur Zuständigkeit des Ministeriums des Innern, das die Zulassung zur Habilitation nur von der Vorlage eines Führungszeugnisses abhängig macht5 . Goldschrnidts rasch fertiggestellte Habilitationsschrift findet noch im Februar die Billigung Mitterrnaiers und Vangerows 6 . Die Juristenfakultät und der Engere Senat der Universität befürworten sein Zulassungsgesuch, und das Ministerium entspricht ihm? Die öffentliche Disputation als letzter Akt des Zulassungsverfahrens findet am 10. März 1855 statts. Mit ihrem glücklichen Abschluß sind alle Hürden genommen: Goldschmidt ist nunmehr Privatdozent an der Universität Heidelberg9 . Krit. Zs. f. d. ges. Rechtswiss. 3 (1856), S. 38 f., 43. Lebensbild S. 137 f. 3 Landwehr, Handelsrechtswissenschaft, S. 69 f. 4 Vgl. Hecht, Renaud, S. 597; G. Weber, Erinnerungen, S. 245 - 247. 5 Der Danziger Polizei-Präsident bescheinigt Goldschmidt daraufhin unter dem 13. 2. 1855, "daß während seines langjährigen Aufenthalts hierselbst, sowohl seine moralische als auch seine politische Führung nur günstig hat beurtheilt werden können": PA BI. 7. 6 Lebensbild S. 143. - Wie wenig attraktiv das Einschlagen der akademischen Laufbahn bis gegen Ende des 19. Jahrhunderts war, läßt sich daran ermessen, daß an Umfang und Inhalt einer Habilitationsschrift von den Fakultäten häufig geringere Anforderungen gestellt wurden als an eine Dissertation; deshalb darf man sich nicht wundem, daß nach Goldschmidts ausführlicher Dissertation über ein praktisch wichtiges handelsrechtliches Institut die Habilitationsschrift ein nur historische Interessen befriedigendes, selbstgenügsames Bändchen bildet. 7 PA BI. 1-7. 8 s. Lebensbild S. 146. 9 Vgl. Lebensbild S. 148 ff., 148 (15. 3. 1855). I S.
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1. Teil: Ein jüdischer Gelehrter in Deutschland 1829 - 1897
11. Privatdozent an der Universität Heidelberg 1855 • 1860
1. Lehrtätigkeit
Für das Sommersemester 1855 bereitet Goldschmidt zwei jeweils zweistündige öffentliche Vorlesungen vor lO , "Geschichte und Quellen des Preußischen Privatrechts", die an den preußischen Universitäten selbst nicht gelehrt wurde II , und "Die Consensualverträge mit besonderer Berücksichtigung der modernen Rechtsentwicklung". Mit dem Zulauf zu diesen Vorlesungen gibt es freilich sogleich die befürchteten Probleme, denn in die ausliegenden Hörerlisten trägt sich nicht ein einziger Student ein. Aber Vangerow rät Goldschmidt dazu, dennoch öffentlich den Beginn seiner Vorlesungen anzuzeigen und sie auch abzuhalten, und tatsächlich hat Goldschmidt schließlich für die preußische Rechtsgeschichte elf und für die Konsensualverträge sechs Teilnehmer in den Listen stehen 12 • In den folgenden Semestern weitet sich Goldschmidts Vorlesungsprogramm aus 13 : Im Wintersemester 1855/56 folgt "Preußisches Privatrecht nebst Quellengeschichte des Preussischen Rechts", eine fünfstündige öffentliche Vorlesung, die er auch im darauf folgenden Sommersemester und wieder im Wintersemester 1858/ 59 hält. Da Goldschmidt die Vorlesung rein partikularrechtlich orientiert 14, ist sie nur für die aus Preußen stammenden Studenten interessant und wird trotz der großen Zahl preußischer Studenten in Heidelberg kaum besucht 15 , so daß er sie nach dem Wintersemester 1858/59 aufgibt. Als weitere Lehrveranstaltung Goldschmidts kommt im Sommersemester 1856 das Privatissimum "Exegetische Übungen über ausgewählte PandektensteIlen" hinzu, das er auch in den beiden folgenden Wintersemestern hält. Im Wechsel damit gibt er ab 1857 in den Sommersemestern öffentlich einstündig "Exegetische Erläuterungen des Gaius". Als Grundlage für diese Übungen dienen den Studenten die Vangerow'schen Pandekten-Vorlesungen, und als Einführung dazu die mitunter, erstmals im Wintersemester 1857/58 von Goldschmidt fünfstündig angebotenen "Institutionen und Quellengeschichte des Römischen Privatrechts". Das Priva10 Eingaben Goldschmidts an das Badische Ministerium des Innem v. 19. 2. 1855, PA BI. 6; v. 30. 5. 1858, BI. 12, 12 R. 11 Lebensbild S. 152: "Was diesem" - dem ALR - "vorherging, das ist ihm" - dem preußischen Studenten - "ein Tohu Wabohu, ein Blücher im Pulverdampf". 12 Lebensbild S. 151 f. (nach Braunsberg, 15.5.1855). 13 Eingabe an das Badische Ministerium des Innem v. 30. 5. 1858 (Gesuch um die Ernennung zum außerordentlichen Professor), PA BI. 12, 12 R; s. auch Rechtsstudium 1887, S. 268. 14 Vgl. Krit. Zs. f. d. ges. Rechtswiss. 5 (1856), S. 476. 15 Rechtsstudium 1887, S. 268; als er seine Vorlesung über Preuß. Privatrecht im Wintersemester 1855/56 mit nur drei Hörern beginnt (Lebensbild S. 171), hofft er, "nicht eines schönen Tages wegen gänzlicher Abwesenheit eines zuhörenden Plurals meine schöne Anrede ,Meine Herren' aufgeben" zu müssen: Lebensbild S. 177.
D. An der Universität Heidelberg 1855 - 1870
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tissimum über die Pandekten hält Goldschmidt in seiner Wohnung ab; im Anschluß daran ißt er mit den Teilnehmern zu Abend und unterhält sich anregend "über allerhand Gegenstände" mit ihnen 16 . Im Sommersemester 1856 beginnt Goldschmidt seine erste Vorlesung auf dem Gebiet, um dessen Durchsetzung als fester Bestandteil des Lehrplans aller deutschsprachigen Universitäten er sich in den nächsten Jahren und Jahrzehnten erfolgreich bemüht. Sie trägt den programmatisch schlichten Titel "Das Handelsrecht". Diese Vorlesung hält er fortan jedes Semester: Er beginnt neben den oben genannten beiden Vorlesungen zweistündig, hält sie bald dreistündig, schließlich, in seinen letzten Heidelberger Semestern, sechsstündig. Wahrend ihr Stoff schließlich derartig anschwillt, daß alle Teilbereiche des Handelsrechts im weiteren Sinn in ihr behandelt werden 17, behält Goldschmidt in Heidelberg einzelne Gegenstände Spezialvorlesungen vor, so das "Wechselrecht" einer zweistündigen Vorlesung im Sommersemester 1858. Neben diese drei großen Bereiche des preußischen Privatrechts, des römischen Privatrechts und des Handelsrechts tritt im Sommersemester 1857 ein vierter: "Die Encyclopädie und Methodologie der Rechtswissenschaft", in diesem und den folgenden Semestern jeweils dreistündig öffentlich ge1esen 18 . Als im April 1858 wegen einiger zuvor aufgetretener Mißstände das Mindestmaß der von den Privatdozenten zu haltenden Lehrveranstaltungen auf mindestens eine öffentliche Vorlesung je Semester festgelegt wird 19 , liegt Goldschmidts Lehrtätigkeit bereits weit darüber. 1856 und 1857 erscheinen die ersten wissenschaftlichen Zeitschriftenveröffentlichungen Goldschmidts in von seinen Fakultätskollegen mitherausgegebenen Zeitschriften 20, von denen Goldschmidts Kritik des 1850 bis 1856 erarbeiteten Entwurfs eines Handelsgesetzbuchs für die Preußischen Staaten hervorzuheben ist21 . Dieser Entwurf, der das Handelsrecht der aus Gebieten verschiedener Privatrechtsordnungen bestehenden Preußischen Monarchie vereinheitlichen sollte, erlangte Bedeutung für das Handelsrecht aller deutschen Staaten, als die Deutsche Bundesversammlung sich 1856 wieder der Frage der Schaffung eines einheitlichen Handelsrechts für alle Staaten des Deutschen Bundes zuwandte 22 und den Beschluß Seelig S. 517. Zum Aufbau dieser Vorlesung s. H. Keyßner, Vollständiges Inhaltsverzeichniß zur ZHR, Bd. 11 - 15, Erlangen 1871, S. III. 18 hierzu der Grundriß Encyclopädie 1862; vgl. Pappenheim S. 8 Fußn. 27. 19 Weisert, Verfassung: Überblick 1386 - 1952, S. 103. 20 Der Redaktion des AcP gehörten Vangerow u. Mittermaier an, der der 1853 von Brinckmann mitbegründeten Krit. Zs. f. d. ges. Rechtswiss. der Heidelberger Privatdozent Marquardsen. 21 Entw. preuß. HGB IIII, 1857 - 1859; zur Entstehungsgeschichte des Entwurfs s. Goldschmidt, Handbuch, 2. Aufl., I, 1874, S. 94 - 97. 22 Aufgrund von Art. 7 Abs. 1 der Dt. Bundesakte; ausführlich Goldschmidt, Handbuch, 2. Aufl., I, 1874, S. 57 - 87. 16 17
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1. Teil: Ein jüdischer Gelehrter in Deutschland 1829 - 1897
faßte, 1857 mit der Ausarbeitung eines allgemeinen deutschen Handelsgesetzbuches durch eine von den Bundesstaaten einzusetzende Kommission zu beginnen23 . Die betreffende Kommission, die in Nürnberg tagte - nur das Seehandelsrecht wurde in Hamburg beraten - begann ihre Arbeit bereits am 15. Januar 1857. Da das Vorhaben maßgeblich von der Haltung Preußens als wichtigster deutscher Handelsnation abhing 24 , war bereits 1856 abzusehen, daß der inzwischen vollständig vorliegende Entwurf den Beratungen zugrundegelegt werden würde 25 . Eine Kritik des preußischen Entwurfes mußte somit zugleich ein Beitrag zum entstehenden allgemeinen deutschen Handelsrecht werden, und Goldschmidts Werk wird auch sogleich zu den bedeutenderen Stellungnahmen gezählt26 . Dies veranlaßt das Badische Ministerium der Justiz drei Jahre später, ihn damit zu beauftragen, ein Gutachten über den inzwischen in zweiter Lesung vorliegenden Entwurf für ein Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch zu erstellen 27 . 2. Persönliche Verhältnisse
Goldschmidts Vorlesungen erfreuen sich zwar einer stetig wachsenden Zuhörerschaft28 , aber dieser Anstieg der Hörerzahlen beginnt doch auf einem sehr niedrigen Niveau. Goldschmidt erleidet damit - wie etwa vor ihm auch Thöl, nach ihm Laband oder Binding29 - zunächst das Schicksal aller Privatdozenten seiner Zeit30 : Er kann von den von ihm eingenommenen Kolleggeldern nicht leben und bleibt weiterhin auf die Unterstützung durch sein Elternhaus angewiesen 31 . Von den Heidelberger Ordinarien stehen Goldschmidt Mittermaier und Vangerow am nächsten, wobei sein Verhältnis zu ihnen allerdings eine zwar von Wohlwollen urnfaßte, aber doch durch einen Distanz schaffenden Respekt geprägte Beziehung des Anfängers zu den erfahrenen Älteren ist32 . Im Kreis der jüngeren Kol23 Goldschmidt, Handbuch, 2. Aufl., I, 1874, S. 87 - 91. Die gefaßten Beschlüsse dort S.90f. 24 Goldschmidt, Handbuch, 2. Aufl., I, 1874, S. 89. 25 Lutz, Protokolle I, S. 3 ff., 6; dazu Goldschmidt, Handbuch, 2. Aufl., I, 1874, S. 88. 26 S., in: Lit. Centralbl. Jg. 1857, Sp. 236; Gerber, System, 7. Aufl., S. 483 in Fußn. 2 u. 487 in Fußn. *) (c. F. Gerber war Mitglied der Nürnberger Kommission); Goldschmidt, Handbuch, 2. Aufl., I, 1874, S. 104 Fußn. 3. Die wichtigsten Kritiken der Vorarbeiten zum ADHGB bei Goldschmidt, Gutachten 1860, Anhang S. 114 - 116; Handbuch, 2. Aufl., I, 1874, S. 104 - 106 in Fußn. 3. 27 s. Lebensbild S. 230 f. (an Fitting, 30. 12. 1859). 28 Pappenheim S. 8 f. 29 Gareis, Thöl, S. 7 - 10; Laband, Lebenserinnerungen, S. 49; Binding, Selbstbiographie, Sp.994. 30 Vgl. Alexander Busch, Die Geschichte des Privatdozenten, Stuttgart 1959, S. 43 ff. m.w.N. 31 Lebensbild S. 183. 32 Lebensbild S. 188 (12. 2. 1856).
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legen sind es zunächst die Dozenten Braun33 und Wirth, zu denen Goldschmidt engere Kontakte knüpft. Im Wintersemester 1855/56 ist Goldschmidt häufig mit dem Studenten Michael Bernays zusammen 34 . Bernays35 stammt aus Hamburg und ist Student der Rechte; seine eigentlichen Interessen gelten aber der Literatur, und er ist schon in seiner Heidelberger Zeit ein gesuchter Gesprächspartner und insbesondere Rezitator. In seinen ausgedehnten Gesprächen mit Goldschmidt reden sie nicht nur über Literatur, sondern auch über ihren Glauben, denn auch Bernays ist Jude. Anders als Goldschmidt trägt er sich jedoch mit dem Gedanken zu konvertieren, und Goldschmidt versucht ihn umzustimmen. Goldschmidt hatte in einem Brief an seine Braut auf deren "Gretchenfrage" zunächst ausweichend geantwortet 36 ; in seiner Schilderung einer Debatte mit Bernays über diesen Gegenstand gibt er ein einziges Mal einen tieferen Einblick in seine Auffassung vom Verhältnis der christlichen zur jüdischen Religion: "Bernays ... gab mir zu, daß man sehr wohl den sittlichen Boden modem-christlicher Weltanschauung gewinnen könne, ohne darum das christliche Dogma zu theilen; daß es zwischen dem spezifischen Juden und dem spezifischen Christen ein neutrales Gebiet gäbe: das der modemen geistigen und sittlichen Kultur, dessen Elemente theils antik, theils deutlich christlich seien; und daß auf diesem Boden Derjenige stehen müsse, der dem Jüdischen Dogma nicht huldige, ohne das christliche anzuerkennen; daß dieser neutrale Boden aber auch völlig genüge, und wenn der zufällig von christlichen Eltern geborene Mann noch Christ heißen dürfe, wenn er auch dem christlichen Dogma nicht huldige, ebensowohl der Jude, dem gleicher Zufall seine äußere konfessionelle Stellung angewiesen hat, nicht aufhören müsse, Jude zu sein, nicht genöthigt sei, zum Christenthum überzutreten, wenn er an dem eigentlich Jüdischen Dogma nicht mehr hange. Ich weiß nicht, ob ich mich klar genug ausgedrückt - denkende Menschen müssen über dergleichen Dinge mit sich einig sein, aber gerecht genug, jeden individuellen Ueberzeugungsstandpunkt anzuerkennen,,37. Hier wird deutlich, wie Goldschmidt sich die Emanzipation durch Assimilation der Juden vorstellte: als gemeinsames Aufbauen auf die im wesentlichen allen Menschen der abendländischen europäischen Welt gemeinsamen Werte und Beschränkung der daneben stehenden, nur Fragen der individuellen Überzeugung betreffenden Differenzen auf die Privatsphäre. Goldschmidts individuelle Bemühungen sind indes vergeblich: Bernays tritt im August 1856 zum Protestantismus über. Die Gespräche mit Bernays vergegenwärtigen Goldschmidt wieder die ihm schmerzliche Tatsache, daß nur über eine Konversion den Juden der Zugang zu öfZu Julius Braun (1825 - 1869) s. Urlichs, in: ADB 3 (1876), S. 268 f. Lebensbild S. 177 f., 177; s. auch S. 162, 192 f. 3S 1834 - 1897; s. Erich Schmidt, in: ADB 46 (1902), S. 404 - 409; H. Uhde-Bemays, in: NDB 2 (1955), S. 104 f. 36 Lebensbild S. 162 (25. 9. 1855). 37 Lebensbild S. 192 f. (2. 3. 1856). 33
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fentlichen Ämtern möglich ist 38 . Seine Stimmung bleibt infolge seiner ungewissen wirtschaftlichen und beruflichen Aussichten die ersten Heidelberger Jahre hindurch ausgesprochen schwankend, und immer wieder plagen ihn Selbstzweifel und Niedergeschlagenheit39 : "Ich hätte eigentlich noch so viel zu lernen, zu denken, in mir durchzuarbeiten ... , ich fühle, wie gewaltig ich mich zusammennehmen muß, um in diesem neuen Leben ein klein wenig über die traurigste Unbedeutendheit herauszuragen ... . Man hat mich stets für tüchtiger gehalten, als ich bin ... ,,40; " ... jetzt möchte ich mitunter verzagen, wenn ich so gamichts vorwärts bringe und mich in nutzlose Einzelheiten vertiefe, und das halb Vollendete liegen lasse, um zu neuer Beschäftigung zu schreiten. Das ist so mein leidiges Wesen, aus welchem ich trotz allen Strebens nicht herauskomme: ewige Zersplitterung, die mir den äußeren Anschein von Universalität giebt und mich doch in Nichts die Meisterschaft erreichen läßt,,41. Dies alles offenbart bereits die depressive Veranlagung Goldschmidts, die schließlich zu dem geistigen Zusammenbruch in seinen letzten Lebensjahren führen sollte. Trotz aller vermeintlichen Schwierigkeiten, seiner neuen Stellung gerecht zu werden, unternimmt Goldschmidt jedoch gleich zu Beginn seiner Heidelberger Zeit einen Schritt, mit dem er seine persönlichen Verhältnisse vollends konsolidiert: er heiratet die gleichfalls aus Danzig stammende Adele Herrmann, der er, als sie ihre Mutter zu einem Kuraufenthalt nach Homburg begleitet, am 12. August 1855 einen Heiratsantrag macht42 . Dessen Annahme führt dazu, daß sich in seinem Wesen für kurze Zeit eine heitere, gelöste Seite durchsetzt, die man in seinem Werk vergebens sucht43 . Vorübergehend ist er zu einer Ironisierung der Rechtswissenschaft fähig, die allerdings gänzlich frei ist von der satirischen Schärfe eines Jhering. Eine Stelle ist dabei von solcher Liebenswürdigkeit, daß sie hier wiedergegeben zu werden 10hnt44 : "Du fragst ganz bescheiden vorsichtig an, womit ich mich vorzugsweise beschäftige. - Nebenbei übrigens mit Preußischem Privatrecht. - Zunächst kommen die Quellen aller Befugnisse, als da sind: Gesetz (z. B. der Mann ist das Haupt der häuslichen Gemeinschaft; die Ehe ist die Verbindung zwischen Mann und Weib, ungetheiltes Leben, aller menschlichen und göttlichen Dinge Gemeinschaft45 ). Gewohnheit (doch werden böse unterschiedliche Mißbräuche Lebensbild S. 188. Lebensbild S. 153 f., 160. 40 Lebensbild S. 154 (an Sara, 6. 8. 1855). 41 Lebensbild S. 173 ff., 173 (an seine Braut, 2.11. 1855). Der diese Stimmung zusammenfassende Satz, "Was mich manchmal ernst, fast trübe stimmt, das ist der Gedanke an meinen schweren Beruf, und ob ich ihn jemals würdig ausfüllen werde" (an seine Braut, 3. I. 1856, Lebensbild S. 181), der keineswegs nur ,,rührend zu lesen" ist (so Riesser S. 15), steht als für Goldschmidts Wesen besonders charakteristisch zu Recht als Motto über Sinzheimers Würdigung Goldschmidts (Sinzheimer S. 51). 42 Lebensbild S. 154 ff. 43 Lebensbild S. 156 - 159, 160 - 172, 173 - 193, 194 - 199. 44 Lebensbild S. 160 ff., 160 f. (25.9. 1855). 38 39
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nicht geduldet, als da sind, daß der Mann in's Theater geht und die Frau zu Hause läßt). Wissenschaft (die tiefere Erkenntniß der Grundsätze, nach denen wir unser Verhalten gegen die in sittlichen und rechtlichen Beziehungen zu uns stehenden Personen einzurichten haben). - Darauf folgen die allgemeinen Lehren: Welches Alter eine Person haben müsse, auf daß sie für fähig erachtet werde, eine selbständige Stellung, z. B. die Leitung eines Hauswesens zu übernehmen; unter welchen Bedingungen allein eine Ehe glücklich sein kann; daß ihrem Wesen die Eingehung auf eine bestimmte Zeit widerspricht und dgl. mehr. Daran schließt sich die Lehre, wie man mit seinen Sachen, namentlich seinen Meubles, Wirthschaftsgeräthen umzugehen hat, - was geschieht, wenn man etwas verliert oder verlegt oder versetzt. Das Forderungsrecht hat zum Gegenstand die Lehre von den Miethverträgen mit Hauswirthen, von der Behandlung des Gesindes, von der mora46 und viele andere schöne Dinge. Daran schließt sich das Eherecht, dessen Grundzüge ich bereits entwickelt habe. Von einigen anderen Materien später. Ich sehe, Du bist eingeschlafen, - warum hast Du Dir auch einen Juristen genommen! Wäre ich ein historicus, ich würde Dir erzählen können, daß ich mit der Menschheit Schicksalen und Entwickelung mich beschäftige; ein philosophus, Du solltest hören, was die Welt im Innersten zusammenhält, - so aber weiß ich nichts weiter." Die Trauung findet am 3. April 1856 in Danzig statt47 • Die Ehe wird ungewöhnlich harmonisch. Adele Goldschmidt wird als liebenswürdige, sehr gebildete Frau geschildert48 , die nicht nur am gesellschaftlichen Leben ihres Mannes regen Anteil nimmt, sondern auch an seinem wissenschaftlichen Wirken 49 • In den Zeiten schwerer Krankheit und tiefer Niedergeschlagenheit ist sie ihm eine treue Gefährtin und aufopferungsvolle Pflegerin. Nach Goldschmidts Tod wird sie sich die Pflege seines Andenkens zu ihrer Aufgabe machenso. Die über vierzig Jahre dauernde Ehe bleibt kinderlos. Zusammen mit seiner Frau knüpft Goldschmidt nun in der Gelehrtenstadt Heidelberg vielfältige eng-bekanntschaftliche und sogar freundschaftliche Bande, und seine Wohnung, später sein Haus wird ein Treffpunkt von Freunden, Kollegen oder SchülernSI.
45 (Was, das sei hier beckmesserisch angemerkt, nicht dem preuß. Privatrecht entstammt, vgl. ALR 11 1 §§ 1 ff., sondern dem römischen Recht: Modestin D. 23, 2, 1.) 46 (Verzug.)
Lebensbild S. 199 Fußn. *). Laband, Lebenserinnerungen, S. 51; s. auch den Brief Heinrich von Treitschkes an Gustav Freytag v. 9. 1. 1870, in Treitschke, Briefe III, S. 258 ff., 260. 49 Pappenheim S. 7, s. auch S. 1 Fußn. *) a.E.; Riesser S. 14 f.; Simon S. XlV. 50 Lebensbild S. III f. 51 See1igS.517. 47 48
S*
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III. Die Gründung der "Zeitschrift für das gesammte Handelsrecht" 1857/58
1857 faßt Goldschmidt den Entschluß, eine Zeitschrift für Handelsrecht einschließlich der handelsrechtlichen Nebengebiete zu gründen. Die Selbstverständlichkeit, mit der er sein Vorhaben ins Werk zu setzen beginnt, erscheint zunächst erstaunlich. Denn Goldschmidt ist zu dieser Zeit noch unbesoldeter Privatdozent und bisher nur durch einige wenige Veröffentlichungen hervorgetreten. Tatsächlich aber begünstigen einige Umstände seine Planungen, denn die Voraussetzungen für die Gründung neuer Zeitschriften sind in den 50er Jahren besonders günstig. Die Fülle von Neugründungen allein juristischer Zeitschriften52 belegt dies. Dieser Umstand ist auf den ersten Blick erstaunlich, denn es ist die Zeit der politischen Reaktion und scharfer Zensurbestimmungen nach der gescheiterten Revolution von 1848/49. Dieses Element der Entwicklung des deutschen Zeitschriftenwesens wird aber überlagert durch ein stark anwachsendes Bedürfnis nahezu aller Wissenschaftszweige nach fachlichen Informationsblättern53 . Es hat seine Ursache in dem starken Anwachsen wissenschaftlicher Erkenntnisse, die durch einzelne Kompendien oder die vorhandenen allgemeineren Publikationsorgane nicht mehr ausreichend verbreitet werden können. Unterstützt wird diese Entwicklung durch verbesserte Möglichkeiten zu einer kostentragenden Produktion auf seiten der Verleger 54 , die derartigen Projekten entsprechend aufgeschlossen gegenüberstehen. In der Bevorzugung der Gründung wissenschaftlicher Zeitschriften (neben den Blättern, die wie die berühmte "Gartenlaube" der reinen Unterhaltung dienen und politisch unverdächtig sind) mag sich zugleich eine gewisse Abkehr der enttäuschten Gelehrten von der politischen Entwicklung manifestieren, wie sie Goldschmidt an seinem Freund Brettner beobachtete. Vielleicht aber bedeutet sie, wie Goldschmidt dies in seinen Briefen an Brettner vorschwebte, eine Fortsetzung des politischen Kampfes mit nur subtileren Mitteln, denn gerade hinter den juristischen Fragestellungen dieser Zeit verbergen sich nicht selten Fragen von weitreichender politischer Tragweite. So verbirgt sich etwa hinter Goldschmidts 1859 in den "Preußischen Jahrbüchern" erhobenen, scheinbar rein rechtspolitischen Forderung nach einem allgemeinen deutschen Zivilgesetzbuch55 wie schon hinter Thibauts berühmter Forderung gleichen Inhalts von 181456 der Gedanke, daß in der gemein52 So z. B. Goldtammers Archiv für preußisches Strafrecht, 1853; Jherings und Gerbers Jbb. Dogm., 1857; Gruchots Beitr. preuß. R., 1857; Überblick bei Kirchner, Zeitschriftenwesen 11, S. 176 - 182. 53 s. Kirchner, Zeitschriftenwesen H, S. 149 - 151. 54 Allerdings führt die ab 1850 einsetzende Verwendung des billigeren Aluminiumsulfats als Hilfsmittel zum Leimen des Papiers dazu, daß die älteren Jahrgänge der im 19. Jahrhundert gegründeten Zeitschriften heute sehr stark zu zerfallen drohen, vgl.: "Geheimnis der Pulpe", in: DER SPIEGEL, Heft 3211990, S. 169 - 171, 170 f. 55 Preuß. Recht 1859, S. 57. 56 Thibaut, Nothwendigkeit, 1814; s. Hattenhauer in (Stem)/Hattenhauer, Thibaut und Savigny, S. 9, 42 f.
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samen Kodifikation eine Vorstufe der politischen Einheit der beteiligten Staaten liege. Als im Januar 1857 die Kommission zur Ausarbeitung eines allgemeinen deutschen Handelsgesetzbuchs in Nürnberg zusammentrat, war abzusehen, daß das Handelsrecht bald der bestehenden partikularistischen Beschränkungen entledigt sein würde. Die bevorstehende Schaffung eines allgemeinen deutschen Gesetzbuchs mußte dem Absatz einer neuen Zeitschrift deshalb außerordentlich förderlich sein. Ein in ganz Deutschland einheitlich geltendes Recht würde zudem einer in seinem ganzen Geltungsbereich einheitlichen wissenschaftlichen Behandlung bedürfen. Das Gleiche galt von Berichten über die zum Handelsgesetzbuch ergehenden Gerichtsentscheidungen und die modifizierenden Partikulargesetzgebungen. In der Zeit bis zur Fertigstellung des Gesetzbuchs bot eine handelsrechtliche Zeitschrift zudem außenstehenden, nicht zu den Kommissionen gehörenden Juristen die Möglichkeit, in größerem Umfang als bisher durch gründlich ausgearbeitete Publikationen zu umstrittenen Einzelfragen auf den Inhalt des Gesetzbuchs Einfluß zu nehmen. Die Hemmungen, aufgrund derer einige ältere, im wesentlichen auf die handelsrechtliche Praxis ausgerichtete Organe nach jeweils nur kurzer Zeit wieder eingegangen waren 57 , waren damit weggefallen. Goldschmidts Planungen fallen also in eine seinen Absichten günstige Zeit. Goldschmidt verfährt zunächst gleichsam zweigleisig. Er legt sich nicht von vornherein auf die Gründung einer eigenen Zeitschrift fest, sondern erwägt auch, in die Redaktion eines bestehenden Blattes einzutreten. Hierfür kommt insbesondere das 1851 aus Anlaß der Einführung der Allgemeinen Deutschen Wechselordnung von 184858 gegründete, in Leipzig erscheinende "Archiv für deutsches Wechselrecht,,59 in Betracht. Auf Anraten Heinrich Thöls, an den er sich als (wenn auch nicht in der Herausgabe von Zeitschriften) erfahrenen Kollegen gewandt hatte, reist Goldschmidt im Mai 1857 nach Nümberg, wo er sich außer mit Thöl 6o, auch mit dem Redakteur des Archivs für Wechselrecht Theodor Tauchnitz trifft, der das Königreich Sachsen in den ADHGB-Konferenzen vertritt61 . Goldschmidt versucht, Tauchnitz zu einer Erweiterung des Gegenstandes von dessen Zeitschrift unter seiner Mitwirkung zu veranlassen62 . Nach zwei Monaten erhält er jedoch eine Absa57 Nachweise bei Goldschmidt, Behandlung 1858, S. 3 = ZHR 150, S. 17; s. auch Nach 30 Jahren, 1889, S. 2. - Nicht hierher gehört die von dem Rat am Preuß. Kgl. Obertribunal in Berlin W. Gelpcke ( 1853) verfaßte ,,zeitschrift für Handelsrecht", die nur Beiträge von Gelpcke selbst enthielt, mit denen er die Entwicklung des preußischen Handelsrechts im Sinne fanzösischer Handelsrechtslehren zu beeinflussen suchte. 58 Zur Entstehung der ADWO s. Goldschmidt, Handbuch, 2. Aufl., I, 1874, § 12, S. 68 ff. 59 Zum Programm s. das Vorwort von earl Einert, Arch. f. Dt. WR I (1851), S. 1 - 9. 60 Lebensbild S. 204 (6. 7. 1857); Goldschmidt hat sich auch später noch mit Thöl getroffen: Lebensbild S. 236 f. ("äußerst freundlich") (23. 8. 1860). 61 Liste der Konferenz-Mitglieder bei Goldschmidt, Handbuch, 2. Aufl., I, 1874, S. 91 in Fußn. 1. 62 Nach 30 Jahren, 1889, S. 2.
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ge63 ; gleichzeitig wird die Zeitschrift in "Archiv für deutsches Wechselrecht und Handelsrecht" umbenannt 64 . Auch Goldschmidts Versuch, in die Redaktion des entstehenden "Neuen Archivs für Handelsrecht" aufgenommen zu werden, scheitert; er wird von dem Herausgeber, dem von ihm in seiner Schilderung nicht namentlich genannten Johann Friedrich Voigt, "schroff zurückgewiesen,,65. Goldschmidts tendenziöse Darstellung eines durch die mißglückten Verhandlungen bewirkten "unliebsamen Aufschubs" seines Projekts ist freilich subjektiv verzeichnet, denn sowohl aus seinen Briefen dieser Zeit wie aus dem Einleitungsaufsatz zum ersten Band der ZHR geht hervor, daß seine gescheiterten Verhandlungen mit den Vorbereitungen zu einer eigenen Zeitschrift durchaus parallel einhergingen66 . Die geringe Bereitschaft der Redaktionen bereits bestehender HandelsrechtsZeitschriften, Goldschmidt als Redakteur aufzunehmen, ist erklärlich: Sie waren vornehmlich mit gestandenen Praktikern besetzt, von denen viele mit der zum Schlagwort gewordenen These Kirchmanns von der "Wertlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft,,67 sympathisierten. Das schloß nicht aus, daß sie in Hinsicht auf die täglich von der Praxis zu bewältigenden Probleme Hervorragendes leisteten; Goldschmidt selbst hat dies in einer sehr positiven Würdigung Johann Friedrich Voigts, mit dem zusammen er später fünf Jahre lang Richter am Reichsoberhandelsgericht war, hervorgehoben68 . Diesen Praktikern fehlte jedoch das Verständnis für das Streben des jungen, in seinen bisherigen Veröffentlichungen mehr die Rechtslehre als Rechtspraxis repräsentierenden Privatdozenten, die juristischen Zeitschriften für Gegenstände zu öffnen, die das unmittelbar praktische Bedürfnis zu übersteigen schienen. Tatsächlich beruhte diese Haltung jedoch auf einer Fehleinschätzung, denn die weitere Entwicklung der deutschen Wirtschaftsverhältnisse machten bald eine wesentlich gründlichere Fundierung des Handelsrechts nötig, als es eine an bloßer Analyse der gesetzlichen Bestimmungen und der dazu ergangenen gerichtlichen Erkenntnisse orientierte, einseitig praktische Dogmatik zu leisten vermochte 69 .
Nach 30 Jahren, 1889, S. 2. Siebenhaar/Tauchnitz, Arch. f. Dt. WR u. HR 6 (1858), S. III f. - Diese Hintanstellung des Handelsrechts hätte den Vorstellungen Goldschmidts ohnehin nicht entsprochen; wenn die ZHR in ihrer äußeren Aufmachung später gleichwohl dem Arch. f. Dt. WR u. HR ähnelt, ist dafür vermutlich Goldschmidts Verleger Enke verantwortlich. 65 Nach 30 Jahren, 1889, S. 3. 66 s. insbes. Nach 30 Jahren, 1889, S. 3. 67 Julius von Kirchmann, Die Werthlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft, Berlin 1848, insbes. S. 12, 17; zu dem diesem Verständnis zugrundeliegenden Mißverständnis s. Karsten Schmidt, Die Zukunft der Kodifikationsidee, Heidelberg 1985, S. 30. 68 Goldschmidt, ZHR 33 (1887), S. 205 Fußn. 1. 69 Freilich räumte Goldschmidt 1889 ein, daß er 1857 von der Tragfähigkeit seines Konzepts nicht völlig überzeugt war, so daß er und sein Verleger mit ,,keineswegs kühnen Erwartungen" an das Unternehmen herangegangen seien: Nach 30 Jahren, 1889, S. 3. 63
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Bleiben Goldschmidts Versuche, sich an bestehenden oder entstehenden Zeitschriften anderer zu beteiligen, auf diese Weise glücklos, so führt ihn der zweite Strang seiner Bemühungen, die Gründung einer eigenen Zeitschrift, zu einem erstaunlichen Erfolg. Im Juli 1857 war er nach Erlangen gefahren und hatte sich dort mit dem Verleger Ferdinand Enke70 getroffen. Die Verbindung ist für beide Seiten ein Glücksfall: Mit Goldschmidt kann Enke einen durch seine Publikationen ständig an Einfluß gewinnenden Juristen an sich binden, der seinem Verlag nicht nur die Treue halten - die wichtigsten selbständigen Veröffentlichungen Goldschmidts werden bei Enke erscheinen -, sondern ihm auch weitere, später namhafte Autoren zuführen wird; Enkes zupackende, dynamische Art dagegen ist das Moment, das Goldschmidt braucht, um seinen Plan zu vollenden. Goldschmidt wendet sich an zahlreiche angesehene Juristen mit der Bitte um Zusage ihrer Beteiligung und bekommt schon bald erste Manuskripte zugesandt71 , so daß er im Dezember 1857 genug Material für das erste Heft des ersten Bandes geammelt hat und ihm nur noch ein Beitrag fehlt - sein eigener72 . Am 1. März 1858 73 kann dann das erste Heft des ersten Bandes der ,,zeitschrift für das gesammte Handelsrecht" ausgegeben werden. Es findet in Wissenschaft wie Rechtspraxis eine wohlwollende Aufnahme 74 und die erhoffte rasche und weite Verbreitung. Goldschmidt, in seiner Arbeit stets stark beeinflußbar durch gute wie schlechte Kritiken seiner Veröffentlichungen, fühlt sich ermutigt und bestätigt75 . Seinen Plan, neben der ZHR noch eine gesonderte Reihe von eigenen "Abhandlungen aus dem Civil- und Handelsrecht" herauszugeben 76 , gibt er deshalb auf, um sich ganz der ZHR zu widmen. Goldschmidt bleibt zunächst einige Jahre alleiniger Herausgeber der von ihm begründeten Zeitschrift. Dann aber bemerkt er, daß er den Redaktionsgeschäften allein nicht mehr gewachsen ist. Die von ihm bei der Gründung so hilfreiche, zupackende Art seines Verlegers beginnt er schon bald als Belastung zu empfinden77. 70 Lebensbild S. 204 (6. 7. 1857): "ein gerader, ungemein thätiger und inteIligenter Mann"; s. auch Nach 30 Jahren, 1889, S. 3. Zu Enke und seinem 1837 gegründeten Verlag s. K. Fr. Pfau, in: ADB 48 (1904), S. 379 f. 71 Nach 30 Jahren, 1889, S. I f. 72 Lebensbild S. 206 (an Fitting). 73 Nach 30 Jahren, 1889, S. I. 74 s. etwa Franz Haimerl in der Oesterr. Vjs. 2 (1858), Literaturblatt S. 2 f. 75 Lebensbild S. 210 (an Fitting, 13. 6. 1858). Mit besonderem Stolz erfüllt ihn das hohe Lob des sich sonst lieber in harscher und unnachsichtiger wissenschaftlicher Kritik übenden Heinrich Thöl, der die ZHR in seinem Lehrbuch des Handelsrechts als "das bedeutendste Sammelwerk -", dann sogar ,,- Gesammtwerk für das gesammte Handelsrecht" (Handelsrecht 1,4. Aufl. 1862, S. 49 bzw. 6. Aufl. 1879, S. 92) bezeichnet: Nach 30 Jahren 1889, S. 4; vgl. Landwehr, Handelsrechtswissenschaft, S. 74. 76 Ihr erster Band ist 1859 auch gedruckt worden, aber nur in 6 Exemplaren als Festschrift zu Mittermaiers fünfzigjährigem Doctorjubiläum, s. ZHR 3 (1860), S. 58 in Fußn.*; Lebensbild S. 217). Derartige Reihen mit Aufsätzen nur eines Verfassers waren im 19. Jahrhundert nicht selten, kamen aber selten auf mehr als 2 oder 3 Bände.
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1865 bittet er deshalb Paul Laband, in die Redaktion der ZHR einzutreten, um ihn zu entlasten 78. Für Laband wird es der Beginn seiner Herausgebertätigkeit, die er durch Gründung und Mitherausgabe einer erstaunlich großen Zahl von Zeitschriften fortsetzen wird 79 • Ab 1868 wird die Redaktion der ZHR durch einen Kreis kompetenter Handelsrechtler weiter vergrößert 80 . Dies sollte sich als für den Fortbestand der ZHR nicht allein nützlich, sondern geradezu notwendig erweisen, denn in den Jahren 1876 und 1885 ist Goldschmidt durch längere Erkrankungen vorübergehend, ab Ende 1892 bis zu seinem Tode dauernd an der Ausübung seiner Herausgebertätigkeit verhindert. Diese Zeiten überstand die ZHR infolge der soliden Besetzung ihrer Redaktion unbeschadet. Solange es seine Gesundheit erlaubte, blieb die Leitung der Redaktionsgeschäfte jedoch weiterhin in Goldschmidts Händen. Er behielt sie nominell bis zu seinem Tode, also bis zu den ersten beiden Heften von Band 46, 1897. Goldschmidt legt seine wissenschaftlichen Vorstellungen, die Erscheinungsbild und Inhalt der ZHR prägen sollen, in einer programmatischen Abhandlung "Ueber die wissenschaftliche Behandlung des deutschen Handelsrechts und den Zweck dieser Zeitschrift" dar, mit der das erste Heft der ZHR eröffnet wird. Der Kern seines Programms, die Anwendung der von der historischen Rechtsschule entwickelten Methode, Rechtssätze und Rechtsinstitute aus ihrer geschichtlichen Entwicklung heraus zu interpretieren und darzulegen, wird rasch allgemein als Erneuerung der deutschen Handelsrechtswissenschaft aufgefaßt, und die ZHR wird - wie andere Blätter zu dieser Zeit auch - schon bald häufig nur unter dem Namen ihres Gründers als "Goldschmidts Zeitschrift" zitiert. Auch außerhalb des Kreises der Handelsrechtswissenschaft und -praxis wird Goldschmidts Name durch die ZHR bekannt. So tritt der - mit ihm nicht verwandte - Frankfurter Bankier B. H. Goldschmidt81 an ihn heran und bittet ihn, in einem großen, in der Öffentlichkeit als ,,Lucca-Pistoja-Aktienstreit" Aufsehen erregenden Rechtsfall 82 ein ausführliches Gutachten zu erstatten. Damit gehört Goldschmidt nun neben Renaud und Bluntschli 83 zu dem Kreis der Heidelberger Professoren, die begehrte Privatgutachter sind. Mit der Veröffentlichung seines vielbeachteten Lebensbild S. 217 (6. 12. 1858). Laband, Lebenserinnerungen, S. 59. 79 s. Laband, Lebenserinnerungen S. 82 f. 80 Überblicke bei Goldschmidt, Nach 30 Jahren 1889, S. 4; Pappenheim, Schriftenverzeichnis, Nr. 8, S. 3 f.; Landwehr, Die ZHR, S. 40. 81 Benedikt Heyum Salomon Goldschmidt; zu ihm und seinem 1821 gegründeten Bankhaus Kirchholtes, Privatbanken, S. 26 f. u. 37. 82 s. etwa die "Hamburger Nachrichten" (seit 1792), Nr. 221, Sonnabend, den 17.9. 1859, Titelseite, unten, Sp. 4 u. 5; Goldschmidt, Rechtsstudium 1887, S. 375 in Anm. 193; Jhering, Actienstreit, S. 1. 83 Jammers, Juristenfakultät, S. 66; vgl. auch loser Kohler, Zeugnissverweigerungsrecht des ein Rechtsgutachten erstattenden Rechtslehrers, in: Zs. für Dt. Civilprozess, Bd. 26, BerIin 1899, S. 334 - 354, 355. 77 78
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Gutachtens, dem weitere Gutachten- und Schiedsrichteraufträge folgen 84 , und dem fortdauernden Erfolg der ZHR steht Goldschmidt fünf Jahre nach Beginn seiner Heidelberger Lehrtätigkeit in der ersten Reihe der deutschen Handelsrechtler.
IV. Die Ernennung zum außerordentlichen Professor
Die Stellung als Privatdozent gab Goldschmidt nur das Recht, an der Universität Heidelberg Lehrveranstaltungen abzuhalten und dafür Kolleggelder zu erheben, von denen freilich ein Teil wiederum der Universität zustand. Diese Einnahme war von Semester zu Semester unterschiedlich, ebenso wie sich aus den Tätigkeiten als Redakteur seiner ZHR und als Privatgutachter kein regelmäßiges Einkommen ergab. Goldschmidts wirtschaftliche Situation blieb deshalb nach wie vor unsicher, gelegentlich war er auch weiterhin auf Unterstützungen durch seine Familie in Danzig angewiesen. Die grundsätzlich einzige Möglichkeit zu sozialem und wirtschaftlichem Aufstieg in der akademischen Laufbahn bestand in der Erlangung einer ordentlichen Professur. Dieses Lehramt war als öffentliches Amt mit regelmäßiger Besoldung versehen, sein Inhaber durfte sich des weiteren des höchsten sozialen Ansehens erfreuen. Der Weg zu diesem Amt führte fast ausnahmslos über die vorhergehende Ernennung zum außerordentlichen Professor. Auch diese Position war noch unbesoldet, die Extraordinarien wurden aber, wenn auch nicht als eigentliche Staatsdiener, so doch als Träger öffentlicher Funktionen betrachtet85 . Goldschmidts Ziel mußte es deshalb sein, möglichst bald eine außerordentliche Professur zu erhalten. Die Aussichten dafür waren nach den Erfahrungen, die er auf der Suche nach einem geeigneten Habilitationsort gemacht hatte, an der Universität Heidelberg noch am größten. Auch hier aber sollten sich nun die ihm schon bekannten Hindernisse zeigen. Einen ersten Anlauf dazu unternimmt Goldschmidt bereits im Frühjahr 1858. Er ist in seinem Scheitern symptomatisch für die Situation von Privatdozenten jüdischen Glaubens zu dieser Zeit. In seinem Antragsschreiben vom 30. Mai 185886 weist Goldschmidt darauf hin, daß er zu diesem Gesuch durch seine Freunde an der Universität ermutigt worden sei. Als Grund für eine Ernennung nennt Goldschmidt seine reiche Lehrtätigkeit und seine bisher veröffentlichten Arbeiten sowie die Gründung der ZHR. Goldschmidt ist aufgrund dieser Vorgaben zunächst noch optimistisch 87 • Aber es soll anders kommen.
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s. etwa Gutachten Melly Forget 1866; Beiträge 1870. Weisert, Verfassung: Überblick 1386 - 1952, S. 102 f. PA BI. 12, 12 R .
87
Lebensbild S. 210 f. (an Fitting, 13.6. 1858).
84 85
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Ernennungsgesuche waren bei der luristenfakultät einzureichen und wurden von dieser über den Engeren Senat der Universität dem für die Ernennung zuständigen Ministerium des Innern zugeleitet. Die Heidelberger luristenfakultät faßt nun zwar den Beschluß, Goldschmidts Gesuch weiterzuleiten, legt diesem aber ein für diese Zeit ungewöhnlich langes Gutachten88 bei. Es stammt von Vangerow als Dekan der luristenfakultät und ist außerordentlich aufschlußreich, denn es trägt alle Zeichen eines Kompromisses: Das Gutachten beginnt mit einem uneingeschränkten Lob von Goldschmidts Werk und Persönlichkeit. Die Gründung und Herausgabe der ZHR und seine Kritik des Entwurfs zum preußischen Handelsgesetzbuch bewiesen, "daß sich bei ihm in nicht gewöhnlichem Maaße gründliche umfassende Kenntnisse, Scharfsinn und sicheres juristisches Urtheil" zusammenfänden; der Umfang seiner Lehrtätigkeit, der das eben zuvor, im April 1858, festgelegte Mindestmaß von einer Lehrveranstaltung je Semester tatsächlich weit übersteigt, wird hervorgehoben; sein Charakter zeichne sich durch "makellose Ehrenhaftigkeit" aus 89 . Im nächsten Absatz ändert sich der Ton des Gutachtens: Nunmehr hält es die luristenfakultät für ihre "Pflicht, eines Umstandes zu erwähnen, der vielleicht ein Bedenken gegen diese Ernennung hervorrufen könnte. Dr. Goldschmidt ist Israelit" und, so die gedankliche, nicht offen ausgesprochene Fortsetzung dieses Satzes, er will es auch bleiben9o . Zwar wird sogleich eingeschränkt, daß dies kein Hindernis für Goldschmidts Ernennung sein könne, zumal es mit Gustav Weil in der philosophischen Fakultät einen angesehenen ,jüdischen Kollegen" gebe 91 , doch habe dieser Umstand insofern Bedeutung, als zu befürchten stehe, daß nach der Ernennung eines jüdischen Gelehrten in der Heidelberger luristenfakultät zahlreiche Studenten jüdischen Glaubens aus Preußen, wo sie nach wie vor auf keinerlei Anstellung im Staatsdienst hoffen konnten, nach Heidelberg strömen würden. Die luristenfakultät sei aber "ganz und gar nicht der Meinung, daß dies als ein Glück für unsere Hochschule angesehen werden könnte,,92. Nach diesen ablehnenden Worten schließt das Gutachten mit einer inhaltlichen Kehrtwendung in die wieder entgegengesetzte Richtung: So "beachtenswerth" dieses Bedenken auch sein möge, es könne "doch in keinem Falle" entscheidend sein. Die beschriebene Gefahr bestehe ja nur der Möglichkeit nach, und es gebe auch Mittel, ihr zu begegnen, "ohne daß" - und mit PA BI. 10, 10 R, 11. PA BI. 10, 10 R . 90 Über die Erwartungshaltung um die Jahrhundertmitte s. Richarz, Eintritt, S. 179, wonach schon die Aufnahme des Jurastudiums bei Juden "fast als identisch mit dem Entschluß zur Taufe" angesehen wurde. 91 Gustav Weil (1808 - 1889), Autor der ersten, seitdem vielfach nachgedruckten deutschen Gesamtübersetzung der Märchen aus ,,1001 Nacht", war kurz zuvor zum Extraordinarius ernannt worden, 1861 wurde er - nach 24 Jahren Vorlesungstätigkeit - Ordinarius in Heidelberg; s. Allgemeine Zeitung des Judenthums, Leipzig 1861, S. 503 f., 503 re. Sp.; Richarz, Eintritt, S. 213. 92 PA BI. 10 R, 11. 88
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diesen Worten und Vangerows Unterschrift endet das Gutachten - "man deßhalb gezwungen wäre, einem so tüchtigen und hoffnungsvollen Manne, wie Dr. Goldschmidt ist, die wohlverdiente Anerkennung vorzuenthalten.,,93 Dieser Aufbau des Gutachtens läßt den Schluß zu, daß es in der Juristenfakultät in dieser Frage zwei Fraktionen von Ordinarien gab. Die eine plädierte für Goldschmidts Ernennung, die andere widersetzte sich ihr. Zur ersten gehörten vermutlich Vangerow, Mittermaier und Goldschmidts Freund Jolly, die andere dürfte von dem katholisch-konservativen Roßhirt geführt worden sein94, der sich später als Dekan auch Goldschmidts Ernennung zum Ordinarius widersetzen sollte. Das Ergebnis der Meinungsverschiedenheit war die Fassung des Gutachtens, aus der hervorgeht, daß gegen Goldschmidts Persönlichkeit keine Einwände bestanden; insoweit scheint Roßhirt tatsächlich "nicht intolerant,,95 gewesen zu sein. Nach dem Tenor des Gutachtens läßt sich jedenfalls nicht sagen, daß Goldschmidt "auf einen Einspruch der Fakultät hin" nicht ernannt worden sei 96 • Es war also das für die Ernennung zuständige 97 Ministerium des Innern selbst, das sich unter dem 13. August 1858 "zur Zeit nicht veraniaßt" sah, Goldschmidt zum Extraordinarius zu ernennen98 . Eine Begründung ist dem nicht beigefügt. Vermutlich hat das Ministerium sich die im Gutachten der Juristenfakultät geäußerten Bedenken tatsächlich zueigen gemacht. Vielleicht aber richtete sich die Ablehnung auch gegen Goldschmidt als Angehörigen des pro-preußischen Kreises um Ludwig Häusser. Denn daß das Badische Ministerium des Innern für derartige politische Fragen sensibel, wenn auch in seiner Haltung nicht stetig war, zeigen die merkwürdigen Abläufe bei der Berufung Bluntschlis als Nachfolger von Mohls wenige Jahre später99 . Goldschmidt trifft diese, für ihn unerwartete Ablehnung schwer, muß er doch zunächst befürchten, auch mit zukünftigen Gesuchen keinen Erfolg mehr haben zu können. Auch Vangerow zeigt sich ihm gegenüber "sehr frappirt"lOo. Offensichtlich ist er sich der Bedeutung des bedenklichen Mittelteils des Gutachtens der Juristenfakultät nicht so recht bewußt gewesen. Der jüngst gemachten Erfahrung zum Trotz wagt Goldschmidt schon genau ein Jahr später einen neuen Anlauf. Der Tod seines Braunsberger Schwagers Jacobson veranlaßt ihn, sich mit der Lage der Juden in Preußen zu beschäftigen lO1 , und er 93
PA BI. 11.
97
Vgl. von Mohl, Lebenserinnerungen, S. 233; Riese, Hochschule, S. 99. So die Einschätzung durch von Mohl, Lebenserinnerungen, S. 233. So Riese, Hochschule, S. 99; Wolgast, Zeitalter, S. 16. s. Baumgarten/Jolly, Jolly, S. 119 f.
98
PA BI. 9.
94 95
96
Vgl. Riese, Hochschule, S. 99. Lebensbild S. 214 (an Fitting, 7. 10. 1858), s. auch S. 221 f., 222 (an seine Frau, 4. 6. 1859). 101 Lebensbild S. 212 f. (13. 8. 1858). 99
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meint, eine Verbesserung zu verspüren. Das ermutigt ihn in der Hoffnung, im liberaleren Baden nun doch Aussichten zu haben. Vangerow, der der Ansicht ist, die luristenfakultät sei durch die Ablehnung von Goldschmidts erstem Ernennungsgesuch vom Ministerium des Innern bloßgestellt worden, rät Goldschmidt, vor einem erneuten Versuch auf dem offiziellen Weg zunächst unmittelbar mit dem Ministerium Kontakt aufzunehmen. Dies deutet darauf hin, daß Vangerow hinter der Ablehnung des letzten Gesuchs eine Intrige gegen den in Karlsruhe nahezu unbekannten Goldschmidt vermutete. Werde Goldschmidt Hoffnung gemacht, so Vangerow weiter, werde sich auch die luristenfakultät wieder für ihn einsetzen 102. Goldschmidt befolgt diesen Rat. Und diesmal hat er, wenn das Verfahren auch einige Zeit dauert, Erfolg. Die luristenfakultät überweist seinen zweiten Antrag, diesmal ohne jede Stellungnahme, unter dem 17. August 1859 an den Engeren Senat der Universität, dieser leitet ihn unter dem 27. August weiter an das Ministerium des Innern lO3 • Im Ministerium bleibt der Antrag fast neun Monate unbeschieden liegen, dann gibt es ihm statt. Goldschmidt wird am 25. Mai 1860 zum außerordentlichen Professor der Rechte an der Heidelberger Universität ernannt; seinen Eid, so weist es das Protokoll der Vereidigung vom seI ben Tage aus, leistet er übrigens mit der für alle üblichen Beteuerung "so wahr mir Gott helfe,do4. Goldschmidt ist, nach fast genau fünfjähriger Zugehörigkeit zum Lehrkörper der Heidelberger Universität, endlich "Professor,,105. Zu dem diesmal unerwartet erfolgreichen Ausgang von Goldschmidts zweitem Versuch dürfte auch seine inzwischen erworbene wissenschaftliche Reputation erheblich beigetragen haben. Aus Basel wurde Goldschmidt berichtet, daß er für die Besetzung eines pandektenrechtlichen Ordinariats an der Universität Bern im Gespräch sei, und es gab Gerüchte, nach denen an der Universität Berlin eine handelsrechtliche Professur geschaffen und mit ihm besetzt werden sollte lO6 • Letzteres geschah auch, freilich erst volle 16 lahre später; 1859 war es noch eine Utopie. Diese Gerüchte stärkten indessen die Argumente der Befürworter von Goldschmidts Ernenqung, mit ihm einen hervorragenden HandelsrechtIer an der Heidelberger Universität zu haben, der nicht leichtfertig zum Wechsel an eine andere Universität bewogen werden dürfe. Sieben lahre später, bei Goldschmidts Ernennung zum ordentlichen Professor, wird wieder das Gerücht, daß er als Ordinarius für Handelsrecht an einer auswärtigen Universität, diesmal ist es Wien, vorgesehen sei, den Ausschlag geben; dann aber werden die Befürworter seiner Ernennung im Ministerium des Innern sitzen, während die luristenfakultät sich seiner Ernennung geradezu erbittert widersetzen wird. Lebensbild S. 222 (4. 6. 1859). PA BI. 14. 104 PA BI. 15. 105 Dieser Titel steht auch von nun an hinter seinem Namen auf dem Titelblatt der ZHR, erstmals ZHR 3 (1860), S. I. 106 Lebensbild S. 225 f. (Fitting, 15.8. 1859). 102 103
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v. Als außerordentlicher Professor in Heidelberg 1860 - 1866 Goldschmidts Veröffentlichungen stehen auch nach seiner Ernennung zum Extraordinarius ganz wesentlich unter dem Zeichen des bevorstehenden Abschlusses der Arbeiten an der deutschen Kodifikation des Handelsrechts 107. Sein Ruf als bedeutender Handelsrechtler wird bestätigt lO8 , als er noch als Privatdozent von dem badischen Ministerium der Justiz den Auftrag erhält, ein Gutachten über den inzwischen in zweiter Lesung vorliegenden Entwurf für ein Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch zu erstellen, das der Vorbereitung auf die abschließende dritte Lesung dienen soll. Sein Gutachten von 1860 109 , ist nur der Beginn einer Vielzahl von Fällen, in denen Goldschmidt von staatlicher Seite mit der Durchführung legislativer Aufgaben betraut wird; es folgen seine Mitwirkung an der Vorbereitung des Bürgerlichen Gesetzbuchs von 1896, der Konkursordnung von 1877, den Reformen des Aktienrechts 1884 und des Genossenschaftsrechts 1889 und andere mehr. Dem Gutachtenauftrag von 1860 liegt der Umstand zugrunde, daß die Nürnberger Konferenz beschlossen hatte, den ADHGB-Entwurf zweiter Lesung zu veröffentlichen und die Stellungnahmen von Handel und Rechtswissenschaft sowie die amtlichen Erinnerungen von seiten der an dem Projekt beteiligten Staaten abzuwarten llO • Der Einfluß von Goldschmidts Gutachten auf das ADHGB bleibt indessen gering, denn das badische Justizministerium begutachtet den vorliegenden Entwurf auch selbständig: Von den amtlichen badischen Erinnerungen beruht .schließlieh nur etwa ein Drittel auf Goldschmidts Gutachten, einige weichen sogar von Goldschmidts Vorschlägen ab lll. Von den verbleibenden Vorschlägen Goldschmidts fallen weitere dem in Nürnberg nunmehr eingeschlagenen Verfahren zum Opfer, über die Hälfte der vorgebrachten Stellungnahmen und Erinnerungen einfach auszuscheiden ll2 . Von den wenigen in die Beratungen der Nürnberger Konferenz gelangenden Vorschläge Goldschmidts werden aber schließlich einige in das ADHGB aufgenommen ll3 . Weitere Vorschläge Goldschmidts fanden erst verspätet 107 Beschränkung 1858; receptum 1860; Haftpflicht 186l. Über den "Abschluß und die Einführung des ADHGB" berichtet Goldschmidt von 1862 - 1865 in einer Reihe von Miszellen in der ZHR. 108 s. Str., in: Lit. Centralbl. 1861, Sp. 57; Neues Magazin für hannöversches Recht 1 (1860), S. 169 f. 109 Gutachten 1860 (Beiheft zur ZHR, Bd. 3). 110 Lutz, Protokolle III, S. 881, 1300. III Die Aufstellung Pappenheims S. 29 Fußn. 83 enthält einen Nachweis aller badischen Erinnerungen ohne Rücksicht darauf, ob sie auf Vorschläge Goldschmidts zurückgehen. 112 Goldschmidt, Handbuch, 2. Aufl., I, 1874, S. 104 u. - zur Ausscheidung auch von den Regierungen vorgebrachter Erinnerungen (Heimsoeth, Zusammenstellung S. 92 ff.) auf Initiative Preußens, Österreichs und Bayerns - Thöl, Zur Geschichte des Entwurfes eines ADHGB, 1861; Goldschmidt, Handbuch, 2. Aufl., I, 1874, S. 107 ff.; Abschluß I, 1862, S. 204 ff.
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dadurch Eingang in das Gesetz, daß sein Gutachten von 1860 bei der Neufassung des ADHGB als Handelsgesetzbuch von 1897 von dessen Redakteuren offensichtlich benutzt (wenn auch nicht zitiert) worden ist\14. Nach seiner Ernennung zum Extraordinarius beteiligt sich Goldschmidt verstärkt an öffentlichen Veranstaltungen außerhalb des eigentlichen Lehrbetriebes und beginnt, sich politisch zu engagieren: Am 28. Dezember 1861 hält er einen öffentlichen Vortrag über "Die deutsche Hansa"ll5, 1864 folgt eine öffentliche Rede zur Würdigung des 1861 verstorbenen Friedrich earl von Savigny\16. Und schon 1860 äußert Goldschmidt sich für eine breitere, nichtjuristische Öffentlichkeit zu dem neuen Gesetzeswerk des ADHGB: Das Gesetzbuch sei auf ein weiteres politisches Zusammenwirken der deutschen Staaten angelegt, denn der Erhalt der damit gewonnenen Rechtseinheit werde es schon bald erforderlich machen, in den deutschen Staaten eine einheitliche Gerichtsverfassung zu schaffen und ein oberstes deutsches Gericht zumindest für Handelssachen einzurichten 117. Damit betont Goldschmidt den über die rechtliche Bedeutung des ADHGB weit hinausreichenden allgemein-politischen Aspekt dieses Projektes, der keineswegs im Sinne der beteiligten Regierungen gelegen hatte, und spricht offen aus, daß das ADHGB als eine Vorstufe der politischen Einigung der deutschen Staaten zu betrachten sei. Derartige Äußerungen sind in Baden um diese Zeit nicht ganz ungefahrlich, denn die badische Regierung erstrebt zwar die Rechtseinheit auf den Ge-
113 Hervorzuheben ist insbesondere die Bestimmung, daß eine Prokura nur durch ausdrückliche Erklärung, also nicht durch schlüssiges Verhalten des Inhabers eines Handelsgeschäfts erteilt werden kann: Gutachten 1860, S. 36; Art. 41 Abs. 2 ADHGB, § 48 Abs. 1 HGB 1897. - Nicht hierher gehört die Gestaltung des Notzurückbehaltungsrechts in Art. 314 ADHGB (heute § 370 HGB), die Pappenheim S. 29 in Fußn. 83 hervorhebt; denn der Wortlaut dieser Bestimmung folgt nicht der Goldschmidts Formulierungsvorschlag (Gutachten 1860, S. 91) wiedergebenden badischen Erinnerung (Heimsoeth, Zusammenstellung Nr. 308, S. 49), sondern einer Erinnerung der sächs. Regierung (Heimsoeth Nr. 307, S. 49), die allerdings auf Goldschmidts schon 1860 veröffentlichtes Gutachten zurückgehen kann. Die praktische Bedeutung dieser Vorschrift ist nur gering. 114 Hier ist besonders auf Goldschmidts Forderung hinzuweisen, die Vorschriften über das Kontokorrent auch auf Verhältnisse zwischen Kaufleuten und Nichtkaufleuten Anwendung finden zu lassen: Gutachten 1860, S. 84 zu Art. 274 Entw. ADHGB II u. Heimsoeth, Zusammenstellung Nr. 282, S. 45 gegenüber Art. 291 ADHGB; 1897 wurde das Kontokorrent dann aber mit Goldschmidts Argumenten als einseitiges Handelsrechtsverhältnis ausgestaltet, § 355 Abs. 1 HGB (Denkschrift HGB S. 357). 115 Hansa 1861, in den Preuß. Jbb. im Gegensatz zum damaligen Brauch bei dieser Zeitschrift unter namentlicher Nennung des Urhebers abgedruckt. 116 Zu Anlaß und Ort des Vortrags ließ sich nichts mehr ermitteln. Er wird zwar erst posthum 1901 in Verm. Sehr. I, S. 619 ff. veröffentlicht, in einer umgearbeiteten Fassung erscheint er aber 1865 als Artikel "Savigny" in dem von J. C. Bluntschli und K. Brater herausgegebenen "Dt. Staatswörterbuch", Bd. 9, S. 98 ff.; es entsprechen hier' insbes. die Seiten 98 100 u. 104 - 109 den Seiten 623 - 626 u. 647 - 649 des Vortrags. Zu Savigny zuletzt Kleinheyer/Schröder, Juristen, S. 239 - 246. 117 Gemeinsame dt. Gesetzgebung u. Rechtseinheit, 1860.
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bieten des Wirtschaftsrechts, aber noch ist ein gegen die preußischen Hegemoniebestrebungen gewandter Partikularismus erklärte Politik des Großherzogturns. Besonders fruchtbar ist Goldschmidts Beteiligung an der Planung und Durchführung des Zusammentritts des ersten Deutschen Handelstages in der Zeit vom 13. bis 18. Mai 1861 in Heidelberg l\8. Handelstage als Interessenvertretungen des sich stark entwickelnden deutschen Handels hatte es angesichts der bevorstehenden Kodifikation des deutschen Handelsrechts in den Jahren zuvor bereits gegeben, doch waren sie bisher auf die einzelnen deutschen Staaten beschränkt gewesen 1l9 . Dem ersten "Deutschen Handelstag" lag eine Initiative des Badischen Handelstages zugrunde. Dieser hatte im Mai 1860 die Einberufung eines allgemeinen deutschen Handelstages unter Beteiligung aller deutschen Handelskammern und Kaufmannskorporationen angeregt und Heidelberg als Tagungsort vorgeschlagen. Denn die Badische Regierung stand einem solchen Unternehmen wohlwollend gegenüber, und die Ökonomen und Juristen der Heidelberger Universität wurden als besonders geeignet angesehen, die Durchführung des Handelstages als Sachverständige zu unterstützen 120. Zur Vorbereitung des Handelstages wird auf Vorschlag der Ältesten der Danziger Kaufmannschaft eine Vorkommission eingesetzt. Angesichts dieser Vorgaben überrascht es nicht, daß unter den Sachverständigen von der Universität auch Goldschmidt zu finden ist; außer ihm werden Mittermaier, der die Leitung übernimmt, Robert von Mohl, K. H. Rau, Ludwig Häusser und Ed. Pickford l21 hinzugezogen, Achilles Renaud merkwürdigerweise nicht. Zu den für die Beratungen vorgesehenen Themen gehören mit dem A~chluß der Beratungen des ADHGB, der Eisenbahngesetzgebung und der Einführung von Handelsgerichten solche, denen Goldschmidts besonderes wissenschaftliches Interesse gilt. Aber seine Unterstützung beruht auch auf seinem politischen Engagement, denn in den staatenübergreifenden Versammlungen des Volkswirtschaftlichen Kongresses, des Deutschen Handelstages und des Deutschen Juristentages sehen er und die Veranstalter zu dieser Zeit jedenfalls "einigermaßen" 122 einen Ersatz für die fehlende deutsche Volksvertretung in einem geeinten Reich; die Berufung Ludwig Häussers in die Vorkommission unterstreicht diese Haltung. Der Bericht der Vorkommission stammt aus Goldschmidts Feder. In ihm begründet er ausführlich die einzelnen Anträge l23 , die mit einem Zusatz l24 und einer rein 118 Der Deutsche Handelstag 1861 - 1911, hrsg. vorn Deutschen Handelstag, Bd. I, Berlin 1911, S. 1 - 12; s. Goldschmidt, ZHR 5 (1862), S. 183 - 197, und Rechtslehrer 1887, S. 174 ff. 119 s. insbes. Goldschrnidts ausführlichen Bericht über den ersten preuß. Handelstag in ZHR 3 (1860), S. 520 - 533. 120 So lautete nach Goldschmidt, Rechtslehrer 1887, S. 174 die Begründung der offiziellen Einladung zur Teilnahme; s. auch Hansemann, Verhandlungen Handelstag 1861, S. 4. 121 Zu Pickford s. Lebensbild S. 272 f. (1864). 122 Rechtslehrer 1887, S. 176. 123 Bericht 1861, S. 104 f. 124 Beschluß Iy.m.6.
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redaktionellen Änderung 125 vom Hande1stag mit großer Mehrheit angenommen werden 126. Sie tragen deutlich Goldschmidts Handschrift: Gefordert werden unter anderem die sofortige Einführung des ADHGB nach den Beschlüssen letzter Lesung, die Schaffung von Handelsgerichten mit kaufmännischen Beisitzern und die Schaffung eines allgemeinen deutschen Verkehrs- (Mobiliarsachen- und Obligationen-) Rechts. Auf einen gleichfalls angenommenen Antrag, der von ihm und Robert von Mohl stammt, ist Goldschmidt besonders stolz: Der Handelstag fordert auch die Einrichtung eines gesamtdeutschen obersten Gerichtshofes in Handelssachen 127. Wie sehr freilich diese Forderung zu dieser Zeit noch eine Utopie ist, zeigt die Begründung des Antrags, die von Ratlosigkeit über ihre praktische Durchsetzbarkeit gekennzeichnet ist 128 . Später einmal aber wird dieser Beschluß des ersten deutschen Handelstages als der bedeutendste Anstoß zur Gründung eines gemeinsamen obersten deutschen Gerichtshofes angesehen werden l29 . Auch an den Plenarberatungen des Handelstages nimmt Goldschmidt regen Anteil 130. In der von Mittermaier vorbereiteten Frage der Einrichtung von Handelsgerichten mit Beteiligung kaufmännischer Laienrichter wird er zum Referenten des Handelstages bestellt l3l und ist damit der einzige Referent des Handelstages, der aus dem Kreis der nur mit beratender Stimme zu den eigentlichen Verhandlungen zugelassenen Universitätslehrer kommt. Außerdem ist er Mitglied und wieder Referent der vom Handelstag selbst eingesetzten Kommission zur Beratung über die Einführung des ADHGB und der Handelsgerichte sowie Berichterstatter für das Eisenbahnwesen 132. Der erste deutsche Handelstag, ausgezeichnet durch die Teilnahme vieler bedeutender Vertreter der Interessen des deutschen Handels, unter anderen David Hansemann, von Sybel 133 und Soetbeer, wurde ein großer Erfolg, der Deutsche Handelstag, später erweitert zum Deutschen Industrie- und Handelstag, zu einer ständigen Einrichtung. Die Universität Heide1berg stellte sich durch die Beteiligung ihrer Vertreter neben oder vielleicht schon vor Göttingen in die erste Reihe der das Handelsrecht besonders pflegenden Universitäten 134. Antrag I Satz 2 wurde Beschluß IV.VI.I, Antrag VI I - 3 Beschluß VI.VI 2 - 4. Goldschmidt, Handelstag 1861, S. 190 f. 127 Rechtslehrer 1887, S. 174 f. 128 Bericht 1861, S. 103. 129 Müller, Reichsgericht, S. 5; Lobe, Reichsgericht, S. 3. 130 s. Verhandlungen Handelstag 1861, S. 14, 18 f., 24, 58 - 62 (Referat über den Bericht der Vorkommission, aufgenommen durch "Allgemeines Bravo"), 66, 75 - 77 (Stellungnahme zur Diskussion, gleichfalls ,,Allgemeines Bravo"), 78, 79, 81, 82, 84, 85, 85 f., 88 f.; anders Goldschmidts eigene Erinnerung, Rechtslehrer 1887, S. 175. 131 Goldschmidt, Handelstag 1861, S. 184 f. (Antrag IV der Tagesordnung); Silberschmidt, Sondergerichtsbarkeit, S. 191 f. 132 Rechtslehrer 1887, S. 175. 133 Ausführliche Stellungnahmen von Sybels und Hansemanns zu Goldschmidts Berichten: Verhandlungen Handelstag 1861, S. 63 f. und 69 - 72. 125
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1865 nimmt Goldschmidt am sechsten deutschen Juristentag teil; hier erstattet er ein Gutachten über die rechtspolitisch sehr umstrittene Frage der Aufhebung der zahlreichen Gesetze, durch die die Zinshöhe von Krediten beschränkt wurde, der sogenannten "Wuchergesetze"135. Zu dieser Frage hatte er sich schon 1859 auf dem von Wilhelm Adolf von Lette zur Förderung der Gewerbefreiheit 136 initiierten "Kongreß deutscher Volkswirte" geäußert 137 . Auch später tritt er immer wieder für eine völlige Beseitigung aller gesetzlichen Beschränkungen einer freien Vereinbarung der Zinshöhe ein 138. In Heidelberg hat Goldschmidt inzwischen zahlreiche Freunde. In den Anfangsjahren sind es noch die Privatdozenten unter seinen Fakultätskollegen, zu denen er engere Beziehungen knüpft. Von ihnen sind besonders Heinrich Marquardsen 139 und Karl Binding 140 zu nennen, der sich auf Goldschmidts Rat hin zur Habilitation 134
S.62.
Vgl. Goldschmidt, Rechtslehrer 1887, S. 176; Landwehr, Handelsrechtswissenschaft,
Gutachten 1865. s. W. Treue, Gesellschaft ... Deutschlands im 19. Jahrhundert, in: Gebhardt, Handbuch der Geschichte, 9. Aufl., Bd. 3, Stuttgart 1970, S. 376 - 541, S. 420, 432, 433, 493; Gerhard Albrecht, Art. Verein für Sozialpolitik, in: Handwörterbuch der Sozialwissenschaften, 11. Bd., Stuttgart 1961, S. 10 - 16, 10; Ring, Erinnerungen H, S. 179 - 183. l37 s. Lebensbild S. 229 f., 230 (an Fitting, 20. 10. 1859) unter Rückgriff auf ZHR 1 (1858), S. 142,289 - 292; 2 (1859), S. 102 - 109,325 - 328, 478. 138 Würdigung 1866; Wucher 1870 (eine Bearbeitung des Gutachtens von 1865); s. auch Universalgeschichte 1891, S. 30: "Die Geschichte des ,wucherischen' Kapitalzinses ist so eines der lehrreichsten Kapitel der Wirthschafts- und Rechtsgeschichte aller Zeiten". - Ob die weitere Entwicklung Goldschmidts These, "Die völlige Beseitigung der mittelalterlichen und römischen Zinsbeschränkungen vollzieht sich mit der Nothwendigkeit eines Naturgesetzes" (Wucher 1870, S. 229), bestätigt, erscheint trotz seiner richtigen Voraussage des Ergebnisses zweifelhaft. Zur weiteren Entwicklung s. Verhandlungen des 6. Dt. Juristentages I, Bd. 3, 1865, S. 102 - 117,322 - 335; § 2 des Gesetzes, betreffend die vertragsmäßigen Zinsen, v. 14. 11. 1867 (BGBI. 1867, S. 159 f.; dazu Pollmann, Parlamentarismus S. 457 f.), der § 247 BGB 1896 entspricht; gegen eine Aufnahme in das BGB Mot. H, S. 155 f. (Mugdan, Materialien BGB H, S. 107 f.); dafür Prot. S. 949 ff. (Mugdan, Materialien BGB H, S. 628 ff.); für die Abschaffung von § 247 BGB besonders c.-w. Canaris, Die Kreditkündigung, in: WertpapierMitteilungen 1978, S. 686 - 701, 700 f.; jetzt § 609 a BGB 1986. Ob diese Bestimmung freilich den schon von Goldschmidt erhobenen Forderungen nach ausreichender Differenzierung hinreichend Rechnung trägt, ist zweifelhaft. Die jüngste politische Entwicklung hat zwar gezeigt, daß eine Wirtschaft ohne funktionierendes Kreditsystem nicht auf Dauer bestehen kann; eben die positiven Folgen dieser Entwicklung, die Befreiung vieler Menschen aus den Zwängen einer auch ihr privates Wirtschaftsverhalten gängelnden Staatsaufsicht, nötigen aber zu der Überlegung, ob nicht die Gewährung von Krediten an typischerweise kreditunerfahrene Konsumenten auch aus präventiven Gründen schärferen, wenn auch durch Typisierung der Rechtssicherheit dienenden Vorschriften unterliegen sollte. 139 Zu Marquardsen (1826 - 1897), später Hrsg. des für die Wissenschaft des öffentlichen Rechts der deutschen Einzelstaaten bedeutsamen "Handbuchs des öffentlichen Rechts" s. Landsberg III 2 Text S. 979 und Noten S. 406 f. (Noten 9 u. 10); H. Rehm, in: ADB 52 (1906), S. 216 - 218. Goldschmidt arbeitet später wiederholt mit Marquardsen zusammen, so im Reichstag, wo Marquardsen besonders um den Zusammenhalt der Nationalliberalen Fraktion bemüht ist, und im Institut de Droit International. 135
136
6 Weyhe
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entschlossen hatte l41 . Eine enge Freundschaft verbindet Goldschrnidt mit Hermann Fitting l42 , mit dem er zeit seines Lebens in regem persönlichen und wissenschaftlichen Gedankenaustausch steht l43 . Bald weitet sich Goldschrnidts Bekanntenkreis, und er und seine Frau verkehren mit den angesehensten Mitgliedern auch der anderen Fakultäten, so dem Archäologen Bernhard Stark, dem Physiker Hermann Heimholtz, dem Theologen Heinrich Holtzmann und den Historikern Georg Weber und Wilhelm Wattenbach 144. Auch zu dem Philosophen Eduard Zeller 145 knüpft Goldschrnidt Beziehungen; dessen Streben nach Ansätzen zu einer universalen Theologie dürften Goldschmidts eigenen religiösen Anschauungen entgegengekommen sein. Goldschmidts politische Haltung und seine Bereitschaft, diese im politisch noch wankelmütigen Großherzogturn Baden auch öffentlich zu vertreten l46 , verschaffen ihm Zugang zu der immer einflußreicheren Gruppe der Heidelberger Nationalliberalen l47 , in der neben den Heidelberger Historikern seine Fakultätskollegen Bluntschli und Jolly den Ton angeben. In diesem Kreis steigt er allmählich vom bloßen 140 s. die Erinnerung Bindings an seine Heidelberger Zeit in Binding, Selbstbiographie, Sp. 1005; zu Binding (1841 - 1920), dem späteren Haupt der sogenannten "klassischen Schule" der deutschen Strafrechts wissenschaft, s. Daniela Westphalen, Karl Binding, Frankfurt a.M. 1989; Kleinheyer/Schröder S. 39 - 42; Eb. Schmidhäuser, Strafrecht. Allgemeiner Teil, 2. Aufl., Tübingen 1975, Rdnr. 4/12, S. 75. 141 Lebensbild S. 268 f., 269 (an Fitting, 11. 6. 1864). 142 Zu Fitting (1831 - 1918) s. Kleinheyer/Schröder S. 338; Landsberg III 2 Text S. 773, Noten S. 330 f.; A. Schmücking, in: NDB 5 (1961), S. 218. Daß sein Tod in das Jahr 1918 fiel, hat die eingehendere Würdigung seines auch international anerkannten Werkes verhindert und ihn vorschnell in Vergessenheit geraten lassen. 143 s. auch Goldschmidt, ZHR 3 (1860), S. 267 ff.; Krit. Vjs. f. Gesetzgebung u. Rechtswiss. 9 (1867), S. 147 f.; Fitting, Zur Lehre vom Kauf auf Probe, ZHR 2 (1859), S. 203 ff., 281. Goldschmidt hat besonders mit der "Kontinuitätshypothese" Fittings sympathisiert, wonach es eine nicht unterbrochene Kette römischer Rechtswissenschaft von Justinian bis zur Rechtsschule von Bologna gegeben habe (s. insbes. Hermann Fitting, Die Anfänge der Rechtsschule zu Bologna, Berlin u. Leipzig 1888, S. 11 f., 12 - 24): ZHR 23 (1878), S. 274 ff., 280. 144 Zur Bedeutung dieser Gelehrten s. R. Hoche, ADB 35 (1893), S. 488 - 490 (Stark, 1824 - 1879); W. Gerlach, NDB 8 (1969), S. 498 - 501 (HeImholtz, 1821 - 1894); E. Dinkler, NDB 9 (1972), S. 560 f. (Holtzmann, 1832 - 1910); Lorentzen, ADB 41 (1896), S. 299 - 302 (Weber, 1808 - 1888); C. Rodenberg, ADB 44 (1898), S. 439 - 443 (Wattenbach, 1819 1897). 145 Zu Eduard Zellers (1814 - 1908) Leben und Werk s. Wilhelm Dilthey, Aus Eduard Zellers Jugendjahren, in: ders., Gesammelte Schriften, 4. Bd., 5. Aufl., Stuttgart 1974, S. 433 450. 146 Von Goldschmidts starkem politischen Engagement in den Jahren 1867 - 1869 zeugen seine zum Teil umfangreichen Briefe aus dieser Zeit an Jolly und Bluntschli: Lebensbild S. 299 f., 308, 315 - 318, 319 - 324, 326 f. 147 Formal als staatsübergreifende Organisation wird die Nationalliberale Partei erst 1867 gegründet, s. W. Mommsen, Parteiprogramme, S. 147 - 151 (Laskers Gründungsprogramm vom Juni 1867); S. 142 - 147 (Hermann Baumgarten zur Haltung der Badener Liberalen).
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Teilnehmer an gelegentlichen Treffen zu einem der führenden und einflußreichen Vertreter auf148 . Die Einführung des allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuchs in fast allen deutschen Staaten ist der Anlaß für Goldschmidt, das groß angelegte Werk zu beginnen, mit dem er die Wissenschaft des Handelsrechts durch eine zusammenhängende, systematische Darstellung auf eine neue Grundlage zu stellen beabsichtigt, sein "Handbuch des Handelsrechts". Die Arbeit an diesem Werk wird ihn sein ganzes weiteres Leben begleiten, es wird endgültig seinen Ruhm als führender Handeisrechtier seiner Zeit begründen, ebenso aber auch eine der Ursachen des physischen und psychischen Zusammenbruchs werden, den Goldschmidt in seinen letzten Lebensjahren erleidet. Die erste Lieferung dieses Handbuches erscheint 1864 und wird ein großer wissenschaftlicher Erfolg, der sich auch auf Goldschmidts akademische Karriere auswirkt.
VI. Die Ernennung zum ordentlichen Professor
Das Jahr 1866 bringt Goldschmidts akademischer Laufbahn ihren ersten Höhepunkt. Dies geschieht freilich unter bemerkenswerten und insgesamt keineswegs erfreulichen Umständen l49 . Nach seinen bisherigen wissenschaftlichen Erfolgen glaubt Goldschmidt schon 1864, sich Hoffnungen auf ein Ordinariat an der Universität Heidelberg machen zu können. Die Frage der Religionszugehörigkeit war in den letzten Jahren immer mehr in den Hintergrund getreten. Es stand deshalb nicht zu erwarten, daß Universität oder Ministerium in seinem jüdischen Glauben jetzt noch ein Hindernis sehen würden. In Erinnerung an die Erfahrungen, die er im Zusammenhang mit seiner Ernennung zum Extraordinarius gemacht hatte, weq.det Goldschmidt sich diesmal informell gleich an das Ministerium. Staatsminister Lamey äußert sich zwar lobend über Goldschmidts Leistungen, scheint aber - wenn überhaupt - nur bereit, ihm die Stellung eines besoldeten außerordentlichen Professors zugestehen zu wollen l5o . Goldschmidt liegt indessen zunächst mehr daran, seine Stellung an der Universität zu konsolidieren und das Amt eines Ordinarius zu erhalten. Denn inzwischen ist er so bekannt, daß er um Hörer für seine Vorlesungen nicht mehr bangen muß; dagegen wird ihm immer mehr bewußt, daß er auch als Extraordinarius eigentlich nach wie vor ohne feste Stellung ist. Goldschmidt verfolgt seinen Ernennungss. Treitschke, Briefe, S. 258 - 260, 259 f. (an Gustav Freytag, 9. 1. 1870). Zum folgenden s. Riese, Hochschule, S. 98 - 102, isnsbes. 99 - 101; Weisert, Verfassung Teil V, S. 28 f. 150 Lebensbild S. 274, 275 f. (Oktober/November 1864). 148 149
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wunsch deshalb einstweilen nicht weiter. Er hofft darauf, in nächster Zeit einen Ruf an eine auswärtige Universität zu erhalten; dies könnte Fakultät und Ministerium dazu bewegen, ihm das Ordinariat anzutragen, um ihn in Heidelberg zu halten l51 . Die von Goldschmidt erhoffte Situation tritt im darauf folgenden Jahr ein: Im Winter 1865 melden mehrere Zeitungen i52 , es sei beabsichtigt, an der Universität Wien einen Lehrstuhl für Handelsrecht einzurichten und ihn mit Goldschmidt zu besetzen. Diese Meldungen veranlassen nun in der Tat das Ministerium, ohne daß ein förmliches Ernennungsgesuch Goldschmidts vorliegen würde, dem Engeren Senat der Universität und der Juristenfakultät die Ernennung Goldschmidts zum Ordinarius vorzuschlagen, "um ihn für längere Zeit an Heidelberg zu binden,,153. Der Entwurf dieses Schreibens stammt von Goldschmidts Freund Julius Jolly, der inzwischen von der Universität in das Innenministerium gewechselt hat l54 . Man scheint im Ministerium freilich mit Widerstand von seiten der Universität zu rechnen, denn das zu erwartende Gegenargument, das Handelsrecht sei an der Universität bereits ausreichend vertreten, wird vorsorglich dadurch zu entkräften gesucht, daß im Gutachten auf die mit Einführung des ADHGB gestiegene Bedeutung dieses Fachs und auf Goldschmidts Ruf als Lehrer und Schriftsteller hingewiesen wird. Trotzdem lehnt die Juristenfakultät die Ernennung Goldschmidts zum Ordinarius in einer umfangreichen Stellungnahme ab l55 . Eine erste Fassung dieser Stellungnahme, datiert vom 16. Januar 1866, stammt von Roßhirt als Dekan; ihr ganzer zweiter Teil wird, ohne große inhaltliche Änderung, aber in der Form schärfer, von Achilles Renaud neu gefaßt und anschließend nochmals von Roßhirt redigiert. Auch dieses Gutachten beginnt mit einem Lob von Goldschmidts Wirken und Persönlichkeit, hält aber aus drei Gründen seine Ernennung zum Ordinarius für unzulässig und unnötig: Das badische Unterrichtswesen war 1803 durch Großherzog earl Friedrich reformiert und auf eine neue rechtliche Grundlage gestellt worden. Diese bildete das "Dreizehnte Organisationsedikt über die Organisation der gemeinen und wissenschaftlichen Anstalten, insbesondere der Universität Heidelberg,,156. Dessen Art. Lebensbild S. 277 (an Fitting, 11. 2. 1865). VgI. Lebensbild S. 281. 153 Schreiben des Ministeriums des Innem an den Engeren Senat und die Juristenfakultät v.29. 12. 1865, PA BI. 16, 16 R. 154 s. Riese, Hochschule, S. 100 Fußn. 18. 155 UAH III, 3a, Nr. 79, BI. 194, 195. 156 Dieses wichtige universitätsgeschichtliche Dokument ist mehrfach gedruckt worden: Georg Jellinek, Gesetze und Verordnungen für die Universität Heidelberg, Heidelberg 1908, S. 3 - 15; J. C. Bluntschli, Rede zum Geburtstagsfeste des ... Grossherzogs Karl Friedrich, Heidelberg 1877, Beilage; Hans Gerber, Der Wandel der Rechtsgestalt der Albert-LudwigsUniversität zu Freiburg, Bd. II: Urkunden-Anhang, S. 75 ff. 151
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23 hatte für die juristische Fakultät der Universität Heidelberg als deren "staatsrechtlicher Section" fünf Ordinarien vorgesehen, und ein Reskript vom 9. April 1823 hatte auch die Zahl der Mitglieder der Examinationskommission auf diese Zahl festgesetzt. 1865/66 aber betrug die Zahl der Ordinarien bereits sechs (Bluntschli, Mittermaier, Renaud, Roßhirt, Vangerow, Zoepfl). Dieses gegen die Zulässigkeit von Goldschmidts Ernennung sprechende Argument war allerdings nur auf den ersten Blick bestechend: Das 13. Organisations-Edikt war nämlich schon vor seinem Inkrafttreten großenteils wieder suspendiert 157 und auch sonst nicht immer eingehalten worden, da sich die Lage an der Universität gegenüber dem Beginn des Jahrhunderts grundlegend geändert hatte 158. Im übrigen waren seit einigen Jahren Bestrebungen im Gange, die Fakultätseinteilung durch Schaffung einer staatswissenschaftlichen Fakultät zu ändern und dabei auch die Gesamtzahl der Ordinarien zu erhöhen i59 . Überzeugender war daher das nächste Argument, das bereits in dem ministeriellen Schreiben angesprochen worden war. Roßhirt hatte den Schwerpunkt darauf gelegt, daß das Handelsrecht bereits durch Ordinarien ausreichend gelehrt werde, da es in den Vorlesungen zum deutschen Privatrecht inzwischen breiten Raum einnehme. Renaud ersetzte diese Stelle durch das Argument, daß gerade durch ihn das Handelsrecht bereits durch einen eigenen Ordinarius und damit besser vertreten sei als andere wichtige Fächer wie etwa Zivilprozeßrecht. Allerdings verschwieg er dabei, daß er anders als Goldschmidt kaum über allgemeines Handelsrecht las, sondern Spezialbereiche wie Wechsel- oder Gesellschaftsrecht bevorzugte 160 . Diese Argumente richteten sich keineswegs gegen Goldschmidt persönlich und waren auch nicht unbedingt in einem starren Festhalten der Fakultät an "ihrer konservativen Exklusivität" gegen eine neuerdings reformfreudige Regierung begründet 161 • Denn das Gutachten enthält Ausführungen dazu, wie sich Goldschmidt gleichwohl würde in Heidelberg halten lassen. Die Fakultät schlägt insoweit vor, Goldschmidt außerplanmäßig zu besolden und ihm das badische Staatsbürgerrecht sowie die Staatsdienereigenschaft zu verleihen. Damit hätte Goldschmidt gleichsam die beamtenrechtliche Stellung eines Ordinarius erlangt 162 . Der eigentliche Grund für den Widerstand der Fakultät gegen Goldschmidts Ernennung findet sich angedeutet in den Ausführungen, die dem letzten Teil des Gutachtens vorangehen: Sollte Goldschmidt trotz allem zum Ordinarius ernannt werden, so möge das Ministerium doch darauf Bedacht nehmen, daß die Ernennung nicht ohne weiteres auch Goldschmidts Mitgliedschaft in der Examinationskoms. Weisert, Verfassung Teil I, S. 78. Riese, Hochschule, S. 100 f. 159 Dazu Bluntschli, Rede, S. 19 f. 160 s. Hecht, Renaud, S. 589 f. 161 So Riese, Hochschule, S. 99, dessen Einschätzung aber für die Haltung des Engeren Senats der Universität zutreffen mag. 162 s. Weisert, Verfassung: Überblick 1386 - 1952, S. 102 f. 157 158
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mission zur Folge habe. Der "Stand des ordentlichen Professors und des Fakultätsund Examinationsprofessors" sei nämlich, so Roßhirt, "schon im Interesse der Prüfung der Studirenden wegen" zu unterscheiden. Da die Universitätsprüfungen in Heidelberg immer von allen Ordinarien abgenommen würden, sei eine Prüfung mit mehr als sechs Examinatoren in den für die Prüfung vorgesehenen drei Stunden nicht mehr durchführbar. Für die Schaffung von solchen ordentlichen Professuren ohne Examinationsbefugnis gab es in der Vergangenheit einige Präzedenzfälle l63 . Dieses letzte Argument wirft ein interessantes Schlaglicht auf die Verhältnisse an der Universität. Die Ordinarien waren zwar besoldet, aber diese staatliche Dotierung machte nur einen Teil ihrer Einnahmen aus. Daneben standen ihnen die Kolleggelder zu, deren Höhe freilich durch unterschiedliche Hörerzahlen sehr schwanken konnte. Als dritte, wieder sichere Einnahmequelle spielten daher die Examinationsgebühren eine wichtige Rolle. Diese aber entrichteten die Prüflinge nicht den einzelnen Prüfern, sondern einmal insgesamt für die Prüfung, so daß die Prüfer sich diesen Betrag teilen mußten. Hinzu kam noch, daß, da die Studenten natürlich die Lehrveranstaltungen potentieller Examinatoren bevorzugten, die Mitgliedschaft in der Examinationskommission einen Vorteil in der Konkurrenz um die Hörerzahlen mit sich brachte. Die Erhöhung der Prüferzahl nur um einen weiteren Prüfer hätte also nicht allein bereits einiges ausgemacht, es stand auch zu befürchten, daß hier ein Präzedenzfall geschaffen zu werden drohte und in Zukunft mit einem weiteren Anstieg der Ordinarienzahl zu rechnen gewesen wäre. Diese Befürchtungen erklären auch, daß die einflußreichen Ordinarien, die Goldschmidt durchaus gewogen waren, das Gutachten in dieser Schärfe durchgehen ließen und sich mit der Aufnahme nur einiger, von Roßhirt stammender Wendungen begnügten, die eine ausgesprochene Sympathie der Fakultät gegenüber der Person Goldschmidts erkennen ließen. Freilich waren Mittermaier und Vangerow inzwischen alt, Vangerow zudem schwer krank, und Bluntschli interessierte sich ohnehin mehr für die Politik als für Universitätsangelegenheiten 164. Trotz des Widerstandes der Fakultät verlief das weitere Ernennungsverfahren zügig. Der Engere Senat der Universität schloß sich dem Argument der Fakultät, es fehle das Bedürfnis für die Ernennung eines weiteren Ordinarius, zwar an und widersprach sogar entschieden der Auffassung, es könne innerhalb der Ordinarien der Fakultät nach unterschiedlichen Rechten differenziert werden l65 ; im Ministerium aber, wo alle diese Einwendungen schon erwartet und bedacht worden waren, war die Entscheidung wohl schon gefallen. Denn schon unter dem 8. März 1866 teilt das Ministerium dem Engeren Senat und der Fakultät mit, "Seine Königliche 163 Zu diesen Fällen Weisert, Verfassung Teil V, S. 29 f.; auch Zöpfl und Morstadt, seit 1842 Ordinarien, blieben vorerst von der Abnahme von Fakultätsprüfungen ausgeschlossen, s. Hans ScheITer, Art. Morstadt, in: ADB 22 (1885), S. 329 - 339, 334. 164 s. die Einschätzung Goldschmidts gegenüber Fitting v. 26. 8. 1866: "Roßhirt ist unfähig, Mitterrnaier wird alt, Bluntschli hat nur für Politik Interesse, Renaud zieht sich völlig ... zurück, ... Vangerow ist krank": Lebensbild S. 288 - 290, 288. 165 Stellungnahme v. 2. 2. 1866, PA BI. 17.
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Hoheit der Großherzog haben mitte1st höchster Entschließungen ans Großh. Staatsministerium vom 27ten v(origen) M(ona)ts ... gnädigst geruht, den außerordentlichen Professor Dr. Levin Goldschmidt in Heidelberg unter Verwilligung einer ... Besoldung von - Eintausend Gulden - zum ordentlichen Professor und Mitglied der juristischen Fakultät daselbst zu ernennen,,166. Die Überwindung aller Widerstände war wesentlich auf die Bemühungen Julius Jollys im Ministerium zufÜckzuführen 167 . Die Juristenfakultät freilich ließ ihren Ärger über Goldschmidts bevorstehende Ernennung auch öffentlich so deutlich erkennen, daß ihr Verhalten in dieser Sache sogar in den Zeitungen erörtert wurde 168 . Goldschmidt jedoch hat endlich sein sehnlich erstrebtes Ziel, von dem er elf Jahre zuvor bei Beginn seiner akademischen Laufbahn nur träumte und auch nur träumen konnte, endlich erreicht. Die ihm nunmehr zustehende Besoldung von 1000 fl. im Jahr beendet, wie Goldschmidt sich noch Jahrzehnte später bitter erinnert 169, eine lange Periode finanzieller Abhängigkeit und Ungewißheit. Die Ernennung bringt ihm freilich nicht nur Vorteile. Da die ordentliche Professur ein badisches Staatsamt ist, tritt Goldschmidt, der bisher preußischer Staatsbürger ist 170, nunmehr in, von Preußen aus gesehen, ausländischen Staatsdienst. Sowohl preußisches 171 wie badisches 172 Recht verlangen daher, daß Goldschmidt seine bisherige preußische Staatsangehörigkeit aufgibt und die badische erlangt 173. Seine preu166 PA BI. 18, 18 R; von Lamey abgezeichnete Abschrift UAH IlI, 3a, Nr. 79, BI. 197; s. auch die Übersicht PA BI. 19 R, 20. 167 Baumgarten/Jolly, Jolly, S. 120. 168 Goldschmidt an seine Frau, 12. 3.1866, Lebensbild S. 282. 169 Rechtsstudium 1887, S. 365 in Anm. 113. 170 Gesetz v. 31. 12. 1842 (Preuß. G.=S. 1843, S. 15 ff.), §§ 1,2 in Verbindung mit dem Emanzipationsedikt von 1812 (Preuß. G.=S. 1812, S. 17 ff.) § I, aufgehoben durch die Bekanntmachung v. 4. 12. 1822 (Preuß. G.=S. 1822, S. 224), Staatsbürgerschaft der Juden wieder anerkannt durch Gesetz v. 23. 7. 1847 (Preuß. G.=S. 1847, S. 263 ff.) § 1, u. durch Verordnung v. 6. 4. 1848 (Preuß. G.=S. 1848, S. 87 f.) § 5; s. Simon, Staatsrecht 11, S. 573 ff.; Silbergleit, Bevölkerungsverhältnisse, S. 6* - 9*· 171 Gesetz über die Erwerbung und den Verlust der Eigenschaft als Preußischer Unterthan, so wie über den Eintritt in fremde Staatsdienste v. 31. 12. 1842, Preuß. G.=S. 1843, S. 15 18, § 24. - Eine anschauliche Darstellung der sich hieraus ergebenden Fragen bietet Hellmuth Hecker, Nietzsches Staatsangehörigkeit, in: NJW 1987, S. 1388 - 1391 (Nietzsehe, gleichfalls Preuße, folgte 1869 einem Ruf an die Universität Basel). 172 s. Weisert, Verfassung: Überblick 1386 - 1952, S. 103. 173 Vgl. PA BI. 21: Zurückgabe des preuß. Heimatscheins auf Antrag Goldschmidts. Goldschmidt erwirbt durch seine Berufung an das BOHG mit Wirkung ab 1. 1. 1871 die sächs. Staatsangehörigkeit (§§ 9 Abs. 1,27 des Gesetzes über die Erwerbung und den Verlust der Reichs- und Staatsangehörigkeit v. 1. 6. 1870, BGBI. 1870, S. 355 ff.), da er seinen dienstlichen Wohnsitz in Leipzig, also im Königreich Sachsen hat (§ 9 Abs. 2); sie vermittelt die Reichsangehörigkeit (§ 1; die unmittelbare Reichsangehörigkeit kennt erst das Reichsund Staatsangehörigkeitsgesetz v. 22. 7. 1913, RGBI. 1913, S. 583 ff., §§ 33 - 35). Mit der Berufung an die Universität Berlin erlangt Goldschmidt 1875 wieder die preuß. Staatsangehörigkeit (§ 9 Abs. 1).
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ßisch-kleindeutsche Gesinnung läßt Goldschmidt sich freilich nicht nehmen: Heinrich von Treitschke empfiehlt ihn 1870 an seinen Freund Gustav Freytag in Leipzig als "Preuße durch und durch,,174. Einen bedeutenderen Wermutstropfen enthält Goldschmidts Ernennung damit, daß das Ministerium der Juristenfakultät freistellt, ob sie Goldschmidt in die Examinationskommission aufnehmen wolle 175. Als die Fakultät nichts unternimmt, bittet Goldschmidt Roßhirt sehr zurückhaltend darum, einen Fakultätsbeschluß zu veranlassen 176. Roßhirt verfaßt daraufhin mit dem Hinweis, daß seiner Meinung nach "die Antwort an H. Goldschmidt kurz und bezeichnend abzufassen sei", eine scharfe Ablehnung von Goldschmidts Aufnahmegesuch und gibt sie in Umlauf. Gleichzeitig unterrichtet er seine Kollegen davon, daß nach dem Erlaß vom 9. April 1823 jeder in Heidelberg vom außerordentlichen zum ordentlichen Professor Ernannte nicht vor Ablauf von drei Jahren das Dekanat bekleiden dürfe. Mittermaier und Bluntschli entschärfen Roßhirts Entwurf, wobei Vangerow, Zoepfl und Renaud mit geringfügigen Änderungen Bluntschlis Fassung billigen 177 • Das Antwortschreiben bleibt in der Form knapp und unhöflich genug: Die Examinationskommission sei bereits überbesetzt, und die Zulassung eines weiteren Examinators sei wegen Erschöpfung der Prüfungsgegenstände "weder nöthig noch zuträglich" 178. Goldschmidt, den das Schreiben der Fakultät von Form wie Inhalt her schwer kränkt, protestiert sofort gegen das Verfahren l79 . Trotz seiner berechtigten Einwände geschieht nichts, und Goldschmidt bleibt von den Universitätsprüfungen ausgeschlossen. An den badischen Auskultatur-Examen, die außerhalb der Universitäten in Karlsruhe von Kommissionen aus Praktikern und Professoren abgehalten werden, nimmt Goldschmidt dagegen seit seiner Ernennung als Prüfer teil, erstmals im Dezember 1866 18 Hier gewinnt er weiteres Material für seine späteren Schriften über Juristenausbildung und Prüfungswesen.
°.
Im Juli 1869, inzwischen leitet Jolly das Ministerium, wendet sich Goldschmidt an seinen Freund mit der Bitte, wegen andauernder Untätigkeit von Fakultät und Engerem Senat nunmehr durch ministerielle Verfügung seine Mitgliedschaft auch in der Examinationskommission der Juristenfakultät anzuordnen l81 . Aus seinem Brief spricht tiefe Verbitterung, "die ganze Angelegenheit ist mir eigentlich so ekelhaft, daß es mir leid thäte, sie angeregt zu haben, wenn ich es nicht meiner Ehre schuldig zu sein glaubte,,182. Jolly entspricht Goldschmidts Bitte um Ernen174 175 176
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Treitschke, Briefe, Bd. 3, S. 258 - 260, 260 (9. 1. 1870). PA BI. 18, 18 R = UAH III, 3a, Nr. 79, BI. 197 (Abschrift). UAH III, 3a, Nr. 79, BI. 198 (25. 4.1866). UAH III, 3a, Nr. 79, BI. 199, 199 R (3. - 5.5. 1866). UAH III, 3a, Nr. 79, BI. 200 (5. 5. 1866). UAH III, 3a, Nr. 79, BI. 201 (6.5. 1866). Lebensbild S. 293 (aus Karlsruhe an seine Frau, 12. 12. 1866). Lebensbild S. 319 - 321 (an Jolly, 25. 7. 1869).
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nung schon am 31. Juli 1869 183 , ohne ihr auch nur die von Goldschmidt selbst vorgeschlagene knappe Begründung I84 beizufügen. Die Fakultät widerspricht nicht, denn schon wenige Monate später verläßt Goldschmidt Heidelberg, um an das Bundesoberhandelsgericht nach Leipzig zu wechseln. Goldschmidt ist der letzte Heidelberger Ordinarius, bei dem von seiten der Fakultät so verfahren wird; eine Trennung von Ordinariat und Prüfungsbefugnis kommt in Heidelberg nicht wieder vor l85 • Der Ruf an die Universität Wien, der Goldschmidts Ernennungsverfahren ausgelöst hat, bleibt während dessen Dauer eine Chimäre. Jedenfalls ist er bis zum Februar 1866 nicht an ihn ergangen I86 , wenngleich Goldschmidt später behauptet hat, er sei erst ernannt worden, nachdem er diesen Ruf erhalten habe I8 ? In Wahrheit fragt erst im Mai 1866 Josef Unger I88 aus Wien vertraulich bei Goldschmidt an, ob und unter welchen Bedingungen er bereit sei, einen Ruf an einen neu zu schaffenden Lehrstuhl für Handelsrecht an der Wiener Universität anzunehmen. Befürchtungen seines Freundes Jolly, daß der vom Ministerium heraufbeschworene Konflikt nun doch vergebens gewesen sein möge, zerstreut Goldschmidt jedoch sogleich. Trotz des Verhaltens der Juristenfakultät, das ihn in eine "fatale Position" gebracht habe, sei er entschlossen, in Heidelberg zu bleiben 189. Ob Goldschmidt ein Ordinariat in Wien auch wirklich erhalten hätte, muß ohnehin bezweifelt werden. Waren religionsbedingte Schranken in den deutschen Staaten zumindest vorübergehend überwunden, so galt dies nicht unbedingt auch für die österreichische Monarchie 190. Es ist deshalb zu vermuten, daß das Angebot aus Wien unter dem zumindest stillschweigenden Vorbehalt der Konversion Goldschmidts stand, zu der er wie in allen vergleichbaren Fällen zuvor sicher nicht bereit gewesen wäre. Bezeichnend für den inzwischen eingetretenen Wandel der Auffassungen in den deutschen Staaten außer Österreich ist es dagegen, daß in keinem der in dieser Sache von Ministerium oder Fakultät angefertigten Schreiben auch nur ein Wort über Goldschmidts Religionszugehörigkeit und die eventuellen Folgen der Ernennung eines Gelehrten jüdischen Glaubens zum Ordinarius verloren worden ist. Für Goldschmidts weitere wissenschaftliche wie praktische Laufbahn sollte sie tatsächlich keine Rolle mehr spielen. Dieses Umstandes gedachte er stets mit tiefster GenugLebensbild S. 321. PA BI. 22. 184 Lebensbild S. 320. 185 Weisert, Verfassung Teil V, S. 29. 186 Lebensbild S. 280 f. (an Fitting, 13.2. 1866) 187 Reichstagswahl1887, S. 53 f.; dem folgt Pappenheim S. 7. 188 Zu Unger s. K1einheyerISchröder, Juristen, S. 308 - 310. 189 Lebensbild S. 286 f. (an Jolly, 11. 9. 1866). 190 Marsha L. Rozenblit, Die Juden Wiens 1867 - 1914, Köln/Graz 1989, S. 138 f. Gustav Mahler ließ sich noch 1897 taufen, um Direktor der Wiener Hofoper werden zu können. Auch Unger hatte sich 1852 taufen lassen, um in Wien promovieren zu können. 182 183
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tuung und sah ihn als ein Zeichen der allgemeinen Überwindung eines jahrhundertealten Irrwegs deutscher wie europäischer Geistesgeschichte, der seine Glaubensgenossen immer wieder zutiefst erniedrigt hatte I9I • Für die Juden in den deutschen Staaten bedeutete Goldschmidts Ernennung zum ordentlichen Professor der Rechte einen wichtigen Schritt auf dem Weg zur Emanzipation I92 . Soweit sich feststellen läßt, ist er der erste nicht getaufte Jude, der in einem deutschen Staat an einer juristischen Fakultät ein Ordinariat erlangte I93 . Mit dem Heidelberger Ordinariat erwirbt Goldschmidt zugleich das Recht auf Mitgliedschaft als ordentlicher Beisitzer im Spruchkollegium der Heidelberger Juristenfakultät I94 . Diese Mitgliedschaft ist freiwillig I95 , doch macht Goldschmidt sogleich nach seiner Ernennung von seinem Mitgliedschaftsrecht Gebrauch und er wird schon im April 1866 ins Spruchkollegium eingeführt I96 . Obwohl den Ordinarien auch für ihre Arbeit im Spruchkollegium Gebühren zustehen I97 , hat Goldschmidt hier keine Schwierigkeiten, aufgenommen zu werden. Allerdings war die Rechtslage hier eindeutig I98 . Außerdem ist tätiger und wohl auch vorbildlicher I99 Vorsitzender des Spruchkollegiums20o seit nunmehr bald 44 Jahren C. J. A. Mittermaier, der seinen schon durch praktische Arbeiten und Erfolge ausgezeichneten Schüler wohl gern darin aufnimmt. Da die Zahl der anfallenden Akten freilich in den vergangenen Jahren stark zurückgegangen ist20I , beschränkt sich Goldschmidts Tätigkeit auf die Bearbeitung einiger Fälle aus dem allgemeinen Privatund Zivilprozeßrecht202 .
s. insbes. Reichstagswahl 1887, S. 47 - 61. s. etwa Allgemeine Zeitung des Judenthums, 30. Jg., Leipzig 1866, S. 245. 193 Nach Toury, Geschichte, S. 201 war er der vierte deutsche ordentliche Professor jüdischen Glaubens überhaupt. Da Gustav Weil 1861 in Heidelberg Ordinarius geworden war, läßt sich eine VorreitersteIlung der Heidelberger Universität auf dem Weg der akademischen Judenemazipation nicht leugnen. 194 Zum Zeitraum der Zugehörigkeit Goldschmidts s. Jammers, Juristenfakultät, S. 64 67. 195 § 2 der Statuten, s. Jammers, Juristenfakultät, S. 75 f. 196 Jammers, Juristenfakultät, S. 61. 197 s. etwa Jammers, Juristenfakultät, S. 44. 198 Nach § 2 der Statuten (abgedruckt bei Jammers, Juristenfakultät, S. 161 - 176) bedurfte die Mitgliedschaft eines Ordinarius "keiner besonderen Ernennung". 199 s. Jammers, Juristenfakultät, S. 61 - 65. 200 Er führt den Titel Ordinarius: Jammers, Juristenfakultät, S. 75. 201 Überblick bei Jammers, Juristenfakultät, S. 179. 202 s. Z. B. Einrede der Litispendenz 1867. 191
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VTI. Die letzten Jahre in Heidelberg 1866 - 1870
1869 nimmt Goldschmidt, diesmal als Vollmitglied, am achten Deutschen Juristentag teil, der in Heidelberg stattfindet. Hier ist er Berichterstatter für zwei das Recht der Aktiengesellschaft und das Genossenschaftsrecht betreffenden Fragen. In der genossenschaftsrechtlichen Frage, inwieweit die einzelnen Genossen kraft Gesetzes zwingend für die Schulden der Genossenschaft einzustehen haben, stellt er sich gegen die Auffassung des Führers der deutschen Genossenschaftsbewegung, Hermann Schultze-Delitzsch. Goldschmidt wird sich mit diesem Themenkreis bis hin zu seiner Mitarbeit an dem Genossenschaftsgesetz von 1889 wiederholt befassen 203 • 1868 lernt Goldschmidt eine der für das politische Bewußtsein großer Teile der Öffentlichkeit bedeutendsten Persönlichkeiten des Geisteslebens in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kennen, den Historiker Heinrich von Treitschke 204 . Treitschke ist besonders für die badischen Nationalliberalen eine Leitfigur: Wegen seiner Schwerhörigkeit von praktischen Tätigkeiten ausgeschlossen, wirkte er ab 1863 an der Universität Freiburg als Historiker. Hier agitierte er schon bald für eine deutsche Reichseinigung unter preußischer Führung und mußte deshalb das Großherzogtum Baden 1866 verlassen. Schon 1867 kehrte er zurück, um an der Universität Heidelberg die Nachfolge Ludwig Häussers anzutreten 205 ; hier verbreitete er sein konservative wie nationalliberale Elemente vermengendes Credo, daß nur ein starker Staat die persönliche Freiheit des Einzelnen ermögliche 206 . Goldschmidt liegt daran, die persönliche Bekanntschaft Treitschkes zu machen, da ihn Treitschkes Schriften sowohl wissenschaftlich 207 als auch politisch 208 beeindruckten. Dieser Respekt schon vor ihrer persönlichen Bekanntschaft ist durchaus gegenseitig 209 • Von Treitschkes Persönlichkeit ist Goldschmidt geradezu begeistert21O • Der persönliche Umgang mit Treitschke ist wegen dessen SchwerhörigErwerbsgenossenschaften 1882; Wortmeldungen 1887; Haftpflicht 1888. Heinrich Gotthard von Treitschke, 1834 - 1896. Zu Treitschkes Leben s. Petersdorff, in: ADB 55 (1910), S. 263 - 326, u. M. Comicelius, in: Treitschke, Briefe, Bd. 1- 3, passim. Zur Beziehung Treitschkes zu Goldschmidt in ihrer Heidelberger Zeit s. Comicelius, in: Treitschke, Briefe, Bd. 3, S. 179; Petersdorff, Treitschke, S. 288 f.; Sinzheimer, S. 66. 205 Marcks, Häusser, S. 352 ff. 206 Zu den politischen und historischen Anschauungen Treitschkes s. Walter Bußmann, Treitschke: Sein Welt- und Geschichtsbild, Göttingen 1952, insbes. S. 151 ff. u. 215 ff.; H. W. C. Davis, The political thought of H. v. Treitschke, London 1914, insbes. S. 117 - 147; Karl Heinz Metz, Grundformen historiographischen Denkens, München 1979, S. 237 - 423. 207 Lebensbild S. 249 f., 250 (an Fitting, 2. 2. 1862). 208 Lebensbild S. 277 (an Fitting, 11. 2. 1865). 209 1862 bemerkt Treitschke anläßlich des Drucks seiner Abhandlung über "Das dt. Ordensland Preußen", sie stimme, "wie ich nachträglich zu meiner Freude sehe, an mehreren Stellen mit Goldschmidts Hansa überein": Treitschke, Briefe, Bd. 2, S. 221 f., 222 (an Haym, 9.7. 1862). 203
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1. Teil: Ein jüdischer Gelehrter in Deutschland 1829 - 1897
keit schwierig, aber Goldschmidt läßt sich nicht, wie mancher andere, davon abhalten, das persönliche Gespräch mit ihm zu suchen 211 . Treitschkes Frau und ein enger Freund Treitschkes, der Kirchenrechtler Emil Herrmann212 , die die Fingersprache beherrschen, fungieren dabei als Dolmetscher213 . Auch Emil Herrmann gehört zu den propreußischen Liberalen, für die er sich schon in Göttingen nach der Annexion des Königreichs Hannover durch Preußen eingesetzt hat. Treitschke lockt ihn 1868 von dort nach Heidelberg mit der Aussicht, hier eine von Intrigen freie Juristenfakultät zu finden, in der die politischen Gegner unfähig, die Liberalen aber bedeutsam seien: "Dafür finden Sie Bluntschli, Vangerow und Goldschmidt, der mir außerordentlich gefallt,,214. Tatsächlich wird Herrmann einer der engsten Freunde Goldschmidts in Heidelberg215 . Ihren unbedingten Einsatz für die Schaffung eines preußisch dominierten kleindeutschen Reiches setzen sie als oberstes Ziel der badischen Liberalen auch gegen anfängliche Zweifler wie Bluntschli durch 216. Angesichts dieser nicht nur wissenschaftlichen, sondern auch engen persönlichen Bindungen zum gelehrten Heidelberg kann Goldschmidt Ende der 60er Jahre nur wenig daran liegen, seiner akademischen Heimatstadt den Rücken zu kehren. Vier Jahre nach seiner Ernennung zum Ordinarius erhält er indessen einen Ruf, dem zu folgen er sich nicht versagen kann.
E. Am Reichsoberhandelsgericht in Leipzig 1870 - 1875
Mit Wirkung vom 1. Juli 1870 wird Goldschmidt vom König von Preußen im Namen des Norddeutschen Bundes zum Rat am neugegründeten Bundes-Oberhandeisgericht des Norddeutschen Bundes mit Sitz in Leipzig ernannt 1. Diese Berufung an das nunmehr höchste Gericht des 1867 gegründeten Vorläufer-Staats zum Deutschen Reich von 1871 erfolgt unter so besonderen Umständen, daß sich schon bald das Gerücht verbreitet, Goldschmidt verdanke sie einer speziell für ihn geschaffenen Fassung des die Errichtung des BOHG vorsehenden Gesetzes 2. 210 Lebensbild s. 308 f. (an Stobbe, 14.3. 1868), S. 313 (an Adele Goldschmidt, 9. 11. 1868). 211 Lebensbild S. 325 (12. 12. 1869). 212 1812 - 1885; s. Hans Liermann, NDB 8 (1969), S. 687 f.; Fritz Stier-Somlo, ADB 50 (1905), S. 248 - 253. 213 Lebensbild S. 308 f.; Petersdorff, Treitschke, S. 289. 214 Treitschke, Briefe, Bd. 3, S. 203 (an Herrmann, 25. 3. 1868). 215 Pappenheim S. 9. 216 s. den Bericht Goldschmidts an Jolly v. 29. 5. 1869, Lebensbild S. 321 - 324. I BGBI. 1870, S. 27 = ROHGE 1 (1873), S. 3 f.; Lobe, Reichsgericht, S. 337 f. = E. Müller, Reichsgericht, S. 56 f. 2 Gesetz, betreffend die Errichtung eines obersten Gerichtshofes für Handelssachen v. 12. 6. 1869, BGBI. 1869,5.201 - 210. Zur Geschichte der Entstehung des BOHG: Goldschmidt,
E. Am ROHG in Leipzig 1870 - 1875
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I. Goldschmidt und das Reichsoberhandelsgericht
1. Die Berufung an das Reichsoberhandelsgericht Zwei Eigenschaften sind es, durch die sich Goldschmidt von den anderen Erstmitgliedern des Bundes-Oberhandelsgerichts unterscheidet: Er ist als einziger nicht vorher als Richter tätig gewesen und als einziger kommt er aus einern Staat, der dem Norddeutschen Bund gar nicht angehört 3 . Daß Goldschmidt gleichwohl berufen werden kann, hat er der Fassung des § 6 des Gesetzes über das BundesOberhandelsgericht zu verdanken, die diese Bestimmung erst während der Beratung im Reichstag des Norddeutschen Bundes erhalten hatte. In dem dem Reichstag zugeleiten Gesetzentwurr, ging der § 6 dahin, zum Mitglied des BOHG könne neben denjenigen, die die Befähigung zum höheren Richteramt nach den Gesetzen ihres Bundesstaats besitzen, ernannt werden, wer "an einer Universität eines Bundesstaates5 die Stelle eines ordentlichen öffentlichen Lehrers des Rechts" bekleide 6 . Damit sollte die ausreichende Qualifikation der für eine Ernennung in Frage kommenden Personen sichergestellt werden, ohne ihren Kreis von vornherein auf Richter zu beschränken; denn auch die Berufung von Rechtsanwälten oder Rechtslehrern sollte möglich sein 7 . War damit die potentielle berufliche Herkunft der Bundesrichter bereits weit gefaßt, so war deren örtliche Herkunft nicht problematisiert worden 8 . Der Gesetzentwurf wurde im Reichstag zwar sehr kontrovers diskutiert, doch erfuhr er schließlich nur wenige Änderungen 9 . In der Debatte, an der sich zahlreiche bedeutende ParlamentarierIO wie Reichensperger, Windthorst und Lasker, insbesondere aber die Juristen wie Wilhelm Endemann, Bähr und Planck sowie der Bundesbevollmächtigte Eduard Pape rege beteiligten, karn auch der § 6 des Entwurfes zur Sprache. Hierzu hatten die nationalliberalen Abgeordneten von Bernuth, Friedrich Heinrich Meyer, J. 1. Bürgers, Lesse, Otto Bähr, Wilhelm Endemann, Oetker und Planck beantragt, die Worte "Universität eines Bundesstaates" durch "Deutschen Universität" zu ersetzenIl. Die Debatte über diesen Antrag 12 eröffnete Lesse, der zu seiner Begründung auf die Einheit der Handbuch, 2. Aufl., 1,1874, § 20, S. 147 - 151; AdolfLaufs, Anfänge S. 256 - 259; Schubert, Gerichtsverfassung, S. 140 - 153,259 - 321; Pollmann, Parlamentarismus, S. 472 f.; D. Werkmüller, Artt. BOHG u. ROHG, in: HRG I (1970), Sp. 535 f. bzw. IV (1990), Sp. 714 f. 3 Die Herkunftsbezeichnung "Preuße" bei Lobe, Reichsgericht, S. 337 f. = E. Müller, Reichsgericht, S. 56 f. ist unrichtig. 4 RT-Drs. 1869, Bd. I, Nr. 71 (Entwurf S. 3 ff., Motive S. 11 ff.). 5 Und zwar des Norddeutschen Bundes: Art. 1 R.=Verf. 1867. 6 Entwurf S. 4. 7 Motive S. 16 f. 8 Vgl. allenfalls Motive S. 14 unten. 9 StB, 1. Legislatur-Periode, Session 1869,2. Bd., 34. Sitzung am 4. 5. 1869, S. 783 - 814. 10 Parteizugehörigkeit und biographische Daten bei Schwarz, MdR, S. 251 - 506. 11 RT-Drs. 1869, Bd. 11, Nr. 140: Abänderungs-Anträge zu dem Gesetz-Entwurf usw., S. 1.
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1. Teil: Ein jüdischer Gelehrter in Deutschland 1829 - 1897
deutschen Rechtswissenschaft über die Unterschiede der partikulären Rechte hinweg und auf die gesamtdeutsche Gemeinsamkeit des Handelsrechts nach dem ADHGB 13 hinwies. Der Abgeordnete Waldeck (Fortschrittspartei) und der Bundesbevollmächtigte Pape widersprachen dem Antrag: Es sei eine ungerechtfertigte Anomalie, Ausländer zu bundesunmittelbaren Beamten des Norddeutschen Bundes zu machen, zumal genug qualifizierte Rechtslehrer auch an bundesangehörigen Universitäten zu finden seien l4 . Die nationalliberalen Abgeordneten Lesse, Meyer, Weigel und der fraktionslose Abgeordnete zur Rabenau brachten dagegen vor, daß durch die Änderung ein Signal an die süddeutschen Staaten gegeben würde, sich bald am BOHG zu beteiligen, zumal über das gemeinsame Handelsrecht hinaus mit dem gemeinen Recht viele Bundes- und süddeutsche Staaten gleiches bürgerliches Recht hätten 15. Nur durch Zulassung der Berufung von Handelsrechtswissenschaftlern aus ganz Deutschland werde gewährleistet, daß die Rechtspraxis des BOHG durch die wirklich kompetentesten Rechtslehrer bereichert werden könne. Diesen Gedanken führt dann der Abgeordnete Meyer aus: "Aber, meine Herren", so Meyer l6 , "ich denke nicht bloß an die Möglichkeit, sondern es ist Thatsache, daß wirklich an Süddeutschen Universitäten bedeutende und renommirte Kapazitäten des Handelsrechts existiren, die ihre praktische Ausbildung in Preußen erlangt haben," - Zwischenruf: "Sehr wahr" - "ich könnte Namen nennen, wenn das zur Debatte gehörte - ich will nur Goldschrnidt in Heidelberg nennen," - Zwischenruf: "Sehr richtig!" - "aus welchen erdenklichen Gründen sollten wir nun derartige Kräfte ausschließen und sie nicht heranziehen, um unser Ziel zu erreichen?" Aus dieser Äußerung hat nun insbesondere Pappenheim die Folgerung ziehen wollen, die beantragte Änderung sei durch den Wunsch, gerade Goldschrnidt an das BOHG berufen zu können, veraniaßt gewesen 17 . Tatsächlich sind schon 1868 die Bestrebungen nach Änderung des § 6 des Entwurfes so aufgefaßt worden; Goldschrnidt selbst ist dies nur zufällig dadurch bekannt geworden, daß seine Frau ihm aus Berlin eine entsprechende Zeitungsnotiz nach Heidelberg sandte l8 . Natür-
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StB, 1. Legislatur-Periode, Session 1869,2. Bd., 34. Sitzung am 4. 5. 1869, S. 794 -
13 ADHGB u. ADWO wurden durch Gesetz v. 5. 6. 1869 (BGBI. 1869, S. 379 - 602) ohne Änderung Gesetze des Norddeutschen Bundes. 14 StB, 1. Legislatur-Periode, Session 1869, 2. Bd., 34. Sitzung am 4. 5. 1869, S. 794 f., 795 f. 15 StB, 1. Legislatur-Periode, Session 1869, 2. Bd., 34. Sitzung am 4. 5. 1869, S. 795, 795 f., 796. 16 StB, 1. Legislatur-Periode, Session 1869,2. Bd., 34. Sitzung am 4.5. 1869, S. 795. 17 Pappenheim S. 10; auch Riesser S. 38 f. 18 Goldschrnidt schrieb ihr darauf unter dem 2. 2. 1868 (Lebensbild S. 306 f., 306): "Die Notiz aus der Zeitung, für welche ich Dir danke, war mir insofern interessant, als sie zeigt, wie man in den sich für die Sache interessirenden Kreisen den Antrag von Lesse als einen Antrag auf meine Berufung auffaßte. Daß daraus nichts wird, schmerzt mich wenig." - Lesse
E. Am ROHG in Leipzig 1870 - 1875
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lieh ist die Nennung seines Namens in dieser Debatte kein Zufall: Unter allen Vertretern der deutschen Handelsrechtswissenschaft ist gerade Goldschmidt es gewesen, der am häufigsten und nachdrücklichsten für die Schaffung eines obersten deutschen Gerichtshofs in Handelssachen sich ausgesprochen hat l9 ; seine Gedanken finden sich in den Motiven zum Entwurf des BOHG-Gesetzes ebenso wieder20 wie in der flammenden Rede, mit der Lasker die Debatte über eben diesen Entwurf beschließt21 . Dennoch darf die Erwähnung Goldschmidts in der Rede Meyers nicht eng nur in Beziehung auf seine Person gesehen werden. Denn sie ist ein Zeichen für zweierlei: Einmal steht Goldschmidts Name für die nicht geringe Anzahl aus Preußen stammender Rechtslehrer, die aufgrund der weitgehenden Einheitlichkeit des deutschen Universitätswesens 22 an einer Universität außerhalb des Bundesgebiets lehrten. Politisch ragte Goldschmidt unter ihnen heraus, weil besonders er im wankelmütigen Baden stets für die deutsche Einheit unter preußischer Führung öffentlich eingetreten war. Eine Ausschließung solcher Vertreter der deutschen Einheitsbewegung mit dem Argument, sie seien Ausländer, mußte paradox erscheinen. Zum anderen war Goldschmidt infolge seines aktuellen politischen Engagements der den Reichstagsabgeordneten im Zweifel bekannteste Heidelberger Handelsrechtler23 • Daß es im Streit um die Fassung des § 6 des BOHG-Gesetzes indessen primär um die Schaffung der Möglichkeit ging, Lehrer der Universität Heidelberg zu berufen, an der das Handelsrecht besser vertreten war als an jeder anderen deutschen Universität24, belegt die Äußerung des Abgeordneten Waldeck, der in derselben Debatte den Namen Achilles Renauds nennt25 . Die Abstimmung im Reichstag ergab eine Mehrheit zugunsten der geänderten Fassung des § 6 des BOHG-Gesetzes26 . So sehr damit die Tatsache, daß Goldschmidt dann - und zwar als einziges Mitglied nach dieser Bestimmung - auch tatsächlich an das BOHG berufen wurde, für das Vorliegen einer gerade auf ihn gemünzten Gesetzesfassung zu sprechen scheint, so wenig konnten deren Befürworu. Meyer, 1827 bzw. 1826 in Danzig geboren, waren möglicherweise Jugendfreunde Goldschmidts. 19 Kritik I, 1857, S. 2; Gesetzgebung und Rechtseinheit, 1860, S. 133 f.; Bericht der Vorcommission, 1861, S. 103 u. 104 f.; Abschluß und Einführung I, 1862, S. 226 f.; Handbuch, I. Aufl., Bd. I 1, 1864, S. 219 u.ö. 20 Motive S. 11 ff. 21 StB, I. Legislatur-Periode, Session 1869, 2. Bd., 34. Sitzung am 4. 5. 1869, S. 812 f., 813; vgl. damit Goldschmidt, Handbuch, I. Aufl., Bd. I 1, 1864, S. 219 (2. Aufl., I, 1874, S. 307; Rechtsstudium 1887, S. 118 u. 375 Anm. 194). 22 Vgl. dazu Pappenheim S. 10. 23 C. J. A. Mittermaier war 1867 verstorben. 24 s. die Darstellung von Landwehr, Handelsrechtswissenschaft, passim. Außerdem wäre noch der gleichfalls politisch aktive J. C. Bluntschli zu nennen, der das Handelsrecht im Rahmen seiner Vorlesungen über deutsches Privatrecht behandelte. 25 StB, I. Legislatur-Periode, Session 1869, 2. Bd., 34. Sitzung am 4. 5. 1869, S. 795 f., 796. 26 StB, I. Legislatur-Periode, Session 1869,2. Bd., 34. Sitzung am 4.5. 1869, S. 796.
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ter angesichts der ablehnenden Haltung gerade des Bundesbevollmächtigten Pape damit rechnen, daß diese Ernennung erfolgen würde. Denn schon die notwendige Berücksichtigung bundesinterner Proporzgesichtspunkte mußte die Ernennung eines im Ausland tätigen Rechtslehrers unwahrscheinlich erscheinen lassen 27 • Tatsächlich aber war es den Befürwortern der Änderung offensichtlich gelungen, den Bundesbevollmächtigten zu überzeugen. Im Dezember 1869 fragt Eduard Pape bei Goldschmidt an, ob er bereit sei, eine Ernennung zum Rat am Bundesoberhandelsgericht anzunehmen. Goldschmidt bittet sich einige Tage Bedenkzeit aus. Denn er hängt sehr an Heidelberg, an seinen dortigen Freunden und an seiner Lehrtätigkeit28 . Der unter diesen Umständen erfolgenden Berufung meint er aber, sich nicht entziehen zu können 29 . Die Wendung, die Go1dschmidts Karriere mit seiner Berufung nimmt, ist bemerkenswert und scheint auch ihn selbst überrascht zu haben. Während er bisher keine neue Stellung hatte einnehmen können, ohne vorher erhebliche Widerstände unterschiedlichster Art überwinden zu müssen, so schien es solche auf einmal nicht mehr zu geben. War insbesondere noch nicht einmal zehn Jahre zuvor im liberalen Heidelberg seine Religionszugehörigkeit als Hindernis für seine Ernennung auch nur zum Extraordinarius angesehen worden, so spielte dieser Aspekt jetzt überhaupt keine Rolle mehr. Das "Gesetz des Norddeutschen Bundes vom 3. Juli 1869, betreffend die Gleichberechtigung der Konfessionen in bürgerlicher und staatsbürgerlicher Beziehung,,30, in dessen einzigem Artikel "Alle noch bestehenden, aus der Verschiedenheit des religiösen Bekenntnisses hergeleiteten Beschränkungen der bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte ... aufgehoben" wurden, entsprach den zumindest vorübergehend grundlegend gewandelten Anschauungen der Oberschicht in den deutschen Staaten3l . Goldschmidt ist der erste Jude, der im Norddeutschen Bund Reichsbeamter wird. Bevor Goldschmidt Heidelberg verläßt, kann er seiner bisherigen akademischen Heimat noch in besonderer Weise dienlich sein, indem er in einem langen Schreiben vom 7. Juni 187032 auf Wunsch der Fakultät und des erkrankten Vangerow Bernhard Windscheid, dessen Pandekten-Lehrbuch als die herausragende systematische Darstellung des in Deutschland geltenden gemeinen Rechts anerkannt ist 33 , dazu bewegt, in Heidelberg die Nachfolge Vangerows anzutreten. Vg!. das Emennungsverfahren §§ 3 f. BOHG-Ges. Lebensbild S. 330 - 337, 340 f. (Januar - August 1870). Ihm wäre Berlin als Sitz des Gerichtshofs ohnehin lieber gewesen: Lebensbild S. 398 f. (an Stobbe, 11. 2. 1877); zur Diskussion über den Sitz des BOHG s. z. B. Bähr in der Reichstagsdebatte v. 4.5. 1869: StB, 1. Legislatur-Periode, Session 1869,2. Bd., 34. Sitzung am 4.5. 1869, S. 792. 29 Lebensbild S. 326 f., 327, 328 f., 329 (an Jolly u. Fitting, 15., 19. u. 23. 12. 1870). 30 BGB!. 1869, S. 292. 31 Vg!. indessen Goldschmidt, Lebensbild S. 327, wo er (1869) die "Verwirklichung konfessioneller Gleichberechtigung" als noch erst anzustrebendes Ziel nennt. 32 Lebensbild S. 334 - 337, insbes. S. 335. 27
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Goldschmidts Abschied von Heidelberg im Juli 1870 steht ganz im Zeichen der aktuellen politischen und kriegerischen Ereignisse; Goldschmidt erlebt noch im Beisein von Jolly, Bluntschli und Treitschke, daß das Ziel ihres gemeinsamen mehrjährigen politischen Kampfes erreicht wird. An sich sollte Goldschmidt zum Abschied von der Universität durch einen Kommers geehrt werden, der für den 17. Juli angesetzt war. Nachdem aber am 13. Juli 1870 die gegenseitigen Provokationen Frankreichs und Preußens um die "Emser Depesche" begonnen hatten, kommt es in dem seit nun vier Jahren von den Staatsministern Mathy und Jolly liberal-propreußisch geführten Großherzogturn Baden zu einem prodeutschen nationalen Ausbruch. Die Abschiedsfeier für Goldschmidt findet statt, aber sie wird anläßlich der Verkündung der Mobilmachung zu einer nationalen Kundgebung. Als Hauptredner betätigen sich Treitschke, Bluntschli 34 und Goldschmidt, dessen Rede dem ersten Teil eines vom 23. Juli 1870 datierten Flugblattes zugrundeliegt, das mit "Buben und Verräther!" überschrieben ise 5 . Es ist ein aus heutiger Sicht trotz vergleichbarer Wiederholungen zu Beginn der Kriege von 191436 und 1939 schwer nachvollziehbarer Ausbruch in nationalistischen Phrasen, in dem "ein treuer Sohn des Vaterlandes", welcher "in diesem frevelhaftesten und schnödesten Krieg, welchen die Weltgeschichte kennt, mit freudigem Mut sein Alles für das Vaterland zu opfern bereit ist, wer sich gelobt, ... nicht zu rasten, bis Deutschland über den alten Erbfeind gesiegt ... hat", und ein "Bube und Verräther", welcher "an Seite der Franzosen gegen das Vaterland zu kämpfen begehrt; wer Frankreich als der Vormacht des Katholicismus den Sieg erbittet,,37, einander gegenübergestellt werden. Der zweite Teil des Flugblattes, offensichtlich einige Tage nach dem ersten entstanden, feiert den Eintritt der süddeutschen Staaten in den Krieg auf seiten Preußens. Auch hier sieht Goldschmidt im Katholizismus die sich der Reichseinigung widersetzende Kraft 38 . Die betont gegen den politischen Katholizismus gerichtete Haltung Goldschmidts 39 muß im Zusammenhang mit seiner engen Beziehung zu Jolly gesehen werden, der, gestützt auf die liberalen, insbesondere nationalliberalen Kräfte im Großherzogturn Baden hier bereits Ende der 60er Jahre die Auseinandersetzung des Staates mit der katholischen Kirche begonnen hatte, die später
33 Zu Bemhard Windscheid (1817 - 1892) und seine Bedeutung für die deutsche Rechtswissenschaft s. Landsberg, Geschichte III 2 Text, S. 854 - 865, Noten S. 361 - 363; Kleinheyer/ Schröder, Juristen, S. 311 - 314. 34 Bluntschli schildert in seinen Erinnerungen diesen Abend: Denkwürdiges III, S. 261. 35 Abgedruckt in Lebensbild S. 337 - 340. 36 s. hierzu Klaus Böhme (Hrsg.), Aufrufe und Reden deutscher Professoren im ersten Weltkrieg, Stuttgart 1975, S. 3 - 10. 37 Buben und Verräther 1870, S. 337 f., 337. 38 Buben und Verräther 1870, S. 338 - 340, 339. 39 Sie spielt auch in Goldschmidts Privatkorrespondenz der 70er Jahre eine große Rolle, in der sie ihn immer wieder zu Ausbrüchen gegen die "Ultramontanen" und deren Umtriebe veranlaßt: Lebensbild S. 303 f., 347 f., 374, 376 u.ö.
7 Weyhe
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1. Teil: Ein jüdischer Gelehrter in Deutschland 1829 - 1897
als "Kulturkampf' das ganze Deutsche Reich und seine bedeutendsten Gliedstaaten, insbesondere Preußen erfassen sollte4o . Inmitten der patriotischen Wirren zieht Goldschmidt im August 1870 nach Leipzig, um sein neues Amt am BOHG anzutreten 41 . 2. Die Tätigkeit am Reichsoberhandelsgericht
Unter seinen Kollegen am Bundes-Oberhandelsgericht bewundert Goldschmidt am meisten dessen Präsidenten Pape, dessen "genialen und kraftvollen" Stil in der Führung des Gerichts er rühmt42 . Als das Gericht 1871 in zwei Senate geteilt wird, gehört Goldschmidt dem I. Senat an, desen Vorsitz Pape führt. Zu ihm tritt er auch in persönliche Beziehung, die wieder auflebt, als Pape 1879 vier Jahre nach Goldschmidts Ausscheiden aus dem Gericht nach Berlin kommt, um den Vorsitz in der ersten Kommission zur Ausarbeitung eines Bürgerlichen Gesetzbuchs zu übernehmen. Überhaupt ist das Verhältnis der Räte am BOHG untereinander ausgesprochen gut und von gegenseitigem Respekt geprägt43 ; Goldschmidt steht bei seinen Kollegen in hohem Ansehen44 . Auch Goldschmidts patriotischer Eifer wird von seinen Kollegen am Gerichtshof geteilt: Der politischen Bedeutung des ersten neuen Gerichtes mit bundesweiter Zuständigkeit sind sich seine Mitglieder durchaus bewußt45 . Durch Plenarbeschluß vom 2. September 1871 nimmt das BOHG den Namen "Reichs-Oberhandelsgericht" an46 . Ein Resümee der Arbeit Goldschmidts am ROHG gab 1910 Viktor Ring 47 : Er lobt nachdrücklich Goldschmidts auf wissenschaftlicher Basis ruhenden praktischen Sinn; kaum eines der von ihm vorbereiteten Urteile, von denen Ring das im 40 Zum Beginn des Kulturkampfes in Baden s. Manfred Stadelhofer, Der Abbau der Kulturkampfgesetzgebung im Großherzogtum Baden, Mainz 1969, S. I - 25, insbes. S. I - 7; zum Kulturkampf im Deutschen Reich s. Georg Franz, Kulturkampf, München 1954; Erich Schmidt-Volkmar, Der Kulturkampf in Deutschland, Göttingen 1962; Hans-Erich Feine, Kirchliche Rechtsgeschichte, 5. Aufl., Köln 1972, S. 676 - 685; Vasold, Virchow, S. 272 302. 41 Protokoll der Eröffnungssitzung v. 5.8. 1870, in: ROHGE 1(1873), S. 5 - 15. 42 Rechtsstudium 1887, S. 5 f., 5; s. auch S. III sowie Beseler und Pape 1889, S. I - 5. 43 Beseler und Pape 1889, S. I - 5; Rechtsstudium 1887, S. III u. 5 f.; Goldschmidt über Voigt, ZHR 33 (1887), S. 205 Fußn. I, und Fleischauer 1891; s. auch Papes Abschiedsrede v. 27.9. 1879, in: ROHGE 25 (1880), S. 373 - 377, 373 f. u. das Protokoll S. 377 ("in sichtlich wehmüthiger Stimmung"). 44 s. das Schreiben des ehemaligen Rechtsanwalts am ROHG Seelig v. Juli 1910 (Fasimile), in: Liebmann (Hrsg.), Juristische Fakultät, S. 517. 45 Vgl. Pape, Abschiedsrede, in: ROHGE 25 (1880), S. 373 - 377, 374 f. 46 BOHGE 2 (1871), S. 448 (aufgrund v. § 7 S. I BOHG-Ges., § 2 des Gesetzes, betreffend die Verfassung des Deutschen Reiches v. 16.4.1871, BGBI. 1871, S. 63 f.) 47 Schreiben Rings v. 11. 7. 1910 (Faksimile), in: Liebmann (Hrsg.), Juristische Fakultät, S.385.
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seinerzeit viel Aufsehen erregenden ,,Leipziger Theaterprozeß" hervorhebt, das "die Meisterhand des Dogmatikers" zeige, verrate den ehemaligen Rechtslehrer. Ring sieht dies als schlagenden Beweis für die von Goldschmidt vehement verfochtene These48 , daß der wahrhaft produktive Praktiker, der den Ansprüchen einer hoch entwickelten Rechtsordnung genügen wolle, der umfassenden wissenschaftlichen Ausbildung bedürfe. Goldschmidt hat auf seine Zeit als Rat am ROHG stets gern zurückgesehen, denn er war der Ansicht, daß das Gericht die Aufgabe des Richters, "das natürliche Organ der nationalen Rechtsüberzeugung" zu sein49 , in höchstem Maße erfüllte. Allerdings erscheint es übertrieben, wenn er eine angeblich "in den preußischen Gerichten versumpfte Praxis"so mit ihrem "ertödtenden und immer mehr verknöchernden Formalismus" der Rechtsprechung des ROHG gegenüberstellt, die von ,,hochbegabten und tief durchbildeten Praktikern", gar "genial-schöpferischen Juristen" geprägt gewesen seiSl und die bisherige Praxis von oberflächlicher Gesetzesanwendung befreit habe, indem sie auf wissenschaftlicher Einsicht und einem Eindringen in die lebendige Ordnung der rechtlich geregelten Tatbestände beruht habe 52 . Diese Sichtweise ist zwar in der Tendenz richtig 53 ; sie wird aber den Leistungen auch der älteren preußischen Praxis nicht gerecht und unterschlägt, daß auch das ROHG selbst mitunter dazu neigte, Rechtssätze von weitreichender Bedeutung aus der begrifflichen Interpretation nur einzelner Quellenbelege herzuleiten. Dennoch beginnt erst mit der Rechtsprechung des ROHG die deutsche Praxis über das Liefern bloßer Beispielsfälle hinaus starken Einfluß auf die Entwicklung wissenschaftlicher Lehren zu nehmen, der sich in den folgenden Jahrzehnten stetig vergrößern sollte. Goldschmidts Stolz, an dieser Entwicklung tätig und sogar entscheidend mitgewirkt zu haben 54 , war berechtigt. Bei der Verabschiedung Goldschmidts vom ROHG ergänzt Pape seine Entlassungsurkunde durch den persönlichen Zusatz, daß mit Goldschmidt ein Mann das Gericht verlasse, auf dessen Verdiensten zu nicht geringem Teile das hohe Ansehen des Gerichtshofes beruht habe 55 . 11. Das Leben in Leipzig
Auch in Leipzig nimmt Goldschmidt am politischen und gesellschaftlichen Leben regen Anteil. Von Heidelberg aus hat Heinrich von Treitschke ihn an seinen Rechtsstudium 1887, S. 273 - 341 mit zahlreichen Verweisen. Handbuch, 2. Aufl., 1,1874, S. 306 f., 307. 50 Pape und Beseler 1889, S. 4. 51 Rechtsstudium 1887, S. 269. 52 Rechtsstudium 1887, S. 118 - 121. 53 Vgl. Ogorek, Privatautonomie, S. 116. 54 s. Handbuch, 2. Aufl., I, 1874, S. XII; Studium 1878, S. 10 f.; Rechtsstudium 1887, S.118. 55 Pappenheim S. 12. 48
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Freund, den gleichfalls politisch engagierten Schriftsteller Gustav Freytag empfohlen: "Mein kleiner Umgangskreis hier wird einen empfindlichen Verlust erleiden durch Goldschmidt's Wegzug. Den empfehle ich Ihnen aufs Wärmste: er ist Jolly's Busenfreund, ein gescheidter tapferer Preuße, Gentleman durchaus; von jüdischen Schwächen hat er gar nichts, auch seine feine Frau nicht"s6. Gustav FreytagS7 läßt in seinem Werk, besonders in seinem Roman "Soll und Haben", zwar eine latent vorhandene antisemitische Einstellung erkennens8 ; in seinem politischen und gesellschaftlichen Gebaren findet sie aber keinen Niederschlag 59 , wogegen der letzte Halbsatz von Treitschkes Empfehlung bereits einen Hinweis auf das Zerwürfnis enthält, daß sich zehn Jahre später zwischen Goldschmidt und Treitschke ergeben wird, als dieser sich öffentlich zu einem ausgeprägt politischen Antisemitismus bekennt. Goldschmidts Verhältnis zu Freytag ist von derartigen Belastungen ungetrübt und von Anfang an herzlich und von einer gewissen Neigung zu feucht-fröhlicher Geselligkeit geprägt6o . Die Beziehung zwischen beiden erlischt aber - bis auf einen Besuch Goldschmidts bei Freytag 1879 - mit Goldschmidts Fortgang von Leipzig 1875 61 . Engere Beziehungen knüpft Goldschmidt naturgemäß zu den Angehörigen der Juristenfakultät der Leipziger Universität62 . Besondere Freude bereitet es Goldschmidt, als Otto Stobbe 1872 von Breslau nach Leipzig berufen wird. Auch Stobbe freut sich des engen persönlichen Umgangs 63 .
III. Werk und Wirken außerhalb des ROHG
Goldschmidt verbindet in sich nunmehr mehrere Funktionen: Als Richter am ROHG ist er ein hoher Staatsbeamter des Norddeutschen Bundes, 1871 des Deutschen Reiches; zugleich ist er ein inzwischen international bekannter Rechtsgelehrter und schließlich seit dem Erfolg seines politischen Engagements in Heidelberg ein bedeutsamer nationalliberaler Politiker. Diese Verbindung führt dazu, daß er, der nur etwa zehn Jahre zuvor seines Glaubens wegen als Jurist in Preußen 56 Freytag und Treitschke im Briefwechsel, S. 147 - 152, 151 f., gekürzt auch in Treitschke, Briefe H, S. 258 - 260, 260 (9. 1. 1870) und bei Sinzheimer S. 66 (ohne den letzten Satz). 57 1816 - 1895. - Dieter Kafitz, in: Grimm/Max, Dt. Dichter 6, S. 51 - 61; F. Martini, in: NDB 5 (1961), S. 425 - 427. 58 Hierzu Claus Richter, Leiden an der Gesellschaft, Königstein 1978, S. 229 - 231; P. H. Hubrich, Gustav Freytags "Deutsche Ideologie", Kronberg 1974, S. 38 f. u. 88 - 123. S9 Dieter Kafitz, in: Grimm/Max, Dt. Dichter 6, S. 51 ff., 57. 60 s. den Brief Freytags an Treitschke v. 27. 11. 1871, in: Freytag und Treitschke im Briefwechsel, S. 159 - 163, 159 f. 61 Lebensbild S. 416 (an Stobbe, 26. 4. 1879). 62 s. Pappenheim S. 13. 63 Brief Stobbes an Eduard von Simson v. 10. 11. 1872, in: Liebmann (Hrsg.), Festnummer, Sp. 993 f., 994.
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keine Zukunft hatte, ab 1870 häufig zum Mitglied staatlicher Kommissionen zur Vorbereitung rechtspolitischer Entscheidungen berufen wird.
1. Internationale Beziehungen
Auch im Ausland ist Goldschmidt durch sein Handbuch des Handelsrechts und als Herausgeber der ZHR inzwischen als herausragender Vertreter deutscher Handeisrechtswissenschaft bekannt. Seine internationale Anerkennung, die ebenso wie bei Bluntschli in einem merkwürdigen Widerspruch zu seinen geradezu fanatischen Kriegsaufrufen gegen Frankreich von 1870 steht, findet ihren ersten äußeren Ausdruck schon 1869 in Goldschmidts Aufnahme in die Societe des Arts et Sciences in Utrecht; ihr schließen sich Mitgliedschaften und Ehrenmitgliedschaften zahlreicher anderer ausländischer und internationaler Gesellschaften an 64 . Seine Interessen gelten hier zunächst nur der Privatrechtsvergleichung und dem internationalen Privatrecht, nicht Problemen der internationalen Politik. Noch 1870, im Jahr des Kriegsausbruchs, führt er sich mit einem Referat über den Einfluß der Rechtsprechung der Handelsgerichte auf die Entwicklung des deutschen Rechts in die Societe de legislation comparee ein 65 , deren korrespondierendes Mitglied er 1876 wird66 • Erst nach dem Krieg beschäftigt sich Goldschmidt auch mit dem politischen Völkerrecht. 1873 gehört er zu den ersten deutschen Mitgliedern des von Bluntschli in Gent mitbegründeten Institut de Droit International67 , dessen Gründung dem Gedanken der Völkerverständigung entspricht, der sich nach den schweren Krisen der jüngsten Vergangenheit nun rasch unter den europäischen Gelehrten ausbreitet. Goldschmidt wird freilich mehr sein juristisches Interesse am Völkerrecht zur Beteiligung veranlaßt haben als eine Ernüchterung über die Schrecken 64 Aufzählung bei Pappenheim S. 26 und S. 48 in Fußn. 149: Societe des arts et sciences d'Utrecht (1869, auswärtiges Mitglied); Istituto giuridico internazionale di Milano (1880, Ehrenmitglied); Circolo giuridico di Palermo (1892, Ehrenmitglied); Accademia dei Lincei (1892, auswärtiges Mitglied); Istituto di Diritto Romano (1892, Ehrenmitglied); R. Istituto Lombardo di Scienze et Lettere (1893, korrespondierendes Mitglied); Istituto di Storia dei Diritto Romano (1896, Ehrenmitglied); insbes.: Institut de droit international (1873, Mitbegründer und Vollmitglied, ab 1895 auch Ehrenmitglied); Societe de legislation comparee (1876, korrespondierendes Mitglied); Association for the Reform and Codification of Law of Nations (1878, Vollmitglied und "Vizepräsident für Norddeutschland"). 65 Du droit commercial 1870, S. 357 - 376. 66 1881 beteiligt Goldschmidt sich außerdem "auf wiederholten Wunsch" des Schweizer Bundesrats mit Änderungsvorschlägen an der schweizerischen Zivilgesetzgebung (wohl am Obligationenrecht von 1884): Lebensbild S. 431. Näheres darüber ist nicht bekannt; s. aber Goldschmidt, Neue Gesetze 1863; Obligationenrecht 1878. 67 Einen Überblick über Entstehung und Tätigkeit des Institut de droit international, das 1904 den Friedens-Nobelpreis erhält, gibt Wehberg in Wörterbuch des Völkerrechts 11, S. 2225.
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des deutsch-französischen Krieges, den er auch rückblickend als notwendige Voraussetzung der deutschen Einheit billigt68 . Goldschmidts Interesse am Völkerrecht hat einen konkreten Anlaß: 1872 wird er auf kaiserliche Anordnung in eine Kommission berufen, die einen Schiedsspruch des Deutschen Kaisers in einem internationalen Streit vorbereiten soll. Es handelt sich dabei um einen Völkerrechtsstreit, der als "San-Juan-Frage" im 19. Jahrhundert erhebliches internationales Aufsehen erregt. Der Streit um die "San-Juan-Frage" schloß die umfassendere "Oregon-Kontroverse" ab, in der es um die Grenzziehung zwischen dem britischen Kanada und den Vereinigten Staaten von Amerika an der Pazifikküste ging69 . Im Oregon-Vertrag von 184670 hatten sich die Parteien auf den 49. nördlichen Breitengrad als Grenze geeinigt. Dabei sollte die Vancouver-Insel kanadisch bleiben, und die Grenze nach Art. 1 des Vertrages "to the middle of the channel which separates the continent from Vancouver's Island" verlaufen. Nun waren aber die britischen Karten, die den Verhandlungen zugrunde gelegt worden waren, ungenau gewesen. Es stellte sich heraus, daß in "the middle of the said channel", der Wasserstraße zwischen der Vancouver-Insel und dem Festland, Inseln - von ihren ersten spanischen Besiedlern San-Juan-Inseln genannt - liegen, die sie in Längsrichtung in die breitere Haro-Straße zur Vancouver-Insel und die schmalere Rosario-Straße zum Festland hin teilen. Um diese Inseln entbrannte nun ein Streit zwischen den Parteien, der zeitweilig sogar zu einem britisch-amerikanischen Krieg zu führen drohte7l . Wie im 19. Jahrhundert vielfach üblich72 , beschlossen sie jedoch im Washingtoner Vertrag vom 8. Mai 1871, diesen Streitfall durch Schiedsrichter entscheiden zu lassen. Als Schiedsrichter wurde auf Vorschlag der Amerikaner der Deutsche Kaiser berufen73 • Wilhelm I. nahm die Berufung zum Schiedsrichter an74 . Zur Vorbereitung seiner außenpolitisch bedeutsamen Entscheidung berief er eine Kommission von drei Sachverständigen: den Juristen Ferdinand Grimm75 , den Geographen Heinrich s. Reichstagswahl1887, S. 17 f., 24. Überblick: Ingo von Münch, Art. Oregon-Kontroverse, in: Wörterbuch des Völkerrechts 11, S. 667 f. 70 Treaty Establishing the Boundary in the Territory on the Northwest Coast of America v. 15.6. 1846 (Oregon Boundary Treaty), in: Clive Parry (Hrsg.), The Consolidated Treaty Series, Bd. 100, New York 1969, S. 39 - 42. 71 Ausführliche Darstellung von McCabe, San Juan, 1964. 72 s. Wilhelm G. Grewe, Epochen der Völkerrechtsgeschichte, Baden-Baden 1984, S. 606 - 615. - Zur Völkerrechtsgeschichte allgemein s. den Überblick von Karl-Heinz Ziegler, Zur Einführung: Völkerrechtsgeschichte, in: JuS 1987, S. 350 - 354. 73 Treaty between Great Britain and the United States for the Amicable Settlement of all Causes of Difference v. 8. 5. 1871, in: Clive Parry (Hrsg.), The Consolidated Treaty Series, Bd. 143, New York 1977, S. 145 ff.; Artt. 34 - 42 dort S. 160 - 162. 74 RGB!. 1871, S. 63 - 85. 75 1806 - 1895, Mitglied des Preußischen Herrenhauses und Kronsyndikus, Vizepräsident des Preußischen Obertribunals in Berlin: Miller, Water Boundary, S. (iii). 68 69
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Kiepert 76 und Goldschmidt, der als Rat am höchsten deutschen Gerichtshof einziger primär deutscher und nicht preußischer Sachverständiger war. Zur Vorbereitung der Konferenz der Sachverständigen77 , die am 25. und 26. September 1872 in Berlin stattfindet, fertigt Goldschmidt ein vom 10. September 1872 datiertes Gutachten an 78 • In ihm kommt er - mangels spezifischer Regelungen des Völkerrechts unter Zuhilfenahme der Auslegungsgrundsätze des römischen Rechts 79 - zu einem zunächst verblüffenden Ergebnis: Keine der Parteien sei mit ihren Ansprüchen im Recht 8o • Der Vertrag sei vielmehr beim Wort zu nehmen 81 und die Grenze durch die Mitte des zwischen der Vancouver-Insel und dem Festland liegenden Gewässers zu ziehen, das von den Parteien ja als Einheit aufgefaßt worden sei. An diesem ursprünglich gewollten Vertragsinhalt müßten die Parteien sich festhalten lassen82 . Außerdem entspreche dieses Ergebnis einer gängigen Praxis des Völkerrechts, nach der die Grenzen in Meerengen in der Regel in der Mitte verliefen. Kiepert und insbesondere Grimm 83 widersprechen Goldschmidts Votum 84 . In der Diskussion räumt Goldschmidt ein, daß die im Washingtoner Vertrag an den Schiedsrichter gerichtete Frage nur laute, welcher der beiden Ansprüche in der größten Übereinstimmung mit der wahren Auslegung des Oregon-Grenzvertrages stehe, nicht, welcher ihr genau entspreche. Er besteht aber darauf, den Parteien die Frage vorzulegen, ob nach dem Vertrag von Washington wirklich jede andere Entscheidung als die, einer der Parteien vorbehaltlos Recht zu geben, ausgeschlossen sein solle. Nur wenn das der Fall sei, wolle er sich der Auffassung Grimms anschließen 85 . Er kann Grimm und Kiepert aber nicht überzeugen. Es vermag ihn auch nicht umzustimmen, daß 76 1818 - 1899: Miller, Water Boundary, S. (iv); sein Interessenschwerpunkt lag freilich im klassischen Altertum: G. Engelmann, in: NDB II (1977), S. 593 f. 77 Die in dieser Sache von Goldschmidt und von Grimm erstellten Gutachten sind 1942 in den USA von Miller, Water Boundary herausgegeben und 1964 aus kanadischer Sicht von McCabe, San Juan ausführlich analysiert worden. 78 Grenzstreit 1872, S. 30 - 67. Es umfaBt, da die Ausgabe von Miller zweisprachig ist (li. S. das Original, re. S. die - gute - eng!. Übersetzung) etwa 19 Druckseiten. Den Titel hat Goldschmidt seinem Votum selbst gegeben. 79 Quellennachweis bei Miller, Water Boundary, S. 75. 80 Grenzstreit 1872, S. 30, 31. 81 Vg!. Reglement 1875, § 26, S. 742: "Findet das Schiedsgericht, dass die Ansprüche keiner der streitenden Parteien begründet sind, so hat es ... das wirkliche Rechtsverhältniss festzustellen. " 82 Grenzstreit 1872, S. 64, 66: "plus est in re quam in existimatione"; vg!. Paulus D. 41, 4, 2, 15 (zu den Voraussetzungen der Ersitzung). 83 Von Grimm stammen das Protokoll der Konferenz (Miller, Water Boundary, S. 68, 68), die abweichende Stellungnahme zu Goldschmidts Votum (S. 70 - 73) und das schlieBliche Gegengutachten v. 30. 9. 1872 (Vortrag über den amerikan.-brit. Grenzstreit, S. 2 - 29 = 16 Druckseiten), dem Kiepert sich angeschlossen hat. 84 Grimm bei Miller, Water Boundary, S. 2 ff. u. 70, 72. 85 Konferenzprotokoll v. 25. u. 26. 9. 1872 bei Miller, Water Boundary, S. 68,69. Tatsächlich hat Goldschmidt Grimms Ansicht nachträglich gebilligt: Reglement 1875, S. 742 zu FuBn.76.
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dem Deutschen Kaiser deshalb zwei Gutachten vorgelegt werden müssen und dieser die Entscheidung schließlich selbst treffen muß. Denn Goldschmidt hält die Übertragung des Schiedsrichteramtes ohnehin für unzulässig 86 und auch schon die bloße Vorbereitung des Schiedsspruches durch Sachverständige für bedenklich 87 . Die Entscheidung Wilhelms I. vom 21. Oktober 1872 fällt zugunsten der USA aus 88 . Sie wird in Großbritannien mit großer nationaler Verbitterung aufgenommen und führt dazu, daß die deutsch-britischen Beziehungen sich verschlechtern. Der Verdacht, sie sei in antibritischen Ressentiments begründet gewesen 89, ist angesichts der ausführlichen Würdigung der von beiden Seiten vorgebrachten Argumente durch die Kommission allerdings unbegründet. Die Erfahrungen, die Goldschmidt als Gutachter in der "San-Juan-Frage" gemacht hat, verwertet 90 er bald darauf für das Institut de Droit International in dem Entwurf eines Reglements für internationale Schiedsgerichte vom 20. Juni 187491 , das dem Institut auf dessen Genfer Sitzung 1874 vorgelegt wird92 . Ausgangspunkt von Goldschmidts Entwurf ist die Erkenntnis, daß die Einrichtung eines ständigen internationalen Gerichtshofs zwar wünschenswert, aber erst in ferner Zukunft realisierbar sei 93 und allgemein anerkannte Rechtsregeln für die Bildung internationaler Schiedsgerichte94 und das von ihnen anzuwendende Verfahren fehlten. Bei der Bildung solcher Regeln solle das einmal vom Institut de Droit International angenommene Reglement als Richtlinie oder im Streitfall gar als subsidiäre Rechtsquelle dienen95 , wobei Goldschmidt sich der politisch bedingten Grenzen des Schiedsgerichtsgedankens bewußt ist96 . Der Ausarbeitung seines Reglements hat Goldschmidt die bisherige Vertragspraxis des Völkerrechts zugrundegelegt. Materiell müsse oberste Norm aller Streitentscheidung die Vereinbarung der einander Reglement 1875, § 15, S. 733. Reglement 1875, S. 734. 88 Sentence arbitrale rendue par l'Empereur d' Allemagne sur le differend dit de "San Juan" v. 21. 10. 1872, in: Recueil General de Traites et autres actes relatifs au rapports de Droit International, begründet von G. F. v. Martens, hrsg. v. Ch. Sam wer u. J. Hopf, 7. Bd., Göuingen 1875, Nr. 129, S. 775 f. 89 Zur Aufnahme des Schiedsspruchs in Großbritannien u. den USA u. seinen Folgen s. McCabe, San Juan, S. 126 ff. 90 Goldschmidt, Reglement 1875, §§ 15 und 26. 91 Projet 1874, S. 452. 92 Der offizielle Entwurf ist eine von Adolphe Rivier (Projet 1874, S. 452) angefertigte, getreue französische Übersetzung. Goldschmidts in deutscher Sprache abgefaßtes Original wird erst ein Jahr nach der Übersetzung veröffentlicht: Reglement 1875 (= Verm. Sehr. I, S. 535 - 573). 93 Reglement 1875, S. 748 f. 94 Zur Abgrenzung des Schiedsverfahrens von anderen Verfahren s. Reglement 1875, S. 714 f., 718 ff. 95 Reglement 1875, S. 714. 96 Reglement 1875, S. 716 ff., s. auch S. 722 f. 86 87
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gleichberechtigten und keiner über ihnen stehenden Instanz unterworfenen Parteien sein97 , hilfsweise diejenigen Rechtsnormen, "welche in Gemässheit der Grundsätze des internationalen Rechts als die zutreffenden erscheinen,,98. Die Grundsätze des Verfahrens entwickelt er aus den allgemeinen Grundsätzen des freilich privaten Schiedsgerichtswesens, die er aus dem römischen Recht als der Grundlage aller europäischen Rechtsordnungen 99 sowie den Regelungen einzelstaatlicher Prozeßordnungen abstrahiert. Dabei kommen Goldschmidt seine Erfahrungen als Rat am ROHG und als Mitglied mehrerer Privatschiedsgerichte zugute 100. Goldschmidts Entwurf ist damit sowohl von wissenschaftlicher Stringenz wie praktischer Erfahrung gekennzeichnet und gerät ihm zu einem auch rechtspolitischen Meisterwerk. Er entfaltet auch schon bald Wirkungen in zwei ganz verschiedene Richtungen: Für die Lehre vom Schiedsvertrag nach gemeinem Recht wird das Reglement zu einem der grundlegenden WerkelOI. Es hat auf diese Weise Einfluß auf die bereits 1877 in der deutschen Zivilprozeßordnung erfolgende reichsgesetzliche Regelung des Privatschiedsvertrages 102 und auf die damit im Zusammenhang stehenden Vorschriften des BGB 103. Bedeutsamer ist die völkerrechtliche Wirkung von Goldschmidts Entwurf: Er wird vom Institut de Droit International in dessen Genfer Sitzung 1874 und in der Haager Sitzung 1875, an der Goldschmidt sich nur durch vorherige Absprachen beteiligt 104, beraten und mit nur geringen Änderungen angenommen 105. Doch damit beginnen erst die Fernwirkungen von Goldschmidts Entwurf lO6 : Die inzwischen auch in die Politik vorgedrungenen internationalen Friedensbestrebungen finden ihren Höhepunkt 1899 in der ersten Haager Friedenskonferenz lO7 , zu deren
Reglement 1875, S. 722 f. u. 738 ff. (§ 22), vgl. Paulus D. 4, 8, 32, 15. Reglement 1875, § 22, S. 738. 99 Reglement 1875, S. 723. 100 Vgl. z. B. zur Bildung des Schiedsgerichts Beiträge 1870, S. 299 mit Reglement 1875, S. 726 -729. 101 s. Windscheid/Kipp, Pandekten 11, §§ 415 - 417, S. 844 - 853 in den Fußnoten. 102 §§ 851 - 872 CPO 1877, heute §§ 1025 - 1048 ZPO 1950. 103 §§ 317 - 319 BGB; vgl. Reglement 1875, S. 720 f., Windscheid/Kipp, Pandekten 11, S. 845 Fußn. lc. 104 s. die Schlußberatung, in: Annuaire de l'Institute de Droit International, 1. Jg., Berlin/ Paris 1877, S. 84ff., 85. 105 Projet de reglement pour la procedure arbitrale internationale, in: Annuaire de I'Institute de Droit International, 1. Jg. 1877, S. 126 - 133. Die bedeutendsten Änderungen sind die Ersetzung des Rechtsmittelverfahrens (§§ 32 - 34) durch eine Nichtigkeitsregel (Art. 27) und der Wegfall der in § 10 vorgesehenen Schadensersatzpflicht des grundlos sein Amt aufgebenden Schiedsrichters. 106 Wehberg, Wörterbuch des Völkerrechts 11, S. 23; H.-J. Schlochauer, Art. Internationale Schiedsgerichtsbarkeit, in: Wörterbuch des Völkerrechts III, S. 177 - 195, 181. 97
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Ergebnissen neben den das Land- und Seekriegsrecht betreffenden Regelungen auch eine Kodifikation des Verfahrens internationaler Schiedsgerichte gehört, die auf der zweiten Haager Konferenz revidiert wird \08. Diesem Teil des Abkommens wird das auf Goldschmidts Entwurf beruhende Reglement des Institut de Droit International zugrundegelegt und wieder nur geringfügig verändert, indem insbesondere die Regelungen über die Auswahl des Schiedsrichters und den Schiedsrichtervertrag entfallen, da im Abkommen ein ständiger Schiedshof mit Sitz in Den Haag (der heute noch existiert) geschaffen wird. Die Haager Abkommen wirkten dann wiederum ein auf das Statut des Internationalen Gerichtshofes der Vereinten Nationen mit Sitz in Den Haag \09. Mit diesem Einfluß von Goldschmidts Entwurf auf die Entwicklung der europäischen Völkerrechtswissenschaft wie -praxis 110 hat sich seine Idealvorstellung, an der Schaffung eines gemeinsamen Rechts aller Kulturnationen mitzuwirken, das auf gemeinsamen Rechtsvorstellungen und einer lebendigen Rezeption des Römischen Rechts beruht, mehr verwirklicht als in seinen vergleichbaren Tatigkeiten in seinen Stammgebieten, dem bürgerlichen Recht und dem Handelsrecht.
107 Zu den Haager Friedenskonferenzen von 1899 und 1907 s. H.-V. Scupin, Art. Völkerrechtsgeschichte 1815 - 1914, in: Wörterbuch des Völkerrechts III, S. 721 - 744, 739 ff.; P. Schneider, Haager Friedenskonferenzen, in: Wörterbuch des Völkerrechts I, S. 739 - 745. 108 Convention pour le reglement pacifique des conflits internationaux du 29 juillet 1899, Abkommen zur friedlichen Erledigung internationaler Streitfälle v. 29. 7. 1899, in: RGBI. 190 I, S. 393 ff., Titre IV: De i' arbitrage international, 4. Titel: Internationale Schiedssprechung, insbes. Chapitre III: De la procedure arbitrale, 3. Kap.: Schiedsverfahren. - Convention usw.lAbkommen usw. v. 18. 10. 1907, in: RGBI. 1910, S. 5 ff., 4. Titel, Artt. 15 ff., 3. Kap., Artt. 30 - 57. - Dazu Schneider, Wörterbuch des Völkerrechts I, S. 741 f. 109 BGBI. 11 1973, S. 505 - 531, insbes. Kap. 11 u. III (Artt. 34 ff.) über Zuständigkeit und Verfahren. Es ist dem Statut des Internationalen Gerichtshofs des Völkerbundes nachgebildet. 110 Folgende Regelungen entsprechen einander (§ des Entwurfs von Goldschmidt - Art. des Projet des Institut de Droit International - Art. des I. Haager Abkommens 1899 - Art. des 2. Haager Abkommens): Grundsatz und Schiedsvertrag (I, 2 Nr. 1 - I - 15, 16 - 37 Abs. 1,38); Inhalt des Schiedsvertrags (3, 4 - 1 - 17, 19 - 39, 40); Ersatz bei Ausfall eines Schiedsrichters (11 - 7 - 35 - 59); Sitz des Schiedsgerichts und Sitzverlegung (12 - 8 - 36, 43 Abs. 1,60 - 22); Vorsitz (13 S. I - 9 Abs. I - 34 - 5,7); Gerichtssprache (13 S. 2 - 9 Abs. 238 - 61); Rechtsgrundlage des Verfahrens (16 S. I bis 4 - 12 Abs. I - 49 -74); Verhandlungsleitung (16 S. 5 - 12 Abs. 2 - 34 - 57); Partei vertreter (17 - I3 - 37 - 62); Entscheidung über Zuständigkeit (18 - 14 - 48 - 73); Parteiobliegenheiten und Geständnis (19 Nr. 1 u. 2 - 15 Nr. 1 u. 2 - 49; 39, 40 in Verbindung mit 42; 69 - 74; 63, 64 in Verbindung mit 67; 69); Aufklärung des Sachverhalts (19 Nr. 3 u. 4 - 15 Nr. 3 u. 4 - 47 Abs. 1 - 72 Abs. 1); freie Beweiswürdigung (19 Nr. 5 - 15 Nr. 5 - vacat - vacat); Streitverkündung (20 - 16 - 56 Abs. 2 - 84 Abs. 2); Widerklagen und Einreden (21 - 17 - 46 - 71); Entscheidungsgrundlage (22 - 18 vacat - Präambel Abs. 4 u. 7); Entscheidung (24, 25 - 20, 21 - 50, 51 - 77, 78); Abfassung des Schiedsspruches und Entscheidungsgründe (27, 28 - 23 - 52 S. 2 u. 3, S. I - 79 S. 2, S. I); Verkündung (29 S. 1 u. 2 - 24 Abs. 1 - 53 - 80); nachträgliche Erläuterung oder Berichtigung (29 S. 3 bis 5 - 24 Abs. 2 u. 3 - vacat - 82); Folgen des Schiedsspruchs (30 - 25 - 18, 54, 56 Abs. 1 - 27 Abs. 2, 81, 84 Abs. I); Kosten (31 - 26 - 57 - 84).
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2. Die Vorbereitung des BGB
Als Rat am obersten deutschen Gerichtshof wird Goldschmidt auch als Gutachter in Fragen der Gesetzgebung des Deutschen Reiches bestellt. Zunächst geschieht dies in privater Initiative durch den erst entstehenden "Verein für Socialpolitik", der auf seiner ersten Tagung 1872 111 Goldschmidt und dessen Kollegen, die späteren Reichsgerichtsräte Behrend und Wiener damit beauftragt, Gutachten über die Reform des Aktienrechts des ADHGB zu erstellen. Die Gutachten werden 1873 in dem ersten Band der Schriften des Vereins veröffentlicht. Bedeutender ist das zweite große, rechtlich wie politisch bedeutsame Projekt, an dem Goldschmidt während seiner Zeit als Rat am ROHG beteiligt ist: Es ist die Schaffung der Grundlagen für die einheitliche deutsche Zivilrechtskodifikation. In amtlicher Eigenschaft ist er feilich nur kurz mit diesem Projekt befaßt; seiner amtlichen Mitwirkung, zu der er wiederum in seiner Eigenschaft als Rat am höchsten deutschen Gericht berufen wird, geht jedoch ein langjähriges außeramtliches Engagement voraus, das schließlich maßgeblich zum Erfolg des Kodifikationsgedankens auch in Deutschland beigetragen hat. Goldschmidt ist schon vom Anfang seiner wissenschaftlichen Laufbahn an ein Anhänger des Kodifikationsgedankens. Das mag damit zusammenhängen, daß der Beginn dieser Laufbahn mit dem Beginn der Arbeiten am ADHGB zusammenfällt und die Kodifikation dieses Teilgebiets des Zivilrechts nahezu einhellig als gelungen empfunden wird. Schon vor Vollendung des ADHGB aber macht Goldschmidt deutlich, daß ihm das ADHGB nur die Vorstufe zur Kodifikation eines allgemeinen deutschen Privatrechts überhaupt sei 112, da das wirtschaftliche und politische Zusammenwachsen Deutschlands ein gemeinsames Verkehrsrecht unbedingt erforderlich mache l13 : "Das ceterum censeo bleibt stets ein deutsches Gesetzbuch,,1I4. Bald darauf, in seiner Rede auf Savigny, äußert sich Goldschmidt dann ausführlich zu dem berühmten Streit zwischen Friedrich earl von Savigny und Anton Friedrich Justus Thibaut um die Frage, ob es angebracht sei, ein allgemeines deutsches Zivilgesetzbuch zu schaffen, indem er geschickt auf diesen Fragenkreis hinsteuert: Zunächst nämlich steht im Mittelpunkt seiner Würdigung Savignys die These, daß Savigny die Rechtswissenschaft gelöst habe von einer einseitigen Anbindung an das von staatlichen Gesetzgebern gesetzte Recht wie von der Bindung an postulierte unwandelbare, innere Gesetze der menschlichen Vernunft 11 5. Dies habe Savigny bewirkt durch die Rückbesinnung auf die eigentlichen Quellen des römischen Rechts, ein Gedanke, der Goldschmidt, der hierin in seinem eigenen 111 Eisenacher Tagung v. 6. u. 7. 10. 1872; s. G. Albrecht, Art. Verein für Sozialpolitik, in: Handwörterbuch der Sozialwissenschaften, 11. Bd., Stuttgart 1961, S. 10 ff., 12. 112 Kritik I, 1857, S. I. 113 Gemeinsame dt. Gesetzgebung 1860, S. 132 - 134. 114 Das preußische Recht 1859, S. 57. 115 Vortrag Savigny 1864, S. 621 - 623, 627 - 644, 648 f.; Art. Savigny 1865, S. 100 ff.
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Werk Savigny ganz folgt, Anlaß gibt, seine eigene Begeisterung über das römische Recht, dessen "Vortrefflichkeit ... in der That nicht hoch genug gewürdigt werden" könne 1l6 , auszudrücken. Erst dann wendet sich Goldschmidt Savignys Auseinandersetzung mit Thibaut 1l7 über die Kodifikationsfrage zu. Hier 1l8 rallt im Vergleich zu vielen Nachrufen auf Savigny durch andere seiner Anhänger 1l9 sogleich auf, daß Goldschmidt nicht nur die Persönlichkeit Thibauts - nach Goldschmidt "ein Mann von Geist, feiner Bildung und Gelehrsamkeit" - angemessen würdigt, sondern auch dessen Absichten, die den Widerstand Savignys hervorgerufen hatten l2o. Demgemäß legt Goldschmidt einiges Gewicht auf die Momente, die den Gegensatz zwischen Savigny und Thibaut mindern, wie die den beiden Gelehrten gemeinsame gründliche Arbeitsweise auf dem Boden des römischen Rechts 121, und er weist auf Savignys eigene Befassung mit legislatorischen Aufgaben während seiner Zeit als preußischer lustizminister hin 122• Goldschmidt beschließt seinen Vortrag mit einer eigenen Stellungnahme zur Kodifikationsfrage l23 ; Savignys Haltung gegenüber Thibauts Forderung nach einem allgemeinen deutschen bürgerlichen Gesetzbuch habe "ein gewisses Ueberrnass der Idealität" zugrundegelegen. Die Vertagung der Kodifikation auf den Zeitpunkt der dazu angeblich erforderlichen Höhe der Rechtswissenschaft sei ein Verzicht auf immer - "Denn in der Wissenschaft gibt es niemals eine Reije" 124 -, und die Zersplitterung der wissenschaftlichen Kräfte auf zahlreiche Partikularrechte sei weitaus verderblicher als eine möglicherweise unvollkommene einheitliche deutsche Kodifikation, die nachgebessert und den sich ändernden Verhältnissen angepaßt werden könne 125. Goldschmidts Ausführungen gehören in die Reihe der aufschlußreichsten Würdigungen Savignys aus dieser Zeit, denn sie belegen das Bemühen der deutschen Rechtswissenschaft, Savignys wissenschaftliches Erbe anzutreten und gleichzeitig dem imVortrag Savigny 1864, S. 628 f., 628 (nicht in den Art. Savigny 1865 übernommen). Zu Thibaut: Kleinheyer!Schröder, Juristen, S. 297 - 300 m.w.N.; Hattenhauer, in Stern! Hattenhauer, S. 10 - 20. 118 Vortrag Savigny 1864, S. 633 - 636; Art. Savigny 1865, S. 101 - 103 (gekürzt). 119 Nachgewiesen bei Goldschmidt, Art. Savigny 1865, S. 109. 120 Vortrag Savigny 1864, S. 633 f.; Art. Savigny 1865, S. 101 f.; s. auch Handbuch, 1. Aufl., I 1, 1864, S. 94, wonach die "patriotische Anregung Thibaut's" jedenfalls einem praktischen Bedürfnis entsprochen habe. 121 Vgl. Vortrag Savigny 1864, S. 633 f.; Art. Savigny 1865, S. 101 f. 122 Vortrag Savigny 1864, S. 641; Art. Savigny 1865, S. 106 f. Ihre erheblichen Leistungen sollten freilich erst über 100 Jahre später erkannt und gewürdigt werden: Theodor Baums, Einführung, in: ders. (Hrsg.), Gesetz über die Aktiengesellschaften für die kgl. Preuß. Staaten v.9. 11. 1843, Aalen 1981, S. 9 - 44, 31 ff., 38 ff.; ders., Die Einführung der Gefährdungshaftung durch Savigny, in: ZRG GA 104 (1987), S. 277 - 282; Wolfgang van Hall, Savigny als Praktiker, in: ZRG GA 99 (1982), S. 285 - 297. 123 Vortrag Savigny 1864, S. 648 f.; im Art. Savigny 1865 auf S. 103 f. gekürzt im unmittelbaren Anschluß an die Darstellung des Kodifikationsstreits. 124 Vortrag Savigny 1864, S. 648; Art. Savigny 1865, S. 103 (dort ohne Hervorhebungen). 125 Vortrag Savigny 1864, S. 648 f.; Art. Savigny 1865, S. 103 f. 116 117
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mer deutlicher werdenden praktischen Bedürfnis nach einem nicht nur ganz Deutschland gemeinsamen, sondern vor allem auch geschriebenen Recht nachzukommen 126 . Wegen der turbulenten politischen Entwicklungen in Deutschland in der zweiten Hälfte der 60er Jahre des 19. Jahrhunderts gerät der Gedanke an eine gesamtdeutsche Kodifikation zunächst aus dem Blickfeld 127 • Nach der Reichsgründung aber lebt der Kodifikationsgedanke wieder auf, wenn auch mit gewandelter politischer Stoßrichtung 128 : In den 50er und 60er Jahren hatte Goldschmidt allgemeine deutsche Kodifikationen als eine zweite Stufe nach der wirtschaftlichen Verflechtung der deutschen Staaten und als Vorstufe zu deren politischer Einung als Endziel gesehen. Auf dieser Stufenfolge beruhte es, daß er stets das Verkehrsrecht als nach einheitlicher Regelung strebende Materie hervorgehoben hatte. Insoweit hätte Goldschmidt damit zufrieden sein können, daß in Art. 4 Nr. 13 R.=Verf. 1867/1871 die Bundes- bzw. Reichskompetenz auf die Gesetzgebung des Obligationen-, Hande1s-, Wechsel- und Prozeßrechts beschränkt blieb. Nachdem nun aber überraschend die politische Einheit vor der rechtlichen Einheit gekommen war, erschien vielen Politikern wie Juristen die Schaffung einer umfassenden Privatrechtskodifikation als notwendiges Band, um die errungene Einheit zu sichern und zu festigen, um die Unterschiedlichkeit der Rechtsordnungen als möglichen Keim neu entstehenden Partikularismus' auszuschalten. Besonders die Nationalliberalen sahen den anhaltenden Widerstand der süddeutschen Staaten mit Mißtrauen. Tatsächlich scheiterte der von den Reichstags-Abgeordneten Miquel und Lasker in den Jahren 1869, 1871 und 1872 in den Reichstag eingebrachte und dort auch angenommene Antrag, die Gesetzgebungskompetenz des Bundes bzw. des Reichs auf das gesamte bürgerliche Recht auszuweiten, immer wieder im Bundesrat, obwohl er dort von dem sonst übermächtigen Preußen unterstützt wurde 129 . Insbesondere Bayern widersetzte sich hartnäckig jeder Erweiterung der Reichskompetenz. Als auch Württemberg sich schließlich für eine Verfassungsänderung offen zeigte, stand Bayern 1873 allein, versuchte aber immer noch, eine Entscheidung des Bundesrats zumindest hinauszuzögern 130. Daß der Antrag Miquel-Lasker schließlich Hierzu Jakobs, Wissenschaft, Kap. IV, S. 57 ff. So widmet Goldschmidt den Arbeiten am Entwurf eines allgemeinen deutschen Gesetzes über Schuldverhältnisse (hrsg. v. B. Francke, Dresden 1866; Protocolle der Commission zur Ausarbeitung eines allgemeinen deutschen Obligationenrechts, Bd. I - 6, Dresden 1863 1866; s. dazu: Justus Wilhelm Hedemann, Der Dresdner Entwurf von 1866, Berlin 1935, S. 1 - 17,31 f., 40 - 46; Schubert, Entstehungsgeschichte BGB, S. 43 - 45, 45) erstaunlich wenig Aufmerksamkeit, obwohl viele der vorgesehenen Regelungen (z. B. Inhaberpapiere, Artt. 17 - 22; Stellvertretung, Artt. 83 - 91; Kaufrecht, Artt. 422 - 495, insbes. Artt. 450 - 456: Kauf auf Probe oder auf Besieht) ihn besonders interessieren müssen: Handbuch, 2. Aufl., I, 1874, 126 127
S.61.
Vgl. John, Politics, S. 34 f., 47. Nach Art. 6 R.=Verf. 1871 führte Preußen von den 58 Stimmen im Bundesrat 17 Stimmen, Bayern 6, Sachsen und Württemberg je 4; nach Art. 78 Abs. I R.=Verf. scheiterte eine Verfassungsänderung bereits bei 14 Gegenstimmen im Bundesrat. 128
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im Dezember 1873 auch im Bundesrat angenommen wurde l3l , war ein politischer Erfolg, an dem Goldschmidt maßgeblich mitgewirkt hatte. Denn Anlaß für den Sinneswandel der bayerischen Regierung war ein auch im Druck erschienener Vortrag, den Goldschmidt am 11. März 1872 in der Gemeinnützigen Gesellschaft zu Leipzig gehalten hatte 132. In seiner Rede, die zeigt, daß Goldschmidt bei öffentlichen Auftritten ein gewandter, Rhetorik und Sachkompetenz geschickt verbindender Redner war, stellt er die für die Schaffung einer einheitlichen Zivilrechtskodifikation sprechenden Gesichtspunkte nochmals zusammen: Die Ausweitung der Gesetzgebungskompetenz des Reiches auf das ganze bürgerliche Recht sei dringend geboten, da insbesondere die am ROHG gemachten Erfahrungen gezeigt hätten, daß die Beschränkung der Reichskompetenz auf das Handels- und Obligationenrecht dem von allen Bundesstaaten getragenen Ziel der Schaffung einheitlichen Prozeßrechts unter Umwandlung des ROHG in ein oberstes Reichsgericht mit erweiterter Zuständigkeit entgegenstehe I33 . Aber auch die Wahrung der politischen und kulturellen Einheit fordere eine reichseinheitliche Kodifikation des gesamten Zivilrechts; denn mit der Auflösung des alten Reiches in einzelne Nationalstaaten sei auch das Recht in einen Partikularismus verfallen, der für Wissenschaft wie Rechtspraxis verderblich gewesen sei und dem Einhalt geboten werden müsse 134• Als Zugeständnisse an die Haltung Savignys bleiben nur die Kritik an einer allzu zentralistisch-bevormundenden Gesetzgebung 135 und die Behauptung, daß seit Savignys Zeit "Alles anders geworden" sei, indem die von Savigny selbst initiierte Erneuerung der deutschen Rechtswissenschaft die Mängel, die 1814 noch einer Kodifikation entgegengestanden hätten, inzwischen behoben habe 136 . Mit dieser Rede gelingt es Goldschmidt, Einfluß auf die Haltung der bayerisehen Regierung zu nehmen. Unzutreffend ist allerdings seine Behauptung, daß "nur im Anschluß" an seine Ausführungen die bayerische Regierung ihren Widerstand gegen die Erweiterung der Reichskompetenz aufgegeben habe 137. Denn der bayerische lustizminister von Fäustle 138 sympathisierte schon früh mit dem Ge-
Schubert, Entstehungsgeschichte BGB, S. 30 - 32. Ausführlich dazu Schubert, Entstehungsgeschichte BGB, S. 27 - 33; ders., Materialien BGB, S. 125 - 159. 132 Goldschmidt, Nothwendigkeit 1872, S. 473 in Fußn.*. 133 Nothwendigkeit 1872, S. 477 - 481. 134 Nothwendigkeit 1872, S. 483; vgl. auch Rechtsstudium 1887, S. 73, 78 ff. u. Gemeinsame dt. Gesetzgebung 1860, S. 132 - 134. 135 "Unser Recht wird weder beliebig gemacht, noch entwickelt es sich ohne alles menschliche Zuthun. Es ist die angemessene Ordnung der Lebensverhäitnisse der menschlichen Gemeinschaften": Nothwendigkeit 1872, S. 484. 136 Nothwendigkeit 1872, S. 487; vgl. dazu Laufs, Begründung, S. 741. 137 Formen der Handelsgesellschaft 1892, S. 40 in Fußn.**; so auch Rassow, Verhandlungen, S. 172 u. Thieme, Vorgeschichte, Sp. 969. 130 131
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danken an ein einheitliches deutsches Zivilgesetzbuch 139, war aber an die ablehnende Haltung der bayerischen Abgeordnetenkammer gebunden 140. Fäustle nutzt aber die Rede Goldschmidts, um hier einen Stimmungs wandel herbeizuführen: Am 8. November 1873 nämlich tritt er vor der Abgeordnetenkammer für eine Änderung der bisherigen Haltung Bayerns ein 141 und bedient sich dabei der Argumente Goldschmidts unter Berufung auf dessen fachliche Autorität 142, indem er ausgiebig wörtlich aus Goldschmidts Rede zitiert 143. Der Einsatz Fäustles bringt schließlich den gewünschten Erfolg, wenn auch nur mit der knappen Mehrheit von drei Stimmen und gegen den erbitterten Widerstand der bayerischen Partikularisten l44 . Dennoch ist dies der endgültige Durchbruch, und mit der Zustimmung auch des Königreichs Bayern im Bundesrat ist der Weg zum deutschen Bürgerlichen Gesetzbuch endlich frei. Für Goldschmidt beginnt nun die amtliche Befassung mit dem Projekt: Mit der Annahme des Antrags Miquel-Lasker auf Änderung der Verfassung beauftragte der Bundesrat den lustizausschuß, eine Kommission zur Ausarbeitung eines Entwurfs für ein Bürgerliches Gesetzbuch einzusetzen. Dieser beschloß. jedoch zunächst nur die Einsetzung einer Vorkommission zur Klärung der für das endgültige Vorgehen entscheidenden Vorfragen "über Plan und Methode für die Aufstellung des Entwurfs eines deutschen bürgerlichen Gesetzbuchs,,145. Zu Mitgliedern dieser Vorkommission wurden am 28. Februar 1874 ausschließlich Praktiker 146 berufen 147 : Goldschmidt vom ROHG, von Kübel, Direktor des Württembergischen Obertribunals Stuttgart, von Neumayr, Präsident des Bayerischen Oberappellationsgerichts München, von Weber, Präsident des Sächsischen Oberappellatiönsge138 1828 - 1887; s. Eugen Döhring, Art. Johann Nepomuk Fäustle, in: NDB 4 (1959), S.743. 139 s. Schubert, Entstehungsgeschichte BGB, S. 28; ders., Materialien BGB, S. 150 f., 150: Bericht Fäustles an den Bayerischen König v. 7. 12. 1872; Döhring, NDB 4, S. 743. 140 s. die Rede Fäustles im Deutschen Reichstag am 29. 5. 1872, in: StB, I. Legislatur-Periode, III. Session 1872, 2. Bd., S. 601 - 603 mit dem Hinweis auf seine eigene Ansicht S.603. 141 Fäustle, Einheitliches bürgerliches Recht, Sp. 329 - 340; Auszüge daraus bei Schubert, Materialien BGB, S. 152 - 155. 142 Fäustle, Einheitliches bürgerliches Recht, Sp. 335. Es ist ein Kennzeichen für den Bekanntheitsgrad Goldschmidts, daß Fäustle die bloße Nennung seines Namens ohne weitere Hinzufügung seiner Stellung als ausreichend ansieht. 143 Fäustle, Einheitliches bürgerliches Recht, Sp. 335 f.: Zitat aus Goldschmidt, Nothwendigkeit 1872, S. 480 f.; s. dazu auch Goldschmidt, Codification 1875, S. 135 f., 136 in Fußn. 3. 144 Schubert, Materialien BGB, S. 152 in Fußn. 46. 145 Schubert, Entstehungsgeschichte BGB, S. 33 f.; ders. Materialien, S. 160 - 163. 146 Goldschmidt war schon seit vier Jahren nicht mehr Professor an der Universität Heidelberg, wie bei Schubert, Entstehungsgeschichte BGB, S. 34 versehentlich angegeben. 147 Protokoll der Bundesratssitzung bei Schubert, Materialien BGB, S. 163; zur Ersetzung von Meyer, Präsident des Appellationsgerichts Paderbom, durch von Schelling s. Schubert, Entstehungsgeschichte BGB, S. 34.
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richts Dresden, und von Schelling, späterer preußischer Justizminister, Präsident des Appellationsgerichts Halberstadt und damit einziger Vertreter eines preußischen Gerichts in der Vorkommission l48 . Goldschmidt verdankte seine Berufung wohl in erster Linie dem Bestreben, unter den Praktikern, die die Vorfragen einer deutschen Reichskodifikation klären sollten, jedenfalls einen Vertreter des bislang einzigen deutschen Reichsgerichts zu haben, unter dessen Räten er derjenige war, der auf den regsten publizistischen Einsatz in dieser Frage zurückblicken konnte. Über die weiteren Hintergründe seiner Berufung sind Einzelheiten nicht bekannt, woraus sich zwei einander entgegengesetzte Spekulationen entwickelt haben: Zum einen soll Goldschmidt "Vertrauensmann der badischen Regierung" gewesen sein l49 . Dafür jedoch gibt es über seine Freundschaft zu Jolly hinaus keine Anhaltspunkte. Zum anderen soll Goldschmidt berufen worden sein, um die preußischen Interessen gegen die süddeutschen Staaten zu vertreten, weshalb er in der Kommission in Gegensatz zu von Kübel getreten sei 150. Tatsächlich ist Goldschmidt vom preußischen Justizminister Leonhardt vorgeschlagen worden 15\, und es ist möglich, daß Preußen, das in der Vorkommission nur schwach vertreten war 152 , mit ihm einen verläßlichen Vertreter preußischer Nationalinteressen in die Kommission entsenden wollte. Aus den über die Beratungen vorliegenden spärlichen Quellen läßt sich ein prinzipieller Gegensatz zwischen Goldschmidt und von Kübel aber nicht belegen. Goldschmidt war weder ein Verfechter des angeblich preußischen Zieles, einen ersten BGB-Entwurf durch einen einzelnen Juristen ausarbeiten zu lassen i53 , noch darf die Behauptung von Kübels überbewertet werden, er habe Goldschmidts Ziel, "alles ganz neu aufbauen" zu lassen, vereitelt l54 ; denn sie widerspricht allen Ausführungen Goldschmidts zur Kodifikationsfrage, nach denen diese nicht im Sinne einer Neuschaffung des Rechts, sondern auf der Grundlage des geltenden, von der deutschen Wissenschaft erforschten und der deutschen Praxis geübten Rechts erfolgen sollte 155 • Die Differenz betraf im wesentlichen nur 148 Kurzbiographien der Genannten von Rosemarie Jahnel in: Schubert, Materialien BGB, S. 69 f. (Goldschmidt), 75 - 77 (v. Kübel), 71 (v. Neumayr), 86 (v. Weber), 71 f. (v. Schelling), jeweils m.w.N. Es handelte sich entgegen Thieme, Vorgeschichte, S. 969, keineswegs um "beliebige Praktiker". 149 So Thieme, Vorgeschichte, Sp. 965. 150 Schubert, Entstehungsgeschichte BGB, S. 35. 151 s. den Bericht von Liebe (Braunschweig) über die Sitzung des Justizausschusses des Bundesrats v. 8. 2. 1874 bei Schubert, Materialien BGB, S. 161 f., 162. 152 Dazu Schubert, Entstehungsgeschichte BGB, S. 34 f. 153 Schubert, Entstehungsgeschichte BGB, S. 34 Fußn. 39. Die etwas abwertende Charakterisierung des Gegenstandpunktes "Kommission zeugte Kommission" durch Alexander Lüderitz, Kodifikation des bürgerlichen Rechts in Deutschland, in: Vom Reichsjustizamt zum Bundesministerium der Justiz, Köln 1977, S. 213 - 261, S. 215, wird den Sachzwängen nicht gerecht. 154 Zu dem angeblichen Gegensatz zwischen von Kübel und Goldschmidt s. Jakobs, Wissenschaft, S. 125 f. 155 s. nur Go1dschmidt, Nothwendigkeit 1872, S. 484.
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die Frage, wie eng die Kodifikation an die bestehenden Partikulargesetzbücher angelehnt werden sollte. Während Goldschmidt nur von "freier Berücksichtigung" gesprochen hatte, gaben seine Kollegen der ersten Kommission eine etwas weitergehende Beachtung auf, ohne die Vorgaben' der Sache nach damit wesentlich zu ändern 156. Wieviel Zeit jeder Schritt in Richtung auf das BGB auch in Anspruch nahm, die Vorkommission erledigte ihre Aufgabe in geradezu erstaunlicher Geschwindigkeit: Sie begann ihre Beratungen am 18. März 1874 in Berlin; es fanden 14 Sitzungen statt l57 , ihr Gutachten datiert bereits vom 15. April 1874. Ort der Beratungen war Goldschmidts Hote1zimmer in Berlin, das er wegen einer nach seiner Ankunft überraschend einsetzenden Gicht nicht verlassen konnte; seine Frau fungierte in diesen Tagen als seine Sekretärin 158. Über die Sitzungen der Vorkommission 159 wurde kein Protokoll geführt, weshalb nur die privaten Zeugnisse der Mitglieder über die Arbeit Auskunft geben; sie widersprechen einander freilich zum Teil 160. In der Vorkommission zeigt Goldschmidt erstmals seine Eigenart, nach Abschluß jeder Sitzung deren Ergebnisse aufzuarbeiten und sie, in konkrete Formen gegossen, der Kommission beim nächsten Zusammentritt erneut vorzulegen. Möglicherweise hat dieser Arbeitsstil in von Kübel den Verdacht geweckt, daß Goldschmidt die zunächst nur mündlich gefaßten Beschlüsse zugunsten der von ihm favorisierten Ansichten manipuliert habe. Daß er auf diese Weise zumindest organisatorisch die Arbeit der Vorkommission beherrscht hat, wird dadurch belegt, daß alle ihrer schriftlichen Materialien aus seiner Feder stammen 161 und alle darin ent156 Schubert, Materialien BGB, S. 172 Fußn. 18; 182 Fußn. 68; Jakobs, Wissenschaft, S. 125. Auch der Frage über das Verhältnis von Wissenschaftlern zu Praktikern in der Kommission zur Ausarbeitung eines BGB scheint keine allzu große Bedeutung beigemessen worden zu sein: Goldschmidt Lebensbild S. 365 f., 365 (Auszug bei Schubert, Entstehungsgeschichte BGB, S. 36 in Fußn. 42 zu S. 35); s. auch Jakobs, Wissenschaft, S. 126. 157 Goldschmidt, Codification 1875, S. 136. 158 Lebensbild S. 366 159 Zur Arbeit der Vorkommission s. Schubert, Entstehungsgeschichte BGB, S. 34 f.; ders., Materialien BGB, S. 163 in Fußn. 5; Jakobs, Wissenschaft, S. 123 - 126. 160 Goldschmidt S. 362 - 366 (an seine Frau und an Jolly, 18.3. - 9.4. 1874); Schubert, Entstehungsgeschichte BGB, S. 35 u. 35 f. in Fußn. 42; ders., in: Materialien BGB, S. 13. 161 Das erste Dokument ist ein Expose v. 19. 3. 1874 (Ueber Plan und Methode für die Aufstellung des Entwurfs eines Deutschen Bürgerliches Gesetzbuchs, abgedruckt bei Schubert, Materialien BGB, S. 163 - 165), in dem Goldschmidt alle Punkte aufzählt, die von der Vorkommission zu klären sind; es ist, wie das Schlußgutachten zeigt, den Beratungen auch zugrundegelegt worden. Ihm folgen unter dem 28. 3. 1874 "Vorschläge" für die von der Vorkommission zu fassenden Beschlüsse, in denen bereits alle entscheidenden Gesichtspunkte des Schlußgutachtens aufgeführt sind: die Empfehlung, mehrere Rechtsgebiete auszusondern, darunter - mit Ausnahme der Rechtsgrundsätze über Inhaberpapiere (Vorschläge 1874, S. 165 f.; Gutachten 1874, S. 173) - das Handelsrecht, dessen gesonderte Kodifizierung einer Reformierung des ADHGB vorbehalten bleiben solle (S. 165 f. bzw. S. 172 - 174), des Bergrechts und anderer Spezialmaterien (S. 166 f. bzw. S. 174 f.) einschließlich der "im Absterben begriffenen Institute überwiegend germanischen Ursprungs" (S. 166 bzw. S. 174); die Emp-
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haltenen Gesichtspunkte sich im abschließenden Gutachten der Vorkommission wiederfinden 162. Dieses Gutachten ist lange Zeit als Werk Goldschmidts betrachtet worden 163. Tatsächlich hatte Goldschmidt zunächst einen Entwurf gefertigt und ihn den anderen Kommissionsmitgliedem vorgelegt, die ihn redigierten. Die Abweichungen des schließlichen Gutachtens von dem Entwurf Goldschmidts l64 reichen von nur grammatikalischen oder stilistischen Änderungen über den Einschub von Nebensätzen bis hin zur Ergänzung um ganze Absätze, die insbesondere das von der Gesetzgebungskommission einzuschlagende Verfahren betreffen 165. Die meisten dieser redaktionellen Eingriffe führten nur bereits in Goldschmidts Entwurf enthaltene Anregungen aus 166 und haben an den für das weitere Gesetzgebungsverfahren entscheidenden Teilen des Gutachtens nichts geändert l67 . Goldschmidts maßgeblicher Einfluß auf den Inhalt des schließlichen Gutachtens der Vorkommission ist damit unbestreitbar l68 . Das Gutachten wurde vom lustizausschuß des Bundesrats angenommen und zur Grundlage des weiteren Vorgehens gemacht l69 . Dabei bereitete die Auswahl der fehlung, das System des Gesetzbuchs am Pandektensystem zu orientieren, wobei eine kasuistische Entwicklung der Rechtssätze möglichst vermieden werden solle; der Vorschlag, die Erarbeitung des BGB einer aus neun Personen bestehenden Kommission zu überlassen, in der Einzel- und Kommissionsarbeit einander abwechseln sollten (S. 167 - 169 bzw. S. 176 181); schließlich der Wunsch, daß die Revision des ADHGB erst in Angriff genommen werden solle, wenn der wesentliche Inhalt des Obligationen- und Sachenrechts des BGB feststehe (S. 169 bzw. S. 181 f.). 162 Abgedruckt bei Schubert, Materialien BGB, S. 170 - 182 (Gutachten), 182 - 185 (Vorschläge) mit Nachweis der zahlreichen weiteren Abdrucke S. 170 in Fußn. 7; ausführliche Analyse des Gutachtens bei Benöhr, Grundlage, S. 80 ff. 163 s. z. B. Benöhr, Grundlage, S. 82. Goldschmidt selbst hat das Gutachten zusammen mit dem Bericht des Bundesrats-Ausschusses für lustizwesen v. 9. 6. 1874, der auf diesem Gutachten beruht, in der Rubrik "Rechtsquellen" in der ZHR veröffentlicht (Codification 1875, S. 134 - 171: Einleitung S. 134 - 137, Gutachten und Vorschläge der Vorkommission S. 137 149 u. 149 - 153, Bericht des Ausschusses fürJustizwesen S. 153 - 170, Berufung der Redaktoren S. 170) und in seiner Einleitung darauf hingewiesen, daß es zwar auf seinen Vorarbeiten beruhe, der endgültige Wortlaut des Gutachtens und der Vorschläge jedoch von allen Mitgliedern der Vorkommission festgestellt worden sei: Codification 1875, S. 136 f.; mit diesem Hinweis (Simon S. X f.) auch in Verm. Schr. I, S. 511 - 533. 164 Auf diese Abweichungen ist bei der Edition von Schubert, Materialien BGB, S. 171 185, Fußn. 7 - 73 (= 67 Abweichungen) hingewiesen. 165 Gutachten 1874, S. 178 f. Fußn. 52 - 56,180 - 182 Fußn. 63 - 66. 166 Bedeutsam ist davon die Aufnahme des Hinweises, ein den übrigen Büchern vorangestellter "allgemeiner Teil" sei für das zu schaffende BGB nicht zu entbehren: Gutachten 1874, S. 179 Fußn. 53. Gerade diese von vielen Kritikern der Vorkommission angelastete Weichenstellung (vgl. Benöhr, Grundlage, S. 81 zu Fußn. 11) geht in ihrer Nachdrücklichkeit also nicht auf Goldschmidt zurück, dessen Entwurf sie freilich mit der Favorisierung des Pandektensystems schon enthielt. 167 So auch lohn, Politics, S. 75 in Fußn. 8 am Ende. 168 s. dazu Schubert, Materialien, S. 13, der aber auch an anderer Stelle das Gutachten als von Goldschmidt "maßgeblich beeinflußt" ansieht: Schubert, Entstehungsgeschichte HGB, S. 2 in Fußn. 7 am Ende.
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Kommissionsmitglieder, deren Zahl auf elf erhöht wurde, einige Schwierigkeiten l7 O, die zur Folge hatten, daß Goldschmidt, anders als von Kübel und von Weber, nicht in die (erste) Kommission berufen wurde, während die übrigen Berufungen erwartungsgemäß!7! erfolgten. Vermutlich sah man in der nun anstehenden dogmatischen Arbeit, an der für Preußen noch Planck, Kurlbaum und Johow beteiligt waren 172, eine Aufgabe, die man lieber Männem überließ, die in der eigenen Justizverwaltung gewachsen und in ihr entsprechend diszipliniert worden waren!73. Den Umstand, daß gerade er übergangen worden war, hat Goldschmidt als Akt einer "sehr schweren Kränkung" empfunden!74. Seine Verbitterung hierüber sollte aber erst Jahre später nachdrücklicheren Ausdruck finden. Denn Goldschmidt setzte nun seine Hoffnungen darauf, jedenfalls an der Revision des Handelsgesetzbuchs maßgeblich beteiligt zu werden. 1888 teilte ihm Eduard Pape jedoch mit, daß entgegen den ursprünglichen Beschlüssen des Bundesrats die Überarbeitung des ADHGB bis zur Vollendung des zweiten BGB-Entwurfs verschoben worden sei, weil die - von der Vorkommission nicht vorgesehene - Einsetzung einer zweiten Kommission zur Überarbeitung des Entwurfs der ersten Kommission zu einer unvorhergesehenen Dauer des Gesetzgebungsverfahrens am BGB geführt habe 175 . Goldschmidt sah deshalb seine Beteiligung an der Revision des deutschen Handelsrechts in Gefahr und sandte schon am folgenden Tag eine Protestnote an Pape!76, in der er sich darüber beschwerte, daß ihm niemals für seine "sehr vielseitige und aufopferungsvolle Thätigkeit im Dienste des Reichs" und Preußens irgendwelche Anerkennung zuteil geworden sei. Seine Vorwürfe waren indessen insoweit ungerecht, als gerade Pape im März 1883 dem Reichskanzler vorgeschlagen hatte, den aus der ersten Kommission ausscheidenden Windscheid durch einen Lehrer der Berliner Universität zu ersetzen, und neben Eck und Demburg auch Goldschmidt vorgeschlagen hatte 177. Goldschmidts Befürchtungen, daß er durch die Verschiebung der Revision des ADHGB von einer Beteiligung an dieser Aufgabe 169 Dessen Bericht bei Goldschrnidt, Codification 1875, S. 153 - 170, sowie, mit weiteren Materialien, bei Schubert, Materialien BGB, S. 183 - 205. 170 Dazu Schubert, Entstehungsgeschichte BGB, S. 36 - 40; ders., Materialien BGB, S. 186 - 205. 171 s. etwa Lebensbild S. 365 f. (an Jolly, 9. 4. 1874; auch bei Schubert, Entstehungsgeschichte BGB, S. 36 in Fußn. 42 u. S. 35). 172 Kurzbiographien von R. Jahnel in Schubert, Materialien BGB, S. 79 f. (Pape), 80 - 83 (Planck),77 f. (Kurlbaum), 74 (Johow). 173 Was keineswegs abwertend zu verstehen ist, vgl. Goldschmidt, Beseler und Pape 1889, S. 1 ff. Allerdings hatte auch Planck eine ausgeprägt politische Karriere hinter sich. 174 Lebensbild S. 366 f. (an Fitting, Juli 1874; auch bei Schubert, Entstehungsgeschichte BGB, S. 37). Öffentlich hat Goldschmidt sich dazu nicht geäußert, s. Codification 1875, S. 170 f. 175 s. dazu Schubert, Entstehungsgeschichte HGB, S: 8 - 12. 176 Lebensbild S. 456 f. (26. 2. 1888). 177 Schubert, Materialien BGB, S. 303 - 305 in Fußn. 49.
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ausgeschlossen bleiben würde, sollten sich als nur allzu berechtigt erweisen: Als die Arbeiten am Handelsgesetzbuch im Jahre 1893 endlich begannen 178, war Goldschmidt bereits so schwer erkrankt, daß er zur Teilnahme nicht mehr fähig war. Ob allerdings seine Mitwirkung an der Neuordnung des Handelsrechts dazu geführt hätte, die zahlreichen redaktionellen Mängel zu vermeiden, die bei dieser Arbeit unterliefen 179, muß letztlich als fraglich angesehen werden. Der Einfluß amtlicher Tatigkeiten Goldschmidts auf die Entstehung von BGB und HGB erschöpft sich damit in seiner Arbeit in der Vorkommission von 1874. Der Umfang dieses Einflusses 180 auf die bedeutendste deutsche Kodifikation ist Gegenstand mehrerer Analysen gewesen; ihre Einschätzung hat dabei geschwankt: Die erste harsche Kritik, in der Goldschmidt persönlich angegriffen wurde, äußerte Demburg in seinem Lehrbuch des bürgerlichen Rechts: Hierin hob er zwar Goldschmidts Qualifikation hervor, warf ihm aber vor, er habe "den Nutzen formaler Technik und Systematik für die Gesetzgebung" überschätzt und, "wie viele andere Anhänger der historischen Schule, kein Auge für die großen Vorzüge der altpreußischen Gesetzgebung" gehabt 181. Seine Kritik betraf besonders zwei Bereiche: Demburg hatte sich zum einen sehr dafür eingesetzt, daß der deutschen Zivilrechtskodifikation das preußische ALR zugrundegelegt werde 182, während die Vorkommission diesen Gedanken als ,,keiner Ausführung" bedürftig angesehen und das ALR in diesem Zusammenhang in eine Reihe mit dem inzwischen völlig veralteten bayerischen Zivilgesetzbuch von 1756 183 gestellt hatte 184. Tatsächlich entsprach das ALR, das noch als Gesetzbuch einer Ständegesellschaft konzipiert worden und zum Schrittmacher des Privatrechtspartikularismus im 19. JahrhunSchubert, Entstehungsgeschichte HGB, S. 11 ff. Zum unglücklichen Verlauf der Überarbeitung des ADHGB zum HGB 1897 s. Karsten Schmidt, Handelsrecht, § 211 3, S. 41 - 43. 180 Zur Bedeutung der Vorkommission überhaupt s. Rassow, Verhandlungen, S. 226 ff., der schon darauf hinweist, daß das vorgeschlagene Verfahren erhebliche Zeit in Anspruch nehmen würde; Goldschmidt sah dies noch 1892 anders: "Wir erwarteten freilich damals und durften erwarten, daß der erste Entwurf des bürgerlichen Gesetzbuchs in etwa fünf Jahren hergestellt und alsdann die in der Zwischenzeit vorbereitete Revision des Handelsgesetzbuchs sogleich in Angriff genommen würde" (Formen 1892, S. 39 - 41, 40 f. = Verm. Sehr. 11, S. 347 f., 348). 181 Demburg, Allgemeine Lehren, S. 4 in Fußn. 1; Goldschmidt hat darauf in seinen Rezensionen von Dernburgs Lehrbuch geantwortet: ZHR 23 (1878), S. 301 - 309; 25 (1880), S. 408 f. 182 Heinrich Demburg, Die Allgemeinen Lehren und das Sachenrecht des Privatrechts Preußens und des Reichs, 4. Aufl., Halle a.d.S. 1884, S. VII (aus der Vorrede zur I. Aufl. 1870). Demburg hat diesen Kampf auch politisch geführt; s. ders., Persönliche Rechtsstellung nach dem BGB, Berlin 1896, S. 5 f. 183 Der Codex Maximilaneus Bavaricus Civilis war allerdings besser, als Demburg behauptet; insbesondere hatte er durch seinen Schöpfer W. X. A. Kreittmayr (1705 - 1790) in dessen "Anmerkungen", 5 Bde., München 1758 - 1768, früh eine wissenschaftlich vertiefende Bearbeitung erfahren. 184 Schubert, Materialien BGB, S. 171; Goldschmidt, Codification 1875, S. 138. 178
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dert l85 geworden war, modemen Anforderungen nicht mehr l86 . In Dernburgs Kritik mag insoweit persönlicher Ehrgeiz eine Rolle gespielt haben, denn den wissenschaftlichen Anschluß an das Niveau des gemeinen Rechts hatte dem preußischen Privatrecht erst wieder Dernburgs Lehrbuch gebracht, so daß er, wäre das ALR der Gesetzgebung des BGB zugrundegelegt worden, auf den Inhalt des BGB den Einfluß hätte nehmen können, den nun Windscheids "Pandekten" gewannen. Der zweite zwischen Demburg und Goldschmidt streitige Punkt, in dem sich Goldschmidts Auffassung ebenfalls durchgesetzt hatte, war die Frage, ob das Handelsrecht in das BGB aufgenommen oder in einem gesonderten Gesetzbuch kodifiziert bleiben solle l87 . Im übrigen ist den Haltungen Goldschmidts und Dernburgs zum ersten Entwurf des BGB eine gewisse Verbitterung über den Ablauf des weiteren Gesetzgebungsverfahrens gemeinsam, dessen Beginn beiden einen Rückschlag bescherte 188. Die von Demburg 1906 angerissene Kritik, die Vorkommission habe unter Goldschmidts Einfluß einen einseitigen "Formalismus" geübt, ist 30 Jahre später von Hans Thieme verschärft worden: In seinem Abriß der Entstehungsgeschichte des BGB aus dem Jahre 1934 macht er namentlich Goldschmidt dafür verantwortlich, daß eine von der romanistischen Doktrin übernommene Abstraktheit und Begrifflichkeit das BGB kennzeichne und diese Prägung dem Laien jeden Zugriff auf das bürgerliche Recht unmöglich mache 189. Daraus, daß gerade dieser Umstand hervorgehoben und von Thieme ausdrücklich als "antideutscher Effekt" interpretiert wird l9o , spricht natürlich eine zeitbedingte Ausrichtung l91 . Aber auch ein allgemeineres Vorurteil gegen die Gesetzgebung des "Positivismus,d92 kommt darin zum Ausdruck: Sie beschränke sich auf die Kodifikation eines "fremden" Systems, Dazu Goldschmidt, Rechtsstudium 1887, S. 73, 99 - 104. Hattenhauer, Einführung, in: ders., ALR, S. 11 - 39, 30 ff.; s. auch G. Landwehr, Das ALR in der Rechtspraxis seiner ersten Jahre, in: Hans Hattenhauer/Götz Landwehr (Hrsg.), Das nachfriederizianische Preußen 1786 - 1806, Heidelberg 1988, S. 67 - 129 zu dem umständlichen Verfahren der gesetzgeberischen Ergänzungen des ALR. Vgl. aber aus der Praxis des ALR die von Goldschmidt vorbereiteten Entscheidungen ROHGE 4 (1875), S. 172 - 179, 173 f. (ALR 113 §§ 153, 154) u. S. 176 - 178 (ALR I 11 §§ 883 - 889) sowie Goldschmidt, Gutachten 1878, S, 406 ff. 18? Goldschmidt, ZHR 23 (1878), S. 301 - 303 u. Goldschmidt, Schweizerisches Obligationenrecht 1878, S. 11 0 - 113. 188 Daher ist es kein Zufall, daß Goldschmidt gerade in einer Kritik des ersten Entwurfs auf seine persiinliche Freundschaft zu Dernburg hinweist: Kreationstheorie 1889, S. 143. 189 Hans Thieme, Vorgeschichte, Sp. 968 - 970. An dieser Einschätzung hat Thieme gegen Sinzheimer auch 1950 ausdrücklich festgehalten: ZRG GA 67 (1950), S. 480. 190 Hans Thieme, Vorgeschichte, Sp. 970. 191 Gegründet auf Nr. 19 des Parteiprogramms der NSDAP v. 24. 2. 1920 (abgedruckt bei W. Mommsen, Parteiprogramme, S. 547 ff.). Die DJZ, in der Thiemes Aufsatz erschien, war, einst von Laband gegründet und von Otto Liebmann herausgegeben, in den 30er Jahren das "Organ der Reichsfachgruppe Hochschullehrer des Bundes Nationalsozialistischer Deutscher Juristen" und wurde herausgegeben von earl Schmitt. 192 s. den Untertitel von Thieme, Vorgeschichte, Sp. 968. 185
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das den Lebensverhältnissen nicht entspreche, sondern ihrer Regelung künstlich aufgezwungen sei. Alle eingehenderen Untersuchungen zur Entstehung der Regelung einzelner Rechtsinstitute im BGB und die umfassenderen Neubewertungen der geistesgeschichtlichen Grundlagen des Kodifikationsgedankens im 19. Jahrhundert 193 zeigen jedoch, daß eine solche Beurteilung dem Wesen der gesamten Gesetzgebungsarbeit am BGB keinesfalls gerecht wird. Natürlich entspricht diese Arbeit späteren und insbesondere heutigen Vorstellungen von den Methoden der Gesetzgebung nicht mehr l94 . Die Kritik an dem von der Vorkommission geübten "Formalismus" verkennt aber, daß die Aufgabe der Vorkommission von vornherein nur formaler Art war, indem sie gerade Vorschläge über "Plan und Methode" des weiteren Vorgehens unterbreiten sollte. Die Vorgabe, sich bei der Gesetzgebung im wesentlichen an den Lehren des römisch-gemeinen Rechts zu orientieren, war deshalb nur vordergründig eine Entscheidung zugunsten eines einseitigen Rechtsformalismus. Denn die Entwicklung von Praxis und Wissenschaft im 19. Jahrhundert hatte gezeigt, daß das gemeine Recht am besten in der Lage war, den Ansprüchen der expandierenden Wirtschaft und Industrie an eine funktionierende Rechtsordnung zu genügen; insbesondere kamen in der Zeit nur auf Teilbereiche beschränkter Kodifikationen die formalisierten Begründungsmuster der romanistisch orientierten Methodenlehre dem Bedürfnis nach Rechtssicherheit am stärksten entgegen. Das gemeine Recht war zudem die einzige Privatrechtsordnung in Deutschland, die nicht auf einzelstaatlicher Gesetzgebung beruhte und an den Universitäten aller Staaten des Deutschen Reiches gelehrt wurde. Es war auch damit als Grundlage der Kodifizierung, die im jungen Reich notwendig auf Kompromissen beruhen mußte l95 , bestens geeignet. Der Einfluß der Vorkommission auf den weiteren Gang der Gesetzgebung, der ohnehin schon bald einen erheblichen Grad von Eigenständigkeit entwickelte, darf danach nicht überschätzt werden. Ihre Arbeit gibt ein repräsentatives Bild davon, wie man sich unter den nach der Gründung des Deutschen Reiches gegebenen politischen und wissenschaftlichen Verhältnissen "Plan und Methode" der Ausarbeitung einer Privatrechtskodifikation vorstellte. Die Geschwindigkeit, mit der die Vorkommission ihren Auftrag erfüllte, ist deshalb keineswegs ein Ausdruck mangelnder gedanklicher Tiefe ihrer Arbeit l96 . Die angeblichen Mängel des BGB von 1896, von denen viele ohnehin nur verkannte Vorzüge sind, sind nicht die Folge des Einflusses einzelner Personen, sondern der Zeitumstände seiner Entstehung 197. s. insbes. Jakobs, Wissenschaft, S. 12 ff. u. passim. s. etwa Werner Schubert, Die Entstehung der Vorschriften des BGB über Besitz und Eigentumsübertragung, Berlin 1966, S. 13 - 18, 17 f., der in seiner Kritik den ..Formalismus" des Verfahrens hervorhebt. Instruktiv auch die Ausführungen von Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 486 - 488, in denen er den sachlich berechtigten Kern der in den 30er Jahren wohl vorwiegend (anders Wieacker S. 487) ideologisch begründeten Kritik am ..Allgemeinen Teil" des BGB aufzuweisen sucht. 195 s. John, Politics, S. 76 f. 196 So aber Thieme, Vorgeschichte, Sp. 968 f. 193
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Im Gegensatz zu seinem engagierten Einsatz für die Schaffung eines BGB und seinen Kritiken zu anderen Gesetzgebungsarbeiten hat Goldschmidt sich zu dem ersten Entwurf des BGB kaum geäußert. An der heftigen Kritik, die dieser zu Ende der 80er Jahre in vielen Einzeluntersuchungen erfährt, beteiligt er sich nur mit einer einzigen Abhandlung l98 . Seine grundsätzliche Auffassung faßt er 1889 folgendermaßen zusammen: "Die so lebhaft verfochtene Ueberzeugung, dass der Entwurf im Ganzen eine dem Rechtsbewusstsein der Gegenwart widerstreitende, weil ,romanisirende' Auffassung vertrete, theile ich, ungeachtet zahlreicher Bedenken gegen Form und Inhalt nicht,,199; allerdings war auch Goldschmidt der Ansicht, daß von der ersten Kommission allzu oft gemeinrechtlich-dogmatische Konstruktionen pragmatisch sinnvolleren Lösungen vorgezogen worden waren2OO . Trotz dieser Beschränkung war Goldschmidts Einfluß auf mehrere einzelne Regelungen und Regelungskomplexe des BGB groß: Seine Abhandlungen finden sich in den Motiven der ersten Kommission häufig zitiert 201 , und mittelbar hat er über die von seinen Schriften beeinflußte Rechtsprechung gleichfalls auf das BGB gewirkt. Wenn auch beschränkt auf die Rechtsinstitute des Verkehrsrechts und in geringerem Maße als etwa Windscheid gehört Goldschmidt damit durchaus zu den "geistigen Vätern" des BGß.
IV. Der Abschied von Leipzig
Goldschmidts Aufenthalt in Leipzig endet 1875, als er einen Ruf an die Universität Berlin annimmt. Auch diesmal wird es nicht nur ein Wechsel des Amtes und des Ortes. 1. Die Berufung an die Universität Berlin
Nach vier Jahren am ROHG steht Goldschmidt seiner richterlichen Tätigkeit zwiespältig gegenüber, da sie ihn befriedigt, ihm aber nur wenig Zeit für seine wissenschaftliche Arbeit läßt202 . Er denkt deshalb daran, wieder ein Lehramt an einer 197 Das gilt insbesondere auch für das völlige Ignorieren der sozialen Aufgabe einer Privatrechtskodifikation, in der es die Vorkommission in der Tat versäumt hat, positiven Einfluß auf die weitere Entwicklung zu nehmen; vgl. dazu John, Politics, S. 77. 198 Kreationstheorie 1889, S. 124 - 146. Schon 1878 hatte er bemängelt, daß die (erste) Kommission sich nicht an die verfahrenstechnischen Vorgaben der Vorkommission halte und sich in der Beratung von Einzelfragen zu zersplittern drohe: Codification 1878, S. 20. 199 System, 3. Aufl. 1890, S. V f., VI; diese Passage, die in der 4. Aufl. 1892, S. VI fehlt, ist gegen Dernburg und Gierke gerichtet, deren Kritik Goldschmidt treffend zusammenfaßt: s. etwa Otto Gierke, Privatrecht I, S. VI f. 200 Kreationstheorie 1889, S. 142; Systematische Darstellungen 1889, S. 319. 201 Insbes. Kauf auf Probe 1859, receptum 1860, Erwerb 1865/66, Verantwortlichkeit 1871.
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I. Teil: Ein jüdischer Gelehrter in Deutschland 1829 - 1897
Universität auszuüben. Eine erste Gelegenheit dazu bietet sich ihm schon im Sommer 1872, als ihm die zweite Professur des römischen Rechts an der Juristischen Fakultät der Universität Berlin angeboten wird, die für Lehrveranstaltungen zum gesamten römischen Recht sowie eine Handeisrechtsvorlesung 203 vorgesehen war. Dieses Angebot lehnt Goldschmidt indessen ab: Das römische Recht als Hauptfach, das Handelsrecht dagegen nur als Nebenfach zu lesen, widerspreche seiner schon seit vielen Jahren erhobenen Forderung, das Handelsrecht als "ein den übrigen Hauptdisciplinen der Rechtswissenschaft vollkommen ebenbürtiger, viele derselben an Wichtigkeit und Schwierigkeit übertreffender Lehrzweig" zu einem selbständigen Hauptfach des universitären Unterrichts zu erheben. Deshalb könne er dem ehrenvollen Rufe an die Berliner Hochschule nur unter der Voraussetzung nachkommen, "daß eine ordentliche Professur des Handelsrechts errichtet und mir übertragen wird,,204. An dieser Forderung scheitern die Berufungsverhandlungen zunächst205 . Auch Rufe an die Universitäten Straßburg und Heidelberg lehnt Goldschmidt in den folgenden Jahren ab 206 , weil ihm zwar eine Ausweitung seiner handeisrechtlichen Lehrtätigkeit, nicht aber eine eigenständige Professur für Handelsrecht angeboten wird. 1874 ergibt sich dann an der Berliner Universität eine weitere Vakanz, als Goldschmidts ehemaliger Lehrer Heydemann stirbt. Dieser hatte das - übrigens auf Anregung Savignys eingerichtete - einzige Ordinariat für das Preußische Allgemeine Landrecht bekleidet207 , das nicht zum Kernbestand der sechs Nominalprofessuren für die Hauptfächer gehörte 208 und deshalb umgewidmet werden konnte 209 . Das preußische Kultusministerium, seit 1872 von dem Juristen Adalbert Falk geleitet, war schon einige Zeit bemüht gewesen, den Lehrkörper durch die Berufung führender deutscher Juristen den gewandelten Schwerpunkten der wissenschaftlichen Entwicklung anzupassen 21O . Der Ruf an Goldschmidt wird erneuert und ihm sogar über seine Forderung von 1872 hinaus eine reine Professur für Handelsrecht ohne Lehrverpflichtung für weitere Fächer angeboten 2l1 • Dem will und kann Goldschmidt sich jetzt nicht mehr entziehen: Unter dem 8. Mai 1875 wird er in Berlin zum Ordinarius ernannt. Er tritt damit in einen Kreis der erlesensten deutschen Rechtsstudium 1887, S. 321. § 44 Satz 2 der Statuten der juristischen Fakultät v. 29. I. 1838, bei Daude (Hrsg.), Die König!. Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin: Systematische Zusammenstellung der für dieselbe bestehenden ... Bestimmungen, Berlin 1887, S. 83 - 115. 204 Brief Goldschmidts an Olshausen v. 3. 9. 1872, in: Liebmann, Juristische Fakultät, 202 203
S.I64. 205 206 207 208 209 210
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Die Goldschmidt angebotene Stelle blieb unbesetzt: Lenz, Geschichte 11 2, S. 355. Pappenheim S. 13. Lenz, Geschichte 11 2, S. 133. Statuten §§ 40 Abs. 2 S. 2; 44. Vg!. Statuten § 44 letzter Satz. Lenz, Geschichte 11 2, S. 354 f. Lebensbild S. 370 f. (an Fitting, 25. 3. 1875).
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Rechtslehrer ein, bestehend aus Heffter, Georg Beseler, C. G. Bruns, Dernburg, Gneist, Berner, Hinschius und Brunner212, zu denen sich aus der philosophischen Fakultät noch Theodor Mommsen gesellt. Singulär wie sein Eintritt ist damit auch Goldschmidts Ausscheiden aus dem Reichs-Oberhandelsgericht 213 , dessen übrige Mitglieder dem Gericht bis zu ihrem Tode, ihrem Eintritt in den Ruhestand oder bis zur Errichtung des Reichsgerichts angehören, das 1879 an die Stelle des ROHG tritt; Goldschmidt ist der einzige, der es es vorzeitig verläßt, um in ein anderes Amt zu wechseln 214 . Mit seiner Berufung nimmt er von nun an den ihm bis zu seinem Tode nicht mehr streitig gemachten ersten Platz unter den deutschsprachigen Wissenschaftlern des Handelsrechts ein. 2. Die Wahl in den Deutschen Reichstag
Nicht nur für sein berufliches, auch für sein politisches Wirken ist der Umzug Goldschmidts nach Berlin mit einer bedeutsamen Änderung verbunden. Leipzig ist bisher im Deutschen Reichstag 215 von seinem Bürgermeister Stephani vertreten worden. Als dieser erkrankt und sein Mandat nicht ausüben kann, findet eine Nachwahl statt. Goldschmidt läßt sich nach anfänglicher Ablehnung 216 - er befürchtet, daß ihn die politische Tätigkeit von seiner wissenschaftlichen Arbeit abhalten werde 217 - von Gustav Freytag überreden, sich um dieses Mandat zu bewerben; denn dem anhaltenden Drängen seiner politischen Freunde, denen er neben von Bennigsen, Beseler, Gneist, Lasker, von Mohl, Miquel, Planck und Treitschke als eine der bedeutendsten politischen Gestalten unter den Nationalliberalen gilt218, kann er sich nicht entziehen. Die Rede, die Goldschmidt anläßlich seiner Wahl am 24. Mai 1875 in der Centralhalle zu Leipzig hält219 , zeigt die ganze Bandbreite national-liberaler GrundeinsteIlungen : Dem Aufruf zur Mitarbeit am wirtschaftlichen Wiederaufschwung 220 folgt ein Bekenntnis zu einem gesamtdeutschen, nicht partikularen Nationalismus, 212 213
1875.
Die koenigliche Friedrich-Wilhelms-Universitaet, S. 28. Lobe, Reichsgericht, S. 337 f. = E. Müller, Reichsgericht, S. 56 f.; es ist datiert I. 9.
214 Ein derartiges vorzeitiges Ausscheiden hatte das BOHG-Gesetz, § 23 Abs. 1, gar nicht vorgesehen. Nachfolger Goldschmidts (ROHGE 16 (1875), S. 435) wurde mit Viktor von Meibom (1821 - 1892; s. Landsberg, Geschichte III 2, Noten S. 387) wieder ein Vertreter enger Verbindung v. Forschung u. Lehre. 215 Wahlkreis 12 Sachsen (Schwarz, MdR, S. 325). 216 Lebensbild S. 371; Rede 1875, S. 382 f. 217 Ablehnungsschreiben an Freytag v. 24. 3. 1875, Lebensbild S. 369 f.; s. auch S. 370 (an Fitting, 25. 3. 1875). 218 Vgl. H. Böttger, in: Kalkhoff, Parlamentarier, S. 4 ff., 5. 219 Lebensbild S. 371 - 384. 220 Rede 1875, S. 372 f.
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der sich gegen die politischen Bestrebungen der Sozialdemokratie, des Zentrums und der Konservativen richtet 221 . Als Jurist hebt Goldschmidt aber auch die bevorstehende Reichsjustizgesetzgebung 222 hervor. Dem Reichstag gehört er den Rest der damals dreijährigen Legislaturperiode 223 an.
F. In Berlin 1875 - 1897 I. Die ersten Jahre in Berlin
1. Der Umzug nach BerUn
Der Beginn von Goldschmidts Wirken in Berlin erscheint zwar durch sein Wirken im Deutschen Reichstag äußerlich glanzvoll, denn politische Tätigkeit von Hochschullehrern steht zu dieser Zeit in der deutschen Öffentlichkeit noch in hohem Ansehen I. Tatsächlich jedoch hält ihn diese Tätigkeit nicht nur von der Verfolgung seiner eigentlichen Ziele ab, sondern sie führt ihn auch in eine ernsthafte gesundheitliche Krise. Schwierigkeiten, in der Reichshauptstadt gesellschaftlich Anschluß zu finden, hat Goldschmidt nicht: Er trifft viele seiner Heidelberger Freunde wieder, die inzwischen nach Berlin berufen worden sind: Eduard Zeller, HeImholtz, Wattenbach und Herrmann sowie Heinrich von Treitschke 2 • Während er jetzt enge Freundschaft zu Eduard Zeller schließt, entsteht zu Treitschke eine so enge Beziehung wie zu ihrer Heidelberger Zeit nicht wieder. Engere Kontakte knüpft Goldschmidt zu Bernhard Windscheid und besonders Eduard Pape, die wegen der Beratungen des BGB in Berlin sind. Unter seinen neuen Freunden sind Theodor Mommsen 3, den er seit jeher bewundert hat, Bruns, sein ehemaliger Prüfer, der Strafrechtler Berner und insbesondere Georg Beseler. Mit ihm, dem Altmeister der Germanistik, verbindet ihn auch die gemeinsame politische Arbeit im Reichstag. Besonders eng ist die Freundschaft mit dem Archäologen Ernst Curtius und dessen Familie 4 , in deren Haus Goldschmidt mit ,seiner Frau häufig zu Gast ist5 . Auch Goldschmidts eigenes Haus ist bald, so Pappenheim, "eine Stätte schöner, freier Gastlichkeit,,6. Rede 1875, S. 373 - 379. Rede 1875, S. 380 - 382. 223 R.=Verf. Art. 24 S. 1. I K. Böhme, in ders. (Hrsg.), Aufrufe und Reden deutscher Professoren, 1975, S. 5 f. 2 Lebensbild S. 405. 3 Über Mommsen, dem Goldschmidt später seine Universalgeschichte des Handelsrechts widmet, s. KleinheyerlSchröder, Juristen, S. 195 - 199 m.w.N. 4 Zu Curtius s. H. Kähler, in: NDB 3 (1957), S. 446 f. 5 Charlotte Broicher, Erinnerungen an Clara Curtius, Berlin 1900, S. 4; über die Bedeutung des Curtius'schen Hauses für die Berliner Gesellschaft S. 2, 16 u.ö. 6 Pappenheim S. 14. 221
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F. In Berlin 1875 - 1897
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2. Im Deutschen Reichstag 1875 - 1877
Goldschmidts Befürchtung, seine Tätigkeit als Abgeordneter des Deutschen Reichstages werde ihm keine Zeit für seine wissenschaftliche Tätigkeit lassen, bestätigt sich bald. Denn er widmet sich seiner neuen Aufgabe mit der ihm eigenen Gründlichkeit, deren Merkmal nicht eine nach außen sich offenbarende Betriebsamkeit, sondern das intensive Studium der zu bearbeitenden Unterlagen und ihr Durchdenken bis hin zur Grübelei ist. Vor dem Plenum des Reichstags tritt Goldschmidt daher selten engagiert auf7 . Über seine Haltung in vielen wichtigen Fragen läßt sich durch seine Entscheidungen in den namentlichen Abstimmungen Aufschluß gewinnen, an denen er sich fast stets beteiligt 8 • Wie auch Beseler stimmt er gegen einen Gesetzentwurf Schultze-Delitzsch', der die Einführung von Entschädigungen für Reichstagsabgeordnete zum Gegenstand hat, und stellt sich damit gegen die Mehrheit seiner eigenen Fraktion9 • In seinen Äußerungen vor dem Plenum beschränkt Goldschmidt sich thematisch auf die Materien, für die er sich fachlich kompetent weiß. Das sind die Gegenstände der Reichsgesetzgebung auf vornehmlich zivilrechtlichem Gebiet lO • Wesentlichen Raum in den Beratungen des Reichstags nehmen in dieser Legislaturperiode die Reichsjustizgesetze ein, durch die in wesentlichen Bereichen des Rechtslebens die Rechtseinheit für das Deutsche Reich hergestellt werden sollll. Im Plenum des Reichstags wirkt Goldschmidt insbesondere an den Beratungen des Gerichtsverfassungsgesetzes mit: Er gehört zu dem Kreis nationalliberaler Abgeordneter, der sich erfolgreich dagegen wehrt, daß die Zuständigkeit der Schwurgerichte auf die durch Presseorgane begangenen Straftaten erstreckt wird l2 ; außerdem wendet er sich außerhalb der offiziellen Beratungen gegen die Wahl Leipzigs
7 Vgl. Lebensbild S. 397. Ein kurzes Porträt von Goldschmidt als Mitglied des Reichstags gibt Hamburger, Juden, S. 265 f.; s. auch S. 255 f., 256 f. 8 Die Angabe "vacat" im Generalregister zu den StB 1867 - 1894/95, Berlin 1896, Anlage B, S. 47 ff., 105, Nr. 577, beruht, wie eine Durchsicht der Reichstags-Protokolle auf namentliche Abstimmungen hin zeigt, wohl auf einem Versehen. 9 Namentliche Abstimmung am 30. 11. 1875, in: StB, 2. Legislatur-Periode, 111. Session 1875/76, 1. Bd., 1876, S. 357 - 359, 358; dazu Hamburger S. 266. Der Antrag scheiterte, der betreffende Art. 32 R.=Verf. wurde erst 1906 geändert. 10 Seine erste Äußerung am 10. 11. 1875 gilt dem Entwurf eines Gesetzes, betreffend die Umwandlung von Aktien in Reichswährung: StB, 2. Legislatur-Periode, 111. Session 1875/ 76, 1. Bd., 1876, S. 128 f.; s. E. Sachs, Gesetz, betreffend die Umwandlung von Aktien in Reichswährung v. 16. 12. 1875, in: ZHR 21 (1876), S. 440 - 449, dort S. 448 ein Referat der Ansicht Goldschmidts. 11 Über die Bedeutung der Reichsjustizgesetze (insbes. GVG, ZPO, Strafprozeßordnung und KO) s. Wieacker, Privatrechtsgeschichte S. 464 - 468; Sellert, Art. Reichsjustizgesetze, in: HRG 4 (1990), Sp. 651 - 654. 12 s. dt:f,I von Goldschmidt mitunterzeichneten Antrag in: RT-Drs., 2. Legislatur-Periode, IV. Session 1876, Nr. 138 (auch bei C. Hahn, Materialien GVG 11, S. 1481 - 1484).
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als Sitz des Reichsgerichts, wobei sein im Hinblick darauf, daß Leipzig sein Wahlkreis ist, etwas fragwürdiges Engagement 13 freilich erfolglos bleibt l4 . Zur Beteiligung an einer weiteren, im Reichstag ausgetragenen Kontroverse wird Goldschmidt von Georg Beseler gedrängt l5 : Dieser sieht die Schaffung reichseinheitlicher Gerichtsverfassung als Gelegenheit dazu an, jetzt auf Reichsebene eines der alten Ziele der Germanisten durchzusetzen, nämlich die Einrichtung kaufmännisch besetzter Handelsgerichte 16. Auch Goldschmidt hatte sich für dieses Ziel im Namen des Handelsstandes seit 1860 wiederholt eingesetzt 17 • Nachdem bis zum Ende der 60er Jahre in fast allen deutschen Staaten Handelsgerichte geschaffen worden waren, hatte aber eine starke Gegenströmung eingesetzt. Sie hatte schließlich dazu geführt, daß es im Gegensatz zu einer älteren Regierungsvorlage, in der noch echte Handelsgerichte vorgesehen waren, nach dem letzten Entwurf des Gerichtsverfassungsgesetzes nur noch unselbständige, dem Landgericht zugeordnete Kammern für Handelssachen mit ehrenamtlichen Laienrichtern unter einem Volljuristen als Vorsitzendem geben sollte l8 . Beseler und Goldschmidt bringen deshalb am 12. November 1876 den Antrag in den Reichstag ein, die Fassung der älteren Regierungsvorlage wiederherzustellen 19. Sie verteidigen ihren Antrag dort am 17. und 23. November 1876. Dabei vertritt Beseler20 die programmatisch-grundsätzliche Linie, während Goldschmidt die pragmatischen Grunde hervorhebt 21 . Ihre Bemühungen haben indessen keinen Erfolg: Ihr Antrag wird abgelehnt 22 . Der Schwerpunkt von Goldschmidts Arbeit im Reichstag liegt aber eindeutig in der Beschäftigung mit dem Entwurf der Reichs-Konkursordnung. Hierzu ergreift 13 Allerdings enthält schon Art. 29 R.=Verf. den wichtigen Grundsatz, daß die Abgeordneten Vertreter des gesamten Volkes sind (heute Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG). 14 Lebensbild S. 398 u. 400 (an Stobbe in Leipzig (!), I!. 2. und 7.5. 1877). 15 s. Beseler und Pape 1889, S. 3. 16 Programmatisch Georg Beseler, Volksrecht und luristenrecht, Leipzig 1843, S. 69 ff.; zu der Bedeutung, die diese Frage für die Germanisten u. insbes. für Beseler in der Auseinandersetzung mit den Romanisten hatte, s. Wieacker, Privatrechtsgeschichte S. 409 f. 17 Goldschmidt, Handelstag 1861, S. 184 f. (s. Silberschmidt, Sondergerichtsbarkeit, S. 191); Ueber die Organisation 1865; Zur Frage von den Handelsgerichten 1866; Du droit commercia1 1870, S. 364 ff., 376. 18 s. dazu insbes. Silberschmidt, Sondergerichtsbarkeit, S. 197 - 206; Schubert, Gerichtsverfassung, S. 181 - 200. 19 Abänderungs-Antrag 1876. - Goldschmidt hat diesen Antrag am selben Tag gegenüber Stobbe als "zusammengestoppelt" bezeichnet: Lebensbild S. 396 f., 397 (12. 11. 1876). 20 StB, 2. Legislatur-Periode, IV. Session 1876, S. 138 - 141. 21 Reden vor dem Reichstag 1876, S. 160 f., 164,295. 22 StB, 2. Legislatur-Periode, IV. Session 1876, S. 164 u. 297 f. In der Schlußabstimmung stimmt Goldschmidt dann trotzdem für die Annahme des GVG in der ihm vom Reichstag gegebenen Fassung, s. C. Hahn, Materialien GVG 11, S. 1640. Das System der Kammern für Handelssachen, §§ 93 ff. GVG, ist auch sonst fortan nicht mehr angegriffen worden: Schubert, Gerichtsverfassung, S. 200.
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er zwar nicht im Plenum des Reichstags das Wort; er gehört aber der VIII. Reichstags-Kommission an, die die Konkursordnung berät. Die Kommission tagt für die erste Lesung in 21 Sitzungen vom 11. November 1875 bis zum 4. Februar 1876 und für die zweite Lesung in sechs Sitzungen vom 18. bis zum 26. Mai 1876 23 . In ihrer ersten Sitzung wählt sie den Abgeordneten Otto von Sarwey zum Vorsitzenden24 und Goldschmidt zu seinem Vertreter25 . Goldschmidt nimmt an den Beratungen der Kommission ununterbrochen 26 teil und leitet die 20. Sitzung am 31. Januar 1876, in der das Einführungsgesetz zur Konkursordnung beraten wird 27 . Die Kommissionsarbeit strengt ihn indessen so an, daß er beabsichtigt, Berlin im Sommer 1876 für einen Erholungsurlaub zu verlassen. Seine Bitte, ihn für die zweite Lesung des Entwurfs durch einen anderen Abgeordneten zu ersetzen, nimmt er jedoch auf Drängen von Sarweys zurück28 , denn die ganze Beratung der Konkursordnung erfolgt unter größtem Zeitdruck29 . In den Beratungen der Kommission versucht der Regierungsvertreter Hagens 30 , von dem der Entwurf der Konkursordnung im wesentlichen stammt, denn auch meist erfolgreich, jeden Ansatz zu umfassenderen Eingriffen, mag er auch noch so begründet sein, zu verhindern 3l . Fast alle wichtigeren Änderungsanträge Goldschmidts, der an den gesamten Beratungen der Kommission sehr regen Anteil nimmt - es gibt kaum eine Seite der Protokolle ohne eine Wortmeldung von ihm - fallen dem raschen Eingreifen Hagens' zum Opfer.
23 Protokolle der Kommissionsberatungen bei C. Hahn, Materialien KO, S. 518 - 632 u. S. 643 -702. 24 Daß mit von Sarwey (1825 - 1900, biographische Daten bei Schwarz, MdR S. 445) ein später verdienter Kommentator der neuen KO (Die KO für das Dt. Reich, 4. Aufl., Berlin 1901) den Vorsitz übernimmt, belegt die kompetente Besetzung des Reichstages zu dieser Zeit. 25 C. Hahn, Materialien KO, S. 517 Fußn.*. 26 mit Ausnahme des Endes der 18. Sitzung: C. Hahn, Materialien KO, S. 623. 27 C. Hahn, Materialien KO, S. 623. 28 C. Hahn, Materialien KO, S. 631; s. auch Lebensbild S. 390 f., 391 (an Stobbe, 20. 2. 1876). 29 Thieme, Entstehung, S. 65. Nachdem die Kodifizierung eines einheitlichen deutschen Konkursrechts in der Vergangenheit immer wieder gescheitert war (Thieme S. 44 ff.), wollten das Reichsjustizamt und der Justizausschuß des Bundesrats die Arbeit an der KO nun vorantreiben (Thieme S. 54 ff.). Es erging sogar ein besonderes Reichsgesetz, betreffend die weitere ... Behandlung des Entwurfs einer Dt. KO v. 20. 2. 1876, damit die Kommission ihre Arbeit trotz des zwischen 1. u. 2. Lesung liegenden Endes der Reichstags-Session fortsetzen konnte: RGBI. 1876, S. 23. 30 Zu Carl Hagens (1838 - 1924) s. R. von Marsson, in: DJZ 1924, Sp. 796 f.; Schubert, Entstehungsgeschichte BGB, S. 53 in Fußn. 119; Clara von Arnim, Der grüne Baum des Lebens, München 1992, S. 26 f. 31 Tatsächlich passierte die KO den Reichstag ohne größere Veränderungen. Es fanden kaum einmal auch nur die §§-Zählung ändernde Eingriffe statt, vgl. Reichstags-Vorlage (Hahn, Materialien KO, S. 4 ff.) u. KO 1877 (S. 771 ff.).
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Der Ausschuß wählt Goldschmidt in die Redaktionskommission 32 und trägt damit seiner besonderen Fähigkeit zur redaktionellen Bearbeitung inhaltlich bereits feststehender Entwürfe Rechnung. Mehrere Vorschriften der Konkursordnung beruhen in ihrer schließlichen Ausgestaltung darauf, daß Goldschmidt nach dem Schluß einer Sitzung die diskutierten Bestimmungen überarbeitet und der Kommission in einer der folgenden Sitzungen Verbesserungsvorschläge macht; sie muß er freilich regelmäßig gegen Hagens v~rteidigen, der stets argwöhnt, daß die Kommission unter dem Deckmantel redaktioneller Klarstellungen materielle Änderungen durchzusetzen versuche 33 . Dennoch leistet die Komission gründliche Arbeit34 ; die verhältnismäßig wenigen Eingriffe, die sie vornehmen kann, sind durchaus Verbesserungen der Vorlage, die ihrerseits dem Konkursrecht der Zeit ihrer Entstehung angemessen und qualitativ hochwertig war35 . Aber nicht den erfolgreichen Teil seiner Arbeit empfindet Goldschmidt als prägend, sondern das Scheitern seiner Versuche, auf die materielle Ausgestaltung des Konkursrechts Einfluß zu nehmen, denen sich Hagens beharrlich widersetzt hat. Goldschmidt belastet dies sehr36 . Für seine Gesundheit hat der große und anhaltende Arbeitseinsatz, den die Arbeit in der Kommission neben seinen sonstigen Aufgaben mit sich bringt, fatale Folgen: "Daß man in einem halben Jahr es dahin bringen kann, sich vollständig zu ruiniren, hätte ich früher nicht für möglich gehalten,,37. Goldschmidts Arbeit im Reichstag wird von seiner Partei als erfolgreich angesehen. Als man deshalb erwägt, ihn erneut als Kandidaten zu nominieren, lehnt er jedoch erschöpft ab. Von den führenden Politikern der Nationalliberalen, allen voran Lasker, hält er ohnenhin inzwischen nicht mehr viel, da er sie "in unheilbarem C. Hahn, Materialien KO, S. 562 (9. Sitzung, 25. 11. 1875). Auf diese Weise stammt der Wortlaut von § 47 KO 1877 von Goldschmidt, der auf dessen Analyse der Struktur der von dieser Vorschrift bezweckten Regelung beruht: C. Hahn, Materialien KO, S. 553 f., 562 (heute § 54 KO, anders aber § 95 Abs. 1 InsO, wonach die betreffenden Erweiterungen der Aufrechnungsbefugnis entfallen, um nicht einzelne Gläubiger gegenüber anderen zu privilegieren: Entw. InsO 1992, S. 140 f.). Auch die KlarsteIlung in § 159 KO 1877, daß bei Nachtragsverteilungen Masseansprüche berücksichtigt werden, die bis zur Bekanntmachung der Verteilung dem Konkursverwalter zur Kenntnis gebracht sind, stammt von Goldschmidt, der für diese Regelung, auf die sich die Kommission nur inhaltlich geeinigt hatte, in der folgenden Sitzung die heute noch geltende Wortfassung präsentierte: C. Hahn S. 604 f., 605 (heute § 172 KO, wiederum klarstellend § 206 InsO: Entw. InsO 1992, S. 187). 34 s. die Danksagung Goldschmidts im Namen der Kommission für die gute Zusammenarbeit bei Hahn, Materialien KO, S. 701. 35 Entw.lnsO 1992, S. 102. Ob die sie ab dem 1. I. 1999 (Artt. 2 Nr. 4, 110 Abs. 1 EG InsO, BGBI. 11994, S. 2911 ff.) ersetzende InsO 1994 die inzwischen notwendig gewordenen Reformen (Entw. InsO 1992, S. 72 - 75) bringen wird, bleibt abzuwarten. 36 Lebensbild S. 431 f. (rückblickend an Fitting, April 1881); auch von Sarwey sieht in der Einleitung zu seinem Kommentar Die KO für das Dt. Reich, Berlin 1879, S. XXX - XXXIII, XXXII die Arbeit der Reichstagskommission als nicht sehr bedeutsam an. 37 Lebensbild S. 390 f., 391 (an Stobbe, 20. 2.1876). 32 33
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Doktrinärismus verrannt,,38 sieht. Die politische Entwicklung gegen Ende der 70er Jahre erfüllt ihn mit Sorge; besonders das Erstarken der sozialdemokratischen Bewegung läßt ihn zunehmende Eingriffe in die Freiheit der Entwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft befürchten. Noch 1892 hebt er anläßlich 'eines kurzen Abrisses über die Stellung des Handelsrechts in der sozialen OrdIlllng39 hervor, daß das Handelsrecht "das Recht der zur Interessengemeinschaft verbundenen kapitalistisch organisirten Gesellschaft" sei4o ; es sei deshalb individualistisch und habe sich in seiner Geschichte immer wieder gegenüber der "socialen" oder ,,kollektivistischen" Strömung im Wirtschaftsleben verschiedener Zeiten durchsetzen müssen. Zwar seien "schon in den Uranfängen der Geschichte der Handel und sein Recht zugleich social einigend,,41, doch könne diese Funktion nur ein freier, von staatlicher Lenkung unbeeinflußter Handel erfüllen42 . Als einziges Mittel gegen das Erstarken der Sozialdemokratie und ein Abgleiten der Politik in Anarchie oder Reaktion sieht Goldschmidt "ein wirkliches und strenges Ausnahmegesetz,,43. Tatsächlich wird das "Sozialistengesetz" kurz darauf erlassen44 . In seinem bedingungslosen Halt zu Bismarck45 wird Goldschmidt erst neun Jahre später zweifelnd46 . Die Politik ist ihm nach seinem Ausscheiden aus dem Reichstag aber zunächst nur noch Gegenstand der Betrachtung47 , nicht mehr aktiven Handeins. 3. Der erste gesundheitliche Zusammenbruch 1877
Noch vor Beendigung seines Reichstagsmandats verschlechtert sich Goldschmidts Gesundheitszustand, der schon zur Zeit seines Umzugs nach Berlin geschwächt war48 , so gravierend, daß er zu wissenschaftlicher Arbeit nicht mehr in der Lage ist. Symptome seines Leidens sind neben einer ärztlich konstatierten "Anämie" quälende Kopfschmerzen und eine ihn besonders belastende Konzentrationsschwäche49 . 1877 erscheint keine einzige Veröffentlichung von ihm. 38 Lebensbild S. 408 - 410, 409 f. (an Stobbe, 25. 6. 1878); s. auch S. 394 f. (an Jolly nach dessen Entlassung als badischer Staatsminister, 8. 10. 1876). 39 Handelsrecht 1892, S. 29 - 32, s. auch S. 52. 40 Handelsrecht 1892, S. 30. 41 Handelsrecht 1892, S. 30. 42 Handelsrecht 1892, S. 30 f. - Dieser Gedanke findet sich schon in Immanuel Kants Schrift ,,zum ewigen Frieden", 1795, Ausgabe Stuttgart 1984, hrsg. v. R. Malter, S. 29 in Fußn.*. 43 Lebensbild S. 408 - 410, 409 f. (an Stobbe, 25. 6. 1878). 44 Gesetz v. 21. 10. 1878, RGBI. 1878, S. 351 - 358; dazu E. R. Huber, Verfassungsgeschichte IV, § 75, S. 1153 - 1166. 45 s. auch Lebensbild S. 437 (1881). 46 Reichstagswahl 1887, S. 44. 47 s. auch Lebensbild S. 427 - 429 (an Jolly, 29. 12. 1880), 432 - 436 (an Treitschke, 4. 5. 1881). 48 Lebensbild S. 384 in Fußn. *.
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Goldschmidt glaubt an ein physisches Leiden 5o , dem er, sooft er Berlin verlassen kann, durch Kuren und Reisen nach Süddeutschland, Italien und in die Schweiz beizukommen sucht. Er konsultiert sogar seinen ehemaligen Heidelberger Hausarzt. Im Mai und Juni 1877 bringt eine Kur in Nassau endlich eine erste Besserung. Hier wird seine Krankheit intensiv als Nervenleiden behandelt51 , und tatsächlich dürfte es sich um ein solches handeln 52 . Die Briefe, die Goldschmidt in den Zeiten seiner Erkrankung schreibt, offenbaren viele Anzeichen für das Vorliegen schwer depressiver Phasen, die weitaus eher Ursache der körperlichen Gebrechen zu sein scheinen als umgekehrt, wobei sein persönlicher Arbeits- und Denkstil zur Schwere seines Leidens ganz erheblich beigetragen haben dürfte. Denn sein tiefes, gründliches Eindringen in jede von ihm berührte Frage und der stete Versuch, sie unter Benutzung allen erreichbaren Materials und Erwägung aller einschlägigen Gesichtspunkte umfassend zu klären, mußte ihn immer wieder an die Grenze seines Leistungsvermögens führen. Auf diese Weise fand sein Streben niemals eine Grenze, immer tauchten neue, aus den gefundenen Lösungsmöglichkeiten folgende Probleme auf, die er auf dieselbe Art zu bearbeiten begann wie die Ausgangsfragen. Der darin liegende Vervielfältigungseffekt führte dazu, daß Goldschmidt immer wieder an Punkte gelangte, an denen er das vor sich aufgeschichtete Material nicht mehr zu bewältigen vermochte. Dies empfand er dann stets als ein Scheitern, das er seiner mangelnden Befähigung zuschrieb und das ihn so in gesundheitsschädigende Grübeleien stürzte. Hinzu kommt, daß Goldschmidt vermutlich erblich vorbelastet war; auch seine Schwester Fanny verfiel nach dem Tode ihres Mannes in Schwermut und wurde auf Anraten von Goldschmidts Freund Löwenhardt in eine Nervenheilanstalt eingewiesen53 . Goldschmidts Krankheitsbild entspricht damit dem einer endogenen 49 Lebensbild S. 388 - 394, 396 - 399,400 - 405, 406 (an Stobbe, 2. I. 1876 - 19. 12. 1877), S. 395, 399 f., 405 f. (an Fitting). 50 s. insbes. Lebensbild S. 404 (an Stobbe 28.10. 1877). 51 Lebensbild S. 402 f. 52 Landsberg, Geschichte III 2, Text S. 948, charakterisiert Goldschmidts Leiden sehr treffend: "Dabei ist es schwer zu unterscheiden, wieweit es sich um wirkliche Krankheit gehandelt haben mag oder um die lähmende Wirkung einer durch überpeinliche Gewissenhaftigkeit hervorgerufenen, wohl auch durch Überarbeitung geförderten, mindestens häufig ans krankhafte streifenden Selbstbezweifelung, einer kleinmütigen Auffassung vom eigenen Wissen und Können". Die Erwägung, deshalb nicht von einer "wirklichen Krankheit" sprechen zu können, offenbart freilich noch etwas von den Vorurteilen, die man im 19. Jahrhundert gegenüber psychischen Erkrankungen hegte. Die anderen Biographen Goldschmidts hielten sich deshalb vorsichtig an die von Pappenheim S. 48 gewählte Formulierung, "daß sein starker Geist nicht in einem eben so starken Körper wohnte". 53 Goldschmidt selbst verkraftete derartige punktuelle Schicksalsschläge allerdings ohne sichtbaren Einfluß auf seinen Gesundheitszustand; als während seiner Kur in Nassau sein Neffe Paul Goldschmidt auf einer Expedition auf Ceylon stirbt, bringt er den Eltern diese Nachricht schonend bei und regelt die Nachlaßangelegenheiten (Lebensbild S. 403, 407 f., 412 f., 413). Auch der tragische Tod mehrerer seiner Freunde sowie seines Bruders 1881 führen nicht zu einem Rückfall: Lebensbild S. 438 (an Stobbe, 3. 11. 1881).
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Depression54 . Deren Symptome, tiefe Niedergeschlagenheit, schwere Selbstvorwürfe, Kopfschmerzen und ein schubweises Auftreten als Folge von Überanstrengungen, sind deutlich ausgeprägt. Nachdem die Kur in Nassau sich als erfolgreich erweist, geht Goldschmidt daran nachzuholen, was ihm während seiner Krankheit zu bearbeiten nicht möglich war. Mit einer programmatischen Schrift versucht er im letzten Moment noch einmal die Gesetzgebung der Reichsjustizgesetze im Hinblick auf die für die Regelung der Juristenausbildung erheblichen Bestimmungen zu beeinflussen 55 . Sein Bemühen bleibt indes erfolglos. Schon 1879 erleidet er einen Rückfall in seine Krankheit56 . Fast ständig ist er nun auf Reisen, die ihn in die Schweiz, nach Frankreich und nach Italien führen. Erst die jetzt erzwungene Ruhe bringt die ersehnte Besserung, so daß Goldschmidt Ende 1880 nach Berlin zurückkehrt.
11. An der Universität Berlin
1. Der Berliner Lehrstuhl
Erst nach überstandener Krankheit kann Goldschmidt sich auf die ihm während seiner richterlichen Tätigkeit am ROHG nicht fremd gewordene 57 Vorlesungstätigkeit an der stark expandierenden juristischen Fakultät der Universität58 Berlin konzentrieren. Seine Handelsrechts-Vorlesung wird eine feste Institution des Berliner Lehrbetriebes 59 . Obwohl er nur verpflichtet ist, Handelsrecht zu lesen, nimmt Goldschmidt auch Rechtsenzyklopädie und Methodenlehre sowie Teile des Römischen Rechts wieder in sein Lehrprogramm auf und erweitert dieses zeitweilig um Vorlesungen im Völkerrecht und im internationalen Privat- und Strafrecht6o . Das Handelsrecht liest Goldschmidt regelmäßig mit sieben Semesterwochenstunden. Die Vorlesung behandelt das gesamte Handelsrecht einschließlich Seehandels-, Versicherungs- und Wechselrecht und darüber hinaus die Teile des Privat- und öffentlichen Rechts, die mit handelsrechtlichen Materien im Zusammenhang stehen 61 . Ergänzt wird diese Veranstaltung ab dem Wintersemester 1881/82 durch 54 Zu dieser bis heute nur symptomatisch beschreibbaren Erkrankung s. Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 256. Aufl., Berlin 1990, S. 338 f., 338 re. Sp. 55 Das dreijährige Studium 1878. 56 s. Lebensbild S. S. 414 - 429 (Briefe 187911880 an Sara u. Stobbe). 57 Lebensbild S. 430 f., 436 f. (an Stobbe). 58 Die Zahl der in Berlin neu immatrikulierten Studenten der Rechte stieg von 1875 bis 1885 von über 800 auf über 1200: Die koenigliche Friedrich-Wilhelms-Universitaet, S. 28 u. 32. 59 Manche Studenten kommen nur deshalb nach Berlin, um "Handelsrecht oder Goldschmidt" zu studieren, vgl. Adler S. 121. 60 Lebensbild S. 370 f.; Pappenheim S. 14. 61 s. System, 1. - 4. Aufl. 1887 - 1892, wodurch die Vorlesung entlastet werden sollte.
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"Historische und praktische Uebungen aus dem Gebiet des Handelsrechts,,62. Damit folgt er seiner eigenen, seit 1859 erhobenen, auf seinen Erfahrungen als Schüler Mittermaiers beruhenden Forderung nach einem verstärkten Angebot an praktischen Übungen durch die Universitäten63 . Der Besprechung der hier angefertigten Arbeiten ~idmet Goldschmidt viel Zeit und Energie 64 . Von den Teilnehmern an den Übungen und Seminaren, die Goldschmidt auf diese Weise an der Berliner Universität abhält, treten später viele durch Veröffentlichungen hervor, die in dieser Veranstaltung von Goldschmidt angeregt worden waren. Sie beginnen damit nicht selten Karrieren, die sie zu bedeutenden Vertretern der deutschen Rechtswissenschaft werden lassen. Unter diesen Schülern Goldschmidts aus seiner Berliner Zeit sind Max Pappenheim65 , Georg Schaps66, Paul Rehme 67 und Wilhelm Silberschmidt68 . Von besonderer Bedeutung für die weitere Entwicklung der Rechtswissenschaft wie der Sozialwissenschaften in Deutschland sind zwei weitere Schüler Goldschmidts, deren 1889 fertiggestellte Dissertationen auf Arbeiten beruhen, die sie in Übungen Goldschmidts angefertigt hatten: Max Weber und Philipp Heck. Während Heck, bald darauf Mitbegründer und wichtigster Vertreter der "Interessenjurisprudenz", der für Rechtswissenschaft und Rechtspraxis der Gegenwart wichtigsten methodischen Schule der deutschen Rechtswissenschaft, Berlin nach seiner Habilitation wieder verläßt, bleibt Weber hier; 1892 vertritt er Goldschmidt, als dieser seine Vorlesungstätigkeit krankheitsbedingt einstellen muß. Pläne, Weber zum ständigen Vertreter und Nachfolger Goldschmidts zu machen, scheitern aber bald darauf, als Weber, dessen Interessen sich zunehmend den Fragestellungen der von ihm als Wissenschaft mitbegründeten Soziologie zuwenden, die Berufung auf einen Lehrstuhl der Nationalökonomie in Freiburg i.Br. annimmt. 62 Pappenheim S. 15 f. 63 Das preußische Recht 1859, S. 51; Rechtsstudium 1887, S. 260 ff. - Pappenheim S. 15
Fußn.45. 64 Pappenheim S. 15. 65 1860 - 1934; zu Pappenheim s. Karl August Eckhardt, Max Pappenheim, in: ZRG GA 55 (1935), S. XIII - XXIV (freilich S. XIII zeitbedingt tendenziös; vgl. damit Wininger, National-Biographie 4, S. 605 f., u. 7, S. 367). 66 1867 - 1918, biographische Daten bei Schaaf, Mitglieder des RG, in: Adolf Lobe (Hrsg.), 50 Jahre RG, Berlin u. Leipzig 1929, S. 338 ff., 382; Schaps starb nur wenige Monate, nachdem er zum Rat am RG ernannt worden war. 67 1867 - 1941; zu Rehme s. Hans Thieme, In memoriam: Paul Rehme, in: ZRG GA 62 (1942), S. 559 - 566. 68 geb. 10. 1. 1862, ursprünglich Willy Silberschmidt, biographische Daten in: Kürschners Deutscher Gelehrten-Kalender auf das Jahr 1931, Berlin 1931, Sp. 2801 f.; s. Goldschmidt, Vorwort 1884. Das Sterbejahr Silberschmidts, der später Rat am Bayerischen Obersten Landesgericht und Honorarprofessor in München war, habe ich nicht ermitteln können. In Silberschmidts späteren Schriften zur Geschichte der Handelsgerichtsbarkeit (Die Entstehung des deutschen Handelsgerichts, Leipzig 1894; Sondergerichtsbarkeit, 1904) blieb der Einfluß Goldschmidts unverkennbar. .
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Seine umfangreiche Vorlesungstätigkeit strengt Goldschmidt sehr an, mehr als seine Tätigkeit am ROHG 69 . Max Rümelin 7o, der 1879 bei Goldschmidt hört, berichtet zwar, daß Goldschmidts Vorlesung noch ganz "unter dem Zeichen des Diktats" gestanden habe und sein Stil im Vergleich zu dem der Vorlesungen von Bruns, Gneist, Dernburg und Hinschius trocken und distanziert gewesen sei. Der Student habe jedoch durch seine Mitschrift bei Goldschmidt "ein vortreffliches Heft" erhalten, "das ... auch für die Praxis von großem Wert" gewesen sei7l . Daß Goldschmidt sich zu dieser Zeit auf das Diktieren seines Skriptes beschränkt hat, mag damit zusammenhängen, daß er sich erst allmählich von den Folgen seiner vorangegangenen Erkrankung erholen mußte; später spricht er wieder frei 72 . Robert Piloty 73 behauptet, er habe im Wintersemester 1883/84 Goldschmidts Vorlesung nie versäumt, denn sie "war eine glänzende Leistung an Klarheit, Schärfe und Inhalt. Die geschichtlichen und literarischen Exkurse waren nicht weniger anziehend als die dogmatischen Ausführungen". In der Darstellung von Streitfragen und Kontroversen "namentlich mit Thöl" sei ihm aber "eine gewisse Überschärfe" aufgefallen, "die manchmal zu störenden Kundgebungen des Auditoriums Anlaß" gegeben habe 74 • Auf derartige Störungen soll Goldschmidt durch eine "schmerzhafte Störung seiner Züge" sehr empfindlich reagiert haben75 • Erstmals in seiner Laufbahn als akademischer Lehrer ist Goldschmidt in Berlin jetzt auch als Prüfer im ersten Staatsexamen tätig 76 und kann auf diese Weise weitere Erfahrungen sammeln, die den Stoff seiner Schriften zum juristischen Prüfungswesen, die in den 70er und 80er Jahren erscheinen, ergänzen. In diesen Schriften hebt Goldschmidt immer wieder hervor, daß eine solide und umfassende Ausbildung an der Universität als Unterbau der anschließenden praktischen Ausbildung ein notwendiger und unverzichtbarer Bestandteil der Juristenausbildung sei. Aufgrund seines langjährigen Engagements in Fragen der Juristenausbildung wird Goldschmidt in die preußische "Kommission für juristisches Studien- und Prüfungswesen" berufen 77 • Diese Kommission verläßt er aber 1890, weil sich seine Vorstellungen von einer Gesamtreform, die alle Aspekte der Juristenausbildung inRechtsstudium 1887, S. 366 in Anm. 115. Rümelin (1861 - 1931) gehörte wie Heck zu den Begründern der "Interessenjurisprudenz" (Kleinheyer/Schröder, Juristen, S. 361). 71 Max Rümelin, Erinnerung an die Zeit vor 31 Jahren (Faksimile-Wiedergabe), in: Liebmann, Juristische Fakultät Berlin, S. 382 f., 382. 72 Vgl. Pappenheim S. 45; Seelig S. 517. 73 Piloty (1863 - 1926) ist später besonders durch Schriften zum Verwaltungsrecht hervorgetreten: Kleinheyer/Schröder, Juristen, S. 358. 74 Robert Piloty, Meine Erlebnisse an der Berliner Universität (Faksimile-Wiedergabe), in: Liebmann, Juristische Fakultät Berlin, S. 454 f., 455. 75 Adler S. 121 (Wintersemester 1891/92). 76 Wie schon in Heidelberg ist Goldschmidt auch in Berlin Mitglied des Spruchkollegiums der Juristenfakultät: Seckel, Geschichte, S. 463. 77 Riesser S. 41. 69
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tegriere, nicht mit dem Ziel der beteiligten Ministerien vereinbaren ließen, eine Reform "allein in den Schranken reglementarischer Anordnungen" zu vollziehen 78 . Im Studienjahr 1889/90 bekleidet Go1dschmidt das Amt des Dekans der juristischen Fakultät79 , die ihm 1851 seines Glaubens wegen die Zulassung zur Promotion rechtswidrig verweigert hatte. Obwohl dies nun schon fast vierzig Jahre her ist, wird Goldschmidt der erste Dekan jüdischen Glaubens an einer der vier Fakultäten der Berliner Universität. 2. Politisches und gesellschaftliches Engagement
Nachdem Goldschmidt seine Krankheit zunächst überwunden hat, kehrt er nicht allein zur wissenschaftlichen Arbeit zurück, auch sein Interesse an politischen Fragen erwacht wieder. Nach wie vor fühlt er sich berufen, in Fragen von grundsätzlicher oder rechtspolitischer Bedeutung seine Stimme zu erheben und auch gegenüber einer breiteren Öffentlichkeit Stellung zu beziehen. Er kann mehr denn je darauf rechnen, gehört zu werden, denn inzwischen ist er ein sehr bekannter Mannso. Viele seiner politischen Schriften der Berliner Zeit weisen in ihren Ausführungen indessen über die Schärfe politischer Auseinandersetzung hinaus eine Bitterkeit auf, die Goldschmidt in dieser Form früher nicht an die Öffentlichkeit getragen hatte. Dies hat seine Ursache in Berliner Ereignissen zu Beginn der 80er Jahre, bei denen Goldschmidt für die Öffentlichkeit zwar nur Zuschauer bleibt, die ihn jedoch in mehrfacher Hinsicht schwer treffen. Denn sie erschüttern zutiefst vieles von dem, das er als inzwischen festen Bestandteil der deutschen Gesellschaftsordnung meinte ansehen zu können sl . In den Jahren von 1879 bis 1881 nämlich findet in Berlin eine Auseinandersetzung statt, die vornehmlich publizistisch in den Berliner Zeitungen geführt wird. Es ist der später so genannte "Berliner Antisemitismusstreit"s2. Diese Kontroverse ist symptomatisch für den Übergang des von ethischen Vorurteilen geprägten Mißtrauens gegenüber der jüdischen Religion zu einem demagogischen, vorgeblich ethnologisch begründeten Antisemitismus, der nicht mehr Ausdruck einer als 78 Austrittserklärung v. 6. 5. 1890, in: Lebensbild S. 462. Goldschmidt selbst war übrigens, anders als etwa Jhering, kein nachsichtiger Prüfer und verlangte die hohen Anforderungen, die er in seinen Schriften an die juristische Ausbildung stellte, den Prüflingen auch ab, vgl. Rechtsstudium 1887, S. 357 Anm. 3. 79 Lenz, Geschichte III, S. 486. 80 Äußeres Anzeichen dafür ist, daß er sich bereits zu Lebzeiten in die "Brockhaus"-Enzyklopädie eingetragen findet: Brockhaus' Kleines Conversations-Lexikon, 3. Aufl., 1. Bd., Leipzig 1879, S. 863 re. Sp. 81 s. insbes. Sinzheimer S. 66 - 72. 82 Dokumentation der wichtigsten Schriften: Boehlich, Antisemitismusstreit, mit einer Darstellung des Streites in seinen zeitgeschichtlichen Bezügen S. 239 - 266 (Nachwort).
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selbstverständlich vorausgesetzten abwertenden Betrachtung des Judentums ist, sondern von einzelnen politischen Gruppierungen geschürt oder ausgenutzt wird, um mit seiner Hilfe größere Teile der Bevölkerung für andere Ziele zu mobilisieren. Kennzeichnend für diesen Übergang, der sich in den 70er Jahren vollzieht83 , ist die Haltung des Mannes, der die Berliner Auseinandersetzungen 1879 auslöst; es ist Heinrich von Treitschke 84 . In den von Heinrich von Treitschke herausgegebenen "Preußischen Jahrbüchern" erscheint, datiert vom 15. November 1879, ein Artikel ihres Herausgebers, in dem Treitschke die innen- und außenpolitische Lage Preußens und des Deutschen Reiches unter dem Titel "Unsere Aussichten" einer wertenden Betrachtung unterzieht. Der außenpolitische Überblick endet mit dem Aufruf, daß die Deutschen den Bedrohungen durch das Ausland in patriotischer Einigkeit entgegenzutreten hätten. Dann 85 wendet sich Treitschke gegen die Uneinigkeit im Inneren. Sie sieht er durch Demokratie, Parteienstreit und insbesondere die Presse hervorgerufen. Auf diesem Wege kommt er dazu, das angebliche "unbillige Uebergewicht des Judenthums in der Tagespresse" anzuprangern 86 , und er behauptet, daß sich "jüdische Journalisten in Schmähungen und Witzeleien gegen das Christenthum" ergingen. Diese These verallgemeinert er dahin, daß "die Juden" seit der Emanzipation eine stete Gefahr für die christliche Grundlage seien, auf der die deutschen Staaten ruhten 87 • Treitschke verwahrt sich freilich dagegen, die Emanzipation zurücknehmen zu wollen, weil dies "ein offenbares Unrecht" wäre 88 . Er fordert aber von den jüdischen Mitbürgern, daß der rechtlichen Gleichstellung die bedingungslose kulturelle Assimilation folgen müsse, und verlangt von ihnen den Übertritt zum Christenthum oder doch zumindest die kritiklose Anerkennung der christlichabendländischen Kultur als Fundament des deutschen öffentlichen Lebens89 . Diese Ansichten Treitschkes wurzeln noch deutlich in den antiemanzipatorischen Vorurteilen der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, wenn sie auch vordergründig die Emanzipation anzuerkennen scheinen. Tatsächlich hatten, und das dürfte Treitschkes in dem konkreten Textzusammenhang 90 eigentlich unmotivierten Ausfall veranlaßt haben, mehrere jüdische Publizisten ihre Glaubensgenossen verstärkt aufgerufen, ein jüdisches Se1bstbewußtsein zu entwickeln. Für Treitschke 83 Wemer Jochmann, Struktur und Funktion des Deutschen Antisemitismus, in: Mosse, Juden, S. 389 - 477, insbes. S. 396 - 460. 84 Zur Stellung Treitschkes in der antisemitischen Bewegung s. insbes. Hamburger, Juden im öffentlichen Leben, S. 99 f., und Boehlich, Antisemitismusstreit, S. 241 ff. 85 Treitschke, Aussichten, S. 570 ff.; nur dieser Schlußteil (S. 570 - 576) bei Boehlich, Antisemitismusstreit, S. 7 - 14. 86 Aussichten S. 574 (bei Boehlich S. 11 ff.). 87 Aussichten S. 574 (bei Boehlich S. 11 ff.). 88 Aussichten S. 575 (Boehlich S. 13). 89 Aussichten S. 575 f. (Boehlich S. 14). 90 Vgl. Boehlich, Antisemitismusstreit, S. 242 f.
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ergab sich daraus von selbst eine Differenzierung in "gute" Juden, die die Assimilation anstrebten, und "gefährliche" Juden, die die kulturellen Unterschiede, die sich aus der verschiedenen Glaubenszugehörigkeit ergeben sollten, betonten. Seine Äußerungen wurden jedoch rasch verallgemeinert und in dieser Form verbreitet. Treitschke wurde deshalb bald als Urheber des neuen Antisemitismus' angegriffen. Bedeutendstes Dokument dieser öffentlichen Kritik an Treitschke und der von ihm ausgelösten Bewegung ist eine am 12. November 1880 publizierte "Erklärung von 75 Notabeln gegen den Antisemitismus,,91, zu deren Unterzeichnern Gneist, Theodor Mommsen und Rudolf Virchow gehörten. Mommsen trat in mehreren Publikationen gegen Treitschke auf, mit dem er sich wegen dieser Angelegenheit völlig zerstritt 92 • Denn Treitschke fühlte sich durch diese Angriffe mißverstanden und tief gekränkt93 ; seine weiteren Schriften zu dieser Thematik94 bringen nichts neues mehr95 , sondern nur immer wieder Verwahrungen dagegen, daß seine Gründe und Differenzierungen nicht genügend gewürdigt worden seien. Goldschmidt selbst beteiligt sich zunächst nicht an der öffentlichen Diskussion. Er verfolgt die Entwicklung aber aufmerksam und mit wachsender Empörung gegen seinen alten Freund. Von einer Italienreise schreibt er Ende 1880 an Otto Stobbe, den er in dieser Sache ganz auf seiner Seite weiß96 ; "Von den Deutschen Ereignissen zieht selbstverständlich der Gang der unseligen Antisemitenbewegung, welche nun auch, wie es scheint, unter Treitschke's schwerer Mitschuld, die Studentenschaft vergiftet, mein Interesse auf sich", und er begrüßt die Berliner Erklärung. "Wohin soll es führen", fragt er besorgt, "wenn gerade in die gebildetste und in Zukunft zur Leitung der Gesellschaft bestimmte Jugend dieser thörichte Racenoder Konfessions- oder Kapital-Haß?? hineingetragen wird !'.97. Goldschmidt selbst scheint keinen Anfeindungen durch aufgehetzte Studenten ausgesetzt gewesen zu sein. Er hatte auch weiterhin daran festgehalten, seinen Abgedruckt bei Boehlich, Antisemitismusstreit, S. 204 - 206, u. Fenske, Reich, S. 260 f. Cornicelius, in: Treitschke, Briefe III, S. 490 93 Treitschke, Briefe III, S. 488 - 490; Petersdorff, Treitschke, S. 306 f. 94 Preuß. Jbb. 44 (1879), S. 660 - 670; 45 (1880), S. 85 - 95; 46 (1880), S. 639 - 645, 643 ff. (bei Boehlich S. 33 ff., 79 ff., 227 ff.). 95 Dazu Boehlich, Antisemitismusstreit. S. 265 f. 96 Schon 1866 hatte Stobbe die Vorrede seines eigentlich nur das Mittelalter behandelnden Werkes "Die Juden in Deutschland in politischer, socialer und rechtlicher Beziehung" (als Buch erschienen Braunschweig 1866) unter Hinweis auf die nahezu abgeschlossene rechtliche Emanzipation mit den Worten beendet: "Und würde der Staat nicht den Juden gegen grobe Unbill schützen, so würde das Judenthum ... auch heute noch der Verfolgung und Mißhandlung durch den Pöbel ausgesetzt sein. wie traurige Vorgänge aus den letztverflossenen Monaten leider beweisen." Der Schluß seines Werkes ist freilich optimistisch: "Noch kurze Zeit, und die Gleichheit der bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte wird auch für den Juden kein vielfach beschränktes Princip sein, sondern zur Wahrheit werden" (S. 193). - Vgl. hierzu Guido Kisch. Dtto Stobbes Rechtsgeschichte der Juden. in: Dtto Stobbe, Die Juden in Deutschland. Nachdruck Amsterdam 1968. hinter S. IV. 3. Seite. 97 Lebensbild S. 424 - 426. 426 (7. 12. 1880). 91
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Glauben als reine Privatsache anzusehen und über Glaubensfragen und aus dem Glauben resultierende politische oder kulturelle Fragen nicht öffentlich zu diskutieren. Er spielte auch im jüdischen Leben Deutschlands keinesfalls eine herausragende oder auch nur führende Rolle. Er engagierte sich zwar durchaus in jüdischen Organisationen, insbesondere als tätiges Mitglied 98 des schon 1869 gegründeten Deutsch-Israelitischen Gemeindebundes. Dessen Anschauungen und Absichten entsprachen aber wohl auch deshalb den seinen, weil der Gemeindebund keine größere Wirksamkeit nach außen hin entfaltete99 . Eine leitende Position übernahm er nur in dem "Hilfsverein für jüdische Studirende"lOü, dessen Vorsitzender er in den 80er und 90er Jahren ist lO1 . Goldschmidt entsprach damit ganz dem Bild, daß Treitschke von dem "guten" Juden hatte, der zur Assimilation und zur Anerkennung der kulturellen Grundlagen des preußischen Staates bereit ist lO2 . Einen Beleg für Goldschmidts Bejahung des christlich geprägten deutschen, besonders des preußischen Staates vom Standpunkt eines "aufgeklärten" Judentums aus bietet die "Rede zur Festversammlung des Hilfsvereins für jüdische Studirende", die Goldschmidt als Vorsitzender zu dessen fünfzigsten Jahrestag am 26. Februar 1891 hält 103. Sie findet ihren Höhepunkt in einem Hoch auf Wilhelm 11. als Deutscher Kaiser und König von Preußen, an dessen Seite "für die Vertreter konfessionellen Fanatismus und die Schürer des Klassenhasses kein Raum" sei 104. Gleichwohl enthält diese Rede auch manche bittere Passage, die nicht den Judenverfolgungen der älteren Zeit gilt, sondern der erneuten Verbreitung antisemitischer Parolen im Jahrzehnt zuvor 105 . Goldschmidts äußerlich vollständige Assimilierung beruhte nicht auf einem Streben nach unauffälliger Anpassung, sondern auf der politischen Überzeugung, daß gleiche Rechte und Pflichten aller Bürger gegenüber Gesellschaft und Staat auch eine weitgehende Gleichheit der Art des öffentlichen Auftretens mit sich brächten. Seiner Auffassung nach, die er schon 1855 in seinen Gesprächen mit Michael Bernays zum Ausdruck gebracht hatte, hatte die innere religiöse Überzeugung eines Menschen als wesentlicher Bestandteil seiner Persönlichkeit der Beurteilung durch Dritte schlechthin entzogen zu bleiben, sollte dafür aber auch nicht demonstrativ oder provokativ nach außen zur Schau gestellt werden. So lag auch s. Hamburger, Juden, S. 26 in Fußn.*. Peter Pulzer, Die jüdische Beteiligung an der Politik, in: Müsse, Juden, S. 143 - 239, 155 - 157, 162. 100 Der Verein scheint keine größere Bedeutung gehabt zu haben; in den einschlägigen Enzyklopädien zur jüdischen Geschichte wird er nicht erwähnt. 101 s. Hamburger, Juden, S. 26 in Fußn.*. 102 s. Treitschke über Goldschmidt 1870, in: Freytag und Treitschke im Briefwechsel, S. 151 f. 103 Lebensbild S. 463 - 467. 104 Lebensbild S. 466. Zur tatsächlich ambivalenten Haltung Wilhelm 11. s. Lamar Cecil, Wilhelm 11. und die Juden, in: Mosse, Juden, S. 313 - 347. 105 Insbes. Lebensbild S. 464 oben, 465 unten. 98
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seiner Haltung im Kulturkampf nicht eine Ablehnung der Anschauungen der katholischen Kirche zugrunde I06, sondern der Umstand, daß die "Ultramontanen" ihre in den persönlichen Bereich gehörenden Überzeugungen zum Maßstab des öffentlichen politischen Lebens zu erheben trachteten I07 . Aus dieser Scheidung zwischen innerem Bereich der religiösen Überzeugung und äußerem Bereich öffentlichen Lebens resultiert Goldschmidts Haltung im Antisemitismus-Streit der 80er Jahre. Ersten, in der Sache aber bereits abschließenden Ausdruck findet sie in einem Schreiben vom 4. Mai 1881, das Goldschmidt an Heinrich von Treitschke richtet. Es ist bezeichnenderweise ein reiner Privatbrief, der erst nach Goldschmidts Tod veröffentlicht wurde I08 . Goldschmidt versucht, Treitschke in diesem Brief zu verdeutlichen, auf welch fragwürdigen Grundlagen dessen Thesen ruhten und zu welchen Konsequenzen in der Einstellung breiter Bevölkerungskreise sie führen würden. Er faßt seine Gegenposition zu Treitschkes Haltung gegen Ende seines Briefes in einem Satz zusammen: "Ich acceptire nicht Ihren christlich-germanischen Staat, da wir kein rein germanisches Volk sind und das Christenthum nicht Staatsreligion sein kann"I09. Das deutsche Volk umfasse die Juden wie die Angehörigen aller anderen Glaubengemeinschaften und Vcilkerschaften, aus denen die Deutschen hervorgegangen seien. Die Behauptung Treitschkes, die Juden stellten notwendigerweise einen Fremdkörper dar, der in das deutsche Staatswesen nicht integriert werden könne, sieht Goldschmidt als Folgerung an, die auf einer falschen Anschauung von der "Rechtsgeschichte des deutschen Judenthums"IIO beruhe. Goldschmidt sieht sich deshalb nicht allein aus persönlichen Gründen, sondern auch als Wissenschaftler herausgefordert, Treitschkes Argumente zu widerlegen: Durch den Ausschluß von den meisten bürgerlichen Berufen in die kaufmännischen Berufe gedrängt, hätten die Juden über lange Zeit Gewohnheiten, Gebräuche und Anschauungen wie Hochachtung von Gewinnstreben und Kosmopolität annehmen müssen. Dies könne man ihnen aber schon deshalb nicht zum Vorwurf machen, weil sie den Gewerbetreibenden des Handels aller Staaten und Religionen eigen seien, nicht etwa nur den jüdi106 Mitunter, aber stets nur im engsten Kreis, hat er sie allerdings auch sanft verspottet, so etwa einem Brief an seine Eltern v. 17.9. 1862: "In der Peterskirche stehen Beichtstühle für alle Völker, in allen Sprachen wird hier gepredigt und wohl auch gesündigt" (Lebensbild S. 255 f., 256). 107 deutlich Reichstagswahl 1887, S. 46 f. (" ... eine lediglich häusliche Angelegenheit
...").
108 Lebensbild S. 432 - 436; auch bei Sinzheimer S. 69 - 72. Dieser Brief erlangte für spätere Analysen der Stellung Treitschkes in der antisemitischen Bewegung großes Gewicht, s. etwa Hamburger, Juden im öffentlichen Leben, S. 99 f.; Boehlich, Antisemitismusstreit, S. 248; Sinzheimer S. 68 f.; Cornicelius, in: Treitschke, Briefe III, S. 179 - 181,490. 109 Lebensbild S. 436. 110 Diesen Begriff verwendet Goldschmidt erst in seiner Rede vor dem Hilfsverein für jüdische Studierende am 26. 2. 1891, Lebensbild S. 463 ff., die insoweit im wesentlichen den Gedankengang des Briefes an Treitschke wiedergibt.
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schen Glaubensangehörigen 111. Zuvor 112 zeigt Goldschmidt den wunden Punkt der gesamten Argumentation Treitschkes auf: Dessen These von der notwendigen Fremdheit des Judentums lasse sich nämlich gar nicht mit Besonderheiten des jüdischen Glaubens erklären, sondern nur damit, daß die Juden als eine besondere, mit negativen Eigenschaften notwendig behaftete "Race" anzusehen seien; "in dieser Unterstellung" findet Goldschmidt "den denkbar schwersten Angriff' gegen die errungene rechtliche, gesellschaftliche und insbesondere sittliche Gleichstellung der Juden in Deutschland. Diesen Angriff hinzunehmen sei er keinesfalls bereit ll3 . Ihre Gleichstellung hätten die Juden auch nicht etwa als Geschenk erhalten, sondern sie hätten sie sich ehrlich durch ihren Beitrag zum wirtschaftlichen und kulturellen Aufstieg Deutschlands und, seit sie zum Militärdienst herangezogen würden, auch durch den Einsatz ihres Lebens verdient 1l4 . Der Beitrag der Juden zum Wohl Deutschlands habe nach der Emanzipation sogar zugenommen, weil sie allen Juden die Möglichkeit gegeben habe, sich zu integrieren und an allen Bereichen des öffentlichen Lebens teilzunehmen 115. Die von Treitschke als Regelfall hingestellten Beispiele "national-jüdischer" Umtriebe - Vorläufer der zionistischen Bewegung, die vom Standpunkt des Judentums aus eine Integration der jüdischen Glaubensangehörigen in die christlich geprägten europäischen Gesellschaften bekämpften - seien singuläre Ausnahmen, ihre Bestrebungen würden gerade von der Mehrheit der deutschen Juden nicht geteilt 1l6 . Die Unterscheidung zwischen der rechtlichen Gleichstellung der Juden, die Treitschke ja ausdrücklich als unwiderruflich anerkannt hatte, und der kulturell-gesellschaftlichen Gleichstellung sei unmöglich und würde, da auch letztere ja das Ziel der Emanzipationsbewegung sei, einen Rückfall in die Anschauungen älterer Zeiten und damit nur eine Verstärkung der Erscheinungen bewirken, die Treitschke gerade rügen wolle ll7 . Am heftigsten widerspricht Goldschmidt deshalb der These Treitschkes, daß unterschieden werden könne zwischen Juden, die den deutschen Staat vollständig akzeptierten, und solchen, die sich zu jüdischen Eigenheiten bekennen wollten. Sie sei nicht vereinbar mit Treitschkes These von einem angeblich spezifischen ,Jüdischen Nationalcharakter", der zu einer notwendig abweichenden Eigenart aller Juden führen müsse, und könnte daher allenfalls die Konsequenz haben, daß jeder Jude sich "als einen ausnahmsweise ordentlichen Menschen legitimiren müßte"ll8. Das Entwürdigende, das einer solchen Auffassung zugrundeliegt, hebt Goldschmidt in seinem vorwurfsvollen Schlußsatz noch einmal hervor: "Vielleicht begreifen Sie nun, wie schwer ich Ihr Auftreten genommen habe und habe nehmen müssen, wie tief ich 111 112
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Lebensbild S. 434 f. Lebensbild S. 433 f. Lebensbild S. 434. Lebensbild S. 435 u. die Rede v. 26. 2. 1891 S. 463 f. Lebensbild S. 435. Lebensbild S. 433, 435. Lebensbild S. 435 f. Lebensbild S. 434.
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mich in der angegriffenen Gesellschaft verletzt gefühlt habe, auch als ,Ausnahme' ,,119. Der Brief ist schlicht mit "Ihr Goldschmidt" gezeichnet. Dieses Schreiben ist keineswegs darauf angelegt, bei Treitschke den Eindruck zu erwecken, aus Protest gegen sein Verhalten solle nun eine langjährige Freundschaft auf einen Schlag beendet werden. Goldschmidt weist gleich zu Beginn darauf hin, daß in ihrer Freundschaft schon seit einiger Zeit eine "Lockerung" eingetreten sei. Zwar sagt Goldschmidt Treitschke dann offen und in deutlichen Worten seine Meinung und drückt seine persönliche Enttäuschung über dessen Haltung aus, den völligen Abbruch ihrer persönlichen Beziehungen aber kündigt er nicht an l20 . Treitschke soll Goldschmidt denn auch in einem Brief vom 11. August 1886 geantwortet und darin Verständnis für Goldschmidts Empörung gezeigt haben 121. Zu einem endgültigen Zerwürfnis zwischen beiden kam es damit nicht, und Goldschmidt hat schon einige Jahre später wieder in den von Heinrich von Treitschke herausgegeben Preußischen Jahrbüchern publiziert, darunter 1887 einen Nachruf auf seinen Freund Dtto Stobbe l22 ; im Jahr darauf folgte sogar auf eine persönliche Bitte Treitschkes hin 123 seine abschließende Stellungnahme im Streit um die Reform der Juristenausbildung. Auch in seiner politischen Grundhaltung hat sich Go1dschmidt von den in Heidelberg empfangenen Einflüssen Treitschkes nie ganz befreit l24 ; das wird deutlich in Goldschmidts Rückblick auf die Reichstagswahl von 1887 125 , in dem er im Gegensatz zu seinen auch dort vertretenen wirtschaftsliberalen Vorstellungen das von Treitschke postulierte Primat des Staates über das Individuum auch an Stellen zum Ausdruck bringt, wo es der Anlaß der Schrift nicht erfordert. Nicht einmal ein vorstaatliches, apriori bestehendes Recht der Juden auf Emanzipation nimmt Goldschmidt in dieser Schrift an, sondern nur eines, daß die Juden sich "durch redliche Arbeit im Dienste des Staats verdient" hätten l26 . Nur im wirtschaftlichen Bereich und der innersten Privatsphäre des Einzelnen ist er bereit, Freiräume anzuerkennen, die staatlichem Zugriff schlechthin entzogen seien und die der Staat sogar aktiv zu schützen habe. Goldschmidts Schrift von 1887 gerät ihm so im Hinblick auf Treitschkes Anschauungen zu einer merkwürdigen Mischung: Einerseits ist sie voll versteckter Spitzen gegen ihn, indem Goldschmidt alle Vorwürfe, die er Treitschke 1881 wegen der Auslösung des Berliner Antisemitismusstreits nur privat gemacht hatte, in seine Publikation übernimmt, ohne Treitschke namentlich zu nennen, andererseits ist sie getragen von der Auffassung Treitschkes, daß nur ein 119
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Lebensbild S. 436. Anders faßt Boehlich, Antisemitismusstreit, S. 248 das Schreiben auf. Comicelius, in: Treitschke, Briefe 111, S. 181 u. 490. Preuß. Jbb. 59 (1887), S. 596 - 600. s. Preuß. Jbb. 61 (1888), S. 185. Vgl. Comicelius, in: Treitschke, Briefe, S. 180. Reichstagswahl 1887, S. 33 - 61. Reichstagswahl1887, S. 54.
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starker Staat, dessen Autorität von den politischen Parteien nicht bezweifelt wird, Garant einer liberalen Gesellschaftsordnung sein könne. Goldschmidts Versuch vom Mai 1881, Treitschke dazu zu bewegen, zumindest die Fernwirkungen seiner Äußerungen zu überdenken und für eine Mäßigung in der sich zuspitzenden Debatte zu sorgen, blieb aber erfolglos 127. Sein Brief an Treitschke hat deshalb keinen Einfluß auf den weiteren Verlauf des Berliner Antisemitismusstreits gehabt. Er ist aber dennoch bedeutsam, weil er erkennen läßt, welche Gefühle diese Debatte bei den deutschen Juden auslöste, die sich um Assimilation bemüht hatten und die wie Goldschmidt gehofft hatten, daß ihr Glaube nie wieder Anlaß zu Diskriminierung oder auch nur dem öffentlichen Ruf nach Diskriminierung sein würde l28 : Für die gläubigen Juden war die Haltung Treitschkes schon deshalb bedrückend, weil sie allein ihres Glaubens wegen zu Fremden in ihrer Heimat gestempelt werden sollten. Diese Haltung jetzt wieder von Vertretern der führenden intellektuellen Schicht des Deutschen Reiches verbreitet zu sehen, muß bei den Juden aus Goldschmidts Generation tief sitzende Ängste ausgelöst haben l29 . Ein Zeichen dafür ist die Erregung, die aus Goldschmidts Brief an Treitschke spricht; der Stil dieses Briefes ist von dem der zornigen Polemiken, mit denen Goldschmidt sonst auf politische Widersprüche reagierte, weit entfernt. Aber auch in anderer Beziehung offenbart Goldschmidts Brief an Treitschke viel von den Eigenheiten seines Charakters: Klarer als die meisten zeitgenössischen Kritiker Treitschkes erkennt er, daß dessen Sicht der Dinge durchaus um Differenzierung bemüht ist, und er versucht daher, nicht allein nachzuweisen, daß Treitschkes im Historismus wurzelnder Antisemitismus auf fehlerhafter Grundlage ruhe, sondern auch aufzuzeigen, daß es unmöglich sei, die von Treitschke vorgenommenen Differenzierungen durchzuführen. Er weist Treitschke darauf hin, wie seine Haltung zur Folge habe, daß die Vertreter eines rassistischen und emotionalen Antisemitismus sich auf seine Schriften berufen würden, auch wenn er selbst gar nicht demagogisch habe wirken wollen. Zugleich ist Goldschmidt aber auch in jeder Zeile der Wissenschaftler, der sein Gegenüber von der wissenschaftlichen Unhaltbarkeit seiner Thesen zu überzeugen sucht: "Die Schäden nicht des Judenthums, sondern der Jüdischen Bevölkerung", so beginnt Goldschmidt seine Argumentation, "empfinde ich vielleicht lebhafter als irgend Jemand, aber, obwohl nicht Historiker, glaube ich, daß gerade der Geschichtsforscher, welcher Wesentliches und Zufälliges zu scheiden versteht, welcher den Ursachen des komplicirten Werdeproces ses mit Unbefangenheit und Ruhe unter voller Beherrschung des Materials nachforscht, zu völlig anderen Ergebnissen gelangen muß, als den von Ihnen gewonnenen" 130.
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s. dazu Boehlich, Antisemitismusstreit, S. 262 ff. Vgl. Hamburger, Juden, S. 99. s. etwa Rede zur Festversammlung 1891, Lebensbild S. 465. Lebensbild S. 433 f.
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Der Appell, an die Stelle des Vorurteils das Streben nach wissenschaftlicher Erkenntnis empirischer Zusammenhänge und Tatsachen zu setzen und so die eigene Position einer kritischen Revision zu unterziehen, war in dieser Frage freilich vergeblich. In den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts läßt sich eine größere Anzahl antisemitisch ausgerichteter Bewegungen ausmachen 13l . Diese alte Vorurteile zu neuer Propaganda nutzenden Bewegungen wären freilich auch ohne Treitschkes Zutun aufgetreten; das gefährliche an Treitschkes Publizistik aber war, daß sie die Saat gelegt hatte für eine Form wissenschaftlich verbrämten Antisemitismus', der vorgab, seine vorurteils bestätigenden Thesen empirisch belegen zu können. Die Polarisierung zwischen antisemitischer und durch sie hervorgerufener national-jüdischer Agitation verstärkte sich dadurch nur. Gerade im Hinblick auf Goldschmidt ergibt sich, daß Treitschke sein Ziel, die assimilationsbereiten Juden dazu zu bewegen, alle Anzeichen ihres Judentums abzulegen und auf diese Weise vollständig in der vermeintlich "christlich-germanischen" deutschen Bevölkerung aufzugehen, verfehlt und sogar das genaue Gegenteil erreicht hatte: Während Goldschmidt zuvor in der Öffentlichkeit nie auf sein Bekenntnis hingewiesen hatte, ändert sich dies in seinen politischen Schriften der folgenden Jahre. Unter ihnen findet sich fortan kaum eine, in der Goldschmidt nicht darauf hinweist, wie sehr er und seine Glaubensgenossen in der Vergangenheit gegen alle Vernunft und gegen alles Recht benachteiligt worden seien. Obgleich dieses öffentliche Eintreten Goldschmidts für die Rechte der deutschen Juden erst spät erfolgte, führte es schon bald dazu, daß sich die Angriffe antisemitischer Demagogen auch gegen ihn richteten: Paul de Lagarde, in Göttingen Professor für Orientalistik und politischer Agitator 132 , betätigte sich als intensiver Verfechter eines bereits ausgeprägt rassistischen 133 Antisemitismus', dem er in einem gräßlichen Pamphlet "Juden und Indogermanen" besonders nachdrücklich Ausdruck verlieh. Hier steigerte er sich in Haß tiraden : "Es gehört ein Herz von der Härte einer Krokodilhaut dazu, ... um die Juden nicht zu hassen ... Mit Trichinen und Bacillen wird nicht verhandelt, ... sie werden so rasch und so gründlich wie möglich vernichtet,d34. Das war durchaus keine abstrakte Forderung, denn Lagarde hatte ganz konkrete Vorstellungen davon, wen er "vernichtet" haben wollte, nennt er doch einige Persönlichkeiten des jüdischen Lebens beim Namen; darunter befindet sich auch der Goldschmidts 135.
131 Überblick u. Analyse von W. Jochmann, Struktur u. Funktion des Deutschen Antisemitismus, in: Mosse, Juden, S. 389 - 477. 132 Seine Schriften waren von großem Einfluß auf die Grundsätze und Forderungen der Antisemitischen deutsch-sozialen Partei, die sich 1889 von den Konservativen abspaltete; abgedruckt bei W. Mommsen, Parteiprogramme, S. 73 - 78. 133 Lagarde, Juden und Indogermanen, S. 330: "Wir Deutschen wissen, daß wir indogermanischer arischer Abstammung sind." 134 Juden und Indogermanen S. 339. 135 Juden und Indogermanen S. 345.
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Auf Goldschmidts Verhalten gegenüber neuen Bekannten, insbesondere aber gegenüber seinen Studenten bleiben diese Anfeindungen nicht ohne Folgen; so gibt Karl Adler aus der Sicht eines ehemaligen Berliner Studenten ein Charakterbild von Goldschmidts Persönlichkeit, das die Schilderungen seines Naturells durch seine Freunde und Kollegen etwas modifiziert: Auch auf ihn habe Goldschmidt zwar den Eindruck eines gemütvollen, milden und freundlichen Menschen gemacht, aber dahinter habe ein "gequälter und gehetzter Mensch" gestanden, um dessen Gemüt sich "scheinbar eine Kruste von Schroffheit und Misstrauen" gebildet habe; sie sei jedoch "stets bereit" gewesen, "dem Einzelnen gegenüber wegzuschme1zen und das edelste und gerechteste Herz zu offenbaren,,136. Diese für einen Nekrolog aus dem 19. Jahrhundert ungewöhnliche Seelenanalyse steht im Einklang mit dem Verhalten, das Goldschmidt in persönlichen Krisensituationen an den Tag legt. So erklärt sie auch die merkwürdige Diskrepanz zwischen der Heftigkeit, mit der Goldschmidt schon in den Jahren zuvor auf Angriffe auf seine Werke und Ansichten reagierte, und dem davon ungetrübten persönlichen Umgang mit seinen Gegnern, sobald er erkannt hatte, daß diese Angriffe nicht seiner Person, sondern der Sache galten. Denn wirklich brüsk und abweisend wurde Goldschmidt nur, sobald er sich persönlich angegriffen oder auch nur betroffen fühlte. Diese ,,Empfindlichkeit" in persönlichen Angelegenheiten, die Jhering schon 1868 moniert hatte 137 , mag ein angeborener Charakterzug Goldschmidts gewesen sein. Sie ist aber auch eine deutliche Folge der Erfahrungen, die er vom Anfang seiner juristischen Laufbahn an hatte machen müssen, als die Zurückweisungen und Zurücksetzungen, denen er ausgesetzt war, stets mit seiner GlaubenszugehörigkeH, nie mit einem Mangel an fachlicher Eignung begründet worden waren. Die Erinnerung daran war nun wieder nachhaltig geweckt worden. Daß Goldschmidt, nachdem er sich aus der öffentlichen Diskussion im Berliner Antisemitismusstreit herausgehalten hatte, zu Ende der 80er Jahre doch noch zum Objekt von Angriffen verschiedener Seiten wird, beruht darauf, daß ihn die politische Entwicklung im Deutschen Reich bewogen hatte, noch einmal seine ganze Persönlichkeit einzusetzen, um einer Position der Nationalliberalen Partei zum Erfolg zu verhelfen. Anlaß seines öffentlichen Auftretens war der sogenannte "Septennatsstreit" von 1887 138 : Die Reichsverfassung hatte durch einen inneren Widerspruch 139 die Frage der Heeresfinanzierung nicht eindeutig geregelt; die Präsenzstärke des Heeres war deshalb 1874 und 1880 durch Reichsgesetze auf die von den übrigen BudgetregeAdler S. 121. Brief Jherings an Oskar Bülow v. 15. 11. 1868, in: Helene Ehrenberg (Hrsg.), Rudolf von Jhering in Briefen an seine Freunde, Leipzig 1913, S. 231 - 233, 231 mit Bezug auf den Lucca-Pistoja-Aktienstreit. 138 Zusammenfassende Darstellung bei V. Fischer, Art. Septennatsstreit, in: HRG IV (1990), Sp. 1638 - 1642; E. R. Huber, Verfassungsgeschichte IV, § 31, S. 545 - 553. 139 zwischen Art. 60 u. Art. 63 Abs. 4 R.=Verf. 1871. 136 137
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lungen abweichende und die Dauer der Legislaturperioden des Reichstags übersteigende Zeit von jeweils sieben Jahren festgelegt worden. Deshalb weigerte sich die Reichstagsmehrheit von Sozialdemokraten, Linksliberalen und Zentrum, die Heeresvorlage von 1886/87, die ein weiteres solches "Septennat" vorsah, für länger als drei Jahre anzunehmen. Bismarck erhob diesen Konflikt zur Prinzipienfrage und ließ den Reichstag auflösen 140. Die Neuwahlen, die wegen des reinen Mehrheitswahlrechts an zwei Tagen stattfanden, wurden auf den 21. Februar und den 3. März 1887 angesetzt. Unter dem Druck Bismarcks und der Reichsregierung, die diesen Streit zum Kampf der Reichstreuen gegen reichsfeindliche Systemgegner im Innem stilisierten, schlossen sich die regierungstreuen Parteien, Deutschkonservative, Freikonservative und Nationalliberale, zu einem Wahlbündnis, dem "Kartell", zusammen. Eine Niederlage des Kartells, die anfangs durchaus wahrscheinlich schien, hätte einen schweren Rückschlag für die autoritäre Zentralgewalt, insbesondere aber für die persönliche Stellung Bismarcks als Herrscher über die deutsche Politik bedeutet l41 . In die gewaltige Kampagne l42 , die Regierung und Kartellparteien nun begannen, meinte Goldschmidt von seinem nationalliberalen Standpunkt aus eingreifen zu müssen. Seine hierzu publizierten Schriften hat er noch 1887 unter dem Titel ,,zur Reichstagswahl vom 21. Februar und 2. März 1887" in Berlin als Buch erscheinen lassen 143. In einem ersten Artikel, der am 20. Februar 1887 in der "Nationalzeitung" erscheint l44 , greift Goldschmidt in den Wahlkampf des 2. Wahlkreises, Berlin, ein. Hier konkurrieren ein Rechtsanwalt Waldemar Wolff für die Kartellparteien, der sozialdemokratische Kandidat Tutzauer und für die Deutsch-Freisinnige Partei der berühmte Rudolf Virchow, Professor für Medizin an der Berliner Universität. Die Sozialdemokraten werden von Goldschmidt gleich zu Beginn als "bekanntlich der Belehrung und Warnung unzugänglich", in Wahrheit aber wohl als in diesem Wahlkreis chancenlos, kurz abgetan 145. Dann begründet Goldschmidt den Standpunkt der Kartellparteien: "Was unsere drei Parteien eint, ist kurz gesagt: das Staatsbewußtsein und die Staatsbürgerpflicht,.t46. Er beginnt mit einer abrißartigen Schilderung seines eigenen politischen Lebens: Kampf in Baden, Sachsen und Preußen "für den deutschen Staat unter preußischer Führung", für die Stärkung der Stellung des Bürgertums, für Rechtseinheit, Freigabe der Advokatur, Schwur- und Handelsgerichte, gegen Zunftschranken, Zinstaxe - "nicht etwa für die Freigebung Artt. 24 R.=Verf.. Eyck, Bismarck 111, S. 457 ff.; zurückhaltender die Bewertung von Lothar Gall, Bismarck, Frankfurt a.M., S. 671 ff. 142 s. etwa die Wahlaufrufe bei Fenske, Im Bismareksehen Reich, S. 368 - 377. 143 Den Zusatz .. 2. Aufl." (Literaturverzeichnis von Pappenheim S. 19 Nr. 258) enthält das Titelblatt nicht; allerdings ist 1890 eine echte 2. Aufl. dieser Schrift erschienen. 144 Reichstagswahl 1887, S. 5 - 25. 145 Reichstagswahl 1887, S. 5 f. 146 Reichstagswahl 1887, S. 8. 140 141
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des ,Wuchers'" - und Konzessionierung der Aktiengesellschaften. "Einige dieser nun vollendeten Thatsachen", so Goldschmidt nicht ohne Stolz, "darf ich auf meine Initiative zurückführen" 147. Diese Errungenschaften seien nun durch "einen mit immer rücksichtsloserem Egoismus geführten Interessenstreit"148 im wirtschaftlichen Leben - eine Äußerung, die Goldschmidt noch zehn Jahre zuvor nicht getroffen hätte -, politische Uneinigkeit im Innern und militärische Bedrohung von außen gefährdet. Diesen Zustand der Unsicherheit durch Gesetzgebung und Verwaltung zu beenden, sei Aufgabe einer starken Reichsgewalt. Das wiederum zu leugnen und die politische Uneinigkeit durch Agitation zu verstärken, sei das Bestreben der Freisinnigen l49 . Dabei nimmt Goldschmidt die Persönlichkeit Virchows ausdrücklich aus und hebt hervor, ihn nur in seiner Eigenschaft als Kandidaten der Freisinnigen Partei zu bekämpfen 150. An konkreten und objektiv nachvollziehbaren Argumenten ist Goldschmidts Vortrag freilich genauso arm wie seine anderen nur allgemein-politischen Themen gewidmeten Publikationen. Nur mit dürren Worten kann Goldschmidt, um nicht die eindeutige Tendenz seines Artikels zu stören, den Punkt berühren, der für sein Engagement in dieser Sache ungewollt große Bedeutung erlangen wird: Er weist kurz darauf hin, daß aus den Reihen der Konservativen, einer der Kartellparteien, die Hauptvertreter der antisemitischen Bewegung stammten; ihr einhellig entgegengetreten zu sein, bilde durchaus einen "Ehrentitel" des freisinnigen Berliner Bürgertums 151 . Das Echo auf Goldschmidts Veröffentlichung ist groß 152. Am 24. Februar 1887 erscheint im "Merseburger Korrespondenten" ein namentlich nicht gezeichneter Artikel "Professor Dr. Levin Goldschmidt als Vorkämpfer eines ,antisemitischen Reaktionärs"', in dem Goldschmidt vorgeworfen wird, aus Weltfremdheit, Eitelkeit und blankem Untertanengeist seine Herkunft zu verleugnen 153. Tatsächlich war der Kandidat der Kartellparteien Wolff in einem Strafverfahren Verteidiger des Hofpredigers Stoecker gewesen und gehörte zu den Parteigängern von dessen antisemitischer Bewegung l54. Goldschmidt tritt diesem Angriff in einer kurzen "Erklärung" in der Nationalzeitung vom 27. Februar 1887 entgegen 155. Sie richtet sich nicht so sehr gegen den Vorwurf, einen Antisemiten unterstützt zu haben i56 , sondern gegen die persönlichen, die Gründe für sein Verhalten betreffenden Vorwürfe, denen er nochmals den Reichstagswahl 1887, S. 8 f., 9. Reichstagswahl1887, S. 9. 149 Reichstagswahl1887, S. 10 ff. 150 'Reichstagswahl 1887, S. 11 f. 151 Reichstagswahl 1887, S. 10. 152 s. die Lebensbild S. 453 f., 454 zitierte Mitteilung Heinrich Wieners aus Leipzig. 153 Dieser Vorwurf klingt sogar noch an bei S. Wolff, Sp. 1191. 154 s. Goldschmidt, Reichstagswahl 1887, S. 27. 155 Reichstagswahl 1887, S. 26 - 32. 156 Dazu nur Reichstagswahl 1887, S. 26 f. 147 148
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Hinweis auf seine zahlreichen erfolgreichen beruflichen wie politischen Aktivitäten entgegensetzt l57 . Erst nach der Reichstagswahl nimmt Goldschmidt ausführlich öffentlich Stellung zur antisemitischen Bewegung und seiner Haltung dazu. Seine Stellungnahme datiert vom 3. März 1887, und er veröffentlicht sie unter der Überschrift "Nach dem Siege" nur in Buchform i58 . Nach dem Wahlsieg der Kartellparteien "mag", so Goldschmidt, "es dem unpolitischen Manne der Wissenschaft noch einmal gestattet sein, sich mit ernster Mahnung an seine Mitbürger, vor allem an seine Glaubensgenossen zu wenden ... Das Recht und den Beruf dazu entnehme ich ausschließlich aus meiner schweren Sorge um das Vaterland und aus dem redlichen Willen, ihm nach meiner bescheidenen Kraft zu nützen,.159. Tatsächlich bemüht sich Goldschmidt im ersten Teil 160 vor allem um Mäßigung gegenüber den Freisinnigen. Er versucht, ihnen seine Haltung nicht als politisch, sondern moralisch gegründet darzustellen, indem er seine bedingungslose Reichstreue als notwendigen Ausgleich darstellt für das eigentlich unverdiente "Geschenk" des allgemeinen, gleichen und geheimen Wahlrechts, mit dem "man kaum minder leicht zur Anarchie, als zum Despotismus" gelangen könne l61 . Als gemeinsamen Gegner aller liberalen Kräfte stellt er nun die Sozialdemokraten heraus 162. Es sei zwar anzuerkennen, "daß zahlreiche Mitglieder der sozialdemokratischen Partei mit Eifer und keineswegs ohne Verständniß an den staatlichen Aufgaben insoweit ehrlich mitzuwirken bemüht sind, als die Interessen der industriellen Lohnarbeiter dabei im Spiele sind", und daß Vertreter dieser Interessen deshalb im Reichstag nicht fehlen dürften 163. Aber die Existenz einer sozialdemokratischen Partei sei wegen ihrer Zielvorstellungen, die notwendig revolutionär, nämlich darauf gerichtet seien, die gesamten Grundlagen der Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung zu untergraben, schlechthin "staatswidrig,.164. Freilich lasse sich ihr "nicht durch bloßen Zwang" beikommen, sondern nur "dadurch, daß der Staat selbst ... erforderlichenfalls diejenigen Aufgaben in die Hand nimmt, welche überhaupt in unserer geschichtlich begründeten Gesellschafts- und Wirthschafts-Ordnung gelöst werden können,,165. Beispiele dafür seien Maßnahmen der Volksbildung und insbesondere die Sozialgesetzgebung des Deutschen Reiches l66 .
157 158 159 160 161 162 163 164 165 166
Reichstagswahl 1887, S. 28 - 31. Reichstagswahl1887, S. 33 - 61. Reichstagswahl1887, S. 34. Reichstagswahl1887, S. 34 - 46. Reichstagswahl1887, S. 39. Reichstagswahl 1887, S. 42 - 45. Reichstagswahl 1887, S. 42 f. Reichstagswahl 1887, S. 43 f. Reichstagswahl 1887, S. 44. Reichstagswahl1887, S. 44 f.
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Im zweiten Teil dieses Artikels 167 erfolgt dann endlich Goldschmidts öffentliche Stellungnahme im Antisemitismusstreit. Ist sein erster, mit den Worten "Der deutsche Bürger soll vor allem Deutscher sein,,168 endender Teil von national-patriotischer Emphase getragen, so ist es der zweite von unverkennbarer Bitterkeit, und der Leser merkt, daß Goldschmidt sich diesem Thema nur widerwillig zuwendet. An den Anfang stellt er seinen Widerspruch gegen die Behauptung, "daß die Juden als solche undeutsch und revolutionär" seien l69 . Er verwahrt sich gegen die "freche Lüge" von der sittlichen Verwerflichkeit der mosaischen Religion 17o. Dies ist freilich ein Gebiet, das ihm erkennbar nicht behagt; es habe den Staat und die Öffentlichkeit nicht zu kümmern, in "welcher Weise die Juden das höchste Wesen verehren"l7l. Dann wendet er sich gegen die These vom angeblichen Gegensatz zwischen deutscher und jüdischer Kultur, der auf rassischen Eigenheiten der Juden beruhen solle. Hier führt er seine bereits Treitschke dargelegten Ansichten nunmehr öffentlich in Form einer kommentierten Rechtsgeschichte der Juden in Europa aus 172 : Die Erfahrung zeige, daß die Juden überall dort in Europa, wo sie frühzeitig die Gleichberechtigung erlangt hätten, gute Patrioten gewesen seien 173. Selbst die deutschen Juden, die noch als junge Menschen selbst Opfer gesetzlicher wie gesetzwidriger Diskriminierung gewesen seien, hätten ihrem deutschen Nationalgefühl vorbildhaft Ausdruck verliehen, wie Moses Mendelssohn, Gabriel Rießer und sogar Ludwig Börne und Heinrich Heine l74 . Durch Judengesetze und antisemitische Ausschreitungen in Deutschland stärker als im westeuropäischen Ausland zurückgesetzt und von zunftgebundenen Berufen ausgeschlossen, hätten die deutschen Juden sich notwendig kosmopolitisch ausrichten und dem deutschen Nationalstaatsgedanken zunächst zurückhaltend gegenüberstehen müssen 175 . Mit der Emanzipation aber seien auch die deutschen Juden Anhänger des deutschen Nationalstaats geworden, und der soziale Aufstieg vieler deutscher Juden sowie ihr Zugang zu staatlichen Ämtern sei nichts weiter als der Beweis dafür, wie sie durch Fleiß und Arbeit am Aufbau eines politisch, kulturell und wirtschaftlich starken Deutschland mitwirken wollten. Daran hätten die Juden trotz aller Rückschläge festgehalten. Das sei den Juden hoch anzurechnen und nicht etwa vorzuwerfen 176. Beispiele für die fortdauernden Diskriminierungen, denen sie ausgesetzt gewesen seien, habe er selbst erfahren 177. Sein kurzer, von deutlicher Erbitterung gezeich167 168
partei. 169 170 171
172
I73 174 175 176
Reichstagswahl 1887, S. 47 - 60. Reichstagswahl 1887, S. 46. - S. 46 f. folgt noch ein kurzer Blick auf die ZentrumsReichstagswahl 1887, S. 47. Reichstagswahl 1887, S. 47 f. Reichstagswahl 1887, S. 48. Reichstagswahl 1887, Reichstagswahl1887, Reichstagswahl 1887, Reichstagswahl 1887, Reichstagswahl 1887,
10 Weyhe
S. S. S. S. S.
48 - 60. 48 f. 49 f. 50 f. 51 - 53.
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neter Lebensabriß endet mit einem Vorwurf: "Es ist uns wahrhaftig nicht leicht gemacht worden, gute Preußen oder auch nur Deutsche zu werden oder zu bleiben"I78. Anschließend wendet sich Goldschmidt dem neuerstandenen Antisemitismus der vergangenen Jahre zu. Die deutschen Juden seien teils in den ihnen früher aufgezwungenen Berufen verblieben, die sie jetzt uneingeschränkt und daher erfolgreicher betreiben könnten, teils hätten sie sich nach jahrhundertelangem Ausschluß neuen, insbesondere den ein Universitätsstudium voraussetzenden Berufen zugewandt 179 • Aber nicht der Umstand, daß einzelne Aufsteiger dabei Stolz und Überheblichkeit gezeigt hätten, sei zum Anlaß des erneuten Antisemitismus' geworden, sondern der nackte "Konkurrenzneid,,180 derer, die sich durch die Öffnung ihrer Berufszweige für einen bisher davon ausgeschlossenen, sich nun durch Fleiß und Strebsamkeit auszeichnenden Bevölkerungsteil bedroht fühlten 181. Dies sei nicht allein deshalb verwerflich, weil diese Feindseligkeit manchem deutschen Patrioten jüdischen Glaubens das Herz gebrochen habe - Goldschmidt nennt als Beispiel den populären Heimatschriftsteller Berthold Auerbach l82 , dessen persönliche Bekanntschaft er 1874 auf einer Reise gemacht hatte l83 -, sondern weil es vorgeblich konservativen Kräften ermöglicht habe, ein Zerrbild des deutschen Staates zu propagieren, das auf den Grundlagen alter Reaktionäre l84 fuße und die liberalen Errungenschaften vergangener Jahrzehnte gefährde 185. Den Namen Treitschkes erwähnt Goldschmidt nicht, obwohl gerade er hier gemeint ist, wie ein Vergleich dieser Stelle mit der Schlußpassage von Goldschmidts Brief an ihn deutlich zeigt. Die Religionsverschiedenheiten in Deutschland seien das Ergebnis einer zweitausendjährigen Geschichte und für die Nationalitätsfrage belanglos. Die erneuten Anfeindungen der jüdischen Religion seien deshalb für die Juden im höchsten Maße entwürdigend und wegen ihrer polarisierenden Auswirkungen für die Entwicklung der deutschen Gesellschaft schädlich l86 . Goldschmidt schließt diesen Teil mit dem gleichfalls bereits in dem Brief an Treitschke formulierten Gedanken, die deutschen Juden wollten nicht die ,,kindliche Anerkennung, daß auch ein Jude ausnahmsweise ein braver Mensch und ein guter Bürger sein könne", sondern die jeReichstagswahl 1887, S. 53. Reichstagswahl 1887, S. 54. 179 Reichstagswahl 1887, S. 56. 180 Reichstagswahl 1887, S. 56. 181 Reichstagswahl 1887, S. 55 - 58. 182 Reichstagswahl 1887, S. 58; zu Auerbach (1812 - 1882), von dem 'besonders die "Schwarzwälder Dorfgeschichten" populär waren, s. Jürgen Hein, in: Grimm/Max, Deutsche Dichter 5, S. 564 - 569, darin zu seiner Enttäuschung über die antisemitische Entwicklung S. 567 f. 183 Lebensbild S. 367 f. (aus Tarasp an Stobbe, 25.7. 1874). 184 Reichstagswahl 1887, S. 58. 185 Reichstagswahl 1887, S. 58 f. 186 Reichstagswahl 1887, S. 59 f. 177
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dem Staatsbürger in seiner Eigenschaft als Staatsbürger zukommende Anerkennung l87 . In beiden angesprochenen Themenkreisen, dem allgemein- politischen wie dem speziellen des Antisemitismus', zeigt sich Goldschmidt als treuer Bewahrer nationalliberaler Gedanken, die in den folgenden Jahren indes an Tragkraft stark verlieren sollten. Der Vorwurf, daß Goldschmidt die "Forderung" vertreten habe, "daß gegenüber dem deutsch-vaterländischen Interesse die Anschauungen der J(uden) als solcher zurückzutreten" hätten 188, wird seiner Haltung damit keinesfalls gerecht. Denn für Goldschmidt besteht gerade kein Gegensatz zwischen "Anschauungen der Juden" und dem "deutsch-vaterländischen Interesse", da die erstgenannten Anschauungen dem privaten Lebensbereich zugehörten und sich nicht auf den Bereich des politischen öffentlichen Lebens bezögen, während das politische Interesse sich nicht auf den Privatbereich des Einzelnen erstrecke. Erfolg und Wirkung von Goldschmidts Stellungnahme ,,zur Reichstagswahl" waren durchaus unterschiedlich: Das nächste Ziel, den Berliner Wahlkreis 11 für die Kartellparteien zu erobern, hatten die ersten beiden Artikel Goldschmidts verfehlt: Rudolf Virchow zog auch in den Reichstag von 1887 als Vertreter dieses Wahlkreises ein 189. Tatsächlich mußte die Konstellation, daß Goldschmidt sich ausgerechnet gegen die Kandidatur Virchows stellte, geradezu grotesk anmuten, denn in ihrer wissenschaftlichen wie politischen Grundhaltung wiesen beide trotz ihrer unterschiedlichen Fachrichtungen eine erstaunliche Vielzahl von Gemeinsamkeiten auf: Virchow war vom Historismus des 19. Jahrhunderts ebenso geprägt wie Goldschmidt; wie Goldschmidt war er bemüht, aus den Erkenntnissen seiner Wissenschaft Folgerungen für das soziale Leben zu ziehen 190. In der von Goldschmidt befürworteten Auseinandersetzung des Deutschen Reichs und seiner Einzelstaaten mit der katholischen Kirche war Virchow der Führer der Liberalen und prägte sogar die seither übliche Bezeichnung "Kulturkampr.!91 für diesen Streit. Und Virchow hatte zu den Lehrern an der Berliner Universität gehört, die am entschiedensten gegen den neuen Antisemitismus aufgetreten waren 192. Daß Goldschmidts Eintreten gegen die Kandidatur Virchows unter diesen Umständen Befremden erwecken und im Ergebnis erfolglos bleiben mußte, war zu erwarten. Reichstagswahl 1887, S. 60. So S. Wolff, Sp. 1191. 189 s. Eyck, Bismarck IlI, S. 361. 190 Zu Virchow (1821 - 1902) als Politiker s. Ernst Meyer, Rudolf Virchow, Wiesbaden 1956, S. 113 - 118; Vasold, Virchow, S. 174 - 302. Goldschmidt war sich ihres gemeinsamen geistesgeschichtlichen Hintergrundes auch bewußt, denn er kannte die politischen Schriften Virchows: s. z. B. ZHR 23 (1878), S. 279 zu Virchow, Die Freiheit der Wissenschaft, 1877. 191 Rede vor dem preußischen Abgeordnetenhaus am 17. I. 1873: Auszug bei Fenske, Im Bismarckschen Reich, S. 95 - 97. 192 s. dazu Vasold, Virchow, S. 319 - 324. 187 188
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Inwieweit Goldschmidts Artikel zu dem zweiten, übergeordneten Ziel beigetragen haben, den Kartellparteien zum Wahlsieg zu verhelfen l93 , läßt sich natürlich nicht feststellen. Allgemein scheint aber gerade seiner Stimme in dem mit erheblichem Aufwand geführten Wahlkampf großes Gewicht beigemessen worden zu sein. Dafür gibt es zwei Hinweise aus der Zeit unmittelbar nach der Beendigung des Wahlkampfes. Der erste ist die bereits angesprochene Schrift von Paul de Lagarde, "Juden und Indogermanen". Lagarde führt Goldschmidts Publikationen zur Reichstagswahl von 1887 mehrfach an, um seine Thesen von der Verderbtheit der angeblichen jüdischen Rasse zu belegen. Aus Goldschmidts Hinweis, daß Börsengeschäfte nicht allein von jüdischen Kaufleuten getätigt würden l94 , macht Lagarde "durch ein Citat aus jenes Herrn Goldschmidt Schrift", das in Wahrheit eine sinnentstellende Wiedergabe dieser Passage ist, einen Nachweis dafür, daß vorzugsweise die Juden diese Geschäfte betrieben, durch die sie ohne Arbeit, mit bloßer Spekulation auf Kosten der Arbeitskraft anderer reich würden l95 . Gerade das reine Spekulieren ohne den Hintergrund realer Warenbewegung aber hält Goldschmidt selbst für verwerflich, "indem es gleich dem Spiel den geschäftigen Müßiggang, welcher ohne Arbeit reich werden will", begünstige und deshalb "verderblich" wirke l96 . Lagarde stellt weiter die merkwürdige Behauptung l97 auf, "zum Beweise, daß Juden als Juden nie ein Verständnis für reales Leben haben, wenn es nicht in Wechseln, Zinsabschnitten und Mark seine Darstellung findet, sind Lazarus 198 und Goldschmidt von der Judenheit geächtet worden,,199, denn "die Judenheit" habe nicht erkannt, daß sie im Wahlkampf nur deshalb für Bismarck eingetreten seien, weil dieser "den Antisemitismus verböte: da wäre etwas zu gewinnen gewesen,,200. Wie perfide diese Entstellung der Tatsachen ist, wird deutlich, wenn man sich die Haltung Bismarcks in der Antisemitismusfrage in den Jahren zuvor vor Augen führt. Bismarck hatte in dem Glauben, damit die Fortschrittspartei, insbesondere seinen Intimfeind Virchow schwächen zu können, ab 1881 mit der Antisemitenbewegung sympathisiert. Er sah sich aber in seiner Hoffnung getäuscht und war schließlich gezwungen, sich gegen den Vorwurf, er sei Antisemit, zu wehren 2ol . Bei den Kartellwahs. dazu den Brief Goldschmidts an Bismarck v. 20. 2.1887, Lebensbild S. 452 f., 452. ReichstagswabI 1887, S. 55 f. 195 Lagarde, Juden und Indogermanen, S. 341 - 343, 342; vgl. auch die Schrift von Otto Glagau, Der Börsen- und Gründungsschwindel in Berlin, Leipzig 1876, S. XXIII f., XXX, wonach "die Juden" den Kulturkampf geschürt hätten, um damit von ihren kapitalistischen Umtrieben abzulenken. 196 Börsen und Banken 1891, S. 878. 197 Hinweis auf diese Stelle bei Pappenheim S. 39 in Fußn. 127. 198 Gemeint ist der Philosoph Moritz Lazarus (1824 - 1903, s. P. E. Rosenblüth, Die geistigen und religiösen Strömungen, in: Mosse, Juden, S. 549 - 598, S. 567 - 574). 199 Lagarde, Juden und Indogermanen, S. 345 f., 346. 200 Lagarde, Juden und Indogermanen, S. 345 f., 345. 201 Eyck, Bismarck III, S. 360 - 362. 193
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len hatte er, um sich der Nationalliberalen zu vergewissern, seinen Einfluß dahin geltend gemacht, daß exponierte Vertreter des Antisemitismus jedenfalls in Berlin nicht als Kandidaten für das Kartell aufgestellt wurden202 . Bismarcks Antwort auf dieses Eintreten Goldschmidts für das Kartell ist der zweite Beleg für die Bedeutung, die gerade seiner Stimme zugemessen wurde 203 . Goldschmidt hatte Bismarck noch am Tage des Erscheinens den ersten seiner Artikel 204 mit einem Begleitschreiben übersandt 205 , in dem er die Erwartungen seiner Glaubensgenossen deutlich macht: "Ich hege die feste Ueberzeugung, daß dieser in seiner wirthschaftlichen wie in seiner geistigen Bedeutung nicht zu unterschätzende Theil der BevölkefQng in sehr zahlreichen Mitgliedern der Fahne der staatserhaltenden Parteien folgen wird, wenn die kopflose und mit den verwerflichsten Mitteln geführte antisemitische Agitation ein Ende findet,,206. Solange nicht die völlige Gleichberechtigung der Juden als unwiderrufliche Tatsache auch durch "die herrschenden, politisch und kirchlich konservativen Parteien" anerkannt sei, würden die jüdischen Wähler in das Lager der freisinnigen Fortschrittspartei getrieben 207 . Darin liegt unübersehbar der Vorwurf, daß staatliche Maßnahmen gegen die antisemitische Bewegung nicht ergriffen würden. Bereits einen Tag später, am 21. Februar 1887, dem Tag des ersten Wahlganges der Reichstagswahl, empfängt Bismarck Goldschmidt persönlich zu einer Rücksprache. Goldschmidt empfindet dies als den persönlichen Höhepunkt seines politischen Lebens, denn zum einen hatte Bismarck 40 Jahre zuvor zu den Kräften gehört, die für die einschränkenden Tendenzen des preußischen Judengesetzes von 1847 verantwortlich gewesen waren, zum anderen war Goldschmidts Eintreten für die Schaffung eines deutschen Reiches mit starker Zentralgewalt seit den 50er Jahren untrennbar mit der Person und dem Wirken Bismarcks verbunden gewesen. Gleichwohl scheut Goldschmidt sich nicht, die ambivalente Haltung Bismarcks zu der antisemitischen Bewegung auch in diesem Augenblick zur Sprache zu bringen, obwohl Bismarck diesem Thema sicher lieber ausgewichen wäre. Seine Antwort geht denn auch über Unverbindliches nicht hinaus 208 . Das Engagement anläßlich der "Kartellwahl" von 1887 ist Goldschmidts letzter größerer politischer Einsatz. Anschließend wendet er sich ganz seinen wissenschaftlichen Arbeiten und seiner Lehrtätigkeit zu und nimmt nur noch gelegentlich zu Fragen, die eine breitere Öffentlichkeit interessieren, Stellung. Daß ihn aber der letztlich offene Ausgang des Antisemitismusstreits nicht befriedigt hat und er unter Eyck, Bismarck III, S. 458. Eyck, Bismarck III, S. 459. 204 Nicht die gesamte Schrift (so Lebensbild S. 452 in Fußn.*), die erst im März 1887 gedruckt wurde. 205 Brief Goldschmidts an Bismarck v. 20. 2. 1887, Lebensbild S. 452 f. 206 Lebensbild S. 452. 207 Lebensbild S. 452 f. 208 s. das Schreiben Goldschmidts an von Rottenburg v. 22. 2. 1887, Lebensbild S. 453 f. 202 203
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dem Fortdauern der antisemitischen Agitation leidet, macht seine Rede auf der Festversammlung des Hilfsvereins für jüdische Studierende vom 26. Februar 1891 deutlich. Sie folgt bis in die Einzelheiten dem Gedankengang seines Artikels "Nach dem Siege", bringt aber noch klarer als dieser zum Ausdruck, daß Goldschmidt auch 1891 noch den Ausweg in einem bedingungslosen politischen Bekenntnis der deutschen Juden zu einem deutschen Nationalstaat sieht, in dem es nur gleichberechtigte Bürger gibt und der Unterschied in den religiösen Anschauungen der öffentlichen Kritik entzogen ist: "Dem großen deutschen Nationalstaate gehören wir deutschen Juden aus freiem Willen und von ganzer Seele an. Glieder einer über viele Nationalitäten verzweigten Glaubensgemeinschaft, treue Bewahrer der die Schranken des engeren Volksthums durchbrechenden Liebesgebote, sind wir doch in erster Linie Bürger des Staates und des Reiches, welche die Kraft und Einsicht des ganzen Volkes unter Führung weitsichtiger, energischer Fürsten, Staatsmänner und Feldherm begründet hat,,209. Dem folgt ein Trinkspruch auf Wilhelm 11. 3. Die wissenschaftlichen Höhepunkte
Erst nach der Überwindung seiner Krankheit kommt Goldschmidt endlich wieder dazu, seine wissenschaftlichen Forschungen zu vertiefen, und es scheint so, als wolle er nun das an Arbeit nachholen, woran ihn Reichstagsmandat und Krankheit gehindert haben. Die 80er Jahre werden noch einmal eine Periode fruchbarsten Schaffens. Sein Wunsch, nun endlich sein Hauptwerk, das Handbuch des Handelsrechts seiner Vollendung näher zu bringen, erfüllt sich jedoch nicht. Er setzt zwar zunächst die 1874 begonnene zweite Auflage fort, doch die Fortsetzung, von der 1883 die erste Lieferung des geplanten zweiten Bandes 210 sowie eine separat veröffentlichte Studie211 vorweg erscheinen, erstickt in einer solchen Vertiefung in Einzelfragen, daß an eine Vollendung nicht zu denken ist. In einem dritten Anlauf beginnt Goldschmidt noch einmal ganz von vom mit dem ersten Band, in dessen dritter Auflage er als Einleitung des Gesamtwerkes auch das Handelsrecht älterer Epochen darstellen will; denn er hat sich inzwischen verstärkt Themen der reinen Rechtsgeschichte zugewandt212 . Aus dem ersten Band von Goldschmidts Handbuch wird so in dritter Auflage die "Universalgeschichte des Handelsrechts", von der 1891 eine Lebensbild S. 467. Handbuch, 2. Aufl., 11, 1883, S. V. 211 Besitzrecht 1888, auch dies nur ein Auszug aus Besitzlehre 1884; s. dazu das Vorwort von Heinrich Göppert, S. 25 - 31. 212 Usprünge des Mäklerrechts 1882; Vorwort zu Silberschmidt, Commenda, 1883; Geschichte der Seeversicherung 1885; Inhaber-... Urkunden im c1assischen Alterthum 1889; Lex Rhodia und Agermanament 1889; Straccha und Santerna 1891; Handelsrecht 1892; Geschäftsoperationen 1892. 209
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erste Lieferung von 468 Seiten erscheint. Auch dieser Versuch Goldschmidts, sein Hauptwerk zu bewältigen, scheitert schließlich an einer Ausbreitung so vieler Einzelheiten, daß ihre Integration in ein Werk mit einheitlicher Gedankenführung unmöglich wird. Neben seinen rechtshistorischen Studien vernachlässigt Goldschmidt die Materien des geltenden Handelsrechts nicht. In einer letzten Kontroverse mit Heinrich Thöl, dem Begründer und inzwischen Nestor der deutschen Handelsrechtswissenschaft, wendet Goldschmidt sich noch einmal dem Eisenbahn-Transportrecht sowie Fragen der methodischen Behandlung des Handelsrechts zu 2 \3. Von großer Bedeutung für die weitere Rechtsentwicklung sind seine Arbeiten zu Geschichte, gegenwärtigem Stand und zukünftiger Gestaltung des Gesellschaftsrechts. Nachdem Goldschmidt bereits wiederholt in privatem wie amtlichem Auftrag mit Gutachten zu aktienrechtlichen Fragen befaßt gewesen war214, wird er an der großen Reform des Aktienrechts, die 1882 in Angriff genommen wird, beteiligt, indem er in die vom Reichsjustizamt bestellte Expertenkommission zur Beratung der beabsichtigten Eingriffe und Änderungen des Aktienrechts berufen wird215 • Unter seiner Mitwirkung wird das deutsche Aktienrecht durch die Aktienrechtsnovelle von 1884 auf eine neue und auch dauerhafte Grundlage gestellt216 . Erfolgreich sind auch Goldschmidts Bemühungen, das Recht der Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften zu reformieren. Zu einer der Kernfragen der Reformdiskussion, ob nämlich Genossenschaften in einer Rechtsform zugelassen werden sollten, bei der eine persönliche Haftung der Genossen über ihre Einlage in das Vermögen der Genossenschaft hinaus ausgeschlossen sein würde, hatte er sich bereits bejahend auf dem achten deutschen Juristentag 1869217 geäußert. Der Führer des deutschen Genossenschaftswesens, Hermann Schultze-De1itzsch beharrte auf dem Gegenstandpunkt und veröffentlichte, als Goldschmidt 1882 seine Reformvorschläge für die Neugestaltung des deutschen Genossenschaftsrechts dargelegt hatte 218 , eine Gegenschrift. Viele Genossenschaften und insbesondere viele ihrer Mitglieder empfanden es indessen als existenzgefährdende Bedrohung, wegen Schulden der Genossenschaft persönlich in Anspruch genommen werden zu können, und bestärkten Goldschmidt, an seinen rechtspolitischen Forderungen festzuhalten. Goldschmidt sieht sich damit erstmals als Interessenvertreter von breiten 213 Thöl, Handelsrecht 111, 1879; Goldschmidts Rezension 1881; Thöl, Handelsrechtliche Erörterungen, 1881; Goldschmidts Rezension 1882; Kritik und Antikritik 1884. 214 Referat 1869, S. 43 ff.; Gutachten 1873; Herabsetzung des Grundkapitals 1876; Zulässigkeit einer Sitzverlegung 1878. 215 Wortmeldungen 1882. 216 s. Goldschmidts eigene Zusamenfassung des Ergebnisses der Reformarbeiten in Reform 1885. Sein Versuch, einige Jahre später Einfluß auf die Gesetzgebung der neu geschaffenen GmbH zu nehmen (Formen 1892), bleibt allerdings erfolglos. 217 Referat 1869, S. 60 - 72. 218 Erwerbs- und Wirthschaftsgenossenschaften 1882.
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Schichten der Bevölkerung, die den unteren Klassen angehören. Fortan empfindet er seinen Einsatz in dieser Sache nicht nur als eine Frage dogmatischer Konsequenzen aus den Grundstrukturen des Gesellschaftsrechts, sondern auch als politische und soziale Berufung 219 . Im November 1887 wird wie schon bei der Vorbereitung der Reform des Aktienrechts eine Expertenkommission zur Beratung eines im Reichsjustizamt ausgearbeiteten Entwurfs zu einem Reichsgesetz über die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften einberufen, zu deren Mitgliedern wiederum Goldschmidt gehört22o . Auch diese Kommission erfüllt die in sie gesetzten Erwartungen. Goldschmidt kann sich jedoch in der von ihm für besonders wichtig gehaltenen Frage der Einführung einer Haftungsbegrenzung nicht vollständig durchsetzen. Als deshalb eine Vielzahl von Genossenschaften eine Petition an den Reichstag richten, in der sie eine Nachbesserung des Entwurfs verlangen, unterstützt Goldschmidt dies durch eine Schrift, die der Petition beigelegt wird22 1, und tatsächlich wird der Entwurf daraufhin im Reichstag dem von Goldschmidt vertretenen Modell zumindest angenähert 222 . Der damit erreichte Teilerfolg wird in Literatur und Öffentlichkeit ganz maßgeblich dem Engagement Goldschmidts zugeschrieben 223. Das große, internationale Ansehen Goldschmidts manifestiert sich nun auch darin, daß er 1884 die Ehrendoktorwürde der Universität Edinburgh 224 erhält er und zu den Gelehrten gehört, denen 1888 die Universität Bologna anläßlich der Feiern zu ihrem achthundertjährigem Bestehen diese Würde verleiht225 . Eine weitere merkwürdige Ehrung wird Goldschmidt 1883 zuteil. In einer Fachzeitschrift veröffentlicht der Rechtsanwalt beim Reichsgericht Wilhelm Reuling "Epigramme" auf die bedeutendsten deutschen Rechtswissenschaftler 226 , darunter auch eines auf Goldschmidt. Das Kuriosum lautet: "Levin Goldschmidt. Wie des Kaufmanns stolze Fregatte, umkreisend den Erdball, Ueber die Meerfluth trägt ihre köstliche Last, Dass im Tausche von Volk zu Volk, von Zone zu Zone Segen und reiches Gedeihn allen Nationen erblüht; Also sendest auch Du, mit geistiger Habe befrachtet, Schon fünf Lustren hindurch Deine Schiffe hinaus. Entwurf 1888; Genossenschaftsgesetz 1889. Wortmeldungen 1887. 221 Haftpflicht der Genossen 1888. 222 Erwerbs- und Wirthschaftsgenossenschaften 1889. 223 Crüger, AöR 9 (1894), S. 413. 224 Vor ihrer Annahme erkundigt er sich vorsorglich bei Fitting in Halle, ob ihr nicht seine Hallenser Promotion von 1851 entgegenstehe: Lebensbild S. 447 f. (28. 2.1884). 225 Goldschmidts eigener Bericht von den Feierlichkeiten: Universitätsfeier 1888, S. 295 297. 226 W. Reuling, Epigramme, in: Zs. f. d. Priv.- u. öff. R. d. Ggw. 10 (1883), S. 495 f., 496. 219
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Nicht uns Deutschen allein - nein! allen Nationen der Erde Schufst Du reinen Gewinn in nie rastender Müh."
4. Der endgültige gesundheitliche Zusammenbruch 1892
Zu Beginn der 90er Jahre des 19. Jahrhunderts ist Goldschmidts Stellung als führender Handelsrechtler unangefochten 227 . Obwohl er inzwischen über sechzig Jahre alt ist, beabsichtigt er nicht, seine Aktivitäten für Forschung und Lehre einzuschränken 228 . Doch es soll anders kommen: Als er am 19. März 1892 vor der Berliner Juristischen Gesellschaft einen öffentlichen Vortrag hält229 , ist dies sein letzter öffentlicher Auftritt außerhalb der Universität; kurz darauf erleidet er einen Schlaganfall. Zunächst scheint es, als werde er sich von dessen Folgen bald wieder erholen. Als er aber im Wintersemester 1892/93 seine Handelsrechts-Vorlesung beginnt, erleidet er einen gesundheitlichen Rückfa1l 23o . Den physischen Beschwerden folgen die psychischen, und Goldschmidt erkennt, daß er mit einer baldigen Genesung nicht rechnen kann. Noch vor Ende des Jahres 1892 stellt er deshalb seine Vorlesungstätigkeit ein. Die Ära Goldschmidt an der Berliner Universität ist zuende. Die Beendigung seiner Vorlesungstätigkeit fällt Goldschmidt um so schwerer, als sein Berliner Lehrstuhl für Handelsrecht nicht allein der erste seiner Art an einer deutschen Universität, sondern auch an seine Person gebunden ist231 . Goldschmidts Bemühungen, seinen Lehrstuhl auf Dauer zu erhalten 232 , bleiben vergeblich. Auf Goldschmidts Vorschlag 233 versucht Althoff zwar, im Wintersemester 1893/94 Max Weber als seinen Nachfolger durchzusetzen; dies scheitert jedoch am Widerstand der Juristischen Fakultät, da inzwischen die Germanisten das Handelsrecht wieder in ihre Vorlesungen des deutschen Privatrechts aufgenommen haben 234 . Obgleich das Handelsrecht in den neuen Studienplänen, die das bevorstehende Inkrafttreten von Bürgerlichem Gesetzbuch und Handelsgesetzbuch notwendig machen, jetzt endgültig seinen Platz in einer eigenständigen Vorlesung erhält, wird nach Goldschmidts Tod an der Berliner Universität ein Ordinariat allein für Handelsrecht nicht wieder vergeben. 227 S. z. B. J. Rießer, Der Einfluß handelsrechtlicher Ideen auf den Entwurf eines BGB, Stuttgart 1894, S. 6. 228 Rechtsstudium 1887, S. 366 in Anm. 115; Pappenheim S. 49. 229 Alte und neue Formen 1892 (Verzeichnis der weiteren Vorträge Goldschmidts vor diesem Forum bei Riesser S. 36 f. in Fußn. 3). 230 s. Riesser S. 42. 231 s. dazu Adler S. 120 f. 232 Brief an Althoff v. 14. 11. 1893, Lebensbild S. 470. 233 Marianne Weber, in: Max Weber, Lebensbild, S. 174. 234 Marianne Weber, in: Max Weber, Lebensbild, S. 211.
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Goldschmidts Erkrankung erzwingt nicht allein den Abbruch seiner Vorlesungstätigkeit; auch zu schriftstellerischer Arbeit ist er nicht mehr imstande. Seine letzte datierte Arbeit ist eine Würdigung des Werkes seines Freundes Jolly, die er am 10. September 1892 abschließt 235 . Die Jahre bis zu seinem Tod sind für Goldschmidt unsagbar quälend. Ihn peinigen nicht allein die ihm schon seit seiner Jugendzeit zusetzenden Kopfschmerzen. Es sind auch die bekannten nichtkörperlichen Leiden, die ihm jede weitere Arbeit unmöglich machen 236 . Wieder ist es eine völlige Antriebslosigkeit und Niedergeschlagenheit, die ihn an jeder wissenschaftlichen Arbeit hindert237 . Wenn Goldschmidt auch nicht "in geistige Umnachtung,,238 versinkt, so sind Freunde und Schüler, die ihn besuchen, doch von seinem Zustand erschüttert: "Traurig saß er Tag aus Tag ein an dem Arbeitstische, an dem er sonst schaffend thätig gewesen, und es war ein jammervoller Anblick, ihn die Kraft seines Geistes, die ihm ungeschmälert verblieben war, in stetem Kampfe gegen sich selbst wenden zu sehen,,239. Jetzt ist es auch für seine Angehörigen und Freunde unübersehbar, daß Goldschmidt an einer bis ins höchste Maß gesteigerten Depression leidet24o . Nicht allein sein Schlaganfall von 1892 und seine durch sein fortgeschrittenes Alter geschwächte Konstitution sind für Schwere und Dauer von Goldschmidts Depression ursächlich; auch das Stadium, in dem sich sein Werk 1892 befindet, ist für seinen Gesundheitszustand verantwortlich: Sein Hauptwerk, das Handbuch des Handelsrechts, steckt in seiner dritten Auflage auf Seite 468 immer noch in der historischen Einleitung, die längst noch nicht vollendet ist. Gleichzeitig zeichnen sich der Abschluß der Arbeiten am Bürgerlichen Gesetzbuch und der Beginn der Arbeiten an einer Neufassung des Handelsgestzbuchs ab, so daß vorauszusehen ist, daß Goldschmidt bei einer Fortführung seines Werkes auch im dogmatischen Teil ein drittes Mal wieder von vorne wird beginnen müssen, ohne jemals seiner Vollendung auch nur nahe gewesen zu sein. Damit hat er den Faden, an dem er sich auch bisher nur notdürftig hatte entlangtasten können, endgültig verloren, und das von ihm erstrebte Werk war zu einer jede menschliche Leistungsfähigkeit übersteigenden Aufgabe geworden. Durch seine Erkrankung sieht er sich endgültig von der Beteiligung an einer Überarbeitung des Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuchs ausgeschlossen. Die zeitliche Nähe von nur etwas über zwei Monaten 235 Goldschmidt über Jolly 1897, s. Ludwig Jolly, in: Baumgarten/Jolly, Staatsminister Jolly, S. V. 236 Das legt allerdings die Aussage Marianne Webers, in: Max Weber, Lebensbild, S. 174, nahe: "Sein (Max Webers) verehrter Lehrer des Handelsrechts, Goldschmidt, erkrankt schwer und siecht dahin"; auch Staub, JZ 1897, S. 298 re. Sp. oben, berichtet: "Man war freilich lange Zeit auf sein Hinscheiden gefasst". 237 Lebensbild S. 471 (18.9. 1894). 238 So Grunhut S. 366; sein Bild, eine "glänzende Sonne ist wie ein mattes kleines Talglicht langsam erloschen", ist gleichwohl treffend. 239 Pappenheim S. 45. 240 s. Adele Goldschmidt, in Lebensbild S. 469; Riesser S. 42; Pappenheim S. 49.
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zwischen Goldschmidts Tod und der Verabschiedung des Handelsgestzbuches von 1897 durch den Reichstag ist damit nicht ein Zufall, der nur gewaltsam als Symbol für die Gleichzeitigkeit des Endes einer alten und den Beginn einer neuen Ära der deutschen Handelsrechtswissenschaft interpretiert werden könnte; sie ist tatsächlich Ausdruck eines inneren Zusammenhanges. Goldschmidt fügt sich bis zu seinem Ende nicht willenlos in seine Krankheit. Wieder versucht er, durch Reisen und Kuren eine Linderung herbeizuführen. Diesmal aber bleiben alle Versuche erfolglos. Eine letzte Kur führt Goldschmidt nach Wilhelmshöhe bei Kassel. Er logiert mit seiner Frau in der kleinen, Wilhelmshöhe benachbarten Gemeinde Wahlershausen. Hier erleidet er am 16. Juli 1897 einen körperlichen Zusammenbruch. Der herbeigerufene Arzt kann nur noch seinen Tod feststellen 241 . Goldschmidts Leichnam wird nach Berlin überführt und dort auf dem jüdischen Friedhof beigesetzt. Vielleicht hindert dies die Teilnahme eines größeren Kreises von Trauergästen, denn ein Teilnehmer berichtet: "Das Leichenbegräbnis G(oldschmidt)s war recht feierlich, wenn auch die Betheiligung äusserst schwach war. Aus dem Kreise der Studenten, denen er freilich kaum noch bekannt war, war ausser einer Deputation von 3 Mann niemand erschienen,,242. Angesichts der bevorstehenden Neugestaltung der deutschen Privatrechtsordnung und des Umstandes, daß Goldschmidt seit fünf Jahren nichts mehr publiziert hatte, wäre es nicht erstaunlich gewesen, wenn auch die Fachwelt nur marginale Notiz von seinem Tod genommen hätte. Indessen ist das genaue Gegenteil der Fall. Nicht allein in der ZHR, nicht allein von Freunden, Schülern oder Kollegen aus dem Geltungsbereich des ADHGB erscheinen meist umfangreiche Nachrufe; auch in englischer, französischer, italienischer oder dänischer Sprache und nicht nur unmittelbar nach seinem Tode, sondern auch noch in späteren Jahren wird des Verstorbenen und seines Werkes gedacht. 1901 gibt Herman Veit Simon 243 zwei Bände "Vermischte Schriften" Goldschmidts heraus, die neben einigen Erstveröffentlichungen eine glückliche und repräsentative Auswahl aus seinem Werk enthalten. Zwar wird mit zunehmendem zeitlichem Abstand, dem einsetzenden Wandel der Anschauungen und schwindender Pietätspflicht der Tenor der Würdigungen von Goldschmidts Werk zunehmend kritischer244, doch gilt Goldschmidt bis in die 241 Adele Goldschmidt hat gegenüber der Öffentlichkeit und Freunden Goldschmidts Wilhelmshöhe als Sterbeort angegeben (so auch in Lebensbild vor S. 1). Daß Goldschmidt in Wahlershausen, das heute zu Kassel gehört, verstorben ist, ergibt sich aber aus der Sterbeurkunde, für deren freundliche Mitteilung ich Dr. Renate Heuer vom Archiv Bibliographia Judaica e.Y. in Frankfurt a.M. danke; s. auch Renate Heuer (Hrsg.), Bibliographia Judaica, Bd. 1, 1981, S. 123. 242 Zitiert (ohne namentliche Nennung des Urhebers) bei Adler S. 122. 243 Zu Simon (1856 - 1914) s. Wininger 5, S. 525 f. 244 Bezeichnend dafür sind insbesondere die Unterschiede in der Würdigung des wissenschaftlichen Werkes von Goldschmidt durch seinen Schüler Pappenheim in dessen beiden Nachrufen von 1898 (für die ZHR) und 1904 (in der ADB).
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20er Jahre des 20. Jahrhunderts hinein als Leitfigur der deutschen Handelsrechtswissenschaft, soweit sie sich ihrer Wurzeln in den zum ADHGB entwickelten Lehren noch bewußt ist245 • Ein jähes Ende findet das wissenschaftliche Nachleben Goldschmidts durch die Erstreckung der nationalsozialistischen Machtübernahme auch auf das deutsche Rechtswesen. Gerade Goldschmidt, der sich einerseits wie nur wenige andere um das Ansehen deutscher Wissenschaft in der Welt verdient gemacht und sich andererseits stets, wenn auch in der Öffentlichkeit nur unwillig, zu seinem Judentum bekannt hatte, mußte der verordneten Verdrängung aus dem Bewußtsein der deutschen Rechtswissenschaft246 zum Opfer fallen. Das Mitläufertum oder der dumpfe Fanatismus, mit dem die deutsche Rechtswissenschaft dieser Forderung nationalsozialistischer Ideologie 247 nachkam, setzte sich darüber hinweg, daß inhaltliche Kriterien dafür, was eigentlich als "jüdischer Geist" in der Rechtswissenschaft anzusehen sein sollte, überhaupt nicht zu finden waren 248 • Geradezu widersinnig ist es denn auch, wenn Goldschmidt von eben den Leuten als "undeutsch" geächtet wurde 249 , die sich zur gleichen Zeit anschickten, mit Hilfe des Ermächtigungsgesetzes vom 24. März 1933 nicht wenige der rechts politischen Forderungen umzusetzen, die Goldschmidt fünfzig Jahre zuvor auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts erhoben hatte 25o • 245 s. die Anmerkung der Herausgeber zu Goldschmidt, Handel 1923; selbst in fremdsprachigen Enzyklopädien finden sich bis in die 1930er Jahre erstaunlich breite Eintragungen über Goldschmidt, s. etwa die spanische Enciclopedia Vniversal Ilvstrada Evropeo-Americana, Bd. 26, Barcelona 1925, S. 502; Heymann, Art. Goldschmidt (1931). 246 Vollzogen mit der "Tagung der Reichsgruppe Hochschullehrer des Nationalsozialistischen Rechtswahrerbundes" am 3. und 4. 10. 1936, s. das "Schlußwort" von earl Schmitt, Die deutsche Rechtswissenschaft im Kampf gegen den jüdischen Geist, in: DJZ 1936, Sp. 1193 - 1199 und den Bericht Sp. 1228 - 1232. 247 Nach Punkt 4 der von Hans Frank aufgestellten "Forderungen" (DJZ 1936, Sp. 1228) waren die Werke als jüdisch eingestufter Autoren aus den Bibliotheken "soweit wie irgend möglich zu beseitigen". 248 Dies ist das treffende Fazit von Sinzheimer, Klassiker, S. 244, dem auch Hans Thieme, ZRG GA 67 (1950), S. 479 zustimmt. Bedenklich ist es deswegen, wenn etwa Pinn S. 591 f. versucht, einen spezifisch jüdischen positiven Einfluß auf die deutsche Rechtswissenschaft anzudeuten. 249 Goldschmidt selbst scheint allerdings auf der "Tagung der Reichsgruppe Hochschullehrer des NSRB" vom Oktober 1936 nur wenig angegriffen worden zu sein, da der Referent für das Handelsrecht, Hans Würdinger, sich auf die Wiedergabe gängiger Vorurteile gegenüber handelsrechtlichen Praktiken jüdischer Kaufleute beschränkte (s. DJZ 1936, Sp. 1230) und als einer der wenigen Referenten seinen Vortrag auch nicht im Druck erscheinen ließ. 250 Genannt seien nur der immer wieder aufgenommene Kampf um die Einführungen von Genossenschaften mit nur beschränkter Haftung der Genossen (zuletzt in Haftpflicht 1888, S. 7 ff.), die endgültig und in der von Goldschmidt gewünschten Form erst durch § 2 des Gesetzes v. 20. 12. 1933 erfolgte, und die Forderung, die Regelung der Haftung der Mitglieder des Ausichtsrats einer Aktiengesellschaft mit einer Beweislastregelung zu versehen (Wortmeldungen 1882, S. 356), die 1937 in das Gesetz aufgenommen wurde (§§ 84 Abs. 2 S. 2; 99 AktG 1937, heute §§ 93 Abs. 2 S. 2; 116 AktG 1965).
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Von der Herabwürdigung, die das Ansehen Goldschmidts im nationalsozialistischen Deutschland erfahren hat, hat es sich nach dem zweiten Weltkrieg nicht wieder erholt 25J . Freilich wird die deutsche Privatrechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts der des 20., die sich ihrer einheitlichen normativen Grundlagen mit den großen Gesetzgebungswerken der Jahrhundertwende und der einheitlichen Gerichtsverfassung viel sicherer sein kann als die des vergangenen Jahrhunderts, mit der Zeit immer fremder; die historische Perspektive ist ihr ohnehin schon unmittelbar nach dem Inkrafttreten von BGB und HGB abhanden gekommen. Würdigungen Goldschmidts aus neuerer Zeit beschränken sich, von verdienstvollen Ausnahmen abgesehen 252 , demzufolge auf eine bloße Angabe von Stichworten, die als kennzeichnend für sein Werk angesehen werden 253 . Eine programmatische Neubesinnung, die den Namen Goldschmidts wieder in das Bewußtsein breiterer Kreise der Rechtswissenschaft rufen würde, ist trotz mancherlei Ansätze dazu nicht in Sicht. Dies vermag freilich nichts daran zu ändern, daß der Ruf, den Goldschmidt zu Lebzeiten und noch viele Jahre nach seinem Tod bei deutschen wie ausländischen Juristen genossen hat, der war, den Ercole Vidari mit den Worten auf den Punkt gebracht hat: "Era, incontestabilmente, il principe dei commercialisti modemi di ogni paese"Z54.
251 s. etwa die vorsichtige Rechtfertigung seiner Haltung im Dritten Reich durch Thieme, ZRG GA 67 (1950), S. 480; zur Haltung in der DDR s. Karsten Schmidt, Goldschmidt S. 228. 252 Landwehr, Handelsrechtswissenschaft S. 73 - 81; Karsten Schmidt, Goldschmidt, S. 215 ff. 253 Auch in den gängigen Enzyklopädien werden die Artikel über Goldschmidt immer kürzer (schon von Brockhaus' Konversations-Lexikon, 14. Aufl., 8. Bd., Leipzig 1908, S. 66, zu Der Große Brockhaus, 15. Aufl., 7. Bd., Leipzig 1930, S. 476 f. sinkt der Eintrag von 46 auf 21 Zeilen); in neueren Enzyklopädien ist Goldschmidt gar nicht mehr verzeichnet. 254 Vidari S. 491.
2. Teil
Goldschmidt und die Wissenschaft von Recht und Handelsrecht in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts A. Tätigkeitsbereiche des Schaffens Goldschmidts
I. Schriften 1. Überblick
Nach Anzahl der Veröffentlichungen wie nach Druckseiten gehört Goldschmidt zu den produktiveren rechtswissenschaftlichen Schriftstellern des 19. Jahrhunderts. Bevor Goldschrnidts Werk in bezug auf einzelne Materien des materiellen Rechts betrachtet wird, ist es daher sinnvoll, zunächst eine Gliederung dieses umfangreichen Werkes zu versuchen, um sich einen Überblick zu verschaffen. Eine solche Einteilung nach äußerlich-formalen oder nach thematischen Kriterien in mehrere Gruppen ist jedoch schwierig, denn die formale wie thematische Grenzüberschreitung ist ein geradezu kennzeichnendes Merkmal von Goldschmidts Schaffen. So sind etwa mehrere seiner Schriften sowohl als Monographie als auch als Abhandlung in der ZHR oder in Sammelwerken erschienen; kaum eine seiner einem Thema der Rechtsdogmatik gewidmeten Abhandlungen verzichtet auf rechtspolitische Ausführungen wie umgekehrt kaum eine seiner rechtspolitischen Schriften nicht auch Ausführungen zur dogmatischen Behandlung einzelner Probleme nach geltendem Recht enthält. Goldschmidts Schriften lassen sich deshalb nur grob je nach ihrer primären Zielsetzung in eigentlich rechts wissenschaftliche (rechtshistorische und rechtsdogmatische) und politische (rechts- und tagespolitische) Schriften einteilen. Eine Sonderstellung nimmt Goldschrnidts editorische Tätigkeit ein, die sich fast ausschließlich auf die Herausgabe der von ihm gegründeten ZHR sowie vorübergehend der amtlichen Sammlung der Entscheidungen des ROHG beschränkte. Von Goldschrnidts Plan, eine Ausgabe des Wisbyschen Seerechts nach ungedruckten Quellen zu veranstalten, blieb nur die Herausgabe zweier kurzer Danziger Ratsurteile übrig l .
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Danziger Seerechtsquellen 1858.
A. Tätigkeitsbereiche des Schaffens Goldschmidts
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Unter der bemerkenswert großen Zahl der wissenschaftlichen Veröffentlichungen Goldschmidts findet sich nur eine geringe Zahl selbständig erschienener Monographien. Neben seiner Dissertation und der Habilitationsschrift befinden sich unter ihnen mit dem Handbuch des Handelsrechts 1864 - 1883 und der Universalgeschichte des Handelsrechts 1891 sowie der Schrift zu Rechtsstudium und Prüfungsordnung von 1887 allerdings die Hauptwerke. Bei den sonstigen Monographien handelt es sich um umfangreichere Gutachten 2 , Grundrisse zu Vorlesungen 3 , Broschüren unterschiedlicher Art4 und Separatausgaben von Abhandlungen, die zunächst in der ZHR5 oder in Sammelwerken6 erschienen waren; die umfangreichste Schrift dieser Art ist Goldschmidts Studie zur Entwicklung des Genossenschaftsrechts von 1882. Außerhalb des Bereiches seiner Fachkompetenz als Jurist hat Goldschmidt sich in der Öffentlichkeit nur selten geäußert, so daß es nur wenige Veröffentlichungen und Auftritte von ihm gibt, deren Zielsetzung vornehmlich politischer Natur ist? Aber auch dann, wenn Goldschmidt sich als Angehöriger der Nationalliberalen Partei, Reichstagsabgeordneter oder in sonstiger politischer Funktion in Rede 8 oder Schrift9 an die Öffentlichkeit gewandt hat, geschah dies fast nie, ohne daß er nicht auf juristische Themen zurückgegriffen hätte. 2. Handbuch des Handelsrechts
a) Entstehung und Anlage des Handbuchs Die umfangreichste Einzelveröffentlichung Goldschmidts bildet in ihren einzelnen, von 1864 bis 1891 entstandenen Teilen Goldschmidts Hauptwerk, das "Handbuch des Handelsrechts" 10. Es entstand aus dem ursprünglichen Plan GoldLucca=Pistoja=Actien=Streit 1859; Gutachten 1860. Encyciopädie 1862; Grundriß 1866; System 1887 - 1892. 4 Hansa 1861; Das dreijährige Studium 1878; Zur Reichstagswahl 1887, 1890; Heidelberger Rechtslehrer 1887; Haftpflicht der Genossen 1888; Formen der Handelsgesellschaft 1892. 5 Erwerbs- und Wirthschaftsgenossenschaften 1882. 6 Entwurf HGB 1857; Hansa 1861; Geschichte der Seeversicherung 1885; Studien zum Besitzrecht 1888. 7 "Buben und Verräther" 1870 (gegen den politischen Katholizismus und Partikularismus); Rede 1875 (Programm der Nationalliberalen); Reichstagswahl 1887 (zur "Kartellwahl" und zur neuerlichen Verbreitung des Antisemitismus'); Rede 1891. 8 Wortmeldungen 1. dt. Handelstag 1861; Hansa 1861; Buben und Verräther 1870; Nothwendigkeit 1872; Rede in Leipzig 1875; Reden vor dem Reichstag 10. 11. 1875, 17. und 23. 11. 1876; Rede zur Versammlung des Hilfsvereins für jüdische Studirende 1891. 9 Das preuß. Recht u. das Rechtsstudium 1859; Gemeinsame dt. Gesetzgebung 1860 (beides noch anonym); Der preuß. bzw. dt. Handelstag 1860, 1861 (Bericht der Vorcommission), 1862; Zur Reichstagswahl 1887/1890; Börsen u. Banken 1891. 2
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2. Teil: Handelsrecht in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts
schmidts, einen Kommentar zum neuen ADHGB zu verfassen 11. Goldschmidt setzte seinem Werk zwei Ziele l2 : Es sollte auf der Grundlage des neuen ADHGB eine "geschichtlich-dogmatische Behandlung" mit dem Ziel "einer vollständigen kritischen Revision des gesammten Handelsrechts" sein; und es sollte ein Werk "für den Gelehrten und Praktiker" werden, das auf die "praktisch wichtigsten und interessantesten Fragen" Antworten bieten würde l3 . Der Hinweis auf die Notwendigkeit einer "geschichtlich-dogmatischen" und kritischen Behandlung des ADHGB ist ein Programm, das über das geplante Werk selbst hinausweist. Es ist, wie Goldschmidt Fitting mitteilt, gegen Thöl gerichtet, der, so Goldschmidt, "in der neuesten Auflage seines Lehrbuchs das neue Handelsgesetzbuch ganz ungenügend, fast wegwerfend, dargestellt hat, so daß sein Buch den praktischen Anforderungen in keiner Weise mehr entspricht ... und keinen historischen Sinn hat,,14. Tatsächlich war die vierte Auflage des ersten Bandes von Thöls Handelsrecht 1862 zwar das erste systematische Lehrbuch gewesen, das nach der Vollendung des ADHGB erschien, und Thöl war Mitglied der Nürnberger und Hamburger Konferenzen gewesen; sein Werk stand jedoch noch ganz in der Tradition seiner Lehrbücher aus der Zeit vor dem ADHGB 15, in denen er das Handelsrecht auf der Grundlage des gemeinen-römischen, nicht deutschen Rechts behandelt hatte. Dies beruhte darauf, daß Thöl bestrebt war, das gemeine deutsche Handelsrecht darzustellen, während das ADHGB seine Anerkennung durch Praxis und Wissenschaft erst noch unter Beweis zu stellen hatte l6 . Er hatte damit freilich die Gelegenheit vergeben, auf die Bildung der neuen Praxis den maßgeblichen Einfluß auszuüben, den sein Lehrbuch bisher hatte. Im Hinblick auf die jetzt erscheinenden Werke zum Handelsrecht, insbesondere auf Goldschmidts Handbuch, manifestierte sich damit in gewisser Hinsicht ein Generationenwechsel in der deutschen Hande1srechtswissenschaft. So hieß es im Vorwort zur ersten Auflage von Goldschmidts Handbuch 1864 noch: "Selbst die ... durch Schärfe und Klarheit ausgezeichneten Erörterungen Thöl's, dessen Verdienste, wie um die Wissenschaft des Handelsrechts überhaupt, so auch um meine eigene wissenschaftliche Förderung ich mit tiefgefühltem Dank anerkenne, bedürfen, zumal von dem Standpunkt des Deutschen Gesetzbuchs aus, mehrfacher Ergänzung und ... Modification,,17; in der zweiten Auflage von 1874/75 steht statt dieses Satzes nur noch ein Auslassungszeichen l8 . Landsberg, Geschichte III 2, Text, S. 944 - 946; Riesser S. 33 f; Pappenheim, S. 42 - 46. Zum Folgenden s. Lebensbild S. 252 u. 259 ff., 259 f. (an Fitting, 9. 4. 1862 u. 2. 4. 1863). 12 Lebensbild S. 260. 13 Handbuch, 1. Aufl., I 1, 1864, S. XI; 2. Aufl., I, 1874, S. IX f. 14 Lebensbild S. 260 (2. 4. 1863). 15 Thöl, Handelsrecht, 4. Aufl., S. VI, VII; kritisch dazu (F.) H(aimerl), in Oesterr. Vjs. 11 (1863), Literaturblatt, S. 17 f., 18. 16 Landwehr, Handelsrechtswissenschaft, S. 77; vgl. auch Dietz S. 617. 17 Handbuch, 1. Aufl., I 1, 1864, S. VII f. 1S Handbuch, 2. Aufl., I, 1874, S. VII. 10 11
A. Tätigkeitsbereiche des Schaffens Goldschrnidts
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Mit seinem Handbuch stellt Goldschmidt sich die Aufgabe l9 , das Handelsrecht auch und gerade jetzt, da es in seinem wesentlichen Bestand kodifiziert sei, konsequent nach der geschichtlich-dogmatischen Methode zu behandeln, da es gelte, "die unvermeidlichen Nachtheile dieser, wie jeder Codification, die formelle Losreißung des durch sie begründeten Rechtszustandes von der Vergangenheit, durch den Nachweis des geschichtlichen Zusammenhanges möglichst auszugleichen, und überall an diese Vergangenheit anknüpfend, die Ergebnisse der bisherigen Wissenschaft für die Erkenntniß und Fortbildung des geltenden Rechts zu verwerthen. Dieser Betrachtungsweise gilt das Deutschen Handelsgesetzbuch nicht als ein in sich fertiges und abgeschlossenes Werk, sondern als ein Erzeugniß und nur einstweiliger Abschluß eines bald längeren, bald kürzeren geschichtlichen Entwickelungsprocesses, als dessen Glied allein es seine wahre Stellung und Beleuchtung gewinnt,,2o. Damit ermöglicht sich Goldschmidt die Fortführung seines 1858 in der Einleitung zur ZHR aufgestellten Programms über den Zeitpunkt der Kodifikation hinweg. Die geschichtlichen Quellen des Handelsrechts seien auch nicht allein aus theoretisch-wissenschaftlichem Interesse umfassend berücksichtigt: "An diesen Weg geschichtlicher Forschung knüpft sich zugleich das unmittelbar praktische, für den Handelsverkehr besonders wichtige Interesse, in genetischer Entwickelung den Nachweis führen zu können, wie weit die Uebereinstimmung im Recht der Europäischen Völker reicht,,21. Dies macht Goldschmidts Handbuch auch heute noch zu einem unentbehrlichen Hilfsmittel nicht allein der handelsrechtsgeschichtlichen, sondern auch der aktuellen Forschung zum geltenden Privatrecht, soweit Vorschriften betroffen sind, die vom ADHGB in das HGB von 1897 oder in das BGB übergegangen sind. Außer auf dem ADHGB, seinen historischen Quellen und der Rechtsvergleichung soll die Darstellung schließlich noch auf eine weitere Quelle aufbauen, "die besonnene Verwerthung der maßgeblichen wirthschaftlichen Grundbegriffe"; dies bedeute nicht etwa eine· Auflösung juristischer Methoden. Denn da "der weitere Fortschritt der Wissenschaft des Privatrechts vorzugsweise von dem Maße der Einsicht, wie in die geistige und sittliche Natur, so insbesondere in die Gestaltung der wirthschaftlichen Verhältnisse der Menschen abhängt", könnten "nur aus diesen heraus die Gesetze der Rechtsbildung gewonnen werden,,22. Nur die Einsicht in die tatsächlichen Verhältnisse und ihre Einbeziehung in die wissenschaftliche Behandlung des Rechts könne deren höheren wie den unmittelbar praktischen Aufgaben des Rechtswesens gerecht werden: "Niemals wird freilich die Theorie sich vollkommen der vielgestaltigen Lebenserscheinungen bemächtigen können, wenn aber der Werth der Rechtstheorie sich wesentlich danach bemißt, wie weit sie das 19 Handbuch, V-X. 20 Handbuch, 21 Handbuch, 22 Handbuch,
11 Weyhe
1. Aufl., I 1, 1864, S. V - VII, gekürzt auch Handbuch, 2. Aufl., I, 1874, S. 1. Aufl., 11, 1864, S. VI f; 2. Aufl., I, 1874, S. VI. 1. Aufl., 11,1864, S. VII; 2. Aufl., I, 1874, S. VI. 1. Aufl., 11, 1864, S. VIII; 2. Aufl., 1,1874, S. VII.
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2. Teil: Handelsrecht in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts
geltende Recht als eine angemessene Norm der Lebensverhältnisse darzulegen und fortzubilden versteht, so darf sie es nicht verschmähen, der Praxis unmittelbar an die Hand zu gehen, indem sie die Fragen, welche der tägliche Verkehr erzeugt, der wissenschaftlichen Prüfung unterwirft,m. Während der Stil dieser Ausführungen heute altertümlich anmutet, ist ihr Inhalt doch erstaunlich modem. Die Ausrichtung an der Praxis und den wirtschaftlichen Gegebenheiten und die Orientierung der Ergebnisse in einem Vergleich zum außerdeutschen Recht sind auch heute noch die bestimmenden Merkmale vertiefter rechts wissenschaftlicher Behandlung aller Bereiche des Rechts. Und tatsächlich versteht Goldschrnidt, so sehr er ihre Bedeutung gerade für das Handelsrecht betont, sie als allgemein rechts wissenschaftliche Prinzipien 24 . Das Handbuch des Handelsrechts als "Monumentaltorso,,25 ist gleichsam ein maßstabsgetreues Abbild des Gesamtwerks VOn Goldschrnidt, in dessen Mittelpunkt es steht. Wie sehr das Handbuch Goldschmidts Schicksalswerk werden sollte, zeigt schon ein Blick auf seine Erscheinungsfolge: Der erste Band erschien in zwei Teilbänden 1864 und 1868, von denen der erste Teilband die Einleitung und Grundlehren 26 und der zweite das Sachenrecht des Handels enthielt27 . In zweiter Auflage erschien 1874 und 1875 28 als nunmehr erster Band nur der erste Teilband der ersten Auflage in völlig überarbeiteter Form29 und 1883 der um ein vielfaches erweiterte Anfang des zweiten Teilbandes der ersten Auflage als erste Lieferung des nunmehr zweiten Bandes 3o . In völlig veränderter Form erschien als Handbuch, I. Aufl., I I, 1864, S. XI; 2. Aufl., I, 1874, S. X. Handbuch, I. Aufl., I I, 1864, S. X; 2. Aufl., I, 1874, S. VIII f.; Lebensbild S. 266 (an Fitting, 27. 4. 1864). 25 So zuerst Landsberg, Geschichte 111 2, Text, S. 946; Landwehr, Handelsrechtswissenschaft, S. 81; Karl Wieland, Handelsrecht I, 1921, S. 25 in Fußn.*; s. auch Grünhut S. 365 re. Sp. ("ein gigantischer Torso"). 26 Einleitung §§ 1 - 32 (I. Begriff u. Zweige des Handelsrechts; 11. Verhältniß des Handelsrechts zur Handelswissenschaft; III. Quellen u. Literatur des Handelsrechts u. seiner Geschichte = §§ 3 - 14; IV. Die Codifikation des Deutschen Handelsrechts und die Verträge; V. Die Literatur des Deutschen Handelsrechts seit Ausgang des 18. Jahrhunderts); I. Buch: Die Regeln und Quellen des Handelsrechts §§ 33 - 39; 2. Buch: Der Handel und die Handelsgeschäfte §§ 40 - 59; Ergänzungen S. 519 - 524. 27 3. Buch: Die Waare, Uebersicht § 60; I. Abschnitt: Die Sachen §§ 61 - 98 (Kap. I - IV: Die Eigenschaften §§ 61 ff.; Besitz u. Verfügung §§ 65 ff.; Eigentum §§ 78 ff.; Pfand- und Retentionsrecht §§ 83 ff.); 2. Abschnitt: Das Geld §§ 99 - 109; Zusätze und Berichtigungen S. 1232 - 1235. 28 Das Nebeneinander dieser beiden, bis auf das Titelblatt identischen Ausgaben ist wahrscheinlich im Umzug des Ferdinand-Enke-Verlages von Erlangen nach Stuttgart begründet; das Werk selbst war 1873 abgeschlossen (Vorwort v. 15. I. 1874). 29 Gliederung wie Handbuch, I. Aufl., I I, 1864, aber innerhalb der Einleitung abweichende §§-Einteilung und Untergliederung (I. Begriff u. Zweige des Handelsrechts; 11. Handelsrecht u. Handelswissenschaft; 111. Quellen u. Literatur zur Geschichte des Handelsrechts §§ 3 - 9; IV. Der gegenwärtige Rechtszustand §§ 10 - 32); §§ 8 a, b, 13 a, 14 a - c, 18 a, 23 a, 43 a neu; Ergänzungen S. 688 - 691. 23
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dritte Auflage 1891 der Anfang der Einleitung mit dem Untertitel "Universalgeschichte des Handelsrechts.. 3l . Nach Vollendung des ersten Bandes der ersten Auflage hat das Werk seinen Stoff nicht mehr erweitert, nur noch vertieft; nur die Universalgeschichte des Handelsrechts von 1891 bringt in ihrem institutionengeschichtlichen Teil eine Erweiterung. Dieser von Landsberg treffend konstatierte "einzigartige Rückbildungsprozeß von Auflage zu Auflage des Handbuchs.. 32 hatte seine Ursache in mannigfaltigen Hindernissen: Nachdem Goldschmidt die erste Abteilung des ersten Bandes noch mit nur geringfügiger Verspätung fertig gestellt hatte 33 , mußte er schon im Vorwort zur zweiten Abteilung darauf hinweisen, daß das Anschwellen des Stoffes eine Verzögerung verursacht habe und er das Wertpapierrecht erst in dem folgenden freilich nie erschienenen Band - darstellen wolle 34 . Die zweite Auflage des ersten Bandes wurde dann durch seine Inanspruchnahme als Rat am ROHG35 , das Erscheinen der ersten Lieferung der zweiten Auflage des zweiten Bandes durch seine in den 70er Jahren verstärkt auftretenden Erkrankungen 36, vor allem aber durch die ständige erhebliche Vertiefung des Stoffes verzögert. Sie beruhte darauf, daß Goldschmidt nicht systematische Prinzipien in den Vordergrund stellte, sondern "allein die auf die Einzelheiten eingehende geschichtlich-dogmatische Prüfung", denn, so Goldschmidt: "Die Prinzipien sollen sich in der Durchführung bewähren und schon der Versuch der Durchführung schützt vielfach vor Unklarheit, Verschwommenheit oder gar Unrichtigkeit; eine Menge der ,schönsten Prinzipien' fallen über Bord, sobald man mit der verachteten ,Casuistik' Ernst macht,m. Auf diese Weise haben diejenigen Teile des Handbuches, die eine echte zweite Auflage erlebten, in dieser erheblich an Umfang zugenommen, ohne daß sie die erste Auflage voll ersetzen könnten. Dieses Anschwellen des Stoffes, das Goldschmidt selbst zunächst gar nicht bewußt geworden war38 , schloß schließlich die Weiterführung oder gar Vollendung des Werkes aus; denn allein die Vorstudie für die Weiterführung der zweiten Lieferung des zweiten Bandes - die von Goldschmidt wegen unberechtigter 39 Zweifel an ihrem Wert unvollendeten "Grundlagen der Be30 3. Buch: Die Waare, Uebersicht § 60; Kap. I: Eigenschaften §§ 61 - 63; Kap. 11: Werth u. Preis §§ 64 - 64 b (in Handbuch, 1. Aufl., I I, 1864 = 3. Buch, 1. Abschnitt, Kap. I, Unterkapitel III, § 64); Kap. III: Besitz (nur S. 128). 31 Auch selbständig unter diesem Titel. Inhalt: Die Grundprobleme § 4; Das Alterthum § 5; Das Mittelalter: Die Weltmächte und die Kirche, die Mittelmeerstaaten §§ 6 - 8, Ergebnisse der romanischen Rechtsbildung im Mittelalter: Geschichte der einzelnen Rechtsinstitute §§ 9 - 12, S. 237 - 465. 32 Landsberg, Geschichte III 2, Text, S. 948. 33 s. Lebensbild S. 266 (an Fitting, 27. 4. 1864). 34 Handbuch, 1. Aufl., I 2, 1868, S. III f. =2. Aufl., I, 1874, S. X f. 35 Handbuch, 2. Aufl., I, 1874, S. XII f. 36 Handbuch, 2. Aufl., 11, 1883, S. V. 37 Handbuch, I. Aufl., I 2, 1868, S. III; 2. Aufl., I, 1874, S. XI. 38 s. etwa Handbuch, 2. Aufl., 11, 1883, S. V.
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sitzlehre,,4Q - umfaßt allein in ihrem zur Veröffentlichung reifen Teil bereits etwa 300 Druckseiten. Die deshalb 41 in Angriff genommene neue Auflage des ersten Bandes scheitert an dem gleichen Problem: Auch für sie hatte Goldschmidt Vorstudien gefertigt42 , aber auch sie schwoll nun immer mehr an, so daß allein der Druck des ersten Teils der Einleitung über ein Jahr in Anspruch nahm 43 . Da Goldschmidt unfähig war, sich von seinem Arbeitsstil der detaillierten Vertiefung jeder Einzelfrage zu lösen44 - sein einziger Schritt in diese Richtung war die Ausarbeitung seines Grundrisses des Handelsrechts, der aber ebenfalls durch ständige Erweiterungen seiner systematischen Ausführungen von Auflage zu Auflage weiter anschwoll - war an eine Fortsetzung des Handbuchs über den thematischen Bereich hinaus, zu dem Goldschmidt auf eigene umfangreichere Vorarbeiten zurückgreifen konnte, in absehbarer Zeit nicht zu denken. Damit war zu Beginn der 90er Jahre die Weiterführung des Handbuchs an dessen beiden offenen Enden ausweglos gescheitert, ein Umstand, der zu Goldschmidts schließlichem Versinken in Selbstzweifel, die jede weitere wissenschaftliche Tätigkeit unmöglich machten, erheblich beigetragen haben dürfte 45 . Danach ist es offensichtlich, was für ein Glücksfall die Gründung der ZHR für Goldschmidt war; denn zum Wesen einer einen Gesamtbereich abdeckenden Zeitschrift gehört das Merkmal der "Zersplitterung", des Eindringens in Spezialmaterien, die vertieft, aber nicht abschließend behandelt werden. Goldschmidts Handbuch war im Grunde der Versuch, eine Zeitschrift in systematischer Anordnung ihres Inhalts zu führen. Die These, ein großer Dogmatiker könne kein Lehrbuch 39 Simon S. V - VII (Verweis auf Gutachten von Pemice und Lenel); Göppert, Vorwort zu Goldschmidt, Besitzlehre 1884, S. 25 - 31; Rezensionen von Kipp, ZHR.52 (1902), S. 296306 u. Oertmann, Arch. f. Bürg. R. 20 (1902), S. 220 - 228. 40 1884 kündigt er Eduard Zeller ihre baldige Vollendung an (Lebensbild S. 447), aber es erscheint nur ein kleiner Auszug: Studien 1888 (= Besitzlehre 1884, S. 199 - 210 u. 303 312). 41 Universalgeschichte 1891, S. VII. 42 So der Abschnitt über den ital. Handel im Mittelalter, Universalgeschichte 1891, § 7, S. 143 - 149, s. S. 143 in Fußn.*. 43 Universalgeschichte 1891, S. XI, X. Die Kapitelangabe in der Kopfleiste lautet auch noch auf Seite 463 "Einleitung". 44 Vgl. Landwehr, Handelsrechtswissenschaft, S. 80. 45 Vgl. Landwehr, Handelsrechtswissenschaft, S. 80. 46 Hervorzuheben sind die Besprechungen von Anschütz Krit. Vjs. f. Gesetzgebung u. Rechtswiss. 6 (1864), S. 399 - 413; Randa, Oesterr. Vjs. 18 (1866), Literaturblatt S. 7 - 9,8; aus der Sicht der Praxis: Hellmann, Beitr. Preuß. R. 8 (1864), S. 478 - 483; unter Vergleich mit Thöls Lehrbuch und F. v. Hahns Kommentar: Grünhut, Zs. f. d. Priv.- u. öff. R. d. Ggw. 3 (1876), S. 185 - 194 mit der treffenden Charakterisierung S. 185, diese Werke böten die "lapidare, für die Rechtswissenschaft so passende Einfachheit und Concision Thöls, die methodische Gründlichkeit, mit welcher Goldschmidt die Früchte einer ausserordentlichen Gelehrsamkeit in seltener Vollständigkeit darbietet", und die "einschmeichelnde Klarheit und Durchsichtigkeit der Hahn'schen Darstellung" (ähnlich Sacerdoti S. 5 in einem Vergleich Goldschmidts mit Pöhls, Thöl und von Hahn).
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schreiben, mag etwas für sich haben; jedenfalls scheint es für ein in sich geschlossenes Werk unvermeidbar zu sein, einem konsequent verfolgten System um der Geschlossenheit willen mitunter die Ausführung des einen oder anderen erkannten Rechtssatzes, mag er auch richtig sein, zu opfern. b) Aufnahme und Wirkung des Handbuchs Die Aufnahme von Goldschmidts Handbuch des Handelsrechts war generell positiv46. Paul Laband47 stellte zutreffend fest, das Werk sei "mit einem solchen Aufwande an Gelehrsamkeit verfaßt, daß ihm in dieser Beziehung in der ganzen deutschen Rechtsliteratur nur wenige gleichstehen, in der handelsrechtlichen keines,,48. Er zog aus der Anlage des Werkes aber auch den Schluß, daß die monographischen Ausführungen mit den bis in das italienische Mittelalter und die ausländische Rechtswissenschaft der Gegenwart reichenden Nachweisen zu einzelnen Streitständen für die Wissenschaft zwar "für alle Zeit ein wahrer Schatz sein" würden, für den Gebrauch in der Praxis jedoch "eine schärfere Abhebung der positiven Rechtssätze von ihren historischen und volkswirthschaftlichen Grundlagen" wünschenswert gewesen wäre. Diese Kritik ist für Labands eigenes Lebenswerk nicht weniger bezeichnend als für das besprochene Handbuch. Laband, der Goldschmidt auch persönlich nahestand, wagte in seiner Besprechung auch bereits die Andeutung, daß mit einer Vollendung des Werkes wohl kaum gerechnet werden könne, wenn seine Konzeption beibehalten werde 49 . Großen Widerhall, aber auch Widerspruch fanden Goldschmidts Ausführungen in diesem Teil seines Handbuchs in der Fachliteratur zu den einzelnen Gebieten, die er darin behandelt hatte; dies gilt insbesondere für seine Ausführungen zur juristischen Theorie des Geldes und zur Besitzlehre. Von der Rechtsprechung wurden besonders seine Lehren zur Traditionswirkung der Übergabe von Konnossement, Ladeschein und Lagerschein aufgenommen. Goldschmidt hat auf die Kritik in den Rezensionen seines Handbuchs nicht reagiert. Dagegen hat ihn Kritik, die in den Werken anderer Autoren zu einzelnen Gegenständen an Ansichten geübt wurde, die er in seinem Handbuch geäußert hatte, bisweilen zu heftigen Erwiderungen veranlaßt. Diese arbeitete er in die Neuauflage ein oder veröffentlichte sie separat in gesonderten Abhandlungen. So erschienen in der ZHR seine Auseinandersetzung mit von Hahn und mit Schlesinger über die richtige Art der Verwertung der Beratungsprotokolle des ADHGB und mit Endemann über die juristische Bedeutung des Wertbegriffs, und in seinen Schriften zur Besitzlehre setzte er sich mit den Ansichten von Kindel, Meischeider und Strohal 47 Die handelsrechtIiche Literatur in Deutschland seit Erlaß des ADHGB, in: Krit. Vjs. f. Gesetzgebung u. Rechtswiss. 12 (1870), S. 20 - 60, 49 f. 48 Krit. Vjs. f. Gesetzgebung u. Rechtswiss. 12 (1870), S. 50. 49 Krit. Vjs. f. Gesetzgebung u. Rechtswiss. 12 (1870), S. 50; so auch schon die Redaktion des Arch. f. Th. u. Prax. HR 15 (1869), S. 387 ff., 390.
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auseinander. Wenn sich dagegen ein Autor in einer grundlegenden Frage von seinen Ausführungen hatte überzeugen lassen, wies Goldschmidt nicht selten mit Genugtuung auf diesen Meinungswechsel hin. So hatte etwa Georg Beseler in der ersten Auflage seines Systems des gemeinen deutschen Privatrechts ausgeführt, daß die wirtschaftliche Betrachtungsweise der Wissenschaft des Handelsrechts zwar reichen Ertrag gebracht habe, im Gegensatz zum bürgerlichen Recht die historische Forschung auf diesem Gebiet aber nur wertvolle antiquarische, nicht aber für die Wissenschaft des geltenden Rechts und die Rechtspraxis verwertbare Ergebnisse. An dieser Ansicht hielt er zunächst auch gegen Goldschmidts Protest50 in der zweiten Auflage fest. Dann aber sah er sich ab der dritten Auflage veranlaßt, in einem Zusatz zu erklären, Goldschmidt habe in der zweiten Abteilung seines Handbuchs "so bedeutende, auch praktisch wichtige historische Untersuchungen veröffentlicht", daß er seine vorhergegangene These "erheblich beschränken zu können" glaubte51 . Auf dieses Bekenntnis wies Goldschmidt in der zweiten Auflage seines Handbuchs stolz an exponierter Stelle hin52 . Goldschmidts Handbuch fand nicht allein in der deutschen Privat- und Handelsrechtswissenschaft seiner Zeit breiten Anklang. Auch die ausländische Rechtswissenschaft betrachtete es als wertvolles Zeugnis deutscher wie europäischer Rechtswissenschaft53 . Über die Grenzen der Jurisprudenz fand das Werk viel Beachtung in der Literatur der Nationalökonomie, die zu dieser Zeit vielleicht noch mehr unter dem Einfluß des Historismus stand als die deutsche Rechtswissenschaft54 . Ihr führender Vertreter, Wilhelm Roscher, lobte es von diesem Standpunkt aus in seiner Darstellung der Geschichte der deutschen Volkswirtschaftslehre55 als "zugleich in der gründlichsten Weise rechtshistorisch und in der besonnendsten Weise volkswirthschaftlich,,56. Roscher verwandte Goldschmidts Handbuch - wie Goldschmidt umgekehrt das von Roscher - für Nachweise zur handelsgeschichtlichen Entwicklung5? Für Autoren neuerer Zeit ist insbesondere Goldschmidts DarstelBehandlung 1858, S. 23 = ZHR 150, S. 37. Alle Stufen von Beselers Ansicht sind zusammengestellt in Georg Beseler, System des gemeinen deutschen Privatrechts, 4. Aufl., Berlin 1885, (2. Abth.), S. 1000 f. und 1001 in Fußn.2. 52 Handbuch, 2. Aufl., 1,1874, S. XI in Fußn.*; s. auch Universalgeschichte 1891, S. 41 in Fußn.79. 53 s. den Nachruf in den Annales de droit commercial1897, S. 319; s. auch Simon S. XIII; Hagerup S. 357; Sacerdoti S. 5 u.ö. 54 Georg Jahn, Die Historische Schule der Nationalökonomie, in: Antonio Montaner (Hrsg.), Geschichte der Volkswirtschaftslehre, Köln/Berlin 1967, S. 41 - 50; Wilhelm Roscher, Die Grundlagen der Nationalökonomie (System der Volkswirthschaft I), 6. Aufl., Stuttgart 1866, §§ 22 - 29, S. 38 - 49. 55 nicht in seinem Lehrbuch, wie Kronstein Sp. 1751 angibt. 56 Wilhelm Roseher, Geschichte der Nationalökonomie in Deutschland, München 1874, S. 1040 f., 1041; s. dazu Kronstein Sp. 1751. 57 s. dazu Wilhelm Roseher, Nationalökonomik des Handels und Gewerbfleißes (System der Volkswirthschaft III), 2. (= 1.) Aufl., Stuttgart 1881, S. 57 ff. (vgl. Goldschmidt, Hand50
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lung der Gesetzgebungsgeschichte des Handelsrechts im 19. Jahrhundert immer wieder Anlaß, sich seines Werkes zu bedienen. c) Die "Universalgeschichte des Handelsrechts" Eine besondere Stellung im Rahmen von Goldschmidts Handbuch des Handelsrechts nimmt die 1891 erschienene "Universalgeschichte des Handelsrechts" ein. Formal bildet sie den zeitlich zuletzt erschienen Teil dieses Werkes. Inhaltlich sollte sie dagegen ganz an seinem Anfang stehen, denn sie ist als "Einleitung" in die Darstellung der Lehren des geltenden Handelsrechts konzipiert. In Wahrheit stellt sie jedoch ein ganz selbständiges Werk dar. Die "geschichtlich-literarische Einleitung" des ersten Bandes der ersten beiden Auflagen des Handbuches war noch darauf angelegt gewesen, als allgemeiner Abriß der äußeren Entwicklungslinien in die Darstellung des geltenden Rechts einzumünden, dessen einzelne Institute dann wiederum jeweils in historisch-genetischem Aufbau dargestellt werden sollten. Die Universalgeschichte behandelt dagegen getrennt von der jüngsten Kodifikationsgeschichte des Handelsrechts und dessen Instituten selbstgenügsam geschichtliche Abläufe und Rechtsinstitute vergangener Rechtsordnungen 58 . Hierbei kehrt sich das Verhältnis zur Darstellung des geltenden Rechts mitunter in paradoxer Weise dergestalt um, daß jetzt eine dem geltenden Recht gewidmete Einleitung, in der der Gegenstand des folgenden Abschnitts umgrenzt wird, seiner historischen Behandlung vorausgeht. Besonders deutlich wird das in Goldschmidts Ausführungen zum allgemeinen Charakter der Assekuranz 59 oder zum Wesen der Wertpapiere 60. Die Universalgeschichte des Handelsrechts sollte eine Geschichte des ganzen europäischen Handelsrechts werden. Goldschmidt nimmt jedoch zunächst nur eine Linie wieder auf, die sich bereits in seiner Dissertation angekündigt und die ihn dazu geführt hatte, den Ursprüngen der Ausgestaltung vieler Institute des modernen Handelsrechts in der norditalienischen und mediterranen Handelsrechtswissenschaft und -praxis des Mittelalters nachzugehen 61 . Sie hatte er schon bald weiteren buch §§ 40 ff.); s. auch K. Rathgen, Art. Handelsrecht, in: L. Elster (Hrsg.), Wörterbuch der Volkswirtschaft, 2. Aufl., Bd. 2, Jena 1907, S. 42 - 44, 44 (Literatur). 58 I. Begriff und Zweige des Handelsrechts, S. 1 - 3; 11. Handelsrecht und Handelswissenschaft, S. 4 - 9; III. Grundzüge einer Universalgeschichte des Handelsrechts, S. 10 - 465: Kap. 1 - 3, §§ 3, 3 a, 4, S. 10 - 47 = Einleitung; Kap. 4, § 5, S. 47 - 94 = Handelsrecht der Antike, insbesondere römisches Recht; Kap. 5 u. 6, §§ 6 - 8, S. 94 - 237 u. §§ 9 - 12, S. 237 465 = Handelsrecht des Mittelalters. 59 Universalgeschichte 1891, S. 354 f. Universalgeschichte 1891, S. 385 - 390. Ursprünge 1882; Vorwort zu Silberschmidt, Commenda, 1883; Seeversicherung 1885; Lex Rhodia 1889; wichtig auch seine Rezensionen ZHR 20 (1875), S. 652 ff. u. 654 ff.; 23 (1878), S. 309 ff.; 35 (1889), S. 599 ff. (in der Goldschmidt nicht allein die Ergebnisse von Schaubes Untersuchung über das pisanische constitutum usus aus dem 12. Jahrhundert wiedergibt, sondern diese eingehend würdigt und den Weg für weitere Forschungen weist). 60 61
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Forschungen auf dem Gebiet der deutschen Rechtsgeschichte im engeren Sinne vorgezogen und Studien insbesondere zu den nordeuropäischen Seerechten des Mittelalters immer wieder zurückgestellt. Schon 1876 hatte er eine einleitende Studie über die Wirtschafts- und Verkehrsverhältnisse des mittelalterlichen Italien und der Verfassungsgeschichte der norditalienischen Städte dieser Zeit abgeschlossen, die er infolge der langen Periode schwerer Erkrankungen zunächst unveröffentlicht ließ und sie später in seine Universalgeschichte des Handelsrechts übernimmt62 . Als größtes Hindernis einer systematischen Gesamtdarstellung der Geschichte des Handelsrechts empfindet Goldschmidt das Fehlen umfassender Quelleneditionen, besonders systematischer Sammlungen mittelalterlicher Geschäftsurkunden. Goldschmidt versucht sich mit dem Material zu behelfen, das er Werken anderer entnehmen kann 63 . Nur ganz gelegentlich unternimmt er auch eigene archivalische Studien, zu denen ihm freilich kaum Zeit bleibt64 . Seit der zweiten Hälfte der 70er Jahre befassen sich jedoch auch andere Autoren mit den Ursprüngen handelsrechtlicher Institute im mittelalterlichen und frühneuzeitlichen norditalienischen Recht65 . Mit ihnen, auch mit den ausländischen Autoren besonders der romanischen Länder, steht Goldschmidt in regem Austausch, und seine inzwischen internationalen Beziehungen erleichtern ihm den Zugang zu Quellen, die ihm sonst unerreichbar geblieben wären 66 . Es ist schwer zu entscheiden, ob Goldschmidt eigentlicher Anreger dieser Bewegung in der europäischen rechts geschichtlichen Forschung war oder nur einer ihrer Vertreter. Ihr bedeutendster deutscher Vertreter war er zweifellos, nicht nur aufgrund seiner eigenen Veröffentlichungen, sondern auch dadurch, daß er wie kein anderer die Werke anderer auf diesem Gebiet gefördert hat. Insbesondere stellte er die ZHR zur Veröffentlichung recht spezieller Untersuchungen zur Geschichte des Handelsrechts zur Verfügung, die in anderen Zeitschriften dieser Zeit nicht unterzubringen gewesen wären 67 • Es kann insoweit durchaus von einer Goldschmidt'Universalgeschichte 1891, § 7 I, S. 143 - 149, s. S. 143 in Fußn.*. ZHR 23 (1878), S. 309 ff., 312; s. auch S. 313. 64 Universalgeschichte 1891, S. VIII f. 65 Schon 1864 hatte Paul Laband das Seerecht von Ama1fi wohl aus dem 14. Jahrhundert herausgegeben, bemerkenswerterweise in der ZHR: ZHR 7, S. 296 - 337. 66 s. Seeversicherung 1885, S. 18 f. (Enrico Bensa), 4 in Fußn. 2 (Cornelius Walford, London: Einsicht in Santernas Tract. de Assec.), 7 in Fußn. 6 u. 15 in Fußn. 7 (e. Paoli, Florenz: Abschrift von Urkunden aus dem Staatsarchiv Florenz), 17 in Fußn. 17 (Enrico Bensa, Abschrift einer Urkunde); Lex Rhodia 1889, S. 368 (Max Pappenheim); Straccha und Santerna 1891, S. 6 (J. de Vasconcelloz, Porto); Messen der Champagne 1892, Verm. Sehr. 11, S. 229 (G. Blondel und Ph. Souchon, Paris, sowie e. Vivante, Kopien von Urkunden aus Paris und Bologna); Vorwort 1893 (F. Patetta). 67 s. z. B. Felix Dahn, Handelsrecht der Westgothen, in: ZHR 16 (1871), S. 383 ff.; Rudolf Wagner, Zur Entstehungsgeschichte des Konsulats der See, in: ZHR 29 (1884), S. 413 ff.; Adolf Schaube, Die pisanischen Consules mercatorum im 12. Jahrhundert, in: ZHR 41 (1892), S. 100 ff.; weitere Titel bei Pohlmann, Quellen, S. 815 ff. und Lamme!, Gesetzgebung, S. 626, 672. 62 63
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schen Schule der rechtshistorischen Forschung gesprochen werden. Dies belegt auch der Umstand, daß nach Goldschmidts Tod 1897 nur noch wenige Studien auf diesem Gebiet erschienen. Die Aufnahme der Universalgeschichte des Handelsrechts durch die zeitgenössische Rechtswissenschaft ganz Europas war durchweg positiv68 . Außerhalb des Kreises handelsgeschichtlicher und handelsrechtsgeschichtlicher Forschung mischte sich unter den Respekt aber auch eine gewisse Ratlosigkeit über die Einordnung des Werkes. Diese Unsicherheit, die in dem Fortbestand der Kategorisierung der rechtshistorischen Forschung in eine romanistische und eine germanistische Richtung wurzelte, dürfte wesentlich dazu beigetragen haben, daß die von Goldschmidt nur begonnenen Forschungen über das Handelsrecht im Spätmittelalter und der beginnenden Neuzeit nicht fortgeführt wurden. Es kam hinzu, daß sich die ZHR nach Fertigstellung des HGB von 1897 immer stärker der reinen Dogmatik des geltenden deutschen Handelsrechts zuwandte und damit als Organ für deutschsprachige Publikationen auf diesem Gebiet entfiel 69 . Erst in jüngerer Zeit finden die romanischen Ursprünge des Handelsrechts wieder ein verstärktes Interesse in der deutschen Forschung, deren Publikationen nahezu alle auf den von Goldschmidt gegebenen Anregungen aufbauen 7o . Der Einfluß der Universalgeschichte auf die rechtshistorische Forschung in den romanischen Ländern blieb dagegen groß. In ihnen war das Interesse an weiteren Forschungen auf diesem Gebiet naturgemäß größer7l . Mit dem Erscheinen der Universalgeschichte des Handelsrechts endet in Deutschland der Einfluß der historischen Schule auf die Wissenschaft des Handelsrechts wie die Rechtswissenschaft überhaupt 72 , die sich von nun an ganz der Exegese der großen deutschen Kodifikationen zuwenden. Spätere Publikationen zur Geschichte des Handelsrechts verzichteten darauf, vertieft institutionengeschichtliche Untersuchungen anzustellen. Sie erhoben auch nicht mehr den Anspruch, Beiträge von unmittelbarem Einfluß auf die Lösung dogmatischer Streitfragen des geltenden Rechts zu liefern 73 . 68 Rezensionen und Anzeigen von R. Schröder, in: ZRG GA 13 (1892), S. 238 - 240; O. Lenel, in: ZRG RA 13 (1892), S. 402; Eccius, in: Beitr. Preuß. R. 37 (1893), S. 768; E. Thaller, Annales de droit commercial, 7. Bd., Paris 1893, S. 324 - 326. 69 Symptomatisch dafür ist die sehr knappe u. dabei immer noch zwei Fehler enthaltende Anzeige des Neudrucks der Universalgeschichte des Handelsrechts durch Julius von Gierke in ZHR 121 (1958), S. 74 u. 144. 70 s. insbes. K. Nehlsen-von Stryk, Geschichte der Venezianischen Seeversicherung; Karl Otto Scherner, Wandlungen im Bild des Kontokorrents, in: M. Lutter/H. Kollhosser/W. Trusen (Hrsg.), Recht u. Wirtschaft in Geschichte u. Gegenwart, Festschrift für Johannes Bärmann, München 1975, S. 171 - 181; Überblicke über die Entwicklung bei Pohlmann, Quellen, S. 801 - 815 u. Lammei, Gesetzgebung, S. 571 - 575. 71 Es manifestiert sich darin, daß die Universalgeschichte noch 1913 ins Italienische übersetzt wurde: Goldschmidt, Storia universale 1913. 72 s. aber Landsberg, Geschichte III 2, Text, S. 979 - 981, bezeichnenderweise unter Hervorhebung von Goldschmidts Einfluß auf die Handelsrechtswissenschaft.
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Neuere und eingehendere Forschungen mögen manche Ergebnisse Goldschmidts widerlegen, seine intensive Anschauung der Verkehrs verhältnisse und sein tiefes Eindringen in das ihm zugängliche Material machen die Beschäftigung mit seinem Werk gerade auf diesem Gebiet immer wieder überaus anregend. Sie werden ihre Wirkung auch auf die künftige Forschung noch auf unabsehbare Zeit zu behaupten wissen. 3. Sonstige rechtswissenschaftliche Schriften
Den Hauptanteil an Goldschmidts Werk machen seine Miszellen, Aufsätze und Abhandlungen aus, die, so vor allem seine als "geschichtlich-dogmatische Abhandlungen" bezeichneten großen Aufsätze 74 , überwiegend in der ZHR 75 , gelegentlich aber auch in anderen Zeitschriften 76 sowie in Festschriften77 erschienen. Die Form der Abhandlung, deren Inhalt nicht in einen übergreifenden systematischen Zusammenhang eingepaßt zu werden braucht, kam Goldschmidts Arbeitsweise, sich immer wieder in Einzelfragen zu vertiefen, sehr entgegen; so lassen sich auch seine umfangreicheren Monographien, das Handbuch des Handelsrechts, die Universalgeschichte des Handelsrechts und die Schrift über Rechtsstudium und Prüfungsordnung als bloße Sammlungen von Abhandlungen auffassen, die durch die Veröffentlichung in jeweils einem Band mehr äußerlich zusammengefügt sind, als daß sie durch eine durchlaufende systematische Linie inhaltlich verbunden wären. Eine besondere Gruppe unter den Abhandlungen Goldschmidts bilden seine zahlreichen Stellungnahmen zu Gesetzgebungsarbeiten der deutschen Staaten78 so73 Das gilt insbes. für die Gesamtdarstellung von Goldschmidts Schüler Paul Rehme, Geschichte des Handelsrechts, der sich davor hütete, trotz der Fülle des von ihm verarbeiteten Materials von der Darstellung nur der leitenden Linien der Entwicklung abzuweichen. 74 Kauf auf Probe 1858; receptum 1860; Haftungspflicht der Eisenbahnverwaltungen 1861; Erwerb dinglicher Rechte 1865/66; Verantwortlichkeit des Schuldners für seine Gehülfen 1871; Erwerbs- und Wirthschaftsgenossenschaften 1882; Lex Rhodia 1889. 7S Benutzung der Berathungsprotokolle 1866; Werke des Casaregis 1866; Rechtstheorie des Geldes 1869; Lebensversicherung 1878; Miscellen zur Theorie der Werthpapiere 18821 84; Ursprunge des Mäklerrechts 1882; Kreationstheorie 1889; Straccha u. Santerna 1891; Geschäftsoperationen auf den Messen der Champagne 1892; Miszellen: Geschichte des ital. Wechsels 1863; Stationen eines Eisenbahnunternehmens als Zweigniederlassungen 1865; Wette u. Glücksspiel 1882. 76 Verpflichtung 1856; Vertragsmäßige Beschränkung 1858; Über 1. 11 § 6 D. quod vi aut c1am 1862; Einrede der Litispendenz 1867; Du droit commercial 1870; Haupt- und Nachbürge 1888; Conflits de lois 1888; Inhaber-... Urkunden im Alterthum 1889. 77 Geschichte der Seeversicherung 1885 (Festgabe Beseler); Studien zum Besitzrecht 1888 (Festgabe Gneist); daneben die Vorworte zu Silberschmidt, Commenda, 1883 und Patetta, Baldus über Wechselgeschäfte 1893; nur geplant: Grundlagen der Besitzlehre 1884 als Festschrift für Eduard Zeller. 78 Entwurf HGB 1857; Kauf auf Probe 1858, S. 448 - 453 (ADHGB); Verhandlungen zur Berathung des ADHGB 1858; receptum 1860, Anhang: Resultate für die legislative Gestal-
A. Tätigkeitsbereiche des Schaffens Goldschmidts
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wie des Auslandes 79 , über die er in der ZHR immer wieder ausführlich berichtet hat. Außerhalb des engeren Bereichs seiner Tätigkeit als Hochschullehrer oder Rat am ROHG hat sich Goldschmidt häufiger einer breiteren Öffentlichkeit gegenüber zu Themen geäußert, die auch für Kreise außerhalb der eigentlichen Rechtswissenschaft von Interesse waren. Dies geschah in Form öffentlicher Vorträge80 wie auch durch die Publikation von Artikeln für Zeitungen, in denen er auf die Bedeutung bevorstehender81 oder abgeschlossener 82 Gesetzgebungsvorhaben hinwies oder rechtspolitische Fragen von allgemeiner Bedeutung behandelte 83 . Schließlich hat Goldschmidt sich bisweilen auch als kompetenter Autor für einige Nachschlagewerke betätigt84 . Erstaunlich groß ist die Zahl der biographischen Würdigungen aus Goldschmidts Feder. Sie sind fast alle von persönlicher Betroffenheit gekennzeichnet, denn fast alle sind Personen gewidmet, die Goldschmidt persönlich gekannt hat, indem er ihnen als Schüler85 , Kollege oder Mitarbeiter an der ZHR86 oder gar als Freund87 tung S. 368 - 385; Gutachten Entwurf ADHGB 1860; Abschluß u. Einführung des ADHGB 1862 - 1865; Neue Gesetze u. Gesetzentwürfe 1862 und 1863; Das Reglement für den Vereins-Güter-Verkehr 1862; Wuchergesetzgebung in Deutschland 1865; Organisation der Handelsgerichte 1865; Preuß. Verordnung über die vertragsmäßigen Zinsen 1866; Du droit commercial 1870; Die Codification des deutschen bürgerlichen u. Handelsrechts 1875 und 1878; Reform des Aktiengesellschaftsrechts 1885; Entwurf eines Genossenschaftsgesetzes 1888; Das neue Genossenschaftsgesetz 1889; Erwerbs- und Wirthschaftsgenossenschaften 1890; Formen der Handelsgesellschaft 1892 (GmbH-Gesetz). 79 Entwurf eines schweizerischen Handelsrechts 1865 und 1866; Schweizerisches Obligationenrecht; Anmerkung zu: F. Mittermaier, Engl. Gesetz über die Handelsgesellschaft 1866; Entwurf einer Wechselordnung für Britisch-Indien 1870; Die in Anlaß des dt.-frz. Krieges erlassenen Gesetze 1871 - 1873; Das ungarische HGB 1876; Belgische Gesetzgebung 1878; Entwurf einer Wechselordnung für das russische Reich 1882. 80 Hansa 1861; Savigny 1864; Reform des Aktiengesellschaftsrechts 1885; Rechtsstudium 1887 (stark überarbeitet); Formen der Handelsgesellschaft 1892. 81 Gemeinsame dt. Gesetzgebung 1860 (ADHGB, BGB); Die Nothwendigkeit eines dt. Civi1gesetzbuches 1872; Entwurf eines Genossenschaftsgesetzes 1888. 82 Das neue Genossenschaftsgesetz 1889; Die Erwerbs- u. Wirthschaftsgenossenschaften 1890. 83 Preuß. Recht und Rechtsstudium 1859; Zur Reichstagswahl (20. 2. 1887) u. Erklärung v. 27. 2. 1887, in: Zur Reichstagswahl1887/90 (ursprünglich in der National-Zeitung erschienen); Noch einmal Rechtsstudium 1888; Die Universitätsfeier von Bologna 1888; Börsen und Banken 1891. 84 Im Deutschen Staats-Wörterbuch: Savigny 1865; Wucher 1870; im Handwörterbuch der Staatswissenschaften: Handel 1892 - 1923. 85 Marquardt 1882; C. J. A. Mittermaier 1867; Heidelberger Rechtslehrer 1887. 86 Nekrolog 1876 (B. L. W. von Salpius, A. Anschütz, W. Auerbach); Bruns in ZHR 26 (1881), S. 337 f.; J. F. Voigt in ZHR 33 (1887), S. 205 Fußn. 1; Beseler u. Pape 1889 (zu Beseler s. auch den Brief Goldschmidts an Beselers Frau v. 1. 9. 1888, im Faksimile bei Liebmann, Juristische Fakultät S. 154 re. Sp.); Nekrologe 1891 (F. Mittermaier, W. Lewis, Fleischauer). 87 Otto Stobbe 1887 u. 1888; Jolly 1897.
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verbunden war88 . Reiches biographisches Material bieten auch die von Goldschmidts Witwe nach seinem Tod herausgegebenen Briefe Goldschmidts 89 ; weitere persönliche Verbindungen zwischen Goldschmidt und seinen Kollegen ergeben sich schließlich aus den Widmungen seiner Werke sowie aus den ihm gewidmeten Werken anderer Autoren, die im Anhang zum Schriftenverzeichnis aufgeführt sind. Eine weitere große Gruppe seiner Veröffentlichungen bilden Goldschmidts Gutachten. Diese von ihm im Laufe seiner langjährigen Tätigkeit als Lehrer und Praktiker des Handelsrechts angefertigten Gutachten sind in ihrer Art sehr unterschiedlich. Begutachtungen konkreter, an ihn herangetragener Rechtsfälle 90 stehen Gutachten gegenüber, in denen Goldschmidt im Zuge laufender Gesetzgebungsvorhaben aufgrund privater91 Initiative oder in amtlichem Auftrag 92 zu Gesetzentwürfen Stellung nimmt. Im Zusammenhang mit Goldschmidts Gutachtertätigkeit steht der Umstand, daß er während seiner ganzen Laufbahn einer erstaunlich großen Zahl von Gesetzgebungskommissionen angehört hat. Dies begann mit seiner Mitgliedschaft in der freilich privaten und nicht von hoheitlicher Seite eingesetzten Kommission zur Vorbereitung des ersten deutschen Handelstages in Heidelberg 1861 93 . Goldschmidts erste Berufung in eine amtliche Kommission war 1872 die Berufung in die Kommission zur Beratung des Deutschen Kaisers in dem amerikanisch-britisehen Grenzstreit der "San-Juan-Frage,,94. Ihr folgte als früher Höhepunkt Goldschmidts Mitgliedschaft in der Vorkommission zur Ausarbeitung von Vorschlägen über Plan und Methode für die Aufstellung des Entwurfs eines deutschen bürgerlichen Gesetzbuchs 187495 . Als Reichstagsabgeordneter gehörte Goldschmidt 1875/76 der VIII. Reichstagskommission zur Beratung des Entwurfs der Konkurs88 Ausnahmen bilden neben den in der Einleitung zur ZHR von 1858 Behandelten insbes. Savigny 1864/65 und nochmals Thöl in ZHR 33 (1887), S. 499 f. 89 Sie werden ergänzt durch einige Briefe, die Liebmann anläßlich der Einhundertjahrfeier der Universität Berlin 1910 herausgegeben hat (Liebmann, Juristische Fakultät, S. 154, 160164) und die nicht alle auch in Adele Goldschmidts Sammlung enthalten sind. 90 Der "Lucca-Pistoja-Aktienstreit" 1859; Gutachten Melly Forget 1866; Einfluß von Theilzahlungen 1870; Beiträge aus der Praxis 1870; Zulässigkeit einer Verlegung des Sitzes 1878; Editionspflicht 1884. 91 Kritik I 1857; Gutachten Wuchergesetze 1865; Referat Aktiengesellschaften 1869; Gutachten über das Actiengesellschaftswesen 1873; Reglement für internationale Schiedsgerichte 1874/75; Haftpflicht der Genossen 1888. 92 Gutachten 1860 (ADHGB); Der amerikanisch-britische Grenzstreit 1872; Plan und Methode 1874 (BGB); Herabsetzung des Grundkapitals einer Aktiengesellschaft 1876; Rechtsverhältnisse 1878 (Eisenbahnrecht). 93 Bericht der Vorcommission 1861 und Wortmeldungen 1861. 94 Der amerikanisch-britische Grenzstreit 1872. 95 Codification 1875, S. 137 ff. Protokolle der Kommission, die in Goldschmidts Hotelzimmer tagte, wurden nicht geführt, die Exposes und Goldschmidts Abschlußgutachten in Materialien 1874 (hrsg. v. W. Schubert 1978).
A. Tätigkeitsbereiche des Schaffens Goldschmidts
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ordnung an 96 . Während seiner Zeit als Berliner Ordinarius für Handelsrecht berief ihn das Reichsjustizamt in zwei Sachverständigenkommissionen, durch die die Aktienrechtsnovelle von 188497 und das neue Genossenschaftsgesetz von 188998 vorbereitet wurden. Die Arbeit in diesen beiden Kommissionen stand in engem Zusammenhang mit seinem Werk und war daher besonders erfolgreich. Auf Goldschmidts besondere Fähigkeit, in Kommissionsarbeit gefaßte Beschlüsse in konkrete Formen zu gießen, ist im Zusammenhang seiner Mitarbeit in der VIII. Reichstags-Kommission bereits hingewiesen worden. Schließlich gehörte Goldschmidt für einige Jahre der preußischen "Kommission für juristisches Studienund Prüfungswesen" an 99 , die er aber 1890 unter Protest verließ, weil die Arbeit dieser Kommission nicht vorankam und alle Vorschläge für die Durchführung der von Goldschmidt als notwendig angesehenen Gesamtreform schon im Ansatz blockiert wurden 100. Goldschmidts Hoffnung, in die Kommission zur Überarbeitung des ADHGB, die durch die Kodifikation des bürgerlichen Rechts im BGB notwendig werden würde, berufen zu werden, erfüllte sich infolge seiner Erkrankung 1892 nicht.
11. Die "Zeitschrift für das gesammte Handelsrecht"
Die äußerlich stetige Linie in Goldschmidts gesamten Schaffen ist, beginnend wenige Jahre nach dem Anfang seiner wissenschaftlichen Laufbahn und ;ndend erst mit seinem Tod, die 1858 von ihm gegründete "Zeitschrift für das gesammte Handelsrecht". Über die Umstände ihrer Gründung ist bereits berichtet worden. Im folgenden soll auf die inhaltlichen Richtlinien eingegangen werden, die Goldschmidt bei seiner Herausgebertätigkeit befolgte und die dazu führten, daß die ZHR zu einer der erfolgreichsten rechtswissenschaftlichen Zeitschriften überhaupt wurde lO1 • Das erste Heft der ZHR wird eingeleitet durch einen Aufsatz des Herausgebers "Ueber die wissenschaftliche Behandlung des deutschen Handelsrechts und den Zweck dieser Zeitschrift". Schon dieser Titel macht deutlich, daß er mehr als ein bloßes Vorwort zum ersten Band einer neuen Zeitschrift sein soll, nämlich ein wissenschaftliches Programm, als dessen Organ diese Zeitschrift f~rtan fungieren soll; dem entspricht auch der Aufbau dieser Abhandlung lO2 • Goldschmidt knüpft damit Wortmeldungen 1876 (Materialien hrsg. v. C. Hahn). Wortmeldungen 1882 (Materialien hrsg. v. W. Schubert 1985). 98 Wortmeldungen 1887 (Materialien hrsg. v. W. Schubert 1989). 99 Riesser S. 41. 100 Austrittserklärung v. 6. 5. 1890, in: Lebensbild S. 462. 101 Vgl. den ausführlichen Überblick von Landwehr, Die ZHR, passim; einen Abriß aus der Sicht eines Nachfolgers Goldschmidts als Herausgeber der ZHR bietet Karsten Schmidt, Goldschmidt, S. 215, 226 - 228. 96 97
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deutlich an Savignys 1815 bei der Eröffnung der "Zeitschrift für geschichtliche Rechtswissenschaft" gleichfalls weit über den unmittelbaren Anlaß hinausweisenden Beitrag "Ueber den Zweck dieser Zeitschrift" an 103 ; auch Jhering beginnt seine mit Gerber 1857 gegründeten "Jahrbücher für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts" mit dem programmatischen Aufsatz "Unsere Aufgabe" 104. Goldschmidt schließt bald auch in anderer Hinsicht an die Einrichtung der genannten beiden Zeitschriften an, indem er, um sich von den Redaktionsgeschäften zu entlasten, 1865 Paul Laband bittet, "als Gennanist ihm, dem Romanisten zur Seite zu treten,,105. Auch Savigny und Jhering hatten durch die Wahl ihrer Mitherausgeber C. F. Eichhorn bzw. K. F. Gerber Wert auf Ausgewogenheit zwischen Romanisten und Gennanisten gelegt. Das wissenschaftliche Programm, das der von ihm gegründeten Zeitschrift zugrundeliegen soll, legt Goldschmidt am Ende seines Einleitungsaufsatzes dar 106 • In ihm macht er deutlich, wie sehr er die Aufgabe der ZHR darin sieht, ein weiteres Glied in der zuvor von ihm beschriebenen historischen Kette des Ansteigens von Bedeutung und Tiefe des Handelsrechts selbst und seiner wissenschaftlichen Bearbeitung in der Neuzeit zu sein. Goldschmidt hat den Kern dieses Programms, die Überleitung vom historischen in den aktuellen Teil seines Einleitungsaufsatzes, fast unverändert in seinem dreißig Jahre nach Gründung der ZHR gehaltenen Rückblick mit dem Anspruch auf seine fortdauernde Geltung wiederholt 107 : "Was uns Noth thut, ist also nicht ein neuer Standpunkt, sondern die gleichmäßige Pflege aller der verschiedenen und sämmtlich fruchtbaren Richtungen, welche nacheinander in der Geschichte unserer Wissenschaft hervorgetreten sind: Der wirthschaftlichen ("Natur der Sache"), wie der geschichtlichen und dogmatischen; die genaue Beachtung wie unserer einheimischen Praxis, so der Gesetzgebung, Rechtsprechung und Litteratur aller auf gleicher Culturstufe stehenden handeltreibenden Nationen; endlich auch die liebevolle Pflege und immer sicherere Ergründung der ursprünglich fremden, aber mit uns verwachsenen Elemente unseres heutigen Rechts, deren wir uns weder entäußern wollen, noch zu entbehren im Stande sind. Aller102 Sie gliedert sich in drei große Abschnitte: die Einleitung (S. 1 - 5) über den Anlaß zur Gründung der ZHR; einen großen Mittelteil mit einern Abriß der Geschichte der europäischen Handelsrechtswissenschaft von den Römern bis zur Gegenwart (S. 5 - 19); den Schluß bildet das ,,Programm" der ZHR (S. 19 - 24). 103 Zs. f. gesch. Rechtswiss. 1(1815), S. 1 - 17. 104 Jbb. Dogm. 1 (1857), S. I - 52, als "Wahlspruch" S~ 52: "durch das römische Recht über das römische Recht hinaus". 105 Laband, Lebenserinnerungen, S. 59. 106 Behandlung 1858, S. 19 - 24 = ZHR 150, S. 33 -38. Die Darlegung gliedert sich in die Überleitung vorn historischen Abriß in das aktuelle Programm (S. 19 f.), die Wiedergabe des ausgegebenen Prospekts zur Gründung der ZHR (S. 20 - 22) mit einigen Erläuterungen (S. 22 f.) u. schließt mit nochmaligem Hinweis auf die Notwendigkeit historischer Forschung auf dem Gebiet des Handelsrechts (S. 23 f.). Hierzu Scherner, Modernisierung, passim. 107 Behandlung 1858, S. 19 f. = ZHR 150, S. 33 f.; leicht abgewandelt in Nach 30 Jahren, 1889, S. 6 f.
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dings braucht man nicht nothwendig römisch zu denken, um streng juristisch zu denken; allein wer überall und prinzipiell anders denken will als die Römer, selbst da, wo deren Auffassung unseren heutigen Verkehrsbedürfnissen vollkommen entspricht, wird nicht selten das juristische Denken ganz verlernen. Dem wirklich reifen Gedanken setzt die römische Theorie, richtig verstanden, keine Schranke. Von wirklichen Fesseln des Romanismus 108 befreien können wir uns nur durch unbefangenste Ergründung unseres gegenwärtigen Rechtszustandes, seiner ökonomischen und geschichtlichen Grundlagen. Gegen jede einseitige Uebertreibung der einen wie der anderen Richtung tragen Wissenschaft und Leben in sich ihre Corective." Die ZHR hat sich zwar schon bald gegen die Konkurrenz anderer Fachzeitschriften zu behaupten, denn die Vollendung und Einführung des ADHGB und die wirtschaftliche Entwicklung sind der Gründung von Zeitschriften gerade handelsrechtlichen Inhalts zu dieser Zeit besonders günstig 109 . Unter diesen Zeitschriften erweist sich die ZHR jedoch bald als die erfolgreichste und dauerhaftestelID. 1889 kann Goldschmidt stolz feststellen, daß die von ihm gegründete Zeitschrift alle älteren und Parallelgründungen überlebt habe 1Il, und bereits 1861 konstatiert er im Vorwort zum vierten Band der ZHR, daß der Erfolg der Zeitschrift seinem Programm Recht gegeben habe, wenn auch die Schwerpunkte jetzt etwas anders gesetzt würden, als ursprünglich von ihm vorgesehen 112. Die ZHR bleibt nicht nur der beständige Teil in Goldschmidts äußerem Wirken, sie gehört auch zu den wenigen der in dieser Dekade gegründeten juristischen Fachblättern überhaupt, die alle kommenden Krisen überdauert und bis auf den heutigen Tag in ununterbrochener Folge erscheint; sie ist damit nach dem Archiv für die civilistische Praxis, das schon 1818 gegründet worden ist, die zweitälteste der im deutschen Sprachraum erscheinenden nichtamtlichen juristischen Fachzeitschriften ll3 . Daß die ZHR wirtschaftliche und politische Notlagen späterer Zeiten überstanden hat, denen sogar anfangs erfolgreichere Blätter wie etwa die von Jhering und Gerber 1857 gegründeten ,,Jahrbücher für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts" zum Opfer gefallen sind, hat sie mancherlei glücklichen Umständen, insbesondere aber der Tüchtigkeit ihrer Herausgeber zu verdanken, unter denen fast Beim Wiederabdruck 1889 in Anführungszeichen gesetzt. Überblick bei Landwehr, Die ZHR, S. 40 in Fußn. 3; Goldschmidt, Nach 30 Jahren 1889, S. 3. 110 s. Kirchner, Zeitschriftenwesen 11, S. 179. 111 Nach 30 Jahren 1889, S. 3. Dieser Hinweis belegt, daß bei aller fachlichen, manchmal auch freundschaftlichen Verbundenheit der Herausgeber verschiedener Fachzeitschriften in ihrem Verhältnis zueinander ein von wirtschaftlichen Gesichtspunkten geprägtes Konkurrenzdenken eine nicht ganz untergeordnete Rolle gespielt hat. ll2 Vorwort zu ZHR 4, 1861, S. III - VI. 113 Vgl. Landwehr, Die ZHR, S. 40 Fußn. 4. - Das "Archiv für Preuß. (1880 ff.: für Dt.) Strafrecht" ist zwar bereits 1853 von Th. Goldtammer gegründet, aber 1933 eingestellt worden; es wurde 1953 als "Goldtammer's Archiv für Strafrecht" neu gegründet, s. Kirchner, Zeitschriftenwesen 11, S. 181. 108
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durchgängig die hervorragendsten Vertreter der deutschen Handelsrechtswissenschaft vertreten waren und sind. Den Beitrag ihres Gründungsherausgebers an der Dauerhaftigkeit und Tragfähigkeit des Konzepts der ZHR verdeutlicht ein Vergleich der frühen ZHR mit ihren Konkurrenzblättern. Im Hinblick auf Zahl, Reputation und Bereitschaft zur Beteiligung der von Goldschmidt zur Mitarbeit aufgerufenen Autoren besteht kein Unterschied zwischen der ZHR und den anderen Handelsrechtszeitschriften. Die Namen dieser Autoren sind, einer zu dieser Zeit verbreiteten Übung folgend, dem ersten Heft der ZHR vorangestellt. Hier finden sich die Namen von Goldschmidts Förderern Mittermaier und Vangerow, seinen Freunden Jolly und Stobbe, von angesehenen Gelehrten wie Biener, Renaud, Stintzing und Unger, von Praktikern, Richtern wie Bähr, Güterbock und Seuffert, und Rechtsanwälten, unter anderem Hambrook, Ladenburg und Isaak Wolffsohn. Die Beteiligung der Genannten war freilich ganz unterschiedlich 114, wie umgekehrt einige zunächst nicht genannte Autoren rasch starken Einfluß auf den Inhalt beider Zeitschriften nahmen, so insbesondere Paul Laband. Ein deutlicher Unterschied der ZHR zu den anderen Blättern ergibt sich jedoch aus einem Vergleich ihrer Schwerpunktsetzungen. Die ZHR ist die einzige der Handelsrechtszeitschriften, die durch einen umfassenden programmatischen Aufsatz ihres Gründungsherausgebers eröffnet wird, in dessen Titel das eigentliche Projekt hinter einem allgemeinen Gesichtspunkt zurückzutreten hat: Goldschmidts Einleitung handelt "Ueber die wissenschaftliche Behandlung des deutschen Handelsrechts und" - erst danach, also in zweiter Linie, über - "den Zweck dieser Zeitschrift". Haben sich die anderen Zeitschriften begrenzte Zwecke gesetzt ll5 , so ist es bei Goldschmidt zwar ein auf das Handelsrecht gerichteter, innerhalb. dieses Bereichs aber universeller Zweck 1l6 , den er nicht nur gleichsam horizontal, in der umfassenden Berücksichtigung auch ausländischer Rechtsprechung, Gesetzgebung und Wissenschaft, verwirklichte, sondern auch vertikal, indem die ZHR reiches Material nicht nur zum gegenwärtigen deutschen Handelsrecht bot, sondern auch zur Geschichte des europäischen Handelsrechts und, auch nach Abschluß der Einführung des ADHGB, rechtspolitische Stellungnahmen zur Gestaltung des zukünftigen Handelsrechts. Der Erfolg ZHR von ihrer Gründung bis zur Vollendung des HGB von 1897 ist untrennbar mit dem Wirken ihres Gründers verbunden: Die Bände 1 bis 7 hat Goldschmidt 1858 bis 1864 allein herausgegeben, ab Band 8 trat 1865 Paul Laband Vgl. Goldschmidt, Nach 30 Jahren 1889, S. 1 f. Vgl. demgegenüber Voigt/Heinichen, Vorwort, Neues Arch. f. HR 1 (1858), S. I - 3 (Organ vornehmlich der hansestädtischen Praxis); F. B. Busch, Vorwort und Einladung zur Theilnahme an diesen Archiven, in: Arch. f. Th. u. Prax. HR 1 (1863), S. I - IV (Schwerpunkt ADHGB); Siebenhaar/Tauchnitz, Vorwort, Arch. f. Dt. WR u. HR 6 (1858), S. III f. (Schwerpunkt weiterhin ADWO); G. Löhr, Die Rechtsprechung in Handelssachen seit der Einführung des ADHGB, Centr.-Org. N.F. 1 (1865), S. 1 ff., 1 f. (Praxis des preuß. Handels u. Handelsrechts). . 114 115
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Vgl. Goldschmidt, Nach 30 Jahren 1889, S. 5.
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als Mitherausgeber ein, später in wechselnder Zusammensetzung der Redaktion der Versicherungsrechtler C. Malsz, E. Sachs, Fr. von Hahn, Richter am ROHG und am Reichsgericht und Verfasser eines zwar unvollendeten, aber bedeutenden Kommentars zum ADHGB, H. Keyßner und Goldschmidts Schüler Max Pappenheim ll7 . Die Leitung der Redaktionsgeschäfte blieb in Goldschmidts Händen 1l8 , bis er infolge seiner schweren Erkrankung ab dem 41. Band Ende 1892 nicht mehr in der Lage war, sie auszuüben 1J9 . Über die Art, wie Goldschmidt den Redaktionsgeschäften nachkam, sind nur Labands 120 und Goldschmidts eigene spärliche Zeugnisse l2l überliefert. Danach hielt Goldschmidt auch in den späteren Jahren, als die Redaktion angewachsen war, stets "die technische Oberleitung in Händen,,122, während einzelne Aufgabenbereiche, etwa Auswahl der abzudruckenden Gerichtsentscheidungen und ausländischer Gesetzgebung, in den Händen anderer lagen 123. Goldschmidts anfängliche Befürchtung, es könnte an brauchbaren eingesandten Werken mangeln, trat nicht ein l24 , so daß "unterwerthige Beiträge" die Ausnahme blieben 125 . Schon im zweiten Band der ZHR finden sich nur Aufsätze anderer Autoren, von Goldschmidt selbst nur einige Rezensionen und Anzeigen 126. Gleichwohl war natürlich die ZHR fortan das Organ, in dem Goldschmidt die dem Programm seiner Zeitschrift thematisch entsprechenden handelsrechtlichen und handelsrechts geschichtlichen Aufsätze veröffentlichte l27 . Der Inhalt der ZHR wird schon bald mit dem wissenschaftlichen Programm Goldschmidts identifiziert. Sie wird von Beginn an bis in die 20er Jahre des 20. Jahrhunderts hinein regelmäßig unter dem Namen "Goldschmidts Zeitschrift" zitiert l28 , wie dies sonst nur bei Zeitschriften geschah, deren Redaktion außer dem Gründer keine weiteren oder nur wenig weitere, namentlich genannte Herausgeber angehörten, etwa Gruchots "Beiträge", Grünhuts ,,zeitschrift für das Privat- und öffentliche Recht" und insbesondere Jherings "Jahrbü117 Überblicke bei Goldschmidt, Nach 30 Jahren 1889, S. 4; Pappenheim, Schriftenverzeichnis, Nr. 8, S. 3 f.; Landwehr, Die ZHR, S. 40. 118 Daß sein Name auf den Titelblättern der ZHR stets als erster erscheint, hat seinen Grund allerdings in der Abc-Folge. 119 Goldschmidts letzte datierte Publikation in der ZHR ist Erklärung der Redaktion v. 15. 3.1892, ZHR 40 (1892), S. 364 f. 120 Laband, Lebenserinnerungen, S. 59 f., 83. 121 ZHR 1 (1858), S. 1 - 24 (19 - 24); 4 (1861), S. III - VI; 35 (1889), S. 1 - 13 (2 - 7); außerdem ZHR 14 (1870), S. 668 in Fußn. *); 20 (1875), S. 647 ff., 651; 26 (1881), S. 633 f. (s. Pappenheim S. 8); 40 (1892), S. 364 f. 122 Nach 30 Jahren 1889, S. 4. 123 Nach 30 Jahren 1889, S. 5. 124 Lebensbild S. 217 (6.12. 1858). 125 Nach 30 Jahren 1889, S. 4. 126 ZHR 2 (1858), S. 174 - 177, 185 f., 188 f., 457 f., 462 - 464, 464 f., 466 - 470. 127 Zusammenstellung bei Landwehr, Die ZHR, S. 42 Fußn. 8. 128 Vgl. Landwehr, Die ZHR, S. 42 Fußn. 8.
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cher". Die Identifikation Goldschmidts mit der ZHR führte bisweilen so weit, daß er als Autor von in der ZHR erschienenen Abhandlungen genannt wurde, die gar nicht von ihm stammten l29 • Als Kriterium für die Aufnahme von Aufsätzen anderer sollte Goldschmidt nur ihre Qualität dienen l3o , nicht die in ihnen vertretenen Ansichten. Diese Maxime hat er erfolgreich eingehalten 131. In zahlreichen umfangreichen und häufig mehrteiligen Aufsätzen wurden in der ZHR Meinungen ausgebreitet, die denen Goldschmidts gerade entgegengesetzt waren, und die ZHR war sogar das Hauptpublikationsorgan von Autoren, mit denen Goldschmidt sich literarische Fehden lieferte, wie Wilhelm Endemann, mit dem Goldschmidt um die Rechtsnatur der Lebensversicherung und den juristischen Inhalt des Wertbegriffes stritt, oder Johannes Emil Kuntze, der einer der Widerparte Goldschmidts im Streit um die Wertpapiertheorie war. Obwohl Goldschmidt damit durchaus tolerant in der Aufnahme von Abhandlungen mit gegenüber den seinen abweichenden Auffassungen war, konnte er sich bisweilen nicht enthalten, Beiträge jeder Art in seiner Zeitschrift mit eigenen Anmerkungen - kurze Berichtigungen 132, kritische Bemerkungen 133 , ergänzende Hinweise auf eigene Erfahrungen oder Forschungen 134 und sogar Kommentierungen zu ganzen Aufsätzen 135 - zu versehen. Die Tradition der kommentierenden Fußnote des Herausgebers sollte später Karl Lehmann fortsetzen. 129 So namentlich in mehreren gerichtlichen Entscheidungen, z. B. OAG Dresden, SeuffArch. 20 (1867), S. 249 f., 249, oder RGZ 22, S. 201 ff., 208 Fußn. 1. Die dort angeführten Stellen aus der ZHR (ZHR 4 (1861), S. 255 bzw. 13 (1869), S. 76 ff.) gehören zu der Abhandlung von C. F. H. Roesler, Die rechtliche Natur des Vermögens der Handelsgesellschaften, ZHR 4, S. 252 - 326, bzw. Malsz' Übersicht über die Rechtsprechung in nichtmaritimen Versicherungssachen, ZHR 13, S. 45 - 140,418 - 515. 130 Nach 30 Jahren 1889, S. 4. I3I s. Landwehr, Die ZHR, S. 40 - 44, 48 ff. u. insbes. S. 86. 132 Anmerkung des Herausgebers zum Erkenntnis des OT Berlin v. 4. 4. 1857, ZHR 1 (1858), S. 170 - 172, S. 171 in Fußn. *). I33 F. Mittermaier, Eng\. Gesetz v. 5. 7. 1865 über die Handelsgesellschaft (stille Gesellschaft), ZHR 10 (1866), S. 124 - 128, S. 128 in Fußn. *); Rudolf Lepa, Ueber den Ursprung des Kommissionshandels, ZHR 26 (1881), S. 438 - 482, S. 438 in Fußn. I u. S. 446 in Fußn. 23, jeweils 2. Abs.; Anmerkung zu Strauch, Besprechung von Rev. de droit int., 1. u. 2. Jg. 1869 f., ZHR 14 (1870), S. 663 - 670, S. 668 in Fußn. *). 134 Nachtrag zur Abhandlung zum Lucca-Pistoja-Aktienstreit, ZHR 3 (1860), S. 135 - 147, S. 135 Fußn. *) u. S. 147 - 154; Zusatz des Hrsg. zu V. Platner, Das Wort Ausland im Sinne der Art. 84 - 86 ADWO, ZHR 5 (1862), S. 64 -77, S. 77 f.; Zusatzbemerkung zu Felix Dahn, Handel und Handelsrecht der Westgothen, ZHR 16 (1871), S. 383 - 407, S. 407 f.; Zusatz zu F. Barkhausen, Die Klage des Verkäufers auf Abnahme, ZHR 30 (1885), S. 30 - 58, S. 58 f.; Zusatz zu Martin, Andenken an J. F. Voigt, ZHR 33 (1887), S. 202 - 206, S. 205 in Fußn. 1; Zusatz zu Ladenburg, Die österr. Kuponsprozesse, ZHR 33 (1887), S. 246 - 250, S. 250 253; Zur Abhandlung von Carlin, Zur rechtlichen Natur der Werthpapiere, ZHR 36 (1889), S. 5 - 39, S. 596 f.; Zusatz zu Affolter, Wechseleigenthum u. Wechselforderung, ZHR 39 (1891), S. 375 - 430, S. 431 - 434. 135 G. Voigt, Zur Theorie der Handelsgesellschaften, ZHR I (1858), S. 477 - 539, S. 481, 482,483,494,495,497,512 jeweils in Fußn. *); W. Reuling, Beiträge zur Lehre vom Ur-
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Der Rechtsprechungsteil der ZHR blieb im Gegensatz zu den Abhandlungen mangels ausreichender Originalmitteilungen von Gerichtsentscheidungen weniger bedeutend 136 ; Goldschmidt änderte deshalb bald sein Konzept I37 und verstand insoweit die ZHR fortan vornehmlich als Dokumentation anderweitig, insbesondere in nur regional verbreiteten Organen veröffentlichter Rechtsprechung, deren Sichtung Laband übernahm 138. Einen Zugriff auf die wichtigsten deutschen handelsrechtlichen Originalentscheidungen erhielt Goldschmidt dann, als er 1870 Mitglied des Bundesoberhandelsgerichts wurde. Hier war insbesondere er es, der sich dafür einsetzte, von den Mitgliedern des Gerichtshofes ausgewählte Entscheidungen in einer "amtlichen Sammlung" zu veröffentlichen. Er stellte auch sogleich seine Zeitschrift dafür zur Verfügung, mit deren 16. Band 1871, ohne daß sich sonst etwas änderte, eine "Neue Folge" begann 139, in der die "Entscheidungen des Bundesoberhandelsgerichts" in zwei Blocks unter zusätzlicher, selbständiger Paginierung eingelegt waren 140. Dieses Vorgehen mußte wegen des zu großen Umfangs, den die Entscheidungen einnahmen, schon beim nächsten Band der ZHR wieder eingestellt werden. Die amtliche Sammlung der Entscheidungen des ROHG erschien fortan selbständig, weiterhin im Verlag Ferdinand Enke. Wegen seine Engagements für das Erstellen einer solchen "amtlichen Sammlung" des höchsten deutschen Zivilgerichts kann Goldschmidt als Mitbegründer eines weiteren Publikationsorgans bezeichnet werden, das über die "Entscheidungen des Reichsgerichts in Civilsachen" zu den "Entscheidungen des Bundesgerichthofs in Zivilsachen" bis heute fortdauert. Die Rubrik "Rechtsquellen" brachte neben dem Abdruck der auch nach der Einführung des ADHGB fortdauernden handelsrechtlichen Partikulargesetzgebungen Mitteilungen über Handelsbräuche, Handelsgewohnheitsrecht (Usancen) und die Geschäftsbedingungen der Großunternehmen sowie ausländische Gesetze, deren Herausgabe überwiegend Franz Mittermaier, ein Sohn C. J. A. Mittermaiers, besorgte l41 . Anfangs wurden hier sogar rein historische Quellen abgedruckt oder nachgewiesen l42 . Die Rubrik "Miszellen,d43 entfiel ab Band 11, weil - wessen heberrecht, ZHR 23 (1878), S. 70 - 137, S. 115, 117 jeweils in Fußn. 1, S. 122, 123, 127, 128, 133, 134, 137 jeweils in Fußn. *) (vgl. Thöl, Theaterprozesse, S. VI); C. Vivante, Theorie der Versicherungsverträge, ZHR 39 (1891), S. 451 - 491, S. 451, 454, 458, 465, 468, 475, 478, 480, 484, 485, 487 jeweils in Fußn. *). 136 Lebensbild S. 214 f. (an Stobbe zu dessen Kritik am Sinn dieser Rubrik, 16. 10. 1858) 137 ZHR 4 (1861), S. VI f. 138 Laband, Lebenserinnerungen, S. 59 f.; Goldschmidt ZHR 4 (1861), S. V. 139 Angekündigt ZHR 15 (1870), S. XIV; s. auch Goldschmidt, Nach 30 Jahren 1889, S. 4. 140 S. 153 - 272 u. 491 - 669 der ZHR. Dieser ,,1. Bd." der Entscheidungen ist 1873 in 2. Auf!. separat erschienen. 141 Nekrologe 1891, S. 261; s. auch Nach 30 Jahren 1889, S. 5. 142 S. z. B. Goldschmidt, Danziger Seerechtsquellen 1858 u. Geschichte 1863 (s. hierzu Rehme, Geschichte, S. 133 Fußn. 170); später fielen die Editionen rechtshistorischer Quellen in den Teil "Abhandlungen", z. B. Stobbe, Notiz zur Geschichte der Inhaberpapiere, ZHR 25
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sich Goldschmidt gar nicht so recht bewußt war l44 - kleinere Beiträge wegen der Universalität innerhalb der anderen Rubriken dort ihren Platz fanden. Wieviele der Miszellen aus den ersten zehn Bänden von Goldschmidt selbst stammten, kann nicht sicher festgestellt werden, da nur wenige mit "G." gezeichnet sind l45 oder Goldschmidt auf sie als eigene Veröffentlichungen verwiesen hat l46 . Einen sehr großen Anteil an den Bänden der ZHR nehmen von Anfang an die Literaturbesprechungen und -anzeigen ein. Die Rubrik "Literatur" gab Goldschmidt die Möglichkeit, den in den anderen Abteilungen gesteckten Rahmen nochmals zu überschreiten: War das "umfassende Gebiet der Volkswirthschaftslehre" vom Abhandlungsteil ausgeschlossen 147, so sollten doch Veröffentlichungen auf diesem Gebiet besprochen oder angezeigt werden, soweit "deren Inhalt für die tiefere Einsicht in das Wesen des geltenden Handelsrechts und dessen zweckmäßige Gestaltung förderlich erscheint,"48. Auch der Vorsatz, wichtigere ausländische, auch fremdsprachige Werke im Literaturteil zu berücksichtigen, wurde von Goldschmidt erfüllt l49 . Paul Laband berichtet in seinen Lebenserinnerungen, daß er im Rahmen seiner Besprechungstätigkeit für die ZHR einen umfangreichen Briefwechsel mit Goldschmidt geführt habe, in dem sie sich ihre Ansichten über einzelne Werke detailliert auseinandergesetzt hätten 150. Tatsächlich war Goldschmidt selbst der Rezensent, der sich in der ZHR am weitaus häufigsten zu Wort meldete, und fast kein Band erschien, ohne daß nicht mehrere Besprechungen von Goldschmidt sich darin befunden hätten. Von den 306 Nummern in Pappenheims Schriftenverzeichnis 151 beziehen sich 192 auf Rezensionen von Goldschmidt, das sind über 60 %. Es wäre indessen verkehrt, Goldschmidts erstaunlich hohe Produk(1880), S. 181; Patetta, Brief des Baldus über Wechselgeschäfte, ZHR 41 ('1892), S. 127 ff. (mit Einleitung von Goldschmidt). 143 Goldschmidt, Behandlung 1858, S. 22 =ZHR 150, S. 36. 144 s. Nach 30 Jahren, S. 5. 145 S. Z. B. Neue Gesetze I, ZHR 6 (1863), S. 351. 146 s. Z. B. Lucca-Pistoja-Aktienstreit, ZHR 6 (1863), S. 357. 147 s. aber H. Rösler, Vorschlag zur Lösung der Frage nach der rechtlichen Natur der Inhaberpapiere, in: ZHR 5 (1862), S. 327 - 330. 148 Behandlung 1858, S. 22 = ZHR 150, S. 36; s. z. B. Goldschmidt ZHR 2 (1859), S. 174 ff. (Th. Hirsch); 5 (1862), S. 297 ff., 299 f., 302 f.; 9 (1865), S. 650 f.; 10 (1866), S. 170 ff., 172, 172 f., 609, 615; 13 (1869), S. 652 ff.; 14 (1872), S. 353; 24 (1879), S. 320 ff. (Roscher); 34 (1888), S. 624 f.; 37 (1890), S. 263 ff.; s. auch E. Laspeyres, Besprechung von J. Kautz, Die Entwickelung der Nationalökonomie, in: ZHR 4 (1861), S. 472 - 481, 472. 149 Goldschmidt ZHR 5 (1862), S. 300 f. 627 f., 642 f.; 6 (1863), S. 625 - 629; 7 (1864), S. 190 f.; 11 (1868), S. 638 f., 639, 640; 13 (1869), S. 349, 351, 352 f.; 20 (1875), S. 654 656; 21 (1876), S. 377 f.; 23 (1878), S. 313 - 315; 24 (1879), S. 325 - 327; 30 (1885), S. 299; 35 (1889), S. 274 - 290; 37 (1890), S. 263 - 267; 40 (1892), S. 261 - 272. 150 Laband, Lebenserinnerungen, S. 60, s. auch S. 83. 151 Pappenheim zählt 305 Nummern, darunter sind mit Nr. 8 die ZHR als solche und 2 nicht von Goldschmidt, sondern von Laband stammende Veröffentlichungen begriffen, während die Nm. 56a, 82a, 260a nachträglich eingefügt worden sind.
A. Tätigkeitsbereiche des Schaffens Goldschmidts
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tivität damit erklären zu wollen, er habe hauptsächlich kürzere Buchanzeigen verfaßt. Zwar finden sich nicht wenige Anzeigen darunter, die nur wenige Zeilen umfassen, und mitunter sogar reine unkommentierte Literaturlisten 152; andererseits sind, besonders in späteren Jahren, kürzere Rezensionen häufig nach formalen oder inhaltlichen Kriterien zu größeren Rezensionsaufsätzen thematisch zusammengefaßt l53 . Über Sinn und Stil seiner Rezensionen hat Goldschmidt sich in seiner Auseinandersetzung mit Thöl geäußert i54 ; seine dort aufgestellten Grundsätze finden sich in seinen Beiträgen zur Rubrik "Literatur" der ZHR bestätigt: In den kurzen Anzeigen formuliert Goldschmidt regelmäßig pointiert seine Grundanschauungen, an denen er das angezeigte Werk mißt. Neben diesen kurzen Anzeigen gibt es ausführlichere Besprechungen, in denen Goldschmidt der Anlage eines Werkes im wesentlichen zustimmt, jedoch einzelne Ansichten herausgreift und ihnen seine eigenen zustimmend, modifizierend oder auch kritisch und nicht selten schroff ablehnend gegenüberstellt. Eine dritte Art von Rezensionen ergibt sich schließlich, wenn Goldschmidt bereits mit der Grundthese eines Werkes, mit seinen wesentlichen Gedanken oder seiner Methode nicht übereinstimmt. Dann nehmen seine Besprechungen einen stark programmatischen Charakter an und wachsen sich zu umfangreichen eigenen, durch das besprochene Werk manchmal nur noch angeregten Abhandlungen grundsätzlicher Art aus. Fast immer ergaben sich derartige Rezensionen aus solchen der vorhergehenden Art, wenn die Rezensierten in späteren Auflagen oder anderen Werken sich gegen Goldschmidts Angriffe zur Wehr zu setzen versuchten. Der Literaturteil der ZHR ist daher der eigentliche Ort, an dem Goldschmidt literarische Fehden begründet und austrägt, so mit Johannes Emil Kuntze, Wilhelm Endemann, Heinrich Demburg, Rudolf von Jhering und insbesondere mit Heinrich Thöl 155 . Goldschmidts eigene Tatigkeit als Rezensent offenbart ein wesentliches Merkmals seines Stils: Die Universalität seines Ansatzes mußte es ihm immer wieder schwierig machen, einen sicheren Einstieg in die Bearbeitung seines Themas zu finden. Daß stets bei der Behandlung eines jeden Einzelpunktes sein Zusammenhang mit allen anderen Einzelpunkten mitzudenken war, sich aber immer nur ein Punkt nach dem anderen darstellen ließ, führte in Goldschmidts Abhandlungen nicht selten zu einer verworren anmutenden Darstellungsweise, die seine Werke nur schwer lesbar machen i56 . Anders dagegen bei den Rezensionen: Hier war der s. z. B. Literatur des ADHGB, ZHR 6 (1863), S. 324 - 332. ZHR I (1858), S. 198 - 202; 9 (1866), S. 203 - 208 (Handelsgerichte); \3 (1869), S. 646 - 650; 14 (1870), S. 653 663 (ital. Handelsrechtsliteratur); 20 (1875), S. 647 - 651 u. 23 (1878), S. 288 - 293 (internationales Privatrecht u. Rechtsvergleichung); 23 (1878), S. 316 - 328 (Kommentare), 349 - 359 (Seerecht), 359 - 369 (Versicherungsrecht); 25 (1879), S. 274 - 290 (ausländische Literatur zum Recht der Lebensversicherung); 36 (1889), S. 303 - 322. 154 ZHR 28 (1882), S. 442 f. 155 s. auch die ausführliche Besprechung Lorenz von Steins in ZHR 23 (1878), S. 274 ff. (dazu Sinzheimer S. 57 f.), der keine Erwiderung folgte. 156 Vgl. Grünhut S. 365 re. Sp.: "Leider fehlte ihm die Gabe der durchsichtigen Klarheit in der Darstellung". 152 153
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Einstieg in den Themenkomplex durch den Kern des streitigen Problems oder die geäußerte, zu bekämpfende Auffassung vorgegeben, die Kette der zu widerlegenden oder zu stützenden Argumente gab die Richtung für das eigene Vorgehen zwingend vor. Nicht zufällig haben deshalb auch immer wieder Teile von Abhandlungen Goldschmidts den Charakter von Rezensionen, indem er an entscheidenden Stellen seine eigene Ansicht durch die Widerlegung einer von anderen geäußerten entwickelt. In seinen kurzen Anzeigen dagegen, die ohnehin keinen Raum für breitere Ausführungen boten, konnte Goldschmdit Grundthesen seiner Lehre aphoristisch formulieren, ohne sich dem Selbstvorwurf auszusetzen, nicht alle entscheidenden Gesichtspunkte tief genug entwickelt zu haben. Einem Brauch wissenschaftlicher Publikationsorgane folgend, sind übrigens zu Lebzeiten Goldschmidts, von wenigen Ausnahmen abgesehen l57 , seine eigenen Werke in der ZHR nicht angezeigt oder besprochen worden. Wer in den Zeiten krankheits bedingten Ausfalls Goldschmidts die Redaktionsgeschäfte leitete, ist mit Sicherheit nicht festzustellen 158. Nach Carl Samuel Grünhut, selbst Herausgeber einer fast ausschließlich unter seinem Namen zitierten Zeitschrift l59 , "machte sich der Mangel seiner leitenden Hand" in den letzten Jahren "empfindlich fühlbar,,160. Deutlich wird das daran, daß der auf die letzte Erkrankung Goldschmidts folgende, 42. Band der ZHR erst 1894 und damit zwei Jahre nach dem 41. Band vollendet wurde, während in den Jahren zuvor der durchschnittliche zeitliche Abstand zwischen zwei Bänden unter einem Jahr gelegen hatte l61 . Nach Goldschmidts Tod führte Keyßner 162 die Geschäfte vorübergehend allein l63 , bis 1899 Karl Lehmann in die Redaktion eintrat und für lange Zeit prägender Herausgeber wurde; er knüpfte mit einem programmatischen Aufsatz über "Die Entwicklung des deutschen Handelsrechts,,164 eng an Goldschmidts Programm von 1858 an. Ein Qualitätsrückgang ist unmittelbar nach Goldschmidts faktischem Ausscheiden aus der Redaktion nicht zu verzeichnen. Die Fortführung der ZHR wird in die157 E. Sachs, Literatur über Aktiengesellschaften, in: ZHR 19 (1874), S. 308 - 319 (S. 315 f. zu Goldschmidt, Reform des Aktiengesellschaftswesens 1873); Josef Kohler, "Juristische Abhandlungen", 1885, in: ZHR 33 (1887), S. 131 - 138 (S. 136 zu Goldschmidt, Geschichte der Seeversicherung 1885); Goldschmidt, Darstellungen 1889, S. 314 ff. (Selbstanzeige von System 1887). 158 s. Landwehr, Die ZHR, S. 41 in Fußn. 6 a.E. 159 Der Zs. f. d. Priv.- u. öff. R. d. Ggw., Wien 1874 - 1916. 160 Grünhut S. 365 re. Sp.; s. auch Adler S. 120. 161 Vgl. Landwehr, Die ZHR, S. 41. Allerdings gab es auch vorher bisweilen größere Abstände, so zwischen Bd. 10 (1866) u. 11 (1868). In regelmäßig jährlichem Abstand erscheint die ZHR erst seit Bd. 135 (1971). 162 Laband gibt in seinen Lebenserinnerungen, S. 83, zu, daß durch den Wandel seiner Interessen vom Handels- zum öffentlichen Recht sein Engagement für die ZHR in den letzten Jahren seiner Mitherausgeberschaft nur noch gering war. 163 s. Landwehr, Die ZHR, S. 41. 164 ZHR 52 (1902), S. I - 30.
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ser Zeit paradoxerweise durch einen Umstand außerordentlich begünstigt, der Goldschmidts schwere Erkrankung zu gerade dieser Zeit als besonders tragisch erscheinen läßt. Sie fällt nämlich in die Zeit der Vollendung der Arbeiten am Bürgerlichen Gesetzbuch von 1896 und des Beginns der Umarbeitung des ADHGB zum Handelsgesetzbuch von 1897. An einer Beteiligung an dieser Arbeit war Goldschmidt nun ausgeschlossen. Die inhaltliche Linie, die die von ihm bisher geleitete ZHR zu verfolgen hatte, war damit aber thematisch eindeutig vorgegeben, so daß sie ohne Schwierigkeiten im Sinne der Konzeption ihres Gründers fortgeführt werden konnte. Die betreffenden Jahrgänge der ZHR enthalten im Aufsatzteil denn auch überwiegend Beiträge zu dem neuen Recht des Deutschen Reiches. Goldschmidts geistiges Erbe wurde auch im Dritten Reich, als Julius von Gierke die Redaktion leitete, nicht verspielt. So finden sich in dessen Geleitwort zum 100. Band 1934 165 zwar durchaus markige Worte im Stil der neuen Zeit, der Tenor ist aber insgesamt pragmatisch und allein auf die zu klärenden juristischen Sachfragen bezogen. Allerdings mußten, wie bei allen anderen Zeitschriften auch, die Herausgeber jüdischer Herkunft die Redaktion schon 1933 verlassen l66 . Immerhin ehrt es die verbliebenen und neu eingetretenen Redakteure, daß Hermann Krause als Mitherausgeber der ZHR es noch 1938 wagen konnte, in einem groß angelegten, programmatischen Aufsatz über die weitere Entwicklung des deutschen Handelsrechts an exponierter Stelle des Textes ganz unbefangen auf Goldschmidt zu verweisen l67 . Seit dem 47. Band 1898 hatte der Titel der ZHR den Zusatz erhalten "begründet (später: begründet im Jahre 1858) von L. Goldschmidt,,168; dieser mußte vom 103. Band 1936 bis zum 110. Band 1944 fortgelassen werden, ab dem 111. Band 1948 führt ihn die ZHR wieder. Goldschmidts Gründereigenschaft wurde auch später in einem Gedenkblatt zum einhundertjährigen Bestehen der ZHR 169 und anläßlich der Titeländerung 1962 170 von Verlag und Schriftleitung gedacht. Blickt man heute in einen aktuellen Band der ZHR und vergleicht ihn mit einem aus Goldschmidts Zeit, so läßt sich natürlich nicht übersehen, daß die ZHR über die eineinviertel Jahrhunderte ihres Bestehens nicht dieselbe geblieben ist. Das aber liegt daran, daß auch die Wissenschaft vom Handelsrecht, deren getreuer Spiegel die ZHR jederzeit sein sollte, war und ist l71 , nicht mehr dieselbe ist wie ZHR 100 (1934), S. 1 - 3. s. Horst Göppinger, Juristen jüdischer Abstammung im "Dritten Reich", 2. Aufl., München 1990, S. 380. 167 Hermann Krause, Kaufmannsrecht u. Unternehmerrecht, in: ZHR 105 (1838), S. 69 132, 123; zur sonstigen Zitierweise s. z. B. Karl Lux, Entwicklung des Gutglaubensschutzes, Stuttgart 1939, S. IV sowie S. 8, 33 u. 34 jeweils in den Fußn. 168 So weit, Goldschmidts Namen in den Titel selbst aufzunehmen (vgl. "Jherings Jahrbücher", "Seuffert's Archiv" oder "Archivio Giuridico ,Filippo Serafini' "), gingen Verlag und Redaktion der ZHR zu Recht nicht. 169 ZHR 121 (1958), S. XI. 170 ZHR 124 (1962), S. 1 - 3, 2. 171 Landwehr, Die ZHR, S. 51, 86 und passim. 165
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im letzten Jahrhundert l72 . Ein besonders tiefgreifender Unterschied zwischen den Prinzipien der Redaktion von heute und zu Goldschmidts Zeit besteht in der Auffassung über die Bedeutung des geschichtlichen Elements 173. Daß mit Ablösung der historischen Rechtsschule durch den Gesetzespositivismus als herrschende methodische Anschauung in der deutschen Rechtswissenschaft historische Argumente nur noch im Rahmen der Entstehungsgeschichte einzelner Normen eine Rolle spielten, hatte die Redaktion natürlich hinzunehmen, wollte sie den Autoren nicht in die Abhandlungen hineinredigieren. Darüber hinaus verlor die ZHR in den 20er Jahren aber ihre Eigenschaft als Organ auch für die rechtshistorische Erforschung des Handelsrechts. Fortan finden sich in ihr nur noch gelegentlich rechtshistorische Abhandlungen 174. Auch insoweit wird hiermit allerdings einem Umstand Rechnung getragen, dessen beständiger Berücksichtigung durch die wechselnden Redaktionen die ZHR ihr langes Leben verdankt, nämlich den sich wandelnden Bedürfnissen der Leserschaft in Wissenschaft und Praxis.
III. Aus Goldschmidts Rechtsprechungstätigkeit
1. Mitgliedschaft im Spruchkollegium der Universitäten Heidelberg und Berlin
Durch seine Mitgliedschaft im Spruchkollegium der Heide1berger Juristenfakultät wurde Goldschmidt schon vor seiner Berufung an das ROHG in hoheitlich richterlicher Funktion mit der Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten befaßt. Der Anfall interessanter Fälle war jedoch in Heidelberg gering; von allen Voten, die er hier anfertigte, hat Goldschmidt nur eines veröffentlicht. Hierin vertritt er die Ansicht, daß der Beklagte, von dem der Kläger im Wege des Urkundenprozesses die Erfüllung der in der Urkunde versprochenen Leistung verlangt, dem Kläger auch dann nicht die Einrede der Rechtshängigkeit 175 entgegenhalten kann, wenn er bereits im normalen zivil prozessualen Verfahren seinerseits Klage auf Herausgabe der Urkunde mit der Begründung erhoben hat, daß die Urkunde unwirksam sei: Aus der nur summarischen Funktion des Urkundenprozesses folge, daß die Streitgegenstände beider Prozesse nicht identisch seien; denn die Entscheidung im Urkundenprozeß präjudiziere die des Hauptverfahrens nicht, da in diesem weitere Beweismittel und die Berufung auf andere Klagegründe als die durch Urkunden beweisbaren zulässig seien 176. Das Reichsgericht, das 1902 das gleiche prozessuale Vgl. Schmidt, Goldschmidt S. 227 f. s. hierzu aber Karsten Schmidt u. Peter Ulmer, Vorwort zu Scherner (Hrsg.), Modernisierung, S. 5. 174 s. die Nachweise bei Landwehr, Die ZHR, S. 50. 175 Sie ist seit der ZPO-Novelle von 1933 keine Einrede mehr, sondern von Amts wegen zu beachten: RGZ 160, S. 338 ff., 344 f. 176 Einrede 1867, S. 52 f. 172
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Problem vorliegen hatte, entschied nicht nur im Ergebnis, sondern auch in den tragenden Erwägungen ebenso 177 • Dies ist ein Indiz dafür, daß nicht erst das BGB von 1896, sondern auch schon die Zivilprozeßordnung von 1877 trotz des großen Einflusses des französischen Prozeßrechts 178 in ihren Strukturen stark auf dem Vorbild der Lehren des gemeinen Rechts beruht. Die Tätigkeit des Spruchkollegiums der Berliner Universität, dem Goldschrnidt bis zu dessen Auflösung angehörte 179 und für das er zwischen 1876 und 1881 vier Sachen (Urteile und Gutachten) bearbeitete 180, war zu dieser Zeit schon ohne Bedeutung.
2. Goldschmidts Einfluß auf die Rechtsprechung des ROHG
Von wesentlich größerer Bedeutung als seine Tätigkeit in den Spruchkollegien der Universitäten Heidelberg und Berlin war natürlich Goldschrnidts Tätigkeit als Rat am ROHG. a) Auf Goldschmidts Vortrag beruhende Entscheidungen des ROHG . Goldschrnidt hat dem Reichsoberhandelsgericht fünf Jahre angehört. Das ROHG hatte sich als Revisionsinstanz durchgehend mit Fragen schwieriger und grundsätzlicher Art zu befassen, die Belastung der einzelnen Richter, deren Zahl bis 1872 von 14 auf 19, ab dem 1. September 1871 in zwei Senaten, stieg 181, war dementsprechend groß. Den Voten der einzelnen Richter, durch die jede Entscheidung vorbereitet wurde und deren Vortrag die Senats- und Plenarberatung einleitete, kam deshalb große Bedeutung zu. Dennoch wurde über diese Entscheidungsvorschläge noch ernsthaft beraten. Das wird etwa belegt durch den Umstand, daß sich in einem Urteil vom 29. Oktober 1872 eine Rechtsausführung 182 findet, die, obwohl sie nicht entscheidungstragend ist, der Rechtsansicht widerspricht, die Goldschmidt in seinem eigentlich nur aus tatsächlichen Gründen überholten Entscheidungsvorschlag vertreten hatte l83 . RGZ 50, S. 416 ff. zu § 263 epo (heute § 261 ZPO). Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 465. 179 Seckel, Geschichte, S. 463. 180 Seckel, Geschichte, S. 466. 181 s. Goldschmidt, Handbuch, 2. Auf!., I, 1874, S. 150 in Fußn. 9. 182 ROHGE 7, S. 351 - 355, 353 zu Art. 4 Nr. 2 ADWO. 183 Beweislast 1872, S. 469 f.; vgl. Simon S. IX f. Die in dem veröffentlichten Urteil geäußerte Auffassung widersprach nicht nur der Goldschmidts, sondern auch der Thöls (Praxis, S. 52 - 74, insbes. S. 52 - 62) und Windscheids, der Goldschmidts Ansicht in seinem Pandektenlehrbuch aufgrund einer persönlichen Auskunft Goldschmidts wiedergab: Windscheidl Kipp, Pandekten 11, § 412, S. 809 f. in Fußn. 8a am Ende (erstmals in der 4. Auf!. 1876, S.538). 177
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Es ist nicht einfach, einen Überblick über diejenigen Urteile des ROHG zu gewinnen, die auf vorbereitenden Voten Goldschmidts beruhen, wenn auch sein persönlicher, komplizierter Stil in Gedankenführung und sprachlicher Ausarbeitung in vielen Urteilen, die auf seinen Entwürfen beruhen, noch deutlich erkennbar ist. Goldschmidt hat jedoch in späteren Publikationen mitunter darauf hingewiesen, daß von ihm dort angeführte Entscheidungen des ROHG auf seinem Vortrag beruhten 184 . Zwei dieser Gutachten hat er sogar unter seinem Namen in der ZHR veröffentlicht, eines in einer Sache, die nicht zum Abschluß gekommen war 185 , und eines in der wichtigen Frage der Erstreckung der Rechte aus dem ädilitischen Edikt auf den Gattungskaue 86 ; dieses wurde in der Folgezeit auch als Urteil des ROHG zitiert 187 , da die betreffende Entscheidung selbst merkwürdigerweise nicht in die Entscheidungssammlung des ROHG aufgenommen worden war. Zahlreiche Hinweise auf Goldschmidts Urheberschaft enthalten schließlich die Urteilsnachweise in den Ausführungen seines Systems des Handelsrechts im Grundriß, wo die entsprechenden Entscheidungsnachweise mit einem ,,(G.)" gekennzeichnet sind 188 . Aus diesen verstreuten Hinweisen 189 ergibt sich, daß von den in der amtlichen Sammlung abgedruckten Entscheidungen des ROHG rund dreißig auf Goldschmidts Vortrag ergangen sind 190 . Ein Vortrag Goldschmidts an das Plenum des 184 Lex Rhodia 1889, S. 43 Fußn. 7; Miscellen (1) 1882, S. 81 Fußn. 32 u. 33, S. 82 Fußn. 36, S. 111 Fußn. 83; Miscellen (11) 1884, S. 27; Haupt- und Nachbürge 1888, S. 355 Fußn. 13. 185 Miscellen (11) 1884, S. 27 - 34. 186 Statthaftigkeit 1874, S. 98 - 122. 187 Motive 11, S. 241 in Fußn.* (Mugdan, Materialien 11, S. 133); Windscheid/Kipp, Pandekten II, S. 693 in Fußn. 15. 188 System, 4. Aufl., 1892, S. IV unten. Siehe S. 93, 113, 115, 153, 158, 179, 214, 216, 250,270,259,278,291. 189 Vgl. auch die Zusammenstellungen bei Pappenheim S. 12 Fußn. 37 und Riesser S. 39 f. in Fußn 1. 190 1870: ROHGE 1, Nr. 22 (S. 76 - 85: Kommissionsgeschäft, Schweigen als Willenserklärung); 1871: ROHGE 1, Nr. 32 (S. 107 - 119: Lebensversicherung); Nr. 73 (S. 254 - 259: Verantwortlichkeit des Schuldners für Erfüllungsgehilfen); Nr. 74 (S. 259 - 263: Beginn der oHG; Abgrenzung v. Anerkenntnis u. Bürgschaft); Nr. 80 (S. 278 - 288: sogenannter Wertwechsel); ROHGE 2, Nr. 82 (360 - 369: Wechselklausel "auf Kündigung"; Umdeutung unwirksamen Wechsels); ROHGE 3, Nr. 62 (S. 291 - 305: Nachsichtwechsel; fehlerhafte Gründung einer Aktiengesellschaft); ROHGE 4, Nr. 35 (S. 172 - 179: Leistungsstörung bei Binnenschiffahrts-Frachtvertrag); Nr. 44 (S. 208 - 219: Rechtsstellung nichteingetragener Genossenschaft; nach Angabe Riessers S. 40 in Fußn. 1 zu S. 39, der sich dafür auf Goldschmidts Korrespondenz mit Fitting beruft); Nr. 45 (S. 219 - 228: Bestand des von der Vollmacht gedeckten Teils eines unter quantitativer Vollmachtsüberschreitung geschlossenen Vertrags); Nr. 55 (S. 265 - 283: Wirksamkeit eines mit Einwilligung seines Vormundes von einem MindeIjährigen ausgestellten Wechsels; nach Angabe Riessers S. 40 in Fußn. I zu S. 39); Nr. 66 (S. 325 - 333: Regreß des Haupt- gegen den Nachbürgen; Goldschmidt war nach dem Tod Schliemanns Berichterstatter geworden; derselbe Fall kam nochmals vor das ROHG, wo dann Römer das Urteil, ROHGE 6, S. 114 - 120, vorbereitete: Goldschmidt, Haupt- und Nachbürge 1888, S. 355 Fußn. 13); ROHGE 5, Nr. 2 (S. 9 - 22: Form des Versicherungsvertrags; ADHGB und preuß. Recht); 1872: ROHGE 6, Nr. 10 (S. 44 - 62: Wechselrecht: Blanko-
A. Tätigkeitsbereiche des Schaffens Goldschmidts
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ROHG "Ueber die Beweislast bei der sogenannten Revalirungsklage des Trassaten" ist posthum veröffentlicht worden l91 • Die Rechtsprechung des ROHG ist vor einiger Zeit anhand einiger ausgewählter Themenbereiche (Handelsbrauch, Auslegung von Rechtsgeschäften, Allgemeine Geschäftsbedingungen und Aktienrecht) analysiert worden 192. Obwohl diese Bereiche zu den von Goldschmidt in seinen Publikationen besonders gepflegten Materien gehören, stammen nur einige der am Rande erwähnten Ansichten des ROHG aus Entscheidungen nach Vorarbeiten Goldschmidts l93 • In der aktuelleren dogmatischen Literatur findet sich mitunter noch aus der von Goldschmidt herrührenden Entscheidung ROHGE 10, S. 42 ff. die Ansicht zitiert, daß der wechselrechtliche Bereicherungsanspruch 194 kein Schadensersatz- oder Bereicherungsanspruch im Sinne des allgemeinen bürgerlichen Rechts sei, sondern ein Überbleibsel des ursprünglichen Wechselanspruchs 195. Aus diesem Befund schließen zu wollen, daß Goldschmidts Arbeit für das Gesamtbild der Rechtsprechung des ROHG unbedeutend gewesen sei, wäre indessen unrichtig. Er zeigt nur, wie sehr einerseits Goldschmidts Arbeit sich in die seiner Kollegen am Gerichtshof einfügte. Dessen Entscheidungen bilden dementsprechend auch nicht ein Konglomerat heterogener, von Fall zu Fall wechselnder Ansichten, sondern in den wichtigen Fragen von grundlegender Bedeutung eine einheitliche Linie, an der sich die Praxis orientieren Akzept, Inkasso-Auftrag, Scheingeschäft); Nr. 91 (S. 403 - 412: Haftung des Geschäftsherrn für Betrug durch Prokuristen nach Vertrags- und Deliktsrecht); ROHGE 7, Nr. I (S. I - 16: Kollisionsrecht; Handelsbrauch u. Gewohnheitsrecht); Nr. 7 (S. 43 - 49: Erfüllung einer Geldschuld durch Wechselhingabe); 7, Nr. 42 (S. 167 - 174: Große Haverei; Seekriegsrecht); ROHGE 8, Nr. 74 (S. 289 - 303: Haverei u. Seekriegsrecht); 1873: ROHGE 8, Nr. 101 (S. 410 - 418: Güteangabe im Ladeschein); ROHGE 9, Nr. 96 (S. 328 f.: Fehlbezeichnung der Firma des Remittenden auf dem Wechsel); ROHGE 10, Nr. 5 (S. 42 - 49: wechselrechtlicher Bereicherungsanspruch); ROHGE 11, Nr. 121 (S. 390 - 403: Anspruch des Wechselinhabers auf Herausgabe von Mehrfach-Exemplaren der Wechselurkunde); 1874: ROHGE 12, Nr. 106 (S. 319 - 366: Urheberrecht); ROHGE 13, Nr. 102 (S. 306 - 131: Konsortialbeteiligung bei Aktienbegebung); 1875: ROHGE 16, Nr. 109 (S. 427 - 434: Bestimmung des Vertragsinhalts durch Schiedsrichter); ROHGE 17, Nr. 11 (S. 34 - 39: Urheber- u. Verlagsrecht; Nachdruck); Nr. 44 (S. 197 - 210: Unter-Konsortialbeteiligung); Nr. 57 (S. 261 - 269: Auslegung wechselrechtlicher Willenserklärungen). 191 Beweislast 1872, S. 459 - 475. 192 Regina Ogorek, Privatautonomie unter lustizkontrolle: Zur Rechtsprechung des ROHG, in: ZHR 150 (1986), S. 87 - 116. 193 Ogorek, Privatautonomie, ZHR 150 (1986), S. 94 Fußn. 17,97 Fußn. 27,98 Fußn. 29, 102 Fußn. 47: ROHGE 7, S. 8; 12, S. 339; 16, S. 427; I, S. 112. 194 Art. 83 Abs. I ADWO, heute Art. 89 Abs. I WG. 195 ROHGE 10, S. 44; zitiert z. B. bei Baumbach/Hefermehl, Wechselgesetz, Art. 89 WG Rdnr. I m.w.N. mit einem in Hinblick auf § 818 Abs. 3 BGB nicht ganz zutreffenden Zweifel am dogmatischen Wert dieser Einordnung; der Sache nach ist auch ebenda Art. 33 WG Rdnr. 2 in Verbindung mit Rdnr. I auf das von Goldschmidt vorbereitete Urteil ROHGE 2, S. 360 ff. (s. auch ROHGE 4, S. 208 ff., 214 f.) Bezug genommen: Nichtigkeit eines auf ,,30 Tage nach Kündigung" gezogenen Wechsels; vgl. auch ROHGE 4, S. 265 ff, 271, 283 u. Baumbach/Hefermehl, Einleitung WG, Rdnr. 22.
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2. Teil: Handelsrecht in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts
konnte. Eben dies entsprach ja dem Ziel, das gerade Goldschmidt mit seiner schon frühzeitigen Forderung nach Schaffung eines obersten deutschen Gerichtshofes für Handelssachen verfolgt hatte l96 . Ihm wurde das ROHG nun auch tatsächlich gerecht. In den Fundstellennachweisen sind die Entscheidungen des ROHG natürlich nach und nach durch solche seiner Nachfolger Reichsgericht und Bundesgerichtshof ersetzt worden. Eine Durchsicht der veröffentlichten Entscheidungen des ROHG zeigt jedoch, daß trotz aller späterer Gesetzgebungsarbeiten die entscheidenden Sachfragen sich mitunter nur wenig geändert haben l97 . Als bedeutsamster Fortschritt in der Rechtsprechung des ROHG gegenüber der älteren Praxis erscheint das nachdrückliche Abstellen auf den Partei willen als eigentliche Grundlage der sich aus einem Rechtsgeschäft ergebenden Rechtsfolgen l98 , auch wenn diese sich nicht in das Schema der vorgegebenen gemein- oder partikularrechtlichen Institute pressen ließen. Ein Beispiel für Goldschmidts Beitrag hierzu ist etwa die Einleitung zu einer Entscheidung aus dem Jahre 1874 199 , in der eine vertragliche Regelung damit anerkannt wird, daß "ein gebieterisches Verkehrsbedürfniß" zu Vereinbarungen solcher Art geführt habe 2oo . Freilich zeichnet sich auch diese Entscheidung wie viele der von Goldschmidt vorbereiteten Urteile dadurch aus, daß sie das so gewonnene Ergebnis noch gesondert als mit den Quellen des gemeinen oder des betreffenden partikularen Rechts vereinbar erklärt201 . Der umfangreichste Fall unter den veröffentlichten Entscheidungen, mit dem Goldschmidt es am ROHG zu tun bekam, erregte auch in der nichtjuristischen Öffentlichkeit einiges Aufsehen und wurde als "Der Leipziger Theaterprozeß" weithin bekannt. Ihm lag neben anderem 202 eine schwierige Frage des Urheberrechts zugrunde. b) Der "Leipziger Theaterprozeß" Das Urheberrecht, das heute weitgehend einheitlich im Urheberrechtsgesetz von 1965 geregelt ist 203 , hatte ähnlich wie das Handelsrecht in der ersten Hälfte des 19. Insbes. Abschluß I, 1862, S. 226 f., 227. Vgl. etwa ROHGE 4, S. 325 - 333, 329 ff., 330 mit Larenz, Schuldrecht 2, § 64 III a.E., S. 481 f.: Kein Regreß des Hauptbürgen gegen den Nachbürgen. - Eine Analyse der älteren Rechtsprechung unter diesem Gesichtspunkt würde manch Fruchtbares auch für die Dogmatik des geltenden Rechts zutage fördern; vgl. z. B. ROHGE 4, S. 219 - 228 zur quantitativen Vollmachtsüberschreitung nach preuß. (ALR 1 13 § 90) u. gemeinem Recht mit Heinrichs in Palandt, BGB, § 167 Rdnr. 10. 198 Vgl. Ogorek, Privatautonomie, ZHR 150 (1986), S. 95 ff. 199 ROHGE 16, S. 427 - 434. 200 ROHGE 16, S. 427; hervorgehoben von Ogorek, Privatautonomie, ZHR 150 (1986),. S. 98 in Fußn. 29 a.E. 201 ROHGE 16, S. 429 f. (gemeines Recht), 431 (preuß. Recht). 202 s. etwa Goldschmidt, Miscellen (I) 1882, S. 111 in Fußn. 83. 1% 197
A. Tätigkeitsbereiche des Schaffens Goldschmidts
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Jahrhunderts an Bedeutung gewonnen und war nach Aufhebung des Druckprivilegien-Systems durch partikulare Gesetzgebungen recht unterschiedlich normiert worden. Dem großen Bedürfnis nach einheitlicher Regelung entsprechend 204 wurde sein wichtigster Teilbereich 205 im Urheberrechts gesetz von 1870206 geregelt. Im Leipziger Theaterprozeß, den das ROHG durch Urteile vom 21. und 24. April 1874 entschied207 , ging es um die Klagen mehrerer (heute völlig unbekannter) Autoren und Erben von Autoren gegen den Direktor des Leipziger Stadttheaters wegen angeblich unbefugter Aufführungen mehrerer Theaterstücke, deren Aufführungsrechte diesem in älteren Verträgen von den Autoren überlassen worden waren. Der Streit betraf im wesentlichen den Einfluß später eingetretener Veränderungen auf die früher abgeschlossenen Überlassungsverträge: So hatte die Direktion des Theaters später gewechselt, und dieses hatte neben der alten eine neue Spielstätte erhalten, an der die betreffenden Stücke aufgeführt wurden. Die tiefgreifendste Veränderung aber war rechtlicher Art: Hatten nämlich zuvor nach sächsischem und deutschem Bundes-Recht Werke dieser Art Schutz nur bis zu zehn Jahre nach dem Tod des Urhebers genossen20 8 , so hatte das oben erwähnte Urheberrechtsgesetz von 1870 die Schutzfrist auf 30 Jahre nach dem Tod des Urhebers verlängert und darüber hinaus in seinem § 58 bestimmt, daß es auch auf alle vor seinem Inkrafttreten erschienenen Werke Anwendung finde, also auch dann, wenn die ältere, kürzere Schutzfrist schon abgelaufen war. Das ROHG wandte alle Mittel der Auslegung an, um die Folgen dieser Veränderungen für die ursprünglich abgeschlossenen Verträge zu bestimmen209 . Di~ Entscheidungsgründe zeigen einen deutlichen Einfluß von Goldschmidts Begründungsstrategien. So werden außer ausführlichen Analysen des tatsächlich feststellbaren Partei willens auch umfänglich gemeinrechtliche Ausiegungsgrundsätze 210 und, wie so oft bei Goldschmidt, die bei allen Vertrags parteien als bekannt vorauszusetzenden Bräuche der betreffenden Verkehrskreise herangezogen, von denen URG 1965, BGBI. 1965 I, S. 1273 ff. Schon Art. 13 der Dt. Bundesakte v. 8. 6. 1815 sah die "Sicherstellung der Rechte der Schriftsteller und Verleger gegen den Nachdruck" als vorrangiges Ziel an; s. Gerd Schulz, Die Entwicklung des Urheberrechts in Deutschland im 19. Jahrhundert, in: Friedrich ehr. Perthes, Der dt. Buchhandel als Bedingung des Daseins einer dt. Literatur, Stuttgart 1967 (u.ö.), S. 55 - 69. 205 Zu den übrigen vgl. § 141 URG 1965. 206 URG 1870, BGBI. 1870, S. 339 ff. 207 ROHGE 12, S. 319 - 366 (U. v. 21. 4., zum U. v. 24. 4. s. S. 321 f. u. S. 349 jeweils in Fußn.*). Insbes. zu diesen Urteilen kritisch Thöl, Theaterprozesse, S. 40 f., 64 - 75; Reuling, Beiträge, ZHR 23 (1878), S. 128 - 133 mit der Anmerkung Goldschmidts S. 128 in Fußn:. 208 Nachweise ROHGE 12, S. 341. 209 ROHGE 12, S. 331 ff. - Dieser Ansatz blieb die Grundlage für die fortdauernd theaterunternehmerfreundliche Rechtsprechung der höchsten deutschen Gerichte; vgl. BGH, U.v. 12.11. 1974, in: Gewerblicher Rechtsschutz u. Urheberrecht, 77. Jg., Weinheim 1975, S. 495 - 497 ("Lustige Witwe"). 210 ROHGE 12, S. 338 ff. 203
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hier in- wie auch ausländische Theatervertrags-Praktiken nachgewiesen werden 2l1 • Auch der für ein Urteil des ROHG (wie für Urteile deutscher Gerichte überhaupt) ·ungewöhnlich stark rechtsvergleichende Einschlag bei Prüfung der Frage der Übertragbarkeit des Urheberrechts selbst212 geht sicherlich auf Goldschmidt zurück. Das Urteil ging zugunsten des Leipziger Stadttheaters aus und fügte sich auch insoweit in die theaterunternehmerfreundliche Rechtsprechung des ROHG ein 213 . Von den einschlägigen Fragen soll eine hier kurz hervorgehoben werden. Das URG 1870 sollte auch für die vor seinem Inkkrafttreten geschaffenen und veröffentlichten Werke gelten, deren kürzere Schutzfristen es damit nachträglich verlängerte. Da Urheber und Unternehmer bei Verträgen über die dauernde Ausübung des Urheberrechts gegen einmalige Honorarzahlung 214 nur von einer zehnjährigen Frist ab dem Tod des Urhebers ausgegangen waren, stellte sich sich nun die Frage, ob die Verlängerung auf dreißig Jahre dem Unternehmer oder nach Ablauf der zehn Jahre den Erben des Urhebers zugute kommen sollte. Das ROHG entschied diese Frage im Leipziger Theaterprozeß und allen folgenden Verfahren zugunsten der Theaterunternehmer. Diese Rechtsprechung fand viel Kritik, so die des Rechtsanwalts beim ROHG Reuling in der ZHR 215 , insbesondere aber von Heinrich Thöl, der ihr eine seiner letzten Schriften widmete216 . Diese Kampfschrift gehört zu den Schriften Thöls, die den Gegensatz zwischen ihm und Goldschmidt verschärften, denn Goldschmidt hatte sich zur Urheberschaft des Urteils im "Leipziger Theaterprozeß" öffentlich bekannt217 • Soweit das ROHG seine Ansicht auf das begriffliche Argument gestützt hatte, § 58 S. 1 URG 1870 fingiere ein früheres Inkrafttreten dieses Gesetzes oder umgekehrt ein späteres Entstehen der betreffenden Werke, ist Thöls dagegen gerichtete, meisterhaft begriffliche und konsequent durchgeführte Kritik218 durchschlagend und der Sache nach nicht widerlegbar. Auch seine auf die Gesetzesmotive 219 und die Auslegung der Verträge 220 gestützten Ausführungen sind überzeugend und belegen Thöls meisterhafte Beherrschung auch dieser Argumentationstechniken. Thöl kommt danach zu dem Ergebnis, daß eine Geltungsdauer der Überlassungsverträge auf mehr als zehn Jahre nach dem Tod des Urhebers sich nicht begründen lasse. ROHGE 12, S. 344 ff. ROHGE 12, S. 354 f. 213 Vgl. die Rechtsprechungsnachweise bei Thöl, Theaterprozesse, Anhang S. I - 18 u. passim. 214 Bei Überlassung gegen Tantieme stellte sich das Problem so nicht. 215 Reuling, Beiträge, ZHR 23 (1878), S. 110 - 127 u. 127 - 137. 216 Thöl, Theaterprozesse, 1880. 217 Miscellen (I) 1882, S. 111 Fußn. 83; Anmerkungen zu Reuling 1878; s. Thöl, Theaterprozesse, S. VI. 218 Thöl, Theaterprozesse, S. I - 21. 219 Thöl, Theaterprozesse, S. 7. 220 Thöl, Theaterprozesse, S. 22 - 40. 211
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A. Tatigkeitsbereiche des Schaffens Goldschmidts
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In dem Urteil des ROHG zum "Leipziger Theaterprozeß" findet sich aber erstmals ein weiterer Begründungsansatz221 ausgebreitet. Vieles spricht dafür, daß dieser Ansatz, den das ROHG in späteren Urteilen weiter ausgebaut hat222 , von Goldschmidt eingeführt worden ist223 : Ein wirklicher Wille der Parteien bezogen auf eine spätere Rechtsänderung sei regelmäßig nicht anzunehmen. Aber, so das ROHG weiter, "es entspricht ... dem vermuthlichen Willen beider Theile, daß dem Erwerber der Aufführungsbefugniß in gleicher Weise die Vortheile eines durch die spätere Gesetzgebung verlängerten oder ertheilten Rechtsschutzes zu Gute kommen, wie ihn die Nachtheile" eventuell späterer gesetzlicher Einschränkungen treffen sollen 224 . Dies folge aus dem Wesen des entgeltlichen Überlassungsvertrages, für den kennzeichnend sei, daß die AllSübungsbefugnis im Zweifel für die gesamte Dauer der Schutzfrist überlassen werden solle 225 . Daß dieser "vermutliche Wille" aufgrund besonderer Umstände, insbesondere der Geringfügigkeit des Honorars, anders aussehen könne, wird ausdrücklich erwähnt, mangels tatsächlicher Anhaltspunkte aber nicht weiter verfolgt226 . Mit diesem Ansatz hat sich das ROHG das Institut der ergänzenden Vertragsauslegung erschlossen 227 , das auch heute von praktisch großer, wenngleich dogmatisch noch immer nicht ganz geklärter Bedeutung ist 228 . Thöl bemerkt in seiner Kritik, daß hier in einem zunächst sehr speziellen Bereich dogmatisches Neuland betreten wird und daß die so bestimmt klingenden Äußerungen des ROHG auf wissenschaftlich noch keineswegs gesichertem Grund stehen229 . Er kritisiert zudem, daß das ROHG sich vorschnell auf einen zugunsten der Theaterunternehmer sprechenden mutmaßlichen Partei willen festgelegt habe230 ; damit habe es in unklarer Weise das Treffen tatsächlicher Feststellungen für die Ergründung eines wirklichen Parteiwillens mit der Aufstellung eines Rechtssatzes, nach dem es auf den nur mutmaßlichen Parteiwillen ankommen solle, vermischt231 . Der scharfsinnige Thöl hat damit einen wunden Punkt nicht nur vieler Urteile des ROHG, sondern auch der Argumentationstechniken Goldschmidts aufROHGE 12, S. 341 - 344. ROHGE 15, S. 193 - 199, 195 - 197; vgl. auch die sehr scharfsinnige Urteilsanalyse Thöls, Theaterprozesse, S. 45 in Fußn. 4. 223 s. die Hervorhebung dieses Gesichtspunktes durch Goldschmidt in Anmerkungen zu Reuling 1878, S. 117 in Fußn. 1. 224 ROHGE 12, S. 343. 225 ROHGE 12, S. 343. 226 ROHGE 12, S. 344. 227 s. dazu Ogorek, Privatautonomie, ZHR 150 (1986), S. 97 f. 228 Larenz, Allgemeiner Teil, § 35 I u. 11, S. 522 - 527. 229 Ogorek, Privatautonomie, ZHR 150 (1986), S. 97 f., 98, charakterisiert die in solchen Fällen regelmäßige Berufung des ROHG auf Verkehrssitte und Verkehrsbedürfnisse als "eher bläßlich legitimatorisch als materiell entscheidungstragend" . 230 Thöl, Theaterprozesse, S. 40 - 43. 231 Thöl, Theaterprozesse, S. 42. 221
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gedeckt. Im folgenden versucht Thöl dann mit Hilfe begrifflicher Konstruktionen auch diesen Ansatz des ROHG zu widerlegen. Das gelingt ihm zunächst auch, da sich in der Tat keine durchschlagenden Anhaltspunkte für einen auch nur mutmaßlichen Parteiwillen finden lassen 232 . Allerdings erschöpft sich seine Schrift schließlich in dieser Widerlegung der Ansichten des ROHG. Weshalb nun positiv die Schutzfristverlängerung durch das Urheberrechtsgesetz von 1870 den Erben der Autoren zugutekommen soll, vermag auch Thöl nicht zu begründen. Letztlich müssen deshalb beide Begründungsansätze, der wertende des ROHG wie der begrifflich an den konkreten Vertrags- und neuen Gesetzesbestimmungen anknüpfende Thöls, als gescheitert angesehen werden. Die Aufgabe, die sich der Rechtswissenschaft hier stellte, war in Wahrheit auch gar nicht lösbar. Denn der Kern des Problems, den weder das ROHG noch Thöl noch auch Goldschmidt233 erkannt hatten, lag in der völlig mißglückten Übergangsregelung des § 58 S. 1 URG 1870: Hatte ein Theaterunternehmer gegen einmalige Honorarzahlung die Ausübung eines geschützten Rechts für die Dauer des Schutzes erworben, so galt das, und das spricht für die Ansicht Thöls, nur für die aktuelle gesetzliche Dauer des Rechtsschutzes; dies aber nur deshalb, und das bedenkt Thöl nicht, weil die Parteien bei Vertragsschluß natürlich davon ausgingen, daß der Unternehmer nach Ablauf dieser Frist das "gekaufte" Stück weiterhin aufführen dürfe, wenn auch jetzt unter Konkurrenz aller übrigen Theaterunternehmer. Ein überzeugender Grund, die verlängerte Monopol-Frist des Urheberrechts nun ausschließlich dem Theaterunternehmer, der das Aufführungsrecht "für immer,,234 erworben hatte, zugute kommen zu lassen oder aber ausschließlich dem Urheber und dessen Erben, der das Honorar höher hätte fordern können, wenn die längere Schutzfrist schon vorhanden oder ihre Einführung absehbar gewesen wäre, läßt sich unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten nicht finden. Auch Reuling, der seinen Ausführungen eine Abwägung der Interessen von Urheber und Theaterunternehmer zugrundelegt und damit zu den gleichen Ergebnissen wie Thöl gelangt235 , vermag zu keinem unanfechtbaren Schluß zu gelangen. In Wahrheit liegt hier ein Fall vor, der nur mit dem Institut der "Änderung236 der Vertrags grundlage" angemessen gelöst werden kann. Dieses Institut war freilich nach Ansätzen im klassischen römischen Recht 237 im 232 Thöl, Theaterprozesse, S. 45 - 63 (Zusammenfassung S. 62 f.). Zu einem obiter dictum des ROHG im ,,Leipziger Theaterprozeß" bezüglich der zwischendurch schutzlos gewesenen Werke zutreffend Thöl, Theaterprozesse S. 64 - 75; dazu auch Reuling, Beiträge, ZHR 23 (1878), S. 113 ff. und Goldschmidt, Anmerkungen zu Reuling 1878, S. 115 in Fußn. 1. 233 s. insbes. Anmerkungen zu Reuling 1878, S. 122 in Fußn.* . 234 Zusammenstellung der üblichen Klauseln bei Thöl, Theaterprozesse, S. 38. 235 Reuling, Beiträge, ZHR 23 (1878), S. 113 - 127. 236 Die übliche Bezeichnung "Wegfall der Geschäftsgrundlage" (dazu Medicus, Bürgerliches Recht Rdnm. 164 ff.) ist, wie Fälle der vorliegenden Art (Äquivalenzstörung infolge von Gesetzesänderungen) zeigen, zu eng. 237 Ansatz war die Ausgestaltung der wichtigsten Vertragsklagen als bonae fidei iudicia, dazu Kaser, Privatrecht I, § 114 IV, S. 485 - 488.
A. Tätigkeitsbereiche des Schaffens Goldschmidts
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gemeinen Recht verloren gegangen; erst nach seiner Wiederentdeckung durch Windscheids Lehre von der "Voraussetzung,,238 wurde es durch die Rechtsprechung des Reichsgerichts, in der Lehre durch Paul Oertmann 239 neu ausgeformt. Der Gesetzgeber aber hat aus diesen Streitigkeiten, die das alte Urheberrechtsgesetz auslösen mußte, seine Lehren gezogen: § 129 URG 1965 läßt bereits durch Zeitablauf erloschene Schutzrechte nicht wieder aufleben, und § 137, dessen Absätze 1 und 2 die durch § 64 Abs. 1 nochmals auf 70 Jahre nach dem Tod des Urhebers verlängerte Frist dem Erwerber der Ausübungsbefugnis zugute kommen lassen und damit scheinbar den vom ROHG vertretenen Ansichten folgen 240, bestimmt in seinen Absätzen 3 und 4, daß der Erwerber für die ihm zugute kommende Verlängerung des Schutzes unter den dort genannten Kautelen, die allerdings eine nach wie vor erwerberfreundliche Haltung des Gesetzgebers verraten, eine angemessene Vergütung zu zahlen hat241 .
c) Entscheidungen zur Gehilfenhaftung Von großer Bedeutung für die Entwicklung des Privatrechts im 19. Jahrhundert waren zwei der Entscheidungen des ROHG, bei denen Goldschrnidt Berichterstatter war: Im Urteil vom 27. Januar 1871 242 ging es um die Frage der Haftung des Schuldners für seine Erfüllungsgehilfen, der Goldschrnidt noch im gleichen Jahr eine umfangreiche Abhandlung in der ZHR widmen sollte 243 . Es war die erste Entscheidung in der bedeutsamen Rechtsprechung des ROHG zu diesem Thema 244 . In ihr ging es um einen Fall, in dem ein Angestellter des Lieferanten einer Maschine bei deren Inbetriebsetzen Gerätschaften des Käufers beschädigt hatte. Das ROHG wich einer allgemeinen Beantwortung der Frage aus, ob der Schuldner nach gemeinem oder sächsischem Recht - das Sächs. BGB enthielt insoweit keine Regelung grundsätzlich für seine Erfüllungsgehilfen hafte 245 . Es stellte nur den Satz auf, daß es dafür in erster Linie auf den Willen der Vertragsparteien ankomme 246 ; diese hätBemhard Windscheid, Die Lehre des römischen Rechts von der Voraussetzung, 1850. Paul Oertmann, Die Geschäftsgrundlage: Ein neuer Rechtsbegriff, 1921. 240 Zur Entstehungsgeschichte s. BGH, Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht 1975, S. 496 f. 241 Auch hier liefert das Urheberrecht einen normativen Ansatz für ein sonst nur schwer an gesetzliche Regelungen anknüpfbares Institut, denn § 137 URG 1965 läßt sich als gesetzlicher Fall einer Anpassung der Geschäftsgrundlage verstehen. 242 ROHGE 1, S. 254 - 259. 243 Verantwortlichkeit 1871, S. 287 - 382. 244 Weitere wichtige Entscheidungen waren ROHGE 4, S. 243 - 247; 12, S. 78 - 80; 13, S. 76 - 78 (letztere wegen der Anerkennung der Haftung des Werkunternehmers für seine Erfüllungsgehilfen besonders bedeutsam, s. Motive 11, S. 29 f. = Mugdan, Materialien 11, S. 16). 245 ROHGE 1, S. 255. 238 239
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ten hier aber nur einen Vertrag über die Lieferung der Maschine, nicht aber deren Inbetriebsetzen durch einen Monteur des Lieferanten geschlossen, so daß der Monteur nicht in Erfüllung einer Verbindlichkeit aus dem Vertrag tätig geworden sei 247 . Diese trotz aller Ausführlichkeit in der Begründung zweifelhafte Entscheidung schien das ROHG zunächst, Goldschmidts eigenem Ansatz entsprechend, auf eine dem Geschäftsherrn günstige Rechtsprechung festzulegen; dies sollte zwar nicht der Fall sein, doch blieb die Differenzierung und enge Beschränkung der Begründung auf den jeweils zu entscheidenden Einzelfall ein Merkmal der Urteile des ROHG in dieser Frage 248 . Das belegt auch ein eineinhalb Jahre später gleichfalls nach einem Votum Goldschmidts ergangenes und erst später von ihm richtig der Problematik der Gehilfenhaftung zugeordnetes 249 Urteil. Nach dieser Entscheidung hat der Geschäftsherr für eine Täuschung, die sein Prokurist bei Eingehung eines an sich den Geschäftsherrn verpflichtenden Vertrags verübt hat, nach gemeinem Recht wie nach den Regeln des ADHGB einzustehen 25o . Dieses Urteil beruht ganz wesentlich auf Erwägungen zum Recht der Stellvertretung und hatte deshalb auch für dessen weitere Entwicklung Bedeutung. Das ROHG stellt zunächst mit reichen Nachweisen zum römischen Recht die mit deren eigener Haftung stets konkurrierende 251 Haftung des Geschäftsherrn für einen Eingehungsbetrug durch seine Hilfspersonen dar, die sich nach den Regeln über die adjektizischen Klagen richtete 252 . Dann bekennt es sich nachdrücklich zum "Repräsentationsprinzip" der unmittelbaren Stellvertretung im geltenden gemeinen Recht, wonach die rechtsgeschäftlichen Wirkungen des Vertretergeschäfts nur noch den Vertretenen, nicht mehr den Vertreter träfen 253 . Von den Konstruktionen, die diese Rechtsfolge erklären sollten, lehnt das ROHG die Lehren ab, die eine gesetzliche Überleitung des zunächst den Vertreter selbst treffenden Geschäfts von ihm auf den Geschäftsherrn annahmen (so Thöl) oder den Vertreter als Instrument der Willenserklärung des Vertretenen ansahen (so Savigny); nach seiner Ansicht, die es kurz, aber mit zahlreichen Nachweisen für ähnliche Fälle des römischen und des preußischen Rechts begründet254 , träfen die Wirkungen einer Rechtshandlung des Vertreters den Vertretenen in der Weise, daß sie ihm kraft Gewohnheitsrecht so 246 247 248
-78.
ROHGE I, S. 255 f. ROHGE 1, S. 256 - 259. s. die oben genannten Entscheidungen ROHGE 4, S. 243 - 247; 12, S. 78 - 80; 13, S. 76
System, 4. Auf!. 1892, S. 115. ROHGE 6, S. 403 - 412 CU. v. 18.6.1872). 251 Zur "Eigenhaftung des Vertreters" nach geltendem Recht s. dagegen BGHZ 71, S. 284 ff., 286 f. 252 ROHGE 6, S. 405 unter Berufung auf Goldschmidt, Verantwortlichkeit 1871, § 11, S. 329 ff. 253 ROHGE 6, S. 405 f. 254 ROHGE 6, S. 406 f. 249
250
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zugerechnet würden, als sei es seine eigene gewesen 255 . Aus diesem Zurechnungsprinzip zieht das ROHG die Folgerung, daß der Vertretene auch hinsichtlich der vom Vertreter verübten Täuschung so angesehen werde, als habe er sie selbst begangen256 . Dieses Prinzip habe Art. 52 ADHGB übernommen, nach dem der Prinzipal durch Rechtsgeschäfte, die gemäß der Prokura in seinem Namen abgeschlossen werden, verpflichtet werde 257 . Dies wird sehr ausführlich aus der Entstehungsgeschichte dieser Norm begründet 258 . Dabei mußte sich das ROHG freilich damit auseinandersetzen, daß die in den Entwürfen zum ADHGB vorgesehenen Regelungen, wonach der Prinzipal für die Schäden hatte haften sollen, die von seinen Gehilfen in Ausführung rechtsgeschäftlicher Verpflichtungen jedenfalls dem Vertragspartner zugefügt würden, wegen der dagegen vorgebrachten, von Goldschmidt mitgetragenen Kritiken gestrichen worden waren. Es half sich mit der Behauptung, mit dieser Entscheidung gegen eine Haftung für "Schäden durch factische Verrichtungen" habe die bereits in Art. 52 ADHGB aus den zuvor genannten Gründen enthaltene Regelung, daß der Prinzipal für "Verschuldung bei Contractsabschlüssen" durch seinen Prokuristen hafte, unberührt bleiben sollen. Tatsächlich war dieser Gesichtspunkt in der abschließenden Diskussion der Nürnberger Konferenz 259 erwähnt worden, doch dürfte der Gedanke, die unklare Rechtslage durch eine nur den Spezialfall des Handelsrechts betreffende Sonderregelung nicht weiter komplizieren zu wollen, für das knappe Abstimmungsergebnis (8 : 6 für die Streichung) entscheidender gewesen sein. Goldschmidt mußte sich in seinem Votum nun mit den Folgen des Umstands auseinandersetzen, daß er selbst sich in seinen Kritiken zu den ADHGB-Entwürfen der Einführung einer Gehilfenhaftung widersetzt hatte; denn tatsächlich betrifft diese Entscheidung des ROHG eine Klage gegen den Geschäftsherm auf Schadensersatz, nicht auf Erfüllung der vom Prokuristen eingegangenen Verbindlichkeit26o . Verräterisch ist besonders der Schlußsatz der Urteilsgründe: "Ist es hiernach richtig, daß dem Prinzipal die vom Procuristen bei der Eingehung von Rechtsgeschäften verübte Betrugshandlung zugerechnet wird, als hätte er selber solche begangen, so steht gegen ihn der Anspruch daraus in gleichem Umfange wie gegen den Procuristen zu,,261. Da Art. 52 Abs. 3 ADHGB das Prinzip der unmittelbaren Stellvertretung ausdrücklich dahingehend verdeutlichte, daß zwischen dem Prokuristen und dem Vertragspartner das Geschäft weder Rechte noch Verbindlichkeiten erzeuge, konnte mit der umfangs gleichen Haftung des Prokuristen 255 256 257 258 259 260
261 13*
ROHGE 6, S. 406. ROHGE 6, S. 406, 412. Vgl. heute § 164 BGB. ROHGE 5, S. 407 - 411. 550. Sitzung am 21. 11. 1860: Lutz, Protokolle IX, S. 4518 f., 4518 Mitte. ROHGE 6, S. 404. ROHGE 6, S. 412 (Hervorhebungen im Original).
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nur die außervertragliche 262 actio doli gemeint sein, die aber nur auf Schadensersatz ging 263 . Die Entscheidung des ROHG betraf deshalb eindeutig einen Fall nur der Zurechnung eines Verschuldens, nicht einer rechtsgeschäftlichen Verpflichtung, und ließ sich deshalb eigentlich nicht über Gesichtspunkte des Stellvertretungsrechts lösen264 . Nach heutigem Recht wäre er als klarer Fall der "culpa in contrahendo" zu qualifizieren 265 , für die der Vertretene nach § 278 BGB, nicht § 164 BGB einzustehen hätte 266 . Von allen Entscheidungen des ROHG nach Voten Goldschmidts trägt diese seine Handschrift wohl am deutlichsten. Sie beginnt mit den Prinzipien des gemeinen Rechts und beruht auf der Annahme, daß diese auch unter der Herrschaft des ADHGB fortgelten, dessen Auslegung aus seiner Entstehungsgeschichte heraus vorgenommen wird. Auffällig groß ist die Zahl der Zitate aus Goldschrnidts Werken: Neben der Abhandlung zur Gehilfenhaftung von 1871 werden im Urteil selbst die Kritik von 1857 und das Gutachten von 1860, in den editorischen Fußnoten schließlich auch das Gutachten zum Lucca-Pistoja-Aktienstreit angeführt267 . Umfangreicher als in anderen Urteilen sind auch die übrigen rechtsvergleichenden Quellen- und Literaturnachweise 268 • Mögen die Gründe auch nicht überzeugen, das Ergebnis war auf jeden Fall sachgerecht; es bildet insofern ein interessantes Spiegelbild zu Goldschmidts Abhandlung zu demselben Thema, deren Begründungen größtenteils dogmatisch überzeugend sind, die aber im Ergebnis - auch ihren Autor - nicht befriedigen. d) Kaufrecht Von besonderer Bedeutung für die legislatorische Ausgestaltung des heute geltenden Rechts war eine Plenarentscheidung des ROHG, die aufgrund eines Vortrags Goldschmidts an das Plenum erging, der in überarbeiteter Form 1874 in der ZHR erschien 269 . Die Plenarentscheidung war nach § 9 BOHG-Gesetz270 notwenSo auch deutlich ROHGE 6, S. 405 f. Windscheid/Kipp, Pandekten II, § 451, S. 961. 264 Freilich rechnet auch der BGH in den Fällen des Überbaus (§ 912 BGB) ein Verschulden des Architekten dem Eigentümer zu in entsprechender Anwendung des § 164 BGB: BGHZ 42, S. 63 ff., 69. 265 So ausdrücklich auch das ROHG selbst, "Verschuldung bei Vertragsschluß" (ROHGE 6, S. 411), und Goldschmidt, System, 4. Auf!. 1892, § 37, S. 115 unter 1 ("dolus" bzw. "culpa in contrahendo" mit Hinweis auf § 224 Abs. 2 Entw.I BGB = § 278 BGB); s. auch RGZ 43, S. 142 ff., 146 f. (U. v. 17. 12. 1898). 266 BGH NJW 1974, S. 1505 f., 1506; Larenz, Schuldrecht I, § 9 I a 4, S. 114 m.w.N. 267 ROHGE 6, S. 405,410. 268 Insbes. ROHGE 6, S. 405, 407, 412. 269 Goldschmidt, Statthaftigkeit 1874, S. 99. Über Referent und Inhalt des zweiten von Goldschmidt S. 98 erwähnten Vortrags teilt Goldschmidt leider nichts mit. 270 Vgl. heute § 136 GVG, § 11 Abs. 3 VwGO etc. 262 263
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dig geworden, nachdem die Frage, ob die Rechtsbehelfe des ädilitischen Edikts, also Wandlung (actio redhibitoria) und Minderung (actio quanti minoris)271, nach gemeinem Recht bei einem Kauf Anwendung finden, bei dem die Kaufsache nur der Gattung nach bestimmt ist, vom ersten Senat des ROHG bejaht272 , vom zweiten Senat aber vemeint273 worden war. Dem Streit lag die Entdeckung Thöls zugrunde, daß die römisch-rechtlichen Quellen zum ädilitischen Edikt stets vom Kauf einer bestimmten Sache ausgingen. Thöl meinte nun, daß die ädilitischen Rechtsbehelfe darauf beruhten, daß in diesem Fall mangelfreie Lieferung der geschuldeten Sache unmöglich sei und deshalb an die Stelle des Anspruchs auf die Sache der auf Wandlung oder Minderung treten müsse. Beim Gattungskauf aber gebe es ja weiterhin die Möglichkeit mangelfreier Lieferung aus der Gattung, so daß der Anspruch darauf nicht durch einen anderen ersetzt zu werden brauche 274 . Deshalb bestehe der ursprüngliche Anspruch auf Lieferung mangelfreier Gegenstände fort, neben dem die ädilitischen Rechtsmittel unanwendbar seien275 . Obgleich Thöl, wohl in der Annahme, die Mangelfreiheit der gelieferten Gegenstände sei beim Gattungskauf stillschweigend zugesichert276 , über die kaufrechtliche Schadensersatzklage 277 doch wieder zu den Rechtsfolgen einer Wandlung oder Minderung gelangte 278 , hatte seine scharfsinnige Deduktion eine Kontroverse ausgelöst, in der die unterschiedlichsten Ansichten vertreten wurden 279 . Nach Darstellung der Ansichten gegen die Anwendbarkeit der ädilitischen Rechtsmittel beim Gattungskauf280 versucht Goldschmidt, die ihnen zugrundeliegenden Argumente zu widerlegen 281 , und stellt dann die sich aus seiner Ansicht ergebenden Folgerungen für das gemeine Recht282 und ihre handelsrechtlichen Modifikationen 283 dar284 . Von den drei Gegenargumenten, die er hervorhebt, ist Heute § 462 BGB. ROHGE 5, S. 249 - 253, 252 f. und S. 394 - 399, 399. 273 ROHGE 4, S. 179 - 188, 181 - 183. 274 Thöl, Handelsrecht, 4. Aufl., § 83, S. 488 - 491. 275 Thöl, Handelsrecht, 4. Aufl., S. 490 f.; Thöl folgend Windscheid/Kipp, Pandekten 11, § 394 unter 9., S. 693 ff. 276 So Goldschmidts Analyse der Ansicht Thöls in Statthaftigkeit 1874, S. 99 f., 99 unter I pr., 2. Abs. 277 Vgl. heute § 463 S. 1 BGB. 278 Thöl, Handelsrecht, 4. Aufl., S. 491 - 494. 279 Übersicht bei Goldschmidt, Statthaftigkeit 1874, S. 99 - 103. Goldschmidt konnte für sein Gutachten auf seine Besprechung eines Aufsatzes von Fick, ZHR 3 (1860), S. 298 - 305, 301 - 304, zurückgreifen in der er sich bereits für die Anwendung der ädilitischen Rechtsbehelfe beim Distanzkaufvertrag ausgesprochen hatte 280 Statthaftigkeit 1874, S. 99 - 103. 281 Statthaftigkeit 1874, S. 103 f., 105 - 113. 282 Statthaftigkeit 1874, S. 113 - 118. 283 Statthaftigkeit 1874, S. 118 - 121. 271
272
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besonders das zweite auch für das geltende Recht noch von Bedeutung: Beim Gattungskauf sei die Lieferung mangelhafter Gegenstände eine Falschlieferung, die keine Erfüllungswirkung habe; diesem Argument gilt der größte Einzelabschnitt in Goldschmidts Gutachten 285 . Er erkennt an, daß die Abgrenzung zwischen Falschlieferung und Lieferung mangelhafter Gegenstände problematisch sein kann, weist aber nach, daß diese Problematik im Hinblick auf die Erfüllung durch Bewirken nur der geschuldeten Leistung durchaus schon den römischen Juristen bekannt gewesen sei, die zwischen beiden Fällen differenziert hätten 286 . Des weiteren entfalle der angeblich so grundsätzliche Gegensatz zwischen Gattungs- und Speziesschuld ja spätestens dann, wenn der Käufer die ihm angebotenen Gegenstände annehme, denn eine "Gattung" könne nicht geliefert werden, sondern immer nur einzelne Sachen aus einer Gattung. Mit Annahme der Leistung aber werde jeder Gattungskauf zum Spezieskaue87 . Auch deshalb bestünden keine Bedenken, Wandlung und Minderung auch beim Gattungskauf zuzulassen. Obwohl das ROHG Goldschmidt folgte und diesem wiederum das Reichsgericht288 , blieb die wohl herrschende Lehre, geführt von Windscheid289 , auf dem Gegenstandpunkt stehen. Allerdings war sie genötigt, sich in der Frage nach den Rechten des Käufers mit den komplizierten und unübersichtlichen Regelungen des römischen Rechts über die sonstigen Rechtsfolgen fehlerhafter Erfüllung beim Kauf auseinanderzusetzen 29o . Tatsächlich mußte diese Frage daher nach pragmatischen Gesichtspunkten gelöst werden. Diesen folgte dann 291 bei Ausarbeitung des BGB bereits die erste Kommission: Die ausgedehnte actio empti wurde zugunsten einzelner Ansprüche auf Wandlung, Minderung oder ausnahmsweise Schadensersatz beseitigt292 . Sie sollten auch beim Gattungskauf Anwendung finden. Für ihre Entscheidung berufen sich die Motive ebenso auf Goldschmidt wie auf die Rechtsprechung von ROHG und Reichsgericht293 • Daneben wurde aber auch als ZugeZusammenfassung: Statthaftigkeit 1874, S. 121 f. Statthaftigkeit 1874, S. 107 - 113. Ausführlich entwickelt in Handbuch, 2. Aufl., 11, 1883, § 63 11, S. 42 - 49. 286 Statthaftigkeit 1874, S. 107 - 110. Besonders instruktiv D. 46, 3, 72, 5: Verkauf eines Sklaven und Lieferung a) eines Freizulassenden, b) eines Leichenträgers (= Mangel nach D. 21,2,31). 287 Statthaftigkeit 1874, S. 111 f.; so schon ROHGE 5, S. 394 - 399, 399 unter Berufung auf die ältere Lehre, zu der wohl auch Goldschmidt, ZHR 3, S. 301 gehört. 288 RGZ 6, S. 189 f., 190; 12, S. 78 ff., 84 f. (unter Berufung auch auf Goldschmidt). 289 Windscheid/Kipp, Pandekten 11, § 394 unter 5., S. 693 - 696. Dagegen ausführlich Gustav Hanausek, Die Haftung des Verkäufers, 1. Abth., Berlin 1883, S. 113 - 127 (mit Hinweis auf Goldschrnidt S. 113). 290 s. insbes. Thöl, Handelsrecht, 4. Aufl., S. 491 - 494; Windscheid/Kipp, Pandekten 11, S. 693 - 696. Die Schwierigkeiten beruhten auf der Ausdehnung der actio empti im nachklassischen Recht, die die Klagen des ädilitischen Edikts eigentlich überflüssig gemacht hatte: Kaser, Privatrecht 11, § 264 V 2, S. 393 f. 291 Allerdings nur im Grundsatz, nicht in der Ausgestaltung, vgl. nur § 465 BGB. 292 §§ 462, 463 BGB. 284 285
A. Tätigkeitsbereiche des Schaffens Goldschmidts
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ständnis an den auch von Goldschmidt gesehenen 294 richtigen Kern der Gegenansicht295 dem Käufer das Recht eingeräumt, statt Wandlung oder Minderung mangelfreie Nachlieferung zu verlangen, § 480 Abs. 1 S. 1 BGB. Der Streit, der den Plenarbeschluß des ROHG ausgelöst hatte, schwelt heute noch weiter in den Auseinandersetzungen über die Abgrenzung von Falschlieferung und mangehafter Lieferung, der für die Anwendbarkeit von § 480 BGB oder der allgemeinen Vorschriften der §§ 320 - 327 bedeutsam ist296 , und über die praktisch freilich wenig bedeutsame Frage nach der Rechtsnatur des Anspruchs aus § 480 Abs. 1 BGB als Erfüllungs- oder Gewährleistungsanspruch 297 .
IV. Aus Goldschmidts Lehrtätigkeit: Schriften zur Juristenausbildung
1. Lehrveranstaltungen und Vorlesungsgrundrisse
a) Vorlesungsprogramm Über Umfang und Stil von Goldschmidts Vorlesungen im allgemeinen ist bereits gesprochen worden. Über das konkrete Vorlesungsprogramm Goldschmidts in einem bestimmten Semester gibt eine Vorlesungsankündigung aus seiner Hand Auskunft, die sich im Original in der Portrait- und Autographensammlung von Justus Wilhelm Hedemann befindet298 . Sie betrifft das Wintersemester 1869170, das letzte Semester, das Goldschmidt an der Universität Heidelberg verbringt, bevor er als Rat an das Reichs-Oberhandelsgericht nach Leipzig berufen wird, und lautet: "Ich gedenke die angekündigten Vorlesungen über:/ Römische Rechtsgeschichte (nach eigenem Grundriß) Montag und/Dienstag 9 - 1000 , am Montag, d. 18 October Audit. n° . ... ,/ Pandekten, zweite Hälfte: Obligationenrecht und Erbrecht (nach/eigenem Grundriß u unter Hinweisung auf die Lehrbücher von Amdts,/v. Vangerow, Puchta u Windscheid) täglich von 3 - 400 , Freitag u/Samstag von 4 - 5 00, am Mittwoch d. 20 October Audit. nO. 3/ Handelsrecht, mit Einschluß des Wechsel- See- und Versicherungsrechts (nach/eigenem Grundriß u mit Hinweisung auf mein Handbuch des Handelslrechts 1·1·2. Erlangen 1864, 1868, täglich von 8 - 9 00 , am/Dienstag d. 19 October Audit. nO. 8/
293 294 295 296 297 298
70).
Motive H, S. 241 f. (Mugdan, Materialien II, S. 133 f.). Statthaftigkeit 1874, S. 121. Vgl. die Überlegungen von Medicus, Bürgerliches Recht, Rdnr. 319. Übersicht bei Medicus, Bürgerliches Recht, Rdnm. 335 - 338. s. dazu R. Kirchhof, Der Übergang ... , in: NJW 1970, S. 2052 - 2055, 2052. Blatt GOLDSCHMlDT, Lewin: Vorlesungsankündigung (für das Wintersemester 1869/
200
2. Teil: Handelsrecht in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts u die Civilistischen Uebungen mit Rechtsfällen, Dienstag d. 26 October i XJ Abends/ in meiner Wohnung/ zu beginnen.! Gez. 13 October 69.
Goldschmidt"
Das ergibt, da der Sonnabend noch ein voller Vorlesungstag ist, 14 Semesterwochenstunden Vorlesung zuzüglich einer Übung im bürgerlichen Recht von unbestimmter Dauer. b) Grundrisse zu Goldschmidts Vorlesungen Auch über den genaueren Inhalt von zwei Vorlesungen Goldschmidts lassen sich detailliertere Angaben machen: Im 19. Jahrhundert veröffentlichten viele Hochschullehrer einen gedruckten Plan ihrer Vorlesungen. Diese meist als "Grundriß" bezeichneten Schriften waren in erster Linie für die Hörer der Vorlesungen ihrer Autoren bestimmt. Sie enthielten die Gliederung des Kollegs sowie Literatur- und Quellennachweise. Regelmäßig enthielten sie auch zusätzliche Ausführungen, meistens einen ausformulierten Abriß des in der Vorlesung dargebotenen Stoffes, häufig auch vertiefte Darstellungen von Materien, die in der betreffenden Vorlesung aus zeitlichen Gründen nur gestreift werden konnten. Diese Grundrisse dienten dazu, den Studenten im voraus einen Überblick über den Gegenstand der Vorlesung zu geben, es ihnen zu erleichtern, der Vorlesung zu folgen, und höheren Semestern zur Wiederholung im Rahmen der Vorbereitung auf das erste Examen 299 . Goldschmidt hat im Laufe seiner akademischen Lehrtätigkeit zwei derartige Grundrisse herausgegeben. aa) Encyc10pädie der Rechtswissenschaft im Grundriß Anders als seine übrigen systematischen Werke und Vorlesungen, die alle nach Vollständigkeit und umfassender wissenschaftlicher Tiefe dringen, ist "Goldschmidt's Encyc1opädie,,3oo von 1862 bewußt als Einführung in die Rechtswissenschaft für Anfänger angelegt. Da für Goldschmidt "die Einleitung in die gesammte Rechtswissenschaft ganz eigentlich Aufgabe des Lehrvortrags, des lebendigen Wortes ist,,301, beschränkt sich das Werk als Unterstützung und Entlastung der Vor299 Die enge Bindung der Grundrisse an die Vorlesungen ihres Autors und ihr meist nur fragmentarischer Inhalt unterscheidet sie von den "Grundrissen" der heutigen Ausbildungsliteratur, bei denen es sich meist um Kurz- oder Kürzestlehrbücher handelt. 300 So lautet der Encyclopädie 1862, S. I gedruckte Kurztitel. 301 Encyclopädie 1862, S. V; s. auch S. VII.
A. Tätigkeitsbereiche des Schaffens Goldschmidts
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lesung auf dreierlei: Wiedergabe der umfangreichen, detaillierten Gliederung mit Einfügung von Textproben bedeutsamer Quellenstellen und umfangreicher literarischer Nachweise. Ziel Goldschmidts war es, nicht ein Kompendium von Kurzfassungen der einzelnen Zweige der Rechtswissenschaft seiner Zeit zu liefern, sondern den inneren Zusammenhang aller Zweige der Rechtswissenschaft hervorzuheben und dafür statt eines logischen Systems ein solches zu bieten, in dem diese Zusammenhänge dem Zweck der Vorlesung entsprechend besonders deutlich hervortreten. So ist der Ansatz innerhalb der einzelnen Teile vor ihrer Auflösung in Spezialbereiche stets historisch, um die gemeinsamen Ursprünge und die Verwandtschaft einzelner Rechtsgebiete und -institute aufzuzeigen 302 . Die einzelnen Gliederungspunkte reichen bis in die Details auch abgelegener Nebengebiete. Das Werk bringt damit eine derartige Fülle von Gesichtspunkten, daß fraglich erscheinen muß, ob Goldschmidt dieses Programm tatsächlich in einer Vorlesung von drei Semesterwochenstunden während eines Semesters abzuhandeln vermochte 303 . Tatsächlich bereitete Goldschmidt seine Vorlesungen über das Maß dessen hinaus vor, das er in der gegebenen Zeit vorzutragen imstande war. Sie waren ihm gegenüber seinen schriftlichen Werken keineswegs zweitrangig. Dem entspricht auch sein von Anfang an starkes Engagement in Fragen der Juristenausbildung: Der Hochschullehrer beziehe seine Legitimation als Wissenschaftler auch gerade daraus, daß er die Grundlagen und Ergebnisse seines Forschens unmittelbar seinen auf diesem Gebiet Fachkunde suchenden und daher wissenschaftlich-kritischen Hörern einsichtig machen müsse, wie ihm diese wiederum Anstöße für seine weitere Arbeit gäben: "Der Universitätslehrer gehört auf das Katheder ... nur da erlangt er die nöthige Frische und Anregung, um in seiner Wissenschaft fortzuarbeiten" 304. Goldschmidt zeigt sich hier als ganz in der Tradition des Humboldtschen Bildungsideals stehend 305 .
Encyclopädie 1862, S. VI f. So zu Recht die Zweifel in der Besprechung durch Leopold August Warnkönig in Krit. Vjs. f. Gesetzgebung u. Rechtswiss. 5 (1863), S. 114 - 124, S. 115 - 117. Warnkönig, selbst Verfasser einer juristischen Enzyklopädie auf der Grundlage der historischen Rechtsschule (Rechtsphilosophie als Naturlehre des Rechts, Freiburg i.Br. 1839) teilt viele Ansichten Goldschmidts, insbes. die gegen Julius Stahl gerichtete Auffassung, daß die "praktisch-sittliche Idee der Gerechtigkeit" Grundlage allen Rechts sei und sich nicht umgekehrt der Begriff der Gerechtigkeit erst aus dem des positiven Rechts ergebe: Goldschmidt, Encyclopädie 1862, S. 7 - 15; Warnkönig S. 118 f.; vgl. auch Goldschmidt, Reichstagswahl 1887, S. 58. 304 Lebensbild S. 150 f. (15. 5. 1855). 305 Wilhe1m von Humboldt, Über die innere und äußere Organisation der höheren wissenschaftlichen Anstalten in Berlin, in: Wilhelm Weischedel (Hrsg.), Idee und Wirklichkeit einer Universität, Berlin 1960, S. 193 - 202. - E.-R. Huber, Verfassungsgeschichte I, S. 286 - 288. Siehe auch Goldschmidt, Rechtsstudium 1887, S. 86 - 94, 91 f.: "Die Verbindung des Lehrers mit dem Forscher bildet ... die vielbewunderte, von der ganzen civilisirten Welt beneidete Eigenart der Deutschen Universitäten." 302 303
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2. Teil: Handelsrecht in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts
bb) System des Handelsrechts Zu der Vorlesung in seinem Stammgebiet, dem Handelsrecht, hat Goldschmidt gleichsam in zwei Staffeln einen Grundriß veröffentlicht. Schon zu seiner Heidelberger Zeit war der Stoff seines Kollegs so angewachsen, daß die Veröffentlichung eines Grundrisses angezeigt war 306 . In Berlin scheint Goldschmidt in seiner Handelsrechtsvorlesung dann mehrere Jahre ohne einen unterstützenden Grundriß ausgekommen zu sein. Mitte der 80er Jahre war deren Stoff aber derartig angeschwollen, daß Goldschmidt wieder ein "System des Handelsrechts mit Einschluß des Wechsel-, See- und Versicherungsrechts im Grundriß" herausgab; es erschien bis 1892, als Goldschmidt seine Vorlesungstätigkeit einstellen mußte, in vier Auflagen 307 . Die erste Auflage enthielt wieder nur eine Gliederung von Goldschmidts Vorlesung mit umfangreichen Literaturangaben zu den einzelnen Abschnitten. Es bildet schon damit eine überaus brauchbare, wenn auch heute nur selten benutzte Bibliographie des Handelsrechts am Ende des 19. Jahrhunderts 308 . Aus der Gliederung läßt sich ermessen, wie umfangreich der von Goldschmidt gebotene Stoff war. Ab der zweiten Auflage zerfiel der Grundriß dann in zwei Teile: das "System", das heißt die Gliederung mit den Literaturangaben, und einen Teil "Ausführungen". In diese Ausführungen nahm Goldschmidt zunächst Abschnitte auf, die er im Vortrag fortan aussparte. Von der dritten Auflage an nutzte Goldschmidt sein Werk aber auch dazu, zu besonders umstrittenen Fragen des Handelsrechts, die auch in der Vorlesung behandelt wurden, noch einmal Stellung zu beziehen 309 . Auch in seinen Vorlesungen soll Goldschmidt sehr dazu geneigt haben, bei der Darstellung von Kontroversen die von ihm für richtig gehaltene Ansicht als maßgeblich hinzustellen und ins besonders abweichende Ansichten Thöls scharf abzulehnen 3 \O. Diese Schärfe in der Auseinandersetzung mit anderen Ansichten mag 306 Die 2. Aufl. dieses Grundrisses von 1866 (Goldschmidt weist in seiner Vorlesungsankündigung für das Wintersemester 1869/70 auf ihn hin), dessen Gliederung sich bemerkenswerterweise nicht mit der der erschienenen Teile von Goldschmidts Handbuch deckt, haben H. Keyßner und Herrnann Gabriel für die systematischen Teile v. Vollständiges Inhaltsverzeichniß zur ZHR, 11. - 15. Bd., Erlangen 1871, S. III, bzw. Systematisches Register zur ZHR Bd. 1 - 25, Stuttgart 1881,S. III, verwendet. 307 1. Aufl. 1887, 2. Aufl. 1889, 3. Aufl. 1890, 4. Aufl. 1892. 308 So zutreffend der Hinweis von Adler S. 121. 309 so Z. B. System, 4. Aufl. 1892, S. 256 - 262 gegen die von Thöl und Laband geäußerte Ansicht, daß der Lebensversicherungsvertrag kein echter Versicherungsvertrag sei; s. auch Natur der Lebensversicherung 1878, S. 179 - 183 u. zu dieser Streitfrage Wilhelm Ebel, Glücksvertrag und Versicherung, in: ders., Probleme der dt. Rechtsgeschichte, Göttingen 1978, S.101-122. 310 Robert Piloty, Meine Erlebnisse an der Berliner Universität (Faksimile-Wiedergabe), in: Liebmann, Juristische Fakultät, S. 454 f., 455; Adler S. 121.
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eine Folge davon gewesen sein, daß Goldschmidt sich ungemein schwer damit tat, aus der Vielzahl der von ihm herangezogenen und diskutierten Gesichtspunkte eine Lösung zu entwickeln; meinte er sie gefunden zu haben, so hielt er vermutlich strikt an ihr fest, um sich durch das Eindringen in noch weitere Argumente nicht erneut verunsichern zu lassen. Hervorzuheben ist jedoch, daß Goldschmidt niemals, weder in seinen Werken noch, wie sein Grundriß des Handelsrechts zeigt, in seinen Vorlesungen abweichende Ansichten anderer, so sehr er sie auch bekämpfen mochte, seinen Lesern oder Hörern einfach unterschlug. Er setzte sie vielmehr stets dem Zwang aus, sich mit den Gegenargumenten zu beschäftigen und sich die eigene Meinung schließlich selbst zu bilden. Ein Widerspruch zu seinem Ausbildungsideal, die Studenten zu eigenständigem Denken zu erziehen, liegt in der Schärfe von Goldschmidts Stellungnahmen zu einzelnen Kontroversen also nicht. 2. Schriften zur luristenausbildung
Mehrere Schriften Goldschmidts gelten Problemen der Ausbildung des juristischen Nachwuchses 311 • Sie erstrecken sich über die ganzen Jahre seines wissenschaftlichen wie praktischen Wirkens 312 • Die erste Schrift von 1859 ist noch deutlich von den frischen Eindrücken geprägt, die Goldschmidt als Student an preußischen und außerpreußischen Universitäten und als Auskultator und Referendar in preußischen Diensten gewonnen hatte. Kernpunkt seiner Kritik waren zwei Mißbräuche, denen sich die Auskultatoren und Referendare im preußischen Vorbereitungsdienst ausgesetzt sahen. Zum einen wurden sie planmäßig zu subalternen gerichtlichen, nicht aber spezifisch juristischen Tätigkeiten herangezogen; häufig wurden sie mehrere Jahre lang als unbesoldete Angestellte der Geschäftsstellen eingesetzt. Zum anderen beschränkte sich die wenig überwachte juristische Ausbildung an preußischen Gerichten auf die nur handwerkliche Anwendung der preußischen Gesetze auf lokale Rechtsfälle; damit bestand eine große Diskrepanz zwischen der Universitätsausbildung, bei der seit Savignys Zeiten auch in Preußen wieder ganz das Pandektenrecht im Mittelpunkt stand, und dem Vorbereitungsdienst, der notwendigerweise den preußischen Partikularrechten gewidmet war313 •
s. hierzu insbes. Schmidt, Goldschmidt S. 225 f. Preuß. Recht u. Rechsstudium 1859; Das dreijährige Studium 1878; Rechtsstudium und Prüfungsordnung 1887 (enthält S. 260 ff. bzw. S. 42 ff. wesentliche Teile der beiden vorangegangenen Schriften); Noch einmal Rechtsstudium und Prüfungsordnung 1888 (auch in Verm. Sehr. I, S. 575 - 618; eine Erwiderung auf die Kritik der vorangegangenen Schrift von Max Eccius, Rechtsstudium und Prüfungsordnung, in: Preuß. Jbb. 61, 1888, S. 164 - 185, die auf Bitte der Redaktion der Preuß. Jbb. erfolgte: Nachschrift der Redaction, Preuß. Jbb. 61, 1888, S. 185. 313 Das preußische Recht 1859, S. 31 - 35, 43 - 56. 3ll
312
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2. Teil: Handelsrecht in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts
Hinter dieser Veröffentlichung stand ein übergeordnetes rechtspolitisches Interesse, das Goldschmidt vertrat. Als Hauptursache der von ihm als mangelhaft empfundenen Ausbildung der preußischen Juristen erklärt er bereits in dieser Schrift die große Kluft, die durch den Erlaß des Preußischen Allgemeinen Landrechts von 1794 zwischen der gemeinrechtlichen deutschen Rechtswissenschaft, die seit Savigny in vollster Blüte stand, und den nur lokal geltenden Partikularrechten, die keine wissenschaftliche Durchdringung auf breiterer Grundlage finden konnten, aufgerissen worden war314 . Sein Aufsatz dient daher in einer Zeit, zu der fast alle deutschen Staaten daran arbeiten, ein jedenfalls gemein-deutsches Handelsrecht zu schaffen, dem Ziel, in Preußen Bestrebungen zu wecken, die bereit sind, auf eine Angleichung des gesamten Privatrechts aller deutschen Staaten hinzuarbeiten. Er gipfelt folgerichtig in der Forderung nach der Schaffung eines allgemeinen deutschen Zivilgesetzbuchs und einer einheitlichen deutschen Gerichtsverfassung mit unabhängigen Gerichten und einem gemeinsamen obersten deutschen Gerichtshof315 . Diese Gedanken sind keineswegs gegen Preußens Stellung im Deutschen Bund gerichtet, vielmehr ist das Gegenteil der Fall: Goldschmidt mußte als Jurist sein politisches Ziel, Deutschland unter preußischer Führung geeint zu sehen, für gefährdet halten, solange die Gegner Preußens diesem Staat vorwerfen konnten, in der Frage der einheitlichen Gesetzgebung, die von den gebildeten Kreisen jener Zeit als grundlegend empfunden wurde, auf einem partikularistischen Standpunkt zu verharren. Goldschmidts weitere Bestrebungen, seine das Prüfungs wesen betreffenden Forderungen in Heidelberg praktisch in die Tat umsetzen zu können, wurden durch seinen Ausschluß erst vom Ordinariat, dann von der Prüfungskommission der Universität zu seiner Erbitterung vereitelt. Mit der Reichsgründung war der allgemein-politische Aspekt der Schrift von 1859 fortgefallen 316 , und Goldschmidt wandte sich nun ganz den rechtspolitischen und wissenschaftlichen Aspekten der Juristenausbildung zu. Die Vereinheitlichung des Justizwesens im Reich brachte die Notwendigkeit mit sich, durch reichs gesetzliche Regelung den Rahmen festzulegen, in dem die von den einzelnen Bundesstaaten getragene Juristenausbildung sich bewegen sollte; dies geschah in § 2 Abs. 1 - 4 GVG 1877317 . Bei dieser Regelung setzten sich die alten preußischen Vorstellungen durch, wonach der dort vierjährigen 318 praktischen Ausbildung ein Übergewicht über die Universitätsausbildung zukam, die nur drei Jahre dauern 319 und auf deren Dauer der einjährige Militärdienst voll angerechnet werden sollte 32o • Die Folgen malte Goldschmidt 1877 in düsteren Farben: 314 315 316 317 318 319
Das preußische Recht 1859, S. 35 - 46. Das preußische Recht 1859, S. 57. Deutlich insoweit Rechtsstudium 1887, S. 123. s. heute §§ 5 - 7 DRiG 1972 in der Fassung von 1984. § 2 Abs. 3,4 GVG 1877 sah mindestens 3 Jahre vor. Nach § 2 Abs. 2,4 GVG 1877 die Mindestdauer.
A. Tätigkeitsbereiche des Schaffens Goldschmidts
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Das kurze, durch Militärdienst noch kürzbare Studium werde sich in sinnloser Einpaukerei bei privaten Repetitoren erschöpfen321 und in einer ersten Staatsprüfung enden, die von Verachtung wissenschaftlichen Denkens geprägt sei; damit werde eine große Zahl theoretisch ungeschulter Nachwuchsjuristen in den Vorbereitungsdienst treten. Da sie hier besonders in Preußen nach wie vor zu subalternen Gerichtsdiensten mißbraucht würden, würden sie hier gleichfalls wenig ernsthaftes juristisches Arbeiten lernen, der Gang zum Repetitor werde sich vor dem abschließenden Staatsexamen wiederholen. Schließlich werde eine ganze Generation völlig ungenügend ausgebildeter Juristen den Vorbereitungsdienst verlassen. Dann aber setze die eigentliche Katastrophe erst ein, nämlich der wegen der schlechten Qualität des Nachwuchses zwingend eintretende Niedergang des deutschen Justizwesens322 . Dieser dunklen Vision setzt Goldschmidt immer wieder die Notwendigkeit eines wissenschaftlich ausgebauten Universitätsstudiums entgegen: Dieses sei eine gerade vom Ausland allgemein anerkannte und bewunderte Besonderheit der Juristenausbildung aller deutschen Staaten 323 . Nur die wirklich gründliche Ausbildung der Studenten schon an der Universität und nicht allein in den "praktischen" Fächern, die natürlich im Mittelpunkt stehen sollten, sondern auch in Rechtsphilosophie, Rechtsgeschichte und den Grundzügen von Staatslehre und Nationalökonomie werde die Studenten für einen Übergang in die Praxis reif machen. Goldschmidts Rufe verhallten indes ungehört. Seine Schrift erschien, wegen seiner Erkrankung verzögert, erst nachdem die Gesetzgebungsarbeiten schon abgeschlossen waren. Sie war zudem wegen der großen Eile, in der Goldschmi.dt sie schließlich vollendete, weitgehend unstrukturiert 324 • Immerhin wurden seine Forderungen in eine Petition der Berliner Juristenfakultät aufgenommen 325 ; diese blieb freilich erfolglos. Aber in den folgenden Jahren gewann die Frage der Juristenausbildung in der rechtspolitischen Auseinandersetzung wieder große Bedeutung 326 . Dies veranlaßte Goldschmidt dazu, in dieser Frage erneut das Wort zu ergreifen. Dies geschah zunächst in einer Rede, die Goldschmidt am 11. Dezember 1886 vor der Berliner Juristischen Gesellschaft hielt 327 . In der kurzen Zeit bis zum 11. 320 Das war allerdings in § 2 GVG 1877 nicht vorgesehen und daher nach Art. 2 S. I R.=Verf. (Vorrang des Reichsrechts) wohl unzulässig: Goldschmidt, Rechtsstudium 1887, S.337. 321 Schon damals war der Besuch außeruniversitärer "Repetitoren" kurz vor dem Examen allgemein üblich. 322 Das dreijährige Studium 1878, S. 38 - 82 passim. 323 Das dreijährige Studium 1878, S. 46 ff., 60 f., 81 f.; Rechtsstudium 1887, S. 91 f. Diese Einschätzung ist wohl richtig, vgl. G. Rolin-Jaequemyns, Rev. de droit int. 20 (1888), S. 527 f., 528. 324 Goldschmidt hat sich dafür in seiner Widmung des Werkes an Jolly (anläßlich von dessen Silberhochzeit) entschuldigt. 325 s. Goldschmidt, Rechtsstudium 1887, S. 28, 30 f. 326 s. die ausführlichen Nachweise in Rechtsstudium 1887, S. \0 - 41, 358 - 361 (Noten 5 - 56), 438 - 443.
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2. Teil: Handelsrecht in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts
Januar 1887, von dem die programmatische Widmung an Eduard Pape ctatiert 328 , machte Goldschmidt aus seinem Manuskript unter dem Titel "Rechtsstudium und Prüfungsordnung" ein Werk von über 400 Seiten. Es gehört zu seinen frischesten und bis heute unverändert aktuell gebliebenen Veröffentlichungen und wurde schon kurz nach seinem Erscheinen im In- und Ausland, von Befürwortern wie Gegnern seiner Ansichten als Meisterwerk gepriesen 329 . Freilich erschien den Kritikern die nicht selten bissige Polemik von Goldschmidts Ausführungen, die aus der Vergeblichkeit seiner bisherigen Bemühungen resultierte und die niemanden verschonte 33o , übertrieben 331 . Sie ist, wie viele Schwächen des Werkes, darunter insbesondere die unsystematische, assoziative Gliederung und das Fehlen oder nachträgliche Einfügen mancher Anmerkungen im Anhang, dem noch zwei Nachträge folgen, verursacht durch die Eile, in der Goldschmidt das Werk niederschrieb. Die durch die Nachlässigkeit in der Form eingesparte Energie vermochte er indessen vollständig dem Inhalt des Werkes zugute kommen zu lassen. Goldschmidt erhebt in seiner Schrift dieselben rechtspolitischen Forderungen zu Studium und Ausbildung wie in den Schriften zuvor332 : Stärkere Gewichtung des Studiums mit dem Ziel umfassender Ausbildung der angehenden Juristen auch in den Grundlagenfächern; Wahrung der Einheit von Forschung und Lehre; Ausweitung des Angebots an praktischen und exegetischen Übungen; Verschärfung der mündlichen und schriftlichen ersten Staatsprüfung unter Beteiligung von Professoren und Praktikern, Erstreckung der Prüfung auf alle Fächer und in den Kernfächern Anfertigung der Lösung praktischer Fälle im Examen; Mindeststudiendauer von vier Jahren mit der Möglichkeit der Verkürzung bei herausragenden Leistungen in den Übungen 333 ; Fortfall der Anrechnung des Militärdienstes auf die Studienzeit; Verkürzung und Straffung des praktischen Vorbereitungsdienstes durch Einführung von Ausbildungsstationen bei Verwaltungsbehörden; Fortfall der nicht Ausbildungszwecken dienenden Beschäftigung der Referendare; möglichst reichseinheitliche Regelung des juristischen Ausbildungs- und Prüfungswesens334 . Die meisten dieser Forderungen beherrschten und beherrschen seither die Diskussion über die Reform der Juristenausbildung, ohne daß jemals über eine von ihnen ein abschließender Konsens erzielt worden wäre 335 • Rechtsstudium 1887, S. 5. Rechtsstudium 1887, S. 6. 329 Rezensionen von Eccius, Preuß. Jbb. 61 (1888), S. 164 - 185; Rolin-Jaequemyns, Rev. de droit int. 20 (1888), S. 527 f.; Laband, AöR 3 (1888), S. 430 - 435; Lasson, Krit. Vjs. f. Gesetzgebung u. Rechtswiss. 33 (1891), S. 234 - 251, 234 - 244. 330 Auch vor der Wiedergabe von Anekdoten schreckt Goldschmidt nicht zurück. Besonders hübsch: Das dreijährige Studium 1878, S. 48 f., und Rechtsstudium 1887, S. 342 f. 331 So schon Khe., Beitr. Preuß. R. 22 (1878), S. 431 - 442, 433; Rolin-Jaequemyns, Rev. de droit int. 20 (1888), S. 527 f., 528 ("Schadenfreude"). 332 Rechtsstudium 1887, S. 273 - 341 mit zahlreichen Verweisen, insbes. S. 293 ff. 333 Vgl. inzwischen § 5a Abs. I S. I Halbsatz I DRiG 1984. 334 Zusammenfassende Darstellung aller Forderungen in Noch einmal Rechtsstudium 1889, Verrn. Sehr. I, S. 579 - 618. 327
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A. Tätigkeitsbereiche des Schaffens Goldschmidts
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Goldschmidt versucht in seiner Schrift von 1887, seinen Forderungskatalog auf breiter empirischer Grundlage zu begründen. Er führt die auch von anderen Autoren inzwischen konstatierten Mängel des preußischen Ausbildungssystems auf. Ihr schwerwiegendster sei es, daß juristische Prüfungsanwärter sich zu häufig als unfähig erwiesen, schwierigere Fälle juristisch auch nur zu analysieren und sie einer nicht allein dogmatisch, sondern auch der jeweiligen Interessenlage entsprechenden Lösung zuzuführen und diese stichhaltig zu begründen336 . Diese Analyse ergänzt er in einem Anhang 337 um einen Abriß der Juristenausbildungssysteme einiger anderer europäischer Staaaten. Den Hauptteil der gesamten Darstellung aber macht der zweite Abschnitt der Schrift über "Die geschichtlichen Ursachen des wissenschaftlichen Rückgangs" aus 338 . Mit der sich schon aus der Überschrift ergebenden Tendenz, die zuvor gerügten Mängel zu belegen und die folgenden Forderungen zu stützen, bringt dieser Teil wesentlich mehr, nämlich den im Untertitel des Gesamtwerks angekündigten "Beitrag zur Preußischen und Deutschen Rechtsgeschichte", eine erstaunlich detaillierte, mit reichen Quellen- und Literaturnachweisen versehene Geschichte der Juristenausbildung in Deutschland, insbesondere in Preußen, vom Beginn der Rezeption des Römischen Rechts bis in die Zeit nach den Reichsjustizgesetzen 339 . Auch sie ist nicht frei von gelegentlichen polemischen oder persönlichen Einschüben, letztere nicht selten veranlaßt durch die bittere Erinnerung an die ihm als Juden während seiner Ausbildung zugefügten Benachteiligungen 34o . Dennoch hat sie in der Literatur nicht ihresgleichen, und keine spätere Schrift zu diesem Thema kann auf die Benutzung dieses Werkes Goldschmidts verzichten 341 . Eingerahmt wird Goldschmidts Darstellung von einem Anhang über die notwendig gewachsene Bedeutung der Staatswissenschaften, insbesondere der Nationalökonomie und des öffentlichen Rechts in allen seinen Teilen für die praktische Jurisprudenz und damit auch für die Juristenausbildung 342, und eine Einleitung über Aufgabe und Funktion der Gesetzgebung 343 und das Verhältnis von juristischer Theorie zu juristischer Praxis344 • Beides gehört zu den gelungensten Äußerungen 335 V gl. zum Stand nach der bislang letzten bundesgesetzlichen Vorgabe durch Gesetz v. 25.7. 1984 (Neufassung der §§ 5 - 5d DRiG): R. Schmidt/M. Braun/R. Mögele, Juristenausbildung - jetzt wie einst, in: JZ 1984, S. 364 - 370. 336 'Rechtsstudium 1887, S. 10 ff., 438 ff. (Beilage 11). 337 Rechtsstudium 1887, S. 413 ff. (Beilage I). 338 Rechtsstudium 1887, S. 105 - 259. 339 Rechtsstudium 1887, S. 126 - 236. 340 Rechtsstudium 1887, S. 379 in Fußn. 219 zur Ablehnung seiner Zulassung zur Promotion durch Friedrich J ulius Stahl. 341 s. insbes. Hans Hauenhauer, Juristenausbildung - Geschichte und Probleme, in: JuS 1989, S. 513 - 520 m.w.N. 342 Rechtsstudium 1887, S. 236 - 259. 343 Rechtsstudium 1887, S. 105 - 114, 123 - 126. 344 Rechtsstudium 1887, S. 114 - 123.
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2. Teil: Handelsrecht in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts
Goldschmidts zu grundlegenden Fragen von Recht und Rechtswissenschaft überhaupt. So tadelt er das Preußische ALR von 1794 nicht deshalb, weil seine Regelungen unvernünftig gewesen wären, sondern wegen der mit seinem Erlaß gegebenen Loslösung Preußens vom gemeindeutschen Rechtsgebiet und inhaltlich wegen seiner ausgeprägten Tendenz, den Rechtsanwender zu bevormunden 345 . Der detailfreudige und jede wissenschaftliche Bearbeitung zunächst verbietende, später erheblich erschwerende Stil des Gesetzbuches widerspreche dem schöpferischen Charakter der Rechtswissenschaft und Rechtsanwendung, der sich in der Erkenntnis und Anerkennung der Normen des "immanenten Rechts" offenbare. Dieser Kritik konnten auch die Bewunderer des ALR ihre Berechtigung nicht absprechen, zumal der allmähliche Aufstieg der wissenschaftlichen Bearbeitung des preußischen Rechts über Koch zu Dernburg ja durch Befreiung von obrigkeitsstalltlichen Restriktionen der vorangegangenen Zeit gekennzeichnet war. Von diesen Mängeln des ALR - und dies liest sich wie eine vorweggenommene Antwort auf die später von Dernburg gegen ihn erhobenen Vorwürfe - sei das in Angriff genommene Projekt eines deutschen BGB frei: Es werde eine gesamtdeutsche Kodifikation, und die ihren Regelungen vorgeworfene Abstraktheit sei nur Ausdruck ihrer Offenheit für die Ausfüllung und Weiterentwicklung ihrer Rechtssätze durch eine auf wissenschaftliche Grundlagen gestützte Praxis. Der Beitrag über das Verhältnis von Theorie und Praxis ist wesentlich getragen von Goldschmidts umfangreichen Erfahrungen als Praktiker und als Hochschullehrer346 . Auf wenigen Seiten legt er das Credo seiner Berufe und Berufungen dar347 . Er beginnt mit einer Charakterisierung der Rechtsprechung: "lebendiges Recht" sei nur das durch die Gerichte und Verwaltungs behörden in oberster Instanz angewandte Recht; Kennzeichen dieses Rechts im Gegensatz zum starren positiven Recht, das nur durch Änderung von Gesetzen oder Gewohnheiten wandelbar sei, sei die Möglichkeit, aber auch Notwendigkeit der steten "Selbstkorrektur,,348, nämlich ihrer Anpassung an den jeweiligen Stand der Erkenntnis sowohl der Sätze des positiven Rechts als auch der von ihnen geregelten Lebensverhältnisse, also an den "Fortschritt wissenschaftlicher Einsicht". Dem formellen Mangel geringerer Beständigkeit der Praxis stehe der materielle Vorzug der größeren Bedürfnisgerechtigkeit im Wandel der Zeiten gegenüber349 . Alle praktische Rechtsanwendung setze deshalb zwingend die als "Theorie" bezeichnete wissenschaftliche Erkenntnis voraus. Dies hätten schon die großen römischen Juristen, insbesondere Celsus, erkannt350 . Jede Theorie sei demnach Rechtsanwendung, weil sie die Klärung von 345 Dies in engem Anschluß an seine pointierten Ausführungen in Das preußische Recht 1859, S. 35 ff. 346 Rechtsstudium 1887, S. 118. 347 Insbes. Rechtsstudium 1887, S. 118 - 123 (S. 114 - 118: Stellungnahme zu Ansichten Feuerbachs, Savignys u. a.). 348 Rechtsstudium 1887, S. 118. 349 Rechtsstudium 1887, S. 119. 350 Rechtsstudium 1887, S. 119 f.
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Rechtsfragen betreffe, jede Rechtsanwendung umgekehrt theoretisches Arbeiten, weil sie die Erkenntnis des zu entscheidenden Problems voraussetze. Wenn im Einzelfall ein Gegensatz zwischen den von vorgeblich "Theorie" und "Praxis" vertretenen Ansichten bestehe, dann beruhe er in Wahrheit nur darauf, daß bei Beantwortung einzelner rechtserheblicher Fragen "eine andere Theorie" zugrundegelegt worden sei, wobei "Theorie" nunmehr bei Goldschmidt für "Rechtsansicht" steht. Natürlich könne die Antwort, die die überwiegende Zahl der Hochschullehrer auf eine bestimmte Rechtsfrage, sei sie genereller Art oder auf die Umstände eines konkreten Falls bezogen, geben, anders lauten als die, die von den meisten Gerichten in den Entscheidungen einschlägiger Fälle gegeben werde. Dieser Unterschied in den Auffassungen sei dann aber nicht in einem unterschiedlichen Wesen von Theorie und Praxis begründet, sondern beruhe auf einem unterschiedlich tiefen Grad von Einsicht in die zu entscheidende Rechtsfrage. Allein diese Einsicht aber sei das Element, das die regelmäßig nur relative Richtigkeit der Antwort ausmache, nicht aber die Herkunft oder das Tatigkeitsfeld der Vertreter dieser Ansicht. Deshalb sei es wesentlich, daß Theorie und Praxis, Hochschule und Gerichte, in ihrer insoweit nur äußerlichen Scheidung in ständigem Austausch stünden, um sich bei der Suche der für die Entscheidung maßgeblichen Gesichtspunkte gegenseitig zu befruchten 35I . Den in der Rechtslehre verbreiteten Drang, ohne Rücksicht auf die Gesamtheit der zu berücksichtigenden Gesichtspunkte neue oder auch nur vermeintlich neue Gedanken, insbesondere dogmatische Konstruktionen als "Theorie" zu verbreiten, sei der Rechtswissenschaft wenig förderlich und entspreche gerade im Pandektenrecht nicnt der Haltung der großen römischen Juristen 352 . Tatsächlich hat sich Goldschmidt, wie eine Durchsicht seines Handbuchs des Handelsrechts ergibt, mit der Entwicklung solcher "Theorien" sehr schwer getan, und nicht zufällig gehört er zu den Juristen des 19. Jahrhunderts, die nicht als Ahnherr irgendeiner in der heutigen Rechtswissenschaft noch vertretenen oder abgelehnten "Theorie" herangezogen werden. Diese Ausführungen Goldschmidts stehen nicht allein im Mittelpunkt seiner Hauptschrift über die Reform der Juristenausbildung, sondern enthalten einen Kernpunkt seines gesamten Schaffens und machen deutlich, weshalb Goldschmidt der Frage der Juristenausbildung eine so große Bedeutung beigemessen har3 53 : Die Fähigkeit, wissenschaftliche Erkenntnis der von ihm definierten Art zu gewinnen, ist für ihn eine persönliche Eigenschaft des "praktischen" wie "theoretischen" Rechtsanwenders; sie muß deshalb unabhängig davon sein, ob der Rechtsanwender Rechtslehrer, Richter oder Verwaltungsbeamter sei. Diese Fähigkeit zu wissenschaftlicher Erkenntnis könne aber nur erworben werden durch eine umfassende Ausbildung, die ihrerseits auf der Lehre von gleichermaßen ausgebildeten und durch Erfahrung geschulten Juristen ruhe. 351 352 353
Rechtsstudium 1887, S. 120 f., 122 f. Rechtsstudium 1887, S. 121 f.; s. auch Lebensbild S. 410 f., 411. Rechtsstudium 1887, S. 126.
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2. Teil: Handelsrecht in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts
Diese Essenz seines Ansatzes in der Reformdiskussion steht in untrennbarem Zusammenhang mit Goldschmidts "eklektizistischen" Ansatz in der juristischen Methodenlehre 354 . Denn indem Goldschmidt dafür eintritt, bei der Entscheidung von Rechtsfragen möglichst alle Gesichtspunkte zu berücksichtigen, auch solche, die wegen ihrer Grundlage in den tatsächlichen Verhältnissen gemeinhin nicht als spezifisch juristisch empfunden werden, braucht er ein Korrektiv, das verhindert, daß die im Einzelfall als entscheidungserheblich angesehenen Gesichtspunkte schließlich nach nur subjektiven Kriterien ausgewählt werden, die anderen als dem entscheidenden Organ nicht mehr nachvollziehbar sind. Dieses Korrektiv sieht er in der Integration dieser Gesichtspunkte in ein umfassender verstandenes juristisches System. Dessen einheitliche Anwendung setzt aber voraus, daß die zur Rechtsanwendung berufenen Richter und Beamten es nicht nur beherrschen, sondern daß sie im wesentlichen auch den gleichen geistigen Hintergrund haben, um die jeweils gefundenen Entscheidungen konsens fähig zu machen. Goldschmidts Forderungen laufen damit freilich alle auf eine Verlängerung der juristischen Ausbildung und ihre Befrachtung mit weiteren Lehrinhalten hinaus, von denen mitunter fraglich sein kann, inwieweit sie später für das juristische Arbeiten unmittelbar erforderlich sind355 . Gerade deshalb aber tritt Goldschmidt so nachdrücklich für eine dem praktischen Vorbereitungsdienst vorgeschaltete gründliche Universitätsausbildung ein. Den Vorbereitungsdienst sieht er als Möglichkeit, den zuvor in Vorlesungen und einzelnen praktischen Übungen systematisch erlernten Stoff nunmehr unter Aufsicht und Anleitung erfahrener Praktiker, aber zunehmend in selbständiger Arbeit zur Lösung konkreter Rechtsfälle anzuwenden. Das vorangegangene Studium ist für ihn aber notwendig, um dem angehenden Juristen die Unterlage an Wissen zu garantieren, die er für diese Tätigkeit braucht: "Unseren Studirenden sage ich: Weniger Geist und mehr Wissen, auf dessen Boden allein sich der sichere Karakter entwickelt,,356. Da der Erwerb dieser in "Wissen" bestehenden Unterlage aller juristischen Tätigkeit schwieriger und langwieriger sei als die Aneignung der zu ihrer praktischen Umsetzung erforderlichen Fertigkeiten, sieht Goldschmidt das Studium als den gleichsam natürlichen Schwerpunkt der Gesamtausbildung. Dennoch sei die gesamte Ausbildung organisch zu strukturieren und als Einheit aufzufassen 357 , in der ihrem praktischen Teil insoweit aber selbständige Bedeutung zukomme, als in ihm auch die Möglichkeit zur Vertiefung einzelner Rechtsbereiche ermöglicht werden solle, da häufig erst hier der auszubildende Jurist den Schwerpunkt seiner Interessen finden könne 358 . Goldschmidt selbst hatte sich ja erst während seiner praktischen Ausbildung endgültig gegen Vgl. dazu schon Sinzheimer S. 58. Hierzu insbes. die Kritik von Eccius, Preuß. Jbb. 61 (1888), S. 168. 356 Rechtsstudium 1887, S. 356. 357 Rechtsstudium 1887, S. 293. - Auch die Betonung dieses Gedankens, auf dem das Modell der einstufigen Juristenausbildung beruht, ist also nicht neu. 358 So Goldschmidt auch in einern Brief mit Ratschlägen an seinen Neffen Oscar Goldschmidt, Lebensbild S. 410 f. (2.9. 1878). 354 355
A. Tätigkeitsbereiche des Schaffens Goldschmidts
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das Strafrecht und für das Handelsrecht als den Schwerpunkt seines künftigen Wirkens entschieden und war noch in das Referendariat ohne feste Vorstellung über sein künftiges berufliches Wirken eingetreten. Da das Studium als Phase der eigentlichen Wissensvermittlung so die Hauptlast der Ausbildung tragen soll, muß Goldschmidt sich der Frage stellen, wie sich eine Überlastung des Studiums verhindern lasse. Schon deshalb kommt er nicht darum herum, für eine Verlängerung der Mindeststudiendauer auf vier Jahre einzutreten. Reichen Raum widmet er aber auch der Methodik des Universitätsunterrichts 359 . Ihrer Darlegung dienen auch die zahlreichen autobiographischen Details, die er insbesondere in seinen Schriften von 1878 und 1887 ausbreitet, indem er mitunter recht ausführlich auf Erlebnisse seiner Ausbildungszeit zurückgreift oder die ihm mitgeteilten anderer referiert und kurze Porträts seiner eigenen Lehrer und späteren Kollegen entwirft36o • Diese Skizzen haben nicht nur anekdotischen Wert; sie sollen deutlich machen, daß ein hohes Niveau der Ausbildung nicht allein auf der Auswahl begabter Lernender durch Prüfungen, sondern vorrangig auf dem Einsatz geeigneter Ausbilder beruhe. Für geeignet, junge Juristen an der Hochschule, dann bei Gerichten, Verwaltungsbehörden oder Rechtsanwälten auszubilden, hält Goldschmidt den Typus des Juristen, der dem Ideal, für das ausgebildet werden soll, in höchstem Maße selbst entspreche, indem er in sich wissenschaftliche Erkenntnis und praktische Erfahrung vereinige. Das Humboldtsche Universitätsmodell der Einheit von Forschung und Lehre sei deshalb nicht allein aus idealistischen Vorstellungen heraus, sondern auch aus praktischen Gründen der Ausbildung eine der bedeutendsten Errungenschaften der deutschen Kulturgeschichte und werde auch im europäischen Ausland als vorbildlich angesehen 361 • Nur auf der Grundlage dieses Bildungssystems lasse sich die Vermittlung von Wissen mit der Ausbildung eines selbständigen Charakters der Lernenden verbinden: "Kurz gesagt: Die Erziehung zur geistigen Selbständigkeit mitte Ist geistiger Freiheit, dies und nur dies ist der Beruf der Deutschen Hochschule,,362. Die Aufgabe der universitären Ausbildung dürfe aber nicht beschränkt bleiben auf die bloße Weitergabe von Wissen; sie müsse begleitet sein von der Vermittlung 359 Insbes. Rechtsstudium 1887, S. 86 - 96 u. S. 260 - 272 (3. Abschnitt: "Persönliche Bestrebungen und Erfahrungen"). 360 Rechtsstudium 1887, S. 260 - 272, insbes. S. 265 - 269 (Schilderung des eigenen Berufs- und Ausbildungsweges von der Schulzeit bis zum Berliner Ordinariat); s. auch S. 83 (Heydemann und das ALR), S. 89, 263 (Lehrer und Praktiker, insbes. Keller), 101 f. u. 225 f. (Auskultatur und Referendariat in Danzig), 253 (Verbindung von Praxis und Dogmatik im eigenen Werk), 311 (eigene Examina), 334 (Hambrook), 365 Anm. 112 f. (ökonomische Lage der Hochschullehrer), 366 Anm. 115 (zum "Tod auf dem Katheder"). 361 Rechtsstudium 1887, S. 91 f. 362 Rechtsstudium 1887, S. 93. Für die Erziehung zu geistiger Selbständigkeit im Bereich der Rechtswissenschaften sei das gemeine römische Recht die am besten geeignete Grundlage: Seinem Neffen Oscar rät Goldschmidt 1878, in der vorlesungsfreien Zeit täglich ein bis zwei Stunden die Quellen des römischen Rechts und zusätzlich einige Stunden "die unvergleichlich bildenden Bd. II - V von Savigny's System" zu studieren (Lebensbild S. 411).
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2. Teil: Handelsrecht in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts
der Methoden juristischen Arbeitens. Auch im Unterricht an der Universität solle nicht das Ergebnis der Lösung einer Streitfrage im Mittelpunkt stehen, sondern der Weg, auf dem es gefunden werde. Damit, und hier findet sich der Bezug zu Goldschmidts grundlegendem Exkurs zum Verhältnis der Theorie zur Praxis, sei auch das Studium nur eine Form praktischen Arbeitens. Deshalb hat die von Goldschmidt geforderte Ausweitung des Angebots an Übungen "praktischer und exegetischer Art" für ihn eigentlich keine selbständige Bedeutung, sondern soll nur dazu dienen, ein im Wesen der Universitäts ausbildung bereits angelegtes Element zu unterstützen 363 . Goldschmidt hat mit seiner Schrift von 1887 durchaus Einfluß auf die Diskussionen seiner Zeit und ihrer bis heute bedeutsamen Ergebnisse gehabe 64 . Die von Goldschmidt und anderen geforderte grundlegende Reform hat indessen nicht stattgefunden 365 . Daran konnte auch Goldschmidt nichts ändern, obwohl er als Mitglied der preußischen "Kommission für juristisches Studien- und Prüfungswesen" zeitweilig auch praktisch-administrativ an den Reformarbeiten beteiligt war. Er scheiterte jedoch an den Bestrebungen der beteiligten Ministerien, die Reform nur einzelner Teile der Ausbildung durch bloße verwaltungstechnische Anordnungen auf dem Verordnungswege durchzuführen. Goldschmidt verließ die Kommission deshalb 1890366 . Insofern teilte er das Schicksal seiner Mitstreiter wie Widersacher Gneist, Gierke, Dernburg oder Bähr, die alle feststellen mußten, daß die Frage der Juristenausbildung schon im 19. Jahrhundert zunehmend nach obrigkeitlich-verwaltungstechnischen und ideologischen Gesichtspunkten geregelt wurde, während die von den Betroffenen und Sachkundigen vorgebrachten Argumente und Vorschläge nicht mehr zur Kenntnis genommen wurden. Da sich das Modell der zwei stufigen Ausbildung im Grundsatz bewährt hat und inzwischen die Juristenausbildung in Deutschland wieder einheitlich auf diesem Modell beruht, sind viele der Ausführungen Goldschmidts nach wie vor aktuell. Dies gilt insbesondere für seine allgemeine Auffassung von der Grundlage aller rechtsentscheidenden Tätigkeit, aus der die Aufgaben der juristischen Ausbildung unmittelbar folgten. Goldschmidt gehörte zu den Juristen des 19. Jahrhunderts, die größeren Wert auf die Erkenntnis legten, daß die Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten nicht innerhalb eines autonomen, von nur rein rechtslogischen Elementen bestimmten Systems möglich sei, sondern daß die als spezifisch juristisch erscheinenden Elemente der Rechtsfindung getragen würden von wirtschaftlichen, sozialen, ethischen und auch psychologischen Momenten 367 . Diese Erkenntnis, die So schon nachdrücklich in Das preußische Recht 1859, S. 51. Vgl. Hattenhauer, Juristenausbildung, JuS 1989, S. 519. 365 Vgl. G. Köbler, Art. Juristenausbildung, in: HRG 2 (1972), Sp. 484 - 488, 487. 366 Austrittserklärung in Lebensbild S. 462. 367 Nicht zufällig sind es gerade die Vertreter dieser Auffassung, die sich an der Diskussion um die Reform der Juristenausbildung beteiligten, während die Anhänger einer stärker begrifflich ausgeprägten Jurisprudenz wie etwa Thöl oder Windscheid sich hier zurückhielten. 363
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B. Aus Goldschmidts rechtswissenschaftlichem Werk
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schon im 19. Jahrhundert nicht neu war, aber zunehmend deutlicher artikuliert wurde, ist heute Gemeingut des juristischen Selbstverständnisses. Dennoch wird ihre Umsetzung in Ausbildungsmodelle in neuerer Zeit von Reformansätzen gefahrdet, die paradoxerweise gerade im Zeichen dieser, von vielen Reformern für neu und an den Universitäten wenig verbreitet gehaltenen, Erkenntnis stehen 368 . Denn der Drang, die - inzwischen auch im europäischen Vergleich - als zu umständlich und zu lang empfundene Juristenausbildung zu straffen, hat dazu geführt, daß nach vielen Reformansätzen die Lehre der juristischen Begründungstechniken auf das bloß handwerklich Formale beschränkt zu werden droht und die wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Bezüge juristischer Tatigkeit nur als Hintergrund dieser Tatigkeit erscheinen, nicht aber als integraler Bestandteil aller Normenbildung und Normanwendung. Auch eine umfassendere empirische Untersuchung in der Art, wie sie Goldschmidts Schrift von 1887 darstellt, wäre in der aktuellen Reformdiskussion durchaus nützlich. Insbesondere der von Goldschmidt in die Diskussion eingebrachte rechts vergleichende Ansatz scheint, über einen Vergleich der bloßen Dauer der Ausbildung hinaus, bisher zu wenig verfolgt worden zu sein. Beachtung sollte auch finden, daß das deutsche Ausbildungssystem in jüngerer Zeit auch als Modell für eine Reform ausländischer Ausbildungssysteme erwogen wird wie etwa in Großbritannien 369 .
B. Aus Goldschmidts rechtswissenschaftlichem Werk Einen Eindruck von der Bedeutung zu erhalten, die das Werk Goldschmidts für die Handelsrechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts und ihre weitere Entwicklung im 20. Jahrhundert gehabt hat, ist auch deshalb schwierig, weil Goldschmidt, anders als dies z. B. bei Jhering, Staub oder Bähr mit ihren Entdeckungen der "culpa in contrahendo", der "positiven Vertragsverletzung" oder dem "Anerkenntnis als Verpflichtungsgrund" der Fall war, nicht auch als Entdecker eines bestimmten Rechtsinstituts genannt zu werden pflegt. Nur im Streit der Systeme zur Abgrenzung des Handelsrechts vom allgemeinen bürgerlichen Recht wird er als Hauptvertreter des "objektiven" oder zumindest "gemischten" Systems genannt, das freilich heute überwiegend als überholt angesehen wird; die Beiträge Goldschmidts zur Entwicklung der Lehre von den Traditionspapieren und zur Einführung der Genossenschaft mit nur beschränkter Haftung der Genossen sind dagegen nahezu in Vergessenheit geraten. Im folgenden sollen einige Schwerpunkte aus Goldschmidts 368 s. G. Landwehr/K.-P. Martens/H. H. Seiler, Tu felix Hammonia, in: JZ 1985, S. 109 112. Die dort angegriffene Neufassung der hamburgischen Juristenausbildungsordnung stellt durch das ihr zugrundeliegende Modell eines apriorischen Gegensatzes von Rechts- und Sozialwissenschaften, die erst aufgrund gesetzlicher Regelung in der Ausbildung vereinigt werden sollen, einen erheblichen Rückschritt dar. 369 Vgl. Juristisches Bingo, in: DER SPIEGEL, 45. Jg., Hamburg 1991, Heft 37, S. 198 ff., 201,204.
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2. Teil: Handelsrecht in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts
umfangreichem Schaffen einer Betrachtung unterzogen werden, um zu veranschaulichen, mit welchen mitunter auch heute noch erstaunlich aktuellen Problemen die Rechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts befaßt war, welche Ansichten Goldschmidt in diesen Fragen vertrat und welche Resonanz seine Lösungsvorschläge bei Zeitgenossen und späteren Kritikern fanden. -
I. Allgemeines Bürgerliches Recht
Fragen des allgemeinen bürgerlichen Rechts hat Goldschmidt häufig behandelt, da fast alle Materien des Handelsrechts Bezüge zu den Regeln des Schuld- und Sachenrechts aus dem allgemeinen bürgerlichen Recht aufweisen. Mit Gegenständen, die von diesen Bezügen zum allgemeinen Verkehrsrecht nicht erfaßt werden, also des Deliktsrechts, des Grundstücksrechts, insbesondere aber des Familien- und Erbrechts hat Goldschmidt sich dagegen kaum befaßt. Diese Rechtsgebiete haben ihn auch nicht sonderlich interessiertl. Seine erste Veröffentlichung als Hochschullehrer, zugleich seine erste Veröffentlichung für eine Zeitschrift, gilt jedoch Fragen, die in die Richtung dieser Gebiete gehen. 1. Allgemeiner Teil des bürgerlichen Rechts
a) Geschäftsfähigkeit und Deliktsfähigkeit Minderjähriger In seinem Aufsatz "Von der Verpflichtung der Unmündigen" von 1856 behandelt Goldschmidt auf gemeinrechtlicher Grundlage eine Problematik, die sowohl dem allgemeinen Teil des bürgerlichen Rechts wie auch dem Strafrecht angehört, da Deliktsfähigkeit und strafrechtliche Verantwortlichkeit im gemeinen Recht nicht streng geschieden wurden. Goldschmidt untersucht hierin die Streitfrage des gemeinen Rechts 2 , ob ein Unmündiger (pupillus), der ohne die Mitwirkung seines Vormundes (auctoritas tutoris) ein mehrseitig verpflichtendes Rechtsgeschäft abschließt, damit jedenfalls eine Naturalobligation begründet und deshalb bei Erbringung seiner eigenen Leistung diese nicht mehr ohne weiteres zurückverlangen, dafür aber die Erbringung der Gegenleistung fordern kann. In der Literatur war versucht worden, die scheinbaren Widersprüche in den Quellen, die diese Frage nicht in geschlossener Systematik behandeln, durch die Annahme zu lösen, daß die unterschiedlichen Quellenaussagen auf einer Divergenz von ius civile und ius gentium beruhten oder daß die Rö1 s. den Brief Goldschmidts an Olshausen v. 3. 9. 1872, in: Liebmann (Hrsg.), Juristische Fakultät, S. 164. 2 Nachweise bei Goldschmidt, Verpflichtung 1856, S. 417 ff.; vgl. auch Windscheid/Kipp, Pandekten I, S. 324 f. in Fußn. 8; Motive I, S. 132: "Der Standpunkt des gemeinen Rechts ist schwer bestimmbar."
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mer innerhalb der Gruppe der Minderjährigen unausgesprochen nach dem persönlichen Entwicklungszustand differenziert hätten. Dafür schien insbesondere zu sprechen, daß die Verantwortlichkeit der der pubertas nahen Minderjährigen (pubertati proximi) für Delikte sich nach römischem Recht offensichtlich nach deren individueller Einsichtsfähigkeit bestimmte. Goldschmidt verwirft schon den Ausgangspunkt dieser Ansichten als nicht sachgerecht 3 : Zwischen den Gesichtspunkten, die für die Frage der Geschäfts- und der Deliktsfahigkeit eine Rolle spielten, bestehe in Wahrheit ein sachlich gerechtfertigter tiefer Unterschied. Um das Unrecht der Verletzung elementarer, das Gemeinschaftsleben betreffender Güter, etwa durch Wegnahme oder Beschädigung fremder Sachen, einzusehen, genüge ein geringer Grad an Einsichtsfähigkeit, der früh entwickelt werde. Dagegen gehörten zur Erkenntnis der Folgen auch einfachster Rechtsgeschäfte Lebenserfahrung und ein gereifter Verstand. Die Annahme, daß diese Elemente vorhanden seien, sei typischer- und zweckmäßigerweise an das Erreichen eines bestimmten Alters oder vergleichbare Ereignisse wie insbesondere die Mannbarkeit geknüpft worden. Daß diese Altersstufen im Laufe der Zeit und regional variierten, sei keine Folge jeweils unterschiedlich weit fortgeschrittener Entwicklung einzelner Minderjähriger gewesen, sondern ein gesamtgesellschaftliches Phänomen, "die Abhängigkeit der geistigen Entwicklung von den eigenthümlichen Verhältnissen eines jeden Landes", wie Goldschmidt es im Anschluß an einen Gedanken Grotius' und den Strafrechtler Köstlin ausdrückt4 . Auf dieser Grundlage formuliert Goldschmidt zwei Thesen: Die römische Rechtswissenschaft habe alle Rechtsgeschäfte, durch die sich ein Unmündiger gleich welchen Alters verpflichtet habe, als wegen mangelnder Einsichtsfähigkeit vollständig nichtig erachtet; die auf die individuelle Einsichtsfähigkeit abstellende Betrachtung bei der Deliktsfähigkeit habe sich erst allmählich als eine Ausnahme von dem Prinzip einer altersunabhängigen Haftung gebildet5 . Die Quellen, die im Hinblick auf die Geschäftsfähigkeit scheinbar für die Entstehung einer Naturalobligation sprächen, beruhten nicht auf einer stillschweigend vorausgesetzten Differenzierung innerhalb der Altersstufen, sondern auf prätorischen Rechtsbehelfen und dem Bereicherungsgedanken. Damit hätten grobe Unbilligkeiten vermieden werden sollen. Die Ergebnisse wie auch die leitenden Gedanken von Goldschmidts Analyse der geschichtlichen Entwicklung decken sich mit denen der heutigen Forschung, nachdem diese auch auf diesem Gebiet eine zeitlang der übermäßigen Interpolationenkritik erlegen war6 . Für die eigentliche Klärung der das geltende gemeine Recht betreffenden Ausgangsfrage brachte Goldschmidts Abhandlung indessen wenig. Verpflichtung 1856, S. 425 ff. Verpflichtung 1856, S. 424 zu Fußn. 19, S. 426 ff.; ehr. Köstlin, System des deutschen Strafrechts, Tübingen 1855, S. 135; Hugo Grotius, Oe iure belli ac pacis 11 11 § 5 (Ausgabe Leyden 1939, S. 330 f.) 5 Verpflichtung 1856, S. 428. 6 s. Kaser, Privatrecht I, S. 275 f. m.w.N. 3 4
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2. Teil: Handelsrecht in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts
Denn die Divergenz zwischen den Verhältnissen und Anschauungen der römischen Zeit, die Goldschrnidt seinen Exegesen zugrundegelegt hatte, und denen des 19. Jahrhunderts, auf die die römischen Quellen jetzt angewendet werden sollten, waren zu groß, als daß sich hier durch Quelleninterpretation noch eine feste Grundlage für das geltende Recht hätte gewinnen lassen? Für einzelne Fragen trat deshalb hier bald die Partikular- wie Reichsgesetzgebung ein; schließlich wurde durch Gesetz vom 17. Dezember 1875 das Alter der Volljährigkeit, zu dieser Zeit noch Großjährigkeit genannt, für das ganze Deutsche Reich auf 21 Jahre festgelegt 8 . Die von Goldschmidt herausgearbeiteten Gesichtspunkte für die unterschiedliche Beurteilung von Geschäfts- und Deliktsfähigkeit liegen auch der Regelung im BGB zugrunde, wie ein Vergleich der Regelungen der §§ 106 ff. BGB einerseits und des § 828 Abs. 2 S. 1 BGB andererseits zeigt9 . Interessant ist es, anhand dieser Abhandlung Goldschmidts die Entwicklung seines methodischen Ansatzes zu verfolgen: Hatte er noch in seiner Habilitationsschrift aus dem Jahr zuvor die Notwendigkeit einer mehr kasuistischen Behandlung der Quellen hervorgehoben, so geht er in dieser Arbeit systematisch vor. Das heißt nicht, daß er die herangezogenen Quellenstellen, aus deren Essenz er die Systematik gewinnt, nicht gründlich auslegen würde. Bemerkenswert ist aber der Rahmen, innerhalb dessen das geschieht: Zunächst beschreibt Goldschmidt die scheinbaren Unstimmigkeiten in der Quellenüberlieferung und die Ansichten zu ihrer Bereinigung von der Glosse bis zur Gegenwart lO • Seine Kritik an ihnen formuliert er einleitend 11: "Sehr spärlich ... sind die Versuche, von einer eingehenderen Betrachtung der Natur der einzelnen Rechtsverhältnisse aus, die Frage ihrer Lösung näher zu bringen ( ... )." Nur "auf diesem, meines Erachtens einzig fruchtbaren Wege" aber könne Einsicht gewonnen werden. Der zutage tretende Unterschied in der Behandlung von Geschäfts- und Deliktsfähigkeit wird dann nicht auf naturrechtliche oder gar philosophische Unterschiede gegründet, sondern auf die realen Lebensverhältnisse und den jeweiligen Kulturzustand einer Gesellschaft. Dem Beleg dient die Anführung zahlreicher Zeugnisse, darunter vornehmlich der Rechtsgeschichte 12. Die Grundlage der Darstellung bleibt dabei aber wesentlich empirisch-rechtstatsächlich: "Die tägliche Erfahrung, wie das Zeugniß aller neueren Gesetzgebungen bestätigen, daß die strafrechtliche Imputabilität der privatrechtlichen Einsicht vorangeht" 13. Nach dieser Grundlegung formuliert Golds. Motive I, S. 132. RGBI. 1875, S. 71, § I (mit Wirkung v.!.!. 1876, § 3). 9 Vgl. Motive 11, S. 732 f., wo für die gesetzliche Bestimmung der Altersgrenze für völlige Deliktsunfähigkeit mit 7 Jahren (§ 828 Abs. I BGB) "die langher gemachte und erprobte Erfahrung" für maßgeblich erklärt wird; vgl. Goldschmidt, Verpflichtung 1856, S. 426: "tägliche Erfahrung". IO Verpflichtung 1856, S. 417 - 424. 11 Verpflichtung 1856, S. 418. 12 Verpflichtung 1856, S. 425 - 428. I3 Verpflichtung 1856, S. 426. 7
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schmidt seine eigene Ansicht, um nun "auch auf historischem Wege" die bekämpften Gegenansichten zu widerlegen 14. Dann erst leitet Goldschmidt in dem zweiten und dritten Hauptabschnitt seiner Abhandlung die Thesen, die er zunächst auf mehr tatsächlicher Grundlage entwickelt hatte, systematisch aus den Quellen her l5 . Dieses Vorgehen offenbart, wie sehr für Goldschmidt die Quellen nicht in erster Linie Ausdruck abstrakter Rechtssätze sind, sondern zunächst einmal Zeugnisse für die ihnen zugrundeliegenden Lebensverhältnisse. Erst wenn diese durchschaut worden seien, könne man die formulierten oder auch nur fragmentarisch angedeuteten Rechtssätze wirklich verstehen, da diese die Lebensverhältnisse ja nicht schaffen, sondern sie unabdingbar voraussetzen würden l6 . Goldschmidts weiteres Vorgehen zeigt aber auch die Grenze seines rechtstatsächlichen Ansatzes: Die empirisch gewonnenen Ergebnisse zählen bei ihm nur, soweit sie sich dann auch dogmatisch, also gleichsam quellenautonom, aus den überlieferten Rechtssätzen, die nun primär als solche untersucht werden, herleiten lassen. Was geschehen soll, wenn dies nicht der Fall ist, läßt Goldschmidt offen, indem er nähere Ausführungen einer gesonderten Abhandlung überläßt 17 . Sie ist indessen nicht erschienen. Goldschmidt hat sich jedoch noch einmal diesem Fragenkreis zugewandt, indem er im Rahmen seiner Mitgliedschaft im Institut de Droit International gegen einen Beschluß des Instituts von 1888 opponierte, wonach sich die Geschäftsfähigkeit einer Person grundsätzlich nach den Bestimmungen des Staates richten sollte, dessen Staatsangehörigkeit der Betroffene habe; Goldschmidt hätte an Stelle dieser dem französischen Recht (Art. 3 Abs. 3 Code civil) folgenden Entschließung lieber gesehen, daß sich jedenfalls im Handelsrecht die Geschäftsfähigkeit wie im gemeinen, preußischen und angelsächsischen Recht nach dem Recht des Wohnsitzes oder des gewöhnlichen Aufenthaltes richte l8 . Die von ihm unterstützte Auffassung hat sich indessen nicht durchgesetzt 19.
Verpflichtung 1856, S. 428. Verpflichtung 1856, S. 428 - 440 bzw. S. 440 - 459. 16 Dieser Ansatz hat auf dem Gebiet des Minderjährigenrechts mit dem in jüngster Zeit geführten Streit um die Vereinbarkeit der Regelungen des BGB über die gesetzliche Vertretung des Minderjährigen durch seine Eltern (§§ 1629 Abs. 1, 1643 Abs. 1 in Verbindung mit §§ 1821 f.) mit dem Grundgesetz (Art. 2 Abs. 1 GG) an Aktualität gewonnen. Eine allein juristisch-dogmatische Betrachtungsweise, die nicht genügend herausstellt, um die Regelung welcher tatsächlich gegebenen Lebensverhältnisse es geht, läuft Gefahr, an die Stelle dieser Lebensverhältnisse das politische Vorurteil zu setzen und zu einer nicht sachgerechten Lösung zu kommen: s. Karsten Schmidt, Die gesetzliche Vertretung durch die Eltern: notwendig u. verfassungsgemäß, in: NJW 1989, S. 1712 - 1715, insbes. S. 1712 f., gegen Thilo Ramm, Die gesetzliche Vertretung durch die Eltern: überholt u. verfassungswidrig, in: NJW 1989, S. 1708 - 1712. 17 Verpflichtung 1856, S. 418, 440, vgl. auch S. 458 f. 18 Note 1888, S. 482 ff. 19 s. dazu System, 4. Aufl., 1892, § 14 I 1, S. 85. - Zum heutigen dt. Internationale Privatrecht s. Art. 7 Abs. 1 EGBGB u. Heldrich in: Palandt, BGB, Rdnr. 1 zu Art. 5 EGBGB. 14 15
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b) Stellvertretung, insbesondere Prokura Mit Fragen des für die wirtschaftliche Entwicklung wichtigen Stellvertretungsrechts hat sich Goldschmidt insbesondere vor der ersten modemen Kodifikation eines Teilbereiches im ADHGB mehrfach befaßt, zuerst in seinem großen Gutachten zum "Lucca-Pistoja-Aktienstreit" von 1859. Hier kam es zunächst auf die Frage an, ob der Bankier B. H. Goldschmidt als bloßer Vertreter der Aktiengesellschaft, deren Aktien er feilbot, anzusehen oder ob er selbst als Verkäufer zu behandeln sei. Im zweiten Fall hätte er nach den kaufrechtlichen Rechtsbehelfen, insbesondere die actio redhibitoria 2o , haften müssen, im ersten Fall nur neben der Gesellschaft nach den in den Voraussetzungen wesentlich engeren Deliktsvorschriften des gemeinen Rechts 21 . Da das alte römische Recht die unmittelbare Stellvertretung nicht kannte und diese partikularrechtlich oder über sehr umstrittene dogmatische Konstruktionen erst allmählich entwickelt worden war, hatten sich im gemeinen Recht noch keine festen Kriterien dafür ausgebildet, wonach sich bestimmen sollte, ob jemand bei Abschluß eines Rechtsgeschäfts für sich selbst oder als Stellvertreter für einen anderen gehandelt hatte. Es war sowohl denkbar, auf das Innenverhältnis zwischen Vertreter und Vertretenem abzustellen, als auch auf das Auftreten des den Vertrag Abschließenden gegenüber dem Vertragspartner. Goldschmidt erklärt letzteres für maßgeblich 22 : Es sei "ein feststehender und ganz durchgreifender Grundsatz des Civilrechts wie des Handelsrechts, daß in Vertragsverhältnissen über Art und Umfang der Verpflichtung schlechthin das Auftreten nach außen" entscheide, "und zwar sowohl zu Gunsten als zu Lasten des Gegners· m . Diesen Satz begründet Goldschmidt auf etwas über einer Druckseite durch Anführung einiger anerkannter Rechtssätze, in denen das von ihm aufgestellte Prinzip zum Ausdruck komme, nämlich besondere Fälle des Vertragsschlusses in eigenem oder fremdem Namen, die Haftung des falsus procurator, das "Gerieren" als Gesellschafter, die Haftung des Kommanditisten bei veröffentlichtem und bei nicht veröffentlichtem Gesellschaftsverhältnis 24 • Der von Goldschmidt damit scharfsinnig entwickelte Rechtssatz ist zukunfts weisend, indem er auf das im Handeisverkehr entscheidende Moment abstellt, darauf vertrauen zu können, daß die Person, die bei Vertragsschluß als Vertragspartner auftritt, auch wirklich Vertragspartei wird und nicht durch eine dritte, bisher nicht bekannte Person ersetzt werden kann. Die Geltung dieses Grundsatzes im Recht der Stellvertretung ist denn auch heute durch § 164 BGB juristisches Gemeingut. Für Goldschmidt untypisch ist al20 Die "Wandlung" heutigen Rechts, s. Windscheid/Kipp, Pandekten 11, §§ 393 f., S. 686 f., 689 ff. 21 Aktienstreit 1859, S. 20. 22 Aktienstreit 1859, S.16-19. 23 Aktienstreit 1859, S. 17. 24 Aktienstreit 1859, S. 17 f.
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lerdings die Art, in der er diesen Rechtssatz begründet: Denn anstatt sich wie sonst über viele Seiten hinweg in exegetische Untersuchungen zahlreicher Belegstellen vom römischen Recht bis zur Gesetzgebung des Auslands zu vertiefen, wendet Goldschmidt hier eine logisch-induktiv begründete Analogiebildung an, indem er aus mehreren Rechtssätzen auf ein ihnen zugrundeliegendes Prinzip schließt und aus diesem dann einen weiteren Rechtssatz ableitet. Dieses Verfahren ist häufiger in den Schriften Thöls zu finden, wo es, da Thöl sich meist auf die Wiedergabe nur des zweiten Teils des Analogieschlusses beschränkt, als logisch-deduktives Verfahren erscheint. Tatsächlich findet sich Thöl in Goldschmidts Gutachten zum LuccaPistoja-Aktienstreit häufig zitiert, und auch Goldschmidt greift hier mitunter zu heute eher gewagt anmutenden begrifflichen Analogien 25 . Das Ergebnis belegt indessen die Tragfähigkeit dieser Art juristischen Argumentierens bei Fehlen ausreichend sicherer normativer Grundlagen. Goldschmidts weiterer Versuch, auf dieser Grundlage die bloße Vertreter-Eigenschaft des Bankhauses Goldschmidt zu begründen, gerät freilich nicht überzeugend, weil die Gesamtheit der von ihm selbst ausführlich referierten Umstände gerade gegen ein nach außen erkennbares Auftreten des Bankhauses im Namen der Aktiengesellschaft sprach 26 . Auf den in seinem Gutachten von 1859 entwickelten Grundsatz baut Goldschmidt in seinen Kritiken der Entwürfe zum ADHGB auf. Im ADHGB sollten als besondere Arten der Vertretungsmacht die Prokura und die Handlungsvollmacht geregelt werden, so daß damit erstmals eine gemeinrechtliche Regelung der Prinzipien des Stellvertretungsrechts anstand. Art. 40 Abs. 2 Entw. ADHGB II sah vor, daß Prokurist sei, wer vom Prinzipal "den Auftrag erhält, in dessen Namen und für dessen Rechnung das Handelsgeschäft zu betreiben und per procura die Firma zu zeichnen". Goldschmidt kritisiert an dieser Fassung, daß sie nicht hinreichend trenne zwischen der Vertretung als Außenverhältnis und dem Dienstverhältnis oder Auftrag als Innenverhältnis zwischen Prinzipal und Prokuristen. Diese Scheidung von Innen- und Außenverhältnis war der Sache nach bereits in den Regelungen des preußischen Entwurfes angelegt gewesen, sie wurde in den einzelnen Abschnitten über Handlungsgehilfen, Handlungsbevollmächtigte und Prokuristen aber nicht konsequent ausgeführt. Außenund Innenverhältnis seien aber scharf und sorgfältig voneinander zu scheiden, weshalb die Bestimmungen über Handlungsbevollmächtigte und Prokuristen sich auf 25 Aktienstreit 1859, S. 40: Vergleich eines bei Eintritt einer bestimmten Bedingung freizulassenden Sklaven mit einer auflösend bedingten Forderung! Die allzu knappe Gegenüberstellung der Methoden Goldschmidts und Thöls, der angeblich auf den Handlungsgehilfen die römischen Regeln über den Institor und damit Sklavenrecht habe anwenden wollen, durch Sinzheimer S. 52 Fußn. 1 wird daher in ihrer Kürze beiden nicht gerecht (der Institor des römischen Rechts muß übrigens nicht Sklave sein, darin liegt gerade die Bedeutung dieses Rechtsinstituts); vgl. auch Langhein, Analogie, S. 71 - 76. 26 s. insbes. Aktienstreit 1859, S. 18 ("Plus est in opinione quam in veritate"). - Jhering, Eisenbahnstreit, S. 330 handelt diesen Punkt nur kurz ab, zumal das beklagte Bankhaus selbst diesen Vortrag nicht mehr aufrechterhalten wollte.
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die Regelung der Voraussetzungen und Wirkungen des Handeins in fremdem Namen gegenüber Dritten zu beschränken hätten 27 • Diese Auffassung war zu partikularrechtlichen und ausländischen Bestimmungen über Vertretungsverhältnisse bereits von anderen Autoren vertreten worden 28 ; Goldschmidt kommt aber das große Verdienst zu, diese vornehmlich in Wissenschaftskreisen diskutierten Gesichtspunkte als Leitlinien der legislativen Gestaltung des Stellvertretungsrechts eingeführt zu haben. Die von ihm gerügten Unklarheiten blieben zwar bei der Redaktion der Normen des 5. und 6. Titels des 1. Buches des ADHGB zunächst bestehen. Sie sind aber in sehr engem Anschluß an Goldschmidts Darlegungen und Vorschläge im HGB 1897 weitgehend beseitigt worden 29 . Goldschmidts Forderung hatte sich allerdings auf die bloße Trennung von Vollmacht und zugrundeliegendem Auftrag beschränkt. Die weitergehende Ansicht, beide seien in ihrem Bestand auch als grundsätzlich unabhängig voneinander anzusehen, also die Lehre von der Abstraktheit der Vollmacht, entwickelte Paul Laband 1866 in seinem grundlegenden und berühmten Aufsatz in der ZHR3o . Bei der Redaktion des HGB 1897 wurden indessen, ohne daß er namentlich angeführt worden wäre, die Vorschläge Goldschmidts von 1860 zugrundegelegt 31 und nicht die weitergehenden Ausführungen Labands, die jedoch maßgeblich die zeitlich vorangehende Regelung des allgemeinen Stellvertretungsrechts im BGB 1896 beeinflußten. Die Regelungen über echte Stellvertretungsverhältnisse waren für viele der deutschen Staaten eine rechtliche Neuerung. Daher spielte die Frage der Modalitäten der Vollmachtserteilung in der Diskussion eine große Rolle. Das galt besonders für die Prokura, die in ihrem Umfang im Außenverhältnis nicht sollte beschränkt werden können 32 . Goldschmidt kritisiert an der oben bereits zitierten Bestimmung des 27 Gutachten 1860, S. 31 ff. im Anschluß an Kritik I, 1857, S. 25 ff., insbes. S. 26; allerdings ist Goldschmidt selbst inkonsequent, wenn er (Gutachten S. 31 ff.) ausführt, daß "Handlungsgehilfe" Oberbegriff für Handlungsbevollmächtigter u. Prokurist sei; s. auch Hahn, Commentar I, Art. 41 § 1, S. 241. 28 Nachweise bei Goldschmidt, Kritik I, 1857, S. 25 in Fußn.* am Anfang; Müller-Freienfels, Abstraktion, S. 159 - 164; s. auch Goldschmidt, Gutachten 1860, S. 159 f. 29 Goldschmidts weiterer, die Beziehung zwischen Auftrag und Vollmacht betreffender Vorschlag, die Handlungsvollmacht solle nicht wie die Prokura beim Tod des Prinzipals schlechthin, sondern nur bei Fehlen sonstiger Anhaltspunkte im Zweifel fortbestehen (Gutachten 1860, S. 39), wurde zwar von der badischen Regierung aufgenommen (Heimsoeth, Zusammenstellung Nr. 77, S. 16), die betreffende Erinnerung aber aus der weiteren Beratung ausgeschieden (Heimsoeth, Zusammenstellung S. 92 ff.), Art. 54 Abs. 2 ADHGB. Goldschmidts Vorstellung findet sich jedoch heute durch die Regelung in § 168 S. 1 in Verbindung mit § 672 S. 1 BGB gegenüber § 52 Abs. 3 HGB im Gesetz verwirklicht. 30 Paul Laband, Die Stellvertretung bei dem Abschluß von Rechtsgeschäften nach dem ADHGB, in: ZHR 10 (1866), S. 183 - 241, 209 ff.; dazu Landwehr, Abstrakte Rechtsgeschäfte S. 207 ff. und Müller-Freienfels, Abstraktion, S. 172 - 190. 31 Denkschrift HGB S. 48 (Hahn/Mugdan, Materialien HGB S. 229). 32 Dazu Goldschmidt, Gutachten 1860, S. 37 f.; seine hierzu vorgebrachten Vorschläge wurden zwar von der badischen Regierung übernommen (Heimsoeth, Zusammenstellung
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Art. 40 Abs. 2 Entw. ADHGB 11 deshalb, daß die Art der Prokura-Erteilung im Hinblick auf ihre weitreichenden Unterschiede zur bloßen Handlungsvollmacht zu unbestimmt geregelt sei 33 . Die von Endemann erhobene Forderung, ihre Wirksamkeit von der Eintragung in das Handelsregister abhängig zu machen, lehnt er indessen ab und verlangt ein anderes, "mehr thatsächliches Kennzeichen,,34. Dieses findet er darin, daß die Prokura nicht stillschweigend, sondern zwingend nur ausdrücklich erteilt werden könne; gegebenenfalls sei sie auch in dieser Form bekanntzumachen, und der Prokurist habe, wie vom Entwurf bereits vorgesehen, zwingend mit dem Zusatz per procura zu zeichnen 35 : Art. 40 Abs. 2 habe deshalb zu lauten, Prokurist sei, wer "eine ausdrücklich als Prokura bezeichnete Vollmacht erhält, oder ausdrücklich als Prokurist bezeichnet wird, oder wer ermächtigt wird, per procura die Firma des Principals zu zeichnen,,36. Diesem Vorschlag schloß sich die badische Regierung wörtlich an 37 . Er wurde auch von der Nürnberger Konferenz akzeptiert. Merkwürdigerweise wurde allerdings Art. 40 Entw. ADHGB 11 nahezu unverändert als Art. 41 Abs. 1 ADHGB übernommen und Goldschmidts Fassung als Art. 41 Abs. 2 ADHGB fast wörtlich angefügt 38 . Dadurch blieben die an Art. 40 des Entwurfs gerügten Mängel in der Gesetzesfassung erhalten und die Bestimmung wurde insgesamt fehlerhaft; was eigentlich gewollt war, nämlich Trennung von Auftrag und Vollmacht sowie prinzipielle Unbeschränktheit der Prokura, ergab sich eindeutig erst aus Artt. 41 Abs. 2,42 und 43 ADHGB 39 . Diese Mißhelligkeit hätte sich vermeiden lassen, wenn die Fassung des Abs. 1 durch den GolQschmidtbadischen Antrag einfach ersetzt worden wäre4o ; eine sprachlich deutlichere und einfachere Fassung, mit der keine sachlichen Änderungen beabsichtigt waren 41 , erhielt die Bestimmung als § 48 Abs. 1 HGB 1897. Damit ist das von Goldschmidt vorgeschlagene Merkmal der Ausdrücklichkeit der Prokura-Erteilung beibehalten worden. Es hat auch heute noch seine Bedeutung, indem es insbesondere die Annahme einer Prokuraerteilung nach den Grundsätzen der Duldungsvollmacht ausschließt42 . Nr. 59 zu Artt. 40 - 42, S. 13 f.), aber von der weiteren Beratung ausgeschlossen; zu Goldschmidts Haltung und der Wirkung seiner Kritik in dieser Frage s. Müller-Freienfels, Abstraktion, S. 168 f. 33 Gutachten 1860, S. 34 ff. 34 Gutachten 1860, S. 35 f. 35 Gutachten 1860, S. 36. 36 Gutachten 1860, S. 36. 37 Heimsoeth, Zusammenstellung Nr. 59 zu Artt. 40 - 42, S. 13 f., 13; Hahn, Commentar I, Art. 41 § 1, S. 241. 38 Lutz, Protokolle IX, S. 4630 f. 39 Eingehend Hahn, Commentar I, Art. 41 § 2, S. 241 - 243; s. auch Laband, Stellvertretung, ZHR 10 (1866), S. 209 ff., 212. 40 Hahn, Commentar I, Art. 41 § 2, S. 243 41 Denkschrift HGB S. 49 (Hahn/Mugdan, Materialien HGB S. 229).
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2. Schuldrecht
Dem Schuldrecht als Kernbestand des Verkehrsrechts gelten mehrere groß angelegte Abhandlungen Goldschmidts. a) Grundfragen des Haftungsrechts: Der "Lucca-Pistoja-Aktienstreit" In seinem ersten großen Privat-Rechtsgutachten mußte sich Goldschmidt in einem Fall mit Grundfragen des Haftungsrechts auseinandersetzen, der über den Kreis der Beteiligten hinaus großes Aufsehen erregte. Auftraggeber Goldschmidts war der Frankfurter Bankier B. H. Goldschmidt (mit dem er nicht verwandt war). Dessen Bankhaus sah sich mit einer Vielzahl von Schadensersatz- und Rückzahlungsprozessen überzogen 43 , in denen ihm vorgeworfen wurde, an der Frankfurter Börse faktisch völlig wertlose Aktien als angeblich sichere Geldanlage verkauft zu haben. Folgendes war geschehen 44 : 1853 sollte in der noch österreichischen Toskana eine Eisenbahn von Lucca nach Pistoja gebaut werden. Zu diesem Zweck konstituierte sich eine Aktiengesellschaft. Die von ihr emittierten Papiere erhielten eine staatliche Zinsgarantie von 5 % auf 99 Jahre unter der Bedingung, daß der Eisenbahnbau in zwei Jahren abgeschlossen sein werde. Emittent der als "Prioritäts-Actien" bezeichneten Papiere waren britische Bankhäuser. In Deutschland wurden sie von dem Bankhaus B. H. Goldschmidt angeboten. Dieses setzte sämtliche ihm zur Verfügung stehenden Papiere in kürzester Zeit ab. Von besonderer Bedeutung für den Fall sollte sein, daß die an Frankfurter Börsenmakler ausgegebene öffentliche "Ankündigung" der Aktienausgabe durch das Bankhaus Goldschmidt45 zwar auf die Zinsgarantie durch die toskanische Regierung hinwies, nicht aber darauf aufmerksam machte, daß sie auf zwei Jahre befristet sei, wenn der Bau nicht rechtzeitig fertig werde. Die Ankündigung enthielt allerdings einen Verweis auf die entsprechenden großherzoglich toskanischen Dekrete, aus denen sich die Befristung der Zins garantie ergab. Das gesamte Unternehmen wurde zu einem Fiasko: Die Unternehmer begingen mit Hilfe ihrer britischen Bankiers Aktienschiebereien, die toskanische Regierung, der Verwaltungsrat und die Direktion der Gesellschaft kamen ihrer Aufsichtspflicht nicht nach, Schlampereien, Diebstähle und Veruntreuungen auf der Baustelle verzögerten die Fertigstellung der Bahn. Das Erlöschen der staatlichen Zins garantie s. Schmidt, Handelsrecht, 3. Aufl., S. 416, 433 f. Nach Jhering, Eisenbahnstreit, S. 225 in Fußn. 1 sollen es schließlich 26 Verfahren gewesen sein. 44 Goldschmidt, Aktienstreit 1859, S. 1 - 12; Hamburger Nachrichten, Nr. 221, 17. September 1859, Titelseite Sp. 4 u. 5; H. K., in: Oesterr. Vjs. 5 (1860), Literaturblatt S. 100 f. 45 Wortlaut bei Goldschrnidt, Aktienstreit 1859, S. 1 f.; Jhering, Eisenbahnstreit, S. 232 f. 42 43
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und die weitere politische Entwicklung, insbesondere der Aufstand in der Toskana ließen den Kurs der Papiere schließlich ins Bodenlose sinken46 . Der Rechtsstreit führte dazu, daß erstmals eine Reihe praktisch wichtiger und dogmatisch bedeutsamer Rechtsfragen in einem großen Verfahren gründlich geklärt werden mußte, darunter die Rechtsnatur der als Prioritätsaktien bezeichneten Papiere und die Grundsätze der Haftung wegen mangelnder Bonität beim Forderungs- oder Wertpapierkauf gegenüber dem ersten und einem dritten Erwerber dieser Papiere. Verfahrensrechtlich bedeutsam war in dem Fall, daß in ihm noch mehrmals von der Möglichkeit der Aktenversendung an die Spruchkollegien von Juristenfakultäten 47 Gebrauch gemacht wurde48 • Der Umstand, daß die Spruchkollegien fast alle Urteile aufhoben, brachte dieses Institut gegenüber der ordentlichen Gerichtsbarkeit zunehmend in Verruf und trug dadurch zu dessen allmählicher Abschaffung bei49 . Der Bedeutung des Rechtsstreits entsprach die Zahl der durch ihn ausgelösten Schriften5o, von denen die Goldschmidts und Jherings 51 die bedeutendsten waren. Goldschmidt, Aktienstreit 1859, Anlagen I u. II (Kursnotierungen). Überblick bei G. Buchda, Art. Aktenversendung, in: HRG 1 (1971), Sp. 84 - 87 m.w.N.; zu Voraussetzungen und Verfahren s. Endemann, Civilprozeßrecht, § 52, S. 167 - 170. 48 Die Schriften Jherings in dieser Sache beruhen auf seinen Voten für das Spruchkollegium der Juristischen Fakultät der Universität Gießen; hierher war sie über das Frankfurter Stadtgericht I (Dezember 1861), das dortige Appellationsgericht (April 1863) und das OAG Lübeck gekommen, Jhering, Eisenbahnstreit, S. 242; s. die Urteilsformel bei Jhering S. 333: " ... erkennt das Oberappellationsgericht der vier freien Städte Deutschlands auf erfolgte Actenversendung für Recht ... ". 49 Heinrich Dove, Zur Prospekthaftung, in: Festgabe zum 60. Geburtstag des ... Prof. Dr. Riesser, Berlin 1913, S. 1 - 17, S. 2; s. auch die Statistik bei Jammers, Juristenfakultät, S. 179. 50 Nachweis bei Jhering, Eisenbahnstreit, S. 228 f.; schon vor Goldschmidts Gutachten war die bedeutsame Schrift von Sachße, Ueber die Haftbarkeit der Ausgabe von Werth- und Kreditpapieren ... , in: Zs. f. dt. R. 17 (1857), S. 29 - 90 erschienen. 51 Sie waren gezielt gegen Goldschmidts Ansichten gerichtet: Brief Jherings an Gerber v. 24. 7. 1866, in: Losano, Briefwechsel, S. 597 - 599, 597; zu dieser Tendenz von Jherings Schrift Goldschmidt, ZHR 12 (1868), S. 325. Goldschmidt setzte sich gegen diese Angriffe über fast zehn Jahre hinweg zur Wehr: Zusatz 1860; Nachtrag 1861; Miszelle 1863; Besprechung von Jherings Schriften zum Lucca-Pistoja-Actien-Streit 1868. - Ein bei Jhering, Eisenbahnstreit, S. 229 angeführtes "Schreiben Goldschrnidts an Dr. Harnier" war nicht aufzufinden, ebensowenig die Goldschmidts Nachtrag von 1861 auslösende Gegenschrift "Zur Widerlegung der Druckschrift von Dr. L. Goldschmidt, betitelt: Der Lucca-Pistoja-Eisenbahnstreit" der "Herren Dr. Blum und Friedleben in Frankfurt" von 1860 (s. Goldschmidt, Nachtrag 1861, S. 3 u. Jhering, Eisenbahnstreit, S. 228). Goldschmidts persönlicher Beziehung zu Jhering schadete der Streit nicht: z. B. Lebensbild S. 211 (Juni 1858),411 (1878) u.ö.; Losano, Briefwechsel, S. 654 - 656,655 (1869). Goldschmidt hat auch nicht darauf reagiert, daß Jhering trotz seiner anders lautenden Ankündigung auf Goldschmidts Kritik seiner Schrift doch noch, wenn auch auf eine ganz subtile Art, geantwortet hat: Er nahm den Lucca-Pistoja-Aktienstreit als zu den "celebersten Civilrechtsfällen der letzten Decennien" gehörend in seine für Ausbildungszwecke bestimmte Sammlung "Civilrechtsfälle ohne Entscheidungen" auf (7. Aufl., Jena 1895, Nr. 100, S. 203 - 210; in der letzten Ausgabe: Zivilrechtsfälle, Jena 1925, hrsg. v. P. Oertmann, Nr. 70, S. 121 - 127, gekürzt u. bearbeitet). 46
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2. Teil: Handelsrecht in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts
Den Kernpunkt des Streites bildete die Frage, ob sich eine Schadensersatzpflicht des Bankhauses Goldschmidt daraus ergebe, daß die von ihm veröffentlichte Emissionsankündigung unvollständig oder gar unrichtig gewesen war. Anspruchsgrundlage war insoweit die gemeinrechtliche actio de dolo, die sowohl als kaufvertragliche52 wie als Deliktsobligation 53 in Betracht kam. Zu klären war danach, ob in der verbreiteten Ankündigung ein betätigter "dolus", ein arglistiges Verhalten 54 , lag und ob gerade dieses Verhalten den Ankauf der ausgebotenen Prioritätsaktien durch die Kläger verursacht hatte. Der Vorwurf der Arglist gegenüber dem Frankfurter Bankhaus reduzierte sich in den Prozessen darauf, daß in der Ankündigung nicht auf den Wegfall der Zins garantie für den Fall hingewiesen worden war, daß der Eisenbahnbau nicht rechtzeitig vollendet sein sollte. Hiergegen wendet sich Goldschmidt, indem er ein später häufig von ihm genutztes Argumentationsmuster verwendet 55 : Er stellt zunächst fest, daß bei Fällen mit Bezügen zu derart verwickelten wirtschaftlichen Verhältnissen das Ergebnis nicht durch Betrachtung einzelner formeller Momente gestützt werden dürfe. Allein "die eingehende Erwägung sämmtlicher Umstände" ermögliche eine richtige juristische Anschauung 56 . Dieser zutreffende 57 Ansatz führt zum Kern seiner Überlegungen: Ein ausdrücklicher Hinweis auf die Befristung der Zins garantie habe in die Ankündigung nicht aufgenommen zu wergen brauchen, weil ein anerkannter und bekannter allgemeiner Rechtssatz bestehe, "wonach ein jeder an Privatunternehmer überlassener Eisenbahnbau", insbesondere bei Bewilligung einer staatlichen Zinsgarantie, "innerhalb einer gewissen Frist, bei Verlust der Concession, vollendet sein" müsse 58 . Die Existenz dieses Rechtssatzes lasse sich nachweisen 59 durch 1. "Darlegung seiner inneren Nothwendigkeit,,60, 2. "nach positivem gemeinem Recht aus der Natur der Eisenbahnconcession,,61, 3. "nach allgemeinem europäischen Gewohnheitsrecht,,62 und 4. "aus Staatsverträgen und Concessionsreglements der deutschen und außerdeutschen Eisenbahnen,,63. Die zugehörigen Einzelausführungen reduzieren sich auf zwei Argumente. Der be52 D. 21, 2, 74, 3; vgl. heute § 463 S. 2 BGB (der teilweise auf Mißverständnissen beruht: Kaser, Privatrecht I, § 115 IV 3, S. 487 f.). 53 D. 4, 3, I, I (nach dem Prätorischen Edikt subsidiär); s. Windscheid/Kipp, Pandekten II, § 451, S. 959 ff. 54 Definitionsversuche von Servius, Labeo und Ulpian in D. 4, 3, 3, 2. 55 Aktienstreit 1859, S. 39 - 59. 56 Aktienstreit 1859, S. 39 ff., 39. 57 Ebenso zur Haftung nach § 45 Börsengesetz ausdrücklich der BGH, in NJW 1982, S. 2823 - 2827, 2824. 58 Aktienstreit 1859, S. 42. 59 Aktienstreit 1859, S. 43. 60 Aktienstreit 1859, S. 43 ff. 61 Aktienstreit 1859, S. 45 ff. 62 Aktienstreit 1859, S. 53 ff. 63 Aktienstreit 1859, S. 53 ff.
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hauptete Rechtssatz ergebe sich einmal aus der "Natur der Sache", das sei hier der erkennbare Zweck der Konzessionierung, unter Wahrung der staatlichen Finanzinteressen den jeweils innerhalb einer staatlich bestimmten Frist zu vollendenden Bau einer Bahnlinie zu gewährleisten, auch wenn dieser von einer privaten Gesellschaft ausgeführt wird. Zum anderen werde der Rechtssatz durch seine zahlreichen Festlegungen in preußischen, österreichischen, britischen und französischen Gesetzen belegt, aus denen das Bestehen eines entsprechenden gemeineuropäischen Gewohnheitsrechts folge. Diese Beweisführung bleibt trotz der Breite ihrer Darstellung für sich allein freilich fragwürdig 64 . Es kommt aber noch ein weiterer Gesichtspunkt hinzu, den Goldschrnidt anschließend hervorhebt: Die Tatsachen, aus denen der behauptete Rechtssatz sich ergeben soll, waren den Erwerbem der Prioritätsaktien bekannt gewesen. Aus diesem Grunde habe ein Hinweis darauf, daß auch für die angebotenen Papiere eine entsprechende Regelung gelte, nicht in die Ankündigung aufgenommen werden müssen. Jedenfalls aber liege darin die Kenntnis der Kläger von dem Umstand, über den der Beklagte getäuscht haben solle; eine solche Kenntnis schließe aber die Haftung des Beklagten wegen Arglist aus 65 . In diesem Zusammenhang erst kommen Goldschmidts Überlegungen zu der "Natur der Sache" eigentlich zum Tragen: Da es nach der wirtschaftlichen wie der juristischen Natur der Konzessionserteilung selbstverständlich sei, daß sie nur befristet erteilt werde und dies auch jedermann bekannt sei, sei ein Irrtum über diese Tatsache schlechthin unentschuldbar. Auf eine Unkenntnis derjenigen Fakten, deren Kenntnis im Rechtsverkehr von jedermann erwartet werde, könne sich niemand berufen. Die Aufnahme eines besonderen Hinweises auf den Umstand der Befristung in die Ankündigung hätte zudem den Eindruck erweckt, als bestünden berechtigte Zweifel an der Zuverlässigkeit der konzessionierten Eisenbahngesellschaft, zu denen zur Zeit ihrer Veröffentlichung noch kein Anlaß gegeben war. Eine Pflicht oder Obliegenheit zur Aufnahme eines solchen Hinweises widerspräche deshalb dem Grundsatz, daß jeder Kaufmann die von ihm angebotene Ware im günstigsten Licht darstellen dürfe. Jedenfalls schließe die Ansicht des beklagten Bankiers, jeder seiner Vertragspartner sei mit diesen Tatsachen vertraut gewesen, jede Arglist auf seiner Seite aus. Besonders dieser Teil von Goldschmidts Ausführungen fand die Ablehnung Jherings. Das Recht des Kaufmanns, für seine Ware zu werben, berechtige ihn nicht zu bewußt irreführenden und mißverständlichen Anpreisungen 66 . Die Konzessionsbedingungen für den Eisenbahnbau seien auch nicht so einheitlich und offenkundig wie von Goldschmidt behauptet. Jedenfalls die konkrete Ausgestaltung der Konditionen für die Konzession sei den Erwerbem der Prioritätsaktien nicht ohne weiteres bekannt gewesen 67 . Wegen der bisherigen Zuverlässigkeit des Beklagten s. Jhering, Eisenbahnstreit, S. 281 ff. Aktienstreit 1859, S. 57 ff., 71 f. 66 Jhering, Eisenbahnstreit, S. 268 ff. 67 Jhering, Eisenbahnstreit, S. 282 f. ("Trugsch1uß"); dagegen nicht überzeugend Go1dschmidt, ZHR 12 (1868), S. 326. 64 65
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habe auch kein Anlaß bestanden, näheres über die Konzession bei ihm zu erfragen. Schließlich stelle Goldschmidt das bloße Kennenmüssen von Tatsachen deren tatsächlicher Kenntnis in rechtlich nicht zulässiger Weise gleich 68 . Deshalb habe der Beklagte nicht auf eine allgemeine Bekanntheit der Konzessionsbedingungen vertrauen dürfen. Er habe damit arglistig gehandelt69 • Ein weiteres, erst von Goldschmidt in die Diskussion eingeführtes Moment, an dessen Fehlen die Haftung des Bankhauses scheitern konnte, ist der Ursachenzusammenhang zwischen der Unvollständigkeit der Emissionsankündigung und dem Schaden der Erwerber der angebotenen Prioritätsaktien7o . Goldschmidt erwägt, daß die Käufer der Prioritätsaktien diese auch dann erworben hätten, wenn ihnen die Befristung der Zins garantie bekannt gewesen wäre, da auch dann die Konditionen immer noch ausgesprochen günstig gewesen seien. Würde man sich also das angeblich arglistige Verhalten des Beklagten, die Veröffentlichung der nur unvollständigen Ankündigung wegdenken und stattdessen ein rechtmäßiges Verhalten, die Veröffentlichung einer vollständigen Veröffentlichung unterstellen, so würde das nicht dazu führen, daß der Schaden der Kläger entfiele; der Beklagte könne deshalb nicht für den Schaden der Kläger verantwortlich gemacht werden 71 . Jhering unterzieht diesen Ansatz einer grundsätzlichen und scharfen Polemik72, in der merkwürdigerweise nicht die von Goldschmidt möglicherweise nur spekulativ unterstellte tatsächliche Grundlage, sondern seine rechtlichen Erwägungen angegriffen werden, die Jhering als Begründung einer "neuen Lehre" sieht73 • Tatsächlich waren Kausalitätsprobleme von Arglistfallen nach gemeinem Recht bisher kaum wissenschaftlich untersucht worden. Goldschmidt hatte sich deshalb insoweit auf die in der jüngeren Strafrechtslehre entwickelten Prinzipien berufen, nach denen für einen Erfolg nur derjenige einzustehen habe, der ihn verursacht habe. Die Quellen des römischen Rechts sprächen einen solchen Grundsatz zwar nicht ausdrücklich aus 74, stünden seiner Existenz jedoch auch nicht entgegen 75. Jhering behauptet dagegen, aus den Quellen76 ergebe sich, daß der Anknüpfungspunkt für die Arglisthaftung allein die Arglist des Täters, nicht auch der darauf beruhende Jhering, Eisenbahnstreit, S. 273 ff., insbes. S. 281 ff. Jhering, Eisenbahnstreit, S. 281 ff., s. auch S. 268 ff.; dazu pointiert Goldschmidt, ZHR 12 (1868), S. 326, 2. Abs. 70 Wobei die Kritik Jherings, Eisenbahnstreit, S. 292 ff. an der Behauptung Goldschmidts, Aktienstreit 1859, S. 37 ff., eigentliche Ursache des Vermögensverfalls der Aktiengesellschaft sei nicht die Befristung der Zinsgarantie, sondern die sonstigen Umstände gewesen, zutrifft, da alle Ursachen gleichwertig sind. 71 Aktienstreit 1859, S. 73 ff. 72 Jhering, Eisenbahnstreit, S. 300 - 314. 73 Jhering, Eisenbahnstreit, S. 300 f. 74 Eindeutig in diese Richtung indessen D. 18, I, 35, 8, vgl. Jhering, Eisenbahnstreit, S.306. 75 Goldschmidt, ZHR 12 (1868), S. 326 f. 76 Jhering, Eisenbahnstreit, S. 303 ff. 68
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Irrtum des Geschädigten sei77 . Gleichwohl lehnt auch Jhering es ab, das Verhalten des Beklagten nach Schadenseintritt zur Grundlage der Haftung zu machen, weil es für das Eintreten des Schadens nicht mehr ursächlich gewesen sein könne7s . Das hinter diesen Erörterungen stehende praktische Problem sehen Jhering wie Goldschmidt in der Schwierigkeit des Klägers, die innere Kausalität als anspruchsbegründende Tatsache im Prozeß nachzuweisen 79 . Im Gegensatz zu Jhering will Goldschmidt deshalb aber nicht auf das Erfordernis des Ursachenzusammenhanges verzichten, sondern erwägt eine Beweislastumkehr dahingehend, daß bei nachgewiesener Arglist ein Beweis des ersten Anscheins dafür spreche, daß sie für einen entsprechenden Irrtum und dieser wiederum für die schädigende Verfügung des Geschädigten ursächlich gewesen sei so. Die aufgezeigten Streitfragen sind symptomatisch für den Stand der gemeinrechtlichen Dogmatik um die Mitte des 19. Jahrhunderts. In der Frage, ob die Unvollständigkeit der Ankündigung eine Haftung des Beklagten begründete, obwohl doch auch die Kläger hätten wissen können oder gar wissen müssen, daß die beschriebene Zinsgarantie mit zusätzlichen Kautelen und damit mit Unsicherheiten behaftet war, haben weder Jhering noch Goldschmidt das eigentliche rechtliche Problem getroffen, weshalb beider Lösungen dieses Falles letztlich unbefriedigend bleiben mußten. Denn in diesem Fall trat eine bestimmte Schwäche des gemeinen Rechts hervor. Weil nämlich die Erwerber der Prioritätsaktien allzu leichtfertig darauf vertraut hatten, daß die in der Ankündigung mitgeteilten, überaus günstigen Konditionen ohne jede Einschränkung gelten würden, wäre eigentlich die Frage des "Mitverschuldens" zu stellen gewesen, inwiefern also ein Verstoß des Geschädigten gegen seine eigenen Interessen geeignet ist, einen im Grundsatz gegebenen Schadensersatzanspruch auszuschließen oder zu mindern. Diese Frage beantwortete das gemeine Recht in kasuistischer Starrheit in der Weise, daß grundsätzlich jedes mitwirkende Verschulden des Geschädigten gleich welchen Grades den Ersatzanspruch vollständig ausschloßsI; nur wenn der Schadensersatzanspruch auf Arglist des Schädigers gestützt wurde, konnte er noch, dann aber wieder in vollem Umfang, durchgreifen s2 . Unterstellte man dem Beklagten also Arglist, war er, von der Kausalitätsfrage einmal abgesehen, zum vollen Ersatz verpflichtet, lehnte man Arglist ab, so war jeder Ersatzanspruch ausgeschlossen, da sich jedenfalls eine gewisse Nachlässigkeit der Kläger nicht leugnen ließ. Die Begründung des Klaganspruchs setzte deshalb voraus, daß der Bankier Goldschmidt mehr oder weniger unverhüllt als Betrüger hingestellt werden mußte S3 . Jhering, Eisenbahnstreit, S. 301 f. Jhering, Eisenbahnstreit, S. 316. 79 Goldshmidt, Aktienstreit 1859, S. 73 ff.; Jhering, Eisenbahnstreit, S. 307 ff. 80 Goldschmidt, ZHR 12 (1868), S. 327. 81 Windscheid/Kipp, Pandekten H, § 258 Fußn. 17, S. 64 f.; vgl. heute etwa § 122 Abs. 2 BGB. 82 Windscheid/Kipp, Pandekten H, § 258 Fußn. 18, S. 65; vgl. heute etwa § 460 S. 2 BGB. 77
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Aus diesem Grund erklärt sich die Verbissenheit, mit der der Streit von beiden Seiten und auch in der juristischen Literatur geführt wurde, ging es doch für beide Seiten jeweils um alles oder nichts. Zu einer angemessenen Lösung des Falles hätte man nur gelangen können, wenn man zum einen die actio de dolo in ihrer Form als vertraglicher oder quasi vertraglicher Anspruch von den engen Erfordernissen der Arglist gelöst und etwa, wie zum Beispiel im preußischen Recht nach ALR I 5 § 285, auch das nur grob fahrlässige pflichtverletzende Verschulden als ausreichend angesehen hätte, um eine Haftung auszulösen, und zum anderen dafür als Regulativ eine flexible Gestaltung der Regelung über das Mitverschulden eingeführt hätte. Letzteres ist indessen erst im BGB von 1896, § 254, in freilich mehr praktisch als theoretisch befriedigender Weise geschehen. Die Einführung einer allgemeinen Haftung für Verletzungen eines vorvertraglichen, durch eine Vertragsanbahnung begründeten Vertrauensverhältnisses ist dagegen trotz durchaus vorhandener Ansätze im römischen Recht versäumt worden. Dafür hat sich im neueren deutschen Recht mit dem Rechtsinstitut der "culpa in contrahendo" ein Gewohnheitsrecht gebildet, das die im geschriebenen Recht verbliebene Lücke ausfüllt 84 . Die Bezeichnung dieser Anspruchsgrundlage geht auf eine Abhandlung Jherings von 1861 85 zurück, der dabei allerdings erkennbar andere Fallgestaltungen vor Augen hatte 86 , als sie dem Lucca-Pistoja-Aktienstreit zugrundelag. Dies zeigt sich schon daran, daß Jhering in dieser Abhandlung zwar auch auf Goldschmidts Gutachten zum Lucca-Pistoja-Aktienstreit hinweist 87 , ihn aber weder hier noch in seinem Votum von 1867 als Anwendungsfall seiner neuen Lehre ansieht 88 . Tatsächlich wurde die Haftung für Unregelmäßigkeiten bei der Emission von Aktien zunehmend als Spezialmaterie betrachtet, die nicht ohne weiteres nach den allgemeinen Regeln des gemeinen Rechts zu beurteilen sei89 . Dennoch und trotz 83 So von -e- (= H. A. C. Weber?), Ein Rechtsfall über die Frage, wie weit man bei Contracts-Unterhandlungen von dem Nichtwissen seines Mit-Contrahenten Vortheil ziehen dürfe, in: Neues Arch. f. HR 2 (1860), S. 192 - 210; Sachße, Ueber die Haftbarkeit der Ausgabe von Werth- und Kreditpapieren, in: Zs. f. dt. R. 17 (1857), S. 29 - 90, 29 f. 84 Enneccerus/Lehmann, Schuldverhältnisse, § 43 III, S. 190 - 192. 85 Culpa in contrahendo oder Schadensersatz bei nichtigen oder nicht zur Perfection gelangten Verträgen, in: Jbb. Dogm. 4 (1861), S. 1 - 112. 86 s. dazu: Dieter Medicus, Zur Entwicklungsgeschichte der Culpa in contrahendo, in: Iuris professio, Festgabe für Max Kaser zum 80. Geburtstag, Wien 1986, S. 169 - 181. 87 Jhering, Culpa in contrahendo, Jbb. Dogm. 4 (1861), S. 12 in Fußn. 3 a.E. 88 Dies lag daran, daß Jhering sich auf die Behandlung der Haftung wegen nichtigen oder nicht zustandegekommenen Vertrages (vgl. heute etwa §§ 122, 307 BGB) beschränkte; seine weite Definition dessen, was "culpa in contrahendo" sei, hätte seinen Ansatz indessen auch für Fälle unterlassener Aufklärung des Vertragspartners über Geschäftsrisiken fruchtbar machen können, s. etwa Jbb. Dogm. 4 (1861), S. 50 f. (zu ALR I 5 § 284), 52. 89 Goldschmidts Gutachten blieb auf diese Weise noch lange Jahre nach seiner Veröffentlichung in der Literatur zum Börsenrecht wirksam; s. etwa Georg Cohn, Die Kreditgeschäfte,
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der Aufregung in Handel und Wissenschaft, die der Lucca-Pistoja-Aktienstreit verursacht hatte, sah die Gesetzgebung der Einzelstaaten sich zunächst nicht veranlaßt, die Haftung für Aktienschwindel durch unrichtige oder gar betriigerische öffentlicheEmissions-Ankijndigungen durch besondere Gesetze zu regeln. Dies hatte seinen Grund darin, daß der Wertpapierhande1 zunächst weitgehend auf einzelne, sachkundige Kreise des Handelsstandes beschränkt blieb90. Erst als sich in den "Griinderjahren" nach der Reichsgriindung größere Teile der Bevölkerung an Aktiengeschäften beteiligten und die Zahl irreführender Emissions-Prospekte sich zu häufen begann, schuf der Reichsgesetzgeber im Börsengesetz von 1896 eine speziell derartige Fälle betreffende "Prospekthaftung,,91. Zur Beratung des Entwurfs zum Börsengesetz sollte auch Goldschmidt als Sachverständiger hinzugezogen werden, was infolge seiner Erkrankung jedoch unterblieb 92 • Der Einfluß der Fragestellungen, die er seinem Gutachten zugrundegelegt hatte, zeigt sich aber noch in der im Börsengesetz getroffenen Regelung, nach der der Emittent gegenüber jedem Inhaber des emittierten Papiers für Vorsatz und grobes Verschulden und bei Unvollständigkeit des Prospekts infolge Fortlassung wesentlicher Tatsachen für böswilliges Verschweigen und Unterlassen einer ausreichenden vorherigen Priifung haftet. Diese Regelung geriet angesichts der jüngeren Entwicklung des Instituts der culpa in contrahendo bezeichnenderweise eine zeitlang in Vergessenheit, so daß das Verhältnis beider Institute zueinander heute erhebliche Fragen aufwirft93 . Das Kausalitätsargument, über das Goldschmidt und Jhering sich nicht einig waren, hat dagegen in der Folgezeit auch im Zivilrecht tiefgreifendere Untersuchungen gefunden. Dennoch wurde und wird gerade diese Frage anhand konkreter Fälle immer wieder auch in ihren grundsätzlichen Bezügen problematisiert. So sah sich der Bundesgerichtshof noch in einer Entscheidung aus dem Jahre 1982 veranlaßt, ausdriicklich festzustellen, daß die Prospekthaftung nach § 43 des Börsengesetzes haftungsbegriindende wie auch haftungsausfüllende Kausalität voraussetze94 . Der Lucca-Pistoja-Aktienstreit galt wegen der weiten Kreise, die er zog, von Anfang an als Prüfstein dafür, wie weit Rechtspraxis und Rechtswissenschaft bereit sein würden, ethisch oder moralisch zweifelhafte Handlungsweisen als sanktionsfrei zu tolerieren. Daß Goldschmidt sich in dieser Auseinandersetzung so nachdriicklich auf die Seite des beklagten Bankhauses gestellt hatte, hat ihm immer in: Wilhelm Endemann (Hrsg.), Handbuch des Deutschen Handels-, See- und Wechselrechts, 3. Bd.: Buch 3, Abschnitt 3 - 12, Leipzig 1885, S. 832 - 997, S. 866 ff. Fußn. 63, 70, 77, 79 u.ö. 90 s. Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, S. 477. 91 § 43 Börsengesetz 1896 (RGBI., S. 157 ff.), heute § 45 Börsengesetz 1908 (RGBI., S. 215 ff.); Bericht u. Beschlüsse der Börsen-Enquete-Commission, Berlin 1894, S. 25, 100 f. 92 Max Weber, Die Ergebnisse der deutschen Börsenenquete, in: ZHR 43 (1895), S. 83 219,44 (1896), S. 29 -74, 45 (1896), S. 68 - 156, ZHR 43 (1895), S. 84. 93 Ausführlich dazu Johannes Köndgen, Zur Theorie der Prospekthaftung, Köln 1983, Überblick S. 9 - 13. 94 BGH NJW 1982, S. 2827 - 2829, 2828.
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wieder den Vorwurf eingebracht, er habe mit seinem Gutachten eine Streitschrift für den reinen Kapitalismus in Form eines Gewinnstrebens, das von jeder Rücksichtnahme auf andere frei ist, geliefert95 . Diese Vorwürfe haben Goldschmidt schwer getroffen 96 • Schon im Vorwort seines Gutachtens von 1859 hatte er dessen Veröffentlichung nicht nur mit der wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Bedeutung der für den Fall maßgeblichen Rechtsprinzipien gerechtfertigt97 , sondern auch ein "menschliches Interesse" geltend gemacht, "nämlich die aus unbefangener Prüfung gewonnene Ueberzeugung, daß die Ehre" des ihm bisher unbekannten Beklagten "auf die grundloseste Weise angegriffen worden" sei98 . Seine Proteste haben indessen wenig genützt: Auch später noch hing Goldschmidt der einmal aufgekommene Ruf an: Noch 1905 wird am Beispiel des Lucca-Pistoja-Aktienstreits Jhering in seiner "substantiellen, jedem Formalismus abgeneigten, stets das Lebendige lebendig mitempfindenden Persönlichkeit", die "den Standpunkt des zeichnenden Publicums" vertrete, dem "Manchestertum" Goldschmidts gegenübergestellt: "Da war es eine Weltanschauung, welche die Gutachter trennte; wie denn überhaupt von dem manchesterlichen Formalismus, der die sechziger und siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts beherrscht hat, niemand sich so frei zu erhalten gewußt hat wie J(hering),,99. Dieses aus heutiger Sicht vernichtende Urteil über Goldschmidt wird bis in neueste Werke über die Rechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts hinein tradiert 100, da Goldschmidt sich auch in den Fragen der Abschaffung der sogenannten Wuchergesetze und der Geltung der haftungsbeschränkenden Eisenbahn-Betriebs=Reglements stets gegen die ökonomischen Interessen des jeweils schwächeren Vertragsteils gewandt zu haben scheint lO1 • Diese Kritik wird jedoch Goldschmidts Haltung im Lucca-Pistoja-Aktienstreit nicht gerecht, denn sie vernachlässigt sowohl den juristisch-technischen Charakter der zu klärenden Rechtsfragen 102 als auch den zugrundeliegenden ökonomischen Konflikt. Die Ge95 Schon Jhering, Eisenbahnstreit, S. 271 behauptet, Goldschmidt habe ein "Interesse des Verkehrs an laxer Handhabung der Grundsätze über den dolus" vertreten; dagegen der Protest Goldschmidts, ZHR 12 (1868), S. 326 oben: "Entstellung einer aus dem Zusammenhange gerissenen Äußerung". 96 Nachtrag 1861, S. 3-5 u.ö.;JheringineinemBriefanOskarBülowv. 15. 11. 1868, in: Helene Ehrenberg, Jhering, S. 23 I - 233, 23 I. 97 Aktienstreit 1859, S. III. 98 Aktienstreit 1859, S. IV. 99 L. Mitteis, Jhering, ADB 50 (1905), S. 663. 100 Wolfgang Fikentscher, Methoden des Rechts in vergleichender Darstellung, Bd. III, Tübingen 1976, S. 106 in Fußn. 17; Pohlhausen, Geschäftsbedingungen, S. 69 in Fußn. 63. 101 Sein Kampf um die Einführung von Genossenschaften mit einer nur beschränkten Haftung der Genossen in den 80er Jahren, der gerade dazu diente, dem im wirtschaftlichen Konkurrenzkampf potentiell schwächeren Teil einen gesetzlichen Schutz vor übermäßiger Inanspruchnahme zu verschaffen, wird demgegenüber regelmäßig unterschlagen. 102 Auch Landsberg, Geschichte III 2, Text S. 946 übt unter dem Einfluß von Mitteis' Jhering-Biographie Kritik an Goldschmidts Haltung im Lucca-Pistoja-Aktienstreit, weist jedoch darauf hin, daß Goldschmidt sich in seiner rechtlichen Würdigung enger an die Regeln des gemeinen Rechts gehalten habe als Jhering.
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genüberstellung der Interessen des "zeichnenden Publikums" und eines "manchesterlichen Formalismus'" lassen den Leser, der die Erfahrungen des "Gründerkraches" erlebt hat, an die Notwendigkeit denken, Kleinanleger davor zu schützen, von rücksichtslosen Geschäftemachern übervorteilt zu werden. Die Situation beim Lucca-Pistoja-Aktienstreit war aber durchaus anders. Denn die Kläger in den von Jhering bearbeiteten und den von Goldschmidt mitgeteilten Prozessen waren, soweit ihre Namen mitgeteilt werden, durchgängig Kaufleute. Die vom Bankier Goldschmidt an der Frankfurter Börse eröffnete Subskription mußte wegen Absatzes aller ausgebotenen Prioritätsaktien bereits am folgenden Tag wieder geschlossen werden 103 , so daß das Angebot potentielle Abnehmer außerhalb des eigentlichen Handelsstandes gar nicht erreichte. Die Geschäftstüchtigkeit der Erwerber der Papiere wird auch daran deutlich, daß viele von ihnen die erworbenen Prioritätsaktien sogleich mit Gewinn weiterverkauft hatten 104. Vor diesem Hintergrund müssen Goldschmidts Erörterungen gesehen werden. In ihnen kommt deshalb nicht eine allzu wirtschafts liberalistische Intention, sondern vielmehr eine angemessene Interessenabwägung zum Ausdruck lO5 , die freilich, allen Protesten Goldschmidts zum Trotz, letztlich nicht ganz unparteilich war lO6 • Die von Goldschmidt vertretenen Ansichten finden sich auch in der Rechtsprechung seiner Zeit. So· lehnte das Obertribunal Berlin in einer Entscheidung vom 17. März 1859 den Anspruch einiger Bankiers auf Schadensersatz aus ALR I 5 § 285 gegen einen anderen Bankier ab, der ihnen unwissentlich wegen Diebstahl aufgebotene Aktien verkauft hatte; denn auch die Kläger hätten ebensogut wie der Beklagte von diesem Aufgebotsverfahren Kenntnis haben können und müssen lO7 • Den gegen die Kläger in einem Vorprozeß angestrengten Klagen von Getreidehändlern, denen sie diese Wertpapiere weiterverkauft hatten, war dagegen stattgegeben worden, da sie im Aktienverkehr unerfahren gewesen seien lO8 • Sein Hauptziel, die deutsche Rechtsprechung auf eine seinem Auftraggeber günstige Haltung festzulegen erreichte Goldschmidt trotz aller Bemühungen nicht. Sie blieb auch in der Folgezeit und bis zuletzt schwankend llo . 1()9,
Goldschmidt, Aktienstreit 1859, S. 2. Die Ansprüche der folgenden Erwerber untersuchen Sachße, Ueber die Haftbarkeit der Ausgabe von Werth- und Kreditpapieren, in: Zs. f. dt. R. 17 (1857), S. 65 ff. (bejahend), Goldschmidt, Aktienstreit 1859, S. 96 ff. u. Nachtrag 1861, S. 32 ff., ihm hierin folgend Jhering, Eisenbahnstreit, S. 327 f. (verneinend). 105 Vgl. dazu auch H. Dove, Zur Prospekthaftung, in: Festgabe Riesser, 1913, S. 2 f. 106 Die Goldschmidt vorgeworfene Haltung findet sich freilich bei Vertretern des Handelsstandes; so hielt bei der Beratung des Börsengesetzes der Vertreter der Deutschen Bank, Siemers, die Einführung einer Prospekthaftung für eine ,juristische Finesse" u. empfahl dem zeichnungswilligen Publikum, "in die Schule zu gehen und etwas zu lernen" (Max Weber, ZHR 45 (1896), S. 83); s. auch Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, S. 477. 107 SeuffArch 14 (1861), S. 36 f. 108 SeuffArch 14 (1861), Nr. 25 in Fußn. I, S. 36. 109 Aktienstreit 1859, S. 211 ("Schluß"). 103
104
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b) Gehilfenhaftung Eine weitere der praktisch wichtigen wie theoretisch bedeutsamen Fragen des allgemeinen Schuldrechts ist die nach den Voraussetzungen, unter denen der Geschäftsherr für ein Fehlverhalten seiner Gehilfen gegenüber seinen Vertragspartnem oder dritten Personen einzustehen hat. Goldschmidts große Abhandlung über diesen Gegenstand erschien 1871 in der ZHR. Sie steht in engem Zusammenhang mit seiner Tätigkeit als Rat am ROHG. Er hat jedoch auch schon mehrere Jahre vor seiner Berufung nach Leipzig an ihr gearbeitet, und ihre Thematik sollte ihn auch nach seiner Berufung nach Berlin noch beschäftigen. Ihr großer Einfluß auf Praxis und Lehre des gemeinen Rechts und des Handelsrechts dokumentiert Goldschmidts Verbindung beider Elemente in seiner Person und seinem Werk. Den Anfang von Goldschmidts Arbeiten zur Problematik der Haftung des Schuldners für seine Gehilfen bildet 1857 seine Kritik des preußischen Handelsgesetzbuch-Entwurfes. Darin vertritt er die Ansicht, daß nach den allgemeinen Grundsätzen der Geschäftsherr für schuldhafte Verfehlungen des Gehilfen bei Eingehung oder Erfüllung einer Verbindlichkeit des Prinzipals hafte. Zugleich spricht er sich aber grundsätzlich gegen die Aufnahme entsprechender Bestimmungen in das ADHGB und die gesetzliche Einführung einer Haftung für Gehilfen außerhalb bestehender Schuldverhältnisse aus 111. Zuletzt äußert er sich in der vierten Auflage seines Sytems des Handelsrechts 1892 zu dieser Frage, wo er die inzwischen herausgearbeiteten Prinzipien und die Bestimmungen des ersten Entwurfs zum BGB zusammenstellt 112. Diese durch das BGB von 1896 in den §§ 278 und 831 klar, wenn auch in rechtspolitisch nach wie vor umstrittener Weise 113 geregelte Materie gehört in der gemeinrechtlichen Literatur des 19. Jahrhunderts zu den umstrittensten Fragen. Ihrer Klärung stand entgegen, daß im Gegensatz zum französischen Code civil, Art. 1384, das österreichische ABGB, §§ 1010, 1161, 1316 und das sächsische BGB 114 die Frage offen gelassen hatten und das preußische ALR sie in umständlicher und lückenhafter Kasuistik geregelt hatte. Diese unklare Rechtslage entsprach auch dem römischen Recht, aus dem im Laufe der Rezeption keine generellen Prinzipien entwickelt worden waren 115. Die verschuldensunabhängige Haftung des
110 s. Goldschmidts Referat in ZHR 6 (1863), S. 357. Das Bankhaus B. H. Goldschmidt hat die Krise indessen überstanden. Es wurde von einem der Söhne des Gründers, der in die Familie Rothschild eingeheiratet hatte, 1900 liquidiert: Kirchholtes, Privatbanken, S. 26 f. 111 Kritik I, 1857, S. 39 f. 112 System, 4. Aufl., 1892, § 37, S. 115 - 117. 113 s. hierzu Larenz, Schuldrecht 11, § 73 VI, S. 651 f. 114 Dazu die nach einem Votum Goldschmidts ergangene Entscheidung ROHGE I, S. 254 - 259 (U. v. 27. 1. 1871). 115 Diese wirtschaftlich wichtige Problematik findet sich bei Windscheid bezeichnenderweise nicht allgemein, sondern an mehreren Stellen bezogen auf einzelne Rechtsinstitute be-
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receptum cauponum nautarum stabulariorum und die Gefährdungshaftung nach § 25 Preuß. Eisenb.-Ges. trugen zur internen Rechtszersplitterung insofern bei, als sie die Haftung der von ihren Regelungen erfaßten Personen auch auf schädigende Handlungen ihrer Gehilfen erstreckten. Goldschmidt hatte sich ursprünglich vorgenommen, die außerhalb dieser Fallgruppen liegenden Konstellationen im "unmittelbaren Anschluß" an seine Abhandlung über das receptum von 1860 zu behandeln l16 • Die Grundlinien seiner Arbeit legt er kurz schon 1867 dar 117 : Die Fälle der Haftung für fremdes Verschulden im römischen Recht beruhten nicht auf einem einheitlichen Prinzip, sondern auf jeweils instituts bezogenen Entwicklungen 118. Die Haftungsregeln der adjektizischen Klagen ergäben sich daraus, daß die Juristen der klassischen Zeit sie als Konsequenz "nicht um bloßer Folgerichtigkeit willen aus der Formel gezogen" hätten, "sondern weil das den Verkehrsbedürfnissen entsprach"; sie seien deshalb Ausnahmetatbestände und damit von nur praktischer, nicht aber theoretisch-dogmatischer Bedeutung 119 • Für die Erkenntnis des geltenden gemeinen Rechts sei eine besondere Untersuchung notwendig, "welche freilich zunächst die volle Einsicht in das Römische Recht zur Voraussetzung" habe l2o . Auch hier jedoch wächst Goldschmidt das Material unter dem Einfluß der anschwellenden Literatur und Rechtsprechung zu diesem Problemkreis derartig an, daß er die Veröffentlichung seiner eigenen Abhandlung immer wieder verschiebt 12J , bis sie 1871 als neben der zweiten Auflage des ersten Bandes seines Handbuches einzige größere Veröffentlichung während seiner Tätigkeit als Rat am ROHG erscheint. Seine richterliche Tätigkeit hatte ihm die letzten Anstöße zur Veröffentlichung gegeben 122. Goldschmidt versucht zunächst den Kreis der Personen zu bestimmen, für deren Fehlverhalten eine Haftung des Geschäftsherrn in Betracht kommt. Er definiert den Gehilfen oder "Substituten" im weiteren Sinne als "denjenigen, dessen sich der Schuldner in Ausübung seines Verbindlichkeit erzeugenden Rechts (z. B. Miethrecht, Nießbrauch) oder in Erfüllung seiner Verbindlichkeit bedient, gleichviel ob statt seiner oder neben sich (Substitut im engeren Sinne - Gehülfe im engeren Sinne)" und ob der Gehilfe rechts geschäftlich oder nur faktisch tätig werde 123 . handelt: Windscheid/Kipp, Pandekten 11, S. 745 ff. (Dienstvertrag), 800 f. (Auftrag), 1114 (lnstitor) (jeweils in den Fußnoten). 116 Verantwortlichkeit 1871, S. 287. 117 (Anzeige von) P. Friedr. von Wyß, Die Haftung für fremde culpa nach Römischem Recht, Zürich 1867, in ZHR 13 (1869), S. 655 f., 655. 118 ZHR 13 (1869), S. 655. 119 ZHR 13 (1869), S. 656. 120 ZHR 13 (1869), S. 656. 121 Verantwortlichkeit 1871, S. 287 f. 122 Verantwortlichkeit 1871, S. 297 Fußn. 10; Inhaltsübersicht: Verantwortlichkeit 1871, S. 289 f.
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Ausgenommen bleiben sollen die bei Eingehung von Verbindlichkeiten durch Stellvertreter oder andere Hilfspersonen verursachten Schädigungen 124. Für sie nimmt Goldschmidt noch eine Zurechnung über die Grundsätze des Stellvertretungsrechts an 125. Nach einer kurzen technischen Einleitung 126 untersucht Goldschmidt zunächst kurz die außervertragliche Haftung für Delikte der Gehilfen gegenüber Dritten 127 , wendet sich dann den in den Quellen des römischen Rechts behandelten Fallgruppen zu, in denen eine Haftung des Geschäftsherrn für Vertragsverletzungen durch seine Gehilfen anerkannt wird oder anerkannt zu werden scheint 128, prüft dann, ob sich über diese Fälle hinaus aus allgemeineren Prinzipien eine solche Haftung begründen läßt l29 , kommt dann zu der in den vorherigen Erörterungen ausgelassenen, besonders umstrittenen Frage der Gehilfenhaftung beim Werkvertrag, besonders beim Transportvertrag 130 und schließt mit einer Betrachtung über "Römisches Recht und heutiges Recht,,\31. Erst in dieser Schlußbetrachtung kommt Goldschmidt auch zu den Partikulargesetzgebungen. Sie ist erforderlich, weil sich die gesamten vorhergehenden Erörterungen ausschließlich mit den Regelungen des römischen Rechts befassen und insbesondere, von gelegentlichen Hinweisen in den Fußnoten abgesehen, auch die Frage aussparen, inwieweit die aus den Quellen gewonnenen Ergebnisse im Laufe der Rezeption des römischen Rechts in Deutschland durch Gesetzgebung oder abweichendes Gewohnheitsrecht modifiziert worden seien. In keiner seiner anderen Abhandlungen ist Goldschmidt den Vorgaben Savignys, zunächst den wahren Inhalt der römischen Quellen zu erschließen, so stringent gefolgt wie in dieser, und in keiner anderen zeigen sich Erfolg und Grenzen dieses Vorgehens so deutlich 132. Sein Ergebnis, "daß die Regel der unbedingten Verantwortlichkeit des Principals für seine Gehülfen ... wie dem gemeinen Recht fremd, so auch legislativ überaus bedenklich erscheint,,133, stellt Goldschmidt seinen Untersuchungen voran. Damit verdeutlicht er sogleich, daß nicht allein historisch-dogmatische, sondern auch praktische Gesichtspunkte für seine grundsätzliche Zurückhaltung bestimmend sind.
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Verantwortlichkeit 1871, S. 288 f. Verantwortlichkeit 1871, S. 289. ROHGE I, S. 254 ff. Verantwortlichkeit 1871, S. 287 ff. Verantwortlichkeit 1871, S. 290 - 297. Verantwortlichkeit 1871, S. 297 - 337. Verantwortlichkeit 1871, S. 337 - 352. Verantwortlichkeit 1871, S. 352 - 367. Verantwortlichkeit 1871, S. 367 - 382. Landwehr, Handelsrechtswissenschaft, S. 79 f. Verantwortlichkeit 1871, S. 288.
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Die außervertragliche Haftung des Schuldners für seine Gehilfen 134 lehnt Goldschmidt nach dem Zeugnis der römischen Quellen ab, obwohl er selbst darauf hinweist, daß sich durch den Wegfall der Sklaverei und damit der besonderen Haftungsregeln für Delikte der Sklaven im Haftungssystem des antiken römischen Rechts Lücken ergeben hätten 135 • Die Fälle, in denen die schädigende Handlung eines Gehilfen einen Vertragspartner des Geschäftsherrn betrifft, diskutiert Goldschmidt unter Hinweis auf eine von ihm vorbereitete Entscheidung des ROHG 136 anhand der Kriterien, die schädigende Handlung des Gehilfen müsse, um eine Haftung des Geschäftsherrn zu begründen, "in Ausführung", nicht nur "bei Gelegenheit"J37 der Erfüllung der Verbindlichkeit des Geschäftsherrn vorgenommen worden sein 138. Diese Abgrenzung habe sich an dem Inhalt des Vertrages zwischen dem Geschäftsherrn und dem Gläubiger zu orientieren l39 . Dieser Gesichtspunkt ist bis heute für die Haftungsfrage entscheidend geblieben 140. Die Fälle der innervertraglichen Haftung für ein Verschulden der Gehilfen gliedert Goldschmidt in vier Hauptgruppen, wobei er die besonders umstrittene Rechtslage beim Werkvertrag einer besonderen Untersuchung vorbehält l41 : die unstatthafte Substitution l42 , das Vorliegen eigenen Auswahl- oder Überwachungsverschuldens des Geschäftsherrn l43 , die Garantie- oder Gefahrübernahme durch den Geschäftsherrn l44 und schließlich die "Erzwungene Garantie infolge erzwungener Uebernahme fremder Obligation", womit Goldschmidt die adjektizischen Klagen meint l45 • Aus den Regeln zu einzelnen Vertragsverhältnissen des römischen Rechts, wonach der Schuldner bei unstatthafter Substitution für Schäden einzustehen hat, auch wenn sie vom Substituten schuldlos verursacht worden sind, versucht Goldschmidt allgemeine Grundsätze über die Statthaftigkeit der Substitution herzuleiten. Dies sei insbesondere für den allgemeinen Werkvertrag von Bedeutung l46 , da im Rahmen der zunehmend arbeitsteiligen Wirtschaft kaum ein Unternehmer die Werkleistung noch in Person erbringe. Entscheidend sei zunächst die Vereinbarung 134
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Überblick von Seiler, Gehilfenhaftung, S. 525 ff. Verantwortlichkeit 1871, S. 290 ff., 381. U. v. 27. 1. 1871, Verantwortlichkeit 1871, S. 294 - 297 Fußn. 10. Verantwortlichkeit 1871, S. 294. Verantwortlichkeit 1871, S. 293 ff. Verantwortlichkeit 1871, S. 296 f. Larenz, Schuldrecht I, § 20 VIII, S. 302 m.w.N. Verantwortlichkeit 1871, S. 297. Verantwortlichkeit 1871, S. 298 ff. Verantwortlichkeit 1871, S. 321 - 323. Verantwortlichkeit 1871, S. 324 ff. Verantwortlichkeit 1871, S. 329 ff.; s. auch ZHR 13 (1869), S. 656 unter 2). Verantwortlichkeit 1871, S. 307 - 309.
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der Parteien oder das Vorliegen "einer ... aus der Natur der übernommenen Leistung ersichtlichen Absicht" der Vertragsparteien, subsidiär die "Sitte des redlichen Geschäftsverkehrs·d47 ; sie erlaube, so leitet Goldschmidt aus den Quellen her, regelmäßig die Substitution, so daß sich auf den Gesichtspunkt unerlaubter Substitution die Haftung des Werkunternehmers für seine Gehilfen nicht stützen lasse 148 . Neuere Gesetzgebungen wie ALR, ABGB, Sächs. BGB oder der Dresdner Entwurf seien zur Normierung von Einzeltatbeständen zurückgekehrt 149. Die bewußt unstatthafte Substitution lasse sich auch als Garantie- oder Gefahrübernahme, "Substitution auf eigene Gefahr" auffassen 150. Merkwürdig kurz scheint Goldschmidts Blick auf die im gemeinen Recht praktisch wichtigen Fälle der Haftung des Geschäftsherrn für eigenes Verschulden bei Auswahl und Beaufsichtigung seiner Gehilfen (culpa in eligendo sive custodiendo) zu sein 151 . Für sie war indessen die Quellenlage besonders klar 152 , und die Begründung einer Haftung geriet hier nicht in Konflikt mit dem Schuldprinzip, das von der gemeinrechtlichen Literatur immer mehr als ein Dogma behandelt wurde 153 ; sie ließ sich vielmehr geradezu als Bestätigung dieses Prinzips auffassen. Dennoch findet sich gerade in diesem Teil von Goldschmidts Abhandlung ein wichtiger und für die weitere Rechtsentwicklung bedeutsamer Gedanke ausgesprochen 154 : Der Grundsatz, daß der wegen Nichterfüllung seiner vertraglichen Verpflichtung in Anspruch genommene Schuldner zu beweisen habe, daß ihn kein Verschulden treffe, gelte auch für den Fall, daß ihm ungenügende Auswahl oder Beaufsichtigung seiner Gehilfen vorgeworfen werde. Diese "schwere Beweislast" nehme "thatsächlich den Charakter einer Präsumtion für eigenes Verschulden an,,155; denn der Geschäftsherr habe insbesondere zu beweisen, welcher seiner Gehilfen oder daß keiner seiner Gehilfen den Schaden verursacht habe, und im ersten Fall auch, daß er gerade diesen Gehilfen gehörig ausgesucht und beaufsichtigt habe l56 • Goldschmidt ist zwar nicht der Begründer dieser Lehre 157 , aber seine Ausführungen dazu in der auch von Praktikern viel benutzten ZHR führten dazu, daß Verantwortlichkeit 1871, S. 307. Verantwortlichkeit 1871, S. 308 f. 149 Verantwortlichkeit 1871, S. 313 Fußn. 8 a, S. 374 ff. - So übrigens auch das BGB 1896, §§ 664, 691. 150 Verantwortlichkeit 1871, S. 324. 151 Verantwortlichkeit 1871, S. 321 - 323 (zweieinhalb Druckseiten). 152 Nachweise in Verantwortlichkeit 1871, S. 321 f. 153 Jhering, Schuldmoment, S. 21 ff. - Zum Zusammenhang zwischen Schulddogma und den Lehren zur Gehilfenhaftung s. Seiler, Gehilfenhaftung, S. 526 f. 154 s. Seiler, Gehilfenhaftung, S. 526 f. 155 Verantwortlichkeit 1871, S. 322; in der dort genannten Stelle seines Aufsatzes über das Receptum 1860, S. 82 Fußn. 47 finden sich nur Quellennachweise, keine weiteren Ausführungen. 156 Verantwortlichkeit 1871, S. 322 f. 157 s. Seiler, Gehilfenhaftung, S. 527. 147
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das eigentlich drängende Problem ungenügender Regelung der Gehilfenhaftung zumindest faktisch erheblich entschärft wurde l58 . Die Verbreitung dieser Lehre bedurfte dieser Unterstützung, weil die Quellen einen solchen Umfang der Beweislast nicht ausdrücklich festlegten. Goldschmidt kann ihn nur aus einer Analogie zu Quellenzeugnissen zur noxae deditio und der Erwägung heraus begründen, "daß anders sich hier nicht ersehen läßt, ob der Principal in Bezug auf den Thäter seiner Vertragspflicht nachgekommen" sei 159. Bedenklich ist freilich die sogleich folgende Erwägung, die das Vorhergehende teilweise wieder zurücknimmt: " ... bei einem großen, gleichmäßig instruirten Arbeitspersonal kann sich dies freilich anders verhalten". Goldschmidt verfolgt sie aber nicht weiter. Erhalten hat sich der Grundgedanke der Beweislastumkehr im Bereich der deliktischen Haftung in § 831 Abs. 1 Satz 2 BGB, in den er 1896 vom Gesetzgeber übernommen wurde l60 . Die Fallgruppe der Gehilfenhaftung aufgrund von Garantie- oder Gefahrübernahme führt Goldschmidt auf sein bevorzugtes Gebiet der Untersuchung der Natur einzelner Rechtsverhältnisse und der Auslegung typischer Parteiabreden 161. Breiten Raum widmet er der Analyse der Haftung für "custodia" bei einigen der römischen Vertrags verhältnisse und der Zufallshaftung des receptum, die er in engem Anschluß an seine Abhandlung von 1860 als aus vertraglicher Garantieübernahme entstanden entwickelt l62 . Erneut betont er die Relativität des Begriffs der "höheren Gewalt", dessen Umfang sich nur für jedes einzelne Rechtsverhältnis bestimmen lasse l63 . Mit ausführlichen Quellennachweisen behandelt Goldschmidt die notwendige Haftung des Geschäftsherrn für ein Verschulden seiner Gewaltunterworfenen oder Hilfspersonen in den Fällen der adjektizischen Klagen, in denen die Hilfspersonen grundsätzlich sich selbst, in gleicher Weise aber auch den Geschäftsherrn verpflichteten, und zwar in demselben Umfang, wie die Obligation gegen sie bestehe l64 . Aus diesem zunächst abstrakt formulierten Grundsatz erklärt Goldschmidt die Quellenfragmente, aus denen sich ergibt, daß der Geschäftsherr für ein Verschulden der Hilfspersonen sowohl bei Eingehung der Verbindlichkeit l65 als auch bei deren Erfüllung hafte l66 . Die Obligation werde dem Geschäftsherrn nur durch 158 s. insbes. RGZ 10, S. 164 ff., 168. In derselben Entscheidung, S. 166, wird gerade Goldschmidts Auffassung in bezug auf die Gehilfenhaftung beim Werkvertrag allerdings nachdrücklich zurückgewiesen. 159 Verantwortlichkeit 1871, S. 323. 160 s. Seiler, Gehilfenhaftung, S. 527; allerdings wirkt sich im Bereich der vertraglichen Haftung die Beweislastumkehr nach §§ 282, 285 BGB ebenfalls auf die Haftung über § 278 BGB aus. 161 Verantwortlichkeit 1871, S. 324 ff. 162 Verantwortlichkeit 1871, S. 326 ff. 163 Verantwortlichkeit 1871, S. 328 f., 329. 164 Verantwortlichkeit 1871, S. 329 f. 165 Verantwortlichkeit 1871, S. 330 f. 166 Verantwortlichkeit 1871, S. 331 ff.
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die Hilfsperson vermittelt und sei deshalb mit der potentiell gegen diese gerichteten Forderung inhaltsgleich. Daß zumindest die erste Folgerung auch für das geltende gemeine Recht und Handelsrecht zutrifft, in denen wegen der Anerkennung der unmittelbaren Stellvertretung der Geschäftsherr nicht mehr durch Vermittlung über die Person des Vertreters, sondern sogleich und allein rechtsgeschäftlich verpflichtet wird, spricht Goldschmidt hier nicht aus; dieser Satz wird aber in dem nach einem Votum Goldschmidts ergangenen Urteil des ROHG vom 18. Juni 1872 ausführlich begründet 167 . Mit diesen Ausführungen verläßt Goldschmidt zunächst das Gebiet der Fallgruppen, für die sich eine Lösung aus den Quellen herleiten ließ oder herleiten zu lassen schien, in denen er aber über den unmittelbaren Quelleninhalt hinaus stets die tatsächlichen Verhältnisse ihrer Entstehung und insbesondere den zugrundeliegenden Parteiwillen in seine Betrachtungen einzubeziehen suchte 168 . Im dritten Hauptteil der Abhandlung wendet sich Goldschmidt dann unter der Überschrift "Allgemeine Ergebnisse. - Die bona fides des Verkehrs" der Frage zu, inwieweit die gefundenen Ergebnisse sich auf andere Fallgruppen übertragen lassen. Seine restriktive Haltung hierzu legt er gleich einleitend dar: Falls die zuvor untersuchten besonderen Haftungsgründe nicht vorlägen, bleibe es bei dem Grundsatz, daß nur für eigenes Verschulden gehaftet werde 169 . Eine Gehilfenhaftung in anderen Fällen ließe sich allenfalls über Fiktionen begründen, nämlich mit der Fiktion eines eigenen Verschuldens des Schuldners oder der einer Garantieübernahme durch den Schuldner 17o. Die für die erste Annahme vorgebrachten Quellenstellen beträfen jedoch in Wahrheit Fälle, die den zuvor untersuchten Fallgruppen zuzuordnen seien 171, die zweite Annahme widerspreche der Ordnung des römischen Haftungssystems. Hierzu setzt sich Goldschmidt l72 insbesondere mit den Thesen von Ubbelohde auseinander, der als erster versucht hatte, aus den Regeln des römischen Rechts unter Einbeziehung ökonomischer Analysen der einschlägigen Fallkonstellationen eine Gehilfenhaftung allgemein zu begründen 173.
ROHGE 6, S. 403 - 412. z. B. Verantwortlichkeit 1871, S. 299, 307, 329, ferner S. 313, 320, 324, 326 f. 169 Verantwortlichkeit 1871, S. 337. 170 Verantwortlichkeit 1871, S. 337 f. 171 Verantwortlichkeit 1871, S. 340 ff. 172 Bevor er die streitige Haftung für die Solvenz der Gehilfen behandelt, Verantwortlichkeit 1871, S. 347 ff. 173 August Ubbelohde, Wie weit haftet nach gemeinem Rechte der Schuldner als solcher für diejenigen Personen, deren er sich zum Zwecke der Erfüllung seiner Verbindlichkeit bedient?, in: ZHR 7 (1864), S. 199 - 295. - Über Ubbelohde (1833 - 1898) s. Landsberg, Geschichte III 2, Noten, S. 359: ,,- der, welcher der reinen historischen Schule am strengsten treu geblieben ist". 167 168
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Ubbelohde hatte dazu den Gedanken entwickelt, bei Rechtsgeschäften, zu deren Erfüllung der Schuldner sich regelmäßig Gehilfen bediene, übernehme dieser stillschweigend die Haftung für deren Verschulden und verlange dafür als "Assekuranzprämie" ein höheres Entgelt. Goldschmidt wendet hiergegen zutreffend ein, daß diese Anschauung den römischen Quellen gänzlich fremd gewesen sei. Sie ließen auch nicht die von Ubbelohde angestellten Interessenabwägungen l74 als bewußt entwickelte Gesichtspunkte erkennen 175. Eine Ausnahme erkennt Goldschmidt freilich selbst an: Wenn ausdrücklich vereinbart sei, daß der eine Vertragsteil ein höheres Entgelt zahle und der andere dafür die Haftung für custodia besonders übernehme, so trage dieses höhere Entgelt (merces pro custodia) "den Charakter einer Assekuranzprämie für die durch besonderen Vertrag übernommene Obhut,,176. Dieser Gedanke liegt möglicherweise dem von Goldschmidt hervorgehobenen Gaius-Fragment D. 19, 2, 40 zugrunde 177. Ganz regelmäßig aber werde das Entgelt nur für die Erbringung der Leistung, nicht für die Übernahme zusätzlicher Garantien vereinbart 178. Seinen sonst scheinbar wieder nur quellengebundenen Untersuchungen stellt Goldschmidt eine eigene, dezidiert ausgeführte Interessenabwägung voran l79 : Da die schadensverursachenden Gehilfen regelmäßig mittellos seien, liege in "Fällen solcher Art ... eine Collision zwischen den Interessen des Principals und den Interessen des Publicums vor", so daß sich die Frage stelle: "Auf wem soll der Schade haften?" 180. Der Schuldner könne sich auf Fehlen eigenen Verschuldens berufen und darauf, daß der Gläubiger es unterlassen habe, eine Garantiehaftung zu bedingen 181, der Gläubiger darauf, daß er sich nicht auf den Gehilfen verweisen lassen wolle, mit dem er nicht kontrahiert und dem er nicht vertraut habe l82 . Goldschmidt hält, ganz im Gegensatz zu Ubbelohde, in "dieser Collision der Interessen" die Gründe des Schuldners für "durchschlagend": Inwieweit der Schuldner hafte, ergebe sich aus den allgemeinen Regeln des Vertragsrechts, und danach hafte der Schuldner eben nur für eigenes Verschulden sowie darauf, dem Gläubiger die Gel174
che.
Insbes. Ubbelohde, ZHR 7 (1864), S. 251 f., 267 ff.: Zurechnung der Gefahrenberei-
175 Verantwortlichkeit 1871, S. 343 ff., 345 ff. zu D. 50, 17, 149: "Ex qua persona quis lucrum capit, eius factum praestare debet"; schärfer in System, 4. Aufl., 1892, S. 116: "Abwegig". 176 Verantwortlichkeit 1871, S. 356 ff., 357. 177 "Qui mercedem accipit pro custodia alicuius rei, is huius periculum custodiae praestat." Goldschmidt, Verantwortlichkeit 1871, S. 356 unter Vergleich mit der Stelle Gaius, Institutionen III 206, die allerdings, was Goldschmidt möglicherweise übersieht, in engerem Zusammenhang mit der vorhergehenden Stelle III 205 gesehen werden muß. 178 Verantwortlichkeit 1871, S. 356. 179 Verantwortlichkeit 1871, S. 338 - 340. 180 Verantwortlichkeit 1871, S. 338. 181 Verantwortlichkeit 1871, S. 338 f. (21 Zeilen). 182 Verantwortlichkeit 1871, S. 339 (3 Zeilen).
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tendmachung seiner Ansprüche gegen den Gehilfen zu ermöglichen 183. "Wie die namentlich von Ubbelohde so energisch betonte bona fides des Verkehrs l84 dieser Anschauung zuwider und der entgegengesetzten zur Seite stehen sollte, läßt sich schwer absehen,,185, zumal eben auch die römischen Juristen offensichtlich anderer Auffassung gewesen seien 186. So sehr man Goldschmidts Ergebnis in dieser Interessenabwägung vom heutigen Standpunkt aus widersprechen mag, daß er hier das Problem, um das es eigentlich geht, klar erfaßt und zunächst außerhalb jeder Bindung an die römischen Quellen und damit vielleicht klarer noch als Ubbelohde in dessen Abhandlung von 1864 187 auf den Punkt gebracht hat, läßt sich nicht bestreiten l88 . An Stellen wie diesen schlägt die "induktive Methode" Goldschmidts als Mittel der Quellenanalyse durch auf allgemeingültige Feststellungen, die der Erkenntnis und Bildung des geltenden Rechts unmittelbar dienlich sein könnten, wenn Goldschmidt, wie sich noch zeigen wird, auch davor zurückschreckt, sich dieses Potential dafür nutzbar zu machen. Die Untersuchung, inwieweit beim gemeinrechtlichen Werkvertrag (locatio conductio operis) der Werkuntemehmer für ein Verschulden seiner Gehilfen einzustehen habe, hat Goldschmidt sich bis zum Schluß aufgehoben, um sie besonders ausführlich vorzunehmen l89 . Daß gerade der Werkvertrag so sehr in den Mittelpunkt der Untersuchung gerückt war, lag sicherlich daran, daß diese Vertragsart mit der industriellen Revolution erheblich an Bedeutung gewonnen hatte. Dieser Vertragstyp war besonders elastisch, denn die gemeinrechtliche Doktrin hatte als sein wesentliches Merkmal die Herbeiführung eines Erfolges gleich welcher Art entwikkelt l9o, so daß viele eigentlich unbenannte Vertragsverhältnisse sich als Werkver183 Verantwortlichkeit 1871, S. 351: Die Verpflichtung zur Abtretung eigener Schadensersatzansprüche des Schuldners gegen seinen Gehilfen an den Gläubiger sei nicht Folge einer bestehenden Haftungsverbindlichkeit, sondern bloße Billigkeitspflicht. 184 Ubbelohde, ZHR 7 (1864), S. 203 ff. 185 Verantwortlichkeit 1871, S. 339. 186 Verantwortlichkeit 1871, S. 339 f. 187 s. Ubbelohde, ZHR 7 (1864), S. 200 ff., 206 ff., 245 ff. 188 Schon 1860 freilich hatte Ubbelohde prägnant formuliert: "Es ist die nationalökonomische Erwägung, daß ja der Prinzipal einen großen Theil seines Unternehmergewinnes der Thätigkeit des Institors verdanke, und es demgemäß auch nicht mehr als billig sei, wenn ihm der Betrag des durch die Thätigkeit eben dieses Institors angerichteten Schadens, gewissermaßen als zufällige Generalspesen, am Unternehmergewinn abgesetzt werde", diesen Gedanken allerdings etwas gewaltsam den Quellen entnehmen wollen: Ubbelohde, Ueber die Haftung des Geschäftsherm aus der Verschuldung der in seinem Geschäfte angestellten Personen bei der Erfüllung übernommener Verpflichtungen, in: Arch. f. prakt. Rechtswiss.7 (1860), S. 229 - 276, 260. Gegen die Anbindung dieses Satzes an die römischen Quellen Goldschmidt, Verantwortlichkeit 1871, S. 260 - 262. Eine fragwürdige Ausweitung des Kreises der Erfüllungsgehilfen mit diesem Argument bei BGHZ 82, S. 219 ff., 221 f. (das Reisebüro, eigentlich ein Handelsmakler, sei Erfüllungsgehilfe des Reiseveranstalters; dagegen die Rechtsprechung der Instanzgerichte, z. B. AG Frankfurt, in Fremdenverkehrsrechtliche Entscheidungen, hrsg. v. H. Klatt, ZivR Nr. 480, S. 1732 f.). 189 Verantwortlichkeit 1871, S. 352 - 367.
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träge qualifizieren ließen. Wie sehr die Annahme der Lehre, jedenfalls beim Werkvertrag habe der Schuldner für ein Verschulden seiner Gehilfen einzustehen, einem praktischen Bedürfnis entsprach, zeigt die Tatsache, daß zwar Puchta stets als ihr Begründer genannt wurde, er diesen Gedanken jedoch nur so nebenbei in seinen Vorlesungen erwähnt hatte 191, daß es nicht seine wissenschaftliche Autorität sein konnte, die hinter der raschen Verbreitung dieser Lehre in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts stand. Goldschmidt geht das Problem in zwei Strängen an, zunächst anhand der von Vertretern dieser Lehre angeführten Quellenzeugnisse l92 , dann der "Natur" des Werkvertrages 193. Von den Quellenfragmenten sondert Goldschmidt die aus, bei denen die Gehilfenhaftung auf anderen, bereits behandelten Gründen beruht oder sich in Wahrheit nicht herleiten läßt l94 . Übrig bleibt das sehr interessante, später ganz im Mittelpunkt der Diskussion stehende Gaius-Fragment D. 19,2,25,7 195 . Dort heißt es, daß der Unternehmer, der den Transport einer Säule übernimmt, für deren Zerstörung bei Ausführung des Transports hafte, wenn sie "auf einem Verschulden seiner selbst und seiner Hilfspersonen" beruhe l96 . Bei dieser singulären Stelle war unter den Editoren schon streitig, ob es statt "eorumque" nicht "eorumve", also seiner selbst "oder" seiner Hilfspersonen Verschulden heiße; Goldschmidt bringt zu dieser philologischen Vorfrage reiche Nachweise l97 , denn ein klarer Fall von Gehilfenhaftung läge ohnehin nur im zweiten Fall vor. Aber auch aus weiteren Gründen weist Goldschmidt die Beweiskraft des Fragments zurück: Es gebe keine weiteren Stellen vergleichbaren Inhalts, was angesichts der Tragweite des angeblich zum Ausdruck kommenden Rechtssatzes zu erwarten gewesen wäre l98 ; der systematische Zusammenhang des Fragments betreffe Fälle, in denen zwischen Zufall und eigenem Verschulden des Unternehmers abgegrenzt werde l99 ; s. nur Windscheid/Kipp, Pandekten 11, S. 719; so heute auch § 631 Abs. 2 BGB. Georg Friedrich Puchta, Vorlesungen über das heutige römische Recht, hrsg. v. A. A. F. Rudorff, 4. Aufl., Bd. 2, Leipzig 1855, § 302, S. 160: " ... die Uebemahme der Culpa Anderer ... geschieht stillschweigend, wenn sich jemand zu einem Geschäft vermiethet, zu dem er Gehülfen zuzieht." Weshalb das nur bei der locatio conductio gelten soll, bei deren Behandlung er diese Frage nicht wieder berührt, führt Puchta nicht aus. 192 Verantwortlichkeit 1871, S. 352 ff. 193 Verantwortlichkeit 1871, S. 359 ff. 194 Verantwortlichkeit 1871, S. 352 f., 356 ff., 359. 195 Verantwortlichkeit 1871, S. 353 - 355; hierzu schon receptum 1860, S. 93 f. und ZHR 13 (1869), S. 655 f. 196 "Qui columnam transportandam conduxit, si ea, dum tollitur aut portatur aut reponitur, fracta sit, ita id periculum praestat, si qua ipsius eorumque, quorum opera uteretur, culpa acciderit ... ". 197 Verantwortlichkeit 1871, S. 354. 198 Verantwortlichkeit 1871, S. 353. 199 Verantwortlichkeit 1871, S. 354 f.; vgl. Kaser, Privatrecht I, S. 508. 190 191
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schließlich ergebe die sprachliche Alternativitiät auch keinen Sinn, da bei Beschädigung der Säule ohne Verschulden der Gehilfen der Unternehmer schon deswegen nicht haften könne, weil seine dann allein gegebene culpa in eligendo schon wegen fehlender Kausalität für die Schädigung nicht in Betracht käme 2OO • Goldschmidt tendiert deshalb dazu, daß das Fragment in Wahrheit in eine der bereits besprochenen Fallgruppen gehöre, vermutlich die der besonderen Garantieübernahme 201 . Dem Ergebnis dieser quellenexegetischen Analyse Goldschmidts für das antike römische Recht dürfte zuzustimmen sein 202 . Die Erörterung, ob sich eine Gehilfenhaftung aus der Natur des Werkvertrages herleiten lasse, führt Goldschmidt über die Behandlung der Quellen, die er freilich auch hier ausführlich heranzieht, hinaus und leitet über zu dem Schlußteil der Abhandlung, der dem eigentlich geltenden Recht gewidmet ist. Das Argument, der Werkunternehmer schulde beim Werkvertrag die Herbeiführung eines bestimmten Erfolges, müsse also dafür einstehen, wenn dieser, aus welchen Gründen auch immer, nicht eintrete 203 , will Goldschmidt so nicht gelten lassen: Richtig sei, daß der Unternehmer sein Entgelt nur verlangen könne, wenn er den Erfolg herbeiführe; über die Frage, in welchen Fällen scheiternder Erfolgsherbeiführung der Unternehmer Schadensersatz zu leisten habe, sei damit aber noch nichts gesagt204 . Erst gegen Ende seiner Abhandlung205 wendet Goldschmidt sich der Frage zu, inwieweit seine Ergebnisse dem geltenden gemeinen Recht entsprechen. Für die Fälle, in denen das römische Recht die Haftung für Hilfspersonen anerkannt habe, gelte dies grundsätzlich auch im geltenden Recht, doch seien durch den Wegfall der Noxalhaftung für Gewaltunterworfene und die Ersetzung der Institoren durch echte Stellvertreter Lücken entstanden 206 . Sie hätten eben dazu geführt, daß zahlreiche Autoren weitere Fälle in die Quellen hineinzuinterpretieren versucht hätten 207 . Dazu gehöre auch die von der Rechtsprechung geübte Ausdehnung der receptum-Haftung auf den Landtransport208 . Das aber sei nicht zu billigen: "Wie wenig nun auch verkannt werden darf, daß das Recht den begründeten Interessen des menschlichen Gemeinlebens zu dienen bestimmt ist, und daß nicht allein die Gesetzgebung, sondern auch die Rechtswissenschaft sich der Aufgabe nicht entziehen 200 Verantwortlichkeit 1871, S. 355. Der Fall der Kumulation (eigenes und Verschulden der Gehilfen) ist dagegen nicht quellenwidrig, wenn gemeint ist: Auswahl- oder eigenes Überwachungsverschulden des conductor, Verschulden der Gehilfen bei der Ausführung. Goldschmidt übersieht freilich die Möglichkeit, daß der conductor seinen Gehilfen schuldhaft falsche Anweisungen gegeben hat, infolge deren Ausführung die Säule ohne Verschulden der Gehilfen zerbricht. 201 Verantwortlichkeit 1871, S. 356 ff. 202 Zweifelnd Kaser, Privatrecht I, S. 513, der meint, daß die Frage der Gehilfenhaftung "wohl der kontroversenreichen Kasuistik überlassen" gewesen sei. Eine Kontroverse findet in den Quellen aber über diese Frage gerade nicht statt. 203 Verantwortlichkeit 1871, S. 359 ff. 204 Verantwortlichkeit 1871, S. 361 ff. (S. 363 zu Zweifelsfällen, S. 365 ff. gegen Endemann).
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darf, diesen Interessen gerecht zu werden, so erscheint es doch überaus zweifelhaft, ob von diesem Standpunkt aus zu einer allgemein befriedigenden Lösung der schwierigen Frage gelangt werden kann,,209. Für zahlreiche Fälle verlange das "Verkehrsbedürfniß" eine scharfe Haftung, doch seien diese nicht spezifisch der Gehilfenhaftung zuzuordnen, sondern den Gefahren aus bestimmten Gefahrenquellen 21O, für die in zahlreicher werdenden Partikular- und Reichsgesetzen wie dem preußischen Eisenbahngesetz oder dem entstehenden Reichshaftpflichtgesetz 21\ besondere Haftungsregelungen geschaffen würden212 : "Die Zahl solcher Ausnahmegesetze" bedürfe zwar der Vermehrung 213 , aber daß "ein öffentliches Interesse oder ein Verkehrsbedürfniß dieser Art allgemein bestehe, kann unmöglich anerkannt werden,,214. Bedenke man die anerkannten Fälle von Gehilfenhaftung und die dem Gläubiger günstige Verteilung der Beweislast, so sei "schwer ersichtlich, welcher Billigkeitsgrund eine noch weitere Haftung erheischen könnte,,215. Vorstellbar sei allenfalls eine Umgestaltung des gesamten zivilrechtlichen Haftungssystems hin zu einer Erfolgshaftung mit Ausgleich über ein Assekuranzsystem 216 . Diese zunächst etwas dunkle Bemerkung belegt einmal mehr Goldschmidts waches Auge auf die sozialpolitischen Entwicklungen seiner Zeit: Tatsächlich war das Reichshaftpflichtgesetz von 1871 auch unter dem Gesichtspunkt gesehen worden, Arbeitern, die Arbeitsunfälle erlitten hatten, die Geltendmachung von Ersatz- und Versorgungsansprüchen gegen ihren Arbeitgeber mit größerem Erfolg als bisher insbesondere auch in den Fällen zu ermöglichen 217 , in denen andere Beschäftigte desselben Arbeitgebers den Unfall herbeigeführt hatten. Als dies auf diese Weise nicht gelang 218 , kam es 1884 mit dem Unfallversicherungsgesetz219 tatsächlich zur Einführung einer gesetzlichen Unfallversicherung, durch die dem durch einen Arbeitsunfall verletzten Arbeiter220 gegen die Berufsgenossenschaft Verantwortlichkeit 1871, S. 367 ff. Verantwortlichkeit 1871, S. 367 f., 368 f. 207 Verantwortlichkeit 1871, S. 369. 208 Verantwortlichkeit 187 I, S. 372 f. 209 Verantwortlichkeit 1871, S. 369 f. 210 Verantwortlichkeit 1871, S. 370. 211 Verantwortlichkeit 1871, S. 371 in Fußn. 2a). 212 Verantwortlichkeit 1871, S. 370 f. 213 Verantwortlichkeit 1871, S. 371. 214 Verantwortlichkeit 1871, S. 372. 215 Verantwortlichkeit 1871, S. 372. 216 Verantwortlichkeit 1871, S. 372. 217 Zur Haftung des Leiters einer Fabrik bei Tod oder Körperverletzung für Verschulden seiner Bevollmächtigten, Repräsentanten oder Aufseher nach § 2 RHPfiG s. Wickenhagen, Geschichte, S. 21 - 27, 25 ff. 218 Wickenhagen, Geschichte, S. 29 - 31. 219 Unfallversicherungsgesetz v. 6.7. 1884, RGBI. 1884, S. 69 - 109; ausführlich zu seiner Entstehungsgeschichte Wickenhagen, Geschichte, S. 29 - 50, 44 ff. 205
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als Träger der Unfallversicherung 221 ein Anspruch auf Ersatzleistungen 222 gewährt wurde. Die Arbeitsunfälle wurden dafür aber aus dem System des allgemeinen Schadensersatzrechts ausgegliedert 223 . Goldschmidts Hervorhebung, daß damit völlig neue Strukturprinzipien Eingang in das deutsche Recht hielten 224 , war berechtigt; die rechtssystematische Einordnung der gesetzlichen Unfallversicherung ist bis heute nicht überzeugend geklärt225 . Die seinerzeit gesehenen engen Zusammenhänge zwischen dem Fehlen von Vorschriften über umfassende Gehilfenhaftung und der Entwicklung des Sozialversicherungssystems sind heute weitgehend in den Hintergrund getreten 226 . Die knappe, aber umfassende Darstellung der partikularen und Reichsgesetze zur Gehilfenhaftung 227 dient Goldschmidt im wesentlichen dazu, abschließend darzulegen, daß dem Bedürfnis nach einschlägigen Regelungen bereits genügt sei oder auch der Gesetzgeber ein solches Bedürfnis bisher nicht als dringlich anerkannt habe. Nur so erklärt es sich, daß Goldschmidt den offenen Bruch, der zwischen dem gesamten Inhalt seiner Abhandlung und deren Schlußabsatz228 liegt, nicht besser zu tarnen vermocht hat. Denn die Arbeit endet mit Gedanken, in denen Goldschmidt erwägt, ob er nicht alles Vorhergehende widerrufen müsse. "Vielleicht, daß eine eindringende geschichtliche Untersuchung", so Goldschmidt, " ... den Nachweis erbringt, daß im modemen Europa, insbesondere auch in Deutschland, das Römische Recht, mit dessen Darlegung sich die vorstehende Darstellung beschäftigte, nur mit erheblichen Modificationen zur Geltung gelangt ist"229, daß also die nur im Hinblick auf das in den Quellen zum Ausdruck kommende alte römische Recht analysierten Rechtssätze im Zuge der Rezeption des römischen Rechts abgewandelt worden sein könnten: "Es ist möglich, daß das allein lebendige, in der Uebung der Gerichte zur Geltung gebrachte Recht ... auch in dieser Beziehung von dem quellenmäßigen Bestande des Corpus juris civilis erheblich abgewichen ist,,230 und daß erst der quellenbezogene Purismus der historischen Rechtsschule "lebendiges Recht unterdrückt oder doch die Keime einer ver§ 1 Unfallversicherungsgesetz (§§ 539 Abs. 1 Nr. 1,548 RVO). § 9 Unfallversicherungsgesetz (§ 790 RVO). 222 § 5 Unfallversicherungsgesetz (s. heute § 547 RVO). 223 §§ 95 - 97 Unfallversicherungsgesetz (§§ 636 - 639 RVO). 224 Verantwortlichkeit 1871, S. 372. 225 s. etwa Wickenhagen, Geschichte, S. 50 m.w.N. - Goldschmidt wollte nur die korporativen Rechtsbeziehungen als öffentlich-rechtlich, die Leistungsbeziehungen aber als privatrechtlich ansehen: System, 4. Aufl., 1892, § 69, 3 d, S. 149 f. 226 s. aber Larenz, Schuldrecht 11, § 73 VI a.E., S. 652. 220 221
Verantwortlichkeit 1871, S. 374 ff. Verantwortlichkeit 1871, S. 381 f.; zu dem Widerspruch zwischen Goldschmidts These der "Vorreiterstellung" des Handelsrechts und den restriktiven Tendenzen seiner Abhandlung Schmidt, Gehilfenhaftung S. 192 - 198, insbes. S. 197 f. 229 Verantwortlichkeit 1871, S. 381. 230 Verantwortlichkeit 1871, S. 381 f. 227 228
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ständigen Fortentwicklung ertödtet hat,,231. Eine derartige Entwicklung hatte es etwa im Bereich des Rechts der Traditionspapiere gegeben. In diesen Worten lassen sich deutliche Zweifel Goldschmidts an den Erträgen seiner historisch-genetischen Methode erkennen 232, dies freilich nur in einer Richtung: Wenn sein Ergebnis nicht aktuellen Bedürfnissen entspreche, so könne das nur daran liegen, daß die Genese des geltenden Rechts nicht ausreichend erforscht sei. Weitere Untersuchungen, so ist sich Goldschmidt sicher, würden das geltende Recht denn auch als so entstanden nachweisen, wie es diesen Bedürfnissen angemessen wäre. Daß aber die Entwicklung zwingend anders, nämlich in Abweichung von den Quellen des römischen Rechts verlaufen sei, will er mit der Begründung vorsorglich verneinen, daß auch in der Gegenwart das tatsächliche Bedürfnis nach einer Ausweitung der Tatbestände geringer sei, als immer wieder behauptet werde. Daher hätten Gesetzgebung und, als Organ des lebendigen Rechts, die Rechtsprechung besonders des ROHG233 die Aufgabe, nur den "berechtigten Anforderungen des Verkehrs und des öffentlichen Interesses Befriedigung zu gewähren,,234. Das tieferliegende Defizit seiner historisch-genetischen Methode erkennt Goldschmidt nicht oder verdrängt es jedenfalls. Zwar betreibt Goldschmidt in dieser Abhandlung ganz wesentlich Dogmatik, und zwar, anders als etwa Thöl, Dogmatik des antiken römischen Rechts. Dabei versteht er es aber hervorragend, die konkreten Verhältnisse, die tatsächlichen Bedingungen, aus denen die römischen Rechtssätze sich entwickelt haben, in seine Analysen einzubeziehen und sie erfolgreich auch heranzuziehen, um dunkle Quellenfragmente plausibel und stimmig zu erklären. Auch die Versuche neuerer Autoren, jedenfalls beim Werkvertrag zu einer Gehilfenhaftung zu kommen, vermag er klar auf ihre tatsächlichen Grundlagen zurückzuführen 235 . "Intuitive" und "historisch-genetische" Methode vermag Goldschmidt also meisterhaft zu handhaben, sofern es darum geht, einen von ihm als bestehend vorgefundenen Zustand aus seinen Wurzeln heraus zu erklären. Sie setzt ihm aber unüberwindliche Schranken, wenn es gilt, nicht zu einem vorgefundenen Endzustand hin die Entwicklung aufzudecken, sondern von einem vorgefundenen Ausgangszustand aus die bisherige Entwicklung in die Zukunft fortzuschreiben. Die Grundlage für ein derart schöpferisches Vorgehen vermag er noch aufzuzeigen: Nächst Ubbelohde ist Goldschmidt in der rechtswissenschaftlichen Diskussion um die Gehilfenhaftung des 19. Jahrhunderts derjenige, der die leitenden wirtschaftlichen Gesichtspunkte am Klarsten aufzeigt und etwa auch die Zusammenhänge mit den Grundfragen des HaftungssyVerantwortlichkeit 1871, S. 382. Landwehr, Handelsrechtswissenschaft, S. 80. 233 Dazu auch Rechtsstudium 1887, S. 118 - 123. 234 Verantwortlichkeit 1871, S. 382. 235 Verantwortlichkeit 1871, S. 369; s. auch S. 380: "In einzelnen Beziehungen ... ist dargethan, daß ... der stehen gebliebene Rest Römischen Rechts in geringerem Maße das modeme Bedürfniß deckt, als das reine Römische Recht den Bedürfnissen der alten Welt entsprach." 231
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sterns erkennt. Doch davor, diese Erkenntnisse auch wirklich für eine aktive Gestaltung der Rechtslage auf dem Boden der Rechtswissenschaft, nicht staatlicher Gesetzgebung fruchtbar zu machen, schreckt Goldschmidt furchtsam zurück mit der von ihm selbst als fragwürdig erkannten Begründung, die Bedürfnisse des Verkehrs erforderten eine derartige Weiterentwicklung nicht. Goldschmidts weittragende Gedanken bleiben bei ihm so im Bereich der Analyse, ohne in den der Synthese überzugehen. Der sich stets logisch-analytisch gebende und deshalb viel geschmähte Thöl postulierte dagegen unter diesem Deckmantel nicht selten wahrhaft schöpferisch neue Rechtssätze, indem er alle Bedenken, die Goldschmidts Ansätze immer wieder erstickten, zurückstellte. Sie hielten einer genetischen Analyse nicht immer stand, sie kamen durch die rasche Anerkennung von Wissenschaft und Praxis aber häufig in den Rang von Gewohnheitsrecht. Der "Isolation" von Problemen, die Goldschmidt Thöl vorgeworfen hat, stand bei ihm selbst ein Übermaß an Vollständigkeitsstreben gegenüber, das ihm schließlich jede weitere Arbeit unmöglich machte. Während die Arbeiten von Ubbelohde nicht die ihnen gebührende weite Verbreitung gefunden haben, wurde Goldschmidts Abhandlung rasch zu einem der Standardwerke des gemeinen Rechts zu diesem Themenkreis des Schuldrechts. Vor allem Windscheid beruft sich an den einschlägigen Stellen seiner "Pandekten" immer wieder auf Goldschmidts Arbeit236 . Während Goldschmidt indessen in der Frage der ädilitischen Rechtsmittel beim Gattungskauf die Rechtsprechung von seiner Ansicht überzeugen konnte, nicht aber die herrschende Lehre in der Wissenschaft, so war es hier umgekehrt: Die herrschende Lehre blieb im wesentlichen bei den von Goldschmidt gewonnenen Ergebnissen, aber die Rechtsprechung orientierte sich anders. Vorreiter war hier das ROHG: Dieses behalf sich zunächst mit der großzügigen Annahme stillschweigend vereinbarter Haftungsausübemahme 237 . Dafür berief es sich bemerkenswerterweise auf Goldschmidts Abhandlung 238 , deren restriktivere Anschauungen das ROHG für das Handelsrecht mit dem Gebot der Berücksichtigung der Verkehrs sitte nach Art. 279 ADHGB überwand. Für die Eisenbahnunternehmen postulierte das ROHG dann ein "gemeines deutsches Gewohnheitsrecht" einer vertraglichen und außervertraglichen Gehilfenhaftung 239 . Den Höhepunkt bildete die Entscheidung des 2. Senats, dem Goldschmidt nicht angehörte, vom 14. März 187424 in der die unbedingte Haftung des Werkunternehmers für seine Ge-
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236 Windscheid/Kipp, Pandekten 11, § 401 in Fußn. 3 a, S. 745; in Fußn. 5, S. 746 - 749 (S. 747: "die ... Darstellung ist hervorzuheben"); § 410 Fußn. 5 u. 6, S. 801; § 482 in Fußn.
15, S. 1114. 237 U. V. 8. 12. 1871, ROHGE 4, S. 243 - 247. 238 ROHGE 4, S. 245, 246 zu Verantwortlichkeit 1871, S. 298 ff., 320, 324 ff. 239 U. v. 17. 12. 1873, ROHGE 12, S. 78 - 80; dagegen Goldschmidt, Rechtsverhältnisse 1878, S. 428 - anders noch receptum 1860, S. 362; s. hierzu H.-P. Benöhr, Zur außervertraglichen Haftung im Gemeinen Recht, in: Festschrift für Max Kaser zum 70. Geburtstag, hrsg. v. Dieter Medicus und Hans Hermann Seiler, München 1976, S. 689 -713, 603 f.
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hilfen aus dem Digestenfragment D. 19, 2, 25, 7, dem mißglückten Säulentransport, abgeleitet wurde: Der Sinn des Fragments sei eindeutig, und andere Quellenzeugnisse stünden nicht entgegen 241 ; ein solches Verständnis der Stelle entspreche auch den Bedürfnissen des Verkehrs 242 . Dem folgte 1883 das Reichsgericht243 : Das angegebene Fragment sei unzweideutig und seine Aussage von Goldschmidt, dessen Gegenansicht hier jetzt ausdrücklich hervorgehoben wird244, "nur durch höchst künstliche Auslegung aus dem Wege geschafft worden". Im übrigen folge die Gehilfenhaftung beim Werkvertrag nach römischem Recht "aus der Natur der Sache,,245. 1894 dehnte das Reichsgericht unter Berufung auf die beiden vorgenannten Urteile und die "Natur der Sache" diese Rechtsprechung auf alle Verträge aus, durch die die Herbeiführung eines bestimmten Erfolges übernommen werde 246 . Erst 1898 bekannte es sich angesichts der Regelung des BGB in § 278 zu dem Grundsatz, "daß derjenige, der sich in seinem geschäftlichen Interesse der Mitwirkung von Hilfspersonen bedient, die sich aus deren Zuziehung ergebende Gefahr zu tragen hat und den aus dem Verschulden dieser Personen entstehenden Schaden nicht dem Gegenkontrahenten zu wälzen darf,247. Es dehnte ihn gleich auf die culpa in contrahendo aus 248 , für die bis dahin nach der von Goldschmidt vorbereiteten Entscheidung des ROHG von 1872249 eine Zurechnung nach Grundsätzen des Stellvertretungsrechts angenommen worden war. Goldschmidt hat sich noch einmal ausführlich mit einem speziellen Bereich der Haftung des Schuldners für das Verhalten Dritter befaßt. In seinem 1878 dem preußischen Minister der öffentlichen Arbeiten erstatteten Gutachten über "Die Rechtsverhältnisse der unter Verwaltung des Preussischen Staates stehenden Privat-Eisenbahn-Unternehmen" behandelt er, so der Untertitel, besonders "die privatrechtliche Verantwortlichkeit der staatlichen Verwaltungsbehörden und des Staats,,250. Es geht in diesem Gutachten darum, zu bestimmen, ob die Beamten 251 und insbesondere der Staat selbst252 aus den Gesichtspunkten der Amtshaftung und des Gesellschaftsrechts den Eisenbahn-Gesellschaften oder deren Vertrags partnern gegenüber zur Haftung verpflichtet sein können. Goldschmidt geht davon aus, daß die Staats240 241 242 243 244 245 246 247 248 249 250 251 252
ROHGE 13, S. 76 - 78. ROHGE 13, S. 77. ROHGE 13, S. 77 f. RGZ 10, S. 164 ff., 166 f. RGZ 10, S. 166. RGZ 10, S. 166 f., 166. RGZ 33, S. 169 - 171. U. v. 17. 12. 1898, RGZ 43, S. 142 ff., 146 f. RGZ 43, S. 147. ROHGE 6, S. 403 - 412. Verrn. Sehr. I, S. 351 - 432 Reehtsverhältnisse 1878, S. 420 f. Reehtsverhältnisse 1878, S. 421 ff.
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verwaltung eine Doppelnatur habe. Nach ökonomischer wie privatrechtlicher Betrachtung stelle sie sich als Verwaltung eines Privatunternehmens dar253 ; andererseits handele es sich bei ihr um eine vom Staat ausgehende und im Namen des Staates ausgeübte hoheitliche Verwaltung 254 . Da die Verwaltungsbeamten nicht aufgrund vertraglicher Vereinbarung, sondern kraft hoheitlicher Einsetzung tätig seien, hafteten sie nur nach den Bestimmungen des Amtshaftungsrechts (insbesondere ALR 11 10 §§ 88 - 91)255. Der Staat als Fiskus unterliege dagegen den allgemein für Juristische Personen geltenden Haftungsbestimmungen (ALR 11 14 §§ 76 f., 81 f.)256. Nur insoweit stelle sich hier das Problem der Haftung für ein Fehlverhalten der Beamten. Eine Haftung des Staates könne sich indessen nicht ergeben: Denn die gemeinrechtliche Institorenhaftung und die daraus abgeleiteten Haftungsmodelle gälten im Gegensatz zur Ansicht vieler Germanisten 257 nicht im außervertraglichen Bereich258 ; eine vertragliche Beziehung zwischen dem Fiskus und den Vertragspartnern der Eisenbahngesellschaften bestehe aber nicht, da die Beamten den Vertragspartnern gegenüber nur für die Eisenbahngesellschaften tätig seien, nicht für den Staat: Im Verhältnis zu diesem seien ihre Tätigkeiten nicht mehr "als thatsächliche Verwaltungs-... Akte,,259. Für solche hafte der Staat nur nach den Grundsätzen des öffentlichen Rechts 260 und damit grundsätzlich nur bei fehlerhaften Anordnungen der Zentralbehörden 261 . Im übrigen treffe die Ansicht, jedenfalls Juristische Personen müßten für das Fehlverhalten ihrer Gehilfen unbedingt haften, weil bei ihnen die Möglichkeit eigenen Verschuldens völlig fehle, nach den Regelungen des preußischen und des gemeinen Rechts nicht ZU262. Sie beruhe auf einer unstatthaften Fiktion 263 . Um das plausibel zu machen, fallt Goldschmidt indes kein besseres Beispiel ein als die ReRechtsverhältnisse 1878, S. 406 ff. Rechtsverhältnisse 1878, S. 408 ff. 255 Rechtsverhältnisse 1878, S. 411 ff., 420 f. 256 Rechtsverhältnisse 1878, S. 421. 257 Rechtsverhältnisse 1878, S. 423 unter Berufung auf Verantwortlichkeit 1871, S. 368 und Thöl, Handelsrecht I, 5 Auf!. 1875, S. 291 (= 6. Auf!. S. 300). 258 Rechtsverhältnisse 1878, S. 421 ff. 259 Rechtsverhältnisse 1878, S. 424 ff., 424. 260 Rechtsverhältnisse 1878, S. 428 ff. 261 Rechtsverhältnisse 1878, S. 428 f. 262 Rechtsverhältnisse 1878, S. 429 - 431. 263 Rechtsverhältnisse 1878, S. 429 unten. - Da die Gesellschaft selbst kein Verschulden treffen kann, bleibt nur der Weg, sie zu privilegieren oder sie schlechter zu stellen als andere Schuldner; dieses Problem ist auch heute noch nicht ganz geklärt: So ist nach wie vor streitig, ob das Organ einer Juristischen Person deren Erfüllungsgehilfe ist (so RGZ 122, S. 351 ff, 358 f.) mit der Folge, daß die Haftung für sein Verschulden nach § 278 S. 2 in Verbindung mit § 276 Abs. 2 BGB vollständig ausgeschlossen werden kann, oder ob ein Organverschulden nach § 31 BGB schlechthin als eigenes Verschulden der Juristischen Person gilt, so daß zumindest vorsätzliches Verhalten unabdingbar zu ihrer Haftung führt; s. Larenz, Schuldrecht I, § 20 a.E., S. 296 m.w.N. 253
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gelung des römischen Rechts, daß der Unmündige, der ja auch nur durch seine gesetzlichen Vertreter handeln könne, nicht für die von diesen begangenen Vertragsverletzungen hafte 264 . Dieser Grundsatz 265 beruhte indessen auf spezifischen Schutzerwägungen, die sich auf die Gesellschaft nicht übertragen lassen. Goldschmidt räumt denn auch ausdrücklich ein, daß die von ihm abgelehnte Ansicht als Prinzip für eine entsprechende künftige Gesetzgebung anzuerkennen sei 266 . Die Diskussion über die Gehilfenhaftung ist für die Rechtswissenschaft wie Rechtspraxis des 19. Jahrhunderts kein Ruhmesblatt, waren doch beide allzu sehr darin befangen, Lösungen für dieses Problem aus den wenigen einschlägigen Quellen des römischen Rechts abzuleiten. Der Gesetzgeber des BGB blieb hiervon erstaunlicherweise nahezu unberührt. Schon die erste Kommission, die sonst in mitunter geradezu unpraktischer Weise unter dem Einfluß der Lehren des gemeinen Rechts stand, ging das Problem pragmatisch 267 an und entschied sich dafür, den Schuldner ganz allgemein für ein Verschulden der Gehilfen, deren er sich zur Erfüllung seiner Verbindlichkeit bedient, haften zu lassen268 : Die Frage sei im gemeinen Recht zwar umstritten 269 , doch hätten bereits zahlreiche Partikulargesetze entsprechende Vorschriften eingeführt 270 und die Rechtsprechung habe sich nun allmählich zur Anerkennung der Gehilfenhaftung in Einzelfällen entschlossen. Vom Standpunkt der Legislative aus aber sei die Forderung nach ihrer allgemeinen Einführung begründet, denn der Schuldner dürfe sich nicht durch Einschaltung ihm nützlicher Gehilfen von seiner Haftung befreien. Die Verkehrsanschauung sehe inzwischen in seinem Leistungsversprechen ein stillschweigendes Garantieversprechen hinsichtlich seiner Gehilfen271. In seinem System des Handelsrechts beschränkte sich Goldschmidt darauf, auf § 224 Abs. 2 Entw. I BGB hinzuweisen, ohne diese Bestimmung zu kritisieren 272 . Ihre Aufnahme dürfte indessen dazu beigetragen haben, daß er den ersten Entwurf gegen den Angriff, daß er "im Ganzen eine dem Rechtsbewusstsein der Gegenwart widerstreitende, weil ,romanisirende' Auffassung vertrete", verteidigte 273 .
Rechtsverhältnisse 1878, S. 430; Verantwortlichkeit 1871, S. 350 f. 0.50,17,198: Neque in interdiCto neque in ceteris causis pupillo nocere oportet dolum tutoris, sive solvendo est sive non est. Anders heute § 278 S. I Fall I BGB. 266 Rechtsverhältnisse 1878, S. 429; zu Code civil Art. 1384 s. S. 430 f. 267 s. hierzu Wieacker, Pandektenwissenschaft, S. 72. 268 § 224 Entw. I BGB, § 278 BGB, Mot. 11, S. 29 f. (Mugdan, Materialien BGB 11, S. 16 f.). 269 Mot. 11, S. 29 (Mugdan, Materialien BGB 11, S. 16) unter Hinweis auf Goldschmidt, Verantwortlichkeit 1871, S. 289 - 382, und Windscheid. 270 Mot. 11, S. 29 (Mugdan, Materialien BGB 11, S. 16) unter Hinweis auf Goldschmidt, Verantwortlichkeit 1871, S. 377. 271 Mot. 11, S. 30 (Mugdan, Materialien BGB 11, S. 16 f.). 272 System, 4. Auf!., 1892, S. 115, 116. 273 System, 3. Auf!. 1890, S. VI (nicht mehr in der 4. Auf!.). 264 265
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2. Teil: Handelsrecht in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts
Auffallend ist, daß von den zahlreichen Abhandlungen zur Frage der Gehilfenhaftung im 19. Jahrhundert in den Motiven zum BGB nur die Goldschmidts von 1871 angeführt wird, obwohl schon der erste Entwurf sich auf den Gegenstandpunkt stellte. Das ist nicht allein ein Zeichen für das Ansehen, das Goldschmidt zu dieser Zeit genoß, es beruht ihre Verwendung auch auf der Art, in der Goldschmidt sich dieser Problematik angenommen hatte: Neben der gründlichen Quellenanalyse und Untersuchung der verschiedenen Konstruktionsmöglichkeiten enthielt sie auch eine ausführliche Analyse der tatsächlichen Konflikte, die das Recht zu entscheiden hatte. Nur von dieser Grundlage aus konnten die Wege zu einer neuen, von der Befangenheit in romanistischer Kasuistik befreite Lösung ausgehen, die durch eine positiv-gesetzliche Neuregelung erfolgte, die auf bewußter gesetzgeberischer Wertung beruhte. Daß Goldschmidt gegen Ubbelohde, auf dessen Arbeiten sich die Motive merkwürdigerweise nicht beriefen 274, die Abwägung der Interessen zugunsten des Schuldners ausfallen lassen wollte, änderte nichts daran, daß er die für sie notwendigen Vorüberlegungen deutlich herausgestellt hatte. Gegenüber Ubbelohdes Abhandlungen hatte die seine voraus, daß sie auch den Stand der dogmatischen Erörterungen des gemeinen Rechts breit darstellte und gewissermaßen repräsentierte. Zu Recht hebt deshalb Wieacker, wenn er unter "den Konflikten der Pandektenwissenschaft mit der Realität,,275 die Defizite der gemeinrechtlichen Diskussion um die Frage der Gehilfenhaftung anführt, die Leistung Goldschmidts hervor, der hier "eine breite und modeme Wirklichkeitsanschauung" eingebracht habe 276 . c) Kaufrecht Mit dem häufigsten Handelsgeschäft, dem Handelskauf, hat Goldschmidt sich naturgemäß oft befaßt. Die meisten der in privatem Auftrag erstellten Gutachten Goldschmidts zu Rechtsfällen betreffen Materien des Kaufvertragsrechts 277 . Da es sich für die Partei eines Rechtsstreits nur dann lohnte, ein privates Rechtsgutachten erstellen zu lassen, wenn der betreffende Fall nicht nur rechtlich schwierig, sondern auch von wirtschaftlicher Bedeutung war, geben diese Gutachten einen guten Einblick in Entwicklung der Rechts- und Wirtschaftsverhältnisse im 19. Jahrhundert. Das gilt besonders für das "Gutachten in Sachen der Firma Melly Forget & Co. wider die Baumwollspinnerei Cham,.278, das sich wieder durch Goldschmidts Bemühen auszeichnet, das dem Willen der Parteien am besten entsprechende Die Bedeutung Ubbelohdes hebt hervor Coing, Privatrecht 11, S. 463. Wieacker, Pandektenwissenschaft, S. 70. 276 Wieacker, Pandektenwissenschaft, S. 71 f., 72; vgl. auch Seiler, Gehilfenhaftung, S. 526; sehr kritisch dagegen Schmidt, Gehilfenhaftung S. 192 u. 197 f. 277 Aktienstreit 1859 (Wertpapierkauf); Gutachten Melly Forget 1866 (Auslegung von Vertragsbestimmungen im internationalen Handelsverkehr); Beiträge 1870 (vgl. dazu Lebensbild S. 310 f.). 278 Tatbestand bei Goldschmidt, Gutachten Melly Forget 1866, S. 479 - 482. 274 275
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Recht durch Auslegung ihrer Erklärungen auf Grundlage einer umfangreichen Analyse der Handelsbräuche zu entwickeln 279 . Auch Goldschmidts erste große Abhandlung für die ZHR hat einen Gegenstand des Kaufvertragsrechts zum Thema und zeichnet sich durch profunde Kenntnisse der auf diesem Gebiet herrschenden Handelsbräuche aus. Wie Goldschmidt sich die Abhandlungen für seine ZHR wünscht, demonstriert er mit seinem groß angelegten Aufsatz "Der Kauf auf Probe oder auf Besieht", mit dem er 1858 die Reihe "historisch-dogmatischer" Abhandlungen in der ZHR eröffnet. Es ist ein 164 Seiten langer, mit eigenem Inhaltsverzeichnis 280 ausgestatteter "monumentaler Beitrag,,281, der einige weitere Aufsätze zum gleichen Thema nach sich zog282. Glanz und Elend der von Goldschmidt für die Behandlung eines Gegenstandes allgemein geforderten und von ihm angewandten "historisch-genetischen" Methode sind in dieser, eigentlich für eine selbständige Veröffentlichung reifen Abhandlung eindrucksvoll dokumentiert. Sie zerfällt in drei große Teile 283 : Der erste ist dem römischen Recht gewidmet284 . Er soll die geschichtliche Grundlegung dieses bereits den Römern bekannten, bisher aber geschichtlich nur unzureichend untersuchten 285 Instituts bieten, Ausführungen zum geltenden gemeinen Recht aber nur insoweit bringen, "als dessen Construction von Neueren aus den Römischen Quellen versucht" worden sei 286 . Es folgt als zweiter Teil die Darstellung des geltenden Rechts "unter genauer Berücksichtigung der neueren Gesetzbücher, Gesetzentwürfe und der deutschen wie der außerdeutschen Praxis und Rechtslitteratur,,287. Den Schlußteil bilden die "Resultate für die legislative Gestaltung,,288. Der zweite Teil beginnt nochmals historisch und besteht aus Kapiteln über das ältere deutsche Recht289, das neue Recht290, worin die deutschen Partikulargesetzbücher (der CoGutachten Melly Forget 1866, S. 487 - 496. Kauf 1858, S. 557 f. 281 Landwehr, Die ZHR, S. 56. 282 s. die Nachweise bei Landwehr, Die ZHR, S. 56, und Thöl, Handelsrecht I, 4. Aufl., S. 430 f. in Fußn.*; H. Fitting, Zur Lehre vom Kauf auf Probe oder auf Besicht, in: ZHR 2 (1859), S. 203 - 282 (S. 281 f.: Danksagung an Goldschmidt. Dessen private Antwort darauf Lebensbild S. 219: "Ich bin mir wirklich ... bewußt, daß ich ein Lob der Art nicht verdiene, und da dasselbe nun gar in meiner eigenen Zeitschrift stehen soll, so möchte ich Sie eigentlich bitten, dasselbe zu mäßigen."); anonym, in: Neues Arch. f. HR I (1858), S. 439 - 449 (S.440). 283 Kauf 1858, S. 68. 284 Kauf 1858, S. 69 - 131, 262 - 284. 285 Kauf 1858, S. 66 f. 286 Kauf 1858, S. 68. 287 Kauf 1858, S. 68, 386 - 444. 288 Kauf 1858, S. 68, 446 - 455. 289 Kauf 1858, S. 386 ff. 290 Kauf 1858, S. 397 ff. 279 280
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2. Teil: Handelsrecht in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts
dex Maximilaneus Bavaricus Civilis, das preußische ALR, das dem französischen Code civil auch hier folgende Badische Landrecht und das österreichische ABGB) und ausländische Gesetzgebungen (Code civil, Zürcher Zivilgesetzbuch, holländisches Zivilgesetzbuch, spanisches, portugiesisches und brasilianisches Handelsgesetzbuch) sowie das nichtkodifizierte englische Recht mit ihrer jeweiligen Praxis und Literatur dargestellt werden; es schließt mit dem geltenden gemeinen Recht291 und der Darstellung partikulärer Usancen 292 . Der Schwerpunkt des letzten Teils liegt natürlich auf den Vorarbeiten zum ADHGB 293 , in dem der "Kauf auf Sicht oder auf Probe" als praktisch häufiges Handelsgeschäft in Art. 339 schließlich geregelt wurde. Goldschmidts Abhandlung reiht sich damit auch ein in seine Kritiken der ADHGB-Entwürfe294 . Nach der von der Nürnberger Konferenz schon bald in ihren wesentlichen Einzelheiten festgelegten Regelung 295 sollte der Kauf auf Probe ein Kauf sein, der im Zweifel unter der aufschiebenden Bedingung der Billigung der Ware durch den Käufer stehe. Diese Regelung begrüßt Goldschmidt 296 : Sie widerspreche zwar in einzelnen Punkten dem richtig verstandenen gemeinen Recht, insbesondere darin, daß die Potestativbedingung eine aufschiebende Bedingung sein solle, sie decke sich aber mit den meisten Partikulargesetzgebungen und dem praktischen Bedürfnis. Goldschmidt kommt damit zu dem Ergebnis, daß den Rechtsfragen, die sich in bezug auf den Kauf auf Probe stellten, am besten durch die bevorstehende gesetzliche Regelung im ADHGB beizukommen sei. Das macht indessen deutlich, daß der dogmatische Ertrag seiner Abhandlung trotz ihres Umfangs eher gering ist. Goldschmidt wirft zwar alle Fragen auf, die sich im Zusammenhang mit dem behandelten Institut stellen und vertieft sie anhand der herangezogenen Quellen. Dabei verliert er sich aber immer wieder in der Fülle des Materials, so daß er wirklich zufriedenstellend letztlich keine beantwortet. Es fällt insbesondere auf, daß Goldschmidt in dem Kapitel zum geltenden gemeinen Recht297 nicht an den historischen Teil seiner Arbeit anknüpft. Er stellt vielmehr nur kurz die Behauptung auf, die dort entwickelten Prinzipien bestünden gewohnheitsrechtlich unverändert fort, seien in Wissenschaft und Praxis aber sehr umstritten 298 . Dann folgt eine ausführliche und sorgfältige Auslegung des Inhalts der im Handelsverkehr seiner Zeit gebräuchlichen Vertragsklauseln, die Goldschmidt anhand der im gemeinen Recht allgemein für die Auslegung von Rechtsgeschäften entwickelten, freilich nicht spezifisch kaufrechtlichen Kriterien vor291
Kauf 1858, S. 428 ff.
292
Kauf 1858, S. 444 ff.
293
Kauf 1858, S. 448 - 453.
294
s. Gutachten 1860, S. 114 (Bibliographie 11, II 5).
295
Nachweise bei Goldschmidt, Kauf 1858, S. 448 ff.
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Kauf 1858, S. 453 f.
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Kauf 1858, S. 428 - 444.
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nimmt. Innerhalb dieser kasuistischen Untersuchungen beweist er indessen wieder erhebliches Geschick darin, den Parteiwillen zu ergründen, und seine Überlegungen sind bis in die Diktion 299 hinein geprägt von einer anschaulichen Kenntnis der Praxis des Handelsverkehrs. Besonderes Gewicht bei der Auslegung haben bei ihm die Kriterien der praktischen Durchführbarkeit300 und der "wirthschaftlichen Natur" jeder Klausel, die er unter dem Gesichtspunkt "der Natur der Sache" zu sammenfaßt 30I . Er gibt zu bedenken, daß die einzelnen Klauseln aus dem kaufmännischen Verkehr stammen und daher unjuristischen Ursprungs seien, da es den Kontrahenten nur auf die materielle Bedeutung des Klauselinhalts ankomme. "Die nächste Aufgabe des Richters wie des Schriftstellers" sei es daher, "den wahren Willen der Betheiligten bei Geschäften dieser Art ... zu erforschen, um hienach die juristische Natur der Clausel zu bestimmen,,302. Hier zeigt sich Goldschmidt im Ansatz wie in der Durchführung auf der Höhe seiner Kunst und in voller Übereinstimmung mit den von ihm aufgestellten Grundsätzen 303 . Wegen der Fülle der in ihm ausführlich behandelten Quellen blieb Goldschmidts Aufsatz über lange Zeit hinweg gleichsam der Steinbruch, aus dem sich spätere Bearbeiter des Themas ihr Material in aufbereiteter Form holen konnten 304 . Auf diese Stoffsammlung, insbesondere Goldschmidts Ausführungen zum Handelsbrauch und zum vergleichend herangezogenen französischen Recht haben sogar noch die Redaktoren des BGB zurückgegriffen 305 , denn im BGB sollte der Kauf auf Probe in § 495 zwar in engem Anschluß an die Regelung des ADHGB geregelt, aber wegen der nach wie vor offenen Streitfragen neu gestaltet werden. ln den Vorschlägen für die Neufassung schließt sich der erste Entwurf des BGB sogar an die von Goldschmidt für das ADHGB noch erfolglos verfochtene Wortfassung an, die Billigung der Ware solle im "Belieben" des Käufers stehen306 . Ein besonderes und in der Folgezeit nur sehr wenig gewürdigtes Verdienst kommt Goldschmidts Arbeit in ihrer Erforschung der Rechtsgeschichte dieses Instituts zu, der fast zwei Drittel ihres Umfangs gewidmet sind; allein 86 Seiten, das ist über die Hälfte des Gesamtumfangs, beschäftigen sich mit dem antiken römischen Recht. Der Ansatz, den Goldschmidt hierfür wählt, ist der gleiche wie in seiner Habilitationsschrift: Die dogmatisch begriffliche Herangehensweise an die rö299 So benutzt Goldschmidt durchgehend den nur im Handelsverkehr gebräuchlichen Ausdruck "Aufschießen" für die Ablehnung der Ware als mangelhaft. 300 Kauf 1858, s. 433. 301 Kauf 1858, s. 438. 302 Kauf 1858, s. 433 f. 303 Zweifelnd indessen Fitting, Kauf auf Probe, ZHR 2 (1859), S. 279 f. 304 Vgl. Thöl, Handelsrecht I, 4. Aufl., S. 430 f. in Fußn.*. 305 Mot. 11, S. 333 ff., 334 Fußn.*** (Mugdan, Materialien BGB 11, S. 185 ff., 185 Fußn:** u. , 187 Fußn:); vgl. auch noch Muskat, Die Bedingung des reinen Wollens, in: Beitr. Preuß. R. 49 (1905), S. 573 - 592, 590. 306 Goldschmidt, Kauf 1858, S. 454 f.; zustimmend Fitting, Kauf auf Probe, ZHR 2 (1859), S. 281. - Entw. I BGB § 741.
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2. Teil: Handelsrecht in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts
mischen Rechtsquellen verlälsche in ihren Ergebnissen das wahre römische Recht. Dieses lasse sich allein durch exegetische Einzelstudien und Erlorschung der römischen Verkehrs verhältnisse rekonstruieren, die den in den Quellen geschilderten Fällen zugrundegelegen hätten 307 . Deshalb sieht Goldschmidt davon ab, in diesem ersten Teil seiner Arbeit auf die neuere pandektistische Literatur einzugehen 308 , und bringt zunächst ausführlich die Quellenzeugnisse im Original 309 . Ihnen schließen sich umfangreiche kasuistische Einzelexegesen an. Wie ernst Goldschmidt die Erlorschung der für das Verständnis der Rechtsquellen notwendigen tatsächlichen Verhältnisse betrieben hatte, bezeugten Funde in seinem Nachlaß noch vierzig Jahre später: Da ein wichtiger Fall des Kaufs auf Probe in den römischen Quellen der Weinkauf war, hatte Goldschmidt umfangreiche weinkundliche Studien betrieben und Exzerpte aus önologischen Werken angefertigt 31O ! Innerhalb dieses speziellen Bereiches ist wohl nie jemand tiefer in die Rechtsgeschichte eingedrungen als Goldschmidt. Gleichwohl hat dieser Teil seiner Abhandlung nur ganz vereinzelt in Werken zur Römischen Rechtsgeschichte Berücksichtigung gefunden 311 • Daß Goldschmidts Abhandlung sich in neueren Werken zu den Rücktrittsvorbehalten des römischen Kaufrechts sogar überhaupt nicht verwendet findet 312 , ist ein Zeichen dafür, daß die römische Rechtsgeschichte zwar große Fortschritte auf dem Gebiet der Quellenkritik gemacht hat, in der Erkundung der lebendigen Verhältnisse des römischen Rechtsverkehrs gegenüber der Forschung des 19. Jahrhunderts, der in ihrer Verwurze1ung in der vorindustriellen Zeit diese Verhältnisse noch gedanklich näher gewesen sein mögen 313 , aber nicht vorangekommen, sondern möglicherweise sogar zurückgefallen ist. Der Aufnahme von Goldschmidts Gedanken durch die rechtsgeschichtliche Literatur seiner Zeit mag auch der Umstand im Wege gestanden haben, daß seine Abhandlung in der ZHR erschienen war und das Handelsrecht als "germanistische" Disziplin von der Einbeziehung in die Forschung zum romanistischen Zweig der Rechtsgeschichte weitgehend ausgeschlossen war. Kauf 1858, S. 66. Kauf 1858, S. 68. 309 Kauf 1858, S. 73 ff., 11 0 ff. 310 Simon S. III f., IV. 311 Otto Karlowa, Römische Rechtsgeschichte, 2. Bd., 1. Teil: Privatrecht, Leipzig 1901, S. 628 f. (s. dazu Manfred Harder, Weinkauf u. Weinprobe im Römischen Recht, in: Recht u. Wirtschaft in Geschichte u. Gegenwart, Festschrift für Johannes Bärmann, München 1975, S. 17 - 30, 20 in Fußn. 15); Josef Kohler, Annahme u. Annahmeverzug, in: Jbb. Dogm. 17 (1879), S. 261 - 424,356 in Fußn. 1. 312 Z.B. Frank Peters, Die Rücktrittsvorbehalte des Römischen Kaufrechts, Köln 1973, S. 83 - 91, 97 - 102, 122 - 125. Gegen die Annahme von Bedingungen in diesem Zusammenhang: Wemer F1ume, Die Aufhebungsabreden beim Kauf, in: Festschrift für Max Kaser zum 70. Geburtstag, hrsg. v. D. Medicus/H. H. Seiler, München 1976, S. 309 - 327; vgl. damit Goldschmidt, Kauf 1858, S. 111 ff. 313 Vgl. auch Jhering, Geist 11 2, S. 431: Gerade das römische Recht biete Beispiele dafür, wie die wirtschaftliche Entwicklung ihren Ausdruck in der Fortbildung des Rechts finde. 307 308
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3. Sachenrecht a) Die Sachen Dem "Sachenrecht des Handels" als Sonderbereich des Sachenrechts überhaupt gilt der Anfang des zweiten Bandes von Goldschmidts Handbuch des Handelsrechts. Goldschmidt scheint damit wie Thöl 314 dem Aufbau des Institutionensystems315 folgen zu wollen. Da Goldschmidt den Kaufmann, die Handelsgesellschaften und das kaufmännische Hilfspersonal im einzelnen - soweit es über das zur Abgrenzung des Handelsrechts vom bürgerlichen Recht nach dem von ihm vertretenen objektiven System erforderliche Maß hinausgeht - noch gar nicht behandelt hatte 316, steht das Sachenrecht des Handels, das in anderen systematischen Darstellungen des Handelsrechts in der Regel in wenigen Paragraphen abgehandelt wird, nun von einer übergreifenden Systematik losgelöst da und gewinnt innerhalb der beabsichtigten Gesamtdarstellung ein Eigenleben. Dies ist ein Phänomen, das nicht unerheblich zum Scheitern von Goldschmidts Handbuch beigetragen hat. Denn Goldschmidts Drängen nach Vollständigkeit 317 führt dazu, daß zahlreiche Lehren, die besser im Zusammenhang mit den Handelsgeschäften abzuhandeln gewesen wären, hier behandelt werden. Die Spannungen in der Systematik, die sich schon in den ersten beiden Sätzen dieser Abteilung des Handbuchs offenbaren 318 , sind auch darin begründet, daß das ADHGB selbst gar keinen eigenen Abschnitt über die Ware enthielt. Das ADHGB definierte den Begriff der Ware nicht, sondern sprach in ~. 271 Nr.l nur von "Waaren oder anderen beweglichen Sachen,,319. Als besonders darstellungs würdig wurden von anderen Autoren in diesem Zusammenhang regelmäßig nur die Wertpapiere angesehen 32o, obwohl sie in Art. 271 Nr. 1 ADHGB ausdrücklich neben der Ware genannt waren 321 . Daß Goldschmidt zu deren Behandlung gar nicht mehr gelangte, sondern die Darstellung des Wertpapierrechts auf 314 Thöl, Handelsrecht, 4. Aufl.: 2. TheiJ, Der Kaufmann, §§ 15 ff.; 3. Theil, Die Waare, §§ 51 ff.; 4. Theil, Die Handelsgeschäfte, §§ 57 ff. 315 Benannt nach Gaius, Institutionen, I 8 Satz I (personae - res - actiones); anders das BGB (Pandektensystem: Allgemeiner Teil, Schuldrecht, Sachenrecht, Familienrecht, Erbrecht), s. aber Allgemeiner Teil, 1. - 3. Abschnitt: Personen, §§ I ff.; Sachen, §§ 90 ff.; Rechtsgeschäfte, §§ 104 ff. 316 Vgl. Handbuch, 1. Aufl., I I, 1864 u. 2. Aufl., 1,1874, §§ 43, 47 - 59. 317 Der 2. Halbband des Handbuches umfaßt 707 Seiten. 318 Handbuch, 1. Aufl., 11,1868, S. 525 f.; 2. Aufl., 11, 1883, S. I f. - Wohl deshalb plante Goldschmidt, mit der Fortsetzung der Besitzlehre eine eigenständige Sammlung vermischter Schriften zu eröffnen (vgl. Simon S. VII). 319 Vgl. heute § lAbs. 2 Nr. I HGB 1897, der klarstellt, daß Waren nur bewegliche Sachen sein können. 320 s. insbes. Thöl, Handelsrecht, 4. Aufl., §§ 51 ff. 321 Vgl. heute § lAbs. 2 Nr. 1 HGB 1897; zum Begriff der Ware s. auch RGZ 130, S. 85 ff., 88.
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den nur geplanten nächsten Band seines Handbuches verschob, ist gleichfalls signifikant für die geradezu rückläufige Gigantomanie seines Handbuches. Sein besonderes Interesse gilt zunächst einer Unterart der Ware, die, weil sie wesentlich als Wertträger zu betrachten ist 322 , zwischen der eigentlichen Ware und den Wertpapieren steht, nämlich dem Geld. aa) Das Geld Goldschrnidt bietet neben Gustav Hartmann die nach Savigny zweite bedeutsame Darstellung der Geldtheorie vom Standpunkt des Privatrechts, die das 19. Jahrhundert hervorgebracht hat 323 . Ihr ist inzwischen eine gründliche Analyse gewidmet worden 324 . Goldschmidt geht von der praxisnahen Erkenntnis aus, daß es eine allgemeine juristische Geldtheorie, die auf alle Ge1darten im weiteren Sinne passe, nicht gebe; darin unterscheidet seine Lehre sich von der Savignys 325. Goldschrnidt steht allerdings 1868 noch ganz auf dem Standpunkt, daß eigentliches und wahres Geld nur das Edelmetallgeld sei, das nicht einen gewissen Wert vertrete, sondern diesen in sich schließe 326 . Dennoch zeichnet sich seine bmfangreiche, 172 Druckseiten umfassende 327 Darstellung durch eingehende Berücksichtigung politischer und wirtschaftstheoretischer Fragestellungen und Erkenntnisse aus 328 . In der eigentlich dem Schuldrecht zugehörigen Darstellung des Inhalts der Geldschuld folgt Goldschmidt eng den anerkannten Lehren des gemeinen Rechts, wie sie insbesondere Savigny entwickelt hatte 329 . Goldschmidts Geldlehre hat eine außerordentlich große Wirkung auf die Privatrechtswissenschaft des letzten Jahrhunderts ausgeübt330, die bis in das Lehrbuch Handbuch, 1. Aufl., I I, 1868, S. 530; 2. Aufl., 11,1883, s. 9. Kiefner, Geld s. 30 ff. (Savigny), 46 ff. (Goldschmidt). 324 Kiefner, Geld S. 46 - 49. 325 Handbuch, 1. Aufl., I I, 1868, S. 1071 zu Fußn. 46. 326 Handbuch, 1. Aufl., I I, 1868, S. 1076 f.; der Wert ist geblieben, doch heute fehlt das Gold: Schmidt, Geldrecht, Vorbem. A 33 ff. vor §§ 244 ff.; zu Goldschmidts Geldlehre s. auch ders., Goldschmidt S. 226 f. 327 Handbuch, 1. Aufl., I I, 1868, §§ 99 - 109, S. 1060 - 1231, ergänzt durch Rechtstheorie 1869, S. 367 - 390; s. auch Goldschmidts Besprechung des Werkes von C. Knies, Das Geld, Berlin 1873, in: ZHR 19 (1874), S. 323 ff., 327. 328 Vgl. Kiefner, Geld S. 46. 329 Handbuch, 1. Aufl., I 1, 1868, S. 1141 ff. 330 Gustav Mandry, Der civilrechtliche Inhalt der Reichsgesetze, 4. Aufl., hrsg. v. O. Geib, Freiburg i.Br. 1898, § 19 in Fußn. I, S. 217 f.: " ... vom juristischen Standpunkte aus das Beste und Eingehendste ... ", dazu Kiefner, Geld S. 49; s. auch Gierke, Privatrecht 11, § 107, S. 88 - 103 in den Fußnoten. Die zeitgleich entstandene Darstellung Hartmanns blieb weitgehend unbekannt, vgl. Kiefner, Geld S. 42 ff.; die einzige ausführlichere Auseinandersetzung mit Hartmanns Thesen stammt von Goldschmidt, der sich in einem Nachtrag zu seinem Handbuch in der ZHR eingehend mit Hartmanns Lehren beschäftigte: Rechtstheorie 1869, S. 367 ff., insbes. S. 389 f. 322 323
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von Enneccerus/Nipperdey hineinreicht 33 !. Sie ist daher nicht nur eine reiche Quelle für wirtschaftstheoretische Forschungen, sondern enthält manche grundlegende Gedanken, auf die auch moderne Darstellungen noch zurückgreifen können 332 . bb) Ware und Wert Goldschmidt interessiert die Ware in dreifacher Hinsicht: als Gegenstand von Besitz und dinglichen Rechten, als Gegenstand der Leistungen aus Schuldverhältnissen und als Bestandteil des Handelsvermögens des Kaufmanns 333 . Schon diese Einleitung macht deutlich, daß ihm an dem Begriff der Ware, einer Systematisierung der ihr zuzurechnenden Gegenstände, weitaus weniger liegt als an ihren jeweiligen rechtlichen Funktionen. Für ersteres kommt er denn auch mit einem einzigen der fünfzig Paragraphen des zweiten Teilbandes 334 aus 335 . Gleichwohl versucht Goldschmidt, in seiner Darstellung an die Ware selbst, nicht an die auf sie bezogenen Rechtsverhältnisse anzuknüpfen. So sind in den vier Kapiteln über "Eigenschaften", "Besitz und Verfügung", "Eigentum" und "Pfand- und Retentionsrecht" verstreut dargestellt die Lehre von der Gattungsschuld im ersten Kapitel, weil die Gattungsschuld geprägt ist von der Vorschrift des Art. 335 ADHGB, wonach im Zweifel "Handelsgut von mittlerer Art und Güte" geschuldet wird 336, die Lehre von den Traditionspapieren als Teil der Lehre vom Besitzerwerb im zweiten Kapitel und die Rechtsverfolgung im Konkurs des Schuldners im dritten Kapitel, weil sie regelmäßig von dem Erhalt dinglicher Rechte an der geleisteten Sache abhängt. Durch dieses Verfahren werden mitunter wesentliche, das ganze Privatrechtssystem berührende Fragen an den Rand gedrängt. Das Abstraktionsprinzip bei der Übereignung etwa verbannt Goldschmidt in eine knappe, wenn auch durch Fettdruck hervorgehobene Fußnote 33? Wahrend diese Ordnung der Untersuchungen in den letzten drei Kapiteln noch durch die Sachzusammenhänge gerechtfertigt ist, erscheint die des ersten Kapitels über die Eigenschaften, wieder untergliedert 338 in "Qualität", "Quantität: Maß und Gewicht" und "Wert und Preis" ganz Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil 11, S. 777 in Fußn. 1, Text S. 778 -781. Umfassendste Darstellung der Geldtheorie für das Privatrecht von Karsten Schmidt, Geldrecht, insbes. Vorbem. vor §§ 244 ff., Rdnr. A 5, A 8. 333 Handbuch, 1. Aufl., I 2, 1868, S. 525; 2. Aufl., H, 1883, S. 1. 334 Der 1. Aufl., im erschienenen Teil der 2. Aufl. hat sich die §§-Zahl durch Hinzufügung von §§ 64 a, b bereits vermehrt. 335 § 60, Handbuch, 1. Aufl., I 2, 1868, S. 525 - 530; 2. Aufl., H, 1883, S. 1 - 9; s. auch schon im ersten Band §§ 40 Fußn. 24 f.; 47 Fußn. 15 - 22 (Handbuch, 2. Aufl., I, 1874, S. 415 f., 550 - 553). 336 V g1. heute § 243 Abs. 1 BGB. 337 Handbuch, 1. Aufl., I 2, 1868, S. 809 Fußn. 24 m.w.N. zur Literatur ohne eigene Begründung; zum Abstraktionsprinzip in Rechtswissenschaft und Gesetzgebung des 19. Jahrhunderts s. Landwehr, Abstrakte Rechtsgeschäfte S. 173 ff. 33!
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willkürlich. Jedenfalls die ersten beiden Unterkapitel gehören eindeutig in die Lehre von den Rechtsgeschäften des Handels, da sie ganz wesentlich nicht eigentlich die Ware zum Gegenstand haben, sondern die typisierte Auslegung von Handelsgeschäften und, soweit es danach um Abweichungen der geschuldeten von der gelieferten Qualität geht, das Leistungsstörungsrecht betreffen. Zusätzliche Verwirrung schafft Goldschmidts Bemühen, die gesetzlichen Vorschriften des ADHGB nicht nur genetisch zu erklären - die Gattungsschuld verfolgt er bis in den Schwabenspiegel hinein 339 -, sondern auch induktiv aus dem mutmaßlichen Willen der Parteien einschlägiger Rechtsverhältnisse und nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Die wirtschaftliche Betrachtung leitet über zum dritten Unterkapitel über die Eigenschaften, das mit "Wert und Preis" überschrieben ist und das Goldschmidt in seiner Neubearbeitung zu einem eigenen Kapitel mit zwei Paragraphen erweitert. In diesem Teil der Darstellung geht es um die juristisch häufig bedeutsame Frage der Wert- und Preisbestimmung einzelner Güter. Goldschmidts Ausführungen hierzu sind durchweg getragen von eingehender Analyse der damit zusammenhängenden wirtschaftswissenschaftlichen Fragen, die er für die Anwendung der jeweils einschlägigen Vorschriften des ADHGB fruchtbar macht. Derartig umfangreiche Untersuchungen zu diesem Gebiet gibt es sonst nicht, so daß andere Autoren 34o und auch die Rechtsprechung 341 hier immer wieder auf Goldschmidts Ausführungen zurückgegriffen haben. Die Fragen der Preisbestimmung haben mit der Neufassung des HGB indessen stark an Bedeutung verloren 342 . Der Zusammenhang zwischen Ware und Wert bildet den Gegenstand einer heftigen Auseinandersetzung zwischen Goldschmidt und Wilhelm Endemann. b) Das Recht des Besitzes Das Recht des Besitzes ist seit Savignys Schrift von 1803 343 eines der Hauptthemen der zivilrechtlichen Diskussion des 19. Jahrhunderts. Auch Goldschmidt hat sich an dieser Diskussion maßgeblich beteiligt. Die rechtlichen Bestimmungen über den Besitz gehören dem allgemeinen bürgerlichen Recht an. Dieses wird für das Handelsrecht durch spezielle Normen er338 in der 1. Aufl.: 3. Buch, 1. Abschnitt, Kap. I, (I) - (III); 2. Aufl.: 3. Buch, 1. Abschnitt, Kap. I, (I) u. (11), Kap. 11. 339 Handbuch, 2. Aufl., 11, 1883, S. 48 in Fußn. 41 zu § 62. - Der Schwabenspiegel, hrsg. v. F. L. A. Lassberg, 1840, Art. 306: "Iobet er im golt zegebenne, er sol im bi dem besten geben". 340 Sogar noch Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil I, S. 853 in Fußn. 1. 341 S. z. B. RGZ 34, S. 117 ff., 122 (zu Art. 376 Abs. 2 ADHGB). 342 Artt. 353, 376 Abs. 2 ADHGB wurden nicht in das HGB übernommen; vgl. dafür aber §§ 612 Abs. 2, 632 Abs. 2 BGB über den Preis von Dienstleistungen. 343 Letzte Ausgabe: Savigny, Das Recht des Besitzes, 7. Aufl., hrsg. v. Rudorff, Wien 1865.
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gänzt. Goldschmidt hat sich daher mit dem Besitzrecht erstmals ausführlich in seinem Handbuch des Handelsrechts. beschäftigt. Die letzte erschienene Seite des dogmatischen Themen gewidmeten Teils seines Handbuchs des Handelsrechts enthält die Überschrift, den Einleitungssatz und die erste Fußnote zum Abschnitt über den "Besitz", der in der ersten Auflage noch mit "Besitz und Verfügung" überschrieben war344 • Schon in der ersten Auflage des Handbuchs offenbaren sich in der Gliederung dieses Teils 345 manche Schwächen der systematischen Anlage von Goldschmidts Handbuch. Denn eigentliches Thema dieses Kapitels ist nicht so sehr der Besitz, sondern die Formen des Besitzerwerbs. Auf die Bedeutung der dafür vom Gesetz gebrauchten Begriffe wie "Übergabe" und "Auslieferung" weist Goldschrnidt zu Beginn seiner Ausführungen besonders hin 346. Hier stehen Untersuchungen zu den spezifisch handelsrechtlichen Arten der Besitzübertragung und der Verfügung über das Eigentum im Mittelpunkt. Ein großer Teil der Ausführungen weist Bezüge zum Wertpapierrecht auf; das gilt insbesondere für die Darstellung der Übergabe mittels Traditionspapiers. Auch sie versucht Goldschmidt jedoch aus den allgemein bürgerlich-rechtlichen Grundsätzen des Besitzrechts heraus zu entwickeln. Ein großer Teil der folgenden Untersuchungen gilt dabei freilich auch Instituten, die nicht dem Sachenrecht angehören, sondern den schuldrechtlichen Normen des Transportrechts 347 . Den Bezug zum Sachenrecht des allgemeinen bürgerlichen Rechts stellt Goldschmidt einleitend mit der Feststellung her, daß der Sprachgebrauch des ADHGB in der Umschreibung der mit dem Besitz zusammenhängenden Tatbestände uneinheitlich sei 348 . Einen Versuch, den Begriff des Besitzes abstrakt zu definieren, unternimmt er in der ersten Auflage gleichwohl nicht. Das hat seine Darstellung mit vielen Abhandlungen über diesen Gegenstand gemeinsam. Auch Goldschmidt setzt seinen Ausführungen einen Besitzbegriff, der für bürgerliches und Handelsrecht gleich sei 349 , als bestehend voraus 350 . Ein wesentlicher Aspekt der Kernaussage 344 Handbuch, 2. Aufl., 11, 1883, S. 128 bzw. 1. Aufl., 12, 1868, S. 607; im Neudruck 1973, Teil C, sind beide Seiten nebeneinander abgedruckt. 345 Gliederung in der 1. Aufl.: Übersicht (§ 65, S. 607 - 612); 1) Besitzerwerb durch Mittelspersonen (§ 66, S. 612 - 638); 2) Sogenannte symbolische Tradition (§§ 67 - 77, S. 638 794): § 67 Wirkung der Schlüssel- u. Urkundenübergabe, S. 638 ff.; § 68 a) Zeichnen der Ware, S. 644 ff.; §§ 69 ff. b) Warenpapiere (§ 69 Übersicht, S. 649;, §§ 70 - 75 a) Transportpapiere, S. 650 - 768: §§ 70 - 74 Konnossement, S. 650 - 732 § 75 Frachtbrief u. Ladeschein, S. 733 - 768; § 76 ß) Lagerpapiere, S. 768 - 786;, § 77 ')') Lieferungspapiere = Faktura und Kaufbriefe, S. 786 - 794). 346 Handbuch, 1. Aufl., I 1, 1868, S. 607 ff. 347 Handbuch, 1. Aufl., I 1, 1868, S. 791 (Frachtbrief u. Lieferungspapiere) sowie der größte Teil von §§ 71, 72, 75, 76 (schuldrechtliche Bedeutung von Konnossement, Ladeschein u. Lagerschein). 348 Handbuch, 1. Aufl., 11,1868, S. 607; 2. Aufl., 11,1883, S. 128. 349 Handbuch, 1. Aufl., I 1, 1868, S. 609. 350 s. insbes. Handbuch, 1. Aufl., I 1, 1868, S. 607 f. in Fußn. 1.
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seiner Besitzlehre verbirgt sich merkwürdigerweise, versteckt zwischen Druckfehlerberichtigungen und Literaturnachträgen, in einem Nachtrag am Schluß des ersten Bandes der ersten Auflage seines Handbuches: Der Besitz sei ein "naturales Verhältniß,,351, wobei für den äußeren Tatbestand des Besitzverhältnisses die Betrachtung "nach vernünftiger Lebenssitte"352 entscheidend sei. Diese Charakterisierung hat Goldschmidt die Kritik vieler bedeutender Autoren eingebracht: Während ihm die Anhänger der Besitzlehre Savignys vorwarfen, damit eine Abkehr von dessen Lehre einleiten zu wollen 353 , sahen ihre Gegner Goldschmidts Äußerung als vergeblichen Versuch, die Unzulänglichkeit dieser Lehre zu überwinden 354 . Diese Kritik war der Anlaß dafür, daß Goldschmidt die zweite Auflage dieses Teils seines Handbuches durch die Veröffentlichung einer ausführlichen Grundlegung seiner Besitzlehre vorbereiten wollte 355 . Daß ihre Ergebnisse ausführlich in das Handbuch des Handelsrechts aufgenommen werden sollten, offenbart die Abänderung der Überschrift dieses Teils in der zweiten Auflage in die schlichte Bezeichnung "Besitz,,356. Im Mittelpunkt dieser Untersuchungen Goldschmidts 357 steht die Kernthese, daß der "Besitz ein socialer (Verkehrs-) Begriff' sei358 . Als Antwort auf seine Kritiker definiert Goldschmidt als Ergebnis seiner Forschungen359 : "Besitz ist so in der Hauptsache allerdings thatsächliche Gewalt (Macht, Herrschaft), aber nicht diejenige, welche der Einzelne haben will oder zu haben vermeint, sondern ein Machtverhältniss, welches dem Gemeinbewusstsein als thatsächliche Herrschaft erscheint,,360. Infolgedessen dulde die äußere Seite des Besitzes, die Gewalt oder Handbuch, 1. Aufl., I I, 1868, S. 638. Handbuch, 1. Aufl., I I, 1868, S. 1233 (zu Jhering, Beiträge zur Lehre vorn Besitz, in: Jbb. Dogm. 9 (1868), S. 1 ff., 136 ff.) 353 Insbes. E. Meischeider, Besitz u. Besitzschutz, Berlin 1876, S. 227 in Fußn. 1; Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, 1. Bd., 4. Aufl., Düsseldorf 1875, S. 459 in Fußn. 8 zu § 153 (wohl unter dem Eindruck von Goldschmidts Studien zum Besitzrecht 1888 zurückgenommen, vgl. Windscheid/Kipp, Pandekten I, 9. Aufl. 1906, S. 762 in Fußn. 8 zu § 153); Anton Randa, Der Besitz nach österreichischem Rechte, 4. Aufl., Leipzig 1895, S. 3 f. u. 405 in Fußn. 5 zu § 11. 354 Insbes. Emil Strohal, Succession in den Besitz, Graz 1885, S. 62 u. S. 53 Fußn. 15. 355 Studien zum Besitzrecht 1888, S. I - 4, insbes. S. 2 f.; vgl. Besitzlehre 1884, S. 27 (wo der Hinweis auf Windscheid aus Studien S. 2 fehlt). 356 Handbuch, 2. Aufl., H, 1883, S. 128; Besitzlehre 1884, S. 38. 357 Goldschmidts Besitzlehre ist bald nach ihrem Erscheinen im einzelnen von Theodor Kipp, ZHR 52 (1902), S. 296 - 306, und insbesondere Paul Oertmann, Ueber Goldschmidt's Besitz\ehre, in: Arch. f. Bürg. R. 20 (1902), S. 220 - 228, gewürdigt worden. 358 Besitzlehre 1884, § 4, S. 68 - 78, die Zusammenfassung S. 77 f. auch in Studien zum Besitzrecht 1888, S. 3 f. 359 Besitzlehre 1884, S. 78, Studien 1888, S. 3. 360 Diesen Grundgedanken billigen Randa, Besitz, 4. Aufl. 1895, 405 in Fußn. 5 u. E. 1. Bekker, Zur Reform des Besitzrechts, in: Jbb. Dogm. 30 (1891), S. 235 - 362, 323 f. (s. auch S. 267, 247 - 249). 351
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das "Besitzcorpus", die Detention, "keine juristische Analyse, nur eine kasuistische Exemplifikation,,361. Der Besitzbegriff des römischen Rechts hat sich nach Goldschmidts Ansicht erst allmählich entwickelt. Ausgangspunkt der Entwicklung sei der handhafte Besitz gewesen, denn nur die unmittelbare tatsächliche Sachherrschaft habe dem Bewußtsein einfacher Verkehrsverhältnisse entsprochen. Mit deren Höherentwicklung und Verfeinerung sei die Ausdifferenzierung des juristischen Besitztatbestandes einhergegangen, die die Voraussetzung für die Rechtssätze gewesen sei, die sich an die Innehabung der als Besitz aufgefaßten Position geknüpft hätten. Aus dem Ablauf dieser Entwicklung folge, daß der jeder einzelnen Quellenstelle zugrundeliegende äußere Besitzbegriff in ihr stets nur fragmentarisch ausgeprägt sei. Auf diesem Umstand beruhe es, daß die Zeugnisse der römischen Juristen scheinbar so gegenläufig seien und so viele Widersprüche zu enthalten schienen, die zu dem anhaltenden Streit über den Besitzbegriff des römischen Rechts geführt hätten. Unter diesem Blickwinkel untersucht Goldschmidt im folgenden ausführlich diejenigen Quellenbelege, deren Auslegung im Hinblick auf die Besitzlehre im gemeinen Recht besonders umstritten waren 362 . Obwohl Ausgangspunkt der Untersuchungen das alte römische und das römisch-gemeine Recht sind, macht Goldschmidt immer wieder deutlich, daß er das von ihm angenommene Prinzip des "sozialen Gewaltbegriffs" als allgemeingültiges Prinzip versteht, dessen Geltung nicht allein auf der Rezeption des römischen Rechts beruhe. Seine Hinweise auf Parallelstellen reichen deshalb vom Sachsenspiegel (Ssp. Ldr. III 22 § 1, III 89) über die Carolina (Art. 170) bis zu den neuzeitlichen Kodifikationen. In einem umfangreichen Exkurs, der ihn zu den Anfangen seiner Studienzeit und praktischen Ausbildung zurückführt, analysiert er den vornehmlich für das öffentliche Recht, insbesondere das Strafrecht bedeutsamen Begriff des Gewahrsams 363 . In diesem Werk bemüht sich Goldschmidt um eine konsequente Durchführung seiner historisch-genetischen Methode, indem er versucht, jeden Rechtssatz aus der Entwicklung seiner tatsächlichen Grundlagen heraus zu entwickeln. Dabei gerät er jedoch auch deutlich an die Grenzen seiner Methode: Sie bietet ihm einen Ansatz für die Analyse einzelner Quellen, mit dessen Hilfe er sie befriedigender und überzeugender zu erklären vermag als die meisten Exegeten vor ihm; er wagt jedoch nicht ein einziges Mal, den Schritt von der Analyse zur SY':lthese zu gehen und seine Erkenntnisse über den einmal erreichten Stand der Rechtsentwicklung hinaus in die Zukunft fortzuschreiben, um einem erkannten, aber noch durch keine Norm des römischen Rechts gedeckten Verkehrsbedürfnis zur Anerkennung als geltendes Recht zu verhelfen. Als Recht erkennt Goldschmidt auch hier nur an, was sich konstruktiv oder mittels Auslegung aus den Quellen des bestehenden 361 362 363
Studien zum Besitzrecht 1888, S. 3 in Anlehnung an Besitzlehre 1884, S. 77 f. Besitzlehre 1884, S. 11 0 f., 189 ff., 223, 228 ff., 278, 344 ff. u.ö. Besitzlehre 1884, § 12, S. 128 - 140.
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Rechts herleiten läßt. Seine Untersuchung endet daher mit dem Ergebnis, "dass der ,Besitzbegriff' ein Verkehrs begriff ist, welchen wir nach der Anschauung und dem Bedürfniss der Gegenwart, in dieser Beziehung dem grossen Muster der römischen Juristen folgend, zu verstehen und juristisch zu gestalten haben,,364. Das Ziel der Beschäftigung mit den Quellen des römischen Rechts und ihrer Kritik soll es zwar sein, an seiner "gesunden Fortentwicklung" zu arbeiten 365 ; aber Goldschmidt gibt nicht an, wie diese Fortentwicklung geschehen soll, ob durch anpassende Beibehaltung des römisch-gemeinen Rechts, Neubildung von Gewohnheitsrecht oder durch das Eingreifen staatlicher Gesetzgebung. In auffallender Ähnlichkeit zu dem Schluß seines Aufsatzes über die Gehilfenhaftung endet daher auch diese Untersuchung damit, daß Goldschmidt die von ihm gewonnenen praktischen Ergebnisse weitgehend zurücknimmt und resigniert: "Die vorstehende Untersuchung hat den einzigen Zweck gehabt, den reinen römischen Begriff möglichst korrekt, d. h. wie geschehen, in seiner ganzen Elastizität darzulegen. Auch das mag schon ein Gewinn sein, wenn wir zu der Einsicht gelangen, wie das grösste Rechtsvolk der Welt mit voller geistiger Freiheit aus den elementaren Grundlagen der Verkehrsanschauung sich sein praktisches Recht seinem Bedürfniss gemäss zu gewinnen vermocht hat,,366. Deutlicher kann man das Resultieren der ständigen Selbstzweifel Goldschmidts aus seiner völligen Befangenheit in den Postulaten seines genetischen Ansatzes kaum dokumentieren. Goldschmidt vermochte sich einfach nicht dazu durchzuringen, den Schritt von der Erkenntnis eines Verkehrsbedürfnisses zu der Anerkennung seiner angemessenen Regelung als Rechtssatz für das geltende Recht zu gehen, obwohl er ihn für die Entstehung der Normen des römischen Rechts immer wieder belegen konnte und obwohl er die dafür notwendige theoretische Grundlage zu analytischen Zwecken immer mehr verfeinert hatte und sie meisterlich beherrschte. Goldschmidts Auffassung, der Besitzbegriff sei als sozialer Gewaltbegriff aus den Anschauungen der betroffenen Verkehrskreise zu entwickeln, hat zwar in der Literatur viel Widerspruch gefunden. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts entsprach sie jedoch den herrschenden Anschauungen zumindest der Praxis von Rechtsprechung und Gesetzgebung. Goldschmidt stellte mit Genugtuung fest, daß schon die Regelung des Besitzrechts im ersten Entwurf zum BGB seinen Vorstellungen weitgehend entsprach 367 . Goldschmidts Besitzlehre zeigt zwar wenig Ansätze zur Figur des mittelbaren Besitzes, wie ihn das BGB geschaffen hat; aber für die GeBesitzlehre 1884, S. 349. Besitzlehre 1884, S. 349. 366 Besitzlehre 1884, S. 349. 367 Studien zum Besitzrecht 1888, S. 1 f.; vgl. Jürgen Schwake, Zur Entwicklung des Besitzbegriffs im 19. Jahrhundert, Diss. jur. Göttingen 1984, S. 111 f., 112. (Die Annahme, Goldschrnidts Grundlagen der Besitzlehre hätten einen Einfluß auf die Regelung des BGB gehabt, beruht auf der irrigen Annahme S. 111, daß sie bereits 1884 erschienen seien.) 364
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sichtspunkte, die nach den Vorstellungen, die dem BGB zugrundeliegen, die tatsächliche Gewalt als Grundlage des unmittelbaren Besitzes begründen 368 , bietet seine Arbeit eine nahezu unerschöpfliche Fülle an Material. Sie findet sich daher in den frühen systematischen Darstellungen des Sachenrechts des BGB noch häufig verwertet 369 .
c) Der Eigentumserwerb vom Nichtberechtigten Ein weiteres deutliches Bild von der Art, wie Goldschmidt sich Beiträge für seine ZHR wünschte und wie seine eigenen Beiträge für sie aufgenommen wurden, gibt seine Untersuchung zum Eigentumserwerb vom Nichtberechtigten, die 1865 und 1866 in zwei Teilen von zusammen 193 Seiten erschien. Auch sie gehört in die Reihe ,,historisch-dogmatischer Abhandlungen". Ihre Ergebnisse legte Goldschmidt der Darstellung dieser Materie in dem bald darauf, 1868, erscheinenden zweiten Teilband seines Handbuchs des Handelsrechts zugrunde 37o . Die Abhandlung zerfällt in vier Teile371 : einer kurzen Einleitung 372 folgen unter "Die geschichtliche Entwickelung,,373 römisches und deutsches Privatrecht einschließlich der Rezeption des römischen Rechts und der sich in der Praxis erfolgreich 374 behauptenden handelsrechtlichen Grundsätze 375 , aber auch die neueren Privatrechtskodifikationen vom ALR bis zum Sächs. BGB und eine kurze Darstellung des englisch-nordamerikanischen Rechts. Das "neue Deutsche Handelsrecht,,376, das sind die entsprechenden Erwerbstatbestände der Artt. 36 - 74 ADWO und der Artt. 305 - 308 ADHGB, bildet den dogmatischen Hauptteil der Abhandlung, der noch eine "Schlußbetrachtung,,377 beigegeben ist, in der Gold-
§ 797 Entw. I BGB, § 854 Abs. 1 BGB. s. etwa Friedrich Endemann, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, 8.19. Aufl., 2. Bd., 1. Abt.: Sachenrecht, Berlin 1905, S. 127 ff., insbes. S. 129 in Fußn. 10 zu § 25 (zur Bedeutung von Endemanns Lehrbuch s. Nolte, NDB 4 (1959), S. 491); Brodmann in Planck's Kommentar zum BGB, hrsg. v. E. Strohal, 4. Aufl., Berlin 1920, S. 29 f., 30 (auch in der Kommentierung, z. B. Anm. 2 zu § 854 BGB); Martin Wolff/Ludwig Raiser, Sachenrecht, 10. Aufl., Tübingen 1957, § 4 Fußn.*, S. 20 und § 5 III, S. 25 Fußn. 5. - Demburg, der zu ähnlichen Vorstellungen wie Goldschmidt neigte (Die Allgemeinen Lehren und das Sachenrecht des Privatrechts Preußens und des Reichs, 4. Aufl., Halle 1884, § 148, S. 354 - 356), konnte diese nicht klar und konsequent durchführen (vgl. §§ 150 ff., S. 360 ff.). 370 Handbuch, 1. Aufl., I 2,1868, §§ 79 (ab Fußn. 28 a), 80, S. 811 - 835. 371 Erwerb 1865, S. 229 (Inhaltsübersicht). 372 Erwerb 1865, S. 225 - 228. 373 Erwerb 1865, S. 230 - 312. 374 Erwerb 1865, S. 309 ff. zu Marquard und Casaregis. 375 Erwerb 1865, S. 300 - 312, darin auch zum Recht der Traditionspapiere S. 304 f., 309. 376 Erwerb 1865, S. 313 - 343 u. 1 - 65. 377 Erwerb 1865, S. 65 - 74. 368 369
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schmidt in Auseinandersetzung mit mehreren Thesen Endemanns Fragen grundsätzlicher Art untersucht. In der Einleitung hebt Goldschmidt die verschiedenen Bezüge des Themas seiner Abhandlung hervor. Es sei schon deshalb für das allgemeine bürgerliche Recht von Relevanz, weil unabhängig von entsprechenden Regelungen der Partikularrechte 378 jedenfalls einmaliger Durchgang einer nicht abhandengekommenen Sache durch einen Handelsbetrieb ausreiche, um das Eigentum des ursprünglich Berechtigten erlöschen zu lassen und einen anderen zum nunmehr unbeschränkt zur Weiterverfügung berechtigten Volleigentümer zu machen und damit die Position des ursprünglichen Eigentümers auch "ökonomisch zu entkräften,,379. Schon jetzt erklärt Goldschmidt seine Erwartung, daß ein kommendes deutsches bürgerliches Gesetzbuch die Grundregeln des Art. 306 ADHGB übernehmen werde 38o . So ist es 30 Jahre später in den §§ 932 ff. BGB auch tatsächlich geschehen. Schon in den Diskussionen zum ADHGB und vorher war vorgebracht worden, daß die Gesetzgebung, wolle sie den Bedürfnissen des Handels an "einer rechtlichen Steigerung der natürlichen Beweglichkeit der' Mobilien" gerecht werden, "nicht von den Principien des gemeinen römischen Rechts ausgehen" dürfe 381 . Denn dieses kannte diese Formen des Eigentumserwerbs vom Nichtberechtigten niche 82 . Um des praktisch erwünschten Ergebnisses sei daher Vorbildern des mittelalterlichen deutschen Privatrechts gefolgt worden 383 und es in einem zaghaften Kompromiß zur Regelung der Artt. 305 ff. ADHGB gekommen 384 . Der gedankliche Ansatz für Goldschmidts Abhandlung ist deshalb ein anderer als in seinen Arbeiten aus der Zeit vor der Vollendung des ADHGB. War dort zu untersuchen gewesen, in welche positiv zu fassende Regelung die historische Entwicklung vorerst einmünden solle, so war jetzt eine solche Regelung gegeben, und die Frage lautete, wie sie sich in den historischen Entwicklungsprozeß einordnen lasse und ob sich aus diesem etwas für das tiefere Verständnis der gesetzlichen Regelung ergebe und ob eine Fortentwicklung der nur als Zwischenstufe verstandenen Normen notwendig sei 385 . Daher untersucht und interpretiert Goldschmidt im historischen Teil seiner Arbeit das in der Geschichte wechselnd erfolgreiche Verdrängen römisch-rechtlicher Grundsätze durch deutschrechtliche Gedanken als 378 Dazu Erwerb 1865, S. 278 ff.; außerdem erstreckten einige Einführungsgesetze zum ADHGB die Regelungen über den Erwerb vom Nichtberechtigten auf den allgemeinen (Nichthandels-) Verkehr. 379 Erwerb 1865, S. 227. 380 Erwerb 1865, S. 227. 381 Erwerb 1865, S. 226. 382 Kaser, Privatrecht I, § 100 I 2, S. 413; vom gemeinen Recht ohne Milderung übernommen: Windscheid/Kipp, Pandekten I, § 172 unter 1., S. 885. 383 Erwerb 1865, S. 226, 228. 384 Erwerb 1865, S. 226 f., 1 - 7. 385 Erwerb 1865, S. 228.
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Ausdruck einer dahinter stehenden "Collision zwischen der logischen Consequenz des Eigenthumsbegriffs und den gleich berechtigten Ansprüchen des redlichen Verkehrs auf sicheren Erwerb,,386. Viele Streitigkeiten, die das gemeine Recht oder die Regelungen der Partikularrechte beträfen, beruhten allein auf "mangelnder Einsicht in die geschichtliche Grundlage,,387. Dieser Ansatz hat freilich zur Folge, daß die äußere Einteilung der beiden Hauptblöcke in einen geschichtlichen und einen dogmatischen Teil nicht mit der inneren Gliederung übereinstimmt und die Partikulargesetzgebungen, die, soweit sie nicht in den Einführungsgesetzen zum ADHGB insoweit aufgehoben worden waren, dem geltenden Recht angehörten, sich im historischen, der Ausblick auf die weitere legislative Entwicklung sich im dogmatischen Teil der Abhandlung findet. Das römische Recht 388 findet nach diesem Ansatz seine Darstellung als Gegenpol zum deutschen Privatrecht, da es Rechtsbildungen hervorbringen mußte, durch die bei den Römern die Folgen der fehlenden Möglichkeit, das Eigentum von einem Nichtberechtigten zu erwerben, zugunsten des redlichen Besitz-Erwerbers gemildert wurden. Goldschmidt behandelt das römische Recht aber auch zu dem weiteren Zweck, "eine sichere Grundlage für die späteren dogmatischen Erörterungen zu gewinnen,,389: Das römische Recht soll nicht ein überwundenes Gegenbild zum jetzt herrschenden System liefern, sondern positiv die dogmatischen Ansätze, mit denen versucht wird, die inhaltlich veränderten Regelungen zu erfassen. Anschließend behandelt Goldschmidt sehr ausführlich 390 den insoweit das deutsche Privatrecht des Mittelalters beherrschenden Grundsatz, daß derjenige, der eine bewegliche Sache einem anderen anvertraut hat, sie allein von diesem zurückverlangen kann, nicht aber von einem Dritten, an den die Sache in der Zwischenzeit gelangt ist. Dabei lassen seine Erörterungen erkennen, daß schon seinen Analysen der Rechtssätze des älteren deutschen Rechts romanistische Denkformen zugrundeliegen 391 . Dies wirft ein bezeichnendes Licht auf seine einleitenden Bemerkungen über das erfolgreiche Wiedervordringen germanistischer Anschauungen gegenüber den dem Rechtsverkehr ungünstigen Konsequenzen des römischen Rechts, indem es zeigt, daß Goldschmidt nur dann bereit war, germanistische Prinzipien gelten zu lassen, wenn er sie in ihren Strukturen mit romanistischen Prinzipien erfassen konnte. Der der Gliederung nach dogmatische Teil der Abhandlung behandelt als geltendes deutsches Handelsrecht die Regelungen der ADWO und des ADHGB in der Form einer ausführlichen Kommentierung. Erwerb 1865, s. 228. Erwerb 1865, S. 285 in Fußn. 8 (zur Literatur des Code civil). 388 Erwerb 1865, S. 230 - 246. 389 Erwerb 1865, S. 231. 390 Erwerb 1865, S. 246 - 266. 391 s. z. B. Erwerb 1865, S. 256 - 259 (Versuch des Nachweises, daß der, der eine Sache einem anderen anvertraut hat, diese von einem dritten Inhaber heraus verlangen könne, wenn dieser keinen Erwerbstitel habe oder bei dem Erwerb unredlich gewesen sei). 386 387
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Die ausführliche Behandlung des Wechselrechts in einer Abhandlung über den Erwerb "dinglicher" Rechte von einem "Nichteigenthümer,,392 überrascht zunächst. Sie erklärt sich daraus, daß sich Goldschmidt in dem Streit um die Rechtsnatur der Wertpapiere auf den gleichsam dinglichen Standpunkt stellt, nach dem die Gläubigerschaft der Wechselforderung aus dem Eigentum an der Wechselurkunde folge 393 . Die ADWO bot damit einen gesetzlichen Fall des Eigentumserwerbs vom Nichtberechtigten, der bereits seit 1848 als allgemeines Recht in Deutschland galt und der seine Grundlage in den Grundsätzen hatte, die Goldschmidt im historischen Teil seiner Abhandlung aufgezeigt hatte 394 . Goldschmidts Abhandlung schließt im folgenden Band der ZHR mit dem handeisrechtlichen Hauptstück, das den Artt. 305 - 308 ADHGB gewidmet ist. Es ist wie der vorhergehende Abschnitt unterteilt in "Entstehungsgeschichte,,395 und "Dogmatische Erörterungen,,396, die gleichfalls in Form eines Kommentars zunächst die allgemeine Regelung des Art. 306, dann das Wertpapierrecht des ADHGB 397 erläutern. Seine Ausführungen hat Goldschmidt, ergänzt durch einzelne Klarstellungen 398 , in die Darstellung des Sachenrechts des Handels in seinem Handbuch des Handelsrechts übernommen. An die Ausführungen im historischen Teil seiner Abhandlung knüpft Goldschmidt nur gelegentlich an, so bei der Behandlung von Art. 306 Abs. 5 ADHGB, wonach der Eigentumserwerb vom Nichtberechtigten ausgeschlossen ist, wenn die veräußerten Gegenstände "gestohlen oder verloren" waren. Hier weist Goldschmidt auf die Bedeutung der Unterscheidung von anvertrautem und unfreiwillig aus der Gewere verlorenem Gut im deutschen Recht hin. Da diese Unterscheidung an die faktische Art des Verlusts der Gewere, nicht an ihre straf- oder deliktsrechtliche Qualifikation angeknüpft habe, müsse dies auch für das geltende Recht gelten. Deshalb sei auch dort, wo das partikulare Strafrecht Diebstahl und Unterschlagung gleich behandle, nur im Falle des Diebstahls der Eigentumserwerb nach Art. 306 Abs. 5 ausgeschlossen 399 . Aus dem gleichen Grund seien die beiden in Art. 306 Abs. 5 ADHGB benannten Fälle nur als Beispiele zu verstehen, die ein allgemeines Prinzip zum Ausdruck brächten. Der Erwerb vom Nichtberechtigten sei deshalb in allen Fällen unfreiwilligen Besitzverlusts ausgeschlossen4OO . Gerade Erwerb 1865, S. 313 - 343. Erwerb 1865, S. 337. So die heutige Auffassung: Karsten Schmidt, Handelsrecht, § 23 12 a, S. 612 f. m.w.N. 394 Schon in einem Erkenntnis v. 22. 12. 1849 hatte das OAG Lübeck ausgesprochen, daß der Grundsatz .. Hand wahre Hand" auch für indossable Wertpapiere wie Wechsel und Konnossement gelte: SeuffArch 6 (1853), S. 337 - 344, 341. 395 Erwerb 1865, S. I ff, auch S. 55 f., 63. 396 Erwerb 1865, S. 6 ff. 397 Erwerb 1865, S. 55 - 65 zu Artt. 305, 307 ADHGB. 398 s. z. B. Handbuch, I. Aufl., I 2,1868, § 80 in Fußn. 2, S. 820 f. zu Erwerb 1865, S. 13. 399 Erwerb 1865, S. 12 f.; Handbuch, 1. Aufl., I 2, S. 820 f. 392 393
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diese Frage wurde in der Folgezeit streitig, bis das Reichsgericht in einem Urteil vom 20. April 1880 sich Goldschmidts Ausführungen unter Berufung auf dessen Handbuch und die Entstehungsgeschichte des Art. 306 ADHGB anschloß 401 . Das BGB ist dem in § 935 Abs. 1 S. 1 BGB mit der klarstellenden Fassung "gestohlen ... , verlorengegangen oder sonst abhanden gekommen" deutlich gefolgt. Die Erwägungen, die Goldschmidt insoweit in seinem Aufsatz von 1865/66 angestellt402 hat, decken sich demzufolge ihrem wesentlichen Inhalt nach mit jeder ausführlicheren aktuellen Kommentierung zu § 935 BGB 403 . Unter Berufung auf seine Ausführungen im historischen Teil seiner Abhandlung vertritt Goldschmidt eine enge Auslegung des nach Art. 306 Abs. 1 Satz 1 ADHGB für den Eigentumserwerb vom Nichtberechtigten erforderlichen Tatbestandsmerkmals, daß die Sache dem Erwerber "übergeben" worden sein müsse. Nur unter dieser Voraussetzung entspreche dieser Rechtssatz "sowohl den Germanischen Rechtsprincipien, auf denen er beruht und deren Ergänzung durch Römische auf einer anderen Grundlage beruhende Rechtssätze nicht zulässig ist, wie auch den Bedürfnissen des Verkehrs,,404. Auch mit dieser Auffassung hat Goldschmidt sich durchgesetzt. Sie wirkt heute in §§ 933, 934 Fall 2405 BGB nach. Besonderheiten gälten allein für das Recht der Traditionspapiere, denn bei ihnen ersetze die Übergabe des Papiers die Übergabe der Sache selbst406 . Diese nur teilweise gesetzlich fixierte Rechtsfolge versucht Goldschmidt im Vorgriff auf seine späteren ausführlicheren Studien aus den Grundsätzen des gemeinen Rechts über den Besitz allgemein zu begrunden407 . Dabei bemerkt er freilich nicht, daß er es damit unternimmmt, in der von ihm soeben als "nicht zulässig" abgetanen Weise die deutschrechtlichen Grundsätze in den Bestimmungen über den Erwerb vom Nichtberechtigten durch römisch-gemeinrechtliche Prinzipien zu modifizieren. Von besonderem Interesse sind auch Goldschmidts Untersuchungen zum Begriff der "Redlichkeit" des Erwerbers 408 . Art. 306 Abs. 1 ADHGB hatte ohne weitere Definition nur bestimmt, daß "der redliche Erwerber" Eigentum erlange, nicht aber, was unter ,,redlich" zu verstehen sei. Goldschmidt hatte dieses Erfordernis irrtümlich auch für das deutsche Privatrecht postuliert, dort aber keine Quellen für Handbuch, 1. Aufl., I 2, S. 821. RGZ 1, S. 255 ff., 256 f., 257 unter Berufung auf Goldschmidts Handbuch, 1. Aufl., I 2, 1868, § 80 (zitiert als "Handelsrecht Bd. 11"). 402 Erwerb 1865, S. 11 ff. 403 s. etwa Quack, in: Münchener Kommentar zum BGB, 2. Aufl., Bd. 4, München 1986, § 935 Rdnrn. 5 - 9; Mühl, in BGB, begründet von Hs. Th. Soergel, 12. Aufl., Stuttgart 1990, Bd. 6, § 935 Rdnrn. 2 - 4 (das dort mehrfach angeführte U. v. 15. 11. 1951, BGHZ 10, S. 10 ff., 34 - 37 bezieht sich unter anderem auch auf das Urteil RGZ 1, S. 255 ff.). 404 Erwerb 1865, S. 15 f. 405 Dagegen wohl nicht in § 934 Fall 1 BGB. 406 Erwerb 1865, S. 17 ff. 407 Erwerb 1865, S. 19 f. 408 Erwerb 1865, S. 25 - 36. 400 401
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2. Teil: Handelsrecht in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts
die Bestimmung dieses Begriffes gefunden409 . Er bemerkt deshalb nicht, daß sich an dieser Stelle in Wahrheit ein eigentümlich römisch-rechtliches Merkmal erhalten hat, nämlich die Redlichkeit als Voraussetzung des Eigentumserwerbs bei der Ersitzung. Goldschmidt geht deshalb seine Untersuchung hier nicht historisch, sondern dogmatisch an: Er stellt fest, daß es sich hierbei nicht um eine reine Tatsachen- sondern um eine Rechtsfrage handle 41O , da zuerst die rechtlichen Kriterien aufgestellt werden müßten, anhand derer die tatsächliche Redlichkeit im konkreten Einzelfall zu messen sei 411 . Unter Redlichkeit könne zunächst nicht allein die positive Überzeugung davon, daß der Veräußerer Eigentümer sei, verstanden werden412 . Sie liege vielmehr bereits dann vor, wenn die Unkenntnis des Erwerbers, daß der Veräußerer nicht Eigentümer sei, nicht auf grober Fahrlässigkeit beruhe413 . Dieses Ergebnis begründet er mit einer Analogie zu Art. 74 ADWO und durch eine nicht genetische, aber rechts vergleichende Betrachtung des römischen Rechts und der neueren Partikulargesetzgebungen414 . Daneben wirft er einen Blick auf die in diesem Zusammenhang bei dem Erwerber denkbaren "Seelenzustände" und deren mögliche Bewertung. Hierzu nutzt er ein Argumentationsmuster, das Goldschmidt zuvor schon in anderem Zusammenhang in seinen Erörterungen zum Lucca-Pistoja-Aktienstreit und zur Geltung der Eisenbahn-Betriebs=Reglements angewandt hatte: Zwar widerspreche eine allgemeine Nachforschungspflicht des Erwerbers den "Bedürfnissen des Verkehrs", aber derjenige, der "sich der für Jedermann erkennbaren Wahrheit verschließt", verdiene keinen Schutz, der über einen Ausschluß strafrechtlicher Verfolgung hinausgehe415 . Der von Goldschmidt im Ergebnis vertretene Maßstab der groben Fahrlässigkeit hat sich in der Praxis durchgesetzt und schließlich Eingang in das BGB, § 932 Abs. 2, gefunden. In seiner Schlußbetrachtung faßt Goldschmidt das Ergebnis seiner Untersuchungen zusammen und wagt den Ausblick, daß sich auch auf diesem Gebiet das Handelsrecht als Wegbereiter für Entwicklungen erweisen werde, die später auch das allgemeine bürgerliche Recht erfaßten, und deshalb der in Art. 306 ADHGB ausgesprochene Grundsatz bald allgemeinere Geltung erlangen werde416 . Die Abhandlung schließt mit einer intensiven Auseinandersetzung Goldschmidts mit Thesen Endemanns 417 , der eine jahrzehntelange literarische Fehde zwischen beiden über den juristischen Gehalt des Wertbegriffes folgen sollte. Erwerb 1865, S. 256 ff. Endemann hat seine zunächst abweichende Ansicht auf die Kritik von Goldschmidt, Handbuch, 1. Aufl., I 2, 1868, S. 826 Fußn. 16 aufgegeben: Endemann, Handelsrecht, § 98 Fußn. 22, S. 347. 411 Erwerb 1865, S. 26. 412 Erwerb 1865, S. 26 ff. 413 Erwerb 1865, S. 29 f. 414 Erwerb 1865, S. 30 ff. 415 Erwerb 1865, S. 32 f., 32. 416 Erwerb 1865, S. 67. 409
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Die Aufnahme von Goldschmidts Abhandlung entsprach der Bedeutung, die ihr Gegenstand für die Entwicklung und Dogmatik des deutschen bürgerlichen und Handelsrechts hatte. Goldschmidts Ausführungen zum ADHGB wurden häufig zitiert, nach Erscheinen des zweiten Teilbandes seines Handbuches allerdings meist nach diesem. Außerhalb des Handelsrechts traten sie jedoch gegenüber den zahlreichen Veröffentlichungen in den Hintergrund, durch die die Germanisten versuchten, sich in einer dogmatisch wichtigen Frage der Rechtsentwicklung gegen die Romanisten durchzusetzen 418 • Aber noch bei der Redaktion des ersten Entwurfs zum BGB wurde auch auf Goldschmidts Abhandlung zurückgegriffen419 . Anhaltend war auch die Aufnahme des historischen Teils von Goldschmidts Abhandlung, die sich in fast allen umfangreicheren Darstellungen der Fahmisverfolgung nach dem deutschen Recht des Mittelalters zitiert findet42o • Anders als die Autoren zur römischen Rechtsgeschichte hatten die Germanisten offensichtlich keine Hemmungen, aus einer Abhandlung zu zitieren, in der historische und dogmatische Erörterungen ineinanderflossen; vielleicht hat sich hier der Umstand ausgewirkt, daß das Handelsrecht als "germanistische" Disziplin galt.
11. Die Abgrenzung von Handelsrecht und bürgerlichem Recht
Goldschmidt war von Beginn seiner wissenschaftlichen Laufbahn an ein Verfechter der These, daß das Handelsrecht eine gegenüber den anderen Rechtsgebieten eigenständige Materie sei. Die Frage, nach welchen Kriterien das Handelsrecht von den Gegenständen des allgemeinen bürgerlichen Rechts abzugrenzen sei, mußte deshalb für ihn eine besondere Bedeutung haben, denn nur für ein von anderen Rechtsgebieten klar abgrenzbares Rechtsgebiet konnte der Anspruch auf eigenständige wissenschaftliche Behandlung erhoben werden. Diese Problematik steht für die Wissenschaft des Handelsrechts in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts an zentraler Stelle, nachdem sich ihre Absonderung vom bürgerlichen Recht unter der Vorherrschaft Thöls zunächst auf der Grundlage des gemeinen Rechts vollzogen und das Handelsrecht als Gegenstand gesonderter Kodifikation auch formelle Eigenständigkeit erlangt hatte I. 417 Erwerb 1865, S. 68 - 74. - Zu Wilhelm Endemann (1825 - 1899) s. Ernst Landsberg, Wilhelm Endemann , in: Zs. für deutschen Civilprozess, Bd. 26, Berlin 1899, S. V - XVIII; Landsberg, Geschichte III 2, Text S. 949 - 953; H. Nolte, in: NDB 4 (1959), S. 491 f., 492. 418 Diese Diskussion fand ihren Höhepunkt auf dem 15. Dt. Juristentag 1880 in Leipzig, s. Verhandlungen des 15. Dt. Juristentages, Bd. II, Berlin 1881, S. 82 ff., 329 ff. 419 R. Johow, Entwurf eines BGB: Sachenrecht, Begründung, Vorlage des Redaktors, 1. Bd., Berlin 1880, S. 743 - 747 (in: W. Schubert (Hrsg.), Die Vorlagen der Redaktoren für die 1. Kommission, Bd. 1, Berlin 1982, S. 877 ff.); Motive II, S. 190 (Mugdan, Materialien BGB 11, S. 342 f., 343); s. auch Gierke, Privatrecht 11, S. 565 Fußn. 64. 420 S. Z. B. Gierke, Privatrecht 11, § 134 Fußn. 1, S. 552; Stobbe, Handbuch II, S. 611 f. in Fußn. 1; Herbert Meyer, Entwerung und Eigentum im dt. Fahrnisrecht, Jena 1902, S. XI.
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2. Teil: Handelsrecht in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts
Eine grundlegende Abhandlung zu diesem Gegenstand hat Goldschmidt gleichwohl nicht verfaßt2 . Untersuchungen zu der Frage, wie sich das Handelsrecht zum allgemeinen bürgerlichen Recht verhält, finden sich verstreut und wenig systematisch ausgearbeitet über Goldschmidts ganzes Werk verteilt 3 . Das liegt daran, daß Goldschmidt nicht scharf zwischen den beiden Gesichtspunkten unterscheidet, unter denen diese Frage betrachtet werden kann4 : Das eine ist der mehr materielle Aspekt, inwiefern sich Inhalt und Zielsetzung handelsrechtlicher Normen von den Normen des allgemeinen bürgerlichen Rechts unterscheiden; hier überschneiden sich juristische und ökonomische Betrachtung, indem das Handelsrecht als Teilbereich der allgemeinen Handelswissenschaft angesehen wird5 . Der zweite Aspekt ist mehr formeller Natur und betrifft die vornehmlich gesetzestechnische Frage, auf welche Weise der gegenüber dem allgemeinen bürgerlichen Recht beschränkte Normadressatenkreis der Bestimmungen des Handelsrechts definiert werden soll; hier wird das Handelsrecht als Teilbereich des bürgerlichen Rechts im weiteren Sinne gesehen.
1. Der "Relativismus" von Handelsrecht und bürgerlichem Recht
Die Ausbildung materieller, den Norminhalt betreffender Besonderheiten des Handelsrechts gegenüber den anderen Gebieten des bürgerlichen Rechts sieht Goldschmidt zunächst als ein historisches Phänomen an. Es gebe keine logisch-begriffliche Notwendigkeit, das Handelsrecht vom bürgerlichen Recht zu scheiden. Ob ein entsprechender Absonderungsprozeß stattfinde, entscheide sich allein danach, ob der Handel die für die Durchführung seiner geschäftlichen Operationen angemessenen Rechtssätze in der bestehenden allgemeinen Rechtsordnung bereits vorfinde oder sie sich in diese Ordnung integrieren ließen oder ob das nicht der Fall sei. Nur wenn die Rechtssätze der allgemeinen Rechtsordnung nicht geeignet 1 Dazu Raisch, Abgrenzung S. 13 - 33 (Wissenschaft), 99 - 133 (Entwicklung zum ADHGB); ders., Voraussetzungen S. 56 - 65; kritisch dazu Caroni, Privatrecht S. 157 - 162; zu den Auswirkungen dieser Diskussion auf das geltende Recht Raisch, Handels- oder Unternehmensrecht als Sonderprivatrecht, in: ZHR 154 (1990), S. 567 - 578 (zu Goldschmidt S. 575), und insbes. Karsten Schmidt, Gegenwartsaufgaben S. 7 - 23 u.ö. 2 Zu Goldschmidts Haltung Raisch, Abgrenzung S. 13 ff., insbes. S. 19 f., 24 - 26, 120 f., 131 f.; Caroni, Privatrecht S. 160 - 162. 3 s. etwa Handbuch, 2. Aufl., I, 1874, § 3 (Ursachen der Sonderrechtsbildung für den Handel, Reforrnstellung des Handelsrechts gegenüber dem bürgerlichen Recht), S. 7 f., 11 f. u. Universalgeschichte 1891, S. 10 - 12 (noch nicht in I. Aufl., 11, 1864, § 3, S. 7); Handbuch, I. u. 2. Aufl., 11 bzw. 1,1864 bzw. 1874, jeweils § 33 (Verhältnis von ADHGB und ADWO zum gemeinen Recht und den Partikularrechten), § 37 ("Handelsrecht und bürgerliches Recht"), § 42 (Abgrenzung des Handelsrechts vom bürgerlichen Recht). 4 Vgl. Caroni, Privatrecht, S. 157 ff., 179 ff. 5 Dazu Handbuch, I. Aufl., I 1, 1864,2. Aufl., I, 1874,3. Aufl. 1891 jeweils §§ 1,2 (im wesentlichen unverändert).
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seien, den Bedürfnissen des Handels zu genügen, bilde sich ein eigenständiges Handelsrecht aus. Aufgrund der Flexibilität und ständigen Anpassung seiner Regeln an die Bedürfnisse eines entwickelten Handelsverkehrs sei es deshalb im alten römischen Recht nicht zur Bildung eines besonderen Handelsrechts gekommen 6 . Im Mittelalter dagegen sei es anders gewesen; dort zeige sich eine andere Entwicklung, die Goldschmidt sogleich verallgemeinert7 : "Wie gegen alle Einzwängung der canonischen Doctrin, der mittelalterlichen Standes- und Zunftgeschlossenheit, gegen territoriale Absperrung und Finanzkünstelei in der inneren Organisation des Großhandelsbetriebs zuerst gleichsam instinctiv die richtigen ökonomischen Prinzipien sich zur Geltung durchgerungen haben, so nimmt auch dessen äußere Norm, das Handelsrecht, dem gesammten bürgerlichen Recht gegenüber eine bahnbrechende Reformstellung ein, und durchdringt dasselbe mit seinen Tendenzen. Je mehr dies gelingt, um so enger wird der Kreis des Handelsrechts, um so mehr geht dasselbe in dem bürgerlichen Recht auf." Das ergibt die Schlußfolgerung: "So ist das Verhältniß zwischen Handelsrecht und bürgerlichem Recht überall nur ein relatives,,8. In dieser Typologie komme dem Handelsrecht die Funktion des dynamischen Elements zu, das zugleich auf Veränderungen auch im Bereich des eher statisch angelegten bürgerlichen Rechts dringe: "Das Handelsrecht nimmt dem allgemeinen bürgerlichen Recht gegenüber eine bahnbrechende ReformsteIlung ein 9 . Entwickelt unter dem vorherrschenden Einfluß wie überwiegend nach den Interessen der wirthschaftlich am meisten geschulten und weitsichtigsten Bevölkerungsklassen - der Großindustriellen, Rheder, Großhändler, Finanzmächte - neigt es dahin, das gesammte bürgerliche Recht mit seinen Tendenzen zu durchdringen und indem es dann in diesem aufgeht, seinen eigenen Kreis erheblich zu verengern, während doch gleichzeitig sein Umfang durch neu hinzutretende, den besonderen Handelsbedürfnissen entsprechende Rechtssätze wiederum wächst. Man mag es einem Gletscher vergleichen: in den unteren Regionen vereint sich sein schmelzender Firn mit den allgemeinen Niederschlägen, in den oberen findet stete neue Firnbildung statt"lO. Dieser Vorgang lasse sich besonders in der Gesetzgebung der neueren Zeit verfolgen, in deren Kodifikationen die Zulassung von Vertragsfreiheit und der ursprünglich handelsrechtliche Grundsatz von "foir et honneur" Aufnahme gefunden 6 Handbuch, 1. Aufl., I 1, 1864,2. Aufl. I, 1874, § 37 Fußn. 3, S. 262 f. bzw. 366 f.; Universalgeschichte 1891, § 9 IV, S. 58 - 94, 71 f. 7 Handbuch, 1. Aufl., I 1, 1864,2. Aufl., I, 1874, § 37 (S. 260 ff. bzw. 363 ff.); 2. Aufl., I, 1874 u. Universalgeschichte 1891 auch § 3 (S. 7 ff. bzw. 10 ff.); vgl. Raisch, Abgrenzung S. 13; Caroni, Privatrecht S. 160 ff. s Handbuch, 1. Aufl., I 1, 1864, S. 264 f., 2. Aufl., I, 1874, S. 370. 9 s. auch Du droit cornrnercial 1870, S. 362 f.: "position d'initiative reforrnatrice". 10 Universalgeschichte 1891, S. 11 f.; vgl. Handbucb, 2. Aufl., I, 1874, S. 369 f. (noch nicht in der 1. Aufl.).
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2. Teil: Handelsrecht in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts
hätten 11. Damit sei auch hier die Möglichkeit der Rechtsfortbildung aufgrund geänderteter tatsächlicher Verhältnisse geschaffen worden l2 . Mit dieser Auffassung hat Goldschmidt bis in die jüngste Zeit viel Anklang gefunden 13. Ihr ist aber auch vorgeworfen worden, daß sie den dogmatischen Eigenwert des Handelsrechts neben dem allgemeinen Zivilrecht leugne und auf der nicht belegbaren These kausalhistorischer Betrachtung beruhe l4 . Diese Kritik wird Goldschmidt indessen nicht gerecht; denn Goldschmidt sieht die von ihm aufgezeigte Entwicklung keineswegs als denknotwendig vorgegebenen Prozeß an, sondern als eine nur typologisch beschreibbare Schrittfolge. Gerade die von Goldschmidt hervorgehobene Relativität des Verhältnisses zwischen Handelsrecht und bürgerlichem Recht macht es immer wieder erforderlich zu untersuchen, wie es sich unter gegebenen konkreten Verhältnissen ausgestaltet hat; Goldschmidts eigene Studien bieten dazu reiches Material 15. Auch im heutigen Recht läßt sich das Eindringen handelsrechtlicher Institute in den Bereich des allgemeinen bürgerlichen Rechts durchaus beobachten 16, jedoch verlaufen derartige Rezeptionsvorgänge regelmäßig so differenziert, daß ihr konkreter Nachweis häufig schwierig ist. Goldschmidt geht des weiteren - und das wird in der Kritik seiner Ansicht häufig übersehen - davon aus, daß nicht der gesamte Bereich des Handelsrechts einem solchen historisch bedingten Relativismus zwischen Handelsrecht und bürgerlichem Recht unterliege. Er hebt immer wieder hervor, daß bestimmte Gegenstände des Handelsrechts den Verhältnissen nur des Handels angemessen seien, so daß mit ihrem Übergang in das allgemeine bürgerliche Recht nicht zu rechnen sei. Es gibt also auch für ihn aus inneren Ursachen heraus einen Kernbestand spezifisch handelsrechtlicher Erscheinungen: "Le droit commercial proprement dit n'est pas en generalle produit d'un acte du pouvoir legislatif: sous l'empire de la necessite, il se developpe insensiblement et comme de lui-meme, dans la practique, ainsi que dans les usages et coutumes du commerce, qui constituent ainsi sa source principale,,17. Die "Notwendigkeit", von der Goldschmidt dabei spricht, ist freilich keine logische Kategorie, sondern ein Element sozialer Durchsetzung von Erkenntnissen wirtschaftlicher Betrachtungsweisen; das folgt schon aus der Charakterisierung Du droit commercial 1870, S. 358 ff., insbes. S. 360 ff. Du droit commercial 1870, S. 363 f. 13 s. die Nachweise bei Caroni, Privatrecht S. 160 in Fußn. 14; das Gletscherbeispiel findet sich zitiert bei Karsten Schmidt, Gegenwartsaufgaben S. 24; s. auch die Schrift von J. Rießer, Der Einfluß handelsrechtlicher Ideen auf den Entwurf eines BGB für das Deutsche Reich, Stuttgart 1894, in der Goldschmidts Thesen anhand der laufenden Gesetzgebungsarbeit überprüft werden. 14 Raisch, Abgrenzung S. 13 - 17,24 - 26, insbes. S. 14, 15 f. 15 Vgl. auch Caronis Kritik an Raisch: Caroni, Privatrecht S. 157 ff. 16 SO Z. B. die Ausdehnung des Leasing auf Geschäfte mit den Konsumenten. 17 Du droit commercial 1870, S. 363. 11
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dieses Vorgangs als "unmerklich und wie von selbst". Der so entstehende Kernbestand umfasse allgemeine Gedanken wie die Kosmopolität des Handelsrechts, aber auch sehr spezielle Institute wie den Wechselprotest oder das Selbsteintrittsrecht des Kommissionärs l8 . Daß derartige Institute der Befriedigung ganz spezifischer ökonomischer Bedürfnisse des Handels dienten, bedeute gleichwohl nicht, daß es sich bei ihnen um die gleichsam "nackte" Durchsetzung kapitalistischer Interessen handle, sondern um echte Rechtssätze l9 . Denn auch diese Institute unterlägen den allgmeinen ethischen Regeln allen Rechts; gegenteilige Behauptungen seien reiner "Cynismus,,2o. Freilich seien gewisse Normen des Handelsrechts auch wegen der Schärfe ihrer Rechtsfolgen nicht für einen Übergang in das allgemeine bürgerliche Recht geeignet 21 . Nur daraus, daß Goldschmidt von der Existenz eines festen Kernbestandes handelsrechtlicher Normen ausgeht22 , ist überhaupt erklärlich, daß er im Rahmen seiner rechtspolitischen Aktivitäten so nachdrücklich dafür eingetreten ist, Einrichtungen zur Pflege des Handelsrechts zu schaffen, die auf unbestimmte Dauer angelegt waren. Dazu gehören seine frühen Forderungen nach einer auf das Handelsrecht beschränkten gesamtdeutschen Kodifikation, nach einem obersten deutschen Gerichtshof für Handelssachen und nach gesonderten Professuren für das Handelsrecht 23 . Die Beibehaltung einer gesonderten Kodifikation des Handelsrechts vertrat Goldschmidt vehement gegen abweichende Ansätze ausländischer Gesetzgebung 24 und insbesondere gegen die entsprechenden Forderungen Endemanns 25 und insbesondere Dernburgs 26 an eine deutsche Zivilrechtskodifikation. Es gelang ihm, Universalgeschichte 1891, S. 10; s. schon Handbuch, 2. Aufl. I, 1874, s. 7 f. s. z. B. Dernburgs Kritik an Goldschmidt: Obligationenrecht, § 4 in Fußn. 7, s. 9 f.; zu derartigen Vorwürfen schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts s. F. C. Gesterding, Von Connossementen, in: ders., Alte und neue Irrthümer der Rechtsgelehrten, Greifswald 1818, S. 221 234 (gerichtet besonders gegen Büsch, Martens und Beneke), S. 229: " ... es liegt dabei eine verwerfliche Nachgiebigkeit gegen die Meinungen der Kaufleute ... (diese guten Leute wollen nur immer gewinnen und meinen wol sogar, alles müsse aus dem Wege geräumt werden, was ihnen dabey hinderlich seyn könnte, sollten auch die Regeln des Rechts dadurch zu Grunde gerichtet werden ... )". 20 Handbuch, 1. Aufl., I 2, 1868, S. 705 in Fußn. 15. - Das dagegen vorgebrachte Zitat aus R.-J. Valin, Commentaire sur I'Ordonnance de la Marine (1681), S. 609 (Ausgabe Poitiers 1829, S. 321), verfälscht Goldschmidt geringfügig, aber bezeichnend dadurch, daß er aus der dem Handel angeblich nicht notwendigen Stütze "I'Etat" bei Valin verallgemeinernd "I'etat" macht. 21 Besprechung von Dernburg, Preuß. Privatrecht II 1, 1877, in: ZHR 23 (1878), S. 301 309. 22 Dies übersieht Raisch, Voraussetzungen S. 57 ff., wenn er Goldschmidt vorwirft, er messe der Behandlung des Handelsrechts keinen dogmatischen Eigenwert zu. 23 Gesetzgebung und Rechtseinheit 1860, S. 133 f. 24 Schweizerisches Obligationenrecht 1878, S. 110 - 113; s. hierzu Raisch, Voraussetzungen S. 51 - 65; s. auch Caroni, Privatrecht S. 179 ff. 25 Handbuch, 1. Aufl., I 1, 1864, S. 265 in Fußn. 7; zu Endemanns Auffassung Raisch, Vorausetzungen S. 52 - 56. 18
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2. Teil: Handelsrecht in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts
seine Vorstellungen ohne Abstriche in das Gutachten der Vorkommission zur Ausarbeitung des BGB einzubringen und auf diese Weise den weiteren Gang der Gesetzgebung in Deutschland in dieser Hinsicht maßgeblich zu beeinflussen 27 . Besonders mit Demburg entwickelte sich daraus eine kleine literarische Fehde mit jeweils wechselseitigen Erwiderungen 28 . In ihren Anschauungen sind beide noch deutlich dem Denken des 19. Jahrhunderts verbunden. Goldschmidt ist sich jedoch der Problematik einer generellen Integration des Handelsrechts in das bürgerliche Recht mehr bewußt als Demburg 29 . Denn während Demburg davon ausgeht, daß es nur eine Frage der Zeit sei, bis die Wissenschaft für alle daraus entspringenden Fragen eine befriedigende Lösung gefunden haben werde, hält Goldschmidt wegen der Grenzen seines relativistischen Ansatzes eine solche Eingliederung aus grundsätzlichen Gründen für unmöglich. 2. Objektives und subjektives System
In der Frage nach der legislativ-praktischen Abgrenzung des Handelsrechts vom bürgerlichen Recht stehen sich in der Diskussion im 19. Jahrhundert zwei Systeme gegenüber 30 : Das subjektive System setzt beim Kaufmann an und unterwirft die zum Betrieb seines Gewerbes gehörenden Geschäfte dem Handelsrecht; das objektive System definiert dagegen zunächst den Kreis der Rechtsgeschäfte, die Handelsgeschäfte sind, und erklärt denjenigen zum Kaufmann, dessen Gewerbe im wesentlichen im Abschluß solcher Geschäfte besteht. Da es im deutschen Recht darum geht, den Anwendungsbereich der Normen des Handelsrechts als eines Sonderrechts gegenüber dem Geltungsbereich der Normen des allgemeinen Rechts abzugrenzen, indem der Kreis der Normadressaten bestimmt wird, muß das System der Abgrenzungskriterien im Ergebnis ein subjektives System sein; insoweit ist der Streit um die beiden Systeme tatsächlich "letztlich ... substanzlos .. 31 . Dies erweist auch eine Analyse der Auseinandersetzung zwischen Goldschmidt und Thöl um das richtige System. Das Komplizierte in der Auseinandersetzung zwischen beiden Systemen liegt darin, daß jeder der beiden Anknüpfungspunkte letztlich rückbezüglich auf den anderen ist32 . Denn beide sind durch den Kembegriff des Gewerbes miteinander ver26
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Besprechung von Demburg, Preuß. Privatrecht II 1, 1877, in: ZHR 23 (1878), S. 301 -
27 Codification 1875, S. 139 f., 147 - 149, 149 Nr. III, 151 - 153 Nr. X unter 1. - 7; in seiner Kritik dazu konsequent Raisch, Abgrenzung S. 24 - 26 u. Voraussetzungen S. 55 - 62. 28 Demburg nutzte dazu die jeweils neuen Auflagen seines Lehrbuchs, s. etwa Obligationenrecht, 4. Aufl., § 4 in Fußn. 7, S. 9 f.; ausführlich zu dieser Kontroverse Raisch, Voraussetzungen S. 62 - 64. 29 Vgl. Raisch, Voraussetzungen S. 63 f. 30 Raisch, Abgrenzung S. 17 - 24. 31 So Raisch, Abgrenzung S. 21; Landwehr, Handelsrechtswissenschaft S. 67.
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bunden. Da das Gewerbe eines Gewerbetreibenden maßgeblich davon abhängt, welche Art von Geschäften es wesentlich ausmacht, ist auch das subjektive System darauf angewiesen, bestimmte Geschäftstypen zu definieren, deren Abschluß als dem Handelsrecht zugehörig angesehen werden. Damit greift auch das subjektive System auf ein Wesensmerkmal des objektiven Systems zurück. An diesem circulus vitiosus krankt sowohl das äußerlich "gemischte" System der Artt. 4, 271, 272 ADHGB als auch das äußerlich subjektive System von § 1 HGB, in dessen beiden Absätzen das gemischte System des ADHGB nur modifiziert worden ist 33 . Goldschmidt hatte diese Problematik schon in seiner Kritik des preußischen Handelsgesetzbuch-Entwurfes analysiert und sich dort für das objektive System entschieden 34 ; dieses vertritt er nun nachdrücklich in seinem Handbuch 35 : Es gebe bestimmte Arten von Geschäften, die unabhängig davon dem Handelsrecht unterlägen, ob sie sich mit anderen zu einem Gewerbe verbinden. Als Beispiele für einige solcher absoluten Handelsgeschäfte bot Art. 271 ADHGB den Spekulationskauf, die Prämienversicherung und den Seefrachtvertrag. "Begriff und System der Handelsgeschäfte lassen sich somit principiell nur nach objektiven Merkmalen bestimmen, nicht nach den subjektiven des gewerbemäßigen Betriebes,,36. Goldschmidt gilt seither neben seinem Lehrer Brinckmann37 als exponiertester Verfechter eines strikt objektiven Systems38 . Die Ansicht Thöls, der unter dem Schlagwort, "das Handelsrecht soll ein Gewerberecht sein,,39, das subjektive System verfocht, war dem gerade entgegengesetzt. Thöl bereitete in dieser Auseinandersetzung die Erklärung der absoluten Handelsgeschäfte Schwierigkeiten, während Goldschmidt die Existenz von Kaufleuten kraft formeller Voraussetzung, insbesondere der Handelsgesellschaften nach Art. 5 Abs. 1 ADHGB, nicht ohne weiteres in sein System integrieren konnte; beide versuchten daher wechselseitig, diese Erscheinungen als Anomalien abzutun4o . Tatsächlich ist das objektive System bei Goldschmidt allerdings weniger tief veranSo schon Goldschmidts klare Analyse: Kritik I 1857, S. 11. Vgl. Karsten Schmidt, Gegenwartsaufgaben S. 14; ..absolute Handelsgeschäfte" kennt das HGB indessen nicht mehr. 34 Kritik I 1857, S. 11. 35 Handbuch, 1. Aufl., I I, 1864,2. Aufl., I, 1874, § 42, S. 312 ff. bzw. S. 431 ff. 36 Handbuch, 1. Aufl., I I, 1864, S. 314; 2. Aufl., 1,1874, S. 433. 37 Brinckmann, Handelsrecht S. 5 f.; von Endemann nur mit Eingeschränkungen übernommen: Endemann, Handelsrecht, 4. Aufl., S. 22. 38 So insbes. Raisch, Abgrenzung S. 120 u. Voraussetzungen S. 56 - 62; Karsten Schmidt, Gegenwartsaufgaben S. 14; dagegen Caroni, Privatrecht S. 159 ff. 39 Thöl, Handelsrecht I, 4. Aufl., § 14 a, S. 82 ff.; dagegen Goldschmidt, Handbuch, 1. Aufl., I I, 1864,2. Aufl., 1,1874, § 42 in Fußn. 3 - 6. 40 Thöl, Handelsrecht I, 4. Aufl., S. 82 (dagegen, aber nicht überzeugend, Goldschmidt, Handbuch, 1. Aufl., I I, 1864,2. Aufl., I, 1874, § 42 in Fußn. 6); Goldschmidt, Handbuch, 2. Aufl., I, 1874, § 43 zu Fußn. 19 ff., S. 461 ff. (noch nicht in der Vorauflage, s. in Fußn. 12 zu § 43, S. 334 f.). 32
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kert, als seine Polemik gegen Thöl das erwarten ließe41 . Seiner Stellungnahme im Streit der Systeme muß er selbst das Bekenntnis voranstellen, daß das Handelsrecht seinem Ursprung nach als Standesrecht der Kaufleute nach dem subjektiven System abgegrenzt worden sei 42 , während dem französischen Recht, das er sonst in grundlegenden Fragen wenig schätzt, das objektive System zugrundeliege. Das legt den Verdacht nahe, daß sich hinter Goldschmidts Entscheidung für das objektive System weniger ein wissenschaftlicher als ein wirtschaftspolitischer Ansatz verbirgt: Mit dem Begriff des Standesrechts verband sich ihm der Gedanke ständischer Sonderrechte und Privilegien, die den freien Warenverkehr und den freien Betrieb eines Handelsgewerbes behinderten und deren Reaktivierung zu staatlicher Bevormundung und Beschränkungen des Handels zu führen drohten 43. Einige Erörterungen Goldschmidts lassen sich sogar nur verstehen, wenn man erkennt, daß er ihnen unausgesprochen das subjektive System zugrundelegt: So verteidigt er gegen verschiedene Angriffe44 die Auffassung, daß die Gewinnerzielungsabsicht notwendiges Merkmal des vom ADHGB vorausgesetzten Gewerbebegriffes sei 45 . Brinckmann hatte dies auf der Grundlage des objektiven Systems noch konsequent abgelehnt, da allein die Entgeltlichkeit des einzelnen Geschäfts für dessen Einordnung als Handelsgeschäft maßgeblich sei46 • Nach Goldschmidt widerspricht dies dem geschichtlich entwickelten und dem wirtschaftlichen Wesen des Handels, der durch die Gesamtheit seiner Aktionen darauf hinarbeite, schließlich einen Gewinn zu erzielen. Außerdem widerspräche es der ethischen Anschauung, etwa eine Speiseanstalt für Bedürftige nur deshalb den scharfen Regeln des Handelsrechts unterwerfen zu wollen, weil sie ein wirtschaftlich tätiges Unternehmen sei47 • Sogar im Versicherungsrecht, das nach dem Wechselrecht eigentlich zu den am besten durch ein objektives System abgrenzbaren Spezialgebieten des Handelsrechts zu gehören scheint, erachtet Goldschmidt Modifikationen auf Grundlage des subjektiven Systems für notwendig: Die Erhebung der Binnenversicherung gegen Prämie zum absoluten Handelsgeschäft in Art. 271 Nr. 3 ADHGB sei unangemessen; denn eine echte Versicherung liege nur dann vor, wenn auf seiten des Versicherers ein Unternehmer stehe, der eine Vielzahl von Versicherungsverträgen schließe. Nur dann nämlich werde die Gefahr auf eine Gemeinschaft mehrerer mit einem entsprechend großen Ersatzfonds verteilt 48 . Vgl. auch Schmidt S. 223 f. Handbuch, 1. Aufl., I I, 1864, S. 312; 2. Aufl., 1,1874, S. 431 u. ausführlich S. 437 ff. 43 Vgl. Handbuch,!. Aufl., I 1, 1864, S. 314; 2. Aufl., I, 1874, S. 432; s. auch Hermann Krause, Kaufmannsrecht u. Unternehmerrecht, in: ZHR 105 (1838), S. 69 - 132, 123 - 125. 44 F. von Hahn, Commentar 11, Art. 271 § 15, S. 17 ff.; Demburg, Preuß. Privatrecht, Bd. 11 1, Halle 1877, S. 9 ff. 45 Handbuch, 2. Aufl., I, 1874, § 40, S. 408 - 410, insbes. S. 409 f. in Fußn. 14; s. auch S. 458 ff.; ZHR 23 (1878), S. 304 f. 46 Brinckmann, Handelsrecht S. 4. 47 Handbuch, 2. Aufl., I, 1874, S. 409 f. in Fußn. 14; s. auch S. 462; zu dieser Auseinandersetzung s. auch Grünhut, Zs. f. d. Priv.- u. öff. R. d. Ggw. 3 (1876), S. 189. 41
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Da Thöl und Goldschmidt ihre Ansichten zu einzelnen dogmatischen Problemen nach 1861 beide auf der Grundlage der Regelung des ADHGB entwickelten, stimmten sie in der Analyse aller wichtigen Rechtssätze naturgemäß überein und stritten nur um das Prinzip49. Dabei verkannten beide, daß diese Frage gar nicht durch ein dogmatisches Prinzip hätte entschieden werden können; denn im Kern handelt es sich um ein rein praktisches Problem der Gesetzgebung, das nach pragmatischen Kriterien zu lösen ist. Jede Lösung kann daher immer nur typologisch richtig sein. Auch der später entwickelte Ansatz, sich von der Bindung an die Begriffe von "Kaufmann" und "Gewerbe" zu lösen und das Handelsrecht als Sonderprivatrecht der "Unternehmen" zu definieren 5o , ist nicht frei von dem argumentativen Zirkel der älteren Diskussion: Denn die Anknüpfung an das Unternehmen scheint zwar eine konsequente Abgrenzung nach subjektiven Kriterien zu verheißen5l ; es muß jedoch erwogen werden, ob nicht auch der Begriff des Unternehmens wieder nur mit Hilfe objektiver Merkmale bestimmt werden kann 52 . Die Erörterungen, die Goldschmidt im Zusammenhang mit dem Begriff des Handelsgewerbes anstellt, lassen sogar die Überlegung zu, ob nicht auch in einer maßvollen Anknüpfung an Grundgedanken des objektiven Systems ein Ausweg aus den Unstimmigkeiten gefunden werden kann, die die Regelung des geltenden Rechts in §§ 1 ff. HGB hervorruft53 : Wenn der Kreis einzelner objektiver Handelsgeschäfte weiter gezogen und weniger Wert auf subjektive Merkmale wie Gewerbsmäßigkeit oder Eintragung in das Handelsregister gelegt würde, ließe sich die Frage nach der analogen Anwendung der Regeln des Handelsrechts auch auf Geschäfte von Nichtkaufleuten, in deren zurückhaltender Beantwortung durch die Praxis und einen Großteil der Lehre ein wesentlicher Teil der Schwächen des geltenden Handelsrechts gegründet ist54 , unbefangener und häufiger positiv beantworten. Wie sehr derartige Fragestellungen schon in der Diskussion des 19. Jahrhunderts angelegt sind, wird auch daran deutlich, daß sich auch schon in ihr der Begriff des "Handels-Unternehmens" findet 55 ; gerade Goldschmidt benutzt ihn bereits sehr früh 56 • 48 Handbuch, 2. Aufl., I, 1874, S. 582 (noch nicht in der 1. Aufl., I I, 1864, S. 440 ff.); Universalgeschichte 1891, S. 354 f. 49 Kritisch dazu, freilich auch auf theoretischer Grundlage, Raisch, Abgrenzung S. 24 26. 50 Grundlegend Wieland, Handelsrecht I, S. 9; Hermann Krause, Kaufmannsrecht, ZHR 105 (1838), S. 69 - 71, 93 - 110, 122 - 132 u.ö.; aus jüngerer Zeit s. Raisch, Abgrenzung, S. 26 - 33 u. insbes. Karsten Schmidt, Handelsrecht, § 3, S. 44 - 55 u.ö. 51 Vgl. Karsten Schmidt, Gegenwartsaufgaben, S. 14; Krause, Kaufmannsrecht, ZHR 105 (1838), S. 128 f., 129: "Kaufmann ist jeder, der ein Gewerbe betreibt". 52 Ausführlich zum Problem der Begriffsbestimmung Karsten Schmidt, Handelsrecht, § 4, S. 57 - 80; gerade das Beispiel Goldschmidts von der Anstalt für Armenspeisung (Handbuch, 2. Aufl., I, 1874, § 40 in Fußn. 14, S. 410) läßt es als zweifelhaft erscheinen, ob wirklich alle unternehmerisch tätigen Institutionen dem Handelsrecht unterfallen sollen. 53 Anderer Ansicht wohl Karsten Schmidt, Gegenwartsaufgaben S. 13 ff. 54 Vgl. Karsten Schmidt, Handelsrecht, § 3, S. 44 - 55. 55 Krause, Kaufmannsrecht, ZHR 105 (1838), S. 125 f.: "so ist doch der Unternehmer erst eine Figur des 19. Jahrhunderts".
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2. Teil: Handelsrecht in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts
Er sieht zwar das "Unternehmen" primär als die Organisation der Ausübung des Handelsgewerbes an, die auf der Objektseite steht57 , berücksichtigt dabei aber auch das unternehmerische Tätigwerden als Anknüpfungspunkt für die Geltung handelsrechtlicher Normen, indem nur das Unternehmen als "rechtliche Einheit,,58 Ansatzpunkt einer stimmigen Definition des Adressatenkreises der Normen des Handelsrechts sein kann 59.
Irr. Wertpapierrecht Das Wertpapierrecht ist eine der exemplarischen Materien des Handelsrechts, denn der Handel hat auf diesem Gebiet schon früh spezifische Sonderformen geschaffen und ausgestaltet, die von der Bedeutung der Beurkundung im allgemeinen bürgerlichen Recht abweichen I, und gerade im Bereich des Wechselrechts hatte das Bedürfnis nach Rechtsvereinheitlichung den deutschen Staaten mit der ADWO von 1848 das erste allgemeine deutsche Gesetzbuch zivilrechtlichen Inhalts gebracht 2 . Deshalb galten Goldschmidts wissenschaftliche Interessen dem Wertpapierrecht schon früh, und tiefgehende und umfangreiche Erläuterungen dazu finden sich von seinem Gutachten im "Lucca-Pistoja-Aktienstreit" von 18593 bis zu seiner Universalgeschichte des Handelsrechts von 1891 4 und der 4. Aufl. seines Systems des Handelsrechts von 18925, in denen er seine dogmatischen Auffassungen nochmals zusammenfassend darlegt. Daneben hat er diesem Thema von 1858 an 6 zahlreiche Rezensionen gewidmet, von denen die der Werke Kuntzes, Dernburgs 56 In Stationen 1865, S. 549 f., 550 erklärt er sich dagegen, einzelne Stationen eines Eisenbahnunternehmens als selbständige Zweigniederlassungen anzusehen, die in das Handelsregister einzutragen seien; denn die Stationen erschienen, auch wenn sie die Befugnis zum selbständigen Geschäftsabschluß hätten, nur als "nothwendige Bestandtheile des in sich einheitlich, aber zugleich nach der Natur des Eisenbahntransportgeschäfts localisirten Handels-Unternehmens (Handlung)"; dagegen sei eine Zweigniederlassung "ein an sich selbständiges, aber willkürlich für die Zwecke eines anderen Handelsgeschäfts (Hauptetablissement) bestimmtes und verwendetes Unternehmen"; s. dazu Josef Geiger, Die Entwicklung der rechtlichen Erfassung des Handelsgeschäfts im 19. Jahrhundert, Diss. jur. München 1963, S. 22 Fußn.I04. 57 Ebenso die gleichfalls von ihm verwandten Begriffe "Handlung", "Etablissement" oder - so das Gesetz - "Handelsgeschäft"; zum Vokabular vgl. Thöl, Handelsrecht I, 4. Aufl., §§ 19,19 a, S. 103 - 110. 58 Krause, Kaufmannsrecht, ZHR 105 (1838), S. 96: "Organisation, in der der Unternehmer ... der ausschließliche Träger ist". 59 Vgl. dazu Karsten Schmidt, Handelsrecht § 4 III, S. 68 - 71. I s. Goldschmidt, Universalgeschichte 1891, § 12, S. 383 - 465. 2 Dazu Goldschmidt, Handbuch, 2. Aufl., I, 1874, §§ 11, 12, S. 64 - 84. 3 Aktienstreit 1859, S. 82 - 108. 4 Universalgeschichte 1891, § 12 I, S. 383 - 390. 5 System, 4. Aufl., 1892, § 83 a, S. 160 - 169 u.ö.
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und Thöls 7 die bedeutsamsten sind. Auch bei der Vorbereitung von Urteilen des ROHG war Goldschmidt mit vielfältigen wertpapierrechtlichen Fragen befaßt und hat seine Erfahrungen in späteren Abhandlungen verwertet8 . Besonders mit drei Themenkomplexen des Wertpapierrechts hat Goldschmidt sich in mehreren Veröffentlichungen über einen längeren Zeitraum hinweg auseinandergesetzt.
J. Die "Eigentumstheorie"
Die Frage des Verhältnisses zwischen dem Eigentum am Wechsel und der schuldrechtlichen Inhaberschaft der verbrieften Forderung war lange Gegenstand zahlreicher Streitigkeiten um die Rechtsnatur des Wechsels 9 . Goldschmidt stellt sich auf den gleichsam dinglichen Standpunkt der "Eigentumstheorie", deren Begründer Savigny ist 10. Sie geht vom Primat des Sachenrechts aus. Als Grundsatz gelte: Das "Recht auf den Wechsel und aus dem Wechsel vereinigen sich stets in derselben Person", das heißt, die Gläubigerschaft der Wechselforderung folgt dem Eigentum an der Wechselurkunde 11. Nach ihr soll das Recht aus einem echten Wertpapier dem Eigentum an dem Papier folgen. Die ADWO hatte diese Frage nicht geklärt, weil ihre Wortfassung nur einen Komprorniß zwischen den bei den Beratungen der ADWO vertretenen, unterschiedlichen Auffassungen von Einert, Liebe, Thöl und des preußischen Entwurfs darstellte 12. Nach Art. 36 wurde der Inhaber eines Wechsels durch eine auf ihn führende, zusammenhängende Kette von Indossamenten "als Eigenthümer des Wechsels legitimirt"13, und der nicht grob fahrlässige Erwerber und "nach den Bestimmungen des Art. 36 14 legitimirte" Besitzer eines Wechsels konnte nach Art. 74 nicht "zur Herausgabe desselben angehalten werden". Goldschmidt verstand dies mit einer sich in der Literatur allmählich durchsetzenden 15 Ansicht gegen die hartnäckige Opposition Thöls 16 so, daß 6 Besprechung von Ladenburg, Die Anweisung und der gezogene Wechsel, in: ZHR I (1858), S. 610 - 617. 7 ZHR 6 (1863), S. 334 - 343 (J. E. Kuntze, Dt. Wechselrecht, Leipzig 1862); 19 (1874), s. 319 - 323 (H. Thöl, Wechselrecht); 23 (1878), S. 301 - 309 (H. Dernburg, Lehrbuch des Preuß. Privatrechts 11 I, Halle 1877). 8 Miscellen 1,882, S. 63 pr. 9 Darstellung der älteren Streitigkeiten anhand der Regelung in Artt. 306, 307 ADHGB bei Thöl, Handelsrecht 1,6. Aufl., § 223, S. 665 - 669. 10 F. C. von Savigny, Das Obligationenrecht als Theil des heutigen Römischen Rechts, 2. Bd., Berlin 1853, § 66, S. 130 - 137, 135. II Erwerb 1865, S. 337. 12 Vgl. Goldschmidt, Erwerb 1865, S. 320 ff. - Ausführlich zur Entstehung der ADWO Goldschmidt, Handbuch, 2. Aufl., I, § 12, S. 68 - 84. !3 heute Art. 16 Abs. 1 S. 1 WG: ,,rechtmäßiger Inhaber". 14 bei Goldschmidt, Erwerb 1865, S. 324 versehentlich ,,§". 15 Nachweise bei Goldschmidt, Erwerb 1865, S. 337 in Fußn. 23. 16 insbes. Handelsrecht, 6. Aufl., § 226, S. 678 - 684.
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2. Teil: Handelsrecht in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts
damit nur bestimmte Arten des Erwerbs des Eigentums am Wechsel statuiert seien, bei deren Einhaltung der Erwerber zunächst das Eigentum am Wechsel und erst dadurch zugleich die Wechselforderung erwerbe 17 • Goldschmidt hat sich später für den nach Savigny bedeutsamsten Vertreter der Eigentumstheorie in der deutschen Rechtswissenschaft gehalten 18. Das erscheint indessen übertrieben. Denn Goldschmidt hatte in einem früheren, auf der Kreationstheorie beruhenden Konstruktionsversuch 19 die "Pendenztheorie" vertreten, wonach bei der Ausstellung eines Wertpapiers durch den einseitigen Akt der "Kreation" die Person des Gläubigers der verbrieften Forderung in der Schwebe bleibe, bis durch die Übertragung des Wertpapiers nach den dafür geltenden Regeln der jeweilige Erwerber des Papiers die Gläubigerrechte nicht über die Herleitung von seinem veräußernden Vormann, sondern unmittelbar gegen den Aussteller erwerbe. Obwohl diese Ausführungen mit der Konstruktion des Forderungserwerbs über die Eigentumstheorie, wie sie Goldschmidt 1866 seiner Abhandlung über den Erwerb vom Nichtberechtigten zugrundegelegt hatte 20 , nicht vereinbar waren, wurde er weiterhin so häufig als Vertreter der den Schwerpunkt auf die schuldrechtlichen Verhältnisse und die Legitimationswirkungen des Papiers legenden "Pendenztheorie" genannt, daß er sich 1882 erbost dagegen verwahrte 21 • Erhebliches Gewicht erlangte sein Wort in dieser Frage erst später: Nach den §§ 685 und 617 des ersten Entwurfs zum BGB sollte nämlich jeder Inhaber - auch ein nichtberechtigter Besitzer oder bloßer Detentor - einer einen Anspruch verbriefenden Urkunde bereits materiell Berechtigter des verbrieften Anspruchs sein 22 . Dies bedeutete die völlige Aufgabe jeder Unterscheidung zwischen der an das Eigentum am Papier geknüpften Berechtigung aus dem Papier und der bloßen Legitimation durch Innehabung des Papiers. Goldschmidt kritisierte diesen in der Tat fragwürdigen Schritt über die von der Eigentumstheorie entwickelten Grundsätze hinaus scharf: Er sei weder dogmatisch zu rechtfertigen noch durch irgendwe1che Bedürfnisse des Verkehrs gedeckt 23 . Seine Kritik hatte Erfolg, und die zweite Kommission entschied sich, in § 794 Abs. 1 BGB, der das allerdings nicht klar genug ausspricht 24 , zu den Grundsätzen der der Eigentumstheorie zurückzukehren 25 .
17 Erwerb 1865, S. 330. So auch die heutige Auffassung zu Art. 16 WO: Baumbach/Hefermehl, Wechselgesetz, Art. 16 Rdnr. 8; s. auch Karsten Schmidt, Handelsrecht, § 23 I 2 a, S. 612 f. m.w.N. 19
Kreationstheorie 1889, S. 135; System, 4. Aufl., 1892, S. 165. ZHR 3 (1860), S. 275 f.
20
Erwerb 1865, S. 330, 337.
21
Miscellen 1882, S. 63 - 69 (Verrn. Sehr. 11, S. 77 - 82).
18
22
Mot. 11, S. 696, 697 f. (Mugdan, Materialien BOB 11, S. 388, 389 f.).
23
Ooldschmidt, Kreationstheorie 1889, S. 135 - 137; System, 4. Aufl., 1892, S. 165 f.
24
Enneccerus/Lehmann, Schuldverhältnisse, S. 814 f.
25
Prot. S. 2034 - 2036 (Mugdan, Materialien BOB 11, S. 1047).
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2. Die Wertpapiertheorien
Besonders umstritten war und ist in der Rechtswissenschaft die Frage nach dem Entstehungsgrund der wertpapierrechtlichen Verpflichtung, also danach, worauf die Verpflichtung desjenigen, der eine wertpapierrechtliche Erklärung abgibt, insbesondere des Ausstellers, Akzeptanten oder Indossanten eines Wechsels, beruht. Goldschmidt hat sich zu dieser Frage, die Kernprobleme der Rechtsgeschäftslehre betrifft, mehrfach geäußert und versucht, die dogmatische wie rechtspolitische Diskussion seiner Zeit maßgeblich zu beeinflussen. Nach römisch-gemeinem Recht konnte eine rechtsgeschäftliche Verpflichtung grundsätzlich nur durch Vertrag entstehen. Diese Konzeption stieß in den im Mittelalter aufkommenden besonderen Gestaltungen der Wertpapiergeschäfte auf Konflikte mit den tatsächlichen Verhältnissen. Insbesondere die Konstruktion eines Vertrages etwa zwischen dem Akzeptanten eines Wechsels und einem späteren Indossatar mußte Schwierigkeiten bereiten. Es zeugt vom Stand der älteren Handelsrechtslehre, daß dieses Problem lange Zeit gar nicht erkannt worden war26 . 1857 vertrat Johannes Emil Kuntze in seiner "Lehre von den Inhaberpapieren" die Ansicht, die Verpflichtung des Ausstellers eines Inhaberpapiers beruhe allein auf dem einseitigen Skripturakt, der schriftlichen Niederlegung der wertpapierrechtlichen Erklärung, dem Akt der "creatio". Diesen Ansatz, der bald als "Kreationstheorie" bezeichnet wurde, baute Kuntze später in seinen wechselrechtlichen Abhandlungen weiter aus 27 . Der Streit um den Entstehungsgrund der wertpapierrechtlichen Verpflichtung wurde bei allen Abweichungen in den Einzelheiten in der Folgezeit im Kern zu einer Auseinandersetzung um die Berechtigung der Kreationstheorie 28 . Er entwikkelte sich zu einer der am umfangreichsten und hartnäckigsten ausgetragenen Kontroversen der deutschen Zivilrechtsliteratur des 19. und 20. Jahrhunderts 29 , die freilich zunehmend durch die Einsicht in die geringe praktische Bedeutung dieser Frage gemildert wurde. Kuntzes einfacher und für die Praxis leicht handhab barer Ansatz fand zunächst rasch Zuspruch. Auch Goldschmidt erklärte 1860, daß er "über dessen juristische Möglichkeit ... keinen Zweifel" hege, fügte aber schon einschränkend hinzu, daß 26 Zurückhaltend allerdings Thöl: Wechselrecht, 4. Aufl., §§ 61, 80,95,97, S. 228 f., 277 - 279, 339 f., 351 - 357. 27 insbes.: Dt. Wechselrecht auf Grundlage der ADWO, Leipzig 1862, §§ 38, 39, S. 293 312, u. Wechselrecht: Einleitung, in: Wilhelm Endemann (Hrsg.), Handbuch des Dt. Handels-, See- und Wechselrechts, 4. Bd., 2. Abth., Leipzig 1884, S. 70 - 81. 28 Eine vermittelnde Ansicht vertrat insbes. Stobbe, Handbuch III, § 171 IV, S. 106 - 109. 29 s. insbes. Heinrich Otto Lehmann, Lehrbuch des Dt. Wechselrechts, Stuttgart 1886, S. 145 - 277; Übersicht über die Literatur bis 1875 bei Thöl, Wechselrecht, 4. Aufl., § 97, S. 351 - 357; Enneccerus/Lehmann, Schuldverhältnisse, §§ 208, 209, S. 841 - 849 (Literatur S. 840 in Fußn.* zu § 207); Baumbach/Hefermehl, Wechselgesetz, 12. Aufl., Grundzüge Rdnr. 41 - 46.
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er daneben eine Begebung des Papiers als Manifestation des Verpflichtungs willens für erforderlich halte 3o . Schon drei Jahre später lehnte Goldschrnidt in seiner Rezension von Kuntzes Wechselrecht die Kreationstheorie mit der Begründung ab, der Wille des Papierausstellers gehe gerade nicht dahin, sich allein durch den Kreationsakt verpflichten zu wollen 31 . Erst 1882 wandte er sich in einer Abhandlung ausführlich und nachdrücklich gegen die Kreationstheorie 32 und trat für eine strenge Einhaltung der gemeinrechtlichen Grundsätze über die Entstehung rechtsgeschäftlicher Ansprüche aus Vertrag auch im Bereich des Wertpapierrechts ein 33 . Damit wurde er nun zu dem neben Brunner34 für lange Zeit als führend angesehenen 35 Vertreter der "Vertragstheorie". 1889 mußte Goldschmidt in seiner einzigen ausführlichen Stellungnahme zu dem ersten BGB-Entwurf seinen Standpunkt noch einmal verteidigen. Daß gerade die Gesetzgebungsarbeiten am BGB die Vertreter der bisher herrschenden Vertragstheorie in die Defensive drängten, lag an einem Beschluß der Vorkommission, den ausgerechnet Goldschmidt initiiert hatte. Denn bereits in seinem Vorentwurf für die Beschlüsse der Vorkommission zum BGB hatte er vorgeschlagen, daß die Grundlagen des Rechts der Inhaberpapiere im BGB geregelt werden sollten. Obwohl diese so spezielle Materie eigentlich dem gesondert zu kodifizierenden Handelsrecht hätte überlassen werden können 36 , billigte die Vorkommission diesen Vorschlag 37 , auf den die Einfügung der §§ 793 bis 808 38 in das BGB zurückzuführen ist. Vermutlich hatte Goldschmidt sich erhofft, daß auf diese Weise die von ihm zu dieser Zeit bereits favorisierte Vertragstheorie ausdrücklich Eingang in das kodifizierte Recht finden werde. Der Satz, daß der Aussteller eines Inhaberpapiers aus diesem auch dann verpflichtet sei, wenn es ihm vor der ersten Begebung abhanden gekommen, insbesondere gestohlen worZHR 3 (1860), S. 275. ZHR 6 (1863), S. 341 - 343. 32 Seine Ausführungen sind gerichtet gegen Alexander Grawein, Die Perfektion des Acceptes, Graz 1876, S. 12 f., 84 - 90, der die Kreationstheorie für das Wechselrecht (dagegen Go1dschmidt, Miscellen I 1882, S. 91 ff.), und insbes. gegen Dernburg, Obligationenrecht, § 12, 3, S. 27 f. u. § 257, S. 801 - 804, der sie allgemein aus dem Gesichtspunkt der bona fides des Verkehrs für das allgemeine Zivilrecht zu begründen suchte. Ihm hielt Goldschmidt vor, nicht allein die gesetzlichen Vorschriften überzuinterpretieren, sondern auch die Rechtsprechung von ROHG und Reichsgericht: Goldschmidt, Miscellen I 1882, S. 100 - 106; s. auch Goldschmidt, ZHR 23 (1878), S. 306 f. 33 Miscellen I 1882, S. 84 - 114 (Verrn. Sehr. 11, S. 94 - 120). 34 H. Brunner, Die Werthpapiere, in: Wilhelm Endemann (Hrsg.), Handbuch des Dt. Hande1s-, See- und Wechselrechts, 2. Bd., Leipzig 1882, S. 140 - 235, 164 - 168. 35 So noch von Enneccerus/Lehmann, Schuldverhältnisse, § 208 I I, S. 841, dessen Zusammenfassung der Lehre Goldschmidts indessen unzutreffend ist, s. Miscellen I 1882, S. 110 f. Ausführliche Analyse der Lehren Goldschmidts und ihrer Bedeutung für die zeitgenössische Diskussion bei H. O. Lehmann, Lehrbuch des Dt. Wechselrechts, 1886, S. 166 168, 184 - 187,236 - 241. 36 Vgl. Karsten Schmidt, Handelsrecht, 3. Aufl., § 23 I, S. 612 - 615. 37 Schubert, Materialien BGB, S. 165 f. 38 Seit 1954: §§ 793 - 808 a. 30 31
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den ist, war nämlich bislang noch nicht gesetzlich fixiert gewesen. Er wurde deshalb häufig als Beleg für die Notwendigkeit der Kreationstheorie, mit der er sich zwanglos konstruieren ließ, angesehen, während Goldschmidt andere Konstruktionsmöglichkeiten nicht für ausgeschlossen, die Konsequenzen dieses Satzes aber für unerwünscht hielt. Er sah ihn deshalb eher als Argument gegen die Kreationstheorie an 39 . Eben dieser Satz aber wurde als § 686 in den ersten Entwurf zum BGB aufgenommen. Goldschmidt geht in seiner Variante der Vertragstheorie zunächst von der Akzeptation des Wechsels aus. Sie sei die formgebundene Annahme eines formfreien Vertragsangebots, das in dem Begehren der Annahme liege, durch den Akzeptanten 40 . Goldschmidt vergleicht sie in enger Anlehnung an Thöl41 , den er freilich nicht namentlich nennt, mit der stipulatio des altrömischen Rechts 42 . Diese Auffassung entspreche der Geschichte des Wechsels 43 und den Regelungen der älteren Wechselordnungen bis zum ALR. Diese deckten sich mit denen der ADWO; sie könnten deshalb nicht auf der Kreationstheorie beruhen, da diese ja erst kurze Zeit zuvor entwickelt worden sei. Auch die Anschauungen der beteiligten Verkehrskreise orientierten sich an dem Normalfall, daß der Wechsel zur Annahme von dem Inhaber vorgelegt und dann akzeptiert werde. Die Verpflichtung späterer Papierinhaber führt Goldschmidt wie Brunner44 darauf zurück, daß der Vertrag zwischen dem wertpapierrechtlich Verpflichteten und demjenigen, an den er das Papier begibt, ein Vertrag zugunsten Dritter, nämlich der späteren Papierempfänger sei, die dadurch ein selbständiges Forderungsrecht erwürben45 . Um diesen Erwerb auch bei Fehlerhaftigkeit der Erstbegebung zu rechtfertigen, nimmt Goldschmidt freilich wenig überzeugend an, daß der erste Papiemehmer bloßes "Werkzeug" der Anspruchsentstehung sei46 . Dieser Annahme steht entgegen, daß in einem solchen Fall gar kein Vertrag vorläge und deshalb auch kein Vertrag zugunsten Dritter geschlossen worden sein kann. Demburg hat diesen Erklärungsmangel sofort erkannt und behauptet, Goldschmidt sei damit "in die Gefolgschaft der Kreationstheorie getreten,,47. Goldschmidt bezweifelte zwar Goldschmidt, Miszellen 11882, S. 106 - 109. Miscellen I 1882, S. 86 - 100. 41 Zur engen Verwandtschaft der Auffassungen Thöls und Goldschmidt vgl. das Schaubild bei H. o. Lehmann, Lehrbuch des Deutschen Wechselrechts, 1886, hinter S. 276 (rechts unten). 42 Miscellen I 1882, S. 88 f.; vgl. Thöl, Handelsrecht 11, 4. Aufl., § 61, S. 228 f. 43 Dazu Miscellen I 1882, S. 85 f. 44 Die Gegenüberstellung der Ansichten Goldschmidts u. Brunners in Enneccerus/Lehmann, Schuldverhältnisse, S. 841 ist unrichtig. 45 Goldschmidt, Miscellen I 1882, S. 110 f. unter Klarstellung einer Formulierung aus der Demburg-Besprechung ZHR 23 (1878), S. 306 f., die tatsächlich unrichtig war, weil sie auf einen Vertrag auch mit den späteren Papierinhabem hindeutete. 46 Goldschmidt, Miscellen I 1882, S. 111 f. 47 Demburg, Obligationenrecht, § 12 in Fußn. 18, S. 28 f. 39
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wegen der besonderen gesetzlichen Regelung des Art. 307 ADHGB, die zu dem von Demburg vertretenen Ergebnis führte, die praktische Relevanz dieser Frage 48, doch veranlaßte ihn Dernburgs Äußerung, für diesen Fall auf eine andere Konstruktion zurückzugreifen: In der Ausstellung des Papiers liege nur ein Vertragsangebot an eine unbestimmte Person; dieses nehme der spätere Erwerber des Papiers an49 . Damit nahm er allerdings einen Gedanken auf, den er zuvor ausdrücklich abgelehnt hatte, nämlich das Vorliegen eines unmittelbaren Vertrages zwischen Aussteller und jedem berechtigten Papierinhaber. Überzeugender ist Goldschmidts zweiter, genetischer Begründungsansatz, der freilich nicht eigentlich dogmatisch befriedigt: Der Rechtserwerb dritter Papiernehmer beruhe bei wirksamer Erstbegebung einfach auf einem entsprechenden Gewohnheitsrecht. Dieses habe sich in den beteiligten Verkehrskreisen aus der Notwendigkeit eines solchen Rechtssatzes heraus entwickeltso. Diese Begründung tritt jedoch hinter seinen dogmatischen Konstruktionsversuchen weitgehend zurück, die auf einer allzu gewagten Analogie zu einigen in den römischen Quellen erwähnten Sonderfällen beruhensI. Ausführlich geht Goldschmidt auf die Anschauungen des Verkehrs und die tatsächlichen Lebensverhältnisse erst ein, um auf dieser Grundlage die Unhaltbarkeit der Kreationstheorie gleichsam negativ aufzuzeigen. Die Anschauungen der beteiligten Kreise seien für die Anerkennung von Rechtssätzen auch dann maßgeblich, wenn diese einer konsequent prinzipiengetreuen Konstruktion nicht zugänglich seien. Über diesen Grundsatz setze sich die Kreationstheorie aus purem Dogmatismus hinweg. Wer sich aber in seiner juristischen Analyse von den "Typen", den realen Verhältnissen entferne, laufe Gefahr, "durch maßlose Abstraktion inhaltslose Begriffsschemen zu konstruiren oder doch die einer besonderen Art des Gattungsinstituts ( ... ) eigenthümlichen Rechtssätze zu generalisiren, wenn nicht gar aus einer nur vermeintlichen Art unrichtige Schlüsse auf die Natur des Gattungsinstituts ( ... ) zu ziehen"s2. Für die Kreationstheorie bedeute dies, daß sie zwar auf den ersten Blick einsichtig sei, da sie anerkannte Rechtssätze einfach zu erklären vermöge. "Aber", so Goldschmidt S3 , "die bloße Leichtigkeit der Konstruktion entscheidet nicht über deren Richtigkeit, und sie ist abzulehnen, sofern sie zu unzweifelhaft unrichtigen oder doch unserem Recht fremden Rechtssätzen führt"s4. Das mangelnde praktische Bedürfnis für die Aufnahme der Kreationstheorie in das Gesetz ergebe sich schon daraus, daß es nicht eine einzige Gerichtsentscheidung ges. heute § 935 Abs. 2 BGB. Goldschmidt, Kreationstheorie 1889, S. 143 - 145. 50 Miscellen I 1882, S. 111. 51 Miscellen I 1882, S. 111 f. unter Rückgriff auf seine Ausführungen im "Leipziger Theaterprozeß" das ROHG: ROHGE 12, S. 319 - 366, 360 f. 52 Miscellen I 1882, S. 87. 53 Miscellen 11882, S. 113. 54 So insbes. auch Kreationstheorie 1889, S. 125 u. 145 f. 48
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be, die die Kreationstheorie oder gar den im Entwurf aufgestellten Rechtssatz angewendet oder benötigt hätte, um zu angemessenen Ergebnissen zu gelangen 55 . Die im Entwurf ausdrücklich sanktionierte Folge der Kreationstheorie sei deshalb geradezu ein Beispiel für die verwerflichen Folgen des Dogmatismus: Es werde hier aus rein konstruktiven Erwägungen eine Regelung geschaffen, die, trete ein betreffender Fall tatsächlich ein, den Aussteller unbillig belaste. Seine schutzwürdigen Interessen seien höher zu bewerten als die späterer potentiell redlicher Erwerber56 . Das Argument der Verfasser des Entwurfs, sie wollten sich für keine Theorie entscheiden und § 686 des Entwurfs beruhe allein auf Zweckmäßigkeitserwägungen 57 , läßt er deshalb auch nicht gelten: Sie hätten übersehen, daß hier "ein Fall der Interessenkollision,,58 vorliege, bei dem auch die schutzwürdigen Belange des Ausstellers jedenfalls hätten erwogen werden müssen, die hier aber nun einem nicht einmal klar gedachten Verkehrsschutz- und Konstruktionsdogma geopfert worden seien 59 : "Die schwierigen Interessenkollisionen lassen sich nicht mit einer einfachen abstrakten Formel durchhauen,,6o. Für die Begründung des Forderungserwerbs bei fehlerhaften Zwischenübertragungen des Wertpapiers sei die Kreationstheorie schließlich gar nicht notwendig, denn der redliche Erwerb der Forderung aus einem Inhaberpapier oder Wechsel resultiere bereits aus der "Eigentumstheorie", nach der die Forderung dem Eigentum am Papier folge, so daß ein normaler redlicher Erwerb des Eigentums an dem Papier und damit an der verbrieften Forderung möglich sei. Mit diesen zum Teil sehr polemisch vorgetragenen 61 Äußerungen gegen den ersten Entwurf zum BGB hat Goldschmidt sich im Gesetzgebungsverfahren nicht durchsetzen können. Die zweite Kommission setzte sich mit seinen Einwänden zwar auseinander, behielt die Vorschrift dann aber aufgrund eines für gegeben erachteten Verkehrsbedürfnisses bei, ohne sich damit für eine Theorie entscheiden zu wollen 62 . § 686 des ersten Entwurfs zum BGB wurde als § 794 BGB im wesentlichen unverändert Gesetz. In der Lehre hat sich dagegen, wenn sie auch nie unbestritten geblieben ist, im Kern die Vertragstheorie durchgesetzt. Sie führt in den vom Gesetz nicht besonders geregelten Fragen wie etwa der Anwendung von § 108 gegenüber § 111 BGB oder Kreationstheorie 1889, S. 126 - 131, 142 f. Miscellen I 1882, S. 106 - 109. 57 Mot. H, S. 697 (Mugdan, Materialien BGB H, S. 389). 58 Kreationstheorie 1889, S. 137. 59 Kreationstheorie 1889, S. 137 - 140. 60 Kreationstheorie 1889, S. 145 f., 145. 61 Hübsch ist das Zitat nach de Lolme in Kreationstheorie 1889, S. 139: "der Gesetzgeber ist omnipotent: the parliament can do everything but make a woman a man and a man a woman". (Der heutige Gesetzgeber ist indessen nicht bereit, auch nur diese Einschränkung hinzunehmen.) 62 Prot. S. 2649 - 2652 (Mugdan, Materialien BGB H, S. 1055 f.). 55
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§ 123 Abs. 2 BGB zu den angemesseneren Ergebnissen 63 . Das bestechend einfache Argument, alle gesetzlich statuierten Regeln, die sich nicht mit der Vertragstheorie erklären lassen, als positive, den Verkehrsschutz bezweckende Ausnahmevorschriften zu betrachten, ist in den Diskussionen des 19. Jahrhunderts merkwürdigerweise nicht pointiert vertreten worden 64 ; diese inzwischen als "Rechtsscheintheorie" herrschend gewordene Ansicht65 ist erst im 20. Jahrhundert im einzelnen entwickelt worden. Allerdings scheint Thöls Abstinenz in dieser Frage, soweit sie das Wechselrecht der ADWO betraf, auf eben diesem Gedanken zu beruhen, daß gesetzlich geregelte Ansprüche einer dogmatischen Konstruktion nicht bedürfen.
Der von Goldschmidt geäußerte Verdacht, die Gesetzesverfasser hätten sich durch die Kreationstheorie blenden lassen, indem sie gerade den Satz aufnahmen, der als Musterbeispiel für die Notwendigkeit ihrer Adaption galt, ist mit den Argumenten, er sei nicht allein unbillig, sondern mangels vorkommender Fälle auch praktisch überflüssig, tatsächlich nicht ganz von der Hand zu weisen: Eine auf § 794 BGB beruhende Gerichtsentscheidung ist, soweit ersichtlich, bisher nicht ergangen, und so ist ausgerechnet diese Vorschrift, die zu den wenigen nachdrücklich auf Zweckmäßigkeitserwägungen gestützten des BGB gehört, ihrer Tendenz entgegen das geworden, was Goldschmidt ihr prophezeit hat, nämlich ein Anknüpfungspunkt für Debatten, die weniger praktischen Zielen als der Demonstration dogmatischer Methoden dienen. 3. Die Traditionspapiere
Von größerer Bedeutung waren Goldschmidts Bemühungen auf einem anderen Teilbereich des Wertpapierrechts, dem Recht der sogenannten Traditionspapiere. Zu ihm hat er sich nach zahlreichen Vorarbeiten neben dem zweiten Teil seiner "Miszellen zu Theorie der Wertpapiere" von 1884 besonders in seinem Handbuch des Handelsrechts geäußert. Goldschmidts umfangreiche Studien über das Recht des Besitzes und die Arten der Verfügung über das Eigentum an Sachen führen ihn immer wieder zu einer sehr speziellen Form der Übertragung des Besitzes an Sachen, nämlich der Besitzübertragung nicht durch Übergabe der Sache selbst, sondern durch Übergabe einer Urkunde, in der der Anspruch auf Herausgabe der Sache verbrieft ist. In Rechtswissenschaft und Gesetzgebung spielte bereits seit langem die Frage eine Rolle, welchen Papieren eine solche "dingliche Wirkung" zukommen sollte. Von großer praktischer Bedeutung war insbesondere, ob die Übergabe eines Konnossements, Ladescheins oder Lagerscheins die Folge habe, daß nicht allein der darin verbriefte Anspruch gegen den Schiffer, Frachtführer oder Lagerhalter auf Herausgabe der 63 64 65
Vgl. Baumbach/Hefennehl, Wechselgesetz, Einleitung Rdnr. 28. s. den Überblick bei Goldschmidt, System, 4. Aufl., 1892, S. 162 - 164. Baumbach/Hefennehl, Wechselgesetz, Einleitung Rdnrn. 29 f.
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Ware, über die das Papier ausgestellt ist, auf den Erwerber übergehe, sondern auch der Besitz an der Ware selbst66 • Dieses Problem war bisher fast ausschließlich für das Konnossement behandelt worden. Auch Goldschmidt entwickelt seine Lehren an diesem Beispiel, um für Ladeschein und Lagerschein dann auf seine vorherigen Ausführungen zu verweisen 67 • a) Historische Grundlagen Bis zum 18. Jahrhundert hatte sich in fast ganz Europa der gewohnheitsrechtliche Satz gebildet, daß in der Übergabe des Konnossements die Übertragung des Besitzes an den Waren, über die es ausgestellt war, liege68 . Um die Wende des 18. zum 19. Jahrhundert war er als Gewohnheitsrechtssatz in der Praxis des Handelsrechts anerkannt 69 . Ausdrücklich durch Gesetz ausgesprochen wurde er selten, jedoch wurden die aus ihm folgenden Konsequenzen vereinzelten gesetzlichen Vorschriften zugrundegelegt 70. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wandten Rechtsprechung und Lehre sich dann von einer Anerkennung dieses Satzes ab 7l . Dieser Umschwung geschah unter dem Einfluß der von Savigny ausgelösten Neuorientierung in der Besitzlehren. Das wird daran deutlich, daß die Praxis, soweit sie an dem Satz festhielt, ihn auch konstruktiv aus dem gemeinen Recht zu begründen suchte. Hierzu wurden 66 Diese Frage hatte Goldschmidt bereits zum Gegenstand der an läßlich seines Habilitationsverfahrens durchzuführenden Disputation gemacht: Lebensbild S. 145 ff., 146 (an seinen Vater, 4. 3. 1855). 67 Handbuch, I. Aufl., I 2, 1868, S. 766 ff., 782 ff. 68 Handbuch, I. Aufl., I 2, 1868, § 70, S. 650 - 666, § 73 in Fußn. 23, S. 707 - 710 mit vielen Nachweisen. 69 Landwehr, Bedeutung, S. 158 - 160 m.w.N.; s. auch Johann Georg Büsch, Sämmtliche Schriften über die Handlung, 2. Theil: Darstellung der Handlung in ihren mannigfaltigen Geschäften, 3. Aufl., Hamburg 1824, Zusatz 58 zu Bd. 1, Buch 4, Kap. 1, § 6, S. 353 - 398, insbes. S. 360 - 364; so auch das Erkenntnis des OAG Rostock v. 27. I. 1845, Zs. f. dt. R. 9 (1849), S. 489 - 496. 70 z. B. in Art. 25 § 3 der Hamburger Falliten-Ordnung v. 31. 8. 1753 ((Klefeker), Sammlung der Hamburgischen Gesetze und Verfassungen, 3. Th., Hamburg 1767, S. 241 - 360): Ausschluß der Vindikation einer an einen Falliten versandten Ware, wenn dieser das Gut durch Übertragung des darüber ausgestellten Konnossements an einen Dritten veräußert hatte. 71 Nachweise bei Goldschmidt, Handbuch, I. Aufl., I 2, 1868, S. 705 f. in Fußn. 16; davon insbes.: Erkenntnis des OAG Lübeck v. 12.4. 1843, Sammlung der Erkenntnisse und Entscheidungsgründe des OAG Lübeck in hamburgischen Rechtssachen, (Bd. 1), Hamburg 1843, Nr. 3, S. 20 - 39, 27 - 33 (in abweichender Auffassung zu Art. 25 Hamburger FallitenOrdnung); F. C. Gesterding, Alte und neue Irrthümer der Rechtsgelehrten, Greifswald 1818, S. 221 - 234; Jhering, Uebertragung der Reivindicatio auf Nichteigenthümer, in: Jbb. Dogm. 1 (1857), S. 101 - 188, 176 - 188: "Das Connossement als Cession der Vindication". 72 So schon Heymann, Dingliche Wirkung, S. 136.
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insbesondere eine Form "symbolischer Tradition,,73 oder das Vorliegen eines Besitzkonstituts 74 angenommen. Diese Unsicherheit in den Auffassungen machte sich bei den Beratungen des ADHGB bemerkbar: Zunächst war eine allgemeine Formulierung des ursprünglichen Satzes erwogen worden; angesichts der jüngeren Entwicklung wurde er schließlich nur noch für Orderkonnossemente ausgesprochen 75 : Nach Art. 649 ADHGB sollte die Übergabe des an Order lautenden Konnossements dieselbe rechtliche Wirkung haben wie die Übergabe der Güter selbst. Als Unstimmigkeit ergab sich aus den Beratungen, daß die Artt. 313 Abs. 1 und 374 Abs. 1 ADHGB das kaufmännische Zurückbehaltungsrecht und das Pfandrecht des Kommissionärs 76 an den beweglichen Sachen bestehen ließ, die der Gläubiger in seinem Gewahrsam hatte oder über die er, "insbesondere (ver-)mittelst (der) Konnossemente, Ladescheine oder Lagerscheine" noch verfügen konnte. Goldschmidt meinte zwar, daß sich schon hieraus die Anerkennung der allgemeinen Traditionswirkung durch das ADHGB ergebe 77 ; die Entstehungsgeschichte des Art. 649 ADHGB, die durch eine immer weitergehende Einschränkung des allgemeinen Satzes gekennzeichnet war78 , ergibt indessen, daß eine so eindeutige Folgerung sich aus dieser Bestimmung nicht ziehen ließ. Dies war die Rechtslage, die Goldschmidt bei Abfassung seines Handbuches vorfand79 . Schon bei Behandlung des Besitzerwerbs durch Mittelspersonen hatte er unter bloßem Hinweis auf Thöl 80 und ohne weitere Begründung aus den Protokollen, die hierfür auch nichts hergaben, konstatiert, daß die fragmentarischen Regelungen des ADHGB in Fragen des Besitzes außerhalb ihres unmittelbaren Geltungsbereichs die Regeln des Handelsgewohnheitsrechts, des gemeinen Rechts und der Partikularrechte unberührt ließen, wenn dies auch der an sich erstrebten Rechtsvereinheitlichung widerspreche 81 . 73 So Meno Pöhls, Darstellung des gemeinen Deutschen und des Hamburgischen Handelsrechts für Juristen und Kaufleute, 1. Bd., Allgemeiner Theil, Hamburg 1828, S. 181 ff., 181 f. mit Hinweis auf die sich wandelnde Anschauung S. 182. 74 So das Erkenntnis des OAG Rostock v. 27. 1. 1845, Zs. f. dt. R. 9 (1849), S. 489 - 496, S. 491 - 495; dagegen Georg Beseler, Uebertragung des Eigentums der Waare durch Aushändigung des Connossements, in: Zs. f. dt. R. 9 (1849), S. 487 - 489. 75 Nachweise bei Goldschmidt, Handbuch, 1. Aufl., I 2,1868, S. 714 -718. 76 dem Wortlaut nach nicht auch das des Spediteurs, Art. 382 Abs. 1 ADHGB; s. Heymann, Dingliche Wirkung, S. 137; dies scheint Goldschmidt, Handbuch, 1. Aufl., I 2, 1868, S. 714 in Fußn. 30 zu übersehen. 77 Handbuch, 1. Aufl., 12, 1868, S. 714; so auch RGZ 28, S. 39 ff., 42 f. 78 ausführlich Landwehr, Übergabe, S. 124, 132 f., 135 f., 140 f.; s. auch Goldschmidt, Handbuch, 1. Aufl., I 2, 1868, S. 714 - 716 in Fußn. 31; vgl. Heymann, Dingliche Wirkung, S. 136 f. 79 Kurzer Überblick über die Entwicklung vom ADHGB zum HGB bei Eb. Stengel, Die Traditionsfunktion des Orderkonnossements, Köln 1975, S. 185 - 191. 80 Thöl, Handelsrecht I, 4. Aufl., § 78 Note, S. 462 f. (der § 78 bringt deshalb auch fast ausschließlich das gemeine Recht zu "Übergabe und Empfang" der Ware).
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b) Die "symbolische Tradition" Das Verbindungs glied zwischen den allgemeinen Regeln des Sachenrechts über die Sachübergabe und die Übergabe mittels Traditionspapier waren Fälle, die in der Rechtswissenschaft und -praxis als Fälle "symbolischer Tradition" bezeichnet wurden. Das gemeine römische Recht verlangte für den Besitzübergang grundsätzlich die reale Übergabe der Sache. Im neueren gemeinen Recht war deshalb eine generalklauselartige Lehre entwickelt worden, um einen Besitzübergang auch dann annehmen zu können, wenn er sich wegen Fehlens eines unmittelbaren Übergabeakts nach gemeinem Rechts nicht erklären ließ. Diese Lehre hatte seit Savignys Schrift über den Besitz, in der die Besitzlehre wieder eng an die Interpretation der klassischen Quellen angelehnt worden war, einen regen Aufschwung erfahren. Denn die Übergabe (traditio) war nach römisch-gemeinem Recht unabdingbare Voraussetzung des rechtsgeschäftlichen Eigentumsübergangs82 . Goldschmidt lehnte alle Versuche, weitere Möglichkeiten des Besitzübergangs ohne unmittelbare Sachübergabe zu begründen, ab: Der Besitz sei ein "naturales Verhältnis"; eine Form des Besitzerwerbs ohne tatsächliche Grundlage sei deshalb unmöglich. Diese tatsächliche Grundlage bestehe notwendig in der gegenwärtigen Möglichkeit beliebiger Einwirkung auf die Sache83 . Allerdings könne diese Einwirkungsmöglichkeit eine "ideale" in dem Sinne sein, daß sie "nach vernünftiger Lebenssitte als eine gegenwärtige betrachtet" werde 84 . Auf der subjektiven Seite setze Besitz nach den anerkannten Lehren des gemeinen Rechts einen Besitzwillen voraus, und zwar den Willen, "die Sache für sich zu haben,,85. Fehle der Besitzwille, liege bloße Detention vor, eine im wesentlichen der Besitzdienerschaft des heutigen Rechts 86 vergleichbare Stellung. Diese enge Anbindung an die Einwirkungsmöglichkeit als notwendige Voraussetzung des Besitzes, der als tatsächliches Verhältnis aufgefaßt wird, lasse die Konstruktion symbolischer Übergaben nicht zu. Sie setzten daher eine Fiktion voraus, die sich nur über einen Rechtsbegriff des Besitzes erklären ließen, der von den tatsächlichen Verhältnissen abstrahiere und deshalb mit der neueren, von Savigny initiierten Auffassung unvereinbar sei 87 • Dennoch meint Goldschmidt aufgrund seines auf die Verkehrsanschauung abstellender Ansatzes, zahlreiche der als problematisch angesehenen Fälle befriedigend erklären zu können, ohne derartige Fiktionen zu Hilfe nehmen zu müssen. Goldschmidt, Handbuch, 1. Aufl., I 2,1868, S. 635 - 638. Vgl. Landwehr, Übergabe S. 127 - 129. 83 Handbuch, 1. Aufl., I 2, 1868, S. 638. 84 Handbuch, 1. Aufl., I 2, 1868, S. 1233 (in den Nachträgen). 85 Handbuch, 1. Aufl., I 2, 1868, S. 638. Besitz war nach gemeinem Recht deshalb nur der Eigenbesitz im Sinne des heutigen deutschen Rechts, § 872 BGB. 86 Vgl. § 855 BGB; mittelbaren Besitz u. Fremdbesitz, § 868 BGB, kennt das gemeine Recht nicht. 87 Handbuch, 1. Aufl., I 2, 1868, S. 641 ff. - Daher war nach gemeinem Recht auch die Erklärung des Besitzüberganges auf den Erben problematisch; s. heute § 870 BGB. 81
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Sein Leitbild ist die Übergabe des Schlüssels für einen verschlossenen Raum, in dem die zu übergebende Ware untergebracht ist, ein häufig benutztes Beispiel für einen angeblichen Akt symbolischer Tradition 88 . Auch Goldschmidt bejaht für diesen Fall den Übergang des Besitzes an der Ware selbst auf den Empfänger des Schlüssels. Der Grund dafür sei allerdings, daß der Empfänger nach der Verkehrsanschauung nunmehr als derjenige erscheine, der die gegenwärtige Einwirkungsmöglichkeit auf die Ware habe, obwohl der andere ihm den Zugriff durch Aufstellung eines Wächters oder Auswechseln des Schlosses noch verwehren könne 89 . Anhand dieses Leitbildes will Goldschmidt auch andere, ähnliche und für die Praxis des Handelsverkehrs wichtige Fälle, in denen Besitzerwerb ohne unmittelbaren Zugriff auf die Sache angenommen wurde, erklären. Dazu gehören das Zeichnen der Ware 90 und die Übergabe einer Urkunde, in der der Anspruch auf die Herausgabe der Ware gegen einen Dritten verbrieft sei91 : Der Besitzerwerb erfolge auf diese Weise nur, wenn der Wille der Beteiligten und die Verkehrsanschauung sie als ausreichend ansähen, um eine gegenwärtige, wenn auch "ideale" Einwirkungsmöglichkeit auf die betroffenen Sachen zu begründen 92 • Die außerordentlich interessante Stelle aus dem Codex Justinianus C. 8, 53, 193 , nach der durch Übergabe der Schenkungsurkunden der Besitz an den verschenkten Sklaven übergehen soll, erklärt Goldschmidt zunächst damit, daß die Sklaven bei Urkundenübergabe anwesend gewesen seien94 . Auf dieser Grundlage, deren erheblicher Vertiefung seine umfangreichen, niemals abgeschlossenen Grundlagen der Besitzlehre in den 80er Jahren dienen sollte95 , baute Goldschmidt nun seine Lehre von der dinglichen Wirkung der Konnossemente, Ladescheine und Lagerscheine auf.
88 s. noch § 199 Fall 3 Sächs. BGB und dazu ROHGE 25, S. 351 ff., 357: "Auch wird im § 199 die symbolische Uebergabe beweglicher Sachen ausdrücklich anerkannt, und es ist nicht anzunehmen, daß die Zulässigkeit derselben auf die dort erwähnten Beispiele hat beschränkt werden sollen." 89 Dieses und weitere Beispiele in Handbuch, I. Aufl., I 2, 1868, S. 638 f. 90 Handbuch, I. Aufl., I 2, 1868, S. 644 ff. 91 Handbuch, I. Aufl., I 2, 1868, S. 639 f. 92 Handbuch, I. Aufl., I 2, 1868, S. 640, 648 ff.; vgl. heute § 854 Abs. 2 BGB. 93 Severus et Antoninus, a. 210: "Emptionum mancipiorum instrumentis donatis et traditis et ipsorum mancipiorum traditionem factarn intellegis: et ideo potes adversus donatorem in rem actionem exercere" (zur Titelzählung s. die Ausgabe von Paul Krüger, Corpus Juris Ci vilis 11, 12. Aufl., S. 338 in Fußn. 4 zu C. 8, 10, 14). 94 Handbuch, I. Aufl., I 2, 1868, S. 640; die Begründung der Änderung seiner Ansicht in einer umfangreichen Exegese dieser Stelle bildet ein Kernstück seiner Grundlagen der Besitzlehre (vorab veröffentlicht in Studien zum Besitzrecht 1888, S. 4 - 16): Sie zeugt von der Verfeinerung, die seine Überlegungen in der Überarbeitung dieses Teils seines Handbuches erfahren hatten. 95 Studien zum Besitzrecht 1888, Einleitung S. 2.
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c) Die dingliche Wirkung des Konnossements Noch 1866 hatte Goldschmidt es nur für möglich gehalten, daß die dingliche Wirkung der Traditionspapiere mit den Prinzipien des römischen Rechts vereinbar sei96 . In seinem Handbuch geht er zwei Jahre später nun davon aus, daß dieser Satz richtig sei, und versucht, ihn eingehend zu begründen. Am Anfang seiner Erörterungen steht die Feststellung, daß allein die dingliche Wirkung des Konnossements einem dringenden Handelsbedürfnis entspreche: ,,Je umfangreicher die Rechte sind, welche sich an den Connossementserwerb knüpfen, um so sicherer entspricht das Connossement seinem wirthschaftlichen Zweck, ein Werkzeug des merkantilen Güterumlaufs zu sein,m. Die dingliche Wirkung der Konnossementsübergabe ergebe sich zum einen aus einem in ganz Deutschland und Europa geltenden Satz des positiven Rechts, der Partikularrechte und eines gesamteuropäischen Gewohnheitsrechts98 . Der Nachweis dieses Gewohnheitsrechtssatzes in Verbindung mit den beiden schon vorher aufgestellten Sätzen, daß das ADHGB insoweit am Handelsgewohnheitsrecht nichts geändert habe 99 und das positive Recht ohne weiteres verbindlich sei 100, würde nun eigentlich für die Annahme seines Bestehens ausreichen. Der Einwand Thöls, die dingliche Wirkung des Konnossements könne nicht Gewohnheitsrecht sein, weil sie sich nicht konstruieren lasse lOl , sei eben deshalb unrichtig, weil ein Gewohnheitsrechtssatz unabhängig von seiner inneren Wahrheit ge1te I02 . Es ist nun bezeichnend für die Befangenheit von Goldschmidts Denken in den Strukturen des römisch-gemeinen Rechts seiner Zeit, daß er es nicht bei dieser Feststellung beläßt. Er fügt hinzu, daß ein vom Handelsgewohnheitsrecht anerkannter Satz natürlich auch dann ein Satz des positiven Handelsrechts bleibe, wenn er sich auch als Satz des wissenschaftlichen Rechts, sei es des aus den Verhältnissen des Verkehrs erschlossenen "immanenten" Rechts oder des aus allgemeinen Grundsätzen logisch-deduktiv konstruierten Rechts, erweisen lasse. Ein solcher Versuch entspreche "immerhin natürlichen" Intentionen 103: "Man sucht Anomalien Erwerb II, 1865/66, s. 19 f. Handbuch, 1. Aufl., I 2, 1868, S. 700; so auch schon Büsch, SämmtIiche Schriften über die Handlung, 2. Theil, 3. Aufl., 1824, S. 363, u. später Endemann, Handelsrecht, 4. Aufl., S. 96 u. 335 ff., zu dessen Theorie von der "Mobilisierung der Sachenrechte" dieser Gedanke gut paßt. 98 Handbuch, 1. Aufl., I 2, 1868, S. 707 ff. mit zahlreichen Nachweisen. 99 Handbuch, 1. Aufl., I 2, 1868, S. 635 ff. 100 Handbuch, 2. Aufl., I, 1874, S. 303. 101 Thöl, Handelsrecht I, 4. Aufl., S. 473 f.; s. auch die Protokolle der ADHGB-Kommission bei Lutz, Protokolle V (1861), S. 2217 f., 2219 ff. (Unkonstruierbarkeit und praktisches Bedürfnis). 102 Handbuch, 1. Aufl., I 2, 1868, S. 713; freilich bestreitet Thöl, Handelsrecht I, 4. Aufl., S. 474 f. auch die Existenz entsprechenden Gewohnheitsrechts. 103 Handbuch, 1. Aufl., I 2, 1868, S. 713. 96 97
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- zumal in der Besitzlehre - zu vermeiden, den schwierigen Beweis des Gewohnheitsrechts zu ersparen. Man zagt vor der einfachen Behauptung zurück, teile est la coutume. Auch kann der Gewohnheitsrechtssatz durch wissenschaftliche Deduction gestützt werden"I04. Mit diesen Sätzen, die eigentlich ganz im Geiste der handeisrechtlichen Schriften Thöls stehen 105, leitet Goldschmidt zu einer Konstruktion des Satzes aus den Prinzipien des römischen Rechts über. Ausgangspunkt von Goldschmidts Konstruktion 106 ist der Blick sowohl auf den Schiffer als auch auf den Ablader. Wenn der Schiffer das Konnossement - genauer dessen mehrere Exemplare - ausgestellt und dem Ablader übergeben habe, sei er verpflichtet, die abgeladenen Güter nur noch an die Person herauszugeben, die durch die Innehabung des Konnossements legitimiert sei. Er übe deshalb die Detention von diesem Augenblick an nicht mehr für den Ablader als solchen aus, sondern für den jeweiligen berechtigten Inhaber des KonnossementslO7 • Dieser jeweilige berechtigte Inhaber des Konnossements sei daher Besitzer der transportierten Güter. Das entspreche auch dem Willen des Abladers: Da er zunächst noch sämtliche Konnossementsexemplare in Händen habe, könne er wählen, ob er Besitzer der abgeladenen Güter bleiben wolle, indem er die Konnossemente selbst behält oder sie einem weiteren Detentor zur Entgegegennahme der Güter vom Schiffer überläßt, oder ob er die Konnossemente auf einen Dritten überträgt, der mit dem Erwerb dieser Legitimation den nun von dem Schiffer für ihn ausgeübten Besitz an den Gütern erlangt 108: "Die Connossementsbewegung ist so Bewegung der Waarendetention und nur dieser,,109. Ob in diesem Fall außer dem Besitz auch das Eigentum übergehe, hänge von dem Geschäft ab, in dessen Rahmen die Konnossementsübergabe erfolge llO • Die dingliche Wirkung der Konnossementsübergabe entspreche damit den allgemeinen Grundsätzen des gemeinen Rechts über den Besitzerwerb durch Stellvertreter: Da sowohl Besitz wie Detention nicht rein faktische, sondern in ihren Folgen auch von Rechtsregeln bestimmte Verhältnisse seien, sei die mit dieser Konstruktion verbundene Annahme einer Detention für eine Person, die bis zur Vorlage des legitimierenden Konnossements unbestimmt bleibe, unbedenklich, denn es geHandbuch, 1. Aufl., I 2, 1868, S. 713 f. in Fußn. 29. Verwandt mit Goldschmidts Ausführungen an dieser Stelle u. ebenfalls von Thöl beeinflußt ist auch Jherings Einleitung in diese Materie, Übertragung, Jbb. Dogm. 1 (1857), S. 176 f., wo Jhering von einem Nebeneinander von Produktion der Rechtssätze durch den Handel u. ihrer Konstruktion durch die Rechtswissenschaft ausgeht. 106 Handbuch, 1. Aufl., I 2, 1868, S. 718 - 732, insbes. S. 721 - 726. 107 Handbuch, 1. Aufl., I 2, 1868, S. 721 f. 108 Handbuch, 1. Aufl., I 2, 1868, S. 722 f. 109 Handbuch, 1. Aufl., I 2, 1868, S. 722 f.; dabei ist klarzustellen, daß der "bewegte" Teil der Detention nicht die Stellung des (letzten, unmittelbaren) Detentors ist, denn dies ist und bleibt der Schiffer; was wechselt, ist die Person des Besitzers, für den der Schiffer die Detention ausübt. 110 Handbuch, 1. Aufl., I 2, 1868, S. 722. 104 105
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be auch eine Übergabe der Sachen selbst an einen unbestimmten Besitzerwerber lll oder eine Geschäftsführung für eine noch unbestimmte Person l12 . Der durch Innehabung des Konnossements bewirkte Besitz ende natürlich, wenn die Detention des Schiffers ende, etwa durch Veruntreuung der Güter durch den Schiffer oder den Verlust der Güter. An derartige Tatbestände knüpften sich dann die Folgen der allgemeinen Rechtssätze der Fahmisverfolgung ll3 . Goldschmidt hatte sich freilich auch mit einigen anerkannten Sätzen des Konnossementsrechts auseinanderzusetzen, die seiner Lehre zu widerstreiten schienen: Das war zum einen der nur partikularrechtlich ausgesprochene Satz, daß der unbezahlte Absender im Konkurs des Empfängers des Konnossements das Recht auf Aussonderung seiner Güter habe. Goldschmidt spricht ihm die innere Berechtigung ab und erklärt ihn als bloße Ausnahmeregelung des positiven Rechts, das ein Verfolgungsrecht gegen den in Konkurs gefallenen Empfänger auch unabhängig davon gewähren könne, ob dieser schon Besitz und Rechte an der Ware erworben habe 114. Bedeutender war das Problem nach der Rechtslage in dem Fall, daß verschiedene Ausfertigungen des Konnossements in unterschiedliche Hände geraten sind und die Inhaber sich jetzt um die Auslieferung der Ware streiten. Diesem auch praktisch wichtigen Problem hat Goldschmidt einen eigenen Paragraphen seines Handbuchs gewidmet 1l5 . In diesem versucht er anhand geschickter Differenzierungen die anerkannten Regelungen mit seiner Lehre in Einklang zu bringen und die sich aus Artt. 650 f. ADHGB ergebenden Modifikationen wiederum als Regeln des positiven Rechts zu erklären, die auf Zweckmäßigkeitserwägungen beruhten. Grundsätzlich entscheidend sei die Reihenfolge der Konnossementsbegebungen. Lasse diese sich nicht feststellen und habe noch keiner der Konnossementsinhaber die Güter ausgeliefert erhalten, so seien die Inhaber der verschiedenen Exemplare nicht Mitbesitzer der Ware. Die incerta persona, deren Detentor der Schiffer sei, sei in diesem Fall vielmehr nicht feststellbar. Die Folge sei die gleiche wie die in dem freilich hypothetischen Fall 1l6, daß ein Konnossement überhaupt nicht ausgestellt sei; die streitenden Konnossementsinhaber seien daher auf ihre unabhängig von dem Papier bestehenden Ansprüche gegen ihre Vormänner zu verweisen 117 , soweit nicht partikularrechtliche Regelungen eingriffen 118. Der Frage, wer Besitzer 111 Der Verweis Handbuch, 1. Aufl., I 2,1868, S. 723 in Fußn. 54 muß richtig heißen: § 66 (nicht § 65) Note 8, S. 614 f. (S. 1233 übersehen). 112 Handbuch, 1. Aufl., I 2, 1868, S. 723. 113 Handbuch, 1. Aufl., I 2, 1868, S. 723 f. 114 Handbuch, 1. Aufl., I 2, 1868, S. 724 - 726. 115 Handbuch,!. Aufl., I 2, 1868, § 74, S. 726 - 732. 116 Vgl. etwa Goldschmidts eigene Ausführungen Handbuch, 1. Aufl., I 2, 1868, S. 701 in Fußn. 7 am Ende. 117 Handbuch, 1. Aufl., I 2, 1868, S. 733 in Fußn. 26 zu § 74. 118 Handbuch,!. Aufl., I 2, 1868, S. 732.
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der Güter sei, wenn sich nicht feststellen lasse, zu welchem Zeitpunkt die Konnossementsexemplare an verschiedene Personen begeben wurden und damit ihre Funktion als Überträger der Detention des Schiffers endete, geht Goldschmidt indessen nicht weiter nach. Auch die dann erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts und nach Inkrafttreten des HGB 1897 diskutierten Folgeprobleme schließt Goldschmidt von seiner Darstellung weitgehend aus l19 . Nur auf die erweiterte Möglichkeit des Erwerbs vom Nichtberechtigten geht er näher ein l20 . Den problematischen Fall der doppelten Verfügung des Abladers über die Güter einmal durch Konnossementsbegebung und einmal durch anderweitige Übertragung des vom Schiffer ausgeübten Besitzes 121 löst er in seiner Lehre konsequent so, daß er nur die Verfügung mittels Konnossement wirksam sein läßt; denn der Schiffer übe den Besitz an den abgeladenen Gütern nur für den Konnossementsinhaber aus, so daß Verfügungen auf andere Art ausgeschlossen seien 122 . Aus ähnlichen Erwägungen heraus hat der Bundesgerichtshof in einem Urteil aus dem Jahre 1967 entschieden, daß eine Verfügung über Waren, für die ein Orderlagerschein er entfaltet nach § 424 HGB Traditionswirkung - nicht durch Abtretung des Herausgabeanspruchs nach § 931 BGB ohne Übergabe des Papiers erfolgen könne, da der Herausgabeanspruch und das Papier "untrennbar" miteinander verbunden seien und der "unmittelbare Besitz am eingelagerten Gut ... durch den unmittelbaren Besitz am Orderlagerschein repräsentiert" werde I23 . Auch ein gutgläubiger Erwerb nach § 934 BGB scheide aus, denn diese Vorschrift schütze nicht den guten Glauben daran, daß es keinen Orderlagerschein für das eingelagerte Gut gebe l24 . Goldschmidt äußert sich zu dieser Frage für das Konnossement ähnlich, aber mit einem anderen Anknüpfungspunkt, indem er anführt, daß der Erwerber schwimmender Ware bei einem Erwerb ohne Übergabe des Konnossements kaum in gutem Glauben sein werde 125. Verwandt ist die BGH-Entscheidung mit den Grundgedanken Goldschmidts auch insofern, als hinter dem Gesichtspunkt der "untrennbaren" Verbindung von Traditionspapier und Herausgabeanspruch gegen den Schiffer der Gedanke steht, daß nur die Innehabung des Papiers den Zugang zur Ware eröffnet, der Besitz 126 an der Ware also gleichsam "am Papier hängt,,127.
Vgl. etwa Handbuch, 1. Aufl., I 2, 1868, S. 729 in Fußn. 15. Handbuch, 1. Aufl., I 2,1868, S. 717 f. 121 nach gemeinem Recht durch Besitzkonstitut, heute stellt sich das Problem bei Verfügung unter Übertragung des mittelbaren Besitzes nach §§ 931, 870 BGB. 122 Handbuch, 1. Aufl., I 2, 1868, S. 722. 123 BGHZ 49, S. 160 ff., 162 f. (U. v. 27. 10. 1967). 124 BGHZ 49, S. 163. 125 Handbuch, 1. Aufl., I 2, 1868, S. 701 in Fußn. 7 am Ende. 126 nach heutigem Recht: der mittelbare Besitz. 127 Eingehend zu dem angesprochenen Problem Karsten Schmidt, Handelsrecht, § 23 III 4, S. 625 - 628, insbes. S. 626 f. 119
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d) Der Lagerschein und der Ladeschein Mit den ausführlichen Darlegungen in seinem Handbuch hat Goldschmidt zunächst zu begründen versucht, daß der in Art. 649 ADHGB singulär ausgesprochene Rechtssatz in Einklang mit den Prinzipien des gemeinen Rechts stehe. Dadurch hat er der Ausdehnung dieses Rechtssatzes auf alle Arten von Konnossementen sowie Lagerscheine und Ladescheine konstruktiv den Weg geöffnet. Daß auch sie Traditionspapiere seien, legt Goldschmidt in engem Anschluß an seine Ausführungen zum Konnossement und unter ständigem Verweis auf sie dar. Er geht dabei aber auch auf die Besonderheiten ihrer geschichtlichen Entwicklung ein und bringt insbesondere zum Lagerschein zahlreiche rechtsvergleichende Hinweise 128 . Dem Ladeschein hat Goldschmidt sich noch einmal in seinen in der ZHR veröffentlichten "Miscellen zur Theorie der Werthpapiere" 1884 zugewandt l29 . In dieser Abhandlung geht es hauptsächlich um die Frage, ob auch der dem Konnossementsrecht entstammende Art. 645 ADHGB, wonach der Verfrachter für die Richtigkeit der im Konnossement enthaltenen Bezeichnung der abgeladenen Güter hafte, analog auf den Befrachter angewandt werden könne, der einen Ladeschein ausgestellt hat. Goldschmidt verneint diese Frage wie das Reichsgericht l3O, aber mit abweichender Begründung. Er gibt insoweit ein von ihm als Richter am ROHG angefertigtes Votum wieder l31 • In diesem widerruft er seine noch im Handbuch vertretene Ansicht, einer Analogie zu den Konnossementsbestimmungen zuzuneigen 132. Denn sein Bruder, der inzwischen Geheimer Komerzienrat in Danzig und Vorsteher der Ältesten der Danziger Kaufmannschaft sowie Richter am Kommerz-Kolleg geworden war 133 , habe ihn darüber aufgeklärt, daß in der Weichselschiffahrt ein entgegenstehender Handelsbrauch geübt werde 134 . Auf die Traditionswirkung des Ladescheins geht Goldschmidt zu Beginn dieser Abhandlung ein, indem er Nachweise für ihre inzwischen erfahrene Anerkennung durch Rechtsprechung, Lehre 135 und Gesetzgebung liefert 136. In diesem Rahmen äußert er sich auch zu der mit seiner Erklärung der Traditionswirkung konkurrierenden Theorie Exners. Dieser hatte sie auf "eine vom modemen Handelsverkehr 128 Handbuch,!. Aufl., I 2, 1868, § 75, S. 757 - 768, insbes. S. 766 f. (Ladeschein); § 76, S. 773 - 786, insbes. S. 774 (Lagerschein). 129 Miscellen 11 1882/84: V. Der Ladeschein. 130 RGZ 5, S. 80 - 82; Goldschmidt, Miscellen 11 1882/84, S. 24 - 26. 131 Miscellen 11 1882/84, S. 27 - 34; dieses ist auch benutzt von Hahn, Commentar 11, S. 683 Note 5. 132 Handbuch,!. Aufl., I I, 1868, S. 764 in Fußn. 94 zu § 75. 133 Meyer Goldschmidt, gestorben 1884, hatte das väterliche Getreide-Kommissionsgeschäft übernommen. 134 Miscellen 11 1882/84, S. 29 in Fußn.*. \35 freilich nicht durch Thöl: Handelsrecht t 6. Aufl., § 271. 136 Miscellen 11 1882/84, S. 18 - 24.
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erzeugte neue Form des dinglichen Vertrags" gestützt l37 und von diesem Standpunkt aus Goldschmidts Lehre einer gründlichen Kritik unterzogen und dabei deren Schwachpunkte aufgezeigt, insbesondere die Konstruktion der Besitzverhältnisse und die Abhängigkeit des Besitzes von der berechtigten Innehabung des Traditionspapiers 138 . Exners Theorie selbst beruhte im wesentlichen allerdings nur auf einer bloßen Analogie zu den Fällen, in denen die Traditionswirkung vom Gesetz anerkannt war und verzichtete auf eine weitergehende konstruktive Begründung l39 . Sie bot deshalb keine Argumentationshilfen, wenn es um die Beantwortung von Fragen ging, die noch nicht, und sei es nur für einen Sonderfall, gesetzlich fixiert waren. Die Rechtsprechung stützte sich daher ganz vornehmlich auf die von Goldschmidt entwickelten Lehren. e) Die gemeinrechtliche Grundlage von Goldschmidts Lehre Goldschmidts Konstruktion der dinglichen Wirkung der Traditionspapiere ist geschickt in den von manchem Ballast angefüllten Aufbau des Kapitels über "Besitz und Verfügung" in seinem Handbuch des Handelsrechts eingefügt. Immer wieder kann er aus dem § 73, dem Kern seiner Ausführungen zur Traditionswirkung, auf frühere Bemerkungen ausdrücklich oder konkludent zurückverweisen. Die mit vielen Hinweisen auf die tatsächlichen Verhältnisse "induktiv" angelegte Darstellung von Praxis und gesetzlicher Regelung, die durch die zahlreichen rechtsvergleichenden und historischen Nachweise den Eindruck einer Entwicklung von langer, ungebrochener Kontinuität erweckt, gibt der These, daß der Schiffer Detentor des jeweils berechtigten Konnossementsinhabers sei, ein hohes Maß an Plausibilität; dies wird dadurch unterstützt, daß Goldschmidt die Darstellung der mit dem Konnossement verbundenen schuldrechtlichen Fragen in das sachenrechtliche Kapitel über den Besitz und seine Übertragung verwoben hat l40 . Besonders wirkungsvoll für die Überzeugungskraft von Goldschmidts Äußerungen ist aber sein stillschweigender Rekurs auf den Leitfall von der Übergabe der Schlüssel zu verschlossen aufbewahrten Gütern, worin nach der Verkehrsanschauung auch eine Besitzübertragung an den Gütern selbst gesehen werde. Seine Konstruktion der dinglichen Wirkung der Traditionspapiere ist im Grunde eine reine Analogie zu diesem Fall: An die Stelle des verschlossenen Raumes tritt das Schiff, weshalb es auch ganz natürlich sei, daß die Traditionswirkung nur bei Gütern eintreten könne, die auch tatsächlich abgeladen worden seien 141; das Schloß ist der 137 Adolf Exner, Die Lehre vom Rechtserwerb durch Tradition, Wien 1867, S. 186 - 211, insbes. S. 208 ff. 138 Adolf Exner, Besprechung von L. Hauser, Die Stellvertretung im Besitze, Leipzig 1870, in: Krit. Vjs. f. Gesetzgebung u. Rechtswiss. 13 (1871), S. 305 - 319, insbes. S. 313 ff. 139 s. Goldschmidt, Miscellen II 1882/84, S. 22 f. in Fußn. 5. 140 Handbuch, I. Aufl., I I, 1868, §§ 71, 72, S. 666 - 699. 141 So ausdrücklich Art. 649 ADHGB, vgl. Goldschmidt, Handbuch, I. Aufl., I I, 1868, S. 701 in Fußn. 6 a.
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Schiffer, dessen Einschaltung als Person konstruktiv dadurch unproblematisch zu sein scheint, daß infolge der oben angerissenen Strukturen des römisch-gemeinen Besitzrechts die faktische unmittelbare Sachherrschaft des Detentors rechtlich nur die Ausübung der Sachherrschaft des Besitzers ist; der Schlüssel schließlich ist das Konnossement 142, dessen Vorlage den Schiffer berechtigt und verpflichtet, die transportierten Güter dessen Inhaber herauszugeben. Eigentlicher Schwachpunkt dieser Theorie ist jedoch gerade der Aspekt, den Goldschmidt in den Mittelpunkt seiner Lehre stellt, weil er zutreffend erkannt hat, daß an seiner Erklärung alle anderen Theorien scheitern mußten l43 . Es ist die Rolle des Schiffers, nämlich die Erklärung dafür, in welcher Weise der Empfanger des Konnossements mit dem Schiffer, der von ihm nichts weiß, in eine Beziehung tritt, die ihn gerade zu seinem "Stellvertreter im Besitz" macht. Denn anders als das Schloß im Leitfall, das seine Existenz unabhängig von einem Schlüssel oder dessen Innehabung behält, setzt die Detention ein Verhältnis zwischen Detentor und Besitzer voraus. Ob aber ein solches Verhältnis nach römischem Recht auch dann angenommen werden kann, wenn während der Detention der Besitzer wechselt, ohne daß der Detentor davon erfährt, ist zweifelhaft. Die von Goldschmidt hierzu angeführte Stelle D. 41, 2, 30, 6 Satz 1144 sagt nämlich nur aus, daß der Verleiher einer Sache auch dann Besitzer bleibe, wenn der Entleiher sie an einen Dritten weiterverleiht, der ihn für deren Eigentümer l45 hält. Das spricht zwar nicht gegen Goldschmidts Konstruktion, gibt aber auch positiv nichts dafür her, ob ein Verhältnis zwischen Besitzer und Detentor auf der Grundlage gebildet werden kann, daß die Person des schließlichen Besitzers offen gehalten wird. Deshalb sind auch die von Goldschmidt angeführten Vergleichsfälle l46 der traditio ad incertam personam l47 und der Geschäftsführung für einen unbekannten Geschäftsherrn l48 wenig beweiskräftig. "Unmöglich", um einen vielgebrauchten Kritikpunkt der begriffsjuristischen Konstruktionslehren zu benutzen, ist Goldschmidts Lehre allerdings auch nicht. Eine engere Bindung an das römische Recht versuchte Goldschmidt in seiner nochmaligen Behandlung der Stelle C. 8, 53, 1 in seiner Grundlegung der Besitz142 So ausdrücklich Handbuch, 1. Aufl., I 1, 1868, S. 719: "Auch ist das Connossement ... ein rechtlicher Schlüssel zum Magazin der Waare (Schiff) ... ". Ebenso Jhering, Uebertragung, Jbb. Dogm. 1 (1857), S. 179. 143 Handbuch, 1. Aufl., I 1, 1868, S. 719 - 721, 721. 144 Handbuch, 1. Aufl., I 1, 1868, S. 723 in Fußn. 53: ,,si ego tibi commodavero, tu Titio, qui putet tuum esse, nihilo minus ego id possidebo". Ihr folgen weitere Fälle, die wir heute unter § 871 BGB fassen würden. 145 oder doch Besitzer, jedenfalls nicht bloßen Detentor. 146 Handbuch, 1. Aufl., 11,1868, S. 723. 147 D. 41, 1,9,7; 41, 7, 5, 1; weniger Fälle der Übereignung an "den, den es angeht", als Dereliktion im Bewußtsein nachfolgender Aneignung durch eine noch unbestimmte Person. 148 insbes. D. 10,3,29 pr.; 3, 5, 5, 1; hauptsächlich Irrtumsfälle im Sinne von § 686 BGB des heutigen Rechts.
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lehre l49 . In der Exegese dieses Falles, in dem durch die Übergabe der Schenkungsurkunden auch die verschenkten Sklaven als übergeben angesehen werden sollen, kommt Goldschmidt jetzt zu dem Ergebnis, daß dem ganzen entweder ein unausgesprochenes Besitzkonstitut zugrundeliege 150 oder daß nach "einer mehr naiv intuitiven Auffassung" unter Zugrundelegung eines sozialen, durch die Verkehrsanschauung geprägten Besitzbegriffs die Römer in der Urkundenübergabe bereits den Übergang der Gewalt über die Sklaven selbst gesehen hätten 151. Als Vergleich für die letzte, von ihm bevorzugte Ansicht gibt Goldschmidt wieder die Schlüsselübergabe an und eben die "Gewalt" des legitimierten Konnossementsinhabers l52 • Damit hat Goldschmidt eine geschickte Grundlage für die Konstruktion der Traditionswirkung in der geplanten zweiten Auflage seines Handbuchs gelegt; denn seine Grundannahme von 1868, der Gewaltbegriff des römischen Rechts sei durch die Anschauungen des Verkehrs so weit und elastisch, daß ein Wechsel der Innehabung der Gewalt durch bloß "mittelbare" Übertragung des Besitzes an der betroffenen Sache möglich sei, die er damals noch als nur vereinbar mit den Quellen des römischen Rechts hinstellte, hat er jetzt in diese selbst hineingelegt. Die intuitive Grundlage, auf der seine Konstruktion schon damals versteckt beruhte, hätte er dann ganz offen als in C. 8, 53, I den Quellen zumindest des nachklassischen Rechts zugrundeliegend annehmen und sein Ergebnis dann aus diesen logisch-deduktiv für andere Fälle der Urkundenübergabe herleiten können. Freilich wäre der in dem ganzen versteckt enthaltene Zirkelschluß, der von der Verkehrs sitte angenommene Satz lasse sich dogmatisch konstruieren, durch die Stützung der Konstruktion auf die - nun allerdings römische - Verkehrssitte, dann noch offener zutage getreten. In den Ausführungen des Handbuchs jedenfalls bleibt Goldschmidts Konstruktion im Ergebnis nur höchst mittelbar an die Quellen des römischen Rechts geknüpft und damit schwach. Sie ist im Grunde nicht viel mehr als eine in gemeinrechtliche Begriffsformeln gegossene Umschreibung einer von den beteiligten Kreisen des Handelsverkehrs intuitiv für richtig gehaltenen Regel. Sie bildet damit ein unfreiwilliges Beispiel für Goldschmidts eigene These, daß das immanente Recht beständig danach strebe, sich durch Erstarkung zum positiven Recht, hier in der Form des gemeinen Rechts als Gewohnheitsrecht, Geltung zu verschaffen. Die Anbindung von Goldschmidts Konstruktion an das gemeine Recht hatte dennoch ihre große Bedeutung. Auf ihr beruht die Wirkungs geschichte seiner Lehre. Die Auffassung, ein Rechtssatz sei erst dann wirklich anzuerkennen, wenn er sich in Übereinstimmung mit den anerkannten Lehren des gemeinen Rechts darstellen lasse, findet sich im 19. Jahrhundert ja nicht nur bei Goldschmidt oder, ausgeprägter, bei Thöl, sondern ist communis opinio bei allen führenden Juristen 149
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Besitzlehre 1884, S. 192 - 228 = Studien zum Besitzrecht 1888, S. 4 - 16. Studien zum Besitzrecht 1888, S. 14 f. Studien zum Besitzrecht 1888, S. 15 f., 16. Studien zum Besitzrecht 1888, S. 15.
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Deutschlands an den Universitäten und an den höheren Gerichten. Gerade der Umstand, daß in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die zuvor anerkannte dingliche Wirkung der Konnossementsübertragung durch die Oberappellationsgerichte unter dem Einfluß der von Savigny geprägten neuen gemeinrechtlichen Besitztheorien in Frage gestellt wurde, zeugt davon. Goldschmidts Ansatz war zwar nicht der einzige Versuch einer Herleitung der Traditionswirkung aus dem gemeinen Recht l53 , aber er lieferte nicht nur die einfachste Erklärung, ohne in offenen Widerspruch zu den römischen Quellen zu treten, sondern er beschränkte das ganze Problem auch auf das Gebiet des Sachenrechts. Die anderen Theorien entwickelten ihre Konstruktionen dagegen unter Rekurs auf Normen des Schuldrechts, insbesondere des Auftragsrechts oder neu postulierter Vertragstypen; sie drohten deshalb im Falle ihrer Anerkennung nicht absehbare Auswirkungen auf die Dogmatik weiterer Bereiche des gemeinen Rechts nach sich zu ziehen 154. Goldschmidts Lehre brachte zwar die Gefahr mit sich, daß durch sie der Kreis der Traditionspapiere erheblich ausgeweitet werden konnte l55 . Ihr hatte Goldschmidtjedoch durch die Aufzählung der Erfordernisse vorgebeugt, die zur Annahme der Traditionswirkung notwendig seien. f) Die Wirkungsgeschichte von Goldschmidts Lehre
Obgleich sich zahlreiche Autoren Goldschmidts Ausführungen anschlosseni 56, erlangte Goldschmidts Theorie ihre große Bedeutung nicht auf dem Gebiet der Dogmatik, sondern auf dem der handelsgerichtlichen Praxis 157 . Wenn in der Folgezeit das Reichsoberhandelsgericht und das Reichsgericht nicht aus Art. 649 ADHGB den Umkehrschluß zogen und allen anderen Papieren außer dem Orderkonnossement die Traditionswirkung absprachen, sondern weitere Papiere als Traditionspapiere anerkannten, geschah dies in den Leitentscheidungen stets unter Berufung auf Goldschmidt.
153 Darstellung weiterer Ansichten bei Goldschmidt, Handbuch, 1. Aufl., I 2, 1868, S. 718 - 721; Heymann, Dingliche Wirkung, S. 138 - 141. 154 s. Exner, Krit. Vjs. f. Gesetzgebung u. Rechtswiss. 13 (1871), S. 305 - 319, 317. Ein Beispiel aus dem neueren dt. Recht ist das als enge Ausnahme zum Publizitätsprinzip bei § 164 BGB entwickelte "Geschäft für den, den es angeht", das zu den verschiedensten Konstruktionen bemüht wird, z. B. bei dem sogenannten "Rückerwerb des Nichtberechtigten". Auch wegen derartiger Auswirkungen ist der Rat von Javolen D. 50,17,202 zu beachten. 155 So die Kritik Exners, Krit. Vjs. f. Gesetzgebung u. Rechtswiss. 13 (1871), S. 305 - 319, 317 f. 156 (William) Lewis, Das Transportgeschäft, in: Handbuch des Deutschen Handels-, Seeund Wechselrechts, hrsg. v. W. Endemann, 4. Bd., 1. Abth., Leipzig 1884, S. 123 - 234,186193, insbes. S. 189 in Fußn. 15; Wilhelm Endemann, Handelsrecht, 4. Aufl., § 97, insbes. S. 342 Fußn. 19, 343 Fußn. 23. 157 Heymann, Dingliche Wirkung, S. 137 f.
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Die erste dieser Entscheidungen, ein Urteil des ROHG aus dem Jahre 1873 158 , kam indessen noch ohne Goldschmidts Konstruktion aus l59 , denn sie erging nach bremischem Recht. Dieses erkannte die Traditionswirkung jedes Konnossements für die Eigentumsübertragung durch einen ausdrücklichen Verweis auf das entsprechende bremische Gewohnheitsrecht 160 an und statuierte sie für die Verpfändung nochmals ausdrücklich 161. In dieser Entscheidung, in der es um die Übertragung des Warenbesitzes durch Übergabe eines nicht an Order lautenden Konnossements ging, vertrat das ROHG im Gegensatz zu den Vorinstanzen die Auffassung, daß durch die Einführung des ADHGB und seines Art. 649 die weitergehenden Bestimmungen des Bremer Rechts nicht aufgehoben worden seien, da mit dieser Bestimmung nur ein einheitliches Minimalrecht habe geschaffen werden sollen l62 . Es berief sich für diese Ansicht außer auf die Materialien auf Thöl 163 und insbesondere auf Goldschmidts Ausführungen in dessen Handbuch des Handelsrechts l64 . Damit hatte es folgenden Entscheidungen den Weg in zweierlei Hinsicht gewiesen: Das ROHG hatte seine Begründung nicht auf eine analoge Anwendung zu Art. 649 ADHGB gestützt, dessen Wortlaut einen Umkehrschluß auch sehr viel näher gelegt hätte 165, und es hatte erklärt, daß insoweit das neben dem ADHGB bestehende Recht maßgeblich sein solle. Dies ließ in den Gebieten, in denen ein entsprechendes positives Partikularrecht nicht galt, die Konstruierbarkeit dieses Rechtssatzes aus allgemeinen Rechtsprinzipien praktisch relevant werden. Eine Entscheidung, in der es auf die konstruktive Begründung der dinglichen Wirkung der Urkundenübergabe ankam, erging dann 1879 für die Traditionswirkung eines Inhaber-Lagerscheins nach sächsischem Recht l66 . Dieses erforderte, dem gemeinen Recht folgend, für den Erwerb des Eigentums an beweglichen Sachen Einigung und Übergabe 167 und es wies für die Traditionswirkung von Lagerscheinen keine Regelung auf. Aus Art. 649 ADHGB den Umkehrschluß zu ziehen, lehnte das ROHG unter Berufung auf die früher ergangene Entscheidung zum BreROHGE 11, S. 413 - 420. Anders Heymann, Dingliche Wirkung, S. 138 Fußn. 2. 160 §§ I, 2 Abs. I u. 2 der Verordnung in Betreff des Uebergangs des Eigenthums an beweglichen Sachen v. 19.125. 8. 1848 (Sammlung der Verordnungen des Senats der freien Hansestadt Bremen 1848, Bremen 1849, S. 68 - 72). 161 §§ 127, 128 lit. d Nr. 1 Fall 1 der Erbe- u. Handfesten-Ordnung 1833 (Sammlung der Verordnungen des Senats der freien Hansestadt Bremen 1833, Bremen 1834, S. 30 - 90) = §§ 122, 123 lit. d Fall 1 der Erbe- u. Handfestenordnung 1860 (Bremen 1860) (dort nur "Connossement"). 162 ROHGE 11, S. 413 - 420, 416 f. 163 Handelsrecht, 4. Aufl., § 80 Anm. 1. 164 Handbuch, 1. Aufl., I 2, 1868" § 66, Seite 635 - 637. 165 Vgl. heute § 424 HGB 1897: Traditionswirkung nur des Orderlagerscheins (s. Schmidt, Handelsrecht S. 619 f.). 166 ROHGE 25, S. 351 - 358. 167 § 253 Sächs. BGB (entspricht § 929 S. 1 BGB). 158 159
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mer Recht ab 168 . Es klassifizierte den Inhaber-Lagerschein als eigentliches Inhaberpapier, dessen Inhaber l69 gegen den durch die Urkunde Verpflichteten als Berechtigter galt. Es folgerte daraus und aus der einschlägigen Lagerhofs-Verordnung die Verpflichtung des Lagerhalters zur unbedingten Herausgabe der eingelagerten Güter an den jeweiligen Inhaber des Lagerscheins. Daraus zog das ROHG unter ausdrücklicher Berufung auf Goldschmidts Ausführungen 170 den Schluß, daß der Lagerhalter Detentor dieses jeweiligen Inhabers sei und dieser damit Besitzer der eingelagerten Güter; die Übergabe der Güter könne deshalb durch die Übergabe des Lagerscheins vollzogen werden. Wie sehr diese Entscheidung von den Ausführungen Goldschmidts beeinflußt ist, in denen die Detention des Lagerhalters oder Schiffers wesentlich aus der bindenden Wirkung von Lagerschein und Konnossement hergeleitet worden war, geht aus der Schlußbemerkung des Urteils hervor: Zu dem Punkt, an dem das ROHG in dieser Frage eigentlich hätte ansetzen müssen, nämlich den Regelungen des sächsischen Rechts über die Formen des Besitzerwerbs 171, stellt es nur kurz fest, daß sie zu dem gefundenen Ergebnis nicht in Widerspruch stünden 172. Das Reichsgericht verfolgte die vom ROHG eingeschlagene Linie weiter. 1881 hatte es zu entscheiden, ob nach preußischem Recht auch der Ladeschein Traditionswirkung entfalte l73 . Es trat unter Berufung auf die Materialien zum ADHGB 174 in der Frage, "ob der in Art. 649 ausgesprochene Satz als eine lediglich positivrechtliche Bestimmung aufgefaßt werden müsse, oder ob sie nicht aus allgemeinen Grundsätzen sich herleiten lasse", "der letztem, insbesondere von Gold~chmidt (Handbuch des Handelsrechts Bd. I § 73 S. 721 flg. und § 75 S. 764 flg.) vertretenen und begründeten Ansicht bei,,175. Zusätzlich verwies es stützend auf die Vorschriften des preußischen ALR über den Besitzerwerb durch "Anweisung,,176. Damit waren in der Rechtsprechung jeweils unter Berufung auf Goldschmidt die Traditionswirkung von nicht an Order lautenden Konnossementen und von Ladescheinen und Lagerscheinen anerkannt. Es ist geargwöhnt worden l77 , daß Goldschmidt seine Lehre allein um des praktischen Ergebnisses willen entwickelt habe. Dies ist jedoch angesichts seiner Bemühungen, sie auch historisch im römischen Recht zu verankern, und seiner eingeROHGE 25, S. 356 f. unter Hinweis auf ROHGE 11, S. 413 ff., 415 ff. § 1039 Sächs. BGB (vgl. heute § 793 Abs. I BGB). 170 ROHGE 25, S. 355 f.; angeführt wird Goldschmidt, Handbuch, 1. Aufl., I 2, 1868, § 76, S. 773, aber inhaltlich lehnt sich das ROHG enger an § 73, S. 721 ff. an. 171 §§ 186, 193 - 204 Sächs. BGB. l72 ROHGE 25, S. 357 f. 173 RGZ 5, S. 79 - 82. 174 RGZ 5, S. 79 f. 175 RGZ 5, S. 80. 176 ALR I 7 §§ 66 f. (vgl. § 931 BGB). 177 Heymann, Dingliche Wirkung, S. 137 f. 168 169
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henden theoretisch-dogmatischen Verteidigung gegenüber aus der Wissenschaft erhobenen Einwendungen nicht zu vermuten. Daß die Rechtsprechung sie um des Ergebnisses willen aufgenommen hat, ist dagegen naheliegender. Denn Goldschmidt hatte seine Lehre am römischen Recht entwickelt, ROHG und Reichsgericht haben sie jedoch, ohne darauf näher einzugehen, ohne weiteres auch für das im Königreich Sachsen geltende und das preußische Recht des ALR adoptiert. Das Reichsgericht hat sie dabei freilich in die Fallgruppe der "symbolischen Tradition" eingeordnet 178 , deren Beseitigung als mit den Lehren des römischen Rechts nicht vereinbar ein erheblicher Teil von Goldschmidts Bemühungen gegolten hatte 179. Diese etwas oberflächliche Art der Behandlung der Literatur deutet darauf hin, daß es der Rechtsprechung in erster Linie darauf ankam, das gewünschte Ergebnis zu erzielen, mochte dies auch mit einer Begründung geschehen, die nur äußerlich den Argumentationsanforderungen der Rechtswissenschaft und -praxis des 19. Jahrhunderts genügte. Nachdem Lehre und insbesondere Praxis der höchsten deutschen Gerichte die Traditionswirkung durchgesetzt hatten, war an seiner umfassenden gesetzgeberischen Anerkennung nicht mehr zu zweifeln. Zunächst wurde 1877 in § 14 Abs. 2 Nr. 1 des Einführungsgesetzes zur Konkursordnung die Geltung von Partikularrechten anerkannt, deren Regelungen über Art. 649 ADHGB hinausgingen 18o . 1895 wurde dann auf Reichsebene mit § 72 des Binnenschiffahrtsgesetzes 181 für den Ladeschein als "Binnenkonnossement" der Anfang gemacht. Es folgten im HGB 1897 in § 424 der Orderlagerschein 182 , in § 450 der Ladeschein und in § 650 das Konnossement ohne die Beschränkung des ADHGB. In der Begründung wurde nur lakonisch vermerkt, daß diese Regelungen dem Verkehrs bedürfnis und der inzwischen anerkannten Praxis entsprächen 183 • Eine erneute vertiefte Diskussion des nunmehr allgemein angenommenen Prinzips unterblieb 184 . Der Versuch der dogmatischen Erklärung der Traditionswirkung dieser Papiere nahm indessen mit dem Abschluß der Arbeiten am HGB eine ganz andere Richtung als in den Jahren zuvor. Denn die gesetzespositivistische Jurisprudenz des beginnenden 20. Jahrhunderts bemühte sich nicht mehr darum, die Geltung der gesetzlich normierten Rechtssätze konstruktiv zu begründen. Jetzt lautete die Frage, wie die Bestimmungen des HGB über die Traditionspapiere mit den Vorschriften ROHGE 25, S. 357. Handbuch, 1. Aufl., I 2, 1868, S. 719; Besitzlehre 1884, S. 192 - 228, daraus Studien zum Besitzrecht 1888, S. 4 - 16. 180 EG KO v. 10.2. 1877, RGBI. 1877, S. 390 - 394. 181 Gesetz, betreffend die privatrechtlichen Verhältnisse der Binnenschiffahrt v. 15. 6. 1895, RGBI. 1895, S. 301 - 340. 182 Nicht der Inhaber-Lagerschein, dessen Anerkennung als Traditionspapier durch ROHGE 25, S. 351 - 358 damit rückgängig gemacht wurde. 183 Denkschrift HGB, S. 248, 254, 265 f., 283 (Hahn/Mugdan, HGB, S. 396,401,410 f., 424); Heymann, Dingliche Wirkung, S. 142 - 144. 184 Dzu Heymann, Dingliche Wirkung, S. 144 - 146. 178
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des BGB hannonierten. Denn das BGB hatte mit der Schaffung des mittelbaren Besitzes, §§ 868, 870 BGB, und der neuen Arten der Eigentumsübertragung nach §§ 930, 931 BGB eine ganz neue Grundlage für die Erklärung der Traditionswirkung geschaffen. Sie ist denn auch eine bis heute zwischen ,,relativer Theorie", "absoluter Theorie" und "Repräsentationstheorie" in ihren jeweils zahlreichen modifizierten Formen dogmatisch nicht geklärte Aufgabe l85 , deren praktische Bedeutung mitunter freilich fraglich sein mag; Gerichtsentscheidungen, in denen es auf diese Streitfragen ankommt, sind zumindest selten. Diese Theorien sind zwar erst unter der Herrschaft von HGB und BGB entwickelt worden, die Grundstrukturen der im 19. Jahrhundert diskutierten Ansätze finden sich aber in ihnen wieder. Mit den relativen Theorien hat Goldschmidts Ansatz gemeinsam, daß sie versuchen, die Traditionswirkung möglichst in die Regeln des allgemeinen bürgerlichen Rechts zu integrieren; während dies bei ihnen für die Übereignung unter Übergabe des Papiers über die Annahme eines Eigentumserwerbs nach § 931 BGB geschieht", lehnt Goldschmidt jedoch die nach gemeinem Recht dieser Begründung entsprechende Konstruktion über ein Besitzkonstitut ab 187 . Intuitiv entspricht seine Auffassung eher der Repräsentationstheorie; die Aussage, das Papier ,,repräsentiere" die Ware, klingt jedoch zu sehr nach Fiktion und "symbolischer" Übergabe, als daß Goldschmidt sich mit dieser Formel zufrieden gegeben hätte. Ähnliches gilt für die Annahme der absoluten Theorie, das Papier trete für die Verfügung an die Stelle der Ware. Wollte man Goldschmidts "Detentionstheorie,,188 auf das geltende Recht übertragen, so müßte man annehmen, daß der Schiffer, Frachtführer oder Lagerhalter Besitzdiener sei, und zwar Besitzdiener des jeweils durch das entsprechende Traditionspapier zum Empfang der Ware legitimierten Papierinhabers. Insoweit haben sich die Anschauungsformen des geltenden Rechts gegenüber dem gemeinen Recht durch die Schaffung der Figur des mittelbaren Besitzes unter Verengung des Personenkreises der Besitzdiener jedoch grundlegend gewandelt. Eine derartige Konstruktion muß deshalb daran scheitern, daß die bezeichneten Personen nicht Besitzdiener sind, da sie zum Ablader usw. nicht in einem sozialen Abhängigkeitsverhältnis 189 der in § 855 BGB umschriebenen Art stehen. Eine unmittelbare Übernahme von Goldschmidts Lehren in das geltende Recht ist daher nicht möglich 190. Dennoch lassen sich Analogien zu seinen gedanklichen 185 Eingehende Darstellung des Theorienstreits bei Karsten Schmidt, Handelsrecht, 3. Aufl., § 23 III 2, S. 620 - 625; s. auch Eb. Stengel, Die Traditionsfunktion, 1975, S. 6 - 17. 186 Vgl. Heymann, Dingliche Wirkung, S. 146. 187 Das Reichsgericht hat Goldschmidts Konstruktion mit einem Hinweis auf die Vorschriften ALR I 7, §§ 66 f. (Besitzerwerb durch "Anweisung", der den Übereignungsmodalitäten des § 931 BGB entspricht) zu stützen gesucht: RGZ 5, S. 79 ff., 80. 188 So die treffende Bezeichnung von Heymann, Dingliche Wirkung, S. 138. 189 Mühl in BGB, begründet v. Hs. Th. Soergel, 12. Aufl., Bd. 6, Stuttgart etc. 1989, § 855 Rdnr. 3 m.w.N .. 190 Vgl. Heymann, Dingliche Wirkung, S. 137; Eb. Stengel, Die Traditionsfunktion, 1975, S. 185 ff.
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Ansätzen durchaus herstellen. Ähnlichkeit weist Goldschmidts Ansatz mit der durch § 854 Abs. 2 BGB gegebenen Möglichkeit auf, die Besitzübertragung durch bloße Einigung zu bewirken, wenn der Besitzerwerber in der Lage ist, die tatsächliche Gewalt über die Sache auszuüben; zusätzlich wird allgemein gefordert, daß der Übertragende seine tatsächliche Sachherrschaft erkennbar aufgebe l91 . Genau das geschieht nämlich bei Übergabe des Traditionspapiers aus den von Goldschmidt angegebenen Gründen. Einen ganz bei § 854 Abs. 2 BGB angesiedelten Vergleichsfall bietet eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Celle von 1949, nach der für den Übergang des Besitzes an im Wald lagernden Holz die Einigung zwischen dessen Käufer und der Forstverwaltung ausreichen soll, wenn die Forstverwaltung diese Einigung dadurch dokumentiert, daß sie dem Käufer die Holzabfuhrzettel 192 aushändigt l93 • Wenn aber die Ähnlichkeit solcher Fälle mit denen der Übergabe eines Traditionspapiers auch groß ist, so setzt § 854 Abs. 2 BGB doch voraus, daß die Möglichkeit der Gewaltausübung auf seiten des Erwerbers sogleich gegeben ist l94 • Das ist aber in den Fällen der §§ 424, 450, 650 HGB nicht der Fall, da diese Bestimmungen Fälle des Erwerbs nicht unmittelbaren, sondern nur mittelbaren Besitzes im Sinne des BGB betreffen. Sie lassen sich indessen als eine Art legislatorische Erweiterung des in § 854 Abs. 2 BGB zum Ausdruck kommenden Gedankens auf Fälle des mittelbaren Besitzes auffassen, in denen an die Stelle der sofortigen unmittelbaren Einwirkungsmöglichkeit der Publizitätsakt der Papierbegebung tritt. Einer solchen Konstruktion wird zwar in den Motiven zum BGB widersprochen, indem es dort heißt, die handelsrechtlichen Vorschriften "bestimmen nicht einen qualifizierten konsensualen Besitzwechsel, sondern enthalten eine Ausnahme von den gesetzlichen Erfordernissen der Sachübergabe, gehören also unter die Vorschriften über die Eigenthumserwerbung" 195. Diese Auffassung zeugt indessen von einem Mißverständnis: Es ist zwar richtig, daß die §§ 424, 450, 650 HGB 196 "eine Ausnahme von den gesetzlichen Erfordernissen der Sachübergabe" enthalten, aber sie enthalten auch nur diese Ausnahme, und deswegen ist die in den Motiven gezogene Schlußfolgerung zu weitgehend. Denn diese Vorschriften statuieren eben nichts weiter als eine besondere Form des Übergabesurrogats 197; sie sind, um die zu den Besitzschutzansprüchen entwickelte Terminologie zu verBassenge in Palandt, BGB, § 854 Rdnr. 8; BGHZ 27, S. 360 ff., 362 m.w.N. Da diese keine Traditionspapiere sind, ist dieser Fall auch dem in der oben erwähnten Stelle C. 8, 53, I geschilderten vergleichbar. 193 OLG Celle, Deutsche Rechtszeitschrift, 5. Jg., Tübingen 1950, S. 40 f., 41 (mit Anmerkung Abraham S. 41 f.). 194 Bassenge in Palandt, BGB, § 854 Rdnr. 8; Goldschmidt hatte sich hier mit seiner These von der gegenwärtigen, aber "idealen" Einwirkungsmöglichkeit helfen wollen (Handbuch, 1. Aufl., I 1, 1868, S. 638, 1233), die schon zu seiner Zeit heftig angegriffen wurde, jedenfalls der heutigen Auffassung zu § 854 Abs. 2 BGB aber nicht mehr genügen würde. 195 Mot. III, S. 90. 196 Bzw. ihre bei Abfassung der Motive geltenden Vorläufer. 197 So zutreffend der Ansatz von Karsten Schmidt, Handelsrecht, 3. Aufl., § 23 III 2 c, S.623. 191
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wenden, possessorischer, nicht petitorischer Natur. Genau das hatte Goldschmidt schon zu Art. 649 ADHGB hervorgehoben 198. Bei ihm wird damit ein Umstand viel deutlicher als bei allen Autoren nach ihm: Der Kern der Lehre von den Traditionspapieren liegt nicht in der Frage des Übergangs des Eigentums oder eines sonstigen Rechts, sondern der Übertragung zunächst nur des Besitzes an der Ware 199 • Wegen dieser engen Zugehörigkeit des Rechts der Traditionspapiere zum allgemeinen Besitzrecht ist die soeben versuchte Erklärung auch der vorzuziehen, die Traditionswirkung, sofern sie als Tatbestandsmerkmal einer Übereignung relevant wird2oo , als besondere Form des von der Rechtsprechung entwickelten Geheißerwerbs 201 mit dem Schiffer usw. als Geheißperson des Veräußerers zu konstruieren. Wenn Goldschmidts "Detentionstheorie" damit auch nicht mehr von unmittelbarer Bedeutung für das geltende Recht ist, so läßt ihre Wirkungs geschichte doch einen Einblick in die Mechanismen der Entwicklung von Rechtssätzen und den Einfluß einzelner Werke der Rechtswissenschaft auf diese Entwicklung zu. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts hatten sich Rechtsprechung, Lehre und schließlich die Gesetzgebung infolge der Rezeption von Savignys Besitzlehren von der zuvor allgemein anerkannten Traditionswirkung der Konnossementsübergabe abgewandt, obwohl ein praktisches Interesse der beteiligten Verkehrskreise an ihrer Beibehaltung bestand. In diesem Gegensatz der Anschauungen von Jurisprudenz und Verkehrsinteresse war zunächst offen, welche Richtung sich durchsetzen würde. Daß schließlich die juristisch-dogmatische Ablehnung der Traditionsfunktion gegenüber ihrer zweckorientierten Anerkennung zurücktrat, war ganz wesentlich auf Goldschmidts Einfluß zurückzuführen. Denn Goldschmidt hatte es als erster unter den einflußreichen Autoren des Handelsrechts verstanden, beide Richtungen scheinbar zu vereinen, indem er der in konstruktivem Denken befangenen Jurisprudenz eine immerhin vertretbare dogmatische Begründung für die Möglichkeit einer Besitzübertragung durch Papierübergabe lieferte, zugleich aber auch die an den tatsächlichen Verhältnissen des Handelsverkehrs orientierte Zielrichtung seiner Argumentation durchblicken ließ. Hier gelang ihm am erfolgreichsten das zu vollziehen, was Ernst Landsberg als die große Leistung von Goldschmidts rechts wissenschaftlicher Methode überhaupt hervorhob, nämlich "die für das Handelsrecht eigentümlichen Zusammenhänge zwischen Wirtschaft und Recht so scharf herauszuarbeiten, daß die innerliche Gleichberechtigung der drei leitenden GesichtsGoldschmidt, Handbuch, 1. Aufl., Bd. I 2, 1868, S. 717 f. Die zweite in den Motiven aufgestellte Behauptung, die §§ 424, 450, 650 HGB seien nicht eine Form des qualifizierten konsensualen Besitzwechsels, wäre nur dann richtig, wenn die Übergabe des Papiers ihre Traditionswirkung auch ohne entsprechende wirksame Einigung über den damit verbundenen Übergang des Besitzes an der Ware selbst entfaltete. Zu denken ist etwa an den Fall, daß die Übergabe eines Konnossements durch einen Minderjährigen ohne Zustimmung des gesetzlichen Vertreters erfolgt, § 107 BGB: Hier stellt sich die Frage, ob die Wirksamkeit der Einigung durch die Publizität des Papiers ersetzt werden kann. 200 Bei der Verpfändung erscheint das zweifelhaft. 201 Zu diesem Medicus, Bürgerliches Recht Rdnrn. 563 ff. m.w.N. 198
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punkte, des dogmatischen, wirtschaftlichen und historischen, nichtsdestoweniger gewahrt bleibt und namentlich von einer einseitig antiquarischen Abschweifung nie die Rede sein kann,,202. Tatsächlich sind alle drei Bereiche von Goldschmidts Argumentation hier untrennbar miteinander verzahnt: Der auf eigener Anschauung beruhende wirtschaftliche Standpunkt, nach dem ein starkes Interesse des Handels an der Anerkennung von Traditionspapieren bestand, der historisch-genetische und rechtsvergleichende Standpunkt, von dem aus Goldschmidt nachweisen konnte, daß es in der europäischen Rechtsgeschichte Epochen gab, in denen Rechtswissenschaft und -praxis keine Bedenken hatten, die vom Handel entwickelte Traditionswirkung auch unter der Herrschaft des römisch-gemeinen Rechts anzuerkennen, und der dogmatische Standpunkt: Gerade seine Berücksichtigung ist trotz der Schwäche von Goldschmidts begrifflicher Konstruktion deshalb so überzeugend, weil Goldschmidt dieser Konstruktion nicht das römische Recht als Gerüst starrer Normen zugrundelegt, sondern zunächst diese Normen unter dem Blickwinkel der tatsächlichen Verhältnisse, die ihrer Ausprägung zugrundegelegen haben, auslegt, um dann auf ihrem so gewonnenen Inhalt seine Konstruktion aufzubauen. Die Ausführlichkeit seiner Darstellung machte und macht sein Handbuch zu einer unerschöpflichen Fundgrube zu diesem Thema, deren Inhalt zu nutzen weder Rechtsprechung noch Lehre versäumten. Nachdem sich die Anerkennung der dinglichen Wirkung der Übergabe von Konnossement, Ladeschein und Lagerschein auf dieser Grundlage durchgesetzt hatte, schwand das Bewußtsein von Goldschmidts Beitrag zu dieser Entwicklung; denn einer Begründung für diesen Rechtssatz bedurfte es nicht mehr, nachdem er erst einmal zu Gewohnheits- und schließlich Gesetzesrecht erstarkt war. Auf dem Gebiet des Transportrechts, dessen Kennzeichen im geltenden deutschen Recht augenblicklich die völlige Zersplitterung zu sein scheint203 , zeichnen sich gegenwärtig tiefgreifende Veränderungen ab, die durch das Stichwort "multimodale Transporte" gekennzeichnet sind204 . Auch die neuartigen technischen Datenverarbeitungs- und Kommunikationsmittel nehmen starken Einfluß auf die Entwicklung. Für die legislative Reaktion auf diese Entwicklungen wie für die Behandlung der mit ihnen verbundenen, noch ungeregelten Problemen durch Praxis und Wissenschaft wird es nützlich sein, sich die in der Entwicklung dieses Rechtsgebiets im vergangenen Jahrhundert zu beobachtenden leitenden Gesichtspunkte bewußt zu machen, um Fehlentwicklungen auch in der Zukunft zu vermeiden.
Landsberg, Geschichte III 2, Text, S. 945 f. s. Karsten Schmidt, Handelsrecht, § 31 I, S. 814 - 820; ders., Gegenwartsaufgaben, S.44-47. 204 Jürgen Basedow, Der Transportvertrag, Tübingen 1987, S. 365 ff. u.ö. 202 203
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IV. Transportrecht
Ein ganz wesentlicher Teil von Goldschmidts Schriften gilt Problemen des Transportrechts. Zahlreichen Einzelfragen hat er sich in seinem Handbuch des Handelsrechts zugewandt. Dies gilt insbesondere für die Urkunden, die im Transportrecht eine Rolle spielen 1. Außerhalb seines Handbuchs hat sich Goldschmidt besonders mit den Rechtsfragen befaßt, die die gewaltige Ausdehnung des Eisenbahnwesens in der Mitte des 19. Jahrhunderts aufgeworfen hatte. Auch auf diesem Bereich des Rechtslebens hat er die Literatur 2 und Gesetzgebung 3 stetig beobachtet. J. Das Transportrecht vor dem ADHGB
Die erste deutsche Eisenbahnstrecke war 1835 eröffnet worden. Sehr rasch folgten Bau und Inbetriebnahme weiterer Strecken4 , insbesondere in Preußen5 . Da der preußische Staat aus Gründen rechtlicher und politischer Selbstbindung die für den Bau von Eisenbahnlinien erforderlichen Mittel nicht selbst aufbringen konnte, wurde dieser privaten Gesellschaften überlassen; doch standen Bau und Betrieb der Eisenbahnen unter staatlicher Kontrolle: Rechte und Pflichten der Eisenbahngesellschaften und der staatlichen Aufsichtsbehörden regelte das preußische Eisenbahngesetz von 18386 . Diesem Weg, die eigentlich als öffentliche Aufgabe betrachtete Einrichtung des Eisenbahnnetzes von privaten Aktiengesellschaften vornehmen zu lassen, diese aber streng in ein öffentlich-rechtliches Aufsichtssystem einzubinden, folgten viele andere Staaten7 • I Sie sind freilich zu einem großen Teil systematisch unrichtig in dem Kapitel über Besitz und Verfügung untergebracht, Handbuch, 1. Aufl., 11, 1868, §§ 65 ff., S. 607 ff. 2 s. Gutachten 1860, S. 110; Haftpflicht 1861, S. 569 - 574; ZHR 1 (1858), S. 195 - 198; Krit. Zs. f. d. ges. Rechtswiss. 5 (1859), S. 219 - 225 u. ZHR 2 (1859), S. 466 - 470; ZHR 5 (1862), S. 302 f.; 10 (1866), S. 612; 36 (1888), S. 624 f. u. 627 - 629 u.ö. 3 Gutachten 1860, S. 112 f.; als Berichterstatter auf dem 1. dt. Handelstag, Heidelberger Rechtslehrer 1887, S. 125; zur ausländischen Gesetzgebung s. etwa Neue Gesetze 1862, S. 320 ff. (Gesetz über den Frachtvertrag des Kantons Bem von 1861). 4 s. Friedrich Lütge, Dt. Sozial- u. Wirtschaftsgeschichte, 3. Aufl., Berlin 1966, S. 490 494. 5 s. zum folgenden G. Landwehr, Staatszweck u. Staatstätigkeit in Preußen während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in: Wege europäischer Rechtsgeschichte. Karl Kroeschell zum 60. Geburtstag, hrsg. v. Gerhard Köbler, S. 249 - 264, 255 - 258. 6 Preuß. G.=S. 1838, S. 505 - 516. 7 s. z. B. Bekanntmachung derjenigen Bedingungen, unter welchen Einzelne oder Privatgesellschaften gewärtigen können, daß ihnen die Anlegung von Eisenbahnen zur Verbindung der Nordsee und Ostsee ... werde gestattet werden", in: Chronologische Sammlung der 1840 ergangenen Verordnungen und Verfügungen für die Herzogthümer Schleswig u. Holstein, Kiel 1841, S. 176 - 183. - Die allzu laxe Handhabung dieses Systems im Großherzogturn Toskana führte zum Lucca-Pistoja-Aktienstreit.
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Obgleich also der Bau und der Betrieb von Eisenbahnlinien durch private Unternehmer erfolgte, enthielten die Eisenbahngesetze ganz vornehmlich Regelungen, die die öffentliche Aufsicht des Eisenbahnwesens betrafen 8 . Die privatrechtlichen Rechtsverhältnisse wurden nur im Wege des Reflexes der öffentlich-rechtlichen Regelungen über die Konzession der Eisenbahnaktiengesellschaften 9 sowie über Enteignungen, Tarifgenehmigungen und Konkurrenzeinschränkungen behandelt. Dementsprechend betrafen die wenigen erscheinenden Monographien zum Eisenbahnrecht ganz überwiegend nur die dem öffentlichen Recht zugehörigen Fragen der Materien des preußischen Eisenbahngesetzes 10. Eine Vorschrift allerdings war spezifisch privatrechtlicher Natur: Nach § 25 Preuß.'Eisenb.-Ges. war die Gesellschaft zum Ersatz allen Schadens verpflichtet, der bei der Beförderung auf der Bahn an den auf ihr beförderten Personen oder Gütern, an anderen Personen oder deren Sachen entstand. Haftungsbefreiung sollte nur eintreten bei eigenem Verschulden des Geschädigten oder Bewirkung des Schadens "durch einen unabwendbaren äußern Zufall", zu dem die "gefährliche Natur der Unternehmung selbst" freilich nicht gehörte. Mit dieser Vorschrift fand der Gedanke der Gefährdungshaftung Eingang in die deutsche SondergesetzgebunglI. Dies wurde zwar von der Wissenschaft zunächst nicht recht erkannt 12, doch erlangte § 25 Preuß. Eisenb.-Ges. für die Praxis rasch große Bedeutung J3 . Fracht- und Beförderungsverträge gab es natürlich seit jeher. Wegen der verhältnismäßig geringen Kapazität der Fuhrwerke und des nach wie vor unzulänglichen Hierzu auch Goldschmidts Gutachten Rechtsverhältnisse 1878. Anders als die schleswig-holsteinische Bekanntmachung von 1840 setzte das Preuß. Eisenb.-Ges., Präambel und §§ 1 ff., Aktiengesellschaften als Träger von Eisenbahnunternehmen voraus; zu diesen Gesellschaften s. Landwehr, Verfassung, S. 8,22 ff. 10 So das ältere Standardwerk: August Bessel/Eduard Kühlwetter, Das Preussische Eisenbahnrecht, 1. Theil, Köln 1855; 2. Theil, Köln 1857 (hierin nur im 6. Kap., Abschnitt III zu den Eisenb.-B.=R.s, Abschnitt V zur Schadensersatzpflicht der Eisenbahn-Unternehmen, im 11. Kap. zum Transportgeschäft und im 14. Kap. zum Aktienrecht der Eisenbahngesellschaften; sonst befassen sich beide Bände mit Materien des Verwaltungsrechts.). 11 Regina Ogorek, Untersuchungen zur Entwicklung der Gefährdungshaftung im 19. Jahrhundert, Köln 1975, S. 61 ff. Noch heute sind die meisten Tatbestände der Gefährdungshaftung in öffentlich-rechtliche Regelungszusammenhänge eingebettet: §§ 7 ff. Straßenverkehrsgesetz, 33 ff. Luftfahrtverkehrsgesetz, 25 ff. Atomgesetz; anders § 833 S. I BGB u. das Haftpflichtgesetz. Überblick bei Larenz, Schuldrecht H, § 77, S. 698 ff. 12 Der dem Schuldprinzip des römischen Rechts so offensichtlich widerstreitende § 25 Preuß. Eisenb.-Ges. führte erst 1869 zu einer größeren wissenschaftlichen Untersuchung dieses neuen Haftungsmodells: Gustav Lehmann, Körperverletzungen und Tödtungen auf dt. Eisenbahnen, Erlangen 1869, 13 s. die Nachweise bei Goldschmidt, receptum 1860, S. 364 in Fußn. 161 a, insbes. die Entscheidung des Kgl. OT v. 14. 12. 1857, in: Archiv für Rechtsfälle, hrsg. v. Theodor Striethorst, Bd. 26, Berlin 1858, Nr. 62, S. 359 ff. Bezeichnenderweise lehnten die Gerichte, die nach Badischem Landrecht oder gemeinem Recht zu entscheiden hatten, Ansprüche gegen die Eisenbahn-Unternehmen bei fehlendem Verschuldensnachweis regelmäßig ab: SeuffArch 13 (1860), S. 188 ff.; S. 329 ff.; 14 (1861), S. 354 ff.; 14 (1862), S. 35 ff. 8
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Zustands der Straßen war der Transport größerer Gütermengen über Land durch einen Fuhrunternehmer eine Ausnahme l4 • Das Landtransportrecht hatte deshalb bis zum Aufkommen der Eisenbahnen wirtschaftlich und daher auch in Gesetzgebung, Rechtswissenschaft und -praxis eine nur untergeordnete Rolle gespielt l5 : Im ALR ist es am Ende des handelsrechtlichen Teils in nur dreizehn Paragraphen geregelt l6 , die freilich einige wichtige Verweisungen insbesondere auf die differenzierten Regelungen des Seerechts enthalten 17 • Speziell für die Eisenbahnen wurde diese Regelung durch den erwähnten § 25 Preuß. Eisenb.-Ges. ergänzt, der nicht zwischen vertraglicher und außervertraglicher Haftung differenzierte und damit die verschuldensunabhängige Haftung auch auf das Vertragsverhältnis erstreckte l8 . Nach gemeinem Recht unterlag das Transportgeschäft den Regeln über die locatio conductio operis l9 , also dem Werkvertrag als Unterfall der "Dienstrniete", der auf ein durch Arbeit herzustellendes Arbeitsresultat, eben die Beförderung zum Zielort, gerichtet ist2o • Danach war er als Konsensualvertrag 21 für Vereinbarungen der Parteien, die den jeweiligen Vertragsinhalt konkretisierten, weithin offen. Das Eisenbahnwesen machte das Landtransportgeschäft plötzlich zu einem Massengeschäft vorher ungeahnten Ausmaßes. Dies führte rasch zu eigentümlichen Rechtsbildungen, die neue Elemente in das Vertragswesen einbrachten und deshalb vertiefter wissenschaftlicher Behandlung bedurft hätten. Es dauerte jedoch einige Zeit, bis dies von den Rechtsgelehrten erkannt wurde.
14 Zu den tatsächlichen Verhältnissen des Landtransportes vor Einführung der Eisenbahn s. Werner Pöhls, Dt. Sozialgeschichte, Bd. 1: 1815 - 1870, München 1973, S. 341 ff; Friedrich Lütge, Dt. Sozial- u. Wirtschaftsgeschichte, 3. Aufl., Berlin 1966, S. 490 ff.; Ludwig Böme, Monographie der deutschen Postschnecke (1821), Stuttgart 1967 (u.ö.). Bezeichnend ist auch ein Vergleich zwischen Preuß. ALR 11 15 §§ 1 - 37 (insbes. §§ 25 ff.) (1794) mit Ssp. Ldr. 11 59 § 3 (um 1230). 15 Eine wichtige Ausnahme gilt für das Postwesen: In Preußen ist das "Postregal" (ALR 11 15,4. Abschnitt) zugleich Postmonopol (ALR 11 8 § 2463, II 15 §§ 143 - 151), auf den Posttransport finden die ausführlichen Regeln über das Seegüterfrachtrecht u. die Personenbeförderung über See entsprechende Anwendung (ALR 11 15 § 157 in Verbindung mit II 8 §§ 1620 ff. u. 1742 ff.). 16 ALR II 8, 15. Abschnitt (§§ 2452 - 2464): "Von Fuhrleuten"; das sind Inhaber öffentlicher Landkutschen (§§ 2452 ff.), (öffentlichen) Fähren (§ 2457), Privatfuhrleute und Fußboten (§§ 2458 - 2462). Den Spediteur kennt das ALR gar nicht (vgl. J. L. Burchard, Das Recht der Spedition, Stuttgart 1894, S. 1 - 15). 17 ALR II 8 §§ 2454, 2456. 18 Goldschmidt, receptum 1860, S. 363 f. 19 D. 19,2 (Iocati conducti), ll, 3; 13, 1; 13,2; 19,7; 25, 7; 30,2; 60,8; s. auch D. 14,2, 2 pr.; 2, 2; 2, 6; 2, 7 (Vollziehung des Havereiausgleichs durch den Schiffer über actiones locati conducti aufgrund des See-Frachtvertrages; s. Goldschmidt, Lex Rhodia 1889, S. 48 52). 20 Windscheid/Kipp, Pandekten II, § 399, S. 719 in und zu Fußn. 6 u. 7; § 401, S. 755; Goldschmidt, receptum 1860, S. 352 f. So auch das BGB, § 631 Abs. 2, s. Thomas in Palandt, Einf. vor § 631 Rdnrn. 2 u. 9. 21 Paulus D. 19,2, 1.
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Den Besonderheiten des Massentransportgeschäftes versuchten die EisenbahnUnternehmen dadurch gerecht zu werden, daß sie ihre Transport-Bedingungen in ausführlichen Katalogen, den "Eisenbahn-Betriebs=Reglements" zusarnmenfaßten 22 . Den darin enthaltenen Regelungen, die den Vertragsinhalt konkretisierten, hatten sich die Reisenden und Absender bei Vertragsschluß zu unterwerfen. Vorbilder für derartige Betriebsreglements fanden sich im Postwesen 23 , sie haben sich aber vermutlich auch aus dem Brauch vieler Unternehmer, besonders der Gastund Stallwirte entwickelt, eine gesetzliche Haftung durch Erklärung in Form eines öffentlichen Anschlages auszuschließen 24 . Für den Güterverkehr, der ganz im Mittelpunkt der in den 50er Jahren aufkommenden Diskussionen stand25 , erlangte das "Vereins-Reglement für den Güterverkehr" von 1856 größte Bedeutung, auf das sich 49 deutsche Eisenbahn-Unternehmen verständigt hatten 26 , die im Verein Deutscher Eisenbahn-Verwaltungen zusammengeschlossen waren. Zum Streitpunkt an diesen Regelungskatalogen wurden bald die zahlreichen Haftungsausschlüsse und -beschränkungen27 , die zum Teil offen ausgesprochen, zum Teil in den Vorschriften über Deklarierung, Verpackung oder vom Transport grundsätzlich ausgeschlossene Gegenstände verdeckt enthalten waren. Ihre Tendenz ging dahin, das Transportrisiko möglichst weitgehend die Absender tragen zu lassen. Dagegen erhoben sich zunehmend Klagen aus dem Kaufmannsstand, die dazu führten, daß auch die Rechtswissenschaft sich dieses Phänomens annahm, nachdem es in zunehmendem Maße schon die Rechtsprechung beschäftigt hatte 28 . Zwei Problemkreise traten in den Mittelpunkt der Betrachtungen: Zunächst war zu klären, ob die Eisenbahn-Unternehmen für den Verlust oder die Beschädigung von Gütern auf dem Transport nur nach den gesetzlichen Regeln hafteten, die nach bisherigem Recht für die sonstigen Anstalten des Landtransportes galten, oder ob sie einer schärferen Haftung unterlagen; zum zweiten war streitig, ob die Haftungsnormen, die auf den Eisenbahntransport Anwendung fanden, zwingendes Recht und damit unabdingbar waren oder der freien Vereinbarung der Parteien unterlagen.
22 Sie belegt Goldschmidt schon 1889 mit der erst im 20. Jahrhundert üblichen Bezeichnung "Geschäftsbedingungen": Nach 30 Jahren, S. 6. 23 s. Pohlhausen, Geschäftsbedingungen, S. 28 ff. 24 Dieser Brauch geht möglicherweise bis in die Antike zurück und betraf insbesondere die receptum-Haftung; s. hierzu ausführlich Goldschmidt, receptum 1860, § 11, S. 333 ff., 337 zu Labeo D. 19,2,60,6: "Locator horrei propositum habuit se aurum ... non recipere suo periculo"; "propositum" kann allerdings so gut "Aushang" wie (möglicherweise nicht öffentlich kundgegebene) "Absicht" bedeuten: Heumann/Seckel, Handlexikon, S. 471 li. Sp. unter proponere und propositio. 25 s. Pohlhausen, Geschäftsbedingungen, S. 1 ff.; Benöhr, Regelungsbefugnis, S. 174 ff. 26 Abgedruckt in: Beschomer, Dt. Eisenbahnrecht, S. 246 - 260; zur Entwicklung des Eisenbahntransportrechts bis zum HGB 1897 s. Georg Eger, Die EVa v. 26. 10. 1899,2. Aufl., Berlin 1901, S. XIX - XLVIII. 27 s. §§ 2 - 4, 14, 15 Eisenb.-B.=R. 1856. 28 Zum folgenden ausführlich Pohlhausen, Geschäftsbedingungen, S. 14 - 27, 47 - 81.
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In der Literatur befaßten sich vor allem drei Autoren ausführlich mit diesen Fragen: Julius Herrmann Beschorner, Rechtsanwalt und Königlich Sächsischer Finanzprokurator29 , trat für eine scharfe, nicht ausschließbare Haftung der Eisenbahn-Unternehmen schon nach geltendem Recht ein; Wilhelm Koch 30 , Amts-Assessor in Marburg, verteidigte die Privatautonomie der Eisenbahn-Unternehmen; Goldschmidt schließlich trat gleichfalls für eine weitgehende Berechtigung der Eisenbahn-Unternehmen zur Ausschließung ihrer Haftung ein. Goldschmidt hat diesen Problemkreis zum Gegenstand mehrerer inhaltlich zusammenhängender Abhandlungen gemacht. Zunächst hat er den gesetzlichen Umfang der Haftung der Eisenbahn-Unternehmen nach gemeinem Recht und den wesentlichen Partikularrechten untersucht, dann folgten Untersuchungen über die Frage, ob und in welchem Umfang die Eisenbahn-Unternehmen befugt seien und, vom gesetzgeberischen Standpunkt aus, befugt sein sollten, diese gesetzliche Haftung vertraglich auszuschließen.
2. Das" receptum nautarum cauponum stabulariorum " Goldschmidts erster großer Aufsatz zu diesem Thema ist die Abhandlung über "Das receptum nautarum, cauponum, stabulariorum" von 186031 • Sein Gegenstand ist ein römisches Rechtsinstitut des prätorischen Edikts, eben das im Titel genannte "receptum", durch das die Haftung der Schiffer, Herbergs- und Stallwirte für Verluste und Beschädigungen der bei ihnen eingebrachten Sachen in eigentümlicher Weise verschärft wurde 32 . Die Abhandlung scheint deshalb zunächst wenig mit dem Recht der Anstalten des Landtransportes zu tun zu haben, da sie über die Haftung der Schiffer (nautae) unmittelbar nur das Recht des Seetransports betrifft. Tatsächlich aber hatte das behandelte Rechtsinstitut gerade für das Haftungsrecht der Eisenbahnen größere Bedeutung als in seinem eigentlichen. Anwendungsbereich erlangt, weil eine Ausdehnung seiner Haftungsregeln auf den Landtransport durch Eisenbahnen von Wissenschaft und Praxis vielfach vertreten wurde. Bevor Goldschmidt darauf eingeht, wendet er sich zunächst den Normen zu, die die "recepDt. Eisenbahnrecht, 1858; Ersatzpflicht 1858. Deutschlands Eisenbahnen I (Kochs Dissertation) u. 11, 1858 - 1860; Das Dt. Eisenbahn-Transportrecht, 1. Abth.: Das Frachtgeschäft der Eisenbahnen nach dem ADHGB, Erlangen 1866. 31 Inhaltsübersicht am Ende der Einleitung, receptum 1860, S. 60: I. - VII. (§§ I - 9) zu Voraussetzungen und Inhalt der actio de recepto; VIII. (§ 10) zu Fragen des Prozesses; IX. (§ 11) "Ausschließung und Beschränkung der Haftung"; X. (§ 12, S. 340 - 352) "Heutige Geltung des Instituts" und zur Rezeption, insbesondere im Seerecht; XI. (§ 13, S. 352 - 367) zur Ausdehnung der receptum-Haftung auf den Landtransportvertrag; Anhang (nicht in der Übersicht): Resultate für die legislative Gestaltung und die neueren Gesetzentwürfe (S. 368 385). 32 Grundsatz bei Ulpian D. 4, 9, I, pr.: "Ait praetor: Nautae caupones stabularii quod cuiusque salvum fore receperint ni si restituent, in eos iudicium dabo." Zu diesem Institut s. Kaser, Privatrecht I, § 136 III 3, S. 585 f. 29
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tum"-Haftung in ihrem usprünglichen Anwendungsbereich des Rechts der Schiffer und Wirte bestimmen. Goldschmidt untersucht zunächst ausführlich den Inhalt der Rechtssätze, die dieses Rechtsinstitut bei den Römern ausgemacht haben. Dabei halten sich dogmatische, insbesondere auf die Stellung des Instituts im Gesamtsystem des römischen Rechts abstellende Gesichtspunkte und historische, seine Entstehung betreffende Erwägungen die Waage, wobei, von einigen Ausnahmen abgesehen 33 , die historischen Argumente allerdings vorwiegend dazu dienen, die dogmatischen Ausführungen zu stützen. Goldschmidt gelangt zu Ergebnissen, die noch dem heutigen Stand der Forschung entsprechen: Das receptum sei nicht eine besondere Vertragsart, sondern seine Regelungen träten nur neben die der regelmäßig mit der Sacheinbringung abgeschlossenen Verträge. Es habe sich aus einer ursprünglich vertraglichen, aber formlosen Garantieübernahme entwickelt. Seinen Namen verdanke es dem Hinweis auf dieses Garantieversprechen 34 . Obgleich Goldschmidt erst im 10. Kapitel 35 die "heutige Geltung der actio de recepto" abzuhandeln ankündigt, geht er doch erkennbar die ganze Abhandlung hindurch davon aus, daß die Erkenntnisse, die er für das römische Recht gewinnt, dem Inhalt des unmittelbar oder subsidiär in Deutschland geltenden gemeinen Rechts entsprächen: Darauf deuten die zu einzelnen Streitfragen des alten römischen Rechts angegebenen FundsteIlen aus der Rechtsliteratur von Carpzov und Donellus über Langenbeck und Pöhls bis hin zu den aktuellen Darstellungen des gemeinen und des deutschen Privatrechts und die Nachweise von einschlägigen Urteilen deutscher Gerichtshöfe hin 36 . Besondere Aufmerksamkeit widmet Goldschmidt den Gründen, die zu einem Ausschluß der scharfen Haftung des "receptum" führten, und zwar den gesetzlichen wie den rechts geschäftlich vereinbarten Ausschlußgründen. Sie sind der eigentliche Gegenstand seiner Abhandlung. Die Lehre der gesetzlichen, in den römischen Quellen genannten Auschlußgründe 37 war äußerst schwierig. So wurde der Maßstab der Haftung zwar mit der Bewachungspflicht "custodia,,38 umschrieben, die auch bei anderen Rechtsverhältnissen vorkommt; die einzelnen Umstände indessen, bei deren Vorliegen der Schuldner trotz der custodia-Haftung ein schädigendes Ereignis nicht zu vertreten hatte, wurden von den Quellen nicht systematisch, sondern nur kasuistisch umschries. insbes. receptum 1860, § 4, S. 79 ff.; § 7, S. 97 ff. "Receptum" im ursprünglichen Sinn, s. Goldschmidt, receptum 1860, § I, S. 60 ff.; § 7, S. 97 ff.; vgl. Kaser, Privatrecht I, S. 584 (§ 136 III pr.) u. 585; nicht deutlich Heumann/Sekkel, Handlexikon, S. 493 (recipere unter 2 a) bzw. 2 c». 35 Receptum 1860, § 12, S. 340 ff. 36 s. insbes. receptum 1860, Kap. IV: "Inhalt der actio de recepto", § 4, 79 ff., Fußn. 46 ff. 37 Goldschmidt, receptum 1860, Kap. IV, §§ 4 - 6, S. 79 - 97. 38 Dazu Goldschmidt, receptum 1860, § 8, S. 104 - 112; Kaser, Privatrecht I, § 118 11 2, S. 506 - 508. 33
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ben39 . Ansätze zu ihrer systematischen Erfassung finden sich im Titel über das receptum, in dessen Rahmen ihnen offensichtlich eine gesteigerte Bedeutung zukam. Dort werden sie an einigen Stellen unter den Oberbegriffen damnum fatale, casus, casus fortuitus, insbesondere aber vis maior4o erwähnt. Dieser Ausdruck hat als ,,höhere Gewalt" als geradezu klassischer Haftungsausschlußgrund Eingang in nahezu alle europäischen Rechtsordnungen gefunden, ohne daß es in seiner nur gelegentlichen wissenschaftlichen Behandlung jemals gelungen wäre, eine abstrakte Definition zu finden, die alle Fälle, die unter diesen Oberbegriff fallen sollten, umfaßt hätte 41 . Goldschmidt ist der erste Autor, der sich diese Aufgabe für das Handelsrecht stellt42 . Er geht sie an auf der Grundlage der römisch-rechtlichen Regelungen, die, da neuere Gesetze sich auf die Nennung des Begriffs "höhere Gewalt" beschränkten, ohne ihn näher zu konkretisieren 43 , ihre Bedeutung für die Bestimmung von dessen Umfang noch auf unabsehbare Zeit behalten sollten. Die Methode, der sich Goldschmidt dabei bedient, ist rein exegetisch: Zwar formuliert er nach einer Einleitung über die Hauptstellen und insbesondere die bisherige Literatur zu diesem Thema44 zunächst das von ihm angenommene Prinzip: ,,1) Nur solche Ereignisse befreien, welche ihrer Natur nach unverschuldet zu sein pflegen, deren Abwendung und Abwehr menschliche Voraussicht und Kraft zu übersteigen pflegt", und ,,2) Diese Ereignisse müßten überdies im concreten Falle unverschuldet, d. h. für den Verpflichteten unvermeidlich und unabwendbar gewesen sein,,45; schon die vorsichtige Formulierung des zweiten Satzes deutet jedoch an, daß es eine reine Arbeitshypothese ist, die sich in Goldschmidts folgender Untersuchung46 wieder in eine reiche Kasuistik auflöst47 , die Goldschmidt den Quellen und Beispielen der Praxis entnimmt. So kommt er schließlich zu einer Haftung, "deren Umfang, unter Berücksichtigung des Grundgedankens unseres Instituts und der bezweckten strengen Haftung, der Richter im einzelnen Falle nach vernünftigen Ermessen zu bestimmen hat"; nur was "darüber hinausliegt" sei vis maior48 . s. etwa die Aufstellung bei Kaser, Privatrecht I, S. 508. "Item" (Haftungsausschluß) "erit dicendum, et si ... vis maior contigerit": Ulpian D. 4, 9,3, I, letzter Satz; Gaius D. 19,2,25,6; Ulpian D. 19,2,9,2 und 19,5, 17,4; Paulus D. 13, 7, 30 a.E.; Diocletian et Maximian C. 4, 23, I Satz I. 41 Zur Rezeptionsgeschichte s. insbes.: Ulrich Stobbe, Höhere Gewalt - eine rechtshistorisehe Untersuchung, Diss. jur. Göttingen 1963; Andreas Doll, Von der vis maior zur höheren Gewalt, Frankfurt a.M. 1989. Zur Begriffsbildung in der Rechtsprechung des 19. Jahrhunderts s. Jöm Eckert, Die Definition der "höheren Gewalt", in: Jöm EckertIHans Hattenhauer (Hrsg.), Sprache - Recht - Geschichte, Heidelberg 1991, S. 313 - 336, insbes. S. 324 ff. 42 U. Stobbe, Höhere Gewalt, 1963, S. 64 ff.; A. Doll, Von der vis maior, 1989, S. 148 ff. 43 So auch § 1 RHPfiG 1871; vgl. § 1 Haftpflichtgesetz 1978. 44 Receptum 1860, § 4, S. 79 - 85. 45 Receptum 1860, S. 87 u. 88. 46 Receptum 1860, §§ 5 u. 6, S. 86 - 97; § 9, S. 112 - 115. 47 Receptum 1860, § 8, S. 104 - 112. 39
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Diese von zahlreichen Modifikationen und Ausnahmen gekennzeichnete Begriffsbestimmung Goldschmidts ist diesmal nicht in seiner übervorsichtigen Art, die Dinge zu behandeln, begründet, sondern in einer von ihm ganz richtig erkannten Unstimmigkeit in den Quellen selbst. Diese läßt sich auf die Entstehungsgeschichte dieses Rechtsinstituts zurückführen: Ursprünglich sollte mit ihm eine Verschärfung der Haftung von Schiffern und Wirten eingeführt werden; später wurde indessen eine solche Haftungsverschärfung bis zum Grad der custodia auch für die locatio conductio eingeführt, also den umfassenden Vertragstyp, der ganz regelmäßig in Fällen, die zur receptum-Haftung führen, vorlag. Der Gedanke, durch das receptum solle eine vom Vertragsabschluß unabhängige, aber die eventuell eintretende Vertragshaftung verstärkende Haftung begründet werden, mußte bei dem Nebeneinander beider Institute nunmehr zur Folge haben, daß sich eine Verschärfung der ohnehin verschärften Haftung mit den herkömmlichen begrifflichen Mitteln nicht mehr erfassen ließ 49 . Goldschmidt stellt nun in sehr hohem Maß auf die Umstände des jeweiligen Einzelfalles ab, und zwar nicht allein, wie bei anderen Autoren regelmäßig geschehen, in der Frage des durch den Begriff "höhere Gewalt" zunächst assoziierten äußeren Ereignisses, sondern auch in Hinsicht auf das konkrete Verhalten des potentiell haftenden Unternehmers in der haftungsrelevanten Situation. Dabei steht die Frage einer Mitverusachung durch diesen selbst im Mittelpunkt. Dadurch gerät in den scheinbar objektiven Begriff der höheren Gewalt ein Moment des Verschuldens hinein. Goldschmidts Lehre ist deshalb später als "relative,,5o oder "subjektive 5l Theorie" bezeichnet und ihr die nach Goldschmidt und betont gegen ihn entwikkelte, wirkungs geschichtlich ebenso bedeutende "absolute Theorie" Exners gegenübergestellt worden 52 . Diese Gegenüberstellung ist freilich nicht ganz zutreffend, denn einen Fall des Einstehenmüssens erkennt auch Goldschmidt als objektiv und absolut an, nämlich den des Diebstahls oder der Sachbeschädigung53 durch die Dienstleute - eine allgemeine Haftung für Erfüllungsgehilfen kennt das römische Recht ja sonst nicht - oder Gäste bzw. Passagiere (viatores, vectores) des Wirtes oder Schiffers54 . Doch ist dieses nur ein zwar bedeutsamer, aber doch im ganzen untergeordneter Punkt in Goldschmidts Lehre55 . Man hat sie deshalb später als Receptum 1860, S. 115. Receptum 1860, § 8, S. 104 ff., insbes. S. 106 - lll. 50 U. Stobbe, Höhere Gewalt, 1963, S. 65. 51 A. Doll, Von der vis maior, 1989, S. XIV, 150. 52 Adolf Exner, Der Begriff der höheren Gewalt (vis major) im römischen und heutigen Verkehrsrecht, in: Zs. f. d. Priv.- u. öff. R. d. Ggw. 10 (1883), S. 497 - 582, 513 ff. (auch separat erschienen, Nachdruck 1970). - Zu Exner (1841 - 1894) s. Landsberg, Geschichte III 2, Text S. 924 f., Noten S. 386. 53 Receptum 1860, § 6, S. 95 f. 54 Receptum 1860, § 6, S. 93 f., 115. 55 Die äußere Herkunft des als vis maior angenommenen Ereignisses ist das wirkungs geschichtlich bedeutsamste Kriterium der Lehre Exners, Begriff, 1883, S. 554 - 563, der aber 48 49
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eine Rückkehr zu einem System der mehrfach abgestuften Verschuldenshaftung angesehen und Goldschmidt dies zum Vorwurf gemacht 56 . Natürlich ist der Einfluß des romanistischen Dogmas, Haftung setze grundsätzlich ein Verschulden des Haftenden voraus 57, auf Goldschmidts Ansicht unverkennbar58 , aber sie resultiert nicht unmittelbar aus diesem Dogma: Zum einen ist Goldschmidts Analyse der einzelnen Quellenstellen in ihrer "anscheinenden Principienlosigkeit"59, die er ganz bewußt zur Grundlage seiner Lehre macht60, durchaus überzeugend, zum anderen bekennt er sich zu dem von ihm gefundenen Ergebnis auch in Offenlegung seiner über die Quellen herausreichenden materiellen Grundlagen. Eine Anknüpfung an ausschließlich objektive Kriterien erklärt Goldschmidt nämlich für durchaus denkbar; da sie aber "eine materielle Ungerechtigkeit in sich schlösse", sei sie nur hinzunehmen, wenn die Quellen als Grundlage des geltenden Rechts sie enthielten oder "wenn zwingende Verkehrsbedürfnisse sie hervorriefen". Beides sei indessen nicht der Fa1l 61 . In seinem für die badische Regierung angefertigten Gutachten zu dem Entwurf des ADHGB zweiter Lesung hat Goldschmidt die Konsequenz aus der von ihm aufgezeigten Unbestimmtheit des Begriffes der "höheren Gewalt" und der Unmöglichkeit, ihn von dem des "gewöhnlichen Zufalls" abzugrenzen, gezogen. Art. 371 Entw. ADHGB 11 sah den Ausschluß der Haftung des Frachtführers für Verlust oder Beschädigung des Frachtgutes in Fällen höherer Gewalt, inneren Verderbs oder mangelhafter Verpackung vor. Goldschmidt forderte nun, in der Gesetzgebung auf die Verwendung dieses Begriffes zu verzichten. Er solle durch den Ausdruck ,,zufall" ersetzt und die übrigen genannten Gründe für einen Ausschluß der Haftung als Beispiele für einen solchen gefaßt werden62 . Die badische Regierung machte sich diesen Vorschlag aber nicht zueigen 63 , und das ADHGB sprach in Art. 395 Abs. 1 von einer "Beschädigung durch höhere Gewalt (vis major)". Wie S. 556 in Fußn. 46 verkennt, daß dieses Moment auch in der Lehre Goldschmidts schon angelegt ist; s. etwa RGZ 21, S. 13 ff., 16 u. 17; Konrad Cosack, Lehrbuch des Handelsrechts, 6. Aufl., Stuttgart 1903, S. 412 f. u. 7. Aufl. 1910, S. 456 f. 56 U. Stobbe, Höhere Gewalt, 1963, S. 65; A. Doll, Von der vis maior, 1989, S. XIV, 150; Exner, Begriff, 1883, S. 517 ff., 520 ff. 57 Savigny, Das Obligationenrecht als Theil des heutigen römischen Rechts, 2. Bd., Berlin 1853, S. 295; Rudolph Jhering, Das Schuldmoment im Römischen Privatrecht, Gießen 1867, S. 40 - 54 ("Nicht der Schade verpflichtet zum Schadensersatz, sondern die Schuld", S. 40). 58 U. Stobbe, Höhere Gewalt, 1963, S. 59 ff. 59 Exner, Begriff, 1883, S. 510 f. 60 Anderer Auffassung Exner, Begriff, 1883, S. 510 - 513. 61 Receptum 1860, S. 88 f., 89. 62 Gutachten 1860, S. 112 f. 63 Heimsoeth, Zusammenstellung Nr. 439, S. 70: Die badische wie auch die bayerische und preuß. Regierung beanstandeten nur die von Goldschmidt (Gutachten 1860, S. 113) offensichtlich als unproblematisch angesehene Wendung "durch inneren Verderb", die sie durch "durch die Natur oder Beschaffenheit des Gutes selbst" ersetzen wollten; Art. 395 Abs. 1 ADHGB enthielt dann beides.
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erstaunlich viele andere Änderungsvorschläge Goldschmidts auch, wurde auch dieser jedoch bei der Überarbeitung des ADHGB 1897 wieder aufgegriffen und verwirklicht: § 429 HGB kehrte für die Haftung des Frachtführers zum Verschuldensprinzip zurück64 • Aus der deutschen Gesetzgebung des 19. wie des 20. Jahrhunderts ist der Begriff der höheren Gewalt damit freilich nicht verschwunden. In der Form, wie Goldschmidt sie dargelegt hatte, wurde die Lehre von der ,,höheren Gewalt" von Wissenschaft und Rechtsprechung in der Folgezeit aufgenommen 65 . Dabei wurde der "in betreff dieses Begriffes seit der Abhandlung von Goldschmidt ... herrschenden Lehre,,66 manche Modifikation hinzugefügt67 , ihr wesentliches Moment, das Abstellen auf den konkreten Einzelfall auch in bezug auf das Verhalten des Haftenden, jedoch beibehalten68 . Sie liegt insbesondere der heute allgemein vertretenen Auffassung zum Ausschluß der Gastwirtshaftung nach § 701 Abs. 3 BGB zugrunde69 , bei deren Entstehung auf Goldschmidts Ausführungen Bezug genommen wurde7o . Die zahlreichen späteren Modifikationen in der Bestimmung des Begriffs der "höheren Gewalt", die insbesondere immer wieder die Rechtsprechung vorgenommen hat7), sind Folge des von Goldschmidt erkannten Fehlens eines einheitlichen Maßstabes für die Vielzahl der denkbaren Fälle. Auf den Begriff der höheren Gewalt ist vom Gesetzgeber in der Folgezeit allzu wahllos in den verschiedensten Zusammenhängen zurückgegriffen worden72 • Dies läßt Goldschmidts These auch für die Zukunft als richtig erscheinen, daß eine allgemeingültige Definition sich nicht aufstellen lasse, weil den Normen, in denen der Begriff erscheint, kein einheitliches Prinzip zugrundeliege 73. Der in der Entstehungsgeschichte der Regeln über das receptum begründete Dualismus von Vertrags- und quasigesetzlicher Haftung führte auch zu Problemen bei der Beantwortung der Frage, ob die rechts geschäftliche Vereinbarung eines Vgl. dazu Pappenheim S. 36. s. Exner, Begriff, 1883, S. 514. 66 So RGZ 19, S. 37 ff., 38 (zu § 1 RHPfiG 1871). 67 s. insbes. RGZ 19, S. 39 ff. 68 s. etwa RGZ 21, S. 13 ff., 18; 14, S. 82 f., 83; zuletzt unter ausdrücklicher Berufung auf Goldschmidt bei Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil I 2, § 219, S. 1350 - 1353 (dort auch zu Exner). Deutlich im Sinne der "subjektiven Theorie" auch Larenz, Schuldrecht II, S. 368 f. zu § 701 Abs. 3 BGB u. S. 709 f. zu § 1 Haftpflichtgesetz 1978. 69 Vgl. die bei Thomas in Palandt, BGB, § 701 Rdnr. 11 m.w.N. angegebene Definition. 70 Mot. II, S. 585 f. (Mugdan, Materialien BGB II, S. 327). - Die Gastwirtshaftung in §§ 701 - 703 BGB ist zwar das einzige Relikt der gemeinrechtlichen receptum-Haftung (nachdem schon das ADHGB für die Haftung des Schiffers eigene Wege gegangen ist, s. dazu Goldschmidt, receptum 1860, Anhang S. 368 - 385), dies aber dauerhaft und international: Übereinkommen des Europarats v. 17. 12. 1962, BT-Drs. 5/146 u. 5/147. 71 s. insbes. A. Doll, Von der vis maior, 1989, Kap. E III - XI, S. 155 ff. m.w.N. 72 s. z. B. §§ 203 Abs. 3, 651 j Abs. 1,701 Abs. 3, 1996 Abs. 1 S. 1 BGB, 454 HGB, 1 Haftpflichtgesetz, Artt. 54 Abs. I WG, 48 Abs. 1 ScheckG bis hin zu § 66 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz. 73 Dazu A. Doll, Von der vis maior, 1989, S. 187 f. u.ö. 64
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Ausschlusses der receptum-Haftung zulässig sei. Ihr wendet sich Goldschmit gleichfalls, wenn auch kürzer, ZU 74 : Der Umstand, daß das receptum sich aus einem vertraglichen Garantieversprechen entwickelt habe 75 , scheine der Möglichkeit eines vertraglichen Haftungsausschlusses entgegenzustehen, denn vertragliche Garantieübernahme und gleichzeitiger Ausschluß der Garantie widersprächen einander76 . Da sich die receptum-Haftung aber zu einer gesetzlichen Garantiehaftung entwickelt habe 77, trete sie nunmehr ohne besondere Vereinbarung ein und könne daher wie alle gesetzlich begründeten Haftungstatbestände rechtsgeschäftlich ausgeschlossen werden 78. Dafür reiche allerdings nach römischem wie gemeinem Recht die nur einseitige Erklärung, nicht haften zu wollen (praedictio) nicht aus, sondern es sei das Einverständnis des anderen Teils (consensus), also ein Vertrag über den Haftungsausschluß erforderlich 79. Diesen Satz exemplifiziert Goldschmidt an einigen kurzen Beispielen, wobei er das Hauptgewicht darauf legt, daß dieser Vertrag vor der Einbringung der Sachen abgeschlossen worden sein müsse; die bloß nachträgliche Berufung auf Anschläge, Aushänge oder ähnliches reiche nicht aus. Schon dieser Teil von Goldschmidts Ausführungen hatte eine große Wirkung, denn von den bisherigen Untersuchungen auf diesem speziellen Rechtsgebiet hatte keine den wissenschaftlichen Maximen der historischen Schule entsprochen, und keine war in solchem Maß auf eine praktische Anwendbarkeit der gefundenen Ergebnisse ausgerichtet gewesen. Goldschmidts Ausführungen zum rechtsgeschäftlichen Haftungsausschluß bei den eigentlichen Fällen der receptum-Haftung, .insbesondere der Haftung der Gastwirte, wurden deshalb rasch von der Rechtsprechung aufgenommen 8o, und ähnlich wie sein Beitrag zum Kauf auf Probe löste auch diese Abhandlung eine Reihe von Folgeveröffentlichungen aus 81 . Sie blieb für die Dogmatik dieses Instituts bis in die Motive zum BGB hinein das maßgebliche Werk82 . Nur geringe Resonanz haben dagegen die hinter ihrem dogmatischen Gehalt zurücktretenden rechtshistorischen Ausführungen zum römischen Recht 83 und zum europäischen Seerecht84 gefunden. Receptum 1860, § 11, S. 331 - 339. Receptum 1860, § 7, S. 97 - 104. 76 Receptum 1860, S. 333 f. 77 Receptum 1860, S. 101 - 104. 78 Receptum 1860, S. 333 - 336. 79 Receptum 1860, S. 336 - 339. 80 Z.B. Appellationsgericht Frankfurt a.M., in: Arch. f. prakt. Rechtswiss. N.F. Bd. 4 (1867), S. 414 - 418, 414 f., 416 f. 81 Vgl. Goldschmidt, Haftungspflicht 1861, S. 571 in Fußn. 5; aus vornehmlich praktischer Sicht C. W. Harder, Ueber das receptum nautarum cauponum et stabulariorum, in: Zs. für Civilrecht und Prozeß, hrsg. v. J. T. B. von Linde/I. F. Schulte, N.F. Bd. 18, Gießen 1861, S. 221 - 233. 82 Mot. 11, S. 585 f.; Windscheid/Kipp, Pandekten 11, § 384, S. 618 in Fußn.*; zuletzt noch bei Enneccerus/Lehmann, Schuldverhältnisse, § 172, S. 717 Fußn.*. 74 75
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Dem eigentlich von ihm angestrebten 85 Thema der Haftung des Landfrachtführers, insbesondere der Eisenbahnen, widmet Goldschmidt in seiner Abhandlung zunächst nur einige Zeilen, in denen er auf die besonders streitige Frage der Zulässigkeit von Haftungsausschlüsen nicht weiter eingeht86 . Zu ihm kommt er erst im letzten Teil der Abhandlung und ihrem Anhang 8? Das auf den Eisenbahntransport anzuwendende Haftungsrecht ergab sich für Preußen aus § 25 des Preuß. Eisenb.-Ges. 88 . In den übrigen Staaten, in denen überwiegend gemeines Recht galt, versuchten Rechtsprechung und Wissenschaft, die sich aus den Regeln über die locatio conductio operis ergebende Haftung dadurch zu einer Zufallshaftung bis zur Grenze der höheren Gewalt zu machen, daß sie sie den Regeln der receptum-Haftung unterworfen wissen wollten 89 • Goldschmidt wendet sich entschieden gegen eine derartige Ausdehnung der Normen des römischen Instituts. Schon von seinem gesetzgeberischen Anlaß her paßten seine Regelungen nicht auf die Eisenbahn-Unternehmen. Denn die historische Untersuchung über die Gründe, die zur Aufstellung der receptum-Haftung geführt hätten, zeige, daß es eindeutig einen polizeilichen, nämlich gegen die notorische Unzuverlässigkeit der Schiffer und Wirte gerichteten Charakter90 habe. Tatsächlich war die Argumentation, die auf eine analoge Anwendung der Regeln über das receptum abzielte, wenig stichhaltig, denn die Eisenbahnen waren zwar in wirtschaftlicher Hinsicht vielfach an die Stelle des Schiffsverkehrs getreten, die realen Umstände, unter denen der Transport erfolgte, waren jedoch ganz andere als beim Schiffs transport. Mit dem Aufkommen der Dampfmaschine und des Eisenbahnwesens waren nach vielen Jahrhunderten erstmals Erscheinungen in die Rechtswirklichkeit getreten, für die es im hochentwickelten spätantiken Wirtschaftsleben, das der Ausprägung der römischen Institute zugrundegelegen hatte, keine Entsprechung gab. Nicht zufällig geht gerade § 25 Preuß. Eisenb.-Ges. auf eine Initiative F. C. v. Savignys 91 zurück, dessen genaue Kenntnis des römischen Rechts die sich hier öffnende Lücke im Rechtssystem erkannt hatte, und wohl auch 83 Christoph Heinrich Brecht, Zur Haftung der Schiffer im antiken Recht, München 1962 (entstanden 1941), S. 2 Fußn. 3, 5 u. insbes. S. 103 Fußn. 1. Goldschmidts genetische Analyse der Konkurrenz der custodia-Haftung nach receptum mit der nach locatio conductio wird S. 87 ff. indessen übergangen. 84 Landwehr, Art. Seerecht Sp. 1611 (Lit.). 85 Vgl. Lebensbild S. 220. 86 Receptum 1860, S. 331 - 333, 339. 87 Receptum 1860, § 13, S. 352 - 367, u. Anhang S. 368 - 385. 88 Zur Rechtslage davor s. Koch, Deutschlands Eisenbahnen 11, S. 43 ff. 89 Pohlhausen, Geschäftsbedingungen, S. 14 ff. m.w.N.; Goldschmidt, receptum 1860, § 13, S. 352 ff. 90 Receptum 1860, S. 355 f. 91 Th. Baums, Die Einführung der Gefährdungshaftung durch F. C. von Savigny, in: ZRG GA 104 (1987), S. 277 - 282, darin S. 278 f. der Abdruck der Stellungnahme, die Savigny als Mitglied des Staatsrats abgegeben hatte.
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deshalb stieß diese Vorschrift, soweit sie die Haftung der Eisenbahn gegenüber unbeteiligten Dritten betraf, auch bei den Romanisten kaum auf Kritik, obgleich sie doch so eklatant dem gerade von Savigny verfochtenen Dogma, daß Haftung Verschulden voraussetze, widersprach 92 • Für das Verhältnis zwischen Absender oder Passagier und Transport- oder Beförderungsunternehmer hatten freilich schon vorher einige Partikularrechte die Regeln der ursprünglichen receptum-Haftung in unterschiedlichem Umfang auch auf den Landtransportvertrag erstreckt93 . Deshalb, und um der dogmatischen Konstruierbarkeit der Normen genügen zu können, wurde nun auch die Einführung der Gefährdungshaftung durch § 25 Preuß. Eisenb.-Ges., soweit es dieses Verhältnis betraf, nicht eigentlich als Schaffung eines neuen Instituts des Haftungsrechts verstanden, sondern als Übernahme der gemeinrechtlichen Grundsätze über die receptum-Haftung des Schiffers in das Recht der Eisenbahnen. Auch die Diskussion über die Beratungen des Frachtführerrechts des ADHGB wurde fast ausschließlich unter dem Blickwinkel einer Ausweitung der receptum-Haftung geführt. Für Goldschmidt ist diese Sichtweise so selbstverständlich94 , daß er nicht einmal bemerkt, daß sie im Hinblick auf die Reisenden und Absender noch angehen mag, im Hinblick auf geschädigte Dritte95 oder die Schädigung von Angestellten der Eisenbahn-Unternehmen selbst96 jedoch überhaupt nicht paßt. Im Hinblick auf das Eisenbahntransportrecht kommt Goldschmidt deshalb in seiner Abhandlung zu einem negativen Ergebnis: Die von ihm dargelegten Ergebnisse über die Haftung für höhere Gewalt seien auf die Eisenbahnen nicht anwendbar. Ihre Erstreckung auf das Eisenbahnrecht im Wege der Gesetzgebung sei wegen der Unterschiedlichkeit der Haftungsgründe auch nicht zu erstreben. Welchen Haftungsmaßstab man aber auch befürworte, die Eisenbahnen seien jedenfalls befugt, ihre Haftung gegenüber den Absendern oder Fahrgästen vertraglich zu beschränken. Unter diesem Blickwinkel, daß die Verschärfung der Haftung der Eisenbahn-Unternehmen auf der Ausweitung eines Instituts des römischen Rechts beruhe, für die die Genese dieses Instituts keine Grundlage biete, stehen auch Goldschmidts weitere Schriften zu diesem Thema.
92 F. C. von Savigny, Das Obligationenrecht als Theil des heutigen römischen Rechts, 2. Bd., Berlin 1853, S. 295. 93 So insbes. Preuß. ALR 11 8 §§ 2454, 2456. 94 Receptum 1860, S. 363 f. 9S Die receptum-Haftung setzte zwar keinen Vertrag zwischen Unternehmer und Geschädigtem voraus, wohl aber die Einbringung von Sachen. Ein solches verbindendes Merkmal fehlt dem durch einen nur vorbeifahrenden Eisenbahnzug Geschädigten. 96 s. dazu Ernst Wickenhagen, Geschichte, S. 21 ff., 24.
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2. Teil: Handelsrecht in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts
3. Der Ausschluß der Haftung durch die Eisenb.-B. =R.s
Nach der Bestimmung des Haftungsmaßstabes, dem die Eisenbahnen unterlagen oder unterliegen sollten, stellte sich die weitere Frage, ob und in welchem Umfang die Eisenbahn-Unternehmen berechtigt waren, ihre Haftung für Transportverluste oder -beschädigungen vertraglich, insbesondere aber durch die Eisenb.-B.=R.s abzubedingen 97 . In der Literatur war diese Frage äußerst umstritten, und auch die Rechtsprechung bildete keine einheitliche Linie. Es wurden insbesondere zwei Begründungsansätze vertreten: Die Vorschriften über die Haftung der Eisenbahnen gehörten dem Recht der öffentlichen Ordnung an, das durch vertragliche Abreden nicht geändert werden könne 98 ; und aus der faktischen, teilweise ihnen sogar zeitlich beschränkt eingeräumten rechtlichen Monopolstellung der Eisenbahnen 99 auf dem Gebiet des Landtransportes folge, daß sie zu Haftungsbeschränkungen, denen insbesondere die Absender nicht durch Ausweichen auf Konkurrenzunternehmen entgehen könnten, nicht befugt seien 100. Dagegen wurde regelmäßig der allgemeine Gesichtspunkt der Vertragsfreiheit geltend gemacht 10 I , der es den Eisenbahn-Unternehmen wie allen anderen Unternehmern auch gestatte, ihre gesetzlich oder gewohnheitsrechtlich umschriebene Haftung durch abweichende vertragliche Vereinbarungen zu begrenzen 102. Diese Auseinandersetzung war in den späten 50er Jahren sehr stark auch von legislativen Gesichtspunkten geprägt, denn beide wirtschaftlich beteiligten Interessengruppen, die Eisenbahn-Unternehmen einerseits und die auf diese Dienstleistung angewiesenen Kaufleute andererseits waren natürlich sehr daran interessiert, ihre jeweiligen Vorstellungen möglichst weitgehend in das gerade entstehende ADHGB einfließen zu lassen. Dieser Widerstreit führte schließlich zu den Vorschriften der Artt. 422 ff. ADHGB, deren Entstehungsgeschichte lO3 denn auch von manchem grundlegenden Wechsel in der Zielrichtung gekennzeichnet ist. Auch Goldschmidts Befassung mit diesem Themenkreis steht im Zusammenhang mit der Entstehung des ADHGB. In seinem Gutachten über den ADHGBEntwurflO4 hatte er sich ebenso wie in seiner Abhandlung über das receptum 105 Hierzu Pohlhausen, Geschäftsbedingungen, S. 50 ff. Papinian D 2, 14, 38 ("Ius publicum privatorum pactis mutari non potest."). So insbesondere die Rechtsprechung; August Ludwig Reyscher, Das Telegraphenrecht, in: Zs. f. dt. R. 19 (1859), S. 271 - 320, 310 - 315, u. Beschomer, Ersatzpflicht, S. 402 bei Verletzungen von Menschen. 99 So z. B. nach §§ 26 f. Preuß. Eisenb.-Ges. 100 Beschomer, Ersatzpflicht, S. 404 f.; ders., Eisenbahnrecht, S. 261 - 273. 101 Hierzu Pohlhausen, Geschäftsbedingungen, S. 66 ff. 102 Koch, Deutschlands Eisenbahnen 11, S. 142 ff. 103 Ausführlich dargestellt bei Pohlhausen, Geschäftsbedingungen, S. 164 - 181. Prägnant auch bei F. v. Hahn, Commentar 11, Vorbemerkungen vor Artt. 422 ff., § 2. 104 Gutachten 1860, S. 109 - 113. 97 98
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ausführlich mit den Arbeiten an der Gestzgebung des Frachtrechts befaßt und sich insbesondere dagegen gewandt, der augenblicklichen Strömung übereilt nachzugeben und das Landtransportrecht in allzu enge, seine weitere Entwicklung hemmende Regelungen einzufassen. Tatsächlich war ja die völlig neuartige Erscheinung der Eisenbahnen ein Fall, an dem sich die Bildung von Rechtsanschauungen und -normen aufgrund gewandelter tatsächlicher Verhältnisse in der Gegenwart verfolgen ließ. Goldschmidt konnte hierin deshalb einen Beleg für seine Anschauungen über die Genese von Rechtsnormen sehen und wollte diesen Bereich auch deswegen wohl von vorschnellen äußeren reglementierenden Eingriffen freihalten. In seinem ersten Aufsatz "Ueber die vertragsmäßige Beschränkung der Ersatzpflicht der Eisenbahnverwaltungen", der 1858 in der AcP erscheint J06 , gibt Goldschmidt zunächst einen knappen Überblick über die Kritik an der von den Eisenbahn-Unternehmen geübten Praxis und die für die Arbeit am ADHGB bis dahin leitenden Grundsätze J07 . Dann stellt er die seiner Ansicht nach dem geltenden Recht entsprechende Rechtslage dar J08 : Der Eisenbahntransport unterliege allein den Grundsätzen der locatio conductio operis J09 , das Eisenbahn-Unternehmen habe nur für eigenes Verschulden einzustehen, wozu auch mangelhafte Auswahl und Beaufsichtigung des Personals gehöre 11D • Daß "nach bestehendem Recht alle Beschränkungen der Ersatzpflicht bis auf die Haftung für dolus und culpa lata durchaus zulässig sind, unterliegt" für ihn "keinem gegründeten Zweifel" 111, sei dies doch von den Quellen sogar für die strenge receptum-Haftung ausdrücklich anerkannt 112 ; denn auch im Frachtrecht gehörten die Bestimmungen über die Verpflichtung zum Schadensersatz nicht dem unabdingbaren öffentlichen Recht an 113. Diese kurze Ankündigung 114 von Goldschmidt, sich demnächst ausführlicher in der hier nur knapp umrissenen Richtung äußern zu wollen, fand, da bislang Stellungnahmen in der wissenschaftlichen Literatur kaum vorlagen 115, bereits Beachtung in Literatur und Rechtspraxis 116 . Receptum 1860, s. 368 ff. Es ist eigentlich nur eine Rezension des unmittelbar voran stehenden Aufsatzes von Beschomer, "Von der Ersatzpflicht der Eisenbahnverwaltungen" (AcP 41, S. 393 - 406), um die Goldschmidt von der Redaktion ersucht worden war (Beschränkung 1858, S. 406). Vielleicht hatte er gegenüber Mittermaier, den dieses Thema gleichfalls interessierte (s. dessen Übersicht über "Die Rechtsprechung in England und Nordamerika über die Haftungspflicht der Eisenbahnverwaltungen ... mit Rücksicht auf dt. Rechtsprechung", AcP 41, S. 410 - 419), sein Interesse bekundet; vgl. Lebensbild S. 220 u. receptum 1860, S. 58 Fußn.*. 107 Beschränkung 1858, S. 406 - 408. 108 Beschränkung 1858, S. 408 - 410. 109 Beschränkung 1858, S. 408, 409. 110 Beschränkung 1858, S. 409. III Beschränkung 1858, S. 408. 112 Beschränkung 1858, S. 410. 113 Beschränkung 1858, S. 409 f. 114 So ausdrücklich Beschränkung 1858, S. 406. 105
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Der Hauptbeitrag Goldschmidts und gleichzeitig die überhaupt wichtigste und wirksamste Schrift zu den Rechtsfragen, die sich aus der Verwendung der Eisenb.B.=R.s ergaben, war dann seine Abhandlung über "Die Haftungspflicht der Eisenbahnverwaltungen im Güterverkehr" von 1861, die mit ihrem Umfang von 92 Seiten zugleich die umfangreichste Stellungnahme zu diesem Problem war. Wenn auch der Titel scheinbar eine Abhandlung ankündigt, die ein sehr spezielles Thema betrifft, so führt sie doch in Gebiete, die zu den Grundfragen nicht allein des Handelsrechts, sondern auch der Rechtsgeschäftslehre gehören. Wichtige Abschnitte dieser Abhandlung beruhen auf Grundgedanken, die Goldschmidt in allgemeinerer Form einem großangelegten Plan folgend 117 bereits in seiner Abhandlung über das receptum entwickelt hatte. Sie verfolgt er nunmehr einerseits ins Allgemeinere, da er die Problematik von ihrer gewöhnlichen Einbindung in Diskussionen über die Anwendung des receptum auf das Landfrachtgeschäft löst" 8 , andererseits ins Speziellere, indem er sich auf die Möglichkeit von Haftungsausschlüssen durch Eisenb.-B.=R.s konzentriert. Auf diese Entwicklung von Goldschmidts Gedanken hinzuweisen ist deshalb nötig, weil eine Interpretation der früheren Abhandlung vom Standpunkt der späteren aus den Eindruck erwecken kann, Goldschmidt habe sich gleichsam 1860 die Grundsätze des gemeinen Rechts so zurechtgebogen, wie er sie brauchte, um 1861 die Wirksamkeit der Eisenb.-B.=R.s begründen zu können" 9 ; diese Betrachtungsweise ist indessen nicht allein Goldschmidt gegenüber ungerecht, sie verstellt auch den Blick dafür, wie sehr die Rechtswissenschaft des vergangenen Jahrhunderts bemüht war, neue Erscheinungsformen in die anerkannten, auf breitem wissenschaftlichem Konsens ruhenden Grundsätze des insoweit unkodifizierten Rechts systematisch einzuordnen und damit zu konsensfahigen Ergebnissen zu gelangen. Ein solches Vorgehen war im Interesse der Rechtssicherheit unentbehrlich. Gerade hierfür aber bietet Goldschmidts Abhandlung ein in Inhalt und Wirkung glänzendes Beispiel. Die Einordnung in einen grundsätzlichen Zusammenhang macht Goldschmidt gleich in der Vorrede deutlich 120: Anlaß seiner Veröffentlichung sei der bevorstehende Abschluß der Arbeiten am ADHGB, so daß vor dem Eintritt in ein teilweise neues Recht der Stand bisheriger Rechtsprechung und Literatur in ihrer Entwicklung dargestellt und kritisch beleuchtet werden solle. "Diesen Standpunkt einer kri115 s. Gustav Vogt, Schweizerische Studien über Eisenbahnrecht, jn: Krit. Vjs. f. Gesetzgebung u. Rechtswiss. 22 (1859), S. 1 - 63, 1 - 3. 116 s. Fußn. 3 zum Erkenntnis des OAG Celle v. 20. 4.1855, SeuffArch 13 (1860), S. 188191, 190; s. auch Reyscher, Telegraphenrecht, Zs. f. dt. R. 19 (1859), S. 313 f. in Fußn. 50 a.E. 117 Vgl. Lebensbild S. 220. 118 Goldschmidt, Haftungspflicht 1861, S. 570 f. in Fußn. 5; dort auch zu Kritiken an seiner vorherigen Abhandlung. 119 So Pohlhausen, Geschäftsbedingungen, S. 52, 62, 65, 68 f., 77, 88 u.ö.; differenzierter Benöhr, Regelungsbefugnis, S. 78. 120 Haftungspflicht 1861, S. 569.
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tischen geschichtlich-dogmatischen Rück- und Ueberschau" 121 , sprengt er aber schon bald zugunsten einzelner detaillierter Untersuchungen, die freilich eingebunden sind in eine Gliederung des Aufsatzes, die ihm den nur äußeren Anschein einer wesentlich zusammenstellenden Abhandlung geben 122 . Dieser Aufbau der Abhandlung scheint bereits eine Voreingenommenheit Goldschrnidts zugunsten der Eisenbahn-Unternehmen zum Ausdruck zu bringen, indem er nach den allgemeinen Gesichtspunkten erst ausführlich den Inhalt der Reglements so darstellt, als sei von deren Verbindlichkeit auszugehen, und erst im Anschluß daran die Kritik aus dem Handelsstand referiert, deren Anerkennung als berechtigt doch die vorhergehende Arbeit hätte überflüssig machen können. Immerhin verwirft Goldschmidt Bestandteile der Reglements mit deutlichen Worten 123 . Diese Art des Aufbaus, die sich nicht zufällig auch bei Deduktionen Thöls besonders ausgeprägt findet l24 , ist für ein analytisches Vorgehen indessen geradezu zwingend, denn nur so lassen sich die erhobenen Bedenken konkreten Tatbeständen der Eisenb.-B=R.s zuordnen. Goldschrnidt entgeht auf diese Weise dem Abgleiten in eine vornehmlich von Schlagworten geprägte Auseinandersetzung, die regelmäßig vom spezifisch Juristischen ins Rechtspolitische abzugleiten droht. Dabei setzt er sich vom Standpunkt heutiger Autoren aus zwar dem bekannten Vorwurf aus, über diesen Rückzug auf rein juristisch-dogmatisches Gebiet die sittlichen Bedingungen und die realen Verhältnisse außer acht zu lassen l25 ; dieser Vorwurf ist jedoch unbegründet: GoldHaftungspflicht 1861, S. 569. Nach der kurzen Vorrede (S. 569) behandelt er: I. Gesetzliches und Gewohnheitsrecht. Literatur (S. 569 ff.); 11. Die Dt. Praxis (S. 574 ff., Übersicht über die Rechtsprechung dt. Gerichte); III. Uebereinkunft und Reglements, 1) Allgemeine Gesichtspunkte (S. 579 ff.), 2) Gültigkeit der Reglements (S. 588 ff.), 3) Wirksamkeit der Reglements (S. 594 ff.); IV. Die bestehenden Reglements (S. 604 ff., eine Übersicht über den Inhalt der bereits vorhandenen Reglements), 1) Erweiterungen der gesetzlichen Verbindlichkeit (S. 607 ff.), 2) Beschränkungen der gesetzlichen Verbindlichkeit (S. 610 ff.), nämlich a) der Verpflichtung zum Transport (S. 611 ff.), b) hinsichtlich der Ausführung des unternommenen Transports (0:. Lieferungszeit u. Verzug S. 613 ff., ß. Verlust u. Beschädigung S. 617 ff., J. Umfang der Ersatzpflicht bei vertretbaren Verlusten u. Beschädigungen S. 624 ff.), c) Zeitliche Bedingungen u. Begrenzungen der Ersatzansprüche (S. 632 ff.), d) Beschränkungen des Rechtsweges (S. 635); v. Die Klagen des Handelsstandes. Kritische Beleuchtung der Reglements (S. 635 ff., Übersicht über die Kritikpunkte, insbes. die als zu weitgehend empfundenen Haftungsausschlüsse und einschränkungen); VI. Die gegenwärtige Rechtsgültigkeit der reglementaren Beschränkungen. Dt. Literatur u. Praxis (S. 642 ff., eine Wiederaufnahme der Untersuchungen von Kap. III bezogen auf einzelne Bestimmungen der Reglements); schließlich VII. Das Frz. u. Eng!. Recht (S. 653 ff., Darstellung der Grundzüge dieser Rechtssysteme - Einzelheiten des angloamerikanischen Rechts schon Haftungspflicht 1861, S. 602 ff. -, wohl beeinflußt von Mittermaiers freilich mehr darstellendem als kritisch analysierendem Versuch, sich den aufgeworfenen Fragen rechtsvergleichend zu nähern (AcP 41 (1858), S. 410 - 419. Vg!. Goldschmidt, Haftungspflicht 1861, S. 653 in Fußn.* a.E.). 123 Haftungspflicht 1861, S. 635 unten: " ... geeignet, die ernstesten Bedenken hervorzurufen, ... bedroht den Verkehr mit den empfindlichsten Nachtheilen, unter Umständen mit völliger Rechts- und Schutzlosigkeit"; s. auch S. 641. 124 s. Z. B. Handelsrecht III, S. 161 ff. 121
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schmidt sieht ja durchaus auch die Interessen der benachteiligten Absender, aberund das wird von seinen Kritikern gern unterschlagen - auch die spezifischen Interessen der Eisenbahn-Unternehmen; den Ausgleich dieser Interessen versucht er nun wie etwa auch Reyscher und Beschorner durch Abwägungen auf der Grundlage des geltenden Rechts zu finden. Den Kern von Goldschmidts Abhandlung bildet das III. Kapitel, in dem er die allgemeinen rechtlichen Grundlagen zu bestimmen sucht. Ausgangspunkt 126 ist für ihn der Grundsatz, daß über Voraussetzung und Umfang der Haftung von Vertragsparteien deren vertragliche Vereinbarung entscheide, sofern nicht zwingendes Recht entgegenstehe. Unzulässig nach gemeinem Recht wie den meisten Partikulargesetzen sei danach etwa der Ausschluß der Haftung für eigenen Vorsatz und eigenes grobes Verschulden 127; dies gelte auch für die Eisenbahn-Unternehmen. Dagegen sei die Haftung für ein Verschulden der Gehilfen nach den anerkannten Regeln des gemeinen Rechts für alle Verschuldensgrade abdingbar 128 . Es gelte hier jedoch eine wichtige Ausnahme l29 : Sofern es um Akte gehe, bei denen die Eisenbahn-Unternehmen nur durch Gehilfen tätig werden könnten, also eigene Beaufsichtigung und damit eigenes Verschulden gar nicht möglich sei, erfordere das "Bedürfniß der Rechts- und Verkehrssicherheit", daß sie auch für dolus und culpa lata ihrer Gehilfen unabdingbar haften müßten, sonst läge eine "dem guten Glauben zuwiderlaufende und darum unsittliche Ausbeutung ihrer eigenthümlichen Lage" vor, eine Konstellation, die er freilich nur ganz ausnahmsweise anzunehmen bereit ist 13o. Im Vorgriff auf die spätere Einzeluntersuchung weist Goldschmidt bereits darauf hin, daß die in wohl allen Eisenb.-B-=R.s zu findende Bestimmung, die Haftung sei generell auf einen bestimmten Betrag je Gewichtseinheit beschränkt l3l , wegen der Unabdingbarkeit der Haftung für eigenen dolus und eigene culpa lata in diesen Fällen wirkungslos sei l32 . Das darin liegende Problem der "geltungserhaltenden Reduktion,,133 sehen er wie die anderen Autoren seiner Zeit freilich noch nicht.
125 So insbes. Pohlhausen, Geschäftsbedingungen, S. 65; differenzierter Benöhr, Regelungsbefugnis, S. 178 f. - Allgemein hierzu Wieacker, Pandektenwissenschaft, S. 55 ff. 126 Haftungspflicht 1861, S. 579 ff. 127 Dolus und culpa lata: Haftungspflicht 1861, S. 580 f. u. S. 642; Beschränkung 1858, S. 408 f. Darüber bestand Einigkeit, wenn auch die Quellen (insbes. Ulpian/Celsus D. 50,17, 23 in Verbindung mit Paulus D. 50, 16,226) dies nicht mit hinreichender Deutlichkeit sagen: vgl. Windscheid/Kipp, Pandekten 11 § 265, S. 102. 128 Haftungspflicht 1861, S. 580 f., 582 f. 129 Von Pohlhausen, Geschäftsbedingungen S. 66 übersehen. 130 Haftungspflicht 1861, S. 581 f., 582. Siehe auch sein Gutachten über die Rechtsverhältnisse der unter preuß. Staatsaufsicht stehenden Eisenbahnen v. 1878, S. 429 f. 13l Dazu Pohlhausen, Geschäftsbedingungen, S. 28 - 46. 132 Haftungspflicht 1861, S. 583. 133 s. etwa Larenz, Allgemeiner Teil, § 29 a III d, S. 574 - 576 m.w.N.
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Nach diesen für alle Abreden geltenden Ausführungen kommt Goldschmidt zu den Besonderheiten der B.=R.s 134, die regelmäßig von den Eisenbahn-Unternehmen ausgearbeitet wurden und denen deren Vertragspartner sich zu unterwerfen hatten. Sie dienten nicht allein dem Interesse der Eisenbahnen, sondern durch die mit ihnen verbundene Vermeidung von Nachfragen, Vereinfachung der Kalkulation und Gleichbehandlung aller Eisenbahn-Benutzer auch dem öffentlichen Interesse 135. Zwei Fragen, die bisher zu wenig differenziert betrachtet worden seien, müßten unterschieden werden 136: die nach der Befugnis der Eisenbahn-Gesellschaften zur einseitigen Aufstellung der Reglements, von Goldschmidt hier die Frage nach der "Gültigkeit der Reglements" genannt l37 , und die nach deren "Wirksamkeit", d. h. den Voraussetzungen für ihre Einbeziehung in den jeweiligen Frachtvertrag 138. Die Befugnis zur Aufstellung der Reglements 139 war vielen Eisenbahn-Unternehmen durch Gesetz ausdrücklich 140 - oft mit dem Vorbehalt staatlicher Genehmigung und besonderer Art der Veröffentlichung - verliehen; ohne dieses ergebe sie sich aus der Privatautonomie der Unternehmen. Da die Reglements jedoch keinesfalls Gesetze seien 141, komme ihre Geltung nur in Form vertraglicher, das dispositive Recht ausfüllender oder abwandelnder Abreden in Betracht l42 . Das eigentliche Problem lag damit in der "Wirksamkeit" der Reglements, der Frage, auf welche Weise sie Bestandteil der einzelnen Frachtverträge würden l43 . Goldschmidt stellt einleitend klar, daß die B.=R.s nur als Bestandteil von Willenserklärungen in den Vertrag eingeführt werden können, und zwar, da das Vertragsangebot ganz regelmäßig vom Absender ausgehe, als Bestandteil von dessen Erklärung l44 . Dafür könne es aber einerseits nicht ausreichend sein, daß das Reglement vorher nur gehörig veröffentlicht worden sei, wie es umgekehrt nicht notwenHaftungspflicht 1861, S. 583 ff. Haftungspflicht 1861, S. 585. 136 Haftungspflicht 1861, S. 585 ff. 137 Haftungspflicht 1861, S. 585. 138 Haftungspflicht 1861, S. 586. 139 Goldschmidt, Haftungspflicht 1861, S. 588 ff. 140 Noch nicht im Preuß. Eisenb.-Ges. v. 1838, das neben den autonomen Tarifbestimmungen nur ein vom Handelsministerium zu erlassendes Bahnpolizei-Reglement nennt (§§ 32 bzw.23). 141 Das hätte ihre Geltung unproblematisch gemacht. Aus der fehlenden Gesetzeskraft wurde umgekehrt freilich vorschnell ihre Geltung abgelehnt, vgl. etwa G. Vogt, Schweizerische Studien über Eisenbahnrecht, Krit. Vjs. f. Gesetzgebung u. Rechtswiss. 22 (1859), S. 14 - 17,31 - 35, 62 f.; Pohlhausen, Geschäftsbedingungen, S. 99 - 163. 142 Haftungspflicht 1861, S. 590 ff. 143 Haftungspflicht 1861, S. 594 ff.; ausführlich dazu Pohlhausen, Geschäftsbedingungen S. 87 - 98. 144 Haftungspflicht 1861, S. 594. 134 135
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dig sei, den Kontrahenten vor Abgabe seiner Erklärung ihren Inhalt im einzelnen mitzuteilen: "es sind vielmehr verschiedene Momente zu berucksichtigen,,145. Für nahezu unproblematisch hält Goldschmidt den Regelfall des Gütertransportgeschäfts aufgrund von Frachtbriefen 146, deren Formular-Vorlagen der Absender ausfülle und mit deren und der Güter Annahme durch die Eisenbahn-Bediensteten der Frachtvertrag perfekt werde. Denn in den Frachtbrief-Formularen wurde ausdrucklich auf die B.=R.s hingewiesen oder es wurden diese sogar auszugsweise wiedergegeben 147. Damit würden die B.=R.s Bestandteile der Willenserklärung des Absenders; wenn dieser von ihrem Inhalt trotz des Hinweises tatsächlich keine Kenntnis genommen habe, könne er sich darauf nach den allgemeinen Lehren der Rechtsgeschäftslehre jedenfalls nicht berufen 148. Entsprechendes gelte, wenn zwar ohne Ausfüllen des Frachtbriefs der Vertrag geschlossen werde, aber "aus der Lebensstellung des Versenders auf dessen Kenntniß der Reglementsbestimmungen geschlossen werden" könne, weil er etwa vorher schon häufiger über Frachtbrief kontrahiert habe l49 . Nicht ausreichend sei freilich die nur vorbehaltlose Annahme der Fahrkarte durch einen Reisenden, auch wenn auf dieser auf B.=R.s verwiesen werde, da solche nach dem Vertragsschluß gegebenen Hinweise nicht mehr Bestandteil des bereits abgeschlossenen Vertrages würden l50 . Problematisch werde es erst dann, wenn diese Voraussetzungen nicht vorlägen 151 . Goldschmidt weist zunächst darauf hin, daß die Folgen der fehlenden Kenntnis des Vertragspartners von den B.=R.s sich nach den Regeln über Irrtum oder Unkenntnis in bezug nicht auf Rechtssätze, sondern auf Tatsachen bestimmten, deren Kenntnis sich nicht im Wege der unwiderlegbaren Vermutung - wie beim grundsätzlich irrelevanten Rechtsirrtum - durch Rechtssatz dem Betreffenden zurechnen lasse l52 . Es bestehe aber nach gemeinem Recht folgender Rechtssatz: Es werde "die Unkenntniß von Thatsachen nicht berucksichtigt, wenn sie auf unverzeihlicher Nachlässigkeit oder grober Beschränktheit beruht, wenn das nicht gewußt wird, was jeder Verständige weiß,,153. Dieser Rechtssatz sei belegt in zahlreichen Digestenstellen, die Goldschmidt im Text aufführt: D. 22, 6, 3, 1; 6; 9, 2; D. 18, 1, Haftungspflicht 1861, S. 594 f., 595. Haftungspflicht 1861, S. 595 - 597. 147 Frachtbrief-Muster bei Beschorner, Dt. Eisenbahnrecht; Koch, Deutschlands Eisenbahnen II; Thöl, Handelsrecht 111. 148 Haftungspflicht 1861, S. 596, bemerkenswerterweise ganz knapp in wörtlicher Anführung eines Erkenntnisses des OAG Darmstadt von 1855, SeuffArch. 10 (1856), S. 274 ff., 275 (nach Rhein. Recht). 149 Haftungspflicht 1861, S. 597. 150 Haftungspflicht 1861, S. 597 unter Verweis aufreceptum 1860, S. 336 - 338: praedictio und consensus. Mit diesen Voraussetzungen macht Goldschmidt also (entgegen Pohlhausen, Geschäftsbedingungen, S. 88 f.) durchaus auch im Hinblick auf die Eisenb-B.=R.s ernst. 151 Haftungspflicht 1861, S. 598 ff. 152 Haftungspflicht 1861, S. 598. 153 Haftungspflicht 1861, S. 598 f., 598. 145
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15, 1; D. 21, 1, 14, 10; 48, 3; 55; D. 43, 24, 4. Das von Jhering aufgeworfene Problem der "culpa in contrahendo" ergebe sich deshalb hier kaum, da unentschuldbare Unkenntnis zum Vertrags schluß unter Einbeziehung der Eisenb-B.=R.s führe, entschuldbare Unkenntnis zwar nicht, aber eben, da entschuldbar, auch nicht zu einer Schadensersatzpflicht154. Freilich sei nach diesem Maßstab nicht die Unkenntnis aller Reglementsbedingungen unentschuldbar. Kenntnis bestimmter Bedingungen, die für einen geordneten Eisenbahnbetrieb schlechthin notwendig seien, müsse bei jedem Benutzer vorausgesetzt werden, da von ihm bei bestehender Unkenntnis das Einholen entsprechender Erkundigung. ohne weiteres erwartet werden könne 155. Als Beispiele nennt Goldschmidt u. a. Tarife, Fahrpläne, Berechnung und Zahlung der Fracht, Zeitpunkt der Gepäckaufgabe, der Fahrkartenausgabe, des Aus- und Einsteigens 156. Nicht darunter fallende, das bestehende Recht nur modifizierende Bestimmungen - und darunter fielen insbesondere die streitigen Haftungsbeschränkungen - könnten dagegen den Benutzern nicht ohne weiteres als bekannt zugerechnet, sondern müßten ihnen besonders bekanntgegeben werden 157. Zwei Fälle seien hier zu unterscheiden: Wenn der (Partikular-)Gesetzgeber eine bestimmte Art der Veröffentlichung vorgeschrieben habe und dieser Veröffentlichung auch die Wirkung habe beilegen wollen, daß nach ihr sich niemand mehr auf Unkenntnis der ReglementsBedingungen berufen dürfe, so sei vom Zeitpunkt der Veröffentlichung an jeder Kontrahent an sie gebunden, denn diese Bindung beruhe dann auf positiv-gesetzlicher Vorschrift l58 . Fehle eine solche Vorschrift, dann müsse eine solche "Kundmachung" erfolgen, "welche dem ganzen Publikum zugänglich ist, welche Jeden, der mit der Verwaltung kontrahiren will, darauf hinweist, daß besondere Transportbedingungen gestellt sind, und in den Stand setzt, schon vor Eingehung des Vertrags sich über alle Transportbedingungen zu unterrichten. Denn nur alsdann kann auch von Jedem diese Kenntniß verlangt werden,,159. Diese Kundmachung beschreibt Goldschmidt als "ein offenkundiger, unmittelbar in die Augen fallender, deutlich und ohne Mühe lesbarer Anschlag oder Aushang" an der Stelle, wo die Transportverträge regelmäßig geschlossen würden; er müsse geeignet sein, die Aufmerksamkeit der Benutzer zu erregen, sich deshalb deutlich von anderen Anschlägen wie Fahrplänen u.ä. unterscheiden und aufüHlig hervortreten 160. Diese Voraussetzungen müßten ständig gegeben sein, und das Eisenbahn-Unternehmen habe im Streitfalle ihr Vorliegen zu beweisen 161. Das Risiko objektiver BeeinträchHaftungspflicht 1861, S. 598 in Fußn. 29. Haftungspflicht 1861, S. 599. 156 Nicht aber die Bestimmung, daß die Fahrgäste die Waggontüren nicht selbst öffnen dürften: Haftungspflicht 1861, S. 599 in Fußn. 30. 157 Haftungspflicht 1861, S. 599 f. 158 Haftungspflicht 1861, S. 600; vgl. heute § 23 11 Nr. I AGB-Ges. in Verbindung mit § 6 VI EVO oder § 39 VII Personenbeförderungsgesetz. 159 Haftungspflicht 1861, S. 600. 160 Haftungspflicht 1861, S. 600 f. 154 155
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tigungen dieser Gegebenheiten, etwa mutwilliger Entfernung der Anschläge durch Dritte, trage das Eisenbahn-Unternehmen, nicht dagegen subjektiver auf Seiten der Benutzer: Leseunkundigkeit oder -unfähigkeit, Unkenntnis der Landessprache oder einfaches Übersehen der Anschläge entschuldigten ihre Unkenntnis nicht 162 . Auch diese letzte These stützt Goldschmidt wieder auf eine Anzahl Digestenstellen, die er in einer Fußnote teilweise wörtlich aufführt 163 . Goldschmidt schließt diesen Teil seiner Ausführungen mit einem recht detaillierten Nachweis englischer und amerikanischer Gesetzgebung, Rechtsprechung und Literatur, deren Ergebnisse den von ihm für das deutsche Recht entwickelten weitgehend entsprachen 164. Danach wendet sich Goldschmidt ausführlich dem Inhalt der Reglements zu, stellt ihn detailliert dar 165 und behandelt dann die Kritik des Handelsstandes an den weitgehenden Haftungsausschlüssen 166 . Er hält sie zunächst vom wirtschaftlichen Standpunkt aus für berechtigt; die Analyse ergebe, daß "die Eisenbahnverwaltungen ... , ... gesichert ... durch ihre monopolistische Stellung ... das Transportgeschäft in den wichtigsten Beziehungen alles Rechtsschutzes entkleidet haben,,167. Die Interventionen im Gesetzgebungsverfahren des ADHGB seien deshalb berechtigt gewesen, "der organisirte Kampf zwischen den Eisenbahnverwaltungen und dem Deutschen Handelsstande,d68 habe dort in einem Komprorniß geendet 169. Der in dieser Auseinandersetzung vorgebrachten Ansicht, die Reglements verstießen bereits gegen die Grundsätze des bisher geltenden, besonders des gemeinen Rechts, wendet sich Goldschmidt anschließend ZU17D. Hier begründet er nun ausführlicher seine bereits früher geäußerte Ansicht, daß es den Eisenbahn-Unternehmen aufgrund der Privatautonomie zustehe, das nicht zwingende Frachtrecht vertraglich zu ihren Gunsten zu modifizieren. Allerdings müßten die Haftungsausschlüsse sowie die Beweislast-Urnkehrungen eindeutig formuliert sein: Da die Formulierungen von den Eisenbahn-Unternehmen stammten, seien sie vom Verständnis der Eisenbahn-Benutzer auszulegen; Zweifel bei der Auslegung gingen deshalb zu Lasten der Eisenbahnen oder sonstigen Verwender l7l .
161 Haftungspflicht 1861, S. 601 f. 162 Haftungspflicht 1861, S. 601. 163 Haftungspflicht 1861, S. 601 Fußn. 31: D. 16,3, 1, 10; 40, 7, 34, 1; 19,2,60,6; 39, 2,
4, 6; 14, 3, 11, 2 - 4. 164 Haftungspflicht 1861, S. 602 ff. 165 Haftungspflicht 1861, S. 604 - 635. 166 Haftungspflicht 1861, S. 635 - 642. 167 Haftungspflicht 1861, S. 641. 168 Haftungspflicht 1861, S. 642. 169 Artt. 422 ff. ADHGB. 170 Haftungspflicht 1861, S. 642, 642 ff. 171 Haftungspflicht 1861, S. 643 f.
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Die Gegenansichten teilt Goldschmidt nicht: die B.=R.s gehörten dem Privatrecht und weder unmittelbar noch mittelbar über die Regelungen der Staatsaufsicht dem unabdingbaren öffentlichen Recht an 172, und auch aus der Monopolstellung der Bahn folge nichts anderes, da sie jedenfalls gegenüber anderen Transportmitteln eine faktische, keine rechtliche Position sei; die Ausnutzung einer wirtschaftlich günstigen Lage sei nicht ohne weiteres sittenwidrig 173 . Daß die vorgebrachten Kritiken des Vorgehens der Eisenbahn-Unternehmen vom politischen und volkswirtschaftlichen Standpunkt aus berechtigt seien, erkennt Goldschmidt an, hebt aber hervor, daß dies allein nicht ausreiche, die Reglementsbedingungen als sittenwidrig und deshalb nichtig anzusehen 174. Schon in seinem Gutachten von 1860 hatte er hervorgehoben, daß ein den Eisenbahnen verbleibender Spielraum für die weitere Entwicklung des Eisenbahnrechts notwendig sei 175 und jedenfalls einige der Haftungsbeschränkungen, insbesondere die Vereinbarung eines Haftungshöchstbetrages je Transporteinheit, für eine sichere Kalkulation von Transportpreis und Versicherung sogar unverzichtbar seien l76 . Mit diesen Ausführungen, die in ihrer juristischen Fundierung unter den zu dieser Zeit zahlreicher werdenden Monographien zum Eisenbahnrecht einzig sind, wurde Goldschmidt zum führenden Autoren auf dem Gebiet der Eisenb.-B.=R.s. Die Wirkung seiner Abhandlung auf die gesetzliche Regelung war freilich nur noch gering, da die Arbeiten am ADHGB 1861 beendet wurden. Während aber zu Beginn dieser Arbeiten noch vorgesehen gewesen war, eine strenge Haftung des Frachtführers allgemein und damit auch der Eisenbahnen zwingend vorzuschreiben 177, endeten die darauf entbrennenden Auseinandersetzungen 178 schließlich in der Regelung der Artt. 423 - 430 ADHGB. Art. 423 erklärte zunächst die für den Frachtführer geltenden Vorschriften zu für den Eisenbahn-Frachtvertrag zwingendem Recht, darunter insbesondere die von Goldschmidt bekämpfte 179 Haftung für Verlust oder Beschädigung der Güter bis zur Grenze der höheren Gewalt in Art. 395. Die Artt. 424 - 428 zählten dann kasuistisch auf, welche HaftungsausHaftungspflicht 1861, S. 644 ff., 648, 650 ff. Haftungspflicht 1861, S. 647, 648 - 650; die Ausnutzung eines Monopols als Fallgruppe sittenwidrigen Verhaltens entspricht bereits den anerkannten Lehren des gemeinen Rechts: vgl. Windscheid/Kipp, Pandekten 11, § 314 unter 3., S. 286 f. 174 Haftungspflicht 1861, S. 648 Mitte, 649 unten. 175 Gutachten 1860, S. 110. 176 Gutachten 1860, S. 111; daran freilich zweifelnd in Haftungspflicht 1861, S. 649 unten. Kritik an diesem Argument bei Helmut Kliege, Rechtsprobleme der Allgemeinen Geschäftsbedingungen in wirtschaftswissenschaftlicher Analyse, Göttingen 1966, S. 48 ff. 177 Art. 376 I. Entw. ADHGB (1858); dagegen Goldschmidt, Gutachten 1860, S. 109 112. Die Beratungen bei J. Lutz (Hrsg.), Protokolle, I. Theil: Prot. I - XLV. Würzburg 1858, S. 827 - 830; IX. Theil: Prot. DXLVIII - DLXXXIX, 1861, S. 4673, 4689 - 4692, 4778 4784. 178 Goldschmidt, Haftungspflicht 1861, S. 642; Pohlhausen, Geschäftsbedingungen, S. 164 - 181. 179 Gutachten 1860, S. 112 f. 172
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schlüsse vereinbart werden durften. Dies wurde als Kompromiß zwischen den widerstreitenden Bestrebungen angesehen l80 . In Wahrheit aber betrafen die Vorbehalte überwiegend gerade jene Reglementsklauseln, die besonders umstritten gewesen waren 181, so daß sich letztlich die Eisenbahn-Unternehmen trotz der ungünstigen Ausgangsposition hatten durchsetzen können. Das neue Eisenb.-B.=R. von 1862 182 unterschied sich denn in dieser Beziehung wenig vom alten. Da indes das ADHGB diese Haftungsbeschränkungen nunmehr eindeutig gestattete, war die, von einigen gelegentlichen Vorstößen abgesehen, jetzt nachlassende Auseinandersetzung auf das Gebiet der politisch-ökonomischen, legislativen Ebene gelangt. Der praktisch- wie wissenschaftlich-dogmatischen Behandlung schien es zunächst entzogen zu sein. Daß indes die Regelung des ADHGB auch und gerade von Rechtswissenschaft und -praxis zu klärende, den B.=R.s eigentümliche Probleme aufgeworfen hatte, sollte erst zwanzig Jahre später der scharfsinnige Thöl erkennen, dessen Wiederbelebung dieses von der Rechtswissenschaft längst erledigt geglaubten Problems ihn in seine letzte große literarische Fehde führen sollte, in der sein Gegner Goldschmidt war. Das ADHGB hatte zwar die Frage nach der Rechtsnatur der Eisenb.-B.=R.s in Art. 423 beantwortet, wonach die Eisenbahn-Unternehmen ihre Haftung "durch Verträge (mitte1st Reglements oder durch besondere Uebereinkunft)" nach Maßgabe der in den Artt. 424 - 430 aufgestellten Klauselvorbehalte im voraus beschränken durften. Auf welche Weise die B.=R.s Bestandteil der vertraglichen Vereinbarungen werden konnten, sagte das ADHGB jedoch nicht. Der einzige Autor, der sich dazu eingehend geäußert hatte, war Goldschmidt, der infolgedessen hier schon bald "als bestimmende Autorität,,183 erschien. In den Entscheidungen deutscher Gerichte findet sich Goldschmidts Abhandlung zu dieser Frage zwar nicht ausdrücklich zitiert. Die von Goldschmidt aufgestellten und in den Kommentaren zum ADHGB referierten Grundsätze l84 wurden jedoch durchgängig angewandt l85 . In der höchstrichterlichen Rechtsprechung der Folgezeit wurde allerdings in keinem Urteil bezweifelt, daß die Bestimmungen der Eisenb.-B.=R.s Vertragsbestandteil geworden seien l86 . Diese Praxis dürfte eine weitere Stütze in der legislativen An180 s. Goldschmidt, Haftungspflicht 1861, S. 641 f., 642. 181 Es entsprachen: §§ 2 Abs. 2,4 Abs. 1 u. 3 des Vereinsreglements für den Güterverkehr
von 1856 (Beschomer, Dt. Eisenbahnrecht, S. 248 ff.) dem Vorbehalt in Art. 422 Abs. 1 Nr. 1 ADHGB; § 4 Abs. 2: Art. 424 Nr. 2; § 14 Nr. 3: Artt. 424 Nr. 3, 426; § 14 Nr. 5: Art. 424 Nr. 4; § 14 Nm. 6, 8: Art. 396; § 14 Nr. 7: Art. 427 Nr. 1; § 14 Nr. 9 d: Art. 428. 182 Reglement für den Vereins-Güterverkehr auf den Bahnen des Vereins Dt. EisenbahnVerwaltungen, ZHR 5 (1862), S. 591 - 606 mit einer Einleitung von Goldschmidt: Das Reglement für den Vereins-Güter-Verkehr auf den dt. Eisenbahnen S. 588 - 591. Die oben angesprochenen Vorbehalte sind genutzt in §§ 3 Abs. 2, 22 - 25. 183 Pohlhausen, Geschäftsbedingungen, S. 48. 184 s. insbes. F. v. Hahn, Commentar II, Vorbem. vor Artt. 422 ff., §§ 7 und 9; vgl. noch Staub, ADHGB, 1893, Vorbem. zu Art. 422 - 431, § 3. 185 ROHGE 6, S. 175 ff., 176 (1872); 19, S. 184 ff., 186 (1875); 21, S. 108 ff., 110 (1876).
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erkennung der Eisenbahn-Betriebsreglements in Art. 45 S. 2 Nr. 1 R.=Verf. 1867/ 1871 gehabt haben 187 , wonach der Bund bzw. das Reich auf die Einführung übereinstimmender Betriebsreglements hinwirken sollte. Das bedeutete zwar nur, daß die Eisenbahn-Unternehmen dazu im Wege der Staatsaufsicht angehalten werden sollten 188 , doch war der Gebrauch der B.=R.s damit nicht allein anerkannt, sondern als von staatlicher Seite sogar erwünscht gekennzeichnet worden. Wohl auch deshalb fand eine Diskussion über die Art und Weise ihrer Einbeziehung in die Frachtverträge, die ihre Geltung in Frage gestellt hätte, fortan nicht mehr statt. Nur so läßt es sich erklären, daß in den folgenden Jahren, in denen die Dogmatik des Rechts der Willenserklärungen im Streit zwischen Willens- und Erklärungstheorie breite Erörterungen fand 189 , sich niemand des in diesen Bereich gehörenden 190 Problems mehr annahm 191 . Die Stellung Goldschmidts in der Diskussion um die Eisenb.-B.=R.s in den 60er Jahren ist vor einiger Zeit gründlicher Kritik unterzogen worden l92 . Daß Goldschmidt zu Ergebnissen gelangte, die den Eisenbahn-Unternehmen genehm waren, wird von ihm selbst nicht in Abrede gestellt; er spricht sogar ganz offen aus, daß bei interessengemäßer Betrachtung seine Ergebnisse den Interessen der Absender nicht entsprächen: "Mögen wir uns gefallen lassen, den begründeten Anforderungen des Verkehrs" (gemeint war die Kritik des Handelsstandes an den B.=R.s) "gegenüber als zaghaft zu erscheinen,,193. Zum Vorwurf erhoben wird diese zutreffen186 S. z. B. die im General-Register zu den ersten 10 Bänden der ROHGE, Stuttgart 1874 f., unter "Eisenbahn" nachgewiesenen Entscheidungen. 187 Vg!. ROHGE 19, S. 184 ff., 184 - 186; 21, S. 108 ff., 108. 188 s. Paul Laband, Das Staatsrecht des Dt. Reiches, 5. Aufl., 3. Bd., Tübingen 1913, § 74, S. 126 f. - Das B.=R. für die Eisenbahnen Deutschlands v. 11. 5. 1874 (Central-Blatt für das Dt. Reich, 2. Jg., Berlin 1874, S. 179 - 208, mit den Ergänzungen von 1880: Bekanntmachung, betr. Abänderungen des B.=R. f. d. Eisenb. Deutsch!., Central-B!. f. d. Dt. Reich, 8. Jg., 1880, S. 452: 461) galt also, obwohl vom Bundesrat beschlossen, nur über die Einführung durch die jeweiligen Eisenbahnverwaltungen und seine Einbeziehung in die Transportverträge, entsprechend die EVO von 1892 (Eger, Die EVO v. 26. 10. 1899, 2. Aufl., Berlin 1901, S. XXXV); anders erst die EVO 1899: Verordnung, obwohl dafür wohl die Rechtsgrundlage fehlte (Eger S. XXXVI ff.). Klar erst EVO 1938: Rechtsverordnung (BGHZ 2, S. 37 ff., 41) aufgrund von §§ 458, 460 HGB 1938. 189 Überblick: Mot. I., S. 189 - 191 (Mugdan, Materialien BGB I, S. 456 - 458) zur "Berechtigung des Willensdogmas" (S. 189); Coing, Privatrecht 11, § 44 11 - IV, S. 276 - 278; Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil I 2, § 164 I, S. 1019 - 1022 m.w.N. 190 Pohlhausen, Geschäftsbedingungen, S. 81 ff. 191 Symptomatisch ist, daß die Bedeutung der Erhebung der EVO 1899 zu einer Rechtsverordnung in dieser Hinsicht kaum hervorgehoben worden ist; deutlich wird insofern allein die Denkschrift HGB, S. 189 ff., 412 f. Zu ähnlichen Problemen (KVO, ADSp) s. die Nachweise bei Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil I 2, 15. Aufl., § 163 VI in Fußn. 22, S. 1007 f. 192 Pohlhausen, Geschäftsbedingungen, S. 47 - 98 passim; Benöhr, Regelungsbefugnis, S.178f. 193 Haftungspflicht 1861, S. 648.
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de Analyse durch die Unterstellung, Goldschmidt habe auf diese Weise bewußt Wirtschaftspolitik betrieben und von den vielen Gesichtspunkten, die das flexible und elastische gemeine Recht dem juristischen Bearbeiter zur Verfügung stellte, bewußt die als maßgebend herausgestellt, die zu den "eisenbahnfreundlichen" Ergebnissen geführt hätten 194. Diese Annahme einer Parteilichkeit gemeinrechtlicher Juristen zugunsten des wirtschaftlich Stärkeren und zu Lasten der auf seine Leistungen angewiesenen Abnehmer oder Verbraucher ist zwar eine "heute ziemlich populäre Ansicht", die in der Tat aber noch keineswegs hinreichend belegt ist l95 . So fehlt jedes Eingehen darauf, wer denn die Angehörigen des angeblich so durch scheinjuristische Argumentation benachteiligten Handelsstandes waren. Die Tatsache, daß sie auf das neue Massentransportmittel Eisenbahn zwingend angewiesen zu sein vorbrachten und ihr Einfluß zu Beginn ja sogar den der Eisenbahn-Unternehmen übertraf, zeigt, daß es der Deutsche Handelstag 196 und die in ihm vertretenen einflußreichen Großkaufleute waren, also keinesfalls wirtschaftlich schwache Verbraucher, denen die Eisenbahn-Unternehmen als übermächtig einflußreiche Potentaten ihre Bedingungen unbegrenzt diktieren konnten; die Stärke ihrer Stellung dürfte vielmehr aus der Konkurrenz der Kaufleute untereinander resultiert haben, die Transportmöglichkeiten, die das neue Transportmittel Eisenbahn bot, zum jeweils eigenen Vorteil möglichst erfolgreich zu nutzen. Die wirtschaftlich so vorteilhafte Stellung der Eisenbahnen ergab sich also nicht aus einem Konkurrenzvorsprung vor anderen Bewerbern, sondern dadurch, daß gerade sie das Mittel der internen Konkurrenz der Handelsunternehmen waren. So erklärt sich auch Goldschmidts unbefangene Erklärung, die bloße Ausnutzung einer günstigen Wirtschaftsposition lasse sich aus rechtlichen Gründen nicht beanstanden 197. Sie zeugt im Grunde nur für eine recht genaue Kenntnis Goldschmidts von den Verkehrsverhältnissen, die den von ihm beurteilten Sachverhalten zugrundelagen, denn er selbst stand seiner Herkunft aus einer Kaufmannsfamilie nach ja eigentlich dem Handelsstand näher. Dessen Möglichkeiten der Interessenwahrung hatte er zu eben 'jener Zeit durch die Mitinitiierung des ersten Deutschen Handelstages gefördert, auf dem er zum Referenten für das Eisenbahnrecht bestellt wurde, ohne daß sich dagegen Widerstand erhoben hätte l98 . Insbesondere aber zeig~ eine genauere Analyse des Zusammenhangs von Goldschmidts Argumentation mit den allgemein anerkannten Grundsätzen des gemeinen Rechts, daß er keinesfalls bemüht war, dieses jeweils durch fragwürdige Auslegungsmethoden in eine von ihm gewünschte Richtung zu drängen, sondern umgekehrt, die neuentstandenen und juristisch bisher noch nicht erfaßten Sachverhalte möglichst sauber unter diese allgemeineren Grundsätze zu subsumieren und damit zu einer Bewährungsprobe für die 194 Pohlhausen, Geschäftsbedingungen, S. 65, 68 f., 69 in Fußn. 63, 142 f. u.ö.; Benöhr, Regelungsbefugnis, S. 178. 195 s. den nur vorsichtigen Zweifel Benöhrs, Regelungsbefugnis, S. 178 bei Fußn. 21. 196 s. die Verhandlungen des I. Dt. Handelstages 1860. 197 Haftungspflicht 1861, S. 648 - 650. 198 Vgl. Goldschmidt, Heidelberger Rechtslehrer 1887, S. 175.
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Angemessenheit der Regeln des gemeinen Rechts unter den sich ändernden Verhältnissen zu machen. Das Argument, die Regeln über das receptum nautarum, cauponum, stabulariorum gälten, soweit es das Transportrecht betreffe, nur für den Seetransport und seien in seiner Ausprägung, die es im Prätorischen Edikt erfahren hatte, auch nur für diesen konzipiert gewesen, läßt sich nicht bestreiten, so daß ihre Erstreckung auf den Landtransport in der Tat eine primär legislative Frage war; wenn also Goldschmidt insoweit mit offen rechtspolitischen Erwägungen diese Ausweitung ablehnte l99 , ist dies vom methodischen Standpunkt aus nicht zu beanstanden. Auch die Abdingbarkeit der Haftung bis zu den auch von Goldschmidt als bindend anerkannten Grenzen entspricht den Grundsätzen des gemeinen Rechts. Hier lag sogar eine besondere Leistung Goldschmidts darin, die verschiedenen, vornehmlich ökonomischen Argumente auf ihren juristisch wesentlichen Gehalt zu überprüfen. Der Vorwurf, er habe die Probleme "nicht im Zusammenhang, sondern isoliert behandelt,,2oo, den Goldschmidt als Vorwurf "dogmatischer Isolation" später zum Kern seiner Kritik der juristischen Methodik Thöls machen sollte, betrifft in Wahrheit ein Spezifikum juristischen Arbeitens, nämlich den Rückgriff auf vorgegebene Argumentationsmuster, um den jeweiligen Begründungsweg rational nachvollziehbar zu machen 201 . Er wird gerade der Vielzahl der von Goldschmidt berücksichtigten Gesichtspunkte 202 nicht gerecht. Der Hauptmangel der Diskussion jener Zeit liegt, vom heutigen Standpunkt aus betrachtet, darin, daß das Problem der Abbedingbarkeit gesetzlicher oder gewohnheitsrechtlicher Bestimmungen nur als allgemeines Problem der Vertragsfreiheit angesehen wurde, ohne zu überlegen, ob es nicht besondere Grenzen der Abbedingbarkeit durch vorgefertigte Regelwerke nach Art der Eisenb.-B.=R.s gebe. Diese Frage wurde erst später zum Gegenstand einer sich immer weiter ausdifferenzierenden Praxis, bis sie von Ludwig Raiser 1935 für die Wissenschaft entdeckt wurde 203 . Auch die Kritik an Goldschmidts Lehre zur Einbeziehung der B.=R.s in den Frachtvertrag ist unberechtigt. Pohlhausen hat hier die bei Goldschmidt S. 601 in Fußnote 31 angegebenen Digestenstellen als für dessen Begründung maßgeblich angesehen und sie auf die ihnen von Goldschmidt beigelegte Bedeutung hin gründlich analysiert. Er ist zu dem Ergebnis gekommen, daß sie für die Frage, worauf der Konsens sich beim Vertragsschluß beziehen müsse, nicht das hergäben, was Goldschmidt ihnen beilege 204 , und er hat die offene Abkehr Goldschmidts vom geReceptum 1860, S. 357 f., 362. Pohlhausen, Geschäftsbedingungen, S. 65. 201 Vgl. Larenz, Methodenlehre S. 189 - 203, 234 - 236. 202 Die Pohlhausen, Geschäftsbedingungen, S. 97 f. Goldschmidt vorwirft. - Geradezu widersinnig ist es, wenn Pohlhausen, S. 69 in Fußn. 63 unter b), Goldschmidts Haltung gegen Thöl als ,,konservativ" hervorhebt, spiegelt doch gerade sie wesentliche Fortschritte in der juristischen Methodik des 19. Jahrhunderts, denen Thöl sich verschlossen hatte. 203 Ludwig Raiser, Das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen 1935 (Neudruck Bad Homburg 1961), darin zu den Eisenb-B.=R.s im 19. Jahrhundert S. 26 f. 204 Pohlhausen, Geschäftsbedingungen, S. 92 ff. 199
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meinrechtlichen Willens dogma gerügt, wonach Vertragsbestandteil nur das werde, worauf sich der übereinstimmende aktuelle Wille der Vertragsschließenden gerichtet habe 205 . Tatsächlich aber war das Willensdogma schon zu dieser Zeit keineswegs mehr unangefochtene Grundlage der gemeinrechtlichen Rechtsgeschäftslehre. Außerdem hat Goldschmidt seine Ansicht an anderen Quellenstellen festgemacht, denn die von Pohlhausen analysierten Stellen sollen bei Goldschmidt nur die Form illustrieren, in der die Eisenbahnverwaltungen ihre B.=R.s bekanntmachen müssen, um das Risiko ihrer Unkenntnis auf die Eisenbahn-Benutzer übergehen zu lassen 206 . Wie sie über die Willenserklärungen der Parteien Vertragsbestandteil würden, auch wenn sie der Benutzer nicht zur Kenntnis genommen habe, sagt er unter Berufung auf andere Quellenbelege schon einige Seiten vorher207 : Die geschehe grundsätzlich zwar durch Willensübereinstimmung 208 , doch müsse berücksichtigt werden, daß die B.=R.s regelmäßig nicht ihrem gesamten Inhalt nach in den Willen des Absenders oder Fahrgastes aufgenommen würden. Diese Frage ergebe sich indes beim Abschluß jeden Vertrages über komplexere Gegenstände, so daß das Willensdogma bei strikter Durchführung oder gar Verschärfung dahingehend, daß jede von gesetzlichen Vorschriften abweichende Vereinbarung nur ausdrücklich erfolgen dürfe, zu Ergebnissen führen würde, die im Rechtsverkehr unter entwickelten Wirtschaftsverhältnissen nicht mehr tragbar seien: ,,Mit solchen Deduktionen könnte man jeden Vertrag umstoßen,,209. Anders als seine Kritiker ihm vorwerfen, statuiert Goldschmidt nun aber nicht ein Ausnahmerecht für den Vertragsschluß bei Verwendung von B.=R.s, sondern greift zurück auf eine zwar noch junge, aber bereits ausgeprägte Strömung in der gemeinrechtlichen Jurisprudenz, die sich gegen die unbeschränkte Herrschaft des Willensdogmas richtete 21O. Ansatzpunkt der Kritik am Willensdogma durch die "Erklärungstheorie" waren freilich nicht die Fälle der Erstreckung von Erklärungen auf Nebenabreden, sondern die Fälle der Willensmängel, insbesondere des Irrtums bei der Abgabe von Willenserklärungen 211 . Auch dort geht es darum, einem Erklärenden den Inhalt seiner Erklärung auch insoweit zuzurechnen, als sich der Wille auf sie nicht oder nicht vollständig erstreckt, so daß Goldschmidt auf die hierzu von der gemeinrechtlichen Literatur herangezogenen Quellen zurückgreifen zu können meinte. Auf sie beruft er sich denn auch durch ihre Anführung im Text212 . Diese Stellen, Pohlhausen, Geschäftsbedingungen, S. 88 ff., 95 ff. s. Goldschmidt, Haftungspflicht 1861, S. 601 f. 207 Haftungspflicht 1861, S. 597 - 599. 208 Haftungspflicht 1861, S. 597 Fußn. 28 in Verbindung mit receptum 1860, S. 336 - 338. 209 Haftungspflicht 1861, S. 596 f., 597 in Fußn. 26. 210 Dessen Vertreter fühlten sich schon bald zu seiner Verteidigung berufen, s. insbes. Bernhard Windscheid, Wille u. Willenserklärung, in: AcP 63 (1880), S. 72 - 112. 2ll Otto Bähr, Ueber Irrungen im Contrahiren, in: Jbb. Dogm. 14 (1875), S. 393 - 427. Vgl. auch Jhering, Culpa in Contrahendo, Jbb. Dogm. 4 (1861), S. 1'- 112, 75 - 79 (Nichtigkeit nur bei "wesentlichem" Irrtum, dazu Goldschmidt, Haftungspflicht 1861, S. 598 in Fußn. 29). 205
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insbesondere die aus dem explizit einschlägigen Digestentitel De juris et facti ignorantia (D. 22,6) geben nun zwar allerdings den von Goldschmidt behaupteten Satz wieder, es werde die Unkenntnis von Tatsachen nicht berücksichtigt, wenn sie auf unverzeihlicher Nachlässigkeit oder grober Beschränktheit beruhe 213 , doch und insoweit ist die Analyse, daß diese Stellen von Goldschmidt auf ein anderes Gebiet als das gezogen werden, dem sie entspringen, zutreffend - ist keine darunter, die explizit den von Goldschmidt bedachten Fall beträfe, daß eine abgegebene Willenserklärung sich auf Gegenstände bezieht, die dem Erklärenden aus grober Nachlässigkeit nicht bewußt sind. Tatsächlich dürfte die von Goldschmidt geäußerte, heftig kritisierte Ansicht, die Eisenb.-B.=R.s würden dann nicht Vertragsbestandteil, wenn ihre Nichtwahrnehmung auf Gründen in der Person des Vertragspartners beruht214 , für die Fälle jedenfalls der Blindheit oder Kurzsichtigkeit auch nach gemeinem Recht unzutreffend sein, da eine Unentschuldbarkeit der Nichtwahrnehmung auch aufgrund der von Goldschmidt angeführten Quellenbelege nicht angenommen worden wäre. Rechtsprechung hierzu fehlt freilich. Die Zuordnung dieser wie der zuvor als eigentliche Grundlage angeführten Digestenstellen zum Bereich der Willenserklärung durch Goldschmidt bedeutet also tatsächlich eine Abkehr vom Willensdogma, doch findet sie sich keineswegs nur bei ihm, sondern bei allen Vertretern der Erklärungstheorie. Der Zugriff auf diese Stellen als Grundlage der Entwicklung war auch nicht eine Erfindung der Rechtswissenschaft, sondern der Rechtspraxis, in der schon früh erkannt worden war, daß ein unbeschränktes Festhalten am Willensdogma zu Ergebnissen führen mußte, die mit den Interessen der Empfänger von Willenserklärungen nicht vereinbar waren215~ Der Rückgriff auf die Quellen des römischen Rechts war für die Vertreter dieser Auffassung unabdingbar. War das Willensdogma Folge einer naturrechtlich-psychologischen Auffassung der Willenserklärung 216 , so konnte eine Abkehr davon nur begründet werden, wenn der behauptete Satz, eine Willenserklärung könne auch wirksam sein, wenn sich der dahinter stehende Wille nicht auf ihren gesamten Inhalt erstrecke, als Rechtssatz mit gewohnheitsrechtlicher Geltung aus den Quellen nachgewiesen wurde. Dieses Spannungsverhältnisses zwischen naturalistischer und normativer Betrachtung war sich Goldschmidt durchaus bewußt: Er hat die Notwendigkeit normativer Betrachtung noch Jahre später in anderem Zusammenhang betont217 und die Unebenheiten in den Aussagen der Quellen darauf zurück-
Haftungspflicht 1861, S. 598 f. D. 22, 6, 3, I (Pompeius, Cassius u. Sabinus); 6 (Ulpian); 9,2 (Paulus), D. 43, 24, 4 (Venuleius u. Servius). 214 Haftungspflicht 1861, S. 601 in u. zu Fußn. 31. 215 Schon 1855 führte das OAG Dresden diese Quellenbelege an, um den Rechtssatz zu belegen, daß eine Willenserklärung nicht "widerrufen" werden könne, wenn sie auf einem unentschuldbaren Irrtum beruhe: OAG Dresden, SeuffArch 9 (186\), S. 344 f. 216 Pohlhausen, Geschäftsbedingungen, S. 81 f., 82. 217 Haupt- und Nachbürge 1888, S. 355 f. in Fußn. 14, S. 354. 212 213
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geführt, es werde "ein im Verkehrsinteresse begründeter und unzweifelhaft geltender Rechtssatz ( ... ) gleichsam psychologisch zu begründen versucht,.218. Für die weitere Entwicklung von Gesetzgebung, Rechtspraxis und Rechtswissenschaft war diese Abkehr vom Willensdogma von entscheidender Bedeutung. Schon im ersten Entwurf zum BGB war das Willensdogma "in verschiedenen Richtungen" durchbrochen worden219 , und die zweite Kommission entschloß sich vollends dazu, sich von den "Theorien" zu lösen und "die einzelnen in Betracht kommenden Fälle getrennt ins Auge zu fassen'.zzo, was schließlich zu den differenzierenden Regelungen der §§ 116 - 120, 123 BGB geführt hat. Wegen der primären Wirksamkeit der Willenserklärung und dem Erfordernis unverzüglicher Erklärung der Anfechtung nach § 121 Abs. 1 BGB erscheint damit die Erklärungstheorie in der Rechtswirklichkeit für die Fälle des Irrtums als weitgehend durchgesetzt. Für die Voraussetzungen der Einbeziehung der B.=R.s oder anderer Arten "allgemeiner Geschäftsbedingungen" in Verträge ist eine gesetzliche Regelung bei den Arbeiten am BGB dagegen nicht einmal erwogen worden. Eine explizite Stellungnahme zu dieser Frage in der höchstrichterlichen Rechtsprechung findet sich erst wieder in einem Reichsgerichtsurteil vom 31. 1. 1941 221 , wonach sich der Abschluß von Verträgen unter Bezugnahme auf Allgemeine Geschäftsbedingungen "kaum noch als eine echte vertragliche Vereinbarung" von deren Regelungen darstelle, sondern "viel eher eine Unterwerfung" unter ihren vorgefertigten Inhalt bedeute, so daß es "wenig darauf' ankomme, was dem sich unterwerfenden Vertragsteil "im einzelnen von ihrem Inhalt bekannt" sei; es sei "selbstverständlich", daß er sich um diesen Inhalt "selbst kümmern" müsse, wenn er die Annahme vermeiden wolle, daß er sich den Allgemeinen Geschäftsbedingungen freiwillig unterwerfe 222 . Der Sache nach finden sich auch hier die von Goldschmidt bereits 1861 aufgestellten Grundsätze ausgesprochen 223 , doch enthält sie seinen Ausführungen gegenüber insoweit einen Rückschritt, als mit der Einordnung des Problems in die Kategorie der "stillschweigenden Willenserklärung,,224 trotz unterstellter Nichtkenntnis der Vertragsbedingungen ein psychologischer statt normativer Ansatz geHaupt- und Nachbürge 1888, S. 355. Mot. I, S. 189 ff., 191 (Mugdan, Materialien BGB I, S. 456 ff., 457). 220 Prot. S. 197 ff., 197 (Mugdan, Materialien BGB I, S. 710 ff., 710). 221 RG, in Dt. Recht, Ausgabe A, hrsg.v. H. Frank, 11. Jg., Berlin 1941, S. 1210 - 1213 mit Anm. v. Kersting S. 1213 - 1215. 222 RG Dt. Recht A 1941, S. 1212 re. Sp. unten. Ganz ähnlich schon 1872 ROHGE 6, S. 175 ff., 176, wonach sich die Absender "der Eisenbahn als Transportmittel bedienen und dadurch dem Reglement unterwerfen". 223 Dies in einer Entscheidung, die, wenn sie auch nicht unbedingt ideologisch belastet ist, doch in manchem dem Zeitgeist Rechnung trägt; vgl. auch die beipflichtende Anm. v. Kersting S. 1215 li. Sp.: Maßstab für den sich freiwillig unterwerfenden Vertragsteil sei "der einzelne am Rechts- und Wirtschaftsleben teilnehmende erwachsene Volksgenosse". Kritisch dazu Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil I 2, § 163 VI 2, S. 1008 f. 224 So freilich auch schon ROHGE 21, S. 108 ff., 110. 218
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wählt wurde. Die Rechtsprechung des BGH hat sich dem ausdrücklich angeschlossen 225 . Der Gesetzgeber hat sich dieser Problematik erst mit dem AGB-Gesetz von 1976 angenommen und die inzwischen ausdifferenzierte Rechtsprechung insbesondere zur Wirksamkeit einzelner Klauseln fortentwickelt und kodifiziert (§§ 9 - 11). In der Einbeziehungsfrage (§§ 2 - 4) wurde dabei eine Rückkehr zum Konsensprinzip angestrebt 226 . Ein Vergleich der äußeren Erfordernisse für die Einbeziehung der Geschäftsbedingungen in den Vertrag nach § 2 Abs. 1 AGB-Ges. mit denen, die Goldschmidt 1861 skizziert hat227 , weist überraschende Parallelen auf. Seine Vorstellung, durch Gesetz gerade für den Bereich der Personenbeförderung durch Massenverkehrsmittel besondere Regeln für die Geltung der Beförderungsbedingungen zu schaffen 228 , hat gleichfalls ihre Entsprechung in der Regelung des Gesetzgebers gefunden 229 . Die tragenden Gründe, die Goldschmidt zu dem Rechtssatz führten, daß die B.=R.s im Zweifel zu Lasten der Eisenbahn-Unternehmen auszulegen seien 23o , haben gleichfalls nach Anerkennung durch die Rechtsprechung 231 zu dessen allgemeiner legislativer Festlegung in § 5 AGB-Ges. geführt. Weitgehend erhalten haben sich die von Goldschmidt ausgesprochenen und von der Rechtsprechung tradierten Grundsätze im Bereich des Handelsrechts, da nach § 24 Nr. 1 AGB-Ges. sowohl dessen § 2, als auch die Auflistung einzelner Klauselverbote in §§ 10 und 11 nicht zur Anwendung kommen, wenn die allgemeinen Geschäftsbedingungen gegenüber einem Kaufmann verwendet werden und der Vertrag zum Betrieb seines Handelsgewerbes gehört232 • 4. Die weitere Entwicklung des Eisenbahnrechts
Nachdem das ADHGB in nahezu allen deutschen Staaten eingeführt worden war und ab 1870 als Bundes-, ab 1871 als Reichsrecht galt, ließ der Widerstand 225 BGHZ 1, S. 83 ff., 85 f. m.w.N.; 3, S. 200 ff., 203; 18, S. 98 ff., 99 f. - Dies hat, da diese Grundsätze auch dann eingreifen sollen, wenn der eine Vertragsteil nur hätte wissen müssen, daß der andere Teil den Vertrag unter Einbeziehung von Al1gemeinen Geschäftsbedingungen abschließen wollte (Heinrichs in Palandt, BGB, § 2 AGB-Ges., Rdnr. 2), zu der paradoxen Charakterisierung der Unterwerfung als "fahrlässige Wil1enserklärung" geführt: Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Regelung des Rechts der Al1gemeinen Geschäftsbedingungen, BT-Drs. 7/3919 (1975), S. 9 ff., 17. 226 Begründung zu § 2, BT-Drs. 7/3919 (1975), S. 17 f., 17. 227 Haftungspflicht 1861, S. 600 - 602. 228 s. Haftungspflicht 1861, S. 600. 229 § 23 II Nr. 1 AGB-Ges. 230 Haftungspflicht 1861, S. 643 f.; zum röm. Recht ("ambiguitas contra stipulatorem est", Celsus D. 34, 5, 26) s. die bei Kaser, Privatrecht I, § 58, S. 236 in Fußn. 9, 239 in Fußn. 30 nachgewiesenen Fälle. 231 BGHZ 5, S. 111 ff., 115 m.w.N. 232 Dabei sind für den Bereich des Eisenbahnrechts die Sonderregelungen der Artt. 422 ff. ADHGB in §§ 453 - 473 HGB 1897 bzw. der EVO 1938 modifiziert beibehalten worden.
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2. Teil: Handelsrecht in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts
des Handelsstandes gegen die B.=R.s, deren frachtvertragliehe Regelungen vereinheitlicht wurden, nach. Nur gelegentlich wurden die Beschwerden wieder vorgebracht mit dem Ziel, Reichstag oder Bundesregierung zu veranlassen, das ADHGB zu ändern233 oder jedenfalls über Artt. 41 ff. B-Verf. auf weniger extensive Ausnutzung der gesetzlichen Vorbehalte bei der Ausarbeitung einheitlicher Reglements hinzuwirken 234 • Für Preußen hatten derartige Bemühungen zumindest partiell Erfolg, da durch ein Gesetz von 1869 der § 25 EisenbG 1838 für unabdingbar erklärt wurde, soweit er Personenschäden betraf235 . Die gesetzliche Regelung und die Anerkennung der Reglements in der Verfassung führten dazu, daß die Zulässigkeit der Ausschlüsse in den B.=R.s in der rechtswissenschaftlichen Literatur nicht mehr in Zweifel gezogen wurden und auch die Einbeziehungsfrage nicht mehr gestellt wurde 236 , bis sie sich für diesen Bereich durch Erhebung der EVO zu einer Rechtsverordnung erledigte. Im HGB 1897 wurde eine Sonderregelung für den Eisenbahn-Frachtvertrag beibehalten (§§ 453 ff. HGB), wodurch diese Materie aus der weiteren Entwicklung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen ausgeschieden wurde. Vorher jedoch wurde gerade auf dem Gebiet des EisenbahnTransportrechts die grundsätzliche Frage der "Inhaltskontrolle" - die Überprüfung von Vertragsbedingungen darauf, ob sie den Vorbehalten eines Gesetzes entsprechen, das einzelne zulässige oder unzulässige Klauseln enumerativ aufzählt - zum Gegenstand einer großen Auseinandersetzung 237 . Hauptvertreter238 der gegensätzlichen Ansichten in dieser Auseinandersetzung waren Goldschmidt und Heinrich Thö1 239 . 233 Antrag Harkort/Dr. Becker v. 12.5. 1869, StB, I. Legislatur-Periode, Session 1869,3. Bd.: Anlagen Nm. I - 283, Nr. 190 (S. 628). 234 Antrag Harkort v. 16.3. 1869, Nr. 62 (S. 203). 235 Gesetz, betr. einen Zusatz zu § 25 Eisenbahnges., v. 3. 5. 1869, Preuß. G.=S. S. 665. Weitergehenden Regelungen stand Preußen nach Erhebung des ADHGB zum Gesetz des Norddeutschen Bundes Art. 2 S. 1 R.=Verf. entgegen. Durch § 1 RHPflG wurde 1871 die Gefährdungshaftung für Eisenbahnen reichsgesetzlich begründet (hierzu die berühmte Definition der "Eisenbahn" in RGZ I, S. 247 ff., 252, U. v. 17.3. 1879). 236 s. etwa Wilhelm Endemann, Das Dt. Handelsrecht, 2. Aufl., Heidelberg 1868, S. 768 f., 773 f.; Heinrich Demburg, Lehrbuch des Preuß. Privatrechts, 2. Bd., Halle 1878, § 202, S. 529 f. 237 Diesen Aspekt ,,Zum Recht der allgemeinen Geschäftsbedingungen im 19. Jh." behandelt Pohlhausen, Geschäftsbedingungen, leider nicht, obwohl auch er zahlreiche Fragen der "AGB-Festigkeit" einzelner Klauseln, die bald nach Inkrafttreten des AGB-Ges. diskutiert wurden, vorwegnimmt. 238 s. Friedrich von Hahn, Commentar 11, Vorbem. vor Art. 422, § 12 und an den dort nachgewiesenen Stellen (mit einer Synopse ebenda in Fußn. 25); Steinbach, Thöl's Handelsrecht III und Antikritik, S. 199 ff.; zuletzt Staub, ADHGB 1893, Vorbem. zu Art. 422 - 431, § 4; Überblick von Goldschmidt, ZHR 29 (1884), S. 624 f. 239 Thöl, Handelsrecht III, 1880; Goldschmidts Rezension ZHR 26 (1881), S. (,06 - 613; Thöls Erwiderung: "Handelsrechtliche Erörterungen", 1882; Goldschmidts Entgegnung: ZHR 28 (1882), S. 441 - 456 (Goldschmidt zitiert den Titel vollständig, aber ungenau und hebt dabei hervor, daß die Schrift seinen Namen im Titel führt); Goldschmidts abschließende Stellungnahme: ZHR 29 (1884), S. 623 - 625.
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5. Der Streit um die Gültigkeit des Eisenb.-B.=R.s von 1874
1880 setzte Thöl mit dem dritten Band seines "Handelsrechts" die im ersten Band abgebrochene und im zweiten Band durch die ausführliche Darstellung des Wechselrechts unorganisch fortgeführte systematische Darstellung der Handelsgeschäfte fort, indem er sich nun dem Transportgewerbe zuwandte 24o • Diese Fortsetzung unterschied sich in der Herangehensweise an seinen Stoff grundlegend 241 von den ersten beiden Bänden, deren erste Auflagen in einer Zeit fehlender bzw. gerade beginnender Kodifikation entstanden waren: Für den dritten Band war bestimmend, daß er eine im Zeitpunkt seines Entstehens bereits seit längerem kodifizierte Materie betraf. Thöl beschränkte sich jetzt, von nur ganz knappen, einleitenden Bemerkungen abgesehen 242 , völlig auf die im ADHGB behandelten Materien und unterstrich dieses noch dadurch, daß er die Vorschriften der Artt. 390 - 431 ADHGB an den einschlägigen Stellen im Wortlaut abdrucken ließ 243 . Das Werk erweckt auf diese Weise den Eindruck, ganz allein aus sich heraus verständlich zu sein und seinen Gegenstand umfassend abzuhandeln, ohne daß es zur Gewinnung des Verständnisses noch irgendwe1cher weiteren Hilfsmittel bedürfte als der Kenntnis der deutschen Sprache244 . Schon die Abgrenzung des Anwendungsbereichs der Vorschriften des ADHGB durch Definition des Frachtführerbegriffs zu Beginn gerät Thöl stark formalistisch 245 . Während er hier mangels näherer Vorgaben des Gesetzes aber noch in seiner bekannt scharfsinnigen Weise allgemein begriffs-juristisch argumentiert 246 , hält er sich im folgenden nahezu ausschließlich an die vom Gesetzes-Text vorgegebenen Begriffe und gesetzesimmanenten Zusammenhänge, ohne deren Verbindung mit den tatsächlichen Verhältnissen, die für ihre Formulierung und Schaffung maßgeblich waren, näher in Betracht zu ziehen. Schon durch die Beschränkung auf die Gegenstände des 5. Titels des 4. Buches des ADHGB unterlaufen Thöl dadurch manche Ungenauigkeiten oder Widersprüche zu Ausführungen im ersten Band sei240 Thöl, Handelsrecht I, 6. Aufl., S. X f.: Einleitung, 1. - 4. Teil (aus dem 4. Teil gesondert das Wechselrecht); Handelsrecht III, S. VII ff., loben: 5. Teil = Das Transportgewerbe, 1. Abschnitt: Vom Frachtgeschäft überhaupt, 2. Abschnitt: Die Eisenbahnen; zu den Unstimmigkeiten dieses Aufbaus Goldschmidt, ZHR 26 (1881), S. 606. 241 Thöl, Handelsrecht III, S. V f.; s. auch Goldschmidt ZHR 26 (1881), S. 606. 242 Thöl, Handelsrecht III, S. 6 f., 11: Frachtvertrag als locatio conductio operis. 243 Thöl, Handelsrecht III, S. V. 244 Thöl, Antikritik S. 40; s. etwa Handelsrecht III, S. 5 Fußn. 2; 48 Fußn. 11; 163 - 166 (§ 82: "Richtigere Redaction des Art. 424"); s. auch S. VI unten - durchaus erhellend - zur Unterscheidung der Begriffe "Eisenbahn", "Eisenbahnverwaltung" und "Eisenbahnuntemeh-
mer". 245 Thöl, Handelsrecht III, S. 2 - 7, insbes. die Aufzählung der denkbaren Arten des Transports S. 4 ff., wo Thöl, seiner Zeit weit voraus, auch den Lufttransport berücksichtigt! 246 s. aber schon Thöl, Handelsrecht III, S. 6 in Fußn. 4 gegen Goldschmidts Ansicht, Handbuch, 2. Aufl., I, 1874, S. 615 in Fußn. 21, der Gepäckträger sei nicht Frachtführer im Sinne des ADHGB: "Für diese Einschränkung liefert das HGB keine Gründe."
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2. Teil: Handelsrecht in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts
nes "Handelsrechts". So gebraucht er den Ausdruck, die Betriebs=Reglements enthielten "Offerten, Anträge, in Betreff des Inhalts der von den Eisenbahnen offerirten Frachtverträge,,247. Goldschmidt hielt Thöl darauf vor, er habe die Reglements als Angebote auf Abschluß eines Frachtvertrages angesehen, obwohl sie doch, auch nach Thöls eigenen Lehren 248 , nur Aufforderungen zur Abgabe eines Angebotes enthielten; seine Konstruktion sei deshalb "undenkbar,,249. Diesem für den Logiker Thöl schlimmsten aller Vorwürfe, er solle "denn sogar mehrmals das 'Undenkbare' behauptet haben,,25o, trat er damit entgegen, daß er die Worte "Anträge, Offerten" im Sinne einer invitatio ad offerendum verstanden habe25I. Tatsächlich 252 mußte Goldschmidt einräumen, insoweit einem Mißverständnis erlegen zu sein, doch mußte Thöl sich jetzt von ihm fragen lassen, weshalb er, der gerade in diesem Werk solchen Wert auf größte sprachliche und systematische Genauigkeit gelegt habe, sich darin derart mißverständlich ausgedrückt habe 253 . Den Kernpunkt seiner Ausführungen bildet Thöls These, daß zahlreiche Bestimmungen des neuen Eisenb.-B.=R.s von 1874254 , insgesamt 23, geändert werden müßten. Sie seien nämlich ungültig, weil sie zwingenden Vorschriften des ADHGB widersprächen 255 . Damit griff Thöl die zwei Jahrzehnte zuvor heftig umstrittene Frage nach der Befugnis der Eisenbahn-Unternehmen zur Aufstellung von Freizeichnungsklauseln erneut auf, die inzwischen längst als durch die Gesetzgebung geregelt angesehen worden war. Dies entfachte die Diskussion aufs Neue, wenn auch unter einem etwas anderen Gesichtspunkt: Die Vorbehalte der Artt. 422 ff. ADHGB waren als Folge des Streites, der zu ihrer Schaffung geführt hatte, bisher stets als besondere Berechtigung der Eisenbahn-Unternehmen aufgefaßt worden, in den vorbehaltenen Bereichen abweichende oder ergänzende Regelungen zu treffen; Thöl betonte dagegen jetzt erstmals die immanent begrenzende Funktion der Regelungsvorbehalte des ADHGB. Denn indem die Vorschriften des ADHGB vorgaben, welche Arten von Klauseln zulässig sein sollten, umrissen sie gleichzeitig auch den äußersten Inhalt, den die betreffenden Reglementsklauseln haben durften. Dies war insofern bedeutsam, als die B.=R.s der Eisenbahn-Unternehmen, auf deren Vorgaben hin die Vorbehalte des ADHGB formuliert waren, nach Inkrafttreten des ADHGB durchgängig so angelegt wurden, daß sie den ganzen verbleibenden Freiraum ausnutzten; ihre Wortfassung unterschied sich aber von der des ADHGB. Thöls Kritik setzte nun an den sich hieraus ergebenden Unstimmigkeiten zwischen Thöl, Handelsrecht III, S. 90. Thöl, Handelsrecht 1,6. Aufl., § 237, S. 733 - 740; Handelsrecht III, S. 121. 249 ZHR 26 (1881), S. 609 f. 250 Thöl, Antikritik S. 3; Goldschmidt erhebt den Vorwurf indes nur ein einziges Mal. 251 Thöl, Antikritik S. 28 - 30. 252 s. Thöl, Handelsrecht III, S. 90 - 94. 253 ZHR 28 (1882), S. 445 f. 254 Betriebs-Reglement für die Eisenbahnen Deutschlands v. 11. Mai 1874, in: CentraIBlatt für das Dt. Reich, 2. Jg., Berlin 1874, S. 179 - 208 und Anlagen. 255 Thöl, Handelsrecht III, Vorrede S. VI; s. auch S. 241. 247 248
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Fassung des Gesetzes und Fassung des B.=R.s von 1874 an. Einige Beispiele mögen das veranschaulichen: Nach dem Kontrahierungszwang des Art. 422 ADHGB waren die EisenbahnUnternehmen grundsätzlich zum Abschluß von Frachtverträgen verpflichtet, sofern die zu transportierenden Güter zum Transport geeignet waren, der Absender die den Eisenbahn-Unternehmen freigestellten Transportbedingungen akzeptierte und Transportkapazität vorhanden war (Art. 422 Abs. 1 S. 1 Nm. 1 - 3). Nach § 48 lit. B Nr. 3 Eisenb.-B.=R. 1874 in der Fassung von 1880256 sollte die Eisenbahnverwaltung zum Transport von Gemälden und anderen Kunstgegenständen jedoch nur verpflichtet sein, "wenn in den Frachtbriefen keine Werthangabe enthalten ist". Grund dieser Bestimmung war die Beschränkung der Haftung auf den Normalsatz: Nach Art. 427 Nr. 1 ADHGB durfte in den B.=R.s nämlich bedungen werden, daß der der Schadensberechnung im Fall des Verlustes oder der Beschädigung des Gutes zugrundezulegende Wert des Gutes einen in Frachtbrief, Ladeschein oder Gepäckschein angegebenen Betrag, die sogenannte Wertdeklaration, "und in Ermangelung einer solchen Angabe einen im voraus bestimmten Normalsatz nicht übersteigen" solle 257 . Thöl hält die Bestimmung des § 48 lit. B Nr. 3 B.=R. 1874 für ungültig, "wenn sie so gemeint ist, daß im Fall von Verlust und Beschädigung nur der Normalsatz gefordert werden darf'; denn sie verstoße gegen Art. 422 ADHGB, der eine Beschränkbarkeit der Transportverpflichtung nicht vorsehe. Aus der Ungültigkeit dieser Bestimmung folgerte Thöl weiter, daß im Schadensfall volle Schadensersatzpflicht (nach Art. 396 Abs. 1 ADHGB bis zur Höhe des gemeinen Handelswertes des Gutes) bestehe 258 . Im Zusammenhang mit Wert- bzw. Interessendeklarationen machte Thöl fünf Ungültigkeiten aus: So sah das B.=R. 1874 in § 68 Abs. 1 Nr. 2 am Ende vor, daß nur der Normalsatz vergütet werde, wenn nicht ein höherer Wert an der im Frachtbrief dafür vorgesehenen Stelle in Buchstaben deklariert worden sei; Art. 427 Abs. 1 Nr. 1 ADHGB nannte dagegen nur "den im Frachtbrief angegebenen Betrag". Thöl Kommentierte: "Für die Gültigkeit einer höheren Werthangabe ( ... ) soll nicht genügen, was gesetzlich genügt und absolut genügen soll ... ; sondern sie soll nur dann gültig sein, wenn sie überdies einer andern bestimmten Form entspricht .... Diese Bestimmung ergiebt eine ungültige Vereinbarung,,259. Die Bestimmungen der §§ 64 Abs. 4 S. 2, 69 Abs. 2 B.=R. 1874 hält Thöl für ungültig, weil danach der Anspruch des Empfängers gegen die Eisenbahn durch Bezahlung der Fracht und Annahme des Gutes "seitens des ... Empfängers oder seiner Leute" oder, so § 64 Abs. 4 S. 2 zusätzlich, "derjenigen Personen, an welche 256 Bekanntmachung, betr. Abänderung des B.=R.s für die Eisenbahnen Deutschlands, in: Central-Blatt für das Dt. Reich, 8. Jg., Berlin 1880, S. 452 - 461. 257 Diesen Normalsatz im Falle fehlender Wertdeklaration bestimmte § 68 Abs. I Nr. 2 B.=R. 1874 zu 60 Mark je 50 Kilogramm brutto. 258 Thöl, Handelsrecht III, S. 102. 259 Thöl, Handelsrecht III, S. 214 f., 214; die übrigen Fälle S. 220, 222, 226, 229.
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die Ablieferung gültig erfolgen kann", erlöschen sollte; das modifiziere in unzulässiger Weise die nach Art. 423 unabdingbare Bestimmung des Art. 408 Abs. 1 ADHGB 26o : "Durch Annahme des Gutes und Bezahlung der Fracht erlischt jeder Anspruch gegen den Frachtführer"; denn danach sei es nicht gestattet, die Ansprüche durch "Annahme des Gutes von Seiten der Leute des Destinatars" erlöschen zu lassen 261 . Die Bestimmung des § 64 Abs. 4 S. 1 B.=R. 1874 sah vor, daß als in Verlust geraten nur solches Gut zu betrachten sei, das vier Wochen nach Ablauf der Lieferungszeit nicht abgeliefert worden sei 262 . Thöl hält sie für ungültig, weil sie die Voraussetzungen des nach Art. 423 grundsätzlich unabdingbaren Schadensersatzanspruches wegen Verlustes des Gutes nach Artt. 395 f. ADHGB durch eine Modifikation des Begriffes "Verlust" anders bestimme als das Gesetz 263 ; denn Verlust sei gegeben, "wenn der Frachtführer ... außer Stande ist, ... das Gut sofort zu liefern, dessen sofortige Ablieferung ... mit Recht gefordert wird,,264. Das nach § 64 Abs. 4 S. 3 B.=R. weiter vorgesehene Erlöschen des Schadensersatzanspruchs bei Unterbleiben einer fristgemäßen schriftlichen Anmeldung sei ebenfalls unwirksam, da Art. 428 Abs. 1 ADHGB die Vereinbarung dieser Rechtsfolge nur bei Unterbleiben einer Anmeldung schlechthin erlaube, ohne für diese Anmeldung eine Form vorzusehen 265 . In seiner erstaunlich rasch erscheinenden Rezension nimmt Goldschmidt, nachdem er sich mit einzelnen Äußerungen Thöls zu Problemen allgemeiner Art 266 befaßt hat, zu acht der von Thöl so hervorgehobenen angeblichen Ungültigkeiten im B.=R. 1874 detailliert Stellung 267 : Thöls Annahme, § 481it. B Nr. 3 Eisenb.-B.=R. 1874 (Ausschluß der Wertdeklaration bei Gemälden) sei unwirksam, führt Goldschmidt auf dessen Ansicht 268 zurück, die Zulassung der Beschränkung der Haftung auf einen Normalsatz diene "nach dem Willen des Gesetzes" nur dazu, den Absender zu einer Wertdeklaration zu veranlassen, um der Eisenbahn die Kalkulation einer angemessenen Fracht zu ermöglichen269 . Goldschmidt hält dem entgegen, daß dieser angebliche Wille des Gesetzes in Art. 427 Abs. 1 Nr. 1 ADHGB, der die Normalsatzhaftung "in ErmanArt. 408 Abs. 2 durfte nach Art. 428 ADHGB modifiziert werden. Thöl, Handelsrecht III, S. 160 f. 262 Entsprechend § 30 Abs. 1 B.=R. für Reisegepäck mit einer Frist von 3 Tagen; dazu Thöl, Handelsrecht III, S. 252 f. 263 Thöl, Handelsrecht III, S. 205 mit einer Ergänzung im Anhang S. 252 f. 264 Thöl, Handelsrecht III, S. 36 f., 36. 265 Thöl, Handelsrecht III, S. 203 f. 266 ZHR 26 (1881), S. 607 - 610, insbes. S. 608 (Verhältnis von Ladeschein und Frachtvertrag), 609 f. (Art der Einbeziehung der Eisenb.-B.=R.s in den Vertrag). 267 ZHR 26 (1881), S. 610 - 613. 268 Thöl, Handelsrecht III, S. 211. 269 ZHR 26 (1881), S. 611. 260 261
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gelung" einer Wertdeklaration zulasse, keinen Ausdruck gefunden habe. Selbst wenn Thöl aber Recht habe, folge aus der Nichtigkeit der Reglements-Bestimmungen nicht die Haftung auf den gemeinen Handelswert, sondern nur das Recht des Absenders, einen Transport mit Wertdeklaration zu verlangen oder, im Falle der Weigerung, nach Art. 422 Abs. 4 ADHGB den aus dieser Weigerung entstehenden Schaden ersetzt zu verlangen 270 . Zu Thöls Kritik daran, daß Ansprüche des Empfängers auch dann erlöschen sollten, wenn nicht er, sondern nur seine Leute das Gut annähmen, befand Goldschmidt, daß sich aus dem Zusammenhang des B.=R.s eindeutig ergebe, daß nur diejenigen Leute des Empfängers gemeint seien, die besonders oder durch ihre geschäftliche Stellung allgemein zur Annahme derartiger Sendungen ermächtigt seien; deshalb seien § 64 Abs. 4 S. 2 und § 69 Abs. 2 B.=R. 1874 ohne weiteres gültig, da Mißverständnisse insoweit ausgeschlossen seien 271 . Die Setzung einer Verlust-Frist von vier Wochen in § 64 Abs. 4 S. I B.=R. (bzw. drei Tagen nach § 30 Abs. 1 B.=R.) meint Goldschmidt darin gerechtfertigt zu sehen, daß bei Fehlen des Gutes am Ablieferungstermin nicht ohne weiteres "sofort" von einem Verlust ausgegangen werden könne, sofern damit zu rechnen sei, daß sich das Gut in einer angemessenen, nach richterlichem Ermessen zu bestimmenden Frist wieder anfinde. Es sei deshalb nur zu fragen, ob die statuierte Frist unter den besonderen Verhältnissen des Eisenbahnbetriebes angemessen sei 272 • Die von Thöl als unzulässig angesehene Aufstellung von Formerfordernissen in einzelnen Reglementsbestimmungen hält Goldschmidt für wirksam, weil "dergleichen technische, in keiner Weise beschwerende Modalitäten", wie sie etwa bei der Wertdeklaration vorgesehen seien, "den Eisenbahnverwaltungen freigestellt sein" müßten 273 . Goldschmidt schließt seine Rezension mit einem Hinweis auf sieben der von Thöl behaupteten Ungültigkeitsfälle, denen "allerdings anscheinend gewichtigere Bedenken entgegenstehen". Diese Bedenken Thöls seien bei der nächsten Revision des Eisenb.-B.=R.s zu würdigen; schon jetzt aber sei Thöl insoweit zuzugeben, "daß auch für die gerichtliche Praxis ausreichende Veranlassung zu erneuter Prüfung" vorliege 274 . Goldschmidts Rezension scheint den Aufwand der Auseinandersetzung, die ihr folgte, kaum zu rechtfertigen. Allerdings basieren viele der Angriffe Goldschmidts deutlich und bewußt 275 auf dem von ihm einleitend aufgezeigten MethodengegenZHR 26 (1881), S. 611. ZHR 26 (1881), S. 612. 272 ZHR 26 (1881), S. 612. 273 ZHR 26 (1881), S. 612; s. auch S. 613 zum Erfordernis schriftlicher Anmeldung von Schadensersatzansprüchen. 274 ZHR 26 (1881), S. 613. 275 ZHR 28 (1882), S. 445. 270 271
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satz. Daraus folgt eine merkwürdie Diskrepanz: Während nämlich in Thöls Antikritik ganz die Einzelfragen im Vordergrund stehen und Thöl dem Allgemeinen, auf das "hier weniger ankommt,,276 nur wenige Zeilen widmet277 , befaßt sich Goldschmidt ganz überwiegend mit den allgemeinen methodischen Fragen 278 . Dies gilt insbesondere für die folgenden Schriften beider in dieser Auseinandersetzung. Genau auf ein Jahr später datiert als Goldschmidts Kritik erscheint Thöls Antikritik 279 . Thöl fühlt sich trotz der sicheren Art, mit der Goldschmidt seine Bemerkungen vorgebracht habe, durch diese in seinen eigenen Ansichten bestärkt28o . Der Gedanke, daß nach Reglements-Bestimmungen verfahren werde, die er wegen Verstoßes gegen das übergeordnete Recht des ADHGB für ungültig hält, ist für Thöl unerträglich. In der Frage des Ausschlusses der Wertdeklaration bei Gemälden wirft Thöl Goldschmidt vor, ihn unrichtig referiert zu haben: Er habe nicht die Frage diskutiert, ob das Eisenbahn-Unternehmen auf Vornahme eines Transports mit Wertdeklaration verklagt werden könne, sondern nur281 die, ob bei Vornahme eines Gemäldetransportes unter erzwungenem Ausschluß der Wertdeklaration die Haftung des Eisenbahn-Unternehmens auf den Normalsatz beschränkt sei. Hierzu verteidigt Thöl seine Ansicht gegen Goldschmidts Behauptung, sie habe in Art. 427 ADHGB keinen Ausdruck gefunden 282 : Daß nach Art. 427 ADHGB auf den Normalsatz nur "in Ermangelung" einer Wertdeklaration gehaftet werde, betreffe "offenbar" nur den Fall, daß der Absender freiwillig oder im Hinblick darauf, daß das EisenbahnUnternehmen den Transport bei geschehener Wertdeklaration zurückweisen würde, diese unterlassen habe, nicht aber den, daß das Eisenbahn-Unternehmen eine geschehene Wertdeklaration zurückgewiesen, das Gemälde aber gleichwohl transportiert habe 283 . In der Frage des Erlöschens der Ansprüche des Empfängers infolge der Annahme des Gutes durch seine Leute erkennt Thöl an, daß diese Bestimmungen bei ihrem Verständnis im Sinne Goldschmidts etwas Selbstverständliches aussagten und damit gültig seien 284 . Eben dieses Verständnis sei aber nicht selbsverständlich, da Thöl, Antikritik S. 5. Thöl, Antikritik S. 39 - 44. 278 ZHR 28 (\882), S. 449 - 456. 279 Thöl, Antikritik, Vorwort S. 3 f., 4. (Thöl bevorzugte in seinen Schriften zwar einen sehr prägnanten und knappen Stil, er liebte aber für seine kleineren Schriften umfangreiche Titel.) 280 Das hindert Thöl freilich nicht an Zugeständnissen, s. etwa Antikritik S. 5 zu Goldschmidt ZHR 26 (\881), S. 610. 281 Thöl, Antikritik S. 6 - 9. 282 Thöl, Antikritik S. 9 f. 283 Thöl, Antikritik S. 10. 284 Thöl, Antikritik S. 16. 276 277
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der Ausdruck ,,Leute" diese Beschränkung nicht unmittelbar enthalte 285 , zumal § 64 Abs. 4 Satz 2 B.=R. neben den "Leuten" des Empfängers gesondert von denjenigen Personen spreche, an die die Ablieferung gültig sollte erfolgen können 286 . Damit verbleibe ein potentieller Anwendungsbereich von §§ 64 Abs. 4 Satz 2, 69 Abs. 2 B.=R. 1874, nach dem diese Bestimmungen wegen Widerspruchs zu Art. 408 Abs. I ADHGB unwirksam seien 287 . Seine Ansicht, §§ 64 Abs. 4 Satz 1, 30 Abs. I B.=R. 1874 seien ungültig, weil sie die Annahme des Verlustes von Gut von dem Ablauf bestimmter Fristen abhängig machten, verteidigt Thöl mit Goldschmidts eigenem Argument, es unterliege im Zweifel richterlichem Ermessen, nach welcher Zeit endgültiger Verlust anzunehmen sei. Das B.=R. habe aber eben in unstatthafter Weise an die Stelle dieser Einzelfallentscheidung feste Fristen gesetzt 288 . Auf der Ungültigkeit der im B.=R. aufgestellten besonderen Formerfordernisse für Deklarationen beharrt Thöl. Darauf, ob sie für Absender oder Empfänger beschwerend seien, komme es nicht an. Die Eisenbahn-Unternehmen hätten ihren Geschäftsbetrieb auf die Vorgaben des ADHGB einzustellen; sie dürften daher nicht zusätzliche Formerfordernisse aufstellen. Zudem bestehe die keineswegs fernliegende Gefahr, daß Absender oder Empfänger sie bloß versehentlich einmal nicht beachteten 289 . Goldschmidts Antwort auf Thöls Antikritik datiert bereits vom September 188229 In ihr zieht Goldschmidt den Gegenstand der Auseinandersetzung auf das Gebiet des Grundsätzlichen, den Hauptteil bildet eine umfangreiche und grundlegende Kritik der Methodik Thöls am Beispiel von dessen beiden Schriften zum Transportrecht 291 .
°.
Von den Einzelfragen, auf die Goldschmidt in seiner Rezension eingeht 292, betrifft nur eine einen Fall der Ungültigkeit der Reglementsbestimmungen, nämlich den Ausschluß der Wertdeklaration bei Gemälden nach § 48 lit. B Nr. 3 B.=R. 1874293 : Thöls Auffassung in der Form, wie er sie in der Antikritik dargelegt hatdas Eisenbahn-Unternehmen dürfe zwar den Transport von Gemälden mit Wertdeklaration ablehnen, hafte aber bei Verlust von Gemälden, die deshalb nur zwangsweise nicht mit einer Wertdeklaration versehen worden seien, auf den Normalsatz, weil der Ausschluß der Wertdeklaration unwirksam sei - sei logisch widerspTÜch285 286 287 288 289
290 291 292
293
Thöl, Antikritik S. 17. Thöl, Antikritik S. 16. Thöl, Antikritik S. 16, 17. Thöl, Antikritik S. 17 - 19, 19. Thöl, Antikritik S. 20, 22. ZHR 28 (1882), S. 456. ZHR 28 (1882), S. 449 - 456. ZHR 28 (1882), S. 443 - 449, 455 f., 456. ZHR 28 (1882), S. 443 - 445.
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2. Teil: Handelsrecht in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts
lieh und sachwidrig 294 . Tatsächlich sind Thöls Darlegungen von ihrer logischen Struktur her rätselhaft. Vermutlich hat Thöl hier etwas anderes gemeint. Darauf weist der Schlußsatz seiner Erörterung andeutungsweise hin, wo es heißt, der Eisenbahnunternehmer könne den Transport eines Gemäldes verweigern, weil der Absender den Wert deklarieren wolle, er könne aber nicht den Transport eines Gemäldes - und hier ist nun wohl zu ergänzen: für das im Frachtbrief ein Wert deklariert worden ist - übernehmen "und nur die Deklaration zurückweisen mit der Wirkung, daß er nur den winzigen Normalsatz zu zahlen" habe 295 . Thöl scheint also an den Fall zu denken, daß die Wertdeklaration ohne Zustimmung des Absenders einseitig vom Eisenbahnunternehmer gestrichen wird. Geschieht dies nach der Annahme des Gemäldes, ist die Streichung für den bereits mit anderem Inhalt geschlossenen Vertrag natürlich wirkungslos; geschieht sie gegen den erklärten Willen des Absenders bei der Annahme des Gemäldes, liegt eine wegen der Eindeutigkeit des in der Annahme liegenden Verhaltens wirkungslose Protestation auf seiten der Eisenbahn vor296 , die ja - nach Thöls Ansicht zu Recht297 - die Annahme in diesem Fall verweigern könnte; entscheidet sie sich dennoch für den Transport, darf sie sich nicht auf ihre einseitige Zurückweisung der Wertdeklaration berufen. Wenn Thöls Ausführungen so zu verstehen sind, geht Goldschmidts Kritik daran tatsächlich vorbei. Dieses Mißverständnis wäre freilich in Thöls ungewohnt unklarem und unnötig komplizierten Aufbau des Problems begründet. Die Unwirksamkeit der Bestimmung des § 48 lit. B Nr. 3 B.=R. ließ sich damit indessen ohnehin nicht begründen 298 , da sie in dieser Fallkonstellation gar nicht zur Anwendung gekommen wäre; insoweit ist Goldschmidts Kritik im Ergebnis zuzustimmen. Auf weitere Reglementsbestimmungen geht Goldschmidt erst im Rahmen seiner methodischen Erörterungen ein 299 . Er macht deutlich, daß er auch für sie an seiner Meinung festhalte 3OO, weil die Praxis dieser Bestimmungen bedürfe30I • Goldschmidt hält Thöl vor, die Reglementsbestimmungen zunächst einseitig in einem Sinn auszulegen, der dem Absender bzw. Reisenden ungünstig sei, um dann ihre Unwirksamkeit mit der Möglichkeit schikanös-formalistischen Festhaltens der Eisenbahn-Unternehmen zu begründen 302 . Bei keiner seiner Ungültigkeitsbehauptungen habe Thöl die besondere Entstehungsgeschichte der Artt. 422 ff. ADHGB berücksichtigt, deren Sinn es ja gerade gewesen sei, den Eisenbahn-Unternehmen entgegen der Intention ursprünglicher Entwürfe ihre bisher geübte Praxis der AusZHR 28 (1882), S. 444 f. Antikritik S. 10. 296 Zur protestatio facta contraria im gemeinen Recht s. RGZ 36, S. 187 ff., 189 f.; Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil I 2, § 154 IV, S. 953. 297 Thöl, Antikritik S. 8. 298 Unklar aber auch Thöl, Antikritik S. 8, s. ZHR 28 (1882), S. 444. 299 ZHR 28 (1882), S. 452 - 455. 300 ZHR 28 (1882), S. 453. 301 ZHR 28 (1882), S. 453 f. 302 ZHR 28 (1882), S. 454. 294 295
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gestaltung des Transportvertrages durch Reglements zu erhalten und ihnen deren Anpassung an geänderte technische, wirtschaftliche und (im Hinblick auf internationale Abkommen) politische Verhältnisse zu ermöglichen303 . Thöls Entdeckung, daß eine ernsthafte Überprüfung des bislang von Wissenschaft und Praxis als gültig hingenommenen Eisenb.B.=R.s von 1874 unterblieben war, wurde von der zeitgenössischen Fachliteratur sofort aufgenommen 304 : Insbesondere von Hahn erkennt mehrere der von Thöl behaupteten Ungültigkeitsfälle als zutreffend an 305 . Thöls Beanstandungen der Aufstellung zusätzlicher Formerfordernisse für Erklärungen des Absenders hält Hahn dagegen weitgehend für unbegründet: Wenn das Gesetz etwa die Verfristung eines Anspruchs bei nicht rechtzeitiger Anmeldung bestimme, so schließe das die Zulässigkeit besonderer Vertragsvereinbarungen über die Form solcher Anmeldungen nicht aus 306 . In der Frage der reglementsmäßigen Bestimmung einer Verlust-Frist differenziert von Hahn: Grundsätzlich sei Goldschmidts Ansicht zu folgen, doch habe Thöl Recht, soweit es die Fälle betreffe, in denen über den endgültigen Verlust der Güter kein Zweifel bestehen könne; dieser Fall werde von den betreffenden Reglementsbestimmungen aber überhaupt nicht erfaßt 307 . Goldschmidts Hoffnung, daß auch die Praxis Gelegenheit erhalte, sich zu den streitigen Fragen zu äußern 308 , erfüllte sich dagegen kaum. Das Reichsgericht erklärte, soweit ersichtlich, nur einmal beiläufig eine Bestimmung des Eisenb.B.=R.s von 1874 nach Art. 423 ADHGB für teilweise unwirksam; dies betraf zudem eine Bestimmung, die Thöl gar nicht beanstandet hatte 309 . Dabei ging das Reichsgericht als selbstverständlich davon aus, daß eine Reduktion des Inhalts einzelner, nur teilweise für unwirksam gehaltener Reglementsbestimmungen auf ihre gültigen Bestandteile zulässig sei. Dies deckte sich mit der Haltung aller Bearbeiter der einschlägigen Fragen31O • Von seiten der Politik aus wurde dagegen auf eine Weise reagiert, die weder Thöl noch Goldschmidt billigen konnten: Bei der folgenden Revision des Eisenb.B.=R.s durch den Bundesrat wurden die umstrittenen Bestimmungen weitgehend beibehalten. Zugleich wurde versucht, dem Eisenb.-B.=R. von 1874 durch seine ZHR 28 (1882), S. 452 f. s. schon Goldschmidts Aufruf ZHR 26 (1881), S. 613. 305 Darunter war auch der Ausschluß der Wertdeklaration von Gemälden (in der ursprünglichen Fassung Thöls, die dieser im Hinblick auf Goldschmidts Kritik indessen modifiziert hatte), Hahn, Commentar 11, Art. 422 § 13. 306 Hahn, Commentar 11, Art. 422 § 13 in Fußn. 15. 307 Hahn, Commentar 11, Art. 423 § 6. 308 ZHR 26 (1881), S. 613. 309 RGZ 7, S. 125 ff., 129 f., 130: § 64 Abs. 5 B.=R., soweit er entgegen Art. 386 Abs. 4 ADHGB die Verjährung aller Ansprüche betraf. 310 Heute wird die "geltungserhaltende Reduktion" unwirksamer Klauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen dagegen als unzulässig angesehen: BGHZ 96, S. 18 ff., 25 f. m.w.N. 303
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Erhebung zu einer Verordnung mehr Autorität zu geben. Dieser Ansatz blieb allerdings, solange die Rechtsgrundlage für eine solche Verordnung fehlte 311 , erfolgIOS312.
Überprüft man Thöls Beanstandungen vom heutigen Standpunkt aus, so ist man noch mehr geneigt, ihm in seiner Kritik Recht zu geben, als es schon die zeitgenössische Fachliteratur getan hat. Als wirklich unbegründet stellen sie sich nur dort heraus, wo Thöl die Ungültigkeit von Reglemenstbestimmungen allein aus einem Vergleich der Wortfassungen des Reglements und des ADHGB herleiten will. Dies gilt etwa für seine Auffassung, das Erlöschen von Ansprüchen des Empfängers bei Annahme der Güter durch seine Leute widerspreche dem ADHGB, weil dieses diese Rechtsfolge nur an die Annahme durch den Empfänger knüpfe. Diese Auffassung dürfte schon deswegen an den realen Verhältnissen völlig vorbeigegangen sein, weil ein großer Teil der Empfänger Handelsgesellschaften gewesen sein dürften. Thöl hat zwar in seinem "Handelsrecht" nahezu alle Ungültigkeitsfälle auf diese formalistische Art begründet. Doch hat gerade Goldschmidt in seiner ersten Rezension ihm den Blick für die Unzulänglichkeit dieser Methode geöffnet. Thöl will das zwar nicht zugeben, es wird aber daraus deutlich, daß er vehement den Vorwurf bekämpft, "Buchstabenjurisprudenz" zu treiben, den Goldschmidt in dieser prägnanten Form gar nicht erhoben hatte. Thöl holt denn auch, was nun wiederum Goldschmidt in seiner zweiten Rezension nicht genügend anerkennt, die sachlichen Begründungen in seiner Antikritik nach: So hatte er etwa die Ungültigkeit des Erfordernisses der Wertdeklaration in Buchstaben an der dafür vorgesehenen Stelle des Frachtbriefes in seinem "Handelsrecht" allein mit den Worten begründet: "Für die Gültigkeit einer höheren Werthangabe ... soll nicht genügen, was gesetzlich genügt und absolut genügen soll, daß sie im Frachtbrief beurkundet ... ist,,313; nun trägt Thöl die sachliche Erwägung, deren Vorhandensein er nur angedeutet hatte, in der Antikritik nach: "Was die Eisenbahn begünstigt, und den Absender benachtheiligt, wenn die Vereinbarung gültig ist, ist, daß hier die Verpflichtung von einer Form abhängig ist, welche nicht gesetzlich ist. Wer die Summe mit Zahlen schreibt, soll ungültig declarirt haben. Die Warnung auf dem Frachtbrief ,in Buchstaben' kann übersehen werden,,314. Diese Gefahr bestand, wenn man das bei Thöl abgedruckte 315 Muster eines Frachtbriefformulars betrachtet, tatsächlich. Hier erst offenbart sich der Kern des Streits, in dem Goldschmidt und Thöl anderer Auffassung sind: Ob das B.=R. Erklärungen des Absenders oder Empfängers der Güter, die vom Gesetz vorgeschrieben oder zugelassen werden, an bestimmte, im 311 Der Bundesrat durfte gemäß Art. 7 Abs. 1 Nr. 2 R.=Verf. 1871 nur die zur Ausführung der Reichsgesetze erforderlichen Verwaltungsvorschriften erlassen. 312 s. Staub, ADHGB, Vorbem. zu den Artt. 422 - 431, § 4. 313 Thöl, Handelsrecht III, S. 214 f. 314 Thöl, Antikritik S. 20. 315 Thöl, Handelsrecht III, hinter S. VI.
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Gesetz nicht genannte Fonnen binden dürfe, entscheidet sich eben nicht, wie Thöl in seinem "Handelsrecht" suggeriert, aus der Wortfassung des ADHGB allein, sondern aus zusätzlichen Erwägungen. Diese ergeben sich aus der Entstehung des Gesetzes und seiner Beziehung zu den Fällen, die der Gesetzgeber bei der Normierung im Auge hatte. Denn daß das ADHGB insoweit Fonnvorschriften nicht erwähnte, ließ bei allein logischer Analyse sowohl den Schluß auf deren Unzulässigkeit zu wie die Ansicht, daß es sich hierbei um eine ungeregelte Materie handele, die der Vereinbarung der Parteien überlassen blieb. In diesem Fall argumentierte Goldschmidt wohl mit Recht aus der Entstehungsgeschichte der Artt. 422 ff. ADHGB heraus, deren Regelung die Eisenbahn-Unternehmen insoweit begünstigen sollte, als ihnen im Rahmen der Regelungsvorbehalte weitgehender Spielraum gesichert werden sollte316 . Vom heutigen Standpunkt aus wird die von Thöl aufgezeigte Gefahr, daß derartige Klauseln dazu benutzt werden, dem Kunden, der sie leicht übersieht, die Durchsetzung seiner Rechte durch das Beharren auf Einhaltung von Fonnalien so schwer wie möglich zu machen 317 , dagegen als wesentlich schwerwiegender empfunden. Daher wird die Befugnis zur Aufstellung besonderer Fonnerfordernisse von Wissenschaft und Praxis heute mitunter noch restriktiver gesehen als vom Gesetzgeber beabsichtigt: So wurde zwar zu § 11 Nr. 16 AGB-Gesetz, wonach Erklärungen des Vertragspartners an den Verwender der allgemeinen Geschäftsbedingungen durch diese nicht an eine strengere Fonn als die Schriftfonn gebunden werden dürfen, vom Rechtssausschuß des Bundestages ausdrücklich die ~nsicht vertreten, daß damit den Verwendern nicht die Möglichkeit genommen werden solle, "im Interesse eines rationellen Geschäftsverkehrs" ihren Kunden die Benutzung von Fonnularen für bestimmte Erklärungen vorzuschreiben 318 . Die Kommentarliteratur geht jedoch überwiegend davon aus, daß diese Ansicht im Gesetz keinen Niederschlag gefunden habe. Deshalb sollen Klauseln in allgemeinen Geschäftsbedingungen, die die Wirksamkeit von Erklärungen an die Benutzung von Fonnularen binden, nicht zulässig sein319 . Gegen diese Ansicht wird freilich das so schon bei Goldschmidt zu findende Argument vorgebracht, daß in solchen Klauseln keine Erschwerung liege, die spezifisch durch eine Fonnvorschrift hervorgerufen werde 32o • So auch noch das Fazit der Denkschrift HGB, S. 412. Thöl, Antikritik S. 20 unten; vgl. U1mer/BrandnerIHensen, AGB-Gesetz, 7. Aufl., Köln 1993, § 11 Nr. 16 Rdnr. 2. 318 Bericht des Rechtsausschusses zu den Entwürfen eines AGB-Gesetzes, BT-Drs. 71 5422 (Bd. 223, 1976), S. 10. 319 Ulmer/BrandnerlHensen, AGB-Gesetz, 7. Aufl. 1993, § 11 Nr. 16 Rdnr. 5; Heinrichs in Palandt, BGB, § 11 AGB-Ges. Rdnr. 95; die Anwendbarkeit des § 11 Nr. 16 AGB-Ges. über §§ 24 S. 2; 9 AGB-Ges. auch auf Kaufleute ist ebenfalls streitig, s. Heinrichs Rdnr. 97. 320 Kötz, in Münchener Kommentar zum BGB, Bd. I, 1. Aufl., München 1978, § 11 AGBGes. Rdnr. 161 (anders Basedow, Münchener Kommentar zum BGB, Bd. 1, 3. Aufl. 1993, Rdnr.251). 316 317
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Auch in seiner von Goldschmidt beanstandeten Methode32 1, die einzelnen Reglementsklauseln zunächst einseitig in einem Sinn auszulegen, der dem Absender bzw. Reisenden ungünstig ist, um mit der Möglichkeit eines solchen Verständnisses ihre Unwirksamkeit zu begründen, erweist sich Thöls Vorgehen als durchaus modem: Eben diesen Ansatz der ,,kundenfeindlichsten Auslegung" nämlich benutzt die heutige Rechtsprechung bei der Überprüfung von allgemeinen Geschäftsbedingungen, die im Wege der Verbandsklage nach § 13 AGB-Gesetz angegriffen werden 322 . Auch hier hat Thöl seinen Ansatz lediglich in eine begriffliche Form gegossen, obwohl ihr eine zweckgerichtete Erwägung, nämlich der Schutz des Kunden, zugrundelag. Es ist also kein Zufall, daß in der zeitgenössischen Literatur die Antikritik Thöls häufiger zitiert wird als der dritte Band seines "Handelsrechts". Man ist deshalb versucht zu sagen, daß erst Goldschmidts anregende Kritik Thöls berechtigten Beanstandungen den Erfolg bescherte. Umgekehrt waren Freunde und Schüler Thöls, die bei ihren Würdigungen seiner Leistungen sein "Handelsrecht" als sein Hauptwerk in den Vordergrund stellten, etwas vorschnell geneigt, in diesem Streit Goldschmidts Kritik gegenüber der hier vorherrschenden Einseitigkeit Thöls den Vorzug zu geben 323 . Zutreffend ist diese Einschätzung aber, soweit sie sich auf den grundsätzlichen Teil von Goldschmidts Kritiken bezieht, deren Gegenstand beide Male eigentlich Thöls "Handelsrecht" und auch bei der zweiten Rezension nicht so sehr dessen Antikritik ist324 . Diese Auseinandersetzung mit Thöl war Goldschmidts letzte größere Befassung mit Gegenständen des Transportrechts. In den folgenden Jahren wandte er sich vornehmlich Studien des Gesellschaftsrechts und der Rechtsgeschichte zu.
V. Gesellschaftsrecht
Mit keinem anderen Spezialbereich des Handelsrechts hat Goldschmidt sich sein ganzes wissenschaftlicher Arbeit gewidmetes Leben hindurch so kontinuierlich beschäftigt wie mit dem Gesellschaftsrecht. Sowohl seine erste als auch seine letzte Einzelveröffentlichung sind gesellschaftsrechtlichen Fragen gewidmet 1• Wie auch ZHR 28 (1882), S. 454. BGH, Urt. v. 23. 3. 1988, BGHZ 104, S. 82 ff., 88; hier von einer "umgekehrten Anwendung" der Unklarheitenregel des § 5 AGB-Ges. zu sprechen (so der BGH), ist aber irreführend, denn im Unterlassungsverfahren nach § 13 AGB-Ges. ist die kundenfeindlichste Auslegung mehrdeutiger Klauseln diejenige Auslegung, die zu Lasten des Verwenders geht, so daß es sich um eine unmittelbare Anwendung der Unklarheitenregel handelt. 323 Ehrenberg, Thöl S. 581 f.; Riesser S. 26 f. 324 Vgl. ZHR 28 (1882), S. 447: "All dies finde ich noch in der ,Antikritik' nicht genügend erörtert und gesondert." 1 Oe societate 1851 u. Formen 1892; hierin (S. 3 f.) weist Goldschmidt darauf hin, daß er sich "seit 40 Jahren unablässig mit der Ergründung von Bau und Funktionen des europä321
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B. Aus Goldschmidts rechtswissenschaftlichem Werk
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in anderen Bereichen, wird seine stete Beobachtung der Entwicklungen auf diesem Gebiet durch zahlreiche Rezensionen belegt2 . Daneben war Goldschmidt häufig als Gutachter mit Fragen des Gesellschaftsrechts beschäftigt. Daher ist fast allen seinen Schriften zu diesem Gebiet gemeinsam, daß sie aus aktuellen Anlässen wie schwebenden Gerichtsverfahren oder laufenden Gesetzgebungsarbeiten entstanden und daher von einer Ambivalenz zwischen dogmatischer Analyse und legislativer Gestaltung geprägt sind. Sie spiegeln wesentliche Entwicklungen auf dem Gebiet des deutschen Gesellschaftsrechts in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts wieder. Im Mittelpunkt seiner Veröffentlichungen stand zu Beginn die Beschäftigung mit den Personenhandelsgesellschaften, später galt sein Schaffen vorwiegend dem Recht der Gesellschaften mit eigener Rechtspersönlichkeit, nacheinander dem Aktien-, dem Genossenschaftsrecht und zuletzt dem Recht der GmbH, die als neue Gesellschaftsform gerade erst geschaffen werden sollte. 1. Recht der Personenhandelsgesellschaften
a) Die Societe en comrnandite Schon Goldschmidts erste wissenschaftliche Veröffentlichung überhaupt, seine "De societate en comrnandite" von 1851, befaßt sich mit Grundfragen des Gesellschaftsrechts. Ihr Gegenstand ist die "Societe en comrnanditel', eine Form der Handelsgesellschaft. Ihr Name entstammt dem französischen Recht, nämlich dem Code de comrnerce von 1807 3 . Dort bezeichnet sie eine der KG des ADHGB von 1861 und des HGB von 1897 entsprechende Gesellschaftsform4 . Ihre in Deutschland vor der Kodifizierung des deutschen Handelsrechts im ADHGB verbreiteten Formen als "Kommanditgesellschaft" zu bezeichnen, ist jedoch unangebracht, weil sich das Rechtsinstitut im nördlichen Europa anders ausgestaltet hatte als in den romanischen Ländem5 ; denn seine in Nordeuropa verbreitete Form Di~sertation
ischen Gesellschaftsrechts beschäftigt" habe. Daß während der Arbeit an seinem Handbuch des Handelsrechts gesellschaftsrechtliche Fragen in Goldschmidts Veröffentlichungen eine geringere Rolle gespielt haben, hat seine Ursache eher in einer Verstärkung denn in einem Nachlassen seines Interesses an diesem Gebiet; denn Goldschmidt sparte das Gesellschaftsrecht darin wohl deshalb aus, weil er seine Darstellung einem gesonderten Band vorbehalten wollte. 2 ZHR 3 (1860), S. 295 - 298; 5 (1862), S. 634 - 641; 13 (1869), S. 656 f.; 15 (1870), S. 624 - 626; 30 (1885), S. 303; daneben in mehreren Rezensionen von Werken zum allgemeinen Handelsrecht, die auch das Gesellschaftsrecht behandelten. 3 Art. 19 C. de comm. - Im Titel der Dissertation ist nur das erste Wort latinisiert, einen lat. Namen hat diese Gesellschaft nicht, s. De societate 1851, S. 4; zum ersten Auftauchen dieses Begriffes in der frz. Ordonnance von 1673 s. De societate S. 15 Fußn. 2. 4 Artt. 23 ff. C. de comm. 5 Deshalb soll im folgenden für die ältere Gesellschaftsart, die noch beide Formen umfaßt, die Bezeichnung "Kommanditengesellschaft" verwendet werden.
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2. Teil: Handelsrecht in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts
entspricht eher der heutigen "stillen Gesellschaft,,6, die begrifflich erstmals im ADHGB von der KG geschieden wurde 7 . Auch Goldschmidt scheidet beide Gesellschaftsarten nicht explizit. In seiner für eine Dissertation ungewöhnlichen Abhandlung behandelt Goldschmidt systematisch das gesamte Recht der Societe en commandite 8 mit Ausnahme der die Auflösung der Gesellschaft betreffenden Rechtssätze 9 . Grundlage der Darstellung ist das gemeine Recht: ein klares Fundament ergebe sich durch die historische Einleitung und dadurch, daß das römische, von partikularrechtlichen Zusätzen gereinigte Recht, das neuerdings auf diesem Gebiet wieder eine bedeutendere Stellung in Wissenschaft und Gesetzgebung erlangt habe, untersucht werde, aber auch Handelsbrauch und schließlich die "communis opinio doctorum" berücksichtigt würden 10. Goldschmidt definiert zunächst als Ergebnis der geschichtlichen Entwicklung der Societe en commandite ll und im Vorgriff auf seine dogmatischen Ausführungen zu einzelnen Streitfragen die Societe en commandite als "eine Handelsgesellschaft mit eigener Firma, eingegangen zwischen einem oder mehreren Gesellschaftern, die allein die Geschäfte führen und den Gläubigem der Gesellschaft aufs Ganze mit ihrem gesamten Vermögen und ihrer Person verpflichtet sind, und einem oder mehreren Gesellschaftern, die für die Schulden der Gesellschaft nur mit einem bestimmten Anteil einstehen" 12. Der Gesellschafter der ersten Art heiße Complementarius, der der zweiten Commendator. Diese Definition zeigt, daß Goldschmidt in seiner Auffassung bereits deutlich der Societe en commandite als KG zuneigt 13 , wie sich aus der Zuerkennung einer Firma und den Wendungen 6 s. die bei Goldschmidt De societate 1851, S. 12 f. zitierten Quellen und seine Darstellung S 7 - 17; knapper Gierke, Genossenschaftsrecht I, S. 986 f. 7 s. dazu C. F. v. Gerber, System, 13. Aufl., S. 534 Fußn. 1. - Auch in der Gesetzgebung in Deutschland wurde der Ausdruck "Societe en commandite" als Bezeichnung für das mehr der stillen Gesellschaft entsprechende Institut benutzt, etwa in ALR II 8 § § 651 f., wo "stiller Gesellschafter" und "Associe en commandite" gleichgesetzt werden (§ 651 a.E.). Zur Terminologie auch ausführlich Thöl, Handelsrecht, 4. Aufl., S. 241 in Fußn. 2. 8 Teil I: Die Geschichte der Societe en commandite, S. 3 ff. (§§ 1 Cf.); Teil 11: Der Vertragsschluß bei der Gesellschaft, S. 19 Cf. (§§ 6 f., § 8: Der Beitritt eines weiteren Gesellschafters zu einer bestehenden Gesellschaft); Teil III: Die bestehende Gesellschaft, S. 28 Cf. (§ 9: Firma, §§ 10 Cf.: Die Personen der Gesellschaft, §§ 15 Cf., S. 36 Cf.: Das Rechtsverhältnis zwischen Complementarius und Commendator, der eigentliche Hauptteil der Arbeit); Teil IV: Die Stellung der Gesellschafter gegenüber den Gläubigem, S. 74 Cf. (§ 33) 9 Deren Behandlung in einem späteren Werk wird zwar in Aussicht gestellt, De societate 1851, S. 2, erscheint aber nicht. 10 De societate 1851, S. I f. 11 Desocietate 1851,S. 17, 18. 12 De societate 1851, S. 17 f. 13 Vgl. Gierke, Genossenschaftsrecht I, S. 986 Fußn. 55; Gerber, System, 13. Aufl., S. 536 Fußn. I ordnet Goldschmidts Arbeit dagegen als Werk über die stille Gesellschaft nach dt. Recht ein.
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"Gläubigern der Gesellschaft" und "Schulden der Gesellschaft" ("creditoribus societatis", "debita societatis"), nicht etwa "der Gesellschafter" ("sociorum") ergibt. Besonders zwei Problemkreise bestimmen das Recht der Societe en commandite. Sie hängen zwar innerlich eng zusammen, ihr Blickpunkt ist aber einmal stärker dogmatischer, einmal mehr wirtschaftlicher Art: Es sind die vornehmlich das Innenverhältnis betreffende Frage, ob die Gesellschaft auch als ein von den einzelnen Gesellschaftern verschiedenes Gebilde existiert, ob sie insbesondere eine eigene Firma und ein eigenes Vermögen (Gesellschaftsvermögen) habe, und die vornehmlich das Außenverhältnis betreffende Frage, ob und wie der Commendator gegenüber den Gesellschaftsgläubigem hafte, also die Frage nach der Realisierung der Haftungsbeschränkung. Die erste Frage nach der Selbständigkeit der Kommanditengesellschaft war für das Recht der romanischen Länder, insbesondere Frankreichs, aufgrund der Entwicklung, die die Societe en commandite dort erfahren hatte, zu Beginn des 19. Jahrhunderts mit dem Code de commerce bereits entschieden; dort ging die Tendenz wie auch bei der oHG dahin, die Kommanditengesellschaft als juristische Person anzusehen 14. Goldschmidt hat sich gegen die Übernahme dieser Tendenz in das deutsche Recht erst 1857 erklärt l5 , denn noch verlief die Entwicklung in Deutschland gegenläufig in Richtung auf die Form der heutigen stillen Gesellschaft: Wenn auch die Ansicht, daß überhaupt kein Gesellschaftsverhältnis vorliege l6 , vereinzelt blieb, so wurde doch die Societe en commandite deutscher Prägung als reine Innengesellschaft verstanden, bei der alle Einlagen des Commendators in das Eigentum des Complementarius fielen 17. Für das Innenverhältnis zwischen den Gesellschaftern wurde die Frage unter anderem dann entscheidend, wenn der Complementarius über Geld aus der Gesellschaftskasse für eigene Zwecke verfügt hatte und der Commendator Verzinsung des entnommenen Kapitals verlangte: War der vom Commendator geleistete Kapitalanteil in das Eigentum des Complementarius übergegangen, so hatte dieser über eigenes Kapital verfügt und brauchte, sofern er mit der Auszahlung des Gewinnanteils an den Commendator nicht im Verzuge war, keine Zinsen zu zahlen; gab es aber ein vom jeweiligen Privatvermögen der Gesellschafter getrenntes besonderes Gesellschaftsvermögen, so hatte der Complementarius über nicht nur eigenes, also fremdes Kapital verfügt, eine unerlaubte Handlung in Form einer Unterschlagung oder Untreue begangen und mußte deshalb nach Deliktsrecht das Kapital verzinsen l8 . Für die Gesellschaften mit unbeschränkter persönlicher Haftung aller Ge14 Carl Salomo Zachariä von Lingenthal, Handbuch des Frz. Civilrechts, 6. Aufl., 2. Bd., Heidelberg 1875, S. 561 in Fußn 1 zu § 377. 15 Kritik 11857, S. 82 ff; Kritik 11 1857, S. 50 f. 16 Hs. Heinrich Escher, Das Privatrecht, Zürich 1851, S. 12 f.; dagegen Gierke, Genossenschaftsrecht I, S. 987 in Fußn. 55 u. Brinckmann, Handelsrecht, S. 215 in Fußn. 3. 17 So insbes. Brinckmann, Handelsrecht, S. 214 f., 229. Die bestehenden gesetzlichen Vorschriften, insbes. ALR 11 8 §§ 651 f., ergaben für die Beantwortung dieser Frage nichts.
23 Weyhe
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seIlschafter, also den der heutigen Gesellschaft bürgerlichen Rechts oder der oHG des deutschen Rechts entsprechenden Gesellschaftstypen, war die Verzinsungspflicht nach gemeinem Recht wie den diesem folgenden Partikulargesetzgebungen seit jeher zu bejahen 19. Goldschmidt wollte nun diese Regeln unmittelbar auf Kapitalentnahmen durch den Complementarius anwenden 2o • Er entschied sich damit also auch in den praktischen Folgen für die Annahme eines Gesellschaftsvermögens. Dagegen hat sich dezidiert Brinckmann gewandt21 , und auch Thöl war anderer Ansicht22 . Beide standen auf dem Standpunkt, daß in der Societe en commandite nach dem in Deutschland geltenden gemeinen oder Partikularrecht die Einlage des Commendator zwingend Alleineigentum des Complementarius werde. Allerdings wäre dann die Societe en commandite nach den von beiden gegebenen Definitionen keine echte Handelsgesellschaft gewesen, denn für das Vorliegen einer solchen verlangte Brinckmann23 den gemeinsamen Betrieb von Handelsgeschäften zur Erzielung eines gemeinschaftlichen Gewinns, Thöl 24 darüber hinaus sogar, daß dies eben gerade "mit gemeinschaftlichem Capital" erfolge. Thöl fiel dieser Widerspruch merkwürdigerweise nicht so recht auf 5 . Brinckmann sah sich dagegen zu einer Modifikation seiner Definition gezwungen, für die er nunmehr die Vereinigung mehrerer Personen zur Erzielung gemeinschaftlichen Gewinns aus Handelsgeschäften ausreichen lassen wollte 26 . Diesen Ansatz hat Goldschmidt, ohne Brinckmann zu nennen, nur wenig später als entscheidend in seine Ausführungen zur stillen Gesellschaft in seiner Kritik des preußischen Handelsgesetzbuch-Entwurfes übernommen. Dabei sieht er allerdings schon in der bloßen Kapitalbeteiligung auch den gemeinschaftlichen Betrieb der erst später mit dem Kapital ausgeführten Handelsgeschäfte, legt aber das Hauptgewicht auf die Gemeinschaftlichkeit von Gewinn und Verlust 27 • In seiner Dissertation geht Goldschmidt noch, ausgehend "Fur semper in mora", vgl. heute § 849 BGB. D. 17,2,67, I; ALR I 17 § 224. Den umgekehrten Fall der Verzinsungspflicht gegenüber dem Vorschüsse leistenden Gesellschafter regeln entsprechend die jeweils unmittelbar folgenden Vorschriften § 2 bzw. § 225. 20 De societate 1851, S. 52, insbes. zu Fußn. 6. 21 Handelsrecht, S. 214 f., gegen Goldschmidt in Fußn. 3. 22 Thöl, Handelsrecht, 4. Aufl., S. 243 f. Für Thöl ist die stille Gesellschaft des ADHGB die gesetzlich fixierte vorherige Societe en commandite deutscher Prägung, S. 240 Fußn. a. Die KG des ADHGB sieht er als Neuschöpfung an, die er in § 43a nur im Vergleich mit der stillen Gesellschaft darstellt, S. VI u. 258 ff. 23 Handelsrecht, S. 118, die Societe en commandite wird auf S. 119 ausdrücklich zu den Handelsgesellschaften gezählt. 24 Handelsrecht, 4. Aufl., S. 208. 25 Vgl. Thöl, Handelsrecht, 4. Aufl., S. 209 f. in Fußn. 1 (rechtsvergleichend); an anderer Stelle weist er kommentarlos darauf hin, daß die stille Gesellschaft im ADHGB nicht im 3. Buch unter den Handelsgesellschaften, sondern im 4. Buch gesondert geregelt worden sei: S.259. 26 Handelsrecht, S. 214 in Fußn. 2, s. auch S. 215 in Fußn. 3 zu Goldschmidt. 18
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von der gleichen Definition der Handelsgesellschaft wie grundsätzlich Brinckmann 28 und gerichtet gegen Thöl, den umgekehrten Weg. Er statuiert, daß ein Rechtsverhältnis, in dem der Complementarius Eigentümer der Einlage werde, durchaus denkbar sei, daß es aber keine Gesellschaft, sondern ein Innominatrealkontrakt sei 29 . Diese Ansicht hat er später stillschweigend aufgegeben 3o . Die Tendenz Goldschmidts, die Societe en commandite auch nach dem in Deutschland geltenden Recht nicht als reine Innen-, sondern als Außengesellschaft aufzufassen, ist damit eindeutig. Nähere Ausführungen zur Begründung dieser Auffassung enthält der § 15 seiner Dissertation 31 • Darin findet sich eine vornehmlich historische Argumentation: Goldschmidt räumt ein, daß die Societe en commandite ursprünglich eine reine Innengesellschaft gewesen sei; dies gelte auch, wie das Zeugnis Casaregis' belege, für die romanischen Länder32 . Die Entwicklung aber gehe mit dem Ende des 17. Jahrhunderts 33 immer weiter zur Ausbildung von Gesellschaften, die auch nach außen als solche aufträten und bei denen die Haftung einiger Gesellschafter nur beschränkt sein solle. Diese Entwicklung, die in Frankreich eher eingesetzt habe als in Deutschland, habe den sich ändernden Bedürfnissen entsprochen. Denn die Tendenz, das Gesellschaftsverhältnis nach außen bekanntzumachen, zeige, daß die Societe en commandite eben auf Dauer kein Umgehungsgeschäft für die durch die kanonistische Wuchergesetzgebung verbotenen Kreditgeschäfte geblieben sei; sie habe sich als besondere Gesellschaftsform auch gegenüber der noch weitergehenden Entwicklung zur Aktiengesellschaft mit deren völliger Haftungsbeschränkung aller Gesellschafter behaupten können 34 . Das Handelsrecht sei eben über viele Jahrhunderte hinweg nicht andauernden und unwandelbaren Gegebenheiten unterworfen, sondern entwickle sich beständig weiter und erreiche einen immer höheren Stand, so daß man den Rechtsinstituten, die man in der Gegenwart vorfinde, nicht die Natur und das Erscheinungsbild vergangener Zeiten andichten dürfe. So hätten sich gerade im Gesellschaftsrecht allmählich von den bestehenden Regeln abweichende Gewohnheiten gebildet, die auch die Bestimmungen des gemeinen Rechts modifiziert hätten 35 . Erst nach dieser allgemeinen Betrachtung, die schon die Kernsätze seiner Untersuchung enthält, er27 Kritik 11 1857, S. 36 - 40; s. aber auch Kritik I 1857, S. 60 f.: Die Definitionsfragen dürften nicht überbewertet werden, entscheidend sei die jeweilige rechtliche Ausgestaltung jeder einzelnen Gesellschaftsform. 28 De societate 1851, S. 38: Zur Gesellschaft gehöre, "ut plures personae certam negotiationem communi lucro et damno communiter gerant". 29 De societate 1851, S. 51 in Fußn. 6. 30 Kritik 11 1857, S. 36 - 40; Kritik 11857, S. 60 f. 31 De societate 1851, S. 36 ff. 32 Ausführliche Interpretation der entsprechenden Aussagen von Casaregis bei Thöl, Handelsrecht, 4. Aufl., S. 242 in Fußn. 5. 33 Dazu im einzelnen De societate 1851, § 4, S. 15 ff. 34 De societate 1851, S. 36 f. 35 De societate 1851, S. 37.
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wägt Goldschmidt, inwieweit die Societe en commandite gleichwohl als modifizierte Fonn der römisch-rechtlichen societas betrachtet werden könne und welche Rechtsfolgen sich daraus ergäben 36 . Eine wesentliche Folge von Goldschmidts Auffassung einer gewissen Selbständigkeit der Gesellschaft gegenüber den Gesellschaftern ist, daß er, hierin nun Thöl folgend 37 , der Societe en commandite auch nach dem in Deutschland geltenden Recht eine eigene Finna zuerkennt 38 mit der Begründung, daß das Führen einer Firma zum Wesen jeder Handelsgesellschaft gehöre 39 . Wenn dies unter Hinweis auf die abweichende Regelung in deutschen Stadtrechten oder mittelalterlichem italienischem Handelsbrauch bestritten werde wie in den Werken von Bender, Pöhls oder Treitschke, so werde dabei verkannt, daß sich die Anschauungen des Handels inzwischen gewandelt hätten. Dies belegten auch die neueren Gesetzgebungen40 wie ALR II 8 § 65241 oder C. de comm. Art. 23 Satz 242 . Tatsächlich führten inzwischen viele derartige Gesellschaften Finnen, in denen auf das Vorhandensein von Commendatoren hingewiesen werde; zwar würden manche Partikularrechte dies verbieten, überwiegend sei aber nur die namentliche Nennung des Commendators untersagt43 . Von unmittelbarer Bedeutung für das Außenverhältnis ist die Frage, ob und in welcher Weise der Commendator den Gesellschaftsgläubigern verpflichtet ist. Goldschmidts Ausführungen hierzu 44 sind bei aller Kürze bemerkenswert. Von seiner Auffassung einer relativen Selbständigkeit der Gesellschaft gegenüber den Gesellschaftern aus wäre es durchaus denkbar, von einem Verhältnis auch der Gesellschaft zu den Gesellschaftsgläubigern zu sprechen. Die Überschrift des letzten Paragraphen seiner Arbeit lautet indessen "sociorum adversus creditores conditio,,45. Wie sehr diese Frage für die Zeit vor dem ADHGB im Flusse war, zeigen die De societate 1851, S. 38 f. De societate 1851, S. 111, 112; vgl. Thöl, Handelsrecht, 4. Aufl., § 36, S. 210. 38 De societate 1851, § 9, S. 28 ff. 39 De societate 1851, S. 28. 40 De societate 1851, S. 28 f. in Fußn. 2. 41 .. Ist sein" (des stillen Gesellschafters) ..Name in der Firma nicht enthalten, ... so haftet er nur mit seinem in der Handlung stehenden Capitale." 42 Die societe en commandite ..est regie sous un nom social". 43 De societate 1851, S. 29. Brinckmann glaubt, daß Goldschmidt zu diesen Ausführungen .. hauptsächlich durch die französischen Ansichten ... verleitet worden" sei (Handelsrecht, S. 119 in Fußn. 7), was durchaus als Vorwurf gemeint ist. 44 De societate 1851, § 33, S. 74 - 76. 45 Brinckmann dagegen überschreibt den entsprechenden § 57 seines Handelsrechts mit ..Verhältnis der stillen Gesellschaft zu Dritten" und lehnt eine unmittelbare Inanspruchnahme des Commendator durch die Gesellschaftsgläubiger nachdrücklich ab: Handelsrecht, S. 228 f., 228; nur letzteres ist angesichts seiner Auffassung, daß eine Gesellschaft nach außen hin gar nicht vorhanden sei, konsequent. Auch Thöl stellt die völlige Nichthaftung des Commendator gegenüber den Gesellschaftsgläubigem als Grundsatz auf: Handelsrecht, 4. Aufl., S. 24 ff. 36 37
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wechselnden Entscheidungen des Hamburgischen Handelsgerichts, des Obergerichts und des OAG Lübeck in einem Rechtsstreit46 : Das Handelsgericht hatte die Klage der Gläubiger gegen den beklagten Commendator abgewiesen47 , das Obergericht hatte ihr stattgegeben 48 , das OAG die Entscheidung aufgehoben und die Sache ans Handelsgericht zurückverwiesen 49 . Das Obergericht hatte seine Entscheidung darauf gegründet, daß der kontrahierende Gesellschafter den Gläubigem das Vorliegen einer Gesellschaft mitgeteilt habe, die beiden Gesellschafter im Innenverhältnis gleichberechtigt gewesen seien und auch die Einlagepflicht des Beklagten in der Höhe nicht beschränkt gewesen sei. Das OAG konstatierte nun zunächst zwar, daß nach Hamburger Recht50 jeder Gesellschafter einer "Mascopey" für die auch nur von einem Gesellschafter eingegangenen Verpflichtungen einzustehen habe; diese Vorschrift aber gelte "allem Anschein nach nur auf den gewöhnlichen Fall einer offenen Societät" und spreche auch insoweit nur die Vermutung aus, daß der kontrahierende Gesellschafter von den übrigen bevollmächtigt sei. Zur Begründung führt das OAG zunächst die Entstehungsgeschichte der Vorschrift und verschiedene Literaturmeinungen an 5l . Abweichender Hamburger Gerichtsgebrauch52 sowie eine neuere wissenschaftliche Lehre abweichenden Inhalts 53 ließen sich nicht feststellen, ausländische Gesetzgebungen seien für Hamburg irrelevant 54 ; schließlich führt das OAG noch aus, daß auch die Interessen des Verkehrs und "die Sicherheit im Handel", denen eine ohnehin nur primär "legislatorische Rücksicht" zukomme, keine andere Entscheidung erzwängen: Die Gläubiger würden in ihrem Vertrauen auf eine durch die Einlage des Commendator erhöhte Kreditunterlage ja keineswegs enttäuscht, da dieser sie im Falle des Konkurses des Complementarius nicht zurückverlangen bzw. die bereits zurückerhaltene in die Konkursmasse geben müsse55 • Goldschmidt wäre von seinem Ansatz aus durchaus in der Lage gewesen, der von den Klägern in diesem Gerichtsverfahren behaupteten und von dem OAG als in der deutschen Handelsrechtsliteratur als nicht nachweisbar bezeichneten56 und abgelehnten "neueren Doctrin" Ausdruck zu verleihen. 46 Sammlung der Erkenntnisse und Entscheidungsgrunde OAG zu Lübeck in hamburgisehen Rechtssachen, Hamburg 1843, S. 606 - 626. - Die abweichende Angabe bei Brinckmann, Handelsrecht, S. 229 Fußn. 4 ist wohl ein Druckfehler und die hier genannte Entscheidung gemeint. 47 S. 610 f. (Erkenntnis v. 23. 12. 1843). 48 S. 612 f. 49 S. 613 f. 50 HH StR 11 10 Art. 8. 51 S. 618 f. 52 S. 619 f. 53 S.620. 54 S.620. 55 S. 620 f. - Die Zurückverweisung ans Handelsgericht erfolgte, weil noch ungeklärt war, ob der Beklagte nicht selbst vorher erklärt hatte, offener Gesellschafter zu sein, S. 622 ff. 56 Vgl. Goldschmidt, De societate 1851, S. 74 Fußn. 3.
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Und in der Tat stellt er für die unmittelbare Haftung des Commendator als Grundsatz auf, "daß auch der Commendator, von dem wir gesagt haben, daß er Handelsgesellschafter sei (§ 9, § 15, 16)57, für alle Geschäfte, die unter der Firma der Gesellschaft eingegangen worden sind, den Gläubigern verbunden" sei, allerdings nur bis zur Höhe seiner Einlage und nur, solange er diese noch nicht geleistet habe 58 . Die entgegengesetzte, ganz herrschende und auch von den französischen Schriftstellern vertretene Ansicht59 ruhe auf der fehlerhaften Voraussetzung, daß die Societe en commandite keine Handelsgesellschaft sei, sondern eine reine Innengesellschaft wie zur Zeit Casaregis' geblieben sei60 . Danach sieht es so aus, als käme Goldschmidt hier bereits zu einem Ergebnis, wie es der KG des ADHGB und des HGB entsprochen hätte. Er fügt aber hinzu, daß es zwei Ausnahmen gebe, die allerdings die Richtigkeit des Grundsatzes nicht berührten61 : Solange nämlich die Gesellschaft bestehe, sei einzig und allein der Complementarius zur Geschäftsführung befugt; deshalb sei er solange auch allein berechtigt und verpflichtet, eine unmittelbare Inanspruchnahme des Commendator sei für diese Zeit also ausgeschlossen. Im Fall der beendeten Gesellschaft hafte der Commendator nur, wenn er seine Einlage noch nicht erbracht habe, und zwar im Konkurs der Gesellschaft gegenüber der Gemeinschaft der Gläubiger, sonst jedem einzelnen Gläubiger62 . Während die zweite Ausnahme, keine Haftung bei bereits erbrachter Einlage, für das Wesen der Societe en commandite selbstverständlich ist63 , nimmt Goldschmidt mit der ersten Ausnahme im Grunde für alle relevanten Fälle den von ihm zuvor aufgestellten Grundsatz auf dieser letzten Seite seiner Untersuchung zurück. Er bekennt denn auch ganz offen, daß er im wesentlichen zu dem gleichen Ergebnis komme wie bisher alle anderen Autoren und nur in seiner Begründung abweichender Auffassung sei 64 , und zeigt damit erstmals seine Eigenart, in wesentlichen Punkten weitgehend akzeptierte Grundsätze in Frage zu stellen, sie durch neue zu ersetzen, dann aber durch Differenzierungen und Ausnahmen doch zu demselben Ergebnis zu gelangen, das er anfangs bekämpfen zu wollen schien. Dieses Phänomen sollte sich gerade auf diesem Gebiet bei Goldschmidts Stellungnahmen zu den Handelsgesetzbuch-Entwürfen wiederholen. Für die in seiner Dissertation behandelten Fragen bleibt festzuhalten: Goldschmidt kommt zu dem Ergebnis, daß die Societe en commandite auch in Deutsch-
= Oe societate 1851, S. 28 ff., 36 ff. Oe societate 1851, S. 74: "Commendatorem quoque, quippe quem socium mercatorium esse dixerimus ... , omnibus negotiis sub firma societatis gestis, creditoribus obligari necesse est ... " 59 Nachweise Oe societate 1851, S. 74 f. in Fußn. 3 u. 4. 60 Oe societate 1851, S. 75. 61 Oe societate 1851, S. 75 f. 62 Oe societate 1851, S. 76. 63 Allerdings mag für die Haftung im Konkurs manches streitig gewesen sein, vgl. Thöl, Handelsrecht, 4. Aufl., S. 251 ff. 64 Oe societate 1851, S. 76; vgl. Brinckmann, Handelsrecht, S. 229 Fußn. 2 a.E. 57
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land eine Entwicklung durchlaufen habe, als deren Ergebnis diese Gesellschaftsfonn nicht mehr nur reine Innengesellschaft mit bloß mittelbarer Beteiligung des Commendator an den Geschäften des Complementarius sei, sondern daß sie auch als Gesellschaft unmittelbare Wirkungen nach außen entfalte. Im praktischen Ergebnis differiert Goldschmidt gleichwohl nur wenig von der bisher in Deutschland herrschenden Anschauung. Wie bedeutsam die in Goldschmidts Arbeit zutage tretende Tendenz in der Auffassung von der Societe en commandite für das in Deutschland geltende Recht war, sollte sich im folgenden Jahrzehnt bei der Entstehung des ADHGB zeigen. b) Die Kritik an der Scheidung von stiller Gesellschaft und Kommanditgesellschaft im ADHGB Das Recht der KG steht im Mittelpunkt von Goldschmidts beiden ausführlichen Kritiken an der Gesetzgebung des ADHGB, der Kritik des preußischen Entwurfs von 1857 und seinem Gutachten von 186065 . Die Bedeutung dieser Gesellschaftsfonn und der auf ihr basierenden Kommanditgesellschaft auf Aktien war inzwischen stark angewachsen, da sie häufig gewählt wurde, um dem in fast allen deutschen Staaten bestehenden Konzessionierungszwang für die eigentlichen Aktiengesellschaften zu entgehen66 . Goldschmidt greift seinen beiden Kritiken ausführlich auf die Gedanken zurück, die er in seiner Dissertation entwickelt hatte 67 , macht hier aber auf andere Weise von ihnen Gebrauch, als seine Ausführungen von 1851 dies hätten erwarten lassen. aa) Die Kritik des Entwurfs eines preußischen HGB Besonders eng knüpft Goldschmidt in seiner Kritik von 1857 an die Ausführungen in seiner Dissertation an. Der preußische Entwurf unterschied nicht zwischen den Gesellschaftsfonnen der stillen Gesellschaft und der KG. Er enthielt in Artt. 144 bis 155 in dem Titel "Von der stillen Handelsgesellschaft" Regelungen für die Gesellschaft mit nur beschränkter Einlage eines oder mehrerer Gesellschafter; in ihm überwog die Regelung des rein inneren Beteiligungsverhältnisses wie bei der stillen Gesellschaft des ADHGB und des heutigen HGB, er enthielt aber auch einige Bestimmungen, die auf die KG dieser Gesetzbücher übergegangen sind: So war sie in dem "allgemei65 Kritik 11, 1857, S. 34 - 51 (allgemeine Probleme), 51 - 65 (Einzelfragen); Gutachten 1860, S. 48 f., 56 -73; zu Goldschmidts Kritiken s. Behrend, Lehrbuch S. 617 - 619; Rüdiger Servos, Die Personenhandelsgesellschaften und die stille Gesellschaft in den Kodifikationen ... vom ALR bis zum ADHGB, Diss.jur. Köln 1984, S. 250 f., 278 - 281, 289 - 292, 294. 66 Dazu Goldschmidt, Kritik 11, 1857, S. 42 f., 65. 67 s. insbes. Kritik 11, 1857, S. 34 - 5 \.
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nen Teil" des Gesellschaftsrechts des preußischen Entwurfs (Artt. 85 - 90) ausdrücklich als Handelsgesellschaft anerkannt (Art. 86), sollte also nach Art. 87 "selbständig ihre Rechte und Pflichten und ihr besonderes Vermögen" haben, und nach Art. 148 Abs. 1 eine Firma führen, die den Namen des stillen Gesellschafters nicht enthalten durfte. Der stille Gesellschafter sollte die Gesellschaft in keiner Form vertreten dürfen, wenn er nicht wie ein Gesellschafter einer oHG haften wollte (Artt. 148 Abs. 1 Satz 2, 149 Abs. I). Goldschmidt kritisiert, daß der preußische Entwurf auch bei Regelung des Rechts der stillen Gesellschaft unter dem Einfluß der Arbeiten Gelpckes weitgehend dem französischen Recht gefolgt sei. Die enge Ahnlehung an den Code de commerce ist tatsächlich leicht zu erkennen68 . Wegen des Zwanges zur Eintragung in das Handelsregister nach Artt. 145, 146 Entw. preuß. HGB 1169 , dürfe die normierte Gesellschaftsform eigentlich nicht "stille Gesellschaft" heißen, sondern müsse den Namen "Commanditengesellschaft" führen 7o . Das in Deutschland bislang vorherrschende Modell der reinen Innengesellschaft als "geheime Societät,,71 habe der Entwurf nicht nur ignoriert, seine Erhebung zum Gesetz werde sogar deren Abschaffung bedeuten. Auch in seiner Kritik von 1857 vertritt Goldschmidt die Ansicht, daß die stille Gesellschaft trotz der ihr vom preußischen Entwurf gesetzten Grenzen eine echte Gesellschaft und nicht etwa nur ein partiarisches Darlehen sei, von dem sie freilich schwer abzugrenzen sei72 ; denn der Betrieb des Handelsgeschäfts sei durch die Einlage des Stillen im Innenverhältnis gemeinschaftlich, und das gelte auch für den erwirtschafteten Gewinn oder Verlust73 . Allerdings macht er insoweit gegenüber seiner Dissertation eine Einschränkung: Hatte er 1851 noch die Existenz eines gemeinschaftlichen Vermögens der Gesellschafter bei der stillen Gesellschaft verfochten 74, so meint er jetzt, daß die Einlage des Stillen in das alleinige Eigentum des Complementarius' übergehe 75 . Allgemeiner als in seiner Dissertation hebt Goldschmidt, um zur "Festigung der noch immer schwankenden Theorie" beizutragen 76, nun aber hervor, daß seiner Ansicht nach "zwei innerlich verschiedene Hauptgestaltungen der Commanditengesellschaft" zu unterscheiden seien77: Es gebe einmal die Variante, in der der 68 Es entsprechen sich jeweils (preuß. Entw. HGB 11 - c. de comm.) Art!. 85,86 - 19; 144 Abs. I - 23 S. 1; 144 Abs. 2 - 24; 145, 146 - 23 S. 2; 144 - 26; 148 Abs. 1 - 25; 149 - 27, 28. 69 Art. 23 C. de comm. 70 Kritik 11, 1857, S. 44 Fußn. *. 71 Kritik 11, 1857, S. 44. 72 Kritik 11, 1857, S. 34 - 44, 40 f. 73 Kritik 11, 1857, S. 36 f., 37 f.; so auch die überwiegende Ansicht im bis heute nicht entschiedenen Klassifikationsstreit, s. Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 62 I 1 c, S. 1541. 74 De societate 1851, S. 52. 75 Kritik 11,1857, S. 40 in und zu Fußn.***. 76 Kritik II, 1857, S. 35. 77 Kritik 11, 1857, S. 39 - 44.
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Complementarius ein eigentlich eigenes Geschäft führe und dabei durch die Kapitaleinlage des stillen Gesellschafters unterstützt werde 78 . Dies lasse sich ökonomisch ohne weiteres auch durch die Gewährung eines partiarischen Darlehens erreichen 79. Es bestünden jedoch wesentliche rechtliche Unterschiede: Darlehensbetrag und -zinsen würden, anders als ein Gewinnanteil des stillen Gesellschafters, auch geschuldet werden, wenn die Geschäfte nur Verluste brächten; dagegen habe der stille Gesellschafter das Recht auf Rechnungslegung durch den Complementarius. Auch Gläubigem des Complementarius' gegenüber sei der Unterschied wichtig: Im Konkurs des Complementarius' müßten sie mit einem Darlehensgeber konkurrieren, die Vermögenswerte des Complementarius', die die Grundlage ihrer Kreditgewährung gebildet hätten, stellten sich plötzlich als fremde heraus; der stille Gesellschafter dagegen sei mit der Rückforderung seiner Einlage, soweit er sie nicht noch erst erbringen müsse, jedenfalls den Handlungsgläubigem nachgeordnet. Dieser Variante mit der Tendenz zur stillen Gesellschaft des heutigen Rechts entsprächen, wie Goldschmidt im Anschluß an seine Dissertation feststellt 80 , die Regelungen in den deutschen Stadt- und Landrechten ab dem 15. Jahrhundert, die hauptsächlich die Beteiligung an einem bereits bestehenden Handelsgeschäft im Auge hätten 81 . Die zweite Variante der Kommanditengesellschaft sei die, daß nicht der Complementarius' innerhalb der Gesellschaft das Übergewicht habe, sondern seine Kapitalgeber, deren Geschäfte er, wenngleich selbst persönlich haftend, im wesentlichen führe 82 . Das Vorhandensein von Gesellschaftern, die nur mit ihrer Einlage hafteten, sei daher den Gläubigem meist bekannt. Dieses Verhältnis, das seine Wurzeln in der mittelalterlichen commenda der romanischen Länder habe, sei wegen des Handeins im eigenen Namen, aber für fremde Rechnung dem Kommissionsgeschäft verwandt. Es sei die besonders in Frankreich bevorzugte Gestaltung. Diese Differenzierung zwischen den beiden Erscheinungsformen der Kommanditengesellschaft legt Goldschmidt in der weiteren Kritik des preußischen Entwurfes seiner Behandlung der Frage nach der persönlichen Haftung des stillen Gesellschafters zugrunde. Dabei verschiebt er allerdings die Gewichte: Das bedeutendste und klarste Merkmal zur Unterscheidung bei der Gestaltungen sei die Art ihres Auftretens im Handelsverkehr. Entscheidend sei insoweit, ob das Bestehen eines Gesellschaftsverhältnisses unveröffentlicht bleibe oder veröffentlicht werde 83 . Im Kritik 11, 1857, S. 39 - 42. V gl. dazu und zum folgenden Karsten Schmidt, Kreditfunktion der stillen Einlage, in: ZHR 140 (1976), S. 475 - 493, 477 ff. 80 De societate 1851, S. 12 f.; nach Servos, Personenhandelsgesellschaften, 1984, S. 279 soll Goldschmidt das Gegenteil behaupten. 81 Darauf - im Gegensatz zur Gründung eines Geschäftsbetriebes in Form einer stillen Gesellschaft - bezieht sich Kritik 11, 1857, S. 39 der von Servos, Personenhandelsgesellschaften, 1984, S. 279 mißverstandene Ausdruck "die zweite Erscheinungsform". 82 Kritik 11, 1857, S. 42 f. 83 Kritik 11,1857, S. 38,44 ff. 78
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Falle der Veröffentlichung des Gesellschaftsverhältnisses brauche der Name des stillen Gesellschafters, den Goldschmidt bei Vorliegen dieser Konstellation bezeichnenderweise "Commanditist" nennt 84, aber nicht genannt zu werden. Bei veröffentlichtem Gesellschaftsverhältnis führe die Kommanditengesellschaft eine Firma, unter der zugleich für sich und die Kommanditisten der Komplementarius handle. Die Veröffentlichung sei als Bevollmächtigung des Komplementarius' zu verstehen, die Kommanditisten persönlich und solidarisch, aber summenmäßig beschränkt auf die Höhe der Einlage mitzuverpflichten. Sei diese im Laufe des Geschäftsbetriebes "verhandelt", also geleistet und verbraucht worden, sei der Kommanditist von weiteren Ansprüchen der Gläubiger frei 85 . Sei das Gesellschaftsverhältnis dagegen, wie in Deutschland üblich, nicht veröffentlicht, hafte der stille Gesellschafter den Gläubigem unmittelbar überhaupt nicht, sondern nur dem Komplementarius mit seiner Einlage 86 . Dieses Haftungsmodell gelte auch im Konkurs 87 und bei der Aufrechnung: Sie sei für den stillen Gesellschafter stets ausgeschlossen, wenn das Gesellschaftsverhältnis nicht veröffentlicht sei, dagegen, wie bei der oHG88 , bei veröffentlichtem Gesellschaftsverhältnis weitgehend zuzulassen89 . Goldschmidt war der erste Autor, der die beiden Ausprägungen der Kommanditengesellschaft nicht nur anspricht, sondern weiter herausarbeitet, daß ihnen zwei grundlegend verschiedene Systeme zugrundeliegen. Dieses Verdienst ist zu Recht hervorgehoben 9o , dabei aber zugleich angezweifelt worden, ob seine Behauptung, allein die unveröffentlichte Form der Kommanditengesellschaft entspreche dem in Deutschland vorherrschenden Recht, zutreffe 91 • Tatsächlich mag Goldschmidt vernachlässigt haben, daß die von ihm selbst konstatierten Unklarheiten in der Dogmatik des Rechts der stillen Gesellschaft deutschrechtlicher Prägung darin begründet war, daß sich das französische Modell ausgehend von den Rheinlanden, in denen das französische Zivilrecht fortgalt, auch im übrigen Deutschland zunehmend durchgesetzt hatte 92 • Nicht zufällig finden sich viele der von Goldschmidt bekämpften Ansichten gerade in dem Lehrbuch des aus der Rechtspraxis kommenden Brinckmann vertreten. 84 Kritik 11, 1857, S. 44 ff., wobei er eine strikte terminologische Trennung vom eigentlichen "stillen Gesellschafter" allerdings nicht vornimmt. 85 Kritik 11,1857, S. 45. 86 Kritik 11, 1857, S. 44. 8? Kritik 11, 1857, S. 47 f. 88 Kritik 11, 1857, S. 75 ff. 89 Kritik 11, 1857, S. 49 f. 90 Behrend, Lehrbuch S. 617 f. in Fußn. 32. 91 Behrend, Lehrbuch S. 617 f. in Fußn. 33; wie Goldschmidt indessen C. F. von Gerber in Lutz, Protokolle III, S. \031. 92 Vgl. Kritik 11, 1857, S. 65 f., 42 f., 43 Fußn.* zur Verbreitung der Kommanditgesellschaft auf Aktien.
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bb) Die Scheidung von stiller Gesellschaft und Kommanditgesellschaft im Gesetzgebungsverfahren Die weitere Entwicklung des Rechts der Kommanditengesellschaft 93 wie auch Goldschmidts kritische Anmerkungen dazu nahmen nun einen eigentümlichen Weg. In den Beratungen der Nürnberger Konferenz zum ADHGB wurde auch für das Recht der Personenhandelsgesellschaften der preußische Entwurf von 1857 zugrundegelegt. In der ersten Lesung wurden jedoch einzelne Punkte der Kritik Goldschmidts von mehreren Konferenzmitgliedern aufgenommen und in die Beratungen eingebracht94 ; dies betraf auch die grundsätzliche Frage der beiden Erscheinungsformen der Kommanditengesellschaft 95 . Die Konferenz stand zwar dem Gedanken, bestimmte Rechtswirkungen der Kommanditengesellschaft - auch während der ersten Lesung wurden die Begriffe stiller Gesellschafter und Kommanditist noch synonym gebraucht96 - vom "Bekanntmachen" oder "Bekanntwerden" des Gesellschaftsverhältnisses abhängig zu machen, grundsätzlich ablehnend gegenüber97 . Es wurde jedoch schließlich der Antrag gestellt, den stillen Gesellschafter nur dann persönlich haften zu lassen, wenn das Bestehen einer stillen Gesellschaft den Gläubigem in üblicher Weise bekannt gemacht worden sei98 . Dieser Antrag wurde an die Redaktionskommission verwiesen 99 . Dies deutet darauf hin, daß man nach wie vor der Ansicht war, allen Konstellationen der stillen Gesellschaft liege ein einheitliches Prinzip zugrunde und der Antrag sei im Grunde nur auf eine KlarsteIlung gerichtet. Nur so läßt sich erklären, daß man eine derart entscheidende strukturelle Frage der Redaktion überlassen zu können meinte. Vielleicht wollte man auch nur in den Beratungen rasch vorankommen 100. Die Redaktionskommission erkannte indessen die inhaltliche Bedeutung des Antrages und ließ ihn deshalb unberücksichtigt, da sie für derartige Entscheidungen nicht zuständig sei 101. Der erste ADHGB-Entwurf behielt damit im wesentlichen das System des preußischen Entwurfs bei 102.
93 Überblick über das Gesetzgebungsverfahren bezüglich der stillen Gesellschaft und der KG bei Hahn, Commentar I, Vorbem. vor Artt. 150 ff., §§ I - 5, S. 614 - 616. 94 Lutz, Protokolle I, S. 287 - 309, insbes. S. 289 ff., 295 f., 300 ff. 95 s. Behrend, Lehrbuch S. 618 Fußn. 39. 96 s. etwa Lutz, Protokolle I, S. 297 f. 97 Lutz, Protokolle I, S. 306. 98 Lutz, Protokolle I, S. 307, Antrag unter b. 99 Lutz, Protokolle I, S. 308. 100 Darauf deutet die hohe Zahl von solchen Verweisungen aus diesem Bereich hin, s. Lutz, Protokolle I, S. 308, 309. . 101 Vormbem. zum Entwurf eines ADHGB (nach den Beschlüssen I. Lesung), in: Lutz, Protokolle, Beilagen-Band I, S. 141 ff., 141. 102 Artt. 145 ff. Entw. ADHGB I; Behrend, Lehrbuch S. 618 in Fußn. 39 a.E.
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Die entscheidende Weichenstellung zu dem System des ADHGB 1861 und damit auch des geltenden HGB 1897 erfolgte darauf in der zweiten Lesung durch den grundlegenden Vortrag eines Mitgliedes der Nürnberger Konferenz lO3 • Dieses in den Protokollen ungenannte Mitglied war earl Friedrich von Gerber lO4 • Gerber räumt zunächst ein, daß der preußische Entwurf sich in Widerspruch zum bisherigen deutschen Recht gestellt habe; denn dieses habe die stille Gesellschaft als ein modifiziertes Gläubigerverhältnis aufgefaßt, während der Entwurf es als eine Gesellschaft ausgestalte, deren Geschäfte mit gemeinsamem Handlungsfonds und unter gemeinsamer Firma betrieben würden 105. Die in der ersten Lesung vorgebrachten Änderungsvorschläge seien gegen das Modell des preußischen Entwurfs gerichtet gewesen, ohne daß sie geeignet gewesen seien, der deutschrechtlichen Auffassung zu einem Erfolg in der aktuellen Gesetzgebung zu verhelfen lO6 • Denn die deutschrechtliche Form der stillen Gesellschaft sei zwar die in den deutschen Staaten bisher gebräuchlichere, die neue, französische Form sei aber "merkantilistisch ausgebildeter" und werde daher für den Handel immer bedeutender und dürfe deshalb von der Gesetzgebung nicht ausgeschlossen werden 107 • Zwischen beiden Gesellschaftsformen gebe es zwei Hauptunterschiede lO8 : Bei der neueren sei "eine wirkliche Gemeinschaft des Handlungsfonds und des Handelsgewerbes" gewollt, während bei der älteren die Einlage des stillen Gesellschafters vollständig in das Vermögen des Komplementarius' übergehe, und bei der neueren solle das Gesellschaftsverhältnis durch Eintragung in das Handelsregister und das Führen einer Firma der Öffentlichkeit gegenüber organisiert hervortreten, während sich dieses bei der älteren auf eine Beteiligung im Innenverhältnis beschränke. Aus diesen Gesichtspunkten leitet Gerber seine Änderungsanträge her lO9 ; sie laufen darauf hinaus, die Regelungen des preußischen Entwurfs weitgehend beizubehalten, daneben aber eine Bestimmung neu einzufügen, die die Beibehaltung der stillen Gesellschaft älterer Form dadurch ermögliche, daß im Falle bloß im Innenverhältnis bleibender Beteiligung gegen Gewinnanteil die Formerfordernisse des Gesellschaftsrechts nicht eingehalten werden müßten, eine Firma mit Hinweis auf dieses Beteiligungsverhältnis aber auch nicht geführt werden dürfe. Die Diskussion über diesen Punkt wurde "wegen seiner Wichtigkeit" vorerst vertagt 110, dann wurde der entsprechende Abschnitt des ersten Entwurfes von der Nürnberger Konferenz den Vorgaben Gerbers entsprechend grundlegend umgestaltet; es entstand das System des ADHGB und des heutigen HGB IJI, indem auf Ger103 104 105
106 107 108 109 110
Lutz, Protokolle III, S. 1030 - 1033 (124. Sitzung am 2.11. 1857). C. F. von Gerber, System, 13. Aufl., S. 534 Fußn. I. Lutz, Protokolle III, S. 1031. Lutz, Protokolle III, S. 1031 f. Lutz, Protokolle III, S. 1032. Lutz, Protokolle III, S. 1032. Lutz, Protokolle III, S. 1032 f. Lutz, Protokolle III, S. 1033.
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bers eigene Initiative ll2 sein ursprünglicher Vorschlag dahingehend abgewandelt wurde, daß an die Stelle einer einzelnen modifizierenden Bestimmung nun beide Gesellschaftsformen in je eigenen Titeln mit Vorschriften über Innen- und Außenwirkung vollständig geregelt wurden 113. Erst jetzt wurde auch in den Bezeichnungen "Kommanditgesellschaft" und "stille Gesellschaft" für die beiden Arten der Gesellschaft unterschieden 114. Der Einfluß von Goldschmidts Kritik auf diese Entwicklung 115 ist unverkennbar ll6 . Denn das angenommene System bestand in seinen wesentlichen Zügen in der legislativen Formulierung und Ausprägung der von Goldschmidt maßgeblich herausgearbeiteten Gesichtspunkte. Gerber selbst deutet darauf hin, indem er in der Darstellung dieser Gesellschaftstypen in seinem "System des deutschen Privatrechts" Goldschmidts Dissertation und die Kritik von 1857 als grundlegende Werke zitiert ll7 . Es wäre daher eigentlich zu erwarten gewesen, daß Goldschmidt diesen wesentlichen Schritt im Gesetzgebungsverfahren begrüßen würde. Erstaunlicherweise war zunächst das genaue Gegenteil der Fall. cc) Das Gutachten von 1860 Schon 1858 weist Goldschmidt in einer Anmerkung in der ZHR darauf hin, daß im Entwurf zweiter Lesung die von ihm herausgearbeitete Trennung von veröffentlichter und nicht veröffentlichter Gesellschaft durchgeführt worden sei, d~ die Bestimmungen des Entwurfs jedoch seiner Ansicht nach nun aber auf einer "zu weit getriebenen Scheidung" beruhten 11 8. In seinem Gutachten für die badische Regierung von 1860 bekämpft er, wie viele andere namhafte Autoren auch 119, diese Neuerung dann energisch 120. Allerdings weist er auch hier darauf hin, daß die kritisierte Regelung auf den von ihm herausgearbeiteten Unterschieden zwischen beiden Gesellschaftsformen beruhe l21 .
Lutz, Protokolle III, S. 1077 - 1109, 1151 - 1161, S. 1078 - 1084 (Anlagen A - C). Lutz, Protokolle III, S. 1077, 1078 f. (Anlage A). 113 Lutz, Protokolle III, S. 1151 - 1157 (Entwurf), 1158 - 1161 (Beschluß der Nürnberger Konferenz). 114 Lutz, Protokolle III, S. 1158. 115 Nicht nur auf die in 1. Lesung gestellten Anträge, wie Behrend, Lehrbuch S. 618 Fußn. 39 meint. 116 So auch Wilhelm Endemann, Handelsrecht, 4. Aufl., S. 167 Fußn. 14. 117 Gerber, System, 13. Aufl., S. 536. 118 ZHR 1(1858), S. 494 in Fußn.*. 119 s. etwa Anschütz, Der Entwurf eines dt. HGB, 3. Beitrag, in: Krit. Vjs. f. Gesetzgebung u. Rechtswiss. I (I 859), S. 161 ff., 174; Thöl, Handelsrecht I, 4. Aufl., S. VI, 240, 270 f. 120 Gutachten 1860, S. 6 f., 56 - 66. 121 Gutachten 1860, S. 56 - 60, 56 unten. 111
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Seine jetzige Kritik geht freilich von einem etwas anderen Ansatz aus. Sie richtet sich gegen zweierlei 122: Einmal gegen das "unseren Handelsverhältnissen, Bedürfnissen und Anschauungen widerstrebende Französische System" überhaupt, das zu formalisitisch sei und auf legislativ lenkenden Eingriffen und nicht auf gewohnheitsrechtlicher Bildung beruhe l23 ; zum anderen dagegen, daß nunmehr die in der Nürnberger Konferenz vertretenen Auffassungen mit ihren "so höchst eigenthümlichen und so durchgreifenden Modifikationen" der neuen und neuartigen Regelung zugrundegelegt würden, nicht aber die Bildungen, die im deutschen Handelsverkehr tatsächlich vorkämen l24 . Im Gegensatz zu seinen auf einzelne Artikel bezogenen Kritiken, die in der dritten Lesung zum Teil Berücksichtigung fanden, erscheinen seine Ausführungen zu dieser grundsätzlichen Kritik indessen merkwürdig hilflos, bisweilen geradezu paradox, indem sie die Angemessenheit des Systems des Entwurfes weitaus mehr bestätigen als widerlegen. So versucht Goldschmidt, der Entscheidung, der KG generell eine Firma beizulegen, der stillen Gesellschaft aber abzusprechen, mit dem Einwand zu begegnen, daß dadurch die Möglichkeit einer veröffentlichten stillen Gesellschaft ausgeschlossen sei; worin sich eine solche Gesellschaft von der KG unterscheiden solle, vermag er indessen nicht anzugeben 125. Dem von Gerber herausgestellten Unterschied hinsichtlich der Gemeinschaftlichkeit des Betriebes des Handelsgewerbes setzt er entgegen, daß auch bei der nunmehr stillen Gesellschaft ein gemeinsamer Zweck durch gemeinsame Beiträge verfolgt werde und der Unterschied auch hier nur in der Kundbarmachung liege l26 . Damit weist Goldschmidt tatsächlich auf einen schwachen Punkt des neuen Systems hin, in dem nicht hinreichend deutlich wird, daß auch bei der echten stillen Gesellschaft ein wirkliches Gesellschaftsverhältnis vorliegt. Infolge dieses Mangels sind Modellwirkungen der stillen Gesellschaft des ADHGB und des HGB auf andere Formen reiner Innengesellschaften des Handelsrechts und des allgemeinen bürgerlichen Rechts überhaupt nicht ausgegangen 127 • Gerade dieser Gesichtspunkt aber spielt für Goldschmidts weitere Kritik keine Rolle. Sein Versuch, die Bedeutung der Kundbarmachung des Gesellschaftsverhältnisses an dieser Stelle herunterzuspielen, widerspricht zudem seinem gerade in dem Gutachten von 1860 entwickelten Grundsatz, die Art des Auftretens nach außen als das bestimmende Merkmal für die Klassifikation der Handelsgesellschaften anzusehen. Gegen das im Entwurf als maßgeblich angesehene Unterscheidungskriterium der Gemeinschaftlichkeit des Handlungsfonds weiß Goldschmidt schließlich weiter nichts als die Behauptung einzuwenden, daß der Unterschied, ob das Gesellschaftsvermögen im Alleineigentum des Komplementärs stehe oder allen Gesells. Gutachten 1860, S. 60 unten. Gutachten 1860, S. 58 f. 124 Gutachten 1860, S. 60. 125 Gutachten 1860, S. 63 f., s. auch S. 68. 126 Gutachten 1860, S. 64. 127 Vgl. dazu die sächs. Erinnerung bei Heimsoeth, Zusammenstellung, S. 30 Nr. 169, in der der Einfluß auf "die doktrinelle Entwickelung des Systems" erwogen wird. 122
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schaftern gemeinschaftlich gehöre, von ganz untergeordneter und allenfalls im Konkurs erheblicher Bedeutung sei 128. Dies steht nicht nur im Widerspruch zu seinen sonstigen Ausführungen, in denen die Auswirkungen einzelner Regelungen im Konkurs als geradezu essentiell angesehen werden; es offenbart auch, daß Goldschmidt das für die KG eingeführte Prinzip der gesamthänderischen Gebundenheit des Gesellschaftsvermögens nicht erkennt: Er geht beim gemeinschaftlichen Handlungsfonds nur von einer "communio pro rata", also einer Bruchteilsgemeinschaft, aus!29. Die eigentliche Bedeutung der darüber hinausgehenden Verfügungsbeschränkungen, die er als solche durchaus sieht 130, erkennt er nicht. Goldschmidts Kritik muß allerdings im Zusammenhang mit dem leitenden Gesichtspunkt gesehen werden, unter dem alle seine Kritiken der Gesetzgebungsarbeit am ADHGB stehen: "Ein Deutsches Handelsgesetzbuch hat zunächst das geltende Recht zu sichten und sicher zu stellen; neues nur da zu schaffen, wo ein dringendes Verkehrsbedürfniß es erfordert,,!3!. Diese Haltung hat Goldschmidt auch später, als er selbst Mitglied staatlicher Kommissionen zur Vorbereitung von Gesetzgebungsvorhaben war, dort konsequent vertreten 132. Ihm mißfiel offensichtlich, daß die Neuregelung des Entwurfes in Deutschland ohne legislatives Vorbild war und ausreichende Untersuchungen darüber, wie die vorhandenen Gesellschaftsverhältnisse ausgestaltet seien, von der Nürnberger Konferenz wegen der Schnelligkeit, mit der die Neuregelung schließlich geschaffen worden war, nicht hatten erfolgen können. Er fürchtete, daß hier neue Rechtsinstitute geschaffen würden, die ihr Dasein nicht der organischen Entwicklung der Verhältnisse des Handels verdankten, sondern durch einen Akt staatlicher Gesetzgebung dem Ihndei von außen auferlegt werden sollten. Deutlich wird dies, wenn er die Entstehung der französischen Kommanditgesellschaft des Code de commerce in "durch ... Mißtrauen eingegebenen Abänderungen des bisherigen kaufmännischen Gewohnheitsrechts" begründet sieht 133 und demgegenüber hervorhebt, daß das "in Deutschland herrschende System sich nach den Bedürfnissen des Verkehrs frei entwickelt" habe!34. Ganz unberechtigt war Goldschmidts Mißtrauen natürlich nicht. Daß es sich bei den neuen beiden Gesellschaftsarten der Kommandit- und der stillen Gesellschaft zunächst um gesetzgeberische Kunstprodukte handelte, zeigte sich an den Unstimmigkeiten mancher Regelung. So sollte etwa nach Art. 144 Entw. ADHGB 11 die nicht eingetragene KG als stille Gesellschaft behandelt werden, weil letztere die Gutachten 1860, S. 64 f., 65. Gutachten 1860, S. 64 f. 130 Gutachten 1860, S. 65. 131 Kritik I, 1857, S. 68. 132 So insbes. in der Expertenkommission zur Vorbereitung der Aktiennovelle 1884, bei Schubert/Hommelhoff, Aktienrecht, S. 302, 315, 338 u.Ö. 133 Gutachten 1860, S. 59. 134 Gutachten 1860, S. 58. 128
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Grundform beider Gesellschaftstypen sei 135. Goldschmidt geißelte dies als inkonsequent l36 . Seine Kritik hatte zur Folge, daß diese Bestimmung nicht in das ADHGB aufgenommen wurde. Es ist freilich nicht ganz zutreffend, dies als "Erfolg" von Goldschmidts Kritik zu verstehen 137; denn ihre Grundlage war ja gerade Goldschmidts Widerstand gegen die vorgenommene Scheidung beider Gesellschaften, für deren Fehlerhaftigkeit er in der kritisierten Bestimmung ein Symptom entdeckt zu haben glaubte. Goldschmidt wird freilich seinen eigenen Maßstäben untreu, indem er nur die in den Beratungen vorgebrachten dogmatischen Argumente einer Kritik unterzieht 138 und verkennt, daß die Nürnberger Konferenz sich gerade im Hinblick auf die sich ändernden Bedürfnisse des Handels entschlossen hatte, die von ihm herausgearbeiteten Entwicklungslinien aufzugreifen 139. Aus den Beratungsprotokollen ist jedenfalls nicht erkennbar, ob es der Konferenz darum ging, einen neuen Gesellschaftstypus zu schaffen oder einen bereits vorhandenen nur legislativ auszugestalten 140. Goldschmidts Kritik hatte zwar zunächst den Erfolg, daß die badische Regierung sich seinen Bedenken anschloß und beantragte, es möge nur eine Art der stillen Gesellschaft zugelassen werden, und zwar die dem bisherigen deutschen Modell entsprechende l41 ; der Hilfsantrag, die neue KG jedenfalls in einzelnen Punkten zu modifizieren, beruhte dagegen nur teilweise auf Vorschlägen aus Goldschmidts Gutachten 142. Die Erinnerungen, die sich gegen die Einführung der neuen KG wandten, wurden jedoch im weiteren Verfahren von den Beratungen ausgeschlossen. Das System des Entwurfes zweiter Lesung wurde damit beibehalten. Seither wird in der deutschen Gesetzgebung zwischen KG und stiller Gesellschaft unterschieden 143. Lutz, Protokolle III, S. 1149. Gutachten 1860, S. 69 f.; die badische Regierung sah dies etwas anders, s. Heimsoeth, Zusammenstellung Nr. 175, S. 31. 137 So ausdrücklich Behrend, Lehrbuch S. 619 in Fußn. 41; ihm folgend Servos, Personenhandelsgesellschaften, 1984, S. 293. 138 Gutachten 1860, S. 63 - 66. 139 Die von Behrend, Lehrbuch S. 617 in Fußn. 32 a.E. geäußerten Zweifel, ob Goldschmidt 1857 seiner eigenen Forderung, die Einsicht in die wirtschaftlichen Gegebenheiten zur Grundlage der Kritik zu machen, nachgekommen sei, treffen deshalb eher auf das Gutachten von 1860 zu. 140 s. Behrend, Lehrbuch S. 617 f. in und zu Fußn. 33. 141 Heimsoeth, Zusammenstellung, S. 29 f. Nr. 169; ebenso eine dort aufgeführte mecklenburgische Erinerung, die auf der Kritik von Adolf Schliemann beruhte (dazu Goldschmidt, Gutachten 1860, S. 65). Eine gleichfalls unter Nr. 169 abgedruckte sächs. Erinnerung bejahte die Neuerung dagegen grundsätzlich. 142 Heimsoeth, Zusammenstellung, S. 30 f. Nm. 171, 176 u. 180. 143 ADHGB, 2. Buch, 2. Titel, Artt. 150 ff.; HGB, 2. Buch, 2. Abschnitt, §§ 161 ff., bzw. ADHGB, 3. Buch, I. Titel, Artt. 250 ff.; HGB 1897,2. Buch, 5. Abschnitt, §§ 335 ff. - Nach dem Ausscheiden des Aktienrechts aus dem HGB 1937 u. der Neufassung des HGB durch das Bilanzrichtliniengesetz von 1985, wonach die stille Gesellschaft jetzt im 2. Buch, 3. Ab135
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Die glänzende Entwicklung des Kommanditgesellschaftswesens, die schon 1857 von Goldschmidt vorausgesagt worden war 144 , hat die Richtigkeit der von der Nürnberger Konferenz getroffenen Entscheidung bestätigt. Auch Goldschmidt kam nicht daran vorbei, dies anzuerkennen: Während er in der ersten Auflage seines Handbuchs des Handelsrechts in der Charakterisierung des Systems noch von einer "fremdartigen und vorbildlosen" Art der Scheidung beider Gesellschaftsarten spricht l45 , ist in der zweiten Auflage nur noch von einer "eigenthümlichen" die Rede 146. In seinen späteren Arbeiten zu Problemen der Haftungsbeschränkung im Gesellschaftsrecht und in seinen historischen Arbeiten zum Gesellschaftsrecht hat Goldschmidt dann gar nicht mehr gegen die Regelung des ADHGB polemisiert, sondern einzelne Aspekte der Neuregelung in historischer Perspektive dargestellt. c) Formen der Beteiligung Bemerkenswert sind Goldschmidts Überlegungen über die Formen der Beteiligung an einer Personenhandelsgesellschaft. Die Normalform sieht Goldschmidt in der Geldeinlage. Ausführlich behandelt er in seinen Stellungnahmen zu den Entwürfen des ADHGB aber auch die Beteiligung in der Form der Arbeitseinlage. Sie wurde in den 50er Jahren des 19. Jahrhunderts unter verschiedenen Blickwinkeln diskutiert. Schon in seiner Untersuchung des Rechts der Handlungsgehilfen in seiner Kritik von 1857 kommt Goldschmidt auf diese Problematik zu sprechen: Er schlägt l47 vor, daß eine Regelung für den Fall geschaffen werden solle, daß der Handlungsgehilfe als "commis interesse" ganz oder zu einem Teil durch eine Beteiligung am Gewinn des Unternehmens entlohnt werde. In diesem Fall lägen zwei Rechtsverhältnisse vor, nämlich neben dem Dienstverhältnis auch eine stille Gesellschaft, deren Rechtsfolgen sinnvoll koordiniert werden müßten; so schließe das dienstvertragliche Element die unbegründete Kündigung des Verhältnisses, aber auch ein Mitspracherecht des Handlungsgehilfen aus, das gesellschaftliche Element gewähre dem Gehilfen dagegen ein Recht auf Rechnungslegung durch den Prinzipal 148. Derartige Beteiligungsformen waren nach dem preußischen Entwurf aus geschlossenl 49 . Dieser bestimmte in Art. 149 Abs. 1, der Regelung in Art. 27 C. de schnitt, §§ 230 ff. HGB geregelt ist, ist jedenfalls die Minimalforderung einiger Kritiker des neuen Systems erfüllt worden, KG u. stille Gesellschaft zumindest in einern Buch und in unmittelbarer Aufeinanderfolge zu regeln (sächs. Erinnerung bei Heimsoeth, Zusammenstellung, S. 30 Nr. 169; Gerber, System, 13. Aufl., S. 526 in Fußn. 2), wenn auch nur zufällig. 144 Kritik I, 1857, S. 4; II, 1857, S. 35 f. 145 Handbuch, 1. Aufl., 11, 1864, S. 164. 146 Handbuch, 2. Aufl., 1,1874, S. 120. 147 Im Anschluß an De societate 1851, S. 31 f., 33. 148 Kritik I, 1857, S. 28. 149 Kritik II, 1857, S. 55 - 62. 24 Weyhe
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comm. folgend, daß ein stiller Gesellschafter, der nach außen hin für die Gesellschaft Geschäfte führe, den Gläubigem auch dann neben dem Komplementär persönlich und solidarisch hafte, wenn er nur als Faktor - was im preußischen Entwurf dem Prokuristen entspricht - oder Bevollmächtigter tätig geworden sei 150. Goldschmidt wandte dagegen ein, daß diese Regelung Herkommen und Handelsbrauch in Deutschland widerspreche 151. Sie sei kein geeignetes Mittel, Dritte vor einer Tauschung über die wahre Stellung der Gesellschafter zu schützen i52 ; hierfür reiche es aus, zu bestimmen, daß die Art des Auftretens nach außen als bloß von der Gesellschaft Bevollmächtigter oder als persönlich haftender Gesellschafter über Art und Umfang der Haftung entscheiden solle 153 • Auch dem Ziel, die Gesellschafter vor einer übermächtigen Einflußnahme des nicht persönlich haftenden Kommanditisten zu schützen 154, diene die Regelung des Entwurfs nicht. Zudem sei sie unzweckmäßig, da sie gerade diejenigen Personen von der Vertretung der Gesellschaft ausschließe, die ein besonderes Interesse an deren Gedeihen hätten 155. Die restriktive Haltung des preußischen Entwurfs wirkte auf die weiteren Beratungen des ADHGB auch nach der Scheidung von stiller Gesellschaft und KG. Als ein Mitglied der Nürnberger Konferenz, wahrscheinlich beeinflußt von Goldschmidts Ausführungen, beantragte, die geselzliche Bestimmung, der stille Gesellschafter sei "mit einer Vermögenseinlage beteiligt,,156 mit der Klarstellung zu versehen, daß diese auch in Arbeit bestehen könne l57 , wurde dem besonders von den kaufmännischen Sachverständigen widersprochen l58 : Das Wesen der stillen Gesellschaft, die sich von der mittelalterlichen commenda herleite l59 , bestehe gerade darin, daß dem Komplementär etwas "anvertraut" werde, und auch im Handelsverkehr werde das Verhältnis zum commis interesse nicht als stille Gesellschaft, sondern als modifizierter Diensvertrag angesehen. Die Ablehnung dieses Antrages hat dann dazu geführt, daß in der Folgezeit bis heute vieles streitig geblieben ist; immerhin besteht Einigkeit darüber, daß die im Gesetz genannte Modalität nicht ein Definitionsmerkmal der stillen Gesellschaft darstellt und zwischen "Einlageleistung" und dem den Gesellschaftszweck fördernden "Beitrag" des stillen Gesellschafters zu unterscheiden sei 160. Anders als dies Goldschmidt wohl vorschwebte, 150 Vgl. dazu Hans Brox, Zur Gesamtvertretung einer KG, in: Festschrift für Harry Westermann zum 65. Geburtstag, Karlsruhe 1974, S. 21 - 35, insbes. S. 26 f. 151 Kritik 11, 1857, S. 57. 152 Kritik 11, 1857, S. 57 ff. 153 Kritik 11, 1857, S. 58 f. 154 Kritik 11, 1857, S. 59 ff. 155 Kritik 11, 1857, S. 61; Voigt, ZHR 1 (1858), S. 496 f. sieht in der Mitarbeit sogar das eigentlich gesellschaftliche Element des Verhältnisses. 156 So auch § 335 HGB 1897, § 230 HGB 1985. 157 Lutz, Protokolle I, S. 287 f. 158 Lutz, Protokolle I, S. 288 f. 159 Dazu ausführlich Goldschmidt, Universalgeschichte 1891, S. 257 ff.
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wird aber durch die bloße Gewinnbeteiligung von Angestellten regelmäßig nicht ein Gesellschaftsverhältnis, sondern nur ein partiarisches Dienstverhältnis begründet, da ein wirklich gemeinsamer Gesellschaftszweck insoweit fehlt l61 . Für die oHG und die KG bestand in der Nürnberger Konferenz dagegen Einigkeit darüber, daß die Gesellschafter sich mit einer in Arbeit bestehenden Einlage beteiligen könnten. Die allein durch eine Arbeitseinlage beteiligten Gesellschafter waren aber gegenüber den mit einer Kapitaleinlage Beteiligten, unter diesen wiederum die mit einer geringeren Kapitaleinlage Beteiligten gegenüber denen mit einer höheren, in allen Entwürfen dadurch benachteiligt, daß die Kapita1einlagen wie Darlehen zu verzinsen sein und die jährlichen Zinsen den Anteil des jeweiligen kapitaleinlegenden Gesellschafters am Gesellschaftsvermögen vermehren sollten 162. Dieses System, das besonders Brinckmann verfochten hatte, fand Goldschmidts entschiedenen Widerspruch 163, weil dadurch "die arbeitende Intelligenz gegen das arbeitende Capital künstlich zurückgesetzt" werde l64 . Dennoch wurde es in Art. 106 Abs. 1 und 2 ADHGB Gesetz. Bei der Neufassung des HGB 1897 wurde Goldschmidts Kritik aber wieder aufgenommen und aus den von ihm vierzig Jahre vorher ausgeführten Gründen die betreffende Regelung ersatzlos gestrichen. In der Frage der Folgen, die die Vertretung der KG durch einen Kommanditisten haben sollte, wich dagegen schon die Nürnberger Konferenz von den Vorgaben des preußischen Entwurfs ab und näherte sich in Art. 157 Abs. 2 Entw. ADHGB 11, der als Art. 167 Abs. 3 ADHGB Gesetz wurde, den von Goldschmidt vertretenen Vorstellungen l65 : Danach trat die persönliche Verpflichtung des Kommanditisten aus Geschäften, die er für die Gesellschaft abschließe, nur noch ein, wenn der Kommanditist nicht ausdrücklich erklärte, nur als Bevollmächtigter oder Prokurist zu handeln. Auch das wurde, Goldschmidts Ausführungen folgend, als "einer Vedunkelung der Verhältnisse der Gesellschaft vorzubeugen, ... nicht erforderlich" im HGB 1897 gestrichen l66 . Goldschmidts Eintreten für die Zulassung der Arbeitseinlage und die Anerkennung ihrer Gleichwertigkeit mit der Kapitaleinlage beruhte nicht allein auf spezi160 Karsten Schmidt, in: Schlegelberger, HGB, Kommentar, 5. Aufl., Bd. III, 2. Halbband, München 1986, § 335 (§ 230 neuer Fassung) Rdnrn. 33, 135 ff. m.w.N. 161 BGH NJW 1990, S. 573 ff., 574. 162 Art. 110 S. 1 preuß. Entw. HGB 11; Art. 105 Entw. 11 ADHGB; Lutz, Protokolle III, S.1022. 163 Kritik 11,1857, S. 21- 25; Gutachten 1860, S. 53 f. 164 Kritik 11, 1857, S. 24. Die badische Regierung entnahm aus Goldschmidts Kritik indessen nur ein redaktionelles Detail (Heimsoeth, Zusammenstellung, Nr. 129, S. 21); die betreffende Erinnerung wurde ausgeschieden, während eine auf dasselbe hinauslaufende sächs. Erinnerung (Nr. 128) Erfolg hatte. 165 Kritik 11, 1857, S. 62. 166 Denkschrift HGB, S. 287). Damit ist allerdings ein positivistischer Ansatz für die Lehre vom Scheinkaufmann in der Form des Scheingesellschafters beseitigt worden.
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fisch gesellschaftsrechtlichen Erwägungen. Goldschmidt verband mit dieser Form gesellschaftlicher Beteiligung soziale Vorstellungen, die er besonders in seiner Kritik von 1857 nachhaltig verfocht: Die Regelung in den Entwürfen trete "dem sicherlich vortheilhaften Gebrauch entgegen, daß tüchtige Handlungsgehülfen und Fabrikarbeiter ohne ihre Stellung aufzugeben, mit ihren ersparten Capitalien sich als Commanditisten am Geschäftsbetrieb ihres Principals betheiligen"; gerade die Arbeitseinlage aber sei "eine der wohlthätigsten und zukunftreichsten Capitalsund Arbeits-Verbindungen,,167. Derartige Beteiligungsformen hätten deshalb eine große Zukunft; die Wissenschaft habe "hier ein weites Feld zu bebauen,,!68. In diese Ausführungen spielt deutlich die Diskussion der "sozialen Frage" hinein, die freilich zu dem Zeitpunkt, zu dem Goldschmidt diese Gedanken niederschrieb, erst am Anfang stand. Es ist überraschend, daß ein so sehr dem unternehmerischen Denken verpflichteter Autor, wie es Goldschmidt zu dieser Zeit und in den folgenden Jahren war, solche Gedanken ausbreitet und sogar als für die aktuelle Gesetzgebung maßgeblich herausstellt. Dies ist in vergleichbarer Form erst Jahrzehnte später in der Kritik Otto Gierkes an den Entwürfen des Bürgerlichen Gesetzbuchs wieder vorgekommen!69. Ein besonderes soziales Engagement darf Goldschmidts Ausführungen gleichwohl nicht entnommen werden. Sie offenbaren vielmehr ein soziales Wunschbild, das von den wirtschafts liberalistischen Vorstellungen geprägt ist, die Goldschmidt mit vielen Angehörigen der bald darauf entstandenen Nationalliberalen Partei teilte, und das sich gegen die sozialistischen Vostellungen richtete, die Goldschmidt "in utopischen Wahnvorstellungen. " einer Alle gleichmäßig beglückenden Wirtschaftsordnung" befangen sah 170. Für Goldschmidt liegt zu dieser Zeit die Lösung der sozialen Frage nicht in staatlichen Eingriffen in die Wirtschaft, sondern in individueller Beteiligung der Angehörigen auch der unteren Schichten an den gewinnbringenden Geschäftsoperationen privaten Unternehmertums. Erst in den 80er Jahren erkennt er nach anfänglichen Widerständen!7! die Notwendigkeit staatlicher Maßnahmen in Form der Sozialgesetzgebung an, die er aber immer noch hauptsächlich unter dem Blickwinkel modifizierten Gesellschafts- und Versicherungsrechts sieht 172 . In seinem Engagement für die Reform des Genossenschaftsrechts in den 80er Jahren, insbesondere in seinem Eintreten gegen die zwingend unbeschränkte Haftung der Genossen für die Verbindlichkeiten der Genossenschaft, versucht Goldschmidt dann ein weiteres Mal, der sozialen Frage mit den Mitteln des privaten Gesellschaftsrechts Herr zu werden. Diesmal
Kritik 11,1857, S. 61 f., 61. Kritik I, 1857, S. 28; 11,1857, S. 37. 169 Ouo Gierke, Die soziale Aufgabe des Privatrechts (1889), in: Erik Wolf (Hrsg.), Quellenbuch zur Geschichte der dt. Rechtswissenschaft, Frankfurt a.M. 1949, S. 479 - 511, S. 510: "Unser Privatrecht wird sozialer sein, oder es wird nicht sein." 170 Zur Reichstagswahl1887, S. 5 f. 171 s. etwa Verantwortlichkeit 1871, S. 372. 172 s. System, 4. Aufl. 1892, S. 148 - 151. 167
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ist sein Engagement von realistischeren Vorstellungen geprägt und im Ergebnis durchaus erfolgreich.
d) Die Definition der oHG; Gesellschaft und Scheingesellschaft In seiner Kritik von 1857 kommt Goldschmidt erst in der zweiten Abteilung zu einer Begriffsbestimmung der oHG. Schon die Definition des revidierten preußischen Entwurfes, Art 91, gefällt Goldschmidt nicht: "Eine offene Handelsgesellschaft ist vorhanden, wenn zwei oder mehrere Personen ein Handelsgewerbe unter gemeinschaftlicher Firma betreiben. Die Gesellschafter haften persönlich und solidarisch für alle Verbindlichkeiten der Gesellschaft gegen Dritte." Sie zähle die Begriffs merkmale der oHG nicht erschöpfend auf l73 , weshalb Goldschmidt folgende Fassung vorschlägt 174 : "Eine offene Handelsgesellschaft ist vorhanden, wenn zwei oder mehrere Personen ein Handelsgewerbe (unter gemeinschaftlicher Firma) betreiben, mit directer, solidarischer und unbeschränkter Haftung jedes einzelnen Gesellschafters für alle Gesellschaftsverbindlichkeiten gegen Dritte." Seine Kritik blieb zunächst ohne Erfolg, denn Art. 84 Entw. ADHGB 11, der unverändert zu Art. 85 ADHGB wurde, bestimmte in Absatz 1 nur: "Eine offene Handelsgesellschaft ist vorhanden, wenn zwei oder mehrere Personen ein Handelsgewerbe unter gemeinschaftlicher Firma betreiben und bei keinem der Gesellschafter die Betheiligung auf Vermögenseinlagen beschränkt ist." Hier überwiegt nun der Gedanke, die oHG von der inzwischen hinzugekommenen, von der stillen Gesellschaft geschiedenen Komanditgesellschaft abzugrenzen. In seiner weiteren Kritik in seinem Gutachten von 1860 geht Goldschmidt dann von einem Gedanken aus, den er in seiner Kritik von 1857 zunächst eher aphoristisch zu der Definition der als stille Gesellschaft bezeichneten Kommanditengesellschaft in Art. 144 Abs. 1 des preußischen Entwurfs geäußert hatte 175 . In dessen Definition, "Eine stille Gesellschaft ist vorhanden, wenn ein oder mehrere Gesellschafter sich nur durch Vermögenseinlagen betheiligen ... , während ein oder mehrere andere Gesellschafter persönlich und solidarisch haften", sei unlogischerweise ein Merkmal des Innenverhältnisses, die Beteiligung der stillen Gesellschafter, einem Merkmal des Außenverhältnisses, der Haftung der Komplementäre, entgegengesetzt. "Am zweckmäßigsten", so Goldschmidt, halte "man sich an die äußere, als die allein unabänderliche" Regelung, also an die Haftungsregelung. Dies führe zu folgender Fassung: "Eine stille Gesellschaft ist vorhanden, wenn einer oder mehrere Gesellschafter unbeschränkt und solidarisch haften, einer oder mehrere dagegen nur bis auf den Belauf ihrer Einlagen einstehen" 176. 173 174 175
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Kritik 11, 1857, S. 2 f. Kritik 11, 1857, S. 3. Kritik 11, 1857, S. 52. Gutachten 1860, S. 51 Fußn.*.
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Den Gesichtspunkt, "daß in Vertrags verhältnissen über Art und Umfang der Verpflichtung schlechthin das Auftreten nach außen" entscheide 177 , hatte Goldschmidt 1859 in seinem Gutachten im Lucca-Pistoja-Aktienstreit wieder aufgegriffen und stringenter gefaßt. Dort nehmen Goldschmidts Ausführungen zu dieser Frage den verhältnismäßig geringen Umfang von nur eineinhalb Seiten ein 178 • Goldschmidt behauptet nach einer einleitenden Formulierung des Problems l79 : "Es ist ein feststehender und ganz durchgreifender Grundsatz des Civilrechts und des Handelsrechts, daß in Vertragsverhältnissen über Art und Umfang der Verpflichtung schlechthin das Auftreten nach außen entscheidet, und zwar sowohl zu Gunsten als zu Lasten des Gegners,,180. Dieser Rechtssatz gründe sich darauf, daß im Rechtsverkehr dem Geschäftspartner "weder wohlgegründete Erwartungen ... getäuscht, noch ... ein unerwarteter Vortheil zugewendet werden" dürften; danach könne Maßstab für die Haftung zwangsläufig nur die Art des Auftretens nach außen sein l81 . Dieser Grundsatz komme auch in einer Reihe von anerkannten Rechtssätzen zum Ausdruck, insbesondere solchen des Stellvertretungs- und Gesellschaftsrechts l82 . Als Beispiele nennt Goldschmidt den Unterschied von Handeln in fremdem und in eigenem Namen, die Eigenhaftung des Vertreters ohne Vertretungsmacht l83 , die unterschiedliche Stellung des Kommendators bei veröffentlichtem oder unveröffentlichtem Gesellschaftsverhältnis und die Haftung des als persönlich haftender Gesellschafter auftretenden Kommendators, wie sie das OAG Lübeck in einer grundlegenden Entscheidung aus dem Jahre 1846 angenommen hatte l84 . Darin werden zwei Begründungsstränge erkennbar: Die zunächst apodiktisch aufgestellte Behauptung wird als unmittelbar einleuchtend hingestellt und damit auf die "Natur der Sache" gegründet, wenn dies auch nicht offen ausgesprochen wird; die Aufzählung anerkannter Rechtssätze, die sich auf das angenommene Prinzip zurückführen ließen, deutet eine konstruktive Begründung über einen Analogieschluß an. Den Gesichtspunkt, daß für die Bestimmung der Art der Haftung das Auftreten nach außen das entscheidende Moment sei, wollte Goldschmidt später in einer ausführlichen Abhandlung weiter darlegen; ihn für das Gesellschaftsrecht fruchtbar gemacht zu haben, sah er als wesentlichen Ertrag seines Gutachtens von 1860 an 185 . Diesem Prinzip müsse schon die Begriffsbestimmung der verschiedenen ArGutachten 1860, S. 51 Fußn. *. Lucca-Pistoja-Aktienstreit 1859, S. 16 - 18. 179 Lucca-Pistoja-Aktienstreit 1859, S. 16. 180 Lucca-Pistoja-Aktienstreit 1859, S. 17. 181 Lucca-Pistoja-Aktienstreit 1859, S. 17. 182 Lucca-Pistoja-Aktienstreit 1859, S. 17. 183 Art. 95 Satz 1 ADWO oder ALR 11 8 § 545 (nicht § 1545, wie Lucca-Pistoja-Aktienstreit 1859, S. 17 gedruckt). 184 Sammlung der Erkenntnisse und Entscheidungsgründe des OAG zu Lübeck in hamburgischen Rechtssachen, Hamburg 1843, Nr. 62, S. 609 - 626, 622 ff. (insoweit auch in SeuffArch 2 (1849), Nm. 287 f., S. 361 - 366, 364 ff.). 177
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ten der Gesellschaften folgen. Schärfer als in seiner Kritik von 1857 sieht Goldschmidt jetzt, daß auch nicht die gesetzliche Bestimmung der Haftungsmodalität für die Definition der Gesellschaftsart herangezogen werden sollte, da sie erst aus dem Vorliegen einer bestimmten Gesellschaftsart folge. Die gesetzliche Definition habe demnach allein an der Art anzuknüpfen, wie die Gesellschaft in der Öffentlichkeit auftrete; entscheidendes Merkmal hierfür sei, ob das Gesellschaftsverhältnis veröffentlicht sei oder nicht l86 . Das führt Goldschmidt zu folgenden Definitionsvorschlägen: Eine offene Handelsgesellschaft liege vor, "wenn zwei oder mehrere Personen ein Handelsgewerbe unter gemeinschaftlicher Firma betreiben, und die Namen sämmtlicher Gesellschafter ohne die Angabe einer nur beschränkten Haftung veröffentlicht sind", eine "stille oder Kommanditgesellschaft", wenn "zwei oder mehrere Personen ein Handelsgewerbe betreiben, und nicht die Namen aller Gesellschafter, oder zwar aller, aber mit der Angabe, daß einige nur beschränkt haften wollen, veröffentlicht sind,,187. In Art. 85 Abs. 1 und Art. 150 Abs. 1 ADHGB blieben Goldschmidts Vorschläge zunächst unberücksichtigt. Bei der Bgriffsbestimmung der KG wurde im Anschluß an Art. 142 Abs. 2 Entw. 11 ADHGB sogar allein auf die unterschiedliche Art der Beteiligung der Gesellschafter und damit das Innenverhältnis abgestellt. Dagegen stellt die Neufassung in § 105 Abs. I HGB 1897 auf die unterschiedlichen Haftungsarten ab und entspricht immerhin den Vorschlägen Goldschmidts in seinem Gutachten von 1857. Tatsächlich wollte der Gesetzgeber, ohne sachlich etwas zu ändern, "die Bedeutung der beschränkten Betheiligung des Kommanditisten für die Haftung gegenüber den Gläubigem der Gesellschaft schärfer zum Ausdruck" bringen. Der Einfluß Goldschmidts auf die Gesetzesfassung ist damit gering geblieben. Dennoch darf die allgemeine Bedeutung seiner Ausführungen nicht unterschätzt werden. In seiner Kritik von 1857 hatte Goldschmidt den Inhalt des Erkenntnisses des OAG Lübeck zum "Lucca-Pistoja-Aktienstreit" als Grundlinie seiner eigenen Ausführungen mit folgenden Worten zusarnmengefaßt: "Gerirt er", der stille Gesellschafter, "sich Dritten gegenüber schlechthin als Gesellschafter, so haftet er diesen wie ein offener Gesellschafter" 188. Die Ähnlichkeit dieser Formulierung mit der, die vierzig Jahre später Hermann Staub für die seiner Lehre vom Scheinkaufmann wählte, sticht ins Auge: "Wer im Rechtsverkehr als Kaufmann auftritt, gilt als Kaufmann. Wer sich als Vollkaufmann gerirt, gilt als Vollkaufmann" I 89. Tatsächlich ist Goldschmidt deshalb als Urheber dieses Rechtssatzes bezeichnet wor185 Lebensbild S. 232 f. (an Fitting, 4.2. 1860). 186 Gutachten 1860, S. 50 - 52. Gutachten 1860, S. 52. Kritik 11, 1857, S. 62. 189 Staub, Kommentar zum HGB, 6.17. Aufl., Bd. 1, Exkurs zu § 5 HGB, S. 80 - 82,82; in den Vorauflagen des Kommentars zum ADHGB sind diese Ausführungen noch nicht enthalten. 187 188
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den 190. Dem scheint jedoch zu widersprechen, daß Staubs Lehre über ihre Formulierung hinaus zunächst nur wenig mit Goldschmidts Gedanken über die Maßgeblichkeit des äußeren Auftretens von Gesellschaft und Gesellschaftern zu tun zu haben scheint. Staub beruft sich zu ihrer Begründung auch nicht etwa auf ältere Lehrmeinungen, sondern führt zum einen die §§ 157 und 242 des neuen BGB an, wonach sich als Ausfluß des Prinzips von Treu und Glauben jeder an seinen öffentlichen Erklärungen festhalten lassen müsse l91 , zum anderen sieht er es als Ausprägung des allgemeinen, in den §§ 5 und 15 des neuen HGB über die Registerpublizität zum Ausdruck komenden Prinzips handelsrechtlicher Publizität 192. Auch sonst scheint wenig darauf hinzudeuten, daß Goldschmidts Gedanken zu der späteren Ausformung der Lehre vom Scheinkaufmann beigetragen haben. Es wird insoweit zwar auf sein Handbuch des Handelsrechts hingewiesen 193, in dessen zweiter Auflage Goldschmidt die Merkmale der Gewerbsmäßigkeit des Handelsbetriebes aufführt 194 und dabei erklärt, daß die bloße Kundbarmachung dieser Merkmale und insbesondere die Selbstbezeichnung als Kaufmann die - allerdings widerlegbare - Vermutung der Kaufmannseigenschaft im Sinne des ADHGB begründeten 195. Das betrifft indessen nur einen spezifischen Ausschnitt handelsrechtlicher Publizität: Denn damit hatte Goldschmidt als Ausfluß der Publizität des Handelsregisters den Satz anerkennen wollen, daß die als Kaufmann in das Handelsregister eingetragene Person sich auch dann für die Dauer seiner Eintragung als Kaufmann behandeln lassen müsse, wenn sie gar kein Gewerbe betreibe. Dieser Satz wird in auch von § 5 HGB 1897 nicht erfaßt, der unmittelbar nur für den Fall gilt, daß der Eingetragene jedenfalls ein Gewerbe, aber eben kein Handelsgewerbe betreibt l96 . Für alle übrigen Fälle des Auftretens nur "wie" ein Kaufmann, nicht "als" Kaufmann 197, und sei es auch in Täuschungsabsicht l98 , lehnt Goldschmidt in seinem Handbuch die Anwendung der Regeln über Handelsgeschäfte dagegen entschieden ab: Der Satz, "was äußerlich wie ein Handelsgeschäft oder ein Handelsgewerbe aussieht, soll juristisch als solches beurtheilt werden", beruhe auf einer "unstatthaften Fiction" und führe zu unhaltbaren Ergebnissen 199. Dies ist nun das genaue Gegenteil der Staub'schen Lehre, die auf einer unterschiedlichen Bestimmung des Kaufmannsbegriffs beruht. Während für Staub der Kaufmannsbegriff 190 191 192
S.81.
Dietz S. 617 re. Sp. Staub, Kommentar zum HOB, 6./7. Aufl., Bd. 1, Exkurs zu § 5 HOB, Anm. 1, S. 80. Staub, Kommentar zum HOB, 6./7. Aufl., Bd. 1, Exkurs zu § 5 HOB, Anm. 2 und 4,
Limbach, Scheinkaufmann, S. 291 Fußn. 11. Handbuch, 2. Aufl., I, 1874, S. 454 - 468. 195 Handbuch, 2. Aufl., I, 1874, S. 459; dazu Limbach, Scheinkaufmann, S. 291 Fußn. I!. 196 s. Z. B. ROZ 65, S. 412 - 414; OLO Hamm NJW 1994, S. 392 ff., 393 f.; s. dazu die Bedenken von Karsten Schmidt, Handelsrecht, 3. Aufl., S. 250 f. m.w.N. 197 Handbuch, 2. Aufl., I, 1874, S. 462. 198 Handbuch, 2. Aufl., I, 1874, S. 459 f. 199 Handbuch, 2. Aufl., 1,1874, S. 410 in Pußn. 14. 193
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wesentlich ein Rechtsbegriff ist200 , unterstreicht Goldschmidt an der betreffenden Stelle seines Handbuchs gerade die tatsächliche Grundlage des Kaufmannsbegriffs in dem wirklichen Betrieb eines Handelsgewerbes. Den von ihm fünfzehn Jahre zuvor für das Gesellschaftsrecht entwickelten Gedanken, daß für die Art der rechtlichen Behandlung das Auftreten nach außen entscheidend sei, macht Goldschmidt an dieser Stelle nicht für das allgemeine Handelsrecht fruchtbar. Vermutlich stand dem Goldschmidts Streben entgegen, den Kaufmannsbegriff als der rechtlichen Normierung vorangehenden Begriff zunächst real auf breiter historisch-ökonomischer Grundlage zu bestimmen 201 ; da Goldschmidt sich dabei in zahlreiche Einzelheiten verloren hat202 , liegt es nahe anzunehmen, daß er in der peniblen Darstellung von Einzelfragen an dieses leitende Prinzip nicht mehr gedacht hat. Dennoch führt eine Linie von Goldschmidts frühen Ausführungen in seinen Kritiken zu den ADHGB-Entwürfen und seinem Gutachten zum Lucca-Pistoja-Aktienstreit zu der von Staub formulierten Lehre. Sie führt indessen nicht über den Begriff des Kaufmanns, sondern über das Gebiet, für das Goldschmidt seine Thesen formuliert hatte, nämlich das Recht der Personenhandelsgesellschaften. Hier nämlich lag zu Staubs Zeit und liegt auch noch heute der Hauptanteil der einschlägigen Fallgestaltungen 203 . Das belegt auch ein Blick auf die hierhergehörende Rechtsprechung aus der Zeit vor204 und nach 205 dem Erscheinen von Staubs berühmter Formulierung. Aus diesem Gebiet dürfte Staub daher die Anregung für seine - möglicherweise im Ergebnis allzu sehr206 - verallgemeinernde These entnommen und dabei die Schriften Goldschrnidts berücksichtigt haben. Festzuhalten bleibt allerdings, daß das Institut des Scheinkaufmanns nicht eine Schöpfung der Lehre ist, sondern im wesentlichen von der handelsgerichtlichen Praxis entwickelt worden ist, die sich insoweit an den Bedürfnissen der beteiligten Verkehrskreise orientiert hat; diese Praxis verstanden und argumentativ unterstützt zu haben, ist aber auch das Verdienst einer um die Anwendbarkeit der gefundenen Ergebnisse bemühten Theorie in einer Weise, wie Goldschmidt sie immer wieder gefordert hat.
200 Staub, Kommentar zum HGB, 6.17. Aufl., Bd. I, Exkurs zu § 5 HGB, Anm. 2 unter "Erstens", S. 81. 201 Handbuch, 2. Aufl., I, 1874, §§ 40, 41, S. 398 ff. haben die Überschriften "Handel" u. "Geschichtliche Entwickelung des Handelsbegriffes". 202 Handbuch, 2. Aufl., I, 1874, §§ 40 - 43, S. 398 - 470. 203 Dazu Limbach, Scheinkaufmann, S. 292 u. passim; Karsten Schmidt, Handelsrecht, 3. Aufl., § 10 VIII, S. 293 - 302, 296. 204 OAG Lübeck, Erkenntnis v. 31. 5. 1858, abgedruckt bei Goldschmidt, Aktienstreit 1859, Anhang S. XXXII ff., XXXVIII f.; RGZ 40, S. 146 f. (mit Hinweis auf Staubs Ausführungen zum Gesellschaftsrecht). 205 BGHZ 17, S. 13 ff., 16 f.; 61, S. 59 ff., 62 ff. 206 Limbach, Scheinkaufmann, S. 292.
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e) Das Vermögensrecht der Personengesellschaft aa) Grundlage des Vermögensrechts Die Regelung der Vermögensverhältnisse der Personenhandelsgesellschaften wiesen schon im preußischen Entwurf zahlreiche, dem deutschen wie dem gemeinen Recht bis dahin unbekannte Besonderheiten auf, die von der Nürnberger Konferenz weiter ausgearbeitet wurden. Während die Haltung der Nürnberger Konferenz ganz offensichtlich von pragmatischen Überlegungen geprägt war, lagen den Regelungen des preußischen Entwurfs wie auch Goldschmidts Kritik daran Vorstellungen zugrunde, die maßgeblich durch Vorurteile bestimmt waren. Es gelingt Goldschmidt in seiner Kritik von 1857 nachzuweisen, daß nicht eine Analyse der wirtschaftlichen Grundlagen, die zu der Ausprägung unterschiedlicher Gesellschaftstypen geführt haben, den Regelungen des preußischen Entwurfs zugrundelagen 207 , sondern eine etwas ungenaue und an keiner Stelle offen ausgesprochene Vorstellung, die dahin ging, daß eigentlich jede Handelsgesellschaft eine juristische Person sei 208 . Tatsächlich hatte Gelpcke in einer umfangreichen Studie, die stark von der französischen Gesetzgebung und Handelsrechtslehre beeinflußt war, eben diese These ausführlich entwickelt und vertreten 209 . Von seinen Ausführungen zu einzelnen, das Vermögensrecht der Personengesellschaften betreffenden Fragen ist der preußische Entwurf deutlich beeinflußt. Goldschmidt lehnt diese These grundsätzlich ab. Schon ihre Verwurzelung im französischen Rechtsdenken ist ihm suspekt, denn er befürchtet, daß auf dieser Grundlage durch bewußt lenkende Gesetzgebung die gewachsenen Strukturen des deutschen Handelsrechts gewaltsam beseitigt werden sollen. Seine Kritik des Vermögensrechts der Entwürfe zum ADHGB steht daher ganz im Zeichen der Widerlegung von Gelpckes These 2IO, was ihn freilich mitunter über sein Ziel hinausschießen läßt, indem er wirklich angemessene und originelle Neuerungen vorzeitig verwirft. bb) Konkurs der oHG Schon der erste Gegenstand seiner Untersuchung bestätigt Goldschmidt in seinem Verdacht: Nach dem preußischen Entwurf sollte über das Vermögen der oHG als solcher ein selbständiger Konkurs möglich sein 2l1 . Dazu Analyse bei Goldschmidt, Kritik I, 1857, S. 53 - 56. Kritik I, 1857, S. 56 - 61, insbes. S. 58 ff. 209 W. Gelpcke, Die Handels-Gesellschaft als juristische Person, in: ders., Zs. 11, S. 3 - 76; schon in der Einleitung zu seiner ,;Zs." (I, S. VII f.), hatte Gelpcke den C. de comm. als neben ALR, gemeinem Recht und ADWO gleichberechtigte Quelle des in Preußen geltenden Handelsrechts genannt. 210 Kritik I, 1857, S. 61. 207 208
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Dies sei schon vom gedanklichen Ausgangspunkt aus nicht zutreffend, weil die Personengesellschaft nichts weiter sei als der Verbund ihrer Gesellschafter. Neben dem Konkurs über deren Vermögen sei für einen selbständigen Gesellschaftskonkurs kein Raum. Für seine Einführung durch Gesetz bestehe wegen der persönlichen Haftung der Gesellschafter auch gar kein Bedürfnis; denn wenn auch nur einer der Gesellschafter noch solvent sei, könnten sich die Gesellschaftsgläubiger an ihn halten, so daß ein Gesellschaftskonkurs nicht erforderlich sei212 . Die Zulassung eines besonderen Gesellschaftskonkurses sei zudem eine ,,krasse Unbilligkeit" gegenüber den Privatgläubigem der Gesellschafter: Denn die Gesellschaftsgläubiger könnten zunächst Befriedigung im Konkurs über das Gesellschaftsvermögen suchen, in dem die Privatgläubiger ausgeschlossen blieben, und dann mit diesen noch in den Konkursen über die Vermögen der einzelnen Gesellschafter konkurrieren 213 . Das Argument, der Gesellschaftskonkurs sei deshalb notwendig, weil die Gesellschaftsgläubiger die Höhe ihres Kredits nach dem Umfang des Gesellschaftsvermögens einrichteten, zeugt für Goldschmidt "von vollständiger Unkenntniß der Handelsverhältnisse,,214. Denn die Höhe des Gesellschaftsvermögens sei regelmäßig nicht allgemein bekannt und außerdem nie konstant; wahre Grundlage des Kredits sei im Handelsverkehr vielmehr das Vermögen der Gesellschafter, nicht das der Gesellschaft. Der namentlich von Morstadt und Gelpcke vertretenen These, die Zulässigkeit des Gesellschaftskonkurses entspreche gemeinem europäischem Handelsrecht, hält Goldschmidt den Nachweis entgegen, daß sie ihren Ursprung in der französischen Rechtsliteratur habe und bis dahin nur in vereinzelten positiv-gesetzlichen Bestimmungen außerhalb Deutschlands geregelt worden sei 215 . Goldschmidt hat sich mit seiner Kritik nicht durchsetzen können; das Prinzip des ersten preußischen Entwurfs blieb die ganze Gesetzgebungsarbeit hindurch unangetastet: Artt. 118 Abs. 1 Nr. 1 Entw. preuß. HGB 11, 119 Abs. 1 Nr. 1 Entw. ADHGB 11, Art. 123 Abs. 1 Nr. 1 ADHGB 1861, heute § 131 Nr. 3 HGB 1897; durch die Konkursordnung ist der Gesellschaftskonkurs dann über seine zunächst nur ausgesprochene Anerkennung hinaus reichseinheitlich geregelt worden, §§ 209 ff. K0216 . Auch in tatsächlicher Hinsicht herrschen heute andere Vorstellungen; denn heute ist allgemein anerkannt, daß in erster Linie das Gesellschaftsvermögen als die Grundlage des Kredits der Gesellschaft angesehen wird 217 . Dennoch sind Goldschmidts Ausführungen auch heute noch von aktuellem Interesse. Denn auch nach der heute herrschenden Auffassung ist die oHG keine Juristische Person. Auf dieser Basis bereitet die Feststellung Probleme, wer im Gesellschaftskonkurs 211 Kritik I, 1857, S. 63 - 71 (§ 993 Entw. preuß. HGB I ist abgedruckt bei Goldschmidt, Kritik I, 1857, S. 59). 212 Kritik I, 1857, S. 64 f. 213 214 215 216 21?
Kritik I, 1857, S. 66 f.; vgl. Art. 122 ADHGB, heute § 212 Abs. 1 KO. Kritik I, 1857, S. 67 f., 67. Kritik I, 1857, S. 68 - 71. Erweiternd § 11 Abs. 2 Nr. 1 InsO, Entw. InsO S. 112. s. etwa BGHZ 34, S. 293 ff., 298.
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eigentlich der Gemeinschuldner ist. Die Rechtsprechung sieht wegen der persönlichen Haftung der Gesellschafter, § 128 HGB, diese auch im Konkurs der Gesellschaft als eigentliche Gemeinschuldner an 218 . Dem wird im Hinblick auf § 124 HGB nur vereinzelt widersprochen 219 • Tatsächlich zeigt sich hier die von Goldschmidt aufgezeigte und wissenschaftlich noch nicht vollständig bewältigte Antinomie in der gesetzlichen Regelung zwischen der Vermögensfähigkeit der Gesellschaft einerseits (§ 124 HGB) und ihrer inneren Struktur als als Personengesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit andererseits 22o • Dabei erscheint letztere sowohl in der gesetzlichen Regelung wie auch in der Verkehrsauffassung nach wie vor als das überwiegende Moment. Die Möglichkeit des gesonderten Gesellschaftskonkurses hat sich jedoch so rasch durchgesetzt, daß Goldschmidt selbst sie später nicht mehr grundsätzlich in Frage gestellt hat. Sobald er jedoch in den Regelungen über seine Zulässigkeit Unstimmigkeiten entdeckt, weist er verstärkt auf sie und ihre Grundlage hin. Dies betrifft insbesondere in zwei Fälle: Die Möglichkeit eines Gesellschaftskonkurses sieht Goldschmidt als ungerechte Bevorzugung der Gesellschaftsgläubiger gegenüber den Privatgläubigem an; um so mehr fällt es ihm auf, daß bei der stillen Gesellschaft des zweiten Entwurfs zum ADHGB der stille Gesellschafter im Konkurs des Inhabers des Handelsgeschäfts erst nach allen anderen Gläubigem befriedigt werden sollte, Art. 243 Abs. 1 Entw. ADHGB II 22l . Dies wurde in Art. 258 Abs. 1 ADHGB, § 341 Abs. 1 HGB 1897, heute § 236 Abs. 1 HGB 1985 nicht übernommen, allerdings nicht allein aufgrund von Goldschmidts Kritik222 , sondern auch der inhaltlich gleichen Einwände Hamburgs 223 , Sachsens und Mecklenburgs 224 . Als er 1875/76 der Reichstagskommission zur Beratung der Konkursordnung angehört, hat Goldschmidt sich inzwischen damit abgefunden, daß es einen eigenen Gesellschaftskonkurs gibt und die Gesellschaftsgläubiger im Gesellschafterkonkurs mit ihrem Ausfall mit den Privatgläubigem konkurrieren. Er kann es aber nicht gutheißen, daß bis zur Feststellung des Ausfalls im Gesellschaftskonkurs die 218 BGHZ 34, S. 296 - 298 (zu den Komplementären einer KG); Reichsarbeitsgericht, in: Höchstrichterliche Rechtsprechung 7 (\93\), Nr. 1147 (zur oHG). 219 Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht S. 1129; s. auch Entw. InsO S. 113. 220 Das umgekehrte Problem eines Widerspruchs zwischen der Rechtsfähigkeit einerseits, aber Vermögensunfähigkeit andererseits hat das römische Recht in der Regelung des Vermögensrechts der gewaltunterworfenen Hauskinder zu bewältigen: Gaius, Institutionen 11 86 ff., IV 69 ff. 221 Gutachten 1860, S. 61 - 63. 222 Behrend, Lehrbuch S. 619 Fußn. 41 (ihm folgend Servos, Personengesellschaften, 1984, S. 293 f.) hält sie für allein maßgeblich. 223 Heimsoeth, Zusammenstellung Nr. 248, S. 40 f. (mit Abdruck der Begründung). 224 Heimsoeth, Zusammenstellung Nr. 249, S. 41; diese Erinnerung beruht auf der Kritik von Adolf Schliemann, Kritische Bemerkungen zum Entwurf eines ADHGB, Schwerin 1858, S. 51; dazu die sehr positive Anzeige von Goldschmidt, ZHR 2 (\ 859), S. 464.
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bei einem eventuellen völligen Ausfall auf die Gesellschaftsgläubiger entfallenden Anteile im Gesellschafterkonkurs zurückzubehalten seien und die Gesellschaftsgläubiger nach Verbrauch des Gesellschaftsvermögens mit den Privatgläubigern im Gesellschafterkonkurs gleichberechtigt sein sollten. Es sei vielmehr eine "Forderung der Gerechtigkeit oder doch wenigstens der Billigkeit,,225, die Gesellschaftsgläubiger hier erst nach den Privatgläubigern zu befriedigen. Bei dieser Forderung, die natürlich den Interessen des Handels widerstreite, handle es sich insbesondere auch um ein soziales Gebot, da zu den Privatgläubigern des Gemeinschuldners häufig auch dessen Ehefrau und seine Kinder gehörten 226 . Goldschmidt gelingt es mit diesen Argumenten zunächst zwar, den Kommissionsvorsitzenden von Sarwey und das Kommissionsmitglied Hullmann zu überzeugen, das einen entsprechenden Antrag zu § 121 des Entwurfs der Konkursordnung einbringt; aber der Widerspruch des Regierungskommissars Hagens führt dazu, daß dieser Antrag schon in der Kommission abgelehnt wird227 , so daß es bei der heute in § 212 KO zu findenden Regelung bleibt228 . cc) Mithaftung des eintretenden Gesellschafters Einen zweiten, zu mißbilligenden Einfluß der französischen Körperschaftslehre auf den preußischen HGB-Entwurf erblickt Goldschmidt in der Bestimmung, daß der neu in eine oHG eintretende Gesellschafter für alle Gesellschaftsschulden, die bereits vor seinem Eintritt entstanden sind, mithafte 229 . Sie widerspreche .dem bisherigen Recht und sei dogmatisch nicht zu rechtfertigen. Da die Personengesellschaft keine juristische Person sei, lasse sich diese Rechtsfolge nur begründen, wenn man davon ausgehe, daß der eintretende Gesellschafter mit seinem Eintritt möglicherweise durch konkudentes Verhalten - eine Haftungsübernahme-Erklärung abgebe. Wenn dies so sei, sei die Bestimmung jedoch überflüssig und dürfe jedenfalls nicht als zwingende Regelung ausgestaltet sein 23o . Die Regelung sei schließlich auch nicht sachgerecht, denn sie verschaffe den Gesellschaftsgläubigern unberechtigterweise einen weiteren Schuldner231 und mache den Eintritt in eine bestehende Personengesellschaft zu einem für den neuen Gesellschafter gefahrlichen Akt 232 . Den letzten beiden Argumenten kann man ihre Berechtigung nicht absprechen. Dennoch wurde die Bestimmung des preußischen Entwurfs über Art. 112 Entw. 225 226 227 228 229 230 231 232
Wortmeldungen 1876, S. 684 f. Wortmeldungen 1876, S. 614 - 616. Wortmeldungen 1876, S. 682 - 684, 686. Vgl. nunmehr aber Entw. InsO § 105, Begründung S. 140. Art. 89 Entw. preuß. HGB I; Goldschmidt, Kritik I, 1857, S. 71 - 75. Kritik I, 1857, S. 73 f., 75. Kritik I, 1857, S. 74. Kritik I, 1857, S. 48 f.
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ADHGB 11 in Art. 113 ADHGB, heute § 130 HGB 1897, Gesetz. Es ist auffallend, daß auch von heutigen Autoren zu ihrer Begründung nur die Argumente der Motive des preußischen Entwurfs angeführt werden: Der eintretende Gesellschafter gehöre zum Haftungsverband der Gesellschaft, deshalb folge seine Mithaftung zwingend aus der "Auffassung des Gesellschaftsvermögens als eines für sich bestehenden Rechtsganzen,,233. Damit läßt sich aber nur die Mithaftung des in das Gesellschaftsvermögen eingebrachten Kapitals des eintretenden Gesellschafters erklären, nicht seine darüber hinausgehende, unbeschränkte persönliche Haftung 234 . Diese Regelung erscheint, auch wenn man sich an ihre Existenz inzwischen gewöhnt haben mag, als in hohem Maße bedenklich 235 . dd) Aufrechnung mit und gegen Gesellschaftsforderungen Der preußische Entwurf ließ die Aufrechnung von und mit Gesellschaftsschulden durch die einzelnen Gesellschafter nur in sehr eingeschränktem Maße zu. Auch hiergegen wendet sich Goldschmidt in seiner Kritik 236 , denn er sieht diese Einschränkungen in der Haltung des Entwurfs begründet, die oHG und die Kommanditengesellschaft als juristische Person zu betrachten 237 . Allerdings räumt er ein, daß die oHG anders als die römischrechtliche societas mehr sei als ein bloßes Vertrags verhältnis zwischen den Gesellschaftern; dies belege der von ihm ja durchaus gebilligte Umstand, daß sie eine eigene Firma führe und die Gesellschafter Dritten gegenüber als Gesamtschuldner hafteten. Für das Innenverhältnis, also die wechselseitigen Ansprüche der Gesellschafter untereinander, gelte diese Entwicklung jedoch nicht, so daß hier die allgemein für Vertragsverhältnisse geltenden Regeln zur Anwendung kommen müßten 238 . ee) Selbständigkeit des Gesellschaftsvermögens Goldschmidts Kritik am Vermögensrecht der oHG ist damit dadurch gekennzeichnet, daß er alle Regelungen ablehnt, denen der Gedanke zugrundeliegt, es gebe ein Gesellschaftsvermögen, das von dem Vermögen der einzelnen Gesellschaf233 Motive des preuß. Entw. HGB II bei Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht § 49 IV I, S. 1186; vgl. Denkschrift HGB, S. 268; Karsten Schmidt S. 1186: "mitgefangen, mitgehangen"; so auch schon J. E. Kuntze, Prinzip u. System der Handelsgesellschaften, in: ZHR 6 (1863), S. 177 - 245, 211 f. 234 Vgl. W. Gerlach, Die Haftungsordnung der §§ 25, 28, 130 HGB, Stuttgart 1976, S. 89 in Anm. 323 u. 325 m.w.N. 235 Anderer Ansicht Gerlach S. 62, der aber auch keinen akzeptalen Grund für diese Bestimmung anzugeben vermag. 236 Kritik I, 1857, S. 75 ff.; 11, S. 49 f. 237 Kritik I, 1857, S. 82 - 88. 238 Kritik I, 1857, S. 86 f.
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ter zu trennen sei. Für Goldschmidt gibt es im eigentlichen Sinne kein Gesellschaftsvermögen, sondern nur Vermögensanteile der einzelnen Gesellschafter, zu deren zweckbestimmter Nutzung die Gesellschafter sich allein im Verhältnis zueinander durch den Abschluß des Gesellschaftsvertrages verpflichtet hätten. Das allen Gesellschaftern gemeinsam zustehende Vermögen sieht er damit rechtlich als Bruchteilsgemeinschaft an. Alle Bestimmungen, die das Recht der Gesellschafter einschränken, über ihren Anteil zu verfügen, und die eine gleichsam dingliche Bindung der Vemögensanteile als Gesellschaftsvermögen auch gegenüber Dritten anerkennen oder voraussetzen, sieht er als Ausfluß der Auffassung an, daß die Personengesellschaft eine juristische Person sei. Diese Haltung Goldschmidts hat bereits Ladenburg in seiner Kritik des Gesellschaftsrechts des preußischen Entwurfes gerügt239 . Er hebt hervor, daß die von Goldschmidt beanstandeten Regelungen, die auf eine gewisse Selbständigkeit der Gesellschaft gegenüber den Gesellschaftern hinausliefen, die Gesellschaft noch nicht zwingend zu einer juristischen Person machten 24o . Die dogmatische Einordnung dieser Bestimmungen bereitet indessen auch Ladenburg Probleme. So nimmt er an, daß das Subjekt des Gesellschaftsvermögens die Gesamtheit der Gesellschafter sei, und fügt hinzu: "Die Natur des Verhältnisses zwingt uns zu dieser Fiktion, weil wir sonst kein Rechtssubjekt haben,,241. Damit hat Ladenburg trotz seiner Zweifel, die ihn hier noch von einer "Fiktion" sprechen lassen, im Gegensatz zu Goldschmidt die wesentliche Neuerung des preußischen Entwurfes erkannt, nämlich die Einführung des Gesamthandsprinzips in die Gesetzgebung des deutschen positiven Rechts. Der Einführung der gesamthänderischen Bindung des Gesellschaftsvermögens durch den preußischen Entwurf mag die von Goldschmidt analysierte Haltung, jede Gesellschaft als juristische Person zu betrachten, zugrundegelegen haben. Ihrem weiteren Ausbau durch die Nürnberger Konferenz lagen dagegen keine derartigen dogmatischen Erwägungen der Nürnberger Konferenz zugrunde. Ihre Überlegungen waren vielmehr deutlich pragmatischer Art 242 . Daraus e~gibt sich ein wichtiger Aspekt in der Entwicklung der Gesamthandslehre: Für den Gesetzgeber des ADHGB war die Gesamthand ein bloßes Prinzip der Gesetzgebungstechnik zur Einführung einzelner Verfügungsbeschränkungen. Dieser Aspekt ist bisher, soweit ersichtlich, noch nicht vertieft untersucht worden; das gleiche gilt für den Einfluß, den die Gesetzgebung des ADHGB auf die weitere Entwicklung der Dogmatik der Gesamthand in Deutschland gehabt hat. Es ist geradezu auffaIlig, daß in Buchdas historischer Darstellung der Gesamthandslehre 243 , die von einem konservativ gerLadenburg, Ueber Handelsgesellschaften, in: ZHR I (1858), S. 132 - 141, 136 ff. Ladenburg, Handelsgesellschaften, ZHR I (1858), S. 138 f. 241 Ladenburg, Handelsgesellschaften, ZHR 1(1858), S. 139 ff., 140. 242 s. Lutz, Protokolle III, S. 1133 - 1144, insbes. S. 1134, 1136, 1138; Johannes Conradi, Das Unternehmen im Handelsrecht, Heidelberg 1993 (Diss. jur. Hamburg 1992), S. 177 ff. 243 Gerhard Buchda, Geschichte und Kritik der deutschen Gesall1thandlehre, Marburg (Hessen) 1936, S. 3 - 224. 239
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manistischen Ansatz geprägt ist, die Abhandlungen Ladenburgs und Kuntzes überhaupt nicht erwähnt sind, in denen das Gesamthandsprinzip von einem romanistisch-begrifflichen Standpunkt aus überhaupt erst für eine praktische Anwendung in Form einzelner Rechtssätze dogmatisch fruchtbar gemacht worden ist244 . Die dogmatische Einordnung der Gesamthandsgemeinschaft in das System der natürlichen und juristischen Personen kann allerdings bis heute noch nicht als ausdiskutiert und abschließend geklärt angesehen werden 245. Goldschmidt hat sich später mit dieser Problematik nicht mehr vertieft auseinandergesetzt. Sein anfängliches, von Unverständnis geprägtes Mißtrauen gegenüber den neuen Regelungsmechanismen blieb indessen in der Handelsrechtsdogmatik seiner Zeit nicht vereinzelt und lebte sogar in den Beratungen zum BGB wieder auf. Die erste Kommission war zunächst nicht gewillt, die dinglichen Verfügungsbeschränkungen, die das Vermögensrecht der oHG im ADHGB enthielt, in das Vermögensrecht der allgemein bürgerlich-rechtlichen Gesellschaft zu übernehmen, da es sich bei diesen Bestimmungen, die über die Regelung einer bloßen Bruchteilsgemeinschaft hinausgingen, um eine "Anomalie" handle 246 . Hier mögen nun auch doktrinelle Erwägungen in einem Gegensatz zwischen angeblich deutschrechtlichem Gesamthandsprinzip und dem Recht der römischrechtlichen societas eine Rolle gespielt haben, denen die pragmatischer ausgerichtete zweite Kommission nicht gefolgt ist. 2. Die Gesetzgebung des Aktienrechts
Mit dem Recht der Aktiengesellschaften hat Goldschmidt sich hauptsächlich in Gutachten zu Fragen der Gesetzgebung geäußert. In seinen frühen Stellungnahmen zu den Entwürfen zum ADHGB hatte er das Aktienrecht im Zusammenhang mit der Kommanditgesellschaft auf Aktien allerdings nur gestreift247 ; seine bedeutsamen Äußerungen hierzu beginnen erst in den 60er Jahren.
244 Ladenburg, Handelsgesellschaften, ZHR I (1858), S. 136 ff.; Kuntze, Prinzip und System, ZHR 6 (1863), S. 208 - 220; insbes. Kuntzes Ausführungen enthalten die Grundlegung für dasjenige Verständnis von Gesamthand, von dem die heutige Dogmatik des Gesamthandrechts ausgeht. 245 Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 8 III, IV, S. 167 - 180 m.w.N. 246 Mot. 11, S. 615 (Mugdan, Materialien BGB 11, S. 344); § 645 Entw. I BGB. 247 Hierbei war Goldschmidt freilich nicht erfolglos: So hatte er als einziger Kritiker (vgl. Heimsoeth, Zusammenstellung Nm. 233 ff., 236 f., S. 39) erkannt, daß es in Art. 227 Abs. 2 S. 2 Entw. ADHGB 11 "oder" statt "und" heißen mußte (Gutachten 1860, S. 81); die auf dieser Erkenntnis beruhende badische Erinnerung (Heimsoeth Nr. 235, S. 39) wurde der Redaktionskommission überwiesen (Heimsoeth S. 94 f.) u. in Art. 241 Abs. 2 S. 2 Fall 1 ADHGB, heute § 93 Abs. 3 Nr. 2 AktG 1965 berücksichtigt.
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a) Die Aufhebung des Konzessionssystems Das Recht der Aktiengesellschaften 248 war, dem Vorbild des französischen Code de commerce folgend, 1861 im ADHGB, Artt. 207 - 248 (2. Buch, 3. Titel), mitgeregelt worden, nachdem es in Deutschland schon partikularrechtlich gesonderte Kodifikationen erfahren hatte. Deren bedeutendste war das preußische Aktiengesetz von 1843 249 • Davor hatten die Aktiengesellschaften ihre rechtliche Ausgestaltung in der jeweils staatlich genehmigten und veröffentlichten Satzung gewissermaßen individuell gefunden 25o . Die Behandlung dieser komplexen Materie als Annex zum allgemeinen Handelsrecht, die fortschreitenden Veränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft, aber auch die wesentliche Vertiefung rechtswissenschaftlicher Erforschung des Gesellschaftsrechts machten die Überarbeitung dieses Teils des ADHGB schon bald erforderlich. Eine grundlegende Reform unterblieb indes zunächst: Vor der Reichsgründung behinderten die zunehmenden Spannungen innerhalb des Deutschen Bundes, die auch die Beratungen des Allgemeinen Deutschen Obligationenrechts scheitern ließen, die Reformbestrebungen, nach 1867 stand das Bestreben, die als allgemeines Recht geltenden Gesetze möglichst schnell zum Recht des Norddeutschen Bundes zu machen, Eingriffen in das Gesetz entgegen. Eine wichtige Frage, die schon bei Abfassung des ADHGB sehr umkämpft war, war die, ob die Aktiengesellschaft zu ihrer Entstehung der staatlichen Konzessionierung bedurfte 251 . Während die meisten der beteiligten Regierungen wegen der großen wirtschaftlichen Bedeutung schon einzelner Aktiengesellschaften am Konzessionsprinzip festhalten wollten, war bereits 1861 unter den Sachverständigen, Juristen wie Kaufleuten, die liberale Strömung vorherrschend, die das Prinzip der Normativbedingungen, der freien Gesellschaftsgründung bei Einhaltung der gesetzlichen Erfordernisse verfocht. Das Ergebnis war ein Kompromiß, der diese rechtspolitische Kontroverse perpetuierte: Nach Art. 208 Abs. 1 ADHGB waren Aktiengesellschaften grundsätzlich konzessionspflichtig, doch blieb es nach Art. 249 Abs. 1 ADHGB den einzelnen Staaten überlassen, etwas anderes zu be248 Zur Entwicklung bis zum Ende des 19. Jahrhunderts s. Viktor Ring, Das Reichsgesetz betreffend die Kommanditgesellschaften auf Aktien u. die Aktiengesellschaften, 2. Aufl., Berlin 1893, S. 1 - 20; bis in die Gegenwart geht der Überblick von Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht § 26 11, S. 638 ff. - Wichtige Stationen der Gesetzgebung: Preuß. AktG 1843; ADHGB 1861; ADHGB 1870; ADHGB 1884; HGB 1897; Notverordnung 1931 (Schlegelberger u. a.: Verordnung v. 19.9.1931, Berlin 1932); AktG 1937; AktG 1965; Bilanzrichtliniengesetz 1985. 249 Theodor Baums (Hrsg.), Gesetz über Aktiengesellschaften für die kgl. Preuß. Staaten v.9.11.1843,Aaalen 198I,S.II,37ff. 250 Landwehr, Verfassung, S. 21 f. 251 Bernhard Großfeld, Die rechtspolitische Beurteilung der Aktiengesellschaft im 19. Jahrhundert, in: H. Coing/W. Wilhelm, Wissenschaft und Kodifikation des Privatrechts im 19. Jahrhundert, Bd. IV, Frankfurt a.M. 1979, S. 236 - 254, 244; vgl. auch Hattenhauer, Grundlagen, Rdnr. 305.
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stimmen. Von diesem Vorbehalt machten insbesondere die größeren Staaten wie Preußen und Bayern keinen Gebrauch. In der fortdauernden Kontroverse erhob Goldschmidt auf dem achten Deutschen Juristentag seine Stimme. Goldschmidt war zum Berichterstatter für die Resolutionsanträge, die der Wiener Hofgerichtsanwalt Heinrich Jaques zu dieser Frage eingebracht hatte 252, bestimmt worden 253 . In seinem Referat vertrat er pointiert den Standpunkt der Privatautonomie und des Freiraumes der privatwirtschaftlichen Betätigung gegenüber staatlicher Eingriffsbefugnis 254 . Dabei neigte er in dem sich gerade ausprägenden Streit255 zwischen romanistisch geprägter Fiktionstheorie 256 und germanistisch geprägter "Theorie der realen Verbandspersönlichkeit,,257 der zweiten Anschauung zu und äußerte sogar die Ansicht, daß sie "sogar durchaus den Grundsätzen des richtig verstandenen gemeinen Rechts" entspreche 258 . Er versuchte aber auch, den Nachweis zu führen, daß die mit dem Konzessionssystem verfolgten Ziele der Marktüberwachung sich nicht hatten erreichen lassen und daß es die staatlichen Genehmigungsorgane zunehmend in den Verdacht willkürlicher Entscheidungen und sogar der Korruption gebracht habe 259 . Jetzt hatten die Forderungen breitesten Erfolg. Durch Bundesgesetz vom 11. Juni 1870260 wurde das Konzessionssystem durch das "System privatrechtlicher Normativbestimmungen" ersetzt261 , und das Recht der Aktiengesellschaften einer ersten, kleineren Reform unterzogen. Das ADHGB wurde in dieser Form 1871 Reichsgesetz. Goldschmidt hat später seine Mitwirkung an dieser Entwicklung als einen der bedeutsamen Erfolge seines wirtschaftspolitischen Engagements hervorgehoben262 . Tatsächlich scheint gerade seiner Stimme, wie auch in zahlreichen anderen rechtspolitischen Fragen dieser Zeit, besondere Bedeutung beigemessen worden zu sein. Verhandlungen 8. Dt. Juristentag 11, S. 5. Referat Goldschmidts: Verhandlungen 8. Dt. Juristentag 11, S. 43 - 53, 58; dazu Großfeld, Beurteilung, S. 244. 254 Referat 1869, S. 50 - 53. 255 Dazu Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 811 2, S. 159 - 161. 256 Friedrich earl von Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, 2. Bd., Berlin 1840, §§ 85, 89, S. 235 - 241, 275 - 280. 257 Gierke, Genossenschaftsrecht I, S. 1 - 4 (dieses Werk war im Vorjahr, 1868, erschienen); ausführlich: Gierke, Privatrecht I, §§ 59, 60, S. 469 - 474. 258 Referat 1869, S. 50 f. 259 Referat 1869, S. 48 - 50; Gutachten 1873, S. 33 f. 260 BGBI. 1870, S. 375 - 386 (Schubert/Hommelhoff, Aktienrecht, S. 107 ff.). 261 Ring, Reichsgesetz, 2. Auf!. 1893, S. 6 - 8. - Einzelheiten des Gesetzgebungsverfahrens bei Wemer Schubert, Die Abschaffung des Konzessionssystems durch die Aktienrechtsnovelle von 1870, in: Zs. für Untemehmens- u. Gesellschaftsrecht, 10. Jg., Berlin 1981, S. 285 - 317. 262 Reichstagswahl1887, S. 9. 252
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Das Aktienwesen sollte indessen sehr bald in eine tiefe Krise geraten 263 . Die europäische Wirtschaft hatte bereits seit etwa der Mitte des 19. Jahrhunderts einen beständigen Aufschwung erlebt, und dieser war im Deutschen Reich 1871 besonders groß, denn hier kam zu den wirtschaftlichen Vorteilen der Einigung noch die französische Kriegsentschädigung hinzu. Ausdruck fand diese Phase der Hochkonjunktur im Aktienwesen, das für Spekulationen größten Ausmaßes besonders geeignet war. Die Gründung einer Vielzahl an Aktiengesellschaften von 1870 bis 1873 gab dieser Periode schon zu ihrer Zeit den Namen "Gründerjahre". Diesem Boom folgte 1873 mit dem Beginn der sogenannten "großen Depression", deren Symptom der Zusammenbruch der Wiener Börse war, eine jähe Ernüchterung. Jetzt wurde deutlich, wie sehr die Freigabe des Gründungswesens der Aktiengesellschaften unter Beibehaltung der aus den sechziger Jahren stammenden, großzügigen Vorschriften über ihre Verfassung nicht allein einfach kurzsichtigen, sondern auch unseriösen und sogar betrügerischen Geschäften 264 Vorschub geleistet hatte. Wieder wurde der Ruf nach Reform laut. b) Rechtspolitische Gutachten aus den 70er Jahren Im Zuge der nun einsetzenden Reformbestrebungen war Goldschmidt in den 70er Jahren mit zwei Gutachten zu Fragen des Rechts der Aktiengesellschaften betraut, einmal in privatem, einmal in öffentlichem Auftrag. Die Vorbereitung der Reform des Aktiengesellschaftsrechts war die erste große Aufgabe, die sich der 1872/73 gegründete "Verein für Socialpolitik" stellte. Schon auf seiner ersten Tagung, die die eigentliche Vereins gründung vorbereitete, formulierte er einen Fragenkatalog über die Mißstände bei Gründung und Geschäftsführung von Aktiengesellschaften seit 1870, der Bewährung der Aktienrechtsnovelle von 1870 und zu einzelnen, in der Diskussion besonders hervorgehobenen Punkten 265 . Dieser Katalog wurde drei Sachverständigen zur Begutachtung vorgelegt; dies waren die beiden späteren Räte am Reichsgericht Heinrich Wiener und Jakob Friedrich Behrend266 und Goldschmidt. Goldschmidt hielt sich in den Ausführungen seines Gutachtens, das vom 27. April 1873 datiert, sehr eng an die vorgegebenen Fragen, die er im gleichen Sinne beantwortete wie die anderen Gutachter. Die häufigsten Formen des Gründungsschwindels seien die satzungsmäßige Verankerung eines unkontrollierten Einflus263 Hommelhoff, Eigenkontrolle, S. 56 u. 58; Hermann Kellenbenz, Dt. Wirtschaftsgeschichte, Bd. 11, München 1981, S. 313 f. 264 Ring, Reichsgesetz, 2. Auf!. 1894, S. 9 f. ("Periode des Aktienschwindels"); Raisch, Unternehmensrecht 2, Reinbek 1974, S. 24 f. 265 Zur Reform des Aktiengesellschaftswesens. Drei Gutachten abgegeben von H. Wiener, Goldschmidt, Behrend (Schriften des Vereins für Socialpolitik I), Leipzig 1873. 266 1834 - 1897 bzw. 1833 - 1900; s. Behrend in DJZ 2 (1897), S. 466 f.; Lobe, Reichsgericht, S. 338 u. 341 bzw. 359.
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ses der Gründer, Nichteinzahlung des Gründungskapitals und die Umwandlung unsolider Unternehmen in Aktiengesellschaften unter unrichtigen Wertangaben 267 . Tenor seiner Revisionsvorschläge ist, daß nicht die Strukturen des Aktiengesellschaftsrechts zu ändern seien, sondern Mechanismen geschaffen werden müßten, die die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen zum Schutz der Aktionäre und der Gesellschaft sicherstellten 268 . Diese dürften indes nicht in einer Wiedereinführung der Staatskontrolle liegen 269 , sondern Aktionäre und Gesellschaft müßten selbst in die Lage versetzt werden, diese Kontrolle über ihre Organe auszuüben und die Solidität des Aktienunternehmens sicherzustellen, womit zugleich den primären Privat- wie den öffentlichen Interessen gedient wäre 270 . Allenfalls bei Eisenbahn- und Versicherungsgesellschaften könne eine unmittelbare Staatskontrolle erwogen werden271 . Die erstaunliche Kürze und Knappheit von Goldschmidts Gutachten, die auf seine Beanspruchung durch die Tatigkeit am ROHG und die Arbeit an der zweiten Auflage seines Handbuches zurückzuführen ist, veranschaulicht seine so nur selten gezeigte - von Praktikern besonders geschätzte 272 - Fähigkeit, sich präzise zu konkreten Fragen zu äußern und die berührten Probleme auch ohne tiefe Ausleuchtung aller mit ihnen zusammenhängenden Nebenfragen auf ihren Kern zu reduzieren und befriedigend zu lösen. Eine Reform des Aktienrechts aus Anlaß des "Gründerkrachs" kam indessen zunächst nicht zustande. Goldschmidt aber blieb mit ihr auch weiterhin legislatorisch befaßt. 1870 war Art. 215 Abs. 3 in das ADHGB eingefügt worden, der der Aktiengesellschaft den Erwerb eigener Aktien ganz und deren Amortisierung grundsätzlich verbot 273 . Diese Vorschrift rief zahlreiche Streitigkeiten hervor274 ; insbesondere war ihr Verhältnis zu Art. 248 ADHGB 1870 unklar, der die Modalitäten einer Zurückzahlung oder Herabsetzung des Grundkapitals regelte, die in den Formen des Art. 215 Abs. 3 ADHGB hätte erfolgen können. Auf die Klärung dieser Frage zielte ein Gesetzesantrag von 1874275 , den Goldschmidt im Auftrag des Präsidenten des Reichskanzleramts begutachtete 276 . Er versuchte aus der InteressenlaGutachten 1873, S. 30 f. Gutachten 1873, S. 32 - 36. 269 Gerade sie habe "das Staatsbeamtenthum in die Corruption des Gründerwesens" verstrickt: Gutachten 1873, S. 33. 270 Gutachten 1873, S. 33 f. 271 Gutachten 1873, S. 35. 272 s. insbes. Ring, Reichsgesetz, 2. Aufl. 1894, S. 385. 273 s. zu den rechtlichen und wirtschaftlichen Aspekten dieser Problematik M. Lutter, in: Kölner Kommentar zum AktG, Bd. 2, Köln 1985, § 237 Rdnr. 2 u. 3; Hans Würdinger, Aktienrecht, 4. Aufl., Heidelberg 1981, § 42 I, S. 200 f. 274 Thöl, Praxis, S. 36: "eine wahre Crux für den Interpreten". 275 StB, 2. Legislatur-Periode, I. Session, 1874,3. Bd., Anlagen Nr. 1 - 184, Nr. 167: Antrag Mosle, Dr. Schwarze, Dr. Meyer (Thorn); Goldschmidt, Herabsetzung 1876, S. 1. 276 Gutachten v. 6. 4. 1874, Herabsetzung 1876, S. 1 - 3 (Einleitung), 3 - 11 (Gutachten); der Antrag hatte sich zwar durch das Ende der Reichstags-Session und den Beschluß des 267 268
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ge von Gesellschaft, Aktionären und Gläubigem und der nicht klar durchdachten 277 Systematik der Aktienrechtsnovelle 1870 eine Lösung zu entwickeln, die die Voraussetzungen beider Bestimmungen kombinierte 278 . Bei der AktienrechtsRevision 1884 wurde auf dieser Grundlage die differenzierende Regelung des Art. 215 d ADHGB 1884 geschaffen 279 . Die hiermit zusammenhängenden Fragen blieben aber auch in der folgenden Zeit sehr umstritten, wobei die einsetzende Differenzierung zwischen den Problemkreisen des Erwerbs eigener Aktien 280 und der Herabsetzung des Eigenkapitals 281 sich vertiefte. c) Die Aktiennovelle 1884 Die Vorbehalte gegen das geltende Aktienrecht verstummten seit 1873 nicht mehr, so daß schon bald der Plan, seine Reform erst mit der Überarbeitung des gesamten ADHGB vorzunehmen, aufgegeben wurde. Ein preußischer Antrag beim Bundesrat ließ 1876 das Projekt auf der Ebene der Reichsgesetzgebung in Gang kommen. Das Ergebnis war schließlich das Gesetz, betreffend die Kommanditgesellschaften auf Aktien und die Aktiengesellschaften vom 18. Juli 1884282 , durch das das gesamte Aktienrecht, nunmehr Artt. 173 bis 249 g ADHGB, umgestaltet wurde 283 . Ziel dieser Novelle war der Ausbau des Normativsystems: Die Betroffenen selbst sollten in die Lage versetzt werden, die notwendige Kontrolle über Gründung und Verwaltung ihrer Gesellschaften auszuüben und Mißbräuchen vorzubeugen 284 • Die gründlichen Vorarbeiten entsprachen der Bedeutung des Vorhabens 285 . Nach bereits intensiven Vorarbeiten beschlossen die beteiligten Reichsämter, das ReichsBundesrats v. 22. 6. 1874, das ADHGB einschließlich des Aktienrechts erst im Zusammenhang mit der Angleichung an das BGB einer Revision zu unterziehen, zunächst erledigt, Goldschmidt veröffentlichte es aber wegen des Eingehens auf die aktuell bleibende Rechtslage. 277 Herabsetzung 1876, S. 11. 278 Herabsetzung 1876, S. 7 - 11. Ganz ähnlich und nur in Einzelheiten abweichend sind auch die Erwägungen des ROHG und Thöls in dieser Frage (ROHGE 18, S. 423 - 434; Thöl, Praxis, S. 33 - 36; zu Thöls weiteren Überlegungen S. 36 - 39 und seinen methodischen Zweifeln S. 39 s. Ehrenberg, Thöl, S. 567 f.). 279 s. die amtliche Begründung, RT-Drs. 1884, S. 329 f., bei Schubert/Hommelhoff, Aktienrecht, S. 500 f. 280 Heute §§ 71 -71 e AktG 1965/1978. 281 Heute § 237 AktG 1965; s. dazu Lutter, Kölner Kommentar, § 237 AktG Rdnr. 2, 3; Würdinger, Aktienrecht, 1981, § 42, S. 200 - 205. 282 RGBI. 1884, S. 123 - 170. 283 Darstellung und Materialien in Schubert/Hommelhoff, Aktienrecht, S. I - 105 (Einführungen), 107 - 607 (Quellen). 284 Homme1hoff, Eigenkontrolle, S. 62 - 64, 80. 285 Ausführliche Darstellung des Verfahrens bei Schubert, Entstehung des Aktiengesetzes, S. I - 50.
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amt des Innern und das Reichsjustizamt, den 1882 vollendeten gemeinsamen Entwurf286 durch Rechts- und Witschaftsfachleute begutachten zu lassen 287 , die diese Aufgabe in Kommissionsarbeit erfüllen sollten. In diese Sachverständigenkommission 288 wurden berufen 289 : A. G. Delbrück, Mitbegründer der Deutschen Bank und des Deutschen Handelstages; G. H. Embden, Rechtsanwalt aus Hamburg, Goldschmidt, K. R. Jacobi vom preußischen Handelsministerium, schon an der Aktiennovelle von 1870 beteiligt, Hugo Keyssner, Kammergerichtsrat und Mitherausgeber der ZHR, Richard Koch von der Deutschen Reichsbank, E. Russell, Geschäftsinhaber der Berliner Disconto-Gesellschaft, F. von Schauss von der Süddeutschen Bodencreditbank, H. von Sicherer, Professor an der Münchener Universität und neben Goldschmidt, mit dem er zusammen 1887 an der Beratung des neuen Genossenschaftsgesetzes teilnahm, zweiter Rechtslehrer in der Kommission, und Adolph Wagner, der bekannte Kathedersozialist 290 , noch vor Goldschmidt das in der Öffentlichkeit bekannteste Mitglied der Kommission. Unter den Teilnehmern von den Reichsämtern sind von Schelling als Vorsitzender, Deegen und Keyser, von denen der erste Referentenentwurf von 1880 stammte, und Hagens hervorzuheben, mit dem Goldschmidt schon in der Reichstagskommission zur Beratung der Konkursordnung zusammengearbeitet hatte und der wie auch Schelling gleichfalls 1887 der Kommission zur Beratung des Genossenschaftsgesetzes angehören sollte. Hagens war wie stets um eine Verteidigung des Entwurfs gegen allzu eingreifende Änderungen bemüht und beteiligte sich rege an den Beratungen. Die Sachverständigen tagten in 14 Sitzungen vom 24. März bis 8. April 1882 in Berlin, täglich etwa 5 bis 6 Stunden291 . Die Protokolle dieser Sitzungen liegen inzwischen gedruckt vor292 . Obwohl ihnen ein Katalog konkreter Fragen zu einzelnen Regelungen des Entwurfs von 1882 vorgelegt wurde29 3, erfaßten ihre Beratungen darüber hinaus nahezu den gesamten Entwurf. In der Kommission wurden von den Sachverständigen die ihnen vorgelegten Fragen umfassend und nicht selten kontrovers diskutiert. Zur Bildung von Fraktionen unter den Sachverständigen kam es dabei nicht.
Bei Schubert/Hommelhoff, Aktienrecht, S. 263 - 287. Schubert, Entstehung des Aktiengesetzes, S. 28. 288 Schubert, Entstehung des Aktiengesetzes, S. 28 - 31. 289 Schubert, Entstehung des Aktiengesetzes, S. 29 f. (mit Hinweisen zu den Biographien); Schubert/Hommelhoff, Aktienrecht, S. 288. 290 1835 - 1917; s. H. Schumacher, Dt. Biographisches Jahrbuch, Überleitungsband Il: 1917 - 1920, Berlin/Leipzig 1928, S. 173 - 193; aus neuerer Zeit s. Martin Heilmann, Adolph Wagner, ein deutscher Nationalökonom, Frankfurt a.M. 1980. 291 Brief Adolph Wagners v. 10. 4. 1882, in: Heinrich Rubner (Hrsg.), Adolph Wagner: Briefe, Dokumente, Augenzeugenberichte. Berlin 1978, S. 205. 292 Verhandlungen der Aktienrechtskommission. in: Schubert/Hommelhoff, Aktienrecht, S. 290 - 386. 293 Schubert/Hommelhoff, Aktienrecht, S. 289 f. 286 287
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Goldschmidt verlieh seiner Haltung in der Expertenkommission in der ersten Sitzung Ausdruck, wo er wie so oft bei seinen Kommissionsarbeiten Augenmaß für eine sinnvolle Gestaltung der Geschäftsordnung zeigte 294 . Gleich zu Beginn warnte er davor, durch übermäßige Normierung und staatliche Kontrolle das Konzessionsprinzip faktisch wieder einzuführen 295 , und mahnte, bei den Entscheidungen über Einzelnormen stets deren Konträrwirkungen auf das Verhalten potentieller Anleger zu beachten, um eine Kapitalflucht in das Ausland zu verhindern 296 . Schon in der ersten Sitzung zeichnete sich ein gewisser Gegensatz zwischen Wagner und den übrigen Sachverständigen ab: Wagner stand dem Institut der Aktiengesellschaft schon als solcher mißtrauisch gegenüber297 . Er war deshalb für eine weitgehende Reglementierung. Die anderen Sachverständigen traten dagegen nur für eine Vervollständigung des vorhandenen gesetzlichen Instrumentariums unter Erhaltung möglichst weitgehender Autonomie der Gesellschaften ein. Goldschmidt wandte sich mit anderen gegen Wagners Forderung, die Rechtsform der Aktiengesellschaft nur für bestimmte Unternehmenszwecke zuzulassen; dies sei ein zu tiefer Eingriff in die Gründungsfreiheit und ein Einfallstor für Staatskontrolle 298 . Goldschmidt war das dahinterstehende wirtschaftliche Problem durchaus bewußt, denn in seinem Gutachten von 1873 hatte er die Gründung von Aktiengesellschaften nur mit dem Ziel, der persönlichen Haftung als Gesellschafter einer Personengesellschaft zu entgehen, ausdrücklich als Mißstand bezeichnet299 . Es sollte aber eben nicht der Staat sein, der über die Eignung der Rechtsform zu entscheiden habe, sondern die verantwortlichen Beteiligten selbst30o . Goldschmidts inzwischen gereifte Erfahrung in Kommissionsarbeit kam der Expertenkommission durchaus zugute. Immer wieder war gerade er es, der das Ergebnis vorangegangener Diskussionen in die Fassung konkreter Anträge brachte, die dann zur Abstimmung gestellt wurden 30I . Einige der von Goldschmidt in der Kom294 295 296
tien).
s. etwa den erfolgreichen Antrag bei Schubert/Hommelhoff, Aktienrecht, S. 295. Bei Schubert/Hommelhoff, Aktienrecht, S. 291 f. Bei Schubert/Hommelhoff, Aktienrecht, S. 293 f. (zum Mindestbetrag der Inhaberak-
297 Deutlich bei Schubert/Hommelhoff, Aktienrecht, S. 298: "Prof. Dr. Wagner findet es gerechtfertigt, wenn der Entwurf von der Mißwirthschaft als Regel ausgehe und sich auf den Standpunkt des Mißtrauens stelle"; s. auch seine Schlußerklärung in der 14. Sitzung, S. 384 f. - Aus der juristischen Literatur ist besonders die Kritik von Jhering am Aktiengesellschaftswesen hervorzuheben: Der Zweck im Recht, 1. Bd., 4. Aufl., hrsg. v. V. Ehrenberg, Leipzig 1904, S. 170 - 175, insbes. S. 173 f. 298 Bei Schubert/Hommelhoff, Aktienrecht, S. 294 f.; so schon auf dem 8. Dt. Juristentag, Referat 1869, S. 51 - 53; dazu Hommelhoff, Eigenkontrolle, S. 57 ff. 299 Gutachten 1873, S. 30 f. 300 Gutachten 1873, S. 31; Referat 1869, S. 52 f. 301 s. etwa bei Schubert/Hommelhoff, Aktienrecht, S. 295, 300, 305, 308 f., 314 f.; hervorzuheben sind: der Umfang der von den Gründern bei der Anmeldung einzureichenden Unterlagen, bei Schubert/Hommelhoff S. 311 - 313 (Antrag Goldschmidt/Delbrück), demzufolge Art. 210 Abs. 2 Nr. 3 ADHGB 1884, heute § 37 Abs. 4 Nr. 4 AktG 1965; Auffüllung des
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mission erfolgreich vorgebrachten Vorschläge wurden freilich nicht in die Reichstagsvorlage übernommen 302 oder zwar übernommen, aber bei der Beratung im Reichstag 303 wieder gestrichen 304 , weil Goldschmidt in streitigen Fällen ihrer Fassung stets die von ihm für richtig gehaltene Ansicht zugrundelegte; mitunter gingen sie verschlungene Wege, bevor die in ihnen zum Ausdruck gebrachten Anangegriffenen Reservefonds, bei Schubert/Hommelhoff S. 364 f. (dazu Hommelhoff, Eigenkontrolle, S. 84 f., 85), demzufolge Artt. 239 b, 185 b Nr. 1 ADHGB 1884, heute § 150 Abs. 2 AktG; Ersatzpflicht der Mitglieder der Aufsichtsrats nach Art. 226 Abs. 2 des Entwurfs (nach Vorbild des Art. 241 Abs. 3) nur gegenüber der Gesellschaft, bei Schubert/Hommelhoff, Aktienrecht, S. 356, demzufolge Art. 226 Abs. 2 ADHGB 1884, § 244 Abs. 2 HGB 1897, §§ 116,93 AktG 1965. 302 s. z. B. zur Haftung des Empfängers nicht angegebenen Gründungslohns, bei Schubertl Hommelhoff, Aktienrecht, S. 315: Abstimmung über Art. 213 a Abs. 2 des Entwurfs 5 : 4 zugunsten Antrag Goldschmidt (RusseIl abwesend); anders Begründung der Reichstagsvorlage S. 323, bei Schubert/Hommelhoff S. 490. Ebenso zur Ausgestaltung der Bewertungsgrundsätze bei Aufstellung der Bilanz als nicht unbedingt zwingende, sondern nur "maßgebende Regeln", bei Schubert/Hommelhoff, S. 369: Abstimmung über Art. 185 a des Entwurfs 6 : 2 für Antrag Goldschmidt; anders Begründung der Reichstagsvorlage S. 302, bei Schubert/Hommelhoff S. 473, demzufolge Art. 185 a ADHGB 1884, §§ 261 HGB 1897, 133 AktG 1937, 153 AktG 1965; hier gelangte aber die Rechtsprechung im Wege der Auslegung faktisch zu einem flexibleren Verständnis, das Goldschmidts Vorstellungen entsprach: RGZ 72, S. 33 ff., 36 f.; 91, S. 408 ff., 410 f.; so jetzt - 100 Jahre nach Goldschmidts Antrag ausdrücklich auch § 252 Abs. 2 HGB 1985 (dazu BT-Drs., 10. Wahlperiode, Bd. 326, Drs. 10/4268, S. 100). 303 An ihr war Goldschmidt, der dem Reichstag schon seit 1877 nicht mehr angehörte, nicht beteiligt: Das Mitglied Goldschmidt der 9. Reichstags-Kommission war nicht Levin Goldschmidt (so Schubert, Entstehungsgeschichte des Aktiengesetzes, S. 37 in Fußn. 113), sondern ein Brauereibesitzer aus Berlin. 304 s. z. B. zur Beweislast bei der Inanspruchnahme von Aufsichtsratsmitgliedern bei Verletzung ihrer Pflichten: Annahme des Antrags Goldschmidt zu Art. 226 Abs. 1 des Entwurfs auf Einfügung eines Satz 2, nach dem die Aufsichtsratsmitglieder im Streitfall die Anwendung der erforderlichen Sorgfalt zu beweisen hätten, bei Schubert/Hommelhoff, Aktienrecht, S. 356; demzufolge Reichstagsvorlage Art. 226 Abs. 2 S. 2 und darüber hinaus Art. 241 Abs. 2 S. 2 (Haftung der Vorstandsmitglieder) u. deren Begründung der Reichstagsvorlage S. 337 (Schubert/Hommelhoff S. 462, 508) unter Hinweis auf ROHGE 6, S. 215 - 221, 216 f. (Beweislast des Mandatars nach gemeinem Recht); von der vom Reichstag eingesetzten Kommission auf Antrag des Abgeordneten Dr. Porsch (Zentrum) wieder gestrichen, weil gerade die Beweislastregelung (entgegen Begründung S. 291, bei Schubert/Hommelhoff S. 462) besondere "Entrüstung" bei den Betroffenen hervorgerufen habe: Bericht der IX. Kommission, in RT-Drs., 5. Legislatur-Periode, IV. Session 1884,3. Bd., Nr. 128, S. 22 f., 102 f., demzufolge Artt. 226 Abs. 2, 241 Abs. 2 ADHGB 1884, §§ 236 Abs. 1,241 Abs. 1 HGB 1897; gerade diese Frage wurde jedoch in der Folgezeit streitig (Renaud, Der Entwurf, in: Arch. f. Th. u. Prax. HR 45 (1884), S. 217 - 219; Ring, Reichsgesetz, 2. Aufl. 1894, Art. 226 Anm. 3, S. 513 ff. m.w.N.; Otto Hagen, Ueber die Verantwortlichkeit des Aufsichtsraths, in: Beitr. Preuß. R. 42 (1898), S. 358 f.; Staub, ADHGB, Art. 226 § I, S. 471; Art. 241 § 3 m.w.N.; ders., HGB, Bd. I, § 241 Anm. 2, S. 729; s. auch RGZ 13, S. 43 ff., 45 f.; alle Autoren beriefen sich dabei für ihre gegensätzlichen Ansichten auf das wechselvolle Schicksal der einschlägigen Normen im Gesetzgebungsverfahren); daher 1937 die Einführung der Goldschmidts Antrag entsprechenden Regelung in §§ 84 Abs. 2 S. 2, 99 AktG 1937, heute §§ 93 Abs. 2 S. 2,116 AktG 1965.
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schauungen sich häufig doch noch durchsetzten 305 • Dies gilt insbesondere in einer Frage, die den Kern der angestrebten Refonn des Aktienrechts betraf: Eine sehr große Rolle im Rahmen der Diskussion um die Refonn des Aktienrechts spielte die Frage der Haftbarkeit der Emittenten von Aktien neuzugründender Gesellschaften 306 . Sie führte Goldschmidt zu einem Fragenkreis zurück, den er 23 Jahre zuvor mit anderer Zielrichtung im Lucca-Pistoja-Aktienstreit ausführlich behandelt hatte. Entsprechend stark war sein Engagement jetzt. Bedeutsam und von größter Aktualität war hierzu der Antrag Goldschmidts, der ihm so wichtig war, daß er ihn schon in der Sitzung zuvor angekündigt hatte 307 . Als Art. 213 e solle in das ADHGB folgende Bestimmung eingefügt werden: "Wer durch unrichtige Angaben oder Verschweigungen in den zur Vorlegung an das Handelsgericht bestimmten Erklärungen oder Urkunden oder in öffentlichen Angeboten böslicher Weise Zeichner oder spätere Erwerber von Aktien oder Gläubiger einer Aktiengesellschaft geschädigt hat, ist dem Beschädigten ersatzpflichtig." Der Schadensersatz solle durch Übernahme der Aktien durch die solidarisch haftenden Schädiger gegen Erstattung des von den Geschädigten für die Aktien gezahlten Betrages geleistet werden; die Vorschriften des allgemeinen bürgerlichen Rechts sollten davon unberührt bleiben308 . Diese Regelung sei notwendig, da es nicht ausreiche, wenn nach der Konzeption des Entwurfs nur der Gesellschaft ein Anspruch auf Ersatz zustehe. Denn dieser Anspruch decke nicht das Interesse der geschädigten Aktionäre, die bei Kenntnis der wahren Sachlage gar nicht hätten Aktionäre werden wollen. Entsprechendes gelte für die getäuschten Gläubiger, die der Gesellschaft Kredit gewährt hätten. Da dieser Antrag Goldschmidts auf die Einfügung einer im Entwurf überhaupt nicht vorgesehenen Regelung zielte, wurde seine Diskussion zunächst vertagt, um seine Prüfung durch die anderen Kommissionsmitglieder zu ennöglichen309 . Zwei Sitzungen später begründete Goldschmidt seinen Antrag nochmals 31O : Es sei billigenswert und beizubehalten, daß bei fehlerhafter Gründung der Gesellschaft dieser selbst ein Schadensersatzanspruch zustehe. Das allein 305 Zur Aktienreform 1937 s. etwa AktG 1937, hrsg. v. F. Schlegelberger u. a., Berlin 1937. Es zeigt den ganzen Irrwitz jener Zeit, daß die Herausgeber dieses Kommentares, die das Gesetz im Reichsjustizministerium vorbereitet hatten, im Vorwort Hitlers "Mein Kampf' zitieren (S. 111), in der Kommentierung aber immer wieder Ansätzen folgten, die Goldschmidts Vorschlägen in der Aktienrechtskommission entsprachen, z. B. §84 Anm. 14: Beweislast bei Inanspruchnahme von Vorstand oder Aufsichtsrat; § 95 Rdnr. 28: Stellung des Aufsichtsrats; § 130 Rdnr. 4: Bedeutung des Reservefonds; § 146 Rdnr. 10: Mehrheitsverband. 306 Der Bedeutung dieser Frage angemessen wurde ihre Behandlung auf 2 Sitzungen, die 5. u. 7. am 29. u. 31. 3. 1882, verteilt, bei Schubert/Hommelhoff, Aktienrecht, S. 315 ff. bzw. 329 - 334; dazu Hommelhoff, Eigenkontrolle, S. 68 - 73, insbes. S. 71 f. 307 Bei Schubert/Hommelhoff, Aktienrecht, S. 315. 308 Bei Schubert/Hommelhoff, Aktienrecht, S. 321; s. dazu Goldschmidt, Reform 1885, S. 83 f. 309 Bei Schubert/Hommelhoff, Aktienrecht, S. 321. 310 Bei Schubert/Hommelhoff, Aktienrecht, S. 332.
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sei aber nicht ausreichend. Der Schutz der Aktionäre durch das allgemeine bürgerliche Recht sei unzureichend. Vertragliche Schadensersatzansprüche gegen die Gründer stünden nur denjenigen zu, die ihre Aktien unmittelbar von diesen erworben hätten. Spätere Erwerber seien auf die gesetzlichen Ansprüche, nach gemeinem Recht also die actio doli, angewiesen und hätten Schwierigkeiten, den Kausalitätsnachweis zu führen. Dies habe die Erfahrung früherer Fälle gelehrt 3ll . Eine übermäßige Belastung der Gerichte mit derartigen Streitigkeiten könnten durch eine Beschränkung des Anspruchs auf Fälle groben Verschuldens und eine kurze Verjährung verhindert werden 312 . Unterstützung fand Goldschmidts Antrag zunächst nur bei von Sicherer313 und, allerdings nur eingeschränkt, Koch und Jacobi314 . Grundsätzlich gegen den Antrag stellten sich Hagens 315 und Russell 316 : Das bürgerliche Recht stelle ausreichende Ansprüche zur Verfügung. Die von Goldschmidt vorgeschlagene Art der Ersatzleistung sei zu undifferenziert, überhaupt würde die Aufnahme eines eigenständigen Anspruchs der Aktionäre neben dem der Aktiengesellschaft größte Schwierigkeiten aufwerfen, um eine ungerechtfertigte doppelte Inanspruchnahme der Schädiger zu verhindem 317 • Der Antrag wurde deswegen mit sieben zu immerhin drei Stimmen abgelehnt 318 . Goldschmidt blieb jedoch hartnäckig und taktierte geschickt, indem er in der letzten Sitzung beantragte, einen im Sinne der erhobenen Kritiken teilweise modifizierten Antrag auf Haftung der Emittenten als Art. 241 a in die Novelle einzufügen319 . Er verteidigte ihn gegen Hagens und Schmidt, ohne daß dabei neue Argumente vorgebracht wurden 32o . Diesmal hatte Goldschmidt Erfolg: Sein Antrag wurde angenommen 321 . Gleichwohl wurde der von der Kommission beschlossene Art. 241 a nicht in die Reichstagsvorlage der Aktiennovelle aufgenommen 322 • In der Begründung zu Art. 241 wurde nur kurz erwähnt, daß ein Anspruch einzelner Aktionäre nach dem 311 Ein weiteres Problem der actio doli im gemeinen Recht war, daß sie Ersatz für primäre Vermögens schäden nur bei nachgewiesen vorsätzlicher Schadenszufügung gewährte, vgl. heute § 826 BOB u. § 823 Abs. 2 BOB in Verbindung mit §§ 263, 15 StOB. 312 Bei Schubert/Hommelhoff, Aktienrecht, S. 332. 3\3 Bei Schubert/Hommelhoff, Aktienrecht, S. 332 f. 314 Bei Schubert/Hommelhoff, Aktienrecht, S. 333. Wagner äußerte sich nicht. Die Tatsache, daß er seinen allgemeinen ..Standpunct isolirt" sah, hatte ihn veranlaßt, sich weitgehend zurückzuhalten: Brief v. 10.4. 1882, in: H. Rubner (Hrsg.), Adolph Wagner, 1978, S. 205. 315 Bei Schubert/Hommelhoff, Aktienrecht, S. 333. 316 Bei Schubert/Hommelhoff, Aktienrecht, S. 333 f. 317 Bei Schubert/Hommelhoff, Aktienrecht, S. 333 f. 318 Bei Schubert/Hommelhoff, Aktienrecht, S. 334. 319 Bei Schubert/Hommelhoff, Aktienrecht, S. 372 f. 320 Bei Schubert/Hommelhoff, Aktienrecht, S. 374. 321 Bei Schubert/Hommelhoff, Aktienrecht, S. 375. 322 Im Reichstag wurde sie, entsprechenden Forderungen zum Trotz (s. Ooldschmidt, ZHR 30 (1885), S. 303 in seiner Anzeige von Wieners Oegenentwurf) nicht wieder eingefügt.
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Entwurf nicht gegeben sei 323 • Vennutlich war man im Innen- und Justizministerium der Ansicht gewesen, daß ein derartiger Eingriff in die Struktur des Entwurfs durch den Auftrag der Expertenkommission nicht mehr gedeckt gewesen sei. Von den Beschlüssen der Kommission, die keinen Eingang in die Reichstagsvorlage fanden, war dies sicherlich derjenige, dessen Aufnahme die größten Folgen gehabt hätte. In der Folgezeit nämlich sollte dieses Problem Rechtsprechung und Lehre immer wieder beschäftigen. Dabei verschob sich das Schwergewicht zunehmend auf die Frage, inwieweit Aktionären auch unabhängig von Gründungsfehlem Ansprüche unmittelbar gegen Vorstands- oder Aufsichtsratsmitglieder zustünden 324 . Es entsprach somit einem dringenden Bedürfnis, wenn die Aktiennovelle von 1884 ausdrücklich statuierte, daß bei schuldhaft fehlerhafter Gründung die Gründer jedenfalls der Gesellschaft Ersatz zu leisten hätten, indem sie diese so zu stellen hätten, als sei sie fehlerfrei gegründet worden 325 . Denn geschieht dies, so bleibt für einen Schadensersatzanspruch des einzelnen Aktionärs in der Tat kein Raum, da die Gesellschaft nunmehr "fehlerfrei" ist326 . Dies dürfte dann entgegen Goldschmidt auch dem Interesse der einzelnen Aktionäre entsprechen, da sie der Gesellschaft in dieser Fonn angehören wollten. Damit ein solcher Anspruch erfolgreich realisiert werden kann, müssen freilich Bedingungen gegeben sein, deren häufiges Fehlen Goldschmidt richtig vorausgesehen hatte: Da nur der Gesellschaft dieser Ersatzanspruch zusteht, müssen ihre Organe bereit sein, ihn auch geltend zu machen; zumindest muß diese Bereitschaft erzwingbar sein327 . Da aber regelmäßig diejenigen, gegen die der Anspruch sich richtet, in der Gesellschaft den beherrschenden Einfluß haben, wird es an dieser Bereitschaft und ihrer Erzwingung häufig fehlen. Daneben wird der Ersatz an die Gesellschaft häufig nicht alle Schäden der Aktionäre ausgleichen, so daß sie insoweit auf sonstige Ansprüche angewiesen sind, deren Voraussetzungen, soweit nur die Ansprüche des allgemeinen bürgerlichen Rechts in Frage kommen, häufig fehlen werden oder sich nicht nachweisen lassen 328 • Die schließliche Eliminierung von Goldschmidts Antrag muß deshalb vom heutigen Standpunkt aus als übereilt angesehen werden. Seine grundsätzliche Berechtigung wird belegt durch die gerade in den letzten Jahren intensiv geführte Diskussion, ob und inwieweit nach geltendem wie möglicherweise neu zu schaf323 Begründung der Reichstagsvorlage S. 337, bei Schubert/Hommelhoff, Aktienrecht, S.508. 324 Dazu schon ausführlich zum ADHGB 1861: AchilIes Renaud, Die Klage des Actionärs gegen die Mitglieder des Vorstandes und Aufsichtsraths, in: ZHR 12 (1868), S. 1 - 33, insbes. S. 5 ff., 12 ff. Für die Zeit vor dem ADHGB: Julius Jolly, Das Recht der Actiengesellschaften, in: Zs. f. dt. R. 11 (1847), S. 317 - 449, 421 - 423. 325 Vgl. heute § 249 Abs. 1 S. 1 BGB (Naturalrestitution). 326 Zu dieser zentralen Schadensproblematik Renaud, ZHR 12 (1868), S. 5 - 12; zur Novelle Ring, Reichsgesetz, 2. Auf!. 1894, Art. 226 Anm. 9. 327 s. dazu Behrend, in: Zur Reform, S. 84. 328 s. auch Wiener, in: Zur Reform, S. 24 in Fußn. 24.
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fendern Recht einzelnen Aktionären Ansprüche unmittelbar gegen den Vorstand einer Aktiengesellschaft zustehen sollen, der die Gesellschaft und damit auch das Vermögen der Aktionäre schuldhaft geschädigt hat 329 . Bemerkenswert ist Goldschmidts Antrag auch und gerade im Hinblick auf seinen Urheber: Goldschmidts Eintreten für eine verschärfte Haftung der Aktienemittenten steht auf den ersten Blick in deutlichem Gegensatz zu seiner Haltung im Lucca-Pistoja-Aktienstreit, in dem er das Bankhaus Goldschmidt gerade gegen die Inanspruchnahme wegen unzutreffender öffentlicher Anpreisung von Aktien verteidigt hatte. Damals freilich lag der Schwerpunkt seiner Ausführungen darauf, daß die tatsächlichen Voraussetzungen für eine Haftung, besonders die schuldhafte Fehlerhaftigkeit der Ankündigung, nicht gegeben gewesen seien. Aber in seinen Hilfsbegründungen hatte er etwaige Ansprüche auch an Rechtsgründen scheitern lassen wollen. Seine jetzigen Ausführungen, an "das bestehende Recht hätten sich die berühmtesten Prozesse des Handelsrechts geknüpft,,330 und dessen Unzulänglichkeit insbesondere den späteren Erwerbern der Aktien gegenüber offenbart33I , lassen deshalb vermuten, daß er seine Anschauungen über die Sachgerechtigkeit seiner damaligen Ergebnisse in der Zwischenzeit geändert hatte. Allerdings blieb Goldschmidt seinen damals aufgestellten Grundsätzen, nicht die Einzelheiten eines Emissionsprospekts zur Grundlage weitreichender Haftungsfolgen zu machen, dadurch treu, daß er sich mit der Mehrheit der Kommission gegen die als "Prospekttheorie" bezeichnete Einführung einer gesetzlichen Prospektpflicht wehrte 332 . Bald darauf setzte sich im Börsengesetz von 1896 jedoch der Gegenstandpunkt durch. Über weitere Einflüsse Goldschmidts auf die Aktiennovelle 1884 und andere seiner in die Gesetzgebung nicht aufgenommenen Vorstellungen informiert sein Vortrag über "Die Reform des Aktiengesellschaftsrechts", den er am 23. Februar 1884 in der Berliner Juristischen Gesellschaft gehalten hatte und der 1885 in der ZHR erschien 333 . Er gibt einen zuverlässigen Überblick über die Hintergründe und Leistungen der Aktienrechtsreform von 1884 aus zeitgenössischer Sicht334 . Aus diesem Vortrag spricht ein gewisser Stolz Goldschmidts, an dieser Gesetzgebungs329 Grundlegend bereits Karl Wieland, Handelsrecht, 2. Bd., München 1931, S. 133 - 140, der eine Abkehr von begrifflichen Konstruktionen u. eine interessengebundene Auffassung fordert; Überblick bei Bernhard Großfeld, Aktiengesellschaft, Unternehmenskonzentration u. Kleinaktionär, Tübingen 1968, S. 224 - 233 u. 292 - 30 I; Thomas Raiser, Das Recht der Gesellschafterklagen, in: ZHR 153 (1989), S. 1- 34 (GmbH). 330 So die übereinstimmende Einschätzung des Lucca-Pistoja-Aktienstreit durch Goldschmidt, Rechtsstudium 1887, S. 375 in Anm. 193 u. Jhering, Civilrechtsfälle, 7. Aufl., S.203. 331 Bei Schubert/Hommelhoff, Aktienrecht, S. 332; auch nach Jhering entsprach die schlechte Stellung späterer Erwerber von Aktien mangelhaft gegründeter Gesellschaften dem gemeinen Recht. 332 Dazu Goldschmidt, Reform 1873, S. 85 f.; Hommelhoff, Eigenkontrolle, S. 67 f. 333 Auch als Separatdruck, s. Reform 1885, S. 303 in Fußn. 1. 334 s. die bei Hommelhoff, Eigenkontrolle angegebenen Stellen.
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arbeit, die ihn außerordentlich befriedigt hatte 335 , beteiligt gewesen zu sein, wie auch darüber, daß das Ergebnis der Refonn in vielem ganz konkrete Einflüsse seiner Arbeit erkennen ließ 336 . Auch von seinem politischen und rechtspolitischen Standpunkt aus war er mit dem Ergebnis der Gesetzgebungsarbeit sehr zufrieden, da alle Ansätze zu einer offenen oder bemäntelten Rückkehr zum Konzessionssystem in der Expertenkommission außer Wagner keinen Fürsprecher gefunden hatten und das Nonnativsystem beibehalten und ausgebaut worden war337 . Goldschmidt sah sich damit in seiner vorher wie nachher immer wieder geäußerten Ansicht nachdrücklich bestätigt, daß Gründungsschwindel und schwere Verluste auf den Aktienmärkten das Ergebnis verwerflicher, allein um des Gewinns aus den allgemeinen Kursschwankungen der Wertpapiere betriebener Spekulation 338 seien, nicht aber die Folge eines im wirtschaftlichen und rechtlichen System des deutschen wie internationalen Aktienwesens 339 angelegten Strukturfehlers. 3. Genossenschaftsrecht: Das Genossenschaftsgesetz von J889
Als ebenfalls besonders fruchtbar und erfolgreich erwies sich Goldschmidts Wirken auf dem Gebiet des Genossenschaftsrechts. Hier vennochte er wie sonst nur selten die Gesetzgebung in seinem Sinne zu beeinflussen. a) Das deutsche Genossenschaftsrecht Von dem erfolgreichen Abschluß der Arbeit an der Aktiennovelle ennutigt, begann das Reichsjustizamt mit einer Neugestaltung des Rechts der Genossenschaften. An ihrem Ende stand das Gesetz, betreffend die Erwerbs- und Wirthschaftsgenossensehaften vom 1. Mai 188934 Auch hier ließ das Reichsjustizamt einen intern ausgearbeiteten Entwurf zunächst von einer Sachverständigenkommission beraten 341 . Unter der Leitung von Schelling und der Teilnahme von Hagens berieten neun Fachleute, die der Genossenschaftsbewegung verbunden waren. Hervorzuhe-
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335 s. sein Schlußwort zu den Beratungen am 8. April 1882, bei Schubert/Hommelhoff, Aktienrecht, S. 385. 336 Vernichtend war dagegen die Kritik des Konferenzmitgliedes Adelbert Delbrück, Bemerkungen zu dem Entwurf eines Gesetzes, betreffend ... Actiengesellschaften, Berlin 1883, S. 40; dazu Schubert, Entstehungsgeschichte des Aktiengesetzes, S. 44 f. 337 Goldschmidt, Reform 1885, S. 76 ff.; Hommelhoff, Eigenkontrolle, S. 55 - 64. 338 Im Sinne eines Strebens nach Kapitalbeschaffung ohne Aufwendung von Arbeit, s. insbes. Börsen und Banken 1891, S. 876 f., 878, 882; zur Strafbarkeit solcher Geschäfte S. 879 ff. 339 Das auf dem Handel mit Aktien als einer besonderen Art kaufmännischer Ware beruhe, Börsen und Banken 1891, S. 877 f, 882 ff. 340 RGBI. 1889, S. 55 - 93. 341 Ihre Mitglieder bei Hundert Jahre Genossenschaftsgesetz, S. 141, zu ihnen Schubert, Entstehung des Genossenschaftsgesetzes, S. 32 - 34.
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ben sind besonders der damalige Anwalt des Allgemeinen Genossenschaftsverbandes Friedrich Schenck und der Rittergutsbesitzer Julius von Mirbach. Ergänzt wurde die Runde durch zwei Rechtsgelehrte, die Professoren Hermann von Sicherer, München, und Levin Goldschmidt, Berlin. Beider Beiziehung zeigt, daß ihre Teilnahme an der Vorbereitung der Aktienrechtsnovelle wenige Jahre zuvor vom Reichsjustizamt als nützlich und erfolgreich angesehen wurde. Sie zeugt aber nicht minder von der Schwierigkeit, zu jener Zeit aus dem Kreis der Rechtsgelehrten Fachleute für das Genossenschaftswesen oder auch nur Genossenschaftsrecht zu finden. Das hing mit dem Werdegang des deutschen Genossenschaftswesens im 19. Jahrhundert zusammen. Die deutschen Genossenschaften haben sich nicht über eine längere Zeit hinweg allmählich ausgebildet, sondern sie sind als Selbsthilfeorganisationen bewußte Zweckschöpfungen des letzten Jahrhunderts. Ihre Schaffung ist ganz wesentlich mit dem Wirken zweier Personen verbunden, Friedrich Wilhelm Raiffeisen 342 und Hermann Schultze-Delitzsch343 . Schulze-Delitzsch hat dabei nicht allein die faktische Ausgestaltung des deutschen Genossenschaftswesens ganz maßgeblich beeinflußt, sondern auch die rechtliche 344 . Bedeutsamste Frucht seiner Bemühungen war das Genossenschaftsgesetz des Norddeutschen Bundes von 1868345 . In der Folgezeit blieb die vertiefte Behandlung genossenschaftsrechtlicher Fragen in der Hand von Mitarbeitern des Allgemeinen Genossenschaftsverbandes 346, dessen Anwalt Schulze-Delitzsch war. Er beeinflußte auf diese Weise die rechtliche Ausgestaltung des deutschen Genossenschaftswesens so maßgeblich, daß es auf diesem Gebiet bis zum Beginn der 80er Jahre keine Kapazität gab, die in auch nur einer wesentlichen Frage ihren Standpunkt gegen den Schulze-Delitzsch' hätte durchzusetzen vermögen. Von entscheidender Bedeutung für den Erfolg der Genossenschaftsbewegung war die Verwirklichung eines geeigneten Konzepts zur Schaffung einer die potentiellen Gläubiger befriedigenden Grundlage zur Absicherung der benötigten Kredite für die Selbsthilfeorganisation der wenig begüterten Genossen. Schulze-Delitzsch' Konzept unterschied sich von dem Raiffeisens dadurch, daß er seine Ge1818 - 1888; Faust, Geschichte, S. 323 ff. 1808 - 1883; kommentierte Auswahl seiner wichtigsten Werke hrsg. v. Thorwart, Bd. 1, 1909; Faust, Geschichte, S. 193 ff.; Überblick bei Hattenhauer, Grundlagen, Rdnrn. 361 372. 344 s. schon die zeitgenössische Einschätzung seines Wirkens durch Goldschmidt, Erwerbs- und Wirthschaftsgenossenschaften 1882, S. 5 - 7. 345 Gesetz, betr. die privatrechtliche Stellung der Erwerbs- und Wirthschaftsgenossenschaften v. 4. 7. 1868, BGB\. 1868, S. 415 - 433 (im Anschluß an das preuß. Genossenschaftsgesetz von 1867, Preuß. G.=S. 1867, S. 501 - 515; schon der Name des Gesetzes weist in seiner Beschränkung auf die nichtstaatlichen Verhältnisse auf das dahinter stehende Programm hin). 346 Eine Ausnahme bildet allenfalls Dtto Gierke, in dessen Werken über die "dt. Genossenschaft" die Genossenschaft im gesetzestechnischen Sinne aber auch nur eine untergeordnete Rolle spielt. 342 343
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nossensehaften von jedem staatlichen Einfluß, auch einem nur mittelbaren, freihalten wollte. Dies bedeutete für ihn nicht nur den Verzicht auf staatliche finanzielle Zuschüsse, sondern auch auf das Privileg der Beschränkung der Haftung für Schulden der Genossenschaften auf das Genossenschaftsvermögen, denn dieses konnte seiner Vorstellung nach nur vom staatlichen Gesetzgeber verliehen werden 347 . Daraus erklärt sich Schulzes aus heutiger Sicht nahezu unverständliches striktes Beharren auf einem Strukturmerkmal seiner Genossenschaften: Ihre Kreditgrundlage sollte die zumindest subsidiäre persönliche Solidarhaftung der Genossen für Genossenschaftsschulden sein; öffentlich begründet wurde dies von Schulze damit, daß diese Solidarhaft das Band sei, das den Zusammenhalt der Genossen festige348 . Das Genossenschaftsgesetz von 1868 sah in §§ 12 und 51 demgemäß vor, daß, gegenüber Dritten gemäß § 12 Abs. 2 unabdingbar, jeder Genosse persönlich und mit seinem ganzen Vermögen für alle Genossenschaftsschulden haftete, die nach beendetem Konkurs der Genossenschaft oder Nichteröffnung des Konkurses offen bleiben würden. Dieses zunächst unbestrittene Prinzip Schulzes bedeutete jedoch für die einzelnen Genossen ein derartiges Haftungsrisiko, daß sich nach seiner Festschreibung in einem Bundesgesetz in Genossenschaftskreisen Kritik dagegen erhob. Schulze-Delitzsch konnte seine Ansicht aber zunächst gegen alle Angriffe erfolgreich verteidigen. b) Der Streit um die Solidarhaft der Genossen Goldschmidt war einer der wenigen profilierten Zivilrechtler, der sich, ohne der Genossenschaftsbewegung anzugehören oder ihr auch nur nahezustehen, der rechtsdogmatischen und rechtspolitischen Behandlung von Fragen des Genossenschaftsrechts zuwandte. Erste Gelegenheit dazu erhielt er auf dem 8. Deutschen Juristentag, der 1869 in Heidelberg tagte. Hier war Goldschmidt Berichterstatter349 für eine Resolution, die Heinrich Jaques beantragt hatte. Nach ihr sollte die Gesetzgebung über Erwerbs- und Wirtschafts genossenschaften auf dem Grundsatz obligatorischer Solidar-Bürgschaft der Genossen beruhen. Diesem Antrag trat Goldschmidt350 entgegen, indem er sich nicht nur mit Jaques' Resolution, sondern auch mit den Schriften Schulze-Delitzsch' auseinandersetzte 351 . Goldschmidt erkannte ausdrücklich an, daß die unbeschränkte Haftung als Folge unbeschränkter Verant347 Vgl. Schulze, Die Assoziationen und das bürgerliche Recht 1854, in Thorwart, Schulze-Delitzsch's Schriften, S. 346 - 351; Reden vor dem Preuß. Abgeordnetenhaus am 24. 5. 1865 u. 17. 12. 1866, S. 376 ff., 404 ff. 348 Schulze-Delitzsch, Die Gesetzgebung über die privatrechtliche Stellung der Erwerbsu. Wirthschaftsgenossenschaften mit besonderer Rücksicht auf die Haftpflicht, Berlin 1869, insbes. S. 30 - 42; Auszüge bei Thorwart, Schulze-Delitzsch's Schriften, S. 483 - 502. 349 Referat in der 2. Sitzung der 1. und 2. Abt. am 27.8.1869: Referat 1869, S. 60 -72. 350 In einem "lichtvollen und erschöpfenden Referat": so Ladenburg, Verhandlungen des 8. dt. Juristentages, 2. Bd., Berlin 1870, S. 72. 351 Referat 1869, S. 66 ff.
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wortlichkeit "ein natürliches und sittliches Princip" sei 352 . Er hob aber hervor, daß es in der Frage der Haftung der Genossen nicht, wie bei der Haftung der Gesellschafter einer oHG, um die Haftung für eigenes oder der eigenen Person zurechenbares Verhalten gehe, sondern um die Haftung für das Verhalten Dritter, nämlich der Organe der Genossenschaft, auf das der Haftende keinen unmittelbaren Einfluß habe. Für diese Fälle habe sich schon früh das gegenläufige Prinzip einer Beschränkung der Haftung auf besondere Vermögensmassen ausgebildet 353 , so bei der Haftung des Hausvaters nur mit dem von seinen Gewaltunterworfenen erworbenen Vermögen nach den adjektlzischen Klagen des römischen Rechts 354 , bei der auf Schiff und Fracht beschränkten Reederhaftung in den Fällen des Art. 452 Abs. 1 ADHGB 355 , insbesondere aber bei der Beschränkung der Haftung des stillen Gesellschafters und Aktionärs auf das eingeschossene Kapital. Unbedingtes Merkmal aller dieser Haftungsbeschränkungen sei indessen ihre Publizität. Sie offenbarten sich in der den beteiligten Kreisen bekannten gesetzlichen Regelung oder im Gesellschaftsrecht durch Firmenzusätze wie "mit beschränkter Haftung,,356. Ein zwingendes Strukturmerkmal körperschaftlich organisierter Gesellschaftsformen sei die Beschränkung der Haftung ihrer Mitglieder auf ihre erbrachte oder im Krisenfall zu erbringende Einlage zwar nicht 357 , das Gesetz sollte den Genossenschaften ihre Einführung durch Statut aber ermöglichen, wenn die Bekanntmachung der Haftungsbeschränkung nach außen sichergestellt sei 358 . Eine derartige gesetzliche Regelung entspreche auch den ökonomischen Gegebenheiten, denn fast alle betroffenen Genossenschaften, insbesondere Magazin-, Konsumund Vorschußvereine, verfolgten bestimmte, das heiße beschränkte Zwecke ihrer Mitglieder; entsprechend beschränkt sei der dafür benötigte Kredit. Das Argument, die Solidarhaftung sei als Kreditunterlage unabdingbar notwendig, treffe daher nicht zu 359 , weil "dem beschränkten Zweck im Wesentlichen auch eine nur beschränkte Haftung zu entsprechen" brauche36o . Goldschmidts legislatorische Forderung lautet demnach 361 : Primär solle die Genossenschaft selbst haften. Deshalb müsse das Vorhandensein einer Mindesthaftungssumme vom Gesetzgeber sicherReferat 1869, S. 67. Referat 1869, S. 67 f. 354 s. Kaser, Privatrecht I, § 141, S. 605 ff. 355 "Fortune de mer"; heute modifizierend §§ 485 - 487 e HGB 1986 (Haftungsbeschränkungsübereinkommen 1976). 356 Referat 1869, S. 68 f. 357 Anders Laband, für den die Haftungsbeschränkung Wesensmerkmal der Juristischen Person ist, s. Laband, Beiträge zur Dogmatik der Handelsgesellschaften, in: ZHR 30 (1885), S. 469 - 532; 31 (1885), S. I - 62: "Vereinigungen, bei welchen das objektive Recht die Mitglieder von der Haftung für die zur Erreichung der Gemeinschaftszwecke eingegangenen Verbindlichkeiten befreit, sind juristische Personen" (Teil 1, S. 496 - 503, 503 f.). 358 Referat 1869, S. 69 f. 359 Referat 1869, S. 70. 360 Referat 1869, S. 70. 361 Referat 1869, S. 71. 352 353
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gestellt werden, indem jedes Mitglied einen bestimmten Minimalbetrag unabdingbar in bar in das Genossenschaftsvermögen einzuschießen habe. Die Frage, ob die Mitglieder daneben persönlich haften oder zu Nachschüssen in das Genossenschaftsvermögen verpflichtet sein sollten, solle der Regelung durch die Statuten der Genossenschaft überlassen bleiben. In der anschließenden Diskussion362 , wurden noch einmal die gegensätzlichen Standpunkte Goldschmidts und der Schulze-Delitzsch'schen Richtung diskutiert. Der achte deutsche Juristentag verabschiedete schließlich eine Resolution, in der die gesetzliche Regelung des Genossenschaftsgesetzes von 1868 als "angemessen" bezeichnet wurde; ihr wurde jedoch das ,,zusatzamendement Goldschmidt" angefügt, wonach prinzipiell der Bildung von Genossenschaften mit nur beschränkter Haftpflicht nichts entgegenstehe, sofern nur dafür Sorge getragen werde, daß den Gläubigem ein jederzeit bestimmtes und bekanntes Minimal-Kapital hafte 363 . Schulze-Delitzsch empfand den Beschluß des deutschen Juristentages, so maßvoll er im Hinblick auf seine Vorstellungen war, als Kampfansage und beharrte unnachgiebeig auf seinem Standpunkt364 . So sorgte er insbesondere dafür, daß ein sächsisches Gesetz, das die persönliche Haftung der Genossen ausschloß, durch die Erhebung des Genossenschaftsgesetzes von 1868 zum Reichsgesetz derogiert wurde. Mitte der 70er Jahre bemühte sich Schulze-Delitzsch aus zunächst anderen Gründen um eine Reform des Genossenschaftswesens 365 . Bald schon aber sah er die für ihn nach wie vor sakrosankte Frage der Nichtzulassung von Genossenschaften mit nur beschränkter Haftung in die Diskussion hineingezogen. Zu existenzvernichtenden Inanspruchnahmen von Mitgliedern gescheiterter Genossenschaften war es zwar noch nicht gekommen 366 , aber Schulze verschloß sich der Tatsache, daß das bloße Risiko unbeschränkter persönlicher Haftung jedes einzelnen Genossen der Hemmschuh war, der eine weitere Ausbreitung des Genossenschaftswesens verhinderte. Dies galt um so mehr, als Ende der 70er Jahre zahlreiche Genossenschaften in wirtschaftliche Schwierigkeiten gerieten und aufgeben mußten 367 , so daß die Haftungsfrage akut wurde. Zu Beginn der 80er Jahre kam deshalb die legislative Entwicklung in Fluß 368 . Es hatten sich inzwischen in der Diskussion insbesondere zwei Haftungsmodelle herausgebildet: die Beibehaltung des "Einzelangriffs" der Gläubiger, wie die subVerhandlungen des 8. d1. Juristentages, 2. Bd., Berlin 1870, S. 72 ff. Verhandlungen des 8. d1. Juristentages, 2. Bd., Berlin 1870, S. 92 f., auch bei Thorwart, Schulze-Oelitzsch's Schriften, S. 456 in Fußn.*. 364 Rede vor dem 01. Reichstag am 16.6. 1873, bei Thorwart, Schulze-Oelitzsch's Schriften, S. 453 ff., 456. 365 Schubert, Entstehung des Genossenschaftsgesetzes, S. 23 ff. 366 Auch Goldschmidt, Erwerbs- und Wirthschaftsgenossenschaften 1882, S. 1 ff. weiß davon nichts zu berichten. 367 Hasselmann, Geschichte, S. 224 f., s. auch S. 184 ff. 368 Schubert, Entstehung des Genossenschaftsgesetzes, S. 29 f. 362 363
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sidiäre Haftung der Genossen unmittelbar gegenüber den Genossenschaftsgläubigern genannt wurde, und die Einführung einer bloßen Nachschußpflicht in Form einer unbeschränkten oder auch nur summenmäßig beschränkten Verpflichtung der Genossen, das Genossenschaftsvermögen im Fall von dessen Unzulänglichkeit aufzufüllen; sie sollte in einem als "Umlageverfahren" bezeichneten Verfahren realisiert werden 369 . In dieser Diskussion wurde schon der Ausschluß des Einzelangriffs unter Beibehaltung einer unbeschränkten Nachschußpflicht bisweilen als Modell einer "Haftungsbeschränkung" bezeichnet. Trotz einiger geringfügiger Zugeständnisse hielt Schulze-Delitzsch an seiner Forderung nach Beibehaltung der unbeschränkbaren Solidarhaftung der Genossen fest 37o . Ihrer Verteidigung galt neben anderen Punkten seine letzte Schrift von 1883371 . Insoweit war diese Publikation durchaus eine Streitschrift gegen Goldschmidt, denn ihn hatte Schulze-Delitzsch ganz zutreffend als den herausragenden Vertreter und, was die spezifisch juristische Seite der Frage betraf, Führer der Gegenansicht ausgemachen. Auch nach dem Juristentag von 1869 beobachtete Goldschmidt die weitere Entwicklung des Genossenschaftswesens und -rechts. Mit genossenschaftsrechtlichen Fragen hatte er sich als Mitglied der Reichstags-Kommission zur Beratung der Konkursordnung 1875/76 zu befassen. Aus seinen Äußerungen in dieser Kommission läßt sich eine Haltung herauslesen, die für sein späteres Eintreten für die Beschränkbarkeit der Haftung der Genossen bestimmend wird. Angesichts der Höhe der Schulden, die bei dem Konkurs einer Genossenschaft regelmäßig anfielen, bedeutete die persönliche Inanspruchnahme einzelner Genossen nicht selten, daß über ihr Privatvermögen gleichfalls der Konkurs stattfinden mußte, was für deren persönliche Verhältnisse eine Katastrophe bedeutete. Goldschmidt trat deshalb an mehreren Stellen dafür ein, die Folgen des Konkurses für die persönlichen Verhältnisse des Gemeinschuldners möglichst gering zu halten 373 . Hier bemüht sich Goldschmidt erstmals nachdrücklich um praktikable sozial verträgliche Lösungen für 369 Daneben gab es zahlreiche andere Modelle, so das des Reichstags-Antrags von Mirbach 1881, wonach die Genossen als Bürgen der Genossenschaft den Gläubigem solidarisch haften sollten; es war vermutlich von dem Antrag von Jaques auf dem 8. Dt. Juristentag beeinflußt. 370 Hasselmann, Geschichte, S. 192 ff., 196 ("Verbissenheit"); Eugen von Liebig, Die Genossenschaft mit beschränkter Haftpflicht, München 1892, S. 16 ("in fanatischer Weise"). 371 Schulze-Delitzsch, Material zur Revision des Genossenschaftsgesetzes, Leipzig 1883; Auszüge bei Thorwart" Schulze-Delitzsch's Schriften, S. 507 - 511. 372 Schulze-Delitzsch bei Thorwart, Schulze-Delitzsch's Schriften, S. 507 zu Fußn.** zum "Amendement Goldschmidt" auf dem 8. Dt. Juristentag, S. 508 zu Fußn.* zu Goldschmidts Schrift von 1882. Goldschmidt wurde neben seiner Auseinandersetzung mit Thöl aus eben dieser Zeit hier zum zweiten mal in einer heftig geführten Diskussion zum Gegner einer für die Entwicklung des dt. Rechts im 19. Jahrhundert bedeutsamen Persönlichkeit. 373 So z. B. bei C. Hahn, Materialien KO, S. 581 (Postsperre, heute § 121 KO u. nach wie vor § 99 InsO; S. 588 f., Unterhalt des Gemeinschuldners u. seiner Familie, heute § 129 Abs. 1 KO, anders jetzt § 100 InsO, Entw. InsO S. 143).
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wirtschaftliche Konfliktsituationen. Derartige Überlegungen finden ihren deutlichsten Ausdruck in seinen folgenden Schriften zur Entwicklung des deutschen Genossenschaftswesens. Goldschmidt hatte sich dem Genossenschaftsrecht in seiner vom 15. Oktober 1881 datierten, 1882 veröffentlichten umfangreichen Abhandlung über "Erwerbsund Wirthschaftsgenossenschaften,,374 erneut und vertieft zugewandt. In der Einleitung 375 hebt Goldschmidt den allgemeinen Aspekt in der Entwicklung der deutschen Genossenschaften hervor, der ihn offensichtlich besonders reizte, sich dieses Themas anzunehmen: "Entstanden vor jeder legislativen Regelung" habe sich die Assoziationsform der Genossenschaft in einem ihrer Ausbildung unangemessenen Gesellschaftsrecht mühsam entwickeln müssen und sei "zu voller Entwickelung erst unter der Herrschaft einer angemessenen Gesetzgebung gediehen. Die Bedeutsarnkeit des formellen Rechtsgewandes für die Entfaltung des ethischen und wirthschaftlichen Gehaltes gesellschaftlicher Einrichtungen läßt sich hier in anschaulicher Weise verfolgen. Aber nicht minder klar liegt die Nothwendigkeit am Tage, daß das anwendbare und angewendete Recht stets genau dem inneren Wesen und Zweck des Instituts entspreche,,376. Denn ,,Recht und Zweckmäßigkeit sind ,richtig verstanden' völlig identisch,,377. Goldschmidt sah also in der Entwicklung des Genossenschaftsrechts die gegenwärtig stattfindende Genese eines neuen Rechtsinstituts, an der sich seine Thesen von der Ausbildung der Rechtsinstitute nach den Bedürfnissen der beteiligten Verkehrskreise und die Fortführung ihrer Entwicklung durch eine Gesetzgebung, die diese Bedürfnisse nicht eigentlich gestalte, sondern nur aufdecke und auspräge, belegen ließen. Zugleich aber bezeugt seine Schrift von 1882, daß Goldschmidts Optimismus der 50er Jahre, die "soziale Frage" mit Mitteln des zivilen Gesellschaftsrechts lösen zu können, freilich geschwunden ist; allenfalls zu ihrer Entschärfung könne das Gesellschaftsrecht durch eine weitere angemessene Ausgestaltung des Rechts der Genossenschaften beitragen378 . Nach einem kurzen Blick auf das Genossenschaftsgesetz von 1868 379 wendet Goldschmidt sich seinem eigentlichen Gegenstand zu, nämlich der Neugestaltung 374 ZHR 27, S. 1 - 118,331 f. (Inhaltsverzeichnis). Sie erschien im gleichen Jahr auch als seiten- und umbruchgleicher Sonderdruck, der damit nach dem Handbuch des Handelsrechts und der Schrift über Rechtsstudium und Prüfungsordnung von 1887 Goldschmidts drittumfangreichste Einzelveröffentlichung ist. 375 Erwerbs- und Wirthschaftsgenossenschaften 1882, S. 1 - 6. 376 Erwerbs- und Wirthschaftsgenossenschaften 1882, S. 3. 377 Erwerbs- und Wirthschaftsgenossenschaften 1882, S. 3 in Fußn. 5 unter Hinweis auf Handbuch, 2. Aufl., I, 1874, § 34 und Rudolf von Jhering, Der Zweck im Recht, 1. Bd., Leipzig 1877, S. 517 ("Nach meiner Theorie" - und das sei die "fundamentale Differenz ... zwischen der herrschenden Rechtsauffassung und der meinigen" - "sind Recht und Zweckmässigkeit richtig verstanden völlig identisch"). 378 Erwerbs- und Wirthschaftsgenossenschaften 1882, S. 2 f. 379 Erwerbs- und Wirthschaftsgenossenschaften 1882, S. 8 ff.
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der Haftungsfrage: Er analysiert zunächst das Modell des Umlageverfahrens, wie es der Allgemeine Genossenschaftsverband mit Billigung Schulze-Delitzsch' inzwischen befürwortete38o, und verdeutlicht dabei, daß durch dieses Modell zwar eine unmittelbare Haftung der Genossen gegenüber den Gläubigem ausgeschlossen werde, daß dadurch aber der Kern des Problems nicht getroffen werde. Dieser liege nach wie vor in der letztlich unbeschränkten und damit existenzgefährdenden Haftung jedes Genossen für die Schulden der Genossenschaft, die nur dadurch gemildert werde, daß sie nur gegenüber der Genossenschaft bestehe. Dieses Modell widerspreche deshalb einer allgemeinen Entwicklung, die die Grundlagen der Haftungssysteme des Gesellschaftsrechts in wirtschaftlicher und rechtlicher Hinsicht seit Beginn der Neuzeit genommen hätten. Der Gang dieser Entwicklung führe von der ursprünglich unmittelbaren Selbstverpflichtung aller Gesellschafter in Gesellschaften ohne gesondertes Gesellschaftsvermögen über eine zwar unmittelbare Haftung der Gesellschafter, die aber nur noch neben der Haftung mit dem Gesellschaftsvermögen bestehe, zu einer Haftung, die sich beschränke auf die Erbringung einer summenmäßig bestimmten Einlage in das Gesellschaftsvermögen, das den Gläubigem allein hafte 38l . Dieser auf wirtschaftlichen Prinzipien beruhende Entwicklungsgang sei in den bisherigen gesetzgeberischen Eingriffen und den Vorschlägen, die in der Gegenwart diskutiert würden, nicht immer beachtet worden 382 . Als eigenen Lösungsvorschlag befürwortet Goldschmidt eine summenmäßig beschränkte Haftung der Genossen, die über die Einführung des bloßen Umlageverfahrens hinausgehen müsse. Hier liege der Kernpunkt der Kontroverse zwischen den Reformern des Genossenschaftsrechts und Schulze-Delitzsch 383 , wie sie seit dem achten deutschen Juristentag von 1869 geführt werde 384 . Schulzes Standpunkt sei in Wahrheit eine im wesentlichen nur "rechtsphilosophische Grundlage,,385; angebracht sei dagegen eine ökonomische Betrachtungsweise, wie er sie bereits seinem Referat von 1869 zugrundegelegt habe 386 : "Beschränkten Zwecken haben auch nur beschränkte Mittel (wirthschaftliche wie juristische) zu entsprechen,,387. Das inzwischen angefallene statistische Material bestätige die Richtigkeit dieses Ansatzes 388 . Das ethisch-psychologische Argument, das gemeinsame HaftungsrisiErwerbs- und Wirthschaftsgenossenschaften 1882, S. 26 ff. Erwerbs- und Wirthschaftsgenossenschaften 1882, S. 37 - 45. 382 Detaillierte Darstellung der geschichtlichen Entwicklung der Haftung im dt. Genossenschaftsrecht Erwerbs- und Wirthschaftsgenossenschaften 1882, S. 45 - 69. Dem läßt Goldschmidt S. 86 - 116 eine Darstellung der Haftungssysteme des ausländischen, insbes. des eng!. Rechts folgen (dazu Schubert, Entstehung des Genossenschaftsgesetzes, S. 29 f.). 383 Literatumachweise Erwerbs- u. Wirthschaftsgenossenschaften 1882, S. 75 f. in Fußn. 165. 384 Erwerbs- und Wirthschaftsgenossenschaften 1882, S. 70 - 88. 385 Erwerbs- und Wirthschaftsgenossenschaften 1882, S. 79. 386 Erwerbs- und Wirthschaftsgenossenschaften 1882, S. 79 - 82. 387 Erwerbs- und Wirthschaftsgenossenschaften 1882, S. 81. 388 Erwerbs- und Wirthschaftsgenossenschaften 1882, S. 82 f. 380 381
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ko der Genossen stärke die Verbindung innerhalb der Genossenschaft, habe sich angesichts der dramatischen wirtschaftlichen Entwicklung des Genossenschaftswesens inzwischen in sein Gegenteil verkehrt 389 . Die Abhandlung schließt mit konkreten Vorschlägen für eine gesetzliche Neuregelung des Genossenschaftsrechts, deren Strukturmerkmale Umlageverfahren, summenmäßige Beschränkung der Haftung der Genossen, Sicherstellung eines Mindesthaftungsvermögens der Genossenschaft und volle Publizität der Haftungsverhältnisse sein sollten39o . Goldschmidts Abhandlung erregte großes Aufsehen. In den von Schulze-Delitzsch beherrschten Genossenschaftskreisen fand sie, wie zu erwarten, überwiegend Ablehnung, insbesondere die Schulze-Delitzsch' selbst391 . Lebhafte Zustimmung fand sie dagegen in einer ausführlichen Rezension von Otto Gierke, der sich Goldschmidts Ausführungen vorbehaltlos anschloß 392 . c) Die Sachverständigenkommission von 1887 und das Genossenschaftsgesetz von 1889 Der eigentliche politische Anlaß des verstärkten Interesses am Genossenschaftsrecht, ein Gesetzesantrag, den von Mirbach im Reichstag eingebracht hatte 393 , wurde unterdessen im Hinblick auf die bevorstehende Reform des gesamten Genossenschaftsrechts zunächst nicht weiter verfolgt. Den jetzt in Wissenschaft und Publizistik geführten Streit beendete dies aber nicht 394 . Auch die Arbeiten in den beteiligten Ministerien an dem Entwurf eines neuen Genossenschaftsgesetzes gingen weiter395 . Sie führten zu einem Entwurf von 1887 396 . Dieser sah die Einrichtung von Genossenschaften mit beschränkter Haftpflicht (§ 2) und die Realisierung der Haftung durch ein Umlageverfahren (§§ 94 ff.) vor, während für den Ausfall
Erwerbs- und Wirthschaftsgenossenschaften 1882, S. 84 - 86. Erwerbs- und Wirthschaftsgenossenschaften 1882, S. 111 ff. 391 Schulze-Delitzsch, Material zur Revision des Genossenschaftsgesetzes, Leipzig 1883; Auszüge bei Thorwart" Schulze-Delitzsch's Schriften, S. 507 - 511. 392 Otto Gierke, (Besprechung von) L. Goldschmied (sie), Erwerbs- u. Wirthschaftsgenossensehaften, 1882, in: Krit. Vjs. f. Gesetzgebung u. Rechtswiss. 24 (1882), S. 385 - 400, insbes. S. 398 ff.; s. auch Gierke, Genossenschaftstheorie, S. 42 - 44 u. 301 - 305. Allerdings kritisierte er vom Standpunkt seiner willensbetonten "Genossenschaftstheorie" aus Goldschmidts pragmatische Anschauung, daß die Eigenschaft einer Assoziation als juristische Person sich nach ihrer gesetzlichen Ausgestaltung, insbesondere der Zuerkennung eigener Rechte und Pflichten bestimme: Krit. Vjs. f. Gesetzgebung u. Rechtswiss. 24, S. 388 f. gegen Erwerbs- und Wirthschaftsgenossenschaften 1882, S. 10 ff. 393 Dazu Erwerbs- und Wirthschaftsgenossenschaften 1882, S. 70 ff. 394 s. Schubert, Entstehung des Genossenschaftsgesetzes, S. 29 ff. 395 Schubert, Entstehung des Genossenschaftsgesetzes, S. 30 ff. 396 Entwurf des Reichsjustizamtes von 1887 zu einem GenG, abgedruckt in: 100 Jahre Genossenschaftsgesetz, S. 119 - 140. 389
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im Konkurs der Einzelangriff der Gläubiger beibehalten werden sollte (§§ 110 f., 121). Zur Begutachtung des Entwurfes wurde im November397 1887 die eingangs erwähnte Sachverständigenkommission einberufen. Diese tagte in nur vier Sitzungen vom 15. bis 19. November 1887 in Berlin398 . Es wurde konzentriert, zügig und sachlich verhandelt, wobei es zu zahlreichen Detailänderungen, aber nicht zu grundlegenden Eingriffen in den Entwurf kam399 . Obwohl mit Goldschmidt, Schenck als Nachfolger Schulze-Delitzsch' im Amt des Genossenschaftsanwalts und von Mirbach drei exponierte Verfechter verschiedener Haftungssysteme vertreten waren, nahm die Diskussion der Haftungsfrage in den Beratungen einen erstaunlich geringen Raum ein. Immerhin wandte sich Goldschmidt in einem umfangreichen Antrag in der vierten Sitzung gegen die Zulassung des Einzelangriffs 4OO : "Die direkte Haftung ... habe gerade diejenigen schweren Gefahren zur Folge, welche bei dem Zusammenbruche der Genossenschaften wiederholt zu den verderblichsten Erscheinungen geführt habe. Diese Beseitigung derselben ... scheine ihm geradezu eine soziale Nothwendigkeit,,401. Allenfalls als Druckmittel gegen den in Verzug befindlichen Genossen sei der Einzelangriff hinzunehmen. Goldschmidts Antrag wurde mit 7 gegen 4 Stimmen abgelehnt402 . Es [,mt indessen auf, daß außer dem Sachverständigen Kirchatz, der die landwirtschaftlichen Genossenschaften vertrat, auch Proebst und Glackemeyer für den Antrag stimmten, denn diese beiden Sachverständigen standen der Schulze-Delitzsch'schen Genossenschaftsbewegung nahe403 . Im Reichstag ging der Streit um das Haftungssystem gleichsam in die nächste Runde404 . Die Gegner des Einzelangriffs erhielten für ihre Position hier eine Unterstützung durch die Petitionen von nicht weniger als 1157 Genossenschaften. Sie setzten sich dafür ein, "daß der Einzelangriff der Gläubiger gegen die Genossen 397 Die Angabe Dezember in 100 Jahre Genossenschaftsgesetz S. IX u. 141 beruht wohl auf einem Versehen. 398 Schubert, Entstehung des Genossenschaftsgesetzes, S. 32 - 35; die Protokolle, hrsg. v. Schubert, sind abgedruckt in: 100 Jahre Genossenschaftsgesetz S. 141 - 151. 399 Schubert, Entstehung des Genossenschaftsgesetzes, S. 35. Auf einem Vorschlag Goldschrnidts (Wortmeldungen 1887, S. 142) beruht es, daß bei den abschließenden ministeriellen Beratungen (100 Jahre Genossenschaftsgesetz S. 153 ff., 154) das Wort "Gesellschaftsvertrag" durchgehend durch "Statut" ersetzt (GenG 1889 §§ 5 ff.) u. damit klargestellt wurde, daß die Genossenschaft eine Juristische Person sei; der Begriff ist bis heute beibehalten worden, wogegen bei Verein und Aktiengesellschaft (§ 25 BGB, § 23 AktG 1965) heute "Satzung" benutzt wird. 400 Wortmeldungen 1887, S. 148 f. 401 Wortmeldungen 1887, S. 149. 402 Wortmeldungen 1887, S. 149. 403 So jedenfalls die Angabe von Schubert, Entstehung des Genossenschaftsgesetzes, S. 34. 404 zum Entwurf im Reichstag s. Schubert, Entstehung des Genossenschaftsgesetzes, S. 38 - 42.
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beseitigt", dafür aber auch ausgeschiedene Genossen in einem Nachschußverfahren für die Verbindlichkeiten mit herangezogen würden, die bei ihrem Austritt schon vorhanden waren 405 • Urheber der meisten dieser gleichlautenden Petitionen war der Anwalt Franz Werner406 . Den Petitionen lag als Anlage eine ausführliche Begründung bei. Dabei handelte es sich um eine Schrift Goldschmidts, die 1888 unter dem Titel "Die Haftpflicht der Genossen und das Umlageverfahren,,407 auch im Buchhandel erschien. Dem Zweck der Schrift entsprechend, unmittelbar auf das Gesetzgebungsverfahren im Reichstag Einfluß zu nehmen, legt Goldschmidt das Schwergewicht seiner Ausführungen allein auf den rechtspolitischen Aspekt. Für die Entscheidung über das richtige Haftungsmodell seien "in erster Linie Erwägungen der Zweckmäßigkeit oder wirthschaftlichen Nothwendigkeit maßgebend; die sog. ,juristische Konsequenz', wenngleich sicherlich zu erstreben, und die Anforderungen sog. ,juristischer Konstruktion' stehen dabei überall in zweiter Linie,,408, denn "was man ,juristische Prinzipien' nennt, ist nichts von selbst Gegebenes und für alle Zeit Feststehendes, sondern aus dem jeder Zeit geltenden Recht entnommen, und modifizirt sich mit dessen Aenderung. Denn alles Recht ist nicht um seiner selbst willen da, sondern um vernünftigen socialen Zwecken zu dienen, es soll die vernünftige, d. h. dem Wesen, der Natur dieser sozialen Lebensverhältnisse entsprechende Ordnung sein,,409. Ohnehin aber entspreche seine Auffassung auch den richtig verstandenen Prinzipien des deutschen Genossenschaftsrechts 41O . In der Begründung der einzelnen Forderungen berücksichtigt Goldschmidt den aktuellen Stand der Diskussion und bringt neben den alten Argumenten eine Fülle ganz konkreter Fallbeispiele, in denen die existenzbedrohenden Folgen der vorgesehenen Regelung des Entwurfes auf die in Anspruch genommenen Genossen auch dem juristischen Laien anschaulich vor Augen geführt werden. Die Wirkung dieser Schrift war überaus groß. In ihr hatte Goldschmidt, exponierter Vertreter liberalistischer Vorstellungen im wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bereich und frei von jeder Anwandlung von Kathedersozialismus, sich in so deutlicher und nachdrücklicher Form hinter die Interessen der kleineren Genossenschaften gestellt, daß seine Stimme nicht überhört werden konnte. Sie sicherte ihm zudem die fachliche Unterstützung seiner Kollegen, von denen beson405 RT-Drs., 7. Legislatur-Periode, 4. Session 1888/89, 2. Bd., Nr. 54: 3. Verzeichnis der eingegangenen Petitionen, unter D.VII: Journal 11 Nm. 3540, 3553, 3601 - 4620 (Petitionen Franz Wemer), 4633; weitere ebenda Nm. 39, 63, 103, 120 (Journal 11 Nm. 2404, 5052, 5785 f., 6429 - 6552, 8314) u.Ö. 406 s. Parisius, Haftpflicht S. 1, 18. 407 Auch in Verrn. Sehr. 11, S. 351 - 395. - Einleitung S. 3 ff.; I. Einzelangriff der Genossenschaftsgläubiger S. 7 ff.; 11. Heranziehung ausgeschiedener Genossen zum Umlageverfahren S. 26 ff., vgl. dazu §§ 122 GenG 1889, §§ 128 f. GenG 1898, §§ 115 b, c GenG 1933. 408 Haftpflicht 1888, S. 4. 409 Haftpflicht 1888, S. 4. 410 Haftpflicht 1888, S. 5.
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ders Gierke zu nennen ist. Publizistisch verschaffte sich Goldschmidt breites Gehör über die Genossenschaftskreise hinaus durch einen zweiteiligen Artikel im "Deutschen Wochenblatt,,411. Von seiten des Genossenschaftsverbandes brachten Goldschmidts Schriften ihm eine fast schon wütend zu nennende Erwiderung ein: Ludolf Parisius, bewährter Kommentator des Genossenschaftsgesetzes, veröffentlichte 1889 mit "Die Haftpflicht der Genossen und das Umlageverfahren" eine "Entgegnung auf die unter gleichem Titel erschienene Schrift des Herrn Professor Dr. Goldschmidt". Sie war freilich wirklich nur eine Entgegnung, keine Widerlegung 412 . Unter dem Druck der unterschiedlichen Interessen drohte der Gesetzentwurf im Reichstag zu scheitem 413 . Schließlich gelang es den Hauptvertretem der verschiedenen Haftungssysteme jedoch, sich auf einen Komprorniß zu einigen 414 . Danach sollte es nunmehr drei verschiedene Arten von Genossenschaften geben: die eingetragenen Genossenschaften mit unbeschränkter Haftpflicht, das heißt unbeschränkter Haftung der Genossen unmittelbar gegenüber den Genossenschaftsgläubigem, die eingetragene Genossenschaft mit unbeschränkter Nachschußpflicht und schließlich die eingetragene Genossenschaft mit beschränkter Haftpflicht, das heißt mit summenmäßiger Beschränkung der Haftung der Genossen zunächst in einem Umlageverfahren der Genossenschaft gegenüber, subsidiär ebenso beschränkt unmittelbar gegenüber den Genossenschaftsgläubigem. Der betreffende Antrag wurde jetzt erstaunlich schnell von der Reichstagskommission als § 2 Nm. 1 - 3 in den Entwurf eingearbeitet415 . Damit war der Entwurf insgesamt konsensfähig und passierte den Reichstag am 1. Mai 1889. Das Genossenschaftsgesetz von 1889 ist in der Fassung von 1898 das noch heute geltende Genossenschaftsgesetz; allerdings sollte es gerade im Hinblick auf die Haftungsfrage noch einige bedeutsame Änderungen erfahren.
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Entwurf 1888, darin zur Frage der Haftpflicht S. 422 ff. Der Artikel ist datiert 15. 11.
412 Immerhin gelingt Parisius S. 18 ff. der Nachweis einer Diskrepanz zwischen Goldschmidts Begründung in Haftpflicht 1888, S. 26 ff. und dem 2. Antrag der Petitionen; eine Erwiderung von F. Werner ist nachgewiesen bei Goldschmidt, Erwerbs- und Wirthschaftsgenossenschaften 1890, S. 28 in Fußn. 5. 413 s. noch die heftige Debatte vor dem Plenum bei der 2. Lesung: StB, 7. Legislatur-Periode, 4. Session, Bd. 2, S. 1019 ff. (insbesondere Baumbach und Enneccerus); s. auch Goldschmidt, Entwurf 1888, S. 149 f. 414 Anträge der Kommissionsmitglieder, in: 100 Jahre Genossenschaftsgesetz S. 343 364, 362 ff. (Antrag Nr. 47). 415 s. den Bericht der VII. Kommission (Verfasser von Rheinbaben), in RT-Drs., 7. Legislatur-Periode, 4. Session 1888/89, Nr. 132, S. 49 ff.
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d) Die weitere Entwicklung Mit dem Genossenschaftsgesetz von 1889 waren alle Beteiligten zufrieden, sowohl die Vertreter des Genossenschaftsverbandes 416 als auch Goldschmidt, der es in einer Abhandlung in der ZHR und einem kleineren Aufsatz im "Deutschen Wochenblatt" würdigte417 . Die Forderung nach einer gänzlichen Abschaffung des Einzelangriffs erhielt Goldschmidt jedoch aufrecht418 . Dennoch sah er das Gesetz als einen Schritt in die richtige Richtung und sagte dem Modell Schulze-Delitzsch' aus § 2 Nr. I GenG 1889 den baldigen Untergang voraus, da dafür kein praktisches Bedürfnis mehr bestehe 419 . Unter dem neuen Genossenschaftsgesetz gelang es dem deutschen Genossenschaftswesen tatsächlich, seine Krise der vergangenen Jahre zu überwinden. Es konnte nicht allein das Schwinden der Genossenschaften der alten Form aufhalten, es kam auch zu zahlreichen Neugründungen. Dieser Aufschwung beruhte auf der Zulassung von Genossenschaften mit beschränkter Haftung durch den Gesetzgeber42o . Die weitaus größte Zahl von Neugründungen erfolgte in der neuen Form der eingetragenen Genossenschaft mit beschränkter Haftpflicht; die Genossenschaft mit unbeschränkter Nachschußpflicht vermochte sich dagegen nicht so recht durchzusetzen 421 . Daß der Gesetzgeber sich zu diesem Schritt entschlossen hatte, wurde allgemein, sowohl von den Befürwortern dieser Entwicklung als auch von ihren Gegnern, als das Ergebnis besonders des großen Einsatzes von Goldschmidt angesehen: Die ,,zulassung von Genossenschaften mit beschränkter Haftpflicht ist mit Goldschmidt's Namen auf's Engste verknüpft,,422, denn Goldschmidt habe sich für dieses Ziel "mit eminent praktischem Blick" und "mit großer Kraft des Wortes und der Schrift" eingesetzt423 . Tatsächlich ist die amtliche Begründung der Reichstags416 s. insbes. Hans Crüger, Die Zulassung von Genossenschaften mit beschränkter Haftpflicht, in: AöR 9 (1894), S. 389 - 455,389 ff. mit Wiedergabe der vertretenen Standpunkte. 417 Erwerbs- und Wirthschaftsgenossenschaften 1890; Genossenschaftsgesetz 1889. 418 Erwerbs- und Wirthschaftsgenossenschaften 1890, S. 28 - 31, 39 - 41; Genossenschaftsgesetz 1889, S. 150. 419 Erwerbs- und Wirthschaftsgenossenschaften 1890, S. 29. 420 So die allgemeine Einschätzung: A. Petersilie (Hrsg.), Die Entwicklung der eingetragenen Genossenschaften in Preussen während des letzten Jahrzehnts, Berlin 1906, S. 17* f.; Hasselmann, Geschichte S. 240 ff.; Faust, Geschichte S. 274; zweifelnd Crüger, AöR 9 (1894), S. 448 f. 421 Genaue Zahlen und dezidierte Analyse für Preußen bei Petersilie, Entwicklung S. 1* f. 422 Crüger, AöR 9 (1894), S. 413, der freilich Schulze gegen Goldschmidts Kritiken S. 413 ff., 432 ff. immer wieder in Schutz zu nehmen versucht und bezeichnenderweise Goldschmidts Schrift von 1888 ganz verschweigt. 423 Eugen von Liebig, Die Genossenschaft mit beschränkter Haftpflicht, 1892, S. 18 ff., 18; zuletzt wohl Fritz Citron, Das Reichsgesetz betreffend die Erwerbs- u. Wirtschafts-Genossenschaften, Kommentar, begründet von L. Parisius und H. Crüger, 12. Aufl., Berlin 1932, S. 14 ff., 16. Spätere Autoren erwähnen Goldschmidt nicht mehr, nachdem in den 30er
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vorlage an der entscheidenden Stelle424 in engster Anlehung an Goldschmidts Ausführungen von 1882 abgefaßt. Es war freilich nicht allein Goldschmidts Einsatz, der der Genossenschaft mit beschränkter Haftpflicht den Weg gebahnt hat. Wie so oft hatte er auch hier nur Gedanken artikuliert, die bereits vorhanden waren, aber bisher noch keinen Vertreter gefunden hatten, der sich ihnen auf fundierter juristischer Grundlage angenommen hätte. Die weitere Entwicklung nahm ihren Gang denn auch, wenn auch mit zeitlicher Verzögerung, weiterhin in diese Richtung. Während das Haftungssystem des Genossenschaftsgesetzes durch Art. 13 EG HGB 1897 noch unverändert blieb425 , wurde durch das Gesetz zur Änderung des Genossenschaftsgesetzes vom 20. Dezember 1933 426 der Einzelangriff völlig beseitigt und die Genossenschaft mit unbeschränkter Haftpflicht zur Genossenschaft mit unbeschränkter Nachschußpflicht und die Genossenschaft mit beschränkter Haftpflicht zur Genossenschaft mit summenmäßig beschränkter Haftpflicht, die fortan jeweils nur noch gegenüber der Genossenschaft bestand427 . Erst mit dieser Regelung war Goldschmidts Forderungen vollständig genügt. Nach der Novelle von 1973 schließlich kann das Statut einer Genossenschaft von einer Nachschußpflicht sogar ganz absehen 428 ; es ist nicht einmal mehr zulässig, daß im Namen der Genossenschaft ein Hinweis auf die Haftungsbeschränkung enthalten ist429 . Denn, so die amtliche Begründung430 , die Nachschußpflicht der Genossen sei kein Wesensmerkmal der Genossenschaft und sie habe heute für die Genossenschaftsgläubiger auch keine besondere wirtschaftliche Bedeutung mehr431 . Die 1889 eingeführte formelle Einteilung der GenossenJahren sein Name aus allen genossenschaftsrechtlichen Publikationen entfernt worden war: s. z. B. Faust, Geschichte S. 274; Hasselmann, Geschichte S. 229 ff. 424 RT-Drs., 7. Legislatur-Periode, 4. Session, 1888/89, I. Bd., Nr. 28, S. 200 f. (auch in 100 Jahre Genossenschaftsgesetz S. 209 ff., 227 f.) entspricht Goldschmidt, Erwerbs- und Wirthschaftsgenossenschaften 1882, S. 84 ff.; genannt wird diese Abhandlung in der Begründung allerdings nicht. 425 § 2 GenG 1897. 426 Ein auf Grundlage des Ermächtigungsgesetzes von der Reichsregierung beschlossenes Gesetz. 427 § 2 GenG 1933; dazu W. Granzow (Hrsg.), Das Recht der dt. Genossenschaft, Tübingen 1940, S. 103 ff. 428 §§ 2,6 Nr. 3, 105 Abs. I letzter Halbsatz GenG 1973. 429 § 3 Abs. 3 GenG 1973. 430 Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes betreffend die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften (Gesetzentwurf der Bundesregierung), in: BT-Drs., 7. Wahlperiode, 1973, Drucksache 7/97 v. 5. 2. 1973, S. 17 (s. auch Drucksache 7/659 v. I. 6. 1973 - Bericht des Rechtsausschusses -, S. 5); zur Diskussion, die die Novelle vorbereitete, s. Hermann Schulze-von Lasaulx, Die Genossenschaft ohne Haftpflicht, in: Zs. für das gesamte Genossenschaftswesen, Bd. 5, Göttingen 1955, S. 176 - 199, insbes. S. 178 - 189. 431 Zur rechtlichen Bedeutung der Nachschußpflicht vgl. die Entscheidung BGHZ 41, S. 71 - 79, wonach der Beitritt eines MindeIjährigen zu einer Genossenschaft mit beschränkter Nachschußpflicht nicht der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung nach § 1822 Nr. 10 BGB bedürfen soll u. in der die Haftungsfragen noch einmal diskutiert werden.
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schaften in verschiedene Typen ist damit beseitigt. Damit ist die von Goldschmidt schon 1882 als äußerste Form der Haftungsbeschränkung auch bei Genossenschaften für möglich gehaltene Beschränkung der Haftung auf die erbrachte Einlage des Genossen erreicht432 .
4. Grundfragen des Gesellschaftsrechts a) Grundlagen der Gesellschaftsformen Goldschmidt hat, da sein Handbuch des Handelsrechts unvollendet blieb, keine systematische Gesamtdarstellung des Gesellschaftsrechts geschaffen433 . Er hat sich über die Grundprinzipien des Gesellschaftsrechts aber im Hinblick auf die Kreditund Haftungsfragen in seinen Schriften zum Genossenschaftsrecht geäußert434 ; einen kurzen Überblick über die einzelnen Gesellschaftsformen435 und die Grundstrukturen des Gesellschaftsrechts gibt er in seinem "System des Handelsrechts im Grundriß,,436: Ein gemeinsames Strukturprinzip des Gesellschaftsrechts, das allen Formen der Handelsgesellschaften einheitlich zugrundeläge, gebe es nicht437 . Vielmehr beruhten alle Gesellschaftsformen auf jeweils eigentümlichen Abwandlungen zweier nicht fest umrissener, sondern nur typologisch vorgegebener Grundformen. Diese Grundformen seien die "Korporation", die normalerweise auf einen unbestimmten, wechselnden Personenkreis angelegt sei, und die "Societät", die sich für einen begrenzten Kreis individuell bestimmter Personen ausgebildet habe438 . Die gemeinsamen Rechtssätze, die für alle Gesellschaftsformen gälten, so insbesondere die Führung einer eigenen Firma, die Konkursfähigkeit aller Handelsgesellschaften, die Möglichkeit einheitlichen Auftretens nach außen, seien allein ein Produkt der 432 Goldschmidt, Erwerbs- und Wirthschaftsgenossenschaften 1882, S. 43 - 45; auch aus Publizitätsgründen hätte Goldschmidt gegen die heutige Regelung keine Einwände gehabt, da der Ausschluß jeder Nachschußpflicht als Normalfall angesehen werden kann u. das Bestehen einer Nachschußpflicht nach dem Statut der Genossenschaft eine Besserstellung der Gläubiger darstellt, auf die sie nicht besonders hingewiesen werden müssen. 433 Der Art. "Handelsgesellschaften" im Handwörterbuch der Staatswissenschaften, Bd. 4, Jena 1892, S. 285 - 304, den Pappenheim, Literaturverzeichnis S. 22 Nr. 297 Goldschmidt zuschreibt, stammt von Laband, der hier u. in den folgenden Auflagen seine .. Beiträge zur Dogmatik der Handelsgesellschaften" aus ZHR 30 u. 31 (1885), S. 469 - 532 bzw. 1 - 62 zusammenfaßte, deren Ansatz Goldschmidt nicht teilte: System, 4. Aufl., 1892, S. 132. 434 Insbes. Erwerbs- und Wirthschaftsgenossenschaften 1882, S. 37 ff. 435 System, 4. Aufl., 1892, §§ 59 ff. (Aktiengesellschaft), 63 - 65 (Kommanditgesellschaft auf Aktien), 69 (Gegenseitigkeitsgesellschaft, darin auch zu den öffentlich-rechtli«hen Korporationen der neuen Sozialgesetzgebung), 70 (Gelegenheitsgesellschaft (Konsortium)). 436 System, 4. Aufl., 1892, § 42 (Allgemeines über die Handelsgesellschaft im engeren Sinne), S. 129 - 134. 437 System, 4. Aufl., 1892, S. 130 f., 130. 438 System, 4. Aufl., 1892, S. 132 f., 132.
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abstrahierenden Betrachtung durch die Rechtswissenschaft unter dem Einfluß der neueren italienischen und französischen Praxis und Gesetzgebung 439 • Diese fehlende Einheit des Gesellschaftsrechts sieht Goldschmidt keineswegs als einen Zustand an, der überwunden werden müsse, da er sie für historisch begründet hält. Das wird deutlich in seiner Darstellung des Gesellschaftsrechts im institutionengeschichtlichen Teil seiner Universalgeschichte des Handelsrechts 44o . Goldschmidt stellt hier mit der commenda, der offenen Handelsgesellschaft (compagnia) und den Urformen der Aktiengesellschaft (besonders maona) drei Hauptformen mittelalterlicher Handelsgesellschaften dar und kommt zu dem Ergebnis, daß jede von ihnen unabhängig von den anderen entstanden sei. Der Ursprung der ersten liege im Seerecht441 , der der zweiten im erst handwer~ichen, dann fabrikmäßigen Industriebetrieb442 und der der dritten im System der indirekten Abgabenerhebung durch Verbindung von verzinslichen Anleihen mit der Abgabenpacht443 . Erst in ihrer späteren Entwicklung hätten sie sich gegenseitig beeinflußt, wie etwa Kommanditengesellschaft und offene Handelsgesellschaft444 . Die Kernthese von Goldschmidts systematischer und historischer Betrachtung des Gesellschaftsrechts geht demnach dahin, daß die Regelung der Rechtsverhältnisse, sowohl Innen- als auch Außenverhältnis, für jede Gesellschaftsform nicht aus übergeordneten gesellschaftsrechtlichen Prinzipien dogmatischer Art gewonnen werden dürfe, sondern jeweils der eigentümlichen Natur jeder Gesellschaftsform entnommen werden müsse. Dieser Ansatz prägt auch ganz maßgeblich seine rechtspolitischen Äußerungen auf diesem Gebiet. Deren letzte ist seine Kritik445 an der beabsichtigten Schaffung einer neuen Gesellschaftsart "aus der Retorte des Gesetzgebers..446 , nämlich der Gesellschaft mit beschränkter Haftung 1892447 ; Goldschmidt bemängelte, daß der Gesetzentwurf nicht dem Prinzip entspreche, daß treibendes Element der Ausbildung neuer GeSystem, 4. Aufl., 1892, S. 133. Universalgeschichte 1891, § 9 III, S. 254 - 298. 441 Universalgeschichte 1891, S. 255 ff. 442 Universalgeschichte 1891, S. 271 ff. 443 Universalgeschichte 1891, S. 290 ff. 444 s. insbes. Universalgeschichte 1891, S. 254. 445 Sein Vortrag "Alte und neue Formen der Handelsgesellschaft" wurde als Broschüre 1892 veröffentlicht (auch in Verm. Sehr. 11, S. 321 - 349). 446 Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht S. 639 u. § 33 11 1, S. 819 f. 447 Der Gesetzentwurf, der von den Reichstagsabgeordneten Hammacher u. Oechelhäuser stammte (RT-Drs., 8. Legislaturperiode,!. Session 1890/92, Nr. 744, Anlage; dazu Goldschmidt, Formen 1892, S. 17 - 27), hatte in der Wissenschaft eine eingehende Kritik nur durch Otto Bähr (Gesellschaften mit beschränkter Haftung, in: Die Grenzboten, Zs. für Politik, Literatur und Kunst, 51. Jg., 1. Vierteljahr, Leipzig 1892, S. 210 - 226) erfahren; Bährs grundsätzliche Ablehnung (sein Fazit S. 226: " ... nichts zerstört den Glauben an das Recht mehr, als wenn das Gesetz selbst in handgreiflicher Weise die Mittel darbietet, Mißbrauch damit zu treiben") teilt Goldschmidt zwar nicht uneingeschränkt (Formen 1892, S. 21, 31 33), er folgt jedoch Bährs Kritik in wesentlichen Punkten. 439 440
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sellschaftsformen die jeweilige Angemessenheit der vorhandenen Gesellschaftsformen für die Zwecke sei, die unter den gegebenen ökonomischen Verhältnissen verfolgt werden sollten 448 • Die Verschmelzung von personen- und kapitalgesellschaftlichen Elementen im Entwurf sei mißglückt, da eine Beschränkung der Haftung der Gesellschafter nur angemessen sei, wenn sie das Korrelat dafür bilde, daß der Haftende keinen Einfluß auf die für ihn von fremden Verwaltern geführten Geschäfte habe. Eine solche Struktur weise die GmbH aber nicht aut«9. Außerdem liege ein innerer Wiederspruch darin, daß die GmbH zwar Kaufmann kraft Rechtsform sein solle, andererseits aber zu jedem beliebigen Gesellschaftszweck gegründet werden könne 45o . Hier scheint Goldschmidt einige seiner früheren Auffassungen zurückzunehmen: Statt die Selbständigkeit aller Gesellschaftsformen zu betonen, bemängelt er jetzt die mangelnde systematische Eingliederung der GmbH in die Theorie der Juristischen Person451 ; und während er in seinen Schriften zum Genossenschaftsrecht für Haftungsbeschränkung und gegen Nachschußpflicht eingetreten ist, vertritt er hier ein gegenteiliges Konzept452 . Dies beruht aber darauf, daß Goldschmidt auch hier seine Ergebnisse nicht aus als vorgegeben angenommenen Grundsätzen des Gesellschaftsrechts ableitet, sondern aus vornehmlich ökonomisch- und sozial-bedürfnisorientierten Erwägungen. Er sieht die Gefahr, daß die in ihren Vorzügen und Nachteilen bekannten und bewährten Gesellschaftsformen durch die GmbH verdrängt werden könnten453 und daß nicht- oder minderkaufmännischen Unternehmungen, denen Art. 10 ADHGB 454 auch aus sozialen Schutzgründen die Kaufmannseigenschaft absprach, durch die Wahl der Rechtsform einer GmbH zu Vollkaufleuten sollten werden können455 . Die in. seinen Schriften zum Genossenschaftsrecht angestellten Erwägungen zur Haftungsfrage treffen nach Goldschmidts Ansicht auf die GmbH gerade nicht ZU 456 , da die Geschäfte der GmbH dem Einfluß ihrer Gesellschafter nicht weitgehend entzogen seien und ein soziales Bedürfnis, eine "Exemtion von der unbeschränkten Haftung für alle Bevölkerungsklassen zu begünstigen,,457, nicht bestehe458 . Da die Gesetzgebungsarbeiten zur Zeit von Goldschmidts Vortrag bereits abgeschlossen waren459, konnte seine Kritik sie nicht mehr beeinflussen. Sie war, wie Formen 1892, S. 4 - 17. Formen 1892, S. 27 - 31. 450 Formen 1892, S. 36 - 39. 451 Formen 1892, S. 31 - 35 u. 39 - 41. 452 Formen 1892, S. 41 - 43. 453 Formen 1892, S. 22. 454 § 4 HGB 1897. 455 Formen 1892, S. 37 - 39. 456 Formen 1892, S. 16 Fußn. 22, u. insbes. S. 22 f., 38 f. Tatsächlich verkehrt die GmbH, indem sie die Verfolgung unbeschränkter Zwecke mit nur beschränktem Kredit ermöglicht, den von Goldschmidt schon in Referat 1869, S. 70 aufgestellten Grundsatz in sein Gegenteil. 457 Formen 1892, S. 39. 458 V gl. auch Riesser S. 35 f. 448 449
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die weitere Entwicklung zeigt, nicht unberechtigt46o . Die Einführung der GmbH hat das Gefüge des deutschen Gesellschaftsrechts in damals nicht vorhergesehener Weise verändert, und die zahlreichen Novellierungsversuche, die nur teilweise zu Änderungen geführt haben, zeugen davon, daß der Gesetzgeber seinerzeit manches Problem übersehen hat. Insoweit ist das GmbH-Gesetz von 1892 ein Beleg für den schwindenden Einfluß der Rechtswissenschaft auf die Gesetzgebung auch in Bereichen, die zu einem großen Teil durch originär juristische Techniken bestimmt sind. Auch Goldschmidts Vortrag über "Alte und neue Formen der Handelsgesellschaft" markiert damit, wie viele seiner Werke, einen Wendepunkt in der Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft.
b) Der "Mehrheitsverband" Die interessanteste Überlegung Goldschmidts zur Struktur von Personenverbänden findet sich überraschenderweise in seinen seerechtlichen Untersuchungen über "Lex Rhodia und Agermanament" von 1889. Goldschmidt wird hier über seine Entdeckung, daß das katalanische Agermanament eine, wenn auch eigentümliche, Gesellschaftsform sei, zu einem vier Seiten umfassenden Exkurs geführt461 , der mit dem Vorhergehenden wie Nachfolgenden nur lose zusammenhängt. In ihm bringt Goldschmidt einen frappierend aktuellen Gedanken zum Ausdruck. Er untersucht hier den "Mehrheitsverband", ein Institut, das als erster Ernst Immanuel Bekker462 aufgezeigt und es definiert hatte als "eine solche Vereinigung von berechtigten Personen, bei der die durch die Majorität herzustellenden Beschlüsse der Gesammtheit für die Rechtsübung der Einzelnen mehr oder weniger maßgebend sind,,463. Bekker hatte zunächst versucht, auf Grundlage seiner Entdeckung die ganze Theorie des Gesellschaftsrechts, insbesondere die Einteilung in Juristische Personen und Personengesellschaften zu überwinden und neu zu fundieren. Als er erkannte, daß dies nicht möglich sei 464 , ließ er seinen Ansatz völlig fallen, ohne die fruchtbaren Gedanken, die er in sich trug, weiter zu verfolgen 465 .
459 Fonnen 1892, Nachwort S. 43: Die 2. Lesung des Gesetzentwurfes fand am 19. 3. 1892, dem Tag von Goldschmidts Vortrag statt, und das Gesetz wurde hier, wie auch bei der 3. Lesung am 21. 3. 1892, en bloc angenommen. 460 s. Werner Schubert, Das GmbH-Gesetz von 1892, in: Marcus Lutter/Peter Ulmerl Wolfgang Zöllner (Hrsg.), Festschrift 100 Jahre GmbH-Gesetz, Köln 1992, S. 1 - 47, 2 f. m.w.N. 461 Lex Rhodia 1889, S. 364 - 367. 462 1827 - 1916; zu Bekker s. Maximiliane Kriechbaum, Dogmatik u. Rechtsgeschichte bei Ernst Immanuel Bekker, Ebelsbach 1984, S. 1 ff. (Biographie), 30 ff. (Werk). 463 Ernst Immanuel Bekker, Beiträge zum Aktienrecht I, in: ZHR 16 (1871), S. 32 - 85, 72; wiedergegeben bei Goldschmidt, Lex Rhodia 1889, S. 364. 464 s. dazu Goldschmidt, System, 4. Aufl., 1892, S. 133 f. 465 Dazu Goldschmidt, Lex Rhodia 1889, S. 364 f.
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Goldschmidt erstellt eine kurze Typologie solcher Mehrheitsverbände466 , wobei er diejenigen Mehrheitsverbände hervorhebt, die innerhalb bestehender Gesellschaftsverhältnisse einen eigenen Bestandteil der Gesellschaft bilden, so vor allem die Gesamtheit der Prioritätsaktionäre gegenüber den Stammaktionären oder die Gesamtheit der Aktienkommanditisten in einer Kommanditgesellschaft auf Aktien467 . An der Ausprägung dieser Strukturelemente hatte Goldschmidt als Mitglied der Sachverständigenkommission zur Beratung der Aktiennovelle von 1884 maßgeblich mitgewirkt468 , denn sie waren aufgrund eines von ihm gestellten Antrages erstmals in das deutsche Aktiengesellschaftsrecht eingefügt worden469 . Die dogmatisch so fruchtbare Bedeutung von Bekkers Entdeckung liege darin 47o , daß eine ausgearbeitete Dogmatik der Lehre vom Mehrheitsverband ein Mittel biete, um "ein kontraktliches oder", was freilich näher liegt, "quasikontraktliches Band,,471 zwischen den Mitgliedern der Gesellschaft zu konstruieren. Mit dessen Hilfe - und das ist die Essenz des Ganzen - sei es möglich, den in der Minderheit bleibenden Mitgliedern Ansprüche gegen die Mehrheitsmitglieder zu geben, wenn diese ihre Majorität zu Beschlüssen ausgenutzt haben, die die Gesellschaft geschädigt haben 472 . Lex Rhodia 1889, S. 365 - 367 u., modifiziert, System, 4. Aufl., 1892, S. 133 f. Lex Rhodia 1889, S. 365; vgl. heute § 141 bzw. § 285 Abs. 1 AktG 1965. 468 Darauf weist er Lex Rhodia 1889, S. 365 stolz hin. 469 Goldschmidt hatte zwei Anträge gestellt, wonach "die Ausgabe von Prioritätsaktien von einern qualifizierten Mehrheitsbeschluß abhängig gemacht werde" - es sollten die Vorschriften über Statutenänderung Anwendung finden - u. "die Prioritätsaktionäre zu einern von den übrigen abgesonderten Corpus konstituirt würden", indern jeder Eingriff in ihre Rechte der mehrheitlichen Zustimmung einer gesonderten Generalversammlung der Prioritätsaktionäre bedürfe (bei Schubert/Hommelhoff, Aktienrecht, S. 342 f.). Der erste Antrag wurde sogleich angenommen (bei Schubert/Hommelhoff S. 344); der zweite war dagegen als Eingriff in die Struktur der Aktiengesellschaft lebhaft umstritten (bei Schubert/Hommelhoff S. 344 f.). Besonders Russell und Schmidt unterstützten ihn, weil danach die Möglichkeit der Beschränkung von Vorzugsrechten der Zustimmung bloß einer Mehrheit der Begünstigten bedürfe, nicht mehr der jedes einzelnen (s. dazu ROHGE 20, S. 93 - 98, 94 ff.). Daraufhin wurde Goldschmidts Antrag sogar auf alle Arten von sonderberechtigten Aktionären ausgedehnt u. in dieser Form von der Kommission angenommen (bei Schubert/Hommelhoff S. 345). In der Begründung zu Artt. 180 f Abs. 3, 215 Abs. 6 der Reichstagsvorlage wurde der Gedanke des Mehrheitsverbandes deutlich ausgesprochen (S. 252 f., bei Schubert/Hommelhoff S. 423 f.). Dem folgten die Regelungen über die Sonderverbände der Gattungsaktionäre in Artt. 180 g Abs. 3, 215 Abs. 6 ADHGB 1884; ähnlich § 278 Abs. 2 HGB 1897 u. § 146 Abs. 2 AktG 1937 (jedoch statt gesonderter Generalversammlung nur gesonderte Abstimmung in der allgemeinen Generalversammlung, Denkschrift HGB, S. 319). § 141 Abs. 3 S. 1 AktG 1965 dagegen sieht für die Entscheidung der Vorzugsaktionäre wieder eine gesonderte Versammlung vor, während sonstige Sonderbeschlüsse besonderer Gruppen von Aktionären in gesonderter Versammlung oder in nur gesonderter Abstimmung gefaßt werden können, § 138 Satz 1. 470 Lex Rhodia 1889, S. 364 f. 471 Bekker, Beiträge I, S. 443. 472 Bekker, Beiträge I, S. 443 - 445: "Aktionäre wider Aktionäre". 466 467
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Daß hinter diesem Ansatz ein rechtspolitisch berechtigtes Anliegen stand, zeigt die Entwicklung im 19. und 20 Jahrhundert, in der das Reichsgericht473 und der Bundesgerichtshot74 von der Zulässigkeit einer grundsätzlich bedingungslosen Ausnutzung der Mehrheitsverhältnisse ausgingen475 . Wäre den Anregungen Bekkers und Goldschmidts gefolgt worden, so stünde es heute besser um die Dogmatik von der "Treuepflicht des Aktionärs" und der Begründung von Schadensersatzansprüchen treuwidrig überstimmter Minderheitsaktionäre oder -gesellschafter476 • Auf weitere Implikationen der Rechtsfigur des "Mehrheitsverbandes" in allgemein-rechtstheoretischer, rechtshistorischer477 , aber auch über das bürgerliche Recht hinausreichender rechtsdogmatischer Hinsicht478 kann hier nur hingewiesen werden. 5. Gutachten zu Fällen aus dem Gesellschaftsrecht
Nicht allein mit seinen rechtspolitischen Äußerungen und Gutachten übte Goldschmidt Einfluß auf die Entwicklung weiter Bereiche des Gesellschaftsrechts aus. Auch seine Gutachten zu einzelnen Fällen aus dem Gesellschaftsrecht wirkten auf die Rechtsprechung zu diesem Gebiet. 1878 äußert Goldschmidt sich in einem Gutachten "Über die Zulässigkeit einer Verlegung des Sitzes der Rumänischen Eisenbahnen-Aktiengesellschaft von Berlin nach Bukarest". Goldschmidt hält eine Sitzverlegung unter Fortbestehen der GeRGZ 68, S. 235 ff., 245 f. ("Hibemia-Urteil"). BGHZ 14, S. 25 ff., 37 f. 475 Überblick und kritische Stellungnahme bei Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 21 II 3 a, S. 503 f. Diese Rechtsprechung entsprach freilich der Konzeption des Gesetzgebers (s. die Begründung der Aktienrechtsnovelle 1884, Reichstagsvorlage S. 293, Schubert/Hommelhoff, Aktienrecht S. 466); der Gesetzgeber hat auch daran festgehalten, nur der Gesellschaft Schadensersatzansprüche einzuräumen, allerdings den Minderheitenschutz verstärkt, s. § 147 AktG 1965. 476 Die Diskussion ist in letzter Zeit durch das "ITI-Urteil" BGHZ 65, S. 15 - 21 zur unmittelbaren Haftung der Gesellschafter einer GmbH untereinander angeregt worden; s. etwa Herbert Wiedemann, Gesellschaftsrecht, Bd. I, München 1980, S. 412 ff., 432 - 434, 463; Th. Raiser, Das Recht der Gesellschafterklagen, in: ZHR 153 (1989), S. I - 34, 26 f. u. in Fußn. 66; M. Lutter, Die Treuepflicht des Aktionärs, in: ZHR 153 (1989), S. 446 - 471, 454 f.; kritisch zu der Diskussion K.-P. Martens, Die Treuepflicht des Aktionärs, in: Karsten Schmidt (Hrsg.), Rechtsdogmatik und Rechtspolitik, BerJin 1990, S. 251 - 267, 266 (,,rechtspolitische Allzweckwaffe"). 477 s. etwa Ssp. Ldr. II 55; Jütsches Recht (Das Jütsche Recht, übersetzt von K. von See, Weimar 1960) Buch I Kap. 50 Satz 5; auf dieser Grundlage standen die Germanisten dem Mehrheitsprinzip mit weitaus weniger Vorbehalten gegenüber als die Romanisten, s. etwa P. D. Christian Paulsen, Lehrbuch des Privat-Rechts der Herzothümer Schleswig u. Holstein wie auch des Herzogthums Lauenburg, 2. Aufl., Kiel 1842, § 28 Fußn. 4, S. 44; Otto Gierke, Privatrecht I, S. 501 f. in u. zu Fußn. 25. 478 Vgl. die zahlreichen Mehrheitsverbände des öffentlichen Rechts, s. etwa BVerfG, U. v. 17.7. 1991, in NJW 1991, S. 2474 ff., insbes. S. 2476, 2477. 473
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seilschaft nur im Inland für möglich 479 , eine Sitzverlegung in das Ausland sei dagegen nur als Auflösung der Gesellschaft unter Übertragung ihres Vermögens auf eine am neuen Sitz neu zu gründende Gesellschaft zulässig48o . Der Verlegungsbeschluß sei deshalb ein unbenannter Auflösungsgrund und führe zur Liquidation der Gesellschaft481 , was aus Gründen des Gläubigerschutzes auch sachgemäß sei482 . Dieser Auffassung folgte das Reichsgericht483 , nachdem die Gesellschaft 1881 den Beschluß ohne die von Goldschmidt für notwendig gehaltenen Kautelen gefaßt hatte und dieser angefochten worden war484 . Die Rechtsprechung hat im Anschluß an diese Entscheidung in der Frage der rechtlichen Einordnung des Verlegungs beschlusses an der dort vertretenen Auffassung festgehalten 485. Dabei kreist die Diskussion 486 noch immer um die bereits von Goldschmidt in den Mittelpunkt seines Gutachtens gestellten Gesichtspunkte hinsichtlich der Gefahren, die die künftige Anwendung fremden Rechts für die Aktionäre und die Gläubiger mit sich bringen kann. Die offene Art, in der in Goldschmidts Gutachten und in dessen Folge in dem Urteil des Reichsgerichts die Abwägung der betroffenen Interessen zum maßgeblichen Element der Entscheidung gemacht wird, weist über den Zeitpunkt ihrer Entstehung hinaus. In einem zweiten von Goldschmidt begutachteten Fall, der schließlich zu einer Entscheidung des Reichsgerichts führte, ging es um das Recht zur Einsicht in Urkunden, die sich in fremdem Besitz befinden487 : Einige Erben eines bereits vor seinem Tode aus einem als oHG betriebenen Bankhaus ausgeschiedenen Mitgesellschafters verlangten Einsicht in die Geschäftsbücher der Bank, um auf diese Weise zu erfahren, ob ihnen gegen ihre Miterben noch Ansprüche wegen lebzeitiger Begünstigungen durch den Erblasser zustünden488 . Goldschmidt verneint das BeGoldschmidt, Zulässigkeit 1878, S. 440 f., 445; entsprechend heute § 45 AktG 1965. Goldschmidt, Zulässigkeit 1878, S. 441 - 447, 448 f. 481 Goldschmidt, Zulässigkeit 1878, S. 447 f. - Art. 242 Abs. 2 ADHGB 186111870, heute § 262 Abs. 2 AktG 1965. Richtiger wohl: Im Verlegungsbeschluß liegt gleichzeitig ein Auflösungsbeschluß nach Art. 242 Abs. 1 Nr. 2 ADHGB 1870 (§ 262 Abs. I Nr. 2 AktG); vgl. Goldschmidt S. 448 u. zum heutigen Recht Bernhard GroßfeId, Internationales Gesellschaftsrecht, in: J. v. Staudingers Kommentar zum BGB, 12. Aufl., EGBGB, Berlin 1984, Rdnr. 264 - 370, 368 ff. 482 Goldschmidt, Zulässigkeit 1878, S. 447 f. 483 RG, U. v. 5. 6. 1882, RGZ 7, S. 68 ff., 68. 484 RGZ 7, S. 69 f., 70. - In der Frage der Voraussetzungen, unter denen die Verlegung nach dem Statut der Gesellschaft überhaupt möglich sein sollte, karn es S. 70 - 72 dagegen zu einern anderen Ergebnis als Goldschmidt Zulässigkeit 1878, S. 449 - 452, 455. 485 Nachweise bei Alfons Kraft, in: Kölner Kommentar zum AktG, Bd. 1,2. Aufl., Köln 1988, § 45 Rdnr. 19 - 24,19. 486 Kraft Rdnr. 20 - 24; Beitzke, ZHR 127 (1965), S. 1 - 47,24 ff.; B. Großfeld, Internationales Gesellschaftsrecht, in: J. v. Staudingers Kommentar zum BGB, 12. Aufl., EGBGB, 1984, Rdnr. 356 - 361, 359; vgl. auch Art. 6 des Übereinkommen über die gegenseitige Anerkennung von Gesellschaften v. 29. 2. 1968, BGBI. II 1972, S. 269 ff. 487 Gutachten vorn August 1882, Editionspflicht 1884, S. 341 in Fußn.*. 488 Ausführliche Schilderung des Tatbestandes Editionspflicht 1884, S. 342 - 353. 479 480
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stehen eines Anspruches aus allen denkbaren Anspruchsgrundlagen aufgrund ausführlicher Exegesen aller in Betracht kommenden Gesetzesstellen aus der ZPO, dem ADHGB, dem römischen und dem rheinischen Recht einschließlich der Rechtsprechung und der Literatur von Casaregis bis zu den französischen Autoren zum Code civil489 . Tatsächlich wies das Reichsgericht490 die Klage mit der von Goldschmidt gegebenen Begründung491 ab, daß §§ 394492 , 387 Nr. 2 CPO 1877 nur einen prozessualen Anspruch auf Urkundeneinsicht gegen Dritte gewährten, nicht aber einen Anspruch, der von dem Verfahren, in dem die Urkundeneinsicht verlangt werde, unabhängig sei 493 . In der Folge dieser Entscheidung wurde über das Einsichtsrecht viel diskutiert494 und 1896 das streitige Merkmal, die Urkunde, deren Vorlage verlangt werden könne, müsse "gemeinschaftlich" sein, aus § 387 Nr. 2 CPO als § 810 in das BGB übemommen 495 . Die von Goldschmidt entwikkelte enge Auffassung zum materiellen Einsichtsrecht496 , daß es für ein rechtliches Interesse an der Einsichtnahme nicht ausreiche, wenn der Kläger ohne hinreichend bestimmte Anhaltspunkte nur vermutet, in der Urkunde Gründe für Ansprüche gegen Dritte zu finden, hat sich in Rechtsprechung und Lehre zu § 810 BGB durchgesetzt497 .
VI. Rechtsgeschichte
In keinem von Goldschmidts Werken fehlen rechts geschichtliche Ausführungen. Während sie in seinen ,,historisch-dogmatischen" Abhandlungen zumindest vorgeblich im Hinblick auf eine Klärung der Rechtslage nach geltendem Recht erfolgen, hat Goldschmidt auch einige Schriften rein historischen Themen gewidmet. In ihnen beschränkt er sich darauf, der Erkenntnis des Rechts einer historisch abgeschlossenen Epoche nachzugehen.
Editionspflicht 1884, S. 353 - 412. RG, U. v. 30. 12. 1884, RGZ 12, S. 412 - 415 (s. Simon, in Verrn. Sehr. II, S. 267 in Fußn. I). 491 Editionspflicht 1884, S. 353 - 362. 492 § 429 ZPO 1950. 493 In dem Verfahren gegen die Miterben war die Herbeischaffung der Urkunden nach § 386 CPO 1877 (§ 428 ZPO 1950) abgelehnt worden. 494 s. insbes. Josef Kohler, Zur Editionslehre, in: AcP 79 (1892), S. I - 48, 43 ff. 495 § 422 ZPO 1950. Zur Entstehung s. Mot. 11, S. 891 f. (Mugdan, Materialien BGB II, S. 498 f.) gegenüber Prot. S. 3118 - 3126 (Mugdan S. 1219 - 1221). 496 Editionspflicht 1884, S. 375 - 393. 497 RGZ 135, S. 188 ff., 192; Enneccerus/Lehmann, Schuldverhältnisse, § 219 I 2, S. 868; Marburger, in: J. von Staudingers Kommentar zum BGB, 12. Aufl., §§ 741 - 822, Berlin 1986, § 810 Rdnr. 10 - 15 m.w.N. 489
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1. Römisches Recht In dem seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ausgeprägten Gegensatz zwischen Romanisten und Germanisten hat sich Goldschmidt selbst stets als Romanist empfunden. Deshalb finden sich in fast allen seinen Abhandlungen Ausführungen auch zu den Regeln des römischen Rechts. Goldschmidt folgte hierin der Vorgabe Savignys, daß erst über eine Erkenntnis des wahren Inhalts der Quellen des römischen Rechts der Inhalt des mit der Rezeption aufgenommenen Rechts bestimmt und damit auch der Inhalt des geltenden Rechts erkannt werden könne. Eben deswegen stehen Goldschmidts Untersuchungen aber auch immer unter dem Blickwinkel, die Genese des geltenden Rechts zu erklären; selbst in Fällen, in denen das geltende Recht durch gesetzgeberischen Akt eine bewußte Abkehr von den Vorgaben des römischen Rechts vollzogen hatte, zog Goldschmidt die römisch-rechtlichen Bestimmungen vergleichend heran, um die Zweckmäßigkeit dieser Abkehr zu untersuchen oder den Inhalt der gesetzlichen Regelung anhand eines Vergleiches mit dem entwickelten römischen Recht zu verdeutlichen.
a) Geschichte des Römischen Rechts Über die äußere Geschichte des römischen Rechts hat Goldschmidt im Rahmen seiner Lehrtätigkeit verschiedentlich Vorlesungen gehalten '. Einen Abriß der römischen Rechtsgeschichte gibt Goldschmidt in seiner Darstellung des "Handelsrechts der alten Welt" in seiner Universalgeschichte des Handelsrechts 2 . Darin steht die Frage im Vordergrund, weshalb es im römischen Recht nicht zur Ausprägung eines vom allgemeinen bürgerlichen Recht gesonderten Handelsrechts gekommen sei. Während das allgemeine bürgerliche Recht und das Staats- und Strafrecht der Römer in der deutschen wissenschaftlichen Literatur grundlegende Untersuchungen erfahren hat, wendet Goldschmidt sich damit als erster und nahezu als einziger Autor vertieft der Frage zu, wie es um das römische Handelsrecht bestellt war. Da es bis heute Monographien zum römischen Handelsrecht kaum gibt 3 , wird die Forschung, sollte sie sich diesem Gebiet einmal intensiver zuwenden 4 , an Goldschmidts Arbeiten nicht vorbeigehen können.
I Für seine Heidelberger Vorlesung gab es sogar einen Grundriß, s. Goldschmidts Vorlesungsankündigung für das Wintersemester 1869170. 2 Universalgeschichte 1891, § 5, S. 47 - 94; sehr stark zusammengefaßt in Handelsrecht 1892 unter 2., Verm. Sehr. 11, S. 32 - 35; erste Skizzen dazu Handbuch § 37, 1. Aufl., I I, 1864, in Fußn. 3, S. 262; 2. Aufl., 1,1874 in Fußn. 3, S. 366 f. 3 s. dazu schon Goldschmidt, Lex Rhodia 1889, S. 40 in Fußn. 4. 4 Aus neuerer Zeit s. Bruce W. Frier, Roman Law and the wine trade, in: ZRG RA 100 (1983), S. 257 - 295, 292: Bestimmte Institute des allgemeinen römischen Rechts seien fast ausschließlich für Geschäfte von Kaufleuten relevant gewesen; s. auch den Bericht von M. Memmer, Der 25. Dt. Rechtshistorikertag, in: ZRG RA 103 (1986), S. 663 - 670, 665 - 667.
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2. Teil: Handelsrecht in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts
Die Frage nach dem römischen Handelsrecht stellt Goldschmidt erstmals 18585 . Bis dahin war die auffallend geringe Zahl spezifisch handelsrechtlicher Normen des römischen Rechts damit erklärt worden, daß die Römer keinen entwickelten Handel gehabt und eben deshalb auch kein besonderes Handelsrecht gebraucht hätten 6 ; inzwischen hatte jedoch Theodor Mommsen bereits die ausgedehnten Verhältnisse des römischen Handelsverkehrs nachgewiesen 7 • Goldschmidt sieht nun das Fehlen spezifischer Handelsrechtsnormen in dem genauen Gegenteil der bisherigen Annahmen begründet, nämlich darin, daß "das gesamrnte Römische Vermögensrecht, insbesondere das Obligationenrecht, mit vorzugsweiser Berücksichtigung des umfassendsten internationalen Handelsverkehrs und nach dessen Bedürfnissen ausgebildet worden ist"s. Dieser Umstand sei bislang verkannt worden, weil ein wesentlicher Teil der schriftlichen Zeugnisse des römischen Rechts aus der späten Kaiserzeit stamme, als der römische Handel im Niedergang und ältere, für den Handel bedeutsame Rechtsinstitute im Schwinden gewesen seien9 , und weil die Beschränkung der römischen Juristen auf die Wiedergabe der für die juristische Entscheidung unabdingbar notwendigen Tatsachen die handelsrechtliehe Herkunft der von ihnen behandelten Fälle nicht mehr habe erkennen lassen lO • In seiner Universalgeschichte stellt Goldschmidt einige Institute des römischen Rechts unter diesem Aspekt dar und verweist auf weitere eigene Studien, die die grundsätzliche Berechtigung seiner Thesen belegen 11 •
Behandlung 1858, S. 5 f. So etwa Johann Georg Büsch, Theoretisch-praktische Darstellung der Handlung in ihren mannichfaltigen Geschäften, 3. Aufl., 1. Th., Hamburg 1824, Buch V, Kap. 9, § 3, S. 603 f. 7 Theodor Mommsen, Römische Geschichte, 1. Bd., 9. Aufl., Berlin 1902, Kap. I 13, S. 193 - 201; 11 8, S. 444 ff.; s. dazu Goldschmidt, Lebensbild S. 163 f.; Behandlung 1858, S. 5 Fußn.*. 8 Behandlung 1858, S. 5; ausführlich in Universalgeschichte 1891, S. 71 - 89, insbes. S. 75 ff. In grundsätzlicher Weise hat Goldschmidt seine These gegen L. v. Stein verteidigt, der von der Bedeutungslosigkeit des römischen Handelsverkehrs ausging: ZHR 23 (1878), S. 283 - 288; s. auch Universalgeschichte 1891, S. 66 in Fußn. 53: "Das unglaublich zähe Vorurtheil ... ist noch immer nicht gebrochen." 9 Diese Auffassung hat Goldschmidt später relativiert, indem er den Schwerpunkt der Entwicklung nicht mehr so sehr in den altrömischen Formalgeschäften, sondern in der Ausbildung des auf FormaIerfordernisse verzichtenden ius gentium (Überblick bei Kaser, Privatrecht I, § 50 I, S. 202 - 204) gesehen hat: Universalgeschichte 1891, S. 75 ff.; Handelsrecht 1892, Verm. Sehr. 11, S. 33 - 35. 10 Behandlung 1858, S. 6; Universalgeschichte 1891, S. IX u. S. 58 - 94; insbesondere § 5 IV 4, S. 64 - 68, 71 - 89. II Insbesondere Kauf auf Probe 1858, receptum 1860, Lex Rhodia 1889 u. Inhaber-... Urkunden 1889. In ihnen zieht er mitunter freilich vorschnelle Schlüsse, s. etwa Lenel, ZRG RA 13 (1892), S. 402 f., 403, oder betrachtet einzelne Quellen allzu sehr unter dem Gesichtspunkt, seine Ergebnisse auch für das geltende Recht fruchtbar zu machen. 5
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b) Institutionengeschichte aa) "Das Seedarlehen des Callimachus" Mit der exegetischen Untersuchung einzelner Quellenstellen des römischen Rechts in allein historischer Perspektive hat Goldschmidt sich nur selten befaßt. Die erste dieser Studien ist seine Heidelberger Habilitationsschrift von 1855 12 • Im Vorwort seiner kleinen Schrift begründet Goldschmidt die Wahl des Themas: In der rechts geschichtlichen wie in der dogmatischen Behandlung sei die Exegese, die Interpretation einzelner Quellenstellen durch die "modeme Behandlung der römischen Rechtsquellen", "die systematische und die historische Methode", "mehr als billig" verdrängt worden und "zu einer bloßen Dienerin herabgesunken, deren Aufgabe sich darauf beschränkt, Handlangerarbeit zu thun für den höheren Zweck der doctrinellen Beherrschung des Rechtsstoffes. " Der eigentlichen Leistung der römischen Juristen, nämlich Logik und Widerspruchsfreiheit des Systems gerade in der Lösung einzelner konkreter Fälle zu demonstrieren, werde diese Richtung nicht gerecht I3 . Man könnte versucht sein, in diesen Worten eine vorsichtige Kritik an der sich zu dieser Zeit glanzvoll entfaltenden Begriffsjurisprudenz zu vermuten. Doch steht einem solchen Verständnis entgegen, daß Goldschmidt die "doktrinelle Beherrschung" des römischen Rechts als "höheren Zweck" bezeichnet und darauf hinweist, daß auch das Ergebnis der Einzelexegese sich wieder in ein logisches System integrieren lassen müsse. In Goldschmidts Vorwort steckt daher eine gewisse Ambivalenz, die den von ihm vorgeschobenen weiterreichenden Zweck seiner Untersuchung sogleich wieder in Frage stellt l4 . Als zweite Begründung schiebt Goldschmidt deshalb den Hinweis auf die "Gefahr weitgreifender Irrthümer, deren Grund in dem Mißverständnis schwieriger Stellen zu suchen ist", nach: Ein an einer Stelle, wo er unerheblich ist, entstandener und als gesicherte Erkenntnis angesehener Irrtum könne an Stellen, wo er erheblich werde, unerkannt bleiben 15. Auch dieses Argument setzt einen inneren Zusammenhang aller Quellenstellen und damit ein logisches System des gesamten Rechtsstoffes voraus. Nicht zufällig findet es sich denn auch schon vorher am deutlichsten ausgesprochen bei Georg Friedrich Puchta l6 , bei Goldschmidt in dem Bestreben seiner ,,historisch-dogmatischen" Abhandlungen, die Regelung des römischen Rechts auch dann intensiv zu untersu12 Untersuchungen zur I. 122 § I. D. de V. O. (45,1) =D. 45, I, 122, I (Titel de verborum obligationibus). 13 Untersuchungen 1855, S. I. 14 Für die Dogmatik des geltenden Rechts formuliert Goldschmidt den Gedanken, daß die systematischen Prinzipien ihrer Überprüfung in der Lösung einzelner Fragen bedürfen, später klar im Vorwort seines Handbuchs des Handelsrechts: Handbuch, I. Aufl., I 2, 1868, S. III: "Die Principien sollen sich in der Durchführung bewähren". 15 Untersuchungen 1855, S. 2. 16 Vorlesungen über das heutige römische Recht, hrsg. v. F. Rudorff, 6. Aufl., 1. Bd., Leipzig 1873, S. 426; zum inneren Zusammenhang des gesamten Rechts s. S. 42.
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2. Teil: Handelsrecht in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts
chen, wenn es durch neuere Gesetzgebung oder abweichendes Gewohnheitsrecht inzwischen verdrängt worden ist. Goldschmidt war auf die von ihm untersuchte Stelle gestoßen, weil sie einen seehandelsrechtlichen Gegenstand und damit ein Thema zu betreffen schien, dem sein besonderes Interesse galt 17 . Denn Cervidius Scaevola untersucht in ihr einen Fall der Rückforderung eines Seedarlehens trotz fehlgeschlagenen Seetransports. Das Fragment bereitete den Exegeten des historischen römischen Rechts zahlreiche Probleme l8 , weil der überlieferte Text eine Reihe von offenbaren Widersprüchen aufzuweisen schien. Ganz offensichtlich hatten entweder schon Scaevola oder die späteren Kompilatoren bei der Aufnahme der Stelle in die Digesten keine glückliche Hand gehabt l9 . Folgender Sachverhalt wird geschildert2o : Der Sklave Stichus hat für seinen Herrn dem Callimachus als Seedarlehen eine Summe Geldes für eine Reise von Berytus in Syrien bis Brentesium21 und von dort zurück nach Syrien gegeben; letzteres aber nur für den Fall, daß er vor den Iden des September22 mit neuer Ladung die Rückfahrt antrete. Anderenfalls habe er das Geld in Brentesium sogleich zurückzuzahlen. Was nun in Brentesium geschieht, wird aus dem Text der Florentina23 nicht ganz klar: Zunächst heißt es, daß Callimachus mit dem Sklaven Eros, der ihn an Stelle des Stichus begleitet, "ante idus supra scriptas secundum conventionem mercibus in navem impositis ... quasi in provinciam Syriam" abfahre, sich also vereinbarungsgemäß verhalte; dagegen heißt es anschließend, daß das Schiff zwar "secundum cautionem" beladen worden sei, dies aber mit Zustimmung des Eros erst "eo tempore, quo iam pecuniam Brentesio reddere ... deberet", also ofPappenheim S. 7. Ausführliche Nachweise zur älteren Literatur bei Chr. Friedr. Glück, Ausführliche Erläuterung der Pandecten, 21. Theil, 1. Abth., Erlangen 1820, S. 173 - 187; Jungmeister, in: Das Corpus Juris Civilis in's Deutsche übersetzt, hrsg. v. Otto/Schilling/Sintenis, 4. Bd., Leipzig 1832, S. 648 f. in Fußn. 105. Neuere Exegesen: F. Huschke, Das Schiffsdarlehen des Callimachus, in: Zs. für Civilrecht und Prozeß, N. F. Bd. 10, Gießen 1853, S. 1 - 17; H. Mentz, Rezension von Goldschmidts Schrift, in: Krit. Zs. f. d. ges. Rechtswiss. 3 (1856), S. 182 - 187; Schirmer, Beiträge zur Interpretation von Scävolas Digesten, in: ZRG RA 11 (1890), S. 84 ff., 102 - 105; F. Stella Maranca, Intomo al fr. 122 § 1 Dig. de V.O. (XLV. 1.), Lanciano 1901; R. Samter, Das Verhältnis zwischen Scävolas Digesten und Responsen, in: ZRG RA 26 (1906), S. 151 - 210, 164 f.; Fr. De Martino, Sul foenus nauticum, in: Revista dei diritto della navigazione Bd. I 1, Mailand 1949, S. 10 - 40, 32 ff.; Ulrich von Lübtow, Das Seedarlehen des Callimachus, in: Festschrift für Max Kaser zum 70. Geburtstag, München 1976, S. 329 - 349. 19 So ist z. B. der Gläubiger mit zwei verschiedenen Blankettnamen bezeichnet, s. Jungmeister S. 648 Fußn. 104; Goldschmidt, Untersuchungen 1855, S. 4. 20 Zu Unklarheiten im ersten Teil des Fragments s. Huschke S. 4 ff.; Goldschmidt, Untersuchungen 1855, S. 4 - 10; von Lübtow S. 334 ff.; anders Schirmer S. 102 ff. 21 Heute Beirut im Libanon bzw. Brindisi (= Brundisium, s. Corpus Juris Civilis, hrsg. v. A. u. U. KriegellE. Herrmann/E. Osenbrüggen, 4. Aufl., Leipzig 1848, S. 828 Fußn. 13). 22 = 13. September des Julianischen Kalenders. 23 s. Kipp, Quellen, S. 163. 17 18
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fensichtlich erst nach dem vereinbarten Zeitpunkt, zu dem Callimachus das Geld schon hätte zurückzahlen müssen. Auf der Rückfahrt nach Syrien ist das Schiff dann untergegangen. Rätselhaft sind schließlich die Fragen, die Scaevola gestellt werden, nämlich zuerst die, ob im genannten Fall Callimachus das Geld zurückzahlen müsse, dann die, ob es dem Herrn des Eros nachteilig sei, wenn Eros damit einverstanden gewesen sein sollte, daß Callimachus erst "post diem supra scriptarn" abgefahren sei. Wegen dieses scheinbaren Widersinns hat die ältere Literatur angenommen, daß die eindeutigen Fehler des Fragments nicht seine einzigen seien und sich bei seiner Abfassung oder beim späteren Kopieren weitere Fehler eingeschlichen hätten; sie hat sich deshalb bemüht, diese Fehler zu beseitigen24 • Die Schlüssigkeit des Ergebnisses, daß Callimachus grundsätzlich zur Rückzahlung verpflichtet gewesen sei, blieb dagegen unstreitig, denn die Mehrzahl der Indizien spricht dafür, daß er tatsächlich erst nach den Iden des September abgefahren war; damit aber war die Gefahr, die beim foenus nauticum - wie bei der Bodmerei - für die vereinbarte Vertragszeit der Gläubiger trägt25 , vom Herrn des Stichus wieder auf Callimachus übergegangen. Die Literatur seit 1900, die die Pandekten nunmehr rein als historische QueUe, nicht mehr als Sammelwerk potentiell geltenden Rechts betrachtet, nimmt statt versehentlicher Fehler eine Interpolation durch die Kompilatoren der Digesten an 26 . Goldschmidt ist dagegen von der Echtheit des Fragments so überzeugt, daß er sogar davon absieht, den Text der auszulegenden Stelle abzudrucken 27 . Er weist zunächst nach, daß die bisher versuchten Emendationen die sachlichen Widersprüche nicht zu beseitigen vermochten 28 . Seine eigene Lösung entwickelt Goldschmidt aus dem überlieferten Text des Fragments: Den beiden Fragen, die Scaevola am Ende des Fragments von Callimachus, nicht von dem Gläubiger29 , gestellt würden, lägen zwei unterschiedliche Sachverhalte zugrunde. In der ersten Sachverhaltsvariante, wonach Callimachus einmal vor und einmal nach dem vereinbarten Termin abgefahren sein solle, liege nur ein scheinbarer Widerspruch 30; denn Calli24 Glück S. 173 ff.; Glücks Ansichten folgt Jungmeister S. 648 f.; vorsichtiger Huschke S. 12; Mommsen, in: Digesta, S. 780 in Fußn. 1. Dies wurde trotz der Autorität, die den Digesten als Quelle des gemeinen Rechts zukam, als zulässig empfunden, da die Stelle über stipulatio u. foenus nauticum kein geltendes gemeines Recht enthielt, vgl. Windscheid/Kipp, Pandekten 11, S. 578 in Fußn. 10 zu § 371. 25 Kaser, Privatrecht I, S. 532 f.; von Lübtow S. 334 m.w.N. 26 Insbes. De Martino S. 32 ff.; vgl. von Lübtow S. 329 ff.; bezeichnend ist, daß sowohl De Martino S. 242 f. als auch von Lübtow S. 329 den Text des Fragments mit zahlreichen Eingriffen versehen wiedergeben; s. auch E. Levy/E. Rabel (hrsg.), Index Interpolationum quae in Iustiniani Digestis inesse dicuntur, Bd. III, Weimar 1935, Sp. 392; Samter S. 164 f. 27 Er verweist nur auf die Kriegeische Ausgabe (Corpus Juris Civilis, hrsg. v. A. u. U. Kriegel/E. Herrmann/E. Osenbrüggen, 4. Aufl., Leipzig 1848, S. 828) und den Wortlaut der Florentina; zu Recht kritisch deshalb Mentz S. 183 f. 28 Untersuchungen 1855, S. 10 ff. 29 Untersuchungen 1855, S. 31; so auch von Lübtow S. 333 f.
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machus habe geplant, vor den Iden des September abzusegeln, und sich entsprechend eingerichtet, insbesondere das geliehene Geld bereits investiert. Dann habe er bemerkt, daß er Brentesium nicht rechtzeitig würde verlassen können. Um nun einerseits sein Schiff noch beladen zu können, andererseits, und das sei nun das entscheidende Moment 31 , dem Wortlaut der Vereinbarung mit Stichus zu genügen, habe er deshalb mit dem Einverständnis des Eros das Schiff aus dem Hafen von Brentesium in Richtung Syrien zunächst auslaufen, dann aber auf Reede legen lassen, um nun die Waren über Kähne nachzuholen. Auf diese Weise sei es ihm gelungen, zugleich formell vor und materiell nach den Iden des September abzufahren 32 . Mit diesem Vorgehen habe er im Streitfall freilich keinen Erfolg haben können: Zum einen sei die Umgehungsabsicht überdeutlich, zum anderen habe es eindeutig dem Sinn der Abrede mit Stichus widersprochen. Denn mit dieser habe sichergestellt werden sollen, daß Callimachus mit seinem Schiff nicht in die gefährlichen Herbsstürme ab Ende September gerate 33 . Callimachus habe seine geringen Erfolgsaussichten auch erkannt und deshalb die zweite Frage nachgeschoben, ob nicht in der Zustimmung des Eros eine Novation durch Stellvertreter des Gläubigers liege 34 . Diese Auslegung hat Goldschmidt viel Kritik eingetragen35 . Sie ist jedoch, wenn sie auch nicht zwingend ist, den anderen Auslegungen durchaus vorzuziehen. Denn sie alle bauen darauf auf, daß das Fragment an entscheidenden Stellen auf irrtümern oder Interpolationen beruhe und machen damit einen Text zur Grundlage der Exegese, der so gar nicht überliefert ist36 und daher keinen Erkenntniswert hat. Der Annahme bewußter Interpolationen des Fragments steht zudem entgegen, daß die Kompilatoren, deren Ziel doch die glättende Vereinheitlichung des überlieferten Stoffes war37 , kaum eine so dunkle Stelle so ausführlich in die Digesten aufgenommen und dann auch noch zum Nachteil des Ganzen verändert hätten. Für Goldschmidts Auffassung spricht positiv, daß sie die im Fragment geschilderten Einzelheiten 38 und auch die beiden Anfragen an Scaeola ohne Eingriffe in den Text plausibel erklärt und motiviert 39 . 30 31
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fen.
So noch der Ausgangspunkt von Huschke S. 12. Untersuchungen 1855, S. 27 ff. Vgl. die Vennutung Schirmers S. 103, Callimachus habe einen Zwischenhafen angelau-
33 Untersuchungen 1855, S. 39 f.; von Lübtow S. 339. - Eine entsprechende "gesetzliche" Regelung im Recht der deutschen Hanse: Rezeß zu Lübeck vom 22.4. 1403 (in: Die Recesse und andere Akten der Hansetage von 1256 bis 1430, Bd. V, Leipzig 1880, S. 86 ff.), § 1: Fahrverbot ab Martini (= 11. November). 34 Untersuchungen 1855, S. 40 ff. Die damit zusammenhängenden Rechtsfragen behandelt Go1dschmidt ausführlich S. 42 ff. 35 Insbes. von Lübtow S. 338 f.; Zustimmung hat sie nur bei Mentz S. 187 u. Stella Maranca S. 51 ff., 53 ff. gefunden. 36 s. etwa Schinner S. 102. 37 Kipp, Quellen, S. 157.
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In Goldschmidts hier vorgeführter Art, an die Auslegung einer römischrechtlichen Stelle heranzugehen, zeigen sich mehrere charakteristische Merkmale, die sich auch bei seinen zahlreichen folgenden, auf Exegesen aus dem römischen Recht gestützten Argumentationen finden werden. Im Vordergrund steht das starke Hineindenken in die tatsächlichen Umstände des geschilderten historischen Falles. Hier hat ganz offensichtlich der Stil der philologischen Ausbildung nachgewirkt, die Goldschmidt in Danzig bei Joachim Marquardt erfahren hatte und deren Methode er in seinen Studien bei Böcking und Keller auf die Quellen des römischen Rechts zu erstrecken gelernt hatte. Zugleich belegen Goldschmidts Ausführungen erstmals seine später als Praktiker häufig unter Beweis gestellte Fähigkeit, sich in die Lage der Parteien zu versetzen, wenn es gilt, den Sinn von zwischen ihnen getroffenen Abreden zu ergründen. Der Einsatz dieser Fähigkeit auch bei der Behandlung historischer Quellen macht ein Studium von Goldschmidts Exegesen besonders reizvoll und verleiht ihren Ergebnissen eine zusätzliche Plausibilität4o . Eine spezifisch auf das römische Recht bezogene Haltung Goldschmidts ist in seiner Habilitationsschrift freilich gleichfalls schon ausgeprägt vorhanden. Es ist das Streben nach "Texttreue", das ihn bei jeder Stelle zunächst davon ausgehen läßt, daß sie unverfälscht überliefert sei. Auch hierin zeigt er sich ganz als Romanist in der Nachfolge Savignys: Aufgabe ist ihm stets, das reine, in den Quellen überlieferte römische Recht zu erkennen; bereitet dies Schwierigkeiten, so vermutet er die Ursache nicht in der Quellenüberlieferung oder gar in einer Inkonsequenz des römischen Rechts selbst, sondern in dessen mangelhafter Erkenntnis durch den Exegeten. Ihm bleibt so bis zuletzt das in den Digesten überlieferte Recht der reiJH 'Darunter auch die Wendung, daß Callimachus nur "quasi in ... Syriam perventurus" abgesegelt sei: Untersuchungen 1855, S. 28 f.; Mentz S. 107. 39 Als weiteres, quellenimmanentes Argument ist keinem der Exegeten die systematische Stellung des Fragments aufgefallen; denn alle gehen davon aus, daß es sich um eine Stelle handele, die primär Probleme des römischen Seerechts betreffe (s. insbes. Glück, der diese Stelle aus dem 45. Buch der Digesten, bis zu dem sein Digestenkommentar nicht vorgedrungen ist, im Rahmen von Buch 22, Titel 2: "De nautico faenore" beim Seedarlehen behandelt; s. auch Windscheid/Kipp, Pandekten H, S. 578 in Fußn. 10). Sie steht jedoch in dem Digestentitel "De verborum obligationibus", dem Recht des altrömischen Formalgeschäfts der stipulatio (dazu Kaser, Privatrecht I, S. 538 ff.; H, S. 373 ff.), unter anderen Stellen, die die Auslegung von Stipulationen und ähnlichen Rechtsgeschäften behandeln; ebenso in Scaevolas "Digestorum !ibri XL", woher es stammt (hier in dem Titel "De stipulationibus", Buch XXVIII, rekonstruiert von Otto Lenel, Palingenesia Juris Civilis, Bd. H, Leipzig 1889, Sp. 265 ff., 266 f.). Der Schwerpunkt des behandelten Problems liegt also in der Auslegung eines Rechtsgeschäfts mit fixiertem Wortlaut, nämlich der Abrede zwischen Stichus und Callimachus, daß dieser vor den Iden des September Brentesium verlassen haben müsse, wenn das Darlehen nicht fällig werden soll. Unter diesem Gesichtspunkt betrachtet, macht die ausführliche Wiedergabe des Sachverhalts in der Tat nur dann einen Sinn, wenn Callimachus, um der Bindung an den stipulierten Text zu genügen und in diesem Sinne "secundum cautionem" (zur cautio vgl. Kaser, Privatrecht I, S. 539) zu handeln, sich einen scheinbaren Ausweg hat einfallen lassen. 40 Zu Goldschmidts Qualitäten als "Romanist" s. auch Landsberg, Geschichte III 2, Text, S. 939; Riesser S. 27 - 30.
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ne, ungetrübte Quell wahrer Rechtserkenntnis. Das hat zur Folge, daß Goldschmidt, wie schon an den ambivalenten Ausführungen in der Einleitung zu seiner Habilitationsschrift deutlich wird, die Einzelexegese eben doch eingebettet sieht in eine Systematik des geltenden Rechts, die in jedem Fragment der römischen Quellen nur immer ihren konkreten Ausdruck finde 41 • Goldschmidts Streben nach Texttreue schloß es natürlich nicht aus, daß auch er die Quellen des römischen Rechts textkritisch darauf untersuchte, ob sich bei ihrer Überlieferung infolge des häufigen Kopierens nicht Fehler eingestellt hätten. 1862 veröffentlicht er eine kurze Studie über die Grenzziehung zwischen den §§ 6 und 7 des 11. Fragments im Digestentitel "quod vi aut clam (43, 24),,42, die in ihrer gängigen Lesart43 , wonach Minderjährige oder Geisteskranke im Fall arglistigen Verhaltens ihres Vormundes gegenüber Dritten der Noxalhaftung unterlegen hätten, den sonstigen Zeugnissen des römischen Rechts widersprach 44 . Goldschmidt kam auf dem einfachen Wege einer geringfügigen Änderung der Interpunktion zu einer Textkorrektur, durch die beide Stellen ihren den sonstigen Quellen des römischen Rechts entsprechenden Sinn bekamen45 . Seine Fassung wurde von der zu Ende des 19. Jahrhunderts und bis heute wichtigsten Ausgabe der Digesten von Theodor Mommsen und Paul Krüger übernommen46 • bb) Urkunden im klassischen Altertum Arbeiten Goldschmidts, die sich ausschließlich in historischer Perspektive mit Gegenständen des römischen Rechts befassen, sind selten. Aber nicht allein deshalb ist seine Abhandlung über "Inhaber-, Order- und executorische Urkunden im 41 In seinen Untersuchungen 1855, S. 42 - 69 findet dies seinen Niederschlag in den Studien, die er zur Frage der Novation durch Stellvertreter anstellt. 42 D. 43, 24, 1,6 u. 7; der Anfang des § 7 ist in der Wiederholung in D. 50, 17, 157 pr. nicht enthalten. Goldschmidt war wohl bei der Arbeit an Verpflichtung 1856 auf die Stelle gestoßen, vgl. L. 11 § 6. 7, 1862, S. 133 Fußn. I. 43 Corpus Juris Civilis, hrsg. v. G. Chr. Gebauer/G. A. Spangenberg, Göuingen 1776, S. 910; Corpus Juris Civilis, hrsg. v. A. u. U. Kriegel/E. Herrmann/E. Osenbrüggen, 10. Aufl., Leipzig 1865, s. 796; Corpus Iuris Civilis, Bd. I, hrsg. v. Theodor Mommsen und Paul Krüger, 3. Aufl., Berlin 1882, S. 699 f., 700. Anders nur Haloandri Digestorum editio Norinbergae 1529 (zitiert bei GebauerlSpangenberg S. 910 Fußn. 63; Kriegel/Herrmann/Osenbrüggen S. 796 Fußn. 1.; zu Gregor Haloander, 1501 - 1531, s. KleinheyerlSchröder, Juristen, S. 342, Nr. 39a), dazu Goldschmidt L. 11 § 6. 7,1862, S. 135. 44 L. 11 § 6. 7, 1862, S. 132 ff.; vgl. Goldschmidt, Rechtsverhältnisse 1878, S. 429 f., 430. Zur Noxalhaftung s. Kaser, Privatrecht I, S. 630 ff. m.w.N. 45 L. 11 § 6. 7, 1862, S. 135 f.; vgl. Kaser, Privatrecht I, S. 409 zu Fußn. 52. Ebenso, aber unter Berufung nur auf Haloander, auch Digesta Iustiniani Augusti, hrsg. v. Bonfante/Faddal Riccobono/Scialoja, Mailand 1931, S. 1247 bei Fußn. 10. 46 Seit der 4. Aufl. 1886: Corpus Iuris Civilis, Bd. I, hrsg. v. Th. Mommsen und P. Krüger, 4. Aufl., Berlin 1886, S. 700 Fußn. 21a; in der 16. Aufl. 1954 S. 747 Fußn. 16 mit der Anmerkung "Interpunctionem mutavit Goldschmid" (sic).
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classischen Alterthum" von 1889 außergewöhnlich. Es ist eine der ganz wenigen Abhandlungen, die sich mit einer spezifisch handelsrechtlichen Materie des römischen Privatrechts befassen. Auch von den benutzten Quellen her ist sie bemerkenswert: Goldschmidt entdeckt hier für sich die Fragmente der antiken Papyrus urkunden und der überlieferten Inschriften als Zeugnisse handelsrechtlicher Geschäfte des Altertums. Damit betätigt er sich frühzeitig auf einem Gebiet, das erst in den folgenden Jahren zur vollen Blüte gelangte, als die Wissenschaft vom römischen Recht sich nach der Kodifikation des Privatrechts auch in Deutschland endgültig auf die historische Betrachtung konzentrieren konnte47 . Das gleiche gilt hinsichtlich einer zweiten von Goldschmidt herangezogenen ungewöhnlichen Quellengruppe, der im Volksleben angesiedelten Komödien des Plautus, die ebenfalls erst in den folgenden Jahrzehnten auch anderen Autoren als rechtshistorisch nutzbare Quelle gedient haben48 . Auch damit gelingt es Goldschmidt, die Bedeutung zu belegen, die dem Einblick in die realen Verhältnisse des Geschäftslebens für die Erkenntnis des antiken Rechts zukommt. In seiner Abhandlung untersucht Goldschmidt, inwieweit sich in den ihm zugänglichen griechischen und lateinischen Urkunden typische Vertragsklauseln nachweisen lassen. Er kommt dabei zu erstaunlichen Ergebnissen, die in der rechtshistorischen Forschung merkwürdigerweise kaum zur Kenntnis genommen worden sind. Sie belegen die Vielfältigkeit und Elastizität des hellenischen Urkundenwesens und sind einer Überprüfung vom heutigen Stand der Forschung zur antiken Rechtsgeschichte unbedingt wert. Wenn Goldschmidt allerdings meint, in den Digesten die Anerkennung der Orderklausel für das antike römische Recht nachweisen zu können49 , dürfte er damit Einrichtungen des hellenischen Rechts auf das strikte römische Vertragsrecht übertragen haben 5o . Immerhin ist erstaun47 Um die Erschließung des reichen Urkundenmaterials für die antike Rechtsgeschichte haben sich besonders Ludwig Mitteis (Reichsrecht u. Volksrecht in den östlichen Provinzen des Römischen Kaiserreichs, Leipzig 1891, S. 177 - 184; Römisches Privatrecht I, Leipzig 1908, S. 290 - 314) u. Leopold Wenger (Rechtshistorische Papyrusstudien, Graz 1902; Die Stellvertretung im Rechte der Papyri, Leipzig 1906) verdient gemacht; Überblick bei Kipp, Geschichte, § 32, S. 174 - 185. 48 Zu dieser Quellengruppe Kipp, Geschichte, § 33, S. 185 - 189, zu Plautus S. 186; vgl. auch die von E. Sachs in ZRG RA, Generalregister zu Bd. 1 - 50, Weimar 1932, S. 496 ff., und 51 -75, Weimar 1967, S. 315 ff. angegebenen Stellen. 49 Inhaber-... Urkunden 1889, S. 387 - 392 u. Universalgeschichte 1891, S. 92 zu Ulpian 0.46,2, 11 pr.: "Delegare est vice sua alium reum dare creditori vel cui iusserit." - Vgl. dazu die Äußerung Wieackers auf dem 25. Ot. Rechtshistorikertag, die Anweisung habe im römischen Recht "geradezu die Funktion des modemen Wechsels" erfüllt: ZRG RA 103 (1986), S.666. 50 Aus der von ihm angeführten Ulpian-Stelle ergibt sich nicht, daß der Gläubiger sich schon in der Urkunde über die delegatio das Recht vorbehalten hätte, an seine Stelle einen anderen Gläubiger zu setzen; zu Recht kritisch daher Lenel ZRG RA 13 (1892), S. 402 f., 403. Nach Kaser, Privatrecht I, § 152 III I, S. 650 in Fußn. 32 u. R. Leonhard, Art. Oelegatio I, in: Paulys Real-Encyclopädie der classischen Alterthumswissenschaft, hrsg. v. G. Wissowa, 4. Bd., Stuttgart 1901, Sp. 2429 ff., 2430 wird "delegare" an dieser Stelle in einem weiteren Sinne verstanden.
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lieh, daß kein Vertreter romanistischer Handelsrechtswissenschaft versucht hat, diese Digestenstelle zur dogmatischen Begründung der Orderklausel aus dem römischen Recht heranzuziehen 51 ; vermutlich liegt die Ursache darin, daß dieses Institut überall dort, wo ein drängendes Bedürfnis nach seiner Anerkennung bestand, frühzeitig in die Gesetzgebung des Handelsrechts aufgenommen wurde, so insbesondere in die zahlreichen Wechselordnungen der Neuzeit. Goldschmidts Abhandlung ist von der Literatur zur Geschichte des römischen Rechts kaum beachtet worden 52 . Sein Ansatz, der von Instituten des "modemen" Handelsrechts und damit von Fragestellungen ausging, die als germanistisch empfunden wurden, machte den Romanisten eine Aufnahme seiner Ideen, deren Gegenstand sich in keine Systematik des römischen Privatrechts einordnen ließ, unmöglich.
2. Deutsche Rechtsgeschichte Zahlreicher sind Goldschmidts historische Forschungen zu Materien, die gemeinhin der deutschen Rechtsgeschichte zugerechnet wurden 53.
a) Deutsche Staats- und Rechtsgeschichte aa) Alter und Herkunft des Stadtrechts von Wisby 1856 untersucht Goldschmidt im Rahmen seiner Besprechung von Schlyters Ausgabe des Wisbyschen Stadtrechts und des sogenannten Wisbyschen Seerechts54 auch einige noch ungeklärte Punkte zur Entstehung des Stadtrechts von Wisby, insbesondere zu seinem Alter und seinen Vorläufern.
So Goldschmidt, Inhaber-... Urkunden 1889, S. 387. Sie findet sich nur gelegentlich zitiert, z. B. bei R. Leonhard, Art. Chirographum, in: Paulys Real-Encyclopädie der classischen Alterthumswissenschaft, hrsg. v. G. Wissowa, 3. Bd., Stuttgart 1899, Sp. 2301. 53 Zur Rechtsgeschichte seiner Vaterstadt hat sich Goldschmidt allerdings nur kurz geäußert, indem er die Editionen seines Danziger Lehrers Th. Hirsch angezeigt u. auf ihre Bedeutung für einzelne Fragen der Rechtsgeschichte hingewiesen hat: Krit. Zs. f. d. ges. Rechtswiss. 3 (1856), S. 198 ff.; ZHR 2 (1859), S. 174 ff., insbes. S. 175 Fußn.* ; Seerechtsquellen 1858, S. 299 in u. zu Fußn. 32. 54 C. J. Schlyter (Hrsg.), Codices Juris Visbyensis urbici et maritimi .... - Wisby stadslag och Sjöratt. (Corpus Juris Sueo-Gotorum Antiqui. Volumen VIII. Samling af Sveriges Gamla Lagar.) Lund 1853. (Bei Goldschmidt, Sjöratt 1856, S. 28 heißt es wegen einer Verwechslung von Haupt- und Nebentitel "Corpus Juris Visbyensis ... ".) - Die beiden gemeinsam edierten Quellen haben an sich miteinander nichts zu tun, und nur das Wisbysche Stadtrecht gehört eigentlich, auch wenn es in niederdeutscher Sprache verfaßt ist, in eine "Samling af Sveriges Gamla Lagar" . 51
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Das genaue Alter des Stadtrechts von Wisby ist unbekannt. Schlyter vermutete seine Abfassung in der Zeit zwischen 1332 und 136055 • Goldschmidt billigt dies im Grundsatz; denn in der praefatio56 wird König Magnus Eriksson mit dem Titel König "van sueden, van norweghene, van scone" genannt, und Schonen fiel 1359 an Dänemark, dessen König Waldemar III. sich seitdem auch König von Schonen nannte 57 . Goldschmidt versucht dann eine genauere Datierung auf das Jahr 1352, da in einer Urkunde aus diesem Jahr die in der praefatio ausdrücklich genannte Erneuerung der älteren Privilegien Wisbys möglicherweise enthalten sei. Genauere Angaben kann Goldschmidt nicht machen, da er von dieser Urkunde nur über eine Notiz bei Lappenberg58 Kenntnis hatte und ihr Abdruck59 ihm nicht zugänglich war. Goldschmidts Gedankengang beruht auf folgenden Grundlagen6o : Von den schwedischen Privilegien, die in der praefatio erwähnt werden, sind nur61 das Privileg König Birgers von 1313 an die Bürger von Wisby, mit ihren Waren durch die Newa nach Rußland zu fahren 62 , und das König Magnus Erikssons von 1352 erhalten; dieses dürfte mit dem von Goldschmidt ebenfalls erwähnten von 1342 identisch sein, da es von Lappenberg nach einer falschen Datierung zitiert worden war63 . Mit dieser Urkunde beendet König Magnus Eriksson einen Streit zwischen Stockholm und Wisby und bestätigt beiden Städten im Anschluß an das Privileg von 127664 und das nicht erhaltene der Herzöge Erik und Waldemar von Schweden das Recht der abgabefreien Lebensmittelausfuhr. Goldschmidt hoffte nun, daß sich in dieser Urkunde auch Bestimmungen über die Aufzeichnung des Stadtrechts von Wisby finden mögen. Dies ist aber nicht der Fall, denn die - vollständig erhaltene - Urkunde bricht nach der Regelung des Ausgleichs der Privilegien Wishys und Stockholms ab. Goldschmidts Vermutung ist deshalb, soweit ersichtlich, in der späteren Literatur nicht weiter nachgegangen worden. Dennoch spricht einiges für seinen Datierungsvorschlag. Auffallend ist nämlich, daß nach der praefatio des Stadtrechts der Anlaß zur Gewährung des ersten der genannten Privilegien, deren Schlyter, Codices, S. VI. Bei Schlyter, Codices, S. 21 f. 57 Goldschmidt, Sjöratt 1856, S. 31 f. 58 Johann Martin Lappenberg, Urkundliche Geschichte der dt. Hanse, Bd. 2, S. 370 u. 420. 59 Bei Lagerbring, Svea Rikes Historie III, 1776, S. 415; inzwischen auch in: Hansisches Urkundenbuch, hrsg. v. Konstantin Höhlbaum, Bd. III, Halle 1882 - 1886, S. 107 f., Nr. 243. 60 Goldschmidt, Sjöratt 1856, S. 36. 61 Daß das ältere Privileg König Magnus' von 1276 (beschrieben in: Hansisches Urkundenbuch, hrsg. v. K. Höhlbaum, Bd. I, Halle 1876, S. 267, Nr. 773) mit der Garantie freier Schiffahrt und zoll- und steuerfreien Lebensmittelhandels erhalten war, wußte Goldschmidt 1856 nicht: s. Goldschmidt, Sjöratt 1856, S. 36. 62 Codex Diplomaticus Lubecensis. Lübeckisches Urkundenbuch, 1. Abth.: Urkundenbuch der Stadt Lübeck, 2. Theil, 1. Hälfte, Lübeck 1858, S. 270, Nr. 320. 63 s. Hansisches Urkundenbuch, hrsg. v. Konstantin Höhlbaum, Bd. III, Halle 1882 - 1886, S. 108 f., 109 oben. 64 Hansisches Urkundenbuch, hrsg. v. Konstantin Höhlbaum, Bd. III, Halle 1882 - 1886, S. 108 Fußn. 1. 55
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ständige Bestätigung durch die folgenden hervorgehoben wird, "grot twist ... tvischen stad unde land" gewesen sei. Die Urkunde von 1352 hat nun gleichfalls die Beilegung eines solchen Zwistes durch die wiederholte Bestätigung von Privilegien zum Inhalt. Diese Urkunde nimmt auch nicht auf die Gewährung weiterer Freiheiten und Rechte Bezug, die nach den Freiheiten der Herzöge Erik und Waldemar verliehen worden wären, die in der praefatio unmittelbar vor der letzten, entscheidenden Privilegs-Erteilung genannt werden. Es ist also durchaus denkbar, daß es sich bei dem Privileg von 1352 tatsächlich um das handelt, das am Ende der praefatio erwähnt wird, und das demzufolge das Stadtrecht von Wisby entsprechend zu datieren ist. Dem muß nicht entgegenstehen, daß die gleichzeitig erteilte Gewährung der Aufzeichnung des Stadtrechts in dieser Urkunde nicht erwähnt wird, denn diese Angelegenheit betraf nur die Bürger Wisbys und hätte deshalb thematisch in die Urkunde nicht hineingepaßt. Die dagegen heute 65 angenommene Datierung des Stadtrechts auf 1341/1344 stammt von Karl Lehmann66 : Nach der praefatio sollte Wisby fortan nur noch ein Siegel statt der vorher zwei für die beiden Bevölkerungsgruppen haben. Wisbysche Urkunden mit nur einem Siegel gebe es aber schon ab 1344. Auch dieser Schluß ist indessen, die richtige Datierung dieser Urkunden einmal vorausgesetzt, nicht zwingend. Möglicherweise haben die Wisbyer ihr Siegel bereits vorher geändert, um schon in der Zeit der Vorbereitung der Stadtrechtsaufzeichnug ihre Einheit und damit gewissermaßen ihre Reife für ein einheitliches Stadtrecht zu demonstrieren, und ließen sich nun diesen Brauch nur noch bestätigen. Da sich sichere Festsellungen daher nicht treffen lassen, bleibt die Frage der Datierung des Wisbyschen Stadtrechts weiterhin genauerer Untersuchung wert67 • Für die Herkunft des Stadtrechts vertritt Goldschmidt die Ansicht, daß die gleichfalls in der praefatio erwähnten, von Kaiser Lothar und Heinrich dem Löwen gegebenen "Frieden" nach Unruhen in der Stadt nicht die Gewährung von Privilegien an alle Einwohner Wisbys zum Gegenstand gehabt hätten, aus denen das Stadtrecht entstanden sei. Grundlage der Unruhen seien Proteste der Einheimischen gegen das allmählich sich ausbildende Übergewicht der deutschen Kaufleute in Wisby gewesen. Deshalb hätten der Kaiser und später Herzog Heinrich den gotländischen Kaufleuten die gleichen Vorrechte bei sich versprochen, die die deutschen Kaufleute in Gotland genossen, um diese vor Übergriffen zu schützen68 . Ein 65 A. Wolf, Die Gesetzgebung der entstehenden Nationalstaaten, in: Helmut Coing (Hrsg.), Handbuch der Quellen u. Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, Bd. I, 1973, S. 766 Fußn. 4; s. auch Landwehr, Haverei, S. 114. 66 Karl Lehmann, Das Bahrgericht, in: Germanistische Abhandlungen zum 70. Geburtstag Konrad von Maurers, Göttingen 1893, S. 21 - 45, 40 f. in Anm. 13; ihm folgend: Gösta Hasselberg, Studier rörande Visby stadslag och dess källor, Uppsala 1953, S. 19 (dt. S. 356). 67 Klarer wäre die Lage, wenn die genannte Urkunde von 1352 tatsächlich, wie von Lappenberg angegeben, von 1342 wäre; es könnte deshalb lohnen, die Richtigkeit ihrer Datierung nochmals zu überprüfen. 68 Goldschmidt, Sjöratt 1856, S. 33 - 36.
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einheitliches geschriebenes Stadtrecht, dessen Aufzeichnung die praefatio sicherlich erwähnt hätte, habe es also bis zur Abfassung unter Magnus Eriksson nicht gegeben 69 . Das schließlich aufgezeichnete Stadtrecht sei entstanden durch die sich wegen des gemeinsamen Lebens und Handeltreibens immer weiter angleichenden Gewohnheiten der Gotländer wie der Deutschen in Wisby7o. Auch diese Ausführungen Goldschmidts haben in der Literatur kein Echo gefunden. Die Frage nach der Herkunft des Stadtrechts hat später insbesondere Karl von Hegel untersucht7!. Er ist durch detaillierte Untersuchung einzelner Gegenstände zu dem Ergebnis gekommen, daß es sowohl deutsche als auch gotländische Wurzeln habe und aus einer Vermischung beider hervorgegangen sei. Eine Herkunft einseitig aus dem gotländischen oder deutschen Recht läßt sich trotz entgegenstehender Versuche auch durch neuere Forschungen nicht nachweisen 72 . Goldschmidts schon 1856 geäußerte Vermutung dürfte sich damit als letztlich richtig erwiesen haben. bb) "Die deutsche Hansa" Der Gegenstand von Goldschmidts Vortrag über die "Die deutsche Hansa", den er am 28. Dezember 1861 im Museumssaal in Heidelberg "zum Besten der deutschen Flotte" gehalten har1 3 , ist, wie bei einer für ein breiteres Publikum bestimmten Rede nicht anders zu erwarten, mehr allgemein-historischer und politischer als spezifisch rechtsgeschichtlicher Art74 . Goldschmidt stellt denn auch folgendes Motto voran: "Was die unerfreulich drückende Gegenwart versagt, sucht dann der rückwärts gewendete Blick in längst vergangenen Tagen,,75. In diesem Sinne werden in der Einleitung das Verhältnis von Hanse und Kaisertum angesprochen 76 und in vier Abschnitten dann die Vorgeschichte Niederdeutschlands und die Ostkolonisation77 , "die größte politische That unseres Volkes: die Germanisierung der slavisehen Nord- und Ostseeländer,,78, die Entwicklung der Städte und des Handels in Goldschmidt, Sjöratt 1856, S. 36. Goldschrnidt, Sjöratt 1856, S. 35 f. 71 Karl von Hegel, Städte und Gilden der germanischen Völker im Mittelalter, Bd. I, Leipzig 1891, S. 306 ff., 312 ff. 72 Gösta Hasselberg, Studier rörande Visby stadslag, 1953, S. 28 ff. (dt. S. 356 f.). 73 Riesser S. 52. 74 Goldschmidts Vortrag hat den Beifall insbesondere Heinrich von Treitschkes gefunden: Treitschke, Briefe, Bd. 2, S. 221 f., 222 (an Haym, 9. 7. 1862). Diese Übereinstimmung dürfte darauf beruhen, daß beide die gleiche Quelle (Scriptores rerum Prussicarum, hrsg. v. Th. Hirsch, M. Töppen u. E. Strehlke, 1. Bd., Leipzig 1861) benutzt haben, s. Treitschke, Ordensland S. 93 (dieser Quellennachweis wird in allen Separatausgaben dieser Abhandlung Treitschkes unterschlagen). 75 Hansa 1862, S. 528. 76 Hansa 1862, S. 528 ff. 77 Hansa 1862, S. 531 ff. 78 Hansa 1862, S. 528. 69
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Niederdeutschland79 , die Hanse als Kaufmannsbund so , worin Goldschmidt ihr eigentliches Wesen erblicktSI, und die Hanse als Städtebunds2 geschildert. In den SchlußwortenS3 , die einem Ausblick auf die Bedeutung Deutschlands für den Welthandel dienen, entwirft Goldschmidt folgende Vision: "Um die deutsche Seemacht wiederzuerringen, wird es einer neuen Hanse bedürfen. Aber nicht mehr monopolistisch werden deutsche Industrie und Handel versuchen, den Weltmarkt zu beherrschen, sondern in freier, gesicherter Mitwirkung aller Culturvölker Antheil nehmen an der Ausbreitung des Wohlstandes, der Förderung aller materiellen und geistigen Güther"s4. Man könnte aus diesem Vortrag Goldschmidts und seinen übrigen Arbeiten zur deutschen Rechtsgeschichte und zum deutschen Privatrecht herauslesen wollen, daß er eine besondere Hochachtung für das alte deutsche Recht empfunden habe s5 . Tatsächlich jedoch offenbart gerade dieses Werk, weshalb Goldschmidts Arbeiten der späteren Zeit zum deutschen Recht meist wenig gelungen sind und sich seit den 60er Jahren keine seiner Veröffentlichungen mehr ausschließlich mit dieser Materie befaßt hat: Das Aufblühen des deutschen Handels führt Goldschmidt zurück auf die intensiven Handelsbeziehungen, die die norddeutschen Städte und Hansestädte über die oberdeutschen Handelsstädte mit den großen Handelsstädten Norditaliens unterhalten haben s6 . Deren Entwicklung und Verfassung bezieht er nun, vielleicht nicht einmal bewußt, als Typus immer wieder in Vergleichen in die Darstellung ein s7 , so daß es fast konsequent ist, wenn er schließlich von "der völkerverbindenden Ostsee" als dem "Mittelmeere des Nordens" sprichtss . Dies zeigt, wie sehr Goldschmidt schon zu dieser Zeit Norditalien als den eigentlichen Entstehungsort der für die Geschichte des modemen Handelsrechts maßgeblichen Entwicklungslinien und Institute ansieht. Ihrer Aufdeckung hat er dann den weitaus größten und bedeutendsten Teil seiner rechtshistorischen Arbeiten gewidmet.
Hansa 1862, S. 533 ff. Hansa 1862, S. 536 ff. 81 Hansa 1862, S. 535 f., 538. 82 Hansa 1862, S. 546 ff. 83 Hansa 1862, S. 556 f. 84 Hansa 1862, S. 557. In dieser Gewichtung der Fakten unterscheidet sich Goldschmidts Rede grundlegend von Treitschkes Abhandlung: Während Goldschmidt die Bedeutung des friedlichen Handels für die Ausbreitung des Deutschtums im Osten betont, sieht Treitschke, Ordensland, S. 102, 123, 127 die gewaltsame Germanisierung der Ostseeküste und die kriegerische Wehrhaftigkeit der Hansestädte als das maßgebliche Element an. 85 So insbes. Sinzheimer S. 52 f. 86 Hansa 1862, S. 530 f. 87 s. etwa Hansa 1862, S. 534 Mitte, 538 oben u.ö. 88 Hansa 1862, S. 531 unten. 79
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cc) Geschichte der Juristenausbildung in Deutschland Mit der Geschichte der Juristenausbildung in Deutschland hat Goldschmidt sich ausführlich in seiner großen Schrift über "Rechtsstudium und Prüfungsordnung" von 1887 befaßt89 • Seine breite Darstellung ist freilich, dem Zweck dieser Publikation entsprechend, tendenziös; sie enthält aber reiches Material zu Problemen der Juristenausbildung vom Beginn der Neuzeit bis zum Erscheinen des Werkes, das Goldschmidt für die letzten Jahrzehnte durch die Wiedergabe zahlreicher eigener Erfahrungen aus seiner Studienzeit wie Lehrtätigkeit angereichert hat9o . Dieser Ausflug Goldschmidts in einen speziellen Bereich der Geschichte der deutschen und europäischen Rechtswissenschaft blieb leider kursorisch. Dies ist um so mehr zu bedauern, als dieser Gegenstand von der rechtshistorischen Forschung seit jeher vernachlässigt worden ist und bisher keine systematische Gesamtdarstellung erfahren hat. b) Deutsches Privatrecht aa) Die Haus- und Hofmarke Zu einer, freilich auf dem Randgebiet von Rechtsgeschichte und Volkskunde liegenden, einzelnen Frage des deutschen Privatrechts veröffentlicht Goldschmidt 1856 eigene Erkenntnisse, indem er in einer Rezension eines Werkes seines Danziger Lehrers Hirsch auf den gegenwärtigen Gebrauch der Hausmarken und den unklaren Rechtszustand hinsichtlich ihres Gebrauches hinweist: Nach seinen eigenen Erfahrungen in der preußischen Praxis komme es wohl noch vor, daß Analphabeten mit der Hofmarke als Surrogat der Namensunterschrift zeichneten 91 , ihr Gebrauch sei aber inzwischen fast völlig durch die drei Kreuze verdrängt worden 92 • Dieser kurze Bericht Goldschmidts aus seiner eigenen Zeit als Auskultator und Referendar wirft ein Licht darauf, wie sehr noch zu dieser Zeit Vorgänge, die heute nur historisch betrachtet werden können 93 , durch unmittelbare Anschauung miterlebbar waren. Das Miterleben solcher Wandlungen mag dazu beigetragen haben, in einem der Praxis verbundenen Juristen wie Goldschmidt die Überzeugung reifen Rechtsstudium 1887, S. 126 - 236. Es wird ergänzt durch Goldschmidts Skizze über Heidelberger Rechtslehrer, die ebenfalls 1887 erschien. 91 Er selbst hatte dies freilich nie erlebt. 92 Goldschmidt, Chronik 1856, S. 201; s. auch Handbuch, 1. Aufl., I 1, 1868, § 68, S. 644 ff. (Verfügung mittels Zeichnens von Waren). Goldschmidt hat das Ergebnis seiner kleinen Untersuchung später C. G. Homeyer mitgeteilt, der sie für sein Werk über Die Hausu. Hofmarken, Berlin 1870, verwertet hat (S. VII, XVI). 93 Die Hausmarke kommt als Unterschriftersatz im Rahmen von §§ 126 Abs. 1 a.E., 129 Abs. 1 S. 2 BGB, §§ 39 f. (besonders § 40 Abs. 6) Beurkundungsgesetz 1969 heute nicht mehr vor. 89
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zu lassen, daß sich das Wesen des Rechts aus dem geschichtlichen Wandel der Lebensverhältnisse einerseits, der Beständigkeit einzelner Anschauungen und Notwendigkeiten andererseits herleiten lasse. bb) Der Eigentumserwerb vom Nichtberechtigten Obwohl Goldschmidt als Handelsrechtler dem germanistischen Zweig der deutschen Rechtswissenschaft zugerechnet wurde, enthält nur eine seiner nicht der Geschichte des Seerechts gewidmeten Veröffentlichungen eine umfangreichere Untersuchung zum deutschen Privatrecht des Mittelalters, nämlich seine Abhandlung über Geschichte und Dogmatik des Eigentumserwerbs vom Nichtberechtigten VOn 1865/66. Gerade diese Materie galt den Germanisten als ein Bereich, in dem sich ein Rechtsinstitut des deutschen Privatrechts erfolgreich gegen die Rezeption des römischen Rechts zu behaupten vermochte94 . Tatsächlich findet sich das römische Recht95 in Goldschmidts Abhandlung zunächst augenscheinlich als Gegenpol zum deutschen Privatrecht und ist daher mehr als ein bloßer Anlaß, sich am römischen Sachenrecht als "Meisterwerk logischer Consequenz,,96 zu erfreuen. Denn Goldschmidt weist auf die immanenten Rechtsbildungen hin, durch die bei den Römern die Folgen der fehlenden Möglichkeit, das Eigentum VOn einem Nichtberechtigten zu erwerben, zugunsten des redlichen Besitz-Erwerbers gemildert wurden; denn der redliche Besitz-Erwerber wurde im Vergleich zum unredlichen Besitzer in vielerlei Hinsicht privilegiert97 , insbesondere durch die Möglichkeit der Ersitzung innerhalb kurzer Fristen98 . Die These, das römische Recht habe bereits die Anlage in sich getragen, ein System des Eigentumserwerbs vom Nichtberechtigten zu entwickeln, lehnt Goldschmidt aber wohl zu Recht ab99 ; seiner Geringschätzung der spätrömischen Rechtsentwicklungl()() entspricht es, wenn er im Zuge "einer laxen, dem größeren Verkehr unangemessenen Humanität" das genaue Gegenteil ausmacht, etwa durch die späteren Regelungen zur Erschwerung der Ersitzung J01 . Nach der Analyse des römischen Rechts wendet Goldschmidt sich ausführlich dem deutschen Privatrecht lO2 des Mittelalters zu. 94 Umfassende Darstellungen m.w.N.: O. Gierke, Privatrecht 11, § 134 I, S. 552 - 567; AIfred Schultze, Gerüfte u. Marktkauf, in: Festgabe für Felix Dahn, Bd. 1, Breslau 1906, S. 1 63. 95 Erwerb 1865, S. 230 - 246. 96 Erwerb 1865, S. 231. 97 Vgl. heute etwa §§ 987 ff., 1007,440 Abs. 2 BGB. 98 Erwerb 1865, S. 234 - 237, 237. - Zur Ersitzung im römischen Recht s. Kaser, Privatrecht I, § 101, S. 418 ff. 99 Erwerb 1865, S. 239. 100 Handbuch, 1. Aufl., I 1, 1864, § 37 in Fußn. 3, S. 263. 101 Erwerb 1865, S. 238; Handbuch, 1. Aufl., I 1, 1864, S. 263 in Fußn. 3.
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Grundlage der Untersuchung des deutschen Rechts ist der besonders deutlich in Ssp. Ldr. 11 60 § 1 zum Ausdruck kommende Grundsatz, daß derjenige, der eine bewegliche Sache einem anderen anvertraut hat, sie allein von diesem zurückverlangen kann, nicht aber von einem Dritten, an den die Sache in der Zwischenzeit gelangt ist. Goldschmidt weist überzeugend nach, daß dieses Prinzip, das gemeinhin mit der Rechtsparömie "Hand muß Hand wahren" umschrieben wird lO3 , tatsächlich allen der zahlreichen, stets aber in einer engen, meist auf Prozeßsituationen zugeschnittenen Kasuistik abgefaßten Quellenzeugnissen des deutschen Rechts zugrundeliegt. In der deutschrechtlichen Literatur des 19. Jahrhunderts wurde häufig versucht, diesen Rechtsgrundsatz mit begrifflich-romanistischen Konstruktionen zu erklären oder ihn als eine bewußt auf eine günstige Gestaltung des Rechtsverkehrs ausgerichtete Norm und deshalb gerade dem begrifflich denkenden römischen Recht überlegen zu deuten lO4 • Von diesen Erklärungsversuchen scheint Goldschmidt sich zunächst femzuhalten. So erkennt er im Gegensatz zu vielen zeitgenössischen Autoren, daß die "Gewere", um deren Verlust als tatsächliche Voraussetzung für die Veräußerung der Sache durch einen Nichtberechtigten es in den Quellen geht, keineswegs deckungsgleich mit dem "Besitz" des römischen Rechts ist; denn der Besitz wird im römischen Recht als tatsächliche Position vom Eigentum als rechtlicher Position scharf geschieden 105, die Gewere nach deutschem Privatrecht ist dagegen die zwar gleichfalls körperliche, aber stark durch Rechtsanschauungen modifizierte Innehabung einer Sache. Goldschmidt charakterisiert diese deutschrechtliche Verquickung von tatsächlichen und rechtlichen Momenten einleitend zutreffend als einer "vorwiegend sinnlich-naiven Anschauung" entsprechend lO6 , eine Wendung, die er freilich auch auf die ursprünglichen Bildungen des römischen Besitzbegriffs anwendet 107. Auch Goldschmidt erkennt jedoch nicht, daß jedenfalls die mittelalterlichen Landrechte sich die Frage nach dem Eigentum als abstrakten, erst Ansprüche gewährenden Recht gar nicht gestellt haben; für sie waren vielmehr die Gewere als nur relatives Rechtsverhältnis und der Bruch der Gewere als dessen offene Verletzung Grundlage der einzelnen Klagen. Aufgrund seiner irrigen Vorstellung entscheidet Goldschmidt sich in dem Streit über die gedankliche Grundlage der "Anefangsklage", die als Klage auf 102 Erwerb 1865, S. 246 - 266. - In diesen Bereich gehört auch die Darstellung der Rechtssätze, durch die die jüdischen Händler privilegiert wurden, denn sie beruhten auf der Anerkennung des jüdischen Rechts durch das deutsche Privatrecht, das dem Personalitätsprinzip folgte: Erwerb 1865, S. 266 - 278; vgl. hierzu Guido Kisch, Forschungen zur Rechts- u. Sozialgeschichte der Juden in Deutschland während des Mittelalters, 2. Aufl., Sigmaringen 1978, S. 108 - 136 m.w.N. 103 Stobbe, Handbuch II, S. 620 m.w.N.; W. Ogris, Art. "Hand wahre Hand", in: HRG 1 (1971), Sp. 1928 - 1936. 104 Zu den germanistischen "Theorien" s. Wemer Hinz, Die Entwicklung des gutgläubigen Fahrniserwerbs in der Epoche des usus modemus u. des Naturrechts, Berlin 1991 m.w.N. 105 Ulpian D. 41, 2, 12, 1 am Anfang: "Nihil commune habet proprietas cum possessione." 106 Erwerb 1865, S. 246. 107 Studien 1888, S. 15 f. = Besitzlehre 1884, S. 209.
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Herausgabe von unfreiwillig aus der Gewere verlorenem Gut gegen jeden gerichtet werden kann, der die Sache jetzt in seiner Gewere hat 108 , dafür, ihre Grundlage nicht in dem deliktischen Zugriff auf die Sache, der sich im Gewerebruch manifestiert hat, zu sehen, sondern im Eigentum des Klägers 109 . Immerhin begründet er diese Ansicht nicht damit, daß das Eigentum an der Sache wie im römischen Recht grundsätzlich gegen jeden Besitzer der Sache verfolgbar sei, sondern damit, daß sich die Anefangsklage ihrer prozessualen Natur nach gegen jeden, auch den redlichen Inhaber der Gewere richte. Dabei weist er ausdrücklich auf die charakteristische Relativität der dinglichen Rechte im deutschen Recht hin, die im Gegensatz zu ihrer absoluten, von vornherein gegen jedermann gerichteten Ausgestaltung im römischen Recht stehelID. Auf eben diese Relativität der Sachenrechte führt er den Ausschluß der Verfolgung freiwillig weggegebener Güter gegen jeden dritten Besitzer zurück. Eine bewußt den Rechtsverkehr, insbesondere das Vertrauen des redlichen Erwerbers auf den Bestand seines Erwerbes schützende Tendenz findet er in den ursprünglichen Regeln des deutschen Rechts nicht Ill. Derartige Gedanken spielten im deutschen Recht erst eine Rolle, als die mittelalterlichen Regelungen in den Stadtrechtsreformationen, die im Zeichen der Rezeption des römischen Rechts erfolgten, gegen das römische Recht beibehalten worden seien 112 . Das gleiche gelte für die neueren Gesetzgebungen 113 • Goldschmidts Erklärungen sind, wenn man ihnen auch aufgrund neuerer Forschungen nicht immer folgen kann, durchgehend gekennzeichnet von einem Einfühlen in die mittelalterlichen Verkehrsverhältnisse. Dabei gelingt es ihm naturgemäß besser, die Gedankengänge nachzuvollziehen, die den frühneuzeitlichen Stadtrechten zugrundeliegen, als die der mittelalterlichen Landrechte 1l4 . In einem Fall indessen führt ihn seine am römischen Recht geschulte Denkart in die Irre: Goldschmidt behauptet, daß derjenige, der eine Sache einem anderen anvertraut hat, diese dann von einem dritten Inhaber herausverlangen könne, wenn dieser keinen Erwerbstitel habe oder bei dem Erwerb nicht redlich gewesen sei llS . Er beruft sich dafür auf das altdeutsche Prozeßrecht, wonach derjenige, der die Herausgabe der Sache an den klagenden ursprünglichen Inhaber der Gewere verweigert, sich auf denjenigen als seinen Gewähren berufen muß, von dem er die SaSsp. Ldr. 11 36 § I. Erwerb 1865, S. 251. 110 Erwerb 1865, S. 251. 111 Erwerb 1865, S. 259. 112 Erwerb 1865, S. 260. 113 Erwerb 1865, S. 278 ff. 114 V gl. hierzu auch Coing, Privatrecht 11, S. 398 f. 115 Erwerb 1865, S. 256 - 259; so auch Adolf Zycha, Eigentumsverfolgung u. Verkehrsschutz bei Fahrnis, in: Zs. für Schweizerisches Recht, Basel 1903, S. 74 - 150, 104 ff., 113 f. Gegen beide A. Schultze, in: Festgabe Dahn 1906, S. 10 - 15, speziell zu Goldschmidt S. 11 f. in Fußn. 36, u. Stobbe, Handbuch 11, S. 621 in Fußn. 26; W. Hinz, Die Entwicklung des gutgläubigen Fahrniserwerbs, 1991, S. 28. 108
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che erworben hat; dieser erhält die Sache für die Dauer des Prozesses und muß sie nun seinerseits verteidigen 116. Dieser Gewährenzug dauert fort, bis sich entweder ein erster Veräußerer findet, dem die Sache von dem Kläger anvertraut worden ist - dann scheitert dieser mit seiner Anefangsklage - oder bis sich kein Gewähre mehr findet; dann hat der Kläger Erfolg, und der letzte Gewähre muß ihm die Sache herausgeben. Goldschmidt beschreibt diesen Prozeßgang zunächst korrekt. Dann aber heißt es plötzlich 117, es komme darauf an, daß der Gewähre "ein stärkeres Recht für sich oder für den ,ersten' Beklagten an der Sache zu behaupten vermag"; das sei dann der Fall, wenn der Gewähre sein Recht von einem Veräußerer ableiten könne, dem die Sache seinerseits von dem Kläger oder aber einem nichtberechtigten Dritten anvertraut worden sei. Auf diese Weise macht Goldschmidt aus den beiden eigentlichen Funktionen des Gewährenzuges, herauszufinden, ob es sich bei der streitbefangenen Sache um anvertrautes Gut handle, und den Beklagten vom Diebstahlsverdacht zu reinigen, einen Streit nur um den Erwerbstitel des jeweils die Sache verteidigenden Gewähren 118: "Nur der titulirte Erwerb schützt, und dabei mag auch das nicht weiter unterschiedene Moment der Redlichkeit in einer nur nicht näher nachweisbaren Art in Betracht gekommen sein. Es wurde offenbar nur der redliche Verkehr geschützt"lI9. Die einzige Quelle, die Goldschmidt für diese Ansicht anzuführen weiß l20 , ist Art. 208 der Carolina, die in dieser Frage schon stark vom römischen Recht beeinflußt ist l2l . Sein Ergebnis steht zudem in offenem Widerspruch zu seiner gleich darauf getroffenen, gegenteiligen Feststellung l22 , daß auch das auf offenem Markt gekaufte Gut nach deutschem Recht herausgegeben werden muß 123 ; denn hier ist der Erwerber typischerweise redlich. Goldschmidts Irrtum erklärt sich daraus, daß er die eingangs von ihm selbst hervorgehobene strenge Relativität der Sachenrechte in der deutschrechtlichen Auffassung außer acht läßt und in romanistischer Anschauung von einem System absoluter, potentiell gegenüber jedermann wirkender Rechte ausgeht. Deshalb ist für ihn nicht mehr entscheidend, auf welche Art der Kläger seine Gewere an der Sache verloren hat, sondern auf welche Weise der Beklagte sie erworben hat. Wenn dann der Beklagte die Sache behalten darf, obwohl dem Kläger ursprünglich einmal ein Recht auf ihre Rückforderung zustand, könne das nur darauf beruhen, daß dem Beklagten eine "bessere" Berechtigung zugestanden worden sei. Damit hat GoldSsp. Ldr. II 36 §§ 5 - 8. Erwerb 1865, S. 257. 118 Erwerb 1865, S. 257 f. 119 Erwerb 1865, S. 258. 120 Erwerb 1865, S. 258 Fußn. 36. 121 Die Bestimmung des HH StR 11 Art. 7 von 1603 übersieht Goldschmidt, obwohl sie viel besser hierherpaßt; denn sie beruht zwar deutlich auf Ssp. Ldr. II 60 § 1, erfordert aber zusätzlich einen Erwerb "mit gutem Titel". Auch hier hat sich erkennbar römisch-rechtlicher Einfluß durchgesetzt. 122 Erwerb 1865, S. 259. 123 Ssp. Ldr. II 36 § 4. 116
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schmidt die eigentümliche Anefangsklage des deutschen Privatrechts, ohne daß ihm dies bewußt gewesen wäre, zu einem romanistischen Institut gemacht l24 : Das römische Recht kennt nämlich genau die Klage, mit der der "besser" berechtigte ehemalige Besitzer einer Sache diese von einem weniger berechtigten heraus verlangen kann, die actio Publiciana 125. Das Eindringen romanistischer Denkstrukturen in Goldschmidts Behandlung einer spezifisch germanistischen Materie wirft ein bezeichnendes Licht auf seine Bemerkungen über das erfolgreiche Wiedervordringen germanistischer Anschauungen gegenüber den dem Rechtsverkehr ungünstigen Konsequenzen des römischen Rechts, mit denen er seine Abhandlung über den Eigentumserwerb vom Nichtberechtigten einleitet 126 . Sie sind keine Verteidigung der deutschrechtlichen Tradition in der vom römischen Recht dominierten Rechtsentwicklung in Deutschland I27. In Wahrheit ließ Goldschmidt germanistische Prinzipien nur dann gelten, wenn er sie in ihren Strukturen mit romanistischen Prinzipien erfassen konnte 128 . Das deutsche Recht ist ihm seinem Wesen nach immer fremd geblieben 129 . Er unterschied sich darin nicht von Thöl oder Gerber, die ebenfalls als Germanisten galten.
3. Geschichte des Handelsrechts Wie nicht anders zu erwarten, liegt auch der Schwerpunkt von Goldschmidts historischen Studien auf dem Gebiet des Handelsrechts.
124 A. Zycha, Eigentumsverfolgung, in: Zs. für Schweizerisches Recht 1903, S. 74 ff., 113 stützt seine, im Ergebnis der von Goldschmidt entsprechende Ansicht merkwürdigerweise gerade darauf, daß dem deutschen Recht nicht der römisch-rechtliche Eigentumsbegriff zugrundegelegt werden dürfe. 125 Mit ihr kann der bloß "bonitarische" Eigentümer, der eine Sache nicht nach den strengen Regeln des ius civile erworben hat u. deshalb das Eigentum eigentlich erst durch Ersitzung erwirbt, sie trotz seines fehlenden Volleigentums von einem minder berechtigten Besitzer herausverlangen: Gaius, Institutionen IV, 36; Kaser, Privatrecht I, § 104 I, S. 438 f.; zur Entstehung s. Savigny, Beruf, S. 31 ff., 32. - Wie naheliegend Goldschmidts Mißverständnis war, zeigt sich daran, daß häufig die Ansicht vertreten wird, die Anefangsklage lebe in § 1007 BGB fort (Otto Gierke, Die Bedeutung des Fahrnisbesitzes, Jena 1897, S. 70 - 72; vgl. auch D. Werkmüller, Art. Anefang, in: HRG 1 (1971), Sp. 159 - 163, 163), obwohl dieser gerade der actio Publiciana nachgebildet ist (Mol. III, S. 429 - 433 = Mugdan, Materialien BGB III, S. 240 - 242: "Publizianische Rechtsposition"). 126 Erwerb 1865, S. 225 - 228. 127 So Sinzheimer S. 53 f. 128 So auch in Lex Rhodia 1889, S. 37 ff. 129 Auch sonst hat Goldschmidt sich eher abfällig über das mittelalterliche dl. Recht geäußert: ZHR 23 (1878), S. 306 (zu Demburg); Rechtsstudium 1887, S. 94 ("Gehen wir darum seit 1000 Jahren bei den großen Meistem der Römischen Jurisprudenz, den Paulus und Celsus, Julian und Papinian ... in die Schule, um die juristische Kindersprache etwa eines mittelalterlichen Volksrechts zu lallen?"); Lex Rhodia 1889, S. 76 f.
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a) Entwicklung des Handelsrechts Obgleich Goldschmidt der bedeutsamste und hartnäckigste Verfechter der These ist, daß es schon im antiken Recht, insbesondere im alten römischen Recht spezifisch handelsrechtliche Rechtsbildungen gegeben habe, sieht er als eigentlich fruchtbare Zeit des Einflusses der Handelspraxis auf die Entstehung von Gewohnheitsrecht und die frühen Formen echter Gesetzgebung das Mittelalter an. Daher gilt der vom Umfang wie von den Erträgen her umfangreichste Teil seiner Universalgeschichte des Handelsrechts von 1891 dem Handelsrecht des Mittelalters 130; erst die zweite Lieferung, die Goldschmidt infolge seiner Erkrankung nicht mehr ausarbeiten konnte, sollte diese Darstellung des mittelalterlichen Handelsrechts abschließen. Der erste Teil von Goldschmidts Darstellung des Handelsrechts im Mittelalter behandelt die verfassungs-, geistes- und wirtschaftsgeschichtlichen Grundlagen, die auf die Rechtsbildung eingewirkt haben l31 . Er beginnt mit einer Untersuchung der allgemeineren Grundlagen des Handelsrechts im Byzantinischen Reich und im Frankenreich und der Einflüsse der Lehren der Katholischen Kirche 132, dann untersucht er die besonders für die Mittelmeerregion bedeutsamen Entwicklungen, insbesondere in Italien 133, der Iberischen Halbinsel und Frankreich 134. In dem Abschnitt über den Einfluß der kanonischen Lehren, insbesondere des Wucherdogmas, bemüht er sich, die früher auch von ihm vertretene Lehre zu relativieren, daß der Handel sich nur ganz allmählich von diesen hindernden Fesseln habe befreien können l35 : Diese Vorstellung übertrage vorschnell die Zeugnisse der Lehren, die die Schriften zeitgenössischer Autoren enthielten, auf die Praxis der Handelsgeschäfte. Diese Praxis habe sich in Wahrheit aber den Beschränkungen der Doktrin oftmals nicht oder nur allmählich unterworfen 136 . Dagegen seien in der bisherigen Forschung die Behinderungen unterschätzt worden, die nicht selten das weltliche Recht dem Handelsstand auf dessen eigene Forderungen hin durch Preistaxen, Qualitätskontrollen oder Maßnahmen zum Schutz vor auswärtiger Konkurrenz auferlegt habe. Allerdings sei dies damit einhergegangen, daß er sein Recht "aus eigenen Bedürfnissen und Anschauungen heraus" gestaltet habe l37 . Die Entwicklungs130 Universalgeschichte 1891, S. 94 - 465. Einen zeitlich größeren Rahmen umfaßt Goldschmidts Darstellung in Handel 1892 (mit Ergänzungen von Pappenheim bis zur 4. Auf). 1923), in der er das nordeuropäische Handelsrecht wesentlich unter dem Gesichtspunkt der Rezeption der römischen und romanischen Rechtsbildungen sieht, S. 42 - 44. 13l Universalgeschichte 1891, S. 94 - 237. 132 Universalgeschichte 1891, § 6, S. 96 - 100, 100 - 137 u. 137 - 142. 133 Universalgeschichte 1891, § 7, S. 142 - 200. 134 Universalgeschichte 1891, § 8, S. 200 - 237. 135 So insbes. Endemann in seinen Schriften, besonders in seinen Studien I u. 11, 1874 u. 1883. 136 Universalgeschichte 1891, S. 140 f. 137 Universalgeschichte 1891, S. 141 f., 142.
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linien, die Goldschmidt für den Handel und das Handelsrecht des Mittelalters aufgezeigt hat, mögen zwar in manchen Einzelheiten inzwischen durch neuere Forschungen überholt sein; das Gesamtbild, das sie geben entspricht jedoch den Erkenntnissen der heutigen Mediävistik 138 . b) Geschichte einzelner handelsrechtlicher Institute aa) Systematische Gesamtdarstellung in der "Universalgeschichte des Handelsrechts" von 1891 Der zweite und der dritte Teil der Darstellung des Handelsrechts im Mittelalter in Goldschmidts Universalgeschichte sollten einzelne Rechtsbildungen der Regionen des Mittelmeers und Nordeuropas behandeln. Von ihnen ist infolge seiner Erkrankung nur der zweite Teil, "Die Ergebnisse der romanischen Rechtsbildung im Mittelalter", erschienen, der fast die Hälfte der ersten Lieferung der Universalgeschichte des Handelsrechts ausmacht l39 . Dieser Teil enthält einen institutionengeschichtlichen Abriß der wichtigsten handelsrechtlichen Einrichtungen der romanischen Länder im Mittelalter l4o . Er ist zu einem großen Teil unmittelbar aus den Quellen selbst geschöpft, insbesondere den Statutuen der hauptsächlich norditalienischen Städte und ihren Kaufmannsinnungen sowie dem überlieferten Urkundenmaterial und deren Bearbeitungen. Auf dieser Grundlage behandelt Goldschmidt das Personenrecht des Handels, also Kaufmann und kaufmännisches Unternehmen, Maklerrecht und Gesellschaftsrecht l41 , Sachen- und Schuldrecht, darin das Vertragsrecht und die wichtigsten Handelsgeschäfte 142 , das See- und Versicherungsrecht 143 sowie das Urkunden-, besonders Wechselrecht l44. Soweit er dabei für einzelne Bereiche auf institutionengeschichtliche Vorarbeiten zurückgreifen kann, unterzieht er sie stets einer eigenen Überprüfung oder Überarbeitung. Das Fazit seiner Untersuchungen faßt Goldschmidt folgendermaßen zusammen: "Die neuen Rechtsschöpfungen der romanischen, insbesondere der italienischen Kaufmannswelt zeugen von hoher wirthschaftlicher Einsicht, genialer Rechtsbegabung und sicherer praktischer Schulung, sie stehen" - und damit zollt Goldschmidt ihnen das höchste Lob, das er zu vergeben weiß - "ebenbürtig neben den ewigen Schöpfungen der klassischen römischen Jurisprudenz,,145. 138 Vgl. etwa Universalgeschichte 1891, §§ 6 - 8 mit dem Überblick von Rolf Sprandel, Verfassung und Gesellschaft im Mittelalter, 2. Aufl., Paderborn 1978, S. 289 - 296. 139 Universalgeschichte 1891, S. 237 - 465. 140 Universalgeschichte 1891, S. 237 - 240 (Einleitung). 141 Universalgeschichte 1891, § 9, S. 237 - 298. 142 Universalgeschichte 1891, § 10, S. 299 - 334. 143 Universalgeschichte 1891, § 11, S. 335 - 383. 144 Universalgeschichte 1891, § 12, S. 383 - 465. 145 Handelsrecht 1892, Verm. Sehr. 11, S. 42.
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Goldschmidts Projekt einer systematischen Gesamtschau des mittelalterlichen Handelsrechts steht nach wie vor einzigartig da, und so wenig Goldschmidt sich hierfür auf Vorbilder stützen konnte, so wenig hat er Nachfolger gefunden 146. bb) Handelsgeschäfte im Mittelalter Goldschmidt hat sich auch in einigen gesonderten Studien mit einzelnen Instituten des Handelsrechts im Mittelalter beschäftigt: 1863 erscheint in der ZHR eine Mitteilung von Quellen ,,zur Geschichte des Italienischen Wechsels im Mittelalter", in der Goldschmidt mit einem nur kurzen Kommentar zahlreiche Quellen nachweist, die die große Verbreitung der Lombarden, der italienischen Wechsler, im Handel des Deutschen Reichs bereits seit dem 13. Jahrhundert belegen l47 . In einer Untersuchung über "Die Geschäftsoperationen auf den Messen der Champagne,,148 ergänzt Goldschmidt 1892 seine Darstellung der französischen Messen des Mittelalters in der Universalgeschichte l49 , in der er ihre Bedeutung als Vermittler zwischen nordeuropäischem und und mediterranem Handel und besonders ihre Ausbildung einer strengen und umfassenden Gerichtsbarkeit hervorgehoben hatte 150, indem er sich hier nun in eingehender Analyse überlieferter Urkunden zahlreichen Einzelheiten des Messebetriebes zuwendet l51 . cc) Geschichte des Maklerrechts Als erstes Ergebnis seiner Hinwendung zur Erforschung einzelner Institute des mittelalterlichen italienischen Handelsrechts erscheint 1882 Goldschmidts Schrift über die "Ursprünge des Mäklerrechts,,152. Sie ist gegen die These Paul Labands Rehme, Geschichte 1913 hat auf einen institutionengeschichtlichen Teil verzichtet. Wechsel 1863, S. 544 f. 148 Ihr frz. Untertitel sollte möglicherweise die Aufnahme der Abhandlung in den romanischen Ländern fördern; tatsächlich wurde sie zusammen mit der Universalgeschichte 1891 besprochen in den Annales de Droit Commercial 7 (1893), S. 324 ff., 326. 149 Universalgeschichte 1891, S. 224 - 237. 150 Universalgeschichte 1891, S. 234. 151 Verm. Sehr. 11, S. 237 - 243 zum "hare de dras", der Verkündung des Schlusses der Tuchmesse. 152 Übernommen in Universalgeschichte 1891, § 911, S. 250 - 254. - Dem geltenden Maklerrecht sind Goldschmidts Ausführungen nur insoweit verbunden, als das ADHGB, allerdings nur in der Überschrift des 7. Titel u. in Art. 66 Abs. 1, die Bezeichnung "Sensal" für Makler verwendet; zu ihm hat er sich kursorisch geäußert in Gutachten 1860, S. 46 (seiner Forderung, Art. 67 Entw. ADHGB 11 zu streichen, dem folgend die badische Erinnerung bei Heimsoeth, Zusammenstellung Nr. 92, S. 18, wurde erst im HGB 1897 entsprochen), Handbuch, 2. Aufl., I, 1874, § 41, S. 421 u. § 55, S. 627 f. in Fußn. 1, S. 631 - 633 u. System, 4. Aufl., S. 117 - 120 sowie in einer brieflichen Mitteilung gegenüber Viktor Ring, Der Maklergesetz-Entwurf, Berlin 1886, S. 3 f. 146 147
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gerichtet, der Maklerberuf sei dadurch entstanden, daß, um den Folgen der Unklarheiten des altdeutschen Beweisrechts zu entgehen, wichtige Verträge zunächst gerichtlich geschlossen worden seien; an die Stelle des Gerichts seien dann amtliche, öffentlich bestellte Urkundspersonen getreten, die sich zunehmend auch der Vermittlung der Geschäfte gewidmet hätten l53 . Dies ergebe sich insbesondere daraus, daß die in Süddeutschland verbreitete Bezeichnung "Sensal" für den Handelsmakler eine Umformung des lateinischen "censualis" sei und damit auf die ursprüngliche Urkundstätigkeit verweise l54 . Goldschmidt wendet gegen diese These ein, daß Makler schon in italienischen Quellen des 12. und 13. Jahrhunderts reiche Erwähnung fänden und ein ausgeprägtes Maklerwesen sich als kosmopolitische Einrichtung im internationalen Handelsund Geschäftsverkehr verbreitet habe 155 . Dafür spreche auch die wahre Herkunft der Bezeichnung "Sensal,,156: Älteren Autoren schon des 18. Jahrhunderts 157 folgend und sachkundig beraten von den philologischen Fachkollegen Sachau 158 und Tobler l59 , leitet Goldschmidt sie von dem persisch-arabischen Wort "Simsar" ab, das dort den Makler bezeichnet. Diese Bezeichnung finde sich in zahlreichen Abwandlungen in den Urkunden, wenn von Makler und Maklerrecht die Rede ist, nirgendwo aber ein Hinweis auf eine originäre Betrauung mit Beurkundungsaufgaben; diese seien vielmehr umgekehrt erst der Anerkennung der Vennittlerstellung nachgefolgt. Für die Entstehung dieses Instituts nimmt Goldschmidt deshalb wegen der arabischen Herkunft des Wortes an, daß es auf Einrichtungen des italienisch-arabischen Gasthandels zurückgehe, wo wegen der geringen kulturellen Berührungspunkte Dolmetscher erforderlich gewesen seien, die vermutlich zugleich zwischen den potentiellen Vertragsparteien auf beiden Seiten vennittelt hätten 160. Dafür spreche auch das häufige Verbot unmittelbaren Gasthandels zwischen einheimischen Kaufleuten und Fremden in vielen Städten des Mittelalters, das die Einschaltung von amtlichen Vennittlern notwendig gemacht habe und im europäisch-orientalischen Handel vermutlich besonders ausgeprägt gewesen sei 161. Die von Goldschmidt vertretene Etymologie hat sich in der Forschung weitgehend durchgesetzt l62 ; auch seine Widerlegung der These Labands ist wegen der Paul Laband, Die Lehre von den Mäklem, in: Zs. f. dt. R. 20 (1861), S. 1 - 65, 14 - 18. Laband, Mäkler, Zs. f. dt. R. 20, S. 18 - 21, 18 f. - So auch das Deutsche Wörterbuch, begründet von Jacob und Wilhelm Grimm, Bd. 10, Abth. 1 (= Neudruck 1984 Bd. 16), Leipzig 1905, Sp. 604 m.w.N. 155 Ursprünge 1882, S.116-121. 156 Ursprünge 1882, S. 124 - 129. 157 Ursprünge 1882, S. 122 f. 158 Eduard Sachau (1845 - 1930), Orientalist, 1876 Professor in Berlin: Ursprünge 1882, S. 123 f .. 159 AdolfTobler (1835 - 1910), romanischer Philologe, 1867 Professor in Berlin: Ursprünge 1882, S. 129. 160 Ursprünge 1882, S. 129 f. 161 Universalgeschichte 1891,253 f. m.w.N. in Fußn. 70 u. 71. 153
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von ihm nachgewiesenen frühen internationalen Verbreitung des Maklerwesens überzeugend l63 . Ob seine eigene These indessen richtig ist, muß wegen des Mangels an eindeutigen Quellenzeugnissen wohl dahingestellt bleiben. Für die Regionen, in denen ein Verbot des Gasthandels bestand, ist der von Goldschmidt aufgezeigte Bildungsweg zwar wahrscheinlich l64 . Es ist aber nicht auszuschließen, daß umgekehrt das Verbot des unmittelbaren Gasthandels und der daraus folgende Zwang, sich besonders dazu berechtigter Mittelspersonen zu bedienen, ein schon vorhandenes und ausgeprägtes Maklerwesen voraussetzt und gerade dem Ziel der Privilegierung der Maklerzunft dienen SOll165. Die frühe und weite Verbreitung des Maklerwesens und die Vielzahl der älteren Bezeichnungen für den Makler sprechen deshalb dafür, daß sich dieses Gewerbe etwa zeitgleich, einem Bedürfnis nach einer entsprechenden Einrichtung folgend an mehreren Stellen entwickelt hat, ohne daß zu Beginn eine Rezeption von Regeln aus den jeweils anderen partikularen Rechtsordnungen bestimmend gewesen ist l66 ; erst die Berührungen durch den überregionalen Handel werden dann zu einer Angleichung der verschiedenen Regeln zu einem einheitlichen Institut geführt haben l67 . c) Geschichte des europäischen Seerechts Mit der historischen Entwicklung einzelner Institute des Seehandelsrechts hat Goldschmidt sich besonders intensiv befaßt.
162 W. Sellert, Art. Makler, in: HRG 3 (1984), Sp. 203 - 210, 204. Goldschmidts Abhandlung hat besonders in der italienischen Literatur große Aufmerksamkeit erregt u. ist von Umberto Grego im Rahmen von dessen Abhandlung "Dei Mediatori", Archivio Giuridico, hrsg. v. Filippo Serafini, Bd. 43, Pisa 1889, S. 3 - 38, S. 7 - 19 (Übersetzung von Ursprünge 1882, S. 115 bis S. 129 bei Fußn. 14) als vollständigste Darstellung der Entstehung u. ersten Entwicklung dieses Instituts (S. 7) ins Italienische übersetzt worden; diese Übersetzung umfaßt bemerkenswerterweise nicht den Schlußabsatz, der Goldschmidts Vermutung enthält, das Maklerrecht habe seinen Ursprung im Gasthandel (vgl. Goldschmidt, Universalgeschichte 1891, S. 250 in Fußn. 54). 163 Sie soll nach Goldschmidts Auskunft, Universalgeschichte 1891,252 in Fußn. 60, auch auf seine Anfrage hin von Laband akzeptiert worden sein. 164 s. zu Italien Rehme, Geschichte, S. 99 u. 154 f. 165 So ist der Ablauf bei dem von Goldschmidt zur Stützung seiner Ansicht angeführten Brügger Maklerprivileg von 1293 gewesen: R. Ehrenberg, Makler, Hosteliers und Börse in Brügge vom 13. bis zum 16. Jahrhundert, in: ZHR 30 (1885), S. 403 - 468, 410 - 412 (Goldschmidt zitiert in Universalgeschichte 1891, S. 254 in Fußn. 70 bezeichnenderweise erst die S. 413 ff.). 166 Ehrenberg, ZHR 30 (1885), S. 444; Sellert, HRG 4, Sp. 204. 167 So auch Rehme, Geschichte, S. 155.
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2. Teil: Handelsrecht in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts aa) Das Wisbysche Seerecht
Eine der umfangreichsten Rezensionen Goldschmidts gilt der bis heute bedeutsamen 168 Ausgabe des Stadtrechts von Wisby und der unter dem Namen "Waterrecht" oder auch "Wisbysches Seerecht" in Nordeuropa verbreiteten Seerechtskompilation 169 durch C. J. Schlyter 170 und damit der Geschichte des nordeuropäischen Seerechts, einem Gegenstand, der Goldschmidt immer wieder angezogen hat l71 , dem er aber nur wenige Veröffentlichungen gewidmet hat l72 . Ausführlich nimmt Goldschmidt zu Schlyters These der Entstehung des Wisbyschen Seerechts Stellung 173. Inzwischen war bekannt, daß es sich bei diesem Seerecht nicht um eine selbständige Quelle handelt, sondern um eine um 14 Artikel des lübischen Seerechts vermehrte Kompilation aus den ins Niederdeutsche übertragenen Texten der Vonnisse von Damme 174 und der Ordinancie. Bisher ungeklärt aber war, wie diese Kompilation zustandegekommen war und weshalb sie den Namen "Wisbysches Seerecht" erhalten hatte. Lange Zeit war angenommen worden, 168 V gl. Landwehr, Haverei, S. 114; Arrnin Wolf, Die Gesetzgebung der entstehenden Nationalstaaten, in: Helmut Coing (Hrsg.), Handbuch der Quellen u. Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, Bd. I: Mittelalter, Frankfurt a.M. 1973, S. 517 ff., 766 Fußn. 6. 169 Zu dieser Seerechtsquelle sowie den in sie aufgenommenen Quellen, insbes. der "Vonnisse von Damme" u. der "Ordinancie" s. A. Telting, Die alt-niederländischen Seerechte, Den Haag 1907, S. I - XVI; Landwehr, Art. Seerecht, Sp. 1601 f. (Überblick). 170 C. J. Schlyter (Hrsg.), Codices Juris Visbyensis urbici et maritimi ... (Corpus Juris Sueo-Gotorum Antiqui, Volumen VIII), Lund 1853. - Zu Carl Johan Schlyter (1795 - 1888) s. H. Hofberg, Svenskt biografiskt Handlexikon, Neuausgabe hrsg. v. F. HeurlinlV. Millqvistl 0. Rubenson, 2. Teil, Stockholm 1906, S. 431. 171 Lebensbild S. 219 f., 220 u. S. 233 f.(an Fitting, 20. I. 1859 u. 17.3.1870); vgl. Sinzheimer S. 53 f., 54. 172 Daß Goldschmidts Plan einer eigenen Edition des Wisbyschen Seerechts auch wegen seiner mangelnden Erfahrung als Paläograph nicht erfolgte, zeigt seine Behandlung archivalischer Quellen im Rahmen dieser Rezension: Eine der Urkunden, die im Danziger Stadtarchiv lagerte und eine Abschrift der "Vonnisse von Damme" enthielt (abgedruckt bei Schlyter, Codices, S. 425 - 450), hatte er eingesehen u. sich davon "überzeugt", daß sie schon Anfang, spätestens Mitte des 14. Jahrhunderts entstanden sei (Sjöratt 1856, S. 43 zu und in Fußn. 4), während Schlyter (Codices, S. XLIX) sie auf den Anfang des 15. Jahrhunderts datierte. Die Altersbestimmung ist bedeutsam, da in derselben Handschrift von demselben Schreiber (Schlyter, Codices, S. XLIX) sich auch eine Abschrift der niederländischen "Ordinancie" findet, deren Alter bis heute umstritten ist. Trotz der großen Bedeutung, die dem Alter der Handschrift deshalb zukommt, gibt Goldschmidt nicht an, wie er dieses bestimmt haben will (s. demgegenüber Schlyter, Codices, S. XLIX f. und S. 425 Fußn. a). Goldschmidts Behauptung ist daher wohl zu Recht bezweifelt worden (Telting, Seerechte, 1907, S. XII f. in Fußn. 1; s. auch C. P. Burger ebenda S. XVII). Als er selbst diese Urkunde 1858 nochmals beschrieb (Seerechtsquellen 1858, S. 296 unter 4)), ging er auf diese wichtige Datierungsfrage nicht wieder ein. 173 Goldschmidt, Sjöratt 1856, S. 45 - 50. 174 Diese ist wiederum eine Übersetzung des frz. Seerechts von Oleron: Telting, Seerechte, 1907, S. XII f.; Landwehr, Art. Seerecht, Sp. 1601 f.
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daß die Kompilation tatsächlich von einer Versammlung von Kaufleuten in Wisby angefertigt worden sei und ihren Namen deshalb zu Recht trage, während bereits Pardessus die Ansicht vertreten hatte, daß die Kompilation eine reine Privatarbeit gewesen sei, deren Druckausgaben als "Wisbysches Seerecht" bezeichnet worden seien, um ihnen durch diese Fiktion eines amtlichen Charakters eine möglichst weite Verbreitung zu sichern 175 . Schlyter vertrat dagegen die zu dieser Zeit wieder vordringende ältere Ansicht 176 • Dem widerspricht Goldschmidt 177 : Das Waterrecht sei Ende des 15. Jahrhunderts aus einer "sehr zufällig" bewirkten Verbindung der Quellen, aus denen es besteht, entstanden. Die Bezeichnung als "Wisbysches Seerecht" stamme von dem Schlußsatz des ersten Druckes von 1505 her 178, der bald in die Titel der späteren Druckausgaben überging 179. Seine Einfügung sei 1505 willkürlich, aufgrund eines Irrtums oder mit Betrugsabsicht, erfolgt. Die dadurch begründete Legende - Goldschmidt verläßt hier die rein quellengebundene Betrachtung und leitet zu einer gleichsam historisch-psychologischen über - sei von späteren Verlegern, aber auch von Kaufleuten dankbar aufgenommen worden; denn sie habe es erlaubt, dieses Seerecht, für dessen Anwendung als bisher vollständigste Seerechtsquelle im nordeuropäischen Raum ein großes Bedürfnis bestand, nicht als ein fremdes rezipiertes, sondern als ein von ihren Vorfahren gemeinsam erstelltes Recht zu betrachten 180. Diese These hat sich durchgesetzt l81 • In der Tat läßt die Art der Aneinanderfügung der einzelnen Teile der Kompilation Pardessus, Collection I, S. 425 ff., 448 f. Schlyter, Codices, S. XXXIX ff. 177 Goldschmidt, Sjöratt 1856, S. 48 ff. 178 Dieser (abgedruckt bei Pardessus, Collection I, S. 463 - 502) führt im Titel zwar nur die Bezeichnung "Water-Recht", sein Herausgeber (der meist als Herausgeber genannte Gemen dürfte allerdings nur der Verleger gewesen sein, vgl. Goldschmidt, Sjöratt 1856, S. 49) setzte aber nach dem letzten Artikel hinzu, es ende hier "dat Gotlansche Water Recht, dat de gemeyne Kopman unn Schippers geordineret unn ghemaket hebbe to Wisby, dat sik alle Man hyr na richten mach" (Pardessus S. 502). 179 Deren verbreitetste ist die Ausgabe "Dat ys dat högeste unde öldeste water recht/dat de gemene Kopman und Schippers geordinert unde gemaket hebben tho Wißby/dat sick eynn yder ( ... ) hyr na richten mach, Lübeck: Jurgen Richolff MCCCCCXXXvij" (Neudruck Leipzig 1935). Vgl. Landwehr, Hanseatische Seerechte, S. 89 zu Fußn. 56; Goldschmidt, Sjöratt 1856, S. 48, 49. 180 Goldschmidt, Sjöratt 1856, S. 49 - 51. - Die beginnende Neuzeit neigt zur Bildung derartiger Legenden, um die Übernahme fremder Rechtsquellen zu erklären oder zu legitimieren; am bedeutsamsten ist insoweit die sogenannte "Lotharische Legende" über die Geltung des Römischen Rechts als dt. "Kaiserrecht", s. dazu Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 145. 181 s. Rudolf Wagner, Handbuch des Seerechts, 1. Bd., Leipzig 1884, S. 69 f.; A. Telting, Seerechte, 1907, S. XV; s. auch Goldschmidt, ZHR 10, S. 612 - 614. Die These einer amtlichen hansischen Kompilation hat, ausgehend von der Ordinancie, noch einmal Rudolf Wagner, Beiträge zur Geschichte des Seerechts und der Seerechtsquellen I, in: ZHR 27 (1882), S. 393 - 416, zu begründen versucht; ihm folgend Pohlmann, Quellen, S. 809. Sie ist jedoch mit den Ergebnissen der neueren Forschung nicht zu vereinbaren: A. Telting, Seerechte, 1907, S. XIII in Fußn. I zu S. XII u.ö.; Landwehr, Art. Seerecht, Sp. 1601 f.; ders., Hanseatische Seerechte, S. 89 f. I75
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und ihr daraus folgender Aufbau den Gedanken an ein planmäßiges gesetzgeberisches Wirken eher fernliegend erscheinen. Goldschmidt beschließt seine Rezension von Schlyters Werk durch "einige Bemerkungen zu den Ansichten Schlyters über sachlich schwierige Stellen,,182, die in Exegesen dieser Stellen des Wisbyschen Seerechts bestehen: In Art. 40 des Waterrechts, mit dem der die Ordinancie enthaltende Teil der Kompilation beginnt, geht es um die Frage, ob der Schiffer die Zahlung der Fracht verlangen kann, wenn es auf der Reise zu einem Schiffbruch kommt. Hier heißt es nun, der Schiffer solle "sine vullen vracht hebben van alle deme güde unde merken dat mit enem godes penninge wes dar ge wunnen were des dar af so vele ge berget worde,,183. Pardessus und Schlyter verstehen die Stelle in ihren Übersetzungen so, daß der Schiffer für die geretteten Güter die Fracht nur erhalte, wenn er vor ihrer Ablieferung für jedes Stück ein Handgeld genommen habe. Dies schien Goldschmidt mit den Überlieferungen von den Funktionen des Gottespfennigs nicht vereinbar zu sein l84 . Pardessus hatte seine Auffassung anläßlich seiner Herausgabe der Ordinancie 185 geändert und die Ansicht vertreten, daß mit ihren Worten "elkken goede ende mercken, dat met eenen Godspenninck gewonnen waere" die in Frage stehenden Güter nur genauer als Handelsgüter hätten umschrieben werden sollen 186. Dem stimmt Goldschmidt zu: Es seien Güter gemeint, "über welche ein Vertrag mit Gottespfennig, d. h. ein ordentlicher Seefrachtcontract abgeschlossen" sei, im Gegensatz zu den gleichfalls transportierten Gegenständen, die nicht zum eigentlichen Frachtgut gehörten, wie Proviant oder Gepäck der Reisenden; "Merke" sei die zur Unterscheidung von den Gütern anderer mit Kennmarken versehene Ware 187 . Nur für diese Güter sei im Falle ihrer Bergung die volle Fracht zu zahlen, wenn ihr Wert den Betrag der Fracht erreiche. Damit entspreche diese Stelle auch den sonstigen seerechtlichen Überlieferungen l88 . Auch Goldschmidt muß indessen einräumen l89 , daß nur schwer einzusehen ist, weshalb gerade an dieser Stelle eine derart umständliche Umschreibung des Begriffs der aufgrund eines Frachtkontrakts transportierten Ware erfolgen sollte, und tatsächlich beruht sein komplizierter ErGoldschmidt, Sjöratt 1856, S. 50, S. 50 - 56. Bei Schlyter, Codices, S. 230 f.; vgl. bei Pardessus, Collection I, S. 489. 184 Goldschmidt, Sjöratt 1856, S. 51 f. 185 Pardessus, Collection IV, S. 29 - 37. 186 Pardessus, Collection IV, S. 30 Fußn. 1. 187 Goldschmidt, Sjöratt, S. 52 f., 52. Die Bezeichnung "merke" dürfte allerdings weniger vom ,,Markieren" herzuleiten sein, sondern wegen der wenig ausgeprägten Begrifflichkeit der dt. Rechtssprache dieser Zeit als Lehnwort von lateinisch "merx" = Handelsware (vgl. Heumann/Seckel, Handlexikon, S. 341li. Sp.). 188 Vgl. Röles d'Oleron (Pardessus, Collection I, S. 323 ff., 371 ff.) Art. 4; Älteres Hamburger Schiffrecht Artt. 14 u. 36 (J. M. Lappenberg, Die ältesten Stadt-, Schiff- und Landrechte Hamburgs, Hamburg 1845, S. 79 u. 86); s. auch Hamburger Stadtrecht von 1497, Teil P, Art. 43 (Lappenberg aO. S. 317). - Landwehr, Haverei, S. 55. 189 Goldschmidt, Sjöratt 1856, S. 53 oben. 182 183
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klärungsversuch auf einem Mißverständnis; denn das rechtliche Gewicht des Art. 40 liegt nicht darauf, daß der Frachtvertrag unter Hingabe eines Gottespfennigs abgeschlossen wurde, sondern darauf, daß der Schiffer für jedes Stück des betroffenen Transportgutes ein Handgeld genommen, d. h. über jedes Stück einen gesonderten Frachtvertrag geschlossen hat. Nur in diesem Fall ist auch für jedes geborgene Stück die volle Fracht zu zahlen, während diese bei dem Abschluß eines Frachtvertrages über mehrere Güter, von denen nicht alle geborgen werden, entsprechend herabgesetzt wurde l90 . Auch in Art. 41 des Wisbyschen Seerechts findet sich ein dem späteren Betrachter unklarer Ausdruck, das "late gelde,,191. Es war umstritten, ob es sich dabei um Lotsengeld oder die Kosten einer Admiralschaft handle. Goldschrnidt entscheidet sich gegen Schlyters Annahme l92 , es sei Lotsengeld gemeint l93 . Die von ihm vorgebrachten sprachlichen wie sachlichen Gründe sind durchschlagend l94 . Tatsächlich aber ist an dieser Stelle, worauf Goldschrnidt nicht weiter eingeht, auch nicht von Admiralschaft die Rede, sondern von der Bestimmung desjenigen, der ein in Seenot gemeinsam abgegebenes Wallfahrtsgelübde einzulösen hatte. Dies weiß man allerdings erst seit der Edition des Kampener Stadtrechts von 1407 im Jahre 1875 195 . Einen auf den ersten Blick verwirrenden Sachverhalt regeln die Artt. 69 und 70 der niederländischen Version des Waterrechts l96 : Danach muß im Falle des Notverkaufs von Gütern und erst anschließendem Untergang des Schiffes der Schiffer diese Güter dem Befrachter nach deren Wert am Abladeort bezahlen, ohne die Fracht zu erhalten, wenn der Notverkauf auf der "eenen zijde der Zee" (Art. 69) erfolgte, dagegen gegen Empfang der vollen Fracht nach deren Wert am Löschungsort, wenn der Notverkauf "aen deser haluen der Zee" geschah (Art. 70). Die tatsächliche Grundlage dieser Differenzierung war seit jeher umstritten, und Schlyters Auffassung dazu 197 war wenig klar. Goldschrnidt war die sachliche Konstellation, um die es hier in Wahrheit geht, aus seiner Arbeit über das "Seedarlehen des Callimachus" viel zu vertraut, als daß er sie hier nicht wiedererkannt hätte: Es wird in Artt. 69 und 70 danach unterschieden, ob der Notverkauf auf der Hin- oder der Rückreise erfolgt l98 . Nur so wird die Regelung wirtschaftlich plausibel. Beim 190 s. Schlyter, Codices, S. 231 Fußn. b.; Kampener Willkür von 1372; vgl. auch Landwehr, Preuß. Seerecht S. 122; HH StR II 15 Art. 3. 191 Art. 41 a.E. - Schlyter, Codices, S. 232 ff., 236; Pardessus, Collection I, S. 490 f., 491. 192 Schlyter, Codices, S. 236 Fußn. h. 193 Goldschmidt, Sjöratt 1856, S. 53 - 55. 194 Vgl. Landwehr, Haverei, S. 90 f. 195 s. Landwehr, Haverei, S. 89,90. 196 Schlyter, Codices, S. 259 ff. 197 Schlyter, Codices, S. 294 f. Fußn. d; vgl. Goldschmidt, Sjöratt, S. 55. 198 So schon, aber ohne Begründung, Pardessus, Collection I, S'. 419 Fußn. 1 zu Art. 3 der Ordinancie.
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Notverkauf auf der Hinreise hat der Befrachter vom Transport nichts gehabt, er wird deshalb so gestellt, als seien die Güter schon im Abgangshafen verkauft worden und der Transport gar nicht erfolgt; beim Notverkauf auf der Rückreise wird der Befrachter so gestellt, als habe er die Güter, die im Bestimmungshafen eingekauft worden sind und für die er die Fracht für den Weg zum Ausgangshafen schuldet, tatsächlich empfangen, weshalb er aber auch die Fracht zahlen muß 199 . Diese Lösung entspricht umgekehrt auch dem Interesse des Schiffers, den sie vor potentiellen, den von ihm erzielten Erlös weit übersteigenden Ersatzansprüchen des Befrachters sichert2oo . In unmittelbarem Zusammenhang mit seiner Rezension von Schlyters Edition des Wisbyschen Seerechts steht Goldschmidts eigene kurze Abhandlung über "Danziger Seerechtsquellen aus dem 15. und 16. Jahrhundert" aus dem Jahr 1858. Es handelt sich dabei um Goldschmidts einzige eigene Edition von Quellen unmittelbar aus Handschriften. Ihr Gegenstand sind zwei Danziger Ratsurteile zu seerechtlichen Fällen aus zwei Codices des Danziger Stadtarchivs. Goldschmidt war auf sie gestoßen, als er die von Schlyter herausgegebene Handschrift der Ordinancie eingesehen hatte, die sich in einem der beiden Codices befand. Beide Urteile aus den Jahren 1425 und 1531 waren bisher nicht gedruckt worden201 , das zweite wohl, weil es bisher übersehen worden war, das erste, weil es im Kodex später durchgestrichen worden war202 . Das jüngere der beiden Urteile 203 erging aufgrund der Artt. 18, 40 und 54 des Wisbyschen Seerechts 204 und behandelte die Frage, welche Folgen ein Schiffbruch für den Frachtanspruch des Schiffers hat. Sie war in der Vonnisse von Damme205 und der Ordinancie206 unterschiedlich geregelt gewesen; das hatte in der Kompilation aus beiden Quellen zu Unschärfen geführt. In dem zu entscheidenden Fall hatte der Schiffer, wohl aufgrund von Art. 18 des Waterrechts, den Weitertransport der transportierten Ware (es handelte sich um Salz) vom Ort des Schiffbruches nach Riga als Zielhafen davon abhängig gemacht, daß ihm zuvor die Fracht gezahlt werde. Der Danziger Rat entschied, daß ihm die Fracht erst zustehe, wenn die Güter den Bestimmungshafen erreicht hätten. Das Urteil beruht vermutlich auf dem oben ausgeführten Gedanken, daß der Kaufmann erst am Markt im Zielhafen seine Ware würde mit Gewinn verkaufen können. Die Streichung des älteren Urteils 207 in der Handschrift führt Goldschmidt darauf zurück, daß es dem bestehenden Recht widersprochen habe. In diesem Urteil 199 200
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Goldschmidt, Sjöratt, S. 56. Landwehr, Haverei, S. 29 f. Goldschmidt, Seerechtsquellen 1858, S. 295; s. Pardessus, Collection III, S. 454 f. Vgl. Goldschmidt, Seerechtsquellen 1858, S. 296. Bei Goldschmidt, Seerechtsquellen 1858, S. 297 f. Goldschmidt, Seerechtsquellen 1858, S. 299. Röles d'Oleron (Pardessus, Collection I, S. 323 ff., 371 ff.), Art. 4. Ordinancie (Pardessus, Collection IV, S. 29 ff.), Art. 1.
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wird dem Schiffer nach einem Schiffbruch nur die halbe Fracht "van alle deme gude dat geberget is, vnd208 dat de kopmann in sine were entfanget", zugesprochen. Es sei daher als Präjudiz untauglich gewesen, da der Schiffer für geborgenes und dem Empfänger zugekommenes Gut auch nach allen anderen Quellen des 13. Jahrhunderts die volle Fracht habe beanspruchen können 209 . Wie sich jedoch oben gezeigt hat, stand dem Schiffer nach dem Waterrecht die Fracht nur zu, wenn die Güter den Bestimmungshafen erreichten oder am Ort des Schiffbruchs, hier Bornholm, verkauft werden konnten. Da hier aber der beklagte Kaufmann vorgebracht hatte, "wat em to der hand vnd in sinen nut nicht enqueme, dat he darua nicht schuldich were vracht togevend,.2l0, war hier weder das eine noch das andere geschehen. Für diesen Fall sah Art. 4 der Röles d'Oleron bzw. der Vonnisse von Damme, der dem Art. 18 des Waterrechts zugrundeliegt, die Zahlung des Teils der Fracht vor, der dem zurückgelegten Weg entspricht. Das Danziger Ratsurteil ist deshalb insofern bedeutsam, als es an die Stelle dieser tatsächlichen Distanzfracht eine typisierte gesetzt hat. Damit ist Goldschmidts Vermutung über den Grund der Streichung des Urteils in der Handschrift gleichwohl richtig, denn nur das lübische Recht entschied sich - ursprünglich ausgehend von der Vereinbarung nicht einer Stückgutfracht, sondern einer Raumfracht - für die dem Danziger Ratsurteil zugrundeliegende Halbfrachtregelung 211 ; sonst aber wurde sie nirgends übernommen, so daß der Schiffer in diesen Fällen überhaupt keine Fracht oder eine nach anderen Grundsätzen, meist eine nach dem tatsächlich zurückgelegten Wegteil berechnete 212 Distanzfracht erhielt 213 . Aufschlußreich ist das kurze Urteil auch wegen des darin erwähnten, vom Bornholmer Vogt beanspruchten "vierden penyng" vom geborgenen Gut, weil dies einen Einblick in die Entwicklung des Strandrechts zu dieser Zeit gewährt214 . Interessant ist schließlich auch die von Goldschmidt mitgeteilte Überschrift der Urteile, denn sie zeugt von dem Verständnis, mit dem im 15. und 16. Jahrhundert an die Anwendung des Wisbyschen Seerechts herangegangen wurde215 : "zo dan eyn Ittzlicher fal der sich begibbet In den wasserrechten nicht kan begriffen werden zo Bei Goldschmidt, Seerechtsquellen 1858, S. 297. Hervorhebung wohl von Goldschmidt, Seerechtsquellen 1858, S. 298. 209 Goldschmidt, Seerechtsquellen 1858, S. 298 f., 298. - Vgl. Landwehr, Hanseatische Seerechte, S. 97. 210 Goldschmidt, Seerechtsquellen 1858, S. 297. 2lI So noch Stadtrecht von 1586, Buch 6, Titel 3, Art. 1; s. W. Ebe1, Lübisches Kaufmannsrecht, 1951, S. 75; s. aber auch Landwehr, Bedeutung, S. 154. 212 HH StR Buch 2 Titel 14 Art. 3 (immer noch deutlich von Art. 18 des Waterrechts beeinflußt). 207 208
213 s. Landwehr, Hanseatische Seerechte, S. 97; W. Ebel, Lübisches Kaufmannsrecht, 1951, S. 75 f. 214 Vgl. Vilho Niitemaa, Das Strandrecht in Nordeuropa im Mittelalter, Helsinki 1955, S. 310 ff., 396 f. 215 Goldschmidt, Seerechtsquellen 1858, S. 296.
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mues men al wege zcuerfollinge derselbtigen ... seyn schuldig waes dem gleichsten negt (= nest?) ist zcufynden, zcuerkennen vnd abezcusprechenn", eine leider weder von Goldschmidt noch, soweit ersichtlich, bislang überhaupt kommentierte Stelle. Im Anschluß an seine Herausgabe der beiden Danziger Ratsurteile plante Goldschmidt eine eigene Edition des gesamten Wisbyschen Seerechts und spielte sogar mit dem Gedanken, eine "Geschichte des Germanischen Seerechts bis gegen Ende des 15. Jahrhunderts" zu schreiben 216 . Dazu kam es nicht mehr, da er sich zu dieser Zeit bereits verstärkt der Untersuchung römisch-gemeinrechtlicher Institute auf ihre Erheblichkeit für das geltende Handelsrecht zugewandt hatte. bb) Geschichte der Rezeption des römischen Rechts im europäischen Seerecht In seiner Abhandlung über das receptum nautarum cauponum stabulariorum von 1860 geht Goldschmidt davon aus, daß dieses römische Institut mit dem übrigen römischen Privatrecht in Deutschland rezipiert worden sei und deshalb als gemeines Recht gelte. Während dies für die Haftung der Gast- und Stall wirte unbestritten der Fall war, da einheimische Rechtsregeln insoweit fehlten, mußte die Rezeption der römischrechtlichen Grundsätze über die Haftung der Schiffer gesondert untersucht werden 217 ; denn es gab im Seerecht des Mittelalters bereits ausgeprägte und differenzierte germanische Rechtsbildungen, deren Geltung eine Rezeption der römischen Regeln ganz oder teilweise hätte verhindern können 218 . Goldschmidt unterscheidet einleitend zwischen zwei Seerechtskreisen: Dem germanischen Seerechtskreis des nördlichen Europa und dem romanischen der Mittelmeerländer219 . Er weist nach, daß im germanischen Seerechtskreis der Schiffer grundsätzlich - auch nach dem abweichenden Ansatz eines Hanserezesses von 1447 220 - nur für schuldhaftes Verhalten einzustehen habe. Der romanische Rechtskreis sei dagegen sehr viel reicher an Entwicklungen und in der Neubildung seerechtlicher Institute gewesen und habe im Bereich der Haftungsregeln schon bald das römische Recht aufgenommen 221 • Ganz eindeutig sei die Aufnahme des römischen Rechts in den europäischen Seerechtsgesetzgebungen der Neuzeit 222 ; 216 Sie sollte als Festschrift zu Mitterrnaiers 50jährigem Doktorjubiläum erscheinen: Lebensbild S. 219 f., 220 (an Fitting, 20. 1. 1859); vgl. Sinzheimer S. 54. 217 Receptum 1860, § 12: "Heutige Geltung der actio de recepto. Beiträge zur Rezeption, insbesondere im Seerecht", S. 340 - 352. 218 Receptum 1860, S. 340 f. 219 Dem romanischen Seerechtskreis hat er eine ausführliche Studie erst in seiner Universalgeschichte 1892, § 11 VII, S. 335 - 354, gewidmet. 220 Receptum 1860, S. 342 - 346. 221 Receptum 1860, S. 346 - 348.
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nur das britische Recht sei möglicherweise aus eigenen Ursprüngen zu dem gleichen Ergebnis gekommen, daß der Schiffer auch für den unverschuldeten Untergang der Güter hafte 223 . Eine eigentümliche, scheinbar unentschlossene Stellung nehme innerhalb des romanischen Rechtskreises nur das katalanische Consolat deI mar ein, das hier widersprüchliche Regelungen aufstelle 224 . Da die Haftung der Schiffer in fast allen Staaten, die einen bedeutenden Seehandel betrieben, durch neuere Gesetze geregelt war, scheint Goldschmidts Untersuchung zur Rezeptionsgeschichte allein einem rein historischen Zweck zu dienen. Dies ist aber tatsächlich nicht der Fall. Der Frage kam eine grundsätzliche dogmatische Bedeutung zu, da die Haftung nach dem römischen Institut auch bei nur zufälligem Verlust oder Schaden am transportierten Gut eintrat und die receptumHaftung damit eine Ausnahme vom römischrechtlichen Grundsatz darstellte, daß jede Haftung ein Verschulden voraussetzt. Rechtspolitisch bedeutsam war sie, weil mit der Arbeit am ADHGB eine neue, diesmal einheitliche deutsche und österreichische Kodifikation des Seehandelsrechts anstand. Die Befürworter des Schuldprinzips konnten deshalb durch den Nachweis, daß die Rezeption nicht den Bedürfnissen des einheimischen Rechts entsprechend verlaufen war oder ihnen jedenfalls jetzt nicht mehr entsprach, auf historischer Grundlage Einfluß auf die Gesetzgebung zu nehmen versuchen. Goldschmidt kommt deshalb im Schlußkapitel seiner Abhandlung 225 noch einmal auf die Frage der Rezeption des römischen Rechts im nordeuropäischen Seerecht der Neuzeit zurück. Er vertritt die Ansicht, daß den neueren Gesetzgebungen, auch den Vorarbeiten zum ADHGB, ein Mißverständnis des römischen Rechts zugrundeliege. Die Vorschriften des receptum seien nämlich irrtümlich als Ergänzungen der römischen Regeln über den Transportvertrag als Sonderfall der locatio conductio und daher nicht als selbständige Haftungsregelung, sondern nur als Bestimmungen über eine Beweislastumkehr hinsichtlich des Verschuldensnachweises aufgefaßt worden. Infolgedessen weise die Redaktionsgeschichte eine Vielzahl von Unklarheiten auf26 • Für das ADHGB hatte sich die Regelung angebahnt, daß der Schiffer (Kapitän) überhaupt, der Verfrachter hinsichtlich der Seetauglichkeit des Schiffes nur bei Verschulden haften sollten; das Verschulden sollte aber vermutet werden227 . Der Verfrachter sollte dariiberhinaus für Verlust und Beschädigung der empfangenen Güter verschuldensunabhängig bis zur Grenze der höheren Gewalt und einiger 222 Receptum 1860, S. 349 - 351. Die S. 350 angeführte Hamburger Verordnung ist nicht vom 26. 3., sondern vom 23./27. 3. 1786: Neue Verordnung für Schiffer und Schiffs-Volk, abgedruckt in: Christian Daniei Anderson, Sammlung Hamburgischer Verordnungen und Mandate, 2. Bd., Hamburg 1789, S. 117 - 129. 223 Receptum 1860, S. 351 f. 224 Receptum 1860, S. 348 f. 225 Receptum 1860, Anhang: "Resultate für die legislative Gestaltung und die neueren Gesetzentwürfe", S. 368 - 385. 226 Receptum 1860, S. 373 ff. 227 Artt. 478 u. 560 ADHGB, §§ 511 u. 559 HGB.
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weiterer Ausschlußtatbestände haften. Goldschmidt hielt dagegen auch hier eine Verschuldenshaftung für angebracht 228 . Goldschmidt drang mit seiner Forderung aber zunächst nicht durch. Erst das HGB von 1897 trug, anders als Art. 607 ADHGB, in § 606 229 der inzwischen eingetretenen Änderung der Auffassung des Verkehrs Rechnung und führte auch hier die Verschuldenshaftung ein 230. Tatsächlich waren jedoch schon bei Abfassung des ADHGB die Verkehrsverhältnisse nicht mit denen vergleichbar, die den römischen Regeln über das receptum zugrundelagen, da diese davon ausgingen, daß Schiffer und Verfrachter regelmäßig identisch seien231. Die Frage, ob hier am rezipierten römischen Recht festzuhalten sei, stellte sich deshalb in Wahrheit gar nicht. Goldschmidts quellenorientierte Untersuchung der Rezeption ging damit freilich in ihrer rechtspolitischen Ausrichtung am Kern des Problems vorbei, da ihr eine genauere Untersuchung der zu regelnden tatsächlichen Verhältnisse des Seehandels hätte voraufgehen müssen. cc) "Lex Rhodia und Agermanament" Mit seiner letzten großen "geschichtlich-dogmatischen Abhandlung" wendet sich Goldschmidt 1889 wieder der Geschichte des Seerechts zu, diesmal des Seerechts der romanischen Länder. Aber auch zum nordeuropäischen Seerecht bringt Goldschmidt hier noch einmal neue Gesichtspunkte, doch ist seine Darstellung insoweit mehr intuitiv und in den Einzelheiten wenig glücklich. Während die Frage der Haftung für den Verlust oder die Beschädigung transportierter Güter nicht spezifisch seerechtlicher Natur ist, geht es in der Abhandlung über "Lex Rhodia und Agermanament" mit der Großen Haverei ("Havarie") um ein Rechtsinstitut, das seinem Wesen nach nur dem Seerecht angehört232 : Danach sind Schäden, die dem Schiff oder der Ladung (letzterer insbesondere durch Überbordwerfen in Seenot, den sogenannten Seewurf), zugefügt werden, um beide aus einer gemeinsamen Gefahr zu retten 233 , von Schiff und Ladung, bald auch Fracht gemeinschaftlich, das heißt verhältnismäßig zu tragen 234 . Das römische Recht kennt für den Fall des Seewurfs eine entsprechende, bereits sehr dezidierte Regelung in der "Lex Rhodia de iactu·.235, die vermutlich aus dem griechischen Recht rezipiert worden ist236 . Receptum 1860, s. 385; Gutachten 1860, S. 112 f. Heute in der Fasung des Seefracht-Änderungsgesetzes von 1937 (RGBI. I 1937, S. 891 ff.). 230 Dazu Pappenheim S. 36. 231 Receptum 1860, S. 60 - 67, insbes. S. 64 - 66. 232 § 700 HGB; Art. 702 ADHGB; frz. avarie grosse, avarie commune: C. de comm. Artt. 397, 399,401. 233 s. § 706 HGB. 234 §§ 700 - 733 HGB. 228 229
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Goldschmidts Abhandlung soll nur am Rande der Ergründung des Ursprungs und der dogmatischen Einzelheiten der geltenden deutschen Haverei-Regelung in Artt. 702 - 735 ADHGB dienen 237 . Dessen Herkunft stehe fest: Im Ergebnis sei das geltende deutsche Recht "in der Hauptsache zum klassischen römischen Recht zurückgekehrt,,238. Diese Rückkehr sei auch in zweierlei Hinsicht durchaus angemessen: Erst das 19. Jahrhundert habe im großen Handelsverkehr wieder einen Stand erreicht, wie es ihn seit der Zeit der größten Ausdehnung des Römischen Reiches nicht mehr gegeben habe 239, und nur die römischen Juristen hätten es verstanden, die sich aus diesem Seehandelsverkehr ergebenden Rechtsprobleme durch die Entwicklung und Ausprägung der leitenden Rechtsprinzipien angemessen zu lösen. Deshalb sei es geradezu notwendig, an ihre "geniale Schöpferkraft,,240 anzuknüpfen241 . Goldschmidt wendet sich dann einzelnen Entwicklungslinien in der Geschichte der Haverei zu. Er wählt dafür zwar solche aus, die ohne einen Übergang in spätere Rechtssysteme endeten, die sich aber dazu eignen, Erkenntnisse zu gewinnen, mit denen der Leser seiner Abhandlung kaum rechnen konnte. Denn es ist das tiefere Ziel von Goldschmidts Abhandlung, aufzuzeigen, wie Rechtssätze werden und vergehen, und anhand des gewählten seerechtlichen Beispieles darzulegen, daß der gedankliche Nachvollzug dieser Vorgänge Grundlage aller Rechtserkenntnis sei und in ihm das Wesen der Rechtswissenschaft liege: "Hierin", so endet seine Einleitung 242 programmatisch, "vermag auch keine noch so vollendete Kodifikation etwas zu ändern - das Absterben historischer Ergründung und Fortbildung, das Aufhören des ewigen Flusses der Rezeption und Ausstoßung wäre der Tod wie der Wissenschaft, so auch der Rechtsentwickelung überhaupt,,243. In fünf Kapiteln analysiert Goldschmidt die Grundgedanken der römisch-rechtlichen Lex Rhodia de iactu 244, die Rechts- und Wirtschaftsverhältnisse der ersten Jahrhunderte der Entwicklung im Mittelmeerraum, nachdem das klassische römische Recht in Vergessenheit geraten W~45, die in den verschiedenen Quellenkreisen überlieferten 235 Digesten Buch 14 Titel 2; Grundsatz bei Paulus D. 14,2, 1: "Lege Rhodia cavetur, ut, si levandae navis gratia iactus mercium factus est, omnium contributione sarciatur quod pro omnibus datum est." 236 Kaser, Privatrecht I, § 132 V 4, S. 572 m.w.N. 237 Dogmatische Erwägungen klammert er aus oder verbannt sie in die Fußnoten, z. B. Lex Rhodia 1889, S. 43 in Fußn. 7 a.E. u. 21. 238 Lex Rhodia 1889, S. 37 f., 38. 239 Lex Rhodia 1889, S. 38 f. 240 Lex Rhodia 1889, S. 38. 241 Lex Rhodia 1889, S. 39 f. u. S. 72 f. 242 "Römisches Recht und heutiges Handelsrecht": Lex Rhodia 1889, S. 37 - 40. 243 Lex Rhodia 1889, S. 40. 244 "Das Römische Recht": Lex Rhodia 1889, S. 41 - 75. 245 "Charakteristik des mittelalterlichen Seehandels und Seerechts": Lex Rhodia 1889, S. 75 - 99.
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Fälle des Havereiausgleichs und ihre Voraussetzungen 246 , das im katalanischen Consolat deI mar überlieferte Rechtsinstitut des Agermanament 247 sowie die Entwicklung des Instituts des Schiffsrats und seiner Bedeutung von den Anfangen bis zum geltenden Seerecht Deutschlands sowie des inner- wie außereuropäischen Auslands 248 . Schon die Regelung der römischen lex Rhodia de iactu sieht Goldschmidt 249 als Ergebnis einer Entwicklung, die auf ganz spezifischen tatsächlichen Grundlagen des Betriebs der Seefahrt beruhe, und zwar des sehr hoch entwickelten Seefahrtbetriebes schon der Griechen, den die Römer als deren kulturelle und wirtschaftliche Erben im Mittelmeerraum übernommen und sogar noch ausgebaut hätten 25o • Das Wesen dieser Regelung liege in dem Gedanken, daß zwischen Schiffs- und Ladungsinteressenten eine "seerechtliehe Gefahrsgemeinschaft" bestehe. Nur auf dieser - nur von einigen älteren Schriftstellern gesehenen 251 und bisher noch nicht genügend herausgearbeiteten 252 - Grundlage lasse sich das römische wie das geltende deutsche Recht der großen Haverei verstehen und sachgemäß anwenden 253 • Zu Unrecht werde bezweifelt, daß diese Gefahrengemeinschaft eine Gemeinschaft im Rechtssinne (communio) sei: Jede echte Rechtsgemeinschaft, das heißt, jeder Fall gemeinschaftlicher Berechtigung mehrerer an einem Gegenstand, sei eine Gefahrengemeinschaft, da jeder Schaden am Gegenstand alle treffe. Die römischen Juristen hätten das klar erkannt, aber nicht verallgemeinernd herausgearbeitet, da diese spezielle Gefahrengemeinschaft eben regelmäßig akzessorisch von einer der typischen und anerkannten besonderen Rechtsgemeinschaften abhängig sei. Die Besonderheit bei der lex Rhodia de iactu liege darin, daß sie eine "nackte Gefahrsgemeinschaft" statuiere, die nicht an eine anderweitige Rechtsgemeinschaft anknüpfe, sondern ihre Ausgleichsansprüche allein von der tatsächlichen Gemeinschaftlichkeit der Gefahr abhängig mache 254 . Daß die Interessenten beim 246 247
367.
"Romanisches, germanisches und modemes Recht": Lex Rhodia 1889, S. 321 - 332. "Das Agermanament: Societät und Mehrheitsverband": Lex Rhodia 1889, S. 332 -
"Der Schiffsrath": Lex Rhodia 1889, S. 368 - 395. Nach einem originellen, aber doch sehr zweifelhaften Vergleich des Schiffes mit einem Wechsel, der gleichfalls Träger vieler "Gefahren" sei: Lex Rhodia 1889, S. 41. 250 Zur Wirtschaftsgeschichte der Antike s. Lex Rhodia 1889, S. 69 - 75. 251 Insbes. Hugo Grotius, The Jurisprudence of Holland, Text and Translation by R. W. Lee, Bd. I, Oxford 1953, Teil 3, Kap. 29, §§ 1 u. 17: "ghemeenschap van nooddruft in tijd van nood" (S. 442, 448); Herman Langenbeck, Anmerckungen über das Hamburgische Schiff- u. See-Recht, Hamburg 1727, S. 85: Rettung "aus der Gemeinschaftlichen Gefahr" gebe denen, deren Güter zugunsten der übrigen geopfert wurden, Anspruch "ex Societate & communione tacita"; s. dazu Landwehr, Preuß. Seerecht, S. 139 f. 252 Lex Rhodia 1889, S. 42 in Fußn. 7. 253 Lex Rhodia 1889, S. 41 f., 42. 254 Lex Rhodia 1889, S. 46 f. Tatsächlich bevorzugen die Quellen für die tatsächliche Gemeinschaft den Ausdruck "collatio" (vgl. die Nachweise bei Heumann/Seckel, Handlexikon, 248 249
B. Aus Goldschmidts rechtswissenschaftlichem Werk
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Haverieausgleich nach römischem Recht dennoch keine Ansprüche unmittelbar gegeneinander haben, sondern nur Ansprüche aus der locatio conductio als Transportvertrag gegen den Schiffer, betreffe nicht das Wesen des Instituts, sondern nur die Modalitäten seiner Abwicklung; entsprechende Einsetzungen eines nicht einmal notwendig unmittelbar Beteiligten als Verwalter von Ansprüchen kenne das römische Recht aus Zweckmäßigkeitsgründen auch sonst255 . Auf dieser Grundlage lehnt Goldschmidt alle anderweitigen Versuche, den Havereiausgleich für das römische Recht zu konstruieren, ab 256 . Die Regelung der lex Rhodia lasse sich nicht "unter allgemeine dogmatische Formeln bringen,,257, es liege vielmehr ein durch die Besonderheiten des Seeverkehrs bedingtes, eigentümliches gesetzliches oder gewohnheitsrechtliches Institut vor. In ihm finde zwar ein "tiefer und fruchtbarer socialer Gedanke,,258 seinen Ausdruck259 ; er könne wegen seiner spezifischen Herkunft aber nicht ohne weiteres auf andere Fälle gemeinsamer Gefahrtragung übertragen werden 26o . Insbesondere sei der Versuch abzulehnen, in die eindeutigen römischen Quellenzeugnisse hineinzulesen, daß eine Schadensverteilung nur dann stattfinde, wenn die Ladungsinteressenten zumindest stillschweigend ihr Einverständnis mit dem Seewurf erklärt hätten 261 . Dieser fehlgehende Konstruktionsversuch liege manchen Verirrungen des mittelalterlichen Rechts zugrunde, seine Überwindung sei gerade das Verdienst der jüngeren Seerechtskodifikationen 262 . S. 76 f.), für die rechtliche "communio"; sie sprechen indes regelmäßig von "commune periculum". 255 Z.B. bei der actio tributoria: Lex Rhodia 1889, S. 48 - 52. 256 Vertrag, Geschäftsführung ohne Auftrag, ungerechtfertigte Bereicherung, Quasikontrakt, reine Billigkeitshaftung: Lex Rhodia 1889, S. 52 - 57. 257 Lex Rhodia 1889, S. 57. 258 Lex Rhodia 1889, S. 59. Hervorgehoben (unter Hinweis auf Goldschmidt) von Gunter Wesener, Von der Lex Rhodia de iactu zum § 1043 ABGB, in: Recht u. Wirtschaft in Geschichte u. Gegenwart. Festschrift für Johannes Bärmann, hrsg. v. M. Lutter, H. Kollhosser u. W. Trusen, München 1975, S. 31 - 51, 35. 259 Lex Rhodia 1889, S. 57 - 60; vgl. Landwehr, Prinzipien, S. 635 f. 260 Vgl. die Übersicht über "Die Zwangsgemeinschaften des Privatrecht" von Heck, Haverei, S. 555 ff., dazu Goldschmidt, Lex Rhodia 1889, S. 60 in Fußn. 45 a.E. - Sehr gewagt in dieser Hinsicht die Erwägung in BGHZ 38, S. 270 ff., 278 f.; zur historischen Entwicklung von der Haverei zum bürgerlich-rechtlichen Aufopferungsanspruch G. Wesener, Von der Lex Rhodia zum § 1043 ABGB, in: Recht u. Wirtschaft in Geschichte u. Gegenwart, 1975, 35; s. auch Landwehr, Prinzipien, S. 625 - 635. Zur Geschichte der Formen der Haverei u. ihrer rechtlichen Behandlung Landwehr, Haverei, S. 7 - 95, Lübisches Seerecht, S. 160 - 166, Begriffsgeschichte, S. 58 - 69, Preuß. Seerecht, S. 132 - 141. 261 Als historisches Zeugnis bemüht Goldschmidt, Lex Rhodia 1889, S. 69, sogar die Schilderung der Seereise des Apostels Paulus in der Apostelgeschichte des Lukas, Kap. 27 u. 28; die dortigen Angaben über die Modalitäten des Seewurfs (Kap. 27 Vers 18 u. 19) sind indes dürftig. Sie ließen sich ebenso wie die von Goldschmidt nicht erwähnte, freilich sehr viel frühere Seereise des Propheten Jona (Jona Kap. 1), in der gleichfalls ein Seewurf auch von Ladung vorkommt (Kap. 1 Vers 5), als Beispiel für gemeinsam beschlossenen Seewurf ansehen. 262 Lex Rhodia 1889, S. 63 - 69.
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Goldschmidts "Konstruktion" der Gefahrengemeinschaft als zwar echte, aber eben selbständige, "nackte" Gemeinschaft, die nur auf eine Schadens verteilung abziele, hat von seiten romanistischer Forscher manchen Widerspruch gefunden; dieser bezog sich aber nur auf die vorgenommene dogmatische Einordnung, nicht auf die Analyse der Rechtssätze 263 • Einer sachgerechten Überprüfung dürfte der Kern von Goldschmidts Ausführungen auch heute noch standhalten 264 . Im folgenden Kapitel untersucht Goldschmidt kurz das vom Byzantinischen Reich geprägte Verkehrswesen im Mittelmeerraum nach dem Untergang des weströmischen Reichs 265 . Wichtigste Rechtsquelle des Seerechts ist neben den Basiliken, einer griechischen Überarbeitung der Digesten266 , das sogenannte Pseudorhodische Seerecht, Nomos Rhodfon Nautikos, eine seerechtliche Kompilation, die vermutlich aus dem 8. Jahrhundert stammt267 . Goldschmidt analysiert ihre Modifikationen gegenüber dem antiken römischen Recht 268 . Dazu gehören insbesondere die neuen gesellschaftsrechtlichen Elemente der dem römischen Recht unbekannten koinonfa: Sie betreffe sowohl den Betrieb der Seefahrt selbst, indem bei ihr statt Fracht- und Arbeitsverträgen eine Gesellschaft zwischen allen Interessenten der Seereise bestehe, als auch den Havereiausgleich, der hier auf einer vertraglichen, nicht einer gesetzlichen Ausgleichsregelung beruhe. Dabei sei vieles freilich ungeklärt und fraglich 269 , was insbesondere an der nur bruchstückhaften Überlieferung der Anteilsregelung gleich zu Beginn der Kompilation liege 27o . Das römische Recht fand über die Modifikationen des byzantinischen Rechts Eingang in die romanischen Seerechte des Mittelalters 271 . Goldschmidt nimmt es 263 s. insbes. Adolf Berger, Art. "Iactus 2) 1. Iactus der Lex Rhodia", in: Paulys Real-Encyclopädie der classischen Alterthumswissenschaft, hrsg. v. G. Wissowa, W. Kroll, 9. Bd., Stuttgart 1916, Sp. 546 - 551, 549; differenzierend Alfred Pemice, Ueber wirthschaftliche Voraussetzungen römischer Rechtssätze, in: ZRG RA 19 (1898), S. 82 - 139, 84 in Fußn. 1. Diese Kritiken beruhen weitgehend auf einer allzu begrifflichen Anschauung, die die Besonderheiten des Seerechts nicht ausreichend berücksichtigt; so ist auffallend, daß Pemice, S. 83, trotz des programmatischen Titels seiner Abhandlung gegen Goldschmidt gerade Puchta anführt. 264 Vgl. Kaser, Privatrecht I, § 132 V 4, S. 572, der ebenfalls die "Gefahrengemeinschaft" als Grundlage der Ausgleichsregelung ansieht. 265 Lex Rhodia 1889, S. 75 - 90. 266 Kipp, Geschichte, S. 173 f. 267 Ausgabe: Walter Ashburner, N6mos Rhodion nautik6s. The Rhodian Sea-Law, Oxford 1909; diese Ausgabe ist auch von Goldschmidts Abhandlung u. seiner Universalgeschichte 1891 angeregt worden, s. Ashburner S. III. Ashburner steht Goldschmidts Ergebnissen freilich sehr kritisch gegenüber. 268 Lex Rhodia 1889, S. 80 - 90. 269 Lex Rhodia 1889, S. 84 - 90. 270 Lex Rhodia 1889, S. 86. Ashburners, Nomos Rhodion Nautikos, S. CLXVI - CLXVIII (s. auch S. 57 f.) gegen Goldschmidt geäußerte Ansichten sind zwar schlüssig, setzen aber eine Gesellschaft allein zwischen den Mitgliedern der Mannschaft mit einer ganz eigentümlichen Abstufung der Anteile vorn Kapitän bis zum Ruderknecht voraus, die in den Seerechtsquellen singulär sein dürfte; allerdings übersieht Goldschmidt, daß die Mannschaft in der Quelle tatsächlich erwähnt wird.
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deswegen zum Anlaß, den Unterschied zwischen mittelalterlichem und antikem römischem Recht zu charakterisieren: " ... endlich tritt in den Rechtsaufzeichnungen des Mittelalters, bei der Unfähigkeit zu juristischer Abstraktion, die anschaulich breite Schilderung der thatsächlichen Einzelheiten in den Vordergrund. Während die überall scharf zugespitzte juristische Deduktion der klassischen Juristen häufig nur schwer den unterliegenden wirthschaftlichen Thatbestand erkennen läßt und so der Anschein entsteht, als ob die komplizirten Thatbestände (Lebensverhältnisse) der Gegenwart den Römern unbekannt gewesen seien, erschwert umgekehrt in den mittelalterlichen Rechtsaufzeichnungen die Fülle des mitgetheilten Thatbestandes die sichere Erfassung der normirenden Rechtssätze und läßt sich die Grenze zwischen bloßer Lebenssitte und Rechtssitte oder Satzung nicht immer genau abstekken,,272. Diese Analyse ist typologisch sicherlich zutreffend, charakterisiert aber in der Betonung des Gegensatzes zwischen juristischer Analyse bei den Römern und intuitiv-tatsächlicher Anschauung im Mittelalter nicht minder Goldschmidts verinnerlichte romanistische Auffassung. Die folgenden Kapitel über die Entwicklung im Mittelalter beginnt Goldschmidt mit einer Klassifikation der Quellenkreise, deren Grundlage schon in seinem Aufsatz über das receptum von 1860 enthalten ist273 : Hier unterscheidet er nun drei große Quellenkreise: den nahezu rein romanischen des Mittelmeerraums (Italien, Spanien, Südfrankreich), den nahezu rein germanischen Nordeuropas (Niederdeutschland, Niederlande, Großbritannien, Skandinavien) und einen fränkischen (Nord- und Westfrankreich), der Einflüsse der beiden anderen aufgenommen und zwischen ihnen vermittelt habe 274 . Diese Einteilung findet sich so differenziert erstmals bei Goldschmidt; sie hält auch heutigen Forschungen noch stand275 . Aus der anfänglichen Unabhängigkeit des germanischen Quellenkreises vom romanischen schließt Goldschmidt nach anfänglichen Zweifeln 276, daß sich das Institut des Havereiausgleichs im germanischen Quellenkreis selbständig ausgebildet habe und nicht auf einer frühen Rezeption des römischen Rechts beruhe277 . Die Forschung ist lange Zeit von der gegenteiligen These ausgegangen 278 . Für die Richtigkeit von Goldschmidts Auffassung sprechen aber die Quellenzeugnisse des nordeuropäischen Raumes, in denen sich ein Einfluß des römischen Rechts auf den Lex Rhodia 1889, S. 90. Lex Rhodia 1889, S. 76 f. 273 Lex Rhodia 1889, S. 322 in Fußn. 119; receptum 1860, S. 342 - 349. 274 Lex Rhodia 1889, S. 321 - 323. Den romanischen Seerechtskreis differenziert Goldschmidt in Universalgeschichte 1891, S. 335 - 338 weiter aus. 275 Vgl. Landwehr, Art. Seerecht, Sp. 1598 - 1602 (Iv. - VII.). 276 Lex Rhodia 1889, S. 38. 277 Lex Rhodia 1889, S. 324. 278 s. insbes. Heinrich Reincke, Das hamburgische Ordeelboook von 1270 und sein Verfasser, in: ZRG GA 72 (1955), S. 83 - 110,99 - 101; zuletzt S. Lammei, Besprechung von Landwehr, Haverei, in: ZRG GA 104 (1987), S. 360 - 362, 361. 271
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Ursprung dieses Instituts nicht nachweisen läßt, sondern die vielmehr eine originär vertragliche Grundlage der Havereiregeln erkennen lassen 279 . Diesen Ausführungen läßt Goldschmidt einen Überblick über die Ausgleichsregeln aller Quellenkreise des Mittelalters folgen 28o . Dieser krankt nun freilich daran, daß seine Analysen mehr dogmatisch als historisch ausfallen 281 ; entsprechend ungenau und unscharf sind seine Ergebnisse282 . Es gelingt Goldschmidt aber, intuitiv ein wesentliches Charakteristikum aller mittelalterlichen Regelungen zu erfassen, nämlich die zunehmende Bedeutung formeller Voraussetzungen für solche Schadenszufügungen, die eine verhältnismäßige Schadensverteilung zur Folge haben 283 . Goldschmidt führt sie auf das Kennzeichen aller einfacheren Rechtsordnungen zurück, den Eintritt wichtiger oder gar komplizierter Rechtsfolgen von möglichst formalen, äußerlich sichtbaren Kriterien abhängig zu machen, die von Anwesenden bezeugt werden können 284 . Diesem Streben lägen vielfältige Ursachen zugrunde wie ursprüngliche Rechtsanschauung, Beweiserwägungen oder auch, häufig allerdings unbewußt, Gründe der Zweckmäßigkeit285 . Im vierten Kapitel seiner Abhandlung wendet Goldschmidt sich dem im 14. Jahrhundert in Barcelona entstandenen "Consolat de Mar" ZU 286 . Es ist die umfassendste und bedeutsamste Seerechtskompilation des romanischen Seerechtskreises 287 . Sie war im 16. Jahrhundert als gemeines Seerecht des Mittelmeerraumes anerkannt und hatte bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts Einfluß auf Gesetzgebung und Rechtsprechung der romanischen Länder und die Seerechtswissenschaft sogar ganz Europas 288 . Goldschmidt stellt kurz die wesentlichen Grundlagen des Seebetriebs dar, wie er den Regelungen des Consolat zugrundelag 289 . Dann geht er ausführlich auf die Re279 Landwehr, Haverei, S. 41 - 49 u. 101 - 108; zustimmend Adolf Laufs, ZHR 152 (1988), S. 611 f., 611. Dagegen nicht überzeugend LammeI, ZRG GA 104 (1987), S. 361, der bei einem argurnenturn ad personam Zuflucht nimmt ("germanistische Abwehrhaltung"). 280 Lex Rhodia 1889, S. 325 - 332. 281 Landwehr, Haverei, S. 6. 282 Landwehr, Haverei, S. 45. 283 Ihre Zahl steigt im Mittelalter stark an, Lex Rhodia 1889, S. 325 - 328. 284 Sie sind auch im alten römischen Recht ausgeprägt, s. Jhering, Geist 11 2, S. 470 - 560. 285 Lex Rhodia 1889, S. 328 - 332 mit zutreffendem Hinweis auf die jüngste Entwicklung von Artt. 488, 494 ADHGB zu § 13 EG CPO u. § 259 CPO 1877. 286 Über Alter und Entstehung s. Goldschmidt, Lex Rhodia, S. 323 f. in Fußn. 123; Stanley S. Jados, Consu1ate of the sea and related documents, University of A1abama 1975, S. V XVI, XIII ff.; Pohlmann, Quellen S. 806 f. m.w.N. 287 Ausgaben: Pardessus, Collection 11, S. 49 - 368 (kata1anisch/frz.); Travers Twiss, The B1ack Book of the Admiralty (Rerum Britannicarum Medii Aevi Scriptores), Bd. 3, London 1857, S. 35 - 657 (katalanisch/eng!.); wenig hilfreich ist die elegante, aber allzu modernisierende eng!. Übersetzung von Stanley S. Jados, Consulate of the sea, 1975, S. XVIII, 1 ff.; weitere Ausgaben bei Pohlmann, Quellen S. 826 ff. 288 Landwehr, Art. Seerecht, Sp. 1599 f.; Pohlmann, Quellen S. 806 - 808 m.w.N .. 289 Lex Rhodia 1889, S. 332 f.
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gelung der Haverei in dieser Kompilation ein 29o . Das Consolat deI mar kennt in c. 150 ff?91 und in einigen weiteren Fällen den ganz eigentümlichen Akt des "agermanament": Die Gegenstände, von denen ein Teil für die Rettung der übrigen geopfert wird, müssen von dem Schiffer (senyor de la nau) und den Befrachtern "agerminiert" werden, wenn nach der Rettung eine Verteilung des Schadens stattfinden soll. Goldschmidt beschreibt zunächst die einschlägigen Fälle292 . Dabei deckt er auf, daß das Consolat diesem Grundsatz aus Gründen, die nicht recht erklärlich sind, nicht uneingeschränkt folgt 293 . Goldschmidt widmet dem "agermanament" eine ausführliche Analyse294 . Er entwickelt es unter Nachweis zahlreicher Quellen aus der Etymologie seiner Bezeichnung heraus als "Verbrüderungsakt,,295. Dieser Akt sei "der die Gefahrsgemeinschaft im Rechtssinne erzeugende Rechtsakt,,296. Damit gelingt Goldschmidt die ganz wesentliche Feststellung, daß der Havereiausgleich im nichtrömischen Seerecht seine wesentliche Grundlage nicht in der "nackten" gesetzlichen Gefahrengemeinschaft hatte, sondern in einem Akt der Verwillkürung, durch die sich Schiffer und Kaufleute erst zu der Durchführung eines anteiligen Schadensausgleichs verpflichteten 297 . Diese Analyse hat Goldschmidt die Kritik eingebracht, er habe hier das Moment bewußter, zweckgerichteter Rechtsschöpfung übersehen 298 , weil es sich bei der Einrichtung dieser formellen Voraussetzungen um bewußt geschaffene Akte der Beweissicherung handle, die keine Relikte älterer Rechtsanschauungen seien 299 . Angesichts von Goldschmidts gründlicher Untersuchung ist diese Kritik indessen nicht überzeugend. Allerdings mag Goldschmidt das Eigentümliche des "agermanament" im Consolat deI mar im Gegensatz zu ähnlichen Ausprägungen dieser althergebrachten Anschauungen allzu sehr betont haben. Merkwürdigerweise und zunächst scheinbar ohne eigentlichen Grund versucht Goldschmidt jedoch, diesen Verbrüderungsakt nicht als solchen "von Personen, oder doch nicht direkt von solchen, sondern von Sachen" zu konstruieren 3OO • Was er damit meint, wird erst deutlich, wenn er das weitere Schicksal dieses Instituts in Lex Rhodia 1889, S. 333 - 342. Nafh der Zählung, der Pardessus und Twiss folgen. 292 Lex Rhodia 1889, S. 333 - 341. 293 Lex Rhodia 1889, S. 341 f. zu c. 239. 294 Lex Rhodia 1889, S. 342 - 363. 295 Lex Rhodia 1889, S. 342 - 352, 355; vgl. spanisch hermano = Bruder; Stanley S. Jados, Consulate of the sea, 1975, übersetzt S. 56 f. (bei ihm Art. 99) mit dem äußerlich ähnlichen, aber nicht sprachverwandten "agreement". 296 Lex Rhodia 1889, S. 351. 297 s. dazu insbes. Landwehr, Haverei, S. 45, 99 - 101 (darin S. 100 in Fußn. 205 zu Goldschmidt). 298 Ashburner, Nomos Rhodion Nautikos, S. CCLXVll. 299 Ashburner, Nomos Rhodion Nautikos, S. CCLXVII - CCLXXI, CCLXXI. 300 Kritisch dazu Landwehr, Haverei, S. 100 in Fußn. 205. 290 291
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der Rechtsentwicklung untersucht301 : Er selbst charakterisiert das agerrnanament schließlich als "eine wahre, wenngleich sehr eigenthümliche ... Sozietät für den ausschließlichen Zweck der gemeinsamen Gefahrtragung,,302. Deshalb müßten alle Beteiligten, und sei es über eine Vertretung durch den dazu befugten Schiffer, daran mitwirken. Während also im römischen Recht die tatsächliche Gemeinschaftlichkeit der Gefahr, die nur die auf der Seereise befindlichen Gegenstände betreffe, die Grundlage des Havereiausgleichs bilde, sei der Havereiausgleich im Recht des Consolat deI mar nicht in der faktischen, räumlichen Verbindung durch "das auf der Reise befindliche Seeschiff,303 begründet, sondern in dem auf sie bezogenen Verbrüderungs akt. Dieser Akt bilde insoweit nicht einen Zusammenschluß der beteiligten Personen zu weiterreichenden Zwecken, sondern nur der Gegenstände zu einem Opferungs- und Ausgleichsvermögen. Daß diese Gedanken Goldschmidts in die richtige Richtung gehen, wird dadurch belegt, daß das Wort "Haverei" in den ersten spanischen und niederländischen Quellen die Kontribution, also das Verfahren des Schadensausgleichs bezeichnet304 . Die meisten der älteren Rechtsordnungen kennen eine Beteiligung aller von dem späteren Havereiausgleich potentiell betroffenen Personen, also Schiffer und Kaufleute, an der Entscheidung über den Vollzug der Opferungsakte, die zu diesem Ausgleich führen sollen. Da in späterer Zeit die Befrachter regelmäßig nicht mehr selbst an der Reise teilnehmen, tritt an die Stelle ihrer Unterredung mit dem Schiffer eine Beratung des Kapitäns mit der Mannschaft, insbesondere mit den Schiffsoffizieren. Goldschmidts Darstellung dieser Entwicklung 305 krankt - wie schon sein Überblick über die Kontributionsfälle - jedoch trotz des umfangreichen Quellenmaterials, das er hier ausbreitet, an der nur summarischen Behandlung der einzelnen Quellen. Dabei betrachtet Goldschmidt insbesondere das hamburgische und das Lübische Seerecht allzusehr von dem Standpunkt aus, den er soeben für das Consolat deI mar gewonnen hat, weshalb ihm manche Ungenauigkeit und manches Mißverständnis unterlaufen 306 . Gleichwohl bietet er einen in dieser Vollständigkeit sonst nicht zu findenden Überblick über den Werdegang und das Verschwinden dieses Instituts in der Seerechtsgesetzgebung und -wissenschaft. Daß diese Entwicklung in Deutschland zu dem Ergebnis geführt hat, daß der Kapitän mit seinen Offizieren in Gefahrlagen zwar Schiffsrat halten kann, trotzdem aber in alleiniger Verantwortung zu entscheiden hat 307 , hält Goldschmidt abschließend für die sach301 Lex Rhodia 1889, S. 352 - 369 zur Rechtsliteratur des 17. - 19. Jahrhunderts; in sie ,,ragt dieses Stück altgennanischen Fonnalismus unverstanden hinein", S. 351. 302 Lex Rhodia 1889, S. 363. 303 Lex Rhodia 1889, S. 41. 304 Landwehr, Begriffsgeschichte, S. 62 f. 305 Lex Rhodia 1889, S. 368 - 395. 306 Vgl. Landwehr, Haverei, S. 6, 45, 100. 307 Art. 485 ADHGB, heute noch ebenso § 518 HGB; etwas anders noch Art. 419 des Entw. preuß. HGB 11: Pflicht, Schiffsrat zu halten, aber Eigenverantwortlichkeit der Entscheidung.
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lieh angemessendste Lösung 308 : "In der modemen Rechtsentwicklung findet dieses Institut keinen Platz,,309. Und wirklich muß es rechtstatsächlich rätselhaft erscheinen, wie lange diese unpraktische, freilich in einfachen Rechtsanschauungen tief verwurzelte Einrichtung sich hat halten können. Denn ihre Durchführung in Gefahrenlagen muß schon von den äußeren Umständen wie der geistigen Verfassung der Beteiligten her310 größte Schwierigkeiten bereitet haben. Für Goldschmidt steht aber im Vordergrund, daß sich mit diesem Abschluß der Entwicklung auch insoweit wieder Grundsätze durchgesetzt haben, von denen schon das römische Recht ausgegangen sei: Auch nach diesem habe, wie Goldschmidt im Hinblick auf ein kaiserliches Reskript von 380 n. ehr., nach dem die Schiffsbesatzung, besonders die Schiffsoffiziere als wichtigste Zeugen über den Schiffbruch zu hören sind 311 , wohl mit Recht annimmt, in geeigneten Fällen "selbstverständlich" ein Schiffsrat abgehalten werden können 312 . Insoweit bietet der knappe Hinweis, daß das ADHGB "zum reinen römischen Recht zurückgekehrt" sei 31 3, den ganzen dogmatischen Ertrag des Abschlußkapitels. Goldschmidt versagt sich indessen die interessante Überlegung, daß Art. 485 ADHGB nicht etwa auf einer Rezeption des klassischen römischen Rechts beruht, sondern auf den Verhältnissen, die im inzwischen höher entwickelten Seehandel gegeben sind314 . Gerade dies bildet einen Beleg für seine These, daß tatsächlich erst im 19. Jahrhundert in der Seefahrt wieder Verhältnisse herrschten wie zu Zeiten des entwickelten römischen Handels. Die Erforschung dieser Verhältnisse und des in ihnen entstandenen Rechts wäre also der Erkenntnis des geltenden Rechts unmittelbar zugutegekommen 315 . In seiner Universalgeschichte des Handelsrechts von 1891 kommt Goldschmidt noch einmal auf die Institutionen der romanischen Seerechte des Mittelalters zurück316 . Dabei handelt er freilich die meisten seerechtlichen Einrichtungen in nur wenigen Sätzen ab und verweist in umfangreichen Fußnoten auf die einschlägigen Quellen und Literaturbeiträge. Nur dem Frachtvertrag 317 und besonders dem Seedarlehen und der Bodmerei 318 widmet er umfangreichere Untersuchungen. In ihnen druckt Goldschmidt Auszüge aus Urkunden über die betreffenden Verträge ab, Lex Rhodia 1889, S. 394 f. Lex Rhodia 1889, S. 395. 310 Vgl. die oben angegebenen Schilderungen von Seenotlagen im Alten und Neuen Testament, die übereinstimmend von der Panik der an Bord befindlichen Kauf- und Seeleute berichten. 311 Gratianus, Valentinianus et Theodosius C. 11, 6, 3 (zur Titelzählung s. die Ausgabe von Paul Krüger, Corpus Iuris Civilis 11, 12. Auf!. 1959, S. 428 li. Sp.). 312 Lex Rhodia 1889, S. 68 f. 313 Lex Rhodia 1889, S. 394. 314 Lutz, Protokolle, 4. Theil, 1860, S. 1786 - 1790. 315 Lex Rhodia 1889, S. 73. 316 Universalgeschichte 1891, § 11, S. 335 - 354. 317 Universalgeschichte 1891, S. 341 - 344. 318 Universalgeschichte 1891, S. 345 - 354. 308 309
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deren wiederkehrende typische Klauseln er zu deuten versucht. Von der Entwicklung des Seedarlehens weist er nach, daß es sich als Rechtsgeschäft, das typischen Gefahrenlagen des Seehandels entspricht, anfangs unabhängig von der Bodmerei der nordeuropäischen Seerechte entwickelt hat 319 . Auch hier haben gleiche Verkehrsbedürfnisse zu ähnlichen Rechtsbildungen geführt, ohne durch eine Rezeption von Rechtssätzen einer anderen Rechtsordnung initiiert worden zu sein; auf die Ähnlichkeit dieser Art der Rechtsbildung zu der Entstehung der Havereiregeln, die er in der Universalgeschichte nur ganz knapp anreißt 320 , weist Goldschmidt an dieser Stelle aber nicht hin. dd) Geschichte der Seeversicherung Als nach der kurzen Abhandlung über die Ursprünge des Maklerrechts zweite Frucht von Goldschmidts Berliner Studien zur Geschichte des europäischen Handelsrechts und seiner Institute erscheint 1885 eine wiederum nur kurze Abhandlung "Zur Geschichte der Seeversicherung", die er überarbeitet in die Darstellung der Geschichte der Prämienversicherung in seiner Universalgeschichte des Handelsrechts übernommen hat 321 . Sie ist die wohl international folgenreichste Schrift Goldschmidts geworden 322 , und die Literatur zu diesem Thema setzt sich bis zu den jüngsten Erscheinungen mit Goldschmidts Thesen auseinander323 . Goldschmidt vertritt die These, daß die Seeversicherung sich aus dem Seedarlehen entwickelt habe 324 . Das aus der Antike überkommene 325 Seedarlehen, foenus nauticum, ist ein Darlehen, das der Empfänger, der es für die Ausführung einer Seefahrt empfangen hat, nur zurückzuzahlen hat, wenn das Schiff die Reise übersteht; zum Ausgleich für das in dieser Modalität liegende besondere Risiko des Darlehensgebers muß er aber einen erhöhten Zins zahlen 326 . Goldschmidt legt daUniversalgeschichte 1891, S. 352 ff. Universalgeschichte 1891, S. 344, allerdings m.w.N. 321 Universalgeschichte 1891, § 11 VIlI, S. 354 - 383; allerdings in anderer Gliederung u. ergänzt um eine Einleitung zur Definition der Versicherung (S. 354 f.), Ausführungen zur Geschichte der Gegenseitigkeitsversicherung (S. 355 - 358) u. einem Nachtrag zur Landtransport- und Lebensversicherung (S. 381 - 383). 322 Rezeptionsgeschichte von Goldschmidts Thesen bei Nehlsen-von Stryk, Seeversicherung, S. 11 - 13; sie erstreckt sich von Großbritannien über die romanischen Länder bis Griechenland. Besonders in ital. Untersuchungen wird Goldschmidt immer wieder angeführt. 323 s. etwa Thomas Dreyer, Die "Assecuranz- und Haverey-Ordnung" der Freien und Hansestadt Hamburg von 1731, Frankfurt a.M. 1990, S. 19 f.; Werner Mahr, Art. Versicherung, in: Staatslexikon Recht, Wirtschaft, Gesellschaft, 7. Aufl., 5. Bd., Freiburg 1989, Sp. 71 715,712 f. 324 Seeversicherung 1885, S. 4 - 6 (so schon Vorwort zu Silberschmidts Commenda 1883, S. V f.) gegen die Thesen von Reatz, Geschichte des Europäischen Seeversicherungsrechts I, 1870, S. 13 f., 40 ff., 56 ff., 169 ff. 325 D. 22, 2 (De nautico faenore). 319 320
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bei das Gewicht auf den Umstand, daß die Gefahr des Scheiterns des Schiffes während der Seereise vom Schiffer auf den Darlehensgeber verlagert wird, und sieht darin das wesentliche Merkmal des Assekuranzvertrages: "Da der Darlehnsgeber dem Spekulanten die Seegefahr des Unternehmens abnimmt, so läßt sich die Seedarlehns summe als anticipirte Versicherungssumme ... bezeichnen,,327. Allerdings liege eine echte Assekuranz damit noch nicht vor, denn es fehle ja deren Charakteristikum, "das definitive Opfer des Spekulanten als Entgelt für die Abwälzung des befürchteten Schadens auf ein anderes Vermögen,,328. Der weitere Entwicklungsgang sei dann so verlaufen 329 , daß einerseits unter Einfluß des die Darlehensgeschäfte behindernden kanonischen Rechts 330 die ursprüngliche Darlehenssumme erst nach dem Eintritt des Schadensfalles, also nicht zu Beginn der Reise gezahlt worden sei, andererseits der ursprüngliche Gebrauchszins unabhängig vom Eintritt des Schadensfalles als Prämie für die Übernahme der Gefahr durch den Gläubiger schlechthin zu zahlen gewesen sei. Dieser Übergang habe den konstruierenden Juristen die größten Schwierigkeiten bereitet331 . Besonders in Italien habe der "Assekuranzgedanke" der entgeltlichen Gefahrübernahme in der Ausprägung, die er durch die Umbildung des Seedarlehens erhalten habe, weite Verbreitung gefunden: "Nicht allein im Seedarlehn, auch in anderen allgemein verbreiteten Verträgen: Commenda-, Transport-, Kaufverträgen, war es üblich, über die Gefahr zu paktiren,,332. Goldschmidts Lehre von der Entstehung der Seeversicherung aus dem Seedarlehen ist lange Zeit herrschend gewesen, und erst Jahrzehnte nach ihrem Erscheinen ist seine Darstellung als zu vereinfachend verworfen und ihr die These gegenübergestellt worden, daß das Seedarlehen nicht oder jedenfalls nicht materieller Ursprung des Assekuranzvertrages sei, sondern daß die Abwandlungen dieses Vertragstyps der Kautelarjurisprudenz nur die Form an die Hand gegeben hätten, deren sich Kaufleute und Notare des Mittelalters bedient hätten, um einen in Wahrheit neuen Vertragstypus rechtlich zu erfassen. Dabei haben die meisten Autoren diese Entstehungshypothese ausdrücklich in einen Gegensatz zu Goldschmidts Ausführungen gestellt333 . Tatsächlich scheint Goldschmidt in dieser Frage auf den ersten Kaser, Privatrecht I, 2. Aufl., § 124 III, S. 532 f. Seeversicherung 1885, S. 5. 328 Seeversicherung 1885, S. 5. 329 Universalgeschichte 1891, S. 362 - 367; zur Entfaltung des Assekuranzwesens Seeversicherung 1885, S. 14-18. 330 Seeversicherung 1885, S. 5 f. 331 Seeversicherung 1885, S. 5. 332 Seeversicherung 1885, S. 6 f. Um diese Thesen zu belegen, führt Goldschrnidt zahlreiche, zum Teil von seinen ital. Kollegen Paoli und Bensa in Abschrift übermittelte Urkunden, Statuten u. zeitgenössische Literaturstellen an, in denen es um Geschäfte über "securitas", ,,rischio" u.s.w. geht (zur Literatur dazu s. Nehlsen-von Stryk, Seeversicherung, S. 8 f.); den ältesten Nachweis echter Assekuranz meint er in einer Urkunde aus dem Jahre 1329 zu finden (Seeversicherung 1885, S. 7 - 9), später sogar in Florentinischen Statuten von 1301 (Universalgeschichte 1891, S. 359 in Fußn. 78). 326 327
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Blick seine genetische Methode allzu schematisch angewendet zu haben, indem er postuliert, daß auch die ausgeprägte Seeversicherung ein organisch gewachsenes Institut sei und sich deshalb aus anderen, älteren Instituten herausgeschält haben müsse, von denen wegen der sachlichen Gemeinsamkeiten das Seedarlehen als Ausgangspunkt das naheliegendste ist334 ; denn seine Ausführungen sind nicht allein in ihrer Folgerung, die Assekuranz habe sich auch materiell aus dem Seedarlehen entwickelt, nicht belegbar, sondern auch in ihrer Voraussetzung mehr als zweifelhaft. Denn der Sinn des Seedarlehens war es regelmäßig, dem Schiffer die Fahrt überhaupt zu ermöglichen. Ging das Schiff unter, verlor nicht allein der Darlehensgeber seinen Rückzahlungsanspruch, auch der Darlehensnehmer stand vor dem Nichts. Die Assekuranz dient dagegen nicht der Ermöglichung der unmittelbar bevorstehenden Reise, sondern im Falle ihres Fehlschlags der nächsten, nun folgenden Reise. Dieser strukturelle Unterschied, den merkwürdigerweise keiner der Kritiker Goldschmidts hervorhebt 335 , ist mindestens ebenso wichtig wie die nur scheinbar geringfügig-formalen Modifikationen der Übertragung des Risikos auf einen Dritten, der am Geschäft über die versicherten Gegenstände nicht unmittelbar beteiligt ist, auf die Goldschmidt den Übergang des Seedarlehens in die Assekuranz gründet 336 . Die einhellige Ablehnung seiner Thesen wird Goldschmidt indessen nicht gerecht, indem er hier das Opfer des Vorurteils geworden ist, die Juristen des 19. Jahrhunderts hätten nur in modemen dogmatischen Strukturen denken können. Tatsächlich hat er seine These über die Entstehung der Seeversicherung im folgenden erheblich modifiziert. In seiner häufig kritisierten Darstellung in der Universalgeschichte des Handelsrechts weist er auf die große Bedeutung hin, die die rechtliche Zuordnung des Assekuranzgeschäfts zu einem bekannten Geschäftstyp für die Kautelarjurisprudenz des Mittelalters hatte 33? Sie kennt insbesondere auch die Einordnung als bedingter Kaufvertrag über die versicherte Ware 338 , nach Gold333 Nachweise bei Nehlsen-von Stryk, Seeversicherung, S. 12 f.; besonders nachdrücklich Panayotis Perdikas, Die Entstehung der Versicherung, in: Zs. für die Gesamte Versicherungswissenschaft, 55. Bd., Berlin 1966, S. 425 - 509,430 f., auch S. 432 - 439. 334 Im Gegensatz dazu wird von den Gegnern Goldschmidts bei der Entstehung des Seedarlehens bezeichnenderweise von einern "salto", einern Sprung zu einern im Kern neuen Institut gesprochen, s. Nehlsen-von Stryk, Seeversicherung, S. 12 f. 335 s. etwa Nehlsen-von Stryk, Seeversicherung, S. 12. 336 Universalgeschichte 1891, S. 363; Seeversicherung 1885, S. 5. 337 Schon die Wendung " ... noch lange lassen sich an der Prämienassekuranz die Eierschalen des Seedarlehens erkennen" in Universalgeschichte 1891, S. 364, deutet auf eine mehr formale als materielle Zuordnung der Seeversicherung zum Seedarlehen .. 338 Universalgeschichte 1891, S. 365 ("wunderliche Konstruktion"); Nehlsen-von Stryk, Seeversicherung, S. 13. Sie hatte den sicherlich ursprünglich nicht beabsichtigten Vorteil, daß der Versicherer im Versicherungsfall das möglicherweise noch einen Restwert bildende Eigentum an den versicherten Gegenständen erwarb: Goldschrnidt, Universalgeschichte 1891, S. 365 in Fußn. 96, S. 377 in Fußn. 129 (Goldschmidt stellt an dieser Stelle zu Recht keine Verbindung zum Abandon her, vgl. dazu Landwehr, ZRG GA 106 (1989), S. 418 - 426, 421 f.)
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schmidt eine "wesentlich nur fonnale Auffassung ... , welche erst spät der richtigen Auffassung des Assekuranzvertrages als eines eigenartigen" - im Sinne von eigenständigen - "Vertrages Platz macht,,339. Die Entwicklung faßt Goldschmidt nunmehr so zusammen: "Gewohnheitsrechtlich entstanden ohne jedes Eingreifen gesetzgeberischer Gewalt aus den Bedürfnissen des Handelsverkehrs, bezweckte das neue Institut den Schutz ökonomischer Interessen ... ,,340. Hieran wird sehr deutlich, daß Goldschmidt inzwischen durchaus der heute herrschenden Auffassung zuneigte, daß die Assekuranz eine materielle Neuschöpfung des Handelsverkehrs ist und die zahlreichen Geschäfte, die die Abwälzung oder Verteilung der Gefahr zufälliger Verluste verschiedenster Art zum Hauptgegenstand oder zur Nebenabrede machen, nur Ausdruck des wachsenden Bewußtseins eines ökonomischen Zusammenhanges sind, das nicht allein in die Gestaltung bestehender Geschäftstypen Eingang fand, sondern in der Assekuranz auch einen neuen Typus schuf34I . Die neuere Entwicklung in der Forschung war damit in Goldschmidts Ausftihrungen bereits angelegt. Auch der Vorwurf, über die Suche nach dem Ursprung der Seeversicherung die Erforschung von Inhalt und Ausgestaltung der italienischen Assekuranzverträge des Mittelalters vernachlässigt zu haben 342 , ist nicht gerechtfertigt. Denn zum einen ist dies gerade einer der Bereiche, in denen Goldschmidt den Mangel an Vorarbeiten besonders empfinden mußte 343 ; zum anderen hat Goldschmidt auch der Geschichte der eigentlichen Assekuranz als einem auch äußerlich eigenständigen Rechtsgeschäft einen Teil seiner Untersuchungen in der Universalgeschichte gewidmet, soweit ihm Material daftir vorlag 344 .
d) Geschichte der Handelsrechtswissenschaft Als Goldschmidt 1858 die ZHR gründete, hatte das Handelsrecht in den vorangegangenen Jahren erst begonnen, seine wissenschaftliche Aus- und Durchbildung zu erfahren, und seine Bearbeiter wurden sich erst jetzt der Eigenständigkeit ihrer Disziplin bewußt. Deshalb gab es bis dahin keine Arbeit über die Geschichte der Handelsrechtswissenschaft, obwohl der Einfluß der historischen Rechtsschule schon seit Beginn des Jahrhunderts auch die Erforschung der Geschichte der Rechtswissenschaft reich gefördert hatte 345 . Wenn Goldschmidt nun in seiner AbUniversalgeschichte 1891, S. 365 in Fußn. 97 a. Universalgeschichte 1891, S. 370. 341 So F10rence Edler de Roover, Early Examples of Marine Insurance, in: The Journal of Economic History, Bd. 5, New York 1945 (Neudruck 1959), S. 172 - 200, 180. 342 Vgl. Nehlsen-von Stryk, Seeversicherung, S. 14. 343 Seeversicherung 1885, S. 18. 344 Universalgeschichte 1891, S. 370 - 381. Eingehender hat er dabei S. 370 - 373 aber nur die Frage behandelt, inwieweit die mittelalterliche Assekuranz das tatsächliche Vorhandensein eines versicherten Interesses voraussetzte (vgl. damit Nehlsen-von Stryk, Seeversicherung, S. 136), in der die rechtshistorische Forschung möglicherweise einer Chimäre nachgelaufen ist, s. Landwehr, ZRG GA 106 (1989), S. 420. 339
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handlung einen auch nur kurzen Überblick über die Entwicklung der Handelsrechtswissenschaft gab, so war doch sie allein ein Schritt in ein bisher noch völlig unbearbeitetes Gebiet. Mit ihm wurde erst das Tor geöffnet für diejenigen, die Goldschmidt bis heute auf diesem Wege gefolgt sind. Seine Abhandlung findet sich denn auch häufig zitiert und ist zu Recht mehrfach wieder abgedruckt worden 346 . Goldschmidts Abriß der Geschichte der europäischen Handelsrechtswissenschaft beginnt mit einem Blick auf die Rezeption des römischen Rechts 347 zunächst im mittelalterlichen Italien 348 , wo das Wiedererstehen einer Rechtswissenschaft überhaupt auch dem Handelsrecht zugutegekommen sei. Den italienischen Juristen der beginnenden Neuzeit, deren Werke Goldschmidt in seiner Dissertation noch ausführlich benutzt hat, wirft er nun vor, sich in ihren juristischen Konstruktionen allzu sehr an die im Corpus Juris überlieferten Institute und Denkformen gehalten und den von ihnen im italienischen Handelsverkehr vorgefundenen Instituten bisweilen Gewalt angetan zu haben. Dieser Vorwurf erscheint gerade angesichts von Goldschmidts eigener Haltung zum römischen Recht als Quell auch der modemen Handelsrechtsinstitute ungerecht; er hat ihn denn auch der Sache nach zurückgenommen, indem er in seinen späteren Darstellungen den Leistungen der italienischen Juristen den schuldigen Respekt gezollt hat, auch im Hinblick auf die Entwicklung der Rechtssätze über die dem römischen Recht unbekannten Institute wie Assekuranz oder Wechsel 349 . Die Erforschung der Geschichte der romanischen Handelsrechtswissenschaft dieser Epoche war schon deshalb nicht einfach, weil ihre Werke in den verschiedensten Sprachen, italienisch, portugiesisch, spanisch, französisch in älteren Sprachstufen oder lateinisch mit starker Färbung durch den jeweiligen romanischen Dialekt abgefaßt waren 350 . Den Hauptteil innerhalb dieses Abschnittes von Goldschmidts Einleitung in die ZHR bildet die Darstellung der Entwicklung der deutschen Handelsrechtswissenschaft351 • Goldschmidt gliedert sie in drei Perioden. Die erste Periode umfasse das 345 Zur Vernachlässigung des Handelsrechts durch die historische Rechtsschule Goldschmidt, Behandlung 1858, S. 13 f. 346 Verm. Schr. 11, S. I ff.; ZHR 150 (1986), S. 15 - 38. 347 Behandlung 1858, S. 6 f. = ZHR 150, S. 20 f. 348 Dazu Goldschmidt, Vorwort 1892, S. 127 f. über den großen Juristen des 14. Jahrhunderts Baldus de Ubaldis; Savignys etwas abwertende Bezeichnung "Postglossatoren" hat Goldschmidt mit Recht nicht benutzt; vgl. Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 80 f., 81. 349 Die Werke der romanischen Juristen Straccha u. Santerna aus dem 16. Jahrhundert hatte Goldschmidt so intensiv studiert (Straccha u. Santerna 1891, S. 5; Seeversicherung 1885, S. 4), daß er bibliographische Angaben der Fachliteratur dahingehend korrigieren konnte, daß Straccha in seiner Behandlung der Assekuranz auf ein älteres Werk des Santerna zurückgegriffen hatte: Straccha und Santerna 1891, S. 4 - 6; am Werk des Casaregis aus dem 18. Jahrhundert lobt er, es zeichne sich "durch genaue Kenntniß der Literatur, der gerichtlichen Praxis und noch mehr des Handelsgebrauchs, wie durch ungewöhnlichen Scharfsinn aus": Werke des Casaregis 1866, S. 468). 350 s. dazu Goldschmidt, ZHR 20, S. 655; Max Weber, Lebensbild, S. 120.
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17. Jahrhundert und den Beginn des 18. Jahrhunderts. Sie erscheint ihm gekennzeichnet von einem überwiegenden Einfluß der zuvor charakterisierten italienischen Jurisprudenz, wonach die Handelsrechtsinstitute als modifizierte römischrechtliche Institute behandelt würden 352 . Dieser folge die zweite Periode, die im wesentlichen das 18. Jahrhundert umfasse 353 . Für sie sei die in der ersten Periode angelegte und für die weitere Entwicklung bis zum ADHGB kennzeichnende Eingliederung großer Teile des Handelsrechts in die Materien des "Deutschen Privatrechts" charakteristisch. Einrichtungen des Handelsverkehrs, die mit den im Corpus Juris überlieferten Instituten nicht oder auch nur scheinbar nicht vereinbar waren, seien von der romanistisch geprägten Jurisprudenz ignoriert und dem nichtrömischen, also "deutschen" Privatrecht zugewiesen worden. Diese von Goldschmidt zutreffend analysierte 354 Entwicklung ist die Grundlage dafür, daß noch fast das ganze 19. Jahrhundert hindurch die Bearbeiter des Handelsrechts als "Germanisten" eingeordnet wurden; diese Schabionisierung fand auch auf Thöl und Goldschmidt Anwendung 355 . Die Entwicklung in der zweiten Periode sieht Goldschmidt als verhängnisvoll an, da sie die Handelsrechtswissenschaft in zweierlei Hinsicht zersplittert habe: Zum einen sei sie von nun an in zwei Teile zerfallen, von denen der eine von den Romanisten im Anschluß an die Überlieferungen des Corpus Juris und der in seiner Tradition stehenden Jurisprudenz behandelt worden sei, der andere von den Germanisten nach Art des sonstigen deutschen Privatrechts. Von den Germanisten sei die Handelsrechtswissenschaft weiter zersplittert worden, indem es nicht als zusammengehöriger Block in den Systemen des deutschen Privatrechts behandelt worden sei; zudem hätten die Germanisten nicht berücksichtigt, daß viele der nichtrömischen Rechtsinstitute nicht etwa nur deutschen Ursprungs gewesen seien, sondern gemein-europäischer Herkunft mit Einflüssen sowohl nord- wie südeuropäischer Rechtsbildungen. In dieser Schilderung kommt die Abneigung Goldschmidts gegen die Wissenschaft des deutschen Privatrechts zum Ausdruck. Sie zeigt sich besonders in seiner Ablehnung von Eichhorns Behandlung des Handelsrechts 356 . Goldschmidt empfand sich eben durchaus als Romanist und stand schon deshalb einer Richtung der deutschen Rechtswissenschaft, die nicht nur gegen den Stoff, sondern auch gegen die Methoden der Behandlung des rezipierten römischen Privatrechts opponierte, innerlich ablehnend gegenüber. Dabei ist seine Kritik nicht einmal unbegründet, Behandlung 1858, S. 7 - 19 =ZHR 150, S. 21 - 33. Behandlung 1858, S. 7 - 9 = ZHR 150, S. 21 - 23. 353 Behandlung 1858, S. 9 - 13 = ZHR 150, S. 23 - 27. 354 s. dazu Wieacker, Pandektenwissenschaft, S. 57 f.; Klaus Luig, Die Anfänge der Wissenschaft vom dt. Privatrecht, in: lus Commune I (1967), S. 195 - 222, 210, 216, 220 f. 355 Sie führte sogar dazu, daß Goldschrnidts Tod 1897 in der Germanistischen Abteilung der ZRG unter der Rubrik "Germanistische Chronik" gemeldet wurde (R. Schröder, ZRG GA 18, S. 208 - 210, 208), obwohl der einzige Beitrag Goldschrnidts für die ZRG in deren Romanistischer Abteilung erschienen war (Inhaber-... Urkunden 1889). 356 Behandlung 1858, S. 11 = ZHR 150, S. 25. 351
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denn die Behandlung des Handelsrechts in den meisten Gesamtdarstellungen des deutschen Privatrechts war tatsächlich unzureichend und wurde ihrem Gegenstand nicht gerecht, indem es meist im Rahmen des Standesrechts bei den "Kaufleuten" abgehandelt zu werden pflegte, wo dann die "objektiv" definierten Handelsgeschäfte wie Versicherungsvertrag und Wechsel fehlplaziert wirkten. Es ist deshalb auch gewiß kein Zufall, daß die beiden glänzendsten Dogmatiker unter den Teilnehmern der Nürnberger Konferenzen zwei Wissenschaftler waren, die in Folge der aufgezeigten Entwicklung gemeinhin als Germanisten galten, in der Methode ihres Vorgehens jedoch "romanistischer" waren als selbst manche explizit der romanistischen Richtung zugerechneten Juristen: Karl Friedrich Gerber357 , dessen "System des Deutschen Privatrechts" streng nach den dogmatischen Prinzipien der begriffsjuristischen Pandektistik gestaltet ist, und Heinrich Thöl, dessen "Einleitung in das deutsche Privatrecht" im wesentlichen eine Einleitung in die Rechtswissenschaft überhaupt auf romanistischer Grundlage ist und dessen "Handelsrecht" in der Umgießung des Corpus Juris in ein für aktuelle Bedürfnisse anwendbares Regelungssystem auf seinem Gebiet Windscheids "Pandekten" in keiner Weise nachsteht. In diesen beiden Persönlichkeiten wie in der maßgeblich von rein praktischen Gesichtspunkten ausgehenden Arbeit der ADHGB-Kommission fand die von Goldschmidt aufgezeigte Zersplitterung der Hande1srechtswissenschaft ihre Überwindung. Ihr folgte nach dem Abschluß des ADHGB die von Thöl und von Brinckmann begonnene und von Goldschmidt nicht zuletzt durch die Gründung der ZHR vollendete Verselbständigung des Handelsrechts gegenüber den Kategorien von römischem und deutschem Recht. Ihren Abschluß finde die zweite Periode der Geschichte der deutschen Handelsrechtswissenschaft mit dem Beginn des 19. Jahrhunderts. Die historische Rechtsschule358 habe der Handelsrechtswissenschaft im Gegensatz zu fast allen anderen Rechtszweigen zunächst keine Impulse gebracht. In Frankreich359 habe sie dagegen unter der Herrschaft des neuen Code de commerce eine rasante Aufwärtsentwicklung genommen. Sie habe auch auf Deutschland übergegriffen. Wie wenig Goldschmidt jedoch von der französischen Schule hielt, hatte er schon in seiner Kritik des preußischen Handelsgesetzbuch-Entwurfs gezeigt; hier zeigt es sich daran, daß er diese Entwicklungen noch der von ihm offensichtlich gering geschätzten zweiten Periode zuordnet, statt sie in einer eigenen zusammenzufassen. Die dritte Periode der deutschen Handelsrechtswissenschaft legt Goldschmidt in das 19. Jahrhundert 36o . Ihren Höhepunkt habe sie in den Arbeiten der Nürnberger und Hamburger Konferenzen gefunden. Sie sei wirtschaftlich gekennzeichnet durch das Aufblühen des deutschen Handels zu einem Welthandel und juristisch 357 Walter Wilhelm, Zur juristischen Methodenlehre im 19. Jahrhundert, Frankfurt a.M. 1958, S. 91 - 107. 358 Behandlung 1858, S. 13 f. =ZHR 150, S. 27 f. 359 Behandlung 1858, S. 14 f. = ZHR 150, S. 28 f. 360 Behandlung 1858, S. 15 - 24 =ZHR 150, S. 29 - 38.
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durch die Verwissenschaftlichung des Handelsrechts, die erst jetzt einsetze. Zwei regionale Strömungen seien nun zusammengelaufen: In Norddeutschland 361 habe die kosmopolitische Ausrichtung des Handels zunächst die Rechtsprechung der Handelsgerichte in den Hansestädten befruchtet, die immer tiefer und juristisch fundierter in die Probleme eingedrungen sei. Diese Entwicklung habe ihren Höhepunkt in der Rechtsprechung des Oberappellationsgerichts der vier (später, nach Fortfall Frankfurts am Main, nur noch drei) freien Städte Deutschlands in Lübeck362 gefunden 363 . Sie habe das tatsächliche Material geliefert, das die im Handeisverkehr auftauchenden Rechtsprobleme widergespiegelt habe. Auf diesem Material hätten die ausschließlich dem Handelsrecht gewidmeten Gesamtdarstellungen, deren Verfasser wie die Hamburger Pöhls364 und Brinckmann oder der Lübecker Thöl aus den beteiligten Städten stammten, nunmehr wissenschaftlich vertiefend aufbauen können 365 . Unter ihnen stehe Thöl an erster Stelle: "An Klarheit, Besonnenheit und Tiefe der Forschung, an Prägnanz der Gedanken und des Ausdrucks steht er keinem unter den Meistem unserer Deutschen Rechtswissenschaft nach, an juristischem Gestaltungsvermögen Vielen voran"; daß er darüber die Aufdeckung historischer Zusammenhänge fast völlig vernachlässige, trete "neben so bedeutenden Verdiensten billig in den Hintergrund,,366. Gerade dies sollte indessen ein Vierteljahrhundert später den Kernpunkt der erst durch den Tod Thöls endenden literarischen Fehde zwischen Goldschrnidt und Thöl bilden. Den norddeutschen Autoren seien bald aus dem süddeutschen Raum stammende Gelehrte an die Seite getreten 367 : "mit unermüdlicher Ausdauer" Mittermaier368 , Treitschke, Einert, Liebe, Biener369 und andere. Die regionale Trennung habe ihre Überwindung durch die immer intensivere gegenseitige Befruchtung von Wissenschaft und Praxis in ganz Deutschland gefunden. Sie manifestiere sich in der ADWO von 1848 und den Werken von Beseler und Renaud 37o . Goldschrnidts kurze Darstellung der Geschichte der deutschen Handelsrechtswissenschaft endet zwar 1858. Er hat sie aber gleichsam dadurch stets bis in die Gegenwart fortgeführt, daß er in seinen zahlreichen Nachrufen bemüht war, das Behandlung 1858, S. 15 - 18 = ZHR ISO, S. 29 - 32. s. Deutsche Bundes-Acte 1815, Art. XII Abs. 3. 363 Sie ist in mehreren Entscheidungssammlungen dokumentiert, Zusammenstellung bei Kirsten Kraglund, Familien- und Erbrecht ... in der Rechtsprechung des OAG Lübeck, Frankfurt a.M. 1991, S. 167 f. (zu ergänzen um Thöl, Entscheidungsgründe, 1857). 364 Zu Pöhls (1798 - 1849) s. Beneke, ADB 26 (1888), S. 374 f.; Landsberg, Geschichte III 2, Noten, S. 272. 365 s. Thöl, Vorrede zu Entscheidungsgründe S. III. 366 Behandlung 1858, S. 17 =ZHR ISO, S. 31. 367 Behandlung 1858, S. 18 f. =ZHR ISO, S. 32 f. 368 Behandlung 1858, S. 18 = ZHR ISO, S. 32; zu Mittermaier als HandeisrechtIer Landwehr, Handelsrechtswissenschaft, S. 63 - 66. 369 Zu ihnen Landsberg, Geschichte III 2, Text, S. 620 - 625, 637 - 639. 370 Behandlung 1858, S. 19 =ZHR ISO, S. 33. 361
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Werk des jeweils Gewürdigten in knapper Form möglichst objektiv zu beurteilen 371 ; dabei scheute er auch dann nicht vor deutlichen Worten der Kritik zurück, wenn es um die Würdigung des Werkes seiner geschätzten Lehrer oder sogar enger Freunde ging. Dies belegen besonders sein Nachruf auf Mittermaier von 1867 und die 1897 erschiene Würdigung des Werkes Julius Jollys. Die Grundgedanken, die Goldschmidt 1858 in seinem Abriß der Geschichte der deutschen Handelsrechtswissenschaft im Rahmen der gesamteuropäischen Entwicklung entworfen hat, halten im wesentlichen auch der Betrachtung vom heutigen Standpunkt aus stand, wenn man auch in manchen Punkten heute anders werten oder auch nur akzentuieren mag 372 . Nur Goldschmidts Abneigung gegen die französische Jurisprudenz ist angesichts von deren Leistungen als unberechtigt anzusehen. Goldschmidt hat sie nie ganz abgelegt, obwohl er oft und gründlich französisches Recht und die Erkenntnisse der französischen Rechtswissenschaft in seinen Abhandlungen rechtsvergleichend heranzog und später sogar Mitglied des französisch dominierten Institut du droit international et de legislation comparee war. Vielleicht war es das elegant-exegetische Moment in der Methode der französischen Juristen 373 , die schon früh mit landeseinheitlichen Kodifikationen umgehen konnten und mußten, das Goldschmidt mißfiel, weil er sich weniger eng an dem gegebenen Text als an seiner historischen Bedingtheit zu orientieren versuchte. So stellt er noch 1888 der "französischen" die "deutsche" Methode gegenüber: Diese sei dadurch gekennzeichnet, "daß versucht wird, die Rechtsinstitute auf ihrer wirthschaftlichen Grundlage, wo möglich in geschichtlicher Entwickelung aufzubauen, das einzelne Landesgesetz, an welches sich die Darstellung wenigstens zunächst anlehnt, nur als ein Glied in der Entwickelungskette zu verwenden, daher in der Gesetzesauslegung nicht das Endziel der Jurisprudenz, sondern nur eines der Mittel für die wissenschaftliche Herausarbeitung der Rechtsbegriffe zu finden, früheres und gleichzeitiges Recht der Kulturstaaten nicht als bloßes statistisches Material für eine meist recht unfruchtbare äußerliche Rechtsvergleichung, sondern als Mittel für die genetische und dogmatische tiefere Erfassung des geltenden Rechts zu verwenden,,374. Goldschmidt verwahrt sich jedoch sogleich gegen das "Mißverständnis, als ob die korrekte", wenn auch eng textgebundene, so doch "überall das reiche Material einer lebensvollen Praxis sorgsam und kritisch verwerthende Französische Doktrin gering geachtet werden solle,,375. Die Hervor371 Zu nennen sind in diesem Zusammenhang insbesondere die Nachrufe auf Savigny 1864/1865; C. J. A. Mittermaier 1867; Stobbe 1887/1888; J. F. Voigt, in ZHR 33 (1887), S. 205 Fußn. 1; Thöl, ZHR 33 (1887), S. 499 f.; Beseler u. Pape 1889, sowie Nekrolog 1876; Heidelberger Rechtslehrer 1887; Die Universitätsfeier 1888; Nekrologe 1891. 372 Vgl. zur Geschichte der dt. Handelsrechtswissenschaft Gerhard Köbler, Die Wissenschaft des gemeinen dt. Handelsrechts, in: Helmut Coing/Walter Wilhelm (Hrsg.), Wissenschaft und Kodifikation des Privatrechts im 19. Jahrhundert, Bd. 1, Frankfurt a.M. 1974, S. 277 - 296. 373 Zur Ecole de l'exegese s. Helmut Coing, Juristische Methodenlehre, Berlin 1972, S. 18 f. m.w.N. 374 Lebensversicherung 1889, S. 275.
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hebungen machen dabei allerdings deutlich, daß Goldschmidt diese Merkmale, die die "französische" an die "deutsche" Methode annäherten, weder bei allen französischen Schriftstellern als gegeben ansieht, noch den von ihm aufgestellten Kriterien als gleichwertig betrachtet, mit denen "tiefer eingedrungen und reifere Frucht erzielt" werde 376 . Daß sie indessen auch in Deutschland nicht unbedingt wissenschaftliches Gemeingut seien, muß Goldschmidt selbst einräumen: "Unsere" (die deutschen) "in neuerer Zeit allzu sehr mit ausschließlich logischen Kategorien operirenden Dogmatiker ignoriren gewisse unentbehrliche praktische Grundmaximen des Rechts,,377. Die französische Jurisprudenz hat dagegen in Goldschmidt einen führenden Vertreter nicht nur der deutschen, sondern auch der europäischen Handeisrechtswissenschaft gesehen. Die vielen Nachrufe auf Goldschmidt gerade in französischsprachigen Zeitschriften zeigen, daß die Franzosen in der Würdigung des wissenschaftlichen Werkes Goldschmidts wohl gerechter gewesen sind als er es ihren Leistungen gegenüber war.
VII. Grundfragen der Rechtswissenschaft
Das 19. Jahrhundert ist mit dem Aufkommen der historischen Rechtsschule einerseits, der zunehmenden staatlichen Aktivität auf dem Gebiet der Gesetzgebung andererseits für die deutsche Rechtswissenschaft eine Zeit des Umbruches und der methodischen Neubesinnung. Wie fast alle anderen bedeutenden Autoren seiner Zeit hat daher auch Goldschmidt über Grundfragen der Rechtsentstehung und Rechtsanwendung reflektiert. 1. Methodik der Rechtswissenschaft
a) Das immanente Recht Eine allgemeine Darstellung der Rechtsquellenlehre enthält der erste Band von Goldschmidts Handbuch des Handelsrechts I. Der Schwerpunkt seiner Ausführungen liegt naturgemäß auf den Rechtsquellen des Handelsrechts. Goldschmidt entwickelt seine Gedanken jedoch auf der Grundlage einer für alle Rechtsgebiete geltenden Rechtsquellenlehre, für die er die Literatur nicht nur des Handelsrechts und des bürgerlichen Rechts, sondern auch des Strafrechts 2 und der Rechtsphilosophie Lebensversicherung 1889, S. 275. Lebensversicherung 1889, S. 275 f., 276. 377 Lebensversicherung 1889, S. 283 f.; s. auch die Rezension Endemanns, Demburgs u. Cosacks in ZHR 36 (1889), S. 303 - 322. 1 §§ 33 - 36: Handbuch, 1. Aufl., I I, 1864, S. 209 - 260; 2. Aufl., I, 1874, S. 290 - 354 (zur Überarbeitung s. 2. Aufl., S. 302 in Fußn.*). 2 Insbes. Bindings Normenlehre, s. z. B. Handbuch, 2. Aufl., 1,1874, S. 302 in Fußn. 1. 375
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heranzieht. Das Unterkapitel über die "Quellen und die Methode des Handelsrechts,,3 beginnt deshalb mit dem "Recht der Wissenschaft", das "Quelle auch des Handelsrechts" sei4 , nachdem die ADWO und das ADHGB als Quellen des allgemeinen deutschen Rechts 5 in ihrem Verhältnis zu den Partikulargesetzgebungen schon in der Einleitung dargestellt worden sind6 . Den Ausgangspunkt seiner Rechtsquellen- und Methodenlehre faßt Goldschmidt 1891 gleichsam rückblickend so zusammen: "Alles positive Recht ist äußere Entfaltung und Anerkennung der den jederzeitigen Lebensverhältnissen (Thatbeständen) immanenten natürlichen Rechtsnormen"? Er nimmt für sich in Anspruch, als erster eine klare Formulierung dieses "Gesetzes der Immanenz" geprägt zu habenS. Den dahinter stehenden gedanklichen Ansatz hat er über die gesamte Zeit seines wissenschaftlichen Wirkens erstaunlich stetig immer wieder zum Ausdruck gebracht. Schon 1857 hatte Goldschmidt anläßlich seiner Kritik des preußischen Entwurfs eines Handelsgesetzbuches erklärt: "Seit Jahren durchdrungen von der Ueberzeugung, und immer mehr in derselben befestigt, daß die beherrschenden Grundgedanken einer jeden Rechtslehre die Erforschung der Lebensverhältnisse, des wirthschaftlichen und sittlichen Thatbestandes, zu ihrer natürlichen und nothwendigen Basis haben, und daß dem Juristen die Hülfe namentlich der Volkswirthschaftslehre um so unentbehrlicher ist, je flüssiger das Rechtselement erscheint, dessen Gestaltung ihm obliegt, je näher darum seine Thätigkeit an wirkliche Rechtserzeugung heranstreift, war ich bemüht, in den Handelsverhältnissen und dem Bedürfniß des Handelsverkehrs eine Erkenntnißquelle für das geltende Recht wie namentlich für die Anforderungen an das neue Gesetzbuch zu finden,,9. In seinem Handbuch leitet Goldschmidt seine Darstellung der Rechtsquellenlehre mit einer weiteren Zusammenfassung seiner Kernthesen ein: "Alles Recht ... ist äußere Norm menschlichen Zusammenlebens ... Jedes Lebensverhältniß, oder, was das Gleiche sagt, jeder Thatbestand des Gemeinlebens, soweit er der Rechtsordnung zugänglich ist, trägt seine angemessenen, natürlichen Rechtssätze ... in sich. Es besteht ein Natur- oder Vernunft- oder ideales Recht ( ... ), das ist die Gesammtheit derjenigen Rechtssätze, welche der vernünftigen Natur des Menschen und der inneren objectiv gegebenen Natur der jederzeitigen Lebensverhältnisse, der Natur der Sache (naturalis ratio) entsprechen. Dieses wahre, ... nicht aus der Vernunft geschöpfte, sondern auf der vernünftig erkannten Natur des Menschen und seiner derzeitigen Lebensverhältnisse, als seiner realen Grundlage beruhende, 1. Buch, II, §§ 34 - 36. Handbuch, 2. Aufl., I, 1874, S. 301. 5 In der 2. Aufl. des dt. Reichsrechts: Gesetz vom 5.5. 1869, BGBI. 1869, S. 379 ff. (ADWO S. 382 - 403; ADHGB S. 404 - 602). 6 § 33. 7 Universalgeschichte 1891, S. 33 - 36,33. 8 Universalgeschichte 1891, S. 33 in Fußn. 55 a unter Hinweis auf Handbuch, 1. Aufl., I 1 und 2. Aufl. I, jeweils § 34. 9 Kritik II, 1857, S. III f. (nicht in der Krit. Zs. f. d. ges. Rechtswiss. abgedruckt). 3
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daher auch nicht ewige und unveränderliche noch überall gleiche Naturrecht ist somit den menschlichen Lebensverhältnissen immanent . ... Die höchste Aufgabe der Rechtsbildung besteht in der Aufdeckung und Durchführung des immanenten Rechts. In diesem Sinne gibt es keine wahrhaft productiven, sondern im Wesentlichen nur aufdeckende Rechtsquellen"lO. Diese Zusammenstellung von Gesichtspunkten ist deutlich von der Rechtsquellenlehre der historischen Rechtsschule Savignys beeinflußt. Die Übertragung ihrer Gedanken auf das Gebiet des Handelsrechts hatte Goldschmidts Lehrer Brinckmann vorbereitet, der 1853 in seinem Lehrbuch des Handelsrechts gelehrt hatte, daß die "Natur der Sache" selbst keine Rechtsquelle sei und auch die Rechtswissenschaft nicht eigentlich Recht schaffe, sondern nur das bereits vorhandene Recht zur besseren Erkenntnis bringe und ausbildelI; der Einfluß seiner Ausführungen auf Goldschmidts Gedanken ist unverkennbar. Auch von den einleitenden Ausführungen Gelpckes zu dessen ,,zeitschrift für Handelsrecht" sind Goldschmidts Gedanken sichtlich beeinflußt, wenn er an dieser Stelle auch nicht auf Gelpcke hinweist l2 . Auffallend ist bei Brinckmann und Goldschmidt allerdings die Verwendung des Begriffs "Naturrecht (ius naturae, ius naturale)" und die Bezeichnung der "Natur der Sache" als "naturalis ratio", denn dieses Vokabular stammt aus der Vernunftrechtsdoktrin des 18. Jahrhunderts; gerade sie hatte Savigny zu überwinden gesucht 13 . Goldschmidt verwendet sie allerdings, um sich von der begrifflich-systematischen Strömung der historischen Rechtsschule abzusetzen, die zu seiner Zeit gewissermaßen einen Rückfall in das vernunftrechtliche Denken des 18. Jahrhunderts bedeutete. Denn während Savigny als eigentliche Rechtsquelle noch die Überzeugung des "Volksgeists" angesehen hatte l4 , hatte sein Schüler Georg Friedrich Puchta daraus mit seiner Lehre vom Gewohnheitsrecht einen praktisch verwertbaren Leitfaden gewonnen, der die Grundlage der Begriffsjurisprudenz des 19. Jahrhunderts bildete 15 : Die einzelnen Rechtssätze des Volksgeistes sollten danach nicht eine ungeordnete und unstrukturierte Masse bilden, da sonst der logisch unHandbuch, 2. Aufl., I, 1874, S. 302. Brinckmann, Lehrbuch S. 17. 12 Gelpcke, Einleitung, zu: ders., Zeitschrift I, S. I - VIII, S. 11: "Das Recht hat seine Quelle im Leben selbst. Es entsteht, vervollkommnet, und verändert sich mit den, aus dem letzteren hervorgegangenen ... Zuständen in dem allgemeinen Entwickelungsgange gleichmäßig. Der Unterschied zwischen dem Leben, und dem in diesem sich zur allgemeinen Anerkennung erhebenden Recht ist nur scheinbar. Da, wo ein solcher Unterschied wirklich zur gesetzlichen Geltung gelangt, erscheint das richtige Verhältniß beider zu einander gestört. Das positive Recht bildet dann nicht mehr den reinen, echten Ausdruck des lebendigen Rechts. Diese Art der Auffassung ist bei der Erörterung und Beurtheilung handelsrechtl(icher) Fragen nicht außer Acht zu lassen". 13 Savigny, Zweck S. I ff. 14 Savigny, Beruf, S. 8 - 15,42 - 44. 15 Besonders klar dargelegt in G. F. Puchta, Geschichte des Rechts bei dem römischen Volk, 9. Aufl., hrsg. v. P. Krüger, Leipzig 1881 (Cursus der Institutionen Bd. I), § 15, S. 21 f.; dazu Larenz, Methodenlehre, S. 19 - 24. 10
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mögliche Fall eintreten könnte, daß sich einzelne Rechtssätze derselben Rechtsquelle widersprächen; der Masse der Rechtssätze müsse deshalb als oberstes Grundprinzip ihre Freiheit von inneren Widersprüchen zugrundeliegen. Das war der Ansatz dafür, aus einzelnen anerkannten Rechtssätzen mittels logisch-abstrakter Konstruktion weitere Rechtssätze zu gewinnen. Um die weitere Ausarbeitung dieser Methode hatten sich nach Puchta besonders der frühe Jhering l6 , Windscheid in seinen "Pandekten" und Thöl in seiner "Einleitung in das deutsche Privatrecht"l? bemüht. Das auf diese Weise erkannte oder gefundene Recht sollte danach das primäre, unmittelbar geltende Recht als Gewohnheitsrecht sein, das unmittelbar in der Rechtsüberzeugung des Volkes wurzele und von der Wissenschaft nur erkannt, nicht aber geschaffen werde. Diesen Ansatz erklärt Goldschmidt zu einem bloßen "Rechtsideal,,18. Denn das immanente Recht lasse sich von den Angehörigen der Gemeinschaft, für die es gelte, nicht ohne weiteres hinreichend klar erkennen. Deshalb schaffe sich die Gemeinschaft als Rechtsquellen das positive Recht in seinen Erscheinungsformen des Gewohnheitsrechts und des Gesetzes. Diese Rechtsquellen beruhten auf einem bewußten Rechtsgeltungswillen der Gemeinschaft und seien daher von dem immanenten Recht zu unterscheiden 19. Auf das immanente Recht ließen sich Gesetz und Gewohnheitsrecht nur mittelbar zurückführen: "Alles positive Recht schöpft seine verbindende Kraft nicht aus seiner wirklichen Uebereinstimmung mit dem wahren, immanenten Recht, sondern aus der Thatsache seiner Geltung - die Untersuchung jener Uebereinstimmung ist für die Rechtsanwendung insoweit, als der positive Rechtssatz erkennbar reicht, ausgeschlossen; es giebt kein dem positiven Recht widerstreitendes anwendbares Recht,,2o. Gesetz und Gewohnheit seien deshalb "nicht lediglich aufdeckende, vielmehr in Wahrheit auch Recht erzeugende Quellen,,21. Anders als insbesondere für Puchta und seine Nachfolger ist damit die eigentliche Rechtsquelle nicht mehr der "Volksgeist" oder ein anderes Abstraktum, sondern die konkret von der Gemeinschaft gesetzte Norm als Ergebnis eines formellen Aktes der Gesetzgebung oder als einer auf Rechtsgeltungswillen beruhenden Übung. Hier schlägt aus ganz offensichtlich praktischen Gesichtspunkten die Abkehr Goldschmidts von allen Maximen Savignys über die Ablehnung des Kodifikationsgedankens durch. Damit scheinen Goldschmidts einleitende, der historischen Rechtsschule Savignys verpflichtete Gedanken über das den menschlichen Lebensverhältnissen immaInsbes. Geist 11 2, §§ 38 - 41, S. 322 - 389. Thöl, Einleitung S. 91 - 96, 132 - 156 (zum großen Teil wörtlich übernommen in Handelsrecht I, 6. Aufl., S. 47 - 60). 18 Handbuch, 2. Aufl., I, 1874, S. 302. 19 Der ,,rechtserzeugende Lebenskreis" sei allenfalls "als die subjective Rechtsquelle, d.i. das Subject der Rechtserzeugung, zu bezeichnen": Handbuch, 2. Aufl., I, 1874, S. 302 in Fußn. 1 zu S. 301 gegen Binding, Normen 11, S. 66 -7l. 20 Handbuch, 2. Aufl., I, 1874, S. 303. 21 Handbuch, 2. Aufl., I, 1874, S. 303. 16 17
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nente Recht nahezu leerzulaufen. Jedenfalls werden sie erheblich relativiert, wenn auch nicht vollständig aufgehoben. Denn Gesetzgebung und die Bildung von Gewohnheitsrecht orientierten sich natürlich an den Bedürfnissen der Lebensverhältnisse und seien daher, wenn auch "nicht lediglich", so doch zumindest regelmäßig "auch" aufdeckende Rechtsquellen. Das positive Recht spiegele aber nicht das wahre immanente Recht wider, sondern nur den jeweiligen Stand von dessen Erkenntnis durch die Gemeinschaft, was einen durchaus dynamischen Prozeß bedinge 22 . b) Das positive Recht Goldschmidts weitere Ausführungen gelten nach dieser Entwicklung seiner Gedanken folgerichtig zunächst den Methoden der Anwendung des positiven Rechts. aa) Das Gesetzesrecht Ungewöhnlich umfangreich für ein Werk des 19. Jahrhunderts sind die Ausführungen Goldschmidts zu den Methoden der Interpretation des Gesetzesrechts. Hier schließt er sich in Vielem zunächst an die anerkannten Lehren seiner Zeit an: Die Analogie ist auch für ihn "Analyse und Synthese, indem die ihrem wahren Inhalt nach erkannten Rechtssätze auf die ihnen zu Grunde liegenden Principien zurückgeführt, diese wiederum ... zur Herleitung seiner Rechtssätze ... benützt werden,,23, und, ganz markant: "Die Analogie ist Deduction mit vorgängiger Findung (Abstraction) des nicht ausgesprochenen Principes,,24. Die Charakterisierung des Vorgehens Goldschmidts in der Methodenlehre der Rechtsanwendung als "eklektizistisch" ist also durchaus berechtigt25 . Sie wird von Goldschmidt selbst ausdrücklich geteilt26 . (1) Die Bedeutung des Gesetzesrechts
Anders aber als bei den meisten Zivilrechtlern seiner Zeit, auch den Vertretern der Handelsrechtswissenschaft, die ganz überwiegend noch von der Anwendung des nur gewohnheitsrechtlieh geltenden Pandektenrechts ausgehen, ist für Goldschmidt das Leitbild für die Erscheinungsfonn des Rechts bereits das fonnell von Handbuch, 2. Aufl., I, 1874, S. 306 f. Handbuch, 2. Aufl., I, 1874, S. 304 f .. 24 Handbuch, 2. Aufl., I, 1874, S. 304 f. in Fußn. 4 u. S. 692; vgl. damit Thöl, Handelsrecht, 4. Aufl., S. 41 f. 25 s. dazu die Analyse von Langhein, Analogie, S. 73 - 76: "Goldschmidts eklektizistischer Methodenansatz im Recht" (S. 73); so auch Pohlhauseh, Geschäftsbedingungen, S. 98. 26 Behandlung 1858, S. 20 = ZHR 150, S. 34; Nach 30 Jahren 1889, S. 7. 22 23
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einem Gesetzgebungsorgan beschlossene Gesetz, das sprachlich fixiert und damit einer Textkritik als Grundlage der Auslegung fähig ist27 . Obwohl auch für die Erkenntnis der Sätze des Handelsrechts "durchaus die allgemeinen wissenschaftlichen Principien" gelten sollen, passen die von Goldschmidt aufgestellten Grundsätze daher eigentlich nur für die Gesetzesauslegung im engeren Sinn: "Es ist dabei vornehmlich ein Doppeltes zu vermeiden: starre Buchstabeninterpretation ... und Willkür, welche über das unzweifelhaft geltende Recht sich hinwegsetzt. Von beiden gleich entfernt ist die dem Richter in Handelssachen vorzugsweise ziemende freie Würdigung der Sachlage, die billige Rücksichtnahme auf Natur und Lage der concreten Verhältnisse,,28. Hiermit scheint Goldschmidt nun einen Bogen zu seinem Ansatz von dem nach Geltung drängenden immanenten Recht schlagen zu wollen 29 , aber seine Ausführungen bleiben insoweit spärlich und gehen nicht über Gemeinplätze und die Hinweise auf einzelne Normen des Gesetzesrechts hinaus, die wie etwa die Artt. 278 und 279 ADHGB 30 diesen Gedanken enthalten31 . Während in den Jahren immer umfassenderer Gesetzgebung in der Zeit nach der Reichsgründung der Gesetzespositivismus Einzug in die Lehrbücher hielt, ist das Ausgehen vom geschriebenen Gesetz als Normalfall für eine systematische Gesamtdarstellung, die ihre Wurzeln in den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts hat, noch ungewöhnlich. Bei Goldschmidt kommt hinzu, daß er sich früher als andere Rechtswissenschaftler seiner Zeit bereits ausführlich mit den Gesichtspunkten befaßt, die bei der Entstehung dieser Art von Rechtsnormen zu beachten seien. Anders als etwa Windscheid bei seiner glücklosen Tätigkeit in der ersten Kommission zum BGB hat Goldschmidt legislatorischen Aufgaben stets unbefangen gegenübergestanden. Goldschmidts unbefangen-bejahende Einstellung zum Primat der staatlichen Gesetzgebung hat seinen Grund natürlich zunächst in seiner Auffassung vom Gesetz als primär nur aufdeckender, nicht eigentlich neues Recht schaffender Rechtsquelle. Erste Aufgabe der Gesetzgebung sei es nicht, wirtschaftliche Vorgänge in bewußter Steuerung zu regeln, sondern die in ihnen sich ständig wiederholenden Arten von Rechtsgeschäften typisierend zu normieren: "Die neueste Zeit hat keinerlei neue Rechtsnormen erschlossen, sie hat höchstens an den alten bisher unbeachtete Seiten zur Erkenntniß gebracht oder deren Tauglichkeit klarer herausgestellt'.32. Ein rasches Veralten formeller Gesetze sei deshalb nicht zu befürchten, wenn sie sich nur politisch motivierter Bevormundung enthielten und die Ausformung der Details Rechtsprechung und Wissenschaft überlasse 33 . RechtswissenHandbuch, 2. Aufl., 1,1874, S. 311 ff. Handbuch, 2. Aufl., I, 1874, S. 307 unter Hinweis auf Paulus D. 50, 17,90: In omnibus quidem, maxime tarnen in iure aequitas spectanda est. 29 Handbuch, 2. Aufl., I, 1874, S. 308 f. 30 Vgl. heute §§ 133 und 242 BGB. 31 Handbuch, 2. Aufl., I, 1874, S. 307 ff., insbes. S. 309 f. 32 Kritik I, 1857, S. 3 f., 3. 27 28
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schaftliches und politisches Wirken stehen für ihn insoweit nicht in einem Widerspruch, sondern in einem organischen Zusammenhang: Das Vorhandensein eines verbindlichen staatlichen Gesetzes entbinde die Wissenschaft nicht davon, die Sätze des immanenten Rechts aufzudecken und sie mit denen des positiven Rechts zu vergleichen; ergebe sich eine Divergenz, so sei die Wissenschaft dazu berufen, auf ihre Beseitigung hinzuwirken. Da das positive Recht dem immanenten Recht vorgehe, verlange die Wissenschaft in diesem Falle geradezu ein politisches Wirken dahingehend, den staatlichen Gesetzgeber zu einer Änderung seiner Gesetze zu bewegen; "politisch" ist dabei freilich nur die Form der Äußerung, nicht ihr auf wissenschaftliche Erkenntnis gestützter Inhalt. Ganz anders als Savigny also, der erst die genügende Reife der Rechtsentwicklung abwarten wollte, bis zur Gesetzgebung geschritten werden könne, sieht Goldschmidt es als geradezu organischen Ablauf an, daß bessere Erkenntnis der Wissenschaft und ständige Änderung der bestehenden Gesetze einander ablösten. Auch diese Haltung unterscheidet Goldschmidts Handbuch von den systematischen Werken anderer Autoren seiner Zeit, für die eine weitgehende Abstinenz in den rechtspolitischen Fragen der Gesetzgebung kennzeichnend ist 34 . Zwar verfaßten auch diese Autoren Kritiken zu Gesetzgebungsvorhaben oder betätigten sich in den Gesetzgebungskommissionen als Sachverständige, sie sahen aber diese Tätigkeiten offensichtlich als eine Aufgabe an, die von der Befassung mit dem geltenden Recht grundverschieden sei; symptomatisch hierfür sind neben dem Wirken und den Werken Windscheids insbesondere die Lehrbücher von Gerber und Thö1 35 . Goldschmidts starke Berücksichtigung der staatlichen Gesetzgebung ist indessen nicht allein aus seinen wissenschaftlichen Vorstellungen heraus zu erklären. Es kommt natürlich hinzu, daß den Autoren des Handelsrechts mit ADWO und ADHGB geschriebene Gesetzbücher vorlagen, in denen die von ihnen anzuwendenden Kernnormen enthalten waren. Die Feststellung, daß die Handelsrechtler wie Mittermaier, Renaud oder Endemann der Gesetzgebung aufgeschlossener gegenüberstanden als die am gemeinen Recht orientierten Zivilrechtler, läßt sich für das 19. Jahrhundert allgemein treffen. Thöls späte Wandlung vom Apologeten des römischen Rechts zum Vertreter eines extremen Gesetzespositivismus ist dafür symptomatisch. Schließlich ist für Goldschmidts Haltung aber auch ein rein politisches Moment bestimmend gewesen, das in engster Beziehung zu den enttäuschten Hoffnungen Kritik I, 1857, S. 4. s. dazu insbes. Wieacker, Pandektenwissenschaft S. 62. 35 Als Beispiel sei hingewiesen auf Thöl, Handelsrecht I, 4. Aufl., Vorwort S. VI f., wo er ausführt, eine "genauere Critik ... nur einmal nicht unterdrückt zu haben", nämlich bei der Darstellung des Art. 320 Abs. 2 des neuen ADHGB, nach dem ein Vertragsangebot bis zur Erklärung über dessen Annahme frei widerruflich sein sollte: Thöls interessenorientierte Kritik (S. 372 in Fußn. 0) zeigt, wie fruchtbar eine kritischere Haltung dem staatlichen Gesetz gegenüber hätte sein können; denn die angegriffene Bestimmung wurde tatsächlich nicht in das BGB übernommen: §§ 130 Abs. 1, 145 BGB. 33
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der Revolution von 1848 steht. Die Vielzahl selbständiger Staaten im Deutschland vor der Reichsgründung brachte nicht nur eine Rechtszersplitterung mit sich. Der Umstand, daß die mit der industriellen Revolution und der Ausweitung des Handels aufkommenden wirtschaftlichen Probleme in den meisten deutschen Staaten weitgehend identisch waren, die kleineren dieser Staaten aber nicht über einen hochentwickelten Gesetzgebungsapparat verfügten, der die umfassende Aufarbeitung aller Einzelheiten ermöglicht hätte, führte dazu, daß in der Gesetzgebung der deutschen Einzelstaaten in großem Umfang auf vergleichender Basis gearbeitet wurde. So wurden etwa die Bestimmungen des preußischen Eisenbahngesetzes von 1838 von mehreren Staaten mit nur geringfügigen Veränderungen übernommen. Partikulare Gesetzgebung bedeutete daher nicht selten auch Rechtsangleichung. Besondere Bedeutung kam insoweit natürlich der Gesetzgebung der "allgemeinen Gesetze" wie ADWO, ADHGB und des begonnenen, aber unvollendeten Allgemeinen Deutschen Obligationenrechts zu, denen gegenüber das "trostlose Flickwerk" einzelstaatlicher Novellengesetzgebung36 verblassen mußte. Welche politische Hoffnung sich mit diesen Gesetzgebungsarbeiten schon in den 50er Jahren des 19. Jahrhunderts verband, spricht Goldschmidt zu Beginn seiner Kritik des preußischen Handelsgesetzbuch-Entwurfs von 1857 aus: ,)e weiter für die lebende Generation die Aussicht zurücktritt, die politischen Einheitsbestrebungen der letzten Menschenalter mit endlichem Erfolge gekrönt zu sehen, um so dringender erscheint es geboten, wenigstens dem materiellen Einheitsbedürfniß Rechnung zu tragen,,3? Die Rechtseinheit - sowie die Schaffung weiterer gemeinsamer Einrichtungen der deutschen Staaten wie etwa eines obersten deutschen Gerichtshofes in Handelssachen 38 - als Vorbereitung und partielles Surrogat der politischen Einheit: dies wird der politische Tenor aller Äußerungen Goldschmidts zu grenzüberschreitend diskutierten Gesetzgebungsfragen bis zur Reichsgründung 1871 bleiben. Dabei sei Preußen wegen seiner politischen Machtstellung einerseits, der Reformbedürftigkeit seiner Rechtsordnung andererseits berufen, in diesem Prozeß die Führung zu übernehmen 39 . In dieser Frage dreht sich das oben skizzierte Verhältnis von wissenschaftlichen und politischen Forderungen bei Goldschmidt also um: Hier ist nun das politische Ziel das primäre, und die wissenschaftlichen Ausführungen dienen nur der Unterstützung seiner Durchsetzung. Denn auch aus wirtschaftlichen Gründen sei die Schaffung einheitlichen Handels- und Wirtschaftsrechts eine Notwendigkeit, die der Zoll verein und die tatsächlichen, naturgemäß engen Handelsbeziehungen der deutschen Staaten untereinander hervorgerufen hätten40 . Überspannte Erwartungen dürften insoweit an die Gesetzgebungsarbeiten aber
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Kritik I, Kritik I, Kritik I, Kritik I,
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Kritik I, 1857, S. 1.
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1857, S. 1857, S. 1857, S. 1857, S.
3 - 5, 3. 1. 2. 2 f.
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nicht geknüpft werden; stets müsse ein Mittelweg zwischen dem juristisch und ökonomisch Erwünschten und dem politisch Machbaren gefunden werden. Hilfreich sei jedenfalls, in der Abgrenzung der Materien des Handels- und Wirtschaftsrechts, für die ein Bedürfnis nach einheitlicher deutscher Regelung inzwischen nicht mehr angezweifelt war, und allgemeinem bürgerlichen Recht, das partikularer Gesetzgebung vorbehalten bleiben sollte, großzügig zu verfahren41 • Von den spezifisch mit staatlicher Gesetzgebung verbundenen methodischen Problemen seien zwei hervorgehoben. (2) Subjektive und objektive Auslegungslehre
Da Goldschmidt vom formellen Gesetz als Normalfall der rechtlichen Normierung ausgeht, nehmen seine Ausführungen über die Benutzung der Beratungsprotokolle für die Auslegung von ADWO und ADHGB breiten Raum ein. Schon für die Methode der Auslegung dieser Gesetze standen sich die objektive Auffassung, die das Hauptgewicht auf den publizierten Gesetzestext legt und den dahinterstehenden Willen des Gesetzgebers, sofern überhaupt sicher ermittelbar, als unverbindlich für die Auslegung betrachtet, und die subjektive Auffassung gegenüber, die den Willen des Gesetzgebers, der ihn zur Abfassung dieses Textes bestimmte, für die Auslegung als maßgeblich betrachtet42 • Denn schon bei der Behandlung dieser Kodifikationen stellten sich Rechtswissenschaft und Rechtspraxis die Probleme, mit der sich die Dogmatik des allgemeinen Zivilrechts in diesem Umfang erst vierzig Jahre später konfrontiert sah. Daß allerdings die Handelsrechtswissenschaft sich dieser Probleme erst in ihrer praktischen Anwendung bewußt werden mußte, zeigt sich an Goldschmidts Handbuch: Der die Auslegungsgrundsätze behandelnde Abschnitt wächst von der ersten Auflage 1864 zur zweiten 1874 auf das doppelte seines ursprünglichen Umfangs an43 . Als besondere Schwierigkeit kam hinzu, daß ADHGB und ADWO allgemeines Recht und deshalb der formelle Gesetzgeber, die Gesetzgebungsorgane der Einzelstaaten, und der Verfasser des Gesetzestextes nicht identisch waren 44 . Goldschmidt hatte sich schon in der ersten Auflage seines Handbuches der subjektiven Auffassung angeschlossen 45 und diese Haltung mehrfach verteidigt46 . Gutachten 1860 S. 7 - 11. Zur Entfaltung dieses Methodenstreits im 19. Jahrhundert s. Larenz, Methodenlehre S. 32 - 35. 43 Vgl. Handbuch, § 34,1. Aufl., 11,1864, S. 217 - 223, 2. Aufl., I, S. 301 - 316. 44 Dazu ausführlich Goldschmidt, Handbuch, 2. Aufl., 1,1874, S. 311 - 3\3. 45 Handbuch, 1. Aufl., I I, 1864, S. 221 - 223. 46 Insbes. gegen die Kritik von Hahn, Commentar, I, S. LXII - LXXII (§ 19) u. Schlesinger, Ueber die Benutzung der Berathungsprotokolle, in: ZHR 12 (1868), S. 191 f. in Benutzung 1866, S. 40 - 57 u. Handbuch, 2. Aufl., I, 1874, S. 311 - 316, insbes. S. 315 f. in Fußn. 26. 41
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Seine Differenzierungen, Abstufungen und Modifikationen sind in ihren Einzelheiten freilich nur schwer nachvollziehbar. Die Unübersichtlichkeit von Goldschmidts Haltung beruht aber letztlich darauf, daß sie gemäßigt und frei von dogmatischer Verbohrtheit ist. Grundlage seiner Auffassung ist, daß jeder publizierte Gesetzestext bestimmten Zwecken und Absichten diene, die zunächst nur die der Verfasser sein könnten; diese wiederum dürften aber nur dann maßgeblich sein, wenn sie im Gesetz ihren Ausdruck gefunden hätten und sich eindeutig feststellen ließen. Denn verbindlich könne und wolle der Gesetzgeber seinen Willen eben nur durch das Gesetz erklären47 . Überhaupt sei die praktische Bedeutung übermäßiger Distinktionen in dieser Frage zweifelhaft, da ohnehin alle Vertreter der deutschen HandeIsrechtswissenschaft und auch die Praxis reichlich Gebrauch von den jeweiligen Gesetzesmotiven machten 48 . Das galt sogar für Thöl, der mit seiner klassischen Formulierung, "daß das Gesetz durch die Publication sich vom Gesetzgeber losreißt,,49, einerseits zu den vehementesten Verfechtem der objektiven Auslegungsmethode gehörte, andererseits aber die Protokolle der Leipziger Wechselkonferenz herausgegeben hatte 5o . Goldschmidt hat seine differenzierende Haltung auch in der praktischen Gesetzgebungsarbeit vertreten, so insbesondere 1875/76 in der VIII. Reichstags-Kommission zur Beratung des Entwurfs der Reichs-Konkursordnung: Nach § 19 des Entwurfes sollte ein "bei dem Gemeinschuldner angetretenes Dienstverhältnis" außerordentlich gekündigt werden können, womit nach den Motiven des Regierungsentwurfes nur dem Gemeinschuldner persönlich zu leistende Dienste gemeint waren. Die Kommission wollte jedoch diese Vorschrift so weit verstanden wissen, wie sie es ihrem Wortlaut nach war, so daß sich das Problem ergab, wie dies - da der Wortlaut grundsätzlich hätte beibehalten werden können - zum Ausdruck gebracht werden solle. Goldschmidt hielt eine eine Änderung des Wortlautes für unnötig: Er "sei zwar ein Freund der Interpretation von Gesetzen aus Motiven, Vorverhandlungen etc., verlange aber, daß der Wortlaut des Gesetzes für die Interpretation irgend welchen Anhalt gebe"; diesem Zugeständnis an die objektive Auslegungsmethode ließ er aber den an der subjektiven Methode orientierten Antrag folgen, die Kommission möge klarstellend zu Protokoll konstatieren, daß sie die in den Motiven des Regierungsentwurfs vertretene Ansicht nicht teile 5l . Die Kommission zog es 47 Handbuch, 2. Aufl., I, 1874, S. 312 ff., insbes. S. 314 f. u. 315 f. in Fußn. 26; dagegen weitere Kritik durch von Hahn, Commentar I, S. LXX ff. 48 Handbuch, 2. Aufl., I, 1874, S. 316 in Fußn. 27. 49 Thöl, Einleitung § 60, S. 150; vgl. Larenz, Methodenlehre S. 33 Fußn. 37. 50 Protocolle der Leipziger Wechsel-Konferenz, hrsg. v. Heinrich Thöl, Göttingen 1866. Diese Ausgabe ist nicht ein bloßer Abdruck der Protokolle von 1847, sondern eine echte Ausgabe mit Seitenkonkordanzen, Inhalts-Übersicht u. eigener Gliederung. Im Vorwort, S. V, betont Thöl sogar die Genese der Rechtssätze aus den Beratungen: "Durch die Eintheilung des Textes in Paragraphen ist es möglich geworden, genaue Verweisungen zu geben. Nun kann jeder Rechtssatz leicht verfolgt werden, von dem preußischen Entwurf an durch die Verhandlungen ... zu dem letzten Entwurf ... ".
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jedoch vor, der Bestimmung eine andere Fassung zu geben, aus der unter Goldschmidts Mitwirkung in der Redaktionskommission die Fassung des heutigen § 22 KO wurde 52 . Umgekehrt verhalf Goldschmidt einer nur in den Motiven des Regierungsentwurfs vorgesehenen Regelung Eingang in den Wortlaut des Gesetzes: § 47 des Entwurfs hatte die Aufrechnungsbefugnis im Konkurs auf bedingte und betagte, nicht aber, wie in den Motiven ausgeführt, auch auf ungleichartige Forderungen erstreckt. Nach anfänglichem Widerstreben des gegen alle Änderungen mißtrauischen Regierungskommissars Hagens setzte Goldschmidt die dafür notwendige Ergänzung des Wortlauts des heutigen § 54 Abs. I KO in der Kommission durch53 . Angesichts dieser Erfahrungen Goldschmidts mit der Praxis der Gesetzgebung ist es merkwürdig, daß er in seinen Ausführungen zu der Frage der Auslegungsmethode nicht auf seine Darlegungen zur Rechtsquellenlehre Bezug nimmt; denn mit dem Gedanken, daß auch das Gesetzesrecht insofern aufdeckende Rechtsquelle sei, als es auf der Erkenntnis des den Lebensverhältnissen immanenten Rechts beruhe 54 , hätte sich die subjektive Auslegungslehre tiefgreifender fundieren lassen. Denn die Auslegung des Gesetzes kann auch darin bestehen, den Gedankengang des Gesetzgebers zu verfolgen, um den Stand seiner Erkenntnis zu ergründen, insbesondere die Frage zu klären, welche Erscheinungen des täglichen Lebens der Gesetzgeber vor Augen hatte, als er sich ein Bild von dem Recht zu machen suchte, das den Lebensverhältnissen angemessen sein sollte. Goldschmidt scheint sich der Möglichkeiten, die sich ihm mit dieser Betrachtung geboten hätten, nicht bewußt gewesen zu sein. Er negiert diesen Ansatz sogar ausdrücklich mit seiner Aussage, daß bei Feststellung des geltenden positiven Rechts der Rekurs auf das immanente Recht unzulässig sei55 , wenn der Gesetzgeber ihn nicht zulasse56 . Goldschmidts Auslegungslehre ist daher, soweit sie die Auslegung formeller Gesetze betrifft, im Ergebnis wesentlich statisch, indem sie das Gesetz an die gesetzgeberische Erkenntnis des immanenten Rechts seiner Entstehungszeit bindet und seine Weiterentwicklung auch bei verbesserter Erkenntnis oder Änderung der Le51 C. Hahn, Materialien KO S. 531. Ähnlich verfuhr Goldschmidt bei der Beratung von § 20 des Entwurfes über das Verhältnis der KO zu gesellschafts- u. familienrechtlichen Vorschriften, in der er das Ergebnis einer zersplitternden Detaildiskussion (Hahn S. 650 - 657) scharfsinnig zusammenfaßte (Hahn S. 656), es in die Fassung goß, die als § 25 KO heute Gesetz ist u. beantragte, diese durch einen Protokollvermerk erläutern zu lassen, was auch geschah: Hahn S. 692. (Die InsO scheint eine entsprechende Regelung als entbehrlich anzusehen.) 52 C. Hahn, Materialien KO S. 530 - 532; § 113 InsO entspricht dagegen wieder dem Wortlaut der damaligen Regierungsvorlage, den abzuändern diesmal kein Anlaß bestand, da er dem gewollten Inhalt entspricht. 53 C. Hahn, Materialien KO S. 553 f., 562. Zur Vermeidung der Privilegierung einzelner Gläubiger (Entw. InsO 1992, S. 140 f.) anders § 95 Abs. 1 InsO. 54 Handbuch, 2. Aufl., I, 1874, S. 303. 55 Handbuch, 2. Aufl., I, 1874, S. 303. 56 Handbuch, 2. Aufl., I, 1874, S. 308 ff., S. 309 in Fußn. 14.
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bensverhältnisse erschwert. Damit macht Goldschmidt es sich unmöglich, den subjektiven Standpunkt zu überwinden und auch als Subjekt des formellen Gesetzes nicht das Gesetzgebungsorgan, sondern den betroffenen Lebenskreis als "Subjekt der Rechtserzeugung", wie er es formuliert 57 , zu setzen. Daher ist er gezwungen, in Fällen, in denen die Auslegung ein Ergebnis bringt, das ihm nicht angemessen erscheint, sogleich nach einer Änderung des Gesetzes durch "acte du pouvoir legislatif' zu rufen 58 oder sich resigniert mit der vermeintlichen Unvollkommenheit des Gesetzes abzufinden 59 . Trotz seines grundsätzlichen Bekenntnisses zu der gesetzesbrechenden Kraft des Gewohnheitsrechts wagt er es kaum einmal, auf diesem Wege eine erkannte Entwicklung auch in die Zukunft fortzuschreiben und das als formell geltend erkannte Recht inzwischen geänderten Verkehrsverhältnissen und Anschauungen zu opfern6o . Es ist bezeichnend, daß an der einseitigen Anbindung der Gesetzeszwecke an die Absicht des jeweils historischen Gesetzgebers auch die Auslegungslehre der Interessenjurisprudenz Philipp Hecks 61 krankt62 , die erst nach der Überwindung dieses Mangels ihren Siegeszug in der deutschen Rechtswissenschaft und Praxis antreten konnte. (3) Das Lückenproblem
Die Abkoppelung des positiven Rechts vom immanenten Recht führt dazu, daß auch Goldschmidt sich in seiner Auslegungslehre mit dem Problem der notwendigen Lückenhaftigkeit allen positiven Rechts abgeben muß. Dieses Problem trat in der am Gewohnheitsrecht orientierten Volksgeistlehre Puchtas nicht oder nur als Scheinproblem auf. Denn nach dieser Lehre enthielt der Volksgeist ein widerspruchsfreies und lückenloses System von Rechtssätzen; fehlte für eine Situation ein Rechtssatz, so war dieses Fehlen nur scheinbar, denn es konnte nur auf bisheriger unzureichender Erkenntnis des Rechts beruhen. Die Schaffung neuer Rechtssätze war nicht nötig, sie mußten nur aus dem System des Volksgeistes abgeleitet, also "gefunden" und nicht "erfunden" werden 63 . Für das Gesetzesrecht hatte diese Lehre insoweit Bedeutung, als ihre Vertreter davon ausgingen, daß wegen der notwendigen Lückenhaftigkeit des Gesetzesrechts, die aufgrund von Savignys Kritik am ALR als selbstverständlich vorausgesetzt wurde, ohne weiteres auf das Gewohnheitsrecht zurückgegriffen werden könne. Goldschmidt hatte sich in der ersten Auflage seines Handbuches mit der Problematik des Lückenproblems noch Handbuch, 2. Aufl., I, 1874, S. 302 in Fußn. 1. Du droit commercial 1870, S. 363; vgl. etwa Kreationstheorie 1889, S. 124 ff. (bereits präventiv). 59 So in Verantwortlichkeit 1871, S. 381 f. u. Grundlagen 1884, S. 349. 60 Vgl. Handbuch, 2. Aufl., I, 1874, S. 303. 61 Heck, Gesetzesauslegung u. Interessenjurisprudenz, in: AcP 112 (1914), S. I - 318, 59 ff. 62 Larenz, Methodenlehre S. 56 ff. 63 Vgl. Thöl, Handelsrecht, 4. Aufl., S. 42. 57
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gar nicht befaßt. Erst in der zweiten Auflage untersucht er sie unter eingehender Berücksichtigung der Rechtsprechung des noch jungen ROHG64 ; das deutet darauf hin, daß seine Ausführungen wesentlich von den praktischen Erfahrungen seines Richteramtes beeinflußt sind. Goldschmidt gesteht gegen Puchta und Thöl ausdrücklich ein, daß das positive Recht lückenhaft sei, daß es also Fälle gebe, für die die Nonnen des positiven Rechts keine Lösung enthielten65 . Zunächst sei allerdings zu prüfen, ob wirklich eine Lücke vorliege. Dies sei nicht der Fall, wenn das positive Recht zwar keinen unmittelbar feststellbaren Rechtssatz enthalte, ein solcher sich aber mit den Methoden der Auslegung oder Analogie aus den Bestimmungen des positiven Rechts gewinnen lasse66 • Für diesen Fall nun, daß die Lösung eines Rechtsproblems aus dem positiven Recht nicht möglich sei, greift Goldschmidt auf seine einleitenden Lehren vom "immanenten Recht" zurück. Jetzt gesteht er ihm nicht eine nur dunkel bleibende Bedeutung als Leitbild bei der Ausbildung des positiven Rechts zu, sondern nimmt an, daß ihm unmittelbare Bedeutung als geltendes Recht zukomme. Denn während die wissenschaftliche Tätigkeit bei der Anwendung des positiven Rechts "noch eine gebundene" sei, indem sie an das Gesetz gebunden bleibe, schreite sie nunmehr "zur durchaus freien Rechtsbildung" vor67 • Habe der Gesetzgeber, sei es das staatliche Gesetzgebungsorgan oder die Gemeinschaft als Gesetzgeber des Gewohnheitsrechts, für eine bestimmte Fallkonstellation keine Regelung ausgebildet und lasse sich eine solche Regelung auch nicht durch die Methoden der Anwendung des positiven Rechts bilden, so sei die Wissenschaft aufgerufen, an Stelle der genannten Gesetzgeber die Sätze des den Lebensverhältnissen immanenten Rechts aufzudecken und soweit auszubilden, daß sie der Anwendung auf einen konkreten Fall fähig seien68 . Die Vokabel von der "freien Rechtsbildung" klingt wie ein Vorgriff auf die teilweise revolutionierenden neuen Gedanken, die von der Freirechtsbewegung in der Methodenlehre um die Jahrhundertwende vertreten wurden69 . Goldschmidt als einen Vordenker dieser Lehren interpretieren zu wollen, hieße allerdings, seine Ausführungen überzubewerten 70. Allerdings sollen Rechtswissenschaft wie vor allem auch Rechtspraxis 71 dazu berufen sein, die den geänderten Lebensverhältnissen entsprechenden Nonnen nun "selbsthätig zu finden und darzulegen"n, indem die 64 65 66 67
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Vgl. Handbuch, § 34,1. Aufl., 11,1864, S. 217 - 223, 2. Aufl., I, S. 301 - 316. Handbuch, 2. Aufl., I, 1874, S. 303, 304. Handbuch, 2. Aufl., I, 1874, S. 304 f. Handbuch, 2. Aufl., I, 1874, S. 305. Handbuch, 2. Aufl., 1,1874, S. 305. Dazu Larenz, Methodenlehre S. 59 - 62. Vgl. Sinzheimer S. 57. Dazu Handbuch, 2. Aufl., I, 1874, S. 305 in Fußn. 6. Handbuch, 2. Aufl., I, 1874, S. 305.
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Nonnen durch eine Verbindung von induktiven und deduktiven Elementen nunmehr nicht aus einem Gesetzessystem, sondern aus den Beobachtungen konkreter Vorgänge des Rechtslebens gewonnen werden sollen. Hier klingen tatsächlich Gedanken an, wie sie besonders die Vertreter der an der Rechtssoziologie orientierten Freirechtsbewegung später ausführlich entwickelt haben73. Nicht zufällig ist der neben Eugen Ehrlich zweite Begründer der Rechtssoziologie als Wissenschaft mit Max Weber ein Schüler Goldschmidts. Was Goldschmidt - und übrigens auch Max Weber - indessen schon im Ansatz von der "freirechtlichen" Denkweise Ehrlichs und seiner Nachfolger unterscheidet, ist deren zwar soziologischer, dabei aber gänzlich ahistorischer Ansatz. Auf diesen Unterschied verweist schon Goldschmidts Besprechung von Konrad Cosacks Lehrbuch des Handelsrechts, das in den folgenden Jahrzehnten zum führenden Ausbildungslehrbuch werden sollte74, in der er nachdrücklich rügt, daß Cosack auf eine historische Grundlegung der einzelnen Institute verzichtet hatte 75. Dieser Rezension kommt deshalb grundlegende Bedeutung zu, weil das Werk Cosacks bereits ganz im Zeichen des Gesetzespositivismus steht, indem es von Anfang an nur den bereits kodifizierten Materien des Zivil- und Prozeßrechts gewidmet ist. Es ist daher bezeichnend, wenn Goldschmidt Cosacks Kritik an der Wortfassung des ADHGB und seiner Auffassung widerspricht, die Zulässigkeit einer Analogie hänge ausschließlich davon ab, ob das Gesetz habe vollständig sein wollen oder nicht, nicht aber davon, ob das im Gesetz zum Ausdruck gebrachte Prinzip auch Rechtssätze für einen nicht geregelten Fall ergebe 76 • Wie berechtigt Goldschmidts Kritik an diesen Ansätzen zu einem oberflächlichen Gesetzespositivismus war, zeigt die Tatsache, daß gerade Cosack später eine eigenartige Affinität für die Freirechtsbewegung empfand77, die er damit begründete, daß, wenn das Gesetz lückenhaft sei, eben keil} anderer Weg bleibe, als die freie Rechtsschöpfung aus der "Natur der Sache,,78. Zwar benutzt auch Goldschmidt diesen Begriff, indessen anders als die Vertreter der Freirechtsschule79 nicht als Lückenfüller nach dem Gesetz, sondern als die dem Gesetz vorangehende Tatsachen- und Rechtsgrundlage, der vom Gesetz nur jeweils konkreter Ausdruck verliehen werde. Ganz im Gegensatz zu den Intentionen der Freirechtsbewegung ist Goldschmidts Ansatz in dieser Richtung daher eindeutig restriktiv und nicht gegen die Geltung des Gesetzesrechts gerichtet. Denn die auf diese Art gefundenen 73 s. insbes. Eugen Ehrlich, Grundlegung der Soziologie des Rechts, München 1913, insbes. S. 393 - 409: "Die Erforschung des lebenden Rechts"; s. dazu Larenz, Methodenlehre S. 63 - 67. 74 Goldschmidt, Darstellungen 1889, S. 314 - 322 (zu Cosacks Lehrbuch des Handelsrechts, Stuttgart 1888). 75 Goldschmidt, Darstellungen 1889, S. 314 f. 76 Goldschmidt, Darstellungen 1889, S. 318, 318 f. 77 Konrad Cosack, Lehrbuch des bürgerlichen Rechts, I. Bd., 8. Aufl., Jena 1927, § 10, S. 19 - 21 (inshes. S. 19 Fußn. 2). 78 Cosack, Lehrbuch des bürg. Rechts, I. Bd., 8. Aufl., S. 7. 79 Vgl. Sinzheimer S. 57.
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Rechtssätze entbehrten des Gesetzeswillens der Gemeinschaft und erhielten ihre Autorität einzig dadurch, daß mit ihnen die Natur der Sache, das immanente Recht richtig erkannt, richtig "aufgedeckt" worden sei. Deshalb bedürften sie, soweit Entscheidungen von Rechtsfragen auf sie gestützt werden sollten, der ständigen Überprüfung und müßten, bis sie durch Gesetz oder Gewohnheit mit Gesetzeskraft belegt würden, besserer Erkenntnis oder geänderten Verhältnissen ohne weiteres weichenso. bb) Das Gewohnheitsrecht Seiner nach wie vor großen Bedeutung für das geltende positive Recht entsprechend widmet Goldschmidt einen umfangreichen Abschnitt seines Handbuchs dem GewohnheitsrechtSI. Während das immanente Recht gegenüber dem formellen Gesetzesrecht erst dann wirkliche Bedeutung erlange, wenn das Gesetzesrecht lükkenhaft sei, sei seine Bedeutung für die Bereiche, in denen Gewohnheitsrecht gelte, größer. Denn da das immanente Recht danach strebe, als positives Recht Geltung zu erlangen, setzten sich von einem entsprechenden Rechtsgeltungswillen getragene Gewohnheiten in den betreffenden Verkehrskreisen im allgemeinen so rasch durch, daß es häufig nicht ganz einfach zu entscheiden sei, ob ein Rechtssatz als Satz des Gewohnheitsrechts echte Geltung beanspruchen könne oder als von der Wissenschaft erkannter Satz des immanenten Rechts nur auf der überzeugenden Darlegung seiner Gründe beruhes2 . An den beiden herkömmlich verlangten Merkmalen für echtes Gewohnheitsrecht hält auch Goldschmidt fest: Gewohnheitsrecht setze eine dauernde Übung der beteiligten Verkehrskreise voraus, die von einer Rechtsüberzeugung dieser Kreise getragen sein müsse S3 . Das erste dieser Merkmale sei schlechthin unverzichtbar: "Die Uebung ist für alles nichtgesetzliche positive Recht die nothwendige Form der äußeren Erscheinung, vielfach aber auch ein materieller Factor für dessen Enstehung". "Wer wie die historische Rechtsschule ... die Uebung lediglich als Manifestation eines schon vor derselben bestehenden Rechtssatzes auffaßt, muß consequent auch ungeübtes Gewohnheitsrecht anerkennen"s4; Thöl, der Meister der Konsequenz war dazu auch tatsächlich bereitS5 . Dies zeige indessen nur, daß die Volksgeistlehre Puchta'scher Prägung in ihrem Ausgangspunkt an einem wesentlichen Mangel leide, indem nämlich "die Theorie der historischen Schule weitaus zu spiritualistisch" sei s6 . 80 81
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Handbuch, 2. Aufl., I, 1874, S. 306. Handbuch, 2. Aufl., I, 1874, §§ 35, 36, S. 316 - 363. Handbuch, 2. Aufl., I, 1874, S. 301 f. in und zu Fußn. 1. Handbuch, 2. Aufl., I, 1874, S. 327. Handbuch, 2. Aufl., I, 1874, S. 327 f. in Fußn. 18. Thöl, Einleitung S. 134 in Fußn. 3.
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Fehle das zweite Merkmal, die gemeinsame Rechtsüberzeugung, so liege eine bloße Verkehrssitte, ein Handelsbrauch vor, der keine eigentliche Rechtsnorm sei 87 . Der Problematik dieser bis heute gebräuchlichen Abgrenzungskriterien 88 ist sich Goldschmidt aber durchaus bewußt89 und versucht sie zu relativieren: Denn der Usance als Handelsbrauch komme besondere Bedeutung als Hilfsmittel zur Auslegung von Willenserklärungen zu 90 • Wegen der schnellen Abschließung und Abwicklung der Handelsgeschäfte werde der Vertragsinhalt nur selten ausführlich fixiert 91 ; gleichwohl wollten die Parteien oft nicht, daß an die Stelle des nicht ausdrücklich Vereinbarten gleich das Gesetzesrecht oder das Gewohnheitsrechtssystem des allgemeinen bürgerlichen Rechts trete 92 , sondern das in ihren Kreisen "Uebliche, Gewöhnliche ... , und die Betheiligten rechnen darauf, daß dieses Uebliehe geschehe". Dieses Phänomen, auf das bereits knapper Brinckmann hingewiesen hatte 93 , stützt Goldschmidt94 nicht allein auf zahlreiche Zeugnisse vom römischen Recht 95 bis zu den neuesten Gesetzbüchern und die Artt. 279, 282, 344, 347 ADHGB; er kann es auch mit seiner Lehre vom immanenten Recht erklären. Die auch von ihm als theoretisch bedeutsame und überaus schwierige Frage angesprochene Unterscheidung von Usance als Gewohnheitsrecht, das mit dem Rechtsgeltungswillen der Gemeinschaft ausgestattet sei, und Usance als bloßer Handelsbrauch, dem der Rechtsgeltungswille fehle 96 , verliert damit für ihn an praktischer Bedeutung97 • Tatsächlich bringt es Goldschmidt auf der Grundlage dieses Verständnisses zu einer von nur wenigen seiner Zeitgenossen erreichten Meisterschaft darin, Handelsgeschäfte ihrem gesamten Umfang nach durch Auslegung der typi.Handbuch, 2. Aufl., I, 1874, S. 327 in Fußn. 18. Handbuch, 2. Aufl., I, 1874, S. 329 f. 88 Enneccerus/Nipperdey, Allgmeiner Teil I, S. 271 f. 89 Vgl. Peter Raisch, Zur Abgrenzung von Gewohnheitsrecht u. Richterrecht, in: ZHR 150 (1986), S. 117 - 140, 131. 90 Handbuch, 2. Aufl., I, 1874, S. 333 - 337. 91 Handbuch, 2. Aufl., I, 1874, S. 336. 92 Handbuch, 2. Aufl., I, 1874, S. 334, 337. 93 Brinckmann, Lehrbuch S. 6 in Fußn. 9. 94 Handbuch, 2. Aufl., I, 1874, S. 335 f. in Fußn. 30. 95 Zu der Zeit des Übergangs der Ordnung des römischen Rechts in die Rechtsverhältnisse des Mittelalters s. den Exkurs über "Vulgarrecht und Usance" in Universalgeschichte 1891, S. 90 - 94, wonach sich in der Verbindung einzelner Elemente des römischen Rechts und neuer Regelungsmechanismen in den Rechtsaufzeichnungen wie dem Pseudorhodischen Seerecht und den italienischen Handelsstatuten ein gleichzeitig zersetzender und neuschaffender Einfluß handelsrechtlicher Gewohnheiten offenbare. Damit habe sich die schon in vorjustinianischer Zeit begonnene Entwicklung fortgesetzt, daß Handelsgewohnheiten über den Weg von Abreden, durch die die vorgegebenen Vertragstypen des römischen Rechts ergänzt worden seien, Eingang in die Ausgestaltung einzelner Schuldverhältnisse gefunden hätten (S. 93 f. am Beispiel der receptum-Haftung). 96 s. dazu die Kritik von Raisch, Gewohnheitsrecht, ZHR 150 (1986), S. 117 ff. 97 Handbuch, 2. Aufl., I, 1874, S. 334. 86
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scherweise im Handel gebrauchten Abreden auszulegen und inhaltlich zu würdigen98 . Seine Ausführungen hierzu enthalten reiches Material99 . Da die Usance in ihrer Form als echtes Gewohnheitsrecht viel enger an das immanente Recht gebunden sei als das Gesetzesrecht, stellt sich Goldschmidt natürlich die Frage, inwieweit das im Gegensatz zum statischen Gesetzesrecht dynamisch auf stetige Anpassung an die Änderung der Lebensverhältnisse angelegte Gewohnheitsrecht Normen des Gesetzesrechts verdrängen könne, die ihm inhaltlich widerstreiten. Goldschmidt war zunächst dafür eingetreten, die derogatorische Kraft des Gewohnheitsrechts jedenfalls nicht durch gesetzliche Vorschrift auszuschließen 100. Eben das hatten Art. 1 pr. Entw. preuß. HGB I, Art. 1 Abs. 2 Entw. preuß HGB 11 vorgesehen, wonach nur dann, wenn das Gesetzbuch keine Bestimmung enthalte, ergänzend zunächst die Handelsbräuche, dann das allgemeine bürgerliche Recht (Partikularrecht oder gemeines Recht) herangezogen werden sollten. Goldschmidt wandte gegen diesen gewollten Ausschluß der derogatorische Kraft des Handelsgewohnheitsrechts ein, daß er inkonsequent sei, da er die Möglichkeit der Existenz eines vom Gesetzbuch abweichenden Gewohnheitsrechts voraussetze: "Usance ohne derogatorische Wirkung ist ein leeres Wort", "es gilt dem unbeugsamen gesetzgeberischen Willen die veränderte Volksüberzeugung wirksam entgegenzustellen"lOl. Das ist nicht nur ein Rekurs auf Savignys Volksgeistlehre; dahinter steht auch ein gewichtiges praktisches Argument: Die Art des geplanten ADHGB als eines allgemeinen Gesetzbuchs ließ eine flexible legislatorische Anpassung an geänderte Verhältnisse und Überzeugungen nicht zu, so daß diese sich zunächst nur als derogatorisches Gewohnheitsrecht würden durchsetzen können 102. Als Maßstab für die Anerkennung abweichenden Gewohnheitsrechts vermochte Goldschmidt indessen nichts konkreteres· anzubieten, als "das vernünftige Ermessen des Richters"I03. Seine Kritik und entsprechende Änderungsvorschläge Hamburgs und Kurhessens lO4 konnten sich daher nicht durchsetzen 105 , und die Vorschrift des Entwurfs wurde als Art. 1 in das ADHGB übernommen, weil man meinte, nur so eine Aushöhlung der Kodifikation vermeiden und die Rechtseinheit erhalten zu können lO6 . 98 Handbuch, 2. Aufl., I, 1874, S. 336 und 336 ff. in Fußn. 31; s. dazu schon Pohlhausen, Geschäftsbedingungen S. 87 ff. 99 Handbuch, 2. Aufl., I, 1874, § 35 Fußn. 28 b, S. 333, Fußn. 28 c, S. 336 f. Die nach dem Inhaltsverzeichnis seines Handbuches zu erhoffende systematische Analyse der "Praxis des ROHG" (S. XXI, § 35 Fußn .. 23 - 33) bleibt aber aus. 100 Kritik I, 1857, S. 7 - 9; Gutachten 1860, S. 12. 101 Kritik 1,1857, S. 9. 102 Kritik I, 1857, S. 9; Gutachten 1860, S. 13. 103 Gutachten 1860, S. 15. 104 Heimsoeth, Erinnerungen S. 2. 105 Kritisch zu Goldschmidt schon Str., Literarisches Centralblatt 1861, Sp. 57 f., 57.
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Überraschenderweise bestreitet Goldschmidt nur wenige Jahre später, daß das Gewohnheitsrecht entgegenstehende Normen des ADHGB verdrängen könne 107. Darin liegt freilich nur scheinbar ein Widerspruch 108; denn Goldschmidt hatte nur die Konsequenz aus dem Umstand gezogen, daß er mit seiner Ansicht nicht durchgedrungen war und der Ausschluß derogativer Kraft von Gewohnheitsrecht in Art. 1 ADHGB eindeutig dem Willen des Gesetzgebers entsprach 109. Obwohl Goldschmidt das Argument, eine Rechtszerspliuerung durch partikuläre Usancenbildung müsse vermieden werden, jetzt billigte 11 0 , mochte er sich nicht damit abfinden, daß das Gewohnheitsrecht neben dem Gesetzesrecht eine nur zweitrangige Position einnehmen solle. Daher macht er in einer für ihn typischen, differenzierenden Weise eine Einschränkung, indem er auf die Doppelnatur der Usance als Gewohnheitsrecht und als bloßer Handelsbrauch zurückgreift: Zwar könnten auch die nur dispositiven Regelungen des ADHGB nach Art. 1 ADHGB nicht durch abweichendes Gewohnheitsrecht verdrängt werden. Abweichende Usancenbildung vermöge sich jedoch auf andere Weise "praktisch durchzusetzen"; denn die Angehörigen der beteiligten Verkehrskreise würden - zunächst ausdrücklich, dann zunehmend nur noch konkludent - die Vereinbarungen treffen, die ihren Bedürfnissen besser entsprächen als das dispositive Gesetzesrecht. Dies sei von der Rechtspraxis auch ohne weiteres hinzunehmen. Denn da es sich dabei stets um vertragliche Vereinbarungen handle, die auch im Streitfalle als solche nachgewiesen werden müßten, entstehe eine echte Verdrängung von Gesetzes- durch Gewohnheitsrecht auf diese Weise nicht 111. Als Art. 1 ADHGB 1897 als Art. 2 Abs. 1 in das EGHGB übernommen wurde, wurde die Bezugnahme auf die Handelsbräuche gestrichen, weil man diese Frage als dem allgemeinen bürgerlichen Recht zugehörig nicht in der Gesetzgebung des Handelsrechts regeln wollte 112 • Auch im EGBGB blieb sie ungeregelt. Das Reichsgericht hat schließlich in einer Entscheidung aus dem Jahre 1932 ausdrücklich anerkannt, daß Bestimmungen der Reichsgesetze, also auch des HGB und des BGB, durch abweichendes (Reichs-) Gewohnheitsrecht verdrängt werden könnten 113. Goldschmidt, Handbuch, 2. Aufl., I, 1874, S. 361 - 363. Handbuch, 2. Aufl., I, 1874, S. 355 ff., 360 - 363. 108 Anderer Auffassung Raisch, Gewohnheitsrecht ZHR 150 (1986), S. 117 f., 131. 109 Handbuch, 2. Aufl., 1,1874, S. 361 f., insbes. Fußn. 17. llO Handbuch, 2. Aufl., I, 1874, S. 362. III Handbuch, 2. Aufl., I, 1874, S. 363. ll2 Denkschrift HGB, S. 429, 349 f. - Damit erfüllte sich zugleich eine weitere Forderung Goldschrnidts. Die Nennung der "Handelsgebräuche" in dieser Norm, so hatte er kritisiert, erwecke den Eindruck, als handele es sich bei ihnen um eine Rechtsquelle; in Wahrheit seien die Handelsbräuche aber nur ein Hilfsmittel der Interpretation von Rechtsgeschäften: Gutachten 1860, S. 13 f.; so auch die Erinnerungen Hamburgs und Sachsens, Heimsoeth, Erinnerungen S. 2; zur Abgrenzung von Handelsbrauch u. Gewohnheitsrecht s. Goldschmidt, Handbuch, 1. Aufl., 11,1864, §§ 34 - 36, S. 217 ff., 2. Aufl., 1,1874, S. 316 ff. ll3 RGZ 135, S. 341 ff., 344 f. 106 107
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c) Das Verhältnis vom positiven zum immanenten Recht Goldschmidt hat die "induktive Methode", nach der die Rechtssätze aus den zu ordnenden Lebensverhältnissen heraus entwickelt werden sollen, als erster in einem für breitere wissenschaftliche Kreise bestimmten Werk so ausführlich entwikkelt und der "deduktiven Methode", die die Rechtssätze durch logisch-abstrakte Konstruktion auf der Grundlage eines vorgegebenen Systems herzuleiten sucht, entgegengesetzt l14 . Nicht mehr der gedanklichen Logik, sondern der empirischen Überprüfbarkeit solle ein von der Wissenschaft gefundener Rechtssatz seine Geltung verdanken: "Aus der Fülle der thatsächlichen Erscheinungen ist das innere Gesetz derselben, mag es - wie im Handelswesen durchgehends - ein wirthschaftliches, oder zugleich ein ethisches ( ... ) sein, zu ermitteln. Diese thatsächliche Erscheinung darf regelmäßig als eine dem bewußten oder unbewußten Bedürfniß entsprechende angesehen werden. Darum fällt der gefundene Rechtssatz meist zusammen - und daran erprobt sich seine Richtigkeit - mit dem, was Takt und Bewußtsein des Handelsstandes für angemessen erachten und als gewohnheitliche Nonn oder stillschweigende Vereinbarung durchführen oder anstreben"ll5. Damit spielt Goldschmidt auf ein entscheidendes Moment an, durch das sich das "immanente Recht" Geltung als positives Recht zu verschaffen sucht, nämlich auf dem Weg über die regelmäßige Vereinbarung bestimmter Rechtsfolgen in den Rechtsgeschäften des Handelsverkehrs. Der konkrete Nachweis des Ablaufs solcher Entwicklungen gelingt Goldschmidt indes nur selten; tatsächlich lassen sich in der Analyse einzelner Fälle oder Quellenbelege ja auch nicht eigentlich Entwicklungen erkennen, sondern immer nur einzelne, augenblickliche Zustände. Goldschmidt charakterisiert die Art des Übergangs vom immanenten zum positiven Recht daher als "insensiblement et comme de lui-meme", "unmerklich und wie von selbst,,1l6. Es ist geradezu auffällig, daß Goldschmidt diesem Mechanismus in den ausführlichen Erörterungen methodischer Fragen in seinem Handbuch keinen breiteren Raum gewidmet hat. Tatsächlich wird der Gedanke der Privatautonomie mit wenigen dürren Sätzen, die ihre Einschränkung durch die Vorschriften des zwingenden Gesetzesrechts zum Gegenstand haben, abgehandelt ll7 . Das offenbart einen Schwachpunkt in Goldschmidts positivistischem System: Indem er nämlich die Grundlage der Rechtsentstehung aus der angeblich inneren Natur des Menschen in die äußeren Lebensverhältnisse verlegt und sie damit objektiviert hat, fehlt ihm jetzt die Rückanbindung an die Individuen, deren Tätigkeit die Lebensverhältnisse gestalten. Wenn der rechtserzeugende Lebenskreis das "Subject der Rechtserzeugung" ist 1l8, kann es auf das Individuum als Subjekt hinter dem Sub114 115 116 117 118
Dazu Sinzheimer S. 56 f. Handbuch, 2. Aufl., I, 1874, S. 305 f. in Fußn. 7. Du droit commercial 1870, S. 363. Vgl. hierzu Rückert, Handelsrechtsbildung S. 47 f. Handbuch, I. Aufl. 11, 1864, S. 216 f.; 2. Aufl., I, 1874, S. 300 f. Handbuch, 2. Aufl., I, 1874, S. 302 in Fußn. 1.
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jekt nicht mehr ankommen; die Menschen müssen in ihrer Willens bildung vielmehr als Marionetten ihrer Lebensverhältnisse erscheinen. Daß Goldschmidt die rechtsschöpferische Kraft individuellen Gestaltungswillens nicht weiter beachtet hat, dürfte weiter daran liegen, daß ihm aufgrund seiner ganz vom Liberalismus geprägten Vorstellungen die Privatautonomie ein derart selbstverständliches Element der Rechtskultur war, daß es ihm - etwa in seinen Schriften zur Aufhebung der Wuchergesetze - überhaupt nicht in den Sinn kam, sie zu problematisieren. Goldschmidt fühlt sich zwar als innovierender Verfechter, keineswegs aber als Wegbereiter oder Entdecker des Gedankens, das Recht aus den Lebensverhältnissen abzuleiten. Für die Praxis der Rechtsanwendung hatte den Gedanken, daß bei der Rechtserkenntnis nicht von einem System des positiven Rechts, sondern von der tatsächlichen Struktur der geregelten Lebensverhältnisse auszugehen sei, schon Gelpcke 1852 formuliert: Der deduktiven "Art der Unterordnung des Falls unter die Gesetze dürfte der umgekehrte Weg sich vorziehen lassen, zunächst den Gegenstand, um den es sich handelt, in seinen einzelnen Fäden im allgemeinen Verkehr selbst näher zu betrachten, sich die Kenntniß dessen, was im Geschäftsbetriebe als üblich und allgemein in Anerkennung ist, deshalb aber als eine richtige, bindende Geschäfts-Norm anerkannt wird, zu verschaffen, sodann aber erst sich mit der Zurückführung der streitigen Punkte auf das positive Recht zu beschäftigen,,1l9. Die Grundlegung dieser Methodik sieht Goldschmidt als das Verdienst deIjenigen Persönlichkeit, die auch die Vertreter der dogmatisch-begrifflichen Methode als Urheber nannten: Friedrich Carl von Savigny: "Savigny hat für das Recht die induktive Methode begründet, von welcher allein aller Fortschritt ausgehen kann" 120. Mit diesem Ausspruch nimmt er Savigny zugleich vor dem Vorwurf in Schutz, seine Methode sei nur "historisch", nicht zugleich auch "philosophisch" gewesen 121. Das Philosophische im Werk Savignys sieht Goldschmidt nach einem Hinweis auf den Einfluß des damals noch populären Schelling auf Savigny 122 darin, daß er in "Achtung vor dem geschichtlich Gewordenen" nachgewiesen habe, wie das Recht entstanden sei, nämlich bedingt "durch gegebene Urkräfte in Anlage und Charakter eines jeden Volkes, durch dessen eigenthümliche Kultur- und Bildungszustände,,123. In diesen Ausführungen zeigt sich eine klare Verbindungslinie zwischen der ,,historisch-genetischen" und der "induktiven" Methode; Goldschmidt fährt jedoch einschränkend fort, daß Savigny bei einer zunächst nur analytischen Erkenntnis stehengeblieben sei, ohne die induktive Methode dazu zu nutzen, in die "höchste Aufgabe der Wissenschaft, die Auffindung der Gesetze der Rechtsbildung selbst" vorzudringen 124• Allerdings trifft gerade diese Kritik Gold119 120 121 122 123
Gelpcke, Zeitschrift I, S. S. IV. Vortrag Savigny 1864, S. 639. Vortrag Savigny 1864, S. 637, 638 - 640. Vortrag Savigny 1864, S. 638 Fußn. 1. Vortrag Savigny 1864, S. 639.
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schmidts an Savigny auch auf ihn selbst zu, da - wie gesehen - bei ihm 125 das als induktive Methode skizzierte methodische Vorgehen nur als Grundlage zusätzlicher Argumente in den Fällen zweifelhafter Auslegung des Gesetzes und zum Ausfüllen solcher Lücken des positiven Rechts zum Tragen kommt, die sich durch deduktives Vorgehen nicht schließen lassen. Gegenüber der Weite des Materials, das nach der "induktiven" oder der ,,historisch-genetischen Methode" bei der Rechtsfindung berücksichtigt werden sollte, scheint eine deduktive Methode wenig attraktiv zu sein, die sich auf die Analyse des Wortlauts der Norm oder das Auffinden von Normen mittels begrifflicher Konstruktionen nach vorgegebenen logischen Schritten beschränkt. Tatsächlich aber ist diese Restriktion gerade die Voraussetzung dafür, daß sich die deduktive Methode in der deutschen Rechtswissenschaft entfalten konnte. Denn auf die Angemessenheit einer Norm, ihre empirische Richtigkeit also, konnte nach dem rechtspositivistischen Ansatz der historischen Rechtsschule ihre Geltung nicht gestützt werden. Die von der Wissenschaft gefundene Norm, die eine Lücke des positiven Rechts schließen sollte, mußte ihre Verbindlichkeit also aus der Verbindlichkeit der anerkannten Normen des Gesetzes- oder Gewohnheitsrechtes ableiten, aus denen sie durch Gedankenoperationen gewonnen worden war. Den Anspruch, aus dem System des Volksgeistes verbindliches Recht zu produzieren, wo das positive Recht keine Norm aufwies oder aufzuweisen schien, konnte die Begriffsjurisprudenz daher nur mit der Begründung erheben, daß diese Produktion von Rechtssätzen aufgrund logischer Regeln vor sich gehe, die eine andere Entscheidung der Rechtsfrage denknotwendig gar nicht zuließen. Diese Methodik konnte von der deutschen Pandektistik natürlich nur deshalb erfolgreich praktiziert werden, weil einerseits das Normengefüge der Partikulargesetze und des gemeinen Rechts, das diesen Gedankenoperationen zugrundelag, sich in seinem Inhalt an den Bedürfnissen der jeweiligen Verkehrskreise orientiert hatte und daher die aus ihnen entwickelten Ergebnisse regelmäßig den zu ordnenden Lebensverhältnisssen gerecht wurden 126 . Die Methodik der Pandektistik war also materiell durchaus nicht nur abstrakte Begriffsverknüpfung, sondern zweckgerichtet und zweckgebunden. Ausgeschlossen war nur, sich über diese Zweckgebundenheit offen Rechenschaft zu legen. Indem Goldschmidt nun der Angemessenheit der gefundenen Norm für die zu regelnden Lebensverhältnisse, wenn auch nur eingeschränkt, eine eigene rechtserzeugende Kraft beimißt, gewinnt er gegenüber dem Rekurs auf das Postulat des in sich widerspruchsfreien Systems des Volksgeistes zwei Vorteile: Er vermag nun konkretere Anhaltspunkte zu finden und Maßstäbe anzugeben, nach denen sich die Bildung der Rechtssätze vollziehe, auch wenn sie sich nicht in das Gesamtsystem des Rechts konstruktiv einfügen ließen 127 . So weit wie Jhering, Vortrag Savigny 1864, S. 639 f., 639. Wie übrigens auch bei Gelpcke, Zeitschrift I, S. V. 126 Wieacker, Pandektenwissenschaft S. 58 ff.; s. auch Eugen Ehrlich, Grundlegung der Soziologie des Rechts, München und Leipzig 1913, S. 386 - 389. 124 125
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als Grundlage der Rechtssätze nun ausschließlich die ihnen zugrundeliegenden Zwecke anzusehen, geht Goldschmidt freilich nicht. Selbst in dem Bereich, wo er dem immanenten Recht eigenständige Bedeutung zukommen lassen will, geht er davon aus, daß die bisher noch unbekannten Rechtssätze aus "Elementarbegriffen" deduziert werden müßten l28 : "Die Erkenntniß der Natur der Sache und der ihr entsprechenden Regeln geschieht mitte1st wissenschaftlicher Abstraction" 129. Diese Elementarbegriffe selbst sind ihm aber nicht mehr nur gedanklich-logische Abstraktionen, sondern wurzeln in der "thatsächlichen Erscheinung". Von ihr habe die juristische Betrachtung ihren Ausgangspunkt zu nehmen. Auf diesem Weg gelangt Goldschmidt schließlich dazu, auch das positive Recht nicht als gegebene Norm hinzunehmen, deren Inhalt es nur zu erkennen und dann durch einfache Subsumtion anzuwenden gilt, sondern das positive Recht in seiner Anwendung beständig auf seine Angemessenheit zu hinterfragen. Diese Kritik der Normen des positiven Rechts vollzieht sich bei Goldschmidt dadurch, daß er den Entwicklungsgang verfolgt, den die Regelung einzelner Lebensverhältnisse im Laufe der geschichtli chen Entwicklung genommen hat. Dieser beginnt für Goldschmidt regelmäßig mit der unmittelbaren Geltung des immanenten Rechts innerhalb einfach strukturierter gesellschaftlicher Verhältnisse und geht dann vom einfachen Nebeneinander einzelner Normen des Gewohnheitsrechts über die Systeme gewohnheitsrechtlicher Normen bis zu dem von staatlichen Organen gesetzten Gesetzesrecht. "Genetische" und "induktive" Methode begegnen sich bei Goldschmidt darin, daß sie dazu dienen, diesen Entwicklungsgang zurückzuverfolgen und den Kern, der den gewordenen Sätzen des positiven Rechts zugrundeliegt, wieder aufzudecken: "Sicherlich gehört es, wie zu den schwierigsten, so zu den wichtigsten Aufgaben der Rechtswissenschaft, den ursprünglichen Rechtsthatbestand der Institute möglichst rein herauszuschälen, mag es sich dabei um wesentlich ethische bzw. psychologische (etwa: Wille, Handlung, Motiv, Irrthum) oder logische und metaphysische (etwa: Bedingung, Befristung, Voraussetzung) oder wirthschaftliche (etwa: Werth, Preis, Geld) Begriffe oder um blosse Thatbestände des gesellschaftlichen Lebens, der Lebens- und Verkehrs-Gemeinschaft handeln"J3o. Der zweite Vorteil von Goldschmidts Ansatz ist der, daß er die Möglichkeit einer Richtigkeitskontrolle für das gefundene Ergebnis liefert. Richtig ist für ihn nicht, was allein den Schlußvorschriften der formalen Logik entspricht, sondern nur, was darüber hinaus auch "Takt und Bewußtsein des Handelsstandes für angemessen erachten,,131. 127 An diesem Erfordernis hielt Thöl auch für das Handelsrecht fest: Handelsrecht, 4. Aufl., S. 40 - 44, insbes. S. 42 ff. 128 Besitzlehre 1884, S. 48 f., 49. 129 Handbuch, 2. Aufl., I, 1874, S. 305 in Fußn. 7. 130 Besitzlehre 1884, S. 48; als Beispiele für "eigene Versuche in dieser Richtung" nennt Goldschmidt dort in Fußn. 2 sein Handbuch von 1883 u. seine Abhandlungen zur Reform des Genossenschaftsrechts von 1882, zur receptum-Haftung von 1860 und zum Weinkauf von 1858.
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Goldschmidts Rechtsquellenlehre stellt sich damit als ein Konglomerat verschiedener Strömungen und Auffassungen dar, die von ihm in eigentümlicher Weise neu verbunden werden. Der größte Abstand zu den Vertretern der bisherigen romanistisch geprägten historischen Rechtsschule ergibt sich dabei in zweierlei Hinsicht: Zum einen in der "Entspiritualisierung" des Gewohnheitsrechts, indem Goldschmidt in der Rangordnung des Rechts nun ausdrücklich dem Gesetzesrecht den Vorrang einräumt; zum anderen in der Bewußtmachung der Rechtsbildungsfaktoren, der Ersetzung des Volksgeistes als organischer Quelle konstruierbarer Rechtssätze durch die konkreten Lebensverhältnisse, die die Rechtssätze in gleichsam empirisch erkennbarer Weise in sich trügen. Hier liegt eine der Wurzeln für die positivistischen Anschauungen des zur Rechtssoziologie tendierenden Teils der Freirechtsbewegung, vermittelt durch Max Weber. Nicht mehr verdeckt durch abstrakte Konstruktion, sondern durch ihre konkrete Benennung hat Goldschmidt den realen Rechtsbildungsfaktoren offen Einfluß zugestanden. Dies steht in unmittelbarem Zusammenhang mit seinem universalen Ansatz; denn erst durch die Einbeziehung der tatsächlichen Grundlagen der Rechtsbildung vermag er die Vielzahl der von ihm als maßgeblich postulierten Faktoren als Argumente für die Begründung seiner Entscheidungen in Einze1fragen unmittelbar zu verwenden. Goldschmidt will sich in diesen Ausführungen anders als Jhering mit seinem ,,zweck im Recht" nicht als Reformator der Rechtswissenschaft präsentieren. Seine Gedanken sind für die Praxis der Rechtsanwendung bestimmt und aus Goldschmidts eigenen praktischen Erfahrungen geschöpft. Denn gerade die Rechtspraxis stehe immer wieder vor dem Problem, daß sich für eine bestimmte Fallkonstellation keine anerkannte, ausformulierte Norm finden lasse. In ihrem Vorgehen in solchen Fällen unterscheide sich die praktische juristische Arbeit nicht von der wissenschaftlichen Behandlung des Rechts 132: "Die so häufig und so lebhaft namentlich für die Gegenwart beklagte Scheidung von Theorie und Praxis besteht ... in Wahrheit nicht,,133. Erst der Ausspruch des Gerichts aber erfülle einen gefundenen Rechtssatz mit Leben, nur das Recht der Rechtsprechung insbesondere der Obergerichte sei "lebendiges Recht", die "viva vox juris civilis,,134. Diesen Gedanken hat Goldschmidt sehr ausführlich in seine Abhandlung über "Rechts studium und Prüfungsordnung" übernommen und, was für seine Arbeitsweise sonst untypisch ist, unter teilweise wörtlicher Übernahme von Wendungen aus seinem Handbuch ausgebreitet und vertieft 135 . Die Verbindung dieser methodischen Ausführungen mit solchen zur Juristenausbildung ist nicht willkürlich 136: Denn das Programm einer erheblichen Ausweitung des bei der Rechtsfindung zu berücksichti131 132
133 134 135 136
Handbuch, 2. Aufl., I, 1874, S. 305 in Fußn. 7. Handbuch, 2. Aufl., I, 1874, S. 307, s. auch S. 306 f. und S. 309 f. in Fußn. 14. Handbuch, 2. Aufl., 1,1874, S. 307. Vgl. Marcian D. I, 1,8. Rechtsstudium 1887, S. 114 - 123. V gl. Sinzheimer S. 57 f.
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genden Materials mußte erhebliche Ansprüche an die Juristenausbildung stellen, wenn der Gefahr begegnet werden sollte, daß über alle diese Gesichtspunkte die spezifisch juristischen vernachlässigt und durch letztlich willkürliche Einzelfallbetrachtungen ersetzt werden würden. Goldschmidt steht mit seiner Ausweitung des Blickfeldes der juristischen Methodenlehre somit am Beginn der modemen Rechtsentwicklung. Nur in diesem Sinne ist es richtig, wenn von ihm gesagt wird, er habe das Handelsrecht aus den Fesseln einseitig romanistischer Behandlung befreit l3 ? Denn dieses mißverständliche Prädikat hätte ihm sonst in seiner vereinfachenden Gleichsetzung der Begriffsjurisprudenz mit dem römischen Recht mißfallen, sollte doch auch für sein "Handbuch des Handelsrechts" der Satz aus der Einleitung zu seiner ZHR von 1858 gelten, daß das richtig verstandene römische Recht der Rechtsentwicklung keine Schranke setze. Goldschmidts System ist zwar bei weitem nicht mehr so griffig wie das der logischen Methoden der Begriffsjurisprudenz, deren Sicherheit und Klarheit in der Darstellung auch einzelner Probleme Goldschmidt nur selten erreicht; es bescherte aber der Rechtswissenschaft ein weitaus größeres Reich an Material und Aufgaben, als sie vorher in ihrer bereits erreichten Größe beanspruchen konnte. Die Grundlegung dieses Systems in seinem Handbuch macht dieses zu einem Kemwerk der deutschen Rechtswissenschaft, das seinen Platz wenn auch vielleicht nicht neben, so doch gleich hinter den Schriften Savignys und Jherings mit Recht beanspruchen darf. d) "Induktive" und "historisch-genetische" Methode Wenngleich Goldschmidt an Savigny rühmt, er habe für das deutsche Recht die induktive Methode begründet, legt er in den Ausführungen über seine Methodik sehr viel mehr Gewicht auf einen anderen Aspekt von Savignys Rechtsdenken, nämlich auf das Streben nach der Erkenntnis des Rechts aus der Kenntnis der Stufen seiner Entwicklung heraus im Wege "einer sicheren Durchführung genetischer Methode"l38: "Nicht in dem historischen und dogmatischen Chaos eines ,usus modernus', sondern nur mitte1st sauberer Sonderung und demnächstiger vorsichtiger dogmatischer Verbindung läßt sich das geschichtlich begründete, d. h. wirklich bestehende Rechtsinstitut sicher erkennen, dessen angemessene Fortbildung anbahnen" 139. Goldschmidt sieht das Bindeglied zwischen den außerrechtlichen Faktoren der Rechtsbildung und den rechtlichen Begriffen in deren historischer Genese. Seine ,,historische Methode" besteht im Grundsatz darin, anhand der geschichtlichen Entwicklung eines Rechtsinstituts zu zeigen, wie dessen juristische Ausgestaltung sich unter dem Einfluß der sich wandelnden Verkehrsverhältnisse ausgeprägt habe. Fast alle seine großen Abhandlungen tragen daher ausdrücklich oder in 137
138 139
Sinzheimer S. 52; Adam S. 926. Universalgeschichte 1891, S. 40 f., 41. Universalgeschichte 1891, S. 41.
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ihrer Einleitung den Untertitel ,,historisch-dogmatische Abhandlung", und auch seinem Handbuch stellt er das Motto voran, daß "zur Zeit für die Erkenntniß und Fortbildung unseres bestehenden Handelsrechts allein die auf die Einzelheiten eingehende geschichtlich-dogmatische Prüfung einen sicheren Fortschritt" ermögliche l40 . Die Analyse von Goldschmidts Schriften zeigt indessen, daß echte historisch-genetische Begründungen bei ihm ganz selten sind. Immer wieder beginnt er, einzelne Rechtsinstitute bis ins Detail in ihren historischen Wurzeln zu ergründen; sobald er sich jedoch der Darstellung des geltenden Rechts zuwendet, bricht die historische Perspektive seiner Darstellung ab und macht einer dogmatischen Argumentation Platz, in der freilich die - aktuellen - tatsächlichen Verhältnisse im Sinne der "induktiven Methode" breiten Raum einnehmen. Fast alle größeren Abhandlungen Goldschmidts, aber auch die einzelnen Kapitel seines Handbuchs des Handelsrechts zerfallen daher auch äußerlich in einen rechtshistorischen und einen dogmatischen Teil, sind also nicht eigentlich ,,historisch-dogmatisch", sondern zu einem Teil historisch und zu einem anderen Teil dogmatisch 141. Die Ergebnisse, für die Goldschmidt in den dogmatischen Teilen seiner Abhandlungen nur gelegentlich auf Ausführungen in deren historischen Teilen zurückgreift, hätten sich regelmäßig auch durch rein dogmatische Erörterungen innerhalb des Systems des geltenden Gesetzesrechts gewinnen lassen. Dieser bei Goldschmidt regelmäßig anzutreffende Bruch in der Darstellung hat seine Ursache in der von ihm vorgenommenen Scheidung von immanentem und positivem Recht: Mit der bindenden gesetzlichen Normierung eines Rechtsinstituts findet seine Genese ihren vorläufigen Abschluß. Sein gegenwärtiger Zustand kann deshalb eigentlich nicht mehr "genetisch" behandelt werden, da die wirksamen Faktoren seiner Entwicklung nun ihre Ausprägung im Gesetzeswortlaut gefunden haben, die unwirksamen aber im Laufe der Entwicklung obsolet geworden sind. Als wahrhaft ergiebig erweist sich Goldschmidts genetischer Ansatz deshalb nur bei der Ergründung und Anwendung des nicht durch formelle staatliche Gesetze fixierten Gewohnheitsrechts. Dies gilt sowohl im Hinblick auf das meist jüngere, sprachlich noch nicht ausformulierte, kasuistische Gewohnheitsrecht, das aus weiteren, sekundären Quellen wie gerichtlichen Entscheidungen oder Zeugnissen aus der handels- oder rechts wissenschaftlichen Literatur erst erschlossen werden muß, als auch im Hinblick auf die Anwendung von Normen des noch nicht durch Gesetzesrecht oder abweichende Gewohnheiten verdrängten römisch-gemeinen Rechts. Nur in den Untersuchungen Goldschmidts, die auf diesen Quellen basieren, fließen historische und dogmatische Elemente wirklich ineinander. Beispiele hierfür bilden etwa seine Schriften zur receptum-Haftung oder die posthum veröffentlichten Teile seiner Besitzlehre. Handbuch, I. Aufl., I 2, 1868, S. 111. Augenfällig ist dies z. B. in Erwerb 1865/66 mit der Untergliederung in die beiden Blöcke "geschichtliche Entwickelung" u. "neues deutsches Handelsrecht". 140 141
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Eine wirklich glückliche Verbindung von genetischer und induktiver Methode findet sich bei Goldschmidt in seinen historischen Ausführungen, die das Recht vergangener Zeit beschreiben und keinen Anspruch darauf erheben, von unmittelbarer Bedeutung für das geltende Recht zu sein. Daß die zusammenfassende Darlegung seines genetischen Ansatzes in seiner Universalgeschichte des Handelsrechts erstaunlich farblos gerät 142 , deutet freilich darauf hin, daß er sich hier insoweit im sicheren Fahrwasser anerkannter Methoden der Forschung bewegt. Denn die genetische Methode war nur als Methode dogmatischer Behandlung des Rechts umstritten; für die Behandlung der Geschichte als "nachweisbarer Kontinuität" ist sie der historischen Forschung des 19. Jahrhunderts dagegen selbstverständliche Methode, für die Goldschmidt sich auf Leopold von Ranke berufen kann 143 . Das früher geltende positive Recht und seine Entwicklung versucht Goldschmidt konsequent als den betreffenden Lebensverhältnissen und damit den Anforderungen des immanenten Rechts entsprechend darzustellen. Dies bereitet ihm auch keine Schwierigkeiten, da sich diese Teile seiner Ausführungen ganz auf die Analyse des Vorgefundenen beschränken und in ihnen nicht noch "offene" Rechtsfragen geklärt zu werden brauchen. Obwohl eigentlich die genetische Methode dadurch in die induktive Methode einmünden soll, daß die Entwicklung des Rechts und seiner tatsächlichen Grundlagen von frühester Zeit bis in die Gegenwart verfolgt werden, erweist sich Goldschmidts Handhabung der genetischen Methode als im wesentlichen statisch, nämlich auf die Beschreibung vergangener Zustände beschränkt. Dieser statische Charakter der historisch-genetischen Methode führt Goldschmidt folgerichtig zur reinen Rechtsgeschichte, wie sie sich in der mit den Jahren zunehmenden Zahl seiner rein rechtshistorischen Themen gewidmeten Abhandlungen und der Verselbständigung der Einleitung zu seinem Handbuch des Handelsrechts als "Universalgeschichte des Handelsrechts" offenbart.
2. Grenzbereiche
Aufgrund von Goldschmidts Eklektizismus' befinden sich unter seinen Äußerungen und Schriften sowohl solche, in denen er dogmatisch-begrifflich argumentiert, als auch solche, in denen er die Grenzen der im 19. Jahrhundert als "juristisch" empfundenen Argumentationsebene überschreitet und die tatsächlichen Gegebenheiten des Rechtsverkehrs und seiner Entwicklung bis zum Stand seiner Zeit ausdrücklich als Momente der Rechtsfindung in seine Überlegungen einbezieht. Dies führt nicht selten dazu, daß durch einzelne seiner Schriften ein Bruch geht, wenn Goldschmidt von dem einen methodischen Ansatz zum anderen wechselt. Da die unterschiedlichen Methodenansätze in seinen Schriften nicht immer durch Verteilung auf gesonderte Kapitel genau voneinander getrennt sind, ist es nur ein Universalgeschichte 1891, S. 41 ff. Universalgeschichte 1891, S. 41 unter Hinweis auf Leopold von Ranke, Weltgeschichte I, S. IV ff. (Ausgabe Hamburg 1958, Bd. I, S. IX - XII). 142 143
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einziger Umstand, der verhindert, daß Goldschmidts längere Schriften sich auch methodisch in völlig heterogene Einzelteile auflösen, nämlich Goldschmidts sorgfältiges Bemühen, keine der beiden methodischen Richtungen zu übertreiben und sie jeweils nur maßvoll zu handhaben. Diese Haltung, daß jede Art methodischen Vorgehens, welcher man im Grundsatz auch folgen möge, jedenfalls nicht in blinder Ausschließlichkeit verfolgt werden dürfe, kann durchaus als ein weiterer, wenn auch gleichsam formeller, nicht materieller Kernpunkt von Goldschmidts methodischen Anschauungen angesehen werden. Überraschend ist allerdings die Schärfe, mit der Goldschmidt reagierte, wenn er diesen Grundsatz in den Schriften anderer verletzt sah; auffällig ist insbesondere, daß sich seine Polemiken regelmäßig gegen Positionen richten, die den seinen nicht etwa diametral gegenüberstehen, sondern enge Parallelen zu ihnen aufweisen l44 . Diese Schärfe ist Ausdruck einer bei Goldschmidt latent stets vorhandenen Unsicherheit: Von ständigen Selbstzweifeln gequält, mußte es ihm darauf ankommen, an einmal für richtig befundenen Ansichten festzuhalten. Das war einfacher gegenüber Angriffen, die von völlig abweichenden Standpunkten aus geführt wurden, denn gegen sie konnte er von dem sicheren Fundament der eigenen Anschauungen aus kämpfen; die Prüfung und Widerlegung von Ansichten, die auf dem gleichen Fundament wie seine eigenen ruhten und nur in einzelnen Punkten abwichen, machte es dagegen erforderlich, das eigene Denkgebäude auf seine Schlüssigkeit in Grund und Folgerungen zu überprüfen, und brachte deshalb stets die Gefahr mit sich, bei der Hinterfragung der gegnerischen Ansichten auch die eigenen als unausgegoren oder fehlerhaft zu erkennen. Die Heftigkeit, mit der Goldschmidt bisweilen auf abweichende Ansichten reagierte, ist damit nicht nur ein in seinem wissenschaftlichen Programm angelegtes, sondern auch tief in seiner Persönlichkeit verwurzeltes psychologisches Symptom. a) Die Überbewertung des ökonomischen Moments: Goldschmidt und Wilhelm Endemann Die eine Richtung dieser Auseinandersetzungen betraf die Frage, inwieweit den Erkenntnissen der aufstrebenden Wirtschaftswissenschaften Zugang in die spezifisch juristische Methodik gewährt werde sollte. Über diese Frage geriet Goldschmidt mit Wilhelm Endemann 145 in eine größere und länger andauernde Ausein144 Das gilt nicht allein für die Auseinandersetzungen mit Endemann u. Thöl, sondern zeigt sich auch in seiner Reaktion auf die Kritiken an seiner Besitzlehre, die keineswegs generell ablehnend waren (s. Studien 1888, S. 2), u. sogar in seinen politischen Polemiken gegen Rudolf Virchow anläßlich der Septennatswahlen 1887, mit dem er in grundlegenden politischen Fragen übereinstimmte; mit den Thesen Marx' zur Werttheorie ging er dagegen ganz unbefangen um. 145 Zu Wilhelm Endemann (1825 - 1899) s. Ernst Landsberg, Wilhelm Endemann, in: Zs. für dt. Civilprozess, Bd. 26, Berlin 1899, S. V - XVIII; Landsberg, Geschichte III 2, Text S. 949 - 953; H. Nolte, in: NDB 4 (1959), S. 491 f., 492.
32 Weyhe
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andersetzung. Ihr materieller Gegenstand war die Bedeutung des Wertbegriffes in der Jurisprudenz. Goldschmidt hatte sich mit Endemanns Thesen erstmals ausführlich im Schlußteil seiner Abhandlung über den Eigentumserwerb vom Nichtberechtigten von 1865/66 befaßt 146 : Endemann hatte in seinem Handelsrechtslehrbuch die Auffassung geäußert, in der Entwicklung der Möglichkeiten, Eigentum von einem Nichtberechtigten zu erwerben, komme ein allgemeines Prinzip der "Mobilisierung" im Handelsverkehr zum Ausdruck, das auf die Ausgestaltung der Rechtsverhältnisse von entscheidender Bedeutung sei 147 . Das habe zur Folge, daß das Eigentum als Rechtsinstitut allmählich durch das wirtschaftliche Moment der Disponierbarkeit über Güter verdrängt werde: "Mit Werthen, denen die Geldbezeichnung nur den Namen gibt, mit Geld ohne die Unterlage des sinnlich-reellen Werthes, mit Sachen, deren Körper gleichgültig ist im Vergleich zu dem Werthinhalte, operirt, Werthe erwirbt, Werthe entnimmt oder leiht vermittelst des Kredits, Werthe veräußert die heutige Wirthschaft, und insonderheit der Handel" 148. Dieser Herausstellung eines Wertbegriffes, nach dem der Wert von seinem sinnlichen Substrat zu trennen sei und eigenständige Bedeutung erlange, widerspricht Goldschmidt entschieden: Endemann vermische in wissenschaftlich unzulässiger Weise wirtschaftliche und juristische Gesichtspunkte, denn er "operirt mit einem nicht juristischen, sondern einem rein wirthschaftlichen Begriff: Seine Verfügung über den Werth kann juristisch in den verschiedensten Geschäften, obligatorischen wie dinglichen, stattfinden. Es ist aber in juristischen Erörterungen nicht gestattet, an Stelle fester juristischer Begriffe die auf einer durchaus anderen Grundlage beruhenden und eben darum elastischeren wirthschaftlichen zu setzen. Wer im Gebiete unserer Wissenschaft die an sich nur förderliche Verwerthung wirthschaftlicher Begriffe versucht, wird dieser Verschiedenheit stets eingedenk bleiben müssen, wenn er nicht Gefahr laufen will, den Rechtsbau, statt zu erweitern, zu zerstören,,149. Mit dieser Entgegenstellung der beiderseitigen Ansichten begann eine literarischen Fehde, die ihren Höhepunkt erst zwanzig Jahre später erreichen sollte. Die nächste Stufe der Auseinandersetzung war das Erscheinen von Goldschmidts Handbuch des Handelsrechts, in dessen zweiter Abteilung erstmals in der deutschen Privatrechtswissenschaft die geschlossene Darstellung einer juristischen Werttheorie erschien. Schon in der ersten Auflage, in der sie noch eher kursorisch abgefaßt war, war sie streckenweise bestimmt durch die weitere Auseinandersetzung mit der Werttheorie Endemanns l5o , die Goldschmidt hier als "vollkommen Erwerb 1865, S. 68 -74. Endemann, D1. Handelsrecht, 2. Aufl., Heidelberg 1868, § 74, S. 366 - 371; 4. Aufl., § 93, S. 326 - 330. 148 Endemann, D1. Handelsrecht, 2. Aufl. 1868, S. 369. 149 Erwerb 1865, S. 71. Zu diesem Gegensatz zwischen Endemann u. Gold'schmidt Landsberg, Geschichte III 2, Text S. 949 f. 146 147
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ungegründet" verwarf l51 . Dies bewog Endemann dazu, sich in seinen folgenden Veröffentlichungen gegen diese "Polemik" zu verwahren 152. Als Goldschmidt zwölf Jahre später die zweite Auflage seines Handbuchs begann, hatte Endemann nicht allein seine Theorie weiter ausgeführt; es waren auch von anderer Seite Versuche unternommen worden, die Rechtstheorie durch Einbeziehung genuin wirtschaftlicher Begriffe neu zu gestalten. Zu nennen ist insbesondere Lorenz von Stein l53 , gegen dessen Vorstellungen vom Handelsrecht l54 , die erkennbar von Endemann beeinflußt, jedoch zu höherer Abstraktion verflüchtigt waren, Goldschmidt sich bereits in einer Rezension in der ZHR gewandt hatte 155. Goldschmidt verwarf diese Lehren von der rechtlichen Gleichwertigkeit aller Güter nunmehr als die "Auflösung aller Güter in einen bloßen Werthbrei" 156. Schon diese Wendung läßt erkennen, daß er das Umsichgreifen von Ansätzen zu einer Auflösung aller spezifisch juristischen Begrifflichkeit befürchtete. Dmen wollte Goldschmidt mit einer umfassenden Neubearbeitung des betreffenden Kapitels seines Handbuchs entgegentreten l57 , für die er nun nahezu alles aufbot, was in der abendländischen Kulturgeschichte zum Begriff des Wertes geäußert worden ist, von Aristoteles und Sokrates 158 über die römische Jurisprudenz, die Scholastik des Mittelalters, anhand von deren Analyse Endemann seine Lehren zu bestätigen suchte l59 , die neuere deutsche Philosophie von einerseits Hegel und andererseits Schopenhauer 160 bis hin zu den Vertretern der Rechts- und Wirtschaftswissenschaft seiner Zeit. Zu den letzteren gehört auch Karl Marx, von dessen "Kapital" Goldschmidt durchgängig als das Gebrauch macht, was es seinem Untertitel nach sein 150 Darauf weist Goldschmidt im Inhaltsverzeichnis des Handbuchs ausdrücklich hin: Handbuch, 1. Aufl., I 2, 1868, S. VI, 577 f. in Fußn. 4 u. 5. 151 Handbuch, 1. Aufl., I 2,1868, S. 578 in Fußn. 5. 152 Endemann, Studien 11, S. 76 in Fußn. 96 in Verbindung mit Handelsrecht, S. 329 in Fußn. 16; gegen Endemanns Verwahrungen wieder Goldschmidt, Handbuch, 2. Aufl., 11, 1883, S. 27 f. in Fußn. 32: "unrichtige Behauptung". 153 Lorenz von Stein, Gegenwart, S. VII: "Der Inhalt des Rechtes ist ... kein Recht; die Wissenschaft des Rechts ist keine Rechtswissenschaft, sondern die Wissenschaft der Kräfte, welche dasselbe erzeugen"; über Lorenz von Stein s. H. Hof, in: Kleinheyer/Schröder, Juristen, S. 279 - 284 und Hans Maier, Staats-.. .lehre S. 242 - 245, zu Goldschmidts Kritik Sinzheimer S. 57 f. 154 Lorenz von Stein, Gegenwart S. 254: Handelsrecht sei "das Rechtsleben, welches durch den zur selbständigen wirthschaftlichen Erscheinung gewordenen Werth erzeugt wird". 155 ZHR 23 (1878), S. 278, 283 - 286. 156 Handbuch, 2. Aufl., 11,1883, S. 93 in Fußn. 57. 157 Handbuch, 2. Aufl., 11, 1883, S. 71 f. in Fußn.** zu § 64; das im Neudruck 1973, Teil C, S. VI f. abgedruckte, zur 1. Aufl. gehörende Inhaltsverzeichnis gibt den Gedankengang der 2. Aufl. nur unvollständig wieder. 158 Handbuch, 2. Aufl., 11, 1883, S. 75 f. in Fußn. 8. 159 Endemann, Studien I, S. I; 11, S. 76, s. auch S. 410 - 423; allerdings hebt Nolte, NDB 4 (1959), S. 492 zu Recht die "mehr soziologisch als historisch ausgerichtete dogmatische Methode" Endemanns hervor. 160 Handbuch, 2. Aufl., 11, 1883, S. 78 in Fußn. 14 zu S. 74.
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soll, nämlich als eine "Kritik der politischen Ökonomie". Goldschmidt verweist daher nicht nur an mehreren Stellen auf Marx' Analyse wirtschaftswissenschaftlicher Begriffe und nationalökonomischer Literatur, sondern er führt sogar mehrmals Begriffe und besonders markante Wendungen Marx' wörtlich an 161 . Das ist um so bemerkenswerter, als Goldschmidt in seiner ausgeprägt gegen die Sozialdemokratie und ihr revolutionäres Gedankengut gerichteten politischen Haltung, die er befangen sah "in utopischen Wahnvorstellungen ... einer Alle gleichmäßig beglückenden künftigen Wirthschaftsordnung,,162, natürlich die politischen Ziele auch des Marxismus kannte. Daß Goldschmidt sich mit Marx auseinandersetzt, zeigt jedoch, daß er sich der sozialen Probleme, die die industrielle Revolution und die Schaffung des gesamtdeutschen Wirtschaftsraumes mit sich gebracht hatten, bewußt war. Der Streit um die. Werttheorie war für ihn damit trotz allen intellektuellen Eklektizismus', mit dem Goldschmidt ihn betrieb, nicht eigentlich ein "Theorienstreit", sondern von unmittelbarer Bedeutung auch für die weitere Gestaltung der Rechts- und Wirtschaftsordnung durch Gesetzgebung und Rechtspraxis. Der Kernpunkt der Auseinandersetzung mit Endemann lag in der unterschiedlichen Auffassung beider über das Verhältnis der Bedeutung des Gebrauchswertes zu der des Tauschwertes bei Gegenständen, die sich im Handelsverkehr oder sogar im allgemeinen Rechtsverkehr befinden l63 . Endemann ging davon aus, daß nur in einfacheren Wirtschaftssystemen der Gebrauchswert der für die Wertschätzung eines Gutes entscheidende Maßstab sei 164. In entwickelten Wirtschaften dagegen sei der Tauschwert entscheidend. In der modemen Wirtschaft der Gegenwart, in der alles auf Handel mit Gewinnabsicht, auf rasche Aufeinanderfolge von Rechtsgeschäften über bestimmte Güter abziele, sei das Gut als solches, sein Gebrauchswert, ohne größere Bedeutung; denn der Handel habe an ihm nur insoweit Interesse, als es Träger eines durch Weiterveräußerung realisierbaren Tauschwertes sei l65 . Die modeme Verkehrswirtschaft sei daher keine Wirtschaft des Güterumlaufs, sondern des Wertumlaufs 166. Dem habe die Rechtswissenschaft in ihrer Auslegung der Rechtssätze, mehr noch aber in der Fortbildung des Rechts 167 Rech161 Etwa Handbuch, 2. Aufl., 11, 1883, S. 27 in Fußn. 32 (Literatur); 84 in u. zu Fußn. 28 ("abstrakte Wertfonn"); 87 in Fußn. 40 ("Alle Waren sind Nichtgebrauchswerte für ihre Besitzer, Gebrauchswerte für ihre Nichtbesitzer") u. Fußn. 41 ("maßlose Bewegung des Kapitals"); Universalgeschichte 1891, S. 24 Fußn. 22. Die betreffenden Stellen finden sich bei Karl Marx., Das Kapital, Kritik der politischen Ökonomie, 1. Bd., 33. Aufl., Berlin 1989 (MEW, hrsg. vom Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED, Bd. 23), S. 52 f., 62,100. 162 Zur Reichstagswahl 1887, S. 5 f. 163 s. dazu schon die merkwürdigen Ausführungen von Hs. Heinrich Escher, Der Werth der Sachen, in: ders., Das Privatrecht, 2. Aufl., Zürich 1852, S. 5 - 10, S. 7 f. 164 Endemann, Handelsrecht, § 93 11, S. 327 - 329, 327 f. 165 Endemann, Handelsrecht, S. 328 f. 166 Endemann, Handelsrecht, S. 329. 167 Hier der Ansatz Lorenz von Steins, Gegenwart, S. 230 - 240.
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nung zu tragen 168. Beispiele des Einflusses dieser Entwicklung seien im Sachenrecht auszumachen: Die ,,Mobilisierung des Sachenrechts" sei gekennzeichnet durch Mechanismen, die den Güterumlauf wesentlich erleichterten, insbesondere durch die Besitzübertragung mittels Traditionspapier und die Möglichkeit des Eigentumserwerbs vom Nichtberechtigten. Diese Entwicklung werde allmählich zu einer Verdrängung des Sachenrechts durch das durch Verträge über Wertverschiebungen gekennzeichnete Schuldrecht führen l69 • Das Operieren mit juristischen Begriffen sei deshalb durch die Anwendung volkswirtschaftlicher Methoden zu modifizieren, schließlich ganz zu ersetzen 170. Endemanns Ansatz entspricht damit durchaus Goldschmidts eigenem Programm 17l, wonach das Recht den tatsächlichen Verhältnissen immanent sei und danach dränge, bei deren Änderung durch Gewohnheit oder Gesetzgebung zu positivem Recht erhoben zu werden; Endemanns Äußerungen sind insoweit sogar deutlich von Goldschmidts methodischen Ausführungen beeinflußt 172. Endemanns Thesen richten sich in ihren praktischen Folgerungen freilich gegen die in der Rechtsanwendung in Deutschland nach wie vor vorherrschende Stellung des römischen Rechts l73 , dessen uneingeschränkter Bewunderer und Apologet Goldschmidt auch insoweit blieb l74 . Allerdings ging es Goldschmidt, anders als wohl Laband, der Endemann vom Standpunkt germanistischer Begriffsjurisprudenz aus kritisierte l75 , nicht allein um die Verteidigung der auf romanistischer Grundlage entwickelten Rechtsbegriffe: Endemanns Ansichten seien "nicht lediglich deshalb unrichtig", weil sie dem geltenden römischen Recht widersprächen, "sondern vornehmlich", weil sie auf einer unbegründeten Verallgemeinerung einer speziellen Anschauung beruhten 176. Damit argumentiert Goldschmidt durchaus seinen Prinzipien getreu. Denn er versucht zu begründen, daß die von Endemann behauptete Entwicklung des Handelsrechts von einem Recht des Güterumsatzes zu einem Recht der Weiterleitung von Werten in Wahrheit sowohl der wirtschaftswissenschaftlichen Grundlage entbehre als auch den Anschauungen der beteiligten Verkehrskreise widerspreche 177. Endemanns Theorie passe ohnehin schon nicht Endemann, Handelsrecht, S. 329. Endemann, Handelsrecht, § 95, S. 334 f. 170 So im Ansatz schon in Endemanns Fortsetzung von Brinckmanns Lehrbuch 1860, § 123, S. 482 f. 171 Am pointiertesten in Preisfrage 1871, S. 687 f. 172 s. etwa Endemann, Studien II, S. 413; Goldschmidt wiederum war, worauf Sinzheimer S. 64 in Fußn. 2 hinweist, beeinflußt von Burkbard Wilhelm Leist, Die realen Grundlagen und die Stoffe des Rechts, Jena 1877; zu Leist (1819 - 1906) s. Landsberg, Geschichte III 2, Text S. 835 - 839, Noten S. 350. 173 Endemann, Studien 11, S. 411. 174 Handbuch, 2. Aufl., 11, 1883, S. 28 in Fußn. 32 zu S. 27 u. S. 93 in Fußn. 59. 175 Laband, Besprechung von Endemann, Handelsrecht, I. Abth., Heidelberg 1865, in: ZHR 8 (1865), S. 643 - 649. 176 Handbuch, 2. Aufl., 11,1883, S. 28 in Fußn. 32 zu S. 27. 168 169
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auf alle diejenigen Geschäftsoperationen, die auf einen Verbrauch, Gebrauch oder eine Umgestaltung der Ware abzielten, da hier ihre konkrete Beschaffenheit entscheidend sei, sondern allein auf das reine Umsatzgewerbe, das allerdings den eigentlichen Handel ausmache 178. Auch hier aber sei sie unrichtig: Der Spekulationskauf sei zwar darauf gerichtet, dadurch Gewinn zu erzielen, daß ein Gut zu einem bestimmten Preis gekauft und zu einem höheren wieder verkauft werde, jedoch lasse sich dieser Erfolg wirtschaftlich wie juristisch nur dadurch herbeiführen, daß der Händler zunächst das Gut zu freier Verfügung erwerbe. Nur wenn der Händler das volle Eigentum an der Ware erwerbe, könne er sich seiner Sache sicher sein und sich nach einer günstigen Absatzmöglichkeit umsehen und schließlich das Gut vertragsgemäß seinem Abnehmer übereignen und verschaffen 179 . Gerade die sich bildende "Kette" der Handelskäufe über ein Gut beruhe auf der Anerkennung dieser Tatsache. Seinen jeweiligen Tauschwert erhalte das Gut außerdem ausschließlich dadurch, daß es letztlich für einen Endabnehmer bestimmt sei, der es um des ihm innewohnenden Gebrauchswertes willen begehre l80 . Der für den Händler angeblich allein entscheidende Tauschwert stelle sich damit schließlich als Sonderfall des Gebrauchswertes heraus, da der Händler durch die Weiterveräußerung nur in bestimmter Form Gebrauch mache 181. Es bleibe daher für Endemanns Theorie nur ein Geschäft über den Wert fiktiver Güter. Hierher passe zwar das reine Differenzgeschäft, aber auch gerade dieses knüpfe letztlich an die Entwicklung des Zeitwertes eines bestimmten Gutes an, das seinen Wert durch den Handel in oben beschriebener Form erhalte, so daß auch das Differenzgeschäft letztlich kein abstraktes Wertgeschäft sei 182. Die Zahl der Fälle, in denen der Tauschwert den Gebrauchswert nahezu völlig verdränge und diesem gegenüber Selbständigkeit gewinne, sei gering und betreffe Randgruppen wie das Recht der kaufmännischen Buchführung l83 , den Trödelvertrag l84 oder den verwandten Fall der Festlegung von Normalsätzen im Frachtverkehr zur Begrenzung eventuell entstehender Schadensersatzansprüche 185. Man mag Goldschmidts Kritik der Ansichten Endemanns vorwerfen, daß sie allzu stark von einem juristischen Vorverständnis geprägt sei, und könnte daher ver177
- 95.
Handbuch, I. Aufl., I 2, 1868, S. 577 f. in Fußn. 5; ausführlich 2. Aufl., 11, 1883, S. 82
Handbuch, 2. Aufl., 11, 1883, S. 86 f. Handbuch, 2. Aufl., 11, 1883, S. 75. 180 Handbuch, 2. Aufl., 11, 1883, S. 74 f., 79. 181 Handbuch, 2. Aufl., 11, 1883, S. 75. 182 Handbuch, 2. Aufl., 11, 1883, S. 89 in u. zu Fußn. 48. 183 Handbuch, 2. Aufl., 11, 1883, S. 91 f. 184 Handbuch, 2. Aufl., 11, 1883, S. 90 f. u. Fußn. 54. Beim Trödelvertrag (vgl. § 1086 ABGB) empfängt der Schuldner einen Gegenstand und hat die Wahl zwischen dessen Rückerstattung oder Leistung einer zuvor vereinbarten Geldsumme an den Gläubiger. 185 Handbuch, 2. Aufl., 11,1883, S. 91 in Fußn. 54 zu Art. 427 Abs. 1 ADHGB; das häufig als Trödelvertrag angesehene buchhändlerische Konditionsgeschäft passe dagegen nicht zu den ,,reinen Wertgeschäften", s. Goldschmidt, ZHR 33 (1887), S. 493. 178
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sucht sein, in dieser Auseinandersetzung den Kampf zweier grundsätzlich entgegengesetzter Strömungen zu sehen, deren eine der Verwertung wirtschaftswissenschaftlicher Erkenntnisse in der Rechtswissenschaft aufgeschlossen gegenübersteht und deren andere an der hergebrachten juristischen Begrifflichkeit festhalten will. Endemanns Ausführungen zeigen im Gegensatz zu Lorenz von Steins merkwürdig theoretisierenden Visionen, daß Endemann einen ganz wesentlichen Zug in der Entwicklung des Wirtschaftsrechts erkannt hat, der sich freilich erst im 20. Jahrhundert voll entfaltet hat. Viele der erst in jüngster Zeit aufgekommenen Rechtsinstitute und Abwandlungen überkommener Rechtsinstitute entsprechen der von ihm entworfenen Vision von der Mobilisierung der Werte im Recht in ganz auffallender Weise; es sei nur erinnert an die Entwicklung der Rechtsprechung zum Geheißerwerb im Kettengeschäft l86 oder die Geschäftsoperationen des bargeldlosen Zahlungsverkehrs. Den an derartigen Geschäften Beteiligten mag tatsächlich nur noch selten bewußt sein, daß sie außer Werttransfusionen konkrete rechtsgeschäftliehe Akte vornehmen; jedenfalls scheinen diese Entwicklungen Endemann gegenüber Goldschmidt nachträglich Recht geben zu wollen. Indessen leugnet Goldschmidt die von Endemann aufgezeigten Entwicklungslinien keineswegs. Denn über die scheinbare Hauptfrage des Streits, inwieweit wirtschaftliche Faktoren für Erkenntnis und Fortbildung des Rechts bestimmend und von den Juristen zu berücksichtigen seien, sind sich Goldschmidt und Endemann in Wahrheit einig. Ihr Streit geht vielmehr darum, auf welche Weise Recht und Rechtswissenschaft auf diese Einsicht reagieren sollen. Während Endemann meint, sie müsse zu einer grundlegenden Neuorientierung im System der Rechtswissenschaft, insbesondere zur Einführung des Wertes als einer selbständigen juristischen Größe führen, sieht Goldschmidt das anders l87 ; Die von Endemann in den Mittelpunkt gestellten Grundlagen der Entwicklung seien keineswegs neu, sondern hätten schon seit jeher auf die Rechtsbildung und die Rechtswissenschaft eingewirkt. Die von Endemann aufgezeigte Mobilisierung der Rechte sei etwa im römischen Recht mit der Besitzübertragung durch Besitzkonstitut und im französischen Recht mit der übergabefreien, durch reinen Vertrag bewirkten Übereignung auszumachen l88 . Dennoch dürfe die Rechtswissenschaft auf diese Erkenntnis hin nicht überreagieren. Denn die voreilige Aufgabe juristischer Prinzipien und Betrachtungsweisen führe zu einem Verlust zahlreicher Differenzierungsmöglichkeiten, der die spezifisch juristische Aufgabe unmöglich mache, einen angemessenen Ausgleich der betroffenen Verkehrsinteressen zu bewirken; dazu gehöre nämlich nicht allein die Leichtigkeit, sondern auch die Sicherheit des Verkehrs 189. Wenn Endemann darauf anhand eines konkreten Beispiels erwidert, daß Goldschmidts Ansatz, die Entstehung der Bestimmungen über den Erwerb von Wertpapieren von einem 186 187 188 189
s. etwa BOH NJW 1982, S. 2371 f. Erwerb 1865, S. 68 - 70, 71 - 74. Erwerb 1865, S. 72; kritisch zum frz. Recht S. 73 f. Erwerb 1865, S. 70 f., 72.
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Nichtberechtigten als Kampf zwischen deutschrechtlichen und römischrechtlichen Grundsätzen zu schildern, am Kern der Entwicklung vorbeigehe, weil diese Entwicklung "von ganz anderen Ursachen geleitet" sei "als von der juristischen Doktrin,,190, berücksichtigt er dabei nicht, daß Goldschmidt die von ihm referierten juristischen Modelle nur als Ausdruck der dahinter stehenden wirtschaftlichen Entwicklungen gesehen hat. Auch Endemann kommt nicht an dem Umstand vorbei, daß die schließlich entstehenden Regelungen immer wieder bestimmten Grundrnustern folgen 191 . Deshalb muß, wenn auch die Schärfe, mit der Goldschmidt Endemanns Thesen ablehnt, nicht berechtigt ist, auch vom heutigen Standpunkt der Betrachtung aus der Kritik Goldschmidts an Endemann zugestimmt werden. Nicht aus Willkür oder bloßem Konservatismus haben Rechtswissenschaft wie Rechtspraxis auch über die neuesten Entwicklungen hinweg daran festgehalten, alle Erscheinungen des Wirtschaftslebens konkreten rechtlichen Tatbeständen zuzuordnen. Einen Punkt nämlich vernachlässigt Endemann in seinen Ausführungen so sehr, daß er auch in Goldschmidts Kritik kaum eine Rolle spielt. Es ist das Problem der pathologischen Fälle: Endemanns Idee einer allein auf Wertverschiebungen beruhenden Wirtschaft ist nur dann schlüssig, wenn man sich diesen Vorgang ungestört fließend vorstellt. Sie hilft indessen nicht weiter, wenn es um die Bestimmung der Folgen geht, die eintreten sollen, wenn eine Geschäftsoperation fehlerhaft verläuft, weil Umstände wie Willensmängel bei Geschäftsabschluß oder Leistungsstörungen eintreten. Für die angemessene Lösung der hier auftauchenden Probleme, sei sie abstrakt im Wege der Gesetzgebung oder Gewohnheitsrechtsbildung oder konkret im Fall richterlicher Streitentscheidung, ist das zur Entscheidung berufene Organ angewiesen auf ein System in Form einer vorgegebenen, abstrakt-begrifflichen Sammlung von Fallentscheidungen. Dieses System ist das spezifisch juristische Regelungssystem, das in seinem Inhalt von der Typologie der zu regelnden Gegebenheiten zwar mitbestimmt ist, den realen Gegebenheiten gegenüber aber stets seine Selbständigkeit bewahrt l92 . Gerade die von Endemann als Beispiel angeführte Möglichkeit des Eigentumserwerbs vom Nichtberechtigten macht dies deutlich: Hinter der Entwicklung der einschlägigen Rechtssätze mag ein Bestreben des Verkehrs nach "MobiliDt. Handelsrecht, 2. Aufl. 1868, § 76 Fußn. 3, S. 375. Wohin es führt, wenn jeder Wert juristischer Begrifflichkeit geleugnet wird, zeigt sich in Lorenz von Steins Formulierung von Grundsätzen des Handelsrechts, wonach eigentlich "die Firma" der Kaufmann sei u. im Handel der Besitz unmittelbar zum Eigentum werde; "unsere Diebe", so spottet Goldschmidt (ZHR 23 (1878), S. 287 f., 287), "müssen sich das merken und v. Stein's ,Handelsrecht' gut studiren". Zu Recht verallgemeinert Goldschmidt seine Kritik deshalb dahin, daß gerade mit derartigen Sätzen "ebenso leere wie gefährliche Begriffsspielereien ... noch immer als zwar leider nicht neue, aber tiefe Wahrheiten gepredigt" würden (S. 287 f.). Damit leiste diese Kritik an der juristischen Dogmatik das genaue Gegenteil von dem, das sie bezwecke (S. 288). 192 Vgl. Jhering, Geist 11 2, S. 439 ff.: Die Höherentwicklung des Rechts liegt in der zunehmenden Abstraktion der Rechtssätze von dem sinnlich Erfahrbaren konkreter Gegenstände. 190
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sierung der Sachenrechte" stehen, was Goldschmidt, wenn auch in einer weniger plakativen Weise als Endemann 193 , anerkennt; dieses Interesse kollidiert jedoch mit den anerkennenswerten Interessen aller potentiell VOn einem Eigentumsverlust bedrohten Eigentümer. Hier durch eine entsprechende Gesetzgebung einen angemessenen Ausgleich zu schaffen, ist nur möglich, wenn dieser Gesetzgebung ein Instrumentarium klarer juristischer Begriffe zur Verfügung steht, durch deren Kombination das Ergebnis der abstrakten Abwägung der Interessen seine klare und nachvollziehbare Ausgestaltung erhält. Das Zusammenspiel von Berücksichtigung der vom Rechtsverkehr erstrebten Regelung und ihrer Ausformung durch Gebrauch des juristischen Begriffs-Inventars zeigt sich deutlich in der weiteren Ausdifferenzierung des Art. 306 ADHGB in den §§ 932 ff. BGB, 366 HGB. Diese Vorschriften sind in ihrer Klarheit, die sich freilich nur noch dem ausgebildeten Juristen sofort erschließt, ohne das Instrumentarium spezifisch juristischer Begriffe wie Eigentum, Besitz, Veräußerung, Fahrlässigkeit, Abhandenkommen gar nicht möglich. Trotzdem dienen sie gerade durch die Klarheit ihres Inhalts nicht spezifisch juristischen, sondern wirtschaftlichen Interessen 194. In der Kontroverse zwischen Endemann und Goldschmidt kommt zum Ausdruck, wie sehr die Rechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts zunehmend bereit war, wirtschafts wissenschaftliche Erkenntnisse offen in ihre Methodik einzubeziehen l95 . Die Behauptung, die Rechtswissenschaft jener Zeit sei ausschließlich von einer vorgeblich "unpolitischen Pandektistik" geprägt gewesen, die "mit ihren scheinbar rein formalen Begriffen einseitig kapitalistischen Interessen diente" 196, bringt nur ein hochmütiges und von Unkenntnis zeugendes Vorurteil unserer Zeit zum Ausdruck. b) Die Überbewertung des dogmatischen Moments: Goldschmidt und Heinrich Thöl Goldschmidt hebt sich auch in seinen dogmatisch orientierten Ausführungen meist deutlich von der streng begrifflichen Schule der Jurisprudenz ab; begriffliche Konstruktionen VOn Rechtssätzen finden sich bei ihm kaum. Daß er deren Vertreter, im Handelsrecht insbesondere Thöl, in der Pandektistik den frühen Jhering und Windscheid 197 sowie im Strafrecht Karl Binding sehr schätzt, zeigt indessen, daß Handbuch, \. Aufl., I 2, 1868, S. 795 - 798. V gl. dazu auch Goldschmidts Darstellung der juristischen u. wirtschaftlichen Prinzipien, die zur Ausgestaltung der kaufmännischen Sicherungsrechte geführt haben: Handbuch, \. Aufl., Bd. I 2, 1868, §§ 83 - 96, S. 872 - \059. 195 s. etwa C. E. Schindler, Das Recht und die Wirthschaft, in: Oesterr. Vjs. 12 (1863), S. 304 - 320 (mit ganz ähnlichen Gedanken wie Goldschmidt). Die "ökonomische Analyse des Rechts" ist keineswegs ein neuer Ansatz der Methodenkritik unserer Zeit. 1% Heinz Wagner, Die Politische Pandektistik, Berlin 1985, S. 173 u.ö. 197 s. die Anrede an Windscheid v. 22. 12. 1888, Lebensbild S. 459 f. 193
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er sich dieser Richtung keineswegs entgegengesetzt fühlt. Auch Jherings Wechsel von der "naturhistorischen", begrifflichen Methode zur ,,zweckjurisprudenz" scheint Goldschmidt nicht als grundlegenden Anschauungswechsel empfunden zu haben. Für ihn war dies nur Ausdruck des Umstandes, daß auch bei Begründungen in begrifflicher Argumentation die Bildung und Ausfüllung der Begriffe aus den Verkehrsbedürfnissen stets mitzudenken seien. Eben deshalb hat ihn die Behauptung Lorenz von Steins, die deutsche Rechtswissenschaft erschöpfe sich in logisch-abstrakter Dogmatik und nehme von den tatsächlichen Lebensverhältnissen keine Notiz, besonders empört. Er hielt dem entgegen, daß gerade die Rechtswissenschaft der herrschenden historischen Schule "eine wesentlich induktive Wissenschaft" sei 198. Davon zeugten nicht nur seine eigenen Schriften sondern die nahezu aller bedeutsamen juristischen Autoren der neueren Zeit l99 . Scharfe Kritik an den Vertretern begrifflichen Rechtsdenkens übte Goldschmidt aber, wenn er den Verdacht hegte, daß ihre Methode selbstzweckhaft betrieben werde, daß die Begriffe, mit denen sie argumentierten, nicht mehr an den realen Verhältnissen, deren Regelung die behandelten Rechtsnormen dienen sollten, angebunden seien. Ihren von der zeitgenössischen Rechtswissenschaft vielbeachteten Höhepunkt erreichte diese Kritik in der Auseinandersetzung zwischen Goldschrnidt und Thöl über die Vereinbarkeit einzelner Bestimmungen des EisenbahnBetriebs=Reglements von 1874 mit den Reglementsvorbehalten in den Artt. 422 ff. ADHGB. Um den methodischen Teil dieser Auseinandersetzung verstehen zu können, ist es erforderlich, die Entwicklung des Verhältnisses zwischen Thöl und Goldschrnidt aufzuzeigen. aa) Thöls Bedeutung für das Handelsrecht Als 1880 ein dritter Band von Thöls "Handelsrecht" erschien, bedeutete dies eine kleine Sensation, denn mit einer Fortführung des beinahe vierzig Jahre zuvor begonnenen, bisher in zwei eigentlich selbständigen Bänden in verschiedenen Auflagen erschienenen Werkes 200 durch den inzwischen 73 Jahre alten Autor201 hatte niemand mehr gerechnet. Thöls "Handelsrecht" war das erste Werk gewesen, das die Materien des Handelsrechts wirklich rechts wissenschaftlich durchdrungen hatte 202 . Thöls besondere Leistung hatte darin gelegen, daß er den vorgefundenen ZHR 23 (1878), S. 277. ZHR 23 (1878), S. 275 f., 280 - 282. 200 Das Handelsrecht, 1. Bd., 1. Aufl. 1841, 4. Aufl. 1862, 6. Aufl. 1879; 2. Bd.: Das Wechselrecht, 1. Aufl. 1847,2. Aufl. 1865,4. Aufl. 1878; zu Entstehung u. Bedeutung dieses Werkes Landsberg, Geschichte III 2 Text, S. 627 f., 629 f., 631 f., 632. 201 Zu Leben und Werk Thöls s. Gercke, Thöl, 1931 m.w.N. 202 Der 1. Bd. behandelte die allgemeinen Lehren, von den Handelsgeschäften nur den Handelskauf u. die Kredit- u. Zahlungsgeschäfte (s. 6. Aufl., S. VIII f.), in die Thöl das selbständig erschienene Wechselrecht eingeordnet wissen wollte (s. Wechselrecht, 4. Aufl., S. 1 198 199
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Stoff nicht nur deskriptiv wiedergab, sondern die Rechtsinstitute des Handelsverkehrs juristisch durchstrukturierte 203 . Er schrieb ihnen nicht nachträglich von außen eine juristische Form zu, sondern analysierte ihr inneres Gefüge nach juristischen Kriterien, indem er den Kern der einzelnen Rechtsinstitute offenlegte und diesen in das System des gemeinen römischen Rechts integrierte, das er als vorgegeben akzeptierte. Dieses Vorgehen erlaubte es ihm und seinen Nachfolgern, auch in den Streitfällen, für die das äußere Rechtsleben des Handelsverkehrs durch Handelsbrauch oder Gewohnheitsrecht aus sich heraus Lösungen noch nicht entwickelt hatte, mit Hilfe eines allgemein anerkannten Kanons von Auslegungsregeln wie Analogie und Umkehrschluß Entscheidungen zu fällen, deren Begründungen offenlagen und daher gedanklich nachvollzogen und auf ihre Stichhaltigkeit überprüft werden konnten. Die Bedeutung, die Thöls konsequente Durchführung dieser Methode und die Wirkung seines "Handelsrechts" auf die Entstehung einer deutschen Handelsrechtswissenschaft und die weitere Entwicklung der deutschen Handeisrechtspraxis gehabt hat, kann kaum hoch genug eingeschätzt werden. Die Methode, die der zu entscheidenden Rechtsfrage zugrundeliegenden Rechtsverhältnisse auf ihren Kern zu reduzieren, diesen in das als widerspruchsfrei gedachte System der Regeln des römischen Rechts einzuordnen und schließlich aus dem logischen Zusammenhang aller Rechtssätze dieses Systems die juristische Lösung der Rechtsfrage durch immanente Gedankenoperationen herzuleiten, beherrschte Thöl wie kein anderer204 ; ihre Grundsätze hat er in seiner Schrift zur "Einleitung in das deutsche Privatrecht" von 1851 niedergelegt205 . Dieses stechende Hervortreten einer scheinbar ganz einseitigen Begabung206 scheint Thöl zu dem klassischen Vertreter einer Begriffsjurisprudenz zu machen, oben). Sonst hatte Thöl nur einzelnen Problemen des Handelsrechts kürzere Schriften gewidmet, die freilich nicht weniger von seinem Scharfsinn zeugen (Gareis, Thöl, S. 13; Frensdorff, Art. Thöl, S. 47 - 52, 51; die Einschätzung von Landsberg, Geschichte III 2, Text, S. 632, die ..Polemik überwiegt vollends", übergeht die scharfe Herausarbeitung der Sachfragen auch in diesen Schriften). 203 Zu Thöls wissenschaftlicher Leistung s. Ehrenberg, Thöl S. 564 ff.; am treffendsten ist immer noch die Würdigung Thöls durch Landsberg, Geschichte III 2, Text, S. 625 - 634; zu Thöls ..Handelsrecht" s. auch Goldschmidts Äußerung in Behandlung 1858, S. 17 = ZHR 150, S. 31, die von den Bewunderern Thöls regelmäßig übernommen wurde (z. B. Frensdorff, Art. Thöl, S. 48), Ehrenberg, Thöl S. 572 f. u. Riesser S. 8 - 12. 204 s. die Erinnerung an Thöl durch Riesser S. 9. Allenfalls Puchta ließe sich in der stringenten Art der Durchführung der begrifflichen Methode mit Thöl vergleichen; Thöl war Puchta freilich als Lehrer überlegen, vgl. Ehrenberg, Thöl S. 583 f. u. die Anekdoten bei Riesser S. 9 in Fußn. 1 (Thöl) bzw. Goldschmidt, Dreijähriges Studium 1878, S. 49 (Puchta). 205 Thöl, Einleitung §§ 55 - 64, S. 138 - 155. Wesentliche Fonnulierungen aus dieser Schrift, die eigentlich eine Einleitung in die Rechtswissenschaft überhaupt (Landsberg, Geschichte III 2, Text S. 630 f.; Frensdorff, Art. Thöl, S. 50) auf freilich streng romanistischem Gedankenfundament ist, hat Thöl in den 1. Bd. seines Handelsrechts übernommen: Einleitung, § 55, S. 138 ff. = Handelsrecht 1,6. Aufl., § 15, S. 57 ff.. 206 Ehrenberg, Thöl S. 567: ..die wirklich bedenkliche Seite seiner Begabung"; s. auch Riesser S. 10 - 12.
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die um die Anwendbarkeit der gewonnenen Rechtssätze völlig unbekümmert war. Gerade Goldschmidt hat indessen darauf hingewiesen 207 , daß der ursprüngliche Ansatz Thöls induktiv war. Thöl selbst hat das in seinen frühen Schriften deutlich ausgesprochen 208 : Um ein Rechtsinstitut dem System der Regeln des römisch-gemeinen Rechts unterstellen zu können, müsse dieses Rechtsinstitut zunächst in seinem tatsächlichen Vorkommen analysiert worden sein; diese Arbeit setze deshalb eine genaue Kenntnis der im Handelsverkehr vorkommenden Gebräuche und Gewohnheiten voraus. Die tatsächliche Analyse, die der systematischen Analyse vorausgehe, setzt Thöl in seinen Schriften allerdings regelmäßig voraus, ohne sie selbst darzustellen 209 . Thöl war mit den Gewohnheiten und Bräuchen aufgrund seiner Herkunft aus einem Lübecker Kaufmannshaus vertraut 21O . Während seines Studiums war es besonders die an der Rechtspraxis ausgerichtete Stoffvermittlung durch Mittermaier in Heidelberg, die Thöl für das Handelsrecht gewann. Ihm hat Thöl, wie 21 Jahre später Goldschmidt seine Dissertation, seine Habilitationsschrift gewidmet211 . Das Tatsachenmaterial für seine Darstellung des Handelsrechts fand Thöl bei dem in seiner Heimatstadt ansässigen OAG der vier freien Städte Deutschlands 212 , dessen von ihm exzerpierte Urteile er 1857 herausgab 213 . Zu einem Nebeneinander von tatsächlich-induktiver und systematischer Vorgehensweise war Thöl gezwungen als Mitglied der Gesetzgebungskommissionen zur Ausarbeitung der ADWO und des ADHGB; in ihnen ging ihm die Gründlichkeit der Arbeit über alle politischen Vorbehalte 214 . Behandlung 1858, s. 16 f., 17 = ZHR 150, s. 30 f., 31. Thöl, Verkehr mit Staatspapieren, Vorrede S. V - X, V: "Der Jurist soll das Recht und alle Lebensverhältniße kennen", S. VII: Es "haben gar viele Lehren des Handelsrechts ... darunter leiden müssen, daß ihre rechtsgelehrten Bearbeiter das Kaufmännische der Verhältniße zu wenig ins Auge faßten"; Einleitung in das Privatrecht S. 91 - 96, insbes. S. 94 (dazu Ehrenberg, Thöl S. 567); Volksrecht, § 24, S. 94 - 97 u.ö. 209 Ausführlich aber im 1. Teil von Verkehr mit Staatspapieren, 1835, S. 1 - 177; auch in Praxis des Handelsrechts, 1874 (in Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des ROHG, dazu Ehrenberg, Thöl S. 577) u. in seinen Gutachten (Aktienunrecht, 1877 u. Theaterprozesse, 1880). 210 Der Einfluß dieser Herkunft auf das Werk Thöls ist allerdings zweifelhaft, s. Landsberg, Geschichte III 2, Text S. 625; Frensdorff, Erinnerung S. 6 f. (anders Art. Thöl, S.47). 211 De verbi an ordre, vor S. 1. 212 Handelsrecht I, 6. Aufl., S. III f. (aus dem Vorwort zur 1. Aufl.); Entscheidungsgründe S. III - VI; dessen Präsidenten Cropp ist Thöls Habilitationsschrift neben Mittermaier gewidmet, s. auch Landsberg, Geschichte III 2, Text S. 627. 213 Es ist bezeichnend für Thöls Arbeitsweise, daß er sich dabei auf die Kernsätze der Entscheidungsgründe beschränkte: Das deduktive Element, das die begrifflich-juristische Analyse ganz in den Mittelpunkt stellte, war zu dieser Zeit schon deutlich in den Vordergrund getreten: Entscheidungsgründe S. III f.; Handelsrecht, 4. Aufl., S. III f.; vgl. Bergfeld, Entscheidungen des OAG Lübeck, in Scherner, Modernisierung, S. 67 ff., 72 ff. 214 Hierzu Ehrenberg, Thöl S. 584 - 588; s. insbes. Thöl, Zur Geschichte, 1861; zu den dort behandelten Vorgängen Goldschmidt, Handbuch, 2. Aufl., I, 1874, S. 104 - 112 und Abschluß 1862, S. 218 - 225. 207 208
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bb) Thöl und Goldschmidt Es gibt zahlreiche Parallelen in den Biographien Goldschmidts und Thöls: beider Herkunft aus kaufmännischen Familien an der Ostsee liegender Hafenstädte, der Einfluß Mittermaiers auf ihre Ausbildung, ihre Begeisterung für die Erhebung des Handelsrechts zum Gegenstand einer eigenständigen Wissenschaft unter Hochschätzung der handelsrechtlichen Rechtsprechung besonders des OAG Lübeck, schließlich ihre Befassung mit legislativen Aufgaben durch die Mitgliedschaft in mehreren Gesetzgebungskommissionen. Diese Parallelen hätten es eigentlich erwarten lassen, daß beide in ihren Ansichten weitgehend konform gehen würden und Goldschmidt als der jüngere von beiden das Werk Thöls unter Anpassung an die inzwischen eingetretenen Änderungen der Verhältnisse fortführen würde. Tatsächlich ist das persönliche Verhältnis von Goldschmidt zu Thöl zunächst von großer Sympathie gekennzeichnet. Zu der Zeit, zu der sich wegen der absehbaren Vollendung des ADHGB die Handelsrechtswissenschaft den legislativen Fragen und der Zukunft des deutschen Handelsrechts zuwendet, ist es Goldschmidt, der Thöls Verdienst um das Enstehen einer deutschen Handelsrechtswissenschaft immer wieder hervorhebt215 . Nach seinen gelegentlichen persönlichen Begegnungen mit Thöl während der Arbeiten am ADHGB in Nümberg berichtet Goldschmidt in seinen Briefen von dem Wohlwollen, das ihm Thöl entgegengebracht habe 216 . Wahrend Goldschmidt zu dieser Zeit als Jude mit zahlreichen Vorurteilen konfrontiert wurde, scheint Thöl seiner Herkunft ohne jeden Vorbehalt gegenübergestanden zu haben 217 . Thöl zollte Goldschmidts ZHR das wohl höchste Lob, das er zu vergeben hatte 218 . Er nahm, nachdem er sich Jahre zuvor im Streit zwischen Germanisten und Romanisten gegen den Versuch der Germanisten gestellt hatte, das Handelsrecht, zu einer vom römischen Recht unabhängigen germanistischen Materie zu erklären 219 , insbesondere wohlwollend zur Kenntnis, daß Goldschmidt seine Begeisterung für das römische Recht teilte 22o • Auf welchen historischen Grundlagen die völlige Durchdringung des Handelsrechts mit römisch-rechtlichen Normen, die "gar nicht beklagenswerth" sei 221 beruhe, führt er in seinem Lehrbuch allerdings Zuletzt ZHR 33 (1887), S. 499 f.; s. auch Riesser S. 17 f. Lebensbild S. 204 (6. 7. 1857),236 f., 237 ("äußerst freundlich") (23. 8. 1860), s. auch S. 426 f., 427 (8. 12. 1880). 217 s. Z. B. Thöl, Entscheidungsgründe, Nr. 147, S. 183. 218 Handelsrecht I, 6. Aufl., S. 92; Goldschmidt hat darauf noch 1889 stolz hingewiesen: Nach 30 Jahren, S. 4. 219 Beseler, Volksrecht, 1843; Thöl, Volksrecht, 1846; zu dieser Kontroverse zwischen Beseler u. Thöl, die zu den am erbittertsten geführten Fehden der deutschen Rechtswissenschaft gehört, s. Gercke, Thöl S. 120 ff.; Kern, BeseIer, S. 371 ff., 404 - 408; Landsberg, Geschichte III 2, Text S. 628 f. 220 Behandlung 1858, S. 19 f. = ZHR ISO, S. 33 f.; s. auch Universalgeschichte 1891, S. 50; Riesser S. 27 - 30; Pappenheim S. 17 f., 17. 215
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nicht aus und verweist in dessen letzten Auflagen insoweit auf das Werk, das seiner Meinung nach das dafür notwendige Material so vollständig zusammenstellt wie kein anderes, nämlich Goldschmidts Handbuch 222 . Schon bald aber wurde das wissenschaftliche Verhältnis zwischen Goldschmidt und Thöl bestimmt durch zahlreiche Kontroversen, in denen sie nicht allein unterschiedliche Ansichten vertraten, sondern hervorhoben, daß der jeweils andere die Gegensansicht vertrete. Die Entwicklung dieses Gegensatzes wird freilich bei einem Studium der Werke Goldschmidts deutlicher als bei denen Thöls, da Goldschmidt sich stets um umfassende Darstellung der zu einer Frage ergangenen Literatur bemühte, während Thöl regelmäßig nur sehr spärlich zitierte. Die erste Streitfrage, in der Thöl und Goldschmidt sich als die wichtigsten Vertreter entgegengesetzter Ansichten gegenüberstanden, reicht in die Zeit der Entstehung des ADHGB zurück und betraf die Bestimmung des Anwendungsbereichs handelsrechtlicher Normen anhand des subjektiven oder objektiven Systems223 . Weitere Auseinandersetzungen betrafen Fragen des Wertpapierrechts, insbesondere die Art des Erwerbs des Anspruchs aus dem Wechsel durch einen späteren Wechselnehmer. Dieser Streit nahm dadurch persönliche Züge an, daß Goldschmidt sich dagegen verwahrte, von Thöl noch in der vierten Auflage von dessen "Handelsrecht" als Anhänger von Thöls Ausformung der Vertragstheorie genannt zu werden, obgleich er hierzu bereits seine eigenen Auffassungen entwickelt hatte 224 . Vorher waren die Verwahrungen, von Goldschmidt "auf unerklärliche Weise mißverstanden" worden zu sein, regelmäßig von Thöl gekommen 225 . Thöls Kritik an der Rechtsprechung des ROHG 226 , die sich speziell gegen die, wie Thöl wußte, gerade von Goldschmidt mitentwickelte Rechtsprechung zum Urheberrecht richtete 227 , war ein weiterer Schritt in dieser Entwicklung. Als Thöl "mit gewohnter dogmatischer Energie,,228 daranging, den Lebensversicherungsvertrag aus begrifflichen Gründen als einen Darlehensvertrag zu konstruieren 229, mußte es Zeitgenossen wie späteren Thöl, Handelsrecht I, 6. Aufl., S. 19 f., 20. Thöl, Handelsrecht I, 6. Aufl., S. 18 Fußn. I; s. auch S. 19 Fußn. I zu Goldschmidt, Behandlung 1858, S. 5 - 17 = ZHR 150, S. 19 - 31 (römisches Recht und Handelsrecht). 223 Thöl, Handelsrecht I, 6. Aufl., S. 107 Fußn. 1; Goldschmidt, Handbuch, 2. Aufl., I, 1874, S. 431 Fußn. 3; Gercke, Thöl S. 75 - 85. 224 Thöl, Wechselrecht, 4. Aufl., S. 355 in Note 3 u. insbes. Handelsrecht I, 6. Aufl., § 222, S. 663; Goldschmidt, Miscellen I, 1882, S. 64 in Fußn. 3. 225 Thöl, Praxis des Handelsrecht S. VII; Goldschmidts Antwort in seiner Anzeige dieses Werks, ZHR 20 (1875), S. 317 f., 318. 226 Thöl, Praxis des Handelsrechts, 1874. 227 Thöl, Theaterprozesse, 1880. 228 Goldschmidt, Lebensversicherung 1878, S. 179. 229 Thöl, Handelsrecht 1,6. Aufl., § 310, S. 1030 - 1033 (s. aber S. 1030 in Fußn. 4); zustimmend Laband, Die juristische Natur der Lebens- und Rentenversicherung, in: Festgabe zum Doctor-Jubiläum des Prof. Heinrich Thöl, Straßburg 1879, S. 1 - 37, insbes. S. 36 f.; s. dazu Ehrenberg, Thöl S. 568. 221
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Betrachtern geradezu als "natürlich" erscheinen 23o , daß Goldschmidt dagegen heftig opponierte 231 . Angesichts von Goldschmidts reger Rezensionstätigkeit wäre es eigentlich zu erwarten gewesen, daß zumindest von seiner Seite aus Angriffe auf Ansichten Thöls und Verteidigungen gegen dessen Äußerungen im Besprechungsteil der ZHR geführt worden wären. Dies ist indessen bis 1880 nicht der Fall. In der ZHR erscheinen meist nur kürzere Anzeigen von Werken Thöls 232 . Der Tenor dieser Anzeigen von Werken "des Meisters,,233 ist bei aller Kritik von Einzelheiten 234 ausgesprochen positiv; nur einmal nutzt Goldschmidt die Gelegenheit zu einer persönlichen Erwiderung 235 . Auf einen methodischen Gegensatz zwischen Thöls Arbeitsweise und seiner eigenen weist Goldschmidt nicht hin, wohl aber auf einen stilistischen: Er hebt hervor, daß Thöls Vorwurf gegen das ROHG, es setze sich in wesentlichen Streitfragen nicht ausreichend mit abweichenden Auffassungen auseinander, in Widerspruch zu Thöls eigenem Verfahren stehe, die Literatur und Praxis des Handelsrechts zwar umfassend zur Kenntnis zu nehmen 236 , in seinen eigenen Deduktionen aber nur sehr spärlich anzuführen237 . Der Gegensatz zwischen Thöls Art, die Rechtssätze aus dem Normengefüge des ADHGB, der ADWO und des römischen Rechts gesetzesimmanent herzuleiten, und Goldschmidts "historisch-genetischer Methode" mit ihrer umfassenden Einbeziehung zahlreicher weiterer Gesichtspunkte findet in diesen Anzeigen Goldschmidts indessen keinen stärkeren Ausdruck. cc) Der Streit um die Gültigkeit des Eisenb.-B.=R.s von 1874 Zu einer Auseinandersetzung zwischen Goldschmidt und Thöl, in der neben den Unstimmigkeiten in der Sache die Art der methodischen Vorgehensweise zum Gegenstand des Streites wurde, kam es erst aus Anlaß der Ansichten, die Thöl im dritten Band seines "Handelsrechts" vertrat. Da Thöl sich das Ziel gesetzt hatte, das Landfrachtrecht des ADHGB befreit von allen außerhalb dieses engen Bereiches liegenden Erwägungen darzustellen 238 , geriet ihm seine Darstellung zu einem ge230 Wilhelm Ebel, Glücksvertrag u. Versicherung, in: ders., Probleme der Dt. Rechtsgeschichte, Göttingen 1978, S. 101 - 122, 119. 231 Goldschmidt, Lebensversicherung 1878, S. 179 - 183. 232 ZHR 1 (1858), S. 199; 6 (1863), S. 324 ff.; 19 (1874), S. 319 - 323; 20 (1875), S. 317 f.; 24 (1879), S. 319 - 323; 25 (1880), S. 409 u. 409 f. in Fußn. 1. 233 ZHR 25 (1880), S. 409. 234 Besonders ZHR 19 (1874), S. 319 ff. 235 ZHR 20 (1875), S. 318. 236 s. etwa die ausführliche Auflistung von Literatur zu den Wechselrechtstheorien in Wechselrecht, 4. Aufl., S. 351 - 357. 237 Goldschmidt, ZHR 20 (1875), S. 317 f.; 24 (1879), S. 319. 238 So expressis verbis Thöl, Antikritik S. 40.
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radezu klassischen Beispiel für ein Werk, das durch und durch gesetzespositivistisch ist239 und alle Schwächen, aber auch alle Stärken konsequenten gesetzespositivistischen Vorgehens in sich vereint. Thöls auf dieser methodischen Grundlage ruhende These, daß zahlreiche Bestimmungen des Eisenb.-B.=R.s von 1874 ungültig seien, veranlaßte Goldschmidt, der schon zuvor die Ansicht vertreten hatte, daß die Eisenbahn-Unternehmen ihre Haftung weitgehend beschränken könnten, zu einer nachdrücklichen Stellungnahme, in der er sich neben den Ergebnissen, zu denen Thöl gelangt war, insbesondere auch mit dem Weg befaßte, den Thöl zu ihrer Begründung eingeschlagen hatte. Goldschrnidt findet in seiner verhältnismäßig rasch erscheinenden Rezension einleitend lobende Worte für Thöls "Handelsrecht" als "das für die Dogmatik des Handelsrechts bahnbrechende Werk,,24o. Gleichzeitig aber steuert er zielstrebig auf seine Kritik los, indem er auf die seit Erscheinen der ersten Auflagen dieses Werkes geschaffenen Kodifikationen des Handels- und Prozeßrechts hinweist241 . In der für umfangreichere Besprechungen Goldschrnidts üblichen Art folgt auf die Kennzeichnung von allgemeinen Merkmalen des Werkes eine detaillierte Kritik einzelner exemplarisch ausgewählter Punkte. Schon in dem ersten dieser beiden Teile 242 geht Goldschrnidt unmittelbar von Lob zu Tadel über. Thöl unterwerfe das Frachtrecht des ADHGB "einer äußerst sorgfältigen, selbstverständlich ebenso scharfsinnigen wie belehrenden Analyse"; sein Verfahren sei "ein rein deduktives, welches eine erstaunliche Fülle von Rechtssätzen ... an den Tag bringt, ein wahres Kabinetsstück juristischer Filigranarbeit,,243. Dann aber zeigt Goldschmidt die Einseitigkeit dieser Methode durch Aufzählung der Gesichtspunkte auf, die er in dem Werk vermißt habe: "In noch höheren Grade aber als sonst lehnt Thöl jede historische Erläuterung, geschweige denn genetische Entwickelung ab"244, er habe weder die Gesetzesmaterialien noch die vorbildlichen ausländischen Gesetzgebungen "zu Rathe gezogen oder doch vorgeführt,,245; die aufschlußreiche Entstehungsgeschichte der Regelung des Frachtrechts, insbesondere des Eisenbahntransportrechts werde überhaupt nicht berührt: "Als ganz fertiges Produkt gesetzgeberischer Weisheit oder Ungeschicklichkeit ... stellt sich das geltende Gesetzes- und Vertragsrecht dar, gleichsam ohne Vergangenheit und Zukunft. Das publizirte Gesetzeswort beziehungsweise Reglementswort, bildet so das ausschließliche Mittel für die Erkenntniß des bestehenden Rechts,,246. Anschließend folgt die Einzelkritik, die von 239 Zum Gesetzespositivismus in der deutschen Jurisprudenz s. Larenz, Methodenlehre S. 28 - 35; Wieacker, Privatrechtsgeschichte S. 458 - 468. 240 ZHR 26 (1881), S. 606. 241 ZHR 26 (1881), S. 606. 242 ZHR 26 (1881), S. 606 f. 243 ZHR 26 (1881), S. 606. 244 ZHR 26 (1881), S. 606. 245 ZHR 26 (1881), S. 606. 246 ZHR 26 (\881), S. 606 f., 607. Tatsächlich erläutert Thöl den Begriff der "böslichen Handlungsweise" in Artt. 396 Abs. 5, 427 Abs. 2 ADHGB allein aus dem Wortlaut des
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ihrem Umfang her den größeren Teil der Besprechung ausmacht; ein ausführlicheres Eingehen auf Thöls methodisches Vorgehen findet sich in ihr noch nicht. Soweit Goldschmidts Angriffe hierin auf dem von ihm einleitend aufgezeigten Methodengegensatz 247 beruhen, hebt er dies nicht mehr besonders hervor248 • Goldschmidts Rezension scheint den Aufwand der auf sie folgenden Auseinandersetzung kaum zu rechtfertigen. Sie war zwar für die Besprechung eines einzelnen Werkes in der ZHR relativ umfangreich, ein Verriß war sie jedoch nicht, weder offen noch verdeckt. Goldschmidts Hervorhebung nur der Ausführungen, in denen er anderer Ansicht war als der Verfasser des besprochenen Werkes, entsprach der Übung im Literaturteil der ZHR. Genau auf ein Jahr später datiert als Goldschmidts Kritik erschien Thöls Antikritik249 . Derartige Antikritiken waren in der rechtswissenschaftlichen Literatur des 19. Jahrhunderts nicht ungewöhnlich 250 ; auch Goldschmidt hatte mit seinem Nachtrag zu seinem Gutachten zum Lucca-Pistoja-Aktienstreit einmal eine solche Antikritik verfaßt 251 . Thöls Antikritik war ein "sehr freundlicher Brief des Verfassers vom August 1881" vorausgegangen, in dem er Goldschmidt für die Genauigkeit von dessen Prüfung seiner Ansichten gedankt, gleichzeitig aber das Erscheinen einer Antikritik angekündigt hatte 252 . Diese fiel dann in der Form sehr viel schärfer aus, als ihre Ankündigung es hätte erwarten lassen. Im Vorwort zu seiner Antikritik erklärt Thöl die Gründe, die ihn zu ihrer Abfassung veranlaßt hätten: "Durch die sichere Art", mit der Goldschmidt seine Bemerkungen vorgebracht habe, hätten diese den Anschein unbestreitbarer Richtigkeit erhalten, obwohl die Schwäche ihrer Gründe ihn gerade in seinen eigenen Ansichten bestärkt habe. Einen persönlichen Zug tragen die Vorwürfe, Goldschmidt habe seine Ansichten häufig unrichtig referiert 253 .
ADHGB unter Berufung auf Jacob u. Wilhelm Grimm, Deutsches Wörterbuch, Bd. 2, Leipzig 1860 (Nachdruck 1984), Sp. 260 (wo sich noch nicht einmal eine Definition des Begriffes "böslich" findet): Thöl, Handelsrecht I1I, S. 46 - 49, 48 Fußn. 11. 247 ZHR 26 (1881), S. 607 ff. 248 ZHR 26 (1881), S. 610 ff. Später wollte Goldschmidt allerdings auch diese EinzeIkritiken nur als Beispiele dafür verstanden wissen, zu welchen Unterschieden die Anwendung der jeweiligen Methode führe: ZHR 28 (1882), S. 445: 249 Thöl, Antikritik, Vorwort S. 3 f., 4. 250 SO Z. B. die Auseinandersetzung zwischen Thibaut u. Savigny um die "geschichtliche Methode" (dazu die Dokumentation von Stem/Hauenhauer, Thibaut u. Savigny, darin S. 200 - 210 die Antikritik Thibauts zu Savigny) oder zwischen Windscheid u. Muther über die actio des römischen Rechts (Bemhard Windscheid, Die actio des römischen Civilrechts, Düsseldorf 1856; Theodor Muther, Zur Lehre von der Römischen Actio, Erlangen 1857; Windscheid, Die Actio, 1857; Neudruck in einem Band Aalen 1969). 251 Goldschmidt, Nachtrag 1861, S. 1 ff. 252 Goldschmidts Bericht in ZHR 28 (1882), S. 441. 253 Thöl, Antikritik S. 3 f., 3. 33 Weyhe
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In umgekehrtem Aufbau zu Goldschmidts Kritik wendet sich Thöl zunächst gegen Goldschmidts Ausführungen zu Einzelfragen 254 und unterzieht erst am Ende Goldschmidts methodische Kritik einer Gegenkritik 255 . Der Grund für diesen Aufbau liegt offensichtlich darin, daß Thöl die von Goldschmidt vorangestellte grundsätzliche Kritik gegenüber ihren Meinungsverschiedenheiten in konkreten Einzelfragen für weniger bedeutsam hält 256 . Die Anmerkungen Goldschmidts zu Fragen allgemeiner Natur löst Thöl in ihre einzelnen Behauptungen auf und versucht, diese jeweils gesondert zu widerlegen. Gegen den Vorwurf, er habe die Bedeutung der Gesetzesmaterialien vernachlässigt, wendet er ein, daß ihm diese natürlich bekannt seien und er sie auch benutzt habe; immerhin seien sie von ihm "zum Theil mitgeschaffen" worden 257 . Er habe sie jedoch nicht gesondert angeführt, da sie über die Werke anderer leicht zugänglich seien 258 . Daß seine Darstellung auf jedes Eigehen auf den geschichtlichen Hintergrund verzichte, treffe zu, doch lasse sich daraus kein Vorwurf machen. Er habe eben nur eine systematische Darstellung des geltenden Rechts bieten wollen: "Ich wollte nichts anderes darstellen als das geltende Recht und eben ohne Erwähnung der Vergangenheit und Zukunft, ohne Erwähnung der Verkehrs strömungen und Verkehrsbedürfnisse"; auf die Zukunft gerichtet sei sein Werk freilich schon deshalb, weil es die Notwendigkeit von Änderungen des B.=R.s von 1874 aufzeige 259 . Umfangreicher 260 ist Thöls Abwehr von Goldschmidts Vorwurf, für ihn sei "das Wort das ausschließliche Mittel für die Erkenntniß des bestehenden Rechts". Daß er unbegründet sei, bedürfe "für diejenigen, welche das Buch nur etwas eingesehen, keines Beweises,,261. Durch die von Goldschmidt angeführten Beispiele lasse sich nicht beweisen, daß ihm das Gesetzeswort das einzige Auslegungsmittel sei 262 ; eine solche Methode, die er selbst als "Buchstabenjurisprudenz" und "Buchstabendienst" bezeichnet, lehne auch er ab 263 . Was dann folgt, ist freilich kaum mehr als eine Wiederholung der von Goldschmidt beanstandeten Wendungen, verbunden mit Angriffen auf angeblich viel unklarere Ausführungen Goldschmidts in dessen Werken 264 . Auf das Moment, das Thöl an Goldschmidts Kritik am meisten empört hat und gegen das er sich eigentlich wenden will, geht er ein, indem er auf seine Einleitung Thöl, Antikritik S. 5 - 22 u. 23 - 39. Thöl, Antikritik S. 39 - 44. 256 Das "Einzelne aber muß genau erwogen werden, da es das geltende Recht betrifft": Thöl, Antikritik S. 5; eben dies war auch der Tenor Thöls in seiner Kontroverse mit Beseler: Thöl, Volksrecht S. V; dazu Landsberg, Geschichte III 2, Text S. 629. 257 Thöl, Antikritik S. 39 f., 39. 258 Thöl, Antikritik S. 39 f. 259 Thöl, Antikritik S. 40. 260 Thöl, Antikritik S. 41 - 44. 261 Thöl, Antikritik S. 41. 262 Thöl, Antikritik S. 41 - 44. 263 Thöl, Antikritik S. 41. 264 Thöl, Antikritik S. 42 (receptum 1860; Gutachten 1860),44 (Handbuch). 254 255
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in das deutsche Privatrecht verweist. Darin hatte Thöl definiert, den "wörtlichen Inhalt des Wortes werden wir das Wort nennen"265; damit habe er nicht gemeint, daß ihm "das publicirte Gesetzeswort ausschließlich maaßgebend" sei 266 , denn er meine natürlich ,,hier wie fast immer, Wort und Sinn,,267. So beruhten seine Darlegungen zur "böslichen Handlungsweise" darauf, daß sich die Kommissionsmitglieder bei der Abfassung des ADHGB darauf beschränkt hätten, nur diesen Ausdruck in das Gesetz aufzunehmen und ihn daher in seinem gewöhnlichen Sprachgebrauch verstanden hätten. Ein darüber hinausgehender Wille des Gesetzes sei nicht mitpubliziert worden und daher unerheblich 268 . Übrigens habe auch Goldschmidt selbst in seiner Rezension "die gleiche Sünde" begangen, die er ihm vorwerfe, indem Goldschmidt sich in der Frage der Wertdeklaration darauf berufen habe, der Wille des Gesetzgebers habe keinen Ausdruck im Gesetz gefunden 269 . Goldschmidts Behauptung, die Beschränkung der Interpretationsmittel auf den Wortlaut des Gesetzes führe dazu, daß die Auslegung einzelner Gesetzesstellen "schwankend" sei, hält er die Unsicherheit mancher Auslegungsergebnisse Goldschmidts entgegen: Ebenso "schwankend" sei "der Boden einer Interpretation, welche das Wort verläßt durch willkürliche Annahme beliebiger Ausnahmen,mo. Dieses wichtige Argument, das gerade im Verhältnis von Thöls Methoden zu denen Goldschmidts von besonderer Bedeutung ist 271 , vertieft Thöl leider nicht weiter. Mit ihm bringt er aber noch einmal sein Selbstverständnis als Jurist zum Ausdruck: Das Recht sei keine zufällige, der Willkür des einzelnen Juristen unterworfene Erscheinung, sondern ein System zusammenhängender Regeln, auf deren gleichmäßige Anwendung jeder Rechtsunterworfene Anspruch habe, und die Einhaltung strenger Fonnalien bei der Rechtsanwendung diene der Verwirklichung dieser Rechtsgarantie 272 . Thöls "Freude an der sauberen Sonderung in die einzelnen Spielarten und Möglichkeiten, die mitreißend wirken,,273, vereinigt sich bei ihm auf diese Weise als psychologische Vorgabe mit einem hohen und doch durch seine Meisterschaft auf pragmatische Anwendbarkeit hin entwickelten Idea1 274 . Thöl, Antikritik S. 41 unter Hinweis auf Einleitung S. 147. Thöl, Antikritik S. 43. 267 Thöl, Antikritik S. 44. 268 Thöl, Antikritik S. 42. 269 Thöl, Antikritik S. 44 unten. 270 Thöl, Antikritik S. 44. 271 Vgl. Goldschmidts Reaktion auf die Zusendung von Thöls Handelsrecht III in Lebensbild S. 427, wo Goldschmidt seine "eigene Stellung in der Wissenschaft auf so schwanken Fuß" geraten sieht. 272 Mit dieser Vorstellung hat Thöl stark auf seinen Schüler Rudolf von Jhering gewirkt: s. Jhering, Geist 11 2, S. 470 ff., insbes. S. 471 zum Rechtsformalismus. 273 Landsberg, Geschichte III 2, Text S. 628. 274 Landsberg, Geschichte III 2, Text S. 628 f. zur Auseinandersetzung Thöls mit Beseler; dieses Ideal hat auch Thöls Haltung im Hannoverschen Verfassungskonflikt um die "Göttinger Sieben" bestimmt; s. Frensdorff, Erinnerung S. 48; Gercke, Thöl S. 16 - 25. 265
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Goldschmidts Antwort auf Thöls Antikritik datiert bereits vom September 1882275 . Erst jetzt zieht Goldschmidt den Gegenstand der Auseinandersetzung ganz auf das Gebiet des Grundsätzlichen. Zugleich macht er deutlich, daß nunmehr er sich durch Thöls Antikritik ungerechtfertigt und persönlich angegriffen sieht. Goldschmidt schildert kurz den bisherigen Ablauf der Auseinandersetzung 276, legt dann seine Sicht von den Aufgaben wissenschaftlicher Buchbesprechungen da?77 und nimmt zu Thöls Beanstandungen des Stils seiner Rezension Stellung 278 ; erst dann geht Goldschmidt auf einige der Einzelfragen ein, die den Streit ausgelöst hatten 279 . Den Haupt- und Schlußteil bildet eine umfangreiche und grundlegende Kritik der Methodik Thöls am Beispiel von dessen beiden Schriften zum Transportrecht28o . Die Ausführungen über die Aufgabe wissenschaftlicher Rezensionen richten sich nach einem allgemein gehaltenen Einleitungssatz sogleich gegen den von Thöl erhobenen Vorwurf, Goldschmidt habe ihn persönlich angegriffen. Die Rezension, so Goldschmidt, richte sich nicht als Belehrung an oder gar gegen den Autor, sondern "an den sachverständigen Leserkreis", und sie diene nicht persönlichen Zwecken, sondern dem Hinweis auf besondere Sachfragen, zu deren erneuter kritischer Überprüfung durch die Wissenschaft das Aufzeigen unterschiedlicher Meinungen anregen solle. Den denkbaren, von Thöl freilich gar nicht erhobenen Vorwurf, sich durch die ablehnende Rezension auf dessen Kosten profilieren zu wollen, weist Goldschmidt zurück: "Wird ... das Werk eines mehr als siebzigjährigen Autors, über dessen wissenschaftliche Bedeutung und Stellung gar kein Zweifel denkbar ist, besprochen und erfolgt diese Anzeige durch einen zwar gegen zwanzig Jahre jüngeren Schriftsteller, welcher aber doch nicht bezwecken kann, sich in einer ersten literarischen ,Fehde' wider einen berühmten Gelehrten seine Sporen zu verdienen, so weiß Jedermann, daß es sich um wissenschaftliche Meinungsverschiedenheiten handelt, welche der Verfasser von ,Buch' und von ,Anzeige' nicht vor einander, sondern vor dem sachverständigen Publikum zum Austrag bringen ... ,,281. Die Beschwerden Thöls über die Kürze und Sicherheit, mit der er seine Kritikpunkte vorgetragen habe, weist Goldschmidt mit dem Hinweis auf die Notwendigkeit, Buchanzeigen knapp zu halten, zurück 282 ; im übrigen müsse sich Thöl insoweit seinen eigenen· Stil im Umgang mit den Auffassungen anderer vorhalten lassen 283 . Der Behauptung angeblich unrichtiger Referate hält Goldschmidt ZHR 28 (1882), S. 456. ZHR 28 (1882), S. 441. 277 ZHR 28 (1882), S. 442. 278 ZHR 28 (1882), S. 442 f. 279 ZHR 28 (1882), S. 443 - 449. 280 ZHR 28 (1882), S. 449 - 456. 281 ZHR 28 (1882), S. 442. 282 ZHR 28 (1882), S. 443; Goldschmidts Äußerung, "übrigens pflege ich mich als Rezensent äußerster Kürze zu befleißigen und häufig mit bloßen Andeutungen zu begnügen", fordert im Hinblick auf sein sonstiges Werk den Umkehrschluß geradezu heraus. 275
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entgegen, nur Gedanken, nicht Worte referiert zu haben; ein unrichtiges Referat könne deshalb nicht weftiger auf unklarer Ausdrucksweise ihres Urhebers als auf angeblicher Leichtfertigkeit des Rezensenten beruhen 284 . "Freilich", so Goldschmidt, "für ein gewisses Maß dialektischen Scharfsinns fehlt mir durchaus die Empfänglichkeit,,285. Bereitwillig gibt er es denn auch zu, wenn Thöl ihm eine Ungenauigkeit seiner Ausdrucksweise nachweist286 . Den methodischen Teil seiner Erwiderung leitet Goldschmidt mit dem Hinweis ein, daß er im Gegensatz zu Thöl die "Divergenz der Methode" für "weitaus wichtiger" halte als die Beurteilung von Einzelfragen; dazu führt er aus: "Daß die Methode Thöl's im Gebiete des Handelsrechts und darüber hinaus einen sehr großen dogmatischen Fortschritt begründet hat, ist von mir jederzeit (ich darf wohl auf meine Abhandlung in dieser Zeitschrift Bd. 1 S. 17 (1857) und auf mein Handbuch des Handelsrechts Bd. 1 2. Auflage S. 51 (1874) verweisen) mit wärmster Anerkennung hervorgehoben. So Bedeutendes sie indessen erreicht, wo es gilt, einzelne Rechtssätze scharf zu formuliren und denselben innerhalb eines im Uebrigen festen Systems von Rechtsbegriffen die richtige Stelle anzuweisen, insbesondere aber den vollen Reichthum der einzelnen gegebenen Rechtssätze auf dem Wege der analytischen Methode deduktiv zu erschließen, so wenig reicht sie, nach meiner Ueberzeugung, aus, um gerade das äußerst flüssige und in steter Entwickelung begriffene Handelsrecht allseitig zu durchdringen. Sie hat ihm, so lange die Deutsche Kodifikation fehlte, den sehr hoch anzuschlagenden Vortheil eines festen Knochengerüstes von scharf begrenzten, wenn auch nicht selten allzu starren Rechtsbegriffen gewährt - ist dies durch die Kodifikation selbst im Wesentlichen gegeben, so pflegt sie sich mit einer rein dogmatischen Verarbeitung dieses krystallisirten Rechtsstoffes zu begnügen. Sie schlägt endlich, bei Thöl, in der dogmatischen Verarbeitung denjenigen Weg ein, welchen ich - im schärfsten Gegensatz zu der wahrhaft geschichtlichen, der ,genetischen' oder ,Entwickelungs-Methode' als die ,dogmatische Isolirungs-Methode' bezeichnen möchte, indem sie in der sicheren Herausarbeitung möglichst vieler scharf begrenzter Rechtssätze aus dem positiven Gesetz (Corpus juris, Handelsgesetzbuch u. dgl.) ihre wesentliche, wenn nicht gar einzige Aufgabe erblickt. Sie zwingt nicht, aber sie führt naturgemäß zu der überwiegend grammatischen Interpretation des Einzelgesetzes, in dessen formulirtem Wortlaut sie allein eine ausreichend sichere Grundlage findet. Sie liegt daher am nächsten auf dem Boden des kodifizirten Rechts, und gerade gegen die hier ausreichend klaren Gefahren dieser Methode ist ein gutes Stück Arbeit der historischen Schule, auch meiner eigenen Arbeit - selbstverständlich nicht gegen die von mir stets auf das Entschiedenste befürwortete Deutsche Kodifikation - seit mehr als 25 Jahren gerichtet,,287. Dies sei die Grundlage, auf der seine Kritik an 283 284 285 286
ZHR 28 (1882), ZHR 28 (1882), ZHR 28 (1882), ZHR 28 (1882),
S. 442 f. S. 443, s. auch S. 446 f., 447 f., 448. S. 443. S. 447 unten.
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Thöls "Handelsrecht" ruhe 288 . Thöls dagegen vorgebrachten Einwänden 289, gesteht er zu, daß sie den prinzipiellen Gegensatz zwar treffend charakterisierten, gelten lassen aber könne er sie nicht: Gegen Thöls Eintreten für die Legitimität der Darstellung des "geltenden Rechts" allein aus seinen verbindlichen Quellen heraus, neben denen sonstige Quellen nur als marginales Auslegungsmaterial berücksichtigt werden dürften, ist er der Ansicht, "daß die Rechtsgeschichte und die vergleichende Rechtswissenschaft ... auch in den Dienst des geltenden Rechts gestellt werden können und daß sie es müssen, falls das letztere voll erkannt werden soll"; denn er sei der Überzeugung, "daß die Rechtsinstitute und die einzelnen Rechtssätze nicht lediglich in der starren Ruhe des immer nur unvollkommen gesetzlich fixirten Dogma's betrachtet werden dürfen", weil das geltende Recht, auf dessen Darstellung Thöl sich beschränken wolle, "eben nur als Glied einer Entwickelungskette, also mit Vergangenheit wie Zukunft, richtig verstanden werden kann,,29o. Goldschmidt wehrt sich auch dagegen, daß Thöl den Schwerpunkt der grundsätzlichen Auseinandersetzung auf die unterschiedliche Auffassung von der Bedeutung der Gesetzesmaterialien als historische oder aktuell bedeutsame Zeugnisse für das Recht legen wolle, obwohl er das Werk Goldschmidts genau kenne. Denn es gehe nicht allein um diese Frage, "sondern um Erkenntniß von Prinzip und Zweck, endlich vollem Inhalt der Institute und Rechtssätze eben in ihrem geschichtlichen Zusammenhang. Die nicht geschichtliche Isolirungsmethode und die genetische Methode führen nothwendig häufig zu ganz verschiedenen Resultaten, weil die letztere weiter ausgreift, mehr Hilfsmittel bietet, um in ,die Natur der Sache', d. h. das wahre Wesen der Verkehrs- und der ihnen entsprechenden RechtsInstitute einzudringen, vielleicht spezifisch Anderes findet, als die auf das isolirte Gesetz sich beschränkende Dogmatik,,291. Als Beispiele dafür, zu welchen abweichenden Ergebnissen man aufgrund der divergierenden methodischen Ansätze gelangen könne, nennt Goldschmidt292 seine und Thöls Konnossementslehre, die Lehre vom Retentionsrecht und den Anlaß seiner Ausführungen, die unterschiedliche Beurteilung der Gültigkeit der Reglementsbestimmungen; denn gerade das Eisenbahn-Frachtrecht sei als junge Materie ein in der Ausgestaltung der einzelnen Rechtssätze zufallig anmutender Regelungskomplex, der sich nur erklären lasse aus den Zuständen, die zu seiner Kodifikation geführt hätten. Dieser Regelungskomplex sei in seinem Bestand abhängig von der weiteren Entwicklung der tatsächlichen Verhältnisse und lasse sich schon deshalb nicht allein aus der fixierten ZHR 28 (1882), S. 449. ZHR 28 (1882), S. 450. 289 Goldschmidt gibt sie, "um nicht wieder eines ,unrichtigen Referats' geziehen zu werden" (ZHR 28, S. 450), wörtlich wieder: ZHR 28 (1882), S. 450 f. = Thöl, Antikritik S. 39 f. 290 ZHR 28 (1882), S. 451. 291 ZHR 28 (1882), S. 451. 292 ZHR 28 (1882), S. 451 f. 287 288
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gesetzlichen Regelung heraus verstehen, wie das bei anderen Rechtsinstituten "von überwiegend typischer und daher mehr stabiler Natur" der Fall sein möge 293 . Am Ende seiner Rezension relativiert Goldschmidt seinen Vorwurf, Thöl fröne einem "Kultus des Wortes", indem er dessen Behauptung, er habe ihn der "Buchstabenjurisprudenz" geziehen, bestreitet: "Daß ein so scharfsinniger und geistvoller Analytiker, wie Thöl, nicht der mechanischen, geistlosen ,Buchstabeninterpretation' verfallen kann, daß er vielmehr den Willen des Gesetzgebers oder des ,Gesetzes' auch mit anderen Hilfsmitteln als der bloßen Grammatik und Etymologie festzustellen sucht, ist ebenso klar, als daß andererseits ich auch auf das Gesetzeswort ein sehr entschiedenes Gewicht lege und einen gesetzgeberischen Willen, der im Gesetz keinerlei Ausdruck gefunden hat, nicht als Gesetz anerkenne. Es handelt sich hierbei um eine nur relative Differenz, welche freilich an Bedeutung wächst, je weiter man von der dogmatischen Isolirungsmethode in der Richtung der genetischen Methode sich entfernt,,294. Als Beispiel nennt Goldschmidt die Analyse des in Art. 395 ADHGB benutzten Begriffs ,,höhere Gewalt". Er beschreibe nach Thöls eigener, zutreffender Charakterisierung einen Haftungsausschlußgrund, bei dem mehr "dunkel etwas gefühlt" als klar umschrieben werde 295 . Dieser Begriff lasse sich nicht aus sprachlichen und systematischen Analysen der sonstigen Regelungen des ADHGB allein 296 bestimmen. Dazu bedürfe es vielmehr der Heranziehung weiterer Gesichtspunkte, die außerhalb des eigentlichen Gesetzes lägen, insbesondere der Entwicklungsgeschichte dieses Begriffes 297 . Thöls maliziösem Einwand 298 , damit setze er sich zu seinen eigenen Bestrebungen in Widerspruch, die Aufnahme dieses Begriffes in das ADHGB zu verhindern 299 , gehe ins Leere, da der Gesetzgeber seiner Ansicht eben nicht gefolgt sei 3OO . Dieser Teil von Goldschmidts Rezension, in dem er sich mit der von Thöl angewandten Methodik auseinandersetzt, ist von Anhängern Goldschmidts immer wieder als eine Art methodisches Glaubensbekenntnis hervorgehoben worden 301 . Das ist sicherlich richtig, denn Goldschmidt gelingt hier ein Ausdruck seiner Ideen, der durchaus prägnanter ist als in seinen sonstigen methodischen Ausführungen; er hat ihn sogar auszugsweise in seine Universalgeschichte des Handelsrechts von 1891 übernommen 302 . Während Goldschmidt bislang 303 versucht hatte, seine Vorstellun293 294 295 296 297 298 299
300 301 302
303
ZHR 28 (1882), S. 452. ZHR 28 (1882), S. 455. Thöl, Handelsrecht III, S. 39 in Fußn. 2; ders., Antikritik S. 41 f., 42. Thöl, Handelsrecht III, S. 39 - 43, 248. ZHR 28 (1882), S. 455 f. Thöl, Antikritik S. 42. Receptum 1860, S. 385; Gutachten 1860, S. 113. ZHR 28 (1882), S. 456. Insbes. Riesser, passim; Sinzheimer S. 56 f. U.ö. Universalgeschichte 1891, S. 41. Handbuch, 1. Aufl. I 1, 1864 u. 2. Aufl., I, 1874, § 34.
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gen aus sich heraus zu entwickeln und die Gedanken anderer hauptsächlich angeführt hatte, um Parallelen zu den seinen aufzuzeigen, legt er seine Grundgedanken jetzt in einem ausgeprägten Gegensatz zu denen Thöls dar. Dadurch verleiht er ihnen schärfere Konturen als er ihnen bisher zu geben vermochte. dd) Die methodische Bedeutung der Auseinandersetzung Thöls Hinweis, daß das bislang von Wissenschaft und Praxis als gültig hingenommene Eisenb.-B.=R. von 1874 dringend der Überprüfung bedürfe, wurde von der zeitgenössischen Fachliteratur sofort aufgenommen; schon Goldschmidt hatte seine erste Rezension mit dem Aufruf beendet, den von Thöl gegebenen Anregungen nachzugehen 304 . Ihre Kontroverse löste daher nicht eine Diskussion der unterschiedlichen methodischen Ansätze aus, sondern eine solche der praktisch unmittelbar relevanten Frage, welche der Reglementsbestimmungen gültig seien und welche nicht. Die Methodenfrage rückte erst wieder in den Mittelpunkt des Interesses, als nach dem Tode Goldschmidts und Thöls in Rückblicken auf die Rechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts beide zu Exponenten verschiedener Methodenauffassungen gemacht und der Streit um die Gültigkeit des Eisenb.-B.=R.s 1874 als instruktivstes Beispiel für die Illustrierung dieses Gegensatzes herangezogen wurde. Angesichts der Bedeutung von Thöls Entdeckung war es dabei etwas vorschnell, wenn Freunde und Schüler Thöls dazu neigten, in diesem Streit Goldschmidts Kritik gegenüber der hier vorherrschenden Einseitigkeit Thöls den Vorzug zu geben 305 . Diese Einschätzung ist nur zutreffend, soweit sie sich auf den grundsätzlichen Teil von Goldschmidts Kritiken bezieht. Denn Goldschmidts Bezeichnung des gesetzespositivistisch-deduktiven Ansatzes Thöls im letzten Band von dessen "Handelsrecht" als "dogmatische Isolierungsmetho.de" charakterisiert dessen Vorgehensweise insofern treffend, als Thöls Auslegungsmiuel auf das Gesetz in seiner augenblicklich fixierten Form als gleichsam autarkes System beschränkt waren. Der ausgeprägt begriffliche Gesetzespositivismus, den Thöl in diesem Werk praktizierte, wurde zwar zu seiner Zeit noch nicht als überholt empfunden - insbesondere in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte und des Reichsgerichts wirkte er noch lange nach -, er widersprach jedoch erkennbar den zukunftsweisenden Entwicklungslinien, die nicht allein in der Wissenschaft des Handelsrechts, sondern in der gesamten Rechtswissenschaft in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts erkennbar waren 306 . Im allgemeinen Rechtsdenken finden sie ihren Niederschlag in der Entwicklung von der begriffs- zur zweckorientierten Jurisprudenz bei JheZHR 26 (1881), S. 613. Ehrenberg, Thöl S. 581 f.; Riesser S. 26 f. 306 Zur Entwicklung der Privatrechts wissenschaft s. Wieacker, Privatrechtsgeschichte S. 430 - 468; ders, Pandektenwissenschaft S. 55 ff. 304 305
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ring, im Strafrecht im "Schulenstreit" zwischen Binding und von Liszt 307 ; sie führten schließlich über die Interessenjurisprudenz Hecks zu den methodischen Auffassungen heutiger Rechtslehre und -praxis. Dennoch darf der prinzipielle Gegensatz zwischen Goldschmidt und Thöl nicht in der Weise überschätzt werden, wie dies von späteren Betrachtern der Kontroverse fast durchgängig geschehen ist308 . Denn auch die Auseinandersetzung zwischen Thöl und Goldschmidt darf nicht isoliert gesehen werden; sie ist nicht nur eingebettet in die Wissenschaft ihrer Zeit, sondern nur ein Ausschnitt aus den vielen Kontroversen zwischen Goldschmidt und Thöl, die eine Vielzahl von Streitfragen aus unterschiedlichen Teilgebieten des Handelsrechts betrafen. Die Relativität ihrer Kontroverse über das Eisenb.-B.=R. 1874 wird daher von Goldschmidt selbst gerade auf dem Höhepunkt dieser Auseinandersetzung betont309 . Tatsächlich argumentiert Goldschmidt innerhalb des positiven Rechts nicht selten ebenso "dogmatisch" wie Thö1 31O, dessen Beschränkung auf das Gesetz selbst als Auslegungsmittel umgekehrt darauf beruht, daß die von Goldschmidt immer wieder hervorgehobenen weiteren Gesichtspunkte in dessen Fassung eingeflossen sind. Gerade für Thöl ist jede Rechtsnorm, auch das vom staatlichen Gesetzgeber gesetzte Recht, "geltendes Recht" nur infolge seiner Akzeptanz durch die Betroffenen. Für Thöl ist daher alles Recht eigentlich Gewohnheitsrecht 311 ; als Voraussetzung dieser Akzeptanz sieht auch Thöl in erster Linie die Angemessenheit der Regelung an. Auch für Thöl sind deshalb die Entstehungsgeschichte einer Norm, vergleichbare Regelungen des ausländischen Rechts und die "Nützlichkeit" einer bestimmten Auffassung Gesichtspunkte, die bei der Auslegung zu beachten sind. Während Goldschmidt aber die Gleichwertigkeit aller dieser Gesichtspunkte postuliert, kommt ihnen bei Thöl nur subsidiäre Bedeutung zu: Bei der ,,rechts wissenschaftlichen Auslegung", d. h. der Auslegung eines Rechtssatzes aus außerhalb seiner selbst liegenden Gesichtspunkten 312 steht für Thöl obenan die logisch-systematische Auslegung, die den Rechtssatz in ein widerspruchsfreies System aus anderen, bereits erkannten Rechtssätzen zu integrieren sucht313 . Zu den "andem Thatsachen, aus welchen der Inhalt des Wortes gefunden werden kann", gehören dann erst in zweiter Linie "der Nützlichkeitsgrund des Rechtssatzes, der Anstoß zu demselben, der Rechtssatz, welcher die Quelle des auszulegenden, aber für das Gebiet des letztem nicht ein gültiger Rechtssatz ist (z. B. ein benutztes fremdes Gesetz)" und der vom allgemeinen Nützlichkeitsgrund zu unterscheidende "einzelne concrete Zweck, der durch den Rechtssatz erreicht werden sollte,,314. Der Kern der 307 308 309 310 311
312 313
s. KleinheyerlSchröder, Juristen S. 39 - 42, 41 u. 169 - 173, 170 f. m.w.N. Gercke, Thöl S. 65 - 68; Sinzheimer S. 56 ff.; Landsberg, Geschichte III 2, Text S. 632. ZHR 28 (1882), S. 455. Zutreffend Landsberg, Geschichte III 2, Text S. 340. Thöl, Volksrecht § 2, S. 6 - 14, § 20, S. 77 - 81 u.ö. Thöl, Einleitung § 60, S. 148 ff. Thöl, Einleitung S. 148 f.
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methodischen Differenzen zwischen Thöl und Goldschmidt liegt demnach in den unterschiedlichen Auffassungen über ihre Wertigkeit im Kanon der juristischen Auslegungsmittel. Vollends deutlich wird dies bei Thöls Ausführungen, für die Erkenntnis eines Rechtssatzes würden die Gesetzesmotive nur geringen Anhalt gewähren, da sie nicht selten auf uneinheitlichen Auffassungen in den Gesetzgebungskommissionen beruhten, unvollständig seien und ihrer Verwendung überhaupt entgegenstehe, "daß das Gesetz durch die Publication sich vom Gesetzgeber losreißt,,315. Eben diesen Satz hält Goldschmidt für unzutreffend 316 . Insoweit läßt sich Goldschmidt sogar in seinen methodischen Anschauungen als "konservativer" als Thöl charakterisieren. Denn die von ihm beanstandete begriffsjuristische Ausrichtung Thöls ist für ihn in erster Linie eine Abirrung von dem Weg der historischen Rechtserkenntnis, wie ihn Savigny zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Überwindung des Vernunftrechtsgedankens der Aufklärung mit der Neubegründung der deutschen Rechtswissenschaft gewiesen habe: "Thöl steht ... voll und ganz nicht auf dem Boden der historischen Schule, sondern auf dem der älteren Praktiker.. .,,317. Allerdings sieht sich Goldschmidt gezwungen, sich schon früh gegen den Vorwurf Thöls, einen dogmatisch nutzlosen Historismus zu treiben 318 , damit zu verteidigen, daß der Wert der historischen Forschung primär in der Erkenntnis der tatsächlichen Gegebenheiten liege, deren normative Ordnung das Recht ausmache319 . Tatsächlich hat Goldschmidt gerade diesen Ansatz durch seine umfangreiche Einbeziehung insbesondere wirtschaftswissenschaftlicher und politischer Gesichtspunkte gegenüber den Vorstellungen Savignys wesentlich ausgebaut. Während alle diese Gesichtspunkte für Thöl jedoch nur eine Voraussetzung dafür bilden, das als einmal akzeptiertes Gewohnheitsrecht nunmehr grundsätzlich unabhängig von ihnen bestehende "geltende Recht" richtig auf sie anwenden zu können, so ergibt sich für Goldschmidt dieses Recht erst aus der richtigen Erkenntnis der Lebensverhältnisse. Entsprechend unterschiedlich waren die Wege, die Thöl und Goldschmidt einschlugen, um die Rechtssicherheit zu wahren: Thöl erstrebte dies durch den möglichsten Ausschluß aller Gesichtspunkte, die eine aus dem geschriebenen Gesetz allein gewonnene Auslegung bedrohen konnten, Goldschmidt gerade umgekehrt durch das Bemühen, umfassend alle denkbaren Gesichtspunkte anzuführen und gegeneinander abzuwägen. Für ihre Fähigkeit, die Darstellung der jeweiligen Materie unter Kontrolle zu halten, hatten diese gegensätzlichen Bestrebungen eine nicht zu unterschätzende Bedeutung: Thöl beherrscht den Stoff, Goldschmidt läßt sich vom Stoff beherrschen. Wer zu einer streitigen Frage Goldschmidt zu Rate gezogen hat, weiß alles 314
Thöl, Einleitung S. 149.
Thöl, Einleitung S. 150. ZHR 28 (1882), S. 455. 317 ZHR 33 (1887), S. 500; vgl. Landsberg, Geschichte III 2, Text S. 631: ,,- als ob es für Thöl eine historische Schule gar nicht gegeben hätte", s. auch S. 632 - 634 u. Noten S. 273. 318 ZHR 28 (1882), S. 451. 319 Art. Savigny 1865, S. 105 f. 315
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über die entscheidungserhebliche Nonn; seine eigene Entscheidung ist ihm dadurch aber nicht leichter gemacht als durch die wenigen apodiktischen Sätze, die Thöl dieser Frage gewidmet hätte. Deshalb ist es symptomatisch, daß der letzte erschienene Teil von Thöls unvollendet bleibendem Hauptwerk zu einer erregten Kontroverse führt, dieThöl bei aller zur Schau getragenen Bitternis doch auch mit Freude am wissenschaftlichen Streit austrägt, Goldschmidt aber die Fortführung seines Hauptwerkes später wegen erdrückender Depression aufgeben muß. In der Kontroverse um das Eisenb.-B.=R. trafen mit Thöl und Goldschmidt eben nicht nur zwei Gelehrte aufeinander, deren sachliche Ansätze divergierten; fast wichtiger für das Verständnis der Auseinandersetzung ist die Erkenntnis, daß der persönliche Stil beider grundsätzlich dem des jeweils anderen entgegengesetzt war. Beide waren nicht zuletzt durch ihre persönliche Anlage zu besonders exponierten Vertretern unterschiedlicher Strömumgen der Rechtswissenschaft des letzten Jahrhunderts geworden. Thöls Art, jedes Problem auf seinen wesentlichen Kern zu reduzieren und sich bei der Darstellung auf diesen zu beschränken, bot Goldschmidt, wenn er anderer Auffassung war als Thöl, ideale Angriffspunkte, um seine umfangreichen Abwägungen den apodiktischen Aussprüchen Thöls entgegenzusetzen. Umgekehrt boten Goldschmidts extensive Erörterungen von Fragen, die oft über die eigentliche gesetzgeberische Entscheidung hinausführten, Thöls scharfen, jedes Wort auf die Goldwaage legenden Analysen zahlreiche Ansatzpunkte. Entgegen den Erwartungen, die man angesichts ihrer zahlreichen Kontroversen hegt, spielen die Unterschiede in den Sachfragen - auch was die Methodik anbelangt - beinahe eine untergeordnete Rolle oder doch jedenfalls keine größere als bei den literarischen Kontroversen zwischen anderen Schriftstellern des 19. Jahrhunderts. Zur Austragung des eigentlichen Methodengegensatzes kommt es daher erst 1880, als Thöls Methodik im dritten Band seines "Handelsrechts" vom Begriffs- in den Gesetzespositivismus umkippt und dies von Goldschmidt erkannt und dargelegt wird. Es zeugt von Thöls Größe, daß er trotz allen äußeren Widerstands gegen diese Kritik in seiner "Antikritik", seinem letzten Werk, diesen Standpunkt wieder verläßt und in Annäherung an Goldschmidts Vorstellungen zu seinen ursprünglichen Ansätzen zurückkehrt. Dies nicht ausreichend gewürdigt zu haben, fällt nicht allein Goldschmidt zur Last, sondern auch den zeitgenössischen und mehr noch späteren Beurteilern der Kontroverse, ist aber angesichts von Thöls Bestreben durchaus verständlich, die - berechtigten - Angriffe Goldschmidts in seiner Antikritik auch insoweit als unberechtigt, da auf falscher Wiedergabe beruhend darzustellen, als sie sich auf die Methodenfragen beziehen. Damit befand sich Goldschmidt nun seinerseits in der Rolle des zu Unrecht Angegriffenen und durfte sich berechtigt fühlen, seine Kritik gegen Thöl zu verteidigen. Das persönliche Verhältnis Goldschmidts zu Thöl hat unter der Kontroverse erstaunlich wenig gelitten32o . Beide waren sich der Grenzen der Bedeutung wissen320 Wenn beide betonen, es habe ihnen keine Freude gemacht, ihre jeweilige Antikritik zu verfassen (Thöl, Antikritik S. 3; Goldschmidt, ZHR 28, 1882, S. 456), sind das sicherlich keine Lippenbekenntnisse.
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schaftlicher Kontroversen bewußt, zumal die sich an ihren Streit anschließende wissenschaftliche Diskussion die Berechtigung von Positionen beider ergab. Goldschmidt zog noch zu Lebzeiten Thöls 321 dadurch einen Schlußstrich unter ihre Auseinandersetzung, daß er die Anzeige einer Schrift, die fast alle Beanstandungen Thöls als unbegründet zurückwies, mit dem Hinweis beendete, daß auch ihr Verfasser (Emil Steinbach) "die ja von keiner Seite in Zweifel gezogenen hervorragenden Verdienste Thöl's um die Wissenschaft des Handelsrechts überhaupt" anerkenne, und dessen Fazit, Kritik und Antikritik würden ihre "Versöhnung" darin finden, daß beide dem einen Ziel der besseren Erkenntnis des bestehenden und der Vorbereitung des künftigen Rechts gedient hätten, besonders hervorhob 322 . Auch auf seiten Thöls scheint die Erbitterung nicht lange angehalten zu haben 323 . Tatsächlich scheint Thöl, für den ohnehin allein die Sachfragen Gegenstand der Auseinandersetzung blieben, nicht nachtragend gewesen oder sich zumindest bewußt gewesen zu sein, daß nicht zuletzt sein Stil, Auseinandersetzungen zu führen, mit dazu beitrug, ihnen eine Schärfe zu geben, die sein jeweiliger Gegenpart gar nicht beabsichtigt hatte 324 . Als Thöl 1884 starb, verfaßte sein Schüler Victor Ehrenberg den Nachruf für die ZHR. Goldschmidt hatte - wohl auch aus Gründen der Pietät - davon Abstand genommen, selbst einen Nekrolog zu veröffentlichen. Dennoch gelang es ihm, im 33. Band der ZHR325 eine besondere persönliche Würdigung Thöls unterzubringen: Unter dem Deckmantel einer Rezension des als Sonderdruck erschienenen Nachrufs auf Thöl von Frensdorff würdigte er selbst noch einmal Persönlichkeit und Werk des Verstorbenen 326 : "Thöl war bekanntlich ebenso liebenswürdig, ja weich als Mensch, wie schroff und schneidend als Schriftsteller"; in dieser Eigenschaft sei sein "eigener auf angestrengter Geisteskonzentration beruhender Styl ... mehr Kunstprodukt" gewesen 327 . Thöl habe auch historische Rechtsquellen "durchweg 321 Goldschmidts letzte Rezension in dieser Sache, ZHR 29 (1884), S. 623 ff., ist zwar undatiert, doch stammt die nächste datierte Rezension (von Kindeis Besitzrecht, ZHR 30 (1885), S. 283 ff.) erst vom 1. 2. 1884 (S. 289). Thöl ist am 16. 5.1884 gestorben. 322 ZHR 29 (1884), S. 625 zu Emil Steinbach, (Besprechung von:) Thöl, Handelsrecht III, 1880, (und von:) Thöl, Handelsrechtliche Erörterungen ... , 1882, in: Zs. f. d. Priv.- u. öff. R. d. Ggw. 10 (1883), S. 199 - 224. 323 Der auf persönlichen Auskünften der Familie Thöls beruhende Nachruf von Karl Gareis findet die Kontroverse nicht einmal der Erwähnung wert. Nach Frensdorff, Art. Thöl, S. 51 soll Thöl aber immerhin "gekränkt" gewesen sein. 324 Auch das persönlich gute Verhältnis Thöls zu Georg Beseler lebte nach einigen Jahren der Verstimmung, die von Beseler ausgegangen war (Beseler, Erlebtes S. 52), wieder auf: Gareis, Thöl S. 10. Beselers Charakterisierung, Thöl habe seine Kritik in einer "scharfsinnig nörgelnden Weise" vorgebracht (Beseler, Erlebtes S. 52), ist zwar subjektiv überzogen, im Kern aber auch für Thöls Streit mit Goldschmidt durchaus treffend. 325 Neben zwei weiteren biographischen Würdigungen aus seiner Feder: Heidelberger Rechtslehrer, S. 167 ff. u. Zusatz zum Nachruf auf J. F. Voigt, S. 205. 326 Goldschmidt, Besprechung von Frensdorff, Erinnerung an Thöl, in: ZHR 33 (1887), S. 499 f. (geschrieben am 1. 10. 1886).
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im Sinne nicht der Entwickelung, sondern als statistisches Material" und, wie die neueren Gesetze, "rein dogmatisch und ... mechanisch als lex scripta für die Analyse und die dogmatische Synthese behandelt". "Ob gerade das Handelsrecht eine derartige Behandlung verträgt", so schließt Goldschmidt, "darüber wird ja wohl noch lange ein Meinungsstreit, wie er zu den bekannten Erörterungen zwischen Thöl und mir geführt hat, bestehen,,32s. Dieser Meinungsstreit ist indessen, sofern Goldschmidt das Schwergewicht auf den Gegensatz von selbstgenügsamer Dogmatik und historischer Genese legt, niemals entschieden worden. Nach Inkrafttreten der großen Privatrechtskodifikationen und dem Aufkommen von Interessenjurisprudenz und Freirechtsbewegung ist er beiseite gelegt worden wie viele andere Streitigkeiten des 19. Jahrhunderts auch 329 . Von einem eigentlichen Sieg der historischen Rechtsschule, wie ihn Landsberg noch 1910 unter ausdrücklicher Berufung auf die Wirkungen von Goldschmidts Werk feststellen zu können glaubt 330, kann nicht gesprochen werden.
327 Daß ein Autor die persönliche Veranlagung zur äußersten Knappheit haben kann, scheint Goldschmidt unvorstellbar gewesen zu sein. 328 ZHR 33 (1887), S. 500. 329 Bezeichnend etwa Hans Wüstendörfer im Vorwort zu seinen Studien zur modemen Entwicklung des Seefrachtvertrags, Bd. I, Dresden 1905 - 1909, S. V: "Wir haben das Handelsrecht nicht nur dogmatisch zu durchdringen mit Thöl, und es nicht nur genetisch zu verstehen mit Goldschmidt, wir haben es vor allem auch ... teleologisch zu würdigen"; zu Wüstendörfer (1875 - 1951) s. Landwehr, JuS 1987, S. 344 - 350. 330 Landsberg, Geschichte III 2, Text S. 979 - 981, 980.
Anhang
Schüler Goldschmidts, insbesondere: Max Weber und Philipp Heck Obwohl der unmittelbare Einfluß von Goldschmidts Lehren auf das geltende Recht mit dem Inkrafttreten der beiden großen Privatrechtskodifikationen, dem BGB von 1896 und dem HGB von 1897, am 1. Januar 1900 ebenso endete wie überhaupt die von der historischen Rechtsschule geprägte Methodik, hat Goldschmidts Denkweise über seine Schüler und deren Schriften noch über einen längeren Zeitraum hinweg Einflüsse auf die deutsche Rechtswissenschaft ausgeübt. Auf die große Bedeutung, die Goldschmidt der Ausbildung des juristischen Nachwuchses beimaß, und sein großes Engagement insbesondere in der Abhaltung von Universitätsübungen mit der Anfertigung schriftlicher Arbeiten, ist bereits hingewiesen worden. Besonders in Berlin nutzte Goldschmidt diese Übungen dazu, Themenkreise, mit denen er sich für geplante Veröffentlichungen gerade beschäftigte, in der Zusammenarbeit mit begabten Studenten zu vertiefen. Nicht selten gingen deshalb aus gelungenen Arbeiten, die von fortgeschrittenen Studenten in diesen Übungen angefertigt wurden, deren erste Veröffentlichungen hervor. Besonders augenfällig ist dies bei Silberschmidts Arbeit über die "Commenda" des mittelalterlichen Rechts, die Goldschmidt mit einem Vorwort versieht, in dem er auf den Zusammenhang dieser Arbeit mit seinen eigenen Forschungen hinweistl. Auch Paul Rehme weist in der Vorbemerkung seiner Schrift über "Die geschichtliche Entwikkelung der Haftung des Reeders,,2 darauf hin, daß ihr erster Entwurf in .einem rechtshistorischen Seminar Goldschmidts entstanden ist. In derselben Weise verlief die Entstehung der Erstlingsschriften zweier weiterer Schüler Goldschmidts, die hier besonders hervorgehoben seien: Auf einer in einer von Goldschmidt veranstalteten Übung gefertigten Arbeit beruht die Dissertation "Entwicklung des Solidarhaftprinzips und des Sondervermögens der offenen Handelsgesellschaft aus den Haushalts- und Gewerbegemeinschaften in den italienischen Städten", mit der Max Weber 1889 in Berlin denjuristischen Doktortitel erwirbt; sie erscheint noch im gleichen Jahr in einer erweiterten Druckausgabe unter dem Titel ,,zur Geschichte der Handelsgesellschaften im Mittelalter,,3. Weber hatte ab 1884 in Berlin studiert und an mehreren Übungen Vorwort zu Silberschmidt, Commenda, 1884, S. V. Stuttgart 1891, S. V (Danksagung an Goldschmidt); die §§ 8 - 21 über "Die Haftung des Reeders im Mittelalter" waren als Dissertation auch gesondert gedruckt worden. 1
2
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Goldschmidts teilgenommen 4 • Seine wissenschaftliche Erstlingsschrift aus dem Grenzgebiet von Rechts- und Wirtschaftsgeschichte zeigt in ihrer Verbindung rechtlicher und tatsächlicher Elemente den unmittelbaren Einfluß Goldschmidts, der Weber bei Abfassung der Arbeit vielfältig unterstützte, aber auch hohe Ansprüche an ihn stellte 5 . Später wird die These, daß nicht allein rechtliche, sondern auch ethische und religiöse Anschauungen ihre Grundlage stets in den tatsächlichen gesellschaftlichen Umständen ihrer Entstehung hätten, in den Mittelpunkt des Werkes von Max Weber rücken. Er wird damit zum eigentlichen Begründer nicht nur der Rechtssoziologie, sondern der Soziologie als selbständiger Wissenschaft überhaupt6 . Goldschmidts Einfluß auf Weber ist bleibend, wenn sich Weber in seinen juristischen Veröffentlichungen auch nur selten ausdrücklich auf Goldschmidt beruft. Goldschmidts Einfluß reicht bis in die Darstellung der Rechtssoziologie 7 in Webers Hauptwerk "Wirtschaft und Gesellschaft" von 1922 hinein 8 , in dem auch die Ergebnisse aus Webers Dissertation noch einmal gedrängt zusammengefaßt erscheinen9 . Goldschmidt wird darin zwar nur einmal, im Zusammenhang mit der Geschichte des Inhaberpapiers, namentlich erwähnt 10, doch verwertet Weber immer wieder den Grundgedanken von Goldschmidts gemischt "intuitiver" und ,,historischer" Methode, nach der die jeweiligen Wirtschafts- und Gesellschaftsverhältnisse darauf drängen, sich das ihnen angemessene Recht zu schaffen. Während diese Methode in Goldschmidts Schriften, insbesondere in seinem Handbuch des Handelsrechts aber eher aphoristisch entwickelt ist, da es Goldschmidt selbst primär nur um ihre Anwendung auf die Lösung konkreter Rechtsfragen oder die Analyse rechtshistorischer Tatbestände geht, wird dieser Ansatz von Max Weber vertieft und auf eine breite theoretische Grundlage gestellt. Sobald aber Weber seine Thesen durch Beispiele zu illustrieren sucht, tauchen die Ergebnisse von Goldschmidts rechtshistorischen Forschungen immer wieder auf, so z. B. der Hinweis, daß das römische Recht, das kein formell vom allgemeinen bürgerlichen Recht getrenntes Handelsrecht kennt, durchaus einzelne Rechtsinstitute ausdifferenziert ha3 Auch in: Max Weber, Gesammelte Aufsätze zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Tübingen 1924 (Neudruck 1988), S. 312 - 443. - Zu Entstehung u. Druckgeschichte von Webers Dissertation s. Wincke1mann, Dissertation, S. 10 - 12. 4 s. den eigenhändigen Lebenslauf Webers bei Winckelmann, Dissertation, S. 12. 5 Weber, Geschichte, S. I f. (S. 312 f.); Weber, Lebensbild S. 157; Marianne Weber, ebenda S. 120. 6 Zu Leben und Werk Webers (1864 - 1920) s. Baumgarten, Weber, 1964; Kleinheyer/ Schröder, Juristen S. 368 f. (Lit.). 7 Weber, Wirtschaft, Kap. VII, S. 387 - 513; s. hierzu Rehbinder, Weber, S. 127 ff., u. Schiera, Weber, S. 151 ff. 8 s. Kronstein Sp. 1751. 9 Weber, Wirtschaft, Kap. III § 6, S. 226 - 230, Kap. VII § 2, S. 425 f.; s. Marianne Weber, in: Weber, Lebensbild, S. 120. IO Weber, Wirtschaft, Kap. VII § 2, S. 408 f., 408.
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Anhang: Schüler Goldschmidts
be, die materiell dem Handelsrecht moderner Anschauung angehören, wie die actio exercitoria, die receptum-Haftung oder das Sonderrecht der römischen Argentarii 11; das katalanische "agerrnanament" und die Bodmerei als Beispiele für die in der "Natur der Sache" liegende Ausprägung typisch seerechtlicher Institute!2; der Zusammenhang zwischen Kodifikationsgedanke und Rezeption des Römischen Rechts und die Ansicht, daß entgegen der Konzeption des preußischen ALR das kodifizierte Recht so auszugestalten sei, daß es durch Wissenschaft und Praxis an eine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse angepaßt werden könne!3. Das zeigt, wie eng die Anbindung der Gedanken Webers an Goldschmidt und die Ergebnisse der deutschen und europäischen Handelsrechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts überhaupt ist. In seiner Rechtssoziologie entdeckt Max Weber damit nicht etwa erst Strukturen der Rechtsentstehung, deren zukünftige Beachtung er der Rechtswissenschaft schlechthin aufgibt, sondern er versucht umgekehrt, aus den Erkenntnissen, die die Rechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts aufgrund der "induktiven" und "genetischen" Methode gefunden hat, diese bisher nur vereinzelt erkannten Strukturen in ein allgemeines System zu bringen. Die Rechtssoziologie Max Webers ist ihrem Wesen nach deshalb nicht darauf ausgerichtet, neue Wege der Rechtserkenntnis in die bestehende Rechtswissenschaft erst einzuführen, sondern sie geht umgekehrt aus den bereits gewonnenen Erkenntnissen der Rechtswissenschaft hervor!4. Einer Hausarbeit in einer seerechtlichen Übung Goldschmidts entspringt eine Dissertation, die belegen soll, daß das geltende deutsche Haverei-Recht sich in seinen wesentlichen Zügen mit den Regeln des römischen Rechts der Lex Rhodia de iactu decke. Auch diese Dissertation wird noch vor ihrer Veröffentlichung wesentlich erweitert und zu einer umfassenden Monographie über "Das Recht der großen Haverei" umgestaltet, in der die ursprüngliche Dissertation nur noch Platz im Anhang findet. Ihr Verfasser ist Philipp Heck'5, der sich mit dieser Arbeit in Berlin zugleich habilitiert. Obwohl Heck zur Zeit der Abfassung dieser Arbeit nicht mehr in Berlin, sondern Assessor in Frankfurt am Main ist, entsteht sie doch in enger Zusammenarbeit II Weber, Wirtschaft, Kap. VII, § 2, S. 421 f.; vgl. Goldschmidt, receptum 1860 u. Universalgeschichte § 5 IV, S. 58 - 94, insbes. S. 71 f., 76 - 84. 12 Weber, Wirtschaft, Kap. VII, § 2, S. 425 f.; vgl. Goldschmidt, Lex Rhodia 1889. 13 Weber, Wirtschaft, Kap. VII, § 6, S. 487 - 495; vgl. Goldschmidt, Rechtsstudium 1887. 14 Die These Rehbinders, Weber S. 127, Max Weber habe ,,Recht und Rechtswissenschaft seiner Zeit gründlich verkannt", vermag ich deshalb nicht zu teilen. Sie scheint mir ihrerseits auf einem mangelnden Verständnis der spezifischen Fragen, vor denen die Rechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts stand, zu beruhen. Weber hat sich zudem in seinen Handelsrechtsvorlesungen auch als "Rechtsdogmatiker" bewährt; s. Schiera, Weber, S. 162 - 168. 15 Heck, Haverei, 1889 (§§ I - 56; Anhang I, § 57: Die lex Rhodia de jactu und ihre angeblichen Abweichungen vom heutigen Rechte; 11, § 58: Der Ursprung des Wortes Haverei; III, § 59: Ergebnisse für die Fortbildung des Rechts). - Zu Philipp Heck (1858 - 1943) s. insbes. Dubischar, Heck, S. 101 ff.; KleinheyerlSchröder, Juristen S. 115 - 119 m.w.N.
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mit Goldschmidt: Der erste Anhang über die Übereinstimmung der Grundprinzipien des römischen und des geltenden Rechts beruht auf Goldschmidts Ausführungen zu diesem Thema in seiner Abhandlung über die Lex Rhodia de jactu 16 . Umgekehrt hat Goldschmidt für seinen Aufsatz die noch unveröffentlichten Studien Hecks verwendet 17 • Wichtig ist aber auch Goldschmidts Einfluß auf den dogmatischen Hauptteil von Hecks Schrift 18 . Hier übernimmt Heck insbesondere im Kapitel über die dogmatische Einordnung des Rechtsinstituts der Haverei in das Privatrechtssystem die Idee Goldschmidts von einer "Gesetzlichen Gefahrsgemeinschaft"; sie baut Heck unter ständiger Berufung auf Goldschmidts Abhandlung über die Lex Rhodia zu einem allgemeineren Institut der rechtlichen "Zwangsgemeinschaft" aus 19. Auf weitere Gebiete scheint sich die Zusammenarbeit von Heck und Goldschmidt aber nicht erstreckt zu haben 2o ; dieser Unterschied zur Zusammenarbeit Max Webers mit Goldschmidt hat durchaus Einfluß auf die Haltung, die Heck im Unterschied zu Weber gegenüber den Leistungen der Rechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts einnimmt. Heck wird bald darauf zum Mitbegründer und einflußreichsten Vertreter der "Interessenjurisprudenz,,21, die die für Rechtswissenschaft und Rechtspraxis der Gegenwart wohl bedeutendste methodische Schule in der deutschen Rechtsgeschichte ist22 . Obwohl Heck später von den begrifflich-dogmatischen Untersuchungen seiner Berliner Habilitationsschrift nicht mehr viel hält, ist sie doch für die Beziehung zwischen seinen späteren methodischen Ausführungen und Goldschmidts Anschauungen von großem Interesse. Denn die Grundlegung seiner methodischen Ansichten faßt Heck schon im Vorwort zu seiner Habilitationsschrift 23 zusammen. Er habe sich nämlich, so Heck, bei ihrer Abfassung eine vornehmlich methodische Aufgabe gestellt: "Diejenige Auffassung des Rechts, welche seine Abhängigkeit von den menschlichen Bedürfnissen, die Bedeutung des Zweckmoments betont, ist keineswegs allgemein anerkannt"; er habe sie deshalb seiner Darstellung zugrundegelegt, und die Arbeit habe "ihm selbst nur Bestätigung und Bestärkung in dieser Grundanschauung gebracht,,24. Wenn die Betonung des Zweckmomentes auch einen deutlichen Verweis auf die Schriften des späteren Jhering enthält25 , so ist es 16 Heck, Haverei, S. 592 in Fußn.* a.E. u.ö.; auch der zweite Anhang, in dem Heck nachzuweisen sucht, daß das Wort "Haverei" arabischen Ursprungs sei, deckt sich in seiner Struktur mit Goldschmidt, Ursprünge 1882. 17 s. die Danksagung an Heck in Lex Rhodia 1889, S. 60 in Fußn. 45 a.E. 18 Vgl. Dubischar, Heck, S. 105 f. 19 Heck, Haverei, §§ 52 ff., S. 527 ff. 20 Dubischar, Heck, S. 106. 21 s. dazu insbes. Larenz, Methodenlehre S. 49 - 58. 22 Larenz, Methodenlehre S. 49,119 - 125,234 - 239. 23 Heck, Haverei, S. V - VII. 24 Heck, Haverei, S. V. 25 Zum Einfluß Jherings auf Heck s. Dubischar, Heck, S. 104; Larenz, Methodenlehre S. 49 f; Heck selbst in Begriffsbildung, S. 32 - 34, 32 f.
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doch gewiß kein Zufall, daß diese Gedanken sich im Vorwort einer von Goldschrnidt angeregten und betreuten Schrift finden; denn Goldschrnidt sympathisierte mit manchen der von Jhering kritisch geäußerten Thesen. Es ist freilich bezeichnend, wenn Max Pappenheim als derjenige von Goldschmidts Schülern, dessen Denken in handelsrechtlichen Fragen dem Goldschrnidts wohl am nächsten kommt, in seiner Rezension von Hecks Werk den von Heck postulierten scharfen Gegensatz zwischen konstruktivistischer und interessenorientierter Jurisprudenz relativiert: Hecks Forderung, daß die Angemessenheit des Ergebnisses im Hinblick auf die "Interessen", die einer Rechtsfrage zugrundelägen, das entscheidende sei, werde von den Vertretern aller in der Rechtswissenschaft vertretenen methodischen Richtungen als selbstverständlich angesehen; denn die juristische "Konstruktion" bringe die Lösung der Rechtsfrage nicht "durch eigene Kraft" hervor, sondern sei nur eine der Methoden, mit deren Hilfe das angemessene Ergebnis gefunden werde26 . Diese Einschätzung Pappenheims umreißt recht genau den Standpunkt Goldschrnidts. Heck selbst scheint es im Gegensatz zu Max Weber nie so recht bewußt geworden zu sein, wie sehr die von ihm als grundlegend neu empfundene Auffassung, daß das Recht eigentlich ein Mittel der Konfliktbewältigung widerstreitender Interessen sei, bereits in der handelsrechtlichen Literatur des ausgehenden 19. Jahrhunderts angelegt war. Seine Fehleinschätzung hatte für manche dogmengeschichtliche Auffassung späterer Zeit geradezu fatale Folgen, da sein einseitiges Bild von der Jurisprudenz des 19. Jahrhunderts als reine "Begriffsjurisprudenz" für die Folgezeit prägend geworden ist27 . Sie beruhte offenkundig darauf, daß Heck seine Studien zur Methodenlehre der Juristen des 19. Jahrhunderts allzu sehr auf die methodisch-allgemeinen Ausführungen in ihren Lehrbüchern beschränkte und deshalb - anders als Max Weber - nicht die Methoden und Begründungen genauer analysierte, deren sie sich tatsächlich bei der Behandlung einzelner konkreter Rechtsfragen bedienten 28 . Schon der Umstand, daß Praktiker seine ersten "begrifflichen" Versuche der Lösung von Rechtsproblemen als untauglich zurückwiesen 29 , hätte ihn stutzig machen und erkennen lassen müssen, daß die Jurisprudenz auch des 19. Jahrhunderts mehr an methodischen Ansätzen zu bieten hatte. Daß Heck indessen auch die methodischen Schriften des 19. Jahrhunderts nur schwerpunktmäßig, nämlich beschränkt auf Jhering und die Führer der "konstruktiven" Jurisprudenz kannte, wird in seiner Analyse der unterschiedlichen Anschauungen deutlich. Er stellt dort der "genetischen" Methode der historischen Rechts26 Pappenheim, Besprechung von: Ph. Heck, Das Recht der großen Haverei, in: ZHR 38 (1891), S. 329 - 332. 27 s. Larenz, Methodenlehre S. 49; Kleinheyer/Schröder, Juristen S. 117 f. 28 So der Kern der Kritik von Pappenheim, ZHR 38 (189\), S. 329 - 332. - Bezeichnend ist, daß Heck seinen Vetter Andreas von Tuhr, den Verfasser des grundlegenden drei bändigen Werkes zum Allgemeinen Teil des BGB, nur als "Romanisten" charakterisiert: Heck, Begriffsbildung, S. 33 in Fußn. 2. 29 Heck, Begriffsbildung, S. 33 in Fußn. 2 u. 3.
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schule, verstanden als die Erklärung der Genese der Rechtssätze aus dem widerspruchsfreien System des Volksgeistes, als Gegensatz die ,,induktive" Methode, verstanden als die Erklärung der Genese der Rechtssätze aus den Interessenkonflikten des tatsächlichen Lebens, gegenüber3o . Gerade Goldschmidts eigentümliche und, besonders im Hinblick auf den zutreffenden Teil von Hecks Kritik, zukunftsweisende Verbindung von "genetischer" und "induktiver" Auffassung der Rechtssätze scheint Heck nicht ins Bewußtsein gedrungen zu sein. Dies mag damit zusammenhängen, daß Heck der Gegenstand seiner Dissertation und Habilitationsschrift, das Seerecht unter besonderer Berücksichtigung der Regeln des römischen Rechts über den Seewurf, wenig lag, so daß er kein Interesse daran hatte, gerade auf diesem Gebiet die Arbeitsweise Goldschmidts über das Maß hinaus zu vertiefen, das er benötigte, um seine eigene Arbeit im Zusammenwirken mit Goldschmidt zu vollenden. Ein weiteres Indiz für dieses nur beschränkte Interesse Hecks ist, daß er sich später in seinen eigenen rechtshistorischen Arbeiten spezifisch germanistischen Materien zuwandte, die er bezeichnenderweise in einer unangemessen begrifflichen Art behandelte 31 .
30 Heck, Begriffsbildung, S. 159 f; zu Hecks "genetischer Interessentheorie" s. Larenz, Methodenlehre S. 51 . 53. 31 s. K. S. Bader, In memoriam Philipp von Heck, in: ZRG GA 64 (1944), S 538·545, 539 - 541; KleinheyerlSchröder, Juristen S. 118.
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Literatur- und Quellenverzeichnis Verzeichnis der insbesondere im biographischen Teil mehrfach benutzten oder wichtigeren Werke und der gedruckten Quellen, soweit sie nicht im Abkürzungsverzeichnis nachgewiesen sind. Schriften, die sich nur mit Goldschmidt befassen, sind nicht in das Literaturverzeichnis aufgenommen, sondern im Anhang e) zum Verzeichnis der Schriften Goldschmidts zusammengestellt. Die dort genannten Werke werden nur mit dem Namen des Autors zitiert. Die hier verzeichneten Titel werden im Text abgekürzt zitiert.
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- Studien zu Jhering und Gerber, Teil 2, Ebelsbach 1984. Lutz, J. (Hrsg.): Protokolle der Kommission zur Berathung eines allgemeinen deutschen Handelsgesetzbuches, Bd. 1 - 9 und Beilagenband, Würzburg 1858 - 1861. (Diese Ausgabe ist hinsichtlich der Protokolle - nicht der Anlagen - seitengleich mit der amtlichen Quartausgabe, s. zu den verschiedenen Ausgaben Goldschmidt, Handbuch, 2. Aufl., I, 1874, S. 124f.; dieser gegenüber ist sie handlicher, wenn auch genauso unübersichtlich. Diesem Übelstand ist auch nicht durch die 1987 von Wemer Schubert besorgte Neuausgabe der amtlichen Ausgabe abgeholfen worden, da auch ihr ein Inhaltsverzeichnis, ein Register und eine durchgehende Paginierung fehlen.) Mahr; Johannes (Hrsg.): Die Krokodile, Stuttgart 1987. Maier; Hans: Die ältere Deutsche Staats- und Verwaltungslehre, 2. Aufl., München 1980. Marcks, Erich: Ludwig Häusser, in: Heidelberger Professoren aus dem 19. Jahrhundert, 1. Bd., Heidelberg 1903, S. 281 - 354.
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Wolgast, Eike: Das bürgerliche Zeitalter (1803 - 1918), in: Semper Apertus, Bd. 11, S. 1-31. Ziegler, Karl-Heinz: Die römischen Grundlagen des europäischen Völkerrechts, in: lus Commune 4 (1972), S. I - 27. Zur Reform des Actiengesellschaftswesens: Drei Gutachten auf Veranlassung der Eisenacher Versammlung zur Besprechung der socialen Frage abgegeben von H. Wiener, Goldschmidt, Behrend. (Schriften des Vereins für Socialpolitik I), Leipzig 1873.
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Verzeichnis der Schriften Goldschmidts Das folgende Schriftenverzeichnis enthält in chronologischer Abfolge die Veröffentlichungen Goldschmidts sowie weitere Publikationen (insbesondere Kommissionsprotokolle), die Beiträge Goldschmidts enthalten. Die Reihenfolge richtet sich nach dem Zeitpunkt des Erscheinens; erst posthum erschienene Schriften sind nach der Zeit ihrer Entstehung eingeordnet, um einen Überblick über die jeweiligen Schwerpunkte des Wirkens Goldschmidts in den verschiedenen Stadien seiner Laufbahn zu vermitteln. Soweit Schriften nicht oder nicht mehr zugänglich sind oder die Autorschaft Goldschmidts zweifelhaft ist, ist darauf in den Anmerkungen verwiesen, desgleichen, sofern sich Abweichungen zu dem ausführlichen Schriftenverzeichnis von Pappenheim ergeben; ein Asterisk (*) bedeutet, daß die betreffende Schrift sich nicht in dem Schriften verzeichnis Pappenheims findetl. Soweit Rezensionen zu den jeweiligen Veröffentlichungen auffindbar waren, sind sie bei dem betreffenden Werk nachgewiesen. Die Werke Goldschmidts werden im Text mit Kurztitel und Angabe des Jahres, unter dem sie im Schriftenverzeichnis zu finden sind, zitiert, Rezensionen und kurze Anmerkungen auch nur nach FundsteIle und Erscheinungsjahr. Im Anhang sind einige weitere Angaben zu Materialien über Leben, Werk und Wirkung Goldschrnidts gesammelt.
1. Schriftenverzeichnis
1851 De societate en commandite Specimen I. Dissertatio inauguralis juridica quam venia et auctoritate Amplissimi Jureconsultorum Ordinis in Academia Fridericiana Halensi cum Vitebergensi consociata ad summos in Jure Civili Honores rite capessendos scripsit et die XXVII. M. Maji A. MDCCCLI una cum thesibus publice defendet auctor Levinus Goldschmidt Gedanensis. 80 (IV, 81 S.). Halle: Gebauer 1851. (Widmung: "Viro illustrissimo, eruditissimo J. A. C. Mittermaier ... nec non viro juris peritissimo R. Brinkmann ... praeceptoribus summe venerandis hunc Iibellum acadernicum pio gratoque animo auctor." - S. 77f.: Lebenslauf. - S. 79: Theses.)
1 Die beiden in Pappenheims Schriftenverzeichnis Goldschmidt zugeschriebenen Veröffentlichungen: (Anzeige v.) O. Wächter, Das Handelsrecht, ZHR 10 (1866), S. 604, u. "Handelsgesellschaften", Handwörterbuch der Staatswissenschaften Bd. IV, S. 285 - 304, stammen von Paul Laband.
Verzeichnis der Schriften Goldschmidts
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1855 Untersuchungen zur 1. 122 § I D. de V. O. (45,1). Geschrieben behufs der Habilitirung als Privatdozent in der juristischen Fakultät der Großh. Badischen Ruprecht-Carls-Universität zu Heidelberg von Dr. L. Goldschmidt. 8° (69 S.). Heidelberg: Bangel und Schmitt 1855. (Kurz darauf auch nur u.d.T.: Untersuchungen zur 1. 122 § I D. de V. O. (45,1). Von Dr. L. Goldschmidt, Privatdozenten in Heidelberg. 8° (70 S.). Heidelberg: Bangel und Schmitt 1855. Diese Ausgabe enthält auf S. 70 eine Druckfehlerberichtigung.) (Besprochen von: H. Mentz, in: Krit. Zs. f. d. ges. Rechtswiss. 3 (1856), S. 182 - 187.)
1856 Von der Verpflichtung der Unmündigen. In: AcP 39, S. 417 - 459. Anzeigen und Besprechungen: - Corpus Juris Visbyensis urbici et maritimi .... - Wisby stadslag och Sjöratt. Hrsg. v. C. J. Schlyter, Lund 1853. In: Krit. Zs. f. d. ges. Rechtswiss. 3, S. 28 - 56. - Caspar Weinreichs Danziger Chronik. Hrsg. und erläutert von Theodor Hirsch und F. A. Voßberg. In: Krit. Zs. f. d. ges. Rechtswiss. 3, S. 198 - 201; - W. Bornemann, Erörterungen im Gebiete des Preußischen Rechts, 1855; C. G. L. Meyer, Die Schrift in ihrer Bedeutung nach Preußischem Recht, 1855. In: Krit. Zs. f. d. ges. Rechtswiss. 3, S. 467 - 484. (*)
1857 Der Entwurf des Handelsgesetzbuchs für die Preußischen Staaten. In: Krit. Zs. f. d. ges. Rechtswiss. 4, S. 105 - 192,289 - 363. (Auch separat u.d.T.: Kritik des Entwurfs eines Handelsgesetzbuchs für die Preußischen Staaten. Ein Beitrag zur Revision der Grundlagen des Handelsrechts. Von Dr. L. Goldschmidt, Dozenten der Rechte in Heidelberg. Heidelberg: Bangel und Schmitt 1857. - Erste Abtheilung. (Separatabdruck aus der Kritischen Zeitschrift für die gesammte Rechtswissenschaft, Bd. IV. Heft 2.). (88 S.). - Zweite Abtheilung. (Separatabdruck aus der Kritischen Zeitschrift für die gesammte Rechtswissenschaft, Bd. IV. Heft 4.). (IV, 75 S.). Beide Abteilungen sind in den meisten Ausgaben zusammengebunden. Die Einleitung der Separatausgabe, 2. Abt., S. III f. fehlt in der Ursprungsfassung.) (Angezeigt von: S., in: Lit. Centralbl. Jg. 1857, Sp. 236.) (Anzeige von:) Die Präjudicien des Königlichen Ober-Tribunals. In: Krit. Zs. f. d. ges. Rechtswiss. 4, S. 53 - 58.
1858 Ueber die vertragsmäßige Beschränkung der Ersatzpflicht der Eisenbahnverwaltungen. In: AcP 41, S. 406 - 410. Zeitschrift für das gesammte Handelsrecht, hrsg. v. Dr. L. Goldschmidt, Docenten der Rechte in Heidelberg. Erster Band. Erlangen: Ferdinand Enke 1858. (Angezeigt von: (F. Hai)m(erl), in: Oesterr. Vjs. 2 (1858), Literaturblatt S. 2f.) Ueber die wissenschaftliche Behandlung des deutschen Handelsrechts und den Zweck dieser Zeitschrift. In: ZHR I, S. I - 24. 35*
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Verzeichnis der Schriften Goldschmidts
(Nachdruck in: ZHR 150 (1986), S. 15 - 38. U.d.T.: Über die wissenschaftliche Behandlung des deutschen Handelsrechts und den Zweck der Zeitschrift für das Gesammte Handelsrecht, in: Verm. Schr. 11, S. 1 - 25.) Der Kauf auf Probe oder auf Besieht. In: ZHR 1, S. 66 - 131,262 - 284, 386 - 455, 554 558. Danziger Seerechtsquellen aus dem 15. und 16. Jahrhundert. In: ZHR 1, S. 295 - 299. Anmerkungen zu: Gustav Vogt, Zur Theorie der Handelsgesellschaften, ZHR 1, S. 477 539. In: ZHR 1, S. 481, 482, 483, 494, 495, 497, 512 jeweils in Fußn.*. (*) Verhandlungen der Commission zur Berathung eines allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuches, die Ergänzung der allgemeinen Deutschen Wechselordnung und den Erlaß eines gemeinschaftlichen Gesetzes über kaufmännische Anweisungen betreffend. In: ZHR 1, S. 540 - 553. Anzeigen und Besprechungen: - J. H. Beschomer, Das Deutsche Eisenbahnrecht, 1858. In: ZHR 1, S. 195 - 198; - Kurze Anzeigen. In: ZHR 1, S. 198 - 202. (Darin Nr. 3, S. 199: Heinrich Thöl, Ausgewählte Entscheidungsgründe des OAG der vier freien Städte Deutschlands, 1857.) - Ladenburg, Die Anweisung und der gezogene Wechsel, 1858. In: ZHR 1, S. 610 - 617.
1859 Abhandlungen aus dem Civil- und Strafrecht. (Erstes - und einziges - Heft:) Das receptum nautarum, cauponum, stabulariorum. Festschrift zu C. J. A. Mittermaiers fünfzigjährigem Doctorjubiläum. Erlangen 18592 . (In nur 6 Exemplaren gedruckt; s. ZHR 3 (1860), S. 58 in Fußn.*), u. unten 1860.) Der Lucca=Pistoja=Actien=Streit. Handelsrechtliche Erörterungen von Dr. L. Goldschmidt, Dozenten der Rechte in Heidelberg. 8° (VII und 108 S. nebst einem Anhang von LXXV S. mit 2 Beilagen in 4°). Frankfurt a. M.: Sauerländer 1859. (Angezeigt von: - Hamburger Nachrichten, Nr. 221, Hamburg, Sonnabend, den 17. September 1859, Titelseite, Sp. 4 und 5 unten; - S., in: Lit. Centralbl. Jg. 1860, Sp. 105f.; - Dr. H. K., in: Oesterr. Vjs. 5 (1860), Literaturblatt S. 100 - 102.) (Gegenschriften: - Blum und Friedleben, Zur Widerlegung der Druckschrift von Dr. L. Goldschmidt, betitelt: Der Lucca-Pistoja-Eisenbahnstreit, Frankfurt a.M. 1860; - Rudolf Jhering, Der Lucca=Pistoja Eisenbahnstreit. Ein Beitrag zu mehreren Fragen des Obligationenrechts, insbesondere der Theorie des dolus und der Lehre von der Stellvertretung. In: Arch. f. prakt. Rechtswiss., N. F. 4 (1867), S. 225 - 334.) Das preußische Recht und das Rechtsstudium, insbesondere auf den preußischen Universitäten. In: Preuß. Jbb. 3, S. 29 - 57. (Wie zu dieser Zeit in den Preuß. Jbb. üblich, anonym erschienen. Goldschmidt hat später wiederholt auf seine Urheberschaft hingewiesen, s. etwa Das dreijährige Studium, 1878, S. 7.) Zeitschrift für das gesammte Handelsrecht, hrsg. v. L. Goldschmidt. Zweiter Band. Erlangen 1859.
2
s. Schriftenverzeiehnis von Riesser S. 52.
Verzeichnis der Schriften Goldschmidts
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Zusatz zu: S. Borchardt, (Anzeige von) C. C. E. Hiersemenzel, Zur Lehre vom kaufmännischen Commissionsgeschäfte, Leipzig 1859, ZHR 2, S. 186f. In: ZHR 2, S. 188f. Anzeigen und Besprechungen: - W. Koch, Deutschlands Eisenbahnen, 1. Abth., 1858. In: Krit. Zs. f. d. ges. Rechtswiss. 5, S. 219 - 225. - Th. Hirsch, Danzigs Handels- und Gewerbsgeschichte unter der Herrschaft des deutschen Ordens, 1858. In: ZHR 2, S. 174 - 177. - J. E. Kuntze, Dasjus respondendi in unserer Zeit, 1858. In: ZHR 2, S. 185f. - Heise's Handelsrecht, 1858. In: ZHR 2, S. 457f. - J. Staudinger, Die Rechtslehre vom Lebensversicherungsvertrag, 1858. In: ZHR 2, S. 462464. - A. Schliemann, Kritische Bemerkungen zum Entwurf eines ADHGB, 1858. In: ZHR 2, S.464f. - W. Koch, Deutschlands Eisenbahnen, 1. Abth.; 2. Th., 1. Abth., 1858; 1859. ZHR 2, S. 466 - 470.
1860 Gemeinsame deutsche Gesetzgebung und Rechtseinheit. In: Wochenschrift des Nationalvereins. Jg. 1860, Nr. 17, Frankfurt a.M. 1860, S. 131 re. Sp. - 134 Ii. Sp. (Gezeichnet nP.G.,,)3. Zeitschrift für das gesarnmte Handelsrecht, hrsg. v. Dr. L. Goldschmidt, Professor der Rechte in Heidelberg. Dritter Band. Erlangen 1860. (1. und 2. Heft angezeigt von: J. A. Gruchot, in: Beitr. Preuß. R. 4 (1860), S. 18Jf.) Das receptum nautarum, cauponum, stabulariorum. In: ZHR 3, S. 58 - 118, 329f., 331 385. (Auch in: Verm. Sehr. 11, S. 397 - 502; die ZHR 3, S. 329f. angegebenen Berichtigungen und Zusätze sind in dem Wiederabdruck nur zum Teil berücksichtigt.) Zusatz zu: Zum Lucca-Pistoja-Actien-Streit (anonym), ZHR 3, S. 135 - 147. In: ZHR 3, S. 135 Fußn.*, 147 - 154. Der erste Preußische Handelstag. In: ZHR 3, S. 520 - 533. Gutachten über den Entwurf eines Deutschen Handelsgesetzbuchs nach den Beschlüssen zweiter Lesung. Dem Großherzl. Badischen Ministerium der Justiz erstattet von Dr. L. Goldschmidt, Dozenten der Rechte in Heidelberg. Beilageheft zur Zeitschrift für das gesammte Handelsrecht Band III. 8° (116 S.). Erlangen: Ferdinand Enke 1860. (Häufig in ZHR 3 eingebunden.) (Angezeigt von: - Neues Magazin für hannoversches Recht, Bd. I, Hannover 1860, S. 169f.; - Str., in: Lit. Centra1bl. Jg. 1861, Sp. 57f.) Anzeigen und Besprechungen: - Her(r)mann Fitting, Die Natur der Korrea1obligationen, 1859. In: ZHR 3, S. 267 - 276. - Beiträge zur Erläuterung des Preußischen Rechts, hrsg. v. J. A. Gruchot, Jg. 1- III, 1857 1859. In: ZHR 3, S. 279f. - C. Dietzel, Die Besteuerung der Aktien-Gesellschaften, 1859. In: ZHR 3, S. 295 - 298. 3 s. Schriften verzeichnis von Pappenheim, Nr. 27.
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Verzeichnis der Schriften Goldschmidts
- H. Fick, Stellung einer nur theilweise fehlerhaften Waarensendung zur Disposition des Verkäufers, Arch. f. Dt. WR u. HR 8 (1859), S. 21 - lll, 129 - 172, 443f. In: ZHR 3, S. 298305. (*) - Entwurf eines Handelsgesetzbuchs für die Preußischen Staaten. Nebst Motiven. I. und 2. Tb. In: ZHR 3, S. 306. - E. Hoffmann, Ausführliche Erläuterung der ADWO, 1859. In: ZHR 3, S. 618f. - J. Glaser und J. Unger, Sammlung von Civilrechtlichen Entscheidungen des k. k. obersten Gerichtshofes, 1859. In: ZHR 3, S. 619f. - Hamburgische Gerichtspraxis, I. Bd., 1859. In: ZHR 3, S. 620. - S. Borchardt, Die ADWO, 2. Aufl., 1860. In: ZHR 3, S. 620f. - C. Güterbock, Ueber einige in der Praxis hervorgetretene Mängel des Preuß. Konkursverfahrens, 1860. In: ZHR 3, S. 62lf. - M. v. Stubenrauch, Lehrbuch des österr. Privathandelsrechts, 1859. In: ZHR 3, S. 622 624.
1861 Zeitschrift für das gesammte Handelsrecht, hrsg. v. L. Goldschmidt. Vierter Band. Erlangen 1861. Vorwort des Herausgebers. In: ZHR 4, S. III - VI. Die Haftungspflicht der Eisenbahnverwaltungen im Güterverkehr. In: ZHR 4, S. 569 - 660. Bericht der Vorcommission des ersten deutschen Handelstags über die Einführung des Entwurfs eines allgemeinen deutschen Handelsgesetzbuchs und die Organisation von Handelsgerichten. In: Verhandlungen des ersten deutschen Handelstags zu Heidelberg, vom 13. bis 18. Mai 1861, Berlin 1861, S. 101 - 105. (*) Wortmeldungen und Beiträge. In: Verhandlungen des ersten deutschen Handelstags zu Heidelberg, vom 13. bis 18. Mai 1861, Berlin 1861, S. 14, 18f., 24, 58 - 62 (Referat über den Bericht der Vorkommission), 66, 75 - 77 (Stellungnahme zur Diskussion), 78,79,81,82,84, 85, 85f., 88f. Nachtrag zu den handelsrechtlichen Erörterungen über den Lucca=Pistoja=Aktien=Streit. Von L. Goldschmidt, Professor der Rechte in Heidelberg. 8° (51 S.). Frankfurt a. M.: Sauerländer 1861. (Meist an Der Lucca=Pistoja=Actien=Streit, 1859 angebunden.) Die deutsche Hansa. (Ein Vortrag von Professor Goldschmidt in Heidelberg.) In: Preuß. Jbb. 9, S. 528 - 557. (Auch separat u.d.T.: Die deutsche Hansa. Vortrag zum Besten der deutschen Flotte, gehalten im Museumssaale zu Heidelberg am 28. Dez. 1861. Berlin: Georg Reimer 1861.)4 Anzeigen und Besprechungen: - C. H. L. Brinckmann, Lehrbuch des Handelsrechts. Fortgesetzt von W. Endemann, Heidelberg 1853 - 1860. In: ZHR 4, S. 467 - 472. - Fr. A. Wengier, Beiträge zur Lehre vom Speditionsgeschäft, 1860. In: ZHR 4, S. 481 - 484.
4 s. Schriftenverzeichnis von Riesser S. 52.
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1862 Ueber 1. II § 6 D. quod vi aut c1am. In: Jb. d. gern. Dt. R. 5, S. 132 - 136. Encyc10pädie der Rechtswissenschaft im Grundriss. Von Dr. L. Goldschmidt, Professor der Rechte in Heidelberg. 8° (VIII und 164 S.). Heidelberg: Bangel und Schmitt 1862. (Besprochen von: - Lit. Centralbl. Jg. 1862, Sp. 960f.; - L. A. Warnkönig, in: Krit. Vjs. f. Gesetzgebung u. Rechtswiss. 5 (1863), S. 114 - 124.) Zeitschrift für das gesammte Handelsrecht, hrsg. v. L. Goldschmidt. Fünfter Band. Erlangen 1862. Zusatz des Herausgebers. (Zu: V. Platner, Ueber das Wort Ausland im Sinne der Art. 84 86 d. A.D.W.O., ZHR 5, S. 64 - 77.). In: ZHR 5, S. 77f. (*) Der erste Deutsche Handelstag. In: ZHR 5, S. 183 - 197. Der Abschluß und die Einführung des allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuchs. - Erster Artikel. In: ZHR 5 (1862), S. 204 - 227. - Zweiter Artikel. (Preußen.) In: ZHR 5 (1862), S. 515 - 584. - Dritter Artikel. (Nassau.) In: ZHR 6 (1863), S. 41 - 64. - Die Einführung des deutschen Handelsgesetzbuchs im Königreich Bayern. In: ZHR 6 (1863), S. 388 - 412. - Die Einführung des Deutschen Handelsgesetzbuchs in Hamburg. (Miszelle.) In: ZHR 8 (1865), S. 217f. Neue Gesetze und Gesetzentwürfe. In: ZHR 5, S. 318 - 322. Der Abschluß und die Einführung des allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuchs. Zweiter Artikel. (Preußen.): s. o. ZHR 5, S. 204ff. (Einleitung zu:) Das Reglement für den Vereins-Güter-Verkehr auf den deutschen Eisenbahnen, ZHR 5, S. 588 - 606. In: ZHR 5, S. 588 - 591. Anzeigen und Besprechungen: - R. Fischer, Corpusjuris für Kaufleute, 1861. In: ZHR 5, S. 297 - 299. - W. Röhrich, Abriß der Handelswissenschaft, 1861. In: ZHR 5, S. 299f. - A. de Vries en J. A. Molster, Magazijn van handelsregt. Eerste deel, Amsterdam 1859. In: ZHR 5, S. 3OOf. - Neues Archiv für Handelsrecht. 1- III, Hamburg 1858 - 1861. In: ZHR 5, S. 30lf. - Zeitung des Vereins Deutscher Eisenbahnverwaltungen. In: ZHR 5, S. 302f. - Hamburgische Gerichtszeitung, hrsg. v. J. Nathan, 1861. In: ZHR 5, S. 303. - Meißner, Allgemeine europäische Wechselpraktik, 2. Aufl., 1860. In: ZHR 5, S. 304 - 306. - W. Ullrich, Sammlung von seerechtlichen Erkenntnissen des Handelsgerichts zu Hamburg, 2. Heft, 1861. In: ZHR 5, S. 306. - A. C. Holtius, V(o)orlezingen over Handels- en Zeeregt, Utrecht 1861. In: ZHR 5, S. 627f. - G. Carnazza Puglisi, I principii dei diritto commerciale I, Catania 1861. In: ZHR 5, S.629f. - W. Auerbach, Das Gesellschaftswesen in juristischer und volkswirthschaftlicher Hinsicht, 1861. In: ZHR 5, S. 634 - 641. - H. C. Herrmann, Anleitung für die Notariatspraxis, 1861. In: ZHR 5, S. 642. - J. Wertheim, Manuel a l'usage des consuls des Pays-Bas, Amsterdam 1861. In: ZHR 5, S.642f.
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Verzeichnis der Schriften Goldschmidts
1863 Zeitschrift für das gesammte Handelsrecht, hrsg. v. L. Goldschmidt. Sechster Band. Erlangen 1863. Der Abschluß und die Einführung des allgemeinen deutschen Handelsgesetzbuchs. Dritter Artikel: s. 1862. Die Einführung des deutschen Handelsgesetzbuchs im Königreich Bayern: s. 1862. Die Literatur des allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuchs. (B. Schilling, ADHGB erläutert, 1861; Bornemann, Waldeck, Strohn, Bürgers, Das ADHGB mit Erläuterungen, 1862; H. Makower u. S. Meyer, Das ADHGB, 1862; R. Weinhagen, Das neue Preuß. Handelsrecht, 1862; B. Miller, Das ADHGB, 1862; R. Kräwel, Das ADHGB, 1862; Fr. von Hahn, Commentar zum ADHGB, 1. Bd., Abth. 1, 1862; Heinrich Thöl, Das Handelsrecht in Verbindung mit dem ADHGB dargestellt, 1. Bd., 4. Aufl., 1862; ADHGB und ADWO für das Großherzogtum Baden, 1862; G. Löhr, Centralorgan für den Deutschen Handelsstand, 1862ff.; Archiv für Theorie und Praxis des allgemeinen Deutschen Wechselrechts, hrsg. v. Raule, Gerber, Busch, 1. Bd., 1. Heft, 1862.) In: ZHR 6, S. 324 - 332. Neue Gesetze und Gesetzentwürfe. In: ZHR 6, S. 35lf. (*) Der Lucca=Pistoja=Aktienstreit. (Miscelle.) In: ZHR 6, S. 357. (*) Zur Geschichte des Italienischen Wechsels in Süddeutschland. In: ZHR 6, S. 540 - 545. (*) Anzeigen und Besprechungen: - J. E. Kuntze, Deutsches Wechselrecht, Leipzig 1862. In: ZHR 6, S. 334 - 343. - F. Serafini, Il telegrafo in relazione alla giurisprudenza civile e commerciale, Pavia 1862. In: ZHR 6, S. 625 - 629.
1864 Friedrich Carl von Savigny. (Vortrag, gehalten im Museumssaale zu Heidelberg5 .) (1864). In: Verm. Schr. I, S. 619 - 649. (Vgl. 1865.) Handbuch des Handelsrechts. Von Dr. L. Goldschmidt, a.o. Professor der Rechte in Heidelberg. Erster Band, erste Abtheilung, enthaltend die geschichtlich-literärische Einleitung und die Grund1ehren. 8° (XXVI und 524 S.). Erlangen: Ferdinand Enke 1864. ("Seinen Freunden Professor Hermann Fitting in Halle und Professor Otto Stobbe in Breslau zugeeignet. ") Besprochen von: - Anschütz, Ueber Goldschmidts Handbuch des Handelsrechts, in: Krit. Vjs. f. Gesetzgebung u. Rechtswiss. 6 (1864), S. 399 - 413; - Randa, in: Oesterr. Vjs. 18 (1866), Literaturblatt S. 7 - 9; - Hoffmann (App.=Ger.=Rath), in: Beitr. Preuß. R. 8 (1864), S. 478 - 483; - Lesse, in: Arch. f. Th. u. Prax. HR 3 (1864), S. 352 - 356.) Zeitschrift für das gesammte Handelsrecht, hrsg. v. L. Goldschmidt. Siebenter Band. Erlangen 1864. Anzeigen und Besprechungen: - C. M. A. Gad, Handbuch des Allgemeinen deutschen Handelsrechts, 1. Th., 1863. In: ZHR 7, S. 176 - 178. - W. Auerbach, Das Neue Handelsgesetz, I. Abth., 1863. In: ZHR 7, S. 178f. 5
s. Schriftenverzeichnis von Riesser S. 53.
Verzeichnis der Schriften Goldschmidts
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- C. F. Koch, ADHGB, 1863. In: ZHR 7, S. 179 - 181. - C. M. A. Gad, Die Haftpflichtderdeutschen Postanstalten, 1863. In: ZHR 7, S. 189. - L. Freund, Lug und Trug vom Standpunkte des Strafrechts und der Geschichte, I. Bd., 1863. In: ZHR 7, S. I 89f. - F. Serafini, Le telegraphe etc. Trad. et annot. par Lavialle de Lameillere, Paris 1863. In: ZHR 7, S. 191f. - E. Stern, Die kaufmännische Buchführung, 3. Aufl., 1863. In: ZHR 7, S. 191 f.
1865 Savigny. In: Deutsches Staats-Wörterbuch, hrsg. v. J. C. Bluntschli und K. Brater. Neunter Band, Stuttgart und Leipzig 1865, S. 98 - 109. Gutachten des Professor Dr. Goldschmidt zu Heidelberg über die Aufhebung der Wuchergesetze. In: Verhandlungen des Sechsten Deutschen Juristentages. Erster Band, Berlin 1865, S. 227 - 271. Zeitschrift für das gesammte Handelsrecht, hrsg. v. L. Goldschmidt und P. Laband. Achter Band. Erlangen 1865. Die Einführung des Deutschen Handelsgesetzbuches in Hamburg: s. 1862. Der Entwurf eines Schweizerischen Handelsrechts. In: ZHR 8, S. 218f. Der Stand der Wuchergesetzgebung in Deutschland. In: ZHR 8, S. 219 - 221. (*) Ueber die Organisation und Zusammensetzung der Handelsgerichte. In: ZHR 8, S. 221f. (*) Ueber den Erwerb dinglicher Rechte von dem Nichteigenthümer und die Beschränkung der dinglichen Rechtsverfolgung, insbesondere nach handelsrechtlichen Grundsätzen. In: - ZHR 8 (1865), S. 225 - 343. - ZHR 9 (1866), S. 1 -74. Sind Stationen eines Eisenbahnunternehmens als Zweigniederlassungen zu betrachten und im Handelsregister anzumelden? H.G.B. Art. 21. In: ZHR 8, S. 548 - 550. (*) Anzeigen und Besprechungen: - Deutsches Privatrecht von Bluntschli. 3., durch Aufnahme des Handels- und Wechselrechts erweiterte Aufl., besorgt von F. Dahn, München 1864. In: ZHR 8, S. 200 - 202. - A. Mensching, Das Deutsche Handelsgesetzbuch zum praktischen Gebrauch, 2. Aufl., 1864. In: ZHR 8, S. 202 - 204. - M. v. Stubenrauch, Handbuch des österr. Handels-Rechtes, Wien 1863. In: ZHR 8, S. 204206. - A. Brix, Das allgemeine Handelsgesetzbuch vom Standpunkt der österr. Gesetzgebung erläutert, Wien 1864. In: ZHR 8, S. 206. - H. Makower, Das ADHGB, 2. Aufl., I. Abth., 1864. In: ZHR 8, S. 206f. - Ed. Schön, Das ADHGB und die Wiener Börse, Wien 1864. In: ZHR 8, S. 207f. - H. Jaques, Die Rechtsverhältnisse der mit Zinsengarantie versehenen Eisenbahn-Actiengeseilschaften und die österr. Eisenbahnpolitik, Wien 1864. In: ZHR 8, S. 208 - 211. - F. W. Laymann, ADWO nebst Commentar, 1864. In: ZHR 8, S. 211. - J. Peitler, Sammlung der wechsel rechtlichen Entscheidungen des österr. obersten Gerichtshofes, Wien 1864. In: ZHR 8, S. 211. - H. Blodig, Die vier ersten Bücher des ADHGB, Wien 1865. In: ZHR 8, S. 649f. - Bremer Handelsarchiv, hrsg. v. V. Böhmert. Bd. II, 1865. In: ZHR 8, S. 650f. - S. Borchardt, Die ADWO, 4. Aufl., Berlin 1865. In: ZHR 8, S. 651.
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Verzeichnis der Schriften Goldschmidts
1866 Grundriß zu Vorlesungen über Handelsrecht mit Einschluß des Wechsel-, See- und Versicherungsrechts von Dr. L. Goldschmidt, Professor der Rechte in Heidelberg. 2., vermehrte Auflage. Heidelberg: Bangel und Schmitt 1866. 6 (*) Zeitschrift für das gesammte Handelsrecht, hrsg. v. L. Goldschmidt und P. Laband. Neunter Band. Erlangen 1866. Ueber den Erwerb dinglicher Rechte von dem Nichteigenthümer: s. 1865. Zur Frage von den Handelsgerichten (w. J. GenseI, Hauser, A. Leonhardt, C. Fr. J. Götting). In: ZHR 9, S. 203 - 208. (Rezensionsaufsatz. ) Der Entwurf eines Schweizerischen Handelsrechts und dessen Motive. In: ZHR 9, S. 633 641. Zeitschriften und periodische Sammlungen von Rechtssprüchen. In: ZHR 9, S. 645 - 649. Zeitschrift für das gesammte Handelsrecht, hrsg. v. Dr. L. Goldschmidt, ordentl. Professor der Rechte in Heidelberg, und P. Laband. Zehnter Band. Erlangen 1866. Ueber die Benutzung der Berathungsprotokolle für die Interpretation des deutschen Handelsgesetzbuchs. In: ZHR 10, S. 40 - 57. (Auch in: Verm. Sehr. 11, S. 53 - 72.) (Anmerkung zu:) F. Mittermaier, Englisches Gesetz vom 5. Juli 1865 über die Handelsgesellschaft (stille Gesellschaft), ZHR 10, S. 124 - 128. In: ZHR 10, S. 128 Fußn. *. (*) Würdigung von: Kgl. Preuß. Verordnung vom 12. Mai 1866 über die vertragsmäßigen Zinsen, ZHR 10, S. 128 - 131. In: ZHR 10, S. 130f. Die Werke des Casaregis. In: ZHR 10, S. 468 - 471. Gutachten in Sachen der Firma Melly Forget & Co. wider die Baumwollspinnerei Cham. (Lieferungsvertrag; Abgangsklausel: depart decembre; Abladeklausel; Rücktritt bei nicht präzisem Lieferungstermin ; Abgang mit einem speziell bezeichneten Schiffe.) (1866.) In: Verm. Sehr. I, S. 477 - 509. Anzeigen und Besprechungen: - G. Lehmann, Der Notstand des Schädenprocesses und der Entwurf der Kgl. Sächs. Ci vilproceßordnung, 1865. In: ZHR 9, S. 208f. - H. Makower, Das ADHGB, 2. Aufl., 2. Abth., 1865. In: ZHR 9, S. 642f. - Das Handelsregister nach dem allgemeinen Handelsgesetzbuche. Gutachten der HandeIsseetion der Handels- und Gewerbekammer in Prag, hrsg. v. E. Schebeck, Prag 1866. In: ZHR 9, S. 643f. - A. Lindwurm, Grundzüge der Staats- und Privatwirthschaftslehre, 1866. In: ZHR 10, S.170-172. - Rentzseh, Handwörterbuch der Volkswirthschaftslehre, 1866. In: ZHR 10, S. 172f. - H. Pemsel, Die Fassung des Bucheides, 1866. In: ZHR 10, S. 173. - A. Mensching; Abriß des deutschen Handelsrechts, 1866. In: ZHR 10, S. 604 - 606. - Die Commissionsberichte und weiteren Verhandlungen über die Einführung des ADHGB in Harnburg mit dem Einführungsgesetze, Harnburg 1866. In: ZHR 10, S. 606. - (August Sutor,) Die Errichtung des Handelsgerichts in Hamburg, 1866. In: ZHR 10, S. 607. - G. Krug, Ueber den Schutz der Fabrik- und Waarenzeichen, 1866. In: ZHR 10, S. 608f. - C. P. Kheil, Die Lehre von der Buchführung, Prag 1866. In: ZHR 10, S. 609. 6
s. H. Keyßner, Vollständiges Inhaltsverzeichniß zur ZHR, 11. - 15. Bd., Erlangen 1871,
S. III.
Verzeichnis der Schriften Goldschmidts
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- N. Weinhagen, Das Recht der Actien-Gesellschaften, 1866. In: ZHR 10, S. 61Of. - M. Neumann, Beiträge zum deutschen Verlags- und Nachdrucksrechte, 1866. In: ZHR 10, S.61Of. - H. Jaques, Die Reform der Eisenbahngesetzgebung, Wien 1866. In: ZHR 10, S. 612. - C. E. Güterbock, De jure maritimo, quod in Prussia saeculo XVI et ortum est et in usu fuit, Königsberg 1866. In: ZHR 10, S. 612 - 614. - Tb. Saski, Die volkswirthschaftliche Bedeutung des Versicherungswesens, 2. Aufl., 1866 In: ZHR 10, S. 615.
1867 Die Einrede der Litispendenz, insbesondere im Executivprozeß. In: AcP 50, S. 49 - 56. Zum Andenken an Karl Joseph Anton Mittermaier. In: AcP 50, S. 417 - 442. (Auch in: Verm. Sehr. I, S. 651 - 673; dort ~arl J. A. Mittermaier) (Anzeige v.:) H. Fitting, Die rechtlichen Verhältnisse am Stadtschießgraben. In: Krit. Vjs. f. Gestzgebung u. Rechtswiss. 9, S. 147f.
1868 Handbuch des Handelsrechts. Von Dr. L. Goldschmidt, ordentlichem Professor der Rechte in Heidelberg. Erster Band, zweite Abtheilung, enthaltend die Lehre von der Waare. 8° (XXIII und 711 Seiten). Erlangen: Ferdinand Enke 1868. (Teilweiser Neudruck als: Levin Goldschrnidt, Handbuch des Handelsrechts, Neudruckausgabe in 3 Teilen, Teil C: Band 2 Lieferung 1 in 2. Auflage (§§ 60 - 64), Band I Abteilung 2 in I. Auflage (§§ 65 - 109), Aalen 1973.) (Angezeigt von: H., in: Beitr. Preuß. R. 13 (1869), S. 615 - 620; Die Redaction, in: Arch. f. Th. u. Prax. HR 15 (1869), S. 387 - 390; Laband, Die handelsrechtliehe Literatur in Deutschland seit Erlaß des Allgemeinen deutschen Handelsgesetzbuchs, in: Krit. Vjs. f. Gesetzgebung u. Rechtswiss. 12 (1870), S. 20 60, 49f.) Zeitschrift für das gesammte Handelsrecht, hrsg. v. L. Goldschmidt und P. Laband. Elfter Band. Erlangen 1868. Zeitschrift für das gesammte Handelsrecht, hrsg. v. L. Goldschmidt und P. Laband, unter Mitwirkung für Versicherungsrecht von C. Malsz. Zwölfter Band. Erlangen 1868. Anzeigen und Besprechungen: - H. Jaques, Die Wuchergesetzgebung und das Civil- und Strafrecht, Wien 1867. In: ZHR 11, S. 636 - 638. - Sammlung von civilrechtlichen Entscheidungen des k. k. obersten Gerichtshofes, hrsg v. J. Glaser, J. Unger und J. v. Walther, 4. Bd., Wien 1867. In: ZHR 11, S. 638. - G. Diephuis, Handboek voor het Nederlandsch handelsregt, 3 Theile, Groningen 1865 1867. In: ZHR 11, S. 638f. - T. M. C. Asser, Het eerste ontwerp van een Nederlandsch Wetboek van Koophandel, Amsterdam 1866. In: ZHR 11, S. 639. - Catalogus plus quam 10,000 dissertationum et orationum juridicarum, Amsterdam 1867 In: ZHR 11, S. 640. - Hamburgische Handelsgerichtszeitung, 1868. In: ZHR 12, S. 324. - A. Heine, Abhandlung über das Warrantsystem, 1867. In: ZHR 12, S. 324.
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- C. F. Koch, Die Preuß. Concursordnung, 2. Aufl., 1867. In: ZHR 12, S. 325. (Besprechung v.:) R. Jhering, Der Lucca=Pistoja=Actienstreit. Ein Beitrag zu mehreren Fragen des Obligationenrechts. (Besonderer Abdruck aus dem "Archiv für praktische Rechtswissenschaft"). Darmstadt und Leipzig 1867. In: ZHR 12, S. 325 - 327.
1869 Referat über die von Dr. H. Jaques beantragten Resolutionen in Betreff der Errichtung von Aktien- und Kommandit-Aktien- Gesellschaften und in Betreff der sogenannten Wirthschaftsgenossenschaften (,,zur Errichtung von Aktien- Gesellschaften und Kommandit-GeseIlschaften auf Aktien soll es staatlicher Genehmigung nicht bedürfen" bzw. "Die Gesetzgebung über Erwerbs- und Wirthschaftsgenossenschaften soll beruhen auf dem Grundsatze obligatorischer Solidarbürgschaft der Genossenschaftsglieder"). In: Verhandlungen des Achten deutschen Juristentages. Zweiter Band, Berlin 1870, S. 43 - 53 und 60 - 72. Zeitschrift für das gesammte Handelsrecht, hrsg. v. L. Goldschmidt und P. Laband, unter Mitwirkung für Versicherungsrecht von C. Malsz. 13. Band. Erlangen 1869. Zur Rechtstheorie des Geldes. In: ZHR 13, S. 367 - 390. Anzeigen und Besprechungen: - F. Regelsberger, Civilrechtliche Erörterungen, 1. Heft, Wien 1868. In: ZHR 13, S. 333 340. - A. Renaud, Lehrbuch des allgemeinen Deutschen Wechselrechts, 3. Aufl., Gießen 1868. In: ZHR 13, S. 340f. - J. B. Braun, Die Lehre vom Wechsel nach der ADWO, 1868. In: ZHR 13, S. 341 - 344. - L. Baumblatt, Wechsellehre für Schule und Volk, 1868. In: ZHR 13, S. 344. - C. Gareis, Die Creationstheorie, 1868. In: ZHR 13, S. 344f. - G. Löhr, Das ADHGB, 1868. In: ZHR 13, S. 345f. - H. Makower, Das ADHGB, 3. Aufl., 1868. In: ZHR 13, S. 346. - L. Adler, Sammlung von Entscheidungen zum Handels-Gesetzbuche, Wien 1868. In: ZHR 13, S. 347. - G. Zanella, 11 diritto commerciale austriaco, Venedig 1866 - 1868. In: ZHR 13, S. 349. - Th. Lesse, Die Verhandlungen des Norddeutschen Reichstages über die Aufhebung der Schuldhaft, 1868. In: ZHR 13, S. 349. F. Hecht, Die römischen Calendarienbücher, 1868. In: ZHR 13, S. 350f. C. M. J. Willeumier, Het telegraafrecht, Amsterdam 1867. In: ZHR 13, S. 351. Archivio giuridico di Pietro Ellero I. 11., Bologna 1868. 1869. In: ZHR 13, S. 352f. R. Koch, Ueber die Zulässigkeit der Beschlagnahme von Arbeits- und Dienst-Löhnen, 1869. - R. Schlesinger, Die rechtliche Unzulässigkeit der Beschlagnahme des noch nicht verdienten Lohnes, 1869. In: ZHR 13, S. 646 - 650. - (v. Ploos van Amstel,) Ueber die Gefahren der Erweiterung einer Zettelbank zu einer Creditanstalt, Heidelberg 1869. In: ZHR 13, S. 652 - 654. - P. Fr. v. Wyß, Die Haftung für fremde Culpa nach Römischem Recht, Zürich 1867. In: ZHR 13, S. 655f. - O. Gierke, Die deutsche Genossenschaft. Erster Band: Rechtsgeschichte der Deutschen Genossenschaft. In: ZHR 13, S. 656f. -
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1870 Du Droit Commercial et des Tribunaux de Commerce, principalment dans Ieurs Rapports avec le Developpement du Droit Allemand. Par Goldschmidt, Professeur a l'universite de Heidelberg, Membre de la Cour federale supreme de commerce a Leipzig. In: Rev. de droit int. 2 (1870), S. 357 - 376. Buben und Verräther! - Das Volk Süddeutschlands. Flugblatt vom 23. Juli 1870. In: Lebensbild, S. 337 - 340. Wucher und Wuchergesetze. In: Deutsches Staats-Wörterbuch, hrsg. v. J. C. Bluntschli und K. Brater. Elfter Band, Stuttgart und Leipzig 1870, S. 219 - 229. Zeitschrift für das gesammte Handelsrecht, hrsg. v. L. Goldschmidt und P. Laband, unter Mitwirkung für Versicherungsrecht von C. Malsz. 14. Band. Erlangen 1870. Ueber den Einfluß von Theilzahlungen eines Solidarschuldners auf die Rechte des Gläubigers gegen andere Solidarschuldner, insbesondere nach eröffnetem Concurse. Theilzahlung im Contocorrentverhältniß. Wechselschuldner. Beneficium cedendarum actionum und Subrogation zahlender Bürgen oder sonstiger Solidarschuldner. Rechtsänderungen nach erfolgter Einlassung. Ein Rechtsgutachten nach Französisch-Badischem und gemeinem Recht. In: ZHR 14, S. 397 - 441. Neue Italienische Literatur (E. Vidari, La lettera di cambio, Florenz 1869; E. Lattes, La liberta delle banche a Venezia, dal secolo XIII al XVII, Mailand 1869; S. L. Peruzzi, Storia deI commercio e dei banchieri di Firenze, Florenz 1868; F. Serafini, Archivio giuridico III, IV, 1869, 1870). In: ZHR 14, S. 653 - 663. Anmerkung der Redaktion (Zu: Strauch, Besprechung von Rev. de droit int., 1. u. 2. Jg., 1869 u. 1870, ZHR 14, S. 663 - 670.) In: ZHR 14, S. 668 in Fußn. *.7 Zeitschrift für das gesammte Handelsrecht, hrsg. v. Dr. L. Goldschmidt, Rath am.Bundesoberhandelsgericht in Leipzig, und P. Laband, unter Mitwirkung für Versicherungsrecht von C. Malsz. 15. Band. Erlangen 1870. Entwurf einer Wechselordnung für Britisch-Indien. In: ZHR 15, S. 196f. Beiträge aus der Praxis. In: ZHR 15, S. 299 - 325. (Einleitung S. 299ff.; I. Consortium zu einzelnen Handelsgeschäften .... S. 30 I ff.; 11. Ist eine Garantiefrist zugleich Verjährungsfrist? ... S. 315ff.; III. Durch welchen Act wird die Verjährung unterbrochen ... ? S. 323ff.) Anzeigen und Besprechungen: - S. Borchardt, Die ADWO, 5. Aufl., 1869. In: ZHR 14, S. 670. - C. Hahn, Die Preuß. Concursordnung und das Anfechtungsgesetz vom 9. Mai 1855, 3. Aufl., Breslau 1869. In: ZHR 14, S. 670. - S. Puchelt, Zeitschrift für Französisches Civilrecht, I. Bd., I. Heft, Mannheim 1869. In: ZHR 14, S. 671. - Fr. Hofmann, Ueber das periculum beim Kaufe, Wien 1870. In: ZHR 15, S. 620 - 622. - K. W. Harder, Handelsrechtliche Abhandlungen I und 11, Hamburg 1870. In: ZHR 15, S. 622- 624. - H. Keyßner, Die Erhaltung der Handelsgesellschaft gegen die Auflösungsgründe des ADHGB, 1870. In: ZHR 15, S. 624 - 626. - L. Adler und R. Clemens, Sammlung von Entscheidungen zum Handelsgesetzbuche, 2. Folge, Wien 1870. In: ZHR 15, S. 626. 7 Nicht im Schriftenverzeichnis von Pappenheim, wohl aber in dessen Nachruf auf Goldschmidt S. 8 zitiert.
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- F. v. Salpius, Die Ergänzungen der ADWO und des ADHGB im Gebiete des Norddeutschen Bundes, 1870. In: ZHR 15, S. 626f. - O. Mühlbrecht, Uebersicht der gesarnmten staats- und rechtswissenschaftlichen Literatur des Jahres 1869, Berlin 1870. In: ZHR 15, S. 627.
1871 Zeitschrift für das gesammte Handelsrecht, hrsg. v. L. Goldschmidt und P. Laband, unter Mitwirkung für Versicherungsrecht von C. Malsz. 16. Band. Erlangen 1871. Ueber die Verantwortlichkeit des Schuldners für seine Gehülfen. In: ZHR 16, S. 287 - 382. Zusatzbemerkung zu: F. Dahn, Ueber Handel und Handelsrecht der Westgothen, ZHR 16, S. 383 - 407. In: ZHR 16, S. 407f. Die in Anlaß des Deutsch-Französischen Krieges erlassenen Französischen Gesetze. In: ZHR 16 (1871), S. 413 - 428. (*) Das Französische Wechselmoratorium. In: ZHR 16 (1871), S. 666 - 668. Das internationale Wechselrecht und das Französische Wechselmoratorium. In: ZHR 17 (1872), S. 294 - 309, 376 (Nachtrag (*).). Die Französischen Moratoriengesetze. In: ZHR 17 (1872), S. 532 - 535 (*). Das internationale Wechselrecht und das Französische Wechselmoratorium. In: ZHR 18 (1873), S. 625 - 643. Zur Preisaufgabe der Fürstlich Jablonowski'schen Gesellschaft für das Jahr 1873. In: ZHR 16, S. 687f.
1872 Über die Beweislast bei der sogenannten Revalirungsklage des Trassaten. Vortrag an das Plenum des Reichsoberhandelsgerichts. (1872.) In: Venn. Sehr. I, S. 459 - 475. Die Nothwendigkeit eines deutschen Civilgesetzbuches. (Vortrag, gehalten in der Gemeinnützigen Gesellschaft zu Leipzig 11. März 1872). In: Im neuen Reich. Wochenschrift für das Leben des deutschen Volkes in Staat, Wissenschaft und Kunst. Hrsg. v. A. Dove, 2. Jg. 1872. Erster Band (Januar bis Juni), Leipzig 1872, S. 473 - 489. Der amerikanisch-britische Grenzstreit / The American-British Boundary Dispute. (Gutachten vom 10. September 1872.) In: Hunter Miller (Hrsg.), Northwest Water Boundary. Report of the experts summoned by the Gennan Emperor as arbitrator under articles 34 - 42 of the Treaty of Washington of May 8, 1871, preliminary to his award dated October 21, 1872, SeattlelWashington 1942, S. 30/31 - 66/67, 75. (Engl./dt., eng!. Übersetzung vom Hrsg.) Zeitschrift für das gesarnmte Handelsrecht, hrsg. v. Dr. L. Goldschmidt, Rath arn Reichsoberhandelsgericht in Leipzig, und P. Laband, unter Mitwirkung für Versicherungsrecht von C. Malsz. 17. Band. Erlangen 1872. Das internationale Wechselrecht und das Französische Wechselmoratorium, ZHR 17, S. 294ff.: s. 18'71. Die Französischen Moratoriengesetze, ZHR 17, S. 532ff.: s. 1871. Anzeigen und Besprechungen: - H. Makower, Das ADHGB, 4. Aufl., 1871. In: ZHR 17, S. 352f. - A. Meyer, Deutsches Handelsblatt, 1871. In: ZHR 17, S. 353.
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- S. Borchardt, Vollständige Sammlung der geltenden Wechsel- und Handels-Gesetze aller Länder, Bd. 1,1871. In: ZHR 17, S. 666f. - J. A. Gruchot, Die Lehre von der Zahlung der Geldschuld nach heutigem Deutschem Rechte, 1871. In: ZHR 17, S. 667f. - J. Glaser, J. Unger u. J. v. Walter, Sammlung von civilrechtlichen Entscheidungen des k. k. obersten Gerichtshofes, 5. Bd., Wien 1871. In: ZHR 17, S. 669. - Das Handelsregister nach dem ADHGB. Gutachten der Handelsssektion der Handels- und Gewerbekammer in Prag, hrsg. v. E. Schebek, 11., Prag 1872. In: ZHR 17, S. 670. - R. Johow, Die preuß. Konkurs-Ordnung in ihrer heutigen Gestalt, 1871. In: ZHR 17, S.671. - G. M. Kletke, Das Allgemeine Wechsel- und Handelsrecht des Deutschen Reiches, 1872. In: ZHR 17, S. 671.
1873 Gutachten über das Actiengesellschaftswesen. In: Zur Reform des Actiengesellschaftswesens. Drei Gutachten auf Veranlassung der Eisenacher Versammlung zur Besprechung der socialen Frage abgegeben von H. Wiener, Goldschmidt, Behrend. (Schriften des Vereins für Socialpolitik. 1.). Leipzig 1873, S. 29 - 36. (Angezeigt von: Sachs, Literatur über Aktiengesellschaften, in: ZHR 19 (1874), S. 308 319,315f.) Zeitschrift für das gesammte Handelsrecht, hrsg. v. L. Go1dschmidt und P. Laband, unter Mitwirkung für Versicherungsrecht von C. Malsz. 18. Band. Erlangen 1873. Das internationale Wechselrecht und das Französische Wechselmoratorium, ZHR 18, S. 625ff.: s. 1871. Anzeigen und Besprechungen: - Fr. Bran, Der Lebensversicherungsvertrag, 1872. In: ZHR 18, S. 309. - H. Keyssner, ADHGB, 1872. In: ZHR 18, S. 309. - V. Zwingmann, Civilrechtliche Entscheidungen der Riga'schen Stadtgerichte, Riga 1871. In: ZHR 18, S. 313f.
1874 Handbuch des Handelsrechts. Von Dr. L. Goldschmidt, Rath am Reichs=Oberhandelsgericht in Leipzig. Erster Band. Zweite völlig umgearbeitete Auflage. 8° (XXIX und 691 S.). Erlangen: Ferdinand Enke 1874. (Andere, bis auf das Titelblatt umbruchgleiche Ausgabe: Handbuch des Handelsrechts. Von Dr. L. Goldschmidt, Rath am Reichs=Oberhandelsgericht in Leipzig. Erster Band enthaltend die geschichtlich-literarische Einleitung und die Grundlehren. Zweite völlig umgearbeitete Auflage. 8° (XXIX und 691 S.). Stuttgart: Ferdinand Enke 1875.) (Neudruck als: Levin Goldschmidt, Handbuch des Handelsrechts, Neudruckausgabe in 3 Teilen, Teil B: Band 1 in 2. Auflage, Aalen 1973.) ("Seinen Freunden Professor Hermann Fitting in Halle und Professor Otto Stobbe in Breslau (jetzt in Leipzig) zugeeignet. ") (Angezeigt bzw. besprochen von: - Arch. f. Th. u. Prax. HR 32 (1875), S. 365;
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- Grünhut, in Zs. f. d. Priv.- u. öff. R. d. Ggw. 3 (1876), S. 185 - 194, insbes. S. 185f. (im Zusammenhang mit von Hahn, Commentar zum ADHGB, und Thöl, Handelsrecht).) Projet de Reglement pour Tribunaux arbitraux internationaux, prt!sente a linstitut de Droit International (Session de Geneve, 1874) par le Dr Goldschmidt, Membre effectiv de linstitut et membre rapporteur de la premiere commission d'etude. (Traduction de Alph. Rivier.) In: Rev de droit int. 6 (1874), S. 421 - 452. (Deutsche Ausgabe: s. 1875.) Materialien der (vom Bundesrat am 28. 2. 1874 eingesetzten) Vorkommission (mit der Aufgabe, über Plan und Methode, nach welchen bei Aufstellung des Entwurfs eines dt. bürgerlichen Gesetzbuchs zu verfahren sei, gutachtliche Vorschläge zu machen). In: Werner Schubert (Hrsg.), Materialien zur Entstehungsgeschichte des BGB. Einführung, Biographien, Materialien. Berlin, New York 1978: - Expose von Goldschmidt vom 19.3. 1874: "Ueber Plan und Methode für die Aufstellung des Entwurfs eines Deutschen bürgerlichen Gesetzbuchs", S. 163 - 165; - "Vorschläge" von Goldschmidt vom 28.3. 1874 für die von der Vorkommission zu fassenden Beschlüsse, S. 165 - 169; - Gutachten der Vorkommission vom 15.4. 1874, S. 170 - 182 (Gutachten), 182 - 184 (Anlage: Vorschläge). (Das Gutachten vom 15. April 1874 ist wiedergegeben mit Angaben zu den Änderungen gegenüber Goldschmidts Entwurf in den Fußnoten.) Ueber Plan und Methode für die Aufstellung des Entwurfs eines deutschen bürgerlichen Gesetzbuchs. (1874.) In: Verm. Sehr. I, S. 511 - 533. (Abdruck des vorstehenden Gutachtens vom 15. April 1874 ohne Hinweise auf die Änderungen gegenüber Goldschmidts Entwurf; zum Abdruck in der ZHR s. 1875.) Zeitschrift für das gesammte Handelsrecht, hrsg. v. L. Goldschmidt und P. Laband. 19. Band. Erlangen 1874. Ueber die Statthaftigkeit der aedilitischen Rechtsmittel beim Gattungskauf. In: ZHR 19, S. 98 - 122. (Besprechung v.:) Das Handelsrecht. Von Heinrich Thöl. Zweiter Band: Das Wechselrecht, 3. Aufl., Leipzig 1873. In: ZHR 19, S. 319 - 323. (Besprechung v.:) Carl Knies, Geld und Credit. Erste Abtheilung: Das Geld. In: ZHR 19, S. 323 - 327. (Anzeige v.:) H. Makower, Das ADHGB, 5. Aufl., 1873. In: ZHR 19, S. 332. Das Central-Handelsregister für das Deutsche Reich. In: ZHR 19, S. 666 - 668.
1875 Handbuch des Handelsrechts. Erster Band. Zweite Auflage: s. 1874. Ein Reglement für internationale Schiedsgerichte. Dem Institute für Völkerrecht vorgelegt (Genfer Sitzung, 1874) von Dr. Goldschmidt, Rathe beim Reichs-Oberhandelsgerichte zu Leipzig, wirklichem Mitgliede des Instituts und Berichterstatter der ersten Commission. In: Zs. f. d. Priv.- u. öff. R. d. Ggw. 2 (1875), S. 714 - 749. (Auch separat8 sowie in: Verm. Sehr. I, S. 535 - 573.) (Französische Ausgabe: s. 1874, Projet de Reglement.) Rede des Reichstagsabgeordneten Dr. Goldschmidt. Gehalten am 24. Mai 1875 in der Centralhalle zu Leipzig. In: Lebensbild S. 371 - 384. 8
s. Windscheid/Kipp, Pandekten 11, § 415 in Fußn. 1b, S. 845.
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Zeitschrift für das gesammte Handelsrecht, hrsg. v. Dr. L. Goldschmidt, Rath am Reichs=Oberhandelsgericht in Leipzig, P. Laband, E. Sachs. 20. Band. Stuttgart: Ferdinand Enke 1875. Die Codification des Deutschen bürgerlichen und Handels=Rechts. In: ZHR 20, S. 134 171. (Gutachten und Vorschläge der Commission S. 137 - 153. - Bericht des Ausschusses für Justizwesen S. 153 - 170.) (Anzeige v.:) Praxis des Handels- und des Wechselrechts. Von Heinrich Thöl. Erstes Heft. In: ZHR 20, S. 317f. Zur Literatur des internationalen Rechts. (Rev. de droit int. VI, 1874; Archives de droit international et de legislation comparee I, 11, 1874; Journal du droit international prive I, Paris 1874; Annuaire de legislation comparee 111, Paris 1874.) In: ZHR 20, S. 647 - 651. Anzeigen und Besprechungen: - F. Martens, Das Consularwesen und die Consu1arjurisdiction im Orient, 1874. In: ZHR 20, S. 652 - 654. - G. M. Thomas, Capitolare dei visdomini dei fontego dei Tedeschi in Venezia. Capitular des Deutschen Hauses in Venedig. In: ZHR 20, S. 654 - 656. - H. Makower, Das ADHGB, 6. Aufl., 1875. In: ZHR 20, S. 657. - S. Borchardt, Die ADWO, 6. Aufl., 1874. In: ZHR 20, S. 657. - Entscheidungen des GroßherzogIich Mecklenburgischen Ober=Appellationsgerichts zu Rostock, Neue Folge, 3. Bd., hrsg. v. J. K. Budde, 1874. In: ZHR 20, S. 657f. Rede vor dem Deutschen Reichstag am 10. November 1875. In: Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Dt. Reichstags, 2. Legislatur-Periode, III. Session 1875/76, I. Bd., Berlin 1876, S. 127 re. Sp. - 1281i. Sp. (s. auch E. Sachs, ZHR 21 (1876), S. 440ff., 448.)
1876 Zeitschrift für das Gesammte Handelsrecht hrsg. v. Dr. L. Goldschmidt, Geh. lustizrath, ordentl. Prof. der Rechte in Berlin, Fr. von Hahn, P. Laband, E. Sachs. 21. Band. Stuttgart 1876. Herabsetzung des Grundkapitals einer Aktiengesellschaft durch Ankauf und Amortisation eigener Aktien. In: ZHR 21, S. 1 - 11. (S. 3 - 11: Gutachten im Auftrag des Reichskanzleramts, 1874.) Das neue Ungarische Handelsgesetzbuch. In: ZHR 21, S. 164 - 172. Anzeigen und Besprechungen: - F. Hecht, Die Mündel- und Stiftungsgelder in den Deutschen Staaten, 1875. In: ZHR 21, S.344f. - Il Casaregis, Monitore di legislazione e giurisprudenza commerciale, Rom 1875. In: ZHR 21, S. 347f. Nekrolog (Botho Ludw. Wilh.von Salpius, Aug. Anschütz, W. Auerbach). In: ZHR 21, S.348. Abänderungs-Antrag zu der Zusammenstellung des Entwurfs eines Gerichtsverfassungsgesetzes Dr. Beseler, Dr. Goldschmidt, Berlin, den 12. November 1876. In: Sammlung sämmtlicher Drucksachen des Dt. Reichstags, 2. Legislatur-Periode, IV. Session 1876, Bd. 11, Berlin 1876, Nr. 34. 36 Weyhe
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Reden vor dem Deutschen Reichstag am 17. November 1876. In: Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Dt. Reichstags, 2. Legislatur-Periode, IV. Session 1876, 1. Bd., Berlin 1876, - S. 160 Ii. Sp. - 161 re. Sp. (..Bravo!"); - S. 164li. Sp. oben (Äußerung zur Geschäftsordnung); - S. 164 Ii. Sp. Mitte. Rede vor dem Deutschen Reichstag am 23. November 1876. In: Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Dt. Reichstags, 2. Legislatur-Periode, IV. Session 1876, 1. Bd., Berlin 1876, S. 295 re. Sp. - 296li. Sp. Wortmeldungen und Beiträge. In: Protokolle der VIII. Reichstags- Kommission, in: Die gesammten Materialien zur Konkursordnung und dem Einführungsgesetz zu derselben vom 1. Februar 1877, hrsg. v. C. Hahn, Berlin 1881, - S. 518 - 632 (1. Lesung, 11. November 1875 - 31. Januar 1876); - S. 643 -701 (2. Lesung, 18. Mai 1876 - 26. Mai 1876).
1877 Zeitschrift für das Gesammte Handelsrecht hrsg. v. L. Goldschmidt, Fr. von Hahn, P. Laband, E. Sachs. 22. Band. Stuttgart 1877.
1878 Das dreijährige Studium der Rechts- und Staats-Wissenschaften. Von Dr. L. Goldschmidt. 8° (82 S.). Berlin: G. Reimer 1878. (..Seinem Lehrer und Freunde dem Staatsminister a.D. Dr. Julius Jolly in Karlsruhe zum 18. Dezember 18779 in Treue zugeeignet.") (Besprochen von: Khe., Beitr. Preuß. R. 22 (1878), S. 431 - 442 (zusammen mit zwei Gutachten von Gierke und Gneist).) Zeitschrift für das Gesammte Handelsrecht hrsg. v. L. Goldschmidt, Fr. von Hahn, H. Keyßner, P. Laband, E. Sachs. 23. Band. Stuttgart 1878. (Anmerkungen zu:) W. Reuling, Beiträge zur Lehre vom Urheberrecht nach dem Reichsgesetz vom 11. Juni 1870, ZHR 23, S. 70 - 137. In: ZHR 23, S. 115, 117 jeweils Fußn. I, S. 122,123,127,128,133,134,137 jeweils Fußn. *. (*) Zum Recht der Lebensversicherung. In: ZHR 23, S. 179 - 224. (1. Die rechtliche Natur der Lebensversicherung, S. 179 - 183; 2. Die Einwirkung des Selbstmordes auf die Rechte aus der Lebensversicherung, S. 183 - 224.) (Besprechung v.:) Gegenwart und Zukunft der Rechts- und Staatswissenschaft Deutschlands. Von Lorenz von Stein. In: ZHR 23, S. 274 - 288. Zur Literatur des internationalen Rechts. (Rev. de droit int. VII - IX, 1875 - 1877; Annuaire de l'institut de droit international I, 1877; Journal de droit international 11 - IV, Paris 1875 - 1877; Annuaire de legislation etrangere IV - VI, Paris 1875 - 1877; Bulletin de la societe de legilation comparee 1869 - 1876, Paris 1877; Papiere der Gesellschaft für Reform und Kodifikation des internationalen Rechts 1873 - 1877; G. Carle, La faillite dans le droit international prive, traduit par E. Dubois, Paris 1875.) In: ZHR 23, S. 288 - 293. (Besprechung v.:) Heinrich Dernburg, Lehrbuch des Preußischen Privatrechts. Zweiter Band, erste Abtheilung, Halle 1877. In: ZHR 23, S. 301 - 309. 9
Jollys Silberhochzeit, s. Lebensbild S. 406.
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(Besprechung v.:) G. Lastig, Entwickelungswege und Quellen des Handelsrechts, Stuttgart 1877. In: ZHR 23, S. 309 - 313 .• Handelsrechtliche Commentare und Compendien (E. S. Puchelt, H. Makower, Fr. von Hahn, H. Keyßner, l. von Schnierer, l. G. Kist, E. Vidari, Fr. Triaca). In: ZHR 23, S. 316 328. Urtheilssammlungen. In: ZHR 23, S. 329f. Seerecht (w. Lewis, Das Deutsche Seerecht, Leipzig 1877; M. Cresp- Laurin, Cours de droit maritime, Paris 1876; Die Gesetzgebung des Deutschen Reichs über Konsularwesen und Seeschiffahrt; O. Meves, Die strafrechtlichen Bestimmungen ... , Erlangen 1876). In: ZHR 23, S. 349 - 359. Versicherungsrecht (Ch. F. Reatz, Ordonnances du duc dAlbe sur les assurances maritimes de 1569, 1570, 1571, Brüssel 1877; A. Sacerdoti, I1 contratto d'assicurazione, Padua 1874; Fr. Brandt, Om soforsiking, Kristiania 1876, deutsch Leipzig 1878; V. Labraque- Bordenave, Traite des assurances maritimes, Paris 1876; V. von lohn, Die Seeversicherungspolizen, Triest 1874; C. Girtanner, Die Centralisation, Berlin 1875; J. Klang, Das Ungarische Handeisgesetz, Wien 1876). In: ZHR 23, S. 359 - 369. Neueste Handelsrechts=Quellen. Beilageheft zur Zeitschrift für das gesammte Handelsrecht. Hrsg. v. Dr. L. Goldschmidt. 8° (X, 357 S.) Stuttgart: Ferdinand Enke 1878. (Vorwort. Zu:) Neueste Handelsrechts=Quellen, hrsg. v. L. Goldschmidt, Stuttgart 1878, S. III. Die Codification des Deutschen bürgerlichen und Handelsrechts. In: Neueste Handelsrechts=Quellen, hrsg. v. L. Goldschmidt, Stuttgart 1878, S. 1 - 20. (*) (S. 1 - 16 und 16 - 20 Wiedergabe der Berichte von Pape an den Reichskanzler vom 2. 11. 1876 und 24.10. 1877; S. 20 Schlußbemerkung.) Schweizerisches Obligationenrecht mit Einschluß des Handels- und Wechselrechtes. In: Neueste Handelsrechts=Quellen, hrsg. v. L. Goldschmidt, Stuttgart 1878, S. 108 - 119. Belgische Gesetzgebung über die Wechselproteste und die Einkassirung der Wechsel durch die Post (1871 - 1877). In: Neueste Hande1srechts=Quellen, hrsg. v. L. Goldschmidt, Stuttgart 1878, S. 172 - 183. Über die Zulässigkeit einer Verlegung des Sitzes der Rumänischen Eisenbahnen-Aktiengesellschaft von Berlin nach Bukarest. (Gutachten.) (1878.) In: Verm. Sehr. I, S. 433 - 457. Die Rechtsverhältnisse der unter Verwaltung des Preussischen Staates stehenden Privat-Eisenbahn-Unternehmen mit besonderer Rücksicht auf die privatrechtliehe Verantwortlichkeit der staatlichen Verwaltungsbehörden und des Staats. (1878.) In: Verm. Sehr. I, S. 351 - 432. Anzeigen und Besprechungen: - R. Schröder, Corpus iuris civilis für das Deutsche Reich und Oesterreich, Bonn 1876/77. In: ZHR 23, S. 294f. - F. Dahn, Deutsches Rechtsbuch, 1877. In: ZHR 23, S. 295 - 297. - C. Gareis, Grundriß zu Vorlesungen über das Deutsche bürgerliche Recht, 1877. In: ZHR 23, S. 298f. - Ch. Lyon-Caen, Tableau des lois commerciales, Paris 1876. In: ZHR 23, S. 313 - 315. - Voigtel, Uebersicht der Literatur des Deutschen Handelsrechts seit Einführung des ADHGB, 1876. In: ZHR 23, S. 315f.
1879 Zeitschrift für das Gesammte Handelsrecht hrsg. v. L. Goldschmidt, Fr. von Hahn, H. Keyßner, P. Laband, E. Sachs. 24. Band. Stuttgart 1879. 36*
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(Anzeige v.:) Das Handelsrecht. Von Heinrich Thöl. Zweiter Band: Das Wechselrecht, 4. Aufl., Leipzig 1878. In: ZHR 24, S. 319. Anzeigen und Besprechungen: - S. Borchardt, Die ADWO, 7. Aufl., 1879. In: ZHR 24, S. 320. - C. Roscher, Zur Kritik der neuesten wirthschaftlichen Entwickelung, 1876. In: ZHR 24, S. 320 - 322. - G. Mandry, Der civilrechtliche Inhalt der Reichsgesetze, 1878. In: ZHR 24, S. 322f. - Ed. Clunet, Questions de droit relatives a l'exposition universelle internationale de 1878, Paris 1878. In: ZHR 24, S. 325 - 327.
1880 Zeitschrift für das Gesammte Handelsrecht hrsg. v. L. Goldschmidt, Fr. von Hahn, H. Keyßner, P. Laband, E. Sachs. 25. Band. Stuttgart 1880. (Anzeige v.:) H. Dernburg, Lehrbuch des Preuß. Privatrechts. Zweiter Band, zweite Abtheilung. Dritter Band. Lehrbuch des Preuß. Privatrechts und der Privatrechtsnormen des Reiches. Erster Band, 2. Aufl., Halle 1878, 1879. In: ZHR 25, S. 408f. (Anzeige v.:) Heinrich Thöl, Das Handelsrecht. Erster Band, 6. Aufl., Leipzig 1879. In: ZHR 25, S. 409f. (Anzeige v.:) Makower, Das ADHGB, 8. Aufl., 1880. In: ZHR 25, S. 410.
1881 Zeitschrift für das Gesammte Handelsrecht hrsg. v. L. Goldschmidt, Fr. von Hahn, H. Keyßner, P. Laband, E. Sachs. 26. Band. Stuttgart 1881. (Anzeige v.:) Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Hrsg. v. G. Bruns. Erster Band, Weimar 1880. In: ZHR 26, S. 335 - 338. (Darin S. 337f.: Nekrolog auf C. G. Bruns). (Anmerkungen zu:) Rudolf Lepa, Ueber den Ursprung des Kommissionshandels, ZHR 26, S. 438 - 482. In: ZHR 26, S. 438 Fußn. 1,2. Abs., 446 Fußn. 23, 2. Abs. (*) (Besprechung v.:) Das Handelsrecht. Von Heinrich Thöl. Dritter Band. Das Transportgewerbe, Leipzig 1880. In: ZHR 26, S. 606 - 613. (Gegenschrift: Heinrich Thöl, Handelsrechtliche Erörterungen. Eisenbahnrecht und anderes Frachtrecht. Insbesondere die 23 Ungültigkeiten im Betriebs=Reglement für die Eisenbahnen Deutschlands. Zugleich eine Antikritik gegen Goldschmidt, Göttingen 1882.) Anzeigen und Besprechungen: - Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft. Hrsg v. F. Bernhöft und G. Cohn. Bd. 11II I, 1878 - 1881. In: ZHR 26, S. 332 - 335. - Fr. Holtze, Das Berliner Handelsrecht im 13. und 14. Jahrhundert, 1880. In: ZHR 26, S. 621 - 624. - H. Gabriel, Systematisches Generalregister zur ZHR Bd. I - XXV und Beilagehefte, 1881. In: ZHR 26, S. 633f.
1882 Zeitschrift für das Gesammte Handelsrecht hrsg. v. L. Goldschmidt, Fr. von Hahn, H. Keyßner, P. Laband, E. Sachs. 27. Band. Stuttgart 1882.
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Erwerbs- und Wirthschaftsgenossenschaften. Studien und Vorschläge. In: ZHR 27, S. I 118, 331f., 332. (Auch als umbruch- und seitengleicher Sonderdruck.) (Besprochen von: Otto Gierke, in: Krit. Vjs. f. Gesetzgebung u. Rechtswiss. 24 (1882), S. 385 - 400.) Zeitschrift für das Gesammte Handelsrecht hrsg. v. L. Goldschmidt, Fr. v. Hahn, H. Keyßner, P. Laband und E. Sachs. 28. Band. Stuttgart 1882. Miscellen zur Theorie der Werthpapiere. In: - ZHR 28 (1882), S. 63 - 114; - ZHR 29 (1884), S. 18 - 34. (Einleitung S. 63; I. Pendenztheorie und Eigenthumstheorie S. 63ff.; 11. Das Präsentationspapier und die Kategorieen der Werthpapiere S. 69ff.; III. Das fiduziarische Indossament S. 81ff.; IV. Wechselaccept und Kreationstheorie S. 84ff.; V. Der Ladeschein S. 18ff.) (Auch in: Verm. Sehr. 11, S. 73 - 135.) Ursprünge des Mäklerrechts. Insbesondere: Sensal. In: ZHR 28, S. 115 - 130. (Auch in: Verm. Sehr. 11, S. 209 - 223.) (Italienische Übersetzung von S. 115 bis 129 bei Fußn. 14 in: Umberto Grego, Dei Mediatori, in: Archivio giuridico, diretto da F. Serafini, Bd. 43 (1889), S. 3 - 38, auf S. 7 - 19.) Entwurf einer Wechselordnung für das Russische Reich. In: ZHR 28, S. 274 - 282. Wette und Glücksspiel. In: ZHR 28, S. 292 - 312, 292 - 295. (Besprechung v.:) Handelsrechtliche Erörterungen. Eisenbahnrecht und anderes Frachtrecht. Von Heinrich Thöl. Göttingen 1882. In: ZHR 28, S. 441 - 456. Joachim Marquardt. In: National=Zeitung. 35. Jg., Berlin 1882, No. 571 vom 6. Dezember 1882. (Nachruf von eineinhalb Spalten.) Wortmeldungen und Beiträge. In: Verhandlungen der (vom Reichsjustizamt eingesetzten) Aktienrechtskommission, in: Wemer SchubertlPeter Hommelhoff, Hundert Jahre modemes Aktienrecht. Eine Sammlung von Texten und Quellen zur Aktienrechtsreform 1884. Berlin, New York 1985, S. 288 - 386. (14 Sitzungen vom 24. März bis zum 8. April 1882.)
1883 Handbuch des Handelsrechts. Von Dr. L. Goldschmidt, Geheimen Justizrath und Professor der Universität Berlin. Zweiter Band. Zweite völlig umgearbeitete Auflage. Erste Lieferung (Bogen 1 - 8). 8° (IV und 128 S.). Stuttgart: Ferdinand Enke 1883. (Neudruck als: Levin Goldschmidt, Handbuch des Handelsrechts, Neudruckausgabe in 3 Teilen, Teil C: Band 2 Lieferung 1 in 2. Auflage (§§ 60 - 64), Band 1 Abteilung 2 in I. Auflage (§§ 65 - 109), Aalen 1973.) ("B. Windscheid in Verehrung und Freundschaft zugeeignet".) (Angezeigt von: - Zs. f. d. Priv.- u. öff. R. d. Ggw. 11 (1884), S. 517; - Küntzel, in: Beitr. Preuß. R. 29 (1885), S. 439f.) Vorwort. Zu Willy Silberschmidt, Die Commenda in ihrer frühesten Entwicklung bis zum XIII. Jahrhundert. Ein Beitrag zur Geschichte der Commandit- und der stillen Gesellschaft. Mit einem Vorwort von L. Goldschmidt. Würzburg: Adalbert Studer 1884, S. V f.
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1884 Grundlagen der Besitzlehre. (1884.) In: Verm. Sehr. I, S. 23 - 349; II, S. 531 - 535 (Quellenregister). (Aus dem Nachlaß herausgegeben; mit einem Vorwort von Heinrich Göppert S. 25 - 31. Teile bereits veröffentlicht als "Studien zum Besitzrecht", s. 1888.) (.. Eduard Zeller zum 22. Januar 1884 gewidmet." Vgl. Lebensbild S. 447.) (Besprochen von: Th. Kipp, in: ZHR 52 (1902), S. 296 - 306; P. Oertmann, Ueber Goldschmidts's BesitzIehre, in: Arch. f. Bürg. R. 20 (1902), S. 220 228.) Zeitschrift für das Gesammte Handelsrecht hrsg. v. L. Goldschmidt, Fr. von Hahn, H. Keyßner, P. Laband, E. Sachs. 29. Band. Stuttgart 1884. Miscellen zur Theorie der Werthpapiere, ZHR 29, S. 18ff.: s. 1882. Ueber Editionspflicht, insbesondere betreffend gemeinschaftliche Urkunden und Handelsbücher. In: ZHR 29, S. 341 - 412. (Auch in: Verm. Sehr. II, S. 255 - 320.) (Rechtsgutachten vom 4. August 1882.) Anmerkungen zu: Behrend, (Besprechung von) Fr. G. A. Schmidt, Handelsgesellschaften in den deutschen Stadtrechtsquellen, Breslau 1883, und W. Silberschmidt, Die Commenda, Würzburg 1884, ZHR 29, S. 614 - 617. In: ZHR 29, S. 616 Fußn. *, 617 Fußn. *. (Besprechung v.:) Kritik und Antikritik. 23 angebliche Ungültigkeiten im Betriebsreglement für die Eisenbahnen Deutschlands, Berlin 1883. - Emil Steinbach, Ueber Thöl: Das Handelsrecht Bd. III und HandelsrechtIiche Erörterungen (Zs. f. d. Priv.- u. öff. R. d. Ggw. IO (1883), S. 199 - 224). In: ZHR 29, S. 623 - 625. Anzeigen und Besprechungen: - K. G. Bruns, Kleinere Schriften. In: ZHR 29, S. 331f. - A. Lattes, Il diritto commerciale nella legislatione statutaria delle citta Italiane, Mailand 1882 - 83. In: ZHR 29, S. 337f. - Il diritto commerciale I I - 3, hrsg. v. D. Supino u. F. Serafini, Pisa 1883; Rassegna di diritto commerciale italiano e straniero, 1. J g., 1. 2, hrsg. v. F. M. Fiore-Goria, Turin 1883. In: ZHR 29, S. 338f.
1885 Zur Geschichte der Seeversicherung. In: Juristische Abhandlungen. Festgabe für Georg Beseler zum VI. Januar MDCCCLXXXV von Heinrich Brunner, Paul Hinschius, Alfred Pernice, Carl Bernstein, Konrad Cosack, Richard Ryck, Ernst Eck, Levin Goldschmidt, Rudolf Gneist, Theodor Mommsen. Berlin 1885, S. 200 - 219. (Nachdruck Aalen 1979.) (Umbruchgleiche Separatausgabe: Levin Goldschmidt, Zur Geschichte der Seeversicherung. Aus: ..Juristische Abhandlungen, Festgabe für Georg Beseler. 8 0 (19 S.). Berlin: Wilhelm Hertz 1885.) (Auch in: Verm. Sehr. II, S. 503 - 523.) (Angezeigt von: - Annales de droit commercial, I. Bd., Paris 1887, S. 9lf.; - Kohler, in: ZHR 33 (1887), S. 131 - 138, 136.) Zeitschrift für das Gesammte Handelsrecht hrsg. v. L. Goldschmidt, Fr. von Hahn, H. Keyßner, P. Laband, E. Sachs. 30. Band. Stuttgart 1885.
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Zusatz zu: F. Barkhausen, Die Klage des Verkäufers auf Abnahme der Waare, ZHR 30, S. 30 - 58. In: ZHR 30, S. 58f. Die Reform des Aktiengesellschaftsrechts. In: ZHR 30, S. 69 - 89. (Vortrag in der Juristischen Gesellschaft zu Berlin, 23. März 1884; auch als Separatdruck: s. ZHR 30, S. 303 in Fußn. 1.) (Besprechung v.:) W. Kindei, Die Grundlagen des Römischen Besitzrechts, Berlin 1883. In: ZHR 30, S. 283 - 289. Zeitschrift für das Gesammte Handelsrecht hrsg. v. L. Goldschmidt, Fr. von Hahn, H. Keyßner, P. Laband, E. Sachs. 31. Band. Stuttgart 1885. Anzeigen und Besprechungen: - G. Mandry, Der civilrechtliche Inhalt der Reichsgesetze, 2. Aufl., 1882. In: ZHR 30, S.297f. - Annuario delle scienze giuridiche, sociali e politiche I - IV, hrsg. v. C. F. Ferraris, Mailand 1880 - 1883. In: ZHR 30, S. 299. - H. Wiener, Der Actiengesetz-Entwurf, 1884. In: ZHR 30, S. 303.
1886 Zeitschrift für das Gesammte Handelsrecht hrsg. v. L. Goldschmidt, Fr. von Hahn, H. Keyßner, P. Laband, E. Sachs. 32. Band. Stuttgart 1886.
1887 System des Handelsrechts mit Einschluss des Wechsel-, See- und Versicherungsrechts im Grundriss von L. Goldschmidt. 8° (62 S.). Stuttgart: Ferdinand Enke 1887. (Angezeigt von: - Arch. f. Th. u. Prax. HR 48 (1888), S. 382; - Rassow, in: Beitr. Preuß. R. 32 (1888), S. 159; - Jacoby, in: Krit. Vjs. f. Gesetzgebung u. Rechtswiss. 31 (1889), S. 132.) Rechtsstudium und Prüfungsordnung. Ein Beitrag zur Preußischen und Deutschen Rechtsgeschichte. Von Dr. L. Goldschmidt, Reichs- Oberhandelsgerichtsrath a.D., ordentl. Professor der Rechtswissenschaft an der Universität Berlin, L.L.D., ordentl. Mitglied des institut de droit international, korrespondirendem Mitglied der sociiti de ligislation comparee zu Paris. 8° (451 S.). Stuttgart: Ferdinand Enke 1887. ("Seiner Excellenz dem Kgl. Preußischen wirklichen Geheimen Rath, ehemals Ersten Präsidenten des Reichs-Oberhandels-Gerichts, jetzt Präsidenten der Deutschen Civilgesetzkommission, Mitglied des Preußischen Staatsraths, Herrn Dr. jur. et philos. Eduard Pape in Verehrung und Treue zugeeignet." - Beruht auf einem Vortrag in der Juristischen Gesellschaft zu Berlin, 11. Dezember 1886.) (Besprochen von: Eccius, Rechtsstudium und Prüfungsordnung, in: Preuß. Jbb. 61 (1888), S. 164 - 185 (mit einer Nachschrift der Redaction S. 185); G. R(olin-)J(aequemyns), in: Rev. de droit int. 20 (1888), S. 527f.; Laband, in: AöR 3 (1888), S. 430 - 435; A. Lasson, Juristisches Prüfungswesen, in: Krit. Vjs. f. Gesetzgebung u. Rechtswiss. 33 (1891), S. 234 - 251, insbes. S. 234 - 244.) Otto Stobbe t. In: Preuß. Jbb. 59, S. 596 - 600.
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(Auch u.d.T. Nachruf an Otto Stobbe in: Verm. Sehr. 1., S. 675 - 681; auch in: Lebensbild S. 481 - 485.) (Vgl. auch 1888.) Zur Reichstagswahl vom 21. Februar und 2. März 1887. Von Dr. L. Goldschmidt, Geheimen Justizrath und ordentlichen Professor der Rechtswissenschaft an der Universität Berlin. 8° (61 S.). Berlin: Puttkarner & Mühlbrecht 1887. (Vorwort (3. März 1887), S. 3. -I. Zur Reichstagswahl (20. Februar 1887), S. 5 - 25. - II. Erklärung (27. Februar 1887), S. 26 - 32. - III. Nach dem Siege (3. März 1887), S. 33 - 61. Die Artikel I. und 11. wurden zuerst in der National=Zeitung vom 20. und 27. Februar 1887 veröffentlicht. ) Zeitschrift für das Gesammte Handelsrecht hrsg. v. L. Goldschmidt, Fr. von Hahn, H. Keyßner, P. Laband, E. Sachs. 33. Band. Stuttgart 1887. Heidelberger Rechtslehrer.ln memoriam. In: ZHR 33, S. 167 - 176. (Auch separat als FestschIjft zum fünfzigjährigen Doktorjubiläum von Eduard Zeller gedruckt, nicht im Buchhhandel.) Zusatz zu: Martin, Zum Andenken an Johann Friedrich Voigt, ZHR 33, S. 202 - 206. In: ZHR 33, S. 205 Fußn. 1. Zusatz zu: Ladenburg, Noch einmal die österreichischen Kouponsprozesse, ZHR 33, S. 246 - 250. In: ZHR 33, S. 250 - 253. (Anzeige v.:) F. Frensdorff, Zur Erinnerung an Dr. Heinrich Thöl, Freiburg 1885. In: ZHR 33, S. 499f. (Enthält eine eigene Würdigung Thöls durch Goldschmidt.) Wortmeldungen und Beiträge. In: Beratungen der (vom Reichsjustizamt eingesetzten) Genossenschaftsrechtskommission in Berlin, in: Hundert Jahre Genossenschaftsgesetz. Quellen zur Entstehung und jetziger Stand. Hrsg. v. dem Institut für Genossenschaftswesen der Westfälischen Wilhelms-Universität und Werner Schubert, Tübingen 1989, S. 141 - 151. (4 Sitzungen vom 15. bis zum 19. November 1887.) Anzeigen und Besprechungen: - Zeitschriften. Archiv für öffentliches Recht, hrsg. v. P. Laband und F. Störck, Freiburg i.Br. 1886 - 87. In: ZHR 33, S. 457 - 468. - Konrad Weidling, Das buchhändlerische Konditionsgeschäft, 1885. In: ZHR 33, S. 491 494. - G. Hanausek, Die Haftung des Verkäufers für die Beschaffenheit der Waare. 1. Abth.; 2. Abth., 1. Hälfte; Berlin 1883 - 1884. In: ZHR 33, S. 496f.
1888 Noch einmal Rechtsstudium und Prüfungsordnung mit besonderer Rücksicht auf den praktischen Vorbereitungsdienst. In: Preuß. Jbb. 61, S. 244 - 277. (Auch in: Verm. Sehr. I, S. 575 - 618.) Die Universitätsfeier von Bologna in ihrer Bedeutung für die italienisch-deutsche Rechtsund Staatswissenschaft. In: Deutsche Rundschau, hrsg. v. J. Rodenberg, Bd. LVI, Berlin 1888, S. 295 - 297. 10 (Unterzeichnet -m- ,datiert Berlin, 30. Juni 1888). Studien zum Besitzrecht. In: Festgabe für Rudolf von Gneist zum Doctor-Jubiläum am XX. November MDCCCLXXXVIII. Gewidmet von Heinrich Brunner, Ernst Eck, Levin 10
s. Schriftenverzeichnis von Pappenheim, Nr. 265.
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Goldschmidt, Otto Gradenwitz, Bernhard Hübler, Leonard Jacobi, Josef Kohler, Alfred Pernice, Karl Zeumer. Berlin 1888, S. 61 - 97. (Umbruchgleiche Separatausgabe u.d.T.: Studien zum Besitzrecht. Sklavenbesitz. Insbesondere: Tradition durch Urkunden. Possessio absentis. Verlust des Sklavenbesitzes. Von Dr. L. Goldschmidt, Geh. Justizrath, Professor der Rechtswissenschaft an der Universität Berlin. 8° (35 S.). Berlin: Julius Springer 1888.) (Teilveröffentlichung der erst aus dem Nachlaß herausgegebenen "Grundlagen der Besitzlehre", s. 1884.) Die Haftpflicht der Genossen und das Umlageverfahren. Beilage zu der Petition deutscher Genossenschaften an den hohen Deutschen Reichstag, betreffend den Entwurf eines neuen Deutschen Genossenschaftsgesetzes. 8° (38 S.). (Auch in: Verm. Sehr. 11, S. 351 - 395.) (Gegenschrift: Ludolf Parisius, Die Haftpflicht der Genossen und das Umlageverfahren. Entgegnung auf die unter gleichem Titel erschienene Schrift des Herrn Professor Dr. Goldschmidt, Berlin 1889.) Der Entwurf eines Gesetzes, betreffend die Erwerbs- und Wirthschaftsgenossenschaften. In: Deutsches Wochenblatt. 1. Jg., Berlin 1888, S. 410 - 412, 422 - 426. Haupt= und Nachbürge. Mitbürgen. Auxilium divisionis und cedendarum actionum. Theilzahlung. R.=Konk.=O. §. 61. In: JhJbb. 26, S. 345 - 398. Zeitschrift für das Gesammte Handelsrecht hrsg. v. L. Goldschmidt, Fr. von Hahn, H. Keyßner, P. Laband, E. Sachs. 34. Band. Stuttgart 1888. Otto Stobbe. In: ZHR 34, S. 676f. (*) (Nicht identisch mit dem Nachruf von 1887.) Note. Zu: (Ludwig) von Bar, Rapport: Conflits de lois. - Principes communes au droit civil et au droit commercial, Rev. de droit int. 20, S. 476 - 482. In: Rev. de droit int. 20, S. 482 486. (*) Anzeigen und Besprechungen: - Archiv für Eisenbahnwesen, Berlin o.J. In: ZHR 34, S. 624f. - G. Eger, Das internationale Uebereinkommen über den Eisenbahn- Frachtverkehr (AöR 3 (1888), S. 295 - 319). In: ZHR 34, S. 627 - 629.
1889 System des Handelsrechts mit Einschluss des Wechsel-, See- und Versicherungsrechts im Grundriss von L. Goldschmidt. Zweite, ergänzte und durch Einzelausführungen vermehrte Auflage. 8° (248 S.). Stuttgart: Ferdinand Enke 1889. (Besprochen von: Annales de droit commercial, 4. Bd., Paris 1890, S. 106f.) Inhaber-, Order- und executorische Urkunden im classischen Alterthum. In: ZRG RA 10, S. 352 - 396. (Auch in: Verm. Sehr. 11, S. 161 - 208.) Das neue Genossenschaftsgesetz. In: Deutsches Wochenblatt. 2. Jg., Berlin 1889, S. 149f. Zeitschrift für das Gesammte Handelsrecht hrsg. v. L. Goldschmidt, Fr. v. Hahn, H. Keyßner, P. Laband und E. Sachs. 35. Band. Stuttgart 1889. Nach dreißig Jahren. Rück- und Vorschau. In: ZHR 35, S. 1 - 13. Lex Rhodia und Agermanament. Der Schiffsrath. Studie zu Geschichte und Dogmatik des Europäischen Seerechts. In: - ZHR 35 (1889), S. 37 - 90,321 - 395, 396f. (Inhalts- Uebersicht); - ZHR 36 (1890), S. 396 (Berichtigungen).
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(Italienische Übersetzung 1890 von G. Carnazza, vgl. K. Adler, ZHR 40 (1892), S. 606.) Lebensversicherung (C. Vivante, 11 contratto di assicurazione III, Mailand 1887; L. Zarnmarano, L' intrapresa delle assicurazioni, Turin 1887; Bericht des eidgenössischen Versicherungsamts, Bem 1888; O. Platou, Om livsforsikringskontraktens natur, Kristiania 1887; W. P. L. A. Molengraaff, Eisehen de wettelijke bepalingen omtrent de overeekomst van levensverzekering herziening?, Utrecht 1888; L. Rehfous, Le contrat d'assurance en cas de deces, Genf 1887.). In: ZHR 35, S. 274 - 290. Zeitschrift für das Gesammte Handelsrecht hrsg. v. L. Goldschmidt, Fr. von Hahn, H. Keyßner, P. Laband, E. Sachs. 36. Band. Stuttgart 1889. Georg Beseler und Eduard Pape. Ein Nachruf. In: ZHR 36, S. 1 - 5. Die Kreationstheorie und der Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich. In: ZHR 36, S. 124 - 146. (Auch in: Verm. Sehr. 11, S. 137 - 160.) Systematische Darstellungen des Deutschen Handelsrechts (W. Endemann, Das deutsche Handelsrecht, 4. Aufl., Leipzig 1887; K. Gareis, Das deutsche Handelsrecht, 3. Aufl., 1888; K. Cosack, Lehrbuch des Handelsrechts, 1888; H. Demburg, Lehrbuch des Preuß. Privatrechts und der Privatrechtsnormen des Reichs, Bd. 11, 4. Aufl., 1889; L. Goldschmidt, System des Handelsrechts ... im Grundriß, 2. Aufl., 1889). Besprochen von Goldschmidt. In: ZHR 36, S. 303 - 322. Zur Abhandlung von Carlin, (Zur rechtlichen Natur der Werthpapiere,) Zeitschrift XXXVI, S. 6ff. (6 - 39). In: ZHR 36, S. 596f. Anzeigen und Besprechungen: - W. Späing, Französisches und Englisches Handelsrecht im Anschluß an das ADHGB, 1888. In: ZHR 35, S. 295 - 298. - A. Schaube, Das Konsulat des Meeres in Pisa. Ein Beitrag zur Geschichte des Seewesens, der Handelsgilden und des Seerechts im Mittelalter, Leipzig 1888. In: ZHR 35, S. 599 604.
1890 System des Handelsrechts mit Einschluß des Wechsel-, See- und Versicherungsrechts im Grundriss von L. Goldschmidt. Dritte, verbesserte und durch Einzelausführungen vermehrte Auflage. 8° (VIII und 277 S.). Stuttgart: Ferdinand Enke 1890. (Besprochen von: L. Menzinger, in: Krit. Vjs. f. Gesetzgebung u. Rechtswiss. 34 (1892), S. 553 - 555.) Zur Reichstagswahl vorn 21. Februar und 2. März 1887. Von Dr. L. Goldschmidt, Geheimen Justizrath und ordentlichen Professor der Rechtswissenschaft an der Universität Berlin. 2. Auflage. 8° (61 S.). Berlin: Puttkarner & Mühlbrecht 1890. 11 Zeitschrift für das Gesammte Handelsrecht hrsg. v. L. Goldschmidt, Fr. v. Hahn, H. Keyßner, P. Laband und E. Sachs. 37. Band. Stuttgart 1890. Die Erwerbs- und Wirthschaftsgenossenschaften nach dem Reichsgesetz vorn 1.·Mai 1889. In: ZHR 37, S. 23 - 42. Anzeigen und Besprechungen: - H. Simonsfeld, Der Fondaco dei Tedeschi in Venedig und die Deutsch-Venetianischen Handelsbeziehungen. Stuttgart 1887. In: ZHR 37, S. 260 - 263. - V. Cusumano, Storia dei banchi della Sicilia. Rom 1887. In: ZHR 37, S. 263 - 267. 11
s. Kürschners Literaturkalender auf das Jahr 1895, S. 402.
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- K. Frhr. von Stengel, Wörterbuch des Verwaltungsrechts, 2 Bde., 1889 - 1890. In: ZHR 37, S. 572 - 574.
1891 Handbuch des Handelsrechts. Von L. Goldschmidt. Dritte völlig umgearbeitete Auflage. Erster Band. Geschichtlich-literärische Einleitung und die Grundlehren. Erste Abtheilung: Universalgeschichte des Handelsrechts. Erste Lieferung. 8° (XVIII und 468 S.). Stuttgart: Ferdinand Enke 1891. (Auch u.d.T.: Universalgeschichte des Handelsrechts. Erste Lieferung. Enthaltend: Die Grundprobleme. - Das Alterthum. - Das Mittelalter: Die Weltmächte und die Kirche. Die Mittelmeerstaaten. - Ergebnisse der romanischen Rechtsbildung im Mittelalter: Geschichte der einzelnen Rechtsinstitute. Von L. Goldschmidt. 8° (XVIII und 468 S.). Stuttgart: Ferdinand Enke 1891.) (Neudruck Aalen 1967; 2. Neudruck als: Levin Goldschmidt, Handbuch des Handelsrechts, Neudruckausgabe in 3 Teilen, Teil A: Band 1 Abteilung 1 Lieferung 1 in 3. Auflage: Universalgeschichte des Handelsrechts, Aalen 1973.) ("Theodor Mommsen in herzlicher Verehrung zugeeignet.") (Italienische Ausgabe: Levin Goldschmidt, Storia universale dei diritto commerciale. Prima traduzione italiana a cura di V. Pouchain und A. Scialoja. Turin 1913.). (Besprochen bzw. angezeigt von: R. Schröder, in: ZRG GA 13 (1892), S. 238 - 240; O. Lenel, in: ZRG RA 13 (1892), S. 402; Eccius, in: Beitr. Preuß. R. 37 (1893), S. 768; E. Thaller, Annales de droit commercial, 7. Bd., Paris 1893, S. 324 - 326; J. v. Gierke, in: ZHR 121 (1958), S. 74,144 (Anzeige des Neudrucks 1957).) Börsen und Banken. In: Preuß. Jbb. 68, S. 876 - 887. Rede zur Festversammlung des Hilfsvereins für jüdische Studirende an dessen fünfzigstem Jahrestag, den 26. Februar 1891. 8° (8 S.). Berlin: R. Boll (1891). (Auch in: Lebensbild S. 463 - 467.) Zeitschrift für das Gesammte Handelsrecht hrsg. v. L. Goldschrnidt, Fr. von Hahn, H. Keyßner, P. Laband, E. Sachs. 38. Band. Stuttgart 1891. Benevenuto Straccha Anconitanus und Petrus Santerna Lusitanus. In: ZHR 38, S. 1 - 9. (Anzeige v.:) K. Schulz, Katalog der Bibliothek des Reichsgerichts, 2. Bd., Leipzig 1890. In: ZHR 38, S. 350 - 352. Zeitschrift für das Gesammte Handelsrecht hrsg. v. L. Goldschrnidt, Fr. von Hahn, H. Keyßner, P. Laband, E. Sachs. 39. Band. Stuttgart 1891. Nekrologe (Franz Mittermaier, William Lewis, Fleischauer). In: ZHR 39, S. 261 - 264. Zusatz zu der Abhandlung des Herrn Regierungsraths Dr. Affolter (Wechseleigenthum und Wechselforderung, ZHR 39, S. 375 - 430.). In: ZHR 39, S. 431 - 434. (Angezeigt von: Annales de droit commercial, 7. Bd., Paris 1893, S. 337.) (Anmerkungen zu:) Cesare Vivante, Allgemeine Theorie der Versicherungsverträge, ZHR 39, S. 451 - 491. In: ZHR 39, S. 451, 454, 458, 465, 468, 475, 478, 480, 484, 485, 487 jeweils Fußn.*. (*)
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1892 System des Handelsrechts mit Einschluß des Wechsel-, See- und Versicherungsrechts im Grundriss von L. Goldschmidt. Vierte, verbesserte und durch Einzelausführungen vermehrte Auflage. 8° (VIII und 293 S.). Stuttgart: Ferdinand Enke 1892. Handel. Das Recht des Handels. Geschichtliche Entwicklung. In: Handwörterbuch der Staatswissenschaften. Hrsg. v. J. Conrad, L. Elster, W. Lexis, E. Loening. Vierter Band, Jena 1892, S. 329 - 339. (Auch u.d.T. Handelsrecht (Geschichtliche Entwicklung) in: Verm. Sehr. 11, S. 27 - 52.) Alte und neue Formen der Handelsgesellschaft. Vortrag, in der Juristischen Gesellschaft zu Berlin gehalten den 19. März 1892 von Dr. L. Goldschmidt, Geheimem Justizrath und ordentlichem Professor der Rechtswissenschaft an der Universität Berlin. 8° (43 S.). Berlin: Otto Liebmann 1892. (Auch in: Verm. Sehr. 11, S. 321 - 349.) (Angezeigt von: Annales de droit commercial, 7. Bd., Paris 1893, S. 328.) Zeitschrift für das Gesammte Handelsrecht hrsg. v. L. Goldschmidt, Fr. von Hahn, H. Keyßner, P. Laband, M. Pappenheim. 40. Band. Stuttgart 1892. Die Geschäftsoperationen auf den Messen der Champagne. (Les devisions des foires de Champagne). In: ZHR 40, S. 1 - 32, 366. (Auch in: Verm. Sehr. 11, S. 225 - 253.) (Angezeigt von: Annales de droit commercial, 7. Bd., Paris 1893, S. 326.) Erklärung der Redaktion. In: ZHR 40, S. 364f. Anzeigen und Besprechungen: - A. Wahl, Traite theorique et pratique des titres au porteur fran~ais et etrangers. Bd. 1 u. 2, Paris 1891. In: ZHR 40, S."261 - 272. - K. Frhr. von Stengel, Wörterbuch des Verwaltungsrechts. Bd. 2, Lfg. 14ff. Ergänzungsband I. In: ZHR 40, S. 601 - 603.
1893 Zeitschrift für das Gesammte Handelsrecht hrsg. v. L. Goldschmidt, Fr. von Hahn, H. Keyßner, P. Laband, M. Pappenheim. 41. Band. Stuttgart 1893. Vorwort. Zu: Federico Patetta (Hrsg.), Ein Brief des Baldus über Wechselgeschäfte, ZHR 41, S. 127 - 130. In: ZHR41, S. 127f.
1894 - 1896 Zeitschrift für das Gesammte Handelsrecht hrsg. v. L. Goldschmidt, Fr. von Hahn, H. Keyßner, P. Laband, M. Pappenheim. 42. - 45. Band. Stuttgart 1894 - 1896.
1897 Goldschmidt über Jolly. In: Staatsminister JoUy. Ein Lebensbild von Hermann Baumgarten und Ludwig Jolly, Tübingen 1897, S. 29 - 38. (Datiert 10. September 1892, s. L. Jolly, Vorwort S. V.)
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Zeitschrift für das Gesammte Handelsrecht hrsg. v. Dr. L. Goldschmidt, Geh. Justizrath, ordentl. Prof. der Rechte in Berlin, H. Keyßner, P. Laband, M. Pappenheim. 46. Band, I. und 2. Heft. Stuttgart 1897. (Das Gesamt-Titelblatt der ZHR für den 46. Band ist schwarz eingefaßt und lautet: Zeitschrift für das Gesammte Handelsrecht / begründet von L. Goldschmidt / hrsg. v. H. Keyßner, P. Laband, M. Pappenheim. 46. Band. Stuttgart 1897.)
1898 Levin Goldschmidt. Ein Lebensbild in Briefen. (Hrsg. v. Adele Goldschmidt.) Als Manuskript gedruckt. 80 (V und 485 S. nebst zwei Bildnissen Goldschmidts.). Berlin: Emil Goldschmidt 1898.
1901 Vermischte Schriften von L. Goldschmidt, weiland Geheimem Justizrath und Professor an der Universität Berlin. (Hrsg. v. Herman Veit Simon.). 8 0 Berlin: J. Guttentag 1901. - Erster Band. (XVI, 681 S.). - Zweiter Band. (II, 535 S.). (Angezeigt von: K. Lehmann, in: ZHR 50 (1901), S. 636 - 638; Eccius, in: Beitr. Preuß. R. 46 (1902), S. 738f.)
1910 Handel. Das Recht des Handels. Geschichtliche Entwicklung. Die Entwicklung bis zum Erlaß des neuen deutschen Handelsgesetzbuchs. In: Handwörterbuch der Staatswissenschaften. 3. Aufl., hrsg. v. J. Conrad, L. Elster, W. Lexis, E. Loening, 5. Bd., Jena 1910, S. 316 330. ("Aus der ersten Auflage (1892) ohne sachliche Aenderungen im Texte wiederholt.")
1913 Storia universale dei diritto commerciale: s. 1891.
1923 Handel. Das Recht des Handels. Geschichtliche Entwicklung. Die Entwicklung bis zum Erlaß des neuen deutschen Handelsgesetzbuchs. In: Handwörterbuch der Staatswissenschaften. 4. Aufl., hrsg. v. L. Elster, A. Weber, F. Wieser, 5. Bd., Jena 1923, S. 29 - 38. ("Im Hinblick auf die Person des Verfassers (Goldschmidt) aus der ersten Auflage ohne wesentliche, sachliche Aenderungen im Texte wiederholt. ")
1942 Der amerikanisch-britische Grenzstreit : s. 1872.
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1967 Universalgeschichte des Handelsrechts. Neudruck Aalen 1967: s. 1891.
1973 Levin Goldschmidt, Handbuch des Handelsrechts. Neudruckausgabe in 3 Teilen. Aalen: Scientia 1973. - Teil A. Band 1 Abteilung 1 Lieferung 1 in 3. Auflage: Universalgeschichte des Handelsrechts. 2. Neudruck der Ausgabe Stuttgart 1891. - Teil B. Band 1 2. Auflage. Neudruck der Ausgabe Stuttgart 1875. - Teil C. Band 2 Lieferung 1 in 2. Auflage (§§ 60 - 64), Band 1 Abteilung 2 in I. Auflage (§§ 65 - 109). Neudruck der Ausgabe Stuttgart 1868 - 1883.
1986 Ueber die wissenschaftliche Behandlung des deutschen Handelsrechts ... : s. 1858.
2. Anhang
a) Bildnisse Goldschmidts ZHR 47 (1898): Frontispiz (die gleiche Abbildung auch bei Pappenheim und Karsten Schmidt, verkleinert und seitenverkehrt bei Heymann, Hundert Jahre Berliner Juristenfakultät, und Liebmann) ; Pappenheim, Max: Levin Goldschmidt, Stuttgart 1898: Frontispiz. Riesser; Jakob: L. Goldschmidt: Gedächtnisrede, nebst einem Bildnis Goldschmidts, Berlin 1897: Frontispiz. Goldschmidt, Levin: Ein Lebensbild in Briefen, Berlin 1898: Frontispiz und hinter S. 32 (Goldschmidt im 19. Lebensjahre). Heymann, Ernst: Hundert Jahre Berliner Juristenfakultät: Ein Gedenkblatt, in: DJZ 1910, Sp. 1103 - 1194: Sp. 1169. Liebmann, Otto (Hrsg.): Die Juristische Fakultät der Universität Berlin, Berlin 1910: Tafel 18 hinter S. 160 (mit der Wiedergabe eines Autographs Goldschmidts: "Das Handelsrecht ist Erzeugniss universeller Kulturentwickelung; die nationale Eigenart auf diesem Rechtsgebiete nur in beschränktem Maasse original schöpferisch. - Berlin 12. Januar 1892 Goldschmidt"). Schmidt, Karsten: Levin Goldschmidt, in: Deutsche Juristen jüdischer Herkunft, München 1993: S. 216.
b) Urkunden und Autographen Goldschmidt, Levin: Ein Lebensbild in Briefen. Hrsg. v. Adele Goldschmidt, Berlin 1898: Abdruck von Briefen Goldschmidts aus den Jahren 1847 bis 1894. Liebmann, Otto (Hrsg.): Die Juristische Fakultät der Universität Berlin von ihrer Gründung bis zur Gegenwart in Wort und Bild, in Urkunden und Briefen. Festgabe der DJZ zur Jahrhundertfeier der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, Berlin 1910:
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Briefe Goldschmidts an Frau Beseler zu Georg Beselers Tod vom I. 9. 1888 (Faksimile), S. 154. an seine Braut vom 2. 11. 1855 (Faksimile), S. 160f.. an Minister Jolly vom 19. 12. 1869 (Faksimile), S. 161. an Stobbe (undatiert) (Faksimile), S. 162. an Abeken vom 22.8. 1857 (Faksimile), S. 162. an seine "Geschwister" vom 15.3. 1855, S. 163. an Fitting vom 23. 12. 1869, S. 163. an Minister Jolly vom 9. 4. 1874 (Faksimile), S. 163. an Oberregierungsrat Olshausen vom 3. 9. 1872, S. 164. an seine Braut vom 28. 9. 1855, S. 164. Universitätsarchiv Heidelberg: - UAH III, 3a, Nr. 79a!1865-66, fo\. 192-201. - UAH III, 3b, Nr. 116 (Personalakte Levin Goldschmidt).12 Portrait- und Autographensammlung von Justus Wilhelm Hedemann. Blatt Goldschmidt, Lewin: Vorlesungsankündigung (für das Wintersemester 1869170). Eine Sterbeurkunde für Levin Goldschmidt befindet sich im Archiv Bibliographia Judaica e.V. (am Institut für Deutsche Sprache und Literatur 11 der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität) in Frankfurt a.MY.
-
c) Auszüge aus Aktenmaterial über Goldschmidt Goldschmidt, L.: Rechtsstudium 1887, passim: Zahlreiche wertvolle Details aus Goldschmidts praktischer wie wissenschaftlicher Laufbahn vom Beginn des Studiums bis zum Berliner Ordinariat. Heuer, Renate: Bibliographia Judaica, Bd. I, 1981, S. 123. Jammers, Antonius: Heidelberger Juristenfakultät, 1964, S. 60f., 64 - 67. Kalkhoff, Hermann: Nationalliberale Parlamentarier, 1917, S. 79: Biographische Daten aus den Akten des Reichstags. Die königliche Friedrich-Wilhelms-Universitaet Berlin in ihrem Personalbestande 1810 bis 1885, (Berlin 1885), S. 28ff.: Die juristische Fakultät der Universität Berlin. Lenz, Max: Geschichte, 3. Bd., 1910, S. 486: Dekanat. Lobe, Adolf (Hrsg.): Fünfzig Jahre Reichsgericht, Berlin und Leipzig 1929, S. 337f.: Biographische Daten aus den Personalakten des ROHG. Die Matrikel der Universität Heidelberg, 6. Teil, 1907, S. 82ff., 97 (Nr. 295): Immatrikulation an der Universität Heidelberg am 27. 10. 1849. Müller, E.: Die ersten 25 Jahre des RG, 1904, S. 56f.: Biographische Daten aus den Personalakten des ROHG. Preuß. JMB\. 15 (1853), S. 205: Ernennung zum Referendar. Reinhard Riese, : Die Hochschule, 1977, S. 98 - 102: Ernennung zum ordentlichen Professor. ROHGE I (1873), S. 3f. =BGB\. 1870, S. 27: Ernennung zum Rath am BOHG in Leipzig. ROHGE 16 (1875), S. 435: Ausscheiden aus dem ROHG. Schwarz, Max: MdR. Biographisches Handbuch der Reichstage, 1965, S. 325.
12 Deren Einsichtnahme mir das Universitätsarchiv, Prof. Dr. H. Weisert freundlicherweise ermöglichte. 13 Freundliche Auskunft von Frau Dr. Renate Heuer, Archiv Bibliographia Judaica.
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Seckel, Emil: Geschichte der Berliner juristischen Fakultät als Spruchkollegium. In: Lenz, Geschichte, 3. Bd., S. 463, 466: Mitgliedschaft im Spruchkollegium. Weisert, Hermann: Verfassung der Universität Heidelberg, Teil V, Ruperto Carola, 26. Jg., Bd. 53,1974, S. 28f.: Ernennung zum ordentlichen Professor.
d) Verzeichnis von Werken anderer Autoren, die Goldschmidt gewidmet sind Stobbe, Otto: Handbuch des Deutschen Privatrechts, 2. Bd., 2. Aufl., Berlin 1883. Pappen heim, Max: Die altdänischen Schutzgilden, Breslau 1885. Rießer, J(akob): Zur Revision des Handelsgesetzbuchs, I. Abth., Stuttgart 1887. Heck, Ph(ilipp): Das Recht der Großen Haverei, Berlin 1889. Weber, Max: Zur Geschichte der Handelsgesellschaften im Mittelalter, Stuttgart 1889. Schaps, Georg: Zur Geschichte des Wechselindossaments, Stuttgart 1892. Silberschmidt, W(ilhelm): Die Entstehung des deutschen Handelsgerichts nach archivalischen Quellen, Leipzig 1894. Rehme, Paul: Das Lübecker Ober-Stadtbuch: Ein Beitrag zur Geschichte der Rechtsquellen, Hannover 1895. Daneben finden sich in zahlreichen Werken Danksagungen an Goldschmidt, z. B.: Fitting, Hermann: Zur Lehre vom Kauf auf Probe oder auf Besieht, in: ZHR 2 (1859), S. 203 - 282, 28lf.; Homeyer, C. G.: Die Haus- und Hofmarken, Berlin 1870, S. XIII ff., XVI; Rehme, Paul: Die geschichtliche Entwicklung der Haftung des Reeders, Stuttgart 1891, S. V; Behrend, Franz Hermann: Die unvollkommenen Ordrepapiere, Leipzig 1892, S. 78.
e) Biographien, Nachrufe und Würdigungen Goldschmidts 14 Adler, K(arl): Art. Levin Goldschmidt, in: Biographisches Jahrbuch und Deutscher Nekrolog, hrsg. v. Anton Bettelheim, II. Bd., Berlin 1898, S. 119 - 122. Adam, Reinhard: Art. Levin Goldschmidt, in: Altpreußische Biographie, hrsg. v. Kurt Forstreuter, Fritz Gause, Bd. III: Ergänzungen zu Bd. I u. II. MarburglLahn 1975, S. 926. Benöhr, Hans-Peter: Der Verfasser des Gutachtens: Levin Goldschmidt, in: ders., Die Grundlage des BGB, JuS 1977, S. 82. Dietz, Rolf: Art. Levin Goldschmidt, in: NDB 6 (1964), S. 617f. (Nachum) G(oldmann) / (B.) J(acob), Art. "Goldschmidt, Levin", in: Encyc\paedia Judaica: Das Judentum in Geschichte und Gegenwart, 7. Bd., Berlin 1931, Sp. 487f. Goldschmidt, Levin: (Lebenslauf in lateinischer Sprache), in: ders., De societate en commandite, 1851, S. 77f.. - (Handschriftlicher Lebenslauf vom 23ten Januar 1855), in: Universitätsarchiv Heidelberg, UAH III, 3b, Nr. 116 (Personalakte Levin Goldschmidt), BI. 1, 1 R. Grünhut, (C. S.): Professor Levin Goldschmidt, in: Allgemeine Zeitung des Judenthums, 61. Jg., Berlin 1897, S. 365f. (Aus der Wiener "Neuen Freien Presse" unverändert übernommen). H(agerup), F(rancis): Nekrologer: Filippo Serafini, Levin Goldschmidt, in: Tidsskrift for Retsvidenskab, 10. Jg., Christiania 1897, S. 357 - 359.
14
Diese Werke werden nur mit dem Namen des Autors zitiert.
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Heymann, Ernst: Art. Levin Goldschmidt, in: Encyc10paedia of the Social Sciences, Bd. 5, New York 1931, S. 694f. - Hundert Jahre Berliner Juristenfakultät, in: DJZ 1910, Sp. 1168 (Auch in: O. Liebmann, Die Juristische Fakultät, 1910, S. 48f.). Hinrichsen, Adolf: Das literarische Deutschland, 2. Aufl., BerHn 1891, S. 62 - 69. lahnei, Rosemarie: Levin Goldschmidt, in: dies.: Kurzbiographien der Verfasser des Bürgerlichen Gesetzbuchs, in: Werner Schubert, Materialien zur Entstehungsgeschichte des BGB, 1978, S. 69 - 124,69 - 71. Kraemer-Diethardt, Federico: Art. Levin Goldschmidt, in: Novissimo Digesto Italiano, Bd. 7, Turin 1957, S. 1146. Kronstein, H.: Art. Levin Goldschmidt, in: HRG 1 (1971), Sp. 1748 - 1751. Laband, Paul: Levin Goldschmidt, in: DJZ 1897, S. 296 - 298 (Auch in: Goldschmidt, Lebensbild S. 473 - 479). Landsberg, Ernst: Geschichte der Deutschen Rechtswissenschaft, 3. Abt., 2. Halbband, 1910, - Text(band), S. 938 - 949. - Noten(band), S. 394 - 397. Landwehr, Götz: Levin Goldschmidt (1829 - 1897), in: ders., Die Handelsrechtswissenschaft an der Universität Heidelberg im 19. Jahrhundert, in: Semper Apertus, Bd. 11, 1985, S. 73 - 81. Lyon-Caen, Charles: (Gedenken an Goldschmidt, in: ders., Ansprache vor der Societe de Legislation comparee), in: Bulletin de la Societe de Legislation comparee, Bd. 27 (1897 1898), Paris 1898, S. 115 - 129, 119 - 121. Necrologie: Serafini - Goldschmidt, in: Annales de droit commercial et industriel Fran~ais, etranger et international, Jg. 1897, Paris 1897, S. 319f. Pappenheim, Max: Levin Goldschmidt, in: ZHR 47 (1898), S. 1 - 49. - Levin Goldschmidt, Stuttgart 1898 (Seiten- und umbruchgleicher Sonderdruck des vorstehenden Nachrufs). - Art. Levin Goldschmidt, in: ADB 49 (1904), S. 438 - 448. Pinn, Max: Rechtswissenschaft, in: Siegmund Kaznelson (Hrsg.), Juden im deutschen Kulturbereich: Ein Sammelwerk, 2. Aufl., Berlin 1959, S. 590 - 672, 647 - 650. Riesser, (Jakob): L. Goldschmidt: Gedächtnisrede, gehalten in der Juristischen Gesellschaft zu Berlin am 13. November 1897, Berlin 1897 (58 S.). Ring, Viktor: (Schreiben vom 11. Juli 1910.), in: O. Liebmann, Die Juristische Fakultät, 1910, S. 385 (Faksimile). Sacerdoti, Adolfo: L'opera scientifica di Lewin Goldschmidt, in: Studii giuridici dedicati e offerti a Francesco Schupfer, (Parte III:) Diritto odierno, Turin 1898, S. 65 - 95. - L'opera scientifica di Lewin Goldschmidt, Turin 1898 (umbruchgleiche Separatausgabe der vorstehenden Abhandlung). Schmidt, Karsten: Levin Goldschmidt: Der Begründer der modemen Handelsrechtswissenschaft, in: Deutsche Juristen jüdischer Herkunft, hrsg. v. Helmut Heinrichs, Harald Franzki, Klaus Schmalz, Michael Stolleis, München 1993, S. 215 - 230 15 • Schräder, R(ichard): Germanistische Chronik, in: ZRG GA 18 (1897), S. 208 - 210, 208. 15 Ich bin Herm Prof. Karsten Schmidt dafür dankbar, daß er mir die Einsichtnahme in das Manuskript gestattet hat, so daß diese wichtige Würdigung aus der Sicht des geltenden Handelsrechts noch berücksichtigt werden konnte.
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Verzeichnis der Schriften Goldschmidts
Scialoja, Vittorio: Levin Goldschmidt, in: Bullettino dell' Istituto di Diritto Romano, 9. Jg. (1896), Rom 1896, S. 314 - 317. Seelig: Goldschmidt (Schreiben vom Juli 1910), in: O. Liebmann, Die Juristische Fakultät, 1910, S. 517 (Faksimile). Sinzheimer; Hugo: Levin Goldschmidt, in: ders., Jüdische Klassiker, 1953, S. 51 - 72 (Manuskript Amsterdam 1937). Staub, Hermann: Juristische Rundschau, DJZ 1897, S. 298. Vidari, Ercole: Lewin Goldschmidt, in: Archivio Giuridico "Filippo Serafini", Bd. 49, Messina 1897, S. 491 - 494. Wininger; S.: Große Jüdische National-Biographie, 2. Bd., 1927, S. 459f. (Auszüge aus dem Nachruf Adlers). W(oljj), S(iegfried): Art. Levin Goldschmidt, in: Jüdisches Lexikon: Ein enzyklopädisches Handbuch des jüdischen Wissens in vier Bänden, Bd. 11, Berlin 1928, Sp. 1190f.
Nicht mehr berücksichtigt werden konnte: Großfeld, Bemhard / Papagiannis, Ioannis M.: Levin Goldschmidt. Zur Geschichte des modemen Handelsrechts, in: ZHR 159 (1995), S. 529 - 549.
Sachverzeichnis Abstrakte Rechtsgeschäfte 220, 257, 502 Advokatur, Anwalt(schaft) 30, 54-58, 142 Aktenversendung 223 Aktiengesellschaft, Aktienrecht 40, 107, 143, 151, 152, 218, 219, 222, 226, 307, 308, 351, 355, 359, 384-397, 412, 415, 416 Allgemeine Geschäftsbedingungen 310, 336-338,349,350 Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch 64, 69, 77-80, 83, 84,94, 107, 115, 154, 156, 160, 161, 165, 173, 175, 176, 179, 183, 218, 219-221, 252, 253, 258, 264, 275, 288, 315, 316, 319, 322, 328-330, 338,340,359-384,385 Allgemeine Deutsche Wechselordnung 69, 94 Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten 43,52,53,62, 116, 117, 120,208, 482,528 Analogie 219, 237, 268, 475, 483, 484,507 Antisemitismus 100, 132-141, 143-150 Arbeitseinlage 369-373 Arglist, actio doli, actio de dolo 196, 224229,394,426 Assekuranz s. Versicherung Aufklärung 25 Aufrechnung 362, 382 Auskultatur 29, 43, 44, 47, 51-55,88,203 Auslegung 103, 187, 189, 190, 191, 196, 216, 237, 248, 250, 251, 252, 253, 258, 261, 306, 328, 332, 350, 424, 425, 470, 476, 479-482, 483, 486, 491, 500, 507, 514,515,518,520,521,522 Baden (Großherzogtum) 38, 40, 61, 76, 78, 82,92,95,97,142 Banken 72, 218, 222, 231 Basel 76 Bayern (Königreich) 56, 58, 109-111 Beamte 48, 85, 94, 96, 100,209,274, 388 37*
Bedürfnis des Handelsverkehrs s. Verkehrsbedürfnis Begriffsjurisprudenz 99, 421, 468, 473, 491, 494,501,507,520,522,530 Berlin (Stadt) 28, 31-33, 55, 57, 58, 98, 103, 113, 121, 122, 132-141, 142, 147, 149, 155 Berlin (Universität) 29, 30, 34, 35, 43-45, 47, 49, 57, 76, 115, 119-121, 122, 129132, 147, 153 Besitz 165, 255, 257, 258-263, 266, 267, 280,286-306,307,434-438,501,505 Besitzkonstitut 288, 294, 298, 303, 503 Börse 148,222,229,231,387,396 Bologna (Universität) 82, 152 Bonn 35-37 Bürgerliches Gesetzbuch (s. auch Kodifikation) 77, 98, 107-119, 122, 153, 154, 157, 161, 172, 173, 185, 198,280,282, 372 Bürgschaft 186, 399 Bundesoberhandelsgericht s. Reichsoberhandelsgericht Code civil252 Code de commerce 468 Codex Maxirnilianeus Bavaricus Civilis 116,251,252 culpa s. Verschulden culpa in contrahendo 195, 196, 213, 228, 229,247,327 Danzig 24-26, 30, 50, 51, 55, 57, 67, 79, 295,425,448-450 Deliktsfähigkeit 214-217 Deutscher Bund 27, 29, 57, 58, 63, 204 Deutscher Handelstag 79,80 Deutsches Privatrecht 37,39,40,41,85,95, 122, 124, 153, 160, 166, 169, 174, 419, 428,433-438,467,468,509
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Sachverzeichnis
Deutsches Reich 40, 92, 98, 100, 107, 112, 118, 123, 133, 139, 141, 144, 147, 149 Deutsch-Französischer Krieg 97, 101, 102 Deutsch-Israelitischer Gemeindebund 135 Diebstahl 41, 266 Doctor iuris 28, 43-50, 59, 207 dolus s. Arglist, Verschulden Eigentum, -serwerb, -sübertragung 162, 257, 259, 279, 280, 285, 286, 289, 292, 300,303,305,498,502,504,505 Eigentumserwerb vom Nichtberechtigten 263-269,434-438,498,501,504,505 Eisenbahn, -gesetzgebung 79, 80, 222, 224, 225, 233, 243, 247, 248, 307, 308, 329,
330,337 1 338,347,348,388,478
Eisenbahnfrachtrecht 151, 246, 308, 309, 310,311,318,319,320-350,512,518 Eisenbahn-Betriebs=Reglement 230, 268, 310, 319, 322-337, 338, 339-350, 506, 511-520,521,523 Erfüllungsgehilfe s. Gehilfenhaftung Ergänzende Vertragsauslegung 191 Fahrlässigkeit s. Verschulden Französisches Recht, Französische Rechtswissenschaft 185, 217, 225, 232, 252, 253, 276, 352, 356, 358, 360, 362, 364, 366, 367, 378, 379, 381, 385, 412, 418, 468,470,471,503 Freirechtsbewegung 483, 484, 493, 525 Gattungskauf, -schuld 186, 196-199, 246, 257 Gefährdungshaftung 108, 233, 308, 319 Gehilfenhaftung 193-196, 232-250, 262, 314,324 Geld 162, 165,256,257,492,498,503 Gemeines Recht 34, 94, 96, 117, 118, 160, 185, 188, 193-196,214-217,218,219, 224, 228, 232-250, 251, 252, 256, 261, 264, 265, 267, 269, 282, 287-290, 292, 295, 296-299, 301, 303, 309, 311, 312, 317-319, 322, 324-335, 352, 354, 355, 378, 386, 394, 423, 450, 477, 487, 491, 507 Gemeinsamer oberster Gerichtshof s. Handelssachen
Genossenschaften 77, 91, 151, 152, 159, 173, 186, 213, 230, 351, 372, 390, 397411,413,492 Germanistik s. Deutsches Privatrecht Gesamthand 367, 383, 384 Geschäftsfähigkeit 214-217 "Geschichtlich-dogmatische Abhandlungen" s. "Historisch-dogmatische Abhandlungen" Gesellschaft mit beschränkter Haftung 151, 170,351,412-414 Gesetzespositivismus 46, 476, 477, 484, 512,520,523 Gesetzgebung 69, 107, 109, 110, 114-118, 122, 123, 129, 143, 144, 157, 167, 170, 171, 172, 174, 176, 177, 179, 188, 189, 191, 204, 205, 207, 216, 219, 229, 234, 236, 237, 242, 245, 246, 249, 252, 262, 264, 265, 268, 271, 273, 274, 277, 282, 285, 286, 295, 302, 305, 307, 308, 309, 315, 316, 319, 328, 336, 340, 351, 352, 354, 355, 356, 357, 359, 363-365, 367, 368, 372, 378, 383, 384-397, 399, 403, 407, 412, 413, 414, 422, 428, 451, 458, 460, 471-485, 488, 500, 501, 504, 505, 508,509,522 Gewere 435-437 Gewohnheitsrecht 57, 60, 179, 194, 208, 179, 186, 194, 224, 225, 228, 234, 246, 252, 262, 284, 287, 288, 291, 198, 300, 320, 333, 335, 366, 367, 422, 439, 455, 465, 473-475, 482, 483, 485-489, 491493,495,504,507,521,522 Großbritannien 102-104, 213 Gutachten 64, 72, 73, 77, 78, 81, 103, 104, 107, 113, 114, 151, 159, 172, 186 Haager Friedenskonferenz 105, 106 Haftung 151, 193-196, 193-196,213,215, 218, 222-231, 232-250, 308, 309, 310, 311-337, 341-344, 353, 355, 358, 361, 362, 369, 370, 372-375, 379, 380, 381, 382, 391, 394, 396, 399-411, 412, 413, 495,512,519,526 Halle (Universität) 43, 47-50, 52, 53, 59 Hamburg 55, 56, 57, 58, 64, 65, 160, 213, 357, 380, 390, 450, 460, 468, 469, 487, 488
Sachverzeichnis Handelsgericht 57, 70, 79, 80, 101, 124, 142 Handelsgesellschaft 351-384, 411-414 Handelgesetzbuch 115, 116, 153, 154, 183 Handelsrecht und Bürgerliches Recht 255,
269-278
Handelssachen (Gerichte/Kammern für -) 54, 124,476, oberster deutscher Gerichtshof für - 51, 78, 80, 95, 188, 204, 273,
478
Handlungsgehilfe 219, 220, 369 Hanse 78, 424, 431, 432, 450, 469 Haus-/Hofmarke 433, 434 Haverei 309,452-462,528,529 Heidelberg (Universität) 34, 37-42, 47, 55,
56,59,60,61-67,72,73-92,94,95,96, 97,99,120,122,419,431,508 Historische Rechtsschule 72, 184, 201, 244, 465, 468, 471, 473, 474, 485, 491, 493, 525 "Historisch-dogmatische
Abhandlungen"
170,251,263,317,323,418,421,452, 495 Historisch-genetische Methode 167, 245, 251,261,306,490,491,494-496,511 Historismus 27, 166, 522 Höhere Gewalt 237, 313-316, 318, 319, 329,451,519 Induktive Methode 240, 484, 489-492,
494-496,506,508,528,531
Institut de Droit International 81, 101, 104-
581
Kaufvertrag, Kaufvertragsrecht 186, 196-
198, 218, 223, 224, 246, 250-254, 275, 463,464,492,502 Kodifikation des Privatrechts 49,69, 77, 79, 107, 108, 109, llO, 112, 113, 116, 117, 118 Kommanditgesellschaft 351, 352, 354, 359369,370,371,373,375,382,384,412
Kommanditengesellschaft s. societe en commandite Konkursordnung 77,124-127,172,173 Konnossement 286-306, 518 Konsistorium 44 Kontokorrent 78 Konzessionssystem 143,359,385-387,391,
397
Kulturkampf 98, 136, 147 Ladeschein, Lagerschein 286, 287, 288,
290,294,295,296,300,301,302,306
Leipzig 55, 59, 69, 88, 89, 92, 98, 99-101,
110,119,121,123,124
Locatio conductio 240, 241, 309, 314, 318,
321,451,455
"Lucca-Pistoja-Aktienstreit" 72, 141, 196,
218, 219, 222-231, 268, 374, 375, 377, 393, 396, 513 Lübeck, Lübisches Recht 56, 424, 444, 449, 460,469
Interessenjurisprudenz 130, 131, 482, 521,
Makler 441-443 Mehrheitsverband 393, 414-416 München 55, 56
Internationales Privatrecht 101, 129, 217, 417 Italien 36, 128, 129, 134, 165, 167, 168,
Nationalliberale Partei 32, 36, 81, 82, 91,
106
525,529
90, 133, 134, 137, 138, 145
92, 93, 94, 97, 100, 109, 121, 123, 126, 141, 142, 147, 149 Natur der Sache 42, 174, 225, 247, 253, 374,472,473,484,485,492,518,528 Norddeutscher Bund 48, 92-96, 100, 109, 110
51,54, 88, 99, 129, 131, 138,201,203213,433,493,494,526
Oberappellationsgericht Lübeck 223, 266,
356, 412, 432, 439, 440, 441, 442, 457, 463,465,466,467
Judenemanzipation 25, 27, 45, 46, 56, 65, Juristenausbildung 24, 29, 34, 43, 47, 50,
Kanada 102, 103 Kassel 155
Normalsatz s. Wertdeklaration
287,357,374,375,377,469,508,509
Offene Handelsgesellschaft 353, 354, 360,
362,371,373-384,400,417
582
Sachverzeichnis
Orderpapier 288,294,299,300,301,302 Österreich 55, 58, 59, 77, 89 Pandektenwissenschaft 35, 37, 62, 76, 96, 117,468,474,491,505 Parteiwillen 188, 189, 191-193, 238, 250, 253,258 Preußen (Königreich) 24, 25, 27, 28, 38, 39, 43-47,53-55,62,64,74,75,87,92,95, 97,98, 100, 109, 112, 115, 133, 135, 142, 146, 203, 204, 205, 207, 208, 307, 309, 318,338,378,386,409,478 Prokura s. Stellvertretung Promotion s. Doctor iuris Quellenkritik 423, 424, 426 Rechtshängigkeit 184 Rechtssoziologie 484, 493, 499, 527, 528 Redlichkeit, redlicher Verkehr 285, 434, 436,437 Referendariat 29, 51, 54, 55, 58, 60, 203, 206,211 Reichseinigung 40, 92, 97 Reichsgericht 110, 121, 124, 177, 179 Reichsjustizamt 151, 152, 173, 390, 397, 398 Reichsjustizgesetze 122, 123, 129,207 Reichsoberhande1sgericht 51, 70, 87, 89, 92-96,98-100, 105, 107, 110, lll, 119, 121, 131, 158, 163, 171, 177, 179, 184, 185-199, 279, 284, 295, 300, 301, 302, 388,389,483,487,508,510,511 Reichstag 36, 93, 95, 109, 121, 122, 123127, 138, 142, 144, 147, 150, 152, 155, 159,172,173 Revolution von 184831-33, 35, 42, 47, 58, 60,68 Rezeption des Römischen Rechts 106, 207, 232, 234, 244, 261, 263, 311, 419, 434, 436,439,450-452,457,461,464,528 Richter 24, 28, 29, 51, 54, 70, 80, 93, 99, 100, 119, 129, 176, 177, 184, 185, 199, 209,210 Römische Rechtsgeschichte 36, 50, 199, 253,254,271,419-428
Römisches Recht 34, 36, 37, 38, 39, 48, 55, 103, 105, 106, 107, 108, 117, 118, 120, 124, 129, 160, 169, 174, 175, 192, 194, 197, 198, 207, 209, 215, 218, 219, 226, 228, 232, 233, 234, 235, 238, 242, 244, 245, 249, 250, 251, 253, 254, 261, 262, 263, 265, 268, 269, 271, 283, 289, 291, 292, 297, 298, 301, 302, 306, 311, 312, 314,315,317,318,319,335,380,384, 386, 401, 419-428, 434, 435, 436, 437, 438, 439, 450-452, 453, 455, 456, 457, 460, 461, 466, 467, 468, 477, 486, 493, 494, 501, 503, 507, 509, 510, 511, 527, 528,531 Romanistik s. Römisches Recht Sachenrecht 113, 162, 214, 255-269, 279, 286-306,434-438,501,505 "San-Juan-Frage" 102-104 Schiedsgerichte, internationale 102-1 06 Schweiz (Gesetzgebung) 34,101,171 Seerecht, Seehandelsrecht (s. auch Konnossement) 64, 129, 168, 186, 199,202,309, 317, 412, 414, 428, 434, 440, 443-462, 528,531 Seedarlehen 35, 421-426, 447, 461-464 Seefrachtvertrag, -transport 275, 309, 311, 333,446-448,451,454,455 Seeversicherung 462-465 Sensa1 s. Makler Septennatsstreit 141, 142 Societe en commandite 49, 351-359 Sozialdemokratie 122, 127, 142, 144, 372, 500 Soziale Frage 372, 403, 500 Sozialgesetzgebung, -versicherung 144, 243,244,372 Spiel 148 Spruchkollegium 90, 131, 223 Staatsangehörigkeit 87, 217 Stellvertretung 186, 194-196, 217, 218221, 234, 238, 242, 247, 249, 292, 297, 370,371,374,424,460 Stille Gesellschaft 352-354, 359-369, 370, 373,375,380,400 Strafrecht 34, 36, 38,41,42,43,52,53,54, 122, 129, 211, 214-216, 226, 261, 266, 268,397,419,471,505,521
Sachverzeichnis Traditionspapier 213, 245, 257, 267,286-306,501 Transportrecht, -vertrag (s. auch vertrag) 234, 241, 242, 247, 306, 307-350, 446-448, 451, 463,512,516 Tübingen (Universität) 55
259, 263, Seefracht259, 297, 452, 455,
Unternehmen 276, 277, 278, 440 Urheberrecht 40, 178, 186, 188-193,510 Urkundenprozeß 184 Vereinigte Staaten von Amerika 102, 104 Verkehrsbedürfnis 175, 188, 191, 208, 233, 244-247, 252, 261, 262, 264, 267, 268, 271, 273, 280, 284, 285, 291, 302, 315, 355, 366, 367, 368, 377, 395, 403, 409, 413, 420, 428, 439, 443, 451, 462, 465, 475,488,491,506,514,529 Verschulden 195, 227-229, 232-250, 308, 311-319,321,324,394,451,452 Versicherung 129, 167, 177, 178, 186, 199, 202, 239, 243, 275, 276, 372, 388, 440, 468, 462-465, 510
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Wechsel, Wechselrecht 49, 63, 85, 109, 148, 186, 187, 266, 273, 276, 278, 279-286, 339, 428, 440, 44l-, 454, 466, 468, 480, 510 Wert 165, 178, 256, 257, 258, 446, 447, 497-505 Wertdeklaration 341-346, 348 Wertpapier, Wertpapierrecht 163, 167, 178, 223, 229, 231, 255, 256, 259, 266, 278306,397,503,510 Willenserklärung 186, 194, 325, 326, 331, 334,335,336,486,504 Wisby (Stadtrecht) 428-431 Wisbysches Seerecht 158,444-450 Wucher, -gesetze 81, 143, 230, 355, 439, 490 Württemberg (Königreich) 58, 59, 109 Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht 68-73,74, 101, 155, 158, 159, 161, 164, 165, 168, 169, 170, 171, 173-184