Theologie und Sklaverei von der Antike bis in die frühe Neuzeit: Redaktion: Priesching, Nicole 9783487421780

Die Institution der Sklaverei ist älter als das Christentum. Die Forschung hat immer wieder auf den humanisierenden Einf

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German Pages 331 Year 2016

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SKLAVEREI · KNECHTSCHAFT · ZWANGSARBEIT - Band 14
Nicole Priesching, Heike Grieser (Hrsg.) - Theologie und Sklaverei von der Antike bis in die frühe Neuzeit
Impressum
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Einleitung
NADINE BREITBARTH - „Als Sklave ertrage ich die Sklaverei“ (Oratio 11, 2) – Tatians Aussagen zur Sklaverei in seiner Rede an die Griechen
ALEXANDRA HASSE-UNGEHEUER - Basilius von Caesarea: Sklaverei als Teil der gottgegebenen irdischen Ordnung und die Gleichheit aller Menschen vor Gott
HEIKE GRIESER - Antike Sklaverei und entstehendes christliches Mönchtum. Facetten eines spannungsreichen Verhältnisses
KATHARINA PULTAR - „Sklaven von Natur aus“? Die servitus bei Thomas von Aquin
VOLKER LEPPIN - Affirmation und Kritik der Sklaverei im Luthertum
MAGNUS RESSEL - Eine Rezeptionsskizze der atlantischen Sklaverei im frühneuzeitlichen protestantischen Deutschland
GABRIEL-DAVID KREBES - Servi ergo regendi sunt quasi asini. Cornelius a Lapide (1567-1637) zur Sklaverei bei Jesus Sirach
HEIKE GRIESER / NICOLE PRIESCHING - Sklaverei und christliches Gnadenethos. Einige Deutungen des Philemonbriefes von den Vätern bis zur Barockscholastik
Abkürzungsverzeichnis
Die Autorinnen und Autoren
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Theologie und Sklaverei von der Antike bis in die frühe Neuzeit: Redaktion: Priesching, Nicole
 9783487421780

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ISBN 978-3-487-15421-3

Theologie und Sklaverei von der Antike bis in die frühe Neuzeit Priesching/Grieser (Hrsg.) ·

Die Institution der Sklaverei ist älter als das Christentum. Die Forschung hat immer wieder auf den humanisierenden Einfluss der christlichen Erlösungsreligion aufmerksam gemacht, in der auch Sklaven als Menschen in den Blick genommen wurden. Doch auch unter christlichen Vorzeichen existierte Sklaverei weiter und gehörte noch bis ins 19. Jahrhundert hinein zur Realität christlicher (und muslimischer) Gesellschaften im Mittelmeerraum. Wie ließ sich diese Praxis mit dem Christentum vereinbaren, das jeden Menschen als Ebenbild Gottes versteht? Die acht Beiträge dieses Sammelbandes sind aus einem von der DFG geförderten gleichnamigen Forschungsprojekt hervorgegangen. Sie widmen sich dieser Frage erstmals in einem theologiegeschichtlichen Zugriff. So werden Humanisierungstendenzen und ihre Grenzen bei christlichen Autoren vom 2. bis zum 17. Jahrhundert (u.a. Tatian, Basilius von Caesarea, Johannes Chrysostomus, Thomas von Aquin, Martin Luther, Cornelius a Lapide) und im Mönchtum herausgearbeitet. Dabei lassen sich neue Einsichten in Legitimations- und Bewältigungsstrategien sowie Rezeptionsprozesse gewinnen.

SKLAVEREI · KNECHTSCHAFT · ZWANGSARBEIT Band 14

Nicole Priesching Heike Grieser (Hrsg.) Theologie und Sklaverei von der Antike bis in die frühe Neuzeit

OLMS

(E-Book)

SKLAVEREI · KNECHTSCHAFT · ZWANGSARBEIT Untersuchungen zur Sozial-, Rechts- und Kulturgeschichte Herausgegeben von Elisabeth Herrmann-Otto

Band 14 Theologie und Sklaverei von der Antike bis in die frühe Neuzeit Herausgegeben von Nicole Priesching und Heike Grieser

Georg Olms Verlag Hildesheim · Zürich · New York 2016

(E-Book)

Theologie und Sklaverei von der Antike bis in die frühe Neuzeit

Herausgegeben von Nicole Priesching und Heike Grieser

Georg Olms Verlag Hildesheim · Zürich · New York 2016

(E-Book)

Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© Georg Olms Verlag AG, Hildesheim 2016 www.olms.de E-Book Umschlaggestaltung: Inga Günther, Hildesheim Alle Rechte vorbehalten ISBN 978-3-487-42178-0

Inhaltsverzeichnis Vorwort …………………………………………………………………...VII NICOLE PRIESCHING/ HEIKE GRIESER Einleitung ………………………………………………………………….IX NADINE BREITBARTH „Als Sklave ertrage ich die Sklaverei“ (Oratio 11,2) – Tatians Aussagen zur Sklaverei in seiner Rede an die Griechen…………...…………………...1 Quellenanhang ……………………………………………………………..20 ALEXANDRA HASSE-UNGEHEUER Basilius von Caesarea: Sklaverei als Teil der gottgegebenen irdischen Ordnung und die Gleichheit aller Menschen vor Gott ……………………..25 Quellenanhang ……………………………………………………………..50 HEIKE GRIESER Antike Sklaverei und entstehendes christliches Mönchtum. Facetten eines spannungsreichen Verhältnisses………...……………………………55 Quellenanhang ……………………………………………………………..81 KATHARINA PULTAR „Sklaven von Natur aus“? Die servitus bei Thomas von Aquin……………91 Quellenanhang ……………………………………………………………133 VOLKER LEPPIN Affirmation und Kritik der Sklaverei im Luthertum ……………………..145 Quellenanhang ……………………………………………………………158 MAGNUS RESSEL Eine Rezeptionsskizze der atlantischen Sklaverei im frühneuzeitlichen protestantischen Deutschland……..………………………………………165 Quellenanhang ……………………………………………………………201 GABRIEL-DAVID KREBES Servi ergo regendi sunt quasi asini. Cornelius a Lapide (1567-1637) zur Sklaverei bei Jesus Sirach…………………………………………….207

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Inhaltsverzeichnis

HEIKE GRIESER/ NICOLE PRIESCHING Sklaverei und christliches Gnadenethos. Einige Deutungen des Philemonbriefes von den Vätern bis zur Barockscholastik ..…………….231 Quellenanhang ……………………………………………………………280 Abkürzungsverzeichnis …………………………………………………..303 Die Autorinnen und Autoren …………………………………………..…307

Vorwort Wie ließ sich die Praxis der Sklaverei mit dem Christentum vereinbaren, das jeden Menschen als Ebenbild Gottes versteht und dies gleichzeitig über Jahrhunderte hinweg nicht als Widerspruch zu Sklaverei sah? Der vorliegende Sammelband nähert sich dieser Frage erstmals theologiegeschichtlich und stellt dabei wesentliche Ergebnisse unseres DFG-Projektes „Theologie und Sklaverei von der Antike bis zur Frühen Neuzeit“ vor. Wir blicken am Ende seiner Laufzeit auf eine intensive und fruchtbare Auseinandersetzung mit dieser Fragestellung zurück und bedanken uns herzlich für die von der DFG gewährte finanzielle Unterstützung. Verschiedene Workshops, eine internationale Tagung und zahlreiche Arbeitstreffen in Mainz und Paderborn ließen uns grundlegende Einsichten zum Verhältnis von Theologie und Sklaverei gewinnen. Gleichwohl ist uns bewusst, dass die weitere Betrachtung der Institution Sklaverei unter theologiegeschichtlicher Perspektive noch zahlreiche neue Erkenntnisse bereithalten wird, denen es nachzuspüren gilt. Zu danken haben wir für die engagierte Mitarbeit unserer Wissenschaftlichen Mitarbeiter Nadine Breitbarth (Mainz) und Gabriel-David Krebes (Paderborn), die jeweils aus ihrem Forschungsgebiet einen Beitrag zu diesem Band beigesteuert haben. Große Wertschätzung möchten wir auch allen anderen Autorinnen und Autoren aussprechen, die sich für unser Projekt begeisterten. Namentlich hervorzuheben ist Dr. Tilman Moritz, den wir für die erstmalige Übersetzung des Philemonbriefkommentars des Cornelius a Lapide gewinnen konnten. Die Mühe der redaktionellen Arbeit und der Drucklegung dieses Bandes wurde wesentlich von den Paderborner studentischen Hilfskräften Isabelle Hoyer und Fabian Potthast übernommen. Tatkräftig standen ihnen Manuel Hähnel und Kathrin Kiefer aus Mainz in vielen Fragen des Layouts und als engagierte Korrekturleser zur Seite. Sie übernahmen zusammen mit Nadine Breitbarth und Katharina Pultar auch die abschließende kritische Durchsicht des Manuskripts in Mainz, wiederum unterstützt von Dr. Tilman Moritz und Florian Warnsloh aus Paderborn. Unser besonderer Dank gilt schließlich Frau Prof. Dr. Elisabeth Herrmann-Otto als Herausgeberin der Reihe und Herrn Dr. Peter Guyot vom Georg Olms Verlag für die Aufnahme unseres zweiten, aus diesem Projekt hervorgegangenen Bandes und die unkomplizierte Betreuung seiner Drucklegung. Für die Finanzierung der Druckkosten danken wir wiederum der DFG. Nicole Priesching und Heike Grieser

Einleitung Sklaverei gehörte bis ins 19. Jahrhundert zur Realität christlicher Gesellschaften im Mittelmeerraum und weit darüber hinaus.1 Sie war weder dank des christlichen Ethos mit dem Untergang des Römischen Reiches verschwunden,2 noch lässt sich ihre europäische Geschichte einfach als Prozess des Übergangs in mildere Formen der Unfreiheit seit dem Frühmittelalter beschreiben. Auch wenn eine solche Transformation in Hörigkeit und Leibeigenschaft vor allem im mitteleuropäischen Raum stattfand, so existierten doch daneben weiterhin auch Formen von Sklaverei nach antikem Verständnis.3 Dabei gilt es freilich zu beachten, dass es keine allgemeingültige Definition von Sklaverei gibt, die juristische, soziologische und ökonomische Faktoren gleichermaßen zu berücksichtigen vermag:4 Dieses menschheitsund globalgeschichtliche Phänomen hat sich vielmehr in unterschiedlichen Epochen, Kulturen und Kontexten in verschiedenen Formen ausgeprägt. Daher bleiben weiterhin die Fragen zu diskutieren, inwiefern auch die Leib-

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In dieser Einleitung wird keine Vollständigkeit der Literaturangaben angestrebt, aufgenommen sind jeweils nur exemplarische Belege. 2 Vgl. Adolf Martin RITTER, Art. Christentum, in: Handwörterbuch der antiken Sklaverei (HAS), Stuttgart 2016; Heike GRIESER, Die antike Sklaverei aus frühchristlicher Perspektive. Eine Diskursanalyse, in: ThQ 192 (2012), 2-20, hier 2f.; Elisabeth HERRMANN-OTTO, Sklaverei und Freilassung in der griechisch-römischen Welt (Studienbücher Antike 15), Hildesheim u. a. 2009, 203-225; Gerd THEIßEN, Sklaverei im Urchristentum als Realität und als Metapher. Nachwort zu Henneke GÜLZOW, Christentum und Sklaverei in den ersten drei Jahrhunderten (Hamburger Theologische Studien 16), Bonn ²1999, 213-243; Adolf Martin RITTER, Zur „Realbilanz“ der alten Kirchengeschichte: Das Beispiel „Christentum und Sklaverei“, in Jürgen DUMMER/ Meinolf VIELBERG (Hgg.), Leitbilder der Spätantike – Eliten und Leitbilder (Altertumswissenschaftliches Kolloquium 1), Stuttgart 1999, 101-122. 3 Vgl. z. B. Franz IRSIGLER, Wann wird aus servus = Sklave servus = Knecht?, in: Elisabeth HERRMANN-OTTO (Hg.), Sklaverei und Zwangsarbeit zwischen Akzeptanz und Widerstand (Sklaverei – Knechtschaft – Zwangsarbeit 8), Hildesheim u. a. 2011, 60-74; Alfred HAVERKAMP, Die Erneuerung der Sklaverei im Mittelmeerraum während des hohen Mittelalters. Fremdheit, Herkunft und Funktion, in: Elisabeth HERRMANN-OTTO (Hg.), Unfreie Arbeitsund Lebensverhältnisse von der Antike bis in die Gegenwart. Eine Einführung (Sklaverei – Knechtschaft – Zwangsarbeit 1), Hildesheim u. a. 2005, 130-166. 4 Vgl. zuletzt Heike GRIESER/ Nicole PRIESCHING (Hgg.), Gefangenenloskauf im Mittelmeerraum. Ein interreligiöser Vergleich (Sklaverei – Knechtschaft – Zwangsarbeit 13), Hildesheim u. a. 2015, XIV-XVI; ferner Nicole PRIESCHING, Von Menschenfängern und Menschenfischern. Sklaverei und Loskauf im Kirchenstaat des 16.-18. Jahrhunderts (Sklaverei – Knechtschaft – Zwangsarbeit 10), Hildesheim u. a. 2012, 6-11; Nicole PRIESCHING, Sklaverei in der Neuzeit (Geschichte kompakt), Darmstadt 2014, 1-7.

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Nicole Priesching – Heike Grieser

eigenschaft in die Geschichte der Sklaverei einzuordnen ist,5 wo Abstufungen und Übergänge in den verschiedenen Formen von Sklaverei auszumachen sind und wo allzu klare terminologische Unterscheidungen geschichtliche Fiktionen erzeugen, die der vielfältigen Wirklichkeit nicht gerecht werden. Das Christentum fand seit seinen Anfängen Sklaverei als Institution vor. Immer wieder ist auf den humanisierenden Einfluss der christlichen Erlösungsreligion aufmerksam gemacht worden, in der Sklaven und Sklavinnen als Menschen in den Blick genommen würden,6 insofern vor Gott alle Menschen gleich seien. Zumindest aus moderner Perspektive gibt es allerdings einen eklatanten Widerspruch zwischen dieser „theoretischen“ Gleichheit aller vor Gott aufgrund ihrer Gottebenbildlichkeit und der „faktischen“ Ungleichheit zwischen Menschen im irdischen Gemeinwesen, die das Christentum über Jahrhunderte hinweg strukturell nicht aufgehoben hat. So muss gegen die Humanisierungsthese festgestellt werden, dass sich Sklaverei auch unter christlichem Vorzeichen fortsetzte und, nimmt man die Expansionsund Kolonialgeschichte hinzu, sogar erheblich ausbreitete und wiederum neue, grausame Formen hervorbrachte. Im vorliegenden Band wird deshalb über mehrere Epochen hinweg immer wieder der zentralen Frage nach den Humanisierungstendenzen und ihren Grenzen bei den christlichen Autoren nachgegangen. Eine grundlegende Problematik beschäftigte christliche Theologen im Laufe der Geschichte immer wieder: Was sind die Ursachen der Sklaverei? Damit verbunden: Wie kam diese in die Welt? Welchen Sinn hat sie im göttlichen Heilsplan? Die Antworten wurden zum Großteil in der Bibel gesucht; sie bietet primär das Argumentationsmaterial – und dies, obwohl de facto die Rezeption philosophischen Gedankenguts und des geltenden Rechts ebenfalls sehr prägend sind. Die Beiträge dieses Sammelbandes werfen in unterschiedlicher Weise auch ein Licht auf die Geschichte der Bibelhermeneutik. Welche Methoden (Schriftsinne) spielten bei der Auslegung eine Rolle? Wie wurden außerbiblische Autoritäten rezipiert? Wer sollte angesprochen werden? Schriftauslegungen lassen sich ferner zum einen in bestimmte spekulativ theologische Diskurse (zum Beispiel über Trinität oder Schöpfung) und zum anderen in praktisch relevante Sklavereidebatten vor dem Hintergrund 5 Leider scheinen zurzeit keine interdisziplinären Forschungen zur Geschichte der Leibeigenschaft in Verbindung mit der Geschichte der Sklaverei stattzufinden; ebenso wären auch Knechtschaft, Frondienst und Zwangsarbeit als Formen der Sklaverei zu diskutieren. 6 Z. B. Marc BLOCH, Comment et pourquoi finit l’esclavage antique, in: Marc BLOCH, Mélanges historiques 1, Paris 1963, 261-285; Hartmut HOFFMANN, Kirche und Sklaverei im frühen Mittelalter, in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 42 (1986), 1-24; Arnold ANGENENDT, Toleranz und Gewalt. Das Christentum zwischen Bibel und Schwert, Münster 7 2014.

Einleitung

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der zeitgenössischen Praxis und Probleme einordnen. Alle Autoren und Autorinnen dieses Sammelbandes versuchen auf ihre Weise, die von ihnen erhobenen theologiegeschichtlichen Befunde in diesen diskursiven Hintergründen zu verorten. Den Aufsätzen ist in der Regel ein Anhang mit einschlägigen Quellentexten in ihrer Originalsprache und in deutscher Übersetzung beigegeben. Beim Abdruck dieser Übersetzungen haben wir zum besseren Verständnis und aus Gründen der terminologischen Einheitlichkeit zum Teil in eckigen Klammern Alternativbegriffe genannt. Unsere Quellenauswahl soll nicht nur die Nachvollziehbarkeit der präsentierten Ergebnisse gewährleisten, sondern kann auch dazu beitragen, die zentrale Sklavereithematik besser in der universitären Lehre zu vermitteln. Zeitlich setzt der erste Beitrag von NADINE BREITBARTH in der Antike mit der Verteidigungsschrift Oratio ad Graecos des frühchristlichen Apologeten Tatian ein, die wohl zwischen 165 und 172 entstanden ist (vgl. S. 2). Das Christentum war zu dieser Zeit die Religion einer kleinen, mitunter verfolgten Minderheit im Römischen Reich, zu der sich nachweislich auch Sklaven und Sklavinnen hingezogen fühlten. Die Perspektive des Tatian ist die einer christlichen Adaption gesellschaftlicher antiker Verhältnisse. Wie kann ein christlicher Sklave die Sklaverei ertragen? Der Aufsatz arbeitet heraus, dass Tatian in seiner Schrift „äußere“ und „innere“ Sklaverei miteinander in Beziehung setzt, wobei der Rezeption stoischer Vorstellungen eine nicht unbedeutende Rolle zukommt. Von der konsolatorischen Funktion des Christentums ausgehend lässt sich wiederum ein Licht auf seine legitimatorischen Potentiale werfen. Auch diesem Zusammenhang geht Breitbarth bei Tatian nach. Parallel zum Aufstieg des Christentums zu einer geförderten Religion im Reich unter Kaiser Konstantin I. (306-337 römischer Kaiser, ab 324 Alleinherrscher) veränderten sich manche rechtlichen Rahmenbedingungen für Sklaven und Sklavinnen.7 Das Christentum machte einen epochalen Transformationsprozess durch, der sowohl für das Römische Reich als auch für die Kirche tiefgreifende Folgen hatte. Der politische und soziale Einfluss christlicher Theologen stieg dabei insgesamt an. Christliche Deutungskategorien verbreiteten sich zunehmend, wenngleich es noch lange dauern sollte, bis sich das Christentum als unumstrittene Leitkultur durchsetzen sollte. Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass sich christliche Denker wei7

Vgl. Elisabeth HERRMANN-OTTO, Konstantin, die Sklaven und die Kirche, in: Peter MAUWerner PETERMANDL u. a. (Hgg.), Antike Lebenswelten. Konstanz – Wandel – Wirkungsmacht. Festschrift für Ingomar Weiler zum 70. Geburtstag (Philippika 25), Wiesbaden 2008, 353-366. RITSCH/

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Nicole Priesching – Heike Grieser

terhin mit heidnischen philosophischen Reflexionen – auch zur Sklaverei – auseinandersetzten. Dies wird besonders an der Frage deutlich, inwiefern einzelne Theologen Vorstellungen von einer Sklaverei von Natur aus, die letztlich bis auf Aristoteles zurückreichen, rezipiert und sich angeeignet haben. In gleicher Weise betrifft diese Adaption aber auch stoische Konzepte. Nicht zu vergessen ist schließlich die nicht hinterfragte Gültigkeit des römischen Rechts, das für die Entstehung und Legitimierung von Sklaverei vielfältige Erklärungen und Argumente bereithielt.8 Die heidnische Antike blieb demnach der vorgegebene soziale, rechtliche und intellektuelle Raum, den es christlich zu gestalten galt. Das Christentum nahm dieses Erbe auf und vermittelte es schließlich weit über die Antike hinaus, wobei es sich verschiedener Widersprüchlichkeiten zwischen heidnischen und christlichen Denktraditionen durchaus bewusst blieb. In der Langzeitperspektive wird etwas von diesem großen Kulturtransfer anhand des sich fortsetzenden Deutungsprozesses von Sklaverei sichtbar. Das 4. Jahrhundert ist von verschiedenen christologischen und trinitätstheologischen Debatten geprägt, die nicht nur auf den ersten beiden Ökumenischen Konzilien von Nicäa (325) und Konstantinopel (381) geführt wurden. Im Kontext dieser Auseinandersetzungen spielte auch die Sklaverei eine Rolle, insofern sie als Bildspenderin gebraucht wurde, um innertrinitarische Beziehungen zu veranschaulichen. So zeigt ALEXANDRA HASSEUNGEHEUER in ihrem Beitrag zur Sklaverei bei Basilius von Caesarea (um 330-378/379 n. Chr.), wie der Kirchenvater sein Plädoyer für die Wesensgleichheit des Geistes damit unterstreicht, dass er die gegnerische Position einer Unterordnung mit der Beziehung eines Sklaven zu seinem Herren vergleicht und dieses Konzept dadurch ad absurdum führt. Basilius rekurriert darüber hinaus mehrfach auf allgemein gängige Vorstellungen von der Notwendigkeit der Herrschaft über „Unvernünftige“ und setzt diese mit biblischen Belegen in Beziehung. Der Aufsatz von HEIKE GRIESER behandelt in der Übergangszeit von der Spätantike zum Frühmittelalter die Frage, wie sich das frühe koinobitische Mönchtum zur sozialen Institution der Sklaverei verhielt: Gab es im Kontext dieser vielgestaltigen „Sonderwelten“ alternative oder sogar radikal infrage stellende Positionen zur Sklaverei? Heike Grieser interpretiert differenzierend nicht nur unterschiedliche Regelungen zur Aufnahme von Sklaven und Sklavinnen, sondern auch zahlreiche Hinweise zur Organisation des gemeinschaftlichen Lebens und zu den dahinterstehenden Idealvorstellungen. Dabei konkurrieren, mit durchaus unterschiedlichen Konsequenzen für die Praxis, 8

Vgl. dazu Thomas RÜFNER, Die Rezeption des römischen Sklavenrechts im Gelehrten Recht des Mittelalters, in: Thomas FINKENAUER (Hg.), Sklaverei und Freilassung im römischen Recht. Symposium für Hans Josef Wieling zum 70. Geburtstag, Heidelberg 2006, 201-221.

Einleitung

XIII

Konzepte von der herkunftsunabhängigen, grundsätzlichen Gleichheit und Gleichbehandlung aller Mönche und Nonnen mit Argumenten für die Beibehaltung (ehemaliger) hierarchischer Verhältnisse. Bemerkenswert ist darüber hinaus, dass zur Organisation der klösterlichen Gemeinschaften notwendige neue Hierarchien entstehen, die nicht nur in der Terminologie, sondern auch in ihren Begründungen sowie konkreten Handlungsanweisungen reale Sklavereiverhältnisse spiegeln. Im Unterschied dazu fällt der systematisch-theologische Umgang des Thomas von Aquin mit der Sklaverei auf, welche hier und da in seinem großen Werk zur Sprache kommt, ohne dass er sie in einem eigenen Traktat selbst zum Thema macht. Der Beitrag von KATHARINA PULTAR widmet sich daher exemplarisch Fragekomplexen, in deren Zusammenhang Thomas auf die servitus zu sprechen kommt und diese auf aristotelischer und augustinischer sowie auf der Grundlage des römischen Rechts begründet. Dabei zeigt sich, dass sich die von Thomas herangezogenen Begründungsparadigmen nicht zu einer einheitlichen servitus-Theorie verbinden lassen, was letztlich wohl auch gar nicht dessen Absicht war. Der Hauptgrund für diese Unvereinbarkeit liegt dabei in den von Thomas rezipierten Konzepten selbst, die ein je eigenes Menschenbild zugrunde legen und infolgedessen etwa den zentralen Begriff der „Natur“ des Menschen unterschiedlich verstehen. Die Aussagen des Thomas zur Sklaverei sind theologiegeschichtlich in mehrfacher Hinsicht von großer Relevanz. Zum einen steht hier die Größe des Autors an sich, welcher einer der bedeutendsten Theologen des Mittelalters war und sowohl die Kirchenväter als auch die aristotelische Philosophie in seinem Denken verarbeitete. Zum anderen wurde er selbst zu einer maßgeblichen Autorität für spätere Theologen. Zu denken ist dabei in erster Linie an die dominikanische Tradition, die sich in der Frühen Neuzeit in der so einflussreichen Schule von Salamanca fortführte. Deren Vertreter (zum Beispiel Francisco de Vitoria, Domingo de Soto, Bartolomé de Las Casas) waren bekanntermaßen im 16. Jahrhundert in die große Debatte um die Sklaverei der Indios verwickelt, sodass gerade das Thema Sklaverei eine neue Konjunktur bekam.9 Diese spanischen Neuscholastiker sahen sich in der Tradition der scholastischen Theologie des Thomas.10 1567 wurde Tho9

Zur Geschichte der Universität von Salamanca vgl. Águeda M. RODRÍGUEZ CRUZ, Historia de la Universidad de Salamanca, Salamanca 1990. Die Schule von Salamanca ging methodisch scholastisch vor. Auf welche Autoritäten sie sich hauptsächlich stützte, schildern HeinzGerhard JUSTENHOVEN/ Joachim STÜBEN (Hgg.), Kann Krieg erlaubt sein? Eine Quellensammlung zur politischen Ethik der spanischen Spätscholastik, Stuttgart 2006, 18-20. 10 Vgl. z. B. zur Thomas-Rezeption bei Las Casas Thomas EGGENSPERGER, Der Einfluss des Thomas von Aquin auf das politische Denken des Bartolomé de las Casas im Traktat ‚De imperatoria vel regia potestate‘. Eine theologisch-politische Theorie zwischen Mittelalter und Neuzeit, Münster 2001.

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Nicole Priesching – Heike Grieser

mas von Aquin dann sogar von Papst Pius V. selbst zum lateinischen Kirchenlehrer ernannt, sodass er nun unter anderem mit Ambrosius von Mailand und Augustinus von Hippo in einer Reihe stand. Angesichts der vielfachen Berufungen auf Thomas – auch im Sklavereidiskurs des 16. Jahrhunderts – ist es also zentral, diesen großen Autor aus seiner Zeit heraus näher in den Blick zu nehmen. So hält sich hartnäckig die Auffassung, die sich auch im öffentlichkeitswirksamen Wikipedia-Artikel über „Sklaverei“ niederschlägt: „Mittelalterliche Theologen wie Thomas von Aquin begründeten unter Berufung auf Aristoteles die Rechtmäßigkeit und Notwendigkeit der Sklaverei aus dem Naturrecht.“11 Der Ruf des Thomas als Aristotelesrezipienten führt also immer wieder zu dem Kurzschluss, er habe von diesem ohne jede Einschränkung dessen Konzeption eines Sklaven von Natur aus übernommen, wobei freilich auf einen Nachweis verzichtet wird. Dem liegt ein verkürzter Rezeptionsbegriff zugrunde, der weit naiver ist als der Autor, dem man solche Übernahmen unterstellt. So wird aus Thomas geradezu ein „Begründer“ der Sklaverei gemacht, was schon der Art und Weise, wie Thomas mit diesem Thema umgeht, völlig widerspricht. Dies ist auch ein gutes Beispiel dafür, wie notwendig es ist, die Geschichte der Sklaverei durch eine theologiegeschichtliche Perspektive zu ergänzen. Die Theologiegeschichte der Frühen Neuzeit entwickelte sich in Europa unter verschiedenen konfessionellen Vorzeichen. Wie VOLKER LEPPIN zeigt, fanden Reflexionen des deutschen Luthertums über reale Sklaverei zunächst in der Auseinandersetzung mit der Leibeigenschaft statt. Erst mit der Halleschen Mission des 18. Jahrhunderts trat hier auch Sklaverei im Kontext der Kolonialgeschichte ins Blickfeld. Es wird herausgearbeitet, wie Luther und andere evangelische Autoren biblische Formen von Sklaverei mit Ereignissen wie dem Bauernkrieg und dem damals aktuellen Problem der Leibeigenschaft in Beziehung setzten. Darüber hinaus wird auch die evangelischtheologische Rezeption von Legitimationen der Sklaverei aus Philosophie und Recht beleuchtet und in einen interkonfessionellen Diskurs eingeordnet. Der Beitrag von MAGNUS RESSEL stellt die Debatte zur Legitimität der atlantischen Sklaverei durch protestantische Gelehrte dar, wobei eine Linie von den Türkendrucken des 16. Jahrhunderts über die Haltung zur Sklaverei im 17. Jahrhundert von niederländischen Calvinisten und deutschen Pietisten bis zu aufgeklärten pietistischen Kreisen des 18. Jahrhunderts gezogen wird. Dabei fragt Ressel auch nach dem Einfluss von deutschen Akteuren auf die Geschichte des Abolitionismus, wobei sich ein ambivalentes Bild ergibt. 11

Art. „Sklaverei“ in: Wikipedia (zuletzt eingesehen am 6.9.2015). Vgl. auch das Urteil von Egon FLAIG, Art. Sklaverei, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 9, Basel 1995, 976-985, hier 979: „Die Aristotelesrezeption der Scholastik führte zu einer tendenziell rassistischen Begründung der S.“.

Einleitung

XV

Insgesamt wird deutlich, dass die theologiegeschichtliche Erforschung der Sklaverei für evangelische Autoren der Frühen Neuzeit noch ganz am Anfang steht, dabei aber sehr lohnenswert wäre. Es folgen zwei Beiträge zur katholischen Seite. Die bereits gut erforschte Indiodebatte12 wurde dabei außen vor gelassen, um die Aufmerksamkeit bewusst auf die bisher eher unbekannte jesuitische Schultheologie in Rom zu lenken. Das 1551 gegründete Collegio Romano hatte in der Frühen Neuzeit eine Vorbildfunktion für jesuitische (aber auch nichtjesuitische) katholische Ausbildungsanstalten in Europa und darüber hinaus.13 Der Jesuitenorden breitete sich schließlich weltweit aus und gründete eifrig Kollegien und Universitäten.14 Das Römische Kolleg ist gewissermaßen die Mutter der Jesuitenuniversitäten, dazu in besonderer Nähe zum Papst in Rom verortet. Es unterhielt eine direkte Beziehung zur Ordensleitung und wurde zum dogmatischen und organisatorischen Vorbild. Die Indiodebatte stellte im Grunde einen Sonderfall in der Behandlung des Themas Sklaverei dar, da es hier um den konkreten Hintergrund der spanischen Conquista in der Neuen Welt ging. Hier war vor allem die Frage zu klären, ob dieser Krieg gegen die Indios „gerecht“ sei, denn dann durften nach dem gängigen Kriegsrecht die Besiegten versklavt werden, sofern es sich nicht um Christen handelte. Es ging also um die Legitimität der Versklavung der Indios im Kontext der Lehre vom „gerechten Krieg“ (bellum iustum).15 Davon zu unterscheiden ist die Frage, ob die Taufe frei machen sollte. Die Interessen der Missionare standen hier im Konflikt mit den Ausbeutungsinteressen der Eroberer. Die völkerrechtliche Debatte wurde schließlich auf naturrechtlicher Basis kontrovers ausgetragen, wobei auch 12

Zur Indiodebatte vgl. z. B. Bartolomé de Las Casas. Werkauswahl, Bd. 1-3/2, hg. v. Mariano DELGADO, Paderborn 1994-1997; Mariano DELGADO, Die Indios als Sklaven von Natur? Zur Aristoteles-Rezeption in der Amerika-Kontroverse im Schatten der spanischen Expansion, in: Günter FRANK/ Andreas SPEER (Hgg.), Der Aristotelismus in der Frühen Neuzeit – Kontinuität oder Wiederaneignung?, Wiesbaden 2007, 353-372. 13 Riccardo G. VILLOSLADA, Storia del Collegio Romano dal suo inizio (1551) alla soppresione della Compagnia di Gesù (1773) (Analecta Gregoriana LXVI), Rom 1954. 14 Zur Geschichte des Jesuitenordens vgl. John W. O’MALLEY, Die ersten Jesuiten, Würzburg 1995; André RAVIER, Ignatius von Loyola gründet die Gesellschaft Jesu, Würzburg 1982; Rita HAUB, Die Geschichte der Jesuiten, Darmstadt 2007. 15 Vgl. zur Lehre vom gerechten Krieg und seiner Rezeption in der Frühen Neuzeit z. B. Gerhard BEESTERMÖLLER, Thomas von Aquin und der gerechte Krieg. Friedensethik im theologischen Kontext der ‚Summa theologiae‘, Köln 1990; Heinz-Gerhard JUSTENHOVEN, Francisco de Vitoria zu Krieg und Frieden, Köln 1991; Merio SCATTOLA, Bellum, dominium, ordo. Das Thema des gerechten Krieges in der Theologie des Domingo de Soto, in: Norbert BRIESKORN/ Markus RIEDENAUER (Hgg.), Suche nach Frieden. Politische Ethik in der Frühen Neuzeit I, Stuttgart u. a. 2000, 119-137; Thomas HOPPE, Vom ‚gerechten Krieg‘ zum ‚gerechten Frieden‘. Stationen der Entwicklung katholischer Friedensethik, in: Internationale katholische Zeitschrift Communio 32 (2003), 299-308.

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Nicole Priesching – Heike Grieser

über die Gültigkeit aristotelischer Argumente für eine legitime Versklavung von „Barbaren“ gestritten wurde. Unabhängig von dieser Streitfrage existierte Sklaverei aber zeitgleich weiterhin im Mittelmeerraum, sodass europäische Autoren nicht nur die Situation der Indios in Lateinamerika vor Augen hatten, wenn sie über Sklaverei nachdachten. Der Sklave und die Sklavin waren weit näher und alltäglicher, als es das weitverbreitete europäische Geschichtsbild gemeinhin suggeriert. Zudem kam das Thema Sklaverei nicht nur in naturrechtlichen Abhandlungen vor, sondern spielte in weiteren theologischen Disziplinen eine Rolle, allen voran in der Auslegung der Heiligen Schrift. Zu den produktivsten und vermutlich einflussreichsten Bibelkommentatoren aus den Reihen der Professoren des Collegio Romano gehörte der aus Flandern stammende Jesuit Cornelius a Lapide. Er wirkte von 1616 bis 1623 am Collegio Romano und kommentierte bis zu seinem Tod (1637) alle Bücher der Bibel mit Ausnahme von Hiob und den Psalmen. Mit der Indiodebatte hatte er nichts zu tun. Dennoch thematisierte er im Rahmen seiner exegetischen Tätigkeit ganz selbstverständlich auch immer wieder die Sklaverei. Wie er dies tat, stellt zum einen GABRIEL-DAVID KREBES anhand des Kommentars zum alttestamentlichen Buch Jesus Sirach dar, während HEIKE GRIESER und NICOLE PRIESCHING zum anderen die Auslegung des Philemonbriefes durch Cornelius a Lapide beleuchten. Dabei wird der Kommentar des Jesuiten zudem in eine Rezeptionsgeschichte des paulinischen Briefes eingeordnet, die mit den Kirchenvätern beginnt und verschiedene Akzentuierungen einer jeweils zeitbedingten Exegese zum Vorschein treten lässt. So wird am Ende nochmals die Langzeitperspektive, die den Band insgesamt kennzeichnet, wie in einem Brennglas exemplarisch aufgegriffen und methodisch reflektiert. Die hier versammelten Beiträge, die keinen Anspruch auf Vollständigkeit zum Thema „Theologie und Sklaverei“ erheben, sondern vielmehr eine erste Bresche durch die tiefgründigen Pfade christlicher Aneignungsprozesse schlagen möchten, führen in der Gesamtschau zu grundlegenden methodischen Fragen. So nähert sich der vorliegende Band diesem Thema theologiegeschichtlich. Dies ist zu begründen: Welche Relevanz haben theologische Reflexionen über Sklaverei? Sind die treibenden geschichtlichen Kräfte nicht vielmehr in der Militär-, Politik- sowie Wirtschafts- und Gesellschaftsgeschichte zu suchen, wie die bisherige Forschung dies in der Regel annahm?16 Setzt man so grundsätzlich an, ist zunächst ein kurzer Blick auf die Relevanz von Religion für die Geschichte der Sklaverei zu werfen, wobei hier je16

Auch Michael ZEUSKE, Handbuch Geschichte der Sklaverei, Berlin/ Boston 2013, thematisiert in seinem beeindruckenden Überblick die Rolle von Religion kaum.

Einleitung

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doch gleich das Christentum im Zentrum der Überlegungen stehen soll. Es sind zunächst einmal zwei gesellschaftliche Funktionen von Religion zu unterscheiden, eine legitimatorische (begründende, rechtfertigende) und eine konsolatorische (tröstende, existentiell verarbeitende). Unter der ersten Perspektive lohnt eine theologiegeschichtliche Beschäftigung mit Sklaverei, um das Arsenal an Argumenten zu beleuchten, das zur Legitimation der herrschenden Macht- und Besitzstrukturen (unter anderem Christen als Sklavenhalter) zur Verfügung stand. Freilich sind dabei auch die Einwände und Widersprüchlichkeiten, die Norm- und Interessenskonflikte zu sehen. Es ist zu fragen, ob Theologen diese Frage in einer Weise behandelten, welche eine Humanisierungstendenz oder gar grundsätzliche Kritik erkennen lässt. Die Beiträge in diesem Sammelband führen zunächst folgenden Befund vor Augen: Die schon in der paganen Philosophie gebräuchliche Unterscheidung zwischen „innerer“ und „äußerer“ Sklaverei beziehungsweise „innerer“ und „äußerer“ Freiheit konnte ambivalente Auswirkungen haben: Einerseits rückte sie dieses Thema in eine ethische oder gnadentheologische Dimension und wertete es damit auf. Andererseits dispensierte sie auch von einer Gesellschaftskritik durch die Relativierung der irdischen Verhältnisse, indem die „innere“ Freiheit höher bewertet wurde als die „äußere“. Entsprechend erschien die „äußere“ Sklaverei im Vergleich zur „inneren“ als das kleinere Übel.17 Interessant ist aber auch, ob, und wenn ja wie, die „innere“ und die „äußere“ Freiheit miteinander in Beziehung gesetzt wurden. Auch hier ergeben sich mehrere Denkmöglichkeiten, die einerseits humanisierende bis abolitionistische und andererseits systemstabilisierende Wirkungen entfalten konnten. Das Gesicht des Christentums angesichts der realen Sklaverei ist vor dem Hintergrund dieser grundsätzlichen Unterscheidung von „innerer“ und „äußerer“ Freiheit beziehungsweise Sklaverei also ausgesprochen ambivalent. Ähnliches ist darüber hinaus hinsichtlich weiterer, genuin christlicher Reflexionen zur Entstehung von Sklaverei infolge der (Erb-)Sünde zu konstatieren. Mitunter werden diese auch mit Äußerungen darüber kombiniert, dass es vernünftig und nützlich sei, wenn Weise über Törichte herrschen. Beide Modelle führen letztlich ebenfalls eher dazu, bestehende Strukturen zu akzeptieren und allenfalls punktuell für verbesserte Lebensbedingungen von Sklaven und Sklavinnen einzutreten. Für die Erhellung der Legitimationen von Sklaverei ist eine theologiegeschichtliche Betrachtungsweise allein allerdings nicht ausreichend. Sie kann sich zumindest nicht auf eine Analyse theologischer Positionen beschränken, 17

Vgl. z. B. Georg WÖHRLE, Der „freie“ Sklave. Antike Sklaverei und das Konzept der „inneren“ Freiheit, in: Elisabeth HERRMANN-OTTO (Hg.), Unfreie Arbeits- und Lebensverhältnisse von der Antike bis in die Gegenwart. Eine Einführung (Sklaverei – Knechtschaft – Zwangsarbeit 1), Hildesheim u. a. 2005, 35-55.

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Nicole Priesching – Heike Grieser

ohne diese mit den relevanten Diskursen aus Politik und Recht sowie der nichtchristlichen Philosophie in Beziehung zu setzen.18 Sie wird berücksichtigen müssen, wie die genannten Bereiche mit der Theologie in Beziehung stehen. Dies betrifft einerseits die Ebene der Rezeption in den theologischen Werken, andererseits die Rolle von Theologen bei Prozessen der Rechtsfindung und -sprechung, bei der Gestaltung von Politik und Gesellschaft, bei der Herausbildung ethischer Standards und kultureller Wahrnehmungen. Dies ist je nach Einzelfall ganz unterschiedlich zu bewerten. Es gibt geschichtliche Blütephasen theologischer Einflussmöglichkeiten und Phasen von überwiegender Bedeutungslosigkeit. Die Reichweite bestimmter theologischer Ideen ist kaum mit Sicherheit zu ermessen, nicht einmal innerhalb der theologischen Traditionen selbst. Es gibt aber auch keinen Grund anzunehmen, dass Theologie zur Gestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse irrelevant gewesen wäre. Man kann sie weder pauschal zur Sprecherin einer religiösen oder konfessionellen Leitkultur erklären noch zur bloßen instrumentellen Erfüllungsgehilfin machtpolitischer Akteure. Und auch wenn viele Theologen möglicherweise in einem gelehrten Elfenbeinturm saßen, so hatten sie durch ihre klerikal oder mönchisch geprägte Lebensweise oder durch ihre Funktionen als Prediger und Seelsorger stets auch einen Bezug zur Glaubenspraxis und Lebenswelt. Es gab in der Geschichte der Theologie zwar immer wieder Phasen, in denen sie wissenschaftlich Gefahr lief, der Abstraktion zu verfallen. Dies zeigt zum Beispiel die Kritik an der mittelalterlichen Scholastik durch Humanismus und Reformation. Sie blieb aber gerade in den Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen theologischen Schulrichtungen auch immer reflexiv gegenüber ihrem eigenen Tun und in ihren Einseitigkeiten korrekturfähig. Sie relativiert sich einerseits im Rahmen einer theologischen Streitkultur und schleift sich andererseits in dem, was Bestand hat, zurecht. Theologiegeschichte zeigt, dass das Christentum den neutestamentlichen Auftrag zur rationalen Durchdringung des eigenen Glaubens durchaus ernst genommen hat, wie es in 1 Petr 3,15 heißt: „Seid stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der nach der Hoffnung fragt, die euch erfüllt.“ Diese rationale Seite der christlichen Religion zielte stets auf ein ganzheitliches Verständnis des Menschen und seiner Gottesbeziehung ab, sodass ihr die Praxis nie gleichgültig sein konnte. Sie hat diese vielmehr reflektiert und mitgeprägt. Wie dies konkret aussehen konnte, ist wiederum am Einzelfall zu überprüfen. Selbst wenn dies oft nur mühsam oder spekulativ erfolgen

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Vgl. z. B. Elisabeth HERRMANN-OTTO, Grundfragen der antiken Sklaverei. Eine Institution zwischen Theorie und Praxis, Hildesheim u. a. 2015.

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kann, stellt sich immer die Frage nach dem Praxisbezug theologischer Theorien. Religion und Glaube dienen auch der menschlichen Daseinsbewältigung. Besonders interessant sind hierfür epochale Umbruchszeiten. Diese können entstehen, wenn religiöse Sinnsysteme nicht mehr tragen und überzeugen. Dann kommt es zu neuen theologischen Selbstvergewisserungsprozessen und Ausrichtungen, die wiederum fundamentale kulturelle Wandlungsprozesse begleiten. Zudem müssen Umbrüche und Krisen existentiell von den Beteiligten verarbeitet werden. Der Ausgang solcher Transformationsprozesse steht für die Zeitgenossen nie fest. Unbewusste Handlungsmaximen können ins Wanken geraten. Feststehende Institutionen wie die Sklaverei können in die Kritik geraten oder in neue Formen überführt werden. Reformimpulse können sich revolutionär entladen, Traditionen reaktionär neu erfunden werden. Theologen waren im Laufe der Geschichte immer wieder maßgeblich an radikalen Veränderungen und deren Aneignungs- beziehungsweise Abwehrprozessen beteiligt. Auch der Ruf nach Abschaffung der Sklaverei, zunächst von den Quäkern im Namen des Christentums erhoben, war in gewisser Hinsicht eine Revolution. Das lag also im Bereich des theologisch Möglichen, zumal vom Standpunkt der heutigen Theologie aus. So bleibt in einer theologiegeschichtlichen Perspektive nach wie vor zu fragen, warum dieser abolitionistische Ruf in den diversen dafür offenen Situationen nicht erfolgte. Es bleibt aber auch nach den überhörten Stimmen zu suchen, die ihrer Zeit möglicherweise voraus waren. Als Forschungsdesiderat lässt sich somit vor allem die vergleichende Fragestellung festhalten: Welchen Beitrag leisteten unterschiedliche Religionen und Konfessionen für die Abschaffung der Sklaverei vor dem Hintergrund ihres jeweiligen Selbstverständnisses? Angesichts von möglichen Handlungsspielräumen ist darauf hinzuweisen, dass es handlungsfähige und -bereite Entscheidungsträger waren, die gesellschaftliche Veränderungen durch ihre Machtbefugnis prägten. „Diese Akteure waren bis zu einem gewissen Grad der Selbstreflexion fähig, sie erkannten eine Auswahl von Optionen und bildeten sich auf der Basis der besten Informationen, die ihnen vorlagen, ein Urteil.“19 Die Sklavenhalter entschieden sich dafür, ihre Sklaven und Sklavinnen gut oder schlecht zu behandeln, ihnen die Freiheit zu schenken oder sie wie eine Sache zu behandeln. Es gibt auch eine Geschichte des Gewissens beziehungsweise der Gewissenlosigkeit. Dazu gehört, dass sich das Christentum seit seiner Anfangszeit für die sozial Unterprivilegierten einsetzte und sich den „Armen“ zu19

Christopher CLARK, Die Schlafwandler. Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog, München 2015, 17.

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Nicole Priesching – Heike Grieser

wandte.20 Eine Sklavereigeschichte im christlichen Raum hat deshalb die Beziehung zwischen Sklaverei und christlicher Caritas im Blick zu behalten, insofern der Sklave zu den „Armen“ gezählt werden konnte.21 Damit ist man bei der konsolatorischen Funktion von Religion angekommen. Die Sklaven und Sklavinnen waren in mehrfacher Weise zuwendungsbedürftig. Handelte es sich um nichtchristliche Unfreie, dann rückte die Sorge um ihr Seelenheil in den Mittelpunkt des Interesses. Im Beitrag von GRIESER/ PRIESCHING wird zum Beispiel auf die Galeerenseelsorge der Jesuiten in Neapel hingewiesen, die sich vor allem durch Missionsbemühungen auszeichnete. Darüber wurde auch das leibliche Wohl der Sklaven nicht vergessen. Doch nicht nur den Sklaven und Sklavinnen war theologisch eine Perspektive zu geben. Auch die christlichen Sklavenhalter und Sklavenhalterinnen durften als Adressaten von Predigten nicht aus dem Blick geraten. So hatte die Theologie beide Parteien gleichermaßen zu berücksichtigen und hier einen Ausgleich der Perspektiven herzustellen. Die sich dadurch eröffnenden Wahrnehmungsmöglichkeiten (durch die Perspektive des Anderen) sind an sich schon bedenkenswert. Angesichts der vielfältigen Formen von Sklaverei stießen solche Ausgleichsbemühungen jedoch immer wieder an ihre Grenzen. So waren Humanisierungsappelle bei der Behandlung von Haussklaven wesentlich erfolgversprechender, da leichter durchzuführen, als zum Beispiel bei Galeerensklaven.22 Im Verhältnis zwischen Theorie und Praxis sind also auch die Entwicklungen der Praxis, hier der Sklaverei und ihrer Formen, jeweils zu bedenken. Insgesamt bleibt die Relevanz der Theologie für die gesellschaftliche Praxis schwer zu messen. Christen und Christinnen glaubten, in einer göttlich gewollten Ordnung zu stehen, die Diesseitiges und Jenseitiges, Zeitliches und Ewiges einschloss. Gerade da, wo Religion sich in institutionellen 20

Zur Geschichte der Caritas vgl. Christoph STIEGEMANN (Hg.), Caritas: Nächstenliebe von den frühen Christen bis zur Gegenwart. Katalog zur Ausstellung im Erzbischöflichen Diözesanmuseum Paderborn vom 23. Juli bis zum 13. Dezember 2015, Petersberg 2015. 21 Zum Loskauf als Werk der Barmherzigkeit vgl. Nicole PRIESCHING, Seelenheil und Prestige. Die Erzbruderschaft der Gonfalone als Loskauforganisation für den Kirchenstaat, in: Heike GRIESER/ Nicole PRIESCHING (Hgg.), Gefangenenloskauf im Mittelmeerraum. Ein interreligiöser Vergleich (Sklaverei – Knechtschaft – Zwangsarbeit 13), Hildesheim u. a. 2015, 191-211. 22 Zur Galeerensklaverei in der Frühen Neuzeit vgl. z. B. Michel FONTENAY, Le Maghreb barbaresque et l’esclavage méditerranéen aux XVIe-XVIIe siècles, in: Les Cahiers de Tunisie 43 (1991), 7-43; Salvatore BONO, Schiavi musulmani nell’Italiamoderna. Galeotti, vu’cumprà, domestici, Napoli 1999; Salvatore BONO, Il Mediterraneo. Da Lepanto a Barcellona, Perugia 22001; Godfrey WETTINGER, Slavery in the Islands of Malta and Gozo ca. 1000 – 1812, Malta 2002; Nicole PRIESCHING, Von Menschenfängern und Menschenfischern. Sklaverei und Loskauf im Kirchenstaat des 16.-18. Jahrhunderts (Sklaverei – Knechtschaft – Zwangsarbeit 10), Hildesheim u. a. 2012.

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Vollzügen verstetigte, eine relevante Bedürfnisstruktur dauerhaft und stabil garantieren konnte, also Institution wurde, prägte sie soziale Strukturen gewissermaßen unsichtbar. Sie wirkte vor allem dann sichernd und handlungsorientierend, wenn und weil sie im Hintergrund blieb. Es sind also noch viele Forschungen mit unterschiedlichen methodischen Schwerpunktsetzungen notwendig, sowohl im Hinblick auf Einzelfälle als auch im Hinblick auf größere Entwicklungen, um den Beitrag des Christentums zur Sklavereigeschichte zu ermessen. Wenn dieser Band dazu einige Anregungen geben kann, hat er seine Aufgabe erfüllt. Nicole Priesching und Heike Grieser

„Als Sklave ertrage ich die Sklaverei“ (Oratio 11, 2) – Tatians Aussagen zur Sklaverei in seiner Rede an die Griechen NADINE BREITBARTH Die Institution der antiken Sklaverei prägt als fester und insgesamt selbstverständlicher Bestandteil der griechischen wie römischen Gesellschaftsordnung auch die Entstehung und Entwicklung des frühen Christentums.1 Dabei fällt die Bewertung der bestehenden Über- und Unterordnungsverhältnisse von Seiten frühchristlicher Autoren keinesfalls einheitlich aus. So schätzen christliche Theologen beispielsweise die Freilassung von Sklaven als Werk der Nächstenliebe,2 womit sie ein Problembewusstsein angesichts der bestehenden Institution der Sklaverei beweisen. Wesentlich häufiger finden sich in ihren Schriften allerdings Äußerungen, die in unterschiedlicher Art und Weise letztlich zu einer Stabilisierung der bestehenden Verhältnisse beitragen.3 Den Befund dieses facettenreichen Verhältnisses bestätigen sowohl Untersuchungen, die sich dem Phänomen Christentum und Sklaverei in der Antike aus überwiegend sozialgeschichtlicher Perspektive annähern, als auch die wenigen vorliegenden Ansätze, die den Themenkomplex unter einer eher theologiegeschichtlichen Betrachtungsweise erschließen.4 Vor allem 1 Die Zusammensetzung christlicher Gemeinden zeigt z. B., dass sich von Anfang an sowohl Sklaven als auch Menschen, die selbst Sklaven besaßen, dazu entschlossen, den christlichen Glauben anzunehmen. Dementsprechend gibt es christliche Sklaven in christlichen Häusern, nichtchristliche Sklaven in christlichen Häusern und ebenso christliche Sklaven in nichtchristlichen Häusern. Zur Präsenz und Mitwirkung von Sklaven in den frühen christlichen Gemeinschaften vgl. z. B. Athenagoras, Legatio pro Christianis 35, 2 (PTS 31, 107 MARCOVICH). Dass die Beteiligung von Sklaven auch von paganen Beobachtern wahrgenommen wird, zeigt z. B. der sogenannte Christenbrief Plinius' des Jüngeren an den Imperator Trajan (112 n. Chr.). Vgl. dazu LÖHR (2014), v. a. 28. 2 So z. B. Johannes Chrysostomus, In principium Actorum homilia 1, 5 (PG 51, 76). 3 Davon zeugen bereits die neutestamentlichen Schriften. Man denke beispielsweise an die Mahnung des Apostels Paulus, wonach jeder in dem Stand verbleiben solle, in dem er zum christlichen Glauben gelangt (1 Kor 7,17-24), oder an die von der οἰκονομικός-Literatur beeinflussten neutestamentlichen Haustafeln, in denen Sklaven dazu angehalten werden, sich gehorsam in ihre Rolle zu fügen (Kol 3,18-4,1; Eph 5,21-6,9; 1 Petr 2,18-3,7; vgl. auch 1 Tim 5,3-6,2); zur patristischen Rezeption vgl. z. B. Clemens Titus Flavius Alexandrinus, Paedagogus 3, 11, 74 (SVigChr 61, 189f. MARCOVICH). Eine Zusammenstellung einschlägiger christlicher Positionen und Argumentationskontexte findet sich bei GRIESER (2012); kursorisch bei WELWEI (2016) III.; ausführlicher auch bei RITTER (2016). 4 Einen umfangreichen Überblick zu den Forschungsbeiträgen, auch zum Themenfeld von Christentum und Sklaverei, liefert die Online-Datenbank der Bibliographie zur antiken Sklaverei der Mainzer Akademie der Wissenschaften und der Literatur (http://www.sklaven.

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unter letzterem Aspekt ist eine Vielzahl antiker christlicher Autoren in der Forschung bisher noch nahezu unberücksichtigt geblieben, und das trifft auch auf den hier behandelten Tatian zu. Gleich an mehreren Stellen seiner thematisch breit angelegten Verteidigungsschrift Oratio ad Graecos (Λόγος πρὸς Ἕλληνας), die vermutlich zwischen 165 und 172 entstanden ist,5 gewährt der frühchristliche Apologet Einblicke in ein spezifisches Verständnis von Sklaverei, in dem nicht nur dezidiert christliche Deutungskontexte eine Rolle spielen, sondern auch die unverkennbare Rezeption stoischer Theoreme deutlich hervortritt. Im Folgenden werden unter erstens zunächst einige Überlegungen zur Person des Tatian und zu dessen Schrift vorangestellt. Unter zweitens werden die einzelnen Aussagen des christlichen Apologeten, der in der zweiten Hälfte des 2. Jahrhunderts lebte und sich auf seinen ausgedehnten Reisen auch längere Zeit in Rom aufhielt, näher analysiert. Den Beitrag abschließen wird ein resümierendes Fazit (drittens), das die erhobenen Befunde vergleichend gegenüberstellt und so eine Einordnung der Haltung des syrischen Apologeten zur Sklaverei vornimmt. 1. Tatian und seine Oratio ad Graecos: Vorüberlegungen zu biographischen und werkspezifischen Fragestellungen 1.1 Tatians Selbstdarstellung in der Oratio Über seine Herkunft aus dem „Land der Assyrer“ gibt Tatian im Epilog seiner Rede selbst Auskunft.6 Mit dem dort genannten Gebietsbegriff Ἀσσυρία wird zu Lebzeiten Tatians überwiegend die aramäischsprachige Gegend am mittleren Tigris verbunden, sodass die Region des nördlichen Mesopotamien am ehesten als Geburtsstätte in Frage kommt.7 Ob Tatian beim Verfassen seiner Oratio nun die Grenzen der ehemaligen römischen Provinz Assyria, die ausschließlich östlich des Tigris liegt, im Sinn hat oder einen nach Wesadwmainz.de/index.php?id=1584, eingesehen am 09.05.2015); gedruckte Fassung: BELLEN/ HEINEN (2003). 5 Für diese Datierung und eine Abfassung in Rom plädiert in neuerer Zeit MARCOVICH (1995) 3. Anders KUKULA (1900) 52, der eine Datierung nach 172 und die damit verbundene Abfassung in Kleinasien vorschlägt, sowie ELZE (1960) 44, der sich in seiner wichtigen Studie zu Tatian und dessen Theologie für eine frühere Abfassungszeit, „vielleicht sogar noch zu Lebzeiten Justins († um 165)“, ausspricht und Rom als naheliegenden Abfassungsort präferiert. 6 Tatianus, Oratio ad Graecos 42, 1 (BHTh 165, 190 TRELENBERG): … γεννηθεὶς μὲν ἐν τῇ τῶν Ἀσσυρίων γῇ …. Aufgrund seiner Herkunft wird Tatian auch häufig mit dem Beinamen „der Assyrer“ versehen; so bereits Clemens Titus Flavius Alexandrinus, Stromata 3, 12, 81, 1 (GCS 452, 232 STÄHLIN/ FRÜCHTEL u. a.). 7 So z. B. POUDERON (2013) 683.

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ten erweiterten Gebietsbegriff zugrunde legt, lässt sich anhand der spärlichen Informationen, die zu der Person und dem Leben des Assyrers überliefert sind, ebenso wenig entscheiden wie die Bestimmung seines Geburtsjahres.8 Ähnlich wie bei der Frage nach Tatians Herkunft bleiben auch im Hinblick auf den weiteren Fortgang seiner Biographie in weiten Teilen die Selbstauskünfte in der Oratio die einzige primäre Quelle, aus der sich zumindest auf einige wenige Stationen seines Lebens schließen lässt. Auch spätere Überlieferungen über das Leben des frühchristlichen Apologeten, wie sie sich unter anderem bei Irenäus, Hippolyt, Eusebius, Epiphanius und Hieronymus finden,9 dürften sich überwiegend aus den verschriftlichten Selbststatements des Assyrers speisen. Zu den biographischen Stationen, über die Tatian seine Leser – gewiss nicht ohne damit eine zielgerichtete Aussageabsicht zu verfolgen – informiert, zählt sein Erwerb einer profunden hellenistischen Bildung.10 Auch über die Praktiken der pagan-religiösen Kulte weiß er bestens Bescheid, zum Teil sogar aufgrund eigener Erfahrungen vor seiner Bekehrung zum Christentum.11 Doch so zahlreich und unterschiedlich die einzelnen Stationen auch waren, die er auf seiner Suche nach der vollkommenen Wahrheit durchschritten hat, restlos überzeugen konnte ihn erst die Lektüre christlicher Schriften.12 Die Selbstdarstellung des Apologeten ist vor allem im Hinblick auf zwei Punkte kritisch zu hinterfragen. Zum einen bedient er sich, wie bei der Schilderung seiner Bekehrung, wohl in Anlehnung an Justin bestimmter apologetischer Topoi, zum anderen verleitet ihn das Anliegen seiner Schrift zu einer übertriebenen Darstellung seiner Bildung und seines Wissens um die hellenistische Kultur.13 Denn das Hauptthema, das sich wie ein roter Faden durch die gesamte Oratio zieht,14 ist die Gegenüberstellung von Griechenund Barbarentum. Dieser stilisierte Vergleich verfolgt dabei ein einziges Anliegen: Den Vorrang und die Überlegenheit des Barbarentums, zu dem Tati8

Zur Herkunft Tatians vgl. TRELENBERG (2012) 1, Anm. 1; ähnlich bereits ELZE (1960) 16f., der zum Vergleich eine Umschreibung des Lukian von Samosata heranzieht; etwas ausführlicher wird die Frage außerdem bei POUDERON (2005) 175, Anm. 1, diskutiert. Über das Geburtsjahr Tatians kann aufgrund mangelnder Informationen letztlich nur spekuliert werden; geht man davon aus, dass er bei seiner Ankunft in Rom um die 30 Jahre alt war, käme als Zeitraum für seine Geburt etwa 120 bis 130 in Frage; vgl. dazu PETERSEN (2001) 655. 9 Vgl. dazu PETERSEN (2005) 129-134. 10 Tatianus, Oratio ad Graecos 35, 1; 42, 1 (BHTh 165, 178; 190.192 TRELENBERG). 11 Tatianus, Oratio ad Graecos 29, 1 (BHTh 165, 160 TRELENBERG). 12 Tatianus, Oratio ad Graecos 29, 2 (BHTh 165, 160.162 TRELENBERG). Tatians Bekehrungsbericht weist in diesen Punkten unübersehbare Parallelen zu der Konversion des Justin auf; vgl. dazu HANIG (1999) 34-38. 13 Dazu ELZE (1960) 16-19, der an konkreten Beispielen die zweifelhafte Zuverlässigkeit von Tatians Aussagen aufzeigt. 14 Zum Aufbau und Inhalt der Oratio ausführlich KARADIMAS (2003) 9-24.

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an auch die christliche Lehre rechnet, mittels einer allumfassenden Diffamierung der griechischen Welt nachzuweisen. Durch das Ausmaß dieses über weite Strecken polemischen und teilweise aggressiven Vorgehens unterscheidet sich die Schrift des Assyrers von anderen frühchristlichen Apologien.15 1.2 Tatian und Justin Um seinem Streben nach Bildung und seiner Suche nach Erkenntnis möglichst umfänglich nachzukommen, begibt sich Tatian nach eigenen Auskünften auf ausgedehnte Reisen, die ihn nicht zuletzt nach Rom führen.16 Im Zusammenhang mit seinem wohl länger währenden Aufenthalt in der Hauptstadt der Römer wird in der Forschungsliteratur seit jeher der Frage nachgegangen, ob Justin, der spätere Märtyrer, und Tatian möglicherweise in einem Lehrer-Schüler-Verhältnis standen. Davon berichten jedenfalls spätere Zeugnisse bei Eusebius und Epiphanius, die sich zu der ersten expliziten Erwähnung bei Irenäus zurückverfolgen lassen.17 Aus welchen Quellen Irenäus wiederum sein Wissen über die Schülerschaft des Tatian schöpft, bleibt im Dunkeln. Unabhängig von diesen Überlieferungen könnte weiterhin das Bestehen exklusiver Parallelen mit teils wörtlicher Abhängigkeit im erhaltenen Schrifttum der beiden Apologeten18 auf ein Schülerverhältnis zu Justin hindeuten. Außerdem erwähnt Tatian die Person des Justin ausdrücklich an zwei Stellen seiner Rede, wobei er keinen Zweifel daran lässt, dass ihm sein Zeitgenosse höchste Bewunderung abverlangt.19 Damit ist aber noch lange kein zwingendes Argument dafür erbracht, dass Tatian während seines Aufenthalts in Rom auch tatsächlich die „Schule“ des Justin besucht hat oder dass er sich nach eigenem Verständnis als einen Schüler des späteren Märtyrers ansieht. Denn eine Aussage, die eindeutig auf ein besonderes oder gar persönliches Verhältnis zu dem berühmten Lehrer Justin schließen lässt, findet sich in der Oratio gerade nicht, auch nicht an den Stellen, an denen Tatian auf Justin zu sprechen kommt. Als sicher – so auch die Meinung in 15

Dazu ausführlich LÖSSEL (2012); LÖSSEL (2010). Zur damit verbundenen Frage nach der Gattung der Oratio TRELENBERG (2012) 230-240. 16 Tatianus, Oratio ad Graecos 35, 1 (BHTh 165, 178 TRELENBERG). 17 Irenaeus Episcopus Lugdunensis, Adversus haereses 1, 28, 1 (FC 8/1, 324 BROX); Eusebius Caesariensis, Historia ecclesiastica 4, 29, 1 (GCS NF 6/1, 390 SCHWARTZ/ MOMMSEN u. a.); Epiphanius Salamiensis, Panarion 46, 1 (GCS 259/2, 202-205 HOLL/ DUMMER). 18 Vgl. dazu TRELENBERG (2012) 196-203, mit einer Gegenüberstellung der entsprechenden Schriftstellen. 19 Tatianus, Oratio ad Graecos 18, 6; 19, 4 (BHTh 165, 134; 136 TRELENBERG).

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einigen neueren Forschungsbeiträgen – kann daher lediglich gelten, dass der Assyrer zumindest einen Teil der Schriften Justins gekannt haben muss.20 Dafür sprechen zumindest die parallelen Passagen im Schrifttum der beiden Apologeten, vor allem in Anbetracht der Tatsache, dass zum Teil sogar eine wörtliche Abhängigkeit besteht.21 1.3 Gnostische und enkratitische Tendenzen Der nächste wiederum nur durch sekundäre Überlieferungen in patristischen Zeugnissen belegte Wendepunkt im Leben Tatians steht im Zusammenhang mit dem Tod Justins, der sich um das Jahr 165 ereignet.22 Danach hätten sich die Lehren des Assyrers zunehmend von den anerkannten Lehrmeinungen entfernt: Irenäus berichtet in seiner häresiologischen Schrift, dass Tatian, freilich erst nach dem Tod Justins und damit nicht mehr in seiner geistigen Obhut stehend, die Pflicht zur Ehelosigkeit, die gegen den Schöpferwillen gerichtet sei, verkündet habe.23 Damit betont Irenäus Tatians Nähe zu enkratitischen Kreisen, die (radikal-)asketische Forderungen aufstellten;24 außer20

So z. B. TRELENBERG (2012) 2, Anm. 5; MARCOVICH (1995) 1: „It seems safe to assume that Tatian is borrowing from Justin.“ Anders LÖSSL (2012) 203, der ebenso wie HUNT (2003) 1, eine Lehrer-Schüler-Beziehung der beiden Apologeten voraussetzt. Aufgrund bestimmter Korrelationen, die sich in der Einstellung und dem Denken von Justin und Tatian zeigten (vgl. S. 52-73), plädiert HUNT (2003) 73, sogar dafür, „that Justin exerted a substantial amount of influence over his pupil.“ Meines Erachtens liefern aber auch die eher allgemeinen Übereinstimmungen kein überzeugendes Argument für eine Beeinflussung durch Justin. Sie belegen lediglich, dass beide Autoren – ähnlich wie die Apologeten Athenagoras und Theophilus – wesentlich durch zeitgenössische Konzepte der hellenistischen Philosophie beeinflusst sind. 21 Zu einem Vergleich einiger zentraler Stellen der Oratio mit Parallelen aus den erhaltenen Schriften Justins vgl. HANIG (1999). 22 Eusebius berichtet in seiner Kirchengeschichte vom Martyrium Justins, das in direkter Verbindung mit der feindseligen Gesinnung des kynischen Philosophen Crescens stehe; Eusebius Episcopus Caesariensis, Historia ecclesiastica 4, 16, 1 (GCS NF 6/1, 354 SCHWARTZ/ MOMMSEN u. a.). Nach dem Zeugnis der Acta Iustini wirkte der christliche Apologet in Rom und starb dort um 165 den Märtyrertod; Acta Iustini et sodalium (SQS NF 43, 16-18 KRÜGER). 23 Irenaeus Episcopus Lugdunensis, Adversus haereses 1, 28, 1 (FC 8/1, 324 BROX). 24 Zu den ethischen Forderungen, die mit den Vertretern dieser asketischen Bewegung in Verbindung gebracht wurden, gehört der Verzicht auf Fleisch- und Weingenuss sowie die strikte Untersagung jeder Art von Geschlechtsbeziehung einschließlich der Ehe. Extreme enkratitische Ansichten, die eine radikale Leibfeindlichkeit beinhalten, finden sich auch bei gnostischen Häretikern wie Markion oder Satornil. Zur Herkunft und zu Formen der enkratitischen Strömungen vgl. z. B. CHADWICK (1962). Eusebius Episcopus Caesariensis, Historia ecclesiastica 4, 28f. (GCS NF 6/1, 388.390.392 SCHWARTZ/ MOMMSEN u. a.), der die GnosisVorwürfe des Irenäus ausführlich zitiert, führt Tatian darüber hinaus sogar als den eigentlichen Urheber der Enkratiten an; ähnlich auch Epiphanius Salamiensis, Panarion 46f. (GCS 95/2, 202-219 HOLL/ DUMMER). Dass Tatian tatsächlich Gründer oder Anführer einer enkratitischen Sekte war, ist aber eher unwahrscheinlich.

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dem sei er zu einem Anhänger der Lehren des Valentinus geworden.25 Auch spätere und zumindest teilweise von Irenäus unabhängige patristische Zeugnisse lassen an der häretischen Laufbahn des assyrischen Apologeten keinen Zweifel.26 Tatians endgültige Distanzierung zur „orthodoxen“ Kirche datiert Eusebius um das Jahr 172 n. Chr.27 Danach sei der Assyrer in den Osten zurückgekehrt, wo er, laut Epiphanius, eine Schule gegründet und den eigenen Lehrbetrieb aufgenommen haben soll.28 Ob die Häresievorwürfe von Seiten der nach eigenem Verständnis orthodox lehrenden Kirchenväter gegen Tatian zu Recht vorgebracht wurden, ist eine Frage, die in Beiträgen zu dem Assyrer zwar immer wieder begegnet,29 die aber schlicht und ergreifend nicht zu beantworten ist.30 Eine angemessene Bewertung des Urteils der Kirchenväter kann in diesem Punkt nicht erfolgen, da ein Großteil der Schriften Tatians heute nicht mehr erhalten ist. Neben der Oratio ad Graecos ist lediglich noch eine Evangelienharmonie, das Diatessaron, in zahlreichen orientalischen Übersetzungen überliefert, die eine Rekonstruktion des ursprünglichen Textes, der entweder syrisch oder griechisch verfasst wurde, nur bedingt zulassen.31 Daneben gehörte aber wohl eine ganze Reihe weiterer nicht erhaltener Schriften – von vieren ist zumindest der Titel überliefert32 – zum Corpus des Tatian. Es ist weiterhin 25

Irenaeus Episcopus Lugdunensis, Adversus haereses 3, 23, 8 (FC 8/3, 292.294 BROX). Vgl. dazu TRELENBERG (2012) 206-208; ELZE (1960) 106-113. 27 Hieronymus, Chronicon, 172 p. Chr. (GCS 347, 206 HELM). Anders Epiphanius Salamiensis, Panarion 46 (GCS 95/2, 202-217 HOLL/ DUMMER), nach dessen Angaben Tatian bereits um 150 wieder im Osten gewesen sei. Womöglich liegt dieser abweichenden zeitlichen Einordnung aber lediglich eine Verwechslung der Namensbezeichnung von Antoninus Pius und Marcus Aurelius zugrunde; vgl. TRELENBERG (2012) 2, Anm. 8. 28 Epiphanius Salamiensis, Panarion 46 (GCS 95/2, 202-217 HOLL/ DUMMER). 29 Eine Auflistung verschiedener Positionen von Tatianinterpreten, die den Apologeten entweder gemäß dem Urteil der Kirchenväter einer gnostischen Häresie zuordnen oder ihn entgegen den patristischen Klassifizierungen für einen nicht-häretischen Autor halten, findet sich bei TRELENBERG (2012) 204f. 30 Grundsätzlich ist in diesem Zusammenhang zunächst darauf aufmerksam zu machen, dass es anachronistisch ist, von häretischen und orthodoxen Lehrmeinungen im 2. Jahrhundert zu sprechen, da in dieser Zeit noch keine Verbindlichkeit darüber besteht, was rechtgläubig ist. Eine häretische Einordnung, wie sie die orthodoxe Polemik ab dem 3. Jahrhundert vornimmt, projiziert erst später gewonnene Konventionen auf eine Zeit, in der diese noch gar nicht gegolten haben. Vgl. dazu auch PETERSEN (2005) 138f. 31 Zu den komplizierten Überlieferungsverhältnissen des Diatessaron vgl. die ausführliche Studie von PETERSEN (1994). Tatians Bedeutung für die und Hochschätzung von Seiten der östlichen Kirchen (orientalischen Nationalkirchen) beruht hauptsächlich auf dieser Kompilation der Evangelien, die vor allem in der Liturgie der syrischen Kirche erstaunlich lange fortwirkt; dazu PETERSEN (2005) 154f. 32 In Oratio ad Graecos 15, 4 (BHTh 165, 124 TRELENBERG) nennt Tatian selbst eine Schrift, die den Titel „Über Lebewesen“ (Περὶ ζῴων) trägt. Eine weitere Schrift (Πρὸς τοὺς ἀποφηναμένους τὰ περὶ θεοῦ) kündigt er in Oratio ad Graecos 40, 3 (BHTh 165, 188 TRELENBERG) an, ob sie auch wirklich verfasst und veröffentlicht wurde, ist allerdings unbe26

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höchst fragwürdig, ob die Oratio als repräsentativ für das gesamte theologische Werk des Tatian gelten kann. Die mehrfachen Hinweise in den patristischen Zeugnissen, die einen deutlichen Wandel in den Positionen und Lehren des Assyrers beschreiben, machen eine derartige Annahme jedenfalls unwahrscheinlich. Es ist also davon auszugehen, dass den Kirchenvätern Informationen zur Verfügung gestanden haben, auf die wir heute keinen Zugriff mehr haben.33 Eine davon zu unterscheidende Frage ist, ob und in welchem Ausmaß sich in der Oratio Aussagen finden, die gnostische oder enkratitische Elemente aufweisen. Auch diese Fragestellung ist nicht ohne weiteres zu beantworten, da keineswegs ein Konsens darüber besteht, was genau unter Gnosis zu verstehen ist. Das liegt zunächst daran, dass unter dem typologischen Begriff gemeinhin verschiedene philosophisch-mystische Strömungen der Spätantike versammelt werden, die zum Teil inhaltlich sehr unterschiedlich ausgeprägt sind.34 Andererseits gibt es aber auch bestimmte Lehrinhalte, die sich bei nahezu allen philosophisch-mystischen Systemen, die im 2. Jahrhundert n. Chr. kulminieren, ausmachen lassen. Dazu kommt die im Einzelfall nur schwer vorzunehmende Abgrenzung von „nicht-häretischen“ christlichen Positionen, die in der Nähe zu gnostischen Inhalten und Lehren stehen.35 Unter Berücksichtigung der genannten Schwierigkeiten lässt sich zur Frage nach enkratitischen und gnostischen Positionen in Tatians theologischem Profil, ausgehend von seinen Äußerungen in der Oratio, zusammenfassend nun Folgendes festhalten:36 In vielen Bereichen seiner Theologie kannt. Weiterhin berichtet Clemens in seinen Stromata über ein Werk, in dem Tatian die sexuelle Aktivität in der Ehe diffamiert habe (Περὶ τοῦ κατὰ τὸν σωτῆρα καταρτισμοῦ), während Eusebius von einem „Buch der Probleme“ (προβλημάτων βιβλίον) spricht; vgl. Clemens Titus Flavius Alexandrinus, Stromata 3, 12, 81, 1-6 (GCS 452, 232 STÄHLIN/ FRÜCHTEL u. a.); Eusebius Episcopus Caesariensis, Historia ecclesiastica 5, 13, 8 (GCS NF 6/1, 458 SCHWARTZ/ MOMMSEN u. a.). Dazu und zu weiteren möglichen Themen der nicht mehr erhaltenen Werke vgl. TRELENBERG (2012) 3f.; POUDERON (2005) 185f. 33 Vgl. TRELENBERG (2012) 205. 34 Vgl. dazu auch HUNT (2003) 20-51, die in einer kursorischen Zusammenstellung der wichtigsten Punkte auf den Konstruktionscharakter des „umbrella term“ gnosticism aufmerksam macht und sich in ihrer Studie zu Tatian auf mögliche Einflüsse der valentinianischen Gnosis konzentriert. 35 Zu den Schwierigkeiten v. a. in Bezug auf den typologischen Konstruktionscharakter des mit den Begriffen „Gnosis“ und „Gnostizismus“ verbundenen antiken Phänomens vgl. MARKSCHIES (2010); zur Nomenklatur HOLZHAUSEN (2001); zur Gnosis in den Zeugnissen der Kirchenväter FOERSTER (1995); zur Gnosis als religiöse Bewegung der Spätantike RUDOLPH (1990). 36 Spezifische Konzeptionen, die für Tatians Aussagen zur Sklaverei von Bedeutung sind, werden bei der Analyse im 2. Kapitel an Ort und Stelle besprochen. Auf eine umfassende Darstellung der betreffenden Vorstellungen wird an dieser Stelle verzichtet; sie ist mehrfach

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werden gnostische Tendenzen erkennbar, die sich in ähnlicher Weise aber auch bei anderen „rechtgläubigen“ christlichen Theologen der Antike wiederfinden. In nur sehr wenigen Einzelfällen37 vertritt Tatian hingegen Vorstellungen, die den Boden christlicher Theologie eindeutig verlassen.38 2. Tatians Aussagen zur Sklaverei Die folgende Analyse der relevanten Textstellen ordnet die jeweiligen Äußerungen des Apologeten drei thematischen Kontexten zu und verzichtet daher auf ein chronologisches Vorgehen. Unter 2.1 wird eine Konzeption behandelt, die den rechtlichen Status eines Menschen als Freier oder Unfreier (= „äußere Sklaverei“) als unbedeutend charakterisiert. In 2.2 werden Aussagen analysiert, welche im Unterschied dazu die „innere Versklavung“ der Menschen unter die Dämonen und die Sünde zum Gegenstand haben, ebenso wie Möglichkeiten der Befreiung aus dieser „inneren Sklaverei“. Im letzten Abschnitt (2.3) erfolgt die Analyse einer Äußerung, in der gehorsames Dienen als typisch christliche Verhaltensweise beschrieben wird. 2.1 „Als Sklave ertrage ich die Sklaverei“ (Oratio 11, 2)39 Im 11. Kapitel der Oratio präsentiert Tatian eine Ethik, die eine rigorose Verachtung der weltlichen Güter zum Gegenstand hat. „Stirb der Welt ab und entsage ihrem Wahn!“ – so lautet die geradezu programmatische Forderung in Oratio 11, 4.40 Welche konkreten Verhaltensweisen und Wertevorstellungen der Assyrer unter dieser Forderung subsumiert, erfährt der Leser in den ersten Abschnitten des 11. Kapitels. Dort findet sich zunächst eine negierende Aufzählung, in der unter anderem das Begehren und Erstreben andernorts erfolgt und ebendort nachzulesen: POUDERON (2013) 692-697; TRELENBERG (2012) 204-219; PETERSEN (2005) 138-156; HUNT (2003) 20-51. 37 Im 20. Kapitel der Oratio beschreibt Tatian z. B. die oberen Äonen mit der für die valentinianische Gnosis typischen Lichtmetaphorik; Tatianus, Oratio ad Graecos 20, 4 (BHTh 165, 138.140 TRELENBERG). 38 Vgl. die differenzierten Ausführungen bei TRELENBERG (2012) 219, der zu folgendem Ergebnis gelangt: „Tatian präsentiert sich in der oratio als ein christlich-philosophischer Schriftsteller, dessen Kosmologie, Soteriologie, Pneumatologie, Psychologie, Anthropologie und Ethik von vielfältigen gnostizistischen Tendenzen durchzogen sind, welche sich im Regelfall und bei wohlwollender Beurteilung noch innerhalb des Rahmens großkirchlicher Rechtgläubigkeit verorten lassen, diesen im Einzelfall jedoch eindeutig verlassen.“ 39 Vgl. zu diesem Abschnitt Quellenanhang Q(2), 21f. 40 Tatianus, Oratio ad Graecos 11, 4 (BHTh 165, 114 TRELENBERG) [Übersetzung: TRELENBERG, ebd. 115].

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bestimmter Güter und Zustände benannt wird, von denen sich der Apologet deutlich distanziert. Dazu zählen beispielsweise Herrschaft, Reichtum, militärische Ämter, Unzucht, Habgier und Ruhmsucht.41 Im zweiten und dritten Abschnitt des 11. Kapitels wird weiterhin deutlich, dass ihm Armut, Bedürfnislosigkeit und die Einfachheit des Lebens wichtige Ideale sind.42 Denn nicht nur die Sonne sei für alle dieselbe, auch habe der Arme (ὁ πλούσιος) am Ertrag der Nahrung ebenso Anteil wie der Reiche (ὁ πένης), der den Samen ausstreue. Und da allen derselbe Tod blühe, ob durch Genusssucht oder durch Mangel, sei die Lebensgrenze für die reichsten Menschen dieselbe wie für die ärmsten, die vom Betteln lebten.43 Ein in Armut lebender Mensch habe dabei sogar einen Vorteil gegenüber den Reichen. Denn während ersterer aufgrund seines einfachen Lebensstils ohne größere Mühe überlebe, hätten letztere immer mehr nötig, um zu Ansehen und Ruhm zu gelangen.44 Dass der Assyrer hier eine ablehnende Haltung gegenüber materiellen Gütern einnimmt, passt zu weiteren Stellen der Oratio, die eine ausgeprägte Materiefeindlichkeit in kosmologischen Überlegungen erkennen lassen.45 Dort geht es im Kontext dualistischer Konzeptionen um den Primat des Geistes vor der Materie; der jenseitigen, geistigen Sphäre wird die irdische, materielle Welt gegenübergestellt.46 Des Weiteren schwingt in den güterkri41

Tatianus, Oratio ad Graecos 11, 1 (BHTh 165, 114 TRELENBERG). Martin ELZE macht darauf aufmerksam, dass Tatian mit den ersten Elementen dieser Aufzählung seinen Angriff gegen den zuvor behandelten dämonischen Schicksalsglauben und stoischen Gestirnkult (Oratio 8-10) wiederaufnimmt, indem er sich von genau denjenigen Lebensbereichen lossagt, die den einzelnen Planetengöttern unterstellt sind; vgl. ELZE (1960) 97. Da Tatians Widerlegung der astrologischen Heimarmene (εἱμαρμένη) im nächsten Kapitel (2.2) ausführlicher zu behandeln sein wird, soll der Hinweis an dieser Stelle genügen. 42 Zur Rezeption und Modifizierung dieser asketischen Ideale im christlichen Mönchtum z. B. MERKT (2008); LOHSE (1969); zu antiker Sklaverei und entstehendem christlichen Mönchtum GRIESER (2016); zur Klosterflucht von Sklaven in der Spätantike HASSE-UNGEHEUER (2011). 43 Tatianus, Oratio ad Graecos 11, 2-3 (BHTh 165, 114 TRELENBERG). Die Argumente, die Tatian hier vorträgt, zeigen deutliche Anklänge an stoische bzw. kynische Lehren von einer natürlichen Wesensverwandtschaft aller Menschen; vgl. z. B. Epiktet, Dissertationes 1, 13, 3f. Auch das Gleichheitskonzept in dem nur fragmentarisch bei Clemens von Alexandria überlieferten Traktat De iustitia des Epiphanes ist in erheblichem Ausmaß von der Rezeption entsprechender stoischer Vorstellungen geprägt; vgl. Clemens Titus Flavius Alexandrinus, Stromata 3, 6, 1-3, 9, 3 (GCS 452, 197/200 STÄHLIN/ FRÜCHTEL u. a.). Der Zusammenhang von Gleichheitskonzepten und Vorstellungen zur Entstehung der Sklaverei bei den frühchristlichen Autoren des 2. bis frühen 4. Jahrhunderts ist Gegenstand meines Promotionsprojekts. 44 Tatianus, Oratio ad Graecos 11, 3 (BHTh 165, 114 TRELENBERG). 45 Tatianus, Oratio ad Graecos 5, 7; 12, 7; 16, 6; 21, 8 u. a. (BHTh 165, 98; 118; 128; 144 TRELENBERG). 46 Eine derartige Kosmologie ist wesentlicher Bestandteil gnostischer und markionitischer Weltanschauung, lässt sich aber ebenso gut aus (mittel-) platonischen Prämissen ableiten, die sich auch an vielen Stellen der „nicht-häretischen“ patristischen Literatur niederschlagen; vgl. TRELENBERG (2012) 213.

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tischen Aussagen auch Tatians enkratitisch geprägte Ethik mit. Diese beinhaltet, zumindest was die Oratio betrifft, zwar keine dezidiert gnostische Leibfeindlichkeit,47 wohl aber einen Hang zur Nahrungsaskese.48 Neben diesen gnostisch-enkratitischen Tendenzen zeichnet sich in Tatians ethischen Forderungen im 11. Kapitel aber auch deutlich das Ideal des stoischen Weisen ab. Wenn der Apologet innerhalb der Aufzählung im ersten Abschnitt beteuert, dass er den Tod verachte,49 über jede Art von Krankheit erhaben sei und keine Trauer seine Seele verzehre,50 bringt er damit eine stoischegalitäre Grundhaltung zum Ausdruck. Diese umfasst die Erhabenheit über bestimmte Gemütserregungen, wie sie auch das Ideal der Apatheia (ἀπάθεια) beschreibt.51 Den stoischen Weisen, der im Gegensatz zur Masse der gewöhnlichen Menschen ἀπαθής ist, zeichnet dabei die vollkommene Beherrschung derjenigen Affekte aus, die im Zusammenhang mit den sogenannten „Außendingen“ stehen, die dem Menschen weder nützen noch schaden können.52 In eben diesem Kontext, der einerseits von einer gnostisch-enkratitischen Ethik und andererseits vom Ideal des stoischen Weisen geprägt ist, steht nun Tatians Aussage zur Sklaverei: „Als Sklave (δοῦλος) ertrage ich die Sklaverei (δουλεία), als freier Mann (ἐλεύθερος) bin ich auf meine edle Abkunft nicht stolz.“53 Mit diesem knappen Ausspruch bringt der Assyrer seine grundsätzliche Gleichgültigkeit gegenüber einem Leben in äußerer Unfreiheit oder Freiheit zum Ausdruck. Damit ordnet er den äußeren Stand eines Menschen in stoischer Manier der Kategorie der ethisch indifferenten Adiaphora zu,54 da er ihn ganz offensichtlich zu denjenigen Dingen zählt, 47

Im Unterschied zu den meisten Gnostikern lehrt Tatian die Auferstehung der Leiber (σωμάτων ἀνάστασις) und die Unsterblichkeit des Fleisches; vgl. Tatianus, Oratio ad Graecos 6, 1; 25, 4 (BHTh 165, 98; 152 TRELENBERG). 48 Tatianus, Oratio ad Graecos 23, 5 (BHTh 165, 148 TRELENBERG). 49 Anklänge an den zeitgenössischen stoischen Sprachgebrauch zeigen sich allgemein in Tatians geäußerter Verachtung der weltlichen Güter, ganz konkret aber auch in der Verachtung des Todes und der Weigerung ihn als Übel anzusehen. Bei Justin findet sich ebenfalls wiederholt die Argumentation, dass die Christen den Tod nicht fürchten, weil jeder Mensch sterben müsse; Iustinus Martyr, 1 Apologia 11, 2; 57, 2 (SC 507, 152.154; 280 MUNIER); Iustinus Martyr, 2 Apologia 11, 1 (SC 507, 352 MUNIER). Zu Parallelen zwischen stoischer Ethik und christlicher Martyriumstheologie TRELENBERG (2010). 50 Tatianus, Oratio ad Graecos 11, 1 (BHTh 165, 114 TRELENBERG). 51 Diesem erstrebenswerten Ideal verleiht Tatian auch in Oratio 19, 9 (BHTh 165, 138 TRELENBERG) deutlichen Ausdruck: Τῶν παθῶν ἂν ὑπάρχῃς ἀνώτερος, τῶν ἐν τῷ κόσμῳ πάντων καταφρονήσεις. 52 Ausführlich bei Marcus Tullius Cicero, Tusculanae disputationes 2. Vgl. auch TRELENBERG (2010) 330f. 53 Tatianus, Oratio ad Graecos 11, 2 (BHTh 165, 114 TRELENBERG): Δοῦλος ἐὰν ὦ, τὴν δουλείαν ὑπομένω· κἂν ἐλεύθερος ὑπάρχω, τὴν εὐγένειαν οὐ σεμνύνομαι. [Übersetzung: TRELENBERG, ebd. 115]. 54 Vgl. TRELENBERG (2012) 52.

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die weder gut noch schlecht sind. Der Zustand der δουλεία ist gemäß der Aussage des Apologeten ähnlich wie das Erleiden von Krankheiten und Schmerzen geduldig zu ertragen (ὑπομένω). Und ebenso wenig wie der Status eines Unfreien als ein Malum zu bewerten ist, ist der eines Freien als ein Bonum aufzufassen.55 Tatian präsentiert im 11. Kapitel der Oratio somit das Konzept eines in einfachsten Verhältnissen lebenden Christen, der aufgrund seiner vollkommenen Bedürfnislosigkeit dem Stand eines Freien nicht mehr abgewinnen kann als dem eines Sklaven. Eine derartige Bewertung oder besser gesagt Geringschätzung der äußeren Lebensverhältnisse ist von einer kritischen Haltung gegenüber der „äußeren Sklaverei“ sicher weit entfernt. Es wäre sogar zu überlegen, ob durch den Kontext, in dem Tatian hier von Sklaverei und Freiheit spricht, die Position eines Sklaven zumindest implizit sogar als die privilegiertere erscheint – quasi in Analogie zu der Gegenüberstellung von Armen und Reichen. Denn eine asketische Lebensführung, in der Bedürfnislosigkeit und einfache Lebensverhältnisse zum Ideal avancieren, ist im Stand eines besitzlosen Sklaven sicher leichter zu realisieren als in dem eines wohlhabenden und begüterten Bürgers, der selbst Sklaven besitzt. 2.2 „Zu Sklaven sind wir geworden, die wir frei waren“ (Oratio 11, 4)56 Gegen Ende des 11. Kapitels kommt Tatian ein weiteres Mal auf Sklaverei zu sprechen, allerdings geht es hier nicht um die „äußere“, sondern um die „innere Versklavung“. Die grundsätzliche Umdeutung der Begriffe von Sklaverei und Freiheit ins Ethische ist ein elementarer Bestandteil der gesamten Stoa57 und erhält bei Epiktet die wohl konsequenteste Umsetzung: Wahre Freiheit beschreibt die richtige ethisch-philosophische Haltung, Sklaverei hingegen das falsche Streben nach Scheingütern.58 Während die erste Erwähnung in 11, 2, wie gezeigt wurde, auch deutlich von der Rezeption stoischer Ideale geprägt ist, bildet in 11, 4 gerade die Argumentation gegen stoische Lehrinhalte den unmittelbaren Kontext der Aus55 Manche Interpretationen versuchen die Angaben in dieser Passage biographisch auszuwerten und auf reale Situationen im Leben des Apologeten zu beziehen. Demzufolge könne aus der hier behandelten Notiz etwa auf Tatians Herkunft aus einer höheren Gesellschaftsschicht geschlossen werden; so z. B. PETERSEN (2005) 129. Derartige Deutungen übersehen den überindividuellen und mit postulativer Intention versehenen Charakter der Aussage. Der Kontext ist eindeutig und die Annahme, dass Tatian hier eine biographische Information verarbeite, nicht plausibel. Vgl. dazu auch TRELENBERG (2012) 4, v. a. Anm. 21. 56 Vgl. zu diesem Abschnitt Quellenanhang Q(2) und Q(3), 21-23. 57 Dazu v. a. WILLMS (2016b). 58 Vgl. dazu mit entsprechenden Stellenangaben WILLMS (2016a).

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sage. In den vorangehenden Kapiteln 8-10 behandelt der christliche Apologet ausführlich deterministische Formen paganer Schicksalsgläubigkeit. Dabei wendet er sich in bestechender Deutlichkeit, aber auch mit der für ihn typischen Polemik gegen den stoischen Gestirnkult und zieht den Glauben an eine astrologische Heimarmene (εἱμαρμένη)59 ins Lächerliche.60 Dass der Glaube an Schicksalsmächte nicht nur auf theoretischer Ebene unsinnig, sondern auch die inkonsequente praktische Umsetzung der an die Heimarmene Glaubenden lächerlich sei, bringt Tatian nun in Oratio 11, 3 zum Ausdruck, indem er sich mit den folgenden beiden Fragen an die vermeintlichen Adressaten seiner Schrift wendet: „Wenn das Schicksal (εἱμαρμένη) waltet, warum hast du mir dann aus Habsucht schlaflose Nächte? Wenn das Schicksal (εἱμαρμένη) waltet, warum bist du mir dann so gierig, und stirbst so oft daran?“61 Dem seines Erachtens nach unbrauchbaren und unnützen Glauben an Schicksalsmächte stellt der assyrische Apologet die Überzeugung von einer uneingeschränkten persönlichen Freiheit des Menschen (αὐτεξούσιον) gegenüber. Worin sich diese freie Selbstbestimmung der Menschen ausdrückt, wird am deutlichsten bereits im siebten Kapitel dargelegt. Demnach haben beide Schöpfungsgattungen, die Menschen und die Engel, die freie Selbstbestimmung (αὐτεξούσιον) erhalten. Daher könne das Gute von den Menschen frei gewählt werden (ἐλευθερίᾳ τῆς προαιρέσεως), sodass der Böse gerechterweise bestraft, der Gerechte aber verdientermaßen gepriesen werde.62 Nach der Vorstellung des Assyrers gehen die Geschehnisse im Leben eines Menschen also nicht etwa auf das Wirken des Schicksals (εἱμαρμένη) zurück, sondern auf die freie Entscheidung (αὐτεξούσιον) der Wählenden.63 Tatians Konzeption einer schöpfungsgemäßen Freiheit des Menschen folgt in diesen Punkten in auffälliger Ähnlichkeit dem Vorbild des Justin.64 59

Die stoische Heimarmene-Lehre beinhaltet die grundlegende Vorstellung einer teleologisch vollkommen durchgeordneten Welt. Die aus der planvollen und unwandelbaren Ordnung resultierende Ursachenkette nennen die Stoiker „Schicksal“ (griech. εἱμαρμένη; lat. fatum). Die Heimarmene verwirklicht ihre Ziele nach ihrer eigenen Bewegung und Notwendigkeit und ist als alles bewegende Kraft mit der Vorsehung, der Natur und Zeus selbst identisch; vgl. SCHRÖDER (1969) 540. Zur Debatte um den stoischen Determinismus BOBZIEN (2001). 60 Tatianus, Oratio ad Graecos 8, 1-10, 4 (BHTh 165, 102-112 TRELENBERG). 61 Tatianus, Oratio ad Graecos 11, 3 (BHTh 165, 114 TRELENBERG): Τί μοι καθ’ εἱμαρμένην ἀγρυπνεῖς διὰ φιλαργυρίαν; Τί δέ μοι καθ’ εἱμαρμένην πολλάκις ὀρεγόμενος πολλάκις ἀποθνῄσκεις; [Übersetzung: TRELENBERG, ebd. 115]. 62 Tatianus, Oratio ad Graecos 7, 2 (BHTh 165, 100 TRELENBERG). 63 Tatianus, Oratio ad Graecos 7, 3 (BHTh 165, 102 TRELENBERG). 64 Vgl. Iustinus Martyr, 2 Apologia 6 (7), 5 (SC 507, 336.338 MUNIER): Weil Gott das Geschlecht der Engel und das der Menschen im Anfang mit freier Selbstbestimmung erschaffen hat (ὅτι αὐτεξούσιον τό τε τῶν ἀγγέλων γένος καὶ τῶν ἀνθρώπων τὴν ἀρχὴν ἐποίησεν ὁ θεός), werden sie mit Recht für ihre Vergehen bestraft; Iustinus Martyr, Dialogus cum Tryphone Iudaeo 88, 5 (Par. 47/1, 428 BOBICHON): Gott habe die Engel und die Menschen bei ihrer Er-

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Vor dem Hintergrund dieser Argumentation, die gegen die stoische Vorstellung der Heimarmene gerichtet ist, sind nun auch die Aussagen des Assyrers zur Sklaverei in 11, 4 zu deuten: „Unser freier Wille (αὐτεξούσιον) hat uns verdorben; zu Sklaven (δοῦλοι) sind wir geworden, die wir frei waren; um der Sünde willen sind wir verkauft.“65 Die Sklaverei, von der Tatian hier spricht, ist zweifelsfrei eine andere als die in 11, 2. Berücksichtigt man zusätzlich den unmittelbar vorangestellten Satz – die Menschen seien nicht zum Sterben geboren, sondern sterben erst durch eigene Schuld – wird deutlich, dass der Apologet hier mit Termini, die dem Wortfeld der Sklaverei entspringen, die „innere Versklavung“ der Menschen unter Sünde und Tod beschreibt. Diese metaphorische Verwendung der juristisch geprägten Termini der Versklavung und Gefangenschaft erfolgt bei Tatian gewiss in Anlehnung an Paulus und die deuteropaulinischen Briefe, die damit die Erlösungsbedürftigkeit der Menschen beschreiben.66 Dementsprechend enthält die gesamte Passage in 11, 4 mehrere Übereinstimmungen mit dem Römerbrief, dem Kolosserbrief und dem Epheserbrief,67 wobei die Berührungen eher auf einer allgemeinen Kenntnis der paulinischen und deuteropaulinischen Briefe beruhen als auf direkter literarischer Abhängigkeit.68 Ob Tatian mit seiner Aussage, dass die Menschen zu Sklaven geworden seien, nun auf die unheilvollen Folgen der Sünde des ersten Menschenpaars anspielt, ist eine nur schwierig zu beantwortende Frage. Auf der einen Seite rekurriert er deutlich auf die Unsterblichkeit, die er in seiner Exegese der Schöpfungsgeschichte, ähnlich wie Justin,69 als Anteil am göttlichen Wesen hervorhebt.70 Andererseits akzentuiert Tatian in seiner Oratio durchgängig, vor allem aber im 11. Kapitel, die je eigene Entscheidungsfreiheit im Rahmen seiner Argumentation gegen die Heimarmene. Diese Argumentationsstruktur spiegelt auch der abschließende Satz des 11. Kapitels wieder schaffung mit der Freiheit zu wählen und mit Selbstbestimmungsrecht ausgestattet (γὰρ τούτους ἐν ἐλευθέρᾳ προαιρέσει καὶ αὐτεξουσίους γενομένους), da er wollte, dass sie das tun, wozu er jeden einzelnen befähigt habe. 65 Tatianus, Oratio ad Graecos 11, 4 (BHTh 165, 114 TRELENBERG): Ἀπώλεσεν ἡμᾶς τὸ αὐτεξούσιον· δοῦλοι γεγόναμεν οἱ ἐλεύθεροι, διὰ τὴν ἁμαρτίαν ἐπράθημεν. [Übersetzung: TRELENBERG, ebd. 115]. 66 Vgl. dazu GRIESER (1997) 197f. 67 Vgl. Röm 6,6; 6,10; 7,14; Kol 2,20; 3,9; Eph 4,22. 68 Dazu auch DASSMANN (1979) 249f. 69 Vgl. Iustinus Martyr, Dialogus cum Tryphone Iudaeo 124, 4 (Par. 47/1, 518 BOBICHON): Die Menschen sind zur Gottähnlichkeit, frei von Leiden und unsterblich, geschaffen worden (τοὺς καὶ θεῷ ὁμοίως ἀπαθεῖς καὶ ἀθανάτους … γεγεννημένους). Den Tod erwirken sie sich durch eigene Schuld, indem sie dem Beispiel von Adam und Eva ähnlich werden (ὁμοίως τῷ Αδὰμ καὶ τῇ Εὔᾳ) und sich ebenso wie diese ungehorsam gegen Gott verhalten. 70 Vgl. Tatianus, Oratio ad Graecos 7, 1 (BHTh 165, 100 TRELENBERG), wonach der Mensch durch den ursprünglichen Besitz der Unsterblichkeit (ἀθανασία) Anteil an der Würde Gottes erhalte. Vgl. dazu auch VOLP (2006) 125.

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deutlich: „Gott hat nichts Schlechtes erschaffen, wir haben die Schlechtigkeit hervorgebracht; aber die sie hervorgebracht haben, sind auch imstande, ihr wieder zu entsagen.“71 Vor diesem Hintergrund ist es wahrscheinlich, dass der Apologet mit seiner Aussage zur „inneren Sklaverei“ eher die je einzelnen Tatsünden der Menschen vor Augen hat und nicht etwa auf die sogenannte „Ursünde“ des ersten Menschenpaars anspielt.72 Eine ähnliche Verwendung der Sklaventerminologie findet sich an einer weiteren Stelle der Oratio, die, zumindest indirekt, ebenfalls mit dem Glauben an die Schicksalsmächte in Verbindung steht; denn die Einführung des Schicksals beschreibt Tatian in 8, 1 als ein Werk der Dämonen.73 Diese gefallenen Wesen sind nach der Vorstellung des Assyrers einzig darauf aus, den Menschen zu schaden. Nur eine rigorose Absage an die Welt der Materie könne dazu beitragen, über die Dämonen zu siegen.74 Diejenigen, die es allerdings nicht schaffen, sich von den weltlichen Gütern und der Materie zu lösen, die fallen die Dämonen an, indem sie diese Menschen zu ihren Sklaven machen.75 Aus dieser „inneren Versklavung“ kann einzig der Glaube an Gott befreien, der nach Tatian Resultat eines Erkenntnisvorgangs ist. Auch das damit verbundene Erlösungsgeschehen beschreibt der Apologet im Rahmen seiner intellektualistisch ausgerichteten Soteriologie unter Zuhilfenahme von Termini, die dem Kontext von Sklaverei und Freilassung entstammen: „Meine Seele wurde von Gott gelehrt und ich begriff, dass den einen Dingen der Platz der Verdammnis zugewiesen wird und dass die anderen von der Knechtschaft [Sklaverei, N.B. (δουλεία)] in der Welt erlösen, uns von zahlreichen Herrschern (ἄρχων) und unzähligen Tyrannen (τύραννος) befreien ….“76 An dieser Beschreibung des Erlösungsgeschehens fällt eine weitere

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Tatianus, Oratio ad Graecos 11, 4 (BHTh 165, 114 TRELENBERG): Οὐδὲν φαῦλον ὑπὸ τοῦ θεοῦ πεποίηται, τὴν πονηρίαν ἡμεῖς ἀνεδείξαμεν· οἱ δὲ ἀναδείξαντες δυνατοὶ πάλιν παραιτήσασθαι. [Übersetzung: TRELENBERG, ebd. 115]. 72 Vgl. dazu auch SCHEFFCZYK (1981) 50f. Anders HAUKE (1993) 125, der in Tatians Aussage ein „Ineinander von ‚adamitischer‘ und ‚individueller‘ Unheilskausalität“ erkennt. 73 Tatianus, Oratio ad Graecos 8, 1 (BHTh 165, 102 TRELENBERG). Tatians Vorstellungen sind insgesamt von einer stark ausgeprägten Dämonologie gekennzeichnet. Vgl. dazu v. a. die Ausführungen in Oratio 7, 5 (BHTh 165, 102 TRELENBERG), wonach die real existierenden Dämonen vom Schöpfergott aufgrund ihres Abfalls aus dem Himmel vertrieben wurden. 74 Tatianus, Oratio ad Graecos 16, 5-7 (BHTh 165, 128 TRELENBERG). 75 Tatianus, Oratio ad Graecos 17, 5 (BHTh 165, 130 TRELENBERG): … ὑπολαμβάνοντες σφίσιν αὐτοῖς δουλεύειν τοὺς ἀνθρώπους ἀπεργάζονται. [Übersetzung: TRELENBERG, ebd. 131]. Eine Parallele zur Versklavung der Menschen durch die Dämonen findet sich auch bei Iustinus Martyr, 1 Apologia 14, 1 (SC 507, 162 MUNIER). 76 Tatianus, Oratio ad Graecos 29, 3 (BHTh 165, 162 TRELENBERG): Θεοδιδάκτου δέ μου γενομένης τῆς ψυχῆς συνῆκα ὅτι τὰ μὲν καταδίκης ἔχει τόπον, τὰ δὲ ὅτι λύει τὴν ἐν κώσμῳ

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Eigenart der Schrift des Assyrers auf. Denn wenngleich auch hier die Anklänge an die Theologie des Paulus und dessen metaphorischer Verwendung der Sklaventerminologie greifbar sind,77 ist es nach Tatians Ausführungen nicht das Erlösungswerk Christi, das von der Versklavung unter Sünde und Tod befreit, sondern die eigene und freie Willensentscheidung der einzelnen Menschen. Überhaupt taucht der Name Christi in der gesamten Schrift des Assyrers, die gleichwohl eine christliche Apologie darstellt, kein einziges Mal auf.78 2.3 „Ich erkenne die Sklaverei an“ (Oratio 4, 2)79 Neben den bereits analysierten Stellen bedient sich Tatian noch ein weiteres Mal der Sklaventerminologie. Um die Ungerechtigkeit und Sinnlosigkeit der Verleumdung und Verfolgung von Christen aufzuzeigen, erklärt er, dass das Steuerzahlen an den Kaiser für einen Christen ebenso selbstverständlich sei wie dem Befehl des δεσπότης zum gehorsamen Sklavendienst Folge zu leisten: „Der Kaiser (βασιλεύς) befiehlt, Steuern zu zahlen; ich bin bereit, sie zu entrichten. Der Herr (δεσπότης) befiehlt als Sklave zu dienen (δουλεύω) und gehorsam zu sein (ὑπηρετέω); ich erkenne die Sklaverei (δουλεία) an.“80 Tatians Zusicherung, wonach sich die Christen loyal gegenüber dem Staat verhalten und gewissenhaft ihre Steuern entrichten, erfolgt im Anklang an zentrale Schriftstellen des Neuen Testaments.81 Auch in den Apologien Justins und Tertullians begegnet dieselbe Argumentation.82 Die Hervorhebung der loyalen Gesinnung der Christen vor allem in Fragen der Steuermoral ist also ein Topos der frühchristlichen apologetischen Literatur.83 Weniger eindeutig ist hingegen, wer im zweiten Satz der oben zitierten Stelle mit dem δεσπότης zu identifizieren ist. In den Editionen und Forschungsbeiträgen zu Tatians Oratio finden sich zum Teil unterschiedliche Interpretatio-

δουλείαν καὶ ἀρχόντων μὲν πολλῶν καὶ μυρίων ἡμᾶς ἀποσπᾷ τυράννων …. [Übersetzung: TRELENBERG, ebd. 163]. 77 Vgl. dazu v. a. Röm 8,21. 78 Dazu und zu Vergleichen mit anderen philosophisch geprägten Apologien TRELENBERG (2012) 219-224. 79 Vgl. hierzu Quellenanhang Q(1), 20f. 80 Tatianus, Oratio ad Graecos 4, 2 (BHTh 165, 92 TRELENBERG): Προστάττει φόρους τελεῖν ὁ βασιλεύς· ἕτοιμος παρέχειν. Δουλεύειν ὁ δεσπότης καὶ ὑπηρετεῖν· τὴν δουλείαν γινώσκω. [Übersetzung: in Anlehnung an TRELENBERG, ebd. 93]. 81 Röm 13,1-7; Mt 22,15-22 par. Mk 12,13-17, par. Lk 20,20-26. 82 Iustinus Martyr, 1 Apologia 17, 1-3 (SC 507, 176.178 MUNIER); Tertullianus, Apologeticum 42, 9 (FC 62, 254 GEORGES). 83 Vgl. dazu auch FIEDROWICZ (2000) 197.

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nen: Während unter anderem Molly Whittaker („the nobleman“)84 und Jörg Trelenberg („mein Gebieter“) im Anschluss an den zuvor genannten Kaiser von einem weltlichen Herrscher ausgehen, identifiziert Roman Hanig den δεσπότης mit Gott und bezieht nur das „Δουλεύειν … καὶ ὑπηρετεῖν“ auf den zuvor genannten Kaiser.85 Nur wenn verlangt würde, so Tatian weiter, Gott zu verleugnen, werde er nicht Folge leisten. Denn den Menschen müsse man zwar ehren, wie es einem Menschen gebührt, Gott allein aber fürchten.86 Da auch diese Aussagen einen deutlichen Bezug zu Röm 13,1-7 erkennen lassen, ist meines Erachtens eine Interpretation, die dem Vorschlag von Roman Hanig folgt, zu favorisieren. Demnach beinhaltet Tatians Aussage, dass Gott befiehlt dem Kaiser als Sklave gehorsam zu dienen. Denn in der Römerbriefstelle geht es gerade darum, dass die staatliche Gewalt von Gott eingesetzt ist und diejenigen, die die Steuern einziehen, im Auftrag Gottes handeln. Tatian macht in Oratio 4, 2 also deutlich, dass Christen zwar unter keinen Umständen bereit sind, von ihrem Glauben abzufallen, dass von ihnen aber auch keine Gefahr für den Staat ausgeht. Denn nach den Bekundungen des assyrischen Apologeten respektieren Christen sowohl die politischen als auch die sozialen Machtverhältnisse und beabsichtigen keine Veränderungen der damit verbundenen hierarchischen Strukturen, da sie diese als Teil der göttlichen Ordnung ansehen. 3. Zusammenfassung Die Analyse der Aussagen, die Tatian in seiner Oratio zur Sklaverei trifft, hat Folgendes ergeben: In allen drei thematischen Kontexten zeigt sich ein Verständnis von „äußerer“ und „innerer Sklaverei“, das letztlich zur Stabilisierung und Rechtfertigung von realen Über- und Unterordnungsverhältnissen beiträgt. Die Rezeption des Ideals des stoischen Weisen, gepaart mit den gnostisch-enkratitisch gefärbten materiefeindlichen Tendenzen, führt zu einer Geringschätzung des äußeren Standes, wobei das Leben eines in Armut lebenden Sklaven gegenüber dem eines wohlhabenden Sklavenbesitzers zu bevorzugen ist. Durch die metaphorische Rede von der „inneren Versklavung“ der Menschen unter Sünde und Tod, die Tatian als Werk der Dämonen interpretiert, werden Formen von „realer äußerer Unfreiheit“, die ohnehin schon geringzuschätzen sind, noch weiter relativiert. Auffällig ist in diesem Kontext Tatians starke Betonung der Willensfreiheit, 84 85 86

Vgl. WHITTAKER (1982) 9. Vgl. HANIG (1999) 66. Tatianus, Oratio ad Graecos 4, 2 (BHTh 165, 92 TRELENBERG).

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die sowohl archeologisch als auch teleologisch ausgerichtet ist. Innerhalb des zuletzt untersuchten Kontextes avanciert die Unterordnung unter weltliche Herrscher in Form eines gehorsamen Dienstes gar zum Aushängeschild eines loyalen christlichen Untertans.

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Quellenanhang (Q1) Tatianus, Oratio 4, 1-2. (Q2) Tatianus, Oratio 11, 1-4. (Q3) Tatianus, Oratio 29, 1-3. Der griechische Text ist ebenso wie seine deutsche Übersetzung aus der von Jörg TRELENBERG herausgegebenen und übersetzten historisch-kritischen Ausgabe entnommen, die 2012 in der Reihe „Beiträge zur historischen Theologie“ bei Mohr Siebeck erschienen ist.1 (Q1) Tatianus, Oratio 4, 1-2. (1) Διὰ τί γάρ, ἄνδρες Ἕλληνες, ὥσπερ ἐν πυγμῇ συγκρούειν βούλεσθε τὰς πολιτείας καθ’ ἡμῶν, καὶ εἰ μὴ τοῖς τινων νομίμοις συγχρῆσθαι βούλομαι, τίνος χάριν καθάπερ μιαρώτατος μεμίσημαι; (2) Προστάττει φόρους τελεῖν ὁ βασιλεύς· ἕτοιμος παρέχειν. Δουλεύειν ὁ δεσπότης καὶ ὑπηρετεῖν· τὴν δουλείαν γινώσκω. Τὸν μὲν γὰρ ἄνθρωπον ἀνθρωπίνως τιμητέον, φοβητέον δὲ μόνον τὸν θεόν, ὅστις ἀνθρωπίνοις οὐκ ἔστιν ὁρατὸς ὀφθαλμοῖς, οὐ τέχνῃ περιληπτός. Τοῦτον μόνον ἀρνεῖσθαι κελευόμενος οὐ πεισθήσομαι, τεθνήξομαι δὲ μᾶλλον, ἵνα μὴ ψεύστης καὶ ἀχάριστος ἀποδειχθῶ. (Q1) Übersetzung Tatianus, Oratio 4, 1-2. (1) Warum wollt ihr denn, ihr griechischen Männer, wie in einem Faustkampf die Bürgerschaft auf uns hetzen? Wenn ich mit dem Brauchtum gewisser Leute nichts zu tun haben will, weswegen bin ich dann wie der gottloseste Mensch verhasst? (2) Der Kaiser befiehlt, Steuern zu zahlen; ich bin bereit, sie zu entrichten. Mein Gebieter fordert zu dienen und gehorsam zu sein; ich kenne meine Pflicht als Untertan [Der Herr befiehlt als Sklave zu dienen und gehorsam zu 1

TRELENBERG, Jörg, Tatianos. Oratio ad Graecos. Rede an die Griechen (Beiträge zur historischen Theologie 165), Tübingen 2012. Nicht mehr berücksichtigt werden konnte die bei Mohr Siebeck (Tübingen) in der Reihe SAPERE (Scripta Antiquitatis Posterioris ad Ethicam Religionemque Pertinentia) angekündigte Edition unter der Herausgeberschaft von HeinzGünther NESSELRATH, da sie mir zum Zeitpunkt der Fertigstellung dieses Beitrags im Mai 2015 noch nicht vorlag.

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sein; ich erkenne die Sklaverei an, N.B.]. Den Menschen muss man nämlich ehren, wie es einem Menschen gebührt, Gott allein aber muss man fürchten. Dieser ist für menschliche Augen unsichtbar und auf keine Weise fassbar. Nur wenn mir befohlen wird, ihn zu verleugnen, werde ich nicht gehorchen; lieber werde ich tot sein, damit ich nicht als treuloser Lügner befunden werde. (Q2) Tatianus, Oratio 11, 1-4. (1) Πῶς οὖν γένεσιν τὴν καθ’ εἱμαρμένην ἀποδέξομαι τοιούτους αὐτῆς τοὺς οἰκονόμους θεωρῶν; Βασιλεύειν οὐ θέλω, πλουτεῖν οὐ βούλομαι, τὴν στρατηγίαν παρῄτημαι, πορνείαν μεμίσηκα, ναυτίλλεσθαι διὰ τὴν ἀπληστίαν οὐκ ἐπιτηδεύω, στεφάνους ἔχειν οὐκ ἀγωνίζομαι, δοξομανίας ἀπήλλαγμαι, θανάτου καταφρονῶ, νόσου παντοδαπῆς ἀνώτερος γίνομαι, λύπη μου τὴν ψυχὴν οὐκ ἀναλίσκει. (2) Δοῦλος ἐὰν ὦ, τὴν δουλείαν ὑπομένω· κἂν ἐλεύθερος ὑπάρχω, τὴν εὐγένειαν οὐ σεμνύνομαι. Τὸν ἥλιον ὁρῶ πάντων τὸν αὐτόν, ἕνα δὲ κατὰ πάντων τὸν θάνατον δι’ ἡδονῆς καὶ ἐλαττώματος. (3) Ὁ πλούσιος σπείρει, καὶ ὁ πένης τῆς αὐτῆς σπορᾶς μεταλαμβάνει· τελευτῶσιν οἱ πλουσιώτατοι καὶ οἱ μεταιτοῦντες τὴν αὐτὴν ἔχουσι τοῦ βίου περιγραφήν. Πλειόνων χρῄζουσιν οἱ πλουτοῦντες καὶ δι’ ἀξιοπιστίας μετὰ τῆς δόξης γίνονται· πένης δὲ καὶ ὁ μετριώτατος τῶν καθ’ ἑαυτὸν ἐφιέμενος εὐμαρέστερον περιγίνεται. Τί μοι καθ’ εἱμαρμένην ἀγρυπνεῖς διὰ φιλαργυρίαν; Τί δέ μοι καθ’ εἱμαρμένην πολλάκις ὀρεγόμενος πολλάκις ἀποθνῄσκεις; (4) Ἀπόθνῃσκε τῷ κόσμῳ παραιτούμενος τὴν ἐν αὐτῷ μανίαν· ζῆθι τῷ θεῷ διὰ τῆς αὐτοῦ καταλήψεως τὴν παλαιὰν γένεσιν παραιτούμενος. Οὐκ ἐγενόμεθα πρὸς τὸ ἀποθνῄσκειν, ἀποθνῄσκομεν δὲ δι’ ἑαυτούς. Ἀπώλεσεν ἡμᾶς τὸ αὐτεξούσιον· δοῦλοι γεγόναμεν οἱ ἐλεύθεροι, διὰ τὴν ἁμαρτίαν ἐπράθημεν. Οὐδὲν φαῦλον ὑπὸ τοῦ θεοῦ πεποίηται, τὴν πονηρίαν ἡμεῖς ἀνεδείξαμεν· οἱ δὲ ἀναδείξαντες δυνατοὶ πάλιν παραιτήσασθαι. (Q2) Übersetzung Tatianus, Oratio 11, 1-4. (1) Wie kann ich nun an eine schicksalsbestimmte Geburt glauben, wenn ich mir diejenigen anschaue, die dieses Schicksal verwalten? Herrschen will ich nicht, nach Reichtum verlangt es mich nicht, das Feldherrenamt weise ich zurück, Unzucht ist mir verhasst, keine unersättliche Habgier treibt mich aufs Meer hinaus, für den Besitz von Siegerkränzen strenge ich mich nicht

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an, vom Wahnsinn der Ruhmsucht bin ich frei, den Tod verachte ich, über jede Art von Krankheit bin ich erhaben, keine Trauer verzehrt meine Seele. (2) Als Sklave ertrage ich die Sklaverei, als freier Mann bin ich auf meine edle Abkunft nicht stolz. Ich sehe eine Sonne, die für alle dieselbe ist, und einen Tod, der allen blüht, ob durch Genusssucht oder Mangel. (3) Der Reiche streut den Samen aus, am Ertrag hat ebenso der Arme teil. Es sterben auch die reichsten Menschen, und die Bettler haben dieselbe Lebensgrenze. Die Reichen haben immer mehr nötig und durch ihr Ansehen genießen sie Ruhm; aber auch ein Armer, der sehr bescheiden ist und nur das Seine begehrt, überlebt ohne größere Mühe. Wenn das Schicksal waltet, warum hast du mir dann aus Habsucht schlaflose Nächte? Wenn das Schicksal waltet, warum bist du mir dann so gierig, und stirbst so oft daran? (4) Stirb der Welt ab und entsage ihrem Wahn! Lebe Gott und entsage, indem du ihn ergreifst, deiner alten Geburt! Wir sind nicht zum Sterben geboren, sondern sterben durch eigene Schuld. Unser freier Wille hat uns verdorben; zu Sklaven sind wir geworden, die wir frei waren; um der Sünde willen sind wir verkauft. Gott hat nichts Schlechtes erschaffen, wir haben die Schlechtigkeit hervorgebracht; aber die sie hervorgebracht haben, sind auch imstande, ihr wieder zu entsagen. (Q3) Tatianus, Oratio 29, 1-3. (1) Ταῦτ’ οὖν ἰδών, ἔτι δὲ καὶ μυστηρίων μεταλαβὼν καὶ τὰς παρὰ πᾶσι θρησκείας δοκιμάσας διὰ θηλυδιῶν καὶ ἀνδρογύνων συνισταμένας, εὑρὼν δὲ παρὰ μὲν Ῥωμαίοις τὸν κατ’ αὐτοὺς Λατιάροιν Δία λύθροις ἀνθρώπων καὶ τοῖς ἀπὸ τῶν ἀνδροκτασιῶν αἵμασι τερπόμενον, Ἄρτεμιν δὲ οὐ μακρὰν τῆς μεγάλης πόλεως τῶν αὐτῶν πράξεων ἐπανῃρημένην τὸ εἶδος ἄλλον τε ἀλλαχῆ δαίμονα κακοπραγίας ἐπαναστάσεις πραγματευόμενον, κατ’ἐμαυτὸν γενόμενος ἐζήτουν ὅτῳ τρόπῳ τἀληθὲς ἐξευρεῖν δύναμαι. (2) Περινοοῦντι δέ μοι τὰ σπουδαῖα συνέβη γραφαῖς τισιν ἐντυχεῖν βαρβαρικαῖς, πρεσβυτέραις μὲν ὡς πρὸς τὰ Ἑλλήνων δόγματα, θειοτέραις δὲ ὡς πρὸς τὴν ἐκείνων πλάνην· καί μοι πεισθῆναι ταύταις συνέβη διά τε τῶν λέξεων τὸ ἄτυφον καὶ τῶν εἰπόντων τὸ ἀνεπιτήδευτον καὶ τῆς τοῦ παντὸς ποιήσεως τὸ εὐκατάληπτον καὶ τῶν μελλόντων τὸ προγνωστικὸν καὶ τῶν παραγγελμάτων τὸ ἐξαίσιον καὶ τῶν ὅλων τὸ μοναρχικόν. (3) Θεοδιδάκτου δέ μου γενομένης τῆς ψυχῆς συνῆκα ὅτι τὰ μὲν καταδίκης ἔχει τόπον, τὰ δὲ ὅτι λύει τὴν ἐν κώσμῳ δουλείαν καὶ ἀρχόντων μὲν πολλῶν καὶ μυρίων ἡμᾶς ἀποσπᾷ τυράννων, δίδωσι δὲ ἡμῖν οὐχ ὅπερ μὴ ἐλάβομεν, ἀλλ’ ὅπερ λαβόντες ὑπὸ τῆς πλάνης ἔχειν ἐκωλύθημεν.

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(Q3) Übersetzung Tatianus, Oratio 29, 1-3. (1) Nachdem ich dieses gesehen hatte, überdies auch die Einweihung in die Mysterien erlangt und sämtliche religiösen Bräuche, die von verweichlichten Eunuchen vollzogen werden, genau kennengelernt und dabei die Entdeckung gemacht hatte, dass bei den Römern ihr Zeus Latiaris sich an besudeltem Menschenblut und dem Blut von Menschenopfern ergötzt, dass Artemis nicht weit entfernt von der großen Stadt Praktiken derselben Art für sich in Anspruch nimmt, dass verschiedene Dämonen an verschiedenen Orten sich übler Perversionen bedienen, da fragte ich mich bei mir selbst, auf welche Weise ich die Wahrheit finden könnte. (2) Während ich aber hin und her überlegte, was das Erstrebenswerte sei, widerfuhr es mir, dass ich zufällig auf gewisse barbarische Schriften stieß, die im Vergleich zu den Lehren der Griechen älter, im Vergleich zu deren Verirrung göttlicher waren. Und es widerfuhr mir, dass sie mich überzeugten, wegen ihrer schlichten Ausdrucksweise, ihrer ungekünstelten Art des Redens, der guten Verständlichkeit der Weltschöpfung, des Vorherwissens zukünftiger Dinge, der Besonderheit ihrer Vorschriften und der Lehre von einem einzigen Herrscher des Alls. (3) Meine Seele wurde von Gott gelehrt und ich begriff, dass den einen Dingen der Platz der Verdammnis zugewiesen wird und dass die anderen von der Knechtschaft [Sklaverei, N.B.] in der Welt erlösen, uns von zahlreichen Herrschern und unzähligen Tyrannen befreien und uns nicht etwa geben, was wir nicht schon empfangen hätten, sondern was wir empfangen haben, aber nicht festhalten konnten, weil unsere Verirrung uns daran hinderte.

Basilius von Caesarea: Sklaverei als Teil der gottgegebenen irdischen Ordnung und die Gleichheit aller Menschen vor Gott ALEXANDRA HASSE-UNGEHEUER Basilius von Caesarea, einer der Kirchenväter des Ostens, wurde um 330 n. Chr. in der Provinz Kappadokien geboren und starb 378/379 n. Chr. Aus einem christlichen und wohlhabenden Elternhaus stammend genoss er die übliche Ausbildung, unter anderem zusammen mit Gregor von Nazianz in Konstantinopel und Athen, und wurde nach seinen Studien bei seiner Rückkehr nach Caesarea wie sein Vater als Rhetor tätig. Dies sollte nicht unwesentlich seine theologischen Schriften und den Stil seiner Briefe beeinflussen.1 Nach seiner Taufe und einer Phase asketischer Zurückgezogenheit in Annisi reiste er zu den Exempla einer herausragenden christlichen Askese nach Ägypten, Palästina und Syrien. Sein asketisches Leben und seine theologische Bildung, unter anderem verfasste er während seines klösterlichen Lebens seine Mönchsregeln, prädestinierten ihn, nach der Weihe zum Priester, für das Bischofsamt, das er 370 erlangte. Basilius war ein vehementer Vertreter des nicänischen Bekenntnisses und stellte sich gegen die Anhänger der Lehre des Arius, etwa Eunomius von Cyzicus oder die sogenannten Pneumatomachen, vor allem Eustathius von Sebaste. Im Kampf gegen diese theologischen Strömungen entwickelte er seine eigene Theologie, die im Osten, aber auch im Westen eine große Bedeutung entfaltete und ihm einen Platz unter den Kirchenvätern des Ostens zuwies. Sein reiches Schrifttum umfasst dementsprechend dogmatische Schriften, Reden und Predigten, asketische Abhandlungen und Briefe.2 Auf unterschiedliche Weise thematisieren Basilius wie auch die anderen beiden Kappadokier, der bereits erwähnte Gregor von Nazianz und Basilius‘ Bruder Gregor von Nyssa,3 Sklaven, wenn auch nicht so umfassend wie andere Theologen des Ostens, etwa Johannes Chrysostomus,4 oder Augustinus5 im Westen. Dabei sind drei Bereiche zu unterscheiden, in denen Skla1

Vgl. Kap. 2. Vgl. allgemein zu Basilius u. a. ROUSSEAU (1994); FEDWICK (1981); VISCHER (1953); kompakt BARDY (1950). 3 Grundlegende Studien zu den drei Kappadokiern und ihrer Haltung zur Sklaverei bieten immer noch KLEIN (2000) und KONTOULIS (1993). Zu Basilius und der Sklaverei vgl. weiterhin u. a. TEJA (1981); LIENHARD (2008). 4 Vgl. etwa KONTOULIS (1993). 5 Zu Augustinus vgl. ebenfalls KLEIN (1988) und u. a. CORCORAN (1985). 2

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ven bei Basilius eine Rolle spielen: Erstens der metaphorische Bereich, hier ist noch einmal zwischen der Bedeutung für die Theologie des Basilius, bei der er sich des Sklaven-Herren-Verhältnisses als Beispiel bedient,6 und der, zumeist negativen, Charakterisierung von Personen zu unterscheiden.7 Zweitens finden sich auch Informationen zur Sklaverei, der sozialen Praxis und der diesbezüglichen Einstellung sowie den Verhaltensregeln des Basilius für Herren und Sklaven.8 Drittens behandelt Basilius, allerdings im Kontext seiner theologischen Ausführungen, die Frage nach dem Ursprung und den Gründen der Sklaverei; diese Passage wird im Folgenden als zentraler Abschnitt behandelt.9 Um Basilius‘ Thematisierung der Sklaverei sowohl im theologisch-philosophischen als auch sozialen Bereich in den Kontext der Positionierung der spätantiken Kirche angemessen einordnen zu können, ist zunächst ein vorbereitendes Kapitel nötig (Kapitel 1). Darauf aufbauend wird dann Basilius‘ Schrifttum untersucht (Kapitel 2) und ein abschließendes Resümee zu Basilius (Kapitel 3) gezogen. 1. Stellung der Kirche in der Spätantike zur Sklaverei Seit der mutmaßlichen Erwählung des christlichen Gottes als Schlachtengott durch Konstantin I. an der Milvischen Brücke 312 wurde das Christentum allmählich zu der Religion des Imperium Romanum, und die Frage der christlichen Positionierung gegenüber der gesellschaftlichen Ordnung erhielt eine noch weitgreifendere Bedeutung. Bereits in den paulinischen Briefen finden sich Äußerungen zur Sklaverei, deren Exegese schon bei den frühen christlichen Autoren und dann auch für das 4. Jahrhundert, die Zeit des Ambrosius, Augustinus, Hieronymus und der Kappadokier, Bedeutung entfaltete – durch die Verknüpfung des Christentums mit der Religion des Kaisers erhielt die Ausdeutung eine neue Sprengkraft. Im Brief des Paulus an die Galater 3,28 findet sich die Aussage, dass alle eins seien in Christus. Dieser Gedanke hätte potentiell zur Stellung des Christentums gegen die Sklaverei führen können. Die für uns greifbare Mehrheit positionierte sich in der Spätantike aber eben nicht prinzipiell gegen die Sklaverei; Kirche und Klöster besaßen häufig selbstverständlich 6

In seinen dogmatischen Schriften und Predigten; vgl. Kap. 2.1.1. In seinen Briefen, aber auch theologischen Schriften; vgl. Kap. 2.1.2. 8 Einerseits finden sich Informationen in den Briefen, aber andererseits auch Verhaltensregeln für Sklaven und Herren etwa in den Predigten; vgl. Kap. 2.2. 9 Basilius von Caesarea, De spiritu sancto 20, 51 (FC 12, 226-230 SIEBEN). Allerdings findet die Begründung im Rahmen seiner theologischen Erörterung zum Heiligen Geist und dem diesbezüglichen Herren-Sklaven-Vergleich statt; vgl. Kap. 2.1.1. 7

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selbst Sklaven.10 Der Gleichheitsgedanke kam aber bereits in der stoischen Philosophie vor und führte zu Verbesserungen der Verhältnisse von Sklaven durch die kaiserliche Gesetzgebung (favor libertatis).11 Diese philosophischen Ansätze konnten auch von Christen aufgegriffen werden. Doch durch die spezifisch biblisch begründeten Maximen des Christentums (Gleichheit vor Gott und Brüderlichkeit)12 erhielt auch die Auslegung von Briefstellen des Paulus eine besondere Bedeutung und es wurde versucht, die Akzeptanz der Sklaverei zu untermauern. Verbunden wurden diese Ansätze mit Erklärungsversuchen, bei denen der Sündenfall und das Naturrecht als Ausgangspunkte gewählt wurden.13 Eine zentrale Rolle spielten neben der Stelle Gal 3,28 und 1 Kor 7,21 auch Phlm 8-20: Der zu Paulus geflohene Sklave Onesimus wird von diesem zu seinem Herren zurückgesandt, wobei zumindest implizit der Wunsch des Paulus erkennbar wird, ihn freizulassen, damit er Gott besser dienen könne.14 Einerseits konnte mit dieser Episode illustriert werden, dass die Sklavenflucht nicht zu unterstützen sei, andererseits aber auch, dass die Freilassung durch den Herrn im Letzten gottgefällig sein könnte. Die Herkunft der Sklaverei konnte in Anlehnung an alttestamentliche Stellen mit der Sünde der Menschen erklärt werden, so etwa mit der Verfehlung des Ham gegenüber seinem Vater Noach (Gen 9,18-29).15 Hams Sohn Kanaan soll fortan der Knecht seiner Brüder sein, wie etwa die Kirchenväter Augustinus16 und Johannes Chrysostomus17 anführten. Eine zusätzliche na10

Vgl. GRIESER (2016) in diesem Band sowie u. a. GRIESER (1997) 47 und Anm. 44 mit Beispielen für den Westen. 11 Eltern und Kinder sowie Geschwister sollten z. B. nicht getrennt werden oder keine grundlose Tötung erfolgen: Codex Theodosianus 9, 12, 1 v. 319 = Codex Justinianus 9, 14, 1; Codex Theodosianus 9, 12, 2 v. 329; Codex Theodosianus 12, 1, 39 v. 349. Vgl. u. a. KLEIN (1999) 325f. 12 Vgl. allgemein zur Kirche und der Sklavenfrage u. a. KLEIN (1999); BELLEN (1971) 78-92; 147-151; GRIESER (1997); MARAVAL (1970); WALDSTEIN (1990) und für das Folgende insbesondere HASSE-UNGEHEUER (2011). 13 Bei der Auslegung der neutestamentlichen Stellen spielt auch die Parusieverzögerung eine wichtige Rolle. Vgl. zur Diskussion um Bezüge auf 1 Kor 7,21 u. a. BELLEN (1963). Vgl. darüber hinaus auch HERRMANN-OTTO (2008) 356f. 14 Hierbei hätte aber potentiell die Freiheit „ἐν σαρκὶ καὶ ἐν κυρίῳ“ auf den ganzen Menschen bezogen und auch als Argument gegen die Sklaverei verwendet werden können. Zum Philemonbrief und seiner Rezeption vgl. in diesem Band GRIESER/ PRIESCHING (2016). 15 Ham entdeckte seinen vom Wein betrunkenen Vater in dessen Zelt und erzählte dies seinen Brüdern Sem und Jafet. Beide bedeckten im Gegensatz zu Ham die Blöße des Vaters ohne hinzusehen. Nachdem Noach erwachte, verfluchte er dementsprechend Ham bzw. dessen Sohn: „Verflucht sei Kanaan. Der niedrigste Knecht sei er seinen Brüdern“ (EÜ). 16 Augustinus von Hippo, De civitate Dei 19, 15 (CCSL 48, 682-683 DOMBART/ KALB). Vgl. KLEIN (1988) 93-102. 17 Johannes Chrysostomus, Homilia in epistulam primam ad Corinthios 19, 5 (PG 61, 157); KLEIN (1999) 338-344.

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turrechtliche Erklärung nach Aristoteles bieten der sogenannte Ambrosiaster und Ambrosius von Mailand – diese findet sich auch bei Basilius.18 Papst Leo I. verweist im Kontext der Nennung von Zulassungsbedingungen zu kirchlichen Ämtern auf die fehlende dignitas natalium et morum von Sklaven.19 Weiterhin bleibt die traditionelle Begründung der Versklavung durch Krieg oder Armut bestehen.20 Auch die Aufrechterhaltung der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Ordnung ist ein Motivationsgrund, so ist beispielsweise dieses Bewusstsein selbst bei Johannes Chrysostomus erkennbar, der in der Sklaverei einen Gegensatz zur Gottesebenbildlichkeit des Menschen sah.21 Die christlichen Autoren konnten aber jeweils verschiedene Akzente setzen, so gerade auch Basilius. Neben den Äußerungen der Kirchenväter gibt es Entscheidungen von lokalen und ökumenischen Synoden, allerdings fehlen hier detaillierte Begründungen. Theodoret von Cyrus22 und Theodor von Mopsuestia23 bilden eine Ausnahme, da sie sich expliziter gegen die Sklaverei wenden.24 Beide wirkten jedoch, wie etwa auch Johannes Chrysostomus, später als Basilius. Für Basilius war sein einstiger Lehrer Eustathius von Sebaste ein wichtiger Referenzpunkt; von diesem und seinen Lehren distanzierte er sich mit der Zeit. Eustathius, vor allem aber seine Anhänger, verkündeten nämlich die Ehe und den Sklavenstand als für das ewige Leben abträglich und drohten damit die gesellschaftliche Ordnung zu untergraben. Das Konzil von Gangra25 stellte sich in can. 3 dagegen und verbot die Aufforderung zur Sklavenflucht (προφάσει θεοσεβείας) unter der Androhung des Anathems.26 18

Ambrosiaster, Commentarius in epistulam ad Colossenses (CSEL 81/3, 202 VOGELS) und Ambrosius von Mailand, Epistulae et Acta 37 (CSEL 82/1, 43-46 FALLER); Basilius von Caesarea, De spiritu sancto 51, 20 (FC 12, 226-230 SIEBEN) (vgl. Kap. 2.1.1). KLEIN (1988) 10-27; 42-44 und (1999) 336; 344-346. 19 Leo I Magnus, Epistula 4, 1 (PL 54, 611). 20 U. a. auch bei Augustinus: Augustinus von Hippo, Quaestiones et locutiones in Heptateuchum 1, 153 (CCSL 33, 59 FRAIPONT). Vgl. u. a. KLEIN (1988) 98-102. 21 Johannes Chrysostomus, Homilia in epistulam primam ad Corinthios 40, 5 (PG 61, 354) und Homilia in epistulam ad Philemonem (PG 62, 704). Vgl. KLEIN (1999) 338-341; 342f.; BELLEN (1971) 79. Basilius nennt hingegen zwar die Gottesebenbildlichkeit aller Menschen, zieht daraus aber keine Konsequenzen für die Institution der Sklaverei (vgl. hier S. 44). 22 Theodoret von Cyrus, De providentia oratio 7 (PG 83, 665-685). Vgl. KLEIN (1999) 341f. 23 Theodor von Mopsuestia, Commentarius in epistulam ad Philemonem (PG 66, 249); vgl. BELLEN (1971) 150. 24 In der Forschung wird kontrovers diskutiert, ob Gregor von Nyssa, der die Sklaverei für gotteswidrig hält, da der Mensch das Ebenbild Gottes sei (parallel zu Johannes Chrysostomus), auch zur Befreiung aufruft (Gregor von Nyssa, Homilia 4 [SC 416, 224-258 ALEXANDER/ VINEL]). Vgl. u. a. HERRMANN-OTTO (2008) 361f.; KLEIN (2000) 205-215. 25 Synode von Gangra, Libellus synodicus (CSP 1/2, 8-99 JOANNOU); Sokrates, Historia ecclesiastica 2, 43 (GCS. NF 1, 180f. HANSEN). 26 Synode von Gangra, can. 3 (CSP 1/2, 90 JOANNOU). Vgl. u. a. BELLEN (1971) 82, Anm. 583.

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Der Großteil der christlichen Autoren begnügte sich also, auch unter Berufung auf die Haustafeln, mit Mahnungen zum Gehorsam der Sklaven gegenüber dem Herrn und im Gegenzug zur guten Behandlung des servus durch den dominus.27 Die Spannung zwischen den verschiedenen Deutungsmöglichkeiten wird aber beispielsweise darin deutlich, dass zum einen die schlechte Behandlung eines Sklaven zur Exkommunikation des Herren führen konnte, zum anderen der Gehorsam des Sklaven bei Misshandlung aber auch als gottgefälliges Werk ausgedeutet werden konnte, da er sich auf diese Weise der von Gott eingerichteten Ordnung unterwarf.28 Der Dienst für den Herrn wurde auch als Dienst an Gott aufgefasst und daher etwa auch die Sklavenflucht verurteilt.29 Das Freiheits- und Gleichheitsansinnen wurde zumeist ins Innere der jeweiligen Person oder ins Jenseits verlegt.30 Die der Kirche zugestandene manumissio in ecclesia unter Konstantin I., die Freilassung in Gegenwart eines Bischofs,31 führte dementsprechend nicht zur strukturellen Freilassung der Sklaven durch die Kirche.32 Kirchen, die Sklaven besaßen und als patronae nicht sterben konnten, stellten sich mitunter auch gegen die Freilassung durch Testamente einzelner Kleriker. Ein eigenes Thema sind allerdings christliche Sklaven, die in die Hände von sogenannten Barbaren fielen oder einem Juden gehörten. Letzteres war sogar ein Bereich, dessen sich die Kaiser annahmen: Neben der Freilassung von christlichen Sklaven bei Beschneidung wurden sowohl der Freikauf der christlichen Sklaven als auch das Verbot für Juden, christliche Sklaven zu kaufen, erlassen.33 27

Kol 3,18-4,1; Eph 5,22-6,9; 1 Petr 2,18-3,7. Vgl. u. a. KLEIN (1999) 326-328; BELLEN (1971) 78-81. 28 Synode von Epaon, can. 34 v. 517 (CCSL 148A, 33 DE CLERCQ): Bei Tötung ohne Richterspruch erfolgt eine zweijährige Exkommunikation. Eine Herrin wurde für den Tod ihrer Sklavin infolge von Misshandlungen zu sechs Jahren Kirchenbuße verurteilt, da ihr eine Absicht nachgewiesen werden konnte. HERRMANN-OTTO (2008) 363 weist darauf hin, dass die Konzilien wie das weltliche Recht zwar zwischen vorsätzlicher und zufälliger Tötung unterschieden, aber im Gegensatz dazu beide Fälle als strafwürdig werteten, so z. B. Synode von Elvira, can. 5 v. 305 (MHS. C 4, 243 DÍEZ/ RODRIGUEZ). 29 Vgl. KLEIN (1999) 322; Laktanz zufolge verdient etwa ein entlaufener Sklave die schlimmste Strafe (Laktanz, Divinae institutiones 5, 18, 14 [2, 506 HECK/ WLOSOK]). 30 Vgl. KLEIN (1999). 31 Codex Justinianus 1, 13, 1 v. 316; Codex Theodosianus 4, 7, 1 v. 321. 32 Codex Theodosianus 4, 7, 1, 1 v. 321. Vgl. auch HERRMANN-OTTO (2008) 354f. Innerhalb der Kirche wurde zuvor die Freilassung inter amicos praktiziert und die Freigelassenen erhielten dabei nur das eingeschränkte latinische Bürgerrecht. Nun erfolgte eine vollgültige Freilassung mit Verleihung des vollen römischen Bürgerrechts. Kleriker konnten darüber hinaus, in dieser Hinsicht den römischen Beamten gleichgestellt, auch durch ihr Testament vollgültig Sklaven freilassen. 33 U. a. Codex Theodosianus 16, 8, 22 v. 415; 16, 9, 1 v. 335; 16, 9, 2; 3, 1, 5 v. 384. Vgl. etwa LANGENFELD (1977) 66-105.

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2. Basilius und die Sklaverei Basilius von Caesarea setzt sich mit der Sklaverei nicht so ausführlich wie manch anderer Kirchenvater auseinander, so etwa Johannes Chrysostomus oder Augustinus.34 Lediglich eine Passage in seiner Abhandlung über den Heiligen Geist behandelt näher den Ursprung und die Begründung der Sklaverei, aber in dem Kontext, in dem bei ihm am häufigsten Sklaven thematisiert werden: im metaphorischen Sinn, indem Basilius das Verhältnis von Herren und Sklaven als Vergleich für die Beziehung Gottvater-Gottsohn beziehungsweise Gottvater-Heiliger Geist dient und er sich auf diese Weise von den Erklärungen seiner theologischen Gegner absetzt. Darüber hinaus beschreibt er mit diesem Bild die Beziehung der Menschen untereinander und gegenüber Gott. Daneben finden sich Passagen über seine Briefe und Predigten verstreut, aus denen sich Informationen über die Sklaverei in der Alltagswelt des Basilius gewinnen lassen und in denen darüber hinaus Verhaltensregeln festgesetzt werden. Dabei wird einerseits deutlich, dass zwar alle Menschen und daher auch Sklaven dem Wesen beziehungsweise der Natur nach gleich vor Gott sind, dies aber an der tatsächlichen Unterscheidung zwischen Herren und Sklaven, ihren jeweiligen Rollen, Aufgaben und Pflichten, nichts ändert. Die Freiheit wird bei Basilius allein auf das Jenseits verlegt. Sklaven werden bei ihm auch mitunter als moralisch und intellektuell defizitär charakterisiert, seinen Gegnern sklavische und somit negative Eigenschaften zugeschrieben.35

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Vgl. Kap. 1. KONTOULIS (1993) betont mitunter das Gegenteil (z. B. 133f.), aber der Gleichheitsgedanke aller Menschen bei Basilius führt, wie auch KONTOULIS herausstellt, nicht zur Änderung der gesellschaftlichen Ordnung bei Basilius. Er kann Sklaven sehr wohl auch eine moralische und intellektuelle Schwäche zusprechen, sodass sie der Aufsicht bedürften (so theoretisch in Basilius von Caesarea, De spiritu sancto 20, 51 [FC 12, 228, Z. 3-18 SIEBEN], vgl. Kap. 2.1.1; Auflistung sklavischer Defizite z. B. in Epistula 46, 3 im Kontext Röm 6,19; Epistula 204, 4: Minderwertigkeit eines Sklavenmädchens in der Tretmühle; Epistula 215: negative Bewertung einer Schmeichelei als sklavisch; Epistula 239, 1: Haussklaven [οἰκέται] werden im Zusammenhang mit anderen verworfenen Menschen genannt, die widerrechtlich das Bischofsamt bekleiden; vgl. hierzu Kap. 2.1.2). 35

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2.1 Sklavenmetaphorik, -bilder und der Ursprung der Sklaverei 2.1.1 Der Ursprung der Sklaverei und die Sklavenmetaphorik in der Theologie des Basilius Grundlage für die Bewertung der Sklaverei bei Basilius ist eine Passage in seiner späten Schrift über den Heiligen Geist De spiritu sancto 20, 51, in der er sich des Sklavenbildes bedient, um sich gegen die Pneumatomachen zu stellen und vor allem gegen den bereits oben erwähnten Eustathius von Sebaste, dem er einst verbunden war. Hier macht Basilius deutlich, dass der Heilige Geist kein Knecht/ Sklave sei und keinen niedrigeren Dienst versehe.36 Basilius betont stattdessen das gleiche Wesen und die gleiche Ehre (Homousie und Homotimie), die dem Heiligen Geist wie Gottvater zu Teil werde und spitzt insgesamt seine Trinitätslehre zu, indem er die Gottheit und Wesensgleichheit von Vater, Sohn und Heiligem Geist betont.37 Im Kapitel 20 positioniert sich Basilius bei der Frage, ob der Heilige Geist weder dem Sklavenstand (δουλικὴ τάξις) noch den Herren, sondern den Freien (ἐλεύθεροι) zugehörig sei. Basilius stellt sich hier gegen diese Anwendung der weltlichen Beziehungen zur Erklärung des Verhältnisses von Heiligem Geist zu Gottvater, indem er erklärt, dass doch die Menschen nicht von Natur (φύσις) aus Sklaven seien.38 Im Folgenden nennt der Kirchenvater die Gründe für die Sklaverei: Entweder seien die Menschen durch Unterdrückung, namentlich Gefangennahme im Krieg, oder durch Armut in die Sklaverei geraten.39 Für Letzteres zieht Basilius das alttestamentliche Beispiel par excellence heran: die Israeliten in der Gefangenschaft der Ägypter.40 Als einen dritten Grund nennt Basilius, und dies im Unterschied zu vielen anderen christlichen Autoren, die mangelnde Vernunftbegabung und Tugendhaftigkeit der paides: durch eine verborgene und weise, gute Planung/ Ordnung (οἰκονομία) würden sie den klügeren und besseren Brüdern dienen (δουλεύω). Und dies sei eine Wohltat (εὐεργεσία) und keine Strafe/ nicht gegen das Recht (καταδίκη). Wer nicht von Natur aus die Befähigung zu herrschen (ἄρχω) in sich habe, 36

Wie schon in seiner Schrift gegen Eunomius 3, 2 (SC 305, 152 SESBOÜÉ u. a.). Vgl. u. a. KLEIN (2000) 39-41. Vgl. zu der folgenden Passage auch KLEIN (2000) 47-54; KONTOULIS (1993) u. a. 133f.; 160-162. 37 Basilius von Caesarea, De spiritu sancto 2, 4; 8, 19 (FC 12, 80-82; 126-130 SIEBEN). 38 Basilius von Caesarea, De spiritu sancto 20, 51 (FC 12, 226, Z. 22 SIEBEN). Hier lehnt sich Basilius an naturrechtliche Erklärungsversuche der Stoiker und des Philon von Alexandria an. Vgl. weiter unten. 39 Basilius von Caesarea, De spiritu sancto 20, 51 (FC 12, 228, Z. 1-3 SIEBEN). 40 Gen 47,18-25.

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für den sei es besser, von einem Herren gelenkt zu werden. Dies belegt Basilius dann mit dem biblischen Exemplum des Jakob:41 Dieser sei durch den Erstgeburtssegen (εὐλογία) seines Vaters Isaak (widerrechtlich) Herr (über seine Brüder) geworden, damit der vernünftige Jakob (φρόνιμος) dem Unvernünftigen (= der Erstgeborene Esau) auch gegen seinen Willen Wohltaten erweise, da diesem der Verstand (νοῦς) fehle, um für sich zu sorgen. Weiter zitiert Basilius aus der Verfluchung des Ham durch Noach: „Kanaan soll Knecht sein im Haus seiner Brüder.“42 Hier wird die fehlende Tugend (ἀρετή) als Grund genannt, die Kanaan vom Vater „geerbt“ habe.43 Zunächst nennt Basilius in dieser Passage die zwei gängigen Gründe für die Sklaverei, die Gefangennahme im Krieg, wie sie auch von den römischen Juristen angeführt wird, oder die Armut, darunter fällt etwa die Schuldknechtschaft. Im Kontext der Schuldknechtschaft mahnt er die Ärmeren seiner Gemeinde immer wieder, der Gefahr zu entgehen, in die Schuldknechtschaft zu geraten, also durch Verschuldung etwa die eigenen Kinder verkaufen zu müssen.44 Der dritte Grund für die Sklaverei, den Basilius anführt, ist jedoch, auch im Vergleich mit anderen christlichen Autoren, ein besonderer: Die fehlende Vernunft führt in den Augen des Basilius zur Sklaverei, diese ist sogar für die Unverständigen eine Wohltat und kein Unrecht. Dies belegt Basilius auch mit Exempla aus dem Buch Genesis. Bei der Episode um Jakob erwähnt Basilius allerdings nicht, dass Esau von seinem Bruder Jakob um das Recht, Herr zu sein, gebracht wurde. Für Basilius zählt in diesem Zusammenhang allein die Tatsache, dass bereits durch Jakobs Segnung die Herrschaft von Menschen über andere begründet worden sei. Die besondere Erläuterung des Basilius, dass die Herrschaft über andere durch den fehlenden Verstand und die fehlende Vernunft der „Beherrschten“ verursacht wird beziehungsweise dadurch eine Wohltat für diese ist, wird allerdings im Buch Genesis so nicht angeführt. Im Sinne von Basilius interpretiert auch Ambro-

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Gen 27,29-40. Gen 9,25-27. 43 Basilius von Caesarea, De spiritu sancto 20, 51 (FC 12, 228, Z. 3-18 SIEBEN). 44 Basilius von Caesarea, Homilia in illud: Destruam horrea mea 4 (COURTONNE 25-27); vgl. zu dieser Passage auch HARPER (2011) 410f. und hier weiter unten Kap. 2.2, S. 41. KLEIN (2000) 48 betont bei den beiden Gründen, Krieg und Armut, die sich in De spiritu sancto finden, dass Basilius auch Kinderverkauf oder unfreie Geburt hätte angeben können. Durch die Nennung der Armut ist aber eben der Kinderverkauf mitzudenken, also implizit bei Basilius enthalten. Die unfreie Geburt ist hingegen als Folge von Krieg und Armut anzusehen und musste von Basilius daher in diesem Kontext nicht eigens angeführt werden. Zur Schuldknechtschaft allgemein und der Bereicherung der Grundbesitzer vgl. Basilius von Caesarea, Homilia in divites 5 (COURTONNE 57). 42

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sius die Genesisepisode.45 Augustinus hingegen erkennt hierin vor allem eine moralische, keine intellektuelle Schwäche.46 Die Unterscheidung der von Natur aus gleichen Menschen in Vernunftbegabte und Unvernünftige lehnt sich an die Lehre des Aristoteles an.47 Interessanterweise führt Basilius nicht wie einige andere christliche Autoren den Sündenfall als Grund für die Entstehung der Sklaverei an, wie etwa bei der Exegese der Ham-Episode bei Augustinus oder Johannes Chrysostomus.48 Kontoulis stellt insgesamt in der Theologie des Basilius, die natürlich auch den Sündenfall behandelt, eine Verbindung mit der Sklaverei her. Aber gerade in dieser Passage ist davon eben nicht die Rede. Auch ansonsten scheint Basilius zwar das Schlechte und Böse in der Welt mit dem Sündenfall zu begründen, so ist etwa in der Homilie Quod deus non est auctor malorum49 die Sünde für das Übel in der Welt verantwortlich und nicht Gott (im Kontext des Theodizeeproblems).50 Basilius nennt hierbei aber nicht die Sklaverei. Im weiteren Verlauf des 20. Kapitels setzt Basilius der Unfreiheit nun die Freiheit (ἐλευθερία) gegenüber. Und hier wird auch die Begründung der Sklaverei weiter verdeutlicht: Umgekehrt sei frei, wer Krieg und Armut entgangen sei und keiner fremden Fürsorge (κηδεμονία) bedürfe.51 Durch diese Aussage wird weiter expliziert, dass dem Kirchenvater zufolge ein Grundgedanke der Institution der Sklaverei die Fürsorge für die Unverständigeren ist. Im nächsten Satz findet sich das Bild, das sich auch bei anderen christlichen Autoren findet: Alle (Menschen), ob Herr (δεσπότης) oder Sklave (οἰκέτης) genannt, seien gleichwertig. Hier wird allerdings von der homotimia, nicht isonomia wie bei den anderen Theologen gesprochen. Den Satz führt Basilius damit fort, alle seien Eigentum des Schöpfers und Mitsklaven (ὁμόδουλοι).52 Nichts könnte aus der Sklaverei herausführen; mit dem Geschaffensein sei diese mitgegeben.53 Hier wird das Verhältnis Gott-Mensch mithilfe des Sklaven-Herren-Bildes erläutert. 45

Ambrosius von Mailand, Epistulae et Acta 7, 8 (CSEL 82/1, 46f. FALLER). Vgl. hier Kap. 1. Beide lehnen sich wohl an Philon von Alexandria an. Vgl. KLEIN (2000) 50. 46 Augustinus von Hippo, De civitate Dei 16, 37 (CCSL 48, 512 DOMBART/ KALB). 47 Aristoteles, Politeia 1, 4, 1253b und 1, 13, 1259b. 48 Vgl. hier S. 27. Basilius nennt in diesem Zusammenhang allein die fehlende Tugendhaftigkeit und stellt sich dabei erneut in eine philosophische Tradition. 49 PG 31, 331-354. Zur Interpretation von Gen 3 und der allmählichen inhaltlichen Verengung auf den „Sündenfall“ vgl. SPIRA (2015). 50 Vgl. KONTOULIS (1993) 132-138. Vgl. zu den anderen Kirchenvätern und dem Sündenfall S. 26f. 51 Basilius von Caesarea, De spiritu sancto 20, 51 (FC 12, 228, Z. 19f. SIEBEN). 52 Etwa auch in Basilius von Caesarea, Epistula 226 (COURTONNE 3, 24, Z. 22) findet sich die Bezeichnung als Mitsklaven. 53 Basilius von Caesarea, De spiritu sancto 20, 51 (FC 12, 228, Z. 20-25 SIEBEN).

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Hier ist rein die metaphorische Ebene der servi dei angesprochen, die sozialen Unterschiede auf Erden werden nicht thematisiert und keine Differenzierung der Menschen untereinander vorgenommen. Dies liegt darin begründet, dass Basilius ja von der Wesensgleichheit aller Menschen ausgeht und er ihnen daher allen (potentiell) von Natur aus das gleiche Verhältnis zu Gott zuspricht. Natürlich kann dies dann binnendifferenziert werden, etwa anhand einer Unterscheidung zwischen Rechtgläubigen und Häretikern et cetera. Dies verdeutlicht Basilius nach einer Zwischenpassage,54 auch wenn er hier nicht explizit die Häretiker nennt: Er spricht über von Gott abgefallene Mächte (ἀποστατικὴ δύναμις), die sich gegen Gott erhoben und ihm nicht untergeordnet hätten. Daher seien diese anders, nicht von Natur aus.55 In dieser Passage ist auch von Gott als Schöpfer die Rede und dies leitet wiederum zu Basilius‘ eigentlichem Thema über. Als Quintessenz einer Reihe rhetorischer Fragen konstatiert Basilius in Anwendung des Sklavenbildes auf den Heiligen Geist: Unter den Seienden gebe es niemanden, der im Sinne seiner theologischen Gegner frei sei, denn es gebe immer jemanden, der über jemanden herrsche.56 Daraus zieht Basilius den Schluss, dass der Heilige Geist, wenn er geschaffen sei – wovon sich Basilius ja absetzt –, mit allen anderen Sklave sei. Hierbei zitiert Basilius Ps 119,91, dass alles (Gott) dienstbar sei (σύμπαντα … δοῦλα σά). Wenn der Heilige Geist aber über der Schöpfung (κτίσις) stehe, sei die Herrschaft (βασιλεία) gemeinsam (κοινός).57 Und dies ist ja die Position, die Basilius vertritt. In der vorherigen Zwischenpassage wendet sich Basilius noch den himmlischen Wesen zu, den Engeln, die in der Theologie seiner Gegner auch eine Rolle spielen. Diese herrschten nicht übereinander – im Umkehrschluss also anders als die Menschen. Vor Gott würden sich aber alle beugen (ὑποκύπτω). In Anlehnung an Mal 1,6 verdeutlicht Basilius, dass allen (auch den Engeln) (Ehr-)Furcht (φόβος) vor Gott zukomme; und mit dem Verweis, dass der Sohn den Vater ehrt und der Sklave seinen Herren, untermauert Basilius weiter seine Trinitätslehre: Im Zusammenhang mit der folgenden, hier bereits ausgeführten Passage wird dabei deutlich, dass die Engel eben nicht mit dem Heiligen Geist gleichzusetzen sind.58 Wie Basilius bereits in der Homilie über den Glauben festgehalten hatte, spendet der Heilige Geist 54

Vgl. zur Zwischenpassage den nächsten Absatz. Basilius von Caesarea, De spiritu sancto 20, 51 (FC 12, 230, Z. 5-10 SIEBEN). 56 Basilius von Caesarea, De spiritu sancto 20, 51 (FC 12, 230, Z. 10-14 SIEBEN): „Wen also nennst du frei? Über dem kein König steht? Der weder die Macht hat, über einen anderen zu herrschen, noch es erträgt, beherrscht zu werden? Unter den Seienden gibt es eine solche Natur (φύσις) nicht, es vom Geist zu denken, ist eindeutig Gottlosigkeit (ἀσέβεια)“ (übersetzt von H. J. SIEBEN). 57 Basilius von Caesarea, De spiritu sancto 20, 51 (FC 12, 230, Z. 15-17 SIEBEN). 58 Basilius von Caesarea, De spiritu sancto 20, 51 (FC 12, 228f., Z. 25-5 SIEBEN). 55

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die Gaben nicht als Diener (allerdings ist hier nicht von δοῦλος, sondern λειτουργικός die Rede), sondern eigenmächtig.59 Dass der Heilige Geist kein Sklave sei, findet sich aber etwa explizit in der Schrift gegen Eunomius, er sei nicht Sklave (δοῦλος), sondern heilig (ἅγιος), gut (ἀγαθός) und hegemon.60 Am Beispiel der Schrift zum Heiligen Geist konnte gezeigt werden, dass sich Basilius der Sklavereimetaphorik zur Argumentationsführung in seiner Trinitätslehre bedient beziehungsweise sich von deren Verwendung bei seinen Gegnern absetzt. Andernorts finden sich auch viele Beispiele für die Ablehnung des Basilius, das Verhältnis Gottvater und Gottsohn mit der HerrenSklaven-Beziehung zu vergleichen, etwa in den Schriften gegen Eunomius. Hier wird unter anderem im Kontext der auch in der Spätschrift zum Heiligen Geist erwähnten dienstbaren Geister, der Engel, betont, dass Eunomius‘ Lehre Gottes Sohn auf eine Stufe mit diesen stelle, da er betone, dass dieser nicht vollkommener Gott, sondern fleißiger Sklave sei. Gegen diese Deutung stellt sich Basilius, der das Bild des Sklaven für Jesus Christus strikt ablehnt.61 Die Menschen werden bei Basilius hingegen als gemeinsame Sklaven gegenüber Gott bezeichnet und zu servi dei. Hier greift Basilius das Herren-Sklaven-Bild zur Erläuterung der göttlich-menschlichen Beziehung auf. Dies unterstreicht einmal mehr, dass er sich in seiner Trinitätslehre gegen ein menschliches Dienstverhältnis des Gottessohnes und des Heiligen Geistes stellt. In einer anderen Metapher wird bei Basilius die Häresie als Gefangennahme der Seelen bezeichnet und von der körperlichen Sklaverei unterschieden.62 In dem häufig als Exkurs bezeichneten Abschnitt zu den Ursachen und dem Ursprung der Sklaverei findet sich aber auch eine Auseinandersetzung mit den Gründen für die tatsächliche Sklaverei, allerdings um die metaphorische Bezugnahme auf sie zu umrahmen. Hier führt Basilius drei Ansätze zusammen: erstens naturrechtliche Erklärungsversuche der aristotelischen und stoischen Lehre; zweitens Argumente, die auch die klassischen Juristen im Spannungsfeld vom sogenannten ius gentium vs. ius naturale vorbringen,63 59

Basilius von Caesarea, Homilia de fide 3 (PG 31, 472). Basilius von Caesarea, Adversus Eunomium 3, 5, 36-40 (SC 305, 168-170 SESBOÜÉ u. a.). 61 Vgl. etwa zur Ablehnung des Sklavenvergleiches in Bezug auf Jesus Christus: Basilius von Caesarea, Adversus Eunomium 2, 21 (SC 305, 84-88 SESBOÜÉ u. a.) und 2, 31 (SC 305, 128132 COURTONNE). Insgesamt zur Trinitätslehre des Basilius vgl. etwa DRECOLL (1996). 62 Basilius von Caesarea, Epistula 70 (COURTONNE 1, 166, Z. 46-49): οὐδὲ δουλείαν σωματικήν, ἀλλ’ αἰχμαλωσίαν ψυχῶν... Zuvor spricht Basilius von dem (tatsächlichen) Gefangenenloskauf durch einen Bischof. Wichtiger ist Basilius aber die Freiheit der Seelen. 63 Vgl. u. a. einen Überblick bei HERRMANN-OTTO (2009), v. a. 111-202 zur römischen Sklaverei und HERRMANN-OTTO (2015) 50-57 zum römischen Recht insbesondere. 60

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und drittens die Exegese alttestamentlicher Schriften. Der Sündenfall findet sich in diesem Zusammenhang – anders als bei einigen anderen Kirchenvätern – bei Basilius jedoch nicht als Begründung. Stattdessen ist die Fürsorge gegenüber unvernünftigen Menschen, den Sklaven, ein weiterer Grund. Dies belegt Basilius etwa mit der Esau-Episode und deutet diese entsprechend aus. Die Sichtweise auf Sklaven als „defizitäre“ Menschen spiegelt sich dann auch in einer anderen Verwendung der Sklavenmetaphorik, die im nächsten Kapitel kurz besprochen werden soll, in der Zuschreibung von negativen Eigenschaften. 2.1.2 Sklavenbilder bei Basilius Basilius schreibt Sklaven häufig negative Eigenschaften zu oder diskreditiert seine theologischen Gegner, indem er ihnen sklavische Eigenschaften, die negativ konnotiert sind, zuschreibt. Diese Charakterisierungen finden sich vor allem in den Briefen des Basilius, aber auch in Predigten, so etwa in seiner Predigt an die Reichen. In ep. 46 an eine gefallene Jungfrau mahnt Basilius an, dass sie ihren Körper hingegeben hat, und in diesem Zusammenhang werden ihre Gliedals Sklaven (δοῦλα; wörtlich: „sklavisch“) der Unreinheit maßen (ἀκαθαρσία) und Gesetzlosigkeit (ἀνομία) bezeichnet (in Anlehnung an Röm 6,19).64 Im Hintergrund steht dabei nicht nur der Gedanke, dass diese Jungfrau sich ihren Trieben unterwirft, sondern es schwingt ebenfalls mit, dass Unreinheit und Gesetzlosigkeit auch als Eigenschaften von Sklaven angesehen werden. In ep. 115 an die Häretikerin Simplicia betont Basilius, dass Sklaven und Eunuchen kein Zeugnisrecht bei Prozessen zukomme.65 Im Folgenden führt er die negativen Eigenschaften der Eunuchen an, die mitunter auch Sklaven waren:66 Diese seien ehrlos, verdorben, sexuell begierig, jähzornig, geldgierig, weibisch et cetera.67 Den Sklaven selbst braucht Basilius erst gar nicht negative Attribute zuzuschreiben, sie scheinen dem Kirchenvater offensichtlich.68 64

Basilius von Caesarea, Epistula 46, 3 (COURTONNE 1, 121). Allerdings ist die Zuweisung dieses Briefes an Basilius umstritten, vgl. etwa KLEIN (2000) 82. Dies erklärt ggf. auch, warum in diesem Brief gebündelt negative Zuschreibungen erfolgen. In anderen Passagen bei Basilius werden vornehmlich nur einzelne Aspekte genannt. 66 Auch wenn Basilius die schlechte Bezahlung und Bestechlichkeit von Eunuchen anführt und damit auch Freie mit einschließt. 67 Basilius von Caesarea, Epistula 115 (COURTONNE 2, 18, Z. 17-23). 68 Der Brief wird von der Forschung mit dem Brief des Gregor von Nazianz (Epistula 79) in Verbindung gebracht, in dem ein Sklave zu einem Bischof geweiht wurde (vgl. HAUSCHILD [1993] 160, Anm. 61). Vielleicht kann man in der hier adressierten Simplicia „das gottlose 65

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In einem Brief an die Neocaesareaer mahnt er an, dass keine Schmähungen gegen ihn vorgebracht werden sollen. Derjenige, der Schmähungen vorbringt, wird mit einem Sklavenmädchen (παιδίσκη) in einer Tretmühle verglichen, das üble Nachrede führt.69 Auch in einem Brief an Bischof Bosporius bezeichnet Basilius jemanden, der hinterrücks üble Nachrede führt (βλασφημία), als sklavisch handelnd (δουλοπρεπής).70 Im Schreiben an den Presbyter Dorotheus ist die Schmeichelei als eines Freien unwürdig (θωπεία ἀνελεύθερος) attribuiert.71 Im Brief an Eusebius von Samosata werden Haussklaven (οἰκότριψ) in einem Atemzug mit verworfenen Menschen genannt, die nicht für das Bischofsamt geeignet seien, dieses aber erlangt hätten.72 Die intellektuellen und auch moralischen „Defizite“, die Basilius Sklaven mitunter zuspricht, finden sich auch in den canones des Basilius zu den gefallenen Jungfrauen und Witwen. Hier legt Basilius dar, dass schon eine geheime Heirat oder ein schlechter Lebenswandel einer Sklavin ein großer Fehltritt sei und das Haus und somit den Herren entehren würde. Viel schlimmer sei dann das Vergehen bei Witwen, die allerdings wie die Sklavin bestraft werden, und Jungfrauen, die wie Ehebrecherinnen behandelt werden sollen.73 Hier zeigt sich, dass für Basilius die Unvernunft, die er als einen Grund für Sklaverei anführt,74 dahinter steht, die das Vergehen der Sklavinnen zwar nicht geringer ahnden lässt, aber implizit doch erklärbar macht. Dass die Fürsorge aber positiv auf die Sklavinnen einwirken kann, verdeutlicht Basilius in einem Psalmenkommentar. Hier unterstreicht er nämlich die Wirkung des Umfeldes: Eine gute, fürsorgliche Herrin kann einen positiven Einfluss auf die Sklavin ausüben, während eine an ein Bordell verkaufte Sklavin dort zu Schlechtem genötigt werde.75 Dies wird weiter im 49. Kanon verdeutlicht, wo Basilius bei sexueller Gewalt des Herren gegenüber der Sklavin dieser keine Schande zuspricht und sie straffrei bleibt.76 Der Herr scheint aber hingegen auch nicht bestraft zu werden.77

Weibsbild“ erkennen, das bei Basilius in Epistula 239 (COURTONNE 3, 59-61) einem Sklaven einen Bischofsstuhl zukommen ließ. Zur Ordination von Sklaven, die gegen die canones verstieß, und Epistula 239 (COURTONNE 3, 59-61) vgl. Weiteres in Kap. 2.2. 69 Basilius von Caesarea, Epistula 204, 4 (COURTONNE 2, 176, Z. 25-27). 70 Basilius von Caesarea, Epistula 51, 2 (COURTONNE 1, 133, Z. 19-22). 71 Basilius von Caesarea, Epistula 215 (COURTONNE 2, 207, Z. 22). 72 Basilius von Caesarea, Epistula 239 (COURTONNE 3, 59, Z. 13). Vgl. zu der Bischofsweihe von Sklaven hier Kap. 2.2, S. 41. 73 Basilius von Caesarea, Epistula 199, 18 (COURTONNE 2, 156, Z. 21-28). 74 Vgl. hier Kap. 2.1.1. 75 Basilius von Caesarea, Homiliae super Psalmos 32, 5 (PG 29, 336). 76 Basilius von Caesarea, Epistula 199, 49 (COURTONNE 2, 164). 77 Vgl. hierzu u. a. HARPER (2011) 309. Vgl. hier Kap. 2.2.

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In der Predigt an die Reichen, in der Basilius ihre Prunk- und Habsucht anmahnt, ist auch von dem (möglichen) Verhalten ihrer Sklaven (οἰκέτης) nach ihrem Tod die Rede.78 Basilius entwirft das Bild, dass die Sklaven eventuell ihrem reichen Herren nicht einmal ein ehrenvolles Begräbnis zukommen lassen und stattdessen das Geld lieber für die Erben bewahren möchten, damit diese statt des Verstorbenen mit schönen Kleidern geschmückt werden. Zwei Gründe führt Basilius für dieses Verhalten an: 1. Die Sklaven würden sich wegen dessen Hartherzigkeit an dem Herren rächen; 2. Die Sklaven würden versuchen, sich schon einmal bei den Erben des Verstorbenen einzuschmeicheln.79 Hier wird deutlich, dass einerseits die negativen Eigenschaften eines Reichen zum treulosen Verhalten seiner Sklaven führen, diese aber auch andererseits selbst opportunistisch und treulos sind und sich nicht mehr ihrem Herren verpflichtet fühlen. Stattdessen sind sie auf ihren eigenen Vorteil bedacht und wollen die neuen Herren für sich gewinnen. Darüber hinaus illustriert diese Episode, dass Haussklaven über das Vermögen ihres Herren zur Abwicklung von Geschäften verfügen konnten – anders als die prekär lebenden Sklaven etwa in Bergwerken. Dennoch wird Sklaven auch mitunter Diebstahl vorgeworfen.80 Auch in seiner Predigt gegen die Trunkenheit wird die Disposition, die Basilius den Sklaven zuschreibt (hier werden sie als ἀνδράποδον bezeichnet), weiter verdeutlicht: Die fehlende Selbstbeherrschung ist eine Eigenschaft, die eigentlich Sklaven zukommt. Der Herr ist ihnen aber kein gutes Vorbild, wenn er selbst diesem Laster frönt.81 Die Möglichkeit der Fürsorge und guten Anleitung von Sklaven durch einen guten Herren scheint aber ex negativo auch in dieser Passage durch. Die hier vorgestellte Auswahl an Bildern, die Basilius von Sklaven zeichnet, ist eng auch mit dem nächsten Kapitel verknüpft, nämlich wie die Alltagswelt, die in den Predigten und Briefen des Basilius entworfen wird, zu beschreiben ist und welche Verhaltensregeln Basilius Herren und Sklaven auf den Weg gibt.

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Basilius von Caesarea, Homilia in divites 9 (COURTONNE 39-71, hier 70-71, Z. 21-34). Vgl. u. a. zu dieser Passage KLEIN (2000) 58f. 79 Als Subtext kann bei dem von Basilius entworfenen Bild mitgelesen werden, dass ein Reicher mit seinem Geld daher besser kirchliche Einrichtungen unterstützen solle, anstatt weltliche Erben einzusetzen. 80 Etwa in Basilius von Caesarea, Homilia dicta in Lacizis 5 (PG 31, 1448). Allerdings ist die Zuweisung der Predigt an Basilius umstritten. 81 Basilius von Caesarea, Homilia in ebriosos 8 (PG 31, 461).

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2.2 Sklaverei in der Alltagswelt des Basilius und Verhaltensregeln Sklaven gehören auch für Basilius selbstverständlich zu einem Haushalt, waren Teil des Besitzes, der vererbt oder verkauft werden konnte, und ein Statussymbol; zunächst jedoch auch eine Grundlage für die (spät-)antike Wirtschaft. Die verschiedenen Positionen von Sklaven auf Landgütern finden sich bei Basilius ebenso wie die Differenzierung ihrer Aufgaben, so etwa die Geschäftsführung durch epitropoi beziehungsweise actores.82 Umgekehrt obliegt dem Herren aber die Fürsorge für seine Sklaven, wie bereits in Kapitel 2.1.2 deutlich wurde.83 Sklaven repräsentieren den Reichtum eines Mannes beziehungsweise, wenn sie fehlen, seine Armut.84 Gleichermaßen fällt aber Unverschämtheit von Sklaven gegenüber einem Freien auf den Herren zurück.85 Von der diesbezüglichen Bestrafung der Sklaven des Eustochius handelt Basilius auch in einem weiteren Brief, den er an den geschmähten Kallisthenes schickt:86 Kallisthenes möchte anscheinend die Sklaven persönlich bestrafen, obwohl die Angelegenheit von Basilius geregelt werden sollte. Hier tritt der Bischof als Schiedsrichter auf, der gemäß der episcopalis audientia87 auch die Funktion der städtischen Eliten und Richter übernehmen konnte. Basilius bittet Kallisthenes nun, die Bestrafung ihm zu überlassen. Falls Kallisthenes sich aber nicht dem Wunsch des Basilius beuge, solle er seinen großmütigen Charakter beweisen und die Sklaven zumindest nach der Maßregelung unversehrt entlassen. Bei dieser Episode wird einerseits deutlich, dass auch Angelegenheiten von Sklaven vor dem Bischof verhandelt werden konnten, dessen Entscheidungen aber nicht immer anerkannt wurden. Basilius versucht Kallisthenes damit zu überzeugen, dass er, wenn er sich der Maßgabe des Basilius beugt, gottgefällig handelt. Andererseits zeigt sich, dass Sklaven selbstverständlich Basilius zufolge für ihre Vergehen bestraft werden müssen. Allerdings soll man dabei Milde walten lassen und in diesem Fall der Sklave körperlich unversehrt bleiben. 82 Etwa in Basilius von Caesarea, Homilia in divites 2, 2 (COURTONNE 46f.). Vgl. zu den verschiedenen Positionen HARPER (2011) u. a. 121f. Vgl. zu den Stufen (gradus) von Sklaven auch Augustinus von Hippo, Enarrationes in psalmos 103, 4, 10 (CCSL 40, 1530 FRAIPONT). 83 Vgl. etwa auch Basilius von Caesarea, Epistula 2, 2 (COURTONNE 1, 6). 84 Basilius von Caesarea, Epistula 309 (COURTONNE 3, 195). So wird die Armut des Protektion mit der Aussage unterstrichen, dass er keine Sklaven besitze. 85 Basilius von Caesarea, Epistula 72 (COURTONNE 1, 169). 86 Basilius von Caesarea, Epistula 73 (COURTONNE 1, 170-172). In der Forschung wird gemutmaßt, ob es sich bei Kallisthenes gegebenenfalls um einen Beamten handelt, da er einen Soldaten entsendet, um die schuldigen Sklaven vor sich bringen zu lassen. Vgl. hierzu SIEBEN (1990) 208, Anm. 334. Vgl. zu diesem Brief u. a. auch KLEIN (2000) 76f. 87 Vgl. hierzu u. a. den Überblicksartikel von HASSE-UNGEHEUER/ NOETHLICHS (2016).

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Eine Schuldforderung gegenüber einem verstorbenen Haussklaven führte bei Basilius auch zu einem Übergriff auf seinen eigenen Haushalt. Basilius ersucht hier den Statthalter Candidianus um Schutz vor den Übergriffen der Schuldner, welche die Frauen des Hauses zusammengeschlagen, dieses verwüstet und Güter gestohlen hätten.88 Dennoch verwendet sich Basilius auch mitunter für Sklaven, im Fall des Helpidius, dem üble Nachrede zu Teil wurde, und entsendet in diesem Sinne einen Brief an Bischof Amphilochius von Ikonium, damit Fürsprache vor dem Herren für den Sklaven gehalten werde.89 In den canones des Basilius werden Sklaven beziehungsweise Sklavinnen vor allem im Hinblick auf „(Wieder-)Verheiratung“, Unzucht und sexuelle Übergriffe behandelt. Wie im vorherigen Kapitel schon angesprochen, dient die „Unzucht“ und „Wiederverheiratung“ einer Sklavin als Vergleichsfolie für die Bestrafung von gefallenen Jungfrauen und Witwen.90 Basilius bestimmt in can. 40, dass eine „Eheschließung“ einer Sklavin ohne Zustimmung des Herren als Unzucht, mit dessen Zustimmung (die auch nachträglich gegeben werden kann) als „Ehe“ zu werten sei. Basilius erklärt dies damit, dass Unfreie keine gültigen Verträge, zu denen auch die Eheschließung zählt, schließen könnten.91 Eine Sklavin kann nach Basilius nicht für die sexuellen Übergriffe ihres Herren bestraft werden. Dieser scheint aber allerdings dafür umgekehrt auch nicht bestraft zu werden – Basilius orientiert sich bei Letzterem (wie zuvor bei der „Eheschließung“ von Sklaven) am weltlichen Recht. Die Strafe, die der Sklavin erspart bleibt, ist eine kirchliche – im weltlichen Recht wird dies nicht thematisiert. In can. 53 wird eine „verwitwete“ Sklavin für eine „Wiederheirat“ bestraft. Falls sie aber, um zu „heiraten“, eine Entführung vorgetäuscht habe, bleibt sie bezüglich der Täuschung straffrei.92 Im Hintergrund steht dabei, dass im weltlichen Recht auch geraubten Jungfrauen und Witwen eine Mitschuld zugesprochen wurde.93 Das besondere Augenmerk, das Basilius auf 88 Basilius von Caesarea, Epistula 3 (COURTONNE 1, 13-15). Vgl. auch SIEBEN (1990) 164, Anm. 29. 89 Basilius von Caesarea, Epistula 231 (COURTONNE 3, 36-38). 90 Basilius von Caesarea, Epistula 199, 18 (COURTONNE 2, 156, Z. 21-28). 91 Basilius von Caesarea, Epistula 199, 40 (COURTONNE 2, 162). Hier ist allerdings nicht wörtlich von einer Sklavin die Rede, sondern ihr Status nur durch die Tatsache, dass sie einem Herren (δεσπότης) untersteht, zu konstatieren. 92 Basilius von Caesarea, Epistula 217, 53 (COURTONNE 2, 210). 93 So behandelte etwa die Synode von Ancyra v. 314 in can. 19 (CSP 1/2, 70 JOANNOU) Jungfrauen und verbietet ihnen das Zusammenleben mit einem Mann. Konstantin I. hatte den Raub von Jungfrauen und Witwen unter Strafe gestellt und auch für diese eine Strafe vorgesehen, da sie die Öffentlichkeit hätten meiden sollen (Codex Theodosianus 9, 24 = Codex Justinianus 7, 13). Erst Justinian schließt eine Bestrafung der Jungfrauen und Witwen aus (Codex Justinianus 1, 3, 53 [54] v. 533).

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Witwen legt, ist dadurch zu erklären, dass ihrem asketischen Leben wie dem der Jungfrauen eine besondere Bedeutung zugesprochen wurde. Ein anderer kirchenrechtlicher Bereich, dem sich Basilius zuwendet, ist die Frage nach Sklaven, die Mönch oder Kleriker werden möchten. Nach den Mönchsregeln des Basilius müssen Sklaven, die in ein Kloster eintreten wollen, zu ihrem Herren zurückgeschickt werden.94 Damit stellt sich Basilius indirekt auch gegen das verbreitete Phänomen der Sklavenflucht in Klöster und gegen seinen einstigen Lehrer Eustathius von Sebaste, der auch Sklaven als Mönche aufnahm. Auf dem Konzil von Gangra 340 wurde als Reaktion auf Eustathius Sklaven der Eintritt in ein Kloster verboten.95 Auch Augustinus forderte etwa die Freilassung vor dem Klostereintritt.96 Bei Aufträgen des Herren gegen die göttlichen Gebote besteht jedoch bei Basilius die Möglichkeit der Aufnahme.97 Auch Priester sollten prinzipiell vor ihrer Weihe freigelassen werden. Basilius prangert in diesem Zusammenhang beispielsweise im Besonderen seine theologischen Gegner an, da er herausstellt, dass nach Absetzung des Gregor als Bischof von Nyssa dessen Stuhl nun an verworfene Menschen und Haussklaven von Haussklaven gegangen sei.98 Der (für Basilius) häretische Nachfolger des Gregor sei nur wenige Obolen wert. Im Kontext des verdorbenen Glaubens sei er aber denjenigen, die ihn eingesetzt hätten (die im Umkehrschluss Freie sind), gleich. Hier findet sich eine Differenzierung in die äußere und innere Sklaverei wie im Kontext der Gefangennahme von Seelen durch Häretiker (die somit unfrei werden).99 Für Basilius ist die Häresie des Sklaven in diesem Fall vergleichbar mit derjenigen der Freien. Im

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Basilius von Caesarea, Regulae fusius tractatae 1 (PG 31, 948). Synode von Gangra, Libellus synodicus und can. 1 und 3 (CSP 1/2, 85-90; 89f. JOANNOU). Vgl. auch Sozomenus, Historia ecclesiastica 3, 14, 31 (FC 73/2, 390 HANSEN) und Sokrates, Historia ecclesiastica 2, 43 (GCS. NF 1, 180f. HANSEN). Die Synode stellte sich auch gegen die von Eustathius forcierte Eheauflösung. 96 Augustinus von Hippo, Sermo 356 (PL 39, 1574-1581). Vgl. zu Augustinus GRIESER (2016) in diesem Band; Augustinus spricht in De opere monachorum 22 (25) (CSEL 41, 570f. ZYCHA) von einer vorherigen Freilassung. 97 Basilius von Caesarea, Regulae fusius tractatae 11 (PG 31, 948). Erst Kaiser Justinian sollte Mönchen auch ohne vorherige Freilassung den Klostereintritt prinzipiell ermöglichen (Novellae 5, 2 v. 535 und 123, 35 v. 546; allerdings soll der Sklave, wenn ihm ein Verbrechen nachgewiesen werden kann, zurückgegeben werden, da er nicht aus wahrer Gesinnung, sondern um zu fliehen den Mönchsstand erwählt habe; in der späteren Novella 123 soll der Abt aktiv nach der wahren Gesinnung forschen; nach den drei Jahren des Noviziats verbleibt der Sklave aber prinzipiell im Kloster, er wird durch die Tonsur und das Mönchsgewand automatisch frei). Vgl. hierzu u. a. HASSE-UNGEHEUER (2016). 98 Basilius von Caesarea, Epistula 239 (COURTONNE 3, 59): Καὶ εἰς δυστήνους ἀνθρώπους οἰκοτρίβων οἰκότριβας περιέστη νῦν τὸ τῆς ἐπισκοπῆς ὄνομα... (Z. 12-14). 99 Vgl. S. 35 und weiter unten. 95

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Dorf Dora ist es Basilius‘ Schilderung zufolge noch schlimmer, hier sei ein entlaufener Sklave aus einem Waisenhaus eingesetzt worden.100 Ein Fall, der Basilius im Besonderen beschäftigt, ist die Schuldknechtschaft, wenn aus Armut Personen sich selbst oder ihre Kinder verkauften. Hier ist am ehesten Basilius‘ Einstellung in den Kontext der Armenfürsorge für die humiliores einzuordnen – da ja, im Sinne des Basilius, hier die Armut und nicht die fehlende Vernunftbegabung zur Sklaverei führt. In einer Predigt entwirft er ein anrührendes Bild von dem Vater, der seine Kinder aus Armut verkaufen muss.101 Im Umkehrschluss mahnt er die Reichen, sich nicht an der Armut der Bedürftigen zu bereichern. Ein weiteres Beispiel findet sich in can. 52: Während etwa die Mutter bei der Kindesaussetzung als Mörderin bestraft werden soll, wenn sie damit ihre Sünde verbergen möchte, soll hingegen der Mutter, die aus Armut handelt, vergeben werden.102 Hier ist zwar vor allem der Fall gemeint, wenn das Kind durch mangelnde Versorgung stirbt, aber dahinter steht auch die Praxis, dass ausgesetzte Kinder, wenn sie überlebten, als unfrei galten und ein Sklavenleben führen mussten.103 Der Gefangenenloskauf spielt bei Basilius keine große Rolle, wenn doch, dann zum Beispiel im metaphorischen Bereich im Zusammenhang mit dem Loskauf der von Häretikern gefangengenommenen Seelen104 oder wenn er bei seinem Lob auf Bischof Dionysius von Rom den von diesem initiierten Gefangenenloskauf tatsächlich im Krieg versklavter Glaubensbrüder als eine seiner Leistungen nennt. Im Folgenden ist für Basilius aber die Freiheit der Seele von der Häresie wichtiger.105 Basilius spricht keine prinzipielle Aufforderung zum Gefangenenloskauf aus und thematisiert diesen Bereich auch nicht so umfassend wie andere Kirchenväter. Basilius erteilt auch Ratschläge an die Herren für den Umgang mit den Sklaven. So sollen Sklaven ebenfalls am Sonntag ruhen dürfen, aber auch 100

Dieser Vorgang kann mit der „Häretikerin“ Simplicia, der Basilius auch ein Schreiben gewidmet hat, in Verbindung gebracht werden. Vgl. hier S. 36f. und Anm. 68. 101 Vgl. u. a. Basilius von Caesarea, Homilia in illud: Destruam horrea mea 4 (COURTONNE 25-27) im Kontext des Nahrungsengpasses in Caesarea 369/370. Vgl. u. a. HARPER (2011) 410f. 102 Basilius von Caesarea, Epistula 217, 52 (COURTONNE 2, 210). Vgl. dazu HARPER (2011) 418f. 103 Diese Rechtsprechung änderte von kaiserlicher Seite erst Justinian: Codex Justinianus 1, 4, 24 v. 530; 8, 51 (53), 3 v. 529 und Novella 153 v. 541. 104 Basilius von Caesarea, Homilia super psalmos 48, 3 (PG 29, 437). 105 Basilius von Caesarea, Epistula 70 (COURTONNE 1, 166). Vgl. hier S. 35 und Anm. 62. Auch handelt es sich hier wohl um die spezielle Situation des Gefangenenloskaufs von Klerikern, falls man mit der Benennung der Gefangenen als Brüder speziell Kleriker und nicht Glaubensbrüder allgemein bezeichnet sehen möchte. Gegebenenfalls kann ein Zusammenhang mit dem Goteneinfall bei Sozomenus, Historia ecclesiastia 2, 6, 2 (FC 73/1, 222f. HANSEN) hergestellt werden (u. a. COURTONNE 1, 166, Anm. 2).

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fasten.106 Wenn der Herr seinen Sklaven angemessen zu essen gibt, kann er als Gegenleistung auf treue Verwalter hoffen.107 Auch wendet sich Basilius, allerdings nur indirekt, gegen die gewaltsame Behandlung von Sklaven durch ihre Herren: Im Zusammenhang mit der Frage nach dem Bösen in der Welt und dessen Begründung durch die Sünde der Menschen, nicht durch Gott, erläutert der Kirchenvater, dass Gott den Menschen nicht frei von Sünde geschaffen habe, da er ihm den freien Willen mitgegeben habe. Hier bedient sich Basilius eines Vergleichs: Wie könnte der Herr eine freiwillige Pflichterfüllung von seinen Sklaven erwarten, wenn er sie in Fesseln halte.108 Die Erläuterung, dass der Sklavenstand aus Sünde entstanden sei, ist aber auch hier wieder nicht zu finden.109 Allerdings handelt es sich in diesem Fall wieder um einen Vergleich zur Veranschaulichung seiner theologischen Erörterung zum Theodizeeproblem, nicht um eine konkrete Mahnung.110 In der Predigt über die Demut fordert Basilius in einer Aufzählung, dass man etwa neben einer einfachen, demutsvollen Lebensweise auch mild gegenüber den Sklaven sein solle.111 In seinen Moralia führt Basilius Bibelstellen zusammen, auch für die Ordnung des häuslichen Zusammenlebens und so auch für das SklavenHerren-Verhältnis. In der Regel 75, die sich insbesondere den Sklaven zuwendet, werden die Anordnungen der sogenannten Haustafeln aufgegriffen: Der Herr soll für die Sklaven sorgen, die wiederum ihm gegenüber gehorsam sein sollen.112 Der Gehorsam gegenüber den Herren ist gottgefällig, und den Lohn dafür können die Sklaven im Jenseits erwarten. Hier greift Basilius die gleichen Bibelstellen wie andere christliche Autoren auf.113 Insgesamt ist die Milde des Herren, aber vor allem auch die Einhaltung der irdischen Ordnung und der Gehorsam der Sklaven für Basilius zentral, mitunter verweist er dabei auf Hiob als Dulder.114 Die Gottesebenbildlichkeit 106

Basilius von Caesarea, Homilia de ieiunio 1, 7 (PG 31, 176). Basilius von Caesarea, Epistula 161, 2 (COURTONNE 2, 94) in Anlehnung an Lk 12,42. 108 Basilius von Caesarea, Homilia quod deus non est auctor malorum 7 (PG 31, 345). Vgl. auch etwa KLEIN (2000) 91. Interessanterweise ist nach dem Vergleich mit der Behandlung der Sklaven durch den Herren die Rede von vernünftigen und unvernünftigen Menschen im Kontext des freien Willens und der Sünde. Im Zusammenhang mit den Sklaven lässt dies wieder an Basilius‘ dritten Grund für die Sklaverei in De spiritu sancto denken, die Sorge der Vernünftigen für die Unvernünftigen. 109 Vgl. S. 33 und 36. 110 Anders deutet dies etwa KLEIN (2000) 91 aus. 111 Basilius von Caesarea, Homilia de humilitate 7 (PG 31, 539f.). 112 Kol 3,18-4,1; Eph 5,22-6,9; 1 Petr 2,18-3,7. Vgl. hier S. 29. Zu Basilius und den Moralia vgl. u. a. auch KLEIN (2000) 87f. 113 Vgl. Kol 3,18-4,1; Eph 5,22-6,9; 1 Petr 2,18-3,7. So etwa auch Augustinus, Speculum 34; 38-44 (CSEL 12, 233; 244-263 WEIHRICH). 114 Basilius von Caesarea, Homilia quod rebus mundanis adhaerendum non sit 10 (PG 31, 560). Vgl. KLEIN (2000) 70. Mitunter bezieht KLEIN auf den folgenden Seiten aber allgemeine 107

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des Menschen führt bei Basilius nicht zu einer Aufhebung der sozialen Ordnung, stattdessen ist ihre Einhaltung Basilius zufolge gottgefällig. Im Jenseits ist der Lohn für das Verhalten auf Erden zu erwarten, dann könne man Sklaven nicht mehr von ihren Herren unterscheiden.115 3. Schlussfolgerung In der Theologie des Basilius sind alle Menschen gleich vor Gott und in ihrer Natur, Gottes Ebenbild und untereinander homodouloi. Dies ändert aber für Basilius nichts an der irdischen Ordnung, die Herren und Sklaven unterscheidet, und ebenfalls gottgegeben ist. Ursachen der Sklaverei sind Basilius zufolge die allgemein üblichen Gründe der Armut und des Krieges, aber auch, und hier hebt er sich von vielen anderen christlichen Autoren ab, die fehlende Vernunftbegabung, die die Fürsorge des Herren gegenüber den Sklaven begründet und als Wohltat beschreibt. Die Sünde führt Basilius, im Unterschied zu anderen Theologen, nicht als unmittelbaren Grund für die Sklaverei an, sie ist auch nicht von Gott geschaffen, sondern Folge des freien menschlichen Willens. Die Sklaverei wird bei Basilius nicht gesondert behandelt, sondern taucht immer wieder als ein Phänomen oder Beispiel für seine theologischen Erörterungen in seinen Briefen, Predigten und dogmatischen Schriften auf. In drei Bereichen thematisiert Basilius die Sklaverei: 1. Basilius bedient sich metaphorisch des Herren-Sklaven-Verhältnisses zur Illustration seiner Trinitätslehre (und Abgrenzung von „häretischen“ Lehren), aber auch allgemein, um das Verhältnis der Menschen untereinander und zu Gott zu beschreiben. 2. Basilius schreibt Sklaven verschiedene Wesensmerkmale zu und bedient sich ihrer, um negative Eigenschaften bei Menschen zu illustrieren. 3. Vor allem in den Briefen, aber auch den Predigten finden sich Passagen, anhand derer die Alltagswelt der Sklaverei herausgearbeitet werden kann und in denen auch manche Verhaltensregeln des Basilius für Herren und Sklaven enthalten sind; diese sind aber über die Schriften des Basilius weit verteilt und nicht so stringent und umfassend wie bei vielen anderen christlichen Autoren. In seiner Theologie ist Basilius wichtig zu unterstreichen, um sich von den Arianern, vor allem Eunomius, und den Pneumatomachen, so Eustathius von Sebaste, et cetera. abzugrenzen, dass weder Gottes Sohn noch der Heilige Geist in einem Dienstverhältnis zu Gott stehen. Die Sklavenmetapher ist Aussagen, die irdische Ordnung und die zugeteilten Aufgaben hinzunehmen, auf Sklaven, auch wenn Basilius hier allgemeiner auch z. B. von der Märtyrerin Julitta spricht. 115 Basilius von Caesarea, Homilia de invidia 4 (PG 31, 378).

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für ihn nur für die Menschen, die untereinander Mitsklaven sind, gegenüber Gott anzuwenden. Basilius stellt die Sklaverei auf Erden an keiner Stelle infrage, besitzt selbstverständlich selbst Sklaven, schreibt ihnen häufig negative Eigenschaften zu und mahnt die Herren, Fürsorge für die Sklaven zu treffen, umgekehrt die Sklaven, unbedingt gehorsam gegenüber ihren Herren zu sein. Ein solches Verhalten ist gottgefällig, der Lohn und die Freiheit warten im Jenseits. Basilius deutet wie andere christliche Autoren Bibelstellen aus, lehnt sich an das ius naturale im Spannungsfeld des ius gentium an und bedient sich, damit verbunden, allgemein naturrechtlicher wie philosophischer Erklärungsansätze, um die Sklaverei und das Verhältnis von Herren und Sklaven zu begründen. Basilius unterscheidet sich aber von den anderen Vätern, indem in diesem Kontext der Sündenfall für ihn keine Rolle spielt, wie etwa bei Augustinus, und indem er die fehlende Vernunftbegabung der Sklaven als Begründung anführt (ähnlich wie Ambrosius, der die intellektuellen Fähigkeiten anführt, oder Papst Leo I., der explizit die moralischen Defizite, aber auch die Geburt hervorhebt). Hinzu treten die allgemeinen Einstellungen der Zeit und lebensweltliche Erfahrungen, so auch der Rechtsprechung, die Basilius aufgreift, beispielsweise bei seinen canones (etwa bei der Verfehlung von Witwen) oder der Vorgabe, dass nur Freigelassene prinzipiell Mönch oder Kleriker werden sollten. Er hat bei Schlichtungen in seiner Funktion als Bischof (episcopalis audientia) ebenfalls mit Sklaven zu tun (etwa im Fall des Kallisthenes) oder wendet sich bei eigenen Problemen an andere Bischöfe oder Statthalter. Die Institution der Sklaverei stellt Basilius nirgends infrage, sie dient ihm im metaphorischen Sinn als Ressource, ist aber auch Thema bei seinen Mahnungen für das Alltagsleben innerhalb der Predigten. Die Sklaverei ist für Basilius Teil der gottgegebenen irdischen Ordnung, das Idealbild ist ein fürsorglicher Herr und ein gehorsamer Sklave; die Freiheit wird ins Jenseits verlegt. Forderungen zur Veränderung finden sich an keiner Stelle, obwohl diese auch Zeitgenossen des Basilius wie Eustathius und seine Anhänger stellten. Erst im 6. Jahrhundert sollten die Ausdeutungen der Bibelstellen zu umfassenden Verbesserungen für Sklaven und zur Erleichterung der Freilassung führen und Paulus‘ Ausspruch (Gal 3,28), dass alle eins seien in Christus, tiefgreifendere Folgen für die Regelungen zur Sklaverei in der Gesetzgebung Kaiser Justinians entfalten, ohne dass diese jedoch prinzipiell aufgehoben wurde.116

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Vgl. etwa HASSE-UNGEHEUER (2016).

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Quellenanhang (Q1) Basilius von Caesarea, De spiritu sancto 20, 51. Der griechische Text ist ebenso wie seine deutsche Übersetzung aus dem von Hermann Josef SIEBEN herausgegebenen Band 12 der Reihe „Fontes Christiani“, Freiburg i. Br. 1993, 226-231, übernommen. (Q2) Basilius von Caesarea, Epistula 70. Der griechische Text wurde 1957 von Yves COURTONNE in der Reihe „Collection des universités de France“ in Paris herausgegeben, 165-166. Die deutsche Übersetzung stammt aus Band 32 der „Bibliothek der griechischen Literatur“, wurde 1990 in Stuttgart von Wilhelm GESSEL herausgegeben und von Wolf-Dieter HAUSCHILD übersetzt, 134. (Q1) Basilius von Caesarea, De spiritu sancto 20, 51. Πρὸς τοὺς λέγοντας μήτε ἐν δουλικῇ τάξει μήτε ἐν δεσποτικῇ εἶναι τὸ Πνεῦμα, ἀλλ’ ἐν τῇ τῶν ἐλευθέρων. 51. Οὔτε δοῦλόν φησιν, οὔτε δεσπότην, ἀλλ’ ἐλεύθερον. Ὢ τῆς δεινῆς ἀναλγησίας, ὢ τῆς ἐλεεινῆς ἀφοβίας τῶν ταῦτα λεγόντων. Τί πλέον αὐτῶν ὀδύρωμαι; τὸ ἀμαθές; ἢ τὸ βλάσφημον; Οἵ γε τὰ τῆς θεολογίας δόγματα ἀνθρωπίνοις παραδείγμασι καθυβρίζουσι, καὶ τὴν ὧδε συνήθειαν, παρηλλαγμένην ἔχουσαν τῶν ἀξιωμάτων τὴν διαφοράν, τῇ θείᾳ καὶ ἀρρήτῳ φύσει προσαρμόζειν ἐπιχειροῦσιν· οὐκ ἐννοοῦντες, ὅτι παρὰ μὲν ἀνθρώποις τῇ φύσει δοῦλος οὐδείς. Ἢ γὰρ καταδυναστευθέντες ὑπὸ ζυγὸν δουλείας ἤχθησαν, ὡς ἐν αἰχμαλωσίαις· ἢ διὰ πενίαν κατεδουλώθησαν, ὡς οἱ Αἰγύπτιοι τῷ Φαραώ· ἢ κατά τινα σοφὴν καὶ ἀπόρρητον οἰκονομίαν, οἱ χείρους τῶν παίδων, ἐκ τῆς τῶν πατέρων φωνῆς, τοῖς φρονιμωτέροις καὶ βελτίοσι δουλεύειν κατεδι|κάσθησαν· ἣν οὐδὲ καταδίκην, ἀλλ’ εὐεργεσίαν εἴποι τις ἂν δίκαιος τῶν γινομένων ἐξεταστής. Τὸν γάρ, δι’ ἔνδειαν τοῦ φρονεῖν, οὐκ ἔχοντα ἐν ἑαυτῷ τὸ κατὰ φύσιν ἄρχον, τοῦτον ἑτέρου κτῆμα γενέσθαι λυσιτελέστερον, ἵνα τῷ τοῦ κρατοῦντος λογισμῷ διευθυνόμενος, ὅμοιος ᾖ ἅρματι ἡ νίοχον ἀναλαβόντι, καὶ πλοίῳ κυβερνήτην ἔχοντι ἐπὶ οἰάκων καθήμενον. Διὰ τοῦτο Ἰακὼβ κύριος τοῦ Ἠσαῦ ἐκ τῆς εὐλογίας τοῦ πατρός, ἵνα καὶ μὴ βουλόμενος παρὰ τοῦ φρονίμου εὐεργετῆται ὁ ἄφρων, οὐκ ἔχων τὸν οἰκεῖον κηδεμόνα τὸν νοῦν. Καὶ »Χαναὰν παῖς οἰκέτης ἔσται τοῖς ἀδελφοῖς«, ἐπειδὴ ἀδίδακτος

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ἦν τῆς ἀρετῆς, ἀσύνετον ἔχων τὸν ἑαυτοῦ πατέρα τὸν Χάμ. Ὧδε μὲν οὖν οὕτως οἱ δοῦλοι· ἐλεύθεροι δέ, οἱ διαφυγόντες πενίαν, ἢ πόλεμον, ἢ τῆς ἑτέρων κηδεμονίας ἀπροσδεεῖς. Ὥστε κἂν ὁ μὲν δεσπότης, ὁ δὲ οἰκέτης λέγηται, ἀλλ’ οὖν πάντες καὶ κατὰ τὴν πρὸς ἀλλήλους ὁμοτιμίαν, καὶ ὡς κτήματα τοῦ πεποιηκότος ἡμᾶς, ὁμόδουλοι. Ἐκεῖ δέ, τί δύνασαι τῆς δουλείας ὑπεξαγαγεῖν; Ὁμοῦ τε γὰρ ἐκτίσθη, καὶ τὸ δοῦλον εἶναι συγκατεσκεύασται. Ἀλλήλων μὲν γὰρ οὐ κατάρχουσιν, ἐπειδὴ πλεονεξίας ἄμοιρα | τὰ οὐράνια, Θεῷ δὲ πάντα ὑποκύπτει, καὶ ὡς δεσπότῃ τὸν ὀφειλόμενον φόβον, καὶ ὡς δημιουργῷ τὴν ἐπιβάλλουσαν δόξαν ἀποδιδόντα. »Υἱὸς γὰρ δοξάζει πατέρα, καὶ δοῦλος τὸν κύριον αὐτοῦ.« Καὶ ἀπαιτεῖ πάντως τῶν δύο τὸ ἕτερον ὁ Θεός. »Εἰ γὰρ Πατήρ εἰμι ἐγώ, ποῦ ἐστι«, φησίν, »ἡ δόξα μου; καὶ εἰ Κύριός εἰμι ἐγώ, ποῦ ἐστιν ὁ φόβος μου;« Ἢ πάντων ἂν εἴη ἐλεεινοτάτη ζωή, μὴ ὑπὸ τὴν ἐπισκοπὴν τοῦ Δεσπότου κειμένη. Ὁποῖαί εἰσιν αἱ ἀποστατικαὶ δυνάμεις, αἱ διὰ τὸ τραχηλιάσαι κατὰ Θεοῦ παντοκράτορος, ἀφηνιάζουσαι τῆς δουλείας· οὐ τῷ ἑτέρως πεφυκέναι, ἀλλὰ τῷ ἀνυποτάκτως ἔχειν πρὸς τὸν ποιήσαντα. Τίνα οὖν λέγεις ἐλέυθερον; Τὸν ἀβασίλευτον; τὸν μήτε ἄρχειν ἑτέρου δύναμιν ἔχοντα, μήτε ἄρχεσθαι καταδεχόμενον; Ἀλλ’ οὔτε ἔστι τις τοιαύτη φύσις ἐν τοῖς οὖσι, καὶ τοῦτο ἐννοῆσαι κατὰ τοῦ Πνεύματος, ἀσέβεια περιφανής. Ὥστε εἰ μὲν ἔκτισται, δουλεύει δηλαδὴ μετὰ πάντων. »Τὰ γὰρ σύμπαντα«, φησί, »δοῦλα σά«· εἰ δὲ ὑπὲρ τὴν κτίσιν ἐστί, τῆς βασιλείας ἐστὶ κοινωνόν. (Q1) Übersetzung Basilius von Caesarea, De spiritu sancto 20, 51. Gegen die, die sagen, der Geist gehöre weder zum Stand der Knechte [Sklaven, A. H.-U.] noch zu dem der Herren, sondern zu dem der Freien. 51. Der Geist ist weder Knecht [Sklave, A. H.-U.] noch Herr, er ist frei, erwidern sie. Oh, was für ein schrecklicher Stumpfsinn! Was für ein erbärmlicher Mangel an Gottesfurcht, so etwas zu behaupten! Was ist hier mehr zu beklagen, die Ungebildetheit oder die Gotteslästerung? In der Tat, mit ihren aus dem menschlichen Bereich genommenen Beispielen freveln sie an den Glaubenslehren über Gott und nehmen sich heraus, die hier auf Erden geltende Art und Weise, die Unterschiede der Würde zu bezeichnen, auf die göttliche und unaussprechliche Natur zu übertragen. Dabei übersehen sie, daß unter den Menschen niemand von Natur aus Sklave ist. Menschen sind entweder durch Unterdrückung unter das Joch der Sklaverei gefallen, zum Beispiel durch Gefangennahme im Kriege. Oder sie sind durch Armut in Knechtschaft [Sklaverei, A. H.-U.] geraten wie die Ägypter unter dem Pharao (vgl. Gen 47,18-26). Oder es werden weniger taugliche

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Kinder nach einem weisen und verborgenen Plan auf väterlichen Befehl hin dazu bestimmt, ihren klügeren und besseren Brüdern zu dienen. Für einen vernünftigen Betrachter handelt es sich hier nicht um eine Strafe, sondern um eine Wohltat. Wer nämlich infolge mangelnder Einsicht nicht in sich selbst von Natur aus eine Leitung hat, für den ist es besser, einem anderen zu gehören, damit er durch den Verstand seines Besitzers gelenkt wird, so wie ein Gespann einen Lenker bekommt oder ein Schiff einen Steuermann hat, der am Ruder sitzt. Daher wurde Jakob durch den Segen des Vaters Esaus Herr (vgl. Gen 27,29-40), damit der Unvernünftige auch gegen seinen Willen vom Vernünftigen Wohltaten empfing, er, dem der eigene Sinn fehlte, für sich zu sorgen. „Kanaan soll Knecht [Sklave, A. H.-U.] sein im Haus seiner Brüder“ (Gen 9,25-27); denn er hatte keine Tugend gelernt, weil er den unverständigen Ham zum Vater hatte. Soviel zu den verschiedenen Arten von Knechten [Sklaven, A. H.-U.]. Frei also ist, wer dem Krieg und der Armut entging, wer keiner fremden Sorge bedarf. Und so sind wir alle doch, auch wenn der eine Herr, der andere Diener [Haussklave, A. H.-U.] genannt wird, aufgrund unserer Gleichwertigkeit und weil wir Eigentum dessen sind, der uns geschaffen hat, untereinander Mitknechte [Mitsklaven, A. H.-U.]. So gesehen gibt es nichts, was uns aus der Knechtschaft [Sklaverei, A. H.-U.] herausführen könnte. Mit dem Geschaffensein ist zugleich das Knechtsein [Sklavesein, A. H.-U.] mitgegeben. Was die himmlischen Wesen angeht, so herrschen sie nicht übereinander, da es dort keine Herrschsucht gibt, vor Gott aber beugen sich alle, erweisen ihm als Herrn die geschuldete Furcht und als Schöpfer die ihm zukommende Ehre. „Der Sohn ehrt den Vater und der Knecht [Sklave, A. H.U.] seinen Herrn“ (Mal 1,6). Eins von diesen beiden verlangt Gott unbedingt. Denn es heißt: „Wenn ich Vater bin, wo bleibt meine Ehre? Wenn ich der Herr bin, wo ist die Ehrfurcht vor mir?“ (Mal 1,6). In der Tat, das allererbärmlichste Leben wäre ein solches, das nicht unter der Aufsicht des Herrn stünde. In dieser Lage sind die von Gott abgefallenen Mächte, die sich aus der Knechtschaft [Sklaverei, A. H.-U.] befreiten, indem sie gegen den allmächtigen Gott ihren Nacken stolz in die Höhe warfen, nicht weil sie von Natur aus anders sind, sondern weil sie sich ihrem Schöpfer nicht unterordneten. Wen also nennst du frei? Über dem kein König steht? Der weder die Macht hat, über einen anderen zu herrschen, noch es erträgt, beherrscht zu werden? Unter den Seienden gibt es eine solche Natur nicht, es vom Geist zu denken ist eindeutige Gottlosigkeit. Daraus folgt: Ist der Geist geschaffen, dann ist er ganz offenbar mit allen anderen Geschöpfen Knecht [Sklave, A. H.-U.]. „Denn alles ist dir dienstbar“, heißt es (Ps 119, 91: LXX Ps 118, 91). Wenn er aber über der Schöpfung steht, dann nimmt er teil an der Königsherrschaft.

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(Q2) Basilius von Caesarea, Epistula 70. Πάντως δὲ οὐδὲν καινὸν ἐπιζητοῦμεν, ἀλλὰ τοῖς τε λοιποῖς τῶν πάλαι μακαρίων καὶ θεοφιλῶν ἀνδρῶν σύνηθες καὶ διαφερόντως ὑμῖν. Οἴδαμεν γὰρ μνήμης ἀκολουθίᾳ, παρὰ τῶν παντέρων ἡμῶν αἰτηθέντων καὶ ἀπὸ γραμμάτων τῶν ἔτι καὶ νῦν πεφυλαγμένων παρ’ ἡμῖν διδασκόμενοι, Διονύσιον, ἐκεὶνον τὸν μακαριώτατον ἐπίσκοπον παρ’ ὑμῖν ἐπί τε ὀρθότητι πίστεως καὶ τῇ λοιπῇ ἀρετῇ διαπρέψαντα, ἐπισκεπτόμενον διὰ γραμμάτων τὴν ἡμετέραν Ἐκκλησίαν τῶν Καισαρέων καὶ παρακαλοῦντα τοὺς πατέρας ἡμῶν διὰ γαμμάτων καὶ πέμπειν τοὺς ἀπολυτρουμένους ἐκ τῆς αἰχμαλωσίας τὴν ἀδελφότητα. Ἐν χαλεπωτέρῳ δὲ νῦν καὶ σκυθρωποτέρῳ τὰ καθ’ ἡμᾶς καὶ πλείονος δεόμενα τῆς ἐπιμελείας. Οὐ γὰρ οἰκοδομημάτων γηΐνων καταστροφήν, ἀλλ’ Ἐκκλησιῶν ἅλωσιν ὀδυρόμεθα· οὐδὲ δουλείαν σωματικήν, ἀλλ’ αἰχμαλωσίαν ψυχῶν καθ’ ἑκάστην ἡμέραν ἐνεργουμένην παρὰ τῶν ὑπερμαχούντων τῆς αἱρέσεως καθορῶμεν. Ὥστε, εἰ μὴ ἤδη διανασταίητε πρὸς τὴν ἀντίληψιν, μικρὸν ὕστερον οὐδὲ οἷς ὀρέξετε τήν χεῖρα εὑρήσετε, πάντων ὑπὸ τὴν ἐπικράτειαν τῆς αἱρεσεως γενομένων. (Q2) Übersetzung Basilius von Caesarea, Epistula 70. Wir begehren ja keinesfalls etwas Neues, sondern etwas für die übrigen unter den längst seligen, gottliebenden Männern und besonders für Euch Gewohntes. Denn wir wissen, durch die Kontinuität der Erinnerung belehrt, von unseren danach befragten Vätern und aus bei uns noch jetzt verwahrten Schriften, daß jener seligste Bischof Dionysius, der bei Euch wegen seiner Rechtgläubigkeit und der übrigen Tugend in Ehren steht, sich brieflich um unsere Kirche in Caesarea gekümmert und unsere Väter durch einen Brief getröstet hat, ja sogar Leute schickte, die die Brüder aus der Gefangenschaft loskauften. Da aber die gegenwärtige Situation bei uns schwieriger und finsterer ist, braucht sie auch größere Fürsorge. Denn wir beklagen nicht die Zerstörung irdischer Gebäude sondern die Eroberung von Kirchen und wir blicken nicht auf körperliche Sklaverei sondern auf die Gefangennahme von Seelen, die tagtäglich von denen bewirkt wird, die für die Häresie kämpfen. Darum werdet Ihr, wenn Ihr Euch jetzt nicht zur Hilfeleistung aufrafft, wenig später niemanden mehr finden, dem Ihr die Hand reichen könnt, weil alle unter die Herrschaft der Häresie geraten sind.

Antike Sklaverei und entstehendes christliches Mönchtum. Facetten eines spannungsreichen Verhältnisses HEIKE GRIESER Wer die verstreuten Äußerungen der frühen christlichen Autoren zur antiken Sklaverei analysiert, wird nur selten auf eine grundsätzliche Kritik an dieser Einrichtung stoßen, sondern, aus verschiedenen Gründen, auf ihre weitgehende Akzeptanz.1 Wie allerdings positionierte sich das frühe christliche Mönchtum zur Institution Sklaverei? Hat es als „Sonderwelt“, trotz aller zeitlich und geographisch unterschiedlichen Ausprägungen, alternative Lebensräume geschaffen, in denen soziale Unterschiede zwischen Freien und Sklaven weniger oder gar keine Bedeutung hatten? Diese Frage liegt nahe, wenn man sich die Ursachen für seine Entstehung und Motive zur Aufnahme eines asketischen Lebens vor Augen führt: Klagen über die Verweltlichung des zunehmend staatlich geförderten Christentums, der Wunsch nach radikaler Nachfolge Jesu oder die Nachahmung der vita apostolica, mit der man Armut und Heimatlosigkeit assoziierte. Vielfach begegnen in den einschlägigen Quellen darüber hinaus der Wunsch nach Imitation der Verhältnisse in der idealisierten Jerusalemer Urgemeinde oder das Streben nach einer engelgleichen Lebensführung und damit letztlich der Versuch, sich dem paradiesischen Urzustand anzunähern und die sündhaft zerstörte Ursprungsharmonie der Menschen mit Gott sowie untereinander wiederherzustellen.2 Welche Rolle spielte also die Sklaverei bei solchen Männern und Frauen, die sich aus religiösen Gründen an unterschiedlichen Orten und zu unterschiedlichen Zeiten für ein gemeinschaftliches asketisches Leben entschieden, auf eine Ehe verzichteten und Einschränkungen verschiedener Art bei Ernährung, Kleidung, Schlaf, Unterkunft und sozialen Kontakten auf sich nahmen? Die Gebet, Schriftlesung und Meditation einen wichtigen Platz einräumten und von denen neben Demut, Gehorsam und Einordnung in hierarchische Strukturen gegebenenfalls schwere körperliche Arbeit gefordert wurde?

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Dafür sei auf die weitgehende Akzeptanz des geltenden römischen Rechts, die teilweise modifizierende Rezeption paganer oikonomischer Begründungen und philosophischer Konzepte sowie schließlich auf die Entwicklung eigener Erklärungen zur Sklaverei verwiesen, vgl. dazu im Überblick GRIESER (2012). 2 Vgl. z. B. den Artikel von RUBENSON/ HORNUNG (2012).

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Die folgende Untersuchung konzentriert sich auf das koinobitische Mönchtum und dessen überlieferte Regeln.3 Dabei geht sie chronologisch von den pachomianischen Kreisen in Ägypten und Basilius von Caesarea in Kleinasien aus, berücksichtigt weiterhin die von Hieronymus und Rufinus von Aquileia angefertigten lateinischen Übersetzungen sowie die Berichte des Johannes Cassianus und analysiert schließlich die zahlreichen westlichen Regeln von Augustinus von Hippo über gallische und italische Autoren beziehungsweise Gemeinschaften bis hin zu Leander und Isidor von Sevilla. Deren Texte geben einerseits Einblicke in konkrete Situationen und Probleme einzelner Gemeinschaften, für die sie entsprechende Lösungen präsentieren.4 Andererseits hängen sie aber auch zum Teil direkt voneinander literarisch ab5 beziehungsweise orientieren sich mit ihren ähnlichen Anweisungen an den üblichen Gepflogenheiten des monastischen Milieus – was im Einzelfall genauer zu analysieren und auf seine Bedeutung zu hinterfragen ist. Vor allem aus zwei Gründen eignen sich die erhobenen Befunde nur bedingt zu Verallgemeinerungen. Dies liegt zum einen an den mitunter sehr unterschiedlichen Entstehungskontexten der Regeln. Zum anderen müsste das dort jeweils gezeichnete Bild noch spezifisch durch weitere Quellengattungen wie beispielsweise Synodalcanones, Viten, Briefe et cetera ergänzt werden. All dies ist im Rahmen der vorliegenden Analyse nicht zu leisten. Dennoch ermöglicht gerade die Konzentration der Regeln auf die normative Ebene einen Eindruck vom angestrebten Idealzustand und ist daher von entscheidender Bedeutung. Zugleich zeigt ihr wiederholter Rekurs auf alte Bestimmungen nicht nur die Orientierung am Ursprung und den Versuch der Imitation vergangener Verhältnisse, sondern darüber hinaus auch die bleibende Relevanz verschiedener Problemkreise. Inhaltlich gewähren die untersuchten Quellen unterschiedliche Einblicke in die Thematik, die von den Bedingungen für den Eintritt eines Sklaven oder einer Sklavin in ein Kloster über die Beurteilung beziehungsweise Überprüfung der zugrundeliegenden Motive bis hin zu konkreten Vorschriften zum Miteinander von Freien, Freigelassenen und Sklaven in der jeweili3

Die Sklavenfrage stellt sich im eremitischen Leben kaum, allenfalls betonen die Quellen den Wert des Verzichts auf die Hilfe von Sklaven. 4 Bekanntlich gestaltet sich das klösterlich-gemeinschaftliche Leben vielfältig, was sich u. a. in seinem Regelwerk niederschlägt. Zu berücksichtigen sind die abseits gelegenen Wüstenklöster in Ägypten, Stadtklöster beispielsweise des Basilius von Caesarea, des Augustinus von Hippo oder des Caesarius von Arles oder auch die Insel Lérins, auf der sich Gemeinschaften unterschiedlicher Art ansiedeln. Zahlreiche, teilweise auch kleinere Kommunitäten, die auf eine konkrete Gründergestalt zurückgehen, können sich nach deren Tod nicht mehr lange halten. Zu denken ist z. B. an die Pilger aufnehmenden Klöster der Paula in Bethlehem oder das Vivarium des Cassiodor, das in Süditalien als „Bildungsstätte“ konzipiert war. 5 Vgl. insbesondere das Stemma bei DE VOGÜÉ (1985) 14; ebd. 13f. auch eine Zusammenschau der von ihm vorgeschlagenen Datierungen.

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gen Gemeinschaft reichen. Auch weil Klöster zunehmend selbst in den Besitz von Sklaven gelangen, beeinflusst dies ihre Haltung zu und den Umgang christlicher Autoren mit der Sklaverei. Schließlich ist das Phänomen in den Blick zu nehmen, dass die monastischen Texte das Zusammenleben von Mönchen oder Nonnen unter häufigem Rekurs auf die gebräuchliche Sklaventerminologie regulieren, wobei die Forderungen nach Gehorsam und Demut eine wichtige Rolle spielen. Im scheinbaren Kontrast dazu kann die prinzipielle Gleichheit aller und die Aufhebung der ursprünglichen Beziehungskonstellationen in besonderer Weise betont werden. Ob dies folgerichtig zu einer Neubewertung realer Abhängigkeiten führt? 1. Regelungen zur Aufnahme von Sklaven und Sklavinnen in eine klösterliche Gemeinschaft Die überlieferten Regeln thematisieren immer wieder das Streben von Sklaven und Sklavinnen nach Aufnahme in eine klösterliche Gemeinschaft, wobei verschiedene Aspekte dieses Themenkomplexes erkennbar werden. Zunächst sind die entsprechenden Aufnahmemodalitäten zu betrachten. Es ist aufschlussreich, dass schon sehr früh die auf die pachomianischen Wüstenklöster in Ägypten zurückgehenden Praecepta im Kontext allgemeiner Bedingungen für einen Klostereintritt formulieren, es sei zu prüfen, ob der Entsprechende unter der Gewalt eines anderen stehe. Die Konsequenzen eines solchen Falles werden zwar nicht weiter erörtert, doch spricht vieles dafür, dass eine solche Konstellation von einer Aufnahme ausschließt.6 Richtungsweisend, nicht zuletzt aufgrund ihrer Rezeptionsgeschichte, sind die Anweisungen des Basilius von Caesarea in seinen Längeren Regeln zum Umgang mit flüchtigen Sklaven.7 Diese bitten, so lässt es der Kontext der etwas vage formulierten Passage vermuten, eher um fortdauernde Aufnahme in das Kloster als nur um ein vorübergehendes Asyl. Basilius bezieht sich an dieser Stelle auf den beispielhaften Umgang des Paulus mit dem flüchtigen Sklaven Onesimus (Phlm): Während der Sklave zurückkehren und seine Sklaverei in der Hoffnung auf eine jenseitige Belohnung gottgefällig ertragen solle, sei der (offenbar christliche) Besitzer seinem Sklaven gegenüber zu Vergebung und einer zukünftig besseren Behandlung aufgefordert.8 Für 6

In der lateinischen Übersetzung des Hieronymus lautet die entsprechende Passage: Pachomius, Praecepta 49: aut sub aliqua potestate sit (BRHE 7, 25 BOON). 7 Zur Problematik der „Klosterflucht“ vgl. HASSE-UNGEHEUER (2011); ein umfassender Überblick findet sich bereits bei BELLEN (1971) 81-92. 8 Zur Bandbreite der Interpretationsmöglichkeiten des Philemonbriefes vgl. den Beitrag von GRIESER/ PRIESCHING in diesem Band.

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den Kappadokier steht gleichzeitig außer Frage, dass der christliche Sklave trotz seiner grundsätzlichen Verpflichtung zum Gehorsam nicht zu Handlungen gegen seinen Glauben gezwungen werden dürfe. Entweder sei er für diesen Fall auf das Ertragen einer Strafe aufgrund seines Widerstands vorzubereiten oder aber nun doch im Kloster aufzunehmen. Die klösterliche Gemeinschaft müsse dann wiederum die entsprechenden Konsequenzen, die seitens des Eigentümers drohten, akzeptieren.9 In diesem Zusammenhang ist bemerkenswert, dass Basilius die Sklaventhematik in seiner Vorlage, dem älteren Kleinen Asketikon, noch nicht behandelte, sodass die jetzt erfolgende Thematisierung durch einen konkreten Vorfall motiviert sein könnte. Möglicherweise haben sich an dieser Stelle allgemeine innerstädtische Erfahrungen und solche, die aus der Übernahme der bischöflichen Verantwortung in Caesarea resultieren, niedergeschlagen. Während Basilius in seinen Ausführungen noch mit dem Philemonbrief argumentiert, halten spätere Regeln in dieser Tradition, aber nun ohne weitergehende Begründung fest, dass nur ein bereits freigelassener Sklave aufgenommen werden dürfe.10 Damit realisieren sie, was auch auf dem vierten ökumenischen Konzil von Chalcedon (451) explizit entschieden worden war, dass nämlich der Eintritt eines Sklaven in ein Kloster die Zustimmung seines Eigentümers voraussetze.11 Diese, offenbar auf Drängen Kaiser Marcians gefällte Bestimmung spiegelt die entstehenden Interessenskonflikte zwischen den beteiligten Parteien, die sich in weiteren Verboten der kaiserlichen Gesetzgebung im Osten niederschlagen.12 Schwierig zu deuten ist die Präzisierung des Aurelian von Arles in seiner Regula ad monachos, dass der Abt über die Aufnahme eines jugendlichen libertus, der mit epistolae patroni sui komme, zu entscheiden habe.13 Denn der Text gibt nicht zu erkennen, ob nur junge Männer aufgenommen werden sollen oder ob es gerade dieses Alter ist, das einer gesonderten Behandlung bedarf. Unklar ist darüber hinaus der allgemeine Hinweis des Aurelian auf Briefe des Patrons, womit nicht nur ein offizielles Freilassungsdokument, 9

Basilius von Caesarea, Regulae fusius tractatae 11 (PG 31, 948). Zur Betonung des Rechts auf Widerstand seitens der Sklaven vgl. GRIESER (2001) 399f.; zur insgesamt vorsichtigen Behandlung der heiklen Thematik durch Basilius vgl. KLEIN (2000) 99f. 10 Diese Praxis bezeugt mittelbar auch Augustinus von Hippo, der in De opere monachorum 22 (25) (CSEL 41, 570f. ZYCHA) von Sklaven spricht, die von ihren Eigentümern freigelassen werden, damit sie anschließend in ein Kloster eintreten. Für Johannes Cassianus, De institutis coenobiorum 5, 12, 2 (SC 109, 210 GUY), steht fest, dass das iugum servitutis vom klösterlichen Leben ausschließt. Vgl. auch Regula orientalis 27 (SC 298, 484 DE VOGÜÉ), Pachomius zitierend. 11 Konzil von Chalcedon, can. 4 (ACO 2, 1, 2, 159 SCHWARTZ). Wer sich widersetzt, soll exkommuniziert werden. 12 Darauf verweist HASSE-UNGEHEUER (2011) 151f.; auch BELLEN (1971) 87-92. 13 Aurelian von Arles, Regula ad monachos 18 (StMon 17, 246 SCHMIDT).

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sondern vielleicht wahrscheinlicher auch nur ein Empfehlungsschreiben gemeint sein könnte.14 Eine inhaltlich identische Anweisung enthält schließlich Aurelians Nonnenregel, die die Aufnahme einer jugendlichen Freigelassenen mit Erlaubnis der Äbtissin zulässt, wenn diese solche Briefe vorzuweisen hat.15 Da Aurelians Vorlagen, die Regeln des Caesarius von Arles, ein solches Verfahren hinsichtlich ehemaliger Sklaven beziehungsweise Sklavinnen überhaupt nicht thematisieren, ist wiederum zu vermuten, dass Aurelian auf eine aktuelle Problematik reagiert. Die kurz darauf verfasste Mönchsregel des Ferreolus, die deutlich erkennbar auf der des Aurelian fußt, enthält kaum überraschend die ähnlich konkrete Anweisung nach der Befragung des Postulanten, ob er liber sei.16 Auch die wenig später entstandene Regel des Klosters von Tarnant fordert in letztlich pachomianischer Tradition die Prüfung, ob der Eintretende noch eine Verpflichtung aus einer conditio seruitutis habe.17 Sehr ausführlich thematisiert schließlich Isidor von Sevilla diese Problematik und ordnet an, dass nur derjenige aufgenommen werden könne, der von seinem Besitzer freigelassen worden sei.18 Da die vorgestellten Texte an keiner Stelle ihre Forderung nach vorausgegangener Freilassung explizit begründen, bietet Aurelian mit seiner vagen Bezugnahme auf den ehemaligen Eigentümer der Sklaven den einzig greifbaren Anhaltspunkt für eine Interpretation. Diese allerdings wird durch einen Blick auf die staatliche Gesetzgebung völlig bestätigt:19 Das Hauptmotiv der Regeln dürfte die uneingeschränkte Akzeptanz der geltenden Rechte des Sklavenbesitzers sein. Jener sollte weder durch die Flucht eines Sklaven noch durch dessen unerlaubten Klostereintritt in seinen Eigentumsverhältnissen geschädigt werden; zudem waren berechtigte Entschädigungsansprüche zu vermeiden. Eine auffällig andere, wenngleich vermutlich auch nur flankierende Erklärung bietet lediglich Isidor von Sevilla, der aus der Perspektive des möglicherweise unfreien Mönchs theologisch und unter Bezugnahme auf Ijob 39,5 argumentiert: Ein solcher Mann könne Gott nur wirk14

Zwar übersetzt Katharina HAUSCHILD, Aurelian von Arles. Klosterregeln. Mönchsregel, Nonnenregel, Sankt Ottilien o. J., 30, „Entlassungsschreiben“, aber für diesen Fall müsste Aurelian eigentlich präziser auf den dominus statt auf den patronus als Freilassenden hinweisen. Ob man bei ihm allerdings solche juristischen Kenntnisse voraussetzen kann, bleibt fraglich. 15 Aurelian von Arles, Regula ad virgines 13 (PL 68, 401). 16 Regula Ferrioli 5 (RMab 60, hier 128 DESPREZ). 17 Regula Monasterii Tarnantensis 1, 2 (RBen 84, 14 VILLEGAS). 18 Isidor von Sevilla, Regula monachorum 4 (SPE 2, 94-97 CAMPOS RUIZ), vgl. dazu auch den Quellenanhang. Dort betont Isidor, dass Mönche nicht nach ihrer ehemaligen Herkunft, zu der er u. a. ausdrücklich die Sklaverei zählt, beurteilt werden dürfen. Dass das Mönchtum sich in der Frage nach der Aufnahme von Sklaven in eine klösterliche Gemeinschaft „anschickte, eine Position zu beziehen, die die Stabilität der gesellschaftlichen Schichtung bedrohte“, so BELLEN (1971) 85, kann den hier untersuchten Quellen nicht entnommen werden. 19 Vgl. GRIESER (1997) 162f.

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lich „in freier Sklaverei“ dienen, quando nullius carnalis condicionis pondere premitur.20 Hier werden Mönchtum („angenehmes Joch und leichte Last Christi“) und Existenz in realer Sklaverei sehr aufschlussreich in Beziehung gesetzt und gegeneinander aufgewogen – was an späterer Stelle nochmals detaillierter zu analysieren ist. Angesichts dieses Befundes überrascht umso mehr ein Blick auf die Entwicklung im Osten, näherhin auf eine Anweisung Justinians aus dem Jahr 535. Denn in seiner Novella 5, 2 ordnet der Kaiser an, dass nicht nur freie, sondern auch unfreie Bewerber in ein Kloster aufzunehmen seien, „weil die göttliche Gnade alle gleich aufnimmt ... Bezüglich des Gottesdienstes gibt es weder Mann noch Frau, weder Freien noch Sklaven: Alle nämlich empfangen in Christus den selben Lohn.“21 Die Novelle sieht während eines dreijährigen Noviziats unter anderem die Überprüfung der Motive und des Personenstatus vor. Wer sich als würdig erweise, dem könne die Freiheit geschenkt werden. Flieht ein ehemaliger Sklave aus dem Kloster, dann droht ihm allerdings die Wiederversklavung. Bemerkenswert ist hier nicht nur, dass erstmalig von staatlicher Seite aus die Flucht in ein Kloster beziehungsweise der Eintritt eines Sklaven ohne Zustimmung seines Besitzers gebilligt, sondern auch, dass dies mit Gal 3,28 legitimiert wird – etwa zeitgleich zu den ersten Bezugnahmen auf diese Paulusstelle in der Regula Magistri und der Regula Benedicti.22 Doch scheint Justinian angesichts bestehender Interessenskonflikte bald kapituliert zu haben: Schon 546 verpflichtet die Novella 123 den Abt, bereits während des dreijährigen Noviziats den Personenstatus zu klären und gegebenenfalls flüchtige Sklaven an ihre Besitzer zurückzugeben.23 Gelegentlich streifen die Regeln die Frage, aus welchen Motiven ein (flüchtiger) Sklave oder ein Freigelassener in eine mönchische Gemeinschaft aufgenommen werden wolle. Damit stehen sie in der Tradition jener Teilnehmer der kleinasiatischen Synode von Gangra (um 355), die sich mit den Interessen der Sklavenbesitzer solidarisierten und deshalb zu verhindern versuchten, dass Sklaven „unter Vortäuschung religiöser Gründe“ ein asketisches Leben aufnähmen, um ihren gegenwärtigen Lebensbedingungen zu entkommen.24 Tatsächlich thematisieren die hier untersuchten Regeln zwar 20

Isidor von Sevilla, Regula monachorum 4, 97f. (SPE 2, 96 CAMPOS RUIZ). Justinian, Novellae 5, 2 (CIC(B).N 29-31 SCHOELL/ KROLL). Vgl. vor allem HASSEUNGEHEUER (2011) 152-155; MELLUSO (2002); BELLEN (1971) 88f. 22 Vgl. dazu Anm. 128 und 129. 23 Justinian, Novellae 123, 35 (CIC(B).N 618f. SCHOELL/ KROLL). 24 Synode von Gangra, c. 3 (ABAW.PH.NF 14, 99 BENESZEWICZ). Die genaue Datierung der Synode ist nach wie vor umstritten, andere plädieren für die Zeit 340/1. Vgl. weiterführend GRIESER (2001) mit der Feststellung, dass asketische Bewegungen in Kleinasien im 4. Jahrhundert kaum die Institution der Sklaverei infrage stellten. Auf verschlungenen Wegen fand 21

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häufiger die Überprüfung der Motive der Postulanten, die in ihren einzelnen Schritten detailliert beschrieben werden kann.25 Wie die wenigen erhaltenen Belege zeigen, scheint allerdings die Befürchtung, dass es den Angehörigen niederer Schichten und den ehemals Unfreien vor allem um eine Verbesserung ihrer Lebensbedingungen gehe, nicht groß gewesen zu sein.26 Auch Augustinus, der im Blick auf nordafrikanische Verhältnisse explizit davon spricht, dass die meisten Mönche ehemalige Sklaven seien beziehungsweise aus einfachen Verhältnissen stammten, verbindet diese Aussage nicht mit Unterstellungen bezüglich deren Absichten, sondern erklärt im Gegenteil: qui si non admittantur, graue delictum est.27 Häufiger wird dagegen der Fall behandelt, dass ein Freier zusammen mit seinem Sklaven in ein Kloster einzutreten wünscht. Dabei liegt der Fokus der Anweisungen weniger auf dem Status des Sklaven innerhalb der Gemeinschaft, vielmehr geht es um die Bereitschaft des (vormaligen) Eigentümers, auf seinen Sklaven ganz oder teilweise zu verzichten und die ehemals hierarchische Beziehung auf ein neues Fundament der Gleichheit zu stellen.28 So berichtet Hieronymus in seinem Nachruf auf Paula, diese habe in ihrer Klosteranlage in Bethlehem darauf geachtet, dass eine Adelige (nobilis) dort nicht gemeinsam mit einer comes de domo sua zusammenlebe, um nicht zu sehr an das vormalige Leben erinnert zu werden.29 Aufgrund der vornehmen sozialen Herkunft zumindest einiger Bewohner der Klosterinsel Lérins ist es kaum verwunderlich, dass sich diese Frage auch dort schon am Anfang des 5. Jahrhunderts stellt: Wer weiterhin einen seiner serui bei sich haben möchte, der soll wissen, dass dieser nun als Bruder und nicht als Sklave zu betrachten sei.30 Auch die Regel des Klosters von Tarnant setzt unter Bezugnahme auf Röm 2,11 ausdrücklich die Bereitschaft des Eigentümers voraus, den famulus (ante in seruitute subiectus) zukünftig als Bruder zu behandeln31 diese Bestimmung der Synode von Gangra sogar Aufnahme in das Decretum Gratiani, vgl. ebd. 382. Zum Umgang mit dieser Frage vgl. auch GRIESER (1997) 163f. 25 Z. B. Basilius von Caesarea, Regulae fusius tractatae 10-12 (PG 31, 944-949); Johannes Cassianus, De institutis coenobiorum 4, 3, 1 (SC 109, 124 GUY); Regula Benedicti 58, 7 (SALZBURGER ÄBTEKONFERENZ, 4. Aufl., 244). 26 Augustinus von Hippo, De opere monachorum 22 (25) (CSEL 41, 570f. ZYCHA); Praeceptum 1, 5 (VERHEIJEN 1, 418f.), vgl. dazu auch den Quellenanhang. Nahezu wortgleich Eugippius, Regula 1, 38 (KRAUSGRUBER 76); Regula Ferrioli 5, 3 (RMab 60, 128 DESPREZ). 27 Augustinus von Hippo, De opere monachorum 22 (25) (CSEL 41, 571 ZYCHA). 28 Dies stellt auch ein weit verbreitetes Thema in der hagiographischen Literatur dar, vgl. GRIESER (1997) 48. 29 Hieronymus, Epistula 108, 20 (LABOURT 5, hier 186). Hieronymus wird sich an dieser Stelle auf eine Begleiterin beziehen, ob sie Sklavin ist, lässt sich dem Kontext nicht eindeutig entnehmen. 30 Regula quattuor patrum 2, 35 (SC 297, 190-192 DE VOGÜÉ), vgl. dazu auch den Quellenanhang. 31 Regula Monasterii Tarnantensis 14f. (RBen 84, 16f. VILLEGAS).

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– die Interpretation dieses Passus als Freilassung oder wenigstens als Verzicht auf weiter bestehende Abhängigkeiten liegt nahe. Etwas offener scheint dagegen die Behandlung der Thematik in Leanders Regel für Florentina gehandhabt zu sein. Einerseits wird zwar betont, dass die ehemalige (vermutlich wiederum eigene) Sklavin nun als Schwester zu behandeln sei, andererseits ist gleichwohl von einem wie immer gearteten weiteren Dienst die Rede: gratius illae tibi sint famulae praebeantque obsequio nostro, non seruitute addictae, sed liberae caritate.32 Nach Ausweis dieser Passage könnte die ancilla, die im Kloster gemeinsam mit der domina die Eucharistie empfängt, unter Umständen nicht vor ihrem Klostereintritt freigelassen worden sein.33 Da aber an späterer Stelle von Nonnen die Rede ist, die ehemals Sklavin (ancilla) waren, spricht dennoch mehr für eine verpflichtende Freilassung.34 Eindeutig ist diesbezüglich die auf Isaias von Gaza zurückgehende Regula ad monachos, die die Situation der in Palästina weitgehend eremitisch lebenden Asketen widerspiegelt. Isaias fordert den gänzlichen Verzicht auf weiterbestehende Kontakte zu vormaligen Sklaven und deren Freilassung.35 Streng wird diese Frage auch im Nonnenkloster von Arles geregelt, für das Caesarius explizit festhält, dass es noch nicht einmal der Äbtissin erlaubt sei, über eine ancilla für das eigene seruitium zu verfügen.36 Auf einen letzten Aspekt dieser Thematik ist abschließend hinzuweisen: Die Regeln geben erste Hinweise darauf, dass Klöster selbst zu Sklavenbesitzern werden. Dies geschieht durch Schenkungen, Erbschaften, aber auch durch den bereits genannten Eintritt von Sklaveneigentümern und den damit einhergehenden Verzicht auf Privateigentum.37 Die Unfreien sollen nach Ausweis einzelner Regeln jene anfallenden, zumeist schweren Arbeiten übernehmen, von denen die Mönche beziehungsweise Nonnen zu entlasten sind, um sich auf ihre geistlichen Aufgaben zu konzentrieren.38 Dabei handelt es sich, soweit es die Analyse der wenigen Belege zulässt, eher nicht um unfreie Mönche, sondern um „Personal“ des Klosters, was die Regel des Isi-

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Leander von Sevilla, De institutione virginum 22, 2 (CPaHi 1, 154f. VELAZQUEZ), vgl. dazu auch den Quellenanhang. 33 Leander von Sevilla, De institutione virginum 22, 2 (CPaHi 1, 154f. VELAZQUEZ). 34 Leander von Sevilla, De institutione virginum 27, 5 (CPaHi 1, 165f. VELAZQUEZ). 35 Isaias von Gaza, Regula ad monachos 58 (PL 103, 433). 36 Caesarius von Arles, Regula ad virgines 7, 1 (SC 345, 186 DE VOGÜÉ/ COURREAU). 37 Vgl. dazu GRIESER (1997) 47-49. 38 Vgl. z. B. Regula Magistri 86 (SC 106, 350-354 DE VOGÜÉ) mit Anweisungen zur Bewirtschaftung von Höfen, ohne dabei allerdings Sklaven explizit zu erwähnen. Auch Cassiodor, Institutiones divinarum et saecularium litterarum 1, 32, 2 (FC 39, 1, 278 BÜRSGENS) mit Anweisungen zur Lebensführung der zum monasterium gehörenden rustici.

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dor von Sevilla am deutlichsten zum Ausdruck bringt.39 Folgerichtig formuliert die Regel des Ferreolus ausdrücklich, dass der Abt ein solches mancipium monasterii – der gewählte Terminus unterstreicht bereits den Aspekt des Besitzens – nur mit Erlaubnis aller Mönche freilassen dürfe oder aber den übrigen Brüdern aus eigenen Mitteln gleichwertigen Ersatz stellen müsse. Damit wird klar der Status des Sklaven als Eigentum der gesamten Gemeinschaft umrissen: cum manifestum sit illum tot dominos habere quot monachos.40 Noch deutlicher verbietet Isidors Regel sowohl dem Abt als auch jedem Mönch, einen Sklaven des Klosters freizulassen. Dies wird mit deren persönlicher Besitzlosigkeit begründet, die es nach „weltlichem Gesetz“ verunmögliche, den Besitz Fremder (in diesem Fall des Klosters) zu veräußern.41 Wenn andere Regeln scheinbar geradezu konträr betonen, dass auch die Mönche selbst zu harter körperlicher beziehungsweise niedriger Arbeit verpflichtet seien,42 lässt sich damit nicht automatisch auf die Nichtexistenz von Sklaven schließen. Als Beleg ist wiederum die Regula monachorum des Isidor anzuführen, die trotz Sklaven im Besitz des Klosters die Bedeutung der fleißigen Handarbeit für Mönche neben deren geistlichen Verpflichtungen betont.43 2. Aspekte des Zusammenlebens in den klösterlichen Gemeinschaften Die verschiedenen Regeln bieten gelegentlich sehr disparate Einblicke in das Zusammenleben von Freien und ehemaligen Sklaven in den klösterlichen Gemeinschaften – was angesichts ihrer vielfältigen Erscheinungsformen auch kaum überraschend ist. Als gemeinsame Basis lässt sich gleichwohl 39

Isidor von Sevilla, Regula monachorum 5, 170f. (SPE 2, 100 CAMPOS RUIZ) erwähnt ausdrücklich serui, die Bau- und Feldarbeiten übernehmen sollen. 40 Regula Ferrioli 36 (RMab 60, 143 DESPREZ); vgl. dazu die ähnlich lautenden, allerdings mehrere Jahrzehnte älteren Bestimmungen des Concilium Agathense (506), c. 9 (56) (CCSL 148, 226 MUNIER) und des Concilium Epaonense (517), c. 8 (CCSL 148A, 26 DE CLERCQ): Der abbas darf keine mancipia der Mönche freilassen. Auffallend ist bei der Regula Ferrioli, dass der Abt offensichtlich über Privatbesitz verfügt, aus dem er eine entsprechende Entschädigungszahlung leisten kann. Dagegen forderte die Regula III 2 (SC 298, 532-534 DE VOGÜÉ) ausdrücklich vom Abt den Verzicht auf jegliches Privateigentum. Ein allgemeines Verbot zur Veräußerung von Klostervermögen durch Abt oder Äbtissin überliefert auch Aurelian von Arles, Regula ad monachos 43 (StMon 17, 252 SCHMIDT); dazu seine Regula ad virgines 31 (PL 68, 402f.). 41 Isidor von Sevilla, Regula monachorum 20 (SPE 2, 119 CAMPOS RUIZ). 42 Z. B. Regula Benedicti 48, 7f. (SALZBURGER ÄBTEKONFERENZ, 4. Aufl., 220). Auch die Regula Monasterii Tarnantensis 8, 13-15 (RBen 84, 26 VILLEGAS) beschreibt entsprechende Tätigkeiten in der Landwirtschaft. 43 Isidor von Sevilla, Regula monachorum 5 (SPE 2, 97-100 CAMPOS RUIZ).

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festhalten, dass es kaum einer der analysierten Texte verabsäumt, das gemeinschaftliche Leben als Versuch der Annäherung beziehungsweise Imitation des Lebens in der Jerusalemer Urgemeinde zu definieren (zum Beispiel Apg 4,32-35). Alleine Johannes Cassianus gelingt an dieser Stelle noch eine erstaunliche Steigerung: Während das in der Apostelgeschichte beschriebene Miteinander immerhin von turbae credentium (Massen von Gläubigen) realisiert worden sei, hätten die ersten Mönche in Ägypten beziehungsweise im Umfeld von Alexandrien dieses noch durch die Radikalität ihrer Lebensführung überboten.44 Auf die entsprechenden Schilderungen der Apostelgeschichte verweisen die Regeln in unterschiedlichen Kontexten, vor allem, um jeglichen Privatbesitz innerhalb des Klosters auszuschließen. Diese Anweisung findet sich unter ausdrücklicher Bezugnahme auf Apg 4,32b „Keiner nannte etwas von dem, was er hatte, sein Eigentum, sondern sie hatten alles gemeinsam“ bereits in den Kürzeren Regeln des Basilius,45 bei Johannes Cassianus46 und ausführlich bei Augustinus an verschiedenen Stellen in den Regeln für Mönche und Nonnen.47 Davon sind in variierendem Umfang abhängig die Statuta patrum von Lérins,48 die Regula Macarii,49 die Regula orientalis,50 Caesarius von Arles mit seinen Regulae,51 die Regula Magistri,52 die Regula des Eugippius,53 die Regula Benedicti,54 Aurelians Regulae für Mönche und 44

Johannes Cassianus, De institutis coenobiorum 2, 5, 1f. (SC 109, 64-66 GUY). Basilius von Caesarea, Regulae brevius tractatae 85 (PG 31, 1144). 46 Johannes Cassianus, De institutis coenobiorum 4, 13 (SC 109, 136-138 GUY), hier allerdings ohne Bezug auf die Apg. 47 Augustinus von Hippo, Praeceptum 1, 2f. (VERHEIJEN 1, 417f.); Epistula 211, 5 (CSEL 57, 359f. GOLDBACHER); De opere monachorum 25 (32) (CSEL 41, 577-579 ZYCHA). Dies greift auch sein Biograph Possidius unter ausdrücklicher Bezugnahme auf das Vorbild der Apostel auf: Vita Augustini 5, 1 (Augustinus Opera, 34 GEERLINGS). 48 Statuta patrum 1-6 (SC 297, 274-276 DE VOGÜÉ). 49 Regula Macarii 24 (SC 297, 382-384 DE VOGÜÉ); vgl. dazu auch die etwa zeitgleiche Bestimmung der Synode von Orléans (511), c. 19 (CCSL 148A, 10 DE CLERCQ), die den Mönchen privates Eigentum untersagt. 50 Regula orientalis 30, 2 (SC 298, 486 DE VOGÜÉ). 51 Caesarius von Arles, Regula ad virgines 20 (SC 345, 194 DE VOGÜÉ/ COURREAU). Vgl. auch Regula ad monachos 1 (SC 398, 204-206 COURREAU/ DE VOGÜÉ), wobei der gemeinsame Besitz nicht weiter begründet wird. 52 Regula Magistri 16, 58-61 (SC 106, 82 DE VOGÜÉ): quia regulae sententia haec est: res monasterii omnium est et nullius est; 82 (ebd. 336-340) mit Androhung strenger Strafen unter Verweis auf das Schicksal von Hananias und Saphira; 87-90 (ebd. 354-396) mit dem Hinweis darauf, dass Vermögen an die Armen bzw. das Kloster übertragen werden solle; 91 (ebd. 398410) regelt insbesondere die Aufnahme eines Mannes aus einer reichen, vornehmen Familie. 53 Eugippius, Regula 1, 12f.31f. (KRAUSGRUBER 72-74). Zu konstatieren ist die nahezu wortwörtliche Übernahme der Passagen von Augustinus von Hippo, Ordo monasterii 4 (VERHEIJEN 1, 150) und Praeceptum 1, 2 (ebd. 417). Eugippius, Regula 13 (KRAUSGRUBER 106108) zitiert weitgehend übereinstimmend Basilius von Caesarea, Regulae brevius tractatae 85 (PG 31, 1144), vgl. auch Eugippius, Regula 41, 68-70 (KRAUSGRUBER 210). 45

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Nonnen,55 die Regula Ferrioli56 und die Regula Monasterii Tarnantensis.57 Bei Columban wird, was eine auffallende Verschärfung darstellt, derjenige Mönch mit sechs Schlägen bestraft, der etwas als sein Eigentum bezeichnet hat.58 Eine interessante Auslegungsvariante präsentiert Leander von Sevilla, der seiner Schwester und ihren Nonnen erklärt, nur die hebraei in der Tradition der Apostel, nicht aber die ex gentibus seien zu dem in der Apostelgeschichte beschriebenen gemeinschaftlichen Besitz von Eigentum befähigt gewesen – weswegen das regelkonforme Leben im Kloster mit dem Verzicht auf Privateigentum die Weiterführung der vita Apostolorum sei.59 Ohne diese Unterscheidung zwischen Heiden und Hebräern aufzugreifen, schärft schließlich auch Leanders Bruder Isidor die Nachahmung der vita apostolica durch ausschließlich gemeinschaftliches Eigentum im Kloster ein.60 Verzicht auf Eigentum erscheint in den Regeln zugleich auch als Ausdruck radikaler Jesusnachfolge, wofür unter anderem Lk 14,33 anzuführen ist: „Darum kann keiner von euch mein Jünger sein, wenn er nicht auf seinen ganzen Besitz verzichtet“. Wieder ist es bereits Basilius von Caesarea, der mit diesem Text die geforderte Konzentration des Mönchs auf die Suche nach Gott illustriert und zugleich die vollkommene Lösung von familiären Beziehungen sowie den Verzicht auf alle „fleischlichen Leidenschaften“ verlangt, das heißt die Abkehr vom vergänglichen Leben.61 Dies fordert mit demselben Verweis auch die Regula ad virgines des Caesarius von Arles,62 während die Regula Magistri unter anderem auf Mt 6,31-33 und die dort erklärte Fürsorge des himmlischen Vaters rekurriert, die die Sorge um die täglichen Bedürfnisse überflüssig mache. Eine wichtige Referenz ist schließlich auch Mt 19,21 mit der Aufforderung: „Wenn du vollkommen sein willst, geh, verkauf deinen Besitz und gib das Geld den Armen; … dann komm und 54

Regula Benedicti 33 (SALZBURGER ÄBTEKONFERENZ, 4. Aufl., 184). Aurelian von Arles, Regula ad monachos 3f.; 25 (StMon 17, 240-242; 248 SCHMIDT); wobei c. 3 wortgleich auch für Nonnen gilt: Regula ad virgines 2 (PL 68, 399f.); dazu 21 (ebd. 402). 56 Regula Ferrioli 10 (RMab 60, 131 DESPREZ). 57 Regula Monasterii Tarnantensis 14 (RBen 84, 33-35 VILLEGAS), unter weitgehendem Rückgriff auf Augustinus von Hippo, Praeceptum 1, 1-8 (VERHEIJEN 1, 417-420). 58 Columban von Luxueil, Regula coenobialis 2 (SLH 2, 146 WALKER). 59 Leander von Sevilla, De institutione virginum 26, 2f. (CPaHi 1, 163f. VELAZQUEZ); 27, 1 (ebd. 164f.) mit einschränkenden Bemerkungen zur Art der Verteilung des gemeinsamen Besitzes; 28 (ebd. 167f.) mit der Gleichsetzung von Privatbesitz und Betrug bzw. Verbrechen: furti crimen est. Leander argumentiert in diesem Kontext mit Judas sowie Hananias und Saphira. 60 Isidor von Sevilla, Regula monachorum 3 (SPE 2, 93f. CAMPOS RUIZ); 4 (ebd. 94-97) regelt u. a. die Verteilung des Besitzes bei Eintritt. 61 Z. B. Basilius von Caesarea, Regulae brevius tractatae 263 (PG 31, 1261); Regulae fusius tractatae 5, 2 (PG 31, 921); 8 (ebd. 933-941). 62 Caesarius von Arles, Regula ad virgines 5 (SC 345, 182-184 DE VOGÜÉ/ COURREAU). 55

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folge mir nach.“, auf die zum Beispiel Aurelian von Arles explizit Bezug nimmt.63 Dabei variiert der Umgang mit dem Vermögen des Eintretenden je nach Kontext:64 Es kann entweder an Familienangehörige, Mittelsmänner, Vermögensverwalter oder an Arme beziehungsweise das Kloster selbst übertragen werden. Diese Handhabung führt, wie bereits gezeigt, dazu, dass auch Sklaven in den Besitz klösterlicher Gemeinschaften gelangen. In der angestrebten Nachahmung des Lebens der Apostel reflektieren die Texte darüber hinaus die zentrale Frage nach der Behandlung und den Beziehungen zwischen den ursprünglich aus unterschiedlichen Schichten stammenden Klosterbewohnern. Dabei ist grundsätzlich bemerkenswert, dass die Aufnahme eines libertus beziehungsweise einer liberta von keiner Regel infrage gestellt wird. Trotz aller Probleme im Umgang mit Angehörigen verschiedener Stände bereitet es offenbar keine prinzipielle Schwierigkeit, gemeinsam im klösterlichen Verband zu leben. Allerdings werden vor allem zwei Varianten in der Realisierung dieses gemeinschaftlichen Lebens erkennbar. So stößt man erstens auf die Forderung nach einer grundsätzlichen Gleichbehandlung aller Klosterbewohner. Zu berücksichtigen seien allenfalls Alter, Gesundheit und gegebenenfalls die Art der von ihnen zu leistenden Tätigkeit im Kloster – eine Differenzierung, die schon Basilius von Caesarea kennt.65 Dabei fällt auf, dass gerade in Lérins eindringlich auf die aequalitas beziehungsweise aequitas aller Mitglieder hingewiesen wird,66 was möglicherweise mit der besonderen sozialen Schichtung der dortigen Gemeinschaften und den damit verbundenen Problemen zu erklären ist. Auch Caesarius ordnet für das Nonnenkloster in Arles an, dass alle Frauen mit Ausnahme der mater und der praeposita zur Übernahme täglich anfallender körperlicher Arbeiten verpflichtet seien,67 dazu zählt auch das Lesenlernen.68 Rigoros fordert die Regula Magistri, dass der abbas im Kloster nicht zwischen verschiedenen personae unterscheiden solle, weshalb ausdrücklich eine denkbare Ungleichbehandlung von servus und ingenuus zurückgewiesen wird: Nur die Verrichtung unterschiedlicher 63 Aurelian von Arles, Regula ad monachos 3 (StMon 17, 240f. SCHMIDT); ebenso auch Regula ad virgines 2 (PL 68, 399f.). 64 Die Thematik ist hier nicht weiter zu verfolgen. 65 Basilius von Caesarea, Regulae fusius tractatae 19, 1 (PG 31, 968); Augustinus von Hippo, Praeceptum 3, 3.5 (VERHEIJEN 1, 421-423); Epistula 211, 9 (CSEL 57, 361f. GOLDBACHER). Auch die Regula Magistri 69 (SC 106, 296-300 DE VOGÜÉ) ordnet an, dass Unterschiede in der Ernährung der Mönche nur im Krankheitsfall erlaubt seien. Um Gerechtigkeit zu wahren, müsse daher achtsam jegliche erschlichene Vorteilsnahme vermieden werden. 66 Regula quattuor patrum 2, 8 (SC 297, 186 DE VOGÜÉ); ebd. 5, 11-14 (ebd. 204); Regula orientalis 3, 3 (SC 298, 466 DE VOGÜÉ). 67 Caesarius von Arles, Regula ad virgines 14 (SC 345, 190 DE VOGÜÉ/ COURREAU). 68 Caesarius von Arles, Regula ad virgines 18 (SC 345, 192 DE VOGÜÉ/ COURREAU).

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Werke rechtfertige die Bevorzugung Einzelner.69 In diesen Kontext passt die Ausrufung eines regelrechten Wettbewerbs um die Nachfolge im Amt des Abtes, die gemäß der Regula Magistri keine vorzeitigen Präferenzen erkennen lassen dürfe: Der amtierende Abt wird angehalten, auf stets wechselnde Reihen- beziehungsweise Rangfolgen unter den Mönchen beim Singen, Beten und Essen zu achten, damit niemand Rückschlüsse auf seine Nachfolgechancen ziehen könne.70 Auch die Regula Benedicti präsentiert nahezu wortgleich die Aufforderung an den Abt, nicht zwischen einzelnen personae zu unterscheiden und den Freigeborenen nicht dem ex servitio vorzuziehen. Zugleich betont sie stärker als die Magisterregel die Bedeutung des Gehorsams.71 Wenn eine unterschiedliche Behandlung oder Zuteilung erfolge, dann aufgrund von infirmitas.72 Ausdrücklich wird der gegenseitige Dienst der fratres thematisiert, der grundsätzlich alle, mit Ausnahme von Kranken oder anderweitig Vielbeschäftigten, zum Beispiel zum Dienst in der Küche verpflichte.73 Streng verbietet schließlich die Regula Ferrioli den Mönchen, selbst wenn ihr Körper noch so delicatum sein möge, direkt auf der Haut ein feines Leinenkleid zu tragen.74 Zweitens finden sich neben diesen unterschiedlich gearteten Aufforderungen zur Gleichbehandlung aller Mönche und Nonnen in anderen Regeln klare Anweisungen zur Bevorzugung ehemals reicher und besser gestellter Klosterbewohner, als Zugeständnis an ihre vormalige Lebensform. Ausgangspunkt hierfür ist Augustinus von Hippo, der in diesem Kontext ausdrücklich die Bereiche Ernährung, Bekleidung und Ausstattung der Schlafstätten nennt.75 Auch die reiche und vornehme Römerin Paula unterschied in ihrem Klosterkomplex in Bethlehem nach dem 404 verfassten Epitaphium des Hieronymus zwischen nobiles, medii et infimi generis. Diese leben, räumlich getrennt, in drei verschiedenen turmae unter einer je eigenen mater. Hieronymus‘ Hinweis auf die Trennung der Frauen bei der Arbeit und den Mahlzeiten lässt in diesen Bereichen ebenfalls eine unterschiedliche Behandlung vermuten. Zum Psalmengesang und zum Gebet versammeln 69

Regula Magistri 2, 16-22 (SC 105, 354-356 DE VOGÜÉ), vgl. dazu auch den Quellenanhang. 70 Regula Magistri 92, 33-82 (SC 106, 414-422 DE VOGÜÉ). 71 Regula Benedicti 2, 16-22 (SALZBURGER ÄBTEKONFERENZ, 4. Aufl., 86). 72 Regula Benedicti 34, 1-5 (SALZBURGER ÄBTEKONFERENZ, 4. Aufl., 186); ähnlich 55, 20f. (ebd. 240). 73 Regula Benedicti 35, 1-6 (SALZBURGER ÄBTEKONFERENZ, 4. Aufl., 188). 74 Regula Ferrioli 31 (RMab 60, 140 DESPREZ). Begründet wird dies allerdings nicht mit daraus eventuell entstehenden Ungleichheiten zwischen den Mönchen, sondern damit, dass der Körper durch diese Verweichlichung geschwächt werde und wieder neu gegen die Seele (d. h. die Entscheidung zur asketischen Lebensführung) zu kämpfen beginne. 75 Augustinus von Hippo, Praeceptum 1, 3 (VERHEIJEN 1, 418); 3, 4 (ebd. 422); Epistula 211, 9 (CSEL 57, hier 362 GOLDBACHER).

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sich allerdings alle gemeinsam, auch die Kleidung ist für alle ausnahmslos gleich.76 Wenn Eugippius in seiner Regel unter Bezugnahme auf Augustinus die unterschiedliche Zuweisung von Nahrung und Kleidung durch den Abt jeweils nach Bedürftigkeit thematisiert (quia non aequaliter), dann spielt er, obwohl hier noch nicht ausdrücklich genannt, auf eine differenzierende Behandlung von ehemals Armen und Reichen an.77 Dies führt er, wiederum Augustinus zitierend, detailliert etwas später aus: Unterschiede beim Essen, bei der Bekleidung und bei den Betten seien der pristina consuetudo geschuldet und sollten bei den letztlich nur scheinbar Benachteiligten keinen Neid hervorrufen.78 Ähnlich argumentiert die Regula Monasterii Tarnantensis, indem sie die augustinischen Anweisungen wiederholt, zugleich aber noch stärker die Situation derer aus der natalium mediocritas thematisiert: Diese sollen den ehemals Privilegierteren größere Nahrungsportionen und bessere Kleidung nicht neiden.79 Einschränkend fügt der Verfasser allerdings an, dass bei der Versorgung von Kranken nicht auf die ehemaligen Standesunterschiede zu achten sei.80 Dieser Linie folgend verweist auch Leander auf die Notwendigkeit der unterschiedlichen Behandlung von Reichen und Vornehmen einerseits und Armen und Sklavinnen andererseits, wobei er explizit die Bereiche Kleidung, Ernährung und Getränke sowie schließlich die Art der Arbeit nennt.81 In diesem Kontext ist ergänzend auf die gelegentlich heftig diskutierte Frage nach dem Stellenwert und der Verpflichtung zur Übernahme von körperlich-schwerer Arbeit zu verweisen. Richtungsgebend wirkt hier vor allem Augustins Schrift De opere monachorum, insofern der Bischof zunächst grundsätzlich von allen Mönchen die Bereitschaft zu körperlicher Arbeit erwartet und dies mit dem Vorbild des Paulus begründet (2 Thess 3,7-10).82 Allerdings unterscheidet er zwischen solchen Mönchen, die aufgrund ihrer Herkunft eine körperliche Betätigung gewohnt waren, und solchen, die, aus 76

Hieronymus, Epistula 108, 20 (LABOURT 5, hier 185f.). Vgl. weiterführend KLEIN (2001) 413f. zu von Hieronymus an anderer Stelle geäußerten Mahnungen an Paulas Tochter Eustochium, wie mit ehemaligen ancillae im Kloster umzugehen sei. 77 Eugippius, Regula 1, 33f. (KRAUSGRUBER 74-76), wiederum direkt Augustinus von Hippo, Praeceptum 1, 3 (VERHEIJEN 1, 418) aufnehmend. 78 Eugippius, Regula 1, 57-61 (KRAUSGRUBER 78-80), hier Augustinus von Hippo, Praeceptum 3, 3f. (VERHEIJEN 1, 421f.) zitierend. 79 Regula Monasterii Tarnantensis 16, 3-10 (RBen 84, 36f. VILLEGAS), wiederum auf Augustinus von Hippo, Praeceptum 3, 3f. (VERHEIJEN 1, 421f.) rekurrierend. 80 Regula Monasterii Tarnantensis 16, 12 (RBen 84, 37 VILLEGAS). An dieser Stelle ist im Vergleich zur Vorlage bei Augustinus von Hippo, Praeceptum 3, 5 (VERHEIJEN 1, 422f.) freier formuliert. 81 Leander von Sevilla, De institutione virginum 27 (CPaHi 1, 164-166 VELAZQUEZ). 82 Augustinus von Hippo, De opere monachorum 18f. (21f.) (CSEL 41, 565-568 ZYCHA); 22 (26) (ebd. 571f.). Weiterführend z. B. KLEIN (1988) 212f.

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ehemals besseren Verhältnissen stammend, dadurch eher überanstrengt würden. Letztgenannte kompensierten ihren fehlenden körperlichen Einsatz zwar alternativ durch Besitzübertragungen an die Gemeinschaft, doch sei ihnen weiterhin zu empfehlen, drohenden Hochmut durch körperliche Arbeit zu heilen.83 In diesem Sinne greift auch die Regel des Macarius die Mahnung auf, beschwerliche Arbeit nicht zu scheuen.84 Die Anordnung des Benedikt von Nursia ist wiederum sehr pragmatisch und an den Erfordernissen der konkreten Lebenswelt orientiert: „Wenn es die Ortsverhältnisse oder die Armut fordern, dass sie die Ernte selber einbringen, dann sollen sie nicht traurig sein. Sie sind dann wirklich Mönche, wenn sie wie unsere Väter und die Apostel von ihrer Hände Arbeit leben.“85 Überraschend hinsichtlich dieses „common sense“ ist daher der werbende Verweis der Regel des Paulus und Stephanus, dass in der dort umschriebenen Gemeinschaft im Unterschied zum Apostel Paulus zurückhaltender auf körperliche Arbeit bestanden werde.86 Die Regula Ferrioli betont dagegen wiederum den Stellenwert der Handarbeit, die sich nur in ihrer Schwere unterscheiden dürfe, um im Falle fehlender Kräfte niemanden zu sehr zu belasten. Wer grundsätzlich nicht zu arbeiten bereit sei, dem drohten Hunger und Schande. Noch Isidor von Sevilla plädiert mit den Hinweisen auf Paulus und das Beispiel der Apostel für die Übernahme körperlicher Arbeit, ohne dabei eine unterschiedliche Herkunft der Mönche zu berücksichtigen.87 Interessanterweise lassen sich beide, scheinbar unterschiedliche Haltungen – Gleich- und Ungleichbehandlung – nach Ausweis der Regeln mit der Idealbeschreibung der Jerusalemer Urgemeinde in Übereinstimmung bringen, indem man jeweils erklärt, jeden entsprechend seiner Bedürftigkeit beziehungsweise seiner Bedürfnisse zu unterstützen (Apg 4,35).88 Es ist insgesamt wenig überraschend, dass die Anweisungen gerade in dieser Frage die konkreten Lebensbedingungen der einzelnen Gemeinschaften und die Art des Erwerbs ihres Unterhalts spiegeln. Häufig thematisieren die Regeln, oft auch in Abhängigkeit von ihren Vorlagen, ausdrücklich die „Befindlichkeiten“ der Angehörigen verschiedener Schichten. Dazu zählen die fast stereotypen Klagen darüber, dass sich ehemals Arme aufgrund ihres neuen Status und ihrer prinzipiellen Gleich83

Augustinus von Hippo, De opere monachorum 25 (32f.) (CSEL 41, 577-580 ZYCHA). Regula Macarii 8, 1 (SC 297, 376 DE VOGÜÉ). 85 Regula Benedicti 48, 7f. (SALZBURGER ÄBTEKONFERENZ, 4. Aufl., 220f.). 86 Regula Pauli et Stephani 33 (SDM 11, 120f. VILANOVA). 87 Isidor von Sevilla, Regula monachorum 5 (SPE 2, 97-100 CAMPOS RUIZ). Die hier erwähnten Sklaven, die Bau- und Feldarbeiten übernehmen, scheinen, wie bereits erörtert, keine Mönche zu sein! 88 Z. B. Basilius von Caesarea, Regulae fusius tractatae 19, 1 (PG 31, 968). 84

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stellung erheben89 oder einen bis dahin nicht gekannten Wohlstand suchen.90 Vor allem die Regula Monasterii Tarnantensis schärft dem Mönch aus einer conditio humilis ein, nicht stolz zu werden, sondern im Gegenteil nicht nur jenem, dem er nun aequalis geworden sei (das heißt wohl dem ehemaligen Besitzer), sondern darüber hinaus der ganzen fraternitas als uerus famulus christi zu dienen (deservire).91 Ähnlich argumentiert auch Leander: Die ancillae dürften nicht überheblich werden, sondern ihr neuer Stand als soror verpflichte sie im Gegenteil zu einem noch bereitwilligeren Dienst.92 Gleichzeitig kann jenen aus besseren Verhältnissen vorgeworfen werden, sie seien wegen ihrer Herkunft oder ihres umfangreich übertragenen Besitzes hochmütig.93 Besonders scharfe Worte findet in diesem Kontext Isidor von Sevilla, der eindringlich betont, dass vor Gott alle zu Christus Bekehrten unius ordinis anzusehen seien.94 Beiden Fehlverhaltensweisen soll deshalb in den Klöstern entgegengewirkt werden. Schon für Basilius ist daher klar, dass die Aufrichtigkeit der Bekehrungsmotive eines „Vornehmeren“ daran zu messen sei, ob dieser zur Übernahme niedriger Arbeiten bereit sei.95 Ehemals Reiche werden von ihm gemahnt, den Warnungen des Paulus in 1 Kor 11,22 zu entsprechen und nicht die vormals Armen zu beschämen.96 Paula von Rom andererseits scheint für ihre Gemeinschaft in Bethlehem durch die zumindest zeitweilige räumliche Trennung der Frauengruppen solchen Konflikten entgegengesteuert zu haben. 89

Z. B. Augustinus von Hippo, Praeceptum 1, 6 (VERHEIJEN 1, 419); Epistula 211, 6 (CSEL 57, 360f. GOLDBACHER); De opere monachorum 22 (25) (CSEL 41, 570f. ZYCHA); Eugippius, Regula 1, 39f. (KRAUSGRUBER 76), Augustinus kopierend; ebenso von Augustinus abhängig Regula Monasterii Tarnantensis 14, 10-14 (RBen 84, 34 VILLEGAS); Leander von Sevilla, De institutione virginum 27, 3f. (CPaHi 1, 165 VELAZQUEZ); Isidor von Sevilla, Regula monachorum 4 (SPE 2, 94-97 CAMPOS RUIZ). 90 Augustinus von Hippo, Praeceptum 1, 5 (VERHEIJEN 1, 418f.); Epistula 211, 5 (CSEL 57, hier 360 GOLDBACHER); Caesarius von Arles, Regula ad virgines 21 (SC 345, 194-196 DE VOGÜÉ/ COURREAU); Eugippius, Regula 1, 36 (KRAUSGRUBER 76), wieder Augustinus zitierend; ebenso Regula Monasterii Tarnantensis 14, 10 (RBen 84, 34 VILLEGAS); Leander von Sevilla, De institutione virginum 27, 2 (CPaHi 1, 165 VELAZQUEZ). 91 Regula Monasterii Tarnantensis 1, 16-20 (RBen 84, 17 VILLEGAS). Damit präzisiert und verschärft die Regel eindeutig Augustinus von Hippo, Praeceptum 1, 7 (VERHEIJEN 1, 419f.). 92 Leander von Sevilla, De institutione virginum 22, 2 (CPaHi 1, 154f. VELAZQUEZ) thematisiert in diesem Kontext superbia ausdrücklich als Fehlverhalten von ancillae; 27 (ebd. 164166). 93 Augustinus von Hippo, Praeceptum 1, 7 (VERHEIJEN 1, 419f.); Epistula 211, 6 (CSEL 57, 360f. GOLDBACHER). Auch Johannes Cassianus, De institutis coenobiorum 2, 3, 2 (SC 109, 60-62 GUY); Caesarius von Arles, Regula ad virgines 21 (SC 345, 194-196 DE VOGÜÉ/ COURREAU). Die eindringliche Warnung vor einem solchen Verhalten übernimmt Eugippius, Regula 1, 42-46 (KRAUSGRUBER 76) mit kleinen Auslassungen von Augustinus; vgl. auch Regula Monasterii Tarnantensis 14, 15-19 (RBen 84, 34f. VILLEGAS). 94 Isidor von Sevilla, Regula monachorum 4, 106 (SPE 2, 96 CAMPOS RUIZ). 95 Basilius von Caesarea, Regulae fusius tractatae 10, 2 (PG 31, 945-948). 96 Basilius von Caesarea, Regulae brevius tractatae 187 (PG 31, 1208).

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Im Umfeld dieser Debatten kann trotz des Rekurses auf die Gleichheit und Gemeinschaft in der Jerusalemer Urgemeinde auf das bekannte Diktum des Paulus in 1 Kor 7,20-24 rekurriert werden. Es gelte auch, in der Gemeinschaft den jeweils angemessenen Platz einzunehmen, um die gute Ordnung und die Harmonie der verschiedenen Glieder nicht zu stören und Unordnung zu vermeiden.97 Dahinter steht die Vorstellung, dass das Kloster als Gemeinwesen mit Parallelen zum Gefüge einer familia dann in besonderer Weise funktionstüchtig ist, wenn jeder um seine spezielle Aufgabe und seinen Rang weiß.98 Während die besondere Leitungsaufgabe des Abtes, der Äbtissin, der Mutter, des Dekans oder Verwalters unumstritten ist,99 können verschiedene Kriterien benannt sein, nach denen sich die Rangfolge der weiteren Klosterbewohner orientiert.100 So erinnert die Regula quattuor patrum den gerade eingetretenen Mönch eindringlich daran, dass nun nicht mehr seine Vergangenheit, sondern die jeweils neue Position ausschlaggebend sei.101 Ähnlich betont die Regula Benedicti hinsichtlich eines neu eintretenden Priesters, jener nehme nur im Gottesdienst eine hervorgehobene Stellung ein.102 Für Augustinus scheint ein weiter bestehendes hierarchisches Gefälle geradezu notwendig zu sein, denn er hält es für eine detestanda peruersitas, ut in monasterio, ubi, quantum possunt, fiunt diuites laboriosi, fiant pauperes delicati103 – eine drastische Formulierung, die von Eugippius in dessen Regelwerk übernommen wird.104 Auch die Regula Ferrioli ahndet das Verhalten solcher Mönche, die ungerechtfertigt nach Plätzen und Rängen der anderen streben.105 Ein ähnliches Ziel verfolgen Leanders Anweisungen zur differenzierenden Behandlung ehemals Reicher und Vornehmer im Unter97

Z. B. Basilius von Caesarea, Regulae brevius tractatae 100 (PG 31, 1152); 136 (ebd. 1172); 141 (ebd. 1177); 303 (ebd. 1296f.). Als Ziel formuliert daher z. B. die Regula Benedicti 34, 5 (SALZBURGER ÄBTEKONFERENZ, 4. Aufl., 186): et ita omnia membra erunt in pace. 98 Die Regula Ferrioli 3 (RMab 60, 127f. DESPREZ) fordert die Mönche in diesem Kontext und mit Bezug auf das paulinische Bild des einen Leibes in Christus und die von der Apostelgeschichte beschriebene Einmütigkeit „in Herz und Seele“ zu gegenseitiger Liebe auf. 99 Vgl. z. B. sehr eindrücklich Regula Magistri 11, 5-14 (SC 106, 8-10 DE VOGÜÉ); Regula Benedicti 2 (SALZBURGER ÄBTEKONFERENZ, 4. Aufl., 82-92). 100 Nach Isidor von Sevilla, Regula monachorum 12, 315 (SPE 2, 109 CAMPOS RUIZ) soll die Verteilung der Kleider nach aetas und gradus entschieden werden. 101 Regula quattuor patrum 4, 10 (SC 297, 200 DE VOGÜÉ). 102 Regula Benedicti 60, 1-7 (SALZBURGER ÄBTEKONFERENZ, 4. Aufl., 254). Ausnahmen und Sonderregelungen werden in 61, 11f. (ebd. 258) und 62, 1-7 (ebd. 260) formuliert. Zur Rangordnung und ihren Kriterien vgl. auch 63, 1-8 (ebd. 262-264). 103 Augustinus von Hippo, Praeceptum 3, 4 (VERHEIJEN 1, 422). 104 Eugippius, Regula 1, 63 (KRAUSGRUBER 80). In Regula 1, 41 (ebd. 76) betont Eugippius durch Wiedergabe von Augustinus von Hippo, Praeceptum 1, 6 (VERHEIJEN 1, 419), dass eine solche Umkehrung allenfalls den Reichen nütze, weil diese sich in der Erniedrigung bewährten, während Arme sich (zu Unrecht) im Stolz erhöben. 105 Regula Ferrioli 39, 12-15 (RMab 60, 146 DESPREZ).

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schied zu ehemals Armen und Sklavinnen: Auf diese Weise imitiert er nicht nur die säkularen Verhältnisse, sondern stabilisiert zugleich die innerklösterliche Ordnung.106 Völlig anders stellt sich dagegen die Sicht Isidors dar, der ausdrücklich darauf verweist, dass alleine die Reihenfolge des Klostereintritts über den Rang im Kloster entscheide: Weder Reichtum noch Armut, weder Sklaverei noch Freiheit, weder Jugend noch Alter oder der Grad der Bildung spielten eine Rolle.107 Zu betonen ist allerdings, dass diese Anweisungen gerade nicht verwendet werden, um das Verhalten ehemaliger Sklaven und Sklavinnen zu regulieren – offensichtlich hat in der Verwendung dieser Verse eine gewisse Akzentverschiebung stattgefunden. 3. Unterschiedliche Zugänge zur Reflexion von Sklaverei Zurück zur Ausgangsfrage: Hat das Mönchtum alternative Lebensräume entwickelt, die ein qualitativ anderes Zusammenleben zwischen Herren und Sklaven beziehungsweise Sklavinnen ermöglichten als in anderen Kontexten? Die Thematik ist unter sehr verschiedenen Gesichtspunkten zu betrachten. 1. Streng genommen lautet die Antwort insofern „Nein“, als die untersuchten Regeln zunächst nur die Situation von bereits Freigelassenen thematisieren. Damit tragen sie der Verfügungs- und Entscheidungsgewalt des Eigentümers über seinen Sklaven beziehungsweise seine Sklavin vollständig Rechnung: Die Voraussetzung für den Eintritt in eine klösterliche Gemeinschaft ist der nachprüfbare Verzicht auf weitergehende Rechte an den ehemals Unfreien. Bemerkenswert ist darüber hinaus, dass keiner der westlichen Regeltexte den Umgang mit flüchtigen Sklaven und damit die mögliche Funktion eines Klosters als Asylort dokumentiert. Dies kann kaum anders gedeutet werden, als dass diese Klöster eine solche Schutzaufgabe nicht übernommen haben – denn andernfalls hätten sich entsprechende Regelungen zum Umgang mit dieser Problematik niedergeschlagen.108 Wenn schließlich die Regula Magistri oder Cassiodor zu erkennen geben, dass einzelne Klöster durch Arbeiten fremder Dritter unterstützt werden, und die Regula Ferrioli sowie Isidor von Sevilla explizit Sklaven im Besitz von Klöstern

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Leander von Sevilla, De institutione virginum 27, 3-5 (CPaHi 1, 165f. VELAZQUEZ). Isidor von Sevilla, Regula monachorum 4, 89-93 (SPE 2, 95 CAMPOS RUIZ). 108 Zum kirchlichen Asylrecht in Gallien vgl. GRIESER (1997) 127-134. Auch in den übrigen christlichen Quellen des Westens spielen Klöster als Asylorte eine zu vernachlässigende Rolle. 107

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erwähnen, dann lässt sich in den genannten Bereichen die grundsätzliche Akzeptanz von Sklaverei erkennen. 2. Ein anderes Licht auf die eingangs gestellte Frage werfen die Regeln in ihren Äußerungen zum klösterlichen Leben und zum Selbstverständnis der Mönche und Nonnen. Denn wenn dort ein asketisch-gemeinschaftliches Leben im Kloster unter anderem definiert wird durch den Verzicht auf Selbstbestimmung und eigenen Besitz, dann entspricht diese Charakterisierung bis in die gewählte Terminologie hinein der exakten Beschreibung der Konditionen einer realen Sklavenexistenz. Der grundlegende Unterschied zwischen beiden Lebensformen besteht allerdings darin, dass sich der Mönch beziehungsweise die Nonne im Unterschied zum Sklaven, der durch äußere Umstände unfrei zu leben gezwungen ist, freiwillig zum Verzicht auf diese grundlegenden Rechte entscheidet – was seine beziehungsweise ihre asketische Leistung umso stärker unterstreicht. Die einschlägigen Quellen greifen mit verschiedenen Intentionen und in unterschiedlichen Kontexten auf diese Parallelen zurück, was im Folgenden nochmals illustriert werden soll. Dabei ist jeweils auffallend, dass das staatliche Recht und neutestamentliche Schriften als Argumentationshilfen herangezogen werden und damit als wichtige Autoritäten präsent bleiben. An erster Stelle ist auf den von allen Regeltexten geforderten Gehorsam gegenüber den Vorgesetzten und den Anweisungen der Regel im Allgemeinen zu achten. Dies fordert schon die Regula quattuor patrum: primum omni oboedientia non suam uoluntatem facere sed alterius.109 Die Analogien zu römisch-rechtlichen Definitionen eines Sklaven als res, in der potestas einer anderen Person und damit ohne Verfügungsgewalt über den eigenen Körper sind offenkundig,110 wenn beispielsweise die Regula Macarii den Status eines Neueintretenden folgendermaßen beschreibt: Quod si susceptum fuerit, non solum de substantia quam intulit, sed etiam nec de seipso ab illa iudicabit hora.111 Auch die Regula Benedicti formuliert unmissverständlich, dass der Mönch noch nicht einmal die potestas proprii corporis besitze.112 Dabei unterscheidet Basilius von Caesarea drei Motive für diese Haltung: Gehorsam aus Furcht vor Strafe wie Sklaven, Gehorsam in der Hoffnung auf Vorteile/ Lohn und schließlich den am höchsten wertzuschätzenden Gehorsam aus freiwilliger Einsicht und Überzeugung, den er mit der Haltung von 109

Regula quattuor patrum 2, 33 (SC 297, 190 DE VOGÜÉ). Vgl. auch Johannes Cassianus, De institutis coenobiorum 4, 12 (SC 109, 134-136 GUY); Regula Magistri 90, 5 (SC 106, 378 DE VOGÜÉ). 110 Z. B. Gaius, Institutiones 1, 52. 111 Regula Macarii 24, 3f. (SC 297, 382-384 DE VOGÜÉ); wortgleich Regula III 1 (SC 298, 532 DE VOGÜÉ). Vgl. auch Regula Magistri 2, 35 (SC 105, 358 DE VOGÜÉ). 112 Regula Benedicti 58, 25 (SALZBURGER ÄBTEKONFERENZ, 4. Aufl., 248). Vgl. auch Regula Ferrioli 10 (RMab 60, 131 DESPREZ): nihil amplius credat sibi iuris esse quam ceteris.

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Kindern identifiziert.113 Dass zur letztgenannten Gruppe idealerweise die Mönche zu zählen sind, versteht sich von selbst. Aus diesem Grund können die Regeln gelegentlich unter Rekurs auf paulinische Terminologie die Mönche und Nonnen auffordern, nicht wie serui sub lege, sondern wie liberi sub gratia zu sein.114 Daher bezeichnet Columban von Luxueil folgerichtig und unter Bezugnahme auf Mt 11,30 die freiwillige Entscheidung für eine asketische Lebensführung analog zu geläufiger Sklavereiterminologie als Aufnahme des iugum Christi, das aber angenehm und leicht sei.115 Isidor von Sevilla thematisiert diesen Zusammenhang ebenfalls explizit, wenn auch im Kontext der Forderung nach vorausgehender Freilassung der Sklaven: „Wo nämlich das angenehme Joch und die leichte Last Christi sind, da ist es hart und schwer, die weltliche Sklaverei (seruitium saeculi) zu ertragen.“116 Interessanterweise motiviert die Regula Benedicti zum Gehorsam zusätzlich dadurch, dass sie auf Konsequenzen für das jenseitige Leben verweist und eine Haltung gegenüber den Befehlen des Oberen anmahnt, als ob diese göttlich seien.117 Ebenfalls eindrücklich erinnert Columban an das Vorbild des Gehorsams Jesu bis zum Tod am Kreuz (Phil 2,6-8), den er dann von seinen Adressaten in gleicher Weise fordert.118 In den beschriebenen Kontext des Verzichts auf Selbstbestimmung kann auch das geforderte uincere uoluntates eingeordnet werden:119 Es gilt, den eigenen Willen auf der Basis einer vorausgehenden freiwilligen Entscheidung durch die Unterwerfung der eigenen Leidenschaften zu brechen. Aufschlussreich für die Parallelisierung von Klosterleben und realer Sklaverei ist weiterhin Johannes Cassians expliziter Vergleich eines Mönchs, der unerlaubt das Kloster verlässt, mit einem flüchtigen Sklaven. Beiden, so insinuiert der Autor, stehe eine derart eigenmächtige Entscheidung nicht zu. Nach Johannes Cassianus verwirke ein solcher Mönch sein Bleiberecht im Kloster und werde verjagt,120 während, was er an dieser Stelle nicht weiter ausführt, der Sklave andererseits zur Rückkehr gezwungen würde. Eine letzte analoge Betrachtungsweise der Mönchs- und der Sklavenwelt ist schließlich in der Forderung der Regula Benedicti nach Gehorsam auch 113 Basilius von Caesarea, Regulae fusius tractatae, Prooemium 3 (PG 31, 893-897). Vgl. weiterführend zu Basilius KLEIN (2000) 105-108. 114 Augustinus von Hippo, Praeceptum 8, 1 (VERHEIJEN 1, 437); Epistula 211, 16 (CSEL 57, 370f. GOLDBACHER); davon abhängig Eugippius, Regula 1, 150f. (KRAUSGRUBER 92); Regula Monasterii Tarnantensis 23, 14 (RBen 84, 46 VILLEGAS). 115 Columban von Luxueil, Regula monachorum 9 (SLH 2, 138-140 WALKER). 116 Isidor von Sevilla, Regula monachorum 4, 98-100 (SPE 2, 96 CAMPOS RUIZ). 117 Regula Benedicti 5 (SALZBURGER ÄBTEKONFERENZ, 4. Aufl., 108-112). 118 Columban von Luxueil, Regula monachorum 1 (SLH 2, 122-124 WALKER); vgl. auch 9 (ebd. 138-140) mit theologischen Reflexionen zur mortificatio. 119 Z. B. Johannes Cassianus, De institutis coenobiorum 4, 8 (SC 109, hier 130 GUY). 120 Johannes Cassianus, De institutis coenobiorum 4, 6 (SC 109, 128 GUY).

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unter harten und ungerechten Bedingungen zu konstatieren.121 Ohne es ausdrücklich zu thematisieren, erinnert dies inhaltlich an die vielfach rezipierten Mahnungen an Sklaven in 1 Petr 2,18-20, selbst ungerechten Besitzern gut zu dienen. Mit den Forderungen nach Gehorsam und Verzicht auf Privatbesitz geht weiterhin die Idealisierung der Demut einher.122 Auch hier greifen die Quellen auf die reale Sklaverei zurück, um diese Grundhaltung zu illustrieren: So beschreibt Cassian, dass die Mönche mit ihrer devotio und humilitas sogar jene serui überböten, die einem sehr strengen und mächtigen dominus dienten. Auch die Regula Benedicti hält ausführliche theologische Reflexionen über den Nutzen der Demut bereit.123 Als Ergebnis lässt sich festhalten, dass verschiedene Merkmale der realen Sklaverei als Orientierung und Anleitung zur Gestaltung des klösterlichen Lebens dienen, indem man diese entweder zu imitieren oder sogar zu überbieten versucht. Dies signalisiert durchaus ein Problembewusstsein hinsichtlich der möglicherweise schwierigen Lebensbedingungen realer Sklaven; allerdings unterbleibt eine weitere Beschäftigung mit dieser Thematik. Der Fokus der Texte liegt eindeutig auf der freiwilligen Entscheidung des Mönchs beziehungsweise der Nonne, zukünftig ein Leben unter sklavereiähnlichen Bedingungen zu führen, was als besonders verdienstvolle asketische Leistung gewürdigt wird. 3. Aus den genannten Beschreibungen der Rolle und Funktion von Mönchen und Nonnen unter Rückgriff auf die reale Sklavenwelt erwachsen geradezu notwendig analoge Anforderungen an deren Vorgesetzte. Je mehr der Mönch beziehungsweise die Nonne auf Selbstbestimmung verzichtet und sich gehorsam und demütig in vorhandene Strukturen einordnet, desto verantwortungsvoller ist die Aufgabe des Vorstehers, die in vielem der eines christlichen pater familias ähnelt. Diesen Zusammenhang betont bereits Augustinus und löst damit eine entsprechende Folgewirkung aus.124 So kann die Regula Magistri zum Beispiel unter Bezugnahme auf Lk 12,48 und das Bild des guten Hirten zugleich dessen größere Verantwortung betonen und auf

121 Regula Benedicti 7, 35 (SALZBURGER ÄBTEKONFERENZ, 4. Aufl., 124). Assoziationen werden auch zur Standhaftigkeit der Märtyrer hervorgerufen. 122 Z. B. Isaias von Gaza, Regula ad monachos 10; 15 (PL 103, 429). 123 Regula Benedicti 7, 1-9 (SALZBURGER ÄBTEKONFERENZ, 4. Aufl., 116-118), unter Bezugnahme auf die Jakob im Traum erscheinende Himmelsleiter: Sich Erhöhen bedeutet Abstieg, Demut führt zum Aufstieg. 124 Augustinus von Hippo, Praeceptum 7 (VERHEIJEN 1, 435f.); Epistula 211, 15 (CSEL 57, 369f. GOLDBACHER).

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die zukünftige Einforderung von Rechenschaft verweisen.125 Ferreolus wiederum akzentuiert den Aspekt der Bewährung des Abtes im demütigen Dienst in der Küche und bei der Fußwaschung. Durch diese Erniedrigung gewinne er letztlich, insbesondere durch die Nachahmung des Herrn, an Autorität.126 Hierarchische Verhältnisse nicht nur im Kloster, sondern mittelbar auch in anderen Beziehungsgefügen, werden auf diese Weise legitimiert und als nützlich und gewinnbringend für beide Parteien charakterisiert. 4. Wiederum andere Gesichtspunkte liefert der nochmalige Blick auf die Situation und Stellung der freigelassenen ehemaligen Sklaven und Sklavinnen in den klösterlichen Gemeinschaften. Denn jenseits aller bereits benannten zwischenmenschlichen Differenzierungen ist immerhin ein durch verschiedene Regeln „institutionalisierter“ Anspruch auf Gleichbehandlung und Gleichwertigkeit bewahrt, unter den sich die Mönche und Nonnen freiwillig stellen. Der mit dem Klostereintritt verbundene Statusverzicht, ob nun in absoluter oder verminderter Form, bedeutet die Einordnung in neue hierarchische Strukturen, die nicht nur für die ehemaligen Sklaven und Sklavinnen, sondern auch für die Freien bindend sind. Insbesondere die Regula Magistri und die Regula Benedicti sprechen sich dabei mit theologischen Argumenten gegen eine unterschiedliche Behandlung von Mönchen aufgrund ihrer freien beziehungsweise unfreien Herkunft aus und sind daher von besonderem Interesse.127 In diesem Kontext nimmt die Regula Magistri erstmalig auf Gal 3,28 mit seinen provokanten Gleichheitsaussagen Bezug: Quia seruus siue liber, omnes Christo unum sumus, woraus dann weiter, Röm 2,11 zitierend, geschlussfolgert wird: et sub uno Domino aequalem seruitii militiam baiulamus, quia non est apud Deum personarum acceptio.128 Diese Argumentation wiederholt die Regula Benedicti mit teilweise identischer Wortwahl.129 Beide Regeln nennen dabei Sklaven im Unterschied zu früheren Regeltexten, die ähnlich allgemeine Gleichheitsaussagen bereits formulierten,130 erstmals ausdrücklich. Auch Isidor von Sevilla greift solche Überlegungen ausführlich auf, relativiert sogar mehrfach vormalige Statusunterschiede beziehungsweise andere 125 Regula Magistri 2, 32-40 (SC 105, 358-360 DE VOGÜÉ); ähnlich Regula Monasterii Tarnantensis 23, 5-12 (RBen 84, 45f. VILLEGAS), in direkter literarischer Abhängigkeit von Augustinus von Hippo, Praeceptum 7. 126 Regula Ferrioli 38 (RMab 60, 145 DESPREZ), vgl. dazu auch den Quellenanhang. 127 Frühere Gleichheitsaussagen der verschiedenen Regeltexte betonen nur in allgemeiner Form die Gleichheit aller, ohne ehemalige Sklaven ausdrücklich zu nennen. 128 Regula Magistri 2, 19 (SC 105, 354 DE VOGÜÉ). Weitere Parallelen bestehen auch zu Kol 3,25 und Eph 6,8f. 129 Regula Benedicti 2, 16-22 (SALZBURGER ÄBTEKONFERENZ, 4. Aufl., 86). 130 Zu verweisen ist insbesondere auf die Leriner Regeln.

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Differenzierungsmerkmale unter den Mönchen und erklärt unter ausdrücklicher Zitation von Röm 2,11, dass es „vor Gott keinen Unterschied zwischen der Seele eines Sklaven und der eines Freien gebe.“131 5. Gegen diesen Trend scheint Leander von Sevilla in seiner Regel für Florentina andere Akzentuierungen vorzunehmen. Trotz aller Wertschätzung der ehemaligen Sklavin im Kloster aufgrund derselben professio unterstreicht er ihre weiter bestehende Gehorsamsverpflichtung, interessanterweise ebenfalls mit ausdrücklichem Bezug auf Röm 2,11. Gleichheit und Gemeinschaft realisieren sich seiner Einschätzung nach aufgrund der Taufe im Empfang des Leibes und Blutes Christi. Was allerdings die res terrenae et temporales betreffe, sei, dem Vorbild der jüdischen Patriarchen folgend, zwischen filii und vernaculi zu unterscheiden. Die Tatsache, dass beide Gruppen beschnitten wurden, verweise auch in diesem Falle auf das munus spei futurae.132 Wie ist dieser widersprüchliche Befund abschließend zu deuten? Die Quellen betonen bei aller Verschiedenheit, dass ein asketisches Leben in klösterlicher Gemeinschaft nicht nur die Jerusalemer Urgemeinde imitieren, sondern auch nach der paradiesischen Ursprungsharmonie streben133 oder die paulinischen Gleichheitsaussagen schon gegenwärtig realisieren könne. Deshalb steht außer Frage, dass hier nach eigenem Selbstverständnis „Sonderoder Kontrastwelten“ geschaffen werden. In diesen sind, den jeweils konkreten zeitbedingten Erfordernissen geschuldet, allerdings gegenläufige Tendenzen zu konstatieren. Einerseits werden insbesondere von Isidor von Sevilla, ansatzweise aber auch von der Regula Magistri und der Regula Benedicti und bereits zuvor im Leriner Mönchtum, neutestamentlich inspirierte Reflexionen über Erste und Letzte beziehungsweise Starke und Schwache sowie die Umkehrung ihrer Rang- und Reihenfolgen oder über die Gleichheit aller entwickelt. Diese Überlegungen besitzen das Potenzial zur tatsächlichen Aufhebung der Unterschiede zwischen Freien und Sklaven beziehungsweise Freigelassenen. Andererseits stabilisiert Leander von Sevilla letztlich mit gleichlautenden Argumenten bestehende hierarchische Verhältnisse, indem er ihre Aufhebung als ein zukünftiges Ereignis beurteilt.134 131

Isidor von Sevilla, Regula monachorum 4, 92f. (SPE 2, 95 CAMPOS RUIZ). Leander von Sevilla, De institutione virginum 22 (CPaHi 1, 154f. VELAZQUEZ). 133 Vgl. Regula Macarii 6, 2f. (SC 297, 374 DE VOGÜÉ): Cellam ut paradisum habeas, fratres tuos spiritales ut aeternos confidas parentes. Vgl. auch die aufschlussreiche Begründung der Regula Ferrioli 35 (RMab 60, 142f. DESPREZ) der Strafe für einen Mönch, der verbotenerweise Obst isst: Dieses Delikt, das dem des Adam ähnele, müsse durch eine entsprechende Buße gesühnt werden. Anschließend folgt die spannende Verknüpfung mit dem Selbstverständnis der Gemeinschaft: quasi ad uicem paradisi conuiuio putetur indignus. 134 Diese Tendenz dominiert auch in den übrigen frühchristlichen Äußerungen zur Sklaverei, vgl. GRIESER (2012) 17-20. 132

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Ähnlich unterschiedlich argumentieren die Regeltexte auch, wenn sie sich auf die Jerusalemer Urgemeinde beziehen, insofern sie entweder stärker den Gedanken der Gemeinschaft (von Gleichen) und des gemeinsamen Besitzes oder aber die Zuteilung je nach Bedürftigkeit betonen. In ihrer Bedeutung kaum zu vernachlässigen ist weiterhin das Bemühen der Regeln, das geltende staatliche Recht nicht zu unterlaufen. Dazu kommt, dass einige Aspekte des klösterlichen Lebens in deutlicher Analogie zu einem Leben in realer Sklaverei beschrieben werden. Die grundsätzlich positive Bewertung des Verzichts auf Selbstbestimmung und Privatbesitz legt daher den Schluss nahe, dadurch umso leichter die Beurteilung realer Lebensumstände von Sklaven relativieren zu können.

Quellen Augustinus von Hippo, De opere monachorum (CSEL 41, 531-596 ZYCHA). Augustinus von Hippo, Epistula 211 (CSEL 57, 356-372 GOLDBACHER). Augustinus von Hippo, Ordo monasterii (VERHEIJEN 1, 148-152). Augustinus von Hippo, Praeceptum (VERHEIJEN 1, 417-437). Aurelian von Arles, Regula ad monachos (StMon 17, 239-256 SCHMIDT). Aurelian von Arles, Regula ad virgines (PL 68, 399-406). Basilius von Caesarea, Regulae brevius tractatae (PG 31, 1080-1305). Basilius von Caesarea, Regulae fusius tractatae (PG 31, 905-1052). Caesarius von Arles, Regula ad monachos (SC 398, 204-226 COURREAU/ DE VOGÜÉ). Caesarius von Arles, Regula ad virgines (SC 345, 170-272 DE VOGÜÉ/ COURREAU). Cassiodor, Institutiones divinarum et saecularium litterarum. Liber 1 (FC 39, 1 BÜRSGENS). Columban von Luxueil, Regula coenobialis (SLH 2, 142-168 WALKER). Columban von Luxueil, Regula monachorum (SLH 2, 122-142 WALKER). Concilia Galliae A. 314 – A. 506 (CCSL 148 MUNIER). Concilia Galliae A. 511 – A. 695 (CCSL 148A DE CLERCQ). Concilium Chalcedonense (451) (ACO 2, 1, 1+2 SCHWARTZ). Eugippius, Regula (KRAUSGRUBER 72-212). Hieronymus, Epistula 108 (LABOURT 5, 159-201). Isaias von Gaza, Regula ad monachos (PL 103, 427-434). Isidor von Sevilla, Regula monachorum (Santos Padres Españoles = SPE 2, 90-125 CAMPOS RUIZ).

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Johannes Cassianus, De institutis coenobiorum (SC 109 GUY). Johannes Scholasticus, Synagoga L titulorum (ABAW.PH.NF 14 BENESZEWICZ). Justinian, Novellae (CIC(B).N SCHOELL/ KROLL). Leander von Sevilla, De institutione virginum (CPaHi 1, 97-174 VELAZQUEZ). Pachomius, Praecepta (BRHE 7, 13-52 BOON). Possidius, Vita Augustini (Augustinus Opera, GEERLINGS). Regula Benedicti (SALZBURGER ÄBTEKONFERENZ, 4. Aufl.). Regula Ferrioli (RMab 60, 124-148 DESPREZ). Regula Macarii (SC 297, 372-388 DE VOGÜÉ). Regula Magistri (SC 105f. DE VOGÜÉ). Regula Monasterii Tarnantensis (RBen 84, 14-46 VILLEGAS). Regula orientalis (SC 298, 462-494 DE VOGÜÉ). Regula Pauli et Stephani (SDM 11 VILANOVA). Regula quattuor patrum (SC 297, 180-204 DE VOGÜÉ). Regula III (SC 298, 532-542 DE VOGÜÉ). Statuta patrum (SC 297, 274-282 DE VOGÜÉ).

Literatur BELLEN (1971) = Heinz BELLEN, Studien zur Sklavenflucht im Römischen Kaiserreich (FASk 4), Wiesbaden 1971. DE VOGÜÉ (1985) = Adalbert (TSMÂO 46), Turnhout 1985.

DE

VOGÜÉ, Les règles monastiques anciennes (400-700)

GRIESER (2012) = Heike GRIESER, Die antike Sklaverei aus frühchristlicher Perspektive. Eine Diskursanalyse, in: ThQ 192 (2012), 2-20. GRIESER (2001) = Heike GRIESER, Asketische Bewegungen in Kleinasien im 4. Jahrhundert und ihre Haltung zur Sklaverei, in: Heinz BELLEN/ Heinz HEINEN (Hgg.), Fünfzig Jahre Forschungen zur antiken Sklaverei an der Mainzer Akademie 1950-2000. Miscellanea zum Jubiläum (FASk 35), Stuttgart 2001, 381-400. GRIESER (1997) = Heike GRIESER, Sklaverei im spätantiken und frühmittelalterlichen Gallien (5.-7. Jh.). Das Zeugnis der christlichen Quellen (FASk 28), Stuttgart 1997. HASSE-UNGEHEUER (2011) = Alexandra HASSE-UNGEHEUER, „…weil die göttliche Gnade alle gleich aufnimmt“ (Nov. Iust. 5,2): Sklaven werden zu Mönchen. Der Umgang von Kirche und Staat mit der „Klosterflucht“ von Sklaven in der Spätantike, in: Elisabeth HERRMANNOTTO (Hg.), Sklaverei und Zwangsarbeit zwischen Akzeptanz und Widerstand (Sklaverei – Knechtschaft – Zwangsarbeit 8), Hildesheim u. a. 2011, 142-163. KLEIN (2001) = Richard KLEIN, Der Kirchenvater Hieronymus und die Sklaverei, in: Heinz BELLEN/ Heinz HEINEN (Hgg.), Fünfzig Jahre Forschungen zur antiken Sklaverei an der

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Mainzer Akademie 1950-2000. Miscellanea zum Jubiläum (FASk 35), Stuttgart 2001, 401425. KLEIN (2000) = Richard KLEIN, Die Haltung der kappadokischen Bischöfe Basilius von Caesarea, Gregor von Nazianz und Gregor von Nyssa zur Sklaverei (FASk 32), Stuttgart 2000. KLEIN (1988) = Richard KLEIN, Die Sklaverei in der Sicht der Bischöfe Ambrosius und Augustinus (FASk 20), Stuttgart 1988. MELLUSO (2002) = Marco MELLUSO, In tema di servi fugitivi in ecclesia in epoca giustinianea. Le Bullae Sanctae Sophiae, in: DHA 28 (2002), 61-92. RUBENSON/ HORNUNG (2012) = Samuel RUBENSON/ Christian HORNUNG, Art. Mönchtum I (Idee und Geschichte), in: RAC, Bd. 24, Stuttgart 2012, 1009-1064.

Quellenanhang (Q1) Augustinus von Hippo, Praeceptum 1, 1-8. Lateinisch: VERHEIJEN 1, 417-420; deutsch: Augustinus von Hippo, Regel für die Gemeinschaft, herausgegeben von Tarsicius Jan VAN BAVEL/ Ludger HORSTKÖTTER, Würzburg 1990, 125f. (Q2) Regula quattuor patrum 2, 34f. Lateinisch: SC 297, 190-192 DE VOGÜÉ; deutsch: Mönchsregeln von Lérins, herausgegeben von Michaela PUZICHA, Sankt Ottilien 2010, 50. (Q3) Regula Magistri 2, 16-22. Lateinisch: SC 105, 354-356 DE VOGÜÉ; deutsch: Die Magisterregel, herausgegeben von Karl Suso FRANK, Sankt Ottilien 1989, 100. (Q4) Regula Ferrioli 38, 1-9. Lateinisch: RMab 60, 145 DESPREZ; deutsch: Ferreolus, Mönchsregel, herausgegeben von Georg HOLZHERR/ Ivo AUF DER MAUR, Sankt Ottilien 2011, 79f. (Q5) Leander von Sevilla, De institutione virginum 22, 1-3. Lateinisch: CPaHi 1, 154f. VELAZQUEZ; deutsch: Hispanische Klosterregeln, herausgegeben von Karl Suso FRANK, Sankt Ottilien 2011, 61f. (Q6) Isidor von Sevilla, Regula monachorum 4, 89-119. Lateinisch: SPE 2, 95-97 CAMPOS RUIZ; deutsch: Hispanische Klosterregeln, herausgegeben von Karl Suso FRANK, Sankt Ottilien 2011, 103-105. (Q1) Augustinus von Hippo, Praeceptum 1, 1-8. (1) Haec sunt quae ut obseruetis praecipimus in monasterio constituti. (2) Primum, propter quod in unum estis congregati, ut unianimes habitetis in domo et sit uobis anima una et cor unum in deum.

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(3) Et non dicatis aliquid proprium, sed sint uobis omnia communia, et distribuatur unicuique uestrum a praeposito uestro uictus et tegumentum, non aequaliter omnibus, quia non aequaliter ualetis omnes, sed potius unicuique sicut cuique opus fuerit. Sic enim legitis in Actibus Apostolorum, quia erant illis omnia communia et distribuebatur unicuique sicut cuique opus erat. (4) Qui aliquid habebant in saeculo, quando ingressi sunt monasterium, libenter illud uelint esse commune. (5) Qui autem non habebant, non ea quaerant in monasterio quae nec foris habere potuerunt. Sed tamen eorum infirmitati quod opus est tribuatur, etiam si paupertas eorum, quando foris erant, nec ipsa necessaria poterat inuenire. Tantum non ideo se putent esse felices, quia inuenerunt uictum et tegumentum, quale foris inuenire non poterant. (6) Nec erigant ceruicem, quia sociantur eis ad quos foris accedere non audebant, sed sursum cor habeant et terrena uana non quaerant, ne incipiant esse monasteria diuitibus utilia, non pauperibus, si diuites illic humiliantur et pauperes illic inflantur. (7) Sed rursus etiam illi qui aliquid esse uidebantur in saeculo non habeant fastidio fratres suos qui ad illam sanctam societatem ex paupertate uenerunt. Magis autem studeant, non de parentum diuitum dignitate, sed de pauperum fratrum societate, gloriari. Nec extollantur, si communi uitae de suis facultatibus aliquid contulerunt, nec de suis diuitiis magis superbiant, quia eas monasterio partiuntur, quam si eis in saeculo fruerentur. Alia quippe quaecumque iniquitas in malis operibus exercetur ut fiant, superbia uero etiam bonis operibus insidiatur ut pereant; et quid prodest dispergere dando pauperibus et pauperem fieri, cum anima misera superbior efficitur diuitias contemnendo, quam fuerat possidendo? (8) Omnes ergo unianimiter et concorditer uiuite, et honorate in uobis inuicem deum cuius templa facti estis. (Q1) Übersetzung Augustinus von Hippo, Praeceptum 1, 1-8. (1) Euch, die ihr eine Klostergemeinschaft bildet, tragen wir auf, folgendes in eurem Leben zu verwirklichen: (2) Zu allererst sollt ihr einmütig zusammenwohnen, wie ein Herz und eine Seele auf dem Weg zu Gott. Denn war das nicht der entscheidende Grund, weshalb ihr euch zum gemeinsamen Leben entschlossen habt? (3) Bei euch darf von persönlichem Eigentum keine Rede sein. Sorgt im Gegenteil dafür, daß euch alles gemeinsam gehört. Euer Oberer soll jeden Bruder mit Nahrung und Kleidung versorgen. Nicht, daß er jedem einzelnen gleich viel geben müßte, denn im Hinblick auf die Gesundheit seid ihr nicht alle gleich, vielmehr soll jedem gegeben werden, was er persönlich nötig hat.

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So lest ihr ja in der Apostelgeschichte: Sie hatten alles gemeinsam, und jedem wurde so viel zugeteilt, wie er nötig hatte. (4) Die in der Welt etwas besaßen, als sie ins Kloster eingetreten sind, sollen Wert darauf legen, daß dies der Gemeinschaft übertragen wird. (5) Die aber nichts besaßen, sollen im Kloster nicht das suchen, was sie sich draußen auch nicht leisten konnten. Dennoch soll man ihrer Mittellosigkeit entgegenkommen und ihnen alles geben, was sie nötig haben, selbst wenn sie zuvor so arm waren, daß sie nicht einmal über das Allernotwendigste verfügen konnten. Sie dürfen sich aber nicht schon deshalb glücklich schätzen, weil sie jetzt Nahrung und Kleidung bekommen, und das in einem Maß, wie sie es draußen nicht hätten erreichen können. (6) Sie dürfen sich ebensowenig etwas darauf einbilden, daß sie jetzt mit solchen Menschen Umgang pflegen, denen sie sich früher nicht zu nähern wagten. Vielmehr soll ihr Herz nach Höherem streben und nicht nach irdischem Schein. Wenn sich in den Klöstern reiche Menschen demütigten, arme hingegen stolz würden, dann wären die Klöster nur für die Reichen von Nutzen, nicht aber für die Armen. (7) Andererseits dürfen jene, die in der Welt etwas zu sein schienen, nicht verächtlich auf ihre Mitbrüder herabsehen, die aus ärmlichen Verhältnissen in diese heilige Gemeinschaft eingetreten sind. Sie sollen viel stärker darauf bedacht sein, sich des Zusammenlebens mit diesen armen Brüdern zu rühmen als der gesellschaftlichen Stellung ihrer reichen Eltern. Auch dürfen sie nicht überheblich werden, wenn sie einen Teil ihres Vermögens der Gemeinschaft zur Verfügung gestellt haben. Sonst könnten sie dem Hochmut eher zum Opfer fallen, wenn sie der Gemeinschaft Anteil an ihrem Reichtum gewähren, als wenn sie ihn selber in der Welt genießen würden. Denn während jede andere Fehlhaltung ihren Ausdruck nur in bösen Taten findet, trachtet der Hochmut darüber hinaus auch nach den guten Werken, um sie zunichte zu machen. Und welchen Sinn hätte es, sein Vermögen an die Armen zu verteilen und selbst arm zu werden, wenn das Wegschenken des Reichtums einen Menschen noch hochmütiger machen würde als der Besitz eines großen Vermögens? (8) Lebt also alle wie ein Herz und eine Seele zusammen und ehrt gegenseitig in euch Gott; denn jeder von euch ist sein Tempel geworden. (Q2) Regula quattuor patrum 2, 34f. (34) Quod si uoluerit monasterio partem conferre, nouerit quo ordine siue ipse siue eius oblatio suscipiatur.

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(35) Si autem uoluerit de suis seruis secum habere, nouerit iam non eum seruum habere sed fratrem, ut in omnibus perfectus inueniatur. (Q2) Übersetzung Regula quattuor patrum 2, 34f. (34) Wenn er aber dem Kloster einen Teil (seines Besitzes) vermachen will, soll er wissen, in welcher Weise er sowohl selber als auch seine Gabe angenommen wird. (35) Wenn er einen seiner Sklaven bei sich haben will, soll er wissen, dass er ihn nicht mehr als Sklaven, sondern als Bruder hat, damit er in allem als vollkommen befunden werde. (Q3) Regula Magistri 2, 16-22. (16) Non ab eo persona in monasterio discernatur. (17) Non unus plus ametur quam alius, nisi quem in bonis actibus inuenerit meliorem. (18) Non conuertenti seruo pro merito nationis praeponatur ingenuus. (19) Quare? Quare? Quia seruus siue liber, omnes Christo unum sumus et sub uno Domino aequalem seruitii militiam baiulamus, quia non est apud Deum personarum acceptio. (20) Solummodo in hac parte apud Deum discernimur, si ab aliis meliores factis inueniamur. (21) Et tamen, ut ostendat Deus circa omnes pietatis suae clementiam pariter, iubet elementa uel terram iustis uel peccatoribus famulari aequaliter. (22) Ergo aequalis sit ab eo omnibus caritas, una praebeatur in omnibus disciplina. (Q3) Übersetzung Regula Magistri 2, 16-22. (16) Er mache im Kloster keinen Unterschied der Person. (17) Der eine soll nicht mehr geliebt werden als der andere, außer er findet einen, der durch seine guten Werke besser ist. (18) Dem Sklaven, der sich zum asketischen Leben bekehrt, soll er den Freigeborenen auf Grund seiner Geburt nicht vorziehen. (19) Warum, warum? Denn ob Sklave oder Freier, in Christus sind wir alle eins und tragen unter dem einen Herrn die gleiche Last des Kriegsdienstes [präziser: den gleichen Kriegsdienst der Sklaverei, H. G.], weil es bei Gott kein Ansehen der Person gibt.

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(20) Nur allein darin werden wir bei Gott unterschieden, ob wir durch unsere Werke besser als die anderen erfunden werden. (21) Damit Gott aber allen seine gütige Barmherzigkeit in gleicher Weise zeigen kann, heißt er die Elemente und die Erde den Gerechten und den Sündern gleicherweise dienen. (22) Deshalb soll der Abt allen die gleiche Liebe schenken und für alle die gleiche Ordnung bestimmen. (Q4) Regula Ferrioli 38, 1-9. Quibus temporibus abbas coquinae obseruet, similiter et de lauandis pedibus. (1) Abbas tribus per annum uicibus, id est, die natalis Domini, similiter primo pascha, nec non in festiuitate peculiaris patroni, sancti ac beatissimi uenerandi semper martyris Ferrioli, aut certe quidem ad quorum nomina sanctorum idem locus consecratus fuerit, coquinam cibos congregationi paraturus introeat, (2) ibique suscepto iunioris ministerio seruiendo mensis humilitatis formam ministret in ferculis; (3) sanctae huic abiectioni se libenter inclinans, quae maiorem illum producit ceteris, dum reddet aequalem. (4) Tantum enim magis in cunctis eius potestatis accipit, quantum ad inferiora ministerii parilitate descendit. (5) Lauare uero pedes fratrum, siue etiam peregrinorum, diuinum imitatus exemplum, saepius studebit, implens dominicum mandatum, et tradens monachis operibus potius quam uerbis exemplum. (6) Nam et Dominus in euangelio discipulis ait: Si ego lauaui uestros pedes Dominus et magister, et uos debetis alter alterius lauare pedes. (7) Exemplum enim dedi uobis, ut quemadmodum ego feci uobis, ita et uos faciatis. (8) Abbatem ergo ista facientem atque in huius tituli obseruatione communi omnes monachi sequacibus animis imitentur, (9) in tantum ut temporibus dispositis uicibusque discretis de ciborum praeparatione solliciti seruiant sibi inuicem, atque alterutrum sub aequalitate ministerii dominentur. (Q4) Übersetzung Regula Ferrioli 38, 1-9. Der Küchendienst des Abtes; ebenso die Fußwaschung Dreimal im Jahr soll der Abt in die Küche gehen, um der Gemeinschaft das Essen zu bereiten, nämlich an Weihnachten, ebenso am ersten Ostertag so-

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wie am Festtag des besonderen Patrons, des heiligen, glückseligen und immer verehrungswürdigen Märtyrers Ferreolus und natürlich an den Festen von Heiligen, denen dieser Ort geweiht worden ist. Da biete er durch den Tischdienst das Vorbild der Demut, indem er das Amt eines Jüngeren übernimmt und bei Tisch die Gerichte aufträgt. Er beuge sich gern dieser heiligen Erniedrigung, die ihn größer als die andern macht, während er sich mit ihnen gleichsetzt. Umso mehr wächst seine Autorität bei allen, je tiefer er hinuntersteigt durch Angleichung an die andern in der Übernahme niedrigerer Dienste. In Nachahmung des göttlichen Beispiels bemühe er sich, öfters den Brüdern oder auch den Gästen die Füße zu waschen. So erfüllt er ein Gebot des Herrn und bietet den Mönche[n] ein Beispiel eher durch Werke als durch Worte. Der Herr sagt nämlich im Evangelium den Jüngern: „Wenn ich, der Herr und Meister, euch die Füße gewaschen habe, dann müsst auch ihr einander die Füße waschen. Ich habe euch ein Beispiel gegeben, damit auch ihr so handelt, wie ich an euch gehandelt habe.“ Alle Mönche sollen daher in gelehriger Gesinnung und in gemeinsamer Beobachtung dessen, was in diesem Titel steht, den Abt nachahmen, der solches tut, so sehr, dass sie zu den angeordneten Zeiten und der Reihe nach um die Bereitung der Speisen bekümmert, einander dienen und abwechselnd im gleichen Dienst die Herren spielen. (Q5) Leander von Sevilla, De institutione virginum 22, 1-3. Ut quomodo habeantur ancillae uirginitatem professae (1) Quas tibi fecit aut fecerit ancillas condicio et sorores professio, non iam pro nexu seruitutis exulceres, sed pro parilitate professionis honores. Quae ergo tecum Christo uirginitatis stipendiis militat, pari tecum libertate exultat. (2) Nec sic uos prouocamus ad humilitatem, ut illas superbia erigamus, quas dum tu accipis ut sorores, gratius illae tibi sint famulae praebeantque obsequio nostro, non seruitute addictae, sed liberae caritate. Quoniam non est personarum acceptio apud Deum; sed in distribuenda fide, ibi pariter consulitur dominae et ancillae, ubi non eligitur domina et reprobatur ancilla; aequaliter baptizantur, simul Christi corpus et sanguinem sumunt. (3) Nam et Patriarchae, dum essent sanctissimi, quantum ad res terrenas et temporales, discernebant inter seruis et filiis: illos famulos, hos dominos iudicabant. Quod uero ad spei futurae munus adtinet, ex aequo filiis et uernaculis consulebant, quod una circumcisione signabant.

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(Q5) Übersetzung Leander von Sevilla, De institutione virginum 22, 1-3. Wie man sich zu Sklavinnen als Schwestern verhalten soll Diejenige, die aus dem Sklavenstand durch die Profess dir zur Schwester geworden ist oder noch wird, sollst du nicht mehr mit dem Band der Knechtschaft [Sklaverei, H. G.] betrüben, sondern sie auf Grund des gleichen Versprechens ehren. Die mit dir in Christus also um den Lohn der Jungfräulichkeit streitet, soll sich auch mit dir gleicher Freiheit erfreuen. Dabei fordern wir von euch aber nicht solche Demut, dass wir jene sich in Stolz erheben lassen. Während du sie als Schwestern annimmst, seien sie dir bereitwillige Dienerinnen. Sie seien dir gehorsam nicht in Knechtschaft [Sklaverei, H. G.], sondern als Freie aus Liebe. Denn bei Gott ist ja kein Ansehen der Person (Röm 2,11); wenn er die Gnade des Glaubens schenkt, werden Herrin und Magd [Sklavin, H. G.] gleich geachtet, da wird die Herrin nicht auserwählt und die Magd [Sklavin, H. G.] nicht zurückgewiesen, da empfangen wir miteinander den Leib und das Blut des Herrn. Denn auch die Patriarchen, die doch recht heilig waren, haben in irdischen und leiblichen Dingen wohl zwischen Knechten [Sklaven, H. G.] und Söhnen unterschieden. Jene haben sie zu Dienern, diese zu Herren bestimmt. Was aber die Sache kommender Hoffnung angeht, so haben sie für Söhne und Sklaven Gleiches entschieden und sie mit der einen Beschneidung gezeichnet. (Q6) Isidor von Sevilla, Regula monachorum 4, 89-119. Qui in monasterio prior ingreditur primus erit in cunctis gradu uel ordine, nec quaerendum est diues sit an pauper, seruus an liber, iuuenis an senex, rusticus an eruditus. In monachis enim nec aetas nec condicio quaeritur, quia inter serui et liberi animam nulla est apud deum differentia. Quicumque iugo alienae seruitutis adstrictus est, nisi dominus uinculum eius soluerit, nequaquam recipiendus est; scriptum est enim: qui dimisit onagrum liberum et uinculum eius quis soluit? Onager enim liber dimissus monachus est sine dominatu uel sine impedimento saeculi Deo seruiens et a turbis remotus. Tunc enim serui xpi [= Christi, H. G.] libera seruitute deo famulatur quando nullius carnalis condicionis pondere premitur. Ubi enim suaue iugum et leue onus est Xpi [= Christi, H. G.] durum et graue onus est portare seruitium saeculi. Qui conuertuntur aliquid pecuniae habentes in saeculo non extollantur, si de suis facultatibus quodcumque monasterio contulerunt, set potius timeant ne hic per superbiam eleuentur et pereant, quibus melius esset si diuitias suas cum humilitate in saeculo fruerentur, quam ut iam pauperes effecti a bono-

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rum distributione elatione superbiae extollantur. Hi uero qui de paupertate ad monasterium conuertuntur non sunt dispiciendi ab eis qui saeculi diuitias reliquerunt, quia apud Deum unius ordinis habentur omnes qui conuertuntur ad Christum. Neque enim differt utrum ex inopi uel seruili condicione ad seruitutem Dei quisque ueniat, an ex generosa et locupleti uita. Multi enim ex plebeio censu documentis uirtutum eximiis enitentes praelatiores nobilibus facti sunt, eosque uirtutum excellentia praeuenerunt, et qui erant condicione infimi uirtutis merito facti sunt primi sapientes. Nam et propterea infirma mundi elegit deus ut confunderet fortia et ignobilia mundi et ea quae non sunt tamquam sint ut ea quae sunt euacuentur, et non glorietur omnis caro coram illo. Qui ex paupertate ad monasterium uenerint in superbiam non extollantur quia se ibi aequales aspiciunt iis qui aliquid in saeculo uidebantur. Neque enim dignum est ut ubi diuites celsitudine deposita saeculari ad humilitatem descendunt ibi pauperes elatione mentis superbi efficiantur. Quibus opportet ut deposita arrogantia humiliter sapiant suaeque paupertatis et inopiae memores semper existant. (Q6) Übersetzung Isidor von Sevilla, Regula monachorum 4, 89-119. Wer zuerst in das Kloster eintritt, der soll auch unter allen nach Rang und Ordnung der Erste sein. Dabei darf nicht darauf geachtet werden, ob er reich oder arm, Knecht [Sklave, H. G.] oder Freier, jung oder alt, ungebildet oder gebildet ist. Unter den Mönchen spielt weder das Alter noch die Stellung eine Rolle, denn vor Gott gibt es keinerlei Unterschied zwischen der Seele eines Knechtes [Sklaven, H. G.] oder eines Freien (vgl. Röm 2,11). Steht aber einer unter dem Joch fremder Knechtschaft [Sklaverei, H. G.], dann kann er keineswegs aufgenommen werden, solange der Herr seine Bande nicht löst. Es steht ja geschrieben: „Wer gab dem wilden Esel seine Freiheit? Und wer löste seine Fesseln?“ (Ijob 39,5). Der wilde freie Esel ist der freigelassene Mönch, der ohne Herrschaft und ohne weltliches Hindernis Gott dient und sich von der Menge zurückgezogen hat. Dann nämlich dient der Diener Christi in freier Knechtschaft [Sklaverei, H. G.] Gott, wenn er von keinem Vertrag über seinen Leib belastet wird. Denn wo das sanfte Joch und die leichte Last Christi sind (vgl. Mt 11,30), da ist es hart und schwer, weltlichen Knechtdienst zu leisten [die Sklaverei der diesseitigen Welt zu ertragen, H. G.]. Wenn die Bekehrten Geld in der Welt besaßen, dann dürfen sie sich nicht stolz erheben, wenn sie von ihrem Vermögen etwas dem Kloster eingebracht haben. Sie sollen vielmehr fürchten, sie könnten aus Stolz aufgeblasen werden und dann zugrunde gehen. Für sie wäre es besser, sie würden ihren Besitz bescheiden in der Welt genießen, als nun, da sie arm geworden sind, sich

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wegen ihres verschenkten Besitzes stolz zu erheben. Diejenigen aber, die sich aus der Armut zum Kloster bekehrt haben, dürfen von denen, die weltliche Reichtümer aufgegeben haben, nicht verachtet werden. Denn vor Gott sind alle gleichen Ranges, die sich zu Christus bekehrt haben. Deshalb bedeutet es gar nichts, ob einer aus dürftigem Stand und als Sklave zum Knechtsdienst [Sklavendienst, H. G.] Gottes kommt oder aus hochgestelltem und reichem Leben. Gar viele aus dem einfachen Volk glänzen durch hervorragende Beweise der Tugend. Sie sind vorzüglicher als die Vornehmen geworden und sind ihnen durch ausgezeichnete Tugenden zuvorgekommen. Die ihrer Stellung nach die Letzten waren, sind durch das Verdienst ihrer Tugenden die Ersten unter den Weisen geworden. Denn deshalb hat Gott das Schwache der Welt auserwählt, um das Starke zu beschämen, und was nicht ist, wie es sein sollte (hat Gott erwählt), um das, was etwas gilt, zunichte zu machen, damit kein Fleisch sich vor ihm rühme (1 Kor 1,27). Die aus der Armut ins Kloster kommen, sollen aber nicht stolz werden, weil sie sich dort jenen gleichgestellt sehen, die in der Welt etwas gegolten haben. Es ist ja nicht recht, dass dort, wo die Reichen von hohem weltlichem Ansehen zur Demut herabgestiegen sind, die Armen in geistlicher Überheblichkeit zu Stolzen werden. Deshalb gehört es sich, dass sie ihren Stolz ablegen und dann in Demut immer ihrer Armut und Bedürftigkeit eingedenk bleiben.

„Sklaven von Natur aus“? Die servitus bei Thomas von Aquin KATHARINA PULTAR

ὅτι μὲν τοίνυν εἰσὶ φύσει τινὲς οἱ μὲν ἐλεύθεροι οἱ δὲ δοῦλοι, φανερόν ….1 „Dass also ein Teil der Menschen durch die Natur selbst zu freien Leuten und ein anderer zu Sklaven bestimmt ist …, ist hiermit bewiesen.“2 … hunc hominem esse servum, absolute considerando, magis quam alium, non habet rationem naturalem: sed solum secundum aliquam utilitatem consequentem, inquantum utile est huic quod regatur a sapientiori, et illi quod ab hoc iuvetur, ut dicitur in I Polit. Et ideo servitus pertinens ad ius gentium est naturalis secundo modo, sed non primo.3 „Daß dieser Mensch eher Sklave ist als ein anderer, hat, in sich betrachtet, keinen natürlichen Grund, sondern besteht nur auf Grund einer sich ergebenden Nützlichkeit, insoweit es diesem zukommt, von einem weiseren gelenkt zu werden, und jenem, daß ihm von einem solchen geholfen werde (Aristoteles). So ist die Knechtschaft [Sklaverei, K. P.] (servitus), die zu dem Völkerrecht gehört, naturgegeben in der zweiten Weise, nicht in der ersten.“4

1. Natürliche Freiheit und Gleichheit für alle? Gibt es „Sklaven von Natur aus“? Während der griechische Philosoph Aristoteles (384-322 v. Chr.) diese Frage in seiner Politik mit Ja beantwortet,5 tut sich der Dominikaner Thomas von Aquin (1225-1274) mit einer klaren Entscheidung schwer: Wird unter dem Begriff „Natur“ dasjenige verstanden, das dem Menschen unverfügbar vorgegeben ist,6 so hieße eine Bejahung der 1

Aristoteles, Politik 1, 5, 1255a 1f. (ROSS 9). Übersetzung: SUSEMIHL 54. 3 S. Th. II-II, q. 57 a. 3 ad 2 (Ed. Leonina, Tom. 9, 6). 4 DThA, Bd. 18, 13. 5 Vgl. Anm. 1 sowie z. B. Aristoteles, Politik 1, 4, 1254a 14f.; 1, 5, 1254b 19-21. 6 Schon bei Aristoteles hat der Begriff „Natur“ (φύσις) viele Bedeutungen. Einige davon führt der Philosoph in Metaphysik 5, 4 (1014b 16-1015a 19) an, ohne dass die Liste der möglichen Verwendungsweisen damit abgeschlossen oder der Begriff φύσις dadurch exakt definiert wäre. Zum Naturbegriff bei Aristoteles vgl. ALTHOFF (2005) 455-462. Spricht Thomas von Aquin von natura, so versteht er darunter in der Regel das unverfügbar Vorgegebene im Gegensatz zu dem, was dem menschlichen Belieben freisteht. In dieser Weise spricht auch Aristoteles in der durch Thomas kommentierten Hermeneutik (2, 16a 26-28) von dem Gegensatzpaar φύσει („von Natur aus“) und κατὰ συνθήκην („gemäß einer Übereinkunft“) im Zusammenhang mit den Sprachzeichen: „Von Natur aus“ ist „Jollenkreuzer“ kein Namenwort (ὄνομα), sondern bloß eine Aneinanderreihung von Einzellauten. Erst durch die Konvention, mit „Jollenkreuzer“ eine bestimmte Art von Schiffen zu bezeichnen, wird „Jollenkreuzer“ zu 2

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Frage, dass es Menschen gibt, die von vornherein zur Freiheit bestimmt sind, während für andere ein Leben in Unfreiheit vorgesehen ist. Dann aber wäre eine ursprüngliche Gleichheit aller Menschen ausgeschlossen. Gott selbst hätte die Menschen als Ungleiche, als Freie und Unfreie geschaffen – eine Implikation, der Thomas vor dem Hintergrund eines christlich-egalitären Menschenbildes nicht zustimmen kann. Mehrfach betont Thomas daher in seinem Werk die natürliche Gleichheit aller Menschen.7 Allerdings verneint Thomas die Frage nach der Sklaverei von Natur aus auch nicht schlechthin; anders als Augustinus (354-430) und andere Theologen führt er die Sklaverei nicht einzig und allein auf die Sünde des Menschen zurück.8 Augustinus schreibt in De civitate Dei: Rationalem factum ad imaginem suam noluit nisi inrationabilibus dominari; non hominem homini, sed hominem pecori. Inde primi iusti pastores pecorum magis quam reges hominum constituti sunt, ut etiam sic insinuaret Deus, quid postulet ordo creaturarum, quid exigat meritum peccatorum. … Nullus autem natura, in qua prius Deus hominem condidit, servus est hominis ….9 „Vernünftig und nach seinem Ebenbild erschaffen, sollte der Mensch nur über die vernunftlosen Geschöpfe herrschen, also nicht Mensch über Mensch, sondern Mensch über Tier. Daher wurden die ersten Gerechten mehr zu Hirten über Vieh als zu Königen über Menschen eingesetzt, und auch dadurch gab Gott zu verstehen, was die Naturordnung der Schöpfung fordert und was verdiente Folge der Sünde ist. … Doch ist von Natur, wie Gott den Menschen anfangs schuf, niemand eines Menschen … Knecht [Sklave, K. P.].“10

Nach dem sich in den ersten Jahrhunderten entwickelnden christlichen Verständnis ist der Mensch durch die Ursünde Adams und Evas von Gott abgefallen.11 Die Folge des Abfalls ist nach Augustinus die Korruption der „Natur“, in der Gott den Menschen einst erschaffen hat; die durch die Schöpfung bedingte Naturordnung ist durch die Sünde gestört, die Sklaverei als ein Ausdruck dieser Störung widerspricht klar der „Natur“. Das augustinisch einem sprachlichen Symbol und damit zu einem Namenwort. Sämtliche Benennungen für Dinge sind dem menschlichen Belieben anheim gestellt, keine besteht „von Natur aus“, weshalb der „Jollenkreuzer“ etwa in anderen Sprachen auch mit einem anderen Sprachzeichen bezeichnet werden kann. Zu Bekanntheitsgrad und Verbreitung der Hermeneutik im arabischen und lateinischen Mittelalter vgl. WEIDEMANN (2014) 74-85. 7 So in S. Th. I, q. 109 a. 2 ad 3 (Ed. Leonina, Tom. 5, 507): … Daemones non sunt aequales secundum naturam: unde in eis est naturalis praelatio. Quod in hominibus non contingit, qui natura sunt pares. …; S. Th. II-II, q. 104 a. 5 co. (Ed. Leonina, Tom. 9, 390): In quibus tamen etiam, secundum ea quae ad naturam corporis pertinent, homo homini obedire non tenetur, sed solum Deo, quia omnes homines natura sunt pares …. 8 Zur Sklaverei bei Augustinus vgl. z. B. KLEIN (1988); CORCORAN (1985). 9 Augustinus, De civitate Dei 19, 15 (DOMBART/ KALB 682). Erst seit der Strafe Noachs für die Sünde seines Sohnes Ham gibt es nach Augustinus Sklaverei unter den Menschen (vgl. ebd.). 10 Übersetzung: THIMME 557f. 11 Gen 3.

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geprägte Schema von Urzustand und Sündenfall bildet ein Paradigma, vor dessen Hintergrund auch Thomas das Auftreten der servitus unter den Menschen zu erklären sucht. Daneben aber steht für den Aquinaten noch ein weiteres Paradigma, das auf Aristoteles zurückgeht: Der Mensch ist von Natur aus ein auf Gemeinschaft hin angelegtes Lebewesen (φύσει πολιτικὸν ζῷον).12 Als „soziales Lebewesen“ (animal sociale) ist es dem Menschen „natürlich“, mit seinen Mitmenschen in einer Gesellschaft zusammenzuleben, die sich Thomas wie Aristoteles nicht anders als durch hierarchische Strukturen geordnet vorstellen kann. Dann aber sind auch Herrschaftsverhältnisse unter den Menschen „natürlich“. Die Herrschaft eines Menschen über einen anderen Menschen, selbst in der Form der servitus, kann Thomas vor diesem Hintergrund mit dem gegenseitigen Nutzen für den Herrschenden wie für den Beherrschten rechtfertigen: Sie ist „natürlich“, da sie sich mithilfe der Vernunft aus der „sozialen Natur“ des Menschen ableiten lässt. Zum augustinischen und aristotelischen Erklärungsmodell der servitus tritt bei Thomas schließlich noch die römische Rechtstradition hinzu, welche die servitus dem in seinem Verhältnis zum Naturrecht (ius naturale) und positiven Recht (ius positivum) problematischen Völkerrecht (ius gentium) zuschlägt und den Stand des Kindes von der Freiheit oder Unfreiheit der Mutter abhängig macht.13 Bemüht Thomas nur eines der genannten Paradigmen, so sind seine Aussagen zur servitus in sich jeweils weitgehend kohärent. Überlagern sich die Paradigmen jedoch, so kommt es unausweichlich zu Spannungen: Eine Integration der elitären aristotelischen Anthropologie und Ethik in ein egalitäres christliches Menschenbild gelingt nicht reibungslos und überhaupt nur unter der Voraussetzung, dass der Begriff „Natur“ im Sinne des unverfügbar Vorgegebenen von Thomas nicht streng univok verstanden wird: Die ursprüngliche „Natur“ des Menschen ist nicht dieselbe wie dessen korrumpierte „Natur“ unter den Bedingungen des Sündenfalls. Andernfalls ist nicht einsichtig, dass Thomas mit ein und demselben Dictum der sozialen Natur des Menschen gleichzeitig im Kontext von Recht und Gesetz die servitus und im Kontext von Urzustand und Sündenfall ausschließlich die Herrschaft Freier über Freie begründet, wohingegen die servitus Folge der Sünde sei. Dem Nichtchristen Aristoteles, den Thomas wertschätzend stets „den Philosophen“ (philosophus) nennt, hat sich ein solches Problem nicht gestellt. Nimmt man alle Stellen zusammen, an denen Thomas sich zur servitus äußert, so lassen sich diese aufgrund der genannten divergierenden Traditio12

Aristoteles, Politik 1, 2, 1253a 2f. und öfter. Zur zeitlichen wie räumlichen Koinzidenz der Erneuerung der Sklaverei im 12. Jahrhundert und der Wiederentdeckung des römischen Rechts, in dem das Sklavenrecht einen prominenten Rang einnimmt, vgl. RÜFNER (2006). 13

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nen und Paradigmen insgesamt nicht zu einer einheitlichen servitus-Theorie verbinden.14 An einer solchen scheint der Aquinate jedoch auch kein wirkliches Interesse gehabt zu haben: An keiner Stelle seines Gesamtwerkes wird die servitus an sich systematisch behandelt. Es gibt keinen Traktat De servitute und keinen Ort, an dem Thomas definiert, wen er mit servus und was mit servitus eigentlich inhaltlich genau meint. Spricht Thomas über die servitus, so stets im Zusammenhang mit einer anderen Hauptfrage, einem anderen eigentlichen Interesse. Anliegen des Aufsatzes ist es, exemplarisch anhand von vier Fragekomplexen Aussagen des Aquinaten zur servitus daraufhin zu untersuchen, auf welche Paradigmen und Begründungsmuster er in welchem Kontext jeweils zurückgreift, wo es zu Überlagerungen kommt und wie er mit dadurch auftretenden Spannungen umgeht. Diese Komplexe, innerhalb derer Thomas jeweils weitgehend kohärent über die servitus spricht, sind: (1) Urzustand und Sündenfall; (2) Recht und Gesetz; (3) Die Herrschaft Ungläubiger über Gläubige und umgekehrt; (4) Sakramententheologische und -rechtliche Überlegungen. Die Auswahl der Komplexe bedingt dabei auch die Auswahl der herangezogenen Quellen: den zwischen 1252 und 1256 abgefassten Kommentar (= Super Sent.) des Aquinaten zu den Sentenzen des Petrus Lombardus (veröffentlicht 1155-1158)15 sowie die unvollendet gebliebene Summa Theologiae (= S. Th.), die Thomas in mehreren Etappen innerhalb der letzten Jahre seines Lebens (1265-1273) geschrieben hat.16 In diesen Werken, bei denen es sich jeweils um systematische Gesamtdarstellungen der Theologie handelt, bespricht Thomas die genannten Fragekomplexe am ausführlichsten. Andere Stellen, an denen der Aquinate die Begriffe servus beziehungsweise servitus erwähnt und die sich mithilfe des online frei zugänglichen Index Thomisticus leicht ausmachen lassen, haben sich für diesen Aufsatz als weniger ergiebig erwiesen.17 14

Dass Thomas von Aquin keine einheitliche servitus-Theorie entwickelt hat, bemerkt auch FLÜELER (1991) 285. FLÜELER (1992) 72 schreibt: „… Die Theorie der servitus [blieb] bei Thomas recht unklar. Wer eigentlich dieser servus sei, wird von Thomas nirgends gesagt. Es handelt sich dabei, wie bei den Artisten, um ein abstraktes Argumentieren, das nicht fähig ist, die Theorie auf eine bestimmte Praxis zu beziehen. Vor allem aber gelang es Thomas insgesamt nicht, eine einheitliche Theorie zu schaffen. Im gleichen Werk rechtfertigte Thomas einmal die servitus mit der Sünde, dann mit der Nützlichkeit; eine biologische Erklärung der servitus stand neben einem Sündenmodell, das sich auf den freien Willen des Menschen abstützte.“ 15 Zu den Sentenzen des Petrus Lombardus sowie zu dem durch Thomas verfassten Kommentar vgl. TORRELL (1995) 60-66; 346f. 16 Vgl. TORRELL (1995) 160-176; 347f. 17 FLÜELER (1991) 295 listet eine Reihe an Belegstellen innerhalb der Summa Theologiae. Der Index Thomisticus findet sich unter http://www.corpusthomisticum.org/it/index.age (zuletzt abgerufen am 18.06.2015).

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2. Zur Terminologie – Wer ist servus, was ist servitus? Bevor sich der Aufsatz den genannten Fragekomplexen zuwendet, sind zunächst ein paar kurze Bemerkungen zu der von Thomas verwendeten Terminologie zu machen. Es ist unklar, wen beziehungsweise was Thomas im Einzelnen meint, wenn er von servus und servitus spricht.18 Formal betrachtet ist für ihn servus das Gegenstück zu liber einerseits und dominus andererseits.19 Wer servus ist, steht zunächst ganz allgemein in einem persönlichen Abhängigkeitsverhältnis: Im Unterschied zu einem Freien ist er nicht um seiner selbst willen (causa sui), sondern um eines anderen Menschen willen (alterius causa);20 er gehört nicht sich selbst, was bedeutet, dass er auf einen anderen Menschen als Ziel hin ausgerichtet ist und zu dessen Vorteil und Nutzen dient. Von dieser persönlichen Freiheit muss bei Thomas die wirkliche Freiheit des Menschen unterschieden werden: Der Mensch als solcher ist durch die

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Was im Folgenden in Kap. 2 zum Begriff des servus gesagt wird, gilt auch für dessen weibliches Pendant ancilla. Der Begriff mancipium beziehungsweise mancipia begegnet bei Thomas lediglich in Zitaten: Catena in Mt., cap. 26 l. 4; Catena in Lc., cap. 12 l. 2; Catena in Lc., cap. 22 l. 14. Nach IRSIGLER (2011) 68-71 wird der Begriff seit dem 13. Jahrhundert nicht mehr verwendet und bezeichnet bereits seit dem 8. Jahrhundert nur noch in Ausnahmefällen Sklaven. Zur Frage, wer im 13. Jahrhundert außerhalb von Thomas‘ Werk als servus bezeichnet wird sowie zur sozialen und rechtlichen Situation der freien und unfreien Bauern vgl. STENGEL (2011) 120f. und die dort angegebene Literatur. 19 Vgl. SCHÜTZ (2006), Art. servus. 20 Vgl. die Belegstellen bei SCHÜTZ (2006), Art. servus, die den genannten Sachverhalt in verschiedenen Formulierungen zum Ausdruck bringen, sowie FLÜELER (1991) 300f., der weitere Belegstellen auflistet. Diese Charakterisierung des servus im Gegensatz zum freien Menschen (liber) stammt, wie FLÜELER (2003) 74; FLÜELER (1991) 300 zeigt, aus Aristoteles‘ Metaphysik 1, 2, 982b 26f. (CHRIST 12.14; BONITZ 13.15), wo es allerdings eigentlich nicht um freie Menschen und Sklaven geht, sondern um die erste Wissenschaft, die um ihrer selbst willen gesucht wird: … ἀλλ’ ὥσπερ ἄνθρωπός φαμεν ἐλεύθερος ὁ ἑαυτοῦ ἕνεκα καὶ μὴ ἄλλου ὤν, οὕτω καὶ αὕτη, μόνη ἐλευθέρα οὖσα τῶν ἐπιστημῶν …. („… sondern, wie wir den Menschen frei nennen, der um seiner selbst willen, nicht um eines anderen willen ist, so [suchen wir] auch diese Wissenschaft als allein unter allen freie ….“) Die Thomas vorliegende, lateinische Fassung lautet nach FLÜELER (1991) 300: Sed ut, dicimus, homo liber, qui suimet, et non alterius causa est, sic et haec sola libera est scientiarum. Diese Formalbestimmung des servus entspricht auch dem römischen Recht; vgl. hierzu z. B. Dig. 1, 5, 4 (MOMMSEN/ KRÜGER u. a. 118): Libertas est naturalis facultas eius quod cuique facere libet, nisi si quid vi aut iure prohibetur. („Die Freiheit ist die natürliche Fähigkeit, das zu tun, was einem jeden zu tun beliebt, sofern man daran nicht durch Gewalt oder das Recht gehindert wird.“); Dig. 1, 6, 1 (ebd. 123): … in potestate sunt servi dominorum … et quodcumque per servum adquiritur, id domino adquiritur. („In der Gewalt ihrer Eigentümer stehen … die Sklaven …; und was immer durch einen Sklaven erworben wird, das wird seinem Eigentümer erworben.“).

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Schöpfung auf Gott als sein Letztziel hin ausgerichtet.21 Damit kann er, im Unterschied zu Gott, nie causa sui im absoluten Sinne sein, sondern nur insofern, als er Gott als sein Ziel bejahen oder eben ablehnen kann. Dieses Vermögen unterscheidet den Menschen von den vernunftlosen Geschöpfen und gründet in seiner Gottebenbildlichkeit.22 Lehnt aber der Mensch Gott als sein Letztziel ab, um im Sinne Gottes causa sui zu sein, so lehnt der Mensch zugleich den Grund seiner Freiheit und damit diese selbst ab. Wirklich frei ist der Mensch gerade in der Bejahung von Gott als seinem Ziel. Da damit auch dem persönlich freien Menschen, wenn er wirklich frei sein will, sein Ziel letztlich vorgegeben ist, ist auch jeder Mensch gewissermaßen „Sklave Gottes“ (servus Dei).23 Wirkliche Freiheit besteht in der Konsequenz gerade in diesem „Sklavenverhältnis“.24 Auf den einzelnen Menschen bezogen bedingen wirkliche und persönliche Freiheit einander nicht notwendig: Wer persönlich frei ist, kann wirklich unfrei sein, indem er Gott als sein Ziel ablehnt. Und wer wirklich frei ist, kann persönlich unfrei sein, indem er außer auf Gott zusätzlich auf einen anderen Menschen als sein Ziel hingeordnet ist. Aus dieser formalen Bestimmung des servus lässt sich nicht ableiten, ob Thomas, wenn er von servus und servitus im Sinne der persönlichen Unfreiheit spricht, welche in diesem Aufsatz interessiert, inhaltlich an Sklaven im antiken Sinne, an unfreie Bauern, nichtchristliche Kriegsgefangene seiner Zeit oder andere Personengruppen denkt;25 vielmehr handelt es sich bei servus und den damit verwandten Ableitungen um eine Art „Sammelbegriff“.26 Wie viel Thomas tatsächlich über die antike Sklaverei und deren Umstände wusste oder was er persönlich von der Sklaverei hielt, die zu seinen

21

Vgl. z. B. S. Th. I-II, q. 1 a. 8 co. (Ed. Leonina, Tom. 6, 16): … Deus est ultimus finis hominis et omnium aliarum rerum. 22 Auch die vernunftlosen Geschöpfe sind auf Gott als Ziel hin ausgerichtet (vgl. S. Th. I-II, q. 1 a. 8 co.), allerdings können sie sich, anders als der Mensch, nicht willentlich in ein Verhältnis zu dieser Ausrichtung setzen. 23 Zur Verwendung des Begriffs servus Dei und anderer Termini zur Bezeichnung christlicher Kleriker in der Antike vgl. GRIESER (1997) 200-205. 24 Aus dem Gott jedoch, anders als der menschliche Herr, keinen persönlichen Nutzen zieht, da er in sich glückselig ist und sich selbst genügt. Vgl. S. Th. I, q. 26 a. 1 co. 25 Nur an wenigen Stellen kann überlegt werden, ob Thomas beziehungsweise einer seiner (literarischen) Gegner doch an eine bestimmte Personengruppe seiner Zeit denkt, so etwa in S. Th. II-II, q. 10 a. 9 arg. 3 sowie q. 10 a. 10 co. (vgl. Kap. 5). Vgl. auch FLÜELER (1991) 303. 26 FLÜELER (1991) 302 überlegt, ob „Thomas die mittelalterliche Sklaverei von den milderen Formen der Unfreiheit begrifflich zu trennen versuchte“, indem Thomas in der Summa Theologiae vom servus secundum quid beziehungsweise servus de corpore spreche, im Politikkommentar hingegen vom servus simpliciter. Allerdings bestimmt Thomas den Begriff servus in der Summa Theologiae und anderswo nicht durchgängig näher durch Zusätze, sondern spricht meist einfach nur von servus beziehungsweise servitus.

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Lebzeiten im Mittelmeerraum praktiziert wurde,27 ist für die hier verhandelte Frage im Grunde unerheblich, da die Sklaverei an sich nie das eigentliche Frageinteresse im Werk des Aquinaten darstellt. Servus und servitus sind formale, abstrakte Begriffe, die in unterschiedlichem Kontext begegnen und vor allem deshalb Beachtung durch Thomas finden müssen, da die von ihm herangezogenen Autoritäten mit ihnen argumentieren. Eine inhaltlich näher gefüllte Definition für servus und servitus bietet Thomas nicht an. Einen eigenen Begriff für Sklaven im antiken Sinne verwendet Thomas nicht. Zwar spricht er im Kommentar zur Politik des Aristoteles von despotes anstelle von dominus, um einen Herrn über Sklaven zu bezeichnen, sowie von despotica anstelle von dominium oder praelatio für die Herrschaft des Herrn über seinen Sklaven,28 für den Sklaven selbst oder die Sklaverei aber übernimmt er keine griechischen Begrifflichkeiten, sondern spricht auch hier von servus und servitus. Dieser Befund kann zum einen darauf zurückgeführt werden, dass das aus dem Griechischen abgeleitete, lateinische Fremdwort dulia bereits vor Thomas und auch bei ihm selbst einen Bedeutungswandel erfahren hat und nun vor allem die Tugend der Ehrung gegenüber einem (heiligen) Menschen bezeichnet.29 Zum anderen kann die Tatsache, dass Thomas selbst im Politikkommentar begrifflich nicht zwischen antiken Sklaven und anderen Gruppen von Unfreien unterscheidet,30 auch als weiterer Hinweis darauf verstanden werden, dass eine solche Differenzierung für ihn gar nicht von Bedeutung war. Die Begriffe despotes und despotica nutzt Thomas lediglich deshalb, um terminologisch möglichst nah an der aristotelischen Vorlage zu bleiben. 3. Urzustand und Sündenfall: Die servitus als Sündenstrafe Sowohl im Sentenzenkommentar als auch in der Summa Theologiae fragt Thomas, ob im Stand der Unschuld Menschen über andere Menschen eine Herrschaftsstellung innegehabt haben. Die Frage ist jeweils hypothetisch zu 27

Vgl. LUZZATI (1995) 1983; FLÜELER (1992) 54; 84f. STENGEL (2011) 123 führt aus, Thomas habe zwar nicht alle Umstände der antiken Sklaverei gekannt, sei sich jedoch des Unterschiedes zwischen echter Sklaverei und Leibeigenschaft bewusst gewesen. Ebenso habe Thomas gewusst, dass servi auch als Ware gehandelt werden konnten, wie auch FLÜELER (1991) 302 bemerkt. 28 Außerhalb des Politikkommentars nutzt Thomas die Begriffe despotes und despotica lediglich in S. Th. I, q. 81 a. 3 ad 2; I-II, q. 9 a. 2 ad 3; I-II, q. 17 a. 7 co.; I-II, q. 56 a. 4 ad 3; I-II, q. 58 a. 2 co., jedoch stets mit explizitem Bezug auf die Politik des Aristoteles. 29 Vgl. STENGEL (2011) 121-123; S. Th. II-II, q. 103 (De dulia). 30 Die Bezeichnung servus simpliciter (vgl. Anm. 26) verwendet Thomas im Politikkommentar nicht durchgängig.

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verstehen und setzt voraus, dass das erste Menschenpaar ohne Sünde Nachkommenschaft gezeugt und damit eine paradiesische menschliche Gemeinschaft begründet hätte. 3.1 Utrum in statu innocentiae fuisset dominium. Die urständliche Herrschaft des Menschen im Sentenzenkommentar Die Frage, ob der Mensch unter den genannten Umständen im Urzustand über andere Menschen geherrscht habe, behandelt Thomas im zweiten Buch seines Sentenzenkommentars im Zusammenhang mit der Abhandlung über die Sünde:31 Ist eine solche Herrschaft (praelatio, sive dominium) von Gott zur Ordnung (in ordinationem) der geschaffenen Natur eingesetzt worden, oder ist sie dessen Strafe für die durch die Sünde verdorbene Natur des Menschen (in punitionem naturae corruptae)?32 Im ersten Fall wäre eine Herrschaft von Menschen über Menschen im Urzustand nicht nur denkbar, sondern auch gottgewollt und gut. Im zweiten Fall hätte es eine solche Herrschaft im Urzustand nicht geben können, da der Urzustand durch die erste Sünde des Menschen, welche die Verderbtheit seiner Natur und damit die Strafe Gottes nach sich zieht, augenblicklich beendet ist. Herrschaft von Menschen über andere Menschen wäre dann nicht im eigentlichen Sinne gottgewollt, sondern nur insofern Gott sie als Strafe verhängt hätte. Die eigentliche Frage lautet also, ob es dem Menschen so, wie ihn Gott geschaffen hat, zukommt, über andere Menschen zu herrschen beziehungsweise von anderen Menschen beherrscht zu werden. Wird diese Frage bejaht, so ist zugleich eine absolut gedachte ursprüngliche Gleichheit aller Menschen ausgeschlossen, da es immer Herrschende und Beherrschte gegeben hätte. 3.1.1 Zum Kontext von Super Sent. 2, d. 44 q. 1 a. 3 Nachdem das erste Buch der Sentenzen des Petrus Lombardus Gott in dessen Einheit und Dreieinigkeit behandelt hat, ist das Thema des zweiten Buches die Schöpfung und Formung der Welt. Das dritte Buch handelt von der Inkarnation Christi sowie von der Wiederherstellung des menschlichen Ge31

„Es ist dies sozusagen der locus classicus, wo seit Bonaventura der Ursprung der Herrschaft erörtert wird.“ FLÜELER (2003) 74f. 32 Super Sent. 2, d. 44 q. 1 pr. Die Herrschaft des Menschen über die nichtmenschliche Natur wird hier nur beiläufig thematisiert; im Gegensatz zur Summa Theologiae (S. Th. I, q. 96 a. 1 und 2) wird ihr in Super Sent. 2, d. 44 keine eigene Untersuchung gewidmet.

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schlechtes, bevor im vierten Buch die Sakramente thematisiert werden. Thomas, der in seinem Kommentar dieser Einteilung folgt, referiert im Proömium der 44. Distinktion des zweiten Buches, welche die Überlegungen zur Sünde abschließt, die beiden Fragen, die Petrus Lombardus an entsprechender Stelle aufwirft:33 Ob die Möglichkeit zu sündigen (potentia peccandi) von Gott her stamme (1) und ob denjenigen Gehorsam geschuldet sei, die herrschaftliche Macht (potentia praelationis beziehungsweise potestas) innehaben (2). Bindeglied dieser beiden auf den ersten Blick recht disparaten Fragen ist bei Petrus Lombardus das dreizehnte Kapitel des Römerbriefes sowie die Gleichsetzung von potentia und potestas, die der Lombarde vornimmt: Wenn jede Macht (potestas), wie es in Röm 13,1 heißt, von Gott her stammt, so muss auch die Möglichkeit beziehungsweise Macht zu sündigen (potentia peccandi) von Gott her stammen. Dies würde dann jedoch bedeuten, dass der Mensch auch dem Teufel gehorchen müsste, der ja die „Macht zu sündigen und zu schädigen“ (potestas peccandi et nocendi) innehat. Denn nach Röm 13,2 verstößt derjenige gegen die Ordnung Gottes, der sich einer Macht (potestas) widersetzt. Petrus Lombardus löst das Problem, indem er darauf hinweist, Paulus spreche an dieser Stelle ausschließlich von der weltlichen Macht (saecularis potestas). Vor diesem Hintergrund fragt Thomas in der ersten quaestio der 44. Distinktion, ob die Möglichkeit beziehungsweise Macht zu sündigen (potentia peccandi) von Gott her stamme (a. 1), ob jede Herrschaft (praelatio) von Gott her stamme (a. 2) und schließlich, ob es auch im Stand der Unschuld Herrschaft (praelatio, seu dominium) gegeben habe (a. 3). In der zweiten quaestio widmet er sich dem Problem des Gehorsams, das auch Petrus Lombardus aufwirft, und fragt, ob der Gehorsam eine Tugend sei (a. 1), ob Christen den weltlichen Machthabern und insbesondere Tyrannen gegenüber Gehorsam zu erweisen hätten (a. 2) und wie weit der Gehorsam von Ordensleuten ihren Prälaten gegenüber zu reichen habe (a. 3). 3.1.2 Die Herrschaft des Menschen über den Menschen nach Super Sent. 2, d. 44 q. 1 a. 3 Gegen eine Herrschaft von Menschen über Menschen im Stand der Unschuld steht zunächst die Aussage Papst Gregors des Großen, die Thomas im ersten Einwand anführt: Von Natur aus sind alle Menschen gleich. Aufgrund ihrer „Verdienste“ (pro meritis) jedoch hat eine verborgene, aber gerechte Zuteilung Gottes (occulta, sed justa Dei dispensatio) die einen den anderen 33

Petrus Lombardus, Sentenzen 2, d. 44 cap. 1 und 2.

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unterworfen.34 Erst durch die Sünde, so das Argument weiter, die den Naturzustand (status naturae) zerstört hat, kam es zur Ungleichheit und in der Folge auch zu Herrschaftsverhältnissen der Menschen untereinander. Auch der zweite und der dritte Einwand, die sich auf Augustinus stützen,35 argumentieren mit der Sünde: Im Urzustand habe der Mensch lediglich über die unvernünftige Natur Herrschaft ausgeübt. Herrschaft von Menschen über Menschen hingegen sei Ausdruck einer Gleichstellung des Menschen mit der unvernünftigen Natur. Dies aber sei Folge der Sünde, ebenso wie die Einführung der servitus, ohne die Herrschaft von Menschen über Menschen (dominium beziehungsweise praelatio) undenkbar sei. Hätte der Mensch, so das vierte Gegenargument, die urständliche Gerechtigkeit bewahrt, wäre die Einsetzung von Königen und Fürsten überflüssig gewesen. Deren Aufgabe ist es nämlich nach Aristoteles,36 Gesetze zu begründen, die den Menschen mit Zwang zum tugendhaften Handeln treiben. Ein Gerechter aber müsse nicht zur Tugend gezwungen werden.37 Der fünfte Einwand schließlich argumentiert eschatologisch: Wenn es in der Vollendung keine Herrschaft mehr geben wird,38 dann gab es sie auch nicht im Urzustand. Auf der anderen Seite gibt es selbst unter den Engeln hierarchische Verhältnisse. Der Mensch in seiner unversehrten Natur aber steht keinesfalls höher als die Engel.39 In seiner Lösung unterscheidet Thomas zwei Arten von Herrschaft: … duplex est praelationis modus: unus quidem ad regimen ordinatus, alius autem ad dominandum.40 („… Zweifach ist die Art der Herrschaft: eine Art nämlich ist auf die Königsherrschaft (oder: die Lenkung) hin ausgerichtet, die andere aber auf das Herrschen.“)41 Die zweite Art der Herrschaft ist nach Thomas die eines Herrn über seinen servus, die der Herrschaft eines Tyrannen über dessen Untertanen entspricht. Die Tyrannenherrschaft aber unterscheidet sich von der Königsherrschaft darin, dass ein König das Wohl des Volkes, dem er vorsteht, im Blick 34

Das Argument bezieht sich hier auf Gregor den Großen, Moralia in Iob 21, 15 (ADRIAEN 1082): … omnes homines natura aequales genuit, sed variante meritorum ordine, alios aliis dispensatio occulta postponit. Ipsa autem diversitas quae accessit ex vitio, recte est divinis iudiciis ordinata, ut quia omnis homo iter vitae aeque non graditur, alter ab altero regatur. 35 Augustinus, De civitate Dei 19, 15 (DOMBART/ KALB 682). Vgl. S. 92. 36 Aristoteles, Nikomachische Ethik 10, 10, 1179b 31-1180a 14. 37 1 Tim 1,9. 38 1 Kor 15,24. 39 Super Sent. 2, d. 44 q. 1 a. 3 s. c. 2. Das Argument der Hierarchie der Engel untereinander leitet sich von Pseudo-Dionysius Areopagita her. Vgl. TÖPFER (1999) 228f., Anm. 203. Thomas behandelt die Hierarchie der Engel und Dämonen ausführlich in den quaestiones 108 und 109 der S. Th. I. 40 Super Sent. 2, d. 44 q. 1 a. 3 co. (MANDONNET 1121). 41 Übersetzung: PULTAR.

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hat, und zu dessen Nutzen Statuten und Gesetze erlässt.42 Der Tyrann hingegen schaut nur auf seinen eigenen Nutzen und sein eigenes Wohl.43 Die beiden Arten der Herrschaft unterscheiden sich also durch das Ziel, auf das hin sie ausgerichtet sind. Eine Herrschaft des Menschen über den Menschen im zweiten Sinn, also im Sinn der Tyrannenherrschaft beziehungsweise der servitus, kann es im Stand der Unschuld nicht gegeben haben, denn ursprünglich waren lediglich die unvernünftigen Geschöpfe auf den Menschen als Ziel hin ausgerichtet, nicht aber ein Mensch auf einen anderen hin. Diese Herrschaft des Menschen über die nichtmenschliche Natur, die sich aus deren Zielausrichtung ergibt, ist nach Thomas im Stand der Unschuld sogar noch umfassender gewesen. Erst durch die Sünde des Menschen ist nach Thomas das möglich, was Aristoteles meine, wenn er sagt, ein Sklave sei ein beseeltes Werkzeug und ein Werkzeug ein unbeseelter Sklave: Der Mensch kann durch die Sünde mit den unvernünftigen Geschöpfen gleichgestellt werden so wie Aristoteles den Sklaven mit einem Werkzeug gleichstellt. Nun ist es möglich, dass ein Mensch auf einen anderen Menschen hin ausgerichtet ist wie ein Werkzeug auf einen Handwerker oder ein Pferd oder Ochse auf seinen Besitzer. 42

Im Urzustand jedoch hätte ein König gar keine Gesetze erlassen müssen, da diese immer mit Zwang verbunden gewesen wären. Vgl. Anm. 45. 43 Dies schreibt Thomas im Rückgriff auf Aristoteles, der im zwölften Kapitel des achten Buches der Nikomachischen Ethik die drei verschiedenen Arten der Staatsverfassung in ihrer guten und in ihrer verderbten Form aufführt (1160a 31-b 22). So stellt er in 1160a 36-b 3 (BYWATER 169; WOLF 270) der besten Form der Verfassung, der Monarchie, deren verderbte Form und zugleich schlechteste Verfassungsform von allen, die Tyrannis, gegenüber: παρέκβασις δὲ βασιλείας μὲν τυραννίς· ἄμφω γὰρ μοναρχίαι, διαφέρουσι δὲ πλεῖστον· ὁ μὲν γὰρ τύραννος τὸ αὑτῷ συμφέρον σκοπεῖ, ὁ δὲ βασιλεὺς τὸ τῶν ἀρχομένων. („Eine Abweichung von der Monarchie ist die Tyrannis. Denn beide sind Monarchien, aber sie unterscheiden sich stark voneinander: Der Tyrann sieht auf seinen eigenen Nutzen, der König auf den Nutzen der Beherrschten.“) Im Folgenden (1160b 22-32) nennt Aristoteles das Verhältnis zwischen Herr und Sklave ein „Abbild“ (ὁμοίωμα) der Tyrannis im Rahmen der Hausgemeinschaft. Eigentlich jedoch geht es Aristoteles an dieser Stelle nicht um die verschiedenen Verfassungsformen als solche, sondern um die verschiedenen Arten der Freundschaft. Die Arten der Verfassung dienen dabei als Vergleich. So kann zwischen einem Herrn und seinem Sklaven ebenso wenig ein Freundschaftsverhältnis bestehen wie zwischen einem Handwerker und seinem Werkzeug oder einem Menschen und seinem Pferd oder Ochsen. Der Grund dafür ist, dass es in dem Verhältnis zwischen Herrn und Sklaven, ebenso wie in einem tyrannisch regierten Staat zwischen dem Tyrann und dessen Untertanen, nichts Gemeinsames und damit keine Gerechtigkeit gibt, was aber Voraussetzung für ein Freundschaftsverhältnis ist (8, 13, 1161a 30-b 5). Eine Einschränkung macht Aristoteles jedoch: Insofern der Sklave ein Mensch ist, kann es sehr wohl ein Freundschaftsverhältnis zwischen ihm und seinem Herrn geben, insofern auch dieser ein Mensch ist, „[d]enn es dürfte ein bestimmtes Gerechtes in Bezug auf jeden Menschen geben, der in der Lage ist, an Recht und Verträgen teilzunehmen, und folglich auch Freundschaft, insoweit er ein Mensch ist.“ (ebd., 1161b 6-8, WOLF 273).

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Bis hierhin stimmt Thomas mit dem zweiten Gegenargument überein. Doch nach Thomas gibt es noch eine andere Art der Herrschaft: diejenige erstgenannte, die mit der Königsherrschaft verglichen wird. Und auf diese, so Thomas in seiner Erwiderung auf den zweiten Einwand, habe sich die Aussage Augustins nicht bezogen. Die Königsherrschaft, die auf den Nutzen und das Wohl der Untergebenen hingeordnet ist, hat nach Thomas auch im Stand der Unschuld bestanden. Ihre Legitimation erfährt sie durch drei Zwecke (usus): die Lenkung der Untergebenen im zu Tuenden und zu Wissenden (1), die „Auffüllung von Mängeln“ (ad supplendum defectus), wie etwa die Verteidigung des Volkes gegen Feinde (2), und die Verbesserung der Sitten durch Zwang und Bestrafung schlechter Menschen (3). Allerdings habe diese Form der Herrschaft im Urzustand nur aufgrund des ersten Zwecks bestanden. Da im Stand der Unschuld niemand in seinem Willen dem Guten widersprochen und das Böse gewollt habe, konnte auch kein Mensch einen anderen schädigen. Kein Mensch hätte also einen anderen angegriffen, was den zweiten Zweck der Königsherrschaft im Urzustand überflüssig macht,44 und keiner hätte durch Gesetze dazu gezwungen werden müssen, das Gute zu tun.45 Es hätte jedoch im Urzustand durchaus Menschen gegeben, die mit einem „größeren Geschenk an Weisheit“ (majori munere sapientiae) und einem „größeren Licht des Verstandes“ (majori lumine intellectus) ausgestattet gewesen wären. Aufgrund ihrer Gaben wäre es diesen Menschen zugekommen, die anderen Menschen zu leiten.46

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Zu fragen wäre, welche übrigen „Mängel“ Thomas neben der Abwehr von Feinden im Blick hat, deren „Auffüllung“ Zweck der Königsherrschaft ist. Auf jeden Fall müssen es solche sein, die im Urzustand nicht aufgetreten sind. 45 Ein durch Menschen erlassenes Gesetz ist für Thomas immer mit der Furcht vor Strafe und damit mit Zwang verbunden. Deshalb, so Thomas in S. Th. I-II, q. 90 a. 3 ad 2, kann auch keine Privatperson ein Gesetz erlassen, da dieser die für ein Gesetz nötige Zwangsgewalt (vis coactiva) fehlt. Diese Zwangsgewalt besitzt nur die Volksmenge (multitudo) insgesamt oder aber eine Amtsperson (persona publica), der es zukommt, Strafen auferlegen zu können (poenas infligere). Vgl. auch S. Th. I-II, q. 92 a. 1 ad 2 (Ed. Leonina, Tom. 7, 159; GRONER 53): … Non semper aliquis obedit legi ex bonitate perfecta virtutis: sed quandoque quidem ex timore poenae; quandoque autem ex solo dictamine rationis, quod est quoddam principium virtutis …. („Nicht immer gehorcht man dem Gesetz aus vollendeter Tugendhaftigkeit, sondern bisweilen aus Furcht vor Strafe, bisweilen aus reinem Diktat der Vernunft, das … Ausgangsgrund der Tugend ist.“). 46 Möglicherweise geht Thomas hier auf das im ersten Gegenargument angeführte Zitat Gregors des Großen ein und sieht in dem „größeren Geschenk (munus) an Weisheit“ eben jene „verborgene, aber gerechte Zuteilung (dispensatio)“ Gottes, welche die Ordnung und Unterordnung der Menschen untereinander bestimmt. Zu fragen wäre dann allerdings, wie Thomas die Wendung pro meritis versteht, welche im Gegenargument, wie auch bei Augustinus, De civitate Dei 19, 15 (DOMBART/ KALB 682) (vgl. S. 92), anscheinend im negativen Sinne als die Sünde aufgefasst wird.

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Herrschaft wird im Sentenzenkommentar also durch den Zweck der Leitung, welche einen Nutzen für die Untergebenen darstellt, legitimiert; legitimer Herrscher hingegen ist, wer größere geistige Fähigkeiten aufweist.47 Gegenüber dem ersten Einwand, dass „die Natur alle Menschen gleich gemacht habe“,48 erwidert Thomas: … natura omnes homines aequales in libertate fecit, non autem in perfectionibus naturalibus.49 („Die Natur hat alle Menschen ihrer Freiheit nach gleich gemacht, nicht aber ihren natürlichen Fähigkeiten nach.“)50 Einem Freien aber widerstrebt es nicht, sich von einem Weiseren leiten zu lassen: Seine Freiheit besteht nicht darin, sich in allen Dingen selbst zu leiten, sondern darin, causa sui in dem Sinne zu sein, ausschließlich auf Gott und nicht auf einen Menschen als Ziel hin ausgerichtet zu sein.51 Diese Freiheit aber wird durch die Königsherrschaft – im Gegensatz zur Tyrannenherrschaft – nicht eingeschränkt, da durch sie der Mensch nicht auf den Herrscher als sein Ziel hingeordnet wird. Thomas schreibt: … primus modus [praelationis] esse posset, qui nullum praejudicium libertati affert, dum subditi ad bonum praepositi non ordinantur, sed e converso regimen praepositi ad bonum subditorum; unde non incongrue se eorum servos appellant.52 „Die erste Art [der Herrschaft] konnte es geben, da sie der Freiheit keinen Schaden zufügt, solange die Untergebenen nicht auf das Wohl des Vorgesetzten hingeordnet sind, sondern im Gegenteil die Königsherrschaft des Vorgesetzten auf das Wohl der Untergebenen hingeordnet ist; weshalb sie [= die Herrschenden] sich nicht unzutreffend deren servi nennen.“53

In einer guten und gerechten Herrschaft, der Königsherrschaft, sind also nicht die Untergebenen servi des Herrschenden, sondern umgekehrt die Herrschenden gewissermaßen servi der Untergebenen, insofern sie deren Wohl – und damit auch ihr eigenes – anstreben. Mehr noch: Dadurch, dass nach Thomas die Weiseren die legitimen Herrscher sind und die ihnen Untergebenen im zu Tuenden und zu Wissenden anleiten, mehren sie deren (wirkliche) Freiheit sogar, indem sie letztere Gott als dem gemeinsamen Ziel aller Menschen und damit der Glückseligkeit näher bringen.54

47 Die Überordnung Jakobs über Esau (vgl. Gen 1,27) aufgrund der größeren Weisheit des Ersteren spielt hierbei für Thomas keine Rolle. Auch sonst begegnet diese Argumentationsfigur bei ihm im Kontext der servitus nicht. 48 Super Sent. 2, d. 44 q. 1 a. 3 arg. 1. 49 Super Sent. 2, d. 44 q. 1 a. 3 ad 1 (MANDONNET 1122). 50 Übersetzung: PULTAR. 51 Hier führt Thomas wieder die bereits erwähnte Stelle aus der Metaphysik des Aristoteles an, um Freiheit zu definieren (vgl. Anm. 20). 52 Super Sent. 2, d. 44 q. 1 a. 3 ad 1 (MANDONNET 1122). 53 Übersetzung: PULTAR. 54 Die Glückseligkeit (beatitudo) besteht für den Menschen nach S. Th. I-II, q. 3 a. 8 co. in der Wesensschau Gottes (visio divinae essentiae).

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Den zweiten und dritten Einwand entkräftet Thomas mit dem Hinweis, dass es Augustinus bei seiner Aussage lediglich um die erste Form der Herrschaft, die Tyrannenherrschaft beziehungsweise die servitus, gehe. Bezüglich des vierten Einwandes erklärt Thomas, dass in der Tat zum Zweck des Zwangs zur Tugend im Stand der Unschuld keine Herrschaft bestanden habe, wohl aber zum Zweck der Leitung hinsichtlich des zu Tuenden und zu Wissenden. Auf den fünften Einwand, dass in der Vollendung jede Herrschaft enden werde und es daher auch im Stand der Unschuld keine Herrschaft gegeben habe, entgegnet Thomas, selbst der Urzustand habe zum status viae gehört. Da dem Menschen in der Vollendung die glückselig machende Wesensschau Gottes geschenkt wird,55 wird in statu gloriae auch der erste Zweck legitimer Herrschaft, die Leitung im zu Tuenden und zu Wissenden durch die Weiseren, und damit die Herrschaft von Menschen über Menschen als solche obsolet: In seiner Vollendung ist der Mensch an seinem Ziel angekommen und bedarf daher keiner Leitung mehr. 3.2 Utrum homo in statu innocentiae homini dominabatur. Die urständliche Herrschaft des Menschen in der Summa Theologiae Auch in der Summa Theologiae stellt Thomas die Frage, ob im Stand der Unschuld ein Mensch einen anderen Menschen beherrscht habe. 3.2.1 Zum Kontext von S. Th. I, q. 96 a. 4 Der erste Teil der Summa Theologiae (S. Th. I) ist als pars naturalis Gott und dessen Schöpfung gewidmet. Gott wird hinsichtlich seiner Einheit und Dreieinigkeit thematisiert, die Schöpfung hinsichtlich ihres Hervorganges (processio) aus Gott, ihrer Unterscheidung (distinctio) und ihrer Lenkung (gubernatio).56 Die Frage nach der urständlichen Herrschaft des Menschen stellt Thomas im Zusammenhang mit der Unterscheidung der Schöpfung (qq. 47-102): 55

Vgl. S. Th. I, q. 12 a. 1 co. Zur Gliederung der Summa Theologiae vgl. LIPPERT (2000) 239-260. Der zweite Teil der Summa Theologiae, die pars moralis, ist dem Menschen als Ebenbild Gottes gewidmet. Sie ist untergliedert in die pars prima secundae (S. Th. I-II), die Endzweck, Handlungen und Handlungsprinzipien des Menschen thematisiert, und die pars secunda secundae (S. Th. II-II), welche Tugenden und Laster, Gnadengaben, Lebensformen sowie Ämter und Stände der Menschen verhandelt. Der dritte Teil schließlich (S. Th. III), die pars sacramentalis, ist unabgeschlossen. Sie widmet sich Christus als Erlöser, den Sakramenten und (geplant, aber nicht ausgeführt) der Auferstehung und dem ewigen Leben. 56

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Von den rein geistigen Geschöpfen (qq. 50-64)57 und den rein körperlichen Geschöpfen (qq. 65-74) unterscheidet Thomas den Menschen als geistigkörperliches Geschöpf (qq. 75-102). Dieser wird auf seine Natur (qq. 75-89) und auf seine Hervorbringung (productio; qq. 90-102) hin untersucht. Thomas fragt, wie die Seele (q. 90), wie der Leib (q. 91) und wie die Frau (q. 92) von Gott geschaffen worden sind, bevor er die Ebenbildlichkeit des Menschen als Zweck (finis) der Hervorbringung des Menschen thematisiert (q. 93). Die folgenden qq. 94-97 widmen sich der Stellung und Verfasstheit des Menschen im Urzustand hinsichtlich seines Verstandes (q. 94), seines Willens in Bezug auf Gnade und Gerechtigkeit (q. 95), seiner Herrschaftsstellung (q. 96) und seines Leibes (q. 97). Es folgen Untersuchungen über die Erhaltung der Art (q. 98), über die Verfasstheit der Nachkommenschaft (qq. 99-101) sowie über den Wohnort des ersten Menschen (q. 102). Anders als im Sentenzenkommentar ist in der Summa Theologiae also nicht die Abhandlung über die Sünde der Ort, an dem Thomas die Frage nach der Herrschaft des Menschen über den Menschen verhandelt.58 Der Kontext in der Summa Theologiae ist die Erschaffung des Menschen und dessen Verfasstheit im Urzustand. Weiterhin unterscheidet sich die Untersuchung in der Summa Theologiae von der im Sentenzenkommentar darin, dass Thomas innerhalb der q. 96 der Frage nach der Herrschaft des Menschen über die unvernünftigen Geschöpfe, die in Super Sent. 2 nur beiläufig in der Antwort sowie im zweiten Gegenargument angesprochen worden ist, zwei eigene Artikel widmet. So fragt er in a. 1, ob Adam im Stand der Unschuld über die Tiere geherrscht habe und in a. 2, ob der Mensch auch alle übrigen Geschöpfe beherrscht habe.59 Auch der Frage nach der ursprünglichen Gleichheit aller Menschen widmet Thomas einen eigenen Artikel (a. 3), in dem er deutlich umfangreicher als im Sentenzenkommentar die Unterschiede der Menschen untereinander auch im Urzustand herausstellt.60 57 q. 47 widmet sich der Unterscheidung der Dinge im Allgemeinen, qq. 48 und 49 behandeln die Unterscheidung von Gut und Böse. 58 Vgl. S. 98 sowie Anm. 31. 59 Zusammengefasst: Der Mensch habe im Urzustand die Tiere per Befehl (per imperium), die Pflanzen und die unbelebte Natur durch deren Benutzung (utendo) beherrscht. Über die Engel habe er keine Herrschaft innegehabt, da die Engel Verstandeswesen seien und zudem in ihrer Macht über dem Menschen stünden. Die Aussage Gottes in Gen 1,26 ist also nach Thomas nicht auf alle Geschöpfe zu beziehen, sondern nur auf die unvernünftigen. Vgl. S. Th. I, q. 96 a. 1 ad 1; a. 2 co. 60 Im Urzustand hätten sich die Menschen bezüglich Geschlecht und Alter voneinander unterschieden. Aber auch in Bezug auf ihren Fortschritt in der Gerechtigkeit (iustitia) und im Wissen (scientia) hätte es Unterschiede gegeben, da sich der Mensch nicht aus Naturnotwendigkeit, sondern aus freiem Willen heraus dem Tun, Wollen und Erkennen gewidmet hätte. Schließlich hätte es Unterschiede in Bezug auf Stärke, Schönheit, Größe und Veranlagung des

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3.2.2 Die Herrschaft des Menschen über den Menschen nach S. Th. I, q. 96 a. 4 Drei Argumente stehen nach der Summa Theologiae einer Herrschaft des Menschen über den Menschen im Urzustand entgegen: Nach Augustinus sollte der Mensch als Ebenbild Gottes lediglich über die unvernünftigen Geschöpfe herrschen (arg. 1).61 Eine Unterordnung des Menschen unter einen anderen Menschen hingegen ist als Strafe für die Sünde eingeführt worden, wie Gen 3,16 beweist (arg. 2).62 Schließlich steht eine solche Unterordnung der Freiheit entgegen (subiectio libertati opponitur), einem Gut, das dem Menschen im Urzustand unmöglich gefehlt haben kann (arg. 3).63 Andererseits gibt es selbst unter den Engeln, die doch über den Menschen stehen, Hierarchien (s. c.).64 Wie im Sentenzenkommentar,65 unterscheidet Thomas auch in der Summa Theologiae in seiner Antwort zwei Formen von Herrschaft (dominium): Auf der einen Seite das Verhältnis eines Herrn (dominus) gegenüber jemandem, der ihm als servus untergeben ist. Dieses aber kann es im Urzustand nicht gegeben haben. Auf der anderen Seite kann ganz allgemein jemand als Herr (dominus) bezeichnet werden in Bezug auf einen anderen Menschen, der ihm in irgendeiner Weise (qualitercumque) untergeordnet ist. Diese Art von Herrschaftsverhältnis ist nach Thomas im Urzustand nicht ausgeschlossen. Die Begründung ist folgende: Wem die Aufgabe (officium) obliegt, freie Menschen zu lenken und zu leiten (gubernare et dirigere), der übt ein dominium im zweiten Sinne aus. Zweck dieser Art von dominium ist es, einen freien Menschen zu dessen eigenem Gut (proprium bonum) hinzuführen, und damit zugleich auf das gemeinsame Gut (bonum commune), in dem jedes Einzelwohl enthalten ist. Diese Leitungsaufgabe aber muss auch für den Urzustand aus zwei Gründen als notwendig angenommen werden: Der Mensch ist von Natur aus auf Gemeinschaft angelegt (homo naturaliter est animal sociale).66 Ein Leben in Gemeinschaft kann jedoch nur dann funktioKörpers gegeben, da der menschliche Leib auch im Urzustand von äußeren Einflüssen wie Nahrung, Luft und der Stellung der Sterne abhängig gewesen wäre. Vgl. S. Th. I, q. 96 a. 3 co. 61 Augustinus, De civitate Dei 19, 15 (DOMBART/ KALB 682) (vgl. S. 92). Vgl. auch Super Sent. 2, d. 44 q. 1 a. 3 arg. 2. 62 Da die Schlange zu Eva sagt: sub potestate viri eris. („Du wirst der Gewalt deines Mannes unterstehen.“). 63 Mit Verweis auf Augustinus, De civitate Dei 14, 10. 64 S. Th. I, q. 96 a. 4 s. c. Vgl. Super Sent. 2, d. 44 q. 1 a. 3 s. c. 65 Super Sent. 2, d. 44 q. 1 a. 3 co. 66 Dass Thomas den Menschen in der Summa Theologiae als ein soziales Lebewesen von Natur aus (naturaliter animal sociale) bezeichnet, kann auf die Politik des Aristoteles zurückgeführt werden, die Thomas zur Zeit der Abfassung des Sentenzenkommentars noch nicht kannte: Nach FLÜELER (2003) 76 hat Thomas Super Sent. 2, d. 44 q. 1 a. 3 um 1253 geschrieben.

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nieren, wenn diese ein gemeinsames Gut (bonum commune) verfolgt, das die einzelnen Glieder der Gemeinschaft zu einer Einheit zusammenbindet. Dieses Gut aber muss der Gemeinschaft durch einen Repräsentanten dauernd vor Augen gehalten werden, um zu verhindern, dass es aus dem Blick gerät und die Gemeinschaft sich folglich in der Vielheit der individuellen Einzelziele und Interessen ihrer Glieder verliert und daran letztlich zerbricht. Wo daher vieles, so Aristoteles, auf ein Eines hin ausgerichtet wird, da findet sich immer ein Führendes und Leitendes.67 Ist der erste Grund ein anthropologischer, die „Natur“ des Menschen als solchen betreffender, so ist der zweite Grund ein moralischer: Eine absolute Gleichheit aller Menschen im Urzustand hat Thomas in q. 96 a. 3 ausgeschlossen.68 Aufgrund ihres freien Willens hätten einige Menschen die anderen in ihrem Wissen (scientia) und in ihrer Gerechtigkeit (iustitia) überragt, S. Th. I, q. 96 a. 4 entstand vermutlich um 1268 (vgl. ebd. 74). Die vollständige Übersetzung der aristotelischen Politik (translatio completa) durch Wilhelm von Moerbeke war zwischen 1265 und 1267/1268 abgeschlossen. Thomas zitiert sie erstmalig in S. Th. I, q. 81 a. 3 ad 2. Vgl. hierzu FLÜELER (1992) 15-29. Allerdings bezeichneten auch etwa Seneca, Macrobius und Adelard von Bath den Menschen als animal sociale, woher Thomas dieses Dictum auch bekannt gewesen sein könnte. Thomas behält die Formulierung animal sociale im ersten Teil der Summa Theologiae überwiegend bei und schließt sich nicht der von Wilhelm von Moerbeke gewählten Übersetzung animal civile an. Vgl. hierzu TÖPFER (1999) 230-233. 67 Aristoteles, Politik 1, 5, 1254a 28-31 (ROSS 7; SUSEMIHL 52): ὅσα γὰρ ἐκ πλειόνων συνέστηκε καὶ γίνεται ἕν τι κοινόν, εἴτε ἐκ συνεχῶν εἴτε ἐκ διῃρημένων, ἐν ἅπασιν ἐμφαίνεται τὸ ἄρχον καὶ τὸ ἀρχόμενον …. („In allem nämlich, was aus mehreren Teilen besteht und aus denselben zu einer gemeinsamen Einheit erwächst, sei es nun aus zusammenhängenden oder getrennten Teilen, tritt immer auch ein Regierendes und ein Regiertes hervor.“). Aristoteles spricht nicht von einem „Führenden“ und „Leitendem“, sondern von einem „Regierenden“ und einem „Regiertem“. Interessanter aber als die Tatsache, dass Thomas das zweite Glied der Reihung austauscht und so den Gegensatz aufhebt, ist der Kontext, innerhalb dessen das angeführte Zitat bei Aristoteles steht: Ziel von Politik 1, 5 ist der Beweis, dass es Sklaven von Natur aus gibt. Das genannte Zitat steht dabei am Beginn der Argumentationskette: Es gibt viele Arten des Regierens und Regiertwerdens, sowohl in der unbelebten als auch und vor allem in der belebten Natur. Dabei scheidet sich einiges schon bei seiner Entstehung in Regierendes und Regiertes. Die Seele etwa regiert von Natur aus den Leib. Und ebenso gibt es Menschen, „welche so weit von anderen abstehen wie der Leib von der Seele und das Tier vom Menschen“ (1254b 16f.; SUSEMIHL 53), und die daher „Sklaven von Natur“ aus sind. Für diese ist es sogar gerecht und zuträglich, regiert zu werden. Regieren und Regiertwerden ist nicht nur notwendig, sondern auch für beide Seiten nützlich. Regierendes und Regiertes bilden eine Einheit als eine von beiden gemeinsam zustande gebrachte Leistung. Was bei Aristoteles also Teil der Argumentation dafür ist, dass es Sklaven von Natur aus gibt, nutzt Thomas, um eine Herrschaft Freier über Freie im Urzustand als notwendig zu begründen: „Die Aristotelische Argumentation, die an der genannten Stelle eigentlich nur die Frage zu beantworten versuchte, ob es von Natur aus Sklaven gebe oder ob nicht vielmehr jede Sklaverei gegen die Natur sei, hat bei Thomas eine ganz andere, grundlegendere Bedeutung bekommen, die ihr Aristoteles sicher nicht beimaß.“ (FLÜELER (2003) 78). 68 Vgl. S. 105.

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da sie sich deren Vervollkommnung eher gewidmet hätten als ihre Mitmenschen. Wer aber seine Fähigkeiten und Kenntnisse nicht zum Nutzen auch der anderen Menschen einsetzt, der handelt nach Thomas „unschicklich“ (inconveniens). Wer größere Fortschritte in Gerechtigkeit und Wissen gemacht hätte, hätte diese im Urzustand selbstverständlich genutzt, um seinen Mitmenschen zu helfen. Hätte er sie egoistisch nur für sich selbst genutzt, so wäre der Urzustand eben dadurch in diesem Moment beendet gewesen. Sicher hätte auch ein Mensch mit einem robusteren Körper als seine Mitmenschen diesen zum Wohle der Gemeinschaft eingebracht, ebenso wie andere Menschen ihre je eigenen Fertigkeiten. Da jedoch nach Thomas das gemeinsame Letztziel aller Menschen Gott ist69 und die Glückseligkeit des Menschen in der Schau von Gottes Wesen durch den Intellekt besteht,70 kann nur ein Mensch, der durch scientia und iustitia herausragt,71 seine Mitmenschen auf dieses Ziel hinlenken und damit die Leitung der Gemeinschaft übernehmen. Ein dominium im ersten Sinne aber hätte es nach Thomas aus folgendem Grund im Urzustand nicht geben können: Wer einen anderen Menschen wie einen servus beherrscht, der beherrscht ihn nur zu seinem eigenen Nutzen (ad propriam utilitatem sui). Er ordnet damit den ihm Untergebenen auf sich selbst als Ziel hin aus und hindert ihn dadurch daran, dessen eigenes Gut zu verfolgen, das in letzter Konsequenz Gott ist. Eben durch diese Hinordnung auf einen anderen Menschen aber ist der servus nicht causa sui, und damit nicht frei.72 Eine Herrschaft über freie Menschen unterscheidet sich also dadurch von einer Herrschaft über servi, dass ein Herr über freie Menschen die ihm Untergebenen auf dem Weg zu ihrem eigenen Ziel fördert, ein Herr über servi jedoch sich selbst an die Stelle dieses Zieles setzt. Da aber einem jeden Menschen sein eigenes Gut als erstrebenswert (appetibile) erscheint, ist es in der Folge betrüblich (contristabile) für einen jeden, wenn er dieses ihm eigene Gut an einen anderen abtreten muss, der dann an die Stelle dieses Gutes tritt. Aus diesem Grund schließlich kann eine solche Art der Herrschaft nach Thomas nur eine Strafe für die Untergebenen 69

Vgl. S. Th. I-II, q. 1 a. 8 co. Vgl. S. Th. I-II, q. 3 a. 8 co. 71 Gerechtigkeit (iustitia) meint hier wohl nicht den Stand der Gerechtigkeit, der allen Menschen im Urzustand zukam (vgl. S. Th. I-II, q. 81 a. 2 co.), sondern die Gerechtigkeit als oberste aller ethischen Tugenden (vgl. S. Th. II-II, q. 58 a. 12 co.). Wer im Urzustand herrscht, verfolgt das Gemeinwohl (bonum commune). Dieses aber ist nach S. Th. II-II, q. 58 a. 5 Gegenstand der iustitia generalis (oder: legalis). Nur wer über diese Tugend in hohem Maße verfügt, kann sich und andere auf ihr Objekt hin ausrichten. Dennoch bleibt die Stelle problematisch. 72 Auch hier bezieht sich Thomas, wie schon in Super Sent. 2, d. 44 q. 1 a. 3 ad 1, explizit auf Aristoteles, Metaphysik 1, 2, 982b 26f. 70

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(poena subiectorum) bedeuten und infolgedessen im Urzustand nicht existiert haben. Die oben genannten Einwände gegen eine Herrschaft des Menschen über den Menschen im Stand der Unschuld allgemein entkräftet Thomas mit dem knappen Hinweis, sie alle bezögen sich ausschließlich auf die Art des dominium, in dem der Untergebene wie ein servus behandelt wird. 3.3 Vergleich von Super Sent. 2, d. 44 q. 1 a. 3 und S. Th. I, q. 96 a. 4 Sowohl im Sentenzenkommentar als auch in der Summa Theologiae wird die Herrschaftsform der servitus für den Urzustand ausgeschlossen, da sie Folge und Strafe der Sünde sei und der natürlichen Freiheit des Menschen entgegenstehe.73 Freiheit bedeutet dabei nicht, dass der Mensch sich in allen Dingen selbst leitet, sondern dass er causa sui, also nicht auf einen anderen Menschen als sein Ziel beziehungsweise Gut hingeordnet ist. Eine Herrschaft, die diese Freiheit des Menschen nicht einschränkt, sondern sogar fördert, hat es im Urzustand gegeben, und damit bereits „Ansätze einer politischen Organisation, einer staatlichen Ordnung“.74 In Bezug auf ihre gesellschaftliche Stellung waren die Menschen nie alle gleich: Im Urzustand haben die Weiseren die weniger Weisen gelenkt und geleitet. Dass es hierarchische Verhältnisse der Menschen untereinander und eine staatliche Ordnung gibt, ist an sich nicht Folge des Sündenfalls. Kleinere Unterschiede zwischen Sentenzenkommentar und Summa Theologiae finden sich letztlich nur auf der Ebene der Argumentation: Super Sent. 2, d. 44 q. 1 a. 3 zielt auf den Erweis, dass es auch nach dem Sündenfall gerechte Herrschaft geben kann, welcher sich auch der Christ zu fügen 73

In Super Sent. 2, d. 44 q. 1 a. 3 co. bezeichnet Thomas die servitus nicht explizit als Strafe, allerdings kurz darauf in Super Sent. 2, d. 44 q. 2 a. 2 ad 2 (MANDONNET 1129; Übersetzung PULTAR): … Baptismus non delet statim omnes poenalitates ex peccato primi parentis consequentes …; et sic non oportet ut aliquis statim baptizatus a servili conditione liberetur, quamvis illa sit poena peccati. („… Die Taufe tilgt nicht sofort alle Strafen, die aus der Sünde des ersten Elternpaars folgen, … und so folgt nicht notwendig, dass jemand, sofort wenn er getauft worden ist, aus der servitus befreit wird, gleichwohl jene eine Strafe für die Sünde ist.“). In S. Th. I, q. 96 a. 4 co. bezeichnet Thomas die servitus deutlich als Strafe. Der Begriff der Sünde begegnet hingegen nur in arg. 2 (Ed. Leonina, Tom. 5, 429; DThA, Bd. 7, 129): … Illud quod est introductum in poenam peccati, non fuisset in statu innocentiae. Sed hominem subesse homini, introductum est in poenam peccati. („Was zur Strafe für die Sünde eingeführt wurde, wäre im Unschuldsstande nicht gewesen. Die Unterwerfung des Menschen unter den Menschen ist aber durch die Sünde eingeführt worden.“) Dies weist Thomas in seiner Entgegnung nicht zurück, er macht lediglich eine Einschränkung, insofern dies nur für die servitus und nicht für die Herrschaft des Menschen über den Menschen generell gelte. 74 TÖPFER (1999) 233.

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hat.75 Die quaestio steht im Kontext der Frage nach dem Ursprung von Herrschaft und dem Umfang des zu leistenden Gehorsams, die auf Röm 13,1f. zurückgeht. Gibt es nach dem Sündenfall gerechte Herrschaft, so muss es diese umso mehr bereits im Stand der Unschuld gegeben haben. Folge des Sündenfalls ist lediglich die Zwangsgewalt, mit welcher der Herrscher nun ausgestattet ist, um die ebenfalls durch den Sündenfall hinzugekommenen weiteren zwei Zwecke von Herrschaft erfüllen zu können. Die in der Nikomachischen Ethik des Aristoteles beschriebene Königsherrschaft hat ihre Wurzel im Urzustand, ihre Entartung, die Tyrannenherrschaft, hat die ihre in der Sünde des Menschen. Gerechte Herrschaft im Urzustand legitimiert sich über den durch sie zu erfüllenden Zweck, also vom Ziel her. In S. Th. I, q. 96 a. 4 hingegen geht Thomas nicht auf die Frage einer gerechten Herrschaft nach dem Sündenfall ein. Kontext der quaestio ist die Verfasstheit des Menschen im Urzustand. Dafür legitimiert Thomas in der Summa Theologiae die Herrschaft des Menschen über den Menschen vor dem Sündenfall nicht nur teleologisch von dem durch sie zu erreichenden Gemeinwohl her, sondern erweist auch ihre anthropologische Notwendigkeit:76 Der Mensch als solcher ist von seiner „Natur“ her ein soziales Lebewesen. Er ist als Mensch auf ein Leben in Gemeinschaft hin angelegt, das für Thomas „ohne eine abgestufte politische Ordnung mit leitender Spitze …, ohne eine hierarchische Organisation nicht denkbar“77 ist, ohne welche die Gemeinschaft sich in der Vielheit verlöre. Diese Hierarchie ergibt sich nicht durch ein Gnadengeschenk Gottes wie im Sentenzenkommentar, sondern durch des Menschen eigenes Bemühen um Wissen und Gerechtigkeit sowie durch dessen Verantwortungsbewusstsein, seine Fähigkeiten zum Wohle und Nutzen aller einzusetzen.78 Dass Menschen über andere Menschen herrschen, ist nach S. Th. I, q. 96 a. 4 nicht nur nützlich hinsichtlich eines zu erreichenden Ziels, sondern liegt in der „Natur“ des Menschen als solchem begründet.79

75

Vgl. Super Sent. 2, d. 44 q. 2 a. 2 co. Einem Befehl, der dem eigentlichen Zweck von Herrschaft (praelatio) entgegensteht, darf der Christ nicht gehorchen. 76 Vgl. FLÜELER (1991) 296. 77 TÖPFER (1999) 232f. 78 Vgl. S. Th. I, q. 96 a. 3 co. 79 Dass Thomas, als er S. Th. I, q. 96 a. 4 schreibt, inzwischen die Politik des Aristoteles vorliegt, die er auch ausdrücklich zitiert, führt nicht zu einem „Paradigmenwechsel“; S. Th. I, q. 96 a. 4 steht nicht im Widerspruch zu Super Sent. 2, d. 44 q. 1 a. 3, sondern expliziert und stärkt vielmehr, was als Grundgedanke im Sentenzenkommentar bereits angelegt ist (vgl. FLÜELER (2003) 75f.): Die Herrschaft des Menschen über den Menschen ist als solche nicht Folge des Sündenfalls.

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4. Recht und Gesetz: Natürlichkeit und Nützlichkeit der servitus … hunc hominem esse servum, absolute considerando, magis quam alium, non habet rationem naturalem: sed solum secundum aliquam utilitatem consequentem, inquantum utile est huic quod regatur a sapientiori, et illi quod ab hoc iuvetur, ut dicitur in I Polit. Et ideo servitus pertinens ad ius gentium est naturalis secundo modo, sed non primo.80 „Daß dieser Mensch eher Sklave ist als ein anderer, hat, in sich betrachtet, keinen natürlichen Grund, sondern besteht nur auf Grund einer sich ergebenden Nützlichkeit, insoweit es diesem zukommt, von einem weiseren gelenkt zu werden, und jenem, daß ihm von einem solchen geholfen werde (Aristoteles). So ist die Knechtschaft [Sklaverei, K. P.] (servitus), die zu dem Völkerrecht gehört, naturgegeben in der zweiten Weise, nicht in der ersten.“81

Zu Beginn der Abhandlung über die Kardinaltugend der Gerechtigkeit (iustitia) in der Secunda Secundae der Summa Theologiae kommt Thomas von Aquin in q. 57 auf das Recht (ius) als deren Objekt (a. 1) zu sprechen. Dieses unterscheidet Thomas zunächst in Naturrecht (ius naturale) und positives Recht (ius positivum) (a. 2), bevor er in a. 3 fragt, ob Naturrecht und Völkerrecht (ius gentium) dasselbe seien.82 Auf die servitus kommt Thomas bei dieser Frage nur am Rande zu sprechen: Im zweiten Argument, das die Identität von Naturrecht und Völkerrecht herausstellen möchte, wird das Dictum des Aristoteles angeführt, dass manche Menschen von Natur aus servi seien.83 Nach Isidor aber gehöre die servitus zum Völkerrecht, weshalb das Völkerrecht Naturrecht sei.84 In seiner Lösung unterscheidet Thomas ein Naturrecht im absoluten Sinn (secundum absolutam sui considerationem) und ein Naturrecht im weiteren Sinn: Naturrechtlich im absoluten Sinne ist all das, was für sich betrachtet einem „anderen angeglichen (adaequatum) oder angemessen (commensuratum) ist“.85 So hat nach Thomas etwa „der Mann aus seiner Natur heraus eine Angemessenheit (commensuratio) zur Frau, um aus ihr [Kinder] zu zeugen, und die Eltern zum Kind, um es zu ernähren“.86 Dieses Naturrecht

80

S. Th. II-II, q. 57 a. 3 ad 2 (Ed. Leonina, Tom. 9, 6). DThA, Bd. 18, 13. 82 Das Konzept eines Völkerrechts diente ursprünglich im Römischen Reich dazu, eine Rechtsgrundlage für Geschäfte zwischen Römern und Fremden zu schaffen, die außerhalb des römischen Bürgerrechts standen und damit als grundsätzlich rechtlos galten. Zur Entstehungsgeschichte des Völkerrechts vgl. UTZ (1987) 292-296. 83 Vgl. S. 91. 84 Vgl. Isidor von Sevilla, Etymologien 5, 6 (LINDSAY): Ius gentium est … bella, captivitates, servitutes …. 85 S. Th. II-II, q. 57 a. 3 co. (Ed. Leonina, Tom. 9, 6; DThA, Bd. 18, 11). Vgl. auch S. Th. IIII, q. 57 a. 2. 86 S. Th. II-II, q. 57 a. 3 co. (Ed. Leonina, Tom. 9, 6; DThA, Bd. 18, 11). 81

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im absoluten Sinne ist dem Menschen mit den übrigen Lebewesen (aliis animalibus) gemeinsam.87 Naturrechtlich im weiteren Sinne ist das, was direkt aus dem Naturrecht im absoluten Sinne folgt (secundum aliquid quod ex ipso consequitur), wie beispielsweise das Privateigentum. So hat vom absoluten Naturrecht her nicht ein Mensch mehr Anspruch auf einen bestimmten Acker als ein anderer. Hinsichtlich der effizienten Bebauung dieses Ackers aber und des friedlichen Zusammenlebens ist es durchaus vernünftig, den Acker einer bestimmten Person zuzusprechen. Das Naturrecht im weiteren Sinne setzt damit die Vernunft (ratio) voraus im Gegensatz zum Naturrecht im absoluten Sinne: Nur ein vernunftbegabtes Wesen, wie es der Mensch ist, ist in der Lage, Folgen zu erkennen und gegeneinander abzuwägen. Das Naturrecht im weiteren Sinne ist damit Naturrecht nur für den Menschen, dem es von seiner menschlichen Natur her zukommt, vernünftig zu sein. Das so verstandene Naturrecht kann aber auch „Völkerrecht“ genannt werden, da seine Befolgung bei allen Völkern beobachtet werden kann.88 Zu den Bestimmungen des Völkerrechts gehört das Privateigentum aus den oben genannten Gründen sowie nach q. 57 a. 3 ad 2 die servitus.89 Diese hat nach Thomas, in sich

87

Thomas folgt damit, einschließlich der genannten Beispiele, der Bestimmung des Naturrechts durch Ulpian in den Digesten (Dig. 1, 1, 1, 3; MOMMSEN/ KRÜGER u. a. 92): Ius naturale est, quod natura omnia animalia docuit: nam ius istud non humani generis proprium, sed omnium animalium, quae in terra, quae in mari nascuntur, avium quoque commune est. Hinc descendit maris atque feminae coniunctio, quam nos matrimonium appellamus, hinc liberorum procreatio, hinc educatio: videmus etenim cetera quoque animalia, feras etiam iustius iuris peritia censeri. („Naturrecht ist das, was die Natur alle Lebewesen gelehrt hat. Denn dieses Recht ist nicht allein dem Menschengeschlecht eigen, sondern allen Lebewesen, die es auf dem Lande und im Wasser gibt, gemeinsam – auch den Vögeln. Hieraus leitet sich die Verbindung des männlichen Geschlechts mit dem weiblichen ab, die wir Menschen Ehe nennen, ebenso die Erzeugung und Erziehung der Kinder, und wir sehen ja, dass auch die übrigen Lebewesen, selbst die wilden Tiere, nach der Kenntnis dieses Rechts eingestuft werden.“). 88 Thomas zitiert Ulpian (Dig. 1, 1, 1, 4; MOMMSEN/ KRÜGER u. a. 92): Ius gentium est, quo gentes humanae utuntur. Quod a naturali recedere facile intellegere licet, quia illud omnibus animalibus, hoc solis hominibus inter se commune sit. („Völkergemeinrecht ist das Recht, das die menschlichen Völkerschaften befolgen. Dass es vom Naturrecht abweicht, ist leicht einzusehen, weil dieses allen Lebewesen, jenes nur den Menschen untereinander gemeinsam ist.“). 89 Weiterhin gehört zum Völkerrecht nach S. Th. I-II, q. 95 a. 4 das gerechte Kaufen und Verkaufen (iustae emptiones [et] venditiones). Im Politikkommentar (lib. 1 l. 4 n. 1; SPINDLER 140f.) zählt Thomas auch die Versklavung Kriegsgefangener zum Völkerrecht: Est enim quaedam promulgatio legis ut illi qui sunt victi in bello, dicantur esse servi eorum, qui contra eos praevaluerunt: et hoc iure quasi omnes gentes utuntur, unde et ius gentium nominatur. („Denn es ist eine Bekanntmachung des Gesetzes, dass jene, die im Krieg besiegt wurden, als Sklaven derer bezeichnet werden, die gegen sie gewonnen haben. Und dieses Recht wird fast von allen Völkern benutzt, weshalb es auch das Recht der Völker genannt wird.“) Nach Aristoteles (Politik 1, 6) sind nur diejenigen Kriegsgefangenen gerecht versklavt, die ohnehin Sklaven von Natur aus sind.

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betrachtet, keinen natürlichen Grund, sondern besteht aufgrund einer sich ergebenden Nützlichkeit (utilitas). Außer in S. Th. II-II, q. 57 a. 3 thematisiert Thomas innerhalb der Summa Theologiae das Völkerrecht nur innerhalb des sogenannten lex-Traktates90 (S. Th. I-II, q. 95 a. 4) sowie in S. Th. II-II, q. 12 a. 2.91 Auch in S. Th. I-II, q. 95 a. 4 geht es um die Einteilung von Recht und Gesetz.92 Hier unterscheidet Thomas das positive Recht (ius positivum) in das Völkerrecht (ius gentium) und das bürgerliche Recht (ius civile). Beide leiten sich, so wie jedes von Menschen gemachte Gesetz, vom Naturgesetz (lex naturalis) her.93 Zum Naturgesetz aber gehört, dass Menschen zusammenleben, weil „‚der Mensch … seiner Natur nach ein gesellschaftliches Wesen (naturaliter animal sociale)‘ [ist], wie im I. Buch der Politik (c. 1; 1253a 2f.) dargelegt wird“.94 Der Unterschied zwischen Völkerrecht und bürgerlichem Recht besteht nun darin, auf welche Weise ihre Herleitung vom Naturgesetz jeweils geschieht: Zum Völkerrecht gehört all das, „was sich aus dem Naturgesetz (lex naturalis) wie Schlußfolgerungen aus den Prinzipien (conclusiones ex principiis) ergibt, … [und] ohne das die Menschen miteinander nicht leben können“,95 wohingegen das bürgerliche Recht all jene konkreten Bestimmungen beinhaltet, die ein jedes Gemeinwesen (civitas) unter Berücksichtigung seiner jeweiligen zeitlichen und kulturellen Bedingungen für sich selbst festlegt.96 Wie in S. Th. II-II, q. 57 a. 3 co., begreift Thomas das Völkerrecht auch in S. Th. I-II, q. 95 a. 4 als direkt aus dem Naturgesetz beziehungsweise Naturrecht im absoluten Sinne abgeleitetes Recht.97 Deutlicher jedoch als in S. Th. II-II, q. 57 a. 3 betont Thomas in S. Th. I-II, q. 95 a. 4, dass das Völkerrecht von Menschen gemachtes Recht ist, indem er es als Unterart des ius 90 Der sogenannte lex-Traktat umfasst die qq. 90-108 der Prima Secundae der Summa Theologiae. Kontext des „Traktates“ sind die Prinzipien menschlicher Handlungen, die Thomas in innere und äußere Prinzipien teilt. Das Gesetz (lex) ist neben der Gnade (gratia) äußeres Handlungsprinzip. 91 Vgl. S. 119. 92 Die Frage lautet hier, ob Isidor die menschlichen Gesetze (humanae leges) zutreffend eingeteilt habe. 93 Vgl. S. Th. I-II, q. 95 a. 2. 94 S. Th. I-II, q. 95 a. 4 co. (Ed. Leonina, Tom. 7, 178; GRONER 121). 95 S. Th. I-II, q. 95 a. 4 co. (Ed. Leonina, Tom. 7, 178; GRONER 121). 96 Hieraus erhellt, warum Thomas in S. Th. II-II, q. 57 a. 3 co. das Privateigentum als direkte Folge des Naturrechts im absoluten Sinne dem Völkerrecht zurechnet: Eine Klärung der Besitzverhältnisse und Nutzungsrechte trägt dazu bei, Streitigkeiten zu vermindern und den Frieden der Menschen untereinander zu fördern. Auf welche Weise konkret der Besitz verteilt wird, ist eine Frage des bürgerlichen Rechts. 97 Die Begriffe Naturgesetz (lex naturalis) und Naturrecht (ius naturale) nutzt Thomas praktisch synonym. Der Versuch, sie konsequent voneinander zu unterscheiden, ist daher wenig sinnvoll. Vgl. LIPPERT (2000) 102f.

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positivum fasst. Für den Menschen ist das Völkerrecht insofern „natürlich“, als es Vernunftrecht ist und die Vernunftbegabung zur „Natur“ des Menschen gehört (ad 1). Auf die servitus kommt Thomas in S. Th. I-II, q. 95 a. 4 nicht zu sprechen, er thematisiert sie aber an anderer Stelle innerhalb lex-Traktats: In S. Th. I-II, q. 94 a. 5 fragt Thomas, ob das Naturgesetz (lex naturalis) verändert werden könne. Dies geht nach Thomas lediglich in Form einer Ergänzung, wie sie durch göttliche oder auch durch menschliche Gesetze zum Nutzen des menschlichen Lebens vorgenommen werden könne (co.). Auch die Verteilung des Besitzes und die servitus sind nach Thomas solche Ergänzungen. Sind nach Isidor gemeinsamer Besitz und gleiche Freiheit aller naturrechtliche Bestimmungen (arg. 3),98 so sei das vergleichbar mit der naturrechtlichen „Bestimmung“, dass der Mensch nackt ist. Wie nun die Herstellung von Kleidung kein Verstoß gegen das Naturrecht ist, sondern nach Thomas eine Ergänzung des Naturrechts durch die menschliche Vernunft zum Nutzen des menschlichen Lebens (per hominum rationem, ad utilitatem humanae vitae) darstellt, so gelte dies auch für Privateigentum und servitus (ad 3). Sowohl in S. Th. II-II, q. 57 a. 3 ad 2 als auch in S. Th. I-II, q. 94 a. 5 ad 3 begründet Thomas die servitus mit deren Nützlichkeit (utilitas) für das menschliche Leben. Ihren Ursprung hat sie, da sie Teil des Völkerrechts ist, in der Vernunftnatur des Menschen99 und in der Bestimmung des Menschen als soziales Lebewesen von Natur aus.100 Sie ist somit gewissermaßen „natürlich“, aber nicht im eigentlichen Sinne. Wäre die servitus Teil des Naturrechts im absoluten Sinne, so „müßte eine naturgegebene Sklaverei von Gott selbst vorgesehen sein“, da „das ius naturale der Niederschlag der lex aeterna ist, die ihrerseits sachlich mit der Vorsehung Gottes zusammenfällt“.101 Dies aber ist mit einem egalitär gedachten christlichen Menschenbild nicht vereinbar. Hätte die servitus jedoch keinerlei Bezug zum Naturrecht und damit zur lex aeterna, so „wäre die Sklaverei … eine widernatürliche Einrichtung menschlicher Herrschaft [und es] wäre ihre Abschaffung zu fordern“.102 Dass die servitus zum Völkerrecht gehört, ist Thomas durch die römische Rechtstradition vorgegeben. Die Frage aber, ob das Völkerrecht eher dem Naturrecht oder eher dem positiven Recht zuzuordnen sei, ist 98

Isidor von Sevilla, Etymologien 5, 4 (LINDSAY): Ius naturale [est] … communis omnium possessio, et omnium una libertas …. 99 Vgl. S. Th. II-II, q. 57 a. 3 ad 2; S. Th. I-II, q. 94 a. 5 ad 3; q. 95 a. 4 ad 1. 100 Vgl. S. Th. I-II, q. 95 a. 4 co. 101 STÄDTLER (2003) 170. Vgl. S. Th. I-II, q. 91 a. 1 und 2. Vgl. hierzu weiterhin MENSCHING (2005) 126-129. 102 STÄDTLER (2003) 171.

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schwer zu entscheiden. Es ist „natürlich“ aufgrund seiner Ableitung aus dem Naturgesetz beziehungsweise Naturrecht sowie im Speziellen „natürlich“ für den Menschen aufgrund seiner Vernünftigkeit und dennoch menschengemacht und damit positiv. Auch im römischen Recht war diese Zuordnung nicht ganz klar: Das Völkerrecht beruhte „zugleich auf Natur und auf menschlicher Satzung“ und „war eine hinsichtlich ihrer legitimatorischen Doppelbödigkeit äußerst fragwürdige juristische Einrichtung“.103 Aufgrund dieser Doppelbödigkeit steht das Völkerrecht einerseits dem Naturrecht sehr nahe, hat aber andererseits nicht dessen unumschränkte Gültigkeit. Jedes von Menschen gemachte Gesetz ist nach Thomas kontingent und kann daher geändert werden, entweder aufgrund einer besseren Einsicht, oder aufgrund eines Wandels der menschlichen Lebensumstände.104 Die servitus ist damit gewissermaßen „indifferent gegen die göttliche Vorsehung“,105 insofern sie ihr weder entgegensteht noch sich notwendig aus ihr ergibt. Käme es zu einem Wandel der menschlichen Lebensumstände, der die servitus „nutzlos“ werden ließe, so könnte diese prinzipiell ohne weiteres abgeschafft werden. Doch was ist eigentlich die „Nützlichkeit“, die nach Thomas die servitus legitimiert? In S. Th. I-II, q. 94 a. 5 ad 3 bestimmt Thomas diese nicht näher. In S. Th. II-II, q. 57 a. 3 ad 2 hingegen spricht er von einer Nützlichkeit sowohl für den Herren als auch für den servus: Für den Herren ist es nützlich, dass ihm vom servus geholfen wird. Für den servus hingegen ist es nützlich, von einem Weiseren gelenkt zu werden. Im Sinne des thomanischen Naturrechts im weiteren Sinne ist die servitus also insofern natürlich, als sie diesen gegenseitigen Nutzen beinhaltet, und damit, ebenso wie das Privateigentum, vernünftig und zweckmäßig im Hinblick auf das gesellschaftliche Zusammenleben der Menschen ist. Ist das gesellschaftliche Zusammenleben dem Menschen durch das Naturrecht im absoluten Sinne beziehungsweise durch das Naturgesetz vorgegeben, so kann die servitus gewissermaßen als „sozialnatürlich“106 bezeichnet werden. Sie ist natürlich, insofern Menschen unter sozialen Bedingungen, also in einer Gesellschaft von Menschen zusammenleben, nicht aber, insofern der Mensch ein Mensch ist. Aufgrund dieser Unterscheidung kann Thomas im folgenden Artikel (q. 57 a. 4) auch sagen: … Filius, inquantum filius, est aliquid patris; et similiter servus, inquantum servus, est aliquid domini. Uterque tamen prout consideratur ut quidam homo, est aliquid

103 104 105 106

STÄDTLER (2003) 172f. Vgl. S. Th. I-II, q. 97 a. 1 co. STÄDTLER (2003) 175. STÄDTLER (2003) 175.

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secundum se subsistens ab aliis distinctum. Et ideo inquantum uterque est homo, aliquo modo ad eos est iustitia. …107 „Insofern der Sohn Sohn ist, ist er etwas, was dem Vater gehört; ebenso ist der Knecht [Sklave, K. P.] (servus), insofern er Knecht [Sklave, K. P.] (servus) ist, etwas, was dem Herrn gehört. Insofern jedoch ein jeder als Mensch betrachtet wird, ist er etwas für sich Bestehendes und von anderen unterschieden. Und deshalb gibt es ihnen gegenüber, insoweit ein jeder der beiden Mensch ist, irgendwie auch Gerechtigkeit.“108

Auch Aristoteles kennt die Unterscheidung zwischen dem Sklaven als Sklaven und dem Sklaven als Menschen im Zusammenhang mit der Gerechtigkeit, ohne die es nach Aristoteles keine Freundschaft geben kann. Freundschaft zwischen Herr und Sklave ist möglich, insofern beide Menschen sind, nicht aber, insofern sie Herr und Sklave sind.109 Thomas wiederum trifft eine ähnliche Unterscheidung auch im Zusammenhang mit der Tugend der Klugheit (prudentia) beziehungsweise der Überlegung (consiliativum), die eigentlich eine Tugend der Herrschenden sei, jedoch auch dem servus zukomme, insofern dieser ein vernünftiges Lebewesen und damit ein Mensch sei.110 Das Konstrukt des Aquinaten aber, dass die servitus aufgrund ihrer Zweckmäßigkeit hinsichtlich des gesellschaftlichen Zusammenlebens der Menschen als „soziale Lebewesen“ durch die menschliche Vernunft eingeführt worden sei und für den servus den Nutzen mit sich bringe, von einem Weiseren gelenkt zu werden, wirft ein entscheidendes Problem auf: Was hier die servitus legitimiert, hat im Urzustand (S. Th. I, q. 96 a. 4) gerade die Herrschaft Freier über Freie legitimiert. Auch im Stand der Unschuld haben die Menschen nach Thomas „sozial gelebt“ (socialiter vixissent), da der Mensch von Natur aus ein soziales Lebewesen sei (homo naturaliter est animal sociale). Auch im Urzustand hat der Weisere, der Summa Theologiae wie auch dem Sentenzenkommentar zufolge, über den weniger Weisen geherrscht und diesen gelenkt. Hat Thomas hinsichtlich des Urzustandes die servitus dadurch von der Herrschaft Freier über Freie unterschieden, dass der servus im Gegensatz zum Freien auf seinen Herrn anstelle des ihm eigenen Gutes (proprium bonum) beziehungsweise auf den Herrn als sein Ziel (finis) hingeordnet sei, weshalb der servus nicht causa sui sei, so fehlt diese Bestimmung des servus an den in diesem Kapitel betrachteten Stellen. Dort ist 107

S. Th. II-II, q. 57 a. 4 ad 2 (Ed. Leonina, Tom. 9, 7). DThA, Bd. 18, 16. 109 Vgl. Anm. 43. 110 S. Th. II-II, q. 47 a. 12 ad 2 (Ed. Leonina, Tom. 8, 360; DThA, Bd. 17B, 226): … Servus non habet consiliativum inquantum est servus: sic enim est instrumentum domini. Est tamen consiliativus inquantum est animal rationale. („Der Knecht [Sklave, K. P.] (servus) hat keine Überlegung, insofern er Knecht [Sklave, K. P.] ist; in diesem Sinne nämlich ist er Werkzeug des Herrn. Und doch kommt ihm Überlegung zu, insofern er ein vernunftbegabtes Lebewesen ist.“). 108

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auch nicht wie in S. Th. I, q. 96 a. 4 co. die Rede davon, dass der Herr nur auf seinen eigenen Nutzen bedacht sei,111 sondern Thomas sieht in der servitus vielmehr einen gegenseitigen Nutzen für den Herrn und für den servus. Wie aber lässt sich die servitus, wie Thomas sie in S. Th. II-II, q. 57 a. 3 und S. Th. I-II, q. 94 a. 5 beschreibt und begründet, dann noch systematisch von der Herrschaft Freier über Freie in S. Th. I, q. 96 a. 4 unterscheiden? Das Völkerrecht, in dem Thomas die servitus, römischer Rechtstradition folgend, verankert, hat es im Urzustand noch nicht gegeben. Wie jedes von Menschen gemachte Recht und Gesetz, wird seine Einführung erst mit dem Sündenfall des Menschen notwendig. Im Stand der Unschuld galt alleine das Naturrecht im absoluten Sinn, und damit, wie Isidor sagt,112 dessen Bestimmungen des Gemeinbesitzes und der gleichen Freiheit für alle.113 Und dennoch haben auch im Urzustand, aufgrund des sozialen und vernunftbegabten Wesens des Menschen und (auch) zum Nutzen der Untergebenen, Menschen über Menschen geherrscht. Diese Herrschaft bezeichnet Thomas zwar, da er vom Urzustand spricht, nicht als Inhalt eines Rechts oder Gesetzes, dennoch ist sie, wie das Völkerrecht, eine direkte Ableitung aus den natürlichen Gegebenheiten des Menschseins. Wohl aufgrund dieser strukturellen Übereinstimmungen erscheint „der Übergang zum Privatbesitz und zur Sklaverei keineswegs als ein … verhängnisvolle[r] Bruch“.114 Die Grenze zwischen der Herrschaft Freier über Freie im Urzustand und der servitus nach dem Fall des Menschen wird noch unschärfer dadurch, dass Thomas in S. Th. II-II, q. 12 a. 2 co. auch menschliche Herrschaft allgemein (dominium) auf das Völkerrecht zurückführt, das menschliches Recht sei.115 Damit wäre auch eine Herrschaft Freier über Freie völkerrechtlich begründet und umgekehrt für den Urzustand ausgeschlossen. All diese Unstimmigkeiten lassen sich letztlich nur dadurch erklären, dass ein hinsichtlich der Freiheit eines jeden Menschen egalitäres Menschenbild, wie es die christliche Lehre vor dem Hintergrund der Gottebenbildlichkeit aller Menschen vertritt, letztlich nicht vollständig mit der Vorstellung einer S. Th. I, q. 96 a. 4 co. (Ed. Leonina, Tom. 5, 429; DThA, Bd. 7, 130): Tunc ergo aliquis dominatur alicui ut servo, quando eum cui dominatur ad propriam utilitatem sui, scilicet dominantis, refert. („Dann beherrscht also ein Mensch den andern als Sklaven (servus), wenn er den, über den er Herrschergewalt ausübt, auf seinen eigenen, d. h. auf den Vorteil des Beherrschenden hinordnet.“). 112 S. Th. I-II, q. 95 a. 4 arg. 3 und ad 3; vgl. Anm. 98. 113 Vgl. auch TÖPFER (1999) 241f. sowie dort Anm. 278. 114 TÖPFER (1999) 241. 115 S. Th. II-II, q. 12 a. 2 co. (Ed. Leonina, Tom. 8, 105; DThA, Bd. 15, 253): … dominium introductum est de iure gentium, quod est ius humanum. („… denn Herrschaftsstellung ist aufgekommen auf Grund des bei allen Völkern maßgeblichen Rechtes, und dieses ist menschliches Recht.“) Vgl. auch S. Th. II-II, q. 10 a. 10 co., wo Thomas die menschliche Herrschaft (dominium et praelatio) auf das menschliche Recht (ius humanum) zurückführt. Vgl. S. 119. 111

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völkerrechtlich begründeten servitus, wie sie die römische Rechtstradition kennt, vereinbaren lässt. Begründung und Eigenart der servitus, wie Thomas sie im Rahmen seiner Überlegungen zum Urzustand und damit in schöpfungstheologischem Kontext beschreibt, sind nicht dieselben wie die der servitus, über die Thomas im Zusammenhang mit Recht und Gesetz spricht. Wenn die servitus erst mit der Sünde in die Welt kam, weshalb sie Thomas für den Urzustand ausschließen muss, warum besteht diese dann nicht (grundsätzlich) in der egoistischen Ausnutzung des servus durch dessen Herrn, wie Thomas sie in S. Th. I, q. 96 a. 4 beschreibt, sondern ist nützlich auch für den servus und vernünftig im Hinblick auf das gesellschaftliche Zusammenleben? Und warum bezeichnet Thomas sie dann nicht durchgehend als Sündenstrafe, sondern nur in seltenen Randbemerkungen?116 Auch mit dem aristotelischen Dictum, dass einige Menschen von Natur aus Sklaven seien, lässt sich das christliche Egalitätsdenken nicht vereinbaren. Allerdings kommt Thomas mit Aristoteles darin überein, in seinen Überlegungen zwischen zwei Ebenen zu unterscheiden: Aristoteles spricht vom Sklaven als Sklaven und vom Sklaven als Menschen. Thomas spricht vom Menschen im Kontext der Schöpfungstheologie und seines hypothetisch gedachten Zusammenlebens mit anderen Menschen im Stand der Unschuld sowie vom Menschen im Kontext seines tatsächlichen Soziallebens unter den gegebenen, postlapsarischen Umständen. Dabei reflektiert Thomas die erstgenannte Ebene nicht im Hinblick auf die zweite hin, beide bleiben nebeneinander bestehen. Er problematisiert die servitus letztlich nicht und fordert keinesfalls ihre Abschaffung. Vielmehr bemüht sich Thomas im Kontext von Recht und Gesetz, die Vernünftigkeit der Einrichtung der servitus bei gleichzeitiger Indifferenz gegenüber der göttlichen Vorsehung aufzuzeigen, welche ihren Niederschlag im unabänderlichen Naturgesetz beziehungsweise Naturrecht im absoluten Sinne findet. 5. Die Herrschaft Ungläubiger über Gläubige und umgekehrt: Zeitbezogene Aussagen zur servitus? Ist der Mensch von Natur aus ein auf Gemeinschaft hin angelegtes Wesen und gehört es zum gesellschaftlichen Leben, dass es Herrschaftsverhältnisse der Menschen untereinander gibt, so folgt daraus „die volle Anerkennung der staatlichen Organisation auch der nichtchristlichen Völker“.117 Sowohl auf die Frage hin, ob Ungläubige eine Herrschaftsstellung über Gläubige in116 117

Z. B. in S. Th. II-II, q. 189 a. 6 ad 2. TÖPFER (1999) 236.

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nehaben können als auch ob ein Fürst aufgrund von Apostasie seine Herrschaftsstellung verlieren kann, antwortet Thomas daher, dass jede Herrschaft auf menschlichem Recht beruhe und zunächst nichts mit dem Glauben oder Unglauben des Herrschenden zu tun habe. Thomas schreibt bezüglich der ersten Frage: … considerandum est quod dominium et praelatio introducta sunt ex iure humano: distinctio autem fidelium et infidelium est ex iure divino. Ius autem divinum, quod est ex gratia, non tollit ius humanum, quod est ex naturali ratione. Et ideo distinctio fidelium et infidelium, secundum se considerata, non tollit dominium et praelationem infidelium supra fideles. …118 „… [Es] ist zu beachten, dass Herrschaftsgewalt und Überordnung nach menschlichem Rechte zustandegekommen sind. Die Unterscheidung aber von Gläubigen und Ungläubigen beruht auf göttlichem Recht. Das göttliche Recht aber, das auf der Gnade beruht, hebt das menschliche Recht, das aus der menschlichen Vernunft stammt, nicht auf. Also hebt die Scheidung von Gläubigen und Ungläubigen, an sich betrachtet, die Herrschaftsstellung und Überordnung von Ungläubigen gegenüber Gläubigen nicht auf. …“119

Ähnlich und mit Verweis auf den gerade zitierten Artikel schreibt Thomas bezüglich der zweiten Frage: … infidelitas secundum seipsam non repugnat dominio, eo quod dominium introductum est de iure gentium, quod est ius humanum; distinctio autem fidelium et infidelium est secundum ius divinum, per quod non tollitur ius humanum. …120 „Unglaube an sich steht der Herrschgewalt nicht im Wege (q. 10 a. 10); denn Herrschaftsstellung (dominium) ist aufgekommen auf Grund des bei allen Völkern maßgeblichen Rechtes (ius gentium), und dieses ist menschliches Recht (ius humanum); die Unterscheidung aber von Gläubigen und Ungläubigen erfolgt nach göttlichem Recht, durch welches das menschliche Recht nicht aufgehoben wird. …“121

Indem Thomas, seinem Grundsatz folgend, dass die Gnade die Natur nicht aufhebe, sondern diese voraussetze und vervollkommne,122 dem menschlichen Recht einen Eigenwert gegenüber dem göttlichen Recht zuweist, misst er auch der weltlichen Herrschaft eine Eigenberechtigung gegenüber der geistlichen Gewalt der Kirche bei. Diese Eigenberechtigung kann die Kirche zwar einschränken oder gar aufheben, sie tut dies „allerdings nur bisweilen; bisweilen aber tut sie es nicht“.123 Im Falle des Fürsten, der vom christlichen Glauben abgefallen ist, nennt Thomas es „angemessen“ (convenienter), wenn die Kirche den Apostaten mit dem Verlust von dessen Herrschaftsstellung über seine gläubigen Untertanen bestraft. Ist der ungläubige Fürst durch 118 119 120 121 122 123

S. Th. II-II, q. 10 a. 10 co. (Ed. Leonina, Tom. 8, 92). DThA, Bd. 15, 221. S. Th. II-II, q. 12 a. 2 co. (Ed. Leonina, Tom. 8, 105). DThA, Bd. 15, 253. Vgl. z. B. S. Th. I, q. 1 a. 8 ad 2 und öfter. S. Th. II-II, q. 10 a. 10 co. (Ed. Leonina, Tom. 8, 92; DThA, Bd. 15, 221).

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den Urteilsspruch der Kirche exkommuniziert, so „sind seine Untertanen ohne weiteres von seiner Herrschaft und von dem Treueid, durch den sie an ihn gebunden waren, entbunden“.124 Grund für den Eingriff in die weltliche Herrschaftssphäre seitens der Kirche ist dabei vor allem der Schutz der gläubigen Untertanen, deren Glauben durch den Abfall ihres Fürsten in Gefahr steht. Trotz aller Anerkennung weltlicher Herrschaft steht der Glaube und damit die Sorge um das ewige Heil für Thomas unbedingt an erster Stelle. Dies ist auch der Grund, warum Thomas in S. Th. II-II, q. 10 a. 10 co. die Neueinführung einer Herrschaftsstellung eines Ungläubigen über einen Gläubigen vehement ablehnt: „Und dies kann auf keine Weise gestattet werden. Denn es würde zum Ärgernis und zur Gefährdung des Glaubens führen.“125 Anders als in S. Th. II-II, q. 12 a. 2 geht es Thomas in S. Th. II-II, q. 10 a. 10 nicht um menschliche Herrschaft im politischen Sinne, sondern zunächst um menschliche Herrschaft allgemein beziehungsweise bei näherer Betrachtung vor allem um die servitus, auch wenn er durchgehend von dominium und praelatio spricht. Von der neu einzuführenden Herrschaft eines Ungläubigen über einen Gläubigen unterscheidet Thomas ein bereits bestehendes Herrschaftsverhältnis, innerhalb dessen der Untergebene erst in seinem Status als Untergebener zum christlichen Glauben gekommen ist. Ein solches Herrschaftsverhältnis kann von der Kirche zugunsten des Gläubigen aufgehoben werden, da die Kirche zwar die weltliche Herrschaftssphäre in deren Eigenständigkeit respektiert, aber dennoch die Autorität Gottes (auctoritas Dei) ausübt. Im Falle von Ungläubigen, über welche die Kirche oder ihre Glieder nicht selbst weltliche Macht ausübt, macht die Kirche von diesem ihrem Recht nach Thomas keinen Gebrauch, um Anstoß zu vermeiden (ad scandalum vitandum).126 Im Falle von Ungläubigen aber, „die der Kirche und ihren Gliedern auch in irdischer Unterwerfung untertan sind“ – und hier allein scheint Thomas im Kontext seiner Ausführungen zur servitus unter Verweis auf kirchenrechtliche Bestimmungen auf seine konkreten Zeitumstände bezogen zu schreiben127 – 124

S. Th. II-II, q. 12 a. 2 co. (Ed. Leonina, Tom. 8, 105; DThA, Bd. 15, 254). S. Th. II-II, q. 10 a. 10 co. (Ed. Leonina, Tom. 8, 91; DThA, Bd. 15, 220). FLÜELER (1991) 303 sieht in dieser Aussage des Aquinaten einen Hinweis auf den Sklavenhandel, den Juden und Moslems mit Christen betrieben, und dessen Ausweitung Thomas habe verhindern wollen. Ob sich Thomas an dieser Stelle tatsächlich auf konkrete zeitgenössische Umstände bezieht oder ob seine Aussage zeitlos getroffen ist, lässt sich aus der Quelle letztlich nicht sicher entscheiden. 126 Zu fragen wäre auch nach der faktischen Durchsetzbarkeit des hier behaupteten Rechts. 127 Ebenfalls in diesen Kontext fallen noch S. Th. II-II, q. 10, a. 9 arg. 3, das mit jüdischen, heidnischen oder sarazenischen servi christlicher Herren argumentiert, sowie S. Th. II-II, q. 10 a. 12, wo Thomas sich gegen die Taufe jüdischer Kinder gegen den Willen der Eltern ausspricht (arg. 3 und ad 3). Zu der Thematik (christlicher) Sklaven im Besitz von Andersgläubigen vgl. auch GRIESER (1997) 113-121. 125

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„hat die Kirche dies als Recht gesetzt (hoc ius Ecclesiae statuit), daß ein Sklave von Juden, wenn er Christ geworden ist, sofort von der Sklaverei frei wird, ohne Entgelt, falls er von Haus aus Sklave, d. h. in der Sklaverei geboren ist; desgleichen, wenn er als Ungläubiger zum Sklavendienst gekauft worden ist (emptus ad servitium). Ist er aber zum Weiterverkauf erworben worden (emptus ad mercationem), so besteht die Pflicht, ihn innerhalb von drei Monaten zum Verkaufe anzubieten. 128 Damit tut die Kirche kein Unrecht; denn da die Juden ihrerseits Sklaven der Kirche sind (cum ipsi Iudaei sint servi Ecclesiae),129 kann sie über ihr [deren, K. P.] Eigentum verfügen (disponere de rebus eorum), wie auch die weltlichen Fürsten hinsichtlich ihrer Untertanen viele Gesetze zugunsten der Freiheit erlassen haben.“130

Die zitierte Stelle ist zugleich die einzige, an der mit hoher Wahrscheinlichkeit vermutet werden kann, dass Thomas von „echter“ Sklaverei in Bezug auf eine konkrete Personengruppe seiner Zeit spricht: Thomas spricht vom Kauf von Ungläubigen zum Sklavendienst und zum Weiterverkauf. Außerdem, und das ist noch viel bedeutender, bezeichnet er diese als Eigentum (res) ihrer jüdischen Herren. Eine Abschaffung der servitus fordert Thomas jedoch auch in diesem Kontext nicht, nicht einmal für alle Christen, die einen Ungläubigen zum Herrn haben. Dies wäre rechtlich wohl auch gar nicht durchsetzbar gewesen. Auch in S. Th. II-II, q. 10 a. 10 geht es Thomas nicht um die servitus an sich, sondern vielmehr um das Verhältnis von menschlichem und göttlichem Recht, wie es im Verhältnis von weltlichen Herren und Kirche seinen Ausdruck findet. Der Kontext innerhalb der Summa Theologiae ist die Tugend 128

Wird der Christ gewordene servus nicht innerhalb von drei Monaten verkauft, so muss sein jüdischer Herr ihn ohne Entgelt entlassen. Vgl. hierzu lib. 5, tit. 6 (De Iudaeis), cap. 19 (Nulli) des Liber Extra Papst Gregors IX. (X 5.6.19; FRIEDBERG, Bd. 2, 778): Nulli Iudaeo baptizatum vel baptizari volentem emere liceat vel in suo servitio retinere. Quodsi quem, nondum ad fidem conversum, causa mercimonii emerit, et postmodum factus sit vel fieri desideret Christianus, datis pro eo XII. solidis ab illius servitio protinus subtrahatur. Si autem infra tres menses ipsum venalem non exposuerit, vel ad sibi serviendum emerit eundem, nec ipse vendere, nec alius audeat comparare, sed nullo dato pretio perducatur ad praemia libertatis. Als weitere Referenzstellen nennt Cajetan (Ed. Leonina, Tom. 8, 92) für Thomas im Liber Extra X 5.6.16 und 18 (FRIEDBERG, Bd. 2, 777f.) sowie im Decretum Gratiani D. 54 can. 14 (FRIEDBERG, Bd. 1, 211). 129 Vgl. hierzu lib. 5, tit. 6 (De Iudaeis), cap. 13 (Etsi Iudaeos) des Liber Extra Papst Gregors IX. (X 5.6.13; FRIEDBERG, Bd. 2, 775f.), das auf einen Brief Papst Innozenz III. (11981216) an die Bischöfe von Sens und Paris aus dem Jahre 1205 Bezug nimmt. Hier heißt es am Anfang: Etsi Iudaeos, quos propria culpa submisit perpetuae servituti, cum Dominum crucifixerunt… etc. Die auf Augustinus zurückgehende, ursprünglich religiöse Vorstellung von der „Sündenknechtschaft“ der Juden erhält bei Innozenz III. eine juristische Dimension: Die Juden seien Schutzbefohlene der Kirche und damit des Papstes, nicht des Kaisers. Beide Mächte erheben im 13. Jahrhundert Anspruch auf Universalherrschaft. Kaiser Friedrich II. gewährt 1236 auf demselben Hintergrund den Juden des Reiches das Privileg der „Kammerknechtschaft“ (servitus camere imperialis). Zur Rechtsstellung der Juden im Hochmittelalter sowie zur päpstlichen und kaiserlichen Schutzpolitik vgl. BATTENBERG (1990) 97-122; ECKERT (1968) 210-227. 130 DThA, Bd. 15, 221f.

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des Glaubens (fides), die Thomas als erste der theologischen Tugenden vor allen anderen Tugenden in der Secunda Secundae thematisiert. Eine nähere Bestimmung oder Begründung der servitus fehlt in S. Th. II-II, q. 10 a. 10. Sie wird weder, wie im Kontext von Urzustand und Sündenfall, als Sündenstrafe charakterisiert, noch wird wie im Zusammenhang von Recht und Gesetz ihre Natürlichkeit oder Nützlichkeit im Hinblick auf das menschliche Zusammenleben herausgestellt. 6. Sakramententheologische und -rechtliche Überlegungen: Die servitus als conditio fortunae exterioris und Erbe Im Sentenzenkommentar äußert sich Thomas von Aquin auch im Zusammenhang mit sakramententheologischen und -rechtlichen Überlegungen zur servitus. Ein Vergleich mit der Summa Theologiae, wie es für die Frage nach der Herrschaft des Menschen über den Menschen im Urzustand möglich ist (Kapitel 3), kann in diesem Kontext nicht geleistet werden, da der entscheidende dritte Teil der Summa Theologiae unvollendet geblieben ist. Die entsprechenden quaestiones hat Thomas nicht mehr ausgeführt. Ob der Aquinate seine im Sentenzenkommentar vertretenen Positionen in späteren Jahren geändert hat, kann nicht nachgeprüft werden. 6.1 Das Weihesakrament Innerhalb des vierten Buches des Sentenzenkommentares, das den Sakramenten gewidmet ist, fragt Thomas in der 25. Distinktion nach den Voraussetzungen, die Spender (q. 1) und Empfänger (q. 2) des Weihesakramentes (sacramentum ordinis) erfüllen müssen. Dabei gibt es nach Thomas zwei Arten von Hindernissen, die dem Empfang einer Weihe im Wege stehen: Ein natürlicher Mangel (defectus naturae), der dem potentiellen Empfänger unabänderlich vorgegeben ist, oder aber ein Umstand des äußeren Geschicks (conditio fortunae exterioris), also ein kontingentes Hindernis.131 Als Hindernisse von Natur aus benennt Thomas im Folgenden das weibliche Geschlecht (a. 1 qc. 1) sowie den fehlenden Vernunftgebrauch aufgrund des Alters (a. 1 qc. 2), der allerdings lediglich den Empfang der höheren Weihen (majores ordines) ausschließe. Wer einen defectus naturae aufweist, kann und darf nach Thomas nicht geweiht werden.

131

Super Sent. 4, d. 25 q. 2 pr.

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Kontingente Hindernisse kennt Thomas hingegen vier: Die servitus (a. 2 qc. 1),132 einen begangenen Mord (a. 2 qc. 2), die uneheliche Abstammung des Weihekandidaten (a. 2 qc. 3) sowie eine vorliegende körperliche Verstümmelung (a. 2 qc. 4). Übereinstimmend für alle vier Fälle hält Thomas fest, dass diese Hindernisse lediglich die Erlaubtheit einer Weihe betreffen, eine dennoch gespendete Weihe damit zwar unerlaubt, aber dennoch gültig ist.133 Im Falle der servitus schreibt Thomas: … In susceptione ordinis mancipatur homo divinis officiis. Et quia nullus potest alteri dare quod suum non est; ideo servus qui non habet potestatem sui, non potest ad ordines promoveri: si tamen promovetur, ordinem suscipit, quia libertas non est de necessitate sacramenti, licet sit de necessitate praecepti; cum non impediat potestatem, sed actum tantum. …134 „… Durch den Empfang der Weihe widmet ein Mensch sich selbst den göttlichen Diensten. Und weil niemand einem anderen geben kann, was nicht das Seine ist; deshalb kann ein servus, der keine Macht über sich hat, nicht zu den Weihen zugelassen werden: Wenn er dennoch zugelassen wird, empfängt er die Weihe, da die Freiheit keine Notwendigkeit von Seiten des Sakramentes her darstellt, obgleich sie es von Seiten der Vorschrift her ist; sie [= die servitus] hindert daher nicht die Möglichkeit [der Weihe], sondern lediglich den Akt [derselben]. …“135

Die Weihe des servus ist nach Thomas unerlaubt, da dieser nicht selbst über sich verfügen kann und einer „körperlichen Unterwerfung“ (corporalis subjectio) unterliegt.136 Im Gegensatz zur Frau aber sei er nicht von Natur aus (ex natura) unterworfen.137 Bevor Thomas sich im Folgenden dem Mord als weiterem kontingentem Weihehindernis zuwendet, fügt der Aquinate noch einige das Verhältnis von Weihespender, servus und Herr betreffende Bestimmungen an:138 Weiß der Herr um die (unerlaubte) Zulassung seines servus zur Weihe und legt keinen Widerspruch dagegen ein, so wird der servus eben durch den nicht erfolgten Widerspruch seines Herrn zu einem Freien. Seine Weihe ist nun nicht nur gültig, sondern auch erlaubt. Wird der servus aber im Nichtwissen seines Herrn zur Weihe zugelassen und wissen die für die Weihe Verantwortlichen um den Stand ihres Weihekandidaten, so müssen letztere dem Herrn eine Entschädigung in Höhe des doppelten Wertes des servus zahlen. Wissen sie aber nicht um den Stand des Kandidaten, so muss der servus sich selbst los-

132 Zur Frage nach der Zulassung von Sklaven zu kirchlichen Ämtern im spätantiken Recht vgl. GRIESER (1997) 158-162. 133 Super Sent. 4, d. 25 q. 2 a. 2 qc. 1 co.; qc. 2 co.; qc. 3 co.; qc. 4 co. 134 Super Sent. 4, d. 25 q. 2 a. 2 qc. 1 co. (FIACCADORI 909). 135 Übersetzung: PULTAR. 136 Super Sent. 4, d. 25 q. 2 a. 2 qc. 1 ad 1. 137 Super Sent. 4, d. 25 q. 2 a. 2 qc. 1 ad 4. 138 Super Sent. 4, d. 25 q. 2 a. 2 qc. 1 ad 5.

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kaufen (redimere). Hat er hierfür nicht die finanziellen Mittel, so wird er (vorerst) nicht geweiht und hat zu seinem Herrn zurückzukehren. Insofern der servus ein Mensch ist, kann er gültig geweiht werden. Insofern er aber servus ist, ist seine Weihe nur unter bestimmten Umständen erlaubt, die alle letztlich seine (persönliche) Freiheit herbeiführen. Die servitus ist nicht „natürlich“, sondern ein kontingenter „Umstand des äußeren Geschicks“. Zu ihrem möglichen Strafcharakter oder ihrer „Natürlichkeit“ in einem weiteren Sinne äußert sich Thomas an dieser Stelle nicht. 6.2 Das Sakrament der Ehe In der 36. Distinktion des vierten Buches fragt Thomas, ob die servitus zu den Ehehindernissen zu zählen sei (q. 1 a. 1). Seine Antwort fällt differenziert aus: Ist dem künftigen Ehepartner der Stand des servus vor der Eheschließung bekannt, so stellt die servitus kein Ehehindernis dar. Weiß der Partner aber nicht darum, so liegt eine Täuschung vor, die den bei der Ehe geschlossenen Vertrag (contractus) ungültig macht.139 Interessanter aber als die Antwort des Aquinaten ist seine Entgegnung auf den zweiten Einwand, der mit Papst Gregor dem Großen, den Digesten und Cicero im Hintergrund aufzeigen möchte, dass die servitus dem Naturrecht und damit auch dem positiven Recht als dessen Ableitung widerspreche. Thomas argumentiert dagegen mit Albertus Magnus, der in seinem Kommentar zur „Entstehung der Tiere“ (De generatione animalium) des Aristoteles eine erste und eine zweite Intention der Natur unterscheidet: Wo die Natur aufgrund sich ihr in den Weg stellender Hindernisse ihre erste Intention nicht erreichen kann, da muss sie sich mit dem „Zweitbesten“ zufrieden geben. So ist es nach Albert die erste Intention der (partikularen) Natur,140 Männer hervorzubringen. Liegt aber ein „Defekt“ in der Materie vor oder stimmen die Ausgangsbedingungen aufgrund einer falschen Wärme (calor) nicht, so bringt sie als „zweitbeste Lösung“ eben eine Frau hervor.141 Ebenso sollte es nach Thomas der ersten Intention der Natur nach keine servitus ge139

Super Sent. 4, d. 36 q. 1 a. 1 co. Albertus Magnus unterscheidet die natura particularis von der natura universalis. Erste Intention der natura universalis ist die Erhaltung der ganzen Welt und deren Teile (conservare totum universum et partes eius). Da die Arten (species) solche „Teile“ der Welt sind, möchte die natura universalis auch diese erhalten, was nicht ohne die Zeugung von Individuen gelingen kann. Deshalb intendiert die natura universalis auch die Frau, ohne die Arterhaltung durch Zeugung nicht möglich wäre. Die natura particularis hingegen intendiert nicht die Arterhaltung, sondern die Hervorbringung von etwas ihr Ähnlichem (producere sibi simile), worin Albert den Mann sieht. Vgl. Albertus Magnus, Quaestiones De animalibus 15, q. 2 co. 141 Albertus Magnus, Quaestiones De animalibus 15, q. 2 co. 140

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ben. Da es aber Sünde unter den Menschen gibt, verfolgte die Natur daraufhin in diesem Punkt ihre zweite Intention: die Bestrafung der Sünde. Dass diese Bestrafung konkret durch die Einführung der servitus geschieht, ist nach Thomas Sache des positiven Rechts, das sich vom Naturrecht herleitet (ad 3). Die Unterscheidung zweier Intentionen der Natur ermöglicht es Thomas an dieser Stelle, die servitus zugleich als „natürlich“ und als Strafe für die Sünde zu begründen. Sie ist „natürlich“ im weiteren Sinne und nur unter den Bedingungen des Sündenfalls des Menschen. Da die servitus Gegenstand des positiven Rechts sei, die Ehe aber dem Naturrecht zugehöre,142 kann ein Herr seinem servus nach Thomas eine Eheschließung genauso wenig verbieten, wie er ihm das Schlafen oder das Essen untersagen kann. So wie die Natur das Bestreben (appetitus) hat, das Individuum zu erhalten, so hat sie auch das Bestreben, durch Zeugung die Art zu erhalten. Der servus darf daher ohne das Wissen seines Herrn und sogar gegen dessen ausdrücklichen Willen (domino nesciente aut contradicente) heiraten.143 Er ist seinem Herrn nur in den Dingen Gehorsam schuldig, die in dessen Verfügungsgewalt stehen. Darunter aber fallen nur Dinge, die Thomas als superaddita im Gegensatz zu den naturalia bezeichnet, über die der Herr nicht bestimmen kann, da sie sowohl ihm als auch dem servus naturrechtlich vorgegeben sind. Nur im Hinblick auf die superaddita ist der servus eine res domini.144 Im Gegensatz zu einem servus kann ein freier Mann selbst über die superaddita verfügen. Er kann sogar das Recht an ihnen an einen anderen Menschen verkaufen und sich so aus eigenem Willen und auch gegen den Willen seiner Ehefrau in die servitus begeben. Eine bereits bestehende Ehe wird dadurch nicht aufgelöst.145 Die Ehefrau eines servus wie eines freien Mannes hat nach Thomas lediglich ein gewisses Anrecht auf ihren Mann im Bereich der naturalia. In diesem Bereich hat er ihr gegenüber seine Schuldigkeit (debitum) zu erfüllen, gegebenenfalls selbst gegen den Willen seines Herrn.146 Was dem freien Mann möglich ist, ist der freien (verheirateten) Frau nicht gestattet. Nur im Bereich der naturalia, also allem, was die Selbsterhaltung wie die Arterhaltung angeht, sind Mann und Frau in der Ehe als Gleichgestellte einander verbunden. In allem anderen ist der Mann „das Haupt der Frau“ (caput mulieris), weshalb sich eine verheiratete Frau nicht gegen den Willen ihres Mannes als ancilla in die servitus begeben darf.147 142 143 144 145 146 147

Vgl. Anm. 87. Super Sent. 4, d. 36 q. 1 a. 2 co. Super Sent. 4, d. 36 q. 1 a. 2 ad 2 und ad 3. Super Sent. 4, d. 36 q. 1 a. 3 co. Super Sent. 4, d. 36 q. 1 a. 2 ad 3; a. 3 ad 2. Super Sent. 4, d. 36 q. 1 a. 3 ad 3.

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Im vierten Artikel fragt Thomas, ob die Nachkommen eines servus und einer Freien, beziehungsweise umgekehrt, servi oder Freie seien. Römischem Recht folgend erklärt Thomas in seiner Antwort: „Das Kind folgt dem Mutterleib“ (partus sequitur ventrem). Ist die Mutter also im Stand der servitus, so ist es auch ihr Kind.148 Dies begründet er folgendermaßen: Vom Vater erhält das Kind die Form, von der Mutter die Materie.149 Da die servitus aber eine corporalis conditio sei, sei hierfür die materielle Seite entscheidend. Zur Formseite gehören nach Thomas hingegen Erbe, Würden und ähnliches dergleichen.150 7. Zusammenfassung Innerhalb der untersuchten Fragekomplexe erklärt Thomas von Aquin die servitus hauptsächlich mithilfe zweier verschiedener Begründungsparadigmen: Dem augustinisch geprägten Schema von Urzustand und Sündenfall einerseits (1), und dem aristotelischen Dictum von der „Sozialnatur“ des Menschen andererseits (2). Nach dem ersten Erklärungsmodell widerspricht die servitus der ursprünglichen „Natur“ des Menschen und ist Sündenstrafe, nach dem zweiten ist sie „natürlich“ in einem weiteren Sinne, insofern sie sich mithilfe der dem Menschen ebenfalls naturgegebenen Vernunft aus den Vorgaben des Naturrechts ableiten lässt und eine für das menschliche Zusammenleben nützliche Einrichtung darstellt. Zu diesen Begründungsparadigmen hinzu treten bei Thomas Einflüsse aus der römischen Rechtstradition, nach welcher die servitus Gegenstand des Völkerrechts ist und das Kind hinsichtlich seiner (persönlichen) Freiheit dem Stand der Mutter folgt. Je nach Kontext, innerhalb dessen Thomas über die servitus spricht, argumentiert er weitgehend kohärent, solange er hauptsächlich je eines der genannten Paradigmen bemüht. So folgt er im Zusammenhang seiner Überlegungen zum Urzustand und Sündenfall des Menschen (Kapitel 3) dem augustinischen Modell (1). Wie bei Augustinus wird die servitus als Sündenstrafe verstanden, wohingegen die Herrschaft Freier über Freie für Thomas eine anthropologische Notwendigkeit darstellt. Im Sentenzenkommentar wird diese Art der Herrschaft mit dem Zweck der Leitung der menschlichen Gemeinschaft im zu Tuenden und zu Wissenden durch von Gott in besonderer 148 Zum römischen Recht in dieser Frage vgl. z. B. Dig. 1, 5, 5 und 24 (MOMMSEN/ KRÜGER u. a. 118; 122); Ulpian, Regulae (= Epitome) 5, 9 (SCHULZ 30): … partus sequitur matrem. („Das Kind folgt der Mutter.“); GRIESER (1997) 90-92. 149 Vgl. Albertus Magnus, Quaestiones De animalibus 16, q. 3 co.; Aristoteles, Über die Entstehung der Tiere 2, 1, 732a 1-12. 150 Super Sent. 4, d. 36 q. 1 a. 4 co.

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Weise begnadete und dadurch weisere Menschen legitimiert, in der Summa Theologiae hingegen durch das aristotelische Dictum, der Mensch sei von Natur aus auf ein Leben in Gemeinschaft hin angelegt, welches nach Thomas nur durch die Ausbildung hierarchischer Strukturen gelingen kann. Das zweite, aristotelisch geprägte Begründungsparadigma für die servitus wird hier gerade zum Erklärungsmodell für eine „gute“, da der ursprünglichen Naturordnung entsprechende Herrschaft. Im Kontext von Recht und Gesetz (Kapitel 4) hingegen begründet Thomas mit eben diesem Dictum von der menschlichen „Sozialnatur“ nicht die Herrschaft Freier über Freie, sondern die servitus, die „natürlich in einem weiteren Sinne“ sei. Damit folgt er dem zweiten der genannten Paradigmen (2): In Verbindung mit der römischen Rechtstradition versteht Thomas die „Sozialnatur“ des Menschen als Bestimmung des unverfügbar vorgegebenen Naturgesetzes beziehungsweise Naturrechts im absoluten Sinne, aus dem sich mithilfe der Vernunft direkte Schlussfolgerungen zum Nutzen für das menschliche Leben ableiten lassen. Diese Schlussfolgerungen, zu denen für Thomas auch die servitus gehört, setzt er mit dem römischen Völkerrecht in eins, das damit dem Naturrecht sehr nahe steht, aber dennoch menschengemachtes Recht ist. Durch dieses Konstrukt schwächt er die Aussage des Aristoteles entscheidend ab, nach der es „Sklaven von Natur aus“ gebe: Nicht bestimmte Menschen seien „von Natur aus“ dazu prädestiniert, servi zu sein, sondern die servitus als solche ist nach Thomas „natürlich“, da sie „vernünftig“ und „nützlich“ sei. Da die servitus nicht „natürlich“ im strengen, sondern nur in einem weiteren Sinne ist, ist sie zugleich einerseits nicht Inhalt der göttlichen Vorsehung, widerspricht dieser jedoch andererseits auch nicht. Im Zusammenhang mit der Frage nach der Herrschaft von Ungläubigen über Gläubige und umgekehrt (Kapitel 5) wiederum begründet Thomas die servitus weder mit Augustinus, noch mit Aristoteles oder mit der römischen Rechtstradition. Vielmehr versteht er in diesem Kontext menschliche Herrschaft insgesamt als dem Völkerrecht – und damit dem menschlichen Recht – entspringend. Unter Rückgriff auf zu seiner Zeit geltende kirchenrechtliche Bestimmungen erklärt er, wie die Kirche mit bestimmten servi verfahren dürfe, aber nicht, warum es diese servi überhaupt gibt. Auch im Zusammenhang mit sakramententheologischen und -rechtlichen Überlegungen zu den Sakramenten der Weihe sowie der Ehe (Kapitel 6) spielen die genannten Begründungsparadigmen kaum eine Rolle. Mithilfe der römischen Rechtstradition begründet Thomas, dass das Kind einer Frau im Stand der servitus diesen Stand seiner Mutter übernehme. Außerdem bezeichnet er die servitus am Rande unter Rückgriff auf Albertus Magnus als der „zweiten Intention der Natur“, welche in der Bestrafung der Sünde bestehe, entsprechend.

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Die betrachteten Fragekomplexe sind für sich genommen in ihrer Argumentation hinsichtlich der servitus weitgehend kohärent. Der Versuch ihrer Vereinbarung jedoch zu einer einheitlichen thomanischen servitus-Theorie, wie sie Thomas selbst wohl nie beabsichtigt hat, scheitert in erster Linie an der Unvereinbarkeit der elitären aristotelischen Anthropologie und Ethik mit dem im Grundsatz egalitären christlichen Menschenbild. In Letzteres lässt sich zwar noch das aristotelische Dictum von der „Sozialnatur“ des Menschen integrieren, nicht aber die Position des „Philosophen“, dass es „Sklaven von Natur aus“ gebe, da dann Gott selbst die Menschen als Freie und Unfreie geschaffen hätte. Nur in stark abgeschwächter Form kann Thomas dieser Aussage zustimmen. Dass er ihr aber überhaupt zustimmt, wirft Spannungen auf, die sich letztlich nicht vollständig auflösen lassen.

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novit Et Adnotatione Critica Instruxit Aemilius FRIEDBERG, Pars Prior: Decretum Magistri Gratiani, Graz 1959 (Friedberg, Bd. 1). Gregor IX., Liber Extra = Corpus Iuris Canonici, Editio Lipsiensis Secunda Post Aemilii Ludovici Richteri Curas Ad Librorum Manu Scriptorum Et Editionis Romanae Fidem Recognovit Et Adnotatione Critica Instruxit Aemilius FRIEDBERG, Pars Secunda: Decretalium Collectiones, Graz 1959 (Friedberg, Bd. 2). Gregor der Große, Moralia in Iob = S. Gregorii Magni Moralia in Iob, Libri XI-XXII, Cura et Studio Marci ADRIAEN (CCL 143A), Turnhout 1979. Isidor von Sevilla, Etymologien = Isidori Hispalensis Episcopi Etymologiarum sive Originum Libri XX, Recognovit Brevique Adnotatione Critica Instruxit W. M. LINDSAY, Tom. 1: Libros I-X Continens, Oxford 1957. Petrus Lombardus, Sentenzen = Magistri Petri Lombardi Sententiae in IV libris distinctae, Tom. 1, Pars 2: Liber I et II, Editio Tertia, Ad Fidem Codicum Antiquiorum Restituta (Spicilegium Bonaventurianum 4, 2), Grottaferrata (Rom) 1971. Thomas von Aquin, Politikkommentar = Thomas von Aquin, Kommentar zur Politik des Aristoteles, Buch I – Sententia libri Politicorum I, übersetzt und eingeleitet von Anselm SPINDLER (HBPhMA 34), Freiburg i. Br. 2015. Thomas von Aquin, Sentenzenkommentar (lib. 2) = S. Thomae Aquinatis Scriptum super libros Sententiarum magistri Petri Lombardi episcopi Parisiensis, Editio Nova Cura R. P. MANDONNET, Tom. 2, Paris 1929. Thomas von Aquin, Sentenzenkommentar (lib. 4) = Sancti Thomae Aquinatis Opera omnia, Tom. 7, 2: Commentum in quatuor libros Sententiarum magistri Petri Lombardi, Typis Petri FIACCADORI, Parma 1858. Thomas von Aquin, Summa Theologiae I = Sancti Thomae Aquinatis Opera Omnia Iussu Impensaque Leonis XIII P. M. Edita, Tom. 4-5: Pars Prima Summae Theologiae, Ex Typographia Polyglotta S. C. de Propaganda Fide, Rom 1888 (Tom. 4); 1889 (Tom. 5) (= Ed. Leonina). Thomas von Aquin, Summa Theologiae I-II = Sancti Thomae Aquinatis Opera omnia Iussu Impensaque Leonis XIII P. M. Edita, Tom. 6-7: Prima Secundae Summae Theologiae, Ex Typographia Polyglotta S. C. de Propaganda Fide, Rom 1891 (Tom. 6); 1892 (Tom. 7) (= Ed. Leonina). Thomas von Aquin, Summa Theologiae II-II = Sancti Thomae Aquinatis Opera Omnia Iussu Impensaque Leonis XIII P. M. Edita, Tom. 8-10: Secunda Secundae Summae Theologiae, Ex Typographia Polyglotta S. C. de Propaganda Fide, Rom 1895 (Tom. 8); 1897 (Tom. 9); 1899 (Tom. 10) (= Ed. Leonina). Ulpian, Regulae (= Epitome) = Die Epitome Ulpiani des Codex Vaticanus Reginae 1128, herausgegeben von Fritz SCHULZ, Bonn 1926.

Verwendete Übersetzungen Aristoteles, Hermeneutik = Aristoteles, Peri Hermeneias, übersetzt und erläutert von Hermann WEIDEMANN (Aristoteles. Werke in Deutscher Übersetzung 1, 2) Boston u. a. 32014.

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Aristoteles, Metaphysik = Aristoteles' Metaphysik, Erster Halbband: Bücher I (A) – VI (E), ediert von Wilhelm CHRIST, übersetzt von Hermann BONITZ (Neubearbeitung), mit Einleitung und Kommentar herausgegeben von Horst SEIDL (Philosophische Bibliothek 307), Hamburg 3 1989. Aristoteles, Nikomachische Ethik = Aristoteles, Nikomachische Ethik, übersetzt und herausgegeben von Ursula WOLF, Reinbek bei Hamburg 42013. Aristoteles, Politik = Aristoteles, Politik, nach der Übersetzung von Franz SUSEMIHL mit Einleitung, Bibliographie und zusätzlichen Anmerkungen von Wolfgang KULLMANN, herausgegeben von Ursula WOLF, Reinbek bei Hamburg 42014. Aristoteles, Über die Entstehung der Tiere = Aristotle, Generation of Animals, with an English Translation by A. L. PECK (The Loeb classical library 366), London u. a. 1953. Augustinus, De civitate Dei = Aurelius Augustinus, Vom Gottesstaat (De civitate Dei), übersetzt von Wilhelm THIMME, eingeleitet und kommentiert von Carl ANDRESEN, München 2 2011. Digesten = Corpus Iuris Civilis. Text und Übersetzung, Bd. 2: Digesten 1-10, gemeinschaftlich übersetzt und herausgegeben von Okko BEHRENDS u. a., auf der Grundlage der von Theodor MOMMSEN und Paul KRÜGER besorgten Textausgaben, Heidelberg 1995 (= Dig.). Thomas von Aquin, Politikkommentar = Thomas von Aquin, Kommentar zur Politik des Aristoteles, Buch I – Sententia libri Politicorum I, übersetzt und eingeleitet von Anselm SPINDLER (Herders Bibliothek der Philosophie des Mittelalters 34), Freiburg i. Br. 2015. Thomas von Aquin, Summa Theologiae = Die deutsche Thomas-Ausgabe. Vollständige, ungekürzte deutsch-lateinische Ausgabe der Summa Theologica, übersetzt und kommentiert von Dominikanern und Benediktinern Deutschlands und Österreichs, Salzburg u. a., 1933ff. (unvollendet) (= DThA). Thomas von Aquin, Summa Theologiae I-II, qq. 90-97 = Thomas von Aquin, Naturgesetz und Naturrecht. Theologische Summe, Fragen 90-97, Lateinischer Text mit Übersetzung, Anmerkungen und Kommentar, übersetzt von Josef F. GRONER, Anmerkungen und Kommentar von Arthur F. UTZ (Sammlung Politeia 34), Bonn 1996.

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Quellenanhang (Q1) Thomas von Aquin, Summa Theologiae I, q. 96 a. 4. (Q2) Thomas von Aquin, Summa Theologiae II-II, q. 57 a. 3. (Q3) Thomas von Aquin, Summa Theologiae II-II, q. 10 a. 10. Der lateinische Text der Summa Theologiae ist der Editio Leonina (Tom. 5, 8 und 9) entnommen.1 Die deutsche Übersetzung folgt der Deutschen Thomas-Ausgabe (Bd. 7, 15 und 18).2 (Q1) Thomas von Aquin, Summa Theologiae I, q. 96 a. 4. UTRUM HOMO IN STATU INNOCENTIAE HOMINI DOMINABATUR AD QUARTUM SIC PROCEDITUR. Videtur quod homo in statu innocentiae homini non dominabatur. Dicit enim Augustinus, XIX de Civ. Dei:3 Hominem rationalem, ad imaginem suam factum, non voluit Deus nisi irrationabilibus dominari; non hominem homini, sed hominem pecori. 2. PRAETEREA, illud quod est introductum in poenam peccati, non fuisset in statu innocentiae. Sed hominem subesse homini, introductum est in poenam peccati: dictum est enim mulieri post peccatum, Sub potestate viri eris, ut dicitur Gen. III.4 Ergo in statu innocentiae non erat homo homini subiectus. 3. PRAETEREA, subiectio libertati opponitur. Sed libertas est unum de praecipuis bonis, quod in statu innocentiae non defuisset, quando nihil aberat quod bona voluntas cupere posset, ut Augustinus dicit XIV de Civ. Dei.5 Ergo homo homini in statu innocentiae non dominabatur. SED CONTRA, conditio hominum in statu innocentiae non erat dignior quam conditio Angelorum. Sed inter Angelos quidam aliis dominantur: unde et unus ordo Dominationum vocatur. Ergo non est contra dignitatem status innocentiae, quod homo homini dominaretur. 1

Sancti Thomae Aquinatis Opera Omnia Iussu Impensaque Leonis XIII P. M. Edita, Ex Typographia Polyglotta S. C. de Propaganda Fide, Romae 1889 (Tom. 5); 1895 (Tom. 8); 1897 (Tom. 9). 2 Die deutsche Thomas-Ausgabe. Vollständige, ungekürzte deutsch-lateinische Ausgabe der Summa Theologica, übersetzt und kommentiert von Dominikanern und Benediktinern Deutschlands und Österreichs, Salzburg u. a., 1941 (Bd. 7); 1950 (Bd. 15); 1953 (Bd. 18). 3 Augustinus, De civitate Dei 19, 15. 4 Gen 3,16. 5 Augustinus, De civitate Dei 14, 10.

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RESPONDEO DICENDUM quod dominium accipitur dupliciter. Uno modo, secundum quod opponitur servituti: et sic dominus dicitur cui aliquis subditur ut servus. Alio modo accipitur dominium, secundum quod communiter refertur ad subiectum qualitercumque: et sic etiam ille qui habet officium gubernandi et dirigendi liberos, dominus dici potest. Primo ergo modo accepto dominio, in statu innocentiae homo homini non dominaretur: sed secundo modo accepto dominio, in statu innocentiae homo homini dominari potuisset. Cuius ratio est, quia servus in hoc differt a libero, quod liber est causa sui, ut dicitur in principio Metaphys.;6 servus autem ordinatur ad alium. Tunc ergo aliquis dominatur alicui ut servo, quando eum cui dominatur ad propriam utilitatem sui, scilicet dominantis, refert. Et quia unicuique est appetibile proprium bonum, et per consequens contristabile est unicuique quod illud bonum quod deberet esse suum, cedat alteri tantum; ideo tale dominium non potest esse sine poena subiectorum. Propter quod, in statu innocentiae non fuisset tale dominium hominis ad hominem. Tunc vero dominatur aliquis alteri ut libero, quando dirigit ipsum ad proprium bonum eius qui dirigitur, vel ad bonum commune. Et tale dominium hominis ad hominem in statu innocentiae fuisset, propter duo. Primo quidem, quia homo naturaliter est animal sociale: unde homines in statu innocentiae socialiter vixissent. Socialis autem vita multorum esse non posset, nisi aliquis praesideret, qui ad bonum commune intenderet: multi enim per se intendunt ad multa, unus vero ad unum. Et ideo Philosophus dicit, in principio Politic.,7 quod quandocumque multa ordinantur ad unum, semper invenitur unum ut principale et dirigens. – Secundo quia, si unus homo habuisset super alium supereminentiam scientiae et iustitiae, inconveniens fuisset nisi hoc exequeretur in utilitatem aliorum; secundum quod dicitur I Petr. IV:8 Unusquisque gratiam quam accepit, in alterutrum illam administrantes. Unde Augustinus dicit, XIX de Civ. Dei,9 quod iusti non dominandi cupiditate imperant, sed officio consulendi: hoc naturalis ordo praescribit, ita Deus hominem condidit. Et per hoc patet responsio ad omnia obiecta, quae procedunt de primo modo dominii.

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Aristoteles, Metaphysik 1, 2, 982b 26f. Aristoteles, Politik 1, 5, 1254a 28-31. 1 Petr 4,10. Augustinus, De civitate Dei 19, 14; 19, 15.

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(Q1) Übersetzung Thomas von Aquin, Summa Theologiae I, q. 96 a. 4. Ob der Mensch im Unschuldsstande über den Menschen herrschte 1. Es scheint, daß der Mensch im Unschuldsstande nicht über den Menschen herrschte, denn Augustinus sagt: „Vernunftbegabt, nach Gottes Ebenbild erschaffen, sollte der Mensch nach Gottes Willen nur über die vernunftlosen Wesen herrschen, nicht als Mensch über die Menschen, sondern als Mensch über das Tier.“ 2. Was zur Strafe für die Sünde eingeführt wurde, wäre im Unschuldsstande nicht gewesen. Die Unterwerfung des Menschen unter den Menschen ist aber durch die Sünde eingeführt worden; denn Gen 3,16 wurde dem Weibe gesagt: „Du sollst unter der Gewalt des Mannes sein.“ Also war der Mensch dem Menschen im Unschuldsstande nicht unterworfen. 3. Das Unterworfensein steht im Gegensatz zur Freiheit. Die Freiheit ist aber eines der höchsten Güter, das im Unschuldsstande nicht gefehlt haben würde, „wo nichts fehlte, was der gute Wille begehren konnte“ (Augustinus). Also hätte der Mensch im Unschuldsstande über den Menschen keine Herrschergewalt gehabt. ANDERERSEITS: Die Daseinsbedingungen der Menschen im Urzustande waren nicht erhabener als die der Engel. Unter den Engeln besitzen aber einige Herrschergewalt über die andern. Darum heißt auch eine Ordnung die der „Herrschaften“. Es widerspricht der Würde des Urzustandes also nicht, daß der Mensch über den Menschen Herrschergewalt besitzt. ANTWORT: „Herrschaft“ wird in zweifachem Sinne genommen: Einmal als Gegensatz zur Sklaverei. In diesem Sinne heißt derjenige Herr, dem ein anderer als Sklave unterworfen ist. Zweitens nimmt man Herrschaft, insofern es ganz allgemein eine Beziehung besagt zu einem, der auf irgendeine Weise untergeben ist. In diesem Sinn kann man auch denjenigen Herrn nennen, der das Amt innehat, freie Menschen zu leiten und zu führen. Im erstgenannten Sinne also hätte der Mensch im Unschuldszustande keine Herrschermacht über den Menschen gehabt. Herrschergewalt aber im zweiten Sinne hätte der Mensch im Unschuldsstande über den Menschen besitzen können. Der Grund ist dieser: Der Sklave unterscheidet sich dadurch vom Freien, daß der Freie um seiner selbst willen da ist (Aristoteles), der Sklave dagegen auf einen andern hingeordnet ist. Dann beherrscht also ein Mensch den andern als Sklaven, wenn er den, über den er Herrschergewalt ausübt, auf seinen eigenen, d. h. auf den Vorteil des Beherrschenden hinordnet. Weil nun einem jeden das eigene Gut erstrebenswert ist und es infolgedessen für jeden betrüblich ist, das ihm zukommende Gut an einen andern abtreten zu müssen, darum kann eine solche Herrschergewalt nicht ohne Strafe für die

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Untergebenen sein. Eine solche Herrschaft des Menschen über den Menschen wäre deswegen im Unschuldsstande nicht gewesen. Dann aber übt jemand die Herrschergewalt über einen andern als Freien aus, wenn er ihn auf das Gut des Geführten hinleitet oder auf das Allgemeingut. Eine solche Herrschaft des Menschen über den Menschen hätte im Urzustande aus zwei Gründen bestanden: Erstens, weil der Mensch naturhaft ein Gemeinschaftswesen ist. Darum hätten die Menschen im Urzustande in Gemeinschaft miteinander gelebt. Ein gemeinschaftliches Leben vieler ist aber nicht möglich ohne einen Vorgesetzten, dessen Absicht auf das Allgemeingut gerichtet ist. Denn die Absicht einer Mehrheit von Menschen geht an sich auf vieles, die eines einzigen jedoch auf eines. Darum sagt der Philosoph, wo vieles auf eines hingeordnet ist, dort findet sich immer ein Führendes und Leitendes. – Zweitens, wäre es unangemessen gewesen, wenn ein den andern an Wissen und Gerechtigkeit überlegener Mensch diese seine Überlegenheit nicht zum Nutzen der andern verwertet hätte, nach 1 Petr 4,10: „Dienet einander, ein jeder mit der Gabe, die er empfangen hat.“ Darum sagt Augustinus: „Sie (die Gerechten) befehlen ihnen ja nicht aus Herrschsucht, sondern in dienstwilliger Beihilfe; das schreibt die natürliche Ordnung vor, so hat Gott den Menschen erschaffen.“ Und damit ist die Antwort gegeben auf alle Einwände, die von der ersten Art der Herrschergewalt ausgehen. (Q2) Thomas von Aquin, Summa Theologiae II-II, q. 57 a. 3. UTRUM IUS GENTIUM SIT IDEM CUM IURE NATURALI AD TERTIUM SIC PROCEDITUR. Videtur quod ius gentium sit idem cum iure naturali. Non enim omnes homines conveniunt nisi in eo quod est eis naturale. Sed in iure gentium omnes homines conveniunt: dicit enim Iurisconsultus quod ius gentium est quo gentes humanae utuntur.10 Ergo ius gentium est ius naturale. 2. PRAETEREA, servitus inter homines est naturalis: quidam enim sunt naturaliter servi, ut Philosophus probat, in I Polit.11 Sed servitutes pertinent ad ius gentium, ut Isidorus dicit.12 Ergo ius gentium est ius naturale. 3. PRAETEREA, ius, ut dictum est,13 dividitur per ius naturale et positivum. Sed ius gentium non est ius positivum: non enim omnes gentes

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Dig. 1, 1, 1, 4 (Ulpian). Aristoteles, Politik 1, 5, 1255a 1f. und öfter. Isidor von Sevilla, Etymologien 5, 6. S. Th. II-II, q. 57 a. 2.

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unquam convenerunt ut ex communi condicto aliquid statuerent. Ergo ius gentium est ius naturale. SED CONTRA EST quod Isidorus dicit,14 quod ius aut naturale est, aut civile, aut gentium. Et ita ius gentium distinguitur a iure naturali. RESPONDEO DICENDUM quod, sicut dictum est,15 ius sive iustum naturale est quod ex sui natura est adaequatum vel commensuratum alteri. Hoc autem potest contingere dupliciter. Uno modo, secundum absolutam sui considerationem: sicut masculus ex sui ratione habet commensurationem ad feminam ut ex ea generet, et parens ad filium ut eum nutriat. – Alio modo aliquid est naturaliter alteri commensuratum non secundum absolutam sui rationem, sed secundum aliquid quod ex ipso consequitur: puta proprietas possessionum. Si enim consideretur iste ager absolute, non habet unde magis sit huius quam illius: sed si consideretur quantum ad opportunitatem colendi et ad pacificum usum agri, secundum hoc habet quandam commensurationem ad hoc quod sit unius et non alterius, ut patet per Philosophum, in II Polit.16 Absolute autem apprehendere aliquid non solum convenit homini, sed etiam aliis animalibus. Et ideo ius quod dicitur naturale secundum primum modum, commune est nobis et aliis animalibus. A iure autem naturali sic dicto recedit ius gentium, ut Iurisconsultus dicit:17 quia illud omnibus animalibus, hoc solum hominibus inter se commune est. Considerare autem aliquid comparando ad id quod ex ipso sequitur, est proprium rationis. Et ideo hoc quidem est naturale homini secundum rationem naturalem, quae hoc dictat. Et ideo dicit Gaius iurisconsultus:18 Quod naturalis ratio inter omnes homines constituit, id apud omnes gentes custoditur, vocaturque ius gentium. Et per hoc patet responsio ad primum. AD SECUNDUM DICENDUM quod hunc hominem esse servum, absolute considerando, magis quam alium, non habet rationem naturalem: sed solum secundum aliquam utilitatem consequentem, inquantum utile est huic quod regatur a sapientiori, et illi quod ab hoc iuvetur, ut dicitur in I Polit.19 Et ideo servitus pertinens ad ius gentium est naturalis secundo modo, sed non primo. AD TERTIUM DICENDUM quod quia ea quae sunt iuris gentium naturalis ratio dictat, puta ex propinquo habentia aequitatem; inde est quod non

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Isidor von Sevilla, Etymologien 5, 4. S. Th. II-II, q. 57 a. 2. Aristoteles, Politik 2, 5, 1262b 35-1264b 24. Dig. 1, 1, 1, 4 (Ulpian). Dig. 1, 1, 1, 9 (Gaius). Aristoteles, Politik 1, 6, 1255b 4-15.

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indigent aliqua speciali institutione, sed ipsa naturalis ratio ea instituit, ut dictum est in auctoritate inducta.20 (Q2) Übersetzung Thomas von Aquin, Summa Theologiae II-II, q. 57 a. 3. Ist das Völkerrecht dasselbe wie das Naturrecht? 1. Die Menschen kommen nur in dem überein, was ihnen naturhaft ist. Nun aber kommen im Völkerrecht alle Menschen überein. Denn der Rechtsgelehrte sagt: „Das Völkerrecht ist jenes, das bei den Völkern der Menschen in Gebrauch ist.“ Also ist das Völkerrecht Naturrecht. 2. Knechtschaft [Sklaverei, K. P.] unter den Menschen ist etwas Naturgegebenes; denn manche sind von Natur Knechte [Sklaven, K. P.], wie der Philosoph zeigt. Sklaverei aber gehört zum Völkerrecht. Also ist das Völkerrecht Naturrecht. 3. Das Recht wird, wie (Art. 2) gesagt, eingeteilt in Naturrecht und gesatztes Recht. Das Völkerrecht ist aber kein gesatztes Recht; denn niemals sind alle Völker zusammengekommen, um auf gemeinsame Vereinbarung hin etwas festzusetzen. Also ist das Völkerrecht Naturrecht. ANDERERSEITS sagt Isidor: „Das Recht ist entweder Naturrecht oder bürgerliches Recht oder Völkerrecht.“ Und so unterscheidet sich das Völkerrecht vom Naturrecht. ANTWORT: Das naturgegebene Recht oder Gerechte ist das, was aus seiner Natur heraus dem anderen angeglichen oder angemessen ist (Art. 2). Das kann aber in doppelter Weise sein. Einmal, indem man es für sich betrachtet [das heißt unabhängig von irgendwelchen besonderen Bedingungen]; so hat der Mann aus seiner Natur heraus eine Angemessenheit zur Frau, um aus ihr [Kinder] zu zeugen, und die Eltern zum Kind, um es zu ernähren. – In anderer Weise ist etwas dem anderen angemessen nicht für sich selbst [unabhängig von irgendwelchen Bedingungen], sondern auf Grund von etwas, das aus ihm folgt; wie zum Beispiel Eigentum an Besitz. Wenn ich nämlich diesen bestimmten Acker für sich nehme, so hat er nichts, weshalb er eher diesem als jenem gehören sollte; betrachten wir ihn aber in bezug auf die günstige Gelegenheit, ihn zu bebauen, und in bezug auf die friedliche Verwendung, so erhält er eine gewisse Angemessenheit dazu, daß er eher dem einen als dem anderen gehört, wie das aus dem Philosophen erhellt. Etwas für sich erfassen [unabhängig von irgendwelchen Bedingungen] kommt aber nicht nur dem Menschen, sondern auch den Tieren zu. Deshalb ist das Recht, das in der ersten Weise naturgegebenes heißt, uns und den anderen Seelewesen gemeinsam. „Von dem so gefaßten Naturrecht unterschei20

Dig. 1, 1, 1, 9 (Gaius).

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det sich das Völkerrecht“, wie der Rechtsgelehrte sagt, „weil jenes allen Seelewesen, dieses aber nur den Menschen unter sich gemeinsam ist“. Aber etwas betrachten, indem man es vergleicht mit dem, was aus ihm folgt, ist Sache der Vernunft. Und so ist das dem Menschen naturgegeben auf Grund der natürlichen Vernunft, was diese bestimmt. Deshalb sagt der Rechtsgelehrte Gajus: „Die natürliche Vernunft hat unter allen Menschen festgesetzt, was bei allen Völkern beobachtet wird, und das heißt Völkerrecht.“ Daraus ergibt sich die Lösung Zu 1. Zu 2: Daß dieser Mensch eher Sklave ist als ein anderer, hat, in sich betrachtet, keinen natürlichen Grund, sondern besteht nur auf Grund einer sich ergebenden Nützlichkeit, insoweit es diesem zukommt, von einem weiseren gelenkt zu werden, und jenem, daß ihm von einem solchen geholfen werde (Aristoteles). So ist die Knechtschaft [Sklaverei, K. P.], die zu dem Völkerrecht gehört, naturgegeben in der zweiten Weise, nicht in der ersten. Zu 3: Weil das, was zum Völkerrecht gehört, von der natürlichen Vernunft bestimmt wird – da es schon aus naheliegendem Grunde eine Angemessenheit aufweist –, daher kommt es, daß diese Dinge keine besondere Regelung nötig haben, sondern die natürliche Vernunft selbst es regelt, wie das aus dem [am Schluß der Antwort] angeführten Wort hervorgeht. (Q3) Thomas von Aquin, Summa Theologiae II-II, q. 10 a. 10. UTRUM INFIDELES POSSINT HABERE PRAELATIONEM SEU DOMINIUM SUPRA FIDELES AD DECIMUM SIC PROCEDITUR.

Videtur quod infideles possint habere praelationem vel dominium supra fideles. Dicit enim Apostolus, I ad Tim. VI:21 Quicumque sunt sub iugo servi dominos suos omni honore dignos arbitrentur: et quod loquatur de infidelibus patet per hoc quod subdit:22 Qui autem fideles habent dominos non contemnant. Et I Pet. II dicitur:23 Servi, subditi estote in omni timore dominis, non tantum bonis et modestis, sed etiam dyscolis. Non autem hoc praeciperetur per Apostolicam doctrinam nisi infideles possent fidelibus praeesse. Ergo videtur quod infideles possint praeesse fidelibus. 2. PRAETEREA, quicumque sunt de familia alicuius principis subsunt ei. Sed fideles aliqui erant de familiis infidelium principum: unde dicitur ad Philipp. IV:24 Salutant vos omnes sancti, maxime autem qui de Caesaris 21 22 23 24

1 Tim 6,1. 1 Tim 6,2. 1 Petr 2,18. Phil 4,22.

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domo sunt, scilicet Neronis, qui infidelis erat. Ergo infideles possunt fidelibus praeesse. 3. PRAETEREA, sicut Philosophus dicit, in I Polit.,25 servus est instrumentum domini in his quae ad humanam vitam pertinent, sicut et minister artificis est instrumentum artificis in his quae pertinent ad operationem artis. Sed in talibus potest fidelis infideli subiici, possunt enim fideles infidelium coloni esse. Ergo infideles possunt fidelibus praefici etiam quantum ad dominium. SED CONTRA EST quod ad eum qui praeest pertinet habere iudicium super eos quibus praeest. Sed infideles non possunt iudicare de fidelibus: dicit enim Apostolus, I ad Cor. VI:26 Audet aliquis vestrum, habens negotium adversus alterum, iudicari apud iniquos, idest infideles, et non apud sanctos? Ergo videtur quod infideles fidelibus praeesse non possint. RESPONDEO DICENDUM quod circa hoc dupliciter loqui possumus. Uno modo, de dominio vel praelatione infidelium super fideles de novo instituenda. Et hoc nullo modo permitti debet. Cedit enim hoc in scandalum et in periculum fidei: de facili enim illi qui subiiciuntur aliorum iurisdictioni immutari possunt ab eis quibus subsunt ut sequantur eorum imperium, nisi illi qui subsunt fuerint magnae virtutis. Et similiter infideles contemnunt fidem si fidelium defectus cognoscant. Et ideo Apostolus prohibuit quod fideles non contendant iudicio coram iudice infideli.27 Et ideo nullo modo permittit Ecclesia quod infideles acquirant dominium super fideles, vel qualitercumque eis praeficiantur in aliquo officio. Alio modo possumus loqui de dominio vel praelatione iam praeexistenti. Ubi considerandum est quod dominium et praelatio introducta sunt ex iure humano: distinctio autem fidelium et infidelium est ex iure divino. Ius autem divinum, quod est ex gratia, non tollit ius humanum, quod est ex naturali ratione. Et ideo distinctio fidelium et infidelium, secundum se considerata, non tollit dominium et praelationem infidelium supra fideles. Potest tamen iuste per sententiam vel ordinationem Ecclesiae, auctoritatem Dei habentis, tale ius dominii vel praelationis tolli: quia infideles merito suae infidelitatis merentur potestatem amittere super fideles, qui transferuntur in filios Dei. Sed hoc quidem Ecclesia quandoque facit, quandoque autem non facit. In illis enim infidelibus qui etiam temporali subiectione subiiciuntur Ecclesiae et membris eius, hoc ius Ecclesiae statuit, ut servus Iudaeorum, statim factus Christianus, a servitute liberetur, nullo pretio dato, si fuerit vernaculus, idest in servitute natus; et similiter si, infidelis existens, fuerit emptus ad servitium. Si autem fuerit emptus ad mercationem, tenetur eum infra tres 25 26 27

Aristoteles, Politik 1, 4, 1253b 23-1254a 17. 1 Kor 6,1. Vgl. 1 Kor 6,1.

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menses exponere ad vendendum.28 Nec in hoc iniuriam facit Ecclesia: quia, cum ipsi Iudaei sint servi Ecclesiae,29 potest disponere de rebus eorum; sicut etiam principes saeculares multas leges ediderunt erga suos subditos in favorem libertatis. – In illis vero infidelibus qui temporaliter Ecclesiae vel eius membris non subiacent, praedictum ius Ecclesia non statuit: licet posset instituere de iure. Et hoc facit ad scandalum vitandum. Sicut etiam Dominus, Matth. XVII,30 ostendit quod poterat se a tributo excusare quia liberi sunt filii: sed tamen mandavit tributum solvi ad scandalum vitandum. Ita etiam et Paulus, cum dixisset quod servi dominos suos honorarent, subiungit, ne nomen Domini et doctrina blasphemetur.31 Unde patet responsio ad primum. AD SECUNDUM DICENDUM quod illa praelatio Caesaris praeexistebat distinctioni fidelium ab infidelibus: unde non solvebatur per conversionem aliquorum ad fidem. Et utile erat quod aliqui fideles locum in familia Imperatoris haberent, ad defendendum alios fideles: sicut beatus Sebastianus Christianorum animos, quos in tormentis videbat deficere, confortabat, et adhuc latebat sub militari chlamyde in domo Diocletiani. AD TERTIUM DICENDUM quod servi subiiciuntur dominis suis ad totam vitam, et subditi praefectis ad omnia negotia: sed ministri artificum subduntur eis ad aliqua specialia opera. Unde periculosius est quod infideles accipiant dominium vel praelationem super fideles quam quod accipiant ab eis ministerium in aliquo artificio. Et ideo permittit Ecclesia quod Christiani possint colere terras Iudaeorum: quia per hoc non habent necesse conversari cum eis. Salomon etiam expetiit a rege Tyri magistros operum ad ligna caedenda, ut habetur III Reg. V.32 – Et tamen si ex tali communicatione vel convictu subversio fidelium timeretur, esset penitus interdicendum. (Q3) Übersetzung Thomas von Aquin, Summa Theologiae II-II, q. 10 a. 10. Können Ungläubige eine obrigkeitliche Stellung oder Herrschaftsgewalt über Gläubige besitzen? 1. Der Apostel sagt 1 Tim 6,1: „Alle, die das Joch des Sklaventums tragen, sollen ihre Herren aller Ehre würdig halten.“ Daß er dabei von Ungläubigen spricht, erhellt aus dem, was er anschließend sagt: „Die aber, welche Gläubige zu Herren haben, sollen diese nicht für gering achten.“ Und 1 Petr 2,18 heißt es: „Ihr Sklaven, seid euren Herren untertan in aller Furcht, nicht 28 29 30 31 32

Vgl. die entsprechenden Angaben in Kap. 5 dieses Aufsatzes. Vgl. die entsprechenden Angaben in Kap. 5 dieses Aufsatzes. Mt 17,24-27. 1 Tim 6,1. 1 Kön 5,15-32.

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bloß den gütigen und maßvollen, sondern auch den launenhaften.“ Solches aber würde durch die apostolische Lehre nicht anbefohlen, wenn Ungläubige den Gläubigen nicht vorgesetzt sein könnten. Also, scheint es, können Ungläubige über Gläubige gesetzt sein. 2. Alle, die zum Gesinde [Haushalt, K. P.] eines Fürsten gehören, sind diesem untertan. Es gehörten aber Gläubige zum Gesinde [Haushalt, K. P.] ungläubiger Fürsten; daher heißt es Phil 4,22: „Es grüßen euch die Heiligen alle, besonders aber die vom Hauswesen des Kaisers“, d. h. Neros, der ein Ungläubiger war. Also können Ungläubige über Gläubige gesetzt sein. 3. Der Sklave ist ein Werkzeug seines Herrn in dem, was zum menschlichen Leben dient, wie auch der Gehilfe eines Werkmeisters ein Werkzeug des Meisters ist in dem, was zur Ausübung seines Gewerbes gehört (Aristoteles). In solchem nun kann der Gläubige einem Ungläubigen unterstellt sein; denn es können Gläubige Hintersassen von Ungläubigen sein. Ungläubige können also Gläubigen auch mit Herrschaftsgewalt übergeordnet sein. ANDERERSEITS gehört es in die Zuständigkeit des Übergeordneten, Gericht zu halten über die, denen er übergeordnet ist. Ungläubige aber können über Gläubige nicht richten; denn der Apostel sagt 1 Kor 6,1: „Wagt es wirklich einer unter euch, der mit einem anderen einen Rechtsstreit hat, bei den Ungerechten“, d. h. bei den Ungläubigen, „Recht zu suchen und nicht vielmehr bei den Heiligen?“ Demnach, scheint es, können Ungläubige Gläubigen nicht übergeordnet sein. ANTWORT: Über diesen Gegenstand kann man in zweifachem Sinne sprechen. Einmal hinsichtlich der Herrschaftsstellung oder Überordnung von Ungläubigen gegenüber Gläubigen, die neu eingeführt werden soll. Und dies kann auf keine Weise gestattet werden. Denn es würde zum Ärgernis und zur Gefährdung des Glaubens führen. Leicht nämlich könnten solche, die der Rechtsprechung anderer unterworfen sind, von ihren Vorgesetzten umgestimmt werden, so daß sie ihrem Geheiß folgten, es sei denn, die Untergebenen hätten sich eine große Entschiedenheit angeeignet. Andererseits verachten die Ungläubigen den Glauben, wenn sie Gläubige abfallen sehen. Deshalb verbot der Apostel den Gläubigen, vor einem ungläubigen Richter einen Rechtsstreit auszufechten. Und aus dem selben Grunde gestattet die Kirche in keiner Weise, daß Ungläubige Herrschaftsgewalt über Gläubige erwerben oder wie auch immer ihnen in irgendeinem Amt vorgesetzt werden. Sodann kann man es zu tun haben mit einer Herrschaftsstellung und Überordnung, die bereits besteht. Dabei ist zu beachten, daß Herrschaftsgewalt und Überordnung nach menschlichem Rechte zustande gekommen sind. Die Unterscheidung aber von Gläubigen und Ungläubigen beruht auf göttlichem Recht. Das göttliche Recht aber, das auf der Gnade beruht, hebt das menschliche Recht, das aus der menschlichen Vernunft stammt, nicht auf.

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Also hebt die Scheidung von Gläubigen und Ungläubigen, an sich betrachtet, die Herrschaftsstellung und Überordnung von Ungläubigen gegenüber Gläubigen nicht auf. Wohl kann aber in rechtmäßiger Weise durch Entscheidung oder Anordnung der Kirche, welche die Autorität Gottes ausübt, solches Herrschaftsrecht und solche Überordnung aufgehoben werden; denn Ungläubige verdienen es auf Grund ihres eigenen Unglaubens, die Gewalt über Gläubige zu verlieren, die in Söhne Gottes umgewandelt sind. Dies tut die Kirche allerdings nur bisweilen; bisweilen aber tut sie es nicht. Bei jenen Ungläubigen nämlich, die der Kirche und ihren Gliedern auch in irdischer Unterwerfung untertan sind, hat die Kirche dies als Recht gesetzt, daß ein Sklave von Juden, wenn er Christ geworden ist, sofort von der Sklaverei frei wird, ohne Entgelt, falls er von Haus aus Sklave, d. h. in der Sklaverei geboren ist; desgleichen, wenn er als Ungläubiger zum Sklavendienst gekauft worden ist. Ist er aber zum Weiterverkauf erworben worden, so besteht die Pflicht, ihn innerhalb von drei Monaten zum Verkaufe anzubieten. Damit tut die Kirche kein Unrecht; denn da die Juden ihrerseits Sklaven der Kirche sind, kann sie über ihr [deren, K. P.] Eigentum verfügen, wie auch die weltlichen Fürsten hinsichtlich ihrer Untertanen viele Gesetze zugunsten der Freiheit erlassen haben. – Bei jenen Ungläubigen aber, welche der irdischen Gewalt der Kirche oder ihrer Glieder nicht unterliegen, hat die Kirche das oben genannte Recht nicht eingeführt, obwohl sie es von Rechts wegen könnte. Und zwar handelt sie so, um Anstoß zu vermeiden. So hat auch der Herr Mt 17,24ff. gezeigt, daß Er sich von der Steuer hätte freisprechen können, weil „die Söhne frei sind“; dennoch ordnete Er, um Anstoß zu vermeiden, an, die Steuer zu bezahlen. Gleicherweise hat auch Paulus, nachdem er gesagt hatte, die Sklaven sollten ihre Herren ehren, hinzugefügt: „Damit der Name des Herrn und die Lehre nicht gelästert wird.“ Daraus ergibt sich die Antwort Zu 1. Zu 2: Diese Überordnung des Kaisers bestand vor der Scheidung der Gläubigen von den Ungläubigen. Also wurde sie durch die Bekehrung einiger nicht hinfällig. Es war auch von Vorteil, daß einige Gläubige ihren Platz im Gesinde [Haushalt, K. P.] des Kaisers behielten, um andere Gläubige in Schutz zu nehmen, wie der hl. Sebastian die Christen, die er auf der Folter schwach werden sah, bestärkte und noch weiterhin in der Leibwache Diokletians unter dem Soldatenmantel unerkannt lebte. Zu 3: Sklaven unterstehen ihren Herren für das ganze Leben und Untergebene ihren Vorgesetzten zu jeglicher Dienstleistung; die Gehilfen von Werkmeistern aber unterstehen diesen nur zu bestimmten Arbeiten. Daher ist es gefahrvoller, wenn Ungläubige Herrschaftsgewalt oder eine obrigkeitliche Stellung über Gläubige erhalten, als wenn sie von ihnen Dienstleistung in irgendeinem Handwerk empfangen. Darum lässt es die Kirche zu, daß Chris-

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ten die Ländereien von Juden bebauen können; denn sie befinden sich deshalb nicht in der Notwendigkeit, mit ihnen zusammen zu leben. So hat auch Salomon von dem König von Tyrus Werkmeister erbeten, um Bäume zu fällen. – Dennoch wäre, wenn aus solchem Umgang und Zusammensein ein Abfall der Gläubigen zu besorgen wäre, dieses gänzlich zu verbieten.

Affirmation und Kritik der Sklaverei im Luthertum VOLKER LEPPIN In den Horizont des Luthertums tritt Sklaverei im modernen Sinne erst relativ spät: Die großen Kolonialreiche der Frühen Neuzeit waren entweder römisch-katholisch geprägt oder gehörten in den Bereich der Church of England, im 17. Jahrhundert trat mit den Niederlanden eine calvinistische Nation hinzu. Für das Luthertum aber – jedenfalls das deutsche1 – traten erst mit der Halleschen Mission des 18. Jahrhunderts überhaupt andere Völker in größerem Maßstab in den Blick. Reflexionen des Luthertums auf Konzeptionen der Sklaverei resultieren also – jenseits der verbreiteten Vorstellung von einer Knechtschaft unter dem Gesetz, die hier aber außer Acht bleiben kann – einerseits aus der Wahrnehmung der Diskussion von Sklaverei in der autoritativen Literatur, sei es der Bibel, der Philosophie oder des Rechts, andererseits aus der Auseinandersetzung mit demjenigen sozialen und rechtlichen Problem, das wir heute als Leibeigenschaft definieren würden, Letzteres vornehmlich in Auseinandersetzung mit dem Bauernkrieg.2 Charakteristisch für diesen gedanklichen Zusammenhang ist Melanchthons erstmals 1530 gedruckte Auslegung der Politeia des Aristoteles,3 in deren Verlauf er völlig selbstverständlich auf die fanatici homines nostri temporis zu sprechen kommt, die praetextu Evangelii Freiheit fordern und erklären, servitutem contra Evangelium esse4 – eine offenkundige Anspielung auf die Auseinandersetzungen im Bauernkrieg, die ja zum Zeitpunkt der Veröffentlichung erst ein halbes Jahrzehnt zurücklagen. Um dieser Debattenlage im Luthertum gerecht zu werden, orientieren sich die folgenden Überlegungen an dem Umgang des Luthertums mit den genannten Autoritäten. Der dabei versuchte Durchgang ist freilich beim gegenwärtigen Forschungsstand außerordentlich lückenhaft – insbesondere fehlt noch eine umfassendere Berücksichtigung der Diskussion in der lutherischen Orthodoxie. So können momentan nur Hypothesen und Fragen formuliert werden. Deren Grundgedanke ist, dass das Luthertum durch die Bindung an die biblische Autorität wenig kritische Potenziale für den Umgang 1

Dänemark hat seit dem 16. Jahrhundert vereinzelt Kolonien besessen, durch die dann gelegentlich auch deutsche Theologen und Kirchenvertreter in Kontakt mit dem Phänomen kamen; vgl. zur Mission in Trankebar jetzt JETTER (2013). 2 Vgl. den Überblick bei DELIUS (1972). 3 Vgl. hierzu in einem vornehmlich auf die Problematik des Widerstandsrechtes ausgerichteten Beitrag WEBER (1962) 20f. 4 CR 16, 426f.

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mit der Sklaverei entwickelte. Die im Luthertum zu beobachtende Kritik am Phänomen der Sklaverei resultierte daher nicht so sehr aus einem theologischen als aus einem juristisch-politikwissenschaftlichen Diskurs. 1. Biblische Begründung der Sklaverei und Leibeigenschaft Eben die Verbindung der Rede von Sklaverei mit den Ereignissen des Bauernkriegs zeigt sich auch dort, wo Luther die wenigen biblischen Stellen traktiert, die unmittelbar von Sklaverei handeln: Vom 15. bis 18. Dezember 1527 hielt er eine in der Forschung wenig beachtete Vorlesung über den Philemonbrief. Damit hatte er notwendigerweise das Thema der Sklaverei zu behandeln. Dies tat er, indem er als Hauptanliegen des Briefes angemessen benannte, Paulus wolle Onesimus, den servus Philemons, mit seinem Herrn versöhnen.5 Als Motiv der Flucht des Onesimus aber erwog Luther, dieser habe die libertas Christiana missbrauchen wollen.6 Dies entsprach deutlich dem Vorwurf gegenüber der Forderung der Bauern auf Beendigung der Leibeigenschaft: „das heysst Christliche freyheyt gantz fleyschlich machen“7. Luther dachte also den antiken Sklaven in eben jenen sozialen Kategorien, welche ihm seine Zeit zur Verfügung stellte: Er entsprach in rechtlich-sozialer Hinsicht dem leibeigenen Status der Bauern. Allerdings erfolgt diese Gleichsetzung bei Luther nicht ganz unproblematisch. Im Zuge seiner Predigt über Ex 21 – die Rechte der Sklaven – erklärte Luther, jedenfalls nach der Nachschrift Bugenhagens: Tunc servi erant ementium dominorum (leibeygen) ut nunc bos et equus apud nos, neque solum apud Iudaeos, sed etiam apud Graecos et Romanos.8 Soweit sich diese Mitschrift Bugenhagens auf die tatsächlich gehaltene Predigt beziehen lässt, wird man davon auszugehen haben, dass Luther den antiken Status der Sklaverei im Alten Testament wie bei Griechen und Römern mit dem Terminus der Leibeigenschaft identifizierte, diesen Status aber für seine Gegenwart nur auf das Vieh bezogen wissen wollte: Der Erklärungsbedarf bestand ja offenbar gerade darin, deutlich zu machen, dass diese Form der Besitzverhältnisse nach alttestamentlichem Recht auch für Menschen galt. Diese kleine Bemerkung ist nun allerdings frappierend, zumal die fragliche Predigt aller Wahrscheinlichkeit nach im Dezember 1525, also gegen Ende des Jahres, in welchem der Bauernkrieg stattfand, gehalten wurde. Zu5 6 7 8

WA 25, 70, 4f. WA 25, 70, 6f. WA 18, 326, 33; vgl. hierzu ALTHAUS (1925) 9. WA 16, 532, 30f.

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vor, aber noch im selben Jahr, hatte Luther in der Ermahnung zum Frieden auf die zwölf Artikel der Bauernschaft in Schwaben völlig selbstverständlich den von den Bauern zur Beschreibung ihres eigenen Status gebrauchten Begriff „leybeygener“ aufgegriffen und verwandt und gar die Leibeigenschaft mit einem Verweis auf Abraham, die Patriarchen und Propheten legitimiert,9 also eine rechtliche Identität des Status frühneuzeitlicher Leibeigener mit alttestamentlichen Sklaven vorausgesetzt. Da die oben zitierte, im Traditionsbefund etwas problematische Stelle nicht allein steht – in einer Predigt aus dem September 1523 hatte Luther erklärt, die Sklaven seien in der Zeit des Alten Testamentes in der Weise proprii gewesen ut hodie apud Turcas10 –, muss man wohl davon ausgehen, dass Luther im Blick auf die genaue Fassung des Rechtsstatus als Sklave oder Leibeigener eine begriffliche Unsicherheit aufwies: Er wollte den antiken Status vom gegenwärtigen unterschieden wissen, verband dies auch mit spezifischen Eigentumsvorstellungen, konnte dies aber am ehesten durch Vergleiche – auch 1523 fiel der mit dem Eigentum an Vieh11 – fassen. Die Hauptdifferenz lag für ihn wohl dabei, wie auch die von Bugenhagen gewählte Übersetzung nahelegt, in der Käuflichkeit des Sklaven,12 was diese von dem an seinen unmittelbaren Feudalkontext gebundenen leibeigenen Bauern unterschied. So erklärte Luther im Jahre 1535 den Unterschied zur Zeit des Paulus: Tum fuerunt servi leibeigen, ut vacca, sau. Nostri non dicuntur merito servi iam, tum emerunt servos, servas ut ochsen.13 Das Bild also, das Luther in sozialer Hinsicht voraussetzt, ist dasjenige, dass er einen Sklavenstand im eigentlichen Sinne nicht in der christlichen Kultur, sondern in der antiken und der zeitgenössischen osmanischen Kultur vorfindet. Gleichwohl sieht er allein schon sprachlich den Stand der Leibeigenen mit diesem Status verwandt. Dies ermöglicht es ihm wiederum, auf theologischer Ebene die biblischen Aussagen zum Sklavenstand auf die eigene Gegenwart zu beziehen. Diese Anwendung war dementsprechend eine vorwiegend affirmative. In einer Predigt über Mt 22,34f. erklärte Luther am 8. Oktober 1531 ausdrücklich, dass Gott selbst den servi status eingesetzt habe, und reihte ihn als divinus status zusammen mit princeps und dominus ein.14 Der Kontext der Ausführungen macht deutlich, dass es sich hierbei um eine innerchristliche Zuordnung handelte, denn der Hauptgedanke war einzuschärfen, dass die 9 10 11 12 13 14

WA 18, 326, 14-16. 32-34. WA 14, 251, 6f. WA 14, 251, 7. WA 14, 294, 3f.; 16, 534, 19f. WA 41, 384, 3f. WA 34, 315, 12f.

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Christen „den rechten hohen Stand: dilige deum etc.“ annehmen sollten.15 An dieser Stelle also kann man die Gottgegebenheit des servi status angemessen nur auf den Status des Leibeigenen in der mitteleuropäischen Gesellschaft beziehen. Allerdings geht es Luther nicht allein um eine gesellschaftsstabilisierende Einschärfung dieses Standes, sondern wichtiger ist ihm die auch in dieser Predigt enthaltene Unterscheidung zwischen äußeren und inneren Gegebenheiten: Der Sklave könne, wenn er seiner Aufgabe in Liebe nachkomme, „so hoch uber den fursten, qui sine dilectione administrat“, stehen „ut celum et terra“.16 Im Angesicht Gottes also zählen die von ihm selbst gestifteten Stände nicht – und gerade deswegen können und sollen sie bewahrt werden. Der biblische Hintergrund hierfür ist offenkundig 1 Kor 7,20-24 und entsprechend führte Luther diese Aussage auch paraphrasierend in einer Predigt über Mt 8,1ff. am 26. Januar 1533 an: Si es vocatus coniunx, servus etc. mane17 und unterschied in diesem Zusammenhang „Das euserlich leben“ von dem „was der Christlich stand sey, Scilicet den herrn Christum erkennen pro domino und hallten pro eo, der uns erloset hat.“18 Genau diese Kontextualisierung des Korintherzitates unterstreicht, dass es Luther bei seiner Stabilisierung der sozialen Gegebenheiten um mehr ging als eine biblizistische Befolgung bestimmter Anweisungen, aber auch um mehr als eine Auseinandersetzung mit den Bauern. Die Grundüberzeugung der Unterscheidung der geistlichen, inneren Dimension von der äußeren weltlichen, war schon für seine Freiheitsschrift aus dem Jahre 1520 leitend gewesen.19 Hier bezog sie sich zwar auf die Soteriologie und christliche Ethik, in welcher die Unterschiede zwischen beiden Dimensionen Beachtung finden sollten. Aber die Anwendung auf den sozialen Status der Menschen war durchaus konsequent und mit ihr der harte Vorwurf an die Bauern, die Freiheit fleischlich zu machen.20 Auf der Folie der Rechtfertigungslehre wurden die sozialen Gegebenheiten sekundär, denn die Gleichheit galt allein für die Gottesdimension: In Auseinandersetzung mit sozialen Forderungen erklärte Luther am 5. April 1528 in einer Predigt: Oportet ista qualitas sit in corde et coram deo, non mundo.21 Entscheidend war die soteriologische Dimension im Verhältnis zu Gott. Insofern waren gerade die normative Zentrierung22 auf die Bibel, die Luther in seiner reformatorischen Tätigkeit und 15 16 17 18 19 20 21 22

WA 34, 313, 1f. WA 34, 314, 15-18. WA 37, 15,7f. WA 37, 15, 7-10. WA 7, 21, 18-27. Vgl. allerdings meine Überlegungen in LEPPIN (2011). WA 27, 92, 33f. Zum Begriff vgl. HAMM (1992).

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Lehre zugrunde legte, und die schroff auf das Innerliche bezogene Rechtfertigungsbotschaft nicht geeignet, Potenziale zu entwickeln, die die Leibeigenschaft nachhaltig in Frage gestellt hätten – in einem für Luther aufgrund seines Erfahrungshorizontes nicht möglichen Rückschluss gilt dies dann auch für die Wiederbelebung des Instituts der Sklaverei in den Kolonien der Neuzeit. 2. Die allmähliche Problematisierung des Sklavenstatus in den Quellen von Philosophie und Recht im interkonfessionellen Diskurs In Wittenberg war man sich von früh an bewusst, dass auch die zur Verfügung stehenden Autoritäten keineswegs durchweg mit der biblischen Legitimierung von Sklaverei und Leibeigenschaft konform gingen. In seinem oben erwähnten knappen Kommentar zur Politik des Aristoteles von 1530 folgte Melanchthon zunächst dessen naturrechtlicher Begründung von Leibeigenschaft, wie sie sich in Politeia 1,2 (1252 a 27-35) findet. Aristoteles referierend hält Melanchthon hier fest: In homine aliae partes naturaliter serviunt, aliae naturaliter praesunt ac dominantur, similiter igitur in multitudine, prudentiores natura praeesse debent, et imprudentiores obedire.23 Dem anthropologischen Gedanken des Aristoteles folgend schlussfolgert Melanchthon also mit diesem, dass Herrschaft und Unterworfensein in der menschlichen Gesellschaft naturgegeben seien. Diese naturrechtliche Begründung hat für ihn hohes Gewicht, da, wie er im Kommentar ausführt, grundsätzlich das ius naturae als ius divinum anzusehen sei, Sätze also, die aus natürlichen Umständen gefolgert werden können, als divinae leges anzusehen seien.24 Damit gewinnen die Aussagen über die Sklaverei nicht wegen der Autorität des Aristoteles,25 sondern wegen ihrer Adäquatheit zum natürlichen Gesetz einen den biblischen Aussagen entsprechenden Status – und dies umso mehr, als sie ja der Sache nach auf die göttliche Bestätigung der Sklaverei beziehungsweise, wie man angesichts der Melanchthon konkret vor Augen stehenden Sozialgestalt präzisieren muss, der Untergebenheitsverhältnisse unter Einschluss der Leibeigenschaft hinauslaufen. Melanchthon aber ist bei diesen Ausführungen bewusst, dass die juristische Diskussion etwas anders gelagert war: Tatsächlich stellte Dig. I,5 die genau gegenteilige These auf. Hier hieß es: Servitus est constitutio iuris gentium, qua quis dominio alieno contra naturam subiicitur,26 und die Glossa 23 24 25 26

CR 16, 424. CR 16, 424. Vgl. hierzu FRANK/ MUNDT (2012). Digesta, 39, Z. 50-53.

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ordinaria hielt hierzu fest, dass dem Sklaven die Freiheit à iure naturali27 zukomme, aber eben nach dem geltenden Recht der Völker nicht. Melanchthon verfügte also, möglicherweise durch den Wittenberger Juristen Hieronymus Schurff vermittelt,28 mindestens über grobe Kenntnisse dieser Sachlage,29 die am entscheidenden Punkt – der Frage des Naturrechts – mit seiner aristotelisch-philosophisch begründeten Auffassung kollidierte. Die Lösung für dieses Dilemma erfolgt bei ihm zweistufig: zum einen durch einen Ausgleich der Perspektiven, zum anderen durch Rekurs auf die überragende biblische Autorität. Den Perspektivenausgleich nimmt er in der Weise vor, dass er erklärt, Aristoteles betrachte die Schwäche des Menschen und komme daher auf den Gedanken einer Naturgegebenheit der Sklaverei, während die Juristen die konkrete Gestalt der Unterdrückung von Besiegten durch Sieger im Blick hätten.30 Aristoteles also gehe von einer Naturgegebenheit der Herrschaftssituation aus, und erst durch die Rebellion gegen diese entstehe eine unnatürliche Form der Unterdrückung. Vor allem aber, so der zweite Gedankengang Melanchthons, werde die Haltung des Aristoteles durch das vierte Gebot unterstützt, aus welchem die Notwendigkeit des Gehorsams folge.31 Mit dieser Argumentation war also philosophisch die Affirmation der Sklaverei im Luthertum gestützt – die juristische Infragestellung aber blieb virulent. Das zeigt etwa der Pandektenkommentar des Matthäus Wesenbeck. Der Autor stammte zwar aus den Niederlanden, ist aber konfessionell dem Luthertum zuzurechnen.32 Ab 1569 war er in Wittenberg tätig33 und prägte somit auch die dortige juristische Tätigkeit. In seinem einflussreichen34 Pandektenkommentar führte er die Auslegung der Glossa zu Dig. I,5 fort und unterstrich, dass Sklaverei lediglich eine constitutio iuris gentium sei.35 Ein für die weitere Entwicklung relevanter Umstand ist es, dass er die Begründung der Sklaverei dabei besonders in der Gefangennahme im Zusammenhang von Kriegshandlungen sah – womit zugleich verbunden war, dass die Versklavung die gegenüber der Tötung mildere Variante war. Es ist nämlich genau diese Argumentationslinie, die innerhalb des Luthertums dann eine Annäherung an eine Kritik des Sklavenstandes eröffnete. Diese juristische Argumentationsweise bedeutet zugleich aber auch, dass 27

Digesta, 40, Z. 19-26. Vgl. zu ihm LÜCK (1998) 80f. 29 Melanchthon hat sich seit den dreißiger Jahren vor allem mit Hilfe von Hieronymus Schurff in juristischen Fragen kundig gemacht; vgl. DEFLERS (2007) 129. 30 CR 16, 426. 31 CR 16, 426. 32 LÜCK (1991) 200; vgl. LÜCK (1998) 74 Anm. 6. 33 LÜCK (1991) 202. 34 LÜCK (1991) 207. 35 Wesenbeck, In Pandectas Iuris ciuilis et Codicis Iustinianei Lib. IIX. Commentarii, 16. 28

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diese Gedanken im Luthertum weniger aus genuinen eigenen Quellen als aus einem interkonfessionellen Diskurs resultierten, der eben durch jene katholischen Autoren angestoßen worden ist, die aufgrund der Kenntnisnahme realer Sklaverei in den amerikanischen Kolonien die christlichen Potenziale gegen die Sklaverei entfalteten. Maßgeblich für den interkonfessionellen Diskurs wurde Francisco Suárez,36 der seine Auffassung besonders prägnant in seiner Defensio fidei zusammengefasst hat: Exemplum est de libertate hominis, quae servituti opponitur, est enim de jure naturali, quia ex vi solius juris homo nascitur liber, nec potest sine legitimo aliquo titulo in servitutem redigi.37 Auch wenn Suárez im Folgenden eben das zuletzt Angedeutete weiter ausführt, nämlich die mögliche legitime Begründung von Versklavung, verschiebt sich doch bei ihm die Argumentation merklich: Eine solche darf nur mit Zustimmung38 des zu Versklavenden oder aufgrund eines iustus titulus und einer entsprechenden potestas erfolgen.39 Im Grundsatz aber gilt: Sic ergo perfecta communitas civilis jure naturae libera est.40 Es liegt nahe, dass sich Hugo Grotius im arminianischen Milieu der Niederlande41 für seine Theorie der Sklaverei vor allem von diesen Überlegungen des Suárez beeinflussen ließ.42 Freilich wird man neben dieser transkonfessionellen Vermittlung der Gedanken auch die Möglichkeit eines eigenständigen Rückgriffs auf die rechtliche Tradition zu bedenken haben, zumal Grotius sich – wie Melanchthon – auf die iurisconsulti zur Begründung der These Servi natura quidem … hominum nulli sunt berief.43 Wie Suárez folgerte Grotius hieraus keineswegs die allgemeine Ablehnung der Sklaverei, das ius gentium vielmehr könnte eine solche – auch darin folgt Grotius wie sein jesuitischer Vorläufer schlicht der römisch-rechtlichen Tra36

Vgl. hierzu FRANKE (2009) 12-64. Suárez, Defensio fidei l. 3 c. 2 Nr. 9, 209; vgl. hierzu BÖCKENFÖRDE (2006) 386. Zu der für Suárez wichtigen Relativierung der aristotelischen Sklavereibegründung bereits bei Thomas von Aquin vgl. ebd. 253f. 38 Vgl. hierzu FRANKE (2009) 48-50. 39 Suárez, Opera Omnia 24, 209. 40 Suárez, Opera Omnia 24, 209. 41 Eine beeindruckende Deutung von Grotius in theologischer Perspektive hat MÜHLEGGER (2007) vorgelegt; vgl. auch NELLEN/ RABBIE (1994). 42 Vgl. zu diesen geistesgeschichtlichen Verbindungslinien DUFOUR (1984) 17; NEGRO (2000) 208. Für die Grotius-Forschung außerordentlich hilfreich ist der Überblick über die Zitation von Autoritäten, vgl. NEGRO (2000) 217. Allein schon diese statistische Übersicht macht deutlich, in welchem Maße Grotius in die patristische, scholastische und spätscholastische Diskussion eingebettet war. Zu Recht spricht daher LINK (2009) 349 in diesem Zusammenhang von der Entkonfessionalisierung des Naturrechts. 43 Grotius, De iure belli ac pacis l. 3 c. 7, 541. Vor diesem Hintergrund wird man schwerlich von einer naturrechtlichen Begründung der Sklaverei bei Hugo Grotius sprechen können; so HIRSCH 1 (1949) 18; vgl. hierzu FRANKE (2009) 93. 37

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dition – begründen.44 Und wie Suárez kannte Grotius zwei Anlässe, die Sklaverei begründeten: dass jemand sich selbst in eine solche hineinbegab oder dass er im Krieg gefangen wurde.45 Das eigentlich Bemerkenswerte an der Lehre des Grotius ist, dass er die traditionelle Differenz zwischen Naturrecht und ius gentium in De iure belli ac pacis l. 3 c. 14 in der Weise transformierte, dass er aus dem im Naturrecht positiveren Status der Sklaven eine achtsame Behandlung folgerte: Multum ergo distat id quod impunè in seruum fit ex gentium iure & id quod naturalis ratio fieri sinit.46 In einer sachten Verschiebung des Argumentationsstandes aus der römisch-rechtlichen Tradition erscheint hier also das positiv gesetzte Recht als defizient gegenüber dem durch die natürliche Vernunft erkennbaren Naturrecht: Hatte bei Melanchthon die naturrechtliche Begründung zur Stabilisierung von Sklavenhaltung beziehungsweise Leibeigenschaft gedient, so wurde diese nun zwar nicht völlig ihrer Legitimität beraubt, aber in Schranken gewiesen. Der neustoizistische Hintergrund dieser Argumentation ist anhand der Fülle von Seneca-Zitaten im genannten Kapitel unmittelbar nachzuvollziehen.47 Grotius versucht nun aber auch die neutestamentlichen und patristischen Potenziale für eine Abmilderung des Sklavenrechts zu aktivieren, das natürliche Vernunftrecht also durch die christliche Offenbarungsgrundlage zu ergänzen. So führt er die Mahnung aus Kol 4,1, den Sklaven das aequum zu geben, an48 und verweist auf Clemens Alexandrinus49 sowie Hieronymus und Augustin.50 So wird das Sklavenschutzrecht mit unterschiedlichen Begründungsmustern erheblich ausgebaut und auf diese Weise in die rechtlichpolitische Diskussion eingeführt. In diesem Zusammenhang nahm es auch ein Vertreter der Staatslehre im Luthertum auf: Samuel von Pufendorf. Vor einigen Jahren hat Detlef Döring nachdrücklich darauf hingewiesen, dass entgegen anderslautenden Deutungen Pufendorfs System nur mit Bezug auf Gott beziehungsweise Religion denkbar sei,51 und damit für eine Berücksichtigung der konfessionellen Wurzeln dieses bedeutenden Staatsdenkers plädiert, der sich stets als Lutheraner 44

Grotius, De iure belli ac pacis, 541. Grotius, De iure belli ac pacis, 541f. 46 Grotius, De iure belli ac pacis, 596; vgl. zum Umgang mit Sklaven FRANKE (2009) 124128. 47 Vgl. unter anderem das berühmte Zitat aus Seneca, Ep. 47: Serui sunt, imo homines: serui sunt, imo contubernales: serui sunt, imo humiles amici: serui sunt, imo conserui (Grotius, De iure belli ac pacis 596; vgl. L. Annaeus Seneca, Ad Lucilium Epistulae morales I – LXIX, hg. v. Manfred ROSENBACH, Darmstadt 1974 [L. Annaeus Seneca, Philosophische Schriften. Bd. 3], 360). 48 Grotius, De iure belli ac pacis, 596. 49 Grotius, De iure belli ac pacis, 596. 50 Grotius, De iure belli ac pacis, 598. 51 DÖRING (2009) 416; vgl. in diesem Sinne auch SLENCZKA (2009) 177. 45

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durch und durch verstanden habe.52 Pufendorf entstammte einem lutherischen Pfarrhaus53 und stand seit 1670 in schwedischen Diensten.54 Hier veröffentlichte er 1672 seine Schrift De iure naturae et gentium, die schon in der Themenstellung offenkundig an die von Grotius bestimmte Debatte anknüpfte. Er führte die Transformation des Römischen Rechtes nun noch weiter, indem er in höherem Maße als Grotius55 die Frage der Gleichheit der Menschen in den Vordergrund rückte: In Buch 3 entfaltete er im zweiten Kapitel die Lehre, ut omnes homines pro æqualibus naturaliter habentur.56 Hier wurde also der römisch-rechtliche Grundsatz von der natürlichen Gleichheit der Menschen zu einem neuen argumentativen Ausgangspunkt, den Pufendorf mit der dem Begriff des Menschen eigenen dignatio begründete.57 Zu deren Begründung führt er in § 4 des genannten Kapitels mehrere Gedankengänge philosophischer und rechtlicher Art an, die einerseits auf dieselbe Herkunft, andererseits auf dieselbe Zielbestimmung des Menschen rekurrieren, um schließlich auch spezifisch christliche Argumentationsmuster anzufügen: Ex religione quoque Christiana plurima, quæ huc faciunt, afferri possunt; velut, quod amici Dei non nobilitate, potentia aut opibus, sed pietatis sinceritate æstimentur, ac in extremo judicio, præmiisque ac pœnis postumis nulla sit ratio habenda eorum, quibus in vita humana mortales præ aliis sese efferunt.58

Vor diesem Hintergrund wandte Pufendorf sich in § 8 der Frage der Sklaverei zu – und kritisierte nun ausdrücklich die aristotelische Auffassung von einer Naturgegebenheit der Sklaverei, jedenfalls in einem kruden Verständnis.59 Sklaverei entstamme einer Einsetzung durch Menschen und sei per leges civiles … definita.60 Die damit aufgegriffene Grundunterscheidung ist durchaus die schon Melanchthon bekannte; nur wird sie jetzt deutlich zugunsten der rechtlichen Tradition gewendet und das Naturrecht der Freiheit zum Angelpunkt der Argumentation genommen: Der natürliche Status ist der der aequalitas.61 Die Sklaverei ist lediglich – so entwickelt Pufendorf Gedanken von Hobbes weiter – aus einer Übereinkunft der Menschen zur Leis52

DÖRING (2009) 418. FRANKE (2009) 192. 54 FRANKE (2009) 193 Anm. 609. 55 Zur Bedeutung des Grotius für Pufendorf vgl. SAASTAMOINEN (1995) 13; an einem speziellen Fall auch HARTUNG (1996). 56 Pufendorf, De iure naturae et gentium, 268. 57 Pufendorf, De iure naturae et gentium, 268; vgl. zur Bedeutung der Würdekonzeption bei Pufendorf WELZEL (2009) 47f; MÜLLER (2000) 38-46. 58 Pufendorf, De iure naturae et gentium, 271f. 59 Pufendorf, De iure naturae et gentium, 276; vgl. MÜLLER (2000) 110; DENZER (1972) 149. 60 Pufendorf, De iure naturae et gentium, 276. 61 Pufendorf, De iure naturae et gentium, 276. 53

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tung von Diensten entstanden (l. 6 c. 3 § 4)62 und durch Versklavung von Kriegsgefangenen ausgebaut worden (ebd. § 5).63 Dies variiert die schon bei Wesenbeck zu findende Unterscheidung der Begründung von Sklaverei durch freien Entschluss oder Kriegsgefangenschaft, indem sie diesen Unterschied historisiert. Mit der Historisierung aber verbindet sich eine klare Absage an die lutherische Tradition einer Gegebenheit der Sklaverei durch Gottes- oder Naturrecht. Für die Aufklärung war damit ein entscheidendes Signal gesetzt, wonach im lutherischen Kontext der Menschenrechtsdiskurs jedenfalls aufgenommen werden konnte, nach welchem den Menschen Gleichheit zukam. Pufendorf hat, darauf hat Hans Welzel hingewiesen, mit diesen Gedanken erhebliche Wirkung, auch in Nordamerika, entfaltet.64 Allerdings wurde die Frage der Sklaverei im Luthertum weder in der Aufklärungstheologie65 noch im Pietismus66 zu einem bestimmenden Thema. Dies dürfte für das 18. Jahrhundert wiederum vor allem daran liegen, dass mitteleuropäische Lutheraner mit dem Phänomen der Sklaverei weiterhin nur außerordentlich wenig zu tun hatten. Hinzu kommt aber der Umstand, dass die Potenziale, aus denen eine lutherische Kritik am Institut der Sklaverei formuliert werden konnte, weniger den genuinen Identitätsmerkmalen des Luthertums entstammten: Die Schrift, auf deren Ausschließlichkeit man sich reformatorisch berief, konnte zwar seit Grotius sekundierend gegen die Sklaverei vorgebracht werden, eigenständige Potenziale der Kritik wurden hieraus aber nicht entwickelt. Insofern blieb das Luthertum durch die Grenzen, die sich schon bei Luther selbst gezeigt haben, jedenfalls eingeschränkt, auch wenn es sich im Laufe der Jahrhunderte von den von Luther gezogenen Folgerungen lösen konnte. Das argumentative Potenzial hierzu stand schon bei Melanchthon bereit, der auf die Spannung zwischen philosophischem und rechtlichem Erbe der Antike hingewiesen hatte. Im ausgehenden 17. Jahrhundert wurde hieraus die Konsequenz von der naturgegebenen Freiheit des Menschen offensiv gezogen. 62

Pufendorf, De iure naturae et gentium, 840. Pufendorf, De iure naturae et gentium, 841. 64 Vgl. WELZEL (1958) 49 Anm. 62a. 65 Vgl. allerdings Gottfried Leß, der neben Päderastie den Umgang mit Sklaven als Anzeichen der moralischen Vergehen der paganen Antike nannte (Leß, Wahrheit der christlichen Religion, 573f.); vgl. hierzu HAMMANN (2000) 285. 66 Vgl. die sehr kritische Abrechnung von RICHTER (2009) 30, mit dem „Missionsnarrativ der Herrnhuter“ und der Rolle des „angebliche[n] Kampf[es] gegen die Sklaverei“ darin. Deutlich abwägender METTELE (2009) 109: „Die Brüdergemeine verhielt sich hier in einer für sie typischen Weise uneindeutig. Zwar stand sie der Abschaffung des Sklavenhandels prinzipiell positiv gegenüber, sie vermied es aber, einen klaren Standpunkt zu beziehen, denn ein solcher hätte das Prinzip der Nichteinmischung in politische Fragen verletzt“. 63

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Quellenanhang1 (Q1) Hugo Grotius, De ivre belli ac pacis libri tres. In quibus jus naturae et Gentium, item juris publici praecipua explicantur. Editio secunda emendatior et multis locis auctior. Amsterdam 1631, 439; 443. Deutsch: Drei Bücher vom Recht des Krieges und des Friedens. Paris 16252. Nebst einer Vorrede von Christian Thomasius zur ersten deutschen Ausgabe des Grotius vom Jahre 1707, Bd. 1 (Die Klassiker des Völkerrechts in modernen deutschen Übersetzungen), übersetzt von Walter SCHÄTZEL, Tübingen 1950, 480; 484. (Q2) Martin Luther, Ermahnung zum Frieden auf die zwölf Artikel der Bauerschaft in Schwaben (WA 18, 279-334). (Q3) Samuel Pufendorf, Acht Buecher Vom Natur- und Voelcker-Rechte. […] Anderer Theil, Frankfurt a. M. 1711, (3. Kapitel) 403-405. (Q1) Hugo Grotius, De ivre belli ac pacis libri tres, 439; 443. Capvt VII. De jure in captivos.

I.

Omnes captos bello solenni jure gentium servos fieri. Servi natura quidem, id est citra factum humanum aut primaevo naturae statu, hominum nulli sunt, ut et alibi diximus: quo sensu recte accipi potest quod a Iurisconsultis dictum est contra naturam esse hanc servitutem: ut tamen facto hominis, id est pactione aut delicto servitus originem acciperet, justitiae naturali non repugnat, ut alibi quoque ostendimus. At eo de quo nunc agimus gentium jure aliquanto latius patet servitus, tum quoad personas tum quoad effecta. Nam personas si spectamus, non soli qui se dedunt aut servitutem promittunt pro servis habentur, sed omnes omnino bello solenni publico capti, ex quo scilicet intra praesidia perducti sunt: ut ait Pomponius. Neque delictum requiritur, sed par omnium sors est etiam eorum qui fato suo, ut diximus, cum bellum repente exortum esset intra hostium fines de1 Die Texte der Vorlagen wurden von Tilman Moritz und Fabian Potthast (beide Paderborn) erfasst. 2 Tatsächlich greift Schätzels Übersetzung auf die im Folgenden wiedergegebene zweite, ergänzte Auflage zurück.

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prehenduntur. Polybius historiarum secundo: τί δ᾽ ἂν παθόντες οὗτοι δίκην δόξαιεν ἁρμόζουσαν δεδωκέναι? τυχὸν ἴσως εἴποι τις ἄν, πραθέντες μετὰ τέκνων καὶ γυναικῶν, ἐπεὶ κατεπολεμήθησαν. ἀλλὰ τοῦτό γε καὶ τοῖς μηθὲν ἀσεβὲς ἐπιτελεσαμένοις κατὰ τοὺς τοῦ πολέμου νόμους ὑπόκειται παθεῖν. Quid, inquit, patiendum his est ut iusta supplicia pendant? Dicat forte aliquis vendendos cum liberis et uxoribus quando armis victi sunt. At haec belli lege etiam illis ferenda sunt qui nihil impii commiserunt. Atque eo fit id quod Philo notat his verbis: πολλοὶ πολλάκις καιροῖς ἀβουλήτοις τῶν σφόδρα ἀστείων τὴν ἐκ γένους ἀπέβαλον ἐλευθερίαν Multi viri boni variis casibus nativam amiserunt libertatem. Dion Prusaensis cum modos acquirendi dominii quosdam recitasset: τρίτος δὲ κτήσεως τρόπος, ὅταν ἐν πολέμῳ λαβὼν αἰχμάλωτον ἢ καὶ λῃσάμενος, κατὰ τοῦτον τὸν τρόπον ἔχῃ καταδουλωσάμενος, ubi quem quis bello nactus captivum hoc modo servum factum possidet. Sic pueros bello captos abducere πολέμου νόμον vocat Oppianus de piscatu 11. IX. Nec nunc obtinere inter Christianos et quid ei sit surrogatum. Sed et Christianis in universum placuit bello inter ipsos orto captos servos non fieri, ita ut vendi possint, ad operas urgeri, et alia pati quae servorum sunt: merito sane: quia ab omnis caritatis commendatore rectius instituti erant aut esse debebant quam ut a miseris hominibus interficiendis abduci nequirent, nisi minoris saevitiae concessione. Atque hoc a maioribus ad posteros pridem transiisse inter eos qui eandem religionem profiterentur scripsit Gregoras, nec eorum fuisse proprium qui sub Romano imperio viverent, sed commune cum Thessalis, Illyriis, Triballis et Bulgaris. Atque ita hoc saltem, quanquam exiguum est, perfecit reverentia Christianae legis quod cum Graecis inter se servandum olim diceret Socrates, nihil impetraverat. Quod autem hac in parte Christiani, idem et Mahumetistae inter se servant. Mansit tamen etiam inter Christianos mos captos custodiendi donec persolutum sit pretium, cujus aestimatio in arbitrio est victoris: nisi certi aliquid convenerit. Ius autem hoc captos servandi solet concedi singulis qui ceperunt, extra personas eximiae dignitatis: in has enim reipublicae aut ejus capiti jus dant plerarumque gentium mores. (Q1) Übersetzung Hugo Grotius, Drei Bücher vom Recht des Krieges und des Friedens, 480; 484. 7. Kapitel Über das Recht gegen die Gefangenen

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I. Alle in einem öffentlichen und förmlichen Kriege Gefangengenommenen werden nach dem Völkerrecht Sklaven des Siegers. 1. Sklaven gibt es, wie ich anderwärts ausgeführt habe, von Natur, d. h. abgesehen von menschlichen Handlungen, nach dem ursprünglichen Naturzustand nicht; deshalb kann man in diesem Sinne den Rechtslehrern beitreten, welche sagen, daß die Sklaverei gegen die Natur sei. Allein es stimmt, wie ich früher gezeigt habe, mit dem Naturrecht nicht3 überein, daß die Sklaverei durch die Tat eines Menschen, d. h. durch Vertrag oder infolge eines Vergehens entstehen kann. 2. Nach dem Völkerrecht, das den Gegenstand dieses Werkes bildet, hat indes die Sklaverei eine etwas weitere Ausdehnung sowohl in bezug auf die Personen wie auf die Wirkungen. In bezug auf die Personen werden nicht nur diejenigen zu Sklaven, welche sich freiwillig ergeben oder es vertragsmäßig tun, sondern überhaupt alle diejenigen, die in einem öffentlichen förmlichen Kriege gefangen werden, und zwar von dem Zeitpunkt ab, wo sie zum Heere gebracht sind, wie Pomponius sagt. Es ist nicht nötig, daß sie eine strafbare Handlung begangen haben, sondern alle trifft das gleiche Schicksal, selbst die, welche, wie erwähnt, zufälligerweise bei dem plötzlichen Ausbruch eines Krieges in dem feindlichen Gebiet angetroffen werden. 3. Polybios sagt: „Sollen diese unschuldig Strafe erleiden? Vielleicht meint man, daß sie erst nach gewonnenem Siege mit Frau und Kindern verkauft werden dürfen; allein auch die, welche nichts verbrochen haben, müssen sich diesem Kriegsgesetz unterwerfen.“ Damit geschieht, was Philon sagt: „Viele brave Männer haben ihre natürliche Freiheit auf mancherlei Weise eingebüßt.“ 4. Dio von Prusa sagt bei Aufzählung der Arten des Eigentumserwerbs: „Eine dritte Erwerbsart ist, wenn jemand im Kriege einen Gefangenen macht und ihn als Sklave besitzt.“ So nennt Oppian4 das Mitnehmen der im Kriege ergriffenen Kinder ein „Kriegsgesetz“. IX. Das Recht über die Gefangenen ist unter Christen nicht gebräuchlich, die stattdessen eine andere Art Recht eingeführt haben. 1. Überhaupt ist es unter den Christen nie eine Rechtsregel geworden, daß die in den untereinander geführten Kriegen gemachten Gefangenen Sklaven werden, daß man sie deshalb verkaufen, zur Arbeit zwingen und alles mit ihnen vornehmen kann, was gegen Sklaven zulässig ist. Es ist dies 3 Die Verneinung ist hier irrig, sie scheint Überrest des lateinischen Wortlauts non repugnat, „widerspricht nicht“. 4 Im Lateinischen wird die Stelle „in piscatu 11“ angegeben, gemeint ist die Dichtung Halieutika, „Über den Fischfang“.

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mit Recht so geschehen, denn sie sind von dem Verkünder der Religion der Liebe besser unterrichtet worden oder sollten es doch sein; deshalb bedarf es, um sie von der Tötung unglücklicher Menschen abzuhalten, nicht der Bewilligung eines geringeren Übels, das immer noch eine Grausamkeit enthält. Dieser Brauch ist von den Vorfahren längst auf die Nachkommen bei denen übergegangen, die desselben Glaubens sind. So schreibt Gregoras; auch beschränkt dieser Brauch sich nicht auf die Untertanen des römischen Reiches, sondern bestand auch bei den Thessaliern, Illyriern, Triballiern und Bulgaren.5 Wenigstens bei diesem, wenn auch geringeren Punkte drang die Achtung vor dem christlichen Gesetz durch, während Sokrates, der früher dasselbe von den Griechen verlangte, es nicht hatte erreichen können. 2. Auch die Mohammedaner beobachten untereinander dies Gesetz. Doch erhielt sich unter den Christen die Sitte, die Gefangenen so lange festzuhalten, bis das Lösegeld bezahlt war, dessen Höhe der Sieger bestimmte, wenn man sich nicht anders einigen konnte. Dies Festhalten der Gefangenen wird den einzelnen gestattet, die sie in ihre Gewalt bekommen haben; nur Personen hohen Ranges sind ausgenommen, da das Recht auf diese nach den Gewohnheiten der meisten Völker nur dem Staate oder dessen Oberhaupte zusteht. (Q2) Martin Luther, Ermahnung zum Frieden auf die zwölf Artikel der Bauerschaft in Schwaben, 326f. Auff den dritten Artickel Es soll keyn leybeygener seyn, weyl uns Christus hat alle befreyet. Was ist das? das heysst Christliche freyheyt gantz fleyschlich machen. Hat nicht Abraham und ander Patriarchen und Propheten auch leybeygen gehabt? leset S. Paulen, was er von den knechten, wilche zu der zeyt alle leybeygen waren, leret. Drumb ist dieser artickel stracks widder das Euangelion und Reübisch. Damit eyn iglicher seynen leyb, so eygen worden ist, seynem herren nympt, Denn eyn leybeygener kan wol Christen seyn vnd Christliche freyheyt haben, gleich wie eyn gefangener odder krancker Christen ist, vnd doch nicht frey ist, Es will dißer artickel alle Menschen gleich machen, vnd aus dem geystlichen reich Christs eyn welltlich eusserlich reich machen, wilchs vn muglich ist. Denn welltlich reich kan nicht stehen, wo nicht vngleicheyt ist, ynn personen, das ettliche frey, ettliche gefangen, ettliche herrn, ettliche vnterthan etc. Wie S Paulus sagt Gal. 5. Das ynn Christo, herr vnd knecht 5

Da weiter Gregoras zitiert wird, sind hier das Byzantinische Reich und seine Nachbarn bezeichnet.

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eyn ding sey. Davon hatt meyn herr vnd freund Urban Regius wol vnd gnug geschrieben, da magstu weytter leßen. (Q3) Samuel Pufendorf, Vom Natur- und Voelcker-Rechte, 403-405. 1. Kapitel Von der Hauß-herrlichen Gewalt §. IV. Unsere Meynung ist / was den Ursprung der Knecht- und Leibeigenschafft anbelangt / folgende: Es sihet gar warscheinlich auß / daß die Reicherern / nach dem sie nicht mehr so eineinfaeltig leben / sondern immer mehrers sammlen und sich besser halten wollen / arme und plumpe in ihre Dienste gelocket / und zu allerhand Geschaefften gedinget haben. Da nun hernach beyden Theilen die Sache gefallen und bequem vorkommen / haben solche Tagloehner sich auff Lebenslang / unter der Bedingung eingelassen / daß man ihnen die Nothdurfft reichen solte / und daß sie im Gegentheil in Haeußlichen Geschaefften / nach dem Befehl und Willen der Herrschafft arbeiten wollen. Solcher gestalt scheinet der Ursprung der Knechtschafft von dem freywilligen Belieben derer Aermeren Menschen herzu kommen / und zu seinem Grunde den Contract zu haben / dessen Summa ist: Ich gebe daß du mir thust; Ich gebe dir Lebenslang Unterhalt daß du mir Dienste leistest. Es erhellet auch gar bald auß dem Zweck dieser Gesellschafft / wie viel Gewalt einem Herrn ueber solche Knechte von Natur zukomme / daß er nehmlich ihnen allerley Arbeit (1) so weit ihr Vermoegen und Geschick reichet / aufflegen / und deroselben Nachlaessigkeit und Faulheit durch harte Mittel / nach Erheischung eines jeden Zustand belegen / doch selbige deßhalben nicht toedten kan / dieweil einem solchen Knechte schon Straffes genug ist / wenn er auß dem Hauße gejaget / und seiner eigenen Faulheit ueberlassen wird. Man hat auch allem Ansehen nach / dergleichen Knechte wider ihren Willen nicht an andere Herren verkauffen koennen; sondern / wenn man ihrer ueberdruessig gewesen / sie entweder fortjagen / oder mit ihren guten Willen an andere ueberlassen muessen. Denn sie sind in der That nichts anders / als immerwaehrende Tagloehner gewesen / die in solchem Zustande nur ihrem Herren arbeiteten und alles erworbene lassen muessen. Wenn sie nun bey diesem ihrem Zustande / wider Außwaertige eine greuliche und halßbruechige That veruebet (2) scheinet der Herr ueber ihr Leib und Leben zu urtheilen / keine Macht gehabt zu haben. Doch hat er die Schuldigen / damit er sich nicht ihrer Haendel theilhafftig machte / oder das Unrecht zu verthaeydigen schiene / von sich jagen koennen und muessen / und ist dieses so viel als eine Außliefferung derselbigen zur Straffe gewesen. Wenn sie aber wider den Herrn selbsten / oder dessen Angehoerige sich schwerlich

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vergrieffen / haben sie allerdinges / doch nicht vermoege der Herrschafft sondern nach Krieges-Recht / als Feinde getoedtet werden moegen. Anders hielten es die alten Teutschen / welche ihre Knechte als Feinde ungestrafft auß Zorn und Ubereilung toedten mochten / und fast gleiche Beschaffenheit hat es mit der Knecht- und Herrnschafft auch bey den Hebraeern (3) gehabt. §. IV. (1) So weit ihr Vermoegen und Geschick reichet / etc.] Das ist nothwendig und billig / wie denn denen Christen auß der Schrifft bekannt / daß GOtt der HErr auch deß Gesindes und Viehes halber mit unter andern Ursachen den Sabbat eingesetzet / damit ihnen / auch etwa wider den Willen umbarmhertziger und geitziger Herrschafften / doch die Ruhe alle Wochen einen Tag ueber gegoennet werden muesse. Exodi XX. 10. Deut. V. 14, 15. Darauß kan man schliessen / welch eine Schande und himmel-schreyende Suende es sey / wenn manchmahl unter den Christen dem Gesinde nicht so viel Zeit und Ruhe gelassen wird / daß es sich am Leibe erholen / und auch bequemlich seine Seele bedencken und darzu dienliche Mittel recht brauchen koenne / da doch die Heyden auch deß letzten halber Sorge getragen und Angestalt gemacht haben. Wittsius Aegyptiacorum II. 16. §. 2. seqq. (2) Scheinet der Herr ueber ihr Leib und Leben zu urtheilen keine Macht / etc.] Warumb nicht? Man sehe deß vorhergehenden §. 5. und 6. Anmerckung. H. erinnert / es stehe auff diesen Fall dem HErrn darzu / was einer Obrigkeit gebuehret / wenn ihr Unterthan sich an einer andern Republic halßbruechig verschuldet. Da kan sie ihn alsdenn selbst abstraffen / oder dem Beleydigten zur Bestraffung außlieffern. Vergreifft sich der knecht wider den Herrn dergestalt / so ist er als ein Rebell anzusehen / und als ein solcher auch zustraffen. Der Autor sagt ja C. 2. §. II. einem Hauß-Vatter sey / als dem Haupte der Familie, das Recht ueber dieser Leben und Todt erlaubt / oder zugelassen / und gestehet III. 2. §. ult. daß er seine Macht nicht erst von Buergerlicher Gesellschafft empfangen / sondern sie mit hinein bracht habe. (3) Siehe Exodi XXI. 2. seqq. Levit. XXV. 39. seqq. Deut. XV. seqq. Syrach. XXXIII. 25. seqq. §. V. Nachdem nun die Menschen wahr genommen / wie bequem es sey / seine Arbeit (1) durch frembde Haende verrichten / ist es / bey ueberhandnehmenden Kriegen dahin kommen / denen Gefangenen das Leben und leibliche Freyheit mit der Bedingung zulassen / daß sie Lebenslang als leibeigene Knechte dienen solten. Plinius (2) sagt: daß die Lacedaemonier dergleichen knechtschafft auffbracht und erfunden / welches doch nit anders verstanden werden kan / als daß sie unter denen Griechen / am ersten solche Knechte gehabt / oder daß sie zu erste ihre Lands-Leute / nemlich andere Griechen zu dergleichen gemacht. Herodotus (3) scheinet das erstere zu bekraeftigen / wenn er bey der durch die Pelascer außgefuehrten Eroberung Lemnus saget: daß sie und die uebrige Griechen dazumahl noch keine leib-

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eigene Knechte gehabt. So hat Sesostres (4) zu seinen Arbeiten und Wercken keine Egyptier gebrauchet / sondern sich zu dero Außfuehrung derer Gefangenen bedienet / und deßhalben an die von ihm erbauete Tempel schreiben lassen: Hieran hat kein Einwohner gearbeitet. Mit dergleichen im kriege Gefangenen hat man insgemein ziemlich strenge verfahren / und sie einen Uberrest feindseligen Gemueths fuehlen lassen. Man hielt auch davor / daß gegen sie geuebte Grausamkeit wohl entschuldiget werden koente / weil sie andern ein gleiches zugedacht / und ihnen nach Leib und Gut gestanden haetten / und man nahm sich ueber selbige so viel Freyheit / daß man sie auch auß Zorn oder wegen irgend eines Verbrechens (5) ohngestrafft zu toedten pflegt. Gleiche Macht nahm man sich auch / obschon mit wenigerem Vorwande ueber ihre Kinder und ueber andere erhandelte Knechte / wiewohl auch selbige hier und dar durch Buergerliche Gesetze beschraencket / oder gar auffgehoben worden. Demnach kommet die Knechtschafft urspruenglich aus freywilliger Einwilligung / und nicht vom Kriege her / ob gleich durch den Krieg derer Leibeigenen Anzahl sehr gemehret / und ihr Zustand um ein Merckliches haerter und schwehrer gemacht worden ist. (6) §. V. (1) Durch frembde Haende verrichten / etc.] Aristoteles nennet demnach Libro II. Politic. einen knecht ein Werckzeug aller Werckzeuge / oder das vortrefflichste Werckzeug / weil es sich selber brauchet / da man bey dem Gebrauch anderer todten Werckzeuge Muehe anwenden muß. (2) N. H. VII. 56. (3) Erato sub finem. (4) Diodorus Siculus Libro I. C. 56 Man fuege hinzu Busbequium Epistolae III. Richerium de Moribus Orientalium p. 101. So einen Sesostrem wuerden sich alle Bauern gerne wuenschen / und vielleicht auch hier und dar sehr noethig haben / weil sie mit Bau-Frohnen gewaltig beschwehret werden koennen / und manchmahl in der That beschwehret werden / daß auch Pharao kein aerger Mittel die Israeliten zu drucken wuste / als dergleichen Frohnen / Exodi I, 9. seqq. Daß demnach bey dero noethigen und an sich nicht unbillichen Gebrauch / die groeste Behutsamkeit der Sachen nicht zuviel zu thun / erfordert wird. (5) Ohngestrafft zu toedten pflegt / etc.] Verstehe ohngestrafft aeusserlich vor den Menschen: Worzu man innerlich verbunden / und vor Gott davon ist num. 4. ad §. III. Erwehnung geschehen / und hat dieser innerlichen Verbindlichkeit auch Hrn. Thomasius Fundament. J. N. G. III. 5. §. 13. gedacht. Man sehe sonst Grotium III. 7. §. 2. auch III. 14. §. I. seqq. (6) Man besehe Boeclern ueber Grotii II. 5. §. 27.

Eine Rezeptionsskizze der atlantischen Sklaverei im frühneuzeitlichen protestantischen Deutschland1 MAGNUS RESSEL 1. Einleitung In den Darstellungen zur Debatte um die Legitimität der atlantischen Sklaverei in der Frühen Neuzeit sowie dem ab der Mitte des 18. Jahrhunderts aufkommenden Abolitionismus wird Deutschland meist eher ausgespart oder nur am Rande erwähnt.2 Einer intensiven Verflechtung wichtiger deutscher Gewerberegionen mit der atlantischen Wirtschaft zum Trotz scheint es, als sei Deutschland mit dem Sklavenhandel über den Atlantik materiell zwar indirekt und ganz selten auch einmal direkt verbunden gewesen, habe diesen aber höchstens in schmalen Schichten seiner Gelehrten wahrgenommen. 3 Sowohl in den Detailstudien als auch den Überblicksdarstellungen zur Debatte um die Legitimität der Sklaverei glänzen das Alte Reich und dessen literarisch bewanderte Kreise durch gänzliches Fehlen oder höchstens Randbemerkungen.4 Aus der bekanntermaßen weitgehenden Abwesenheit deutscher Akteure am direkten Sklavenhandel über den Atlantik mag erklärt werden, dass in der Frühen Neuzeit so wenig deutsche Stimmen zur Legitimität von Sklaverei vernehmbar sind. Diese Vorannahme mag zwar eine genauere Forschung zur Rezeption der Atlantiksklaverei im deutschsprachigen Raum während der Frühen Neuzeit behindert haben, sie hält allerdings einer genaueren Prüfung nur teilweise stand. Publizisten und Gelehrte, hauptsächlich protestantischen Glaubens, mit einem Wirkungsbereich im deutschsprachigen Raum und teilweise darüber hinaus, nahmen die Globalisierung der Welt in der Frühen Neuzeit inten1

Dieser Beitrag basiert auf einem Vortrag, den ich im Workshop Sklaverei und Leibeigenschaft in der katholischen, protestantischen und orthodoxen Theologie – Begriffe und Phänomene an der Universität Paderborn am 6./7. Juni 2014 gehalten habe. Ich danke den Teilnehmern für wertvolle Hinweise, vor allem aber Prof. Nicole Priesching und Simon Kurtenbach für ihre detaillierte Korrektur und Kommentierung der ersten Fassung. 2 Die fehlende oder marginale Erwähnung des Alten Reichs im Zusammenhang mit dem atlantischen Sklavenhandel wird auch in Bezug auf die Geschichte der Abschaffung desselben bemerkt: SCHMIEDER/ FÜLLBERG-STOLBERG (2011) 8-10. 3 Zur Verflechtung von Akteuren aus dem Alten Reich mit dem atlantischen Sklavenhandel als indirekte oder direkte Akteure vgl. z. B. WEBER (2009); RESSEL (2015). 4 In einem Standardwerk zur Abolition reduziert sich die Betrachtung des deutschen Beitrags auf eine absurde antijudaistische Schrift von Johann David Michaelis, die in diesem Zusammenhang willkürlich erscheint: DRESCHER (2009) 82.

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siv wahr und hatten auch an ihr teil.5 Am stärksten gilt dies für die hallensisch-pietistische Mission, die ihre wesentlichen Zweige in der britischen Kolonie Georgia6 und im dänischen Tranquebar in Indien7 hatte. Die Herrnhuter Brüdergemeine wiederum hatte einen Schwerpunkt ihrer weltweiten Mission in der Karibik, konkret auf den dänischen Inseln St. Thomas, St. Crux und St. John.8 Die Herrnhuter waren in diesem Kontext häufig mit der Problematik der Sklaverei konfrontiert, was sich in den weiter unten zu behandelnden Druckwerken über die Mission widerspiegelt. Es ist bemerkenswert, dass in der Forschung zum Sklavenhandel eine latente Form von „Versagen“ des deutschsprachigen Protestantismus konstatiert wird.9 Dies ließe sich so zusammenfassen: Keine protestantische Strömung innerhalb dieser Sprachgemeinschaft entwickelte im 18. Jahrhundert eine dezidiert kritische Haltung zur Sklaverei, während Puritanismus und Quäkertum angelsächsischer Prägung gerade an dieser Frage zu einer grundlegenden Neubestimmung ihres Freiheitsbegriffes gelangten.10 Zugleich wurde jedoch registriert, dass die Deutschen in Amerika sich, der angeblichen religiösen Problemlosigkeit dieses Handels zum Trotz, vergleichsweise wenig auf das Geschäft mit der Sklaverei einließen.11 Ganz abgesehen von einer Wirkung auf die gegenwärtige Erinnerungskultur ist es auch aus rein historischem Interesse wichtig, die deutsche Perzeption des atlantischen Sklavenhandels und seiner Kritik genauer zu erfassen. Es erlaubt eine präzisere Bestimmung der Verknüpfung des deutschsprachigen Protestantismus und der diesem verbundenen oder aus diesem entstammenden Gelehrtenwelt mit den internationalen Debatten zu zentralen Themen wie Unfreiheit oder erzwungener Arbeit. Auch angesichts der hohen Wirkmächtigkeit der Strömungen aus der deutschen protestantischen Theologie oder Aufklärung für die skandinavischen Mächte Dänemark und Schweden, die beide durchaus im 18. Jahrhundert am Sklavenhandel betei-

5

Vgl. das Beispiel deutscher Quellen zu Indien: DHARAMPAL-FRICK (1994); jüngst genereller: WILLIAMS (2014) 1-8; 17-23. 6 Zusammenfassend hierzu: ROEBER (1995); vgl. auch zu Aspekten des Pietismus in der jungen Kolonie Georgia: RILEY (2009); MELTON (2015) 142-181. 7 Zur hallensisch-pietistischen Ostindienmission: BERGUNDER (2004); GROSS (2006). 8 Hierzu immer noch gültig: DEGN (1974) 43-58; LINDE (1975); jüngst: FÜLLBERG-STOLBERG (2011). 9 Dabei wird häufig auf Luthers Haltung zum Bauernkrieg und seiner Billigung der Leibeigenschaft rekurriert: DAVIS (1966) 106; vgl. auch STANGE (1997) 426-428; GASSMANN (2007) 309. 10 Vgl. jüngst hierzu den Sammelband CAREY/ PLANK (2014). 11 Vgl. SODERLUND (1985) 159.

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ligt waren, erschiene die Idee einer Bedeutungslosigkeit des deutschen Debattenbeitrags wenigstens a priori zunächst voreilig.12 Im folgenden Beitrag sollen in einem diachronen Längsschnitt durch die Frühe Neuzeit einige wichtige und gedruckte deutsche Beiträge zur Frage nach der Legitimität von Sklavenhandel und Sklaverei geprüft werden.13 Wesentliche Kriterien für die Untersuchung von einzelnen Autoren und ihren Äußerungen sind, dass diese gedruckt wurden und sich eine gewisse Wirkmächtigkeit nachweisen lässt. Das heuristische Verfahren ist hier daher in gewissem Maße „unscharf“. Weder wird stark auf Höhenkammliteratur im Sinne einer besonders gelungenen intellektuellen Leistung des Autors geachtet, noch werden die in den Kernschriften der theologischen oder juristischen Autoritäten postulierten Maximen interpretiert. Stattdessen sollen in deutscher Sprache gedruckte Beiträge, welche die Sklaverei kommentierten und sich damit an die frühneuzeitliche breitere deutsche Öffentlichkeit wandten, eingehender in ihrem Aussagegehalt vorgestellt werden. So lässt sich eine naturgemäß mit Brüchen durchsetzte Linie der Perzeption von Sklavenhandel und -haltung durch Protestanten im deutschen Sprachraum zumindest thesenhaft skizzieren. Aus Platzgründen kann nur eine kondensierte Darstellung geboten werden, die vor allem eine Traditionslinie verdeutlichen will: Es soll herausgearbeitet werden, dass eine Bewertung von Sklavenhandel und Sklaverei als etwas „orientalisch Despotisches“ im deutschen Sprachraum seit den Türkenkriegen des 16. Jahrhunderts die einschlägigen Schriften zu diesem Thema bis in das frühe 18. Jahrhundert begleitete und eine latente Abneigung gegen Sklavenhandel und Sklaverei begründete. Jedoch war dieses Sentiment nie die Basis einer elaborierten Sklavereigegnerschaft im Sinne des britischen Abolitionismus des 18. und 19. Jahrhunderts. Hierzu war die Beteiligung deutscher Akteure am Sklavenhandel in der Tat zu gering. Dass die Abneigung im deutschsprachigen Raum nichtsdestotrotz einen kleinen Beitrag zum Niedergang des Sklavenhandels und des Systems der Sklaverei leistete, wird hier ebenfalls gezeigt werden. Der Aufsatz ist in vier Kapitel unterteilt. Zunächst wird als Vorgeschichte eine kurze Synopse von Beschreibungen der Sklaverei im osmanischen Raum im 16. Jahrhundert vorgestellt. Die Türkendrucke waren für die euro12

Verwiesen sei nur auf den intensiven deutsch-dänischen Kulturtransfer im 18. Jahrhundert, der ganz wesentlich auf der lutherischen Konfession beruhte: BREDSDORFF (2001). 13 Die in der Abolitionismusbewegung so wichtige Trennung von beiden Aspekten wird hier nicht als analytische Trennung von vornherein vorgenommen, sondern bei jedem Autor einzeln genauer hervorgehoben, wo er seinen eigenen Schwerpunkt in der Darstellung setzte. Zwar war die Trennung von Sklavenhandel und -haltung wohl für die praktische Abolitionismuskampagne ab dem späten 18. Jahrhundert wichtig, sie wurde aber bei den meisten Autoren bis dato nicht klar in deren Schriften ausformuliert.

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päische Begriffsbestimmung der Unfreiheit in der gesamten Frühen Neuzeit von essentieller Bedeutung. Daher ist es bis weit ins 18. Jahrhundert hilfreich, zum besseren Verständnis der Debatte um Sklavenhandel und Sklaverei immer den Kontrast zum zeitgenössischen Negativbild des osmanischen Imperiums mitzuberücksichtigen. Auch wenn das Genre der Türkendrucke ab dem frühen 17. Jahrhundert einen deutlichen Rückgang erfuhr, so blieben die geprägten Bilder von der Sklavenhaltergesellschaft des osmanischen Herrschaftsraumes noch etwa ein Jahrhundert lang stabil.14 Im folgenden Kapitel wird die „internationale“, vor allem aber niederländische Debatte zur Legitimität des Sklavenhandels und der Sklaverei des 17. Jahrhunderts im Querschnitt vorgestellt; diese hatte für Deutschland eine besondere Wirkmächtigkeit. Dies liegt daran, dass die niederländischen Kritiker der Westindischen Kompanie hauptsächlich aus den Reihen der Theologen stammten und daher von ihren deutschen Kollegen im Umkreis des Pietismus in den Dekaden um 1700 rezipiert wurden, worauf im nächsten Kapitel eingegangen wird. Im letzten Kapitel wird die Haltung von deutschsprachigen Aufklärern herausgearbeitet, die in ihrer Haltung nicht nur die britische Debatte rezipierten, sondern durchaus in einer eigenen Tradition standen und eine kritische Position gerade dann entwickelten, als im Luthertum vermehrt eine affirmative Anschauung zu Sklavenhandel und Sklaverei hervortrat. Im Schlusskapitel wird neben einer Zusammenführung auch eine Bewertung des deutschen Beitrags zur internationalen Debatte und Kontroverse um den atlantischen Sklavenhandel und die Sklaverei versucht. 2. Die Wahrnehmung der Sklaverei bei den Osmanen Es mag überraschen, dass eine Abhandlung der Wahrnehmung des atlantischen Sklavenhandels im frühneuzeitlichen Deutschland mit der Beschreibung der Perzeption der Sklaverei im osmanischen Raum beginnt. Just durch die Türkendrucke geschah jedoch die Prägung des genuin frühneuzeitlichen Verständnisses von Sklaverei im deutschsprachigen Raum. Die Vorstellung des Osmanischen Reiches als despotisches Imperium, welches auf Sklaverei basierte, erfuhr ihre europaweite ideelle Füllung durch diese Textgattung.15 Dieses Genre war, wenngleich es durch Übersetzungen und vielerlei Querkopien von zentralen Abschnitten ein genuin europäisches Phänomen war, doch im Alten Reich erfolgreich wie sonst nirgendwo in Europa.16 In diesen 14

ÇIRAKMAN (2004) 192-200. ÇIRAKMAN (2004) 56-61; KAUFMANN (2008) 28f. 16 GÖLLNER (1978) 18-20. In deutscher Sprache zählt Göllner über 1.000 Türkendrucke im 16. Jahrhundert. 15

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mehrheitlich von Protestanten verfassten und publizierten Türkendrucken stand das Schicksal der christlichen Sklaven an wichtiger Stelle.17 Es seien einige Beispiele zur Illustrierung der Gesamtrichtung aufgeführt: Der lateinische Traktat De afflictione captivorum von 1544, der wohl berühmteste Druck zur Christensklaverei im Osmanischen Reich, geschrieben von Bartolomej Georgijević,18 einem ehemaligen kroatischen Gefangenen aus dem Osmanischen Reich, erlebte in einem halben Jahrhundert 25 Auflagen und wurde ins Italienische, Französische, Niederländische, Englische und Deutsche übersetzt.19 Allerdings ist darin nur ungenau beschrieben, was die Sklaven konkret erwartete, abgesehen von Hinweisen auf die türkische Grausamkeit und Aufforderungen zur Apostasie. Der Beschreibung des Schicksals der Sklaven am nächsten kommen die folgenden Zeilen: „Was sich nit beschneiden lassen wil / die werden schnöd gehalten / jämerlich tractiert / wölchen jamer ich 13 jar lang versucht hab / vnnd doch nit beschreyben mag / was grausamen ellends diser dienst vff im tragt.“20 Andere Autoren waren gerade bei diesem Aspekt besonders ausführlich. In der Türckischen Chronica von Heinrich Müller, einer losen Übersetzung des spanischen Libro intitulado Palinodia, de la nephanda y fiera nacion de los Turcos von Vasco Diaz Tanco,21 wie auch den Costumi et la vita de Turchi von Giovan Antonio Menavino,22 wird in einem ausführlichen Kapitel Vom jammer und elendt der gefangnen Christen23 berichtet. Hier wird beschrieben, wie unterschiedlich die Schicksale von Frauen und Männern in der türkischen Gefangenschaft waren, und es wird darauf eingegangen, dass Handwerker oder Feldarbeiter es deutlich leichter hatten als handwerklich ungeschickte Menschen oder Hirten. Weiterhin hält der Autor den Türken auch manches zugute, so habe er „nie gehört oder vernommen / daß die Leut / wie etliche darvon reden / in Pflug gespannt worden“ oder er zeigt die Freilassung der Gefangenen als realistisches Schicksal auf: „Wenn sie sich nicht lassen beschneiden / bleiben Christen / vnd beharren auff jrem Glauben / wirt jnen ein genennte zeit gesetzt zu dienen / nach welcher außgang sie frey 17

GÖLLNER (1978) 316-333; KAUFMANN (2008) 5. Zu Georgijević vgl. KIDRIČ (1920); KLOCKOW (1997). 19 JÓNÁZ (2000) 56. 20 Hier wird die ein Jahr später erschienene deutsche Übersetzung zitiert: HEROLD/ GEORGIJEVIĆ (1545) 4. (Kapitel „Herren Bartholomei Georgewitz / von dem iammer der Christen vnder dem Türckischen joch Anders Buch“). Eine kritische Analyse von solchen Beschreibungen, die hauptsächlich auf Propaganda aus seien und kein getreues Bild der Gefangenschaft von Christen im osmanischen Raum darstellten, bietet: KLOCKOW (1997). 21 Eine deutsche Übersetzung des spanischen Titels erschien bereits 1541 zum ersten Mal: HAMMER-PURGSTALL (1835) 110. 22 Der Bezug zum italienischen Text wird hergestellt bei: GÖLLNER (1978) 322f. 23 MÜLLER/ TANCO (1577) 63-69. Dieses Kapitel ist eine von Müller selbst produzierte intensive Erweiterung der entsprechenden Abschnitte bei Georgijević, vgl. GÖLLNER (1978) 323. 18

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sind.“24 Trotz dieses vergleichsweise nuancierten Bildes bleibt die negative Grundaussage bestehen, drakonisch ausgedrückt durch die Strafen für Fluchtversuche: „etliche werden mit den Füssen auffgehenckt / vnd erbärmlich Tyrannisch geschlagen / Etlichen / sonderlich wann sie etwan in der Flucht Todschläg gethan / werden die Solen an den Füssen mit einem Messer in viel reihe auff geschnitten / vnd Salz darein gegossen.“25 So wird die Unfreiheit zwar als absolut, aber doch in ihrer zeitlichen Begrenztheit differenziert und relativ realistisch mit der Betonung der potentiellen Ausgeliefertheit gegenüber grausamer Willkür beschrieben. Eine komplexe Analyse von Sklaverei im Osmanischen Reich findet allerdings in keinem mir bekannten Türkendruck statt. Dies gilt ebenso für die Schriften der Theologen protestantischer Couleur. Fast alle wichtigen Reformatoren des 16. Jahrhunderts haben sich zwar ausführlich zum Osmanischen Reich geäußert, bei ihnen steht aber weniger die Frage der Sklaverei im Vordergrund als vielmehr die Falschheit der muslimischen Religion und die despotische Unterdrückung von christlichen Völkern durch die Osmanen.26 Abgeschwächt wurde diese Position immer im Grundsätzlichen durch Luthers Ermahnung an die besetzten und gefangenen Christen, die Osmanen als Obrigkeit anzuerkennen, und seine weithin wahrgenommene, allerdings nie vollständige Ablehnung der Idee des Kreuzzugs.27 Aus diesen und manch anderen, hier nicht im Einzelnen darstellbaren eigentümlichen Gründen heraus entwickelte der deutsche Protestantismus eine Mischung aus „brennender Endzeitstimmung und sachlichem Tun“28 gegenüber dem aufstrebenden Osmanischen Reich. Eine eingehendere Auseinandersetzung mit der Sklaverei im Osmanischen Reich fand nicht statt, es blieb bei einer mit realistischen und nüchternen Untertönen unterlegten Perhorreszierung aus der Distanz. Es kann daher festgehalten werden: Innerhalb des deutschen Protestantismus war das Osmanische Reich zwar als ein Raum von Sklaverei und Despotie markiert, dies führte aber hier nur zu einem Sentiment der Abneigung, keineswegs zu einer Kreuzzugsstimmung. Hier ist der deutlichste Unterschied zum Katholizismus zu markieren. Bei katholischen Autoren wurde Sklaverei schärfer als im Protestantismus als verdammungswürdig und kriegslegitimierend herausgearbeitet.

24

MÜLLER/ TANCO (1577) 65. MÜLLER/ TANCO (1577) fol. 66r.-66v. 26 Grundsätzlich hierzu: KLEIN (2004) passim. 27 KLEIN (2004) 70-78; 118; 145-152; 258; vgl. auch KAUFMANN (2008) 57; im Detail zum sehr komplexen Verhältnis von Luther zu den Türken und der Frage des Krieges gegen diese: EHMANN (2008) 204-226; 445f. 28 KLEIN (2004) 150; vgl. auch eingehend hierzu: EHMANN (2008) 296-316; 447. 25

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Dies sei an einem Beispiel festgemacht. Die 1596 gedruckte deutsche Übersetzung von Ogier Ghislain de Busbecqs (1522-1592)29 berühmten Legationis Turcicae Epistolae unter dem Titel Reysen Vnd Bottschafften enthielt ebenfalls bedeutsame Kapitel zur Christensklaverei bei den Osmanen, eine zentrale Stelle sei herausgegriffen: „Die jungen Gesellen vnd Männliches alters Personen / wurden Herd vnnd Hauffen weise getrieben / wie das Vieh / vnnd mit Ketten waren sie alle zusammen gefesselt / gleich wie man bey vns die feihlen Perdt zusammen kuppelt / diese werden also in langen Reyhen vnnd Ordnung daher geschleppet / Da ich solches gesehen / hab ich mich deß Weinens nicht enthalten können / vnnd ein Hertzliches grosses Mitleiden mit vnserm Christlichen Volck getragen ....“30

Busbecq legitimierte durch solche Abschnitte den Türkenkrieg,31 wofür er bereits 1581 eine lange militärtheoretische Schrift verfasst hatte.32 Der Gegensatz zu den protestantischen Autoren war gerade an dieser Stelle markant. Bereits Carl Göllner hat für das Ende des 16. Jahrhunderts eine wichtige Veränderung in den Nuancen in den europäischen Darstellungen zur Türkengefahr und der Legitimation der militärischen Versuche zur Bekämpfung der Osmanen ausgemacht.33 Nicht mehr die Befreiung Jerusalems wurde zur zentralen Legitimationsgrundlage der Kreuzzugsappelle – dieses Ziel war unrealistisch geworden –, sondern die Befreiung der gefangenen Christen aus der Sklaverei.34 Wir mögen allerdings ergänzen: Dies gilt im Katholizismus, nur in geringem Maße im Protestantismus. In den Türkendrucken wurde bezüglich der Versklavung der Christen durch die Osmanen ein grundsätzlicher Unterschied zu Konflikten zwischen christlichen Nationen markiert; bei Kriegen zwischen christlichen Mächten war keine Sklavennahme erlaubt.35 Dadurch wurden Sklavenhandel und Sklaverei tendenziell als unchristlich markiert. Dass diese Position angesichts der immer stärkeren Einfuhr von versklavten Afrikanern nach Amerika durch die Portugiesen und Spanier zutiefst doppelmoralisch war, wurde von niemand geringerem als Jean Bodin (1530-1596)36 eindrucksvoll und 29

Die neueste mir bekannte Biographie zu diesem berühmten flämischen Diplomaten in kaiserlichen Diensten ist: DALLE (2008). 30 BUSBECQ (1596) 117. 31 BUSBECQ (1596) 74f. 32 BUSBECQ (1663); zu Busbecq und auch diesem Werk vgl. vor allem: MARTELS (1989) 71. 33 Carl Göllner war im 20. Jahrhundert wohl einer der wirkmächtigsten Historiker zur frühneuzeitlichen Geschichte des Balkans im Zeichen des Religionskonfliktes. Zu seiner Biographie und seiner Rolle als Agent des rumänischen Geheimdienstes vgl. nun: SIENERTH (2011). 34 GÖLLNER (1978) 333; auch: KAUFMANN (2008) 75. 35 TOMLINS (2010) 420-423. 36 Zu Bodin vgl. die Standardbiographie und dort insbesondere das Kapitel „Limitations on Absolute Authority“, dies gibt eine kohärente Interpretation von Bodins Gegnerschaft zur Sklaverei: FRANKLIN (1973) 70-92; vgl. auch HELLER (1994).

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mit besonderer Wirkmacht herausgestellt. Seine Begründung der Ablehnung der Sklaverei ist komplex und auf elaborierte Art und Weise juristisch und historisch unterfüttert. An dieser Stelle verdient hervorgehoben zu werden, dass er präzise wie kaum ein anderer Autor seiner Zeit den Konnex zwischen türkischer und atlantischer Sklaverei herstellte: „Eben solchen betrug treiben auch die Türcken. Denn was sie in Kriegen fangen / oder von Meer Räubern kauffen / beschneiden sie / vnd wo nit sie / doch ire Kinder / vnd behalten sie nichts desto weniger / sampt ihren nachkommen in ewiger dienstbarkeit. Dises haben von ihnen die Spanier gelernet. Denn wann sie die Moren kauffen / müssen sie ihren glauben verschweren / nichts desto weniger / wann sie schon Christen worden / in der dienstbarkeit verbleiben. Also das man jetzund offentlich / durch gantz Portugal / die Knecht hauffenweiß nit anders als das Vieh verkaufft.“37

So wurde die Versklavung von Afrikanern durch die Portugiesen und Spanier als ein impliziter Transfer aus dem Osmanischen Reich herausgearbeitet und dementsprechend in Parallele gesetzt. Für Bodin als Gegner Spaniens war dies zwar sicherlich auch eine Strategie, um den damaligen Hauptfeind Frankreichs publizistisch anzugreifen. Der prinzipiellen Kohärenz des Arguments tut dies jedoch keinen Abbruch. Die grundsätzliche Doppelbödigkeit des christlichen Sklavenhandels, einerseits als türkisch-despotisch markiert, andererseits auf dem Atlantik in Massen praktiziert, war den scharfsinnigeren Beobachtern und Kritikern in den folgenden Jahrhunderten immer bewusst. 3. Die internationale Debatte vor 1700 Bodins Beitrag zur Sklavereikritik erfuhr, soweit ich dies erkennen kann, in Frankreich, England und den Niederlanden zunächst keine wesentliche Weiterentwicklung. Unabhängig von den Schriften Bodins entwickelte sich jedoch in den Niederlanden im 17. Jahrhundert eine eigene intensive Debatte zur Rechtmäßigkeit von Sklaverei; mit bedeutender Fernwirkung in Deutschland. Daher soll hier wenigstens skizzenhaft die niederländische Kontroverse vorgestellt werden. Seit 1626 begann die Westindische Kompanie ihr Engagement im Sklavenhandel, nachdem man in den Jahrzehnten zuvor Sklaven von eroberten Schiffen der iberischen Mächte zumeist freigelassen oder den Verkauf in den Niederlanden verboten hatte.38 Der Sklavenhandel nahm rasch zu und wurde vor allem in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, häufig ausgerechnet im Dienste Spaniens, einer der profi-

37 38

Nach der deutschen Übersetzung von 1592: OSWALDT/ BODIN (1592) 47. RATELBAND (1959) CIII-CIV; BOOGAART/ EMMER (1979) 355-357.

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tabelsten Erwerbszweige der Westindischen Kompanie.39 Auch in Ostasien waren die Niederländer seit dem frühen 17. Jahrhundert als Sklavenhändler aktiv, was jedoch in Europa kaum wahrgenommen wurde.40 In den Niederlanden wurde vor allem das zunehmende Engagement im atlantischen Sklavenhandel bald auch öffentlich reflektiert. Bereits während, besonders aber nach dem Dreißigjährigen Krieg fand das Thema Eingang in die seit den 1650er Jahren bis weit ins 18. Jahrhundert intensiv geführte Kontroverse zwischen Voetianern und Coccejanern. Vereinfacht gesagt standen beide für Schulen, die auf den theologischen Konzeptionen von Gisbertus Voetius (1589-1676)41 und Johannes Coccejus (1603-1669)42 aufbauten. Die Voetianer standen eher für eine orthodoxe und rigide Linie der reformierten Kirche in gewisser Nachfolge der sogenannten „GegenRemonstranten“ um Franciscus Gomarus (1563-1641), während die Coccejaner für eine gemäßigte Interpretation im Sinne der Föderaltheologie eintraten.43 Die Haltung zur Sklaverei in den Niederlanden in den Kreisen der sich hiermit auseinandersetzenden calvinistischen Geistlichkeit verlief relativ genau entlang der Spaltung in Voetianer und Coccejaner. Eine Reihe an Geistlichen aus der ersteren Gruppe verurteilte die Sklaverei aus einer weitgehend biblisch begründeten Argumentation heraus und scheute dabei auch nicht vor harscher Kritik am aktuell betriebenen niederländischen Sklavenhandel zurück. Dabei griff man von Seiten der Kritiker nicht auf Bodin zurück, hingegen ist eine Inspiration in fast allen Texten durch Bartholomé de Las Casas (1485-1566) mit seiner Betonung der Ebenbildlichkeit des Menschen zu Gott überdeutlich.44 Einer der Schüler von Gomarus, Festus Hommius (1576-1642),45 verfasste 1617 im Vorfeld der Dordrechter Synode Het schat-boeck der verclaringhen over de catechismus, eine deutlich erweiterte Übersetzung der Erläuterung des Heidelberger Katechismus durch Zacharias Ursinus (1534-1583).46 39

Die wirklich profitablen Jahre hatte die Kompanie erst seit den 1660er Jahren als Zulieferer für die spanischen Kolonien, zuvor hatten Krisen und Kriege immer wieder hohe Verluste gebracht: POSTMA (1990) 26-55; EMMER (2000) 56-68. 40 VINK (2003a). 41 Zu Voetius ist kürzlich erstmalig eine umfassende Standardbiographie erschienen: BECK (2007). 42 Zu Coccejus vgl. insbesondere ASSELT (2001). 43 Die grundlegenden Darstellungen zu dieser Kontroverse sind: WALL/ BROEYER (1994); ISRAEL (1995) 474-477; 661-669; EIJNATTEN (2003) 31-37; 103-114. Zur niederländischen Föderaltheologie vgl. insbesondere: SCHUBERT (2002) 128-147. 44 VINK (2003b). 45 Zu Hommius bis heute als Standardbiographie: WIJMINGA (1899). 46 Zugänglich war mir nur die Edition von 1642: URSINUS/ HOMMIUS (1642). Zum SchatBoek vgl. vor allem: VOORWINDEN-HOFMAN/ BELT (2013).

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Hierin wurden die Positionen der calvinistischen Orthodoxie festgelegt: Bei einer Auslegung des achten Gebotes („Du sollst nicht stehlen!“) wurde Sklaverei als verdammungswürdig erklärt, da das größte Geschenk Gottes, die Freiheit, einem Menschen geraubt würde. Hommius entwickelte hierzu mit reichlicher Stützung durch die Bücher Exodus, Deuteronomium und den ersten Timotheusbrief eine elaborierte Form des Freiheitsbegriffes, aus dem heraus er Sklaverei fundamental ablehnte.47 Seine kurzen, aber eindringlichen Ausführungen legten den Grundstein für eine Reihe seiner geistigen Nachfolger in ihrer Ablehnung der Sklaverei. Kein geringerer als Gisbert Voetius selbst gab dazu die Linie vor: In der von seinem Schüler Cornelis Poudroyen (gestorben 1662)48 herausgegebenen Catechisatie over den Heidelbergschen Catechismus,49 die in mehreren Editionen zwischen 1640 und 1662 erschien,50 nahm er hierzu in dem Anhaengsel van de wereltlicke Overheden eindeutig Stellung: Sklaverei war unter keinen Umständen gerechtfertigt, alle affirmativ vorgebrachten Argumente konnte er mit einer Mischung aus (relativ wenigen) Bibelverweisen aus dem mosaischen Recht und unter Verweis auf das geltende bürgerliche Recht widerlegen. Interessant ist, dass er deutlich jenseits der Bibel sein prinzipielles Argument auf Mitleid aufbaute: „Es gehört sich nicht für Christen, sich an diesem rauen, unsicheren, verwirrenden, gefährlichen und unbilligen Handel zu beteiligen und dadurch das Leid eines anderen zu vermehren und der Verursacher seiner Qualen und seines Elends zu sein.“51 Explizit nahm auch er Stellung zur Sklaverei der Christen unter den Osmanen: Die Tatsache, dass in der muslimischen Welt Christen als Sklaven genommen würden, brachte dem System keine Legitimität.52 Voetius’ Stellungnahme ist von daher sehr bedeutend, dass er nicht nur in den Niederlanden der Ahnherr der Voetianer ist, sondern als wesentlicher Impulsgeber der sogenannten Nadere Reformatie auch einen wichtigen Einfluss auf die Entwicklung des Pietismus in Deutschland haben sollte.53 Der Faden der Debatte wurde von der nächsten Generation der Voetianer aufgenommen. Der Prädikant von Vlissingen, Georgius de Raad (16251667),54 verfasste 1665 ein fundamentales Werk gegen den Sklavenhandel, 47

URSINUS/ HOMMIUS (1642) 190v-191v. Zu Poudroyen gibt es nur wenige biographische Informationen, der ausführlichste Lexikoneintrag ist: KNIPSCHEER (1937). 49 Hierzu vgl. DIESEN (2012) 18-22. 50 Hierzu vgl. BEACH (2013). 51 Übersetzung: RESSEL, nach POUDROYEN (1891) 992f. 52 POUDROYEN (1891) 990-995. 53 GROOT (1978); MÜHLING (2003); leicht kritisch hierzu: BECK (2007) 130-142. 54 Zu Raad ist der Standardartikel: MEERTENS (1978). Zu Raads Werk, das hier in seiner vollen Breite nicht gewürdigt werden kann vgl. vor allem: FINK (2003b); DIESEN (2012) 22-26. 48

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die Bedenckingen over den Guineesche Slaaf-handel der Gereformeerden met de Papisten.55 Im Gegensatz zu allen anderen hier vorgestellten niederländischen Autoren schrieb er nicht nur vier bis zehn Seiten innerhalb eines größeren Werkes, sondern ein Buch von 188 Seiten ausschließlich als Anklage gegen den Sklavenhandel. Sich hauptsächlich auf Voetius und Poudroyen stützend, richtete sich Raad gegen den Asiento, die Verschiffung von Sklaven durch Niederländer im Auftrag des Königreiches Spanien. Dieses überblendete er im gesamten Text mit dem Reich des Antichristen und sah in dessen Taten den Teufel am Werk; unterstrichen durch häufige Verweise auf die Offenbarung des Johannes. Diese theologisch-apokalyptische Verbrämung wird abgestützt von einer recht luziden Analyse der Fakten und der häufigen Zitation von zeitgenössischen Juristen, Theologen und Historikern. Ansatzpunkte zur Ablehnung des Sklavenhandels waren vor allem die Zustände bei der Überfahrt über den Atlantik und die nicht im Geringsten vorhandenen Versuche zur Konversion oder zur Verbesserung der Schwarzen.56 Prinzipiell galt: Sklavenhandel sei etwas, was Juden, Türken, Heiden und (am schlimmsten aus seiner Sicht) Papisten tun würden, reformierte Menschen hingegen sollten sich hiermit nicht beschmutzen.57 Der fundamentalste Grund hierfür ist die Gleichheit der Menschen, die Raad aus Gen 1,26 ableitete („Dann sprach Gott: Lasst uns Menschen machen als unser Abbild, uns ähnlich“).58 Raads daraus geschlossene Ablehnung von Sklavenhandel und Sklaverei sind beeindruckend radikal und an Schärfe kaum zu überbieten. Der Prädikant von Hoorn, Jacobus Hondius (1629-1691),59 verfasste 1679 das Swart Register van Duysent Sonden (Schwarzes Register von tausend Sünden), welches sich an der entscheidenden Stelle durchweg von Raad inspiriert zeigt.60 Als Sünde 810 wird explizit der Sklavenhandel genannt, die Begründung ist dabei im Kern derjenigen von Raad sehr ähnlich.61 Als einen letzten Ausläufer dieser Debatte dürfen wir die im Jahr 1681 erschienenen Korte bedenkingen over het kopen en verkopen van mensen des Prädikanten Johannes de Mey (1617-1678)62 betrachten. De Mey war selbst für ein Jahr in St. Eustatius gewesen und konnte daher aus eigener Anschauung Kritik am Sklavenhandel üben. Auf wenigen Seiten kanzelt er den Sklavenhandel ab und wünscht die Todesstrafe für Sklavenhändler mit Verweis auf 55

Übersetzt: „Bedenken über den guineischen Sklavenhandel der Reformierten mit den Papisten“: RAAD (1665). 56 RAAD (1665) 2f. 57 RAAD (1665) 169-175. 58 RAAD (1665) 20-22, Zitat nach der EÜ. 59 Zu Hondius vgl. [ANONYMUS] (1931). 60 HONDIUS (1679) 363f. 61 VINK (2003b); DIESEN (2012) 26-28. 62 Zu de Mey vgl. KNAPPERT (1974).

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Ex 21,16 („Wer einen Menschen raubt, gleichgültig, ob er ihn verkauft hat oder ob man ihn noch in seiner Gewalt vorfindet, wird mit dem Tod bestraft“).63 Die weiteren Argumente sind wiederum denjenigen von Raad recht ähnlich; er richtet sich scharf gegen den Asiento und betont, dass die wirtschaftliche Beförderung der Indienkompanien keine Legitimation für den Sklavenhandel biete.64 Im Jahr 1681 war allerdings der Endpunkt der Debatte erreicht. Die Gegner der Sklaverei in den Niederlanden hatten in der Öffentlichkeit niemals eine Dominanz erringen können; die Mehrheit der Juristen, Theologen und Kaufleute der Niederlande des 17. Jahrhunderts stand fest zum Sklavenhandel.65 In dem Maße, in dem die Profite aus dem Sklavenhandel in den Niederlanden anstiegen, versickerte die Opposition gegen den Sklavenhandel gegen Ende des 17. Jahrhunderts.66 Auch grundsätzlich verloren die Voetianer im späteren 17. und frühen 18. Jahrhundert an Einfluss in der niederländischen Gesellschaft.67 Es kann aber festgehalten werden: Für mehr als 60 Jahre, mindestens von 1617-1681, hatte es eine öffentliche Debatte gegeben, in der sich eine Gruppe hochrangiger niederländischer Geistlicher gegen den Sklavenhandel gestellt hatte. Der dabei immer mitschwingende Verweis auf das Gegenbild von zeitgenössischen Betreibern des Sklavenhandels, vor allem Katholiken und Muslime, war dabei ein zentrales Argumentationselement gewesen; wenn auch nicht im oben aufgeführten „Bodinschen“ Sinne einer historisch geschehenen Übernahme dieses Systems aus dem islamisch dominierten Orient in das Christentum, sondern mit Bezug auf die Bibel, die Zehn Gebote und die Gottesebenbildlichkeit des Menschen. Auch wenn es zu keiner Zeit eine Mehrheit gegen den Sklavenhandel gegeben hatte, so bleibt dennoch bemerkenswert, dass gerade die strengen orthodoxen Calvinisten im Umfeld der Nadere Reformatie das geistige Format entwickelt hatten, den Sklavenhandel und die Sklaverei mit äußerster Schärfe zu verurteilen. Die Gutheißung dieses Systems durch anerkannte Geistesgrößen der Niederlande wie Hugo Grotius und die Geistlichen aus dem weiteren Umfeld der Coccejaner muss auch vor diesem Hintergrund kritisch bewertet werden.68

63

MEY (1681) 305, Zitat nach der EÜ. MEY (1681) 305f. 65 Auf die Gruppe der Sklavenhandels- und Sklavereibefürworter kann hier nicht genau eingegangen werden, vgl. hierzu: PRIESTER (1987) 38-52. 66 VINK (2003b). 67 ISRAEL (2006) 381-385. 68 Zu Grotius und der Sklaverei vgl. vor allem: DAVIS (1966) 114-116; NIFTERIK (2001); in der niederländischen Debatte zu Sklavenhandel und Sklaverei wird Grotius verortet durch: VINK (2003b). 64

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Die niederländische Debatte zur Sklaverei konnte in Deutschland aufgrund der Sprach- und Konfessionsbarriere nur partiell rezipiert werden. Potentiell offen waren vor allem Emden und Bremen als reformierte Städte, wobei mir jedoch ein Widerhall dieser Debatte hier nicht bekannt ist.69 Im 17. Jahrhundert gab es weiterhin vor allem in Schleswig-Holstein eine relativ deutliche Öffnung hin zu den Niederlanden, die sich aus zwei Quellen speiste. Einerseits wurden hier die Ortschaften Altona (1601), Glückstadt (1617) und Friedrichstadt (1621) von den dänischen oder gottorfischen Herrschern den Niederländern geöffnet, was zeitweise den Handel Schleswig-Holsteins deutlich stimulierte.70 Andererseits strebte seit dem späten 16. Jahrhundert Hamburg als Handelszentrum ersten Ranges mächtig auf; unter anderem da man hier ab 1585 eine große Anzahl an gut betuchten niederländischen Flüchtlingen aufgenommen hatte.71 Auch wenn man in Hamburg den Niederländern keine volle Glaubensfreiheit gewährte, so bot seit 1588 der reformierte Gottesdienst in Stade und seit 1602 in Altona eine viel genutzte Ausweichmöglichkeit. So wurde die Niederelbe im 17. Jahrhundert zu einem wichtigen Wirkungsfeld der niederländischen Exulanten. Der Kultur- und Ideentransfer mit der niederländischen Einwanderung nach Schleswig-Holstein und an die Niederelbe hat in dieser bis dato eher rückständigen Region auch zu einer beachtlichen geistigen und kulturellen Blüte im 17. Jahrhundert geführt.72 Dies zeitigte auch ein interessantes Resultat im Themenfeld von Sklavenhandel und Sklaverei, nämlich die früheste Verurteilung der atlantischen Sklaverei durch einen deutschen Autor. Diese datiert aus dem Jahr 1666, verfasst wurde sie vom ersten Diakon der lutherischen Hauptkirche zu Altona, Johann Frisch (1636-1692).73 Zu seinem eigentlich über Nordafrika und die dort von Muslimen betriebene Christensklaverei handelnden Werk habe ich mich an anderer Stelle ausführlicher geäußert,74 weshalb an dieser Stelle nur auf die Aspekte zum atlantischen Sklavenhandel eingegangen wird. Johann Frisch rezipierte Jean Bodin75 und den venezianischen Humanisten Caelius Rhodigius (1469-1525),76 vor allem aber, ohne diese explizit zu 69

Laut Ausweis der gängigen Literatur waren beide Städte eher offen für Einflüsse der Coccejaner, also der Konkurrenten der Voetianer: GOETERS (1995) 253-258; JAKUBOWSKITIESSEN (1995) 439-445. 70 Jüngst zu diesen drei Fällen mitsamt der einschlägigen Literatur: NIPPERDEY (2012) 179f; 184f. 71 Jüngst hierzu: POETTERING (2012) 151-165. 72 UNSICKER (1974) 11-14; 276f. 73 FRISCH (1666); zu Frisch vgl. BOLTEN (1791) 101-104. 74 RESSEL (2012) 227-232; RESSEL/ ZWIERLEIN (2014) 120-129. 75 FRISCH (1666) 6. 76 FRISCH (1666) 5; zu Rhodigius vgl. BIETENHOLZ/ DEUTSCHER 3 (2003) 155.

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nennen, die genannten niederländischen Gegner der Sklaverei. Frisch ist in seiner Darstellung sehr grundsätzlich, er leitet die Sklaverei von einer hypothetischen Urgeschichte her: „ ... denn weil die Menschen die erste schlechte Lebens-Arth verlassen / und sich nicht mehr mit Eicheln und andern von sich selbst wachsenden Früchten behelffen / noch in solchen schlechten Laub-Hütten mehr wohnen wolten / haben sie nachzusinnen angefangen / wie sie beedes bequemer und gemächlicher leben möchten: da sich befunden / daß man nicht alles in selbst eigener Person verrichten könne / sondern dazu Handreichung anderer Leute benöthiget sey: Wie dann der Welt-weise diesen Schluß machet: So wenig man leben / viel weniger bequem leben kan / es sey dann / daß man dasjenige / so hierzu nöhtig ist / habe und besitze: So wenig kann man etwas dergleichen bekommen und verrichten / es sey dann / daß man gebührliche Werckzeuge darzu habe ….“77

Aus dem folgenden Wunsch einiger Menschen, sich die anderen dienstbar zu machen, seien dann die Kriege zwischen den Polen Freiheit gegen Hoheit entstanden. Erst das Christentum habe mit der Sklaverei gebrochen, da die christlichen Herren ihre Sklaven freigelassen haben. Die Arbeit für ihre Herren ging auf eine neue Weise jedoch weiter: „So dann hat die Armuth / welche manchen Freygelassenen auff dem Fuß gefolget / ihrer viele gezwungen freywilligen Dienst bey andern anzunehmen / und also umb Kost und Lohn zu dienen.“78 Das Ende der Sklaverei in Europa wurde dann durch den Vormarsch des Islam beschleunigt: „Das alle derselben Secte zugethane müssen freye Leute seyn [so haben] die Christliche Potentaten gespüret / das hiedurch die teüfliche Lehre sehr weit ausgebreitet worden.“ Daher wurde, so Frisch, die Sklaverei weitgehend abgeschafft und war ab etwa 1200 in der christlichen Welt kaum mehr gebräuchlich.79 Diesen Zustand sieht Frisch als ein Ideal, von dem im Folgenden wieder abgewichen wurde. In der Kampfzone zwischen Christentum und Islam, auf der iberischen Halbinsel, ging die Sklaverei weiter. Daher waren es die niemals der Versklavung von Heiden entwöhnten Portugiesen und Spanier, die sie in die Neue Welt brachten. Die Verdammung dieses historischen Aktes ist fundamental und wird mit einer entsprechenden Wortwahl untermauert: Frisch erklärt die (Wieder-)Einführung der Sklaverei im Christentum aufgrund der „mit Gold unersättlichen Natur“ der Spanier und Portugiesen, die mit einer „mehr als Barbarischen Grausamkeit“ die Sklaverei „mit höchster Unbilligkeit und Himmelanschreiender Grausamkeit im Jahr 1509“ in der Neuen Welt unter den Indianern einführten und dadurch also „gleichsahm vom Tode erwekket“ haben. Schlimmer noch: Nach dem Verbot der Ver77 78 79

FRISCH (1666) 2f. FRISCH (1666) 2f. FRISCH (1666) 6.

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sklavung von Indios, das Las Casas durchsetzen konnte, wurden die Afrikaner als neue Sklaven auserkoren und nach Amerika verschifft; dies hätten nun auch die „Engelländer und andere / welche in West-Indien an den Barbarischen Inseln wohnen / erlernet / die nicht allein die Negros oder schwartze Mohren aus Angola, sondern auch wohl ihre Feinde aus Christen Ländern als Sclaven zum Toback-pflantzen / Zucker bereiten und andere schwern Arbeit gebrauchen.“80 So ist die Versklavung durch Christen ein Rückschritt in eine eigentlich überwundene Kulturstufe; die Christen kehren damit in die Zeit vor 1200 zurück. Aus dem Islam gelangte dieses verurteilenswürdige System in die katholische und von dort nun auch, ausgerechnet zu Lebzeiten des Autors, in die protestantische Welt. Die Homogenität der Anschauungen Frischs ist, ihrer Kürze zum Trotz, beeindruckend, er bot eine Weltgeschichte der Sklaverei mitsamt einer systematischen Interpretation auf wenigen Seiten. Die Verknüpfung der Darlegungen des katholischen Juristen Bodin mit der calvinistischen Grundsatzopposition gegenüber Sklaverei aus den Niederlanden resultiert in den Zeilen Frischs zu einer weltanschaulichen Position der Ablehnung der Sklaverei aus kulturellen, rechtlichen und christlichen Traditionen.81 Frischs Werk hat eine nicht zu unterschätzende Fernwirkung in Deutschland gehabt, auch wenn seine Darstellung von Zeitgenossen als zu günstig gegenüber den Barbaresken empfunden wurde.82 Im Jahr 1694 wurde eine zweite Auflage des Werkes herausgegeben, die zwar im Umfang erweitert, inhaltlich aber relativ unsystematisch wurde. Die Einleitung jedoch mit ihren scharfen Angriffen gegen die Sklaverei und den grundsätzlichen Überlegungen zum Unrecht von menschlicher Unfreiheit wurde mit leichten Ergänzungen weitgehend unverändert wieder abgedruckt.83 Die zweite Auflage hatte einen deutlich höheren Erfolg als die erste und wird von einer großen Reihe der im Folgenden vorzustellenden Gelehrten gelesen worden sein.84 So hat Frisch einen in seiner Breitenwirkung allerdings nicht einschätzbaren

80

FRISCH (1666) 7f. Auf diesen zwei Seiten des Werks Frischs ist der Einfluss des niederländischen Sklavereigegners Raad besonders deutlich, vgl. die Seiten bei RAAD (1665) 11f; 21f; 37; 52. 81 Auch im internationalen Vergleich war es zu dieser Zeit eher selten, dass die atlantische Sklaverei als Unrecht im expliziten Bezug zur Gefangennahme von Christen durch die Osmanen und Barbaresken gesehen wurde, die Leistung Frischs ist daher außergewöhnlich, vgl. BAUMGOLD (2010) 418. 82 Man siehe nur die weitere Behandlung des Themas in der von Frisch herausgegebenen Wochenzeitschrift Erbauliche Ruh-Stunden: FRISCH (1676) 66; FRISCH (1680) 372. Zu der Zeitschrift, vgl. BÖNING (2002) 220-226. 83 FRISCH (1694) Vorrede. 84 Beweisen lässt sich das im Einzelfall nur schwer, es sei aber darauf verwiesen, dass das Buch einen Wirkungskreis bis nach Schweden hatte: REFTELIUS (1739) Företal (= Vorwort).

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Grundstein für eine scharfe Ablehnung von jeglicher Form der Sklaverei gelegt. 4. Pietismus Der wirkmächtigste protestantische Zeitgenosse des lutherischen Predigers Frisch vertrat, soweit es sich derzeit aus der Literatur und den Quellen ergibt, eine deutlich andere Linie. Vom Verhältnis des in Deutschland im Nachklang des Erscheinens der Pia Desideria Philipp Jacob Speners (16351705)85 im Jahre 1675 aufkommenden Pietismus zum Sklavenhandel ist noch wenig bekannt. Die Perzeption und Bewertung des Sklavenhandels durch Spener scheint ambivalent gewesen zu sein. In seiner 1687 gedruckten kurzen Predigt Christlicher Obrigkeiten und Unterthanen Pflichte gegen einander schreibt Spener zwar, dass die Christen „alle unter einander brüder und schwestern seyen / weßwegen keiner über den andern herrschen solte.“ Dies findet aber gleich auf der nächsten Seite seine Relativierung, dass dies nur das Geistliche angehe, auf der Welt bleibt „der unterschied in den eusserlichen ordnungen / die göttlich sind.“ Es folgt ein ausdrücklicher Hinweis auf die Sklaverei zur Zeit Jesu Christi und seiner Apostel, die damit eine gewisse Gutheißung erfährt.86 Diese Position hat Spener zwar in seiner Erklärung der Epistel an die Galater des Apostels Paulus beibehalten, die Verwendung der Vergangenheitsform deutet jedoch auf eine Ablehnung von gegenwärtiger Sklaverei: „und konte also ein guter Christ / damal als die ordnung der weltlichen gesetze solches noch mit sich brachte / gar wol einen andern Christen als einen leibeigenen sclaven haben.“87 Die genannten Predigten sollten jedoch nicht zu sehr im Kontext der frühneuzeitlichen Sklavereidebatte gelesen werden, eher geht es um die Austarierung von Pflichten und Grenzen einer weltlichen Obrigkeit gegenüber ihren Untertanen. Eine kohärente Position Speners zu Sklaverei und Sklavenhandel konnte ich in seinen Schriften nicht entdecken; seine angedeutete Tendenz zur Gutheißung derselben mag sich aus seiner bekannten Grotius-Lektüre gespeist haben.88 Nicht im direkten, aber doch im latenten Widerspruch hierzu stand der frühe radikale Pietismus. Dieser näherte sich unter Johann Jakob Schütz

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Begründer des Pietismus in Deutschland, zu ihm: RAUPP (2010). SPENER (1687) ohne Paginierung; zu dieser bekannten Predigt vgl. auch: SOMMER (2006) 220-228. 87 SPENER (1697) 671; vgl. zu diesem bekannteren Spenertext auch: DEMBOWSKI (2004). 88 WALLMANN (1986) 81-83; zu Grotius‘ Position zur Sklaverei vgl. Anm. 68. 86

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(1640-1690)89 bereits seit 1677 stärker dem Quäkertum und damit einer obrigkeitskritischen Position an.90 Die hieraus entstandene Verbindung zur ersten Petition gegen die Sklaverei auf amerikanischem Boden durch deutsche Pietisten aus dem Umfeld von Schütz in Pennsylvania hat in der Forschung einige Aufmerksamkeit erfahren. Es gilt inzwischen als weitgehend unumstritten, dass der sogenannte Protest von Germantown von 1688, die erste Petition in Nordamerika zur Abschaffung des Sklavenhandels, einen der wichtigen Marksteine für die frühe Abolitionismusbewegung in den USA darstellt.91 Die Gleichsetzung von Sklaverei der Christen durch Türken mit dem atlantischen Sklavenhandel findet sich hier in der Einleitung: „Now what is this better done, as Turks doe? Yea, rather is it worse for them which say they are Christians, for we hear that ye most part of such negers are brought hitherto against their will and consent and that many of them are stolen.“92

Der Vergleich zum osmanischen Despotismus zeugt von der andauernden Wirkmacht dieser Denkfigur in den Kreisen der deutschen radikalen Pietisten, die unter anderem daraus die Gegnerschaft zur Sklaverei herleiteten. Wichtiger als die Theologen wurden im späten 17. Jahrhundert zur Frage nach der Legitimität von Sklavenhandel und Sklaverei nach meinem Dafürhalten im deutschsprachigen Raum die Juristen. In den Jahrzehnten um 1700 behandelten einige der bedeutendsten deutschen Juristen, darunter Samuel von Pufendorf (1632-1694)93 und Christian Thomasius (1655-1728),94 die Frage der Sklaverei unter dem Blickwinkel der existierenden Leibeigenschaft und dem Naturrecht. Es können hier natürlich nicht in wenigen Zeilen beide komplexe Lehrgebäude erörtert werden, nur ein Streiflicht auf ihre Wirkmächtigkeit im Hinblick auf die Rezeption ihrer Konzepte soll hier geworfen werden. Die Sklaverei wurde zwar von beiden Autoren noch akzeptiert, doch nur bei Bestehen eines Vertragsverhältnisses und einer für den Sklaven gesicherten Rechtspersönlichkeit.95 Beide Autoren verwendeten in ihren deutschen Texten fast nur Termini wie „Knecht“ oder „Leibeigener“; sie hatten also eindeutig Ostmitteleuropa und nicht den Atlantik bei ihren 89

Syndikus in Frankfurt und mit Spener eine der wesentlichen Gründungsfiguren des Pietismus, zu ihm: DEPPERMANN (2002). 90 Dies geschah in auffallender zeitlicher Parallele zur beginnenden Kritik an der Sklaverei durch die Quäker: FROST (1980) 2-22. Hier wechselseitige Einwirkungen anzunehmen, ist wohl legitim. 91 Vgl. beispielsweise: DEPPERMANN (2002) 322-335; ERBEN (2006); CAREY (2012) 72-86. 92 Zit. nach: CAREY (2012) 74. 93 Einer der wirkmächtigsten Vertreter der Naturrechtslehre des 17. Jahrhunderts, zu ihm: BÖHLING (2014). 94 Professor für Philosophie an der Universität Halle und einer der bedeutendsten Vertreter der deutschen Frühaufklärung, zu ihm: TOMASONI (2009). 95 Vgl. BLICKLE (2006) 279-297; FRANKE (2009) 247-250.

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Ausführungen im Blick.96 Durch die Ambiguität des lateinischen Terminus servus wurden in der zeitgenössischen Interpretation auch Sklavenhandel und Sklaverei als von beiden abgelehnt angesehen. Dies zeigt sich beispielsweise bei der Interpretation Pufendorfs und Thomasius’ durch den zur gemäßigten lutherischen Orthodoxie gehörigen Theologen Johann Georg Walch (1693-1775)97. In seinem weit rezipierten Philosophischen Lexicon wird im Eintrag „Leibeigenschaft“ auch die Sklaverei mit behandelt: „[Wir] halten daher dafür, daß das Principium falsch sey, als gehöre ein Leibeigener seinem herrn eigenthümlich zu. Denn die Würde und Natur eines Menschen läst nicht zu, daß man selbige eigenthümlich besitze, und damit Handel und Wandel treibe, weil es eine unschätzbare Sache, auf welche kein Werth kan gesetzet werden. Menschen stehen zwar unter dem imperio, unter der Bothmäßigkeit eines Obern; nicht aber unter dem dominio, oder Eigenthums-Herrschaft, und eben daher kan man keine Knechte, oder Sclaven kauffen und verkauffen. Zwar ist solche Gewohnheit sehr alt, daß man mit solchen Leuten Handel und Wandel getrieben, wie aus 1. B. Mos. Cap. 17 v. 12. 23. 27. zu ersehen; deswegen aber kan man sie nicht gut heissen, ob sie gleich Gott unter seinem Volck gedult hat.“98

Die Ablehnung von Bibelstellen durch einen Theologen ist beeindruckend und zeugt von einer unabhängigen Geisteshaltung, die wohl auch bereits durch die beginnende Aufklärung beeinflusst war. Die grundlegende Frage, wie ein Dienstverhältnis in der tatsächlich existierenden Leibeigenschaft bei solch einer kritischen Sicht zu konzipieren wäre, beantwortet Walch eindeutig und unter Zitierung der einschlägigen Juristen und ihrer Traktate im Sinne der Vertragstheorie und bezeugt somit die Dominanz des Rechtsdiskurses zur Frage der Sklaverei: „Denn weil ein ieder Mensch von Natur seine Freyheit hat, die ihm niemand mit Gewalt nehmen kan, so ist der Grund der Gesellschaft zwischen Herrn und Knecht der Vertrag, den sie mit einander machen.“99 Leibeigenschaft wurde also im Gefolge von Pufendorf und Thomasius nur noch bei Bestehen eines Vertragsverhältnisses gutgeheißen. Die Ablehnung von jeglicher Form von Sklavenhandel und Sklaverei ist hingegen deutlich. Wenngleich kein direkter Bezug zum atlantischen Sklavenhandel hergestellt wird, so ist die Maxime einer Ablehnung desselben unzweideutig. Ähnlich kritisch äußerte sich Walch auch im Artikel zur Knechtschaft im

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Das wurde von beiden auch explizit so festgestellt, Thomasius sieht sogar eine Konfusion der Debatte durch die falsche Übersetzung des lateinischen Terms servus ins Deutsche: BADER/ DILCHER (1999) 223f. 97 Professor für Theologie an der Universität Jena, zu ihm: SCHMITT (1998). 98 WALCH (1726) 1622. 99 WALCH (1726) 1623.

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selben Lexikon;100 auch in der zweiten Auflage des Lexikons von 1733 blieb der Text unverändert.101 Wir können festhalten: Die Ablehnung von Sklavenhandel und Sklaverei durch Juristen und Theologen in Deutschland war im frühen 18. Jahrhundert deutlich ausgeprägt. In dem Maße, in dem sich die deutschen Autoren im Zuge der Frühaufklärung stärker der internationalen Fachliteratur öffneten, fand allerdings auch die gängige Sichtweise innerhalb der westeuropäischen Staaten stärkeren Eingang in den deutschsprachigen Diskurs.102 Im bedeutendsten deutschen Lexikon der Frühen Neuzeit, dem Zedler, findet sich im Band 24 aus dem Jahr 1740 folgender Satz zum Eintrag Nigritien: „Dieser Handel [der atlantische Sklavenhandel; MR] scheinet zwar denen unmenschlich, welche nicht wissen, daß die armen Leute Heyden und Türcken sind, und daß Christliche Kauffleute, wenn sie selbige von ihren Feinden kauffen, solche von einer grausamen Sclavery erretten, und hingegen in denen Insuln, wohin sie gebracht werden, nicht allein in eine gelindere Dienstbarkeit versetzen, sondern auch zur Erkänntniß des wahren Gottes, und auf den Weg zur Seligkeit durch die Unterrichtungen, welche ihnen Christliche Prediger geben, bringen, ohne solche Absicht dergleichen Handel ihnen schwerlich zugelassen seyn würde.“103

Es folgen Angaben über das gute Essen, zur Vorsorge und Unterhaltung auf den Schiffen und vieles mehr.104 Das berühmteste deutsche Lexikon des 18. Jahrhunderts erweist sich als von Sklavereiapologetik durchzogen und markiert damit, dass dieses Jahrhundert beides erlebte: den Anstieg von die Atlantiksklaverei kritisierenden, aber auch verteidigenden Texten.105 In den nicht stark an eine fürstliche Obrigkeit gebundenen pietistischen Kreisen überwog die Ablehnung der Sklaverei. Der berühmte Pietist Samuel Urlsperger (1685-1772),106 der seit 1723 in Augsburg als Pastor der Hauptkirche St. Anna und Senior des Augsburgischen Ministeriums wirkte, gab in seinem Americanischen Ackerwerk Gottes, einer Darstellung der Siedlungen der Salzburger Emigranten in Amerika, einige markante Bemerkungen zur

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Hier verwirft er jegliche Form von Knechtschaft, die nicht auf einem aus freien Stücken geschlossenen Vertrag zwischen Herrn und Knecht basiert: WALCH (1726) 1570-1573. 101 WALCH (1733) 1628f. 102 Vgl. die zeitgenössischen Übersetzungen aus der internationalen Afrika-Literatur ins Deutsche: PAULISCHKE (1882) 75-92; auch: SANTOS LOPES (1992) 51-70. 103 ZEDLER 24 (1740) 887-891. 104 Da die Autoren im Zedler anonym blieben, ist es nicht möglich, den Verfasser dieses Textes zu ermitteln. Die Verteidiger des Sklavenhandels waren zu diesem Zeitpunkt gerade in Großbritannien publizistisch aktiver geworden, der Zedler-Artikel scheint aus diesen gespeist zu sein, vgl. DONNAN 2 (1930) 469f. 105 BROWN (2011) 282f. 106 Zu Urlsperger fehlt bis heute eine gründliche Biographie, einen gewissen Ersatz bietet der Sammelband SCHWARZ (1996).

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Sklaverei in Georgia und Carolina ab.107 Die Einträge aus dem Tagesregister vom Januar 1753 enthalten eine scharfe Verurteilung nicht direkt des Sklavenhandels und des Instituts der Sklaverei, aber doch der gängigen Praxis in den Kolonien. Nur wenig später erhoben die prominenten Quäker John Woolman und Anthony Benezet ihre Stimme öffentlich gegen die Sklaverei und den Sklavenhandel und initiierten dadurch die moderne Abolitionismusbewegung.108 Graf Nikolaus Ludwig von Zinzendorf (1700-1760)109 wurde in der Vergangenheit häufig für seine kritische Haltung gegenüber der Sklaverei gelobt.110 Die Zinzendorf-Hagiographie hat jedoch gerade in diesem Aspekt deutliche Kritik erfahren.111 Zinzendorf mag in den 1730ern und den frühen 1740er Jahren kritisch gegenüber der Sklaverei gewesen sein, spätestens in den 1750er Jahren wandelte sich diese Haltung unter Verweis auf den Fluch von Ham hin zu einer vollen Akzeptanz des Systems.112 Diese Einstellung wurde auch von der weiteren Brüdergemeine geteilt, sodass die Herrnhuter im späten 18. und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts als Freunde und sogar Profiteure der Sklaverei galten. Erst unter der massiven Kritik durch die Quäker, die im 19. Jahrhundert mit Kontaktabbruch zu den Herrnhutern drohten, änderte sich diese Einstellung in den 1860er Jahren wieder.113 Man macht es sich aber auch zu leicht, wenn man die Herrnhuter als reine Stützen des Systems sieht. Innerhalb der Brüdergemeine gab es ein kritisches Potential gegen die Sklaverei und viel von der nach außen gezeigten Akzeptanz derselben mag man mit einer Form von notwendigem Anpassen gegenüber den vorgegebenen Realitäten erklären: Die Brüdergemeine hätte schlicht keinen Zugang zu den dänischen Karibikinseln erhalten, wenn sie die Sklaverei direkt kritisiert hätte. Indem die Brüder das System selbst nicht grundsätzlich in Frage stellten, konnten sie die Mission unter den Sklaven überhaupt erst beginnen und, unter großen Opfern an Brüdern selbst, aufrecht erhalten. Doch auch die nach außen bezeugte Akzeptanz der Sklaverei

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URLSPERGER 2 (1755) 310; zur Genese dieses Werkes im pietistisch-atlantischen Netzwerk: PYRGES (2009). Verwiesen sei auch auf die heftige, wenngleich letztlich vergebliche Opposition des pietistischen Predigers und Freundes Urlspergers Johann Martin Boltzius (1703-1765) in Georgia gegen die Sklaverei: MELTON (2015) 204-271. 108 WOOLMAN (1754); BENEZET (1760). Zu beiden Quäkern stellvertretend für eine weite Literatur: CROSBY (2003). 109 Begründer des Herrnhutertums, zu ihm vgl. den Sammelband von BRECHT/ PEUCKER (2005). 110 So noch jüngst: WALLMANN (2010). 111 RICHTER (2009) 30. Zu Zinzendorfs Ablehnung der Leibeigenschaft in Theorie und Praxis vgl. BEYREUTHER (1975). 112 SENSBACH (2009) 193-195. 113 DEGN (1974) 448-451; FÜLLBERG-STOLBERG (2011) 90-97.

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bedeutete wenigstens im zweiten und dritten Viertel des 18. Jahrhunderts noch keine gänzliche Preisgabe der eigenen Grundsatzpositionen. Der im Anhang gegebene Vergleich des Manuskripts von Christian Georg Andreas Oldendorp (1721-1787)114 über die Mission der Herrnhuter in den dänischen Kolonien mit dem von der Brüdergemeine schließlich zum Druck gegebenen Text zeigt uns gewissermaßen die Brüdergemeine aus zwei Perspektiven. Im originalen Manuskript Oldendorps waren die Beschreibungen der Sklaverei scharf und die Kritik an den Sklavereiapologeten kaum mehr verhüllt.115 Aber auch das im Jahr 1777 gedruckte Teilmanuskript enthält verurteilende Textteile zur Sklaverei.116 Die Brüdergemeine konnte also ein kritisches Potential für Abweichungen von ihrer Botschaft entwickeln, aber die sich durch ihre Geschichte ziehenden häufigen Zwänge von Anpassung an absolutistische Obrigkeiten forderten ihren Tribut in Form von einer nach außen gerichteten Affirmation, die ab dem späten 18. Jahrhundert auch in eine innerliche Bejahung des Systems der Atlantiksklaverei mündete. 5. Aufklärung Der Pietismus entwickelte nur in einigen inneren Kreisen und den radikalen Flügeln eine systematische Abneigung gegen Sklaverei. Sein faktischer Nachfolger im deutschsprachigen protestantischen Raum als geistige Strömung wurde die Aufklärung.117 Wohl nicht zufällig kann ab der Jahrhundertmitte, als der Hallesche und Herrnhuter Pietismus konservativer wurden, eine verstärkte Gegnerschaft zu Sklavenhandel und Sklaverei in den Kreisen der deutschen Aufklärer beobachtet werden. Dies wird besonders deutlich durch den Kontrast zum Königreich Dänemark-Norwegen, in welchem just in diesen Jahren der Sklavenhandel als profitables Geschäft seine zugehörigen Verteidiger fand. Der Kopenhagener Kaufmann Ludwig Ferdinand Rö-

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Zu diesem wichtigsten Herrnhuter Historiker der Mission in der Karibik ist die Literatur erstaunlich dünn: HAIR (1999). 115 Das Manuskript wurde erst vor wenigen Jahren gedruckt, da es von der Edition Bossarts teilweise deutlich abweicht. Die wesentlichen Beschreibungen der Grausamkeit der Sklaverei finden sich bei: OLDENDORP (2000) 475-532. Laut Hartmut Beck ist ein wesentlicher Unterschied zum späteren Werk Bossarts, dass „die harten und unmenschlich grausamen Realitäten des Sklavereisystems … bei Oldendorp selbst erheblich drastischer und kritischer dargestellt sind als es dann bei Bossart herauskam“, BECK (2000) 18. 116 Vgl. beispielsweise: OLDENDORP/ BOSSART (1777) 347-372. 117 Zum komplexen Verhältnis von Pietismus und Aufklärung vgl. unter anderem: GIERL (1997); SIEG (2003) 193-207.

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mer (1714-1776)118 publizierte 1756 und 1760 zwei dänische Bücher über Guinea, das eine über die Geschichte des Handels der Europäer mit diesem Teil Afrikas an dessen Küste119 und das andere über die dortigen Völker und ihre aktuelle Lage.120 Beide Bücher wurden, ein Zeichen eines nun offenbar erhöhten Interesses an Afrika und am Sklavenhandel, bald ins Deutsche übersetzt, ersteres 1758,121 das zweite 1769.122 Während Römer in seinem ersten Werk Sklaverei und Sklavenhandel als in „vielerley Art vortheilhaft“123 bezeichnet und nur in kleinsten Ansätzen als Unrecht charakterisiert,124 hatte das zweite Buch einen weit schärferen Fokus auf diese Phänomene. Allerdings kritisiert Römer weniger den Sklavenhandel als System als vielmehr gewisse Auswüchse durch Fehler von Seiten der beteiligten Europäer.125 Jeglicher mögliche Effekt einer Verstärkung der Kritik am Sklavenhandel wird bei diesem Buch ohnehin durch das Vorwort konterkariert. Hier verteidigt der dänisch-norwegische Bischof Erik Pontoppidan (1698-1764)126 ausführlich Sklaverei und Sklavenhandel. Er verweist dabei insbesondere auf den schlimmen Zustand der Schwarzen in Afrika und hebt die Bekehrung zum Christentum und zur Humanität auf den dänischen Plantagen insbesondere durch die Herrnhuter hervor.127 Er reagierte damit auf einen nicht namentlich genannten und leider bis heute unbekannten Autor, der den Sklavenhandel angegriffen hatte. Der dänische Historiker Green-Pedersen hat Pontoppidan in einem Artikel aus dem Jahr 1974 zwar für diese Haltung kritisiert, betont aber in einem Versuch der Relativierung zu stark den zeitgenössischen Trend einer Verteidigung der Sklaverei. Dies gilt insbesondere für die Parallelsetzung der Positionen des oben erwähnten Herrnhuter Missionshistorikers Christian Georg Andreas Oldendorp mit denjenigen Pontoppidans.128 Diese Form der Relativierung kann zurückgewiesen werden: Wie bereits gezeigt, war die Manuskriptfassung Oldendorps deutlich schärfer und die Druckfassung beinhaltete, trotz aller vorgenommenen Entschärfung ihres kritischen Poten118

Zu Römers Biographie steht nur ein kurzer Eintrag in einer Anm. zur Verfügung: JUSTESEN (2005) 581, Anm. 25. 119 RØMER (1756). 120 RØMER (1760). 121 RÖMER (1758). 122 RÖMER (1769). 123 RÖMER (1758) 6. 124 RÖMER (1758) 82. 125 RÖMER (1769) 19-40. 126 Tätig als Bischof von Bergen und Kopenhagen sowie als Prokanzler der Universität Kopenhagen, zudem ein bedeutender Förderer des Pietismus in Dänemark-Norwegen, vgl. KRUG (1994). 127 PONTOPPIDAN (1769). 128 GREEN-PEDERSEN (1974) 92-94.

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tials, kaum eine Apologetik der Sklaverei. Man mag sogar noch weiter gehen: Pontoppidans Haltung erscheint als der Höhepunkt einer Tradition des nicht-radikalen Pietismus, der seit Spener immer eher zur Affirmation von Sklavenhandel und Sklaverei geneigt hatte. Die Zeitgenossen aus dem Lager der Gegner des Pietismus waren daher auch rasch mit der Kritik bei der Hand. Insbesondere für deutsche Aufklärer war der Sklavenhandel inzwischen nicht mehr zu verteidigen. Kein geringerer als der Herausgeber der Allgemeinen Deutschen Bibliothek, Christoph Friedrich Nicolai (1733-1811),129 rezensierte nach ihrem Erscheinen die Arbeit Römers über die Küste Guineas und das dazugehörige Vorwort Pontoppidans. Er ging auf die zwei Verteidigungspunkte des Bischofs ausführlich ein. Den ersten Punkt, dass die Schwarzen in Afrika ein jämmerliches Leben lebten, gekennzeichnet durch Diebstahl, Verfolgung und Mord, so dass eine Überführung in die Sklaverei fast als eine Rettung erscheinen konnte, drehte er, hierbei Römer selbst zitierend, um: „[Es] haben die Europäer die Neger, so elend, so leichtsinnig und gottlos gemacht, sich unter einander zu verkaufen und aufzureiben, und nun wollen sie eben dieses Elend, das sie unter die Negern gebracht, zur Entschuldigung ihres schändlichen Handels anwenden! Sollte sich ein Bischof wenigstens, nicht schämen, dergleichen Argumente zu brauchen.“130

Den zweiten Punkt, dass man durch die Überführung in die Sklaverei den Schwarzen auch das Christentum nahebringen könne, konnte Nicolai leicht mit der Ethik des Christentums als absurd aufzeigen: „Man muß sich für den gesitteten Theil des menschlichen Geschlechts schämen, daß man sich aus Eigennutz und Gewohnheit berechtiget glaubt, diesen schändlichen Handel als erlaubt anzusehen. [...] Ist es nicht wahrer Unsinn, zu sagen, daß, wenn man Sclaven zu Christen mache, man dadurch gegen die Härte, sie in die Sclaverey zu führen, das Gleichgewicht halte! Christus sagt: Ihr sollt nicht Böses thun, daß Gutes herauskomme. Wäre doch diese Lehre dem ehrwürdigen Bischof eingefallen!“131

Es ist nicht klar, inwieweit Nicolai für die mehrheitliche Haltung innerhalb der deutschen Aufklärer steht. Wenn wir seine Meinung als repräsentativ annehmen, dann war die deutsche Aufklärung offenbar offen für die sich in Großbritannien und auch (mit deutlichem Abstand) in Frankreich seit 1780 intensivierende Anti-Sklavenhandel-Kampagne, konnte dabei aber auch einen eigenen Akzent setzen.132

129

Einer der bedeutendsten Publizisten der Aufklärung in Preußen, zu ihm: MÖLLER (1999). NICOLAI (1770) 60. 131 NICOLAI (1770) 61. 132 Zum Verhältnis der westeuropäischen Aufklärung und einer überraschend langen Affirmation der Sklaverei durch deren Protagonisten vgl. ECKERT (2010). 130

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Zwei Werke um 1790 könnten stellvertretend für diese Haltung stehen. Im 1788 gedruckten Reisebericht des deutschen Mediziners Paul Erdmann Isert (1756-1789), der eine Zeit lang an der afrikanischen Küste und später in Kopenhagen gewirkt hat,133 beschreibt der Autor in seinem elften Brief einen Sklavenaufstand auf dem Schiff, welches er von Afrika nach Westindien begleitete. Bei diesem Aufstand kam er selbst fast ums Leben. Er schließt an diese Erfahrung eine grundlegende Schilderung des Zustandes der Sklaverei an. Die Beschreibung von grausamen Auspeitschungen, endloser quälerischer Arbeit, völliger Rechtlosigkeit der Schwarzen und die Herausstellung des Sündenregisters der weißen Christen, ihrer Gier nach Genussmitteln und ihrer heuchlerischen Verteidigung der Sklaverei sind eindrucksvolle Seiten, die eine wesentliche Wirkung auf das 1792 erlassene Verbot des Sklavenhandels im dänischen Weltreich nach 1803 gehabt haben.134 Ein weiteres wichtiges Resultat dieser Grundhaltung war der 1791 von Johann Jakob Sell (1754-1816)135 geschriebene Versuch einer Geschichte des Negersclavenhandels. Dieses Buch lässt auch nach dem heutigen Forschungsstand nicht viel in der Darstellung der Abolitionsbewegung zu wünschen übrig.136 Sell zeigt sich sehr informiert über die Details der Geschichte des atlantischen Sklavenhandels und kann dem deutschen Publikum eingehend die seit 1750 in Großbritannien bestehenden Strömungen zu dessen Verbot aufzeigen. Seine Darstellung der Lage der Sklaven in Amerika ist etwas nüchterner und weniger polemisierend als diejenige Iserts, entfaltete jedoch deswegen eine nicht minder starke Wirkung auf den Leser. Sell nimmt einen universellen Standpunkt ein, indem er den Sklavenhandel als Schandfleck der Menschheit bezeichnet. Die Eingenommenheit Sells für die Ziele der Abolitionsbewegung zeigt sich in der eingehenden und im Tenor recht positiven Schilderung ihrer Aktivitäten im globalen Maßstab. In einem etwas voreiligen Optimismus sieht er nun von der erfolgreichen Amerikanischen Revolution ausgehend den Untergang des Sklavenhandels kommen;137 um 1791 vor der Erfindung des Cotton Gin wohl noch eine berechtigte Hoffnung.138 133

Zu Isert wissen wir nur sehr wenig: HOPKINS (2013) 21-24. ISERT (1790) 305-340; teilweise abgedruckt und kommentiert bei: LOHMEIER (1994) 2328; 45f. Iserts Bericht machte einen großen Eindruck in Kopenhagen. Zu relativieren ist hingegen die ältere Ansicht, dass das Verbot in Dänemark hauptsächlich eine Reaktion auf die britische Abolitionskampagne gewesen sei, so sah es noch: GREEN-PEDERSEN (1979); hiergegen: DEGN (1974) 239-302, KNAP (1983); GØBEL (2008) und HOPKINS (2013) 19-68. 135 Aufklärer, Rektor des Gymnasiums in Stettin und führender Freimaurer Preußens, zu ihm: WENDT (2004). 136 SELL (1791); ZEUSKE (2012) 108. 137 DIPPEL (1978) 201. 138 Zur Wirkung des Cotton Gin auf die Entwicklung der Sklaverei in den USA nun nuanciert: WRIGHT (2006) 83-93. 134

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6. Schlussbetrachtung Festgehalten werden kann zum Schluss dieses diachronen Längsschnittes in der longue durée: Es schimmert über die Jahrhunderte immer wieder eine kritische Haltung der deutschen Geistes- und Gelehrtenwelt gegenüber dem Phänomen der atlantischen Sklaverei während der Frühen Neuzeit hervor. Diese tendenzielle Orientierung basierte mindestens bis ans Ende des 17. Jahrhunderts weitgehend auf der Kritik an der Sklaverei als Ausdrucksform von orientalischer Despotie, wie sie durch die Türkendrucke des 16. Jahrhunderts geprägt worden war. Dass diese Grundhaltung im späteren 17. und vor allem im 18. Jahrhundert ideengeschichtlich mit einer Entfaltung des rassistischen Diskurses in der deutschen Geisteswelt einhergeht, soll hier nicht unerwähnt bleiben.139 Es waren aber weitgehend nicht dieselben Akteure in beiden Themenfeldern aktiv; Personen, die gegen das atlantische Sklavensystem schrieben, und Personen, die der Ideologie des Rassismus Vorschub leisteten, gehörten getrennten Gruppen an. Auch wenn der direkte Einfluss von deutschen Akteuren auf die Geschichte des Abolitionismus gering war, so war er doch an gewissen Scharnierstellen bedeutsam: Der sich aus dem radikalen Pietismus in Deutschland speisende Protest von Germantown gegen Sklaverei aus dem Jahr 1688 hat seine langfristige Wirkung in den amerikanischen Kolonien gehabt.140 Zudem war das erste Sklavenhandelsverbot der Welt, das dänische von 1792, von einem deutschen Beitrag durchdrungen.141 Dies hat der britischen Abolitionskampagne einen wichtigen, wenngleich unbestimmten Auftrieb gebracht.142 Es sei darüber hinaus noch auf zwei Studien zu deutschen Auswanderern in Amerika verwiesen: Mischa Honeck konnte kürzlich herausarbeiten, dass die sogenannten 48er-Auswanderer, also deutsche Flüchtlinge nach der Revolution von 1848, mit an der Vorderfront gegen die Sklaverei kämpften.143 Damit passten sie zu den seit über einem Jahrhundert in die USA eingewanderten lutherischen Pietisten, deren antisklavischer Aktivismus von Paul Kuenning erhellt wurde.144 Auch wenn es diesen Auswanderern nicht bewusst war, so standen sie dabei in einer latenten Tradition einer ablehnenden Haltung deutschsprachiger Theologen und Gelehrten gegenüber der Sklaverei als globalem und zu kritisierendem Unrecht.

139 140 141 142 143 144

MARTIN (1993) 195-297; ZANTOP (1999) 86-122. Vgl. Anm. 91. Vgl. Anm. 134. DEGN (1974) 291-293; DRESCHER (1986) 200. HONECK (2011). KUENNING (1988).

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Wie steht es um die eingangs vorgestellte Idee eines „Versagens“ des Luthertums angesichts der Antisklavereibewegung und des Abolitionismus? Hierzu ist zu bemerken: Eine kritische Haltung zu Sklavenhandel und Sklaverei durchzieht die Texte und Aktivitäten deutschsprachiger Lutheraner in der Frühen Neuzeit bis etwa 1750. In den Drucken des 17. Jahrhunderts, die von Jean Bodin und der ersten Antisklavereibewegung in den nördlichen Niederlanden geprägt waren, ist dies noch deutlich erkennbar, im 18. Jahrhundert allerdings nur noch abgeschwächt. Seit 1750 ist im Luthertum kaum mehr Kritik, sondern im Gegenteil teilweise Affirmation erkennbar, während einzelne Aufklärer eine durchgreifende Analyse und deutliche Ablehnung von Sklavenhandel und Sklaverei in ihren Schriften zum Ausdruck bringen. Da sich in Deutschland keine Schicht von Profiteuren des Sklavenhandels etablieren konnte, gab es auch niemals eine obrigkeitlich induzierte oder wenigstens gestützte Verteidigung des Sklavenhandels oder des Systems der Sklaverei. Dass sich im Halleschen und Herrnhuterschen Pietismus keine dezidierte Antisklavereibewegung entfaltete, ist allerdings auch unbestreitbar. Kritik am System fand sich hauptsächlich in den radikalen Abspaltungen der ersten und in den inneren Kreisen der zweiten Bewegung. Der antisklavische Impuls erfuhr im Pietismus zwar keinen nachhaltigen, nach außen dringenden Widerhall, so wie es im Quäkertum mit den bekannten umwälzenden Resultaten der Fall war. Ein grundsätzliches Potential an Kritik gegenüber dem System blieb bei aller Annäherung an dasselbe doch immer bestehen. So konnte sich das Sentiment einer Abneigung gegen Sklaverei immer einer gewissen Stütze in den Kreisen des deutschen Protestantismus sicher sein, was wohl dessen Eingang in die Aufklärungsbewegung erleichterte. Der fundamentale Unterschied zur britischen und französischen Sklavereidebatte im späten 18. Jahrhundert war allerdings die marginale Diskurswirksamkeit im deutschsprachigen Raum. Hier erschienen die vorgestellten Beiträge immer vereinzelt, niemals wurde hieraus eine in sich kohärentere Debatte mit einer begleitenden publizistischen Kampagne, wie in den Ländern mit einem starken atlantischen Sklavenhandel. Daher sollte man die Kritik an Sklavenhandel und Sklaverei, die sich in den vorgestellten deutschen Drucken äußert, eher als Ausdruck einer von weiten Bevölkerungskreisen des Alten Reiches weitgehend geteilten Einstellung gegenüber der Sklaverei als etwas implizit „orientalisch Despotischem“ und weniger als einen originellen Denkanstoß für die grundsätzliche Abolitionismusbewegung der westlichen Welt betrachten. Die grundsätzliche Frage des Artikels nach dem Verhältnis von Protestantismus in Deutschland und atlantischem Sklavenhandel kann also ambiva-

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lent beantwortet werden: Dieser Handel fand wenig Zustimmung und viel Gegnerschaft, die punktuell auch langfristig historisch wirkmächtig wurde. Seit 1750 findet sich im deutsch-dänischen Protestantismus eine gewisse Stütze des atlantischen Sklavenhandels und der Sklaverei, was die Basis der eingangs vorgestellten Idee des „Versagens“ des Luthertums vor der Atlantiksklaverei gewesen sein mag.145 Als die Kampagne gegen Sklaverei jedoch in Großbritannien um 1780 an Kraft gewann, war die Rezeptivität hierfür innerhalb der deutschsprachigen Aufklärung, gespeist aus einer eigenständigen und jahrhundertealten Tradition hauptsächlich lutherischer Prägung, durchaus hoch.

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Vgl. Anm. 9.

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Quellenanhang (Q1) Christian Georg Andreas Oldendorp, Historie der caribischen Inseln Sanct Thomas, Sanct Crux und Sanct Jan, Erster Teil, Kommentierte Ausgabe des vollständigen Manuskriptes aus dem Archiv der Evangelischen Brüder-Unität Herrnhut, Berlin 2000, 477-480 [Entspricht den Manuskriptseiten 507-511]. (Q2) Christian Georg Andreas Oldendorp, Johann Jakob Bossart, Geschichte der Mission der Evangelischen Brüder auf den Caraibischen Inseln S. Thomas, S. Croix und S. Jan, Herausgegeben durch Johann Jakob Bossart, Erster Theil, Barby 1777, 348-350. Der erste Textauszug ist der originale, der zweite wurde von Bossart überarbeitet und publiziert. Es fällt auf, dass Oldendorp sehr viel anklagender und ablehnender gegenüber dem Sklavenhandel schreibt. Ein kritisches Potential gegenüber dem Sklavenhandel verbleibt allerdings auch beim gedruckten Text. Auffällig ist der Vergleich der Atlantiksklaverei mit der Sklaverei von Europäern bei den Türken durch Oldendorp, das zeigt seine Vertrautheit mit dieser, wie oben gezeigt wurde, im deutschsprachigen Raum immer vorhandenen Denkfigur. (Q1) Oldendorp, Historie der caribischen Inseln Sanct Thomas. Die Dänen besitzen auf der Goldküste die Festungen Christiansburg und Friedensburg. Sie haben unter der Regierung des Königs Friedrichs III., in welcher Zeit sie schon St Thomas besuchten, auch schon in Guinea auf der Küste Akkran eine Handlungsloge gehabt und dieselbe im Jahr 1659 in eine Festung verwandelt und ihr den Namen Christiansburg gegeben. Ihre erste Handlung bestand daselbst hauptsächlich in Gold und Elfenbein, das sie für andere Waren eintauschten. Der Handel mit Gold ist ehedem sehr vorteilhaft gewesen, solange die Schwarzen den Wert dieses Metalls nicht gekannt haben. Jetzt verstehen sie sich schon seit geraumer Zeit auf den Preis und das Gewicht desselben so gut als die Christen, ja sogar auf die Kunst, es zu verfälschen. Als die Dänen in Westindien sich niederließen, so gebrauchten sie Sklaven zu ihren Pflanzungen; und ihre Plätze in Guinea waren ihnen zur Lieferung derselben sehr dienlich. Jährlich gehen gewiß vier Schiffe von Copenhagen dahin und holen Sklaven für die dänischen Eiländer in Westindien. Außer diesen werden auch, weil die Handlung frei ist, bisweilen von

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Privatpersonen Schiffe zu dem Zweck abgesendet. Die Waren, so dahin [508] gebracht werden, sind Leinwand von allerlei Sorten, Cattun, wollene und ostindische Waren, Eisen, Kupfer, messingene Armringe, Glaskorallen, Messer, Kessel, Becken, Spiegel, kleine Glokken, zinnerne Kannen, Mauersteine, Tabak und Tabakspfeifen, Talg, sonderlich aber Flinten, Pulver und Branntwein. Dafür bekommen sie Elfenbein, Gold, Sklaven und Provision für dieselben. Die Sklaven werden nach den westindischen Inseln, das Gold und Elfenbein nach Copenhagen gebracht. Um gleicher Handlung willen haben die Franzosen, Engländer, Holländer und Portugiesen an der guineischen Küste ihre Factoreien und Festungen. § 82 Mit der Sklaverei der Negernationen hat es eine eigene Bewandtnis. Sie sind nicht nach einer langen hartnäckigen Gegenwehr von den Europäern besieget, zum Teil hingerichtet und zum Teil als Sklaven in die Länder ihrer Überwinder weggeführt worden, wie es vorzeiten die Sieger aus Stolz und Rache mit manchen Völkern gemacht haben. Man hat sich auch nicht unter ihnen niedergelassen und sie endlich, da man mächtig genug dazu gewesen, unterdrückt und zu Sklaven gemacht – welches Schicksal zum Exempel den Letten und Esten durch die deutschen Ritter widerfahren ist. Guinea ist zu weitläuftig, zu waldig und zu volkreich, als daß es von den Europäern durch Krieg hätte überwältiget oder auf andere Weise eingenommen werden können. Wenn die Portugiesen auch Lust gehabt hätten, mit den Schwarzen so zu verfahren, wie es die Spanier mit den americanischen Indianern getan, so wäre es ihnen um der ganz andern Beschaffenheit des Landes willen unmöglich gewesen. Die Neger werden nicht aus Haß und Rache, nicht als Feinde und Überwundene von [509] den Europäern mit der Sklaverei belegt, sondern bloß um ihrer Stärke und Tüchtigkeit willen, in dem heißen Westindien die schwere Arbeit mit dem Zucker und andern Producten auszuhalten und ihren Herrn Reichtum zu verschaffen; doch auch zugleich aus der Meinung, daß sie zur Sklaverei geboren, vom Vieh wenig unterschieden und deswegen als solche gebraucht und behandelt werden können. Ihre Sklaverei ist also dem Schicksal derjenigen unglücklichen Europäer ähnlich, die von den Corsaren und Tartarn geraubet und als Ungläubige, die den rechtgläubigen Muselmännern zu dienen schuldig sein sollen, zu Sklaven gemacht werden. Es ist aber der Sklavenstand der Schwarzen in Westindien – ob sie gleich in denselben nicht als Feinde, nicht aus Rache und zur Strafe versetzt werden – härter und strenger als der übrigen ihrer, sowohl in der Türkey als in christlichen Ländern, wie aus dem folgenden erhellen wird. Es ist nicht leicht möglich, daß Europäer, die in kleiner Anzahl zu Schiffe nach Guinea kommen, selber ans Land gehen und Menschen zu Sklaven wegnehmen, ob es wohl versucht worden ist. Möglicher war es, Schwarze

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auf die Schiffe zu locken und, wenn man genug beisammen hatte, mit ihnen davonzusegeln. Das ist ehedem öfters geschehen, konnte aber in die Länge nicht Bestand haben. Die Freunde der Weggefährten rächten sich an den nächsten Europäern, welche ihre Küste betraten. Sie mordeten, deren sie habhaft werden konnten. Die Neger wurden überhaupt mißtrauisch und scheuten sich, auf die Schiffe der Europäer zu kommen, so wie diese sich ans Land zu steigen fürchteten, nachdem sie das Schicksal ihrer Vorgänger erfahren hatten. Dadurch wurde der beträchtliche guineische Handel mit Gold und Elephantenzähnen gehemmt, ja der Weg, die nötigste Ware, nämlich Sklaven für America zu bekommen, gesperrt. [510] Also mußte man aufhören, selber Sklaven wegzunehmen. Man überließ es Negern, die dazu besser im Stande waren und kaufte sie von ihnen. Diese, durch den Gewinn gereizt, führten solche in Menge teils nach den Festungen der Europäer an den Küsten, teils zu den Schiffen, die um des Sklavenhandels willen bald hie, bald da anlegten. Sie brachten Schwarze, die sie im Kriege gefangen, am meisten aber solche, die sie teils in benachbarten Ländern, teils in ihren eigenen geraubt hatten. Nun wurden die Kriege unter den Negernationen, um Gefangene machen zu können, vermehrt und von manchen Europäern selber nach Möglichkeit befördert und unterstützet, wie man aus gedruckten Nachrichten von Guinea ersiehet. Es geschahen häufig Einfälle in Länder und Örter, um Leute zu rauben, und dabei wurde gesengt und gemordet. Das Menschenstehlen wurde allgemein. Es entstanden schwarze Sklavenhändler oder Kaufleute, wie man sie nennet, die sich recht darauf legten, Leute zu fangen. Menschendiebe in großer Menge laurten wie Straßenräuber in den Büschen an den Wegen, überfielen die Vorbeigehenden, banden sie, steckten ihnen einen Knebel ins Maul und schleppten sie auf diese und andere Weise als Sklaven zu den Blanken. Die Regenten der Schwarzen sahen dabei durch die Finger. Die mehresten ließen selber Leute zu Sklaven aufheben, oft in ihrem eigenen Lande. Man verkaufte auch allerhand Verbrecher, anstatt einer andern Strafe, in die Sklaverei. Ebenso machte man es mit Schuldnern, die nicht bezahlen konnten, und bediente sich überhaupt aller Gelegenheit, von den Europäern angenehme Waren, sonderlich Branntwein, Leinwand und Schießgewehr für Menschen zu bekommen. Mit dem Sklavenhandel fingen sich unter den schwarzen Nationen viele Zerrüttenden, Verheerungen, Uneinigkeit und Feindschaft und fast eine durchgängige Unsicherheit an, daß an den meisten Orten sich jeder bei Nacht [511] und Tage für einen Überfall in seinem Hause fürchten mußte und nicht einmal einen kurzen Weg gehen konnte ohne Gefahr, von denen im Busch versteckten Menschenfängern aufgehoben zu werden. So ist es fortgegangen bis auf den heutigen Tag. So geht es sonderlich weit im Lande, woher die Sklavenfänger die meisten Schwarzen holen, da die Küsten schon eine große Menge abgegeben haben – wie-

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wohl die Fruchtbarkeit des Landes sowohl als der Einwohner und die unter ihnen gebräuchliche Vielweiberei in kurzer Zeit wieder einen Überfluß an Menschen verschaffet. Eine Folge dieses Menschenhandels, die man gut nennen kann, besteht darin, daß die Schwarzen, weil sie ihre Kriegsgefangenen verkaufen können, dieselben nicht mehr wie vorzeiten zum Teil unbarmherzig ermorden. (Q2) Oldendorp/ Bossart, Geschichte der Mission der Evangelischen Brüder. Die ersten Versuche der Europäer, Neger mit List und Gewalt von der Küste wegzunehmen, hatten schlimme Folgen; wodurch ihre Absicht auf immer hätte vereitelt werden können. Sie selbst sahen die Unmöglichkeit ein, auf diesem Wege zum Ziel zu kommen, und suchten daher auf die Weise, wie jede andre Waare erhandelt wird, Menschen zu kaufen. Sie fanden mit ihrem Ansuchen gar bald Eingang bey den Negern, und da sie ihnen diejenigen Waaren anboten, womit ihnen vorzüglich gedient war, so führen diese ihren Schiffen oder Factoreyen Sclaven in Menge zu, die sie gegen dergleichen Waaren vertauschten. Man würde an diesem Handel wenig auszusetzen haben, wenn die Neger nur ihre Kriegsgefangenen und todeswürdige Missethäter verkauft hätten; beider Schicksal wäre dadurch gemildert worden, und es wäre immer menschlicher gewesen, seinen Gefangenen zum Sclaven zu verkaufen, als ihn zu tödten. Aber da der Neger kein höheres Gesetz kennt, als seine wilden Neigungen; so wurde izt durch die Bezauberung [349] der europäischen Waaren, sonderlich des Brantweins, fast jede menschliche und gesellschaftliche Pflicht unter den Negern aufgehoben, und jeder war nur darauf bedacht, Menschen in seine Gewalt zu bringen, um sie an die Europäer zu verhandeln. Ganze Nationen wurden von dieser Handlungssucht gleichsam angesteckt, und dieselbe wurde von da an zu einer Hauptveranlassung vielfältiger Kriege unter ihnen. Die Begierde, Menschen zu fangen, macht, daß eine Nation die andre auf die treuloseste Weise überfällt; daß niemand weder in seinem Hause noch auf der Straße sicher ist; daß kein Nachbar dem andern, ja mancher seinen nächsten Blutsfreunden nicht trauen kan. Nunmehr wurde es gewöhnlich, daß jeder Stärkere auf die Menschenjagd ausging, und im Busche oder an den Straßen auf Menschen lauerte, wie der Jäger auf Wild. Und da die schwarzen Despoten bey diesem Handel einen Zuwachs ihrer Einkünfte fanden; so authorisierten sie den Menschenraub durch ihr eigenes Beyspiel. Das Elend dieser Völker, das vorhin schon durch ihre Unwissenheit, durch ihre Laster, durch die despotischen Regierungen, unter denen sie stehen, und durch öftere Kriege unter ihnen groß genug war, wur-

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de durch dieses bisher unbekannte Uebel unendlich vermehrt, aber die europäischen Handelsleute erreichten dabey ihren Zweck. Sie würden lange nicht genug Sclaven bekommen haben, wenn ihnen nur die in einem nothwendigen Kriege gefangenen, oder strafwürdigen Verbrecher, oder insolvente Schuldner wären verkauft worden; daher schien ihr Nutzen zu erfordern, daß sie jene ungerechte Mittel, Menschen zu Sclaven zu machen, unterstützten: und [350] nun wird dieser Menschenhandel seit mehr als zweyhundert Jahren von verschiedenen Nationen, am stärksten von den Engländern getrieben. Die Dänen, welche zur Förderung desselben die zwey Vestungen Christiansburg und Friedensburg auf der Goldküste angelegt haben, brauchen dazu jährlich wenigstens vier Schiffe, welche von Copenhagen nach dieser Küste geschickt werden, und von da Sclaven nach den dänischen Inseln in Westindien führen.

Servi ergo regendi sunt quasi asini. Cornelius a Lapide (1567-1637) zur Sklaverei bei Jesus Sirach GABRIEL-DAVID KREBES Die Theologiegeschichte des Collegio Romano bietet einen Zugang zur Wahrnehmung und Deutung von Sklaverei in der Frühen Neuzeit.1 Dabei nahm das römische Kolleg eine exponierte Stellung innerhalb der nachtridentinischen Bildungslandschaft ein. Das Kolleg avancierte nach der Gründung im Jahr 1551 und nach der Phase der Konsolidierung unter Papst Gregor XIII. (1572-1584) zur wohl bedeutendsten Universität der Gesellschaft Jesu. Dabei war das römische Kolleg nicht nur an einem regen theologischen wie kulturellen Austausch zwischen den einzelnen Kollegien des weltweit missionierenden Jesuitenordens beteiligt, sondern beeinflusste die gesamte katholische Schultheologie, die sich nach der Herausforderung durch die Reformation und auf Grundlage der Reformbeschlüsse des Konzils von Trient neu formieren musste.2 So war das Kolleg maßgeblich an der Ausarbeitung der Schul- und Studienordnung beteiligt, die nach ihrer Fertigstellung im Jahr 1599 für alle jesuitischen Bildungseinrichtungen Verbindlichkeit beanspruchte.3 Die ratio studiorum bot somit eine Grundlage für die 1

Die Sozial- und Wirtschaftsgeschichte hat maßgeblich die Forschung zur Sklaverei in der Frühen Neuzeit vorangetrieben. Für den Mittelmeerraum sind hier exemplarisch die Studien von Salvatore Bono zu erwähnen. Vgl. BONO (1964); BONO (2009). Einen Einblick in die wirtschafts- und sozialgeschichtlich ausgerichtete Forschungslandschaft zur Sklaverei und Knechtschaft im vormodernen Europa bieten die vielfältigen Beiträge im Sammelband der Studienwoche am Istituto Datini in Prato. Vgl. CAVACIOCCHI (2014). Mit der Habilitationsschrift der Kirchenhistorikerin Nicole Priesching sind die kirchlichen Loskauforganisationen im Kirchenstaat und der naturrechtliche Diskurs zur Sklaverei in der Frühen Neuzeit wieder verstärkt in den Blickpunkt geraten. Vgl. dazu PRIESCHING (2012). Sie betonte daher auch den Stellenwert des „religiösen Faktors“ für die mediterrane Sklavereiforschung im Rahmen einer frühneuzeitlichen Beziehungsgeschichte zwischen Christentum, Islam und Judentum. Vgl. PRIESCHING (2014) 20-23; 76-106. In Kooperation mit den beiden Kirchenhistorikerinnen Heike Grieser und Nicole Priesching sowie Vertretern der sozialgeschichtlichen Sklavereiforschung sind epochenübergreifende Beiträge zum Gefangenenloskauf im Mittelmeerraum entstanden, die auch auf den Stellenwert religiöser Motive eingehen. Vgl. dazu GRIESER/ PRIESCHING (2015). Die Studie von Bernd Franke zur naturrechtlichen Legitimation von Sklaverei ging bereits auf die Position von Francisco Suárez (1584-1617) als Vertreter des Collegio Romano aus dem Bereich der scholastischen Theologie ein. Vgl. FRANKE (2009) 12-64. 2 Zur Gründung, Konsolidierung und Bedeutung des Collegio Romano: BROGGIO (2002) 81120; COLPO (2001) 848-850; O'MALLEY/ MERTES (1995) 238-271; SCADUTO (1992) 175-190; VILLOSLADA (1954) 19-32; 133-166. 3 Zum Modellcharakter des Collegio Romano für die Ausarbeitung der ratio studiorum: COLPO (2001) 849; O'MALLEY/ MERTES (1995) 250f.; VILLOSLADA (1954) 96-102.

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humanistische und religiöse Bildung von katholischen Laien und Geistlichen.4 Der breit aufgestellte Bildungskanon sah als einen Schwerpunkt innerhalb der Theologie das vertiefte Studium der Heiligen Schrift vor.5 Die lateinische Bibelübersetzung der revidierten Vulgata von 1598 war laut Studienordnung als Ausgangstext für die Exegese vorgeschrieben. Zwar konnten andere Bibelübersetzungen zu Rate gezogen werden, aber nur um die Vulgata als normativen Text zu verteidigen.6 Dabei sollte zunächst besonderer Wert auf die Klärung des Literalsinns, also der buchstäblichen und geschichtlichen Bedeutung eines Bibeltextes, gelegt werden, wobei die Überlieferung der griechischen und lateinischen Kirchenväter genutzt werden konnte.7 Mit der Rezeption der Kirchenväter zogen jedoch unweigerlich auch deren Reflexionen über den allegorischen, tropologischen und anagogischen Sinn von Bibelstellen mit ein.8 Dies spiegelt sich in einer Reihe von Bibelkommentaren wider, die am Collegio Romano für die Lehre und teilweise aus den Vorlesungen heraus entstanden sind. Zu den produktivsten und vermutlich einflussreichsten Kommentatoren aus den Reihen der Professoren des Collegio Romano gehörte der aus Flandern stammende Jesuit Cornelius a Lapide.9 Bislang unbekannt blieb, dass seine Bibelkommentare einen vertieften Einblick in die theologische Deutung von Sklaverei zu Beginn des 17. Jahrhunderts ermöglichen. Im Rahmen dieses Beitrags ist zunächst der Frage nachzugehen, wie er sich als Exeget der Frühen Neuzeit mit biblischen Aussagen zur Sklaverei auseinandersetzte. Dabei ist darauf zu achten, ob er sich bei der Auslegung auf einen spirituellen oder sozialen Begriff von Sklaverei bezog. Um eine spiritualisierte Rede von Sklaverei handelt es sich beispielsweise, wenn von 4

BATLLORI (1999) 314-322. Vgl. die Regelungen für die Professoren der Heiligen Schrift in der ratio studiorum von 1599: Georg Michael Pachtler, Ratio Studiorum et Institutiones Scholasticae Societatis Jesu: Tomus II, Ratio studiorum ann. 1586, 1599, 1832 (Monumenta Germaniae Paedagogica, Bd. V), Berlin 1887, 294-299. 6 Zum Umgang mit der Vulgata nach der Studienordnung: GIARD (2004) 1002f.; Georg Michael Pachtler, Ratio Studiorum et Institutiones Scholasticae Societatis Jesu: Tomus II, Ratio studiorum ann. 1586, 1599, 1832 (Monumenta Germaniae Paedagogica, Bd. V), Berlin 1887, Nr. 2, Nr. 4 und Nr. 5, 294f. Zur Revision der Vulgata im posttridentinischen Reformprozess: MARON (1995) 113; PASTOR (1927), Bd. 11, 473-475; AMANN (1912) passim. 7 Vgl. Georg Michael Pachtler, Ratio Studiorum et Institutiones Scholasticae Societatis Jesu: Tomus II, Ratio studiorum ann. 1586, 1599, 1832 (Monumenta Germaniae Paedagogica, Bd. V), Berlin 1887, Nr. 6 und Nr. 7, 294-297. 8 Zur Entwicklung der allegorischen Schriftauslegung bei den griechischen und lateinischen Kirchenvätern: BELLOT (1996) 71-302. Zur Rezeption der Kirchenväter in den Bibelkommentaren des Jesuiten Cornelius a Lapide vgl. auch den Beitrag von GRIESER/ PRIESCHING in diesem Band. 9 Vgl. dazu später Anm. 39 in diesem Beitrag. 5

Cornelius a Lapide zur Sklaverei bei Jesus Sirach

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der Sklaverei der Sünde gesprochen oder Sklaverei als Metapher für die innere Unfreiheit der erlösungsbedürftigen Seele verwendet wird. Die äußere Sklaverei als soziale Institution war in der Lebenswelt des Mittelmeerraumes und den neu entdeckten transatlantischen Welten fest verankert. Sie gehörte durchaus zum Erfahrungshorizont des Jesuitenordens.10 Hier stellt sich die Frage, ob und wie Cornelius a Lapide sich zu dieser gemeinhin akzeptierten Institution positionierte. Ausschlaggebend dafür ist auch, wie er das Verhältnis zwischen innerer und äußerer Sklaverei theologisch bestimmte und beide Ebenen aufeinander bezog. Exemplarisch lässt sich dies anhand seines Kommentars zu Jesus Sirach, der in der lateinischen Übersetzung der Vulgata unter dem Titel Ecclesiasticus firmiert, zeigen. Bevor der Kommentar von Cornelius eingehender beschrieben wird, erfolgt eine kurze Einordnung der Aussagen zur Sklaverei bei Jesus Sirach. 1. Sklaverei bei Jesus Sirach Das Buch Jesus Sirach ist wahrscheinlich zu Beginn des 2. Jahrhunderts aber sicher noch vor 175 v. Chr. in Jerusalem entstanden.11 Dabei wird die Authentizität des Verfassers kaum bezweifelt.12 Jesus, Sohn Sirachs des Eleazar, stammte vermutlich aus dem Jerusalemer Bürgertum, wobei ihm seine gesellschaftliche Stellung das Reisen und die Muße für ein Leben als Gelehrter ermöglichten. Er gehörte dem aufstrebenden Stand der Schriftgelehrten an, wobei er auch für sein Lehrhaus warb. Allerdings ging er wohl noch weiteren öffentlichen Tätigkeiten nach. Unklar ist, ob er selber Priester oder gar priesterlicher Tempelschreiber war.13 Politisch, kulturell und geistesgeschichtlich sah sich Jesus Sirach vor die Herausforderung durch den vorrü-

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Zum Verhältnis der Gesellschaft Jesu zur Sklaverei in der Überseemission: ALDEN (1996) 502-527; 681-689. Die unterschiedlichen Erfahrungen der Jesuiten mit Sklaverei im Mittelmeerraum sind noch nicht eingehender untersucht worden. Erste Anhaltspunkte bieten: SELWYN (2004) 88-94; PAGLIA (1980) 133-139; 162-190; 259-265; SCADUTO (1968) 393-412; NARDI (1967) 34-54. 11 Dies geht teilweise aus dem textinternen Hinweis des Prologs zur griechischen Übersetzung hervor. Zur Datierung: LEGRAND (2013) 754f.; REITERER (2011) 12; WITTE (2009) 565f.; MARBÖCK (2008) 413; STROTMANN (2007) 429; KAISER (2005) 131f.; SAUER (2000) 22; WISCHMEYER (1995) 2. 12 Dennoch ergeben sich unterschiedliche Namensvarianten zu ein und demselben Verfasser je nach zugrunde gelegter Textübersetzung. Vgl. LEGRAND (2013) 754; REITERER (2011) 13f.; WITTE (2009) 556; MARBÖCK (2008) 413; STROTMANN (2007) 528f.; KAISER (2005) 129; SAUER (2000) 19-22; WISCHMEYER (1995) 2; SKEHAN/ DI LELLA (1987) 3f. 13 MARBÖCK (2008) 413; STROTMANN (2007) 529; KAISER (2005) 132-135.

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ckenden Hellenismus gestellt. Deshalb steht seine Weisheitslehre im Spannungsfeld zwischen traditionell-jüdischem und hellenistischem Denken.14 Mit seinen 51 Kapiteln ist Jesus Sirach das umfangreichste Weisheitsbuch des Alten Orients.15 Es enthält eine Vielfalt weisheitlicher Redegattungen, wie den Spruch, den Lehrvortrag, das Lehrgedicht, aber auch Hymnen und Gebete.16 Inhaltlich gesehen wird die gesamte alltägliche Lebenswelt in die theologischen Reflexionen zur göttlichen Weisheit, der Tora, der Gottesfurcht, der Theodizee, der göttlichen Schöpfungsordnung und zu den Erfahrungen aus der Geschichte mit einbezogen.17 Dabei steht jedoch das Lob der personifizierten göttlichen Weisheit (Sir 24) im Mittelpunkt.18 Das menschliche Handeln soll demnach im Rahmen altorientalischjüdischer Vorstellungen von der Weisheit und der Gottesfurcht gestaltet werden. Dabei spiegeln diese Vorstellungen die Perspektive des Verfassers, also eines männlichen Schriftgelehrten und Angehörigen der oberen Mittelschicht, gerade in Hinblick auf das Verhalten in Haus und Familie wider, zu der selbstverständlich auch Sklaven gehörten.19 Grundlegend ist festzustellen, dass Sirach die Sklaverei als Institution akzeptierte, was jedoch eine Mahnung vor Missbrauch nicht ausschloss.20 So wird im Buch Jesus Sirach an drei Stellen von Sklaven beziehungsweise Sklaverei gesprochen. Davon beziehen sich zwei auf reale Sklaverei (Sir 7,20-21 und Sir 33,25-33) und eine weitere bedient sich des Sklaven als Metapher (Sir 23,10). So mahnt der Sirazide davor, einen loyalen Sklaven schlecht zu behandeln (Sir 7,20).21 Der Umgang des Herren mit dem Sklaven soll demnach nicht von Willkür geprägt, sondern dem Verhalten des Sklaven angemessen sein. Außerdem rät der Weisheitslehrer den Herren dazu, einen mit Vernunft begabten Sklaven wie sich selbst zu achten. Die Begabung des Sklaven soll jedoch nicht zu einem ständigen Besitzanspruch von Seiten des Herrn füh14

Zur Problematik allgemein: LEGRAND (2013) 755; REITERER (2011) 11-13; WITTE (2009) 565; MARBÖCK (2008) 414; STROTMANN (2007) 429; KAISER (2005) 135-143; SAUER (2000) 29-31. Als Einzelstudien sind z. B. zu erwähnen: WISCHMEYER (1995); KIEWELER (1992). 15 STROTMANN (2007) 429. 16 REITERER (2011) 24f.; WITTE (2009) 556; MARBÖCK (2008) 409; KAISER (2005) 150-153; SAUER (2000) 28. 17 LEGRAND (2013) 755f.; REITERER (2011) 24; WITTE (2009) 559f.; MARBÖCK (2008) 409; 414f.; STROTMANN (2007) 429; SAUER (2000) 31f. 18 LEGRAND (2013) 751f.; REITERER (2011) 27; WITTE (2009) 558; MARBÖCK (2008) 412; STROTMANN (2007) 429; KAISER (2005) 144; SAUER (2000) 179. 19 STROTMANN (2007) 429f. 20 CRENSHAW (1997) 791. 21 Sir 7,20: „Misshandle einen Sklaven nicht, der dir treu dient, auch nicht einen Tagelöhner, der sich willig einsetzt.“ EÜ (1999).

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ren, stattdessen stand diesem Sklaven rechtlich auch die Freiheit zu (Sir 7,21).22 Allerdings werden keine konkreten Freilassungsmodalitäten erwähnt. Eine Unterscheidung zwischen hebräischen und nicht hebräischen Sklaven wird nicht vorgenommen. Nach Crenshaw spiegeln sich an dieser Stelle sowohl griechische als auch hebräische Vorstellungen über Sklaverei wider. So entspringe die Besserbehandlung von intelligenten Sklaven, die zum Beispiel als Haussklaven und Erzieher eingesetzt wurden, dem hellenistischen Kulturkreis.23 Die Aussage zur Freilassung wird meist als Hinweis auf die Sechsjahresfrist in den alttestamentlichen Sklavengesetzen bezogen.24 Diese Freilassungsfrist betraf jedoch nur hebräische Schuldsklaven. Daher folgert Schreiner, dass sich die Aussage in Sir 7,21b nur auf hebräische Sklaven aber nicht auf Sklaven aus anderen Völkern bezieht. Die fremden Sklaven sollen jedoch nach dem Gebot der Nächstenliebe behandelt werden.25 Anders verhält es sich bei einem schlechten Sklaven. Der Herr darf den Sklaven, wie ein Nutztier, mit Schlägen zur Arbeit antreiben. Bei Ungehorsam drohen ihm Folter und Haft. Allerdings warnt der Sirazide auch in diesem Fall vor willkürlicher Bestrafung (Sir 33,25-30).26 Schließlich geht er noch auf den Sonderfall des Besitzes von einem Einzelsklaven ein (Sir 33,31-33).27 Behandelt der Herr ihn schlecht, besteht 22

Sir 7,21: „Einen klugen Sklaven liebe wie dich selbst, verweigere ihm die Freilassung nicht!“ EÜ (1999). 23 CRENSHAW (1997) 695. 24 Vgl. MARBÖCK (2010) 131; SCHREINER (2002) 51; SAUER (2000) 91; CRENSHAW (1997) 695; SKEHAN/ DI LELLA (1987) 205. Zu den alttestamentlichen Sklavengesetzen im Bundesbuch (Ex 21,2-6), im Heiligkeitsgesetz (Lev 25,39-55) und in den deuteronomischen Gesetzessammlungen (Dtn 15,12-18): CARDELLINI (1981). 25 Mit religiösem Bezug zu Lev 19,18.34: MARBÖCK (2010) 131; SCHREINER (2002) 51. Dagegen sieht Sauer darin eine nicht weiter religiös fundierte freundschaftsähnliche Beziehung zwischen Herren und verlässlichem Sklaven: SAUER (2000) 91. 26 Sir 33,25-30: „25 Futter, Stock und Last für den Esel, Brot, Schläge und Arbeit für den Sklaven! 26 Gib deinem Sklaven Arbeit, sonst sucht er das Nichtstun. Trägt er den Kopf hoch, wird er dir untreu. 27 Joch und Strick beugen den Nacken, dem schlechten Sklaven gehören Block und Folter. 28 Gib deinem Sklaven Arbeit, damit er sich nicht auflehnt; 29 denn einem Müßigen fällt viel Schlechtigkeit ein. 30 Befiehl ihn zur Arbeit, wie es ihm gebührt; gehorcht er nicht, leg ihn in schwere Ketten! Aber gegen keinen sei maßlos und tu nichts ohne gutes Recht!“ EÜ (1999). Trotz der Härte der Aussagen im Umgang mit schlechten Sklaven weisen moderne Kommentatoren darauf hin, dass für Sklaven zumindest minimale Rechte bestanden haben und sich der Hausherr auch an sie halten und nicht ungerecht handeln sollte. ZAPFF (2010) 216-219; KAISER (2005) 125; SAUER (2000) 237f.; CRENSHAW (1997) 791; WISCHMEYER (1995) 33. 27 Sir 33,31-33: „31 Hast du nur einen einzigen Sklaven, halt ihn wie dich selbst; denn wie dich selbst hast du ihn nötig. Hast du nur einen einzigen Sklaven, betrachte ihn als Bruder, wüte nicht gegen dein eigenes Blut! 32 Behandelst du ihn schlecht und er läuft weg und ist verschwunden, 33 wie willst du ihn wieder finden?“ EÜ (1999).

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Fluchtgefahr und Besitzverlust. Der Weisheitslehrer appelliert hier schlicht an das Eigeninteresse des Herrn zur Besitzwahrung.28 Eine Humanisierungstendenz im Umgang mit Sklaven ist hier nur schwerlich ableitbar.29 Die Aussagen zum Umgang mit Sklaven sind dabei keinesfalls widersprüchlich, wie gelegentlich vermutet,30 sondern folgen einer plausiblen und recht pragmatischen Logik. Zwar wechselt die Einstellung des Herrn gegenüber dem Sklaven zwischen Gering- und Hochschätzung, aber dies hängt vom jeweiligen Verhalten und Wert des Sklaven in Bezug auf seinen Herrn ab. So wie der Sklave handelt, so soll auch der Herr mit ihm umgehen. Dieser Tun-Ergehen-Zusammenhang trifft sowohl für den guten als auch für den schlechten Sklaven zu. Der treue Sklave soll belohnt und der schlechte Sklave bestraft werden. Beim Sonderfall des Einzelsklaven verlagert sich lediglich das Abhängigkeitsverhältnis zugunsten des Sklaven, denn wenn der Herr seinen einzigen Sklaven misshandelt, dann wird er sich dementsprechend verhalten und versuchen zu fliehen. Schließlich wird auch bildlich vom Sklaven gesprochen (Sir 23,10). Eine der zentralen weisheitlichen Grundeinstellungen bei Jesus Sirach ist die Gottesfurcht. Sie soll sich verhaltensregulativ auf das Reden auswirken. Als Negativbeispiel wird das ständige Schwören beim Namen Gottes angeführt.31 Hier besteht anscheinend die Gefahr sich unweigerlich in Sünde zu verstricken und den Schwur zu brechen. Die Sünde als Folge des gotteslästerlichen Schwörens veranschaulicht der Sirazide mit einem drastischen Beispiel aus der anscheinend gängigen und als durchaus legitim betrachteten Verhörpraxis an Sklaven.32 Für die Rezeption dieser Bibelstellen zur Sklaverei und des Sirachbuches insgesamt sind zunächst die schwierige Textüberlieferung und die unterschiedliche Einordnung in den biblischen Kanon in Rechnung zu stellen. Dabei ist festzuhalten, dass der hebräische Text des Sirachbuches über Jahr28 So die Deutung bei: ZAPFF (2010) 219; CRENSHAW (1997) 792; WISCHMEYER (1995) 33; SKEHAN/ DI LELLA (1987) 405f. 29 Zapf und Sauer versuchen bei diesem Sonderfall auf Humanisierungstendenzen hinzuweisen, die sich aber aus dieser Bibelstelle nicht unmittelbar ergeben. Vgl. ZAPFF (2010) 219; SAUER (2000) 238. 30 Vgl. MARBÖCK (2010) 131; KAISER (2005) 125. 31 Auf die Metapher vom Sklaven gehen die Kommentare leider nicht ausführlicher ein. Vgl. MARBÖCK (2010) 273; KAISER (2005) 124f.; SCHREINER (2002) 125; SAUER (2000) 172-174; CRENSHAW (1997) 749f. Lediglich Skehan und Di Lella erläutern den Bezug zu einer Verhörszene: SKEHAN/ DI LELLA (1987) 322f. 32 Sir 23,7-10: „7 Ihr Söhne, vernehmt die Unterweisung über das Reden; wer sie beachtet, verfehlt sich nicht. 8 Durch seine Lippen verstrickt sich der Sünder, Lästerer und Stolze stürzen durch sie. 9 Gewöhn deinen Mund nicht ans Schwören, den Namen des Heiligen zu nennen, gewöhn dir nicht an! 10 Wie ein Sklave, der dauernd straffällig wird, von Striemen nie frei bleibt, so bleibt von Sünde nicht rein, wer immerfort schwört und Gottes Namen ausspricht.“ EÜ (1999).

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hunderte verschollen war. Erst im Jahr 1896 wurden einige Textfragmente aus dem 11./12. Jahrhundert in der Geniza der Kairoer Esra-Synagoge, die der Sekte der Karäer angehörte, wiederentdeckt.33 Deshalb war man bis dahin auf die unterschiedlichen griechischen, lateinischen, syrischen, arabischen und persischen Übersetzungen angewiesen.34 Für die Rezeptionsgeschichte ist auch die Kanonfrage bedeutsam. Das Buch gehörte im Judentum zwar nicht zum Kanon der hebräischen Bibel, wurde aber zeitweise wie ein kanonisches Buch behandelt. Das Christentum übernahm es aus dem Judentum. Origenes (185-254) empfahl es für die Glaubensunterweisung. Der Kirchenvater Hieronymus (347-420) zählte es zu den Apokryphen und übersetzte es daher nicht. Die Kirche des Westens zählte es jedoch zu den deuterokanonischen Schriften.35 Der Reformator Martin Luther (1483-1546) ordnete das Buch wiederum unter die Apokryphen ein. Dennoch erfreute es sich im Protestantismus in den Predigten, der Glaubensunterweisung und sogar in der Kirchenlieddichtung großer Beliebtheit.36 Im Gegensatz dazu wurde es im Jahr 1546 durch Beschluss des Konzils von Trient in den Kanon der römisch-katholischen Kirche aufgenommen.37 Mit der bereits seit der Antike geläufigen lateinischen Bezeichnung Ecclesiasticus wurde es fester Bestandteil der erst 1598 fertiggestellten Vulgata, die als normative Bibelgrundlage für alle katholischen Gläubigen galt. Die Integrität der im Auftrag der Päpste Sixtus V. (1585-1590) und Clemens VIII. (1592-1605) revidierten Vulgata sollte laut der Studienordnung, der ratio studiorum, durch die Gesellschaft Jesu verteidigt werden.38 Ganz in diesem Sinne fertigten die Professoren der Gesellschaft Jesu ihre Bibelkommentare an. Im Folgenden gehen wir auf den einzigen Kommentar zum Ecclesiasticus ein, der aus den Reihen der Professoren des Collegio Romano überhaupt hervorging. Dabei sind die Deutungen zum Ecclesiasticus auch aufschlussreich für das zeitgenössische theologische Verständnis von Sklaverei.

33 Vgl. LEGRAND (2013) 753; REITERER (2011) 17; WITTE (2009) 561f.; MARBÖCK (2008) 409; STROTMANN (2007) 428; SAUER (2000) 23. 34 MARBÖCK (2008) 409. Problematisch ist die Blattvertauschung in Sir 30-36 als Folge der komplizierten Textüberlieferung und der Benutzung unterschiedlicher Übersetzungsvarianten. REITERER (2011) 15-17; WITTE (2009) 556. 35 REITERER (2011) 22f.; WITTE (2009) 556; 567; MARBÖCK (2008) 409; STROTMANN (2007) 428; SAUER (2000) 17-19. 36 REITERER (2011) 23; WITTE (2009) 567; MARBÖCK (2008) 416; SAUER (2000) 19. Weiterführend dazu ROHLS (2005) 115-127. 37 REITERER (2011) 23; MARBÖCK (2008) 409. Der Text des Konzilsdekretes liegt ediert vor in: COD³, Bd. 3, 663-665. Zur Entstehung des Dekretes: JEDIN (1957), Bd. 2, 42-82. 38 Vgl. Anm. 6.

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2. Cornelius a Lapide zum Ecclesiasticus Der Verfasser des Kommentars zum Ecclesiasticus war der Jesuit Cornelius a Lapide. Er wurde als Sohn einer flämischen Bauernfamilie am 18. Dezember 1567 unter dem später latinisierten Namen Cornelissen van den Steen im belgischen Bocholt geboren. Nach seinen ersten Studien an den Jesuitenkollegien in Maastricht und Köln erhielt er am 15. März 1584 den akademischen Grad eines magister artium. Das Studium der Theologie nahm er in Douai und Löwen auf. Dort hörte er zusammen mit dem Jesuiten Leonardus Lessius (1534-1623) positive Theologie und Dogmatik. Mit 24 Jahren trat er in die Gesellschaft Jesu ein. Zum Priester wurde er im Jahr 1595 geweiht. Am Jesuitenkolleg in Löwen lehrte er ab 1596 Philosophie und ab 1597 Heilige Schrift und Hebräisch. Durch die Teilnahme an den öffentlichen Disputationen zwischen Katholiken und Protestanten in Amberes machte er auf sein Talent aufmerksam, so dass ihn der Ordensgeneral Mutio Vitelleschi (1563-1645) schließlich an das Collegio Romano berief. In Rom lehrte er ab 1616 Heilige Schrift. Im Jahr 1623 wurde er von der Lehre freigestellt, um seine Publikationen voranzutreiben. Lapide konnte in Rom bis zu seinem Tod am 12. März 1637 seine Kommentare (mit Ausnahme von Hiob und den Psalmen) zu allen Büchern der Bibel vollenden. Seine Bibelkommentare waren jedoch nicht nur für rein akademische Zwecke, sondern auch für die Vorbereitung von Predigten bestimmt.39 Sein Kommentar zum Ecclesiasticus erschien in acht Ausgaben. Die Erstausgabe fand noch zu seinen Lebzeiten im Jahr 1634 statt. Die letzte Ausgabe datiert auf das Jahr 1723.40 Als Verfasser des Ecclesiasticus stand für Lapide zweifelsfrei Jesus Sirach fest.41 Jesus Sirach war aber für den Jesuiten nicht nur ein beliebiges jüdisches Weisheitsbuch, sondern nach typologischer Ausdeutung ein Vorläufer und Abbild der Weisheit in Jesus Christus.42 39 Zu Leben und Werk von Cornelius a Lapide: SMET (2001) 2284f.; VILLOSLADA (1954) 222; KOCH (1934) 1075f.; SOMMERVOGEL (1900), Bd. IX, 573; SOMMERVOGEL (1893), Bd. IV, 1511-1526. 40 In Antwerpen erschienen die Ausgaben von 1634, 1643, 1663, 1701 und 1723. Weitere Ausgaben wurden 1634 in Lyon und 1639 sowie 1642 in Paris gedruckt. Vgl. SOMMERVOGEL (1893), Bd. IV, 1518f. In dieser Untersuchung wird die Antwerpener Ausgabe von 1663 verwendet. Im Folgenden: Cornelius a Lapide, Commentaria in Ecclesiasticum. 41 Iesum Sirach libri auctorem, .... Der Verfasserfrage geht Lapide in seinem Vorwort ausführlicher nach. Dabei wandte er sich gegen die Auffassung, dass der Verfasser angeblich Salomo gewesen sein soll. Vgl. Cornelius a Lapide, Commentaria in Ecclesiasticum, Prolegomena, Caput II, 16-19. 42 Igitur hi sunt tres soles sapientiae, imo unus sol in gemino parelio unius ternique Iesu coruscans. En tibi Iesus trinus et unus, binus enim est in Siracide, tertius in Christo, binus in typo, unus in antitypo, binus in imagine, unus in exemplari, binus in umbra, unus in corpore.

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Der Herausforderung durch das konfessionelle Zeitalter und bedingt durch die Konflikte mit dem Osmanischen Reich scheint folgende zeitgenössische Anmerkung geschuldet zu sein. In seinem Eingangsvotum stellt er als erste Gemeinsamkeit zwischen Sirach und Christus deren Gegner heraus. Waren es für den ersteren vor allem die Edomiter, Philister und Samariter (Sir 50,27) so nennt er für Christus die Sarazenen, Heiden und Häretiker, die aufgrund ihrer Irrlehren zu Feinden der Kirche und des Gottesvolkes wurden,43 aber deren Zuwendung zum wahren christlichen Glauben Cornelius letztlich anstrebt. Zur Überzeugung der Glaubensgegner verfasste er eine umfangreiche Lobrede für die Weisheit, die aus einer umfangreichen Zitatsammlung aus den Werken von griechischen und römischen Philosophen wie Aristoteles (384-322 v. Chr.) und Seneca (ca. 1-62 n. Chr.) sowie griechischen und lateinischen Kirchenväter wie Johannes Chrysostomus (344-407) und Augustinus von Hippo (354-430) besteht.44 In seinem Vorwort verteidigte Lapide die Kanonizität des Buches gegenüber dem Judentum und dem Protestantismus, indem er sich gegen die Aussagen der Reformatoren Martin Luther (1483-1546) und Johannes Calvin (1509-1564) wandte.45 Dazu verweist er auf eine Reihe von Konzilsbeschlüssen, die mit den Bestimmungen des Konzils von Trient ihren krönenden Abschluss gefunden hätten, sowie auf die Autorität der griechischen und lateinischen Kirchenväter.46 Die komplizierte Textüberlieferung zum Ecclesiasticus war Cornelius durchaus bewusst. Aus dem Prolog wusste er, dass Jesus Sirach sein Weisheitsbuch ursprünglich in Hebräisch verfasst hatte und dass es von seinem Neffen später ins Griechische übersetzt worden war. Außerdem konnte er davon ausgehen, dass dem Heiligen Hieronymus bei seiner lateinischen BiUterque enim Siracides Iesum Christum typice, velut umbra et imago, signat et repraesentat. Cornelis a Lapide, Commentaria in Ecclesiasticum, Votum. 43 Uterque praelusistis Christo Iesu, qui pariter odit Saracenos, Paganos, Haereticos, odit, inquam, non ipsos, sed eorum errores et haereses. Cornelius a Lapide, Commentaria in Ecclesiasticum, Votum. 44 Encomium Sapientiae ex parallelis ethices naturalis et divinae, in: Cornelius a Lapide, Commentaria in Ecclesiasticum, 1-14. 45 Nonulli olim dubitarunt, imo negarunt, Ecclesiasticum esse librum Canonicum. Iudei enim non habent eum in suo Canone librorum S. Scripturae. ... Idipsum aperte negant haeretici moderni. Lutherus in Colloq. Latinus, tom. 2. c. de libr, vet. Testam. ait Ecclesiasticus verus est Legista et Iurista, non Propheta, nihil scit de Christo ... Calvinus in Antidoto, Ecclesiasticum odit, quod ex eo multa fidei dogmata, quae ipse negat, confirmentur. Cornelius a Lapide, Commentaria in Ecclesiasticum, Prolegomena, Caput I, 15. Dabei bezog sich Lapide auf Luthers Tischreden sowie auf Calvins Äußerungen in der Institutio Christinae Religionis. Vgl. Martin Luther (WA.TR 2, 662, 4-5, Nr. 2791a); Martin Luther (WA.TR 3, 255, 1 Nr. 3294b) und Calvin, Unterricht in der christlichen Religion, 197; 520. 46 Cornelius a Lapide, Commentaria in Ecclesiasticum, Prolegomena, Caput I, 15-16.

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belübersetzung noch eine hebräische Textfassung vorlag.47 Cornelius selbst hatte anscheinend Zugang zur Vatikanischen Bibliothek und ein chaldäisches Manuskript wiederentdeckt.48 Außerdem lagen ihm auch syrische, griechische und weitere lateinische Übersetzungen, wie die Biblia Tigurina,49 vor. Durch den Vergleich der Texte hielt er die syrische Variante für die späteste Übersetzung.50 Für ihn stand auch fest, dass Hieronymus nicht der Übersetzer der altlateinischen Übersetzung zum Ecclesiasticus sein konnte.51 Allerdings verteidigte der Jesuit gemäß der ratio studiorum die revidierte Vulgata von 1598, die an die altlateinische Vulgata anknüpfte. Cornelius hielt die altlateinische für die älteste erhaltene Übersetzung, die angeblich unmittelbar aus dem hebräischen Original angefertigt worden war. Deshalb bevorzugte er sie eindeutig vor allen griechischen, syrischen und arabischen Übersetzungsvarianten.52 Für seine Auslegung des Ecclesiasticus bezog sich Cornelius auf unterschiedliche Bibelkommentatoren, einige griechische und lateinische Kirchenväter, aber auch antike Schriftsteller und Philosophen.53 47

Scriptus est hic liber idiomate Hebraeo a Iesu seniore, sed a nepote eius Iesu iuniore in Graecum traductus, ..., imo ipse Iesus iunior in Prologo: .... S. Hieron. Hebraeum se vidisse testatur prologo in libros Salomonis. Cornelius a Lapide, Commentaria in Ecclesiasticum, Prolegomena, Caput III, 19. 48 Sane vidi in bibliotheca Vaticana Ben Sira manuscriptum Chaldaice, sed longe imparem, imo disparem nostro Siracide, Cornelius a Lapide, Commentaria in Ecclesiasticum, Prolegomena, Caput III, 20. 49 Lapide benutzte auch die Züricher Bibel (Biblia Tigurina) aus dem Jahr 1543. Sie war eine lateinische Übersetzung des Alten Testamentes der beiden reformierten Gelehrten Leo Jud (1482-1542) und Theodor Bibliander (1509-1564). Cornelius a Lapide, Commentaria in Ecclesiasticum, Prolegomena, Caput III, 22. Vgl. hierzu auch den Beitrag von GRIESER/ PRIESCHING in diesem Band, 264. 50 … Syriacam versionem esse recentiorem, praesertim quia illa in Ecclesiastico valde differt a texto Graeco et magis a Latino, eoque concisior est, subinde etiam multa addit paraphrastice, quae nec in Graeco, nec in Latino habentur, ut patet intuenti caput primum. Cornelius a Lapide, Commentaria in Ecclesiasticum, Prolegomena, Caput III, 20. 51 ... ita incertum est, quis eum ex Graeco vel Hebraeo in Latinum transtulerit, quisque sit Auctor Vulgatae versionis Latinae Ecclesiastici, certum enim est, non esse S. Hieronymum. Cornelius a Lapide, Commentaria in Ecclesiasticum, Prolegomena, Caput III, 20. 52 Denique Vulgata Latina versio Graecis omnibus, Syris et Arabicis plane est anteferenda, tum quia eam prae omnibus suo calculo probavit Concilium Trident. sess. 4., tum, quia est antiquissima, uti iam ostendi, tum quia magis pura et incorupta est et immediate ex Hebraeo ... in Latinum traducta, ut videtur. Cornelius a Lapide, Commentaria in Ecclesiasticum, Prolegomena, Caput III, 22. 53 An erster Stelle stand für ihn der Bibelkommentar des gelehrten Mainzer Bischofs Rabanus Maurus (780-856). Aus den Reihen der griechischen Kirchenväter hebt er insbesondere Cyrill von Alexandrien (375/380-444) hervor, dessen Schriften er anhand der Wiener Edition der Apologi morales S. Cyrilli von Balthasar Corderius aus dem Jahr 1630 kennenlernte. Für die lateinischen Kirchenväter nennt er z. B. Hieronymus. Bei den antiken Schriftstellern und Philosophen erwähnt er beispielsweise Aristoteles und Quintilians Institutio oratoria. Vgl. Cornelius a Lapide, Commentaria in Ecclesiasticum, Prolegomena, Caput III, 22-24.

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Für Lapide war der Ecclesiasticus in erster Linie ein Buch über die Weisheit zur tugendhaften Lebensführung. So unterteilte er drei inhaltliche Abschnitte, wie folgt: Der erste Teil (Sir 1-24) enthalte das Lob der Weisheit (Sir 1) und die Vorschriften und Lehren über die Tugenden. Im zweiten Teil (Sir 24,1-42,15) werde die Weisheit selbst vorgestellt und deren Auswirkungen auf die Lebensführung. Der dritte und letzte Teil veranschauliche anhand von Beispielen die vorgestellten Tugenden.54 Daran, dass zur tugendhaften Lebensführung auch der Umgang mit Sklaven zählte, nahm Lapide keinen sonderlichen Anstoß, sondern kommentierte die einschlägigen Stellen im Ecclesiasticus zur Sklaverei. Sein Kommentar gibt in der Regel Vers für Vers den Wortlaut nach der revidierten Vulgata von 1598 wieder. Daran schließt sich eine Art textkritischer Apparat an, der alternative Übersetzungsvarianten zu bestimmten Begriffen und einzelnen Wortgruppen vorstellt. Anschließend erläutert Lapide den buchstäblichen beziehungsweise geschichtlichen Sinn, den er mit Hilfe der Tradition der Kirchenväter, aber auch anhand von Positionen aus antiker Philosophie und Literatur zu erheben versucht. Neben dem Literalsinn fügte er in manchen Fällen auch allegorische, tropologische und anagogische Deutungen hinzu. Anhand von Beispielen und Analogien bezog er diese gelegentlich auch auf seine eigene Zeit. Diese Methode lässt sich anhand seiner Auslegung zur Sklaverei bei Jesus Sirach nachvollziehen. 3. Die Sklaverei im Ecclesiasticus nach Cornelius a Lapide Cornelius folgte in seiner Auslegung der grundlegenden Unterscheidung zwischen dem Umgang mit guten und schlechten Sklaven. Dass treue Sklaven und Tagelöhner gut zu behandeln sind, daran bestand auch für Lapide kein Zweifel. Darin folgte er zunächst schlicht dem Literalsinn von Sir 7,2223, indem er zunächst die Vulgata mit der griechischen, syrischen und der lateinischen Übersetzung nach der Biblia Tigurina untereinander verglich.55 54

Tres libri sunt partes. Prima cap. 1 continet encomium sapientiae, sive sacrae Ethices. Deinde a cap. 2 usque ad 24 subiungit Siracides eius praecepta et dogmata de quibuslibet virtutibus. Secunda, c. 24. Siracides ipsam sapientiam se suaque praedicantem inducit, ac deinde ethica eius documenta persequitur usque ad cap. 42 v. 15. Tertia a c. 42v.15 usque ad finem continet harum virtutum et documentorum exempla. Cornelius a Lapide, Commentaria in Ecclesiasticum, Prolegomena, Caput IV, 25. 55 VERS. 22. NON LAEDAS SERVUM IN VERITATE OPERANTEM, NEQUE MERCENARIUM DANTEM ANIMAM SUAM. Ab uxore descendit ad servum. Pro non laedas, Graece est ..., id est, ne affligas, ne male tractes, ne malis verbis aut verberibus afficias servum in veritate, id est, vere, fideliter et ex animo, non ficte et ad oculum pro te operantem, neque mercenarium dantem animam suam, id est, qui non parcit sibi et labori, sed omnes animae suae corporisque vires operi heri, a quo

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Zur Bekräftigung dieser Aussage führte er jedoch weitere Autoritäten an. So zum Beispiel den Apostel Paulus und seine Mahnung an die Herren zum humaneren Umgang mit ihren Sklaven (Eph 6,9).56 Allerdings führte Cornelius auch ökonomische Gründe an. Er folgte dabei der aristotelischen Vorstellung vom Sklaven als beseeltem Werkzeug. 57 Anscheinend leitete er daraus ab, dass ein treu ergebener Sklave wie ein gutes Werkzeug pfleglich zu behandeln sei. Die Aufforderung des Siraziden zur Freilassung von klugen Sklaven leitete Cornelius von den alttestamentlichen Sklavengesetzen (Dtn 15,13; Ex 21,2 und Lev 25,41) ab.58 Letztere schrieben die Freilassung von hebräischen Schuldsklaven, aber nicht von fremden Sklaven im Sabbat- und Jobeljahr vor. Die Freilassung von vernunftbegabten im Gegensatz zu unvernünftigen Sklaven war nach Ansicht von Cornelius daher nicht als Vorschrift, sondern lediglich als Rat des Siraziden zu verstehen. Höchst problematisch ist, wie Cornelius diese Einteilung der Sklaven weiter deutete. Er führte dazu aus, dass die Einen es verdienen, aufgrund ihrer Klugheit und Tugend eher frei zu handeln anstatt zu dienen. Sie sollten anderen befehlen anstatt zu gehorchen. Für die Anderen, also die schlechten und unvernünftigen Sklaven, wäre die Sklaverei nützlicher als die Freiheit.59 Es stellt sich hier die Frage, ob Lapide die unterschiedlichen intellektuellen Niveaus zur Einteilung der Menschen in Herren und Sklaven als natürliconductus est, impendit, ut videatur prae nisu, conatu et sudore subinde efflare animam. In servo ergo requirit fidelitatem, in mercenario diligentiam. Unde Syrus, ne affligas servum, qui servit in veritate, neque mercenarium, qui laborare facit animam suam (id est, seipsum). Tigurina: ne male tractes famulum operantem fideliter, nec mercenarium se tibi totum impendentem. Cornelius a Lapide, Commentaria in Ecclesiasticum, 198. 56 So Lapide: Causa dat S. Paulus Ephes. 6,9: … . Cornelius a Lapide, Commentaria in Ecclesiasticum, 198. In Eph 6,9 heißt es: „Ihr Herren, handelt in gleicher Weise gegen eure Sklaven! Droht ihnen nicht! Denn ihr wisst, dass ihr im Himmel einen gemeinsamen Herrn habt. Bei ihm gibt es kein Ansehen der Person.“ EÜ (1999). 57 Rationem oeconomicam dabat M. Crassus, qui liberaliter servos habebat, imo docebat: Quia, inquit, servi animata sunt rei domestica instrumenta. Idem sensit Aristoteles in Oeconomicis. Cornelius a Lapide, Commentaria in Ecclesiasticum, 198. Lapide bezog sich auf die Ökonomik, also die Lehre vom Haushalt und der Familie, als Teil des ersten Buches der Politik. Zur Quelle: Aristoteles, Politica, recognovit brevique adnotatione critica instruxit, 15f. Vgl. dazu: PELLEGRIN (2011) 32f.; KULLMANN (1998) 367f. 58 … iuxta illud Deuter, 15,13 … Porro ait: Non defraudes illum libertate, quando, scilicet, vel pretio se redimere potest et vult, vel tempus servitutis a lege vel aliunde praescriptum expirat, uti Hebraeis indultum erat sex annis tantum servire. Septimo vero anno liberos egredi, Exodi 21,2. Rursum in iubileo omnes servi debebant liberi dimitti. Levit. 25,41. Cornelius a Lapide, Commentaria in Ecclesiasticum, 198. 59 Alias servum sensatum libertate donare consilii est, non praecepti. Eius enim prudentia et virtus meretur potius libere agere quam servire, potius aliis imperare quam parere. Secus est de servis malis et insensatis, his enim utilior est servitus quam libertas. Cornelius a Lapide, Commentaria in Ecclesiasticum, 198.

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che Veranlagung oder erlerntes beziehungsweise modifizierbares Verhalten interpretierte. Vertrat er somit die aristotelische Vorstellung eines Sklaven von Natur, wonach der von Natur aus mit Vernunft besser Begabte über den weniger Begabten herrschen durfte? Dann bliebe die Existenz eines servus sensatus aber ein Widerspruch in sich, den es aufzulösen galt. Das scheint auch der Grund dafür zu sein, dass Cornelius anschließend die Freilassung von Sklaven thematisierte. Dabei ging er davon aus, dass der Sirazide an die Freilassung von treuen beziehungsweise klugen Sklaven durch Adoption gedacht habe. Mit der Adoption erhielten diese neben der Freiheit auch ein Erbe. Dabei gibt Cornelius einen kleinen Einblick in die Praxis seiner Zeit, indem er berichtet, dass die Adoption von Sklaven sowohl bei Türken als auch Spaniern noch üblich gewesen sei.60 Die Existenz von Sklaven unter muslimischer und christlicher Herrschaft in seiner eigenen Zeit gehörte zum Wissenshorizont des Cornelius. Der Jesuit zeigt Züge eines geschickten Pädagogen im Sinne Quintilians,61 indem er eine Art mimetischen Wettstreit zwischen Herr und Sklave beschreibt, durch den sich angeblich wirtschaftlicher Nutzen und das Gebot der Nächstenliebe miteinander verbinden lassen. So hatte der Hausherr eine besondere Verpflichtung und Vorbildfunktion gegenüber seinen Sklaven und Sklavinnen. Je besser er mit seinen Sklaven umging, desto eifriger würden die Sklaven dem Herrn dienen, weil sie sich darum bemühten, ihm in allem zu gefallen sowie dessen Sitten und Tugenden nachzueifern.62 Dieser Effekt wird noch durch die öffentliche Wahrnehmung verstärkt, da Lapide davon ausging, dass vom Verhalten der Sklaven auch auf das Benehmen des Hausherrn geschlossen werden würde. Ob das Ansehen des Herrn als pater familias zur Ehre oder zur Schande gereichte, hing also auch von dessen Sklaven

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Pro multi olim servos ob fidelitatem et officia sibi in filios adoptabant, itaque simul eos libertate et hereditate donabant, idque hic innuere et suadere Siracidem censent nonnulli. ... Idcirco etiamnum Turcas servos sibi obsequentes in filios adoptant, quin et Hispani nonnulli, si filius desit, servum officiosissimum in filium adoptant. Cornelius a Lapide, Commentaria in Ecclesiasticum, 198f. 61 Der erste staatlich besoldete Rhetorikprofessor Roms, Marcus Fabius Quintilianus (35-96), wandte sich in seiner Institutio oratoria gegen allzu drakonische Lehrmethoden wie Zwang und Prügel. Stattdessen setzte er auf die moralische Vorbildfunktion des Erziehers, den spielerischen Wettstreit sowie positive Anreize durch Lob. BACKE-DAHMEN (2008) 72f. Die Institutio war Lapide bestens bekannt und beeinflusste die nachtridentinische Pädagogik. Vgl. Anm. 53 in diesem Beitrag sowie PATRIZI (2010), Bd. 1, 260; 384f. 62 Nota Sapiens adeo hero commendat servos et ancillas, quia officium heri est, suae domus et domesticorum peculiarem habere curam; hoc enim exigit iustitia oeconomica et ordo charitatis, tum, quia hoc ipsum redundat in decus et commodum heri, servi enim si ab hero benigne beneque tractentur, ipsi multo studiosius servient, ipsique per omnia placere satagent; quin et eius mores ac virtutes aemulabuntur. Cornelius a Lapide, Commentaria in Ecclesiasticum, 199.

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ab.63 Diese Ansicht hätten bereits einige Kirchenväter, wie Hieronymus und Gregor von Nazianz (um 329-390), geäußert.64 Als Lohn für die gute Behandlung von Sklaven stellte Cornelius für den Herren in Aussicht, dass der verständige und vom Herrn geschätzte Sklave nicht nur für ihn mit ganzer Hingabe arbeiten, sondern in letzter Konsequenz auch sein Leben für ihn hingeben würde.65 Aus dem Neuen Testament führt er das Beispiel vom Sklaven Onesimus an, der angeblich als späterer Bischof von Ephesos den Märtyrertod erlitten hatte.66 Schließlich fügte Lapide noch eine tropologische beziehungsweise moralische Sinndeutung hinzu. Der vernünftige Sklave wird zu einem Exempel der Selbstgenügsamkeit, dessen Körper von Vernunft, Tugend und göttlicher Liebe geleitet, frei von irdischen Begehrlichkeiten und mit dem wenigen zufrieden ist, was er zum Leben notwendigerweise braucht.67 Im Gegensatz dazu spiegelt schon die Deutung der Sklavenmetapher (Sir 23,10) den Umgang mit schlechten Sklaven wider. Dabei verschränkte Cornelius zwei Bedeutungsebenen miteinander. Aus der sozialen Lebenswelt von Sklaven nimmt er die Verhörszene eines straffälligen Sklaven unter Ein63

Quocirca ex moribus servi solent aestimari mores heri, ut heri decus, vel dedecus a servis pendeat. Cornelius a Lapide, Commentaria in Ecclesiasticum, 199. 64 In beiden Fällen bezog sich Lapide interessanterweise auf das Verhältnis zwischen Herrinnen und Sklavinnen. So Lapide: Audi S. Hieron. ad Demetriadem: Mores et studio dominarum plerumque ex ancillarum et comitantium moribus iudicantur. S. Gregor Nazianz, in carmine contra mulieres ornatas, graviter afferit, ancillas esse imagines cordis dominarum. Cornelius a Lapide, Commentaria in Ecclesiasticum, 199. Das Hieronymuszitat stammt aus folgendem Brief: Hieronymus, Epistula 130 (PL 22, 1122). Bei Gregor von Nazianz zitierte Lapide die lateinische Übersetzung von Vers 250 aus dem Carmen adversus mulieres se nimis ornantes. Vgl. Gregor von Nazianz, Adversus mulieres se nimis ornantes (PG 37, 902). Dazu die deutsche Übersetzung: Gregor von Nazianz, Gegen die Putzsucht der Frauen, 33. 65 Denique servus sensatus et fidus fit tibi dilectus quasi anima tua, quia ipso pro te animam ponit in laboribus et ponet in sanguine, si opus sit. Sic plures servi pro heris ultro se morti obtulerunt. Cornelius a Lapide, Commentaria in Ecclesiasticum, 199. 66 Onesimus servus Philemonis, converus a S. Paulo, abeodem Philemoni quasi cor et vicera commendatur, ut patet ex epist. ad Philem. Unde Onesimus Ephesiorum tandem evasit Episcopus, ac gloriosum obiit martyrium. Cornelius a Lapide, Commentaria in Ecclesiasticum, 199. Der Jesuit hatte selbst einen Kommentar zum Philemonbrief verfasst: Cornelius a Lapide, Commentarius in epistolam ad Philemonem, Antwerpen, 826-830. Zur Rezeption des Philemonbriefes bei Lapide: EISENTRAUT (1928) IX. Zur Legende vom Bischofsamt und dem späteren Martyrium des bekehrten Sklaven Onesimus: HÜBNER (1997), 34f. Zur Auslegung des Philemonbriefes bei Cornelius a Lapide vgl. ausführlich den Beitrag von GRIESER/ PRIESCHING in diesem Band. 67 Mystice, servus sensatus est corpus iusti, hoc enim corpus sensatum est, quod rationi subest, quod virtuti paret, quod nullo modo divino amori moventi renititur; cui propterea libertas a vitiorum labe et studiosorum operum opes debentur. ... Perfectio quoque divitias virtutum comparat, praesertim quia eius animum a desiderio rerum terrenarum abducit, ut rebus ad usum vitae necessariis (quae paucissimae sunt) contentus, reliqua nec quaerat, nec concupiscat. Dives autem est, qui nihil appetit, qui suis contentus iucunde vivit. Cornelius a Lapide, Commentaria in Ecclesiasticum, 199.

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satz von Folter.68 Diese setzte er in Beziehung zu den Seelenqualen, die derjenige notwendigerweise erleidet, der einen Schwur leistet.69 Die äußere Unfreiheit eines gefolterten Sklaven wird somit zum Sinnbild für die innere Unfreiheit eines Schwörenden. Auf den Umgang mit schlechten Sklaven (Sir 33,25-30) ging Cornelius jedoch noch weiter ein. Allerdings behauptete er in diesem Zusammenhang, dass die Sklaven bei den Juden und den Völkern von einst bei den Christen schon nicht mehr Sklaven, sondern Bedienstete genannt wurden, die zwar für ihren Herrn Arbeiten verrichteten, aber eigentlich keine Sklaven mehr waren, sondern freie Tagelöhner.70 Hier stellt sich die Frage, ob Cornelius schon von einer Abschaffung oder zumindest Humanisierung der Sklaverei durch das Christentum ausging? Verleugnete der gelehrte Jesuitenprofessor aus Flandern etwa die anhaltende Praxis der gegenseitigen Versklavung zwischen Muslimen und Christen im Mittelmeerraum? Oder stellte diese Bemerkung lediglich den Versuch dar, die Aussagen aus Jesus Sirach zum Umgang mit Sklaven in der Antike auf die zeitgenössische Situation der Dienerschaft in christlichen Haushalten zu beziehen? Für Letzteres spricht sowohl sein Wissen um die bereits erwähnte Sklavenadoption bei Türken und Spaniern als auch das dramatische Beispiel aus einem spanischen Haushalt, das Cornelius am Ende seiner Ausführungen zur Sklaverei erzählt.71 Gegen eine Verharmlosung des Umgangs mit Sklaven spricht, dass er vom Siraziden den Vergleich zwischen Sklaven und Nutztieren übernahm. Demnach waren Sklaven genauso zu behandeln wie Esel. So sollten beide zwar Nahrung erhalten, konnten aber mit Schlägen zur Arbeit angetrieben

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Nach der Verszählung der Vulgata handelt es sich um Sir 23,11. Dazu Lapide: SICUT ENIM LIVORE NON MINITUR, SIC OMNIS IURANS ET NOMINANS (temere Deum et Sanctos, vel res sanctas) IN TOTO A PECCATO NON PURGABITUR. Interrogatus, id est, tortus. Solent enim servi in tortura examinari de crimine admisso, unde tortura vocatur quaestio et in Martyrium passionibus, interrogatio subinde ponitur pro flagellis et tormentis, ait Rabanus q.d.. Sicut servus interrogatus per quaestiones, flagella et tormenta, verberibus et vibicibus impletur, ita quoque crebro iurans, crebra peccatorum verbera animae suae infligit. Cornelius a Lapide, Commentaria in Ecclesiasticum, 492. 69 Apte iurantem comparat servo, iuramentum quaestioni et tortura, iuramenti damna vibicibus. … Iuramentum enim torquet animam, tum, quia eam metu Numinis percessit, anxiamque reddit et sollicitum, ne illicite iurando eius indignationem incurrat, tum, quia eam reipsa divinae vindictae exponit. Cornelius a Lapide, Commentaria in Ecclesiasticum, 492. 70 A filiis transit ad servos et mancipia, qualia olim erant apud Iudaeos et Gentes, iam vero apud Christianos servi vocantur famuli, qui operas suas hero elocant, unde proprie non servi sunt, sed liberi, operarii et mercenarii. Cornelius a Lapide, Commentaria in Ecclesiasticum, 717. 71 Vgl. Anm. 90 in diesem Beitrag. SERVUS INTERROGATUS ASSIDUE A

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werden (V. 25).72 Dabei entsprach für Cornelius die Physiognomie eines Sklaven der eines Esels, da er beide als dumm, stumpf, langsam und derb beschrieb.73 Für Cornelius erschien es durchaus plausibel, dass nur der beständige Zwang zur Arbeit die Sklaven von Müßiggang und Fluchtgedanken abhalten konnte (V. 26),74 zumal er in diesem Zusammenhang auf eine bestimmte Form der Zwangsrekrutierung von Sklaven hinwies, denn für ihn galt an dieser Stelle die Kriegsgefangenschaft als Ursprung von Sklaverei.75 Den lateinischen Begriff mancipium für Sklave leitete er daher von der Gefangennahme der Besiegten durch den Sieger ab. Das Bild von den gefesselten Händen der Gefangenen übertrug er dabei auf den Rat des Siraziden, dass der Herr die Hände der Sklaven nicht untätig lassen sollte, damit sie nicht ihre Flucht vorbereiten könnten.76 So deutete Cornelius das Joch nicht als Folterinstrument, sondern als symbolisches Werkzeug für den Sklaven, der wie ein Zugtier seine Arbeiten verrichten sollte.77 Die Folter sah er ausschließlich als Strafmaßnahme für straffällige Sklaven vor, die den Herrn oder dessen Familie geschädigt hatten (V. 27f.).78 Ein aufsässiger Sklave sollte aber nicht willkürlich und grausam, sondern angemessen bestraft wer72 Hinc servos comparat asinis q.d. Tria debet herus asino, scilicet, cibum, virgam et onus, eadem debet servo, scilicet panem, disciplinam et opus, Servi ergo regendi sunt quasi asini. Cornelius a Lapide, Commentaria in Ecclesiasticum, 717. 73 Recte servus sive mancipium comparatur asino, quia saepe stolidus, hebes, tardus et durus est instar asini, cuius caput sua figura prodit eius stoliditatem, tarditatem et duritiem. Cornelius a Lapide, Commentaria in Ecclesiasticum, 718. 74 ... castigatio et opus conveniat servo aeque ac asino, quia scilicet servus servili et asinino est ingenio et indole, quod non nisi otium et libertatem quaerit, utrique autem medetur opus et castigatio. Opus enim non sinit cogitare nisi requiem, castigatio castigat tam otium quam libertatem, cogitque laborare et servire. Cornelius a Lapide, Commentaria in Ecclesiasticum, 719. 75 Nota ... laxa manus illi, scilicet e manicis, hoc est, solve eum a manuum vinculis, quibus quasi servus contringitur. Origo enim servitutis et servorum fuit, quod hostibus bello captis vitam olim condonantes, eos servos efficiebant, itaque mortem in servitutem clementer commutabant. Cornelius a Lapide, Commentaria in Ecclesiasticum, 719. 76 Inde servi dicti sunt mancipia, quasi in bello manu capta, ait Varro. Hinc capta vinciebantur manicis, illas ergo hic laxari vetat Siracides. Rursum laxa manu illi, id est, remittere illi opera et labores, sine illum otiari et fugiet vel ambiet libertatem. Cornelius a Lapide, Commentaria in Ecclesiasticum, 719. 77 Aptius enim iugum cum operatione et labore, quam cum tortura confertur, tortur enim servi magis respondet flagellum et scutica asini. Sensus ergo est q.d. Sicut collum lascivientis et imdomiti bovis, equi, asini vel bubali domatur iugo et loro, ut aurigae obediat, vehatque onera sibi ab eo imposita, sic quoque servi duritia et pigritia frangitur opere assiduo. Cornelius a Lapide, Commentaria in Ecclesiasticum, 719. 78 At vero si servus sit non tantum durus et pernicax, sed et malevolus, Graece ..., id est, maleficus vel malitiosus, scilicet qui furetur, aut alios verberet, vel aliter hero et familiae noceat, aliaque mala machinetur, hic non tantum opere assiduo exercendus, sed et compedibus ac tortura coercendus, examinandus et puniendus est. Cornelius a Lapide, Commentaria in Ecclesiasticum, 719.

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den (V. 30).79 Als Wurzel allen Übels galt jedoch der Müßiggang, der nicht nur die Sklaven, sondern jeden Menschen zum Schlechten verleiten würde (V. 29).80 Im Gegensatz dazu stand wiederum der Umgang mit dem guten beziehungsweise treuen Sklaven (Sir 33,31-33). Nach Cornelius zeichnete sich der treue Sklave nicht nur durch die Erledigung seiner Aufgaben, sondern auch durch seine diskrete Verschwiegenheit aus. Der gute Sklave sei still und stumm.81 Das Vertrauensverhältnis zwischen Herr und Sklave begründete er mit dem Gebot der Nächstenliebe. Denn, so Lapide, wenn die Nächstenliebe sich schon auf außenstehende Personen beziehen sollte, umso mehr doch auf die eigenen Hausbediensteten und Sklaven. Dabei galt für ihn, dass das Verhalten des Sklaven sich ganz nach dem Verhalten seines Herrn richtete. Deshalb sollte der Herr seinen Sklaven wie einen Bruder behandeln.82 Die bessere Behandlung von Sklaven begründete Lapide aber auch schöpfungstheologisch wie folgt: Origine enim omnes sumus fratres, quia creati ab eodem Deo patre et prognati ex eodem Adamo parente et eadem matre Eva. Rursum in fide et religione omnes sumus fratres, quia filii eiusdem Christi quasi patris et Ecclesiae quasi matris, atque a Deo eadem hereditatem caeleste expectamus omnes. Vide Ephes. 6,5 et sequ.83 „Im Ursprung sind wir nämlich alle Brüder, weil wir von demselben Gottvater geschaffen wurden und von demselben Vater Adam und derselben Mutter Eva entsprossen sind. Andererseits sind wir im Glauben und der Religion alle Brüder, weil wir Söhne desselben Christus als Vater sowie der Kirche als Mutter sind und wir alle von Gott dasselbe himmlische Erbe erwarten. Siehe Epheser 6,5 und folgende.“84

Mit der Gleichheit aller Menschen im Urzustand stellte Cornelius die Institution Sklaverei aber nicht grundsätzlich in Frage, sondern forderte von den Herren lediglich einen humaneren Umgang mit ihren Sklaven ein. Allerdings ist mit diesem schöpfungstheologischen Ansatz die aristotelische Vorstel79 Dixi servum rebellem et maleficum castigandum operibus, compedibus et verberibus, ..., sed adhibe iudicium, crisin et discretionem in moderando opere et castigatione, ne aequo sit crudelior. Cornelius a Lapide, Commentaria in Ecclesiasticum, 719. 80 Mens enim hominis otiosa esse nequit, quare si honesto labore non occupetur, ad vana, inhonesta, carnalia, ad murmura, detractiones, aliaque scelera cogitanda et designanda deflectit. Cornelius a Lapide, Commentaria in Ecclesiasticum, 720. 81 Porro servus fidelis esse debet non tantum in opere sibi iniuncto, sed et in sermone ac silentio, ut sileat arcana heri, vel quae herus sileri vult. Unde officium boni servi esse ut sit mutus et elinguis, .... Cornelius a Lapide, Commentaria in Ecclesiasticum, 720. 82 Si enim proximos exteros iubemur diligere sicut nos ipsos, multo magis domesticos, quales sunt servi, qui toti sunt peculium et possessio heri. Quod ergo domini servus faciunt, hoc sibi faciunt, bonum enim servi est bonum heri et malum servi est malum heri. Quocirca addit: Quasi fratrem sic eum tracta. Cornelius a Lapide, Commentaria in Ecclesiasticum, 720. 83 Cornelius a Lapide, Commentaria in Ecclesiasticum, 720f. 84 Übersetzung: KREBES.

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lung eines Sklaven von Natur schlicht nicht vereinbar.85 Auf der rein kirchlich-religiösen Ebene hielt Lapide an der Gleichheit vor Gott und unter den Gläubigen unabhängig von ihrem sozialen Stand fest. Dabei verwies er auf den Apostel Paulus (Eph 6,5) und den Kirchenvater Gregor von Nazianz, der alle Gläubigen als Sklaven Gottes bezeichnete und dadurch die sozialen Unterschiede zwischen Herren und Sklaven im Bereich des Glaubens nivellierte.86 Die humanere Behandlung von Sklaven begründete Cornelius im Anschluss an Sir 33,31b („weil Du ihn ja mit Blut erworben hast“)87 auch christologisch. Denn wie Christus sich der Sünder erbarmte, indem er sie mit seinem Blut losgekauft hatte, so sollen sich auch die Herren gegenüber ihren Sklaven erbarmen und sie gut behandeln, wenn schon nicht um deren selbst willen, so doch wenigstens, um für das eigene Seelenheil zu sorgen.88 Beachtenswert ist, dass Cornelius hier das Erlösungshandeln Christi nicht etwa rein innerlich-spirituell als Loskauf von der Sklaverei der Sünde interpretierte,89 sondern auf das äußerlich-soziale Verhalten der christlichen Herren gegenüber ihren Sklaven bezog. 85

Die Vorstellung von einem Sklaven von Natur bezieht sich hauptsächlich auf das fünfte Kapitel in der Ökonomik des ersten Buches der Politik. Zur Quelle: Aristoteles, Politica, recognovit brevique adnotatione critica instruxit, Berlin 1991, 16-18. Vgl. PELLEGRIN (2011) 39-43. Zur Rezeption und Ablehnung des „Sklaven von Natur“ in der spanischen Spätscholastik vgl. PRIESCHING (2012) 108-137. 86 Quocirca S. Gregor Nazianz in Tetrastichis docet servos pro conservis habendos, eo quod omnes simus servi Dei: Quid servis, inquit aut herus? Mala est hac sectio. Est fictor unus, una lex, iudex quoque. Sic ergo servos, servus ut, cernas tuos, Servos herosque, vita sola factitat, servivit, at nos Christus exemit iugo. Cornelius a Lapide, Commentaria in Ecclesiasticum, 721. Das Zitat stammt aus einer lateinischen Übersetzung der poetischen Werke des Kirchenvaters. Vgl. Gregor von Nazianz, Tetrastichae sententiae (PG 37, 937f.). 87 So wohl die passendere Übersetzung des Vulgatatextes in Sir 33,31b Quoniam in sanguine animae comparasti eum. Cornelius a Lapide, Commentaria in Ecclesiasticum, 721. 88 Quam vero pulcher est textus peccatori Christum pro misericordia roganti: Domine, ne ut inimicum me, sed ut fratrem tracta, comparasti enim me sanguine animae tuae! Quam item apte dicetur domino crudeli: Tractaruum servum benignius, si non propter illum, certe propter te! Cornelius a Lapide, Commentaria in Ecclesiasticum, 721. 89 Das innerlich-spirituell gedeutete Motiv vom Sklaven der Sünde war Lapide durchaus geläufig. Er fügte es in Anlehnung an den Kommentar von Rabanus Maurus als tropologische Auslegung, wie folgt, hinzu: Tropol. Rabanus, per servum accipit peccatorem. Hic enim servus est peccati et diaboli, quare omnia quae de servo hic dicuntur, peccatori, mutato nomine, accomodes. Cornelius a Lapide, Commentaria in Ecclesiasticum, 721. Unklar ist, auf welchen Kommentar sich Lapide bezog, denn das Motiv vom Sünder als Sklaven der Sünde spielt im Kommentar von Rabanus Maurus zum Ecclesiasticus keine Rolle. Rabanus Maurus bezog sich hier durchaus auf den Umgang mit realen Sklaven. Vgl. Rabanus Maurus, Commentaria in Ecclesiasticum, Lib. VIII, Cap. XII De disciplina servorum (PL 109, 1004-1006). Möglich ist, dass Lapide das Motiv aus einem anderen Kommentar ableitete. So ging Rabanus Maurus z. B. im Kommentar zu den Büchern der Könige auf die Befreiung aus der Sklaverei des Teufels bzw. der Sünde ein. Vgl. Rabanus Maurus, Commentaria in libros IV Regum (PL 109, 269).

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Schließlich forderte Cornelius, wie der Sirazide, die bessere Behandlung von Sklaven aus pragmatischen Gründen ein, da sonst dem Herrn durch die Flucht ein wirtschaftlicher Verlust entstehen könnte.90 Neben der Sklavenflucht räumte Lapide aber auch den Freitod von Sklaven als Folge schlechter Behandlung ein.91 Dazu führte er eine tragische Geschichte an, die er zu seinen Lebzeiten aus Spanien gehört haben will: Ein Sklave beziehungsweise Diener, der von seinem Herrn schlecht behandelt wurde, führte während der Abwesenheit seines Herrn dessen Kinder auf die Terrasse und verschloss die Haustüren. Als der Herr zurückkehrte und der Sklave ihm nicht gleich die Tür öffnete, bedrohte er ihn. Der Sklave hielt eines der Kinder aus dem Fenster und fragte: Was gibst du mir für dieses Kind? Als der Herr sich unwillig und zähneknirschend zeigte, stürzte der Sklave das Kind aus der Höhe hinab und tötete es. Dasselbe tat er mit dem zweiten, dritten und den übrigen (während der Herr vergeblich bat und alles versprach, dass er sie verschone) und schließlich stürzte er sich selbst hinab. Aus dieser Schauergeschichte zog Lapide die Lehre: Behandle deine Sklaven beziehungsweise Diener freundlich!92 4. Fazit Der Kommentar von Cornelius a Lapide zum Buch Jesus Sirach ist ein spezifisches Beispiel dafür, wie Sklaverei innerhalb der Auslegung der Heiligen Schrift als Teil der Theologiegeschichte des Collegio Romano zu Beginn des 17. Jahrhunderts wahrgenommen und gedeutet wurde. Sein Kommentar entsprach den Vorgaben der ratio studiorum, indem es Cornelius vorrangig um das Verständnis des Literalsinns von Bibelstellen ging. Um die buchstäbliche beziehungsweise geschichtliche Bedeutung der 90

Est secunda ratio movens herum, ut benigne tractet servum, quia scilicet si illum affugat, servus servitutis et afflictionis pertaesus secreto fugam adornabit per avia, filuas et latebras, ut herus eum insequens invenite nequeat, nec aliquis sit qui rogatus ei viam, qua servus fugit, indicare velit aut valeat quare et opera servi et pretio, quo eum emit, in aeternum privabitur. Cornelius a Lapide, Commentaria in Ecclesiasticum, 721. 91 Quinimo multi sunt servi, qui ob herorum saevitiam mortem sibi conciscunt, .... Cornelius a Lapide, Commentaria in Ecclesiasticum, 721. 92 Luctuosius hoc aevo in Hispania factum adivimus. Servus dure ab hero tractatus, hero absente proles eius omnes parvulas in solarium abduxit, foresque domus occlusit, hero domum redeunte, foresque pulsante, minanteque servo quod aperire tardaret, servus per fenestram prolem unam illi ostentans: Quid mihi, inquit, dabis pro prole hac tua? Indignante hero et frendente, servus prolem ex alto praecipitavit et occidit. Idem fecit secundae, tertiae et ceteris (frustra iam praecante hero et omnia pollicente, ut iis parceret) ac tandem seipsum praecipitem dedit. Disce, inquit, benigne servos tuos tractare. Cornelius a Lapide, Commentaria in Ecclesiasticum, 722.

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biblischen Texte zu klären, rezipierte er, wenn auch höchst selektiv, einzelne Passagen aus den Schriften der griechischen und lateinischen Kirchenväter. Seine Bibelauslegung bezog sich aber nicht nur auf patristisch-theologisches, sondern gemäß dem humanistischen Bildungsideal der Jesuiten auch auf antik-philosophisches Gedankengut. Dabei konnten gegensätzliche Positionen zur Sklaverei recht unvermittelt aufeinandertreffen. So griff Lapide beispielsweise die aristotelische Vorstellung vom Sklaven als beseeltem Werkzeug auf, leitete daraus aber einen angeblich humaneren Umgang mit Sklaven ab. Außerdem übernahm er recht unkritisch die Auffassung, dass die Vernunftbegabung ein Kriterium darstelle, ob jemand für den Sklavenstand bestimmt sei oder nicht. Die damit in Zusammenhang stehende Idee des Aristoteles, dass es Sklaven von Natur aus gebe, problematisierte er aber nicht weiter. Im Gegensatz dazu bezog er sich aber auf die schöpfungstheologische Begründung von der Gleichheit aller Menschen. Der Gattung der Bibelkommentare waren hier bestimmte Grenzen gesetzt. Sie waren kein geeigneter Ort für eine systematische Auseinandersetzung mit dem Thema Sklaverei. Die theologische Reflexion bei Cornelius ist dennoch sehr aufschlussreich für die Verhältnisbestimmung zwischen innerer und äußerer Sklaverei. So führten die Vorstellungen von der ursprünglichen Gleichheit aller Menschen als Geschöpfe Gottes und der christliche Erlösungsgedanke, wie er im Motiv des Loskaufs von der Sklaverei der Sünde durch Christus zum Tragen kam, zwar nicht zur Forderung, dass die Sklaverei als Institution abgeschafft werden sollte, aber sie mündeten zumindest in einen Appell für einen humanen Umgang zwischen Herren und Sklaven. Dies wirkte sich auch auf seine Aussagen zur Behandlung von einerseits guten, verständigen und treu ergebenen Sklaven sowie andererseits schlechten, dummen und straffälligen Sklaven aus. Ersteren stellte er die Freiheit in Aussicht. Letzteren versprach er zumindest eine moderate Bestrafung nach geltendem Recht. Schließlich ist Cornelius kein früher Abolitionist gewesen, aber seine Bedeutung ist sicherlich darin zu sehen, dass er die Aussagen zur antiken Sklaverei auch auf seine gegenwärtige Lebenswelt bezog, indem er zum Beispiel auf den Umgang mit Bediensteten im christlichen Haushalt hingewiesen hatte. Über die Rezeption der in diesem Beitrag vorgestellten Position Cornelius a Lapides zur Sklaverei lassen sich nur Vermutungen anstellen. Da es sich um den einzigen Kommentar zu Jesus Sirach handelte, der am Collegio Romano verfasst wurde, kam ihm sicherlich eine Sonderstellung zu. Die relativ hohe Auflagenzahl spricht für eine weite Verbreitung. Da seine Kommentare nicht nur für die Welt der Bibelgelehrten bestimmt waren, besteht die Möglichkeit, dass seine Deutungen auch die Predigt- und Seelsorgepraxis zumindest innerhalb des Jesuitenordens inspirierten. Dazu wären jedoch

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weitere Forschungen zur Geschichte der pastoralen und homiletischen Praxis der Gesellschaft Jesu notwendig.

Quellen und Übersetzungen Aristoteles, Politica, recognovit brevique adnotatione critica instruxit, Bd. 1: Über die Hausverwaltung und die Herrschaft des Herren über Sklaven, übersetzt und erläutert von Eckart SCHÜTRUMPF, Berlin 1991. Cornelius a Lapide, Commentarius in epistolam ad Philemonem, Antwerpen 1642, 826-830. Cornelius a Lapide, Commentaria in Ecclesiasticum, Antwerpen 1663. Georg Michael Pachtler, Ratio Studiorum et Institutiones Scholasticae Societatis Jesu, Tomus II: Ratio studiorum ann. 1586, 1599, 1832 (Monumenta Germaniae Paedagogica 5), Berlin 1887. Gregor von Nazianz, Adversus mulieres se nimis ornantes (PG 37, 883-908). Gregor von Nazianz, Gegen die Putzsucht der Frauen. Verbesserter griechischer Text mit Übersetzung, motivgeschichtlichem Überblick und Kommentar von Andreas KNECHT (Wissenschaftliche Kommentare zu griechischen und lateinischen Schriftstellern), Heidelberg 1972. Gregor von Nazianz, Tetrastichae sententiae (PG 37, 927-945). Hieronymus, Epistula 130 (PL 22, 1107-1138). Johannes Calvin, Unterricht in der christlichen Religion, nach der letzten Ausgabe übersetzt und bearbeitet von Otto WEBER, Neukirchen-Vluyn 1997. Martin Luther, Die Sammlung des Konrad Cordatus. 28. September bis 23. November 1532 (WA.TR 2, 662). Martin Luther, Die Sammlung des Konrad Cordatus. Frühjahr 1533 (WA.TR 3, 254f.). Rabanus Maurus, Commentaria in Ecclesiasticum (PL 109, 763-1126). Rabanus Maurus, Commentaria in libros IV Regum (PL 109, 11-280).

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Sklaverei und christliches Gnadenethos. Einige Deutungen des Philemonbriefes von den Vätern bis zur Barockscholastik HEIKE GRIESER/ NICOLE PRIESCHING 1. Einleitung Sklaverei ist nach wie vor eine ständige christliche Herausforderung, der theologisch wie praktisch zu begegnen ist. So hat jüngst auch Papst Franziskus das Thema Sklaverei wieder stärker in das kirchliche Bewusstsein gerückt. Seine „Botschaft zum 48. Weltfriedenstag am 1. Januar 2015“ ist bezeichnenderweise mit „Nicht mehr Knechte, sondern Brüder“ überschrieben. Papst Franziskus geht hier eindringlich auf „die vielfältigen Gesichter der Sklaverei gestern und heute“ ein. Den Deutungsrahmen des Phänomens der Sklaverei bestimmt der Papst anhand einiger Bibelstellen, allen voran dem Philemonbrief. Er schreibt: „Das Thema, das ich für diese Botschaft gewählt habe, knüpft an den Philemonbrief des heiligen Paulus an. Darin bittet der Apostel seinen Mitarbeiter Philemon, Onesimus, dessen ehemaligen Sklaven, der nun Christ geworden und darum – nach Paulus – würdig ist, als Bruder betrachtet zu werden, wieder aufzunehmen. Der Völkerapostel schreibt: ‚Vielleicht wurde er nur deshalb eine Weile von dir getrennt, damit du ihn für ewig zurückerhältst, nicht mehr als Sklaven, sondern als weit mehr: als geliebten Bruder‘ (Phlm 15-16). Onesimus ist dadurch, dass er Christ wurde, zum Bruder Philemons geworden. So stellt die Bekehrung zu Christus, der Beginn eines Lebens der Jüngerschaft in Christus, eine neue Geburt dar (vgl. 2 Kor 5,17; 1 Petr 1,3), welche die Brüderlichkeit als grundlegende Bindung des Familienlebens und als Basis des gesellschaftlichen Lebens zu neuem Leben erweckt.“1

Im Kontext einer kirchlichen Haltung, welche die „Verknechtung des Menschen durch Menschen“2 eindeutig verurteilt, steht diese Interpretation des Philemonbriefes stellvertretend für eine radikale Kritik an Sklaverei gestern 1

Papst Franziskus, Botschaft zum 48. Weltfriedenstag am 1. Januar 2015, aus dem Vatikan am 8. Dezember 2014. Hervorhebungen nach Original. (http://www.dbk.de/fileadmin/redaktion/diverse_downloads/Botschaften/2015-BotschaftWeltfriedenstag.pdf, zuletzt eingesehen am 6.8.2015). Aus exegetischer Sicht ist allerdings darauf hinzuweisen, dass es sich bei Onesimus nicht um einen ehemaligen Sklaven handelt, insofern seine Freilassung im Phlm nirgendwo thematisiert wird. Hier fließt eine moderne Deutungstradition in die Lesart des Papstes ein, die im Folgenden noch vorzustellen ist. 2 Papst Franziskus, Botschaft zum 48. Weltfriedenstag am 1. Januar 2015, aus dem Vatikan am 8. Dezember 2014. (http://www.dbk.de/fileadmin/redaktion/diverse_downloads/Botschaften/2015-BotschaftWeltfriedenstag.pdf, zuletzt eingesehen am 6.8.2015).

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und heute. Doch sind weder eine solche klar verurteilende Haltung3 noch die von Franziskus hier vorgelegte Exegese selbstverständlich, wie unsere folgenden Ausführungen zeigen. Der vorliegende Beitrag geht anhand ausgewählter Beispiele der Frage nach, wie dieser Paulusbrief von den Kirchenvätern bis in die Frühe Neuzeit hinein ausgelegt wurde. Das darin enthaltene Plädoyer des Paulus an Philemon für eine gnädige Aufnahme des entlaufenen Onesimus zeigt eindrucksvoll das christliche Humanisierungsethos im Umgang mit (christlichen) Sklaven. Doch was bedeutete dies für die christlichen Kommentatoren im Laufe der Jahrhunderte? Auf welche Aussagen des Philemonbriefes legten sie in ihrer Interpretation besonderen Wert? Lassen sich Bezüge zu jeweils zeitgenössischen Sklavereidiskursen erkennen? Oder spielte das Thema Sklaverei eher eine untergeordnete Rolle für das Verständnis des Briefes? Der Blick auf die Rezeptionsgeschichte eines biblischen Textes wirft auch Fragen nach der Hermeneutik der jeweiligen Autoren auf. Eine historisch-kritische Bibelexegese gehört zu den jüngeren Erscheinungen in der Geschichte der Bibelauslegung.4 Insofern darf man nicht den Fehler machen, eine Rezeptionsgeschichte von der Antike bis zur Frühen Neuzeit anzunehmen, die modernen methodischen Standards entsprochen habe. Bereits die Frage nach einer verbindlichen biblischen Textgrundlage hat eine lange Geschichte hinter sich, die in der Zeit der frühen Kirche mit den verschiedenen lateinischen Übersetzungen alt- und neutestamentlicher Texte vor der Vulgata und mit der Festlegung eines allgemein akzeptierten Kanons beginnt.5 Für die katholischen Autoren der Frühen Neuzeit war die kirchlich approbierte Vulgata als Textgrundlage vorgeschrieben. Dabei handelte es sich um die 1592 neu überarbeitete Vulgata-Edition, die sogenannte SixtoClementino-Editio, die von Clemens VIII. (1592-1605 Papst) autorisiert wurde. Die Entstehungsgeschichte dieser Vulgata-Ausgabe reicht bis zum Konzil von Trient zurück, das in den Dekreten der vierten Sessio vom 8. April 1546 festlegte, dass der Kanon der lateinischen Vulgata die normative Textgrundlage für den Gebrauch innerhalb der römisch-katholischen Kirche

3

Zu den päpstlichen Verlautbarungen über Sklaverei bis Gregor XVI. vgl. PRIESCHING (2008). 4 Während man die historische Jesusforschung im eigentlichen Sinn mit Hermann Samuel Reimarus (1694-1768), einem Gymnasialprofessor für orientalische Sprachen in Hamburg, ansetzen kann (vgl. STROTMANN [2012] 22), brauchte es in der katholischen Theologie noch bis ins 20. Jahrhundert, um an die evangelische historisch-kritische Forschung Anschluss zu finden. So wurden z. B. von Pius X. im Dekret „Lamentabili“ vom 3. Juli 1907 65 irrige Sätze aus den Werken des französischen Exegeten Alfred Loisy (1857-1940) zusammengestellt, was auf eine Verurteilung der historisch-kritischen Methode hinauslief. 5 Zur Entwicklung des biblischen Kanons vgl. BERNDT (2013).

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sein sollte.6 Angesichts der vielen Varianten und Fehler der kursierenden lateinischen Bibelausgaben wurde nach dem Konzil von Pius V. eine Vulgatakommission eingesetzt, welche eine solide Textgrundlage erarbeiten sollte. Die Arbeiten zogen sich hin, bis 1592 eben jene Sixto-Clementino-Editio erschien, die aus heutiger Sicht freilich weiterhin zahlreiche Probleme enthielt. Damit war also eine verbindliche Textgrundlage geschaffen worden, die sich nicht am hebräischen und griechischen Urtext orientierte. Die heute gebräuchliche deutsche Einheitsübersetzung weicht entsprechend erheblich vom lateinischen Text ab, was im lateinisch-deutschen Quellenanhang zum Philemonbriefkommentar des Jesuiten Cornelius a Lapide (1567-1637) sichtbar wird: Dieser zitiert den Philemonbrief nach der Vulgata, nicht ohne sich allerdings auch mit griechischen und hebräischen Termini und ihrer Bedeutung zu beschäftigen. So wird in diesem Beitrag danach zu fragen sein, wie Cornelius mit Übersetzungsabweichungen umging. Eine völlig andere Ausgangslage hatten protestantische Theologen, die sich im Gefolge Luthers in humanistischer Tradition um den hebräischen und griechischen Urtext bemühten und diesem die höchste Dignität zusprachen. Und während das protestantische Prinzip des sola scriptura der Bibel die größte Autorität zusprach, hielt das Konzil von Trient fest, dass das Evangelium in der Kirche durch zwei Weisen gegenwärtig sei, durch Schrift und Tradition, was mittel- und langfristig auf eine Einschärfung der verbindlichen Auslegungsinstanz durch das kirchliche Lehramt hinauslief.7 Bibelexegese bewegt sich theologiegeschichtlich also auch im kirchengeschichtlichen Deutungsrahmen und dessen institutionellen Vorgaben. Für die Frühe Neuzeit wurde dabei die konfessionelle Spaltung sowohl zum Motor als auch zum Korsett der jeweiligen Auslegungstraditionen. Mittelalterliche Autoren wie Thomas von Aquin (um 1225-1274) waren von solchen Vorgaben dagegen noch frei. Thomas hielt als Magister der Theologie biblische Vorlesungen, „in deren Verlauf er etwa die Hälfte des Neuen und mehrere Bücher des Alten Testaments kommentierte“.8 Darunter ist auch ein kurzer Kommentar zum Philemonbrief, der hier beleuchtet werden soll. Thomas hat den verbreiteten vierfachen Schriftsinn selten umfassend erhellt, sondern sich eher um eine wörtliche Interpretation (Literalsinn) in seinen Kommentaren bemüht.9 Dies mag mit seinem Interesse an einer verlässlichen Textgrundlage zusammengehangen haben, die ihn immer wieder zur Suche nach Handschriften in Klosterbibliotheken führte. Anderer6

Konzil von Trient, Sessio IV (8. April 1546), Decretum primum: recipiuntur libri sacri et traditiones apostolorum (COD³, 663-665). Zur Entstehung des Dekretes: JEDIN (1957) 42-82. 7 Vgl. dazu KASPER (1992). 8 TORRELL (1995) 76. 9 TORRELL (1995) 78f.

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seits darf diese Beobachtung nicht darüber hinwegtäuschen, dass Thomas ganz im Stil seiner Zeit vor allem einen Blick für die Systematik hatte, die sich in der Heiligen Schrift zeigte. Diese Systematik wurde schon von den diversen Sentenzen und Summen des 12. und 13. Jahrhunderts entdeckt. Reflexionen über die Ordnung der Heiligen Schrift gehören zur Reflexion über Theologie selbst.10 Der Philemonbriefkommentar des Thomas zeigt in seinem biblischen Verweissystem sehr anschaulich, wie er dieses Schreiben in systematische theologische Zusammenhänge einordnet. Sowohl Thomas als auch die frühneuzeitlichen Autoren ziehen zur Deutung der Heiligen Schrift einzelne Kirchenväter heran. Während man in Wittenberg nach 1521 „die ganze Patristik, ebenso wie Platon und Aristoteles, als im Grunde nicht-christliche, nicht-theologische Autoren“11 ablehnte, erklärte das Konzil von Trient die „Väter“ zum „unersetzlichen Korrektiv zum Beispiel der platonischen Autoren“.12 Nach Thomas Leinkauf erfolgte die Bezugnahme auf patristische Autoren bei den Barockscholastikern aber nicht immer wegen der dort auffindbaren Argumente, sondern wegen ihres Alters, das ihnen eine erhöhte Würde verlieh. Die Argumentation stand also vorher fest und erfuhr dann mit Rückgriffen auf Väterzitate „die Weihe der Ursprungsnähe“.13 Hinzu kommt noch die Betonung der Heiligkeit der Kirchenväter, etwa durch den jesuitischen Kontroverstheologen Robert Bellarmin.14 Wie rezipierten also Gelehrte der Heiligen Schrift wie der Dominikaner Thomas von Aquin oder später der Jesuit Cornelius a Lapide die Kirchenväter? Auch darauf soll beim vorliegenden Streifgang durch die Deutungsgeschichte des Philemonbriefes das Augenmerk gerichtet werden. Ein historisch-kritischer Umgang mit den Texten dieser Autoritäten, die ihnen ohnehin wohl selten im Original vorlagen, ist nicht zu erwarten. Umso interessanter ist der Vergleich mit aktuellen Erkenntnissen über die Auslegung des Philemonbriefes bei solchen antiken Theologen (vgl. 2.), die von Thomas und Cornelius als Beleg herangezogen wurden. Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen gliedert sich unser Beitrag folgendermaßen:15 Nach der Vorstellung des aktuellen exegetischen For10

PRÜGL (2004) 43. LEINKAUF (2006) 196. Es wäre allerdings zu einseitig, die evangelische Theologie insgesamt in Ablehnung zu den Kirchenvätern zu sehen. Das zeigt nicht nur Luthers Wertschätzung für Augustinus. Dieser Hinweis Leinkaufs deutet also mehr auf das Ringen um die Rezeption bestimmter Autoritäten hin. 12 LEINKAUF (2006) 196. 13 LEINKAUF (2006) 192. 14 LALLA (2006), besonders 50-52. 15 Heike GRIESER verantwortet dabei die Kapitel 2 und 3, Nicole PRIESCHING die Kapitel 4 bis 7. 11

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schungsstands zum Philemonbrief sollen zuerst allgemeine Informationen zur Rezeption dieses Paulusbriefes im Verlauf der Geschichte gegeben und anschließend exemplarisch zwei spätantike Auslegungen präsentiert werden: Der lateinische Kommentar des Hieronymus und die entweder etwa zeitgleich oder etwas später entstandenen griechischen Predigten des Johannes Chrysostomus. Dabei orientiert sich die repräsentative Auswahl dieser beiden Kirchenväter am später stattfindenden Rezeptionsprozess. Es folgt eine Behandlung des Philemonbriefkommentars bei Thomas, der zwar in späteren Auslegungen keine Berücksichtigung findet, jedoch eine interessante theologische Vergleichsfolie bietet und durchaus auch Parallelen aufweisen kann. Abschließend soll auf die Deutung des Philemonbriefes in der Frühen Neuzeit bei Martin Luther und Cornelius a Lapide geblickt und dabei der Versuch unternommen werden, zwei unterschiedliche Sklavereidiskurse (Leibeigenschaft und Galeerensklaverei im Mittelmeerraum) damit in Beziehung zu setzen. Ein kurzes Fazit resümiert die Ergebnisse zur Rezeptionsgeschichte und die herausgearbeiteten Aussagen der einzelnen Kommentare zur Sklaverei. 2. Der Philemonbrief – zum aktuellen Stand der Exegese16 Während Paulus‘ Autorenschaft des Philemonbriefes unstrittig ist, besteht in der aktuellen Forschung nach wie vor keine Einigkeit darüber, wann und wo der Apostel diesen Brief verfasste. Als eine Möglichkeit kann die Zeit während seiner Inhaftierung in Ephesus zwischen etwa 52/53 und 55 n. Chr. in Betracht gezogen werden;17 denkbar ist allerdings auch der Beginn der 60er Jahre, während seiner letzten Gefangenschaft in Rom.18 Der Hauptadressat des Schreibens ist Philemon, ein wohlhabender Christ vermutlich entweder aus Kolossae oder aber Rom,19 der dort sein Haus als Versammlungsort der 16

Berücksichtigt ist die wichtigste neueste Literatur, zurückgehend bis zum Jahr 2000. Im Einzelfall wird auch auf ältere Forschung zurückgegriffen. Dabei bietet COTROZZI (1998) eine forschungsgeschichtlich interessante Zusammenstellung verschiedener Auslegungsvarianten. 17 Z. B. REINMUTH (2006a) 17f.; ECKEY (2006) 149f.; ebenso MÜLLER (2012) 81-84; WENGST (2005) 29; ARZT-GRABNER (2003) 72-74; 77. BAUER (2011) 110-112 referiert die Argumente, ohne eine Entscheidung zu fällen; ebenso LEVISON (2010) 531. Gelegentlich wird auch Caesarea als sicherer Haftort und damit als Alternative genannt, jedoch von niemandem präferiert. 18 Vgl. EBNER (2013) 409f. Weitere Befürworter der Romthese listet MÜLLER (2012) 81, Anm. 224 auf. Ausführlich diskutiert GIELEN (2007) und (2006) diese Frage und entscheidet sich dann für Rom. Sie spricht sich darüber hinaus, wie einige andere auch, grundsätzlich gegen eine längere Zeit der Gefangenschaft des Paulus in Ephesus aus. 19 Die Lokalisierung der Hausgemeinde des Philemon hängt wesentlich davon ab, ob man Paulus in Ephesus oder Rom seinen Phlm schreiben lässt. Dazu kommt die Entscheidung, welchen Stellenwert man den Informationen des pseudepigraphischen Kol beimisst, der eine

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Heike Grieser – Nicole Priesching

kleinen christlichen Gemeinde zur Verfügung gestellt hatte.20 Inhaltlich geht es in diesem Schreiben um einen zunächst nichtchristlichen Sklaven des Philemon namens Onesimus, der sich über einen längeren Zeitraum von seinem Besitzer entfernt hatte und zu Paulus, der sich bereits als alten Mann bezeichnet, gelangt war. Diesen unterstützte er in der Haft, wobei sowohl an persönliche Hilfestellung als auch an Mitwirkung bei der Missionstätigkeit gedacht werden kann. Dort bekehrte ihn der Apostel auch zum christlichen Glauben und taufte ihn. Dies führt nach Ansicht des Paulus unter anderem zu Konsequenzen für die bislang klar rechtlich und sozial definierte Beziehung zwischen Philemon und seinem nun christlichen Sklaven Onesimus. Obwohl Paulus Onesimus gerne bei sich behalten hätte, schickte er ihn mit jenem fürsprechenden Brief an Philemon zurück. Darin wird seine hohe Wertschätzung des Sklaven erkennbar, den er als sein Kind, sein eigenes Herz und als geliebten Bruder bezeichnet (Phlm 10.12.16). Dies unterstreichend greift der Apostel in Vers 11 auf ein Wortspiel zurück: Onesimus (ein typischer Sklavenname = „der Nützliche“21) war früher ἄχρηστος (unnütz) und ist nun εὔχρηστος (nützlich).22 Zugleich macht Paulus Philemon eindringlich darauf aufmerksam, dass dieser aufgrund der Taufe des Onesimus in ein neues Verhältnis zu seinem Sklaven getreten sei. Folgerichtig stehe Onesimus nun die gleiche wertschätzende Aufnahme durch Philemon zu, die auch Paulus selbst gebühre (Phlm 17).23 Wie sich die neue Beziehung weiter konkret ausgestalten soll, lässt Paulus, demonstrativ auf seine apostolische Autorität verzichtend (Phlm 8f.), offen: Dies ist dem Belieben des Philemon anheimgestellt. Dennoch werden die impliziten Erwartungen des Inhaftierten erkennbar, Onesimus möge, vielleicht als Freigelassener, zu ihm zurückgeschickt werden.24 Die exegetische und historische Forschung diskutiert in den vergangenen Jahren verschiedene Aspekte, die wenigstens kurz zu benennen sind, sofern ähnliche Grußliste wie der Phlm präsentiert und damit eine starke Nähe bzw. Vertrautheit suggeriert. Gegen Rom spricht, dass weder die Hauptstadt noch ihr Umfeld zu paulinischem Missionsgebiet gehören, Philemon dort also nur schwer durch Paulus zum christlichen Glauben gelangt sein könnte. WENGST (2005) 29 plädiert daher „wahrscheinlich“ für Kolossae; ebenso ECKEY (2006) 153f.; auch WITHERINGTON (2007) 34-36. 20 Einige wenige Hinweise zur späteren Darstellung des Philemon in der Kunst und im Martyrologium Romanum (Märtyrertod unter Nero) bei KREITZER (2008) 40-44. 21 Vgl. z. B. REINMUTH (2006a) 42; zahlreiche Belege, u. a. aus den Papyri, bei ARZT-GRABNER (2003) 86f. 22 Vielleicht haben dies seine Adressaten darüber hinaus assoziativ mit der Zeit vor und nach der Taufe des Onesimus (ἄχριστος-εὔχριστος) in Verbindung gebracht, vgl. WOLTER (1993) 263f., aufgegriffen von MÜLLER (2012) 111f. Dazu allerdings kritisch z. B. EBNER (2013) 406; ARZT-GRABNER (2003) 206f. 23 Für ARZT-GRABNER (2003) 226-234, stellt diese Forderung das eigentliche Zentrum des Briefes dar. 24 Vgl. z. B. WENGST (2005) 42f., aber auch HARRILL (2006) 14-16.

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sie für die hier behandelte Fragestellung Relevanz haben.25 So wird erstens die Frage nach dem Charakter des Briefes gestellt, wobei sich abzeichnet, ihn nicht als einen reinen Privatbrief an Philemon, sondern als einen „Gemeindebrief“ in einem weiteren Sinne einzuordnen. Dass das Schreiben auch an die Mitglieder der Hausgemeinde des Philemon gerichtet ist, lässt sich nicht nur der Eröffnung des Briefes (Phlm 1-3), sondern auch seinem Schluss (Phlm 22-25) entnehmen.26 Sorgfältig und kunstvoll zugleich konzipiert beinhaltet der Brief nach Thomas Bauer deshalb zwei unterschiedliche Kommunikationsstrukturen mit jeweils unterschiedlichen Intentionen.27 Erkennbar sind darüber hinaus Parallelen zu sogenannten „Bitt- oder Fürbittbriefen“,28 wie ihn wenige Jahrzehnte später beispielsweise Plinius der Jüngere an seinen Freund Sabinianus richtete, um für einen flüchtigen Freigelassenen einzutreten.29 Allerdings stellen sich in diesem Fall die Umstände als gänzlich andere dar, insofern ein servus in einem anderen Abhängigkeitsverhältnis als ein libertus steht. Letztlich offenbleiben müssen zweitens die genaueren Umstände der Trennung des Onesimus von Philemon. Zwar wurde traditionell betont, dass Onesimus geflohen sei, doch wäre auch denkbar, was die neuere Forschung eher für wahrscheinlich hält, dass der Sklave Paulus nur aufsuchte, um ihn (als amicus domini) um Vermittlung in einem bestehenden Konflikt zu bitten. Weil der Text keinerlei Anhaltspunkte bietet, kann man außerdem mutmaßen, ob Onesimus sich vielleicht nur herumtrieb oder aber etwas gestohlen oder veruntreut hat.30 Dies würde wiederum erklären, warum Paulus sich rechtlich bindend anbietet, für einen eventuell entstandenen Schaden aufzukommen (Phlm 18-19). Andererseits könnte der Apostel auch nur einen Ausgleich für den Ausfall der Arbeitskraft des Onesimus oder für die entstandene Wertminderung des Sklaven durch seine Flucht intendiert haben. 25

Dass dieser Überblick nicht vollständig sein kann, versteht sich im gesteckten Rahmen des Aufsatzes von selbst. 26 Die neue Rolle des Onesimus wird allen Gemeindemitgliedern bekannt gemacht, insofern auch sie ihn als geliebten Bruder aufnehmen sollen. Gleichzeitig dienen sie als Zeugen dafür, ob und wie Philemon den paulinischen Anliegen entspricht. 27 Vgl. das Fazit von BAUER (2011) 161-166. 28 Darauf verweisen z. B. EBNER (2013) 405f.; MÜLLER (2012) 72-75; ECKEY (2006) 148f.; WENGST (2005) 26; REINMUTH (2006a) 58. Zum Phlm als „Empfehlungsbrief“, der vielen anderen Papyrusbriefen ähnelt, auch HENGSTL (2010) 74; 81 und öfter; ARZT-GRABNER (2003) 59-63. ARZT-GRABNER (2003) 68, verweist in diesem Zusammenhang auf zahlreiche Parallelen zu Weberlehrverträgen, die auf Papyri erhalten sind. 29 Plinius der Jüngere, Epistula 9, 21; 9, 24; dazu ausführlich WENGST (2005) 75-78; einen Vergleich mit Phlm bei MÜLLER (2012) 64f., vor allem 123, der insbesondere die Unterschiede zwischen beiden Schreiben betont. 30 Vgl. z. B. BAUER (2011) 113-117; NORDLING (2010); LEVISON (2010) 529-531; KREITZER (2008) 61-69; ECKEY (2006) 150-153; WENGST (2005) 30-39; REINMUTH (2006a); ARZTGRABNER (2004): Onesimus als „Herumtreiber“; ARZT-GRABNER (2003) 101-108.

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Heike Grieser – Nicole Priesching

Drittens wird darüber spekuliert, wie sich die neue Beziehung zwischen Philemon und Onesimus konkret gestaltet, insofern Paulus die Freilassung des Sklaven, der durch die Taufe zum δοῦλος Χριστοῦ wurde, tatsächlich nicht explizit thematisiert.31 Ob es darum geht, dass Onesimus zum Herrenmahl zugelassen wird und dadurch eine symbolisch bedeutsame Aufwertung seines Status (vor den übrigen Nichtchristen) erfährt?32 Ob er eine neue, verantwortungsvollere Aufgabe erhalten soll, im geschäftlichen Bereich und/ oder bei der Gemeindeleitung?33 Viertens ist nach weiteren Hinweisen auf das Schicksal des Onesimus zu fragen. Da ein Onesimus im später entstandenen, allerdings pseudepigraphischen Kolosserbrief als Mitglied der dortigen Gemeinde und darüber hinaus zumindest mittelbar als Helfer des Paulus genannt wird (Kol 4,7-9), spricht manches dafür, dass es sich bei dem Genannten um jenen Sklaven des Philemon handeln könnte. Dieser scheint, die Zuverlässigkeit des Kolosserbriefs vorausgesetzt, offenbar von Philemon wohlwollend wieder aufgenommen worden zu sein und hat möglicherweise tatsächlich als Mitarbeiter des Paulus unter anderem als Überbringer von Briefen und Nachrichten fungiert.34 Gewagt ist dagegen die Identifikation des Onesimus aus dem Phlm mit jenem gleichnamigen Bischof aus Ephesus, den Ignatius von Antiochien an drei Stellen in seinem Brief an die Epheser erwähnt.35 Zu berücksichtigen ist nicht nur das insgesamt häufige Vorkommen des Namen Onesimus, sondern auch die große zeitliche Distanz zwischen der Abfassung des Phlm und der frühestmöglichen, allerdings eher unwahrscheinlichen Datierung der Ignatiusbriefe am Anfang des 2. Jahrhunderts.36 Nicht zu vernachlässigen ist darüber hinaus die naheliegende Versuchung sowohl der antiken als auch der modernen Historiographie, gleichnamige Personen in eins zu setzen. Immerhin ist es vermutlich dieser Identifikation mit zu verdanken, dass der Philemonbrief des Paulus entsprechend breit überliefert wurde. Erwähnenswert ist weiterhin, dass die Apostolischen Konstitutionen Onesimus als späteren Bischof von Beroia in Makedonien führen.37 Nach Ausweis des erst im 16. Jahrhundert herausgegebenen Martyrologium Romanum starb Onesimus 31

Diesen einschlägigen griechischen Terminus verwendet Paulus im Brief allerdings nicht. Zu wichtigen Metaphern aus dem familiären Kontext im Phlm vgl. z. B. FRILINGOS (2000). 32 So vermutet EBNER (2013) 410-412. 33 Vgl. ARZT-GRABNER (2003) 275f. 34 So vermutete z. B. ECKEY (2006) 181f. Zu beachten ist allerdings auch, dass der Kol als pseudepigraphischer Brief um Angleichung an die paulinischen Briefe bemüht ist und vielleicht doch konstruiert, vgl. EBNER (2013) 408f. 35 Ignatius von Antiochien, Epistula ad Ephesios 1, 3; 2, 1; 6, 2 (LINDEMANN/ PAULSEN 180.182) 36 Einen Überblick zu den strittigen Datierungsfragen gibt z. B. PROSTMEIER (2002). 37 Apostolische Konstitutionen 7, 46, 13 (SC 336, 110 METZGER).

Deutungen des Philemonbriefes

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schließlich sogar in Rom den Märtyrertod, woraufhin sein zunächst dort bestatteter Leichnam zu einem späteren Zeitpunkt in seine Bischofsstadt Ephesus rücküberführt wurde.38 Fünftens wird dieser Brief immer wieder als einschlägiger Beleg für die Haltung des Paulus zur Sklaverei herangezogen – und dies, obwohl sich der Apostel hier nur mit der konkreten Frage des Umgangs eines christlichen Sklavenbesitzers mit seinem christlichen Sklaven beschäftigt. Ohne diesen großen Themenkomplex hier auch nur ansatzweise vollständig darstellen zu können, muss zur Klärung grundsätzlich auf zwei unterschiedliche Ebenen verwiesen werden. Im gesellschaftlichen Kontext, in der sozialen Realität bleiben die hierarchischen und rechtlich klar umschriebenen Beziehungen zwischen Herr und Sklave nach Paulus unangetastet (vgl. dazu 1 Kor 7,2024).39 In der neu gestifteten religiösen Gemeinschaft, der man durch die Taufe beitritt, lösen sie sich dagegen auf und führen – wenn auch auf einer anderen Ebene – zu neuen Konstellationen des Miteinanders (vgl. dazu Gal 3,26-28; 1 Kor 12,13).40 Daher sind über die christliche Hausgemeinde gesellschaftlich relevante Veränderungen auf der Basis eines Statuswechsels durch die Taufe zwar möglich und erwünscht, aber aus verschiedenen Gründen nicht zwingend erforderlich. Gleichzeitig ändert sich für solche Sklaven, die in heidnischen Haushalten leben, grundsätzlich selbst nach deren Taufe nichts – weil auf ihre Eigentümer kein Einfluss genommen werden kann. Angesichts der wichtigeren, freiwillig eingegangenen Bindung des einzelnen Getauften an den christlichen Gott, die durchaus auch mit Sklaventermini beschrieben werden kann,41 spielt dies jedoch eine nur nachgeordnete Rolle.

38

Martyrologium Romanum (16. Februar) (ActaSS 5, 856-860 BOLLANDUS/ HENSCHENIUS). Zur Diskussion um die richtige Interpretation vgl. z. B. JACOBY (2012), mit dem meiner Ansicht nach zutreffenden Fazit, eine sich bietende Freiheitschance nicht zu nutzen. Zwar verweist noch REINMUTH (2006a) 59, darauf, dass in der Forschung derzeit die These von der Aufforderung an die Sklaven zur Annahme der Freilassung überwiege, was auch ECKEY (2006) 192-195, für richtig hält. Dabei bleibt aber die patristische Auslegungstradition gänzlich unberücksichtigt, die selbstverständlich den Verzicht der Sklaven auf die Freiheit postuliert. Zur Diskussion vgl. auch WENGST (2005) 104-113. 40 Vgl. z. B. WENGST (2005) 113f. 41 Vgl. zur christlichen Sklavereimetaphorik von der neutestamentlichen Zeit bis zum Anfang des 5. Jahrhunderts COMBES (1998). 39

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3. Wichtige Stationen der Rezeptionsgeschichte des Philemonbriefes zur Zeit der Kirchenväter Die hohe Wertschätzung des Philemonbriefes des Paulus ist nicht nur früh, sondern auch gut dokumentiert.42 So wird er offensichtlich von Marcion in seinem Kanon der biblischen Schriften geführt, was wiederum Tertullian von Karthago kritisch kommentiert.43 Zugleich bezeugt ihn der um 200 verfasste, fragmentarisch überlieferte Canon Muratori.44 Während der Papyrus 87 vom Anfang des 3. Jahrhunderts einige Verse des Briefes überliefert, haben ihn wichtige Bibelhandschriften aus dem 4. und 5. Jahrhundert vollständig aufgenommen.45 Damit einhergehend ist eine verhältnismäßig häufige Kommentierung seines Textes, die von einzelnen Bemerkungen bis hin zu eigenständigen Abhandlungen reichen. Joseph A. Fitzmyer hat in einer Übersicht der Philemonbriefkommentare aus der Zeit der Patristik sechs erhaltene griechische Autoren ermittelt: Johannes Chrysostomus, Theodor von Mopsuestia (lateinisch erhalten, griechisch nur in Fragmenten), Severian von Gabala, Theodoret von Cyrus, Oecumenicus von Tricca (wobei die Zuschreibung strittig ist) sowie Johannes von Damaskus. Die Texte variieren in ihrem Umfang stark und sind zum Teil sehr an Johannes Chrysostomus angelehnt. Dazu kommen fünf lateinische Kommentatoren, Hieronymus, Ambrosiaster, Pelagius, Johannes der Diakon und schließlich Cassiodor. Auch diese Texte sind unterschiedlich umfangreich überliefert.46 Hinzuweisen ist darüber hinaus auf verlorene oder auch nur sehr fragmentarisch überlieferte Abhandlungen wie die des Origenes.47 Für das Mittelalter listet Fitzmyer drei griechische und dreizehn lateinische Werke auf. Während im 15. bis 42 Auch über die vorliegende Textgestalt des Briefes besteht große Einigkeit, insofern bei den meisten Versen keine Textvarianten vorliegen. Zur Diskussion der Varianten vgl. WENGST (2005) 22-24. 43 Tertullian von Karthago, Adversus Marcionem 5, 21, 1 (SC 483, 372 MORESCHINI/ BRAUN), referiert polemisch, der Philemonbrief sei den fälschenden Händen des Marcion ausschließlich aufgrund seiner Kürze entgangen. Damit spielt er möglicherweise auch darauf an, dass Marcion in diesen Text – im Unterschied zu anderen – nicht kürzend eingriff. Tertullian äußert über Marcions Berücksichtigung des Phlm insofern sein Unverständnis, als dieser Brief nur für einen einzigen Menschen verfasst worden sei. Diesen Vorwurf greift Johannes Chrysostomus auf. Hieronymus, Commentarius in epistulam ad Philemonem, praefatio 60-65 (CCSL 77 C, 79f. BUCCHI) wiederum ist nachweislich – vermutlich über Tertullian – darüber informiert, dass Marcion den Phlm kannte, wertschätzte und ihn nicht kürzte. 44 Canon Muratori 59 (LIETZMANN 8f.). 45 Vgl. z. B. MÜLLER (2012) 79; REINMUTH (2006a) 17. 46 Vgl. FITZMYER (2000) 53f. 47 Origenes, Commentarius in epistulam ad Philemonem (PG 14, 1305-1308), vgl. zur Problematik ausführlich HEINE (2000). Erwähnung findet der Philemonbrief auch bei Origenes, Homilia in Ieremiam 20, 2 (GCS 6², hier 178 KLOSTERMANN/ NAUTIN): Dort führt er unter Rekurs auf Phlm 14 allgemein aus, dass eine gute Tat nicht erzwungen, sondern freiwillig erbracht werden solle.

Deutungen des Philemonbriefes

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18. Jahrhundert mit 35 Auslegungen in etwa eine Verdoppelung zu konstatieren ist,48 können geradezu inflationäre Tendenzen seit dem 19. Jahrhundert wahrgenommen werden – eine Feststellung, die im Übrigen ausnahmslos für die Behandlung aller biblischen Schriften zu treffen ist. Beachtenswert ist darüber hinaus, dass die Person des Onesimus als Sklave des Philemon nicht nur in vielen antiken christlichen Quellen Erwähnung findet, sondern sich auch hagiographische Traditionen entwickeln, deren Ausläufer bis in die Frühe Neuzeit reichen.49 Es versteht sich von selbst, dass aus dieser Vielfalt hier nur ein sehr kleiner Ausschnitt vorgestellt werden kann. Dabei sind jeweils verschiedene Randbedingungen mit zu beachten, zu denen die Situation und das persönliche Interesse des Kommentators ebenso zählen wie der zeitgeschichtliche Kontext, wobei insbesondere auf die Formen zeitgenössischer Sklaverei zu achten ist. Natürlich nähern sich die Autoren in gänzlich anderer Weise dem biblischen Text als dies die modernen Exegeten tun – ihre Akzentuierungen werden sich von denen des vorausgehenden exegetischen Kapitels also auffallend unterscheiden. Gleichwohl haben sie, wie zumindest exemplarisch gezeigt werden soll, die Auslegungsgeschichte des Philemonbriefes in entscheidender Weise geprägt. Näher vorgestellt werden sollen im Folgenden die ältesten vollständig erhaltenen Kommentare einerseits des Lateiners Hieronymus sowie andererseits des Griechen Johannes Chrysostomus. 3.1 Hieronymus und sein Philemonbriefkommentar Hieronymus zählt zu den schillerndsten Gestalten der Alten Kirche. Nach verschiedenen Stationen der wissenschaftlichen Ausbildung und des asketischen Lebens hielt er sich seit 382 in Rom auf. Dort wurde er von Papst Damasus dank seiner Sprachenkenntnisse und exegetischen Fertigkeiten mit einer neuen Bibelübersetzung ins Lateinische (= Vulgata) beauftragt, die die Vetus Latina-Fassungen ersetzen sollte. In der Reichshauptstadt knüpfte der Theologe weiterhin enge Kontakte zu einem bereits bestehenden Zirkel asketisch lebender, vornehmer Jungfrauen und Witwen, zu denen auch Paula und ihre Tochter Eustochium gehörten. Verschiedene Umstände bewogen Hieronymus dazu, Rom 385 zusammen mit diesen beiden Frauen zu verlassen und zu einer Bildungsreise aufzubrechen. Der Weg führte über Palästina und Ägypten bis nach Bethlehem, wo sie sich 386 niederließen. Mit Paulas Vermögen wurden nicht nur ein Männer- und ein Frauenkloster errichtet, dem 48

Vgl. FITZMYER (2000) 55-57. Vgl. vor allem HANSON (1980); dazu KREITZER (2008) 46-52, mit weiteren Hinweisen auf Texte, Fresken und Gemälde bis in das 20. Jahrhundert. 49

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Hieronymus beziehungsweise Paula vorstanden, sondern auch ein Hospiz für Pilger, das zumindest vorübergehend zu einer Begegnungsstätte frommer, aber auch theologisch interessierter lateinischer und griechischer Christen avancierte. Dabei spielte die Auseinandersetzung um Origenes eine zunehmend wichtige Rolle: Sowohl Hieronymus als auch Rufinus von Aquileia übertrugen zahlreiche Schriften des großen Theologen aus dem Griechischen ins Lateinische, wobei sich die beiden Freunde unter anderem wegen Fragen um dessen Rechtgläubigkeit und die angemessene Übersetzung seiner Texte in einem heftigen Streit entzweiten. Hieronymus‘ Interpretation des Philemonbriefes entstand ebenso wie sein Galater-, Epheser- und Titusbriefkommentar in der Anfangszeit in Bethlehem, zwischen 386 und etwa 388.50 Für den Exegeten stellte dies die erste Beschäftigung mit einem Paulusbrief dar: Dass es sich dabei ausgerechnet um den Phlm handelte, sei, so erklärt er, auf den ausdrücklichen Wunsch von Paula und Eustochium zurückzuführen. Hieronymus betont, er habe sich bemüht, diese ungewöhnliche Aufgabe in erster Linie schnell zu bewältigen. In diesem Zusammenhang konstatiert er ein gewisses Unverständnis der beiden Frauen gegenüber dem kurzen Paulusbrief,51 das aber typisch für eine grundsätzlich vorhandene Skepsis gegenüber diesem Text sei: Kritiker versuchten, das Schreiben aufgrund seines besonderen Inhalts entweder nicht Paulus zuzuschreiben oder es als bedeutungslos zu deklarieren.52 Möglicherweise bezieht sich der Kommentator an dieser Stelle auf eine ihm bekannte Diskussion, die schon zur Zeit des Origenes geführt wurde53 und letztlich – wie weiter oben gezeigt – bis zu Marcion und Tertullian zurückreichte.54 Dieser Geringschätzung hält Hieronymus allerdings zwei Argumente entgegen: Der Brief sei erstens in der ganzen Welt und in allen Kirchen verbreitet, zweitens behandele Paulus auch in anderen Schreiben Fragen des Alltags:55 Jede paulinische Äußerung bezeuge demnach uirtus und sapientia.56 50

Zu den verschiedenen Datierungsvorschlägen vgl. FRIEDL (2010) 289. Hieronymus, Commentarius in epistulam ad Philemonem 1-3 (CCSL 77 C, hier 81 BUCCHI). 52 Hieronymus, Commentarius in epistulam ad Philemonem, praefatio 27-30 (CCSL 77 C, 78 BUCCHI). Um wen es sich hierbei handelt, lässt sich dem Text nicht entnehmen. 53 Vieles spricht dafür, dass Hieronymus vom heute nur noch in Fragmenten erhaltenen Philemonbriefkommentar des Origenes beeinflusst wurde. Während HEINE (2000) 119f.; 133, eine starke Abhängigkeit konstatiert, wird diese durch FRIEDL (2010) 291-293, relativiert. 54 Dies lässt darauf schließen, dass Hieronymus auch Tertullian kannte, dazu FRIEDL (2010) 293. 55 Hieronymus, Commentarius in epistulam ad Philemonem, praefatio 30-53 (CCSL 77 C, 78f. BUCCHI). 56 Hieronymus, Commentarius in epistulam ad Philemonem, praefatio 65-67 (CCSL 77 C, 80 BUCCHI). 51

Deutungen des Philemonbriefes

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Für den Kirchenvater, der den kurzen Brief Vers für Vers kommentiert, steht inhaltlich außer Frage, dass der gefangene Apostel sein Schreiben von Rom aus an Philemon in Kolossae richtete.57 Die Vertrautheit des Exegeten und Übersetzers mit den biblischen Texten führt dazu, dass er insbesondere zwischen einzelnen neutestamentlichen Briefen zahlreiche inhaltliche Querverbindungen herstellt und die dort jeweils genannten Personen eng miteinander verknüpft: So spekuliert er zum Beispiel darüber, dass Archippus der Bischof der Kolosser gewesen sein könne.58 Klar sei auch, dass Onesimus nicht nur als Überbringer des Phlm, sondern auch des Kol fungiert habe, wobei das erstgenannte Schreiben ein Privatbrief an eine Einzelperson und das zweite ein an die ganze Kirche gerichtetes Schreiben sei.59 Eher am Rande thematisiert Hieronymus den Diebstahl und die Flucht des Sklaven Onesimus nach Italien, wobei das Schadensersatzangebot des Paulus darauf hinweise, dass das Gestohlene bereits ausgegeben worden sei.60 Im Fokus der Interpretation des Phlm steht schließlich auch Paulus selbst, dessen geschickte Rhetorik der Kommentator bewundert und dessen selbstlosen Einsatz trotz seiner Gefangenschaft er unterstreicht. Indem sich Paulus anbiete, den durch Onesimus verursachten Schaden zu kompensieren, ahme er das Beispiel Christi nach. Kaum überraschend ist das besondere Interesse des Hieronymus an Fragen der richtigen Übersetzung einzelner Begriffe, an historischen Zusammenhängen und verschiedenen etymologischen Auffälligkeiten.61 Dies lässt sich vor allem mit seinen eigenen Vorlieben, sicher teilweise aber auch mit denen der beiden schriftinteressierten Adressatinnen Paula und Eustochium erklären. Insgesamt entsteht auf diese Weise der Eindruck einer gelehrten Kompilation exegetischen Wissens. An verschiedenen Stellen verweisen Hieronymus‘ Bemerkungen auf konkrete Lebensbedingungen in der Klosteranlage von Bethlehem, zum Beispiel, wenn er die Verdienste einer jungfräulichen Lebensführung62 oder die mögliche Interpretation des Begriffs hospitium thematisiert.63 57

Hieronymus, Commentarius in epistulam ad Philemonem 1-3 (CCSL 77 C, hier 84 BUC-

CHI). 58

Hieronymus, Commentarius in epistulam ad Philemonem 1-3 (CCSL 77 C, hier 85 BUC-

CHI).

59

Hieronymus, Commentarius in epistulam ad Philemonem 1-3 (CCSL 77 C, hier 85 BUC-

CHI). 60

Hieronymus, Commentarius in epistulam ad Philemonem 8-9 (CCSL 77 C, hier 94 BUC-

CHI).

Z. B. Hieronymus, Commentarius in epistulam ad Philemonem 1-3 (CCSL 77 C, hier 8183 BUCCHI). 62 Hieronymus, Commentarius in epistulam ad Philemonem 21 (CCSL 77 C, 101 BUCCHI). 63 Hieronymus, Commentarius in epistulam ad Philemonem 22 (CCSL 77 C, 101-103 BUCCHI). 61

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Schließlich bietet der Phlm dem Exegeten Anlass zu einer Positionierung in der theologischen Debatte um den freien Willen des Menschen.64 Zugleich reflektiert er in allgemeiner Form darüber, dass und wie aus Schlechtem Gutes hervorgehen könne. Diese Erkenntnis setzt Hieronymus nicht nur mit dem Schicksal des in die Sklaverei nach Ägypten verkauften Josef in Beziehung, sondern auch mit der „Karriere“ des ehemals nutzlosen und flüchtigen Onesimus, der nun zum minister Euangelii geworden sei.65 Zu einzelnen Aspekten der Sklavereiproblematik äußert sich der Kirchenvater dagegen kaum und allenfalls auf einer sehr theoretischen Ebene. So charakterisiert er den neuen Status des nun christlichen Sklaven Onesimus, der seine objektiv fassbare Schuld durch die Taufe gesühnt habe und von einem seruus fugitiuus und raptor zu einem minister Apostoli geworden sei.66 Gleichzeitig erläutert der Kommentator den Wandel des Flüchtigen vom nutzlosen zum nützlichen (christlichen) Sklaven nicht nur für Philemon, sondern auch für Paulus und diejenigen, mit denen Paulus zu tun habe.67 Weil der Apostel den Sklaven zu seinem Besitzer zurückschickte, habe jener die Möglichkeit erhalten, sich dort zu bewähren.68 Eine mögliche Freilassung wird auffälligerweise an keiner Stelle thematisiert. Zwar betont Hieronymus in diesem Kontext relativierend, dass niemand ewig dominus seines seruus sei und die conditio beider mit dem Tod ende. Wichtiger als die (weiter bestehende) irdische Abhängigkeit (subiectus in carne) sei allerdings eine Aufwertung der Beziehung auf einer anderen Ebene (iunctus in Domino): Hier sei Onesimus durch die Taufe zu einem frater aeternus geworden. Daraus folgt für Hieronymus allerdings zugleich eine doppelte Bindung (lex duplex) des christlichen Sklaven an seinen Herrn69 – was in der Konsequenz, obwohl hier nicht explizit thematisiert, bestehende Verhältnisse stabilisiert. Zwar betont der Ausleger die „Aufwertung“ des Onesimus durch die Forderung nach seiner Gleichbehandlung mit Paulus, gleichzeitig unterlässt er es

Hieronymus, Commentarius in epistulam ad Philemonem 14 (CCSL 77 C, 96f. BUCCHI). Dazu z. B. DECOCK (2010) 280f. 65 Hieronymus, Commentarius in epistulam ad Philemonem 15-16 (CCSL 77 C, 97f. BUCCHI). 66 Hieronymus, Commentarius in epistulam ad Philemonem 8-9 (CCSL 77 C, hier 94f. BUCCHI). Hieronymus vertieft dies noch weiter: Iam non quasi a domino, sed quasi a conseruo et coeuangelista, ignosceretur ei qui seruus esset Christi similiter et minister. (ebd. 95). 67 Hieronymus, Commentarius in epistulam ad Philemonem 10-13 (CCSL 77 C, hier 95 BUCCHI). 68 Hieronymus, Commentarius in epistulam ad Philemonem 14 (CCSL 77 C, hier 97 BUCCHI). 69 Hieronymus, Commentarius in epistulam ad Philemonem 15-16 (CCSL 77 C, hier 98 BUCCHI). 64

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aber, diese Passage zum Anlass zu nehmen, um über eine konkrete Ausgestaltung dieser neuen Beziehung zu reflektieren.70 Auch zum weiteren Schicksal des Onesimus macht er keine Angaben; dies liegt offensichtlich außerhalb seines Fragehorizontes. Dass Hieronymus im Kontext der Auslegung des Phlm kein Interesse an sozialrevolutionären Konsequenzen zeigt, lässt sich schließlich auch einer knappen, aber sehr aufschlussreichen Bemerkung zu Phlm 15 entnehmen: Wenn Paulus erkläre, dass Onesimus forsitan Philemon verließ, damit ihn dieser für ewig zurückerhalte, dann signalisiere diese vorsichtige Formulierung „vielleicht“ die Furcht des Apostels vor einer (drohenden) Flucht aller Sklaven, um ein apostolicus zu werden.71 Als Ergebnis lässt sich daher festhalten, dass sich offensichtlich weder Hieronymus noch Paula oder Eustochium an einer grundsätzlichen Sklavereidebatte interessiert zeigten – zumindest ist ein solches Anliegen dem Philemonbriefkommentar nicht zu entnehmen. Dies deckt sich mit dem, was zur Praxis des Zusammenlebens von Angehörigen verschiedener Stände im Klosterkomplex von Bethlehem ermittelt werden konnte:72 Eine unterschiedliche Behandlung je nach Herkunft erschien den beteiligten Verantwortlichen fraglos als angemessen. 3.2 Die Homilien des Johannes Chrysostomus zum Philemonbrief Johannes Chrysostomus, der seit 386 als Presbyter in Antiochien wirkte, wurde 397/ 398 gegen seinen Willen zum Bischof von Konstantinopel geweiht und 404 aufgrund verschiedener Konflikte von dort endgültig verbannt; er verstarb im September 407 im Exil. Der wortgewaltige Prediger hat über 700 authentische Predigten hinterlassen, wobei nicht alle mit letzter Gewissheit zu datieren sind. Dazu gehören auch die drei Homilien zum Philemonbrief mit ihrer erklärenden Einleitung, deren Entstehung von einigen bereits in die antiochenische Zeit,73 von anderen wiederum erst in die Konstantinopolitanische Phase gelegt wird – Gewissheit in dieser Frage scheint

Hieronymus, Commentarius in epistulam ad Philemonem 17 (CCSL 77 C, 98f. BUCCHI). Dazu auch FRIEDL (2010) 313f. 71 Hieronymus, Commentarius in epistulam ad Philemonem 15-16 (CCSL 77 C, hier 98 BUCCHI). 72 Vgl. GRIESER (2016a) 67f. 73 Z. B. DE WET (2010) 317; MITCHELL (1995) 135. 70

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nicht erreichbar zu sein.74 Zeitlich sind seine Ausführungen wohl sicher nach Hieronymus einzuordnen. Insgesamt bietet Johannes Chrysostomus dort auf einige der heute nach wie vor diskutierten Einleitungsfragen eindeutige Antworten und hat auf diese Weise traditionsbildend gewirkt: Paulus habe diesen Brief in Rom in der Gefangenschaft verfasst und ihn an Philemon übermittelt.75 Sein Adressat sei ein hochangesehener, gastfreundlicher Christ in Phrygien (und damit in Kolossae ansässig), dessen Haus als Gemeinde zu bezeichnen sei.76 Für den Prediger ist außerdem klar, dass auch der Kolosserbrief von Paulus stamme; diesen Zusammenhang stellt er her, als er über den in beiden Briefen genannten Archippus informiert.77 Bei Onesimus handele es sich wiederum um den flüchtigen Sklaven des Philemon, der einen Diebstahl begangen, das Gestohlene bereits ausgegeben und damit Schuld auf sich geladen habe.78 Er sei trotz der weiten Entfernung zu Paulus nach Rom gelangt und dort nach einer Unterweisung getauft worden.79 Schließlich habe der Apostel einen Empfehlungsbrief an dessen Besitzer verfasst und darin Philemon gebeten, dem zurückgeschickten Sklaven zu verzeihen und ihn wieder aufzunehmen.80 Johannes‘ Homilien zum Philemonbrief orientieren sich nach seinem einführenden argumentum – ebenso wie die moderne Exegese – eng an der Abfolge der einzelnen Verse. Dabei behandelt der Prediger die Sklavenfrage, auf die sich im Folgenden der Fokus richtet, schon in seiner kurzen Vorrede im Unterschied zu Hieronymus recht ausführlich, wenn auch in einer besonderen Weise. Gleichzeitig macht er bereits in jener Einführung deutlich, dass auch er sich für die Beschäftigung mit diesem kurzen Brief rechtfertigen muss: Kritiker erheben offensichtlich den Vorwurf, dass der Text nur einen unwichtigen Vorgang behandele und nur an einen einzigen Adressaten gerichtet sei. Dem widerspricht Johannes Chrysostomus scharf mit dem grund-

74

MAYER (2005) 536, verzichtet auf eine konkrete Festlegung, wobei sie, verschiedene Forschungspositionen referierend, auf eine Vielzahl möglicher Kriterien aufmerksam macht. 75 Johannes Chrysostomus, In epistolam ad Philemonem argumentum (PG 62, 701). 76 Johannes Chrysostomus, In epistolam ad Philemonem argumentum (PG 62, 701); In epistolam ad Philemonem homilia 2, 1 (ebd. 708); 3, 1 (ebd. 716): Epaphras, der von den Kolossern geschickt wurde. 77 Johannes Chrysostomus, In epistolam ad Philemonem homilia 1, 1 (PG 62, 704f.). Der Rekurs auf Onesimus, der im Kol ebenfalls genannt wird, unterbleibt interessanterweise. 78 Zur Diskussion darüber, ob Onesimus tatsächlich ein flüchtiger Sklave des Philemon war oder ob diese Interpretation (erst) auf Johannes Chrysostomus zurückzuführen sei, vgl. MITCHELL (1995) und CALLAHAN (1995). 79 Johannes Chrysostomus, In epistolam ad Philemonem argumentum (PG 62, 701; 703); In epistolam ad Philemonem homilia 2, 2 (ebd. 710). 80 Johannes Chrysostomus, In epistolam ad Philemonem argumentum (PG 62, 701f.); In epistolam ad Philemonem homilia 2, 2 (ebd. 710).

Deutungen des Philemonbriefes

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sätzlichen Hinweis auf die nützliche Bedeutung jeglicher Informationen über das konkrete Leben der Apostel.81 Vor allem drei Erkenntnisse seien aus dem Philemonbrief zu ziehen, die er vorab einführend in seinem argumentum präsentiert: So fordere erstens der keineswegs selbstverständliche, engagierte Einsatz des Paulus für den entlaufenen Sklaven ausdrücklich jeden Christen zur Nachahmung eines solchen Eifers beziehungsweise einer solchen Gewissenhaftigkeit auf.82 Allerdings geht es dem Prediger in diesem Kontext um den Eifer an sich und nicht etwa um die Frage nach dem Umgang mit Sklaven: Das Beispiel des Onesimus dient ihm eher nur dazu, die Wertschätzung des Engagements sogar für etwas letztlich Unbedeutendes zu unterstreichen. Zweitens, so Johannes Chrysostomus, veranschauliche die charakterliche Wandlung des Onesimus vom flüchtigen „Schurken“ zu einem von Paulus hochgeschätzten Menschen die prinzipielle Möglichkeit aller Menschen, sich zum Positiven zu verändern:83 Wieder benutzt der Prediger sein Exempel letztlich nur als Folie, um generell zutreffende Aussagen zu machen. Schließlich verweist er drittens konkret auf die Haltung zur Sklaverei in seiner Zeit. Das Verhalten des Paulus, der den Sklaven zurückschickt, unterstreiche deutlich, dass Sklaven ihren Eigentümern nicht entzogen werden dürften. Dies bekräftigt Johannes Chrysostomus mit dem Hinweis auf 1 Kor 7,21, wo Paulus ausdrücklich klarstelle, dass es besser sei, im Sklavenstand zu bleiben. Aufschlussreich ist in diesem Kontext ein von Heiden geäußerter Vorwurf gegen Christen, den der Prediger referiert, ohne ihn näher zu spezifizieren: Das Christentum kehre die bestehenden Verhältnisse um, entziehe den Herren die Sklaven und verbreite Gewalt. Diese Einschätzung gelte es zu entkräften, weshalb er zusätzlich 1 Tim 6,1 anführt, mit der bekannten Aufforderung an die Sklaven, durch ihre Art des Sklavendienstes nicht den Namen Gottes und die Lehre in Verruf zu bringen.84 Es lässt sich feststellen, dass Johannes Chrysostomus hier auffällige apologetische Tendenzen zeigt. Sie lassen sich zunächst nicht leicht einordnen, insofern das Christentum zu seiner Zeit bereits gut etabliert und von der Gefahr einer möglichen Verfolgung weit entfernt war. Der sich in der Vorrede bereits abzeichnende spezielle Blickwinkel des Predigers auf die Sklaverei setzt sich in seinen eigentlichen Homilien zum Philemonbrief weiter fort. Im Mittelpunkt der Ausführungen steht das vorbildliche Verhalten des Paulus, unter anderem durch sein Eintreten für den flüchtigen Sklaven. Dazu betont er die geschickte Rhetorik des Apostels, 81 82 83 84

Johannes Chrysostomus, In epistolam ad Philemonem argumentum (PG 62, 702f.). Johannes Chrysostomus, In epistolam ad Philemonem argumentum (PG 62, 703). Johannes Chrysostomus, In epistolam ad Philemonem argumentum (PG 62, 703). Johannes Chrysostomus, In epistolam ad Philemonem argumentum (PG 62, 703f.).

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durch die er Philemon mit verschiedenen Mitteln für sein Anliegen, die wohlwollende Aufnahme des Flüchtigen, zu gewinnen versuche.85 Die primären Adressaten des Johannes Chrysostomus sind hier zweifellos freie Christen, die offenbar zumindest teilweise selbst Sklaven besitzen; Sklaven selbst werden nicht direkt angesprochen.86 Um den Zuhörern das richtige Verhalten Gott gegenüber zu veranschaulichen, knüpft er unter anderem an deren von Sklaverei geprägten Alltagserfahrungen an und verweist auf Parallelen in diesen Beziehungskonstellationen:87 Was sie zurecht von ihren Sklaven erwarteten, nämlich Gehorsam, Demut, Pflichterfüllung, schuldeten sie selbst umso mehr ihrem Gott als Herrn und Vater. Auch die Verantwortung irdischer Herren für die Sklaven, beispielsweise im Blick auf eine gerechte und verdiente Strafe, parallelisiert Johannes Chrysostomus mit der notwendigen Strenge Gottes gegenüber den Sündern.88 Gleichzeitig fordert er von den Sklavenbesitzern, mit ihren Unfreien nachsichtig und nicht zu streng zu sein89 – was wiederum mit deren Hoffnung auf Vergebung bei Gott in Verbindung gesetzt wird.90 In solchen Kontexten rekurriert der Prediger illustrierend immer wieder auf Beispiele aus der Erfahrungswelt seiner Adressaten und gibt dadurch schlaglichtartig Einblick in die konkrete Wirklichkeit: Sklaven gelinge es, ihre Herren umzustimmen, gerade auch, wenn sie für einen der ihren einträten;91 Herren zwingen ihre Sklaven, menschlichem und nicht göttlichem Willen zu gehorchen;92 Herren sind über flüchtige Sklaven erzürnt, insbesondere, wenn sie zusätzlich etwas gestohlen haben;93 Sklaven werden streng und nicht liebevoll behandelt;94 Herren schlagen ihre Sklaven und sind ihnen gegenüber nicht dankbar;95 Sklaven lehnen sich gegen ihre Besitzer auf, stehlen, werden gewalttätig und neigen insgesamt schneller zur Sünde.96 Onesimus selbst dient dem Johannes Chrysostomus vor allem auch als Projektionsfläche für gängige Klischees und Vorurteile über Sklaven. Für ihn ist der entlaufene Sklave vor allem ein Dieb, der sein Unrecht nicht aus 85

DE WET (2010) gebraucht in diesem Zusammenhang den Ausdruck „honour discourse“. So auch die Beobachtung von DE WET (2010) 324. 87 Darauf verweist auch DECOCK (2010) 281f. 88 Vor allem Johannes Chrysostomus, In epistolam ad Philemonem homilia 3, 2 (PG 62, 717720) mit Ausführungen zu Gottes Güte und zugleich Strenge. Diese münden in den Erweis der Existenz der Hölle. 89 Johannes Chrysostomus, In epistolam ad Philemonem homilia 2, 3 (PG 62, 711). 90 Johannes Chrysostomus, In epistolam ad Philemonem homilia 1, 3 (PG 62, 708). 91 Johannes Chrysostomus, In epistolam ad Philemonem homilia 1, 1 (PG 62, 705). 92 Johannes Chrysostomus, In epistolam ad Philemonem homilia 1, 2 (PG 62, 706). 93 Johannes Chrysostomus, In epistolam ad Philemonem homilia 2, 2 (PG 62, 710). 94 Johannes Chrysostomus, In epistolam ad Philemonem homilia 2, 3 (PG 62, 711). 95 Johannes Chrysostomus, In epistolam ad Philemonem homilia 2, 4 (PG 62, 713). 96 Johannes Chrysostomus, In epistolam ad Philemonem homilia 3, 2 (PG 62, 718). 86

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eigener Kraft wiedergutzumachen vermag.97 Daher erscheint die Wertschätzung des Onesimus durch Paulus umso stärker als eine letztlich unverdiente Auszeichnung, die vor allem die Größe des Apostels unterstreiche. Dass Paulus den Sklaven als geliebtes Kind, als Bruder und als eigenes Herz bezeichnet und ihn damit ehrt, soll auch die übrigen Christen zu einem wohlwollenden Verhalten gegenüber ihren Sklaven motivieren.98 An der konkreten Person des neugetauften Onesimus und seinem weiteren Schicksal zeigt Johannes Chrysostomus dagegen kaum Interesse. Weder thematisiert er eine von Paulus vermutlich gewünschte Freilassung noch seinen Status innerhalb der christlichen Gemeinde des Philemon; schließlich verliert er über mögliche spätere biographische Stationen kein Wort. Die hier eigentlich einschlägigen Verse Phlm 15f. interpretiert der Prediger eher vage, indem er darauf verweist, dass Onesimus nun als „Bruder“ schon jetzt, vor allem aber auch zukünftig einen ehrenvolleren Rang habe, sich zugleich aber auch weiterhin als Sklave bewähren werde.99 Von einer neuen „Nützlichkeit“ seit der Taufe unter Bezugnahme auf das paulinische Wortspiel ist auffälligerweise keine Rede100 – mehr als eine gnädige Wiederaufnahme durch Philemon scheint Johannes Chrysostomus nicht zu erwarten; sie hält er offenkundig für ausreichend und angemessen. Gelegentlich gewährt der Prediger schließlich interessante Einblicke in die Realität innergemeindlichen Lebens, die auf Konflikte hindeuten. So referiert er einerseits, von Gal 3,28 ausgehend, über die Gleichheit aller Unfreien und Freien in der christlichen Gemeinschaft. Andererseits bezeugt und beklagt er gleichermaßen, dass die identische Anrede dieser beiden Gruppen bei den freien Gemeindemitgliedern zu Irritationen führen könne.101 An anderer Stelle äußert er sich ähnlich kritisch zur Zurückhaltung freier Christen, „gute“ Sklaven als gleich anzusehen und sie wie Paulus als „geliebtes Kind“ und „Herz“ zu bezeichnen. Hier gelte es, so mahnt er, dem Apostel in nichts nachzustehen.102 Gleichwohl nennt Johannes Chrysostomus keine sich darüber hinaus konkret ergebenden Konsequenzen für die Sklaven. Im Gegenteil: Gemäß seiner schon in der Vorrede genannten Intention, das Christentum nicht als sozialrevolutionäre Bewegung erscheinen zu lassen, rekurriert er mehr-

97

Johannes Chrysostomus, In epistolam ad Philemonem homilia 2, 2 (PG 62, 711); 3, 1 (PG 62, 715). 98 Johannes Chrysostomus, In epistolam ad Philemonem argumentum (PG 62, 704). 99 Johannes Chrysostomus, In epistolam ad Philemonem homilia 2, 2 (PG 62, 711). Vgl. dazu auch DE WET (2010) 324-326. 100 Die Äußerungen verbleiben auch an dieser Stelle sehr allgemein: Johannes Chrysostomus, In epistolam ad Philemonem homilia 2, 2 (PG 62, 710). 101 Johannes Chrysostomus, In epistolam ad Philemonem homilia 1, 1 (PG 62, 705). 102 Johannes Chrysostomus, In epistolam ad Philemonem homilia 2, 3 (PG 62, 711).

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fach auf die Beibehaltung beziehungsweise Wiederherstellung der etablierten Ordnung.103 Ob sich der Prediger mit dieser Haltung allerdings tatsächlich gegen zeitgenössische Strömungen, zum Beispiel ein radikales Mönchtum, abzusetzen versuchte, die zu seiner Zeit die Sklaverei verwarfen,104 scheint aus zwei Gründen mehr als fraglich. Zum einen hätte er eine solche Positionierung und Frontstellung vermutlich sehr viel stärker konkretisiert und begründet. Zum anderen sind solche allgemeinen „Abolitionsversuche“ in den Quellen allenfalls ansatzweise erkennbar, in der Regel in Form einer moderat gehaltenen Aufforderung an Christen, freiwillig auf (einen Teil ihrer) Sklaven zu verzichten. Auch das Mönchtum macht hier keine Ausnahme.105 Eine allgemeine Forderung nach Abschaffung der Sklaverei, auf die Johannes Chrysostomus selbst anspielt, stellt angesichts des Quellenbefunds eher einen Mythos als gewichtige Realität dar. Offensichtlich greift der Prediger, sein Anliegen rhetorisch geschickt unterstreichend, gängige Klischees, Vorbehalte und Befürchtungen auf, um die eigene Haltung umso profilierter hervortreten zu lassen. 4. Thomas von Aquins Kommentar zum Philemonbrief106 Im Mittelalter nahm die Zahl der lateinischen Kommentare deutlich zu.107 Den Auftakt machte der Berater Karls des Großen, Alkuin (740-804),108 gefolgt von Claudius von Turin (gest. nach 827),109 Walafrid Strabo (808849),110 Rabanus Maurus (784-856),111 Sedulius Scotus (gest. um 858),112 Haymo von Auxerre (gest. 865),113 Florus von Lyon (790-860),114 über Hatto 103

Johannes Chrysostomus, In epistolam ad Philemonem homilia 1, 1 (PG 62, 705): In diesem Sinne begegnet auch nach Einschätzung des Johannes der Apostel Paulus sowohl Herren als auch Sklaven mit dem nötigen Feingefühl. 104 So die Erklärung von STUHLMACHER (2004) 59f. 105 Vgl. dazu die von GRIESER (2016a) in diesem Band präsentierten Ergebnisse; außerdem GRIESER (2001). 106 Wir danken Prof. Dr. Elmar Salmann OSB für die wertvollen Hinweise zur thomasischen Theologie und Auslegungshermeneutik. 107 Vgl. dazu S. 240f. in diesem Beitrag. 108 Alkuin, Incipit expositio in epistolam Pauli ad Philemonem (PL 100, 1025-1032). 109 Claudius von Turin, Expositio Epistolae ad Philemonem (PL 104, 911-918). 110 Walafrid Strabo, Epistola ad Philemonem (PL 114, 641-642). 111 Rabanus Maurus, Expositio in Epistolam ad Philemonem (PL 112, 693-712). 112 Sedulius Scotus, In Epistolam ad Philemonem (PL 103, 249-252). 113 Haymo von Auxerre, In Epistolam ad Philemonem (PL 117, 813-820) (= Pseudo-Haymo von Halberstadt). 114 Florus von Lyon, In Epistolam ad Philemonem (PL 119, 411-412).

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von Vercelli (924-961),115 Lanfranc von Bec (1003-1089),116 Bruno von Köln (1032-1101)117 und Hervaeus von Châteauroux (1080-1150)118 bis zu Petrus Lombardus (1100-1160)119 und Thomas von Aquin (um 12251274).120 Auf den Letzten soll im Folgenden exemplarisch kurz eingegangen werden. Die Datierung des thomasischen Philemonbriefkommentars fällt schwer. „Es könnte sein, daß Thomas zweimal über Paulus Vorlesungen hielt, zuerst in Italien (vielleicht in Rom zwischen 1265 und 1268), dann in Paris und Neapel. Allerdings ist es unwahrscheinlich, daß er zweimal dasselbe las.“121 So bleibt unklar, ob der Kommentar zum Philemonbrief aus einer Vorlesung im Rahmen seiner Lehrtätigkeit in Rom (1265-1268) oder in seinen späten Jahren in Paris (1271-1272) entstanden ist. Er steht in der Reihe einer Auslegung einiger Pastoralbriefe des Neuen Testaments und verfolgt ein pädagogisches sowie pastorales Interesse.122 Wie näherte sich Thomas dem Philemonbrief? Seine exegetische Methode „umfasst sehr verschiedenartige Vorgangsweisen, die sowohl einzeln für sich als auch in ihren wechselseitigen Beziehungen eine gründliche Untersuchung wert sind.“123 Hier rekonstruiert Thomas die Argumentation des Textes multiperspektivisch, das heißt vom Sklaven Onesimus, von Paulus und von Philemon aus und fragt, welche Haltungen sich für sie jeweils ziemen. Der Text gliedert sich in drei Teile: Vorwort (Prooemium), Lesung 1 (Lectio 1) und Lesung 2 (Lectio 2). Den Auftakt, das Grundthema vorgebend, macht Thomas im Vorwort mit Jes Sir 33,31: Servus si est tibi fidelis, sit tibi quasi anima tua etc. („Wenn er dir ein treuer Sklave ist, dann sei er dir gleichsam deine Seele“).124 Hier zeigt sich bereits, dass der gute Sklave sich durch Treue gegenüber seinem Herrn auszeichnet, was umgekehrt eine Hinwendung des Herrn zu seinem Sklaven zur Folge habe, der ihn wie einen Bruder behandeln solle. Es geht also nach Thomas in diesem Brief um das 115

Hatto von Vercelli, Incipit Epistola ad Philemonem (PL 134, 719-726). Lanfranc von Bec, Epistola B. Pauli apostoli ad Philemonem (PL 150, 371-376). 117 Bruno von Köln, Epistola ad Philemonem (PL 153, 483-488). 118 Hervaeus von Châteauroux, In Epistolam ad Philemonem (PL 181, 1505-1520) (auch Hervé de Déols oder Hervaeus von Bourg-Dieu). 119 Petrus Lombardus, In Epistolam ad Philemonem (PL 192, 393-398). 120 Thomas von Aquin, Super Epistolam B. Pauli ad Philemonem, lectura, Textum Taurini, hg. v. Roberto BUSA SJ, 1953 (Corpus Thomisticum, zuletzt eingesehen am 4.8.2015). 121 TORRELL (1995) 354. 122 Vgl. Thomas Aquinas (2007) VII (Vorwort). 123 Thomas von Aquins Kommentar zum Johannesevangelium Teil 1, 6. 124 In der EÜ wird Jes Sir 33,31 folgendermaßen übersetzt: „Hast du nur einen einzigen Sklaven, halt ihn wie dich selbst; denn wie dich selbst hast du ihn nötig.“ 116

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affektive Verhältnis zwischen Herrn und Sklaven im gegenseitigen SichSchulden von Gehorsam und Liebe. Die erste Lesung beginnt mit einer Wiedergabe der Verse 1 bis 9 des Philemonbriefes, die im Folgenden anhand der Querverweise zu zahlreichen Bibelstellen aus dem Alten und Neuen Testament kommentiert werden. In der zweiten Lesung folgen die Verse 10-25, die dann in derselben Weise ausgelegt werden. Nur dreimal werden auch antike Theologen herangezogen: Origenes, Johannes Chrysostomus und Augustinus werden zitiert. Sehen wir uns diese Stellen etwas näher an. Am Ende der ersten Lesung zitiert Thomas zweimal hintereinander Origenes: Origenes: Paulus diu vixit in fide. Conversus enim fuit adolescens, nunc dicit, ut senex. Origenes: raro utilis doctor invenitur in Ecclesia quin sit longaevus. Exemplum de Petro et Paulo.125 Es handelt sich um Hinweise zum Verfasser des Briefes, Paulus. Nach Origenes lebte Paulus, als er diesen Brief schrieb, bereits lange Zeit im Glauben. Als Heranwachsender habe er sich bekehrt und spreche nun als alter Mann. Die Pointe dieses Hinweises findet Thomas ebenfalls mit Origenes. Ein nützlicher Lehrer werde in der Kirche kaum gefunden, bevor dieser alt sei. Man sehe hierzu auf die Beispiele von Petrus und Paulus. In der zweiten Lesung wird einmal Augustinus zitiert. Im Nachgang zum Hohelied 2,3: „Wie süß schmeckt seine Frucht meinem Gaumen“ (et fructus eius dulcis gutturi meo), gemeint ist hier die Frucht des Apfelbaums, führt Thomas aus: Et inde est quod dicit Augustinus‚ fruimur cognitis, in quibus voluntas delectatur propter dulcedinem.126 Das sage also auch Augustinus, wenn er meint, dass wir uns an Dingen erfreuen, die wir kennen, der Wille erfreue sich an ihrer Süße. Dabei geht es Thomas um den Zusammenhang von sich erfreuen und etwas nutzen. Manchmal werde beides ohne Unterschied verwendet. Da sich dies wiederum auf den Wunsch des Paulus an Philemon bezieht, er (Paulus) möchte um des Herrn willen Nutzen von Philemon haben, er (Philemon) möge sein Herz erfreuen (vgl. Phlm 20), verweist Thomas letztlich hier auf die Beziehungsebene zwischen Paulus und Philemon anhand des Begriffspaares „Nutzen“ und „Erfreuen“. Und schließlich wird in der zweiten Lesung einmal Johannes Chrysostomus angeführt: Chrysostomus: iucundum verbum, ut homo pauper diviti mandet ultra tot terrarum spatia per epistolam praeparationem hospitii. Quid enim pro eo parandum erat, qui pane et vili pulmento contentus erat? Dicendum ergo, quod non propter hospitii 125

Thomas von Aquin, Super Epistolam B. Pauli ad Philemonem, Lectio 1 (Corpus Thomisticum, zuletzt eingesehen am 4.8.2015). 126 Thomas von Aquin, Super Epistolam B. Pauli ad Philemonem, Lectio 2 (Corpus Thomisticum, zuletzt eingesehen am 4.8.2015).

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praeparationem, sed ad insinuandum familiaritatem et dilectionem hoc dicit; et magis per hoc provocat eum ad obediendum.127

Es geht hier um einen reichen Mann, der für einen Armen anordnet, diesem wie einem Gast eine gute Aufnahme vorzubereiten. Was solle man aber für jemanden bereiten, der mit Brot und Staub zufrieden sei? Ist das nicht überflüssig? Der Reiche habe dies aber nach dem Kirchenvater nicht angeordnet um der Gastfreundschaft willen, sondern um dem Armen sein Vertrauen und seine Liebe zu zeigen. Und er habe ihn damit zu noch mehr Gehorsam provoziert. Der arme Mann (homo pauper) wird hier auf einen Sklaven bezogen, auf dessen Gehorsam ein Herr vertrauen können möchte. Es geht hier also gerade nicht um eine Rezeption des Philemonbriefkommentars von Johannes Chrysostomus,128 sondern um einen assoziativen Beleg (ohne nähere Angabe) der Auslegung von Vers 21 („Ich schreibe dir im Vertrauen auf deinen Gehorsam und weiß, daß du noch mehr tun wirst, als ich gesagt habe“) des Philemonbriefes, wobei er die Wendung „Vertrauen auf deinen Gehorsam“ näher auslegt. Was für die zahlreichen Verweise auf die Bibelstellen gilt, lässt sich auch für die wenigen Bezüge auf die antiken Autoren bei Thomas festhalten: Die Textkollagen sind bei den Glossen des Thomas stets assoziativ. Sie geben dem besprochenen Text eine Art Grundierung, indem sie ihn mit der gesamten Bibel in Beziehung setzen. Er soll damit stimmig in das Gesamt der Offenbarung platziert werden. Inhaltlich zeichnet Thomas in einer dialektischen Vorgehensweise zunächst ein filigranes Geflecht aus Liebe, Gehorsam und gegenseitigem SichSchulden nach, um dieses Geflecht dann anschließend wieder aus der Optik der Liebe zu relativieren, in welcher alle Perspektiven eingelöst und erfüllt werden. Am Ende lassen sich alle Herrschaftsverhältnisse auf das Fundament von Gehorsam, Dienst und Liebestreue zurückführen. Dies zeigt sich für Herrschaftsverhältnisse wie Herr und Sklave, Prälaten und Untertanen, Apostel und Missionierte, Paulus, Philemon und Onesimus. Stets geht es einerseits um ein Verhältnis der Abhängigkeit, das sich andererseits in eine Zugehörigkeit in der christlichen Liebe verwandeln soll. Das asymmetrische Herrschaftsverhältnis wird in der Liebe Christi aufgehoben. Am Ende stehen ein Ethos und Affekte der Freundschaft (amicitia), der Freude (gaudium) und des Vertrauens (confidentia), wobei hier christliche und aristotelisch-

127

Thomas von Aquin, Super Epistolam B. Pauli ad Philemonem, Lectio 2 (Corpus Thomisticum, zuletzt eingesehen am 4.8.2015). 128 Vgl. dazu 3.3.

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ethische Motive gemischt werden. So bezieht sich Thomas auf das aristotelische Ethos der Freundschaft,129 welches ihm hier sehr wichtig ist. Dieses Verfahren ist für Thomas typisch. So werden in der Summa Theologiae in der Secunda Pars die Affekte und Triebe auf die Liebe (dilectioamor) hingeführt (S. Th. I-II, q. 23-27),130 die habitus-Lehre auf den instinctus divinus und die Gaben des Geistes (S. Th. I-II, q. 68-70),131 die Gesetzeslehre auf die Gnade (S. Th. I-II, q. 109-114).132 Die Vermittlung zwischen übernatürlichen und natürlichen Tugenden geschieht in der caritas (S. Th. IIII, q. 45),133 die Mitte der Gerechtigkeit findet sich im Gebetstraktat (S. Th. II-II, q. 80-86);134 und dasselbe geschieht in der Erlösungslehre (S. Th. III, q. 46-48),135 wo alle Theorien (satisfactio, Opfer, Lösegeld, Sühne, Kult etc.) auf die Liebe als Hingabe und Urverbundenheit hin interpretiert und von daher relativiert werden. Das ist auch die Hermeneutik in der Deutung des kleinen Philemonbriefes. Auf die Problematik der sozialen Praxis von Sklaverei geht der Kommentar nicht ein. Dies löst sich in der grundlegenden ethischen Perspektive nach der geschilderten Logik auf. In der Liebe Christi spielen die sozialen Standesunterschiede keine Rolle mehr. Sie verlieren ihren Wert angesichts des Sich-Schuldens in anerkennender, gegenseitig wertschätzender Liebe. Andererseits fällt von dieser Ethik aus auch ein Licht auf die Beziehung zwischen Herrn und Sklaven zurück, insofern dies im christlichen Sinne dann eigentlich von brüderlicher Milde des Herrn und Treue des Sklaven geprägt sein 129 Vgl. die Ausführungen zur Freundschaft im 8. und 9. Buch der Nikomachischen Ethik des Aristoteles. 130 Thomas von Aquin, Die Verschiedenheit der Leidenschaften voneinander (S. Th. I-II, q. 23); Gut und Böse in den Leidenschaften der Seele (S. Th. I-II, q. 24); Die Stellung der Leidenschaften zueinander (S. Th. I-II, q. 25); Die Leidenschaften der Seele im Besonderen und zunächst die Liebe (S. Th. I-II, q. 26); Die Ursache der Liebe (S. Th. I-II, q. 27). 131 Thomas von Aquin, Die Gaben des Heiligen Geistes (S. Th. I-II, 68); Die Seligkeiten (S. Th. I-II, q. 69); Die Früchte des Heiligen Geistes (S. Th. I-II, q. 70). 132 Thomas von Aquin, Über die Notwendigkeit der Gnade (S. Th. I-II, q. 109); Von der Gnade Gottes in Bezug auf ihre Wesenheit (S. Th. I-II, q. 110); Über die Einteilung der Gnade (S. Th. I-II, q. 111); Über die Ursache der Gnade (S. Th. I-II, q. 112); Über die Wirkungen der Gnade und über die Rechtfertigung des Sünders (S. Th. I-II, q. 113); Das Verdienst (S. Th. I-II, q. 114). 133 Thomas von Aquin, Die Gabe der Weisheit (S. Th. II-II, q. 45). 134 Thomas von Aquin, The potential parts of justice (S. Th. II-II, q. 80); Religion (S. Th. IIII, q. 81); Devotion (S. Th. II-II, q. 82); Prayer (S. Th. II-II, q. 83); Adoration (S. Th. II-II, q. 84); Sacrifice (S. Th. II-II, q. 85); Oblations and first fruits (S. Th. II-II, q. 86). (Zu S. Th. IIII, q. 80-100, fehlt der Bd. 19 der deutsch-lateinischen Ausgabe, so dass hier die englische Übersetzung der einzelnen Quaestionen angeführt wird, in: http://www.egs.edu/library/thoma s-aquinas [zuletzt eingesehen am 4. 8.2015]). 135 Thomas von Aquin, Das Leiden Christi (S. Th. III, q. 46); Die Wirkursache des Leidens Christi (S. Th. III, q. 47); Die Wirkweise des Leidens Christi (S. Th. III, q. 48).

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sollte. Paulus muss zwar die Rechte des Philemon und teilweise das Unrecht des Onesimus anerkennen, aber auch an eine andere Sicht appellieren, religiös wie menschlich. Dies spielt der Kommentar in mehreren Varianten immer wieder durch. Man könnte hier also ein Plädoyer für eine Humanisierung des Verhältnisses zwischen Herren und Sklaven herauslesen, wobei dies dann darüber hinaus grundsätzlich für alle Herrschaftsverhältnisse gelten würde. Eine solche Interpretation geht allerdings an der Intention des Kommentars vorbei, indem sie diesen zu stark auf die Sklavereithematik bezieht. Das Thema Sklaverei ordnet sich vielmehr der ethischen Grundaussage unter. Eine Kritik an der Institution der Sklaverei selbst liegt hier in jedem Fall nicht vor.136 Vielmehr handelt es sich um eine Perspektive auf ein christliches Gnadenethos, welches im mittelalterlichen Zentralbegriff der Liebe seinen höchsten Ausdruck findet. 5. Der Philemonbrief und das Problem der Leibeigenschaft. Eine Variante des Sklavereidiskurses im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation Für das 14. Jahrhundert wird bei Fitzmyer kein Kommentar zum Philemonbrief aufgeführt. Im Laufe des 15. Jahrhunderts findet sich hier nur die Glossierung des Karthäusers Denys Ryckel (1402-1471). Erst mit Erasmus (1469-1536) und Martin Luther (1483-1546) setzt dann wiederum eine neue Welle an Schriftauslegungen ein, in welcher auch der Philemonbrief behandelt wird.137 Humanismus und Reformation sorgen allgemein für eine neue Hinwendung zur Heiligen Schrift. Zu bedenken ist bei der Überlieferungsgeschichte freilich auch, dass sich mit dem Buchdruck die Verbreitungsmöglichkeiten erheblich veränderten. Zahlreiche reformatorische Autoren unterschiedlicher Richtungen kommentierten den Philemonbrief. Neben Martin Luther sind hier vor allem Johannes Bugenhagen (1485-1558),138 Johannes Calvin (1509-1564)139 und Heinrich Bullinger (1504-1575)140 zu nennen. Im Folgenden soll nun ausgehend von Luthers Auslegung141 der Versuch unternommen werden, diese in 136

Zu Thomas von Aquin über Sklaverei vgl. den Beitrag von PULTAR in diesem Sammelband. 137 Vgl. FITZMYER (2000) 55. 138 Johannes Bugenhagen, Annotationes in epistolas Pauli ad Gal. …, 135-138. 139 Johannes Calvin, Commentarii in omnes epistolas Pauli apostoli. 140 Heinrich Bullinger, Commentarii in omnes Pauli Apostoli epistolas atque etiam in Epistolam ad Hebraeos …, 487-490. 141 Dabei wird die Auslegung von Volker LEPPIN in diesem Band aufgenommen und mit kleinen Ergänzungen in die Auslegungsgeschichte des Philemonbriefes hineingestellt.

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einen zeitgenössischen Sklavereidiskurs einzuordnen – nachdem er sich bei Thomas offenkundig nicht nachweisen ließ. Als Professor für Biblische Exegese beschäftigte sich Luther zwei Mal mit dem Philemonbrief und dies in auffallend unterschiedlicher Weise. Ein Jahr, nachdem er auf dem Wormser Reichstag mit dem Kirchenbann und der Reichsacht belegt worden war, verfasste er 1522 in seinem Versteck auf der Wartburg bei Eisenach eine einführende Vorrede zum Philemonbrief.142 Vielleicht noch von den Ereignissen in Worms geprägt, lassen Luthers Ausführungen jeglichen aktuellen gesellschaftlichen Bezug vermissen. Vielmehr deutet der Reformator den Brief als „Exempel christlicher Liebe“,143 indem er den besonderen Einsatz des Paulus für Onesimus in den Mittelpunkt stellt. Dabei leitet er zu einer Reflexion über das Heilshandeln Christi über: Christus habe sich bei Gott für die Menschen eingesetzt wie Paulus bei Philemon für den Onesimus.144 Auch hier wird wie bei Thomas ein asymmetrisches Herrschaftsverhältnis vorausgesetzt: Das Verhältnis Gott-Mensch wird mit dem Verhältnis des Sklavenhalters Philemon zu seinem Sklaven Onesimus verglichen. Während Thomas jedoch die Haltungen aller drei Akteure (Philemon, Paulus, Onesimus) in einer wechselseitigen Perspektive auslotete, fokussiert sich Luther auf die Rolle des Paulus, der hier wie Christus einen Vermittlungsdienst leistete, um die Perspektive des Menschen (Onesimus) einzunehmen. So gipfelt seine Vorrede im Schlusssatz: „Denn wir alle sind Onesimi, wenn wir’s glauben“.145 Hier klingt ein reformatorisches sola fide an. Setzte das Mittelalter spätestens seit dem 12. Jahrhundert die Liebe (caritas) als zentralen Begriff einer christlichen Lebensform, so wurde bei Luther der Glaube zum Zentralbegriff, „Glaube verstanden als unmittelbarer Zugang zu Gottes Wort und so als vertrauendes Empfangen des Heils“.146 Fünf Jahre später, im Dezember 1527, zeigt eine Vorlesung Luthers zum Philemonbrief ganz neue Akzente.147 Diesmal wurde die Sklaverei mit der Leibeigenschaft der Bauern identifiziert, sodass seine Auslegung des Philemonbriefes 1527 eine aktuelle Relevanz vor dem Hintergrund des blutig niedergeschlagenen Bauernkrieges bekam.148 Mit Peter Blickle ist festzuhalten, dass man „für diese Zeit um 1500 fraglos von einem Leibeigenschaftsdiskurs sprechen“149 kann. Besonders im Heiligen Römischen Reich deutscher Na142

Martin Luther, Vorrede auf die Epistel S. Pauli an Philemon, 209f. Martin Luther, Vorrede auf die Epistel S. Pauli an Philemon, 209. 144 Vgl. Martin Luther, Vorrede auf die Epistel S. Pauli an Philemon, 209f. 145 Martin Luther, Vorrede auf die Epistel S. Pauli an Philemon, 210. 146 HAMM (2010) 65. Im dritten Kapitel des Buches geht HAMM der Frage nach, warum für Luther der Glaube zum Zentralbegriff des christlichen Lebens wurde. 147 WA 25, 69-78. 148 Vgl. LEPPIN, S. 143 in diesem Band. 149 BLICKLE (2007) 287. 143

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tion wurden die Auseinandersetzungen um die Leibeigenschaft heftig geführt. Die Reformation hat diesen Diskurs nachhaltig geprägt. Während sich Autoren wie Hieronymus und Thomas in ihren Philemonbriefkommentaren nicht an einer grundsätzlichen Sklavereidebatte interessiert zeigten, wird hier bei Luther also eine konkrete Verbindung zum Leibeigenschaftsdiskurs hergestellt. Dieser erscheint damit als mögliche Variante eines Sklavereidiskurses im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation. Zur Erläuterung soll im Folgenden ein kleiner Exkurs dienen. Was versteht man unter Leibeigenschaft? Es handelt sich um einen rechtlichen Status. Im 13. Jahrhundert wurden Menschen, die diesen Status besaßen, noch als „Eigenleute“ bezeichnet. Diese zeichnen vier Merkmale aus: 1.) Sie bewirtschaften selbständig einen Hof, der ihnen nicht gehört, sondern den sie von einem Herrn (dominus directus) erhalten haben. 2.) Sie dürfen nur innerhalb der Genossenschaft ihres Herrn heiraten. 3.) Die Eigenleute eines Herrn bilden zusammen eine Rechtsgemeinschaft. Jedes Jahr finden Gerichtsversammlungen statt, in denen der Herr über die Eigenleute Urteile fällen kann. 4.) Beim Tod eines Eigenmanns und einer Eigenfrau geht der Nachlass an den Herrn, das heißt die erwirtschafteten Erträge. Am Ende des 15. Jahrhunderts sprach man nur noch von „Leibeigenen“. Hinter dieser begrifflichen Entwicklung steckt auch eine Veränderung des Rechtsstatus, der sich im 14. und 15. Jahrhundert verschlechterte. Bestimmte Freizügigkeiten wurden verboten, Kontrollen erhöht und den Eigenleuten verwehrt, bei Gerichten außerhalb der Herrschaft Recht zu suchen. Standesminderungen und Vermögenskonfiskationen nahmen zu.150 Dies führte wiederum zu sozialen Erschütterungen mit zahlreichen Aufständen, die schließlich 1525 in den Bauernkrieg mündeten. „Die Ursachen dieser größten Massenerhebung in Europa vor der Französischen Revolution fokussieren auf Leibeigenschaft.“151 Im Zuge dieser Unruhen vor und während des Bauernkrieges setzte auch ein intellektueller Diskurs über Leibeigenschaft ein, an dem Juristen, Theologen und die Herren selbst beteiligt waren. Sie reagierten dabei vor allem auf drei Argumente, welche die Leibeigenen für ihre Freiheit ins Feld geführt hatten: „Christus habe durch seinen Erlösertod die Menschen frei gemacht, die göttliche Schöpfungsordnung, wie sie die Bibel beschreibe, sehe keine Leibeigenen vor, und unter Christen verbiete sich Leibeigenschaft aufgrund der Nächstenliebe ohnehin.“152 Wie bekannt wandte sich Martin Lu150

BLICKLE (2007) 288f. Vgl. auch BLICKLE (1980). Zum Begriff SCHREINER (1983). BLICKLE (2007) 290. 152 BLICKLE (2007) 292. Diese Argumentation lässt sich z. B. in den 12 Artikeln der Bauernschaft von Februar/März 1525 erkennen. Hier heißt es im dritten Artikel: „Drittens ist es bisher Brauch gewesen, daß sie uns für ihre Leibeigenen gehalten haben, was zum Erbarmen ist, 151

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ther gegen diese biblisch begründete Freiheitsforderung der Bauern. Dabei bezog er sich in seiner Argumentation auf biblische Stellen zur Sklaverei, die er mit der Leibeigenschaft identifizierte.153 Auch wenn Sklaverei und Leibeigenschaft rechtlich und historisch zu unterscheiden sind, zeigt sich, dass der Diskurs über Leibeigenschaft im 16. Jahrhundert im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation einen den realen Verhältnissen geschuldeten Teil eines Sklavereidiskurses darstellte. Dies lag vor allem an der starken Beteiligung von Theologen an dieser Debatte, die ihre Argumente biblisch begründeten. Ob nun deutsche Theologen über Leibeigenschaft schrieben oder spanische über die Sklaverei angesichts der Indiodebatte, sie griffen alle auf die Bibel und deren Textbezüge zur Sklaverei zurück, wobei sich durchaus unterschiedliche Interpretationen derselben Stellen ergeben konnten. Im Folgenden soll nun in einer konfessionell vergleichenden Perspektive auf einen katholischen Autor der Frühen Neuzeit eingegangen werden. Wie wurde dieser Brief zum Beispiel an der Jesuitenuniversität in Rom ausgelegt? Nur einer der bei Fitzmyer genannten Autoren lehrte am Collegio Romano, Cornelius a Lapide (1567-1637).154 So soll nun dessen Kommentar zum Philemonbrief näher beleuchtet und diskursiv eingeordnet werden. 6. Der Philemonbrief ausgelegt von Cornelius a Lapide155 Der Philemonbriefkommentar des Jesuiten Cornelius a Lapide lag erstmals 1642 gedruckt vor. Wie interpretierte er nun diesen kleinen Paulusbrief? Ging es ihm wie Thomas um eine ethische Auslegung ohne spezifischen Bezug zur Sklavereithematik? Oder zeigen sich hier Anspielungen auf einen aktuellen Sklavereidiskurs, wie dies bei Luthers Vorlesung zum Philemonbrief 1527 im Hinblick auf die Leibeigenschaft gegeben war? In welchen diskursiven Zusammenhang ist dieser Kommentar also einzuorden? Der Kommentar156 selbst ist folgendermaßen aufgebaut: Zunächst stellt Cornelius einleitend den Inhalt des Philemonbriefes dar. Es folgt eine Wiewenn man bedenkt, daß uns Christus alle mit seinem kostbaren Blut erlöst und erkauft hat, den Hirten ebenso wie den Höchsten, keinen ausgenommen…“ (Die 12 Artikel der Bauernschaft, 127-130; 128). 153 Vgl. den Beitrag von LEPPIN in diesem Band. 154 Vgl. FITZMYER (2000) 55-57, 56. Vgl. SOMMERVOGEL IV (1893) 1511-1526. Einen kursorischen Einblick bieten: STUHLMACHER (2004) 62; GNILKA (1982) 2. 155 Zu Leben und Werk von Cornelius a Lapide vgl. den Beitrag von Gabriel-David KREBES in diesem Band, S. 214. 156 Die folgende Darstellung bezieht sich auf den lateinisch-deutschen Quellentext im Anhang dieses Beitrags. Für die Übersetzung danken wir Dr. Tilman MORITZ.

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dergabe des Briefes nach dem Text der Vulgata.157 Schließlich werden einzelne Aussagen des Textes in mehreren Punkten kommentiert, also glossiert. Die einleitende Darstellung des Philemonbriefes ist eine Interpretation der historischen Ereignisse. Nach Cornelius war Philemon kein Judenchrist, sondern ursprünglich ein Heide und Bürger der Stadt Kolossae. Als Christ, „ausgezeichnet in seiner Lebensführung wie seinen Sitten gleichermaßen“,158 stellte Philemon sein Haus für die Versammlung der Gläubigen in Kolossae zur Verfügung. Deshalb habe auch Archippus, der Bischof der Kolosser, in seinem Haus gelebt. Zudem hätten die Gläubigen im Haus des Philemon Almosen bekommen. Onesimus sei ein Sklave des Philemon gewesen, der von Kolossae nach Rom geflohen sei, weil von seinem Herrn einige Sachen geraubt worden waren. Womöglich steckte er selbst hinter dem Diebstahl, doch das wird offen gelassen. Bei seiner Deutung, warum Onesimus vom Haus des Philemon geflohen war, berief sich Cornelius auf die Kirchenväter Hieronymus und Theodoretus sowie auf Theophylactus, allerdings ohne nähere Angaben zu seinen Quellen zu machen. In Rom habe der flüchtige Onesimus den Apostel Paulus getroffen, der ihn zum Christentum bekehrt und getauft habe. Anschließend habe Paulus ihn mit einem Empfehlungsschreiben zu seinem Herrn Philemon zurückgeschickt und um eine wohlwollende Aufnahme gebeten. Als Abfassungsort und -zeit gibt Cornelius an, dass Paulus diesen kurzen Brief während seiner Gefangenschaft in Rom um das Jahr 60 n. Chr. geschrieben habe und ihn dann durch Onesimus selbst zusammen mit dem Brief an die Kolosser nach Kolossae überbringen ließ. Er folgt damit klar einer Linie, die auch bei Hieronymus zu finden ist.159 Im Unterschied zu heute wird der Kolosserbrief also nicht als später entstandener pseudepigraphischer Brief angesehen.160 Unter Berufung auf Johannes Chrysostomus und Theophylactus stellt Cornelius im Folgenden vier Lehren des Philemonbriefes heraus und beweist damit, dass er tatsächlich die von ihm zitierten Quellen in größerem Umfang zur Kenntnis genommen hat: Erstens dürfe keinem Menschen, auch keinem entlaufenen Sklaven, der Zugang zum Heil verwehrt werden. Zweitens sollen auch „wertlose Menschen“ (vilium hominum) wie Sklaven und Entflohene bei den Christen Aufnahme finden. Drittens dürften Herren ihre Sklaven nicht unter dem Vorwand der Frömmigkeit entrissen werden. Deshalb habe Paulus den Sklaven Onesimus zu Philemon zurückgeschickt. Und viertens sollen Sklaven, die sich tugendhaft verhalten, nicht verachtet, sondern geliebt und gefördert werden. Onesimus habe seine Tat bereut und sei ein ge157 158 159 160

Vgl. dazu S. 281f. Quellenanhang, S. 290. Vgl. Quellenanhang, S. 290. Vgl. S. 246.

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bildeter Mann (Lehrer) geworden. Hier bezieht sich Cornelius auf legendenhafte Überlieferungen, die sich auch im Martyrologium Romanum finden und die, wie gezeigt, in ihrem Kern auf Informationen von Ignatius von Antiochien zurückgehen: Onesimus sei später zum zweiten Bischof von Ephesus erhoben worden und habe unter Kaiser Trajan das Martyrium erlitten. Allerdings kann Cornelius die genaue Datierung des Martyriums (Kaiserzeit Trajans) nicht direkt von Ignatius von Antiochien übernommen haben, da dies dort nicht erwähnt wird.161 Hier muss also eine zusätzliche Überlieferung in den Rezeptionsprozess des Ignatius eingeflossen sein. Schließlich hält Cornelius ein Plädoyer für die Sklaven- und Armenseelsorge, indem er herausstellt: „Lernt hier ihr Christen, lernt, ihr Hirten, die armen Sklaven und Sklavinnen nicht zu verachten, sondern euch ihnen besonders zu widmen: Sie sind nämlich eure Schafe und sie besitzen ebenso vornehme Seelen wie die Reichen, und sie sind ebenso um den Preis des Blutes Christi losgekauft worden. Daher wird sie Gott von euch am Tag des Gerichts zurückfordern, denn ihretwegen steigt Christus vom Himmel herab, dessen Ausspruch von Jesaia vorhergesagt und verbreitet wurde: ‚Den Armen wird das Evangelium verkündet werden‘. Solche Menschen erwählt Gott: Sie sind nämlich demütiger, gelehriger, gefügiger und der Gnade und des Heils würdiger als die Reichen.“162

Die Hinwendung zu den Sklaven und Sklavinnen im Rahmen einer Seelsorge, deren Zentrum in der Verkündigung des Evangeliums liegt, war nach Cornelius anscheinend keine Selbstverständlichkeit, sonst wäre dieser eindringliche Appell nicht nötig.163 Es geht hier für ihn offenbar auch nicht um ein Randgebiet der Seelsorge, sondern um einen zentralen Bestandteil des christlichen Erlösungsglaubens. Bemerkenswert ist, dass der Exeget unter Bezugnahme auf paulinische Terminologie die Erlösung durch Christus mit der Loskaufmetapher beschreibt. Der Loskauf war eine Einrichtung der realen Sklavenökonomie,164 die hier unter Rekurs auf die Autorität des Paulus als Metapher zur Beschreibung der Erlösung durch Jesus Christus verwendet wird. So wie der Sklave von dem Loskäufer um einen Preis losgekauft und damit befreit wird, so hat Christus die Gläubigen um den Preis seines Blutes losgekauft. Auf diesen Zusammenhang von „innerer“ und „äußerer“ Freiheit beziehungsweise „innerer“ und „äußerer“ Sklaverei bei Cornelius wird noch näher im Hinblick auf die Bedeutung der Taufe des Onesimus einzugehen sein. Weiterhin ist festzuhalten, dass die Sklaven mit den „Armen“ identifiziert werden. Von der Blickrichtung des Textes ergibt sich eine Universalisierung von der Seelsorge an Sklaven hin zur Seelsorge, die auch die Sorge 161 162 163 164

Vgl. S. 238f. Quellenanhang, S. 291. Zur Sklavenseelsorge vgl. S. 267-269. Zum Loskauf im Mittelmeerraum die Beiträge in: GRIESER/ PRIESCHING (2015).

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um das leibliche Wohl einschließt, an allen Armen schlechthin. Die Tendenz, die uns bereits bei Johannes Chrysostomus begegnet ist, das Engagement für arme, unbedeutende Menschen wertzuschätzen, taucht hier also auch wieder auf. Auf diese einleitenden Bemerkungen zum Inhalt des Textes, seinem Sitz im Leben sowie der moralischen Botschaft für seine Leser folgt, wie erwähnt, die Zitierung des lateinischen Textes des Philemonbriefes selbst, um anschließend einzelne Verse zu kommentieren. Im Aufbau ähnelt der Kommentar also demjenigen des Thomas, aber auch schon des Hieronymus oder Johannes Chrysostomus. Der erste Vers ist die Grußformel, mit der sich Paulus und Timotheus an Philemon, Appia und Archippus wenden. Hier hält Cornelius zunächst glossierend fest, dass sich Paulus als „Gefangener Christi“ bezeichnet, womit er seine Ähnlichkeit (Sklave – Gefangener) zu Onesimus herausstelle. Auch der Christ Timotheus schließe sich der Bitte des Paulus an, die dann im Folgenden nochmals herausgestellt wird: Paulus bittet Philemon, seinen Sklaven Onesimus wieder aufzunehmen.165 Appia wird bei Cornelius als Ehefrau des Philemon identifiziert.166 Das steht nicht in Phlm, der Appia nur als Schwester bezeichnet. Cornelius beruft sich bei dieser Interpretation auf Johannes Chrysostomus, Theodoret und Theophylactus. Schwester sein ist hier nur auf das Christsein Appias bezogen. Archippus wird als Mitstreiter bezeichnet. Auch hier werden nochmals großzügig Informationen aus der Überlieferung ausgeführt, wonach Archippus Bischof der Kolosser gewesen sein soll, diesmal mit Verweis auf Ambrosius und Hieronymus, und im Haus des Philemon, dem Versammlungsort der Gläubigen, gewohnt habe. Es folgt eine moralische Auslegung, wonach die guten Werke aus der Unterstützung der Heiligen hergeleitet werden. Wer die Heiligen verehre, ehre Christus.167 Bei der Auslegung zu Vers 6 geht Cornelius zunächst auf die communicatio fidei ein. Unter der ‚Mitteilung des Glaubens‘ stellt er sich nicht nur die Vermittlung einer Lehre vor, sondern bezeichnet damit auch das Almosengeben und die karitativen Dienste, die aus dem lebendigen Glauben erwachsen. Paulus fordere keinen teilnahmslosen, bloßen Glauben, sondern einen wirksamen Glauben, der gute Werke hervorbringe. Für Philemon bedeute das, dass er Onesimus wieder in Gnaden aufnehmen solle. Noch grundlegender ist allerdings der Gedanke, dass Philemon gegenüber Bedürf165

Vgl. Quellenanhang, S. 292f. Appia wird nicht in der Einleitung des Philemonkommentars von Cornelius a Lapide erwähnt, sondern erst im Kommentar zu V.2, wie folgt, charakterisiert: Haec Appia uxor erat Philemonis (vgl. Quellenanhang, S. 282 und 293). 167 Vgl. Quellenanhang, S. 293f. 166

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tigen, und hier besonders unter den Christen, gute Werke austeilen möge.168 Die Situation des Onesimus steht also für ein allgemeines karitatives christliches Ethos. Dabei stützte sich Cornelius auf Theophylactus, was allerdings in diesem Fall völlig willkürlich erscheint, zumal diese Ansicht geradezu als christlicher Gemeinplatz gelten kann. Es folgt eine Auslegung von Vers 7. Hierzu hält Cornelius fest, dass Paulus bereits zu Beginn seines Briefes eine solche rhetorische Spannung aufbaut, dass ihm Philemon seine Bitte kaum ausschlagen könne. Auch Vers 8 zeige, dass Philemon quasi verpflichtet sei (officii tui est), gegenüber Onesimus Gnade walten zu lassen.169 Anhand von Vers 9 geht Cornelius auf das Verhältnis zwischen Paulus und Philemon näher ein. Er bezeichnet Paulus gleichsam als geistlichen Vater (quasi patri spirituali) des Philemon, sodass er ihm die Aufnahme des Onesimus auch hätte befehlen können. Aber Paulus habe die liebevolle Bitte gewählt. Diese Auslegung hätte Cornelius bereits bei Johannes Chrysostomus finden können, wie bereits dargelegt. Stattdessen nennt er Anselm, (zu Recht) Hieronymus und Theophylactus. Im Grunde handelt es sich um ein Namedropping ohne Belegstellen, wobei die Überprüfung bei Hieronymus und Johannes Chrysostomus in diesem Beitrag ergibt, dass Cornelius seine Autoren schon kannte. Bedeutsam für den Zusammenhang zwischen religiöser und sozialer Ebene ist auch die Auslegung des Cornelius zu Vers 10-12. Trotz der widrigen Umstände im Gefängnis habe Paulus den Onesimus bekehrt und getauft und er wurde ihm wie ein Sohn. Damit wird Paulus geradezu ein biblisches Vorbild für die Jesuitenmission auf den Galeeren und in den Sklavengefängnissen, wie noch zu zeigen sein wird. Die Bekehrung und Umkehr des Onesimus deutet Cornelius als Wortspiel. Das Bibelgriechisch verwendet die Begriffe ἄχρηστος und εὔχρηστος.170 Zunächst gibt Cornelius den Literalsinn wieder. Aus dem unnützen wird der nützliche Sklave Onesimus. Anschließend parallelisiert er den unnützen (lat. inutilis/ latinisiert achrestus) und einstigen Heiden (olim Paganus) mit dem nützlichen (lat. utilis/ latinisiert chrestus) und jetzigen Christen (iam Christianus).171 So erscheint Onesimus im Griechischen gleichbedeutend mit chrestus, das heißt nützlich. Er war einst ein Dieb und ist nun ein treuer Diener. Einst war er geflohen, nun kehrt er zurück. Mit der Bekehrung des Sklaven zum Christentum gehen aber kein Besitzerwechsel oder eine Freilassung einher. So weist Cornelius darauf hin, dass der flüchtige Sklave nach dem geltenden Recht an den Herrn zurückgesandt 168 169 170 171

Vgl. Quellenanhang, S. 294. Vgl. Quellenanhang, S. 295f. Novum Testamentum Graece, Phlm 10-12 (NESTLE-ALAND). Vgl. dazu den Stand der aktuellen Exegese und die Anm. 21 und 22.

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werden müsse.172 Allerdings werde er nach Kol 4,9 liebster und gläubiger Bruder genannt.173 Somit macht die Konversion zum Christentum zwar nicht frei von äußerer Sklaverei, aber am Modell Onesimus wird für einen brüderlichen Umgang mit christlichen Sklaven innerhalb der christlichen Gemeinde geworben. Die Auslegung zu Vers 15-16 legt einen Schwerpunkt auf die Aussagen zur Verbrüderung in Christus zwischen dem Apostel Paulus, dem bekehrten sowie rückkehrwilligen Sklaven und seinem Herren Philemon. Auch hier geht es um die Konsequenzen für den Sklaven. Unter expliziter Berufung auf Hieronymus und Theophylactus meint Cornelius, dass das herrschaftliche Verhältnis zwischen Sklaven und Herren durch die Bekehrung des Onesimus keineswegs aufgehoben sei. Es werde vielmehr bestärkt, denn Onesimus diene Philemon fortan nicht mehr wie ein Kaufsklave aus Furcht, sondern wie ein Bruder aus Liebe beziehungsweise aus dem christlichen Geist heraus. Er diene nun in höchster Treue sowohl in weltlichen wie in göttlichen Dingen.174 Die Argumentation wird dabei heilsgeschichtlich begründet. So erscheine nach Hieronymus, dessen Überlegungen hier fraglos rezipiert werden, die Sklavenflucht sogar als Akt der göttlichen Vorsehung, was in der alttestamentlichen Josefsgeschichte zum Ausdruck komme. „‚Manchmal‘, sagt Hieronymus, ‚ergibt sich aus Unheil eine Gelegenheit zum Guten.‘“175 Damit übernimmt Cornelius also eine heilsgeschichtliche Deutung von Sklaverei, welche eine gewisse konsolatorische Funktion für den Sklaven haben konnte, der seinem Schicksal auf diese Weise einen Sinn abringen könnte. Doch hier wird nicht der Sklave angesprochen, sondern sein Besitzer Philemon. Auch für ihn ergibt sich allerdings aus der heilsgeschichtlichen Perspektive eine Verheißung, denn aus Josefs Sklaverei in Ägypten erwuchs nicht zuletzt seiner Familie schließlich ein unerwarteter Vorteil. So könnte auch die Geschichte des Onesimus letztlich beiden, ihm und Philemon, am Ende Segen bringen. Von Johannes Chrysostomus übernimmt Cornelius wiederum die tropologische Deutung, wonach die christliche Demut es gebiete, dass die Sklaven in Christus als Brüder ihrer Herren angesehen werden.176 Bei Vers 17 hebt Cornelius auf die Schlussfolgerung des Paulus ab, dass er mit Onesimus so viel gemeinsam habe, dass dieser als sein anderes Ich (alter Ego) gelten könne. Folglich habe Paulus in Vers 18 angeboten, dessen 172

Vgl. Quellenanhang, S. 297. Vgl. Quellenanhang, S. 297. 174 Vgl. Quellenanhang, S. 398. 175 Quellenanhang, S. 398. 176 „Denn bei den Christen sind die Sklaven Brüder ihrer Herren in Christo, siehe Chrysostomos über die Moral, Homilien 3“ (Quellenanhang, S. 299). 173

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Schuld durch den Diebstahl auf sich selbst zu überschreiben. Sodann folgt in Vers 19 der Perspektivwechsel auf Philemon, der in der Schuld des Paulus stehe, da dieser Onesimus bekehrt habe. Ähnlich wie bei Thomas zeigt sich bei Cornelius also ein Dreiecksgeflecht eines gegenseitigen Sich-Schuldens und Verdankens zwischen Paulus, Philemon und Onesimus. Das gegenseitige Sich-Erfreuen aneinander erfreut auch Gott und bringt insofern allen einen Nutzen. Entsprechend setzte Cornelius im erneuten Perspektivwechsel an das Ende seines Kommentars den Aufruf an seine Leser: „Erfreue dich der Ewigkeit, erfreue dich Gottes“.177 Insgesamt kann festgehalten werden, dass sich der Kommentar von Cornelius a Lapide auf patristische Autoren wie Ambrosius, Johannes Chrysostomus, Hieronymus und Augustinus stützt. Dabei werden die Kirchenväter Chrysostomus und Hieronymus auch immer wieder als Heilige bezeichnet, einmal auch Augustinus, was ihre Dignität nochmals heraushebt. Dieser Zusatz des S. (= Hl.) vor dem Namen erfolgt aber keineswegs durchgängig bei deren Nennung. Daneben werden auch noch eine Reihe mittelalterlicher Autoren wie Anselm von Canterbury und Beda Venerabilis genannt, allerdings niemals Thomas von Aquin. Ob sich dies aus einer Rivalität zwischen Jesuiten und Dominikanern in der Frühen Neuzeit erklären lässt oder schlicht Zufall ist, kann nicht gesagt werden. Und schließlich kennt Cornelius neben der Vulgata auch neuere Bibelübersetzungen wie die des Erasmus oder die Biblia Regia.178 Wie geht Cornelius mit dem Bibeltext um? Nach den Vorgaben des Konzils von Trient sollte die Bibelauslegung vor allem nach dem Literalsinn erfolgen, wobei die verbindliche Textgrundlage wie erwähnt die lateinische Vulgata sein sollte. Der hebräische und der griechische Urtext durften zwar auch konsultiert werden, aber bei einem Widerspruch war die Vulgata vorzuziehen. Um aus der Enge und Fragwürdigkeit dieser Auslegungsvorgabe etwas herauszukommen, dienten die Kirchenväter und andere Autoritäten der katholischen Tradition. So konnte Cornelius zum Beispiel Appia mit Verweis auf Johannes Chrysostomus und andere als Ehefrau des Philemon bezeichnen, obwohl dies dem Literalsinn des Vulgatatextes nicht entsprach. Auch wenn der Literalsinn eigentlich die höchste Verbindlichkeit nach lehramtlicher Vorgabe beanspruchte, boten sich hier wirkmächtige Möglichkeiten zur Grenzüberschreitung. Auf der anderen Seite betont Cornelius immer wieder die Vorzüge „unseres Übersetzers“, wenn es um verschiedene Übersetzungsprobleme einzelner Wörter geht und gibt zu erkennen, dass die „Väter“ hier nur bestätigend he177 178

Quellenanhang, S. 302. Vgl. Quellenanhang, S. 295.

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rangezogen werden.179 Meint er damit Hieronymus, der die Vulgata angefertigt hatte, oder bezieht sich diese Bemerkung auf die revidierte VulgataAusgabe, welche die Jesuiten Ende des 16. Jahrhunderts erstellt hatten?180 Wäre Letzteres der Fall, wäre diese Stelle als Bekenntnis zur revidierten Vulgata-Ausgabe zu lesen. Da Hieronymus aber tatsächlich die Übersetzungsproblematik einzelner Stellen diskutiert hat, ist eher zu vermuten, dass Cornelius ihn hier rezipiert. Der Umgang mit den Autoritäten erfolgte freilich nicht (immer) in einer historisch-kritischen Art und Weise. Nur ganz selten finden sich zum Namen auch (unvollständige) Hinweise auf einen Titel. Cornelius legte also keinen Wert auf eine Überprüfbarkeit seiner Quellengrundlage, was zu seiner Zeit die übliche Arbeitsweise darstellte. Der Kommentar reiht sich ein in die Gattung der Predigtkommentare. Trotz der scholastischen Art und Weise, einzelne Punkte anzuführen und dabei auch verschiedene Positionen aneinanderzureihen und miteinander ins Gespräch zu bringen, geht es hier nicht um einen Traktat, der eine eigene Position unter widerstreitenden systematisch herausarbeitet. Es werden ohnehin sehr selten widersprüchliche Sichtweisen angesprochen, die sich dann aber meist in der Übersetzung einzelner Wörter erschöpfen und rasch aufgelöst werden.181 Vielmehr ergänzen sich die einzelnen Gewährsmänner und ein Bild großer Einigkeit über den Text entsteht. Die Einleitung hebt den Predigtcharakter der Auslegung zudem deutlich hervor: „Lernt ihr Christen, lernt, ihr Hirten …“. Der Text verfolgt also ein pastorales Erkenntnisinteresse. Cornelius verweist auch auf ein paar Bibelstellen, allerdings nicht sehr ausgeprägt. Dies fällt besonders im Vergleich zum Thomaskommentar über Philemon auf. Es geht Cornelius also nicht darum, den Philemonbrief in einem umfangreichen Verweissystem theologisch in die Heilige Schrift einzuordnen, wie das bei Thomas der Fall war. Ein paar spärliche Hinweise auf die Josefsgeschichte, die im heilsgeschichtlichen Rahmen mit Bezug auf Hieronymus eingeführt wird, genügen zum Alten Testament. Aus dem Neuen Testament werden häufiger Querverweise aus der Apostelgeschichte oder anderen Paulusbriefen angeführt. Allerdings scheinen diese Bibelzitate meist

179

Vgl. Quellenanhang, S. 294; 296; 298. Vgl. S. 232f.; 241. 181 So werden ab und zu lateinische Übersetzungen mit griechischen und hebräischen Ausdrücken in Verbindung gebracht, wobei hier suggeriert wird, dass der lateinische Text der eigentlich unstrittige sei. Vgl. Quellenanhang, S. 294f. zu den möglichen griechischen Lesarten für das lateinische „evidens“. 180

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auf der Grundlage der Kirchenväterliteratur entnommen zu sein. Hier bediente er sich einer ähnlichen Vorgehensweise wie schon seine Vorlagen.182 Welcher Stellenwert kommt der Sklaverei in der Auslegung des Philemonbriefes bei Cornelius zu? Zunächst einmal ist festzuhalten, dass der Jesuit keine grundlegende Kritik an der Institution Sklaverei vorbringt oder gar ihre Abschaffung fordert. Es geht hier auch nicht um eine Kritik an möglichen Missbräuchen im Umgang mit Sklaven. Auch wirbt Cornelius nicht für eine Freilassung oder den Loskauf von Sklaven, nicht einmal nach deren Taufe. Zwar weist er im Rückgriff auf legendenhafte Erzählungen darauf hin, dass Onesimus später noch eine Karriere als Bischof machte, was implizit bedeutet, dass er doch noch freigelassen worden sein müsste. Doch diesen Gedanken führt Cornelius nicht weiter aus. Hier dient dieser Hinweis lediglich zur Unterstreichung der Tugendhaftigkeit des Onesimus. Dennoch kommt mit der Verbrüderung zwischen Herrn und Sklaven in Christus eine Humanisierung der Verhältnisse ins Spiel, die sich langfristig auch auf die soziale Praxis der Sklaverei auswirken sollte. Zumindest besteht hier eine moralische Pflicht, wenngleich auch keine rechtliche. Gleichzeitig verfestigen sich in einem gegenseitigen moralischen Anspruch die Beziehungen, sodass sich Sklaverei einerseits fortsetzt und andererseits in der brüderlichen Liebe aufgehoben wird. Im Grunde setzt das die Argumentationslinie vieler antiker Autoren fort. Diese Ambivalenz des „schon jetzt“ und „noch nicht“, in welcher sich der christliche Sklave befindet, entspricht dabei der christlichen Gesamtlage. Dies zeigt auch die Analogie zwischen dem Loskauf des Sklaven und dem Loskauf der Christen durch Jesus Christus, in dem letztlich die Erlösung aller Christen begründet liegt. Die spiritualisierte Rede von Sklaverei korrespondiert unter christlichen Vorzeichen mit den sozialen Verhältnissen. Es bleibt zu fragen, in welchen diskursiven Zusammenhang dieser Kommentar des Cornelius einzuorden ist. Hier ist vor allem die zentrale Aufforderung an die Leser interessant, die Sklaven und Sklavinnen nicht zu verachten, sondern sich ihnen besonders zu widmen, da sich dieser seelsorgliche Impuls mit dem jesuitischen Engagement für Sklaven zur Zeit von Cornelius a Lapide in Beziehung setzen lässt. Mit seinem Plädoyer für eine Sklavenseelsorge, die den Sklaven als Armen in den Blick nimmt und insofern zu den Werken der Barmherzigkeit zählt, lieferte Cornelius eine biblische Legitimation zur Seelsorge und Mission unter Sklaven, wie sie von der Gesellschaft Jesu auch tatsächlich praktiziert wurde. Hier lassen sich durchaus sozialkritische Untertöne ausmachen. So stellte Cornelius in seinem Kom182

Z. B.: „Aber der Apostel wählt „charin“ statt „charan“, das heißt Freude; so wie in 2 Kor 1,15, wie Chrysostomos und Theophylactus lehren, ja sogar Erasmus, Vatablus und Beza.“ (Quellenanhang, S. 295).

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mentar größere Erfolge in der Mission „von unten“ in Aussicht als in der ebenfalls von der Gesellschaft Jesu praktizierten Elitenmission. Die Armen und Sklaven seien durch Wohltaten leichter zu überzeugen. Dies ist ein aufschlussreiches Indiz für das Selbstverständnis des Jesuitenordens als missionarischem Orden und seinen Anspruch, Gott und den Menschen zu dienen. 7. Zur Sklavenseelsorge der Jesuiten Im Unterschied zu den modernen Exegeten stellte für Cornelius Sklaverei noch eine real existierende soziale und pastorale Herausforderung dar. Dabei ist der sozialgeschichtliche Kontext im Mittelmeerraum ein anderer als im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation. Hier gab es noch bis ins 18. Jahrhundert hinein Galeerensklaven sowie Haussklaven und Haussklavinnen in vornehmen bürgerlichen oder adeligen Familien.183 Der Kirchenstaat bildete da keine Ausnahme.184 Cornelius, der einige Jahre in Rom gelehrt hatte, war diese Praxis sicherlich bekannt. Zudem waren Jesuiten im nahen Neapel in der Sklavenseelsorge tätig, worauf noch einzugehen ist. Darüber hinaus waren sie als Missionare sowohl in Lateinamerika als auch in Asien mit dem Phänomen der Sklaverei vertraut. Durch die weltumspannende Vernetzung des Jesuitenordens wurde das Wissen über Sklaverei und die konkreten Probleme, die damit für alle Beteiligten zusammenhingen, geprägt.185 Eine besondere Bedeutung hatte auch der Jesuitenstaat in Paraguay, in dem humanere Formen von Abhängigkeitsverhältnissen getestet wurden.186 Im Unterschied also zum Heiligen Römischen Reich deutscher Nation, in dem Sklaverei zwar über Kriegsgefangenschaft noch als Randphänomen vorkam, aber die Wahrnehmung von Unfreiheit durch die Leibeigenschaft seit dem Spätmittelalter dominiert wurde, zielte der katholische Diskurs unter Einbeziehung süd- und außereuropäischer Missionserfahrungen auf Sklaven, die auch als solche bezeichnet wurden.187 Um den Aspekt der Sklavenseelsorge bei Cornelius sozialgeschichtlich etwas konkreter einzuordnen, soll im Folgenden in einem kleinen Exkurs auf die Sklavenseelsorge der Jesuiten in Neapel eingegangen werden.188 183

PRIESCHING (2014). Hier auch weiterführende Literatur. PRIESCHING (2012). 185 ALDEN (1996). 186 WILLIAMS (1977); TELESCA (2011); TELESCA (2010). 187 Zur Terminologie des Sklaven vgl. PRIESCHING (2014) 5-7. 188 Die einzigen Quellen, die über die Aktivitäten der Jesuiten zur Sklavenmission in Neapel Auskunft geben, sind die Bände der Patres Francesco Schinosi und Salverio Santagata, welche eine Geschichte der Jesuiten im Königreich Neapel („La Istoria della Compagnia di Gesù 184

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P. Nicolò Alfonso, genannt Bobadiglia, gründete um 1550 die erste jesuitische Niederlassung in Neapel, direkt bei der kleinen Kirche S. Cosimiello de Caposanti. 1552 lebten dort bereits zwölf Jesuiten.189 Noch in den 1550er Jahren wurden ein Palast und mehrere Häuser gekauft, in denen ein Kolleg (Collegio Massimo napoletano) eingerichtet wurde, welches die Jesuiten bis 1767 leiteten. 1557 wurde ihnen zudem die Diakonie für die Gemeinde SS. Giovanni e Paolo von Kardinal Alfonso Carafa, dem Erzbischof von Neapel, übertragen. Er war ein großer Förderer der Jesuiten in Neapel.190 An diesem Jesuitenkolleg wurde nun 1601 eine Kongregation der Sklaven (Congregazione degli Schiavi) eingerichtet, welche sich um die Bekehrung (conversione) der Sklaven kümmern sollte. Kein Geringerer als Robert Bellarmin191 erhielt von Papst Paul V. Ablässe für die Mitglieder dieser Kongregation.192 Um eine effektive Seelsorge unter den muslimischen Galeeren- und Haussklaven in Neapel betreiben zu können, wurden am Kolleg entsprechende Sprachstudien eingeführt und sogar der Koran gelesen, freilich um dessen Irrtümer aufzuzeigen.193 Diese Kenntnisse wurden auch für angehende Missionare, die in den Orient bis hin nach Indien gehen wollten, als notwendig eingeschätzt. Bereits 1617 wurden ein arabisches Wörterbuch und eine Grammatik gedruckt, welche vor allem für die Kongregation der Sklaven als Hilfsmittel gedacht waren.194 Neben der Seelsorge an muslimischen Sklaven in Neapel, die hauptsächlich auf deren Bekehrung zur Gewinnung ihres Seelenheils abzielte, engagierten sich Jesuiten auch beim Sklavenloskauf christlicher Sklaven unter muslimischer Herrschaft. So wurde P. Manieri 13 Mal vom Vizekönig Neapels nach Nordafrika, vor allem nach Algier, geschickt, um dort christliche Sklaven loszukaufen. Durch seine Reisen war er bald ein Kenner der nordafrikanischen Sprachen, welche er dann nel Regno di Napoli“) geschrieben haben. Von Schinosi stammen die ersten zwei Bände, von Santagata drei weitere, wobei der fünfte Band nicht gedruckt wurde. Die ursprünglich in den 1640er Jahren verfassten Bücher wurden erst im 18. Jahrhundert gedruckt, Bd. 1 1706, Bd. 2 1711. Vermutlich wirkte die Sklavenkongregation noch im 18. Jahrhundert. 189 NARDI (1967a) 34-54; 34f. Dieser Beitrag wurde identisch nochmals abgedruckt: NARDI (1967b). 190 NARDI (1967a) 41. 191 Der Jesuit Robert Bellarmin (1542-1621) war der Neffe von Kardinal Marcello Cervini, der in der ersten Tagungsperiode des Trienter Konzils Legat war und später Papst Marcellus II. wurde. Bellarmin systematisierte das im Konzil angelegte Bild von der Kirche und setzte damit für die folgenden Jahrhunderte die ekklesiologische Norm. Zu ihm einführend DIETRICH (2003). 192 NARDI (1967a) 44. Die Kongregation der Sklaven war nur eine von vielen frommen Vereinigungen, welche die Jesuiten in Neapel gründeten. Die meisten waren marianisch geprägt. 193 NARDI (1967a) 45. So beschrieb Ordensgeneral Claudio Acquaviva 1603, als er in Neapel war, dass dort der „Text des Muhammad“ (testo di Maometto) gelesen werde, um Argumente gegen dessen viele Fehler zu finden. Damit kann nur der Koran gemeint sein. 194 NARDI (1967a) 46.

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im Kolleg wiederum unterrichtete, um die Mitglieder der Kongregation der Sklaven für ihre katechetischen Einsätze in Neapel auszubilden.195 In Neapel wurde wie in Rom zur Taufvorbereitung ein Katechumenenhaus eingerichtet. Bereits 1584, also noch vor Gründung der Sklavenkongregation, wurde hier in einem Buch vermerkt, dass zwei Sklaven in der Kirche des Kollegs getauft worden seien. Leider fehlen die Quellen über die Anzahl der getauften Sklaven durch die Sklavenkongregation, sodass der Erfolg nicht mehr festgestellt werden kann.196 Immerhin existieren noch die Angaben aus dem Katechumenenhaus, die doch eine große Anzahl an Taufen zeigen, auch wenn nicht klar ist, ob alle etwas mit der jesuitischen Sklavenkongregation zu tun haben. So werden für 1605 23 Taufen von Sklaven, 1608 nochmals 23 Sklavenkonvertiten, 1615 37 Taufen von Sklaven, 1616 16 muslimische Konvertiten, 1617 30 und 1618 24 Taufen von muslimischen Sklaven gezählt.197 Man wird sich eine große Präsenz von muslimischen Sklaven in Neapel vorstellen müssen. So erbeutete zum Beispiel 1620 der General der Galeeren, Ottaviano von Aragon, nach einer Korsarenfahrt 600 turchi und befreite 110 christliche Sklaven.198 Hält man sich dieses Engagement der Jesuiten in der Sklavenseelsorge vor Augen, so bekommt das Plädoyer des Cornelius a Lapide für diese im Philemonbriefkommentar tatsächlich eine aktuelle Relevanz. „Seelsorge“ verfolgte hier eindeutig das Ziel der Bekehrung zum Christentum. Auch in dieser Hinsicht konnte Onesimus als Vorbild dienen. Dies scheint die Voraussetzung für eine brüderliche Verbundenheit zwischen Herren und Sklaven gewesen zu sein. Doch Taufe machte nicht frei, wie wir seit der Antike und bis in die Frühe Neuzeit hinein wissen. Auch dies ließ sich mit dem Philemonbrief legitimieren. Zur Bewältigung des eigenen Sklavenschicksals wurde dann zum Beispiel mit Hieronymus eine heilsgeschichtliche Perspektive angeboten, die zumindest die Hoffnung auf eine spätere Freilassung nährte – denkt man hier an die in diesem Kontext angeführte alttestamentliche Josefsgeschichte. Insofern konnte Konversion sich immerhin begünstigend für eine spätere Freilassung auswirken – von der Gnade des Herrn abhängig, auf den ein gewisser moralischer Druck, wie auf Philemon, ausgeübt wurde. Das ließ den Herren einen Handlungsspielraum, wobei sie sich immerhin an einem christlichen Gnadenethos zu messen hatten.

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NARDI (1967a) 46. NARDI (1967a) 48. 197 NARDI (1967a) 49. 198 NARDI (1967a) 49. Zum Vergleich siehe die Entwicklung der Taufen von Muslimen in Rom bei PRIESCHING (2013). 196

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8. Fazit Es lässt sich festhalten, dass der Philemonbrief des Paulus bereits in der Antike eine insgesamt erstaunliche Aufmerksamkeit auf sich zog – und dies trotz offenkundig ebenfalls vorhandener Widerstände. Auch wenn das kurze Schreiben einerseits keine Reflexionen zentraler theologischer Fragen enthielt und damit wenig „nützlich“ erscheinen konnte, ermöglichte es den Rezipienten andererseits, dem Apostel persönlich nahezukommen: In einer konkreten, nachvollziehbar schwierigen eigenen Lebenssituation setzte sich Paulus in einer bestimmten Weise für einen Bedürftigen ein und avancierte hier weniger durch seine Worte als durch konkrete Taten zum Vorbild. Auch für den gelehrten Forscher Hieronymus, dem die verschiedenen Diskussionen um den Philemonbrief wohl bekannt waren, stellt sich alleine wegen der Verehrung des Paulus nicht die Frage nach einer möglichen Bedeutungslosigkeit des Schreibens. Ihn inspiriert der Brief vor allem zur Reflexion über verschiedene Übersetzungen und sprachliche Fragen, außerdem zu kurzen Ausführungen über das personelle Netzwerk des Paulus und zur theologischen Frage nach dem freien Willen. Die Situation des flüchtigen Sklaven Onesimus, aber auch das Interesse des geschädigten Besitzers hat er dagegen weniger im Blick. Sklaverei scheint für ihn eine unabänderliche, an sich neutral zu beurteilende Realität zu sein, aus der, wie das Beispiel des Onesimus und das des alttestamentlichen Josef zeigten, durchaus Gutes hervorgehen könne. Konsolatorisch verweist er auf eine neue Art der Beziehung zwischen Christen, die über den Tod hinaus Bestand habe. Möglicherweise hat auch das soziale Umfeld des Hieronymus, die adeligen Frauen Paula und Eustochium sowie die besondere Situation der Mönche und Nonnen in Bethlehem, dazu beigetragen, dass sich der Exeget nicht zu einer besonderen Kritik oder bestimmten Verhaltensaufforderungen veranlasst sah. Die Situation des Johannes Chrysostomus stellt sich dagegen als eine andere dar. Die ausführliche Behandlung der Sklavenfrage in seinen Predigten zum Philemonbrief lässt darauf schließen, dass sein Auditorium mit konkreten diesbezüglichen Problemen beschäftigt ist, für die der Prediger Hilfestellung anzubieten versucht. Eindringlich wirbt er vor allem für ein jeweils mitmenschlich zugewandtes Verhalten in der Nachahmung des Paulus, wobei ihm der Umgang mit dem entlaufenen Onesimus als Beispiel dient: Selbst dieser charakterlich fragwürdige Mensch habe sich bessern können. Gleichzeitig wendet er sich unter Berufung auf den Apostel gegen Tendenzen, Sklaven ihren Eigentümern zu entziehen. Mit der Mahnung zur Beibehaltung der überkommenen Ordnung scheint Johannes Chrysostomus vor allem christlichen Sklavenbesitzern entgegenzukommen, die offenbar auch

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durch alltägliche Probleme im gemeindlichen Zusammenleben von freien und unfreien Christen beunruhigt sind. Auch im Mittelalter beschäftigten sich zahlreiche Theologen mit dem Philemonbrief, darunter Thomas von Aquin. In seinem Kommentar widmet sich Thomas dem Geflecht aus Liebe, Gehorsam und gegenseitigem SichSchulden, welches aus den Perspektiven des Philemon, Onesimus und Paulus durchbuchstabiert wird. Damit übernimmt er eine ethische Schwerpunktsetzung, wie sie vor allem bei Johannes Chrysostomus zu beobachten ist. Die Kirchenväter und Origenes zitiert er jedoch ausgesprochen sparsam (nur an drei Stellen) und das eher assoziativ. Seine theologischen Einordnungen gewinnt er vielmehr, indem er – wie schon zahlreiche Exegeten vor ihm – Aussagen des Philemonbriefes mit anderen Bibelstellen in Beziehung setzt. Dies verweist auf eine Bibelhermeneutik, nach der alle Schriften des Alten und Neuen Testaments systematisch unter bestimmten Themen in ihrer Verwiesenheit aufeinander ausgelegt werden können. Seine Kenntnis des Aristoteles schimmert beim Ethos der Freundschaft noch durch, wird aber nicht explizit genannt. Die Sklaverei stellt für Thomas nicht das eigentliche Zentrum des Briefes dar. Hier kommen ihm einige moderne Exegeten wieder nahe: Sklaverei ist höchstens ein Unterthema bei der Bewertung von Herrschaftsverhältnissen, deren Unterschiede einerseits durch ein christliches Gnadenethos überwunden werden sollen, ohne dass dies andererseits mit ihrer Aufhebung in der Praxis verbunden wäre. In der Frühen Neuzeit werden demgegenüber neue Akzente gesetzt. Bei Martin Luther findet sich einerseits 1522 immer noch eine Auslegung des Philemonbriefes als Beispiel für christliche Liebe, hier also durchaus in traditionellen scholastischen Bahnen wandelnd. Der Hinweis auf das Heilshandeln Christi am Beispiel des Paulus im Hinblick auf Onesimus erinnert an Auslegungen des Philemonbriefes, in denen die Beziehungen zwischen Gott und Mensch sowie zwischen den Menschen untereinander in Beziehung gesetzt wurden. Dies findet sich bereits bei einigen Kirchenvätern. Andererseits legt Luther 1527 den Philemonbrief vor dem Hintergrund des Bauernkrieges auch auf die äußere Sklaverei hin aus, indem er ihn auf die Frage der Leibeigenschaft bezieht. Im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation spielte zu seiner Zeit Sklaverei vor allem in der Form der Leibeigenschaft eine gesellschaftliche und politische Rolle. Für Luther ist es kein Problem, Sklaverei mit Leibeigenschaft zu identifizieren. Damit rückt also das Thema Sklaverei (wieder) in den Vordergrund der Auslegung des Philemonbriefes. Auch für den Jesuiten Cornelius a Lapide enthält der Philemonbrief maßgebliche Aussagen über Sklaverei. Die übergeordnete Aussage liegt hier zwar immer noch bei der Forderung nach christlicher Nächstenliebe. Doch wird hier der Sklave/ die Sklavin unter die „Armen“ eingereiht, an denen

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Werke der Barmherzigkeit zu vollbringen sind und denen das Evangelium verkündet werden soll. Somit zeigt sich im pastoralen Anliegen seines Kommentars auch das Selbstverständnis des Jesuitenordens, in dem karitative Werke, Glaubensunterweisung und Mission eine große Rolle spielten. Während die Jesuiten in ihren Seelsorgebemühungen sowohl Eliten als auch Arme ansprechen wollten, zeigt Cornelius anhand des Philemonbriefes den Vorrang eines Engagements für die Armen. Auch diese Interpretationslinie findet sich bereits bei den Kirchenvätern. Indem er jedoch explizit auf die Sklaven und Sklavinnen Bezug nimmt, weist Cornelius auch konkret auf die Sklavenseelsorge hin, die ebenfalls zum Tätigkeitsspektrum der Jesuiten seiner Zeit gehörte. Die Hinweise zur Sklavenseelsorge der Jesuiten in Neapel sollten diesen Wissenshorizont von Cornelius a Lapide exemplarisch verdeutlichen. Wie rezipierte Cornelius die Kirchenväter? Hat er nur auf patristische Autoren Bezug genommen, um seiner eigenen Argumentation nachträglich eine größere Würde zu verleihen, wie Leinkauf dies für die Barockscholastiker nahegelegt hat? Unsere Untersuchung kommt gegen eine solche Einschätzung in diesem Fall zu dem überraschenden Ergebnis, dass der Jesuit seine zitierten Quellen inhaltlich gut kannte und von dort her seine Auslegung entwickelte. Seine Hinweise halten einer patristischen Überprüfung durchaus stand. Nach einer pastoralen Grundorientierung, den sensus moralis gleichsam vorwegnehmend, arbeitete er sich Vers für Vers am Text ab, wobei er zur Erhellung des Literalsinns Kirchenväter und andere Quellen heranzog. Dies erfolgte aber nicht einfach im Sinne einer nachträglichen Bestätigung seiner Auslegung, sondern bildete vielmehr eine Ausgangsbasis für das Diskussionswürdige. Cornelius berücksichtigte nicht einfach blind die Vorgabe des Konzils von Trient, der lateinischen Vulgata stets den Vorrang zu geben. Vielmehr bemühte er sich in Anbetracht der Fülle seiner Quellenbezüge mit großem Fleiß, diesen Text mit alternativen Übersetzungsmöglichkeiten zu vergleichen und über die Auslegungen aus der Väterliteratur zu einem schlüssigen Ergebnis zu kommen. Die Vulgata erhielt somit eine intelligente Verteidigung, da sie sich letztlich in der Auslegungstradition bewährte. Gleichzeitig machte Cornelius indirekt auch eine gewisse Auslegungsbreite sichtbar. So zeigen sich einerseits große motivische Kontinuitätslinien bei der Interpretation des Philemonbriefes im Laufe von drei Epochen. Das zentrale Motiv lag bei der Verdeutlichung eines christlichen Gnadenethos, welches am Beispiel der Beziehung zwischen Philemon und seinem entlaufenen Sklaven Onesimus sowie der Beziehung des Paulus zu diesen beiden entwickelt wird. Insofern kann man von einer angewandten Relativitätspraxis sprechen. Wichtiger als die „äußere“ Freiheit erscheint bei allen Autoren die

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„innere“ Freiheit, die sich unter anderem durch die Konversion des Sklaven Onesimus und seinen damit verbundenen „Herrschaftswechsel“ ereignet. Insofern spielte die Institution der Sklaverei, die von der Antike bis in die Frühe Neuzeit alle hier untersuchten Autoren, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß, als soziale Gegebenheit kannten, eine verschieden gewichtete Rolle. So werden bei Johannes Chrysostomus, bei Martin Luther und Cornelius a Lapide die Bezüge zur gegenwärtigen Praxis der Sklaverei deutlicher als bei Hieronymus und Thomas von Aquin. Weitere Forschungen wären interessant, um diesen Trend, der neben der persönlichen Situation/ Haltung des Autors zur Frage offenbar auch auf unterschiedliche Formen von Sklaverei zurückzuführen ist und unter unterschiedlichen konfessionellen Vorzeichen stattfand, weiter zu beleuchten. Ein eigenes Feld wäre zudem die weitere Rezeption des Philemonbriefes im 19. Jahrhundert, insbesondere vor dem Hintergrund des bereits Jahrhunderte andauernden transatlantischen Sklavenhandels. Ein letzter Blick sei abschließend auf die moderne (europäische) Exegese des Philemonbriefes geworfen, die, kaum überraschend, ihre je eigenen Akzentuierungen aufweist. Einflussnehmend ist hier vor allem die „neue“, historisch-kritische Methode, darüber hinaus aber auch der prägende Blick auf eine lange Auslegungsgeschichte, der zur kritischen Reflexion der eigenen Position anregt. Dabei fällt insgesamt auf, dass die Sklaventhematik stärker ins Zentrum der Analysen gerückt ist und beispielsweise die prinzipielle Frage nach der Haltung des Paulus zu dieser Problematik (neu) gestellt wird. Es bleibt theologisch bedenkenswert, dass eine grundsätzliche Thematisierung und damit verbunden auch Infragestellung von Sklaverei offenbar vermehrt erst möglich wurde, als diese zumindest im näheren Umfeld der Autoren weitgehend überwunden oder infrage gestellt war. Die katholische Kirche positionierte sich erst seit Leo XIII. (1878-1903) als Vorkämpferin gegen Sklaverei. Heute setzt sich Papst Franziskus gemeinsam mit Vertretern anderer Religionen für eine Abschaffung von Sklaverei ein. Dabei erweist sich auch der Philemonbrief wieder als aktuell.

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Quellenanhang (Q) Cornelius a Lapide, Commentarius in epistolam ad Philemonem. Argumentum. Der lateinische Text ist dem 1692 in Antwerpen erschienenen und von Cornelius a Lapide verfassten Werk „Commentaria in omnes divi Pauli epistolas“ entnommen.1 Die deutsche Übersetzung stammt von Tilman MORITZ. (Q) Cornelius a Lapide, Commentarius in epistolam ad Philemonem. Argumentum. Philemon, non Iudaeus, sed Gentilis, civis erat Colossensis, inter suos nobilis, vita ac moribus aeque ac fide et professione christiana conspicuus. Cuius domum Colossis ad sua tempora integram permansisse tradit Theodoretus hic; utpote quae tempore Pauli coepit esse Ecclesia, ut in ea Paulus ageret synaxes fidelium, ideoque in ea habitaret Archippus Colossensium Episcopus, ut satis insinuat Paulus versu 2. Hinc haec domus iam Deo in Ecclesiam dicata permansit in multa saecula. Rursum fideles in domum Philemonis convenire soliti eiusdem fovebantur auxilio. Erat enim ipse eleemosynis addictus et sanctorum necessitatibus succurrebat. Hoc enim est quod ait Apostolus versu 7: „Viscera sanctorum per te requieverunt frater.“ Hic ergo Philemon habuit servum nomine Onesimum, qui non tam S. Pauli studio, ut volunt aliqui, quam ob furtum, compilatis scilicet quibusdam heri sui rebus, ut ex versu 18 colligit S. Hieronymus, Theodoretus et Theophylactus, Colossis Romam transfugerat, ubi in Paulum incidit, qui eum ad Christum convertit, instituit et baptizavit, et iam fidelem tam Christo quam hero suo effectum cum hac epistola commendatitia ad herum, Philemonem scilicet, remittit, qua rogat illum, ut eum in gratiam recipiat. Scripsit hanc epistolam Paulus Romae e vinculis prioribus anno Christo 60, cum iam speraret se brevi iis liberandum, ut patet versu 22. Misit eamdem cum epistola ad Colossenses per ipsum Onesimum.

1

Cornelius a Lapide, Commentaria in omnes divi Pauli epistolas. Auctore R.P. Cornelio Corneli a Lapide, e Societate Iesu, olim in Lovaniensi, post in Romano Collegio Sacrarum Litterarum professore. Ultima editio, aucta et recognita, Antwerpen 1692. (dt.: Kommentare zu sämtlichen Briefen des Hl. Paulus. Verfasst durch Rev. P. Cornelius Cornelii a Lapide SJ, einst zu Löwen, danach im römischen Kolleg der Hl. Schriften Professor. Jüngste Ausgabe, vermehrt und verbessert.). Die griechischen und hebräischen Wörter wurden sowohl im lateinischen Text wie in der deutschen Übersetzung der heute üblichen Schreibweise angepasst.

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Notant S. Chrysostomus et Theophylactus hanc epistolam in tanta brevitate et simplicitate plura perutilia continere documenta. Inter quae Primum est, nulli homini, ac ne servo quidem fugitivo, aditum ad gratiam et vitam aeternam esse praeclusum, neque de ullius quantumvis duri, fraudulenti et perditi salute esse desperandum. Talis enim erat Onesimus, utpote servus, fur, Phryx. Phryges enim illiberali servilique erant indole. Unde apud eos ingens erat mancipiorum proventus, ut in proverbium abierit, teste Cicerone, oratione pro Flacco, Phrygem plagis meliorem fieri. Secundum est, etiam vilium hominum, servorum et profugorum Christianis curam esse habendam. Tertium, pietatis praetextu servos non esse avellendos a dominis. Unde hic Paulus servum Onesimum domino Philomeni remittit. Quartum, servos praestantes virtute non esse contemnendos, sed amandos et promovendos. Hic enim Onesimus poenitens facti in gratiam cum hero suo Philomene rediit factusque est vir et doctor egregius atque post Timotheum creatus est secundus episcopus Ephesi, quem valde laudat S. Ignatius epistola ad Ephesios. Unde et hic idem Onesimus postea Romae sub Traiano martyrio consummatus et laureatus est. Discite hic Christiani, discite Pastores, pauperes, servos et ancillas non negligere, sed singularem curam eis impendere. sunt enim ipsi oves vestrae, atque animas tam nobiles habent quam divites, eodemque pretio sanguinis Christi redemptas. Unde a vobis easdem reposcet Deus in die iudicii. Nam propter eas e caelo descendit Christus, cuius hoc est elogium ab Isaia praedictum et celebratum: „Pauperes Evangelizantur.“ Tales Deus eligit: sunt enim ipsi magis humiles, dociles, ductiles ideoque gratiae et salutis capaciores quam divites. „Nonne Deus“, inquit S. Iacobus, capitulo 2,5, „eligit pauperes in mundo, divites in fide, et heredes regni quod repromisit Deus diligentibus se?“ (1.) Paulus vinctus Christi Iesu et Timotheus frater Philemoni dilecto et adiutori nostro (2.) et Appiae sorori charissimae et Archippo commilitoni nostro et Ecclesiae, quae in domo tua est. (3.) Gratia vobis et pax a Deo Patre nostro et Domino Iesu Christo. (4.) Gratias ago Deo meo semper memoriam tui faciens in orationibus meis, (5.) audiens charitatem tuam et fidem, quam habes in Domino Iesu et in omnes sanctos. (6.) Ut communicatio fidei tuae evidens fiat in agnitione omnis operis boni, quod est in vobis in Christo Iesu. (7.) Gaudium enim magnum habui et consolationem in charitate tua: quia viscera sanctorum requieverunt per te, frater. (8.) Propter quod multam fiduciam habens in Christo Iesu imperandi tibi quod ad rem pertinet, (9.) propter charitatem magis obsecro, cum sis talis ut Paulus senex, nunc autem et vinctus Iesu Christi. (10.) Obsecro te pro meo filio, quem genui in vinculis, Onesimo, (11.) qui tibi aliquando inutilis fuit, nunc autem et mihi et tibi

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utilis, (12.) quem remisi tibi. Tu autem illum ut mea viscera suscipe. (13.) Quem ego volueram mecum detinere, ut pro te mihi ministraret in vinculis Evangelii, (14.) sine consilio autem tuo nihil volui facere, uti ne velut ex necessitate bonum tuum esset, sed voluntarium. (15.) Forsitan enim ideo discessit ad horam a te, ut aeternum illum reciperes, (16.) iam non ut servum sed pro servo charissimum fratrem, maxime mihi; quanto autem magis tibi et in carne, et in Domino? (17.) Si ergo habes me socium, suscipe illum sicut me. (18.) Si autem aliquid nocuit tibi aut debet, hoc mihi imputa. (19.) Ego Paulus scripsi mea manu, ego reddam, ut non dicam tibi, quod et teipsum mihi debes. (20.) Ita frater, ego te fruar in Domino: Refice viscera mea in Domino. (21.) Confidens in obedientia tua scripsi tibi, sciens quoniam et super id, quod dico, facies. (22.) Simul autem et para mihi hospitium; nam spero per orationes vestras donari me vobis. (23.) Salutat te Epaphras concaptivus meus in Christo Iesu. (24.) Marcus, Aristarchus, Demas et Lucas adiutores mei. (25.) Gratia Domini nostri Iesu Christi cum spiritu vestro, Amen. Paulus vinctus Christi Iesu et Timotheus frater Philomeni dilecto et adiutori nostro et Appiae Sorori charissimae et Archippo commilitoni nostro et Ecclesiae, quae in domo tua est. Vide quot titulis et nominibus pulset hic Apostolus mentem Philemonis, ut Onesimum in gratiam recipiat. Primo, ego „vinctus Christi“, inquit, hoc a te posco, da ergo hoc solatium et gaudium mihi vincto, imo da hoc Christo, pro quo ego vinctus sum, factusque quasi servus similis servo tuo Onesimo. Secundo, idem poscit Timotheus frater tam tuus quam meus, in Christo, id est Christianus. Tertio, tu es mihi dilectus et adiutor, da hoc ergo dilectioni nostrae. Rursum soles non tantum quosvis miseros et pauperes, sed etiam me tuis opibus et opera in Evangelio adiuvare, iuva ergo et suscipe hunc misellum servum tuum per me conservum. Quarto, salutando Appiam et Archippum, tacite eosdem, inquit Theophylactus, deprecatores secum pro Onesimo adsciscit, tanta erat charitas et solicitudo Apostoli, ut unum homuncionem fugitivum domino suo reconciliaret. Nota Secundo. Haec Appia uxor erat Philemonis, ut docet Chrysostomus, Theodoretus, Theophylactus. Hanc sororem suam vocat, scilicet in Christo, omnes enim Christiani in symbolum eximiae charitatis mutuae, omnes viros Christianos vocabant fratres, omnes feminas sorores, tamquam ex eodem patre, scilicet Christo, et matre, scilicet Ecclesia genitos et genitas. Nota Tertio. Hic Archippus Episcopus et praedicator erat Colossensium, inquit Ambrosius et Hieronymus. Unde eum hic Paulus vocat commilitonem suum, et ad Colossenses 4 versu 17 de eo sic scripsit: „Dicite Archippo, vide ministerium, quod accepisti a Domino, ut illud impleas.“ Licet Primasius ve-

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lit Archippum tantum fuisse diaconum, Epaphram vero fuisse Episcopum Colossensium, de quo versus 23. Videtur autem hic Archippus habitasse Colossis, in domo Philomenis. Hac enim de causa eum cum Philemone salutat; hinc etiam addit salutem apprecans, „et Ecclesiae“ (id est congregationi fidelium) „quae in domo tua est“, scilicet o Philemon (ad eum enim scribit eumque alloquitur, non autem Archippum), utpote in qua multi sunt fideles, cum in ea habitet Archippus Episcopus, ideoque ad eam quasi communem Episcopi et fidelium Ecclesiam Christiani sacrorum causa conveniant. Gratias ago Deo meo semper memoriam tui faciens in orationibus meis, audiens charitatem tuam et fidem, quam habes in Domino Iesu et in omnes sanctos. – Graece non est „ἐν“, sed „εἰς“, id est „in“ vel „erga“ Dominum Iesum et omnes Sanctos, ita Chrysostomus et Ambrosius. Nota. Fidem quam habemus in Dominum Iesum, eamdem habemus et in omnes Sanctos. Sicut enim credimus Iesum esse Messiam et Salvatorem caputque Ecclesiae Dei, ita pariter credimus Sanctos Iesu veros esse sanctos veramque Dei Ecclesiam; et amando ac adhaerendo Sanctis amamus ac adhaeremus Christo, ac consequenter benefaciendo Sanctis benefacimus Christo. Apostolus enim loquitur de fide non nuda et interna, sed de ea, quae per opera sese exerit et communicat, uti mox ipse subiungit. Hinc sequitur, eum qui honorat et invocat Sanctos, nihil detrahere Christo, imo hoc ipso honorare et invocare Christum. Unde Exodi 14.31 dicitur: „Crediderunt Domino et Mosi servo eius. Hoc autem“, inquit Hieronymus, „non solum in Mose, sed in omnibus Sanctis eius est, ut quicunque credit Deo aliter eius fidem recipere nequeat, nisi credat et in Sanctos eius; non enim est in Deum perfecta dilectio et fides, quae in ministros eius odio et infidelitate tenuatur.“ Ut communicatio fidei tuae evidens fiat in agnitione omnis operis boni, quod est in vobis in Christo Iesu. – Communicationem fidei vocat fidei communionem. Sive quod tu, o Philemon, nobiscum in fide communices habeasque communem et eandem nobiscum fidem aeque ac spem. Secundo, et plenius, communicationem fidei vocat eleemosynas et officia charitatis in Sanctos, ex fide viva et ardenti manantia. Nota Primo. Haec verba referenda esse ad superiora, scilicet ad illa, „semper memoriam tui faciens in orationibus meis“, quod dicat: Oro instanter et assidue pro te, ut communicationem hanc bonorum operum, ad quam fides te incitat, ostendere et perficere pergas; ut liberalitas tua nunquam cesset, sed potius ut quaecumque potes effundas in egentes, maxime Christianos; ita Theophylactus. Nota Secundo. Pro „evidens“ graece legit noster Interpres „ἐναργής“ per „α“, iam cum Hieronymus, Chrysostomus, Theophylactus per „ε“ legunt „ἐνεργής“, id est efficax, operatrix et operibus florens, scilicet fiat fides et

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communicatio fidei tuae. Adverte, Apostolum poscere fidem non otiosam et nudam, sed efficacem quae flores et fructus pariat eleemosynae et bonorum operum. Verum melius Noster legit „ἐναργής“, id est evidens: sequitur enim „in agnitione omnis operis boni“. Quod dicat: Ut omnibus evidens fiat fides tua, dum agnoscunt et vident eleemosynas et opera tua bona, quae per fidem hanc incitatus operaris, „idque in Christo Iesu“, id est per legem, doctrinam et gratiam Christi Iesu. Quod dicat: Cum sis tantae in omnes charitatis, eam in tuum Onesimum quoque ostende, eumque in gratiam recipe; ita Theophylactus. Aliter Anselmus: „In agnitione“, inquit, id est, ut tu agnoscas practice, id est, ames et peragas omne bonum. Sed prior sensus planus est et genuinus. Denique vox „operis“, non est apud Hieronymum, Chrysostomum, Ambrosium, est tamen in Syro et Bibliis Regiis. Gaudium enim magnum habui et consolationem in charitate tua: quia viscera sanctorum requieverunt per te, frater. – Nota Primo. Pro „gaudium“, graece est „χάριν“, id est gratiam; sed Apostolus „χάριν“ accipit pro „χαράν“, id est gaudium, tam hic quam 2. Corinthos 1 versu 15, ut docent Chrysostomus et Theophylactus, quin et Erasmus, Vatablus et Beza. Nota Secundo. „Requieverunt“, id est, recreata et refocillata sunt. Sicut enim venter inanis, fame latrans et exaestuans, ita et tormina viscerum, ipsaque viscera sedantur et quiescunt, dum implentur et saturantur. Nota Tertio. Per „viscera“ Vatablus intelligit ventres, quos satiavit Philemon, sed plus significat „viscera“, scilicet tam intimas necessitates, quam consolationem ad intima corporis et animi penetralia pertingentem ac quasi cor ipsum reficientem et recreantem. Quod dicat: Intima consolatione affecisti Sanctos, id est Christianos, dum eis in summa necessitate, tanta charitate succurristi, o Philemon; ita Theophylactus. Sic enim e converso Hebraei „‫„ “רחמים‬rachamim“, id est viscera misericordiae, dant iis qui profusi sunt in opera misericordiae, quod videlicet intime aliorum miseria tangantur, et ex intimis visceribus miserorum misereantur. Adeoque ex hac miseratione viscera ipsa, quae sedes sunt compassionis et condolentiae, in iis commoveri et contorqueri videantur. Viscera ergo misericordiae significant visceralem, intimam et ex imo corde et affectu manantem misericordiam. Sic Zacharias canit Deum nos ex alto visitasse „per viscera misericordiae“; quia cum dedit nobis Christum filium suum, quasi sua viscera in nos effudit. Notat S. Hieronymus artificium et rhetoricam Christianam Pauli, qua ita impense in prooemio laudat Philemonem, ut ille id, quod postea petetur, negare non audeat, ne suis laudibus videatur indignus. Propter quod multam fiduciam („παρρησίαν“, id est libertatem) habens in Christo Iesu (per Christum Iesum) imperandi tibi quod ad rem pertinet – „τὸ

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ἀνῆκον“, id est, quod decens, conveniens et officii tui est, ut scilicet solitam tuam charitatem in servum tuum poenitentem ostendas. Tamen propter charitatem magis obsecro, cum sis talis, ut Paulus senex, nunc autem et vinctus Iesu Christi. – Quod dicat: Cum mihi quasi patri spirituali tuo liberum sit propter Christum tibi imperare, ut Onesimum in gratiam recipias, malo tamen non auctoritate uti, sed precibus et per charitatem te obsecrare, ut idipsum facias, cum sis senex aeque ut ego. Senes enim increpandi, sed rogandi sunt, inquit Anselmus, Hieronymus, Theophylactus. Nota. Pro „cum sis senex“ graece est „τοιοῦτος ὤν“, quod Hieronymus, Vatablus et alii vertunt „cum sim talis“, scilicet „Paulus senex“. Nam vocula „ut“ interiecta saepe non est nota similitudinis, sed veritatis, significans „scilicet“. Atque hoc modo haec verba Graeca syntaxi recte cohaerent cum „παρακαλῶ“, id est obsecro. Quod dicat: Obsecro te cum sim talis, scilicet Paulus senex. Senum enim, cum sint debiles et infirmi, est orare et obsecrare. Verum per hebraismum Noster cum Ambrosio melius vertit: „cum sis senex“, scilicet tu o Philemon. Hebraei enim „‫“כי‬, „ki“ id est, „quia“, „cum“, aliasque similes coniunctiones causales et rationales saepe subaudiunt, et participium sumunt pro praesenti indicativo vel coniunctivo quo carent. Scilicet „ὤν“ pro „εἶ“ vel „ᾖς“, nam ut dixi, senum potius est rogari quam rogare et obsecrare. Nota Secundo, „Τό“ „nunc autem et vinctus Iesu Christi“, referendum est tantum ad „Paulus senex“, non autem ad „cum sis talis“, nec enim Philemon similis erat Paulo in vinculis, sed tantum in senio. Addit enim Paulus senio sua vincula, ut efficacior sit obsecratio. Quod dicat: Da hoc senio meo; si non, da saltem hoc vinculis meis. Obsecro (inquam) te pro meo filio, quem genui in vinculis, Onesimo, qui tibi aliquando inutilis fuit, nunc autem et mihi et tibi utilis, quem remisi tibi. Post longas insinuationes quasi parata iam via, tandem hic proponit suam petitionem, nomenque servi Philemoni invisi, illudque ille amabile et suave efficit, dum vocat eum filium vinculorum suorum sibique et illi utilem. Admiratur hic S. Hieronymus magnanimitatem Pauli mente in Christum ferventis. „Tenetur“, inquit, „in carcere, vinculis stringitur; squalore corporis, charorum separatione, poenalibus tenebris coarctatur; et non sentit iniuriam, non dolore cruciatur, non novit aliud nisi de Christi Evangelio cogitare; sciebat servum, sciebat fugitivum, sciebat raptorem“. Et hunc tamen in carcere docet, catechizat, convertit, baptizat et quasi filii loco habet. Nota Primo. In Graeco pulchra est antithesis „τόν ποτέ σοι ἄχρηστον νυνὶ δὲ [καὶ] σοὶ καὶ ἐμοὶ εὔχρηστον“. Olim, inquit, hic servus fuit tibi „achrestus“, id est inutilis, incommodus, noxius nunc tibi et mihi erit „chrestus et euchrestus“, id est utilis, commodus, beneficus. Sic olim dicebantur „chresti“

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homines commodi et benefici. „Pauci“, inquit Lucianus in Philopatro, „chresti“, id est frugi, „sunt, quemadmodum ubique video.“ Nota Secundo. Alludit Paulus ad nomen Onesimi „ὀνήσιμος“ enim idem est quod „εὔχρηστος“, id est, chrestus et utilis. Quod dicat: Olim erat anonesimus, id est inutilis, imo noxius et damnosus, iam est onesimus id est utilis; olim Paganus, iam Christianus; olim fur, iam fidelis servus; olim profugus, iam redux, ut tibi sit assecla fidus et perennis. Nota Tertio. Cum S. Hieronymo spiritum et efficaciam Pauli, qua ita cito Onesimum convertit, et ex tam inutili et perverso, tam utilem et eximium effecit, ut eum optet sibi ministrum in vinculis: cum enim dicit eum sibi esse utilem, tacite postulat, inquit Theophylactus ut sibi remittatur. Remittit tamen eum ad herum, tum ut eius iracundiam placet, tum ut ostendat servos fugitivos iure iustitiae heris suis esse restituendos. Hinc eumdem Onesimum recens a se conversum vocat charissimum et fidelem fratrem, Colossenses 4 versu 9. Tu autem illum, ut mea viscera suscipe – Significantius idipsum habent Graeca, „αὐτόν, τοῦτ’ ἔστιν τὰ ἐμὰ σπλάγχνα“, id est, ipsum hoc est mea viscera suscipe: „viscera“ sua vocat filium suum, quem genuit in Christo, videntur enim filii esse quasi pars viscerum matris; quod in se transfert Paulus, ut maternum et tenerrimum affectum suum in Onesimum exprimat: hunc enim magis significat vox „viscera“ quam vox „filius“. Quem ego volueram mecum detinere, ut pro te mihi ministraret, sine consilio autem tuo nihil volui facere, uti ne velut ex necessitate bonum tuum esset, sed voluntarium – „Bonum“, id est beneficium, „tuum“, hoc enim significat Hebraeum „‫“טוב‬, „tob“, id est bonum. Pungit novo stimulo Philemonem. Quod dicat: Tu mihi in vinculis servire debueras, idipsum pro te praestitit servus tuus Onesimus, ergo illi a te ad me profugo potius gratias agere debes, quam irasci. Forsitan enim ideo discessit ad horam (id est, ad breve tempus) a te, ut aeternum illum reciperes, iam non ut servum, sed pro servo charissimum fratrem, maxime mihi: quanto autem magis tibi, et in carne et in Domino? „Aeternum“ vocat eum qui iam conversus fideliter, spiritu Christiano, hero suo erat adhaesurus, tum in hac vita, tum in futura, ita Anselmus. Secundo. Noster interpres vertit „pro servo“, quia in Graeco legit, uti et Syrus, „ὑπὲρ δοῦλου“, iam autem legunt „ὑπὲρ δοῦλον“, id est supra servum, maiorem et praestantiorem servo. Puta fratrem, utpote fidelem et Christianum iam effectum recipies. Tertio, „in carne“, id est in rebus carnalibus, hoc est temporalibus. Quarto, „in Domino“, id est in rebus divinis, spiritualibus et aeternis, vide can. 25. Quod dicat: Onesimus iam tibi charior esse debet, quam ante, quia iam tibi magis coniunctus et devinctus est, magisque, melius et fidelius tibi

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serviet quam ante. Ante enim metu servili quasi mancipium ad oculum tibi serviebat, iam vero tibi serviet tibique adhaerebit fidelissime, quasi frater, ex amore et spiritu Christiano, tam in rebus temporalibus quam divinis, ita S. Hieronymus et Theophylactus. Denique notat Hieronymus rursus artificium Pauli: ut fugam enim servi elevet et excuset, dicit Dei providentia eam factam esse, ad maius tam ipsius quam heri bonum. „Nonnunquam“, inquit Hieronymus, „malum occasio fit bonorum; et hominum prava consilia Deus vertit ad rectum. Quod dico, manifestius exemplo fiet. Ioseph fratres, zeli stimulis incitati, Ismaelitis viginti argenteis vendiderunt: hoc initium et patri et fratribus et omni Aegypto bonorum omnium fuit. Denique ipse postea ad fratres, vos, inquit, cogitastis de me mala, et Deus cogitavit de me bona. Simile quid et in Onesimo possumus intelligere, quod mala principia occasiones fuerint rei bonae. Si enim dominum non fugisset, numquam venisset Romam, ubi erat Paulus vinctus in carcere. Si Paulum in vinculis non vidisset, non recepisset fidem in Christum. Si Christi non habuisset fidem, numquam Pauli effectus filius in opus Evangelii mitteretur. Ex quo paulatim et per gradus suos, reciprocante sententia, ideo minister Evangelii est factus Onesimus, quia fugit a domino.“ Est hic locus moralis de Christiana humilitate: Apud Christianos enim servi sunt fratres suorum dominorum in Christo, vide Chrysostomus in morali, Homilia 3, ubi simul docet de ipsamet humilitate sua neminem gloriari aut sese extollere, sed magis unumquemque humiliari debere. Si ergo habes me socium – id est amicum, si inter amicos me numeras. Suscipe illum sicut me – Amicorum enim omnia sunt communia. Haec est ratiocinatio Apostoli, Ego sum Onesimo „κοινωνός“, id est tanta est mihi cum illo communio, ut ille sit alter ego. Recipe ergo illum sicut meipsum. „Consideremus hic“, ait Hieronymus, „quantum laudetur Onesimus, quantumque tam parvo tempore profecerit sub Paulo, cum ita recipiendus sit, ut Apostolus; et sic eius, ut Pauli, dominus debeat desiderare consortium.“ Si autem aliquid nocuit tibi, aut debet, hoc mihi imputa – Quod dicat: Furtum et debitum eius in me transscribe. Ego Paulus scripsi manu mea, ego reddam – Graece „ἀποτίσω“, id est dependam, resolvam, est enim hic fideiussio, qua se Paulus pro Onesimi debito Philemoni obstringit. Quod dicat: Quod Onesimus sublegit et rapuit, ego Paulus spondeo me redditurum. Cuius sponsionis hoc tibi chirographum do, hanc scilicet epistolam mea manu perscriptam, ita Hieronymus, Chrysostomos, Theodoretus. Ut non dicam tibi, quod et teipsum mini debes – Quod dicat: Ut omittam et taceam, quod te, id est tuam conversionem ad Christum et salutem, mihi debes; itaque si tu et tua mea sunt, ergo et Onesimus, qui tuus est, meus est, ita Hieronymus et Anselmus.

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Ita frater – Pro „ita“ graece est „ναί“, interiectio asseverantis et confirmantis. Quod dicat: Certe, ne dubites, ego omnino dependam Onesimi debitum. Secundo et melius S. Hieronymus „ναί“ accipit quasi respondens Hebraeo „‫“אנה‬, „annah“, quae est interiectio blandientis. Quod dicat: Quaeso, obsecro te, frater, preces meas pro Onesimo exaudi. Ita enim illi veniam eblanditur. Unde subdit: Ego te fruar in Domino – Quod dicat: Ego voluptatem miram capiam ex te, cum hanc rem tam piam et iustam in Domino, id est, in re Dominica et Christiana, mihi concesseris. Unde Syrus vertit „‫“אתתניח‬, „etteniach“2, id est ego refocillabor vel suaviter requiescam in te. Graecum „ὀναίμην“, id est fruar, alludit rursum ad nomen Onesimi. Quod dicat: Ego ex te fructum consolationis capiam, si Onesimum, id est fructuosum et utilem, in gratiam recipias. Notat S. Augustinus, Anselmus, Beda et ex iis Magister in 1. d. 1. frui tantum licere Deo quasi fine ultimo, uti vero nos creaturis, quasi mediis ad illum finem assequendum, „frui“ enim idem esse quod finem, sive complementum laetitiae, ac consequenter beatitudinem et felicitatem in aliqua re ponere: quod non aliter fit, quam cum ultimo fini nostro suavissime et perenniter inhaeremus. Volunt ergo Patres citati „frui“ hic ab Apostolo abusive sumi, ut fit idem, quod cum delectatione uti. Vel certe Secundo, ut idem Augustinus libro 1 de Doctrina Christiana, capitulo 33, et ex eo Anselmus, qui dicunt: Fruar te, non in te, sed in Domino, id est Domino fruar, et in eo ac per eum te et omnibus aliis, quos meae fruitionis ac visionis divinae socios habebo in caelo. Aut Tertio, ut Hieronymus, qui dicit: Imprecor tibi, o Philemon, clementiam, charitatem aliasque virtutes Dominicas, ut te illis repleto fruar, id est gaudeam, in Domino. Verum uti hi sensus praeter mentem et scopum Apostoli sunt, ita et haec acceptio vocis „frui“ recentior est. Coepit enim a S. Augustino. A quo ceteri Patres et Theologi eam mutuati sunt. Nam Ciceroni et priscis Latinis „frui“ proprie est fructum, utilitatem et voluptatem ex aliqua re capere. Sic enim dicimur frui vita, bonis, amicis, quibus nihil est dulcius: et hoc proprie significat Graecum „ὀναίμην“ [im Original erscheint ein anderer griech. Begriff; gemeint ist aber dieser im Sinne von „Ertrag“]. Unde Theophylactus sic exponit, qui dicit: Paulus: „Fac me, o Philemon, tuo hoc beneficio quod peto: perfrui, non in rebus mundanis, sed in Domino, id est in divinis.“ Et Vatablus sic, qui dicit: „Si hoc feceris, adiutus ero“ (hoc enim quoque significat „ὀναίμην“) „per te, in Domino“, id est „in re, quae grata est Domino.“ Vel: „Utinam ego de te fructum et voluptatem capiam in hac re iusta.“ 2

Wort unklar.

Deutungen des Philemonbriefes

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Refice viscera mea in Domino – Quod dicat: Me intime refice et recrea hoc beneficio, quo nullum mihi accidet iucundius. Si hoc mihi praestiteris, cor meum mulcebis, et miro gaudio delinies. Vide Dicta versibus 7 et 12. Para mihi hospitium – Audi S. Hieronymum: „Non puto tam divitem fuisse Apostolum, et tantis sarcinis occupatum, ut praeparato egeret hospitio, et non una contentus cellula, breves corporis sui spatio aedes amplissimas existimaret: sed ut, dum eum expectat Philemon ad se esse venturum, magis faciat, quod rogatus est.“ Et mox: „Apostolo magis quam Paulo hospitium praeparandum est. Venturus ad novam civitatem, pradicaturus crucifixum et inaudita dogmata delaturus, sciebat ad se plurimos concursuros. Et necesse erat primum, ut domus celebri esset urbis loco, ad quam facile conveniretur. Deinde ut ab omni importunitate vacua, ut ampla, quae plurimos caperet audientium: ne proxima spectaculorum locis, ne turpi vicinia detestabilis. Postremo ut in plano potius esset sita, quam in coenaculo. Quam ob causam existimo eum Romae in conducto mansisse biennium. Nec parva, ut reor, erat mansio, ad quam Iudaeorum turba quotidie confluebant.“ Actores 28.30. Lustravi ego conductum hoc S. Pauli hospitium, adeoque iuxta illud habito: conversum est in ecclesiam, vocaturque Diaconia S. Mariae in Via lata, sane peramplum fuit et in celeberrimo urbis loco. Nemo ergo miretur, si Religiosi, qui proximorum saluti se addixerunt, similia quaerant in urbibus loca. Non enim sibi et suis commodis, sed civium consulunt. Nam spero per orationes vestras donari me vobis – ut scilicet liberatus e vinculis, vobis restituar. Duo hic discimus, ait Theophylactus: Primo, quod sit ingens orationum virtus, si quidem Paulus talis tantusque illarum ope indigeat, et si ille, quis non? Secundo, quod oporteat nos humili esse spiritu, quandoquidem Paulus discipulorum precibus indigebat; quodque utilissimum sit aliorum, praesertim Sanctorum, preces exposcere. Salutat te Epaphras concaptivus meus in Christo Iesu – id est propter Christum Iesum. Sic enim saepe accipitur Hebraeum „bet“, id est „in“; ita Theophylactus. Hic Epaphras episcopus fuit Colossensium simulque curam gerebat Ecclesiae Laodicensis et Hierapolitanae, ut docet Paulus Colossenses 4.12. Sed cum Romae in vincula coniectus est, suffectus ei videtur Archippus, ut docet Ambrosius et insinuat Paulus, ut dixi, versu 2. Demas – Hic est, ait Theophylactus, qui postea a Paulo defecit, de quo dixi 2. Timotheum 4 versu 9. Fruere aeternitate, fruere Deo.

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(Q) Übersetzung Cornelius a Lapide, Commentarius in epistolam ad Philemonem. Argumentum. Philemon, [ursprünglich] kein Jude, sondern ein Heide, war Bürger von Kolossä, unter den Seinen ein Vornehmer, ausgezeichnet in seiner Lebensführung wie seinen Sitten gleichermaßen durch christlichen Glauben wie [christliche] Haltung. Dessen Haus zu Kolossä, berichtet Theodoret, war noch bis in seine eigene Zeit erhalten geblieben. Zu Lebzeiten des Paulus nämlich wurde es eine Kirche, denn Paulus hielt in diesem [Haus] Versammlungen der Gläubigen ab; deshalb wohnte hier auch Archippus, der Bischof der Kolosser, wie Paulus in Vers 2 mitteilt. Von da an blieb dieses Haus, das nun Gott geweiht worden war, als Kirche für viele Jahrhunderte bestehen. Zudem wurden die Gläubigen, die im Haus des Philemon zusammenzukommen pflegten, von ihm unterstützt. Er selbst war aber auf Almosen angewiesen, [während] er den Bedürfnissen der Heiligen abhalf. Das nämlich ist, was der Apostel in Vers 7 sagt: „Das Innere der Heiligen ist durch dich erquickt worden, Bruder.“ Dieser Philemon also hatte einen Sklaven mit Namen Onesimus, der nicht so sehr aus Eifer für den Hl. Paulus, wie einige es [deuten] wollen, sondern wegen eines Diebstahls, da er gewisse Sachen seines Herrn geraubt hatte, wie es aus Vers 18 der Hl. Hieronymus [sowie] Theodoret und Theophylakt herauslesen, aus Kolossä nach Rom geflohen war, wo er auf Paulus traf, der ihn zu Christus bekehrte, ihn unterwies und taufte und ihn, da er bereits Christus so treu wie [einst] seinem Herrn geworden war, zu seinem Herrn, das heißt Philemon, zurückschickte zusammen mit dem [hier bezeichneten] Empfehlungsschreiben, in dem er [Paulus] diesen bat, ihn [Onesimus] in Gnaden zu sich zurück zu nehmen. Paulus schrieb diesen Brief aus der ersten Gefangenschaft zu Rom im Jahr 60, da er hoffte, aus ihr binnen Kurzem befreit zu werden, wie in Vers 22 deutlich wird. Er übermittelte ihn zusammen mit dem Brief an die Kolosser durch Onesimus selbst. Der Hl. Chrysostomos und Theopylactus bemerken, dass der Brief in seiner Kürze und Schlichtheit mehrere sehr nützliche Lehren enthalte. Unter diesen an erster Stelle stehe, dass keinem Menschen, nicht einmal einem entlaufenen Sklaven, der Zugang zum Heil und dem ewigen Leben verwehrt sei und man nicht am Heil irgendeines auch noch so gefühllosen, falschen und verlorenen [Menschen] verzweifeln dürfe. Dies nämlich war Onesimus, ein Sklave, Dieb [und] ein Phrygier. Denn die Phyrgier waren von Natur aus der Freiheit unwürdig und sklavisch. Daher stellten sie einen ungeheuren Vorrat an Sklaven, so dass daher die Redensart stammt, nach Zeugnis der Rede Ciceros für Flaccus [erg.: 65], dass ein Phrygier durch Schläge gebessert werde.

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Die zweite [Lehre] sei, dass auch wertlose Menschen, Sklaven und Entflohene bei den Christen Aufnahme [Hilfe] finden müssen [sollen]. Die dritte [Lehre sei], dass unter dem Vorwand der Frömmigkeit Sklaven ihren Herren nicht entrissen werden dürfen. Daher schickte Paulus den Sklaven Onesimus seinem Herrn Philemon zurück. Die vierte [Lehre sei], dass Sklaven, die sich tugendhaft zeigen, nicht verachtet, sondern geliebt und gefördert werden sollen. Denn Onesimus, den seine Tat reute, söhnte sich mit seinem Herrn Philemon aus, und er wurde ein gebildeter Mann und ein ausgezeichneter Lehrer, und nach Timotheus wurde er zum zweiten Bischof von Ephesos: ihn lobt der Hl. Ignatius [von Antiochien] sehr im Brief an die Epheser. Daher vollendete und krönte auch derselbe Onesimus später zu Rom unter Trajan [sein Leben] durch das Martyrium. Lernt hier, ihr Christen, lernt, ihr Hirten, die armen Sklaven und Sklavinnen nicht zu verachten, sondern euch ihnen besonders zu widmen: Sie sind nämlich eure Schafe, und sie besitzen ebenso vornehme Seelen wie die Reichen, und sie sind ebenso um den Preis des Blutes Christi losgekauft worden. Daher wird sie Gott von euch am Tage des Gerichts zurückfordern; denn ihretwegen steigt Christus vom Himmel herab, dessen Ausspruch von Jesaja vorhergesagt und verbreitet [wurde]: „Den Armen wird das Evangelium verkündet werden.“ Solche [Menschen] erwählt Gott: sie sind nämlich demütiger, gelehriger, gefügiger und der Gnade und des Heils würdiger als die Reichen. „Hat nicht Gott“, sagt der Hl. Jakobus 2,5, „die in dieser Welt Armen auserwählt, reich im Glauben und Erben des Reichs zu sein, das er denen versprochen hat, die Gott lieben?“ (1.) Paulus, Gefangener Christi Jesu, und der Bruder Timotheus an unseren geliebten Philemon, [unseren] Mitarbeiter, (2.) und an Appia, die liebste Schwester, und an Archippus, unseren Mitstreiter, und an die Gemeinde, die in deinem Haus ist. (3.) Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus. (4.) Ich danke meinem Gott, stets wenn ich in meinen Gebeten an dich denke, (5.) [da] ich von deiner Liebe und [deinem] Glauben höre, die du an den Herrn Jesus und alle Heiligen hast. (6.) Dass die Mitteilung deines Glaubens sichtbar werde in der Erkenntnis jeden guten Werks, das in euch ist, in Christus Jesus. (7.) Denn ich habe große Freude und Trost in deiner Liebe gehabt: weil die Herzen der Heiligen erquickt worden sind durch dich, Bruder. (8.) Obwohl ich deshalb viel Vertrauen in Christus Jesus finde, dir, was diese Angelegenheit betrifft, zu befehlen, (9.) bitte ich dich mehr um der Liebe willen, denn du bist von derselben Art wie Paulus: ein alter Mann, nun aber auch ein Gefangener für Jesus Christus. (10.) Ich bitte dich für meinen Sohn, den ich in Gefangenschaft gezeugt habe, Onesimus, (11.) der dir einst unnütz gewesen ist, nun

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aber sowohl mir als auch dir nützlich [ist], (12.) [und] den ich dir zurückgesandt habe. Du aber nimm ihn auf wie mein Herz. (13.) Ich wollte ihn bei mir behalten, damit er an deiner Stelle mir diene in der Gefangenschaft um des Evangeliums willen. (14.) Ohne deine Zustimmung aber wollte ich nichts tun, damit deine gute [Tat] nicht etwa aus Zwang, sondern freiwillig geschieht. (15.) Denn vielleicht hat er sich [nur] deshalb für eine Weile von dir getrennt, auf dass du ihn für ewig zurückerhältst, (16.) nicht mehr als einen Sklaven, sondern anstelle eines Sklaven als [d]einen liebsten Bruder, [wie er es] besonders mir [schon ist]. Wieviel mehr aber [muss er es] dir im Fleische wie im Herrn [sein]? (17.) Wenn du [dich] mir also verbunden fühlst [wörtlich: mich für einen Verbündeten hältst], nimm ihn auf wie mich [selbst]. (18.) Wenn er dir aber irgendwie geschadet hat oder dir etwas schuldet, stelle es mir in Rechnung. (19.) Ich, Paulus, habe es mit eigener Hand geschrieben, ich selbst werde es erstatten, um dir nicht davon zu sprechen, dass auch du dich selbst mir schuldest. (20.) Ja, Bruder, ich selbst will mich an dir erfreuen im Herrn: Erfrische mein Herz im Herrn. (21.) Im Vertrauen auf deinen Gehorsam habe ich dir geschrieben, da ich ja weiß, dass du noch mehr tun wirst, als ich gesagt habe. (22.) Bereite zugleich aber auch ein Quartier für mich vor, denn ich hoffe, dass durch eure Gebete ich euch [bald wieder] geschenkt werde. (23.) Es grüßt dich Epaphras, mein Mitgefangener in Christus Jesus; (24.) [ebenso] Markus, Aristarchus, Demas und Lukas, meine Mitarbeiter. (25.) Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus sei mit eurem Geist, Amen. Paulus, Gefangener Christi Jesu, und der Bruder Timotheus an unseren geliebten Philemon, [unseren] Mitarbeiter, und Appia, die liebste Schwester, und an Archippus, unseren Mitstreiter, und an die Gemeinde, die in deinem Haus ist. – Siehe wie viele Titel und Namen der Apostel hier Philemon ins Gedächtnis ruft, damit [dieser] den Onesimus in Gnaden empfängt. Zum Ersten: Ich, ein „Gefangener Christi“, sagt er, bitte dich, gewähre Trost und Freude mir als Gefangenem oder vielmehr Christus, um dessen Willen ich gefangen liege und gleichsam ein Sklave bin, [darin] deinem Sklaven Onesimus gleich. Zum Zweiten: Dasselbe erbittet Timotheus, so sehr dein Bruder wie der meine, in Christus, das heißt ein Christ. Zum Dritten: Du bist mir lieb und [mein] Mitarbeiter, gewähre dies also um unserer Liebe willen. Du bist ja gewohnt, nicht nur irgendwelche Elenden und Armen, sondern auch mich durch deine Mühen und Werke für das Evangelium zu unterstützen, also hilf und nimm diesen Unglücklichen auf, deinen Sklaven, der durch mich bewahrt worden ist. Zum Vierten: Im Gruß an Appia und Archippus zieht er dieselben stillschweigend, sagt Theophylakt, als Fürsprecher für Onesimus heran. So groß

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waren Liebe und Sorge des Apostels, dass er ein einzelnes schwaches Geschöpf, [das] geflohen [war], wieder mit seinem Herrn versöhnen wollte. Anmerkung zum Zweiten. Jene Appia war die Ehefrau des Philemon, wie Chrysostomos, Theodoret [und] Theophylakt lehren. Sie nannte er seine Schwester, das heißt in Christo. Alle Christen nämlich bezeichneten sich [so] im Zeichen besonderer wechselseitiger Liebe, alle christlichen Männer nannten sie Brüder, alle Frauen Schwestern, gleich als stammten sie vom selben Vater, das heißt aus Christus, und von derselben Mutter, das heißt von der Kirche. Anmerkung zum Dritten. Jener Archippus war Bischof und Prediger bei den Kolossern, sagen Ambrosius und Hieronymus. Deshalb nennt ihn hier Paulus seinen Gefährten, und im Kolosserbrief 4,17 hat er über ihn geschrieben: „Sagt dem Archippus: Achte darauf, dass du den Dienst, den du vom Herrn empfangen hast, erfüllst.“ Wenngleich Primasius annimmt, dass Archippus Diakon war, so war doch Epaphras Bischof der Kolosser, zu ihm Vers 23. Es scheint aber, dass jener Archippus in Kolossä, in Philemons Haus, wohnte. Dies ergibt sich daraus, dass er [Paulus] ihn zusammen mit Philemon grüßt; hier ergänzt er auch den Gruß an „die Gemeinde“ (das heißt die Versammlung der Gläubigen), „die in deinem Haus ist“, das bedeutet, o Philemon (denn an ihn schreibt er, und ihn, nicht aber Archippus, spricht er an), in diesem [Haus] sind ja so viele Gläubige [versammelt], dass dort [auch] der Bischof Archippus wohnt und deshalb zu ihr gleichsam wie zu einer gemeinsamen Kirche des Bischofs und der Gläubigen die Christen der Heiligen wegen zusammenkommen. Ich danke meinem Gott, stets wenn ich in meinen Gebeten an dich denke, [da] ich von deiner Liebe und [deinem] Glauben höre, die du an den Herrn Jesus und an alle Heiligen hast. – Im Griechischen heißt es nicht „ἐν“, sondern „εἰς“, das heißt „in“ oder „erga“ [also gegenüber] dem Herrn Jesus und allen Heiligen, so Chrysostomos und Ambrosius. Anmerkung: Denselben Glauben, den wir an den Herrn Jesus haben, haben wir auch an alle Heiligen. So wie wir nämlich glauben, dass Jesus der Messias und Retter ist und das Haupt der Kirche Gottes, so glauben wir gleichermaßen, dass die Heiligen Jesu wahrhaft heilig sind und [die Kirche] wahrhaftig die Kirche Gottes [ist]. Und in der Liebe zu den Heiligen und im Festhalten [an ihnen] lieben wir Christus und hängen [ihm] an. Und folglich erweisen wir im Dienst an den Heiligen Christus eine Wohltat. Denn der Apostel spricht nicht über einen nackten und (bloß) inneren Glauben, sondern über einen, der sich durch Werke zeigt und mitteilt, wie er bald selbst hinzufügt. Hieraus folgt, dass wer die Heiligen ehrt und anruft, Christus nichts wegnimmt, im Gegenteil gerade dadurch Christus ehrt und anruft. Daher heißt es

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in Exodus 14,31: „Das Volk glaubte an den Herrn und an Mose, seinen Sklaven. – Dies aber“, sagt Hieronymus, „gilt nicht nur für Moses, sondern für alle Heiligen, dass wer immer an Gott glaubt, nicht anders im Glauben bleiben kann, als wenn er auch an seine Heiligen glaubt. Denn nicht vollkommen sind die Liebe zu und der Glaube an Gott, die gegen seine Arbeiter Hass und Unglauben hegen.“ Dass die Mitteilung deines Glaubens sichtbar werde in der Erkenntnis jeden guten Werks, das in euch ist, in Christus Jesus. – Die Mitteilung des Glaubens nennt er Gemeinschaft des Glaubens. Oder da du, Philemon, mit uns im Glauben vereint bist, sollst du auch denselben Glauben mit uns gemeinsam haben, gleich wie die Hoffnung. Zum Zweiten und ausführlicher nennt er die Mitteilung des Glaubens Almosen und Auftrag zur Liebe gegenüber den Heiligen, aus lebendigem Glauben und inbrünstigem Eifer. Anmerkung zum Ersten. Diese Worte sind zu beziehen auf die vorstehenden, das heißt auf jenes „stets wenn ich in meinen Gebeten an dich denke“, was heißen soll: Ich bete leidenschaftlich und ununterbrochen für dich, damit du fortfährst, jene Mitteilung der guten Werke, zu der der Glaube dich antreibt, zu zeigen und zu verwirklichen; auf dass deine Freigebigkeit niemals versiege, sondern eher noch, wo immer du kannst, dass sie unter den Bedürftigen [und] besonders den Christen ausgießt, so Theophylakt. Anmerkung zum Zweiten. Für „evidens“ liest unser Übersetzer das griechische „ἐναργής“ mit „α“, dagegen schon Hieronymus, Chrysostomos [und] Theophylakt: Sie lesen „ἐνεργής“ mit „ε“, das heißt tätig, wirksam und durch Arbeit blühend, also: Es geschehe der Glaube und die Mitteilung deines Glaubens. Merke, dass der Apostel keinen teilnahmslosen und bloßen Glauben fordert, sondern einen, der nachhaltig wirkt, der Blüten [treibt] und Früchte trägt an milden Gaben und guten Werken. Tatsächlich liest unser [Übersetzer] richtiger „ἐναργής“, das heißt sichtbar. Es folgt nämlich „in der Erkenntnis jeden guten Werks“. Das soll heißen: Dass jedem dein Glaube offenbar wird, solange sie ihn erkennen und die milden Gaben und deine guten Taten sehen, die du durch den Glauben angestachelt vollbringst, „und in Christus Jesus“, das heißt nach Gesetz, Lehre und Gnade Christi Jesu. Das [wiederum] soll bedeuten: Wenn du gegen jeden mit so großer Liebe handelst, zeige sie auch gegen deinen Onesimus und nimm ihn in Gnaden auf, so Theophylakt. Anders Anselm [von Canterbury]: „In der Erkenntnis“, sagt er, das heißt, damit du tätig erkennst, also das gänzlich Gute liebst und vollbringst. Aber [noch] wichtiger [ist] ein klarer und unverfälschter Sinn. Schließlich gibt es das Wort „operis“ bei Hieronymus, Chrysostomos [und] Ambrosius nicht, allerdings bei Syrus und in der Biblia Regia.

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Denn ich habe große Freude und Trost in deiner Liebe gehabt: weil die Herzen der Heiligen erquickt worden sind durch dich, Bruder. – Anmerkung zum Ersten. Für „gaudium“ erscheint griechisch „χάριν“, das heißt Gnade. Aber der Apostel wählt „χάριν“ statt „χαράν“, das heißt Freude; so wie in 2 Kor 1,15, wie Chrysostomos und Theophylakt lehren, ja sogar Erasmus, [François] Vatable, und [Théodore de] Bèze. Anmerkung zum Zweiten. „Requieverunt“ heißt: sie sind erquickt und wieder erwärmt worden. Denn so wie der leere Bauch, der vor Hunger und genauso bei Schmerzen in den Eingeweiden rumort und aufwallt, wird das Innere selbst beschwichtigt und beruhigt, indem es gefüllt und gesättigt wird. Anmerkung zum Dritten. „Viscera“ deutet Vatable als „Bäuche“, die Philemon gefüllt hat. Aber „viscera“ bezeichnet mehr: es meint sowohl innere Bedürfnisse als auch die Tröstung, die ins Allerinnerste des Körpers und der Seele gelangt und gleichsam das Herz selbst wiederherstellt und erfrischt. Das soll heißen: Mit innigstem Trost erfüllst du die Heiligen, das heißt die Christen, solange du ihnen in höchster Not mit so großer Liebe beistehst, o Philemon; so Theophlyakt. Denn so setzen im Gegenteil die Hebräer „‫“רחמים‬ „rachamim“, das heißt das ,herzliche‘ Erbarmen, für jene, die verschwenderisch sind in den Werken der Barmherzigkeit, weil sie nämlich im Innersten vom Elend der anderen gerührt sind und aus dem innersten ,Herzen‘ sich der Elenden erbarmen. Und besonders scheint durch diese Barmherzigkeit das Herz selbst, der Sitz des Mitfühlens und Mitleidens ist, in ihm bewegt und gewendet zu werden. Das ‚herzliche‘ Erbarmen also bezeichnet das innerliche, innigste, ja das aus Herz und Gemüt ausfließende Mitleid. So singt Zacharias, dass Gott uns aus der Höhe besucht hat „durch das ,herzliche‘ Erbarmen“; denn indem er uns Christus, seinen Sohn, gab, streute er zugleich sein Innerstes unter uns aus. Der Hl. Hieronymus bemerkt die Kunstfertigkeit und christliche Rhetorik des Paulus, mit der er in der Vorrede den Philemon so hoch lobt, damit jener das, was er danach erbittet, nicht abzuschlagen wagt, um nicht des Lobs unwürdig zu scheinen. Obwohl ich deshalb viel Vertrauen („παρρησίαν“, das heißt Freiheit) in Christus Jesus (durch Christus Jesus) finde, dir, was diese Angelegenheit betrifft, zu befehlen. „τὸ ἀνῆκον“ meint was sich gehört, angemessen und deine Pflicht ist, [es meint] dass du natürlich deine [uns] gewohnte Liebe [auch] gegen den reuigen Sklaven zeigst. Doch denn du bist von derselben Art wie Paulus: ein alter Mann, nun aber auch ein Gefangener für Jesus Christus. – Das soll heißen: Obwohl ich gleichsam als dein geistlicher Vater dir um Christi willen befehlen dürfte, Onesimus in Gnaden aufzunehmen, will ich doch lieber nicht auf [meine] Autorität zurückgreifen, sondern durch Fürbitten und durch die Liebe dich

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anflehen, dies zu tun, [zumal] weil du ein Greis bist wie ich. Denn die Alten dürfen nicht getadelt werden, sondern sie müssen gefragt werden, sagen Anselm [von Canterbury], Hieronymus und Theophylakt. Anmerkung [zum Ersten]. Für „denn du bist ein Greis“ heißt es im Griechischen „τοιοῦτος ὤν“, was Hieronymus, Vatable und andere übersetzen mit „denn ich bin von solcher Art“, das heißt „Paulus [ist] der Greis“. Denn das eingeschobene Wörtchen „ut“ [wie] ist oft kein Zeichen der Ähnlichkeit, sondern drückt eine Tatsache aus, was „scilicet“ [das heißt] anzeigt. Und auf diese Weise hängen die griechischen Worte in der Syntax korrekt mit „παρακαλῶ“ zusammen, das heißt „ich bitte“. Das soll heißen: Ich bitte dich, weil ich von solcher Art bin, das heißt: als Paulus der Greis. Die Alten nämlich müssen, da sie gebrechlich und krank sind, beten und bitten. – Allerdings überträgt unser [Übersetzer] durch einen Hebraismus, zusammen mit Ambrosius, besser: „weil du ein Greis bist“, also du, Philemon. Denn die Hebräer verstehen „‫“כי‬, „ki“, das heißt „weil“, „da“, und weitere ähnliche Konjunktionen oft als kausale und folgernde, und sie verwenden das Partizip für das Präsens im Indikativ oder Konjunktiv, den sie nicht besitzen. Das heißt „ὤν“ für „εἶ“ oder „ᾖς“, denn wie ich [mit Anselm u.a. oben] gesagt habe, sollen die Alten eher gefragt werden als [selbst] zu fragen und zu bitten. Anmerkung zum Zweiten. Jenes „nun aber auch ein Gefangener für Jesus Christus“ ist vor allem zu beziehen auf „Paulus der Greis“, nicht aber auf „denn du bist von solcher Art“. Denn Philemon war kein Gefangener wie Paulus, sondern vielmehr im gleichen Alter. Paulus fügt nämlich dem Alter seine Gefangenschaft hinzu, damit seine Bitte wirkungsvoller ist. Das soll heißen: Gewähre dies meinem Alter; wenn nicht, gewähre es wenigstens mir als einem Gefangenen. Ich bitte dich (sage ich) für meinen Sohn, den ich in Gefangenschaft gezeugt habe, Onesimus, der dir einst unnütz gewesen ist, nun aber sowohl mir als auch dir nützlich [ist], [und] den ich dir zurückgesandt habe. – Nach den langen Empfehlungen ist der Weg gleichsam schon bereitet, schließlich äußert er seine Bitte und den Namen des verhassten Sklaven Philemons, und diesen stellt er außerordentlich liebenswert dar, indem er ihn als Sohn seiner Gefangenschaft bezeichnet, sich selbst wie ihm [Philemon] nützlich. Der Hl. Hieronymus bewundert hier den Großmut des Paulus, der im Geist für Christus brennt. „Er wird“, sagt er, „im Kerker gefangengehalten, er liegt in Fesseln; die Unreinheit des Körpers, die Trennung von [seinen] Lieben, die qualvolle Dunkelheit engen ihn ein; und er spürt kein Unrecht, wird nicht von Schmerz verzehrt, er kennt nichts anderes als über das Evangelium Christi nachzudenken; er wusste [was es hieß], ein Sklave zu sein, ein

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Flüchtling, ein Räuber.“ Aber dennoch lehrt er so jemanden im Kerker, unterweist, bekehrt [und] tauft [ihn] und hält [ihn] wie einen Sohn. Anmerkung zum Ersten. Im Griechischen erscheint die schöne Antithese „τόν ποτέ σοι ἄχρηστον νυνὶ δὲ [καὶ] σοὶ καὶ ἐμοὶ εὔχρηστον“. Einst, sagt er, war dieser ein Sklave, „achrestus“, das heißt unnütz, unangenehm, schädlich; nun wird er dir und mir „chrestus“ und „euchrestus“ sein, das heißt nützlich, angenehm, wohltuend. So bezeichnete man einst als „chresti“ angenehme und wohltätige Menschen. „Wenige“, sagt Lukian [von Samosata] im ,Philopatris‘, „sind ,chresti‘“, das heißt rechtschaffen, „wie es mir überall [zu sein] scheint.“ Anmerkung zum Zweiten. Paulus spielt auf den Namen des Onesimus an: „ὀνήσιμος“ nämlich ist dasselbe wie „εὔχρηστος“, das heißt, ,chrestus‘ und nützlich. Das soll heißen: Einst war er ,anonesimus‘, also unnütz, ja sogar schädlich und verderblich. Jetzt aber ist er ,onesimus‘, also nützlich. Einst war ein Heide, jetzt aber ist er ein Christ. Einst war er ein Dieb, jetzt ist er ein loyaler Sklave; einst ein Entlaufener, jetzt ein Rückkehrer, um dir ein treuer und beständiger Begleiter zu sein. Anmerkung zum Dritten. Mit dem Hl. Hieronymus [kommen wir] zu Geist und Wirkmächtigkeit des Paulus, mit der er so rasch den Onesimus bekehrte und [diesen] aus einem so unnützen und verkehrten in einen so nützlichen und ausgezeichneten [Menschen] verwandelte, dass er ihn sich als Gehilfen in der Gefangenschaft wünschte: Da er nämlich sagt, dass dieser ihm nützlich sei, fordert er unterschwellig, sagt Theophylakt, dass er [Onesimus] ihm [Paulus] zurückgesandt werde. Schließlich hat er ihn seinem Herrn zurückgesandt, einmal um dessen Zorn zu besänftigen, dann um zu zeigen, dass entlaufene Sklaven dem Gesetz nach der Gerechtigkeit ihrer Herren auszuliefern sind. Daher nennt er Onesimus, der kürzlich von sich aus bekehrt wurde, [seinen] liebsten und gläubigen Bruder, [siehe] Kol 4,9. Du aber nimm ihn auf wie mein Herz – Deutlicher macht es das Griechische: „αὐτόν, τοῦτ’ ἔστιν τὰ ἐμὰ σπλάγχνα“, das heißt, [mich] selbst, das ist mein Innerstes, nimm auf. Seine „viscera“ [also ,Eingeweide‘ oder ,Herz‘] nennt er seinen Sohn, den er gezeugt hat in Christus. Denn die Kinder scheinen gleichsam ein Teil der Eingeweide der Mutter zu sein. Dies übeträgt Paulus auf sich selbst, indem er sein mütterliches und zärtlichstes Gefühl für Onesimus zum Ausdruck bringt. Eben das bezeichnet das Wort »viscera« stärker als der Begriff „filius“ [Sohn]. Ich wollte ihn bei mir behalten, damit er an deiner Stelle mir diene in der Gefangenschaft um des Evangeliums willen. Ohne deine Zustimmung aber wollte ich nichts tun, damit deine gute [Tat] nicht etwa aus Zwang, sondern freiwillig geschieht – „Deine gute [Tat]“, das heißt die Gefälligkeit, denn hebräisch heißt es „‫“טוב‬, „tob“, „gut“. Er reizt Philemon mit einem neuen Sta-

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chel. Das soll heißen: Du schuldetest mir, in der Gefangenschaft mir zu dienen, [doch] an deiner Stelle hat dein Sklave Onesimus diese [Schuld] erfüllt, also schuldest du ihm eher Dank dafür, dass er von dir zu mir geflohen ist, als [ihm] zu zürnen. Denn vielleicht hat er sich [nur] deshalb für eine Weile (das heißt, für kurze Zeit) von dir getrennt, auf dass du ihn für ewig zurückerhältst, nicht mehr als einen Sklaven, sondern anstelle eines Sklaven als [d]einen liebsten Bruder, [wie er es] besonders mir [schon ist]. Wieviel mehr aber [muss er es] dir im Fleische wie im Herrn [sein]? – „Ewig“ nennt er den, der jetzt als Bekehrter treu, im christlichen Geist, seinem Herrn anhängen sollte, sowohl in diesem wie im zukünftigen Leben, so Anselm [von Canterbury]. Zum Zweiten. Unser Übersetzer überträgt „anstelle eines Sklaven“, weil er im Griechischen liest – wie auch Syrus – „ὑπὲρ δοῦλου“. Allerdings liest man jetzt „ὑπὲρ δοῦλον“, das heißt ,über dem Sklaven‘, ,bedeutender und vortrefflicher als ein Sklave‘. Sieh in ihm einen Bruder, weil du [in ihm] einen gläubigen und vollendeten Christen empfängst. Zum Dritten: „im Fleisch“, das heißt in fleischlichen, also zeitlichen Dingen. Zum Vierten: „im Herrn“, das heißt in göttlichen Dingen, [solchen] des Geistes und der Ewigkeit, siehe Vers 25. Das soll heißen: Muss Onesimus dir bereits teurer sein als zuvor, weil er dir vertraut und ergeben ist, und mehr noch, [weil] er dir besser und loyaler dienen wird als zuvor. Früher nämlich diente er aus sklavischer Furcht dir als Eigentum (nur) äußerlich; jetzt aber wird er dir dienen und dir anhängen in höchster Treue, gleichsam wie ein Bruder, aus Liebe und christlichem Geist, in weltlichen wie göttlichen Dingen, so [sagen] der Hl. Hieronymus und Theophylakt. Schließlich bemerkt Hieronymus wieder die Kunstfertigkeit des Paulus: Denn da er die Flucht des Sklaven erhöht und entschuldigt, sagt er, dass sie nach göttlicher Vorsehung geschehen sei, zum Guten seiner [Onesimus] selbst wie seines Herrn. „Manchmal“, sagt Hieronymus, „ergibt sich aus Unheil eine Gelegenheit zum Guten. Und die verkehrten Beschlüsse der Menschen wendet Gott zum Rechten. Was ich meine, soll an einem Beispiel deutlicher werden: Den Josef verkauften [seine] Brüder, vom Stachel der Eifersucht getrieben, den Ismaeliten für zwanzig Silberstücke. Dies war für [seinen] Vater wie die Brüder und ganz Ägypten der Beginn allen Glücks. Schließlich sprach er später selbst zu den Brüdern: ,Ihr habt schlecht von mir gedacht, und Gott hat gut von mir gedacht.‘ Ähnliches können wir auch in Onesimus erkennen, weil aus üblen Anfängen Gelegenheiten zur guten Tat hervorgegangen sind. Wenn er nämlich dem Herrn nicht entlaufen wäre, wäre er niemals nach Rom gekommen, wo Paulus gefangen im Kerker lag. Wenn er Paulus nicht in Ketten gesehen hätte, hätte er nicht den Glauben an

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Christus angenommen. Wenn er nicht den Glauben Christi gehabt hätte, wäre er niemals als von Paulus gezeugter Sohn an das Werk des Evangeliums gesetzt worden. Deshalb ist allmählich und durch seine eigenen Schritte, während er in [seinem] Urteil noch schwankte, also Onesimus zum Arbeiter für das Evangelium gemacht worden, weil er seinem Herrn entlief.“ Hier liegt der moralische Schriftsinn von der christlichen Demut: Denn bei den Christen sind die Sklaven Brüder ihrer Herren in Christo, siehe Chrysostomos über die Moral, Homilien 3, wo er zugleich lehrt, dass niemand seiner Demut halber sich rühmen oder sich [durch sie] erheben [darf], sondern ein jeder sich [darin] umso tiefer erniedrigen muss. Wenn du [dich] mir also verbunden fühlst – Das heißt als Freund, wenn du mich zu [deinen] Freunden rechnest. Nimm ihn auf wie mich [selbst] – Denn alles ist Freunden gemein. Dies ist die Schlussfolgerung des Apostels: Ich bin dem Onesimus „κοινωνός“, das heißt: soviel habe ich gemein mit ihm, dass er [gleichsam] ein anderes Ich ist. Empfange ihn also wie mich selbst. „Wir wollen bedenken“, sagt Hieronymus, „wie hoch Onesimus gelobt wird und wie weit er in so kurzer Zeit unter Paulus vorangekommen sein muss, dass er so zu empfangen ist wie der Apostel [selbst]. Und so soll [sein] Herr seine Gesellschaft wie die des Paulus herbeisehnen.“ Wenn er dir aber irgendwie geschadet hat oder dir etwas schuldet, stelle es mir in Rechnung. – Das soll heißen: Seinen Diebstahl und seine Schuld überschreibe auf mich. Ich, Paulus, habe es mit eigener Hand geschrieben, ich selbst werde es erstatten – Griechisch „ἀποτίσω“ heißt ich will bezahlen [oder] einlösen, denn dies ist die Bürgschaft, mit der Paulus sich dem Philemon für die Schuld des Onesimus verpflichtet. Das soll heißen: Was [auch] Onesimus gestohlen und geraubt hat, ich, Paulus, verspreche, dass ich es zurückerstatten werde. Auf diese Zusage stelle ich dir einen Wechsel aus, das heißt diesen von meiner Hand unterzeichneten Brief, so [sagen] Hieronymus, Chrysostomos [und] Theodoret. Um dir nicht davon zu sprechen, dass auch du dich selbst mir schuldest – Das soll heißen: Um auszulassen und zu verschweigen, was du mir schuldest, nämlich deine Bekehrung zu Christus und zum Heil. Demnach, wenn du und das Deine mein sind, ist also auch Onesimus, der dir gehört, mein Eigentum, so Hieronymus und Anselm [von Canterbury]. Ja, Bruder – Für „ita“ heißt es griechisch „ναί“, eine beteuernde und bestätigende Interjektion. Das soll heißen: Gewiss, zweifle nicht, ich will voll und ganz für die Schuld des Onesimus einstehen. Zum Zweiten und ausführlicher versteht der Hl. Hieronymus „ναί“ als Entsprechung des hebräischen „‫“אנה‬, „annah“, das eine schmeichelnde Inter-

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jektion ist. Das soll heißen: Ich bitte, ich flehe dich an, Bruder, dass meine Fürbitte für Onesimus erhört werde. Denn auf diese Weise erschmeichelt er [Paulus] von jenem [Philemon] eine Gefälligkeit. Daher setzt er darunter: Ich selbst will mich an dir erfreuen im Herrn – Das soll heißen: Ich werde außerordentliches Vergnügen an dir gewinnen, wenn du mir in dieser so frommen und gerechten Sache im Herrn, das heißt in einer „göttlichen“ und christlichen Angelegenheit, nachgibst. Deshalb übersetzt Syrus „‫“אתתניח‬, „etteniach“, also: ich werde erfrischt werden oder sanft ruhen in dir. Das griechische „ὀναίμην“, das heißt: ich will mich erfreuen, spielt wiederum auf den Namen des Onesimus an. Das soll heißen: Ich werde fruchtbaren Trost aus dir gewinnen, so du Onesimus, also etwas Fruchtbringendes und nützliches, in Gnaden empfängst. Der Hl. Augustinus, Anselm [von Canterbury], Beda [Venerabilis] und nach ihnen der Magister in 1. d. 13. merken an, dass so zu genießen Gott gleichsam als letztem Ziel gebührt, dass aber wir Geschöpfe gewissermaßen auf dem Weg zu jenem Ende gelangen müssen, dass „zu genießen“ nämlich dasselbe meint wie das Ziel oder die Freude zu erfüllen und folglich die Glückseligkeit und den Segen in irgendeine andere Sache zu setzen: was nicht anders geschieht als dass wir an unserem letzten Ziel mit größter Freude beständig festhalten. Die etwas voreiligen Kirchenväter wollen also [meinen], dass „genießen“ hier vom Apostel uneigentlich gebraucht wird, dass es [also] dasselbe meint wie etwas mit Freude zu nutzen. Und freilich auch zum Zweiten, wie auch Augustinus, De doctrina Christiana 1,33 und nach ihm Anselm [von Canterbury], die [Folgendes] sagen: Ich will mich an dir erfreuen, nicht in dir, sondern im Herrn; das heißt ich erfreue mich am Herrn und in ihm und durch ihn an dir und allen anderen, die ich im Himmel zu Gefährten meiner seligen Gottesschau haben werde. Oder zum Dritten, wie Hieronymus sagt: Ich wünsche dir, o Philemon, Milde, Liebe und die anderen herrlichen Tugenden, auf dass ich dich, [der du] von ihnen erfüllt [bist], genieße, das heißt mich [an dir] erfreue, im Herrn. Wie aber diese Auffassungen über Gedanken und Ziel des Apostels hinausgehen, so ist auch dieses Verständnis des Begriffs „frui“ jünger. Denn es nimmt seinen Anfang beim Hl. Augustinus. Ihm haben es die übrigen Kirchenväter und Theologen entlehnt. Denn für Cicero und die lateinischen Klassiker ist „frui“ der Frucht [„fructus“] verwandt, [das heißt] Nutzen und Lust aus irgendeiner Sache zu gewinnen. So nämlich wird gesagt, dass wir uns des Lebens, der guten [Taten], der Freunde erfreuen, [und] nichts ist angenehmer als das. Und das bezeichnet eigentlich das griechische „ὀναίμην“. 3

Angabe unklar.

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Daher erklärt es Theophylakt ebenso, der [Folgendes] sagt: Paulus [spricht]: „Gewähre mir, o Philemon, durch diese deine Gefälligkeit worum ich dich bitte – [mich] ganz zu laben, nicht an weltlichen Dingen, sondern am Herrn, das heißt an den göttlichen [Dingen]“. Und genauso sagt Vatable: „Wenn du dies getan hast, wird mir geholfen sein“ (das nämlich meint auch „ὀναίμην“) „[und zwar] von dir, im Herrn“, das heißt: „in der Sache, die dem Herrn willkommen ist“. Oder: „Hoffentlich erhalte ich von dir Frucht und Vergnügen in dieser gerechten Sache.“ Erfrische mein Herz im Herrn. – Das soll heißen: Erfrische und erneuere mich im Herzen durch diese Wohltat, [denn] nichts Angenehmeres als dies kann mir geschehen. Wenn du dies für mich tun willst, wirst du mein Herz streicheln, und es mit wunderbarer Freude für dich einnehmen. Siehe Sprüche in Vers 7 und 12. Bereite ein Quartier für mich vor – Man höre [hierzu] den Hl. Hieronymus: „Ich glaube nicht, dass der Apostel so reich gewesen ist und mit so großem Gepäck beschwert, dass er einer vorbereiteten Herberge bedurfte und, nicht mit einer kleinen Kammer zufrieden, für die Größe seines Körpers die geräumigsten Zimmer als zu klein erachtete; sondern dass, da Philemon seine Ankunft bei ihm erwartet, [dieser] mehr tut als erbeten ist.“ Und weiter: „Dem Apostel Paulus muss mehr als eine Herberge bereitet werden. Er war im Begriff in eine neue Stadt zu kommen, das Kreuz zu predigen und unerhörte Lehren zu verbreiten. Man erwartete, dass viele ihm zuströmen würden. Auch war es zuerst nötig, dass es ein Haus an einem bekannten Ort der Stadt gab, in dem man leicht zusammenkommen konnte. Dann dass es von jeder Unbequemlichkeit frei war, dass es ein geräumiges [Haus war], das zahlreiche Zuhörer fassen konnte; weder in der Nähe von Orten der Spiele noch in verabscheuungswürdiger Nachbarschaft zu etwas Schimpflichem. Zuletzt dass es besser zu ebener Erde lag als in einem oberen Stockwerk. Dies aus dem Grund, glaube ich, dass er sich zwei Jahre zu Rom in einer Mietwohnung aufgehalten hatte. Wie ich meine, war auch die Herberge nicht klein, in der täglich die Menge der Juden zusammenströmte.“ [Vergleiche] Apg 28,30. Ich [Cornelius a Lapide] habe diese Wohnung, die Herberge des Hl. Paulus, besichtigt, ja ich wohne sogar nahebei: Sie ist zur Kirche umgewandelt, und sie wird als Diakonie S. Maria in Via Lata bezeichnet. Sie ist gewiss sehr geräumig gewesen und [lag] an einem sehr bekannten Ort der Stadt. Niemanden also mag es verwundern, wenn die Gottesfürchtigen, die sich dem Heil ganz verschrieben haben, ähnliche Orte in den Städten suchen. Denn nicht für sich selbst oder ihre eigene Annehmlichkeit, sondern für die der Bürger sorgen sie. Denn ich hoffe, dass durch eure Gebete ich euch [bald wieder] geschenkt werde – damit ich nämlich von den Ketten befreit euch wiedergegeben wer-

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de. Zwei Dinge lernen wir hier, sagt Theopylakt: Zuerst, dass die Tugend der Rede großartig ist, wenn nämlich Paulus ihrer derart und so sehr ihrer bedarf, und wenn jener [schon], wer [dann] nicht? Zweitens, dass es uns ansteht, demütig im Geiste zu sein, da schon Paulus der Fürbitte [seiner] Schüler bedurfte; und dass es höchst nützlich sei, die Fürbitten anderer, vor allem der Heiligen, zu erflehen. Es grüßt dich Epaphras, mein Mitgefangener in Christus Jesus – das heißt: wegen Christus Jesus. So nämlich wird häufig das hebräische „bet“ verstanden, das heißt „in“; so Theophylakt. Epaphras war Bischof der Kolosser und verwaltete zugleich die Gemeinde von Laodizäa und [die von] Hierapolis, wie Paulus erklärt in Kol 4,12. Aber als er in Rom in Ketten gelegt wurde, scheint ihm Archippus nachgefolgt zu sein, wie Ambrosius lehrt und Paulus mitteilt [und] wie ich sagte, in Vers 2. Demas – Das ist einer, sagt Theophylakt, der später von Paulus abfiel [und] über den ich [in der Erörterung von] 2 Tim 4,9 gesprochen habe. Erfreue dich der Ewigkeit, erfreue dich Gottes.

Abkürzungsverzeichnis a. ABAW.PH ACO ActaSS arg. Asp. Aug(M) BCJ BGrL BHTh BN BRHE BZNW can. cap. CCSL CIC(B).N co. COD CPaHi CR CSEL CSP d. DA Dig. DiKi DThA EKK Ep./ ep. EÜ FASk FC FKDG fol.

articulus Abhandlungen der (K.) Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Philosophisch-historische Abteilung Acta conciliorum oecumenicorum Acta sanctorum argumentum Asprenas Augustinus. Madrid Bibliothèque de la Compagnie de Jésus Bibliothek der griechischen Literatur Beiträge zur historischen Theologie Biblische Notizen Bibliothèque de la Revue d’histoire ecclésiastique Beihefte zur Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft und die Kunde der älteren Kirche canon capitulum Corpus Christianorum. Series Latina Corpus iuris civilis 3. Novellae corpus articuli Conciliorum oecumenicorum decreta Corpus patristicum Hispanum Corpus reformatorum Corpus scriptorum ecclesiasticorum Latinorum Columbia studies in philosophy distinctio Deutsches Archiv für Geschichte / Erforschung des Mittelalters Digesten Dialog der Kirchen Deutsche Thomas-Ausgabe Evangelisch-katholischer Kommentar zum Neuen Testament Epistel/ epistula Die Bibel. Einheitsübersetzung Forschungen zur antiken Sklaverei Fontes Christiani Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte folio

304 GCS GTF HAS HBPhMA HDG HTR JbAC JBL JSNT JSNT.S KEK KKTS KStTh l. LACL LMA lib. MHS.C n. ND Neotest. NF OECT ÖTBK par. PG PKNT PL pr. PTS Q q. qc. qq. r. RAC RBen RHE

Abkürzungsverzeichnis

Die griechischen christlichen Schriftsteller der ersten drei Jahrhunderte Greifswalder theologische Forschungen Handwörterbuch der antiken Sklaverei Herders Bibliothek der Philosophie des Mittelalters Handbuch der Dogmengeschichte Harvard theological review Jahrbuch für Antike und Christentum Journal of biblical literature Journal for the study of the New Testament Journal for the study of the New Testament. Supplement series Kritisch-exegetischer Kommentar über das Neue Testament Konfessionskundliche und kontrovers-theologische Studien Kohlhammer-Studienbücher Theologie lectio Lexikon der antiken christlichen Literatur Lexikon des Mittelalters liber Monumenta Hispaniae sacra. Serie canónica Nummer Neudruck Neotestamentica Neue Folge Oxford early Christian texts Ökumenischer Taschenbuchkommentar Parallelstellen Patrologiae cursus completus. Series Graeca Papyrologische Kommentare zum Neuen Testament Patrologiae cursus completus. Series Latina prooemium Patristische Texte und Studien Quelle quaestio quaestiuncula quaestiones recto Reallexikon für Antike und Christentum Revue bénédictine de critique, d’histoire et de littérature religieuses Revue d’histoire ecclésiastique

Abkürzungsverzeichnis

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Religion und Kultur der alten Mittelmeerwelt in Parallelforschungen Revue Mabillon Römische Quartalschrift für christliche Altertumskunde sed contra Sources chrétiennes Scripta et documenta. Abadía de Montserrat Studia ephemerides Augustinianum Scriptores Latini Hiberniae Scripta minora. K. Humanistiska Vetenskapssamfundet i Lund Studien zum Neuen Testament und seiner Umwelt. Serie A Santos Padres Españoles Sammlung ausgewählter kirchen- und dogmengeschichtlicher Quellenschriften Summa Theologiae Studia monastica Studia moralia Studien zur Umwelt des Neuen Testaments Sentenzenkommentar Supplements to Vigiliae Christianae Théologie. Paris Theologischer Handkommentar zum Neuen Testament Theologische Quartalschrift. Tübingen titulus tomus Theologická revue Theologische Realenzyklopädie Uni-Taschenbücher verso Vigiliae Christianae Vorträge und Forschungen. Konstanzer Arbeitskreis für Mittelalterliche Geschichte Luther, Martin: Werke. Kritische Gesamtausgabe. [Weimarer Ausgabe] Luther, Martin: Werke. Kritische Gesamtausgabe. [Weimarer Ausgabe]. Tischreden Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament Zeitschrift für antikes Christentum Zeitschrift für Religionswissenschaft

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Abkürzungsverzeichnis

Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft und die Kunde der älteren Kirche

Die Autorinnen und Autoren NADINE BREITBARTH war von 2012 bis 2015 Wissenschaftliche Mitarbeiterin im DFG-Projekt „Theologie und Sklaverei von der Antike bis zur Frühen Neuzeit“ im Teilbereich Antike an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Seminar für Kirchengeschichte, Abteilung Altertum und Patrologie. Sie beschäftigt sich mit frühchristlichen Reflexionen über die Entstehung hierarchischer Verhältnisse. PROF. DR. HEIKE GRIESER ist Professorin für Alte Kirchengeschichte und Patrologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Sie forscht vor allem zu sozial- und rechtsgeschichtlichen Fragen, insbesondere zu Sklaverei und Christentum. Weitere Schwerpunkte bilden hagiographische und kulturwissenschaftliche Themen. DR. ALEXANDRA HASSE-UNGEHEUER ist nach Stationen in Frankfurt, Dresden und Mainz seit Oktober 2015 Koordinatorin des Leibniz-Projektes „Polyphonie des spätantiken Christentums“ von Prof. Dr. Hartmut Leppin an der Goethe-Universität Frankfurt. Ihre Forschungsschwerpunkte bilden einerseits das Mönchtum, das Zeitalter Justinians I. und die Sklaverei in der Spätantike, andererseits Kult und Mythos in der römischen Republik und Kaiserzeit sowie Persistenzen und Transformationen hin zum Christentum. GABRIEL-DAVID KREBES war von 2012 bis 2015 Wissenschaftlicher Mitarbeiter im DFG-Projekt „Theologie und Sklaverei von der Antike bis zur Frühen Neuzeit“ und am Lehrstuhl für Kirchengeschichte und Religionsgeschichte an der Universität Paderborn. Im Projekt beschäftigte er sich mit dem Urteil der Jesuiten am Collegio Romano über Sklaverei. PROF. DR. VOLKER LEPPIN war von 2000-2010 Professor für Kirchengeschichte in Jena. Seit 2010 ist er dies in Tübingen und leitet dort das Institut für Spätmittelalter und Reformation. Er ist Mitglied der Heidelberger Akademie der Wissenschaften und korrespondierendes Mitglied der Sächsischen Akademie der Wissenschaften. Forschungsschwerpunkte sind Martin Luther, Christliche Mystik und Theologiegeschichte.

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Die Autorinnen und Autoren

PROF. DR. NICOLE PRIESCHING ist Professorin für Kirchengeschichte und Religionsgeschichte am Institut für Katholische Theologie, Fakultät für Kulturwissenschaften, an der Universität Paderborn. Ihre Forschungsschwerpunkte bilden die Geschichte der Sklaverei, Christen und Muslime, Frauenmystik sowie Frömmigkeits- und Ordensgeschichte. KATHARINA PULTAR ist seit 2014 Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Alte Kirchengeschichte und Patrologie (Prof. Dr. Heike Grieser) an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Johannes Gutenberg-Universität Mainz; 2015 erwarb sie zudem ihren Magister Artium in Philosophie. DR. MAGNUS RESSEL ist Wissenschaftlicher Assistent am Lehrstuhl für Neuere Allgemeine Geschichte unter besonderer Berücksichtigung der Frühen Neuzeit an der Universität Frankfurt. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen transnationale Geschichte, Geschichte des Kulturkontaktes, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte und Religions-/ Konfessionsgeschichte.