Tatproportionale Strafzumessung [1 ed.] 9783428497003, 9783428097005

Die Autorin entwickelt Grundlagen für die retrospektive Bewertung der Schwere einer Straftat, die eine rationale und gle

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German Pages 438 Year 1999

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Tatproportionale Strafzumessung [1 ed.]
 9783428497003, 9783428097005

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TATJANA HÖRNLE

Tatproportionale Strafzumessung

Strafrechtliche Abhandlungen . Neue Folge Herausgegeben von Dr. Eberhard Schmidhäuser em. ord. Professor der Rechte an der Universität Harnburg

und Dr. Dr. h. c. (Breslau) Friedrich-Christian Schroeder ord. Professor der Rechte an der Universität Regensburg

in Zusammenarbeit mit den Strafrechtsiehrem der deutschen Universitäten

Band 123

Tatproportionale Strafzumessung

Von

Tatjana Hömle

Duncker & Humblot . Berlin

Zur Aufnahme in die Reihe empfohlen von Professor Dr. Bemd Schünemann, München

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Hörnle, Tatjana: Tatproportionale Strafzumessung / von Tatjana Hömle. Berlin : Duncker und Humblot, 1999 (Strafrechtliche Abhandlungen; N.F., Bd. 123) Zug!.: München, Univ., Diss., 1998 ISBN 3-428-09700-9

Alle Rechte vorbehalten

© 1999 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7271 ISBN 3-428-09700-9 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 97069

Meinen Eltern in tiefer Dankbarkeit

Vorwort Die Arbeit lag der Juristischen Fakultät der Universität München im Frühjahr 1998 als Dissertation vor. Sie ist für die Veröffentlichung auf den aktuellen Stand gebracht und an einigen Stellen überarbeitet worden. Herrn Professor Dr. Bernd Schünemann habe ich an dieser Stelle in mehrfacher Hinsicht zu danken: fiir die vielfältigen wissenschaftlichen Anregungen, die ich während der Assistententätigkeit an seinem Lehrstuhl erhalten habe, für die Freiräume bei der Entstehung dieser Arbeit und für sein Vorbild als energischer und engagierter Wissenschaftler. Mein Dank gilt auch Herrn Professor Dr. Heinz Schöch für die Erstellung des Zweitgutachtens und für seine ermutigenden Worte sowie Herrn Professor Dr. Friedrich-Christian Schroeder für die Aufnahme der Untersuchung in die Strafrechtlichen Abhandlungen n. F. Nicht zuletzt möchte ich mich bei Herrn Professor Dr. Andrew von Hirsch bedanken, dessen Seminare an der School of Criminal Justice (Rutgers University) mein Interesse an der Thematik geweckt, und dessen Ideen mir wichtige Impulse gegeben haben. Den Kollegen und Mitarbeitern des Instituts für Rechtsphilosophie und Rechtsinformatik möchte ich für die Unterstützung beim Zustandekornrnen dieser Arbeit herzlich danken - insbesondere Dr. Roland Hefendehl, der mir mit Rat und Tat zur Seite gestanden ist, und Frau Petra Rascher, die mir bei den Korrekturen behilflich war. München, November 1998

Tatjana HörnIe

Inhaltsverzeichnis Einleitung und Überblick über den Inhalt der Arbeit ...... .................... ....... ............ ...... 17

1. Teil: Die Kritik an der Spielraumtheorie 1. Kapitel: Der Inhalt der Spielraumtheorie im Überblick ...... ...... ......... ...... ......... 23

2. Kapitel: Prävention im Rahmen der Repression? ............................................... 27 I. Die ungelöste Frage der Weite des Schuldrahmens ... ...... ...... ...... ........... .... ......... 27 2. Keine festen Grenzen des Schuldrahmens .................. ............ ........ ...................... 28 3. Fehlende Relevanz präventiver Erwägungen in der Lehre ................................... 29 4. Fehlende Herstellungsrelevanz präventiver Erwägungen in der Praxis ............... 30 5. Tatsächliche Funktion der Spielraumtheorie für die Rechtsprechung .................. 35

3. Kapitel: Die Probleme bei der Bestimmung der schuldangemessenen Strafe ... 36 l. Straftheorie und schuldangemessene Strafe .......................................... ............... 36 2. Vernachlässigung des Begriffs der Strafzumessungsschuld ................................. 38 3. Persistenz der Lebensführungsschuld in der Strafzumessungsschuld .................. 40 a) Historische Wurzeln .......................................................................................... 40 aa) Problemstellung .... ....... ........ ...... ............ .............. ...... ........................ ...... ...... 40 bb) Entwicklung bis 1945 .......... ............ .............. ...... .............. ...... ..................... 42 cc) Folgen für die Einführung einer gesetzlichen Strafzumessungsregel ............ 47 b) Die Täterpersönlichkeit in der heutigen Strafzumessungspraxis und -lehre ...... 49 aa) Vorgabe der höchstrichterlichen Rechtsprechung ................................ ......... 49 bb) Würdigung der Täterpersönlichkeit in der tatrichterlichen Praxis ................ 52 c) Subjektive Tatumstände und die Bewertung der Täterpersönlichkeit ............... 55 aa) Verschleiernde Begründungen ...................................................................... 55 bb) Kriminelle Energie als Strafzumessungsgrund ...... .................................. ..... 57 cc) Beweggründe als Anlaß für eine negative Bewertung des Täters .................. 60

4. Kapitel: Die Folgen der Spielraumtheorie für die Strafzumessungslehre ......... 61 5. Kapitel: Die Folgen für die Praxis: Ungleichheit der Strafen ............................ 63 l. Fehlende Steuerungsleistung und Ungleichheit ................................................... 63 2. Übersicht über das empirisch gewonnene Wissen ................................................ 64 3. Normative Konsequenzen .................................................................................... 69

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Inhaltsverzeichnis a) Notwendigkeit von Korrekturen ........................................................................ 69 b) Relative und absolute Gerechtigkeit .................................................................. 71

Zusammenfassung der Kritik an der herrschenden Strafzumessungslehre und -rechtsprechung ........................................................................................................... 75 2. Teil: Konsequente Folgenorientierung, Wiedergutmachung oder Tatschuldausgleich als Alternativen zur Spielraumtheorie? 1. Kapitel: Konsequente Folgenorientierung ....... ........ ........ .... ......... ..... ...... ............ 77

I. Forderung nach einem folgenorientierten Modell ................................................ 77 2. Negativ-generalpräventive Strafzumessung ...... ........................................ ........... 78 3. Spezialpräventive Strafzumessung ....................................................................... 84 a) Spezialpräventive Strafzumessungstheorie ...... ....................... ......... .................. 84 b) Prognoseprobleme und Mangel an geeigneten Programmen .................. ........... 85 4. Positiv-generalpräventive Strafzumessung ..... .................. ......... .................. ........ 89 a) Positive Generalprävention als Straftheorie ....................................................... 89 b) Unmöglichkeit der Strafzumessung anhand nachweisbarer Effekte .... ........ ...... 92 c) Orientierung am Mindestmaß bzw. an der gerechten Strafe .............................. 93 2. Kapitel: Wiedergutmachung ................................................................................. 96 I. Wiedergutmachung statt Strafrecht ...................................................................... 96 2. Wiedergutmachung als Alternative in ausgewählten Fällen.................. ............... 99 3. Kapitel: Stellenwerttheorie und Strafzumessung auf der Basis absoluter Straftheorien ............................................................................................ 102 I. Die Stellenwerttheorie ......................................................................................... 102 a) Inhalt der Stellenwerttheorie ............................................................................. 102 b) Begrenzte Reichweite der Stellenwerttheorie ................................................... 103 2. Strafzumessung auf der Basis absoluter Straftheorien ........................................ 104 Zusammenfassung der Analyse möglicher Alternativen ....................................... 107 3. Teil: Die Theorie tatproportionaler Strafzumessung 1. Kapitel: Straftheoretische Vorüberlegungen ...................................................... 108 l. Schlicht-funktional begründete Straftheorien ..................................................... 108

2. Eingeschränkte Nachweisbarkeit präventiver Effekte ......................................... 110 3. Expressive Funktionen der Strafe ....................................................................... 112 a) Strafe als soziale Institution .............................................................................. 112 b) Normative Rechtfertigung der expressiv-kommunikativen Elemente .............. 114

Inhaltsverzeichnis

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4. Rechtfertigung der Übelszufügung ..................................................................... 119 a) Präventive Begründung für die Übelszufügung ................................................ 119 b) Schwachstellen einer präventiven Rechtfertigung ............................................ 121 5. Keine einheitliche Straftheorie ............................................................................ 124

2. Kapitel: Die Unabhängigkeit von Straftheorie und Strafzumessungstheorie .. 125 1. Die These der Verbindung von Straf- und Strafzumessungstheorie .................... 125 2. Keine Zweckorientierung bei einzelnen Strafen ................................................. 126

3. Kapitel: Die Rechtfertigung einer Theorie tatproportionaler Strafzumessung 127 1. Utilitaristische bzw. vertragstheoretische Begründungen ................................... 127 2. Gerechtigkeit als Argument für Tatproportionalität ............................................ 133 3. Der strafrechtliche Tadel als Argument für Tatproportionalität .......................... 135 4. Verständnis für die Situation des Täters als Gegenkonzept ................................ 137 a) Das Idealbild eines verständnisvoll Urteilenden ............................................... 137 b) Übertragbarkeit auf strafrechtliche Werturteile ................................................ 13 8 c) Unmöglichkeit der Umsetzung im Strafverfahren ............................................ 140

4. Kapitel: Die Grundzüge einer tatproportionalen Strafzumessungstheorie ..... 143 1. Die Bewertung der Tat: Orientierung am verschuldeten Tatunrecht ................... 143 a) Orientierung an der Verbrechenslehre .............................................................. 143 b) Vorteile und Nachteile der Orientierung an der Verbrechenslehre ................... 145 c) Bewertung des Tatunrechts ............................................................................... 150 d) Schuld als Strafzumessungsfaktor .................................................................... 151 2. Keine absolute Proportionalität von Tatschwere und Strafe ............................... 155 3. Beurteilungsspielraum statt Punktstrafe .............................................................. 157 4. Die Rolle von Vorstrafen .................................................................................... 159 a) Unhaltbarkeit der Strafschärfungen wegen Vorstrafen ..................................... 159 b) Keine Strafminderung für Ersttäter .................................................................. 164 5. Reihenordnung der Rechtsfolgen ........................................................................ 166 a) Subjektive versus objektive Bewertung der Sanktionsschwere ........................ 166 b) Vergleich der Sanktions schwere ...................................................................... 169 aa) Vergleich von Sanktionen unterschiedlicher Art .......................................... 169 bb) Vergleich von Geldstrafen ........................................................................... 174 cc) Vergleich von Freiheitsstrafen ...................................................................... 176 5. Kapitel: Die Problem bereiche einer tatproportionalen Strafzumessungslehre 179 1. Die Praxis der Strafverfolgung ............................................................................ 179 a) Verurteilungen nur bei einem Bruchteil aller Straftaten ................................... 179

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Inhaltsverzeichnis b) Einstellungen und Absprachen im Strafverfahren ............................................ 180

2. Wandel der Wertigkeit von Gütern .......................................................... ........... 183 3. Die gesetzlichen Strafrahmen im deutschen Recht .............................................. 184 a) Lückenhafter Unrechtsbezug der gesetzlichen Strafrahmen ............................. 184 b) Ausmaß der Bindung des Tatrichters an die gesetzlichen Strafrahmen ............ 187 4. Die Rechtsfolgenbestimmungen im deutschen Recht ......................................... 191 a) Unvereinbarkeit der tatproportionalen Lehre mit den §§ 56, 59 ....................... 191 b) Vereinbarkeit mit § 47 Abs. 1 .......................................................................... 193

4. Teil: Die Bewertung der Tatschwere 1. Kapitel: Das Unrecht der Tat als Anknüpfungspunkt der Strafzumessung .... 195 1. Grenzen einer Unrechtsbestimmung über die Tatbestandsmerkmale .................. 195 a) Quantifizierende Betrachtung der Tatbestandsmerkmale ................................. 195 b) Erforderlichkeit von materiellen Bewertungskriterien ..................................... 198 2. Gründe flir ein dualistisches Unrechtsverständnis ............................................... 201 a) Erfolgsunabhängiges Unrecht: Die monistisch-subjektive Lehre ..................... 201 b) Schwächen der monistisch-subjektiven Lehre .................................................. 202 3. Das Erfolgsunrecht als Beeinträchtigung des Rechtsgutsträgers ......................... 207 a) Erfolgsunwert als Friedensstörung? .................................................................. 207 b) Erfolgsunwert als Rechtsgutsverletzung oder Verletzung des Handlungsobjekts? ............................................................................................ 210 c) Erfolgsunwert als Beeinträchtigung eines Rechtsgutsträgers ........................... 211 4. Grund und Grenzen der Berücksichtigung des Handlungsunrechts .................... 213 a) Der Grund für die Berücksichtigung des Handlungsunrechts ........................... 213 b) Notwendigkeit einer Einschränkung ................................................................ 215 c) Opferperspektive flir die Bewertung des Handlungsunrechts ........................... 217 5. Erfolgs- und Handlungsunrecht als Typus .......................................................... 220 2. Kapitel: Das Ausmaß des Erfolgsunrechts ......................................................... 221

1. Prämissen flir die Bewertung von Beeinträchtigungen ....................................... 221 a) Notwendigkeit einer normativen Analyse ........................................................ 221 b) Subjektiver versus objektiver Maßstab ............................................................. 223 2. Einschnitt in die Lebensqualität als Maßstab ...................................................... 226 a) Von Hirschs und Jareborgs Konzept zur Bewertung der Lebensqualität .......... 226 b) Vorteile einer Lebensqualitätsanalyse für die Strafzumessung ........................ 228 3. Anwendungsbeispiele für das Lebensqualitäts-Modell ....................................... 233

Inhaltsverzeichnis

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a) Tötungs- und Körperverletzungsdelikte ........................................................... 233 b) Sexualdelikte .................................................................................................... 235 c) Gewalt und Drohung ........................................................................................ 237 d) Eigentums- und Vermögensdelikte .................................................................. 239 4. Modifikationen wegen besonderer Lebensumstände des Opfers ........................ 242 5. Erfolgsunrecht bei Delikten gegen Organisationen ............................................. 244 6. Subjektive Zurechenbarkeit des Erfolgsunrechts ................................................ 247 7. Schadensvertiefungen und Schadenserweiterungen ....................... ", .................. 251 a) Nicht selbständig zu berücksichtigende Folgeschäden ..................................... 251 b) Vorhersehbarkeit der Folgeschäden als erstes Kriterium ................................. 253 c) Typizität der Folgeschäden als zweites Kriterium ............................................ 254 3. Kapitel: Das Ausmaß des Handlungsunwerts .................................................... 260

1. Handlungsunrecht und subjektive Tathintergründe ............................................ 260 a) Abstufungen des Vorsatzes ............................................................................... 260 b) Abstufungen der Fahrlässigkeit ........................................................................ 264 aa) Bewußte und unbewußte Fahrlässigkeit ....................................................... 264 bb) Ausmaß der Sorgfaltswidrigkeit .................................................................. 265 c) Die Beweggründe des Täters ............................................................................ 267 aa) Beweggründe, Ziele, Absichten .................................................................... 267 bb) Systematische Einordnung der Beweggründe .............................................. 268 cc) Unrechtserhöhung durch die Beweggründe nur in Ausnahmefällen ............ 270 2. Handlungsunrecht und objektive Tatumstände ................................................... 273 a) Abstrakte Gefährdungsdelikte .................................................... .. ........... .. ....... 273 b) Art und Weise der Tatausführung .................................................................... 274 c) Verletzung von Pflichten des Täters ................................................................. 278 aa) Tatbestandliche Pflichten ............................................................................. 278 bb) Außertatbestandliche Pflichten .................................................................... 281 4. Kapitel: Unrechtsmindernde Strafzumessungsumstände .................................. 283 1. Begründung unrechtsmindemder Strafzumessungsfaktoren ............................... 283

2. Teilweise Zuständigkeit des Opfers für das Tatunrecht ...................................... 285 a) Einwilligungsnahe Fälle ................................................................................... 285 b) "Mitverschulden" des Opfers ........................................................................... 286 aa) Absichtliche Provokation eines Angriffs ...................................................... 286 bb) Rechtswidrige Vortat des Opfers ................................................................. 287 cc) Verstoß gegen Obliegenheiten als Vorverhalten des Opfers ........................ 290 c) Nicht vorwerfbare Tatbeiträge des Opfers ........................................................ 293

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Inhaltsverzeichnis

3. Handeln im Notstand ........................................................................................... 294 4. Verminderung des Erfolgsunrechts durch Wiedergutmachung ........................... 296 a) Beeinflussung des Erfolgsunrechts ................................................................... 296 b) Wiedergutmachungsleistungen durch den Täter .............................................. 297 aa) Vollständige Wiedergutmachung ................................................................. 297 bb) Teilweise Wiedergutmachung ...................................................................... 299 c) Zurechnung der Leistung und verdienstvolles Handeln ................................... 303

5. Kapitel: Schuldmindernde Strafzumessungsumstände ..................................... 306 I. Kategorien schuldmindernder Umstände ............................................................ 306 2. Beeinträchtigung der Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ................................. 307 a) Verhältnis zu den tatbestandlichen Voraussetzungen in § 21 ........................... 307 b) Ermittlung von eingeschränkter Einsichts- bzw. Steuerungsfähigkeit ............. 308 c) Fallgruppen eingeschränkter Einsichts- bzw. Steuerungsfähigkeit ................... 310 d) Normativer Filter .............................................................................................. 316 3. Eingeschränkte Zumutbarkeit normgemäßen Verhaltens .................................... 320 a) Handeln in einer Gefahrensituation .................................................................. 320 b) Handeln aus wirtschaftlicher Not ..................................................................... 322

5. Teil: Die Umsetzung der tatproportionalen Strafzumessungstheorie de lege lata 1. Kapitel: Der Begriff der Strafzumessungsschuld (§ 46 Abs. 1 S. 1) .................. 324

l. Notwendigkeit der Neuinterpretation von Strafzumessungsschuld ..................... 324 2. Vereinbarkeit mit dem Wortlaut von § 46 Abs. 1 S. 1 ........................................ 326 3. Verhältnis von Strafbegründungsschuld und Strafzumessungsschuld ................ 328 2. Kapitel: Die Bedeutung von § 46 Abs. 1 S. 2 ...................................................... 329

l. Tatproportionale Strafzumessung und § 46 Abs. 1 S. 2 ...................................... 329 2. Überblick über die Anwendungsfelder fIlr § 46 Abs. 1 S. 2 ............................... 330 3. Keine Straferhöhungen aus spezialpräventiven Gründen .................................... 332 4. Keine Strafmilderungen zur Vermeidung einer Entsozialisierung ...................... 336 5. Strafmilderungen wegen erhöhter Strafempfindlichkeit ..................................... 339 a) § 46 Abs. 1 S. 2 als gesetzliche Grundlage ....................................................... 339 b) Die Rolle der Strafempfindlichkeit ................................................................... 341 c) Fallgruppen der besonders gesteigerten Strafempfindlichkeit .......................... 342 aa) Verkürzung der Lebenserwartung ................................................................ 342 bb) Strafempfindlichkeit von Ausländern .......................................................... 343

Inhaltsverzeichnis

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cc) Besondere Tatfolgen für den Täter ............................................................... 345 dd) Mittelbar auf der Bestrafung beruhendes zusätzliches Übel ........................ 345 ee) Durch das Strafverfahren herbeigeführtes zusätzliches Übel ....................... 348 3. Kapitel: Die Vereinbarkeit mit § 46 Abs. 2 ........................................................ 352 I. Die Abwägungsfonnel in § 46 Abs. 2 S. 1 .......................................................... 352 2. Anwendungsfälle für die Strafzumessungsfaktoren in § 46 Abs. 2 S. 2 ............. 353 3. Die Schwerpunktsetzung in § 46 Abs. 2 S. 2 ...................................................... 355 4. Kapitel: Die Vereinbarkeit mit den Wiedergutmachungsvorschriften (§§ 46 a, 46 Abs. 2 S. 2) .......................................................................... 356

I. Verdienstvolles Handeln versus erfolgte Wiedergutmachungsleistungen ........... 356 2. Die tatbestand lichen Voraussetzungen von § 46 a im übrigen ............................ 359 6. Teil: Die Umsetzung der Schwerebewertung in numerische Strafmaße

I. Vom komparativen System zum numerischen Strafmaß ........................................ 361 2. Keine "sentencing guidelines" ................................................................................ 362 3. Einstieg in den Strafrahmen anhand des schrittweisen Vorgehens ......................... 364 4. Ennittlung des Basis-Strafwerts bei Vorsatztaten ................................................... 368 a) Regelschaden oder Durchschnittsschaden als Anknüpfungspunkt? .................... 368 b) Strafquantenmethode .......................................................................................... 371 c) Erste Einordnung anhand der fünf Kategorien des Erfolgsunrechts ................... 373 d) Präzisierung des Basis-Strafquantums zu einem Basis-Strafwert ....................... 375 5. Modifikationen des Basis-Strafwerts ...................................................................... 378 a) Nonnativer Nonnalfall als Ausgangspunkt ......................................................... 378 b) Vorsatzvariationen .............................................................................................. 383 c) Fahrlässige Tatbegehung ..................................................................................... 385 Zusammenfassende Darstellung einer tatproportionalen Strafzumessungstheorie I. Grundlagen einer tatproportionalen Strafzumessungstheorie .................................. 387

11. Umsetzung einer tatproportionalen Strafzumessungstheorie .................................. 389 III. Wichtige Unterschiede zur traditionellen Lehre und Rechtsprechung .................. 393 IV. Die Vereinbarkeit mit § 46 Abs. 1 und 2 .............................................................. 396 V. Der Einstieg in den Strafrahmen ............................................................................ 399

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Inhaltsverzeichnis

Literaturverzeichnis ................................................ ...... .............................................. 401 Sachregister .......................................... :.. ............................................................... ..... 430

.. Einleitung und Uberblick über den Inhalt der Arbeit 1. Die über Jahrzehnte berechtigte Klage, daß die Strafzumessungslehre zu den vernachlässigten Feldern innerhalb der Strafrechtswissenschaft gehöre\ hat in den letzten zehn Jahren an Brisanz verloren. In dieser Zeitspanne sind mit einer Reihe von neu erschienenen Abhandlungen 2 erhebliche Fortschritte bei der Entwicklung einer dem Stand der Verbrechens lehre entsprechenden Strafzumessungslehre erzielt worden. Es wäre allerdings verfrüht, hieraus die Schlußfolgerung zu ziehen, daß die wesentlichen Grundfragen nunmehr geklärt seien: Die erwähnten Monographien beziehen sich häufig auf Einzelaspekte des Strafzumessungsrechts. Soweit es um die grundlegende Frage geht, welche Theorie die Basis der strafzumessungsdogmatischen Erwägungen bilden soll, ist nach wie vor in Lehre und Praxis die sogenannte Spielraumtheorie führend, die die Strafzumessungsentscheidung auf eine Mischung aus schuld- und präventionsorientierten Gesichtspunkten stützt. Die ganz erheblichen Schwächen dieses Ansatzes sind der Grund für die hier vorliegende Untersuchung. Es wird zu zeigen sind, daß die Spielraumtheorie als Theorie zur Herstellung von Strafmaßentscheidungen unbrauchbar ist. Eine Neuorientierung ist zur Schließung der sich auftuenden Lücke erforderlich. 2. Mit der vorliegenden Arbeit soll eine tatproportionale Straftumessungstheorie als Alternative zur Spielraumtheorie begründet und konkretisiert werden. Dabei konnte teilweise auf Ansätze in der neueren deutschen Strafzumes1 Vgl. Roxin, in: Institut rlir Konfliktforschung (Hrsg.), Pönometrie, S. 55; Schünemann, in: Institut für Konfliktforschung (Hrsg.), Pönometrie, S. 73 f.; Lackner, Neuere Entwicklungen der Strafzumessungslehre, S. 6 f.; Wesei, Fast alles, was Recht ist, S. 192 f.; weitere Nwe. bei Streng, Strafzumessung und relative Gerechtigkeit, S. 1 ff. und Bruns, Recht der Strafzumessung, VIII. 2 Schünemann, in: Eser/Corniis (Hrsg.), Neuere Tendenzen, S. 209 ff.; Frisch, ZStW 99 (1987), 349 ff., 751 ff.; ders., in: 140 Jahre GA, S. 1 ff.; Grasnick, Über Schuld, Strafe und Sprache, 1987; Montenbruck, Abwägung und Umwertung, 1989; Streng, Strafrechtliche Sanktionen, 1991; Erhard, Strafzumessung bei Vorbestraften, 1992; Hart-Hönig, Gerechte und zweckmäßige Strafzumessung, 1992; H-J Albrecht, Strafzumessung bei schwerer Kriminalität, 1994; Fahl, Bedeutung des Regeltatbildes, 1996; Brauns, Wiedergutmachung der Folgen, 1996; Götting, Strafzumessungspraxis, 1997; UphojJ, Die deutsche Strafzumessung unter dem Blickwinkel amerikanischer Strafzumessungsrichtlinien, 1998.

2 Hömle

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Einleitung

sungslehre zurückgegriffen werden. Bei der Ausarbeitung der Regeln zur Bewertung einer Straftat sind im Ergebnis Gemeinsamkeiten mit Autoren festzustellen, die zur Präzisierung des Begriffs der Strafzumessungsschuld auf die Strajiatsystematik zurückgreifen wollen 3 . Auch Befürworter der Spielraumtheorie strukturieren die Kriterien zur Festsetzung des Schuldrahmens in einer Weise, die sich für eine tatproportionale Strafzumessung umsetzen läßt, indem etwa Erfolgs- und Handlungsunwert zentrale Bedeutung beigemessen wird4 • Auf einer tieferliegenden Ebene setzen Kritiker an, für die eine Analyse der Spielraumtheorie eine grundlegendere Neuorientierung notwendig erscheinen läßt. Dabei folgt die Diskussion zum Thema Straftheorie teilweise der Hauptströmung in der deutschen Strafrechtswissenschaft, setzt also auf den Strafzweck der positiven Generalpräventions. Entscheidend ist aber, daß daraus keine unmittelbaren Konsequenzen für die Feinausarbeitung der Strafzumessungslehre abgeleitet werden. Die Folgerungen, die Frisch und Hart-Hönig aus dem Rekurs auf die positive Generalprävention ziehen, decken sich in den Grundzügen mit einer tatproportionalen Lehre: Das Strafmaß müsse sich am Ausmaß des verschuldeten Unrechts orientieren6 • Schünemann rekurriert als erster in der deutschen Strafzumessunglehre im Interesse einer gleichmäßigen und berechenbaren Strafzumessung auf das Tatproportionalitätsprinzi/: Die Strafe soll sich nach der quantifizierten Unwertigkeit der Tat richten, die sich in Art, Ausmaß und Modalität der Rechtsgüterverletzung manifestiert8 • Zum Kembestand einer tatproportionalen Strafzumessungslehre gehört außerdem Schünemanns Forderung nach einer Verringerung der Strafzumessungsfaktoren, insbesondere solcher, mit denen die Täterpersönlichkeit erfaßt werden soll9. Frisch, ZStW 99 (1987), 386; ders., GA 1989,355 f.; ders., 140 Jahre GA, S. 1 ff. Erhard, Strafzumessung bei Vorbestraften, S. 141 ff., 331 ff.; Schäfer, Praxis der Strafzumessung, Gliederungsschema, Rn. 232. Vgl. auch Theune, StV 1985, 162; Lackner, § 46 Rn. 47 a.E. 5 Frisch, ZStW 99 (1987), 379; ders., GA 1989,355 f.; ders., 140 Jahre GA, S. 17 f.; Hart-Hänig, Gerechte und zweckmäßige Strafzumessung, S. 98 ff. 6 Frisch, ZStW 99 (1987),368; ders., GA 1989,355 f.; ders., 140 Jahre GA, S. 20 ff.; Hart-Hänig, Gerechte und zweckmäßige Strafzumessung, S. 128 ff.; ebenso H.-L. Günther, FS für Göppinger, S. 457; SK-Horn, § 46 Rn. 24, 42. Anders als Hart-Hänig (a.a.O., S. 46 ff.) bringt Frisch allerdings gegenüber unmittelbar präventiv motivierten Strafmaßabweichungen zwar Skepsis zum Ausdruck, aber keine generelle Ablehnung (in: 140 Jahre GA, S. 21 ff., skeptisch insbesondere in den Fn. 96, 99, 101). Vgl. auch die neueste Befürwortung des Tatproportionalitätsprinzips durch Uphoff, Die deutsche Strafzumessung, S. 244 ff. 7 Schünemann, in: Eser/Cornils (Hrsg.), Neuere Tendenzen, S. 221 ff.; zustimmend H.-J Albrecht, Strafzumessung bei schwerer Kriminalität, S. 52 ff. B Vgl. Schünemann, in: ders. (Hrsg.), Grundfragen, S. 190 f.; ders., in: Eser/Cornils (Hrsg.), Neuere Tendenzen, S. 225 f. 9 Schünemann, in: ders. (Hrsg.), Grundfragen, S. 191 f.; ders., in: Eser/Cornils (Hrsg.), Neuere Tendenzen, S. 226. J

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3. Für die Begründung einer tatproportionalen Strafzumessungslehre ist der Blick in andere Rechtskreise von Nutzen. Insbesondere in den Vereinigten Staaten hat die langjährige Dominanz ausschließlich präventiver Ansätze in Kriminalpolitik und Strafpraxis Kritik hervorgerufen 10 und zu einer intensiven Auseinandersetzung mit Alternativen Anlaß gegeben 11. Davon hat zum einen die Diskussion über Straftheorien profitiert, zum anderen die Diskussion über die Grundlagen einer tatproportionalen Strafzumessungslehre. Die Neuorientierung der Strafzumessungstheorie, die in den USA und England maßgeblich durch die Arbeiten Andrew von Hirschs 12 vorangetrieben worden ist, wird dort häufig als ,just desert theory" bezeichnet und ist in Deutschland auch unter der Überschrift "Neoklassizismus,,13 vorgestellt worden. Das Ausbleiben einer 10 Der erste "Hauptstrom", die Ausrichtung an der Spezialprävention, gipfelte in der Praxis der Freiheitsstrafen unbestimmter Länge (indeterminate sentences), die die tatsächliche Länge der Strafe von dem Grad der (angeblich im Strafvollzug zu erreichenden) Resozialisierung abhängig machte und in die Hand der Strafvollzugsverwaltung (parole boards) legte. Heftige Kritik richtete sich gegen die Willkürlichkeit dieser Entscheidungen (s. American Friends Service Committee, Struggle for Justice; Frankei, Criminal Sentences: Law without order). Die zweite Welle präventiver Straftheorien in den USA begann mit der Renaissance der Generalprävention in der Literatur, vgl. hierzu Wilson, Thinking about Crime, insbes. Kap. 8; van den Haag, Rutgers Law Review 33 (1981), 706 ff.; dens., Punishing Criminals; Becker, Journal of Political Economy 76 (1968), 169 ff.; Posner, Economic Analysis of Law, Kap. 7. Mit der "mandatory sentences"-Bewegung (gesetzlich festgelegte Mindeststrafen auf hohem Strafniveau) erreichte die Theorie auch die Strafzumessungspraxis (vgl. zu mandatory sentences Tonry, in: TonrylMorris - Hrsg. -, Crime and Justice 16 (1992), S. 243 ff.). Zusammenfassend von Hirsch, ZStW 94 (1982),1048 ff.; Weigend, ZStW 94 (1982), 805 ff.; ders., FS der Rechtswissenschaftlichen Fakultät, S. 584 ff.; UphojJ, Die deutsche Strafzumessung, S. 80 ff. 1I Kleinig, Punishment and Desert; von Hirsch, Doing Justice; Singer, Just Deserts; Richards, in: TonrylMorris (Hrsg.), Crime and Justice 3 (1981), S. 247 ff. 12 Von Hirsch, Doing Justice; ders., Past or Future Crimes; ders., in: Tonry/Morris (Hrsg.), Crime and Justice 16 (1992), S. 55 ff.; ders., Censure and Sanctions; ders., ZStW 94 (1982), 1047 ff.; von Hirsch/Jareborg, Strafmaß und Strafgerechtigkeit. Vgl. auch die ausführliche Beschreibung von UphojJ, Die deutsche Strafzumessung, S. 93 ff. u. 217 f. 13 Weigend, ZStW 94 (1982), 801 ff.; Jareborg/von Hirsch, in: Eser/Cornils (Hrsg.), Neuere Tendenzen, S. 34 ff.; Göppinger, Kriminologie, S. 175 f. Von Hirsch und Jareborg (Strafmaß und Strafgerechtigkeit, S. 4 Fn. 16) plädieren zu Recht dafür, einen anderen Namen zu verwenden, da "Neoklassizismus" eine mißverständliche Bezeichnung ist. Zum einen gibt es in der Geschichte der Straftheorien keinen einheitlich als "klassizistisch" zu bezeichnenden Ansatz. Das Nebeneinander von präventionsorientierten und nicht-präventionsorientierten Straftheorien besteht seit dem 18. Jahrhundert, man vergleiche nur Beccaria (Über Verbrechen und Strafen, XII. Zweck der Strafen) mit Kant (Metaphysik der Sitten, Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre: 2. Teil, E. Vom Straf- und Begnadigungsrecht). Zum anderen werden heute unter der Bezeichnung "neoklassizistisch" unterschiedliche Straftheorien zusammengefaßt (etwa bei Weigend, ZStW 94 - 1982 -, 810 ff.), die als gemeinsamen Nenner nur die kritische Haltung gegenüber einem täterorientierten Strafrecht haben, wobei im übrigen beträcht-



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ähnlich intensiven Auseinandersetzung mit dem Gedanken der Tatproportionalität in Deutschland dürfte mit dem moderateren Umgang der Praxis mit präventivem Gedankengut zusammenhängen, der nicht wie in vielen Staaten der USA zu deutlich wahrnehmbaren Ungerechtigkeiten geführt hat l4 . Mit dieser Aussage ist nicht die Schlußfolgerung verknüpft, daß eine tatproportionale Strafzumessung auf spezifisch US-amerikanischen kulturellen und kriminalpolitischen Hintergründen beruhe. Auch in England und Schweden wird über tatproportionale Strafzumessung diskutiert und sind Grundlinien in die Praxis eingeflossen. Mit dem Criminal Justice Act von 1991 wurden in England gesetzliche Richtlinien erlassen, die festschreiben, daß die Tatschwere für Art und Dauer der Strafe maßgeblich sei, wobei die Details der obergerichtlichen Rechtsprechung überlassen werden 15. Auch in Schweden wurde bei der gesetzlichen Regelung des Strafzumessungsrechts im Jahr 1989 als Bemessungskriterium für das Strafmaß der sog. Strafwert gewählt l6 . Auf eine Analyse der schwedischen und englischen Bestimmungen wird hier verzichtet, da die vorliegende Untersuchung nicht einem rechtsvergleichenden Ansatz folgt, sondern primär die nicht vom positiven Recht abhängigen, sondern theoretisch konzipierbaren Grundprinzipien einer tatproportionalen Strafzumessungslehre untersucht. Die Integrierbarkeit dieser Grundprinzipien in die Rahmenbedingungen des deutschen oder eines anderen Rechtssystems ist aus dieser Perspektive eine nachgeordnete Fragestellung. Eine Rezeption der unter dem Stichwort Tatproportionalitätsprinzip entwikkelten Strafzumessungstheorie verspricht insbesondere Anhaltspunkte für eine positive Rechtfertigung, die über die bloße Ablehnung einer unmittelbar präventionsorientierten Strafzumessung hinausreicht. In der anglo-amerikanischen Diskussion ist die Begründung einer retrospektiv orientierten Strafzumessung

liche Differenzen zwischen der rigorosen Abschreckungstheorie eines J. Q. Wilson (Fn. 10) und dem hier vorgestellten Tatproportionalitätsprinzip bestehen. 14 Zum Zusammenhang von nicht-präventionsorientierten Straftheorien und der spezifisch amerikanischen Version des Behandlungsgedankens vgl. Weigend, ZStW 94 (1982),812; Uphoff, Die deutsche Strafzumessung, S. 212 f. 15 Vgl. Ashworth, ZStW 106 (1994), 607 ff., der auch auf die Probleme aufmerksam macht, die sich daraus ergeben, daß die Richterschaft den Begriff der Tatschwere so interpretiert, daß letztlich doch wieder nach der gesetzgeberischen Intention eigentlich ausgeschlossene Strafziele in die Strafzumessung einfließen. Außerdem wurden bestimmte Aspekte, nämlich die beschränkte Rolle von Vorstrafen und das Tagessatzsystem bei Geldstrafen unter öffentlichem Druck durch den Criminal lustice Act 1993 abgeschwächt, s. Ashworth, a.a.O., 611 f., 617, 621 f. 16 Vgl. Jareborg/von Hirsch, in: Eser/Comils (Hrsg.), Neuere Tendenzen, S. 40 ff.; Jareborg, ZStW 106 (1994), 146 ff., wobei die Vorstrafenbelastung und bei der Wahl der Sanktionsart auch generalpräventive Erwägungen eine Rolle spielen, Jareborg, a.a.O., 147, 153, 156, 158.

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jenseits von absoluten Straftheorien weiter gediehen als in der deutschen Lehre. Gegenüber dem in Deutschland üblichen Verweis auf die schuldangemessene Strafe als Gegenpart präventionsorientierter Strafzumessung hat der Rekurs auf Tatproportionalität Vorteile: Die beim Topos schuldangemessene Strafe naheliegende Assoziation mit der Straftheorie der Schuldvergeltung wird verhindert. Außerdem kommt sprachlich die Abgrenzung zu einer täterbezogenen Individualisierung des Strafmaßes zum Ausdruck. Aus diesen Gründen wird das hier vorzustellende retrospektiv orientierte Strafzumessungsmodell unter dem Stichwort der tatproportionalen Strafzumessung eingeführt. 4. Die Arbeit ist folgendermaßen gegliedert: Die ersten beiden Teile bereiten den Boden für die Erörterung einer tatproportionalen Strafzumessungslehre. Im ersten Teil fmdet sich die Kritik an der Spielraumtheorie. Im zweiten Teil werden die möglichen Alternativen zur Spielraumtheorie untersucht, die sich im Ergebnis als nicht überzeugend oder nicht praktikabel erweisen, nämlich Versuche, aus den Straftheorien der negativen bzw. positiven Generalprävention und der Spezialprävention eine Strafzumessungstheorie abzuleiten, sowie Wiedergutmachung als Alternative zur Strafe und auf absolute Straftheorien gestützte Strafzumessungskonzepte. Der folgende dritte Teil stellt die Theorie tatproportionaler Strafzumessung dar. Dazu werden zunächst im ersten Kapitel des dritten Teils die straftheoretischen Grundlagen erörtert. Die dort zu begründende Hauptthese besagt, daß es eine eindimensionale Straftheorie nicht gibt, sondern Strafe nur durch ein komplexes Zusammenspiel von funktionalen und expressiv-kommunikativen Elementen erklärt und gerechtfertigt werden kann. Im zweiten Kapitel wird die These eines notwendigen Zusammenhangs von Straf- und Strafzumessungstheorie kritisch betrachtet und im dritten Kapitel in Auseinandersetzung mit anderen Erklärungsansätzen eine tatproportionale Strafzumessungslehre mit dem expressiv-kommunikativen Element der Strafe, dem Tadel, begründet. Das vierte Kapitel erläutert die Grundzüge einer tatproportionalen Strafzumessungslehre. Im fünften Kapitel werden Problembereiche angesprochen. Das Kernstück einer tatproportionalen Strafzumessungslehre, die Entwicklung von Kriterien zur vergleichenden Tatschwerebeurteilung, fmdet sich im vierten Teil. Dabei ist zunächst im ersten Kapitel auf Grundlagen der Unrechtsbewertung -einzugehen, bevor die Bewertung des Erfolgsunrechts im zweiten Kapitel und die des Handlungsunrechts im dritten Kapitel detailliert erörtert wird. In den folgenden bei den Kapiteln werden unrechts- bzw. schuldmindernde Strafzumessungsfaktoren untersucht. Als weitere Hauptaufgabe bleibt für den fünften Teil die Untersuchung der Vereinbarkeit mit § 46, wobei zu zeigen sein wird, daß der Wortlaut von § 46 Abs. 1 S. 1 und § 46 Abs. 2 tatproportionalen Strafen nicht entgegensteht. Im zweiten Kapitel des fünften Teils wird das noch drängendere Problem erörtert,

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ob nicht § 46 Abs. I S. 2 die Achillesferse einer tatproportionalen Strafzumessungslehre ist. Aufgrund der notwendigen Beschränkung des Untersuchungsgegenstands werden in dieser Arbeit die Rechtsfolgenregelungen des StGB außer § 46 nur kurz gestreift (die Vereinbarkeit mit den §§ 56, 59 und 47 im 3. Teil, 5. Kapitel, mit § 46 a im 5. Teil, 4. Kapitel). Andere wichtige Teilbereiche des Strafzumessungsrechts, etwa die Strafrahmenwahl oder die Regeln tUr die Gesamtstrafenbildung, konnten nicht thematisiert werden. 5. Nach der Bewertung der relativen Tatschwere ist der zweite wesentliche Schritt eines Strafzumessungsvorgangs die Umwertung in ein konkretes, numerisches Strafmaß. Da in dieser Arbeit die BetUrwortung einer tatproportionalen Strafzumessung nicht mit der von sentencing guidelines nach USamerikanischem Vorbild verknüpft wird, rückt das Problem in den Vordergrund, nach welchen Kriterien der Tatrichter beim Einstieg in die sehr weiten gesetzlichen Strafrahmen vorgehen soll. Die Umwertung der Tatschwerebeurteilung ist tUr die Praxis von zentraler Bedeutung, während diese Seite der Strafzumessung in der Lehre eher vernachlässigt wird. Im 6. Teil wird auf Umwertungsfragen eingegangen, allerdings in verkürzter Form, da eine austUhrliche Analyse der konkurrierenden Ansätze zum Einstieg in den Strafrahmen eine eigene monographische Abhandlung erfordern würde. In diesem letzten Teil der Arbeit fmden sich konkrete Vorschläge zur Umsetzung der Unrechtsbewertung in numerische Strafmaße.

1. Teil: Die Kritik an der Spielraumtheorie 1. Kapitel: Der Inhalt der Spielraumtheorie im Überblick a) Die auf eine Kombination von schuldbezogener und präventionsorientierter Strafzumessung zielende sogenannte Spielraumtheorie wurde in Zusammenhang mit der Auseinandersetzung um den richtigen StraJzweck entwickelt. Die Anhänger der sogenannten Vereinigungslehren versuchen, den Gegensatz zwischen absoluten und relativen Straftheorien durch das Paradigma zu überbrücken, daß die Kriminalstrafe sowohl dem Zweck des Schuldausgleichs als auch präventiven Bedürfnissen dienen könne. Als zentrales Argument für die Möglichkeit der Kombination unterschiedlicher Strafzwecke verwiesen die Befürworter der Vereinigungstheorien bereits im 19. Jahrhundert auf den Spielraum, den die Gerechtigkeit bei der Bestimmung des Strafquantums belasse. Dieser Spielraum könne durch general- bzw. spezialpräventive Erwägungen ausgefüllt werdeni. Die Vereinigungslehren haben sich in der Folgezeit in der Diskussion über Strafzwecke fest etabliert2 , da die Spielraumtheorie die Basis bot, den alten Streit zwischen Vertretern des Schuldausgleichs und "Präventionisten" mit der Kompromißformel Prävention im Rahmen der Repression abzufedern. Die Spielraumtheorie hat infolgedessen die Strafzumessungslehre des 20. Jahrhunderts wesentlich gepräge. 1 Der Begriff des Spielrawns taucht im 19. Jahrhundert zuerst bei Alfred Friedrich Bemer auf: Archiv des Kriminalrechts, 1845, S. 144 ff., 163 ff.; ders., Lehrbuch des deutschen Strafrechts, S. 8. Ferner bei von Bar, Probleme des Strafrechts, S. 15; Merkel, Lehrbuch des deutschen Strafrechts, S. 198. 2 Vgl. BVerfGE 45, 187,253 f.; Dreher, Über die gerechte Strafe, S. 128 ff.; Stratenwerth, Strafrecht AT, Rn. 28 ff.; Arthur Kaufinann, GS für Hilde Kaufmann, S. 431; Streng, Strafrechtliche Sanktionen, S. 12 ff.; LK-Jescheck, Einl. Rn. 32 ff.; JeschecklWeigend, Strafrecht AT, S. 69 ff.; Trändie, § 46 Rn. 3; Lackner, § 46 Rn. 1; Schönke/SchröderlStree, vor § 38 Rn. 2 ff.; zusammenfassend Koriath, Jura 1995, 625

ff.; für unterschiedliche Akzentsetzung bei verschiedenen Kategorien von Straftaten

Naucke, Strafrecht, Rn. 197 ff. 3 Vgl. von Hippel, Deutsches Strafrecht, S. 502 ff.; ders., ZStW 30 (1910), 883 f, 886; Heinitz, ARWP 22 (1928/29), 263 f; Spendei, Lehre vom Strafmaß, S. 168 ff.; von Weber, Richterliche Strafzumessung, S. 12 f; Bruns, Recht der Strafzumessung, S. 105 ff.; ders., FS für Welzel, S. 739, 745 ff.; ders., Strafzumessungsrecht, S. 281 f (insoweit noch unter der Voraussetzung enger Rahrnengrenzen, S. 282); LK-Hirsch lO , vor § 46 Rn. 21 ff.; Roxin, FG für Schultz, S. 465 ff.; ders., FS für Bockelmann, S. 306; ders., FS für Bruns, S. 183; Schaffitein, FS für Gallas, S. 100 ff.; Lackner, FS fUr Ga1las, S. 128; Burgstaller, ZStW 94 (1982),131 ff.; Baumann/Weber, Strafrecht AT9 ,

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1. Teil: Kritik an der Spie1raumtheorie

b) Der BGH hat sich in BGHSt. 7, 28, 32 die Spielraumtheorie zu eigen gemacht4. Diesen vor der gesetzlichen Nonnierung des Strafzumessungsrechts entwickelten Ansatz hat die Rechtsprechung ohne Brüche nach der Einfügung des § 13 StGB a.F. (§ 46 StGB n.F.) durch das l. StrRG vom 25.6.19695 fortgeführt6 . Ermöglicht wurde der anhaltend traditionalistische Zug der Strafzumessungspraxis durch eine gewisse Vagheit der mit dem l. StrRG erstmals gesetzlich normierten Strafzumessungsregeln, die teilweise als Versäumnis des Gesetzgebers kritisiert?, teils dagegen als Offenheit des Gesetzes für weitere Entwicklungen der Lehre begrüßt wurde 8 . c) Die Spielraumtheorie baut auf der Prämisse auf, daß dem Schuldgehalt einer Tat nicht eine bestimmte Strafe als schuldangemessene zugeordnet werden könne, sondern ein Spektrum von Strafen schuldangemessen sei. Dieses Spektrum werde nach oben von der noch schuldangemessenen, nach unten von der schon schuldangemessenen Strafe begrenzt. Nach dem BGH darf der Tatrichter diesen Rahmen nicht überschreiten9 und auch nicht unterschrei-

S. 628 fI.; Maurach/Zipf, Strafrecht AT 1, § 7 Rn. 25 fI.; Maurach/Gössel/Zipf, Strafrecht AT 2, § 63 Rn. 12 fI.; H-L. Günther, JZ 1989, 1025 fI.; Jakobs, Strafrecht AT, 1/50; Erhard, Strafzumessung bei Vorbestraften, S. 316 fI.; Meine, NStZ 1994, 159; LK-Gribbohm, § 46 Rn. 11 fI.; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, S. 880 f; Tröndle, § 46 Rn. 10; Lackner, § 46 Rn. 25; Schönke/Schröder/Stree, § 46 Rn. 4 f. Kritisch dagegen Dreher, ZStW 66 (1954), 571; Schneidewin, JZ 1955, 506 f; Jescheck, GA 1956, 109; Heinitz, ZStW 70 (1958), 5 f; Henkel, Die ,,richtige" Strafe, S. 31 fI.; Schünemann, in: ders. (Hrsg.), Grundfragen, S. 187 fI.; ders., in: Eser/Cornils (Hrsg.), Neuere Tendenzen, S. 209 fI.; Frisch, ZStW 99 (1987), 363 f, 372 f; von Hirsch/Jareborg, Strafmaß und Strafgerechtigkeit, S. 3 f; Hart-Hönig, Gerechte und zweckmäßige Strafzumessung, S. 13 fI.; SK-Hom, § 46 Rn. 23 fI.; H-J. Albrecht, Strafzumessung bei schwerer Kriminalität, S. 37 fI. 4 Ähnliche Vorstellungen wurden allerdings auch früher schon in der Rechtsprechung vertreten, vgl. OLG Jena HRR 1930, Nr. 1079 (zitiert bei Bruns, Strafzumessungsrecht, S. 232). 5 BGBL I S. 645. 6 BGHSt. 29, 319, 321 f; 34, 345, 349 (GS); BGH StV 1985, 366; StV 1987, 530; NStZ 1988, 497; NStZ 1990, 334; StV 1993, 638; StV 1996, 427; BGHR § 46 Abs. 1 Beurteilungsrahrnen 1, 2, 3, 5, 6, Begründung 9; Schäfer, Praxis der Strafzumessung, Rn. 347 m.w.Nwen.; OLG Hanun NJW 1972, 1150; BayObLG NStZ 1988, 408; OLG DüsseldorfNStZ 1988, 325. ? Stratenwerth, Tatschuld und Strafzumessung, S. 11; Streng, FS der Juristischen Fakultät, S. 502 f; H-J. Albrecht, Strafzumessung bei schwerer Kriminalität, S. 25; Streng, Strafrechtliche Sanktionen, S. 165 f; ders., JuS 1993,920. 8 Lackner, FS für Gallas, S. 128 f 9 BGHSt. 20,264,267; BGH StV 1987, 530; StV 1990,494; StV 1992,271; NStZ 1992,318; StV 1993, 71; StV 1995, 173; NStZ 1997, 336, 337; BGHR § 46 Abs. 1 Beurteilungsrahmen 10.

1. Kapitel: Der Inhalt der Spielraumtheorie im Überblick

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ten lO . Der zweite Grundbaustein der Spielraumtheorie besteht in der Heranziehung präventiver Gesichtspunkte, um aus dem Schuldrahmen die letztlich ausgeworfene Endstrafe zu konkretisierenlI. Während das Verbot, über den Schuldrahmen hinauszugehen, weitgehend anerkannt istl2 , ist in der Strafzumessungslehre umstritten, ob ein Aufbrechen des Schuldrahmens nach unten gerechtfertigt werden kann: In der neueren Lehre herrscht die Tendenz vor, in Ausnahmefällen aus spezialpräventiven Gründen eine Unterschreitung des Schuldrahmens zuzulassen13. Innerhalb des Rahmens schuldangemessener Strafen sollen, was in der herrschenden Strafzumessungslehre und -rechtsprechung weitgehend unumstritten ist, spezialpräventive Erwägungen zum Tragen kommen l4 . Die Rechtsprechung läßt außerdem abschreckungsgeneralpräventive Strafzumessungsbegründungen bei Beachtung der Obergrenze des Schuldrahmens und der ein10 BGHSt. 24, 132, 134; 29, 319, 321 f; BGH NStZ 1990, 84; NStZ 1994,494; StV 1996, 427; Rechtsprechungsübersicht Zschockelt, NStZ 1995, 326 f; BGHR § 46 Abs. 1 Beurteilungsrahmen 7, 13. Ebenso BVerfGE 45, 187,260; 50, 5, 12. 11 Bruns, FS für Dreher, S. 263 f; ders., Recht der Strafzumessung, S. 83, 94 ff.; Streng, Strafrechtliche Sanktionen, S. 169 ff.; ders., FS der Juristischen Fakultät, S. 508; Schreiber, NStZ 1981, 339 f; Müller-Dietz, FS für Spende!, S. 419; Spendel, ZStW 83 (1971),231; SchafJstein, FS für Gallas, S. 102, 107; Roxin, FS fi1r Bruns, S. 1~5 ff'fo ders., FG für S~hultz, ~. 469; ders., FS für B?ckelrnann, S. 306 f; LK~ HIrsch , § 46 Rn. 12 ff., LK-Gnbbohm, § 46 Rn. 21 ff., Lackner, § 46 Rn. 26 ff., Tröndle, § 46 Rn. 3, 5 f.; Schönke/SchröderlStree, § 46 Rn. 5. 12 Bruns, Recht der Strafzumessung, S. 90 ff.; Frisch, ZStW 99 (1987), 366 f; H.L. Günther, JZ 1989, 1029; Streng, Strafrechtliche Sanktionen, S. 12, 174; MüllerDietz, FS für Spendei, S. 416; LK-Gribbohm, § 46 Rn. 13; SK-Hom, § 46 Rn. 21; Lackner, § 46 Rn. 24; JeschecklWeigend, Strafrecht AT, S. 879; Schönke/SchröderlStree, vor §§ 38 ff. Rn. 13, 18. AA Horstkotte, JZ 1970, 124 mit Hinweis auf die Mehrheit im Rechtsausschuß bei der Beratung von § 13 a.F.: In engen Grenzen sei eine Rahmenüberschreitung aus ~'pezialpräventiven Gründen zulässig. Tröndle, § 46 Rn. 12, befürwortet vorsichtig eine Uberschreitung zur Verteidigung der Rechtsordnung. 13 Dafür Horstkotte, JZ 1970, 122 f; Roxin, FS für Bruns, S. 197; ders., FG fi1r Schultz, S. 473 ff.; ders., FS für Bockelrnann, S. 307; Zipf, StrafZumessung, S. 45; Theune, StV 1985, 162; Frisch, ZStW 99 (1987), 367 ff.; H.-L. Günther, JZ 1989, 1029; Lackner, § 46 Rn. 24; Tröndle, § 46 Rn. 12; Schönke/SchröderlStree, vor §§ 38 ff. Rn. 18 a. Dagegen SchafJstein, FS für Gallas, S. 105; Bruns, Recht der StrafZumessung, S. 91 f; ders., FS für Welzel, S. 746 f; ders., Neues Strafzumessungsrecht, S. 36 f.; Streng, Strafrechtliche Sanktionen, S. 174; LK-Gribbohm, § 46 Rn. 12, 14; JeschecklWeigend, Strafrecht AT, S. 879 f, allerdings mit Konzessionen für "extreme Ausnahmefälle", S. 880 Fn. 62. Zur Position in § 59 AE-StGB vgl. Lackner, FS fi1r Gallas, S. 125 ff. 14 BGHSt. 24,40,42 f; Bruns, Recht der StrafZumessung, S. 94 ff.; Roxin, FS für Bruns, S. 197 ff.; ders., FG für Schultz, S. 469; SchafJstein, FS für Gallas, S. 102 f; Frisch, ZStW 99 (1987), 370; LK-Gribbohm, § 46 Rn. 21 ff.; Streng, Strafrechtliche Sanktionen, S. 169 ff.; Schönke/Schröder/Stree, § 46 Rn. 5; Jakobs, Strafrecht AT, 1/50; Tröndle, § 46 Rn. 3, 5; Lackner, § 46 Rn. 27. AA SK-Hom, § 46 Rn. 25 ff. (weitere Nwe. zur sog. Stellenwerttheorie 2. Teil, Fn. 130).

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1. Teil: Kritik an der Spielraumtheorie

schränkenden Bedingung der Nachahmungsgefahr bzw. der Zunahme ähnlicher Fälle ZU I5 , dabei findet sie teilweise Unterstützung in der Literaturl6 . Überwiegend wird allerdings in der Literatur die Heranziehung abschrekkungsgeneralpräventiver Gründe abgelehne 7. d) Für die weitere Diskussion ist zu beachten, daß mit dem Namen "Spielraumtheorie" zwei unterschiedliche Aspekte zum Ausdruck gebracht werden, die sorgfältig unterschieden werden müssen. Zum einen steckt darin die Abgrenzung zu einer Theorie der Punktstrafe , nach der jeder Straftat ein bestimmtes Strafmaß anstatt mehrerer noch vertretbarer Strafen zugeordnet werden könne l8 . Zum anderen geht es um die straftheoretische Kemaussage der Kombinierbarkeit absoluter und relativer Rechtfertigungen für die Verhängung staatlicher Strafen. Das Bekenntnis zu einer partiell präventiv orientierten Strafzumessung ist abhängig von der ersten Prämisse; umgekehrt besteht dagegen kein notwendiger Zusammenhang. Das Problem der Unschärfe von Wertungsentscheidungen stellt sich unabhängig davon, nach welchen Kriterien die Bewertung vorgenommen werden so1l19. Man könnte deshalb von einer Spielraumtheorie auch sprechen, ohne dabei auf präventive Strafzumessungserwägungen Bezug zu nehmen. Da sich jedoch die Verknüpfung von Schuldrahmen und präventiv orientierter Rahmenausfüllung unter diesem Stichwort eingebürgert hat, verweist der Wortgebrauch auch in dieser Arbeit auf diesen spezielleren Bedeutungsgehalt. In den folgenden Abschnitten werden die beiden Eckpfeiler der Spielraumtheorie kritisch untersucht. Dabei geht es zum einen um die mangelnde

15 Vgl. BGHSt. 7,28,32; 20, 264, 267; 28,316,318; BGH NStZ 1997, 336, 337; weitere Nwe. Fn. 51. 16 Bnms, Recht der Strafzumessung, S. 97 ff.; ders., Neues Strafzumessungsrecht, S. 27 f, wobei Bruns früher (Strafzumessungsrecht, S. 206 f) gegenüber der Generalprävention skeptischer war; Schaffstein, FS fll.r Gallas, S. 102 f; Foth, NStZ 1990, 220; H.-L. Günther, JZ 1989, 1027; Grasnick, JA 1990, 86 f; Schönke/Schröder/Stree, § 46 Rn. 5; LK-Gribbohm, § 46 Rn. 30 ff.; Tröndle, § 46 Rn. 6 a. 17 Schmidhäuser, Strafrecht AT, 3/23; W. Hassemer, ZStW 90 (1978), 96 f; Roxin, FS für Bruns, S. 195 ff.; ders., FG fll.r Schultz, S. 470 ff.; ders., FS für Bockelmann, S. 307; Baumann/Weber, Strafrecht AT9, S. 18; Zipf, FS für Bruns, S. 219; Köhler, Zusammenhang, S. 29 ff.; EA. WoljJ, ZStW 97 (1985), 830; Maurach/Gösse/lZipf, Strafrecht AT 2, § 63 Rn. 90 ff.; Frisch, ZStW 99 (1987), 370 f; Jakobs, Strafrecht AT, 1/32; Streng, Strafrechtliche Sanktionen, S. 172; ders., JuS 1993, 921 f.; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, S. 881; Schäfer, in: Jehle (Hrsg.), Individualprävention und Strafzumessung, S. 204; ders., Praxis der Strafzumessung, Rn. 353. 18 Vgl. hierzu Arthur Kaufmann, Das Schuldprinzip, S. 261; Bruns, FS für Henkel, S. 292, 294; E.A. WoljJ, ZStW 97 (1985), 830. 19 So Horn, FS fiir Bruns, S. 169 f; Neumann, FS fll.r Spendel, S. 443. Auch bei Schäfer, Praxis der Strafzumessung, Rn. 349 klingt Skepsis bezüglich der präventiven Ausflillung des Schuldralunens an.

2. Kapitel: Prävention im Rahmen der Repression?

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Überzeugungskraft der Theorie, vor allem aber auch um den Realitätsgehalt der Theorie für die Strafzumessung in der Praxis.

2. Kapitel: Prävention im Rahmen der Repression? 1. Die ungelöste Frage der Weite des Schuldrahmens a) Die Kompromißlösung, mit der die Spielraumtheorie Prävention und Repression nebeneinander stellt, erweist sich bei näherem Hinsehen als bruchig: Das relative Gewicht von Schuldstrafe und Präventionsstrafe, in anderen Worten, die Weite des Schuldrahmens, ist nicht geklärt20 . Die Problematik ist deshalb besonders drängend, weil Schuldausgleich und Prävention keineswegs problemlos miteinander vereinbare Strafziele sind21 . Die relative Gewichtung ist deshalb, nimmt man die Spielraumtheorie ernst, von großer Wichtigkeit. So sind mit der Rahmenidee höchst unterschiedliche Ausführungskonzepte vereinbar: Wird etwa ein weit gesteckter Schuldrahmen gewählt, kommt präventiven Gesichtspunkten entscheidende Bedeutung zu. Nach einem neueren Vorschlag, der von recht weit gefaßten Schuldrahmen ausgeht, soll der gesetzliche Strafrahmen in etwa fünf Schwerestufen unterteilt werden, die den Schuldrahmen bilden. Demgemäß würden für jedes Delikt je fünf Schuldrahmen für Taten unterschiedlicher Schwere zur Verfügung stehen, die jeweils etwa einem Fünftel des gesetzlichen Strafrahmens entsprechen22 . Nach diesem Modell würden präventive Erwägungen einiges Gewicht erhalten: Wenn etwa die Strafe zwischen einem Jahr sechs Monaten und zwei Jahren sechs Monaten Freiheitsstrafe liegen so1l23, wird nicht nur ein großer Teil des Strafmaßes allein von präventiven Strafzumessungserwägungen getragen, sondern auch die für den Täter letztlich ausschlaggebende Frage, ob eine noch aussetzungsfahige Strafe ausgeworfen wird, allein von diesen abhängig gemacht. Wird der Schwerpunkt dagegen auf die Schuldangemessenheit der Strafe gelegt und der Rahmen dementsprechend eng bemessen24, sind sorgfältigere Überlegungen zur Berechtigung des gewählten Schuldrahmens erforderlich. Gleichzeitig wirft dieser Ansatz die Frage auf, ob mit geringfügigen Variatio20 Lackner, FS für Gallas, S. 119 f.; Köhler, Zusammenhang, S. 23; Theune, StV 1985, 164; Horstkotte, in: Jehle (Hrsg.), Individualprävention und Strafzumessung, S. 153; von Hirsch/Jareborg, Strafmaß und Strafgerechtigkeit, S. 3. 21 Köhler, Zusammenhang, S. 22: begriffiich nicht miteinander vereinbare Konzepte. 22 Meine, NStZ 1994, 162; ders., Strafzumessung bei Steuerhinterziehung, Rn. 127 ff. 23 Vgl. das Beispiel bei Meine, NStZ 1994,163. 24 In diesem Sinne H.-L. Günther, JZ 1989, 1027 f.

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1. Teil: Kritik an der Spielraumtheorie

nen des Endstrafmaßes tatsächlich präventive Effekte zu erzielen sind oder ob nicht vielmehr ein ernstgemeintes Bekenntnis zu präventiven Nebenzielen mit einem engen Schuldrahmen prinzipiell unvereinbar ist. b) Außer der Grundidee des Schuldrahmens sind der einschlägigen Rechtsprechung keine vertiefenden Hinweise zur relativen Gewichtung von Schuldausgleich und Prävention zu entnehmen. Es fehlt bereits an einer Verfahrensvoraussetzung, die nach den Prämissen der Spielraumtheorie an sich zwingend zu beachten wäre25 : Weder ist in der tatrichterlichen Rechtsprechung die Angabe eines Schuldrahmens als Zwischenstadium der Strafzumessungsentscheidung üblich, noch ist dies je vom BGH gefordert worden26 . Auch die traditionelle Strafzumessungslehre, nach der es von fallspezifischen, konkretpräventiven Überlegungen abhängen soll, ob der Rahmen ganz, teilweise oder gar nicht ausgeschöpft wird27 , streift die zentrale Frage der Strafrabmenweite nur kursorisch. Diese wird im wesentlichen auf dem oberflächlichen Niveau abgehandelt, daß der Schuldrahmen nicht allzu weit gesteckt werden dürfe, um die Prämisse der schuldangemessenen Strafe nicht zu entwerten28 . Die wenigen in konkreten Zahlen ausgedrückten Vorschläge gehen nicht unbeträchtlich auseinander29 . Die Tatsache, daß ein für die Schuldrahmenidee zentraler Punkt trotz des Alters der Spielraumtheorie bislang völlig unzureichend bearbeitet worden ist, ist ein starkes Indiz für den Schimärencharakter der Spielraumtheorie3o .

2. Keine festen Grenzen des Schuldrahmens Die Idee eines festen Schuldrahmens, der von präventiven Erwägungen abzugrenzen ist, erweist sich auch aus einem zweiten Grund als nicht überzeugend: In der Praxis ist die Festsetzung des Schuldrahmens nicht mit der Klar25 So auch Schünemann, in: Eser/Cornils (Hrsg.), Neue Tendenzen, S. 212; Grasnick, JA 1990, 84; Tröndle, § 46 Rn. 53 b. 26 Theune, StV 1985, 164; Meine, Strafzumessung bei Steuerhinterziehung, Rn. 138; Streng, JuS 1993,921; Schäfer, Praxis der Strafzumessung, Rn. 350. 27 Eine modernere Variante der Spielraumtheorie kann dagegen die Problematik der Weite des Strafrahmens eher vernachlässigen, da sie ohnehin von einer Orientierung der Strafe an der Untergrenze des Schuldrahmens ausgeht, vgl. Grasnick, JA 1990,87; Streng, Strafrechtliche Sanktionen, S. 185; Kunz, in: Kielwein (Hrsg.), Entwicklungslinien der Kriminologie, S. 37. 28 Vgl. Bruns, Strafzumessungsrecht, S. 278 f.; LK-Gribbohm, § 46 Rn. 20. 29 Vgl. etwa Spendel, NJW 1964, 1765 und die Kritik bei Bruns, Strafzumessungsrecht, S. 278, mit weiteren Zahlenbeispie1en. 30 Kritisch gegenüber der Spielraumtheorie wegen der ungenügenden Bestimmung des Schuldrahmens auch H.-J. Albrecht, Strafzumessung bei schwerer Kriminalität, S. 40 f.

2. Kapitel: Prävention im Ralunen der Repression?

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heit von spezialpräventiven Überlegungen abzugrenzen, wie dies die Spielraumtheorie voraussetzt. Trotz des Beharrens auf dem Verbot der Rahmenunterschreitung aus spezialpräventiven Gesichtspunkten hat der BGH ein an den besonderen Lebensumständen des Täters orientiertes niedriges Strafmaß gebilligt, indem er bereits bei der Bestimmung des Schuldrahmens den Gedanken des Schuldausgleichs individualisiert und den Gesichtspunkt der Strafempfindlichkeit herangezogen hae l . Insbesondere läßt die Rechtsprechung zur Strafzumessung bei HIV-Infizierten bzw. an AIDS Erkrankten eine klare Grenze zur Lehre von der ausnahmsweise zulässigen Schuldunterschreitung nicht erkennen, da hier die besondere Situation des Verurteilten bereits als Argument bei der Bemessung der schuldangemessenen Strafe angeführt wird32 . Bei unterschiedlicher Begründung erreicht der BGH somit dasselbe Resultat, das auch den für Schuldunterschreitung plädierenden Vertretern der Strafzumessungslehre vor Augen stand, nämlich zu berücksichtigen, daß im Einzelfall mit dem Vollzug der Strafe besondere persönliche Nachteile verbunden sein können. Eine weitere Ausnahme vom grundsätzlich postulierten Verbot der Unterschreitung des Schuldrahmens läßt die Rechtsprechung zu, wenn die Tat durch einen V-Mann provoziert wurde 33 .

3. Fehlende Relevanz präventiver Erwägungen in der Lehre Wendet man sich der Frage zu, wie die Strafzumessungslehre die mit der Umsetzung präventiver Strafzumessungserwägungen verbundenen Detailprobleme löst, stößt man auf ein überraschendes Ergebnis: Dem Bekenntnis zur "Prävention im Rahmen der Repression" folgt bereits innerhalb der Strafzumessungslehre keine konsequente Umsetzunl 4 . Präventive Erwägungen auch im einschränkenden Kontext der Spielraumtheorie - verlangen eine vertiefte Beschäftigung mit den empirisch erfaßbaren Grundvoraussetzungen. Die sozialwissenschaftliche Forschung zur Effizienz unterschiedlicher Sanktionen für unterschiedliche Tätergruppen muß ausgewertet werden; Instrumentarien zur Erfassung der Täterpersönlichkeit bei einem spezialpräventivem Ansatz bzw. der Kriminalitätslage bei einem generalpräventiven müssen kritisch

2 StR 239/81, mitgeteilt bei Theune, StV 1985, 162 f. BGH StV 1987, 346; StV 1991, 514; OLG Köln StV 1988, 67. 33 BGH NStZ 1986, 162; BGHR § 46 Abs. 1 V-Mann 3. 34 Deutlich wird dies etwa in Schäfers "Praxis der Strafzumessung". Zwar wird auch hier wiederholt, die Strafrechtsreform habe "eine bedeutende Schwerpunktverlagerung auf die Spezialprävention" erbracht (Rn. 335). Angesichts dieser Betonung des Präventionsgedankens ist jedoch auffällig, wie knapp in diesem an Praktiker adressierten Werk das Thema Prävention abgehandelt wird, nämlich auf 9 von insgesamt 360 Seiten. 31

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1. Teil: Kritik an der Spielraumtheorie

überprüft werden. Die als Theorie verkündete Orientierung am Präventionsgedanken wird jedoch durch unsubstantiierte Hypothesen zu Sanktionswirkungen faktisch zurückgenommen35 . Auch wenn kriminologische Erkenntnisse vorlagen, wurden diese in der Strafzumessungslehre über lange Zeit kaum rezipiert36 . Parallel zum grundsätzlichen Bekenntnis zu präventiver Strafzumessung findet sich vor allem in älteren Veröffentlichungen eine deutliche Distanzierung von den Sozialwissenschaften37 , was verblüfft, weil präventive Strafzumessungserwägungen voraussetzen, daß sozialwissenschaftliche Forschung zur Kenntnis genommen und umgesetzt wird. Offenbar fehlte die Bereitschaft, rechtliche Entscheidungen von empirischen Befunden abhängig zu machen. Aber auch soweit in der neueren Strafzumessungslehre Berührungsängste überwunden worden sind38 , bleibt die vorgegebene Linie der Orientierung an der Empirie häufig folgenlos, da die nur beschränkte Verwertbarkeit empirischen Wissens anerkannt wird. Letztlich hat sich die conclusio der Gleichwertigkeit aller Sanktionen39 durchgesetzt, was zu der praktischen Forderung einer Orientierung am unteren Schuldrahmen geführt hat4o . Damit wird aber die Idee eines auszufill/enden Rahmens aufgegeben.

4. Fehlende Herstellungsrelevanz präventiver Erwägungen in der Praxis

a) Die Spielraumtheorie, derzufolge bei jedem Strafzumessungsakt kriminologische Erkenntnisse verarbeitet werden müßten, ist mit den realen Arbeitsbedingungen der Strafpraxis schwerlich vereinbar. Der theoretische Ansatz muß zwangsläufig zu einer Überforderung der Rechtsanwendenden führen, die es für diese notwendig macht, die Unmöglichkeit der praktischen Umsetzung 35 Giehring, in: PfeitTer/Oswald (Hrsg.), StrafzumesslUlg, S. 94; Krauss, in: Pfeiffer/Oswald (Hrsg.), StrafzumesslUlg, S. 135. 36 Vgl. Maller-Dietz, in: Wadle (Hrsg.), Recht lUld Gesetz, S. 50 tT. 37 Vgl. Bruns, StrafzumesslUlgsrecht, S. 58, wo er den Kriminologen wegen deren rein empirischen AusrichtlUlg Einseitigkeit votwirft, sowie S. 63, wo er Opp lUld Peukkerl als ,,reine Soziologen" kritisiert, sowie dens., Neues StrafzumesslUlgsrecht, S. 22 f. 38 Vgl. Müller-Dietz, in: Wadle (Hrsg.), Recht lUld Gesetz, S. 43 tT.; Streng, Strafrechtliche Sanktionen, S. 22 tT.; Schöch, in: Jehle (Hrsg.), Kriminalprävention lUld Strafjustiz, S. 291 tT.; ders., in: Jehle (Hrsg.), Individualprävention lUld Strafzumessung. S. 243 tT. Weitere Nwe. zu konsequent folgenorientierten Ansätzen unten 2. Teil, I. Kap. 39 Nwe. zu der Theorie von der ,,Austauschbarkeit der Sanktionen" unten 3. Teil,

Fn.62. 40 Giehring, in: PfeitTer/Oswald (Hrsg.), StrafzumesslUlg, S. 111 tT.; Streng, Strafrechtliche Sanktionen, S. 185.

2. Kapitel: Prävention im Rahmen der Repression?

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hinter dürren Floskeln zu verbergen bzw. auf die Erwähnung der Straftatenprävention von vornherein zu verzichten41 . Eine empirisch abgesicherte Anpassung präventiver Maßnahmen an die Gegebenheiten des Einzelfalls würde zum einen die hinreichende Operationalisierung von Wendungen wie Verteidigung der Rechtsordnung voraussetzen42 , aber auch bei klar strukturierten Zielvorgaben erheblichen Aufwand erfordern. Eine individualisierendspezialpräventive Strafbemessung würde sowohl die Ermittlung und Evaluation geeigneter Einwirkungsmethoden als auch die erforderliche PrognosesteIlung voraussetzen. Selbst bei relativ einfachen Prognoseverfahren ist jedoch der Aufwand für die notwendigen Erhebungen zu Täterbiographie und gegenwärtigem Lebenszuschnitt zu zeitaufwendig, um in allen Strafverfahren routinemäßig durchgeführt werden zu können43. Angesichts der Anforderungen, die die höchstrichterliche Rechtsprechung bislang an die Begründung generalpräventiver Strafschärfungen gestellt hat44 , wäre der Tatrichter außerdem gehalten, Erfahrungswerte über Wirkungszusarnrnenhänge und Daten über die Deliktsentwicklung zu sammeln, was offensichtlich mit den zeitlichen und organisatorischen Rahmenbedingungeri unvereinbar ist. b) Die These der mangelnden Herstellungsrelevanz präventiver Strafzumessungserwägungen kann mit zwei unterschiedlichen Ansätzen bestätigt werden. Die wichtigsten Erkenntnisse liefert die Analyse der Strafzumessungsbegründungen erstinstanzlicher Strafurteile . Außerdem sind den höchstrichterlichen Entscheidungen Hinweise zu entnehmen, welche präventiven Strafzumessungserwägungen in der tatrichterlichen Praxis angestellt werden. Ein vollständiger und zweifelsfrei abgesicherter empirischer Befund kann hier nicht mitgeteilt werden, da es zuwenig auf Aktenanalysen beruhende Forschung gibt, um allgemeingültige Ergebnisse berichten zu können und da die Beanstandungen der Revisionsgerichte nur ein punktuelles, möglicherweise durch die Veröffentlichungsgepflogenheiten auch verzerrtes Bild ergeben. Nichtsdestotrotz lassen die vorhandenen Ergebnisse immerhin umrißartig die Bestätigung der These erkennen, daß präventiven Begründungsmustem tatsächlich eine weitaus geringere Bedeutung zukommt als nach der Spielraumtheorie zu erwarten wäre. c) In quantitativer Hinsicht spielen folgenorientierte Strafzumessungsgründe nur eine geringe Rolle. In der tatrichterlichen Praxis finden sich - nach eiVgl. W Hassemer, ZStW 90 (1978), 88 f. W Hassemer, ZStW 90 (1978), 89. 43 Vgl. Müller-Dietz, in: Wadle (Hrsg.), Recht und Gesetz, S. 70 fT.; Streng, Strafrechtliche Sanktionen, S. 22 fT.; Schöch, in: Jehle (Hrsg.), Krirninalprävention und Strafjustiz, S. 291 fT.; ders., in: Jehle (Hrsg.), lndividualprävention und Strafzumessung, S. 243fT. 44 Dazu sogleich Text bei Fn. 51. 41

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1. Teil: Kritik an der Spielraumtheorie

ner Aktenanalyse von Hans-Jörg Albrecht, der Verurteilungen wegen Einbruchsdiebstahl, Raub und Vergewaltigung zugrunde lagen - generalpräventive Erwägungen nur "in marginalem Umfang"45. Auch spezialpräventive Begrundungen reduzieren sich im wesentlichen auf die Wiedergabe der Vorstrafenbelastung 46 . Individualprognostische Erwägungen werden in der Regel nicht angestellt: Der Anwendungsbereich von § 46 Abs. 1 S. 2 beschränkt sich auf Fälle erhöhter Strafempfindlichkeit wegen Krankheit oder hohem Alter sowie allgemeine Aussagen zum Zusammenhang von langen Strafen und Entsozialisierung47 . Andere empirische Studien, die Verurteilungen wegen Tötungs- bzw. Raubdelikten ausgewertet haben, bestätigen die geringe Relevanz präventiver Strafzumessungserwägungen48. d) Von Praktikern ist gelegentlich in Gesprächen zu hören, daß in jüngster Zeit für bestimmte Delikts- bzw. Tätergruppen, etwa bei den Straftaten von ausländischen Kraftfahrzeug-Verschiebebanden, die Abschreckungsgeneralprävention vermehrt in den Vordergrund geruckt werde. Eine partielle Aufwertung von generalpräventiven Erwägungen wäre mit den vorgestellten Untersuchungen, die nur Teile des Deliktsspektrums abdecken und deren Datenbasis schon einige Jahre alt ist, durchaus vereinbar. In diese Richtung weisen auch Entscheidungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung, die die Abschreckungsgeneralprävention zum Gegenstand haben. Die veröffentlichten Revisionsentscheidungen lassen sich aus zwei Blickwinkeln interpretieren. Zum einen deuten beanstandete erstinstanzliche Urteile darauf hin, daß die

45 H.-J. Albrecht, Strafzumessung bei schwerer Kriminalität, S. 415 f, 427; ders., ZStW 102 (1990), 619 f 46 H.-J. Albrecht, Strafzumessung bei schwerer Kriminalität, S. 415; ders., ZStW 102 (1990), 615 fr., 619; vgl. auch Müller-Dietz, in: Wad1e (Hrsg.), Recht und Gesetz, S.44. 47 Frisch/Vogt, Prognoseentscheidungen, S. 305 ff.; Müller-Dietz, in: Wad1e (Hrsg.), Recht und Gesetz, S. 52. 48 Verrel, Schu1dflihigkeitsbegutachtung, S. 210 ff. Diesem Ergebnis kommt ein besonderes Gewicht zu, weil gerade bei Taten, die die schwersten Rechtsgüterverletzungen betreffen und bei deren Aburteilung eine besonders sorgfältige Aufklärung der Tathintergründe stattgefunden hat, an sich damit zu rechnen wäre, daß der Prävention ähnlicher Taten besondere Aufmerksamkeit gewidmet wird. Hoppenworth, Strafzumessung beim Raub, kam ebenfalls zu dem Ergebnis, daß generalpräventive Erwägungen sowohl bei Verurteilungen nach Erwachsenen- wie auch nach Jugendstrafrecht eine vernach1ässigbare Rolle spielen, vgl. Tab. 77 u. 78, S. 121, sowie Tab. 9597, S. 133 f Bei Verurteilungen nach dem Erwachsenenstrafrecht wurden spezialpräventive Strafzumessungsgrunde nur in 10 bzw. 15 % der Fälle angeführt (Tab. 77, 78), bei Verurteilungen nach dem Jugendstrafrecht erwartungsgemäß häufiger, Tab. 95-97.

2. Kapitel: Prävention im Rahmen der Repression?

33

Tatgerichte tatsächlich deutliche Strafschärfungen gegen bestimmte Tätergruppen mit der Abschreckungsgeneralprävention begrunden49 . Zum anderen könnte sich aber auch in der Rechtsprechung des BGH möglicherweise ein Wandel abzeichnen: Ein 1995 entschiedener FalisO gibt Anlaß zu der Überlegung, ob der BGH die strengen Anforderungen an generalpräventive Begründungen, an denen er bisher im wesentlichen festgehalten hat, nunmehr zu lockern beabsichtigt. Nach der bisherigen Rechtsprechung soll eine Ausschöpfung des Schuldrahmens zulässig sein, wenn "eine gemeinschaftsgefährliche Zunahme solcher oder ähnlicher Straftaten, wie sie zur Aburteilung stehen, festgestellt worden ist"sl. Die in der vorangegangenen Fußnote aufgeführten Entscheidungen ergeben allerdings kein geschlossenes Bild einer einheitlichen höchstrichterlichen Rechtsprechung, weil in einzelnen Entscheidungen diese Einschränkung bereits vernachlässigt wurde s2 bzw. die Anforderungen an den Nachweis der Straftatenzunahme bis zur Bedeutungslosigkeit der Angaben heruntergeschraubt wurdens3 .

49 So hatte der BGH die vom Instanzgericht generalpräventiv begründeten Strafschärfungen für ausländische Täter, die wegen Handels mit Betäubungsmitteln bestraft wurden, zu monieren, StV 1996, 205; StV 1990, 109. Vgl. auch die erstinstanzliche Begründung eines hohen Strafmaßes mit dem Gesichtspunkt der Generalprävention, wiedergegeben in BGH NStZ 1997, 336, 337. 50 Urteil vom 23.8.1995: BGH NStZ 1996,79. 51 Angedeutet als Begründung für die Abschreckungsgeneralprävention bereits in BGHSt. 6, 125, 127; 17, 321, 324; als Voraussetzung für eine Strafschärfung wieder aufgenommen in BGH NStZ 1982, 463; seither häufig wiederholt, u.a. in BGH NStZ 1983,501; NStZ 1984,409; NStZ 1986, 358; NStZ 1991, 583; StV 1994,424; StV 1995, 526; StV 1996, 431; ebenso OLG Düsseldorf StV 1992, 232; OLG Köln StV 1992,233; BayObLG StV 1989, 155; kritisch zu dieser Einschränkung Foth, NStZ 1990, 220 f, der argumentiert, daß bereits vorher verschärfte Strafen zulässig sein müßten. 52 In Urteilen gegen ausländische und nach gängigen Vorstellungen als gefährlich einzustufende Straftäter wurde das Erfordernis der Zunahme entsprechender Straftaten nicht erwähnt. Während der 2. Strafsenat im Urteil vom 11.8.1982 (BGH NStZ 1982, 463) gegen einen wegen Betäubungsmittelverkaufs angeklagten Apotheker mit der soeben erwähnten Einschränkung die Verwertung generalpräventiver Gesichtspunkte verwarf, wurde in einem kurz zuvor ergangenen Urteil (vom 16.9.1981) gegen einen in größerem Umfang mit Heroin handelnden Ausländer die Abschreckungsgeneralprävention ohne Einschränkung als zulässiger Strafzweck bezeichnet. In der Entscheidung BGH NStZ 1992, 275 (der eine Schutzgelderpressung eines italienischen Staatsangehörigen zugrunde lag) wurde im Widerspruch zu der zu diesem Zeitpunkt schon etablierten einschränkenden Rechtsprechung ausgeflihrt, daß es nicht darauf ankomme, ob derartige Verhaltensweisen in der Bundesrepublik bereits in bedrohlichem Maße praktiziert würden; es genüge, daß derartige Praktiken überhaupt auf das Inland übergegriffen hätten. 53 Teilweise wird eine präzise Begründung gefordert: Der Tatrichter sei verpflichtet, die tatsächlichen Umstände anzugeben, aus denen er auf eine Zunahme schließe; wenn diese auf den Landgerichtsbezirk bezogen seien, müßten statistische Daten mit-

3 Höm1e

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1. Teil: Kritik an der Spielraumtheorie

In der erwähnten Entscheidung aus dem Jahr 1995 wird das Erfordernis der Zunahme ähnlicher Straftaten nicht mehr erwähnt und die Zulässigkeit einer generalpräventiven Ausrichtung der Strafzumessung allein damit begründet, daß es sich um einen besonders gefahrlichen sexuellen Angriff gehandelt habe54 . Es könnte sich bei dieser Entscheidung um einen der "Ausreißer" der Rechtsprechung zur Generalprävention handeln, aber auch um den Beginn einer neuen Linie, die es den Tatrichtern erleichtern würde, nach ihren individuellen straftheoretischen Überzeugungen den Abschreckungsgedanken anzuwenden. Ob sich insoweit ein Trend entwickelt, bleibt abzuwarten. e) Auch wenn die Hypothese einer sich abzeichnenden partiellen Aufwertung des Abschreckungsgedankens zutrifft, widerlegt dies nicht die Folgerung, daß der Spielraumtheorie im tatrichterlichen Alltag nicht die Wichtigkeit zukommt, die nach ihrer ständigen Nennung in der höchstrichterlichen Rechtsprechung und der Strafzumessungslehre zu erwarten wäre. Die Praxis entspricht nicht dem herrschenden Strafzumessungsmodell, da nach diesem die präventiv orientierte Präzisierung der Strafe bei jedem Strafzumessungsakt ein notwendiger Schritt vom Schuldrahmen zu einem numerischen Strafmaß ein sein müßte55 . f) Die Realität des Strafverfahrens, in der die theoretisch formulierten präventiven Ansprüche nicht eingelöst werden, trägt maßgeblich zu den Paradoxien der Spielraumtheorie bei. Diese postuliert, einer Durchkonkretisierung der Schuldstrafe bedürfe es nicht, da in jedem Fall das Korrektiv präventiver Erwägungen zur Verfügung stünde. Tatsächlich findet aber in ernsthafter und umfassender Weise folgenorientierte Strafzumessung nicht statt. Die Strafzumessungslehre verzeichnet die Situation, wenn sie die sogenannte StraJzweckantinomie zu einem der meistdiskutierten Probleme der Spielraumtheorie macht56 . Denkmögliche Konflikte zwischen Schuldangemessenheit und gene-

geteilt werden (OLG Düsseldorf StV 1992,232; BayObLG StV 1989, 155). Dem entspricht auch die Entscheidung des Bezirksgerichts Meiningen NStZ 1991, 583, in der die Zunahme von Banküberfällen in Thüringen mit statistischen Daten belegt wird. Vielfach hat auch der BGH Strafzumessungsentscheidungen wegen einer fehlenden Begründung für eine Straftatenzunahme aufgehoben: StV 1995, 526 (Steuerhinterziehungsdelikt); StV 1994, 424 (Sexualdelikt), StV 1988, 435 (Besitz von Haschisch zum Eigenverbrauch). Dagegen wird in BGH NStZ 1991,478 bei Detter, lapidar darauf verwiesen, die Zunahme des Drogenkonsums sei eine allgemeinkWldige Tatsache Wld StrafschärfWlgen "zur BekämpfWlg der Drogenwelle" deshalb zulässig. 54 BGH NStZ 1996,80. Allerdings hätten die objektiv die Tatschwere erhöhenden Umstände wohl an sich den Rekurs auf präventive ErwägWlgen zur Erklärung des Strafmaßes überflüssig gemacht. 55 Zum mangelnden Realitätsgehalt der Spielraumtheorie vgl. bereits Dreher, FS für Bruns, S. 162 f 56 Vgl. Bruns, Strafzumessungsrecht, S. 215: "schwierigstes aller Strafzumessungsprobleme"; W Hassemer, ZStW 90 (1978),84 f; Dreher, FS für BfWlS, S. 148 f;

2. Kapitel: Prävention im Rahmen der Repression?

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ralpräventiven bzw. spezialpräventiven Zielsetzungen bereiten in der Praxis keine ernsthaften Schwierigkeiten: Die durch die Spielraumtheorie entstehenden Probleme sind anders gelagert57 .

5. Tatsächliche Funktion der Spielraumtheorie für die Rechtsprechung a) Die Vorstellung, die Spielraumtheorie werde von der höchstrichterlichen Rechtsprechung zugrunde gelegt, um präventive Strafzumessungserwägungen mit dem Schuldausgleich zu verbinden, hat sich als nicht zutreffend erwiesen: Die Rolle der Prävention bei der Strafzumessung ist unbedeutend. Die Funktion der Spielraumtheorie liegt vielmehr auf einem anderen Feld: Es handelt sich nicht um eine Herstellungs-, sondern um eine Kontrolltheorie. Die höchstrichterliche Rechtsprechung hat im Bereich der Strafzumessung, anders als bei Fragen der Verbrechenslehre, eine Theorie der eingeschränkten Richtigkeitskontrolle entwickelt58 . Die Gründe hierfür sind vielgestaltig. Zum einen spielt die Rechtstradition eine Rolle, die die Kontrolle der Revisionsgerichte einschränkt. Die Strafzumessung wurde jahrzehntelang als ureigene Domäne des Tatrichters angesehen, was sich bis zum Jahr 1970 im Fehlen allgemeiner gesetzlicher Strafzumessungsrichtlinien spiegelte. Die heftige Verteidigung gegen Eingriffe "von außen,,59 dürfte bis heute ein Faktor sein, der für die eingeschränkte Kontrolle mitverantwortlich ist. Es ist des weiteren zu vermuten, daß die Existenz verdeckter Strafzumessungsgründe (d.h. solcher, die in der Praxis zwar eine Rolle spielen, aber nicht in der Begründung der Strafzumessungsentscheidung angeführt werden können) eine eher resignative Einstellung der Revisionsgerichte begünstigt hat60 .

LK-Gribbohm, § 46 Rn. 15; Schäfer, Praxis der Strafzwnessung, Rn. 337; Lackner, § 46 Rn. 3. 57 Zur Überschätzung des Antinomie-Problems Frisch, ZStW 99 (1987), 364 fT.; H.-J. Albrecht, Strafzwnessung bei schwerer Kriminalität, S. 495; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, S. 879 Fn. 58. 58 H.-J. Albrec~t, Strafzwnessung bei schwerer Kriminalität, S. 41; Weber, Genugtuungsinteresse des Verletzten, S. 146; vgl. ferner Frisch, GA 1989, 341, zu einem praxisorientierten Motiv (Einschränkung der Revisionen) hinter BGHSt. 34,345. 59 Vgl. dazu die Aussagen der Praktiker bei Bnms, Strafzwnessungsrecht, S. 15 fT., insbes. das Zitat S. 16: "letztlich sakrale Aufgabe des Richteramts". Vgl. ferner dens., Neues Strafzwnessungsrecht, S. 7 f., wo Bruns schildert, wie innerhalb von Richterkreisen selbst die Bereitschaft zu einer Auseinandersetzung mit seiner praxisorientierten Lehre auf Grenzen stößt. Kritisch zwn Beharren auf der Irrationalität der Strafzumessung von Linstow, Berechenbares Strafmaß, S. 15 f. 60 Zu den verdeckten Herstellungsrege1n vgl. W Hassemer, ZStW 90 (1987), 78 fT.,83. 3*

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1. Teil: Kritik: an der Spielraumtheorie

Vor allem dürften greifbare Kapazitätsprobleme für die Selbstbeschränkung der Revisionsgerichte verantwortlich sein. Wäre jedes Strafmaß im Detail auf seine Richtigkeit überprüfbar, würde in einem wesentlich weiteren Umfang der Weg zum BGH bzw. zu den Oberlandesgerichten eröffnet. Mit der vorhandenen personellen und sachlichen Ausstattung wäre eine solche Ausweitung nicht einmal im Ansatz zu leisten. Eine stärker ins Detail gehende Strafmaßüberprüfung wäre nur mit einer grundlegenden Umstrukturierung und Erweiterung des Rechtsmittelwegs zu leisten. b) Man kann die Vermutung aufstellen, daß eine gewisse Attraktivität der Spielraumtheorie für die tatrichterliche Rechtsprechung darin liegt, daß sie den Aufwand für die Urteilsbegründung minimiert. Das niedrige Niveau der Urteilsbegründungen, die sich häufig auf floskelartige Bemerkungen beschränken, ist verschiedentlich beklagt worden61 . Die Begründung dafür, warum ein bestimmtes Strafmaß schuldangemessen ist, setzt Überlegungen zur relativen Schwere der Schuld und zum Einstieg in den Strafrahmen voraus. Vor diesem Hintergrund wäre es nachvollziehbar, wenn in einer Urteilsbegründung angeführt wird, ein bestimmtes Strafmaß sei "aus spezial- und generalpräventiven Gründen erforderlich", obwohl tatsächlich keine ernsthaften prognostischen Erwägungen angestellt wurden. Präventiven Strafzumessungsgründen käme, wenn diese Annahme zutreffend ist, in erster Linie die Funktion zu, das Urteil revisions sicher zu machen62 .

3. Kapitel: Die Probleme bei der Bestimmung der schuldangemessenen Strafe 1. Straftheorie und schuldangemessene Strafe a) Das wesentlich die Spielraumtheorie prägende Element der Rahmenausfüllung durch präventive Strafzumessungsgründe ist sowohl theoretisch nicht überzeugend als auch für die Praxis weitgehend irrelevant. Damit stellt sich die Frage, ob das zweite Standbein der Spielraumtheorie, die Bemessung der schuldangemessenen Strafe, einer kritischen Überprüfung standhält. Das erste Problem in diesem Zusammenhang ist der straftheoretische Hintergrund der schuldangemessenen Strafe. In der neueren Strafrechtslehre zeichnet sich die Tendenz ab, vom Strafzweck des Schuldausgleichs zugunsten einer ausschließlich präventiv begründeten Straftheorie abzurücken, innerhalb derer

61 Brnns, Strafzumessungsrecht, S. 137; Giehring, FS ftlr Pongratz, S. 194; Steinhilper, Sexuell motivierte Gewalttaten, S. 280; Grasnick, Schuld, Sprache und Strafe, S. 253; Schünemann, in: Eser/Cornils (Hrsg.), Neuere Tendenzen, S. 212 f. 62 Vgl. Horn, FS für Schaffstein, S. 246.

3. Kapitel: Probleme bei der BestiI1llUung der schuldangemessenen Strafe

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dem Schuldprinzip nur eine Limitierungs-, nicht aber eine Begründungsfunktion eingeräumt wird63 . Von diesem Paradigmenwandel in der Straftheorie wäre zu erwarten, daß damit auch Überlegungen zu der bisher mit der Straftheorie eng verknüpften Strafzumessungstheorie verbunden sind. Ein grundsätzliches Infragestellen der Spielraumtheorie aufgrund der gewandelten Vorstellungen über den Strafzweck hat jedoch nur vereinzelt stattgefunden64 . Statt dessen werden die überkommenen Denkfonnen innerhalb der Strafzumessungslehre weitergeführt, teilweise ohne zu begründen, wie ein nach heiden Seiten begrenzender Schuldrahmen mit der Absage an den Strafzweck der Schuldvergeltung vereinbart werden kann65 . b) Roxin hält an der Spielraumtheorie und der Terminologie des Schuldrahmens fest: Das Strafmaß sei trotz geänderter straftheoretischer Vorstellungen im Regelfall nach dem Leitprinzip schuldangemessenen Strafens zu bestimmen, da dies aus Gründen der positiven Genera/prävention geboten sei66 . Ob die Substitution von Schuld durch positive Generalprävention als Strafzumessungsmaxime überzeugen kann, wird im weiteren noch zu untersuchen sein67 . An dieser Stelle mag es genügen, auf ein Manko der Strafzumessungslehre hinzuweisen, das sich aus der insgesamt eher spärlichen Diskussion der Konsequenzen einer nicht mehr am Schuldausgleich orientierten Straftheorie ergibt.

63 Zipf, Strafzumessung, S. 46; Maurach/Zipf, Strafrecht AT 1, § 7 Rn. 16 f.; Maurach/Gössel/Zipf, Strafrecht AT 2, § 63 Rn. 1; Schünemann, in: ders. (Hrsg.), Grundfragen, S. 158 ff., 187 ff.; Rudolphi, in: Schünemann (Hrsg.), Grundfragen, S. 70 ff.; Roxin, Strafrecht AT 1, § 3 Rn. 36 ff. 64 Vgl. jedoch Schünemann, in: ders. (Hrsg.), Grundfragen, S. 187 ff.; ders., in: Eser/Cornils (Hrsg.), Neuere Tendenzen, S. 210 f.; ders., in: Hirsch/Weigend (Hrsg.), Strafrecht und Kriminalpolitik, S. 159 f. 65 Vgl. etwa die zustiI1llnenden Ausfuhrungen Zipfs zum Schuldrahmen, in: Maurach/Zipf, Strafrecht AT 1, § 7 Rn. 28, 3l. Warum Zipf die Möglichkeit eines Unterschreitens des Schuldrahmens nur sehr vorsichtig angeht (Maurach/Gössel/Zipf, Strafrecht AT 2, § 63 Rn. 81), ist angesichts der Reduktion der Schuld auf ein Limitierungsprinzip zum Schutze des Straftäters (Maurach/Zipf, Strafrecht AT I, § 7 Rn. 15 ff. ) nicht recht verständlich. 66 In: FG fiir Schultz, S. 465 ff.; ders., FS fiir Bockelmann, S. 304 ff. Konsequenter Jakobs, Strafrecht AT, 1/50, der ebenfalls die Rahmenidee befurwortet, aber nicht mehr vom "Schuldrahmen" spricht, sondern von der aus der Perspektive der positiven Generalprävention schon ernst zu nehmenden bzw. noch nicht übertrieben scharfen Reaktion. 67 Vgl. 2. Teil, l. Kap., 4.

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1. Teil: Kritik an der Spielraumtheorie

2. Vernachlässigung des Begriffs der Strafzumessungsschuld a) Der unbefriedigende Status quo der Strafzumessungstheorie manifestiert sich in der Vagheit des Begriffs der Strafzumessungsschuld. Obwohl der Strafzumessungsschuld nach der Spielraumtheorie eine wichtige Bedeutung zukommt, kann bei einer Sichtung der Definitionen von Strafzumessungsschuld von einer gesicherten Begriffsbedeutung keine Rede sein. Es handelt sich um einen der umstrittensten und am wenigsten geklärten Bereiche des Strafrechts68 . Formulierungen wie: Schuld im Sinne des § 46 Abs. 1 S. 1 sei das "Maß des Vorwurfs, der dem Täter für seine Tat zu machen ist"69, führen nicht weiter, da diese Definition offen läßt, nach welchen Kriterien dieses Maß ermittelt werden soll. Die Annäherung an die Strafzumessungsschuld erfolgt nicht durch eine systematische Begriffsklärung, sondern induktiv durch die Kanonisierung herkömmlicherweise verwandter Strafzumessungserwägungen, um die die Theorie gleichsam herumgebaut wird - wenn überhaupt eine Theorie der Strafzumessungsschuld entwickelt wird. Eine typische Argumentationsfigur lautet, diese oder jene Strafzumessungstheorie könne deshalb nicht richtig sein, weil sie Strafzumessungserwägungen nicht unterbringe, "obwohl sie zweifellos bei der Strafzumessung eine wichtige Rolle spielen"70. b) Bruns geht in seinem Werk nur äußerst knapp auf die Bedeutung der Strafzumessungsschuld ein und entwickelt im übrigen den Großteil seiner Ausführungen zu den Strafzumessungstatsachen anband des Katalogs in § 46 Abs. 2 S. 271 . Diese Schwerpunktsetzung, die auf eine Analyse der Grundlagenformel in § 46 Abs. 1 S. I zugunsten des Aufzählens breitgefächerter Strafzumessungsfaktoren verzichtet, hat lange Zeit die Strafzumessungslehre dominiert72. In der Rechtsprechung fand diese Lehre eine ausdrückliche Stütze. Der BGH betont in ständiger Rechtsprechung die Notwendigkeit, eine "Gesamtschau von Tatumständen und Täterpersönlichkeit,,73 vorzunehmen, ohne das Konglomerat der sich aus diesen Vorgaben ergebenden Strafzumes68 Dreher, FS für Bockelmann, S. 58; Streng, Strafzumessung und relative Gerechtigkeit, S. 22 ff.; ders., Strafrechtliche Sanktionen, S. 167; Frisch, ZStW 99 (1987), 384 f.; Erhard. Strafzumessung bei Vorbestraften, S. 89. 69 Tröndle, § 46 Rn. 4; LK-Gribbohm, § 46 Rn. 4; ähnlich Schönke/Schröder/Stree, § 46 Rn. 9 a; Hettinger, Doppelverwertungsverbot, S. 119; Schäfer, Praxis der Strafzumessung, Rn. 226. 70 Bruns, Strafzumessungsrecht, S. 575. 71 In seinen Standardlehrbüchern nehmen Ausführungen zur Strafzumessungsschuld eine unbedeutende Rolle ein, vgl. Bruns, Recht der Strafzumessung, S. 145147; ders., Strafzumessungsrecht, S. 392-397; kritisch dazu Erhard, Strafzumessung bei Vorbestraften, S. 142 ff. 72 Vgl. Schönke/Schröder/Stree, § 46 Rn. 9 a ff.; LK-Gribbohm, § 46 Rn. 4, 74 ff.; Tröndle, § 46 Rn. 4, 18 ff. 73 BGHSt. 16,351,353; 24, 268, 270; 26, 311 f.

3. Kapitel: Probleme bei der Bestimmung der schuldangemessenen Strafe

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sungsfaktoren zu systematisieren. Ein Grund für die Orientierung an einzelnen Strafzumessungsfaktoren könnte noch im Einfluß Spendeis liegen, nach dessen Strafzumessungssystem im Anschluß an die Festlegung des Strafzwecks unmittelbar, ohne weitere Zwischenschritte, deren Umsetzung in einzelne reale Strafzumessungsfaktoren erfolgen S011 74 . Diese, vor der Verabschiedung des § 13 a.F. entwickelte Vorgehensweise mag eine intensivere Beschäftigung mit der Fonnel in § 13 Abs. I a.F. bzw. § 46 Abs. I S. 1 verhindert haben. c) Ausgangspunkt für jede strafzumessungsrechtliche Entscheidung muß jedoch § 46 Abs. 1 S. 1 sein. Es kann nicht dem Willen des Gesetzgebers entsprechen, die Strafzumessung unmittelbar auf den Katalog des § 46 Abs. 2 S. 2 zu stützen. Die Fonnulierung "namentlich" in § 46 Abs. 2 S. 2 deutet darauf hin, daß die aufgezählten Umstände zur Exemplijizierung der in Absatz 1 angelegten Grundsätze dienen, aber nicht als abschließende Regelung des Strafzumessungsrechts konzipiert sind. Es ist widersprüchlich, einerseits dem Schuldbegriff in § 46 Abs. I S. 1 eine die Strafe legitimierende oder wenigstens limitierende Funktion zuzuweisen, andererseits aber auf eine Analyse der Strafzumessungsschuld zu verzichten75 . Nur auf der Basis einer solchen Auseinandersetzung ist es in einem zweiten Schritt möglich, zu untersuchen, wie die in § 46 Abs. 2 S. 2 aufgezählen Faktoren auszulegen sind. d) Auch aus sozialwissenschaJtlicher Sicht ist Kritik an der Strafzumessungsschuld laut geworden. So wird vorgebracht, daß die Verwendung dieses Begriffs subjektive, unreflektierte Wertungen des Urteilenden mit einer pseudo-rationalen Begründung übertünche76 . Der Rekurs auf Strafzumessungsschuld sei nur eine nachträgliche Inte11ektualisierung einer Entscheidung, die tatsächlich auf den Strafbedürfnissen des Urteilenden beruhe77 • Wie bei vielen a11tagspsychologischen Schuldattributionen bestünde auch im strafrechtlichen Gebrauch die Gefahr fehlerhafter Bemessung78 • Es handle sich um einen semantisch offenen Begriff, der erst durch eine von rechtspolitischen, präventiven Interessen dominierte Interpretation Bedeutung gewinne 79 . In der Rechtsprechungspraxis gibt es Indizien für die Konturenlosigkeit der Strafzumessungsschuld und die Verwendung des Begriffs als BegrundungsZur Lehre vom Strafmaß, S. 198 ff., 238 ff. Erhard, Strafzumessung bei Vorbestraften, S. 135. 76 Streng, ZStW 92 (1980), 656 ff., ders., Strafzumessung und relative Gerechtigkeit, S. 22 ff., 46 f.; ders., Strafrechtliche Sanktionen, S. 167, 186; skeptisch auch Montada, in: Pfeiffer/Oswald (Hrsg.), Strafzwnessung, S. 138 f. 77 Streng, ZStW 92 (1980), 656 ff. 78 Oswald, GA 1988, 154 ff. 79 Ellscheid, in: Wadle (Hrsg.), Recht und Gesetz, S. 92 ff.; Baurmann, Zweckrationalität und Strafrecht, S. 265 ff.; Hart-Hönig, Gerechte und zweckmäßige Strafzumessung, S. 19 ff.; Oswald, in: Pfeiffer/Oswald (Hrsg.), Strafzumessung, S. 131. 74

75

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1. Teil: Kritik an der Spielraumtheorie

floskel. Anzuführen ist etwa die Entscheidung des BGH vom 8.2.1995, die zunächst Zweifel an der Vereinbarkeit der Vermögens strafe mit dem SchuldgrundsatzSO mit der Argumentation zu entkräften sucht, daß die Norm dem Grundsatz schuldangemessenen Strafens entsprechend ausgelegt werden müsseS I . Sodann bestätigt der BGH allerdings das Urteil des Landgerichts, welches ersichtlich im Einklang mit der Gesetzesbegründung zu § 43 aS2 von einer schuldunabhängigen Gewinnabschöpfung ausgegangen warS3 . Indem der BGH einerseits betont, die Vermögensstrafe dürfe entgegen den gesetzgeberischen Erwägungen nicht der Gewinnabschöpfung dienens4 , gleichzeitig aber postuliert, das erstinstanzliche Urteil entspreche dennoch den Grundsätzen der schuldangemessenen Strafe, definiert er die schuldangemessene Strafe in einer sich beliebig um andere Strafzwecke schmiegenden Weise. 3. Persistenz der Lebensführungsschuld

in der Strafzumessungsschuld a) Historische Wurzeln

aa) Problemstellung aaa) Eine wesentliche Schwäche der Rechtsprechung und herrschenden Strafzumessungslehre sind die nach wie vor auszumachenden Spuren eines Schuldverständnisses, das die Lebensführung und die Persönlichkeit des Täters bewertet. Zwar distanzieren sich sowohl Lehre als auch Rechtsprechung von einer offenen Begründung des Strafmaßes mit der Lebensführungsschuld: Dieses Schuldverständnis gilt seit einigen Jahren als nicht mehr zeitgemäßs5 .

Vgl. dazu Tröndle, § 43 a Rn. 3 b; Lackner, § 43 a Rn. 1 m.w.Nwen. BGH NStZ 1994,429; NStZ 1995, 333 f 82 Der Gesetzgeber hat mit § 43 a beabsichtigt, Vermögenswerte aus den Wirtschaftskreisläufen der organisierten Kriminalität zu eliminieren (BT-Drs. 12/989, S. 20), was die schuldunabhängige Bemessung der Vermögensstrafe impliziert, da nur so das zentrale Anliegen einer effektiven Abschöpfung zu erreichen ist. 83 Das Landgericht hat die hohe Vermögensstrafe darauf gestützt, daß das Einfamilienhaus des Angeklagten ,,höchstwahrscheinlich" durch Betäubungsmittelverkäufe finanziert wurde. 84 BGH NStZ 1995, 333. 85 Arthur Kaufmann, JZ 1967, 555; Henkel, Die ,,richtige" Strafe, S. 29; Horstkotte, JZ 1970, 125; Stratenwerth, Tatschuld und Strafzumessung, S. 36 f; SchafJstein, FS für Gallas, S. 109; Lackner, FS für Gallas, S. 123 f, 131; ders., § 46 Rn. 47; Theune, StV 1985, 162; Streng, Strafrechtliche Sanktionen, S. 200; ders., JuS 1993, 920. Vgl. aber auch noch Tröndle, § 46 Rn. 18. Widersprüchlich BaumannlWeber, Strafrecht AT9 , S. 360, die zwar bei den Strafvoraussetzungen die Lebensführungsschuld scharf 80 81

3. Kapitel: Probleme bei der Bestimmung der schuldangemessenen Strafe

41

Der BGH betont, am Tatschuldprinzip sei festzuhalten und die Strafzumessungsschuld sei nicht in Willens- oder Charaktermängeln zu finden, die sich in der allgemeinen Lebensführung manifestieren86 . Die neueren revisionsgerichtlichen Entscheidungen stehen einem ausdrücklichen Rekurs auf Lebensführungsschuld ablehnend gegenüber. Sie sind von dem Bemühen gekennzeichnet, der Berücksichtigung der Lebensführung durch die Instanzgerichte mit dem Argument mangelnder Tatschuldrelevanz entgegenzutreten87 . bbb) Diese vermeintlich klare Linie einer Orientierung an der Tatschuld erweist sich jedoch bei näherer Analyse als brüchig: An verschiedenen Stellen ist nach wie vor eine Bewertung von Lebensstil und Persönlichkeit auszumachen. Dabei verschwimmen präventive und Schulderwägungen: Aus welchem Grund die Täterpersönlichkeit bewertet wird, wird nicht immer klar. Gegen das Insistieren auf der Bedeutung täterbezogener Faktoren ist deshalb vorgebracht worden, daß damit in verdeckter Form präventive Erwägungen einfließen, welche jedenfalls innerhalb des Prüfungspunkts "Strafzumessungsschuld" sachfremd sind88 . Ein wesentliches Problem der traditionellen Lehre und Rechtsprechung liegt jedoch bereits im Verständnis vom Wesen der Strafzumessungsschuld, das eine klare Trennung von Schuldbewertung und präventiven Strafzumessungsgründen unmöglich macht, da beide auf die Täterpersönlichkeit abstellen. ccc) Bevor die These von der Fortwirkung der Lebensführungsschuld im 2. Abschnitt dieses Kapitels begründet wird, lohnt es sich, auf die Entwicklung des Schuldverständnisses in diesem Jahrhundert einzugehen. Wenn man sich den gerade im Strafzumessungsrecht auszumachenden traditionalistischen Zug der Rechtsprechung vor Augen hält, wird aus der historischen Betrachtung klar, warum sich trotz der expliziten Kritik der Lebensführungsschuld Elemente dieses Denkens nach wie vor in der Strafzumessungspraxis identifizieren lassen. Das die Täterpersönlichkeit akzentuierende Schuldverständnis ist von Dreher in seiner 1947 erschienenen Monographie "Über die gerechte Strafe" ausführlich dargelegt worden. Dreher sucht die Strafzumessungsschuld in der ablehnen, dann aber fortfahren "allenfalls bei der Strafzumessung hat die Lebensführungsschuld Anspruch auf Beachtung". 86 NStZ 1984,259; NJW 1988, 1153, 1154; NStZ 1986,459. 87 Während in BGHSt. 1, 51 noch Trunksucht, liederlicher Lebenswandel und schlechter Leumund als zulässige Strafzumessungsgrunde anerkannt wurden, ist die Tendenz in späteren Entscheidungen restriktiv, vgl. BGHSt. 5, 124, 131 f.; BGH StV 1982,419,567; StV 1983, 332; StV 1985, 102; NStZ 1984,259; NStZ 1986,494; NJW 1988, 1153, 1154; BGHR § 46 Abs. 2 Vorleben 3,8,9,10,12,23; BayObLG NStZ 1982, 288 m. krit. Anm. Bnms. 88 Stratenwerth, Tatschuld und Strafzumessung, S. 6 f.: Der Rekurs auf Charakterund Lebensführungsschuld kaschiere spezialpräventive Erwägungen.

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1. Teil: Kritik an der Spielraumtheorie

"moralischen Farbe des Tatwillens"s9, d.h. in den persönlichen, psychischen und moralischen Wurzeln der Tat. Die Strafzumessungsschuld soll ausschließlich anband des Ausmaßes' des Unrechtsbewußtseins und des verbrecherischen Willens bestimmbar sein90 . Das sich in der Außenwelt manifestierende objektive Gepräge der Tat soll nur als Indikator für das Ausmaß des verbrecherischen Willens relevant werden91 . Dabei stelle es eine schwere Form der Strafzumessungsschuld dar, wenn die Wurzeln der Tat besonders tief im Leben des Täters liegen: Von Charakterschuld im Gegensatz zur Situationsschuld sei dann zu sprechen, wenn der Täter seiner Pflicht zur Selbsterziehung nicht nachgekommen ist und eine charakterliche Disposition zur Begehung von Straftaten erworben hat92 . Dieses von Dreher formulierte Konzept ist das Produkt eines Prozesses, der auch die Strafrechtsreform der Nachkriegszeit geprägt hat, wie im folgenden zu zeigen sein wird.

bb) Entwicklung bis 1945 aaa) Daß bei der Bestimmung des Strafmaßes nicht ausschließlich auf die objektive Tatseite abzustellen ist, war bereits im 19. Jahrhundert anerkannt93 . Das Verhältnis der Bedeutung von täterbezogenen Faktoren und objektivem Taterfolg verschob sich jedoch Anfang des 20. Jahrhunderts zunehmend in Richtung eines Übergewichts der täterbezogenen Faktoren. Für die sich im Anschluß an die Arbeiten von Liszts am Ende des 19. Jahrhunderts formierende modeme oder soziologische Schule steht die Eigenart des Täters im Vordergrund und die daran anzupassende abschreckende, bessernde oder sichernde Einwirkung auf denselben, während der Straftat nur symptomatische Bedeutung zukomme94 . Die äußeren Tatmerkmale sollen dementsprechend nie um ihrer selbst willen Anknüpfungspunkt für die Strafzumessung sein, sondern nur als Indizien für die Intensität der asozialen Gesinnung des Täters95 . Der Gegensatz von moderner und klassischer Schule wurde so beschrieben, daß die modeme Schule im Hinblick auf die Person des Täters strafe, die

Dreher, Über die gerechte Strafe, S. 85. Dreher, Über die gerechte Strafe, S. 80 tT. 91 Dreher, Über die gerechte Strafe, S. 82 f. 92 Dreher, Über die gerechte Strafe, S. 52 tT., 85. 93 Vgl. von Bar, Probleme des Strafrechts, S. 14. 89

90

94 Zur EntwicklWlg der modemen Schule vgl. von Liszt/Schmidt, Lehrbuch des deutschen Strafrechts, S. 16 tT.; von Hippel, Deutsches Strafrecht, S. 479 tT. 95 von Liszt/Schmidt, Lehrbuch des deutschen Strafrechts, S. 423 f.

3. Kapitel: Probleme bei der Bestimmung der schuldangemessenen Strafe

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klassische Schule dagegen ohne Ansehen der Person allein um der verbrecherischen Tat wegen96 . Diese Beschreibung der Trennlinien zwischen moderner und klassischer Schule ist jedoch nur teilweise zutreffend. Ein Teil der Strafrechtslehrer, die an der Vergeltung der Tat als zumindest einem wesentlichen Zweck der Strafe festhielten und die sich deshalb nicht der modemen Schule zugehörig fühlten 97 , blieb zwar auch bei der Festlegung der wesentlichen Strafzumessungskriterien in einer gewissen Distanz zur modemen Schule: Sie maßen entweder dem Taterfolg98 oder einer gleichmäßigen Bewertung von objektiver und subjektiver Tatseite entscheidende Bedeutung bei99 . Gleichzeitig schwächten sich jedoch die Unterschiede zwischen den Schulen ab, da einige Vertreter der klassischen Schule begannen, eine vorrangige Ausrichtung der Strafe am Ausmaß der verbrecherischen Gesinnung des Täters zu befürworten. Es komme in erster Linie auf die psychischen und persönlichen Umstände des Täters an; die Schwere des Erfolgs sei demgegenüber nachrangig. Die Strafzumessungsschuld sei umso größer, je mehr die Tat Ausdruck einer verbrecherischen Persönlichkeit sei lOo . Damit hatte sich in Strafzumessungsfragen eine gemeinsame Marschrichtung der Schulen etabliert, die die Ausforschung der Täterpersönlichkeit in den Vordergrund stellte lol .

96 Vgl. Wachenfeld, Lehrbuch des deutschen Strafrechts, S. 7; ebenso Birkmeyer, Beiträge zur Kritik des Vorentwurfs, S. 22: Gesinnungsstrafe (moderne Schule) versus Schuldstrafe (klassische Schule). 97 Als herrschende Strömung in der Strafzwecklehre haben sich bereits im 19. Jahrhundert Vereinigungslehren herausgebildet, die bei im einzelnen unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen präventiven Strafzwecken zumindest eine ergänzende Rolle zugestanden; vgl. Merkei, Lehrbuch des deutschen Strafrechts, S. 187 tT.; Berner, Lehrbuch des deutschen Strafrechts, S. 8; von Bar, Probleme des Strafrechts, S. 15; von Hippel, Deutsches Strafrecht, S. 487 f. m.w.Nwen., 491, 495 tT.; Frommei, Präventionsmodelle, S. 42 tT. 98 Eine klare Abgrenzung zu einem gesinnungsorientierten Strafrecht findet sich bei Binding, Die Normen, S. 281 tT. Vgl. ferner von Hippel, Deutsches Strafrecht, S. 504 tT.: Es widerspreche dem Wesen des Rechts, wenn die Schuld an die Stelle des Erfolgs gesetzt würde, ders., ZStW 30 (1910), 882. 99 Wachenfeld, Lehrbuch des deutschen Strafrechts, S. 256 f.; Nagler, Die Strafe, S. 604, 608; Kahl, Das neue Strafgesetzbuch, S. 15; Richard Schmidt, Grundriß des deutschen Strafrechts, S. 197. 100 Vgl. Allfeld, Der Einfluß der Gesinnung, S. 8, 59 tT., 146 tT.; Sauer, Grundlagen des Strafrechts, S. 645, 650 tT.: Sauer merkt ausdrücklich an, daß der Gegensatz zwischen klassischer und moderner Schule bezüglich der Rolle der Tätergesinnung nur ein vermeintlicher sei, S. 650 Fn. l. Vgl. auch M.E. Mayer, Allgemeiner Teil, S. 497 mit der vielzitierten Formel ,,Das Motiv entlastet, der Charakter belastet", zustimmend Eberhard Schmidt, Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, S. 431. lai Gallas, Kriminalpolitik und Strafrechtssystematik, S. 15.

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1. Teil: Kritik an der Spielraumtheorie

bbb) Auch bei den Bemühungen zur Refonn des StGB am Anfang des 20. Jahrhunderts setzte sich zunehmend die Berücksichtigung der Tätergesinnung durch102 . § 81 des Vorentwurfs von 1909 erwähnte bei den Strafzumessungsgründen an erster Stelle die "in der Tat hervortretende verbrecherische Gesinnung" 103. In der Begründung wurde aufgeführt, die bisherige Strafzumessungspraxis habe zu einseitig auf die objektive Tatseite abgestellt und der Persönlichkeit des Täters zuwenig Beachtung geschenkt104 . Diese Neuorientierung der Schwerpunkte wurde von Vertretern der modernen Schulelos und der klassischen Schule l06 begrüßt. Noch deutlicher sollte die Täterpersönlichkeit nach den Refonnentwürfen der 20er Jahre die Strafmaßentscheidung dominieren. Die Strafzumessungsregeln der Entwürfe 1922 (Entwurf Radbruch) und 1925 (Amtlicher Entwurf) sahen vor, daß das Gericht abwägen solle, "inwieweit die Tat auf einer verwerflichen Gesinnung oder Willensneigung des Täters und inwieweit sie auf Ursachen beruht, die dem Täter nicht zum Vorwurf gereichen" (§ 67 S. 1 Entwurf 1922 und 1925)107. Mit dieser Fonnulierung tritt der Charakter des Täters in den Vordergrund. Dies kommt auch in der Liste der in § 67 S. 2 aufgeführten Strafzumessungsgründe zum Ausdruck: Die Folgen der Tat finden hier - anders als in den Vorkriegsentwürfen - keine Erwähnung mehr. Die Basis der Entwürfe 1922 und 1925 lag im spezialpräventiven Gedankengut von Lisztscher Prägung l08 : Die Begründung des Entwurfes 1925 verweist auf

102

Bruns, StrafzumessWlgsrecht l , S. 106.

103 Abdruck von § 81 bei Bruns, StrafzumessWlgsrechtl , S. 107. Keine wesentlichen

ÄnderWlgen enthielten die StratbemessWlgsvorschriften des Gegenentwurfs 1911 sowie des Kommissionsentwurfs 1913, s. den Text bei Bruns. § 106 des Entwurfs 1919 verzichtete auf eine ErwähnWlg der verbrecherischen GesinnWlg, ohne damit eine inhaltliche DistanzierWlg von den Vorentwürfen zu verbinden: Auch dieser Entwurf sah die ZurückdrängWlg der Tatverge1tWlg zugWlsten einer stärkeren BeTÜcksichtigWlg der Täterpersönlichkeit vor, Bruns, S. 112. 104 BegrundWlg zum Vorentwurf, S. 334. 105 von Liszt, Reform des Reichsstrafgesetzbuches, S. 373, 385: HauptforderWlg der modernen Schule erf1.illt. 106 Birkmeyer, Beiträge zur Kritik des Vorentwurfs, S. 28; Allfeld, Einfluß der GesinnWlg, S. 8. Die Komprornißfähigkeit des Entwurfs war bereits in der Besetzung der Kommission angelegt, bei der auf ein ausgewogenes Verhältnis der Schulenmitglieder geachtet worden war, vgl. Wassermann, EinleitWlg zur Strafrechtsreform, S. 6; Eberhard Schmidt, Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, S. 394 f. 107 Zur Geschichte des Entwurfes, den Gustav Radbruch als Justizminister der ReichsregierWlg vorgelegt hat, vgl. Eberhard Schmidt, EinleitWlg zu Gustav Radbruchs Entwurf. Abdruck des § 67 dort S. 9. E 1922 Wld 1925 sind auch abgedruckt bei Bruns, StrafzumessWlgsrech( S. 1 1 6 . . 108 Zu den Strafzwecken hinter den Entwürfen vgl. Radbruch, Strafgesetzentwurf, S. 204 ff. sowie Eberhard Schmidt, EinleitWlg zu Gustav Radbruchs Entwurf.

3. Kapitel: Probleme bei der Bestimmung der schuldangemessenen Strafe

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die Gefahr einer Tatwiederholung bei einer persönlichkeitsadäquaten Tat! 09. Mit dem Entwurf von 1927 wurde die konsequenteste Ausrichtung an der Täterpersönlichkeit allerdings wieder abgemildert, da die Grundorientierung an der verwerflichen Gesinnung durch das Wort "hauptsächlich" eingeführt wurde, die verschuldeten Tatfolgen in der Auflistung der Strafzumessungsfaktoren wieder auftauchten und aus der fakultativen Strafmilderung beim Versuch wieder eine obligatorische wurde! 10. Auch Vertreter eines Schuldstrafrechts bewerteten die gesinnungsorientierte Linie der Entwürfe aus den 20er Jahren positiv!!!. Dabei verschwinden teilweise die Unterschiede zwischen Schuldstrafrecht und Präventionsstrafrecht völlig, etwa indem Schuld kurzerhand als "Gefährlichkeit und PersönlichkeitsEigenheit der Tat" definiert wird112 . Ein weniger schwammiger Ansatz bemühte sich, zumindest eine theoretische Basis für die Vereinbarkeit von Schuldidee und persönlichkeitsorientierter Strafzumessung auszuarbeiten. Die Lehre von der Charakterschuld setzte Schuld und Persönlichkeitsentwicklung gleich. Dabei wurde angenommen, daß jeder Mensch für seinen Charakter einstehen müsse, unabhängig davon, wie sich der gegenwärtige Charakter entwickelt habe l\3. ccc) Das Gemenge aus persönlichkeitsorientiertem Schuldverständnis und Gefährlichkeitserwägungen hat seine konsequente Fortsetzung in nationalsozialistisch geprägten Vorstellungen vom Strafzumessungsrecht gefunden. In der Denkschrift "Nationalsozialistisches Strafrecht" heißt es: "Für die Höhe der zu erkennenden Strafe ist in erster Linie die Stärke des verbrecherischen Willens und das Maß der schuldhaft vom Täter herbeigeführten Gefahr entscheidend. Die mehr oder weniger zufällige Größe des angerichteten Schadens hat bei der Strafabmessung außer Betracht zu bleiben.,,!!4 In ähnlicher Weise Begründung Entwurf 1925, S. 50 fI. § 69 abgedruckt bei Bruns, Strafzumessungsrechtl, S. 118. Radbruch beklagte in einem 1927 erschienenen Aufsatz, daß der Geist der Strafrechtsreform sich von den ursprünglichen Ansprüchen entfernt habe und sich wieder dem Vergeltungsgedanken nähere, unter anderem, weil die Tatfolgen wieder in den Katalog der Strafzumessungsgründe aufgenommen wurden, vgl. Radbruch, Der neue Kurs, S. 241. 111 Vgl. Sauer, ZStW 50 (1930), 680 t1; Heinitz, ARWP 22 (1928/29),259 fI.; von Gleispach, ARWP 21 (1927/28),204; Mezger, Lehrbuch, S. 500 f.; ablehnend dagegen von Beling, GS 91 (1925),355 ff.; Nagler, GS 94 (1927), 86 ff. 112 Sauer, ZStW 50 (1930), 686; zu ähnlichen Mischungen vgl. von Gleispach, ARWP 21 (1927/28),204: Schuldidee, 209 ff.: Schutz der Gesellschaft. 113 Heinitz, ARWP 22 (1928/29), 275. 114 Kerrl (Hrsg.), Nationalsozialistisches Strafrecht, S. 121; ebenso Dahm, Nationalsozialistisches und faschistisches Strafrecht, S. 17 ff., der das allein auf die gemeinschaftsgefährliche Gesinnung abstellende nationalsozialistische Strafrecht von einem auf die Verletzung der autoritären äußeren Ordnung abstellenden Strafrecht unterscheidet; ders., Gemeinschaft und Strafrecht, S. 11 f.: Die Tat als solche sei unerheb109

110

46

1. Teil: Kritik an der Spielraumtheorie

wurde in § 48 der Kabinettsvorlage 1938 ausgeführt: "Der Richter soll die Persönlichkeit des Täters, seine Lebensführung, seine Stellung und Bewährung in der Volksgemeinschaft würdigen und die Strafe so bemessen, daß sie gerechtem Sühneverlangen und dem Schutzbedürfnis des Volkes entspricht... .. "ll5. In der Begründung nehmen Gürtner und Freisler ausdrücklich auf das Schuldprinzip Bezugl16 - faktisch setzte sich allerdings in kurzer Zeit mit drastischen Konsequenzen der Vorrang des Präventionsprinzips durch117. Die bis dahin immer noch obligatorische Strafmilderung beim Versuch wurde unter ausdrücklicher Bezugnahme auf ein Willensstrafrecht durch § 4 der Gewaltverbrecherverordnung vom 5.12.1939 abgeschafft1l8 . Die Entwicklung eines drakonischen Strafrechts, das in erster Linie auf Abschreckung und Sicherungsstrafe beruhte 1l9 , sollte nicht vergessen lassen, daß zunächst in einer extrem persönlichkeitsorientierten Strafzumessung der passende Ausgangspunkt für die sozialautoritäre Rechtsidee des nationalsozialistischen Staates gesehen worden warl20 . Soweit in der Nachkriegszeit aus strafrechtsintemer Sichtweise Kritik an der nationalsozialistischen Strafpolitik laut wurde, richtete sich diese in erster Linie gegen die als "Exzesse" eingestufte Praxis der Kriegszeit, nicht aber gegen die ideologischen Anfange l21 .

lieh, bedeutsam nur als Anzeichen für Persönlichkeit und Gesinnung. Ebenso Schaffstein, DStrR 1934, 28: Nationalsozialistisches Strafrecht als Gesinnungsstrafrecht. Zur Entstehung der neuen Täterlehre und ihren Irnplikationen vgl. Marxen, Kampf gegen das liberale Strafrecht, S. 189 ff. 115 ,,Das Verschulden des Täters und das Maß der Pflichtverletzung, bei vorsätzlichen Taten die Stärke seines verbrecherischen Willens, bei fahrlässigen der Grad seines Leichtsinns oder seiner Gleichgültig!ceit, sind besonders zu berücksichtigen". Abgedruckt in Bruns, Strafzumessungsrechtl, S. 135. 116 In: Das neue deutsche Strafrecht, 1936, zitiert nach Bruns, Strafzumessungsrecht I , S. 135 Fn. 8. 117 Vgl. dazu Eberhard Schmidt, Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, S. 437 f.; Bruns, Strafzumessungsrechtl, S. 140 fI. 118 LK-Vogler, § 23, Entstehungsgeschichte. Zum Zusammenhang von antiliberaler Einstellung und der Gleichsetzung von Versuch und Vollendung Marxen, Kampf gegen das liberale Strafrecht, S. 228 f.; Wolf, JuS 1996, 193. 119 Vgl. den Text der Richterbriefe vom 1.6. 1943, wo einem "individualistischen" Vergeltungsdenken der Zweckgedanke des Schutzes der Volksgemeinschaft gegenübergestellt und der Vorrang des letzteren betont wird. Insbesondere müsse die volkshygienische Aufgabe einer fortgesetzten Ausscheidung lebensunwerter Verbrecher erfüllt werden. Abgedruckt bei Bruns, Strafzumessungsrechtl, S. 149. Vgl. auch die Schilderung der Rechtsprechungspraxis des RG bei Bruns, S. 151 ff. 120 Aufschlußreich Bockelmann, Studien zum Täterstrafrecht (erschienen 1940), S. 146 zum neuen politischen Bewußtsein, das die Gesinnungsbestrafung ermögliche. 121 Vgl. die Darstellung bei Bruns, Strafzumessungsrechtl, S. 140 ff.; anders dagegen Marxen, Kampf gegen das liberale Strafrecht.

3. Kapitel: Probleme bei der Bestimmung der schuldangemessenen Strafe

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cc) Folgen für die Einführung einer gesetzlichen Strafzumessungsregel aaa) Mit der mehrheitlich konsensfähigen Betonung der Persönlichkeit und der verbrecherischen Gesinnung des Täters hatte sich eine Möglichkeit aufgetan, den Schulenstreit für die Strafzumessung zumindest teilweise zu überwinden. Ähnlich wie die bei der Strafzweckdiskussion vertretene Vereinigungstheorie hatte auch dieser Ansatz eine Langlebigkeit verbürgende Attraktivität. Vor diesem Hintergrund erstaunt nicht, daß in der Nachkriegszeit hieran wieder angeknüpft wurde, zumal hier nicht nur inhaltliche, sondern auch personelle Kontinuitäten zu verzeichnen sind. Die Idee einer Charakterschuld, nach der der Täter "dafür einzustehen hat, was er ist, ohne Rücksicht darauf, durch welch vielfältigen Gründe er dazu geworden ist"J22, wurde in den 50er Jahren zunächst wiederbelebt123 . Auf dem Boden der Grundsatzentscheidung des BGH zu Schuld und Verbotsirrtum124 war jedoch eine Strafschärfung wegen auf unvermeidbaren Lebensumständen beruhenden Charakterprägungen nicht mehr vertretbar125 . Die Lehre von der Charakterschuld hat heute auch keine ausdrücklichen Befürworter mehr. bbb) Angesichts der Legitimationsprobleme einer von Verschuldensfragen abgelösten Strafzumessungsschuld hatten verschiedene Autoren (darunter der für die Strafzumessungskodifikation der Nachkriegszeit maßgebliche Mezger) schon vor 1945 eine Lebensführungs- bzw. Entscheidungsschu/d bemüht: Die Wendung zum Bösen, der Gesinnungsverfall des Täters, sollten die Anknüpfungspunkte sein126 . Zu den Lebensführungsschuldlehren zählt auch (trotz der mißverständlichen Bezeichnung als Charakterschuld) die oben beschriebene Variante von Dreher, nach der der Täter schuldhaft seiner Pflicht zur Selbsterziehung nicht nachgekommen sei 127. Offensichtlich ist die Ermittlung einer solchen Lebensführungsschuldjedoch praktisch unmöglich: Verschuldetes und Unverschuldetes sind in der Biographie eines Menschen so eng miteinander verwoben und in wechselseitigen Kausalbeziehungen verstrickt, daß eine

Heinitz, ZStW 63 (1951), 75. Heinitz, ZStW 63 (1951), 75; zustimmend Engisch, ZStW 66 (1954), 339 ff.; ders., MSchrKrim 1967,108 ff.; Eberhard Schmidt, ZStW 69 (1957), 385 ff. 124 BGHSt. 2, 194,200 f 125 Vgl. die scharfe Ablehnung der unverschuldeten Charakterschuld bei Arthur Kaufmann, Das Schuldprinzip, S. 189 ff.; Stratenwerth, Tatschuld und Strafzumessung, S. 5 f 126 Mezger, ZStW 57 (1938), 688 f; ders., ZStW 60 (1941), 459 ff.; Bockelmann, Studien zum Täterstrafrecht, S. 152 ff.; Welzel, ZStW 60 (1941), 459 ff.; ders., Deutsches Strafrecht, S. 150: ""wurzelt die Schuld der einzelnen Tat in einem bleibenden Moment, nämlich in dem fehlerhaften Aufbau der Persönlichkeitsschicht, in einem vorwerfbaren Charakterfehler". 127 In: Die gerechte Strafe, S. 52 ff. 122 123

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1. Teil: Kritik an der Spielraumtheorie

Auflösung dieser Lebenslinien unmöglich ist128 . Die Vertreter der Lebensführungsschuld hatten das Bekenntnis zum Schuldprinzip allerdings teilweise auch nur als eine Formalität angesehen: So wollte Bocke/mann das AndersSein-Können ohnehin nur als eine staatsnotwendige Fiktion verstanden wissenl29 . ccc) Die Lehre von der Lebensführungsschuld ist in die Strafrechtsreform der Nachkriegszeit eingeflossen, unter anderem, weil ihre Vertreter maßgeblich an der Entwicklung des E 1962 beteiligt waren. Die konsequenteste Ausprägung wurde allerdings von Bocke/mann teilweise abgeschwächt130. Aber nach wie vor wurde sowohl von Eberhard Schmidt als dem Vertreter einer spezialpräventiv akzentuierten Strafzumessungslehre als auch von den Anhängern von Vereinigungslehren vertreten, daß die Gesinnungl3l bzw. die sittliche Persönlichkeitl32 wesentlich die Strafzumessungsschuld konstituiere. Für die heute geltende gesetzliche Strafzumessungsregel wurde ausschlaggebend, daß die Aufzählung der Strafzumessungsfaktoren in der von Mezger vorgeschlagenen Fassung sich in wesentlichen Grundzügen an § 81 des Vorentwurfs von 1909 orientierte J33 . Auch wenn bis zur Endfassung des § 60 Abs. 2 S. 2 E 1962 (der mit dem heutigen § 46 Abs. 2 S. 2 nahezu identisch ist l34 ) in einigen Punkten noch Änderungen vorgenommen wurden, war mit diesem Vorschlag die Grundlinie gezeichnet. Der Akzent lag auf Merkmalen, die Gesinnung, Motive und persönliche Lebensumstände des Täters betreffen. Die 128 Arthur Kaufmann, Das Schuldprinzip, S. 190 t1; Stratenwerth, Tatschuld und Strafzumessung, S. 18; Schaffstein, FS fUr Gallas, S. 109. Ebenso bereits Heinitz, ZStW 63 (1951), 76, der deshalb zur Notwendigkeit einer verschuldensunabhängigen Charakterschuld gelangt. 129 In: Studien zum Täterstrafrecht, S. 150 tI Auch die Konstruktion, daß das Unterlassen der Überwindung von anlagebedingten Schwächen schuldhaft sei (Bockelmann, S. 154; ebenso Mezger, ZStW 60 - 1941 -, 372), macht deutlich, daß eine echte Abgrenzung zu Charakterschuldlehren nicht beabsichtigt war. 130 In seinem Gutachten zur Strafrechtsreform führt Bockelmann in Kontrast zu seiner 1940 erschienenen Monographie aus, daß Charaktermängel als solche keinen Maßstab fllr die Bestrafung geben, weil sie isoliert kein Gegenstand einer rechtlichen Wertung sein dürften, in: Materialien, S. 32 tI Bei der Bewertung der Straftat sei allerdings auf die persönlichen Eigenschaften des Täters Rücksicht zu nehmen, S. 34 f. 131 Eberhard Schmidt, Materialien, S. 21,25 f; zustinunend Mezger, Niederschriften, S. 33 f. 132 Lange, Materialien, S. 74. 133 Materialien, S. 7. Im Unterschied zum Vorentwurf von 1909 müssen die berücksichtigungsfahigen Tatfolgen verschuldet sein. Aufgenonunen wurde auch der Gedanke aus den Entwürfen der 20er Jahre, zu berücksichtigen sei, inwieweit Umstände zur Tat beigetragen haben, die dem Täter nicht zum Vorwurf gereichen. 134 Bis auf den mit dem Opferschutzgesetz vom 18.12.1986 (BGBL I S. 2496) neu eingefügten Zusatz, "das Bemühen des Täters, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen".

3. Kapitel: Probleme bei der Bestimmung der schuldangemessenen Strafe

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Einwände der Verfasser des Alternativentwurfs gegen Faktoren wie Gesinnung, Pflichtwidrigkeit, Vorleben und Verhalten nach der Tae 35 konnten sich nicht durchsetzen.

b) Die Täterpersönlichkeit in der heutigen Strafzumessungspraxis und -lehre

aa) Vorgabe der höchstrichterlichen Rechtsprechung aaa) Nicht nur fußt die Fonnulierung des § 46 Abs. 2 S. 2 auf einer täterorientierten Konzeption der Strafzumessungsschuld, auch die Rechtsprechung hält an der Wichtigkeit der Täterpersönlichkeit nach wie vor fest. Trotz kritischer Stimmen zum Strafzumessungsfaktor Täterpersönlichkeit136 geht der BGH in ständiger Rechtsprechung davon aus, daß Strafzumessung ohne die Würdigung der persönlichen Verhältnisse des Täters nicht möglich sei 137 . Ohne die Kenntnis der Täterpersönlichkeit sei nicht nur eine Bestimmung des Resozialisierungsbedürfnis, sondern auch der persönlichen Schuld nicht möglich 138 . Es stelle grundsätzlich einen Sachmangel dar, wenn der Tatrichter die persönlichen Verhältnisse des Täters nicht bzw. unzureichend berücksichtige. Jedenfalls bei Straftaten von einigem Gewicht müßten immer auch die Umstände herangezogen werden, die Persönlichkeit, Vorleben und Nachtatverhalten betreffenl39 . Auch die herrschende Lehre hält eine Reduzierung der Strafzumessungsschuld auf Tatschuld in einem engen Sinne für unangemessen: Grundsätzlich könnten alle denkbaren personalen Faktoren die Strafzumessungsschuld bestimmen, wenn sich ein Bezug zum Tatgeschehen herstellen lasse 140.

Baumann u.a., AE-StGB, Begründung zu § 59, S. 115. Zipf, Strafmaßrevision, S. 119; ders., Die Strafzumessung, S. 24 f; Maurach/GösseIlZipf, Strafrecht AT 2, § 63 Rn. 5 ff.; Stratenwerth, Tatschuld und Strafzumessung, S. 15 ff.; Schaffstein, FS für Gallas, S. 108 f; Frisch, ZStW 99 (1987), 382 ff.; Schünemann, in: ders. (Hrsg.), Grundfragen, S. 191 f; ders., in: Eser/Cornils 135 136

(Hrsg.), Neuere Tendenzen, S. 226. l37 BGHSt. 16,351,353; 24, 268, 270; BGH NStZ 1981,389; StV 1984, 190, 192; NStZ 1991,231; BGHR § 46 Abs. 2 Vorleben 15. Ebenso OLG Köln StV 1996, 321. 138 BGHSt. 24, 268, 270; BGHNStZ 1981, 389. 139 BGH NStZ 1981,299; NStZ 1991,231 m.w.Nwen.; weitere Nwe. unveröffentlichter Entscheidungen bei Theune, StV 1985, 165 Fn. 28. 140 Bruns, Strafzumessungsrecht, S. 61, 384 ff.; ders., Recht der Strafzumessung, S. 144, 147; ders., Neues Strafzumessungsrecht, S. 49 ff.; Burgstaller, ZStW 94 (1982), 135 ("charakterologische Komponente des Schuldbegriffs"); Grasnick, Schuld, Strafe und Sprache, S. 228 ff.; Schönke/Schröder/Stree, § 46 Rn. 8; LK-Gribbohm, § 46 Rn. 7, 175; Tröndle, § 46 Rn. 4; Schäfer, Praxis der Strafzumessung, Rn. 269; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, S. 889; Lackner, § 46 Rn. 47. 4 Hörnle

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1. Teil: Kritik an der Spielraumtheorie

bbb) Es fehlt jedoch eine schlüssige Begründung, warum die Persönlichkeit des Angeklagten und seine persönlichen Verhältnisse von Bedeutung für das Ausmaß der Strafzumessungsschuld sein sollen l41 . Mit der Ablehnung der Lebensführungs- und Charakterschuldlehren entfallt die theoretische Rechtfertigung dafür, daß das Vorleben des Täters und/oder sein So-Sein zum Moment der Tatbegehung die Strafzumessung prägen sollen. Die Rechtsprechung des BGH weist einen fundamentalen Widerspruch auf, da sie einerseits ein "Täterpersönlichkeitsdogma" aufstellt, andererseits sich aber von den Schuldtheorien distanziert, die diesen Ausgangspunkt zumindest plausibel untermauemkönnten. Der BGH behilft sich mit einer Indizkonstruktion: Das Vorleben des Täters dürfe berücksichtigt werden, wenn es wegen der engen Beziehung zur Tat Schlüsse auf deren Unrechtsgehalt oder die innere Einstellung des Täters zulasse l42 . Diese Formel läßt sich grundsätzlich in zweierlei Weise interpretieren. Zum einen könnte man sie als Hinweis auf die Beweis/unktion des Vorlebens für bestimmte subjektive Verbrechensmerkmale ansehen. Wenn etwa der Täter vorbringt, er habe die Gefahrträchtigkeit eines bestimmten Verhaltens nicht erkannt, so läßt sich dies gegebenenfalls als Schutzbehauptung widerlegen, wenn ähnliche Vorfälle mit Schadenseintritt bereits früher vorgekommen sind. Da dies jedoch nur gelegentlich einschlägige Beweisprobleme betrifft, läßt sich nicht erklären, warum bei Straftaten von einigem Gewicht die persönlichen Umstände immer strafzumessungsrelevant sein sollen l43 . Die Rechtsprechung des BGH ist deshalb nur erklärbar, wenn der behauptete Zusammenhang von Vorleben und Unrecht bzw. innerer Einstellung nicht als beweisrechtliche Frage verstanden wird. Es ist jedoch nicht ersichtlich, wie die persönlichen Lebensumstände des Täters das Ausmaß des Unrechts beeinflussen könnten l44 . Als einziger Ausweg, die Indizkonstruktion schlüssig zu interpretieren, bleibt der Rekurs auf die "innere Einstellung des Täters", auf die das Vor- oder Nachtatverhalten hinweise. Dies wirft wiederum die Frage auf, warum die innere Einstellung für die Strafzumessung relevant sein soll. Soll das Verhalten vor bzw. nach der Tat Schlüsse auf die Gesinnung des Täters erlauben? In der Rechtsprechung taucht der Topos der rechtsfeindlichen

141 Vgl. auch Theune, StV 1985, 165 ("Forderung nach umfassender Darstel1Wlg der Persönlichkeit steht in keinem Verhältnis zur BedeutWlg [dieses StrafzumessWlgsgrunds]"). 142 BGH NStZ 1984, 259; NStZ 1986,459; NJW 1988, 1153, 1154; BGH bei Detter NStZ 1990,221; NStZ 1994,475. Aus den gleichen Gründen wird auch die strafschärfende BerücksichtigWlg späterer Taten für zulässig erachtet, vgl. BGH NStZ 1998, 404 m.w.Nwen. 143 BGHNStZ 1991,231. 144 Frisch, ZStW 99 (1987), 383.

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Gesinnung des Täters auf 45. Auch in der traditionellen Strafzumessungslehre wird ganz übenviegend die Gesinnung des Täters als anerkennenswerter Strafzumessungsgrund eingestuft146; nur vereinzelt wird die Rolle der Gesinnung problernatisiert147 . Bei dieser häufig venvendeten Wendung bleibt im Dunkeln, was eigentlich die Strafzumessungsrelevanz ausmacht. Es könnte eine präventive Überlegung sein, wenn aus der Tätergesinnung auf Rückfallgefahr geschlossen wird, aber wahrscheinlicher ist, daß sich hinter dieser Formulierung eine negative Bewertung des Täters verbirgt. Die Berechtigung von Warnungen vor einern unreflektierten Umgang mit diesem Thema wird deutlich, wenn man etwa Bruns' Ausführungen in seinem Standardwerk liest: Er beginnt mit dem Satz "Charakter und Gesinnung gehören irgendwie zusammen", um im nächsten Satz ziemlich unvermittelt nachzuschieben, es dürfe jedoch nur die Einzeltatgesinnung herangezogen werden, nicht der allgemeine Charakter des Täters 148 . Deutlicher kann kaum demonstriert werden, daß der Topos der Gesinnung auf eine Bewertung der Persönlichkeit des Täters hinausläuft, auch wenn dies durch entgegenstehende Behauptungen camoufliert wird. Der BGH entwertet sein grundsätzliches Bekenntnis zur Tatschuld, indern er die Tätergesinnung über die Indizkonstruktion des Vorlebens bzw. des Nachtatverhaltens als Strafschärfungsfaktor ansieht. ccc) Die Problematik einer Anpassung der Strafe an die Täterpersönlichkeit tritt noch deutlicher zutage, wenn die praktische Umsetzung mitbedacht wird. An dieser Stelle wird ein Einflußtor für Wertungen des Tatrichters kreiert, für die die Erarbeitung von Regeln ungleich schwerer ist als für die Bewertung der Tatumstände im übrigen. Die Bewertung der Schuld wird damit von subjektiven, nicht hinterfragbaren Maßstäben abhängig gemacht. Probleme ergeben sich außerdem aus der Zahl zulässiger Strafzurnessungsenvägungen, die mit der Einbeziehung der Täterpersönlichkeit beträchtlich erhöht wird: Je mehr Gesichtspunkte in die Strafzumessung einfließen, desto komplizierter wird der Vorgang. Nicht nur die Herstellung der Strafmaßentscheidung, sondern auch die Begründung derselben stellt einen Tatrichter vor Schwierigkeiten, der das Individualisierungsgebot ernst nimmt. Mit einer solchen Überforderung wird das Bemühen um eine sorgfaltige Ableitung der Entscheidung

BGH StV 1987, 343; NJW 1987,2685; NStZ 1991, 81. Bnms, Recht der Strafzumessung, S. 212 f.; Streng, Strafrechtliche Sanktionen, S. 175; LK-Gribbohm, § 46 Rn. 78 tT.; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, S. 889; Schäfer, Praxis der Strafzumessung, Rn. 250, 272; Tröndle, § 46 Rn. 19. 147 Schaffstein, FS für Gallas, S. 110; Stratenwerth, Tatschuld und Strafzumessung, S. 17 f.; Frisch, ZStW 99 (1987), 767 tT. 148 Bruns, Recht der Strafzumessung, S. 212. 145

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eher behindert und Tendenzen zur Orientierung allein an einer revisionssicheren Darstellung werden gefördert149. ddd) Es drängt sich die Frage auf, warum die höchstrichterliche Rechtsprechung die Kenntnis der Täterpersönlichkeit nach wie vor als unabdingbar für die Bestimmung der schuldangemessenen Strafe einstuft. Es ist zu vermuten, daß zwei Gründe hinter dieser Rechtsprechung stehen: Zum einen handelt es sich um Übrigbleibsei, um Splitter des überholten Verständnisses der Strafzumessungsschuld. Der Topos "innere Einstellung des Täters" wird übernommen, ohne die normative Überzeugungskraft solcher Erwägungen kritisch zu überprüfen. Es könnte auch noch ein zweiter Grund hinter dem Beharren auf der Relevanz der Täterpersönlichkeit stehen. Die Formulierung der höchstrichterlichen Rechtsprechung, die Strafzumessung werde auch durch den Eindruck von der Persönlichkeit des Angeklagten bestimmt, wird immer dann angeführt, wenn die eingeschränkte Überprüfbarkeit des Strafmaßes begründet werden soll150. Auch insoweit dürfte es sich um ein Postulat handeln, dessen latente Funktion genauso wie bei der Spielraumtheorie darin liegt, die Beschränkung der Kontrollbefugnis des Revisionsgerichts zu betonen.

bb) Würdigung der Täterpersönlichkeit in der tatrichterlichen Praxis aaa) In der tatrichterlichen Praxis findet die von der noch herrschenden Strafzumessungslehre und der höchstrichterlichen Rechtsprechung geforderte individualisierende Anpassung der Strafe an die Persönlichkeit des Täters nur in bescheidenem Umfang stattl51 . Die Vorstellung von individualisierten Strafmaßen läßt sich bereits aufgrund der Verteilung der Strafmaße als nicht realitätsgerecht charakterisieren. Ein Großteil der in der Praxis verhängten Strafen verteilt sich auf einige wenige Strafmaße. Die durch § 39 vorgegebenen Variationsmöglichkeiten werden extrem verengt152. Es ist eine Tendenz 149 Schünemann, in: ders. (HIsg.), Grundfragen, S. 191 f; ders., in: Eser/Cornils (HIsg.), Neuere Tendenzen, S. 226 f; Müller-Dietz, FS flir Spendei, S. 428. 150 Vgl. die Nwe. unten Fn. 16l. 151 Loos, in: hnmenga (HIsg.), Rechtswissenschaft und Rechtsentwicklung, S. 262; Theune, StV 1985, 165; Heinz, in: Jehle (HIsg.), Individualprävention und Strafzumessung, S. 113 f S. ferner die Nwe. in den folgenden Fn. 152 Klaus Rolinski hat dieses Phänomen als Prägnanztendenz bezeichnet und aus psychologischer Sicht mit einer menschlichen Vorliebe flir "glatte Zahlen" erklärt, in: Die Prägnanztendenz im Strafurteil. Weitere empirische Nwe. und Diskussion der extremen Einschränkung der Praxis auf wenige Strafmaße bei: Schöch, Strafzumessungspraxis und Verkehrsdelinquenz, S. 113 f.; Streng, Strafzumessung und relative Gerechtigkeit, S. 105; R. Hassemer, MSchrKrim 1986,23 f; Montenbruck, Abwägung und Umwertung, S. 56 f; Steinhilper, Sexuell motivierte Gewalttaten, S. 268 f; H.-J. Albrecht, Strafzumessung bei schwerer Kriminalität, S. 287 ff.

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zur Taxenb i Idung zu erkennen153. Die Entstehung von Straftaxen ist naheliegend bei Delikten, bei denen einerseits die tatbestandliehe Fassung wenig Merkmale aufweist und die andererseits zu den sogenannten Massendelikten gehören, also etwa bei Trunkenheitsfahrten (§ 316 )154. Aber auch bei anderen Delikten kommt in der Praxis ein gegenüber den theoretischen Vorstellungen stark geschrumpftes Herstellungsmodell zur Anwendung. Dabei stehen Schadenshöhe und Vorstrafenbelastung im Vordergrund i55 . Beim Einbruchsdiebstahl und beim einfachen Diebstahl können mit den Faktoren Anzahl der Taten, Schadenshöhe und Vorstrafenbelastung unterschiedliche Strafmaße zu einem relativ hohen Anteil erklärt werden i56 . Selbst bei schwereren Straftaten, nämlich bei Raub- und Vergewaltigungsdelikten, ist eine dominante Rolle von Tatschwere und Vorstrafenbelastung erkennbarl57 . bbb) Die Rahmenbedingungen seiner Tätigkeit erlauben es dem Tatrichter bei leichten und mittel schweren Fälle nicht, mehr als oberflächlichkursorische Feststellungen zur Täterbiographie zu treffen. Ein ernsthaftes Eingehen auf die Persönlichkeit des Angeklagten ist in der Mehrzahl der Fälle aufgrund der begrenzten Zeit für die Hauptverhandlung nicht möglich. Bereits aus diesem Grund wurde die Vorgabe einer Individualisierung der Strafen als offensichtlich realitätsfern eingestuftl58 . Aber auch in den seltenen Fällen, in denen dem Richter Informationsquellen zur Verfügung stehen, die eine Anpassung der Strafe an die Täterpersönlichkeit in vergleichsweise einfacher Weise möglich machen würden, wird davon offenbar wesentlich seltener Gebrauch gemacht, als dies nach den höchstrichterlichen Formeln zu erwarten wäre. Die empirische Untersuchung von Verrel zur Strafzumessung bei Tötungsdelikten widerlegte die Hypothese einer Anreicherung der Strafzumessungserwägungen durch das in Schuldfähigkeitsgutachten eingeführte reich-

H.-J. Albrecht, Strafzumessung bei schwerer Kriminalität, S. 289. Vgl. Schöch, Strafzumessungspraxis und Verkehrsde1inquenz, S. 121 ff.; R. Hassemer, MSchrKrim 1983, 30 ff.; ders., MSchrKrim 1986,22 ff. 155 H.-J. Albrecht, in: KemerlKury/Sessar (Hrsg.), Deutsche Forschungen, S. 1317 ff.; ders.; Strafzumessung bei schwerer Kriminalität, S. 333 ff.; Kunz, in: Kie1wein (Hrsg.), Entwicklungslinien der Kriminologie, S. 33 f.; Steinhilper, Sexuell motivierte Gewalttaten, S. 281 ff.; Schünemann, in: Eser/Comils (Hrsg.), Neuere Tendenzen, S. 228; Hart-Hönig, Derechte und zweckmäßige Strafzumessung, S. 80 fT. Vgl. auch Theune, StV 1985, 165 (Art und Umfang der Rechtsgutsverletzung wichtigstes Indiz für Ausmaß der Schuld). 156 H.-J. Albrecht, Strafzumessung bei schwerer Kriminalität, S. 333 fT., zum Einbruchsdiebstahl; Oswald, Psychologie des richterlichen Strafens, S. 170 fT., zum einfachen Diebstahl. 157 H.-J. Albrecht, Strafzumessung bei schwerer Kriminalität, S. 338 fT. Die zentrale Bedeutung von Tatschwere und Vorstrafen für die Strafzumessung bei Raubde1ikten wird bestätigt von Hoppenworth, Strafzumessung beim Raub, S. 258 fT. 158 Theune, StV 1985, 207; skeptisch auch Müller-Dietz, FS flir Spende1, S. 427 f. 153

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1. Teil: Kritik an der Spielraumtheorie

haltige Material. Trotz der Ausgangsbedingungen, die eine Berücksichtigung der Täterpersönlichkeit wahrscheinlicher machen würden als bei allen anderen Verfahren, wurde die Täterpersönlichkeit in weniger als einem Drittel der Urteile angeführt l59 . Wenn keine Schuldfähigkeitsgutachten eingeholt worden waren, fanden Aspekte der Täterpersönlichkeit noch seltener Erwähnungl60 . Wenn bei Verfahren wegen Tötungsdelikten, die sich durch eine aufwendigere Verfahrensgestaltung von der Masse der Fälle abheben, eine Individualisierung des Strafmaßes nicht der Regelfall ist, ist der Schluß erlaubt, daß dies in Fällen sonstiger schwerer, mittelschwerer oder gar leichter Kriminalität erst recht nicht zu erwarten ist. ccc) Problematisch ist nicht nur die Anweisung, die Täterpersönlichkeit zu berücksichtigen, sondern auch das Bewertungsverfahren. Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung soll es auf den Eindruck ankommen, den der Tatrichter in der Hauptverhandlung von der Person des Angeklagten gewonnen hat l61 . Wenn das Bestreben des Tatrichters nicht einmal auf eine intersubjektiv gültige Urteilsgrundlage gerichtet sein muß, sondern subjektive Eindrücke des Richters im normativen Herstellungsprogramm vorgesehen sind l62 , wird das Urteil unüberprüfbar. Vor allem aber besteht die Gefahr, daß das Auftreten des Angeklagten in der Hauptverhandlung in Kombination mit persönlichen Resentiments des Tatrichters unzulässigerweise das Strafmaß bestimme 63. Irritationen, die beim Tatrichter beispielsweise angesichts eines seine Rechte vollständig ausschöpfenden Angeklagten entstehen können, fließen über die "Eindruckstheorie" in gleicher Weise ein wie die Struktur der Persönlichkeit des Richters. Die Entstehung von Sympathien und Antipathien als Folge der Interaktion mit dem Angeklagten ist bei realistischer Betrachtungsweise nicht vermeidbar; als normatives Herstellungsprogramm dürfen diese Gefühle jedoch nicht fungieren l64 . In der neueren Rechtsprechung wird allerdings vereinzelt verlangt, daß der Tatrichter einen ungünstigen persönlichen Eindruck vom Angeklagten nicht schlicht strafschärfend anführen dürfe, sondern die Quellen und Art des Eindrucks substantiiert darstellen und eine Beziehung zur Tat herstellen müsse l65 . Verrel, Schuldfähigkeitsbegutachtung, S. 201, 306 f. Verrel, Schuldfähigkeitsbegutachtung, S. 306 f. 161 BGHSt. 27, 2, 3; 29,319,320; 34, 345, 349; BGH NStZ 1983,268; NStZ 1988, 497; NStZ 1990, 334; wistra 1993, 297; BGHR § 46 Abs. 1 Beurteilungsrahmen 3, 6; OLG Düsse1dorfNStZ 1988, 326. 162 Vgl. Würtenberger, FS für Husserl, S. 187 ff. 163 Schünemann, in: ders. (Hrsg.), Grundfragen, S. 191 f.; ders., in: Eser/Corni1s (Hrsg.), Neuere Tendenzen, S. 212; Theune, StV 1985,207. 164 Streng, Strafzumessung und relative Gerechtigkeit, S. 297; Schünemann, in: Eser/Cornils (Hrsg.), Neuere Tendenzen, S. 212; Theune, FS für Pfeiffer, S. 456 f. 165 BGHR § 46 Abs. 1 Begründung 17. 159

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Der Zwang zu einer entsprechenden Begründung mag zwar die Problematik abmildern, weil der Tatrichter dadurch zu einer Reflektion seiner emotionalen Reaktion gezwungen wird. Es dürfte jedoch für einen erfahrenen Tatrichter letztlich kein Problem sein, eine bestehende Verärgerung über das Verhalten des Angeklagten in revisions sichere Formulierungen zu verpacken. ddd) In welchem Umfang das Verhalten des Angeklagten in der Hauptverhandlung tatsächlich die Strafzumessung beeinflußt, läßt sich nur schwer überprüfen. Soweit das Verhalten des Angeklagten als strafzumessungsrelevant in der Urteilsbegründung aufgeführt wird, geschieht dies ganz überwiegend zugunsten des Angeklagten durch Bezugnahme auf ein Geständnis oder Reuebekundungen l66 . Inwieweit das Verhalten des Angeklagten jedoch als verdeckter Strafzumessungsfaktor eine Rolle spielt, läßt sich kaum überprüfen, da interaktionsabhängige Faktoren mit dem Standardinstrument der Strafzumessungsforschung, der Aktenanalyse, nicht aufzudecken sind: Ihr Wirken bleibt im Anteil der ungeklärten Strafmaßvarianz versteckt. Der Zusammenhang von Interaktionsbedingungen und Strafmaß ist jedoch angesichts der Grundbedingungen menschlicher Entscheidungsfindung in solchen Bereichen plausibel, in denen der Weg zum Entscheidungsergebnis nicht klar vorstrukturiert ist. Erfahrungsberichte aus der Praxis bestätigen erhöhte Strafen als Folge des renitenten Auftretens des Angeklagten l67 •

c) Subjektive Tatumstände und die Bewertung der Täterpersön/ichkeit

aa) Verschleiernde Begründungen aaa) Die Bedeutung des fortwirkenden Konzepts der Lebensführungsschuld erschließt sich nicht allein daraus, wie die Strafzumessungsfaktoren "persönliche Verhältnisse" und "Vorleben" zur Anwendung kommen. Daß, wie soeben festgestellt, in der tatrichterlichen Praxis eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der Persönlichkeit des Angeklagten ohnehin die Ausnahme ist, könnte sogar die Rolle der Lebensführungsschuld für die Praxis wieder relativieren. Es gibt jedoch eine zweite wichtige Gruppe von Strafzumessungserwägungen, die auf eine Bewertung der Täterpersönlichkeit hinauslaufen: Die subjektiven Tathintergründe sind ein weiteres Einfallstor für diffuse und teilweise irrational fundierte Herstellungsgründe, die auf eine Abwertung des Täters hinauslaufen. In diesem Bereich haben sich Floskeln etabliert, die die dahinter stehenden Überlegungen überspielen anstatt diese transparent zu maVerrel, SchuldfähigkeitsbegutachtWlg, S. 206. Vgl. etwa den Erfahrungsbericht von Dreher, FS ftir Bockelmann, S. 62, sowie Schöch, Strafzumessungspraxis und Verkehrsdelinquenz, S. 117. 166

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l. Teil: Kritik an der Spielraumtheorie

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ehen. Eine Hauptschwäche dieser Floskeln ist die Vennengung von tatschuldund persönlichkeitsbewertenden Gedankensträngen. Ein einprägsames Beispiel für diese Entwicklung ist neben der schon erwähnten rechtsfeindlichen Gesinnung der Strafzumessungsgrund der kriminellen Energie I68 . Des weiteren ist die Bewertung der Beweggründe häufig mit einer Abwertung des Täters verbunden. bbb) Anhand eines vom BGH entschiedenen Falles soll diese Kritik exemplifiziert werden, wobei die Strafmaßbegrundung des LG Frankfurt von Interesse ist (vom BGH war diese beanstandet worden) 169. Der Verurteilung lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der Angeklagte hatte über einen Zeitraum von vier Monaten eine in ihn verliebte Frau überreden können, ihm große Teil ihres Verdienstes als Prostituierte auszuhändigen. Als sie weitere Zahlungen verweigerte, bedrohte er sie und nahm als Bestrafung ihre wertvolle Annbanduhr weg. Der Angeklagte wurde wegen ausbeuterischer Zuhälterei in Tateinheit mit Nötigung und Raub oder räuberischer Erpressung verurteilt. Die Besonderheit des Falles liegt darin, daß der Angeklagte während der Tatbegehung Polizeimeister der Bereitschaftspolizei war. In der Strafzumessungsentscheidung wird eine Reihe von Charaktennängeln des Verurteilten aufgeführt I70 . Der BGH hat deshalb zu Recht die Strafmaßentscheidung aufgehoben und auf die Unzulässigkeit von moralisierenden Strafzumessungserwägungen und die Gefahren gefühlsmäßiger Entscheidungen hingewiesen I7I . In der Entscheidung des Landgerichts tauchen die Standardtopoi "kriminelle Energie" und "Gesinnung" als Begrundung auf, warum der Angeklagte eine mit fünf Jahren Freiheitsstrafe relativ hohe Strafe verdient habe. So wird ihm zur Last gelegt, daß er eine erhebliche kriminelle Energie bewiesen habe, indem er die Doppelrolle durchgehalten habe, tagsüber als uniformierter Polizist und nachts als Zuhälter aufzutreten172 . Außerdem weise sein Verhalten gegenüber der jungen Frau auf eine "unbarmherzige, bedenkenlose und hinterhältig gewalttätige Gesinnung" hin173 . Die floskelhaften Beschreibungen täterbezogener Hintergrunde in diesem Fall zeigen deutlich, wie flexibel diese zur Darstellung einer Entscheidung herangezogen werden können, bei der wahrscheinlich unausgesprochene Erwägungen über gesteigerte Walter, GS für Hi1de Kaufmann, S. SOS. Abgedruckt in NJW 1987, 2685. 170 NJW 1987,2685,2686. 171 NJW 1987,2685,2686 f. 172 Zu Recht macht der BGH kritische Anmerkungen zu dieser Verwertung der beruflichen Stellung für eine im privaten Lebensbereich begangene Straftat, NJW 1987, 2685,2687. 173 Auch zu diesem Punkt merkt der BGH an, daß damit der Unrechts- und Schuldgehalt der Tat verzeichnet werde, NJW 1987,2685,2687. 168 169

3. Kapitel: Probleme bei der Bestimmung der schuldangemessenen Strafe

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Pflichten aufgrund der beruflichen Position des Angeklagten oder aber in der Hauptverhandlung durch großspuriges Auftreten des Angeklagten entstandene Resentiments entscheidungstragend waren. Ein Indiz für letzteres sind die Verweise auf Unbelehrbarkeit, Anspruchsdenken und Überlegenheitsgefühle in der Strafzumessungsbegründung.

bb) Kriminelle Energie als Strafzumessungsgrund aaa) Die praktische Bedeutung des Strafzumessungsgrunds kriminelle Energie kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Analysen von tatrichterlichen Strafzumessungsbegrundungen belegen die häufige Verwendung dieser Formell 74. Eine Durchsicht der veröffentlichten höchstrichterlichen Entscheidungen bestätigt diese Tendenz: Von krimineller Energie (in anderen Formulierungen: "verbrecherische Energie" oder "kriminelle Intensität,,)175 ist in einer überraschenden Vielzahl von Entscheidungen die Rede l76 . Selbst das Bundesverfassungsgericht beanstandet nicht, daß die verbrecherische Energie des Täters als schulderhähend gewertet wird177 . Der BGH hat in einer neueren Entscheidung eine Erhöhung des Tatunrechts durch die gesteigerte kriminelle Energie des Täters angeführt l78 . In der Lehre wird überwiegend ebenfalls ein die Tatschuld bzw. das Unrecht erhöhender Strafzumessungsgrund der kriminellen Energie anerkannt l79 . 174 H.-J. Albrecht, Strafzumessung bei schwerer Kriminalität, Tab. 24 S. 420; ders., ZStW 102 (1990), Tab. 3 S. 621: Die "große kriminelle Energie" tauchte als strafschärfender Grund in 19 % (Einbruchsdiebstähle) bis 32 % (Raubdelikte) aller untersuchten Urteile auf. 175 Nicht eindeutig ist das Verhältnis von Wille und krimineller Energie: Teilweise wird der Wille nur als ein (wesentliches) Indiz für die letztlich ausschlaggebende kriminelle Energie angesehen (Bruns, Recht der Strafzumessung, S. 213; Schönke/SchröderlStree, § 46 Rn. 16); überwiegend werden die Begriffe dagegen synonym gebraucht (Streng, Strafrechtliche Sanktionen, S. 175; LK-Gribbohm, § 46 Rn. 83; Schäfer, Praxis der Strafzumessung, Rn. 251; Tröndle, § 46 Rn. 20). 176 Vgl. nur als Beispiele BGR NJW 1981,2204; NJW 1982, 2265; StV 1983, 279; StV 1986, 58; StV 1987, 343 und 387; NStZ 1987,406; StV 1988, 148; StV 1989, 198; StV 1990,494 und 544; StV 1991,157; NStZ 1991,81; NStZ 1993, 134; BGRSt. 35, 1, 18; 36, 320, 321; 40,331,336; BayObLG NStZ 1988,408; OLG Stuttgart NStZ 1985,76. 177 BVerfGE 50, 5, 12 f. (lebenslange Freiheitsstrafe trotz verminderter Schuldfähigkeit); 50, 125, 135 (Begründung der Verfassungsmäßigkeit von § 48 a.F.). 178 BGR StV 1990, 544. 179 Bruns, Recht der Strafzumessung, S. 213; Schünemann, in: ders. (Hrsg.), Grundfragen, S. 189; ders., in: Eser/Cornils (Hrsg.), Neuere Tendenzen, S. 227; Streng, Strafrechtliche Sanktionen, S. 175; Schönke/SchröderlStree, § 46 Rn. 16; LKGribbohm, § 46 Rn. 83; Tröndle, § 46 Rn. 20; Lackner, § 46 Rn. 33; Schäfer, Praxis der Strafzumessung, Rn. 251 (unter der Rubrik Randlungsunwert); SK-Horn, § 46 Rn.

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1. Teil: Kritik an der Spielraumtheorie

bbb) Ein Diskurs über "kriminelle Energie" basiert vor allem auf einer geschickten Wortwahl: Der Begriff suggeriert Seriosität, da "Energie" als naturwissenschaftlicher Fachbegriff gesteigerte erkenntnistheoretische Dignität mit sich zu bringen scheint I 80. Gleichzeitig handelt es sich um einen geläufigen Begriff der Alltagssprache; vertraut ist auch, daß Energie auf Quantitäten präzise erfassenden Skalen gemessen werden kann. Vermeintlich einfach und entsprechend Begrundungsaufwand ersparend scheint es deshalb, vom Ausmaß der "kriminellen Energie" ausgehend die Strafe zu quantifizieren. Die vermeintliche Klarheit des Sujets verdeckt jedoch, daß die sich dahinter verbergenden Phänomene höchst inhomogen sind. ccc) Es ist zwar möglich, einen theoretischen Hintergrund anzugeben, der einen Bezug zur Strafzumessungsschuld herstellen würde. Einem schuldgebundenen Strafzumessungsgrund "kriminelle Energie" liegt ein (von Waller so bezeichnetes) Überwindungsmodell zugrunde: Je mehr Hemmschwellen der Täter mit seiner Tat überwinden müsse, desto höher sei seine Schuld l81 • Die Wurzeln dieser Vorstellung liegen unverkennbar im Bild der Strafzumessungsschuld, das etwa von Dreher vertreten wurde: Die Höhe der Schuld hänge davon ab, wie der innere Widerstreit des Täters zwischen Faktoren, die zur Tat drängten, und solchen, die der Tat hemmend entgegenstanden, beschaffen war l82 . Das an sich zumindest als Theorie stringente, wenn auch auf einem problematischen Schuldverständnis beruhende Überwindungsmodell ist allerdings vielfach nicht das Rückgrat von Strafschärfungen auf der Basis der "kriminellen Energie des Täters". Hinter dieser Bezeichnung verbirgt sich vielmehr eine bunte Mischung von unterschiedlichen Topoi, nämlich einerseits unrechtsbezogenen Erwägungen, aber vor allem Zuschreibungen negativer Eigenschaften und präventiven Strafzumessungserwägungenl83 . Die oberflächliche Art und Weise, mit der im Strafzumessungsrecht teilweise auf notwendige Differenzierungen verzichtet und statt dessen pauschal auf "kriminelle Energie" als Strafschärfungsgrund verwiesen wird, kommt etwa in der Argumentation zum Ausdruck, daß die Ratio von § 243 die gesteigerte 119 (mit Hinweis auf die präventive Aufladung dieses Begriffes). Dezidiert kritisch dagegen Walter, GA 1985, 197 ff.; ders., GS für Rilde Kaufinann, S. 493 ff.; Erhard, Strafzumessung bei Vorbestraften, S. 256 ff. 180 Man könnte dieses Phänomen als Ausläufer einer positivistischen Weltanschauung einordnen. Zur "Vernaturwissenschaftlichung" von geisteswissenschaftlichen Themen vgl. Max Weber, ,,Energetische" Kulturtheorien. 181 Vgl. Walter, GA 1985, 198 f.; ders., GS für Hi1de Kaufmann, S. 498. 182 Dreher, Über die gerechte Strafe, S. 86 ff. 183 Vgl. bereits Stratenwerth, Tatschuld und Strafzumessung, S. 22, sowie vor allem Walter, GS ftlr Hilde Kaufmann, S. 504 ff.; Erhard, Strafzumessung bei Vorbestraften, S. 257 ff.

3. Kapitel: Probleme bei der Bestimmung der schuldangemessenen Strafe

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kriminelle Energie des Täters sei l84 . Soweit sich ein konkreter Unrechtsbezug der herkömmlicherweise unter "kriminelle Energie" verorteten Umstände herstellen läßt, etwa beim Einbruchsdiebstahl, § 243 Abs. 1 S. 2 Nr. 1185 , ist der Begriff schlicht verzichtbar. Bedenklich sind dagegen Begründungen, bei denen zur Untermauerung der Subsumtion eines Verhaltens unter einen Straftatbestand auf die kriminelle Energie des Täters verwiesen wird. Bei der umstrittenen Frage, ob das Leerspielen eines Geldspielautomats unter Einsatz des rechtswidrig erlangten Computerprogramms als Computerbetrug zu bestrafen ist, hat sich der BGH dieses Argumentationsmusters bedientl86 . ddd) "Kriminelle Energie" ist ein bedenklicher Strafzumessungsgrund, wenn der Begriff als Indikator für die Tätergefahrlichkeit verwendet wird. Zum Teil wird dies offen formuliert, indem von gefährlicher krimineller Energie gesprochen wird187 , zum Teil steht dieser Gedankengang implizit hinter bestimmten Argumentationsmustern. Hierunter fällt etwa eine Begründung der kriminellen Energie mit der Gewerbsmäßigkeit der Tatbegehung l88 . Gelegentlich finden sich Gedankengänge, bei denen der Verdacht nahe liegt, daß nicht einmal mehr von einer prognostizierten Wahrscheinlichkeit künftiger Straftaten ausgegangen wird, sondern von noch bedenklicheren Erwägungen. Dies gilt etwa, wenn für einen ausländischen Angeklagten eine Strafschärfung mit erhöhter krimineller Energie begründet wird, da er die Ausweisung wegen der Straftat riskiert habe l89 . Mit diesem Kunstgriff kann die Leitlinie, daß die Ausländereigenschaft als solche nicht zu einer Strafschärfung herangezogen werden darf'90, zumindest bei allen schwereren Straftaten umgangen werden, da in diesen Fällen der Täter grundsätzlich mit einer Ausweisung rechnen muß (§ 47 Abs. 2 AusIG). Die Rechtsprechung wertet vorhersehbare Nachteile in anderen Konstellationen (etwa beamtenrechtliche oder sonstige berufliche Nachteile) nicht als Indizien für eine erhöhte kriminelle Energie, sondern im Gegenteil strafmildernd l91 . Selbst als verdeckt-präventive Strafzumessungserwägung wäre die Argumentation mit erhöhter krimineller Energie unpassend, da eine pauschalierte Annahme der Tätergefährlichkeit allein auf der Basis der Staatsangehörigkeit nicht haltbar ist. Die Kette loser Assoziationen, die von Eigenschaften des Täters über nicht rational begründ-

184 Schäfer, Praxis der Strafzumessung, Rn. 251. Vgl. unten 4. Teil, 2. Kap., 2 b ce. 186 BGHSt. 40, 331, 336; kritisch zum Gebrauch dieser Leerformel Neumann, StV 1996,375. 187 BGHNJW 1982,2265. 188 Walter, GA 1985, 204. 189BGHbeiMösl,NStZ 1981,133. 190 BGH NStZ 1993, 337; BGHR § 46 Abs. 2 Lebensumstände 12. 191 Vgl. die Nwe. unten 5. Teil, Fn. 98,99. 185

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1. Teil: Kritik an der Spie1raumtheorie

bare Gefahrlichkeitsvorstellungen bis zur Argumentation mit krimineller Energie läuft, ist besonders bedenklich l92 .

cc) Beweggründe als Anlaß für eine negative Bewertung des Täters aaa) Nach der traditionellen Strafzumessungslehre sind die Beweggründe wichtige Faktoren bei der Strafzumessung. Bei allen Straftaten seien die Beweggründe nach ihrem ethischen Wert zu gewichten, wobei anständige und verwerfliche Motive zu unterscheiden seien. Erstere sollen strafmildernd, letztere strafschärfend wirken, wobei das Ausmaß der Anständigkeit bzw. der Verwerflichkeit über das Ausmaß der Schärfung bzw. Milderung entscheide 193 . In der neueren Literatur wird eine Bewertung anhand des Merkmals egoistisches Handeln vertreten l94 . Dem Straftäter sollen strafschärfend zur Last gelegt werden: Egoismus, Ruhmsucht, Arbeitsscheu, Verschwendungsoder Vergnügungssuche 95 . Zwar warnte bereits Bruns vor einer "vulgärmoralisierenden Betrachtungsweise", ohne aber daraus Konsequenzen für seine Bewertungsmaßstäbe zu ziehen l96 . Die Rechtsprechung zum Mordmerkmal niedrige Beweggründe legt ebenfalls eine sittliche Wertung der Handlungsantriebe zugrunde: Diese müssen als auf tiefster Stufe stehend, als besonders verachtenswert einzustufen sein197. Der für die Interpretation der niederen Beweggründe in § 211 eingeschlagene Weg einer Verwerflichkeitsprüfung wird in der Strafzumessungspraxis auch für die Beweggründe bei anderen Delikten übernommen l98 : Der Große Senat des BGH hält die Einordnung eines Motivs innerhalb des Spektrums von mehr oder weniger verständlich bis verwerflich für maßgeblichl99 . Während die So auch Walter, GS für Hilde Kaufmann, S. 508 tT. Bruns, Recht der Strafzumessung, S. 211; Schäfer, Praxis der Strafzumessung, Rn. 247; LK-Gribbohm, § 46 Rn. 75; Streng, Strafrechtliche Sanktionen, S. 175; Tröndle, § 46 Rn. 18; Schönke/SchröderlStree, § 46 Rn. 13; Ladener, § 46 Rn. 33. 194 JeschecklWeigend, Strafrecht AT, S. 887 f; Köhler, Strafrecht AT, S. 599. 195 Auflistung von LK-Gribbohm, § 46 Rn. 76. 196 Bruns, Recht der Strafzumessung, S. 211. 197 BGHSt. 3, 132, 133; BGH NJW 1969, 2293; GA 1974, 370; NJW 1981, 1382; NStZ 1993, 183; StV 1996, 212. 198 Horn (in: SK, § 46 Rn. 113) geht davon aus, daß es sich bei der Bewertung von Motiven um eine gängige tatrichterliche Praxis handle; ebenso wird die Motivlage in dem an Praktiker adressierten Lehrbuch von Schäfer, Praxis der Strafzumessung, Rn. 247, betont. Vgl. ferner BGH NJW 1966, 788 (egoistische Gründe des Täters); BGH bei Dallinger MDR 1974, 544 (Bereicherung, um "augenb1icklichen Vergnügungen nachgehen zu können"); OLG Düsseldorf StV 1995, 525 (Pflege eines luxuriösen Lebensstils). 199 BGHSt. 34,345,351 f 192

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4. Kapitel: Die Folgen der Spielraumtheorie filr die Strafzumessungslehre

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Problematik moralisierender Ausführungen im Bereich der allgemeinen Strafzumessungslehre nur vereinzelt aufgegriffen wird2°O, ist für den Spezialfall der niedrigen Beweggründe in § 211 immer wieder Kritik geäußert worden201 . bbb) Die Beweggründe des Täters sind zwar, anders als die soeben erörterte "kriminelle Energie", kein grundsätzlich verzichtbarer Strafzumessungsfaktor: Wenn der Täter beispielsweise einen teilweise normativ anzuerkennenden Grund für seine Handlung hatte, ist dies strafmildernd zu berücksichtigen202 . Die herrschende Bewertung der Anständigkeit bzw. Verwerflichkeit der Handlung ist jedoch problematisch, weil sie die Verwerflichkeit als steigerungsfähig ansieht und an dieser Stelle die Grenze zwischen einer Bewertung der Tatschuld und einer Bewertung von Lebensführung bzw. Persönlichkeit durchlässig wird. Begriffe wie Anständigkeit und Verwerflichkeit begründen die Gefahr von schwammigen und unreflektiert den Täter abqualifizierenden Beurteilungen203 .

4. Kapitel: Die Folgen der Spielraumtheorie für die Strafzumessungslehre a) Ein wesentlicher Grund für den unbefriedigenden Zustand der deutschen Strafzumessungslehre ist methodischer Natur: Über Jahrzehnte hat sie ihren Schwerpunkt darauf gelegt, die durch die höchstrichterliche Rechtsprechung vorgegebenen Linien nachzuzeichnen204 . Eine bewußt praxisorientiert angelegte Strafzumessungslehre soll in ihrem Wert nicht geschmälert werden. Jedenfalls langfristig ist damit jedoch eine wissenschaftliche Verarmung verbunden, da der theoretische Hintergrund fehlt, vor dem eine kritische BetrachFrisch, ZStW 99 (1987), 766 ff.; SK-Hom, § 46 Rn. 113. Jakobs, NJW 1969, 490; Jäger, FS für Henkel, S. 137; Woesner, NJW 1978, 1026; ders., NJW 1980, 1137, 1140; Schünemann, FS für Bockelmann, S. 131 f; Rüping, JZ 1979, 620; Eser, Gutachten zum 53. DJT, D 161-163; Rengier, ZStW 92 (1980),473 f; Beckmann, GA 1981, 343 f; SK-Hom, § 211 Rn. 8; ausführlich Heine, Tötung aus niedrigen Beweggründen, S. 34 ff. Kritik an den niedrigen Beweggründen als Mordmerkmal entzündet sich außerdem an der Frage der Gesetzesbestimmtheit, vgl. dazu Schünemann, Nulla poena, S. 6 ff., 29 fT.; Heine, Tötung aus niedrigen Beweggründen, S. 180 ff. 202 Frisch, ZStW 99 (1987), 768 f 203 Heine, Tötung aus niedrigen Beweggründen, S. 36. MaurachlSchroederlMaiwald, Strafrecht BT, § 2 Rn. 37 kritisieren die Entscheidungen BGHSt. 3, 133; StV 1981, 399 als zu stark auf die Täterpersönlichkeit abstellend. 204 Dies gilt vor allem filr das das Strafzwnessungsrecht lange Zeit dominierende Werk von Bruns, vgl. etwa Strafzumessungsrecht, S. 1: " .. bedarf es primär einer sorgfiiltigen urteilsanalytischen Auswertung der Rechtsprechung, die u.a. dem gefährlichen Abgleiten in abstrakt-theoretische Reflexionen vorbeugen soll", ebenso S. 27 f; ders., Recht der Strafzumessung, S. 29. 200 201

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1. Teil: Kritik an der Spielrawntheorie

tung des Gesamtsystems richterlicher Strafzumessung erst möglich wird, die über eine punktuelle Kritik an einzelnen Entscheidungen hinausgeht. Bei einem auf die Erfassung der Rechtsprechung ausgerichteten Ansatz liegt die Betonung eher bei der Folgerichtigkeit einzelner Entscheidungen als bei der normativen Richtigkeit der Grundannahmen. Die Bevorzugung einer induktiven Vorgehensweise gegenüber einem deduktiven Ansatz205 stößt in der Rechtswissenschaft auf Grenzen, da die zu überprüfenden Regeln nicht naturgesetzlieh vorgegeben sind, sondern normativ konstituiert werden müssen. b) Über diese für die gesamte Strafrechtsdogmatik in gleicher Weise geltende Überlegung hinaus gibt es im Strafzumessungsrecht einen weiteren Grund, warum aus der Analyse der höchstrichterlichen Rechtsprechung keine Theorie entwickelt werden kann, die die Strafmaßherstellung leitet. Die an der revisonsrichterlichen Rechtsprechung orientierte Vorgehensweise führt zu einer Konfundierung von Überprüfungs- und Herstellungsprinzipien. Ein Fortschritt in der Strafzumessungslehre ist nur durch eine bewußte Entkoppelung von Kontroll- und Herstellungsebene zu erreichen. Eine retrospektiv orientierte Kontrolltheorie kann nur als Basis für eine Herstellungstheorie dienen, wenn sie auf eine umfassende Überprüfung angelegt ist; bei einer eingeschränkten Kontrolle folgt sie jedoch einer anderen Logik. Aus der Perspektive des Revisionsgerichts wird in Strafzumessungsfragen die Identifizierung von Extremfällen relevant, während beim breiten Mittelfeld nur gefragt wird, ob sich die Strafen im Ergebnis "im Rahmen des Üblichen" halten. Die Herstellungsregeln sind für das Revisionsgericht nicht von primärem Interesse, weshalb insoweit detaillierte Vorgaben nicht zu erwarten sind. Aus der Perspektive des Tatrichters ist dagegen eine Theorie mit einem höheren Präzisierungsgrad erforderlich: Mit der Rahmenidee ist ihm nicht geholfen206 . Versuche, durch eine Systematisierung höchstrichterlicher Rechtsprechung zu einer anwendungstauglichen Strafzumessungslehre zu gelangen, sind deshalb von vornherein zum Scheitern verurteilt. c) Die Vorherrschaft der Spielraumtheorie hat zur Vernachlässigung von Regeln für eine retrospektiv am Tatgeschehen orientierte Bestimmung der Strafe geführt. Der Grundwiderspruch der These vom Schuldrahmen, wenn man diese als Herstellungstheorie anzuwenden versucht, liegt darin begründet, daß selbst nach der internen Logik der Theorie jedenfalls beim Fehlen von präventiven Bedürfnissen eine Einengung des Rahmens auf eine bestimmte Schuldstrafe möglich sein muß. Es gibt Konstellationen, die auch einen 205 Vgl. Bruns, Nwe. in der vorangegangenen Fn., sowie dens., Neues Strafzwnessungrecht, S. 7, 14 und passim. 206 lescheck, GA 1956,97, 109; Kunz, in: Kielwein (Hrsg.), Entwicklungslinien der Kriminologie, S. 32; Frisch, ZStW 99 (1987), 372 f.; H.-i. Albrecht, Strafzwnessung bei schwerer Kriminalität, S. 41.

5. Kapitel: Die Folgen fUr die Praxis: Ungleichheit der Strafen

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grundsätzlichen Befürworter präventiv orientierter Strafzumessung zu der Einschätzung bewegen, daß im konkreten Fall generalpräventive Verschärfungen nicht in Betracht kommen und von der Strafe weder eine resozialisierende noch eine weiter desozialisierende Wirkung zu erwarten iseo7 • Der Hinweis auf das Fehlen eines dem Maß an Schuld exakt entsprechenden Strafmaßes208 hat zwar aus der Kontrollperspektive Berechtigung. Für den Rechtsanwender ist diese Aussage jedoch unbrauchbar, da er vor die Notwendigkeit gestellt ist, konkrete Strafen zu verhängen und dazu Regeln benötigt209. Das Beharren auf der Spielraumtheorie hat in der deutschen Strafrechtswissenschaft dazu geführt, daß trotz des Festhaltens am Schuldprinzip keine intensive Diskussion über die Strafzumessungsschuld stattgefunden hat, geschweige denn ein arbeitsfähiger Konsens gefunden wurde. Der Rückzug auf eine vermeintlich präventiv geprägte Feinabstimmung ließ das Bemühen um eine Präzisierung der schuldangemessenen Strafe als überflüssig erscheinen: Solange es nur um einen Schuldrahmen zu gehen schien, konnten "über den Daumen gepeilte" Bewertungsmaßstäbe als vertretbar erscheinen. Mit der Aufgabe der Formel "Prävention im Rahmen der Repression" wird eine systematische Auseinandersetzung mit Bewertungsregeln erforderlich. Verglichen mit der Strafiatsystematik, ist das Strafzumessungsrecht jedoch nach wie vor unterentwickele 1o. Diesem schon seit längerem beklagten Mißstand211 ist in den Schienen der Spielraumtheorie nicht beizukommen, da diese zentrale Probleme eher verschleiert als löst. 5. Kapitel: Die Folgen für die Praxis: Ungleichheit der Strafen 1. Fehlende Steuerungsleistung und Ungleichheit In den vorangegangenen Kapiteln wurde aufgezeigt, daß die Herstellungsbedingungen für das Strafmaß in der Praxis nicht den Vorgaben der Spielraumtheorie entsprechen. Geht man von der Anwendungsuntauglichkeit der Spielraumtheorie aus, müssen andere Grundsätze faktisch die Strafmaßentscheidung der Tatrichter leiten. Der Stand der empirischen Strafzumessungs-

207 Dreher, FS für Bockelmann, S. 58; Frisch, ZStW 99 (1987), 363 f., 372 f.; H-J. Albrecht, Strafzumessung bei schwerer Kriminalität, S. 38. 208 Roxin, FG für Schultz, S. 466; Dreher, FS fUr Bockelmann, S. 58; zur Diskussion um die Punktstrafe vgl. im übrigen unten 3. Teil, 4. Kap., 3. 209 Frisch, ZStW 99 (1987), 362 f. 210 Frisch, ZStW 99 (1987), 799; Streng, FS der Juristischen Fakultät, S. 507; Hettinger, GA 1993,2. 2ll Vgl. Spendel, Lehre vom Strafmaß, S. 240; Bnms, Strafzumessungsrecht, S. 8 ff. m.w.Nwen.

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1. Teil: Kritik an der Spielraumtheorie

forschung läßt zwei Strategien erkennen, mit denen die Praxis die Aufgabe der Strafzumessung bewältigt. Zum einen wird das vom Strafzumessungsmodell vorausgesetzte komplexe Herstelluhgsprogramm reduziert auf einige wenige, leicht zu erhebende Faktoren. Wie soeben ausgeführt, sind dies in erster Linie der Tatschaden und die Vorstrafen des Täters 212 . Zum anderen bleibt als Orientierungsmaßstab nach wie vor213 die im richterlichen Umfeld vorherrschende Straftumessungstradition. In welchem Umfang regionale und lokale Traditionen die Strafzumessung prägen, ist umstritten. Überwiegend gehen Praktiker214 wie Wissenschaftler von der Existenz dieses Strafzumessungsfaktors aus 215 und ordnen die dadurch entstehende Ungleichheit als "Kardinalproblem der strafrechtlichen Praxis" ein216 . Optimistischere Einschätzungen gehen dagegen davon aus, daß es der Praxis gelinge, durch das vereinfachte Herstellungsprogramm eine auch überregional gleichförmige Strafzumessung zu erreichen217 .

2. Übersicht über das empirisch gewonnene Wissen a) Die empirische Überprüfung der entgegengesetzten Beurteilungen stößt auf methodische Schwierigkeiten, da sie die Identifizierung eines nicht im offiziellen Herstellungsprogramm enthaltenen, verdeckten Straftumessungsfaktors voraussetzt. Auch aus diesem Grund ergeben die bisher durchgeführten, sowohl im Untersuchungsdesign wie im Ergebnis unterschiedlichen Forschungsprojekte kein völlig einheitliches Gesamtbild. Einige Untersuchungen gehen von Gerichtsbezirken als Untersuchungseinheit aus: Sie vergleichen den Durchschnitt der im jeweiligen Bezirk verhängten Strafen. Im Vordergrund steht dabei der unterschiedliche Gebrauch der Strafarten, z.B. des Anteils von 212 Vgl. die Nwe. oben Fn. 155 sowie Kunz, in: Kie1wein (Hrsg.), Entwicklungslinien der Kriminologie, S. 34 f 213 Vgl. bereits Exner, Strafzumessungspraxis der deutschen Gerichte, S. 46 ff. 214 Seebald, GA 1974, 195; Theune, StV 1985, 207; Sarstedt, in: ders., Rechtsstaat als Aufgabe, S. 209; Horstkotte, in: Jehle (Hrsg.), Individualprävention und Strafzumessung, S. 158 f 215 Schöch, Strafzumessungspraxis und Verkehrsde1inquenz, S. 112, 125 ff.; ders., in: Pfeiffer/Oswald (Hrsg.), Strafzumessung, S. 132; Dreher, FS für Bocke1mann, S. 62; Haag, Rationale Strafzumessung, S. 13 f; Giehring, FS für Pongratz, S. 197 f; ders., in: Pfeiffer/Oswald (Hrsg.), Strafzumessung, S. 80; Heinz, in: Jehle (Hrsg.), Individualprävention und Strafzumessung, S. 127 fT.; Streng, in: Lampe (Hrsg.), Rechtsgleichheit und Rechtspluralismus, S. 281 f 216 Streng, Strafzumessung und relative Gerechtigkeit, S. 3; kritisch auch Schünemann, in: Eser/Cornils (Hrsg.), Neuere Tendenzen, S. 212. 217 H.-J. Albrecht, Strafzumessung bei schwerer Kriminalität, S. 492 ff.; ders., ZStW 102 (1990), 619, 625; Hart-Hönig, Gerechte und zweckmäßige Strafzumessung, S. 81, 92.

5. Kapitel: Die Folgen für die Praxis: Ungleichheit der Strafen

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Freiheitsstrafen. Es zeichnen sich dabei bei unterschiedlichen Delikten sowohl für erwachsene wie jugendliche bzw. heranwachsende Täter Varianzen in großem Ausmaß ab, was den Schluß erlaubt, daß Ungleichheiten in besonderem Maß bei der Wahl der Strafart auftreten218 . Aus der Sicht des Bestraften ist die Wahl zwischen Geld- und Freiheitsstrafe sowie zwischen Freiheitsstrafe mit bzw. ohne Aussetzung zur Bewährung von besonderer Relevanz, weshalb Ungleichheiten in diesem Bereich von großer praktischer Bedeutung sind. Ein Vergleich der Verhängung von Freiheitsstrafen wegen schweren Diebstahls läßt erhebliche Unterschiede zwischen einzelnen Bundesländern erkennen219 ; das gleiche gilt für Verurteilungen wegen Trunkenheitsdelikten im Straßenverkehr220 . Auch beim Vergleich des Verfahrensausgangs in Jugendstrafsachen wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis und Diebstahls sind erhebliche regionale Unterschiede zu vermerken221 . Bei Gewaltdelikten bestehen ebenfalls gravierende Ungleichheiten222 . Allerdings ist die Spannbreite zwischen den Durchschnittswerten der einzelnen Bundesländer geringer als manche Unterschiede zwischen Gerichtsbezirken innerhalb von Flächenstaaten223 . b) Unterschiede zwischen den Gerichtsbezirken können sowohl auf die Gepflogenheiten beim Einstieg in den Strafrahmen wie auch auf eine unter-

218 H.-J. Albrecht, ZStW 102 (1990), 616; ders., in: Pfeiffer/Oswald (Hrsg.), Strafzumessung, Tab. 3 u. 4 S. 65, Tab. 5 S. 66 (man beachte die Unterschiede in den Aussetzungsquoten zwischen den einzelnen Gerichtsbezirken); für Österreich BurgstaUer, in: Pfeiffer/Oswald (Hrsg.), Strafrumessung, Tab. 1 S. 8. 219 PfeifferlSavelsberg, in: Pfeiffer/Oswald (Hrsg.), Strafrumessung, Tab. 5 S. 39; für Österreich BurgstaUer, in: Pfeiffer/Oswald (Hrsg.), Strafrumessung, S. 9 f. Bei ein bis vier Vorverurteilungen wurden etwa in den Jahren 1985/86 in Hessen 55, 1 % der Verurteilten zu Freiheitsstrafen verurteilt, im Saarland dagegen 83,2 %; die größte Spannbreite lag allerdings zwischen zwei hessischen Bezirken, nämlich Hanau (48,7 %) und Gießen (87,1 %) (s. PfeifferlSavelsberg, Tab. 5 S. 39). Die Zusammenfassung der Vorstrafenbelastungen erschwert die Interpretation, da eine Vorverurteilung anders gewertet wird als vier. Unterschiede im durchschnittlichen Strafmaß könnten unter Umständen auf einen höheren Anteil an nur einmal Vorbestraften zurückzuführen sein. 220 Schöch, Strafrumessungspraxis und Verkehrsdelinquenz, S. 112, 125 ff.; Haag, Rationale Strafrumessung, S. 14; PfeifferlSavelsberg, in: Pfeiffer/Oswald (Hrsg.), Strafzumessung, S. 38. 221 Heinz, in: Jehle (Hrsg.), Individualprävention und Strafrumessung, S. 126. 222 So wurden beispielsweise (1985/86) im Bezirk Duisburg mehr als doppelt so viel der nicht vorbestraften Raubtäter zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wie im Bezirk Dortmund (66,1 bzw. 28,7 %), s. PfeifferlSchöckel, in: SchwindlBaumann (Hrsg.), Gewalt, Tab. 13 S. 451. Auffällige Unterschiede zwischen Landgerichtsbezirken bestehen auch bei Verurteilungen wegen gefährlicher oder schwerer Körperverletzung, PfeifferlSchöckel, Tab. 15 S. 453. Bei den mehrfach Vorbestraften dieser Deliktsgruppe verringert sich natürlich die Varianz-Spannbreite, was den Anteil von Freiheitsstrafe im Verhältnis zur Geldstrafe anbegeht, da dann von allen Gerichten überwiegend Freiheitsstrafen verhängt werden, PfeifferlSchöckel, Tab. 14, S. 452. 223 PfeifferlSchöckel, in: SchwindlBaumann (Hrsg.), Gewalt, S. 451.

5 Hörnle

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1. Teil: Kritik an der Spielraumtheorie

schiedliche Bewertung des relativen Gewichts einzelner Strafzumessungsfaktoren zurückzuführen sein224 . Ein Indiz für die unterschiedliche Gewichtung von Faktoren sind die größer werdenden Unterschiede im Strafmaß bei steigender Anzahl von Vorverurteilungen. Die Varianz in der Strafzumessung ist bei leichter bis mittelschwerer Kriminalität immer dann besonders auffällig, wenn es sich bei den Verurteilten um Rückfalltäter handelt225 . Dies deutet auf unterschiedliche Meinungen zur Bedeutung der Vorstrafenbelastung hin. c) Ein Problem bei vielen Untersuchungen liegt in der Aggregierung der Daten. Das durchschnittliche Strafenniveau für eine abstrakt umschriebene Deliktsart wird verglichen, ohne daß die Vergleichbarkeit der konkreten Tatschwere gewährleistet werden kann226 . Insoweit bestehende Unterschiede werden zwar teilweise durch das Gesetz der großen Zahl nivelliert227 , aber von einer ausgeglichenen Verteilung der Tatumstände im gesamten Bundesgebiet kann nicht ohne weiteres ausgegangen werden228 . Methodisch anspruchsvollere Untersuchungen, die nicht die Durchschnittswerte von Gerichtsbezirken vergleichen, sondern abgeurteilte Einzel-

224 Als Beispiel ist die Bewertung des Gewichts von Drogendelikten zu nennen. Ein an den regelmäßigen Anfall von Fällen des BetäubWlgsmittelhandels gewöhntes Gericht neigt dazu, den Unwert des Handels als weniger bedeutend einzustufen. Vgl. dazu die Urteile gegen kokainschmuggelnde Kuriere des für Delikte im wichtigsten deutschen Flughafen zuständigen LG Frankfurt, die mehrfach vom BGH als Wlvertretbar milde aufgehoben worden sind, bei Köberer, StV 1996,428. 225 PfeifferlSavelsberg, in: Pfeiffer/Oswald (Hrsg.), StrafzumessWlg, S. 36,38. Auch Oswald, Psychologie des richterlichen Strafens, S. 174, stellte bei Ausschluß der Ersttäter eine etwas höhere BedeutWlg des Gerichtsfaktors fest. Je höher die Zahl der VorverurteilWlgen, desto stärker ausgeprägt scheint die regionale Varianz zu sein. Für Österreich Burgstaller, in: Pfeiffer/Oswald (Hrsg.), StrafzumessWlg, S. 10. 226 Das Problem der vergleichbaren Sachverhalte tritt mit Ausnahme der experimentellen UntersuchWlgen bei allen ForschWlgsprojekten auf. In besonderem Maß haben jedoch UntersuchWlgen, die die StrafverfolgWlgsstatistik heranziehen, damit zu kämpfen, da die darin enthaltenen Informationen dürftig sind: Die Statistik erlaubt nicht, den Faktor der Schwere der Tat über die abstrakte DeliktsbeschreibWlg hinaus zu kontrollieren. Der experimentelle ForschWlgsansatz ist nicht mit dem Problem der Vergleichbarkeit der Sachverhalte belastet, da die Versuchspersonen identische Informationen erhalten. Allerdings weisen experimentelle Studien das Manko der zweifelhaften externen Validität auf, d.h. es ist fraglich, ob die Ergebnisse auf reale EntscheidWlgssituationen übertragbar sind: H.-J. Albrecht, StrafzumessWlg bei schwerer Kriminalität, S. 604; ders., in: KernerlKury/Sessar (Hrsg.), Deutsche ForschWlgen, S. 1314. 227 Vgl. Streng, StrafzumessWlg Wld relative Gerechtigkeit, S. 5; Giehring, in: Pfeiffer/Oswald (Hrsg.), StrafzumessWlg, S. 79. 228 Bei UntersuchWlgen mit anspruchsvollerem ForschWlgsdesign, die die Tatschwere Wld VorstrafenbelastWlg der abgeurteilten Einzelfälle besser kontrollieren, schrumpfen verglichen mit einem "Grobvergleich" die Unterschiede zwischen Gerichtsbezirken, H.-J. Albrecht, StrafzumessWlg bei schwerer Kriminalität, S. 350, 352.

5. Kapitel: Die Folgen für die Praxis: Ungleichheit der Strafen

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fälle analysieren, kommen zu einer vorsichtigeren Einschätzung regionaler Strafzumessungsunterschiede229 . Oswald stellte bei einem Vergleich von Strafzumessungsentscheidungen an drei Amtsgerichten wegen einfachem Diebstahl Unterschiede fest, wobei der regionale Faktor jedoch nur einen sehr kleinen Teil der Strafmaßvarianz erklärt23o . Dieser Befund ist jedoch zum einen - wie die Autorin selbst feststellt _231 wegen der geringen Zahl der untersuchten Amtsgerichte nur beschränkt verallgemeinerungsfähig. Zum anderen sind bei einem leichten Delikt die Strafen bundesweit relativ eng beieinander in der Nähe des unteren Strafralunens angesiedelt, was den Spielraum für lokale Traditionen stark einengt. Hans-Jörg Albrecht kommt bei der Analyse von Verurteilungen wegen mittlerer und schwerer Kriminalität allerdings ebenfalls zu dem Ergebnis, daß die Bedeutung regionaler Unterschiede regelmäßig überschätzt werde. Die Abweichungen der Strafpraxis unterschiedlicher Gerichtsbezirke vom Gesamtmittelwert verringere sich erheblich, wenn die Unterschiedlichkeit der zugrunde liegenden Sachverhalte berücksichtigt wird232 . Jedoch bleibt es trotz geschrumpfter Unterschiede nach der Kontrolle von Schadenshöhe, Zahl der Taten und Vorstrafen bemerkenswert, daß beim Einbruchsdiebstahl in einem Gerichtsbezirk bei vergleichbaren Sachverhalten im Durchschnitt 10,6 Monate, in einem anderen jedoch 12,2 Monate verhängt wurden233 . Bei Verurteilungen wegen Vergewaltigung werden die Unterschiede noch deutlicher: Trotz Kontrolle der Schwere der sexuellen Beeinträchtigung, der Verletzungs- und Drohungsintensität sowie der Vorstrafenbelastung und der Einstufung als minderschweres Delikt234 lag der Strafmaßdurchschnitt bei 30,4 Monaten in einem Bezirk und 23,6 Monaten in einem anderen.

d) Im Ergebnis zwingen die vorliegenden Untersuchungen nicht dazu, die These der regionalen Ungleichheit in der Sanktionierungspraxis zu revidieren235 . Strafzumessungsunterschiede zwischen Gerichtsbezirken dürften nach 229 Vgl. H.-J. Albrecht, Strafzumessung bei schwerer Kriminalität, s. 348 ff.; Oswald, Psychologie des richterlichen Strafens, S. 174 f. Diese Untersuchungen verwenden das statistische Verfahren der multiplen Regression, das Variation in der abhängigen Variable, hier also dem Strafmaß, zu erklären versucht. 230 Nämlich 0,6 % bzw. 1,2 % unter Ausschluß der Erstbestraften, Oswald, Psychologie des richterlichen Strafens, S. 174. 231 Oswald, Psychologie des richterlichen Strafens, S. 175. 232 Abb. 2 S. 67, in: Pfeiffer/Oswald (Hrsg.), Strafzumessung; ders., Strafzumessung bei schwerer Kriminalität, S. 350 f., zu den um Vorstrafenbelastung und Schadenshöhe korrigierten Strafmaßunterschieden. 233 H.-J. Albrecht, Strafzumessung bei schwerer Kriminalität, S. 350. 234 Hinter der sich nach Albrecht vor allem die Art der Täter-Opfer-Beziehung verbirgt, vgl. Strafzumessung bei schwerer Kriminalität, S. 293 fI. 235 Wobei allerdings die Bewertung bestehender Ungleichheit dadurch erschwert wird, daß eine vollständige Untersuchung auch die vorgeschalteten Entscheidungen der

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1. Teil: Kritik an der Spielraumtheorie

wie vor existieren236 , wenn auch wahrscheinlich nicht immer in krassen Ausmaßen oder in der Form eines deutlichen Nord-Süd-Gefälles, wie es in den Untersuchungen Exners Anfang dieses Jahrhunderts zutage trat237 . Hinzu kommen Berichte über gravierende Unterschiede in der Strafzumessungspraxis von Kammern desselben Gerichtes238 . Diese Variante lokaler Traditionen läßt Urteile aus der Perspektive eines Angeklagten in besonderem Maße als unverständlich erscheinen, da die Strafuöhe offensichtlich vom Anfangsbuchstaben seines Familiennamens abhängt. e) Eine plausible Erklärung für das Wirken von Strafzumessungstraditionen verweist auf die Sozialisation der Berufsanfänger, denen Ausbildung und Erfahrung im Strafzumessungsrecht fehlt, was sie dazu zwingt, sich an Entscheidungsmuster im Kollegenkreis 239 bzw. die Anträge der Staatsanwaltschaft anzulehnen240 . Die Landgerichtsbezirke können relativ eigenständige Sanktionsstile entwickeln, da die Staatsanwaltschaften nach Landgerichtsbezirken organisiert sind, Berufungen dort entschieden werden und viele Justizkarrieren sich innerhalb eines engen räumlichen Bereichs abspielen, weshalb Staatsanwaltschaft ins Blickfeld nehmen müßte. Möglicherweise könnte eine festgestellte Ungleichheit lediglich Unterschiede in der Art Wld Weise kompensieren, wie vorab Verfahren ausgefiltert werden. Vgl. zu diesem weiteren Problem Pfeiffer/Savelsberg, in: PfeifIer/Oswald (Hrsg.), StrafzumessWlg, S. 23; H.-J. Albrecht, StrafzumessWlg bei schwerer Kriminalität, S. 10 f.; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, S. 875; Schöch Wld Heinz in: PfeifIer/Oswald (Hrsg.), StrafzumessWlg, S. 71 f; Giehring, in: PfeifIer/Oswald (Hrsg.), StrafzumessWlg, S. 81; Streng, in: Lampe (Hrsg.), Rechtsgleichheit Wld Rechtspluralismus, S. 282. 236 Neben dem ,,Regionalfaktor" haben auch Persönlichkeitsmerkmale des Tatrichters Einfluß auf die StrafzumessWlg. Sowohl Streng als auch Oswald kommen aufgrWId ihrer UntersuchWlgen zu dem Ergebnis, daß Strafmaßvarianz Wlter anderem mit individuellen Prägilllgen der Urteilenden erklärbar ist. Als Determinanten für StrafzumessWlgsentscheidWlgen werden vor allem EinstellWlgen Wld die WahrnehmWlg der beruflichen Tätigkeit maßgeblich, wobei insbesondere die OrientierWlg entweder am Täter oder am Gesellschaftsschutz, die Attribution von Kriminalitätsursachen Wld die wahrgenommene Attraktivität der Richtertätigkeit von BedeutWlg sind, Streng, StrafzumessWlg Wld relative Gerechtigkeit, S. 186 fI., 197 fI., 207 ff.; Oswald, Psychologie des richterlichen Strafens, S. 182 fI. 237 In: StrafzumessWlgspraxis der deutschen Gerichte, S. 48 f Zur AuflösWlg der von Exner konstatierten "volksstammgebWldenen Unterschiede" Streng, in: Lampe (Hrsg.), Rechtsgleichheit Wld Rechtspluralismus, S. 281. 238 Dreher, FS für Bockelmann, S. 62; Horstkotte, in: Jehle (Hrsg.), Individualprävention Wld StrafzumessWlg, S. 158. 239 Dreher, MDR 1961, 344; Streng, StrafzumessWlg Wld relative Gerechtigkeit, S. 49 ff.; H.-J. Albrecht, in: Pfeiffer/Oswald (Hrsg.), StrafzumessWlg, S. 70; Grasnick, JA 1990, 84; Heinz, in: Jehle (Hrsg.), Individualprävention Wld StrafzumessWlg, S. 128 f 240 Schünemann, in: KaiserlKury/Albrecht (Hrsg.), Kriminologische ForschWlg, S. 268 fI.; H.-J. Albrecht, in: KemerlKury/Sessar (Hrsg.), Deutsche ForschWlgen, S. 1322 f.; R. Hassemer, MSchrKrim 1986, 30; Oswald, Psychologie des richterlichen Strafens, S.81.

5. Kapitel: Die Folgen für die Praxis: Ungleichheit der Strafen

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nur wenige Richter und Staatsanwälte umfassende überregionale Vergleiche anstellen können241 . Eine empirische Bestätigung haben diese Erklärungsansätze durch die Studie von Langer erfahren, der die Praxis von Staatsanwaltschaften und Strafrichtern in drei unterschiedlichen Städten untersuchte und dabei lokale Justizkulturen identifizierte. Die Regeln von Staatsanwaltschaft und Richtern seien innerhalb eines lokalen Zusammenhangs deckungsgleich; einzelne Richter würden nur in geringem Maß von der Praxis "ihres" Gerichts abweichen242 .

3. Normative Konsequenzen a) Notwendigkeit von Korrekturen

aa) Die fehlende Übereinstimmung von Spielraumtheorie und faktischem Herstellungsprogramm könnte die Reformbedürftigkeit des status quo nicht begründen, wenn es der tatrichterlichen Praxis gelungen wäre, ein überzeugendes, handlungsleitendes Alternativprogramm zu entwickeln. Ob das stark reduzierte Strafzumessungsmodell der Praxis, das sich im wesentlichen an den Faktoren Tatschwere und Vorstrafenbelastung orientiert, einer normativen Überprüfung standhält, ist zu bezweifeln243 . An dieser Stelle ist vorrangig eine unterschiedliche Strafzumessung zu diskutieren, die nicht mit einem normativ begründbaren Herstellungsprogramm erklärbar ist. bb) Die Forderung nach einer einheitlich gehandhabten Strafzumessungspraxis ist in Einklang mit dem neueren Schrifftum als Konkretisierung des Gleichheitsgebots anzusehen244 • Im älteren Schrifttum wurde unter Berufung auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts allerdings ein Verstoß gegen Art. 3 GG durch eine regional unterschiedliche Strafzumessungspraxis verneine 45 . In der Grundsatzentscheidung des BundesverfasPfeifferlSchöckel, in: SchwindlBawnann (Hrsg.), Gewalt, S. 452. Streng, in: Pfeiffer/Oswald (Hrsg.), Strafzwnessung, S. 72; Langer, Staatsanwälte und Richter, S. 310 ff., 327 ff., 338, 375 f. Die Vergleichbarkeit der abzuurteilenden Sachverhalte hat Langer durch eine Analyse legaler und extralegaler Faktoren überprüft, wobei allerdmgs in der Tabelle aufS. 251 für die Fälle des einfachen Diebstahls bezüglich der Schadenshöhe kein Vergleichbarkeitstest mitgeteilt wird. 243 Vgl. im einzelnen zu den Anforderungen an eine angemessene Bewertung der Tatschwere 3. und 4. Teil. 244 Streng, Strafzumessung und relative Gerechtigkeit, S. 15; Weigend, FS der Rechtswissenschaftlichen Fakultät, S. 580; Horstkotte, in: Jehle (Hrsg.), Individualprävention und Strafzumessung, S. 160; H.-J. Albrecht, Strafzwnessung bei schwerer Kriminalität, S. 22 f.; JeschecklWeigend, Strafrecht AT, S. 875. 245 Stree, Deliktsfo1gen und Grundgesetz, S. 61; Warda, Dogmatische Grundlagen, S. 157 fT.; Brons, Strafzwnessungsrecht, S. 199; Dreher, FS für Bruns, S. 161; ebenso 241

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1. Teil: Kritik an der Spielraumtheorie

sungsgerichts ZU diesem Thema heißt es, eine uneinheitliche Strafpraxis verschiedener Gerichte verstoße nicht gegen Art. 3 GG; dessen Bedeutung erschöpfe sich im Verbot willkürlicher Unterschiede246 . Diese Entscheidung ist jedoch kein Grund zur Resignation. Sie ist als Einschränkung der gerichtlichen Kontrolldichte zu interpretieren und nicht als Begrenzung der Bindungsintensität des Art. 3 GG247 : Die extreme Zurückhaltung bei der Anwendung des Art. 3 GG dürfte in erster Linie auf die Besorgnis zurückzuführen sein, das Bundesverfassungsgericht in die Rolle einer "Superrevisionsinstanz" für eine Vielzahl von Strafurteilen zu bringen248 . Unter welchen Umständen Art. 3 GG durch ungleiche Strafurteile verletzt sein kann, kann hier dahinstehen. Mit der neueren Literatur ist der verfassungsrechtliche Auftrag jedenfalls dahingehend zu interpretieren, daß die theoretischen Voraussetzungen des Strafzumessungsvorgangs hinreichend präzisiert werden sollten, damit soweit wie möglich vergleichbare Strafmaße für vergleichbare Taten verhängt werden können249• Auch wenn eine im Ergebnis vollständig einheitliche Strafzumessung nicht zu erreichen ise so , sollten immerhin die Ansätze zu größerer Gleichmäßigkeit ausgeschöpft werden. cc) Auch aus der Perspektive der Strafrechtswissenschaft ist die Unbestimmtheit der gegenwärtigen Strafzumessungsdogmatik unbefriedigend. Die feinziselierten Systeme der Strafbegründung werden entwertet, wenn im letzten, bedeutungsschweren Akt der strafrechtlichen Bewertung die Entscheidung von Faktoren geleitet wird, die außerhalb des gesetzlichen Strafzumessungsprogramms stehen2S1 . Auch für viele der Probleme im Bereich der Strafrechtsdogmatik gibt es aufgrund ihrer Komplexität keine einfachen Lösungsansätze. Es wird aber, jedenfalls im deutschen Rechtskreis, nicht argumentiert, daß jeder Fall verschieden und die Aufstellung detaillierter allgemeiner Regeln sinnlos sei. Selbst wenn die Entscheidung des Tatrichters teilweise von dessen Rechtsansichten mitbestimmt wird, würden weder Lehre noch RevisionsrechtH-J. Albrecht, in: KernerlKury/Sessar (Hrsg.), Deutsche Forschungen, S. 1298; Arzt,

FS für Stree und Wesseis, S. 56 ff. 246 BVerfGE 1, 332, 345 f.; ebenso BGHSt. 1,183,184; 19, 38,47. 247 Zur Notwendigkeit, zwischen diesen beiden Kategorien zu unterscheiden, s. Scholz, in: Maunz-Dürig, GG, Art. 3 Rn. 395 ff. 248 Scholz, in: Maunz-Dürig, GG, Art. 3 Rn. 396. 249 Streng, Strafrumessung und relative Gerechtigkeit, S. 15; Montenbruck, Abwägung und Umwertung, S. 43; Heinz, in: Jehle (Hrsg.), Individualprävention und Strafzumessung, S. 129; H-J. Albrecht, Strafrumessung bei schwerer Kriminalität, S. 22 f.; vgl. auch BVerfGE 45, 187, 261: Gebot der möglichst gleichmäßigen Strafpraxis aus dem Gebot der Gerechtigkeit. 250 Vgl. etwa die Gründe, die unten 3. Teil, 5. Kap., 2., erörtert werden. 251 Schöch, in: Pfeiffer/Oswald (Hrsg.), Strafrumessung, S. 132; Wesei, Fast alles, was Recht ist, S. 192 f.

5. Kapitel: Die Folgen filr die Praxis: Ungleichheit der Strafen

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sprechung den Anspruch einer jenseits subjektiver Ansichten richtigen Lösung aufgeben. Fälle, die ungewöhnlich und deshalb mit existierenden Regeln nicht lösbar sind, führen in der Strafrechtsdogmatik zur Weiterentwicklung des Regelwerks, aber nicht zu einem Rückzug in die Kasuistik. Gegen einen Vergleich von Strafbarkeitsfeststellung und Strafzumessung könnte eingewandt werden, daß die Anzahl der zu berücksichtigenden Faktoren bei der Strafzumessung wesentlich größer sein müsse, was den Strafzumessungsvorgang komplexer und deshalb schwieriger regulierbar macht. Jedoch gilt es auch bei der Feststellung der Strafbarkeit aus der Lebensvielfalt des Sachverhalts eine Auswahl aus einer normativ geprägten Rekonstruktionsperspektive zu treffen. Diese "Reduktionsnotwendigkeit" sieht bei der Beschreibung des relevanten Geschehens für die Strafbarkeitsfrage prinzipiell nicht anders aus als bei der Strafzumessung252 . Die größere Vielzahl von Anknüpfungspunkten bei der Strafzumessung ist im übrigen nicht aus der Natur der Sache zwingend vorgegeben. Anstatt die Ausdifferenzierung rechtlicher Bewertungsregeln wegen der Vielgestaltigkeit der Fallkonstellationen einzuschränken, könnte auch der umgekehrte Weg gewählt werden, indem die relevanten Beurteilungspunkte, also die Anzahl der Strafzumessungsfaktoren, eingeschränkt werden - was insbesondere durch eine kritische Überprüfung von täterbezogenen Strafzumessungsfaktoren erreicht werden könnte253 .

b) Relative und absolute Gerechtigkeit

aa) Auf normativ nicht begründbaren Kriterien beruhende Strafzumessungsentscheidungen verletzen das Gebot der relativen Gerechtigkeit, d.h. das Prinzip der Rechtsgleichheit254 . Ansätze zur Förderung relativer Gerechtigkeit setzen auf justizinterne Reforrnmöglichkeiten. Eine Ausbildung in Strafzumessungspsychologie könnte die Urteilenden für den Einfluß subjektiver Faktoren sensibilisieren255 . Die Bewußtmachung von Unterschieden in den lokalen Strafzumessungsgebräuchen durch eine Verbesserung des Informationsaustauschs zwischen Richtem256 mittels institutionalisierter Richtertreffen257 oder 252 Zur Rekonstruktion und Reduktion eines Sachverhalts bei der Strafzwnessung vgl. Montenbrock, Abwägung und Umwertung, S. 22 ff. 253 Schünemann, in: ders. (Hrsg.), Grundfragen, S. 192; ders., in: Eser/Cornils (Hrsg.), Neuere Tendenzen, S. 226. 254 Zwn Begriff der relativen Gerechtigkeit s. Streng, Strafzwnessung und relative Gerechtigkeit, S. 300. 255 Streng, Strafzwnessung und relative Gerechtigkeit, S. 282 f. 256 Theune, StV 1985, 209 f.; ders., FS flir Pfeiffer, S. 458; Grasnick, JA 1990, 85; Heinz, in: Jehle (Hrsg.), Individualprävention und Strafzwnessung, S. 134. Kritisch Lackner, § 46 Rn. 46 ("verftihrt zu schematischem Vorgehen").

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1. Teil: Kritik an der Spielraumtheorie

computergestützter Informationssysteme258 kann Angleichungen fördern. Weiter wird vorgeschlagen, für massenhaft begangene Taten typischer Prägung Strafmaßempfehlungen zu erarbeiten259 . Deutlich regional differierende Zumessungsgewohnheiten sollen dabei durch einen Mittelweg zwischen den Extrempositionen ausgeglichen werden260 . bb) Ein wichtiger Programmpunkt auf der Agenda ist die Ausweitung revisionsgerichtlicher Kontrolle261 • Dem traditionell dagegen vorgebrachten Argument, daß dem Revisionsgericht der persönliche Eindruck vom Angeklagten fehle 262 , wurde bereits die Basis entzogen263 . Der BGH praktiziert in Einzelfällen eine ergebnisorientiert-vergleichende Strafzumessung und hebt Strafen als unvertretbar streng oder unvertretbar mild auf264 . Dabei zeichnet sich eine Tendenz zur Ausweitung des revisionsrichterlichen Kontrollbereichs ab: Zunächst betonte der BGH, eine Aufhebung der Strafe unter Berufung auf den Gleichbehandlungsgrundsatz komme nicht in allen Fällen in Betracht, in denen vergleichbare Taten zur Entscheidung standen. Vielmehr müsse es sich um "massenhaft auftretende Taten typischer Prägung" handeln, bei denen sich eine allgemeine Strafpraxis herausgebildet hat, die dann als Ausdruck einer allgemeinen Gerechtigkeitsauffassung auch den Tatrichter binde265 . Es folgen Urteile, in denen der BGH an das Fehlen einer Begründung für eine aus dem üblichen Rahmen fallende Strafe anknüpft, um die Aufhebung zu 257 Burgstaller. in: Pfeiffer/Oswald (Hrsg.), Strafzumessung, S. 13; Horstkotte, in: Jehle (Hrsg.), Individualprävention und Strafzumessung, S. 176; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, S. 876. 258 W Hassemer, in: Arbeitsgemeinschaft Rechtsinformatik (Hrsg.), Gesetzesplanung, S. 100 ff.; Streng. Strafzumessung und relative Gerechtigkeit, S. 309 ff.; Kunz, in: Kielwein (Hrsg.), Entwicklungslinien der Kriminologie, S. 36. 259 Vgl. Schöch, Strafzumessungspraxis und Verkehrsdelinquenz, S. 76 ff.; Giehring, in: Pfeiffer/Oswald (Hrsg.), Strafzumessung, S. 90; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, S. 876. 260 Burgstaller, in: Pfeiffer/Oswald (Hrsg.), Strafzumessung, S. 14. 261 Giehring, in: Pfeiffer/Oswald (Hrsg.), Strafzumessung, S. 83; Theune, FS für Pfeiffer, S. 452 ff.; Heinz, in: Jehle (Hrsg.), Individualprävention und Strafzumessung, S. 134; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, S. 876; Nwe. zu entsprechenden Ansätzen im älteren Schrifttum bei Streng, Strafzumessung und relative Gerechtigkeit, S. 297 Fn. 81. 262 Vgl. BGHSt. 27, 2, 3; Dreher, Über die gerechte Strafe, S. 77 f; Schneidewin, JZ 1955, 507; Warda, Dogmatische Grundlagen, S. 180. 263 Vgl. oben 3. Kap., 3 b bb ccc. 264 Nwe. unten Fn. 268,269. 265 BGHSt. 28, 318, 323 ff. Das Hauptargument dieser Entscheidung, es sei dem Tatrichter nicht zuzumuten, sich an einem von ihm nicht für richtig gehaltenen Urteil eines anderen Gerichts zu orientieren (324 f) verliert an Tragfähigkeit, wenn man sich die Alternative vor Augen hält, die in einer erhöhten Begründungspjlicht eines vom Gleichbehandlungsprinzips abweichenden Urteils bestanden hätte.

5. Kapitel: Die Folgen für die Praxis: Ungleichheit der Strafen

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begründen266 . Soweit nur die Begründung des tatrichterlichen Urteils überprüft wird, sind einer wirksamen revisionsrichterlichen Überprüfung Grenzen gesetzt. Der Effekt einer Ausdehnung der Überprüfung auf dieser Basis ist möglicherweise nur eine bessere Anpassung der Darstellung, ohne daß für die Herstellung ein Gewinn zu erzielen wäre267 . In den letzten Jahren geht der BGH aber teilweise auch dazu über, unter Zurückweisung der tatrichterlichen Begründung direkt die Strafhöhe als unvertretbar zu beanstanden268 bzw. anhand eines Vergleiches mit anderen Tatbeteiligten Ungleichmäßigkeit zu monieren269 . Das Abrücken von dem ursprünglich proklamierten Grundsatz "Rechtsrichtigkeit vor Rechtsgleichheit,,270 kommt etwa auch in der Begründung zum Ausdruck, bei der Strafzumessung sei zu berücksichtigen, daß nur einer von mehreren Tatverantwortlichen strafrechtlich belangt werde271 . Die Ausweitung der revisionsrichterlichen Kontrolle ist als Schritt zu einer einheitlicheren Rechtsprechung zu begrüßen. Die Möglichkeiten, auf diesem Wege eine bundesweit einheitliche Strafzumessungspraxis zu fördern, sind allerdings stark eingeschränkt, da die Revisionszuständigkeit des BGH sich auf eine Minderheit der Strafverfahren, nämlich auf die Verfahren wegen gravierender Delikte beschränkt (§§ 135 Abs. 1, 74 Abs. 1 und 2, 24 GVG)272. Außerdem sind wegen der erforderlichen Beschränkung von Strafmaßrevisionen aus praktischen (Überlastungs-) Erwägungen der Ergebniskontrolle ohnehin enge Grenzen gesetzt. Die Veröffentlichung von einzelnen ergebnisorientiert-vergleichenden Entscheidungen gibt deshalb nicht zwingend ein repräsentatives Bild: Bei einer quantitativen Betrachtung der vom BGH als unver-

266 BGR StV 1983, 102; StV 1986, 57; StV 1987, 530. Es scheint, daß der BGR Begrundungsfehler im Interesse einer Endkontrolle des Strafmaßes selektiv moniert, vgl. Horstkotte, in: Jeh1e (Hrsg.), Individualprävention und Strafzumessung, S. 154 f. 267 Vgl. W. Hassemer, ZStW 90 (1978), 89 ff.; Streng, Strafzumessung und relative Gerechtigkeit, S. 297; Kunz, in: Kielwein (Hrsg.), Entwicklungslinien der Kriminologie, S. 32. 268 BGH StV 1981,235; StV 1985, 366; StV 1990,494; NStZ 1990, 84; StV 1992, 271; NStZ 1992,226,381; StV 1993,71; StV 1996,427 und 661; BGHR BtMG § 30 Strafzumessung 1; ebenso BayObLG NStZ 1988,409; weitere Nwe. bei Theune, StV 1985,208 Fn. 46 sowie Heine, NStZ 1989, 353. 269 BGR StV 1987,435 (in dieser Entscheidung wird noch auf das Fehlen einer Begründung für die unterschiedlichen Strafen Mitangek1agter abgestellt); StV 1991, 557; StV 1993, 309; StV 1998,481. 270 BGRSt. 28, 318, 324 mit Verweis auf Warda, Dogmatische Grundlagen, S. 157

f.

271 BGR StV 1993,308 und 520; zUlÜckhaltend im konkreten Fall, aber nicht in der Grundtendenz BGR StV 1993, 638. 272 Streng, Strafzumessung und relative Gerechtigkeit, S. 303.

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1. Teil: Kritik an der Spie1raurntheorie

tretbar eingestuften Strafen scheint die revisionsrichterliche Kontrolle in eher bescheidenem Umfang ausgeübt zu werden273 • ce) Ansätze, die auf die isolierte Verfolgung von Rechtsgleichheit unter Vernachlässigung der strafzumessungstheoretischen Grundlagen zielen, greifen zu kurz. Es bedarf einer theoretischen Fundierung von Kriterien zur Bewertung von Taten. Das durch eine insoweit nicht entscheidungsleitende Theorie hervorgerufene Vakuum trägt zur Ungleichmäßigkeit der Strafzumessung jedenfalls mit bee74 . Das wesentliche Manko aller Ansätze zur Verbesserung der relativen Gerechtigkeit ist, daß damit eine aus einer normativen Perspektive überzeugende Basis des Strafzumessungsprogramms nicht gewährleistet werden kann275 . Eine Strafzumessungspraxis, die sich (um ein auffälliges, wenn auch absurdes Beispiel zu wählen) bundesweit an der Schuhgröße des Angeklagten orientieren würde, stünde durchaus in Einklang mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz. Damit ist der Bogen geschlagen zur Forderung nach absoluter Gerechtigkeit, d.h. nach Rechtsrichtigkeit. Ein Ansatzpunkt für eine Refonn der Strafzumessungspraxis ist in der wissenschaftlichen Durchdringung wesentlicher Grundprinzipien und einer dadurch zu erreichenden Präzisierung zentraler Begriffe zu suchen. Von einer verbesserten Strafzumessungstheorie ist zumindest langfristig auch eine größere Homogenität der Praxis zu erhoffen276. dd) Der Entwurf eines Rechtsrichtigkeit verbürgenden Strafzumessungsmodells muß daher am Anfang stehen. Der Gesichtspunkt der relativen Gerechtigkeit ist jedoch bereits in diesem Stadium zu beachten, indem bei der Entwicklung eines Modells das Augenmerk auf eine gleichmäßige Umsetzbarkeit gerichtet wird. Dies setzt zum einen die Reduktion von KomplexiUit im Vergleich zur Spielraumtheorie voraus, zum anderen die Operationalisierung zentraler Begriffe, vor allem des Begriffs der Strafzumessungsschuld. In Ergänzung zu diesen an die Strafzumessungstheorie gerichteten Forderungen ist 273 Horstkotte, in: Jehle (Hrsg.), Individualprävention und Strafzumessung, S. 154; vgl. auch K6berer, StV 1996, 428 zu der relativ geringen Zahl von BGHEntscheidungen, die eine Strafe wegen ihrer Höhe für unvertretbar eingestuft haben. Seine Recherche bezog sich auf die über JURIS mitgeteilten Fälle. Es scheinen auch Unterschiede zwischen den einzelnen Strafsenaten des BGH zu bestehen, vgl. Theune, FS für PfeifTer, S. 459. 274 Henkel, Die ,,richtige" Strafe, S. 4; Schünemann, in: ders. (Hrsg.), Grundfragen, S. 191 f.; ders., GA 1986, 309 f.; ders., in: Eser/Cornils (Hrsg.), Neuere Probleme, S. 212. 275 von Weber, Richterliche Strafzumessung, S. 15; Giehring, in: PfeifTer/Oswald (Hrsg.), Strafzumessung, S. 80, 116; H.-J. Albrecht, Strafzumessung, S. 23; für die normative Überprüfung von Vergleichsergebnissen auch Theune, FS für PfeifTer, S. 459. 276 Schünemann, GA 1986, 310; ders., in: Eser/Cornils (Hrsg.), Neuere Probleme, S. 226; Giehring, in: PfeifTer/Oswald (Hrsg.), Strafzumessung, S. 80.

Zusarrunenfassung der Kritik an der herrschenden Lehre und Rechtsprechung

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die gleichmäßige Implementierung durch die aufgeführten Informationsaustausch- und Kontrollmechanismen zu fördern.

Zusammenfassung der Kritik an der herrschenden Strafzumessungslehre und -rechtsprechung 1. Das herrschende Strafzumessungsmodell der Spielraumtheorie stößt auf eine Reihe von Einwänden. Diese betreffen unter anderem die präventionsorientierte Seite der Theorie. Die Untauglichkeit der Spielraumtheorie als Herstellungstheorie zeichnet sich bereits darin ab, daß es weder in der Lehre noch in der Rechtsprechung konsensfahige Vorgaben für das relative Verhältnis von Prävention und Repression, in anderen Worten für die Weite des Schuldrahmens gibt. Untersucht man die Arbeitsbedingungen der strafrichterlichen Praxis, wird der Schimärencharakter der Spielraumtheorie klar erkennbar: Die geforderte Präzisierung des Strafmaßes durch präventive Erwägungen ist nicht der Regelfall; vielmehr kommt diesen eine eher unbedeutende Rolle zu. Dieses Ergebnis ist nicht überraschend, da eine konsequente Durchsetzung der Spielraumtheorie zu einer Überforderung der Tatrichter führen müßte, weil in den meisten Fällen die erforderlichen Erhebungen zur Persönlichkeit des Angeklagten bzw. der Verbreitungsgefahr von Straftaten nicht möglich sind. Das höchstrichterliche Bekenntnis zur Spielraumtheorie ist deshalb als Theorie eingeschränkter Kontrolle und weniger als Herstellungstheorie zu interpretieren. 2. Damit rückt die Bestimmung der schuldangemessenen Strafe stärker in den Vordergrund, als es der Spielraumtheorie entspricht. Insoweit fehlt es jedoch an einer konsensfahigen und bis ins Detail durchdachten Herstellungstheorie in der Lehre, da eine intensivere Auseinandersetzung mit Methoden der retrospektiven Straftatbewertung wegen des vermeintlich zur Verfügung stehenden Korrektivs präventiver Strafzumessungsfaktoren bislang nicht stattgefunden hat. Eine Neuorientierung der Strafzumessungstheorie kann deshalb nicht allein in der Eliminierung präventiver Strafzumessungserwägungen bestehen. Sie stößt vielmehr auch angesichts des vorherrschenden Verständnisses von Strafzumessungsschuld auf Schwierigkeiten. Zum einen kann von einer hinreichenden Begriffsklärung keine Rede sein. Zum anderen finden sich in Rechtsprechung und traditioneller Strafzumessungslehre nach wie vor Überreste der überkommenen Vorstellung einer Lebensfahrungsschuld Auch wenn diese heute nicht mehr explizit vertreten wird, ist ihr Einfluß noch nachzuweisen: Die Betonung der persönlichen Verhältnisse des Täters als unverzichtbare Strafzumessungsfaktoren ist ohne Rekurs auf Lebensführungsschuld nicht erklärbar, und auch die Bewertung der kriminellen Energie und der subjektiven Tathintergründe schlägt häufig in eine Bewertung von Le-

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Zusammenfassung der Kritik an der herrschenden Lehre und Rechtsprechung

bensstil und Persönlichkeit um. Problematisch ist insbesonders die Beurteilung auf der Basis des Eindrucks, den der Angeklagte in der Hauptverhandlung vermittelt, da interaktionsbedingte emotionale Reaktionen des Tatrichters keine normative Basis für die Strafzumessung sein können. 3. Die Steuerungsleistung der Strafzumessungslehre für die Praxis ist ungenügend277 . Angesichts einer von regionalen Traditionen mitbestimmten Strafzumessungspraxis ist es nicht überraschend, daß die Ungleichheit der Strafen kritisiert wird. Maßnahmen zur Förderung von Rechtsgleichheit, in anderen Worten zur Förderung relativer Gerechtigkeit sind sinnvoll, vorrangig ist aber die Entwicklung einer besser strukturierten Strafzumessungstheorie. 4. Das Fazit des ersten Teils ist, daß die herrschende Strafzumessungstheorie in beiden Standbeinen Schwächen aufweist: sowohl bei der Bestimmung der schuldangemessenen Strafe als auch bei der Schuldrahmenausfüllung durch präventive Erwägungen. Eine Reform des Strafzumessungsrechts kann daher nicht bei einer Modifizierung einzelner Punkte stehenbleiben; vielmehr ist eine grundsätzlichere Umorientierung geboten. Hierzu bieten sich verschiedene Möglichkeiten an. Zum einen ist eine Neugewichtung des Präventionsgedankens möglich. Die kritisierten Schwächen beim herrschenden Verständnis der Strafzumessungsschuld wären bedeutungslos, wenn das Strafmaß ausschließlich am Ziel der Straftatenprävention orientiert werden könnte. Eine andere Möglichkeit für eine zukunftsorientierte Reaktion auf die Straftat bestünde in der konsequenten Umsetzung des Wiedergutmachungsgedankens im Sinne einer vollständigen oder zumindest weitgehenden Ersetzung des Strafrechts. Die Durchführbarkeit einer konsequent-präventiven Strafzumessung bzw. von Wiedergutmachung als echte Alternative zum Strafrecht wird in den ersten beiden Kapiteln des zweiten Teils kritisch untersucht. Die notwendige Alternative zu einer zukunftsorientierten Reaktion ist eine retrospektive Bewertung des Tatgeschehens, die zunächst unter dem Stichwort Tatschuldausgleich zu untersuchen sein wird, bevor der hier vorzustellende Ansatz einer tatproportionalen Strafzumessung ausführlich erörtert wird.

277 Giehring, in: PfeitTer/Oswald (Hrsg.), Strafzwnessung, S. 81; H.-J. Albrecht, Strafzumessung bei schwerer Kriminalität, S. 494.

2. Teil: Konsequente Folgenorientierung, Wiedergutmachung oder Tatschuldausgleich als Alternativen zur Spielraumtheorie? 1. Kapitel: Konsequente Folgenorientierung 1. Forderung nach einem folgenorientierten Modell a) Eine Möglichkeit zur Auflösung der Probleme, die mit der Spielraumtheorie bislang verbunden sind, besteht darin, auf den Begriff der Strafzumessungsschuld zu verzichten und auf ein konsequent folgenorientiertes Modell zu verweisen, das die bislang nicht eingelösten Ansprüche einer empirisch begründ- und überprüjbaren Theorie ernst nimmt!. Für ein solches, in enger Zusammenarbeit mit sozialwissenschaftlicher Forschung zu entwickelndes Konzept werden verschiedene Argumente vorgebracht: Erstens - man könnte dies als Kohärenzargument bezeichnen - wird darauf verwiesen, daß ausgehend von der Prämisse eines ausschließlich dem Rechtsgüterschutz verpflichteten Strafrechts auch die Ausgestaltung im einzelnen diesem Grundprinzip folgen müsse2 • Das Ziel eines von jeglicher Metaphysik befreiten Strafrechts werde damit auch in das Strafzumessungsrecht transponiere. Zweitens wird ein Überprüjbarkeitsargument betont: Wenn das Strafrecht sich für die Effekte der ausgeworfenen Strafen nicht interessiere, werde es zu einem unkontrollierbaren Faktor. Die Überprüfung der Folgen einer Bestrafung mache dagegen eine kritische Evaluation der Strafpraxis möglich. Während ein an absoluten Werten orientiertes Strafrecht folgenblind sei, nehme ein folgenorientiertes Konzept die Interessen der Betroffenen ernst4 • b) Wie die Existenz des Strafrechts gerechtfertigt werden kann und welche Konsequenzen sich aus der Entwicklung eines säkularisierten Strafrechts für 1 Vgl. Haag, Rationale Strafzumessung, S. 19 ff.; Beckmann, GA 1981, 356; Kunz, in: Kielwein (Hrsg.), Entwicklungslinien der Kriminologie, S. 36 ff.; Giehring, in: Pfeiffer/Oswa1d (Hrsg.), Strafzumessung, S. 95 ff.; vgl. zu folgenorientierten Strafrechtskonzepten auch Baurmann, Zweckrationalität und Strafrecht, S. 6 ff. 2 Ausführlich zum Zusammenhang von Strafzweckdiskussion und Strafzumessungstheorie unten 3. Teil, 2. Kap. 3 Zu den Konsequenzen eines sozialwissenschaftlich orientierten Strafrechts vgl. kritisch Naucke, in: HassemerlLüderssenlNaucke, Fortschritte im Strafrecht, S. 8 ff. 4 Kunz, in: Kielwein (Hrsg.), Entwicklungslinien der Kriminologie, S. 40 ff.; Giehring, in: Pfeiffer/Oswald (Hrsg.), Strafzumessung, S. 95 ff.

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2. Teil: Folgenorientierung, Wiedergutmachung oder Tatschuldausgleich?

die Strafzumessungslehre ergeben, wird unten (3. Teil, Kapitel 1 und 2) ausführlich erörtert. An dieser Stelle steht zunächst die konkretere Fragestellung im Vordergrund, ob unterschiedliche Variationen einer präventiven Strafzumessungslehre praktisch durchführbar sind. Damit aus einem folgenorientierten Strafzumessungskonzept eine echte Entscheidungsgrundlage für den Tatrichter abgeleitet werden kann, muß es möglich sein, zu begründen, daß die aus dem gesetzlich vorgegebenen, weiten Strafenspektrum ausgewählte konkrete Einzelstrafe die aus präventiven Gründen beste Strafe ist. Es ist deshalb für die Akzeptanz präventiver Strafzumessungsmodelle entscheidend, ob bestimmten Einzelstrafen eine im Vergleich zu anderen ebenfalls in Betracht kommenden Strafen verbesserte präventive Wirkung zukommt. In den folgenden Abschnitten werden Modelle negativ-generalpräventiver bzw. positiv-generalpräventiver und spezialpräventiver Strafzumessung unter diesem Aspekt untersucht.

2. Negativ-generalpräventive Strafzumessung a) Im Unterschied zur Spielraumtheorie, die den Abschreckungsgedanken selektiv straferhöhend heranzieht, geht es hier um die Bewertung eines Modells, das dieses Prinzip zur Hauptmaxime für die Bestimmung des Strafmaßes machen würde. Für ein de lege ferenda zu untersuchendes, generalpräventiv orientiertes Strafzumessungsmodell wäre die Höhe der Strafe in jedem zu entscheidenden Fall danach zu bemessen, in welcher Stärke ein straftatenhindernder Effekt bei der Allgemeinheit zu erwarten wäre. Im Zuge der Theorien, die Rechtsregeln an ökonomischen Prinzipien ausrichten wollens, wird dieser Grundgedanke in Form der Abschreckungstheorie6 auch auf das Strafrecht übertragen7 •

Grundlegend Posner, Economic Analysis of Law. Für den Bereich der Straftheorie sind die auf Feuerbach zurückgehende Androhungsgeneralprävention (vgl. Feuerbach/Mitte1Tnaier, Lehrbuch des gemeinen in Deutschland geltenden peinlichen Rechts, § 16) sowie die Abschreckungsgeneralprtivention im engeren Sinne zu unterscheiden, wobei der erste Ansatz auf die Wirkung der Sanktionsdrohung, der zweite dagegen auf Effekte der verhängten Strafen verweist. Die Theorie der Androhungsgeneralprävention wird bei den hier nicht zu untersuchenden Entscheidungen des Gesetzgebers bezüglich der Strafrahmenwahl relevant. 7 Becker, Journal of Political Economy 76 (1968), 169 ff.; Ehrlich, American Economic Review 71 (1981), 307 ff.; Vanberg, Verbrechen, Strafe und Abschreckung; Adams/Shavell, GA 1990, 343 ff.; zusammenfassend Otto, Generalprävention und externe Verhaltenskontrolle; kritisch Wemer, KritV 1992,443 ff. S

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1. Kapitel: Konsequente Folgenorientierung

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b) Es ist jedoch zu bezweifeln, daß sich ein nachweisbarer Zusammenhang zwischen bestimmten Strafhöhen und präventiven Effekten begründen läßt8 . Bereits die Bestimmung der Zielvorgabe ist problematisch: Die Vorstellung, durch eine sorgfaltige Tarierung der ausgeworfenen Strafen könne Kriminalität gänzlich oder überwiegend verhindert werden, ist ohne weitere Diskussion als unrealistisch abzutun. Statt dessen müßte Einigkeit darüber erzielt werden, welches Kriminalitätsniveau als gerade noch akzeptabel angesehen werden könnte. Bereits dieser Schritt bereitet SChwierigkeiten9 . Erst recht entstehen Probleme, wenn fiir unterschiedliche Deliktsgruppen die abschreckende Wirkung von unterschiedlichen Strafmaßen (jeweils im Vergleich zu anderen Strafmaßen) nachgewiesen werden soll. c) (1) Wendet man sich dem vorhandenen Bestand an empirischer Sanktionsforschung zu, lohnt es sich, die Ergebnisse amerikanischer Studien auszuwerten. Die unterschiedliche Rechtskultur steht einer Übernahrne von Forschungsergebnissen, die sich auf grundlegende Wirkungsbedingungen des Strafrechts beziehen, nicht entgegen. Forschung zur Validität der Abschrekkungstheorie hat eine lange Tradition in den USA. Die erste Generation von Projekten benutzte aggregierte Daten: Man verglich verschiedene Gebiete (oder verschiedene Zeitperioden) jeweils im Hinblick auf Kriminalitätsziffern einerseits und Daten zu Strafhöhe und Verfolgungsintensität andererseits lO . Eine Inhaltsanalyse dieser Makro-Studien führt jedoch nicht weiter, da deren Forschungsdesign eine valide Beweisführung über die Abschreckungshypothese erschwert: Eine Vielzahl anderer Faktoren beeinflussen die Kriminalitätsrate in einem bestimmten Gebiet bzw. einer bestimmten ZeitperiodelI.

8 W. Hassemer, in: HassemerlLüderssenlNaucke, Hauptprobleme der Generalprävention, S. 42 t1; Wolfslast, NStZ 1982, 112 f; Hess, FS für Leferenz, S. 18 ff.; Frisch, ZStW 99 (1987), 365; Maurach/Gössel/Zipf, Strafrecht AT 2, § 63 Rn. 90 ff.; Streng, Strafrechtliche Sanktionen, S. 22 ff.; Perron, JZ 1993, 920 f.; Schäfer, in: Jehle (Hrsg.), Individualprävention und Strafzumessung, S. 204; ders., Praxis der Strafzumessung, Rn. 353; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, S. 882; Müller-Tuck/eld, Integrationsprävention, S. 100 ff. 9 Giehring, in: Pfeiffer/Oswa1d (Hrsg.), Strafzumessung, S. 91. 10 Die Kombination von effektiver und strenger Strafverfolgung und niedrigen Kriminalitätsraten wurde als Unterstützung für die Abschreckungshypothese gewertet, ebenso das Zusammentreffen von wenig effektiver und milder Strafverfolgung mit hohen Kriminalitätsraten. Die Ergebnisse dieser Studien deuten daraufhin, daß die Verfolgungshäufigkeit Einfluß auf die Zahl der begangenen Straftaten hat, die Höhe der verhängten Strafen dagegen nicht. Vgl. Beyleveld, General Deterrence, S. 65, 127; Blumstein et al., in: BlumsteinlCohenlNagin (Hrsg.), Deterrence and Incapacitation, S. 22; Nagin, in: BlumsteinlCohenlNagin (Hrsg.), Deterrence and Incapacitation, S. 111. 11 Selbst wenn sozio-demographische Variablen kontrolliert werden, kann kaum jemals mit Bestimmtheit festgestellt werden, daß Unterschiede in der Kriminalitätsrate auf die Art der Strafverfolgung zurückzuführen sind. Außerdem kann die zwischen den Variablen möglicherweise bestehende Kausalitätsbeziehung (Strafverfolgung beein-

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2. Teil: Folgenorientierung, Wiedergutmachung oder Tatschuldausgleich?

(2) Neuere Studien rekurrieren deshalb auf Individuen als Untersuchungseinheit: Die subjektive Einschätzung zu Verfolgungsintensität und Strafhöhen wird erfaßt und entweder zu erfragter eigener Delinquenz in Beziehung gesetzt oder zu Antworten auf Fragen, wie die Untersuchungsperson sich in einer hypothetischen Situation verhalten würde, in der die Begehung einer Straftat eine Option wäre 12. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen stimmen in einem wesentlichen Punkt überein: In erster Linie bestimmen außerrechtliche Faktoren die Entscheidung. Der Einfluß wahrgenommener rechtlicher Rahmenbedingungen ist - wenn überhaupt nachweisbar - zweitrangig. Wesentliche außerrechtliche Faktoren, die die Entscheidungsfindung beinflussen, sind: Anerkennung der Rechtsnormen als moralisch richtig13 , delinquentes bzw. normkonformes Verhalten von Altersgenossen1 4 , günstige Gelegenheiten und aus der Straftat erwartete Gewinne 15 .

(3) Die Befunde divergieren, was die Frage betrifft, ob die Wahrscheinlichkeit einer Strafverfolgung überhaupt eine (wenn auch nicht zentrale) Rolle bei der Entscheidungsfindung spielt. Es scheint ein Zusammenhang zwischen den flußt Kriminalität) auch in umgekehrter Richtung existieren: Die Höhe der Kriminalitätsbelastung kann auf die Art der Strafverfolgung zurückwirken, da eine Überlastung der Gerichte zu milderen Strafen durch vermehrtes "plea bargaining" fUhrt. (Auch bei dieser Konstellation ist die Kombination milde StrafenJhohe Kriminalitätsbelastung feststellbar, ohne daß die Wirkungsmechanismen mit der Abschreckungshypothese in Zusammenhang stehen!) Zu den methodischen Schwachstellen der MakroForschung s. Blumstein et al., in: BlumsteinlCohenINagin (Hrsg.), Deterrence and Incapacitation, Report, S. 5 tI., 26; Nagin, in: BlumsteinlCohenINagin (Hrsg.), Deterrence and Incapacitation, S. 98, 119; ZimringlHawkins, Deterrence, S. 256, 272; Gibbs, Crime, Punishment and Deterrence, S. 159; Schöch, FS für Jescheck, S. 1085. 12 Entsprechende Studien zum Einfluß der Strafhöhe wurden in den USA u.a. durchgefUhrt von Silberman, American Sociological Review 41 (1976), 442 ff.; Meier/Johnson, American Sociological Review 42 (1977),292 ff.; Jacob, Law and Policy Quarterly 2 (1980), 61 ff.; Paternosterllovanni, Social Forces 64 (1986), 751 ff.; Piliavin et al., American Sociological Review 51 (1986), 101 ff.; MillerlAnderson, Journal ofCriminal Law and Criminology 77 (1986), 418 ff.; Paternoster, Lawand Society Review 23 (1989),7 ff.; KlepperlNagin, Criminology 27 (1989),721 ff. Die zitierten Arbeiten sind insofern sorgfältig angelegt, als sie den Einfluß anderer, nicht-rechtlicher Variablen kontrollieren. Es gibt eine Reihe weiterer Studien, die isoliert den Einfluß rechtlicher Faktoren auf die Deliktsentscheidung untersuchen, was aber aus methodischen Gründen problematisch ist, vgl. Paternoster, Justice Quarterly 4 (1987), 182 ff., 189 ff. Zu den methodischen Problemen s. auch Dölling, ZStW 102 (1990), 4 f. 13 Silberman, American Sociological Review 41 (1976),443; Jacob, Lawand Policy Quarterly 2 (1980), 76; Patemosterllovanni, Social Forces 64 (1986), 768; Paternoster, Lawand Society Review 23 (1989), 36. 14 Silberman, American Sociological Review 41 (1976), 445; MeierlJohnson, American Sociological Review 42 (1977), 299; Jacob, Law and Policy Quarterly 2 (1980), 76; Patemosterllovanni, Social Forces 64 (1986), 768; Paternoster, Law and Society Review 23 (1989), 6. 15 Piliavin et al. , American Sociological Review 51 (1986), 115.

1. Kapitel: Konsequente Folgenorientierung

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Resultaten und der untersuchten Gruppe zu bestehen: Für jugendliche bzw. jungerwachsene Untersuchungspersonen und leichtere Vergehen scheint die Wahrscheinlichkeit strafrechtlicher Konsequenzen keine Rolle zu spielenl6 . Bei erwachsenen Teilnehmern und bei schwereren Delikten bzw. solchen Delikten, die in besonderem Maße rationaler Kalkulation zugänglich sind (etwa Steuerdelikte), ist dagegen eher zu finden, daß der Verfolgungswahrscheinlichkeit grundsätzlich Rechnung getragen wird 17. Bezüglich der Frage, ob Existenz und Durchsetzung strafrechtlicher Sanktionen zur Verhinderung der pönalisierten Verhaltensweisen beitragen, ist deshalb zu differenzieren. Es liegen Anhaltspunkte dafür vor, daß diese Faktoren jedenfalls bei Deliktsentscheidungen bestimmter Tätergruppen eine Rolle spielen. (4) In unserem Zusammenhang interessiert jedoch in erster Linie der mögliche Einfluß unterschiedlicher Strajhöhen auf das Legalverhalten. Dazu gibt es weniger Ergebnisse, da einige der aufgeführten Untersuchungen sich auf die Fragestellung beschränken, ob das Risiko einer strafrechtlichen Verfolgung bzw. einer Inhaftierung abschreckend wirkt, ohne nach der Strafhöhe zu differenzieren. Soweit die amerikanischen Studien die erwartete Strafhöhe einbeziehen, finden sie keinen relevanten Zusammenhang zwischen der wahrgenommenen Strajhöhe und begangenen Straftaten bzw. der Neigung, in Zukunft Straftaten zu begehen l8 •

16 Vgl. die Untersuchungsanordnung und die Ergebnisse von Paternosterllovanni, Social Forces 64 (1986), 758, 768 f.; Jacob, Law and Policy Quarterly 2 (1980), 65, 76 ff.; Paternoster, Law and Society Review 23 (1989), 13, 21, 38; Meier/Johnson, American Sociological Review 42 (1977), 299, 301. Silberman, American Sociological Review 41 (1976),444 f., 446 findet bei jungen Erwachsenen bei einigen Vergehen eine leichte Abschreckungswirkung von "certainty of punishrnent", bei anderen dagegen nicht. 17 Vgl. MillerlAnderson, Journal of Criminal Law and Criminology 77 (1986), 426 f., 430 (die allerdings den Einfluß außerrechtlicher sozialer Bedingungen vernachlässigen). Piliavin et al., American Sociological Review 51 (1986), 114 f., kommen dagegen zu dem Ergebnis, daß das Verfolgungsrisiko bei (strafrechtlich vorbelasteten) Erwachsenen keine Rolle spielt, wobei sie andererseits fanden, daß zu erwartende Gewinne und günstige Gelegenheiten die Deliktsbereitschaft f6rdern, was doch auf die Fähigkeit zu zumindest teilweise rationaler Kalkulation hinweist. Die Studie von KlepperlNagin zu Steuerhinterziehung bei sozial und strafrechtlich unauffälligen Erwachsenen mittleren Alters (die Möglichkeit einer Strafverfolgung wirkte deutlich abschreckend, Criminology 27 - 1989 -, 740 f.) kann als Beleg dafür herangezogen werden, daß es sowohl von der Art des Deliktes wie von den Charakteristika der potentiellen Täter abhängt, ob die Wahrscheinlichkeit einer Bestrafung abschreckend wirkt. 18 Silberman, American Sociological Review 41 (1976), 446 (für alle Vergehen mit Ausnahme von Körperverletzung); Paternoster, Law and Society Review 23 (1989), 7; Jacob, Law and Policy Quarterly 2 (1980), 76 f.; Paternosterllovanni, Social Forces 64 (1986), 768 f. Leider beziehen sich diese Untersuchungen nur auf leichtere Vergehen. Die auch Verbrechen einbeziehenden Untersuchungen von MillerlAnderson und Pi/iavin et al. berücksichtigen nur das Inhaftierungsrisiko, nicht aber die Dauer einer mög-

6 Hämle

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2. Teil: Folgenorientienmg, Wiedergutmachung oder Tatschuldausgleich?

Zum selben Ergebnis kommen vergleichbare deutsche Untersuchungen l9 : Ausschlaggebende Faktoren für eine Deliktsentscheidung sind das soziale Umfeld des (potentiellen) Straftäters und die moralische Verbindlichkeit der Norm20 . Das Risiko strafrechtlicher Konsequenzen scheint bei vielen Delikten überhaupt keine Rolle zu spielen; soweit abschreckende Effekte einer Strafverfolgung nachweisbar sind, sind diese auf das Entdeckungsrisiko, nicht aber auf die Schwere der zu erwartenden Strafe zurückzuführen21 . lichen Gefängnisstrafe. S. auch die ausführliche Forschungsübersicht bei Paternoster, Justice Quarterly 4 (1987), 191 ff., der ebenfalls zusammenfassend zu dem Ergebnis kommt, daß die Strafhöhe keine Abschreckungswirkung hat. Auch Untersuchungen, die isoliert den Einfluß der Strafschwere auf das Legalverhalten untersuchen und deshalb methodisch unbefriedigend sind (vgl. oben Fn. 12), kommen mehrheitlich zum selben Ergebnis, vgl. Paternoster, a.a.O., 188 m.w.Nwen. Anders die Untersuchung von Grasmick/Bryjack, die aber die Schwere der erwarteten Sanktion mit der individuellen Strafempfindlichkeit vermengten, indem sie fragten, ob eine Bestrafung ein mehr oder weniger großes Problem für den Befragten darstellen würde, in: Social Forces 59 (1980),480. 19 Vgl. insbesondere die Ergebnisse des von Schöch und Schreiber geleiteten Forschungsprojekts "Generalprävention - Die Bedeutung strafrechtlicher Sanktionen und ihrer subjektiven Gewichtung für Konformität". Befragt wurden dabei zum einen junge Männer bei der Mustenmgsprüfung für die Bundeswehr zu selbstberichteter Delinquenz und eingeschätzter Begehungswahrscheinlichkeit bzgl. 12 Delikten, die von leicht (Schmuggel) bis sehr schwer (Mord) rangierten. Außerdem wurde eine repräsentative Stichprobe der strafmündigen Gesamtbevölkenmg zu vier Delikten (Schmuggel, Diebstahl am Arbeitsplatz, Trunkenheit im Verkehr und Körperverletzung) befragt. Vgl. Dölling, in: KernerlKury/Sessar (Hrsg.), Deutsche Forschungen, S. 56 ff.; Schöch, in: KaiserlKury/Albrecht (Hrsg.), Kriminologische Forschung, S. 231 ff.; ders., FS für Jescheck, S. 1088 ff.; Bönitz, Strafgesetze und Verhaltenssteuenmg, S. 148 ff. 20 Dölling, in: KernerlKury/Sessar (Hrsg.), Deutsche Forschungen, S. 73 f.; Schöch, FS für Jescheck, S. 1090, 1099; ders., in: KaiserlKury/Albrecht (Hrsg.), Kriminologische Forschung, S. 234 ff.; Bönitz, Strafgesetze und Verhaltenssteuenmg, S. l74 ff.; Smettan, Kriminelle Bereichenmg, S. 197 ff. (mit signifikanten Unterschieden zwischen verurteilten Straftätern und der Normalbevölkenmg, was die Bedeutung von moralischen Kosten betriffi). Vgl. auch die Zusammenfassung bei Albrecht/Dünkel/Spieß, MSchrKrim 1981, 313; Eisenberg, Kriminologie, § 41 Rn. 7. 21 Dölling, in: KernerlKury/Sessar (Hrsg.), Deutsche Forschungen, S. 69 ff.; Schöch, FS für Jescheck, S. 1090, 1099 ff.; ders., in: KaiserlKury/Albrecht (Hrsg.), Kriminologische Forschung, S. 234 ff.; ders., DAR 1996, S. 47 f.; Bönitz, Strafgesetze und Verhaltenssteuenmg, S. 203 ff.; Smettan, Kriminelle Bereichenmg, S. 192; zusammenfassend Eisenberg, Kriminologie, § 41 Rn. 14 ff. Etwas anders Viismeier, MSchrKrim 1990,276 ff.: Bei einer isolierten Untersuchung des Einflusses von Kosten/Gewinn-Berechnungen auf hypothetische Straftatentscheidungen (ohne Kontrolle anderer Variablen, was das Forschungsdesign problematisch macht, vgl. oben Fn. 12) kommt er zum Ergebnis, daß die Strafhöhe eine gewisse Rolle spiele. Allerdings deckt sich sein Befund insoweit mit dem Hauptstrom der Forschung, als er zu der Schlußfolgenmg kommt, daß die Strafwahrscheinlichkeit die Deliktspräferenz stärker als die Strafhöhe beeinfluße (282). Während die von den Versuchspersonen erwartete Strafhöhe auf die Deliktsneigung keinen Einfluß hat, ist allerdings die subjektiv empfundene Bedeutung einer Bestrafung

1. Kapitel: Konsequente Folgenorientierung

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d) Insgesamt genügen Bestand und Umfang der Untersuchungen noch nicht, um von einer eindeutig gesicherten Erkenntnislage zu sprechen: Sinnvoll wäre insbesondere eine weitere Ausdifferenzierung nach den unterschiedlichen Gruppen potentieller Täter2 • In jedem Falle ist die Abschreckungstheorie jedoch als universeller Maßstab für die Strafzumessung empirisch delegitimiert. Von zukünftigen Untersuchungen könnte allenfalls erwartet werden, daß sie möglicherweise für bestimmte Tätergruppen eine abschreckende Wirkung belegen, nicht aber einen generalisierbaren Wirkungszusammenhang. Angesichts der Uniformität der vorliegenden Ergebnisse ist es nicht vertretbar, diese schlichtweg zu ignorieren, das Gegenteil zu postulieren und mit dem Hinweis auf ein solches bislang kontrafaktisches Postulat Strafen zu verschärfen, wie dies in der Strafzumessungspraxis geschiehe3 . e) Dies gilt umso mehr, als noch nicht der vollständige Beweis über die Abschreckungswirkung erhöhter Strafen geführt ist, selbst wenn in bestimmten Fällen potentielle Täter durch ihre Wahrnehmung der Strafhöhen zur Unterlassung von Straftaten zu motivieren wären. Denn es bedürfte auch des Nachweises, daß die Vorstellungen über Strafhöhen tatsächlich der Praxis entsprechen24 . Und selbst wenn diese Voraussetzung gegeben wäre, stünden der Umsetzung weitere Wissenslücken entgegen: Es bedürfte Informationen darüber, welche Strafhöhen welche präventiven Effekte erzielen könnten. Da schon die Beweisführung über die grundsätzliche Wirkungsrichtung bisher nicht gelungen ist, dürfte es an Unmöglichkeit grenzen, zu Aussagen über quantifizierbare Effekte bei Abweichungen im Strafmaß zu gelangen. t) Da präventive Effekte als Folge einer Feinabstimmung der Strafhöhen nicht nachweisbar sind, bestünde die einzige Möglichkeit für einen negativ-

entscheidungsrelevant. Dabei fällt auf, daß die Versuchspersonen dazu neigen, eine innerhalb der objektiven Sanktionenskala milde Strafe in ihrer subjektiven Bedeutung als wesentlich schwerer einzustufen: Schöch, FS für Jescheck, S. 1096, 1099 ff.; ders., in: KaiserlKury/Albrecht (Hrsg.), Kriminologische Forschung, S. 241 f.; ebenso GrasmicklBryjack, Social Forces 59 (1980), 480. 22 Es ist z.B. die Hypothese, daß bestimmte rational kalkulierende Tätergruppen, beispielsweise Wirtschaftsstraftäter, nicht nur durch die Gefahr strafrechtlicher Verfolgung (zu einer Bestätigung dieses Teil der Hypothese s. KlepperlNagin, oben Fn. 17), sondern darüber hinaus auch durch die Höhe der zu erwartenden Strafe zu beeinflussen sind (so Schünemann, GS für Annin Kaufinann, S. 630 f.; Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht AT, S. 250; Schöch, in: Jehle -Hrsg.-, Individualprävention und Strafzumessung, S. 249) durch die vorliegenden Untersuchungen nicht zu widerlegen - aber auch nicht zu bestätigen. 23 Ebenso Hart-Hönig, Gerechte und zweckmäßige Strafzumessung, S. 49. 24 Vgl. W. Hassemer, in: HassemerlLüderssenlNaucke, Hauptprobleme der Generalprävention, S. 41 ff.; Bönitz, Strafgesetze und Verhaltenssteuerung, S. 19; MaurachlGössellZipf, Strafrecht AT 2, § 63 Rn. 91; Hart-Hönig, Gerechte und zweckmäßige Strafzumessung, S. 47. 6'

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2. Teil: Folgenorientierung, Wiedergutmachung oder Tatschuldausgleich?

generalpräventiven Ansatz in der drastischen Erhöhung von Strafen. Damit macht sich die Theorie jedoch für ethische Einwände gegen eine Instrumentalisierung der Bestraften angreifba~5. Die am häufigsten vertretene Argumentationslinie folgt Kants zweitem kategorischen Imperativ26 und stellt die Benutzung des Bestraften als bloßes Mittel zur Erreichung gesamtgesellschaftlicher Zwecke in den Mittelpunkt der Kritik27 . Aus diesem Dilemma gibt es keinen Ausweg: Beschränkt man sich auf moderate Straferhöhungen, bleibt der Ansatz wirkunglos28 ; ein ernstgemeinter Versuch einer Erhöhung der Wirksamkeit begegnet jedoch ethischen Bedenken29 .

3. Spezialpräventive Strafzumessung a) Spezialpräventive Strafzumessungstheorie

aa) Eine nicht mehr durch die Spielraumtheorie eingegrenzte spezialpräventive Strafzumessungskonzeption richtet die Strafe ausschließlich an der Person des Täters aus, um auf eine Verbesserung seines Sozial- bzw. Legalverhaltens hinzuwirken. Nach einer spezialpräventiven Strafzumessungslehre sind Höhe und Art der Strafe allein an den Erfordernissen für eine (Re-) Sozialisierung des Täters zu orientieren. Es liegt auf der Hand, daß mit Variationen nur im Bereich der Strafzumessung wenig Effekte zu erzielen sind. Zwingende Voraussetzung für eine konsequent spezialpräventive Strafzumessung wäre vielmehr die Verbesserung von Behandlungsansätzen sowohl innerhalb des Strafvollzugs wie auch ambulanter Art. Aus fiskalischen Gründen wie auch wegen der Verebbens einer resozialisierungs-optimistischen Einstellung beim Gesetzgeber30 ist dies wenig realistisch. Weil hier die Entwicklung von alternativen Theorien im Vordergrund steht, soll dieser pragmatische Einwand jedoch nicht weiter verfolgt werden.

25 Eberhardt Schmidt, ZStW 67 (1955), 193; Badura, JZ 1964,344; Warda, Dogmatische Grundlagen, S. 163 fT.; Baumann, Grundbegriffe, S. 16; Köhler, Zusammenhang, S. 33 ff.; E.A. Wo/fJ, ZStW 97 (1985), 796. 26 Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 79. 27 Warda, Dogmatische Grundlagen, S. 164; Baumann, Grundbegriffe, S. 16; Eberhardt Schmidt, ZStW 67 (1955), 193; Köhler, Zusammenhang, S. 33 ff.; E.A. Wo/fJ, ZStW 97 (1985),796. 28 Streng, ZStW 92 (1980), 672. 29 Von Hirsch, Censure and Sanctions, S. 51 ff. 30 Die in der sog. Vollzugslösung für die sozialtherapeutische Anstalt am klarsten zum Ausdruck kommt: Gesetz zur Anderung des Strafvollzugsgesetzes vom 20. 12. 1984, BGBl. I S. 1654.

1. Kapitel: Konsequente Folgenorientierung

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bb) In einem wesentlichen Punkt könnte die Spezialprävention in einem de lege lata akzeptablen Strafzumessungsmodell von der negativen Generalprävention zu unterscheiden sein, nämlich im Hinblick auf § 46 Abs. 1 S. 2. Auf die Bedeutung dieser Vorschrift wird noch zurückzukommen sein3!. Allen zu § 46 Abs. 1 S. 2 angestellten Erwägungen ist jedoch gemeinsam, daß sie andere Strafzumessungskonzepte nur ergänzen. Für die an dieser Stelle zu untersuchende Frage, ob ein ausschließlich präventiv begründetes Strafzumessungskonzept eine Alternative zur Spielraumtheorie sein könnte, spielt § 46 Abs. 1 S. 2 keine Rolle.

b) Prognoseprobleme und Mangel an geeigneten Programmen aa) Das erste Problem für eine konsequent spezialpräventive Strafzumessungslehre ergibt sich daraus, daß eine aktiv-gestaltende Einflußnahme eine Verhaltensprognose voraussetzt: Nur wenn die grundsätzliche Notwendigkeit resozialisierender Maßnahmen, in anderen Worten die Rückfallgefahr, ebenso wie Ansatzpunkte für Verbesserungen festgestellt worden sind, kann die Strafe entsprechend gestaltet werden. Die Skepsis gegenüber den Möglichkeiten der Prognosestellung ist vielfach ausgefiihrt worden, so daß hier eine kurze Zusammenfassung genügt32. Die gebräuchlichen Methoden der Prognosestellung haben sich als wenig tauglich erwiesen. Bereits die Validität der den Prognoseregeln zugrunde liegenden Erfahrungssätze ist bezweifelt worden. Das empirische Wissen über Rückfallfaktoren müßte in methodologisch akzeptabler Weise gewonnen und getestet worden sein, wobei gewährleistet sein muß, daß die Rückfallfaktoren nicht spezifisch für die jeweils untersuchte Gruppe sind33 . Bei der Anwendung der Prognoseverfahren stellt sich vor allem das gravierende Problem, daß die in der Praxis am einfachsten anzuwendenden statistischen Verfahren bei der großen Gruppe des Mittelfelds keine Aussage erlauben. Sie erlauben nur die Zuordnung des Täters zu einer Risikogruppe und bestimmte Wahrscheinlichkeitsaussagen, nicht aber eine individualisierte Beurteilung des Täters34 . Auch intuitive Prognosen stoßen wegen der SubjektiviUnten 5. Teil, 2. Kap. Für eine ausführliche Darlegung der Problematik vgl. Frisch, Prognoseentscheidungen im Strafrecht, S. 24 ff.; ders., in: FrischiVogt (Hrsg.), Prognoseentscheidungen, S. 62 ff.; Streng, Strafrechtliche Sanktionen, S. 226 ff.; Hart-Hönig, Gerechte und zweckmäßige Strafzwnessung, S. 52 ff.; Spieß, in: Kaiser u.a. (Hrsg.), Kleines Kriminologisches Wörterbuch, S. 287 ff.; Eisenberg, Kriminologie, § 21. 33 Streng, Strafrechtliche Sanktionen, S. 230 ff.; Spieß, in: Kaiser u.a. (Hrsg.), Kleines Kriminologisches Wörterbuch, S. 290 f.; Frisch, in: Frisch/Vogt (Hrsg.), Prognoseentscheidungen, S. 69 f.; Eisenberg, Kriminologie, § 21 Rn. 22. 34 Göppinger, Kriminologie, S. 342 ff.; Frisch, Prognoseentscheidungen im Strafrecht, S. 38 ff., 68; Streng, Strafrechtliche Sanktionen, S. 241 ff.; Bock, ZStW 102 31

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2. Teil: Folgenorientierung, Wiedergutmachung oder Tatschuldausgleich?

tät und Unüberprüfbarkeit der angewandten Kriterien auf schwerwiegende Bedenken35 . Aufwendigere Verfahren, die eine Vorbildung des Anwenders voraussetzen36 , haben den Vorteil, nicht nur Wahrscheinlichkeitswerte zu liefern, sondern auf das Individuum zugeschnitten zu sein. Sie sind aber wegen des erforderlichen Zeitaufwands allenfalls in Ausnahmefällen in der Strafpraxis eine Alternative. Hinzu kommen Bedenken, ob eine ausführliche Exploration wegen des damit verbundenen Eingriffs in Persönlichkeitsrechte als Regelfall überhaupt vertretbar wäre37 . bb) Eine Normativierung der PrognosesteIlung (wie sie Frisch vorschlägt38), nach der nur in Ausnahmekonstellationen ein Prognoseverfahren durchgeführt werden soll, bietet einen Ausweg fiir richterliche Entscheidungen, die eine Wahl zwischen zwei Alternativen betreffen. Wenn der Richter darüber zu entscheiden hat, ob eine bestimmte Rechtsfolge eintreten solle oder nicht - also etwa bei Aussetzungsentscheidungen (§§ 56 Abs. 1, 57 Abs. 1) oder der Wahl zwischen Geld und Freiheitsstrafe (§ 47 Abs. 1) -, ist es möglich, eine der beiden Rechtsfolgen zum Regelfall und die andere zum Ausnahmefall zu erklären. Ein Prognoseverfahren ist dann nur für die AusnahmeRechtsfolge erforderlich. Ist die Entscheidung jedoch wie bei der Strafmaßfestsetzung nicht dichotom strukturiert, sondern durch eine große Zahl möglicher Entscheidungsalternativen gekennzeichnet, so bietet sich kein Ausweg aus dem Dilemma, daß eine Prognose in jedem Fall gestellt werden muß. cc) Die nächste Schwierigkeit stellt sich bei der Suche nach geeigneten Einwirkungsmöglichkeiten. Die Darstellung kann auch insoweit knapp gehalten werden, da Skepsis gegenüber optimistischen Einschätzungen des Behandlungspotentials in der Strafpraxis heute nahezu Allgemeingut geworden ise 9 . Der schwindende Glaube an die bessernde Kraft von Strafe40 gipfelte in den siebziger Jahren in einer Reihe von Evaluationsstudien, die zu enttäuschenden (1990), 512; ders., GA 1997, 15 ff.; Schäfer, in: Jehle (Hrsg.), Individualprävention und Strafzwnessung, S. 194. 35 Frisch, Prognoseentscheidungen im Strafrecht, S. 110 f; Streng, Strafrechtliche Sanktionen, S. 226 f; Schumann, in: FrischIVogt (Hrsg.), Prognoseentscheidungen, S. 34 f; Eisenberg, Kriminologie, § 21 Rn. 14. 36 Vgl. insbesondere Göppinger, Angewandte Kriminologie, S. 32 ff. 37 Frisch, Prognoseentscheidungen im Strafrecht, S. 63 ff. 38 In: Prognoseentscheidungen im Strafrecht, S. 50 ff.; ders., in: FrischIVogt (Hrsg.), Prognoseentscheidungen, S. 88 ff. 39 NeumannlSchroth, Neuere Theorien, S. 23 ff.; H.-J. Albrecht, Strafzwnessung bei schwerer Kriminalität, S. 67 ff.; P.-A. Albrecht, ZStW 97 (1985),838 ff.; Schünemann, GA 1986, 345 ff.; ders., in: Eser/Cornils (Hrsg.), Neuere Tendenzen, S. 215; Streng, Strafrechtliche Sanktionen, S. 25 f, 170 f; Kunz, Kriminologie, S. 294 ff.; Schäfer, Praxis der Strafzumessung, Rn. 335,359. 40 Zur historischen Entwicklung des Besserungsgedankens s. Cohen, Visions of Social Control, S. 13 ff.

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Erkenntnissen über die Effizienz behandlungsorientierter Strafprogramme führten 41 . Zwar haben spätere Arbeiten die Formulierung "nothing works,,42 als schlagwortartige Verkürzung kritisiert und sich für eine differenziertere Betrachtung ausgesprochen, teils mit der Begründung, positive Effekte seien nachweisbar, teils mit der Begründung, die vorliegenden Untersuchungen erlaubten noch kein abschließendes negatives Urteil 43 . Letztlich geben jedoch auch neuere Forschungen keinen Grund zu einer (Wieder-)Annäherung an den Behandlungsgedanken für die Strafzumessung: Man kann allenfalls darauf verweisen, daß nach den bisherigen Erkenntnissen für bestimmte Tätergruppen und darauf abgestimmte Behandlungsprogramme teilweise mäßig positive Ergebnisse vorliegen44 . dd) In ein allgemein anwendbares StraJzumessungsmodellläßt sich dies aus zwei Gründen schwerlich umsetzen. Selbst wenn es möglich wäre, resozialisierungsbedürftige und -fähige Personen zu identifizieren und adäquaten Behandlungsprogrammen zuzuordnen, bleibt die Frage unbeantwortet, was mit Straftätern geschehen soll, die nicht in diese Kategorien passen. Eine ausschließlich resozialisierungsgeprägte Strafzumessungstheorie ist schon aus diesem Grund nicht durchführbar. Aber auch wenn man den Anwendungsbereich auf Teile der Verurteilungen reduziert, stößt die für eine praktisch umsetzbare Strafzumessungsstrategie notwendige Ausweitung des empirischen Wissens auf Legitimationsprobleme45 . Zur Gewinnung weiteren Wissens bedürfte es umfangreicher Erfahrungen mit Resozialisierungsprogrammen. Die 41 Lipton/Martinson/Wilks, Effectiveness of Correctional Treatment; Martinson, Public Interest 35 (1974), 22 ff.; Greenberg, Correctional Effects of Corrections; Sechrest/Brown, Rehabilitation of Criminal Offenders, insbes. S. 34. Zurückhaltend auch Ortmann, Resozialisierung im Strafvollzug, S. 335 ff., der einen günstigen Einfluß eines Aufenthalts in der sozialtherapeutischen Abteilung einer NA im Vergleich zu den anderen Abteilungen nicht nachweisen konnte, sowie Kury, Die Behandlung Straffälliger, S. 320 ff., der bei Behandlungsansätzen für jugendliche bzw. heranwachsende Untersuchungsgefangene ebenfalls keine nachhaltige Behandlungswirkung feststellte. 42 Nach Martinson, What works, Public Interest 35 (1974),22 ff. 43 Vgl. Gendreau/Ross, Justice Quarterly 4 (1987), 349 ff.; Palmer, Crime and Delinquency 37 (1991),332 ff.; Lüderssen, in: HassemerlLüderssenlNaucke, Fortschritte im Strafrecht, S. 85; ders., Krise des öffentlichen Strafanspruchs, S. 17 f; Bock, ZStW 102 (1990), 507; Schöch, Gutachten zum 59. DJT, C 40; ders., in: Jehle (Hrsg.), Individualprävention und Strafzumessung, S. 251 f; KaiseriKerneriSchöch, Strafvollzug, § 2 Rn. 109 ff.; Lösel/Köjerl/Weber, Meta-Evaluation der Sozialtherapie, S. 211 ff.; Lösei, in: StellerlDahlelBasque (Hrsg.), Straftäterbehandlung, S. 17 ff.; Göppinger, Kriminologie, S. 179 f 44 Palmer, Crime and Delinquency 37 (1991), 337 ff.; Gendreau/Ross, Justice Quarterly 4 (1987), 349 ff.; Lösel/Köjerl/Weber, Meta-Evaluation der Sozialtherapie, S. 211 ff.; Lösei, in: StellerlDahlelBasque (Hrsg.), Straftäterbehandlung, S. 19 ff., 25 f,3Iff. 45 W. Hassemer, FS für Coing, S. 520.

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Durchführung solcher Programme im Kontext der Kriminalstrafe macht diese aber zu Experimenten, deren Durchführung in Form von staatlichen Zwangseingriffen erfolgt. Diesem Aspekt wird zu wenig Rechnung getragen, wenn Sozialtherapie jenseits persönlichkeitsmanipulierender Techniken als unproblematisch eingestuft46 bzw. sogar aus Sozialstaatsprinzip und der Achtung der Menschenwürde ein Einwirkungsgebot abgeleitet wird47 . Teilweise wird diesem Einwand entgegengesetzt, daß eine spezialpräventiv geprägte Strafzumessung humaner mit dem Straftäter umgehe48 und die Resozialisierungsidee sogar eine "Zwischenstation auf dem Weg zum Verzicht auf Freiheitsstrafe" sei (so Lüderssen)49. Nimmt man den Anspruch einer resozialisierungsorientierten Gestaltung der Strafe jedoch ernst, ist als Reaktion auf festgestellte Sozialisationsdefizite eine intensive, tief in die Persönlichkeit und die Lebensgestaltung eingreifende Einwirkung unabdingbaro. Als nichtstationäre Behandlung ist dies wegen des fehlenden Leidensdrucks schwieriger zu erreichen als unter den Bedingungen des Freiheitsentzugs, so daß bei konsequenter Anwendung des Behandlungsgedankens im Gegensatz zur Prognose Lüderssens eher mit einer Zunahme von Freiheitsstrafen zu rechnen wäre. Eine gesteigerte Belastung der Betroffenen trotz des nur experimentellen Charakters entsprechender Versuche ist jedoch nicht zu rechtfertigen. ee) Aus dem Vorstehenden folgt nicht, daß das Ziel eines auf Hilfestellungen ausgerichteten Strafvollzugs zugunsten eines reinen Verwahrvollzugs aufzugegeben sei. Die Befürchtung, mit einer Absage an den Resozialisierungsgedanken seien sinnvolle Ansätze wie Bewährungshilfe, schulische bzw. berufliche Fortbildung und soziale Trainingsmaßnahmen im Vollzug gefahrdet51 , muß sich bei einer hinreichend differenzierten Betrachtungsweise nicht bewahrheiten. Sofern die von anderen Prinzipien geleitete Strafbemessung zur Verhängung einer nicht aussetzungsfahigen Freiheitsstrafe geführt hat, ist der Vollzug so zu gestalten, daß Haftschäden soweit wie möglich vermieden wer46 Lüderssen, in: HassemerlLüderssenINaucke, Fortschritte im Strafrecht, S. 83 f; Baurmann, Zweckrationalität und Strafrecht, S. 89 ff.; Schünemann, in: Eser/Comils (Hrsg.), Neuere Tendenzen, S. 214 f 47 BVerfGE 35, 202, 235 f 48 Vgl. etwa Frisch, in: Frisch/Vogt (Hrsg.), Prognoseentscheidungen, S. 62; kritisch dagegen P.-A. Albrecht, ZStW 97 (1985), 847 ff. 49 In: HassemerlLüderssenINaucke, Fortschritte im Strafrecht, S. 86. 50 Schöneborn, GA 1975,273 f; w: Hassemer, KrimJ 1982, 163 f sowie die Stellungnahmen von Kriminologen zur Mindeststrafdauer, die für die Wirksamkeit von Behandlungsprogrammen erforderlich sei, bei Schöch, FS für Schaffstein, S. 262 f Konsequent auch Frisch, ZStW 99 (1987), 370, der zu spezialpräventiven Zwecken bei Schuldstrafen im unteren oder mittleren Bereich die volle Ausschöpfung nach oben fordert. 51 Vgl. etwa Schöch, in: Jehle (Hrsg.), Individualprävention und Strafzumessung, S.251.

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den52 . Eine selbständige Strafzumessungstheorie, die zwangsweise Resozialisierung anordnet, kann aus einem solchen Schadensvermeidungskonzept aber nicht abgeleitet werden53 .

4. Positiv-generalpräventive Strafzumessung a) Positive Generalprävention als Straftheorie

aa) Die bereits im 19. Jahrhundert54 und in der nationalsozialistischen Straflehre55 vertretene Theorie der positiven Generalprävention ist heute die dominante Straftheorie56 , was zur Integration von entsprechenden Ansätzen auch in die Strafzumessungslehre geführt hae 7 • Diese Straftheorie basiert auf der Annahme, daß sich durch die Verhängung von Strafen die Bereitschaft der Allgemeinheit, Normen zu befolgen, positiv beeinflussen läßt. Die angenommenen Wirkungsmechanismen sind im einzelnen unterschiedlich, weshalb eigentlich im Plural von Theorien positiver Generalprävention gesprochen werden müßte. Ältere Ansätze stellen auf die "sittenbildende Kraft" des Straf-

52 P.-A. Albrecht, ZStW 97 (1985),857 f; Schünemann, in: Eser/Cornils (Hrsg.), Neuere Tendenzen, S. 215 f Dabei ist zu beachten, daß § 4 StVollzG eine Mitwirkungspflicht des Gefangenen nicht begründet; CalliessIMüller-Dietz, StVollzG, § 4 Rn. 3 f; Feest, AK-StVollzG, § 4 Rn. 5, je m.w.Nwen. 53 Hart-Hönig, Gerechte und zweckmäßige Strafzumessung, S. 60 ff. 54 Vgl. von Bar, Geschichte des deutschen Strafrechts, S. 312 ff., 326; Frommei, Präventionsmodelle, S. 104 ff.; Müller-Tuckfeld, Integrationsprävention, S. 19 ff. 55 Vgl. Dahm, Nationalsozialistisches und faschistisches Strafrecht, S. 17: Strafe als Mittel zur Wiederherstellung der erschütterten Gemeinschafts- und Friedensordnung; Müller-Tuckfeld, Integrationsprävention, S. 365 ff. m.w.Nwen. 56 Roxin, FS fllr Bockelmann, S. 305 f; Armin Kaufmann, in: ders., Strafrechtsdogmatik zwischen Sein und Wert, S. 265; ders., Aufgabe des Strafrechts, S. 17 f; Achenbach, in: Schünemann (Hrsg.), Grundfragen, S. 142 ff.; Rudolphi, in: Schünemann (Hrsg.), Grundfragen, S. 71; Jakobs, Strafrecht AT, 1/4 ff.; ders., Das Schuldprinzip, S. 25; Müller-Dietz, FS für Jescheck, S. 813 ff.; Frisch, ZStW 99 (1987), 379, kritischer allerdings ders., in: Schünemann/von Hirsch/Jareborg (Hrsg.), Positive Genera1prävention, S. 133 ff.; Zipf, FS für Pallin, S. 479 ff.; MaurachlZipf, Strafrecht AT I, § 7 Rn. 8; Schünemann, in: Eser/Cornils (Hrsg.), Neuere Tendenzen, S. 219; vgl. aber auch neuerdings dens., in: Schünemann/von Hirsch/Jareborg (Hrsg.), Positive Generalprävention, S. 109 ff.; Maiwald, in: Schöch (Hrsg.), Wiedergutmachung und Strafrecht, S. 70 f;Dölling,ZStW 102 (1990),14 ff.;MirPuig, ZStW 102 (1990),922 ff.; Freund, GA 1995, 7 ff. W Hassemer differenziert zwischen positiver Generalprävention und Integrationsprävention, in: Grundlagen des Strafrechts, S. 324 ff.; ders., FS für Buchala, S. 133 ff., s. auch dens., Generalprävention und Strafzumessung, S. 29 ff. sowie Hart-Hönig, Gerechte und zweckmäßige Strafzumessung, S. 99 f 57 Frisch, ZStW 99 (1987), 378 f; Hart-Hönig, Gerechte und zweckmäßige Strafzumessung, S. 125 ff.

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rechts ab58 , neuere Modelle auf Nonnkonfonnität, wobei sie davon ausgehen, daß Strafen Verhaltensdispositionen (mit-)prägen oder durch Überzeugungsbildung die Akzeptanz der Nonnen fördern 59 . Eine an tiefenpsychologische Erkenntnisse anknüpfende Variante sieht den Grund für die Bestrafung des Täters in der Unterstützung der Über-Ich-Kontrolle bei Dritten6o . bb) Die Grundannahmen der Straftheorie erscheinen zwar intuitiv durchaus plausibel. Insbesondere scheint es aus der Perspektive des Stra:fjuristen einleuchtend zu sein, daß die Verhängung von Strafen Verhaltensweisen und Einstellungen zu Nonnen beeinflusse. Es werden allerdings auch Argumente gegen die Prämissen der Theorie vorgebracht: Eine Nonnen bestätigende Strafrechtspraxis setze einen gesellschaftlichen Konsens über die zu schützenden Interessen voraus 61 ; es bedürfe deshalb des Nachweises, inwieweit von einem bestehenden Konsens über strafrechtlich geschützte Werte noch ausgegangen werden kann. Während dies zumindest für den Kernbereich des Strafrechts wahrscheinlich möglich ist, ist der zweite, entwicklungs- bzw. lernpsychologisch fundierte Einwand schwerer zu entkräften: Die kognitive Vermittlung von Nonnen führe nicht dazu, daß diese Nonnen auch tatsächlich handlungswirksam werden, was sich unter anderem durch das Mi/gramExperiment62 belegen lasse. Nur durch affektiv geprägtes Lernen im sozialen Nahraum ließen sich Nonnen wirksam internalisieren, während das Strafrecht diese Aufgabe nicht leisten könne63 . Absolut zwingend ist diese Argumentation allerdings nicht. Ihr kann die Hypothese entgegengesetzt werden, daß die fonnellen Rechtsnonnen einen notwendigen Hintergrund für affektiv geprägte Internalisierungsprozesse bilden und ihr Wegfall langfristig auch die Nonnvermittlung im unmittelbaren sozialen Umfeld beeinflussen würde. ce) Im Hinblick auf die empirische Validierung der positiven Generalprävention sieht die Situation noch düsterer aus als bei der negativen Generalprävention. Die zugrunde liegenden Verhaltensmodelle sind weitaus komplexer als die vergleichsweise simple Vorstellung vom homo oeconomicui4 . Entspre58 von Bar, Geschichte des deutschen Strafrechts, S. 312 ff., 326; Welzel. Das deutsche Strafrecht, S. 3; Hellmuth Mayer, Strafrecht Allgemeiner Teil, S. 21 f; BVerfGE 45, 187, 256 f Zu Welzels und Mayers Theorien Müller-Tuck/eld, Integrationsprävention, S. 29 ff. 59 Zu den Verhaltensmodellen, auf die die verschiedenen Varianten der Theorie aufbauen, Schumann, Positive Generalprävention, S. 2 ff.; Baurmann, GA 1994, 373 ff. 60 Vgl. HafJke, Tiefenpsychologie und Generalprävention, S. 87 ff.; Streng, ZStW 92 (1980), 637, 642, 663; ders., ZStW 101 (1989),288 f 61 Streng, in: Lampe (Hrsg.), Rechtsgleichheit und Rechtspluralismus, S. 285 ff. 62 Mi/gram, Das Milgram-Experiment. 63 Kargl, ARSP 1996,498 ff. 64 Vgl. Baurmann, GA 1994, 371 ff.

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chend schwierig ist eine Operationalisierung der zu testenden Variablen. Dies gilt bereits für die Definition des erstrebenswerten Zustands: Überlegungen, welches Ausmaß an Normvertrauen notwendig ist bzw. wann kritische Werte erreicht sind, dürften das erste Hindernis bei der empirischen Überprüfung von Strafzumessungseffekten sein65 . Aber auch die Identifizierung der unabhängigen Variablen, d.h. der Faktoren, die das Normvertrauen beeinflussen, stößt wegen der Komplexität der Materie auf größte Probleme. Gewichtige Operationalisierungsprobleme machen zwar die empirische Testbarkeit nicht prinzipiell unmöglich, erklären aber den bestehenden Mangel an entsprechenden Forschungsprojekten66 . Daß Strafen tatsächlich insoweit maßgebliche Prägekraft zukommt, zumindest im Sinne eines nicht unbedeutenden Faktors in einem Bündel von Wirkungskräften, kann nicht als bewiesen angesehen werden67 . dd) Die mangelnde Nachweisbarkeit der straftheoretischen Grundannahmen schürt die ersten Bedenken gegen eine positiv-generalpräventive Strafzumessung. Im Kontext dieser Arbeit ist jedoch vor allem entscheidend, ob sich aus der Straftheorie strafzumessungsrelevante Kriterien ableiten lassen. Bei der Theorie der Abschreckungsgeneralprävention läßt sich ein vergleichsweise unkomplizierter Zusammenhang zwischen den straftheoretischen Prämissen und dem Strafmaß formulieren: Die Strafe wird um ein Extramaß erhöht. Ebenso ergibt sich bei der Straftheorie der positiven Spezialprävention aus dem Sinn der Strafe die Vorgehensweise bei der Strafzumessung. Versucht man dagegen den Schritt von der Straf- zur Strafzumessungstheorie für die positive Generalprävention zu tun, so wird schnell klar, daß man sich auf schwankendem Grund bewegt: Wie soll man von der "zur Einübung in Normanerkennung"68 erforderlichen Strafe zu einem konkreten Strafmaß gelangen?69

65 Giehring, in: Pfeiffer/Oswald (Hrsg.), Strafzumessung, S. 91; Frisch, in: Schünemann/von Hirsch/Jareborg (Hrsg.), Positive Generalprävention, S. 134. 66 Vgl. zu den mit einer empirischen Überprüfung verbundenen Problemen W. Hassemer, in: HassemerlLüderssenINaucke, Hauptprobleme der Generalprävention, S. 35 f; Dölling, ZStW 102 (1990), 3; Müller-Tuckfeld, Integrationsprävention, S. 115 ff.; zu Operationalisierungsfragen Schumann, Positive Generalprävention, S. 15 ff. 67 Schumann fand bei jugendlichen Untersuchungsteilnehmem keinen eindeutigen Zusammenhang zwischen der Einschätzung des Strafbarkeitsumfangs und der Strafnormakzeptanz, Positive Generalprävention, S. 42 f Nach einer Strafbarkeitserweiterung im Bereich des BtMG war die Normakzeptanz bei den Jugendlichen sogar gesunken, S. 36 f 68 Jakobs, Strafrecht AT, 1/15. 69 Eine gewisse Skepsis findet sich insoweit auch schon bei Streng, ZStW 92 (1980), 678; kritisch auch Frisch, in: Schünemann/von Hirsch/Jareborg (Hrsg.), Positive Generalprävention, S. 134.

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2. Teil: Folgenorientierung, Wiedergutmachung oder Tatschuldausgleich?

b) Unmöglichkeit der Strafzumessung anhand nachweisbarer Effekte

aa) Eine an gesellschaftlichen Wirkungszusammenhängen ausgerichtete Theorie kommt nicht umhin, vor der Umsetzung in die Praxis empirische Forschung zu den Effekten unterschiedlicher Strafmaße zu betreiben. Es ist jedoch nicht möglich, vergleichende Aussagen zu der sozialpsychologischen Wirkung unterschiedlicher Strajhöhen zu machen. Es wäre eine starke Überschätzung der "seismographischen Sensibilität" der Bevölkerung, wenn man die Hypothese aufstellen würde, daß sich bereits kleinere Schwankungen in den Strafhöhen auf Verhaltensdispositionen oder Normakzeptanz auswirken70 . Allenfalls kann man für sehr strenge oder auch extrem milde Strafen Irritationen bei der Allgemeinheit vermuten, die sich langfristig im Sinne einer nachlassenden Systemakzeptanz auswirken könnten 7) - wobei dafür wahrscheinlich auch noch eine gewisse Anzahl und gesteigerte Publizität ungewöhnlicher Urteile vorausgesetzt werden müßte. Mit einer Warnung vor Extremkonste/lationen ist für die alltägliche strafrichterliche Praxis jedoch nicht viel gewonnen. Der Richter hat regelmäßig aus einem beschränkteren Spektrum in Betracht kommender Strafen eine Wahl zu treffen. Bei diesem Strafenspektrum ist zweifelhaft, ob die Differenz sozialpsychologische Folgen bewirken kann, wobei die Wahl für den Bestraften bedeutsam ist. bb) Die Möglichkeiten sozialwissenschaftlicher Forschung werden bei weitem überschätzt, wenn die Ermittlung hinreichend exakter Grenzwerte für bestimmte Strafhöhen als realistisch angesehen wird72 . Eine unmittelbare Anbindung der Regeln zur Entscheidung von Einzelfallen an gesellschaftspolitische Gegebenheiten muß daran scheitern, daß die empirischen Wirkungszusammenhänge zu großmaßstäbig sind, um sie in die in viel differenzierterer Form notwendigen dogmatischen Prinzipien umzusetzen. Für Erwägungen zum allgemeinen Strafniveau in einer Gesellschaft bietet sich die Erkenntnis, daß sich innerhalb eines bestimmten Strafspektrums Unterschiede nicht auf Verhalten und Normakzeptanz der Bevölkerung auswirken, als kriminalpolitische Richtungsangabe an. Eine unmittelbare Umsetzung in Strafzumessungsregeln zur Entscheidung von Einzelfalien ist jedoch nicht möglich 73 .

Ähnlich Giehring, in: Pfeiffer/Oswald (Hrsg.), Strafzumessung, S. 111. Zu Annahmen, die das Verhältnis von Systemstabilität und die Beachtung individueller Autonomie betreffen, s. Hart-Hönig, Gerechte und zweckmäßige Strafzumessung, S. 110 f. 72 Kunz, in: Kielwein (Hrsg.), Entwicklungslinien der Kriminologie, S. 40; Schöch, in: Pfeiffer/Oswald (Hrsg.), Strafzumessung, S. 133. 73 Zu diesem Ergebnis kommen auch Schöch, Gutachten C zum 59. DIT, C 39 (,jede strafrechtliche Sanktion, die den Normbruch verdeutlicht, ist geeignet, die generalpräventive Aufgabe des Strafrechts zu erfiillen"); Streng, ZStW 101 (1989), 293; Bock, ZStW l03 (1991), 656; H. -J. Albrecht, Strafzumessung bei schwerer Kriminali70 7)

1. Kapitel: Konsequente Folgenorientierung

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c) Orientierung am Mindestmaß bzw. an der gerechten Strafe

aa) Angesichts der Probleme mit der Konkretisierung von präventiv wirksamen Einzelstrafen wird erwogen, die jeweils niedrigste Strafe zu verhängen, von deren Maß man annehmen kann, daß keine negativen Folgen bei der Allgemeinheit auftreten. Dies schlägt etwa Giehring vor: Der Tatrichter solle die normativ gebotene Mindeststrafe verhängen, da von einer Absenkung der Strafhöhen keine negativen sozialpsychologischen Folgen zu erwarten seien74 . Dem stehen jedoch mehrere Einwände entgegen. Zum einen bleibt offen, wie die normative Bestimmung dieser Mindeststrafe erfolgen soll: Die untere Grenze des gesetzlichen Strafrahmens, unabhängig von der Schwere des konkreten Falles, kann es jedenfalls nicht sein. Man kommt auch bei diesem Ansatz nicht umhin, sich mit der aus normativen GIiinden gebotene Mindeststrafe auseinanderzusetzen, wofür Regeln angegeben werden müssen, die nicht auf dem Prinzip der Folgenorientierung beruhen können. Zum anderen kompromittiert diese pauschale Lösung den Grundansatz der Folgenorientierung. Eine folgenorientierte Strafzumessungstheorie, die ihren Namen verdient, müßte sich in spezifischerer Form mit dem Einfluß der konkret zu verhängenden Strafen auf die zukünftigen Muster der Straftatenbegehung beschäftigen75 • bb) Von einer in der deutschen Strafrechtswissenschaft stark vertretenen Meinung werden die Probleme, die sich bei einem empirisch orientierten Verständnis der positiven Generalprävention ergeben, mit der Argumentation umgangen, nur eine gerechte Strafe entfalte normbestätigende Wirkung76 . tät, S. 34; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, S. 744, 881. Konsequenterweise befilrwortet auch Jakobs als der Nestor einer positiv-generalpräventiven Strafrechtsdogmatik für die Strafzumessung eine Variante der Spielraumtheorie, in: Strafrecht AT, 1/50. 74 m: Pfeiffer/Oswald (Hrsg.), Strafzumessung, S. 111 ff. Giehring geht zwar nicht von einer an positiver Generalprävention, sondern am Rechtsgüterschutz orientierten Strafzumessungstheorie aus, was aber für den hier interessierenden Punkt keine Rolle spielt. 75 Giehrings Ansatz differenziert nicht hinreichend zwischen der Frage, wie das allgemeine Strafniveau in einer Gesellschaft beschaffen sein sollte und der anders gelagerten Fragestellung, auf welcher theoretischen Basis für einen konkreten Einzelfall die Strafmaßentscheidung gefallt werden soll. 76 So bereits von Bar, Geschichte des deutschen Strafrechts, S. 320; ferner Noll, Ethische Begründung der Strafe, S. 22; ders., FS für Hellmuth Mayer, S. 227; Gallas, ZStW 80 (1968), 3; Jescheck, ZStW 80 (1968), 59; Henkel, Die ,,richtige" Strafe, S. 40; Dreher, FS fllr Bruns, S. 148; Roxin, FS für Bockelmann, S. 305; Armin Kaufmann, Aufgabe des Strafrechts, S. 7; Achenbach, in: SchÜllemann (Hrsg.), Grundfragen, S. 143; Müller-Dietz, FS für Jescheck, S. 825 f.; Kunz, ZStW 98 (1986),832; Neumann, ZStW 99 (1987), 591; ders., in: SchÜllemann/von Hirsch/Jareborg (Hrsg.), Positive Generalprävention, S. 150; Streng, ZStW 92 (1980), 872; ders., ZStW 101 (1989),292,294,330; ders., NStZ 1989,394; Maiwald, in: Schöch (Hrsg.), Wiedergutmachung und Strafrecht, S. 71; Heine, Tötung aus niedrigen Beweggründen, S. 126; Freund, GA 1995, 8.

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2. Teil: Folgenorientierung, Wiedergutmachung oder Tatschuldausgleich?

Diese Kombination von Zweckmäßigkeit und Gerechtigkeit77 hat sich als beliebte Argumentationsfigur etabliert, um auf der einen Seite den Rationalitätsgewinn eines folgenorientierten Strafrechtssystems beizubehalten, ohne sich aber die ethischen Probleme konsequent nützlichkeitsorientierten Denkens aufzuladen. Schwenkt man auf diese Verknüpfung von Gerechtigkeit und Normbestätigung ein, ergeben sich zwei unterschiedliche methodische Ansatzpunkte für die nunmehr erforderlich werdende Auseinandersetzung mit dem Topos Gerechtigkeit. Die erste Möglichkeit liegt darin, auf einer normativen Ebene zu untersuchen, wann ein bestimmtes Strafmaß als gerecht bezeichnet werden soll. Es überrascht nicht, daß dieser empirieferne Ansatz in der Strafzumessungslehre der verbreiteste ist: Damit bleibt das Strafzumessungsrecht entscheidungsfahig, ohne auf sozialwissenschaftliche Beweisführung angewiesen zu sein78. So schlägt etwa Kunz zur Festlegung von Regeln für Gerechtigkeitsbeurteilungen vor, die dahinter stehenden sozialen Wertvorstellungen mit dem Verfahren der "diskursiven Hermeneutik" zu begründen79 . Die diskursive Begründung eines Prinzips läßt jedoch breite Wertungsspielräume offen, da die Methode der dialogischen Rechtfertigung nur wenig Leitpunkte für die Endresultate bietet. Es besteht im entscheidenden Punkt der Empirienähe kein wesentlicher Unterschied zu dem hier vorgelegten Ansatz, der ebenfalls auf normativen Erwägungen zur Bestimmung des gerechten Straftnaßes beruht. Der einzige Unterschied liegt darin, an welcher Stelle der Begründungsstrang ansetzt, d.h. inwieweit er in einen folgenorientierten straftheoretischen Hintergrund eingekleidet ist80 . Folgerichtiger im Sinne der Theorien positiver Generalprävention wäre es allerdings, sich der gerechten Strafe ebenfalls auf empirischer Basis zu nähern, d.h. zu untersuchen, welche Strafen in der Bevölkerung als gerecht empfunden werden81 . Die Ermittlung der Gerechtigkeitsvorstellungen der Be-

77 Vgl. den Titel der Monographie von Hart-Hönig: Gerechte und zweckmäßige Strafzumessung. 78 Die Aussage Roxins (in: Strafrecht AT I, § 3 Rn. 30), daß das Konzept nicht falsiflzierbar sei (ebenso W. Hassemer, FS für Buchala, S. 145 f.) ist deshalb wohl eher als erleichterte, nicht aber als besorgte Feststellung zu verstehen. Vgl. auch Streng, ZStW 101 (1989), 296, der vom ,,Ermitteln des als gerecht Empfundenen" spricht, damit aber "in üblicher Weise" "Gewicht des angegriffenen Rechtsguts, Intensität des Angriffs, Motivation des Täter etc." meint. 79 ZStW 98 (1986), 833. 80 Zur nonnativen Natur der sich oberflächlich empirisch gerierenden Theorie der positiven Generalprävention H.-J. Albrecht, Strafzumessung bei schwerer Kriminalität, S. 79 f.; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, S. 881. 81 Vgl. Haag, Rationale Strafzumessung, S. 69 ff.; Giehring, in: Pfeiffer/Oswald (Hrsg.), Strafzumessung, S. 93.

1. Kapitel: Konsequente Folgenorientierung

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völkerung ist jedoch ebenfalls mit Schwierigkeiten behaftet. Hart-Hönig, der an die Entwicklung eines Strafzumessungsmodells zunächst theoriegemäß empirisch herangeht82, verwirft denn auch schnell ein Abstellen auf reale Einstellungen realer Menschen, die, wie er zutreffend feststellt, inhomogen und schwankend sind83 . Statt dessen will er auf die "tieferliegenden, persistenten Werte der Gesellschaft,,84 rekurrieren, wobei offenbleibt, wie deren Inhalt empirisch zu ennitteln sein soll. Wie der weitere Gang seiner Untersuchung zeigt, schwenkt er an diesem Punkt auf eine ausschließlich normative Analyse um: Damit kommt er zu Folgerungen, die in vielen Punkten auf derselben Linie wie die dieser Arbeit liegen85 . Zweifelhaft bleibt jedoch bei Hart-Hönigs Analyse, wie die Anschlußfahigkeit an die ausführlich ausgebreiteten empirischen Grundlagen geschaffen werden soll. cc) Als Ergebnis ist festzuhalten, daß letztlich alle Versuche, aus der empirisch begründeten Theorie der positiven Generalprävention eine Strafzumessungstheorie zu entwickeln, gezwungen sind, sich an der einen oder anderen Stelle vom empirischen Fundament zu lösen und sich auf normativ zu beantwortende Fragestellungen einzulassen86 . Für deren Bearbeitung liefert aber die Theorie keine Erkenntnisse, weshalb es nicht durchführbar ist, allein auf der Basis der positiven Generalpräventionstheorie eine Strafzumessungstheorie zu entwickeln87 . Diese kann allenfalls die Verpackung zur Verfügung stellen, wobei aber offenbleibt, wie die Kernfrage der Bewertung von Gerechtigkeit anzugehen ist.

82 In: Gerechte und zweckmäßige Strafzumessung, S. 102 tT. 83 Gerechte und zweckmäßige Strafzumessung, S. 109, 113. Ebenso Kunz, ZStW

98 (1986), 832, der das mit einer Querschnittserhebung meßbare Gerechtigkeitsempfmden mit der wenig aussagekräftigen Momentaufnahme eines sich bewegenden Körpers vergleicht. 84 Gerechte und zweckmäßige Strafzumessung, S. 109. 85 Gerechte und zweckmäßige Strafzumessung, S. 127 tT. 86 Stratenwerth, Lehre von den Strafzwecken, S. 18; Frisch, in: Schünemann/von Hirsch/Jareborg (Hrsg.), Positive Generalprävention, S. 135 tT.; Neumann, in: Schünemann/von Hirsch/Jareborg (Hrsg.), Positive Generalprävention, S. 150 f. Zur Konvergenz von traditionellem und positiv-generalpräventivem Ansatz bei den Anwendungsregeln für die Schuldzurechnung s. auch Frister, Struktur des "voluntativen Schuldelements", S. 88 tT. 87 So auch Giehring, in: PfeitTer/Oswald (Hrsg.), Strafzumessung, S. 94; H.-J. Albrecht, Strafzumessung bei schwerer Kriminalität, S. 34; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, S. 881. Auch Streng, ZStW 101 (1989), 293 räumt ein, daß eine positivgeneralpräventive Strafzumessungslehre mit Unschärfeproblemen kämpfen müßte.

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2. Teil: Folgenorientierung, Wiedergutmachung oder Tatschuldausgleich?

2. Kapitel: Wiedergutmachung 1. Wiedergutmachung statt Strafrecht

a) Ein auf Wiedergutmachung setzendes Konzept kann, wie auch eine präventionsorientierte Strafzumessungstheorie, auf die Auseinandersetzung mit dem Begriff der Strafzumessungsschuld verzichten, da die Reaktion auf die Straftat zukunftsorientiert erfolgt, ohne sich aber den Schwierigkeiten eines unmittelbar auf Straftatenprävention abzielenden Ansatzes auszusetzen. Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, daß Wiedergutmachung eines der meist diskutierten Themen in der kriminalpolitischen Diskussion der letzten Jahre geworden ist88 . Die Strafrechtspraxis hat schon seit einiger Zeit verschiedene Projekte zum Täter-Opfer-Ausgleich integriert89 . Mit dem Verbrechensbekämpfungsgesetz vom 28. Oktober 199490 wurde § 46 a neu eingeführt, der für eine zumindest ernsthaft erstrebte Wiedergutmachung bzw. für Entschädigungsleistungen die Möglichkeit der Strafmilderung bzw. des Absehens von Strafe vorsieht. An dieser Stelle interessiert nicht die lntegrierbarkeit der gesetzlich angeordneten Rechtsfolgen in das hier vorzustellende tatproportionale Strafzumessungskonzept, sondern eine anders gelagerte Thematik, nämlich, ob sich aus der Idee der Wiedergutmachung eine Alternative zum Festhalten an Strafe ergibt. b) Anspruchsvollere Konzeptionen der Wiedergutmachung lehnen eine Beschränkung etwa auf die Entkriminalisierung von Bagatellkriminalität ab und vertreten als allgemeinere Linie eine zukunftsorientierte Reaktion auf die Straftat, die -Stichwort Täter-Opfer-Ausgleich- über den Ersatz des materiellen Schadens hinausgeht91 . Unter der Überschrift wiederherstellende Gerechtigkeit werden Reaktionen auf die Straftat gefordert, die eine Versöhnung von Täter und Opfer anstreben92 . Dabei kann diese Versöhnungsleistung als

88 Vgl. Frehsee, Schadenswiedergutmachung; Schöch (Hrsg.), Wiedergutmachung und Strafrecht; Jung, ZStW 99 (1987), 496 tI.; ders., Sanktionensysteme und Menschenrechte, S. 147 tI.; Hirsch, ZStW 102 (1990), 534 t1; Dölling, JZ 1992,493 tI.; Trenczek, ZRP 1992, 130 tI.; Baumann u.a., Alternativ-Entwurf Wiedergutmachung; Schöch, Gutachten zum 59. DIT, C 54 tI.; Brauns, Wiedergutmachung der Folgen. 89 Projektbeschreibungen bei Kley-Struller, Wiedergutmachung, S. 21 tI.; Bannenberg, Wiedergutmachung in der Strafrechtspraxis. 90 BGBl. I S. 3186. 91 Trenczek, ZRP 1992, 131; Rössner/Bannenberg, in: Hering/Rössner (Hrsg.), Täter-Opfer-Ausgleich, S. 319 tI. 91 Bussmann, MSchrKrim 1986, 154.

2. Kapitel: Wiedergutmachung

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Selbstzweck angesehen werden93 , aber auch die Hoffnung auf spezialpräventive oder positiv-generalpräventive Wirkungen begründen94 . Ausgangspunkt ist die Interpretation der Straftat als ein Konflikt, den es zu verarbeiten und aufzulösen gelte95 . Anstatt das in der Vergangenheit liegende Verhalten des Täters zum Maßstab für die erforderliche Reaktion zu machen, soll sich die Intervention danach bemessen, was für eine sinnvolle Problemlösung erforderlich sei. Dieselbe Tat könnte infolgedessen völlig unterschiedliche, nach den Bedürfnissen von Opfer und Täter individualisierte Folgen nach sich ziehen. c) Eine echte Ersetzung der Strafe durch ein Konfliktlösungsmodell wird allerdings nur vereinzelt angestrebt96 . Die Mehrheit der Befiirworter von Wiedergutmachungsprojekten in der deutschen Strafrechtswissenschaft bewegt sich auf der Linie des Alternativ-Entwurfs Wiedergutmachung, nach dem eine durchgeführte Wiedergutmachung innerhalb des bestehenden Sanktionensystems berücksichtigt werden so1l97. Eine abolitionistische Perspektive muß bereits an der nur begrenzten Reichweite der Grundannahmen scheitern. Die Definition als Konflikt trifft nur auf einen relativ geringen Teil möglicher Fallkonstellationen zu, nämlich diejenigen, bei denen Täter und Opfer in ein Netz vorausgehender Interaktionen verstrickt waren und das Opfer zu dem strafrechtlich schließlich relevant werdenden Geschehen beigetragen hat98 .

93 Vgl. Kley-Struller, Wiedergutmachung, S. 67 f; skeptisch gegenüber präventiven Effekten auch Trenczek, ZRP 1992, 132. 94 Vgl. Beste, KrimJ 1986, 163; Roxin, in: Schöch (Hrsg.), Wiedergutmachung und Strafrecht, S. 48 ff.; Frisch, ZStW 99 (1987), 781; Schöch, Gutachten zwn 59. DIT, C 63 ff.; Rössner, NStZ 1992,410 f; Bannenberg, Wiedergutmachung, S. 65 ff. Skeptisch P.-A. Albrecht, FS für Schüler-Springorum, S. 85 sowie Brauns, Wiedergutmachung der Folgen, S. 172 f, der zu Recht darauf hinweist, daß Wiedergutmachung nicht unbedingt präventiv begründete Strafbedürfnisse entfallen läßt. Bei der positiven Generalprävention könnten etwa Einbußen auftreten, wenn der Eindruck entstünde, manche Täter könnten sich "freikaufen". 95 S. Christie, British Journal ofCriminology 1977, 1 ff.; ders., Limits to Pain, S. 81 ff.; SessarfBeurskens/Boers, KrimJ 1986, 86 f; Trenczek, ZRP 1992, 131; Sessar, Wiedergutmachen statt strafen, S. 5 f 96 Christie, Limits to Pain, S. 92 ff., andeutungsweise auch Sessar, GS für Hilde Kaufmann, S. 378 ff.; ders., FS für Leferenz, S. 152 ff.; ders., Wiedergutmachen oder Strafen, S. 5 ff. 97 §§ 4, 5, 11 AE-Wiedergutmachung; Schöch, Gutachten zwn 59. DIT, C 75 f.; Bannenberg/Rössner, in: HeringlRössner (Hrsg.), Täter-Opfer-Ausgleich, S. 319 f1 98 In diesen Fällen trägt strafrechtlicher Tadel flir nur einen der Beteiligten tatsächlich die Gefahr in sich, daß die Verhältnisse nur unvollständig und mißverständlich beschrieben werden. Das Problem kann allerdings durch die Berücksichtigung des Opfermitverschuldens bei der Strafzumessung gemildert werden, vgl. dazu unten 4. Teil, 4. Kap., 2 b.

7 Hömle

98

2. Teil: Folgenorientierung, Wiedergutmachung oder Tatschuldausgleich?

In Beschreibungen des Wiedergutmachungsgedankens wird aber auch von einem "Konflikt" zwischen Täter und Opfer gesprochen99, wenn die Einbeziehung des Opfers erst durch die Tat erfolgte lOO . Den nur durch die Straftat entstandenen Überlappungsbereich der Lebenssphären grundsätzlich als "Konflikt" zu bezeichnen, ist jedoch problematisch, wenn das Opfer keinen ihm vorwerfbaren Beitrag zur Genese der Straftat geleistet hat lol . d) Unter bestimmten Umständen liegt der Vorstellung einer gemeinschaftlichen Bewältigung des Geschehens allerdings ein berechtigtes Anliegen zugrunde. Die Befürworter von Täter-Opfer-Ausgleichsprojekten weisen zu Recht darauf hin, daß die Viktimisierung beim Opfer zu erheblichen Problemen führen kann, insbesondere zu psychischen Beeinträchtigungen, für deren Aufarbeitung weder im Straf- noch im Zivilverfahren Raum istlo2 . Im formalisierten Strafverfahren können solche Folgen der Straftat oft nicht einmal in ausreichender Form thematisiert, geschweige denn verarbeitet werden. Der Gedanke, dem Opfer ein Forum zu geben und den Täter als Zuständigen darin einzubeziehen, liegt deshalb in manchen Fällen im Opferinteresse. Eine Verallgemeinerung dieser Konstellationen zu einem standardisierten Reaktionsmuster wäre jedoch unangemessen. Die Entscheidung des Opfers, Viktimisierungsprobleme durch die Begegnung mit dem Täter anzugehen, muß eine freiwillige und subjektive Entscheidung seinl03 . Vielfach besteht kein Interesse des Opfers, an einem Täter-Opfer-Ausgleichsverfahren teilzunehmen l04 . Soweit mangels eines entsprechenden Bedürfnis des Opfers auf nur symbolische Ersatz/ormen einer Wiedergutmachung zurückgegriffen werden müßte l05 , entfallt aber die Begründung für die Berechtigung eines Täter-Opfer-Ausgleichs.

99 Vgl. etwa Frehsee, Schadenswiedergutmachung, S. 127; Baumann u.a., AEWiedergutmachung, S. 23. 100 So ausdrücklich Sessar, Wiedergutmachen oder Strafen, S. 5 f. 101 Kritisch zur Ersetzung von "Unrecht" durch ,,Konflikt" Naucke, in: HassemerlLüderssenlNaucke, Fortschritte im Strafrecht, S. 9, 16, 31; See/mann, JZ 1989, 674 ff. 102 Vgl. Frehsee, Schadenswiedergutmachung, S. 127 ff. Hirsch, ZStW 102 (1990), 542 f. verkennt dies, wenn er feststellt, daß das Opfer im Vergleich zur zivilrechtlich zu erreichenden Kompensation generell keine Vorteile von der Wiedergutmachung zu erwarten habe. 103 Trenczek, ZRP 1992, 131; Schöch, NStZ 1984, 390; ders., Gutachten zum 59. DJT, C 68 ff. 104 Nwe. zu Opferbefragungen bei Kilchling, NStZ 1996, 316. 105 Vgl. Schöch, FS für Maihofer, S. 468.

2. Kapitel: Wiedergutmachung

99

2. Wiedergutmachung als Alternative in ausgewählten Fällen a) Statt einer abolitionistisch orientierten Version der Wiedergutmachung, (die in der deutschen Strafrechtswissenschaft eher als utopisch angesehen wird! 06), kommt die teilweise Ersetzung konventioneller Strafzumessung durch Wiedergutmachungsmaßnahmen in Betracht. Es gibt hierzu vielfältige Modelle, die unterschiedliche Rechtsfolgen und unterschiedliche Anknüpfungspunkte im Verfahren vorsehen\07. Für die hier zu untersuchende Frage interessiert lediglich Wiedergutmachung als sogenannte "dritte Spur" des Strafrechts\08. Soweit Wiedergutmachung in den Kontext der Diversion eingestellt wird, also Voraussetzung für eine polizeiliche, staatsanwaltschaftliche oder gerichtliche Verfahrenseinstellung sein SOll109, ergibt sich nur eine mittelbare Relevanz l1O . Von einer "dritten Spur" im Sinne einer auf derselben Ebene wie Strafe und Maßregel stehenden Sanktion könnte die Rede sein, wenn es sich um eine als Endresultat eines förmlichen Verfahrens angeordnete Wiedergutmachungssanktion handelti!! . Insoweit käme zum Beispiel die Verurteilung zur Teilnahme an einem Täter-Opfer-Ausgleich oder zum Ersatz des Schadens in Anlehnung an die in Großbritannien existierende compensation order!!2 oder in den USA vorgesehene restitutionll3 in Frage. b) Gegen eine Verurteilung zu Schadensersatz als selbständige Sanktion spricht jedoch, daß die Schwere der Tat nicht mit dem Schaden beim Opfer gleichzusetzen ist. Auch wenn man die Verhängung dieser Sanktion auf Straftaten gegen Individualrechtsgüter beschränken würde, wäre eine angemessene Reaktion auf die Unwertigkeit der Tat alleine mit dem Schadensmaßstab nicht möglich. Neben dem Erfolg einer Tat ist unter anderem auch für die Bewertung des Geschehens entscheidend, ob der Täter vorsätzlich oder

106 Frehsee, Schadenswiedergutmachung, S. 193 ff.; Roxin, in: Schöch (Hrsg.), Wiedergutmachung und Strafrecht, S. 41. 107 Vgl. dazu Frehsee, Schadenswiedergutmachung, S. 197 ff. 108 Vgl. Frehsee, Schadenswiedergutmachung, S. 119, der von einer "dritten Spur" zwischen Strafe und Behandlung spricht. 109 Vgl. zu entsprechenden Gestaltungen Frehsee, Schadenswiedergutmachung, S. 202 ff.; Baumann u.a., § 11 AE-Wiedergutmachung; Schöch, Gutachten zum 59. DIT,

C 80.

110 Eine Ausweitung der Verfahrenseinstellungen könnte zu einer Inkompatibilität von Verfahrensgestaltung und tatproportionaler Strafzumessungslehre führen, vgl. dazu 3. Teil, 5. Kap., 1 b. 111 Frehsee, Schadenswiedergutmachung, S. 384, hält die Akzeptanz einer solchen selbständigen Sanktionsform für wenig realistisch. 112 Vgl. Jung, ZStW 99 (1987), 497 ff. 113 Vgl. Trenczek, Restitution, S. 62 ff. 7'

100

2. Teil: Folgenorientierung, Wiedergutmachung oder Tatschuldausgleich?

fahrlässig gehandelt hat. Das Strafrechtssystem wäre inkonsistent, wenn Handlungsunrecht und Schuld für das Ob der strafrechtlichen Haftung herangezogen werden, bei der Strafmaßfrage aber ausschließlich auf den Tatschaden abgestellt würde. Eine kompensatorisch ausgerichtete pekuniäre Strafsanktion wäre außerdem ein Rückschritt hinter das mit der Einführung des Tagessatzsystems durch das 2. StrRG114 angestrebte Prinzip der OpjergleichheU115 . Bei Tätern mit geringem Einkommen wirkt sich die Verurteilung zu einer absolut bestimmten Geldsumme im Vergleich zu Tätern mit besseren Einkommensverhältnissen benachteiligend aus. Diese Besorgnis kann auch nicht durch die Argumentation aufgefangen werden, daß der Betroffene ja zivilrechtlich ohnehin verpflichtet sei, diese Summe zu bezahlen. Die im Strafrecht üblichen und erforderlichen "back up" -Sanktionen bei Nichtbezahlung sind schärfer als die zivilprozessualen Vollstreckungsmöglichkeitenll6, was wiederum zahlungsschwache Verurteilte stärker belastet als finanziell bessergestellte Täter. Der einzig akzeptable Ansatz zu einer Berücksichtigung der finanziellen Ausgleichsinteressen des Opfers liegt außerhalb der Strafzumessung. Der Empfanger einer Geldstrafe muß nicht notwendigerweise der Staat sein. Dementsprechend wird angeregt, eine Geldstrafe zumindest teilweise dem Opfer zufließen zu lassen, um zu verhindern, daß die Durchsetzung seiner Schadensersatzforderungen an einer Entreicherung des Täters durch eine Geldstrafe scheitertll ? . c) Als förmliche Sanktion, die den Charakter einer echten dritten Spur hätte, käme auch die Verurteilung zur Teilnahme an einem Täter-OpferAusgleich in Betracht. Dies entspricht nicht der Praxis der Täter-OpferAusgleichsprojektel\8, wäre aber als konzeptuelle Neuerung denkbarl\9. Einem als selbständige Sanktion angeordneten Täter-Opfer-Ausgleich steht jedoch entgegen, daß die selektive Anwendung in "geeigneten Fällen" zu einem Konflikt mit Gleichheitsgrundsätzen führen muß l20 . Innerhalb der Strafrechtspflege ist die Gleichbehandlung aller Straftäter unabdingbar. Sobald ein staatliches Verfahren eingeleitet worden ist, kommt die Verhängung einer Übelszufügung für bestimmte Täter und die Freistellung anderer Täter aufVom 4.7.1969, BGBl. I S. 717. S. dazu von Seile, Gerechte Geldstrafe, S. 36 fI. 116 Hirsch, ZStW 102 (1990), 543, spricht von der ,,Rückkehr zum Schuldturm". 117 Frehsee, Schadenswiedergutmachung, S. 210 fI.; Roxin, in: Schöch (Hrsg.), Schadenswiedergutmachung und Strafrecht, S. 52. 118 Vgl. Bannenberg, Wiedergutmachung in der Strafrechtspraxis, S. 91 tr. 119 Kritisch zu einem staatlich erzwungenen Täter-Opfer-Ausgleich Walter, in: Kerner u.a. (Hrsg.), Täter-Opfer-Ausgleich, S. 47 tr.; Trenczek, Restitution, S. 220. 120 Hirsch, ZStW 102 (1990), 537; Dölling, JZ 1992,495. 114 115

2. Kapitel: Wiedergutmachung

101

grund von Umständen, die in keinem sachlichen Zusammenhang mit der Tatbewertung stehen, nicht mehr in Betrache 21 • Es kann daher für einen Täter-Opfer-Ausgleich nur eine außerstrafrechtliche Organisation des Verfahrens in Betracht kommen. Gleichheitsprobleme existieren natürlich auch in diesem Stadium. Insbesondere besteht auch insoweit die Möglichkeit, daß eine ungleiche Machtverteilung zwischen Opfer und Täter zu Druck auf den Schwächeren führt 122 . Die Entwicklung nach der Begehung einer Straftat ist jedoch zwangsläufig von zufalligen Elementen und willkürlichen Entscheidungen der von der Tat Betroffenen geprägt. Nur ein geringer Teil begangener Straftaten führt zu der Einleitung eines Strafverfahrens: Auf den Großteil aller Normbrüche wird mit anderen Bewältigungsstrategien reagiert123 . Die Entscheidung des Verletzten, auf die Einleitung eines Strafverfahrens zu verzichten, ist einer Kontrolle auf Vernünftigkeit oder Angemessenheit nicht zugänglich. Gleichbehandlungsgrundsätze gelten nur, wenn der Staat durch die freie Entscheidung des Opfers überhaupt zu einer Reaktion berufen ist. Deshalb ist es nicht ausgeschlossen, Entscheidungen des Opfers zu berücksichtigen, die im Rahmen eines außerstrafrechtlichen TäterOpfer-Ausgleichs getroffen wurden124 . Die kritische Grenze ist dann erreicht, wenn der Staat Druck auf das Opfer ausübt, was der Fall wäre, wenn der Täter-Opfer-Ausgleich ins Strafverfahren integriert würde. d) Im Alternativ-Entwurf Wiedergutmachung ist in einem anderen Sinn von einer dritten Spur gesprochen worden125 • Es ging nicht um Wiedergutmachung als gerichtlich angeordnete Sanktion, sondern um ein Absehen von Strafe als Reaktion auf eine außerhalb der Hauptverhandlung durchgeführte Wiedergutmachung126 . In diesen Fallkonstellationen soll auf die Übelszufügung verzichtet werden, während an einem sozialethischen Unwerturteil in Form eines Schuldspruchs festzuhalten sei. Nach der vorgeschlagenen Formulierung in § 4 AE-Wiedergutmachung sollte dieser Weg für Fälle gewählt 121 122

So auch P.-A. Albrecht, FS fl.ir Schüler-Springorum, S. 83. Dölling, JZ 1992, 497; Roxin, in: Schöch (Hrsg.), Wiedergutmachung und Stra-

frecht, S. 44; zur notwendigen rechtlichen Einbindung außerstrafrechtlicher Projekte auch Jung, Sanktionensysteme und Menschenrechte, S. 148 ff. 123 Vgl. Beste, KrimJ 1986, 165 ff.; Schünemann, NStZ 1986, 195. 124 Die unselbständige Rolle hält auch Hirsch, ZStW 102 (1990), 542 ff. für prinzipiell strafrechtskonform. 125 Baumann u.a., AE-Wiedergutmachung, S. 25 und § 4, und Schöch, Gutachten zum 59. DIT, C 66 ff., 76 meinen damit eine unselbständige Rolle der Wiedergutmachung: Freiwillige, vor Verfahrensbeendigung erbrachte Wiedergutmachungsleistungen sollen angerechnet werden. 126 Die Wiedergutmachung sollte nach dem AE-Wiedergutmachung entweder außerha1b der gerichtlichen Sphäre oder in einer von der Hauptverhandlung zu unterscheidenden richterlichen Wiedergutmachungsverhandlung initiiert werden, §§ 13 Abs. 2, 16-18.

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2. Teil: Folgenorientierung, Wiedergutmachung oder Tatschuldausgleich?

werden, in denen nicht mehr als ein Jahr Freiheitsstrafe verwirkt ist. Praktisch hätte dies erhebliche Konsequenzen gehabt, da die Mehrzahl der strafrechtlichen Verurteilungen in dieses Spektrum fallt. Auch insoweit gilt jedoch, daß aus Gleichbehandlungsgriinden die strafaufhebende Wirkung gerechtfertigt werden muß, da in den Fällen ohne Wiedergutmachungsleistungen nach wie vor eine Bestrafung erfolgen würde. Eine Rechtfertigung ist zwar im Hinblick auf eine mögliche unrechtsaufhebende Wirkung im Einzelfall durchaus möglich127 . Ob bzw. inwieweit das Tatunrecht durch eine erfolgte Wiedergutmachungsleistung kompensiert wurde, kann jedoch nicht ohne eine einzelfallbezogene Analyse festgestellt werden128 . Ansätze, die Wiedergutmachungsleistungen pauschal als eine Bestrafung ausschließend einstufen, werden dem nicht gerecht. Der Entscheidung des Gesetzgebers für eine unselbständige Rolle von Wiedergutmachungsleistungen im Rahmen von § 46 a ist beizupflichten. Wiedergutmachung kann die Strafzumessung beeinflussen, aber nicht vollständig oder zu weiten Teilen ersetzen.

3. Kapitel: Stellenwerttheorie und Strafzumessung auf der Basis absoluter Straftheorien 1. Die Stellenwerttheorie a) Inhalt der Stellenwerttheorie

Das Fazit der vorausgegangenen Kapitel ist, daß eine Neuorientierung der Strafzumessungstheorie nicht durch eine konsequente Umsetzung präventiver Erwägungen oder des Wiedergutmachungsgedankens anzustreben ist. Auf der Suche nach einer dieser Prämisse Rechnung tragenden Alternative zur herrschenden Strafzumessungslehre stößt man auf die sogenannte Stellenwerttheorie 129 . Diese differenziert zwischen den Prinzipien für die Strafzumessung im engeren Sinne (die Festsetzung der Strathöhe oder -dauer) und für die Strafzumessung im weiteren Sinn (die Wahl der Strafart). Die zentrale Aussage der Stellenwerttheorie ist, daß präventive Erwägungen bei der Strafzumessung im engen Sinn keine Rolle spielen sollen. Präventive Strafzumessungsgriinde sollen ausschließlich bei der Strafzumessung im weiteren Sinne, also insbesondere bei der Wahl zwischen Geld- und Freiheitsstrafe und der Strafausset-

127 128 129

Vgl. unten 4. Teil, 4. Kap., 4. So auch Brauns, Wiedergutmachung der Folgen, S. 242 ff. Zur Bezeichnung s. Henkel, Die ,,richtige Strafe", S. 23.

3. Kapitel: Stellenwerttheorie und absolute Straftheorien

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zung zur Bewährung (§§ 47, 56) beachtet werden130 . Die hier interessierende Frage, wie die Strafe i.e.S. bestimmt werden soll, beantwortet die Stellenwerttheorie mit dem Verweis auf die schuldangemessene Strafe.

b) Begrenzte Reichweite der Stellenwerttheorie

Die Bezugnahme auf die Schuldangemessenheit als einziges Bemessungskriterium erlaubt aber über die Ablehnung von präventiv-orientierten Strafzumessungsfaktoren hinaus keine weiterführenden Präzisierungen. Die Stellenwertheorie ist eine Theorie von nur begrenzter Reichweite, deren wesentlicher Beitrag in der Unterscheidung von Strafhöhen- und Strafartentscheidung liegt, die ansonsten aber wesentliche Punkte offen läßt. Zum einen steht die ungeklärte Natur der Strafzumessungsschuld einer problemlosen Umsetzung der Stellenwerttheorie im Wege. Für die praxisrelevante Frage, wie der Tatrichter die notwendige Durchkonkretisierung leisten soll, kann sie keine weiteren Erkenntnisse liefeml3l . Vor allem aber muß sich eine schuldgebundene Strafzumessungstheorie damit auseinandersetzen, warum Schuld ein angemessener Bemessungsmaßstab sein könnte\32. Der Hinweis auf § 46 Abs. 1 S. 1 kann jenseits eines ausschließlich positivistischen Rechtsverständnisses die Rechtfertigung eines nicht-präventiven Strafzumessungsmodells nicht ersetzen. Insbesondere ist zu klären, ob mit dem Konzept der schuldangemessenen Strafe zwingend eine Hinwendung zu absoluten Straftheorien verbunden ist. Kritiker der schuldangemessenen Strafe bringen vor, diese sei mit einem am Rechtsgüterschutz orientierten Strafrecht nicht vereinbar und nur auf dem Boden einer Vergeltungstheorie sinnvoll I33 . Während die Stellenwerttheorie mit der Ausgliederung präventiver Strafzumessungserwägungen bei der Festsetzung der Strafhöhe einen ersten Schritt in dieselbe Richtung wie das hier vorzustellende Konzept tut, sind für eine positive Rechtfertigung wie für die nähere Ausgestaltung weitere Begrundungsschritte erforderlich.

130 Henkel, Die ,,richtige" Strafe, S. 22 ff.; Horn, FS für Bruns, S. 165 fT.; ders., FS für SchafTstein, S. 241, 246 fT.; ders., SK, § 46 Rn. 33 fT.; Schöch, Strafzwnessungspraxis und Verkehrsdelinquenz, S. 79 fT.; ders., FS für SchafTstein, S. 255,259 fT. 131 H.-J. Albrecht, Strafzwnessung bei schwerer Kriminalität, S. 52. 132 Vgl. Giehring, in: PfeifTer/Oswald (Hrsg.), Strafzwnessung, S. 96 f 133 Schünemann, in: ders. (Hrsg.), Grundfragen, S. 189 f; ders., in: HirschlWeigend (Hrsg.), Strafrecht und Kriminalpolitik, S. 160; ders., in: Eser/Corni1s (Hrsg.), Neuere Tendenzen, S. 210 f; Achenbach, Historische und dogmatische Grundlagen, S. 221 f; EI/scheid, in: Wad1e (Hrsg.), Recht und Gesetz, S. 80 ff.; Hart-Hönig, Gerechte und zweckmäßige Strafzwnessung, S. 14 fT.; H.-J. Albrecht, Strafzumessung bei schwerer Kriminalität, S. 52 f

104

2. Teil: Folgenorientierung, Wiedergutmachung oder Tatschuldausgleich?

2. Strafzumessung auf der Basis absoluter Straftheorien a) Eine ausführlichere Begründung einer nicht-präventionsgestützten Strafzumessungstheorie findet sich bei den Autoren, die sich für eine Wiederbelebung absoluter Straftheorien aussprechen und deshalb eine ausschließlich am Tatschuldausgleich orientierte Strafzumessung fordern 134 . Aus dieser Perspektive ist eine präventive Ausrichtung des Strafrechts wie des Strafzumessungsrechts deshalb abzulehnen, weil damit eine heteronome Zwangswirkung des Rechts begründet würde. Heteronomer Zwang, der zukünftig rechtmäßiges Verhalten erzwingen wolle, könne mit einem richtig verstandenen Rechtsbegriff nicht in Einklang gebracht werden, da jedermann als ein sich selbst bestimmendes, autonomes Subjekt ernst genommen werden müsse 135 • b) Bei unterschiedlicher Akzentsetzung im Detail ist den am Tatschuldausgleich orientierten Theorien der Grundgedanke gemeinsam, daß durch die Straftat ein Zustand gestärt worden sei, der durch die Strafe wiederhergestellt werden müsse. Nach Hegel ist Strafe als "Negation der Negation"136 zu umschreiben: Auf das Verbrechen, welches trotz seiner äußerlichen Existenz an sich nichtig sei, müsse die Manifestation dieser Nichtigkeit folgen 137 . Unter Einbeziehung des auf Fichte zurückgehenden Konzepts des gegenseitigen Anerkennungsverhältnisses l38 folgern neuere absolute Straftheorien, daß die Rechtfertigung von Strafe beim Wesen der Straftat ansetzen müsse. Der Täter verschaffe sich das Privileg einer erweiterten Freiheitssphäre mit Allgemeingeltungsanspruch. Zur Wiederherstellung des durch die Tat gestörten Rechtsgleichheitsverhältnisses müsse der in der Straftat zum Ausdruck gekommene Geltungswiderspruch zum Recht aufgehoben werden l39 . c) Bis zu diesem Punkt mag die Gedankenführung neuaufgelegter absoluter Straftheorien noch überzeugen. Der Schwachpunkt liegt an der folgenden Stelle der Argumentation, mit der begründet werden muß, warum es zur Wiederherstellung eines gestörten Rechtsgleichheitsverhältnisses einer Übelszujü-

134 Köhler, Zusammenhang; ders., Begriff der Strafe; E.A. WoljJ, ZStW 97 (1985), 786 ff.; Kahlo, Pflichtwidrigkeitszusammenhang, S. 296 ff.; Herzog, Prävention des

Unrechts. Zur Forderung nach einem streng proportionalen Verhältnis von Straftat und Übel auf der Basis des Vergeltungsgedankens vgl. von Beling, Die Vergeltungsidee, S. 62, aber auch S. 68 f., wo von Beling dem Staat zugesteht, nur teilweise Vergeltung zu üben, soweit dies zur Bewahrung der Staatsautorität ausreichend sei. 135 Köhler, Zusammenhang, S. 33 ff.; E.A. WoljJ, ZStW 97 (1985), 804 f. 136 Hegel, Philosophie des Rechts, Zusatz zu § 97. Zur Frage der Authentizität dieses Zusatzes vgl. Seelmann, Anerkennungsverlust und Selbstsubsumtion, S. 12 f. 137 Hegel, Philosophie des Rechts, § 97. Erläuternd Seelmann, Anerkennungsverlust und Selbstsubsumtion, S. 11 ff. 138 Vgl. dazu Zaczyk, Strafrecht in der Rechtslehre Fichtes. 139 Köhler, Zusammenhang, S. 37 ff.; ders., Begriff der Strafe, S. 44 ff.

3. Kapitel: Stellenwerttheorie und absolute Straftheorien

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gung in Form der Kriminalstrafe bedarf. Das Postulat, die Wiederherstellung des Rechtsgleichheitsverhältnis setze eine Einbuße des Täters an seiner äußeren Freiheit voraus l40 , vermag eine solche Begründung nicht zu ersetzen. Warum soll es eines handfesten, für den Täter als Einbuße spürbaren Mittels bedürfen, um ein abstrakt konzeptualisiertes Verhältnis wiederherzustellen? Die Notwendigkeit der Wiederherstellung des Anerkennungsverhältnisses kann nur bedeuten, daß es einer Reaktion auf die Verletzung des Rechts bedarf - nicht aber, daß diese Reaktion die Form einer Übelszufügung annehmen muß 141 . Die Ablehnung des Talionsgedanken bei Hegel weist bereits in diese Richtung: Die Vorstellung von einer bestimmten, absolut feststehenden Strafe hat er bereits aufgegeben. Die Reaktionsform in concreto kann, abhängig von der Gesellschaftsverfassung, flexibler gestaltet werden 142. In konsequenter Weiterentwicklung dieses Gedankens ist die Vorstellung nicht mehr haltbar, daß es generell für alle strafbaren Handlungen einer Übelszufügung anstatt anderer Reaktionsformen bedarf, etwa einer Schadensersatzzahlung oder aber einer nur symbolischen Verurteilung des Täters, die sich auf den Tadelsausspruch beschränkt l43 .

d) Anstatt bei den stark abstrahierenden Vorstellungen vom gestörten Rechtsgleichheits- bzw. Anerkennungsverhältnisses die Erörterung abzubrechen, lohnt es sich, Variationen absoluter Straftheorien von angloamerikanischen Autoren heranzuziehen, die sich im Gegensatz zu deutschen Autoren weniger einer engen Anlehnung an die Vertreter des deutschen Idealismus verpflichtet sehen. Dort wird die Idee des unberechtigten Vorteils des Täters in den Vordergrund gestellt: Der Straftäter habe gegen die wechselseitige Pflicht zur Zurückhaltung verstoßen und sich unberechtigterweise Vorteile gegenüber anderen Bürgern verschafft, die ihm wieder entzogen werden müßten l44 . Dahinter steht die Vorstellung, daß jeder Bürger von der Existenz

Köhler, Begriff der Strafe, S. 50 f Vgl. von Bar, Geschichte des deutschen Strafrechts, S. 312; Bock, ZStW 103 (1991),639; Kleinig, Israel Law Review 25 (1991), 416; Seelmann, ARSP 1993,234 ff.; ders., Anerkennungsverlust und Selbstsubsumtion, S. 74 ff.; Kuhlen, in: Schünemann/von Hirsch/Jareborg (Hrsg.), Positive Generalprävention, S. 62. 142 Hegel, Philosophie des Rechts, § 101. 143 Hegel, Philosophie des Rechts, § 100 a.E.: Strafe nicht als einzige Form der Gerechtigkeit. Vgl. auch Köhler, Zusammenhang, S. 39 f, der einräumt, daß der normative Begriff von Strafe nicht mit den empirischen Erscheinungsformen verwechselt werden dürfe und die Strafarten am Strafbegriff zu messen seien, ohne aber die Frage anzusprechen, ob nicht auch das Merkmal der Übelszufügung für die Wiederherstellung des Rechtsgleichheitsverhältnisses überflüssig sein könnte. Vgl. auch Seelmann, JZ 1989,676. 144 Morris, The Monist 52 (1968), 475 ff.; Murphy, Retribution, Justice and Therapy, S. 77 ff.; Finnis, Fundamentals of Ethics, S. 128 ff.; Sadurski. Giving Desert its Due, S. 101 ff., 225 ff. 140

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2. Teil: Folgenorientierung, Wiedergutmachnng oder Tatschuldausgleich?

des Strafgesetzes profitiert, welches es ennöglicht, in Sicherheit ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Diesem Vorteil stehe die Last eigener Zurückhaltung und Selbstbeschränkung gegenüberl45 . Mit dieser Argumentationslinie ist die Zufügung eines Übels eher zu vertreten, da einem realiter bestehenden Vorteil, der anders als die wenig faßbare Vorstellung von der Negation des Rechts oder einem gestörten Anerkennungsverhältnis beschreibbar ist, ein ebenfalls real spürbares Übel gegenüber gestellt wird. Die Argumentation, das entscheidende Moment einer Straftat sei die Verletzung der Zurückhaltungspflicht, trifft jedoch nicht den Kern der Sache. Bei vielen Delikten, die gravierend in die Rechtssphäre des Opfers eingreifen, wird die Selbstbeschränkung in der Regel nicht als Bürde empfunden. Der weitgehend praktizierte Verzicht auf vorsätzliche Tötungen oder Sexualdelikte ist darauf zurückzuführen, daß entsprechende Verhaltensweisen von vornherein als nicht zur Entfaltung eigener Freiheit gehörend angesehen werden. Lediglich bei bestimmten mala prohibita, etwa der Steuerhinterziehung, überzeugt die Argumentation vom Deliktsverzicht aus wechselseitiger Gebundenheit. Wenn aber gesetzestreues Verhalten gerade bezüglich schwerer Verbrechen nicht als Bürde empfunden wird, geht der Ansatz fehl, der Strafe damit begründet, daß der Täter sich einen umso größeren Vorteil anmaße, je schwerer die Tat wiegtl46. Es liegt näher, die Ratio von Strafe nicht im Verhältnis Täter-gesetzestreue Bürger, sondern Täter-Opfer zu suchen: Das eine Tat wesentlich prägende Element ist nicht das Ausmaß der gewonnenen Freiheit beim Täter, sondern das Ausmaß, in dem die Rechte des Opfers verletzt wurden l47 . e) Eine Strafzumessungstheorie, die unmittelbar auf eine absolute Straftheorie aufbaut und aus dieser ihre Begründung zieht, kann nicht überzeugen. Jenseits der berechtigt-kritischen Haltung gegenüber präventiven Strafzumessungstheorien stellt ein auf Tatschuldausgleich aufbauender Ansatz wegen der

145 Ausführlich Sadurski. Giving Desert its Due, S. 225 f1 Dies ist natürlich kein neuer Gedanke, vielmehr wurde er bereits in der Aufklärung im Rahmen gesellschaftsvertraglicher Ansätze vertreten; vgl. zum Beispiel Filangieri, System der Gesetzgebung, IV. Band, 26. Kapitel. Gegen das Vorteilsargument wird vorgebracht, daß viele Delikte - z.B. SachbeschädigWlg oder Umweltdelikte - keine faßbare Besserstellung des Täters mit sich bringen: so Goldman. Philosophy and Public Affairs 1979,44. Dieser Einwand geht allerdings fehl: Der Vorteil des Täters liegt nicht in finanziellem Gewinn, Lustgewinn oder ähnlichem, sondern in der Freiheit von der Pflicht zur Selbstbeschränknng, vgl. Sadurski. Giving Desert its Due, S. 228 f 146 Duff, Trials and Pnnishments, S. 213; Wolf, Verhütung oder Vergeltung, S. 79; von Hirsch, Censure and Sanctions, S. 8; Papageorgiu, Schaden nnd Strafe, S. 39 f 147 Duff, Trials and Pnnishments, S. 211 f; Wolf, Verhütung oder Vergeltung, S. 79 f; Kleinig, Israel Law Review 25 (1991), 414 f; von Hirsch, Censure and Sanctions, S. 8; Papageorgiou, Schaden nnd Strafe, S. 38 ff.

Zusammenfassung der Analyse möglicher Alternativen

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Defizite im Begriindungsstrang absoluter Straftheorien keine überzeugende Alternative dar.

Zusammenfassung der Analyse möglicher Alternativen a) Die Ergebnisse der vorangegangenen drei Kapitel scheinen in eine unüberwindbare Aporie zu münden: Einerseits wurden die Varianten einer unmittelbar am Ziel der Straftatenprävention ausgerichteten Strafzumessungstheorie verworfen. Die Strafhöhenbestimmung ist weder mit der Theorie der negativen noch der positiven Generalprävention möglich, da die gesamtgesellschaftlichen Wirkungszusarnmenhänge viel zu großmaßstäbig sind, als daß daraus Regeln fiir Einzelfalle abgeleitet werden könnten. Eine an Spezialprävention orientierte Strafzumessung stößt auf Prognoseprobleme sowie auf das Problem, daß korrigierende, belastende Eingriffe auf der Basis unsicheren Wissens nicht akzeptabel sind. Auch Wiedergutmachung ist nur eine Ergänzung, aber keine Alternative zur Strafzumessung. Eine vollständige Ersetzung des Strafrechts durch Wiedergutmachung wäre mit dem Grundsatz der Freiwilligkeit der Opferteilnahrne nicht vereinbar; eine teilweise Ersetzung des Strafrechts würde Gleichbehandlungsgrundsätzen widersprechen. b) Wenn eine prospektiv an Präventionseffekten oder Wiedergutmachung orientierte Strafzumessung nicht in Betracht kommt, muß notwendigerweise das Gewicht der Straftat, also eine retrospektive Sichtweise, fiir das Strafmaß entscheidend werden. Jedoch wurden auch die sogenannten absoluten Straftheorien als nicht überzeugende Rechtfertigung fiir die Verhängung staatlicher Strafen abgelehnt. Aufgrund der fehlenden Legitimation absoluter Straftheorien scheint der Weg zu einer arn Tatgeschehen orientierten Strafzumessung deshalb auf den ersten Blick versperrt zu sein. Im ersten Kapitel des folgenden dritten Teils wird jedoch dargelegt, daß dieser vermeintliche Konflikt auf einer falschen Prämisse beruht und eine ausschließlich an der Tatschwere orientierte Strafzumessung nicht eine absolute Straftheorie voraussetzt, sondern mit einem rechtsgüterschützenden Strafrecht durchaus vereinbar ist. Im Vordergrund steht dabei der Zusammenhang von Straftheorie und Strafzumessungstheorie, der weniger eng ist, als dies die herrschende Meinung bislang annimmt.

3. Teil: Die Theorie tatproportionaler Strafzumessung 1. Kapitel: Straftheoretische Vorüberlegungen 1. Schlicht-funktional begründete Straftheorien a) Die Entwicklung einer Strafzumessungstheorie setzt voraus, daß die Verhängung staatlicher Strafen legitimierbar ist. Es gilt die Praxis zu rechtfertigen, die in unserem Kulturkreis als Strafe verstanden wird, nämlich die Verhängung eines Übels von Staates wegen als Reaktion auf vorausgegangenes unrechtmäßiges Verhalten eines schuldhaft Handelnden!. Die Legitimationsfrage der Verhängung von Strafen kann auf zwei Ebenen untersucht werden, deren Unterschiedlichkeit betont werden muß 2. Zum einen geht es um die Rechtfertigung der sozialen Praxis der Verhängung von Strafen: Die mögliche Alternative bestünde darin, zur UnterdIiickung unerwünschten Verhaltens auf andere Rechtsinstitute bzw. außerrechtliche Mechanismen sozialer Kontrolle zu setzen. In diesem Sinne wird im weiteren Verlauf der Arbeit von Straftheorie gesprochen. Zum anderen kann die Frage aber auch dahingehend gewendet werden, ob und wie die konkret in einem EinzelJalI zu verhängende Strafe gerechtfertigt werden kann. Die Rechtfertigung der sozialen Praxis ist dabei logisch vorgeordnet: Wenn Strafe auf dieser Ebene nicht begrüDdbar ist, stellt sich das Problem bezüglich konkreter Einzelfälle nicht mehr. Für die im weiteren zu entwickelnde Strafzumessungstheorie wird dagegen im Vordergrund stehen, ob sich aus der Straftheorie Folgerungen für die Bemessung von Einzelstrafen ableiten lassen. b) In der gegenwärtigen deutschen Strafrechtswissenschaft besteht ein weitreichender Konsens dahingehend, daß die soziale Praxis staatlicher Übelszufügung in einern säkularisierten Staat nicht legitirnierbar ist, indern schlicht auf die Notwendigkeit eines Ausgleichs für das in der Vergangenheit liegende Übel hingewiesen wird3 . Vielmehr müsse ein Bezug zu sozial nützlichen Effekten hergestellt werden. Allein der Schutz gemeinschaftlicher Interessen und Vgl. Kargl, GA 1998, 59 ff. Vgl. Hoerster, GA 1970, 278; anders Neumann/Schroth, Neuere Theorien, S. 37 f 3 Schanemann, in: ders. (Hrsg.), Grundfragen, S. 158; ebenso von Hirsch, Past or Future Crimes, S. 47 ff.; ders., Censure and Sanctions, S. 12 f; von Hirsch/Jareborg, Strafmaß und Strafgerechtigkeit, S. 15 f mit der Unterscheidung von Übe1szufügung und strafrechtlichem Tadel. I

2

1. Kapitel: Straftheoretische Vorüberlegungen

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Güter vermöge eine Übelszufügung durch staatliche Strafe zu begründen. In den Worten von Noll: "Begründet ist die Strafe ... in der sozialen Notwendigkeit,,4. Die gängigste Theorie verweist auf die Aufgabe des Strafrechts, Rechtsgüter zu schützen5 . Es kann in diesem Zusammenhang noch offenbleiben, wie die geschützten Interessen definiert werden6 , ob über den Rechtsgutsbegriff, als elementare Werte des Zusammenlebens7, formaler als die Rechtsordnung selbst8 oder als der fragile innere Friede einer Gesellschaft9 . Der Kern all dieser Ansätze ist, daß durch staatliche Strafen weitere Straftaten verhindert werden sollen1o . Charakteristisch für die deutsche Lehre ist die Dominanz einer an Straftatenprävention ausgerichteten, also teleologischen Rechtfertigung der Strafpraxis.

4

Fn.

Noll, Ethische Begründung der Strafe, S. 20 f S. ferner die Nwe. in den folgenden

5 Baumann u.a., § 2 Abs. 1 AE-StGB; Armin Kaufmann, in: ders., Strafrechtsdogmatik zwischen Sein und Wert, S. 263; Ellscheid/W. Hassemer, in: LüderssenlSack (Hrsg.), Seminar Abweichendes Verhalten, S. 266; Rudolphi, in: Schünemann (Hrsg.), Grundfragen, S. 71; ders., SK, vor § 1 Rn. 2 ff.; Schünemann, in: Eser/Cornils (Hrsg.), Neuere Tendenzen, S. 224; Baurmann, Zweckrationalität und Strafrecht, S. 71; Otto, Grundkurs Strafrecht, S. 5 ff.; Giehring, in: Pfeiffer/Oswald (Hrsg.), Strafzumessung, S. 97; Maurach/Zipf, Strafrecht AT 1, § 7 Rn. 4 f; Schönke/Schröder/Stree, vor § 38 Rn. 1; W. Hassemer, NK-StGB, vor § 1 Rn. 255 ff.; Schäfer, in: Jehle (Hrsg.), Individualprävention und Strafzumessung, S. 184; Roxin, Strafrecht AT 1, § 3 Rn. 1; LKJescheck, vor § 1 Rn. 2; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, S. 7. 6 Zur Präzisierung der Schadensdimension bei der Bestimmung des Erfolgsunwerts s. unten 4. Teil, 1. Kap., 3. 7 BVerfGE 45, 187,253; Welzel, Das Deutsche Strafrecht, S. 5; Noll, Ethische Begründung der Strafe, S. 21; Schaffstein, FS für Gal1as, S. 101; Giehring, in: Pfeiffer/Oswa1d (Hrsg.), Strafzumessung, S. 84; Frisch, ZStW 99 (1987), 368; Maurach/ Zipf, § 7 Rn. 4. g Jakobs, Strafrecht AT, 1/9 ff.; Kunz, in: Kielwein (Hrsg.), Entwicklungslinien der Kriminologie, S. 37; Freund, GA 1995, 7 f; Papageorgiou, Schaden und Strafe, S. 83 ff., 287 f, der freilich betont, daß das Ziel der Normstabilisierung ohne eine Begründung für die Richtigkeit dieser Normen zu formal sei, vgl. S. 37 ff. 9 Kargi, ARSP 1996, 502 ff.; ders., GA 1998,74 f 10 Bei den an der Aufrechterhaltung der Rechtsordnung orientierten Ansätzen ist dieser Zusammenhang natürlich weniger eng als bei den unmittelbar arn Rechtsgüterschutz orientierten, vgl. Stratenwerth, Lehre von den Strafzwecken, S. 13. Ein Unterschied zwischen klassisch präventiv begründeten Theorien und der Friedenssicherungstheorie liegt darin, daß es bei ersteren in der Regel um die Prävention ähnlicher Taten wie der abzuurteilenden geht, während die abzuwendenden negativen Folgen im Zusammenhang mit Selbsthilfe und privater Rache ganz anderer Natur sein können als ihr Anlaß.

110

3. Teil: Die Theorie tatproportionaler Strafzumessung

2. Eingeschränkte Nachweisbarkeit präventiver Effekte a) Die soeben beschriebene Rechtfertigung staatlicher Übelszufügung ist von einer empirisch haltbaren Untermauerung der Hypothese präventiver Effekte abhängig. Ohne Ausführungen zu möglichen straftatenhindernden Auswirkungen aus einer Makro-Perspektive läßt sich die teleologische Straftheorie nicht begründen. Dies wirft notwendigerweise die Frage nach den Beweisstandards für den Nachweis von positiven Effekten auf. Dabei ist zu bedenken, daß die Anforderungen von der Theorie der Kriminalisierung abhängig sind!!. Es hängt von der Reichweite und der Überzeugungskraft der Kriminalisierungsprinzipien ab, wie schwer die Beweislast für präventive Effekte des Strafrechtssystems wiegt. Wenn auf der Kriminalisierungsebene die Reichweite des Strafrechts auf die Verletzung wichtigster Güter und Interessen beschränkt wird, ist es eher vertretbar, aufgrund der überragenden Wichtigkeit der Prävention von Normübertretungen die Anforderungen an den Nachweis präventiver Effekte zurückzuschrauben. Wenn dagegen der Bereich strafbarer Handlungen tendenziell weit gezogen wird, ist es schwieriger zu begründen, warum trotz gewisser Unsicherheiten in bezug auf die präventive Wirksamkeit der Forderung nach einer (teilweisen) Abschaffung des Strafrechts nicht nachgegeben werden sollte. Es ist unmöglich, im Rahmen dieser Arbeit Ausführungen zur angemessenen Kriminalisierung von Verhaltensweisen zu machen. Wegen der Koppelung von Kriminalisierungs- und Straftheorie bleibt für die sogleich zur erörternde empirische Seite der Straftheorie nur der Ausweg, von bestimmten Annahmen über Kriminalisierungsprinzipien auszugehen: Unter der Prämisse, daß Güter von zentraler Wichtigkeit geschützt werden, ist das Strafrechtssystem legitim, wenn präventive Effekte zumindest naheliegen. b) In den Ausführungen zu einem konsequent folgenorientierten Strafzumessungskonzept wurde die These von präventiven Effekten durch unterschiedliche Strafhöhen sehr skeptisch beurteilt!2. Die Beweislast wiegt bei der Überprüfung von präventiven Wirkungen des Strafensystems allerdings weniger schwer als wenn es um die Effekte von einzelnen Strafen geht. Während eine unmittelbar generalpräventiv orientierte Strafzumessungslehre daran scheitert, daß es nicht möglich ist, die Höhe einer konkreten Einzelstrafe nach ihrer präventiven Nützlichkeit zu tarieren, könnte für die Legitimation des Strafrechts der Nachweis eines Zusammenhangs in einem wesentlich gröberen Maßstab genügen.

11 Auf den Zusanunenhang von Straf- und Kriminalisierungstheorie weist Papageorgiou hin, in: Schaden und Strafe, S. 83 fT., 286 ff. 12 Vgl. oben 2. Teil, 1. Kap., 2 c (4).

1. Kapitel: Straftheoretische Vorüberlegungen

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c) Ein Indiz für die präventive Wirksamkeit des Strafrechts wäre eine Zunahme von Straftaten bei seiner Abschaffung. Dieser Zusammenhang ist allerdings noch schwieriger zu überprüfen als die Effekte unterschiedlicher Strafhöhen, da es wegen der Ubiquität staatlichen Strafens in allen entwickelten Gesellschaftssystemen keine testbare Alternative gibt l3 . Der in der Strafrechtswissenschaft gelegentlich zu findende Hinweis auf den "gesunden Menschenverstand", "persönliche Erfahrungen und Beobachtungen" und ähnlichesl4 ist zwar für viele Deliktsgruppen wahrscheinlich im Ergebnis berechtigt, kann aber die Fragestellung nicht befriedigend erschöpfen. Andenaes weist zum Beweis der Notwendigkeit der Strafpraxis auf historische Ausnahmesituationen hin, in denen der temporäre Zusammenbruch staatlicher Strafverfolgung die Zunahme von Straftaten zur Folge hatte l5 . Inwieweit diese Folgen jedoch auf das Ausbleiben von Übelszufügungen oder aber auf einen sich allgemeiner auswirkenden Zustand gesellschaftlicher AnOInie zurückzuführen sind, kann kaum unterschieden werden. Wirkliche Beweiskraft kommt solchen Episoden nicht zu. Gewisse, wenn auch vorsichtige Schlüsse lassen sich allerdings aus den Untersuchungen ziehen, die Individuen nach begangenen Straftaten bzw. nach der Wahrscheinlichkeit der Straftatbegehung befragen und diese Angaben zu rechtlichen und außerrechtlichen Variablen in Beziehung setzen. Während der allgemeine Tenor dieser Untersuchungen ist, daß wahrgenommene Strafhähen keinen Einfluß auf Straftatentscheidungen haben, scheint die Wahrscheinlichkeit einer Strafverfolgung eine wenn auch gegenüber außerrechtlichen Faktoren zurücktretende Rolle zu spielen l6 . Diese Untersuchungen erlauben den Schluß, daß es realistisch ist, von der Existenz eines Strafensystems immerhin eine gewisse - wenn auch nicht quantifizierbare - straftatenvermeidende Wirkung zu erwarten. d) Welche Mechanismen im einzelnen wirken, kann beim heutigen Wissensstand nicht als geklärt gelten. Insbesondere ist umstritten, ob präventive Wirkungen, die von einem System staatlicher Strafverfolgung ausgehen, auf positive oder negative Generalprävention zurückzuführen sind. Teilweise wird der negativen Generalprävention Erklärungskraft für Normkonforrnität abgesprochenl ? Andere Autoren halten wiederum die Grundannahmen der positiven Generalprävention für unplausibel l8 . Eine beide GeneralpräventionstheoVgl. Hoerster, GA 1970,273. S. z.B. Hoerster, GA 1970, 274; Kuhlen, GA 1994, 364; ders., in: SchÜllemann/von Hirsch/Jareborg (Hrsg.), Positive Generalprävention, S. 57. 15 In: Punishment and Deterrence, S. 50 f. 16 Vgl. oben 2. Teil, 1. Kap., 2 c (3). I? Streng, ZStW 92 (1980), 668, 671. 18 Vgl. oben 2. Teil, 1. Kap., 4 a bb. 13

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3. Teil: Die Theorie tatproportionaler StrafZwnessung

rien vereinigende Meinung geht davon aus, daß sowohl eine langfristig wirkende Unterstützung von Überzeugungen und Einstellungen durch das Strafrechtssystem als auch die eher kurzfristig wirkende Verhaltensbeeinflussung durch Abschreckung eine Rolle spiele l9 . Eine Auflösung der widersprüchlichen Hypothesen über das Wirken von negativer bzw. positiver Generalprävention ist im Rahmen dieser Arbeit nicht möglich, aber auch nicht erforderlich. Der Stand der empirischen Forschung erlaubt die Aussage, daß von der Existenz einer effektiven Strafverfolgung in eingeschränktem Umfang präventive Effekte zu erwarten sind; es kann offen bleiben, wie die Wirkungszusammenhänge im einzelnen beschaffen sind.

3. Expressive Funktionen der Strafe a) Strafe als soziale Institution

aa) Auf den ersten Blick scheint eine schlicht-funktionale Rechtfertigung des staatlichen Strafsystems eine hinreichende Basis zu haben. Bei näherer Prüfung wird jedoch zweifelhaft, ob eine schlicht-funktional orientierte Theorie tatsächlich der Institution Strafe gerecht wird. Eine Rechtfertigung des Strafsystems allein mit abschreckenden Effekten vernachlässigt einen wesentlichen Aspekt, nämlich die expressiv-kommunikative Funktion von Strafe. Aus soziologischer Sicht ist darauf hingewiesen worden, daß ein adäquates Bild staatlicher Strafe nur gezeichnet werden kann, wenn beachtet wird, daß es sich um eine außerordentlich komplexe soziale Institution handeleo und daß eine Analyse von sozialen Institutionen, die ausschließlich eine zweckrationale Betrachtungsweise anlegt, Wesentliches verfehlt21 . Die Institution Strafe wird durch ein Bündel von höchst unterschiedlichen Einflußfaktoren gestaltet: Wirkweisen, Funktionen und Effekte lassen sich nicht eindimensional auf der "Mittel zum Zweck"-Ebene erfassen22 . Als unterschiedliche Faktoren, die in die Institution einfließen und ihr Gestalt geben, werden in der soziologischen 19 Dölling, ZStW 102 (1990), 9 ff.; Kuhlen, in: Schünemannlvon Hirsch/Jareborg (Hrsg.), Positive Generalprävention, S. 62 f. 20 Garland, Punishment and Modem Society, S. 277 ff.; Rawls, Zwei Regelbegriffe, S. 98 ff., der allerdings später in diesem Aufsatz vom Begriff der Institution zu dem der Praxis übergeht, vgl. S. 103 ff. Zur Rolle des Begriffs der sozialen Institutionen innerhalb der Soziologie seit Herbert Spencer vgl. Schelsky, in: ders., Die Soziologen und das Recht, S. 248 ff. 21 Vgl. Gehlen, Urmensch und Spätkultur, S. 33 ff.; Schelsky, in: ders., Die Soziologen und das Recht, S. 221 f., 227 ff. 22 Garland, Punishment and Modem Society, S. 280 ff.; Androulakis, ZStW 108 (1996),305 f.; Müller-Tuck/eld, Integrationsprävention, S. 341 ff.; Stratenwerth, Lehre von den Strafzwecken, S. 21.

1. Kapitel: Straftheoretische VorüberlegWlgen

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Literatur genannt: historisch-ökonomische Faktoren23 sowie Kontrollbedürfnisse 24 , aber auch emotional verankerte Komponenten25 . In der Art und Weise, wie in einem bestimmten Gesellschaftssystem gestraft werde, komme insbesondere die durch die jeweiligen kulturellen Standards geprägte Sensibilität gegenüber Übelszufügungen zum Ausdruck. Die Funktionalität der Strafpraxis als Garant für den Schutz wichtiger Güter sei nur eine von mehreren zum Verständnis des Systems erforderlichen Dimensionen26 . bb) In diesen Zusammenhang gehört das gelegentlich auch in der Strafrechtswissenschaft geäußerte Argument, daß das Wesen der Strafe eine retrospektive Orientierung der Strafzumessung erfordere 27 . Die Zulässigkeit von Schlüssen aus dem Wesen der Kriminalstrafe ist bestritten worden: Roxin argumentiert, daß "rechtliche Einrichtungen kein von ihren Zwecken unabhängiges Wesen [haben], sondern dieses "Wesen" durch das Ziel, daß man damit erreichen will, bestimmt [wird]"28. Eine solche Gleichsetzung von Zweck und Wesen mag bei einfachen Gegenständen zutreffen: Es macht wenig Sinn, über das Wesen beispielsweise eines Korkenziehers unabhängig von seiner Zweckbestimmung nachzudenken. Bei komplexen Institutionen sozialer oder rechtlicher Art verkennt eine schlicht-instrumentelle Analyse jedoch wesentliche Aspekte. cc) Aus der Perspektive des Juristen bedürfen die aus soziologischer Sicht analysierten Wurzeln der Strafe der normativen Filterung. Auch wenn etwa der Verweis auf irrational-emotionale oder historisch-ökonomische Komponenten auf deskriptiver Ebene berechtigt sein mag, kann dies für die Begründung einer normativen Straftheorie keine Rolle spielen. Die deskriptive Betrachtungsweise von Entstehung und Funktionen staatlicher Strafe vermag die 23 Vgl. etwa RuschelKirchheimer, Sozialstruktur Wld Strafvollzug. 24 Vgl. zu diesem Ansatz Foucault, Überwachen Wld Strafen, S. 93 ff. 25 Die VorstellWlg einer von EmpörWlg g.etragenen Reaktion auf Verstöße gegen

Kollektivgefühle [mdet sich bei Durkheim (Uber soziale ArbeitsteilWlg, S. 135 ff.). Die Argumentation mit einem kollektiven Bewußtsein ist kritisch diskutiert worden (vgl. Garland, PWlishment and Modern Society, S. 50 ff.; Müller-Tuckfeld, Integrationsprävention, S. 238 ff.). Durkheims Konzept kann hier nicht im Detail dargestellt werden. Es genügt, darauf hinzuweisen, daß emotional geprägte Komponenten jedenfalls eine Rolle zu spielen scheinen. 26 Garland, PWlishment and Modern Society, S. 213 ff., der auf den von Norbert Elias (in: Prozeß der Zivilisation) geschaffenen ErklärWlgshintergrWld Bezug nimmt; vgl. dazu auch Jung, Sanktionensysteme Wld Menschenrechte, S. 31 ff. 27 Vgl. JeschecklWeigend, Strafrecht AT, S. 877; Androulakis, ZStW 108 (1996), 302 ff. 28 Strafrecht AT 1, § 3 Rn. 44. Kargl, GA 1998, 57, hält eine Diskussion über das Wesen der Strafe für unergiebig. Im Ergebnis kommt er aber mit dem Verweis auf den RealgrWld der Strafe letztlich zu einem ähnlichen Ergebnis, da auch er davon ausgeht, daß Strafe ohne retrospektiven Charakter nicht denkbar ist (63 f.). 8 Hömle

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3. Teil: Die Theorie tatproportionaler Strafzumessung

wesentliche Frage nicht zu beantworten, ob diese Institution angesichts der damit verbundenen Zufügung von Leiden beibehalten werden soll. Normative Straftheorie und empirische Beschreibung der Institution Strafe sind an verschiedenen Stellen aufeinander angewiesen: Zum einen bedarf die Theorie vom Rechtsgüterschutz durch Strafe einer empirischen Unterfütterung, wenn sie glaubhaft sein soll. Zum anderen würde ein Wechsel der innerhalb der juristischen Profession anerkannten Straftheorie zumindest langfristig auch auf die Realität der Strafpraxis zurückwirken. Wenn die normative Begründung für die Institution Strafe nicht mehr mehrheitlich akzeptiert würde, würde dieser Umschwung zwar nicht zu einem baldigen Einstellen der Praxis führen, aber doch langfristig Auswirkungen zeigen. b) Normative Rechtfertigung der expressiv-kommunikativen Elemente

aa) Aber auch aus normativer Sicht ist zu fordern, kommunikativexpressive Elemente in die Rechtfertigung der Institution Strafe zu integrieren. Ausführlich hat erstmals Feinberg die expressive Funktion der Strafe analysiert: Der wesentliche Grundgedanke ist, daß die Strafsanktion nicht allein aus einer Übelszufügung, also dem Entzug von Freiheit oder materiellen Gütern besteht. Der entscheidende Unterschied zwischen einer Geldstrafe und einer Steuer oder zwischen Militärdienst und einer Freiheitsstrafe besteht darin, daß die Verhängung einer Geld- oder Freiheitsstrafe die Mißbilligung früheren Verhaltens beeinhaltee9 . Der Ausdruck von Mißbilligung, oder in anderen Worten von Tadel, ist ein wesentliches Element der Kriminalstrafe3o . Mißbilligung ist nicht als primär emotional geprägte Reaktion zu verstehen, sondern als Werturteil "im Namen des Volkes"3!, genauer, als Unwerturteil "im Namen des Volkes". Dieses Unwerturteil ist notwendigerweise retrospektiv orientiert: Sein Inhalt ist die Bewertung eines in der Vergangenheit liegenden Geschehens. bb) Auch in der deutschen Strafrechtswissenschaft wird die zentrale Rolle des Unwerturteils für das Verständnis von Strafe im wesentlichen anerkanne 2 . 29 Feinberg, in: ders., Doing and Deserving, S. 97 ff.; von Hirsch, ZStW 94 (1982), 1069 ff.; ders., Past or Future Crimes, S. 34 ff.; ders., Censure and Sanctions, S. 15 fT.; von Hirsch/Jareborg, Strafmaß und Strafgerechtigkeit, S. 11 ff.; Duff, Trials and Punishments, S. 235 fT.; ders., Criminal Attempts, S. 352 f.; Kleinig, Israel Law Review 25 (1991),416 fT.; Wolf, Verhütung oder Vergeltung, S. 88; Kahan, BufTa10 Criminal Law Review 1 (1998),693 fT. 30 S. die Nwe. in der vorausgegangenen Fn. 31 Feinberg, in: ders., Doing and Deserving, S. 100. 32 Vgl. von Bar, Geschichte des deutschen Strafrechts, S. 311 fT.; ders., Probleme des Strafrechts, S. 12 fT.; Nol!, Ethische Begründung der Strafe, S. 16 fT.; Henkel, Die ,,richtige" Strafe, S. 7; Kunz, ZStW 98 (1986), 826 f.; Neumann, ZStW 99 (1987), 586;

1. Kapitel: Straftheoretische Vorüberlegungen

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Umstritten ist allerdings, ob strafrechtlicher Tadel eine notwendige Reaktion ise3 oder aber ein kritikwürdiges, aus dem Geschehen sozialer Kontrolle besser zu eliminierendes Elemene 4. Weitgehend unbestritten dürfte die Wichtigkeit von tadelnden Reaktionen in der vorrechtlichen Lebenswelt sein. In seinem mittlerweile als Klassiker einzuordnenden Aufsatz hat dies Strawson dargelegt: Eine mißbilligende Einstellung gegenüber demjenigen, der sich gegenüber anderen in bestimmter Weise verhält, gehört zum Grundbestand an interpersonalen Verhaltensweisen, die in unserer sozialen Praxis im weitesten Sinn verankert sind und durch intellektuelle Überzeugungen kaum geändert werden könnten35 . Dies gilt sowohl für die Reaktion der unmittelbar von der Handlung Betroffenen als auch für die Reaktion eines Beobachters36 . Eine objektivierende Einstellung gegenüber dem Handelnden, die auf einen persönlichen Vorwurf verzichtet, wird nur in bestimmten Ausnahmefällen eingenommen, in denen dem Handelnden eine ihn von anderen Menschen unterscheidende Abnormität zugestanden wird37 . Die entscheidende Frage ist, ob lebensweltliche interpersonale Reaktionen Maßstab für die Gestaltung rechtlicher Institutionen sein können oder sogar müssen. Soweit es um Kriminalisierungsjragen geht, ist der Zusammenhang zwischen Sozial- und Strafrechtsnormen, mit anderen Worten: zwischen Recht und Moral, stark umstritten38 . An dieser Stelle geht es jedoch um eine wesentlich engere Fragestellung, nämlich darum, ob ein Verstoß gegen existierende Verbotsgesetze eine Reaktion nach sich ziehen sollte, die allgemeinen sozialethischen Verhaltensnormen entspricht. Eine solche "alltagstheoretische Frisch, ZStW 99 (1987), 366 f; Maiwald, in: Schöch (Hrsg.), Wiedergutmachung und Strafrecht, S. 69; Roxin, Strafrecht AT 1, § 3 Rn. 45; Schöch, Gutachten C zwn 59. DJT, C 75, C 89; Pfeiffer, FS für Baumann, S. 345; Androulakis, ZStW 108 (1996), 303, 309 f; JeschecklWeigend, Strafrecht AT, S. 65; BaumannlWeberlMitsch, Strafrecht AT, S. 711; Kühl, Strafrecht AT, § 10 Rn. 2; Kargi, GA 1998, 60 f Ebenso

BVerfG NJW 1998,443. 33 S. die Nwe. in Fn. 29, ferner Kleinig, Punishment and Desert, S. 42 ff.; MacCormick, Legal Rights and Social Democracy, S. 222; ders., in: JungIMüllerDietzlNeumann (Hrsg.), Recht und Moral, S. 222; Hömlelvon Hirsch, GA 1995,271 ff.; Wesseis, Strafrecht AT, Rn. 4. 34 ElischeidlW Hassemer, in: LüdersseniSack, Seminar: Abweichendes Verhalten, S. 266 fT.; skeptisch auch Weigend, FS der Rechtswissenschaftlichen Fakultät, S. 587. 35 Strawson, Freedom and Resentment, S. 11 fT.; K. Günther, in: JungIMüllerDietzlNeumann (Hrsg.), Recht und Moral, S. 213 f stimmt Strawsons Analyse moralischer Phänomene zu. 36 Strawson, Freedom and Resentment, S. 6 fT. 37 Strawson, Freedom and Resentment, S. 8 f 38 Vgl. Neumann, ZStW 99 (1987), 590 ("bei der Strafgesetzgebung [gehe] es in der Regel um die Transformation von Sozialnormen in Rechtsnormen"); K. Günther, in: JunglMüller-DietzlNeumann (Hrsg.), Recht und Moral, S. 214 f. zur Unterscheidung zwischen moralischem und strafrechtlichem Unrecht. 8'

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3. Teil: Die Theorie tatproportionaler StrafzumessWlg

Rückbindung"39 des Strafrechts wird teilweise als unzulässiges Moralisieren kritisiert40 . Diese Kritik dürfte jedoch unter anderem auf die im Deutschen problematischen Konnotationen von "Moral" zurückzuführen sein, die "moral"-philosophische Begründungen verdächtig erscheinen lassen können. Tatsächlich beschreibt Strawson jedoch fundamentale Reaktions- und Kommunikationssstrukturen. Deren Untersuchung im Rahmen der analytischen Handlungstheorie als Kerngebiet der praktischen Philosophie41 liefert Erkenntnisse, die gerade auch für das Strafrechtssystem von Bedeutung sind42 . ce) Der Rückgriff auf dem Strafrecht vorgeordnete Strukturen wird im übrigen auch im Kontext der Theorie positiver Generalprävention bejaht: Zur Stabilisierung des Vertrauens in die Rechtsordnung müsse das Strafrechtssystem auf vorhandene sozialethische Vorstellungen Rücksicht nehmen43 . Aber auch jenseits funktionaler Einkleidungen gibt es Gründe, warum der kommunikative Akt der Mißbilligung geboten ist44 . Zum einen enthält der strafrechtliche Tadel einen Appell an den Täter wie auch an alle anderen, die davon Kenntnis erhalten. Er soll die Einsicht hervorrufen bzw. bestärken, daß das beurteilte Verhalten falsch war und daß ähnliche Verhaltensweisen in Zukunft unterlassen werden sollten. Diese Rolle des Tadels baut auf ein Menschenbild, nach dem normkonformes Verhalten nicht nur durch Zwang und Einschüchterung, sondern auch durch Überzeugungen und darauf beruhende selbstbestimmte Entscheidungen bewirkt werden sollte45 . Ein an den Straftäter appellierendes Werturteil bedeutet keine Ausgrenzung des Täters, sondern setzt die Möglichkeit von Kommunikation voraus 46 . Neben der Appellfunktion kommt dem strafrechtlichen Unwerturteil eine wesentliche Rolle in bezug auf das Jung, Sanktionensysteme Wld Menschemechte, S. 202. Jung, Sanktionensysteme Wld Menschemechte, S. 202; kritisch auch Weigend, FS der Rechtswissenschaftlichen Fakultät, S. 587. 41 Zur analytischen HandlWlgstheorie vgl. Meggle, in: ders. (Hrsg.), Analytische HandlWlgstheorie, VII ff. 42 Ein gutes Beispiel fUr das Zusanunenspiel von analytischer HandlWlgstheorie Wld Strafrecht bietet John Austins Aufsatz ,,A Plea for Excuses" (deutsche FassWlg in: Meggle - Hrsg. -, Analytische HandlWlgstheorie, S. 8 ff.) 43 Neumann, ZStW 99 (1987), 589 ff.; Maiwald, in: Schöch (Hrsg.), WiedergutmachWlg Wld Strafrecht, S. 71; ebenso bereits Lüderssen, FS fiirBockelmann, S. 199. 44 Kleinig, Israel Law Review 25 (1991), 410 ff. Zur Kritik an einer ausschließlich funktionalistischen AuffassWlg von Tadel als Instrument zur ErzielWlg sozialpolitisch erwünschter Folgen Hörnlelvon Hirsch, GA 1995, 267 ff. 45 Zur Appellfunktion des Tadels Wld dem dahinter stehenden Menschenbild vgl. Duff, Trials and PWlishments, S. 39 ff., 50 ff.; Kunz, ZStW 99 (1987), 834; von Hirsch, Censure and Sanctions, S. 10 f; von HirschlJareborg, Strafmaß Wld Strafgerechtigkeit, S. 16 f; Hörnlelvon Hirsch, GA 1995,275. 46 Hierin liegt der entscheidene Unterschied zur nationalsozialistischen VorstelIWlg von der Strafe als EhrenmindefWlg, deren Zweck die Entehrung Wld Eliminierung aus der Gemeinschaft sein sollte, vgl. dazu Dahm, Gemeinschaft Wld Strafrecht, S. 9 f 39

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1. Kapitel: Straftheoretische Vorüberlegungen

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durch die Tat verletzte Opfer zu. Die explizite Mißbilligung des Täterverhaltens bestätigt gegenüber dem Verletzten, daß seine Einbuße nicht auf ein einem Unglück vergleichbares Geschehen zurückzuführen ist, sondern daß ihm durch die Tat Unrecht geschehen ist47 • Die Bedeutung des Tadels für das Opfer wird unter der Straftheorie der positiven Generalprävention ebenfalls betont, nämlich als Schritt zur Wiederherstellung des Rechtsfriedens durch die symbolisch-expressive Anerkennung seiner Beeinträchtigung48 . Ein praktischer Unterschied zwischen der Begründung für die Übernahme von interpersonalen Verhaltensweisen ins Strafrecht mit ihrer normerhaltenden Nützlichkeit und der Argumentation, daß die Appell- und Bestätigungsfunktion einem adäquaten Staats- und Menschenbild entspricht, besteht nicht, solange die Vertreter der positiven Generalprävention pauschal für die Übernahme der sozialethisch begründeten Maßstäbe ins Strafrecht eintreten. Problematisch würde die auf Normerhaltung abstellende Ansicht nur dann werden, wenn sie für eine selektive Anwendung interpersonal begründeter Einstellungen nach jeweils konkret zu überprüfenden Nützlichkeitserwägungen plädiert. Soweit ersichtlich, wird jedoch ein solcher, an sich konsequent funktionalistischer Ansatz, in der deutschen Strafrechtswissenschaft bislang nicht vertreten49 . Soweit auf die positiv-generalpräventive Wirkung der sozialen Institution Strafe vertraut wird, wäre es im übrigen dysfunktional, wenn bei der Begründung einer konkreten Strafe entsprechend argumentiert würde. Auch wenn die Existenz einer Institution unter anderem auf Nützlichkeitserwägungen fußt, kann es ein erheblicher Fehler sein, diese zur Grundlage für konkrete institutionsinterne Entscheidungen zu machen. Dies gilt vor allem, wenn der "output" der Institution aus moralisch-ethischen Aussagen im weitesten Sinne

47 Feinberg, in: ders., Doing and Deserving, S. 104; von Hirsch, Censure and Sanctions, S. 10; von HirschlJareborg, Strafmaß und Strafgerechtigkeit, S. 17; Kahan, Buffalo Criminal Law Review 1 (1998),695. Vgl. auch Reemtsma, Im Keller, S. 216. 48 Zum Zusammenhang von Rechtsfrieden, Orientierung am Opfer und der Möglichkeit der Befriedung durch Tadel vgl. See/mann, JZ 1989,672,676. 49 In der anglo-amerikanischen Diskussion hat dagegen Braithwaite eine Straf- und Strafzumessungstheorie entwickelt, nach der die beschämenden Effekte des Bestraftwerdens gezielt als Mittel der sozialen Kontrolle eingesetzt werden sollen, in: Crime, Shame and Reintegration, S. 54 ff. Der Autor wendet sich gegen ein retrospektiv orientiertes Unwerturteil: Die Intensität der staatlichen Reaktion soll sich statt dessen in erster Linie an der Reue und Integrationsbereitschaft des Täters orientieren, wobei die Tatschwere nur bei der Festsetzung bestimmter Grenzwerte für das Ausmaß des Beschämens beachtet werden soll; Crime, Shame and Reintegration, S. 181 f. Ein solcher ,,kreativer" Umgang mit dem strafrechtlichen Unwerturteil zur Maximierung präventiver Effekte stößt allerdings auf ernsthafte Einwände: Er untergräbt die Appellfunktion des Tadels, da dessen Glaubwürdigkeit entscheidend von der Wahrnehmung als ernst gemeinte Äußerung abhängt, s. von Hirsch, Censure and Sanctions, S. 24 f.

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3. Teil: Die Theorie tatproportionaler Strafzumessung

besteht. Ein klassisches Beispiel ist der Bereich der Religion: In religionssoziologischen Untersuchungen wird unter anderem auf die Nützlichkeit von religiösen Handlungen und Institutionen für den gesellschaftlichen Zusammenhalt verwiesen5o . Der funktionale Aspekt käme jedoch ins Wanken, wenn er aus dem Bereich latenter Funktionen herausgelöst würde und die Regeln der Religionsausübung offiziell mit Nützlichkeitserwägungen begründet WÜTden51 . Der Schaden entsteht vor allem dann, wenn die im Rahmen institutioneller Abläufe Handelnden selbst latente Funktionen offenlegen, während eine entsprechende Betrachtung aus institutionsexterner Perspektive weniger schädlich sein dürfte52 . In gleicher Weise läßt sich auch für das Strafrecht begründen, daß Urteile, die funktionalistisch mit der Notwendigkeit begründet werden, die Rechtsordnung aufrechtzuerhalten, gerade wegen dieser Begründung die angestrebte Wirksamkeit verfehlen53 . Ethisch fundierte Urteile haben bessere Chancen, von der Allgemeinheit ernstgenommen zu werden, wenn sie nicht für das Publikum abgegeben werden, sondern in sich selbst ihre Berechtigung tragen54 .

50 Vgl. Durkheim, Die elementaren Formen des religiösen Lebens, S. 556 ff.; zwn Zusammenhang von religiösen Grundeinstellungen und wirtschaftlichem Entwicklungsstand Weber, Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie, S. 17 ff. 51 Bock, ZStW 103 (1991), 650, verwendet das Beispiel eines predigenden Pfarrers, der auf die Nützlichkeit religiöser Überzeugungen hinweist, gleichzeitig aber deren Gehalt für unsinnig erklärt. 52 In Bocks Beispiel (Fn. 51) rührt der verheerende Effekt von der Stellung des Pfarrers her, während die Gläubigen sich eher distanzieren können, soweit es um Äußerungen von Personen geht, die nicht an der Religionsausübung teilnehmen. 53 Es ist auch für Vertreter der Strafrechtswissenschaft nicht möglich, eine institutionsexterne Perspektive einzunehmen, solange an der dogmatischen Arbeit festgehalten wird. Soweit sich etwa Jakobs, ZStW 101 (1989),536, gegenüber einer Kritik an der Theorie der positiven Generalprävention darauf zurückzieht, daß es ihm nur um eine Deutung des geltenden Rechts gehe und deshalb moralisierende Erwägungen unangebracht seien, müßte er sich konsequenterweise auf eine deskriptive Analyse beschränken. Sofern er dagegen die Anwendungsregeln mitgestaltet, begibt er sich in die institutionsinterne Sphäre. 54 Bock, ZStW 103 (1991), 651 ff.; Frister, Struktur des "voluntativen Schuldelements", S. 80 ff.; Neumann, in: SchÜllemannlvon Hirsch/Jareborg (Hrsg.), Positive Generalprävention, S. 147 f. Baurmann, GA 1994, 382 ff. kommt aufgrund seiner Analyse der Verhaltensmodelle, die den unterschiedlichen Theorien der positiven Generalprävention zugrunde liegen, ebenfalls zu dem Schluß, daß ein ausschließlich symbolischer Gebrauch von Strafe nicht die gewünschten Effekte haben kann.

l. Kapitel: Straftheoretische Vorüberleg\U1gen

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4. Rechtfertigung der Übelszufügung a) Präventive Begründungfür die Übelszufügung

aa) Es ist nach den bisherigen Ausführungen festzuhalten: Eine wesentliche Funktion der Strafe liegt in ihrer expressiven Bedeutung; durch die Verhängung einer Strafe wird Mißbilligung für das strafbare Geschehen ausgedrückt. Offensichtlich ist jedoch erklärungsbedürftig, warum sich der Ausdruck der Mißbilligung nicht auf einen explizit formulierten Tadel beschränkt. Analytisch betrachtet, ist die Verbindung von Übelszufiigung und Mißbilligung nicht zwingend55 . Ein förmliches Verfahren zur Feststellung des Geschehensablaufs könnte mit einem Tadelsausspruch abgeschlossen und endgültig beendet werden, ohne daß es zur Auferlegung einer Übelszufiigung und einem anschließenden Verfahren der Strafvollstreckung kommt56 . Mit dem Institut der Verwarnung, § 59, gibt es auch de lege lata einen Anwendungsfall für eine Mißbilligung, die nicht mit der Verurteilung zu einem Strafiibel verknüpft wird57 • bb) Zur notwendigen Rechtfertigung der Übelszufiigung kann zunächst auf die Ausführungen im zweiten Abschnitt dieses Kapitels verwiesen werden: In limitiertem Umfang sind von der Existenz eines Systems staatlicher Übelszufügung präventive Effekte zu erwarten. In diesem Sinne hat von Hirsch eine zweigeteilte Straftheorie entwickelt: Er möchte den strafrechtlichen Tadel in der hier wiedergegebenen Weise rechtfertigen, die Kombination mit Strafiibeln sieht er jedoch als gerechtfertigt an, weil "prudential disincentives" notwendig seien. Die Funktion der Übelszufiigung liege darin, neben dem moralischen Appell durch die strafrechtlichen Normen einen zusätzlichen Grund für Normkonformität zu geben. Die Existenz einer mäßigen Sanktionsdrohung sei

55 Vgl. von Bar, Probleme des Strafrechts, S. 13; Feinberg, in: ders., Doing and Deserving, S. 98; von Hirsch, Censure and Sanctions, S. 13 f. 56 Vgl. Noll, Ethische Begrülld\U1g der Strafe, S. 17 ff.; Henkel, Die ,,richtige" Strafe, S. 7 ff.; Feinberg, in: ders., Doing and Deserving, S. 98; NeumannlSchroth, Neuere Theorien, S. 6 f. Anders Androulakis, ZStW 108 (1996), 315, der Strafe ohne Übel nicht fllr möglich hält, dabei aber auf präventive Gründe \Uld die historischen Erschein\U1gsformen der Strafe verweist. Nach der hier vertretenen Ansicht wäre mit einer ablehnenden Halt\U1g gegenüber der Übelszufüg\U1g nicht zwangsläufig der Übergang zu zivilrechtlichen Restitutionsmodellen im Sinne eines radikalen Abolitionismus verb\U1den, da das tadelnde Urteil, welches andere Rechtsinstitute nicht kennen, eine legitime \Uld notwendige Reaktion auf Fehlverhalten (jedenfalls im Kernbereich des Strafrechts) ist. So auch bereits von Bar, Geschichte des deutschen Strafrechts, S. 320 f. 57 Vgl. auch § 37 StGBIDDR: öffentlicher Tadel als Sanktionsart, allerdings von geringer praktischer Bedeutill1g, dazu Schöch, Gutachten zum 59. DIT, C 47.

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3. Teil: Die Theorie tatproportionaler Strafzumessung

auch für prinzipiell moralisch ansprechbare Bürger sinnvoll, um Versuchungen Widerstand zu leisten58 . Von Hirsch setzt sich auch mit möglichen ethisch fundierten Einwänden gegen seine zumindest teilweise zweckrationale Straftheorie auseinander59 : Entsprechende Bedenken könnten entschärft werden, wenn das Strafniveau insgesamt nicht überhöht sei. Die Höhe des Strafniveaus entscheide über das relative Gewicht der Drohung mit einer Übelszufügung einerseits und des Appells an die Einsichtsfähigkeit andererseits. Sofern Strafdrohungen und verhängte Strafmaße moderat seien, werde ein erwünschter Präventionseffekt nicht ausschließlich über die Bedrohung erreicht. Auch wenn man von einem Menschenbild ausgehe, nach dem Menschen primär über Mechanismen, die Urteils- und Einsichtsfahigkeit ansprechen, zur Normbeachtung motiviert werden sollen, sei deshalb ein Sanktionensystem mit dem Einsatz auch von Strafdrohungen vertretbar. Dies trage der Tatsache Rechnung, daß die Wirksamkeit von kommunikativ vermittelten Werturteilen begrenzt sei und daß der Appell der Verhaltensnormen häufig versage60 .

cc) Von Hirschs Argumentation setzt natürlich voraus, daß die Forderung nach einem moderaten Strafniveau nicht die möglichen präventiven Effekte von "prudential disincentives" unterläuft. Diese Prämisse findet allerdings im kriminologischen Schrifttum durchaus Unterstützung. Die erheblichen Milderungen in diesem Jahrhundert haben nicht zu nachweisbaren negativen Folgen etwa im Sinne einer "Dammbruchthese" geführt61 . Der unter dem Stichwort Austauschbarkeit der Sanktionen bekannte Befund62 erlaubt es, auch von einem moderaten Strafniveau noch straftatenverhindernde Effekte zu erwarten.

58 In: Censure and Sanctions, S. 12 ff.; ders., in: SchÜllemann/von Hirsch/Jareborg (Hrsg.), Positive Generalprävention, S. 103 ff. 59 Vgl. die Nwe. oben 2. Teil, Kap. 1, Fn. 25,27. 60 S. von Hirsch, Censure and Sanctions, S. 42 ff.; ders., in: SchÜllemann/von Hirsch/Jareborg (Hrsg.), Positive Generalprävention, S. 105; Hörnlelvon Hirsch, GA 1995,278 f. 61 S. AlbrechtlDünkellSpieß, MSchrKrim 1981, 314 ff. zu den Effekten von verschiedenen Ansätzen, strafrechtliche Reaktionen zu mildem. 62 Kaiser, Verkehrsdelinquenz und Generalprävention, S. 392 ff.; ders., FS für Bockelmann, S. 939; Schöch, Strafzumessungspraxis und Verkehrsdelinquenz, S. 86 ff.; ders., FS für Jescheck, S. 1104 f.; ders., Gutachten zum 59. DJT, C 37 ff.; ders., in: Jehle (Hrsg.), Individualprävention und Strafzumessung, S. 248; AlbrechtlDünkell Spieß, MSchrKrim 1981, 314 ff.; H.-J. Albrecht, Legalbewährung, S. 28, 229 ff.; Kunz, in: Kielwein (Hrsg.), Entwicklungslinien der Kriminologie, S. 43; Schumann u.a., Jugendkriminalität, S. 164 ff.; Giehring, in: Pfeiffer/Oswald (Hrsg.), Strafzumessung, S. 110 ff.; Kerner, in: Jehle (Hrsg.), Individualprävention und Strafzumessung, S. 230; Eisenberg, Kriminologie, § 42 Rn. 11.

1. Kapitel: Straftheoretische VorüberlegWlgen

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b) Schwachstellen einer präventiven Rechtfertigung

aa) Eine zwischen den expressiven Funktionen und der Rechtfertigung der Übelszufügung differenzierende Straftheorie ist der herrschenden deutschen, schlicht-funktionalen Lehre vorzuziehen. Die Integration der expressiven Funktionen ist eine zwingende Voraussetzung für eine adäquate Straftheorie. Jedoch ist auch von Hirschs Ansatz möglicherweise noch zu stark vereinfachend, was seine Rechtfertigung der Übelszufügung anbegeht. Ob das Konzept der "prudential disincentives" für eine durchgängige, einheitliche Rechtfertigung aller Übelszufügungen ausreicht, kann bezweifelt werden. Die Vollständigkeit einer ausschließlich auf Straftatenprävention abstellenden Rechtfertigung der Übelszufügung kann wegen der Inhomogenität von Straftaten und den ihnen zugrunde liegenden Anstößen zur Tat in Frage gestellt werden. Mechanismen der Abschreckungs- bzw. positiven Generalprävention können nur deliktsspezijisch untersucht werden. Es ist unwahrscheinlich, daß in bezug auf das gesamte Spektrum möglicher Verhaltensweisen Menschen durch eine moderate Strafdrohung in Ergänzung zum Normappell von Straftaten abgehalten werden können. bb) Bei vielen Deliktskategorien überzeugt von Hirschs Argumentation, daß ein an die Kosten-Nutzen-Kalkulation appellierender Gegenreiz die moralische Botschaft der Norm sinnvoll ergänzen kann. Die Notwendigkeit, Versuchungen unter anderem auch durch die Vorwegnahme möglicher Tatfolgen zu neutralisieren, besteht sicherlich bei den Straftaten, deren Begehung ebenfalls das Ergebnis einer hinreichend rationalen Vorstellung von den zu erwartenden Nutzen ist. Gut geeignete Beispiele sind Steuerdelikte, aber auch Ladendiebstähle oder Versicherungsbetrügereien. Von Hirschs Bild des vernünftigen Bürgers, der für sich selbst die Kraft von Versuchungen erkennt und deshalb damit einverstanden ist, ihnen moderate Strafdrohungen entgegenzusetzen63 , dürfte in diesen Fällen nicht im Widerspruch zu realen Handlungsbedingungen stehen. Es ist jedoch immer vorgetragen worden, daß es wahrscheinlich präventionsresistente Deliktsgruppen gibt, also Delikte, bei denen Strafnormen und -verhängung weder abschrecken noch Einstellungen beeinflussen64 . Die vorliegenden empirischen Untersuchungen zur präventiven Wirkung der Wahrscheinlichkeit von Strafverfolgung betreffen vor allem weniger gewichtige Straftaten65 , während es etwa für Tötungsdelikte keine entsprechenden Studien gibt. Gerade bei Tötungsdelikten wird davon ausgegangen, daß die

63 In: Censure and Sanctions, S. 13; ders., in: SchÜDemann/von Hirsch/Jareborg (Hrsg.), Positive Generalprävention, S. 105. 64 Streng, ZStW 92 (1980), 669 tT.; Neumann/Schroth, Neuere Theorien, S. 36 f; Papageorgiou, Schaden und Strafe, S. 56 f 65 Vgl. oben 2. Teil, 1. Kap., Fn. 18.

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3. Teil: Die Theorie tatproportionaler StrafzumessWlg

Strafdrohung weit weniger Einfluß auf die Verhaltenssteuerung hat66 ; entsprechendes kann auch für bestimmte Sexualstraftaten vermutet werden. Bei Delikten, deren Begehung typischerweise auf impulsives, nicht rational reflektiertes Handeln zurückzuführen ist, verliert eine auf "prudential disincentives" abstellende Rechtfertigung erheblich an Überzeugungskraft. cc) Es gibt zwei Möglichkeiten, in diesen Fällen doch die Androhung und Verhängung von Freiheitsstrafen mit präventiver Notwendigkeit zu begründen. Die erste besteht in einer differenzierteren Hypothese zur deliktsspezifischen Präventionswirkung der Androhung und Verhängung von Übeln. Diese Hypothese könnte darauf verweisen, daß staU von einer völlig fehlenden präventiven Wirkung des Strafensystems bei bestimmten Delikten von mehr oder weniger präventionsgeeigneten Deliktsgruppen auszugehen sei. Vielleicht sind immerhin bestimmte Personen von Tötungsdelikten oder Vergewaltigungen nicht nur durch moralische Appelle abzuhalten, sondern auch durch die Strafdrohung. Diese These klingt zwar nicht unplausibel - es ist jedoch problematisch, die Rechtfertigung gerade der besonders schwerwiegenden Übelszufügungen durch lange Freiheitsstrafen von nicht gesicherten Annahmen über mögliche Präventionseffekte abhängig zu machen. Ein zweiter Ausweg besteht darin, auf den Nachweis einer durchgängigen präventiven Wirkung für alle Deliktsgruppen zu verzichten. Danach wäre die fehlende präventive Bedeutung der Übelszufügung bei manchen Delikten kein grundsätzliches Problem, da es eine Frage der Systemkonsistenz sei, eine bestimmte Kategorie von Verhaltensweisen zu verfolgen, selbst wenn gerade für diese die präventive Wirkung des Strafrechts nicht nachweisbar ist67 . Aber auch diese Begründung muß dem Einwand standhalten, daß es die besonders massiv in die Freiheitssphäre eingreifenden schweren Strafen für Tötungsoder Sexualdelikte zu begründen gilt. Ob Systemkonsistenz einen derart hohen Stellenwert hat, daß damit diese Übelszufügungen gegenüber den Betroffenen schlüssig begründet werden können, ist eher zweifelhaft. dd) Angesichts der angeführten Schwierigkeiten mit einer ausschließlich präventiven Begründung ist es vorzuziehen, sich von der Vorstellung frei zu machen, daß eine einheitliche Begründung für alle Übelszufügungen gefunden werden kann und muß 68 . Für manche Deliktskategorien ist der auf Straftaten. prävention durch Übelszufügung abstellende Ansatz in einem so hohen Maße einleuchtend und auch durch empirische Untersuchungen begründbar, daß 66 Vgl. Kaiser, Verkehrsde1inquenz Wld Generalprävention, S. 359 f.; Streng, ZStW 92 (1980), 669; NeumannlSchroth, Neuere Theorien, S. 36; Papageorgiou, Schaden Wld Strafe, S. 57; Müller-Tuck/eld, Integrationsprävention, S. 108 f. 67 Hoerster, GA 1970,278; Schünemann, in: Eser/Cornils (Hrsg.), Neuere Tendenzen, S. 223 f. 68 Ebenso Stratenwerth, Lehre von den Strafzwecken, S. 19 ff.

1. Kapitel: Straftheoretische Vorüberlegungen

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keine Notwendigkeit besteht, nach Alternativen zu suchen. Gerade bei manchen als schwer beurteilten Delikten ist jedoch die Überzeugungskraft weniger stark. In bezug auf diese Delikte ist eine völlig anders gelagerte Begründung der Übelszufügung letztlich einleuchtender. Diese Begründung führt wieder zu den expressiven Funktionen der Strafe zurück. Bei schweren Straftaten wäre eine Reaktion, die sich auf den Ausspruch eines Tadels am Ende eines förmlichen Verfahrens beschränken würde, deshalb inadäquat, weil damit die expressive Funktion unterminiert würde. Kleinig argumentiert, daß der Straftäter, der zu Tadelnde selbst, durch eine nur verbale Mißbilligung nicht hinreichend beeindruckt werden könne. Menschen seien, so Kleinig, nicht hinreichend offen für moralische Argumente; mit zunehmendem Alter würde oft die Sensibilität gegenüber Tadel aufgrund einer wachsenden Verhärtung und Immunisierung zurückgehen. Es bedürfe deshalb einer spürbaren Verdeutlichung der Botschaft über bloße Worte hinaus, um den zu Tadelnden zu erreichen69 . Diese, auf den Täter als Empfänger der mißbilligenden Botschaft abstellende Ansatz bedarf einer wichtigen Ergänzung. Auch gegenüber der Allgemeinheit und vor allem gegenüber dem Opfer wäre bei schweren Straftaten ein nur verbaler Tadel deshalb nicht hinreichend, weil dessen Bedeutung ohne eine gleichzeitig verhängte Übelszufügung abgeschwächt würde70 . Es ist zwar idealerweise möglich, die verbal zum Ausdruck gebrachte Mißbilligung in einer Weise abzustufen, die genau den Unterschied zwischen einer leichten und einer schweren Straftat zum Ausdruck bringt. Es würde jedoch nicht nur beim Täter, sondern auch beim Opfer einen außerordentlich hohen Grad an ethischer Abstraktionsfähigkeit voraussetzen, um allein die verbal zum Ausdruck gebrachten Abstufung als hinreichende Reaktion auf das Unrecht anzusehen. Ein derartiger Entwicklungsstand kann nicht unterstellt werden. Man wird im Gegenteil davon ausgehen müssen, daß es in unserem sozio-kulturellen Kontext üblichen Gebräuchen entspricht, abstrakt formulierte Werturteile durch äußere, materielle Anzeichen zu ergänzen, um deren Glaubhaftigkeit zu erhöhen. Um einige Beispiele aus dem nicht-strafrechtlichen Bereich zu nennen: Eine verbale Belobigung wird als eine schwächere Form des Lobs empfunden als eine Anerkennung, die sich in einem materiellen Preis niederschlägt. Typischerweise werden deshalb auch akademische oder kulturelle Auszeichnungen mit der Auszahlung einer Geldsumme verbunden und ist das Prestige eines Preises nicht immer, aber jedenfalls in vielen Fällen auch in der Höhe des Preisgeldes erkennbar. Die materielle Anbindung von Werturteilen ist auch in anderen Lebensbereichen erkennbar: Die BedeuIn: Israel Law Review 25 (1991),417. So auch Bottoms, in: AshworthlWasik (Hrsg.), Fundamentals of Sentencing Theory, S. 86. 69

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3. Teil: Die Theorie tatproportionaler Strafzwnessung

tung eines Festtags wird durch den Aufwand, der in die Mahlzeiten investiert wird, symbolisiert. Es wäre kaum möglich, durch Kampagnen der Überzeugungsbildung das soziale Prestige eines Berufes zu steigern, solange es sich um einen schlecht bezahlten Beruf handelt. Derartige Erwägungen lassen sich auf negative Werturteile übertragen. Auch die soziale Bedeutung, die ein solches Urteil hat, wird vom Fehlen bzw. vom Gewicht der begleitenden negativen Maßnahmen beeinflußt. Bei schweren Straftaten wie Tötungs- oder manchen Sexualdelikten würde aus diesem Grund die Bedeutung eines der Straftat zwar perfekt angepaßten, aber rein verbalen Tadels durch das Fehlen einer die Ernsthaftigkeit unterstreichenden negativen Begleitmaßnahme abgeschwäche 1. Es wäre verfehlt, das Festhalten an der Übelszufügung in solchen Fällen etwa als blindwütiges Toben von Vergeltungstrieben abzuqualifizieren. Die Materialisierung von Werturteilen ist in einen weiteren Kontext sozialethischer Gebräuche einzustellen, die in gleicher Weise bei positiv bewerteten Anlässen zu finden sind. Bei leichten Straftaten trägt diese Argumentation dagegen nicht, da insoweit die Bedeutung des notwendigen Tadels eine Verstärkung durch Übelszufügung nicht voraussetzt. Wenn der Gesetzgeber daher an der Strafbarkeit von, zum Beispiel, Versicherungsbetrügereien aller Art festhält, kann dies nur mit präventiven Erwägungen gerechtfertigt werden. 5. Keine einheitliche Straftheorie

Als Ergebnis der straftheoretischen Vorüberlegungen ist festzuhalten, daß es die Straftheorie nicht gibt, mit der für alle Deliktskategorien die Institution Strafe gerechtfertigt werden kann. Während die Bestrafung immer auch eine expressive Funktion hat, da die Verhängung jeder Übelszufügung ein Unwerturteil ausdrückt, ist eine einheitliche Antwort auf die Frage, warum eine Übelszufügung erforderlich ist, nicht möglich. Führt man sich vor Augen, wie heterogen die Verhaltensweisen sind, die unter der Überschrift "Straftaten" zusammengefaßt sind, kann dieses Ergebnis eigentlich auch nicht überraschen. Die Suche nach einer einfachen und gleichzeitig stringenten Rechtfertigung für alle Akte des Bestrafens ist vergeblich, wenn Übersimplifizierungen und dubiose Annahmen über Wirkungszusammenhäng vermieden werden sollen. Eine adäquate straftheoretische Begründung kann nur zu einem fragmentierten Bild führen, das aus Mosaiksteinen in wechselnder Zusammensetzung besteht. Je nachdem, welche Verhaltensweisen bestraft werden sollen, werden mehr oder weniger expressive Funktionen gegenüber präventiven Zwecken betont. 71

Vgl. Kahan, BufTalo Criminal Law Review 1 (1998),694 fT.

2. Kapitel: Unabhängigkeit von Straftheorie Wld StrafzumessWlgstheorie

125

2. Kapitel: Die Unabhängigkeit von Straftheorie und Strafzumessungstheorie 1. Die These der Verbindung von Straf- und Strafzumessungstheorie a) Die herrschende Meinung in der deutschen Strafrechtswissenschaft geht von einem unkomplizierten, geradlinigen Zusammenhang zwischen der Rechtfertigung des Strafrechts als Institution, der Rechtfertigung einer Einzelstrafe 72 und den Regeln der Strafzumessung aus. Es ist ein bislang wenig angefochtener Grundsatz, daß der Dreh- und Angelpunkt der Strafzumessung die Festlegung des Zwecks sein müsse, der mit der Strafe verfolgt wird73 . Unter anderem hat die einflußreiche Habilitationsschrift von Spendel 4 die dominierende Rolle des Strafzwecks in der deutschen Strafzumessungslehre fest verankert. In Spendeis System ist der Strafzweck, in seiner Terminologie der finale Strafzumessungsgrund, Ausgangspunkt der Strafzumessung75 • Der Begriff des Strafzwecks impliziert ein teleologisches Verständnis der konkret zu verhängenden Einzelstrafe. Die Begriffsverwendung macht nur Sinn, wenn die Prämisse des zugrunde liegenden Strafzumessungsmodells die Verfolgung eines bestimmten Zwecks nicht nur mit dem Strafensystem im allgemeinen, sondern auch mit jeder Einzelstraje ist. Das Telos liegt nach dieser Vorstellung in der Erreichung eines bestimmten Zustandes. In diesem Sinne argumentiert etwa Roxin, daß die konkret zu verhängende Strafe der Ratio des Strafrechtssystems (nämlich dem Rechtsgüterschutz) entsprechen müsse und deshalb nur präventive Strafzumessungserwägungen adäquat seien76 .

72 Vgl. in diesem Sinn Neumann/Schroth, Neuere Theorien, S. 37: soziale AuswirkWlgen habe nicht eine "abstrakte Institution Strafe, sondern nur die konkrete soziale Realität Strafrecht". 73 Bruns, Recht der StrafzumessWlg, S. 6, 81 ff.; ders., FS filr Welzel, S. 743 f.; Kunz, ZStW 98 (1986), 829; Köhler, Begriff der Strafe, S. 6; Maurach/Zipf, Strafrecht AT 1, § 7 Rn. 6; Maurach/Gössel/Zipf, Strafrecht AT 2, § 63 Rn. 2; Schönke/Schröder/Stree, § 46 Rn. 3; Tröndle, § 46 Rn. 7; Hettinger, Doppe1verwertungsverbot, S. 56; H-L. Günther, JZ 1989, 1025, 1027; ders., FS filr Göppinger, S. 456; Frisch, ZStW 99 (1987), 353. Eingrenzend dagegen nWlffiehr Frisch, 140 Jahre GA, S. 19 ff. sowie Jung, Sanktionensysteme Wld Menschenrechte, S. 20 Wld Stratenwerth, Lehre von den Strafzwecken, S. 17 ff. 74 Zur Lehre vom Strafmaß, 1954. 75 Die von ihm sogenannten realen StrafzumessWlgsgrilnde, also die StrafzumessWlgstatsachen, sollen durch die logischen StrafzumessWlgsgrilnde mit dem Strafzweck verknüpft werden: Spendei, Lehre vom Strafmaß, S. 191 ff.; s. auch Dreher, Über die gerechte Strafe, S. 22. 76 Roxin, Strafrecht AT 1, § 3 Rn. 36; ebenso Maihofer, Rechtsstaat Wld menschliche Würde, S. 134 f.; Haag, Rationale StrafzumessWlg, S. 23 ff.; Maurach/Zipf, Strafrecht AT 1, § 7 Rn. 6.

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3. Teil: Die Theorie tatproportionaler Strafzumessung

b) Diese Linie des Denkens hatte tiefgreifende Konsequenzen für die deutsche Strafzumessungslehre. Der Preis für die Entwicklung nicht-teleologischer Verteilungsregeln schien zu sein, den Boden eines dem Rechtsgüterschutz verpflichteten Strafrechts zu verlassen - was ein Grund dafür sein mag, daß sich die deutsche Lehre lange Zeit wenig mit einer Strafzumessungsdogmatik jenseits der Spielraumtheorie befaßt hat. Eine tatproportionale Strafzumessungslehre wurde mit dem Etikett der "absoluten Straftheorie" versehen77 und dadurch in einen Kontext eingegliedert, der für die Mehrheit der deutschen Wissenschaftler nicht akzeptabel ise s.

2. Keine Zweckorientierung bei einzelnen Strafen

a) Wesentlich für das Verständnis des hier vorzustellenden Strafzumessungsmodells ist, daß dieses mit der prominenten Rolle des Strafzwecks bricht. Eine tatproportionale Strafzumessung setzt nicht die Verfolgung eines bestimmten Zwecks mit der Verhängung einer einzelnen Strafe voraus. Die Abkehr von einer teleologischen Struktur der Strafzumessung wird angesichts der festen Verankerung der Spendeischen Denkformen in der deutschen Lehre auf Widerspruch stoßen und ist deshalb in besonderem Maße begriindungsbedürftig. Es lassen sich zwei Begriindungsstränge anführen. Erstens haben auch Anhänger einer schlicht-funktionalen Straftheorie bereits betont, daß die Unterscheidung zwischen der Rechtfertigung des Strafrechtssystems und den Maßstäben für die Verhängung von Einzelstrafen notwendig sei, um zu einem erneuerten Verständnis von Strafe und Strafzumessung zu kommen79 . Die Gleichsetzung von teleologischer Straftheorie und teleologischer Strafzumessungstheorie vernachlässige die notwendige Differenzierung zwischen dem Existenzgrund einer sozialen Institution und den Prinzipien, die ihre Arbeitsweise im einzelnen regeln. Diese Unterscheidung wurde von H.L.A. Hart in den Bereich des Strafrechts transformiert und nutzbar gemachtSO. Dabei hält er an einer teleologischen Rechtfertigung der Institution Strafe ("General Justifying Aim") durch die nützlichen Folgen für die Allgemeinheit fest. Gleichzeitig betont er jedoch, daß mit jedem sozialen Ziel beschränkende Prinzipien verbunden seien, die sich nicht nach der utilitaristischen Logik richten müssen. Auf der Ebene der

77 Vgl. Frehsee, Schadenswiedergutmachung, S. 81: ,just desert" sei eine ,,Rückkehr zwn Vergeltungsprinzip des 18. Jahrhunderts". 78 Vgl. stellvertretend für viele Roxin, Strafrechtliche Grundlagenprobleme, S. 1 tT. 79 SchUnemann, in: Eser/Cornils (Hrsg.), Neuere Tendenzen, S. 223 tT.; von HirschlJareborg, Strafmaß und Strafgerechtigkeit, S. 11 tT. 80 H.L.A. Hart, Prolegomenon, S. 10.

3. Kapitel: Rechtfertigung einer Theorie tatproportionaler Strafzwnessung

127

Verteilung von Strafe sei es deshalb zulässig, Einschränkungen vorzunehmen, die mit einer schlicht-funktionalen Rechtfertigung der Institution nicht kohärent sind81 . Hart verweist als Beispiel auf die Institution des zivilrechtlichen Vertrags: Dieser soll es ennöglichen, subjektive Gestaltungswünsche in rechtlich anerkannte Fonnen umzusetzen. Gleichzeitig bestehe aber das Bedürfnis, die Vertragspartei gegen Mißverständnisse zu schützen, was dazu führe, bei der Interpretation von Willenserklärungen einen objektiven Maßstab anzuwenden, obwohl die Ratio der Verträge in der Verwirklichung individualisierten Willens bestehe82 . Als weiteres Beispiel seien Institutionen des Gesundheitswesens genannt: Krankenhäuser werden errichtet und unterhalten, weil dies für die Allgemeinheit nützlich ist. Bei der Zulassung von Patienten stehen jedoch entsprechende Erwägungen zurück: Es entspricht nicht der Praxis, die Verteilung von Betten davon abhängig zu machen, welcher Patient nach seiner Gesundung mehr zum gesellschaftlichen Nutzen beiträgt. b) Die Notwendigkeit einer Unterbrechung des Zusammenhangs von Strafund Strafzumessungstheorie wird erst recht deutlich, wenn die Entwicklung einer Straftheorie mit der nötigen Differenziertheit betrieben wird. Nur solange das übennäßig vereinfachende und deshalb inadäquate, schlicht-funktionale Bild der Institution Strafe beibehalten wird, war es möglich, aus dem Telos der Institution auch ein identische Telos der Strafzumessung abzuleiten. Die obigen Ausführungen haben jedoch ergeben, daß an Straftatenprävention orientierte Erwägungen bei der Straftheorie zwar durchaus eine Rolle spielen, aber nur in einem Gemenge mit anderen, nicht teleologischen, nämlich expressivsymbolischen Erwägungen. Es ist deshalb nicht mehr möglich, aus der zweckgerichteten Komponente der Straftheorie einen Zweck für die Verhängung einer einzelnen, konkreten Strafe abzuleiten, da hinter dieser konkreten Einzelstrafe eben auch nicht-teleologische Überlegungen stehen.

3. Kapitel: Die Rechtfertigung einer Theorie tatproportionaler Strafzumessung 1. Utilitaristische bzw. vertragstheoretische Begriindungen a) Die Festlegung, daß nicht ein mit der Einzelstrafe zu verfolgender Zweck den Ausgangspunkt der Strafzumessung markiert, sondern die Zweckdiskussion bei der Straftheorie endet, kann noch nicht abschließend die Frage beantworten, warum bei der Strafzumessung auf die Tatschwere abzustellen ist. Zwar ist dies die Alternative zu einer präventions- oder wiedergutmachungs-

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82

H.L.A. Hart, Prolegomenon, S. 8 fT. H.L.A. Hart, Prolegomenon, S. 10 f.

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3. Teil: Die Theorie tatproportionaler Strafzumessung

orientierten Strafzumessung; eine nur abgrenzende Begründung ist jedoch weniger gehaltreich als eine eigenständige Rechtfertigung. Sucht man nach Begriindungssträngen für ein an der Tatschwere orientiertes Konzept, stößt man auf Ansätze, die eine tatproportionale Strafzumessung mit utilitaristischen Erwägungen begriinden83 . Auf dieser Grundlage steht die Argumentation, die Strafe müsse verhältnismäßig zur Schwere der Tat sein: Die Einführung des Verhältnismäßigkeitsprinzips in die Strafzumessung wird als Alternative zur schuldangemessenen Strafe vorgeschlagen84 . Grundlage einer Verhältnismäßigkeitsprüfung ist ein Abwägungsvorgang: Die Erreichung kriminalpolitischer Ziele wird gegen die negativen Folgen der Strafverhängung abgewogen. Das Potential zur Begründung eines proportionalen Verhältnis von Tatschwere und Strafe ist allerdings begrenzt: Ein wirklicher Schutz vor überhöhten Strafen ist durch eine Zweck-Mittel-Relation nicht zu erreichen85 . Wenn der angestrebte Zweck als besonders wichtig eingeordnet wird, erweitert sich der Bereich zulässiger Mittel. Wegen der Folgensaldierung ist es mit dem Verhältnismäßigkeitsprinzip zum Beispiel zu vereinbaren, zur Verhinderung schwerwiegender zukünftiger Straftaten eine drakonische Strafe auch dann zu verhängen, wenn die abzuurteilende Straftat dies unter anderen Umständen nicht rechtfertigen würde86 . b) Komplexere Kosten-Nützlichkeit-Erwägungen, die sich nicht auf eine Abwägung im Einzelfall beschränken, sondern allgemeine Grundsätze entwickeln, dehnen den Schutzbereich des Verhältnismäßigkeitsprinzips aus. Baurmann benutzt regelutilitaristische 87 und vertrags- bzw. entscheidungs-

83 Für eine Zusammenfassung der wesentlich auf die Arbeiten von leremy Bentham und lohn Stuart Mill zurückgehenden utilitaristischen Lehre s. die Einleitung von HöjJe, in: ders. (Hrsg.), Einführung in die utilitaristische Ethik. 84 Vgl. Ellscheid/W. Hassemer, in: LüdersseniSack (Hrsg.), Seminar: Abweichendes Verhalten, S. 281 ff.; Baurmann, Zweckrationalität im Strafrecht, S. 269 ff.; ders., in: Baurmann/K.liemt (Hrsg.), Die moderne Gesellschaft, S. 141 ff.; Moccia, in: Schünemann (Hrsg.), Bausteine des europäischen Strafrechts, Fn. 75 S. 66 f. 85 Zum Unterschied von Zweck-Mittel-Relation und Zweck-Anlaß-Relation vgl. Maurach/Zipf, Strafrecht AT 1, § 7 Rn. 15. 86 Dies gilt etwa für Maßnahmen zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität: Zeichnet man die drohenden Gefahren nur drastisch genug, bietet der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz keine Hemmschwelle. 87 Während der Aktutilitarismus die Richtigkeit von einzelnen Entscheidungen nach der Maximierung von nützlichen Folgen beurteilt, baut der Regelutilitarismus auf einer zweistufigen Prüfung auf: Eine Handlung ist richtig, wenn sie einer Handlungsregel entspricht; die Handlungsregel wiederum ist anhand ihrer Übereinstimmung mit dem Nützlichkeitsprinzip zu messen, wobei die allgemeine Regel auch dann befolgt werden soll, wenn dies nach aktutilitaristischen Erwägungen an sich nicht geboten wäre. Vgl. Rawls, in: Höffe (Hrsg.), Einführung in die utilitaristische Ethik, S. 107 ff.; Hoerster, Utilitaristische Ethik, S. 25; HöjJe, in: ders. (Hrsg.), Einftlhrung in die utilitaristische Ethik, S. 22.

3. Kapitel: Rechtfertigilllg einer Theorie tatproportionaler Strafzumessilllg

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theoretische 88 Prinzipien zur Verteidigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Dabei stützt er sich auf die Entscheidungen eines gedachten idealtypischen Bürgers, der sich bei der Begründung eines Strafrechts systems von rationalen Erwägungen unter Einbeziehung langfristiger Interessen leiten läßt und der als autonomes Individuum sein Leben gestalten will89 . Mittels dieses Ansatzes kommt er zu dem Ergebnis, daß sich die Schwere der Strafe nach der Sozial schädlichkeit der Tat richten müsse, die wiederum durch den Wert und den Grad der Beeinträchtigung des betroffenen Rechtsguts bestimmt werde90 . Ein massiver, vom Gewicht der Straftat unabhängiger Einsatz strafrechtlicher Sanktionen wäre zwar unter Umständen präventiv wirksam, jedoch seien die mit jeder Strafe verbundenen Kosten zu beachten91 . Neben der monetären Kostspieligkeit eines auf möglichst intensive Prävention zielenden Strafverfolgungssystems zwängen auch immaterielle Faktoren zu einem verhältnismäßigen Umgang mit Strafe, etwa weil die Verhängung einer Strafe auch für Außenstehende ein unangenehmer Vorgang sei92 . Außerdem müsse das Interesse eines potentiellen Straftäters am Schutz vor drakonischen Strafen einfließen, da der abwägende Bürger auch bedenken müsse, daß er selbst, und sei es aufgrund eines Justizirrtums, oder jedenfalls ihm nahestehende Personen bestraft werden könnten93 . Über die Nutzen-Komponente ergebe sich die Verbindung zur Schwere der Tat: Je sozialschädlicher die Handlung war, desto größer sei der Vermeidebedarf bezüglich zukünftiger ähnlicher Handlungen und umso höher könne der Strafeinsatz sein94 . 88 Vgl. zu diesem Ansatz, Verteililllgsregein rational zu rechtfertigen, Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit; HöJJe, in: ders. (Hrsg.), Gerechtigkeit als Faimeß, S. 16 ff. Rawls illltersucht den Bereich der "vollständigen Konformität", die BasisanfordeTilllgen an die gesellschaftliche GTillldstruktur. Die Konzepte der "illlvollständigen Konformität", die sich mit den GTillldsätzen für Ungleichbehandlilllgen beschäftigen, wozu auch die Theorie der Strafe gehört, werden von Rawls nur kurz erwähnt, S. 25. Er beschränkt sich auf die Feststellilllg, die Rechtfertigilllg der Strafe sei aus dem GTillldsatz der Freiheit abzuleiten, da auch in einer wohlgeordneten Gesellschaft eine mit Zwangsmitteln ausgestattete RegieTilllg notwendig bleibe, um der Vermutilllg vorzubeugen, die anderen Bürger hielten sich nicht an die gegenseitigen Pflichten, S. 271 f. Zur Bemessilllg von Strafen nimmt er nicht Stellilllg. S. auch Wittig, ZStW 107 (1995), 251 ff. 89 In: BaurmannlKliemt (Hrsg.), Die modeme Gesellschaft, S. 115 ff. hn Gegensatz zur klassischen utilitaristischen Vorgehensweise mit einer gleichsam perspektivelosen Kosten-Nutzen-Analyse hat dieser Ansatz den Vorteil, abwägilllgsentscheidende Gesichtspunkte transparent zu machen. 90 In: Zweckrationalität illld Strafrecht, s. 269 f.; ders., in: BaurmannlKliemt (Hrsg.), Die modeme Gesellschaft, S. 144 ff. 91 Baurmann, Zweckrationalität illld Strafrecht, S. 255; ausführlich ders., in: BaurmannlKliemt (Hrsg.), Die modeme Gesellschaft, S. 144 ff. 92 Baurmann, in: BaurmannlKliemt (Hrsg.), Die modeme Gesellschaft, S. 145 f. 93 Baurmann, in: Baurmann/K.liemt (Hrsg.), Die modeme Gesellschaft, S. 146 ff. 94 Baurmann, Zweckrationalität illld Strafrecht, S. 269 f.

9 Hörn1e

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3. Teil: Die Theorie tatproportionaler Strafzumessung

c) Baurmanns Argumentation setzt einen verbesserten Rechtsgüterschutz durch höhere Strafen voraus und ist deshalb empfindlich gegenüber der Kritik mangelnder empirischer Absicherung95 . Selbst wenn man jedoch diese Bedenken beiseite stellt, bleibt fraglich, ob mit diesem Ansatz eine verbindliche Geltung des Tatproportionalitätsprinzips zu begründen ist. Die Argumentation leidet an einem typischen Problem aller vertrags- bzw. entscheidungstheoretisch begründeten Überlegungen: Die Präferenzen idealtypischer Bürger sind von den Parametern der Entscheidungsfindung abhängig und deshalb von der mehr oder weniger plausiblen Einführung derselben abhängig96 . Baurmann führt etwa an, daß der idealtypische Bürger empfänglich für die nicht-monetären, subjektiv-emotionalen Kosten von Strafen sei97 . Ohne diese "Sensibilitätsthese" fallen wesentliche Argumente weg: Nach einer alternativ in Betracht kommenden "Gleichgültigkeitsthese" würde der rational kalkulierende Bürger Kostendämpfung durch einen kostensparenden Verwahrvollzug anstreben, der auch bei längeren Freiheitsstrafen nicht zu einer erheblichen Kostensteigerung führt. Vor allem bezüglich bestimmter Straftaten oder bestimmter Tätergruppen würde das Kalkül dieses rationalen Bürgers für nicht tatproportionale Strafen sprechen, entweder wenn sein Interesse an der Unschädlichmachung bestimmter Täter durch lange Inhaftierungszeiten groß oder die Wahrscheinlichkeit vernachlässigbar gering ist, daß diese Strafen ihn oder nahestehende Personen treffen könnten. Gerade bei der Verteilung von Strafe kann die Prämisse des rational die Förderung eigener Interessen kalkulierenden Bürgers zu problematischen Entscheidungsergebnissen führen. Die Grundbedingung des vertragstheoretischen Ansatzes von Rawls ist, daß die an der hypothetischen Urvereinbarung Beteiligten ihre eigenen Ausgangsbedingungen nicht kennen ("veil of ignorance"), weshalb sie bezüglich der Prinzipien vorsichtig sein müssen, die strukturelle Fragen regeln98 . Anders als die Verteilungsprinzipien, die Rawls auf dieser Basis rechtfertigt, knüpft die Verhängung von Strafe jedoch an eine eigene Entscheidung des vom Verteilungsakt Betroffenen an (nämlich den Tatentschluß). Der sich im Urzustand Befindliche würde deshalb rationalerweise auf die eigene Vermeidemacht setzen. Unter der Grundbedingung eines weitgehend sorgfältig organisierten Strafverfahrens wird die Möglichkeit eines Justizirrtums wenig Gewicht haben99 .

Baurmann, Zweckrationalität und Strafrecht, S. 271 f. Vgl. statt vieler Arthur Kaufmann, in: Arthur KaufmannlW. Hassemer (Hrsg.), Rechtsphilosophie und Rechtstheorie, S. 167 f. 97 Baurmann, in: Baurmann/Kliemt (Hrsg.), Die moderne Gesellschaft, S. 145 f. 98 Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 159 ff. 99 Anders als Baurmann (in: Baurmann/Kliemt - Hrsg. -, Die moderne Gesellschaft, S. 147) annimmt. 95

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3. Kapitel: Rechtfertigung einer Theorie tatproportionaler Strafzwnessung

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d) Auch bezüglich des Nutzens, den der Bürger sich von Bestrafungen erhofft, werden seine Überlegungen nicht immer im Sinne eines Tatproportionalitätsprinzips ausgehen. Nach Baurmann entspricht das Interesse an der Verhinderung eines zukünftigen Rechtsgutsangriffs dem Wert des in der Vergangenheit durch die Straftat verletzten Rechtsgut100 - deshalb soll sich das Strafmaß am vergangenen Geschehen orientieren und gleichzeitig in Relation zum zukünftigen Nutzen stehen. Diese Prämisse ist jedoch nicht immer zutreffend. Der Wert des durch die Straftat verletzten Rechtsguts wird zwar in vielen Fällen ein gewichtiges Indiz dafür sein, wie wichtig es ist, in der Zukunft Ähnliches zu verhindern. Es gibt jedoch Konstellationen, bei denen trotz eines relativ geringfügigen Rechtsgutsangriffs das Interesse an der Verhinderung ähnlicher Taten groß ist, oder aber trotz einer gravierenden Straftat kein besonderes Interesse an der Verhinderung künftiger Taten besteht. Zu der ersten Gruppe gehört das gesteigerte Interesse an der Verhinderung zukünftiger Taten aufgrund der sozialschädlichen Häufung solcher Taten. Insbesondere bei Delikten, die nicht Individualrechtsgüter verletzen, hängt die Sozial schädlichkeit entscheidend von der Kumulation entsprechender Taten ab. So ist beispielsweise für das Vertrauen in die Rechtspflege von entscheidender Bedeutung, ob Falschaussagen und Meineide seltene Ereignisse sind oder aber sich häufen. Baurmann besteht darauf, daß nur die Sozialschädlichkeit der abzuurteilenden Einzelhandlung Maßstab sein dürfe, nicht aber die Gesamtheit aller entsprechenden Handlungen. Zur Begründung führt er ein regelutilitaristisches Argument ein: Die Strafllöhe dürfe grundsätzlich nicht von den Handlungen anderer abhängig gemacht werden, da der Täter auf diese keinen Einfluß habe und er nicht nach seinen autonom gesetzten Prinzipien leben könne, wenn er beständig damit rechnen müsse, für aus seiner Perspektive zufällige Umstände bestraft zu werden lOl . Dagegen ist jedoch zweierlei vorzubringen. Mit dieser Argumentation setzt sich Baurmann einem generellen Einwand gegen regelutilitaristische Begründungen aus: Solange die Zweckrationalität der Entscheidung als einziges Ziel eingestuft wird, entsteht ein Widerspruch, wenn eine im Einzelfall sinnvolle Abweichung von der Regel für unzulässig erklärt wird102 . Wenn eine sozialschädliche Häufung von im einzelnen nicht allzu gewichtigen Delikten (etwa der drohende Zusammenbruch der Rechtspflege wegen einer Vielzahl von Aussagedelikten) bekämpft werden könnte, wäre von utilitaristischen Prämissen ausgehend die Verweigerung einer strengeren Bestrafung unbefriedigend. Außerdem schleicht sich mit der Argumentation, daß eine an die Taten ande100 In: Zweckrationalität und Strafrecht, S. 269 f.; ders., in: Baurrnann/Kliemt (Hrsg.), Die moderne Gesellschaft, S. 144 ff. 101 In: Zweckrationalität und Strafrecht, S. 271 f. 102 Vgl. hierzu Smart, in: SmartlWilliams, Utilitarianism, For and Against, S. 9 ff.

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3. Teil: Die Theorie tatproportionaler Strafzumessung

rer anknüpfende Bestrafung unzulässig sei, eine Inkonsequenz ein: Wenn die Bestrafung nicht an Faktoren gekoppelt werden darf, die außerhalb des Einflußbereichs des Täters liegen, ist die Vornahme einer Kosten-Nutzen-Analyse generell problematisch, da auch der Eintritt eines erhofften präventiven Nutzens von in der Zukunft liegenden Umständen abhängt, die der Täter nicht gestalten kann lOJ . Ein Beispielsfall für die Fallgruppe des fehlenden Präventionsinteresses sind Straftaten, die in historischen Bedingungen wurzeln, welche eine Wiederholung unwahrscheinlich machen. Der rationale Bürger müßte zu dem Abwägungsergebnis kommen, daß die Kosten für die Ahndung solcher Taten unverhältnismäßig sind, weil kein präventiver Nutzen zu erwarten ist. Es erfordert eine anspruchsvolle Begründung, warum an der Regel einer tatproportionalen Bestrafung beispielsweise für die Mauerschützenprozesse festzuhalten sein soll. Es soll hier nicht bestritten werden, daß eine solche Argumentation grundsätzlich möglich ist. Jedoch besteht bei derart verwickelten, komplexen Nützlichkeitsargumenten die Gefahr des Abgleitens ins Spekulative, je mehr "Begründungsschleifen" eingearbeitet werden müssen, die sämtlich auf mehr oder weniger unbewiesenen Annahmen über Folgeeffekte beruhen lo4 . e) Im Kontext der in Deutschland derzeit herrschenden Straftheorie der positiven Genera/prävention wäre eine Verankerung des Tatproportionalitätsprinzips auch mit einem etwas anders gelagerten utilitaristischen Gedankengang denkbar: Das oben angeführte Begründungsmuster "Bekräftigung der Normen durch gerechte Strafen"I05 läßt sich in "Bekräftigung der Normen durch Urteile proportional zur Tatschwere" umformulieren. In der tiefenpsychologisehen Variante wird darauf verwiesen, daß die Strafbedürfnisse der Bevölkerung abhängig vom Wert des verletzten Rechtsguts seienl06 . Diese Erwägungen sind zwar nicht unplausibel, letztlich aber ebenfalls spekulativ. In die Gesamtsaldierung müßten bei einer realistischen Betrachtungsweise auch 103 Etwa von der Publizität des Urteils, der Entwicklung der sozio-ökonomischen Rahmenbedingungen etc. 104 Letztlich krankt auch die regelutilitaristische Variante an grundsätzlichen Problemen, die es nicht ratsam erscheinen lassen, das Projekt einer möglichen Rechtfertigung des Tatproportionalitätsprinzips auf dieser Grundlage weiter zu verfolgen. Ein Hauptprobem besteht darin, daß die zu saldierenden Posten nicht in ein gemeinsames Medium, eine gemeinsame "Währung", umzusetzen sind. Es mag noch möglich sein, bei der grundsätzlichen Bewertungsn·chtung einen Konsens zu erzielen, also bei der Frage, ob eine Folge "gut" oder "schlecht" ist. Spätestens aber bei der Festlegung des Gewichts der guten und schlechten Folgen besteht kein allgemeingültiger Bewertungsmaßstab mehr, vgl. Finnis, Ethics, S. 87 ff. In der entscheidenden letzten Phase der utilitaristischen Vorgehensweise, der Aufrechnung der betroffenen Interessen, bleibt der Urteilende auf seine eigenen Präferenzen angewiesen. 105 Vgl. oben 2. Teil, I. Kap., 4 c bb. 106 Streng, ZStW 92 (1980), 650; ders., ZStW 101 (1989), 288.

3. Kapitel: RechtfertigWlg einer Theorie tatproportionaler StrafzwnessWlg

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gegenläufige Strömungen, nämlich mögliche Bestrafungswünsche gegen bestimmte Tätergruppen lo7 einfließen: Man kann die Gegenthese wagen, daß das Vertrauen in den Staat durch hartes Durchgreifen gegen einzelne Tätergruppen gefördert werden könnte, wenn man die Stimmen der Protestierenden gegen die einer zustimmenden Mehrheit aufrechnet. f) Als Zwischenergebnis ist festzuhalten, daß den Ansätzen, die mit utilitaristischen Erwägungen das Strafmaß an die Schwere der Tat binden wollen, ein spekulativer Zug gemeinsam ist. Alle anspruchsvollen folgenorientierten Begründungen sind an verschiedenen Stellen auf Annahmen über Wirkungszusammenhänge bzw. über Prämissen der Entscheidungsfindung angewiesen, deren Richtigkeit schwerlich bewiesen werden kann. Im Vergleich zu einer einerseits hochkomplexen, andererseits aber nicht vollständig empirisch absicherbaren Argumentation ist die direktere Logik einer ausschließlich normativen Begründung vorzugswürdig.

2. Gerechtigkeit als Argument für Tatproportionalität a) Eine vergleichsweise unkomplizierte Begründung für eine tatproportionale Strafzumessung könnte auf das Gebot der Gerechtigkeit verweisen lO8 . Dies wirft die Frage nach der Basis eines Gerechtigkeitsurteils auf. Die einfachste Antwort verweist auf ein intuitives Wissen darum, ob eine Entscheidung gerecht oder ungerecht istl09 . Die Unhaltbarkeit der Vorstellung, ethische Vorstellungen könnten Gegenstand unmittelbarer Erkenntnis sein llO , läßt sich jedoch besonders gut am Beispiel der Gerechtigkeit demonstrieren. Der Begriff der Gerechtigkeit ist mit großer Suggestivkraft und hohem emotionalen Gehalt besetzt und kann deshalb zu einem unpräzisen Umgang verleiten: "Unter allen anspruchsvollen Begriffen erscheint der der Gerechtigkeit als einer der hervorragendsten und als der am heillosesten verwirrte" I II .

107 In Abhängigkeit von der BerichterstattWlg in den Massenmedien ist etwa an Betäubungsmittelhande1 oder sexuellen Mißbrauch von Kindern zu denken. Harte Strafen auch bei Delikten, die innerhalb dieser Deliktskategorien zu den eher leichten gehören, wären für die ErhaltWlg des Normvertrauens in der BevölkerWlg wahrscheinlich nützlich. 108 Von Hirsch Wld Jareborg benutzen die Begriffe Fairness Wld Gerechtigkeit, Strafmaß Wld Strafgerechtigkeit, S. 12, 20 f. 109 Vgl. etwa Seheler, Materiale Wertethik, S. 43 ff., 64 ff. zur Vorstellung einer apriorischen Werterkenntnis. 110 Zur Kritik am Intuitionismus Strawson, in: GrewendorflMeggle (Hrsg.), Sprache Wld Ethik, S. 100 ff.; zur Gerechtigkeitsproblematik Wld Max Seheler Koeh/Rüßmann, Juristische BegründWlgslehre, S. 360 f. 111 Perelman, Über die Gerechtigkeit, S. 14.

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b) Gemäß der Aufteilung in formale (oder abstrakte) Gerechtigkeit und konkrete (oder materiale) Gerechtigkeit nach Perelman besitzt nur die formale Gerechtigkeit einen vorgegebenen, eindeutig festgelegten Bedeutungsgehalt. Formale Gerechtigkeit bedeutet, daß alle "Wesen derselben Wesenskategorie auf dieselbe Art und Weise behandelt werden müssen,,112. Der entscheidende Punkt bei der Umsetzung der formalen Gerechtigkeit in konkrete Gerechtigkeit ist die Definition der Wesenskategorien. Um ein Beispiel zu nennen: Einer konkreten Gerechtigkeitskonzeption würde der Grundsatz entsprechen, "alle Bürger müssen 25 % ihres Einkommens als Steuer abführen". Durch eine Umdefinition der Wesenskategorie ergibt sich eine andere konkrete Gerechtigkeitsformel, beispielsweise "alle Bürger außer Beamten müssen 25 % ihres Einkommens als Steuer abführen". In bezug auf Strafzumessung würde eine tatproportionale, konkrete Gerechtigkeitsvorstellung lauten: "Jeder Straftäter soll der Schwere seiner Straftat entsprechend bestraft werden." Eine andere konkrete Gerechtigkeitsvorstellung würde lauten: "Jeder Straftäter soll entsprechend seiner Gefährlichkeit bestraft werden." c) Die formale Gerechtigkeit erschöpft sich in der Gleichbehandlung der definierten Gruppenangehörigen113. Das Problem ist, nach welchen Kriterien entschieden werden kann, welche der zur Lösung eines Problems existierenden konkreten Gerechtigkeitsvorstellungen zu bevorzugen ist. Mit Recht warnt Pereim an davor, eines der möglichen Konzepte zu wählen und zu postulieren, daß es die einzig gerechte Lösung sei 114 . Ein sorgfältiger Umgang mit dem Begriff der Gerechtigkeit bringt dessen nur begrenzte Tragweite zum Vorschein: Die Konkretisierungen der formalen Gerechtigkeit sind nicht mehr dadurch unterscheidbar, daß eine das Prädikat "gerecht" verdient und die anderen nicht. Es ist daher nicht möglich, eine tatproportionale Strafzumessung allein mit dem Hinweis auf Gerechtigkeit zu begründen. Eine solche Argumentation steht in einem auf dieser Ebene nicht mehr auflösbaren Widerspruch zum Gegenargument, es sei ungerecht, Täter unabhängig von ihrer Biographie nach der Tatschwere zu bestrafen115 • Daraus folgt aber nicht, daß Bewertungen unterschiedlicher Gerechtigkeitsvorstellungen an einem unüberwindbaren Werterelativismus scheitern müssen. Vielmehr dienen diese Ausführungen nur dazu, zu zeigen, daß die Begründung der Differenzierung nicht in der vergleichsweise einfachen Form der Vergabe der Prädikate "gerecht" oder "ungerecht" erfolgen kann.

Perelman, Über die Gerechtigkeit, S. 28. Perelman, Über die Gerechtigkeit, S. 26 ff. 114 Perelman, Über die Gerechtigkeit, S. 21. 115 Weigend, in: BMJ (Hrsg.), GrWldfragen des Jugendkriminalrechts, S. 168. 112

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3. Kapitel: Rechtfertigung einer Theorie tatproportionaler Strafzmnessung

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3. Der strafrechtliche Tadel als Argument für Tatproportionalität a) Die Begründung des Tatproportionalitätsprinzips, wie sie von Hirsch, in der deutschen Fassung gemeinsam mit Jareborg, entwickelt hat, basiert auf der hier bereits eingehend begründeten Prämisse, daß der strafrechtliche Tadel wesentlich die Strafe konstituiert und für die Rechtfertigung der Strafe unverzichtbar ist116. Ein Konsens über die normative Rolle des Tadels ist jedoch keine zwingende Voraussetzung für die Überzeugungskraft des im nächsten Abschnitt folgenden Argumentationsgangs. Auch wer nicht bereit ist, dem Tadel eine zentrale Rolle bei der Rechtfertigung der Strafe einzuräumen, muß doch auf der Ebene des Deskriptiven zugestehen, daß das tadelnde Element ein Charakteristikum unserer Strafpraxis ise 17. Grundthese einer tatproportionalen Strafzumessungslehre ist, daß das Ausmaß der Übelszufügung unweigerlich das Ausmaß des Tadels widerspiegelt: Die Ernsthaftigkeit der Übelszufügung reflektiert das Gewicht des über die Tat ausgesprochenen Unwerturteils. Eine schwerere Strafe bringt zum Ausdruck, daß das bestrafte Verhalten tadelnswerter ist als das Tatgeschehen, das einer geringeren Strafe zugrunde liegt118. Gegen diese Rechtfertigung des Tatproportionalitätsprinzips wird folgendes vorgebracht: Der beschriebene Konnex zwischen Strafmaß und Tadel sei kein notwendiger, d.h. ein aus beispielsweise generalpräventiven Gründen erhöhtes Strafmaß beinhalte nicht zwingend auch einen stärkeren Tadel gegenüber dem Bestraften, sofern die höhere Strafe ausschließlich präventiv begründet wirdl19 . Dies bedeutet jedoch eine Aufspaltung der Strafe in einen Teil der Übelszufügung, der mit Tadel verbunden ist, und einen weiteren Teil, der eine aus präventiven Gründen verhängte neutrale Sanktion sein soll. Diese Konstruktion geht an der Realität von Strafe vorbei. Auch wenn Tadel und Übelszufügung analytisch getrennt werden können120 , ist faktisch die Übelszufügung stets mit einem tadelnden Urteil verbunden, und zwar, was die gesamte Höhe der verhängten Strafe anbegehe 21 • Bestimmte Formen der Übelszufügungen, in erster Linie Geld- bzw. Freiheitsentzug,

116 Von Hirsch, Censure and Sanctions, S. 15; von Hirsch/Jareborg, Strafmaß und Strafgerechtigkeit, S. 12. 117 Dies gestehen auch die Gegner eines mit Tadel operierenden Strafrechts zu, vgl. EllscheidlW Hassemer, in: LüderssenlSack (Hrsg.), Seminar: Abweichendes Verhalten, S. 267. 118 Von Hirsch, Censure and Sanctions, S. 15; von Hirsch/Jareborg, Strafmaß und Strafgerechtigkeit, S. 12. 119 So wohl Andenaes im Rahmen der skandinavischen Diskussion, zitiert bei von Hirsch/Jareborg, Strafmaß und Strafgerechtigkeit, S. 13 Fn. 44. 120 Vgl. die Nwe. oben Fn. 55. 121 Von Hirsch/Jareborg, Strafmaß und Strafgerechtigkeit, S. 14.

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3. Teil: Die Theorie tatproportionaler StrafZumessWlg

sind nach unseren Konventionen Symbole der Mißbilligungl22 . Diese auf sozialen Gebräuchen beruhende Verknüpfung wurde bereits oben als Grund dafür angeführt, daß eine verbale Mißbilligung ohne begleitende Übelszufügung bei schweren Straftaten die expressive Bedeutung stört. Umgekehrt läßt sich argumentieren, daß die Verhängung bestimmter Übelszufügungen, die sich im Bereich des Strafrechts etabliert haben, Tadel bedeutet. Dies gilt nicht nur für schwere Straftaten, sondern für alle Verurteilungen. Das Strafurteil kommuniziert über die einfache Bedeutungsebene hinaus, auf der der Wortlaut des Urteils nur die Verhängung eines Übels formuliert, auf einer Metaebene Tadel I23 . b) Ausgehend von dieser notwendigen Verbindung von Ausmaß der Übelszufügung und Ausmaß des Tadels ist zu folgern, daß die Höhe der Strafe, also das Ausmaß der Übelszufügung, der Tadelnswertigkeit der abgeurteilten Handlung entsprechen muß. Andere Erwägungen sind nicht zulässig, weil dies zur Inkongruenz von Strafmaß und Tadelnswertigkeit führen würde. Um zu begründen, warum eine solche Inkongruenz problematisch ist, verweisen von Hirsch und Jareborg auf den gemeinsamen Nenner eines Preiswettbewerbs und strafrechtlichen Tadels l24 . Ähnliche Erwägungen finden sich bereits bei Feinberg 125. Bei der Vergabe eines Wettbewerbspreises erfordere es die Logik der Sache, daß die Preisverteilung nur an die Qualität der erbrachten Leistung anknüpfe, und nicht etwa an andere Faktoren wie die unterschiedliche Bedürftigkeit der Teilnehmer. Diese Erwägungen hätten Gültigkeit für jedes System, das die Verteilung von lobenden oder ablehnenden Urteilen vorsehe: Dieses Urteil dürfe nur vom Ausmaß des Verdienstes oder der Tadelnswertigkeit abhängig gemacht werden 126 . Das Gegensatzpaar Lob und Tadel ist dadurch charakterisiert, daß beide Urteile Endprodukte eines Beurteilungsprozeßes sind, wobei die Art des Endprodukts bereits bestimmte Regeln impliziert. Es ist nicht möglich, dieses Werturteil auf beliebige Beurteilungskriterien zu stützen. Vielmehr müssen

122 Feinberg, in: ders., Doing and Deserving, S. 100, verweist auf weitere Beispiele für Symbole, die auf gesellschaftlichen Konventionen beruhen, etwa Champagner als Getränk für besondere Anläße, oder die Farbe Schwarz als Zeichen der Trauer. S. außerdem zum Thema soziale BedeutWlg von HandlWlgen Kahan, Buffalo Criminal Law Review I (1998), 694 ff. 123 Schünemann, in: Schünemann!von Hirsch/Jareborg (Hrsg.), Positive Generalprävention, S. 113. 124 Von Hirsch/Jareborg, Strafmaß Wld Strafgerechtigkeit, S. 12 f Ebenso Duff, Trials and Punishments, S. 237 f; ferner Maiwald, in: Schöch (Hrsg.), WiedergutmachWlg Wld Strafrecht, S. 69 f 125 In: ders., Doing and Deserving, S. 67 ff. 126 Feinberg, in: ders., Doing and Deserving, S. 62 ff.; von Hirsch/Jareborg, Strafmaß und Strafgerechtigkeit, S. 12 f

3. Kapitel: Rechtfertigung einer Theorie tatproportionaler Strafzumessung

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diese in nicht-kontingenter Weise mit dem Werturteil verknüpft sein, mit anderen Worten, es muß ein innerer Zusammenhang zwischen den Beurteilungskriterien und dem Werturteil bestehen127 . Der Spielraum, der bei der Wahl von Beurteilungskriterien besteht, ist deshalb bei der Verteilung von Lob und Tadel enger als etwa bei der Beurteilung einer Handlung als "gut oder falsch" oder bei einer Beurteilung anband des Gerechtigkeitsprinzips. Für die Verteilung von Strafe folgt daraus, daß die von Jareborg und von Hirsch vertretene konkrete Gerechtigkeitskonzeption 128 die angemessene ist: Solange mit der Strafe ein sozialethisches Unwerturteil verbunden ist, kann die Basis des Werturteils nur das strafrechtlich relevante Ereignis sein, nicht aber spezialoder generalpräventive Erwägungen. Eine präventive Ausrichtung wäre nur um den Preis einer Umformung des Strafrechts in ein Maßnahmenrecht möglich, welches auf die Erhebung eines Tadels verzichtet.

4. Verständnis für die Situation des Täters als Gegenkonzept a) Das Idealbild eines verständnisvoll Urteilenden

aa) Ein Kennzeichen aller Entscheidungen, die auf dem Prinzip der Gerechtigkeit basieren, ist, daß diese von der Komplexität der zugrunde liegenden Sachverhalte mehr oder weniger abstrahieren129 . Alle konkreten Gerechtigkeitsvorstellungen bilden Kategorien; dabei werden bestimmte Charakteristika besonders betont, andere können dagegen bei der Kategorienbildung nicht berücksichtigt werden. Der Gerechtigkeitsansatz unterscheidet sich deshalb zwangsläufig von einer Entscheidungsfindung mit dem Anspruch, alle Gesichtspunkte einzubeziehen, die Handlung oder Handelnden beschreiben. Es besteht ein notwendiger Gegensatz zwischen dem Verlangen nach Gerechtigkeit und dem nach Vollständigkeit der Tatsachengrundlagen. bb) Eine am Gerechtigkeitsprinzip orientierte Strafzumessung wird aus diesem Grund aus moralphilosophischer Sicht kritisiert. Die Gegenposition, die von Martha Nussbaum formuliert wurde, setzt für ein moralisches wie ein rechtliches Urteil voraus, daß alle Umstände und Hintergründe des Geschehnisses erfaßt werden l30 . Jeder Einzelfall, der hinter einem Strafrechtsurteil Duff, Trials and Punishments, S. 235 ff. Die mit ihrer Konzeption von proportionaler Gerechtigkeit an Aristotelische Vorstellungen anknüpfen, nämlich an die Definition im 5. Buch der Nikomachischen Ethik, die das Gerechte als Gleiches im Sinne des Proportionalen bestimmt; vgl. S. 157 ff. der hier benutzten Ausgabe. 129 Perelman, Über die Gerechtigkeit, S. 36. 130 In: Philosophy and Public Affairs 22 (1993), 98 und passim, mit ausführlicher Darlegung der philosophischen Begründung des Gedankengangs, daß Verständnis zu 127

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3. Teil: Die Theorie tatproportionaler Strafrumessung

stehe, weise individuelle Besonderheiten auf, ohne deren Berücksichtigung eine Beurteilung unmöglich seiJ3\. Parallelen finden sich in der strafrechtlichkriminologischen Literatur, wo gefordert wird, der Tatrichter müsse im Wege des Verstehens die Entwicklung der Lebensumstände des Täters erfassen132 . Diese Autoren verbinden damit eine andere Haltung gegenüber dem Straftäter als die im 1. Teil, 3. Kapitel, dargestellten persönlichkeitsorientierten Schuldvorstellungen. Für die überholte deutsche Lehre waren die Lebensumstände dem Täter vorzuhalten, während die neuere Literatur damit die Erwartung verbindet, daß eine verständnisvolle und einfahlsame Haltung des Urteilenden entstehe: Wer die vielen Schwierigkeiten erfasse, die ein Mensch aufgrund seiner Biographie in Form von familiären, sozialen, körperlichen, kulturellen oder anderen Bedingungen zu überwinden habe, neige zu einem weniger strikten Urteil über eine verfehlte Handlung dieses Menschen\33. Sie setzen dem Bild der "strengen Gerechtigkeit" das der Nächstenliebe gegenüberl34 . Ein in diesem Sinne einfühlsamer Richter würde zwar nicht nach dem Grundsatz "alles verstehen heißt alles verzeihen" handeln, da auch bei Verständnis für komplexe Tathintergründe die Tadelnswertigkeit der Handlung bestehen bleibe. Jedoch würde auch gegenüber dem schuldigen Täter die Strafe milder ausfallen als bei einem ausschließlich an Tatproportionalität orientierten AnsatzJ35 .

b) Übertragbarkeit auf strafrechtliche Werturteile

aa) Dieses Bild eines idealtypisch Urteilenden dürfte einer häufig geteilten Intuition über die angemessene Basis moralischer Beurteilungen entsprechen. Hinsichtlich der strafrechtlichen Umsetzung besteht jedoch Begründungsbedarf. Es bleibt offen, warum von dem Phänomen des mitmenschlichen Verständnisses der Bogen zu einer Rechtsfolge, nämlich einem milderen Strafmäßigender Milde führe bei Seneca, S. 100 ff. Vgl. auch Max Weber zur Vollständigkeit von Werturteilen, in: ders., Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, S. 252; dazu Baurmann, in: JungIMüller-DietzlNeumann (Hrsg.), Recht und Moral, S. 129 ff. 131 Im deutschen Schrifttum vgl. W. HassemeriEllscheid, in: LüdersseniSack (Hrsg.), Seminar Abweichendes Verhalten, S. 269; W. Hassemer, in: BaumgartnerlEser (Hrsg.), Schuld und Verantwortung, S. 102 f.; außerdem Christie. Crime Control as Industry, S. 133 ff., der sich ebenfalls für eine alle Faktoren einbeziehende Strafrumessung ausspricht. 132 Vgl. Schönebom, GA 1975,276 ff.; Bock, NStZ 1990,461 ff.; Christie, Crime Control as Industry, S. 133 ff. 133 Nussbaum, Philosophy and Public Mairs 22 (1993), 99 ff., 103 ff.; s. auch Oswald, GA 1988, 160 sowie bereits Dreher, Über die gerechte Strafe, S. 58. 134 Perelman, Über die Gerechtigkeit, S. 36, 59 f.; Christie, Limits to Pain, S. 81 ff. 135 Nussbaum, Philosophy and Public Mairs 22 (1993), 97 und passim.

3. Kapitel: RechtfertiglUlg einer Theorie tatproportionaler StrafzumesslUlg

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maß, geschlagen werden soll. Es bieten sich zwei unterschiedliche Begründungsansätze an: Zum einen könnte in einem milderen Urteil eine bewußte Kompensation für frühere Benachteiligungen liegen, zum anderen aber auch eine Berücksichtigung eingeschränkter Wil/ensbildungs- bzw. Handlungsspielräume. bb) Im ersteren Sinne wird argumentiert, daß ungünstige Lebenschancen durch eine mildere Bestrafung kompensiert werden sollten\36. Dieser Gedankengang stößt jedoch auf mehrere Einwände. Zum einen liegt eine Kompensationsleistung nur nahe, wenn das auszugleichende Defizit ebenfalls aus dem Verantwortungsbereich des Kompensierenden hervorgegangen war. Häufig sind biographische Benachteiligungen jedoch nicht auf staatliches Versagen zurückzuführen, sondern auf das familiäre Umfeld oder auf Umstände, für die ein Verantwortlicher nicht klar auszumachen ist. Darin einen Kompensationsgrund für den Staat zu sehen, würde ein sehr weitreichendes Konzept staatlicher Verantwortung voraussetzen. Noch schwerer wiegt der zweite Einwand: Warum soll der Straftäter eine Kompensation beanspruchen können, nicht aber ein gleichfalls Benachteiligter, der nicht durch Straftaten aufgefallen ist? Auch letzterer ist staatlichen Eingriffen unterworfen, etwa in Form von Steuer- und Wehrpflichten. Konsequenterweise müßte es auch möglich sein, Wehr- bzw. Ersatzdienst unter Bezugnahme auf bereits erlittene Benachteiligungen zu verweigern. Der Kompensationsgedanke kann deshalb nicht überzeugen, weil er keinen inneren Zusammenhang von Kriminalstrafe im Unterschied zu anderen staatlicherseits angeordneten Nachteilen und der biographischen Benachteiligung angeben kann. cc) Einen Konnex zwischen ungünstigen Lebensbedingungen einerseits und einer Strafmilderung andererseits kann nur der Begründungsstrang herstellen, der auf eine Einschränkung der Willens- bzw. Handlungsfreiheit verweist. Ein Argument für eine mildere Beurteilung würde etwa folgendermaßen lauten: Auch wenn man davon ausgeht, daß Entscheidungen zur Begehung einer Straftat jenseits der Grenze psychischer Defekte nicht vollständig determiniert sind, so ist doch jedenfalls das Ausmaß des Handlungsspielraums unterschiedlich groß. Die Weite des Handlungsspielraums ist von lebensprägenden Umständen abhängig, die außerhalb der Einwirkungsmöglichkeiten des einzelnen stehen. Eine Umwelt, die die Entwicklungschancen von Kindern und Jugendlichen in günstiger Weise zur Entfaltung bringt, öffnet im späteren Leben eine Reihe von Möglichkeiten zu einem normkonformen Leben. Findet dagegen eine Förderung nicht statt, so engen sich die Wahlmöglichkeiten des Erwachsenen ein, da für viele Wege einer normangepaßten Lebensgestaltung die not-

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Bock, NStZ 1990, 462 f.

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3. Teil: Die Theorie tatproportionaler Strafzumessung

wendigen Voraussetzungen nicht geschaffen wurden. Dies trifft sowohl für die Entwicklung kognitiver Fähigkeiten durch Intelligenzförderung und Ausbildung zu wie auch für Prägungen auf der Einstellungsebene, etwa im Hinblick auf die Entwicklung der Motivation zu einem normkonformen Lebensstil. Bei einer Längsschnittanalyse der Täterbiographie können schlechte Ausgangsbedingungen erkennbar werden, auch wenn in bezug auf die konkrete Tathandlung eine Einschränkung der Einsichts- oder Steuerungsfahigkeit nicht erkennbar ise 37 .

c) Unmöglichkeit der Umsetzung im Strafverfahren

aa) Die Fragestellung spitzt sich darauf zu, ob die Ermittlung des Ausmaßes von Einschränkungen der Willensbildungs- bzw. Handlungsfreiheit unter den realen Bedingungen eines Strafverfahrens möglich ist. Ein verständnisvolles Urteil hat anspruchsvolle Voraussetzungen: Bei dem Urteilenden muß es sich um eine reife, differenzierte Persönlichkeit mit ausgeprägtem Einfühlungsvermögen handeln. Auch was die äußeren Umstände anbelangt, stellt das Konzept der Einfühlung in den Täter hohe Ansprüche: Die vollständige Schilderung der Lebensumstände erfordert erhebliche Zeit. Aus diesen Gründen ist zweifelhaft, ob eine Übertragung der Idealsituation moralischen Urteilens auf strafrechtliche Urteile durchführbar ist, da die geschilderten Bedingungen in der Realität nicht vorausgesetzt werden können. Nussbaum wählt nicht zufallig als Prototyp desjenigen, der einfühlsam und verständnisvoll die Lebenslinien eines anderen Menschen nachvollzieht, den Autor eines Romans138 . Wer sein Gegenüber nicht selbst im Wege der Fiktion geschaffen hat, hat jedoch weder erkenntnistheoretisch noch praktisch die unbeschränkten Zugangsmöglichkeiten zur Lebensgeschichte des anderen. bb) Der Strafrichter wäre gezwungen, einen entsprechenden Befund aus den spärlichen Daten abzuleiten, die in den Akten mitgeteilt werden und für deren Vervollständigung in der Hauptverhandlung durch eine ausführliche Exploration in aller Regel keine Zeit ist139 . Auch bei einer erheblichen Ausdehnung 137 Der eben dargestellte Gedankengang beinhaltet einen praktischen Kompromiß zwischen Determinismus und Indeterminismus. Den Vertretern einer indeterministischen Position kann zugestanden werden, daß bei der aktuell zu beurteilenden Entscheidung, nämlich derjenigen, die der Straftat unmittelbar vorgelagert ist, der Täter frei war. Die Position, die an der Determiniertheit menschlichen Verhaltens aufgrund der gesellschaftlichen und individuell vorgefundenen Lebensumstände festhält, käme jedenfalls bei der Strafzumessung zur Geltung. 138 Philosophy and Public Affairs 22 (1993), 105 ff. - ohne die Übertragbarkeit auf juristische Kontexte zu problematisieren, vgl. 109 ff. 139 Vor einer Überbetonung der Persönlichkeit des Angeklagten warnt auch Theune, StV 1985,207.

3. Kapitel: RechtfertigWlg einer Theorie tatproportionaler StrafzumessWlg

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des Einsatzes der Gerichtshilfe (§ 160 Abs. 3 S. 2 StPO) wäre für die Mehrzahl der Fälle nicht mehr als eine Übersicht über die Entwicklung des Probanden möglich. Der Richter müßte sich zwangsläufig an gewissen "harten Fakten" orientieren, etwa an Angaben über Probleme in der Herkunftsfamilie oder über das Fehlen einer Berufsausbildung. Daraus läßt sich aber nur ein holzschnittartiges und im Ergebnis oft verfälschtes Urteil über die Einschränkungen der Handlungsspielräume ableiten. Ein Urteil darüber, welche Rolle bestimmte äußere Faktoren in der individuellen Biographie gespielt haben, setzt eine wesentlich komplexere Betrachtung des Werdegangs voraus. Einzelne leicht feststellbare Lebensumstände, die im allgemeinen als ungünstig angesehen werden, können durch andere, weniger auffällige Umstände kompensiert werden. Umgekehrt können in einer bei oberflächlicher Betrachtung unauffälligen Kindheit und Jugend problematische Konstellationen angelegt sein, die die späteren Handlungsspielräume des Erwachsenen einengen. Die Situation bei der Ermittlung des Ausmaßes der Willens- bzw. Handlungsfreiheit entspicht der bei PrognosesteIlungen: Praktisch durchführbar ist eine an wenige, plakative Merkmale anknüpfende Beurteilung; der Realitätsgehalt solcher Beurteilungen ist jedoch wegen des sehr eingeschränkten Zuschnitts auf den Einzelfall mit Skepsis zu betrachten 140. cc) Die Idealsituation moralischen Urteilens ist im Strafverfahren nicht nur wegen der organisatorischen Rahmenbedingungen schwierig durchführbar, sondern auch aus anderen Gründen problematisch. Es wäre naiv, anzunehmen, daß alle Strafrichter automatisch ungünstige Teile der Täterbiographie strafmildernd berücksichtigen l41 . Die Befürchtung einer benachteiligenden Wirkung ist nicht nur bloße Spekulation, sondern läßt sich empirisch belegen: Sozialbiographische Belastungen des Täters wirken sich strafmaßerhöhend aus, wenn sie einen statistisch nachweisbaren Einfluß auf das Strafmaß habenl42 . Ob sich möglicherweise soziale Vorurteile der Richter im Strafmaß niederschlagen, ist wegen des Zusammenwirkens vieler rechtlicher wie außerrechtlicher Strafzumessungsfaktoren schwierig nachzuweisen 143. Aber auch Vgl. oben 2. Teil, l. Kap., 3 b. Die Annahme von Nils Christie, die BerücksichtigWlg von sozialer Deprivation und schwierigen Lebensumständen würde sich strafmildernd auswirken (Crime Control as Industry, S. 134 f.) ist vor dem HintergTWld der Strafpraxis zu optimistisch. Nussbaum, Philosophy and Public Affairs 22 (1993), 109, geht auf die Möglichkeit sozialer Vorurteile ein, ohne allerdings diesen Punkt weiter auszuführen. 142 H.-J. Albrecht, ZStW 102 (1990), 612 ff., 614. Anders Schönebom, GA 1975, 280 f., aber ohne nähere Belege. 143 Streng, Strafzumessung und relative Gerechtigkeit, S. 152 ff., fand weder Hinweise auf eine mögliche DiskriminieTWlg von Unterschichtsangehörigen noch einen Zusammenhang von Herkunftsschicht der Versuchspersonen und Strafmaß, ohne die Frage jedoch sicher klären zu können. Zu den methodischen Problemen von Forschung zum Zusammenhang von Rasse und Strafmaß vgl. Hagan, in: Pfeiffer/Oswald (Hrsg.), 140

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3. Teil: Die Theorie tatproportionaler Strafzumessung

ohne auf mögliche Zusammenhänge von individuellen Vorurteilen der Richter und Strafurteilen näher einzugehen, ist auf im Strafzumessungsrecht institutionalisierte Benachteiligungen von Tätern mit ungünstigen Ausgangsbedingungen hinzuweisen. Bezeichnend ist insbesondere die Behandlung der RückfalItäter: Unabhängig von der Abschaffung des § 48 a.F. bleibt die Vorstrafenbelastung eine der wichtigsten Determinanten für die Strafhöhel44 . Gerade bei den vielfach vorbestraften Tätern lassen sich Beispielsfalle für Biographien finden, die mit erschwerten Ausgangsbedingungen beginnen und deren Rahmenbedingungen sich durch die Abfolge von Straffälligkeit, negativen Folgen der Strafverbüßung und erneuten Taten nicht eben verbessern. Im Bereich der minder schweren Kriminalität wirken Freiheitsstrafen für Taten, die bei einem strafrechtlich unauffallig Gebliebenen mit einer Geldstrafe geahndet worden wären, augenfällig benachteiligend. Bei der Strafaussetzung zur Bewährung ist wegen der Prognoseformel in § 56 Abs. 1 S. 1 vorgezeichnet, daß ungünstige Lebensbedingungen zu Lasten des Angeklagten wirken. Vor dem Hintergrund der organisatorischen Rahmenbedingungen und der fest verwurzelten SchlechtersteIlung von Vorbestraften ist verständlich, daß es auch einem Richter mit grundsätzlich vorhandenem Einfühlungsvermögen schwer fallen kann, sich um Benachteiligungen berücksichtigende, mildere Urteile zu bemühen. dd) Anstatt allzu optimistisch auf die Qualitäten und Widerstandskräfte des Urteilenden zu vertrauen, ist eine bewußte Formalisierung der zulässigen Strafzumessungsgründe der erfolgversprechendere Weg zum Schutze von benachteiligten Angeklagten l45 . Die Anwendbarkeit von Strafzumessungsfaktoren, die das Einfallstor für eine diskriminierende Strafzumessung sein können, wird durch eine tatproportionale Strafzumessung eingeschränkt. Insbesondere erschwert eine stärkere Orientierung am Tatgeschehen die mittelbar strafschärfende Wirkung ungünstiger Lebensbedingungen mittels der Vorstrafen l46 . Dem Anliegen, durch eine verständnisorientierte Strafzumessung zu

Strafzwnessung, S. 147 ff. Hagan, S. 171 ff., weist daraufhin, daß ein genereller Zusammenhang der Variablen Rasse und Strafmaß nicht nachweisbar ist, wohl aber (de1ikts-, orts-)spezifische Diskriminierungskonstellationen. Insbesondere können vermittelnde Variablen, wie etwa U-Haftverschonung, durch die Rassenzugehörigkeit beeinflußt werden. 144 Nwe. oben 1. Teil Fn. 155. S. auch Erhard, Strafzumessung bei Vorbestraften, S. 20 f. zu Anhaltspunkten dafür, daß die Schlechterstellung von Vorbestraften sich nicht nur auf die Strafzumessung beschränkt, sondern sich im gesamten Prozeß strafrechtlicher Verfolgung vom Ermittlungsverfahren bis zur Gewährung von Vo1lzugs1okkerungen fmdet. 145 Von Hirsch/Jareborg, Strafmaß und Strafgerechtigkeit, S. 46. 146 Vgl. dazu im einzelnen unten 4. Kap., 4.

4. Kapitel: Grundzüge einer tatproportionalen Strafzumessungstheorie

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milden Strafen zu gelangen, sollte in anderer Form Rechnung getragen werden: Die Erkenntnis, daß der Weg zu einem strafrechtskonformen Leben häufig kein selbstverständlicher ist, sollte in die Bemessung des generellen Strafniveaus einfließen. Nur so kann in gleichmäßiger Weise das gewünschte Ergebnis erzielt werden. Nach dem Modell der vollständigen Ermittlung der biographischen Hintergründe kann zwar in Einzelfalien ein verständnisvoller Richter oder eine verständisvolle Richterin zu einem milden Urteil gelangen, womit aber in den anderen Fällen die strengeren Urteile erst recht Unbehagen erzeugen würden. ee) Der hier vertretene Verzicht auf eine ausführliche Ermittlung der Tatgenese darf nicht in dem Sinne verstanden werden, daß der Tat vorausgehende Umstände grundsätzlich bedeutungslos seien. Da die Tadelnswertigkeit der Handlung nicht nur vom Taterfolg, sondern auch vom Verschulden abhängt, können schuldmildernde Sonderkonstellationen auch unterhalb der Schwelle des § 21 eine Rolle spielen, wenn ein konkreter Bezug zur Tat bestandl47 . Der Anwendungsbereich für Schuldminderungen ist jedoch deutlich enger als der für die vorstehend erörterten Strafmilderungen aufgrund biographischer Benachteiligungen.

4. Kapitel: Die Grundzüge einer tatproportionalen Strafzumessungstheorie 1. Die Bewertung der Tat: Orientierung am verschuldeten Tatunrecht a) Orientierung an der Verbrechenslehre aa) Die Grundidee des Tatproportionalitätsprinzips ist, daß das Strafmaß von der Schwere der Tat, mit anderen Worten vom Ausmaß der Unwertigkeit der Tat, abhängig gemacht werden soll. Entscheidend für die Umsetzung einer tatproportionalen Strafzumessungstheorie ist die Identifizierung von Faktoren, die im einzelnen eine Beschreibung der Unwertigkeit einer Straftat erlauben. An dieser Stelle wird auf die Bewertungskriterien nur im Überblick eingegangen, soweit dies zum Verständnis des hier vorzustellenden Ansatzes erforderlich ist; Details werden im folgenden 4. Teil erörtert. bb) Für eine tatproportionale Strafzumessungslehre sind der anglo-amerikanischen Literatur an zwei Punkten wesentliche Anregungen zu entnehmen. Dies gilt zum einen für die bereits erörterte Begründung des Tatproportionalitätsgedankens, zum anderen für die Bewertung des Tatschadens l48 . Außerdem 147 148

Vgl. im einzelnen 4. Teil, S. Kap. Vgl. dazu von Hirsch/Jareborg, Oxford Journal ofLegal Studies 1991,1 f1

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3. Teil: Die Theorie tatproportionaler Strafzumessung

wird neben dem Ausmaß des Tatschadens (degree of harmfulness) das Ausmaß des Täterverschuldens (extent ofthe actor's culpability) als Kriterium für die Bestimmung der Unwertigkeit der Tat genannt149 . Eine Auflistung der tatschwererelevanten Strafzumessungsfaktoren läßt sich auf der Basis der angloamerikanischen Tatproportionaliätslehre jedoch nicht erstellen. Der Schwerpunkt liegt dort auf Strafzumessungstheorie. Die Ergänzungsbedürftigkeit der vorliegenden Arbeiten hat vor allem zwei Gründe. Erstens ist mit Schaden und Täterverschulden die Tatschwere nicht vollständig zu erfassen. Während damit zwar die Hauptbewertungsdimensionen genannt sind, können eine Reihe von weiteren Umständen eine Rolle spielen, beispielsweise ein Mitverschulden des Opfers bei der Tatgenese, Tatmodalitäten ohne Einfluß auf den eigentlichen Tatschaden oder eine Wiedergutmachung des Schadens. Zweitens bleibt in bezug auf Definition und relative Bedeutung von culpability vieles im dunkeln. Von Hirsch und Jareborg verweisen auf Prinzipien der Verbrechenslehre, etwa zu Vorsatz und Fahrlässigkeit und zu den Entschuldigungsgründen 150, ohne jedoch die Frage nach der Bedeutung von Schuld grundsätzlicher zu erörtern. Im deutschen Kontext ist eine ausführlichere Diskussion erforderlich. Dies vor allem deshalb, weil die theoretische Begründung des Tatproportionalitätsprinzips auch in einer Weise interpretiert werden könnte, die Raum für ein auf die Lebensführung des Täters abstellendes Schuldverständnis läßt. Die Bemessung der Strafe soll, so die zentrale These, an die Tadelnswertigkeit des zugrunde liegenden Geschehens anknüpfen. Es wäre möglich, zusätzlich zum eigentlichen Tatgeschehen auch die persönlichen Tathintergründe als tadelnswert einzustufen. Alltagsethischen Vorstellungen entspricht es durchaus, nicht nur ein bestimmtes Endresultat zu loben oder zu tadeln, sondern auch vorausgegangene Verhaltensdispositionen des Handelnden, etwa indem neben der eigentlichen Leistung auch dahinter stehende Eigenschaften, etwa Fleiß und Ausdauer, gelobt werden. Von den im ersten Teil behandelten zwei Grundschwächen der traditionellen deutschen Version der Spielraumtheorie adressiert eine tatproportionale Strafzumessungslehre ausdrücklich nur eine, nämlich die präventiven Strafzumessungserwägungen. In bezug auf ein ausgedehntes Schuldkonzept besteht noch die Notwendigkeit einer abgrenzenden Begründung. cc) Bei der Konkretisierung der tatproportionalen Strafzumessungstheorie sind Anleihen bei der deutschen Verbrechenslehre von Nutzen. Innerhalb der deutschen Straftatsystematik gibt es mit den Kategorien Erfolgsunrecht, 149 Von Hirsch, Past or Future Crimes, S. 64 ff.; ders., Censure and Sanctions, S. 29; von Hirsch/Jareborg, Strafmaß und Strafgerechtigkeit, S. 43. 150 Strafmaß und Strafgerechtigkeit, S. 43 f.; ebenso von Hirsch, Censure and Sanctions, S. 29 f.

4. Kapitel: Grundzüge einer tatproportionalen Strafzumessungstheorie

145

Handlungsunrecht und geminderte Schuld den Rahmen fiir eine Bewertung auch facettenreicher Fallkonstellationen. In der neueren deutschen Strafzumessungslehre wird demgemäß eine Orientierung der Strafzumessungslehre am reichen Material der Verbrechenslehre befiirwortetl51 . Insbesondere bietet sich die Unterscheidung von Erfolgs- und Handlungsunwert152 auch fiir den Bereich der Strafzumessung zur ersten Strukturierung der einzelnen unrechtsrelevanten Faktoren an 153 . Nachdem in einem ersten Schritt auf dieser Basis das Tatunrecht ermittelt worden ist, ist dann in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob wegen einer Minderung des Täterverschuldens bei der Gewichtung der Tatschwere Abstriche zu machen sind. Während die herrschende Meinung Tatunrecht und persönliche Schuld nebeneinander stellt und damit ein additives Verhältnis der unterschiedlichen Strafzumessungsfaktoren zugrunde legt, wird hier mit den neueren Ansätzen in der Lehre eine Rangfolge des Vorgehens festgelegt, nach der die Schuld i.e.S. nach dem Unrecht geprüft wird.

b) Vorteile und Nachteile der Orientierung an der Verbrechenslehre

aa) Zu der theoretischen Begründung des Tatproportionalitätsprinzips tritt aus der strafrechtsdogmatischen Perspektive ein wichtiges systemintemes Argument: Für die Angleichung der Strafzumessungslehre an das Straftatsystem spricht, daß der Strafausspruch auf den Schuldspruch aufbaut und deshalb nicht auf ein unterschiedliches Substrat Bezug nehmen kann154. Die Orientierung am Straftatsystem erleichtert die Begründung, warum ein bestimmter Strafzumessungsfaktor in den Katalog der zu berücksichtigenden Erwägungen aufgenommen werden sollte. Im Unterschied zu einer kasuistischen Aufzählung impliziert dieser Ansatz die normative Verbindlichkeit eines Strafzumes-

151 Frisch, 140 Jahre GA, S. 23 fT.; ders., ZStW 99 (1987), 386; Erhard, Strafzumessung bei Vorbestraften, S. 163 fT.; H.-L. Günther, FS für Göppinger, S. 457 ff.; SK-Hom, § 46 Rn. 41 ff. Vgl. auch bereits Hettinger, Doppelverwertungsverbot, S. 90 ff. Kritisch gegenüber einer Orientierung am Erfo1gs- bzw. Handlungsunwert dagegen Montenbruck, Abwägung und Umwertung, S. 85. Zu dem Ansatz, der eine Orientierung an der Verbrechenslehre ablehnt, vgl. außerdem unten b ee ff. 152 Vgl. Roxin, Strafrecht AT 1, § 10 Rn. 88 ff.; Ebert/Kühl, Jura 1981,225 ff.; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, S. 239 ff.; Puppe, NK, vor § 13 Rn. 16 ff. 153 Schäfer, Praxis der Strafzumessung, Gliederungsschema, Rn. 232; Erhard, Strafzumessung bei Vorbestraften, S. 164; H.-L. Günther, FS für Göppinger, S. 457; Frisch, 140 Jahre GA, S. 32 f, 35; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, S. 887, allerdings mit einem extensiven Begriff des Handlungsunrechts; vgl. auch SK-Hom, § 46 Rn. 46 f (Beschränkung auf das Handlungsunrecht). Kritisch Maurach/Gössel/Zipf, Strafrecht AT 2, § 63 Rn. 19: Bei der Strafzumessung müsse über den Straftatbestand hinausgegriffen werden. 154 Frisch, 140 Jahre GA, S. 10.

10 Hörnle

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3. Teil: Die Theorie tatproportionaler Strafzwnessung

sungsfaktors155 . Vor allem erlaubt die Orientierung an der Verbrechenslehre, Strafzumessungsfaktoren auszuscheiden, die herkömmlicherweise als straferhöhend angeführt wurden, obwohl sie weder Unrecht noch Schuld beeinflussen. bb) Im Vergleich zum traditionellen Ansatz der "schuldangemessenen Strafe" führt eine wesentlich am Tatunrecht ausgerichtete Strafzumessung zu einer Rationalisierung des Strafzumessungsvorgangs. Kritiker der schuldangemessenen Strafe weisen auf die intuitive Orientierung des Richters an seinen tiefenpsychologisch erklärbaren Stratbedürfnissen hin, während der Schuldbegriff nur für die nachträgliche Begründung der Entscheidung herangezogen werde l56 . Ob dies als einziges Erklärungsmuster für das Zustandekommen von Strafmaßentscheidungen überzeugt, kann dahingestellt bleiben. Jedenfalls erleichtert die Vagheit und Unbestimmtheit des Begriffs der Strafzumessungsschuld unreflektierte Zuschreibungen eines bestimmten Schuldmaßes. Die Bestimmung der Strafe anhand des Tatunrechts setzt dagegen einer unreflektiert-ergebnisorientierten Vorgehensweise Schranken, da der Tatrichter zur Schwere der Tat anhand einer Bewertung des Erfolgs- und Handlungsunrechts Stellung nehmen sollte. cc) Der hier vertretene Ansatz führt auch auf dem Weg zu einer klareren Gliederung des Strafzumessungsvorgangs weiter. Die herrschende Meinung stellt tat-und täterbezogene Merkmale nebeneinander und geht von einer Gesamtbewertung aller Strafzumessungsumstände aus. Nach der Ermittlung der Strafzumessungstatsachen und der Festlegung der Bewertungsrichtung soll die Abwägung der unterschiedlichen Tatsachen erfolgenI57 . Diese Vorgehensweise ist jedoch nicht praktikabel, weil die kognitiven Fähigkeiten des Urteilenden überschätzt werden i58 . Nach dem Modell der herrschenden Meinung soll eine Vielzahl von Tatsachen, die Täterpersönlichkeit und Tat beschreiben, in einem Schritt gegeneinander abgewogen werden. Dies würde voraussetzen, daß zahlreiche Umstände, die nicht nur dichotom nach den Kriterien "für den Täter sprechend" bzw. "gegen den Täter sprechend" geordnet sind, sondern innerhalb dieser Kategorien unterschiedliches Gewicht aufweisen, ohne weiteres zu

155

Frisch, 140 Jahre GA, S. 23, 34.

Vgl. die Nwe. oben 1. Teil, 3. Kap., 2 d. Vgl. zur Abwägungsentscheidung BGHSt. 16,351,353; 24, 268, 269; 26, 311 f; BGH NStZ 85, 164; StV 1988, 249; Bruns, Recht der Strafzumessung, S. 6, 256 fT.; Grasnick, JZ 1988, 158; H.-L. Günther, JZ 1989, 1029; ders., FS flir Göppinger, S. 455 ff.; SchalilSchirrmacher, Jura 1992, 518; Schäfer, Praxis der Strafzumessung, Rn. 368 f; Fahl, Bedeutung des Regeltatbildes, S. 104, 107; Tröndle, § 46 Rn. 7; Schönke/SchröderlStree, § 46 Rn. 6. 158 Skeptisch bereits von Weber, Richterliche Strafzumessung, S. 11 f Kritisch zur Gesamtwertung Streng, Strafrechtliche Sanktionen, S. 216; Neumann, StV 1991,259; Frisch, 140 Jahre GA, S. 26. 156

157

4. Kapitel: Grundzüge einer tatproportionalen StrafzwnessWlgstheorie

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einem Urteil zusammengefaßt werden können. Bei einer realistischen Einschätzung der Grenzen menschlicher Informationsverarbeitung ist dies keine gültige Prämisse. Erwartungsgemäß ist in der tatrichterlichen Praxis ein diesen Namen verdienender Abwägungsvorgang im Sinne einer differenzierten Verarbeitung der angestellten Strafzumessungserwägungen selten. Es überwiegen bloße Aufzählungen, die nur durch formelartige Redewendungen ("Unter Abwägung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände erscheint eine Strafe von ... angemessen") mit dem verhängten Strafmaß verknüpft werden I59 . dd) Eine klarere Strukturierung der Tatbewertung anhand der Kriterien Unrecht und gegebenenfalls geminderte Schuld verbessert die Vergleichbarkeit von Strafzumessungsfällen. Erstens bedeutet die Eliminierung einer Bewertung der Täterpersönlichkeit einen wesentlichen Fortschritt. Damit wird die Zahl der Strafzumessungsfaktoren reduziert und dadurch der Vergleich unterschiedlicher Fälle erleichtert l60 . Aber nicht nur in quantitativer Hinsicht, sondern auch in qualitativer Hinsicht ist dies eine Verbesserung, da es einfacher ist, für die Bewertung des Tatgeschehens verbindliche Maßstäbe zu finden, während die Bewertung der Täterpersönlichkeit für das Einfließen persönlicher Maßstäbe und Vorwertungen des Tatrichters offener ist. Der zweite Grund für die bessere Vergleichbarkeit der Fälle liegt in der Prüfungsabfolge anhand der Vorgaben des Straftatsystems: Damit wird ein schrittweises Vergleichen möglich. Die Besonderheiten des abzuurteilenden Falls bzw. die Gemeinsamkeiten mit bereits entschiedenen Fällen können erfaßt werden, indem in systematischer Weise die zum Erfolgsunrecht, zum Handlungsunrecht und zur Schuld gehörenden Anknüpfungspunkte im Sachverhalt gesucht werden und die jeweiligen Unterschiede nacheinander in die rechtliche Bewertung einfließen l61 . Bei einer unstrukturierten Gesamtbewertung ist es schwieriger, einer Vielzahl von Unterschieden in den zu vergleichenden Sachverhalten gerecht zu werden. Damit wird auch dem Anliegen einer Erleichterung der revisionsrechtlichen Überprüjbarkeit Rechnung getragen l62 . ee) Eine den Kategorien des Straftatsystems nachgebildete Tatschwerebewertung wird allerdings auf Kritik stoßen: Nach traditioneller Ansicht ist die Strafzumessungsschuld von der Gesamtheit der Strafvoraussetzungen unab159 Dreher, Über die gerechte Strafe, S. 140 fI.; Bruns, StrafzwnessWlgsrecht, S. 641; Grasnick, Schuld, Strafe Wld Sprache, S. 253; Verrel, SchuldfähigkeitsbegutachtWlg, S. 209. 160 Schünemann, in: ders. (Hrsg.), GfWldfragen, S. 191 f.; ders., in: Eser/Cornils

(Hrsg.), Neuere Tendenzen, S. 226 f. 161 Frisch, 140 Jahre GA, S. 32 fI. 162 Schünemann, in: ders. (Hrsg.), GfWldfragen, S. 191 f.; ders., in: Eser/Cornils (Hrsg.), Neuere Tendenzen, S. 227; Erhard, StrafzwnessWlg bei Vorbestraften, S. 331

fI.

lO'

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3. Teil: Die Theorie tatproportionaler Strafzumesslll1g

hängigl63 • Die stärkste Variante einer Trennung von Verbrechenslehre und Strafzumessung postulierte sogar, unrechts- und schuldrelevante Umstände des Lebenssachverhalts gehörten nicht zum Strafzumessungssachverhaltl64 . Diese Extremversion ist jedoch zu Recht auf Kritik gestoßen: Sie verkennt, daß die gesetzlichen Strafrahmen, die vom Richter zu einer Endstrafe konkretisiert werden müssen, ein notwendiges Korrelat der stark abstrahierenden Formulierung der Tatbestände sind. Würde der Richter die weit gesteckten Strafrahmen ausfüllen und sich dabei an Gründen orientieren, die sämtlich außerhalb des bereits in den Tatbeständen angelegten Bewertungsprogramms angesiedelt sind, entstünden Probleme mit der Garantiefunktion des Strafgesetzes, Art. 103 Abs. 2 GG165 . fl) Bedenken gegen die Orientierung an Kategorien der Verbrechenslehre wurden auch geäußert, weil Streitfragen in diesem Bereich auf die Strafzumessung übertragen werden, während erhofft werden könnte, dies durch eine Abkoppelung des Strafzumessungsrechts zu vermeiden l66 . Als Beispiele seien die Diskussion um den Schuldbegriff67 oder um das Verhältnis von Erfolgsund Handlungsunreche 68 genannt. Es ist jedoch eine Illusion, zu glauben, daß die umstrittenen Themen der Verbrechenslehre bei der Strafzumessung durch Nicht-Thematisierung eliminiert würden. Bei der Entscheidung von konkreten Fällen werden diese entscheidungsrelevantl69 . Augenfällig wird dies bei der Diskussion um das Unrechtsverständnis: Faktisch entscheidet jeder Strafrichter, der etwa einen Fall der fahrlässigen Verkehrsgefährdung und einen der fahrlässigen Tötung zu beurteilen hat, bei der Strafzumessung darüber, welche Bedeutung dem Eintritt eines Schadenserfolgs im Verhältnis zum Handlungsunrecht zukommt. Anstatt diese Tatsache hinter einem vermeintlich von den Streitfragen der Verbrechenslehre gereinigten Katalog von Strafzumessungsfaktoren zu verbergen, sollte der auch in der Strafzumessung bestehende Entscheidungsbedarf transparent und dadurch erst der wissenschaftlichen Diskussion zugänglich gemacht werden. Die Diskussion von Streitfragen ist bei der Strafzumessung noch wesentlich dringlicher, da das Ergebnis für einen 163 So Bruns, Recht der Strafzumesslll1g, S. 145; ders., Neues Strafzumesslll1gsrecht, S. 15 fT.; Achenbach, Grundlagen der Schuldlehre, S. 5, 10 t1; Roxin, FS für Bockelmann, S. 304; Schönke/SchröderlStree, § 46 Rn. 9 a; Tröndle, § 46 Rn. 4. 164 W Hassemer, GS für Radbruch, S. 281, 286 f; kritisch dazu Puppe, Idealkonkurrenz lll1d Einze1verbrechen, S. 120 f; Hettinger, Doppe1verwertllllgsverbot, S. 101 ff. 165 Puppe, Idealkonkurrenz lll1d Einze1verbrechen, S. 59 f; Erhard, Strafzumesslll1g bei Vorbestraften, S. 176 f 166 V gl. Frisch, ZStW 99 (1987), 386. 167 Vgl. sogleich d. 168 Vgl. lll1ten 4. Teil, 1. Kap., 2. 169 Vgl. Giehring, FS für Pongratz, S. 203.

4. Kapitel: Grundzüge einer tatproportionalen Strafzumessungstheorie

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Angeklagten unmittelbar relevant wird, während es in der Verbrechenslehre eine vorwiegend akademische Streitfrage ist, ob beispielsweise der Erfolg als objektive Bedingung der Strafbarkeit einzuordnen sei, wie die Vertreter der sogenannten monistisch-subjektiven Unrechtslehre!70 meinen. Dasselbe gilt für die Debatte über die Natur der Strafbegründungsschuld. Bei der Strafzumessung wird diese Grundsatzfrage praktisch bedeutsam, da hiervon die Relevanz bestimmter Strafzumessungsfaktoren abhängt, dazu sogleich c). gg) Gegen eine Orientierung an der Verbrechenslehre könnte weiter vorgebracht werden, daß zulässige Strafzumessungserwägungen in den Kategorien des Straftatsystems nicht untergebracht werden können. Dies ist jedoch kein Grund, die Bestimmung nicht vorrangig anhand dieser Kategorien vorzunehmen!7!. Die Orientierung der Strafzumessung am Straftatsystem schafft das Bewußtsein dafür, daß zusätzliche Strafzumessungsfaktoren Ausnahmecharakter haben und daher einer besonders sorgfältigen Rechtfertigung bedürfen. Bei einem Konglomerat von Faktoren, wie es von der bislang herrschenden Lehre und Rechtsprechung zugrunde gelegt wird, besteht dagegen die Gefahr einer beliebigen, unreflektierten Erweiterung des Kreises möglicher Strafzumessungsumstände. Eine wichtige Eingrenzung im Hinblick auf Strafzumessungsfaktoren jenseits von Unrecht und Schuld ergibt sich aus dem Schuldprinzip: Wenn die Legitimation der Strafe gegenüber dem Betroffenen sich nicht nur auf die Verurteilung, sondern auch auf das konkrete Strafmaß erstrecken SOll172, ist eine höhere Strafe als die angesichts des verschuldeten Unrechts angemessene nicht legitimierbar. Damit sind jenseits von Unrecht und Schuld nur strafmindernde Umstände vorstellbar. Wegen der hier vorgenommenen Schwerpunktsetzung bei der Bewertung der Tatschwere können solche strafmindernden Umstände jenseits von Unrecht und Schuld nicht in systematischer Weise erörtert werden. Es wird ein solcher strafmindemder Gesichtspunkt Erwähnung finden, nämlich die Strafminderung aufgrund einer Verstrickung staatlicher Organe in die Tatgenese bei einem Lockspitzel-Einsatz173 .

Vgl. unten 4. Teil, 1. Kap., 2 a. Vgl. Frisch, 140 Jahre GA, S. 16 fT., der darauf hinweist, daß die Ergänzung der Straftatkategorien Schuld und Umecht durch zusätzliche Faktoren bei der Strafzumessung keinen Bruch mit dem Straftatsystem bedeute, da auch insoweit Umstände außerhalb von Schuld und Umecht von Bedeutung seien. 172 Schünemann, in: Eser/Cornils (Hrsg.), Neuere Tendenzen, S. 226. 173 Vgl. unten 4. Teil, 5. Kap., 2 c ee. 170 171

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3. Teil: Die Theorie tatproportionaler Strafzumessung

c) Bewertung des Tatunrechts

Eine früher vertretene Meinung hatte in konsequenter Fokusierung auf den Schuldbegriff versucht, das Unrecht der Tat als unmittelbar strafzumessungsrelevanten Umstand auszuscheiden: Maßgeblich sei allein die individuelle Vermeidemacht, in anderen Worten, die Höhe der zu überwindenden Hemmschwelle; je gravierender die Tat, umso höher sei die zu überwindende Hemmschwellel74 . Eine zweite Version wollte das Unrecht nicht unmittelbar, sondern nur mittelbar bei der Schuld berücksichtigen, und zwar in Form einer Indizkonstruktion, nach der das Gewicht des Vorsatzes in Relation zum Außenbild der Tat stehe175 . Beide Konzeptionen einer nur mittelbaren Orientierung am Tatunrecht konnten nicht überzeugen. Vorsatz ist nicht in Abhängigkeit von der Tatschwere quantifizierbar. Er ist vielmehr eine "tatbestandsneutrale" Kategorie in dem Sinne, daß die Mischungen aus voluntativen und kognitiven Elementen in ihrer Stärke von der Art des verwirklichten Straftatbestands nicht abhängig sind. Ein wenig gewichtiges Delikt, z.B. eine kleinere Sachbeschädigung, kann von einem glühenden Verwirklichungswunsch, also der Reinform der Absicht, getragen werden, während der Vorsatz bei einem Tötungsdelikt hart an der Grenze zur bewußten Fahrlässigkeit liegen kann. Höchst fragwürdig ist auch die Annahme eines linearen Zusammenhangs zwischen Tatschwere und Hemmschwelle176• Zwischen der gegenwärtigen, traditionellen Strafzumessungslehrel77 und dem hier vertretenen Ansatz bestehen dagegen keine grundsätzlichen Differenzen, soweit es um die zentrale Stellung der Faktoren geht, die das Tatunrecht charakterisieren. Auch nach der Standardformel des BGH ist die schuldangemessene Strafe nach der "Schwere der Tat in ihrer Bedeutung für die verletzte Rechtsordnung sowie dem Grad der persönlichen Schuld des Täters,,178 zu bestimmen. Das Bundesverfassungsgericht betont ebenfalls in entsprechender Formulierung, daß die Schuld, die die verhängte Strafe nicht übersteigen dürfe, durch die Schwere der Tat und das Maß der Schuld des Täters bestimmt werde 179. Die empirischen Untersuchungen zur Strafzumessungspraxis der erstinstanzlichen Gerichte belegen, daß die praktisch wichvon Beling, Die Verge1tungsidee, S. 64 f So Dreher, Über die gerechte Strafe, S. 82 ff. 176 HafJke, GA 1978,46 f; Erhard, Strafzumessung bei Vorbestraften, S. 148. 177 Vgl. LK-Hirsch lO , § 46 Rn. 9; Brons, Recht der Strafzumessung, S. 145 f, 151 ff.; ders., Strafzumessungsrecht, S. 392 ff.; Gallas, FS für Bockelmann, S. 164; LKGribbohm, § 46 Rn. 9; Trändie, § 46 Rn. 4; SK-Horn, § 46 Rn. 44; Schäfer, Praxis der Strafzumessung, Rn. 226 ff. 174

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178 BGHSt. 20,264,266; BGH NJW 1987, 2685, 2686. Hervorhebung durch die Autorin. 179 BVerfGE 25, 269, 286; 27, 18,29; 45, 187,260; 50, 5, 12; 50,125, 133.

4. Kapitel: Grundzüge einertatproportionalen Strafzumessungstheorie

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tigsten Strafzumessungsfaktoren das Gewicht der Tat beschreibenl80 , also dem Bereich des Erfolgsunrechts zuzuordnen sind. Ein zumindest auch unrechtszentriertes Strafzumessungsmodell ist in der tatrichterlichen Praxis angelegt. Im einzelnen werden die Kriterien für die Bewertung des Erfolgs- und Handlungsunrechts im folgenden 4. Teil ausführlich erörtert. d) Schuld als Strafzumessungsfaktor

aa) Ein entscheidender Unterschied zur traditionellen deutschen Strafzumessungslehre liegt in der Rolle der Schuld des Täters. In Abgrenzung zur herrschenden Meinung soll hier in Einklang mit neueren Arbeiten l8l das Schlupfloch für die Einblendung täterbezogener Umstände versperrt werden, das im Verweis auf die persönliche Schuld liegt. Dies bedeutet allerdings nicht, die Bewertung der Tat ausschließlich am Tatunrecht auszurichten: Vielmehr hat auch das Ausmaß einer Schuldminderung strafzumessungsrechtliche Bedeutung. Die noch herrschende Meinung in der Strafzumessungslehre geht von einem anderen Verständnis dessen aus, was neben dem Unrecht das Strafmaß bestimmt: Sie erkennt zusätzlich zu den unrechtsrelevanten Umständen solche an, die nicht das Tatunrecht charakterisieren, aber trotzdem zu einer weiteren Erhöhung des Strafmaßes führen können l82 .. Die Rechtfertigung dafür bleibt größtenteils unklar. Teilweise wird schlicht darauf verwiesen, daß Strafzumessungsschuld ein steigerungsfahiger Begriff seil83 , ohne die Komponenten der Strafzumessungsschuld im einzelnen zu analysieren. Möglicherweise wird von manchen Vertretern der traditionellen Lehre mit dem Beharren auf "persönlicher Schuld" als wesentlichem Strafzumessungsfaktor auch eine Abgrenzung zu einer rein objektiven Erfolgshaftung intendiert, die in einem modemen Strafrecht deplaziert wäre l84 - hiervon geht auch der hier vorzustellende Ansatz aus. Dieser Gedankengang kann jedoch die Einführung des Topos "persönliche Schuld" nicht tragen, da die Entwicklung der Unrechtslehre über ein rein erfolgsorientiert-objektives Verständnis

Vgl. oben 1. Teil, Text bei Fn. 155. SK-Hom, § 46 Rn. 41 ff.; Frisch, ZStW 99 (1987),384 ff.; Erhard, Strafzumessung bei Vorbestraften, S. 163 ff., 228 ff. 182 Brnns, Strafzumessungsrecht, S. 145; Hettinger, Doppe1verwertungsverbot, S. 121; LK-Gribbohm, § 46 Rn. 9: bei gleichgroßem Unrecht könne die Schuld höher oder geringer sein, Schönke/Schröder/Stree, § 46 Rn. 8; Trändie, § 46 Rn. 4. 183 LK-Hirsch JO , § 46 Rn. 5; LK-Gribbohm, § 46 Rn. 4. 184 In den Ausführungen zur Strafzumessungsschuld findet sich diese Abgrenzung gegenüber einer reinen Erfolgshafiung, vgl. LK-Hirsch JO , § 46 Rn. 10; Trändie § 46 Rn. 4. Schäfer, Praxis der Strafzumessung, Rn. 228, setzt "Vorwerfbarkeit" mit dem Handlungsunrecht gleich. 180 181

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3. Teil: Die Theorie tatproportionaler Strafzumessung

mit der Lehre vom Handlungsunrecht längst hinweggeschritten ist l85 . Zum Teil wird aber auch ausdrücklich darauf verwiesen, daß zusätzlich zum Handlungsunrecht weitere personale Faktoren die Strafzumessungsschuld prägen würden I 86. Unter der Überschrift "persönliche Schuld" oder "Vorwertbarkeit" wird eine bunte Mischung von schuldsteigernden Einstellungen und Motiven des Täters aufgeführt l87 . bb) Das Problem der traditionellen Strafzumessungslehre liegt in der unreflektierten Übernahme eines ganz spezifischen, in der Verbrechensdogmatik heute am Rand stehenden Verständnisses von Strajbegründungsschuli 88 . Der Kern des Schuldvorwurfs kann entweder darin bestehen, daß dem Täter vorgehalten wird, vermeidbarerweise eine unrechtmäßige Tat begangen zu haben (das Unrecht bildet den Kern des Vorwurfs, weshalb eigentlich statt von einem Schuld- besser von einem Unrechtsvorwurf gesprochen werden sollte)189, oder es tritt ein davon zu trennender, mit eigenständigen Dejinitionskriterien bestimmter Schuldvorwurf zum Vorwurf des Tatunrechts hinzu. In letzterem Sinne wirkt sich das etwa von Gallas, Jescheck und Schmidhäuser vertretene Schuldverständnis aus. Diese beziehen den Schuldvorwurf auf eine fehlerhafte Gesinnung des Täters, die in der Tat zum Ausdruck komme l90 . Ein solcher Vorwurf der fehlerhaften Gesinnung könnte prinzipiell auch begründet werden, wenn es nicht zur Begehung der Straftat gekommen wäre. Die hinzugesetzte Einschränkung, die fehlerhafte Gesinnung müsse in der Tat zum Ausdruck kommen, ist nur eine aus kriminalpolitischen Gründen vorgenommene Limitierung und nicht die inhaltliche Kernaussage des Schuldurteils. Aus einem gesinnungsorientierten Schuldvorwurf ergibt sich ohne weitere Ableitungsschritte, daß dieser uneingeschränkt steigerbar ise 91 . Es spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle, ob der Vorwurf auf die Abkehr von rechtlichen Normvorstellungen zugeschnitten wird l92 oder ob der Ausgangspunkt bei der "geistigen Teilhabe an den Wertvorstellungen der Gemeinschaft,,193 gesucht wird. Wenn der Schuldvorwurf auf ein DifJerenzmodell Bezug nimmt, das fragt, ob sich innere Einstellungen von einem wie auch immer

Vgl. unten 4. Teil, 1. Kap., 4 a. Tröndle, § 46 Rn. 4. 187 Vgl. LK-Hirsch lO , § 46 Rn. 6; Brons, FS für We1zel, S. 752. 188 Fn'sch, ZStW 99 (1987), 384. 189 SK-Horn, § 46 Rn. 41 ff. 190 Gallas, ZStW 67 (1955), 45; Schmidhäuser, Strafrecht AT, 6/16 ff.; ders., FS für Gallas, S. 93 ff.; ders., FS ftir Jescheck, S. 490 ff.; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, S. 421 f.; Schönke/Schröder/Lenckner, vor § 13 Rn. 119. 191 Gallas, ZStW 67 (1955), 45 f.; Schönke/Schröder/Lenckner, vor § 13 Rn. 119. 192 Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, S. 418. 193 Schmidhäuser, Strafrecht AT, 6/16 ff. 185

186

4. Kapitel: Grundzüge einer tatproportionalen Strafzumessungstheorie

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bestimmten Idealtypus entfernen, wird damit die unlimitierte Quantifizierbarkeit dieser Differenz impliziert. Die Abweichung ist nach beiden Richtungen abstufbar, nach unten über das Stadium der verminderten Schuld bis zur Schuldlosigkeit; vor allem aber sind der Verwerflichkeit der Gesinnung nach oben keine Grenzen gesetzt. cc) Zu einem anderen Ergebnis gelangt man mit der heute vorherrschenden Konzeptualisierung von Strafbegründungsschuld. Die moderneren Auffassungen von der Natur der Strafbegründungsschuld erlauben zwar ebenfalls Abstufungen von der Vollform der Schuld bis hin zu nicht mehr schuldhaften Handlungen. Der maßgebliche Unterschied liegt jedoch darin, daß die Vollform der Schuld keiner Abstufung nach oben im Sinne einer gesteigerten strafrechtlichen Schuld zugänglich ist. Mit der Feststellung des durch die Tat verwirklichten Unrechts ist auch der maximal mögliche Schuldvorwurf umrissen. Die Position zur Frage der Willensfreiheit spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle. Für die grundsätzliche Rechtfertigung des Schuldvorwurfs gegenüber dem Täter ist es zwar von Bedeutung, ob insoweit eine agnostische Position eingenommen und die Willensfreiheit anband sozialer Rollenbilder fingiert 194 oder ob auf eine ontologische Basis geachtet wird195 . Auf das Strafzumessungsrecht wirkt sich der Determinismusstreit jedoch nicht aus. Nach beiden Ansätzen ist die Feststellung der Strafbegründungsschuld eine notwendige Bedingung der Bestrafung, da die Verantwortlichkeit des Täters für die Tat begründet werden muß, wenn ihm gegenüber eine Mißbilligung ausgesprochen und ein Übel auferlegt werden soll. Insoweit handelt es sich jedoch um eine Entscheidung der Zurechnung, die entweder zu bejahen oder zu verneinen ist. Im Normalfall der uneingeschränkten Schuld des Täters kommt es nur darauf an, daß ihm die Tat zugerechnet werden kann; die Frage nach dem "Wieviel" des Anders-Handeln-Könnens macht insoweit keinen Sinn. Die dogmengeschichtlich neueste Variante der Schuldlehren kommt zu einer vollständigen Normativierung des Schuldvorwurfs. Sie nimmt nicht zur Frage nach der individuellen Verantwortlichkeit des Täters eine agnostische Position ein, sondern erklärt bereits die Fragestellung für hinfällig, da Schuld von vornherein als die allein aus einer Außenperspektive erfolgende Zuschreibung von Können definiert wird. Maßgeblich sei die in der jeweiligen Gesellschaft erzielte Verständigung darüber, ob störende Eigenschaften akzeptiert werden können; wenn nicht, müßten sie dem Täter zur Erhaltung des Norm-

194 Vgl. Roxin, Strafrecht AT 1, § 19 Rn. 36 fT.; ders., FS für Arthur Kaufinann, S. 521 fT.; Kühl, Strafrecht AT, § 10 Rn. 3 f.; Laclener, vor § 13 Rn. 23. 195 Arthur Kaufmann, Das Schuldprinzip, S. 127 fT.; Schünemann, in: ders. (Hrsg.), Grundfragen, S. 163; ders., in: Hirsch/Weigend (Hrsg.), Strafrecht und Kriminalpolitik, S. 154 f; Dreher, Die Willensfreiheit, S. 379 fT.; Griffel, GA 1989, 193 fT.

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3. Teil: Die Theorie tatproportionaler Strafzumessung

vertrauens zugeschrieben werden l96 . Auf die für die Legitimation staatlichen Strafens ganz wesentlichen Differenzen innerhalb der modemen Schuldlehre l97 muß in einer auf die Strafzumessung konzentrierten Arbeit nicht eingegangen werden. Was den hier interessierenden Punkt der Steigerungsfahigkeit der Strafbegrtindungsschuld anbelangt, kommt nämlich auch ein funktionaler Schuldbegriff zum selben Ergebnis wie ontologische bzw. agnostische Schuldvorstellungen: Er stellt ebenfalls schlicht auf die Zuordnung der Tat zu einer bestimmten Person ab, ohne den Schuldvorwurf in einer Weise anzureichern, die einen über das Tatunrecht hinausreichenden Vorwurf enthältl98 . Die Festlegung, auf welcher theoretischen Grundlage die Zuordnung von Tat und Täter erfolgt, beeinflußt deshalb nicht den hier interessierenden Punkt: Sowohl bei einer an Täterinterna orientierten Zurechnung wie auch bei einer aus der Gesellschaftsperspektive erfolgenden Zuschreibung gibt es nur drei Wahlmöglichkeiten: Zuschreibung bzw. Zurechnung im Normalfall, ansonsten keine oder teilweise Zuschreibung bzw. Zurechnung, nicht aber eine über den Normalfall hinausreichende Steigerungsform. Die entscheidende Trennlinie für die Strafzumessung verläuft deshalb nicht zwischen ontologischem und funktionalem Schuldverständnis, sondern zwischen einem gesinnungsorientierten Schuldvorwurf und Konzepten der Schuldzurechnung bzw. Schuldzuschreibung. dd) Nach den meisten heute vertretenen Schuldkonzeptionen kommt der Strafbegrtindungsschuld somit nur die Funktion eines Filters zu, den das Unrecht zu passieren hat, bevor es die Basis des strafrechtlichen Tadels bilden kann. Horn gebraucht zur Veranschaulichung die Metapher eines Siebes: Im Normalfall der uneingeschränkten Schuld "fällt" das gesamte Unrecht "hindurch", so daß das Stadium der Schuldprüfung keine eigenständige Bedeutung für die Strafzumessungsentscheidung hat. Bei nur geminderter Schuld passiert dagegen nur ein Teil des Unrechts das "Sieb" und fällt auf die Waagschale, mit der die Tatschwere gemessen wird l99 . Die heute noch herrschende Strafzumessungslehre hält dagegen ein antiquiertes Schuldverständnis aufrecht. Dieses aufzugeben und durch die modemen Zurechnungs- bzw. Zuschreibungskonzeptionen zu ersetzen ist ein wesentliches Anliegen einer tatproportionalen Strafzumessungslehre.

196 Jakobs, Strafrecht AT, 17/21 f.; ders., Das Schuldprinzip, S. 24 ff.; zustimmend Achenbach, in: Schünemann (Hrsg.), Grundfragen, S. 148 ff. 197 Vgl. zum Streit über das Jakobsche Schuldverständnis beispielsweise Roxin, SchwZStr 104 (1987), 356 ff.; Hirsch, ZStW 106 (1994), 746 ff.; Schünemann, GA 1995,217 ff. 198 Vgl. Jakobs, Strafrecht AT, 17/46. 199 In: SK, § 46 Rn. 41; zustimmend Erhard, Strafzumessung bei Vorbestraften, S. 162 f.

4. Kapitel: Grundzüge einer tatproportionalen Strafzwnessungstheorie

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2. Keine absolute Proportionalität von Tatschwere und Strafe a) Die Verknüpfung von Tatschwere und Strafmaß stößt auf einen Einwand, der üblicherweise bei der Strafzumessungsschuld diskutiert wird: Die Unterschiedlichkeit der beiden Kategorien mache die Umsetzung in beiden gemeinsame Umrechnungseinheiten unmöglich, weshalb einem bestimmten Schuldrnaß nicht ein bestimmtes Strafmaß zugeordnet werden könne2°O. Für das Verhältnis von Tatschwere und Strafübel könnte entsprechend argumentiert werden. Tatproportionalität ist jedoch nicht als absolute Proportionalität von Unwertigkeit der Tat und numerischem Strafmaß zu verstehen, sondern als ein Prinzip relativer Proportionalitäpol. Dessen Tragweite beschränkt sich darauf, daß der Schweregehalt einer Tat relativ zum Schweregehalt anderer Taten entscheidungsbestimmend sein soll. Welches numerische Strafmaß einer bestimmten Straftat zuzuordnen ist, kann nicht allein mit dem Tatproportionalitätsprinzip entschieden werden. Neben der Bewertung der Schwere der Tat bedarf es der Ankoppelung an das allgemeine Punitivitätsniveau im jeweiligen Rechtssystem202 . Die Erkenntnis, daß es nicht möglich ist, in einem einstufigen Verfahren unmittelbar von der Tatschwere auf ein entsprechendes numerisches Strafmaß zu schließen, ist spätestens seit Hegels Ablehnung des Talionsprinzips203 verbreitet und gehört heute zu den wenigen allgemein konsensfähigen Sätzen in der Strafrechtswissenschaft. Die angemessene Schwere des Strafübels ist keine absolute Größe, die einer bestimmten Tat mit universellem Gültigkeitsanspruch zugeordnet werden kann, sondern wird vom zeit- und kulturspezijischen Kontext geprägt, in dem das Strafrechtssystem steheo 4• Die AbhängigVgl. etwa Ellscheid, in: Wadle (Hrsg.), Recht und Gesetz, S. 94. Von Hirsch/Jareborg, Strafmaß und Strafgerechtigkeit, S. 25 f Im deutschen Schrifttwn wird üblicherweise von ,,relativer Gerechtigkeit" gesprochen, vgl. von Weber, Die richterliche Strafzwnessung, S. 15; Streng, Strafzwnessung und relative Gerechtigkeit, S. 15 und passim; Theune, StV 1985,207 f; Erhard, Strafzwnessung bei Vorbestraften, S. 98 f. 202 Von Hirsch, Censure and Sanctions, S. 18 f; von Hirsch/Jareborg, Strafmaß und Strafgerechtigkeit, S. 25 f., erörtern auch den Grundsatz der kardinalen Proportionalität. Kardinale Proportionalität soll ein drakonisches Strafniveau ausschließen, das auch für unbedeutende Vergehen drastische Eingriffe vorsieht. Diese Variante des Proportionalitätsgedankens hat allerdings keine praktische Bedeutung, da sie nur Extremkonstellationen betrim, die sich mit dem Status quo der deutschen Strafzwnessungspraxis nicht berühren. 203 In: Philosophie des Rechts, § 1Ol. Dazu und zu den bereits früher (etwa von Beccaria und Filangieri) vertretenen Ansätzen, einem überzeitlichen Verständnis von der angemessenen Strafe eine Absage zu erteilen, Seelmann, Anerkennungsverlust und Selbstsubswntion, S. 39 f 204 von Weber, Richterliche Strafzwnessung, S. 17; Henkel, Die ,,richtige" Strafe, S. 30; Rolinski, Prägnanztendenz im Strafurteil, S. 89; Jakobs, Schuld und Prävention, S. 200 201

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3. Teil: Die Theorie tatproportionaler Strafzumessung

keit der Strafen vom Wandel der Wertvorstellungen kommt an verschiedenen Stellen zum Ausdruck. Zum einen zeigt eine Längsschnittsanalyse der Strafpraxis einen allgemeinen Trend zur Milderung von Sanktionen205 - dies belegt eine entsprechende Entwicklung des allgemeinen Punitivitätsniveaus. Aber auch für die Gewichtung unterschiedlicher Deliktsgruppen, in andereren Worten für die Bewertung des Tatunrechts relativ zur Schwere anderer Taten, ergeben sich im Verlauf der Zeit Verschiebungen. Die Bewertung der Schwere einer Verletzung bzw. Gefahrdung ist nur vor dem Hintergrund der in der jeweiligen Gesellschaftsverfassung wurzelnden Wichtigkeit des betroffenen Guts verständlich. Die Bedeutung eines Gegenstands für seinen Eigentümer etwa ist in einer vorindustrialisierten bzw. schwachindustrialisierten Gesellschaft eine vollständig andere als unter den Bedingungen einer Industriegesellschaft, die erstens durch eine beträchtliche Zunahme von beweglichen Gütern, zweitens deren leichte Reproduzierbarkeit aufgrund der normierten Herstellungsmethoden sowie drittens durch größere finanzielle Spielräume der meisten Menschen gekennzeichnet ist. Die strafzumessungsrechtliche Bewertung von Eigentumsdelikten in Relation zu anderen Delikten muß derartige Veränderungen nachvollziehen206 . Daraus folgt die Notwendigkeit, die Bewertungsmaßstäbe innerhalb der Strafzumessungslehre nicht als ein sich gegen gesellschaftliche Veränderungen immunisierendes System festzuschreiben 207 • b) In die Terminologie wissenschaftlicher Begriffsbildung übersetzt, bildet das Tatproportionalitätsprinzip die Basis für ein komparatives System 208 • Als solches erlaubt es vergleichende Aussagen, die in ihrem Informationsgehalt über klassifikatorische hinausgehen209 : Während klassifikatorische Begriffe nur zu der Aussage führen können, ob ein Gegenstand zu einer Klasse gehört, erlauben komparative oder Ordnungsbegriffe eine Reihenordnung von Gegenständen nach dem Kriterium, ob sie mehr oder weniger eine gemeinsame Ei4; Timpe, Strafmilderungen des AT, S. 69; Köhler, Zusanunenhang, S. 49 ff.; MüllerDietz, FS fi1r Jescheck, S. 823; Grasnick, Schuld, Strafe und Sprache, S. 36 f.; Maurach/Gössel/Zipf, Strafrecht AT 2, § 63 Rn. 15; Streng, ZStW 101 (1989), 289 ff.; Horstkotte, in: Jehle (Hrsg.), Individualprävention und Strafzumessung, S. 163 f.; H.-J. Albrecht, Strafzumessung bei schwerer Kriminalität, S. 26 ff. 205 Albrecht/Dünkel/Spieß, MSchrKrim 1981, 314 ff.; Terdenge, Strafsanktionen, S. 65 ff. 206 Vgl. dazu Horstkotte, in: Jehle (Hrsg.), Individualprävention und Strafzumessung, S. 163 f.; Schünemann, GA 1995,207. 207 Auf die sich hieraus ergebenden Konsequenzen wird in Kap. 5, 2., noch näher einzugehen sein. 208 Vgl. Otte, in: Albert u.a. (Hrsg.), Rechtstheorie, S. 318; Frisch, 140 Jahre GA, S. 28 ff. 209 Zu klassiftkatorischen Begriffen vgl. Stegmüller, Probleme und Resultate, S. 19 ff.; Hempel, Begriffsbildung, S. 51 ff.; Koch/Rüßmann, Juristische Begründungslehre, S.76.

4. Kapitel: Grundzüge einer tatproportionalen StrafzumessWlgstheorie

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genschaft aufweisen210. Eine Analyse der logischen Struktur von Rechtsnormen ergibt eine Reihe von komparativen Normen, im Zivilrecht etwa Bestimmungen des Schadensersatzrechts211 . Im Strafrecht ist die Bestimmung der Strafbarkeit ein klassifizierendes Verfahren, da insoweit die Zugehörigkeit zu den Klassen "strafbar" bzw. "nicht strafbar" interessiert. Die Strafzumessung ist dagegen ein Anwendungsfall für komparative Strukturen im Recht212 . Der für eine tatproportionale Strafzumessung zentrale Begriff der "Schwere der Tat" ist ein komparativer Begriff, der es erlaubt, die Bedeutung einer bestimmten Tat relativ zu der anderer Taten zu bestimmen213 . Die Essenz des komparativen Systems der Strafzumessung ist die Verknüpfung von Tatschwere und Rechtsfolgen, die eine Aussage nach dem "wenn mehr X, dann mehr Y"Schema214 erlaubt: Je schwerer die Tat, desto höher die Strafe.

3. Beurteilungsspielraum statt Punktstrafe a) Aus der Kritik an der Spielraumtheorie im ersten Teil könnte ein Leser gefolgert haben, die Theorie einer tatproportionalen Strafzumessung ziele auf ein Punktstrajenkonzept. Im Zusammenhang mit dem Topos der schuldangemessenen Strafe ist gelegentlich vertreten worden, es gebe objektiv eine einzige schuldangemessene Strafe, die nur wegen der Mängel des menschlichen Erkenntnisvermögens nicht exakt bestimmt werden könne215 . Ähnliche Ansprüche könnten an eine tatproportionale Lehre herangetragen werden. Aber auch insoweit gilt, daß die Wahl eines Strafzumessungsmodells nur darauf basieren kann, inwieweit umsetzbare Zumessungsregeln existieren216 . Während die ontologische Aufladung des Schuldbegriffs217 die Idee einer Punkt210 Grundlegend Hempe/lOppenheim, Der Typusbegriff; sowie Hempel, BegriffsbildWlg, S. 57 ff.; Stegmüller, Probleme Wld Resultate, S. 27 ff.; Kuhlen, Typuskonzeptionen in der Rechtstheorie, S. 34 ff.; Köberer, Iudex non calculat, S. 90 ff.; Mylonopoulos, Komparative Wld Dispositionsbegriffe, S. 40 ff. 2ll Vgl. Oue, in: Albert u.a. (Hrsg.), Rechtstheorie, S. 301 ff. 212 Oue, in: Albert u.a. (Hrsg.), Rechtstheorie, S. 318; Frisch, 140 Jahre GA, S. 28 ff. m Frisch, 140 Jahre GA, S. 29. 214 Zu den Grundformen komparativer Normen vgl. OUe, in: Albert u.a. (Hrsg.), Rechtstheorie, S. 303. 215 Heinitz, ZStW 70 (1958), 5; Arthur Kaufmann, Das Schuldprinzip, S. 261; Bruns, StrafzumessWlgsrecht, S. 91 f. m.w.Nwen.; Schaffstein, FS für Gallas, S. 100 f.; weitere Nwe. bei Streng, StrafzumessWlg Wld relative Gerechtigkeit, S. 33 Fn. 80. Gegen die PWlktstrafentheorie Henkel, Die ,,richtige" Strafe, S. 31 ff.; Dreher, FS für Bruns, S. 153 ff.; ders., FS für Bockelmarm, S. 58; Grasnick, Schuld, Strafe Wld Sprache, S. 73 ff. 216 Neumann, FS für Spendel, S. 441. 217 Vgl. Arthur Kaufmann, Das Schuldprinzip, S. 41 ff.

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3. Teil: Die Theorie tatproportionaler Strafzumessung

strafe gefördert hat, führt eine tatproportionale Strafzumessungslehre zu einem pragmatischeren Verständnis der Tatbewertung: Diese erschöpft sich nicht in der Erkenntnis exakt vorgegebener Werte, sondern beruht auf einem stufenweise fortschreitenden Bewertungsprozeß. b) Die Maßstäbe für diesen Bewertungsvorgang können gegenüber dem Status quo erheblich präzisiert werden, indem die Anzahl der Strafzumessungsfaktoren eingegrenzt und ihr Anwendungsbereich systematisch untersucht wird. Der durch die Spielraumtheorie unnötig erweiterte Beurteilungsspielraum des Tatrichters218 wird dadurch eingegrenzt. Die Entwicklung von dogmatisch begründeten Entscheidungsregeln stößt jedoch auch bei einer unrechtszentrierten Strafzumessung auf Grenzen. Die Vergleichsmaßstäbe zur Bewertung etwa des Erfolgsunrechts unterschiedlicher Taten können nicht derart detailliert gefaßt werden, daß für jede denkbare Schadenskonstellation eine eindeutige Reihenordnung aller möglichen Straftaten möglich ist. Wie auch bei der Bewertung von Leistungen, etwa von Prüfungsergebnissen, bleibt bei der Bewertung der Tatschwere ein Spielraum, der eine gewisse Variationsbreite des Ergebnisses vertretbar erscheinen läßt219 . Zu den nicht völlig auflösbaren Unwägbarkeiten bei der Bewertung der relativen Tatschwere kommen Unsicherheiten bei der Umsetzung dieser Wertung in ein numerisches Strafmaß, d.h. beim Einstieg in den gesetzlichen Strafrahmen220 . Die eben geschilderten Schwierigkeiten haben zwei Seiten: Zum einen sind es Probleme der Herstellungsebene. Eine weitere Schranke ergibt sich jedoch auch auf der Begründungsebene. Insoweit besteht ein Dilemma: Je detaillierter die Bewertungsregeln ausformuliert werden, umso komplexer wird die Umsetzung dieser Regeln. Wegen des erforderlichen Begrülldungsaufwands sind der tatrichterlichen Umsetzung jedoch Grenzen gesetzt. Auch bei längeren Strafzumessungsbegründungen wäre eine alle Verästelungen ausleuchtende, feingesponnene Unrechtsbewertung oft schwierig. Erst recht gilt dies für eine ausführliche Begründung der Vergleichsfalle und der Abweichungen des zu entscheidenden Falles beim Einstieg in den Strafrahmen. c) Auch mittels einer Strafzumessungstheorie, die in stärkerem Maße als die Spielraumtheorie die Herstellung der Strafmaße steuert, ist deshalb eine im gesamten Bundesgebiet einheitliche und präzise vorhersehbare Strafzumessung nicht zu erwarten. Die Leistungskraft normativer Modelle ist bei Quantifizierungsvorgängen eingeschränkt. Die im Querschnittvergleich feststellbaren Strafmaßunterschiede zwischen Regionen und einzelnen Gerichten sind auch

218 Theune, StV 1985, 164; Schünemann, in: Eser/Cornils (Hrsg.), Neuere Tendenzen, S. 212. 219 Montenbruck, Abwägung und Umwertung, S. 50 ff 220 Vgl. unten 6. Teil.

4. Kapitel: Grundzüge einer tatproportionalen StrafzwnessWlgstheorie

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auf unsystematische Varianz ZUTÜckzuführen221 . Eine solche unsystematische Varianz würde sich auch mit einem tatproportionalen Strafzumessungsmodell nicht gänzlich vermeiden lassen. Eine vollständige Revisibilität der Strafzumessung ist mit keinem Modell zu erreichen. Die Begründung der Spielraumtheorie mit der eingeschränkten revisionsrichterlichen Kontrolle222 hat deshalb einen wahren Kern. Allerdings könnte der Maßstab für die revisionsrichterliche Prüfung im Vergleich zu den bisherigen Standards verschärft werden. Der BGH befindet in ständiger Rechtsprechung, ein Eingriff des Revisionsgerichts sei nur möglich, "wenn die Zumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind, wenn das Tatgericht gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstößt oder wenn sich die verhängte Strafe nach oben oder unten von ihrer Bestimmung löst, gerechter Schuldausgleich zu sein,,223. Mit einer Präzisierung der Bewertungsregeln kann die ÜberpTÜfungsbefugnis im Vergleich zu dieser Formel erweitert werden: Eine Beanstandung des Urteils wäre schon dann möglich, wenn das Tatgericht anerkannte Grundsätze zur Bewertung der relativen Tatschwere oder zum Einstieg in den Strafrahmen mißachtet hat.

4. Die Rolle von Vorstrafen a) Unhaltbarkeit der Strafschärfungen wegen Vorstrafen

aa) Ein entscheidender Unterschied zwischen einem tatproportionalen Strafzumessungsmodell und der traditionellen Lehre und Rechtsprechung liegt in der Bedeutung, die den Vorstrafen des Täters beigemessen wird. In der tatrichterlichen Rechtsprechung wird das Strafmaß erheblich durch die Vorstrafenbelastung beeinflußt224 . Die höchstrichterliche Judikatu?25 wie die herr221 Die Strafmaßvarianz innerhalb desselben Gerichtsbezirks bewegt sich in derselben GrößenordnWlg wie die Varianz zwischen den Bezirken, wenn man über einige Jahre die Strafmaße vergleicht, H-J. Albrecht, StrafzwnessWlg bei schwerer Kriminalität, S. 356 ff. 222 JeschecklWeigend, Strafrecht AT, S. 881. 223 BGHSt. 29, 319, 320; 34, 345, 349; BGH StV 1996,427. 224 Meier, in: KemerlKury/Sessar (Hrsg.), Deutsche ForschWlgen, S. 1347 ff.; PfeifferlSavelsberg, in: Pfeiffer/Oswald (Hrsg.), StrafzumessWlg, S. 24 ff.; Streng, Strafrechtliche Sanktionen, S. 177; Erhard, StrafzumessWlg bei Vorbestraften, S. 22; H.-J. Albrecht, StrafzumessWlg bei schwerer Kriminalität, S. 330 ff. Bei gTWldsätzlicher BilligWlg der strafschärfenden WirkWlg von Vorstrafen einschränkend LG Münster, NStZ 1994, 191: Das angemessene Verhältnis der Strathöhe zwn geringen Unrecht müsse auch bei zahlreichen Vorstrafen gewahrt werden. 225 BVerfGE 50, 125, 134 ff. (zu § 48 a.F., aber mit darüber hinausweisender Argumentation zu Tatschuld Wld Vorstrafen); BGH in st. Rspr.: BGHSt. 24, 198, 200 ("einer der bedeutsamsten StrafzumessWlgsgründe"); 25, 64; 38, 71, 73 (einschränkend

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3. Teil: Die Theorie tatproportionaler Strafzumessung

sehende Strafzumessungslehre226 billigen die dominante Rolle der Vorstrafen, wobei allerdings in der Lehre auch Kritik geäußert wird227 . Auch bei der Rechtfertigung der strafschärfenden Praxis findet sich die inhaltsleere Formel der "gesteigerten kriminellen Energie" des Mehrfachtäters 228 . Gelegentlich hat der BGH auch ohne nähere Begründung eine Erhöhung des Handlungsunrechts wegen der Warnfunktion von Vorstrafen angenommen229 . Regelmäßig werden Vorstrafen jedoch als schuldsteigernde Umstände angefiihrt230 . Dabei wird, wie auch in der aufgehobenen Rückfallvorschrift des § 48 a.F. 231 zum Ausdruck kam, die Schulderhöhung mit einem angeblichen Warneffekt durch die Vorstrafen begründet232 . Warum dieser "Warneffekt" bei späteren Straftaten schuldsteigernd wirken soll, wird mit der Hemmschwellentheorie begründet: Durch die Vorverurteilungen werde eine besonders hohe Hemmschwelle

nur für Vorstrafen aus der DDR); BGHR § 46 Abs. 2 Vorleben 5,18,19,25,26; BGH StV 1984, 151; StV 1991,65; BGH bei Detter, NStZ 1995, 171; OLG Hamburg NJW 1963,217; OLG Ce11e NJW 1962,2073,2074; OLG Frankfurt StV 1989, 155; ThürOLG NStZ 1995,90. Einschränkend OLG Karlsruhe StV 1996,675. 226 Zipf, Strafzumessung, S. 69 f.; Maurach/Gössel/Zipf, Strafrecht AT 2, § 63 Rn. 160 ff.; Bruns, Recht der Strafzumessung, S. 223 ff.; ders., Neues Strafzumessungsrecht, S. 58 f.; Streng, Strafrechtliche Sanktionen, S. 177; LK-Gribbohm, § 46 Rn. 158 ff.; Schäfer, Praxis der Strafzumessung, Rn. 275 ff.; SK-Hom, § 46 Rn. 124 ff.; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, S. 892; Lackner, § 46 Rn. 37; Tröndle, § 46 Rn. 24 a; Schönke/Schröder/Stree, § 46 Rn. 31 ff. 227 Jung, Sanktionensysteme und Menschenrechte, S. 212; Horstkotte, in: Pfeiffer/Oswald (Hrsg.), Strafzumessung, S. 286; sowie die Nwe. in den Fn. 235,240,242. 228 BVerfGE 50, 125, 134 mit ausfiihrlichen Nwen. zu dieser Argumentation; ThücOLG NStZ 1995, 90; Lackner, § 46 Rn. 37 a. Walter, GA 1985, 200 weist auf die Widerspruche hin, die sich zu der Argumentation in Sachen Sicherungsverwahrung ergeben: Einem immer wieder ruckfällig werdenden Täter wird zunächst besondere Willensstärke attestiert, um darm bei der Frage der Sicherungsverwahrung eine Drehung um 180 Grad vorzunehmen und ihn als schwache, haltlose Persönlichkeit darzustellen. 229 BGHSt. 25,64; BGH StV 1991, 64. 230 BVerfGE 50, 125, 136; BGHSt. 24, 198,200; 38, 71, 73; OLG Hamburg NJW 1963, 217; OLG Ce11e NJW 1962, 2073, 2074; Zipf, Strafzumessung, S. 69; Maurach/Gössel/Zipf, Strafrecht AT 2, § 63 Rn. 162; Bruns, Recht der Strafzumessung, S. 224; LK-Gribbohm, § 46 Rn. 158; Schäfer, Praxis der Strafzumessung, Rn. 281; Tröndle, § 46 Rn. 24 a; auf bestimmte Fallkonstellationen einschränkend SK-Hom, § 46 Rn. 124; Zipf, FS für Trönd1e, S. 444 f.; Köhler, Strafrecht AT, S. 604. 231 "ist ihm im Hinblick auf Art und Umstände der Straftaten vorzuwerfen, daß er sich die früheren Verurteilungen nicht hat zur Warnung dienen lassen". Zur Abschaffung dieser Vorschrift Zipf, FS fiIr Trönd1e, S. 439 ff. 232 Zipf, Strafzumessung, S. 69; ders., FS fiIr Tröndle, S. 445; Maurach/Gössel/Zipf, Strafrecht AT 2, § 63 Rn. 162; Bruns, Recht der StrafZumessung, S. 223; Schäfer, Praxis der Strafzumessung, Rn. 275 ff.; Lackner, § 46 Rn. 37; Schönke/Schröder/Stree, § 46 Rn. 31.

4. Kapitel: Grundzüge einer tatproportionalen Strafzumessungstheorie

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vor der Begehung erneuter Straftaten aufgebaut. Die Überwindung einer solchen Hemmschwelle bedeute erhöhte SchukP3. bb) Die Hemmschwellentheorie kann jedoch aus verschiedenen Gründen nicht überzeugen. Den notwendigen Grundannahmen über individualpsychologische Zusammenhänge fehlt die Validität: Es ist verschiedentlich schon darauf hingewiesen worden, daß das Bild einer sich aufbauenden Hemmschwelle gerade beim Personenkreis der wiederholt rückfällig werdenden Straftäter unzutreffend ist234 . Aber auch wenn als wahr unterstellt werden könnte, daß einschlägige Vorverurteilungen tatsächlich eine, wenn auch überwindbare, psychische Barriere gegen neue Straftatentscheidungen bilden, sind die daraus abgeleiteten normativen Konsequenzen nicht überzeugend. Die sich hartnäckig in Rechtsprechung und Lehre haltende Auffassung, das Ignorieren der "Hemmschwellen" führe zu einer Steigerung der strafrechtlichen Schuld, ist nicht schlüssig begründbar. Vielmehr ist sie das augenfälligste Beispiel für die oben aufgestellte These: In der Enklave des Strafzumessungsrechts konnte sich ein Schuldverständnis als herrschende Meinung halten, welches zumindest in der Lehre bei der Strafbegründungsschuld zu Recht überwiegend längst aufgegeben worden ist. Die Vorstellung einer über "Hemmschwellen" nach oben beliebig steigerbaren Schuld entspricht nicht dem modemen Schuldverständnis in der Verbrechenslehre, bei dem es um die individuelle Verantwortlichkeit für die Handlung bzw. um die Zurechnung der Handlung geht, aber nicht um einen zusätzlichen Schuldvorwurf35 . Der Versuch, die schuldsteigernde Wirkung von Vorstrafen mit weiteren Argumenten zu unterfüttern, indem behauptet wird, die "verschärfte Verbotskenntnis" wirke schulderhöhend236 , muß ebenfalls scheitern. Natürlich sind Abstriche bei der Kenntnis der Verbotsnorm strafzumessungsrelevant, wenn sie nicht sogar nach § 17 S. 1 die Schuld ganz ausschließen. Daraus ergibt 233 Zur Hemmschwellentheorie Horstkotte, JZ 1970, 153; BVerfGE 50, 125, 136; ThürOLG NStZ 1995, 90; ausfiihrlichErhard, Strafzumessung bei Vorbestraften, S. 61 ff. 234 Stratenwerth, Tatschuld und Strafzumessung, S. 16; Meier, in: KernerlKury/Sessar (Hrsg.), Deutsche Forschungen, S. 1338 ff.; HafJke, in: Schünemann (Hrsg.), Grundfragen, S. 208 f.; Schünemann, in: Eser/Cornils (Hrsg.), Neuere Tendenzen, S. 236; Hart-Hönig, Gerechte und zweckmäßige Strafzumessung, S. 42; ausfiihrlich mit weiteren Nwen. Erhard, Strafzumessung bei Vorbestraften, S. 67 ff. 235 Kritisch zu der Konstruktion erhöhter Schuld wegen der Mißachtung von Warnungen Stratenwerth, Tatschuld und Strafzumessung, S. 17 ff.; HafJke, in: Schünemann (Hrsg.), Grundfragen, S. 208 ff.; Walter, GS ftir Hilde Kaufinann, S. 504 f; Schünemann, in: Eser/Cornils (Hrsg.), Neuere Tendenzen, S. 236; Frisch, ZStW 99 (1987), 773 f; Horstkotte, in: Jehle (Hrsg.), Individualprävention und Strafzumessung, S. 170 f; Erhard, Strafzumessung bei Vorbestraften, S. 45 ff.; Hart-Hönig, Gerechte und zweckmäßige Strafzumessung, S. 41 ff. 236 Hillenkamp, GA 1974, 215,

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3. Teil: Die Theorie tatproportionaler Strafzumessung

sich aber nicht im Umkehrschluß, daß die schuldsteigernde Wirkung von "gesteigerter Verbotskenntnis" anzuerkennen ist237 . Gerade an diesem Beispiel läßt sich besonders gut zeigen, daß die Existenz von Schuldminderungsgriinden nichts für die Begründung von Schuldsteigerungen hergibt. Das möglicherweise letztlich ästhetisch geprägte Verlangen nach Symmetrie238 kann hier zu fehlerhaften Gedankengängen verleiten. Die Unsinnigkeit der Vorstellung einer "verschärften Verbotskenntnis" wird deutlich, wenn man Kenntnis auf einen anderen Gegenstand als Verbotsnormen bezieht. Was Kenntnis, fehlende Kenntnis oder bruchstückhaft vorhandene Kenntnis einer komplizierten mathematischen oder physikalischen Formel bedeutet, ist klar. Genauso offensichtlich ergibt aber die Formulierung der "verschärften Formelkenntnis" keinen Sinn. Dasselbe gilt für die Kenntnis jedes anderen Gegenstandes: Eine Steigerung dieses kognitiven Zustandes ist nicht möglich. cc) In der Strafrechtswissenschaft ist versucht worden, die Tat eines Vorbestraften als doppelten Pflichtenverstoß einzuordnen, der den Aktunwert erhöhe 239 . Auch diese Ausweichkonstruktion kann jedoch nicht überzeugen: Das Handlungsunrecht wird ausschließlich durch die Umstände der abzuurteilenden Handlung bestimmt24o . Der mit jeder Strafrechtsnorm verbundene Appell, anderen zustehende Interessenkreise unberührt zu lassen, richtet sich an jedermann in gleicher Weise. Ein zu der Mißachtung dieses Appells hinzukommender zweiter Pflichtverstoß läßt sich nur vor dem Hintergrund eines sozial-autoritären Staatsverständnisses konstruieren. Bei der Erziehung von Kindern lassen sich möglicherweise verschärfte Sanktionen bei wiederholtem Ungehorsam mit der Auflehnung gegen die elterliche Autorität begründen241 . Entsprechende Überlegungen sind jedoch auf das Verhältnis Staat-Bürger nicht übertragbar: Eine zu den strafrechtlichen Verhaltensnormen hinzutretende, selbständige Gehorsamspflicht des Bürgers gegenüber dem Staat, deren wiederholte Mißachtung zusätzliches Unrecht begründet, ist auf dem Boden eines rechts staatlich-liberalen Strafrechts nicht vertretbai 42 .

237 Was Hillenkamp offensichtlich annimmt: " .... wenn man nicht Schuld als durch verminderte oder erhöhte Verbotskenntnis abstufbare und damit steigerungsfähige Kategorie aufgeben will.", GA 1974,215. 238 Vgl. Philipps, in: Jung (Hrsg.), Recht und die schönen Künste, S. 190. 239 Armin Kaufmann, Lebendiges und Totes, S. 212; Mir Puig, ZStW 86 (1974), 197 ff.; Köhler, Strafrecht AT, S. 604. Ähnlich auch noch von Hirsch, Doing Justice, S. 85; vgl. aber die geänderte Meinung in Past or Future Crimes, S. 81 ff. 240 Frisch, ZStW 99 (1987), 773; ausführliche, im Ergebnis ablehnende Erörterung der unrechtserhöhenden Wirkung von Vorstrafen bei Erhard, Strafzumessung bei Vorbestraften, S. 260 ff. 241 Ob dies eine zutreffende These ist, braucht hier nicht entschieden zu werden. 242 Vgl. Fletcher, Rethinking Criminal Law, S. 464 ff.

4. Kapitel: Gnmdzüge einer tatproportionalen Strafzumessungstheorie

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dd) Die Praxis anwachsender Strafhöhen bei zunehmender Vorstrafenanzahl wird außerdem mit präventionsorientierten Argumenten begründet. Dabei wird auf die Notwendigkeit der Einwirkung auf den Täter, also auf spezialpräventive Erwägungen verwiesen243 . Dies ist jedoch aus zwei Gründen eine zweifelhafte Begründung. Zum einen kann aus dem Vorliegen selbst vieler Vortaten nicht immer auf Rückfallgefahr geschlossen werden: Zwar erscheint eine solche Schlußfolgerung auf den ersten Blick plausibel; sie kann allerdings in manchen Fällen auch fehlgehen. Gerade bei Straftätern mit einer besonders langen Liste von Vorstrafen kann die Prognose falsch sein, weil mit einem altersbedingten Abbruch der kriminellen Karriere gerechnet werden kann244 . Zum anderen sind die vorangegangenen Strafen nicht nur ein Indiz für die Fruchtlosigkeit von Resozialisierungsbemühungen bzw. von Individualabschreckuni 45 , sondern begründet eine erhöhte Strafe wegen der erneuten Straftat sogar die Gefahr einer weiter desozialisierenden Wirkung: Es wird eine Spirale der immer länger werdenden Strafen mit der Folge sich weiter intensivierender Anpassungsschwierigkeiten in Gang gesetzt246 . ee)Eine Erklärung für die Strafpraxis kann aus sozialpsychologischer Sicht gegeben werden. Teilweise stehen entsprechende Erwägungen wohl unausgesprochen hinter normativ gewendeten Erklärungsansätzen, etwa wenn darauf verwiesen wird, daß der mehrfach vorbestrafte Täter das Prinzip der Eigentumsordnung in Frage stelle247 . Überwiegend werden die sozialpsychologischen Zusammenhänge jedoch explizit formuliert: Hartnäckiger Rezidivismus werde als besonders bedrohliche Auflehnung gegen die Rechtsordnung erlebt; diese Bedrohungsgefiihle lösten punitive Reaktionen aus248 . In der Strafrechtswissenschaft wird diese Diagnose als Anknüpfungspunkt für eine auf positive Generalprävention aufbauende Rechtfertigung der Strafschärfungen eingesetzt: Die Strafzumessung solle intensivierten Normbestätigungsbedürfnissen der Allgemeinheit Rechnung tragen249 . Diese Ableitung ist jedoch eine 243 BGHSt. 38, 71, 73; Zipf, Strafzumessung, S. 70; Bruns, Recht der Strafzumessung, S. 224; LK-Gribbohm, § 46 Rn. 158; Tröndle, § 46 Rn. 24 a. Zurückhaltend dagegen Frisch, ZStW 99 (1987), 772. 244 Mischkowitz, Kriminelle Karrieren und ihr Abbruch, S. 1 ff., S. 149 ff. 245 Streng, Strafrechtliche Sanktionen, S. 177. 246 Stratenwerth, Tatschuld und Strafzumessung, S. 16 f.; Meier, in: KemerlKury/Sessar (Hrsg.), Deutsche Forschungen, S. 1337 f.; kritisch auch Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, S. 893. 247 Montenbruck, Abwägung und Umwertung, S. 86. 248 Stratenwerth, Tatschuld und Strafzumessung, S. 18; Streng, ZStW 92 (1980), 652; ders., Strafrechtliche Sanktionen, S. 177; Walter, GS für Hilde Kaufmann, S. 503. 249 Streng, ZStW 92 (1980), 663 ff.; ders., Strafrechtliche Sanktionen, S. 177; Schünemann, in: Eser/Comils (Hrsg.), Neuere Tendenzen, S. 237; Erhard, Strafzumessung bei Vorbestraften, S. 320 (mit der Beschränkung auf mäßige Strafschärfungen nur innerhalb des Schuldrahmens, S. 339); Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, S. 892. Vg1.

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3. Teil: Die Theorie tatproportionaler Strafzwnessung

nicht unbedenkliche Rationalisierung der Strafpraxis. Reaktionen, die auf eine Mischung aus Erregung über die Desavouierung der Rechtsordnung und dem Gefühl ohnmächtiger Hilflosigkeit gegenüber diesem Täterkreis zurückzuführen sind, kann nicht ohne weiteres normative Verbindlichkeit verliehen werden. Die Art und Weise, mit der die Rechtsprechung Rückfallschärfungen als Selbstverständlichkeit handhabt, könnte zwar als Indiz dafür angeführt werden, daß auch in der Bevölkerung diese Praxis auf Rückhalt stößt. Nichtsdestotrotz muß sich diese unmittelbare Anbindung strafrechtlicher Regeln an sozialpsychologisch erklärbare Reaktionen an dem Anspruch messen lassen, die Strafe gegenüber dem Bestraften zu rechtfertigen. Die straflimitierende Funktion des Schuldprinzips würde geschwächt, wenn Strafbedürfnisse der Allgemeinheit ausreichen, um damit Straferhöhungen zu begründen250 .

b) Keine Strafminderungfür Ersttäter aa) Es bleibt als Fazit des ersten Abschnitts festzuhalten, daß eine mit den Vorverurteilungen ansteigende Strafhöhe bei einer Bewertung der Tat anhand von Tatunrecht und Schuld nicht zu begründen ist. Damit ist jedoch nicht notwendigerweise die Schlußfolgerung verbunden, die strafrechtliche Vorgeschichte des Täters spiele überhaupt keine Rolle. Zwar kommt eine Strafschärfung nicht in Betracht; das schließt es jedoch nicht aus, für bislang unbestrafte Straftäter eine Strafmilderung anzunehmen: Von Hirsch und Jareborg befürworten eine solche Lösung251 . Auch vom BGH wird bisherige Straflosigkeit nicht etwa als strafzumessungsneutraler Umstand gewertet, sondern ausdrücklich auf die strafmildernde Wirkung hingewiesen252 • In der Kombination mit der Theorie von der schulderhöhenden Wirkung von Vorstrafen ist diese Rechtsprechung erklärungsbedürftig, da eine Schulderhöhung einen Bezugspunkt voraussetzt. Wenn dieser Bezugspunkt aber das Fehlen von Vorstrafen ist, liegt an sich die Annahme eines strafzumessungsneutralen Umstandes nahe253 . Die Rechtsprechung behilft sich mit dem Postulat, es gebe keine norma-

aber auch Jakobs, Strafrecht AT, 17/38: keine Straferschwerung wegen der Lebensführung des Täters. 250 Kritisch auch Walter, GS für Hilde Kaufmann, S. 511. 251 In: Strafmaß und Strafgerechtigkeit, S. 60 f.; von Hirsch, Censure and Sanctions, S.llO. 252 BGH NStZ 1982, 376; NStZ 1983, 453; StV 1988, 60; StV 1996, 205. Weitere Nwe. bei Theune, StV 1985,206 Fn. 19. 253 Kritisch zu dieser Entscheidung deshalb auch Frisch, GA 1989, 358 Fn. 82. Weitere Nwe. zur schlüssigen Argumentation, bei Strafschärfungen für Vorbestrafte müsse das Fehlen von Vorstrafen strafZumessungsirre1evant sein, bei Fahl, Bedeutung des Regeltatbildes, S. 156 fI.

4. Kapitel: Grundzüge einer tatproportionalen Strafzwnessungstheorie

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tiven Nonnalfalle im Strafzumessungsreche54 . Diese Begründung stiftet jedoch mehr Verwirrung als daß sie zu einer Klärung beiträgt, wie noch ausführlicher zu begründen sein wird255 . Gegen den Vorschlag, die Strafe für einen Ersttäter zu mindern, ist der Einwand des Etikettenschwindels erhoben worden: Es mache im Ergebnis keinen Unterschied, ob die Differenzierung zwischen vorbestraften und nichtvorbestraften Angeklagten über die Argumentationsschiene "Strafmilderung für die letzteren" oder über "Strafschärfung für die ersteren" erfolge256 . Dies ist jedoch aus zwei Gründen keine zwingende Begründung: Ein Unterschied zur herrschenden Lehre ergibt sich daraus, daß die Anzahl der Vorstrafen irrelevant ist. Differenziert würde zugunsten der Ersttäter, nicht aber danach, ob der Täter drei, sieben oder zwanzig Vorstrafen hat. Vor allem aber sind die Faktoren strafmildernd und strafschärfend nur austauschbar, wenn in der oben kritisierten Weise vage und ergebnisorientiert mit der schuldangemessenen Strafe argumentiert wird. Ein ab schichtendes Strafzumessungsmodell, das Bezugspunkte durch den Vergleich von Erfolgsunrecht, Handlungsunrecht und Schuldminderungsgründen schafft, könnte durchaus eine Strafmilderung begründen, die nicht eine verkappte Straferhöhung für Vorbestrafte ist. bb) Die entscheidende Frage in diesem Zusammenhang ist deshalb, ob gute Gründe dafür angeführt werden können, die Strafe für Ersttäter zu mildern. Unproblematisch wäre eine solche Strafmilderung, wenn die Tatsache, daß es sich um eine erste Straftat handelt, die Schuld mindern würde. Erhard weist jedoch zu Recht darauf hin, daß von einer Minderung der Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit bei Ersttätern keine Rede sein kann, weshalb er eine Differenzierung zwischen Erst- und vorbestraften Tätern nicht für zulässig erachtet257 . Es ist allerdings im Kontext einer tatproportionalen Strafzumessungslehre nicht grundsätzlich ausgeschlossen, Umstände jenseits von Unrecht und Schuld strafmildernd zu berücksichtigen - nur die strafschärfende Verwertung ist ausgeschlossen. Es bedarf aber einer schlüssigen Begründung für einen solchen Schritt. Von Hirsch und Jareborg sehen diese darin, daß dem Ersttäter eine gewisse Sympathie für seine menschliche Schwäche entgegengebracht werden könne258 . Der Zusammenhang zwischen menschlicher Schwäche und Ersttat ist 254 BGH StV 1988, 60, nimmt auf die Entscheidung des großen Senats zum Fehlen des Normalfalles der wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters Bezug, BGHSt. 34, 345, 350 t1 255 Vgl. unten 6. Teil, 5 a dd und ee. 256 Vgl. Streng, JZ 1993, 356 li. Sp. unten, positiver allerdings im Ergebnis re. Sp. oben; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, S. 892 Fn. 39. 257 In: Strafzwnessung bei Vorbestraften, S. 301 f. 258 Von Hirsch/Jareborg, Strafmaß und Strafgerechtigkeit, S. 60 f.

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3. Teil: Die Theorie tatproportionaler Strafzumessung

jedoch zu schwach, um darauf eine Strafmilderung zu stützen. Nur manche Ersttaten sind Zeichen der Schwäche, andere dagegen Ergebnis kalkulierter Planung. Umgekehrt sind völlig unabhängig von der strafrechtlichen Vorgeschichte vielfach Konstellationen Gegenstand der Verhandlung, bei denen die Tat das Resultat einer Schwäche war, die trotz ungemilderter Schuld des Täters menschlich in mancher Hinsicht verständlich sein mag259 . Von Hirsch greift außerdem noch die Argumentation eines Ersttäters auf, der sich typischerweise auf die Pers6nlichkeitsfremdheit der Tat berufen würde: Es habe sich um einen Fehltritt gehandelt, der zwar Tadel für die Tat rechtfertige, aber auch eine Milderung, da die Handlung für ihn untypisch see60 • Diese Argumentationsschiene führt jedoch in eine gefährliche Nähe zu der hier abgelehnten, an der Täterpersönlichkeit orientierten Strafzumessung. Wenn grundsätzlich nur die Tat, nicht aber die Person des Täters das Strafmaß erklären soll, ist es schwierig zu begründen, warum Ausnahmen von diesem Grundsatz gemacht werden sollten. Die Begründungsansätze für eine Strafmilderung bei Ersttaten sind nicht so überzeugungskräftig, daß sie eine Ausnahme von der grundSätzlichen Orientierung an Tatunrecht und Schuld rechtfertigen könnten. Ein einheitlicher Ansatz ist deshalb vorzugswürdig: Vorstrafen sind kein Grund für Strafschärfungen, das Fehlen von Vorstrafen aber auch kein Grund für eine Strafmilderung.

5. Reihenordnung der Rechtsfolgen a) Subjektive versus objektive Bewertung der Sanktionsschwere

aa) Für eine komparative Strafzumessung ist es erforderlich, nicht nur die unterschiedlichen Taten, sondern auch die Rechtsfolgen in eine Reihenordnung von Sanktionen ansteigender Schwere zu bringen. Auf den ersten Blick scheint dies für Freiheitsstrafen und Geld- bzw. Vermögensstrafen in unproblematischer Weise möglich zu sein, da Zeit und Geld nicht nur als komparative, sondern als quantitative Begriffe261 definiert sind, die einen höheren Informationsgehalt besitzen. 120 Tagessätze Geldstrafe oder vier Jahre Frei-

259 Von Hirsch/Jareborg, Strafmaß und Strafgerechtigkeit, S. 61, bestreiten dies, insbesondere für "Straftaten mittlerer Kriminalität". Eine verallgemeinernde Aussage ist jedoch insoweit nicht möglich. Während manche Eigentums- und Vermögensdelikte rational geplant werden, kann die kriminologische Kritik an der Hemmschwellentheorie, die auf die haltlosen Mehrfachtäter verweist (vgl. oben a bb), nicht einfach übergangen werden. 260 Past or Future Crimes, S. 82 f. 261 Vgl. Hempel, Begriffsbildung, S. 54 ff., 60 ff.; Stegmüller, Probleme und Resultate, S. 44 ff.; Mylonopoulos, Komparative und Dispositionsbegriffe, S. 42 ff.

4. Kapitel: Grundzüge einer tatproportionalen StrafZumessungstheorie

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heitsstrafe scheinen daher eine doppelt so hohe Strafe zu sein wie 60 Tagessätze bzw. zwei Jahre. bb) Bei näherer Betrachtung besteht allerdings auch insoweit Diskussionsbedarf. Eine entscheidende Weichenstellung liegt zunächst bei den Maßstäben für die Erstellung einer Sanktionsreihenfolge. Die Alternativen wären einerseits ein objektivierender Maßstab, nach dem maßgeblich ist, wie schwer typischerweise bestimmte Übelszufügungen eingeschätzt werden; andererseits ein subjektiver Maßstab, der sich an der Schwereeinschätzung des konkret zu bestrafenden Täters orientiert. In anderen Worten, nach der letzteren Alternative würde das Strafmaß in jedem Fall von der subjektiven Strafempflndlichkeit des Angeklagten abhängen. In der deutschen Strafzumessungslehre und der Rechtsprechung ist die Bedeutung der Strafempfindlichkeit für die Gewichtung der Strafschwere weitgehend anerkannt262 . Dabei wird auf Henkels Differenzierung zwischen Strafempfindlichkeit, die das Maß der schuldangemessenen Strafe betreffe, und Strafempfanglichkeit, welche sich auf das spezialpräventiv Gebotene beziehe263 , zurückgegriffen. Es komme bei der Bemessung der schuldangemessenen Strafe nicht auf eine objektiv gleich schwere Strafe an, sondern darauf, daß das individuelle Strafleiden gleich sei264 . Bei der Berücksichtigung der Strafempfindlichkeit sei insbesondere auch auf die soziale Stellung des Angeklagten abzustellen265 . cc) Eine konsequent an der subjektiven Strafschwere ausgerichtete Strafzumessung würde auf Probleme stoßen. Das subjektive Erleben der Strafe ist einer forensischen Bewertung kaum zugänglich266 . Selbst unter optimalen Bedingungen stößt die Erfassung von Empfindungen auf Grenzen des adäquaten sprachlichen Ausdrucks und insbesondere auf Grenzen beim Einfühlen in die

262 BGHSt. 7,28,31; BGH MDR 1953, 147; StV 1983, 326; StV 1984, 190; StV 1992, 106; BGHR § 46 Abs. 1 Schuldausgleich 31; OLG Hamm NJW 1957, 1003; JR 1965,234; von Beling, Die Vergeltungsidee, S. 66; Zipf, Die StrafZumessung, S. 56 f; MaurachIGössel/Zipf, Strafrecht AT 2, § 63 Rn. 117 ff.; Bnms, Recht der StrafZumessung, S. 144, 196 ff., 205; Schünemann, in: ders. (Hrsg.), Grundfragen, S. 191; ders., in: Eser/Cornils (Hrsg.), Neuere Tendenzen, S. 227; Schönke/SchröderlStree, § 46 Rn. 54; Schäfer, FS für Tröndle, S. 396 ff.; ders., Praxis der StrafZumessung, Rn. 308; Müller-Dietz, FS ftlr Spendei, S. 428 ff.; LK-Gribbohm, § 46 Rn. 26; SK-Hom, § 46 Rn. 121; Laubenthai, NStZ 1998, 349. Ablehnend dagegen Streng, NStZ 1988,486 f; ders., Strafrechtliche Sanktionen, S. 210 f 263 Henkel, FS für Heinrich Lange, S. 179 f 264 Henkel, FS für Heinrich Lange, S. 182 f; MaurachIGössel/Zipf, Strafrecht AT 2, § 63 Rn. 118; Schäfer, FS für Tröndle, S. 396 f; ders., Praxis der StrafZumessung, Rn. 308. 265 Schäfer, FS für Tröndle, S. 398. 266 Streng, NStZ 1988,486; Müller-Dietz, FS für Spendel, S. 428.

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3. Teil: Die Theorie tatproportionaler Strafzumessung

Gefühlswelt eines anderen267 • Entsprechend schwierig ist es, im Rahmen der eingeschränkten Erkenntnismöglichkeiten des Strafverfahrens Aufschluß über die subjektive Bedeutung der zu verhängenden Strafe zu gewinnen. Selbst bei pekuniären Sanktionen würden sich Schwierigkeiten ergeben, wenn mit dem subjektiven Maßstab ernst gemacht würde. Die Bedeutung des Verlusts einer bestimmten Geldsumme ließe sich nur in Abhängigkeit vom persönlichen Lebenszuschnitt des Eigentümers beurteilen: Dem trägt das StGB zwar mit dem Tagessatzsystem bei der Geldstrafe (§ 40) in gewissem Maße Rechnung. Für eine an der subjektiven Strafempfindlichkeit orientierte Strafzumessung ist jedoch auch das Tagessatzsystem unzureichend, da die individuelle Bedeutung von materiellen versus immateriellen Werten unterschiedlich ist. Auch bei vergleichbarer finanzieller Ausgangslage ist das Gewicht einer Geldstrafe von persönlichen Präferenzen des Bestraften abhängii68 . Bei einer zu vollstreckenden Freiheitsstrafe würden sich ebenfalls Schwierigkeiten ergeben. Die objektiv exakt mögliche Vergleichbarkeit von Zeiteinheiten hat kein Korrelat auf der subjektiven Ebene. Zeiterfahrung und Zeitbewußtsein sind individuell unterschiedlich und von sozialen Vorprägungen abhängig. Hinzu kommt, daß sich das Zeiterleben unter dem Einfluß der im Strafvollzug verbrachten Zeit verändert269 . dd) Aus der Perspektive eines tatproportionalen Strafzumessungskonzepts stehen einer Versubjektivierung des Gewichts der Strafe weitere Bedenken entgegen. Die bei der Bewertung der Straftat mehrfach kritisierte Gewichtung der Täterpersönlichkeit würde über die "Hintertür" der Rechtsfolgenbewertung wieder auftauchen. Der Ungleichmäßigkeit der Strafzumessung würde dadurch Vorschub geleistet27o . Streng verwirft eine uneingeschränkte Berücksichtigung der Strafempfindlichkeit, da die Rechtseinbuße des Verurteilten allgemein als gerecht nachvollzogen werden müsse. Divergierende Strafmaße, die auf die individuellen Empfindlichkeiten der Bestraften Rücksicht nehmen, würden auf Unverständnis stoßen und deshalb die strafrechtliche Aufgabe der Normbestätigung verfehlen271 .

267 Zu den gleichgelagerten Problemen bei der Erfassung von Schuld vgl. Grasnick, Schuld, Strafe und Sprache, S. 75 ff. 268 Dies gesteht bereits Henkel, FS für Heinrich Lange, S. 183 f, ein: Eine gleich hohe Geldstrafe stelle für einen reichen Geizhals eine andere Belastung dar als für einen reichen Verschwender. Nach diesem Unterschied sei jedoch nicht zu differenzieren, S. 184 - es sei nur die "relative" Individualität zu berücksichtigen, S. 186. 269 Köberer, Iudex non calculat, S. 140 ff. 270 Streng, NStZ 1988,486. 271 NStZ 1988,486 f; ders., Strafrechtliche Sanktionen, S. 210 f Kritisch zur Rolle der Strafempfindlichkeit auch SK-Hom, § 46 Rn. 121.

4. Kapitel: Grundzüge einer tatproportionalen Strafzumessungstheorie

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Der Kern dieser Argumentation trifft auch zu, wenn man nicht der hinter Strengs Begründung stehenden Straftheorie der positiven Generalprävention anhängt. Da das sozialethische Werturteil an das Maß des Strafübels gekoppelt isen , ist die Gültigkeit dieser Werturteile273 gefährdet, wenn die Strafübel für vergleichbare Taten divergieren. Als Beispiel seien zwei Täter angeführt, die an derselben gravierenden Straftat in vergleichbarer Weise beteiligt waren. Von diesen beiden Tätern sei einer robust und durch vorangegangene Prägungen (etwa beim Militär) an eingeschränkte und fremdregulierte Lebensbedingungen gewöhnt, der andere dagegen wesentlich empfindlicher. Bei einer Bewertung ihres subjektiven Leidens durch eine Freiheitsstrafe ließen sich erhebliche Unterschiede im Strafmaß begründen. Die damit zwangsläufig verbundene Differenz im Unwerturteil ist jedoch nicht zu rechtfertigen. Sofern, wie vorgeschlagen274 , pauschal auf die soziale Stellung als relevantes Differenzierungskriterium abgestellt würde, käme der Makel einer Klassenjustiz als weiteres Problem hinzu275 . Aus diesen Gründen ist eine grundsätzlich auf einer typisierenden Betrachtungsweise beruhende Reihenordnung der Sanktionen vorzugswürdig. Dies schließt es nicht aus, in bestimmten Fallgruppen einer durch ungewöhnliche Umstände geprägten besonderen Strafempfindlichkeit Rechnung zu tragen276 . Entsprechende Ausnahmekonstellationen werden in Zusammenhang mit § 46 Abs. 1 S. 2 erörtert277 . b) Vergleich der Sanktionsschwere

aa) Vergleich von Sanktionen unterschiedlicher Art aaa) An dieser Stelle soll erörtert werden, wie eine Reihenfolge unterschiedlicher Sanktionsarten in bezug auf das jeweilige Gewicht des Strafübels erstellt werden kann. Dabei kann hier nur das Verhältnis der praktisch wichVgl. oben 3. Kap., 3 a. Hier liegt der Unterschied zur Theorie der positiven Generalprävention: Danach geht es nicht um die Gültigkeit, sondern um die Vennittelbarkeit dieses Werturteils. 274 Schäfer, FS für Tröndle, S. 398. 275 Kritisch deshalb Henkel, Festschrift für Heinrich Lange, S. 187; Streng, NStZ 1988,487; Terhorst, JR 1989, 187; Müller-Dietz, FS für Spendei, S. 430; Schäfer, FS für Tröndle, S. 398, problematisiert diese Gefahr selbst, ohne das Dilemma auszuräumen. Ebenso OLG Hamm NJW 1957, 1003, das dem kritischen Einwand der Klassenjustiz bei einer Bevorzugung von Tätern in gehobener sozialer Stellung entgegensetzt, bei dieser Personengruppe bestünde zwar eine erhöhte Strafempfmdlichkeit, die aber durch aus der Stellung resultierende soziale Pflichten kompensiert werden könne. 276 Im Ergebnis ähnlich auch Henkel, Festschrift für Heinrich Lange, S. 186 fT. 277 Vgl. unten 5. Teil, 2. Kap., 5. 272 273

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3. Teil: Die Theorie tatproportionaler Strafzumessung

tigsten drei Sanktionsarten erörtert werden, nämlich Geldstrafe, Freiheitsstrafe und Freiheitsstrafe mit Aussetzung zur Bewährung278 . Notwendig werden Überlegungen, weil sich der Anwendungsbereich der Sanktionsarten überlappt: Im deutschen Recht liegt das Mindestmaß der Freiheitsstrafe bei einem Monat (§ 38 Abs. 2), das Höchstmaß der Geldstrafe bei 360 Tagessätzen (§ 40 Abs. 1). Nicht gesetzlich geregelt ist dagegen, in welchem Spektrum sich die Sanktionen überschneiden, mit anderen Worten, welche Höhe einer Freiheitsstrafe gleich schwer wiegt wie eine bestimmte Geldstrafe. Die für die Anwendbarkeit eines tatproportionalen Strafzumessungskonzepts wichtige Frage, welche der in diesem Abschnitt zu erarbeitenden konzeptuellen Vorgaben den Rechtsfolgenbestimmungen des StGB widersprechen, wird nicht in diesem Abschnitt erörtert, sondern im nachfolgenden Kapitel über Problembereiche. Neben der notwendigen Differenzierung zwischen einer theoretisch begründeten SanktionenstafIelung und der Situation de lege lata ist eine weitere Unterscheidung wichtig. In diesem Abschnitt geht es darum, welche Sanktionen aus den unterschiedlichen Sanktionskategorien dasselbe Gewicht als Übelszufügung haben. Erst wenn eine solche Reihenordnung feststeht, läßt sich in einem zweiten Schritt feststellen, nach welchen Kriterien der Tatrichter entscheiden soll, welche von mehreren in Betracht kommenden, in der Schwere vergleichbaren Sanktionen zu wählen ist. Wenn die unterschiedlichen Sanktionsarten in ihrem Gewicht als Übelszufügung gleich schwer sind, hilft das Tatproportionalitätsprinzip bei der Wahl nicht weiter279 . bbb) Die grundsätzliche Bewertung der Sanktionsarten ist vergleichsweise einfach. Empirische Untersuchungen zu Einschätzungen von unterschiedlichen Strafarten in der Bevölkerung zeigen einen weitgehend bestehenden Konsens in diesem Punkt auf80 : Als allgemeine Richtlinie wiegt Geldstrafe deutlich weniger schwer als Freiheitsstrafe, da sie die Freiheitssphäre nur im Hinblick auf das Vermögen tangiert. Es dürfte unstrittig sein, daß die Aussetzung einer Freiheitsstrafe zur Bewährung, §§ 56 ff., weniger schwer wiegt als eine vollstreckbare Freiheitsstrafe. Soweit es jedoch um den Vergleich zweier konkret in Betracht kommenden Alternativen geht, wird die Sachlage komplizierter. Ist, um ein Beispiel anzuführen, eine Geldstrafe in Höhe von 180 Tagessätzen mit einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten, drei Monaten oder nur zwei Monaten vergleichbar? Wiegt eine ohne Auflagen oder Weisungen 278 Da eine vollständige Erörterung des gesamten Strafzumessungsrechts einschließlich aller de lege lata zu beachtenden Rechtsfolgenbestimmungen nicht möglich ist, kann weder auf den Spezialfall der Vermögensstrafe (§ 43 a) noch auf die Verwarnung mit Strafvorbehalt (§§ 59 ff.) oder das Absehen von Strafe (§ 60) eingegangen werden. Auch Nebenstrafen und Nebenfolgen (§§ 44, 45) bleiben außer Betracht. 279 Vgl. dazu unten 5. Teil, 2. Kap., 2. 280 Von Hirsch/Wasik/Greene, in: von HirschlAshworth (Hrsg.), Principled Sentencing, S. 377.

4. Kapitel: Grundzüge einer tatproportionalen Strafzumessungstheorie

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zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafe von sechs Monaten schwerer oder leichter als eine Geldstrafe von 180 Tagessätzen? ccc) Erste Prämisse für eine Rechtsfolgenskala ist, daß das Gewicht eines Tagessatzes bei der Geldstrafe nicht dem eines Tages Freiheitsstrafe entspricht. Mit einer Freiheitsstrafe sind häufig wegen der Unterbrechung einer angemessen bezahlten Erwerbstätigkeit ebenfalls finanzielle Konsequenzen verbunden, zusätzlich aber auch die vollständige Einbuße der Fortbewegungsfreiheit und ganz gravierende Einbußen bei der Entfaltungsfreiheit, Art. 2 Abs. 1 GG. Der in § 43 vorgesehene Umrechnungsmaßstab, nachdem bei einer uneinbringlichen Geldstrafe einem Tagessatz ein Tag Ersatzfreiheitsstrafe entspricht, ist deshalb hochproblematisch281 und kann jedenfalls nicht als allgemeine Richtlinie für die Vergleichbarkeit von Geld- und Freiheitsstrafen herangezogen werden. Höchstrichterliche Rechtsprechung und Teile der Strafzumessungslehre gehen trotzdem von einem 1: I-Verhältnis von Geld- und Freiheitsstrafe aus, wobei sie allerdings nicht die Freiheits- an der Geldstrafe ausrichten, sondern die Reihenfolge umkehren: Zur Bemessung einer Geldstrafe soll zuerst die Anzahl der Tage einer hypothetischen Freiheitsstrafe festgelegt werden und danach eine Umrechnung in Tagessätze erfolgen282 . Diese Methode hat den Vorteil, den dem Gewicht der Übelszufügung nicht entsprechenden 1:I-Umrechnungsmaßstab wenigstens zugunsten des Betroffenen anzuwenden und die praktischen Auswirkungen dadurch zu entschärfen. Damit wird jedoch die Problematik nicht aufgelöst. Der Normalfall der Verhängung einer Geldstrafe ist nicht die Verbüßung einer Ersatzfreiheitsstrafe. Wenn man die Geldstrafe an der Freiheitsstrafe bemißt, wird das Tatproportionalitätsprinzip in umgekehrter Richtung gefährdet, da dann die Zahl der Tagessätze zu niedrig angesetzt wird. Jede Variante der 1: I-Umrechnung vernachlässigt die ungleiche Belastung durch eine Geldstrafe und die alternativ in Betracht kommende Freiheitsstrafe. In der Literatur wird zur Gewichtung von Geld- und Freiheitsstrafe vorgeschlagen, daß einem Tag verbüßte Freiheitsstrafe zwei Tagessätze283 bzw. drei Tagessätze284 bei einer Geldstrafe entsprechen müßten. Da die unmittelbaren 281 So LK-Tröndle, § 43 Rn. 4 f.; Tröndle, § 43 Rn. 4: Die Ersatzfreiheitsstrafe könne nicht schuldangemessen sein; kritisch ebenfalls Schall, NStZ 1985, 106; JeschecklWeigend, Strafrecht AT, S. 776.; von Seile, Gerechte Geldstrafe, S. 100 ff. 282 BGHSt. 27, 70, 72; SK-Hom, § 40 Rn. 4 a; Schönke/Schröder/Stree, § 40 Rn. 4; offengelassen bei Schäfer, Praxis der Strafzumessung, Rn. 58. 283 So unter Hinweis auf den Modus zur Umrechnung von Geldstrafen in Ersatzfreiheitsstrafen im österreichischen Strafzumessungsrecht JeschecklWeigend, Strafrecht AT, S. 776. 284 BurgstallerlCsaszar, ÖJZ 1985, 419; H. -J. Albrecht, Strafzumessung bei schwerer Kriminalität, S. 335 f.

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3. Teil: Die Theorie tatproportionaler Strafzwnessung

Folgen einer Freiheitsstrafe für die Lebensgestaltung sehr viel tiefgreifender sind, ist eine 1:3-Gewichtung vorzugswürdig. Nur mit einer deutlichen Bewertung der Freiheitsstrafe als wesentlich schwereres Strafübel kann dem Gewicht des Verlustes aller räumlich-gegenständlichen, sozialen und emotionalen Bezugspunkte während der Inhaftierung Rechnung getragen werden. Für ein 1:3Verhältnis spricht außerdem, daß mit der Vollziehung einer Freiheitsstrafe auch für das zukünftige Leben katastrophale Folgen verbunden sein können, die unter Umständen wesentlich länger anhalten als es der eigentlichen Verbüßungsdauer entspricht. ddd) In bezug auf das Verhältnis von Geldstrafe zu einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe wird eine 1:2-Gewichtung vorgeschlagen285 . Auf den ersten Blick scheint die Einordnung der zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe als eine zwischen Geld- und vollstreckbarer Freiheitsstrafe anzusiedelnde mittelschwere Sanktion auch einleuchtend, da die über dem Verurteilten schwebende Drohung der Strafverbüßung ein erhebliches Gewicht hat. Auch die Praxis scheint von einem entsprechenden Schweregefälle auszugehen: Die statistische Verteilung von Strafen kann als Indiz für diese These herangezogen werden. Der prozentuale Anteil von Geldstrafen an allen Verurteilungen ist bei unterschiedlichen Delikten mit identischen gesetzlichen Strafrahmen stark deliktsspezifisch286 . Interessanterweise werden sich jedoch die Strafmaßentscheidungen sehr viel ähnlicher, wenn man den prozentualen Anteil von Geldstrafen und den Anteil von zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafen addiert287 . Wenn vergleichsweise weniger Täter zu Geldstrafen verurteilt werden, werden überproportional viele zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafen verhängt, während bei Delikten mit hohem Geldstrafenanteil vergleichsweise weniger Bewährungsstrafen gewählt werden. Interpretiert man diese Praxis in dem Sinne, daß bei etwas schwerwiegender eingestuften Delikten das Bedürfnis nach einer mittelschweren Sanktion besteht, so macht die Ausweitung des Anteils von Bewährungsstrafen bei Delikten mit geringerem Geldstrafenanteil Sinn. Analysiert man jedoch die Belastungssituation aus der Perspektive des Bestraften eingehender, wird fraglich, ob tatsächlich die Übelszufügung bei der Strafaussetzung zur Bewährung schwerer wiegt. Zwar ist mit dieser Sanktion das Risiko der Verbüßung verbunden, also das Risiko eines über die Geldstrafe H.-J. Albrecht, Strafzwnessung bei schwerer Kriminalität, S. 335 f. Vgl. etwa die Tab. 4, S. 140 ff. bei Götting, Strafzwnessungspraxis. Berechnet man auf der Basis der dort angegebenen Strafinaßverteilung den durchschnittlichen Geldstrafenanteil für alle Delikte und dann die durchschnittliche Abweichung von diesem Wert (vgl. Blalock, Social Statistics, S. 77 f.), ergibt sich eine durchschnittliche Abweichung von 12,65 % (ohne Verkehrsdelikte). 287 Dann beträgt die durchschnittliche Abweichung vom Mittelwert (vgl. die vorangegangene Fn.) nur noch knapp 4 %. 285

286

4. Kapitel: Grundzüge einer tatproportionalen Strafzumessungstheorie

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erheblich hinausreichenden Eingriffs. Andererseits ist aber bei erfolgreich verlaufener Bewährungszeit das Ausmaß der real erlittenen Beeinträchtigungen deutlich geringer als bei der Verurteilung zu einer Geldstrafe. In diesem Fall hatte der Verurteilte keinen greifbaren Verzicht zu leisten, da er seinen materiellen Lebensstandard ohne Einschränkungen beibehalten konnte. Deshalb erscheint insoweit eine 1: I-Gewichtung vertretbar288 : Eine Geldstrafe von 180 Tagessätzen entspricht damit in ihrer Schwere einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe von sechs Monaten. Dieses Verhältnis sollte allerdings anders beurteilt werden, wenn mit der Aussetzung der Freiheitsstrafe Auflagen oder Weisungen verbunden sind, die pekuniären Charakter haben oder in die Freiheit der Lebensführung eingreifen, etwa nach den §§ 56 b Abs. 2,56 c Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3. eee) Eine graphische Darstellung der Überlappungsbereiche der drei hauptsächlich verhängten Sanktionen würde unter diesen Vorgaben wie folgt aussehen: 5

I

30

I

90

180

360

Tagessätze Geldstrafe

3

6

12

Monate Freiheitsstrafe m. Bewährung

2

4

Monate Freiheitsstrafe o. Bewährung

I

I

I

I

I

I

I

I

Diese Abbildung zeigt einen nur geringfügigen Überlappungsbereich zwischen Geldstrafe und zu verbüßender Freiheitsstrafe. Nur wenn der Richter die Verhängung einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen in Betracht zieht, kommt alternativ auch die kürzeste zulässige Freiheitsstrafe von einem Monat (§ 38 Abs. 2) in Betracht. Der höchstmöglichen Geldstrafe von 360 Tagessätzen entspricht eine zu verbüßende Freiheitsstrafe von vier Monaten. Wenn die Freiheitsstrafe dagegen zur Bewährung ausgesetzt wird, beginnt der Überlappungsbereich bei Geldstrafen von 30 Tagessätzen. Eine ernsthaft das erhebliche Gewicht der Übelszufügung durch vollstreckbare Freiheitsstrafen berücksichtigende Strafzumessungslehre führt deshalb zwangsläufig zu einem eingeschränkten Anwendungsbereich dieser Sanktion, da die de lege lata in größerem Umfang bestehenden Überschneidungen der Strafarten weitgehend eliminiert werden. Für ein weites Deliktsspektrum kommt von vornherein nur die Verhängung einer Geldstrafe bzw. einer auszusetzenden Freiheitsstrafe in Betracht.

288

Burgstaller/Csaszar, ÖJZ 1985,419.

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3. Teil: Die Theorie tatproportionaler Strafzumessung

bb) Vergleich von Geldstrafen aaa) Soweit es um den Vergleich von Sanktionen derselben Sanktionsart geht, stellen sich bei einer typisierenden Betrachtungsweise auf den ersten Blick keine erheblichen Probleme. Bei der Geldstrafe ist im Prinzip von einer linearen Steigerung der Strafschwere bei steigender Tagessatzzahl auszugehen ist. Allerdings ensteht bei höheren Geldstrafen ein Problem, wenn man der herrschenden Meinung zur Bemessung der Tagessatzhöhe folgt. Diese interpretiert § 40 Abs. 2 S. 2 so, daß dem Täter grundsätzlich das gesamte an einem Tag zu erzielende Nettoeinkommen zu entziehen ise89 . Daraus ergibt sich eine progressive Steigerung des Strafübels, da dem Täter die lebensnotwendigen, etwa für Miete, Heizung und Essen erforderlichen Geldmittel fehlen und somit die Bezahlung der Geldstrafe immer schwieriger bis schließlich sogar unmöglich wird, da er in den wenigsten Fällen auf größere finanzielle Rücklagen ZUlÜckgreifen können wird290 . Auch eine Bewilligung von Ratenzahlungen (§ 42 ) ist kein hinreichender Ausweg: Wenn die Höhe der Raten auf ein realistisches, unter Berücksichtigung der mindestens erforderlichen Lebenshaltungskosten noch leistbares Maß begrenzt wird, wird zwangsläufig die reale Zeitdauer der Belastung untragbar weit über die mit den Tagessätzen an sich markierte zeitliche Belastungsgrenze hinausgeschoben291 . bbb) Die Notwendigkeit einer Korrektur ergibt sich aus der Logik der Verhängung einer pekuniären Sanktion, die verletzt wird, wenn die Abbüßung einer Ersatzfreiheitsstrafe bereits bei der Verurteilung als eigentliche Bestrafung feststeht. Die Grenze für ein lineares Anwachsen der Sanktionsschwere bei Geldstrafe wird etwa bei mehr als 90 Tagessätzen gezogen292, aber nur, wenn der Verurteilte keine Möglichkeit habe, seinen Lebensunterhalt aus dem zumutbaren Verkauf bzw. der Beleihung von Vermögensgegenständen zu dekken293 . Es werden zwei Lösungsansätze diskutiert: Zum einen wird das Problem bei der gesteigerten Strafempfindlichkeit des Täters verortet, die bei der Bestimmung der Anzahl der Tagessätze zu berücksichtigen see94 . Diese Einordnung überzeugt jedoch nicht: Gesteigerte Strafempfindlichkeit liegt dann vor, wenn aufgrund der individuellen Lebensumstände des Täters eine norma289 Vgl. LK-Tröndle, vor § 40 Rn. 17 ff.; Schönke/SchröderlStree, § 40 Rn. 8 f.; Streng, Strafrechtliche Sanktionen, S. 51; Schäfer, Praxis der Strafzumessung, Rn. 61; Heghmanns, NStZ 1994, 520; einschränkend SK-Hom, § 40 Rn. 6. 290 BGHSt. 26, 325, 331; LK-Tröndle, § 40 Rn. 57. 291 LK-Tröndle, § 40 Rn. 57; Schönke/SchröderlStree, § 40 Rn. 8; Heghmanns,

NStZ 1994, 520. 292 SK-Hom, § 40 Rn. 13; Tröndle, § 40 Rn. 24. 293 SK-Hom, § 40 Rn. 13. 294 Meyer, NJW 1976, 2219 f.; Vogler, JR 1978, 354 ff.; MaurachIGössel/Zipf, Strafrecht AT 2, § 59 Rn. 38; Heghmanns, NStZ 1994,521 ff.

4. Kapitel: Grundzüge einer tatproportionalen Strafzumessungstheorie

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lerweise angemessene Strafe unangebracht ist. Hohe Geldstrafen sind jedoch problematisch, weil sich ein strukturelles Problem auswirkt, das in allen Fällen hoher Geldstrafen in gleicher Weise auftritt, wenn man dasNettoeinkommenssystem in traditioneller Weise interpretiert. Aus der Perspektive einer tatproportionalen Strafzumessungslehre stößt eine Anpassung der Anzahl der Tagessätze auf den Einwand, daß damit der durch die Tagessatzzahl herstellbare Bezug zur Tatschwere aufgegeben wird - unnötigerweise, weil eine progressive Steigerung des Strafübels auch durch Korrekturen bei der Tagessatzhöhe kompensiert werden kann. Diese Lösung wird von der überwiegenden Ansicht in Lehre und Rechtsprechung vertreten295 . Da § 40 Abs. 2 S. 2 vorsieht, daß bei der Festsetzung eines Tagessatzes in der RegeP96 vom Nettoeinkommensprinzip auszugehen ist, ergibt sich die Zulässigkeit von Abweichungen nach unten für Geldstrafen mit hoher Tagessatzzahl. ccc) Überzeugender als die herrschende Meinung ist allerdings der Ansatz von von Seile, der das Problem der progressiven Steigerung des Strafübels nicht durch eine Ausnahmeregelung für hohe Geldstrafen angeht, sondern grundsätzlicher durch modifizierte Maßstäbe für die Bemessung der Tagessatzhöhe in allen Fällen. Von Seile will eine proportionale Bestrafung erreichen, indem das Strafübel im Konsumverzicht gemessen wird. Zur Gewährleistung dieses Maßstabs soll der notwendige Eigenunterhalt von vornherein von der Tagessatzhöhe abgezogen werden. Damit wird verhindert, daß Minderbemittelte durch den Entzug des gesamten Nettoeinkommens über einen längeren Zeitraum als Besserverdienende Konsumverzicht leisten müssen, was nach der traditionellen Auslegung der Fall ise97 . Der notwendige Eigenunterhalt soll am Existenzminimum orientiert werden298 . Der Abzug des existenznotwendigen Eigenunterhalts hat zur Konsequenz, daß auch hohe bzw. sehr hohe Geldstrafen bis zur Maximalgrenze von 360 Tagessätzen (§ 40 Abs. 1 S. 2) als Ratenzahlungen (§ 42) tatsächlich erbringbar sind, da eine starke Einschränkung des individuellen Konsumverhaltens auch über einen längeren Zeitraum möglich und zumutbar ist, während der vollständige Ausgabenverzieht offensichtlich unmöglich ist.

295 BGHSt. 26, 325, 331; 34, 90, 93; OLG Düsseldorf StV 1987, 489; LK-Tröndle, § 40 Rn. 57; Tröndle, § 40 Rn. 24; Frommel, NJW 1978, 862; Schönke/SchröderlStree, § 40 Rn. 15 a; Streng, Strafrechtliche Sanktionen, S. 52; SK-Hom, § 40 Rn. 13; Lackner, § 40 Rn. 13; Schäfer, Praxis der Strafzumessung, Rn. 66; JeschecklWeigend, Strafrecht AT, S. 773. Kritisch Grebing, ZStW 88 (1976),1089 ff. 296 Hervorhebung nicht im Gesetzestext. 297 von Seile, Gerechte Geldstrafe, S. 131 ff. 298 von Seile, Gerechte Geldstrafe, S. 133 ff.

176

3. Teil: Die Theorie tatproportionaler Strafzumessung

Aus der hier vertretenen Perspektive, die den Überschneidungsbereich von Geld- und Freiheitsstrafe einschränkt und deshalb zu einer Aufwertung von hohen Geldstrafen als Reaktion auch im Bereich der mittel schweren Kriminalität führt 299, ist dieser Ansatz vorzugswiirdig, da zu hoffen ist, daß damit der faktischen Zurückhaltung der Praxis bei hohen Geldstrafen entgegengewirkt werden kann. Der überwältigenden Mehrheit aller verhängten Geldstrafen liegt eine Verurteilung zu weniger als 90 Tagessätzen zugrunde, während weniger als 1 % der Geldstrafen mehr als 180 Tagessätze umfassen300 . Die in auff"alligem Maße fehlende Bereitschaft, das Spektrum möglicher Geldstrafen auszuschöpfen, dürfte auch auf die Einsicht der Tatrichter zurückzuführen sein, daß die Abschöpfung des gesamten Nettoeinkommens bei höheren Geldstrafen erdrosselnde Wirkung hat und die von der obergerichtlichen Rechtsprechung für notwendig erachtete Herabstufung der Tagessatzhöhe das Problem nur korrigiert, nicht aber an der Wurzel beseitigt. Von Seile weist auch zu Recht darauf hin, daß § 40 Abs. 2 S. 2 einer grundsätzlich am Konsumverzicht als Strafübel ausgerichteten Bemessungsgrundlage nicht entgegensteht: In der sozialen Realität ist das vom Täter erzielte Nettoeinkommen der wichtigste Anhaltspunkt für sein Konsumverhalten und der Wortlaut verlangt, daß vom Nettoeinkommen ausgegangen wird, was nicht ausschließt, von diesem Ausgangswert Abzüge vorzunehmen30I . Da die Abzüge für das Existenzminimum für alle Bestraften gleich sind, ist es die Höhe des Nettoeinkommens, die die jeweils angemessene Tagessatzhöhe determiniert dies entspricht der Gesetzesformulierung.

ce) Vergleich von Freiheitsstrafen aaa) Bei Freiheitsstrafen wird in der Literatur von einer progressiven Steigerung des Strafübels ausgegangen302 . Danach müßte die Rechtsfolgenskala so ausgestaltet werden, daß bei längeren Freiheitsstrafen die Abstände nicht mehr linear sind, sondern bei zunehmender Straflänge zur Kompensation des progressiv anwachsenden Strafübels gemildert wird. Die Annahme einer progressiven Steigerung des Strafübels wird teilweise mit großer Selbstverständlichkeit und ohne Begründung als richtig vorausgesetzt303 . Zur Wirkung län-

Vgl. oben aa eee. Statistisches Bundesamt, Fachserie 10, Reihe l, S. 24 f. (1995). 301 In: Gerechte Geldstrafe, S. 219 fT. 302 Rolinski, Prägnanztendenz im Strafurteil, S. 94; Frank, NJW 1977, 686; Maurach/Gössel/Zipf, Strafrecht AT 2, § 59 Rn. 38; Bergmann, Milderung der Strafe, S. 29; SK-Hom, § 46 Rn. 86; Götting, Strafzumessungspraxis, S. 58. 303 Vgl. etwa SK-Hom, § 46 Rn. 86. 299

300

4. Kapitel: Grundzüge einer tatproportionalen Strafzumessungstheorie

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gerer Freiheitsstrafen gibt es allerdings auch eine genau entgegengesetzte These: Diese bezieht sich auf das WeberlFechnersche Gesetz, demgemäß mit einem gleichen Reizzuwachs bei steigender Intensität des Primärreizes nicht eine entsprechende Steigerung der Empfindung einhergeht. Von dieser Prämisse ausgehend, müßte das bei linearer Bemessung angebrachte Strafmaß erhöht werden, da mit zunehmender Strafdauer ein Gewöhnungs- oder sogar Abstumpfungsprozeß einsetze304 . bbb) Eine Entscheidung zwischen den gegensätzlichen Hypothesen über die Wirkungen langer Haftstrafen ist nur auf erfahrungswissenschaftlicher Basis möglich. Die progressive Strafwirkung längerer Freiheitsstrafen ist mit psychischen oder psychosomatischen Schädigungen nachzuweisen. Am gründlichsten erforscht ist die Situation der zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilten Strafgefangenen. Während früher häufig von einem verallgemeinerbaren, phasenweise verlaufenden Schädigungsbild ausgegangen wurde 305 , hat sich die Beurteilung durchgesetzt, daß ein uniformer Verlauf nicht festgestellt werden kann: Die Haftwirkung wird von einer Vielzahl von Variablen beeinflußt, zu denen unter anderem die Persönlichkeit des Gefangenen, der soziale Werdegang vor der Haft und die unterschiedliche Haftgestaltung gehören306 . Ob unter Berücksichtigung des individuell unterschiedlichen Haftverlaufs die Aussage berechtigt ist, daß längere Inhaftierungszeiten zu einer Schädigung der Gefangenen führen, ist umstritten. Nach einer verbreiteten Ansicht sind psychische Schädigungen als typische Folge einer längeren Inhaftierung nicht nachweisbar307 • Jedoch muß der Befund, daß sich mit den Standardinstrumenten psychologischer Begutachtung keine dauerhaften Persönlichkeitsverformungen mit statistischer Signifikanz nachweisen lassen, nicht notwendigerweise die Unbedenklichkeit längerer Inhaftierungszeiten bedeuten308 . Von den in Strafvollzugsanstalten tätigen Praktikern, die einen qualitativ anderen Einblick in das Erleben von Langzeitgefangenen haben, sind die mit 304 So Grassberger, Die Strafzumessung, S. 78 fI.; Haag, Rationale Strafzumessung, S. 76; Lampe, GS für Noll, S. 241 f; Fahl, Bedeutung des Regeltatbildes, S. 189. 305 So etwa Liepmann, Gutachten zum 3l. DIT 1912: Wiedergabe des von ihm aufgestellten Phasenmodells in BVerfGE 45, 230 f 306 Vgl. Röhl, Lebenslange Freiheitsstrafe, S. 185; European Comittee on Crime Problems, Bericht vom 13. August 1975: Ergebnisse mitgeteilt in BVerfGE 45, 187, 234; Konrad, in: JungIMüller-Dietz (Hrsg.), Langer Freiheitsentzug, S. 125. 307 Gutachten von Bresser und Rasch im Verfahren um die Verfassungswidrigkeit der lebenslangen Freiheitsstrafe, BVerfGE 45, 187, 207 f und 210 f; Konrad, in: JungIMüller-Dietz, Langer Freiheitsentzug, S. 128 ff. m.w.Nwen. anderer Untersuchungen S. 127; Flanagan, in: JohnsonIToch (Hrsg.), Pains of Imprisonment, S. 116 m.w.Nwen. 308 Zu den methodischen Problemen von psychologischen Querschnittsuntersuchungen, die für die Ergebnisse verantwortlich sein könnten, vgl. Konrad, in: JungIMüllerDietz, Langer Freiheitsentzug, S. 127 f

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3. Teil: Die Theorie tatproportionaler Strafzumessung

langen Vollzugszeiten verbundenen negativen psychischen bzw. psychosomatischen Folgen bekräftigt worden309 . Die nicht eindeutige Beweislage hat das Bundesverfassungsgericht in der Entscheidung zur Verfassungsmäßigkeit der lebenslangen Freiheitsstrafe zu der Schlußfolgerung bewogen, daß "nach einer mit den bisher vorliegenden Erkenntnissen noch nicht abschließend zu konkretisierenden Haftzeit in manchen Fällen deformierende Persönlichkeitsveränderungen in der Haft befürchtet werden müssen,,3l0. Da die Gefahr von schädlichen Effekten einer Langzeit-Inhaftierung mit den vorliegenden Erkenntnissen jedenfalls nicht ausgeschlossen werden kann, ist es auch im Bereich der Strafzumessung geboten, insoweit von einer progressiven Steigerung des Strafübels auszugehen. Als Annäherungswert für eine progressive Wirkung des Strafübels sind zunächst Freiheitsstrafen von mehr als 10 Jahren vorzuschlagen. Bei sehr langen Strafen dürften sich die Auswirkungen den bei lebenslangen Freiheitsstrafen annähern3ll . ccc) Aber auch bei Freiheitsstrafen unter 10 Jahren ist eine progressive Wirkung des Strafübels unter Hinweis auf empirische Untersuchungen begründbar. Ein wesentlicher Grund hierfür sind typische Auswirkungen einer längeren Inhaftierung auf die sozialen Beziehungen des Strafgefangenen: Die Wahrscheinlichkeit, daß Außenkontakte die Haftzeit überstehen, nimmt bei längerer Haftdauer rapide ab, woraus sich charakteristische Unterschiede der Situation von Kurz- und Langzeitinhaftierten ergeben312 . Diese Problematik prägt nicht nur die Situation nach der Haftentlassung, sondern bereits das Leiden während des Vollzugs313 . Zusätzlich zu drohenden Verlusten im Bereich sozialer Kontakte ist das Straferleben von Langzeitinhaftierten durch das Gefühl der Unbestimmtheit der Verbüßungsdauer typischerweise gesteigert3l4 . Bei Freiheitsstrafen von über fünf Jahren kann man davon ausgehen, daß die Zeitspanne der Verbüßung für den Gefangenen nicht mehr überschaubar ist und die Strafe deshalb aus seiner Perspektive den Charakter des Unbefristeten annimme l5 . ddd) Aus diesen Befunden ergibt sich für die Rechtsfolgenskala des hier vorzustellenden Strafzumessungskonzepts folgendes: Bei Freiheitsstrafen von über fünf Jahren ist von einer progressiven Steigerung des Strafübels auszuge309 Vgl. die Gutachten von Einseie und Stark, BVerfGE 45, 187,208 fI.; außerdem auch P.-A. Albrecht, Zur sozialen Situation entlassener ,,Lebenslänglicher", S. 345 ff. 310 BVerfGE 45, 187,237. 311 Dies steht natürlich unter dem Vorbehalt von neueren Erkenntissen. 312 Flanagan, in: Johnsonffoch (Hrsg.), Pains oflmprisonment, S. 118. 313 Flanagan, in: Johnsonffoch (Hrsg.), Pains oflmprisonment, S. 118 f.; Schaffner, Einstellung und Befinden von Inhaftierten, Tab. 15 S. 51. 314 Flanagan, in: Johnsonffoch (Hrsg.), Pains oflmprisonment, S. 121 f. 315 Röhl, Über die lebenslange Freiheitsstrafe, S. 115.

5. Kapitel: Problembereiche einer tatproportionalen StrafzwnessWlgslehre

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hen, weshalb ab dieser Strafhöhe mit wachsender Tatschwere nicht mehr eine lineare Erhöhung der Freiheitsstrafen erfolgen sollte. Bei Freiheitsstrafen von über zehn Jahren kommt als weiterer, zusätzlich zu berücksichtigender Faktor die Gefahr von Persönlichkeitsveränderungen hinzu. Deshalb ist in diesen Fällen eine weitere Abmilderung vorzunehmen.

5. Kapitel: Die Problembereiche einer tatproportionalen Strafzumessungslehre 1. Die Praxis der Strafverfolgung a) Verurteilungen nur bei einem Bruchteil aller Straftaten

aa) Die theoretische Rechtfertigung des Tatproportionalitätsprinzips ist mit den vorangegangenen Abschnitten abgeschlossen. Für eine Umsetzung dieser Erwägungen muß ein tatproportionales Strafzumessungsmodell allerdings auch dahingehend hinterfragt werden, ob es mit den Rahmenbedingungen der Strafpraxis vereinbar ise l6 . Ein grundlegender Einwand gegen ein sich um gerechte Verteilungskriterien bemühendes Strafzumessungskonzept wird aus den Ergebnissen der Dunkelfeldforschung abgeleitet: Da der Großteil aller begangenen Vergehen und Verbrechen nicht strafrechtlich verfolgt wird, sei es vermessen, sich bei der Bestrafung der wenigen mit dem Etikett der gerechten Bestrafung zu schmücken317 . Die Prämisse dieser Kritik ist unbestreitbar: Nur ein Teil der tatsächlich begangenen Straftaten gelangt zur Kenntnis der Strafverfolgungsorgane bzw. nur ein Teil der Täter kann bei den bekannt gewordenen Delikten ermittelt werden318 . Es ist auch einzuräumen, daß ein auf positive Generalprävention setzendes Strafkonzept den Vorzug des harmonischen Zusammenspiels von straftheoretischem Hintergrund und Verfolgungsrealität aufzuweisen hat3l9 . Aus dieser Perspektive kommt gerade der unterbliebenen Aufdeckung der Ubiquität von Normbrüchen eine systemstabilisierende Wir-

H.-J. Albrecht, StrafzwnessWlg bei schwerer Kriminalität, S. 55. Wolf, VerhütWlg oder VergeltWlg, S. 80; Dencker, GS für Annin Kaufmann, S. 450; Arzt, FS für Stree Wld WesseIs, S. 56. 318 Zum "Trichtermodell", d.h. zur graphischen DarstellWlg der Dunkelzifferproblematik Wld der abnehmenden Zahl der erfaßten Personen vgl. Kerner, in: Kaiser u.a. (Hrsg.), Kleines Kriminologisches Wörterbuch, Stichwort Kriminalstatistik; zu DWlkelfeldforschWlg Wld AnzeigeverhaltenEisenberg, Kriminologie, §§ 16,26. 319 Schanemann, in: Eser/Cornils (Hrsg.), Neuere Tendenzen, S. 228 ff.; Freund, GA 1995,12 ff. 316

317

12*

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3. Teil: Die Theorie tatproportionaler Strafzumessung

kung zu; nach Popitz handelt es sich um die "Präventivwirkung des Nichtwissens,,320. bb) Aber auch eine tatproportionale Strafzumessungstheorie scheitert nicht an der Unmöglichkeit, auf alle begangenen Straftaten mit einem Unwerturteil zu reagieren. Anders als das Konzept der Schuldvergeltung basiert eine tatproportionale Strafzumessung nicht auf der Durchsetzung einer metaphysisch gedachten Gerechtigkeitsidee. Vielmehr beziehen sich die Regeln der Bemessung von strafrechtlichem Tadel auf systeminterne Verteilungsvorgänge. Diese Verteilungsregeln setzen voraus, daß die Systemschwelle bereits passiert worden ist. Von den vorgeschalteten Mechanismen, die bestimmen, wie ein bestimmtes Geschehen bis zum Punkt strafrechtlicher Verfolgung gelangt, werden die Verteilungsprinzipien nicht beeinflußt.

b) Einstellungen und Absprachen im Strafverfahren

aa) Eher ins Mark der Rechtfertigung tatproportionaler Strafzumessung können dagegen Einwände treffen, die darauf verweisen, daß Ermittlungs- und Hauptverfahren in einer Weise durchgeführt werden, die mit dem Ideal einer am Unwert der Tat orientierten Sanktionierung nicht in Einklang zu bringen ise 21 . Die Zahl der Strafverfahren, die mit einer Verurteilung des Angeklagten enden, ist seit einiger Zeit im Abnehmen begriffen. Statt dessen ruckt die Entscheidungskompetenz der Staatsanwaltschaft in den Mittelpunkt, wobei sowohl Einstellungen nach § 153 als auch nach § 153 a StPO mit zunehmender Tendenz Verfahren beenden322 . Auch die Zahl der gerichtlichen Einstellungen nimmt ZU323. Problematisch wird der zunehmende Anteil von informellen Sanktionen bzw. einer Beendigung des Prozeßes ohne strafrechtlichen Tadel, wenn die Entscheidungsbasis unrechtsunabhängige Erwägungen sind. Auch wenn zumindest teilweise die Staatsanwaltschaft Einstellungen auf ähnliche Kriterien wie die richterliche Strafmaßentscheidung stütze24 , ist im Ergebnis unstreitig, Popitz, Präventivwirkung des Nichtwissens. So Giehring, in: Pfeiffer/Oswald (Hrsg.), Strafzumessung, S. 96; Blankenburg, in: Pfeiffer/Oswald (Hrsg.), Strafzumessung, S. 127 f. 322 Feltes/JanssenlVoß, in: KernerlKury/Sessar (Hrsg.), Deutsche Forschungen, S. 872 ff.; Heinz, in: Jehle (Hrsg.), Individualprävention und Strafzumessung, S. 97 ff.; Schöch, Gutachten zum 59. DIr, C 33 f., Tab. 11 C 127; Eisenberg, Kriminologie, § 27 Rn. 91. 323 Feltes/JanssenlVoß, in: KernerlKury/Sessar (Hrsg.), Deutsche Forschungen, S. 872 ff.; Terdenge, Strafsanktionen, S. 60. 324 BlankenburglSessarlStefJen, Die Staatsanwaltschaft, S. 161; Heinz, in: Jehle (Hrsg.), Individualprävention und Strafzumessung, S. 116. 320

321

5. Kapitel: Problembereiche einer tatproportionalen Strafzwnessungslehre

181

daß bei den §§ 153, 153 a StPO präventionsorientierte und verfahrensökonomische Überlegungen eine entscheidende Rolle spielen325 . Im amerikanischen Rechtskreis wird die absichtliche Umgehung von Strafzumessungsrichtlinien durch Staatsanwälte kritisiert, die Verfahren einstellen oder zusammenfassen bzw. das Geschehen in bewußter Abweichung von der Rechtslage einstufen326 . Auch im deutschen Strafverfahren lassen sich in dem von der Staatsanwaltschaft beherrschten Verfahrensabschnitt Einbruchstellen aufzeigen, bei denen deutlich ist, daß die Erledigungsstrategien nicht einer an der Tatschwere orientierten Reaktion entsprechen. Bei den staatsanwaltschaftlichen Entscheidungen lassen sich in gleicher Weise wie bei den richterlichen regionale Unterschiede ausmachen, etwa bei der in den einzelnen Bundesländern unterschiedlichen Praxis bezüglich der Festlegung von Mengengrenzwerten bei Betäubungsmitteldelikten327 . bb) Soweit es zu einer Hauptverhandlung kommt, wird die mittlerweile auch im deutschen Strafverfahren anzutreffende Praxis des ausgehandelten Strafmaßes ("plea bargaining,,)328 aus der Perspektive eines an Tatproportionalität orientierten Sanktionsideals problematisch. Zwar verlangt der BGH, daß eine Verständigung im Strafverfahren nicht "den Boden der schuldangemessenen Strafe" verlassen dürfe 329 . Eine strafmildernde Berücksichtigung des Geständnisses sei zwar zulässig, dürfe aber, so der BGH ausdrücklich, nicht zu einem Strafmaß führen, das dem Unrechtsgehalt der Tat nicht gerecht werde330 . Auf den ersten Blick scheint es daher, als sei es dem BGH ein Anliegen, eine tatproportionale Strafzumessung in einer zunehmend von Absprachen geprägten Verfahrenspraxis durchzusetzen. Tatsächlich ist jedoch die Problematik nicht schlicht mit dem Postulat zu entschärfen, Absprachen seien zulässig, müßten jedoch den Unrechtsgehalt der Tat respektieren. Die notwendigen Interaktionsbedingungen der an Absprachen Beteiligten kollidieren nämlich unausweichlich mit diesen hehren Grundsätzen. Es bedarf eines gewichtigen Anreizes für den Angeklagten, um diesen zu einer Aufgabe der Verteidigungsposition durch ein Geständnis zu bewegen. Mit einer unbedeutenden Strafmilderung dürfte in den meisten Fällen die Geständnisbereitschaft nicht hervorzu325 Giehring, in: Pfeiffer/Oswald (Hrsg.), Strafzwnessung, S. 96; Hirsch, GS für Hilde Kaufmann, S. 161; vgl. auch KleinknechtIMeyer-Goßner, § 153 Rn. 7, zur präventiven Komponente bei der Einstellung wegen geringer Schuld. 326 Savelsberg, in: KaiserlKury/Albrecht (Hrsg.), Kriminologische Forschung, S. 290 f. 327 Eisenberg, Kriminologie, S. 94 ff. 328 Vgl. Schünemann, Gutachten zum 58. DIT, B 17 ff.; Siolek, Verständigung in der Hauptverhandlung; BussmannlLüdemann, Klassenjustiz oder Verfahrensäkonomie? sowie BVerfG NJW 1987,2662; BGHSt. 43,195. 329 BGHSt. 43, 195, 208. 330 BGHSt. 43, 195, 208 f.

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3. Teil: Die Theorie tatproportionaler Strafzumessung

rufen sein. Eine für den Angeklagten spürbare Strafmilderung bedeutet jedoch zwangsläufig, daß damit das Strafmaß dem Unrecht der Tat nicht mehr entspricht. Es bedarf nicht einmal der Erörterung, ob die Vorstellung des BGH, daß ein aus verfahrenstaktischen Gründen abgegebenes Geständnis strafmildernde Bedeutung habe33!, grundsätzlich einen überzeugenden Kern hat. Eine den Angeklagten tatsächlich zu einem Geständnis bewegende wesentliche Milderung könnte man nämlich in keinem Fall vertreten. Nur mit einer bewußt vage gehaltenen Vorstellung von der schuldangemessenen Strafe ist diese Rechtsprechung vereinbar. Bei einem ernsthaften Bemühen um eine unrechtsorientierte Strafe führt kein Weg an der Kollision mit abgesprochenen Strafmilderungen vorbei. Wenn aber gegen manche Täter eine ausgehandelte Strafe verhängt wird, die nicht dem Tatunwert entspricht, können Zweifel geltend gemacht werden, ob das Bemühen um eine gerechte Strafe für die in einem konventionellen Verfahren abgeurteilten Angeklagten noch sinnvoll ist332 . cc) Die Realität der Strafverfahren wirft deshalb in der Tat ein problematisches Licht auf einen allzu unbekümmerten Umgang mit der Bezeichnung "gerecht" bezüglich einer verhängten Strafe. Sie nötigen jedoch nicht zu der radikalen Schlußfolgerung, daß das Projekt einer tatproportionalen Strafzumessung aufgegeben werden sollte. Bis zu einer bestimmten Schwelle sind Abweichungen von einem prinzipiell als angemessen anerkannten Verteilungsprinzip hinzunehmen, die auf Schwierigkeiten bei der praktischen Durchsetzung desselben beruhen. Nicht vollständig umsetzbare Grundsätze aufzugeben, verschlimmert mangels eines besseren Verteilungskriteriums die Situation333 . Allerdings ist den Kritikern zuzugestehen, daß diese Argumentation entscheidend an Kraft verliert, wenn sich das Regel-Ausnahme-Verhältnis umkehrt. Wenn sich die Gesamtstruktur der Praxis von der Leitidee einer formellen Sanktionierung als Endprodukt einer ohne Strafmaßabsprachen durchgeführten Hauptverhandlung verabschiedet, wäre in der Tat eine selektivpunktuelle Anwendung des Tatproportionalitätsprinzips in einigen wenigen Strafverfahren kaum mehr legitimierbar. Für den Zusammenhang von Strafzumessungstheorie und Strafverfahrensprinzipien gilt ähnliches, was bereits oben zum Zusammenhang von Kriminalisierungs- und Straftheorie gesagt wurde. Die Praxis staatlicher Strafverfolgung kann nicht segmentweise ge-

33! 332

BGHSt. 43,195,209. Zu dieser Problematik auch Jung, Sanktionensysteme und Menschenrechte, S.

~ff

.

Krauß, in: Pfeiffer/Oswa1d (Hrsg.), Strafzumessung, S. 136, verweist darauf, daß die Unberechenbarkeit der Strafverfolgung und Strafzumessung im Sinne der Systemstabilisierung funktional sein könne. Für konkret Betroffene dürfte diese Beobachtung 333

zynisch wirken.

5. Kapitel: Problembereiche einer tatproportionalen Strafzumessungslehre

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rechtfertigt werden. Vielmehr ist eine Begründung einzelner Bestandteile auf ein insgesamt konsistentes Konzept und auf eine dementsprechende Praxis angewiesen.

2. Wandel der Wertigkeit von Gütern a) Die Feststellung der Schwere einer Straftat ist, wie oben ausgeführt, nicht in universal gültiger Fonn möglich, sondern nur als kultur- und zeitspezifische Bewertung: Maßgeblich ist die relative Bedeutung der verletzten Güter und Interessen im jeweiligen gesellschaftlichen Kontext. In gleicher Weise ist auch die nächste Stufe der Strafzumessung, auf der die Maßstäbe zur Bestimmung des numerischen Strafmaßes auszuarbeiten sind, von allgemein für gültig erachteten Wertmaßstäben abhängig. Die Veränderlichkeit dieser Wertentscheidungen kollidiert zwangsläufig mit der Idealvorstellung eines durchgängig am Tatproportionalitätsprinzip ausgerichteten Strafzumessungssystems. Man stelle sich vor, die Bewertung der Straftaten erfolge nur nach der Unwertigkeit der Tat und es sei ein Konsens darüber erzielt worden, wie die Tatschwereskala mit der Skala der Rechtsfolgen verankert werden solle. Ein solches Strafzumessungssystem wäre vollkommen statisch. Jede Abweichung durch einen einzelnen Richter würde in diesem Einzelfall mehr oder weniger Tadel aussprechen als es dem ausbalancierten Gesamtsystem entspräche. b) Es besteht Einigkeit darüber, daß ein geschlossenes System der Strafzumessung, das sich gewandelten gesellschaftlichen Anschauungen über die Wertigkeit von Gütern oder das adäquate Gesamtstrafniveau verschließen würde, untragbar wäre334 . Das Problem stellt sich, wie die notwendige Anpassung erfolgen kann. Eine Möglichkeit bestünde darin, in periodischen Zeitabständen die Angemessenheit der zugrunde liegenden Bewertungen zu überprüfen und in der Zwischenzeit am Prinzip des Nicht-Abweichens im Einzelfall festzuhalten. Dieser Gedanke ist jedoch von großer Künstlichkeit. Wer sollte diese Festsetzungen treffen? Die dezentrale Struktur der tatrichterlichen Rechtsprechung macht eine systematisch betriebene, allgemeine Konsensfindung auf dieser Ebene schwierig. Die höchstrichterliche Rechtsprechung entscheidet reaktiv, d.h. in Abhängigkeit von vorangegangenen tatrichterlichen Entscheidungen. Eine vorausschauende Reflexion der Notwendigkeit, bisher anerkannte Gewichtungen zu modifizieren, ist Aufgabe der Strafzumes334 Blankenburg und W. Hassemer, in: Pfeiffer/Oswald (Hrsg.), Strafzwnessung, S. 73 f; Giehring, in: Pfeiffer/Oswa1d (Hrsg.), Strafzumessung, S. 116, 121; Krauß, in: Pfeiffer/Oswa1d (Hrsg.), Strafzwnessung, S. 136 f; Schüler-Springorum, Krimina1politik für Menschen, S. 66; Jung, Sanktionensysteme und Menschenrechte, S. 204 f, 206; Horstkotte, in: Jehle (Hrsg.), Individualprävention und Strafzumessung, S. 160.

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3. Teil: Die Theorie tatproportionaler StrafzumessWlg

sungswissenschaft. Jedoch ist die Vorstellung lebensfremd, alle Tatrichter würden sich mit der Berücksichtigung gewandelter Anschauungen zurückhalten, bis Konsens über neue Bewertungskriterien erzielt worden ist. c) Die Transformation von gesellschaftlichem Wandel in die Rechtsprechungspraxis kann nur durch eine unsystematische und diffuse Einsickerung stattfinden. Änderungsprozesse beginnen allmählich und erstrecken sich über längere Zeitspannen. Sie werden notwendigerweise durch einzelne Entscheidungen von Richterpersönlichkeiten eingeleitet, die insoweit eine Pionierrolle übernehmen müssen335 . Solche innovativen Entscheidungen müssen zu ihrer Zeit gerade in einem idealtypisch-tatproportionalen Strafzumessungssystem als befremdliche Abweichungen erscheinen. Es gibt keinen Weg, dieses Dilemma zu eliminieren: Ein bei einer Querschnittsbetrachtung angemessenes, tatproportionales Strafzumessungssystem steht einer dynamischen Längsschnittsentwicklung grundsätzlich entgegen und umgekehrt. Ein Kritiker des Tatproportionalitätsprinzips könnte einwenden, daß es sich dabei um die Schwachstelle handelt, die letztlich das gesamte Gedankengebäude zum Einsturz bringt. Die Problematik kann jedoch durch die Aufforderung an die Tatrichter entschärft werden, die für erforderlich gehaltenen Anpassungen erstens behutsam vorzunehmen, d.h. nur graduelle Abweichungen in Erwägung zu ziehen, und außerdem die Abweichung zu begründen. Eine diffuse Theorie wie die Spielraumtheorie hat den Nachteil, daß ein möglicherweise auf der Herstellungsebene relevanter Anschauungswandel nicht angesprochen wird, sondern im Konzept des Schuldrahmens untergeht. Die Offenlegung geänderter Bewertungsmaßstäbe erlaubt dagegen die Diskussion über die Richtigkeit der Prämissen. Wenn diese Bedingungen eingehalten werden, stellt eine Abweichung kein derart gravierendes Problem für ein tatproportionales Strafzumessungsrecht dar, daß deshalb die Theorie insgesamt aufzugeben wäre.

3. Die gesetzlichen Strafrahmen im deutschen Recht a) Lückenhafter Unrechtsbezug der gesetzlichen Strafrahmen

aa) Eine tatproportionale richterliche Strafzumessung könnte wegen den gesetzgeberischen Vorentscheidungen in den Strafrahmen des StGB auf Schwierigkeiten stoßen. Das Prinzip der relativen Proportionalität hat zwei Aspekte: Zum einen sind Taten hinsichtlich ihrer Schwere zu vergleichen, für die das Strafmaß demselben Strafrahmen zu entnehmen ist. Ein insgesamt tatproportionales Strafzumessungssystem setzt aber auch voraus, daß bei der 335

Horstkotte, in: Jehle (Hrsg.), Individualprävention und Strafzumessung, S. 161 f.

5. Kapitel: Problembereiche einer tatproportionalen StrafzumesslUlgslehre

185

Anwendung unterschiedlicher Sanktionsnonnen das jeweils gewählte Strafmaß die relative Schwere der Tat reflektiert. Dies wäre kein Problem, wenn die gesetzlichen Strafrahmen nach Unrechtsgesichtspunkten gestaffelt sind. Unter dieser Voraussetzung wäre mit der Verortung eines konkreten Falles innerhalb des Strafrahmens automatisch auch im Verhältnis zu anderen Deliktstypen den Anforderungen der Proportionalität genügt. bb) Leider kann jedoch von einer durchgängigen Unrechtsausrichtung der gesetzlichen Strafrahmen nicht ausgegangen werden. Zwar wird in der Strafrechtswissenschaft eine grundsätzliche Übereinstimmung des Strafrahmens mit dem abstrakten Tatunrecht des jeweiligen Delikts angenommen336 . Dreher verweist als Beispiel auf die Staffelung der Eigentumsdelikte vom Diebstahl über den besonders schweren Fall des Diebstahls und den Diebstahl mit Waffen bis zum Raub, schweren Raub etc., die mit ansteigenden Strafrahmen verbunden ist. Ein nicht auf Unrechts- und Schuldbewertungen zielendes Strafrecht könnte sich mit wenigen, sehr weit gefaßten Strafrahmen begnügen33? Der Grundidee nach sind diese Erwägungen zwar zutreffend; ein vollständig konsistentes Bild bietet die Strafrahmensystematik des StGB jedoch leider niche 38 . Dies ist vor allem auf zwei Gründe zurückzuführen. Strafrahmen, deren Berechtigung sich ursprünglich auf einen Unrechtsvergleich gestützt haben mag, sind aus heutiger Perspektive veraltet. Zweitens beruht die gesetzgeberische Strafrahmenwahl in vielen Fällen von vornherein nicht durchgängig auf einer Unrechtsbewertung, sondern auch auf präventionsorientierten Erwägungen. cc) Die Überalterung der Strafrahmen kommt bei der Bewertung der Eigentumskriminalität zum Ausdruck339 , obwohl sich der Gesetzgeber mit dem 6. StrRG vom 30. Januar 1998340 selbst das Ziel gesetzt hat, die Strafrahmen zu hannonisieren, um das aus heutiger Sicht bestehende Ungleichgewicht bei der Bestrafung von Straftaten gegen höchstpersönliche Rechtsgüter einerseits, Straftaten gegen die Rechtsgüter Eigentum und Vennögen andererseits zu beseitigen341 . Nach wie vor ist die Strafrahmensystematik nicht durchgängig unrechtsadäquat. Die Strafrahmen für den Diebstahl wurden durch das 6. StrRG nicht geändert, obwohl der Stellenwert beweglicher Gegenstände infolge der 336 Zipf, StrafzumesslUlg, S. 27; Dreher, FS für BflUlS, S. 145; Hettinger, DoppelverwertlUlgsverbot, S. 76, 82 f.; Maurach/Gössel/Zipf, Strafrecht AT 2, § 63 Rn. 18; SK-Hom, § 46 Rn. 48. 337 FS für BflUlS, S. 145. 338 Henkel, Die "richtige" Strafe, S. 20 f.; Zipf, Kriminalpolitik, S. 200 ff.; Jung, Sanktionensysteme lUld Menschenreche, S. 210; H ettinger, GA 1995, 399 ff. 339 Vgl. zur Kritik an den Strafrahmen für die Eigentumsdelikte Zipf, Kriminalpolitik, S. 200; Hettinger, GA 1995, 402. 340 BGBl. I S. 164. 341 BT-Drs. 13/7164, S. 18 ff.; 13/8587, S. 18 ff.

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3. Teil: Die Theorie tatproportionaler Strafrumessung

industriellen Massenproduktion gesunken ise 42 . Zwar wurde das relative Verhältnis von Eigentumsdelikten und Delikten gegen höchstpersönliche Rechtsgüter insofern verschoben, als bei 'letzteren die Strafrahmen angehoben wurden, beispielsweise bei der Neufassung der §§ 176 a, 178, 213, 224, 225, 226343 . Aber auch unter Berücksichtigung dieser Änderungen sind die Höchststrafen beim einfachen Diebstahl (§ 242 Abs. 1: fiinf Jahre Freiheitsstrafe)344 und beim Diebstahl im besonders schweren Fall (§ 243 Abs. 1 S. 1: zehn Jahre Freiheitsstrafe) zu hoch, wenn man sie mit den Höchststrafen für Delikte mit demselben Strafrahmen vergleicht, etwa der Aussetzung (§ 221 Abs. 1: fiinf Jahre Freiheitsstrafe) oder der schweren Körperverletzung (§ 226 Abs. 1: zehn Jahre Freiheitsstrafe). Auch die Strafrahmen beim Raub sind unter Unrechtsgesichtspunkten immer noch überhöht. Vergleicht man Körperverletzungs- oder Sexualdelikte und Raubdelikte, so kommt ein deutlicher Unterschied im Tatunwert nicht in einem entsprechenden Strafrahmenunterschied zum Ausdruck. Beim einfachen Raub ist die Mindeststrafe von einem Jahr Freiheitsstrafe (§ 249 Abs. 1) zu hoch, wenn man bedenkt, daß beispielsweise die gefährliche Körperverlet zung nur eine Mindeststrafe von sechs Monaten nach sich zieht. Auch die Höchststrafe für den einfachen Raub (fiinfzehn Jahre Freiheitsstrafe, §§ 249 Abs. 1, 38 Abs. 2) ist im Vergleich zu den Höchststrafen für die schweren Körperverletzungsdelikte (zehn Jahre Freiheitsstrafe, §§ 224 Abs. 1, 225 Abs. 1,226 Abs. 1) zu hoch. Obwohl das 6. StrRG für manche Konstellationen des schweren Raubes die Strafrahmenuntergrenze (für nicht minder schwere Fälle) auf drei Jahre abgesenkt hat, harmonisiert diese Norm nach wie vor nicht mit anderen Strafrahmen. Die Strafen für eine Vergewaltigung, bei der das Opfer nur knapp dem Tod entgeht, und einen Straßenraub durch Vorhalten eines Messers sind trotz der wesentlich gravierenderen Schädigung des Opfers im ersten Fall identischen Strafrahmen zu entnehmen (Freiheitsstrafe nicht unter fiinf Jahren, §§ 177 Abs. 4 Nr. 2 b, 250 Abs. 2 Nr. 1). Besonders krass ist die im Vergleich feststellbare Diskrepanz von Strafrahmen und Unrechtsgehalt bei den leichteren Fällen des schweren Raubs ohne eine abstrakte Gefährdung des Opfers: Wenn der Täter das Opfer mit einer Spielzeugpistole bedroht und eine geringe Geldsumme erhält, ist der anzuwendende Strafrahmen derselbe wie für ein Verbrechen, bei dem er dem Opfer absichtlich beide Augen aussticht (Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren, §§ 250 Abs. 1 Nr. 1 b bzw. § 226 Abs. Schünemann, GA 1995, 207; vgl. oben 4. Kap., 2 a. Kritisch zu einer einseitigen Veränderung des relativen Verhältnisses von Eigentumsdelikten und Delikten gegen höchstpersönliche Rechtsgüter Hettinger, GA 1995, 402; Stächelin, StV 1998, 101. 344 Dreher, FS für Bruns, S. 152. 342

343

5. Kapitel: Problembereiche einer tatproportionalen Strafzwnessungslehre

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1 Nr. 1, Abs. 2). Eine deutlichere Reduzierung des Strafniveaus beim einfachen und schweren Raub ist für ein konsistentes Bild der Strafrahmen wünschenswert. dd) An einigen Strafrahmen des Besonderen Teils läßt sich außerdem aufzeigen, wie präventive Erwägungen die Strafrahmenwahl beeinflußt haben34s . Dies gilt sowohl für länger zurückliegende gesetzgeberische Entscheidungen (etwa § 316 a346) wie auch für neuere Änderungen des Strafgesetzbuchs, bei denen die Strafrahmenwahl durch Überlegungen zur Gefährlichkeit der Person des Täters bestimmt wurde 347 . Deutlich sichtbar ist die gesteigerte Bedeutung präventiver Erwägungen bei Strafnormen, die mit der Bekämpfung organisierter Kriminalität begründet werden. In diesen Kontext gehören beispielsweise die Tatbestände, die bei gewerbsmäßiger Begehung bzw. Begehung als Bandenmitglied die Verhängung einer Vermögensstrafe vorsehen348 . Die spürbare zusätzliche Belastung durch eine Vermögensstrafe349 ist nur auf der Basis generalpräventiver Begründungen haltbar, nachdem die zunächst deklarierte Absicht der Gewinnabschöpfung aufgegeben wurde350 • Auch im 6. StrRG wurde die schärfere Bestrafung der gewerbs- bzw. bandenmäßigen Begehung bei Betrug und Urkundenfälschung (§§ 263 Abs. 3 Nr. 1, Abs. 5, 267 Abs. 3 Nr. 1, Abs. 4) mit den Gefahren organisierter Kriminalität begründees1 . Selbst in bezug auf Tatbestände, die nicht auf die Bekämpfung bestimmter Tätergruppen zielen, ist mit einiger Plausibilität vertreten worden, daß überhöhte Höchststrafen kein gesetzgeberisches Versehen sind, sondern damit in erster Linie das Ziel der Abschreckung verbunden ist352 .

b) Ausmaß der Bindung des Tatrichters an die gesetzlichen Strafrahmen

aal Die nicht durchgängig feststellbare Unrechtsausrichtung der Tatbestände wirft für ein tatproportionales Strafzumessungsmodell zwei Probleme auf. Zum einen sind gesetzlich vorgeschriebene Mindest- und Höchststrafen für die 345 Vgl. Maurach/Gössel/Zipf, § 63 Rn. 18; Hart-Hönig, Gerechte und zweckmäßige Strafzwnessung, S. 32 ff.; zu optimistisch daher von Hirsch/Jareborg, Strafinaß und Strafgerechtigkeit, S. 38. 346 Hart-Hönig, Gerechte und zweckmäßige Strafzwnessung, S. 32 ff. 347 Vgl. die §§ 243 Abs. 1 Nr. 3,244 Abs. 1 Nr. 3,244 a Abs. 1,253 Abs. 4 S. 2, 260 Abs. 1,260 a Abs. 1,284 Abs. 3. 348 §§ 150 Abs. 1 S. 1, 181 c S. 1,244 Abs. 3,244 a Abs. 3,260 Abs. 3 S. 1,260 a Abs. 3,261 Abs. 7 S. 2,285 bAbs. l. Vgl. dazu unten 4. Teil, 3. Kap., 2 b ee. 349 Vgl. den Sachverhalt BGH NStZ 1995, 333. 350 Vgl. dazu Hömle, ZStW 108 (1996), 347 ff. 351 BT-Drs. 13/7164, S. 9,22. 352 Giehring, FS fl1r Pongratz, S. 193; Pallin, Strafzumessung, Rn. 108.

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3. Teil: Die Theorie tatproportionaler Strafzumessung

richterliche Strafzumessung eine nicht zu umgehende Schranke. Art. 103 Abs. 2 GG begründet den Vorrang der gesetzgeberischen Entscheidung auch im Bereich der Strafzumessung353 ; es bedarf deshalb keiner weiteren Diskussion, daß eine strafrahmenüber- bzw. unterschreitende Strafe nicht zulässig ist. Zum anderen könnte aber auch der dazwischen liegende Rahmenbereich Schwierigkeiten bereiten. Konsequenzen für die Anwendbarkeit eines tatproportionalen Strafzumessungskonzepts hätte eine intensive Bindung an die gesetzlichen Strafrahmen, nach der vom Tatrichter verlangt würde, sich auf eine Umsetzung der Unrechtsbewertung des Gesetzgebers zu beschränken. Zu einer solchen Restriktion des Tatrichters kommt man mit der von Dreher entwickelten Vorstellung einer kontinuierlichen Schwereskala354 . Danach beschränke sich die Funktion des gesetzlichen Strafrahmens nicht darauf, die zulässige Mindest - und Höchststrafe festzusetzen. Vielmehr komme auch dem zwischen diesen Extremwerten liegenden Bereich eine den Tatrichter bindende Rolle zu. Der Staffelung der unterschiedlichen Tatschweren von der denkbar leichtesten bis zur denkbar schwersten Form der Tatbestandserfiillung entspreche das Spektrum des gesamten Strafrahmens. Der Tatrichter müßte sich nach dieser Vorstellung darauf beschränken, festzustellen, an welcher Stelle der Schwereskala hypothetischer Tatbestandsverwirklichungen der konkret zu beurteilende Fall einzuordnen ist, ohne Überlegungen zur abstrakten Tatschwere eines bestimmten Deliktstypus anzustellen. Dadurch würde es vor allem zu einem Konflikt zwischen Tatproportionalitätsprinzip und gesetzlichem Strafrahmen kommen, wenn ein Strafrahmen aberhähte Hächststrafen enthält, auch wenn ein weiter Strafrahmen an sich die tatproportionalen Strafen im unteren Rahmenbereich einschließt355 • bb) In der Praxis werden die gesetzlichen Strafrahmen allerdings nur partiell ausgeschöpft. Die überwältigende Mehrheit der Verurteilungen konzentriert sich auf die unteren Bereiche der Strafrahmen, während die oberen Bereiche ohne praktische Bedeutung sind356 . Beim Einbruchsdiebstahl etwa sind

353 Zur Geltung von Art. 103 Abs. 2 GG für die Strafzumessung vgl. BVerfUE 25, 269,286; 45,363,370 ff.; 83, 288, 310 ff. 354 In: JZ 1956, 682; ders., FS für Bruns, S. 145. Zustimmend BGHSt. 27, 2, 3; Henkel, Die ,,richtige" Strafe, S. 21 f; Brons, Recht der Strafzumessung, S. 60 ff.; SKHorn, § 46 Rn. 48 ff.; Tröndle, § 46 Rn. 8; kritisch Frank, NJW 1977,686; Bergmann, Milderung der Strafe, S. 27 ff. 355 In diesem Sinne Stächelin, StV 1998, 103: Der Tatrichter komme nicht umhin, die durch das 6. StrRG angehobenen Höchststrafen durch eine deutliche Erhöhung der Strafen umzusetzen. 356 Vgl. H.-J. Albrecht, Strafzumessung bei schwerer Kriminalität, Tab. 11 S. 279, Schaubilder 15-20, S. 280 ff.

5. Kapitel: Problembereiche einer tatproportionalen Strafzumessungslehre

189

93 % aller Strafen im unteren Fünftel des Rahmens angesiedele 57 • Es wäre allerdings auch unter der Theorie von der kontinuierlichen Schwereskala keine völlig gleichmäßige Verteilung der Strafmaße über die gesamte Weite des gesetzlichen Strafrahmens zu erwarten, da die praktisch vorkommenden Regelfalle im Mittelmaß leichter sind als ein theoretisch konzipierter Durchschnittsfall mittlerer Schwere358 . Eine Häufung der Verurteilungen im unteren Rahmenbereich ist daher noch kein Beweis für die Mißachtung der Theorie von der kontinuierlichen Schwereskala durch die Tatrichter. Wohl aber ergibt eine nähere Analyse der Strafenverteilung, daß sich die Tatrichter nicht darauf beschränken, nur innerhalb der Strafrahmen Straftaten zu vergleichen. Wenn die tatrichterliche Rechtsprechung nur in schlichter Ausführung der gesetzlichen Vorgaben die zu entscheidende Tat nach ihrem relativen Gewicht verglichen mit anderen Verwirklichungen desselben Tatbestandes im Strafrahmen verorten würde, müßte sich für Delikte mit identischen Strafrahmen ein ähnliches Verteilungsmuster ergeben. Die Verteilungsmuster der ausgeworfenen Strafen lassen sich empirisch anhand der Strafverfolgungsstatistik untersuchen 359 . Die bei identischen Strafrahmen festzustellenden Strafmuster divergieren stark360 . Dieser Befund ist zumindest teilweise zwar mit Unterschieden in der durchschnittlichen konkreten Deliktsschwere, also der unterschiedlichen konkreten Schadensverteilung, oder mit dem prozentualen Anteil der (mehrfach) Vorbestraften unter den Verurteilten zu erklären. Unter Berücksichtigung dieser Faktoren kommt Götting zu dem Ergebnis, daß die Strafzumessungspraxis trotz der auf den ersten Blick auffallend unterschiedlichen Verteilungsmuster grundsätzlich der Schwerestufung der gesetzlichen Strafrahmen entspriche61 . Gänzlich auflösen läßt sich allerdings der Verdacht nicht, daß die Tatrichter zumindest in manchen Bereichen die Wertung der abstrakten Deliktsschwere durch den Gesetzgeber modifizieren. Es bleiben Unterschiede der Strafenverteilung bei Tatbeständen mit gleich hohem Strafrahmen, die nicht mit einem der soeben beschriebenen Gründe erklärbar sind362 .

H-J. Albrecht, Strafzumessung bei schwerer Kriminalität, Tab. 11 S. 279. BGHSt. 27,2,4 f; Bruns, Recht der Strafzumessung, S. 61 f. 359 Vgl. Götting, Strafzumessungspraxis, S. 77 ff. 360 Götting, Strafzumessungspraxis, S. 121 (Strafrahmen bis max. 3 oder 4 Jahre Freiheitsstrafe), S. 138 (Strafrahmen bis max. 4 oder 5 Jahre Freiheitsstrafe), S. 164 (Strafrahmen mit Mindestmaß 3 Monate Freiheitsstrafe), S. 182 (Strafrahmen mit Mindestmaß 1 Jahr Freiheitsstrafe). 361 Strafzumessungspraxis, S. 207 ff. 362 Trotz vergleichbarer oder nur geringfügig unterschiedlicher Vorverurteilungszahlen unterscheidet sich beispielsweise die Bestrafungspraxis bei Delikten nach § 156 einerseits, § 29 Abs. 1 BtMG andererseits, Götting, Strafzumessungspraxis, S. 124 f, 128 f Bei Aussagedelikten fmdet sich generell die Tendenz zu einer Niedrigstufung 357

358

190

3. Teil: Die Theorie tatproportionaler Strafzumessung

cc) Damit stellt sich die Frage, ob eine eigenständige Bewertung der abstrakten Deliktsschwere, die sich in einer deliktsspezifisch unterschiedlichen Ausschöpfung des gesetzlichen Strafrahmens zeigt, noch in der Kompetenz der Tatrichter liegt. Dies ist zu bejahen: In Anbetracht der im deutschen Strafrecht üblichen, sehr weit gefaßten Strafrahmen erschöpft die Bewertung der abstrakten Deliktsschwere durch den Gesetzgeber nicht alle Aspekte363 . Die Entscheidung des Gesetzgebers, für eine Vielzahl von völlig unterschiedlichen Deliktstypen beispielsweise einheitlich Strafrahmen von Geldstrafe bis zu fünf Jahren festzusetzen 364 , kann nicht bedeuten, daß die abstrakte Schwere aller dieser Delikte damit als völlig identisch angesehen wurde. Es kann sich vielmehr nur um ein relatives grobes Urteil über die Ähnlichkeit der abstrakten Tatschwere handeln. Eine spezifischere Schwerewertung des Gesetzgebers, die dem abstrakten Deliktstypus in differenzierter Weise Rechnung trägt, würde in feineren Ausdifferenzierungen der Strafrahmen resultieren. Wenn also etwa Unterschiede der Strafenverteilung bei Erpressungs- und Betrugsdelikten365 unter anderem auch darauf zurückzuführen sein sollten, daß Tatrichter mehrheitlich die abstrakte Deliktsschwere einer Erpressung etwas höher ansetzen, ist damit keine Überschreitung von Bewertungskompetenzen verbunden. Feindifferenzierungen im Vergleich zu anderen Deliktstypen müssen dem Tatrichter angesichts der nur pauschalen gesetzgeberischen Vorwertung erlaubt sein. dd) Die Höchststrafen in den gesetzlichen Tatbeständen sind deshalb kein unüberwindbares Problem für eine tatproportionale Strafzumessungslehre. Überhöhte gesetzliche Höchststrafen können durch eine verstärkte Konzentration der Strafmaße im unteren Rahmenbereich ausgeglichen werden. Im Vergleich zu anderen Delikten zu niedrige gesetzliche Höchststrafen sind ebenfalls kein Hindernis für eine tatproportionale Strafzumessung. In solchen Fällen besteht die Lösung darin, die Rahmenbreite nach oben in größerem Umfang auszuschöpfen. Damit kann die richtige Relation zu anderen Delikten hergestellt werden, bei denen das Strafspektrum nicht vollständig ausgenutzt wird. Problematisch sind jedoch ilberhöhte Mindeststrafen. In der Realität

des Unrechtsgehalts, vgl. Götting, S. 187, sowie Schäfer, Praxis der Strafzumessung,

Rn. 641, der darauf hinweist, daß die Strafenpraxis mit der gesetzgeberischen Rah-

menvorgabe kaum vereinbar ist. Auch beim Vergleich von Erpressungs- im Vergleich zu Betrugsdelikten (Götting, S. 142 ff.) oder von Zuhälterei im Vergleich zum schweren Diebstahl (Götting, S. 168 f.) liegt eine Unrechtsdifferenzierung trotz des gleichen gesetzlichen Strafrahmens nahe. 363 Kritisch hierzu Zipf, Kriminalpolitik, S. 200 ff.; Maurach/Gössel/Zipf, Strafrecht AT 2, § 62 Rn. 12 f.; Hettinger, GA 1995,405 f. 364 Dies ist die am häufigsten vorkommende Strafrahmengruppe, vgl. Götting, Strafzumessungspraxis, S. 137: 26 Tatbestände. 365 Götting, Strafzumessungspraxis, S. 142 ff.

5. Kapitel: Problembereiche einer tatproportionalen StrafzumesslUlgslehre

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werden solche Konflikte eher selten vorkommen, da bei den in dieser Hinsicht besonders problematischen Raubdelikten für minder schwere Fälle niedrigere Mindeststrafen zur Verfügung stehen, §§ 249 Abs. 2, 250 Abs. 2. In der Strafpraxis wird von der Möglichkeit der Einstufung als minder schwerer Fall bei Raubdelikten in auffällig weitem Umfang Gebrauch gemacht. Die oben erwähnten Bedenken gegen die unverhältnismäßig hohen Mindeststrafen für den Normalfall werden offenbar auch von Praktikern geteilt366 . Wenn allerdings die Bewertung des verschuldeten Unrechts eines Raubes oder einer räuberischen Erpressung in einem extrem gelagerten Fall ergeben sollte, daß eine Strafe von weniger als sechs Monaten Freiheitsstrafe angebracht ise67 , ist der Widerspruch von gesetzlichem Strafrahmen und Tatproportionalitätsprinzip nicht zugunsten des letzteren auflösbar.

4. Die Rechtsfolgenbestimmungen im deutschen Recht a) Unvereinbarkeit der tatproportionafen Lehre mit den §§ 56, 59

aa) Der Schwerpunkt dieser Arbeit liegt bei der Interpretation von § 46 im Licht eines tatproportionalen Strafzumessungskonzepts368 . Es würde jedoch ein verzerrtes Bild ergeben, wenn die gesetzlichen Bestimmungen gänzlich unerwähnt blieben, die die Strafzumessung im weiteren Sinne betreffen. An diesem Punkt liegt nämlich das Hauptproblem für die Umsetzbarkeit des tatproportionalen Strafzumessungsmodells de lege lata, worauf zumindest hingewiesen werden muß, wenn auch wegen der anderen Schwerpunktsetzung in stark verkürzter Form. bb) Die Differenzierung des geltenden deutschen Rechts zwischen der Strafzumessung im engeren und der Strafzumessung im weiteren Sinne harmoniert nicht mit einem tatproportionalen Strafzumessungskonzept. Die erste Unvereinbarkeit ergibt sich aus der Formulierung von § 56 Abs. 1 S. 1, die ein zeitliches Nacheinander von Stratböhen- und Aussetzungsentscheidung impliziert. Die Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung wird durch den Wortlaut von § 56 Abs. 1 S. 1 als Entscheidung über die Vollstrekkung einer bereits der Höhe nach festgesetzten Strafe eingestuft. Konsequen-

366 Ein minder schwerer Fall wird bei 39 % (schwerer Raub) bzw. 41 % (einfacher Raub) der VerurteillUlgen zugTllllde gelegt, H-J. Albrecht, StrafzumesslUlg bei schwerer Kriminalität, S. 292. 367 Denkbar ist dies bei einer gerade den Schwellenwert erreichenden DrohlUlg lUld der Übergabe eines Gegenstands von lUlbedeutendem Wert, etwa mit der Äußerung: "Gib mir Zigaretten oder ich schlage dich". 368 Unten, 5. Teil.

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3. Teil: Die Theorie tatproportionaler Strafzumessung

terweise geht auch der BGH davon aus, daß Strafmaß- und Aussetzungskriterien nicht vermengt werden dürfen369 . Nach dem hier vorgestellten Ansatz besteht als Reaktion auf dieselbe Straftat nicht die Wahl zwischen einer vollstreckbaren und einer bei gleicher Höhe zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe. Zwischen einer zu verbüßenden Haftstrafe und einer zur Bewährung ausgesetzten Strafe besteht ein fundamentaler Unterschied, was das Gewicht der Übelszufügung anbegeht. Die massiven Eingriffe in die verschiedensten Dimensionen der Fortbewegungs- und Handlungsfreiheit wurden bereits als Grund angeführt, um zu begründen, warum ein Tag vollstreckbare Freiheitsstrafe nicht mit einem Tagessatz Geldstrafe vergleichbar ise 70 ; dasselbe gilt für den Vergleich mit der zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe. Auch insoweit sollte von einer 1:3Gewichtung ausgegangen werden. Der für den Bestraften ganz wesentliche Unterschied in der Strafbelastung wird in § 56 Abs. 1 S. 1 und 2 von der Wahrscheinlichkeit der Legalbewährung abhängig gemacht, die auf eine Beurteilung der Täterpersönlichkeit und seiner persönlichen Lebensumstände gestützt werden soll. Dieses Entscheidungskriterium, welches das Ausmaß der Übelszufügung und des damit verbundenen Tadels von der Tatschwere abkoppelt, ist mit einem tatproportionalen Strafzumessungsrecht nicht vereinbar. Es spielt deshalb auch keine Rolle, ob man mit Teilen der Lehre betont, daß die Strafaussetzung zur Bewährung eine eigenständige Sanktion sei371 . Das aus der Sicht einer tatproportionalen Strafzumessungslehre unüberwindbare Problem liegt in der nach dem Wortlaut von § 56 Abs. 1 S. 1 eindeutigen Anordnung präventiver Strafzumessung372 . ce) Dieselben Einwände wie gegen § 56 sind gegen § 59 Abs. 1 vorzubringen: Auch die Entscheidung über eine Verwarnung mit Strafvorbehalt, mit der auf eine Übelszufügung völlig verzichtet wird, ist nach dem Gesetzeswortlaut von spezialpräventiven Erwägungen abhängig, was wegen des Unterschieds in der Strafbelastung dem Tatproportionalitätsprinzip widerspricht. dd) Da es keine Möglichkeit gibt, durch Gesetzesinterpretation eine vollständige, auch die §§ 56 ff. erfassende Übereinstimmung von Tatproportionalitätsprinzip und Rechtslage de lege lata herzustellen, bleibt nur die Forderung nach einer Überarbeitung dieser Normen. Diese sollte dem erheblichen Bela369

BGHSt. 29, 319, 321; 32, 60, 65; BGH NStZ 1988, 309; 1992,489. AA Schä-

fer, Praxis der Strafzumessung, Rn. 105, mit Hinweis aufBGH wistra 1983,255.

Vgl. oben 5 b aa ccc. Vgl. SK-Hom, § 56 Rn. 2; JeschecklWeigend, Strafrecht AT, S. 834; Schtifer, Praxis der Strafzumessung, Rn. 105, der auf § 46 Abs. 1 S. 2 verweist, um zu begründen, daß die Aussetzungsfrage bereits in die Strafmaßentscheidung hinein spiele. 372 Viel zu optimistisch daher von HirschlJareborg, Strafmaß und Strafgerechtigkeit, S. 58 ff. 370 371

5. Kapitel: Prob1embereiche einer tatproportiona1en Strafzurnessungs1ehre

193

stungsunterschied zwischen vollstreckbarer und ausgesetzter Freiheitsstrafe Rechnung tragen und die Wahl zwischen derart unterschiedlichen Übelszufügungen von der Schwere der Straftat abhängig machen. Dabei ist zu beachten, daß die entscheidende Trennlinie zwischen der vollstreckbaren Freiheitsstrafe einerseits und Geldstrafe bzw. zur Bewährung ausgesetzter Freiheitsstrafe andererseits verläuft. Da die beiden letztgenannten Sanktionen in ihrer Schwere vergleichbar sind373 , kann die Wahl zwischen diesen durchaus ohne Verstoß gegen das Tatproportionalitätsprinzip von der Person des Täters abhängig gemacht werden - nicht aber die Wahl zwischen vollstreckbarer und ausgesetzter Freiheitsstrafe. Zur Ergänzung und Erweiterung des Bereichs mittelschwerer Sanktionen wären auch neue ambulante Sanktionen wünschenswert, etwa eine Umgestaltung des Fahrverbots374 . Es bleibt noch anzumerken, daß die Brauchbarkeit des hier vorzustellenden Modells nicht von der Erfüllung dieser Forderungen vollständig abhängt. Der Hauptteil einer tatproportionalen Lehre, die Bewertung der Tatschwere als Kernstück der Strafzumessung, ist unabhängig von Modifikationen auf der Rechtsfolgenseite umsetzbar.

b) Vereinbarkeit mit § 47 Abs. 1 Weniger problematisch ist die Vereinbarkeit von tatproportionaler Strafzumessung und der Rechtslage de lege lata, was § 47 Abs. I betrifft. Das oben vorgestellte Schema des nur geringfügigen Überschneidungsbereichs der Sanktionen375 ist mit der vom Gesetzgeber verfolgten Intention vereinbar, kurze Freiheitsstrafen zu verdrängen376 . Die Hauptaussage von § 47 Abs. 1 ist eine Präferenzregel für die Geldstrafe im Überschneidungsbereich von Geldstrafen und Freiheitsstrafen bis zu sechs Monaten. Nach dem hier vertretenen Modell ergibt sich ein solcher Überschneidungsbereich für vollstreckbare Freiheitsstrafen allerdings nur in der Höhe von ein bis vier Monaten. Daraus könnte auf einen weiteren Angriffspunkt für ein tatproportionales Strafzumessungsmodell de lege lata geschlossen werden, mit der Argumentation, daß der Gesetzgeber ersichtlich von einem Überlappungsbereich auch für Freiheitsstrafen von vier bis sechs Monaten ausgegangen sei. Dieses Argument überzeugt jedoch nicht, weil der Verweis auf Freiheitsstrafen unter sechs Monaten in Vgl. oben 5 b aa ddd. Schäch, Gutachten zum 59. DIT, C 116 fI. 375 Oben S. 174. 376 Vgl. Horstkotte, JZ 1970, 126; Schunemann, in: Eser/Corni1s (Hrsg.), Neuere Tendenzen, S. 231; LK-Gribbohm, § 47 Rn. 1; Lackner, § 47 Rn. 1; Schönke/SchröderlStree, § 47 Rn. 1; von Hirsch/Jareborg, Strafmaß und Strafgerechtigkeit, S.58. 373 374

13 Hörnle

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3. Teil: Die Theorie tatproportionaler StrafzwnessWlg

§ 47 Abs. I sich auch auf zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafen beziehen kann. § 47 Abs. I kommt nach der hier vertretenen Auslegung die Rolle zu, bis zur obersten Grenze der zulässigen Geldstrafen (360 Tagessätze, § 40 Abs. 1 S. 2) die Geldstrafe zur Standardreaktion im Bereich der leichten bis mittelschweren Kriminalität zu machen. Im Gegensatz zu § 56 stellen die in § 47 Abs. 1 angeführten präventiv orientierten Begründungen für die ausnahmsweise erfolgende Verhängung einer Freiheitsstrafe kein Problem dar. Sofern es um die Entscheidung zwischen Strafen geht, die in ihrer Schwere vergleichbar sind, verstößt eine präventiv motivierte Auswahl nicht gegen das Tatproportionalitätsprinzip. Dieses setzt nur voraus, daß das Gewicht der Übelszufügung der Tatschwere entspricht; Vorgaben über die Art der Übelszufügung sind damit nicht verbunden. Für die gängige Strafzumessungspraxis stellt sich zumindest theoretisch das Problem, daß bei Freiheitsstrafen über sechs Monaten keine gesetzlichen Regeln für die Abgrenzung zu den nach dieser Ansicht ebenfalls in Betracht kommenden Geldstrafen existieren377 . Mit dem hier vorgeschlagenen Modell wird dieses Problem obsolet, da sich insoweit keine Überlappung der Sanktionsalternativen ergibt.

377

Vgl. dazu Schäfer, Praxis der StrafzumessWlg, Rn. 100 fT.

4. Teil: Die Bewertung der Tatschwere 1. Kapitel: Das Unrecht der Tat als Anknüpfungspunkt der Strafzumessung

1. Grenzen einer Unrechtsbestimmung über die Tatbestandsmerkmale a) Quantifizierende Betrachtung der Tatbestandsmerkmale

aa) Bevor die in der Verbrechenslehre kontrovers geführte Diskussion um die Natur des strafrechtlichen Unrechts aufgegriffen wird, ist zu erwägen, ob es nicht für die Zwecke der Strafzumessung eine einfachere und weniger umstrittene Möglichkeit gibt, um zu einer Bewertung des Tatunrechts zu kommen. Ein Anknüpfungspunkt für die Bestimmung des Unwerts der Straftat könnte die quantifizierende Betrachtung der Tatbestandsmerkmale sein. In der Strafzumessungsliteratur ist dies als Bewertungsstrategie verschiedentlich vorgeschlagen worden: Während es für die Straffrage nur darauf ankomme, ob das Verhalten unter ein Tatbestandsmerkmal subsumiert werden könne, sei das Ausmaß, in dem das Merkmal durch die konkreten Tatumstände erfüllt werde, ein wichtiger Strafzumessungsfaktor1. Für die Bestimmung der relativen Schwere des Unrechts seien Tatbestandsmerkmale von Interesse, die mindestens als Ordnungsbegriffe definiert seien, da Ordnungsbegriffe eine komparative Reihenordnung des Verwirklichungsgrads erlauben2 . Eine quantitative Betrachtung der Tatbestandserfüllung ist prinzipiell möglich. Die entgegenstehende Ansicht Radbruchs, daß Tatbestandsmerkmale nicht sowohl Klassenbegriffe, wie sie zur Strafbegründung erforderlich seien, als auch Ordnungsbegriffe bei der Strafzumessung sein könnten3 , ist späte-

1 Beling, Lehre vom Verbrechen, S. 321; Mezger, Lehrbuch, S. 499; Stratenwerth, Tatschuld und Strafzumessung, S. 29; Puppe, Idealkonkurrenz und Einzelverbrechen, S. 61 ff.; Hettinger, Doppelverwertungsverbot, S. 90 ff.; Frisch, ZStW 99 (1987), 387; Erhard, Strafzumessung bei Vorbestraften, S. 178 fI., 205; Bloy, ZStW 107 (1995), 579 f; Schäfer, Praxis der Strafzumessung, Rn. 228 fI.; Mylonopoulos, Komparative und DispositionsbegrifIe, S. 45 fI. 2 Zur wissenschaftlichen BegrifIsbildung vgl. die Nwe. oben 3. Teil, 4. Kap., 2 b. 3 In: KlassenbegrifIe und OrdnungsbegrifIe, S. 66 f; ebenso W. Hassemer, FS für Radbruch, S. 286 f Zu den Schwächen der Radbruchschen Rezeption von Hempel/Oppenheim, Der TypusbegrifI, vgl. Kuhlen, Typuskonzeptionen, S. 57 fI.

13"

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4. Teil: Die Bewertung der Tatschwere

stens durch Engisch als Irrtum erkannt worden4 : Tatbestandsmerkmale können Klassen- und Ordnungsbegriffe sein, wenn sie als Ordnungsbegriffe definiert sind, aber für die Strafbarkeitsfrage zu Klassenbegriffen reduziert werdens. Soweit den die Strafbarkeit begründenden Klassenbegriffen Ordnungsbegriffe zugrunde liegen, können die auf dieser Basis möglichen Graduierungen deshalb unrechtsrelevant sein6 . Mögliche Bedenken, daß die zweifache Berücksichtigung der Tatbestandsmerkmale sowohl als Strafbarkeitsvoraussetzung als auch bei der Strafzumessung mit dem Doppelverwertungsverbot (§ 46 Abs. 3) kollidieren könnte, sind entkräftet worden. § 46 Abs. 3 schließt es aus, die Subsumtion in abstrakter Form bei der Strafzumessung erneut zu verwerten. Die konkreten Umstände des zu beurteilenden Geschehens, die die Unterschiedlichkeit der unter denselben Tatbestand zu fassenden Sachverhalte ausmachen, können jedoch bei der Strafzumessung einbezogen werden7 . bb) Tatbestandsmerkmale, die auf numerische Einheiten Bezug nehmen, sind quantitative Begriffe. Für eine Reihenordnung unterschiedlicher Taten in bezug auf diese Merkmale kann die Metrisierung herangezogen werden, die quantitativen Begriffen zugrunde liegt8. Anwendungsfälle sind die Tatbestandsmerkmale Geld in den §§ 146, 147 und Vermögensschaden bzw. Vermögensnachteil, etwa in den §§ 253, 263 9 . Mehrheitlich sind Tatbestandsmerkmale jedoch nicht als quantitative, sondern nur als Ordnungsbegriffe de4 In: Idee der Konkretisierung, S. 288 Fn. 194; ebenso Hettinger, Doppelverwertungsverbot, S. 103 tT.; Puppe, Idealkonkurrenz und Einzelverbrechen, S. 89. Engischs Begründung, nach der der Ordnungsbegriff aus dem Klassenbegriff herauswachse (a.a.O., a.E.) ist allerdings unpräzise formuliert, da nicht der Ordnungsbegriff aus dem Klassenbegriff entwickelt werden kann. 5 Begriffe, die einen größeren Informationsgehalt über die beschriebenen Gegenstände vermitteln, können in Begriffe umgewandelt werden, die einen niedrigeren Informationsgehalt haben. Aus einem Ordnungsbegriff kann deshalb ein Klassenbegriff gemacht werden, vgl. Puppe, Idealkonkurrenz und Einzelverbrechen, S. 88 ff. 6 Puppe, Idealkonkurrenz und Einzelverbrechen, S. 101. 7 Hettinger, Doppelverwertungsverbot, S. 88 ff.; Bloy, ZStW 107 (1995), 579 f. Dieses Ergebnis ist unabhängig davon, ob man den Sinn des Doppelverwertungsverbots in der Arbeitsteilung zwischen Gesetzgeber und Richter sieht (so Zipf, Strafzumessung, S. 40 ff.; Hettinger, Doppelverwertungsverbot, S. 60 ff.) oder aber aus einer materiell-rechtlichen Begründungsptlicht des Richters ableitet, der dieser nicht gerecht werde, wenn er nur auf die Tatbestandsmerkmale verweise (Timpe, Strafinilderungen des Allgemeinen Teils, S. 45 ff.). 8 Zu quantitativen Begriffen in der wissenschaftlichen Begriffsbildung vgl. die Nwe. oben 3. Teil, 4. Kap. 2 b. 9 Hettinger, Doppelverwertungsverbot, S. 92; Hefendehl, Vermögensgefährdung, S. 169: "homogene Ertragskategorie des Geldes". Vgl. aber auch unten 2. Kap., 2 b ee dazu, daß ein Vergleich des Erfolgsunrechts nicht immer schlicht anhand des Summenverlusts möglich ist.

I. Kapitel: Das Unrecht der Tat als Anknüpfungspunkt der Strafzwnessung

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finiert. Unproblematisch als Ordnungsbegriffe zu identifizieren sind die sogenannten steigerungsfähigen Tatbestandsmerkmale, bei denen infolge der Verwendung eines Adjektivs oder Adverbs die Abstufbarkeit erkennbar ist: Als Beispiele werden die rohe Mißhandlung, das empfindliche Übel, die grobe Verkehrswidrigkeit angeführt lO . Damit sind die Ordnungsbegriffe in den Tatbeständen des StGB jedoch nicht erschöpft: Eine große Anzahl von Tatbestandsmerkmalen ist in einer Weise definiert, die eine Reihenordnung von Sachverhalten im Hinblick auf den Grad der Erfüllung des jeweiligen Tatbestandsmerkmals ermöglicht. Ordnungsbegriffe sind zu auszumachen, indem man fragt, ob es Sinn macht, von "mehr oder weniger X" zu sprechen (wobei X das Tatbestandsmerkmal sein SOll)11 .

10 Vgl. Puppe, Idealkonkurrenz und Einzelverbrechen, S. 98 fr.; Hettinger, Doppelverwertungsverbot, S. 91 fr.; Erhard, Strafzwnessung bei Vorbestraften, S. 178. 11 Zur Verdeutlichung seien als Beispiele (ohne Anspruch auf Vollständigkeit) angeführt: bestimmen, Hilfe leisten (§§ 26, 27); Drohung, Gewalt (§§ 113, 177, 181, 240, 249, 253); Widerstand leisten (§ 113); tätlich angreifen (§§ 113, 121); werben, unterstützen (§ 129); zum Haß aufstacheln, zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen auffordern, beschimpfen, verächtlich machen, verleumden (§ 130); Gewalttätigkeiten verherrlichen (§ 131); beschädigen, entziehen (§§ 133, 136, 292, 293, 274, 303); mißbrauchen, vortäuschen, verdächtigen (§§ 145, 266, 266 b, 145 d, 164); stören, beschimpfen (§§ 166, 167, 168); sich der Unterhaltspflicht entziehen (§ 170 b); sexuelle Handlungen vornehmen oder zur Duldung nötigen (§§ 174, 174 a, 174 b, 176, 178, 179,182); auf eine andere Person einwirken (§ 180 b); ausbeuten (§ 181 a); Beleidigung (§ 185); Eignung zur Verächtlichmachung, verbreiten (§§ 186, 187); verunglimpfen (§ 189); Hilflosigkeit (§ 221); körperlich mißhandeln, an der Gesundheit beschädigen (§ 223); Gift beibringen, mehrere, das Leben gefährdende Behandlung (§ 224); quälen, mißhandeln (§ 225); Entstellung, in Siechtum, Lähmung oder Geisteskrankheit verfallen (§ 226); der Freiheit berauben (§ 239); Hilfe leisten (§ 257); zum Teil vereiteln (§ 258); verbergen, verschleiern (§ 261); falsche Tatsachen vorspiegeln, wahre Tatsachen entstellen oder unterdrücken (§ 263); Daten verwenden, ein Programm gestalten, einwirken (§ 263 a); Angaben machen (§§ 264,264 a, 265 b); Vermögensbetreuungspflicht verletzen (§ 266); Beiträge vorenthalten (§§ 266 a); verfälschen, gebrauchen, verändern (§§ 267,268,269); beiseite schaffen, verheimlichen, verbrauchen, (§§ 283, 288); in Brand setzen (§§ 306, 306 a); eine Brandgefahr bzw. eine Explosion herbeiführen (§§ 306 f, 307, 308); LeiblLebenlSachen gefährden, bedeutender Wert einer Sache (§§ 307,308,311,312,318); Überschwemmung (§ 313); Sicherheit beeinträchtigen, Hindernisse bereiten, falsche Zeichen geben (§§ 315 b, 315); Genuß berauschender Mittel, in einen Rausch versetzen, geistige oder körperliche Mängel (§ § 315 a, 315c, 316, 323 a); Verhältnisse des Straßenverkehrs ausnutzen (§ 316 a); gegen die Regeln der Technik verstoßen (§ 319); erforderliche Hilfe (§ 323 c); Gewässer bzw. Boden verunreinigen (§§ 324, 324 a); Lärm bzw. Veränderungen der Luft verursachen (§§ 325, 326); krebserregend, explosionsgefährlich, geeignet, Gewässer, Luft, Boden zu verunreinigen (§ 326); Vorteil (§§ 331 - 334); das Recht beugen (§ 336); strafrechtlich verfolgen (§ 344); Gebühren bzw. Abgaben erheben (§§ 352, 353); zuwiderhandeln, Berichte erstatten (§ 353 a).

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4. Teil: Die Bewertwlg der Tatschwere

b) Erjorderlichkeit von materiellen Bewertungskriterien aa) Aus der Häufigkeit von Ordnungsbegriffen in den Straftatbeständen kann nicht geschlossen werden, daß die Quantifizierung des Unrechts in einer wertungsreduzierten Weise dadurch zu leisten ist, daß die Ordnungsbegriffe im anzuwendenden Tatbestand identifiziert und die relative Stellung der konkreten Ausprägung in der Reihenordnung möglicher Sachverhalte festgestellt wird. Ein solches Vorgehen stößt aus verschiedenen Gründen auf Grenzen: In erster Linie macht die Komplexität vieler Tatbestandsmerkmale die Erstellung einer Reihenfolge ohne Bezugnahme auf materielle Bewertungskriterien unmöglich. Bei dem Bemühen, für einzelne Merkmale Kriterien anzugeben, wann zwei Verwirklichungsformen als vergleichbares Unrecht einzustufen sind bzw. welche schwerer wiegt, stößt man auf das Problem, daß die wissenschaftliche Begriffseinteilung an naturwissenschaftlichen Anwendungsfällen entwickelt wurde und Reihenordnungen in anderen Gebieten schwieriger zu erstellen sind. Während beispielsweise die Definitionskriterien dafür, ob zwei Mineralien gleich hart sind bzw. welches härter ist, unkompliziert sind 12 , stellen Reihenordnungen für soziale Konstrukte ungleich höhere Anforderungen, da diese häufig mehrdimensionale Definitionen voraussetzen l3 . bb) Bei den strafrechtlichen Ordnungsbegriffen ist die Erstellung von Reihenfolgen nur danrl relativ einfach, wenn es sich um die Beschreibung einer Zustandsveränderung dinglich existierender Entitäten handelt und die Art der Zustandsveränderung sich als relativ einheitliches Phänomen darstellt: Das Ausmaß des "Inbrandsetzens" beispielsweise läßt sich abstufen vom selbständigen Weiterbrennen nach Entfernung des Zündstoffs14 mit geringfügiger Substanzeinbuße bis zur kompletten Vernichtung der Sache. Viele Tatbestände im deutschen Recht sind jedoch wesentlich weniger konkret gefaßt als die Brandstiftung. Durch die abstrahierenden Tatbestandsfassungen sind die unter ein Merkmal zu subsumierenden Sachverhalte heterogener, weshalb ein Vergleich ohne materielle Bewertungskriterien unmöglich ist. Als Beispiel sei das Tatbestandsmerkmal der Gewalt genannt, das unterschiedliche Formen annehmen kann: Solche, bei denen es zu keinem unmittelbaren Zugriff auf den Körper des Opfers kommt (Einsperren); körperliche Eingriffe ohne Gesundheitsbeschädigung (Fesselung); die gesamte Palette der Gesundheitsbeschädi12 Nämlich abhängig von der Fähigkeit eines Minerals, das andere zu ritzen; das Beispiel stammt von Hempel, Begriffsbildung, S. 58 f.; vgl. auch Stegmüller, Probleme und Resultate, S. 37. 13 In der Terminologie von HempellOppenheim mehrdimensionale Ordnungsbegriffe, in: Der Typusbegriff, S. 42 f., 65 f. Vgl. zu den Problemen mit Ordnungsbegriffen jenseits der Naturwissenschaften auch Puppe, GS für Armin Kaufmann, S. 27. 14 Was für die Tatbestandserfttllung ausreicht, BGHSt. 18, 363 sowie Schönke/Schröder/Cramer, § 306 Rn. 9 m.w.Nwen.

1. Kapitel: Das Unrecht der Tat als Anknüpfungspunkt der StrafZumessung

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gungen bis hin zu Tötungen l5 . Praktische Schwierigkeiten entstehen ferner bei der Erstellung einer Reihenordnung für Tatbestandsmerkmale, die nicht in der Außenwelt beobachtbare Veränderungen betreffen, sondern soziale Konstrukte. Als Beispiel sei das Ausmaß einer Beleidigung genannt. Die verschiedenen möglichen Ausprägungen solcher Tatbestandsmerkmale setzen für die Erstellung einer Reihenfolge und die Einpassung eines konkreten Sachverhalts Parameter voraus, die einen Vergleich erst ermöglichen. Die entscheidende Frage ist damit, welche materiellen Kriterien herangezogen werden sollen, um komplexe und vielgestaltige Verletzungen bzw. Gefährdungen, die in den Straftatbeständen nur in generalisierender Weise umschrieben werden, in eine Reihenordnung zu bringen. Diese Bewertungskriterien sind nicht dem Wortlaut des Tatbestandes zu entnehmen, sondern erfordern eine Auseinandersetzung mit der sozialen Bedeutung von Handlungen und den durch diese herbeigeführten Zustandsveränderungen. cc) Eine Bewertung des Unrechts anhand der Ordnungsbegriffe in den Straftatbeständen wird außerdem durch die Existenz von Ordnungsbegriffen erschwert, deren Ausprägung für das strafrechtliche Unrecht nicht relevant wird. Hier ist das Tatbestandsmerkmal "beweglich" in den §§ 242 ff. zu nennen, welches im alltagssprachlichen Gebrauch als Ordnungsbegriff definiert ist, da die Frage nach "mehr oder weniger beweglich" in sinnvoller Weise gestellt werden kann. Für die Zwecke des Strafrechts hat dieses Merkmal jedoch die einzige Funktion, unbewegliche Sachen aus dem Schutzbereich des Diebstahls auszuschließen l6 ; Differenzierungen nach dem Grad der Beweglichkeit sind für das Tatunrecht irrelevantl7 . dd) Der noch wichtigere weitere Grund für die Unzulänglichkeit einer auf formale Begriffswelten konzentrierten Bestimmung des Unrechts liegt darin, daß für manche Delikte die relative Schwere des Unrechts überhaupt nicht anhand von Ordnungsbegriffen im Tatbestand bestimmt werden kann, entweder weil der Tatbestand keine Ordnungsbegriffe enthält oder weil er zumindest für die adäquate Erfassung des Tatunrechts ergänzungsbedürftig ist. Auch insoweit ist wieder auf § 242 zu verweisen, der ein wichtiges Beispiel für Tatbestände ohne unrechtsrelevante Ordnungsbegriffe ist. Für die Bewertung des Unrechts eines Diebstahls ist nach einhelliger Meinung ein Aspekt maßgeblich, der im Tatbestand nicht erwähnt wird, nämlich der Wert der wegge-

Vgl. Schönke/SchröderlEser, § 249 Rn. 4. LK-Ruß, § 242 Rn. 3. 17 Der Kreis der im Strafrecht als Ordnungsbegriffe zu definierenden Begriffe ist kleiner als der im Alltagssprachgebrauch, während es umgekehrt wegen der Angewiesenheit des Strafrechts auf die Alltagssprache keine Fälle gibt, in denen ein Begriff nur im Strafrecht als Ordnungsbegriff definiert wird. 15

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4. Teil: Die Bewertung der Tatschwere

nommenen Sache l8 . Zur Begründung wird auf § 248 a verwiesen, woraus sich die Relevanz des Werts der Sache für die Strafzumessung ergebe l9 . Da das Antragserfordernis jedoch im Interesse der Verfahrensökonomie besteht, läßt sich allein mit einer systematischen Auslegung nicht zwingend begründen, daß auch jenseits der Schwelle, bis zu der Bagatelltaten ausgesiebt werden können, weiterhin nach dem Wert der gestohlenen Sache differenziert werden soll. Im übrigen stellt sich dasselbe Problem auch bei anderen Eigentumsdelikten, für die keine dem § 248 a vergleichbare Einschränkung vorgesehen ist (bei der Sachbeschädigung etwa findet der Wert der Sache keine Erwähnung im Gesetz). Aus dem soeben Erörterten ergibt sich auch, daß die gängige Einteilung in "tatbestandliche" und "außertatbestandliche" Folgen sprachlich unpräzise ist. Manche Kriterien, die für das Ausmaß des Unrechts wichtig sind, müssen genaugenommen als außertatbestandlich eingeordnet werden. ee) Als Fazit dieses Abschnitts ist festzuhalten, daß eine sich auf Begriffsanalysen konzentrierende Vorgehensweise keine hinreichende Unrechtsanalyse ergeben kann. Ohne die Bezugnahme auf materielle Bewertungskriterien ist das Gewicht des Tatunrechts in einem konkreten Fall nicht zu erfaßen. Auch im Bereich der Strafzumessung ist deshalb eine vertiefte Auseinandersetzung mit den Maßstäben unabdingbar, die ein bestimmtes Geschehen zu strafrechtlichem Unrecht machen. Die erste grundlegende Frage in diesem Zusammenhang betrifft das relative Gewicht, das Taterfolg und Tathandlung zukommen sollte. Oben wurde bereits darauf verwiesen, daß im Einklang mit neueren Arbeiten im Schrifttum auch hier eine Orientierung an Erfolgs- und Handlungsunrecht befürwortet wird20 . An dieser Stelle ist nun auf die Berechtigung dieses Ansatzes einzugehen. Notwendig wird dabei eine Rechtfertigung der dominanten Stellung des Erfolgsunrechts, da die sogenannte monistischsubjektive Lehre21 die Unrechtsrelevanz des Erfolgs verneint - was gerade für die Strafzumessung erhebliche Konsequenzen hätte. Eine Auseinandersetzung

18 Vgl. BGHSt. 29, 317, 323; Hettinger, Doppe1verwertungsverbot, S. 95; Schäfer, Praxis der Strafzwnessung, Rn. 666 a. 19 Puppe, Idealkonkurrenz und Einzelverbrechen, S. 98. 20 Vgl. 3. Teil, 4. Kap., I ace. 21 Armin Kaufmann, Lehre vom personalen Umecht, S. 403,410 f; SchafJstein, FS f\ir We1zel, S. 561 ff. (f\ir die fahrlässige Tat); Horn, Konkrete Gefährdungsdelikte, S. 79 ff.; ders., SK, § 46 Rn. 47; Lüderssen, FS für Bocke1mann, S. 182 ff.; Zielinski, Handlungs- und Erfolgsunwert, S. 143 f, 148 und passim; Silva-Sanchez, ZStW 101 (1989), 370; Mir Puig, GS für Armin Kaufmann, S. 263 f; Domseifer, GS f\ir Armin Kaufmann, S. 434 ff.

1. Kapitel: Das Unrecht der Tat als Anknüpfungspunkt der Strafzumessung

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mit diesem Ansatz, der in der Strafrechtswissenschaft überwiegend kritisch beurteilt worden ise2 , ist deshalb notwendig.

2. Gründe für ein dualistisches Unrechtsverständnis a) Erfolgsunabhängiges Unrecht: Die monistisch-subjektive Lehre

In der zeitgenössischen Strafrechtswissenschaft gehören normentheoretische Überlegungen zum Bestand der weitgehend konsentierten Prämissen. Insbesondere ist nahezu unstreitig, daß strafrechtlichen Normen die Funktion zukommt, menschliches Verhalten zu beeinflussen23 . Zweifelhaft ist allenfalls, ob Normen pjlichtenerzeugende Rechtssätze sind24 ; unproblematischer ist ihre Charakterisierung als Appelle. das sanktionierte Verhalten zu unterlassen. Für das Unrechtsverständnis entscheidend sind die Konsequenzen, die aus dieser Prämisse gezogen werden. In der ausführlichsten Ausarbeitung der monistisch-subjektiven Lehre stützt sich ZielinskP5 auf eine Weiterentwicklung der finalistischen Lehre26 , die allerdings ohne den ontologischen Handlungsbegriff Welzel?? auskommt. Unter Bezug auf die normentheoretische Konzeption Armin Kaufmann?8 rückt Zielinski die verhaltensbestimmende Funktion der strafrechtlichen Normen in den 22 Vgl. Gallas, FS filr Bockelmann, S. 161 ff.; Krümpelmann, FS filr Bockelmann, S. 443 ff.; Stratenwerth, FS für Schaffstein, S. 182 ff.; Schünemann, FS filr Schaffstein, S. 171 ff.; Mylonopoulus, Handlungs- und Erfolgsunwert; Wolter, Objektive und personale Zurechnung, S. 26 ff., 113 ff.; Schönebom, GA 1981, 73 ff.; Ebert/Kühl, Jura 1981, 234 f.; Maiwald, in: Schöch (Hrsg.), Wiedergutmachung und Strafrecht, S. 67 ff.; Maurach/Zipf, Strafrecht AT 1, § 17 Rn. 2 ff.; Jakobs, Strafrecht AT, 6/73; Kühl, Strafrecht AT, § 3 Rn. 6; Puppe, NK, vor § 13 Rn. 17 ff.; Roxin, Strafrecht AT 1, § 10 Rn. 96 ff. 23 Vgl. nur Roxin, Strafrecht AT 1, § 10 Rn. 93; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, S. 237 f. m.w.Nwen. Anders Schmidhäuser, Strafrecht AT, 5111, der als Adressaten strafrechtlicher Normen allein die Strafverfolgungsbehörden ansieht; ebenso Kargl, GA 1998, 74 f. 24 So Annin Kaufmann, Bindings Normentheorie, S. 140 ff.; zur Kritik, die bereits gegen Binding geltend gemacht wurde, a.a.O. S. 234 ff. 25 Handlungs- und Erfolgsunrecht, 1973. 26 Zum Finalismus vgl. grundlegend Welzel, ZStW 51 (1931),704 ff.; dens., Finale Handlungslehre sowie dens., Bild des Strafrechtssystems, S. 4 ff. Die erste Verwendung des die Lehre prägenden Terminus fmdet sich bei dems., Naturalismus und Wertphilosophie, S. 65, 79 ff., 82 ff. 27 Welzel, ZStW 51 (1931), 706 ff., 718 ff.; ders., Naturalismus und Wertphilosophie, S. 65 ff., 74 ff., 78 ff., 82 ff.; ders., Um die fmale Handlungslehre, S. 7 ff.; ders., Das neue Bild des Strafrechts systems, S. 4; ders., Deutsches Strafrecht, S. 30 ff. Zu den philosophischen Grundlagen Hartmann, Ethik, S. 251 ff. 28 In: Bindings Normentheorie, S. 36 ff., 67 ff., 105 ff.

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4. Teil: Die Bewertung der Tatschwere

Vordergrund29 . Da Unrecht das sei, was nach der Nonn nicht sein solle, käme dafür nur die verbotene Handlung in Betracht. Es sei für das Strafrecht nicht sinnvoll, bei der Bestimmung des Unrechts an die Verletzung des Rechtsgutsobjekts anzuknüpfen30 . Folglich konstituiere allein das Handlungsunrecht das strafrechliche Unrecht. Der Erfolg habe weder unrechtsbegründende noch erhöhende Funktion, sondern lediglich die Aufgabe, als objektive Strafbarkeitsvoraussetzung diejenigen Rechtsbrüche auszusondern, bei denen die Strafwürdigkeit zu verneinen see 1. Zielinski führt zur Strafzumessung folgerichtig aus, daß der eingetretene Erfolg für das Strafmaß keine Rolle spielen dürfe. Die Ausrichtung am Erfolg sei ein "Tribut an irrationales, archaisches Rachedenken,,32.

b) Schwächen der monistisch-subjektiven Lehre

aa) Gegen eine ausschließlich auf das Handlungsunrecht abstellende Unrechtslehre lassen sich mindestens vier Einwände vorbringen. Die erste Verteidigungslinie eines dualistischen Unrechtsverständnisses stützt sich auf strafrechtssystematische Gründe. Die Friktionen zwischen der monistischsubjektiven Lehre und dem geltenden deutschen Strafrecht sind mehrfach ausführlich dargelegt worden, so daß die Darstellung hier summarisch erfolgen kann33 . Evident sind die Schwächen im Bereich der Fahrlässigkeitsdelikte: Die strafrechtlichen Folgen einer fahrlässigen Tötung oder Körperverletzung (§§ 222 bzw. 229), eines konkreten Gefahrdungsdelikts (etwa § 315 c), eines abstrakten Gefahrdungsdelikts (§ 316) oder einer nicht strafbaren, obgleich sorgfaltspflichtwidrigen Handlung sind sehr unterschiedlich34 . Die Einordnung als objektive Bedingung der Strafbarkeit ist nicht systemadäquat, da Zielinski, HandlWlgs- Wld ErfolgsWlfecht, S. 121 ff. Zielinski, HandlWlgs- Wld ErfolgsWlfecht, S. 127. 31 Zielinski, HandlWlgs- Wld ErfolgsWlfecht, S. 143 f, 204 ff. Wld passim; Armin Kaufmann, FS für Welze!, S. 411. 32 Zielinski, HandlWlgs- Wld ErfolgsWlfecht, S. 215. Bezüglich der StrafzwnessWlgsfrage sind allerdings nicht alle Vertreter der Lehre konsequent: vgl. Scha.fJsteins BesprechWlg (GA 1975, 342 f.), der der Irrelevanz des Erfolges für das Unrecht zustinunt, aber meint, der Erfolg sei als Indikator für die Strafwürdigkeit im Rahmen der Spielraumtheorie bei der StrafzwnessWlg zu berücksichtigen, sowie Horn, Konkrete GefiihrdWlgsdelikte, S. 81. 33 Vgl. Krauß, ZStW 76 (1964), 61 f; Schunemann, FS für Schaffstein, S. 171 ff.; Stratenwerth, FS für Schaffstein, S. 186 ff.; Maiwald, in: Schöch (Hrsg.), WiedergutmachWlg Wld Strafrecht, S. 66 ff.; Mylonopoulus, HandlWlgS- Wld ErfolgsWlwert, S. 67 ff.; Jakobs, Strafrecht AT, 6/73; Maurach/Zipf, Strafrecht AT 1, § 17 Rn. 4; Roxin, Strafrecht AT 1, § 10 Rn. 95. 34 Vgl. Krauß, ZStW 76 (1964), 61 f; Stratenwerth, FS für Schaffstein, S. 187 f; Mylonopoulus, HandlWlgs- Wld ErfolgsWlwert, S. 67 f 29

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1. Kapitel: Das Unrecht der Tat als Anknüpfungspunkt der Strafzumessung

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Umstände außerhalb von Unrecht und Schuld zumindest keinen dominanten Einfluß auf die Strafhöhe haben können3s . Die verschiedenen Versuche, die gesetzlich verankerte Relevanz des Erfolgs unrechtsunabhängig zu deuten, nämlich auf der Basis von ökonomischen, beweistechnischen oder psychologisch begründeten Zweckmäßigkeitserwägungen, können möglicherweise zwar die strafbarkeitsbegründende Funktion des Erfolgs begründen, nicht aber den Zusammenhang von Strafmaß und Erfoli6 . bb) Die mangelnde Überzeugungskraft der monistisch-subjektiven Lehre ergibt sich zweitens auch aus der Analyse ihrer normtheoretischen Prämissen. Armin Kaufmanns Verständnis von Nonn und Werturteil, welches Zielinski übernimmt, geht davon aus, daß die Bestimmungsfunktion von Nonnen auf logisch vorausgehenden Werturteilen aufbaut: der positiven Bewertung von Rechtsgütern als Werturteil 1. Stufe, der negativen Bewertung von rechtsgutsverletzenden Ereignissen als Werturteil 2. Stufe und der Bewertung der Handlungen, die zu rechtsgutsverletzenden Ereignissen führen, als 3. Stufe37 . Die Bewertungsnonn der 3. Stufe gestalte den Inhalt der Bestimmungsnonn, wobei dieser Inhalt mit dem Werturteil identisch sein müsse38 . Der erste Kritikpunkt setzt bei der Definition des Inhalts der Bestimmungsnorm an. Die Prämisse, eine Nonn könne nur menschliches Verhalten bestimmen, wenn sie explizit beschriebene Handlungen gebiete oder verbiete, ist nicht zwingend. Durch das Verbot eines Erfolgs sind ebenfalls Steuerungseffekte zu erzielen, da Menschen ihr Verhalten nicht nur an einfach strukturierten Handlungsverboten, sondern auch in differenzierterer Fonn an Risikoabschätzungen orientieren39 . Außerdem ist die Überbetonung der Bestimmungsnonn zu kritisieren, da damit eine verkürzte Sichtweise der Funktionen des Strafrechts verbunden ist.

3S Stratenwerth, FS für Schaffstein, S. 186; Schänebom, GA 1981, 73 ff.; Mylonopoulus, Handlungs- und Erfolgsunwert, S. 67 f; Maiwald, in: Schöch (Hrsg.), Wiedergutmachung im Strafrecht, S. 72. Fälle, in denen die Rechtsprechung objektive Bedingungen der Strafbarkeit bei der Strafzumessung heranzieht (vor allem den Umfang der Rauschtat bei einer Verurteilung aus 323 a, vgl. zustimmend Frisch, ZStW 99 -1987-, 757) entwerten dieses Argument nicht zwangsläufig, da diese als Ausnahmen eingestuft werden könnten. 36 Vgl. Degener, ZStW 103 (1991), 376 ff., 384 f. Weitere Ungereimtheiten der allein auf den Handlungsunwert abstellenden Lehre liegen im Bereich der Versuchsstrafbarkeit (Stratenwerth, FS ftlr Schaffstein, S. 186 f), beim Ausschluß der Strafbarkeit des agent provocateurs (Rudolphi, FS für Maurach, S. 54) und beim Unwertausschluß (Stratenwerth, FS für Schaffstein, S. 189 ff.; Gal/as, FS für Bockelmann, S. 166 f;Schänebom, GA 1981,760. 37 Annin Kaufmann, Bindings Normentheorie, S. 69 ff. 38 Annin Kaufmann, Bindings Normentheorie, S. 75. 39 Schünemann, FS ftlr Schaffstein, S. 174 f

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4. Teil: Die BewertWlg der Tatschwere

Die Rolle der strafrechtlichen Normen als Bestimmungsnormen schließt nicht zusätzliche Funktionen als Bewertungsnormen aus40 . Zielinski siedelt das Werturteil im Verhältnis zur Bestimmungnorm ausschließlich auf der MetaEbene an. Zutreffender dürfte die Beziehung von Bestimmungsnorm und Bewertung so zu bestimmen sein, daß es zwar ein der Bestimmungsnorm vorausgehendes Werturteil gibt, daß aber nach der Handlung ein weiteres Werturteil abgegeben wird41 . Das mit dem Strafausspruch verbundene sozialethische Unwerturteil ist ein unverzichtbares Element der Kriminalstrafe42 . Dieses Werturteil und das der Bestimmungsnorm vorausgehende unterscheiden sich durch die Bewertungsperspektive: Das eine beurteilt Handlungen ex ante, das andere ex post. Dabei ist die Funktion der ex ante-Beurteilung eine andere als die der Bewertung ex post. Die Wirksamkeit der Bestimmungsnorm hängt davon ab, daß sie unmißverständlich ist43 , d.h. sie sollte einfach und präzise formulierte Verbote enthalten. Je ausdifferenzierter Bestimmungsnormen sind, desto mehr leidet die Kommunizierbarkeit und Verständlichkeit44 . Anders verhält es sich mit der ex post-Bewertung des strafrechtlichen Unrechts: Insoweit können mehr Faktoren in das Urteil einfließen. Das Urteil muß zwar ebenfalls kommunizierbar bleiben; es bleibt aber ein Urteil über ein Einzelgeschehen und erlaubt deshalb einen größeren Differenzierungsgrad als die Bestimmungsnorm, die eine unbestimmte Zahl von Entscheidungskonstellationen abdecken und deshalb plakativer sein muß. Damit entfallt die normtheoretische Basis der monistisch-subjektiven Lehre: Aus der Bestimmungsfunkti40 Maihofer, FS für Rittler, S. 143; Stratenwerth, FS für Schaffstein, S. 185; Maiwald, in: Schöch (Hrsg.), WiedergutmachWlg Wld Strafrecht, S. 69 f. 41 Vgl. Gallas, FS für Bockelmann, S. 158, 162; Wolter, Objektive Wld personale ZurechnWlg, S. 26 f. 42 Vgl. die Nwe. oben 3. Teil, 1. Kap., 3 b. 43 So mit Recht, aber falscher SchlußfolgefWlg Zielinski, HandlWlgs- Wld Erfolgsunrecht, S. 122. 44 Armin Kaufmanns Nonnentheorie berücksichtigt auch die ex post-Natur der BeurteilWlg strafrechtlichen Unrechts. Auch für diese BewertWlg hält er aber an der Identität des Gegenstands des Werturteils mit dem Gegenstand der Nonn fest: Die Voraussetzungen der durch die Nonn begründeten Pflicht Wld des Unrechts der geschehenen Tat seien dieselben (Bindings Nonnentheorie, S. 156 ff.). Mit dieser Aussage setzt er sich allerdings - ohne dies zu thematisieren - in Widerspruch zu GfWldaussagen der fInalen HandlWlgslehre Welzels. Dies wird offensichtlich, wenn man sich vor Augen hält, daß nach Welzel der sozialethische AktWlwert (der vorsätzlichen Tat) zu bestimmen ist anhand der ,,zielsetzung, welche er (der Täter) der objektiven Tat zwecktätig gegeben, aus welcher EinstellWlg heraus er sie begangen hat, welche Pflichten ihm dabei oblagen" (Das Deutsche Strafrecht, S. 62). Spätestens bei dem Versuch, alle möglichen Varianten Wld Nuancen der inneren EinstellWlg potentieller Täter in die Bestimmungsnorm zu fassen, wird klar, daß Unmögliches versucht würde. Eine BestimmWlgsnonn muß hinreichend klar strukturiert sein. Mit einer BewertWlg innerer EinstellWlgen, Pflichten etc. ist es nicht vereinbar, das Postulat von der Identität der ex post-BewertWlgsnonn Wld der ex ante-BestimmWlgsnonn aufrechtzuhalten.

1. Kapitel: Das Unrecht der Tat als Anknüpfungspunkt der Strafzumessung

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on strafrechtlicher Normen folgt nicht, daß bei der Bewertung des geschehenen Unrechts nur die Handlung und nicht der Erfolg berücksichtigt werden kann, da die Maßstäbe für Bestimmungs- und Bewertungsnorm nicht identisch sind. ce) Ein dritter wesentlicher Einwand gegen einen monistisch-subjektiven Ansatz verweist auf die notwendigerweise hinter jeder Unrechtsbewertung stehenden Annahmen über das Verhältnis von Individuum und strafender Staatsgewalt. Hinter einem die Regulierung menschlicher Handlungen anstatt die Vermeidung von Erfolgen akzentuierenden Verständnis der Funktion des Strafrechts steht ein sozialautoritäres Bild des Staates. Die in einem liberalen Staat vertretbare Regulierung menschlichen Verhaltens kann dagegen nur fragmentarischer Natur 45 sein. Es entspricht dem Respekt vor der Autonomie der Staatsbürger, daß es grundsätzlich Sache jedes einzelnen bleibt, wie er seine Lebensführung organisiert. Die ..sich mit dem Eintritt in eine rechtsstaatlieh-liberale Epoche durchsetzende Erkenntnis, die in der Feuerbachschen Formulierung Ausdruck gefunden hat, der Staat habe lediglich der Erhaltung äußerer Rechte zu dienen46 , ist auch für ein modemes Strafrecht von unveränderter Gültigkeit47 • Die Bewertung von Verhalten darf kein Selbstzweck48 , das Strafrecht keine "Seelenordnung" sein49 . Menschliches Verhalten kann nur insoweit staatlicher Regulierung unterstehen, als das Ergebnis der autonomen Gestaltung von Lebenskreisen inakzeptabel iseo. Der Befund, daß für ein liberales Strafrecht der Erfolg einer Handlung und nicht die Qualität der Handlung an sich den vorrangigen Anknüpfungspunkt zu bilden hat, wird bestätigt, wenn man sich die Perspektive vergegenwärtigt, aus der ein ex post-Bewertungsurteil abgegeben wird: Strafrechtlicher Tadel wird aus einer Außenperspektive abgegeben. Für ein Unwerturteil über die Handlung eines anderen ist aber für den Urteilenden in erster Linie maßgeblich, inwieweit die zu tadelnde Handlung fremde Rechte angegriffen hat. Die Fokusierung auf die Richtigkeit der Handlung unabhängig von ihren Auswirkungen kann berechtigt sein, wenn der Urteilende eine übergeordnete Stellung hat, also etwa bei der Beurteilung durch einen Priester als Stellvertreter einer 45 Zum auf Binding zurückgehenden Gebrauch der Formel von der "fragmentarischen Natur des Strafrechts" vgl. Maiwald, FS filr Maurach, S. 9 ff. rn.w. Nwen. 46 Feuerbach/Mittermaier, Lehrbuch, § 19. 47 Maihofer, FS für Rittler, S. 143; Maiwald, FS filr Maurach, S. 11; Baumann/WeberlMitsch, Strafrecht AT, § 3 Rn. 1 ff. 48 Vgl. Puppe, NK, vor § 13 Rn. 17; Maiwald, in: Schöch (Hrsg.), Wiedergutmachung und Strafrecht, S. 71 f. 49 Beling, GS 91 (1925), 360. 50 Vgl. auch Schünemann, FS für Schaffstein, S. 174 sowie Mylonopoulus, Handlungs- und Erfolgsunwert, S. 83.

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4. Teil: Die Bewertung der Tatschwere

göttlichen Instanz. Auch ist diese Betrachtungsweise denkbar bei der Eigenbewertung des Handelnden. Sobald jedoch ein Dritter urteilt, der entweder selbst am Geschehen beteiligt war oder aber anstelle eines Beteiligten bewertet, TÜcken die Auswirkungen der Handlung in den Vordergrund. Da, wie oben ausgeführt, die expressiv-kommunikative Funktion der Strafe auch im Hinblick auf die Position des Tatopfers besteht51 , bleibt dessen Bewertungsperspektive relevant52 : Das Urteil "im Namen des Volkes" ist ein stellvertretendes Urteil. In der historischen Entwicklung des Strafrechts ist zwar vom germanischen Recht bis zur Entwicklung eines rechtsstaatlich-liberalen Strafrechts im 18. und 19. Jahrhundert eine kontinuierliche Abnahme des direkten Einflusses des durch die Straftat Verletzten festzustellen 53 . Die positiven Aspekte der damit verbundenen Einschränkung und Kanalisierung privater sozialer Kontrolle können auch nicht ernsthaft in Frage gestellt werden: Die Funktion eines dem modernen Rechtsstaatsverständnis entsprechenden Strafrechts und -verfahrens liegt in der Verankerung von Wertprinzipien, die für eine Mäßigung der Reaktion auf eine Straftat wichtig sind54 . Es darf dabei jedoch nicht aus dem Blickfeld geraten, daß die Errungenschaften des rechtsstaatlich-liberalen Strafrechts beschränkende Prinzipien sind, die es nicht erforderlich machen, vom Urteil des konkret Verletzten vollständig zu abstrahieren. Im Gegenteil dient das Verständnis des Strafurteils als eines Urteils, das der Situation des verletzten Rechtsgutsträgers Rechnung trägt, der notwendigen Verankerung der Bewertungsperspektive: Ein Urteil aus der Perspektive "von nirgendwo,,55 hat in einem säkularisierten Staat keinen Platz. dd) Zuletzt sei noch ein vierter, pragmatischen Einwand gegen ein ausschließlich auf das Handlungsunrecht abstellendes Unrechtskonzept vorgebracht: Gerade für die Strafzumessung führt dieses zu Schwierigkeiten, da die Bewertung des Handlungsunrechts komplizierter ist als die Bewertung des Erfolgsunrechts. Der Vergleich zweier Taten hinsichtlich des Tatschadens ist weniger kompliziert als der Vergleich beispielsweise hinsichtlich des damit verbundenen Intentionsunwerts, da es einfacher ist, Prinzipien für in der Au-

51 3. Teil, 1. Kap., 3 b cc. 52 So auch Stratenwerth, FS für Schaffstein, S. 185; Krampelmann, FS für Bockel-

mann, S. 444; Maiwald, in: Schöch (Hrsg.), Wiedergutmachung und Strafrecht, S. 71; Duff, Criminal Attempts, S. 350 ff. 53 Vgl. Eberhard Schmidt, Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, S. 3 ff.; Frehsee, Schadenswiedergutmachung, S. 12 ff.; Hartmann, Richten oder Schlichten, S. 41 ff. 54 Vgl. zu dieser Funktion des Strafrechts W. Hassemer, Grundlagen des Strafrechts, S. 320 ff.; Kargl, GA 1998, 74 ff. 55 Frei nach Thomas Nagel, The View from Nowhere.

1. Kapitel: Das Unrecht der Tat als Anknüpfungspunkt der Strafzumessung 207

ßenwelt eingetretene Veränderungen zu entwickeln als Prinzipien für die Bewertung von Täterinterna. ee) Nachdem die Wahl der hier zugrunde gelegten dualistischen Unrechtslehre begrundet wurde, sind die Grundlagen des Unwerturteils auf dieser Basis zu vertiefen. Es ist deshalb im folgenden zu untersuchen, aus welcher Perspektive und anhand welcher Maßstäbe erstens das Erfolgsunrecht (3.) und zweitens das Handlungsunrecht (4.) zu bewerten sind.

3. Das Erfolgsunrecht als Beeinträchtigung des Rechtsgutsträgers a) Erfolgsunwert als Friedensstörung?

aa) In der deutschen Strafrechtswissenschaft hat sich eine starke Linie herausgebildet, die ein kollektivistisches Konzept des Tatschadens zugrunde legt. Der Erfolgsunwert wird unter Ausblendung der bei einem bestimmten Geschädigten eingetretenen Verletzungen oder Gefahrdungen als Verletzung eines kollektiven Gutes beschrieben. Die Formulierungen sind zwar im einzelnen unterschiedlich, gehen aber alle auf einen ähnlichen Kern zurück: Es komme auf das Ausmaß der durch die Tat entstandenen Erschütterung der Rechtsordnung bzw. Gesamtrechtsgüterordnung oder auf die Rechtsfriedensstörung bzw. die Störung des sozialen Friedens an56 . Gegen eine Orientierung der Strafzumessung am Ausmaß der Störung des Friedens oder der Erschütterung der Rechtsordnung spricht jedoch eine Reihe von GIiinden. Es ist bereits unklar, was unter Rechts- bzw. Sozialfrieden oder der Erschütterung der Ordnung zu verstehen ist. Stellt man auf die Integrität der Rechtsordnung als solche ab, hat die Definition keinen eigenständigen Aussagegehalt, sondern wird zirkulär: Der Grad des Erfolgsunrechts hinge dann von der Schwere des Rechtsverstoßes ab, wobei die Schwere des Verstoßes gerade im Hinblick auf die Rechtsfriedensstörung erklärt werden soll. Sinnvoll kann von einer Friedensstörung oder Erschütterung der Rechtsordnung nur gesprochen werden, wenn damit ein real existierender und damit

56 Kern, ZStW 64 (1952), 277; Lampe, Das personale Unrecht, S. 210 ff.; Bnms, Recht der Strafzumessung, S. 153 (Erschütterung der Autorität des Rechts); Köhler, Zusammenhang, S. 51 ff.; ders., Strafrecht AT, S. 599; Schünemann, in: ders. (Hrsg.), Grundfragen, S. 191 (Bedrohung der sozialen Friedensordnung); Maurach/Gössel/Zipf, Strafrecht AT 2, § 63 Rn. 28 (schädliche Folgen fllr die Allgemeinheit); Montenbruck, Abwägung und Umwertung, S. 76 ff. Frisch, ZStW 99 (1987), 379 will das Ausmaß der Rechtsfriedensstörung zum Ausgangspunkt der Strafzumessung machen, was sich in Verbindung mit der in 140 Jahre GA, S. 32 f., 35, von ihm vorgeschlagenen Orientierung am Hand1ungs- und Erfolgsunwert auch bei der Defmition des Erfolgsunwerts niederschlagen müßte.

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4. Teil: Die Bewertung der Tatschwere

prinzipiell auch empirisch feststellbarer Zustand bezeichnet wird. Damit tauchen jedoch die bereits bei der Diskussion über die positive Generalprävention angeführten SchwierigkeitenS7 wieder auf, die der Verweis auf makrosoziologische Phänomene bereitet: Es ist kaum möglich, das Ausmaß von gesamtgesellschaftlichen Veränderungsprozessen zu ermitteln. Selbst wenn Einigkeit darüber hergestellt werden könnte, wie "Rechts- bzw. Sozialfrieden" zu operationalisieren sind, ist es selbst in bezug auf Deliktskategorien, und noch mehr in bezug auf Einzeltaten unmöglich, empirisch einigermaßen abgesicherte Aussagen über das Ausmaß einer Veränderung zu machen. Situationseinschätzungen der Tatrichter können nicht als empirische Erkenntnis ausgegeben werden: Ausführungen zu "Friedensstörungen" begründen im Gegenteil die Gefahr, daß subjektive Vorurteile und Ressentiments als pseudosoziologische Tatsachen ausgegeben werden. Ein Austausch des Begriffs "schuldangemessen" durch "Störung des Rechtsfriedens" ist wegen der Unbestimmtheit des Substituts kein Fortschritt. bb) Nimmt man den Gedanken der Rechtsfriedensstörung als maßgeblichen Anknüpfungspunkt ernst, ergeben sich außerdem im einzelnen unhaltbare Konsequenzen, weil der Publizität der Tatbegehung eine entscheidende Rolle für die Strafzumessung zukommen müßte. Es würde für die Bestrafung beispielsweise einen Unterschied machen, ob es sich um eine in aller Heimlichkeit durchgeführte oder um eine in der Öffentlichkeit begangene Tat handelt, also etwa einen heimlich begangenen Mord oder eine Tötungshandlung vor vielen Zeugen. Vor allem aber bestimmt die Intensität der Berichterstattung in den Medien das Ausmaß einer Rechtsfriedensstörung. Eine "gesteigerte Allgemeinbedeutung der Tat"S8 kann nur angenommen werden, wenn die Bevölkerung über die abzuurteilende Handlung wie auch über den Kontext der Tat, also etwa eine vorangegangene Häufung ähnlicher Taten, informiert ist - ansonsten ist ein "aufgestörter" Zustand der BevölkerungS9 nicht denkbar. Auch wenn die gesteigerte Allgemeinbedeutung einer Tat nicht an akuten Ausdrucksfarmen der kollektivpsychologischen Erregung und Beunruhigung über bestimmte Straftaten bestimmt würde, sondern nach einem abstrakteren Maßstab, nämlich als eine Verschiebung kulturell-gesellschaftlicher Maßstäbe für die Bewertung von Tatschwere60, ist eine entsprechende Berichterstattung zwingende Voraussetzung. Die häufig in Wellen ablaufende, durch einzelne Taten ausgelöste, sich dann aber teilweise auch verselbständigende Fokussierung auf bestimmte Delikts- und Tätergruppen und die sich anschließende

57

58 59 60

Vgl. oben 2. Teil, 1. Kap., 4 b. Köhler, Zusammenhang, S. 51; ders., Strafrecht AT, S. 599. Köhler, Zusammenhang, S. 51. Köhler, Zusammenhang, S. 52 ff.

1. Kapitel: Das Unrecht der Tat als Anknüpfungspunkt der Strafzwnessung

209

Verebbung des Interesses kann jedoch nicht zum Maßstab der Strafzumessung gemacht werden. cc) Neben den Problemen bei der Umsetzung des Konzepts der "Rechtsfriedensstörung" sprechen auch prinzipielle Einwände gegen diesen Ansatz. Es entsteht ein Widerspruch zu der - heute soweit ersichtlich unumstrittenen Anerkennung von Individualrechtsgütern als Schutzobjekte des Strafrechts61 , wenn bei der Strafzumessung der Bezug zum verletzten Rechtsgut zugunsten einer Kollektivierung des Unrechtstatbestands verwässert würde. Außerdem ist, wie soeben ausgeführt62, das strafrechtliche Werturteil kein Urteil einer unbeteiligten, übergeordneten Instanz, sondern ein stellvertretendes Urteil, welches insbesondere die Perspektive des Verletzten einschließt. Es wäre deshalb inkonsequent, bei der Bewertung des Erfolgsunrechts die Opferperspektive zugunsten gesellschaftsorientierter Standards auszublenden. dd) Für eine an der Rechts- oder Friedensordnung ausgerichtete Schadensdimension werden in der Strafrechtswissenschaft Gründe angeführt, die mit einern makro-soziologischen Konzept nichts zu tun haben. In diesem Sinne wird argumentiert, es bedürfe eines einheitlichen Oberbegriffs, um die Verletzungen unterschiedlicher Rechtsgüter miteinander vergleichen zu können63 . Diese Annahme ist jedoch nicht zutreffend. Zwar bedarf es in der Tat eines Maßstabs, um unterschiedliche Delikte vergleichend bewerten zu können: Die phänomenologisch ganz unterschiedlich ausfallenden Tatfolgen müssen in die gemeinsame "Währung" einer einheitlichen Schadensdimension umgesetzt werden. Dazu bedarf es jedoch nicht einer Abstrahierung von den konkreten Tatfolgen zu einern kollektivistischen Schadensverständnis. Vielmehr ist, wie sogleich ausgeführt wird, auf einern wesentlich weniger abstrakten Niveau der Vergleich unterschiedlicher Delikte hinsichtlich des Erfolgsunrechts möglich. In ähnlicher Weise wurde für die Orientierung an der Rechtsfriedensstörung damit geworben, daß damit ein gemeinsamer Oberbegriff nicht nur für unterschiedliche Formen des Erfolgsunrechts, sondern auch für Erfolgs- und Handlungsunrecht zur Verfügung stehe64 . Es ist jedoch zweifelhaft, ob Begriffe auf einern derart hohen Abstraktionsniveau tatsächlich sinnvolle Anknüpfungspunkte für die Ableitung konkreter Strafzumessungsgrundsätze sein können oder ob damit nicht nur ein letztlich inhaltsarmer Begriffshirnrnel geschaffen wird. Im übrigen ist ein auf die Friedensstörung abstellendes Unrechtsverständnis nicht die einzige Möglichkeit, eine gemeinsame Linie für die Bewertung von Erfolgs- und Handlungsunrecht herzustellen. Auch mit

61 62 63 64

Vgl. statt vieler Roxin, Strafrecht AT 1, § 2. Oben 2 b cc. Montenbrock, Abwägung und Umwertung, S. 78. Lampe, Das personale Unrecht, S. 210 fI.

14 HörnI.

210

4. Teil: Die Bewertung der Tatschwere

dem hier noch näher auszuführenden Ansatz einer Tatbewertung aus der Opferperspektive ist es möglich, bei der Unrechtsbewertung zumindest eine einheitliche perspektivische Verankerung zu schaffen.

b) Erfolgsunwert als Rechtsgutsverletzung oder Verletzung des Handlungsobjekts? aa) Ein häufig angeführter Maßstab fiir die Bewertung des Erfolgsunrechts stellt auf das Ausmaß der Rechtsgüterverletzung ab65 . Diese Umschreibung eines Erfolgseintritts ist jedoch unpräzise: Ungeachtet der Differenzen über die Natur und die Funktion von Rechtsgütern im einzelnen, besteht Einigkeit dahingehend, daß ein Rechtsgut nicht ein einem bestimmten Subjekt zugeordnetes Interesse oder Recht sein kann, sondern auf einem höheren Abstraktionsniveau anzusiedeln ist66 . Die Beeinträchtigung eines so stark von ontologischen Gegebenheiten abstrahierenden Gebildes ist kaum denkbar und auf jeden Fall nicht quantifizierbar67 • Eine weitere Schwierigkeit entsteht bei einer rechtsgutsbezogenen Konzeption des Erfolgsunwerts: Die Frage, welche Tatfolgen berücksichtigungsfahig sind, gehört zu den am meisten diskutierten Gebieten des Strafzumessungsrechts68 . Wenn das Erfolgsunrecht durch die Verletzung des tatbestandiich geschützten Rechtsguts definiert wird, ist eine Vorentscheidung bezüglich des Umfangs der strafzumessungsrelevanten Tatfolgen getroffen. Auswirkungen, die nicht das tatbestandlich geschützte Rechtsgut betreffen, könnten bereits aus begriffsdefinitorischen Gründen nicht zum Erfolgsunwert gerechnet werden69 . Vorzugswürdig ist jedoch eine offenere Definition des Erfolgsunwerts, die Raum dafür läßt, aufgrund inhaltlicher Überlegungen eine sachgerechte Einschränkung der Strafzumessungsgründe vorzunehmen70 • Der Erfolgsunwert ist 65 Vgl. Noll, ZStW 68 (1956), 182; Baumann/Weber, Strafrecht AT9 , S. 634; Maurach/Zipf, Strafrecht AT 1, § 17 Rn. 27; Schünemann, in: ders. (Hrsg.), Grundfragen, S. 191; ders., in: Eser/Cornils (Hrsg.), Neuere Tendenzen, S. 227; Erhard, Strafzumessung bei Vorbestraften, S. 205; Schäfer, Praxis der Strafzumessung, Rn. 234; H.-J. AIbrecht, Strafzumessung bei schwerer Kriminalität, S. 53. 66 Schmidhäuser, FS flir Engisch, S. 445; ders., Strafrecht AT, 2/30; Roxin, Strafrecht AT 1, § 2 Rn. 24; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, S. 256 ff. 67 Einzeltaten können genaugenommen überhaupt nur Gefährdungen des Rechtsguts darstellen, weil durch eine, und sei es noch so verwerfliche Tat eines einzelnen die Ge1tungswirkung des abstrakten Gutes nicht ernsthaft beeinträchtigt werden kann. Vgl. hierzu Hefendehl, Strafrecht und Schutz kollektiver Rechtsgüter. 68 Vgl. unten 7. 69 Vgl. Bloy, ZStW 107 (1995), 576 ff. 70 Aus methodischen Erwägungen ist eine Vorgehensweise abzulehnen, die rechtfertigungsbedÜTftige Eingrenzungsfragen durch die Wahl einer Definition vorweg-

1. Kapitel: Das Unrecht der Tat als Anknüpfungspunkt der Strafzumessung 211

daher einerseits konkreter, andererseits offener zu definieren, als dies auf der Basis des Rechtsgutsbegriffs möglich ist. bb) Man könnte in diesem Sinne erwägen, auf die Beeinträchtigung des Handlungs- bzw. Rechtsgutsobjekts abzustellen71 . Diese Formulierung trifft jedoch nicht den Kern der Sache, was am Beispiel eines Diebstahls evident wird: Das Objekt, die bewegliche Sache, wird nicht verletzt; durch den Gewahrsamswechsel bleibt die Integrität des Gegenstands unberührt. Verletzt wird das Subjekt, welches Rechte in bezug auf diesen Gegenstand hat72 • c) Erfolgsunwert als Beeinträchtigung eines Rechtsgutsträgers

aa) Es bleibt als gangbarer Weg die Definition des Erfolgs als Beeinträchtigung eines Rechtsgutsträgers. Diese Beeinträchtigung besteht in der negativen Veränderung des Zustands eines ihm zugeordneten Rechtsgutsobjekts oder zumindest in der Gefahr einer solchen Veränderung73 . Die praktische Unmöglichkeit, von einer kollektivistischen Schadensperspektive zu einem konkreten Strafmaß zu gelangen, spricht dafür, zumindest wenn dies möglich ist, bodenständigere und faßbarere Maßstäbe anzuwenden. Anders als das kritisierte stark abstrahierende Schadensverständnis trägt dieser Maßstab dem Umstand Rechnung, daß es bei den meisten Delikten einen konkret durch die Tat Verletzten gibt. Gegen die hier vorgeschlagene Definition könnte eingewandt werden, daß es sich um einen rückständigen Ansatz handle, weil der auf Individuen als Rechtsgutsträger abstellende Bemessungsmaßstab mit den Entwicklungsprinzipien des modemen Strafrechts nicht übereinstimme, wonach die Bedeutung eines an Erfolgsdelikten und der Verletzung individueller Rechte orientierten Strafrechts schwinde74 • Aus einem pragmatischen Blickwinkel ist jedoch dar-

nimmt. Vgl. H.L.A. Hart, Principles of Punishment, S. 5 f. zu "defmitional stop" bei der Frage nach der Rechtfertigung von Strafe. 71 Gallas, FS für Bockelrnann, S. 163; Puppe, GA 1994, 297, 299; dies., NK, vor § 13 Rn. 75 ff.: ,,nachteilige Veränderung eines gegebenen Rechtsgutsobjekts"; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, S. 240. Zu der herkömmlichen Unterscheidung von Rechtsgut und Handlungsobjekt s. Stratenwerth, Strafrecht AT, Rn. 209; JeschecklWeigend, Strafrecht AT, S. 259 f.; Roxin, Strafrecht AT 1, § 2 Rn. 24. 72 Das gleiche gilt auch fUr die Handlungsobjekte von Taten gegen höchstpersönliche Rechtsgüter. Die Gesundheit eines Menschen wird nicht verletzt. Der Alltagssprachgebrauch ist insoweit unpräzise: Verletzt wird der Mensch an seiner Gesundheit. 73 Vgl. Kühl, Strafrecht AT, § 3 Rn. 3. 74 Vgl. Degener, ZStW 103 (1991), 382 ff.; W Hassemer, Produktverantwortung, S. 10 ff.; ders., in: SchÜllemannlvon HirschlJareborg (Hrsg.), Positive Generalprävention, S. 38 f.; Herzog, Gesellschaftliche Unsicherheit, S. 109 ff. 14·

212

4. Teil: Die Bewertung der Tatschwere

auf hinzuweisen, daß dem Interesse von Strafgesetzgebung und Strafrechtswissenschaft an Kollektivrechtsgütern und abstrakten Gefährdungsdelikten eine relative Bedeutungslosigkeit dieser Delikte für die tatrichterliche Praxis gegenübersteht. Der weitaus größte Teil aller Strafzumessungsentscheidungen betrifft die klassischen Verletzungsdelikte75 • Mit einem an der konkreten Schadensdimension orientierten Maßstab sind deshalb aus der Sicht der Praxis jedenfalls wesentliche Teile des Strafzumessungsrechts abgedeckt. Allein aus diesem Grund wird man nicht folgern können, ein an der SchlechtersteIlung des Rechtsgutsträgers orientiertes Strafzumessungsrecht sei bereits deshalb abzulehnen, weil damit nicht für alle Delikte eine einheitliche Methode zur Unrechtsbewertung zur Verfügung steht. bb) Im Rahmen dieser Arbeit ist es nicht möglich, ein umfassendes Schema zur Unrechtsbewertung für alle Straftaten zu entwickeln: Der Erfolgsunwert von Delikten gegen KOllektivrechtsgüter kann nicht erörtert werden, da dies zunächst eine analytische Aufbereitung dieser Delikte erfordern würde. Die Bewertung des Unrechts muß auf eine Theorie der durch die Kollektivrechtsgüter geschützten Interessen aufbauen, die in ihrer Komplexität entsprechende Überlegungen für Individualrechtsgüter bei weitem übersteigt. Während bei Individualinteressen zumindest im Prinzip unumstritten ist, daß diese strafrechtlichen Schutz verdienen, muß eine Untersuchung über das Unrecht von Delikten gegen Kollektivrechtsgüter auf einer grundsätzlicheren Ebene ansetzen, nämlich bei den Gründen für die strafrechtlichen Verbote. Erst wenn die Aufgabe der Rechtfertigung und Systernatisierung kollektiver Rechtsgüter erfüllt worden ist, läßt sich eine Rangfolge geschützter Interessen erstellen und die Intensität einer Handlung in bezug auf ihre Bedeutung für das Rechtsgut bewerten. Eine Abhandlung der kollektiven Rechtsgüter ist als Bestandteil einer Arbeit, die sich einer generelleren Fragestellung widmet, nicht zu erfüllen 76 . cc) Die hier zugrunde gelegte Definition des Erfolgs nimmt Bezug auf Delikte, durch die Individualrechtsgüter verletzt bzw. konkret gefährdet werden. Dies wirft unter anderem das Problem auf, wie der Erfolgsunwert bestimmt werden soll, wenn ein Individualrechtsgut nicht konkret, sondern nur abstrakt 75 Von den Verurteilungen nach dem StGB ohne Verkehrsdelikte im Jahre 1996 machen allein diejenigen wegen der drei am häufigsten vorkommenden Deliktsgruppen (Diebstahl und Unterschlagung, Betrug und Untreue sowie Körperverletzungsdelikte) mehr als zwei Drittel aller Verurteilungen aus; Statistisches Bundesamt, Fachserie 10, Reihe 3, S. 48. Bei den Verkehrsdelikten machen zwar abstrakte Gefährdungsdelikte nach § 316 etwa die Hälfte aller Verurteilungen aus (vgl. S. 34 und 36); da aber die Gefährlichkeit der Handlung und somit das Tatunrecht anhand des Ausmaßes der Fahruntüchtigkeit operationalisiert werden kann, ist die praktische Bedeutung dieses Delikts kein Problem für die Strafzumessung. 76 Vgl. dazu Hefendehl, Strafrecht und Schutz kollektiver Rechtsgüter.

1. Kapitel: Das Unrecht der Tat als Anknüpfungspunkt der Strafzwnessung

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gefahrdet wurde. Teilweise wird in diesen Fällen zwar ein kollektives Rechtsgut konstruiert, indem etwa bei der Trunkenheit im Verkehr (§ 316) als Schutzgut die Sicherheit des Straßenverkehrs angeführt wird77 . Solche Konstruktionen überzeugen jedoch nicht. Eine Grenzziehung zwischen abstrakten Gefährdungsdelikten, die unmittelbar klar identifizierbaren Individualinteressen dienen (im soeben erwähnten Beispielsfall: Leben, Gesundheit und Eigentum aller Verkehrsteilnehmer), und solchen, die zwar letztlich ebenfalls Individualinteressen schützen, unmittelbar aber Institutionen (etwa: die Rechtspflege oder die Sicherheit des Geldverkehrs)78, trägt entscheidenden strukturellen Unterschieden Rechnung. Sie sollte nicht durch die unnötig großzügige Konstruktion kollektiver Rechtsgüter aufgegeben werden. Von der obigen Definition ausgehend, ist ein Erfolgsunwert zu verneinen, wenn es zu keiner Beeinträchtigung eines bestimmten Rechtsgutsträgers (die auch in einer konkreten Gefährdung bestehen kann) kommt. Die abstrakte Gefährdung von Individualinteressen weist nur einen Handlungsunwert auf79 .

4. Grund und Grenzen der Beriicksichtigung des Handlungsunrechts a) Der Grundfür die Berücksichtigung des Handlungsunrechts aa) Die Formulierung der Überschrift für diesen Abschnitt, die impliziert, daß der Grund für die Berücksichtigungsfähigkeit des Handlungsunrechts zu erörtern ist, mag auf den ersten Blick als überflüssig erscheinen. Es ist in der Strafrechtswissenschaft heute unumstritten, daß das Gegenstück zu einem monistisch-subjektiven nur ein dualistisches Unrechtskonzept sein kann, nicht aber eine Rückkehr zu einem ausschließlich auf den Taterfolg abstellenden Strafrecht80 . In der zeitgenössischen Strafrechtslehre ist nahezu einstimmig81 77 Vgl. LacknerlKühl, § 316 Rn. 1; Tröndle, § 316 Rn. 1; a.A. (Schutz von Leben, Gesundheit und fremdem Eigentum) SK-Hom, § 316 Rn. 2. 78 Auch kollektive Rechtsgüter werden nicht als Selbstzweck geschützt, sondern weil sie notwendige Voraussetzungen fUr die Entfaltung des einzelnen sind (vgl. dazu Hefendehl, Strafrecht und Schutz kollektiver Rechtsgüter, im Druck). Die Gefährdung dieser Güter unterscheidet sich jedoch hinreichend von der abstrakten Gefährdung von Individualinteressen. Während etwa auf die Frage nach dem Sinn des Verbots der Trunkenheit am Steuer eine schlichte und klare Antwort möglich ist ("damit andere Verkehrsteilnehmer keinen Schaden an ihrer Gesundheit oder ihrem Eigentum erleiden"), sind bei der zweiten Gruppe kompliziertere Ausführungen zum Zusanrrnenhang von privater Entfaltung und der Schaffung von gesellschaftlichen Rahmenbedingungen notwendig (vgl. Hefendehl, a.a.O.). 79 Vgl. unten 3. Kap., 2 a. 80 Vgl. nur Roxin, Strafrecht AT 1, § 10 Rn. 88; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, S. 239; Schönke/Schröder/Lenckner, vor § 13 Rn. 52 ff.; Köhler, Strafrecht AT, S. 27. Zur dogmengeschichtlichen Entwicklung im einzelnen s. Krauß, ZStW 76 (1964), 19

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4. Teil: Die Bewertung der Tatschwere

ein Konsens über die systematische Stellung des Vorsatzes beim Unrecht erzielt worden. Dieser beruht hauptsächlich darauf, daß die von der finalistischen Handlungslehre vorangetriebene Entwicklung des Straftatsystems82 auch ohne eine Festlegung auf die handlungstheoretischen Prämissen des Finalismus aufgrund legislatorischer Vorgaben Überzeugungskraft hat83 . Ein ausschließlich objektiv-erfolgsorientiertes System strafrechtlichen Unrechts ließe sich auch bei einer vom positiven Recht abstrahierenden theoretischen Betrachtung nicht begründen, da bereits eine Handlungstheorie ohne Verweis auf subjektive Elemente nicht konstruiert werden kann84 . Die historische Entwicklung im Strafrecht, mit der nicht mehr nur dem Erfolg, sondern auch der individualpsychischen Beziehung des Täters zu seiner Tat Bedeutung beigemessen wird, wird als "epochaler Fortschritt des Strafrechts" bezeichnet85 . Auch bei der Strafzumessung ist die Bedeutung des Handlungsunrechts für das Strafmaß aus positivistischer Sicht sowohl für das deutsche Recht als auch für andere zeitgenössische Rechtsordnungen eindeutig; es genügt zur Begründung der Verweis auf die allgemein üblichen erheblichen Strafrahmen- und Strafmaßunterschiede bei vorsätzlicher im Vergleich zur fahrlässigen Erfolgsherbeiführung86 . bb) Die unhinterfragte Selbstverständlichkeit, mit der von einer unrechtskonstitutiven Rolle der Handlungshintergrunde ausgegangen wird, hat für manche Umstände jenseits des Erfolgsunrechts grundsätzlich auch vor dem hier zugrunde gelegten normentheoretischen Hintergrund Berechtigung. Die Bestimmungs- oder Appellfunktion der Normen richtet sich darauf, bestimmte Erfolge zu vermeiden bzw. herbeizufiihren, wobei die Organisation der dazu erforderlichen Unterlassungen bzw. Handlungen den handelnden Individuen überlassen bleibt. Auch eine solche nur eingeschränkt verhaltenssteuernde bzw. appellierende Funktion der Norm führt dazu, daß zumindest bestimmte fT.; Lampe, Das personale Unrecht, S. 13 fT.; Schünemann, in: ders. (Hrsg.), Grundfragen, S. 24 ff.; Roxin, Strafrecht AT 1, § 10 Rn. 88 ff. 81 Vgl. aber Naucke, Strafrecht AT, § 23 Rn. 89 ff., 161 ff.; Baumann/Weberl Mitsch, Strafrecht AT, § 12 Rn. 15 ff. 82 Vgl. die Nwe. Fn. 80 zum fmalistischen Einfluß auf das Strafrechtssystem sowie Schünemann, in: ders. (Hrsg.), Grundfragen, S. 34 ff.; Maurach/Zipf, Strafrecht AT 1, § 16 Rn. 46 ff.; Roxin, Strafrecht AT 1, § 7 Rn. 20 ff.; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, S. 210 ff. 83 Vgl. zur Entdeckung der subjektiven Unrechtsmerkmale Roxin, Strafrecht AT 1, § 10 Rn. 8; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, S. 317 f.; zur Einordnung des Vorsatzes beim Tatbestand als sachgerechte Lösung auch jenseits fmalistischer Grundannahmen Jakobs, Strafrecht AT, 8/1; Roxin, Strafrecht AT 1, § 10 Rn. 61 ff.; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, S. 213. 84 Duff, Criminal Attempts, S. 193. 85 Schünemann, Chengchi Law Review 50 (1994), 263. 86 Vgl. Perron, FS flir Nishihara, S. 149 ff.

1. Kapitel: Das Unrecht der Tat als Anknüpfungspunkt der Strafzwnessung 215

Täterinterna für die Strafzumessung relevant werden. Es macht für die Bewertung der Tat einen Unterschied, ob sich der Täter bewußt über den Appell hinwegsetzt (indem er beispielsweise eine vorsätzliche Körperverletzung begeht) oder ob ihm nicht bewußt ist, zu welchen Ergebnissen sein Verhalten führen wird (er also eine nur fahrlässige Körperverletzung begeht).

b) Notwendigkeit einer Einschränkung

aa) Die Fragestellung verschiebt sich dahingehend, in welchem Umfang außer der Vorsatz-Fahrlässigkeit-Abgrenzung noch andere objektive und subjektive Tathintergründe als unrechtssteigernde Strafzumessungsfaktoren eingestuft werden sollten. Wenn in der Lehre überhaupt die Strafzumessungsfaktoren anband der Kategorien Erfolgsunrecht, Handlungsunrecht und Schuld systematisiert werden, wird das Handlungsunrecht als eine ziemlich heterogene Kategorie angeführt, die eine Vielzahl von Faktoren einschließt. Unter diesem Stichwort werden objektive Tatumstände wie die Art der Ausführung, die sonstigen Eigenschaften der Tat oder besondere Pflichten des Täters genauso aufgeführt wie die subjektiven Tathintergründe der Beweggründe und des Vorsatzes87 . Auch in der Straftatlehre stuft die herrschende Meinung neben den subjektiven Tathintergründen auch objektive Tatumstände wie die Art und Weise der Tatausführung als Teil des Handlungsunrechts ein88 . Offensichtlich steht hinter diesem Verständnis des Handlungsunrechts nicht eine allgemeine Konzeption, sondern dient dieser Begriff als eine Auffangkategorie. bb) Aus der Perspektive einer tatproportionalen Strafzumessungslehre bedarf eine derart breit gefaßte Version des Handlungsunrechts der sorgfältigen Überprüfung. Die hier befürwortete Orientierung am Straftatsystem verliert an Konturen, wenn eine der beiden Unrechtskategorien das Auffangbecken für alle tradierten Strafzumessungsgründe wird. Das kritische Potential einer an der Verbrechenslehre ausgerichteten Strafzumessungslehre würde damit verloren gehen. Es sind damit vor allem zwei Gefahren verbunden. Erstens können sich hinter den unter dem Stichwort "Bewertung des Handlungsunrechts" aufgeführten Strafzumessungsfaktoren solche verbergen, deren Ratio eigent-

87 Vgl. Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, S. 887; Schäfer, Praxis der Strafzwnessung, Rn. 232. 88 Gallas, FS fUr Bockelmann, S. 165 f.; Schmidhäuser, FS für Engisch, S. 447; Eben/Kahl, Jura 1981,233; Frisch, ZStW 99 (1987), 759; Erhard, Strafzwnessung bei Vorbestraften, S. 192 f.; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, S. 216; Roxin, Strafrecht AT 1, § 10 Rn. 88, 101; Kahl, Strafrecht AT, § 3 Rn. 3 ff. Teilweise wird allerdings auch das Handlungsunrecht unter Ausklammerung der objektiven Tatwnstände auf das Intentionsunrecht reduziert (Rudolphi, FS fur Maurach, S. 54 ff., insbes. 65; Schönke/Schröder/Lenckner, vor § 13 Rn. 56).

216

4. Teil: Die Bewertung der Tatschwere

lich in präventionsorientierten Erwägungen liegt. Für eine tatproportionale Strafzumessungslehre ist deshalb die Kategorie des Handlungsunrechts daraufhin zu untersuchen, ob das Prädikat "unrechtssteigernd" tatsächlich berechtigt ist. Zweitens droht die Einschränkung der Schuldkategorie an Bedeutung zu verlieren: Das Bemühen, eine Ausrichtung an der verwerflichen Gesinnung des Täters zu verhindern und einen moderneren Schuldbegriff auch in die Strafzumessungslehre zu integrieren89 , würde zunichte gemacht, wenn die Bewertung der Täterpersönlichkeit nicht aus der Strafzumessung eliminiert werden könnte, sondern nur unter einer anderen Überschrift erfolgen würde. Insoweit ist insbesondere die klassische Unrechtsdefinition Welzels aus der Perspektive einer tatproportionalen Strafzumessungslehre problematisch. Nach Welzel erschöpft sich das Unrecht der Tat nicht in der Verletzung, maßgeblich sei vielmehr, "welche Zielsetzung [der Täter] der objektiven Tat zwecktätig gegeben hat, aus welcher Einstellung er sie begangen hat, welche Pflichten ihm dabei oblagen"90. Ohne die Bezugnahme auf Maßstäbe, wie unrechtsrelevante von nicht unrechtsrelevanten Tatumständen abgegrenzt werden können, könnte die Kategorie des Handlungsunrechts zu einem Einflußtor für genau die Strafzumessungserwägungen werden, die mit dem hier befürworteten Ansatz unterbunden werden sollen. cc) Erforderlich ist deshalb ein Maßstab zur Bewertung des Handlungsunrechts, der in zwei Richtungen eine kritische Überprüfung von Strafzumessungsumständen erlaubt: Zum einen sind die subjektiven Tatumstände kritisch zu beleuchten, wobei darauf zu achten ist, daß Maßstäbe zur Tatbewertung klar von (Ab-)Wertungen der Täterpersönlichkeit unterschieden werden können. Insbesondere muß geklärt werden, ob unrechtserhöhende Beweggründe anzuerkennen sind. Zum anderen liegt auch bei den objektiven Tatumständen jenseits des Erfolgsunrechts nicht bei allem, was die Art und Weise der Tatausführung ausmacht, die Unrechtsrelevanz auf der Hand, wie im einzelnen noch zu zeigen sein wird: Warum etwa die Tatbegehung zur Nachtzeit unrechtssteigernd sein S01l91 , erschließt sich nicht ohne weiteres.

Vgl. oben, 3. Teil, 4. Kap., I d. Das deutsche Strafrecht, S. 62. 91 So LK-Gribbohm, § 46 Rn. 111; JeschecklWeigend, Strafrecht AT, S. 887; Tröndle, § 46 Rn. 22; zurückhaltender ("nicht schlechthin") Schönke/SchröderlStree, § 46 Rn. 21. 89

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1. Kapitel: Das Unrecht der Tat als AnknüpfungspWlkt der Strafzumessung 217

c) Opferperspektive für die Bewertung des Handlungsunrechts

aa) Eine nach den Maßstäben einer tatproportionalen Strafzumessungslehre sachgerechte Eingrenzung der Faktoren, die das Handlungsunrecht prägen, fällt mit den in der Verbrechenslehre verbreiteten Ausführungen zur Kategorie des Unrechts schwer. In den gängigen Lehrbüchern wird der Streit um ein dualistisches bzw. monistisch-subjektives Unrecht wiedergegeben, die daran anschließende Frage nach der Natur des Handlungsunrechts aber eher kursorisch behandelt. Ausführungen zum Inhalt des Unwerturteils gelten häufig der Abgrenzung zur Schuld (das Unwerturteil gelte der Tat, das Schuldurteil dem Täter)92, womit nichts Substantielles über das Unwerturteil mitgeteilt wird, was innerhalb dieses Prüfungsgesichtspunkts Grenzziehungen erlaubt. Eine andere Definition des Unrechts verweist auf die intolerable Sozialschädlichkeif der Tat93 . Aber auch damit ist die hier geforderte Eingrenzung des Handlungsunrechts nicht möglich, da diese Definition eine Abgrenzung von retrospektiver Bewertung des konkreten Tatunrechts und präventionsorientierten Strafzumessungserwägungen nicht erlaubt: Unter dem Gesichtspunkt der Sozialschädlichkeit von zukünftigen Tatwiederholungen könnten auch präventive Interessen in die Unrechtsbewertung einfließen. bb) Schünemann schlägt vor, auf die aus der Opferperspektive zu bestimmende qualifizierte Sozialschädlichkeit abzustellen94 . Dieser Verweis auf die Perspektive des verletzten Rechtsgutsträgers erlaubt eine für die hier verfolgte Linie wesentliche Konkretisierung der Sozialschädlichkeit einer Handlung. Für das Erfolgsunrecht ist die Opferperspektive unmittelbar umsetzbar: Die unter 3. erörterte Orientierung an der Beeinträchtigung des Rechtsgutsträgers entspricht dieser Vorgabe. Bei der Bewertung des Handlungsunrechts führt die Opferperspektive allerdings zu weniger eindeutigen und trennscharfen Ergebnissen. Aus der Sicht des Rechtgutsträgers ist in erster Linie die ihm zugefügte Verletzung oder konkrete Gefahrdung von Interesse, während die sonstigen objektiven Tatumstände und die subjektiven Tathintergründe für das Ausmaß seiner Beeinträchtigung nur sekundär sind. Eine vollständige Erklärung aller Umstände, die de lege lata neben dem Erfolgsunrecht das Tatunrecht prägen, ist aus der Opferperspektive kaum möglich: Insbesondere ist es schwierig, den beträchtlichen Strafmaßunterschied zwischen einer bedingt vorsätzlichen und einer be92 Maurach/Zipf, Strafrecht AT 1, § 24 Rn. 14 ff.; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, S. 197. 93 Roxin, Strafrecht AT 1, § 7 Rn. 60. 94 Bei der Schuld gehe es dagegen um die aus der Täterperspektive zu bestimmende individuelle Venneidbarkeit; in: Schünemann/Figueiredo Dias (Hrsg.), Bausteine, S. 160, 163.

218

4. Teil: Die Bewertung der Tatschwere

wußt fahrlässigen Tatbegehung allein aus der Opferperspektive zu erklären. Auch wenn die VorsatzlFahrlässigkeit-Differenzierung aus der Opferperspektive nicht gänzlich bedeutungslos ist, weil die Verarbeitung eines Geschehens, das sich als Unfall definieren läßt, einfacher ist als die Bewältigung eines vorsätzlichen Angriffs95, ist dieser Unterschied verglichen mit dem Erfolgsunwert nicht beträchtlich genug, um die geltenden Strafrahmen zufriedenstellend erklären zu können. cc) Dennoch erlaubt die Bezugnahme auf die Opferperspektive immerhin eine Verankerung des Blickwinkels, die es ermöglicht, die soeben beschriebenen notwendigen Einschränkungen bei der Festlegung der Strafzumessungsfaktoren umzusetzen. Zum einen liefert die Opferperspektive bei der Bewertung von objektiven Tatumständen außerhalb des Erfolgsunrechts einen notwendigen Filter. Aus der unendlichen Vielfalt der objektiven Begleitumstände einer Straftat können damit einige wenige Tatumstände als strafzumessungsrelevant ausgesondert werden, nämlich diejenigen, die für das Opfer von Belang sind. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, daß bestimmte Tatmodalitäten, die für die Bewertung des Tatgeschehens durch ein Opfer nicht relevant werden, wie die oben angeführte fälschlicherweise als strafzumessungsrelevant angesehene Nachtzeit, regelmäßi~6 nicht sub specie Handlungsunrecht als strafschärfend eingeführt werden dürfen. Außerdem erlaubt die Bewertung der objektiven Tathintergründe aus der Opferperspektive eine Stellungnahme dazu, ob ein bestimmter Umstand nur aus einer präventionsorientierten Sichtweise strafschärfend angesetzt werden kann. Beispielsweise wird in der gewerbsmäßigen Begehung einer Straftat ein das Handlungsunrecht erhöhender Umstand gesehen97 . Dies ist jedoch in dieser Allgemeinheit nicht zutreffend: Die finanziellen Absichten, die der Täter mit der fortgesetzten Begehung von entsprechenden Taten verbindet, interessieren als solche das Opfer nicht. Aus der Opferperspektive werden organisatorische Tathintergründe erst bedeutungsvoll, wenn sie konkret den Grad der Opferbedrohung geprägt haben98 . Die Gewerbsmäßigkeit als in allen Fällen strafschärfender Faktor ist nur schlüssig zu erklären, wenn man auf die durch entsprechende Planungen und

95 Vgl. zu den verschiedenen Fonnen der Bewältigung einer Viktimisierung Hagemann, in: KaiserlKury/Albrecht (Hrsg.), Victirns and Crirnina1 Justice, S. 659 f1 Auch bei vorsätzlichen Delikten, bei denen vordergründig kein besonderer Persönlichkeitsbezug zu erkennen ist, haben die Opfer häufig mit emotionalen Problemen zu kämpfen, so etwa bei annähernd der Hälfte von Viktimisierungen aufgrund von Einbruchsdiebstählen: Maguire/Corbett, Effects ofCrirne, Tab. 3.8 S. 55. 96 Zu einer möglichen Ausnahme s. unten, 3. Kap., 2 b dd. 97 Walter, GA 1985, 208. 98 Vgl. unten 3. Kap., 2 b ee.

1. Kapitel: Das Unrecht der Tat als Anknüpfungspunkt der Strafzumessung 219

Vorkehrungen begründete Gefahr der Tatwiederholung verweist99 - dies ist aber eine präventions- und nicht eine unrechtsorientierte Überlegung. Zum anderen setzt die Opferperspektive einer allumfassenden Bewertung der subjektiven Tathintergründe Grenzen. Ein zu weit gezogenes Konzept des Handlungsunrechts läuft dem Grundanliegen einer tatproportionalen Strafzumessungslehre zuwider, die an der Täterpersönlichkeit ausgerichteten Strafzumessungsfaktoren stark einzuschränken. Wenn, wie dies in der Strafzumessungslehre teilweise geschieht, die Beweggründe des Täters und seine kriminelle Energie über die Kategorie des Handlungsunrechts beim Tatunrecht verortet werden, wird die im 1. Teil ausführlich kritisierte traditionelle Strafzumessung unter einem anderen Etikett fortgesetzt. Auch insoweit erlaubt die Verankerung des Blickwinkels, die strafschärfende Berücksichtigung von Beweggründen kritisch zu hinterfragen (die strafmildernde Wirkung von bestimmten Beweggründen wird unter dem Stichwort "Schuldrninderungsgründe" erörtert)IOO. dd) Die Verankerung des Blickwinkels bedeutet nicht eine kritiklose Übernahme der partikulären Interessen des konkret betroffenen Opfers. Bei den Einschätzungen realer Tatopfer sind die aus der sozialpsychologischen Forschung bekannten Fallstricke zu beachten: Die Art und Weise, in der eine Person ein bestimmtes Ergebnis beurteilt, kann durch Attributionsfehler erheblich beeinflußt werden lOl . Die Kriterien zur Bewertung der Sozialschädlichkeit einer Handlung müssen deshalb normative sein. Das Unwerturteil bleibt ein Urteil über ein soziales Geschehen, gegebenenfalls über soziale Interessenkonflikte, und kann deshalb nicht durch subjektiv-individuelle Präferenzen bestimmt werden. Maßgeblich ist vielmehr das Urteil eines verständigen Beobachters, der in der Lage ist, die Bewertungsperspektive eines von der Tat Betroffenen einzunehmen, ohne sich aber mit dem konkreten Opfer zu identifizieren. ee) Eine Identifikation mit dem konkreten Opfer wäre schon deshalb verfehlt, weil Gesichtspunkte des Opferverschuldens für eine Unrechtsminderung sprechen können. Dabei ist jedoch eine genaue Differenzierung geboten, weil das Unrechtsurteil nicht nur an den Täter selbst adressiert ist. In einem Strafmaß, das wegen des Opferverhaltens gemildert ist, kommt deshalb auch gegenüber dem Opfer die Beurteilung zum Ausdruck, daß ihm ein Teil des Unrechts selbst anzulasten ist. Vor diesem Hintergrund muß aber darauf geachtet werden, daß entsprechende Zuschreibungen an das Opfer diesem gegenüber

So Walter, GA 1985,208. Vgl. unten Kap. 5. 101 Vgl. Six, in: Frey/Greif (Hrsg.), Sozialpsychologie, S. 122 tT.; HewstonelAntaki, in: Stroebe u.a. (Hrsg.), Sozialpsychologie, S. 112 tT. 99

100

220

4. Teil: Die Bewertung der Tatschwere

legitimiert werden können I 02. Ein schlichter Verweis auf die begünstigende Wirkung der Strafmilderung aus der Täterperspektive verkennt den Charakter als soziales Unwerturteil, das Verantwortungssphären zwischen Täter und Opfer festlegt.

5. Erfolgs- und Handlungsunrecht als Typus a) Aus rechtstheoretischer Sicht ist die Unrechtsbewertung insofern von Interesse, als es sich um einen Anwendungsfall für die Figur des Typus handelt. Kennzeichnend für einen Typus ist, daß sich dieser aus unterschiedlichen Elementen zusammensetzt, die jeweils in unterschiedlicher Ausprägung vorliegen können. Dabei kann ein weniger ausgeprägtes Merkmal durch ein stärker ausgeprägtes Merkmal mit dem Ergebnis kompensiert werden, daß die Rechtsfolge bei zwei phänomenologisch gänzlich unterschiedlichen Sachverhalten dieselbe istl03 . Im Zivilrecht ist, etwa für das Schadensersatzrecht, die Begriffskategorie des beweglichen Systems l04 entwickelt worden, die sich in den wesentlichen Punkten mit dem Typusbegriff deckt: Ein bewegliches System ist dadurch gekennzeichnet, daß seine Elemente unterschiedliches Gewicht haben können und austauschbar sindlOS. Die Bedeutung für die Strafzumessung ist in der rechtstheoretischen Literatur angedeutet worden106. b) Im Strafzumessungsrecht gibt es Typusbegriffe unterschiedlichen Umfangs. Die einzelnen Elemente, die die Kernstücke der komparativen Bewertung ausmachen, können dieser Struktur entsprechen; bei der Gesamtbewertung ist dies immer der Fall. Das Erfolgsunrecht kann zwar als einfachkomparativer Begriff definiert sein, wenn nämlich nur eine Bewertungsdimension maßgeblich wird, etwa die Höhe eines durch einen Diebstahl eingetretenen Schadens. Häufig handelt es sich jedoch um einen Typus, nämlich dann, wenn die Höhe des Erfolgsunrechts erst durch die Zusammenschau mehrerer, jeweils abstufbarer Aspekte deutlich wird. Bei einem Raub wird beispielsweise das Gewicht des Erfolgsunrechts sowohl durch die Intensität der Gewalteinwirkung oder Drohung wie auch durch die Höhe des angerichteten finanziellen Schadens bestimmt. Dabei kann eine Kombination aus hohem Schaden, aber nur unbedeutend das Opfer beeinträchtigenden Gewalteinwir-

Vgl. dazu unten 4. Kap., 2 c bb. Vgl. zum Typusbegriff Puppe, GS fiir Arrnin Kaufinann, S. 30 f.; Schünemann, FS fiir Arthur Kaufmann, S. 305 ff.; ders., Chengchi Law Review 50 (1994), 270 f. 104 Vgl. Wilburg, Entwicklung eines beweglichen Systems im bürgerlichen Recht; Westerhoff, Elemente des beweglichen Systems. 105 Vgl. Westerhoff, Elemente des beweglichen Systems, S. 17. 106 Olte, in: Albert u.a. (Hrsg.), Rechtstheorie, S. 318. 102

103

2. Kapitel: Das Ausmaß des Erfolgsunrechts

221

kung zu derselben Unwertbeurteilung führen wie eine Kombination aus niedrigem Schaden und einer körperlichen Verletzung des Opfers. Das GesamtTatunrecht ist immer als Typusbegriff definiert, da in jedem Fall die spezifischen Ausprägungen des Erfolgsunrechts wie auch des Handlungsunrechts in ihrer jeweiligen konkreten Form relevant werden: Auch wenn keine besonderen, das Handlungsunrecht beeinflussenden Umstände vorliegen, macht die Abstufbarkeit von Vorsatz bzw. Fahrlässigkeit das Unrecht zu einem Typus. Auch die Gesamtheit aller straftumessungsrelevanten Bereiche (Unrecht, Schuldminderungsgrunde, Strafmilderungen jenseits von Unrecht und Schuld) trägt wegen der jeweils gegebenen Abstufbarkeit die Einordnung, daß die Strafzumessung ein Anwendungsfeld für den Typusbegriff ist.

2. Kapitel: Das Ausmaß des Erfolgsunrechts 1. Prämissen für die Bewertung von Beeinträchtigungen a) Notwendigkeit einer normativen Analyse

aa) Die im ersten Kapitel getroffene Festlegung, daß Maßstab für die Bestimmung des Erfolgsunrechts die Beeinträchtigung des Rechtsgutsträgers sein soll, bedarf im weiteren der Konkretisierung in Form von Kriterien für eine vergleichende Betrachtung von Beeinträchtigungen, bei denen zunächst die phänomenologischen Unterschiede ins Auge fallen. Die Notwendigkeit von Vergleichsmaßstäben besteht an sich nicht nur für eine tatproportionale Strafzumessung. Sie müßte auch ein wesentliches Anliegen für die herrschende Strafzumessungsrechtsprechung und -lehre sein, da auch diese der Schwere der Tat eine wichtige, wenn auch verglichen mit dem hier vorgestellten Ansatz weniger herausgehobene Stellung einräumen. Um so mehr erstaunt, daß es sich um eines der am dürftigsten bearbeiteten Felder der Strafzumessungslehre handelt107 . In vielen Darstellungen wird lediglich pauschal darauf hingewiesen, die quantitative Dimension des Erfolgs sei strafzumessungsrelevant, ohne daß aber die Problematik überhaupt gesehen wird, wie das relative Erfolgsunrecht einer Tat ermittelt werden soll108. Die für die deutsche Strafrechtswissenschaft typische kollektivistische Ausrichtung des Schadensverständnisses dürfte zumindest ein Grund für das Fehlen konkreter Bewertungsmaßstäbe auf diesem Gebiet sein. Es ist sicherlich kein Zufall, daß der Horstkotte, in: Jehle (Hrsg.), Individualprävention und Strafzumessung, S. 165. Vgl. Brons, Recht der Strafzumessung, S. 151 fT.; Streng, Strafrechtliche Sanktionen, S. 176; LK-Gribbohm, § 46 Rn. 146; Schönke/Schröder/Stree, § 46 Rn. 19; anders SK-Hom, vor § 13 Rn. 103: Tatschwere als Unterfall des Maßes der Pflichtwidrigkeit. 107 108

222

4. Teil: Die Bewertung der Tatschwere

(soweit ersichtlich) einzige ausfiihrliehe und um unmittelbare Umsetzbarkeit bemühte Ansatz zur Bewertung der Beeinträchtigung von Individuen aus der sich durch größeren Pragmatismus auszeichnenden anglo-amerikanischen bzw. skandinavischen Strafrechtswissenschaft starnmtl09 . bb) Die fehlende Beschäftigung mit Vergleichsmaßstäben könnte allerdings auch auf die Akzeptanz intuitiver Schwereeinschätzungen zuruckzufiihren sein. Empirische Untersuchungen zu Schwereeinschätzungen von Straftaten kommen zu dem Ergebnis, daß selbst unterschiedliche Gruppen von Versuchspersonen zu ähnlichen Resultaten kommen, wenn ihnen Sachverhaltsschilderungen vorgelegt und sie um einen Vergleich der Tatschwere gebeten werden110 . Allerdings standen in den empirischen Untersuchungen Maßstäbe fiir "Grobwertungen", nämlich bezüglich unterschiedlicher Deliktskategorien im Vordergrund und nicht die praxisrelevante Feinabstufung zwischen vergleichsweise ähnlicheren Taten, zumal solchen, die unter denselben Tatbestand zu subsumieren sind111 . Selbst wenn Schwereeinschätzungen auf intuitiver Basis in der Praxis im Großen und Ganzen einigermaßen konsistent sein sollten, ist es nichtsdestotrotz ein Versäumnis, daß in der Lehre über die Grundlagen der Bewertungen nicht einmal ansatzweise nachgedacht wird. Es fehlt in der deutschen Diskussion ein entscheidender Begrundungsschritt auf dem Weg zur Entwicklung von Vergleichsmaßstäben. Eine Möglichkeit, diese Lücke auf empirischer Basis zu schließen, bestünde in Umfragen bei Testpersonen entweder aus der allgemeinen Bevölkerung oder aus der Richterschaft. Vorzuziehen ist jedoch eine normative Analyse der Prämissen einer Schwereeinschätzung von Straftaten112 . Empirisch ermittelte Schwereeinschätzungen erlauben zwar durch die Akkumulation individueller Einschätzungen eine Überprüfung intuitiver Wertungen. Bis zu einem gewissen Grad können dadurch intersubjektiv vermittelbare Bewertungsergebnisse ermittelt werden. Die empirische Festlegung von Tatschwereeinschätzungen ist jedoch notwendigerweise ergebnisorientiert - und damit auch inflexibel: Nur wenn die Entscheidungsregeln bestimmt werden können, ist die Übertragung auf andere, neu entstehende bzw. nicht abgefragte Fallkonstellationen möglich. Das Hauptproblem intuitiver Bewertungen ist, daß die Basis dieser Ergebnisse, die dahinter stehenden Bewertungsprämissen, offen bleibt.

109

Von Hirsch/Jareborg, Oxford Journal ofLegal Studies 1991, 1 ff. S. dazu so-

gleich unten 2.

110 Sellin/Wolfgang, Measurement of De1inquency, S. 236 ff.; Sparks/GennlDodd, Surveying Victims, S. 181 ff.; Villmow, Schwereeinschätzung von Delikten, S. 49 ff. 111 Kritisch daher Montenbruck, Abwägung und Umwertung, S. 44. 112 Von Hirsch/Jareborg, Oxford Journal ofLega1 Studies 1991,6.

2. Kapitel: Das Ausmaß des Erfolgswrrechts

223

ce) Die nonnative Begründung von Regeln zur Beurteilung des Erfolgsunwerts setzt Wertentscheidungen über zentrale Lebensgüter und Interessen voraus. Diese Wertentscheidungen sind durch gesellschaftliche Lebensfonnen entscheidend geprägt, weshalb die gewonnenen Erkenntnisse nicht unbedingt auf andere Gesellschaftsverfassungen übertragbar sind113. Ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer transparenteren Strafzumessung ist die mit einem nonnativen Ansatz verbundene Offenlegung von Entscheidungsprämissen. Jede Bewertung des Erfolgsunrechts in der Praxis setzt Wertentscheidungen über die Wichtigkeit von Gütern und Lebensumständen voraus. Diese zu benennen, ist die erste Voraussetzung für eine Diskussion darüber, ob die Annahmen tatsächlich vertretbar sind. Bei intuitiv-ergebnisorientierten Einschätzungen ist eine kritische Analyse der entscheidungsleitenden Grundannahmen dagegen nicht möglich.

b) Subjektiver versus objektiver Maßstab

aa) Die Bestimmung des Erfolgsunwerts soll anband der Bewertung der Beeinträchtigung des Rechtsgutsträgers erfolgen. Eine wesentliche WeichensteIlung liegt in der Wahl der Bewertungsperspektive. Es sind drei unterschiedliche Herangehensweisen denkbar, die ich als subjektiv-individuellen, objektiv-individuellen und objektiv-standardisierten Maßstab bezeichnen möchte. Ein subjektiv-individueller Maßstab würde auf die subjektiv empfundene Beeinträchtigung des konkret von der Tat betroffenen Opfers abstellen, ein objektiv-individueller auf die typischerweise feststellbaren Beeinträchtigungen eines Opfers in der jeweiligen konkreten Lebenssituation. Die objektiv-standardisierte Betrachtungsweise orientiert sich dagegen nicht an den konkreten Lebensumständen des Opfers. bb) Bei der Wahl zwischen diesen Möglichkeiten ist auf folgende Erwägungen abzustellen: Je stärker die Bewertung auf das konkrete Opfer und sein subjektives Erleben abstellt, um so schwieriger wird die Übertragbarkeit und Verständlichkeit einer Tatschwerebeurteilung. Vor allem bei einem subjektivindividuellen Maßstab wird die Vergleichbarkeit der Tatschwere unterschiedlicher Delikte erheblich erschwert, da persönliche Wertmaßstäbe, Präferenzen und Affektionsinteressen die Unrechtsbewertung prägen. Der Diebstahl eines (objektiv nahezu wertlosen) Gegenstandes, der ein besonders geschätztes Geschenk war, kann beispielsweise subjektiv als schmerzhafter empfunden werden als der Verlust eines wesentlich wertvolleren Gegenstandes. Um die Bedeutung einer Tat vollständig zu erfassen, müßten auch die Pläne des Opfers 113 Vgl. dazu oben, 3. Teil, 4. Kap., 2. sowie von Hirsch/Jareborg, Oxford Journal ofLegal Studies 1991,6 f., 14 tT.

224

4. Teil: Die Bewertung der Tatschwere

für seine zukünftige Lebensgestaltung einbezogen werden, soweit diese durch die Tat tangiert werden. Die Kontingenz der Erfolgsunwertsbewertung kann dadurch nochmals verstärkt werden. Der Diebstahl eines Fernsehers könnte zu einem bedeutenden Delikt werden, weil der Geschädigte deswegen eine ihm besonders wichtige Sportübertragung verpaßt. Die hier für die Bewertung von Erfolgs- und Handlungsunrecht befürwortete Opferperspektive ist nicht mit der Form einer kriminalpolitischen Aufwertung des individuellen Opfers identisch, die vor allem in den USA zu finden ist. Dort nimmt in vielen Staaten das Opfer im Strafverfahren eine aktive Rolle ein, indem es in der Phase der Strafzumessung sogenannte victim impact statements abgibt. Wegen der Verankerung in einem stark punitiv geprägten Kontext findet diese Praxis Kritik in der Literatur1l4 ; besonders dramatisch sind die Auswirkungen bei Kapitalverbrechen, da die aktive Beteiligung des Opfers dort mit der direkten Befürwortung der Todesstrafe verbunden ist1l5 . Aus der Perspektive einer tatproportionalen Strafzumessungslehre ist eine auf die persönlichen Reaktionen des konkret von der Straftat Betroffenen gestützte Bestimmung des Strafmaßes problematisch. Für heftige Emotionen des Verletzten und insbesondere der Angehörigen bei Tötungsdelikten ist in einer am Tatunrecht orientierten Strafzumessung keinen Platz. Die Höhe der Strafe kann nicht vom Zorn der Opfer, von deren Indifferenz oder in Einzelfällen auch von der besonders ausgeprägten Fähigkeit zu Empathie abhängig gemacht werden. cc) Es kommen deshalb nur Bewertungsmaßstäbe in Betracht, die nicht an subjektiv geprägte Leidensempfindungen anknüpfen, sondern die Opferempfindlichkeit über das objektive Vorliegen bestimmter Lebensumstände definieren. Ein objektiv-individueller Maßstab wird in der deutschen Strafzumessungslehre vertreten: Die Lebensumstände des Opfers seien zu berücksichtigen, soweit dies notwendig ist, um zu beurteilen, wie schwer das jeweilige Opfer von der Tat betroffen ist1l6 . Bei Körperverletzungsdelikten soll die körperliche Konstitution des Opfers sowie sein Alter und sein Beruf eine Rolle spielen!!7; bei Delikten mit materiellen Schäden entlaste Reichtum des Opfers,

!!4 Henderson, Stanford Law Review 37 (1985), 937 ff.; Dubber, Buffalo Law Review41 (1993), 124 ff. 115 Dubber, Buffalo Law Review 41 (1993), 127. 116 Bruns, StrafzumessWlgsrecht, S. 398; ders., Recht der Strafzumessung, S. 155; Maeck, BedeutWlg des Opfers, S. 52 ff.; Schünemann, GA 1986, 351 Fn. 264; ders., in: Eser/Comils (Hrsg.), Neuere Tendenzen, S. 227; SK-Hom, § 46 Rn. 100, 106; Schönke/Schröder/Stree, § 46 Rn. 19. 117 Bruns, Recht der StrafzwnessWlg, S. ISS; Maeck, Bedeutung des Opfers, S. 55 ff.; SK-Hom, § 46 Rn. 100: körperliche Konstitution zu berücksichtigen, einschränkend aber ders., § 224 Rn. 7: nicht berufliche Folgen.

2. Kapitel: Das Ausmaß des Erfolgsunrechts

225

Armut aber belastell8 . Insbesondere bei Vermögens- und Eigentumsstraftaten scheint sich ein objektiv-individueller Maßstab anzubieten, da die Bedeutung des Verlustes einer bestimmten Summe von den finanziellen Verhältnissen des Opfers abhängt. Der Verlust ein und derselben Geldsumme bzw. eines ersetzbaren Gegenstandes kann für einen Millionär eine kaum wahrgenommene Bagatelle darstellen, für einen Sozialhilfeempfanger dagegen ein schwierig ersetzbarer, über einen langen Zeitraum spürbarer Verlust. dd) In den soeben geschilderten Extremfällen einer aufgrund objektiv feststellbarer Lebensumstände besonders gesteigerten Opferempfindlichkeit ist eine Bewertung nur aus einer objektiv-standardisierten Perspektive problematisch. Daraus kann jedoch nicht die Schlußfolgerung gezogen werden, daß der Erfolgsunwert in allen Fällen an der konkreten Opfersituation ausgerichtet werden müsse. Es ist bereits zweifelhaft, ob die dafür erforderliche Tatsachenermittlung in allen Fällen zumutbar ist. Die Erforschung der finanziellen Verhältnisse oder sonstigen Umstände aus dem persönlichen Lebensbereich würde dem Gedanken des Opferschutzes entgegenlaufen, der durch das Opferschutzgesetz vom 18.12.1986 119 und das Zeugenschutzgesetz vom 30.4.1998120 betont wurde. Der Schutz der Privatsphäre im Strafverfahren kann nicht durch eine umfassende Verpflichtung zur Offenlegung persönlicher und finanzieller Verhältnisse konterkariert werden l21 . Einen absoluten Schutz des persönlichen Lebensbereichs wird man zwar auch bei Feststellungen für die Strafzumessung nicht annehmen können122 . Dem Verhältnismäßigkeitsprinzip würde es jedoch widersprechen, wenn in jedem Strafverfahren, das eine Straftat gegen eine natürliche Person zum Gegenstand hat, routinemäßig persönliche Lebensumstände des Opfers erörtert würden123. Bei Eigentums- und Vermögensdelikten kommt hinzu, daß eine objektivindividuelle Bewertung komplexe Modelle erfordern würde, die es erlauben, die Bedeutung eines finanziellen Verlustes jeweils in Relation zur finanziellen Ausgangssituation zu berechnen. Die bei den Massendelikten der Eigentumsund Vermögenskrirninalität vereinfachte Erfolgsbewertung, weil finanzielle Schäden als quantitativ angegebene Werte unkompliziert vergleichbar sind, 118 Vgl. Wesseis, FS für Maurach, S. 303; Maeck, Bedeutung des Opfers, S. 69 f; Timpe, Strafmilderungen des Allgemeinen Teils, S. 60; Grasnick, JZ 1988, 158; Montenbrnck, Abwägung und Umwertung, S. 48; SK-Horn, § 46 Rn. 100, 106; BüchSchmitz, Opfervertrauen und Strafzumessung, S. 77 f 119 BGBl. I S. 2496. 120 BGBl. I S. 820. 121 § 68 a StPO läßt Fragen zum persönlichen Lebensbereich des verletzten Zeugen nur zu, wenn diese unerläßlich sind. 122 Vgl. Kunig, in: von MÜllchlKunig, GG, Art. 2 Rn. 41 zur Rechtsprechung des BVerfG. 123 Vgl. Rieß/Hilger, NStZ 1987, 150.

15 Hörnle

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4. Teil: Die Bewertung der Tatschwere

würde dadurch zunichte gemacht l24 . Im Ergebnis läßt es sich auch jedenfalls für unser Gesellschaftssystem vertreten, nicht in jedem Vermögensschäden betreffenden Fall eine Feindifferenzierung der relativen Bedeutung von Geldsummen vorzunehmen. In einer Gesellschaft mit einer breiten Mittelschicht und deshalb immerhin relativ homogenen Anschauungen über den Wert einer bestimmten Summe - verglichen mit Gesellschaftssystemen, die krassere Einkommens- und Vermögensdifferenzen aufweisen - ist eine Verständigung über die Bedeutung eines finanziellen Verlustes zumindest annäherungsweise noch möglich. ee) Es bietet sich daher eine Kombination von objektiv-standardisierten und objektiv-individualisierten Kriterien an. Zur besseren Abschichtung der Argumentationsgänge wird die durch eine Tat eingetretene Beeinträchtigung zunächst danach bewertet, was daraus typischerweise für einen Tatverletzten folgt. In einem zweiten Schritt ist zu prüfen, ob besondere Lebensumstände des konkret betroffenen Opfers die Bewertung des Erfolgsunrechts nur aus der objektiv-standardisierten Perspektive inadäquat machen125.

2. Einschnitt in die Lebensqualität als Maßstab a) Von Hirschs und Jareborgs Konzept zur Bewertung der Lebensqualität

aa) Von Hirsch und Jareborg haben einen Ansatz zur vergleichenden Bewertung der Schwere von Straftaten gegen eine natürliche Person entwikkelt\26, um intuitive Schwereeinschätzungen durch eine normative Analyse zu untermauern. Dabei stellen sie darauf ab, inwieweit durch die zu bewertende Tat der Lebensstandard des Opfers beeinträchtigt wurde. Lebensstandard ist nicht in einem ausschließlich materiellen Sinn zu verstehen, sondern gleichbedeutend mit Lebensqualität, die durch die Gesamtheit der physischen, psychischen und materiellen Lebensumstände geprägt wird127. Bei der Bewertung einer Straftat soll nach von Hirsch und Jareborg zunächst analysiert werden, welche fundamentalen Interessen verletzt wurden. Dabei unterscheiden sie vier Arten von menschlichen Grundinteressen, näm124 Vielfach WÜrde sich zwar die Problematik über das Verschuldenserfordernis entschärfen, da der Täter die Opfersituation gekarmt haben muß (vgl. unten 6.). Dies ist jedoch nicht immer der Fall. Um bei der Zufügung finanzieller Schäden zu bleiben: Zumindest in groben Zügen karm beispielsweise der Täter eines Einbruchsdiebstahls regelmäßig beurteilen, wie gut oder schlecht das Opfer situiert ist. 125 So auch von Hirsch/Jareborg, Oxford Journal ofLegal Studies 1991,4,21. 126 In: Oxford Journal ofLegal Studies 1991, 1 ff. 127 Von Hirsch/Jareborg, Oxford Journal of Legal Studies 1991, 7, 10 ff. ZustimmendHorstkotte, in: Jehle (Hrsg.), Individualprävention und Strafzumessung, S. 165 f.

2. Kapitel: Das Ausmaß des Erfolgsunrechts

227

lich physische Integrität (Leben, Gesundheit und Vermeidung von Schmerzen), materielle Güter, Freiheit vor Demütigungen (in Form von physischen oder verbalen Übergriffen) und Privatsphäre128 • Nachdem feststeht, welche Interessen durch die Straftat betroffen sind, ist das Gewicht der Beeinträchtigung zu bestimmen. Hierfür soll maßgeblich sein, auf welcher Ebene der Lebensqualität das konkret beeinträchtigte Interesse erforderlich ist. Von Hirsch und Jareborg gehen dabei von vier Ebenen aus, die die Lebensqualität einer Person annehmen kann. Zur untersten Ebene der Lebensqualität gehören nur die elementarsten Voraussetzungen für menschliches Überleben, also physische und kognitive Grundfunktionen sowie Minimalstanforderungen für ein soziales Überleben l29 . Auf der zweiten Stufe der Lebensqualität sei ein niedriger Grad an Wohlbefinden erforderlich, wozu im Gegensatz zur ersten Stufe erstens ein Grundbestand an materiellen Mittel gehöre, die für das physische Wohlbefinden erforderlich seien, und zweitens Grundanforderungen an die Gewährleistung von persönlicher Würde und Privatsphäre. Man könne zwar ohne ein Minimum an Würde und Privatsphäre überleben, aber ohne ein auch nur geringfügig befriedigendes Leben könne von Lebensqualität der zweiten Ebene nicht gesprochen werden\3O. Die dritte Ebene bestehe aus angemessenem Wohlbefinden, was materielle Mittel für eine gerade (aber nicht besonders) komfortable Existenz sowie im Vergleich zur zweiten Stufe einen zusätzlichen Grad an Würde und Privatsphäre einschließe. Auf dieser Stufe lebe man nicht entbehrungsreich, d.h. nicht unterhalb gewöhnlicher Standards l31 . Die vierte und höchste Stufe der Lebensqualität setze schließlich gesteigertes Wohlbefinden voraus. Auf dieser Ebene sei etwa der Besitz von materiellen Gütern anzusiedeln, die nicht notwendig seien, die aber die Lebensqualität signifikant zu steigern vermögen. Zum gesteigerten Wohlbefinden gehöre auch, von vergleichsweise geringfügigen Beeinträchtigungen der Privatsphäre und der persönlichen Würde verschont zu bleiben.

bb) Nach diesem Schema ergeben sichfanf Kategorien der Tatschwere 132 : Am gravierendsten ist das Erfolgsunrecht bei Taten, die die erste Stufe der Lebensqualität tangieren, sich also auf die Voraussetzungen zum Überleben auswirken (schwerwiegendstes Erfolgsunrecht). Die nächste Stufe bilden Taten mit gravierendem Erfolgsunrecht; diese beeinträchtigen die Bedingungen für ein minimales Wohlbefinden des Opfers. Mittelschweres Erfolgsunrecht liegt vor bei Straftaten, die sich auf ein angemessenes Wohlbefinden des Opfers auswirken, während leichtes Erfolgsunrecht zu konstatieren ist, wenn sich 128

In: Oxford Journal of Legal Studies 1991, 19 ff.

129

Von Hirsch/Jareborg, Von Hirsch/Jareborg, Von Hirsch/Jareborg, Von Hirsch/Jareborg,

130 \31 \32

IS"

Oxford Journal ofLegal Studies 1991, 17. Oxford Journal ofLegal Studies 1991, 17. Oxford Journal ofLegal Studies 1991, 18 f. Oxford Journal ofLegal Studies 1991,28 ff.

228

4. Teil: Die Bewertung der Tatschwere

die Tatauswirkungen erst auf die Ebene des gesteigerten Wohlbefindens bemerkbar machen. Geringfügiges Erfolgsunrecht beeinträchtigt nicht einmal Interessen auf der vierten Ebene der Lebensqualität; von Hirsch und Jareborg nennen Bagatelldiebstähle als Beispiel133 . cc) Bei der Bewertung des Erfolgsunrechts sind häufig Kombinationen von Interessenverletzungen zu berücksichtigen. Eine Körperverletzung durch einen tätlichen Angriff etwa hat wegen des demütigenden Charakters einer solchen Behandlung eine andere Bedeutung als eine vergleichbar schwere, aber anders herbeigeführte Verletzung l34 . Von Hirsch und Jareborg schlagen vor, in diesen Fällen zunächst den Hauptschaden zu bewerten und in einem zweiten Schritt für die zusätzlich damit verbundene Interessenverletzung eine Erhöhung der primär vorgenommenen Schwereeinschätzung vorzunehmen135. dd) Ein weiterer zu klärender Punkt ist, inwieweit sich der Unterschied zwischen der Verletzung eines bestimmten Interesses und der konkreten Gefährdung desselben Interesses auf die Bewertung des Erfolgsunwerts auswirkt. Von Hirsch und Jareborg verweisen auf ein Vorgehen in zwei Schritten: Zunächst sei die Einordnung für eine Verletzung des betroffenen Interesses vorzunehmen. Anschließend sei für die Fälle, in denen es nur zu einer Gefährdung desselben Interesses kam, der Erfolgsunwert niedriger zu gewichten136 . Die Frage, wie groß dieser Abschlag sein solle, wollen die Autoren nicht definitiv entscheiden137 , wobei sie anband eines Beispiels eine Abstufung um eine der fünf Schwerekategorien in Betracht ziehen: Während Totschlag in die Kategorie des schwerwiegendsten Erfolgsunrecht falle, könne für eine Gefährdung des Lebens als Folge einer Bedrohung durch einen Raubtäter eine Einstufung in die nächste Kategorie des gravierenden Erfolgsunrechts erfolgen138.

b) Vorteile einer Lebensqualitätsanalyse für die Strafzumessung

aa) Mit der Lebensqualitätsanalyse können unterschiedliche Dimensionen von Beeinträchtigungen miteinander verglichen werden. Die Konkretheit des Ansatzes bedeutet einen erheblichen Fortschritt gegenüber den sehr viel vageren Vorstellungen von einer "Rechtsfriedensstörung"139. Die dadurch gewährleistete Umsetzbarkeit der Erfolgsunwertsbewertung wiegt den Nachteil auf, 133

134

135 136 137 138 139

Von Hirsch/Jareborg, Oxford Journal ofLegal Studies Von Hirsch/Jareborg, Oxford Journal ofLegal Studies Oxford Journal ofLegal Studies 1991, 31 f. Von Hirsch/Jareborg, Oxford Journal ofLegal Studies Von Hirsch/Jareborg, Oxford Journal ofLegal Studies Von Hirsch/Jareborg, Oxford Journal ofLegal Studies Vgl. oben I. Kap., 3 a.

1991, 19,29. 1991, 19,24 f. 1991, 30. 1991, 31. 1991, 30.

2. Kapitel: Das Ausmaß des Erfolgswrrechts

229

der darin gesehen werden kann, daß ein einheitliches Unrechtskonzept für Taten gegen Individual- und kollektive Rechtsgüter auf dieser Basis nicht möglich ist. bb) Die Verwertbarkeit der Lebensqualitätsanalyse für die deutsche Strafzumessungslehre hängt unter anderem davon ab, ob die Prämissen bei der Festlegung der vier Stufen der Lebensqualität überzeugend sind. Sowohl die Festlegung der Grundinteressen als auch die Definition unterschiedlicher Lebensqualitätsebenen setzen Annahmen über die Wichtigkeit voraus, die bestimmte Lebensbedingungen haben. Während die Bedeutung physischer Integrität interkulturell einigermaßen unstreitig sein dürfte, ist erörterungsbedürftig, ob eine andere Akzentsetzung von Hirschs und Jareborgs übertragbar ist: Diese sehen Privatsphäre und personelle Würde als Grundvoraussetzungen für ein befriedigendes Leben an. Insoweit kann auf zentrale Bestimmungen unserer Verfassung verwiesen werden, nämlich auf den Schutz der Würde des Menschen als höchstem Wert (Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG) und des allgemeinen Persönlichkeitsrechts als Teil des Rechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG), dessen Kern die Erhaltung und der Schutz einer privaten Sphäre ist140 . Für die Ermittlung geteilter sozialethischer Maßstäbe zur Bewertung von Interessen ist es zwar nicht ohne weiteres möglich, auf (seien es auch höchstrangige) Normen des positiven Rechts als unmittelbaren Nachweis zurückzugreifen. Was die Basisaussagen des Grundgesetzes anbelangt, so kann jedoch davon ausgegangen werden, daß diese in Einklang mit gesellschaftlichen Wertmaßstäben stehen. Ob dies beim Inkrafttreten des Grundgesetzes der Fall war, mag dahingestellt bleiben - über die fünfzig Jahre der Geltungsdauer hat die freiheitlich-individualistische Grundhaltung des Grundgesetzes, die als solche in tagespolitischen Auseinandersetzungen - von extremen Mindermeinungen abgesehen auch unumstritten geblieben ist, gesellschaftsprägende Kraft entfalten können. Es ist deshalb davon auszugehen, daß die Anerkennung von menschlicher Würde und einer schützenswerten privaten Sphäre Bestandteil des "lebendigen Rechts", der geteilten Grundanschauungen141 , geworden ist. Es ist deshalb von Hirsch und Jareborg darin beizupflichten, daß es für Tatschwerebeurteilungen nicht allein auf die materielle und physische Dimension des Opferschadens ankommen kann. cc) Die Stärke der Lebensqualitätsanalyse liegt in der Erarbeitung von Kriterien für Delikte, die nicht ausschließlich zu einem materiellen Schaden geführt haben. Die Herausarbeitung der Schadensdimensionen aus der Opfer140 Vgl. BVerfGE 65, 1,41 ff.; Kunig, in: von MÜIlChIKunig, GG, Art. 2 Rn. 30 ff., insbes. 32 m.w.Nwen. 141 Vgl. dazu Schünemann, in: PawlowskiIRoellecke (Hrsg.), Universalitätsanspruch, S. 113 ff.

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4. Teil: Die Bewertung der Tatschwere

perspektive erlaubt für einige Delikte erst die Erfassung des vollen Ausmaßes der Beeinträchtigung, was mit der in der deutschen Strafrechtswissenschaft üblichen formalen Rechtsgutsanalyse nicht immer möglich ist. Ein gutes Beispiel sind gravierende Sexualstraftaten. Insoweit ist durch die Orientierung an menschlichen Interessen eine klarere Umschreibung des Erfolgsunwerts möglich als mit dem Ansatz, der unter Hinweis auf das geschützte Rechtsgut "sexuelle Selbstbestimmung,,142 die Intensität des Verstoßes gegen die sexuelle Selbstbestimmung für maßgeblich erachtetl43 . Diese Definition drückt nur unzureichend aus, was den Kern dieser Delikte ausmacht. Einbußen bei der Wahl- oder Handlungsfreiheit sind typisch für alle Nötigungsdelikte. Wird der Erfolgsunwert anband des Rechtsguts "sexuelle Selbstbestimmung" charakterisiert, impliziert dies, daß eine von mehreren Unterkategorien des allgemeinen Selbstbestimmungsrechts betroffen ist. Damit wird jedoch ein wesentlicher Aspekt vernachlässigt, der mit dem Lebensqualitätsansatz herausgearbeitet werden kann: Das Unrecht einer Vergewaltigung oder sexuellen Nötigung liegt in der damit verbundenen extremen Demütigung des Opfers. Nicht jede Nötigung ist mit einer persönlichen Demütigung verbunden, und auch qualitativ bestehen erhebliche Unterschiede. Von allen vorstellbaren Formen, die eine Demütigung annehmen kann, ist diese Form der Unterjochung einer anderen Person in ihrem persönlichsten Lebensbereich die gravierendste. Auch der Gesichtspunkt der Privatsphäre wirkt sich bei der Bewertung des Erfolgsunwerts insofern aus, als es auf Differenzierungen ankommen kann, die in der Tatbestandsformulierung nicht immer zum Ausdruck kommen. Ein Einbruch in eine Wohnung sollte wegen der damit verbundenen Verletzung der Privatsphäre anders gewertet werden als ein Einbruch in ein Geschäftsgebäude, bei dem ein vergleichbarer materieller Schaden entstand. Auch wenn der materielle Schaden unbedeutend ist und als solcher keinen Einfluß auf die Lebensqualität des Opfers hat, kann die Beeinträchtigung der Privatsphäre eine Bewertung auf der vierten Schwerestufe rechtfertigen l44 . Mit dem 6. StrRG vom 30. Januar 1998145 hat der Gesetzgeber diesem Unterschied Rechnung getragen, indem er den Wohnungseinbruchsdiebstahl aus § 243 Abs. 1 S. 2 Nr. I herausgenommen und als eigenen Tatbestand in § 244 Abs. 1 Nr. 3 angeführt hat. In der deutschen Strafzumessungslehre wird diese Schadensdimension teilweise unter dem Stichwort "außertatbestandsmäßige Folgen" erfaßt, indem auf mögliche psychische Folgen von Einbruchsdiebstählen hin-

142 Allgemeine Meinung, vgl. Schönke/Schröder/Lenckner, § 177 Rn. 1, § 178 Rn. 1 m.w.Nwen. 143 Schäfer, Praxis der Strafzumessung, Rn. 645 a. 144 Von Hirsch/Jareborg, Oxford Journal ofLegal Studies 1991,27. 145 BGBl. I S. 164.

2. Kapitel: Das Ausmaß des Erfolgsunrechts

231

gewiesen wird l46 . Dies verzeichnet jedoch die Beeinträchtigung, da für außertatbestandliehe Folgen die nicht vorhersehbare Weiterentwicklung eines Schadens typisch ist, während die Verletzung der Privatsphäre in allen Fällen des Wohnungseinbruchs die Schadensdimension unmittelbar durch die Tathandlung prägt. dd) In einem Punkt weicht die Lebensqualitätsanalyse von Hirschs und Jareborgs auffällig weit von der deutschen Strafpraxis ab, nämlich soweit es um das Erfolgsunrecht von Lebensgefährdungen geht l47 • Eine Abstufung nur um eine Schwerestufe im Verhältnis zu einer Tötung würde zu dem Resultat führen, daß etwa eine konkrete Lebensgefahr wegen einer Gefährdung des Straßenverkehrs (§ 315 c) als gravierendes Erfolgsunrecht einzustufen wäre, vergleichbar etwa mit einer Vergewaltigung. In der deutschen Praxis liegt das Strafniveau jedoch ganz erheblich darunterl48 . Da es für Gefährdungen jedoch nicht nur auf das betroffene Interesse ankommt, sondern auch auf den Grad der Wahrscheinlichkeit einer Verletzung, ist auch eine Abstufung um zwei Stufen vertretbar, so daß konkrete Lebensgefährdungen als nur mittelschweres Erfolgsunrecht eingestuft werden können. ee) Soweit es um materielle Schäden geht, ist die Grundtendenz im Hinblick auf das Strafniveau für Eigentums- und Vermögensdelikte erkennbar: Im Vergleich zu Straftaten gegen Gesundheit und andere nicht-materielle Güter ist der Erfolgsunwert niedriger zu gewichten. Unklar bleibt die Lebensqualitätsanalyse allerdings in einem Punkt beim Vergleich von Eigentums- und Vermögensdelikten: Es wird nicht deutlich, ob die Bedeutung des Verlusts eines Gegenstandes wertbezogen oder gegenstandsbezogen zu beurteilen ist. Von Hirschs und Jareborgs Analyse beginnt gegenstandsbezogen: Es komme darauf an, für welche Lebensqualitätsstufe ein entzogener Gegenstand erforderlich sei. Als Beispiel nennen sie den Besitz eines Sommerhauses, der für angemessenes Wohlbefinden nicht erforderlich sei, aber zu gesteigertem Wohlbefinden auf der vierten Lebensqualitätsstufe beitrage l49 . Später weisen sie darauf hin, daß für die Bewertung des Verlustes ersetzbarer Güter die Kosten für die Wiederbeschaffung maßgeblich seien. Auch der Verlust eines für die Lebensqualität an sich wichtigen Gegenstands begründe nur geringfügiges Unrecht, wenn die Kosten des Ersatzes niedrig sind; als Beispiel wird auf einen Regenschirm in einem regnerischen Klima verwiesen l50 . Bei teuren, aber nicht zwingend erforderlichen Gegenständen kommt es zu einem Konflikt von Schäfer, Praxis der Strafzwnessung, Rn. 666 a. Vgl. oben a dd. 148 Vgl. Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Fachserie 10, Reihe 3, Vollständiger Nachweis fllr 1991, S. 124. 149 Oxford Journal ofLegal Studies 1991,18 f. 150 Von HirschlJareborg, Oxford Journal ofLegal Studies 1991,22. 146

147

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4. Teil: Die Bewertung der Tatschwere

gegenstandsbezogener und wertbezogener Perspektive. Wird etwa das erwähnte Sommerhaus durch eine Brandstiftung zerstört und würde der Wiederaufbau 200000 DM kosten, so müßte eine gegenstandsbezogene Analyse zum Resultat "niedriges Erfolgsunrecht" kommen, da das Sommerhaus nur für ein gesteigertes Wohlbefinden erforderlich ist, während der Verlust das angemessene Wohlbefinden nicht beeinträchtigt. Stellt man dagegen auf die hohen Wiederbeschaffungskosten ab, liegt eine Einstufung beim mittelschweren Erfolgsunrecht nahe. Wenn der Schaden im Verlust eines teuren Luxusgegenstandes liegt, bietet sich eine Bewertung an, die beiden Perspektiven Rechnung trägt: Für eine einheitliche, vergleichbare Bewertung liegt zwar an sich das Abstellen auf den entzogenen Wert näher, was auch der prinzipiell objektiv-standardisierten Bewertung des Erfolgsunrechts durch von Hirsch und Jareborg entspriche S1 . Damit ist die entscheidende Frage für die Bewertung materieller Schäden, inwieweit der damit verbundene, in einer Geldsumme ausdTÜckbare Vermögensschaden typischerweise die Lebensqualität beeinträchtigt. Von dieser Ausgangsbewertung sind jedoch beim Verlust eines Luxusgegenstands Abstriche zu machen. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, daß es für das Opfer einen Unterschied macht, ob es - um bei dem Sommerhaus-Fall zu bleiben - nur die Chance einbüßt, sein Haus wieder aufbauen zu lassen, oder ob es, beispielsweise als Opfer eines Betrugsdelikts, Kreditschulden in Höhe von 200000.- DM zu begleichen hat, was mit realen Einbußen bei der alltäglichen Lebensführung verbunden ist. ft) Die folgenden Abschnitte gehören zum Besonderen Teil des Straftumessungsrechts. Die Forderung nach einem Besonderen Teil ist nicht neu l52 . In Schäfers "Praxis der Strafzumessung" finden sich für einzelne Tatbestände Hinweise zu Erfolgs- und Handlungsunrecht. Die Wichtigkeit eines Besonderen Teils des Strafzumessungsrechts für die sachgerechte Bestimmung gerade des Erfolgsunwerts setzt jedoch über eine Systematisierung der Rechtsprechung hinaus prinzipiellere Erwägungen voraus. Im Rahmen dieser Arbeit kann ein Besonderer Teil nicht in umfassender Form entwickelt werden, da dies Thema einer eigenständigen monographischen Bearbeitung sein müßte. Im folgenden Abschnitt werden jedoch für einige Straftatbestände die Konsequenzen einer Schwerebeurteilung anhand der Einbußen für die Lebensqualität erörtert. Dabei wird zunächst die Umsetzung des Lebensqualitäts-Ansatzes 151 Von Hirsch/Jareborg, Oxford Journal of Legal Studies 1991, 4 f., 21. Dies schließe es nicht aus, nach der Feststellung des typischerweise eintretenden Schadens die Beurteilung des Erfolgsunrechts in einem zweiten Schritt aufgrund besonderer Umstände zu modifizieren, indem die ausnahmsweise zu berücksichtigende Opferempfindlichkeit als taterschwerender bzw. tatmildernder Umstand berücksichtigt werde. 152 Vgl. Bruns, Recht der Strafzumessung, S. 6 f.

2. Kapitel: Das Ausmaß des Erfo1gsunrechts

233

auf objektiv-standardisierter Basis erörtert (3.), bevor Anwendungsbeispiele für Modifikationen aufgrund besonderer Lebensumstände des Opfers angeführt werden (4.).

3. Anwendungsbeispiele für das Lebensqualitäts-Modell a) Tötungs- und Körperverletzungsdelikte

aa). Es bedarf keiner weiteren Begründung, daß die gravierendsten Delikte, die Interessen der ersten Stufe betreffen, Tötungsdelikte sind, was auch in der deutschen Strafzumessungslehre nicht bestritten wird. Problematisch war aus der hier zugrunde liegenden Perspektive der Strafrahmen von § 213 in der alten Fassung, der als Höchststrafe für minder schwere Fälle des Totschlags fünf Jahre Freiheitsstrafe vorsah, also die gleiche Höchststrafe wie für Fälle des einfachen Diebstahls. Dieser Strafrahmen entsprach nicht dem schwersten Erfolgsunrecht153 • Durch das 6. StrRG vom 30. Januar 1998 154, das die Höchststrafe auf zehn Jahre angehoben hat, wurde dieses Problem entschärft. Nicht adäquat ist die unverändert gebliebene, vergleichsweise niedrige gesetzliche Mindeststrafe für den ungeminderten Fall des Totschlags, die dem schwerwiegenden Erfolgsunwert in Kombination mit vorsätzlichem Handeln nicht vollständig gerecht wird. Dem weiten Strafrahmen von § 212 (fünf bis fünfzehn Jahre) liegt ersichtlich die Vorstellung zugrunde, ein erheblicher Teil des Endstrafrnaßes werde durch die Motive des Täters determiniert155 , während nach dem hier vertretenen Ansatz jenseits von § 213 das hohe Erfolgsunrecht maßgeblich die Tatschwere beeinflußt, weshalb ein engerer, höher ansetzender Strafrahmen wünschenswert wäre. bb) Die Beeinträchtigung körperlicher Grundfunktionen kann ebenfalls zu den Delikten mit dem schwerwiegendsten Erfolgsunrecht gehören. Bestimmte physische Funktionen, deren Verlust in § 226 aufgeführt ist, sind elementare Voraussetzungen für ein Überleben als soziales Wesen: Der Verlust des Augenlichts, des Gehörs oder der Sprache hat massive Konsequenzen für die Möglichkeit, als soziales Wesen weiterzuleben, da die elementaren Voraussetzungen für die Kommunikation mit anderen Menschen dafür Voraussetzung sind. Deshalb ist eine Einstufung in die Gruppe der schwersten Straftaten ad153 Kritisch LK-Jähnke, § 213 Rn. 1. Auch wenn die in § 213 1. Alternative aufgeführten Unrechts- und Schu1dminderungsgründe eine Herabstufung der Höchststrafe für den Totsch1ag notwendig machen, war der alte Strafrahmen nur mit einer Überbetonung der Motiv1age des Täters unter Vernachlässigung der Erfo1gskomponente erklärlich. 154 BGBL I S. 164. 155 Frisch, GA 1989, 372 Fn. 128.

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4. Teil: Die Bewertung der Tatschwere

äquat, nämlich solcher, die Interessen der ersten Lebensqualitätsstufe betreffen. Das gleiche gilt für ein Verfallen in Siechtum oder Geisteskrankheit sowie bestimmte gravierendere Formen der Lähmung, die die Fortbewegungsfreiheit nicht nur einschränken, sondern aufheben. Die Anhebung der Höchststrafen in § 226 Abs. I und 2 durch das 6. StrRG ist unter dem Gesichtspunkt einer unrechtsadäquaten Staffelung der Strafrahmen zu begrüßeni56 . cc) Zu den auf der nächsten Schwerestufe anzusiedelnden Straftaten, bei denen das Erfolgsunrecht in einer Beeinträchtigung der Interessen der zweiten Lebensqualitätsstufe (niedriger Grad an Wohlbefinden) liegt, gehören die meisten verbleibenden Fallkonstellationen der schweren Körperverletzung (§ 226). Bei sonstigen Körperverletzungen kommt es entscheidend auf das Gewicht der Gesundheitsbeeinträchtigung bzw. der körperlichen Mißhandlung an: Es sind Extremfalle denkbar, die, obwohl nicht durch § 226 tatbestandlich erfaßt, so gravierend sind, daß sie bereits die Lebensqualität auf der zweiten Stufe beeinflussen. Hierzu gehört vor allem der Verlust eines wichtigen inneren Organs, der wegen der engen Tatbestandsfassung von § 226 Abs. I nicht als Verlust eines Gliedes gewertet werden kann157 : Wenn die Folgen der Körperverletzung die regelmäßige Durchführung von Dialysen notwendig machen, so spricht die Möglichkeit der medizinischen Behandlung zwar gegen eine Beeinträchtigung auf der ersten Stufe der minimalen Lebensqualität. Wegen der erheblichen Einbuße beim gesundheitlichen Wohlbefinden wird in diesen Fällen jedoch die zweite Ebene der Lebensqualität tangiert. Da für solche sehr schwere Fälle einer Körperverletzung, die nicht nach § 226 zu bestrafen sind, die Strafe meistens § 224 Abs. I Nr. 2 oder Nr. 5 zu entnehmen sein wird, ist regelmäßig der gesetzlich vorgesehene Strafrahmen ausreichend; aber in extern gelagerten Fallkonstellationen könnte der in § 223 Abs. I angeordnete Strafrahmen zu eng sein. Die Möglichkeit des Auftretens solcher Fälle führt noch einmal vor Augen, wie unangemessen die identische Höchststrafe beim einfachen Diebstahl unter Unrechtsgesichtspunkten ist158 . Es fallen natürlich unter den Tatbestand der einfachen Körperverletzung auch Folgen, die die Lebensqualität des Opfers nicht beeinträchtigen, etwa leichte Gesundheitsbeeinträchtigungen, die weder mit spürbaren körperlichen Beschwerden noch mit Konsequenzen für die Lebensführung verbunden sind, etwa die Zufügung eines leichten Hämatoms.

156 Die in den §§ 224, 225 a.F. vorgegebenen Strafrahmen, die Höchststrafen von fllnf Jahren (§§ 224 Abs. 1,225 Abs. 1 a.F.) bzw. bei wissentlicher oder absichtlicher Verursachung zehn Jahren (§ 225 Abs. 2 a.F.) vorsahen, waren fiir die gravierenden Fälle in Relation zu den fiir andere Delikte möglichen Höchststrafen (vgl. etwa Raub, §§ 249 Abs. 1,38 Abs. 1: 15 Jahre) nicht angemessen. 157 BGHSt. 28, 100; auch das 6. StrRG hat den Tatbestand nicht erweitert. 158 Vgl. oben 3. Teil, 5. Kap., 3 a cc.

2. Kapitel: Das Ausmaß des Erfolgsunrechts

235

dd) Bei der gefährlichen Körperverletzung. § 224, schlägt sich in der Regel die Verursachung durch ein gefährliches Werkzeug im Ausmaß der Verletzung des Opfers nieder. Soweit sich die Art des Werkzeugs nicht ausgewirkt hat, ist die Art und Weise der Tatbegehung beim Handlungsunrecht zu beriicksichtigenl59 . Dasselbe gilt für die gemeinschaftliche Tatbegehung und den hinterlistigen Überfall. Anders ist eine das Leben gefährdende Behandlung zu beurteilen: Insoweit tritt zum Erfolgsunrecht der Verletzung das weitere Erfolgsunrecht einer Lebensgefährdung hinzu. Zwar soll nach der herrschenden Meinung zur Erfüllung des Tatbestandes keine tatsächlich eingetretene konkrete Gefährdung des Opfers erforderlich sein; es reiche aus, daß die vorgenommene Handlung bei einer Bewertung der konkreten Tatumstände typischerweise lebensgefährlich sei 160. Meistens wird sich die Gefährlichkeit der Handlung jedoch auch tatsächlich in einer konkreten Gefährdung niedergeschlagen haben l61 . b) Sexualdelikte

aa) Die Bewertungsprämisse, daß der Freiheit vor Demütigung eine zentrale Bedeutung für die Lebensqualität zukommt, führt zu einer Einstufung aller Formen von sexuellen Handlungen, die dem Opfer gegen seinen Willen aufgezwungen werden, bei den Straftaten mit erheblichem Erfolgsunrecht l62 . Wie im Wortlaut von § 177 Abs. 2 Nr. 1 (" .. Handlungen ... , die dieses besonders erniedrigen ... ") nun auch zum Ausdruck kommt, ist maßgeblich für die Bewertung der Tatschwere das Ausmaß der Erniedrigung des Opfers. Bei den schwersten Varianten der demütigenden Übergriffe in die Intimsphäre (Vergewaltigung und andere Formen des Eindringens in den Körper) wird die zweite Lebensqualitätsebene (minimales Wohlbefinden) tangiert. Auch eine ohne Anwendung von Gewalt oder Drohung durchgeführte Vergewaltigung, die nach § 177 Abs. 1 Nr. 3 (Ausnutzung der schutzlosen Lage des Opfers) nunmehr strafbar ist, ist deshalb als Erfolgsunrecht der zweiten Stufe einzu-

Vgl. unten 3. Kap., 2 b. BGRSt. 2, 160, 163; 36, 1,9; BGHR § 223 a Abs. 1 Lebensgefährdung 1, 3, 8; OLG Köln StV 1994, 247; OLG Düsse1dorf JZ 1995, 908; zustimmend Tröndle, § 223 a Rn. 5; SK-Horn, § 223 a Rn. 26; Frisch, JuS 1990, 365; ablehnend Schönke/Schröder/ Stree, § 223 a Rn. 12; LK-Hirsch, § 223 a Rn. 12. 161 Wegen der Ungewißheiten über den Infizierungsverlauf sind die AIDS-Fälle anders gelagert, BGRSt. 36, 1, 9; dazu kritisch Schünemann, JZ 1989, 92 f 162 Vgl. dazu oben 2 b ce. 159

160

236

4. Teil: Die Bewertung der Tatschwere

ordnen l63 . Wenn der Täter Gewalt oder eine Drohung angewendet hat, um die sexuelle Handlung zu erzwingen, ist das Erfolgsunrecht der Gewaltanwendung bzw. Drohung als zusätzlich erschwerender Faktor bei der Tatbewertung einzubeziehen. Die in Rechtsprechung und Lehre diskutierte Frage, ob ungeschützter Geschlechtsverkehr bzw. Samenerguß innerhalb des Körpers des Betroffenen bei der Strafzumessung zu berücksichtigen sindl64 , ist aus der Opferperspektive klar zu beantworten: Beide Modalitäten verschärfen die Beeinträchtigung der oder des Betroffenen. Dies gilt zum einen wegen der Gefahr einer Schwangerschaft und der Übertragung von Krankheiten, aber nicht nur deshalb: Der Eingriff in die Intimsphäre wiegt beim Austausch von Körperflüssigkeiten schwerer. Die Vorstellung, es könne sich um strafzumessungsneutrale Tatmodalitäten handeln, weil ungeschützter Verkehr bzw. Samenerguß zum Regeltatbild gehörten l65 , ist nur bei einer Ausblendung der Opferperspektive verständlich. bb) Einen Sonderfall bilden sexuelle Handlungen, die strafbar sind, weil sie sich gegen Kinder oder Jugendliche richten (§§ 174, 176) und die nach herrschender Ansicht unter Strafe gestellt sind, um die sexuelle Entwicklung der Minderjährigen zu schützenl66 . Bei einer Bewertung des Erfolgsunrechts ist zu berücksichtigen, daß eine adäquate sexuelle Entwicklung von zentraler Wichtigkeit für das Wohlbefinden in späteren Lebensstadien ist. Eine Verletzung dieser Entwicklungsmöglichkeiten beeinträchtigt die zweite Stufe der Lebensqualität, da nicht nur Eingriffe in aktuell wichtige Interessen des Opfers von Bedeutung sind, sondern auch Beeinträchtigungen, deren volle Bedeutung sich erst später zeigt. Die Erfullung des Tatbestandes setzt allerdings nicht voraus, daß es tatsächlich zu einer Beeinträchtigung der Entwicklungschancen des betroffenen Kindes oder Jugendlichen gekommen ist. Es handelt sich strukturell um Gefahrungsdelikte l67 , die sich allerdings von anderen Gefahrdungsde-

163 Von Hirsch/Jareborg, Oxford Journal of Legal Studies 1991, 26, nehmen aus diesem Grund auch für Fälle des "date rape", die nach deutschem Recht nicht strafbar sind, Erfolgsunrecht der zweiten Stufe an. 164 BGH NStZ 1985,215; BGHSt. 37, 153 mit Anm. Neumann, StV 1991,256 ff.; Weßlau, StV 1991,259 ff.; Hettinger, GA 1993, 1 ff.; Fahl, Bedeutung des Rege1tat. bildes, S. 138 ff. 165 Fahl, Bedeutung des Rege1tatbildes, S. 138 ff. 166 Zur herrschenden Ansicht BGHSt. 38, 68, 69; LacknerlKahl, § 174 Rn. 1, § 176 Rn. 1; Trändie, § 174 Rn. 1 a, § 176 Rn. 1; Schönke/SchröderlLenckner, § 174 Rn. 1, § 176 Rn. 1; a.A. SK-Horn, § 174 Rn. 2, § 176 Rn. 2, der darauf verweist, daß es allein darauf ankomme, daß in den in § 174 aufgeführten Beziehungen sexuelle Kontakte nicht sein sollen. 167 BGHSt. 38, 68, 69; Schäfer, Praxis der Strafzumessung, Rn. 644 a; Schönke/SchröderlLenckner, § 176 Rn. 1; Trändie, § 176 Rn. 1.

2. Kapitel: Das Ausmaß des Erfolgsunrechts

237

likten dadurch unterscheiden, daß zum Urteilszeitpunkt häufig noch nicht feststeht, ob es zu konkreten Beeinträchtigungen kommen wird. Aufgrund solcher prognostischen Schwierigkeiten sind bei der Bewertung im Vergleich zu anderen Taten, die Interessen der zweiten Stufe betreffen, Abstriche bei der Schwereeinstufung zu machen. Dies gilt selbstverständlich nicht, wenn beim betroffenen Kind oder Jugendlichen Probleme bei der Tatbewältigung aufgetreten sind, da dann die Tat zu einem Verletzungsdelikt geworden ist168 . Zusätzlich zu der Gefährdung der sexuellen Entwicklung sind andere Beeinträchtigungen durch die Tatbegehung zu berücksichtigen, etwa Schmerzen oder die Demütigung eines jugendlichen Opfers.

c) Gewalt und Drohung

aa) Bei allen Delikten mit Gewaltanwendung kommt es für den Umfang des Erfolgsunrechts entscheidend darauf an, inwieweit durch die Gewaltanwendung die physische Integrität des Opfers beeinträchtigt wurde. Zusätzlich bzw. statt dessen ist ausschlaggebend, ob das Opfer in seiner persönlichen Würde beeinträchtigt worden ist, beispielsweise durch eine entwürdigende Behandlung in Form von Fesseln, auf den Boden drücken oder ähnlichen Vorgehensweisen. Gewaltanwendungen, die nur eine Einschränkung der allgemeinen Handlungsfreiheit zur Folge hatten (etwa das Einschließen des Opfers oder eine körperlich wirkende Blockade), sind demgegenüber von geringerem Gewicht. bb) Aus der Perspektive eines Ansatzes, der die Beeinträchtigung des Opfers als ausschlaggebend ansieht, ist die Bestimmung des Erfolgsunrechts bei einer Drohung schwieriger als bei einer Gewaltanwendung. Unproblematisch sind Fälle, in denen der Täter mit einer Gefahr für Leben und Gesundheit gedroht und sowohl in der Lage als auch willens war, diese Drohung erforderlichenfalls in die Tat umzusetzen. Insoweit macht die konkrete Gefährdung des Opfers das Erfolgsunrecht aus. Von Hirsch und Jareborg gehen davon aus, daß eine Straftat unter Einsatz einer Schußwaffe bzw. eines Messers einer Lebensgefährdung gleichzustellen sei 169 . Mit diesem Ansatz ist jedoch das Erfolgsunrecht nicht in allen Konstellationen zu erfassen. Was ist, wenn entweder die Waffe objektiv ungefährlich war, also etwa die Schußwaffe ungeladen bzw. eine Nachbildung einer Waffe, oder der Täter nicht bereit war, der Dro168 Schäfer, Praxis der StrafZumessung, Rn. 644 b, geht davon aus, daß ein&etretene Schäden straferschwerend, fehlende Schäden strafmildernd wirken würden. Uberzeugend ist jedoch nur der erste Teil dieser Aussage: Wenn die Gefährdung zu einer Verletzung wird, erhöht dies das Erfolgsunrecht, das Fehlen einer Verletzung ist jedoch nicht zu berücksichtigen. 169 Oxford Journal ofLegal Studies 1991,25 f.

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4. Teil: Die Bewertung der Tatschwere

hung entsprechend zu handeln, wenn das Opfer sich nicht seinen Anweisungen gemäß verhält? An diesem Punkt stößt eine auf die objektive Gefahrdung des Opfers abstellende Analyse auf Grenzen. cc) Die Alternative, auf die Wahrnehmungsperspektive des Opfers abzustellen, ist erörterungsbedürftig. Grundsätzlich sollten Emotionen und Ängste des Opfers nämlich bei der Bestimmung des Erfolgsunrechts keine selbständige Rolle spielen. Negative Emotionen, gegebenenfalls starke negative Emotionen, sind typische Begleiterscheinungen von erheblichen körperlichen Verletzungen, Verletzungen der Privatsphäre oder der persönlichen Würde. Der hier vertretene Ansatz bewertet das Erfolgsunrecht entsprechender Taten hoch, weil sie die Lebensqualität stark beeinträchtigen. Die typischen psychischen Folgen sind damit jedoch bereits in der Bewertung des Erfolgsunrechts enthalten170 . Bei der Bewertung einer Bedrohung bleibt jedoch keine andere Wahl, als auf die Sichtweise des Opfers abzustellen. Es ist in der deutschen Rechtsprechung und Lehre unumstritten, daß die Strafbarkeit wegen einer durch Drohung begangenen Nötigung nicht entfallt, wenn der Täter die Drohung nicht ernst gemeint hat; es kommt vielmehr darauf an, ob das Opfer die Drohung ernst genommen hat1?1. Dieser Gedanke muß auch auf die Unrechtsgewichtung übertragen werden. Es kommt allerdings für die Bewertung des Erfolgsunrechts nicht auf die konkret empfundene Angst des individuellen Opfers an, sondern darauf (wiederum in Einklang mit der Strafbarkeitsfrage), in welchem Ausmaß aus der Perspektive eines verständigen Opfersl72 seine Interessen gerahrdet wurden. Dies führt zu folgendem Ergebnis: Das Erfolgsunrecht einer Drohung, die ein verständiges Opfer als ernst ansieht, ist abhängig von der Art des angedrohten Übels: Je schwerer die Durchführung der Drohung die Lebensqualität beeinträchtigen würde, desto größer ist das Erfolgsunrecht der Drohung. Die Drohung ist jedoch geringer zu gewichten als die konkrete Gefahrdung des betroffenen Interesses. Wenn mit der Drohung auch objektiv eine Gefahrdung verbunden war, wird das Erfolgsunrecht durch Drohung und Gefahrdung geprägt, ist also gegenüber einer nicht ernstgemeinten Drohung deutlich erhöht. dd) Der gesteigerte Erfolgsunwert eines schweren Raubes beispielsweise ist danach zu beurteilen, ob damit eine konkrete Gefahrdung des Opfers verbunden war. Die in § 250 Abs. 1 Nr. 1 c) aufgeführte Tatvariante ist deshalb mit Von Hirsch/Jareborg, Oxford Journal ofLegal Studies 1991,23. BGHSt. 23, 294, 296; 38, 83, 86; Schönke/Schröder/Eser, § 240 Rn. 34; Tröndle, § 240 Rn. 15; Lackner/Kühl, § 240 Rn. 12. 172 BGH NStZ 1982,287; BGHSt. 32, 165, 174; Schönke/Schröder/Eser, § 240 Rn. 9; Tröndle, § 240 Rn. 17; Lackner/Kühl, § 240 Rn. 13. 170

171

2. Kapitel: Das Ausmaß des Erfolgsunrechts

239

einem schwereren Erfolgsunrecht verbunden als die in § 250 Abs. 1 Nr. 1 a) und b) aufgeführten Varianten, bei denen nur die abstrakte Gefährlichkeit der Tat erhöht ist. Dasselbe gilt für § 250 Abs. 2 Nr. 3: Auch diese Variante ist wegen der Verletzung bzw. konkreten Gefährdung des Opfers mit einem höheren Unrecht verbunden als die in Abs. 2 Nr. 1 und 2 aufgeführten Handlungen.

d) Eigentums- und Vermögensdelikte

aa) Eine gegen das Eigentum gerichtete Straftat mit gravierendem Erfolgsunrecht, die wegen des Entzugs materieller Ressourcen ein nur minimales Wohlbefinden beeinträchtigt hat, ist allenfalls in einem Extremfall vorstellbar: Wenn das Opfer durch die Tat alle in seinem Eigentum stehenden Gegenstände und Vermögenswerte verliert, also auch die für das Minimum an materieller Grundversorgung erforderlichen. Praktisch vorstellbar ist dies nur durch eine Brandstiftung, bei der von der Wohnmöglichkeit und dem Arbeitsplatz bis zu notwendigen Bekleidungsgegenständen alles zerstört wurde. Durch den Entzug einzelner Gegenstände wird in aller Regel höchstens ein Schaden der vierten Kategorie, leichtes Erfolgsunrecht, in Betracht kommen. Dabei ist, wie oben erörtert, in der Regel die Höhe des Verm6gensschadens entscheidend; nämlich vermittelt über die Frage, wie hoch die Kosten für den Ersatz des Verlustes sind173 . Unproblematisch ist die Bemessung anhand der Wiederbeschaffungskosten, wenn diese in etwa dem Wert der Tatbeute entsprechen. Es kann allerdings Konstellationen geben, bei denen das Opfer wesentlich höhere Aufwendungen tätigen muß, weil ein veraltetes und in seinem Wert erheblich gesunkenes Gut auf dem Markt nicht mehr erhältlich ist, etwa beim Diebstahl eines nicht mehr ganz neuen Computers. Von einer konsequenten Opferperspektive, die in diesen Fällen an sich zu einer Orientierung an den Wiederbeschaffungskosten kommen müßte, sollte jedoch eine Ausnahme gemacht werden, damit sich der Wertzuwachs beim Geschädigten durch den Erwerb eines neuen Gegenstands nicht zu Lasten des Strafmaßes auswirkt. bb) Zur Verdeutlichung der materiellen Seite der Lebensqualitätsstufen möchte ich vorschlagen, als Anhaltspunkt für Lebensqualität der zweiten Stufe (niedriger Grad des Wohlbefindens) die für die Bemessung von Sozialhilfe (Hilfe zum Lebensunterhalt, § 12 BSHG) anwendbaren Konsumstandards zugrunde zu legen. Bei Vermögensdelikten, deren Opfer eine natürliche Person ist, kommt nach diesem Maßstab eine Einordnung als "gravierendes Erfolgsunrecht" kaum in Betracht, da dies eine Verringerung der Lebensqualität vor173

Vgl. oben 2 b ee.

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4. Teil: Die Bewertung der Tatschwere

aussetzen würde, die dazu führt, daß selbst die Mittel für ein nur niedriges Wohlbefinden entzogen werden. Eine Vermögensstraftat, die derart fundamentale Konsequenzen mit sich bringt; ist kaum vorstellbar, da selbst der Verlust großer Summen nicht zu einem Absinken der Lebensqualität nicht unter die eines Empfängers von Sozialhilfe führen wird. Vorstellbar ist hingegen, daß sich ein hoher Vermögensschaden auf der dritten Stufe der Lebensqualität auswirkt, indem dem Opfer die materiellen Mittel für ein angemessenes Wohlbefinden entzogen werden. Angemessenes Wohlbefinden setzt Mittel zum Erwerb von Gegenständen voraus, die Komfort über das absolute Mindestmaß für ein menschenwürdiges Leben hinaus vermitteln. cc) Eine praktisch umsetzbare Strafzumessungslehre sollte konkrete Vorschläge zur Höhe der finanziellen Einbußen machen, die eine Einstufung als geringfügiges, leichtes oder mittel schweres Erfolgsunrecht rechtfertigen. Während es bei immateriellen Schäden schwieriger ist, zu konkreteren Vorgaben für die Strafzumessungspraxis zu kommen, sind für Eigentums- und Vermögensdelikte die Chancen zu nutzen, die in der leichteren Vergleichbarkeit von Geldsummen liegen. Mit der Verschiebung von generellen Bewertungskriterien zu Geldsummen als Grenzwerte wird die Argumentation zwar als teilweise dezisionistisch angreifbar. Jedoch erlauben erst konkrete Vorgaben eine Kritik und Weiterentwicklung der Standards zur Gewichtung des Erfolgsunrechts bei Eigentums- und Vermögensdelikten. Folgende Erfolgsunwertsstufen sollen für eine objektiv-standardisierte Beurteilung174 zur Diskussion gestellt werden: Bei einer finanziellen Einbuße, die unter 500 DM liegt, kann von geringfügigem Erfolgsunrecht ausgegangen werden. Entscheidend ist insoweit auch die Zeitperspektive, mit der das Gewicht einer Beeinträchtigung betrachtet wird. Bei einer kurzfristig angelegten Beurteilung wird zwar der Verlust einiger hundert DM den Betroffenen typischerweise ärgern; auch kann er Konsequenzen für das Ausgabeverhalten in der Zeit unmittelbar nach der Tat haben. Damit jedoch wirklich von einer Beeinflussung der Lebensqualität gesprochen werden kann, muß eine längerfristige Perspektive angelegt werden, aus der heraus auch kurzzeitig als ärgerlich empfundene Ereignisse erheblich an Bedeutung verlieren 175 . Von Hirsch und Jareborg schlagen eine Zeitperspektive von etwa einem Jahr vor l76 . Vor diesem Hintergrund steht die Beurteilung, daß der Verlust von weniger als 500 DM die Lebensqualität nicht beeinfluße. Mit einem durchschnittlichen oder auch leicht unterdurchschnittlichen Jahreseinkommen läßt sich in der Regel ein solcher Verlust über mehrere Monate hinweg ohne Konsequenzen für die Lebensführung kompensieren. Zu Modifizierungen wegen untypischer Vennögensverhältnisse s. sogleich 4. Vgl. zum Vorstehenden von Hirsch/Jareborg, Oxford Journal of Legal Studies 1991,21 f. 176 Oxford Journal of Legal Studies 1991, 22. 174 175

2. Kapitel: Das Ausmaß des Erfolgswrrechts

241

Niedriges Erfolgsunrecht setzt demnach bei finanziellen Verlusten von 500 DM und mehr an. Verluste in dieser Größenordnung sind typischerweise beim Lebenszuschnitt durch Verzichte bei den materiellen Voraussetzungen eines gesteigerten Wohlbefindens spürbar. Nicht einfach zu entscheiden ist, wo die Grenze zum mittelschweren Erfolgsunrecht liegt, d.h. wie hoch eine finanzielle Einbuße sein muß, damit sie die Mittel für ein angemessenes Wohlbefinden erfaßt und somit die dritte Stufe der Lebensqualität beeinträchtigt. Geht man wie unter bb) vorgeschlagen davon aus, daß ein materieller Lebensstandard auf Sozialhilfe-Niveau nur niedriges Wohlbefinden bedeutet, folgt daraus, daß mittelschweres Erfolgsunrecht vorliegt, wenn dem Betroffenen die finanziellen Mittel entzogen werden, die notwendig sind, um seinen Lebensstandard über dem eines Sozialhilfe-Empfangers zu halten. Auch insoweit ist wieder auf eine langfristige Perspektive abzustellen: Der Verlust muß zu einer sich über einen längeren Zeitraum erstreckenden Absenkung des Lebensstandards in Richtung Sozialhilfe-Niveau geführt haben. Dies ist nur bei einer beträchtlichen Vermögenseinbuße der Fall, für die etwa eine Summe von 20 000 DM oder mehr in Betracht zu ziehen ist. Bei sehr großen Verlusten ist der Einfluß auf die Lebensgestaltung jedoch individuell unterschiedlicher als bei kleinen oder mittleren, weshalb erwogen werden sollte, ausnahmsweise von einer objektiv-individualisierten Betrachtungsweise statt einer objektiv-standardisierten auszugehen. Bei besonders gravierenden Vermögensdelikten ist dann auf die konkreten Lebensumstände des Opfers, d.h. dessen Jahreseinkommen bzw. die jährlich zur Verfügung stehenden Geldmittel abzustellen. Wenn der Verlust durch die Straftat so groß ist, daß vom Jahreseinkommen des Geschädigten nur die für das Überleben auf Sozialhilfe-Niveau erforderlichen Mittel übrigbleiben, ist mittelschweres Erfolgsunrecht anzunehmen. dd) Bei Vermögensdelikten kann es Fälle geben, bei denen der Schaden durch eine Bewertung der Beeinträchtigung einzelner Tatgeschädigter nicht hinreichend erfaßt werden kann. Gemeint sind Kumulationsschäden, wobei eine Kumulation sowohl beim Tätergewinn als auch bei der Schädigung des Opfers vorliegen kann. Zur ersten Gruppe gehören Delikte mit einer Vielzahl von Geschädigten, deren individueller Schaden jeweils geringfügig ist, wobei aber die Kumulation der Einzelschäden zu einem anders dimensionierten Gewinn beim Täter führt. Ein augenfalliges Beispiel sind zahlreiche Überweisungen von um wenige Pfennige gekürzte Summen. Insoweit würde eine ausschließlich an der Beeinträchtigung der Geschädigten orientierte Betrachtungsweise zu kurz greifen, weil in allen Einzelfalien das Erfolgsunrecht minimal ist, weshalb eine Bestrafung nicht ernsthaft in Betracht kommen könnte. Es ist deshalb eine gemischte Betrachtungsweise zugrunde zu legen: Einerseits ist die Höhe des insgesamt angerichteten Schadens zu berücksichtigen; andererseits aber auch die Schadensverteilung. Das Erfolgsunrecht ist aufgrund ei16 Hörnle

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4. Teil: Die Bewertung der Tatschwere

ner weit gestreuten Schadensverteilung geringer als wenn der Schaden einen Geschädigten treffen würde. Die zweite Fallgruppe von Kumulationsschäden betrifft ebenfalls Konstellationen, bei denen der Gesamtschaden in einer Kumulation von Einzelschäden liegt. Der Unterschied zur ersten Fallgruppe liegt darin, daß nicht eine Vielzahl von Geschädigten, sondern eine Vielzahl von an sich geringfügigen Delikten zu Lasten desselben Geschädigten den Gesamtschaden ausmacht. Typisch hierfür sind Ladendiebstähle oder Betrügereien zu Lasten von Versicherungen. Weil derartige Delikte regelmäßig Organisationen schädigen, wird diese Fallgruppe im 5. Abschnitt bei den Delikten gegen Organisationen erörtert.

4. Modifikationen wegen besonderer Lebensumstände des Opfers a) Lebensumstände des Opfers, die augenfällig vom Normalfall abweichen, können die zunächst nach objektiv-standardisierten Maßstäben vorgenommene Bewertung des Erfolgsunwerts modifizieren. Dies soll im folgenden an einigen Beispielen verdeutlicht werden: Bei Eigentums- bzw. Vermögensdelikten begangen zum Schaden von Personen, die auf Sozialhilfe-Niveau oder darunter leben, ist von einer Steigerung des Erfolgsunrechts auszugehen177 : Bei einem Lebenszuschnitt, der keinerlei finanzielle Spielräume zuläßt, wird auch eine finanzielle Einbuße von einigen hundert DM, die normalerweise nur als geringfügiges Unrecht zu bewerten wäre, zu einem Problem. Die Situation ist nicht mit dem oben vorausgesetzten Normalfall vergleichbar, bei dem der Geschädigte Mittel über das zum Lebensunterhalt Allernotwendigste hinaus zur Verfügung hat. Nur unter dieser Voraussetzung ist es dem Geschädigten möglich, die durch eine Straftat entzogenen Gegenstände bzw. den Vermögensschaden langfristig problemlos zu ersetzen. Bei der Berücksichtigung des schlechten finanziellen Hintergrunds ist natürlich auch darauf abzustellen, ob das Opfer anderen Personen Unterhalt gewähren muß. b) Fraglich ist, ob bei außergewöhnlich gut situierten Geschädigten von einer Minderung des Erfolgsunrechts ausgegangen werden sollte. In der Strafzumessungslehre wird dies teilweise vertreten: Das Unrecht einer solchen Tat wiege geringer l78 . Die Berücksichtigung einer möglicherweise verminderten Opferempfindlichkeit ist jedoch problematischer als die der soeben erörterten

177 Natürlich inuner unter der Prämisse, daß der Täter die Lebensverhä1tnisse des Opfers kannte, vgl. dazu unten 6. 178 SK-Hom, § 46 Rn. 100, 106; Montenbrnck, Abwägung und Umwertung, S. 48; Büch-Schmitz, Opfervertrauen und Strafzumessung, S. 77 f. Vgl. auch BGHSt. 34,345, 352.

2. Kapitel: Das Ausmaß des Erfolgsunrechts

243

erhöhten Opferempfindlichkeit. Eine strafmildernde Berücksichtigung der finanziellen Situation des Opfers könnte als eine teilweise Freigabe bestimmter Vermögensgegenstände verstanden werden, da bei einer gemilderten Strafe auch das Unwerturteil für einen solchen Diebstahl schwächer ausfällt als das für einen Diebstahl zu Lasten eines Durchschnittsverdieners. Die Erwägung, für ein besonders gut gestelltes Opfer sei es einfacher, Vermögensschäden zu verkraften, wird vom Betroffenen dahingehend verstanden werden, sein Eigentum bzw. sein Vermögen seien weniger schutzwürdig. Im Rahmen der moralphilosophischen Diskussion über Verteilungsgerechtigkeit179 läßt sich ein solches Argument möglicherweise vertreten - als strafrechtliche Begründung taugt es dagegen weniger, weil die Annahme eingeschränkter Schutzwürdigkeit umstritten ist und deshalb nicht als Verkörperung gesellschaftlicher Schwereeinschätzungen angesehen werden kann. Ich möchte deshalb vorschlagen, die Anpassung der Bewertung an die Lebensverhältnisse des Geschädigten bei Eigentums- und Vermögensdelikten im wesentlichen auf die besonders gesteigerte Opferempfindlichkeit zu beschränken. Eine Ausnahme vom Grundsatz der Irrelevanz besonders guter Vermögensverhältnisse kann allenfalls in Extremfiillen in Betracht kommen. Zu denken wäre an eine außerordentlich große Schadenssumme, die nach einer objektiv-standardisierten Betrachtungsweise zu der für Vermögensstraftaten ungewöhnlichen Schwereeinstufung als mittelschweres Erfolgsunrecht führen würde. Ein solcher Vermögensschaden kann jedoch für einen vielfachen Millionär völlig ohne Einfluß auf seine Lebensqualität bleiben. Eine derart offensichtliche Diskrepanz von großer Beeinträchtigung im Normalfall und fehlender konkreter Beeinträchtigung läßt eine das Erfolgsunrecht geringer wertende Beurteilung ausnahmsweise als vertretbar erscheinen. c) Bei Körperverletzungsdelikten kann eine ausnahmsweise zu berücksichtigende besondere Opferempfindlichkeit zum einen auf besonderen sozialen Bedingungen beruhen, vor allem, wenn das Gewicht einer Körperverletzung daher rührt, daß die körperlichen Voraussetzungen für die Berufsausübung zerstört oder beeinträchtigt worden sind. Zum anderen kann das Erfolgsunrecht durch die ungewöhnliche körperliche Konstitution des Opfers beeinflußt werden. Wenn für ein bereits erheblich gesundheitlich vorgeschädigtes Opfer mit einer gewöhnlich nicht zu gravierenden Beeinträchtigungen führenden Körperverletzung eine völlig andere Belastung verbunden ist, kann dies grundsätzlich bei der Strafzumessung berücksichtigt werden. Ein Beispiel ist ein schlechter Heilverlauf bei einem unter Diabetes leidenden Opfer. Bei dauerhaften, nicht abheilenden Verletzungsfolgen kann eine besondere Opferempfindlichkeit das Gewicht der Beeinträchtigung ganz erheblich beein179 Vgl. etwa Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 291 fI. mit Nozick, Anarchie, Staat und Utopia, S. 143 fI.

16'

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4. Teil: Die Bewertung der Tatschwere

flussen, so daß der Auffassung zuzustimmen ist, die gesteigerte Opferempfindlichkeit eines Schwerbeschädigten könne berücksichtigt werden l80 . Im Gegensatz zu den Eigentums- und Vermögensdelikten ist es weniger problematisch, eine geminderte Opferempfindlichkeit strafmildernd zu berücksichtigen, da dies nicht eine Aussage über die mangelnde Schutzwürdigkeit des konkret Betroffenen impliziert. Wenn ein Opfer mit einer ungewöhnlich robusten Konstitution auf eine normalerweise zu einem längeren Krankheitsverlauf führende Gesundheitsbeschädigung nur mit einem kurzen Unwohlsein reagiert, kann dies als weniger gravierendes Erfolgsunrecht gewertet werden l81 .

5. Erfolgsunrecht bei Delikten gegen Organisationen a) Die im vorangegangenen Abschnitt behandelte Bewertung des Erfolgsunrechts anhand der Beeinträchtigung der Lebensqualität führt nicht weiter, wenn durch die Tat nicht ein Individuum betroffen ist, sondern die Rechtspositionen einer Organisation. In diesen Kontext kann zum einen die Gefährdung von kollektiven Rechtsgütern fallen, deren Unwertgehalt im Rahmen dieser Arbeit nicht erörtert werden kann. Aber auch bei Delikten gegen individuell zugeordnete Interessen ist vielfach der Geschädigte keine natürliche, sondern eine juristische Person oder eine sonstige Organisation. Angesichts der Tatsache, daß die soziale Realität vor allem im wirtschaftlichen Bereich zunehmend von organisatorischen Zusammenschlüssen beherrscht wird l82 , sind entsprechende Fallkonstellationen für das Strafrecht praktisch bedeutsam. An Beispielen sind zu nennen: Ladendiebstähle zum Nachteil einer Gesellschaft oder juristischen Person des Privatrechts; Einbruchsdiebstähle in Büros; Betrug bzw. Untreue zu Lasten einer Versicherungsgesellschaft oder Bank; Diebstahl aus öffentlichen Museenl83 . b) Gemeinsam ist allen Konstellationen, bei denen zwar ein Individualrechtsgut, nicht aber ein Individuum betroffen ist, die Schadensart: Es sind ausschließlich materielle Schäden zu bewerten. Offensichtlich ist in diesen Fällen der Lebensqualitätsansatz zur Bewertung des Erfolgsunrechts untaugSK-Hom, § 46 Rn. 100, § 224 Rn. 7. Wenn der Täter in diesem Beispielsfall mit einern dem Normalbild entsprechenden Krankheitsverlauf rechnet, ist dies eine Konstellation des überschießenden Handlungsunrechts. 182 Vgl. etwa Frehsee, Schadenswiedergutmachung, S. 169 f. 183 Der letzte Beispielsfall steht an der Grenze zwischen den Delikten gegen kollektive Güter und den Delikten gegen Individualrechtsgüter, da außer dem materiellen Schaden ein kultureller Verlust zu berücksichtigen ist, dessen Bewertung nur im Rahmen einer generellen Theorie kollektiver Güter möglich ist. 180 181

2. Kapitel: Das Ausmaß des Erfolgsunrechts

245

lieh. Als Alternative kann bei Organisationen darauf abgestellt werden, welchen Einfluß der Vermögensschaden auf die Arbeitsfähigkeit der Organisation hat. Dabei ist, wie bei Delikten gegen natürliche Personen, von einem nur geringfügigen Erfolgsunrecht auszugehen, wenn die materiellen Tatfolgen auf die Arbeitsfahigkeit keinen Einfluß haben. Der Erfolgsunwert eines Ladendiebstahls wird daher regelmäßig als geringfügiges Erfolgsunrecht einzuordnen sein; auf die getrennt zu erörternde Frage, ob die Wertung durch das gehäufte Auftreten von isoliert betrachtet bedeutungslosen Ladendiebstählen beeinflußt wird, ist sogleich einzugehen. Die nächste Stufe, leichtes Erfolgsunrecht, ist erreicht, wenn die Tat die Arbeitsfahigkeit kurzfristig beeinflußt, aber keine langfristigen Folgen nach sich gezogen hat. Zu denken wäre etwa an den Diebstahl des einzigen Firmenwagens eines kleineren Betriebes. Ein solcher Diebstahl zu Lasten eines aus steuer- und haftungsrechtlichen Erwägungen als GmbH geführten kleinen Handwerksbetriebs rechtfertigt keine wesentliche Abweichung von der Bewertung desselben Diebstahls zu Lasten eines Handwerkers, der auf entsprechende Organisationsformen verzichtet hat. Bei einem nur formal-organisatorischen Unterschied zwischen Organisation und Individuum besteht kein Unterschied zur Bewertung des Erfolgsunrechts anband der Lebensqualitätsanalyse. Mittelschweres Erfolgsunrecht liegt vor, wenn der Schaden so groß ist, daß die Arbeitsfähigkeit dauerhaft beeinträchtigt worden ist. In Ausnahmefällen, wenn der finanzielle Verlust nicht aufgefangen werden kann und die Arbeitsfähigkeit ruiniert ist, kann auch die Bewertung als gravierendes Erfolgsunrecht in Betracht kommen. c) Der Gedanke, das Erfolgsunrecht anhand der Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit der Organisation zu bewerten, ist nur ein erster Ansatzpunkt. Im einzelnen ist vieles noch diskussionsbedürftig; die Probleme können hier aber nur angerissen, nicht aber vertieft erörtert werden. Die Bewertung von Straftaten zum Nachteil einer Organisation ist in verschiedener Hinsicht komplizierter als die Bewertung von materiellen Schäden natürlicher Personen. Während eine Analyse der typischerweise auftretenden Beeinträchtigung der Lebensqualität bei natürlichen Personen zumindest grundsätzlich möglich ist, stößt eine objektiv-standardisierte Betrachtung der Arbeitsfähigkeit einer Organisation von vornherein auf engere Grenzen. Die Bedeutung des materiellen Schadens ist stärker von den Verhältnissen des konkret Geschädigten abhängig als bei Delikten gegen natürliche Personen, für die oben plädiert wurde, nur in Ausnahmefällen besonderer Verletzlichkeit das Erfolgsunrecht höher zu bewerten l84 . Um dies an einem Beispiel zu verdeutlichen: Ein Betrugsdelikt mit hohem Schaden, das einen kleineren Betrieb ruiniert, kann für eine Großbank ein unbedeutender finanzieller Verlust sein. Da die materiellen Rahmenbedingungen bei Organisationen viel weiter auseinander liegen als bei den meisten 184

Vgl. oben 4 a.

246

4. Teil: Die Bewertung der Tatschwere

natürlichen Personen, kann die bei natürlichen Personen als vertretbar angesehene Orientierung an einem standardisierten Wert einer bestimmten Geldsumme nicht ohne weiteres übertragen werden. Die Bewertung des Erfolgsunwerts kann deshalb bei Delikten gegen Organisationen nicht ohne die Beachtung der relativen Bedeutung der Schadenssumme für die konkret betroffene Organisation erfolgen. d) Hinzu kommt, daß das formale Kriterium der Arbeitsfahigkeit einer Organisation die Bewertung des Erfolgsunrechts nicht vollständig erschöpft: Es muß auch darauf abgestellt werden, welche menschlichen Interessen vom Bestand dieser Organisation abhängen. Der Erfolgsunwert einer Tat, die gravierende Folgen für die Arbeitsfähigkeit einer Organisation zur Folge hat, ist niedriger, wenn dadurch nicht vitale menschliche Interessen berührt werden, worunter vor allem die Gewährung von Arbeitsplätzen fällt. Der Ruin eines Freizeitzwecken dienenden Vereins hat nicht dieselbe Bedeutung wie der Konkurs eines vielen Menschen Arbeit bietenden Gewerbebetriebes. Die Beeinflussung der hinter einer Organisation stehenden menschlichen Interessen ist wegen der sich aus der Natur der Sache ergebenden Abhängigkeit von Organisationsinteressen und Interessen der dahinter stehenden Menschen eine berücksichtigungsfähige Schadenserweiterung. e) Zu erörtern sind noch die für Delikte gegen Organisationen typischen Schadenskumulationen, bei denen der eigentliche Schaden für die Organisation erst in einer Häufung von an sich belanglosen Delikten liegt. Beispielsweise berührt ein einzelner Ladendiebstahl die Arbeitsfahigkeit der geschädigten Handelsgesellschaft nicht, jedoch kann eine starke Häufung von Ladendiebstählen über einen längeren Zeitraum vor allem in Einzelhandelssparten mit geringer Gewinnspanne durchaus Einfluß auf die Arbeitsfahigkeit haben. Im Rahmen der Strafzumessung bereitet dieser Aspekt jedoch Probleme. Das Kriterium des Täterverschuldens würde nicht unbedingt gegen eine strafschärfende Berücksichtigung sprechen, da die einzelnen Täter regelmäßig wissen, daß ihre Tat in Kombination mit anderen Taten zu einem höher dimensionierten Schaden führen wird. Es muß jedoch bereits vor der Verschuldensprüfung ein weiterer Filter angelegt werden, indem gefragt wird, ob dem Täter die Handlungen anderer Personen zuzurechnen sind185 . Regelmäßig scheidet die Zurechnung von Handlungen Dritter außerhalb der Einflußsphäre des Täters aus. Nur ausnahmsweise kommt eine solche Zurechnung in Betracht, wobei eine strafrechtliche Haftung für das Verhalten beliebiger Personen in besonderer Weise begründungsbedürftig ist. In diesem Zusammenhang könnte auf die von Kuhlen untersuchten sogenannten Kumulati-

185

Vgl. Puppe, FS für Spendel, S. 466 f.

2. Kapitel: Das Ausmaß des Erfolgsunrechts

247

onsdelikte venviesen werden l86 : Der wegen Gewässerverunreinigung (§ 324) Angeklagte kann sich nicht darauf berufen, daß ihm die Handlungen anderer potentieller Verunreiniger nicht zugerechnet werden können. Er macht sich auch dann strafbar, wenn seine Handlung nicht einmal abstrakt das geschützte Rechtsgut gefährdet; die einzelne Handlung wird deshalb unter Strafe gestellt, weil sie, würde sie in großer Zahl vorgenommen, zu einer Verletzung oder Gefährdung führen würde l87 . Kuhlen rechtfertigt die Strafbarkeit der Gewässerverunreinigung mit Erwägungen, die spezifisch auf den Bereich der Umweltschäden zugeschnitten sind, nämlich daß ein rationales Verhalten des einzelnen zu irrationalen Gesamtergebnissen führe. Auch derjenige, der grundsätzlich die Schädigung der Umwelt vermeiden möchte, könne nämlich zu dem Ergebnis kommen, daß seine eigene, isoliert betrachtet nicht schädliche Handlung vorgenommen werden dürfe. Das strafrechtliche Verbot könne deshalb erst verhindern, daß aus einer Vielzahl von rationalen Entscheidungen ein suboptimales Resultat entstehe l88 .

Bei der Rechtfertigung des Kumulationsdelikts der Gewässerverunreinigung scheint mir ein Punkt wichtig zu sein: Gegenüber dem zu Bestrafenden kann darauf verwiesen werden, daß es um den Schutz geteilter Interessen geht, um Interessen, die er grundsätzlich als seine eigenen anerkennt. Dies erleichtert die Rechtfertigung der Ausnahme von der Regel, daß vom Täter nicht veranlaßte Handlungen Dritter ihm nicht zugerechnet werden dürfen. Über den Spezialfall von Straftatkategorien, die dem Schutz kollektiver Interessen dienen, hinaus trägt diese Argumentation jedoch nicht. Eine allgemeine Strafzumessungsregel kann daraus nicht abgeleitet werden. Ein durch kumulative Deliktsbegehung geprägter Gesamtschaden ist deshalb den einzelnen Tätern nicht zur Last zu legen.

6. Subjektive Zurechenbarkeit des Erfolgsunrecbts a) Bislang wurden nur die Standards für eine objektive Bewertung des Erfolgsunrechts erörtert, wobei ein Teilbereich bisher ausgeklammert blieb, nämlich die Tatfolgen, die sich an das primär venvirklichte Erfolgsunrecht anschließen und zu einer zeitlich nachfolgenden Schadensvertiefung oder Schadenserweiterung führen. Bevor unter 7. Schadensvertiefungen und erweiterungen erörtert werden, ist ein Punkt anzusprechen, der auch beim primär verwirklichten Erfolgsunrecht diskutiert werden muß: Strafzumessungsrelevant können nicht alle objektiv vorliegenden Umstände sein, sondern In: GA 1986, 389 ff. Kuhlen, GA 1986, 399 ff. 188 Kuhlen, GA 1986,401 fT.

186 187

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4. Teil: Die Bewertung der Tatschwere

nur das vom Täter verschuldete Erfolgsunrecht. Diese in § 46 Abs. 2 S. 2 ("verschuldete Auswirkungen") aufgenommene Filterfunktion des Täterverschuldens ergibt sich zwingend aus dem im Rechtsstaatsprinzip verankerten 189 Schuldprinzip. Im Ergebnis ist heute auch in der Strafzumessungslehre l90 und -rechtsprechung191 im wesentlichen192 unbestritten, daß unverschuldete Tatfolgen keine Rolle spielen können. Umstritten ist jedoch, welche Maßstäbe hinsichtlich des Verschuldens angelegt werden müssen. Unproblematisch ist dies bei Verurteilungen wegen Fahrlässigkeitsdelikten: Wie bei der Strafbarkeitsfrage muß auch bei der Strafzumessung genügen, daß das Ausmaß des Erfolgsunrechts zumindest vorhersehbar war. Anders verhält es sich jedoch bei vorsätzlich begangenen Taten. Insoweit vertritt ein Teil der Lehre einen strengeren Schuldrnaßstab: Der unmittelbar durch die Tatbegehung angerichtete Schaden soll dem Täter nur zur Last gelegt werden, wenn auch das Ausmaß des Schadens vom Vorsatz umfaßt war - es sei denn, ein nur fahrlässig herbeigeführter Tatschaden erfülle konkurrierend zur Vorsatztat auch den Tatbestand eines im StGB aufgeführten Fahrlässigkeitsdelikts193 . Die Gegenansicht stuft alle Tatfolgen, die zumindest vorhersehbar waren, als strafzumessungsrelevant ein194 . Diese Debatte betrifft etwa folgenden Fall: Der Täter zerschmettert absichtlich eine Porzellanfigur, die er bei nur flüchtigem Hinsehen für billigen Nippes hielt, die aber tatsächlich eine wertvolle Antiquität war. Da bei der Sach-

189

BVerfGE 20, 323, 331; 41, 121, 125; 54, 100; BVerfG NStZ 1995, 76.

Bn.ms, Recht der Strafzumessung, S. 158 ff.; LK-Gribbohm, § 46 Rn. 151; Lackner, § 46 Rn. 34; Tröndle, § 46 Rn. 23 ff. sowie die weiteren Nwe. in Fn. 193, 194. 190

191 BGHSt. 37, 179, 180; BGHR § 46 Abs. 2 Tatauswirkungen 1, 3, 5; BGH NStZ 1986,85, 86; StV 1987, 100; NStZ 1993, 385; StV 1996,90; StV 1997, 129; BGH bei Detter, NStZ 1998, 184. Nwe. zur älteren, objektiv-erfo1gsorientierten Rechtsprechung bei Bruns, Recht der Strafzumessung, S. 158 f 192 Eine Ausnalune machte die Rechtsprechung bei Verurteilungen nach § 323 a, indem sie Schwere und Auswirkungen der Rauschtat einbezogen hat, BGHSt. 23, 375, 376; 38, 356, 361 f; einschränkend neuerdings BGH NStZ 1996, 334: zumindest müsse die Schwere der Rauschtat in Relation zur Schwere des Verschuldens beim Berauschen gesehen werden sowie BGH StV 1996, 89: keine Verwertung von Verhaltensweisen, die nur in der Rauschtat zum Ausdruck kamen. 193 Wessels, FS für Maurach, S. 300 f; Schönke/Schröder/Stree, § 46 Rn. 26; Schönke/SchröderlCramer, § 15 Rn. 31; SK-Hom, § 46 Rn. 106; Roxin, Strafrecht AT 1, § 12 Rn. 130; Bloy, ZStW 107 (1995), 592; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, S. 888; differenzierend Frisch, GA 1972, 337 ff., der Vorsatz voraussetzt, soweit der Täter primäre Schadensgesichtspunkte verkennt, im übrigen aber für die Zurechnung von typischen Folgeschäden Fahrlässigkeit ausreichen läßt, a.a.O., 333 ff. Ihm folgend Bruns, Strafzumessungsrecht, S. 424 f; ders., Recht der Strafzumessung, S. 164 f 194 Spendel, Lehre vom Strafmaß, S. 215 ff.; LK-Hirsch, § 46 Rn. 57; LKGribbohm, § 46 Rn. 151; Puppe, FS für Spendel, S. 464 f; Maurach/Gössel/Zipf, Strafrecht AT 2, § 63 Rn. 42.

2. Kapitel: Das Ausmaß des Erfolgsunrechts

249

beschädigung kein komplementärer Fahrlässigkeitstatbestand existiert, käme die erste Ansicht zum Ergebnis, dem Täter dürfe der tatsächlich angerichtete hohe Schaden nicht zur Last gelegt werden, während die zweite dies tun würde, da bei genauerem Hinsehen die Auswirkungen erkennbar gewesen wären. In der Literatur wird als Beispielsfall der Irrtum über die Echtheit und damit über den Wert eines gestohlenen Gemäldes angeführt l95 . b) Die Meinung, die Vorsatz auch bezüglich des Schadensumfangs verlangt, verwendet das Argument der indirekten Bestrafung: Die isolierte Herbeiführung des dem Täter zur Last gelegten Erfolgs sei nicht strafbar, weshalb nicht über die Strafzumessung die Vorsatzdelikte um sekundäre Fahrlässigkeitsdelikte erweitert werden dürftenl96 . Da weder beim Diebstahl noch bei der Sachbeschädigung die fahrlässige Tatbegehung strafbar sei, könnte der Gesamtschaden in den soeben angeführten Beispielsfallen nicht berücksichtigt werden. Der Verweis auf eine indirekte Bestrafung greift jedoch nicht. Die Kritik ist nicht aus dem verfassungsrechtlichen Prinzip nul/a poena sine lege (Art. 103 Abs. 2 GG) ableitbar, da § 46 Abs. 2 S. 2 insoweit eine gesetzliche Grundlage ist l97 . Der nur sehr selektive Einsatz von Strafdrohungen für fahrlässig begangene Verletzungen ist ebenfalls kein zwingendes Argument, da die gesetzgeberische Tatbestandsgestaltung auf Erwägungen zurückzuführen sein dürfte, die die Reichweite zulässiger Kriminalisierungen betreffen. Ein umfassender Schutz aller Individualrechtsgüter vor Eingriffen aller Art ist nicht durchführbar. Vor allem im Hinblick auf Vermögensdelikte leuchtet ein, daß ein strafrechtliches Verbot fahrlässiger Vermögensgefahrdungen und -beschädigungen zu einer Lähmung wirtschaftlicher Beziehungen führen würde. Auch ein Verbot der fahrlässigen Sachbeschädigung würde wegen der im Alltag häufig gegebenen Notwendigkeit, mit fremdem Eigentum zu hantieren, zu unpraktikablen Ergebnissen führen: Jede Haushaltshilfe würde beim Abspülen des Geschirrs ständig unter der Drohung des Strafgesetzes stehen. Es ist daher einleuchtend, daß das StGB Fahrlässigkeitsdelikte nur in bezug auf die höchstpersönlichen Rechtsgüter Leben und körperliche Integrität (§§ 222, 229) sowie eine schwerwiegende Form der Eigentumszerstörung, nämlich Brandstiftung (§ 306 d) vorsieht. Es wäre deshalb miteinander zu vereinbaren, einerseits die fahrlässige Schadensverursachung nicht zu pönalisieren, andererseits aber bei einer vorsätzlichen Handlung auch den nur fahrlässig herbeigeführten Teil des Gesamtschadens strafschärfend heranzuziehen. 195 Spendel, Lehre vom Strafmaß, S. 212; Frisch, GA 1972, 338; Bloy, ZStW 107 (1995),581. 196 von Weber, MDR 1957,693 f; Frisch, GA 1972, 342 f; Puppe, FS ftir Spende!, S. 452; Bloy, ZStW 107 (1995),585,593 f 197 Frisch, ZStW 99 (1987), 753.

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4. Teil: Die Bewertung der Tatschwere

c) Im Ergebnis ist allerdings für die unter a) aufgeführten Beispielsfälle der Ansicht zuzustimmen, die den Gesamtschaden bei Vorsatztaten nur berücksichtigt wissen möchte, wenn ein entsprechendes Täterwissen vorlag. Ein fIktiver Dialog mit dem Täter im Beispielsfall der zerschmetterten PorzellanfIgur oder des Gemäldediebstahls führt zu dieser Beurteilung. Auf den Vorwurf, daß er sich wegen seiner Nachlässigkeit nicht nur den vorsätzlich herbeigeführten, sondern darüber hinaus den hohen Gesamtschaden zurechnen lassen müsse, könnte dieser entgegnen, er hätte von der Tatbegehung Abstand genommen, wenn er gewußt hätte, welchen Schaden er mit seiner Handlung anrichten werde. Dieser Einwand muß als zulässige und plausible Verteidigung gegen den erhobenen Tadel akzeptiert werden. Das im Vergleich zu Fahrlässigkeitsdelikten stark gesteigerte Tatunrecht ergibt sich aus dem vorsätzlichen Hinwegsetzen über die Achtungsansprüche des Rechtsgutsinhabers. Der Entschluß, dies zu tun, wird nicht nur durch das Wissen um die abstrakte Verbotsnorm beeinflußt, sondern auch durch das Wissen um das Ausmaß der zu erwartenden konkreten Schädigung. Ein auf den Gesamtschaden ausgerichteter Vorwurf gegen den Täter ist deshalb nur angebracht, wenn der Täter alle tatsächlichen Umstände gekannt hat, die für die ex post-Bewertung des Erfolgsunrechts maßgeblich sind. Bei den Eigentumsdelikten schließt deshalb ein Irrtum über den Wert des Gegenstandes die subjektive Zurechnung des Gesamtschadens bei der Strafzumessung aus. d) Eine Divergenz zwischen der Vorstellung des Täters und dem tatsächlich angerichteten Erfolgsunrecht kann allerdings neben einem Irrtum über einen wesentlichen Begleitumstand auch auf einer anderen Ursache beruhen, nämlich einem Fehlgehen der Handlung. Hierzu folgender Beispielsfall: Der Täter plant zur Verdeutlichung einer Drohung im Rahmen eines Erpressungsschemas das Opfer zu erschrecken, indem er dessen geliebten Schoßhund mit einem leichten Messerschnitt oberflächlich verletzen will. Unerwarteterweise wehrt sich jedoch das Tier und statt der geplanten oberflächlichen Verletzung kommt es zu einem tiefer gehenden, tödlich wirkenden Schnitt. Wenn in diesem Fall der Täter vorbringt, bei Kenntnis des eingetretenen Schadens hätte er auf die Ausführung verzichtet, kann dieser Einwand entkräftet werden. Dem Täter ist entgegenzuhalten, daß er durch sein Hantieren mit dem Messer das Risiko eines anders gelagerten Schadens selbst geschaffen hat. Hierin liegt der entscheidende Unterschied zum PorzellanfIgur-Fall, bei dem der höhere Gesamtschaden nicht auf die spezifische Gefährlichkeit der Handlung zurückzuführen ist, sondern auf die Unkenntnis eines Begleitumstands l98 .

198 Vgl. Frisch, GA 1972, 338. Wenn der Beispie1sfall dahingehend abgeändert wird, daß die oberflächliche Schnittverletzung nicht dem Schoßhund, sondern dem Bedrohten selbst beigebracht werden soll, käme auch die für Tatfolgen grundsätzlich Vorsatz verlangende Ansicht zu einer Einbeziehung eines größer als geplant ausfallen-

2. Kapitel: Das Ausmaß des ErfolgslUlfechts

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Für diese Konstellationen muß der Grundsatz modifiziert werden, daß der Täter alle die für die ex post-Bewertung des Erfolgsunrechts maßgeblichen tatsächlichen Umstände gekannt haben muß. Wenn der Täter durch seine Handlung das Risiko eines anders dimensionierten Schadens geschaffen hat, kann er sich nicht auf fehlendes Wissen um die tatsächlich eingetretene Schadenshöhe berufen. Die Vorhersehbarkeit eines größer ausfallenden Schadens reicht in diesen Fällen aus l99 .

7. Schadensvertiefungen und Schadensenveiterungen

a) Nicht selbständig zu berücksichtigende Folgeschäden aa) Zu dem durch die Erfüllung des jeweiligen Tatbestandes entstandenen Erfolgsunwert können weitere Beeinträchtigungen entweder des Tatopfers oder anderer Rechtsgutsträger hinzutreten. Üblich ist die Differenzierung zwischen innertatbestandlichen und außertatbestandlichen Schäden 2°O. Kennzeichnend für die in diesem Abschnitt zu erörternden Folgeschäden ist, daß diese dem durch die Tatbestandserfullung verursachten Primärschaden zeitlich nachfolgen. Bestimmte Folgeschäden spielen für die Bewertung des Erfolgsunrechts keine Rolle, weil ihnen keine selbständige Bedeutung zukommt. Es handelt sich um Konstellationen, bei denen mit einem gravierenden Primärschaden soziale Folgen verbunden sind, die jedoch bereits für die Bewertung des Primärschadens wesentliche Aspekte waren. Als Beispiel sei der Verlust des Arbeitsplatzes als Folge einer Querschnittslähmung angeführt. Oben wurde die Einstufung einer solchen schweren Körperverletzung bei den schwersten Straftaten, die Interessen der ersten Lebensqualitätsstufe betreffen, damit begründet, daß bestimmte physische Grundfunktionen elementare Voraussetzun-

den Gesamtschadens über § 229 (Bloy, ZStW 107 -1993-, 593). Die Ähnlichkeit der beiden Fälle macht jedoch deutlich, daß eine nur positivistisch abgesicherte Argumentation zu kurz greift. Es ist letztlich der hinter dem erfolgsqualiflZierten Delikt des § 227 stehende Gedanke des bestimmten Tathand1ungen innewohnenden spezifischen Risikos, der auch bei der gegen den Hund gerichteten Tathandlung heranzuziehen ist, Frisch, a.a.O., 330 ff. 199 So auch Frisch, GA 1972, 333 ff. für typische Folgen der Tatbegehung. 200 Vgl. Brons, Strafzumessungsrecht, S. 398; ders., Recht der Strafzumessung, S. 151; Streng, Strafrechtliche Sanktionen, S. 176; SK-Horn, § 46 Rn. 105 ff.; LKGribbohm, § 46 Rn. 143 ff.; Frisch, ZStW 99 (1987), 751 ff.; Bloy, ZStW 107 (1995), 580 ff. Die Wortwahl ist unpräzise, da bestimmte Primärschäden mit den Merkmalen des gesetzlichen Tatbestands nicht beschrieben werden können, etwa weil der unstreitig relevante Wert einer Sache im Tatbestand keine ElWähnung fmdet, vgl. oben 1. Kap., 1 b dd.

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4. Teil: Die Bewertung der Tatschwere

gen für ein Überleben als soziales Wesen sind. Die mit einer Querschnittslähmung typischenveise verbundenen sozialen Folgen sind ein wesentlicher Grund für die Bewertung der schweren Körperverletzung als gravierendstes Unrecht. Angesichts des stark betonten primären Erfolgsunrechts von bestimmten Varianten der schweren Körperverletzung hat der Eintritt einer typischen sozialen Folge keine eigenständige Bedeutung mehr. Allenfalls könnte envogen werden, den Ausnahmefall einer Fortsetzung des gewohnten sozialen Lebens als strafmildernd zu berücksichtigen, was praktisch aber kaum vorstellbar ist, da auch bei einer Re-Integration ins Arbeitsleben die sonstigen sozialen Folgen der beschriebenen schweren Körperverletzung zu beachten sind. Zu den nicht selbständig strafzumessungsrelevanten Folgeschäden gehören auch der Ruin eines Betriebes und der Verlust von Arbeitsplätzen als Folge eines schweren Vermögensschadens zu Lasten eines Betriebes, da dieser Vermögensschaden wegen des Konkursrisikos bereits entsprechend auf der Tatschwereskala eingestuft wird20I . Auch psychischen Folgen von gravierenden Taten gegen höchstpersönliche Güter kommt kein selbständiges Gewicht zu, da die psychische Verletzlichkeit von Menschen bereits die Bewertung des Primärschadens maßgeblich geprägt haeo2 . Das Problem, wie seelische Schäden des Opfers bei der Strafzumessung berücksichtigt werden können203 , stellt sich für den hier vertretenen Ansatz deshalb nicht. Auch insoweit könnte allenfalls eine folgenlose Bewältigung strafmildernd wirken, wobei jedoch dies zum Urteilszeitpunkt wegen der Möglichkeit langfristiger Konsequenzen regelmäßig nicht beurteilt werden kann. bb) Es bleiben als "echte" Folgeschäden solche, die die Qualität der Beeinträchtigung durch eine nach der Tat erfolgte Entwicklung verändern und zu einer zum Primärschaden hinzukommenden Belastung führen. Sie können eine Fortsetzung des tatbestandlieh umschriebenen Schadens sein, etwa wenn im Anschluß an eine Körperverletzung nach längerem Krankenhausaufenthalt ein weiterer Gesundheitsschaden durch eine Embolie oder eine Lungenentzündung hinzukommt, oder wenn das durch einen Betrug geschädigte Opfer in der Folgezeit ungünstige Kredite aufnehmen muß und dadurch weitere Vermögensverluste hat. Diese Fälle werden hier als Schadensvertiefungen be-

Vgl. oben 5 d. Vgl. oben 2 b cc. 203 Bloy, ZSW 107 (1995), 594 f, stößt auf die Schwierigkeit, daß er die Berücksichtigung seelischer Schäden filr notwendig erachtet, dies jedoch mit seinem rechtsgutsbezogenen Ansatz nicht zu vereinbaren ist. An diesem Punkt zeigt sich die Schwäche eines formal-rechtsgutsorientierten Ansatzes, der vor allem bei Sexualdelikten, aber auch bei demütigenden Körperverletzungen, wesentliche Aspekte der Tatschwere nicht erfassen kann, vgl. oben 2 b cc. 201

202

2. Kapitel: Das Ausmaß des Erfolgswrrechts

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zeichnee o4 . Echte Folgeschäden treten ferner in der Form von Schadenserweiterungen auf, bei denen eine Ausdehnung des Schadens auf andere Güter stattfindet, zum Beispiel, wenn das Opfer wegen des durchgemachten Ärgers einen Herzinfarkt erleidet. Eine Schadenserweiterung kann zum einen beim ursprünglich durch die Straftat Verletzten auftreten, zum anderen aber auch bei dritten Personen, beispielsweise in der Form von Schockschäden bei einem Angehörigen des Tatopfers.

b) Vorhersehbarkeit der Folgeschäden als erstes Kriterium

Die Rechtsprechung hatte traditionell in weitem Umfang Tatauswirkungen in die Strafzumessung einbezogen205 . Auch in der Lehre beschränkte man sich lange Zeit mehrheitlich auf die lakonische Feststellung, der Kreis der außertatbestandlichen Strafzumessungsfaktoren sei weie o6 . Eingegrenzt wurden die berücksichtigungsfahigen Tatfolgen nur über das Verschuldenserfordernis,

204 Darunter körmten auch bestimmte Fallgruppen eines fließenden Übergangs von Primärschaden und Folgeschaden verstanden werden, etwa bei "weiterfressenden" Schäden, die ohne deutliche Zäsur im Anschluß an den gesetzlich vorausgesetzten Mindestschaden eintreten, oder bei den Dauerde1ikten. Es ist jedoch überzeugender, diese bereits beim primären Erfolgswrrecht zu berücksichtigen. Bei zeitlich gestreckten Handlungen oder Zustandsdelikten ist das primäre Erfolgswrrecht nicht bereits mit der Vollendung des Tatbestandes abgeschlossen, sondern erst mit der materiellen Beendigung. 205 Vgl. BGH NJW 1967,61: Verurteilung einer Prostituierten wegen räuberischer Erpressung eines Kunden, dabei wurde strafschärfend berücksichtigt, daß das Wohl ihrer Kinder durch sexuelle Handlungen in der Wohnung gefährdet wurde; BGH VRS 15, 112: Verurteilung wegen Betruges durch Erschleichung eines Mietwagens, dabei strafschärfende Berücksichtigung einer schuldhaften Beschädigung des Wagens durch einen Verkehrsunfall; BGH 1 StR 427/84, mitgeteilt bei Müller, NStZ 1985, 161: strafschärfende Berücksichtigung der Folgen fUr Angehörige bei Tötungsde1ikten; BGHSt. 29, 319, 323: Verurteilung von Bundesbankbeamten wegen Geldnotendiebstahls unter Berücksichtigung des Vertrauensschadens für die Bundesbank. In jüngster Zeit scheint sich allerdings eine Tendenz zu größerer Zurückhaltung durchzusetzen, vgl. BGHR. § 46 Abs. 2 Tatauswirkungen 6. 206 Paradigmatisch Bruns, Strafzumessungsrecht, S. 152, 158 ff., der kurz feststellt, daß auch außertatbestandliche Folgen zu berücksichtigen seien und nur die Verschuldensfrage näher erörtert; ebenso Maurach/Zipf, Strafrecht AT 2, § 63 Rn. 27; Lackner, § 46 Rn. 34; Tröndle, § 46 Rn. 23; Schönke/Schröder/Stree, § 46 Rn. 26. Die unhinterfragte Akzeptanz der außertatbestandlichen Folgen als Strafzumessungsfaktoren hat Tradition, vgl. Spendel, Lehre vom Strafmaß, S. 231 tf. Soweit die Berechtigung der Einbeziehung von Schadensvertiefungen oder -erweiterungen behandelt wurde (z.B. durch den sog. erweiterten Tatbegriff, demzufolge eine wertende Betrachtung des gesamten Tatverhaltens notwendig sei, Lang-Hinrichsen, FS fUr Engisch, S. 359 f., 363 fI.) stand die Rechtfertigung der Praxis im Vordergrund. Kritisch dazu Erhard, Strafzumessung bei Vorbestraften, S. 183.

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4. Teil: Die Bewertung der Tatschwere

nachdem sich angesichts des eindeutigen Wortlauts von § 46 Abs. 2 S. 2 die Einsicht durchgesetzt hat, daß nicht vorhersehbare Folgen irrelevant sind207 . Die Orientierung an der Vorhersehbarkeit ist umstritten. Auch bezüglich der Folgeschäden wird in der Strafzumessungsliteratur teilweise Vorsatz vorausgesetzt, wenn der Täter wegen eines vorsätzlichen Delikts verurteilt wird208 • Die überwiegende Ansicht folgt jedoch der Rechtsprechung und verlangt nur Vorhersehbarkeit der weiteren Tatfolgen209 . Insoweit ist an die oben angestellten Überlegungen zur subjektiven Zurechnung des Primärschadens anzuknüpfen: Der Täter kann sich nicht darauf berufen, daß er bei vorheriger Kenntnis des tatsächlich eingetretenen Schadensumfangs von der Tatbegehung Abstand genommen hätte, wenn er durch die Tathandlung das Risiko eines größeren Schadens geschaffen hat210 . Diese Argumentation trifft auch für Folgeschäden zu: Hinsichtlich eines vom Täter selbst geschaffenen Risikos genügt Vorhersehbarkeit der weiterreichenden Schadensentwicklung.

c) Typizität der Folgeschäden als zweites Kriterium

aa) In der neueren Strafzumessungsliteratur rücken Maßstäbe für eine objektive Zurechnung des Schadens in den Vordergrund. Das in der Straftatsystematik bei der Zurechnung des tatbestandlichen Erfolgs anerkannte Prinzip der objektiven Zurechnung211 soll auch für die Strafzumessung fruchtbar gemacht werden212 . In diesem Sinne schlägt Puppe vor, durch die intensivere Beschäftigung mit Kausalität und objektiver Zurechnung den Kreis der strafschärfenden Tatfolgen einzugrenzen: Die Beziehung zwischen Tatbestandsverwirklichung und außertatbestandsmäßiger Folge entspreche der Beziehung zwischen Sorgfaltspflichtsverletzung und tatbestandlichem Erfoli 13 . Die Tatbestandsverwirklichung sei kausal für weitere Auswirkungen, wenn sie für die 207 Vgl. die Nwe. oben Fn. 190, 193, 194 sowie BayObLG, NJW 1974, 1778 f. Für eine "strenge Prüfung" Schäfer, Praxis der Strafzumessung 1 Rn. 242, zurückhaltender dagegen in der zweiten Auflage, Rn. 240 b. 208 Roxin, Strafrecht AT 1, § 12 Rn. 130 a.E.; Schönke/Schröder/Cramer, § 15 Rn. 31; Schönke/SchröderlStree, § 46 Rn. 26; Bloy, ZStW 107 (1995), 594. 209 Wesseis, FS für Maurach, S. 301; LK-Hirsch, § 46 Rn. 57; MaurachIGössel/Zipf, Strafrecht AT 2, § 63 Rn. 42; LK-Gribbohm, § 46 Rn. 151; SK-Hom, § 46 Rn. 109; JeschecklWeigend, Strafrecht AT, S. 888; Tröndle, § 46 Rn. 23 b; Lackner, § 46 Rn. 34. 210 Vgl. oben 6 d. 2ll Vgl. Roxin, Strafrecht AT 1, § 11; Schönke/SchröderlLenckner, vor §§ 13 ff. Rn. 91 ff. mit zahlreichen Nwen. 212 Vgl. Frisch, GA 1972, 330 ff.; Berz, NStZ 1986, 87; Bloy, ZStW 107 (1995), 577 f. 213 Puppe, FS für SpendeI, S. 455.

2. Kapitel: Das Ausmaß des Erfolgsunrechts

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kausalgesetzliche Erklärung unverzichtbar ist, d.h. wenn die Folge nicht durch einen allgemeineren Erfahrungssatz erklärt werden könne214 . Die objektive Zurechnung strafschärfender Tatfolgen setze voraus, daß diese durch eine Kette unerlaubter Zustände mit der Tatbestandsverwirklichung kausalgesetzlich verknüpft sei. Ein Zustand sei unerlaubt, wenn er dem Betroffenen gegen seinen Willen aufgezwungen werde, nicht aber, wenn es sich um allgemein übliche und akzeptierte Zustände handle 215 • Mit diesem Ansatz ist in vielen Fällen eine eingrenzende Bestimmung des sekundären Erfolgsunwerts möglich. So entfällt etwa die Zurechnung einer auf gewöhnlichem Sachgebrauch beruhenden - Beschädigung einer betrügerisch in Besitz genommenen Sache, da es zur Erklärung des Schadens keines Eingehens auf die Art und Weise der Besitzerlangung bedarf16 . Gegenüber der teilweise sehr weitreichenden Rechtsprechung (der BGH hat in einem Mietwagen-Betrugsfall die Berücksichtigung eines Unfallschadens gebilligt217) erlaubt der Ansatz von Puppe eine notwendige erste Eingrenzung des Strafzumessungsmaterials218 . bb) Frisch rekurriert mit Zustimmung der Literatur 19 auf den Schutzzweck der Norm zur Eingrenzung strafschärfender Tatauswirkungen220 . Er entwikPuppe, FS fiIr Spendel, S. 455 tf. Puppe, FS ftir Spendel, S. 460 ff. Als Beispiel, bei dem die Üblichkeit des Zustandes die Berücksichtigung der außertatbestandlichen Folgen ausschließe, führt sie die (mit weiteren Verletzungen endende) Taxifahrt eines Verletzten ins Krankenhaus an, S. 462 f. 216 Puppe, FS ftir SpendeI, S. 462 f. 217 BGH VRS 15, 112; zustimmend LK-Hirsch lO , § 46 Rn. 55. 218 Insgesamt läßt jedoch eine ausschließlich kausalitätsorientierte Betrachtungsweise in weiterem Ausmaß als andere Ansätze die Einbeziehung von Tatfolgen in die Strafzumessungsgründe zu. So müßten etwa körperliche Folgen einer gegen das Eigentum oder das Vermögen gerichteten Straftat, die auf die Aufregung über die Viktimisierung zurückzuführen sind, etwa ein Herzinfarkt oder eine Erkrankung, dem Täter zugerechnet werden. Es könnten auch ungewöhnliche Folgen strafschärfend berücksichtigt werden, nur weil sie auf eine lückenlose Kette von unerlaubten Zuständen zurückzuführen sind. Man stelle sich vor, im soeben angeführten Beispielsfall stehe kein Taxi zum Transport zur Verfügung, so daß auf ein ungewöhnliches und mit größeren Gefahren verbundenes Transportmittel zurückgegriffen werden müßte, beispielsweise ein Motorrad. Wenn nun dadurch etwa der Kamelhaarmantel des Verletzten ruiniert würde, müßte dies dem Körperverletzer strafschärfend zugerechnet werden, da die Fahrt mit dem Motorrad ein unerlaubter Zustand war. Es müssen deshalb zu der kausalitätsorientierten Betrachtung weitere Abgrenzungskriterien hinzukommen. 219 Vgl. Lampe, ZStW 89 (1977), 338 ff.; LK-Hirsch lO , § 46 Rn. 55; Berz, NStZ 1986, 87; Beulke/Schröder, NStZ 1991, 395; Streng, Strafrechtliche Sanktionen, S. 176; SK-Horn, § 46 Rn. 109; Schäfer, Praxis der Strafzumessung, Rn. 241 ff. Abstriche vom Schutzzweckzusarnmenhang will dagegen LK-Gribbohm, § 46 Rn. 143, machen, wenn aus außertatbestandlichen Folgen außerhalb des Schutzzweckzusarnmenhangs Schlüsse auf Tat oder Täter gezogen werden können. In einer neueren Entschei214 215

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4. Teil: Die Bewertung der Tatschwere

kelt seinen Ansatz, indem er die Wertungen analysiert, die hinter der Einführung erfolgsqualifizierter Delikte stehen221 . Das Grunddelikt habe die Funktion, nicht nur die unmittelbar tatbestandlich erfaßte Rechtsgutsverletzung zu verhindern, sondern auch typische Weiterungen 222 . Daraus lasse sich für die richterliche Strafzumessung ableiten, daß voraussehbare Tatfolgen strafschärfend herangezogen werden könnten, wenn sie typische Folgen der Verwirklichung des Straftatbestandes seien223 . cc) Die Argumentation, daß vorhersehbare Folgen berücksichtigt werden können, wenn der Täter durch seine Handlung das Risiko einer Schadensausweitung geschaffen hat (vgl. oben b), setzt einen objektiven Zurechnungsmaßstab voraus, der den notwendigen Zusammenhang zwischen Risiko und Schadensausweitung herstellt: Die Tathandlung ist mit dem Risiko von Folgeschäden behaftet, wenn diese Folgeschäden auf einer typischen Weiterentwicklung des Schadensverlaufs beruhen. Das wirft die Frage auf, wie die Typizität eines Schadens bestimmt werden soll. Frisch schlägt vor, diese Frage zunächst empirisch anzugehen224 . In einem weiteren Schritt solle unter normativen Gesichtspunkten geklärt werden, ob das Gesetz vor diesen Gefahren schützen wolle - was aber in der Regel der Fall see 25 . Damit stößt man jedoch auf Probleme: Welcher Grad der Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts soll ausreichen? Ist hiermit gemeint, daß ein bestimmter Folgeschaden häufig bei konkreten Schadensverläufen vorkommt? Muß er in der Mehrheit oder gar der überwiegenden Mehrheit aller Fälle eintreten? Selbst wenn man eine Festlegung auf Wahrscheinlichkeitsgrade vermeidet, ist es kaum möglich, die Ty-

dung, bei der das Instanzgericht strafschärfend berücksichtigt hat, daß die wegen Vermögensstraftaten verurteilten Asylbewerber das Ansehen aller Asylbewerber in der Bundesrepublik diskreditieren würden, nimmt nunmehr auch der BGH den Schutzzweckgedanken auf, BGHR § 46 Abs. 2 Tatauswirkungen 6. In BGHSt. 37, 179, 182 wird ebenfalls auf den Schutzzweck der Norm eingegangen. In dieser Entscheidung wurde mit dem Hinweis auf den Schutzzweck des Betäubungsmitte1gesetzes abgelehnt, der eigenverantwortlichen Handlung eines Betäubungsmitte1käufers bei der Zumessung der Strafe für den Verkäufer Rechnung zu tragen. Vgl. aber auch BGHSt. 29, 319, 323: Die Entscheidung hätte ein Eingehen auf den Schutzzweck der Diebstahlsnormen nahegelegt. 220 In: GA 1972, 330 tT.; ders., ZStW 99 (1987), 753 f. 221 In: GA 1972, 330 ff. Die erheblichen Strafrahmenunterschiede zwischen vorsätzlichem Grundde1ikt und erfolgsqualifIziertem Delikt können nicht a1leine mit dem zusätzlichen Verletzungserfolg begründet werden, sondern verweisen auf die Gefahr, die bereits mit der Begehung des vorsätzlichen Delikts verbunden ist, Frisch, a.a.O., 331 ff. unter Verweis aufOeh/er, ZStW 69 (1957), 503 ff. 222 Frisch, GA 1972, 332. Kritisch Bloy, ZStW 107 (1995), 590 ff. 223 Frisch, GA 1972, 333. 224 Frisch, GA 1972, 333. 225 Frisch, GA 1972, 333.

2. Kapitel: Das Ausmaß des Erfolgsunrechts

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pizität von Folgeschäden empirisch zu ermitteln, weil keine Daten zu typischen Schadensverläufen existieren. Als Ausweg bietet sich eine von vornherein normativ begründete Einschränkung der berücksichtigungsfähigen Tatfolgen an, wobei an die Appellfunktion von Normen anzuknüpfen ise26 . Die Appellfunktion erstreckt sich nicht nur auf die unmittelbaren Tatfolgen, sondern unter Umständen auch auf die Vermeidung weiterer schädlicher Folgen. Dafür ist erforderlich, daß die Schadensgefahr jedem Normadressaten plastisch vor Augen steht. Es muß sich deshalb nicht nur um eine mögliche, sondern um eine für jedermann evidente Verknüpfung von Tatbestandserfüllung und möglicher Schadensfolge handeln. dd) Die Konsequenz dieses Verständnisses der Folgentypizität ist, daß nur ein eng umgrenzter Anwendungsbereich für die strafschärfende Einbeziehung von vorhersehbaren Tatfolgen bleibt, nämlich dann, wenn eine Schadensvertiefung in der Art der tatbestandlichen Handlung angelegt ist. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn der Täter wegen der Weiterverbreitung von ehrverletzenden Tatsachen (§§ 186, 187) verurteilt wird: Wenn die Behauptung des Täters von Dritten weitergetragen wurde, so ist auch der Schaden dem Ersttäter strafschärfend zuzurechnen, der erst dadurch entstanden ist, daß weite Kreise davon erfahren haben. Denn diese Entwicklung entspricht den Mechanismen des Tratsches, dessen Wesen in der unkontrollierbaren Verbreitung ehrenrühriger Umstände liegt. Das Risiko, das sich verwirklicht hat, ist dem tatbestandlich umschriebenen Verhalten inhärent. Ähnliches gilt bei Körperverletzungsdelikten, die nicht zu den leichten gehören. Auch wenn es die erfolgsqualifizierten Delikte (§§ 226, 227) nicht gäbe, wären vorhersehbare Verschlechterungen des körperlichen Zustands zulässigerweise bei der Strafzumessung einzubeziehen. Der Grund dafür liegt in der Unberechenbarkeit der Reaktionsweise von lebenden Organismen auf Verletzungen. Als Folge einer Körperverletzung ist immer damit zu rechnen, daß weitere Komplikationen auftreten. Auch wenn grundsätzlich eine Schadensvertiefung strafschärfend wirkt, sind allerdings Einschränkungen zu beachten, die sich aus den allgemeinen Grundsätzen der objektiven Zurechnung ergeben. So müssen Folgen unberücksichtigt bleiben, die auf einer Selbstgefährdung des Opfer?27 beruhen. Wenn das Opfer die Wundheilung durch unvernünftiges Verhalten behindert, können die Folgeschäden nicht dem Täter zugerechnet werden.

So auch Frisch, GA 1972, 333. Zum Ausschluß der objektiven Zurechnung wegen Eigengefahrdung s. Roxin, Strafrecht AT 1, § 11 Rn. 86 ff. 226 227

17 Hörn1e

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4. Teil: Die Bewertung der Tatschwere

Bei einer Bestrafung wegen eines konkreten Gefährdungsdelikts kann eine tatsächlich eingetretene Verletzung berücksichtigt werden228 . Die Strafzumessungsrelevanz der Verletzung folgt aus der Struktur der Gefährdungsdelikte: Wenn der Strafrechtsschutz in den Gefahrdungsbereich vorverlagert wird, muß die Verletzung erst recht bewertungsrelevant sein. Schwieriger ist zu entscheiden, welche konkreten Verletzungen bzw. konkrete Gefährdungen strafzumessungsrelevant sind, wenn das Grunddelikt ein abstraktes Gefährdungsdelikt ist, bei dem auf eine tatbestandliche Festlegung der letztlich mittelbar geschützten einzelmenschlichen Interessen verzichtet wird. Es gibt allerdings abstrakte Gefährdungsdelikte, die einen erkennbaren Bezug zu Individualgütern aufweisen, so etwa die schwere Brandstiftung, § 306 a. Eine konkret eingetretene Gefährdung von Menschenleben ist daher bei einer Verurteilung nach § 306 a zu berücksichtigen229 . ee) Der hier vertretene Ansatz unterscheidet sich von anderen, die Kriterien für die objektive Zurechnung von Tatfolgen entwickelt haben, hinsichtlich der nicht zurechenbaren Schadensvertiefungen. Vor allem bei Delikten mit materiellen Schäden sind Schadensvertiefungen nicht zu berücksichtigen. Bei ungewöhnlich hohen Schäden ergibt sich die besondere Schwere des Primärschadens gerade aus den zu erwartenden Konsequenzen, so daß es sich um die oben beschriebenen unselbständigen Folgen handelt230 . Bei Vermögensschäden mit einem nur niedrigem Erfolgsunrecht ist dagegen nicht evidenterweise mit Schadensvertiefungen zu rechnen. Zu einer weiterreichenden Zurechnung in diesen Fällen kommt man etwa mit dem Ansatz von Bloy, der als Eingrenzungskriterium nur auf das geschützte Rechtsgut verweist: Jeder Straftatbestand sei auf den Schutz eines bestimmten einzelnen Rechtsguts zugeschnitten und bezwecke deshalb nicht den Schutz vor einem weiteren Spektrum möglicher Beeinträchtigungen231 . Wenn die weitere Schadensfolge dasselbe Rechtsgut betrifft wie das unmittelbar durch die Tat verletzte, schränkt dieser Ansatz die Zurechnung nicht ein, so daß alle rechtsgutsidentischen Schadensvertiefungen zu berücksichtigen wären. Auch Frisch kommt hinsichtlich weiterer Vermögensschäden zu einer

228 Praktische Relevanz erhält diese Frage nur dann, wenn die Verletzung als solche keinen eigenen Tatbestand erfüllt, also etwa bei einer fahrlässigen Sachbeschädigung als Folge einer Straßenverkehrsgefahrdung, § 315 c. Vgl. Bloy, ZStW 107 (1995), 587; Schäfer, Praxis der Strafzumessung, Rn. 241; Frisch, GA 1972, 334 f. 229 Vgl. Schönke/Schröder/Cramer, § 306 Rn. 18. Bei § 316 erledigt sich das Problem regelmäßig im Wege der Konkurrenz zu § 315 c. 230 Vgl. oben a. 231 Bloy, ZStW 107 (1995),586 ff.

2. Kapitel: Das Ausmaß des Erfolgsunrechts

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Zurechnung, da er ein weiterreichendes Konzept der Folgentypizität zugrunde legt232. fi) Schadenserweiterungen können in aller Regee 33 nicht als typische Folge bezeichnet werden. Schadensverläufe, die auf andere Rechtsgüter übergreifen, beruhen auf Verkettungen und Entwicklungen, die eher als tragische Verläufe denn als im hier verwandten engen Sinne typische Folgen der Straftat bezeichnet werden können. Auch die nur mit Vorhersehbarkeit eingrenzende Rechtsprechung wird vielfach zum selben Ergebnis kommen, da es selten sein dürfte, daß ein Schadensverlauf trotz seiner Ungewöhnlichkeit vorhersehbar war234 .

Es muß deshalb insbesondere ausscheiden, Schadenserweiterungen bei einer anderen Person als dem durch die Straftat unmittelbar Verletzten strafschärfend einzubeziehen. Zwar wird in der Strafzumessungslehre die Berücksichtigung von Schockschäden bei Angehörigen des Opfers gefordert235 . Eine derartige Schadenserweiterung ist jedoch keine evidente Folge einer Verletzungshandlung. Sie gehört nicht zu den Umständen, die die Existenz des Verbotes von Verletzungen mitbegründen. Die Norm, die an andere appelliert, Körperverletzungen zu unterlassen, will damit potentielle Opfer vor Schmerzen, Demütigungen und gesundheitlichen Beeinträchtigungen bewahren, nicht aber diesen Nahestehende vor seelisch begründeten Folgen. Die Rechtsprechung berücksichtigt auch die Folgen für Familienangehörige des Opfers bei einer Verurteilung wegen eines Tötungsdelikts, wobei allerdings offenbleibt, ob der ideelle Verlust oder der Verlust des Unterhaltspflichtigen im Vordergrund stehe36 . Mit einem Konzept der Folgentypizität, das auf die empirisch zu bestimmende Wahrscheinlichkeit des Folgeneintritts abstellt, wäre dies möglicherweise zu bejahen. Zumindest bei erwachsenen, aber noch GA 1972, 337. Zu einer möglichen Ausnahme vgl. Frisch, GA 1972, 337: Diebstahl eines Medikaments fil.hrt zu Gesundheitsschäden. 234 Insoweit besteht eine Übereinstimmung mit Bloy, ZStW 107 (1995), 586 fI., da Schadenserweiterungen defmitionsgemäß (s. oben a dd) bei anderen Rechtsgtttern als dem durch die Strafnorm geschützten Rechtsgut eintreten. 235 Vgl. LK-Gribbohm, § 46 Rn. 147, 149; BGHR § 46 Abs. 2 Tatauswirkungen 5; Schäfer, Praxis der Strafzumessung, Rn. 241; Bloy, ZStW 107 (1995), 595. Dies widerspricht jedoch den Maßstäben, die in den sog. Schockschädenfallen von der herrschenden Meinung für die objektive Zurechnung angewandt werden: Eine Bestrafung aus § 230 StGB soll ausscheiden, da dies nicht vom Schutzzweck der Norm erfaßt werde (Schanemann, JA 1975, 720; Stratenwerth, Strafrecht AT, Rn. 350; SKRudolphi, vor § 1 Rn. 78; Roxin, Strafrecht AT 1, § 24 Rn. 43). 236 BGH 1 StR 427/84, mitgeteilt bei Mal/er, NStZ 1985, 161; OLG Frankfurt JR 1980, 76 (es komme auf die Größe des Verlusts für Angehörige, Berufskollegen und die übrige soziale Umwelt an) mit zust. Anm. Bruns, JR 1980, 77; SchönkelSchröder/Stree, § 46 Rn. 19. 232 233

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4. Teil: Die Bewertung der Tatschwere

nicht alten Personen kann davon ausgegangen werden, daß diese vielfach anderen zum Unterhalt verpflichtet sind, so daß ein Tötungsdelikt die Schädigung eines anderen wahrscheinlich macht. Aber nach der hier vertretenen normativen Bestimmung der Folgentypizität ist eine Zurechnung problematisch. Diese würde voraussetzen, daß das Tötungsverbot nicht nur im Interesse potentieller Tatopfer besteht, sondern auch, um deren sozialem Umfeld den Verlust zu ersparen. Diese Konstruktion strafrechtlicher Tötungsverbote holt jedoch zu weit aus: Wie die Verbote von Körperverletzungen dienen auch die Normen, die Tötungen verbieten, dem Schutz des jeweiligen Rechtsgutsträgers und nicht dem der Hinterbliebenen.

3. Kapitel: Das Ausmaß des Handlungsunwerts 1. Handlungsunrecbt und subjektive Tatbintergründe a) Abstufungen des Vorsatzes

aa) In diesem Kapitel ist die Erörterung des Handlungsunwerts wieder aufzunehmen, die im ersten Kapitel begonnen wurde. Dort wurde als Ausgangspunkt darauf verwiesen, daß die Einordnung des Vorsatzes beim Unrecht heute weitgehend unumstritten ise37 . Zu diskutieren bleibt, ob die unterschiedlichen Vorsatzformen für die Strafzumessung von Bedeutung sind, weil sie das Ausmaß des Handlungsunrechts beeinflussen. Die herrschende Strafzumessungslehre sieht in der Vorsatzform kein taugliches Kriterium für die Bestimmung des Strafmaßes238 . Ausschlaggebend seien die Motive bzw. Handlungsziele des Täters239 oder der verbrecherische Wille, welcher unabhängig von der Art des Vorsatzes see 40 . In der Verbrechenslehre wird allerdings vertreten, daß der Unterschied von bedingtem Vorsatz und direktem Vorsatz nicht nur eine Frage der Kategorisierung sei, sondern auch von einer Ordnungsreihenfolge des Unrechtsgehalts auszugehen sei241 . Nach dem BGH ist die Trennungslinie, die in der Verbrechenslehre zwischen Absicht und sicherem Wissen gezogen wird, für die Strafbemessung ir-

Vgl. 1. Kap., 4 a aa. Bruns, Recht der Strafrumesslll1g, S. 214; LK-Gribbohm, § 46 Rn. 86; Schäfer, Praxis der Strafrumesslll1g, Rn. 251 a; Lackner, § 46 Rn. 33; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, S. 887. AA Kern, ZStW 64 (1952),255; Schünemann, GA 1985, 363. 239 Bruns, Recht der Strafzumesslll1g, S. 214; Schäfer, Praxis der Strafrumesslll1g, Rn. 251 a; Lackner, § 46 Rn. 33. 240 LK-Gribbohm, § 46 Rn. 86; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, S. 887. 241 Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, S. 299; Schünemann, GA 1985, 363. 237

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3. Kapitel: Das Ausmaß des Handlungsunwerts

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relevane 42 . Umstritten ist, ob dem Unterschied von direktem und bedingtem Vorsatz Einfluß auf die Strafmaßentscheidung einzuräumen ist. Insoweit mangelt es der Rechtsprechung an einer einheitlichen Linie. Teilweise wurde die Vorsatzform als solche für bedeutungslos angesehen; diese könne nur in Zusammenhang mit den Vorstellungen und Zielen des Täters gewürdigt werden243 . In weiteren Entscheidungen wurde klargestellt, daß direkter Vorsatz jedenfalls nicht als Strafschärfungsgrund angeführt werden dürfe, da dies der Regelfall eines vorsätzlichen (Tötungs-)Delikts sef 44 . In einer neueren Entscheidung befindet der BGR, daß eine Handlung mit nur bedingtem Vorsatz die Schuld mindere245 . Im 6. Kapitel, 5 b, wird erörtert, welche Vorsatzform den Normalfall darstellt; an dieser Stelle geht es um die vorgelagerte Frage, ob überhaupt eine Unrechtsdifferenz anzuerkennen ist. bb) Die herrschende Strafzumessungslehre läßt sich erklären, wenn man sich dem dahinter stehenden Bewertungskriterium zuwendet: Die Aussage, die Art des Tatvorsatzes sei isoliert betrachtet für das Strafmaß nicht relevant, ergibt Sinn, wenn man auf die Gefährlichkeit des Täters abstellt. Ein mit nur bedingtem Vorsatz handelnder Täter kann im Hinblick auf zukünftige Rechtsgutsverletzungen genauso gefährlich oder sogar noch gefährlicher sein wie ein mit direktem Vorsatz handelnder Täter. War die Tat Ausdruck einer bestimmten Einstellung gegenüber den Interessen anderer, die von Gleichgültigkeit oder sogar Feindseligkeit geprägt ist, ist der Schluß auf Wiederholungsgefahr plausibel. Rat der Täter dagegen auf eine in seiner individuellen Biographie vereinzelte Lebenskonstellation mit einer Straftat reagiert, kann die Prognose günstiger ausfallen, wenn eine Wiederholung dieser speziellen Konstellation nicht zu erwarten ist. Die Vermischung von präventiven Erwägungen mit einer vordergründig an der Tatschuld ausgerichteten Betrachtung dürfte ein wesentlicher Grund für die Vemeinung der Strafzumessungsrelevanz der Vorsatzart sein. cc) Für die hier zugrunde gelegte Unrechtsbewertung kommt es darauf an, ob sich Abstufungen entweder bei der voluntativen oder der kognitiven Komponente des Vorsatzes oder bei beiden Komponenten unter Berücksichtigung der Opferperspektive auf das Ausmaß des Randlungsunrechts auswirken. Oben wurde darauf verwiesen, daß sich der Unterschied zwischen einer mit direktem Vorsatz ausgeführten und einer nur unbewußt fahrlässig herbeigeführten Verletzung auf das Unrecht der Tat auswirkt. Der Grund wurde in der BGHNJW 1981,2204. BGH MDR 1984, 980; BGH Urteil vom 25.10.1989, 3 StR 180/89, zitiert in BGH StV 1990, 304; OLG DüsseldorfMDR 1990, 564. 244 BGH StV 1986, 340; StV 1990, 304; StV 1993, 72; BGHR § 46 Abs. 3 Tötungsvorsatz 4,5; zustimmend Schönke/SchröderlStree, § 46 Rn. 16. 245 BGHNStZ 1997,431,432. 242 243

262

4. Teil: Die Bewertung der Tatschwere

Bestimmungs- oder Appellfunktion der Normen gesehen: Die verhaltenssteuernde bzw. appellierende Funktion der Norm führt dazu, daß es für die Bewertung der Tat einen Unterschied, ob sich der Täter bewußt über den Appell hinweggesetzt hat oder ob ihm die potentielle Schadensdimension nicht bewußt war46 . Es ist zu erwägen, ob mit dieser normtheoretischen Vorgabe auch die herrschende Meinung zur fehlenden Unrechtsrelevanz der Vorsatzarten widerlegt und begründet werden kann, daß nur bedingt vorsätzliches Handeln einen geringeren Unwert verwirklicht als Handeln mit direktem Vorsatz. In diesem Sinne könnte argumentiert werden, daß jede konkrete Ausprägung der kognitiven Komponente des Vorsatzes das Ausmaß des Handlungsunrechts beeinflußt. Dann wäre ein bloßes Für-Wahrscheinlich-Halten des Erfolgseintritts mit einern geringeren Handlungsunwert verbunden als sicheres Wissen. Dieser These ist jedoch entgegenzusetzen, daß damit die normtheoretische Begründung überstrapaziert wird. Die Gegenthese verweist darauf, daß die Appellwirkung der Norm immer dann eintritt, wenn dem Täter die Wahrscheinlichkeit einer Verletzung bewußt war. Sobald aus seiner Sicht eine von ihm ernst genommene Wahrscheinlichkeit des Erfolgseintritts bestand, ist ein bewußtes Ignorieren des Normappells zu verzeichnen. Für diese Beurteilung macht es keinen Unterschied, ob der Täter den Erfolgseintritt ernsthaft für wahrscheinlich hielt oder ob seine Prognose den Bereich des sicheren Wissens erreicht hatte. Die kognitive Komponente markiert demnach nur einen Schwellenwert, ab dem ein geringeres Handlungsunrecht vorliegt, nämlich dann, wenn dem Täter die Möglichkeit des Erfolgseintritts nicht bewußt war bzw. wenn er diese Möglichkeit nur in Betracht gezogen, aber nicht ernst genommen hat. Abgesehen von dieser Schwelle kommt im übrigen eine graduelle Abstufung des Handlungsunwerts nach der Ausprägung des Täterwissens nicht in Betracht. dd) Es ist deshalb eine Begründung für den niedrigeren Unrechtsgehalt der mit dolus eventualis ausgeführten Taten überzeugender, die nicht normtheoretisch fundiert ist, sondern auf die voluntative Komponente des Vorsatzes verweist. Auch gegen eine auf Unterschiede bei der voluntativen Komponente gestützte Unrechtsabstufung könnte allerdings ein Einwand erhoben werden. Schünemann sieht die Relevanz der voluntativen Komponente des Vorsatzes darin begründet, daß damit eine für die Rechtsgüter besonders gefährliche Gesinnung gebrandmarkt und durch eine schärfere Bestrafung symbolisch tabuisiert werde247 . Diese Begründung ist mit den hier vertretenen Grundannahmen nicht ohne weiteres vereinbar, die einer Bewertung der Tätergesinnung unter dem Stichwort "Handlungsunrecht" ablehnend gegenüberstehen.

246 247

Vgl. 1. Kap., 4 a bb. In: Chengchi Law Review SO (1994), 270.

3. Kapitel: Das Ausmaß des Handlungsunwerts

263

Diese Bedenken schließen jedoch die Bezugnahme auf die voluntative Komponente nicht aus, denn es ist auch ohne den Rekurs auf die Gesinnung des Täters möglich, deren Unrechtsrelevanz zu begründen. Auch aus der hier als Eingrenzungskriterium favorisierten Opferperspektive macht die Intensität des Wollens des Täters einen Unterschied. Versetzt man sich in die Position eines Opfers vor der Begehung der Straftat, so wird deutlich, daß mit dem Ausmaß der Intentionalität des Täterhandelns eine entsprechende Bedrohlichkeit der Situation einhergeht. Das absichtliche, zielstrebig auf die Verletzung ausgerichtete Handeln ist mit einern größeren Gefährdungs- und dadurch auch Bedrohungspotential verbunden, während ein Täter, der den Erfolg nur billigend in Kauf nimmt, aus der ex ante-Perspektive eine geringere Bedrohung darstellt. Bei einern absichtlich handelnden Täter hat das Opfer damit zu rechnen, daß der Täter nötigenfalls auch mehrfach dazu ansetzen wird, sein Ziel zu erreichen, während bei einern nur bedingt vorsätzlich Handelnden die Chance besteht, einern ersten Angriff entkommen zu können. ee) Damit ergibt sich folgende Bewertung des Handlungsunrechts: Der Unterschied zwischen absichtlichem und bedingt vorsätzlichem Handeln ist unrechtsrelevant. Der Rechtsprechung und herrschenden Lehre ist insoweit zuzustimmen, als diese den Unterschied von dolus directus ersten Grades und dolus directus zweiten Grades als bedeutungslos einstufen. In ihrem Unwertgehalt sind Absicht und direkter Vorsatz vergleichbar48 : Das Ausmaß der Bedrohlichkeit ist beim Handeln mit sicherem Wissen aus der ex antePerspektive nicht geringer. Zwar muß das Opfer in dieser Situation nicht mit einern unbedingten Verwirklichungswillen rechnen, der sich gegebenenfalls in einer hartnäckigen Verfolgung des Zieles niederschlagen wird. Jedoch bedeutet sicheres Wissen um den Taterfolg, daß objektiv ein wesentlich größerer Gefahrengrad besteht, so daß aus der Perspektive des Opfers kein wesentlicher Unterschied festzustellen ist. Gestützt wird dieses Ergebnis durch eine strafrechtssystematische Betrachtung: Aus der Differenzierung zwischen Absicht und bedingtem Vorsatz ergibt sich in § 226 Abs. 1 und 2 ein erheblicher Strafrahmenunterschied, während der Unterschied von Absicht und sicherem Wissen insoweit keine Rolle spiele49 .

248 Gegen eine Differenzierung auch JeschecklWeigend, Strafrecht AT, S. 298; Schönke/Schröder/Cramer, § 15 Rn. 69; Tröndle, § 15 Rn. 7; Roxin, Strafrecht AT 1, § 12 Rn. 5, 7 ff.; vgl. auch Duff, Criminal Attempts, S. 301 ff.; aus rechtsvergleichender Sicht Perron, FS fUr Nishihara, S. 150. AA Fahl, Bedeutung des Regeltatbildes, S.154. 249 Fahl, Bedeutung des Regeltatbildes, S. 154.

264

4. Teil: Die Bewertung der Tatschwere

b) Abstufungen der Fahrlässigkeit

aa) Bewußte und unbewußte Fahrlässigkeit aaa) Auch insoweit wird in der Strafzumessungslehre überwiegend vertreten, daß die Differenzierung für den Unrechts- und Schuldgehalt der Tat und somit die Strafzumessung belanglos see50 . Dieser Ansicht liegt jedoch zumindest teilweise eine analytisch unzulässige Vermengung der Kategorien leichte/schwere und bewußte/unbewußte Fahrlässigkeit zugrunde, etwa wenn Welzel formuliert, daß eine unbewußte Unaufmerksamkeit schwerer wiegen könne als bewußtes Handeln bei nur verhältnismäßig entfernter Möglichkeit des Erfolgseintritts 251 . Eine strukturierte Erörterung muß von einer gleich schwerwiegenden Sorgfaltspflichtverletzung ausgehen, die in einem Fall bewußt geschah, im Vergleichsfall dagegen unbewußt252 . Abgesehen von solchen Nachlässigkeiten, dürfte ähnlich wie beim Vorsatz bei der herrschenden Meinung die Erwägung eine Rolle gespielt haben, daß vom gedankenlosen Täter nicht weniger zukünftige Straftaten zu erwarten sind als von dem Täter, der wenigstens über mögliche Folgen seines Handeins nachdenkt. Horn geht im Unterschied zur herrschenden Meinung davon aus, daß die Unterscheidung zwischen bewußter und unbewußter Fahrlässigkeit bei der Strafzumessung eine Rolle spiele. Zwar sei der Unrechtsgehalt der Handlung bei unbewußter Fahrlässigkeit nicht geringer, aber die Schuldhöhe sei verringert, da der Täter ohne Unrechtskenntnis handle. Er möchte deshalb gemäß § 17 S. 2 je nach dem Grad der Vermeidbarkeit des Irrtums die Strafe mindern253 .

bbb) Die auf eine Schuldrninderung abstellende Konstruktion ist jedoch überflüssig, da bereits das Handlungsunrecht durch den Unterschied von bewußter und unbewußter Fahrlässigkeit tangiert wird. Wie bereits oben (a ce) erörtert, erlauben normtheoretische Prämissen immerhin die Schlußfolgerung, daß es eine geringere Form des Unrechts darstellt, wenn dem Täter die Appellwirkung der Norm zwar potentiell vor Augen stand, aber nicht in der ak-

250 Kern, ZStW 64 (1952), 255; Bnms, Recht der Strafzumessung, S. 214; LKGribbohm, § 46 Rn. 109; Welzel, Das deutsche Strafrecht, S. 170; LK-Schroeder, § 16 Rn. 121; MaurachIGössel/Zipf, Strafrecht AT 2, § 43 Rn. 121; JeschecklWeigend, Strafrecht AT, S. 568 f.; Schönke/SchröderlStree, § 46 Rn. 17. AA Roxin, Strafrecht AT 1, § 24 Rn. 61. 251 Welzel, Das deutsche Strafrecht, S. 170; ebenso LK-Gribbohm, § 46 Rn. 109; kritisch dazu Roxin, Strafrecht AT 1, § 24 Rn. 61. 252 Roxin, Strafrecht AT 1, § 24 Rn. 61. 253 In: SK, § 46 Rn. 111. Kritisch LK-Schroeder, § 17 Rn. 2; SK-Rudolphi, § 17 Rn. 20; Roxin, Strafrecht AT 1, § 24 Rn. 106.

3. Kapitel: Das Ausmaß des Handlungsunwerts

265

tuelIen Handlungssituation, in der er die Möglichkeit des Erfolgseintritts nicht erkannt hatte254 . Die Diskussion über die Abgrenzung von bewußter Fahrlässigkeit und bedingtem Vorsatz kann hier nicht aufgenommen werden. De lege lata ist an der Relevanz dieser Unterscheidung nicht vorbeizukommen. Es sei jedoch darauf hingewiesen, daß aus der Opferperspektive kaum ein wesentlicher Strafmaßunterschied begründet werden kann. Ein solcher könnte sich nur im Hinblick auf die voluntative Komponente ergeben. Während absichtliches Handeln im Vergleich zu nur bedingt vorsätzlichem Handeln aus der Opfersicht wegen der Zielgerichtetheit des Täters eine erhöhte Gefahrdung bedeutet, ist eine bedingt vorsätzliche im Vergleich zu einer bewußt fahrlässigen Handlung nicht mit mehr Risiken behaftet. Aus der Sicht des Opfers ist das Billigend-In-KaufNehmen ein reines Täterinternum. Es liegt deshalb aus einer unrechtszentrierten Sichtweise de lege ferenda die Orientierung an der Figur der recklessness im anglo-amerikanischen Recht nahe255 . Auch in der deutschen Strafrechtswissenschaft wird gefordert, auf die diffizile Abgrenzung von bedingtem Vorsatz und bewußter Fahrlässigkeit anhand der voluntativen Komponente zu verzichten, die weitgehend auf schwer faßbare sprachliche Nuancierungen aufbaut, und statt dessen in Anlehnung an das anglo-amerikanische Zurechnungssystem eine Mittelkategorie zu schaffen, in der bedingter Vorsatz und bewußte Fahrlässigkeit zusammengefaßt werden256 .

bb) Ausmaß der Sorgfaltswidrigkeit aaa) Neben der Unterscheidung von bewußter und unbewußter Fahrlässigkeit wird das Handlungsunrecht einer fahrlässig begangenen Tat maßgeblich durch das Ausmaß der Sorgfaltswidrigkeit bestimmt. Diese Dimension des Tatunrechts wäre an sich bei den objektiven Tatumständen zu erörtern, wird hier aber vorgezogen, um das Thema Fahrlässigkeit und Handlungsunrecht in einem Abschnitt abhandeln zu können.

254 Ähnlich auch Roxin: Bewußt fahrlässiges Handeln sei strafwürdiger als unbewußte Fahrlässigkeit, da die Vorstellung der Tatbestandsverwirklichung ein stärkeres Vermeidungsmotivgebe, Strafrecht AT 1, § 24 Rn. 61. 255 Vgl. Ashworth, Principles ofCriminal Law, S. 153 t1; Section 2.02 (2) c) Model Penal Code; dazu Weigend, ZStW 93 (1981), 657 ff.; Perron, FS für Nishihara, S. 151 f. 256 Weigend, ZStW 93 (1981), 687 ff.; Schünemann, GA 1985, 363 f.; ablehnend Roxin, Strafrecht AT 1, § 12 Rn. 63.

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4. Teil: Die Bewertung der Tatschwere

Zur Bestimmung des Ausmaßes der Tatschwere wird auf das Gewicht der objektiven Sorgfaltspflichtverletzung abgestelle57 • Die Abweichung von der im Verkehr objektiv erforderlichen· Sorgfalt kann man sich als ein Kontinuum von Pflichtverletzungen unterschiedlichen Ausmaßes vorstellen, das von geringfügigen bis zu ganz gravierenden Verstößen gegen die Sorgfaltspflicht reicht. In der neueren Dogmatik ist allerdings umstritten, ob die Annahme einer objektiven Sorgfaltspflichtverletzung sinnvoll ist: Teilweise wird argumentiert, es handle sich um ein überflüssiges Konstrukt, weil die einschlägigen Probleme nach den Regeln der objektiven Zurechnung präziser untersucht werden könnten258 . Darüber hinausgehend wird die Annahme einer objektiven Sorgfaltspflicht als normlogisch falsch eingestuft, da dem Täter nur die Vornahme der Handlung vorgeworfen werden könne, nicht aber das Unterlassen sorgfältigen HandeIns, da er dazu nicht verpflichtet war. Als Beispiel wird angeführt, daß nur ein sorgloser Umgang mit Streichhölzern verboten sei, aber keine Pflicht zum sorgfältigen Umgang mit Streichhölzern bestehe259 . bbb) Im Ergebnis herrscht jedoch unabhängig von der dogmatischen Konstruktion des Tatbestandes eines Fahrlässigkeitsdelikts Einigkeit darüber, daß die konkrete Ausprägung des unsorgfältigen HandeIns für die Strafmaßentscheidung wichtig ise60 . Die Steigerungsfähigkeit kommt in den gesetzlichen Normen zum Ausdruck, die besondere Rechtsfolgen an eine besonders massive Form der Fahrlässigkeit, nämlich die Leichtfertigkeit, knüpfen, vgl. die §§ 176 b, 178, 251. Bestimmt man das Handlungsunrecht aus einem opferorientierten Blickwinkel, liegt die Übereinstimmung mit den gesetzgeberischen Wertentscheidungen, der Lehre und der Rechtsprechung auf der Hand. Aus der Opferperspektive macht es einen Unterschied, ob die Erfolgsherbeiführung an der Grenze zu einem niemandem zurechenbaren Unglück lag oder ob der Täter eine gesteigerte Gefahrenlage herbeigeführt hat. Aufgrund der hier gewählten Prämissen liegt es nahe, bereits bei der dogmatischen Konstruktion des Fahrlässigkeitstatbestandes in den Vordergrund zu stellen, was für die ex post-Bewertung relevant wird. Der Kern des Hand-

257 Vgl. zur Sorgfaltspflichtverletzung als Bestandteil des objektiven Tatbestandes Schünemann, JA 1975, 436 fI., 512 fI.; JeschecklWeigend, Strafrecht AT, S. 577 fI.; Schönke/Schröder/Cramer, § 15 Rn. 121,131 m.w.Nwen.; Wesseis, Strafrecht AT, Rn. 667 fI. 258 Roxin, Strafrecht AT 1, § 24 Rn. 8 ff. 259 Jakobs, Strafrecht AT, 9/6; MaurachIGössel/Zipf, Strafrecht AT 2, § 43 Rn. 17 ff.; Roxin, Strafrecht AT 1, § 24 Rn. 12. 260 BGH VRS 18,201; OLG Köln VRS 58,24,26; OLG Koblenz VRS 63, 43, 44; Bruns, Recht der Strafzumessung, S. 214; Schönke/SchröderlStree, § 46 Rn. 17; Streng, Strafrechtliche Sanktionen, S. 176; Tröndle, § 46 Rn. 21; SK-Horn, § 46 Rn. 111; Schäfer, Praxis der Strafzwnessung, Rn. 252; Roxin, Strafrecht AT 1, § 24 Rn. 70 ff.

3. Kapitel: Das Ausmaß des Handlungsunwerts

267

lungsunrechts liegt bei der durch die Handlung geschaffenen unerlaubten Gefahr für die Rechtsgüter des Opfers. Deshalb ist die neuere Strömung in der Verbrechenslehre überzeugend, die auf die Schaffung einer unerlaubten Gefahr als maßgebliches Kriterium für das Vorliegen von Fahrlässigkeit abstellt261 . Da der Zusammenhang zwischen Sorgfaltspflichtverletzung und der Größe der dadurch geschaffenen Gefahr jedoch regelmäßig linear ist (je massiver die Sorgfaltspflichtverletzung, desto größer die Gefahr, daß der durch sorgfältiges Verhalten zu verhindernde Schaden eintritt), ist die Wahl des dogmatischen Anknüpfungspunktes für die Strafzumessung sekundär.

c) Die Beweggründe des Täters

aa) Beweggründe, Ziele, Absichten Die gängige Nomenklatur in der Strafzumessungslehre setzt Motive und Beweggründe gleich262 , wobei darauf verwiesen wird, daß die beiden Begriffe in der psychologischen Fachliteratur synonym gebraucht werden263 . Bei den intentional bestimmten Beweggründen ist die Abgrenzung zu den Absichten des Täters schwierig, da hier das "um zu"-Motiv und das unmittelbar durch die Straftat Erstrebte häufig zur Deckung kommen264 . Zweifelhaft ist des weiteren, ob eine Ausgliederung der Ziele des Täters aus den Beweggründen sinnvoll ist, wie der Wortlaut von § 46 Abs. 2 S. 2 zu implizieren scheint. In der Lehre wird den Zielen regelmäßig keine eigenständige Bedeutung beigemessen265 . Eine Abgrenzung von Beweggründen und Zielen wäre zwar grund-

Roxin, Strafrecht AT 1, § 24 Rn. 14 ff. Vgl. etwa Bnms, Recht der Strafzwnessung, S. 211; PaejJgen, GA 1982,256 ff.; Alwart, GA 1983,437; Streng, Strafrechtliche Sanktionen, S. 175. 263 Heine, Tötung aus niedrigen Beweggründen, S. 142 Fn. 13 mit Nwen. aus der psychologischen Fachliteratur. Auch wenn eine weitere Ausdifferenzierung aus erfahrungswissenschaftlicher Sicht möglich ist (vgl. etwa Waismann, Wille und Motiv, S. 110 ff.; Lampe, Das personale Unrecht, S. 141 ff., 234; Allport, zitiert bei Keller, Grundlagen der Motivation, S. 23), ist es in der forensischen Praxis praktisch unmöglich, das komplexe Gefüge der subjektiven Tathintergründe vollständig zu erfassen, da dies eine schon wegen der nur begrenzten Möglichkeiten des Fremdverstehens (Schütz, Der sinnhafte Aufbau der sozialen Welt, S. 137 ff.) nicht zu leistende Längs- und Querschnittsanalyse voraussetzen würde, vgl. PaejJgen, GA 1983, 259 f. 264 Ähnlich auch Heine, Tötung aus niedrigen Beweggründen, S. 172 f. 265 Was zum Teil indirekt zum Ausdruck kommt, indem bei der Erörterung der Tatziele nichts Neues ausgeführt wird, vgl. Bruns, Recht der Strafzwnessung, S. 212; Schönke/Schröder/Stree, § 46 Rn. 13 a; LK-Gribbohm, § 46 Rn. 77. Teilweise wird auch direkt argumentiert, die Unterscheidung sei belanglos, weil von der jeweiligen sprachlichen Formulierung der subjektiven Befmdlichkeiten abhängig, so Frisch, ZStW 99 (1987), 767. 261

262

268

4. Teil: Die Bewertung der Tatschwere

sätzlich möglich266 ; die mit den motivationalen Tathintergründen verbundenen Definitionsprobleme sollen hier jedoch nicht vertieft werden. Statt dessen ist von einem weiten Verständnis der Beweggründe auszugehen, da die inhaltliche Frage vorrangig ist, welche Rolle überhaupt Beweggründe für das Handlungsunrecht spielen267 .

bb) Systematische Einordnung der Beweggründe aaa) Die systematische Einordnung der Beweggründe ist umstritten. Aus der Sicht einer konsequent personalen Unwertlehre ist die Motivation des Täters ein wesentlicher Bestandteil des Unrechts. Wie bereits oben ausgeführt, besteht We/ze/ darauf, daß die Zielsetzung des Täters neben der Rechtsgüterverletzung ausschlaggebend sef68 . Noch deutlicher formuliert Armin Kaufmann: "Das Maß des Unwerts eines Aktes bestimmt sich in erster Linie nach den Motiven, die für die Willensbildung bestimmend waren. Erst in zweiter Linie kann bei der Bemessung des Unwertes auch die Intensität des Vorsatzes Berücksichtigung finden,,269. Andere Ansätze in der Verbrechenslehre ordnen die Beweggründe bei der Schuld ein270 . Die traditionelle Strafzumessungslehre sieht die Beweggründe des Täters als wichtige Faktoren zur Bestimmung der schuldangemessenen Strafe an, läßt aber die systematische Einordnung beim Unrecht oder bei der Schuld entweder offen27 \ oder geht von einer Schuldsteigerung bzw. -milderung aus272 . In neueren Ausführungen finden sich die Beweggründe unter dem Stichwort Hand-

266 Etwa indem eine vorausschauende Motivation, welche durch "um zu"-Sätze umschrieben wird, als Ziel bezeichnet und eine rückschauende Motivation, die in mit "weil" eingeleiteten Satzkonstruktionen gefaßt wird, als Beweggrund; vgl. grundlegend Schütz, Der sinnhafte Aufbau der sozialen Welt, S. 115 ff.; für das Strafrecht adaptiert von Alwart, GA 1983,438 ff. und Heine, Tötung aus niedrigen Beweggründen, S. 167 ff. 267 Vgl. Frisch, ZStW 99 (1987), 767. 268 In: Das Deutsche Strafrecht, S. 62. Vgl. 1. Kap., 4 b. 269 In: Bindings Normentheorie, S. 208 f. 270 Lampe, Das personale Unrecht, S. 234 (daß Lampe auf S. 236 ausführt, auch die Beweggründe des Täters seien zum personalen Unrecht zu rechnen, beruht auf der von ihm vorgenommenen Differenzierung zwischen Motiven und Beweggründen); Roxin, Strafrecht AT 1, § 10 Rn. 71 ff.; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, S. 244. 271 LK-Gribbohm, § 46 Rn. 75 ff. 272 Vgl. Bn.ms, Recht der Strafzumessung, S. 210 f.; fl1r die Einordnung als schuldsteigernd bzw. -mindernd auch Streng, Strafrechtliche Sanktionen, S. 175; Köhler, Strafrecht AT, S. 599; Büch-Schmitz, Opfervertrauen und Strafzumessung, S. 175 f.

3. Kapitel: Das Ausmaß des Randlungsunwerts

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lungsunrecht273 • Vereinzelt wird auch angeführt, daß die Beweggründe die präventionsorientierten Entscheidungen betreffen würden274 . Auch in der Literatur zu den Mordmerkmalen wird die systematische Einstufung unterschiedlich vorgenommen. Teilweise wird argumentiert, vorsätzliche und rechtswidrige Tötungsdelikte unterschieden sich in ihrem Unrechtsgehalt nur unwesentlich, weshalb die in der ersten Gruppe des § 211 aufgeführten Tatmotive nur als Steigerung der Schuld verstanden werden könnten275 . Die Gegenmeinung versteht dagegen die niedrigen Beweggründe als Steigerungen bereits des Unrechtsgehalt der Tat276 . Auch in diesem Zusammenhang wird mit präventiven Erwägungen argumentiert: Niedere Beweggründe des Täters ließen auf eine höhere Rückfallwahrscheinlichkeit des den Wert eines Lebens generell mißachtenden Täters schließen277 . Außerdem sei die Sozialschädlichkeit einer Tat von der Motivation des Täters abhängig, wenn diese die Tat in den Augen der Allgemeinheit besonders bedrohlich erscheinen lasse278 . bbb) Eine tatproportionale Strafzumessungslehre setzt eine präzisere Verortung der Beweggründe voraus. Da Strafbegründungsschuld nur entweder in vollem Ausmaß oder als geminderte Schuld vorliegt, kann es keine schulderhöhenden Beweggründe geben, wohl aber schuldmindemde Beweggründe279 . 273 Schäfer, Praxis der Strafzumessung, Rn. 246; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, S. 887; vgl. aber auch Jescheck/Weigend, S. 244, wo der Wert bzw. Unwert der Motivation zur Schuld gerechnet wird. 274 SK-Horn, § 46 Rn. 113 a.E. 275 Schmidhäuser, Gesinnungsmerkmale, S. 223 ff., 243; Lackner, NStZ 1981,348; Schönke/Schröder/Eser, § 211 Rn. 6; Roxin, Strafrecht AT, § 10 Rn. 73 f; Wesseis, Strafrecht BTII, Rn. 83. 276 BGRSt. 1,368,371; Schünemann, FS für Bockelmann, S. 131 f; PaejJgen, GA 1982, 255 ff. (der den niedrigen Beweggründen allerdings auch eine Schulddimension beimißt, 270 ff.); SK-Horn, § 211 Rn. 3; Jakobs, Strafrecht AT, 6/97, 8/94 ff. Heine, Tötung aus niedrigen Beweggründen, S. 228 ff. geht davon aus, daß sich die niedrigen Beweggründe nicht eindeutig dem Unrecht oder der Schuld zuordnen lassen. 277 Jakobs, NJW 1969,490; Beckmann, GA 1981, 357 ff. Vgl. außerdem die entsprechende Argumentation in BVerfGE 45, 187, 265 zur Verdeckungsabsicht und BGRSt. 34, 59,61 zur Mordlust. Kritisch zu Tätergefährlichkeit und Mordmerkmalen Eser, Gutachten zum 53. DIT, D 104-106; P.-A. Albrecht, JZ 1982,702. 278 Eser, Gutachten zum 53. DIT, D 167, 168; Beckmann, GA 1981, 357, 359; Heine, Tötung aus niedrigen Beweggründen, S. 216: Tötungen aus niedrigen Beweggründen könnten die Befürchtung erwecken, daß im Grunde jedermann Opfer einer solchen Tat werden könne. Unter dem Gesichtspunkt der positiven Generalprävention ist jedoch eher zweifelhaft, ob die in § 211, 1. Gruppe, beschriebenen Tötungsdelikte in besonderer Weise geeignet sind, die Normgeltung langfristig zu erschüttern und ob es nicht vielmehr der Bereich weniger auffälliger Konflikttötungen ist, in dem eher eine Normerosion zu befilrchten ist als bei den im allgemeinen Bewußtsein viel stärker als verabscheuungswürdig angesehenen Taten. Kritisch zu präventiven Begründungen der Mordmerkmale Köhler, GA 1980, 122 f; P.-A. Albrecht, JZ 1982, 702 ff.; Fabricius, StV 1996,210. 279 Diese werden im 5. Kapitel erörtert.

270

4. Teil: Die Bewertung der Tatschwere

Strafmaßerhöhende Beweggründe sind aus der hier vertretenen Perspektive nur denkbar, wenn das Unrecht dadurch erhöht wird. Strafmaßmindernd können sich dagegen sowohl unrechts- wie auch schuldmindernde Beweggründe auswirken. Unrechtsmindernde Beweggründe kann es z.B. bei der Nötigung geben, da die Verwerflichkeitsprüfung in § 240 Abs. 2 unrechtskonstituierende Wirkung hat und ein anerkennenswertes Endziel deshalb das Ausmaß des Unrechts beeinfluße80 . Die Betrachtung von Beweggründen anhand der drei möglichen Einteilungskriterien unrechtsmindernd, unrechtserhöhend oder schuldmindernd ist keinesfalls ein Glasperlenspiel der Kategorisierungen. Diese Systematisierung erlaubt nämlich die inhaltliche Festlegung, ob ein Beweggrund überhaupt bei der Strafzumessung berücksichtigt werden darf. Wenn sich nicht begründen läßt, daß ein bestimmtes Motiv, das herkömmlicherweise ohne nähere Begründung als besonders verwerflich und damit strafschärfend eingestuft wird, tatsächlich das Unrecht der Tat erhöht, darf es bei der Strafzumessung nicht berücksichtigt werden. An dieser Stelle liegt ein deutlicher Unterschied zur traditionellen Strafzumessungslehre und -rechtsprechung, die die zentrale Frage völlig vernachlässigt, ob strafmaßerhöhende Beweggründe überhaupt gerechtfertigt werden können. Schuldmildernde Beweggründe werden dagegen im Prinzip auch von der höchstrichterlichen Rechtsprechung unter dieser Rubrizierung anerkanne 81 .

cc) Unrechtserhöhung durch die Beweggründe nur in Ausnahmefällen aaa) Die herrschende, bereits im ersten Teil dieser Arbeit kritisierte Lehre und Rechtsprechung läßt sich auf eine generelle moralische Bewertung der Beweggründe ein, indem auf die Anständigkeit bzw. die Verwerflichkeit abgestellt wird282 • Die entscheidende Frage ist, welche Konsequenzen der Übergang von dieser Bewertungsperspektive "übergeordnete moralische Instanz" zu dem spezifischeren Opferblickwinkel hat, genauer, ob es Beweggründe gibt, die für einen verständigen Beobachter, der die Opferperspektive einnimmt, bei der Bewertung der Interessenverletzung einen relevanten Unterschied machen. Für die meisten der herkömmlicherweise als strafschärfend genannten Motive scheidet auf dieser Grundlage eine Strafschärfung aus. In vielen Tatbeständen, etwa bei den Eigentums- und Vermögensdelikten, ist bereits die Strafbarkeit

280 Für eine Strafmilderung wegen der achtenswerten Motive bei den Sitzblockaden gegen AtomrfistwJ.g auch Schäfer, Praxis der Strafzumessung, Rn. 250; OLG Stuttgart JR 1994, 81; BayObLG JR 1993, 117. 281 Vgl. BGH NStZ 1993, 80. 282 Vgl. oben 1. Teil, 3. Kap., 3 c cc.

3. Kapitel: Das Ausmaß des Handlungsunwerts

271

davon abhängig, daß der Täter zur Förderung eigener Interessen gehandelt hat. Wie das egoistische Motiv im einzelnen beschaffen ist, d.h. welche Intensität die Selbstsucht hatte, spielt für die Bewertung des Geschehens aus der Opferperspektive keine Rolle. Daß etwa ein kunstliebender Dieb ein gestohlenes Gemälde zu eigenem Genuß verwenden möchte, anstatt es aus Gewinnsucht an einen anderen Kunstliebhaber zu verkaufen, ist für den Eigentümer irrelevant. Genauso wird es in der Regel den Geschädigten nicht interessieren, ob der Täter mit dem erzielten Gewinn in verschwenderischer Weise Luxusgüter erwerben möchte oder ihn im Rahmen einer "solideren" Lebensplanung unterzubringen plant. Folglich sind diese Umstände entgegen anderslautenden Ansichten in Strafzumessungslehre und -rechtsprechun!f83 für das Strafmaß belanglos. An dieser Stelle schafft man eine EinbruchsteIle für unnötig moralisierende Erwägungen, wenn mit der herrschenden Meinung der Grad des Egoismus des Täters zum Maßstab der Strafe gemacht wird284 . bbb) Eine Ausnahme von dem Grundsatz, daß Motive nicht strafschärfend zu bewerten sind, ist in Erwägung zu ziehen, wenn der Beweggrund des Täters mit einer Herabsetzung des Opfers verbunden ist. Da diese Problematik in aller Regel bei den Tötungsdelikten diskutiert wird, bietet es sich an, daran anzuknüpfen. Als Erklärung für die erheblich strafschärfende Wirkung der niedrigen Beweggründe beim Mord wird in der Strafrechtswissenschaft auf die "solipsistische RücksiChtslosigkeit" des Täters verwiesen285 . Mit einer Beurteilung, die auf den Sinnzusammenhang des Geschehens innerhalb der Täterperspektive abstellt, ist es jedoch schwierig, eine Unrechtssteigerung zu begründen. Lehnt man schuldsteigemde Strafzumessungsfaktoren ab, ist das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe zu weit gefaßt. Damit eine extrem selbstsüchtige Motivation des Täters das Unrecht tangiert, muß ein Bezug zum Opfer hergestellt werden.

283 S. BaumannlWeber, Strafrecht AT9 , S. 632 bzgl. des kunstliebenden Diebes; Schäfer, Praxis der Strafzumessung, Rn. 247, hält es für strafzumessungsrelevant, ob der Täter eines Vermögensdelikts seinen Unterhalt fmanzieren oder aber "großes Geld machen" möchte; ebenso BGHSt. 34,345,351: Es spiele eine Rolle, ob bei Eigentumsund Vermögensstraftaten die wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters die Tat als unverständlich oder sogar als verwerflich erscheinen lassen. 284 Kritisch zur Berücksichtigung von übersteigerten negativen Einstellungen auch Frisch, ZStW 99 (1987), 769. Lehnt man es ab, die beabsichtigte Verwendung des Verbrechensgewinns zu einem Strafzumessungsfaktor zu machen - vom Ausnahmefall der Notlage abgesehen, dazu 5. Kap., 3 b -, so wird damit auch ein praktisches Strafzumessungsproblem entschärft, daß den Großen Senat des BGH in der Entscheidung zur Rolle der wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters (BGHSt. 34, 345) zu Folgerungen gezwungen hat, die in ihrer Allgemeinheit hochproblematisch sind. Dazu im einzelnen unten 6. Teil, 5 a ee. 285 Köhler, JR 1980,240; Paeffgen, GA 1982,269; Heine, Tötung aus niedrigen Beweggründen, S. 213 fI.

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4. Teil: Die Bewertung der Tatschwere

Der 53. Deutsche Juristentag hat sich mehrheitlich für die Streichung der niedrigen Beweggrunde als Mordmerkmal ausgesprochen286 • Das einzige der ersatzweise vorgeschlagenen Mordmerkmale, das auf einen Beweggrund des Täters verweist, ist Rassenhaß 287 . Wenn man einen entsprechenden unrechtssteigernden Beweggrund in Betracht zieht, wird man in zwei Richtungen eine Erweiterung vornehmen müssen. Zum einen kann eine entsprechende Tatmotivation auch bei anderen Delikten vorliegen, etwa bei einer Körperverletzung. Zum anderen ist Rassenhaß zu eng definiert, da es andere Beweggründe gibt, die ebenfalls darauf gerichtet sind, das Opfer zu erniedrigen. Dies gilt für alle Taten gegen höchstpersönliche Rechtsgüter, für die das Opfer ausschließlich wegen der Zugehörigkeit zu einer sozialen, vom Täter verachteten Gruppe als Zielobjekt ausgewählt wurde. In der kriminologischen Literatur werden diese Fälle unter dem Stichwort "hate crimes" angeführt288 . ccc) Eine generelle Strafschärfung für alle Fälle von "hate crimes" wäre jedoch nur mit Erwägungen der positiven Generalprävention wirklich schlüssig zu begrunden: Die höheren Strafen sollen die Gültigkeit bestimmter menschlicher Grundwerte symbolisieren. Unter Unrechtsgesichtspunkten ist dagegen nur dann eine Strafschärfung zu begründen, wenn die Motivation des Täters objektiv erkennbar das Tatgeschehen geprägt hat. Wenn sich ein Opfer mit einem erkennbar von Rassenhaß oder ähnlichen Motiven angetriebenen Täter oder Täterkreis konfrontiert sieht, wird dadurch in der konkreten Tatsituation die Bedrohlichkeit des Geschehens erheblich gesteigert. Die für "hate crimes" typischen Angriffe, die mit ausdrucklich oder konkludent zum Ausdruck gebrachten Haßäußerungen verbunden sind, stellen deshalb im Vergleich zu anderen, im Verletzungsergebnis vergleichbaren Angriffen größeres Unrecht dar. Zu der größeren Bedrohlichkeit objektiv erkennbarer "hate crimes" kommt noch ein zweiter Grund hinzu, der das Unrecht erhöht: Der Angriff hat in diesen Fällen auch eine expressive Bedeutung. Das Auftreten des Täters bedeutet eine Herabwürdigung des Opfers zu einem verachtenswerten Wesen, dem generell aufgrund seiner Gruppenzugehörigkeit bestimmte Rechte abgesprochen werden289 . Um ein Beispiel zu nennen: Eine Körperverletzung, die durch ein durch seine Kostümierung erkennbares Ku-Klux-Klan Mitglied oder durch eine Bande von Skinheads ausgeführt wird, hat durch die äußeren Umstände eine andere Bedeutung für das Opfer als derselbe Angriff eines anderen Täters; das Tatgeschehen ist sowohl bedrohlicher als auch demütigender.

DIT-Sitzungsbericht, M 164. Verhandlungen des 53. DIT, M 165. 288 Vgl. Göppinger, Kriminologie, S. 574; Schneider, in: Hirsch u.a. (Hrsg.), Neue Erscheinungsfonnen der Kriminalität, S. 271 ff. 289 Vgl. Köhler, GA 1980, 138: Negierung des Rechtsguts in höchstmög1icher Allgemeinheit; Paeffgen, GA 1982, 269. 286

287

3. Kapitel: Das Ausmaß des HandlWlgsWlwerts

273

Diese BegIiindung greift dagegen nicht ein, wenn die Motivation des Täters während der Tatbegehung in keiner Weise zum Ausdruck kam. Wenn erst im Laufe des Strafverfahrens ermittelt werden kann, daß das Motiv für die Körperverletzung Rassenhaß war, wird die Unrechtsbewertung dadurch nicht beeinflußt. Bei der Strafzumessung können nicht nach außen erkennbare Motive deshalb nicht strafschärfend berucksichtigt werden.

2. Handlungsunrecht und objektive Tatumstände

a) Abstrakte Gefährdungsdelikte Wenn die Begehung eines Gefährdungsdelikts zu einer konkreten Gefährdung geführt hat, bestimmt sich das Erfolgsunrecht danach. Im 27. Abschnitt des StGB finden sich unter der Überschrift "Gemeingefährliche Straftaten" Delikte, bei denen eine konkrete Gefährdung nicht zum gesetzlichen Tatbestand gehört (§§ 306 a, 316). Oben290 wurde darauf verwiesen, daß die abstrakte Gefährdung von Individualrechtsgütern nur unter dem Gesichtspunkt des Handlungsunwerts bewertet werden kann, weshalb diese Fallkonstellationen hier zu erörtern sind. Für die Beurteilung der Schwere solcher Delikte sind Parallelen zur Bewertung von konkreten Gefahrdungsdelikten zu ziehen: Zum einen kommt es auf die Höhe eines potentiellen Schadens an, insbesondere auch darauf, wieviele Personen zu Schaden hätten kommen können: Bei einer Verurteilung wegen einer schweren Brandstiftung (§ 306 a) darauf, wieviele Personen sich typischerweise im Gebäude aufhalten; bei einer Verurteilung wegen Trunkenheit im Straßenverkehr (§ 316) auf die Art der Fahrtstrecke (Landstraße oder Autobahn) und auf die Dichte des Verkehrs. Zum anderen spielt der Grad der Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts eine Rolle. Der Grad der Alkoholisierung bei Verurteilungen nach § 316 beeinflußt sowohl diese Wahrscheinlichkeit als auch die potentielle Schadenshöhe und ist deshalb zu Recht der maßgebliche Strafzumessungsfaktor291 . Bei einer Verurteilung nach § 306 a wird entscheidend, ob sich überhaupt Personen im Gebäude aufgehalten haben und welches Gefahrdungspotential das Ausmaß der Brandstiftung erreicht hatte.

290 291

1. Kap., 3 c cc. Vgl. dazu Schäfer, Praxis der StrafzumessWlg, Rn. 691.

18 HörnIe

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4. Teil: Die Bewertung der Tatschwere

b) Art und Weise der Tatausführung aa) Die Art und Weise der Tatbegehung wird in der Strafzumessungsliteratur als Faktor angeführt, der das Handlungsunrecht einer Tat bestimme292 . Im einzelnen ist diese Aussage jedoch zu undifIerenziert. Es sind vielmehr drei Kategorien von Tatmodalitäten zu unterscheiden: Solche, die bereits das Erfolgsunrecht betreffen; solche, die das Handlungsunrecht kennzeichnen; drittens aber auch solche, die aus einer unrechtsbezogenen Sichtweise nicht strafzumessungsrelevant sind. In vielen Fällen führt eine tatbestandlich umschriebene Vorgehensweise zu einer zusätzlichen Beeinträchtigung des betroffenen Rechtsgutsträgers und erhöht deshalb das Erfolgsunrecht. Dies gilt beispielsweise für eine Körperverletzung mittels einer das Leben gefahrdenden Behandlung (§ 224 Abs. I Nr. 5), die zu einer konkreten Lebensgefahr für das Opfer geführt hat, für eine Körperverletzung durch das Beibringen von Gift (§ 224 Abs. I Nr. 1) oder für einen Einbruchsdiebstahl in eine Wohnung (§ 244 Abs. 1 Nr. 3)293. bb) Das Handlungsunrecht ist gesteigert, wenn Tatmodalitäten sich zwar nicht in einer weiteren Verletzung oder konkreten Gefahrdung der Güter und Interessen des Opfers niedergeschlagen haben, aber trotzdem die Art und Weise der Tatbegehung aus der Opferperspektive die Sozial schädlichkeit beeinflußt. Dabei lassen sich drei Untergruppen unterscheiden: erstens im Tatbestand umschriebene Vorgehensweisen, die eine abstrakte Gefahr der Ausdehnung des Erfolgsunrechts begründen; zweitens Modalitäten, die eine gegenüber dem Opfer besonders mißbräuchliche Vorgehensweise sind und drittens ein besonders zielstrebiges oder hartnäckiges Vorgehen bei der Tatvorbereitung oder -durchführung, das eine gesteigerte Bedrohlichkeit für das Tatopfer erzeugt hat. Zur ersten Untergruppe gehören tatbestandlich festgelegte Umstände, die potentiell zu einer über das aktuelle Tatgeschehen hinausreichenden Beeinträchtigung geführt haben könnten. Einleuchtendes Beispiel ist das Mit-SichFühren einer Waffe bei einem Diebstahl, einem Raub oder einer räuberischer Erpressung (§§ 244 Abs. 1 Nr. 1; 250 Abs. 1 Nr. 1; 255), da in diesen Situationen die Gefahr einer Eskalation mit Verletzungsfolgen für das Raubopfer oder dritte Personen besteht. Auch wenn es zu keiner konkreten Gefahrdung des Opfers gekommen ist (die beim Erfolgsunrecht zu berücksichtigen wäre), wird die abstrakte Gefahrdung zusätzlich zum Erfolgsunrecht für die Unrechtsbewertung relevane 94 . Ein weiteres Beispiel ist die gemeinsame TatbeVgl. die Nwe. in Kap. 1, Fn. 88. Vgl. dazu 2. Kap., 2 b cc. 294 Problematisch ist unter Unrechtsgesichtspunkten die Einbeziehung des gefährlichen Werkzeugs in § 244 Abs. I Nr. 1, da auch das Bei-Sich-Führen von Einbruchs292

293

3. Kapitel: Das Ausmaß des HandlWlgsWlwerts

275

gehung in § 224 Abs. 1 Nr. 4, da mit der verstärkten Intensität eines solchen Angriffs typischerweise die Gefahr von schwerwiegenderen Verletzungen verbunden ist. Auch Abstufungen der abstrakten Gefahrlichkeit können sich im Handlungsunrecht niederschlagen. So kann etwa der Unterschied in der Gefährlichkeit einer altmodischen Pistole und eines modernen Maschinengewehrs das Ausmaß des Handlungsunrechts beeinflussen, auch wenn das Raubopfer die Waffe nie zu Gesicht bekam. cc) Stärker begründungsbedürftig sind Strafschärfungen wegen Tatmodalitäten, die man umgangssprachlich als "besonders gemein" bezeichnen würde. Hierzu gehört der Diebstahl zu Lasten eines hilflosen bzw. sich in einer Gefahrensituation befindenden Opfers (§ 243 Nr. 6) oder der hinterlistige Überfall bei der gefahrlichen Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 3). Wenn man diese Tatbestandsmerkmale nur als Anzeichen einer besonders verwerflichen Gesinnung des Täters interpretieren könnte295 , wäre eine strafschärfende Berücksichtigung für den hier zugrunde liegenden Ansatz problematisch. Eine gesinnungsorientierte Auslegung ist jedoch nicht die einzig mögliche. Auch aus der Opferperspektive ist die Ausnutzung einer besonderen Verletzlichkeit ein relevantes Merkmal bei der Beschreibung des ihm zugefügten Unrechts. Den oben angeführten Tatbeständen ist gemeinsam, daß das Opfer sich in einer Situation befunden hat, in der seine Selbstschutzmöglichkeiten erheblich eingeschränkt waren, sei es aufgrund von vom Tatgeschehen unabhängigen Umständen wie in § 243 Abs. 1 Nr. 6, sei es aufgrund der Vorspiegelung einer friedlichen Absicht durch den Täter in § 224 Abs. 1 Nr. 3296 • Während es einen Strafmilderungsgrund darstellen kann, wenn das Opfer auf einfache Weise den Schaden durch Schutzmaßnahmen hätte abwenden können297 , ist die umgekehrte Konstellation, in der Selbstschutz erschwert war und der Täter dies bewußt ausgenutzt hat, unrechtssteigernd. dd) Wie im ersten Teil dieser Arbeit ausgeführt, mißt die traditionelle Lehre und -rechtsprechung der "kriminellen Energie" des Täters große Bedeutung bei, wobei jedoch dieser schillernde Begriff zu kritisieren ist, weil er die dahinter stehenden Erwägungen nicht transparent macht und deshalb eine irrationale oder zumindest unklare Strafzumessung fördert29s • Tathintergründe, die die herrschende Meinung als Anzeichen für das Ausmaß der kriminellen Energie des Täters ansieht, können jedoch unter Umständen das Handlungsunrecht werkzeugen zu der schwereren TatdrohWlg fllhren kann, obwohl die Wahrscheinlichkeit einer ZweckentfremdWlg zu einem Angriffsmittel minimal sein kann; vgl. dazu Hörnle, Jura 1998, 172; SchlothauerlSättele, StV 1998, 505 fI. 295 So LK-Ruß, § 243 Rn. 31. 296 Zur Hinterlist die Nachweise bei Tröndle, § 223 a Rn. 3. 297 Vgl. ausführlich Wlten 4. Kap., 2 b cc. 298 1. Teil, 3. Kap., 3 c aa, bb. IS'

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4. Teil: Die Bewertung der Tatschwere

beeinflussen. Es kann dabei aber nicht um die als Täterinterna ohnehin nur anhand von Indizien begründbare "Energie des Täters" gehen, sondern darum, inwieweit beim objektiven Tatgeschehen ein Unterschied zu anderen Sachverhalten festgestellt werden kann. In der Strafzumessungsliteratur und -rechtsprechung wird vertreten, daß strafschärfend zu berücksichtigen sei, wenn der Täter die Tat besonders sorgfaltig geplant habe299 und wenn der Täter bei der Durchführung des Tatplans besonders hartnäckig wal oo . In dieser Allgemeinheit ist diese These jedoch nicht vertretbar: Die Planung der Tat beeinflußt nicht immer das Unrecht. Entscheidend ist, ob das konkrete Vorgehen des Täters aus der Perspektive eines Opfers die Bedrohlichkeit des Geschehens steigert. Wenn beispielsweise der Täter eines Einbruchsdiebstahls die Tat intensiv vorbereitet hat, indem er das Anwesen längere Zeit beobachtet und durch sonstige Vorbereitungen am Tatort den Taterfolg sichergestellt hat, bestand aus der Sicht des Opfers bereits vor der Tatbegehung eine für seine Rechtsgüter bedrohliche Situation. In diesem Fall hat eine Strafschärfung unabhängig von der üblichen Einkleidung in die Begründung mit der "kriminellen Energie" auch in einer tatproportionalen Strafzumessungslehre Bestand. Eine langfristige Planung, die nur aus elaborierten Gedanken und Strategieentwürfen des Täters bestand, ohne bei der Tatvorbereitung die Sphäre des Opfers zu berühren, ist dagegen als reines Täterinterna für das Tatunrecht irrelevant. Keinen Bezug zum Unrecht hat die Tatzeit, die in der Strafzumessungsliteratur gelegentlich als strafschärfend angeführt wird, etwa die Begehung der Tat zur Nachtzeieol . Zur Begründung wird dabei ebenfalls auf die "kriminelle Energie" des Täters zurückgegrif!en302 . Die Unhaltbarkeit dieser Argumentationsfigur läßt sich an diesem Beispiel besonders gut zeigen, da im gleichen Atemzug auch erwogen wird, die Tatbegehung am Tage wegen der besonderen Dreistigkeit ebenfalls strafschärfend zu berücksichtigen!303 Unter Unrechtsgesichtspunkten ist das Tageszeitargument nicht haltbar: Die Tageszeit begrün-

299 BGH bei Dallinger, MDR 1974, 544; BGH NJW 1982, 2264, 2265; BGH bei Detter, NStZ 1990, 177; BGH StV 1996, 478, 479; Walter, GA 1985, 208; LKGribbohm, § 46 Rn. 83; Schäfer, Praxis der Strafzumessung, Rn. 251; Tröndle, § 46 Rn. 20; Schönke/Schröder/Stree, § 46 Rn. 16. 300 BGH VRS 22, 37; BGH bei Detter, NStZ 1990, 177; BGHR § 46 Abs. 2 Tatumstände 13; Tröndle, § 46 Rn. 20. 301 So LK-Gribbohm, § 46 Rn. 111; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, S. 887; TrändIe, § 46 Rn. 22; zurückhaltender (',nicht schlechthin") Schönke/Schröder/Stree, § 46 Rn. 21. 302 LK-Gribbohm, § 46 Rn. 111; BGH StV 1986, 58 stützt sich ebenfalls auf diesen Gedankengang, wenn auch im Ergebnis eine Strafschärfung abgelehnt wird. 303 Bruns, Recht der Strafzumessung, S. 180; LK-Gribbohm, § 46 Rn. 111. Kritisch Walter, GS für Hilde Kaufmann, S. 502.

3. Kapitel: Das Ausmaß des HandhmgsWlwerts

277

det für sich genommen keine größere Gefährdung aus der Sicht des Opfers. Anders kann es dagegen sein, wenn der Täter für eine Tat mit unmittelbarer Opferkonfrontation eine Kombination von Tatort und Tatzeit ausnutzt, um eine maximale Wehrlosigkeit des Opfers sicherzustellen, indem er etwa einen Überfall an einem abgelegenen Ort zu einem Zeitpunkt unternimmt, an dem sich außer dem Opfer niemand dort aufhält. Durch ein solches Vorgehen ist sowohl wegen der erhöhten abstrakten Gefahr für das Opfer als auch wegen dessen eingeschränkten Schutzmöglichkeiten eine Unrechtssteigerung anzunehmen304 . Die Erwägung, die Spurenbeseitigung nach der Tatbegehung sei wegen der gesteigerten "kriminellen Energie" strafschärfend zu berücksichtigen305 , ist mit einer unrechtszentrierten Betrachtungsweise nicht vereinbar. Es spielt in diesem Zusammenhang auch keine Rolle, ob der Täter bereits vor der Tatbegehung geplant hatte, später die Tatspuren zu vernichten306 . Aspekte des Täterverhaltens, die in Zusammenhang mit einer möglichen strafrechtlichen Verfolgung dieser Tat stehen, beeinflussen die Bedrohlichkeit des Geschehens aus der Opferperspektive nicht. Allerdings ist dem BGH im Ergebnis zuzustimmen, daß die Maskierung eines Straftäters bei der Tatbegehung nicht nur als verfolgungsbehindernde Maßnahme einzustufen ist, sondern durch die gesteigerte Bedrohlichkeit der Situation das Tatunrecht prägt307 - auch insoweit ist der Verweis auf die gesteigerte kriminelle Intensität des maskierten Täters308 verzichtbar. ee) Nicht zum Handlungsunrecht gehören auch objektive Tatumstände, die sich auf den Organisationsstatus des Täters als solchen beziehen, etwa das Handeln als Bandenmitglied bzw. gewerbsmäßiges Handeln309 . Unter dem Gesichtspunkt "qualifizierte Sozialschädlichkeit" wäre die Strafzumessungsrelevanz zwar zu bejahen, da in der Regel von einem gewerbsmäßig handelnden bzw. in einer Bande organisierten Täter eine größere Gefahr für die Allgemeinheit ausgeht: Aufgrund der hinter der Einzeltat stehenden Strukturen ist erstens mit einer höheren Wahrscheinlichkeit der Tatwiederholung und zweitens mit höheren Tatschäden bei den einzelnen Delikten zu rechnen. Eine 304 Im Ergebnis für das Beispiel des nächtlichen Raubüberfalls auf ein abgelegenes Anwesen deshalb zutreffend LK-Gribbohm, § 46 Rn. 111. 305 Schönke/Schröder/Stree, § 46 Rn. 16; Schäfer, Praxis der StrafzumessWlg, Rn. 294; BGH bei Detter, NStZ 1997,478; zurückhaltender allerdings BGH StV 1996, 478,479; BGH bei Detter, NStZ 1998, 184, 306 So einschränkend BGH bei Holtz, MDR 1977, 982; bei Theune, NStZ 1986, 159; bei Detter, NStZ 1997,478; Schäfer, Praxis der StrafzumessWlg, Rn. 294. 307 NStZ 1998, 188. 308 BGH NStZ 1998, 188. 309 Zum Beispiel in den §§ 243 Abs. 1 Nr. 3,244 Abs. 1 Nr. 2,244 a Abs. 1, 250 Abs. 1 Nr. 2,260 Abs. 1 Nr. 1 u. 2, 260 a Abs. 1, 261 Abs. 4 S. 2.

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4. Teil: Die Bewertung der Tatschwere

unmittelbar auf die Tätergefährlichkeit gestützte Strafschärfung ist jedoch präventiver Natur: Sie läßt sich mit Individual- bzw. gruppenbezogener Abschreckung erklären. Für die Bewertung des Einzeltatunrechts spielen die organisatorischen Tathintergründe nur insoweit eine Rolle, als sie sich in der objektiven Tatplanung und -durchführung niedergeschlagen haben. Ein größerer Schaden ist beim Erfolgsunrecht zu berücksichtigen, eine besonders sorgfaltige und deshalb für das Opfer bedrohliche Tatplanung beim Handlungsunrecht. Für einen zusätzlichen, allein an den Organisationsstatus anknüpfenden Strafschärfungsgrund gibt es unter Unrechtsgesichtspunkten keinen Grund310•

c) Verletzung von Pflichten des Täters

aa) Tatbestandliche Pflichten aaa) Bei der systematischen Einordnung von Zuwiderhandlungen gegen bestimmte Täterpflichten wird davon ausgegangen, daß damit eine Steigerung des Handlungsunrechts verbunden SeelI. Es sind zwei große Gruppen von Pflichten zu unterscheiden. Im Straftatbestand aufgeführte Pflichten sind strafzumessungsrelevant. Es handelt sich um Pflichten, die die Strafbarkeit erst begründen, etwa bei § 266 oder den §§ 331 ff., bzw. solchen, die im Vergleich zu einem von jedermann erfüllbaren Grundtatbestand zu einer erhöhten Strafe führen, etwa § 340. Darüber hinausgehend wird auch diskutiert, inwieweit außertatbestandliche Pflichten aus der sozialen oder beruflichen Stellung des Täters ableitbar sind (unten bb). bbb) Zu den tatbestandlich vertypten Täterpflichten gehören die Amtspflichten3\2. Insoweit wird zu Recht darauf verwiesen, daß es für die Strafzumessung darauf ankomme, wie groß die Pflichtverletzung des Amtsträgers gewesen sei3\3. Man kann diese Aussage für die Bestechungsdelikte (§§ 331 ff.), die Rechtsbeugung (§ 336) oder andere Delikte, bei denen der Täter eine Handlung vorgenommen hat, die zu seinem dienstlichen Aufgabenkreis gehört (etwa § 348), dahingehend präzisieren, daß es auf die objektive Bedeutung der Diensthandlung ankommt. Wenn es etwa um ein Bestechungsdelikt geht, 310 Anders Walter, GA 1985, 208, der im gewerbsmäßigen Handeln eine größere Pflichtverletzung sieht. Mit dem Hinweis auf gesteigerte Pflichten läßt sich jedoch eine Steigerung des Handlungsunrechts nicht begründen; vgl. die Erörterung der Meinung in der Literatur, die auch bei Vorstrafen auf einen zusätzlichen Pflichtverstoß abstellt, oben 3. Teil, 4. Kap., 4 a cc. 311 EbertlKühl, Jura 1981, 233; Schaler, Praxis der Strafzumessung, Rn. 252 f1; LK-Gribbohm, § 46 Rn. 100 f1; Erhard, Strafzumessung bei Vorbestraften, S. 192 f. 312 Kern, ZStW 64 (1952), 270 ff.; Streng, Strafrechtliche Sanktionen, S. 176. m Schönke/SchröderlStree, § 46 Rn. 17.

3. Kapitel: Das Ausmaß des Handlungsunwerts

279

macht es einen Unterschied, ob eine Baugenehmigung für ein Projekt von erheblicher städtebaulicher Bedeutung oder für die Errichtung eines Anbaus an ein Einfamilienhaus erteilt wurde. Der zweite ausschlaggebende Gesichtspunkt ist das Ausmaß der Rechtswidrigkeit der Diensthandlung, d.h. wie weit der Täter vom vorschriftsmäßigen Handeln abgewichen ist bzw. abweichen würde. Für die konkrete Ausprägung der Amtspflichtverletzung ist außerdem die Stellung des Täters innerhalb der Amtsträger-Hierarchie von Bedeutung, also etwa, ob der Täter der Behördenleiter oder ein Beamter in untergeordneter Stellung ist. Diese Umstände dürften jedoch bereits den Erfolgsunwert der Tat beeinflussen. Bei den Amtsdelikten wird ein kollektives Rechtsgut geschützt: In erster Linie wird das Vertrauen der Allgemeinheit in die Lauterkeit der Amtsführung als Rechtsgut genanne l4 , teilweise wird auf die Schutzwürdigkeit von Amtsethos und Funktionstüchtigkeit der Verwaltung als eigenständig werthafte Güter verwiesen315 . Da in dieser Arbeit zu den kollektiven Rechtsgütern nicht Stellung genommen werden kann316, kann die Definition offenbleiben. Nach beiden Ansätzen hat die objektive Bedeutung der Diensthandlung wie auch das Ausmaß ihrer Rechtswidrigkeit Einfluß auf das geschützte Gut. Wenn der Täter keine Amtshandlung im engeren Sinne vorgenommen, sondern ein Delikt im Zusammenhang mit der Dienstausübung begangen hat (§§ 340, 343, 344), schlägt sich das Ausmaß der rechtswidrigen Handlung nicht nur in der Verletzung der Individualinteressen, sondern zusätzlich auch in der Beeinträchtigung des kollektiven Rechtsgutes nieder. ccc) Auch bei Pflichtdelikten, die sich nur gegen Individualrechtsgüter richten, wird dem Ausmaß der im Straftatbestand aufgeführten Pflichtverletzung Einfluß auf die Strafzumessung eingeräumt. In diesem Zusammenhang ist der Umfang der Vermögensbetreuungspflicht in § 266 zu nennen317 sowie die Art des Abhängigkeitsverhältnisses in den §§ 174 ff. 318 • Diese Pflichten beeinflussen nicht das Erfolgsunrecht der Tat, das im ersten Beispielsfall durch die Vermögensschädigung und im zweiten durch die Vornahme der sexuellen Handlung geprägt wird. Die PflichtensteIlung des Täters prägt jedoch Einfluß auf das Handlungsunrecht.

314

Rn. 1.

BGHSt. 15, 88, 96 f.; 30, 46, 48; Tröndle, vor § 331 Rn. 3; LacknerlKühl, § 331

Lenckner, ZStW 106 (1994),538 f.; SK-Rudolphi, vor § 331 Rn. 6. Vgl. oben l. Kap., 3 c bb. 317 Schönke/Schröder/Stree, § 46 Rn. 17; Schäfer, Praxis der Strafzumessung, Rn. 252,253; LK-Gribbohm, § 46 Rn. 101; Tröndle, § 46 Rn. 21; Büch-Schmitz, Opfervertrauen und Strafzumessung, S. 170. 318 LK-Gribbohm, § 46 Rn. 101. 315

316

280

4. Teil: Die Bewertung der Tatschwere

Der gemeinsame Faktor der erwähnten Delikte ist, daß zwischen Täter und Opfer vor der Tatbegehung eine soziale Beziehung bestand, die eine erhöhte Verwundbarkeit des Opfers mit sich brachte. Die soziale Abhängigkeit kann entweder auf einem konkret-individuell dem Täter entgegengebrachten Vertrauen beruhen (etwa bei einem rechtsgeschäftlich bestellten Vermögensverwalter) oder aber auf der sozialen Rolle des Täters, etwa bei einem Lehrer oder von Amts wegen eingesetzten Konkursverwalter. Dem Täter werden in beiden Konstellationen Zugriffsmöglichkeiten auf Rechtsgüter eingeräumt, die ein Außenstehender in dieser Weise nicht gehabt hätte. Der Grad der sozialen Abhängigkeit und der Umfang der damit verbundenen Schwachstellen bei den Selbstschutzmöglichkeiten des Opfers ist unterschiedlich, was eine vergleichende Strafzumessung auch in diesem Bereich ermöglicht. Die strafrechtssystematische Betrachtung stützt den Befund, daß die Ausnutzung einer Vertrauensstellung das Unrecht einer Straftat erhöht319 . In einer Reihe von Tatbeständen ist das Strafmaß erhöht, wenn dem Täter vor der Begehung der Tat besonderes Vertrauen entgegengebracht wurde bzw. die soziale Rolle des Täters ein Abhängigkeitsverhältnis begründet. Zu nennen sind: das Mordmerkmal der Heimtücke (§ 211 Abs. 2)320; die erhöhte Bestrafung der für die Erziehung oder Betreuung des Ausgesetzten Verantwortlichen in § 221 Abs. 2 Nr. 1; die veruntreuende Unterschlagung (§ 246 Abs. 2). Dagegen findet sich im StGB nicht die an sich auch vorstellbare gegenläufige Bewertungstendenz, nämlich in Form einer Strafmilderung zu berücksichtigen, daß die Tatbegehung durch das entgegengebrachte Vertrauen bzw. die bestehende Abhängigkeit erleichtert wurde321 .

319

Büeh-Sehmitz, Opfervertrauen und Strafzumessung, S. 199 ff.

Das durch das Merkmal des besonders verwerflichen Vertrauensbruchs ergänzt werden muß, vgl. Schönke/Schröder/Eser, § 211 Rn. 26 m.w.Nwen. 321 Als Gegenbeispie1 könnte allerdings die Rechtsprechung zur Vergewaltigung aufgeftUut werden, bei der eine vor Tatbegehung bestehende enge Beziehung zwischen Täter und Opfer im Regelfall nicht im Sinne eines straferschwerenden Vertrauensbruchs gewertet wird, sondern im Gegenteil als Umstand, der die Annahme eines minder schweren Falles rechtfertigen soll, vgl. H.-i. Albreeht, Strafzumessung bei schwerer Kriminalität, Schaub. 31, S. 314. Diese Rechtsprechungspraxis dürfte allerdings teilweise auf geschlechtsspezifischen Betrachtungsweisen beruhen, vgl. dazu Siek, Sexuelles Selbstbestimmungsrecht, S. 185 ff. Möglicherweise hängt die Annahme eines minder schweren Falles auch mit Unsicherheiten der Beweislage zusammen, die in Vergewaltigungsfallen eher auftreten, wenn sich die Situation von einem Umgang im gegenseitigen Einverständnis zur Straftat hin entwickelt hat. 320

3. Kapitel: Das Ausmaß des Handlungsunwerts

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bb) Außertatbestandliche Pflichten aaa) Während die Strafzumessungsrelevanz von tatbestandlichen Pflichten dem Grundsatz nach unproblematisch ist, bereiten außertatbestandlichen Pflichten größere Schwierigkeiten. Strafschärfungen auf dieser Basis waren früher gängige Rechtsprechungspraxis. In älteren Entscheidungen war eine gehobene berufliche oder soziale Stellung des Täters regelmäßig Anlaß für moralisierende Ausführungen, etwa indem bei Vermögensdelikten die soziale Stellung des Täters für relevant erklärt wurde 322 ; aus der Stellung des (wegen Abtreibung verurteilten) Angeklagten als Kirchengemeindevorstand eine Pflicht zu besonders untadeliger Lebensgestaltung abgeleitet wurde323 ; von einem wegen einer Trunkenheitsfahrt verurteilten Beamten verlangt wurde, auch außerhalb des Dienstes Vorbild zu sein324 ; einem Richter die Rufschädigung für Berufsstand und Familie vorgeworfen wurde325 . Die strafschärfende Berücksichtigung solcher Pflichten ist nur auf der Basis des überholten Schuldverständnisses haltbar, das die Schuld des Täters in der Überwindung hemmender Kräfte sah326 ; sie wird allerdings auch in der neueren Literatur unter Verweis auf die gesteigerte kriminelle Energie des Täters in gehobener beruflicher oder sozialer Stellung noch vertreten327 . bbb) In den neueren höchstrichterlichen Entscheidungen herrscht eine restriktive Tendenz. In ständiger Rechtsprechung wird gefordert, die berufliche Stellung des Angeklagten dürfe nur bei der Strafzumessung berücksichtigt werden, wenn eine "innere Beziehung zwischen Beruf und Straftat" bestünde. In den Urteilen, die diese Formel anführen, werden durchgängig die auf besondere Pflichten abstellenden tatrichterlichen Entscheidungen beanstandee28 .

322 OLG Hamm NJW 1956, 1849: bei Verkehrsdelikten sei dagegen im allgemeinen die soziale Stellung unmaßgeblich, wenn es sich beim Täter nicht um einen Fahrlehrer oder Verkehrsrichter handle. 323 BGH NJW 1961, 1591, 1592; kritisch dazu Amdt, NJW 1961, 1592. 324 OLG Hamm NJW 1957, 1003. 325 BGH bei Da/linger, MDR 1957, 528 f. Weitere Nwe. zur älteren Rechtsprechung bei Bruns, Strafzumessungsrecht, S. 194 f. 326 Vgl. etwa Terhorst, JR 1989, 187: Erhöhte Venneidemacht aufgrund der gehobenen sozialen Stellung eines Täters. Kritisch dazu auch Amdt, NJW 1961, 1592. 327 Büch-Schmitz, Opfervertrauen und Strafzumessung, S. 174. 328 BGH NStZ 1981, 258; wistra 1982, 65; NJW 1987, 2686; NStZ 1988, 175; BGHR § 46 Abs. 2 Lebensumstände 10; BGH wistra 1991,265,266: Da der Angeklagte nicht in seiner beruflichen Stellung als Rechtsanwalt, sondern ausschließlich als Gesellschafter der GmbH gehandelt habe, sei sein Beruf irrelevant. Der restriktiven Rechtsprechung zustirrunend Bnms, Recht der Strafzumessung, S. 193 ff.; LKGribbohm § 46 Rn. 103 ff.; kritisch dagegen Schäfer, Praxis der Strafzumessung, Rn. 254 f.

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4. Teil: Die Bewertung der Tatschwere

Offen bleibt dabei, was den "inneren Zusammenhang zwischen Beruf und Begehung der Straftat" ausmacht. Diese Formulierung ist zwar zur Korrektur der Landgerichte ausreichend, die nach wie vor mit einer gewissen Beharrungstendenz an dem Modell gesteigerter Schuld festzuhalten scheinen, nach dem der Täter hemmende Schranken überwunden habe329 . Aber jenseits der Rolle als Abgrenzungsformel führt sie nicht weiter, nämlich wenn es um die Festlegung geht, ob und aus welchem Grund außertatbestandliche Pflichten unrechtssteigernd sein können. Insoweit ist auf die Überlegungen zu verweisen, die bezüglich der Unrechtsrelevanz von Abhängigkeitsverhältnissen angestellt wurden. Die Argumentation, daß die Ausnutzung einer bestehenden Vertrauensbeziehung das Tatunrecht erhöht, ist auf Konstellationen übertragbar, in denen eine gesteigerte Verwundbarkeit des Geschädigten zwar kein Tatbestandsmerkmal ist, aber trotzdem das Tatgeschehen entscheidend geprägt hat. Allerdings bedarf es zur Begründung von außertatbestandlichen Pflichten gewisser Einschränkungen, da nicht jedwedes Vertrauensverhältnis ausreichen kann. Ansonsten würde etwa eine der Tat vorausgegangene Bekanntschaft zwischen Täter und Geschädigtem immer als unrechtssteigernd einzustufen sein, was in dieser Pauschalität nicht richtig sein kann. Damit das Werturteil "pflichtwidrig" begründet ist, bedarf es einer qualifizierten Vertrauensstellung. Eine solche ergibt sich typischerweise aus bestimmten beruflichen Kontakten, bei denen der spätere Geschädigte im Verhältnis zum Täter eine schutzbedürftige Rolle einnimmt, die auf die soziale Rolle des Täters zurückzuführen ist. Diesem Bild entsprechen Tätigkeiten, die Rat, Beistand oder Schutz als Kern der beruflichen Rolle anbieten; eine Aufzählung entsprechender Berufsgruppen findet sich in § 203 Abs. l. Daraus ergibt sich folgender Maßstab für die Berücksichtigungsfähigkeit von beruflichen Pflichten: Die berufliche Stellung des Täters kann nur von Belang sein, wenn sie erstens ein qualifiziertes Vertrauensverhältnis begründet und zweitens der Täter sich die erst dadurch geschaffene Möglichkeit zum Zugriff auf die Rechtsgüter des Geschädigten zunutze gemacht hae 30 . ccc) Bei einigen Konstellationen, für die Rechtsprechung und Lehre einen inneren Zusammenhang von Berufsausübung und Straftatbegehung bejaht haben, ist nach dem hier gewählten Maßstab eine Strafschärfung wegen einer 329 Auch insoweit läßt sich die Vennutung anstellen, daß es wie bei der ,,kriminellen Energie" nicht allein Erwägungen zur Tatschuld sind, die der tatrichterlichen Judikatur zugrunde liegen. Möglicherweise spielt auch hier die kritische Einstellung gegenüber ,,Abweichlern" aus den eigenen Reihen eine Rolle, die bereits oben bei dem Polizeibeamten-als-Zuhälter-Fall thematisiert worden ist,!. Teil, 3. Kap., 3 c aa bbb. 330 Der Entscheidung BGH NStZ 1987, 406, scheinen unausgesprochen ähnliche Erwägungen zugrunde zu liegen.

4. Kapitel: Unrechtsmindernde Strafzumessungsumstände

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Verletzung außertatbestandlicher beruflicher Pflichten nicht zulässig. Dies gilt, wenn die berufliche Fassade zur Begehung von Straftaten nützlich war, ohne daß der Straftat aber der Mißbrauch eines Vertrauensverhältnisses zugrunde lag. Als Beispiel wäre der Kaufmann zu nennen, der sein Geschäft zur Begehung einer Hehlerei einsetzt33 !. Problematisch sind auch Begründungen, daß durch die Straftat das Ansehen eines bestimmten Berufsstandes geschädigt wurde 332 . Entsprechende Strafzumessungsbegründungen sind nur im Kontext einer unmittelbar auf positive Generalprävention abstellenden Strafzumessungslehre angebracht. Nicht haltbar sind auch Strafzumessungsgründe, die auf eine berufsbedingte, überlegene Kenntnis des Täters von der Tragweite seines Handeins abstellen333 . Das Fehlen der Kenntnis ist strafzumessungsrelevane 34 , die Vorstellung einer "besonders gesteigerten" Kenntnis macht jedoch keine Sinn335 .

4. Kapitel: Unrechtsmindernde Strafzumessungsumstände 1. Begründung unrechtsmindemder Strafzumessungsfaktoren

a) Mit der Bestimmung des Erfolgs- und Handlungsunwerts steht der Umfang des Tatunrechts nicht endgültig fest. Unter dem Stichwort unrechtsmindernde Strafzumessungsfaktoren sind zwei Gruppen zu untersuchen, die bereits auf der Unrechtsebene (und nicht erst auf der Schuldebene) zu einer Milderbeurteilung der Tat führen können. Zum einen kann das Erfolgsunrecht nach der Tatbegehung durch Wiedergutmachungsleistungen verändert werden. Die unrechtsrnindernde Wirkung von Wiedergutmachungsleistungen wird im 4. Abschnitt dieses Kapitels erörtert. Zum anderen kann aufgrund der Vertei33! BGH bei Da/linger, MDR 1974, 544. LK-Gribbohm, § 46 Rn. 104, bejaht fi1r diesen Fall den inneren Zusammenhang zwischen Berufsausübung und Straftat. 332 Zu einer Strafzumessungsbegründung, die darauf abstellte, daß der Angeklagte "dem Stand der Rechtsanwälte schweren Schaden zugefügt und das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Integrität dieser Organe der Rechtspflege beeinträchtigt" habe, merkte der BGH an, das Landgericht habe zu Recht den Mißbrauch der Stellung als Rechtsanwalt berücksichtigt, BGH NStZ 1988, 127. 333 hn Fall eines mit Betäubungsmitteln handelnden Arztes wurde nicht unmittelbar auf ärztliche Pflichten Bezug genommen, sondern auf die Kenntnis von der Gefährlichkeit dieses Tuns, BGH Besch!. vom 16.2.1993, 5 StR 3/93, zitiert bei Schäfer, Praxis der Strafzumessung, S. 121 Fn. 70. Ebenso bereits das OLG Frankfurt NJW 1972, 1524, das dem Arzt sein Wissen über die Wirkungen des Alkohols bei einer Verurteilung wegen einer Trunkenheitsfahrt zur Last gelegt hat. Anders als hier Schäfer, Praxis der Strafzumessung, Rn. 254, der bei entsprechenden Kenntnissen von einem gesteigerten Normverstoß ausgeht. 334 Vgl. oben 2. Kap., 6 c. m S. oben 3. Teil, 4. Kap., 4 a bb.

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4. Teil: Die Bewertung der Tatschwere

lung der Zuständigkeit für das Erfolgsunrecht die vollständige Zuordnung zur Verantwortungssphäre des Täters inadäquat sein. In der Strafzumessungslehre ist die Beteiligung des Opfers an der Tatgenese als unrechtsmindernder Faktor dem Grundsatz nach anerkanne 36 . Das Opfer kann in vielfältiger Weise zur Entstehung der Tat beigetragen haben. Problematisch und deshalb näher zu erörtern sind vor allem die Umstände, die ein "Mitverschulden"337 des Opfers begründen. Wie bereits oben ausgeführt338 , liegt die Funktion der Unrechtsprüfung darin, im Bereich sozialer Konfliktlagen Zurechnungssphären im Verhältnis Täter/Opfer festzulegen. Deshalb muß eine Zuschreibung von Verantwortlichkeit für das Geschehen auch gegenüber dem Opfer legitimierbar sein, weil das Unwerturteil auch insofern Bedeutung hat. Im folgenden 2. Abschnitt werden die in Betracht kommenden Fallgruppen daraufhin untersucht, unter welchen Umständen im Verhältnis von Täter und Opfer eine teilweise Zuordnung des Unrechts zur Sphäre des Opfers berechtigt ist und wo die Grenzen einer solchen Verteilung von Zuständigkeiten liegen. Dabei wird zu zeigen sein, daß die Grenzen einer Zurechnung des Tatunrechts zum Opfer enger zu ziehen sind als verschiedentlich angenommen wird. Im einzelnen sind die folgenden Kategorien zu unterscheiden: die sogenannten einwilligungsnahen Fälle (siehe 2 a); die absichtliche oder rechtswidrige Provokation (siehe 2 b aa und bb); obliegenheitswidriges Verhalten des Opfers, das die Tat mitverursacht oder zumindest erleichtert hat (siehe 2 b cc); sowie die nicht vorwerfbare Schaffung eines Tatanreizes durch das Opfer (siehe 2 c).

336 Kern, ZStW 64 (1952), 284 f; Hans Schultz, SchwZStR 71 (1956), 188 ff.; Geppert, ZStW 83 (1971), 999; SchUnemann, in: Schneider (Hrsg.), Verbrechensopfer, S. 408 f; Hillenkamp, Vorsatztat und Opferverhalten, S. 239 ff.; Maeck, Bedeutung des Opfers, S. 92 ff.; Bruns, Recht der Strafzumessung, S. 166 ff.; Frisch, GA 1989, 357; LK-Gribbohm, § 46 Rn. 125 ff.; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, S. 887; BUchSchmitz, Opfervertrauen und Strafzumessung, S. 146 ff. Umstritten ist die systematische Verortung des Opferverhaltens. Teilweise wird auf die Aufteilung der Erfolgszurechnung verwiesen: Der Teil des Erfolges, der auf das Opferverhalten zurückzuführen sei, gehöre nicht zu dem dem Täter zurechenbaren Erfolgsunwert (Zipf, Strafzumessung, S. 32). Andere Autoren verorten die Opfermitwirkung beim Handlungsunrecht (Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, S. 887). Frisch, ZStW 99 (1987), 760 f, kommt zu dem Ergebnis, daß das Opferverhalten Handlungsunrecht wie auch Erfolgsunrecht tangiere; ebenso Schäfer, Praxis der Strafzumessung, Rn. 237. Die difflZile Einordnungsfrage kann hier offenbleiben: Anders als bei den besonders legitimationsbedürftigen Strafschärfungsgxiinden kommt es auf die genaue Verortung der unrechtsmindernden Gründe nicht an. 337 Die Wortwahl ,,Mitverschulden des Opfers" ist angreitbar, da die Bezugnalune auf Schuld genaugenommen nur hinsichtlich eines gegen andere begangenen Unrechts Sinn macht, vgl. Maeck, Bedeutung des Opfers, S. 112 f Als Abgrenzung zu einem in keiner Weise vorwertbaren Vorverhalten ist der Begriff jedoch brauchbar. 338 1. Kap., 4 c dd.

4. Kapitel: Unrechtsmindernde Strafzumessungsumstände

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b) In der Lehre werden unrechtsmildernde Strafzumessungsfaktoren überwiegend mit einer anderen Akzentsetzung diskutiert, nämlich durch den Verweis auf Umstände, die teilweise die Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrunds erfüllen. Es ist heute ganz herrschende Meinung, daß das Tatunrecht auch durch graduelle Abstufungen beim Unrechtsausschluß quantifizierbar sei339 : Auch wenn die Prüfung eines Rechtfertigungsgrunds ergeben habe, daß eine zur Straflosigkeit führende Rechtfertigung der Tat zu verneinen sei, könne die Strafe zu mildem sein. Je mehr der Voraussetzungen für das Eingreifen des Rechtfertigungsgrunds vorliegen, desto stärker werde das Tatunrecht gemindert. Teilweise überschneidet sich diese Argumentation mit dem Topos "Tatzuständigkeit des Opfers", nämlich soweit es um Angriffe des Opfers geht, die die Nähe zu einer Rechtfertigung wegen Notwehr begründen, oder wenn nicht alle Voraussetzungen einer Einwilligung erfüllt sind. Wenn man die These vom graduellen Unrechtsausschluß jedoch als Aussage für alle Rechtfertigungsgründe versteht, entstehen in manchen Fällen Begründungsschwierigkeiten: Wenn ein an der Tatgenese Unbeteiligter Tatopfer wird, kann von einer Aufteilung der Zuständigkeit für das Unrecht nicht die Rede sein. Es ist deshalb erörterungsbedürftig, ob eine Strafmilderung gegenüber dem Tatopfer gerechtfertigt werden kann, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen eines rechtfertigenden Notstandes nur teilweise vorliegen. Zu dieser Problematik wird im 3. Abschnitt Stellung genommen.

2. Teilweise Zuständigkeit des Opfers für das Tatunrecht a) Einwilligungsnahe Fälle

Verhältnismäßig unproblematisch sind die bereits von Hilfenkamp näher untersuchten einwilligungsnahen Fälle: Hierzu gehört etwa die Einwilligung in die Verletzung eines nicht vollständig disponiblen Rechtsguts; die sittenwidrige Einwilligung; eine vor der Vollendung zurückgenommene Einwil-

339 Vgl. die grundlegenden Untersuchungen von Kern, ZStW 64 (1952), 265 ff. und Noll, ZStW 68 (1956), 181 ff.; ders., ZStW 77 (1965), 17 f; LK-Jagusch , vor § 13, n. A 2; Lenckner, Der rechtfertigende Notstand, S. 35 fT.; Lampe, Das personale Unrecht, S. 262 f; Kaper, JZ 1968,657; Bnms, Strafzumessungsrecht, S. 394; Hettinger, Doppelverwertungsverbot, S. 115 ff.; Hillenkamp, Vorsatztat und Opferverhalten, S. 237 f.; H.-L. Günther, Strafrechtswidrigkeit und Strafunrechtsausschluß, S. 114 ff., 325 f.; ders., FS für Göppinger, S. 458,460 ff.; LK-Gribbohm, § 46 Rn. 9. Ebenso auch von Hirsch/Jareborg, Strafmaß und Strafgerechtigkeit, S. 43 f Ablehnend noch von Beling, Die Vergeltungsidee, S. 63; Schmidhäuser, Gesinnungsmerkmale, S. 206 ff.; anders aber ders., Strafrecht AT, 8/82.

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4. Teil: Die Bewertung der Tatschwere

ligung; oder die unvollständige Kenntnis des Umfangs des Verlusts340 . Insoweit ist unstreitig, daß auch jenseits einer rechtfertigenden Einwilligung eine einwilligungsähnliche Situation strafmildernd berücksichtigt werden sollte341 , wenn das Opfer erstens grundsätzlich in der Lage war, den Rechtsgutsverzicht zu erkennen und verständig zu beurteilen sowie zweitens keine Nötigungssituation vorla~42. Der (teilweise) Verzicht des Opfers auf den Schutz seiner Interessen mindert das Erfolgsunrecht.

b) "Mitverschulden " des Opfers aa) Absichtliche Provokation eines Angriffs Innerhalb der Kategorie einer verschuldeten Mitwirkung an der Tatgenese ist zunächst die absichtliche Provokation zu erörtern: Das Opfer reizt den Täter zur Tatbegehung, etwa in der Absicht, ihm mit einer Strafanzeige Schaden zuzufügen oder um den Täter unter dem Vorwand der Notwehr selbst verletzen zu können. Im letzteren Fall führt die absichtliche Provokation des Angriffs nach herrschender Meinung zu einer Einstufung der Verteidigungshandlung als rechtsmißbräuchlich, so daß beide Beteiligten unrechtmäßig handeln343 . Im hier zu untersuchenden Zusammenhang interessiert, welchen Einfluß eine Provokation für die Bestrafung des provozierten Angreifers hat. Kern hat bereits 1952 zu Recht darauf hingewiesen, daß es nicht nur um eine Schuldrninderung für den Provozierten geht, sondern bereits das Tatunrecht betroffen ise 44 . Mit der bewußten Herbeiführung des Angriffs durch das Opfer ist eine Situation zu beurteilen, die Ähnlichkeiten mit der Rechtsfigur der Einwilligung aufweist: Die bewußte Disposition des Opfers über seine Rechtsgüter schließt eine Zurechnung des Erfolgsunrechts zum Täter aus - unter der Vorausset340 Vgl. im einzelnen Hillenkamp, Vorsatztat und Opferverhalten, S. 242 ff. sowie Maeck, Bedeutung des Opfers, S. 103 ff. 341 Außer den Nwen. in der vorangegangenen Fn. Noll, ZStW 68 (1956), 193 ff.; Geppert, ZStW 83 (1971), 997 ff.; Zipf, Strafzumessung, S. 32; MaurachIGössel/Zipf, Strafrecht AT 2, § 63 Rn. 30; Bruns, Recht der Strafzumessung, S. 169; LK-Gribbohm, § 46 Rn. 129; Schönke/SchröderlStree, § 46 Rn. 25; Tröndle, § 46 Rn. 34; BGH MDR 1969, 193; OLG Stuttgart NJW 1970,258. 342 HiIlenkamp, Vorsatztat und Opferverhalten, S. 247; Maeck, Bedeutung des Opfers, S. 106; Frisch, ZStW 99 (1987), 759; Schönke/Schröder/Stree, § 46 Rn. 25. 343 BGH NStZ 1983,452; Stratenwerth, Strafrecht AT 1, Rn. 436; Lackner, § 32 Rn. 14; Roxin. Strafrecht AT 1, § 15 Rn. 61. Teilweise wird auch nur eine Ausweichpflicht vorausgesetzt, vgl. JeschecklWeigend, Strafrecht AT, S. 346 f. 344 In seiner Fonnulierung wird der ,,Anspruch auf Strafrechtsschutz" gemindert, ZStW 64 (1952), 285 ff.

4. Kapitel: Unrechtsmindernde Strafzwnessungswnstände

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zung, daß das Opfer einwilligungsfahig war, d.h. imstande, Bedeutung und Tragweite seines Tuns zutreffend zu beurteilen. Da das innere Einverständnis des Opfers bei einer Absichtsprovokation nach außen nicht zum Ausdruck gekommen ist, bleibt allerdings das Handlungsunrecht unberührt. Bei der Strafzumessung ist deshalb die Tatschwere so zu beurteilen, als ob es sich um eine nur versuchte Tat gehandelt habe, wobei gegebenenfalls ein Erregungszustand des Provozierten zusätzlich schuldmindernd zu berücksichtigen ise 45 .

bb) Rechtswidrige Vortat des Opfers aaa) In diesem Abschnitt geht es zunächst um Konstellationen, in denen das Opfer durch eine vorangegangene, vorsätzliche rechtswidrige Tat eine Reaktion des Täters provoziert hat, ohne - im Gegensatz zu den unter aa) erörterten Fällen - die Straftat herbeiführen zu wollen. Typisch sind Fälle einer vorausgegangenen Beleidigung oder Körperverletzung (vgl. die §§ 199, 233 nach der alten, durch das 6. StrRG aufgehobenen Fassung); es kann sich aber auch etwa um ein Eigentums- oder Straßenverkehrsdelikt gehandelt haben. Strafzumessungsrelevant ist ein rechtswidriges Vorverhalten natürlich nur dann, wenn die zur Beurteilung anstehende Straftat nicht als Verteidigungshandlung durch Notwehr gerechtfertigt ist. Dies ist der Fall, wenn die vorausgegangene rechtswidrige Tat bereits abgeschlossen war und somit die zeitlichen Grenzen der Notwehr überschritten wurden. Ein anderer Grund für die Ablehnung einer Rechtfertigung kann in einer zu intensiven Verteidigungshandlung des Angegriffenen liegen. Diese Sachverhalte werden in der Strafzumessungslehre unter dem Stichwort notwehrähnliche Situationen diskutiert, wobei die unrechtsmindernde Wirkung anerkannt wird346 . bbb) Strafrechtssystematisch kann diese Wertung auf § 33 und § 213 1. Alt. gestützt werden. § 33 erklärt die heute herrschende Meinung nicht nur mit Schuldgesichtspunkten, sondern auch mit einer wesentlichen Unrechtsminderung347 . Roxin lehnt dagegen den Verweis auf eine Unrechts- plus Schuldminderung mit der Begründung ab, daß nicht erklärbar sei, warum es eine dem § 33 entsprechende Regelung etwa beim rechtfertigenden Notstand (§ 34)

Vgl. unten 5. Kap., 2 c cc. Kern, ZStW 64 (1952), 266 f; Noll, ZStW 68 (1956), 187 f; ders., ZStW 77 (1965), 1 ff.; Lenckner, Der rechtfertigende Notstand, S. 42; Hillenkamp, Vorsatztat und Opferverhalten, S. 270 ff.; Maeck, Bedeutung des Opfers, S. 103 ff.; H.-L. Gunther, FS für Göppinger, S. 461 f; Frisch, 140 Jahre GA, S. 29. 347 Hillenkamp, Vorsatztat und Opferverhalten, S. 270 f.; LK-Spendel, § 33 Rn. 39; SK-Samson, § 33 Rn. 1; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, S. 491; Schönke/Schröder/Lenckner, § 33 Rn. 2. 345

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4. Teil: Die Bewertung der Tatschwere

nicht gebe 348 . Die Unrechtsmilderung bei der Notwehrüberschreitung ist jedoch nicht mit dem teilweisen Vorliegen eines Rechtfertigungsgrunds als solchem zu rechtfertigen, sondern mit einer tieferreichenden, auf materiale Kriterien zurückgreifenden Begründung, nämlich mit der Abgrenzung der Erfolgszurechnung zwischen den an der Tatgenese beteiligten Personen. Die Verwicklung gerade des Opfers in das Geschehen ist bei den notwehrähnlichen Situationen der Grund der Unrechtsmilderung, während bei § 34 der Tatgeschädigte ein an der Entstehung der Gefahr Unbeteiligter sein kann. ccc) Richtigerweise muß bezüglich des Ausmaßes einer Unrechtsminderung zwischen intensivem und extensivem Notwehrexzeß unterschieden werden. Vergleichsweise unproblematisch ist eine Strafmilderung beim intensiven Notwehrexzeß zu begründen. Der Teil der Verletzung, der noch auf einer erforderlichen Verteidigunghandlung beruht, ist bei der Bewertung des Erfolgsunrechts nicht zu berücksichtigen349 . Aus diesem Grund ist der Erfolgsunwert in jedem Fall gemindert und fraglich ist allein, wie der "überschießende" Erfolgsunwert zu bewerten ist. Häufig, etwa wenn der Angreifer rechtswidrig getötet wird, ist allerdings gerade der "überschießende" Teil des Erfolgsunwerts von beträchtlichem Ausmaß. In der Regel wird er allerdings schon deshalb nicht in vollem Maße strafzumessungsrelevant sein, weil von einer Schuldminderung wegen der besonderen emotionalen Lage des Angegriffenen auszugehen ist, und zwar auch jenseits der durch die Gewährung von Straffreiheit besonders herausgehobenen asthenischen Affekte 350 . Aber auch auf der hier zu diskutierenden Ebene der Unrechtsminderung ergeben sich Konsequenzen aus dem rechtswidrigen Vorverhalten des späteren Opfers. Bei der Analyse der Interessensphären beider Beteiligten kann nicht außer Betracht bleiben, daß auch der "überschießende" Erfolgsunwert auf einen Angriff zurückzuführen ist. Ein Angreifer muß erstens mit einer Verteidigungshandlung des Angegriffenen rechnen, zweitens aber auch damit, daß sein Angriff eine Überreaktion mit sich bringt, weil der Angegriffene zu einer reflektierten, seine spontanen Empfindungen überprüfenden und kontrollierenden Reaktion regelmäßig keine Zeit hat. Da der Angreifende bei vorsätzlichem Handeln dieses Risiko bewußt eingegangen ist, muß ihm auch ein Teil des "überschießenden" Erfolgsunwerts zugerechnet werden. Wie groß die Unrechtsmilderung im einzelnen ist, hängt von der Art des Angriffs ab: Je massiver das spätere Tatopfer angegriffen hat, desto größer ist das Risiko einer

348 Weshalb nach seiner Interpretation ein Mangel an präventiver Bestrafungsnotwendigkeit hinter § 33 stehe, in: FS für Schaffstein, S. 105 ff.; ders., Strafrecht AT 1, § 22 Rn. 69 ff. 349 Vorausgesetzt, daß insoweit auch Verteidigungswj.lle bestand. 350 Vgl. dazu unten 5. Kap., 2 c cc.

4. Kapitel: Unrechtsmindernde Strafzumessungsumstände

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Überreaktion und umso mehr muß es sich die Verteidigungshandlung zurechnen lassen. ddd) Fraglich ist, ob dies auch gilt, wenn der Verteidiger die zeitlichen Grenzen seines Notwehrrechts überschreitet und seine Reaktion nicht mehr der Abwehr dient, sondern in den Kontext von Vergeltungshandlungen gehört. Wird die unrechtsaufhebende Wirkung der Notwehr auch mit dem Rechtsbewährungsprinzip begründee s1 , liegt die Differenzierung zwischen intensivem und extensivem Notwehrexzeß nahe, da bei einem beendeten Angriff von der Bewährung der Rechtsordnung nicht mehr gesprochen werden kann, während bei einem intensiven Notwehrexzeß die grundsätzliche Ausrichtung an der Rechtsbewährung nicht entfällt. Aber auch eine Aufteilung der Unrechtszurechnung stützt eine differenzierende Betrachtungsweise, weil bei einer zeitlichen Überschreitung der Notwehrgrenze der Zusammenhang von vorsätzlichem rechtswidrigen Angriff und Notwehrüberschreitung weniger eng ist. Zwar ist eine sofortige vergeltende Reaktion aus sozialpsychologischer Sicht keine untypische Verhaltensweise und der Angreifer muß auch mit einer solchen Entwicklung rechnen. Der vorsätzliche rechtswidrige Angriff begründet deshalb auch insoweit eine Unrechtsminderung, da das Opfer ein Risiko eingegangen ist. Im StGB wird dem noch in § 199 Rechnung getragen352 . Jedoch ist das Gewicht der Unrechtsminderung geringer als beim intensiven Notwehrexzeß 353 . Der entscheidende Unterschied liegt darin, daß die Gefahr eines intensiven Exzeßes der Verteidigungshandlung inhärent ist, weil ein andauernder Angriff sofortiges Handeln erfordert und damit unreflektierte Überreaktionen wahrscheinlicher macht. Beim extensiven Exzeß ist dagegen diese Situation und das mit ihr verbundene Ausweitungsrisiko nicht mehr aktuell. Die Entscheidung des Angegriffenen zur Vergeltung überlagert das dem Opfer

351 So die h.M., vgl. Roxin, Strafrecht AT 1, § 15 Rn. 2; JeschecklWeigend, Strafrecht AT, S. 336 f.; Schönke/SchröderlLenckner, § 32 Rn. 1 a m.w.Nwen; dagegen aber mit guten Gründen Frister, GA 1988, 295 ff.; Neumann, in: LüderssenlNestlerTremel/Weigend (Hrsg.), Modemes Strafrecht, S. 219 ff.; Renzikowski, Notstand und Notwehr, S. 76 ff. m.w.Nwen. S. 78 Fn. 9. 352 Küper, JZ 1968,656 ff.; Schönke/SchröderlLenckner, § 199 Rn. 1, § 233 Rn. 1; SK-Rudolphi, § 199 Rn. 1; anders allerdings SK-Hom, § 233 Rn. 2. Es ist kein Widerspruch zur These von der geringeren Unrechtsminderung bei einem bereits abgeschlossenen Angriff, daß unter den Voraussetzungen des § 199 der Richter den Reagierenden sogar für straflos erklären kann. Das Erfolgsunrecht wird in vielen der zur Anwendung kommenden Fälle ohnehin an der untersten Grenze anzusiedeln sein. Auch bei einer nur geringfügigen Unrechtsminderung aufgrund des Vorverhaltens ist dann ein Strafverzicht vertretbar. 353 Andeutungsweise auch Hi/lenkamp, Vorsatztat und Opferverhalten, S. 275. Dies rechtfertigt auch die von der h.M. angenommene Beschränkung der Anwendbarkeit des § 33 auf den intensiven Notwehrexzeß, vgl. dazu die Nachweise bei Schönke/Schröder/Lenckner, § 33 Rn. 7.

19 Hörn1e

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4. Teil: Die Bewertung der Tatschwere

zurechenbare Risiko teilweise wieder. Für das konkrete Ausmaß der Unrechtsminderung kommt es auch insoweit auf das Gewicht des Angriffs in Relation zur Reaktion des Täters an. Bei einem nur geringfügigen Angriff, etwa bei einer leichten Beleidigung, ist die Zurechnung des Taterfolges zur Opferseite und die daraus resultierende Unrechtsminderung deshalb vemachlässigenswert.

cc) Verstoß gegen Obliegenheiten als Vorverhalten des Opfers aaa) Im vorangegangenen Abschnitt wurden Unrechtsminderungen erörtert, die auf einer rechtswidrigen Tat des späteren Opfers beruhen. Nunmehr sind anders gelagerte Formen des Opfervorverhaltens zu untersuchen, nämlich solche, bei denen sich das Opfer selbst geschadet hat, indem es die Tatbegehung ermöglicht bzw. gefördert hat. Während die Strafzumessungsrelevanz von notwehrähnlichen Konstellationen prinzipiell anerkannt ist und es insoweit nur um Detailfragen ging, stehen an dieser Stelle grundsätzlichere Probleme zur Diskussion. In der Strafzumessungslehre wird in weitem Umfang von einer Unrechtsminderung durch eine fahrlässige Eigengefahrdung des Opfers ausgegangen. Theoretischer Hintergrund ist der Ansatz der Viktimo-Dogmatik, demzufolge der ultima-ratio-Gedanke eine zurückhaltende Anwendung des Strafrechts verlange: Die Bestrafung des Täters setze eine strafwürdige wie strafbedürftige Handlung voraus. Könne das Opfer eigene Selbstschutzmöglichkeiten aktivieren, seien die besonders einschneidenden strafrechtlichen Reaktionen nicht angebracht. Aus diesem Grund seien im Wege der teleologischen Tatbestandsauslegung die Verhaltensweisen als nicht strafbar einzuordnen, gegen die sich das Opfer selbst schützen könne354 . Während die strafbarkeitsausschließende Funktion des viktimo-dogmatischen Prinzips kritisiert worden ise 55 , besteht jedoch grundsätzlich Einigkeit über die Straftumessungsrelevanz der dahinter stehenden Erwägungen. Wenn sich das Opfer fahrlässigerweise in Gefahr begebe, müsse die Strafe wegen der eingeschränkten Schutzbedürftigkeit und -würdigkeit gemildert werden356 .

354 Amelung, GA 1977,6 fT.; Schünemann, FS für Bocke1mann, S. 130 fT.; ders., in: Schneider (Hrsg.), Verbrechensopfer, S. 410 fT.; ders., NStZ 1986, 439 fT.; R. Hassemer, Schutzbedürftigkeit des Opfers, S. 19 fT. 355 Hillenkamp, Vorsatztat und Opferverhalten, S. 133 fT. 356 Hillenkamp, Vorsatztat und Opferverhalten, S. 296 ff. (einschränkend allerdings ders., StV 1986, 153 f); Ebert, JZ 1983,639 f; Schünemann, NStZ 1986,440 f; LKGribbohm, § 46 Rn. 127 f; Schönke/Schröder/Stree, § 46 Rn. 24.

4. Kapitel: Unrechtsmindernde Strafzwnessungsumstände

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bbb) Die entscheidende Frage ist, welche Maßstäbe an das Opferverhalten anzulegen sind, um das Urteil einer teilweisen Zurechnung des Erfolgs zu seiner Verantwortungssphäre abzustützen. Die dem Opfer in seinem Eigeninteresse obliegenden Sorgfaltspflichten, d.h. seine Obliegenheiten, müssen näher umschrieben werden. Insoweit kann von einer gesicherten Ausgangslage in der Strafzumessungslehre keine Rede sein. Zu vage ist insbesondere auch die Lösung von Büch-Schmitz, die darauf abstellt, ob das Verhalten des Opfers "einer bewußten Selbstgefahrdung nahekomme,,357. Der erste Ausgangspunkt für eine Präzisierung der erforderlichen Maßstäbe muß sein, daß es nicht allein auf faktisch existierende Sicherungsmöglichkeiten ankommen kann, da damit die Handlungsspielräume aller Bürger in unsinniger Weise eingeschränkt würden358 . Mit einer Rund-um-die-Uhr Bewachung von Wohnungen könnten zum Beispiel die Zahl der Einbruchsdiebstähle drastisch reduziert werden; praktikabel ist dieser Vorschlag jedoch nicht. Vorgeschlagen wird, von einer Obliegenheitsverletzung auszugehen, wenn das Verhalten des Opfers sozial inadäquat wa2 59 . Dem ist insoweit zuzustimmen, als bei einem sozialüblichen Verhalten nicht von Opfermitverschulden gesprochen werden kann. Wenn es beispielsweise einer allgemein üblichen Praxis entspricht, Ski vor Skihütten unverschlossen in den Schnee zu stecken, begründet ein entsprechendes Verhalten eines später um seine Ski Bestohlenen keine Obliegenheitsverletzun~6o . Jenseits dieser Ausschlußfunktion ist jedoch der Maßstab der Sozialadäquanz zur positiven Begründung einer Schutzobliegenheit problematisch. In vielen Bereichen existieren keine klar umrissenen Verhaltensanforderungen. Als Opfermitverschulden wird in der Lehre beispielsweise das ungesicherte Herumliegenlassen von wertvollen Gegenständen genanne 61 . Es ist jedoch schwierig, in dieser Frage mit hinreichender Präzision Obliegenheiten zu statuieren: Es ist weder eindeutig festlegbar, ab welchem Wert Vermögensgegenstände zu schützen sind, noch, welche Maßnahmen im einzelnen erforderlich sind. Kann es genügen, ein wertvolles Schmuckstück den Blicken durch das Aufbewahren in einer Schublade zu entziehen, oder wäre sozial adäquat nur die Sicherung in einem Safe? Der Maßstab der Sozialadäquanz kann dann einen ersten Anhaltspunkt für eine Obliegenheitsverletzung liefern, wenn eindeutige Verhaltensnormen

357

In: Opfervertrauen und Strafzwnessung, S. 166.

358

Schünemann, in: Schneider (Hrsg.), Verbrechensopfer, S. 41l.

Maeck, Bedeutung des Opfers, S. 114 f.; Ebert, JZ 1983,639 f. Beispiel bei Ebert, JZ 1983, 640. 361 LK-Gribbohm, § 46 Rn. 128; Büch-Schmitz, Opfervertrauen und StrafZumessung, S. 168, die letztere allerdings insofern widersprüchlich, als an anderer Stelle eine Verpflichtung des Opfers zu aktiven Schutzmaßnahmen abgelehnt wird (S. 180). 359

360

19*

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4. Teil: Die Bewertung der Tatschwere

existieren. Dies ist etwa der Fall bei Verkehrsdelikten: Eigene Verstöße des Geschädigten gegen die Sorgfaltspflichten im Straßenverkehr sind unrechtsmindernd zu berücksichtigen, wenn sie zur Tatgenese beigetragen haben362 . Auch hinsichtlich der Sicherung von Gegenständen gegen Verlust bestehen zumindest in einigen Teilbereichen eindeutige Maßstäbe, etwa in bezug auf die Sicherung von Kraftfahrzeugen: Das Steckenlassen des Zündschlüssels im unverschlossenen Fahrzeug begründet eine Obliegenheitsverletzung; desgleichen das Abstellen eines unverschlossenen Fahrrads auf öffentlichen Verkehrsflächen. ccc) Ein ausschließlich empirisch zu bestimmender Maßstab der Sozialadäquanz kann wegen einer möglichen Kollision mit Freiheitsansprüchen des Opfers unzureichend sein, das sich gegenüber dem Verlangen nach "üblichem" Verhalten auf eine abweichende Lebensgestaltung berufen darf. Auch wenn etwa Spaziergänge im Stadtpark nach Einbruch der Dunkelheit unüblich sein mögen, kann daraus nicht eine Obliegenheit zum Unterlassen abendlicher Spaziergänge abgeleitet werden. Es bedarf deshalb einer normativen Einschränkung der Obliegenheiten, die das Kriterium der Sozialadäquanz nicht zu leisten vermag. Schanemann verweist auf leicht verfagbare und ohne weiteres zumutbare Selbstschutzmöglichkeiten363 . Damit ist eine Bestimmung von Opferobliegenheiten möglich, die zu einer klareren Umgrenzung der verlangten Sorgfalt beiträgt: Die Beschränkung auf leicht verfügbare Selbstschutzmöglichkeiten schließt eine Verpflichtung zu aufwendigen Sicherungsmaßnahmen aus. Im oben erwähnten Beispielsfall genügt es also, Schmuckstücke nicht offen herum liegen zu lassen, wenn andere Personen Zutritt zu den Räumen haben; nicht erforderlich ist dagegen der kostspielige Einbau eines Safes oder von Alarmanlagen. Wenn man die Umschreibung "ohne weiteres zumutbar" ernst nimmt, kann auch dem berechtigten Interesse an einer freien Entfaltung des eigenen Lebenskreises unabhängig von üblichen Sicherheitsgewohnheiten Rechnung getragen werden. Ohne weiteres zumutbar sind nur solche Selbstschutzmaßnahmen, die nicht mit Einschnitten in die persönliche Lebensführung verbunden sind. Um dies an Beispielen zu verdeutlichen: Ohne weiteres zumutbar ist es, beim Verlassen des Hauses die Haustüre zu schließen, da dies erstens mit einem Handgriff erledigt werden kann und zweitens in aller Regel keine Beeinträchtigung einer personalisierten Vorstellung von Lebensqualität bedeutet. Das Unrecht eines durch eine offenstehende Haustür ermöglichten Diebstahls ist deshalb gemindert. Dasselbe gilt für das Steckenlassen des Zündschlüssels in einem Kraftfahrzeug. Eine Unrechtsminderung scheidet dagegen aus, wenn 362 Bruns, Recht der StrafzumesslUlg, S. 167; LK-Gribbohm, § 46 Rn. 125; Schäfer, Praxis der StrafzumesslUlg, Rn. 237. 363 In: Schneider (Hrsg.), Verbrechensopfer, S. 411.

4. Kapitel: Unrechtsmindernde Strafzumessungsumstände

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ein Wohnungsinhaber als einziger in einer Hausanlage nachts die Fenster geöffnet hält, da er sich darauf berufen kann, daß sein unübliches Verhalten auf sein Bedürfnis nach frischer Luft zurückzuführen ist.

c) Nicht vorwerfbare Tatbeiträge des Opfers

aa) Während im vorangegangenen Abschnitt eine Unrechtsminderung vom Mitverschulden des Opfers in Form einer Obliegenheitsverletzung abhängig gemacht wurde, wird in der Strafzumessungsliteratur der Kreis der unrechtsmindernden Opferbeteiligung weiter gezogen: Ausreichen solle bereits die Mitverursachung der Tat bzw. die Tatbegehung begünstigende Verhaltensweisen364 . Auch in der Rechtsprechung wird eine Strafmilderung darauf gestützt, daß das Verhalten des Opfers jedenfalls aus der Sicht des Angeklagten die Durchführung der Tat erleichtert habe365 . Vor allem bei Sexualstraftaten wird zur Strafmilderung auf Umstände im Verhalten oder der Person des Opfers verwiesen, die nach den obigen Ausführungen keine Obliegenheitsverletzung, sondern Gestaltung der eigenen Lebenssphäre sind, wie etwa die Wahl der Bekleidung oder die Ausgehgewohnheiten366 . bb) Auch wenn man davon ausgeht, daß eine entsprechende Darstellung der Tatgenese durch einen wegen eines Sexualdelikts Angeklagten nicht ein nachträglicher Neutralisierungsversuch durch "blarning the victim,,367 ist, sondern für ihn diese Umstände zum Tatzeitpunkt tatsächlich eine Rolle gespielt haben, kann eine Unrechtsminderung nicht angenommen werden. Die herrschende Meinung verweist auch insoweit auf die geminderte kriminelle Energie des Täters368 . Eine Unrechtsminderung wegen eines keine Obliegenheitsverletzung darstellenden Opferverhaltens ist jedoch unhaltbar, weil dies implizit und unausweichlich auch eine Aussage über das Opfer enthält. Die Abgrenzung von Verantwortungsbereichen bildet in Fällen der Opferbeteiligung die Basis des gegen den Täter gerichteten Unwerturteils. Wird der Verantwor-

364 Zipf, Strafzumessung, S. 32, 68; MaurachIGössel/Zipf, Strafrecht AT 2, § 63 Rn. 159; Streng, Strafrechtliche Sanktionen, S. 177; JeschecklWeigend, Strafrecht AT, S. 887; Schäfer, Praxis der Strafzumessung, Rn. 237; Bach-Schmitz, Opfervertrauen und Strafzumessung, S. 162; grundsätzlich auch Hillenkamp, StV 1996,153 allerdings mit der wichtigen Einschränkung, daß Männer und Frauen im Hinblick auf selbstschützende Beschränkungen des sozialen Umgangs gleich zu behandeln seien, 153 f. 365 BGH StV 1986,149,150 mit Anrn. Hillenkamp; StV 1997,634,635; BGHR § 46 Abs. 2 Tatumstände 4. 366 So in den in der vorangegangenen Fn. genannten Entscheidungen. 367 Vgl. dazu Hi/lenkamp, Vorsatztat und Opferverhalten, S. 199 f1 368 So ausdrücklich die Begründung in BGH StV 1983, 326; BGHR § 46 Abs. 2 Tatumstände 4; ebenso Hillenkamp, Vorsatztat und Opferverhalten, S. 297 ff.

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4. Teil: Die Bewertung der Tatschwere

tungsbereich des Täters wegen des Verhaltens des Opfers verkleinert, ist damit eine Zuweisung an das Opfer verbunden - dies ist jedoch nur berechtigt, wenn das Opfer begründeterweise für einen Teil des Unrechts zuständig gemacht werden kann. Ein Verhalten des Opfers, das lediglich ihm oder ihr zustehende Freiheitssphären ausschöpft, ist deshalb für die Bewertung des Unrechtsgehalts der Tat irrelevant. Eine isoliert auf Tätervorstellungen abstellende Betrachtungsweise ist nur im Bereich der Schuldminderung adäquat, da insoweit der Ausgleich sozialer Konflikte als Bewertungsmaßstab von der Täter-Innenperspektive abgelöst wird. Die Berücksichtigung eines Opferverhaltens, das keine Obliegenheitsverletzung darstellt, ist deshalb allenfalls möglich, wenn konkret dargetan werden kann, daß dadurch die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit des Täters vermindert wurde. Der schlichte Hinweis auf die Taterleichterung durch das Opfer genügt hierfür nicht.

3. Handeln im Notstand

a) Wie bereits in der Einleitung zu diesem Kapitel angedeutet, kommt nach der herrschenden Meinung in der Strafzumessungslehre eine Unrechtsminderung auch in Betracht, wenn andere Rechtfertigungsgründe als Notwehr oder Einwilligung teilweise vorliegen. Dies gelte, wenn das eine Notstandssituation im Sinne von § 34 konstituierende Merkmal369 einer gegenwärtigen Gefahr vorlag, eine Rechtfertigung jedoch an der Interessenabwägung gescheitert ist, weil das geschützte das beeinträchtigte Interesse nicht wesentlich überwiegt370. Die Zuerkennung einer Strafmilderung ist jedoch nur unter der Prämisse einer utilitaristisch geprägten Erklärung des rechtfertigenden Notstandes selbstverständlich. Die herrschende Meinung in der Verbrechenslehre hält in diesem Sinn die Aufopferung der Interessen eines Unbeteiligten wegen der Rettung des höherwertigen Interesses für gerechtfertigt: Der Eingriff sei wegen der Erhaltung eines Gutes rechtmäßi~71. Die Frage einer Unrechtsminderung wegen einer Gefahrensituation wird auch bei der Erklärung des entschuldigenden Notstandes (§ 35) diskutiert: Die heute herrschende Meinung sieht den Grund der Straffreiheit unter anderem in einer Unrechtsminderung. Das gerettete, wenn auch geringerwertige, Interesse sei bei der Bewertung des Erfolgsun-

369 Zur Unterscheidung von konstitutiven und quantitativen Rechtfertigungsmomenten vgl. Noll, ZStW 77 (1965), 18; H.-L. Günther, FS für Göppinger, S. 461 f 370 Kern, ZStW 64 (1952), 267; Lenckner, Der rechtfertigende Notstand, S. 35 ff.; H.-L. Günther, FS für Göppinger, S. 462. 371 LK-Hirsch, § 34 Rn. 1-3; JeschecklWeigend, Strafrecht AT, S. 360 f; Schönke/SchröderlLenckner, § 34 Rn. 1; Roxin, Strafrecht AT 1, § 16 Rn. 3.

4. Kapitel: Unrechtsmindernde Strafzumessungsumstände

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werts als Verrechnungsposten zu berücksichtigen372 . Vor diesem Hintergrund ist es konsequent, jedenfalls von einer Unrechtsminderung auszugehen, wenn immerhin ein Interesse gerettet wird, auch wenn es nicht höherwertig ist. b) Der entscheidende Unterschied zu notwehrähnlichen Situationen liegt jedoch beim rechtfertigenden Notstand in der Beeinträchtigung Unbeteiligter. Beim Notwehrexzeß setzt die Begründung für die teilweise Herausnahme des Tatunrechts aus der Sphäre des Täters beim rechtswidrigen Angriff des Opfers an. Der durch eine Notstandshandlung Geschädigte muß jedoch eine Verletzung seiner Rechtsgüter auch dann hinnehmen, auch wenn ihn an der Entstehung der Gefahr kein Mitverschulden trifft. Eine schlichte Verrechnung von entgegenstehenden Interessen, wie sie der gängigen Begründung des rechtfertigenden Notstandes zugrunde liegt, läßt den wesentlichen Punkt offen, nämlich warum ein am Geschehen Unbeteiligter eine zu Lasten seiner Rechtsgüter wirkende Verrechnung akzeptieren muß 373 . Überzeugender ist deshalb die von Renzikowski ausgearbeitete, nicht vom Verrechnungsergebnis her argumentierende Begründung des § 34: Ausschlaggebend ist das Solidaritätsprinzip als Einschränkung des Grundsatzes der autonomen Bestimmung über den eigenen Lebenskreis 374 . Folgt man einem Ansatz, der stärker die Perspektive des Geschädigten betont, ist die Vorstellung einer graduellen Unrechtsabstufung weniger einleuchtend als mit der utilitaristischen Begründung der herrschenden Lehre. Dies gilt vor allem dann, wenn dem Geschehen ein Interessenkonflikt zugrunde liegt, der sich auf den Täter der Notstandshandlung und den dadurch Geschädigten beschränkt, d.h. wenn der Täter seine eigenen Interessen auf Kosten des Unbeteiligten zu retten versucht. Eine graduelle Unrechtsabstufung würde voraussetzen, daß die dem Bedrohten geschuldete Solidarität ebenfalls abstufbar besteht. Überzeugender ist jedoch die Annahme einer "Solidaritätsschwelle": Nur wenn das geschützte Interesse eindeutig überwiegt, kann vom Geschädigten erwartet werden, seine eigenen Interessen wegen des Grundsatzes der Sozialbindung jedes Individuums zurückzustellen - bis zu diesem Punkt wird nicht etwa "ein bißchen Solidarität" geschuldet. Wenn das ge372 Noll, ZStW 68 (1956), 17; SK-Rudolphi, § 35 Rn. 3; LK-Hirsch, vor § 32 Rn. 195; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, S. 478; Schönke/Schröder/Lenckner, vor § 32 Rn. 111, der selbst einen fehl geschlagenen Rettungsversuch als unwertmindernd einstuft, weil auch bei einer vollen Rechtfertigung die mit der Handlung verfolgte Rettungsabsicht ausreicht. Kritisch zum Konzept der Unrechtsminderung Jakobs, Strafrecht AT, 20/3, allerdings aus anderen als den hier angefllhrten Gründen. Zur abweichenden Konzeption Roxins vgl. 5. Kap., Fn. 420. 373 Frister, GA 1988,291 fr.; ders., Struktur des "voluntativen Schuldelements", S. 208 f.; Renzikowski, Notstand und Notwehr, S. 41 f. 374 Renzikowski, Notstand und Notwehr, S. 178 ff. Ebenso bereits Frister, GA 1988, 291 ff.

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4. Teil: Die Bewertung der Tatschwere

schützte Interesse nicht höherrangig ist, kommt eine Lösung des Interessenkonflikts im Sinne eines Verzichts des Tatopfers nicht in Betracht. Da das Unrechtsurteil die Lösung für soziale Konfliktlagen im Verhältnis TäterTatgeschädigter widerspiegeln soll, liegt es nahe, durch ein hinsichtlich des Unrechts ungemildertes Urteil klar zu stellen, daß dem Opfer keinerlei Verantwortung für die Lösung des Interessenkonflikts zukam. Eine zur Tatbegehung führende Gefahrenlage sollte daher als schuldmindernder Faktor unter dem Stichwort "Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens" berücksichtigt werden375 .

4. Verminderung des Erfolgsunrechts durch Wiedergutmachung a) Beeinflussung des Erjolgsunrecht;76

aa) Die erste Frage bezüglich der Strafzumessungsrelevanz von Wiedergutmachungsleistungen betrifft deren systematische Einordnung. In der Strafrechtswissenschaft wird in erster Linie diskutiert, inwieweit Wiedergutmachung mit den Strafzwecken vereinbar ist, d.h. vor allem, ob Wiedergutmachungsleistungen zur präventiven Funktion des Strafrechts beitragen377 • Wiedergutmachung als Zeichen "ehrlicher Reue" und deshalb fehlender permanenter Rechtsfeindschaft strafmildernd zu berücksichtigen378 , gehört ebenso in diesen Kontext wie die Auffassung, der Täter stelle durch Wiedergutmachung die Anerkennung der Norm wieder her379 . Ältere Indizkonstruktionen glaubten, aus dem Nachtatverhalten Schlüsse auf die Gesinnung des Täters zum Zeitpunkt der Tatbegehung ziehen zu können38o .

Vgl. dazu unten 5. Kap., 1 c, 3 a. Die Vereinbarkeit mit § 46 a ist Gegenstand des 4. Kapitels im 5. Teil. 377 Frehsee, Schadenswiedergutmachung, S. 47 fT.; Roxin, in: Schöch (Hrsg.), Wiedergutmachung und Strafrecht, S. 37 fT.; Schöch, Gutachten zum 59. DIT, C 63 ff.; Baumann u.a., AE-Wiedergutmachung, S. 25 ff.; Bannenberg, Wiedergutmachung in der Strafrechtspraxis, S. 65 ff.; Meier, JuS 1996, 438 f Kritisch Brauns, Wiedergutmachung der Folgen, S. 172 ff. 378 Bruns, Recht der Strafzumessung, S. 239; die spezialpräventive Relevanz führen ferner an Streng, Strafrechtliche Sanktionen, S. 68; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, S.896. 379 Roxin, in: Schöch (Hrsg.), Wiedergutmachung und Strafrecht, S. 49 f; Frisch, ZStW 99 (1987), 781; Schöch, Gutachten zum 59. DIT, C 64; Baumann u.a., AEWiedergutmachung, S. 26; Streng, Strafrechtliche Sanktionen, S. 179; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, S. 896. 380 BGHSt. 1, 105, 106; Bruns, Recht der Strafzumessung, S. 231; ebenso noch Tröndle, § 46 Rn. 28; kritisch Frisch, ZStW 99 (1987), 779 f; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, S. 894 Fn. 47. 375

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4. Kapitel: Umechtsmindernde Strafzumessungsumstände

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Der Bezug von Wiedergutmachungsleistungen zum Unrecht wurde dagegen bislang eher vernachlässigt381, in einer neueren Monographie von Braun;82 jedoch ausführlicher untersucht. Vereinzelt wird in der Lehre ohne nähere Begründung die Relevanz für das Erfolgsunrecht bejahe83 . Teilweise wird aber auch vertreten, daß Umstände, die der Tatbegehung zeitlich nachfolgen, das Tatunrecht nicht mehr beeinflussen können. In diesem Sinne differenziert Zipf zwischen dem Erfolgsunrecht und der sogenannten Erfolgskomponente der Strafzumessungschuld: Der Umfang der Tatschuld stehe zum Zeitpunkt der Tatbegehung fest; von der Tatschuld sei eine erweiterte, aus Erfolgs- und Handlungskomponente zusammengesetzte Strafzumessungsschuld zu unterscheiden384 . Auf dieser Basis ruht die Schlußfolgerung, daß Wiedergutmachungsleistungen das Erfolgsunrecht unberührt ließen385 • bb) Die Differenzierung zwischen Erfolgsunrecht und strafzumessungsrelevanter Erfolgskomponente beruht jedoch auf einer Eingrenzung des Erfolgsunrechts, für die keine zwingende Notwendigkeit besteht. Die Prämisse vom unveränderlichen Umfang des Erfolgsunrechts zum Zeitpunkt der Tatbegehung führt im Gegenteil bei manchen Delikten zu Schwierigkeiten, etwa wenn sich der Schaden unmittelbar nach der Vollendung des Tatbestandes weiter entwickelt oder wenn einige Zeit nach der Tatbegehung eine Schadensvertiefung eintritt. Ein zeitlich zu eng gefaßtes Konzept des Erfolgsunrechts wirft vermeidbare Abgrenzungsschwierigkeiten auf. Unproblematischer ist es, das Ausmaß der Beeinträchtigung des Opfers zum Entscheidungszeitpunkt als Maßstab zu nehmen. Damit wird aber auch die Einbeziehung von kompensatorischen Maßnahmen in die Bewertung des Erfolgsunrechts ermöglicht.

b) Wiedergutmachungsleistungen durch den Täter aa) Vollständige Wiedergutmachung aaa) Es besteht weitgehend Einigkeit darüber, daß Wiedergutmachung nicht auf die Leistung des zivilrechtlich geschuldeten Schadensersatzes zu reduzieren ist, sondern daß in einem allgemeineren Sinne die Beseitigung der Folgen 381 Vgl. allerdings Kern, ZStW 64 (1952), 287: Wiedergutmachung wirke unrechtsmindernd. 382 Die Wiedergutmachung der Folgen der Straftat durch den Täter, 1996. 383 Schäfer, Praxis der Strafzumessung, Rn. 238 mit Hinweis aufBGH 2 StR 65/85, bei Theune, NStZ 1986, 158 Fn. 81. 384 Maurach/Gössel/Zipf, Strafrecht AT 2, § 63 Rn. 19,52 fT.; ebenso Brauns, Wiedergutmachung der Folgen, S. 178 f 385 Brauns, Wiedergutmachung der Folgen, S. 178 f; ebenso Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, S. 896.

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4. Teil: Die BewertWlg der Tatschwere

der Tat gemeint ise86 . Unterschiedliche Auffassungen bestehen dazu, was unter "Folgen der Tat" zu verstehen ist. Teilweise wird als Maßstab fur den adäquaten Umfang von Wiedergutniachungsleistungen auf die "am Maß der Schuld orientierte Belastung des Täters" abgestelle87 . Eine solche täterschuldzentrierte Betrachtungsweise erfaßt jedoch nicht den Sinn von Wiedergutmachungsleistungen: Schuld kann nicht ausgeglichen werden, sondern nur das Unrecht der Tat. Ein anderer Ansatz geht auch in diesem Kontext von dem oben kritisierten, weiten Verständnis des Erfolgsunrechts aus, indem die Störung des Rechtsfriedens als der wiedergutzumachende Zustand angeführt wird388 . Vor dem Hintergrund Prämissen dieser Arbeit ist jedoch Wiedergutmachung in einem engeren Sinne zu sehen, nämlich als Wiedergutmachung der Folgen für den beeinträchtigten Rechtsgutsträger. Aus dieser Perspektive ist es auch konsequent, daß der Gesetzgeber in § 46 a auf die in § 1 Abs. 1 S. 3 AE-WGM vorgeschlagene symbolische Wiedergutmachung gegenüber der Allgemeinheit verzichtet hae 89 .

bbb) Für die Fälle einer vollständigen Wiedergutmachung durch den Täter ist wegen des fehlenden Erfolgsunwerts die Rechtsfolge vorgezeichnet: Die Tatschwere wird durch das Handlungsunrecht definiert und ist deshalb mit der Schwere einer versuchten Tat vergleichbar. Anders als die herrschende Meinung in der Lehre390 geht der hier vertretene Ansatz davon aus, daß die vollständige Leistung des zivilrechtlich geschuldeten Schadensersatzes nur in wenigen Fällen der Verletzung von materiellen Interessen im strafrechtlichen Kontext als vollständige Wiedergutmachung zu werten ist. Bestand das Erfolgsunrecht ganz oder teilweise in einer Beeinträchtigung der körperlichen Integrität bzw. der Privatsphäre oder einer Demütigung, ist eine vollständige Wiedergutmachung, die die Beeinträchtigung aus der Welt schafft, nicht möglich391 . Die herrschende Lehre berücksichtigt einen aus der Perspektive 386 Frehsee, SchadenswiedergutmachWlg, S. ISS ff.; Maurach/GösseIlZipf, Strafrecht AT 2, § 63 Rn. 179; Schöch, Gutachten zum 59. DIT, C 66; Baumann u.a., AEWiedergutmachWlg, § 1 S. 1, § 2 Abs. 1; Kilchling, NStZ 1996, 310 f.; Meier, JuS 1996,437; enger Hirsch, ZStW 102 (1990),534 ff. 387 Meier, JuS 1996, 438. 388 Baumann u.a., § 1 Abs. 1 S. 2 AE-WiedergutmachWlg; Schöch, Gutachten zum 59. DIT, C 66. 389 In diesem Sinne auch Brauns, WiedergutmachWlg der Folgen, S. 182 f., 203. Damit ist nicht ausgeschlossen, ArbeitsleistWlgen des Täters als mittelschwere Sanktion einzuführen, die aber eine andere Form der Strafgestaltung sind Wld keine WiedergutmachWlgsleistWlg. 390 Vgl. Baumann u.a., § 3 AE-WiedergutmachWlg; LK-Gribbohm, § 46 Rn. 213; SK-Horn, § 46 a Rn. 3. 391 S. auch Weber, GenugtuWlgsinteresse des Verletzten, S. 163: WiedergutmachWlg sei vor allem bei Delikten gegen die sexuelle SelbstbestimmWlg, §§ 174 ff., nicht möglich.

4. Kapitel: Unrechtsmindernde Strafzurnessilllgsurnstände

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des Opfers wichtigen Unterschied nicht, nämlich den zwischen einer Aufhebung der Tatfolgen einerseits und einer Kompensation für die erlittene Beeinträchtigung andererseits. Da im letzteren Fall eine Beeinträchtigung des Opfers bestehen bleibt, sollte er nicht den Fällen gleichgestellt werden, in denen der Täter eine Beeinträchtigung unterbunden hat. Vollständige Wiedergutmachung setzt die spuren lose Aufhebung der Tatfolgen voraus und kommt deshalb nur in Betracht, wenn erstens ausschließlich materielle Interessen verletzt wurden, zweitens die vollständige Wiederherstellung der vorherigen Eigentums- bzw. Vermögenslage ohne Wertverluste möglich ist und drittens die Restitution unverzüglich erfolgt ist, so daß die Beeinträchtigung aufgrund der zwischen Tat und Restitution verstrichenen Zeit nicht ins Gewicht fallt. In der Literatur werden derartige Fälle auch unter dem Stichwort "tätige Reue" angeführt392 . Die besondere Relevanz von tätiger Reue für das Erfolgsunrecht wird allerdings verzeichnet, wenn diese nur als eine Variante möglicher Strafmilderungen wegen Schadenswiedergutmachung angeführt wird393 . Beispielsfalle für eine vollständige Wiedergutmachung sind: die sofortige Rückgabe eines gestohlenen oder durch Betrug erlangten Gegenstands; beim Eingehungsbetrug die Aufklärung des Opfers verbunden mit einem Angebot auf Vertragsaufhebung; die sofortige Rückerstattung eines durch eine Pflichtverletzung (§ 266) erlangten Betrages. Bei Eigentumsdelikten kommt eine vollständige Wiedergutmachung nicht in Betracht, wenn eine Wiederherstellung des vor der Tat bestehenden Zustandes nicht mehr möglich ist. Dies betrifft etwa viele Fälle der Sachbeschädigung, bei denen auch eine unverzüglich erfolgte Reparatur den Status quo ante nicht mehr herzustellen vermag.

bb) Teilweise Wiedergutmachung aaa) Wesentlich häufiger als eine vollständige Wiedergutmachung sind Fälle einer teilweisen Wiedergutmachung. Bei einer ausschließlich gegen materielle Interessen gerichteten Tat kommt eine partielle Wiedergutmachung in Betracht, wenn der Vermögensschaden bzw. der Verlust von Gegenständen 392 JeschecklWeigend, Strafrecht AT, S. 896 Fn. 60; SK-Hom, § 46 Rn. 143; Wambach, Straflosigkeit nach Wiedergutmachilllg, S. 159 ff. Allerdings wird der Begriff in einem weiteren Sinne als hier verwendet. Nach Wambach soll eine kompensatorische tätige Reue die Strafbarkeit ausschließen, wobei er nur illlter Gewaltanwendilllg begangene Verbrechen aus dem Kreis der reuefähigen Delikte herausnehmen möchte, S. 175 f. Damit wird jedoch die unrechtsaufhebende Wirkilllg von Wiedergutmachilllgsleistilllgen überschätzt: Auch bei nicht gewalttätig begangenen Delikten (etwa einem Einbruchsdiebstahl) können die Tatfolgen (die Verletzilllg der Privatsphäre) nicht mehr aufgehoben werden. 393 Schönke/SchröderlStree, § 46 Rn. 40.

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4. Teil: Die Bewertung der Tatschwere

teilweise wieder rückgängig gemacht wird. Wie soeben ausgeführt, liegt auch bei einem vollständigen Ausgleich eines negativen Vermögenssaldos bzw. der Rückgabe eines entzogenen Gegenstandes keine vollständige Wiedergutmachung vor, wenn, was in der Regel der Fall sein wird, dies nicht unverzüglich nach Vollendung der Tat geschieht. Der Verlust der Nutzungsmöglichkeit ist ein wesentlicher Bestandteil der Beeinträchtigung des Opfers. Es kommt dabei nicht auf die aktuellen Nutzungspläne an, sondern darauf, welchen Wert der Einsatz des Vermögensbestandteils typischerweise für die Lebensqualität hae 94 . Hat der Täter für den Verlust der Nutzungsmöglichkeit, gegebenenfalls auch für einen nutzungsbedingten Minderwert, Schadensersatz geleistet, bedeutet dies natürlich eine weiterreichende Wiedergutmachung als nur die Rückgabe bzw. der Ausgleich des primär enstandenen Vermögensschadens. Damit kommt der Täter einer vollständigen Wiedergutmachung zwar nahe, strukturell liegt jedoch eine vollständige Wiedergutmachung auch in diesem Fall nicht vor395 , da der Ausgleich für den Nutzungsausfall nur eine Kompensation ist. bbb) Da immaterielle Schäden nicht rückgängig gemacht, sondern nur kompensiert werden können, kann insoweit immer nur eine teilweise Wiedergutmachung vorliegen. Eine Kompensation kann durch die Leistung des zivilrechtlich geschuldeten Schadensersatzes oder Schmerzensgeldes erfolgen, oder durch sonstige materielle bzw. immaterielle Leistungen. Bei den Leistungen immaterieller Art ist vor allem an eine Entschuldigung des Täters zu denken. Umstritten ist, welche Anforderungen an erfolgsunrechtsmindernde Kompensationsleistungen zu stellen sind. Brauns setzt insoweit strenge Maßstäbe: Geschenke des Täters, die den Schadensverlauf beeinflussen - er nennt als Beispiel eine Erholungsreise für das Opfer einer Körperverletzung - sollen bei der Bestimmung des Erfolgsunwerts 396 zu berücksichtigen sein, während andere Geschenke außer Betracht bleiben sollen. Er erkennt allerdings die Zahlung von Schmerzensgeld als Wiedergutmachungsleistung an397 - was einen gewissen Widerspruch darstellt, da die Zahlung eines Schmerzensgeldes am Umfang der gesundheitlichen Beeinträchtigung nichts ändert. Mehrheitlich wird allerdings in der Lehre davon ausgegangen, daß ein weites Spektrum an kompensatorischen Leistungen als (teilweise) Wiedergut-

Vgl. oben 2. Kap., 1 b. Anders Brauns, Wiedergutmachung der Folgen, S. 179. 396 Brauns unterscheidet Erfolgsunwert und Erfolgskomponente der Strafzumessungsschuld (in: Wiedergutmachung der Folgen, S. 178 f.), was aber für den Argumentationsgang, um den es hier geht, keine Rolle spielt. 397 Wiedergutmachung der Folgen, S. 180. 394 395

4. Kapitel: Unrechtsmindernde Strafzumessungsumstände

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machung in Betracht komme 98 . Dem ist auch aus einer unrechtszentrierten Sicht im Prinzip zuzustimmen: Die Alternative, Leistungen ohne unmittelbaren Bezug zum Taterfolg bei der Bewertung des Erfolgsunwerts überhaupt nicht zu berücksichtigen399 , bringt nicht hinreichend den Unterschied zwischen bloßen Bemühungen und einer real erfolgten Besserstellung des Opfers zum Ausdruck; zum Umfang der Unrechtsminderung siehe jedoch sogleich ddd). ccc) Die Bewertung der Minderung des Erfolgsunwerts sollte anhand eines objektiven Maßstabs erfolgen: Es kann nicht darauf ankommen, ob der Geschädigte subjektiv das ihm zugefügte Unrecht als abgegolten ansieht40o . Subjektive Maßstäbe fluktuieren zu stark: Während ein empathisches Opfer als Ergebnis eines Gesprächs im Rahmen eines Täter-Opfer-Ausgleichs auch bezüglich einer gravierenden Straftat das Geschehen als "wiedergutgemacht" ansehen mag, würden andere Tatgeschädigte selbst für unbedeutendere Straftaten zu einem anderen Urteil kommen. Das Unwerturteil sollte zwar die Beeinträchtigung des Opfers widerspiegeln, aber aus einer Außenperspektive40I . ddd) Bei der Bewertung des Ausmaßes der Unrechtsminderung ist auf die Zusammenhänge des Gewicht des Schadens mit der Kompensation Rücksicht zu nehmen. Daraus ergeben sich folgende Wertungen für unterschiedliche Straftaten: Schwerwiegende Tatfolgen, die sich etwa auf der zweiten Stufe der Lebensqualität ausgewirkt haben, schließen zwar eine teilweise Wiedergutmachung nicht aus. Angesichts der erlittenen Beeinträchtigungen ist jedoch das Gewicht von kompensatorischen Leistungen vergleichsweise gering zu veranschlagen. Bei leichteren Straftaten ist eine kompensatorische Maßnahme stärker zu gewichten. Außerdem ist die erfolgsunwertsmindernde Bedeutung von der Art der Wiedergutmachungsleistung abhängig. Bei Straftaten, deren Erfolgsunrecht ausschließlich oder überwiegend auf einer Demütigung beruht (etwa bei bestimmten Körperverletzungen oder Sexualstraftaten402 ), ist eine nicht nur formale, sondern ernsthaft das Opfer adressierende Entschuldigung des Täters eine angemessene Form der Kompensation, weil hierdurch als Gegenakt zur Tat die personelle Würde des Opfers ausdrücklich anerkannt wird403 . In gra398 SK-Horn, § 46 a Rn. 3; Kilchling, NStZ 1996, 310; Schönke/SchröderlStree, § 46 Rn. 40. 399 Brauns, Wiedergutmachung der Folgen, S. 183. 400 So aber Kilchling, NStZ 1996, 314. 401 Ähnlich auch SK-Horn, § 46 a Rn. 3: objektives Urteil eines vernünftigen Dritten. 402 Vgl. oben 2. Kap., 2 b cc. 403 Entschuldigung ist ein doppeldeutiger Begriff: Er kann im Sinne von "praktischer Erklärung" verstanden werden, die unerwartetes oder unpassendes Ver-

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4. Teil: Die Bewertung der Tatschwere

vierenden Fällen setzt allerdings eine Herabsenkung des Erfolgsunwerts eine durch eine materielle Komponente "verstärkte" Entschuldigung voraus, also die Zuwendung einer Geldsumme oder einer anderen materiellen Leistung. Innerhalb des strafrechtlichen Kontextes ist dabei die vermögensrechtliche Besserstellung als solche weniger wichtig als die Kombination mit einer Entschuldigung. Dadurch wird aus einer finanziellen Transaktion ein symbolischexpressiver Akt: Die materielle Einbuße für den Täter ist ein Eingeständnis der Fehlerhaftigkeit seines Verhaltens; die Auszahlung an das Opfer kommuniziert die Anerkennung der Beeinträchtigung seiner Rechte404 • Da die immaterielle Komponente einer Wiedergutmachung für das Erfolgsunrecht von Bedeutung ist, haben Täter-Opfer-Ausgleichs-Projekte zur Schaffung des organisatorischen Rahmens auch im Kontext eines tatproportionalen Strafzumessungsrechts ihren Platz. Wenn das Erfolgsunrecht in einer Verletzung materieller Interessen liegt, ist in erster Linie an eine finanzielle Kompensation zur Minderung des Erfolgsunrechts zu denken - wobei eine zusätzlich zum Ausgleich des materiellen Schadens erfolgende Entschuldigung den Erfolgsunwert weiter mindert. Bei Verletzungen der Privatsphäre oder leichten Verletzungen der körperlichen Integrität läßt sich ein Vorrang von materieller oder immaterieller Kompensation nicht ausmachen; in diesen Fällen kann das Erfolgsunrecht durch beides gemindert werden. Bei schweren Beeinträchtigungen der körperlichen Integrität, die nicht maßgeblich durch eine Demütigung des Opfers gekennzeichnet sind, ist allerdings eine angemessene finanzielle Kompensation stärker als unrechtsmindernd zu gewichten als eine Entschuldigung des Täters. eee) Eine Minderung des Erfolgsunwerts setzt voraus, daß eine Wiedergutmachungsleistung tatsächlich erfolgt ist. Erfolglose Bemühungen können deshalb nicht als Minderung des Erfolgsunrechts berücksichtigt werden, auch wenn der die vollständige oder partielle Wiedergutmachung verhindernde Umstand außerhalb des Verschuldens des Täters liegt, beispielsweise, wenn eine gestohlene Sache an den Eigentümer zurückgeschickt wird, aber auf dem Postweg verloren geht. Zu erwägen ist jedoch, im Hinblick auf den vom Täter geschaffenen Handiungswert405 in solchen Fällen eine Ausnahme von einer durchgängig am Tatunrecht orientierten Strafzumessung zu machen. Die strafmindernde Bedeutung einer erstrebten, aber nicht gelungenen Wieder-

halten erklären soll und darauf abzielt, die volle Verantwortlichkeit dafm zu bestreiten (vgl. dazu Scott/Lymann, in: AuwärterlKirsch/Schröter (Hrsg.), Kommunikation, Interaktion, Identität, S. 74 f.). Dem hier zugrunde gelegten Begriff von Entschuldigung entspricht jedoch die Anerkennung der Schuld für ein bestimmtes Ergebnis. 404 Vgl. 3. Teil, 1. Kap., 4 b dd. 405 Vgl. Brauns, Wiedergutmachung der Folgen, S. 204 ff.

4. Kapitel: Unrechtsmindernde Strafzumessungsumstände

303

gutmachung ist allerdings geringer als die einer tatsächlich erfolgten LeiStung406 .

c) Zurechnung der Leistung und verdienstvolles Handeln

aa) In der Strafzumessungslehre ist umstritten, unter welchen Umständen Wiedergutmachungsleistungen strafmildernd wirken. Die erste Frage ist, ob der Täter Wiedergutmachung geleistet haben muß oder ob auch Dritte mit strafmildernder Wirkung tätig werden können407 . Der zweite Aspekt betrifft die hinter der Wiedergutmachung stehende Motivation: Dazu wird vertreten, daß nur die freiwillige Schadenswiedergutmachung zu berücksichtigen sei, nicht aber erzwungenes VerhaIten408 . Beide Diskussionspunkte sind auf denselben Ausgangspunkt zurückzuführen, nämlich darauf, inwieweit die objektiv-erfolgsorientierte Betrachtung durch bestimmte Voraussetzungen auf der Handlungsseite ergänzt werden sollte oder sogar ersetzt werden muß. Es sind drei Varianten zu untersuchen: Die erste stellt bei der Bewertung nur auf den Wiedergutmachungserfolg ab; die zweite ausschließlich auf verdienstvolles Handeln des Täters, während die dritte Variante sowohl die Opferperspektive als auch den Gesichtspunkt des Verdienstes anwendet. bb) Sieht man in Wiedergutmachungsleistungen ein Indiz für die fehlende rechtsfeindliche Einstellung oder für die Rückkehr zu einer rechtstreuen HaItung409 , ist die Konsequenz offensichtlich: Für eine täterorientierte Strafzumessung ist nur verdienstvolles Handeln von Interesse, nicht aber die erfolgsorientierte Opferperspektive. Aus der unrechtszentrierten Bewertungsperspektive ist die Entscheidung dagegen weniger eindeutig. Die Befürworter der strafmildernden Wirkung einer Wiedergutmachung durch Dritte verweisen darauf, daß sich schließlich auch dadurch der Umfang der Tatfolgen verringere4\O. Andererseits entspricht eine von den Handlungshintergründen vollständig abstrahierende Bewertung nicht den in unserer Alltagskultur verankerten So auch LK-Gribbohm, § 46 Rn. 211. Offengelassen in BayObLG NStZ 1998, 356, 357 für die Anwendbarkeit von § 46; dagegen Bruns, Recht der Strafzumessung, S. 239 mit Hinweis aufBGH VRS 14, 59; JeschecklWeigend, Strafrecht AT, S. 896 Fn. 60; Schönke/SchröderlStree, § 46 Rn. 40; Brauns, Wiedergutmachung der Folgen, S. 194 ff., allerdings differenzierend, dazu sogleich; dafür MaurachIGössel/Zipf, Strafrecht AT 2, § 63 Rn. 177; LK-Gribbohm, § 46 Rn. 215; Schäfer, Praxis der Strafzumessung, Rn. 238. 408 Schönke/SchröderlStree, § 46 Rn. 40; anders LK-Gribbohm, § 46 Rn. 213. Für eine Berücksichtigung beim von ihm so bezeichneten Handlungswert Brauns, Wiedergutmachung der Folgen, S. 215 ff. 409 Vgl. zu diesen Ansätzen die Nwe. oben Fn. 377. 410 Für die strafmildernde Berücksichtigung deshalb LK-Gribbohm, § 46 Rn. 215; dagegen Schönke/SchröderlStree, § 46 Rn. 40. 406

407

304

4. Teil: Die Bewertung der Tatschwere

Bewertungskriterien. Die Beurteilung einer Handlung als "gute Tat" hängt zwar vorrangig, aber nicht ausschließlich vom bewirkten Resultat ab, sondern auch von den Umständen des Zustandekommens. Beispielsweise werden Spenden für wohltätige Zwecke nach ihrer Höhe bewertet; typischerweise werden jedoch auch solche Spender erwähnt, für die die ihrer Höhe nach nicht ungewöhnliche Spende ein besonderes persönliches Opfer verlangt hat. Die Fragestellung sollte deshalb nicht sein, ob verdienstvolles Handeln des Täters überhaupt eine Rolle spielt, sondern, welche Bedeutung diesem Umstand zukommt. Dabei bestehen zwei Möglichkeiten: Entweder wird verdienstvolles Handeln als notwendiger Filter angesehen; d.h. eine erfolgte Besserstellung könnte nur die Bewertung beeinflußen, wenn sie auf verdienstvolles Verhalten zurückzuführen ist. Die Alternative besteht in einer additiven Bewertung, die zu einer stärkeren Strafmilderung bei verdienstvollem Handeln käme. Für die Filterthese könnte vorgebracht werden, daß auch bei der Erstbewertung des Erfolgsunrechts der Filter des Verschuldens passiert werden muß. Nicht verschuldete Tatauswirkungen können nicht (und nicht etwa: ein bißchen) einbezogen werden. Man könnte für Wiedergutmachungsleistungen eine Parallele ziehen. Die Filterfunktion des Verschuldens bei der Zurechnung der Tatauswirkungen basiert jedoch auf der besonderen Bedeutung des Schuldprinzips für das Strafrecht411 . Aus denselben Gründen, die es ausschließen, bei fehlendem Verschulden strafbares Handeln anzunehmen, kann es auch bei der Strafzumessung keine Kombination von Schuld- und Erfolgshaftung geben. Soweit es jedoch um die unwertmindernde Bedeutung einer Schadensbeseitigung oder -kompensation geht, bedarf es eines Filters nicht: Die Berücksichtigung von Wiedergutmachungsleistungen wirkt sich zugunsten des Täters aus. Schuld und Verdienst sind in ihrer strafrechtlichen Bedeutung nicht spiegelbildlich konstruiert: Die Filterfunktion der Schuld begründet nicht eine ähnliche Funktion des Verdienstgedankens. Die Kombination von erfolgs- und verdienstorientierten Gesichtspunkten ist deshalb bei der Bewertung von Wiedergutmachungsleistungen grundsätzlich möglich. Daraus ergeben sich die folgenden Überlegungen für die Fallgruppen "Wiedergutmachung durch Dritte" und "freiwilliges Handeln":

411 Die Bedeutung des Schuldprinzips liegt darin, daß eine rationale Lebensplanung nur möglich ist, wenn das Risiko strafrechtlicher Verfolgung berechenbar bleibt und nicht das Damoklesschwert unvermeidbarer und unkalkulierbarer Eingriffe über jedem einzelnen schwebt, vgl. Baurmann, Zweckrationalität und Strafrecht, S. 223 ff.; ders., in: Baurmann/Kliemt (Hrsg.), Die modeme Gesellschaft, S. 137 ff. Auch ist die Legitimierung der Strafe gegenüber dem Betroffenen nur unter Bezugnahme auf das Schuldprinzip möglich, vgl. Schünemann, in: ders. (Hrsg.), Grundfragen, S. 170 ff., 174 ff. und passim.

4. Kapitel: Unrechtsmindernde Strafzumessungsumstände

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cc) Grundsätzlich können Leistungen durch Dritte bei der Bewertung des Erfolgsunrechts berücksichtigt werden. Das Gewicht der Unrechtsminderung ist jedoch abhängig vom Grad der Zurechenbarkeit zum Täter. Unproblematisch ist eine Handlung als Bote oder Stellvertreter für den Täter; etwa wenn der Dritte anstatt des Täters die Beute zurückbringt oder materielle Leistungen übermittelt, die aus dem Vermögen des Täters stammen. Insoweit besteht hinsichtlich der Unrechtsminderung kein Unterschied. Eine schwächere Minderung des Erfolgsunrechts kommt in Betracht, wenn ein Dritter Leistungen für den Täter erbringt, etwa ein Angehöriger oder eine Haftpflichtversicherung des Täters 412 . Noch geringfügiger ist die Unrechtsminderung bei einer Schadenswiedergutmachung durch einen unbeteiligten Dritten, etwa wenn die Tatbeute gefunden und an den Berechtigten zurückgegeben wird. In manchen Fällen ist die Leistung des Dritten allerdings bedeutungslos. Macht das Erfolgsunrecht eine Entschuldigung erforderlich, hat eine Wiedergutmachung höchstpersönlichen Charakter. Außerdem ist natürlich eine Besserstellung des Opfers erforderlich, die im Hinblick auf die Straftat zu kompensatorischen Zwecken erfolgt. Eine Erbschaft des Opfers, die die materiellen Einbußen für die Lebensqualität aufhebt, ist für die Bewertung des Erfolgsunwerts irrelevant. Ferner muß durch die Leistung des Dritten eine Besserstellung erreicht worden sein, die nicht durch eine notwendige Gegenleistung des Opfers abgeschwächt wird. Für eine praktisch wichtige Fallgruppe scheidet aus diesem Grund eine Unrechtsminderung aus, nämlich wenn eine Versicherungsleistung aufgrund eines vom Opfer abgeschlossenen Vertrags den Schaden deckt413 . Für diese Leistung hat der Geschädigte Aufwendungen getätigt, nämlich Versicherungsprämien gezahlt und dadurch die Aussicht auf eine Versicherungsleistung erworben. Auch eine auf äußeren Druck erfolgte Wiedergutmachungsleistung mindert das Erfolgsunrecht, etwa wenn der Täter erst nach einem zu seinen Ungunsten ausgegangenen Zivilprozeß oder aufgrund des drohenden Strafverfahrens Zahlungen leistet414 . Das Gewicht einer solchen Unwertsminderung ist jedoch geringer als das einer verdienstvolleren, weil freiwilligen Leistung.

412 Anders dagegen Brauns, Wiedergutmachung der Folgen, S. 195 f.: Es spiele keine Rolle, ob Täter oder Opfer die Versicherung abgeschlossen hätten. 413 AA von Hirsch und Jareborg, Oxford Journal of Legal Studies 1991, 28, die die Bedeutung von Autodiebstählen dadurch limitiert sehen, daß Autos gegen Diebstahl versichert werden können. 414 So auch LK-Gribbohm, § 46 Rn. 213; anders Schönke/SchröderlStree, § 46 Rn. 40; Brauns, Wiedergutmachung der Folgen, S. 215.

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4. Teil: Die BewertWlg der Tatschwere

5. Kapitel: Schuldmindernde Strafzumessungsumstände 1. Kategorien schuldmindemder Umstände a) Wenn von einer Minderung der Schuld die Rede ist, ist zunächst an Konstellationen zu denken, bei denen eine Strafmilderung nach den §§ 21 i.V.m. 20, 49 Abs. 1 ausscheidet, weil trotz einer der in § 20 aufgezählten psycho-pathologischen Störungen die Minderung der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit nicht erheblich war. Es ist anerkannt, daß Beeinträchtigungen der Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit unterhalb der Erheblichkeitsschwelle bei der Strafzumessung innerhalb des nicht gemilderten Strafrahmens Berücksichtigung finden 415 . Dies ergibt sich bereits daraus, daß selbst nach einer Rahmenmilderung wegen verminderter Schuldfähigkeit die konkreten Umstände, auf denen diese beruht, auch bei der Strafzumessung innerhalb des gemilderten Rahmens berücksichtigt werden dürfen416 • b) Problematischer sind auffallige Tathintergründe ohne einen psychiatrischen Befund nach §§ 20, 21. Der hinter § 21 stehende Grundgedanke wird jedoch von der Rechtsprechung und Lehre auch auf andere Fallkonstellationen übertragen, bei denen die Fähigkeit zu normgemäßem Verhalten beeinträchtigt war417 . Dieser Übertragung liegt die Erwägung zugrunde, daß unter bestimmten Umständen auch dem schuldfahigen Täter die Befolgung einer Norm wesentlich schwerer fallen kann418 . Damit werden verschiedene Fragen aufgeworfen: Zunächst, ob überhaupt jenseits der tatbestandlichen Voraussetzungen von § 21 schuldmindernde Strafzumessungsfaktoren anerkannt werden sollten (dazu sogleich 2 a). Wenn dies bejaht werden kann, sind Überlegungen zur Feststellung entsprechender Einschränkungen erforderlich (siehe 2 b); sodann sind mögliche Anwendungsfalle anzuführen (unten 2 c). 415

BGH MDR 1974, 544; StV 1981,72; NStZ 1993, 34; StV 1998, 259; BGH bei

Detter, NStZ 1994, 174 f.; Schöch, MSchrKrim 1983, 337; Bruns, Recht der StrafzumessWlg, S. 253; Schäfer, Praxis der StrafzumessWlg, Rn. 245; Roxin, Strafrecht AT 1, § 20 Rn. 33; Lackner, § 46 Rn. 39, § 21 Rn. 1; Tröndle, § 21 Rn. 5. Zu denken ist etwa

an BetäubWlgsmittelabhängigkeit, die nach der ständigen RechtsprechWlg nur bei EntzugserscheinWlgen bzw. konkreter Angst vor dem Einsetzen von EntzugserscheinWlgen eine Strafrahmenmilderung rechtfertigen soll, vgl. BGHR § 21 BtM-AuswirkWlgen 2, 5,7-9, 11, 12 416 BGH NStZ 1984, 548; NStZ 1992, 538; LK-Gribbohm, § 46 Rn. 304. 417 BGHSt. 35, 347, 355 (Persönlichkeitsmänge1); BGH NStZ 1996, 80 (anders gelagerte kulturelle VorstellWlgen eines Ausländers); Schöneborn, GA 1975, 277; Walter, GS für Hilde Kaufmann, S. 503; Erhard, StrafzumessWlg bei Vorbestraften, S. 234 f.; Fn·sch, 140 Jahre GA, S. 33; SK-Hom, § 46 Rn. 41, 112, 115; einschränkend auf "gravierende FreiheitsdefIzite" Hart-Hönig, Gerechte Wld zweckmäßige StrafzumesSWlg, S. 132 ff. 418 BGH NStZ 1996, 80; Schönke/Schröder/Lenckner, § 21 Rn. 1; Lackner, § 21 Rn. 1; LK-Jähnke, § 21 Rn. 1.

5. Kapitel: Schuldmindernde Strafzumessungsumstände

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c) Mit der Auflistung von Schuldminderungen wegen einer eingeschränkten Einsichts- oder Steuerungsfahigkeit ist das Thema schuldmindemde Strafzumessungsfaktoren nicht erschöpft. In der strafrechtlichen Diskussion ist unbestritten, daß Zurechnungsfahigkeit im Sinne einer normativen Motivierbarkeit oder Ansprechbarkeit des Täters419 nur eine notwendige Voraussetzung für das Vorliegen von Strafbegründungsschuld ist. Die Feststellung der Strafbarkeit setzt außerdem das Fehlen von Entschuldigungsgründen voraus. Deren Ratio wird hier in der Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens gesehen420 . Dieser Gedanke hat über die tatbestandlichen Voraussetzungen der Entschuldigungsgründe hinaus Bedeutung für die Strafzumessung. Zwar lehnt die herrschende Lehre einen allgemeinen ungeschriebenen Entschuldigungsgrund der Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens ab421 . Dies schließt es aber nicht aus, bei bestehender Strafbarkeit der schwierigen Situation des Täters durch eine Strafmilderung wegen eingeschränkter Zumutbarkeit normgemäßen HandeIns Rechnung zu tragen. Entsprechende Fallgruppen werden unter 3. erörtert.

2. Beeinträchtigung der Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit

a) Verhältnis zu den tatbestandlichen Voraussetzungen in § 2 J

Gegen die Berücksichtigung von anderen als den in § 20 angeführten Auffälligkeiten könnte der Einwand der Inkonsequenz erhoben werden: Schließ419 Noll, FS fiI.r Helhnuth Mayer, S. 225; Roxin, ZStW 96 (1984), 652 f; ders., Strafrecht AT I, § 19 Rn. 34. Trotz Unterschieden in der Begründung wie in der Terminologie besteht im Ergebnis Einigkeit, daß keine Strafbegründungsschuld vorliegt, wenn erfahrungswissenschaftlich Mängel bei der normativen Ansprechbarkeit nachgewiesen werden können; vgl. JeschecklWeigend, Strafrecht AT, S. 430 t1; Jakobs, Strafrecht AT, 17/47 f, 18/1 t1 420 Welzel, Das Deutsche Strafrecht, S. 172 ff.; Stratenwerth, Strafrecht AT 1, Rn. 596 ff.; LK-Hirsch, vor § 32 Rn. 193 ff.; JeschecklWeigend, Strafrecht AT, S. 477; Schönke/SchröderlLenckner, vor § 32 Rn. 108 ff. AA Roxin, der die Ratio in der fehlenden präventiven Notwendigkeit der strafrechtlichen Ahndung sieht, in: FS fiI.r Bokkeimarm, S. 279 ff.; ders., ZStW 96 (1984), 641 ff.; ders., Strafrecht AT I, § 19 Rn. 1 fT.; zustimmend Schünemann, in: ders. (Hrsg.), Grundfragen, S. 169 f; ebenso Streng, ZStW 92 (1980), 655. Damit begibt man sich aber auf unsicheres Terrain. Die Aussage, daß aus generalpräventiven Gründen eine Bestrafung nicht erforderlich sei, ist eine bloße Behauptung und deshalb mit der empirischen Grundstruktur der Argumentation nicht vereinbar, die mit präventiven Effekten aufbeweisbedÜfftige Tatsachen verweist. Erst recht gilt dies für die Behauptung der fehlenden spezialpräventiven Notwendigkeit: Wenn der Täter aus Gründen, die in keinerlei Zusammenhang mit dem Tatgeschehen stehen, doch Sozialisationsdeftzite aufweist, versagt die ganze Konstruktion. 421 Stratenwerth, Strafrecht AT I, Rn. 603; MaurachlZipf, Strafrecht AT I, § 33 Rn. 15; LK-Hirsch, vor § 32 Rn. 196; JeschecklWeigend, Strafrecht AT, S. 504; Lackner, vor § 32 Rn. 30; Schönke/SchröderlLenckner, vor §§ 32 Rn. 122; Roxin, Strafrecht AT 1, § 22 Rn. 143 ff.; anders BaumannlWeberiMitsch, Strafrecht AT, § 23 Rn. 64 f

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4. Teil: Die Bewertung der Tatschwere

lich wurde um die Fassung der tatbestandlichen Voraussetzungen der §§ 20, 21 heftig gestritten422 und wird zur Feststellung der dort umschriebenen Krankheitsbilder im Strafverfahren ein nicht unbeträchtlicher Aufwand betrieben. Das Bemühen um eine Eingrenzung von schuldrnindemden Umständen könnte durch eine großzügigere Berücksichtigung im Rahmen von § 46 unterlaufen werden. Diese Bedenken lassen sich jedoch zerstreuen, wenn die unterschiedlichen Rechtsfolgen in die Überlegungen einbezogen werden. Die bei einer psychischen Störung mögliche Rahmenrnilderung nach den §§ 21, 49 Abs. 1 verändert den Strafrahmen erheblich, vor allem durch die Absenkung der Mindeststrafen in § 49 Abs. 1 Nr. 3. Besonders drastisch sind die Konsequenzen bei Verurteilungen wegen Mordes, da bei Anwendung der §§ 21, 49 Abs. 1 Nr. 1 statt lebenslanger Freiheitsstrafe eine Freiheitsstrafe von nur drei Jahren verhängt werden kann. Vor diesem Hintergrund erklärt sich das Ringen um die Anwendungsvoraussetzungen der §§ 20, 21. Die zu verhängende Strafe wird durch die Berücksichtigung schuldrnildemder Umstände nur innerhalb des gesetzlichen Strafrahmens jedoch wesentlich geringfügiger beeinflußt423 .

b) Ermittlung von eingeschränkter Einsichts- bzw. Steuerungsfähigkeit aa) Während für die Strafzumessung nach § 46 die Berücksichtigung schuldrnindemder Faktoren nicht an das Vorliegen einer der in § 20 aufgeführten psycho-pathologischen Auffalligkeiten gekoppelt ist, kommt der in § 21 aufgeführten Verminderung der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit auch insoweit Relevanz zu. Das konkrete Ausmaß einer Einschränkung der Einsichts- und Steuerungsfahigkeit könnte durch einen psychiatrischen oder psychologischen Sachverständigen einzelfallorientiert ermittelt werden, um das Ausmaß der individuellen Schuld des Angeklagten festzustellen 424 . Diese Vorgehensweise wäre jedoch unrealistisch. In der forensischen wie strafrechtlichen Literatur wird bestritten, daß es überhaupt möglich sei, retrospektiv empirisch fundierte Aussagen zur Steuerungsfahigkeit eines bestimmten Indivi-

422 Vgl. zur sogenannten ,,Dammbruchthese" (die befilrchteten Auswirkungen der Aufnahme der "schweren anderen seelischen Abartigkeit" in den Katalog der schuldausschließenden psychischen Befunde) AK-Schild, §§ 20, 21 Rn. 18. 423 hn übrigen zeigt sich in der Praxis auch schon bei der Anwendung von § 21 ein großzügigerer Umgang mit den Krankheitsbildern als bei der gewichtigeren Frage der Schuldfahigkeit, vgl. Krauß, in: GöppingerlKaiser (Hrsg.), Kriminologische Gegenwartsfragen, S. 95 f. 424 In diesem Sinn Schönebom, GA 1975,277.

5. Kapitel: Schuldmindernde StrafzumessWlgswnstände

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duums zu einem bestimmten Zeitpunkt zu machen425 . Ohne die Differenzen zwischen gnostischen und agnostischen Positionen detaillierter aufzunehmen, ist doch die Schlußfolgerung erlaubt, daß erst recht von einem Gutachter keine konkreten Angaben zum Ausmaß der Steuerungsfähigkeit zu erwarten sind, da eine Quantifizierung noch wesentlich komplizierter ist als die Festlegung bezüglich der ja/nein Alternative bei der Schuldfahigkeitsfeststellung. Eine gutachterliche Schuldminderungsanalyse scheitert außerdem an der quantitativen Bedeutung entsprechender Fälle: Wenn man sich von psychiatrisch kategorisierbaren Krankheitsbildern entfernt, wird in viel mehr Fällen eine Beurteilung des Ausmaßes von Einsichts- bzw. Steuerungsfähigkeit erforderlich. Aus verfahrensökonomischen Gründen ist es jedoch kaum möglich, in all diesen Fällen eine Begutachtung anzuordnen. Abgesehen davon wäre auch bei entsprechender Ausbildung eine Stellungnahme zum konkreten Ausmaß der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit in einer bestimmten Situation schwierig, da sich die forensische Fachliteratur auf den bislang einschlägigen Bereich beschränkt, nämlich die Feststellung der Voraussetzungen der §§ 20, 21. Eine streng empirische Beweisführung zum Zusammenhang von Ausnahmesituationen ohne Krankheitswert und eingeschränkter Einsichts- bzw. Steuerungsfähigkeit ist mangels einer Dokumentation erfahrungswissenschaftlicher Befunde kaum möglich. bb) Angesichts der Schwierigkeiten einer konkret-einzelfallbezogenen Feststellung geminderter Einsichts- oder Urteilsfähigkeit scheint sich als Ausweg anzubieten, auf der Basis eines funktionalen Schuldverständnisses Aussagen nicht als Feststellungen zu treffen, sondern als Zuschreibungen, deren Inhalt von gesellschaftlichen Bedürfnissen abhängt426. Aber selbst unter dieser Prämisse wird nicht die Schlußfolgerung eines Verzichts auf empirische Aussagen über den Täter gezogen427 , da die Feststellung bestimmter psychiatrischpsychologischer Befunde Voraussetzung für die gesellschaftliche Akzeptanz einer Zuschreibungsentscheidung sei 428 . An einer Aussage über psychologische Befindlichkeiten als Grund für eine Schuldminderung führt deshalb kein Weg vorbei 429 .

425 Vgl. Leferenz, ZStW 70 (1958), 27 f1; Göppinger, Kriminologie4, S. 237 f1; Streng, Strafrechtliche Sanktionen, S. 256 t1; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, S. 411. 426 Jakobs, Strafrecht AT, 17/18 11; ders., Das Schuldprinzip, S. 23 11; Streng, Strafrechtliche Sanktionen, S. 259. 427 S. Streng, Strafrechtliche Sanktionen, S. 260; Jakobs, Strafrecht AT, 18. Abschnitt; ders., Das Schuldprinzip, S. 30 f. 428 Jakobs, Strafrecht AT, 18/411 429 Frister, Struktur des "volWltativen Schuldelements", S. 88 t1

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4. Teil: Die Bewertung der Tatschwere

cc) Das Dilemma, daß einerseits eine Schuldminderung auf Angaben zu ungewöhnlichen psychischen Rahmenbedingungen angewiesen sind, andererseits aber eine konkrete Aussage über das Ausmaß der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit in einer vergangenen Situation Schwierigkeiten bereitet, läßt sich jedoch auflösen. Der Verzicht auf eine strikt einzelfallorientierte Analyse bedeutet nicht den Verzicht auf eine zumindest grundsätzlich empirisch begründete, d.h. an psychologischen Erkenntnissen über Handlungszusammenhänge orientierte Argumentation. Die Alternative zu einer gutachterlichen Stellungnahme für jeden Einzelfall liegt in stärker generalisierenden Maßstäben430 . Es sind deshalb Situationen zu ermitteln, in denen typischerweise auf die Erhebung des Schuldvorwurfs in voller Höhe verzichtet werden kann, weil es plausibel erscheint, daß die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit beeinträchtigt war. Im folgenden sollen einige Fallgruppen .angesprochen werden, bei denen eine Einschränkung der Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit wahrscheinlich erscheint, ohne daß damit ein endgültiges Urteil über die Schlüssigkeit der psychologischen Zusammenhänge intendiert wird. c) Fallgruppen eingeschränkter Einsichts- bzw. Steuerungsfähigkeit

aa) Eine in einem anderen Kulturkreis erfolgte Sozialisation kann in bezug auf die abzuurteilende Straftat zu einer Einschränkung der Einsichts- oder Steuerungsfahigkeit geführt haben. Konfliktsituationen, die auf das sozialisationsbedingte Selbstkonzept des Täters zurückzuführen sind, werden als strafmilderndes Motiv anerkannt431 . Der BGH lehnt allerdings in ständiger Rechtsprechung die Anwendung von § 21 wegen einer nur eingeschränkten Einsichtsfähigkeit ab: Habe der Täter bei der konkreten Tat Unrechtsbewußtsein gehabt, komme ungeachtet seiner geistig-seelischen Verfassung eine Rahmenminderung nicht in Betracht432 . Daraus könnten Schlüsse für die Strafzumessung innerhalb des nicht gemilderten Rahmens gezogen werden, was der BGH aber offensichtlich nicht tut. Er erkennt nämlich bei der Strafzumessung nach § 46 sozialisationsbedingte Defizite als strafmildernd an, ohne diese auf Einschränkungen bei der Steuerungsfahigkeit zu begrenzen. In einer Entscheidung zur Schuldminderung wegen der Herkunft aus einem anderen Kulturkreis wurde ohne weitere Differenzierung eine Strafmilderung So auch Erhard, Strafzumessung bei Vorbestraften, S. 234 fT. BGH StV 1988, 341; StV 1997, 183. 432 BGHSt. 21,27,28; 34,22,25; 40,341,349; BGH NStZ 1988,24; NStZ 1989, 430; NStZ 1995,226. Zustimmend die h.L., vgl. Roxin, Strafrecht AT 1, § 20 Rn. 34; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, S. 443; Lackner, § 21 Rn. 1; Tröndle, § 21 Rn. 3. Kritisch AK-Schild, §§ 20, 21 Rn. 176; Frister, Struktur des "vo1untativen Schuldelements", S. 203 fT. 430 431

5. Kapitel: Schuldmindernde Strafzwnessungswnstände

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anerkannt, da es dem Täter aufgrund "eingewurzelter Vorstellungen" schwerer fallen könne, eine Norm des deutschen Rechts zu befolgen433 • Eine solchermaßen eingeschränkte Fähigkeit wird jedoch häufig nicht erst auf verminderte Steuerungsfähigkeit, sondern bereits auf eine nur eingeschränkte Einsichtsfahigkeit zurtickzuführen sein. Die restriktive Rechtsprechung zur Anwendung des § 21 bei eingeschränkter Einsichtsfähigkeit beruht deshalb wahrscheinlich auf der Reichweite einer Rahmenmilderung434 , während bei Schuldminderungen innerhalb des Strafrahmens großzügiger verfahren wird. Für die strafmindernde Berücksichtigung eingeschränkter Einsichtsfähigkeit sprechen auch gute Gründe. Trotz vorhandener Einsicht in die Rechtswidrigkeit eines bestimmten Verhaltens kann es an der Einsicht in das Ausmaß des Unrechts fehlen. Um dies an einem Beispiel zu verdeutlichen: Ein in Deutschland lebender Täter, der aus einem Blutrache praktizierenden Kulturkreis stammt, wird regelmäßig wissen, daß ein aus diesem Motiv begangenes Tötungsdelikt nach deutschem Recht eine rechtswidrige Tat ist. Seine Bewertung wird jedoch durch die kulturelle Prägung bestimmt sein, weshalb sich aus der Perspektive des Täters die Tat in Relation zu anderen Tötungsdelikten als weniger gravierend darstellt. Der BGH verlangt allerdings, daß die kulturellen Verhaltensmuster sich auch in der jeweiligen Rechtsordnung widerfinden. Wenn im Herkunftsland das Verhalten nur in der allgemeinen Einschätzung leichter wiege, bestehe kein Grund zu einer Strafrnilderung435 . Sofern sich in einem zu entscheidenden Fall tatsächlich ein Unterschied zwischen kulturell geprägten Verhaltensnormen und den Strafrechtsnormen im Herkunftsland festmachen läßt, ist diese Judikatur jedoch bedenklich. Die Einsichts- und Steuerungsfahigkeit wird durch kulturelle Standards geprägt und nicht durch formelle Rechtsnormen. Richtigerweise wäre eine sozialisationsbedingte Schuldminderung auch bei einer Verurteilung im Herkunftsland zumindest bei der Strafzumessung zu berücksichtigen. bb) Der bei Zivildienstverweigerungen weitgehend anerkannte Grundsatz, daß eine ernsthafte Gewissensentscheidung strafmildernd wirkt436 , ist auch auf

BGH NStZ 1996, 80. S. oben a. 435 BGH NStZ 1996, 80. 436 OLG Bremen NJW 1963, 1932, 1934; OLG Köln NJW 1965, 1448, 1449; NJW 1967,2169; BayObLG NJW 1980,2424,2425; OLG Hamm NJW 1980,2425; OLG Düsseldorf StV 1996, 377; LG Aachen StV 1986, 344; Bnms, Strafzwnessungsrecht, S. 217 f.; LK-Gribbohm, § 46 Rn. 92 f.; a.A. Bockelmann, FS für Welzel, S. 555. 433

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4. Teil: Die Bewertung der Tatschwere

andere gewissensbedingte Zwangslagen übertragbar437 • Um zu einer Schuldmilderung438 zu gelangen, wird man allerdings mehr voraussetzen müssen als die Überzeugung, ein bestimmtes Handeln sei aus politischen Gründen geboten439 • Eine intellektuell gesteuerte Entscheidung kann nicht genügen, solange für den Täter die strafrechtskonforme Handlung eine reale, für ihn ohne weiteres wählbare Alternative gewesen wäre. Es muß vielmehr eine als echter Druck empfundende Beeinflussung der Steuerungsfähigkeit bzw. eine überzeugungsbedingte Verengung der Einsichtsfähigkeit vorgelegen haben440 . Dies wird vor allem bei religiös bedingten Gewissensentscheidungen der Fall sein, in Einzelfällen aber auch bei politisch motivierten Taten, wenn der Täter in seinen GrundeinsteIlungen so fest geprägt ist, daß die strafrechtskonforme Entscheidung erheblich erschwert wurde (vgl. jedoch zu insoweit teilweise notwendigen normativen Einschränkungen der Schuldminderung unten d). cc) Eine wichtige Fallgruppe bei den schuldmildernden Strafzumessungsgründen aufgrund einer situativ bedingten Beeinträchtigung der Einsichtsbzw. Steuerungsfähigkeit bilden affektähnliche Emotionen des Täters. Soweit der emotionale Hintergrund sich zu einem echten Affekt, also einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung nach § 20 verdichtet hat, ergibt sich die Strafzumessungsrelevanz ohnehin in der Regel aus den §§ 20,21. Wenn im Vorfeld, bei der Tatbegehung oder unmittelbar danach psycho-pathologische Auffälligkeiten, beispielsweise Erinnerungsstörungen, Einengungen des Wahrnehmungsfeldes oder Suizidversuche441 feststeIlbar sind, hat sich der Tatrichter durch eine psychiatrische Begutachtung mit der Möglichkeit eines Affektes auseinanderzusetzen. An dieser Stelle kann es nur um Fälle gehen, bei denen einerseits die Schwelle einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung nicht erreicht ist, andererseits aber die affektiven Verwicklungen auch nicht mehr im Bereich normalpsychologischer Handlungsentwürfe angesiedelt sind442 . In der

437 Vgl. BVerfGE 23, 127, 133; SK-Hom, § 46 Rn. 114; Roxin, FS für Maihofer, S. 408 f. (starker Motivationsdruck); Rudolphi, FS für Welzel, S. 630 geht davon aus, daß neben einer Unrechtsminderung zumindest auch ein Motivationsdruck erzeugt wird. 438 Unter Umständen möglicherweise auch zu einem Schuldausschluß, vgl. NestlerTremei, StV 1985, 348 f. 439 Zu einer Unrechtsminderung wegen achtenswerter Motive vgl. oben Text bei Fn.280. 440 Schünemann, GA 1986, 307 f.; SK-Hom, § 46 Rn. 114, der allerdings nur eine Minderung der Steuerungsfahigkeit in Erwägung zieht. 441 Vgl. zu den Symptomen für das Vorliegen eines Affektes im Sinne der §§ 20, 21 VenzlajJlFoerster, Psychiatrische Begutachtung, S. 246 ff.; Nedopi/, Forensische Psychiatrie, S. 163 ff. 442 Vgl. zu normalpsychologischen HandlungsentWÜffen und Affekttaten Nedopil, Forensische Psychiatrie, S. 166.

5. Kapitel: Schuldmindemde Strafzumessungsumstände

313

Strafrechtswissenschaft wird die Relevanz von affektiv-reaktiven Handlungen vor allem für die Tötungsdelikte diskutiert443 • Eine von Ärger und Zorn getragene Reaktion auf eine vorausgegangene Handlung des Opfers wirkt nicht nur unrechtsmindernd, sondern zusätzlich auch schuldmindernd: Als Begründung für die in § 213 I. Alt. vorgesehene Strafrahmenmilderung wird dies überwiegend anerkannt444 • Die tatbestandlichen Voraussetzungen "Zorn" und "hierdurch auf der Stelle zur Tat hingerissen" begründen die Einordnung bei den schuldmindernden, weil affektähnlichen Tathintergründen. Eine Provokation als Tathintergrund ist auch bei anderen Delikten gegen die Person strafmildernd heranzuziehen445 , wobei zu berücksichtigen ist, daß es sich um einen doppelt fundierten und deshalb besonders gewichtigen Milderungsgrund handelt446 • Während die gesetzliche Regelung in § 213 es in relativ unproblematischer Weise ennöglicht, daran anknüpfend einen Schuldminderungsgrund auch für andere Delikte anzuerkennen, ist weniger eindeutig, welche anderen affektiven Tathintergründe schuldmindernd wirken. Da eine gutachterliche Stellungnahme nicht bei jeder Erwägung eines schuldmindernden Strafzumessungsfaktors möglich ist, muß sich eine Strafmilderung auf gröbere Maßstäbe stützen, die auch für Personen ohne psychiatrische Ausbildung erkennbar sind. Orientierungspunkte hierfür lassen sich aus den forensischen Erkenntnissen zur Genese von Affekttaten gewinnen. Wenn das Gesamtbild der Tat nicht dem einer echten Affekttat im Sinne einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung entspricht, aber wesentliche einzelne Elemente aus der Vielzahl von Anhaltspunkten für eine solche vorliegen, ist eine Schuldminderung in Erwägung zu ziehen447 • Im einzelnen sind folgende Konstellationen zu bedenken: Typischerweise liegt die Wurzel einer Affekttat 443 Vgl. Eser, Gutachten D zum 53. DIT, D 108 fI, D 123 fI; Beschlüsse des 53. DIT, M 165: Aufnalune eines Schuldminderungsgrunds der begreiflichen heftigen Gemütsbewegung; Beckmann, GA 1981, 346 fI 444 Vgl. BGHSt. 16, 360, 362; SK-Hom, § 213 Rn. 3; Schönke/Schröder/Eser, § 213 Rn. 1. Gegen eine psychologische Betrachtungsweise Jakobs, Das Schuldprinzip, S. 32 f.; Frister, Struktur des "voluntativen Schuldelements", S. 220. 445 Für die analoge Anwendung von § 213 1. Alt. bei der Körperverletzung mit Todesfolge BGHSt. 25, 222, 224; bei der schweren Körperverletzung Schönke/Schröder/Stree, § 224 Rn. 11, § 225 Rn. 6; LacknerlKühl, § 224 Rn. 6. 446 Neben die Minderung der Schuld tritt das unrechtsmindemde Mitverschulden des Opfers, vgl. oben 4. Kap., 2 b bb. Jakobs, der den Grund für § 213 allein in der Reizung durch das Tatopfer sieht (Das Schuldprinzip, S. 32 f.), verwischt damit die Systemstufen Unrecht und Schuld. Am Beispiel von § 213 läßt sich die Problematik einer solchen Vermischung unterschiedlicher Wertungskriterien gut verdeutlichen: Die erhebliche Strafralunenabsenkung ist nur mit einer doppelt fundierten Milderung zu erklären. 447 BGH NStZ 1993, 33, 34.

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4. Teil: Die Bewertung der Tatschwere

in einem über längere Zeit schwelenden Partnerkonflikt oder einem sonstigen zermürbenden Konflikt innerhalb einer engen Täter-Opfer-Beziehung448 . Wenn bei einer Straftat gegen den "Lebenspartner oder ein anderes länger bekanntes Opfer eine entsprechende Vorgeschichte festzustellen ist und den entscheidenden Anstoß für die Begehung der Tat gebildet hat, kann dies ein Indiz für eine eingeschränkte Fähigkeit zur Normbefolgung sein449 . Dies gilt unabhängig von (gegebenenfalls zusätzlich zu) einem möglichen Mitverschulden des Opfers am Zustandekommen der konkreten Tatsituation. Neben der Vorgeschichte können möglicherweise auch affektive Umstände bei der Tatbegehung schuldmindernd wirken. Bei Affektdelikten liegt eine starke emotionale Aufladung des Tatgeschehens vor, die typischerweise entweder in einem explosionsartigen Durchbruch destruktiven Handeins oder einem sogenannten protrahierten Affekt besteht, d.h. einem zeitlich gedehnten Anstieg des Aggressionspotentials 450 . Emotionale Tathintergründe, deren Intensität in einer Größenordnung anzusiedeln ist, die für den Tatrichter erkennbar jenseits üblicher psychischer Begleitumstände von Straftaten liegt, können daher als schuldmindernd eingestuft werden. dd) Eine weitere Gruppe von schuldmindernden Strafzumessungsfaktoren läßt sich mit dem Stichwort "erhebliche Prägung der Willensbildung durch Dritte" zusammenfassen. Teilweise wird gefordert, gruppendynamische Prozesse als Grund für eine Strafrahmenmilderung nach § 21 anzuerkennen451 . Ob die Einordnung als schwerwiegende Bewußtsseinstörung452 zutrifft, wenn man sich an der Definition "Zerstörung bzw. Erschütterung des seelischen Gefüges.. 453 orientiert, kann hier offenbleiben. Jedenfalls stützen die als typisch für gruppendynamische Prozesse beschriebenen Phänomene wie Konformitätsdruck, Verstärkung von Emotionen und gesteigerte Risikobereitschaft aufgrund der Anonymisierung innerhalb der Gruppe454 die Annahme einer Störung des seelischen Gefüges der einzelnen Gruppenmitglieder. Die gruppendynamisch begründeten Effekte können sowohl die Einsichts- wie die Steuerungsfahigkeit der Gruppenmitglieder tangieren und deshalb bei der Strafzumessung innerhalb des ungemilderten Rahmens zu berücksichtigen 448 VenzlajJ7Foerster, Psychiatrische Begutachtung, S. 249 f; Nedopil, Forensische Psychiatrie, S. 164 ff.; BGHNStZ 1993, 34. 449 Beckmann, GA 1986, 348. 450 VenzlajJ7Foerster, Psychiatrische Begutachtung, S. 250 f; Nedopil, Forensische Psychiatrie, S. 164 ff. 451 Schumacher, NJW 1980, 1880 ff.; ders., StV 1993, 549 ff.; ablehnend Roxin Strafrecht AT 1, § 20 Rn. 33; Schönke/Schröder/Lenckner, § 21 Rn. 9; zustimmend für Einzelfälle Schäfer, Praxis der Strafzumessung, Rn. 251. 452 Schumacher, NJW 1980, 1883; ders., StV 1993, 551. 453 Vgl. BT-Drs. 5/4095, S. 11; Frisch, ZStW 101 (1989), 549. 454 Schumacher, NJW 1980,1881 f; ders., StV 1993, 550.

5. Kapitel: Schu1dmindemde Strafzumessungsumstände

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sein455 . Dabei ist allerdings zu beachten, daß die gemeinschaftliche Tatbegehung auch über § 224 hinausgehend ein unrechtssteigernder Faktor sein kann, nämlich wenn damit ein gesteigertes Leiden oder eine über die unmittelbare Verletzungshandlung hinausgehende Gefahrdung des Opfers verbunden ist456 . ee) Fraglich ist, wann von einem schuldmindernden Umstand auszugehen ist, wenn ein Dritter auf die Willensbildung des Täters Einfluß genommen hat. In Entscheidungen zu Lockspitzel-Einsätzen hat der BGH eine Schuldminderung annommen, da der Täter erst von einem Dritten zur Tatbegehung überredet werden mußte457 . Die bloße Tatsache der Überredung ist jedoch nur aus der Perspektive eines Schuldverständnisses von Relevanz, das auf die Gesinnung oder die Gefährlichkeit des Täters abstellt - insoweit erlaubt es tatsächlich Schlüsse, wenn der Täter von sich aus nicht auf den Gedanken der Tatbegehung gekommen wäre. Es ist jedoch nicht möglich, von der Überredung auf Mängel bei der Einsichts- oder Steuerungsfahigkeit zu schließen. Man kann überredet werden, indem etwa durch ein Anpreisen der Vorzüge auf die Entscheidungsfindung Einfluß genommen wird, ohne daß die Willensbildung des Überredeten deshalb als defizitär bezeichnet werden müßte. Die von der BGHRechtsprechung bei Lockspitzeleinsätzen gewährte Strafmilderung läßt sich regelmäßig mit einer Minderung der Schuld nicht einmal teilweise erklären458 , sondern setzt außerhalb von Unrecht und Schuld anzusiedelnde Erwägungen voraus459 . Das Verhalten des Dritten muß extremere Formen als ein auf Überzeugungsbildung setzendes Anpreisen einer Handlung annehmen, damit es schuldmindernde Wirkung hat. Dabei ist an nötigende Formen der Einwirkung zu denken: Wenn der Täter erst durch Gewaltanwendung oder eine Drohung zu der Tat gebracht wurde, ist auch jenseits eines nach § 35 zu berücksichtigenden Nötigungsnotstandes von einer strafzumessungsrelevanten Einschränkung der Steuerungsfahigkeit auszugehen460 . Auch wenn der Dritte bei der Überredung bestehende Defizite bei der Einsichts- oder Steuerungsfahigkeit des Überredeten ausgenutzt hat, etwa indem er einen Drogenabhängigen überredet, begründet dies eine Schuldminderung.

455 So auch BGH StV 1993, 520; Walter, GS fi1r Hi1de Kaufmann, S. 498, 503; Streng, Strafrechtliche Sanktionen, S. 177; Schäfer, Praxis der Strafzumessung, Rn. 251. 456 Vgl. dazu oben 3. Kap., 2 b bb. 457 So BGH NStZ 1986, 162 - des weiteren wird in der Entscheidung auf schuldunabhängige Strafmi1derungsgrilnde hingewiesen. Ebenso BGH NStZ 1988, 550; Schäfer, Praxis der Strafzumessung, Rn. 251; LK-Gribbohm, § 46 Rn. 133; SK-Horn, § 46 Rn. 115, 147; Schönke/SchröderlStree, § 46 Rn. 16; Tröndle, § 46 Rn. 35 c. 458 Schünemann, StV 1985,426. 459 Vgl. dazu Puppe, NStZ 1986,404 ff. 460 Für Strafmilderung bei Drohungen auch Schönke/SchröderlStree, § 46 Rn. 16.

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4. Teil: Die Bewertung der Tatschwere

ff) Außerdem kann eine Versuchungssituation wegen einer Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit schuldmindernd wirken461 . Aber auch insoweit ist Zurückhaltung angebracht, wenn die eine Schuldminderung tragenden Erwägungen ernstgenommen werden. Unter Schuldgesichtspunkten überzeugt etwa die Überlegung nicht, zu berücksichtigen sei, daß fehlende Kontrollen die Tatbegehung erleichtert haben462 : Dies kann unter Umständen unrechtsmindernd sein463 , aber beeinflußt nicht notwendigerweise die Steuerungsfahigkeit. Die Steuerungsfahigkeit tangierende Umstände sind von bloßen Tatanreizen zu unterscheiden, die im Normalfall vorliegen und das Ausmaß der Schuld nicht beeinflussen. Jeder Abwägungs- und Entscheidungsprozeß setzt Gegebenheiten voraus, die für die Handlung sprechen. Eine die Tat fördernde und erleichternde Situation, etwa die Auslage von Waren in Selbstbedienungsläden, oder ein als Anhalter in den Wagen des Täters eingestiegenes Opfer, ist deshalb noch kein schuldmindernder Umstand, solange diese Situation nur schlicht auf die Kalkulation des Für und Wider Einfluß hatte. Es muß bei Versuchungssituationen vielmehr ein echter psychischer Druck kreiert worden sein, der in seiner Stärke den Entscheidungsprozeß dadurch geprägt hat, daß er die Erwägungen des Täters erheblich verzerrt hat.

d) Normativer Filter

aa) Im vorangegangenen Abschnitt wurden Fallgruppen möglicher Einschränkungen der Einsichts- oder Steuerungsfahigkeit aufgelistet, wobei bislang unerörtert blieb, ob damit die einzige Voraussetzung für eine Strafmilderung genannt ist oder ob es normativer Einschränkungen bedarf: Es könnte Konstellationen einer zwar faktisch vorhandenen eingeschränkten Einsichtsoder Steuerungsfahigkeit geben, bei denen eine Strafmilderung trotzdem nicht angebracht ist. Eine solche normative Einschränkung wird vor allem für zwei Fallgruppen diskutiert: Zum einen könnte eine Schuldminderung wegen eines Vorverschuldens des Täters bei der Entstehung des Zustands eingeschränkter Einsichts- oder Steuerungsfahigkeit ausgeschlossen sein. In der Rechtsprechung und Literatur zu § 21 finden sich entsprechende Einschränkungen: So wird etwa eine Schuldminderung wegen eines Affektes davon abhängig gemacht, ob der Täter die Entstehung des Affektes verschuldet hat. Auch bei alkohol-

Walter, GS für Hilde Kaufmann, S. 503. So aber BGH StV 1983, 326; Schäfer, Praxis der Strafzumessung, Rn. 251; Schönke/SchröderlStree, § 46 Rn. 16. 463 Wenn eine entsprechende Obliegenheit des Opfers bzw. einer die Allgemeinheit repräsentierenden Person angenommen werden kann, vgl. dazu oben 4. Kap., 2 b cc. 461

462

5. Kapitel: Schuldmindernde Strafzumessungsumstände

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bedingten Bewußtseinsstörungen wird die Verschuldensfrage für maßgeblich erachtet464 • Entsprechend könnte auch auch bei affektähnlichen Emotionen oder gruppendynamischen Prozessen eine Schuldminderung an einem Täterverschulden bei der Entstehung der Emotionen bzw. Gruppenphänomene scheitern. Zum anderen könnte die Qualität des Tätermotivs hinterfragt werden. So wird in der Diskussion um tatbestandliche Privilegierungen bei Tötungsdelikten wegen eines außergewöhnlichen Gemütszustands des Täters als einschränkendes Kriterium gefordert, daß es sich um einen menschlich begreiflichen Gemütszustand gehandelt haben müsse465 . Auch bei Gewissenstätern könnte nicht jede aufgrund fester Überzeugungen verengte Einsichtsfahigkeit strafzumessungsrelevant sein, sondern nur anerkennenswerte Überzeugungen466 • bb) Ein normativer Filter bei der Berücksichtigung verminderter Einsichtsoder Steuerungsfahigkeit kann mit einem generalpräventiv geprägten Schuldverständnis erklärt werden467 • Auf der Basis eines funktionalen Schuldbegriffs 468 ist eine Normativierung der Kriterien für geminderte Schuld konsequent: Wenn die Schuldfeststellung auf einen Akt der Zuschreibung anhand gesellschaftlicher Interessen reduziert wird, müssen sich auch mögliche Schuldminderungsgründe am Gesichtspunkt der gesellschaftlichen Akzeptanz messen lassen469 . Dieser Ansatz stößt allerdings auf das bei der Erörterung der positiven Generalprävention als Strafzumessungstheorie bereits angesprochene Problem47o , daß sich aus makro-soziologisch begründeten Zusammenhängen schwerlich konkrete Anwendungsregeln für das materielle Strafrecht ableiten lassen471 • Ob die Stabilisierung der Rechtsordnung tatsächlich voraussetzt, daß

464 BGHSt. 35, 143, 145; BGH NStZ 1986, 114, 115; StV 1991, 254, 255; NJW 1993,2545; zustimmend Foth, FS für SaIger, S. 37 f.; AK-Schild, §§ 20,21 Rn. 186; LK-Jähnke, § 21 Rn. 10; Tröndle, § 21 Rn. 6; Roxin, Strafrecht AT 1, § 20 Rn. 40,44 (mit einer Ausnahme ftlr absolute Strafdrohungen, Rn. 43, 44); weitergehend Jakobs, Strafrecht AT, 18/34 Fn. 94: nicht einmal Vorhersehbarkeit, sondern nur Zuständigkeit erforderlich. Kritisch Schönke/Schröder/Lenckner, § 21 Rn. 9; Frisch, ZStW 101 (1989),555 fI.; Frister, Struktur des "vo1untativen Schuldelements", S. 194 fI. 465 Eser, Gutachten D zum 53. DIT, D 138 f, D 123 tT.; Beschlüsse des 53. DIT, M 165, Beckmann, GA 1981, 347 f.; LK-Gribbohm, § 46 Rn. 76. 466 Bei politischen Beweggründen wird vertreten, daß diese auf ihre Billigenswertigkeit zu untersuchen seien, vgl. Schönke/Schröder/Stree, § 46 Rn. 13. 467 So Hart-Hönig, Gerechte und zweckmäßige Strafzumessung, S. 28 ff., zu den Einschränkungen der Anwendbarkeit von § 21. 468 Nwe. oben 3. Teil, 4. Kap., 1 d cc. 469 Jakobs, Strafrecht AT, 18/34; ders., Das Schuldprinzip, S. 32; Hart-Hönig, Gerechte und zweckmäßige Strafzumessung, S. 133 tT. 470 2. Teil, 1. Kap., 4 b. 471 So auch Kuhlen, in: SchÜllemann/von Hirsch/Jareborg (Hrsg.), Positive Generalprävention, S. 61.

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4. Teil: Die Bewertung der Tatschwere

verschuldete affektähnliche Emotionen außer Betracht bleiben müssen oder ob mit dieser Annahme die Toleranzbereitschaft gegenüber Tätern mit Defiziten bei der Einsichts- oder Steuerungsfahigkeit unterschätzt wird, läßt sich nicht zweifelsfrei entscheiden472. cc) Für das traditionelle Schuldverständnis ist es aus konzeptuellen Gründen schwieriger zu rechtfertigen, den Täter trotz einer zum Tatzeitpunkt bestehenden Einschränkung der Einsichts- und Steuerungsfahigkeit in vollem Umfang zu bestrafen. Bei der Prüfung des Ausmaßes der Schuld die Täterperspektive zu verlassen und statt dessen einen normativen Filter anzulegen, ist mit einem ontologischen Schuldkonzept schwerlich vereinbar473 . In der Lehre wurde zwar vielfach versucht, die Berücksichtigung des Vorverschuldens bei der Anwendung von § 21 mit dem traditionellen Konzept kompatibel zu machen; keine der vorgeschlagenen Konstruktionen kann jedoch wirklich überzeugen. Eine Versagung der Rahmenmilderung wegen zusätzlicher schulderhöhender Faktoren474 konfligiert mit dem Koinzidenzprinzip, d.h. dem in den §§ 20, 21 formulierten Prinzip des Verschuldens bei Begehung der Tat. Außerdem wird die Klausel in § 213 ("ohne eigene Schuld") zur Rechtfertigung der Vorverschuldens-Prüfung angeführt. Daraus ergibt sich jedoch ebenfalls kein Argument für die Relevanz des Vorverschuldens bei der Strafzumessung, da eine Interpretation überzeugender ist, die wegen des auf der Unrechtsebene zu berücksichtigenden Opfermitverschuldens eine eindeutige Zuordnung der Tatgenese zum späteren Opfer voraussetzt475 . Auch die Konstruktion der actio libera in causa erlaubt nur unter bestimmten, eng umgrenzten Umständen eine Berücksichtigung des Vorverschuldens, nämlich nur dann, wenn sich dieses Vorverschulden auch auf die Affekttat (und nicht nur auf den Affekt) bezieht: Bei einer Bestrafung wegen einer vorsätzlichen Tat setzt dies voraus, daß der Täter die spätere Tatbegehung vorhergesehen hat476 . dd) Neumann begründet die Zulässigkeit einer Bewertung mit alltagsmoralischen Zurechnungsregeln: Auf dieser Basis sei in bestimmten Fällen die Anerkennung von Schuldminderungsgründen im Rahmen eines Verantwortungsdialogs abzulehnen477 . Mit diesem Gedankengang ist nicht notwendigerweise die Bekräftigung eines funktionalen Schuldverständnisses verbunden; es Neumann, Zurechnung und "Vorverschulden", S. 288. So Schünemann, GA 1986, 308. 474 Roxin, Strafrecht AT 1, § 20 Rn. 40; Tröndle, § 21 Rn. 6. 475 Lange, FS für Bockelmann, S. 275, und LK-Jähnke, § 21 Rn. 10, verweisen auf § 213; gegen diese Argumentation Neumann, Zurechnung und "Vorverschulden", S. 251 ff.; Frisch, ZStW 101 (1989),559 f. 476 Neumann, Zurechnung und "Vorverschulden", S. 247; Frisch, ZStW 101 (1989), 564 ff.; Han-Hönig, Gerechte und zweckmäßige Strafzumessung, S. 29. Die Rechtsprechung verlangt allerdings nur Vorhersehbarkeit, vgl. BGHSt. 35, 143, 145 f. 477 In: Zurechnung und "Vorverschulden", S. 269 ff. 472

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5. Kapitel: Schuldmindernde Strafzumessungsumstände

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ist nicht ausgeschlossen, diese Begründung unabhängig von einer generalpräventiv beglÜndeten Straftheorie heranzuziehen. Nach dem generalpräventiven Ansatz ist die Rolle der alltagsmoralischen Wertungen eine mittelbare: Sie sind zu beachten, weil ansonsten den Geltungsanspruch der Rechtsordnung gefährdende Irritationen auftreten würden478 . Sozialethische Zurechnungsmaßstäbe könnten jedoch auch unmittelbar - unabhängig von möglichen Effekten ihrer Nicht-Beachtung - Maßstäbe für Strafzumessungsregeln sein. Auch dieser Ansatz ist nicht unproblematisch. Zum einen können kriminalpolitische Bedenken geltend gemacht werden. Vor allem bei der Bewertung von Beweggründen besteht die Gefahr unsubstantiierten Moralisierens oder der Filterung nach dem politisch-ideologischen Standpunkt des Tatrichters. Die Praxis scheint gerade bei Überzeugungstätern, bei denen eine Einschränkung der Einsichtsfähigkeit in das Tatunrecht eine Strafmilderung nahelegen müßte, vielfach eine besonders punitive Linie zu vertreten479 . Wenn man sich auf eine normative Bewertung der SchuldminderungsglÜnde unter dem Stichwort "alltagsmoralische Einschränkungen" einläßt, könnte derartigen Phänomenen Vorschub geleistet werden. Zum anderen muß eine Einschränkung des Schuldgrundsatzes durch alltagsmoralische Zurechnungsregeln im Rahmen eines Verantwortungsdialogs auf den Einwand stoßen, daß das Schuldprinzip verfassungsrechtlich verankert ist. Grundsätzlich ist aus diesen Gründen einer Verminderung der Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit bei der Strafzumessung Rechnung zu tragen, ohne daß die Achtenswertigkeit der Motivation oder ein Vorverschulden zu prufen sind480 . Es gibt jedoch extreme Fallkonstellationen, die auch unter BelÜcksichtigung des verfassungsrechtlichen Hintergrundes eine normative Einschränkung des Schuldgrundsatzes vertretbar erscheinen lassen. Die verfassungsrechtliche Verankerung des Schuldgrundsatzes ist nicht mit einer absoluten Geltung gleichzusetzen; vielmehr können andere fundamentale Verfassungsprinzipien zur Einschränkung herangezogen werden. Vor allem aus den unabänderbaren Normen der Verfassung, Art. 79 Abs. 3 GG, läßt sich eine objektive Wertordnung ableiten, die auch für strafrechtliche Wertungen Verbindlichkeit haben muß. Aus diesem Grund können politische oder weltanschauliche Einstellungen des Täters, die mit dem Achtungsanspruch der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) unvereinbar sind, für die Strafzumessung belanglos sein, auch wenn die Einsichtsfahigkeit des Täters aufgrund solcher verfestigter Einstellungen eingeschränkt war. Bei einem aus tief verwurzeltem, seine Einsichtsfahigkeit beeinflussenden Rassenhaß handelnden Gewalttäter wäre deshalb der

478 479 480

Neumann, Zurechnung und "Vorverschulden", S. 272 fT. Kritisch hierzu Schünemann, GA 1986, 305 fT. SK-Hom, § 46 Rn. 114.

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4. Teil: Die Bewertung der Tatschwere

Verengung der Einsichtsfahigkeit nicht in Fonn einer Strafmilderung Rechnung zu tragen.

3. Eingeschränkte Zumutbarkeit normgemäßen Verhaltens

a) Handeln in einer Gefahrensituation aa) Oben wurde darauf verwiesen, daß entgegen der herrschenden Meinung das Vorliegen einer gegenwärtigen Gefahr jenseits eines in § 34 definierten rechtfertigenden Notstandes keine Unrechtsminderung begründet: Nur beim Einsetzen des Solidaritätsprinzips dürfen die Interessen eines Unbeteiligten übergangen werden; bis zu diesem Punkt handelt der Täter aus der Opferperspektive in vollem Umfang rechtswidrig. Der hinter dem entschuldigenden Notstand stehende Gedanke kann jedoch auch für Strafzumessungsentscheidungen herangezogen werden. Bei der Erklärung des § 35 mit der Unzumutbarkei! normgemäßen Handeins gibt es zwei unterschiedliche Perspektiven. Teilweise wird auf eine psychologische Begründung verwiesen: Wegen der extremen Ausnahmesituation sei die Steuerungsfähigkeit eingeschränkt481 . Diese Annahme muß jedoch nicht auf alle Fälle zutreffen: Vor allem eine nicht unter akutem Zeitdruck stehende Entscheidung, etwa in den viel diskutierten Rettungsboot-Fällen482 , kann auf einer nicht defizitären Willensbildung beruhen. Unkomplizierter ist eine nonnative Begründung der Straffreiheit, die die Frage der Steuerungsfahigkeit offenläßt: Ein Verzicht auf strafrechtlichen Tadel ist jedenfalls deshalb begründet, weil ein von elementaren Selbsterhaltungsinteressen getragenes Handeln menschlich verständlich ist: Wenn die Handlungsaltemative die Selbstaufopferung oder die Opferung nahestehender Personen wäre, kann die Bevorzugung eigener Interessen nicht getadelt werden483 . bb) Diese Erwägungen lassen sich grundSätzlich auf die Strafzumessung übertragen. Für die unmittelbare Anwendung von § 35 bleibt nur ein kleiner relevanter Bereich, da beim Vorliegen der konstitutiven Merkmale in § 35 Abs. 1 S. 1 in der Regel die Strafbarkeit entfallt. Eine Strafmilderung kommt

481 SK-Rudolphi, § 35 Rn. 2; LK-Hirsch, vor § 32 Rn. 195, § 35 Rn. 3; Schönke/ Schröder/Lenckner, vor § 32 Rn. 111; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, S. 478. Kritisch dazu Frister, Struktur des"voluntati yen Schuldelements" , S. 210 fI. 482 Bei denen dem Täter nach einem Schiffsunglück allmähliches Verhungern droht und er deshalb nach längerem Überlegen einen anderen Unglücklichen tötet, vgl. dazu von Hirsch, Criminal Justice Ethics 1985, 88 ff. m.w.Nwen. 483 Von Hirsch, Criminal Justice Ethics 1985, 91 ff.; ebenfalls auf die Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens abstellend Jakobs, Strafrecht AT, 20/4; ders., Das Schuldprinzip, S. 31; Frister, Struktur des "voluntativen Schuldelements", S. 210 ff.

5. Kapitel: Schuldmindernde Strafzumessungsumstände

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aber für die Konstellation im letzten Halbsatz des § 35 Abs. 1 S. 2 in Betracht (keine Milderung nach § 49 Abs. 1, wenn der Täter mit Rücksicht auf ein besonderes Rechtsverhältnis die Gefahr hinzunehmen hatte): Die Versagung der Strafrahmenmilderung schließt die allgemeine Strafzumessungsmilderung nicht aus 484 . Andere Gefahren als die in § 35 aufgeführten können eine Strafmilderung wegen der eingeschränkten Zumutbarkeit normgemäßen Verhaltens rechtfertigen485 . Allerdings gilt dies nicht für jede Gefahrensituation: Erforderlich ist vielmehr ein verständliches Selbsterhaltungsinteresse, was ein bestimmtes Gewicht der Gefahr voraussetzt. Eine Straftat zur Rettung eines problemlos ersetzbaren oder reparierbaren Konsumguts sollte beispielsweise nicht strafmildernd bewertet werden. Um dies mit einem Beispiel zu illustrieren: Wen einem Kraftfahrzeug durch ein rollendes Fahrzeug Schäden drohen, der Eigentümer deshalb auf den Gehsteig fahrt und einen Fußgänger verletzt, kann er sich nicht auf eingeschränkte Zumutbarkeit berufen, da der ihm drohende materielle Schaden keine ernsthaft bedrohliche Situation war. Anders verhält es sich, wenn der Täter den Verlust eines für seinen Lebensunterhalt wichtigen Gegenstands zu befürchten hat, etwa ein Musiker den Verlust seines nicht ohne weiteres ersetzbaren Instruments, und zur Gefahrabwendung die Körperverletzung eines Unbeteiligten in Kauf nimmt. ce) Zu diskutieren bleibt noch, inwieweit ein Verschulden des Täters bei der Entstehung der Gefahrensituation die Schuldminderung ausschließt. Anders als bei der eingeschränkten Einsichts- und Steuerungsfähigkeit bestehen keine prinzipiellen Bedenken dagegen, ein Vorverschulden in die Bewertung einzubeziehen. Bei einer normativ-wertenden Begründung umfaßt das für die eingeschränkte Zumutbarkeit relevante Kriterium, daß das Verhalten des Täters "menschlich verständlich und deshalb nicht tadelnswert" war, auch das Verständnis einschränkende Faktoren. Es geht nicht um eine Schmälerung des Schuldgrundsatzes, sondern um die Anerkennung einer strafmildernden Ausnahmesituation. Der Spielraum bei der Definition von Ausnahmesituationen außerhalb des Bereichs eingeschränkter Einsichts- oder Steuerungsfahigkeit ist größer. Hat der Täter die Gefahrensituation selbst verschuldet, ist damit jedoch nicht zwangsläufig die Konsequenz verbunden, eine Strafmilderung abzulehnen. Auch die Rechtsfolgenregelung für den entschuldigenden Notstand sieht trotz des Vorverschuldens noch eine fakultative Strafrahmenmilderung vor (§ 35 Abs. 1 S. 2). Hinzu kommt, daß bei § 35 Abs. 1 S. 2 alle Gefahren für 484 BT-Drs. 5/4095, S. 16; SK-Rudolphi, § 35 Rn. 18 a; Schönke/Schröder/Lenckner, § 35 Rn. 36. 485 Schönke/Schröder/Stree, § 46 Rn. 13; Büch-Schmitz, Opfervertrauen und Strafzumessung, S. 178 f.

21 Hörnle

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4. Teil: Die Bewertung der Tatschwere

Gesundheit oder Freiheit ohne weitere Einschränkungen hinsichtlich des Gefahrengrades Straffreiheit begründen können, während hier in bezug auf andere Gefahren ein Erheblichkeitskriterium eingeführt wurde. Wenn aber von vornherein nur erhebliche Gefahren das Urteil der eingeschränkten Zumutbarkeit normgemäßen HandeIns tragen, schwindet die relative Bedeutung des Verschuldenskriterium für die Tadelnswertigkeit des TäterhandeIns. Es ist deshalb abhängig von den konkreten Umständen des Einzelfalls durchaus vertretbar, auch bei verschuldeten, aber erheblichen Gefahren an einer Strafmilderung festzuhalten. b) Handeln aus wirtschaftlicher Not

aa) Häufiger als das Handeln wegen einer gegenwärtigen Gefahr sind Tathintergründe, bei denen eine akute Verschlechterung eines bestimmten Rechtsguts zwar nicht bevorsteht, der Täter sich aber aufgrund vorangegangener Geschehnisse in einer wirtschaftlichen Bedrängnis befindet. In der Lehre wird eine Notsituation als Strafmilderungsgrund überwiegend anerkannt486 : Es müsse einen Unterschied machen, wenn der Täter zur Stillung seines Hungers ein Stück Brot stehle487 , oder praxisnäher, ein Vermögensdelikt als letzten Rettungsversuch für sein vom Untergang bedrohtes Unternehmen begehe488 • Auch die höchstrichterliche Rechtsprechung hält daran fest, daß eine wirtschaftliche Notlage bei Eigentums-, Steuer- und Vermögensdelikten ein maßgeblicher Strafzumessungsgrund sei, weshalb in diesen Fällen Feststellungen zur wirtschaftlichen Lage des Täters unerläßlich seien489 . bb) Bei der Bewertung wirtschaftlicher Notlagen ist wie bei Gefahrensituationen nicht immer begründbar, daß hierdurch die Steuerungsfahigkeit beeinträchtigt war. Im oben erwähnten Beispielsfall des hungernden Täters liegt zwar wegen des physischen Bedürfnisses eine Einschränkung der Steuerungsfahigkeit nahe. Ansonsten, insbesondere bei Vermögensdelikten, kann die Entscheidung für die Straftat jedoch auch auf einer nicht defizitären Willensbildung beruhen. Die Erwägungen zum Handeln in einer Gefahrensituation sind jedoch auf Konstellationen wirtschaftlicher Not übertragbar: Es macht keinen relevanten Unterschied, ob der Täter zur Abwehr einer akuten Gefahr oder zur Behebung eines länger andauernden Zustandes gehandelt hat, wenn 486 Streng, Strafrechtliche Sanktionen, S. 178; LK-Gribbohm, § 46 Rn. 182; Schönke/Schröder/Stree, § 46 Rn. 13; Trändie, § 46 Rn. 18. Zurückhaltend SK-Horn, der nur bei fehlender Steuerungsfähigkeit eine Strafmilderung anerkennen will. 487 Baumann/Weber, StrafrechtAT9 , S. 627. 488 Schäfer, Praxis der Strafzumessung, Rn. 247. 489 BGHSt. 35, 345, 351 f.; BGH StV 1988, 248; StV 1992, 570; StV 1995, 584; BGH bei Detter, NStZ 1996, 184; OLG DüsseldorfStV 1995, 525.

5. Kapitel: Schuldmindernde StrafZumessilllgswnstände

323

es sich um eine erheblich belastende Notsituation gehandelt hat. Ein verständliches Selbsterhaltungsinteresse ist in beiden Fällen zu bejahen. Im Beispielsfall des zur Rettung seines bedrohten Betriebes handelnden Täters liegt wegen der existenzbedrohenden Situation eine erheblich belastende Notlage vor; ebenso, wenn der Lebensunterhalt für den Täter oder auf seine Versorgung angewiesene Personen ungesichert ist490 . Auch wenn der notwendigste Unterhalt auf Sozialhilfe-Niveau gerade noch gesichert ist, kann die Lebenssituation menschlich bedrückend sein und als Grund für die eingeschränkte Zumutbarkeit normgemäßen Verhaltens bewertet werden491 . Nicht jede Verschlechterung der Vermögenssituation begründet jedoch eine erhebliche Notlage, auch wenn für den individuellen Lebenszuschnitt damit Einbußen verbunden sind. Ein notwendig gewordener Verzicht auf Urlaubsreisen oder auf eine großzügige Wohnung begründet beispielsweise noch keinen Zustand, der als Notsituation bezeichnet werden könnte. cc) Die Frage nach dem Vorverschulden wird auch bei wirtschaftlichen Notsituationen gestellt: Eine selbstverschuldete Notlage sei nicht strafmildernd zu berücksichtigen492 . Insoweit gilt jedoch ähnliches wie bei verschuldeten Gefahrenlagen: Bei einer Beschränkung der Schuldminderung auf erheblich belastende Notsituationen verliert das Verschuldenskriterium an Gewicht bei der Bewertung der Verständlichkeit der Handlung. Es ist deshalb eher von Bedeutung, ob in der konkreten Situation vor Tatbegehung noch eine andere, normgemäße Handlungsalternative zur Behebung der Notsituation bestand493 .

So auch OLG DüsseldorfStV 1995, 525, 526. BGH StV 1988,248,249. 492 LK-Gribbohm, § 46 Rn. 182; vgl. auch BGHR § 46 Abs. 2 Lebenswnstände 7, 14: Grillldsätzlich, wenn auch nicht für die zu entscheidenden Fallkonstellationen, scheint dies der BGH zu billigen. 493 Schönke/SchröderlStree, § 46 Rn. 13. 490 491

21·

5. Teil: Die Umsetzung der tatproportionalen Strafzumessungstheorie de lege lata 1. Kapitel: Der Begriff der Strafzumessungsschuld (§ 46 Abs. 1 S. 1) 1. Notwendigkeit der Neuinterpretation von Strafzumessungsschuld

a) Für eine Arbeit, die sich auf die Entwicklung eines nur de lege ferenda überzeugenden Strafzumessungsmodells beschränkt, würde sich die Frage nicht stellen, ob die in § 46 Abs. 1 S. 1 an den Anfang gestellte Strafzumessungsschuld einen Fremdkörper darstellt. Sobald jedoch der Anschluß an die gesetzlichen Rahmenbedingungen gesucht wird, ist § 46 Abs. 1 S. 1 ("Die Schuld des Täters ist die Grundlage für die Strafzumessung") unumgänglicher Fixpunkt des Strafzumessungsvorgangs. Die Formulierung in § 46 Abs. 1 S. 1 war allerdings keine glückliche Wahl, da es nicht einfach ist, sich von den mit dem diffusen und mehrdeutigen Schuldbegriff verbundenen Assoziationen zu lösen1. Dem Anliegen einer tatproportionalen Strafzumessungslehre wäre de lege ferenda Rechnung zu tragen, indem § 46 Abs. 1 S. 1 etwa folgende Formulierung erhielte: "Das Strafmaß richtet sich nach dem Ausmaß des vom Täter schuldhaft herbeigeführten Tatunrechts". b) Einen Vorteil hat die Verwendung des Begriffs der Strafzumessungsschuld jedoch: Damit wird einem ausschließlich an unmittelbar-präventiven Effekten orientierten Strafzumessungsrecht eine eindeutige Absage erteilt und die Notwendigkeit einer retrospektiv gewendeten Bewertung deutlich2 . Zur Zeit der gesetzlichen Regelung des Strafzumessungsrechts war die schlichte Dichotomie von Schuldstrafe und Präventionsstrafe so fest verankert, daß die Opposition zu letzterer zwangsläufig zu einer Festlegung auf die Strafzumessungsschuld als leitende Prämisse führen mußte. Dem Verweis auf die Strafzumessungsschuld kommt die Funktion zu, den Bestraften davor zu schützen, etwa aus Gründen der Abschreckungsgeneralprävention eine höhere Strafe hinnehmen zu müssen. Mit dem gelegentlich als Alternative genannten VerI Achenbach, Schuldlehre, S. 218 f., 220; ders., in: Schünemann (Hrsg.), Grundfragen, S. 137. 2 Schöneborn, GA 1975,273 tT. Auch Jakobs, Strafrecht AT, 17/29, sieht die Funktion des Schuldgrundsatzes in § 46 Abs. I S. 1 im Ausschluß von abschreckungsgeneral- oder spezialpräventiven Zielen. Ebenso Erhard, Strafzumessung bei Vorbestraften, S. 96, 98 tT. und passim.

I. Kapitel: Der Begriff der StrafZwnessungsschuld (§ 46 Abs. 1 S. I)

325

hältnismäßigkeitsgrundsatz3 ist keine wirkliche Limitierung der staatlichen Strafgewalt möglich, da eine Zweck-Mittel-Abwägung zumindest in Ausnahmefalien das Interesse des Täters an einer fairen Bestrafung hinter überragenden Interessen der Allgemeinheit zurücktreten lassen muß 4 . c) Eine Möglichkeit, den Begriff der Strafzumessungsschuld in ein tatproportionales Strafzumessungskonzept zu integrieren, besteht in einer minimalistischen Interpretation, die sich im neueren Schriftum findet: Nach dieser Auffassung reduziert sich die Bedeutung des § 46 Abs. 1 S. I auf die Festschreibung, daß nur die dem Täter zur Schuld zurechenbaren Umstände die tatsächliche Basis der Strafzumessung bilden dürfen. Die Begründung dafür, daß die zu bewertenden Umstände solche sind, die die Intensität des Rechtsgutsangriffs kennzeichnen, wird nicht mehr dem § 46 Abs. I S. I entnommen5 . Die wesentliche Frage ist jedoch, welche der zahllosen Einzelumstände eines konkreten Falles für das Strafmaß relevant werden. Nach dem minimalistischen Ansatz wäre die Antwort hierauf unter Umgehung des § 46 Abs. I S. I zu finden, da die Norm nur für die nachgeordnete Frage relevant würde, ob den Täter bezüglich der ausgewählten Strafzumessungsfaktoren ein Verschulden trifft. De lege lata bleiben gewisse Bedenken gegen diese der Sache nach an sich überzeugende Interpretation, da damit der Anwendungsbereich von § 46 Abs. 1 S. 1 stärker eingeschränkt wird, als dies der zentralen Stellung der Grundlagenformel entspricht. Wenn es möglich wäre, einen Ableitungszusammenhang herzustellen, der es erlaubt, das Unrecht der Tat in den Begriff der Strafzumessungsschuld hineinzulesen, wäre dies wegen der besseren Vereinbarkeit mit der Basisnorm des Strafzumessungsrechts eine vorzugswürdige Lösung. Die zu untersuchende Fragestellung lautet daher: Ist die hier propagierte Orientierung am Straftatsystem, also die Bemessung der Strafe anhand des verschuldeten Tatunrechts, mit § 46 Abs. 1 S. 1 vereinbar? d) Bevor im folgenden Abschnitt die Bedeutung des Wortlauts von § 46 Abs. 1 S. 1 untersucht wird, ist kurz noch auf einen anderen möglichen Einwand einzugehen, der ebenfalls gegen die Integration der Strafzumessungsschuld in ein tatproportionales Modell erhoben werden könnte. Der stringenteste Zusammenhang zwischen Schuld und Strafmaß besteht, wenn § 46 Abs. 1 S. 1 als Ausfluß des Schuldvergeltungsprinzips eingestuft wird. Ausgehend von dieser Interpretation wäre ein tatproportionales Strafzumessungsrecht in 3 Baurmann, Zweckrationalität und Strafrecht, S. 256 f.; Jung, Sanktionensysteme und Menschenrechte, S. 208. 4 Vgl. oben 3. Teil, 3. Kap., 1 a. 5 Schünemann, in: ders. (Hrsg.), Grundfragen, S. 189; ders., in: Eser/Comils (Hrsg.), Neuere Tendenzen, S. 225; H.-J. Albrecht, Strafzwnessung bei schwerer Kriminalität, S. 53.

326 5. Teil: Umsetzung der tatproportionalen Strafzumessungstheorie de lega lata

der hier vorgestellten Form de lege lata prinzipiell unmöglich, weil die Weiterverwendung des Begriffs der Strafzumessungsschuld Implikationen in sich tragen würde, die mit den straftheoretischen Hintergründen dieser Arbeit6 unvereinbar sind. In diese Richtung geht die Argumentation, von einer schuldangemessenen Strafe könne ausschließlich im Zusammenhang mit absoluten Straftheorien gesprochen werden7 . Die Verbindung von schuldangemessener Strafe und einem an der Vergeltungsidee orientierten Strafrecht ist jedoch in der gesetzlichen Formulierung nicht zwingend vorgegeben. In der Ideengeschichte des Strafrechts ist zwar die Verbindung vergeltungsorientierter Straftheorien mit dem Begriff der Strafzumessungsschuld eine geläufige Einheit. Dem Wortlaut des § 46 Abs. 1 S. 1 ist jedoch nur zu entnehmen, daß Schuld ein Maßprinzip sein solle, nicht aber die weiterreichende Aussage, das Vorliegen von Schuld erfordere Vergeltung in Form von Strafe. Die immer wieder zu findende Argumentation, "wie" und "ob" der Strafe müßten auf denselben Regeln basieren8 , wurde bereits oben analysiert und als nicht zutreffend beurteilt: Es ist unbedingt erforderlich, zwischen der Rechtfertigung der Existenz einer gesellschaftlichen bzw. rechtlichen Institution und den institutionsinternen Anwendungs- oder Verteilungsregeln zu unterscheiden9 . Aus einer auf Strafzumessungsschuld abstellenden Verteilungsregel können deshalb keine Rückschlüsse auf die dahinterstehende Straftheorie gezogen werden.

2. Vereinbarkeit mit dem Wortlaut von § 46 Abs. 1 S. 1 a) Aus dem Wortlaut von § 46 Abs. 1 S. I lassen sich zwei mögliche Argumente gegen die hier vorgeschlagene Orientierung arn verschuldeten Tatunrecht gewinnen: Zum einen könnte der Unterschied der Kategorien Unrecht und Schuld betont werden: Die Bezugnahme auf Schuld im Gesetzeswortlaut wäre danach mit einer herausgehobenen Bedeutung des Tatunrechts nicht vereinbar. Zum anderen kann das Wort "Grundlage" herangezogen werden, um die Ausgrenzung präventiver Strafzumessungsfaktoren zu kritisieren; dazu sogleich unter b). Auf den ersten Blick scheint eine Interpretation, die dem Tatunrecht die dominierende Rolle zuweist, mit dem Wortlaut von § 46 Abs. 1 S. 1 tatsächlich schwer vereinbar zu sein: Zu geläufig ist die in der Verbre-

6

7

8 9

Vgl. oben 3. Teil, 1. Kap. Nwe. oben 1. Teil, 3. Kap., Fn. 64. Vgl. oben 3. Teil, 2. Kap., 1. Vgl. oben 3. Teil, 2. Kap., 2 a.

1. Kapitel: Der Begriff der Strafzwnessungsschu1d (§ 46 Abs. 1 S. 1)

327

chenssystematik übliche Differenzierung zwischen Tatunrecht und SchuldlO , als daß nicht die Auslegung von § 46 Abs. 1 S. 1 auf dieser Basis nahe liege 1 . Eine auch auf Unrecht bezugnehmende Beurteilung von Schuldfragen ist jedoch im Kontext von sozialethischen, aber auch von strafrechtlichen Urteilen üblich12 . Diese Bedeutung wird reflektiert im strafrechtlichen Sprachgebrauch: Für das abschließende Urteil über die Strafbarkeit einer Handlung ist alternativ die Wendung "Der Täter hat sich nach § ... StGB strafbar gemacht" wie auch die Formulierung "Der Täter hat sich einer Tat nach § ... StGB schuldig gemacht" gebräuchlichl3 . Der Inhalt des Schuldvorwurfs wird in diesem Zusammenhang maßgeblich durch Unrechtsmerkmale bestimmt l4 . Der Wortlaut von § 46 Abs. 1 S. I ist daher in einem übergreifenden Sinn zu verstehen, nicht als Verweis auf die Kategorisierungen der Verbrechenslehre. b) Von den Vertretern der Spielraumtheorie wird allerdings im Hinblick auf die Wortwahl in § 46 Abs. 1 S. 1 argumentiert, daß zur Ausfüllung des Spielraums schuldangemessener Strafen präventive Erwägungen ausschlaggebend sein müßten: Da die Schuld nur Grundlage der Strafzumessung sei, komme zusätzlich anderen Gesichtspunkten eine Rolle ZUl5. Die Auslegung des Begriffs "Grundlage" wird deshalb für die Kompatibilität von Tatproportionalitätsprinzip und § 46 Abs. 1 S. 1 entscheidend. Die verworrene Entstehungsgeschichte der Grundlagenformel macht die Feststellung der Intention des Gesetzgebers bei der Wahl dieser Formulierung schwierigl6 . Geht man in einer semantischen Analyse dem Bedeutungsgehalt des Wortes "Grundlage" nach, so ist die eben geschilderte Auslegung nicht zwingend, da es sich um einen mehrdeutigen Begriff handelt. Versteht man ihn im Sinne von "Fundament, Unterbau, Grundstock"17, so liegt die Annahme zwar tatsächlich nahe, daß "Grundlage" etwas Unfertiges bedeute und es deshalb weiterer Bestandteile bedarf, damit das Strafzumessungskonzept als vollständig angesehen werden

10 Vgl. dazu Maurach/Zipf, Strafrecht AT 1, § 14 Rn. 5 ff.; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, S. 425; Schunemann, in: ders.lFigueiredo Dias (Hrsg.), Bausteine, S. 153 ff.; Roxin, Strafrecht AT 1, § 7 Rn. 58 ff. 11 Von Hirsch/Jareborg, Strafmaß und Strafgerechtigkeit, S. 55, gehen über die spezifische Problematik des Begriffs der Strafzwnessungsschu1d in der deutschen Diskussion zu schnell hinweg, wenn sie konstatieren, daß § 46 Abs. 1 S. 1 sich auf die Schwere des kriminellen Verhaltens beziehe. 12 Stratenwerth, Strafrecht AT I, Rn. 19l. 13 Erhard, Strafzumessung bei Vorbestraften, S. 150 f. und passim. 14 Vgl. H.-L. Günther, Strafrechtswidrigkeit und Strafunrechtssausschluß, S. 115 m.w.Nwen. 15 Roxin, FS fiir Schultz, S. 469; Foth, NStZ 1990, 220. 16 Vgl. dazu Stratenwerth, Tatschuld und Strafzumessung, S. 10 ff. 17 Vgl. die sinn- und sachverwandten Wörter nach dem Duden, Band 8.

328 5. Teil: Umsetzllllg der tatproportionalen Strafzumessllllgstheorie de lega lata

kann l8 . Sinnverwandte Wörter sind jedoch auch "Quelle, Voraussetzung, Ursprung" I 9, also Begriffe, die auf Herkunftsbeziehungen verweisen, ohne zu implizieren, daß es weiterer Elemente bedürfe, um die Grundlage zu vervollständigen. Der Wortlaut des § 46 Abs. I S. I zwingt den Rechtsanwender deshalb nicht zur Berücksichtigung präventiver Strafzumessungserwägungen.

3. Verhältnis von Stratbegründungsschuld und Strafzumessungsschuld Mit der Interpretation der Strafzumessungsschuld als Umschreibung von Tatunwert, gegebenenfalls mit Abstrichen wegen geminderter Strafbegründungsschuld, ist auch das nach dem bisherigen Stand der Lehre nicht eindeutige Verhältnis von Strafbegründungs- und Strafzumessungsschuld geklärt. Teilweise wird in der Lehre die Unterschiedlichkeit der beiden Kategorien betont, jedoch mit dem Zugeständnis, daß es sich zwar um funktional selbständige Begriffe handle, aber trotzdem die Schuldidee "eine höhere Einheit zwischen ihnen stifte,,20. Damit ist nicht viel gewonnen, da interessieren würde, wie diese "höhere Einheit" beschaffen ist. Einen faßbareren Gehalt hat die Aussage, bei der Strafzumessungsschuld handle es sich um eine "Erweiterung der Strafbegründungsschuld im Quantitativen"21 . Aber auch diese These ist mit dem modernen Schuldverständnis nicht vereinbar. Einen praktisch relevanten Einfluß auf die Strafzumessungsschuld hätte die Strafbegründungsschuld nur mit einem überholten Schuldverständnis, wenn sie nach beiden Richtungen quantifizierbar wäre, wenn also der Schuldvorwurf auf die in ihrem Ausmaß steigerbare fehlerhafte Gesinnung des Täters bezogen wird. Nach diesem Konzept würde sich die Strafzumessungsschuld aus dem Tatunrecht plus der konkreten Ausprägung der fehlerhaften Gesinnung zusammensetzen. Strafbegründungs- und Strafzumessungsschuld wären teilidentisch: Mit jeder Steigerung der Strafbegründungs- würde auch die Strafzumessungsschuld in entsprechendem Maße wachsen. Bei zwei Fällen mit identischem Unrechtsgehalt und voll schuldhaft handelnden Tätern würden nach diesem Ansatz Variationen im Ausmaß der Strafbegründungsschuld zu Variationen bei der Strafzumessungsschuld führen. Nach richtiger Ansicht ist die Strafbegründungsschuld jedoch nicht steigerbar22 . Anders-Handeln-

18 Diese Interpretation wählt Foth, NStZ 1990, 220: "auf einer Gflllldlage baut sich etwas auf'. 19 Vgl. Duden, Band 8. 20 Achenbach, Schuldlehre, S. 5; ders., in: Schünemann (Hrsg.), ÜTlllldfragen, S. 136. 21 Schünemann, in: ders. (Hrsg.), Gflllldfragen, S. 162. 22 Vgl. oben 3. Teil, 4. Kap., 1 d.

2. Kapitel: Die Bedeutung von § 46 Abs. 1 S. 2

329

Können gibt es im Regelfall nur als Vollform; Abweichungen sind nur in Form von Schuldminderungsgründen denkbar. Für das Verhältnis von Strafbegründungs- und Strafzumessungsschuld folgt hieraus: Im Regelfall hat die Strajbegründungsschuld keinen Einfluß auf die Strafzumessungsschuld. Nur bei geminderter Strafbegründungsschuld wird auch die Strafzumessungsschuld tangiert.

2. Kapitel: Die Bedeutung von § 46 Abs. 1 S. 2 1. Tatproportionale Strafzumessung und § 46 Abs. 1 S. 2 a) Die Achillesferse für die Anwendbarkeit eines tatproportionalen Strafzumessungskonzepts de lege lata könnte in § 46 Abs. 1 S. 2 liegen: "Die Wirkungen, die von der Strafe für das zukünftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen". Eine tatproportionale Strafzumessung wird sich von Seiten der herrschenden Lehre dem gleichen Einwand ausgesetzt sehen, der gegen die Stellenwerttheorie erhoben wird, nämlich daß diese nicht mit dem Gesetzeswortlaut vereinbar see3 . Die gängige Interpretation von § 46 Abs. 1 S. 2 besagt, daß darin das Gebot einer individualisierenden Strafzumessung Niederschlag gefunden habe24 . § 46 Abs. 1 S. 2 wird außerdem als Aufwertung der Spezialprävention verstanden25 : Der Spezialprävention komme die Rolle eines "tragenden Strafzwecks" ZU26. In

23 Ladener, Über neuere Entwicklungen, S. 18 ff.; Bruns, FS für Dreher, S. 263; Roxin, FS für Bruns, S. 187 ff.; Schreiber, NStZ 1981, 339; H.-L. Günther, JZ 1989, 1027; Schönke/SchröderlStree, § 46 Rn. 5; LK-Gribbohm, § 46 Rn. 16; Müller-Dietz, FS für Spendel, S. 418 f; Schäfer, Praxis der Strafzwnessung, Rn. 344; TrändIe, § 46 Rn. 5. 24 BGHSt. 24, 40, 42 f.; Bruns, Recht der Strafzwnessung, S. 94 ff.; Schönke/SchröderlStree, § 46 Rn. 4 f; Roxin, Strafrecht AT 1, § 3 Rn. 13; LK-Gribbohm, § 46 Rn. 21; Schäfer, Praxis der Strafzwnessung, Rn. 358 ff.; ders., in: Jehle (Hrsg.), Individualprävention und Strafzwnessung, S. 204 ff.; Müller-Dietz, FS für Spendei, S.

416.

25 Horstkotte, JZ 1970, 123; Bruns, Recht der Strafzwnessung, S. 94 ff.; Lackner, FS für Gallas, S. 124; Roxin, FG für Schultz, S. 478; ders., Strafrecht AT 1, § 3 Rn. 13; Müller-Dietz, FS für Spendel, S. 414; JeschecklWeigend, Strafrecht AT, S. 878; LK-Gribbohm, § 46 Rn. 21 ff.; Schäfer, Praxis der Strafzwnessung, Rn. 360; ders., in: Jehle (Hrsg.), Individualprävention und Strafzumessung, S. 204 ff.; Ladener, § 46 Rn. 27; Schönke/SchröderlStree, § 46 Rn. 4 f; TrändIe, § 46 Rn. 5. Die Gegenposition zu einem Individualisierungsgebot wird von den Vertretern der Stellenwerttheorie aufrecht erhalten: Der Anwendungsbereich des § 46 Abs. 1 S. 2 sei auf die Bestimmung der Strafart und die Aussetzungsentscheidung begrenzt, während die davon nicht beeinflußt werden solle. Vgl. die Nwe. oben 2. Teil, 3. Kap., Fn. 130. 26 Bruns, Recht der Strafzwnessung, S. 94.

330 5. Teil: Umsetzung der tatproportionalen Strafzwnessungstheorie de lega lata

diesem Sinne hat sich auch der BHG in einer Entscheidung aus dem Jahr 1970 geäußert27 . Vor dem Hintergrund eines tatproportionalen Strafzumessungskonzept ist es wichtig, auf den Unterschied zwischen Individualisierungsprinzip und Spezialprävention hinzuweisen. Diese Differenzierung wird oft vernachlässigt, was allerdings verständlich ist, weil die von der herrschenden Meinung vertretene spezialpräventiv geprägte Strafzumessung notwendigerweise erfordert, das Strafmaß an die persönlichen Lebensumstände des Täters anzupassen: Spezialprävention schließt Individualisierung immer mit ein. Umgekehrt ist es jedoch möglich, das Strafmaß an Täterspezifika auszurichten, ohne damit präventive Ziele zu verfolgen. Mit dem Topos der Strafempfindlichkeit wird auch in Rechtsprechung und Lehre28 im Kontext der Diskussion über die schuldangemessene Strafe auf Individualisierungsfragen eingegangen. b) Der Einwand der fehlenden Akzeptanz de lege lata trifft das hier vorgestellte Strafzumessungskonzept nicht, wenn für § 46 Abs. 1 S. 2 ein relevantes, nämlich mehr als marginales Anwendungsfeld verbleibt. Entscheidend ist, ob § 46 Abs. 1 S. 2 voraussetzt, daß der Tatrichter in jedem Einzelfall die Strafe an die persönlichen Lebensumstände des Täters anzupassen hat. Bejaht man dies, kommt man also zu einem umfassenden Individualisierungsgebot, ist der hier vertretene theoretische Ansatz mit § 46 Abs. 1 S. 2 nicht vereinbar. Eine Auslegung des § 46 Abs. 1 S. 2 im Sinne eines umfassenden Individualisierungsgebots ist jedoch nicht zwingend. Als erstes Indiz gegen eine solche Interpretation kann darauf verwiesen werden, daß die tatrichterliche Praxis dem nicht entspriche9 . Vor allem aber läßt der Wortlaut des § 46 Abs. 1 S. 2 eine Auslegung zu, die mit einer tatproportionalen Strafzumessung in Einklang gebracht werden kann. Das Gebot "ist zu berücksichtigen" zwingt nicht dazu, in allen Fällen eine individualisierende Anpassung der Strafhöhe vorzunehmen. Es kann vielmehr auch als Verpflichtung interpretiert werden, darauf zu achten, ob bei dem konkret zu entscheidenden Fall Besonderheiten vorliegen, die in Abweichung vom Regelfall eine Individualisierung des Strafmaßes erforderlich machen.

2. Überblick über die Anwendungsfelder für § 46 Abs. 1 S. 2 a) Auch im Rahmen eines tatproportionalen Strafzumessungsmodells gibt es verschiedene Anwendungsfelder für einen individualisierenden Einschlag

27 28 29

BGHSt. 24,40, 42; ebenso BGH StV 1998, 375, 376. Vgl. oben 3. Teil, 4. Kap., 5 a bb. Vgl. oben 1. Teil, 3. Kap., 3 b bb aaa.

2. Kapitel: Die BedeutWlg von § 46 Abs. 1 S. 2

331

bei der Strafzumessung. Dabei ist zwischen Fällen zu unterscheiden, die keine Ausnahme vom Tatproportionalitätsprinzip sind und solchen, bei denen ausnahmsweise unter Modifikation der tatproportionalen Strafe auf die individuellen Lebensumstände des Täters eingegangen wird. Zur ersten Gruppe gehört das Eingehen auf Lebensumstände bei der Wahl der Strafart, sofern die Strafe aus einem Abschnitt der Rechtsfolgenskala zu entnehmen ist, bei dem es Überlappungen von Sanktionen unterschiedlicher Art, aber gleicher Schwere gibeo. Für die Wahl zwischen zwei unterschiedlichen Sanktionen, die in ihrer Schwere als gleichwertig zu beurteilen sind, kann das Tatproportionalitätsprinzip keine Anhaltspunkte geben. Insoweit stellt eine Anpassung an die persönlichen Verhältnisse des Täters keinen Bruch mit dem Grundansatz dar3l . Deshalb ist der Stellenwerttheorie zuzustimmen, die einen Anwendungsbereich für § 46 Abs. 1 S. 2 in der Entscheidung dieser Frage sieht32 . b) Zu den Einsatzmöglichkeiten von § 46 Abs. 1 S. 2 ohne Konflikte mit dem Tatproportionalitätsprinzip gehört ferner die Bestimmung der Tagessatzhöhe nach § 40 Abs. 2. Wenn man mit der traditionellen Ansicht von einer Höhenbestimmung nach dem Nettoeinkommensprinzip ohne Abzug des Eigenunterhalts für den Täter ausgehe 3, ergibt sich ein Problem, wenn der zu Bestrafende nur über ein geringes Einkommen verfügt und deshalb kaum Spielraum hat, was die Verwendung des Einkommens anbegeht. Auch bei einer wegen des geringen Einkommens niedrigen Tagessatzhöhe ist das relative Gewicht der mit der Zahlung der Geldstrafe verbundenen Einbuße ungleich höher als bei einkommensstärkeren Tätern. In diesen Fällen läßt die herrschende Meinung eine Reduzierung der Tagessatzhöhe ZU34. Da allein die Tagessatzanzahl den Bezug zur Tatschwere herstellt, sind Abstriche bei der Tagessatzhöhe mit dem Tatproportionalitätsprinzip vereinbar. In einer Entscheidung des OLG Hamburg wurde allerdings eine Differenzierung zwischen schuldangemessener Tagessatzanzahl und schuldunabhängiger Tagessatzhöhe mit der Argumentation abgelehnt, auch die Gesamthöhe der Geldstrafe müsse dem Gewicht der Tat entsprechen35 . Soweit hieraus abgeVgl. die AbbildWlg oben S. 173. Von Hirsch, Censure and Sanctions, S. 59 ff.; von HirschlJareborg, Strafmaß Wld Strafgerechtigkeit, S. 31, 56. 32 Horn, FS ftlr Schaffstein, S. 244; ders., FS für BTWlS, S. 174; ders., SK, § 46 Rn. 39; Schöch, FS filr Schaffstein, S. 260 f Ebenso SchajJstein, FS filr Gallas, S. 106 zur Strafartwahl als AnwendWlgsfall für § 46 Abs. 1 S. 2. 33 Vgl. dazu Wld zur überzeugenderen Ansicht von Seiles oben 3. Teil, 5 b bb. 34 OLG Köln NJW 1977, 307; StV 1993, 365; OLG Ramm NJW 1980, 1534 f mit krit. Anm. Meyer, NJW 1980,2480 f; BayObLG NJW 1986,2842; LG Freiburg StV 1991,521; AG Lübeck NStZ 1989,75; LK-Tröndle, § 40 Rn. 57; Tröndle, § 40 Rn. 12; Lackner, § 40 Rn. 13. 35 NJW 1978, 531 f 30 31

332 5. Teil: Umsetzung der tatproportionalen Strafzwnessungstheorie de lega lata

leitet wird, es müsse nach der Festsetzung von Tagessatzzahl und -höhe in einern dritten Schritt die Angemessenheit der Gesamtsumme überprüft werden36 , kann dies nicht überzeugen. Das Problem, das hinter der Entscheidung steht, dürfte an anderer Stelle zu verorten sein: In der erstinstanzlichen Entscheidung war eine Tagessatzhöhe von 2 DM (§ 40 Abs. 2 S. 3) festgesetzt worden, woraus sich die triviale Geldstrafe von 20 DM für den tätlichen Widerstand gegen einen Polizeibeamten ergab. Bedenken, daß dies dem Unrecht der Tat nicht entspreche, könnte jedoch zum einen über die Zahl der Tagessätze Rechnung getragen werden. Zum anderen ist nur schwer vorstellbar, wann der Mindesttagessatz zur Anwendung kommen sollte, auch wenn man von einern Minimaleinkommen das für das Existenzminimum Notwendige abziehe 7. Es ist deshalb nicht abwegig, über eine Erhöhung der gesetzlich festgelegten Mindesthöhe nachzudenken38 . c) Für den großen Teil der in der Strafpraxis verhängten Strafen, nämlich die Geldstrafen, ist wegen des Tagessatzsystems eine Anpassung an die individuellen Verhältnisse des Täters ohne Brüche mit dem Tatproportionalitätsprinzip möglich. Problematisch ist jedoch, unter welchen Umständen auch bei der Freiheitsstrafe eine individualisierte Strafhöhe unter Abweichung vom Tatproportionalitätsprinzip anzuerkennen sind. In den folgenden Abschnitten wird untersucht, unter welchen Bedingungen eine solche Abweichung überzeugend begründet werden kann, wobei Abweichungen von der tatproportionalen Strafe sowohl nach unten (siehe unten 4., 5.) als auch nach oben (siehe sogleich 3.) denkbar sind.

3. Keine Straferhöhungen aus spezialpräventiven Gründen

a) Es werden verschiedene Konstellationen einer strafschärfenden Individualisierung der Strafe diskutiert. Zum einen kann der Gesichtspunkt der Individua/abschreckung oder der Sicherung vor dem Täter für eine Erhöhung der tatproportionalen Strafe angeführt werden. Der BGH akzeptiert außerdem straferhöhende spezialpräventive Gründe, ohne die damit intendierten Wirkungszusarnrnenhänge näher zu spezifizieren: Bei einer Verurteilung wegen 36 Naucke, NJW 1978, 1171 in seiner Anmerkung zu OLG Hamburg, NJW 1978, 531 f. AA SK-Hom, § 40 Rn. 14; Schönke/Schröder/Stree, § 40 Rn. 8. 37 Auch wenn man vom Regelsatz für die Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem BSHG von derzeit etwa 580.- DM pro Monat, der nicht nur auf die Sicherung des Existenzminimums zugeschnitten ist, sondern auch Mittel für soziale und kulturelle Bedürfnisse vorsieht (vgl. von Seile, Gerechte Geldstrafe, S. 134 fT.), die für das Existenzminimum erforderliche Summe abzieht, ist eine Mindest-Tagessatzhöhe von 4 bis 5 DM vertretbar. 38 So auch Tröndle, § 40 Rn. 12.

2. Kapitel: Die Bedeutung von § 46 Abs. 1 S. 2

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eines Totschlagsversuchs ließ er eine spezialpräventiv begründete Strafschärfung wegen der "Hemmungslosigkeit und Gefühlsarmut der Angeklagten" ZU39. Wie der Vollzug einer erhöhten Strafe zu einer Resozialisierung des derart charakterisierten Täters beitragen könnte, bleibt dabei offen. Eine solche Strafschärfung unter dem Etikett "Spezialprävention" ist offensichtlich verfehlt, da es an jedem auch nur denkmöglichen Zusammenhang zwischen den Einwirkungsmöglichkeiten durch eine erhöhte Strafe und den Bedingungen für zukünftige Straffreiheit fehlt 40 . b) Straferhöhungen aus Gründen der Individua/abschreckunl 1 sind mit einer am Tatunrecht ausgerichteten Strafzumessung nicht vereinbar. Da die dahinter stehende Überlegung, durch eine erhöhte Strafe könne der Straftäter von der Begehung zukünftiger Taten abgeschreckt werden, empirischer Überprüfung nicht standhält, bedarf es auch keiner ernsthaften Erörterung einer möglichen Ausnahme vom Tatproportionalitätsprinzip. In Zusammenhang mit der Abschreckungsgeneralprävention wurde bereits erörtert, daß die Höhe einer zu erwartenden Strafe regelmäßig keinen Einfluß auf die Tatentscheidung hat42 . Vor diesem Hintergrund ist erhöhte Skepsis gegenüber den Grundannahmen einer Theorie der Individualabschreckung angebracht, wenn man sich vergegenwärtigt, welche Personengruppen vor allem davon betroffen wären. Eine solche Strafschärfung wird vor allem in Betracht gezogen werden, wenn der Täter mehrfach vorbestraft ist43 • Eine von Individualabschreckung ausgehende These setzt voraus, daß die Strafhöhe für mehrfach vorbestrafte Täter eine andere Relevanz hat als für die Entscheidungen der Bevölkerung im allgemeinen. Diese Annahme dürfte kaum stichhaltig sein44 • Im Gegenteil, das Modell eines überlegt und kalkulierend Handelnden entspricht den Handlungsbedingungen von typischen Rezidivisten tendenziell noch weniger: Untersuchungen zur Individualabschreckung ergeben, daß vorausgegangene Erfahrungen mit den Institutionen der Strafrechtspflege nicht dazu führen, daß daraufhin der Höhe von Strafen abschreckende Wirkung zukommt45 . Wegen der Ungeeignetheit des Konzepts der Individualabschreckung zur Erzielung

BGHR § 46 Abs. 1 Spezialprävention 2. Daß Gefühlsarmut durch längere Strafen bekämpft werden könnte, ist wohl eher unwahrscheinlich. 41 Grundsätzlich anerkannt in BGHR § 46 Abs. 1 Spezialprävention 1; skeptisch dagegen Schiller, Praxis der Strafzumessung, Rn. 359. 42 Oben 2. Teil, L Kap., 2 c (4). 43 BGHSt. 17,321,324; Bruns, Recht der Strafzumessung, S. 97; Schiller, Praxis der Strafzumessung, Rn. 359: Wiederholungstaten mit immer kürzer werdenden Rückfallintervallen als mögliches Anwendungsfeld für § 46 Abs. 1 S. 2. 44 Streng, Strafrechtliche Sanktionen, S. 169 f. 45 VgL SchneideriErvin, Social Science Quarterly 71 (1990), 598 f. 39 40

334 5. Teil: Umsetzung der tatproportionalen StrafzumesslUlgstheorie de lega lata

präventiver Effekte erübrigt es sich, auf die außerdem bestehenden ethischen Bedenken näher einzugehen46 . c) aa) Auch Sicherungserwägungen, die vom BGH und Teilen der Literatur grundsätzlich als zulässige StrafschäIfungsgründe anerkannt werden47 , sind mit einem tatproportionalen Strafzumessungsrecht an sich nicht vereinbar. Es fragt sich jedoch, ob nicht wegen überwiegenden gesellschaftlichen Interessen eine Ausnahme gemacht werden muß, wenn vom Täter gravierende Gefahren drohen. Mit der Begründung, effektive Straftatenprävention erfordere die Sicherung vor gefahrlichen Tätern, wurde in den USA in den 80er Jahren die Strategie der sogenannten selective incapacitation diskutiert. Diese beruht auf den Ergebnissen von Kohortenstudien nach denen ein vergleichsweise großer Anteil der gravierenderen Straftaten von einer sehr aktiven kleinen Tätergruppe begangen wird. Daraus entwickelte sich der kriminalpolitische Vorschlag, diese Täter zu identifizieren, sie durch stark überhöhte Freiheitsstrafen an der Begehung weiterer Taten zu hindern und dadurch die Kriminalitätsziffern signifIkant zu senken48 . Diese radikale Version des Sicherungsgedankens wirft jedoch gravierende Probleme auf: Unter anderem wird das Problem falscher Prognosen durch die Aufbürdung der überhöhten Strafen dramatisch verstärkt49 . Als universell einsetzbares Instrument zur Straftatenprävention ist selective incapacitation auf deutsche Verhältnisse nicht übertragbar: Die nach dem Modell für einen meßbaren Effekt erforderlichen überhöhten Strafen bewegen sich in einer Größenordenung, die außerhalb dessen liegt, was auch bei großzügiger Auslegung der Schuldrahmentheorie als noch mit dem Schuldgrundsatz vereinbar angesehen werden könnte. bb) Für bestimmte Extremfälle mit überragenden Gefahrenpotentialen, etwa bei einer Wiederholungsgefahr von schwersten Sexual- oder Tötungsdelikten, ist jedoch zu erwägen, die Grundüberlegungen einer tatproportionalen 46 Vgl. Schäfer, Praxis der StrafzumesslUlg, Rn. 359, zur Problematik pädagogischer ErwäglUlgen bei Erwachsenen. 47 Der BGH läßt den SicherWlgsgedanken zwar als Strafzweck grWldsätzlich zu, fUhrt aber aus, daß dies nicht zu einer ÜberschreitlUlg der schuldangemessenen Strafe fllhren dürfe, BGHSt. 20, 264, 267; BGHR § 46 Abs. 1 Schuldausgleich 2l. Es überrascht vor dem HintergrWld dieser im Ergebnis einschränkenden BGHRechtsprechlUlg, daß von Richtern dem SicherWlgsaspekt der Strafe durchaus erhebliche BedeutlUlg beigemessen wird, vgl. die Richterbefragoog von Streng, StrafrumesSlUlg lUld relative Gerechtigkeit, S. 214 f Für die Zulässigkeit einer SicherWlgsstrafe Bnms, Recht der StrafzumesslUlg, S. 96 f; Maurach/Gössel/Zipf, Strafrecht AT 2, § 63 Rn. 110; vorsichtig Streng, Strafrechtliche Sanktionen, S. 170 f 48 Greenwood, Selective lncapacitation; Wilson, in: von HirschlAshworth (Hrsg.), Principled Sentencing, S. 148 ff.; Chaiken/Chaiken, Crime and Delinquency 30 (1984), 195 ff. 49 Vgl. von Hirsch, Past or Future Crimes, S. 105 ff.; Göppinger, Kriminologie, S. 175.

2. Kapitel: Die Bedeutung von § 46 Abs. 1 S. 2

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Strafzumessung ausnahmsweise zurückzustellen50 . Eine Auseinandersetzung mit dieser Thematik müßte eine Erörterung des Schuldgrundsatzes beinhalten. Die vertiefte Beschäftigung mit der dahinter stehenden verfassungsrechtlichen Problematik51 ist allerdings nur erforderlich, wenn ein dringendes Bedürfnis dafür besteht, die Allgemeinheit auf diesem Wege vor erneuten schweren Straftaten zu schützen. In einem zweispurigen System von Strafen und Maßregeln besteht diese Notwendigkeit jedoch nicht, da Sicherungsmaßregeln zur Verfügung stehen, die in entsprechenden Ausnahmekonstellationen die notwendige präventive Funktion übernehmen können52 . Für eine als ultima ratio auszusprechende Sicherungsstrafe53 besteht in einem zweispurigen System kein Grund. In jüngster Zeit sind für die Sicherungsverwahrung falsche Gefährlichkeitsprognosen kritisiert worden54 . Die darauf aufbauende Forderung nach einer Abschaffung der Sicherungsverwahrung55 ist jedoch aus kriminalpolitischen Gründen gerade für ein liberales Strafrecht problematisch. Wenn sich die Strafrechtspflege dem Vorwurf ausgesetzt sieht, den schwerwiegendsten Gefährdungen keine wirksamen Gegenmaßnahmen entgegensetzen zu können, besteht die Gefahr, daß das Gesamtsystem radikal an Akzeptanz verliert. Für ein moderates Strafniveau wäre eine solche Entwicklung besonders verhängnisvoll, da sich ein Vertrauensverlust anläßlich von seltenen, aber mit großer Publizität versehenen allerschwersten Straftaten mit Wiederholungsgefahr weit über die Anlaßfälle hinaus auswirken würde. Sicherungsmaßregeln für solche Extremfälle sind deshalb unverzichtbar. De lege lata gibt es allerdings Bruchstellen zwischen dieser Begründung für ein zweispuriges System und den Rechtsfolgenvoraussetzungen in § 66. Eine Anwendung der Sicherungsverwahrung sollte auf die Gefahr schwerster Delikte beschränkt sein, nämlich Tötungsdelikte und schwere Sexualverbrechen. Die bestehende Praxis, bei der ein nicht unerheblicher Teil der Sicherungsverwahrten wegen Eigentums- und Vermögensdelikten verurteilt worden ist56 , ist bedenklich. Vorzugswürdig wäre eine Definition des Hanges zu weiteren 50 Vgl. von Hirsch, Censure and Sanctions, S. 51 ff.; von HirschlJareborg, Strafmaß und Strafgerechtigkeit, S. 32 ff., die dem Argument individueller Gefährlichkeit mit einiger Skepsis begegnen, ohne eine Abweichung vom Tatproportionalitätsprinzip jedoch gänzlich auszuschließen. 51 BVerfGE 20,323,331; 25, 269, 285. 52 BGHSt. 20, 264, 267; LK-Gribbohm, § 46 Rn. 28; Schäfer, Praxis der Strafzumessung, Rn. 340. 53 Dafür Streng, Strafrechtliche Sanktionen, S. 171. 54 Kinzig, Sicherungsverwahrung, S. 79 ff., 566 f. 55 Kinzig, Sicherungsverwahrung, S. 597 ff. AA Kern, Sicherungsverwahrung, S. 180 ff. 56 Kinzig, Sicherungsverwahrung, S. 266 ff.; Kern, Sicherungsverwahrung, S. 62 ff.

336 5. Teil: Umsetzung der tatproportionalen Strafzmnessungstheorie de lega lata

Straftaten in § 66 Abs. 1 Nr. 3, bei der die Gefahr wirtschaftlicher Schäden als Anlaß für die Sicherungsverwahrung gestrichen wird. Auch die Definition der Anlaßtaten ist nicht überzeugend. Der mit dem Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26.1.199857 eingefügte § 66 Abs. 3 erleichtert die Verhängung der Sicherungsverwahrung, indem er anders als § 66 Abs. 1 Nr. 1 nicht zwei, sondern nur eine bzw. keine (§ 66 Abs. 3 S. 2) Vorverurteilung voraussetzt. Die in § 66 Abs. 3 genannten Straftaten sind jedoch nicht solche, die nach dem hier vertretenen Konzept die ausnahmsweise zulässige Betonung des Sicherungsgedankens tragen: Sie sind nicht auf schwerste Sexual- und Tötungsdelikte beschränkt, sondern schließen alle Verbrechen sowie sogar einige Vergehen ein58 . Die Kritik an § 66 kann und braucht hier nicht vertieft zu werden. Die Grundaussage, daß für eine Sicherungsstraje kein Bedarf besteht, solange eine Maßregel zur Sicherung vor gefährlichen Tätern existiert, ist unabhängig von der Diskussion um die Ausgestaltung der Sicherungsverwahrung im einzelnen.

4. Keine Strafmilderungen zur Vermeidung einer Entsozialisierung a) Am verbreitetsten ist in der neueren Strafzumessungslehre die Interpretation des § 46 Abs. 1 S. 2 als Gebot, eine Entsozialisierung des Täters zu vermeiden59 . Damit ist zwangsläufig eine strafsenkende Funktion des § 46 Abs. 1 S. 2 verbunden. Während die generelle Zielsetzung auf breiten Konsens stößt, bestehen Unterschiede bei der Umsetzung. Es lassen sich zwei verschiedene Strategien identifizieren, mit denen eine Entsozialisierung verhindert werden soll. Zum einen sollen Strafmilderungen in individualisierender und selektiver Weise bestimmten Tätergruppen zugute kommen. Diskutiert wird in erster Linie die Situation von sozial gut angepaßten Straftätern, bei denen die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe zum Verlust von existentiellen sozialen und beruflichen Bindungen führen würde60 . Teile der Lehre vertreten, daß BGBL I S. 160. Kritisch bezüglich des weiten Anwendungsbereichs fur § 66 Abs. 3 auch Schöch, NJW 1998, 126l. 59 Horstkotte, JZ 1970, 124; W Hassemer, FS für Coing, S. 520; Streng, Strafrechtliche Sanktionen, S. 171; Schönke/SchröderlStree, § 46 Rn. 5; Müller-Dietz, FS für Spendei, S. 414 f.; Schäfer, Praxis der Strafzumessung, Rn. 360; ders., in: Jehle (Hrsg.), Individualprävention und Strafzumessung, S. 206 f.; Laclener, § 46 Rn. 27; JeschecklWeigend, Strafrecht AT, S. 879. Diametral entgegengesetzt allerdings Frisch, ZStW 99 (1987), 349, 379: bei Schuldstrafen im mittleren bzw. unteren Bereich volle Ausschöpfung nach oben! 60 Horstkotte, zitiert bei Roxin, FG für Schultz, S. 479; LK-Gn·bbohm, § 46 Rn. 22. Mit dieser Linie wurde im Grunde - ohne daß dies so ausgeführt wird - bereits die hier 57

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2. Kapitel: Die Bedeutung von § 46 Abs. I S. 2

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zwar nicht regelmäßig, aber doch in AusnahmefaIlen aus spezialpräventiven Gründen auch die Grenzen der schuldangemessenen Strafe unterschritten werden dürften61 . Auch die Rechtsprechung hat mehrfach bestätigt, es sei ein zulässiger Strafzumessungsgrund, einen sozial ausreichend eingeordneten Täter nicht aus der sozialen Ordnung herauszureißen62 . Die zweite Lesart von § 46 Abs. 1 S. 2 sieht dessen Funktion darin, im Hinblick auf die nachteiligen Folgen von Freiheitsstrafen generell zu einem vorsichtigen Umgang mit deren Verhängung anzuhalten63 . Der entscheidende Unterschied zur ersten Variante ist, daß nicht auf individuelle Besonderheiten des jeweiligen Täters abgestellt, sondern von der Annahme ausgegangen wird, daß eine vollstreckte Freiheitsstrafe für alle davon Betroffenen negative Konsequenzen hat. Auf diese Interpretation von § 46 Abs. 1 S. 2 wird unten64 noch einzugehen sein. An dieser Stelle soll zunächst die Strategie der Individualisierung von spezialpräventiven Strafmilderungen erörtert werden. b) Strafmilderungen für sozial angepaßte Täter werden offenbar als so selbstverständlich angesehen, daß die dahinter stehenden Erwägungen in der Regel nicht näher ausgeführt werden. Es könnte der oberflächlichen Abhandlung der Thematik die Überlegung zugrunde liegen, der Begründungsbedarf sei geringer, weil die Abwendung bzw. die Verkürzung eines belastenden Eingriffs im Interesse des Betroffenen liegt. Diese Sichtweise ist jedoch verkürzt. Faktisch muß eine entsprechende Praxis zu einer Bevorzugung von bestimmten Tätergruppen führen, deren um die Fixpunkte Berufstätigkeit und Familie organisiertes Leben bürgerlichen Vorstellungen entspricht. Man kann dieser Praxis polemisch entgegensetzen, daß sozial angepaßte Personen Straferlasse bekommen, weil sich der Richter wegen der größeren Vertrautheit mit Lebensplanung und -zielen besser in ihre Situation hineinversetzen und ihr Leivorgeschlagene Lesart des § 46 Abs. I S. 2 als Ausnahmeregel anstatt als genereller Verweis auf Spezialprävention anerkannt. Vgl. etwa Schäfer, Praxis der Strafzumessung, Rn. 358, 360, wo zunächst die Bedeutung der Spezialprävention hervorgehoben, im weiteren (Rn. 360) aber auf die Vermeidung von Entsozialisierung reduziert wird. 61 Roxin, FG für Schultz, S. 473 ff.; ders., Strafrecht AT I, § 3 Rn. 48; ders., FS für Arthur Kaufmann, S. 522; Ladener, Über neuere Entwicklungen, S. 25 f; Frisch, ZStW 99 (1987),367 ff.; Schönke/SchröderlStree, § 46 Rn. 5, vor §§ 38 Rn. 18 a; dagegen BGHSt. 24, 132, 134; Schaffstein, FS für Gallas, S. 105; Bruns, Recht der Strafzumessung, S. 96. 62 BGHSt. 24,40,42 f; BGH StV 1989,478; StV 1991, 206, 513; StV 1993,243, 638; StV 1998, 375. 63 Streng, Strafrechtliche Sanktionen, S. 170 f; JeschecklWeigend, Strafrecht AT, S. 879; SK-Hom, § 46 Rn. 35 spricht von "passiver Spezialprävention". Vorsichtig in diese Richtung auch Müller-Dietz, FS ftlr Spendel, S. 427. Ebenso Giehring, in: Pfeiffer/Oswald (Hrsg.), Strafzumessung, S. 110 ff. von einem generalpräventiven Ausgangspunkt. 64 S. 5 c dd bbb. 22 Hörn1e

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den durch die Strafe mitfühlend antizipieren kann. Wenn man sich aber vor Augen führt, daß eine selektive Behandlung notwendigerweise als Kehrseite die Benachteiligung anderer hat, wird offensichtlich, daß eine mildere Strafzumessung für gut sozialisierte Täter einer besonders sorgfaltigen Begründung bedürfte - woran es bisher durchgängig fehlt. c) Die erste Möglichkeit, eine mildere Strafe für sozial angepaßte Täter zu begründen, besteht darin, auf den nicht bestehenden Resozialisierungsbedarf hinzuweisen. Dieser Argumentationsgang klingt in der Grundsatzentscheidung BGHSt. 24, 40 an, die vom Zeitgeist des unhinterfragten Glaubens an die resozialisierende Kraft der Strafe geprägt ist - auf dieses Urteil verweisen spätere BGH-Entscheidungen, ohne auf die Ratio der Strafmilderung für sozial integrierte Täter einzugehen65 . Die Vorstellung, wegen des mangelnden Resozialisierungsbedürfnisses solle eine mildere Strafe verhängt werden, ist jedoch mit einer realistischeren Einschätzung resozialisierender Effekte durch Strafe hinfällig geworden. Denn auch für sozial weniger gut angepaßte Täter kann nicht davon ausgegangen werden, daß Strafe nützlich ist. Damit ist eine Differenzierung von Tätergruppen anband des Unterscheidungskriteriums "Nützlichkeit der Strafe" obsolet. d) Wenn mit der mittlerweile herrschenden Strömung in der Strafrechtswissenschaft konzediert wird, daß nützliche Effekte der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe für keine Tätergruppe zu erwarten sind, bleibt zur Rechtfertigung milderer Strafen für sozial integrierte Täter nur der Topos Vermeidung sozial unerwünschter Folgen 66 . Dabei stellt sich die Frage, welche unerwünschten Folgen gemeint sind. Der Hinweis auf sozial unerwünschte Folgen, legt nahe, daß es um die Abwendung von negativen Folgen für die Allgemeinheit geht. Diese könnten zum einen in einer erhöhten Rückfallgefahr bestehen, zum anderen könnten soziale Folgen wie Arbeitslosigkeit zu Belastungen in Form von zu erbringenden Sozialleistungen führen. Die Annahme einer gesteigerten Rückfallgefahr für sozial unauffällige im Vergleich zu weniger gut integrierten Tätern ist jedoch unplausibel: Damit ist eine Strafmilderung im Interesse der Allgemeinheit nicht begründbar. Dagegen ist plausibel, daß der Wegfall bestehender sozialer, insbesondere beruflicher Einbindungen dazu führen kann, daß der Täter und seine Familie nach bzw. während der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe in größerem Umfang auf finanzielle Unterstützung angewiesen sind als dies unter anderen Umständen der Fall wäre. Der Verzicht auf strafrechtlichen Tadel auf der Basis von finanziellen Erwägungen ist jedoch problematisch. Die Entscheidung über die Verhängung strafrechtlichen Tadels sollte nicht von Überlegungen abhängig gemacht werden, die in kei-

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BGH StV 1991, 513; StV 1993,639. VgL Schäfer, Praxis der Strafzumessung, Rn. 360.

2. Kapitel: Die Bedeutung von § 46 Abs. 1 S. 2

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nem sachlichen Zusammenhang mit diesem Institut stehen. Die kontingente Verknüpfung von fiskalischen Interessen mit staatlicher Strafe kann eine Strafmilderung in diesen Fällen nicht rechtfertigen. Damit ist allerdings die Thematik nicht erschöpft. Da das Gewicht einer Übelszufügung auch durch das individuelle Strajleiden bestimmt wird, ist über eine mögliche Strafmilderung in HärtefaIlen aus diesem Blickwinkel nachzudenken. Im folgenden Abschnitt werden deshalb Strafmilderungen unter dem Stichwort "Strafempfindlichkeit" erörtert.

5. Strafmilderungen wegen erhöhter Strafempfindlichkeit a) § 46 Abs. 1 S. 2 als gesetzliche Grundlage

aa) Das Problem der Vereinbarkeit von Tatproportionalitätsprinzip und § 46 Abs. 1 S. 2 wäre gelöst, wenn ein relevanter Anwendungsbereich für diese Norm bei der Berücksichtigung der Strafempfindlichkeit des Täters liegt. Ob die strafmildernde Einbeziehung individuellen Strafleidens auf § 46 Abs. 1 S. 2 gestützt werden kann, ist umstritten. Gegen eine entsprechende Auslegung wird geltend gemacht, Erwägungen zur Strafempfindlichkeit beträfen bereits die Festsetzung der schuldangemessenen Strafe, seien also bereits in § 46 Abs. 1 S. 1 erfaßt, während § 46 Abs. 1 S. 2 ausschließlich auf spezialpräventive Erwägungen verweise67 • Dieser Einwand könnte auf den Wortlaut gestützt werden, wenn man den Passus "künftiges Leben des Täters" als Verweis auf die Zeit nach der Strafvollstreckung liest. In diesem Sinne wird § 46 Abs. 1 S. 2 häufig so interpretiert, daß es um Straftatenfreiheit nach der Strafverbüßung gehe68 . Diese Auslegung ist jedoch nicht zwingend: Auch die Zeitspanne nach der Urteilsverkündung ist zu diesem Zeitpunkt Zukunft. Es läßt sich mit dem Wortlaut vereinbaren, auf die Wirkungen der Strafvollstreckung als solche abzustellen, unabhängig von prognostizierten Auswirkungen auf die Zeit danach. Auch die Formulierung "künftiges Leben des Täters in der Gesellschajt"69 bedeutet nicht zwingend eine Reduktion auf das Ziel der Straftatenprävention. Dieser Passus läßt sich auch als Verweis darauf verstehen, daß der Täter in sozialen

67 So Deneker, StV 1992, 127; Laubenthai, NStZ 1998, 350. Anders Erhard, Strafzumessung bei Vorbestraften, S. 306; SeM/er, FS für Trönd1e, S. 398, die § 46 Abs. 1 S. 2 als gesetzliche Verankerung fllr die Berücksichtigung der Strafempfmd1ichkeit interpretieren. 68 Nestler-Tremel, AIDS und Strafzumessung, S. 30; Tröndle, § 46 Rn. 5. 69 Hervorhebung durch die Verfasserin.

22*

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Bezügen steht und es durch die Strafvollstreckung mittelbar Betroffene geben kann, auf die bei der Strafzumessung Rücksicht zu nehmen ist. bb) Schwieriger auszuräumen sind Bedenken, die auf eine historische Gesetzesauslegung zurückgreifen. Bei der Einführung von § 13 Abs. 1 S. 2 a.F. war unstreitig, daß damit der Gesichtspunkt der Spezialprävention gemeint war70 . Ungeachtet der grundsätzlichen Bedeutung der historischen Auslegungsmethode71 wäre es jedoch in diesem Fall problematisch, am ersichtlich vom Zeitgeist geprägten Spezialpräventionskonzept festzuhalten. Soweit Entscheidungen des Gesetzgebers auf Annahmen beruhen, die empirisch feststellbare Tatsachen betreffen, muß die Bindung an die gesetzgeberischen Vorstellungen gelockert werden, wenn sich die Beurteilung der Tatsachenbasis gewandelt hat. Die in den letzten Jahren gewachsene Skepsis gegenüber der präventiven Nützlichkeit von Strafe72 kann bei der Interpretation von § 46 Abs. 1 S. 2 nicht ignoriert werden. cc) Die Rechtsprechung thematisiert die dogmatische Einordnung von Erwägungen zur Strafempfindlichkeit nicht ausdrücklich, eine eindeutige Linie läßt sich aus den vorliegenden Entscheidungen nicht herauslesen. In einer Begründung verweist der BGH allerdings direkt auf § 46 Abs. I S. 2 als einschlägige Norm für die Berücksichtigung von Strafempfindlichkeit73 . Andere Entscheidungen sind dagegen zweideutiger: So wird zwar die Formel "Wirkungen der Strafe für das künftige Leben des Angeklagten" in einen Begründungsabsatz eingebaut, der sich im übrigen mit der Strafempfindlichkeit des Angeklagten befaßt, was die hier vertretene Ansicht unterstützt; die im selben Begründungsgang auftauchenden Argumente zu Strafempfindlichkeit und Schuldausgleich könnten aber auch so gedeutet werden, daß damit auf § 46 Abs. I S. 1 Bezug genommen wird74 . Angesichts der mangelnden Konsistenz der Rechtsprechung läßt sich jedenfalls nicht feststellen, daß ein eindeu70 Stratenwerth, Tatschuld und Strafzumessung, S. 9; Lackner, FS für Gallas, S. 120; Bruns, Recht der Strafzumessung, S. 94; Schönke/SchröderlStree, vor § 38 Rn. 15. 71 Vgl. unten Fn. 147. 72 Vgl. oben 2. Teil, 1. Kap., 3 b. 73 BGR NStZ 1983,408. BGR StV 1991,207 zitiert ebenfalls § 46 Abs. 1 S. 2, wobei allerdings offenbleibt, ob die schwere Krebserkrankung des Angeklagten unter dem Gesichtspunkt der Strafempfmdlichkeit angefuhrt wurde oder als Faktor, der gegen die Wahrscheinlichkeit eines Rückfalls spricht. 74 BGRSt. 35, 149 f.; BGR StV 1987,101,346. In einer anderen Begründung stellt der BGR Strafempfindlichkeit und besondere Wirkungen der Strafe nebeneinander: Auf eine AIDS-Infektion sei "im Hinblick auf die Strafempfmdlichkeit und die besonderen Wirkungen der Strafe für das künftige Leben des Angeklagten" Rücksicht zu nehmen, BGR StV 1988, 296. Bei einer Einordnung der Strafempfmdlichkeit als Anwendungsfall für § 46 Abs. I S. 2 hätte die Formulierung näher gelegen "im Hinblick auf die besonderen Wirkungen der Strafe, insbesondere die Strafempfindlichkeit".

2. Kapitel: Die Bedeutung von § 46 Abs. 1 S. 2

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tiger Konflikt zwischen der Praxis und der hier vertretenen Verortung der Strafempfindlichkeit bei § 46 Abs. I S. 2 auftritt.

b) Die Rolle der Strafempfindlichkeit

aa) Im Kontext der Spielraumtheorie führt es zu konzeptuellen Unklarheiten, wenn die Rechtsprechung bereits bei der Bestimmung des Schuldrahmens auf persönliche Lebensumstände des Täters abstellt. Ob und wie diese Praxis mit dem gleichzeitig aufrechterhaltenen Verbot, den Schuldrahmen zu unterschreiten, in Einklang gebracht werden kann, bleibt offen75 . Es ist außerdem mißverständlich, wenn das Thema der Strafempfindlichkeit unter der Überschrift "Schuldausgleich" erörtert wird76 . Mit der Schuld des Täters haben Aspekte der Strafempfindlichkeit nichts zu tun: Schuld kann sich nur auf die abzuurteilende, in der Vergangenheit begangene Tat beziehen, während sich die Strafempfindlichkeit des Angeklagten an tatunabhängigen Entwicklungen orientiert. Wenn gesteigerte Strafempfindlichkeit die Schuld konsumieren würde, bedürfte es auch des § 60 S. I nicht: Die Formulierung "Absehen von Strafe" impliziert, daß die Strafzumessungsschuld zwar weiter besteht, aber aus anderen Gründen auf Strafe verzichtet wird. bb) Im Gegensatz zur Theorie der schuldangemessenen Strafe ermöglicht eine tatproportionale Strafzumessungslehre einen unkomplizierten Ansatzpunkt für Strafzumessungsfaktoren, die nicht die Tatseite, sondern die Schwere der strafrechtlichen Reaktion betreffen. Wie oben dargestellt, ist nicht nur eine Bewertung der Schwere der Straftaten, sondern auch eine Rangfolge der Schwere von Strafen erforderlich. Dabei wurde bereits der grundsätzliche Unterschied zwischen einer subjektiven und einer objektivierenden Bewertung der Sanktionsschwere erörtert und grundsätzlich eine objektive Schwerebewertung befürwortet, wobei aber in Ausnahmekonstellationen die persönlichen Lebensumstände des Bestraften für eine Abweichung von diesem Grundsatz sprechen können77. cc) Streng geht in seiner Kritik an der Rolle der Strafempfindlichkeit allerdings so weit, daß er es ablehnt, diese bei der Strafzumessung zu berücksichtigen. Er verweist die Betroffenen statt dessen auf die Möglichkeiten, im Stadium der Strafvollstreckung Ausnahmen geltend zu machen bzw. auf den Gnadenweg78 . Diese theoretisch gut begründbare Lösung kann jedoch zu gravierenden individuellen Härten führen. Ein Verweis auf den Gnadenweg kann 75 76 77

78

Vgl. oben l. Teil, 2. Kap., 2. Vgl. BGH StV 1987, 346. 3. Teil, 4. Kap., 5 a. In: NStZ 1988, 486; ders., Strafrechtliche Sanktionen, S. 212.

342 5. Teil: Umsetzung der tatproportionalen Strafzumessungstheorie de lega lata

wegen des damit verbundenen weiten Entscheidungsspielraums keine prinzipielle Lösung sein. Aber auch im Rahmen der Strafvollstreckung sind die Möglichkeiten, auf persönliche Lebensumstände Rücksicht zu nehmen, sehr eingeschränkt79 . Eine Ausweitung des Handlungsspielraums der Strafvollstreckungsbehörden wäre auch nicht wünschenswert, da es grundsätzlich Sache des Strafgerichts ist, den Umfang der zu verbüßenden Strafe festzulegen. Wenn Härtefälle, in denen eine Nichtberücksichtigung gesteigerter Strafempfindlichkeit offensichtlich in besonderm Ausmaß gegen den Grundsatz der Einzelfallgerechtigkeit verstößt, nicht nur vereinzelt, sondern in bestimmten Fallgruppen häufiger entstehen, sollte im Bereich der Strafzumessung eine Lösung gefunden werden80 . Es ist jedoch in Abgrenzung zu der Theorie von der subjektiven Bewertung des Strafübels erforderlich, klarzustellen, daß es sich um Ausnahmen von einer Regel handelt, die deshalb in besonderem Maße begrundungsbedürftig sind. Die entscheidende Frage ist deshalb, unter welchen Umständen ausnahmsweise eine Strafmilderung aufgrund persönlicher Lebensumstände zu rechtfertigen ist. Es bietet sich an, bei den in der Rechtsprechung anerkannten Fallgruppen einer besonders gesteigerten Strafempfindlichkeit anzusetzen.

c) Fallgruppen der besonders gesteigerten Strafempfindlichkeit

aa) Verkürzung der Lebenserwartung aaa) In der Rechtsprechungspraxis sind das hohe Alter des Angeklagten81 , eine HIV-Infektion82 , eine Krebserkrankung83 oder eine sonstige schwere Krankheiten84 als Grund anerkannt, eine Strafe zu mildern. Der gemeinsame Kern dieser Strafmilderungen liegt darin, daß dem Angeklagten nur eine stark verkürzte Lebensspanne verbleibt und somit eine zu verbüßende Freiheitsstrafe eine erheblich andere Bedeutung gewinnt. Es wäre zwar problematisch, wenn bei jeder Verurteilung zur Freiheitsstrafe prognostische Erwägungen zur ver79 Vgl. die §§ 455 ff. StPO. Bei Krankheiten etwa nur, wenn entweder nahe Lebensgefahr besteht oder eine Behandlung im Anstaltskrankenhaus nicht möglich ist, § 455 Abs. 2, 3, 4 Nr. 3. 80 Für die Strafzumessungslösung auch Nestler-Tremel, AIDS und Strafzumessung, S.41. 81 BGB StV 1990, 303; StV 1991,206. 82 BGB StV 1987, 346; StV 1988,296; StV 1991, 105,513; OLG Köln StV 1988, 67; LG Krefeld StV 1989,439. 83 BGB StV 1989, 152; StV 1990,259; StV 1991,207. 84 BGB StV 1987, 101; KG StV 1988, 518. Weitere Beispiele aus der älteren Rechtsprechung bei Henkel, FS für Beinrich Lange, S. 184 f.

2. Kapitel: Die Bedeutung von § 46 Abs. 1 S. 2

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bleibenden Lebensspanne des Angeklagten und der daraus resultierenden subjektiven Bedeutung der Freiheitsstrafe angestellt würden. Bei den angeführten Fallgruppen handelt es sich jedoch um krasse Ausnahmefälle. Der Unterschied in der Bedeutung der Strafverbüßung ist hier so gravierend, daß eine Festsetzung der Freiheitsstrafe nach objektiven Standards inadäquat wäre. Im Ergebnis dürfte Einigkeit über die Behandlung solcher Extremkonstellationen bestehen85 . Auch unter praktischen Gesichtspunkten bereitet eine auf objektiv feststellbaren Daten beruhende Individualisierung des Strafmaßes keine Probleme. bbb) Als generelle Regel läßt sich der Grundsatz aufstellen, daß unter zwei Voraussetzungen ungewöhnliche Lebensumstände strafmildernd berücksichtigt werden können. Zum einen muß es sich um gravierende Umstände handeln, die über graduelle Abweichungen in der subjektiven Bedeutung einer bestimmten Strafe hinausreichen86 . Zum anderen muß es sich um augenfällige Unterschiede handeln, das heißt solche, die keine Persönlichkeitserforschung oder diffizile Bewertung subjektiver Einschätzungen voraussetzen, sondern deren Relevanz sich ohne weiteres aufgrund von problemlos feststellbaren Befunden ergibt87 • Mit diesen Grundsätzen ist auch die Strafmilderung gewährende Rechtsprechung zu Behinderungen vereinbar, bei denen zwar nicht eindeutig eine Verkürzung der Lebenserwartung zu prognostizieren ist, die aber unter den Bedingungen des Strafvollzugs zu ganz erheblichen zusätzlichen Schwierigkeiten für den Betroffenen führen88 .

bb) Strafempfindlichkeit von Ausländern aaa) Problematischer ist die Rechtsprechung zur gesteigerten Strafempfindlichkeit von Ausländern beim Vollzug von Freiheitsstrafen. Zwar lehnt der BGH eine Strafzumessungsrelevanz der Ausländereigenschaft für sich genommen ab, verweist aber darauf, daß in Abhängigkeit von den persönlichen Verhältnissen des Verurteilten der Vollzug außergewöhnliche Wirkungen haben könne. Im einzelnen werden Verständigungsprobleme, wesentlich abwei-

85 Aus der Literatur vgl. Bnms, Recht der Strafzumessung, S. 197 f.; Schäfer, FS für Trändie, S. 399; ders., Praxis der Strafzumessung, Rn. 312; Dencker, StV 1992, 125 ff.; Nestler-Tremel, AIDS und Strafzumessung, S. 41; Müller-Dietz, FS für Spendei, S. 422 f.; LK-Gribbohm, § 46 Rn. 26 a; SK-Hom, § 46 Rn. 139 a. 86 So auch Erhard, Strafzumessung bei Vorbestraften, S. 309. 87 Ähnlich Henkel, FS für Heinrich Lange, S. 186 ff. 88 BGH StV 1987, 530: Sehbehinderung um 90 %; BGHR § 46 Abs. I Schuldausgleich 31: Schlaganfall.

344 5. Teil: Umsetzung der tatproportionalen StrafzumessWlgstheorie de lega lata

chende Lebensgewohnheiten und erschwerte familiäre Kontakte als mögliche Gründe für eine gesteigerte Haftempfindlichkeit aufgeführt89 . In der neuesten Entscheidung versucht der BGH allerdings, diese Linie im Ergebnis wieder abzuschwächen, indem er darauf verweist, daß die besonderen Härten dann nicht strafmildernd anzurechnen seien, wenn die Strafvollstreckung überwiegend im Heimatland des Ausländers erfolgen könne. Als Basis für die Verneinung einer Strafmilderung soll eine Erklärung der Staatsanwaltschaft ausreichen, daß mit einer Überstellung zu rechnen sei9o . Diese letzte Wendung ist bedenklich, da die Staatsanwaltschaft während des Erkenntnisverfahrens keine verbindliche Prognose über eine zukünftige Überstellung abgeben kann, weil diese Entscheidung nicht allein in ihren Händen liegt91. Die zweifelhafte Vorgehensweise, das Strafurteil nicht von feststehenden Tatsachen, sondern von Vermutungen über zukünftige Entwicklungen abhängig zu machen92 , läßt vermuten, daß aus kriminalpolitischen Erwägungen die praktischen Auswirkungen der Judikatur zur gesteigerten Strafempfindlichkeit korrigiert wurden. Gerade bei Ausländern, die nicht in der Bundesrepublik leben, sondern gezielt zur Begehung von Straftaten einreisen - wie in dem in BGH NStZ 1998, 348 entschiedenen Fall - entstehen die durch kulturelle Fremdheit geprägten Vollzugshärten93 - genau bei dieser Tätergruppe dürfte jedoch eine Strafmilderung auf wenig Verständnis in der Öffentlichkeit stoßen. bbb) Aus dem hier gewählten Blickwinkel ist nicht nur die Begründung einer Strafzumessungsentscheidung mit Vermutungen zu problematisieren, sondern bereits der die Haftempfindlichkeit strafmildernd berücksichtigende Ausgangspunkt des BGH. Dieser liegt in einer uneingeschränkt am subjektiven Strafempfinden orientierten Bemessung des Strafmaßes und überzeugt deshalb nicht ohne weiteres, wenn man davon ausgeht, daß das subjektive Strafleiden nur in Ausnahmefällen erheblich gesteigerter Strafempfindlichkeit zur einer Strafmaßreduzierung führen soll. Den Kriterien "abweichende Lebensgewohnheiten" und "erschwerte familiäre Kontakte" fehlt der notwendige, klar umrissene Ausnahmecharakter: Der streng durchreglementierte Vollzugsalltag steht auch bei anderen Gefangenen in starkem Kontrast zu den persönlichen Lebensgewohnheiten, und der familiäre Kontakt kann auch bei inländischen (etwa aus einem anderen Bundesland stammenden) Inhaftierten erschwert sein. Es könnten deshalb nur sprachliche Verständigungsprobleme als deutlich BGH NStZ 1997, 77; NStZ 1998, 349. BGH NStZ 1998, 349. 91 Weider, StV 1998,69 f.; Laubenthai, NStZ 1998, 350. 92 Weider, StV 1998, 68. 93 Wenn der Täter seinen Lebensmitte1punkt in Deutschland hat, wird eine gesteigerte Strafempfindlichkeit verneint, BGH NStZ 1997, 77. 89 90

2. Kapitel: Die Bedeutung von § 46 Abs. I S. 2

345

erkennbare Sonderumstände anerkannt werden. Aber auch insoweit besteht ein Unterschied zur ersten Fallgruppe: Eine stark verminderte Lebenserwartung oder eine sehr schwere körperliche Behinderung machen den Vollzug zur besonderen Härte, weil diese Umstände unabänderbar und auch durch eine entsprechende Vollzugsgestaltung nicht kompensierbar sind. Sprachprobleme können aber zumindest (etwa durch eine Zusammenlegung von Gefangenen gemeinsamer Sprache) gemindert werden. Es ist deshalb zweifelhaft, ob die gesteigerte Haftempfindlichkeit von sprachunkundigen Ausländern ein solches Ausmaß erreicht, daß eine Ausnahme von der objektiven Bestimmung der Rechtsfolgenschwere gerechtfertigt wäre.

cc) Besondere Tatfolgen für den Täter Anders als bei den ersten Fallgruppen geht es nicht um die Bewertung des Strafübels vor dem Hintergrund bestimmter persönlicher Lebensumstände des Angeklagten, sondern um die Möglichkeit der Anrechnung eines Übels, welches auf die Tatbegehung zurückgeht94 . In Betracht kommen insbesondere schwere körperliche Verletzungen des Täters, die dieser beispielsweise infolge einer Notwehrhandlung des Opfers oder bei seiner Ergreifung erlitten hat, oder ganz erhebliche eigene wirtschaftliche Verluste im Zusammenhang mit einer Vermögensstraftat. Es muß sich, um den Ausnahmecharakter der strafmildernden Anwendung zu wahren, um gravierende Tatfolgen handeln. Eine gesetzliche Grundlage für die strafmildernde Berücksichtigung ergibt sich aus § 60: Es ist unstreitig, daß schwere Tatfolgen, die wegen der Schwere der Tat nicht zu einern Absehen von Strafe führen können (§ 60 S. 2), als allgemeine Strafzumessungserwägung im Rahmen von § 46 einzubeziehen sind95 .

dd) Mittelbar auf der Bestrafung beruhendes zusätzliches Übel aaa) An dieser Stelle ist die Diskussion der negativen sozialen Folgen für den Bestraften durch Strafverhängung oder -vollstreckung wieder aufzunehmen. Dabei sind vor allem zwei Hauptanwendungsfalle für eine mögliche Strafmilderung zu unterscheiden. Zum einen kann die Strafempfindlichkeit des Angeklagten gesteigert sein, weil gravierende Folgen für sein zukünftiges Terhorst, JR 1989, 184. Zipf, JR 1975, 164; Maurach/Gössel/Zipf, Strafrecht AT 2, § 66 Rn. 14; Schäfer, FS für Tröndle, S. 401; ders., Praxis der Strafzumessung, Rn. 323; Schönke/Schröder/Stree, § 60 Rn. 12; LK-Hirsch lO , § 60 Rn. 44; Frisch, 140 Jahre GA, S. 16 f.; Trändie, § 60 Rn. 7; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, S. 864. 94

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346 5. Teil: Umsetzung der tatproportionalen Strafrumessungstheorie de lega lata

Berufsleben zu erwarten sind, die in ihren Konsequenzen zeitlich weit über die Strafverbüßung hinausreichen. Zum anderen ist zu bedenken, daß eine Bestrafung gleichzeitig eine mittelbare Bestrafung für Dritte sein kann. Eine erste Beschränkung für die Einbeziehung mittelbarer Folgen ergibt sich bereits daraus, daß es sich um konkret vorhersehbare Folgen handeln muß. Ein undifferenzierter Hinweis auf die schädlichen Auswirkungen von Strafe für Täter in gehobener sozialer Stellung96 kann schon aus diesem Grund keine Strafmilderung begründen. Eine zweite Einschränkung ergibt sich daraus, daß nur bei gravierenden Folgen eine Berücksichtigung gesteigerter Strafempfindlichkeit in Erwägung zu ziehen ist. Rufschädigungen, wie sie etwa durch eine wahrheitsgemäße Berichterstattung in der Presse entstehen, fallen regelmäßig nicht hierunter - anders entscheidet die Rechtsprechung97 . bbb) Eine Individualisierung des Strafmaßes könnte auf schwerwiegende Konsequenzen für das Berufsleben des Angeklagten gestützt werden. In der Rechtsprechung sind beamtenrechtliche Folgen 98 sowie standesrechtliche Konsequenzen einer Verurteilung, etwa der Verlust der Rechtsanwaltszulassung oder der Approbation als Arzt99, als Strafmilderungsgründe anerkannt. Die Konsequenzen eines Verlusts der Beamtenrechte (§ 24 BRRG) oder der Berufszulassung sind regelmäßig nicht nur gravierend, sondern wegen des Verlustes des Einkommens sogar existenzbedrohend, da der Angeklagten wegen seiner spezifischen Vorbildung meist nicht die Möglichkeit hat, eine auch nur annähernd vergleichbare andere Arbeitsstelle zu finden. Vor diesem Hintergrund scheint die Berücksichtigung der gesteigerten Strafempfindlichkeit auf den ersten Blick vertretbar. Bei näherem Hinsehen ergeben sich allerdings Inkonsistenzen. Insbesondere bei den beamtenrechtlichen Folgen kann eintreten, was Streng als "undurchsichtige Rückkoppelung" kritisiert hae oo . Da § 24 BRRG den Verlust der Beamtenrechte an eine fixe Grenze, nämlich eine Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr koppelt, kann eine Strafmilderung den Effekt haben, daß die beamtenrechtliche Rechtsfolge gar nicht eintritt. Auf diese Weise entfallt durch die Strafmilderung die Ratio der Strafmilderung. Erwägenswert wäre,

Vgl. OLG Hamm NJW 1957, 1003; Schäfer, FS ftlr Tröndle, S. 398. BGH StV 1990, 65; zustimmend SK-Hom, § 46 Rn. 139. 98 BGH StV 1981,235; StV 1982,419; StV 1985,454; StV 1987,243; NStZ 1996, 539; StV 1997, 481, 482; BGHSt. 35, 148, 149 (Berücksichtigung bereits bei der Strafrahmenwahl; zu Recht kritisch bezüglich der Einordnung als minder schwerer Fall wegen der beamtenrechtlichen Konsequenzen Streng, NStZ 1988, 485 f.); ebenso BGHSt. 32, 68, 79 für Rechtsfolgen nach dem Soldatengesetz. 99 BGH StV 1986,429; StV 1987, 529; StV 1991, 157,207; NStZ 1996, 539; zustimmend Schäfer, Praxis der Strafrumessung, Rn. 324; LK-Gribbohm, § 46 Rn. 25. 100 NStZ 1988, 485; kritisch aus diesem Grund auch SK-Hom, § 46 Rn. 138. 96

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2. Kapitel: Die Bedeutung von § 46 Abs. 1 S. 2

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die Strafmilderung auf Konstellationen zu beschränken, bei denen die tatproportionale Strafe so hoch ist, daß auch bei einer Strafmilderung kein Rückkoppelungseffekt eintritt. Aber auch diese Regelung ist nicht problemlos, da mit Recht ein Beamter, für den der Verlust seiner Stellung durch eine Strafmilderung noch abgewendet werden könnte, eine Strafmilderung nur für den höher bestraften Kollegen als ungerecht einstufen würde. Die einzig konsequente Lösung basiert auf der Erkenntnis, daß eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und mehr nur für wirklich gravierende Straftaten eingesetzt werden darf, weil diese für alle berufstätigen Verurteilten erhebliche negative Konsequenzen mit sich bringt. Die Rechtsprechung zur Anrechnung beamten- und standesrechtlicher Verluste privilegiert einseitig bestimmte Berufsgruppen lOl , obwohl der Arbeitsplatzverlust typische Folge einer Freiheitsstrafenverbüßung ist. Anstatt auf individualisierende Lösungen zu setzen, die dann doch wieder auf alle Fälle des Arbeitsplatzverlustes erstreckt werden müßten l02 , ist ein generell sparsamer Einsatz der Freiheitsstrafe zu befürworten. Wie auch in der Literatur vertreten wird103 , ist das Konzept der Vermeidung von Entsozialisierung nicht auf konkrete Personen oder Personengruppen zu beziehen, sondern als allgemeine Richtlinie anzusehen. Nach dieser Lesart kommt § 46 Abs. 1 S. 2 auch unter Verzicht auf individualprognostische Erwägungen eine wichtige Bedeutung im Sinne der Vermeidung entsozialisierender Folgen zu: Bei der Entscheidung über die Verankerung der Strafskala sind die negativen Folgen freiheitsentziehender Maßnahmen im Auge zu behalten. ccc) Einfacher zu begründen sind dagegen Strafmilderungen, die nicht auf einer besonderen Strafempfindlichkeit des Angeklagten selbst beruhen, sondern darauf, daß mit der Bestrafung zwangsläufig Einbußen für Dritte verbunden sind104 . Da diese Dritte regelmäßig keinerlei Verschulden am Entstehen dieser Situation trifft, ist die Zufügung eines insoweit ungerechtfertigten Übels soweit wie möglich zu vermeiden. In der Literatur ist teilweise umstritten, ob entsprechende Erwägungen auf § 46 Abs. 1 S. 2 gestützt werden können, da die Norm nur die Wirkungen auf das künftige Leben des Täters erwähnt. Es sei deshalb erforderlich, daß der Gedanke an das Leid für Angehörige wiederum einen negativen Einfluß auf den Täter selbst habe 105 . Diese umständliche

101 Streng, NStZ 1988, 485; SK-Hom, § 46 Rn. 138; Müller-Dietz, FS filr Spendei, S. 430; Horstkotte, in: Jehle (Hrsg.), Individualprävention und Strafzumessung, S. 169. 102 BGH StV 1989,249,478; OLG Frankfurt StV 1994, 131 f.; LK-Gribbohm, § 46 Rn. 25; Schäfer, FS für Tröndle, S. 401; ders., Praxis der Strafzumessung, Rn. 324; Müller-Dietz, FS filr Spendel, S. 421; SK-Hom, § 46 Rn. 139. 103 Vgl. oben Fn. 63. 104 Terhorst, JR 1989, 185. 105 LK-Gribbohm, § 46 Rn. 21; anders Bruns, Recht der Strafzumessung, S. 157.

348 5. Teil: Umsetzung der tatproportionalen Strafzumessungstheorie de 1ega 1ata

Konstruktion ist jedoch entbehrlich: Die Formulierung "Leben des Täters in der Gesellschaft" erlaubt es, auch sozialen Bindungen Rechnung zu tragen. In der Rechtsprechung ist anerkannt, daß Folgen für die Familie des Angeklagten bei der Strafzumessung zu berücksichtigen sind106 . Diese Rechtsprechung ist einerseits zu erweitern, andererseits einzuschränken. Einer Erweiterung bedarf es, weil auch Personen außerhalb einer familienrechtlich geregelten Verbundenheit auf die Fortsetzung der Unterstützung durch den Angeklagten angewiesen sein können. Auf der anderen Seite kann nicht jede, auch ideelle Beeinträchtigung von nahestehenden Personen als Strafmilderungsgrund ausreichen; vielmehr bedarf es einer Gefährdung existentieller Bedürfnisse. Eine solche Gefährdung liegt etwa vor, wenn der Täter für andere Personen unterhaltspflichtig ist oder auf freiwilliger Basis dauerhafte Unterhaltsleistungen übernommen hat. Eine weitere Fallgruppe betrifft Fürsorgeverhältnisse nicht-materieller Art, etwa wenn der oder die Angeklagte Kinder zu betreuen oder Pflegebedürftige zu versorgen hat.

ee) Durch das Strafverfahren herbeigeführtes zusätzliches Übel aaa) Ein zusätzliches weiteres Übel, das auf die zu verhängende Strafe anzurechnen ist, kann direkte Konsequenz des Strafverfahrens sein. Soweit es um die Berücksichtigung eines zusätzlichen genuinen Strafübels geht, das für dieselbe Tat verhängt wurde, ist die Einbeziehung unproblematisch. Praktisch wird dies etwa, wenn für eine Tat im Ausland bereits Strafe verhängt wurde107 bzw. mit einer zusätzlichen Bestrafung im Ausland zu rechnen istlO8 • Vor allem ist die Belastung durch gleichzeitig verhängte unterschiedliche Strafen (Freiheitsstrafe und Geldstrafe, § 41; Nebenstrafen bei der Bemessung der Hauptstrafe) zu berücksichtigenlO9 . Auch Korrekturen bei der nachträglichen Gesamtstrafenbildung (§ 55), mit denen verhindert werden soll, daß Zufälligkeiten in der Reihenfolge von Aburteilung und Vollstreckung das Ausmaß der

BGH StV 1983, 326; StV 1993, 243; StV 1998, 375. BGH StV 1983, 326; StV 1986,292; StV 1988, 18. Art. 103 Abs. 2 GG soll in diesen Fällen keine Anwendung fmden, BVerfGE 12, 62, 66; Schmidt-Aßmann, in: MaunzlDürig, GG, Art. 103 Rn. 303. Sofern eine Strafe im Ausland verhängt und vollstreckt wurde, kann eine erneute Verurteilung in Deutschland problematisch sein, wenn selbst bei einer Strafmilderung bis zur gesetzlich vorgeschriebenen Mindeststrafe das Gesamtübe1 zu hoch angesetzt ist. 108 BGHR § 46 Abs. 1 Schuldausgleich 26. 109 BGHSt. 29, 58, 60 f; BGH VRS 78, 308, 309; OLG Düsse1dorf StV 1993, 311; Schäfer, FS ftir Trönd1e, S. 399 f; ders., Praxis der Strafzumessung, Rn. 314 ff.; Müller-Dietz, FS für Spende1, S. 421 f; SK-Hom, § 46 Rn. 140. 106

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2. Kapitel: Die Bedeutung von § 46 Abs. 1 S. 2

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zu verbüßenden Strafe bestimmen11o, sind aus strafzumessungsrechtlicher Sicht unproblematisch. bbb) Im Ergebnis ist auch unumstritten, daß Beeinträchtigungen bei der Strafzumessung anzurechnen sind, die unmittelbar auf die Durchführung des Strafverfahrens zurückzuführen sindill . War gegen den Verurteilten Untersuchungshaft verhängt worden, ergibt sich die Anrechnung (§ 51) schon aus der faktischen Ähnlichkeit mit einer Freiheitsstrafell2 . Auch das in ständiger Rechtsprechungl\3 und von der Strafzumessungslehre ll4 anerkannte Prinzip, daß die übermäßige Dauer des Strafverfahrens strafmildernd zu berücksichtigen ist, gehört in den Kontext der Strafmilderungen wegen der Anrechnung eines bereits erlittenen Übels. Angesichts der verfassungsrechtlichen Verankerung (Verstoß gegen das Recht auf ein rechtsstaatliches, faires Verfahren, Art. 2 Abs. I in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG)1I5 ist unumstritten, daß im Ergebnis zumindest eine Strafmilderung angebracht ist116. Umstritten ist allerdings, welchen theoretischen Hintergrund eine entsprechende Strafmilderung hat. Es wird vertreten, daß es sich um einen Fall der teilweisen Verwirkung des Strafanspruchs handle l17 . Überwiegend hat sich jedoch die Beurteilung durchgesetzt, daß ein überlanges Strafverfahren eine zusätzliche Übelszufügung für den Betroffenen bedeutet. Ein anhängiges Strafverfahren ist mit erheblichen Belastungen verbunden: Diese sind teilweise als berufliche Nachteile und als Verteidigungskosten quantifizierbar, haben aber

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Vgl. BGHSt. 31, 102; 36, 378.

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Schäfer, FS für Tröndle, S. 402; ders., Praxis der Strafzumessung, Rn. 326 a.

112 Da wegen der Vergleichbarkeit von Untersuchungshaft und Freiheitsstrafe der Anrechnungsmodus unkompliziert ist, kann die Anrechnung nach § 51 Abs. 1 S. 1 auch ohne ausdrückliche Anordnung des Strafgerichts stattfinden, BGHSt. 24, 29, 30; 27, 287,288; BGHNStZ 1994, 335. m BVerfG StV 1984, 97; StV 1993, 352; NStZ 1997, 591; BGH StV 1987, 243; StV 1988,295,487; StV 1990, 17; StV 1992, 154,452; StV 1993, 360; StV 1994,242, 652,653; StV 1997,409; NStZ 1997,29; StV 1998, 376, 377; BayObLG StV 1989, 394; weitere Nwe. bei Detter, NStZ 1994, 176,475. 114 Imme Roxin, Rechtsfolgen schwerwiegender Rechtsstaatsverstöße, S. 218 fI.; Schäfer, FS für Tröndle, S. 403; ders., Praxis der Strafzumessung, Rn. 327 ff.; SKHorn, § 46 Rn. 146. m BVerfG StV 1984, 97. 116 Vgl. zu weitergehenden Konsequenzen, nämlich einer Einstellung des Verfahrens, Imme Roxin, Rechtsfolgen schwerwiegender Rechtsstaatsverstöße sowie SchejJler, Überlange Dauer von Strafverfahren. 117 SK-Horn, § 46 Rn. 146. Zur Verwirkung als Grund für die rechtliche Relevanz überlanger Strafverfahren s. auch Hillenkamp, JR 1975, 133 ff., der allerdings einer Strafzumessungslösung kritisch gegenübersteht und statt dessen für ein Prozeßhindernis plädiert. Kritisch zur Verwirkungslösung Scheffler, Überlange Dauer von Strafverfahren, S. 207 f.

350 5. Teil: UmsetzWlg der tatproportionalen StrafzumessWlgstheorie de lega lata

auch als erhebliche psychische Belastung strafahnlichen Charakter1l8 . Zwar besteht ein Unterschied zwischen der "Quasi-Straf-Wirkung,,1l9 verzögerter Strafverfahren und einer strafrechtlichen Sanktion darin, daß im ersteren Fall die Übelszufügung nicht intendiert ist. Nichtsdestotrotz ist eine Einbeziehung dieses Übels bei der Strafzumessung angemessen, da es sich erstens um ein vom Staat auferlegtes Übel handelt, welches zweitens der strafrechtlichen Aufarbeitung der zugrundeliegenden Tat dient. Unter dem Stichwort "Gewichtung des Strafübels" fügt sich die Berücksichtigung überlanger Strafverfahren ohne Brüche in das Gesamtkonzept einer tatproportionalen Strafzumessungslehre ein. Demgegenüber steht der traditionelle Ansatz vor der Verlegenheit, daß er diese Fälle als schuldunabhängige Strafmilderungsgründe einordnen muß, was Begründungsprobleme aufwirft120 . Aus den gleichen Gründen, die gegen eine subjektive Gewichtung des Strafübels sprechen, ist auch bei der Bewertung der Belastung durch das überlange Strafverfahren als Regelrnaßstab auf die Dauer des Verfahrens abzustellen und nicht auf einen Nachweis von konkret eingetretenen Nachteilen 12l. Da sich die Strafzumessungsrelevanz des überlangen Strafverfahrens aus der Belastung des Angeklagten ergibt, spielt die Vertretbarkeit einer Verzögerung keine Rolle122. Aus der Perspektive des Angeklagten macht es keinen Unterschied, ob die zusätzlichen Beeinträchtigungen auf organisationsintern unvermeidbare Engpäße oder auf individuelles Fehlverhalten einzelner Mitglieder der Strafverfolgungsbehörden zurückzuführen sind123 . ccc) Zweifelhaft ist dagegen, ob der bloße ZeitablauJzwischen Tat und Verurteilung (unabhängig von der Dauer des Strafverfahrens) strafmildernde Wirkung hat. Rechtsprechung124 und herrschende Lehre125 gehen davon aus, daß die seit der Tat verstrichene Zeitspanne neben einer eventuellen Verfah118 Imme Roxin, Rechtsfolgen schwerwiegender Rechtsstaatsverstöße, S. 218 fT.; Kohlmann, FS für Pfeiffer, S. 205; Schanemann, Gutachten zum 58. DIT, B 35 f; Hillenkamp, NJW 1989,2848; Schroth, NJW 1990, 30 f; Schäfer, FS für Trönd1e, S. 402 f; ders., Praxis der StrafzumessWlg, Rn. 327 f; SchefJler, Überlange Dauer von Strafverfahren, S. 219 ff.; Pfeiffer, FS für Baumann, S. 331 f 119 Kohlmann, FS für Pfeiffer, S. 205. 120 BGH NJW 1986, 75, 76; NStZ 1986, 162; BGHR § 46 1 V-Mann 3. 121 In ähnlicher Weise wie bei der BewertWlg des Strafilbe1s können auch insoweit

Ausnahmen gemacht werden, wenn klar abgrenzbare, ohne weiteres feststellbare Sondererschwemisse hinzutraten. Vgl. auch Schroth, NJW 1990, 30: Länge des Verfahrens und BelastWlgen des Angeklagten als StrafzumessWlgsfaktoren. 122 Anders wohl Schäfer, Praxis der StrafzumessWlg, Rn. 327 c. 123 SchefJler, Überlange Dauer von Strafverfahren, S. 224. 124 BGH NStZ 1986,217,218; NStZ 1988,552; BGHR § 46 Abs. 2 VerfahrensverzögerWlg 3, 6; BGH StV 1992,452; StV 1994, 652, 653; StV 1995, 130. 125 Bruns, StrafzumessWlgsrecht, S. 181; Schroth, NJW 1990, 30; LK-Gribbohm, § 46 Rn. 229; Tröndle, § 46 Rn. 35.

2. Kapitel: Die Bedeutung von § 46 Abs. 1 S. 2

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rensverzögerung ein eigenständiger Milderungsgrund sei. Eine besondere Strafempfindlichkeit des Angeklagten wird anders als bei Verfahrensverzögerungenjedoch nicht begründet, da der Zeitablauf als solcher nicht als zusätzliches Übel zu gewichten ist. Es ergibt sich allerdings aus den Regeln über die Verfolgungsverjährung (§§ 78 ff.), daß das Verstreichen einer Zeitspanne für die strafrechtliche Ahndung von Belang sein kann. Teile der Lehre nehmen an, daß die Relevanz des Zeitablaufs auf den Strafzweck zurückzuführen sei: Für die Wiederherstellung des sozialen Friedens126 sei ab einem bestimmten Zeitpunkt Strafe nicht mehr erforderlich. Wenn man die Verfolgungsverjährung mit einem Nachlassen der Strafbedürftigkeit erklärt, ist es konsequent, von einem der Verjährung vorausgehenden graduellen Absinken der Notwendigkeit von Strafe auszugehen. Die Fristen in § 78 markieren dann lediglich den Punkt, an dem von gemilderter Strafe auf Strafverzicht überzugehen ist. Vor dem Hintergrund des hier vertretenen Ansatzes kann dies jedoch nicht überzeugen: An den Eckwerten für eine tatproportionale Strafzumessung, nämlich Unrecht, Schuld und Gewicht der Übelszufügung ändert sich durch den Zeitablauf nichts127 . Insbesondere läßt sich mit Gerechtigkeitsargumenten 128 eine strafmildernde Bedeutung von verstrichener Zeit nicht begründen. Es bleiben deshalb nur Praktikabilitätsenvägungen als Ratio des § 78: Der Tatnachweis wird mit fortschreitender Zeit immer schwierigerl29 . Zwar tritt ein Beweismittelverlust bei allen Delikten ein, auch beim nicht verjährenden Mord (§ 78 Abs. 2)130. Daraus folgt jedoch nicht, daß eine Erklärung der Verfolgungsverjährung mit pragmatischen Erwägungen unmöglich ist. Es kann nicht ernsthaft versucht werden, jedes Delikt über einen unbegrenzten Zeitraum zu verfolgen; deshalb ist eine Beschränkung auf die strafwürdigsten Fälle angebracht. Feste Fristen zur Verfolgungsbeendigung liegen im Interesse der Rechtssicherheit. Dem Ablauf der Frist geht jedoch kein allmähliches Absenken des 126 Bloy, Strafausschließungs- und Strafaufhebungsgrüllde, S. 251; Frisch, ZStW 99 (1987), 379; Schroth, NJW 1990, 30; MaurachIGössel/Zipf, Strafrecht AT 2, § 75 Rn. 13; SK-Rudolphi, vor § 78 Rn. 10; Schäfer, Praxis der Strafzumessung, Rn. 356; JeschecklWeigend, Strafrecht AT, S. 911. Vgl. auch Peters, JR 1978,248: "Wunden heilende Kraft der Zeit". 127 Vgl. Hillenkamp, JR 1975, 138, zur Kritik an der Vorstellung, daß sich durch den Zeitablauf die Schuld verringere. 128 So Schönke/SchröderlStree, vor § 78 Rn. 3. 129 Diesen Gesichtspunkt führen sowohl die Autoren an, die die VeIjährung ausschließlich damit rechtfertigen, so etwa LK-Jähnke, vor § 78 Rn. 7 m.w.Nwen., als auch die Vertreter der herrschenden "gemischten" Rechtfertigung aus strafzweckorientierten wie pragmatischen Erwägungen, vgl. etwa MaurachIGössel/Zipf, Strafrecht AT 2, § 75 Rn. 13; Schönke/SchröderlStree, vor § 78 Rn. 3; Tröndle, vor § 78 Rn. 4; SKRudolphi, vor § 78 Rn. 10. 130 Insoweit zutreffend Tröndle, vor § 78 Rn. 4.

352 5. Teil: Umsetzung der tatproportionalen StrafZumessungstheorie de lega lata

Strafniveaus voraus: Für die auf Unrecht, Schuld und Strafschwere abstellende Strafzumessung gibt es grundsätzlich keine graduelle Milderung der Strafe in Abhängigkeit von der verstrichenen Zeit131 . Rechtsprechung und herrschende Lehre sind demgegenüber inkonsequent, da sie einerseits einen Strafmilderungsgrund der verstrichenen Zeit bejahen, andererseits aber die Verfolgungsvetjährung nicht als Strafaufhebungs- oder Unrechtsaufhebungsgrund, sondern nur als Prozeßhindernis einstufen132 . Wenn man eine materielle Theorie der Bedeutung von verstrichener Zeit vertritt (was in konsistenter Weise nur mit der Theorie der positiven Generalprävention möglich ist133), drängt sich die Schlußfolgerung auf, daß das abnehmende Strafbedürfnis auch eine entsprechende systematische Verortung der Verfolgungsverfährung verlangtl34.

3. Kapitel: Die Vereinbarkeit mit § 46 Abs. 2 1. Die Abwägungsformel in § 46 Abs. 2 S. 1 a) In diesem Kapitel ist zu erörtern, ob das Modell einer tatproportionalen Strafzumessung mit den gesetzlichen Rahmenbedingungen in § 46 Abs. 2 vereinbar ist. Der Wortlaut von § 46 Abs. 2 S. I ("Bei der Strafzumessung wägt das Gericht die Umstände, die für oder gegen den Täter sprechen, gegeneinander ab") ist aus zwei Gründen genausowenig eine überzeugende Wahl wie § 46 Abs. I S. 1. Hinter dieser Formulierung steht die in dieser Arbeit kritisierte Orientierung an der Person des Täters statt an der Tat. Genaugenommen enthält dieser Satz nämlich die Behauptung, daß ein das objektive Tatgeschehen betreffender Umstand lediglich als Indiz für den eigentlich die Wertung tragenden Charakter des Täters zu sehen sei. Allerdings nimmt auch 131 Nur in Extremfällen, bei denen zwischen Tat und Ahndung eine sehr lange Zeitspanne liegt, was praktisch nur bei den nicht veIjährenden Mordfällen (§ 78 Abs. 2) vorkommen kann, ist diskussionsWÜfdig, ob der Schuldgrundsatz als Argument fiir einen Bestrafungsausschluß angeführt werden kann. Wenn der jetzt Angeklagte seit der Jahrzehnte zurückliegenden Tatbegehung einen Identitätswandel durchgemacht hat, ist die Zurechnung der Tat zu seiner Person erschwert, vgl. dazu SchejJ1er, Überlange Dauer von Strafverfahren, S. 218 m.w.Nwen. 132 Zur Einstufung als Prozeßhindernis s. BGHSt. 2, 300, 306 ff.; 11,393,395; 28, 53, 56; MaurachIGössel/Zipf, Strafrecht AT 2, § 75 Rn. 15; Schönke/SchröderlStree, vor §§ 78 Rn. 3; LK-Jähnke, vor § 78 Rn. 8 f.; Tröndle, vor § 78 Rn. 4; JeschecklWeigend, Strafrecht AT, S. 911 ff. 133 SchejJ1er, Überlange Dauer von Strafverfahren, S. 217. 134 Konsequent in diesem Sinne Jakobs, Strafrecht AT, 10/22: VerfolgungsveIjährung sei Unrechts- und Schuldminderungsgrund und Prozeßhindernis; schwächer formuliert bei SK-Rudolphi, vor § 78 Rn. 10: als Prozeßhindernis ausgestalteter persönlicher Strafaufhebungsgrund. AA als hier SchejJ1er, Überlange Dauer von Strafverfahren, S. 216.

3. Kapitel: Die Vereinbarkeit mit § 46 Abs. 2

353

die herrschende Lehre diesen Anspruch nicht ernst. Es hat sich vielmehr eine allgemeiner gefaßte Interpretation eingebürgert, die die Bewertung "für oder gegen den Täter" als eine Abwägung von strafmildernden und strafschärfenden Faktoren versteht135 - womit eine Festlegung auf ein bestimmtes Schuldverständnis vermieden und die Bezugnahme auf die Person des Täter neutralisiert wird. b) Die zweite Schwierigkeit liegt in der Vorstellung einer Gesamtabwägung: Impliziert wird eine Verrechnung aller Strafzumessungsumstände in einem Schritt, was, wie oben bereits dargelegt, keine realistische Annahme ist 136 . Aber auch insoweit ist der Wortlaut flexibel genug: Das hier befürwortete schrittweise Vorgehen widerspricht nicht der gesetzlichen Norm, da ein "gegeneinander Abwägen" auch in gestreckter Form, d.h. in mehreren Bewertungsschritten erfolgen kann. Es ist mit § 46 Abs. 2 S. 1 vereinbar, wie hier vorgesehen zuerst die unrechtsbegründenden, dann die unrechts- und schuldrnindernden Umstände zu berücksichtigen.

2. Anwendungsfälle für die Strafzumessungsfaktoren in § 46 Abs. 2 S. 2 a) Sichtet man die im 4. Teil aufgeführten Kriterien für die Bewertung der Tat unter dem Gesichtspunkt, inwieweit die in § 46 Abs. 2 S. 2 aufgeführten Strafzumessungsfaktoren in diesem Modell unterzubringen sind, finden sich Anwendungsfalle für fast alle der im Gesetz aufgeführten Umstände. Für die verschuldeten Auswirkungen der Tat ist dies angesichts der dominanten Stellung des Erfolgsunwerts nicht weiter begründungsbedürftig. Auch die Art der Ausführung spielt entweder bei der Prüfung des Erfolgs- oder des Handlungsunrechts eine Rolle. Das Maß der Pj1ichtwidrigkeit wird vor allem bei Fahrlässigkeitsdelikten relevant137 . Auch die subjektiven Tathintergründe sind für die Bewertung der Tatschwere nicht bedeutungslos: Die Beweggründe und Ziele des Täters können einen schuld- oder unrechtsmindernden Umstand darstellen138 . Problematisch könnte der in § 46 Abs. 2 S. 2 angeführte bei der Tat aufgewendete Wille sein, da die in Lehre und Rechtsprechung übliche Orientierung am "verbrecherischen Willen" des Täters Kritik verdient\39. Jedoch bleibt auch nach dem hier vorgestellten Ansatz ein Anwendungsbereich: Die

135 Bruns, Recht der Strafzumessung, S. 243; LK-Gribbohm, § 46 Rn. 58; Schäfer, Praxis der Strafzumessung, Rn. 463; Lackner, § 46 Rn. 32; Schönke/Schröder/Stree, § 46 Rn. 6. 136 Vgl. oben 3. Teil, 4. Kap., I b cc. 137 Vgl. oben 4. Teil, 3. Kap., I b bb. 138 Vgl. oben 4. Teil, 3. Kap., I c. 139 Vgl. oben 1. Teil, 3. Kap., 3 c aa, bb.

23 Hörnie

354 5. Teil: Umsetzung der tatproportionalen Strafzumessungstheorie de lega lata

Unterschiede in der Intensität des strafrechtlichen Vorsatzes sind unrechtsrelevantl40 . Selbst die Kritik an der überzogenen Gewichtung von Vorleben, persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen im Rahmen eines täterorientierten Schuldverständnis oder einer präventionsorientierten Strafzumessung führt nicht zu der Schlußfolgerung, daß diese Umstände für ein tatproportionales Modell bedeutungslos sind. Unter dem Stichwort "schuldmindemde Umstände" können die Lebenshintergründe des Täters relevant werden, etwa wenn eine wirtschaftliche Notlage vorlag oder die persönlichen Tathintergründe zu einer Einschränkung der Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit bei der Tatbegehung geführt haben l41 . b) Der einzige in § 46 Abs. 2 S. 2 aufgeführte Umstand, der nicht in ein tatproportionales Strafzumessungskonzept integriert werden kann, ist die Gesinnung, die aus der Tat spricht. In Rechtsprechung und Lehre wird versucht, die sogenannte Einzeltatgesinnung von einer allgemeinen Bewertung des Charakters abzugrenzen l42 . Es komme auf Begleitumstände der Tathandlung an, die etwa mit den Adverbien "roh, böswillig, gewissenlos, niederträchtig, grausam, rücksichtslos" bezeichnet werden 143. Die Konstruktion einer sogenannten "Einzeltatgesinnung" ist jedoch überflüssig: Teilweise prägt diese "Einzeltatgesinnung" die objektiven Tatumstände, also die Intensität der Verletzung bzw. Gefährdung des Opfers oder die Ausnutzung einer Vertrauensstellung; dann ist sie vermittelt über diese zu berücksichtigen, ohne daß es des Rekurses auf die Tätergesinnung bedarf. Bei einer rohen, rücksichtslosen, grausamen oder niederträchtigen Begehungsweise ist dies regelmäßig der Fall. Eine Charakterisierung der Tat als böswillig oder gewissenlos hat dagegen keinen Aussagewert - dies sind Formeln zur Beschreibung des Täters, wobei die strafrechtliche Relevanz offen bleibt. Dies als Einzeltatgesinnung zu bezeichnen, läuft auf ein falsches Etikett hinaus, hinter dem sich die Bewertung der Persönlichkeit des Angeklagten bzw. seines Auftretens in der Hauptverhandlung verbirgt. Jescheck und Weigend verweisen unter dem Stichwort "Gesinnung" auf die Hintergründe einer fahrlässig begangenen Straftat am Beispiel eines Arztes, dessen Bestrafung wegen eines Behandlungsfehlers davon beeinflußt werden müsse, ob der Fehler durch unverschuldete Übermüdung verursacht wurde Vgl. oben 4. Teil, 3. Kap., I a. Vgl. oben 4. Teil, 5. Kap. 142 BGR NJW 1979, 1835; Bnms, Recht der Strafzumessung, S. 212 f.; Streng, Strafrechtliche Sanktionen, S. 175; MaurachIGössel/Zipf, Strafrecht AT 2, § 63 Rn. 155; JeschecklWeigend, Strafrecht AT, S. 889; Schäfer, Praxis der Strafzumessung, Rn. 250; Tröndle, § 46 Rn. 19; Schönke/SchröderlStree, § 46 Rn. 16. 143 Aufzählung bei Schönke/SchröderlStree, § 46 Rn. 16 und Trändie, § 46 Rn. 19. 140 141

3. Kapitel: Die Vereinbarkeit mit § 46 Abs. 2

355

oder ob etwa Geldgier der Anlaß war144 . Aber auch insoweit besteht kein Bedürfnis fiir einen auf die Tätergesinnung abstellenden Strafzumessungsfaktor: Sofern die Ennüdung bedeutet, daß das individuelle Können des Arztes hinter dem objektiv Gesollten zurückbleibt, tritt eine schuldmildernde Wirkung bereits nach dem herrschenden Verständnis der fahrlässigen Straftat ein145 . 3. Die Schwerpunktsetzung in § 46 Abs. 2 S. 2 a) Auch wenn sich abgesehen von der Gesinnung des Täters alle in § 46 Abs. 2 S. 2 aufgezählten Umstände in ein tatproportionales Strafzumessungsmodell integrieren lassen, könnte die Anwendbarkeit de lege lata aus einem anderen Grund problematisiert werden. Die hier vorgenommene Strukturierung des Strafzumessungsvorgangs, bei der als erster Schritt der Erfolgsunwert der Tat bestimmt werden soll, kollidiert mit der Schwerpunktsetzung in § 46 Abs. 2 S. 2. Dort werden an erster Stelle die Faktoren erwähnt, die Nuancen der Einstellungen und Antriebe des Täters charakterisieren. Die Entstehungsgeschichte des § 46 hat gezeigt, daß die Aufzählung Ähnlichkeiten mit den Entwürfen von 1909 bis 1919 sowie dem Entwurf von 1927 aufweist: Es kommen in dieser Nonn Ansichten aus der Zeitperiode nach der Jahrhundertwende zum Ausdruck, die für eine verstärkte Berücksichtigung der Gesinnung und der Täterpersönlichkeit eintraten146 . Demgemäß tauchen die Auswirkungen der Tat erst gegen Ende der Aufzählung auf, und auch nur an zweiter Stelle nach der Art der Tatausführung. Diese eher beiläufige Behandlung der Tatauswirkungen bringt zum Ausdruck, daß eine zentrale Rolle des Erfolgsunrechts nicht den Vorstellungen des historischen Gesetzgebers entsprach. Auch die hier vorgeschlagene Beschränkung des Anwendungsbereichs der in § 46 zuerst genannten Umstände, nach der zum Beispiel "das Maß der Pflichtwidrigkeit" nur selektiv, nämlich bei Fahrlässigkeitsdelikten, herangezogen wird, könnte deshalb problematisch sein. b) Es fragt sich, welche Bedeutung die relative Gewichtung der in § 46 Abs. 2 S. 2 aufgeführten Faktoren für die heutige Auslegung hat. Dies scheint in den allgemeineren Kontext der Fragestellung zu gehören, inwieweit der Norminterpret an die Vorstellungen des historischen Gesetzgebers gebunden ist. Ausgehend vom Verhältnis von gesetzgeberischer zu rechtsanwendender Kompetenz wird thematisiert, ob einer subjektiv-historischen Auslegung Vor-

In: Strafrecht AT, S. 889. Roxin, Strafrecht AT 1, § 24 Rn. 107 ff.;Kühl, Strafrecht AT, § 17 Rn. 89. 146 Vgl. oben 1. Teil, 3. Kap., 3 a bb. 144

145

23·

356 5. Teil: Umsetzung der tatproportionalen Strafzwnessungstheorie de lega lata

rang vor einer objektiv-teleologischen Methode einzuräumen ise 47. Die Diskussion muß jedoch hier nicht in grundsätzlicher Form aufgenommen werden, weil die Problematik bei der Auslegung von § 46 Abs. 2 S. 2 anders gelagert ist als bei der Auslegung von Tatbestandsmerkmalen im allgemeinen. § 46 Abs. 2 S. 2 weist die Besonderheit auf, daß die Aufzählung mit den Worten "dabei kommen namentlich in Betracht" eingeleitet wird. Diese gesetzestechnische Fassung begründet eine schwächere Bindung als etwa die sog. Regelbeispielsmethode, wie sie etwa in § 243 Abs. 1 S. 2 mit der Formulierung "ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn" zur Anwendung gekommen ist. Das Vorliegen eines Regelumstands begründet eine Bindung des Tatrichters jedenfalls dann, wenn keine als Ausnahme anzusehenden mildernden Fallumstände vOrliegen l48 . § 46 Abs. 2 S. 2 ist jedoch noch unverbindlicher gefaßt. Die Wahl des Verbes "in Betracht kommen" impliziert, daß es sich bei der Auflistung um Anregungen des Gesetzgebers handelt, aus denen der Tatrichter im einzelnen eine Auswahl treffen kann. Daß die Auflistung in § 46 Abs. 2 S. 2 nicht abschließend ist, ergibt sich aus dem Wort "namentlich". Die vom Gesetzgeber mit der Wortwahl selbst vorgenommenen Einschränkung der Bindekraft schlägt auch auf die Schwerpunktsetzung durch. Auch wenn eine Revision der in § 46 Abs. 2 S. 2 aufgezählten Strafzumessungsfaktoren de lege ferenda vorzugswürdig wäre, hat dies nicht zur Konsequenz, daß bis zu diesem Zeitpunkt eine gewichtige Rolle des Erfolgsunrechts und eine nur selektiv auf bestimmte Fallkonstellationen zugeschnittene Anwendung der zuerst genannten Strafzumessungsfaktoren ausgeschlossen ist.

4. Kapitel: Die Vereinbarkeit mit den Wiedergutmachungsvorschriften (§§ 46 a, 46 Abs. 2 S. 2) 1. Verdienstvolles Handeln versus erfolgte Wiedergutmachungsleistungen a) Nach der hier vorgestellten Bewertung von Wiedergutmachungsleistungen wäre eine Strafzumessungsvorschrift wünschenswert, die eine Strafmilderung in erster Linie vom Ausmaß der Verminderung des Erfolgsunwerts abhängig mache 49. Das de lege lata gültige Konzept sieht starrere Voraussetzungen für die Rechtsfolgen nach § 46 a vor, während Wiedergutmachungsleistungen, die dem nicht genügen, nach § 46 Abs. 2 S. 2 bei der Bemessung 147 Vgl. dazu Naucke, FS für Engisch, S. 274 ff.; Schünemann, FS flir Bockelmann, S. 123 ff.; AK-Hassemer, § 1 Rn. 115; Koch/Rüßmann, Juristische Begrundungslehre, S. 119 ff. 148 SK-Samson, § 243 Rn. 3; Trändie, § 46 Rn. 44. 149 Vgl. oben 4. Teil, 4. Kap., 4.

4. Kapitel: Vereinbarkeit mit den Wiedergutmachungsvorschriften

357

der Strafe innerhalb des Nonnalstrafrahmens berücksichtigt werden können. § 46 a stößt aus der hier eingenommenen Perspektive einer Orientierung arn Unrecht aus mehreren Gründen auf Kritik. Die im Vergleich zu einer auf § 46 gestützten Strafmilderung weitreichenderen Rechtsfolgen werden an tatbestandliche Voraussetzungen geknüpft, die in ihrer konkreten Kombination nicht immer überzeugen. Zwar ist dies im Ergebnis teilweise wieder insofern korrigierbar, als ein Auswahlennessen des Tatrichters besteht. Unter Unrechtsgesichtspunkten sollte die Rahmenmilderung nach § 49 Abs. 1 oder ein Absehen von Strafe nur in Betracht kommen, wenn die konkrete Ausprägung einer Wiedergutmachungsleistung nach § 46 a Nr. 1 oder 2 tatsächlich im Sinne der oben aufgefiihrten Kriterien zu einer relevanten Senkung des Erfolgsunrechts gefiihrt hat. b) Die Gesetzesbegründung zu § 46 a verweist darauf, daß Wiedergutmachungsleistungen alleine nicht genügen. Es müsse aus generalpräventiven Gründen verhindert werden, daß reiche Täter, die ohne weiteres zur Zahlung des vollständigen Schadensersatzes imstande seien, sich "freikaufen" könntenl50 . Zu einer Wiedergutmachung, § 46 a Nr. 1 bzw. Entschädigung, § 46 a Nr. 2, müsse deshalb ein weiteres Element treten, nämlich das Bemühen um einen Ausgleich mit dem Verletzten, § 46 a Nr. 1, oder ein persönliches Opfer des Täters, § 46 a Nr. i 51 • Der Rekurs auf generalpräventive Gründe ist zwar aus der hier zugrundegelegten Perspektive problematisch. Grundsätzlich ist allerdings auch fiir eine Bewertung des Unrechts verdienstvolles Handeln des Täters von Relevanz. Hat er ein persönliches Opfer erbracht, ist dies als besonders verdienstvolles Verhalten zusätzlich zu der Minderung des Erfolgsunrechts zu beachten152 . Auch die in § 46 Nr. 1 aufgefiihrte Modalität, nämlich das Bemühen um einen Ausgleich zwischen Täter und Opfer, kann unter diesem Aspekt bewertet werden, da die Konfrontation mit dem Opfer in der Regel als belastend und das Aufsichnehmen dieses Verfahrens deshalb verdienstvoll ist. c) In § 46 Abs. 2 S. 2 und § 46 a wird die Bedeutung verdienstvollen Handelns im Vergleich zur Bedeutung des geminderten Erfolgsunrechts jedoch überbetont153 . In der Literatur wird etwa der eingeschränkte Anwendungsbereich von § 46 a kritisiert, wenn fiir ein besonders verdienstvolles Handeln kein Bedürfnis besteht, namentlich bei Fahrlässigkeitsdelikten. Das Bemühen um einen Ausgleich zwischen Täter und Opfer sei in diesen Fällen überflüssig;

BT-Drs. 12/6853, S. 22; BGH NStZ 1995, 493; OLG Stuttgart NStZ 1996, 390. BT-Drs. 12/6853, S. 21 f.; ebenso BGH NStZ 1995,493; OLG Stuttgart NStZ 1996,390,391; BayObLG NStZ 1997, 33; KG StV 1997,472,473. 152 Vgl. oben 4. Teil, 4. Kap., 4 c. 153 Brauns, Wiedergutmachung der Folgen, S. 304 f. 150 151

358 5. Teil: Umsetzung der tatproportionalen Strafzwnessungstheorie de lega lata

es müsse ausreichen, wenn der Täter für eine vollständige Kompensation etwa durch Veranlassung der Leistung seiner Haftpflichtversicherung sorge154 . Problematisch ist insbesondere die Rolle von erfolglosen Bemühungen. Nach dem hier vertretenen Ansatz können erfolglose Bemühungen in die Strafzumessungserwägungen einbezogen werden, allerdings mit deutlich geringerem Gewicht als erfolgreiche Wiedergutmachungsleistungen155 . § 46 Abs. 2 S. 2 setzt jedoch andere Akzente: Dort wird nur auf das Bemühen des Täters um Schadenswiedergutmachung bzw. einen Ausgleich mit dem Verletzten abgestellt, während erfolgreiche Anstrengungen im Gesetzestext keine ausdrückliche Erwähnung finden. Dies ist allerdings kein zwingender Grund, eine stärkere Gewichtung des Erfolgsunrechts de lege lata zurückzuweisen: Die Gesetzesformulierung in § 46 kann auch auf einer ökonomischen Wortwahl beruhen, wenn man "Bemühen" als Oberbegriff ansieht, der sowohl erfolgloses Handeln als auch ein zu einem Wiedergutmachungserfolg fiihrendes Bemühen einschließt156 . Allerdings setzt nunmehr § 46 a Nr. 1 ernsthafte Bemühungen des Täters einer vollständigen bzw. überwiegenden Wiedergutmachung gleich. Grund der Strafrahrnenmilderung wird damit die ernstgemeinte Teilnahme am TäterOpfer-Ausgleichs-Verfahren. Die hier vertretene, stärker erfolgsorientierte Sichtweise ist damit nicht ohne weiteres zu vereinbaren. Im Ergebnis kann allerdings die unterschiedliche Akzentsetzung durch die Ermessensentscheidung auf der Rechtsfolgenseite teilweise kompensiert werden. Ein Absehen von Strafe wird demnach regelmäßig nur bei vollständiger und verdienstvoller Wiedergutmachung, bei leichten Straftaten auch bei teilweiser und verdienstvoller Wiedergutmachung in Betracht kommen. Erfolglose Bemühungen allein sollten dagegen kein Absehen von Strafe nach sich zieheni57 • Auch nach einer Rahrnenmilderung kann der auf Unterschiede bei der Wiedergutmachung zurückgehende unterschiedliche Erfolgsunwert innerhalb des gemilderten Rahmens zur Geltung kommen, da die konkrete Auspragung der für die Rahmenmilderung Anlaß gebenden Umstände bei diesem Teil der Strafzumessungsüberlegungen berücksichtigt werden kann158 . 154 SK-Hom, § 46 a Rn. 6. Bei einer unrechtszentrierten Betrachtungsweise käme allerdings auch in dieser Fallkonstellation ein Absehen von Strafe nicht in Betracht, da mit einer vollständigen Kompensation das Erfolgsunrecht nicht weitgehend aufgehoben werden kann. ISS Vgl. oben 4. Teil, 4. Kap., 4 c. 156 Es wäre deshalb zwar mit dem Gesetzeswortlaut nicht vereinbar, bloße Bemühungen für irrelevant zu erachten - was in dieser Arbeit auch nicht vertreten wird. Es ist jedoch § 46 Abs. 2 S. 2 nicht zu entnehmen, daß erfolgloses Bemühen erfolgten Leistungen bei der Gewichtung gleichgestellt werden muß. 157 Anders Meier, JuS 1996, 441. 158 st. Rspr., vgl. BGHSt. 26, 311; BGH NStZ 1985, 164; NStZ 1992, 538.

4. Kapitel: Vereinbarkeit mit den WiedergutmachWlgsvorschriften

359

2. Die tatbestandlieben Voraussetzungen von § 46 a im übrigen a) Die zivi/rechtlich orientierte Fassung von § 46 a Nr. 2 entspricht nicbt adäquaten strafrechtlichen Wertungen zur Relevanz von Wiedergutmachungsleistungen. § 46 a Nr. 2 setzt eine Entschädigung in Kombination mit einem persönlichen Opfer des Täters voraus; darauf kann eine Strafrahmenmilderung gestützt werden, die vor allem bei schweren Verbrechen wegen der Absenkung der Mindeststrafen (§ 49 Abs. 1 Nr. 3) fiir das Strafmaß entscheidend ins Gewicht fällt. Bei einer unrechtsbezogenen Betrachtungsweise kämen dagegen derart weitreichende Konsequenzen als Reaktion auch auf die mit einer persönlichen Einschränkung verbundene159 Bezahlung vollständigen Schadensersatzes in vielen Fällen nicht in Betracht. Die Leistung des zivilrechtlich geschuldeten Schadensersatzes ist fast immer nur eine tei/weise Wiedergutmachung. Abhängig vom Gewicht des Erfolgsunrechts ist die Bedeutung der Schadensersatzleistung unterschiedlich; eine wirklich erhebliche Erfolgsunrechtsminderung, die eine Strafrahmenminderung tragen könnte, ist aber seltenl60 . b) Verdeutlichen läßt sich dies an einem vom 5. Senat des BGH 1995 entschiedenen Fall. Der Angeklagte, der wegen Vergewaltigung und gefährlicher Körperverletzung zu vier Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden war, hatte 5000.- DM Schmerzensgeld an das Tatopfer bezahlt, wobei davon ausgegangen werden kann, daß dies fiir ihn ein finanzielles Opfer bedeutetel61 . Unter Berücksichtigung der zivilrechtlichen Schmerzensgeldpraxis162 hätte deshalb nach dem Wortlaut von § 46 a Nr. 2 eine Rahmenmilderung nahegelegen. Bei einer am Unrecht orientierten Bewertung kommt eine drastische Strafmilderung jedoch nicht in Betracht, weil auch eine aus zivilrechtlicher Sicht vollständige finanzielle Kompensation wegen der Art der Beeinträchtigung des Opfers und des besonders gravierenden Erfolgsunrechts die Tatschwerebeurteilung nur geringfügig beeinflußtl63 . Im Ergebnis wurde auch der entscheidende Senat offenbar von ähnlichen Erwägungen geleitet: Eine Anwendung des § 46 a Nr. 2 wurde mit der Begründung abgelehnt, die Anwendbarkeit dieser Norm sei auf Vermögensdelikte beschränkt. Die Überlegung des BGH, daß immate159 Ein solches persönliches Opfer wird von der RechtsprechWlg vorausgesetzt, damit § 46 a Nr. 2 zur AnwendWlg komme, s. die Nwe. oben Fn. 151. 160 Vgl. oben 4. Teil, 4. Kap., 4 b bb. 161 Aus der UrteilsbegrUndWlg geht dies zwar nicht ausdrücklich hervor. Die Angabe, daß der Täter keinen höheren Kredit als 5000.- DM bekommen konnte (BGH NStZ 1995, 492), deutet jedoch auf beengte fmanzielle Verhältnisse hin, die die Kreditaufnahme zum Opfer machen; vgl. Kilchling, NStZ 1996, 314. 162 Nwe. zum Schmerzensgeld in VergewaltigWlgsfällen bei Kilchling, NStZ 1996, 314 f. Fn. 119, 121. 163 Vgl. oben 4. Teil, 4. Kap., 4 b bb.

360 5. Teil: Umsetzung der tatproportionalen Strafzumessungstheorie de lega lata

rielle Tatfolgen nicht durch die Zahlung der zivilrechtlich geschuldeten Entschädigung abgegolten werden können l64 , überzeugt, sieht sich aber dem naheliegenden Einwand ausgesetzt, daß diese Einschränkung weder dem Gesetz noch der Gesetzesbegründung zu entnehmen ist l65 . c) Neben der zu weitreichenden Fassung von § 46 a gibt es auch die umgekehrte Konstellation, bei der nach dem Gesetzeswortlaut fraglich ist, ob eine Strafrahmenmilderung möglich ist, obwohl die Wiedergutmachungsleistung unter Unrechtsgesichtspunkten am höchsten zu bewerten ist. Dies gilt vor allem für die Fälle einer vollständigen Wiedergutmachung, bei der der Täter durch sofortige Rückgabe von Gegenständen oder Vermögenswerten die Tatfolgen spurenlos aufhebt l66 . Es wäre unbefriedigend, wenn ausgerechnet diese Entwicklung nur nach § 46 Abs. 2 S. 2 verwertet werden könnte. Die sofortige Rückgabe ist keine Entschädigung im Sinne von § 46 a Nr. 2. Weil eine schnelles Handeln erfordernde vollständige Wiedergutmachung aber auch nicht im Kontext eines Täter-Opfer-Ausgleichs durchgeführt werden kann, ist fraglich, ob § 46 a Nr. I Anwendung finden kann. Auch wenn der Gesetzgeber jedoch offenbar Konstellationen im Auge hatte, bei denen der Ausgleich mit dem Verletzten unter Anleitung eines Dritten erfolgt167, hat diese Einschränkung im Gesetzestext nicht hinreichend Ausdruck gefunden. Dort ist zwar vom Täter-Opfer-Ausgleich, nicht aber von organisierten Täter-OpferAusgleichsprojekten die Rede l68 . Auch wenn man grundsätzlich davon ausgeht, daß eine "umfassende Lösung des Gesamtkonflikts mit friedensstiftender Wirkung"169 angestrebt werden sollte, ist dies in den hier thematisierten Sonderfällen alleine durch die sofortige Rückgängigmachung möglich l70 . NStZ 1995, 492. Ablehnend deshalb Kilchling, NStZ 1996, 314; Brauns, Wiedergutmachung der Folgen, S. 324. Das OLG Stuttgart hat zwar zunächst zustimmend die BGHEntscheidung zitiert, sodann aber trotzdem § 46 a Nr. 2 in einem Fall geprüft, der eine gefährliche Körperverletzung zum Gegenstand hatte und die Anwendung nur deshalb abgelehnt, weil die erfolgte Schmerzensge1dzahlung nicht auf eine gerade gegenüber dem Opfer zu erbringende persönliche Leistung zurückzuführen sei: NStZ 1996, 390 f. 166 Vgl. oben 4. Teil, 4. Kap., 4 b aa. 167 BT-Drs. 12/6853, S. 22. 168 Gegen eine Beschränkung des Anwendungsbereichs auf die Teilnahme an einem förmlichen Verfahren des Täter-Opfer-Ausgleichs unter Anleitung eines Dritten SKHorn, § 46 a Rn. 6; Tröndle, § 46 a Rn. 4; Schönke/Schröder/Eser, § 46 a Rn. 2; Brauns, Wiedergutmachung der Folgen, S. 312; offengelassen bei Detter, NStZ 1996, 184. Vgl. auch die Einschränkung in den Entscheidungen BGH NStZ 1995, 492: ,,häufig durch einen Dritten vermittelt"; BayObLG NJW 1995,2120: "tunlichst" unter Anleitung eines Dritten. Ablehnend nunmehr auch OLG Stuttgart NStZ 1996, 390. 169 BT -Drs. 12/6853, S. 22; BayObLG NJW 1995, 2120. 170 OLG Stuttgart NStZ 1996, 390 fordert zwar einen "kommunikativen Prozeß mit dem Opfer" als zwingende Voraussetzung für die Anwendung von § 46 a Nr. 1; jedoch war nicht über die sehr spezielle Konstellation der "tätigen Reue" zu entscheiden. 164 165

6. Teil: Die Umsetzung der Schwerebewertung in numerische Strafmaße 1. Vom komparativen System zum numerischen Strafmaß Der Schwerpunkt einer tatproportionalen Strafzumessungslehre liegt bei der Entwicklung eines komparativen Systems der Straftatenschwere einerseits, der Rechtsfolgen andererseits. Damit ist offensichtlich das Gebiet der Strafzumessungstheorie nicht abgedeckt: Für die Wahl eines numerischen Strafmaßes ist der Übergang zu einem quantitativen System notwendig. Wie dabei im einzelnen vorzugehen ist, ergibt sich nicht zwingend aus dem Tatproportionalitätsprinzip, dessen Reichweite sich im wesentlichen auf die Sanktionierung entsprechend der relativen Tatschwere beschränkt. Das von von Hirsch und Jarehorg eingeführte Prinzip der kardinalen Proportionalität gibt nur in Extremfällen Grenzen für die Härte eines Strafmaßes vor, etwa wenn Bagatellkriminalität mit Freiheitsstrafen geahndet würde!. Damit sind nur krasse Mißverhältnisse zwischen Endstrafmaß und Tatschwere ausgeschlossen; für die Arbeit des Tatrichters läßt sich aus dem Prinzip der kardinalen Proportionalität jedoch nicht viel ableiten. Zur Konkretisierung des Strafmaßes ist deshalb die Ergänzung durch einen Ansatz für den Einstieg in den gesetzlichen Strafrahmen erforderlich. Der Strafzumessungsvorgang besteht aus zwei Stadien, nämlich der Bewertung der Tatschwere und der Umsetzung dieser relativen Schwerebewertung in ein numerisches Strafmaß. Beide Stadien können grundsätzlich getrennt abgehandelt werden. Diese Feststellung ist notwendig, weil verschiedentlich bezweifelt wurde, ob die Bewertung von Taten ohne den Blick auf numerische Strafmaße überhaupt möglich ise. Zur Vervollständigung des den Schwerpunkt dieser Arbeit bildenden komparativen Systems werden in den folgenden Abschnitten Überlegungen zur zweiten Stufe der Strafzumessungstheorie angestellt, die allerdings nur als Ansatzpunkte verstanden werden sollten, da eine detailliertere Abhandlung eine eigene Arbeit erfordern würde. Dabei wird sich zeigen, daß die hier vertretene strukturierte Vorgehensweise für die Tatschwerehe1 Von Hirsch, Past or Future Crimes, S. 92 ff.; ders., Censure and Sanctions, S. 19, 36 ff.; von HirschlJareborg, Strafmaß und Strafgerechtigkeit, S. 25 f. Vgl. dazu 3. Teil, 4. Kap., Fn. 202. 2 Montenbruck, Strafrahmen und Strafzumessung, S. 34; Streng, Strafzumessung und relative Gerechtigkeit, S. 43; ders., Strafrechtliche Sanktionen, S. 187.

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6. Teil: Die Umsetzung der Schwerebeurteilung in numerische Strafmaße

stimmung, die sich an den Kategorien Erfolgsunwert, Handlungsunwert und Schuld orientiert, auch für den Einstieg in den Strafrahmen zu einer Verbesserung gegenüber dem Status quo führt.

2. Keine "sentencing guidelines" a) Überlegungen zum Einstieg in den gesetzlichen Strafrahmen wären weniger dringlich, wenn die Reichweite der für eine bestimmte Straftat im Gesetz angedrohten Sanktionen und somit das Auswahlermessen des Tatrichters erheblich eingeengt würde. Ein tatproportionales Strafzumessungskonzept wird in der US-amerikanischen Literatur häufig mit der Forderung nach sogenannten sentencing guidelines verknüpft. Typisch für die US-amerikanischen sentencing guidelines ist die Festschreibung von numerisch festgelegten Strafen für bestimmte Taten. Entsprechende Tabellen schreiben für bestimmte Delikte eine Bandbreite möglicher Strafen vor und für die Anpassung an den Einzelfall Strafschärfungs- sowie Strafmilderungsgründe. Außerdem wird für bestimmte Tatsachen ausdrücklich festgelegt, daß deren Berücksichtigung unzulässig ist. Das Spektrum möglicher Strafen ist dabei wesentlich enger als bei den gesetzlichen Strafrahmen des deutschen Rechts3 . Die Verknüpfung von numerischen Strafzumessungsrichtlinien und tatproportionaler Strafzumessung ist jedoch keine notwendige. Die in der USamerikanischen Praxis verabschiedeten guidelines entsprechen zwar teilweise den Anforderungen eines tatproportionalen Strafzumessungskonzepts4. Die auf Bundesebene geltenden Federal Sentencing Guidelines nehmen dagegen Bezug auf Strafziele wie Abschreckung und Sicherung und distanzieren sich im Zeitalter einer wachsenden law and order-Strömung immer weiter von den unwillkommenen Beschränkungen eines Tatproportionalitätsprinzips5. In bezug auf die Federal Sentencing Guidelines werden hohe Mindeststrafen (mandatory sentences) kritisiert, die Ergebnis politischen Aktionismus sind

3 Zu den US-amerikanischen guidelines s. von HirschlKnapplTonry, The Sentencing Commission; Savelsberg, in: KaiserlKury/Albrecht (Hrsg.), Kriminologische Forschung, S. 282 fT.; Weigend, FS der Rechtswissenschaftlichen Fakultät, S. 591 ff.; UphojJ, Die deutsche Strafzwnessung, S. 121 ff. 4 Die in Minnesota und Oregon erlassenen sentencing guidelines verkörpern offenbar wesentliche Grundsätze eines tatproportionalen Strafrechts, s. dazu von Hirsch, in: von HirschlKnappfTonry (Hrsg.), The Sentencing Commission, S. 84 ff.; Tonry, in: von HirschlKnappfTonry (Hrsg.), The Sentencing Commission, S. 18 ff., 25 ff.; Weigend, FS der Rechtswissenschaftlichen Fakultät, S. 591 ff. s S. dazu von Hirsch, Censure and Sanctions, S. 90 ff.

2. Keine "sentencing guidelines"

363

und dem Proportionalitätsgedanken zuwiderlaufend für bestimmte Deliktsgruppen zu einem überhöhten Strafniveau geführt haben6 . b) Die kriminalpolitisch begründete Kritik an den punitiven Tendenzen bestimmter sentencing guidelines wurde auf das Tatproportionalitätsprinzip erstreckt: Dieses trage generell die Tendenz zu einem hohen Strafniveau in sich, da es keine Anhaltspunkte für die Verankerung der Strafenskala liefere7 • In dieser Allgemeinheit ist die Kritik jedoch nicht haltbar. Eine dauerhafte Immunisierung der Strafrechtspraxis gegen in der Gesellschaft vorhandene, auf harte Strafen drängende Vorstellungen ist mit keiner Strafzumessungstheorie möglich8 . Die Konkretisierung des Resozialisierungsgedankens ist ebenfalls von derartigen Phänomenen abhängig. Erst recht ist mit einem generalpräventiven Ansatz der unmittelbare Durchgriff auf Bestrafungswünsche der Allgemeinheit möglich. Es ist allerdings richtig, daß numerische Strafzumessungsrichtlinien es einfacher machen, die Praxis in vergleichsweise einfacher Weise - "mit einem Bleistiftstrieh" - an punitiv geprägte Strömungen anzupassen. Liegen die wesentlichen Entscheidungen für die Verankerung der StrafenskaIa in den Händen der Richterschaft, sind politisch bzw. durch den Zeitgeist motivierte Erhöhungen des Strafniveaus wesentlich schwerfälliger aktualisierbar. Unter anderem aus diesem Grund wird hier im Anschluß an die europäische Tradition der Strafzumessung VOn einer Forderung nach numerischen Richtlinien Abstand genommen. c) Ein weiteres Problem liegt in den mit einer drastischen Verengung der Strafrahmen verbundenen Konsequenzen. Unabhängig davon, wie dies technisch durchgeführt würde, ob als Veränderung der gesetzlichen Strafrahmen oder als Ergänzung durch numerische Richtlinien9 , wäre eine echte Begrenzung des richterlichen Auswahlermessens, mit der sich das Problem des Einstiegs in einen weitgefaßten Strafrahmen erledigen würde, nicht ohne eine grundlegende Revision der StraftatbesUinde machbar. Die für das deutsche Recht charakteristische stark abstrahierende Fassung der Straftatbestände hat notwendigerweise zur Folge, daß die darunter zu subsumierenden Sachver-

Tonry, Crime and De1inquency 1991, 320 f.; ders., Malign Neglect, S. 175 ff. Jung, Sanktionensysteme und Menschenrechte, S. 202; Weigend, in: BMJ (Hrsg.), Gnindfragen des Jugendkriminalrechts, S. 168. Vgl. aber auch dens., FS der Rechtswissenschaftlichen Fakultät, S. 601, mit einer vorsichtigen Würdigung von Strafzumessungsrichtlinien. 8 Von Hirsch, Censure and Sanctions, S. 93 ff.; von Hirsch/Jareborg, Strafinaß und Strafgerechtigkeit, S. 49 ff. 9 Was natürlich die Frage nach dem Status solcher Richtlinien aufwirft. Wegen der Ablehnung von numerischen Strafzumessungsrichtlinien muß dieser Punkt hier nicht näher erörtert werden. 6

7

364

6. Teil: Die Umsetzung der Schwerebeurteilung in numerische Strafmaße

halte von sehr unterschiedlichem Erfolgsunwert sein können. Eine Einengung der Auswahlmöglichkeiten auf der Rechtsfolgenseite könnte nur überzeugen, wenn gleichzeitig die Tatbestände ausdifferenzierter formuliert würden, was zu einer Erhöhung der Zahl und der Komplexität der Tatbestände führen würde. Eine Veränderung der Tatbestandsstrukturen wäre auch nicht unbedingt empfehlenswert. Eine differenziertere Fassung des Gesetzestextes wäre für die Funktion als Bewertungsnorm, die sich an die Rechtsanwender richtet, im Sinne einer tatproportionalen Strafzumessungslehre zwar sinnvoll. Leiden würde jedoch die Funktion der Strafrechtsnormen als an die Bevölkerung adressierte Verbotsnormen. Die einfache Fassung eines Gesetzestextes und die begrenzte Zahl der Verbotsnormen jedenfalls im Kernstrafrecht des StGB garantiert Plakativität - für das abschreckende Beispiel eines detailreichen und aufgeblähten Strafgesetzbuch kann auf den US-amerikanischen Federal Criminal Code verwiesen werden. Die auf diese Überlegungen gestützte Skepsis gegenüber einer drastischen Verengung der Strafrahmen als allgemeine Strategie schließt natürlich nicht aus, für einzelne Delikte die Strafrahmen einzuengen. Insbesondere bei den überhöhten Strafrahmen für Eigentumsoder Urkundendelikte ist eine Absenkung der auch für die Praxis irrelevanten Höchststrafen zu fordern \0. d) Die praktische Umsetzung eines tatproportionalen Strafzumessungsmodells sollte deshalb durch sogenannte "weiche Richtlinien" 11 erfolgen, die Kriterien für die vergleichende Bewertung von Straftaten aufstellen, ohne damit Strafmaßtabellen zu verbinden l2 . § 46 kann diese Funktion im wesentlichen erfüllen, da die Vorschrift, wie soeben erörtert, bis auf die in § 46 Abs. 2 S. 2 aufgeführte Tätergesinnung nach den hier vorgeschlagenen Maßstäben interpretiert werden kann.

3. Einstieg in den Strafrahmen anhand des schrittweisen Vorgehens

a) Bei der Beibehaltung von gesetzlichen Strafrahmen muß der Richter für die in ihrer relativen Schwere eingeordnete Tat eine Auswahl aus dem gesetzlich vorgeschriebenen Sanktionsspektrum treffen. Für den Einstieg in den Strafrahmen bedarf es eines Vergleichsmaßstabs: Der zu entscheidende Fall muß mit einem anderen Sachverhalt verglichen werden, der entweder bereits entschieden oder dem auf einer theoretischen Grundlage ein bestimmtes Strafmaß zugeordnet wurde. Der Grad der Übereinstimmung bzw. der Grad 10

11 12

Vgl. oben 3. Teil, 5. Kap., 3 a cc. Vgl. Weigend, FS der Rechtswissenschaftlichen Fakultät, S. 601. In diesem Sinne von Hirsch/Jareborg, Strafmaß und Strafgerechtigkeit, S. 52 f.

3. Einstieg in den Strafrahmen anhand des schrittweisen Vorgehens

365

des Unterschiedes in der Tatschwere entscheidet über das Strafmaß für den zu entscheidenden FaU I3 . Die Wahl des Vergleichsfalles ist ein entscheidender Punkt, dessen OfIenlegung Rationalität verbürgt, während die Verneinung der Notwendigkeit von VergleichsfaIlen in der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Uneinheitlichkeit der Rechtsprechung beiträgtl4. b) Um die Wahl des Vergleichsfalls rankt sich eine intensive Diskussion, wobei in der Strafzumessungslehre im wesentlichen drei Ansätze diskutiert werden. Die erste Möglichkeit liegt in der Wahl eines theoretisch definierten Vergleichsfalls als Ausgangspunkt: Eine Strafe aus der arithmetischen Mitte des Strafrahmens sei für die mittelschwere Verwirklichung des Straftatbestandes angemessen. Für einen solchen theoretisch mittelschweren Sachverhalt ist die Bezeichnung Durchschnittsjall üblich l5 . Die Regelfallmethode verweist dagegen nicht auf einen theoretisch konstruierten Vergleichsfall, sondern auf die in der Praxis tatsächlich am häufigsten vorkommenden FallkonsteUationen l6 , wobei dieser empirisch zu ermittelnde Regelfall leichter ist als ein denkmöglicher Durchschnittsfall l7 . Beide Ansätze haben jedoch mit der Schwierigkeit zu kämpfen, eine überzeugende Definition des theoretischen Durchschnittsjalls bzw. des empirisch am häufigsten Regelfalls zu liefern. Während die Berechnung einer Durchschnittsstraje als arithmetisches Mittel von gesetzlicher Mindest- und Höchststrafe 18 einfach und auch die empirische Ermittlung der in der Praxis vorkommenden Regelstraje noch vergleichsweise unkompliziert ist, liegt das Problem bei der Ermittlung der dazugehörigen Sachverhalte l9 . Als Alternative zu einem bestimmten Strafmaß als VerTheune, StV 1985, 207. Frisch, GA 1989, 346 ff.; Hettinger, GA 1989, 24. Vgl. zur Rechtsprechung unten 5 a. 15 Dreher, Über die gerechte Strafe, S. 61 ff.; ders., FS für Bruns, S. 149 f; Grasnick, JZ 1988, 159; Montenbruck, Abwägung und Umwertung, S. 36. 16 Theune, StV 1985,209 f; Horn, StV 1986, 169 f; ders., SK, § 46 Rn. 87 ff.; LK-Gribbohm, § 46 Rn. 62. 17 BGHSt. 27, 2, 4 f 18 Köberer, Iudex non ca1cu1at, S. 124 ff., kritisiert zwar diese Vorgehensweise, weil die Messung von Strafhöhen nicht Intervallska1en-, sondern nur Ordina1ska1enniveau habe, da das Gewicht eines Strafübe1s von Belastungsunterschieden abhänge, die nicht dem zahlenmäßigen Höhenunterschied entsprächen. Für praktische Anwendungszwecke können jedoch Durchschnittswerte genügen, auch wenn deren Errechnung unter strenger Beachtung sozialwissenschaftlicher Forschungsmethoden unzureichend ist. Ein gutes Beispiel sind die von ihm ebenfalls erwähnten Durchschnittsnoten nach den in Schule und Hochschule gebräuchlichen Notenskalen: Auch insoweit seien, so Köberer, S. 125 f, arithmetische Durchschnittswerte meßtheoretisch Unsinn. Nichtsdestotrotz sind die derart errechneten Noten als Anhaltspunkte im sozialen Alltag durchaus brauchbar; vgl. Philipps, MSchrKrim 1998, 266 f 19 Kritik bei Zipf, Strafmaßrevision, S. 78 f; Hettinger, Doppelverwertungsverbot, S. 143 ff.; Montenbruck, Strafrahmen und Strafzumessung, S. 34 ff.; ders., Abwägung 13

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6. Teil: Die Umsetzung der Schwerebeurteilung in nwnerische Strafmaße

gleichswert wird drittens die Bildung von lediglich größenordnungsmäßig festgelegten Strafquanten vorgeschlagen; hierauf wird sogleich noch zurückzukommen sein20 . c) Gegen das Strafzumessungsmodell von Hirschs und Jareborgs ist eingewandt worden, es lasse die praktisch außerordentlich bedeutsame Frage offen, nach welchem Maßstab der notwendige Vergleich vorgenommen werden solle21 . In der Tat bleiben aus der Perspektive des Tatrichters wesentliche Fragen ungenügend beantwortet. Von Hirsch geht offensichtlich davon aus, daß die Verankerung der Strafskala kein größeres Problem sei: Stehe das Strafmaß für einige Delikte fest, erlaube der Vergleich der relativen Tatschwere auch die Einordnung des zu entscheidenden Falles in die Sanktionsskala22 . Damit bleibt jedoch offen, wie genau die Vergleichsfälle präzisiert werden sollen. Der Verweis auf das übliche Strafniveau als Maßstab zur Verankerung der Strafskala23 deutet in Richtung Regelfallmethode, bleibt aber sehr unbestimmt und hinter Überlegungen in der deutschen Strafrechtswissenschaft zur Regelfallmethode24 zurück. d) Die Vorgehensweise des schrittweisen Vergleichenl 5 erlaubt jedoch in Kombination mit einem tatproportionalen Strafzumessungsmodell eine rationalere Herleitung des Endstrafmaßes als die herrschende Strafzumessungslehre. Zu einer allzu pessimistischen Beurteilung einer tatproportionalen Strafzumessungstheorie besteht daher kein Anlaß. Auch wenn, wie im weiteren zu zeigen sein wird, ein präzise zu einem bestimmten Ergebnis führendes "Kochbuch" für die Strafzumessung nicht erarbeitet werden kann, ist doch immerhin eine Verbesserung des Status quo möglich. Frisch hat die Notwendigkeit einer strukturierten Vorgehensweise für den Übergang zum numerischen Strafmaß dargelegt, da gerade an dieser Stelle des Strafzumessungsvorgangs die herrschende Lehre besonders problematisch ist. Die herrschende Lehre sieht ein Fünf-Phasen-Programm der Strafzumessung vor, welches besteht aus: 1. der Ausrichtung an den Strafzwecken; 2. der Ermittlung der Strafzumessungstatsachen; 3. der Festlegung der Bewertungsund Umwertung, S. 42 f, 48 ff.; Streng, Strafzwnessung und relative Gerechtigkeit, S. 42 ff.; ders., NStZ 1989, 395 ff.; Bergmann, Milderung der Strafe, S. 28; Fahl, Bedeutung des Regeltatbildes, S. 203 ff. 20 Bruns, FS fiir Welzel, S. 759; ders., Recht der Strafzumessung, S. 61; Streng, NStZ 1989, 397 ff.; Frisch, GA 1989, 372 f; Grasnick, JZ 1992,262; Meine, NStZ 1994, 162 f; Fahl, Bedeutung des Regeltatbildes, S. 224 ff.; Lackner, § 46 Rn. 32. 21 Streng, JZ 1993, 355 f. 22 Censure and Sanctions, S. 18 f 23 Von Hirsch/Jareborg, Strafmaß und Strafgerechtigkeit, S. 25. 24 Vgl. etwa Götting, Strafzumessungspraxis, S. 213 ff. 2S In: GA 1989, 355 ff.; ders., 140 Jahre GA, S. 32 ff.

3. Einstieg in den Strafralunen anband des schrittweisen Vorgehens

367

richtung; 4. der Abwägung der Strafzumessungstatsachen gegeneinander und 5. der Einordnung in den Strafrahmen (Umwertung)26. Die erste Phase wurde bereits oben kritisiere 7, aber auch die letzten beiden Phasen sind entscheidende Schwachstellen. Es fehlt an konsensfähigen Vorgaben für den entscheidenden Schritt zum Endstrafmaß, die Umwertun~8. Die Schwierigkeit des Ansatzes zeigt sich jedoch erst in vollem Umfang in Kombination mit der Vorstellung, die Umwertung erfolge erst, nachdem bereits der Gesamtfall in all seinen Dimensionen bewertet worden ist. Erstens ist die Vorstellung einer Gesamtabwägung aller Strafzumessungsumstände in einem Schritt unrealistisch29. Zweitens ist die Gesamtabwägung beim Übergang zur Umwertung problematisch, da dadurch der zur Verortung im Strafrahmen zwingend notwendige Vergleich mit einem anderen Fall erheblich erschwert wird. Der bereits in all seinen Dimensionen bewertete Fall setzt nämlich die Verwendung eines Vergleichsfalls voraus, der ebenfalls ein kompletter Sachverhalt ist. Ein kompletter Sachverhalt, in den alle möglichen Strafzumessungsfaktoren eingeflossen sind, eignet sich jedoch nicht als Vergleichsfall. Ein Vergleich dieses "Modellfalls" mit dem zu entscheidenden Fall würde nahezu immer Unterschiede in verschiedenen Dimensionen der strafzumessungsrelevanten Umstände ergeben. Wegen der Komplexität der an vielen Punkten festzumachenden Unterschiede ist ein solcher Vergleichsfall unbrauchba.r°. Nur in bezug auf einzelne Strafzumessungsfaktoren ist ein Vergleich möglich3l . e) In Umsetzung dieser Vorgabe ist der Anknüpfungspunkt für den Einstieg in den Strafrahmen bei der am Anfang der Tatschwerebeurteilung stehenden Bewertung des Erfolgsunwerts zu suchen. Die Strafe für Taten mit einem vergleichbarem Erfolgsunwert liefert einen vorläufigen Anhaltspunkt für das Strafmaß, der hier als Basis-Strafwert bezeichnet werden soll. Ein solcher Ausgangswert ist erforderlich, um als nächsten Schritt die weiteren, für die Tatschwere relevanten Besonderheiten des Falles zu würdigen. Ausgehend von dem anband des Erfolgsunwerts ermittelten Basis-Strafwert ist in weiteren 26 Bruns, Recht der Strafzumessung, S. 6; Streng, Strafrechtliche Sanktionen, S. 191 f; Montenbruck, Abwägung und Umwertung, S. 22 f1; H.-L. Ganther, FS filr Göppinger, S. 455 f; ders.; JZ 1989, 1026 rechnet die Strafzumessung i.w. Sinne ein und kommt so zu insgesamt acht Stufen; Schall/Schirrmacher, Jura 1992, 514 f1; Hettinger, GA 1993, 2; Tröndle, § 46 Rn. 7; Fahl, Bedeutung des Regeltatbildes, S. 104 f1 27 3. Teil, 2. Kap. 28 Frisch, ZStW 99 (1987), 788 fT.; ders., GA 1989, 346 fT.; Hettinger, StV 1987, 147; ders., GA 1993,24. 29 Oben 3. Teil, 4. Kap., 1 b cc. 30 Vgl. zum Vorstehenden Frisch, GA 1989, 345 fT., 374 f; Fahl, Bedeutung des Rege1tatbildes, S. 169. 31 Frisch, GA 1989, 343.

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6. Teil: Die Umsetzung der Schwerebeurteilung in numerische Strafmaße

Schritten die endgültige Bewertung der Tatschwere anband der Vorgaben des Straftatsystems in Form von Abschlägen für unrechtsmindernde, schuldmindernde oder Umstände jenseits von Unrecht und Schuld bzw. Zuschlägen für unrechtserhöhende Tatumstände vorzunehmen. Dieses Modell für die Umwertung der relativen Tatschwere in ein konkretes Strafmaß wirft zwei Fragen auf. Das Hauptproblem ist die Wahl von Vergleichsfallen für die Ermittlung des Basis-Strafwerts anband des Erfolgsunrechts der Tat; dazu sogleich 4. Anschließend ist zu den darauf aufbauenden Modifikationen Stellung zu nehmen. Insoweit ist insbesondere zu erörtern, wie dem Unterschied zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit bzw. zwischen unterschiedlichen Varianten von Vorsatz und Fahrlässigkeit Rechnung zu tragen ist. Die folgenden Erörterungen zum Basis-Strafwert gehen zunächst von vorsätzlich begangenen Handlungen aus.

4. Ermittlung des Basis-Strafwerts bei Vorsatztaten a) Regelschaden oder Durchschnittsschaden als Anknüpfungspunkt? aa) Die Fragestellung, wie Vergleichsfälle zu ermitteln sind, läßt sich nunmehr dahingehend präzisieren, welche Maßstäbe für die Festsetzung des Basis-Strafwerts anhand des Erfolgsunwerts heranzuziehen sind: Dies könnte ein theoretischer Durchschnitts-Erfolgsunwert, der empirisch zu ermittelnde durchschnittliche Erfolgsunwert oder ein Strafquantum der ungefahren Schwere des Erfolgsunwerts sein. bb) Die Festlegung eines bestimmten Sachverhalts als Verkörperung des theoretisch durchschnittlichen Erfolgsunwerts scheitert bereits daran, daß die Skala der möglicher Tatschwere nach oben offen ist: Es ist nicht möglich, den schwersten Fall gedanklich vorwegzunehmen. Sowohl bei Delikten mit einer materiellen wie auch einer persönlichen Schadensdimension sind immer noch Steigerungen möglich. Vor allem bei finanziellen Schäden ist die Ermittlung des arithmetischen Mittels entscheidend von der Festsetzung des obersten Wertes abhängig32 . cc) Die Definition des praktisch am häufigsten vorkommenden Erfolgsunwerts ist dagegen jedenfalls bei Eigentums- und Vermägensdelikten grundsätzlich möglich. Der Regelfallmethode wurde zwar entgegengehalten, die 32 Dies verkennt Fahl, Bedeutung des Regeltatbildes, S. 186, der das Problem der nach oben offenen Schwereskala für vernachlässigbar hält, da eben gegebenenfalls ein Täter, der noch größeren Schaden anrichte, zu milde bestraft werde. Das arithmetische Mittel bei einem angenommenen Höchstschaden von 10 Millionen sieht jedoch ganz anders aus als wenn Schäden in Höhe von 50 Millionen fiir möglich gehalten werden.

4. Ennittlung des Basis-StrafWerts bei Vorsatztaten

369

Umschreibung einer in der Praxis durchschnittlich vorkommenden Fallkonstellation stoße auf unüberwindbare Probleme33 . Die Definition beispielsweise eines "durchschnittlichen Betruges" macht in der Tat Schwierigkeiten, da hinter der abstrakten Tatbestandsbeschreibung unterschiedliche konkrete Erscheinungsbilder stehen: Ein Betrug zu Lasten einer Versicherung, eine Zechprellerei, ein Einstellungsbetrug, Spendenbetriigereien und vieles mehr ist unter denselben Tatbestand zu subsumieren. Die schrittweise-vergleichende Vorgehensweise hat jedoch insoweit den Vorteil, daß es nicht um die phänomenologische Beschreibung eines "durchschnittlichen Betruges" geht, sondern der Einstieg in den Strafrahmen nur über eine Dimension erfolgt: über das Erfolgsunrecht. Bei den Delikten, die eine unkomplizierte Erfassung des Erfolgsunrechts erlauben, nämlich über die Dimension des finanziellen Schadens, ist deshalb die Berechnung des praktisch vorkommenden Regelschadens möglich. Die ohne weiteres zugänglichen statistischen Quellen erlauben zwar nur eine ungefähre Schätzung des durchschnittlichen Schadens für unterschiedliche Delikte, da die mitgeteilten Schadenswerte zu stark aggregiert sind34 . Mit der aufgeschlüsselten Datenbasis wäre jedoch die Errechnung des in der Praxis vorkommenden Durchschnittsschadens möglich. Außerdem könnte die in der Praxis verhängte durchschnittliche Strafe (Regelstrafe) errechnet werden, die im Zusammenhang mit dem Regelschaden den Vergleichsfall für den Einstieg in den Strafrahmen ergeben könnte. Die anhand der Strafverfolgungsstatistik errechenbare Regelstrafe für ein bestimmtes Delikt35 ist allerdings insoweit nicht hinreichend, da diese nicht nur durch den Tatschaden, sondern auch durch die in der Praxis eine bedeutende Rolle spielenden Vorstrafen geprägt wurden. Ein unüberwindbares Hindernis ist dies jedoch nicht: Es bedürfte einer empirischen Berechnung der Regelstrafe, die den Vorstrafenfaktor kontrolliert36 . dd) Eine solche, an der Strafenrealität ausgerichtete Bildung des Vergleichsfalls bei Eigentums- und Vermögenssdelikten würde von denjenigen bevorzugt, die eine Rückbindung an das Strafniveau in der Praxis befürworten,

Vgl. oben Fn. 19. Vgl. Polizeiliche Kriminalstatistik 1996, S. 174 Tab. 07, S. 182 Tab. 07, S. 206 Tab. 07, S. 213 Tab. 07. Mitgeteilt wird nur der Prozentsatz von Tatschäden einer bestimmten Spanne, etwa von Schäden zwischen 100 und 1000 DM, zwischen 1000 und 10000 DM etc. Abhängig davon, ob die Durchschnitts-Schäden innerhalb dieser Kategorien näher beim niedrigen oder beim höheren Wert liegen, ergibt sich eine Verschiebung des Durchschnittsschaden für alle De1iktsverwirklichungen. 35 Vgl. Götting, Strafzwnessungspraxis, S. 221 ff. 36 Da Tatschwere lUld Vorstrafenbelastung die praktisch wichtigsten Strafzwnessungsfaktoren darstellen, erlaubt eine unter dieser Prämisse ermittelte Regelstrafe einen guten Anhaltspunkt ftlr die Reaktion, die in der Praxis als angemessen hinsichtlich des durchschnittlichen Tatschadens angesehen wird. 33 34

24 Hörnle

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6. Teil: Die Umsetzung der Schwerebeurteilung in numerische Strafmaße

weil man sich auf diese Weise die darin zum Ausdruck kommenden "intersubjektiven Wertungskompromisse aller an der Strafzumessung beteiligten Richter,,37 zunutze macht. Die normative Relevanz des Üblichen kann jedoch nicht ohne weiteres anerkannt werden. Wenn Kriterien für die relative Gewichtung der Tatschwere aufgestellt werden, müssen auch die Strafmaße der Praxis überprüft werden, ob sie mit diesen Vorgaben vereinbar sind. Soweit dies anhand der zugänglichen statistischen Daten möglich ist, scheint die Schwerpunktverteilung der Strafen einer Unrechtsorientierung näher zu kommen als dies nach den gesetzlichen Strafrahmen zu erwarten wäre. Dies sei anhand des einfachen Diebstahls erläutert. Ungefähr der Hälfte der Verurteilungen wegen einfachen Diebstahls liegt ein Schaden von weniger als 100 DM zugrunde, weiteren 40 % ein Schaden zwischen 100 und 1000 DM38 . Damit ist in der großen Mehrheit der Fälle ein nur geringfügiges Erfolgsunrecht zu konstatieren39 . Die Sanktionierungspraxis entspricht dem zumindest grob: Etwa zwei Drittel aller Fälle werden mit Geldstrafen bis zu 30 Tagessätzen bestraft, die nächstgrößere Gruppe sind Geldstrafen bis 90 Tagessätze4o . Ein endgültiges Urteil über die Vertretbarkeit der Strafpraxis bei Taten mit materiellen Schäden würde allerdings eine deliktsspezifische Analyse von Schadensverteilung und Strafpraxis voraussetzen, die hier nicht geleistet werden kann. ee) Die Orientierung an einem Regelschaden als Vergleichswert stößt jedoch bei allen Delikten auf Schwierigkeiten, deren Erfolgsunrecht komplexere Formen annehmen kann: Was soll etwa der mit der Regelstrafe zu sanktionierende Regelschaden einer Körperverletzung, eines Raubes oder einer Nötigung sein? Die statistische Berechnung einer Regelstrafe aggregiert bei solchen Delikten die Endstrafen für sehr unterschiedlich beschaffene Sachverhalte. Die nachträgliche Konstruktion eines dazu passenden Regelfalls wird den sehr uneinheitlichen zugrunde liegenden Sachverhalten nicht gerecht41 . Götting schlägt vor, der Richter solle wenigstens bei häufiger vorkommenden Delikten aufgrund seiner eigenen Berufserfahrung bestimmen, welcher Sachverhalt am häufigsten vorkomme und deshalb als Regelfall mit der bundesweit als Durchschnitt ermittelten Regelstrafe kombiniert werden könne 42 .

37 Schöch, Strafzumessungspraxis und Verkehrsdelinquenz, S. 76; zustimmend Seebald, GA 1974, 206; Streng, Strafzumessung und relative Gerechtigkeit, S. 301 f; ders., ZStW 101 (1989), 330 f; ders., in: Lampe (Hrsg.), Rechtsgleichheit und Rechtspluralismus, S. 281; UphojJ, Die deutsche Strafzumessung, S. 255 ff. 38 Daten für 1996, Polizeiliche Kriminalstatistik, S. 174 Tab. 07. 39 Vgl. oben 4. Teil, 2. Kap., 3 d cc. 40 Vgl. Götting, Strafzumessungspraxis, Tab. 4 S. 142 f. 41 Frisch, GA 1989, 352 f 42 In: Strafzumessungspraxis, S. 213 ff.

4. Ennittlung des Basis-Strafwerts bei Vorsatztaten

371

Für häufig vorkommende Delikte, die in ihrem Ablauf sehr ähnlich sind, etwa Trunkenheitsfahrten, ist dies wahrscheinlich auch praktikabel. Bei vielen Delikten ist jedoch das Spektrum der Tatbestandsverwirklichungen so inhomogen, daß zumindest ein Berufsanfänger mit der Kenntnis der Regelstrafe wahrscheinlich wenig anfangen könnte, weil er ihr keinen Sachverhalt zuordnenkann. ff) Es sind auch nicht nur Praktikabilitätserwägungen, die gegen die Übertragbarkeit der Regelfallmethode auf andere als Delikte mit ausschließlich materiellem Schaden sprechen. Die Akzeptanz dieses Ansatzes hängt maßgeblich davon ab, ob die Strafzumessungspraxis unter normativen Gesichtspunkten akzeptabel ist43 , d.h. ob sie mit Unrechtserwägungen im wesentlichen übereinstimmt. Ohne eine nach Deliktsgruppen vorzunehmende Überprüfung der Bewertungskriterien der Praxis würde die Strafzumessungslehre auf die oben kritisierte induktive Vorgehensweise44 reduziert, der jegliches kritische Potential fehlt. Die Annahme einer durchgängig unrechtsorientierten Strafzumessungspraxis kann etwa anhand des Massendelikts der Gefährdung des Straßenverkehrs (§ 315 c) hinterfragt werden. Das Erfolgsunrecht ist bei einer konkreten Gefährdung von Menschenleben wegen der überragenden Bedeutung des betroffenen Interesses nicht mehr als leicht, sondern als mittelschwer einzuordnen. Die Sanktionierungspraxis bei diesem Delikt ist jedoch eher milde45 . Bei der Gefährdung von Sachen wäre dies zwar richtig, aber es ist unwahrscheinlich, daß der Grund für die milden Strafen im häufigen Vorkommen von Sachgefährdungen liegt.

b) Strafquantenmethode

aa) Da weder die DurchschnittsschadenlDurchschnittsstrafe- noch die RegelschadenJRegelstrafe-Methode für die Schaffung von Vergleichsfällen zur Ermittlung des erfolgsunwertabhängigen Basis-Strafwerts vollständig überzeugen, ist die bereits kurz erwähnte dritte Möglichkeit näher zu untersuchen. Auf den ersten Blick scheint zu einem tatproportionalen Strafzumessungsmodell der methodische Ansatz gut zu passen, der auf die Definition eines bestimmten Sachverhaltes als Anknüpfungspunkt verzichtet und statt dessen unmittelbar an die relative Tatschwere anknüpft. Der Sachverhalt soll danach beurteilt werden, ob er eine sehr leichte, leichte, mittelschwere, schwere oder sehr schwere Form der Tatbestandsverwirklichung darstellt. In gleicher Weise Frisch, GA 1989, 353; Fahl, Bedeutung des Rege1tatbildes, S. 125. Vgl. 1. Teil, 4. Kap. 45 Weniger als 1 % der Strafen liegen oberhalb von 180 Tagessätzen, vgl. die Rechtspflegestatistik, Fachserie 10, Reihe 3, S. 52. 43

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6. Teil: Die Umsetzung der Schwerebewteilung in munerische Strafmaße

soll der Strafrahmen in die Segmente sehr niedrige, niedrige, mittlere, hohe oder sehr hohe Strafen eingeteilt werden. Abhängig von der relativen Schwere der Tatbestandsverwirklichung sei das jeweilige Segment für den Einstieg in den Strafrahmen heranzuziehen46 . Diese für eine Gesamt-Fallbewertung entwickelte Methode könnte für das hier vertretene schrittweise Vergleichen übernommen werden, indem für die Bestimmung des Basis-Strafquantums das relative Gewicht des Erfolgsunwerts von sehr leicht bis sehr schwer maßgeblich wird. bb) Problematisch an der auf Strafquanten abstellenden Lehre ist die Unterteilung des Strafrahmens in Segmente gleicher Größe. Dies läßt sich etwa anhand des am häufigsten anzutreffenden gesetzlichen Strafrahmens zeigen, der von Geldstrafe bis fünf Jahre Freiheitsstrafe reicht47 . Eine gleichmäßige Unterteilung dieses Strafrahmens nach den Kriterien sehr leicht bis sehr schwer würde für die Gruppe der sehr leichten Straftaten Strafen bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe vorsehen, für die Gruppe der sehr schweren Taten vier bis fünf Jahre Freiheitsstrafe. Für die sehr leichten Fälle bliebe somit ein überaus breiter Strafrahmen (von fünf Tagessätzen Geldstrafe bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe ohne Bewährung). In der Praxis wird die überwältigende Mehrzahl der abzuurteilenden Delikte mit Strafen aus diesem Rahmensegment bestraft48 . Da für nahezu alle praktisch zu entscheidenden Fälle das Basis-Strafquantum bei gleichmäßiger Segmentierung identisch wäre, ist dieser Ansatz als Entscheidungshilfe praktisch wertlos. Ein Teil des Problems liegt zwar auch in der mangelnden Ausrichtung der Strafrahmen an Unrechtsgesichtspunkten, die sich in zu hohen Höchststrafen zeigt49. Aber selbst wenn die Höchststrafe etwa beim einfachen Betrug auf drei Jahre, beim einfachen Diebstahl auf zwei Jahre herabgesetzt würde, bliebe für die sehr leichten Fälle bei einer gleichmäßigen Aufteilung des Strafrahmens der Bereich bis zu sieben Monaten Freiheitsstrafe bzw. bis zu vier Monaten und drei Wochen Freiheitsstrafe. Nach wie vor würden über 90 % der Verurteilungen in diesen Bereich fallen 50 . Auch unter der Prämisse einer Revision 46 Streng, NStZ 1989, 398 f.; Meine, NStZ 1994, 162 fAuch Montenbrock, Abwägung und Umwertung, S. 51, geht davon aus, daß vier bis sechs Schwerestufen allgemein unterscheidbar seien. 47 Götting, Strafzumessungspraxis, S. 137. 48 Bei den drei Tatbeständen mit den höchsten Verwteiltenzahlen (einfacher Diebstahl, Betrug und Gefährdung des Straßenverkehrs) gilt dies für über 95 % der Fälle, vgl. Tab. 4 bei Götting, Strafzumessungspraxis, S. 142 f, 144 f, 148 f. Wenn man in Rechnung stellt, daß die in der Praxis verhängten Strafen auch die Vorstrafenbelastung der Täter verarbeitet haben, wird unter dem Gesichtspunkt des Erfolgsunrechts die Verteilung noch extremer. 49 Vgl. oben 3. Teil, 5. Kap., 3 a. 50 Tab. 4 bei Götting, Strafzumessungspraxis, S. 142 f, 144 f

4. Ennittlung des Basis-Strafwerts bei Vorsatztaten

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der Strafrahmen führt deshalb die Zuordnung des unteren Fünftels des gesetzlichen Strafrahmens für die sehr leichten Fälle nicht viel weiter. Eine gleichmäßige Segmentierung führt zu einem viel zu weiten Teilbereich für die sehr leichten und leichten Delikte. ce) Es kann somit nur eine ungleichmäßige Segmentierung des gesetzlichen Strafrahmens in Betracht kommen. Damit geht allerdings die Unkompliziertheit des in der Strafzumessungslehre vertretenen Strafquanten-Ansatzes verloren, da eine nicht symmetrische Strafrahmenunterteilung auf eine Begründung angewiesen ist, warum diese und keine andere Unterteilung gewählt wird. Unter Bezugnahme auf die im Kapitel über die Bewertung des EIfolgsunrechts erörtertenjünjKategorien des Erjolgsunrechts51 kann jedoch eine Begründung für unterschiedliche Strafquanten als Einstiegspunkt gegeben werden.

c) Erste Einordnung anhand der fünf Kategorien des Erfolgsunrechts

aa) Bei der Bewertung des EIfolgsunrechts anband der typischen Beeinträchtigung der Lebensqualität wurden fünf Kategorien unterschieden: Geringfügiges EIfolgsunrecht, das die Lebensqualität nicht beeinträchtigt; leichtes EIfolgsunrecht, wenn die Tatauswirkungen erst die Ebene gesteigerten Wohlbefindens beeinflussen; mittelschweres EIfolgsunrecht bei Straftaten, die sich auf ein angemessenes Wohlbefinden des Opfers auswirken; Taten mit gravierendem EIfolgsunrecht, die die Bedingungen für ein minimales Wohlbefinden beeinträchtigen und schwerwiegendstes Erfolgsunrecht, das die Grundbedingungen des bloßen Überlebens zerstört hat52 . Diese unterschiedlichen Grade des Erfolgsunrechts lassen sich in Beziehung zu dem insgesamt im StGB vertretenen Strafenspektrum setzen. Die gesetzlich angeordnete Mindeststrafe beträgt fünf Tagessätze Geldstrafe (§ 40 Abs. 1 S. 2), die Höchststrafe der zeitigen Freiheitsstrafe fünfzehn Jahre (§ 38 Abs. 2). Der Spezialfall der lebenslangen Freiheitsstrafe bleibt im folgenden unberücksichtigt. Die kriminal~ politisch umstrittene Frage, ob diese Sanktion beibehalten werden soll53, kann im Rahmen dieser Arbeit nicht erörtert werden. Gegebenenfalls wäre die lebenslange Freiheitsstrafe als Extension des oberen Bereichs der zeitigen Freiheitsstrafen anzusehen, die etwa für die Tötung mehrerer Menschen in Betracht kommen könnte 54 .

51

Vgl. oben 4. Teil, 2. Kap., 2 a bb.

52 Vgl. oben 4. Teil, 2. Kap., 2 a bb. 53 Vgl. dazu Jung/Müller-Dietz (Hrsg.), Langer Freiheitsentzug - wie lange noch? 54 Die Alternative wäre höhere zeitige Strafen als fünfzehn Jahre bei der Gesamts-

trafe, was nach deutschem Recht de lege lata nicht möglich ist (§ 54 Abs. 2 S. 2).

374

6. Teil: Die Umsetzung der Schwerebeurteilung in numerische Strafmaße

Anders als bei der oben erörterten gleichmäßigen Segmentierung der Strafrahmen kommt in der hier vorzunehmenden Zuordnung von Grad des Erfolgsunrechts und Basis-Strafquantum die Gewichtung des Erfolgsunrechts zum Ausdruck. Die folgenden Kombinationen von Erfolgsunrecht und BasisStrafquantum sollen als Vorschläge zur Diskussion gestellt werden. bb) Am besten läßt sich eine Zuordnung begründen, die bei den Extremfällen des Erfolgsunrechts ansetzt. Für Taten mit gravierendem Erfolgsunrecht, die auf fundamentale Lebensinteressen des Opfers eingewirkt und ein nur minimales Wohlbefinden zerstört haben, wird in der Regel (Ausnahmen gelten bei unrechts-, schuld- oder sonstigen strafmindernden Umständen) nur eine vollstreckbare Freiheitsstrafe in Betracht kommen. Das Strafquantum für diesen Bereich des Erfolgsunrechts beginnt daher bei zwei Jahren Freiheitsstrafe ohne die Möglichkeit der Strafaussetzung zur Bewährung. Das Erfolgsunrecht der schwersten vorstellbaren Straftaten, Tötungsdelikte und Delikte, die fundamentale Voraussetzungen für das soziale Überleben zerstört haben, ist in einem Strafquantum anzusiedeln, das etwa bei sieben oder acht Jahren Freiheitsstrafe beginnt und bis zu fünfzehn Jahren reicht, gegebenenfalls auch bis zur lebenslangen Freiheitsstrafe. Am anderen Ende der Schwereskala liegen die Fallkonstellationen mit geringfügigem Erfolgsunrecht. Delikte, die die Lebensqualität des Opfers nicht beeinträchtigt haben, sind durch die Verhängung einer geringfügigen Strafe milde zu beurteilen. Ausgehend von der gesetzlich vorgeschriebenen Mindeststrafe sollte deshalb das Basis-Strafquantum im Bereich der Geldstrafen zwischen fünf und dreißig Tagessätzen liegen. Die nächste Kategorie, niedriges Erfolgsunrecht, das das gesteigerte Wohlbefinden des Opfers tangiert, rechtfertigt im Regelfall ebenfalls nur die Verhängung einer Geldstrafe. Das Basis-Strafquantum für niedriges Erfolgsunrecht beginnt daher bei dreißig Tagessätzen Geldstrafe und sollte etwa bis 180 Tagessätze reichen, wobei alternativ auch eine zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder eine vollstreckbare Freiheitsstrafe bis zu zwei Monaten55 in Betracht kommt. Damit reicht für die Kategorie des mittel schweren Erfolgsunrechts das Basis-Strafquantum von einer hohen Geldstrafe (180 bis 360 Tagessätze) bis zu einer vollstreckbaren Freiheitsstrafe von zwei Jahren. In der folgenden Tabelle sind die Vorschläge zur Bestimmung des BasisStrafquantums dargestellt:

55 Vgl. oben 3. Teil, 4. Kap., 5 b aa zur 1:3-Umrechnung für die vollstreckbare, aber 1: I-Umrechnung fiir die zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafe. Eine vollstreckbare Freiheitsstrafe kommt als Alternative zu einer Geldstrafe von 180 Tagessätzen nur in Höhe von zwei Monaten in Frage.

4. Ermittlung des Basis-Strafwerts bei Vorsatztaten

375

Erfolgsunrecht und Basis-Strafquantum Grad des Erfolgsunrechts geringfügiges Erfolgsunrecht (keine Beeinträchtigung der Lebensqualität) niedriges Erfolgsunrecht (Beeinträchtigung des gesteigerten Wohlbefindens) mittelschweres Erfolgsunrecht (Beeinträchtigung des angemessenen Wohlbefmdens) gravierendes Erfolgsunrecht (Beeinträchtigung eines nur niedrigen Wohlbefmdens) schwerwiegendstes Erfolgsunrecht (Tötungsdelikte oder Zerstörung der Voraussetzungen für ein soziales Überleben)

Basis-Strafquantum Geldstrafe: 5 - 30 Tagessätze

Geldstrafe: 31 - 180 Tagessätze oder zur Bewährung ausgesetzte Freiheitssstrafe bis sechs Monate Geldstrafe (ab 180 Tagessätze) bis zwei Jahre Freiheitsstrafe Freiheitsstrafe ab zwei Jahren

Freiheitsstrafe ab sieben Jahren

d) Präzisierung des Basis-Stra!quantums zu einem Basis-Stra.fwert

aa) Die Präzisierung des Basis-Strafquantums zu einem Endstrafmaß wird anhand des Handlungsunrechts und gegebenenfalls der unrechts- oder schuldmindernden Umstände vorgenommen. Dabei kann die Endstrafe auch im darüber- oder darunterliegenden Strafquantum anzusiedeln sein, wenn etwa das Handlungsunrecht die Unrechtsbewertung nach oben verschiebt oder die Schuldwertung nach unten. Der Begriff "Strafquantum" ist daher nicht wie bei der Spielraumtheorie im Sinne von festen Grenzen zu verstehen, sondern nur als erster Anhaltspunkt zum Zweck des Einstiegs in den Strafrahmen. Bevor jedoch das Thema Handlungsunrecht angesprochen werden kann (dazu sogleich 5.), ist zu erörtern, wie die Umwertung des Erfolgsunrechts

über die angegebenen Basis-Strafquanten hinaus einzuengen ist: Es sind die Möglichkeiten zu untersuchen, von einem Basis-Strafquantum zu einem Basis-Strafwert für das Erfolgsunrecht zu kommen. Bei geringfügigem und niedrigem Erfolgsunrecht ist dank der vergleichsweise engen BasisStrafquanten die weitere Präzisierung des Erfolgsunrechts kein größeres Problem. Vor allem bei den Vennögensschäden erlauben die oben als Grenzwerte

376

6. Teil: Die Umsetzung der Schwerebeurteilung in numerische Strafmaße

für den Erfolgsunwert angegebenen Geldsummen56 auch eine feinere Erfolgsunwertdifferenzierung. Aufgrund dieser Festlegungen läßt sich folgendes Beispiel aufstellen: Ein Schaden von beispielsweise 1 000.- DM liegt in der Geldsummenspanne, für die hier eine Einstufung als niedriges Erfolgsunrecht vorgeschlagen wurde, und zwar deutlich näher an der unteren als an der oberen Grenze57 . Deshalb erscheint ein Basis-Strafwert etwas oberhalb der unteren Grenze des Basis-Strafquantums für niedriges Erfolgsunrecht (31 bis 180 Tagessätze Geldstrafe) angemessen, also ein Basis-Strafwert von etwa 40 Tagessätzen. Dieser Wert ist gegebenenfalls durch weitere Strafzumessungsumstände zu modifizieren. Wenn zumindest über die Erfolgsunwert-Kategorien bei Vermögens schäden und über die zuzuordnenden Basis-Strafquanten ein Konsens erzielt werden könnte, wäre damit ein erheblicher Gewinn für die Konkretheit der Strafzumessungslehre gewonnen. bb) Schwieriger ist die Bestimmung eines Basis-Strafwerts dagegen, wenn mittelschweres bis schwerwiegendstes Erfolgsunrecht breitere BasisStrafquanten mit sich bringt. Für bestimmte schwere Delikte, deren Erfolgsunrecht relativ einheitlich ist, weil alle Tatbestandsverwirklichungen in den Bereich des gravierenden Erfolgsunrechts fallen, bietet sich eine von den Minima/anforderungen an die Tatbestandserfüllung ausgehende Vorgehensweise an. Hierzu gehört etwa die Vergewaltigung (§ 177 Abs. 2 Nr. 1). Liegen im zu beurteilenden Sachverhalt nur die im gesetzlichen Tatbestand vorausgesetzten Minimalanforderungen vor, ist von der gesetzlichen Mindeststrafe als Einstiegswert für das Erfolgsunrecht auszugehen. Bei der Vergewaltigung würde den Einstiegsfall somit etwa eine Nötigung bilden, die gerade noch als Drohung zu werten ist und die zu einer sexuellen Handlung geführt hat, die den Mindestanforderungen an "Eindringen in den Körper" genügt. Der BGH hat eine solche Vorgehensweise im Ergebnis gebilligt: Hinsichtlich der Frage, ob ungeschützter Geschlechtsverkehr mit Samenerguß strafschärfend berücksichtigt werden kann, hat er darauf verwiesen, daß diese Vorgehensweise nicht zur Vollendung gehöre und deshalb im Vergleich zu einer Handlung, die das Tatbestandsmerkmal des Beischlafes gerade erfülle, schwerer wiege 58 . Wenn es für das Delikt einen Sonderstrafrahmen für minder schwere Fälle gibt, wirft dies die Frage auf, ob die Untergrenze des Normal- oder des Son4. Teil, 2. Kap., 3 d cc. Oben (4. Teil, 2. Kap., 3 d cc) wurde vorgeschlagen, bei fmanziellen Schäden in der Größenordnung von 500 DM bis ungefahr 20 000 DM von einem niedrigem Erfolgsunwert auszugehen. 58 Entscheidung des 1. Senats, BGHSt. 37, 153, 154 ff. Diskutiert hat der erste Senat dies zwar in einem anderen Sachzusammenhang, nämlich bei der Anwendbarkeit des Doppelverwertungsverbots (§ 46 Abs. 3). Diese Erwägungen sind jedoch auch für den Einstieg in den Strafrahmen verwertbar. Zur Aufgabe der entgegenstehenden Ansicht des 3. Senats (BGHNStZ 1985,215) BGHSt. 37, 157. 56

57

4. Ennittlung des Basis-Strafwerts bei Vorsatztaten

377

derstrafrahmens für den Basis-Strafwert maßgeblich sein soll, wenn nur die Minimalbedingungen der Tatbestandserfüllung vorliegen. Eine Möglichkeit bestünde darin, nur für unrechts- und schuldmindernde Umstände, die zu einer Abstufung des Basis-Strafwerts führen, den Strafrahmen für minder schwere Fälle heranzuziehen. Auf die Spezialprobleme der Sonderstrafrahmen kann jedoch im Rahmen dieser Arbeit nicht ausführlicher eingegangen werden. cc) Bei den meisten Delikten ist jedoch die von den Minimalanforderungen an die Tatbestandserfüllung ausgehende Methode nicht praktikabel. Der Grund liegt im Variationsreichtum der Tatbestandsverwirklichungen bei Delikten, deren Erfolgsunrecht nicht einheitlich in einer Schwerestufe liegt wie bei der Vergewaltigung. Bei der gefahrlichen Körperverletzung oder der Freiheitsberaubung zum Beispiel kann das Unrecht von gravierend bis geringfügig reichen. Eine bei den Mindestbedingungen der Tatbestandserfüllung ansetzende Methode wäre deshalb kompliziert und unübersichtlich, da der konkret zu entscheidende Fall vom Vergleichsfall weit entfernt sein kann59 . dd) Für Delikte, bei denen die Ersteinstufung anhand der fünf Stufen des Erfolgsunrechts nicht anhand der Mindestanforderungen an die Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes präzisiert werden kann, bietet sich die von Grasnick und Montenbruck vorgeschlagene Ausdifferenzierung der fünf Grundschwerestufen in einem zweiten Schritt an. Das Vorgehen in zwei Schritten ist erforderlich, weil eine Erstaufteilung der Schwere des Erfolgsunrechts in mehr als ungefähr fünf Grundschwerestufen nicht möglich ist. Von Hirsch und Jareborg halten zwar eine Aufteilung in vier Ebenen der Lebensqualität nicht für zwingend; auch eine größere Anzahl sei möglich6o . Eine stärkere Ausdifferenzierung von auf den Erfolgsunwert gestützten BasisStrafquanten wäre jedoch erstens sprachlich kaum vermittelbar61 ; zweitens ginge die Überzeugungskraft verloren, mit der beim Lebensqualitäts-Modell argumentiert werden kann, auf welcher Ebene eine Tat einzuordnen ist. Ein gerade wegen seiner Einfachheit Plausibilität verbürgendes Modell kann nicht gleichzeitig hochkomplex sein. Wenn die erste Verortung geleistet ist, besteht jedoch für den Tatrichter eine weitere Unterteilungsmöglichkeit. Er kann sich überlegen, ob innerhalb der Erfolgsunrechts-Kategorie der zu beurteilende Fall typisch ist; in diesem Fall ist der Basis-Strafwert im Mittelbereich des Basis-Strafquantums festzumachen. Wenn der Sachverhalt dagegen eine innerhalb der Kategorie eher leichte 59 Streng, NStZ 1989, 396 kritisiert deswegen diesen Ansatz generell. Für relativ homogene, weil in allen Verwirklichungen des Tatbestandes schwere Delikte paßt diese Argumentation jedoch nicht, vgl. den vorangegangenen Abschnitt. 60 In: Oxford Journal ofLegal Studies 1991, 17. 61 Montenbruck, Abwägung und Umwertung, S. 49.

378

6. Teil: Die Umsetzung der Schwerebeurteilung in nwnerische Strafmaße

oder eher schwere Ausprägung ist, ist der Basis-Strafwert aus dem unteren bzw. oberen Teil des Basis-Strafquantums zu entnehmen62 . Um dies an einem Beispiel zu verdeutlichen: Eine Verletzung durch Messerstiche, die nicht zu bleibenden Gesundheitsfolgen oder Beschwerden geführt hat, gehört als Beeinträchtigung des angemessenen Wohlbefindens in die Kategorie des mittelschweren Erfolgsunrechts und führt deshalb zu einer Ersteinordnung bei einem Basis-Strafquantum von Geldstrafe ab 180 Tagessätzen bis zu zwei Jahren Freiheitsstrafe. Die Verortung innerhalb dieser Kategorie hängt von den näheren Umständen ab: Wenn es sich um eine unkomplizierte Verwundung mit einem unproblematischem, nur eine ambulante Behandlung erforderlichen Heilungsverlauf gehandelt hat, ist eine Strafe aus dem unteren Bereich des Basis-Strafquantums angebracht, also etwa eine hohe Geldstrafe. War dagegen der Angriff mit erheblichen Gefahren für das Opfer verbunden (etwa: ein Stich in den Bauch) und hat er zu einem längeren stationären Krankenhausaufenthalt geführt, ist eine Strafe aus dem oberen Bereich des Strafquantums, also eine Freiheitsstrafe im Bereich von ein bis zwei Jahren angebracht. 5. Modifikationen des Basis-Strafwerts a) Normativer Normalfall als Ausgangspunkt

aa) Der Basis-Strafwert, der durch die Bewertung des Erfolgsunwerts ermittelt wurde, kann in manchen Fällen die Endstrafe sein. In anderen ist er dagegen aufgrund der weiteren Kriterien für die Bewertung der Tatschwere nach oben bzw. nach unten zu modifizieren. In diesem Abschnitt sind die Umstände zu erörtern, die die endgültige Feinabstimmung des Strafmaßes betreffen. Dabei ist es unumgänglich, für jeden der im konkreten Fall zu erörternden Strafzumessungsfaktoren einen Ausgangspunkt der Merkmalsausprägung zu finden, damit im Vergleich von konkreter Merkmalsausprägung und Ausgangspunkt entschieden werden kann, ob der Basis-Strafwert zu modifizieren ist, und wenn ja, in welche Richtung. Diese Vergleichsmethode gebieten Gründe der Logik: Die Verwendung von Relationsbegriffen wie strafschärfend oder

62 Vgl. Montenbrnck, Abwägung und Umwertung, S. 53. Montenbrnck setzt allerdings unter Hinweis auf die in der tatrichterlichen Praxis ohnehin feststellbare Prägnanztendenz nicht bei Strafquanten an, sondern bei einer Autlistung von ca. 20 "runden" Strafeinheiten, S. 59 fT. Diese glatten Zahlen sollen den Schwereunterteilungen (vier bzw. sechs Grundkategorien mal drei, S. 53) zugeordnet werden. Die Beschränkung auf einige wenige plastische Strafmaße engt jedoch die Feinabstufung des Erfolgsunrechts über Gebühr ein, die insbesondere bei Vermögensschäden wegen der Abstufbarkeit von Geldsummen möglich ist.

5. Modifikationen des Basis-Strafwerts

379

strafmildernd ist nur von einem Bezugspunkt ausgehend sinnvo1l63 . Ausgangspunkt für die Bewertung von Umständen, die den Basis-Strafwert modifizieren können, muß eine strafzumessungsneutrale Ausprägung dieses Umstandes sein64 . Die Unterschiede zu diesem strafzumessungsneutralen Ausgangspunkt begrunden im zu entscheidenden Fall die Abweichung vom BasisStrafwert nach oben oder nach unten. Während es beim Einstieg in den Strafrahmen eine "neutrale" Ausprägung nicht geben kann, es vielmehr immer auf das konkrete Ausmaß des Erfolgsunwerts ankommt65 , sind die ergänzenden Erwägungen zur Bestimmung der Tatschwere anders strukturiert. bb) Damit ruckt zwangsläufig die Frage in den Vordergrund, wie der Ausgangspunkt für den Vergleich mit dem zu entscheidenden Fall gebildet werden soll. Dabei gibt es zwei Vorgehensweisen, nämlich die Orientierung am normativen Normalfa1t6 oder die Orientierung am sogenannten Regeltatbil~7. Ein Regeltatbild soll vorliegen, wenn ein bestimmter Begleitumstand so typisch ist, daß er nicht mehr den Einzelfall charakterisiert, sondern "stillschweigende Basisannahme der Bewertung" ist68 . Die Typizität kann entweder empirisch als die statistische Häufigkeit dieses Umstandes verstanden werden69 oder durch eine normative Bewertung ergänzt werden. Im letzteren Sinne definiert Frisch das Regeltatbild: Nicht nur aus statistischen Werten, sondern aus dem Gesetz oder zumindest aus allgemeinen Bewertungskriterien der Rechtsgemeinschaft müsse sich die Typizität des Umstandes für das Delikt ergeben7o . In bestimmten Konstellationen führen die beiden Ansätze zu übereinstimmenden, in anderen dagegen zu unterschiedlichen Ergebnissen. Anhand eines Beispielfalls soll dies verdeutlicht werden. Wenn die meisten Schlägereien von betrunkenen Tätern begangen werden, gehört die Alkoholisierung bei einer

63 Horn, StV 1986, 168; Neumann, StV 1987, 258; Frisch, GA 1989, 345 f; Montenbruck, Abwägung und Umwertung, S. 33; SchaIllSchirrmacher, Jura 1992,517 f; Fahl, Bedeutung des Regeltatbildes, S. 115 f1 64 Fahl, Bedeutung des Regeltatbildes, S. 132. 65 Vgl. auch Frisch, GA 1989, 362 Fn. 94, 371 f; Fahl, Bedeutung des Regeltatbildes, S. 221. 66 Theune, StV 1985, 205; Grasnick, JZ 1988, 158. 67 Dafür Hettinger, StV 1987, 148; Frisch, GA 1989, 361 f1; Fahl, Bedeutung des Regeltatbildes, S. 132 f1 Montenbruck spricht zwar von einem Normalfall, seine Ausflihrungen entsprechen aber Frischs Konzeption des Regeltatbildes, da er auf den gedanklichen Durchschnittsfall Bezug nimmt, den der Gesetzgeber vor Augen hatte (Abwägung und Umwertung, S. 33). 68 Frisch, GA 1989, 361. 69 Vgl. etwa Hettinger, StV 1987, 149. 70 Frisch, GA 1989,364 f.; ihm zustimmend Fahl, Bedeutung des Rege1tatbildes, S.137.

380

6. Teil: Die Umsetzung der Schwerebeurteilung in numerische Strafmaße

statistischen Betrachtung zum Regeltatbild. Auch anhand eines nonnativen Filters könnte man zum selben Ergebnis kommen, indem argumentiert wird, daß der Gesetzgeber bei § 231 gerade die typischen Gefahren von Wirtshausschlägereien und ähnlichem durch alkoholisch enthemmte Personen vor Augen hatte. Nach dem Regeltatbild würde es deshalb für die Bestrafung wegen der Beteiligung an der Schlägerei keine Rolle spielen, ob der zu Verurteilende angetrunken war oder nicht - es sei denn, § 21 ist einschlägig. Nach der Normalfallmethode müßte man sich jedoch mit der Frage auseinandersetzen, ob die Trunkenheit eine Schuldminderung auch jenseits der Voraussetzungen von § 21 begründet, da der nonnative Nonnalfall ungeminderte Schuld ist. Wenn es sich dagegen um ein Delikt handelt, bei dem nicht ein Regeltatbild des angetrunkenen Täters festgestellt werden kann, etwa um einen Diebstahl, kommen alle Ansätze zum selben Ergebnis. Wie dieses Beispiel zeigt, könnte die schlicht auf die Häufigkeit bestimmter Tatumstände abstellende Regeltatbildmethode zu Brüchen mit nonnativen Vorgaben führen. Danach müßte beim Vorliegen der Voraussetzungen in § 21 diese Nonn angewandt werden, auch wenn 90 % aller Täter des einschlägigen Delikts einen entsprechenden Alkoholwert erreichen sollten: Insoweit könnte es nicht auf das Regeltatbild ankommen. Vor diesem Hintergrund überzeugt nicht, daß bei anderen Strafzumessungstatsachen das Regeltatbild entscheidend sein soll. cc) Vorzugswürdig ist die Orientierung am nonnativen Nonnalfall als neutrale Ausprägung eines Strafzumessungsmerkmals, dessen Vorliegen dazu führt, daß der durch das Erfolgsunrecht geprägte Basis-Strafwert nicht verändert wird. Der richtige Ansatzpunkt liegt in einer deutlichen Hervorhebung des Adjektivs normativer Nonnalfall, die notwendig ist, weil "nonnal" ein zweideutiges Wort ist, das sich sowohl empirisch wie nonnativ verstehen läßt. Von einem nonnativen Nonnalfall kann gesprochen werden, wenn auf der Basis der Vorgaben des Straftatsystems darüber entschieden wird, daß ein bestimmter Umstand den bis zu diesem Prüfungspunkt ermittelten BasisStrafwert nicht verändert. Im Vergleich zu diesem nonnativen Nonnalfall wirkt eine andere Ausprägung desselben Merkmals strafschärfend oder mindernd7l . Die hier zugrunde gelegte Konzeption des nonnativen Nonnalfalls ist nicht mit einem idealtypischen Durchschnittsfall, also einem Fall mittlerer Schwere, zu vergleichen72 : Letzterer bildet einen Gesamtfall ab, schließt also alle Dimensionen von Strafzumessungsumständen ein, während

Vgl. auch Weßlau, StV 1991,260; Frisch, GA 1989, 343. Von diesem geht etwa Neumann, StV 1991,258 f. aus. Vgl. aber die Unterscheidung bei Bruns, JZ 1988, 1055; Fahl, Bedeutung des Regeltatbildes, S. 202. 71

72

5. Modifikationen des Basis-Strafwerts

381

sich der normative Normalfall auf den Normalfall hinsichtlich eines einzelnen Strafzumessungsumstands beziehe 3 . dd) Die Wahl eines normativen Normalfalls als Ausgangspunkt ist angesichts der Ablehnung dieses Maßstabs in der BGH-Rechtsprechung begründungsbedürftig. Der Große Senat hat auf die Vorlegungsfrage des ersten Senats, ob strafschärfend berücksichtigt werden dürfe, daß der Angeklagte sich nicht in Geldnot befunden hae 4 , entschieden, dies könne nur nach der Lage des Einzelfalls beurteilt werden. Es gebe keinen normativen Normalfall wirtschaftlicher Umstände, der als Basis für die Bewertung von Abweichungen dienen könne 75 . Diese Aussage über die wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters wird vom Großen Senat auch auf andere strafzumessungserhebliche Umstände erstrecke 6 . Der erste Senat hat in einer nachfolgenden Entscheidung wiederholt, ein normativer Normalfall eines Tatbestandsmerkmals oder eines anderen strafzumessungserheblichen Umstands sei nicht anzuerkennen77 . Die ausdrückliche Absage an einen normativen Normalfall in BGHSt. 34, 345, 350 f. und BGHSt. 37, 153, 1567s führt zu einem Dilemma: Wenn nicht das Regeltatbild über die Strafzumessungsrelevanz entscheiden soll, muß zwangsläufig auf einen normativen Normalfall zurückgegriffen werden. Auf die Umstände des Einzelfalls abzustellen, wie der Große Senat vorschlägt, ist keine Lösung, da Strafschärfungen bzw. Strafmilderungen für einen Einzelfall einen Bezugspunkt voraussetzen79 . ee) Leider bleibt in beiden Entscheidungen offen, ob ihnen nicht möglicherweise eine Verwechslung von normativem Normalfall und Regeltatbild zugrunde liegt. Der vorlegende Senat hatte von der "Normalausprägung wirtschaftlicher Umstände"so gesprochen - diese Formulierung deutet auf ein Regeltatbild hin. Ein zweites Indiz deutet auf eine fehlende analytische Differenzierung: Die Argumentation des Großen Senats, die Beschreibung eines Normalfalls wäre mit den Aufgaben eines Revisionsgerichts nicht vereinbarsI, 73 Leider ist nicht nur ,,nonnai", sondern auch ,,Fall" ein zweideutiger Begriff, der sowohl "Gesamtsachverhalt" als auch ,,Erscheinungsfonn eines bestinunten Umstandes" bedeuten kann. 74 BGHSt. 34, 345, 347. 75 BGHSt. 34, 345, 350 f. 76 BGHSt. 34, 345, 350 f. 77 BGHSt. 37, 153, 156. Die Tatsache, daß der Täter ohne Schutzvorkehrungen bis zum Samenerguß gehandelt hat, könne deshalb strafschärfend berücksichtigt werden. 78 Ebenso BGH StV 1988, 60; in dieser Entscheidung wird verneint, daß das Fehlen von Vorstrafen als Nonnalfall einzustufen sei. Zur Unvereinbarkeit dieser Meinung Init Strafschärfungen bei Vorbestraften vgl. oben 3. Teil, 4. Kap., 4 b aa. 79 Frisch, GA 1989,345 f. 80 BGHSt. 34,345,346 f. 81 BGHSt. 34,345,351.

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6. Teil: Die UmsetzWlg der Schwerebeurteihmg in numerische Strafmaße

macht vor allem Sinn, wenn sich die Ablehnung gegen die Umschreibung von Regeltatbildern richtet. Die Ermittlung des "normalen Erscheinungsbilds" bestimmter Delikte macht wegen des dafür erforderlichen Erfahrungswissens tatsächlich Schwierigkeiten. Aus der Perspektive des Revisionsgerichts wäre es verständlich, wenn die kriminologische Analysen erfordernde Auseinandersetzung mit Regeltatbildern vermieden wird82 . Es besteht aber kein Grund, warum sich das Revisionsgericht nicht zur normativen Relevanz eines Strafzumessungsumstandes äußern sollte. Die Entscheidung des Großen Senats krankt daran, daß die Strafzumessungsrelevanz der wirtschaftlichen Verhältnisse nicht hinterfragt wird. Der Rückzug auf die Umstände des Einzelfalls deckt nur einen unreflektierttraditionalistischen Umgang mit den persönlichen Verhältnissen des Täters zu; die normative Verankerung der Argumentation fehlt völlig83 . Ein normativer Normalfall der wirtschaftlichen Verhältnisse läßt sich in der Tat nicht bestimmen, aber aus einem anderen Grund als der BGH annimmt, nämlich weil die Strafzumessungsrelevanz der wirtschaftlichen Verhältnisse normativ nicht zu begründen ist84 . Eine naturalistische Sichtweise der Strafzumessungsumstände ist für die Bewertung eines Normalfalls ungeeignet. Erst der Zwischenschritt der Ausrichtung der Strafzumessungsfaktoren an Unrecht und Schuld schafft die notwendige normative Basis zur Ermittlung von Normalfällen85 . In welcher Beziehung beispielsweise die Alkoholisierung des Täters zum normativen Normalfall steht, ließe sich nicht ohne den notwendigen Zwischenschritt entscheiden, mit dem die Tatsache der Alkoholisierung im Strafrechtssystems als potentiell schuldmindernder Faktor verortet wird. ff) Ein klassisches Beispiel für einen normativen Normalfall ist das Vorliegen von Schuld: Im Normalfall wird die Schuld des Täters vorausgesetzt - eine Regelung zur positiven Schuldfeststellung in jedem zu entscheidenden Fall kennt unser Strafrecht nicht. Aufgeführt sind lediglich Ausnahmekonstellationen entfallender bzw. geminderter Schuld (§§ 19 - 21). Aus den Vorgaben des Vgl. Horn, StV 1986, 170. Die Entscheidung des l. Senats im 37. Band ist dagegen im Ergebnis richtig, wenn als normativer Normalfall die Mindestanforderungen an die Tatbestandserfüllung, also ein Vergleichsfall mit dem geringsten möglichen Erfolgsunrecht einer Vergewaltigung zugrunde gelegt wird. Diese Erwägung fmdet sich in der Entscheidung, allerdings nicht unter dem Stichwort Erhöhung des Erfolgsunrechts, sondern bei der Erörterung des Doppelverwertungsverbots, BGHSt. 37, 153, 154. Wegen der Tatrnodalitäten steigt das Erfolgsunrecht; vgl. oben 4. Teil, 2. Kap., 3 b aa. A.A. Weßlau, StV 1991,260 f. 84 In diesem Punkt folgt die hier vorliegende Arbeit nicht Frisch, GA 1989, 368 f., der sich im Ergebnis dem Großen Senat zur Strafschärfung wegen der geordneten wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters anschließt und dies mit der "verwerflichen Gesinnung" begründet. 85 Vgl. zum Vorstehenden Frisch, GA 1989, 355 ff. 82

83

5. ModifIkationen des Basis-Strafwerts

383

Strafrechtssystems kann deshalb die Kombination normativer Normalfall (d.h. ungeminderte Schuld) und schuldmindernde Umstände abgeleitet werden86 . Für die meisten der in Kapitel 5 erwähnten Umstände ist die Bewertungsrichtung kein Problem. Soweit es um unrechts- oder schuldmindernde Umstände geht, ist der normative Normalfall das Fehlen solcher Umstände 8? Ausgehend vom durch das Erfolgsunrecht definierten Basis-Strafwert sind beim Vorliegen von unrechts- oder schuldmindernden Umständen Abstriche vom BasisStrafwert zu machen. Unrechtssteigernde Umstände etwa in Form der Verletzung einer im Strafgesetz zu findenden Pflicht wie der Vermögensbetreuungspflicht führen zu einer Erhöhung des Basis-Strafwerts.

b) Vorsatzvariationen

aa) Die Festlegung des normativen Normalfalls wirft im Hinblick auf die unterschiedlichen Formen von Vorsatz und Fahrlässigkeit Probleme auf. Bei der Bewertung des Handlungsunrechts wurde zwischen direktem Vorsatz bzw. Absicht und bedingtem Vorsatz differenziert. Bei der Umsetzung in ein numerisches Strafmaß ist nicht in gleicher Weise wie bei den schuldmindernden Umständen offensichtlich, was der normative Normalfall ist, also ob etwa die Tatsache, daß das Erfolgsunrecht mit dolus eventualis anstatt mit direktem Vorsatz herbeigeführt wurde, zu einer Absenkung des Basis-Strafwertes führen sollte. Die Umsetzung der relativen Schwerebewertung wirft die Frage auf, wie der anhand des Erfolgsunrechts bestimmte Basis-Strafwert zu modifizieren ist. Auch insoweit ist nach normativen Vorgaben zu suchen. In Anlehnung an die von Frisch entwickelten Kriterien kann ausschlaggebend sein, an welchen typischen Tatbedingungen sich die im Gesetz vorgenommene höhenmäßige Bewertung orientiert hat88 . bb) Bei einer Reihe von Vorsatzdelikten kann dem Gesetz ein normativer Normalfall in Form der absichtlichen Tatbegehung entnommen werden, auch wenn nicht (wie etwa in § 258) ausdrücklich auf direkten Vorsatz oder Absicht Bezug genommen wird. Alle Delikte, bei denen zur Tatbestandsverwirklichung eine über die tatbestandliehe Handlung hinausreichende Intention gehört, werden typischerweise nicht mit bedingtem Vorsatz begangen. Die weiterreichende Intention bringt es mit sich, daß eine Vornahme der zur Verwirklichung der Absicht führenden Handlung nur mit dolus eventualis einen Frisch, GA 1989, 356. Das Fehlen solcher Umstände darf nicht strafschärfend berücksichtigt werden. Es ist deshalb z.B. fehlerhaft, das Unterlassen von Wiedergutmachungsleistungen als Strafschärfungsgrund anzuführen, so aber Weber, Genugtuungsinteresse des Verletzten, S. 162. 88 GA 1989,364 f. 86

8?

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6. Teil: Die Umsetzung der Schwerebeurteilung in numerische Strafmaße

eher exotischen Ausnahmefall bildet, der nicht der gesetzlichen Tatschwerebewertung zugrunde lag. Bei Tatbeständen, die auf Zueignungs- oder Bereicherungsabsicht verweisen89 oder öie eine sonstige Intention voraussetzen90 , ist deshalb das Handeln mit Absicht oder direktem Vorsatz der normative Normalfall. cc) Bei vielen Vorsatzdelikten ist jedoch aus dem Gesetz keine vorgegebene Vorsatzform ersichtlich. Zwar wird behauptet, dolus directus bilde den normativen Normalfall, weshalb Handeln mit dolus eventualis strafmindemd zu berücksichtigen see 1 . Auch die Rechtsprechung sieht im direkten Vorsatz den Normalfall 92 . Es findet sich jedoch keine Stütze im Gesetz für diese allgemein aufgestellte Behauptung. Zumindest wäre erforderlich, daß dem Gesetzgeber eine typische Begehensweise bei der Bewertung dieser Taten vor Augen gestanden hat. Dafür gibt es jedoch vielfach keinen Anhaltspunkt: Körperverletzungs- und Tötungsdelikte, Sachbeschädigungen, gemeingefährliche Straftaten und Umweldelikte etwa werden sowohl mit bedingtem wie auch mit direktem Vorsatz bzw. Absicht begangen. Im Gegenteil spricht der weite Strafrahmen etwa beim Totschlag gegen ein Ansetzen beim dolus directus als dem normativen Normalfall. Differenzierungen im Erfolgsunrecht sind insoweit nur bedingt möglich, etwa, wenn der Täter das Opfer vorher gedemütigt, in Todesangst versetzt oder ihm Schmerzen zugefügt hat. Die Rahmenweite von fünf Jahren bis zur Höchstgrenze von fünfzehn Jahren Freiheitsstrafe ist nicht mit erfolgsunrechtserhöhenden Motiven aufzufüllen. Es bietet sich deshalb eine Differenzierung nach Vorsatzgraden an, wobei Absicht bzw. direkter Vorsatz eine über den Basis-Strafwert hinausgehende Strafschärfung tragen. Am überzeugendsten ist für alle Delikte, bei denen sich eine typische Vorsatzform nicht feststellen läßt, die von den Minimalanforderungen an die Erfüllung des Tatbestandes ausgehende Vorgehensweise. Der erfolgsunrechtsabhängige Basis-Strafwert wird nicht weiter modifiziert, wenn der Täter mit bedingtem Vorsatz gehandelt hat. Strafschärfend sind direkter Vorsatz oder Absicht zu berücksichtigen.

§§ 242-244 a, 248 c, 249-255, 259-260 a, 263, 263 a, 265, 265 a. §§ 146, 148,257,267-269,274,279,281,332-334,343. 91 Theune, StV 1985,206. 92 BGH StV 1986, 340; StV 1990, 304; StV 1993, 72; NStZ 1997, 431, 432; BGHR. § 46 Abs. 3 Tötungsvorsatz 4,5. 89

90

5. Modiftkationen des Basis-Strafwerts

385

c) Fahrlässige Tatbegehung

aa) Die oben unter 4 c) beschriebenen Strafquanten für das Erfolgsunrecht sind offensichtlich für die nur fahrlässige Deliktsbegehung nicht passend, wie sich am deutlichsten bei der fahrlässigen Tötung zeigen läßt. Ein BasisStrafwert von sieben bis acht Jahren, wie hier für den Erfolgsunwert einer vorsätzlichen Tötung vorgeschlagen wird, wäre de lege lata unmöglich und auch für die meisten Fälle bei einer von der Gesetzeslage unabhängigen Wertung zu hoch gegriffen. Die Bewertung von Fahrlässigkeitsdelikten ist komplexer als die von vorsätzlichen Taten. Zwei Prämissen bilden den Anfang der Beurteilung: Zum einen ist von der deutschen Rechtslage ausgehend das Unrecht einer fahrlässig begangenen Tat geringer zu bewerten als das eines vorsätzlich begangenen Delikts93 . Zum anderen kommt auch bei einem Vergleich von Fahrlässigkeitsdelikten untereinander dem relativen Gewicht des Handlungsunrechts eine größere Bedeutung zu. Der Grund liegt in der zweifachen Dimension des Ausmaßes der Fahrlässigkeit: Es kommt sowohl auf den Unterschied zwischen bewußter und unbewußter Fahrlässigkeit an wie auch auf das Ausmaß der Sorgfaltspflichtverletzung94 . Die Bewertungsdifferenz zwischen einer leichten Sorgfaltspflichtwidrigkeit, die dem Handelnden nicht bewußt war, und einer an dolus eventualis heranreichenden groben Sorgfaltspflichtverletzung mit Gefährdungsvorsatz ist erheblich. bb) Versucht man, diese Prämissen am Beispiel der fahrlässigen Tötung umzusetzen, ist folgendes vorzuschlagen: Wegen der Nähe einer mit dem schwerstmöglichen bewußten Sorgfaltspflichtverstoß verursachten Tötung zu einer mit dolus eventualis begangenen Tötung ist eine allzu drastische Abstufung der Strafe für die Fahrlässigkeitstat schwer vertretbar. Da Tötung als schwerwiegendstes Erfolgsunrecht beim Basis-Strafquantum sieben Jahre bis fünfzehn Jahre Freiheitsstrafe eingestuft wurde und eine mit dolus eventualis begangene Tötung im unteren Bereich liegt, muß sich also eine bewußt und grob fahrlässig begangene Tötung mit einer vorsätzlichen Tat vergleichen lassen, die etwa mit sieben Jahren Freiheitsstrafe bestraft würde. Da nach deutschem Recht von einem im Vergleich zu dolus eventualis geringeren Handlungsunrecht der grob fahrlässigen Tötung auszugehen ist, ist eine Abstufung um etwa ein Basis-Strafquantum angebracht, so daß diese Tat in dem Bereich liegt, der bei zwei Jahren Freiheitsstrafe beginnt. Damit wird für die schwersten fahrlässigen Tötungen der obere Bereich des gesetzlichen Strafrahmens, 93 Bei einer unrechtszentrierten Betrachtungsweise kann sich die Bewertung von bewußter Fahrlässigkeit und dolus eventualis allerdings stärker annähern, vgl. 4. Teil, 3. Kap., I b aa bbb. 94 Vgl. oben 4. Teil, 3. Kap., I b.

25 Hörnle

386

6. Teil: Die Umsetzung der Schwerebeurteilung in numerische Strafmaße

anders als bei den meisten anderen Delikten, tatsächlich aktuell. Für eine weniger massive Sorgfaltspflichtverletzung ist dagegen, verglichen mit einer bedingt vorsätzlichen Tötung, eine Abstufung um zwei Basis-Strafquanten vertretbar, um dem insoweit eindeutig bestehenden großen Unterschied des Handlungsunrechts Rechnung zu tragen. Das dann anwendbare BasisStrafquantum reicht von 180 Tagessätzen Geldstrafe bis zu zwei Jahren Freiheitsstrafe. Somit ist für leichte Fälle der fahrlässigen Tötung eine hohe Geldstrafe ausreichend. cc) Aus dieser Sicht ist die auffallig milde Sanktionspraxis bei Verurteilungen wegen fahrlässiger Tötung problematisch. Mehr als 50 % der Urteile liegen bei Geldstrafen bis zu 90 Tagessätzen95 . Diese Häufung leichter Strafen ist weder mit unrechts- und schuldmindemden Gesichtspunkten noch mit dem geringen Handlungsunrecht vieler Fälle vollständig erklärbar. Die Sanktionierung mit niedrigen Geldstrafen ist mit dem schwerwiegenden Erfolgsunrecht dieser Taten nicht vereinbar.

95

Götting, Strafzumessungspraxis, Tab. 4 S. 142 f.

Zusammenfassende Darstellung einer tatproportionalen Strafzumessungstheorie Im ersten Teil dieser Arbeit wurden die Schwächen der Spielraumtheorie analysiert. Anschließend wurde begründet, warum eine unmittelbar an präventiven Effekten orientierte Strafzumessungstheorie genausowenig eine überzeugende Alternative sein kann wie der Verweis auf absolute Straftheorien oder die Ersetzung der Strafe durch ein ausschließlich an Wiedergutmachung orientiertes Konzept. Beide den Boden für die Erörterung einer tatproportionalen Strafzumessungslehre bereitenden Teile wurden mit einer Zusammenfassung abgeschlossen, auf die verwiesen werden kann). An dieser Stelle werden die wesentlichen Ergebnisse der Teile 3 bis 6 wiedergegeben.

I. Grundlagen einer tatproportionalen Strafzumessungstheorie 1. Die straftheoretischen Grundlagen einer tatproportionalen Strafzumessungslehre liegen nicht bei den absoluten Straftheorien2 ; es wäre also verfehlt, den hier vorzustellenden Ansatz etwa als eine Neuauflage Kantscher Vergeltungstheorien abzuqualifizieren. Ausgangspunkt ist vielmehr die Überlegung, daß es nicht möglich ist, mit einem eindimensionalen Erklärungsansatz die Institution staatlichen Strafens einheitlich zu rechtfertigen. Die in der deutschen Strafrechtswissenschaft verbreitete Fonnel, daß das Strafrecht dem Rechtsgüterschutz diene, simplifiziert komplexe Zusammenhänge. Eine Reduktion des Strafrechts auf präventive Funktionen vernachlässigt die expressiv-kommunikative Bedeutung der Strafe. Ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal der Kriminalstrafe ist die damit verbundene Mißbilligung jraheren Verhaltens. Das mit jeder Strafe verbundene sozialethische Unwerturteil richtet sich an den Täter, aber auch an das Opfer, dem bestätigt wird, daß ihm durch die Tat Unrecht geschehen ist. Während die expressive Seite jeden Akt des Strafens kennzeichnet, ist die Rechtfertigung der Übelszufügung komplizierter. Ausgehend von empirischen Untersuchungen ist zwar grundsätzlich die Annahme nicht abwegig, daß die Existenz eines Strafsystems (anders als die Höhe von Strafen) einen wenn auch begrenzten Einfluß auf individuelle

) Vgl. oben S. 75 f, 107. Vgl. im einzelnen 3. Teil,!. Kap.

2

25'

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Zusammenfassende Darstellung

Straftatentscheidungen hae. Allerdings ist fraglich, ob dies tatsächlich für alle Deliktskategorien zutrifft. Für manche besonders schwere Delikte, bei denen vermutet wird, daß dem Strafrecht keine präventive Rolle zukomme, ist es plausibler, auch insoweit die expressiven Funktionen in den Vordergrund zu stellen: Gerade bei besonders schwerwiegenden Unwerturteilen ist eine Untermauerung des abstrakten Werturteils durch eine Übelszufiigung erforderlich4 . Das Fazit der straftheoretischen Vorüberlegungen ist, daß es die Straftheorie nicht gibt, sondern nur eine deliktsspezifisch zu konkretisierende Mischung von expressiven und präventiven Elementen. 2. Entscheidend für eine tatproportionale Strafzumessungslehre ist die Auflösung des Zusammenhangs zwischen der Rechtfertigung des Strafrechtssystems und der Bemessung einer Einzelstraje. Die ganz herrschende Meinung in der Strafzumessungslehre geht davon aus, daß der Anfangspunkt der Strafzumessung die Festlegung des Zweckes sein müsse, der mit der Strafe verfolgt wird5 . Hier wird für eine differenziertere Betrachtung plädiert, die zu nicht zweckgebundenen Einzelstrafen führt. Eine unmittelbare Umsetzung der Straf- in eine Strafzumessungstheorie ist ausgeschlossen, wenn die Straftheorie mit der erforderlichen Differenziertheit entwickelt wird, da dann ein ausschließlich präventiv geprägtes Bild vom Strafsystem widerlegt wird. Auch wenn das Strafrechtssystem zumindest teilweise zweckorientiert-präventiv gerechtfertigt wird, müssen die Strafzumessungsregeln dem nicht folgen: Die Anwendungsregeln für eine Institution müssen nicht mit der Begründung der Existenz der Institution übereinstimmen6 . Ein prospektiv-zweckgerichtetes Verständnis der Einzelstrafe ist wegen des in der Strafe notwendigerweise enthaltenen retrospektiven Unwerturteils nicht angemessen. 3. Dies leitet über zu der Rechtfertigung eines tatproportionalen Strafzumessungskonzepts, für die auf anglo-amerikanische Arbeiten aus dem Bereich der Strafrechtsphilosophie (vor allem von Feinberg und von Hirsch) zurückgegriffen werden konnte. Die expressiven Funktionen der Strafe machen eine an der Tatschwere orientierte Strafzumessung erforderlich. Da das Gewicht der Übelszufiigung unweigerlich das Ausmaß des Tadels zum Ausdruck bringt, muß die Strafhöhe an der Tadelnswertigkeit des Verhaltens ausgerichtet werden. Die Art des Unwerturteils impliziert die Entscheidungsregeln für das Strafmaß: Dieses darf nicht von Aspekten abhängig gemacht werden, die außerhalb des Geschehens stehen, für das der Täter getadelt wird7 . Eine Auf-

3 4

5 6 7

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

2. Teil, I. Kap., 2 a bb. oben 3. Teil, 1. Kap., 4 b dd. 3. Teil, 2. Kap., 1. 3. Teil, 2. Kap., 2 . zum Obenstehenden 3. Teil, 3. Kap., 3 b.

Zusammenfassende Darstellung

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splittung der Strafhöhe in einen retrospektiven und einen präventiven Teil ist wegen der Verbindung von Tadel und Übelszufügung nicht möglich. 4. Ein von Nussbaum vertretener Ansatz verlangt, daß bei der Bewertung des Tatgeschehens die Biographie des Täters maßgeblich berücksichtigt werden müsse, um ein verständnisvolles Einfühlen in den Tathergang zu ermöglichen. Auch wenn das Bemühen um eine einfühlsame, den Täter deshalb milder beurteilende Bewertung für moralische Urteile angemessen sein mag, ist dies jedoch erstens unter den zeitlichen und organisatorischen Rahmenbedingungen des Strafverfahrens nicht durchführbar; zweitens ist zweifelhaft, ob das Entstehen von Empathie in diesem Kontext erwartet werden kann. Die Fokussierung auf die Tat statt auf die Täterbiographie liegt deshalb auch im Interesse des Straftäters8 .

IL Umsetzung einer tatproportionalen Strafzumessungstheorie 1. Das Grundprinzip einer tatproportionalen Strafzumessungslehre ist, daß das Strafmaß von der Schwere der Tat abhängig gemacht werden soll. Dabei steht die Bewertung der relativen Schwere einer Straftat im Vergleich zu anderen Straftaten im Vordergrund. Methodologisch geht es um die Entwicklung eines komparativen Systems, das eine Reihenordnung unterschiedlicher Sachverhalte erlaubt9 . Davon zu trennen ist die Frage, wie die Umsetzung in ein numerisches Strafmaß, mit anderen Worten der Einstieg in den Strafrahmen erfolgen soll, dazu unten V. Zur Bewertung der Straftat muß ein Set von Strafzumessungsfaktoren entwickelt werden, das die relative Schwere kennzeichnet. Bei der Umsetzung des Tatproportionalitätsprinzips kann auf Ansätze in der deutschen Strafrechtswissenschaft zurückgegriffen werden, die sich für eine tatproportionale Strafzumessung ausgesprochen haben (Schünemann) bzw. eine Orientierung der Strafzumessung an den Kategorien der Verbrechenslehre befürworten (Frisch) 10. Im Interesse einer verbesserten praktischen Umsetzbarkeit, die gegenüber der vagen Spielraumtheorie einen Fortschritt darstellt, ist ein strukturiertes Vorgehen zu fordern. Hierzu bietet es sich an, die Kategorien des Erfolgsunrechts, des Handlungsunrechts und der Strafbegründungsschuld auch für die Strafzumessung nutzbar zu machen. Damit sind verschiedene Vorteile verbunden: Erkenntnisgewinne aus der Straftatlehre können übernommen werden; bei einer Anlehnung an die Kategorien der Verbrechenslehre ist auch Vgl. im einzelnen 3. Teil, 3. Kap., 4 c. Vgl. zwn komparativen System und zwn Unrecht als Typus 3. Teil, 4. Kap., 2 b und 4. Teil, 1. Kap., 5. 10 3. Teil, 4. Kap., 1. 8 9

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Zusammenfassende Darstellung

die nonnative Verbindlichkeit eines Strafzumessungsfaktors einfacher zu begründen. Vor allem kann die Strafzumessung in einzelne Stadien gegliedert werden, womit verglichen mit der bisher vertretenen Gesamtabwägung aller Faktoren auch die Revisibilität der Strafzumessung verbessert wird!! . 2. Bei der Bewertung des Unrechts ist die Perspektive eines Tatopfers aufzuwerten. Anstatt wie in der deutschen Lehre vielfach üblich das Tatunrecht in einer Störung des öffentlichen Friedens oder des Rechtsfriedens zu sehen, deren Ausmaß kaum bestimmt werden könnte!2, werden hier wesentlich konkretere Maßstäbe angelegt. Das Erfolgsunrecht wird als die Verletzung bzw. konkrete Gefahrdung des Rechtsgutsträgers definiert. Dabei ist nicht auf die heterogenen, weil individuell sehr unterschiedlichen Bewertungsmaßstäbe der konkret geschädigten Opfer abzustellen, sondern darauf, zu welchem Ausmaß an Beeinträchtigung eine Straftat wie die abzuurteilende typischerweise führt. Außergewöhnliche Lebensumstände des konkret betroffenen Opfers, die zu einer deutlich anderen als der gewöhnlichen Bedeutung des Tatschadens führen, können zu einer Modifikation des Ausgangswertes führen!3.

Hinsichtlich der Bewertung der relativen Schwere des Tatschadens besteht eine große Lücke in der deutschen Strafzumessungslehre: Es fehlt an systematisch anwendbaren Maßstäben für den Vergleich von Straftaten, die in ganz unterschiedlicher Weise zu Schäden geführt haben. Von Hirsch und Jareborg haben einen methodischen Ansatz entwickelt, der hier rezipiert wurde: Das Ausmaß des Erfolgsunrechts läßt sich daran festmachen, wie stark durch die Straftat die Lebensqualität des Opfers beeinträchtigt wurde. Anband der fundamentalen Lebensinteressen physische Integrität, materielle Versorgung und Schutz von Privatsphäre und persönlicher Würde kann eine Reihenfolge von Ausprägungen des Erfolgsunrechts erstellt werden. Diese reicht von schwerwiegendstem Unrecht in Fonn der Zerstörung von physischen Grundlagen für ein Überleben als soziales Wesen (hierzu gehören natürlich Tötungsdelikte, aber auch Z.B. der vollständige Verlust des Sehvennögens oder eine den gesamten Körper erfassende Lähmung) bis zu geringfügigem Erfolgsunrecht, das die Lebensqualität nicht beeinträchtigt! 4 . Diese Bewertungsmethode wurde hier für einige Deliktsgruppen umgesetzt, wobei insbesondere bei den Eigentums- und Vennögensdelikten konkrete Vorschläge gemacht werden, welche Schadenssummen den Kategorien geringfügiges bis mittelschweres Erfolgsunrecht zuzuordnen sind! 5. Wenn man statt auf Lebensqualität auf die Arbeits-

11 12 13 14 15

Vgl. 3. Teil, 4. Kap., I b cc. Vgl. dazu 4. Teil, I. Kap., 3 a. 4. Teil, 2. Kap., I b. 4. Teil, 2. Kap., 2. 4. Teil, 2. Kap., 3 d cc.

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fähigkeit abstellt, kann auch bei Delikten gegen Organisationen der Erfolgsunwert verglichen werden l6 . 3. Auch bei der Bewertung des Handlungsunrechts ist die Perspektive des Tatopfers von Bedeutung. Die Kategorie des Handlungsunrechts wird in der neueren Strafzumessungslehre teilweise zur Systematisierung der Strafzumessungsfaktoren herangezogen, aber nicht in einer Weise, die mit den hier vertretenen Grundlinien vereinbar ist. Unter dem Stichwort des Handlungsunrechts findet sich dort eine Mischung aus subjektiven und objektiven Tatumständen, die die Befürchtung weckt, daß sich auf diesem Wege sowohl präventionsorientierte Strafzumessungserwägungen als auch eine Beurteilung der Täterpersönlichkeit unter dem Deckmantel einer Unrechtsbewertung wiederfinden. Aus diesem Grund wird hier als notwendiges Eingrenzungskriterium eine Verankerung des Blickwinkels gefordert, die in der Fragestellung besteht, ob der jeweilige Umstand aus der Perspektive eines Tatopfers für die Bewertung des Geschehens relevant wird. Soweit es sich um reine Täterinterna handelt, können diese ausschließlich unter dem Gesichtspunkt "Schuld" strafzumessungsrelevant werden17 . Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs können manche Tatumstände, die beim Handlungsunrecht eingeordnet werden, als strafschärfende Momente berücksichtigt werden, beispielsweise solche, die aus der Opfersicht eine abstrakte Gefährdung oder zumindest eine bedrohliche Situation darstellen, etwa das Bei-Sieh-Führen einer Waffe oder eine besonders sorgfaltige Tatplanung l8 . Auch Abstufungen des Vorsatzes beeinflussen das Handlungsunrecht, da aus der Opferperspektive ein mit Absicht oder direktem Vorsatz vorgehender Täter bedrohlicher ist als ein nur mit dolus eventualis Handelnderl9 . 4. Nach den unrechtsbegründenden und -erhöhenden Faktoren werden unrechtsmindernde Strafzumessungsfaktoren erörtert. In diesem Zusammenhang wird auf Wiedergutmachungsleistungen eingegangen, die nach dem hier zugrunde gelegten Ansatz strafzumessungsrelevant sind, weil sie das Erfolgsunrecht mindern können20 . Außerdem kann eine Beteiligung des Opfers an der Tatgenese unrechtsmindernd wirken, wenn das Tatgeschehen ihm teilweise zugerechnet werden kann. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, daß das sozialethische Unwerturteil über die Tat nicht nur den Täter betrifft, sondern auch das Opfer. Als Urteil über ein soziales Geschehen und über die dabei

16 17 18

19

20

4. Teil, 2. Kap., 5. Vgl. 4. Teil, 1. Kap., 4 b. 4. Teil, 3. Kap., 2 b. 4. Teil, 3. Kap., 1 a dd. 4. Teil, 4. Kap., 4.

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festzustellenden Zuständigkeiten für den Tatschaden muß eine Zuschreibung von Verantwortlichkeit auch gegenüber dem Opfer begründbar sein21 . 5. Eine Revision des Status quo der Strafzumessungslehre erwies sich auch deshalb als erforderlich, da dort ein in der Verbrechenslehre längst nicht mehr dominantes Schuldverständnis überleben konnte. Im dogmengeschichtlichen Abschnitt des ersten Teils wurden die Wurzeln eines Schuldverständnisses aufgezeigt, das wesentlich die Gesinnung und die Lebensführung des Täters betone 2 . Die Vorstellung einer durch das Ausmaß der Verwerflichkeit der Gesinnung und das Überwinden von inneren Hemmschwellen beliebig steigerb aren Schuld prägt noch heute die traditionelle Strafzumessungslehre und rechtsprechung, während in der Verbrechenslehre den unterschiedlichen Schuldlehren immerhin gemeinsam ist, daß es um die subjektive Zurechnung einer Tat geht, aber nicht um eine Bewertung von Gesinnungen. In Einklang mit der modemen Straftatlehre wird auch hier ein Schuldverständnis befürwortet, das nur eine Vollform der Schuld und Abstufungen nach unten kennt, nicht aber abstufbare Schuldsteigerungen nach oben23 . Die Konsequenz aus diesem Schuldverständnis ist, daß es keine schuldsteigernden Strafzumessungsfaktoren geben kann. Die strafschärfende Berücksichtigung eines Umstandes ist nur möglich, wenn dieser entweder das Erfolgsunrecht oder das Handlungsunrecht gesteigert hat. Im fünften Kapitel des vierten Teils werden Faktoren aufgeführt, die wegen ihrer schuldmindernden Wirkung zu berücksichtigen sind. Dabei ist zum einen an Konstellationen einer zwar vorhandenen Einsichtsfahigkeit in die Rechtswidrigkeit, aber eingeschränkten Einsichtsfahigkeit in das Ausmaß des Unrechts zu denken sowie an Fälle der eingeschränkten Steuerungsfahigkeit. Da jenseits der in den §§ 20, 21 umschriebenen pathologischen Zustände eine psychiatrische oder psychologische Begutachtung in jedem Einzelfall nicht möglich ist, müssen Situationen umschrieben werden, bei denen die psychologischen Zusammenhänge nahelegen, daß typischerweise auf einen Schuldvorwurf in voller Höhe verzichtet werden kann24 . Zu diesen Ausnahmekonstellationen dürften die Sozialisation in einem anderen Kulturkreis, bestimmte extreme gewissensbedingte Zwangslagen, affektähnliche Emotionen und gruppendynamische Prozesse gehören25 . Außerdem kann eine Schuldminderung in Betracht kommen, wenn die Zumutbarkeit normgemäßen Verhaltens eingeschränkt war, etwa beim Handeln aufgrund eines verständlichen Selbst-

21 22

23 24 25

Vgl. 4. Teil, 1. Kap., 4 c dd und 4. Kap., 2 c. 1. Teil, 3. Kap., 3 a. Vgl. 3. Teil, 3. Kap., 1 d. 4. Teil, 5. Kap., 2 b. 4. Teil, 5. Kap., 2 c.

Zusammenfassende Darstellung

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erhaltungsinteresses angesichts einer Gefahrensituation oder einer erheblich belastenden wirtschaftlichen Notlage26 . 6. Neben einer Reihenordnung der relativen Schwere von Straftaten, die anhand der Kriterien Erfolgsunrecht, Handlungsunrecht, unrechts- und schuldmindernde Gründe erstellt werden kann, erfordert eine tatproportionale Strafzumessung auch eine Reihenordnung der Sanktionen, mit der die relative Schwere einer Strafe im Verhältnis zu anderen Strafen bestimmt wird. Dabei muß beim Vergleich mit Sanktionen der gleichen Sanktionsart einem ab einem bestimmten Wert progressiv steigenden Strafübel Rechnung getragen werden. Das Hauptproblern liegt beim Vergleich der Schwere unterschiedlicher Strafsanktionen. Für den Vergleich von Geldstrafe und Freiheitsstrafe wird hier vorgeschlagen, daß einem Tag vollstreckbarer Freiheitsstrafe drei Tagessätze Geldstrafe entsprechen sollen. Ein 1: l-Umrechnungsmaßstab, wie er § 43 entnommen werden könnte, ist angesichts der sehr viel tiefgreifenderen Eingriffe in die Lebensgestaltung durch eine vollstreckbare Freiheitsstrafe nicht vertretbar. Im Vergleich von Geldstrafe und einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe ist dagegen ein 1: I-Vergleich möglich27 . Aus der Schwerestaffelung der Sanktionen folgt zweierlei. Zum einen ergibt sich eine kriminalpolitische Konsequenz. Der Überschneidungsbereich der Sanktionen Geldstrafe und Freiheitsstrafe wird kleiner. Für ein weites Deliktsspektrum kommt von vornherein nur eine Geldstrafe in Betracht, da es keine gleich schwere Freiheitsstrafe gibt. Wenn der Richter etwa erwägt, eine Geldstrafe zwischen 60 und 90 Tagessätzen zu verhängen, kommt als Alternative eine vollstreckbare Freiheitsstrafe nicht in Betracht, da wegen der sehr viel stärkeren Eingriffsintensität auch die kürzest mögliche Freiheitsstrafe von einem Monat (§ 38 Abs. 2) noch schwerer wiegen würde28 . Zum anderen führt die hier vorgenommene Differenzierung zwischen vollstreckbarer und zur Bewährung ausgesetzter Freiheitsstrafe dazu, daß das hier vorgestellte Modell mit § 56 nicht vereinbar ist. Oe lege ferenda sollte wegen des erheblichen Belastungsunterschieds die Entscheidung über die Strafaussetzung nicht von präventiven Erwägungen abhängig gemacht werden29 .

IIT. Wichtige Unterschiede zur traditionellen Lehre und Rechtsprechung 1. Bei der Bewertung des Erfolgsunrechts ergeben sich Verschiebungen der relativen Gewichtung unterschiedlicher Straftaten. Physische Integrität und 26

27 28

29

4. Teil, 5. Kap., 3. 3. Teil, 3. Kap., 5 b ce. Vgl. die Abbildung S. 173. Vgl. 3. Teil, 5. Kap., 4 a.

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Freiheit vor Demütigungen wurden als für die Lebensqualität besonders wichtige Güter bewertet. Dies führt zu einer Höherbewertung von erheblichen Sexualstraftaten, deren Charakteristikum die extreme Demütigung des Opfers ist. Mit dem traditionellen, auf die Verletzung des Rechts auf sexuelle Selbstbestimmung abstellenden Ansatz kann das Ausmaß des Tatunrechts nicht adäquat erfaßt werden. Auch schwere Körperverletzungen müssen nach einem Lebensqualitätsansatz als sehr hohes Erfolgsunrecht eingestuft werden, das in Extremfalien mit dem eines Tötungsdelikts vergleichbar sein kann. Bei Eigentums- und Vermögensdelikten ist dagegen wegen der Ersetzbarkeit materieller Güter eine Abstufung in der Unrechtsbewertung vorzunehmen. Die große Mehrheit dieser Delikte fallt in den Bereich des nur geringfügigen Erfolgsunrechts (hier als Vorschlag: Schäden bis 500 DM) bzw. niedrigen Erfolgsunrechts (Vorschlag: Schäden von 500 bis 20 000 DM) und sollte entsprechend niedrig bestraft werden30 . 2. Eine strafschärfende Berücksichtigung der kriminellen Energie des Täters ist nicht möglich. Diese in der Rechtsprechungspraxis sehr bedeutsame Floskel läßt vollkommen offen, warum "Energie" ein Strafzumessungstopos sein soll. Hinter der Formulierung verbirgt sich eine bunte Mischung von unausgesprochenen Wertungen, die sich teilweise als präventionsorientiert, teilweise als irrational-resentimentgetragen und teilweise auch als unrechtsbezogen entpuppen3!. Der Verzicht auf diese Verschleierungsfloskel ist für eine rationale, an Unrecht und Schuld orientierte Strafzumessung unabdingbar. Damit eine Strafschärfung möglich ist, muß konkret begründet werden, warum Umstände der Tatbegehung, die die herrschende Meinung nur als Indiz für die kriminelle Energie ansieht, das Erfolgs- oder Handlungsunrecht erhöht haben. 3. Ein weiterer wesentlicher Unterschied liegt in der Bedeutung, die den Beweggründen des Täters beigemessen wird. Die herrschende Lehre und Rechtsprechung prüft die Beweggründe unter dem Stichwort der Verwerflichkeit und kommt zu einer umfassenden Berücksichtigung der subjektiven Tathintergründe. Hierbei besteht wie bei der kriminellen Energie die Gefahr, daß eine negative Bewertung der Täterpersönlichkeit stattfindet32 . Die gängige Praxis wird bislang, von der Diskussion um die niedrigen Beweggründe beim Mord abgesehen, kaum hinterfragt. Insbesondere hat die offensichtliche Diskrepanz zwischen dem altmodischen Schuldverständnis der Strafzumessungslehre und -rechtsprechung und den neueren Ansätzen in der Verbrechenslehre nicht zu einer kritischen Überprüfung des ersteren geführt. Aus einem ädäquaten, mit der Verbrechenslehre konformen Schuldverständnis folgt jedoch das 30 31

32

Vgl. 4. Teil, 2. Kap., 3 d. Vgl. 1. Teil, 3. Kap., 3 c bb. Vgl. 1. Teil, 3. Kap., 3 c cc.

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Gebot der zurückhaltenden Berücksichtigung der Beweggründe: Schuldmindernde Beweggründe sind unproblematisch, eine Strafschärfung kann aber nur bei einem unrechtssteigernden Beweggrund in Betracht kommen. Die meisten der traditionell strafschärfend berücksichtigten Beweggründe spielen nach diesen Prämissen keine Rolle für das Strafmaß, da sie das aus der Opferperspektive zu bestimmende Handlungsunrecht nicht beeinflussen. Unrechtssteigernde Beweggründe sind nur in Ausnahmefällen denkbar, nämlich wenn die Motive des Täters erstens nach außen zum Ausdruck kamen und zweitens der Tathintergrund für das Opfer zu einer gesteigerten Bedrohlichkeit der Tatsituation geführt hat. 4. Auch bei den objektiven Tatumständen ergeben sich Unterschiede zur herrschenden Meinung, wenn das Handlungsunrecht nicht undifferenziert als Auffangkategorie benutzt wird. Nicht alles, was die Art und Weise der Tatbegehung ausmacht, kann strafschärfend berücksichtigt werden. Umstände wie beispielsweise die Tatzeit oder eine geplante Spurenbeseitigung nach der Tat beeinflussen die Interessen des Tatopfers nicht und sind deshalb strafzumessungsneutral. Auch der Organisationsstatus des Täters als solcher, sei es als gewerbsmäßig Handelnder oder als Bandenmitglied, prägt das Handlungsunrecht niche 3 . Bei der Berücksichtigung außertatbestandlicher Pflichten des Täters ist ebenfalls größere Zurückhaltung geboten. Nur wenn durch die berufliche oder soziale Stellung des Täters ein qualifiziertes Vertrauensverhältnis zwischen Täter und Opfer begründet wurde, kann ein Vertrauensbruch strafschärfend wirken; eine gehobene Stellung als solche begründet dagegen keine strafschärfende besondere Pflichtenbindun~4.

5. Eine weitere Abweichung von Lehre und Rechtsprechung besteht bei den unrechtsmindernden Tatumständen. Bei der Bewertung der Beteiligung des Opfers an der Entstehung der Tat wird von der herrschenden Meinung nur auf die Täterperspektive abgestellt, indem strafmildernd berücksichtigt wird, daß das Opfer die Tatbegehung ermöglicht oder leichter gemacht hat. Damit wird jedoch übersehen, daß das strafrechtliche Unwerturteil die Freiheitsbereiche von Täter und Opfer gegeneinander abgrenzt. Das Opfer für das Tatgeschehen teilweise zuständig zu machen, setzt voraus, daß ihm zumindest ein Verstoß gegen Obliegenheiten vorgeworfen werden kann. Wenn das Opfer dagegen ihm zustehende Freiheiten in Anspruch genommen hat, war das Tatunrecht nicht gemindert, auch wenn das Opferverhalten die Tatbegehung erleichert hat. Eine Minderung des Unrechts liegt, anders als die ganz herrschende Meinung annimmt, auch nicht vor, wenn die Voraussetzungen des rechtfertigen-

33 34

4. Teil, 3. Kap., 2 b. 4. Teil, 3. Kap., 2 c bb.

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Zusammenfassende Darstellung

den Notstandes nur teilweise erfüllt waren. Insoweit ist (anders als bei der Notwehr) eine graduelle Unrechtsminderung nicht denkbar. Die herrschende Meinung verkennt, daß bei der Beeinträchtigung eines an der Entstehung der Gefahr Unbeteiligten dieser nur dann verpflichtet ist, den Eingriff zu dulden, wenn das Solidaritätsprinzip eingreift. Bis der dafür erforderliche Schwellenwert bei der Interessenabwägung erreicht ist, besteht nicht etwa eine teilweise Duldungspflicht des Opfers, sondern keine Duldungspflicht. Eine Gefahrenlage kann deshalb nur als schuldmindernder Faktor berücksichtigt werden35 . 6. Bei der Bewertung von schuldmindernden Umständen überzeugt die BGH-Rechtsprechung nicht, die bei Lockspitzel-Einsätzen eine Schuldminderung annimmt, da der Täter erst zur Tatbegehung überredet werden mußte36 . Nach dem hier zugrunde liegenden Ansatz setzt eine Schuldminderung Mängel bei der Einsichts- oder Steuerungsfahigkeit voraus. Eine Einflußnahme auf die Entscheidungen einer anderen Person erlaubt jedoch nicht den Schluß auf Defizite bei der Willensbildung des Überredeten. 7. Eine beträchtliche Abweichung vor allem von der Rechtsprechung besteht bei der Bewertung der Vorstrafen des Täters. In der Praxis sind diese für das Strafmaß von großer Wichtigkeit, was aber mit einer Bewertung von Unrecht und Schuld nicht begründbar ist. Versuche, eine unrechts- oder schulderhöhende Wirkung von Vorstrafen zu begründen sind gescheitert: Es überzeugt weder die Annahme einer gesteigerten Gehorsamspflicht des Vorbestraften, da diese nur mit einem autoritären Verständnis des Verhältnis Bürger-Staat begründbar wäre, noch die sogenannte Hemmschwellentheorie, da die Vorstellung einer durch die Überwindung von Hemmschwellen beliebig steigerbaren Schuld mit einem modemen Schuldverständnis nicht vereinbar ist. Hinter den Strafschärfungen wegen Vorstrafen stehen sozialpsychologische Phänomene, deren Berücksichtigung zu Lasten des Täters jedoch normativ nicht zu rechtferigen ist.

IV. Die Vereinbarkeit mit § 46 Abs. 1 und 2

1. Dem Ausschluß präventiver Strafzumessungserwägungen steht die Formulierung in § 46 Abs. J S. J nicht entgegen. Das Wort Grundlage verweist nicht notwendigerweise auf etwas Unfertiges, das der Komplettierung durch präventive Erwägungen bedarf 7 . Die Strafzumessungsschuld im Sinne von § 46 Abs. I S. I ist von der Strafbegründungsschuld zu unterscheiden: Es besteht nicht einmal eine Teilidentität, da im Regelfall, nämlich bei ungeminder35 36 37

4. Teil, 4. Kap., 3. Nwe. im 4. Teil, 5. Kap., Fn. 457. 5. Teil, 1. Kap., 2.

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ter Strafbegründungsschuld, das Ausmaß derselben die Strafzumessungsschuld nicht beeinflußes. De lege ferenda wäre es wünschenswert, daß die zentrale Norm des Strafzumessungsrechts das Tatunrecht als maßgeblichen Anknüpfungspunkt deutlicher akzentuiert. In einem weiteren Sinne umfaßt jedoch ein Schuldurteil auch den Tatunwert, weshalb eine tatproportionale Straftumessungslehre mit § 46 Abs. J S. J vereinbar ise 9 . 2. Auch § 46 Abs. J S. 2 steht einem tatproportionalen Strafzumessungskonzept nicht entgegen. Zwar sind Strafzumessungserwägungen, die sich an der Resozialisierung des Täters orientieren, nicht überzeugend. Insbesondere ist eine pauschale Strafermäßigung für sozial gut angepaßte Täter nicht akzeptabel, wenn man davon ausgeht, daß der Vollzug einer Freiheitsstrafe auch für andere Täter nicht mit einem resozialisierenden Nutzen verbunden ist40 . Es gibt jedoch unabhängig davon Gründe, in bestimmten Fällen das Strafmaß zu individualisieren. Sofern man nicht § 46 Abs. 1 S. 2 als umfassendes, für alle Fälle geltendes Individualisierungsgebot interpretiert - wozu der Wortlaut nicht zwingt -, bleiben Anwendungsfalle für diese Norm auch im Rahmen einer tatproportionalen Strafzumessungslehre. Zum einen sind bestimmte Anpassungen des Strafmaßes an die persönlichen Verhältnisse des Täters ohne einen Verstoß gegen das Tatproportionalitätsprinzip möglich: Bei gleicher Schwere des Strafübels kann die Wahl der Strafart davon abhängig gemacht werden - zur Stellenwertheorie besteht insoweit ein Unterschied, als auf die Vergleichbarkeit der Strafschwere geachtet werden muß und deshalb die Entscheidung über die Aussetzung der Freiheitsstrafe zur Bewährung nicht von der Entscheidung über die Höhe der Freiheitsstrafe abgekoppelt werden darf. Zum anderen sind Abstriche von einer unrechts- und schuldangepaßten Strafe im Hinblick auf die Strafempfindlichkeit des Täters möglich. Zwar ist eine in allen Fällen stattfindende Berücksichtigung des subjektiven Strafleidens weder durchführbar noch akzeptabel41 • In bestimmten Ausnahmekonstellationen, die die Strafempfindlichkeit deutlich und ohne weiteres feststellbar erhöhen, ist jedoch eine Beachtung möglich. Bei Freiheitsstrafen sind schwere Krankheiten, die mittelbare Bestrafung von Angehörigen oder die Belastung durch ein überlanges Strafverfahren zu berücksichtigen42. 3. Die Abwägungsformel in § 46 Abs. 2 S. J impliziert nicht zwangsläufig eine Gesamtverrechnung aller Strafzumessungsumstände: Das hier vertretene

38 39

40

41 42

5. 5. 5. 3. 5.

Teil, 1. Teil, 1. Teil, 2. Teil, 4. Teil, 2.

Kap., Kap., Kap., Kap., Kap.,

3. 1,2. 4. 5 a. 5 c.

398

Zusanunenfassende Darstellung

strukturierte, schrittweise Vorgehen ist auch damit vereinbar43 • Von den in § 46 Abs. 2 S. 2 aufgezählten Faktoren sind die meisten auch für eine an Erfolgsunrecht, Handlungsunrecht und Schuld orientierte Strafzumessung von Bedeutung. Die einzige Ausnahme ist die in § 46 Abs. 2 S. 2 aufgeführte Gesinnung des Täters: Für deren Bewertung ist in einer tatproportionalen Strafzumessung kein Platz44 . Nicht zufriedenstellend ist auch die auf Vorstellungen des beginnenden 20. Jahrhunderts zurückgehende Schwerpunktsetzung in § 46 Abs. 2 S. 2, die die subjektiven Tathintergründe zu Lasten des Erfolgsunrechts betont. De lege lata ergibt sich jedoch weder daraus noch aus der Auflistung der Tätergesinnung ein unüberwindbares Problem für den Tatrichter. Mit der Formulierung "kommen namentlich in Betracht" hat der Gesetzgeber eine Bindung der Rechtsanwendenden geschaffen, die schwächer ist als beispielsweise bei der Aufzählung von Regelbeispielen in § 243 45 . 4. Die Regelungen zu Wiedergutmachungsleistungen, §§ 46 Abs. 2 S. 2 und 46 a, sind aus der Sicht einer tatproportionalen Strafzumessungslehre wenig geglückt. Zwar können Wiedergutmachungsleistungen den Erfolgsunwert mildem. Im einzelnen hängt die unrechtsmindernde Wirkung jedoch wesentlich vom Ausmaß der Straftat und der erforderlichen Art der Wiedergutmachung ab. Dabei ist zwischen Wiedergutmachung und Kompensation zu unterscheiden; die Bewertung von ersterem ist nicht am zivilrechtlich geschuldeten Schadensersatz bzw. Schmerzensgeld zu orientieren. Vor allem bei schweren Delikten gegen höchstpersönliche Rechtsgüter ist eine vollständige Begleichung des zivilrechtlich Geschuldeten nicht mit einer auch nur annähernd vollständigen Wiedergutmachung gleichzusetzen46 • Die §§ 46 Abs. 2 S. 2, 46 a haben aus dieser Sicht vor allem zwei Mängel: Zum einen stellt § 46 a Nr. 2 auf Entschädigung im Sinne des zivilrechtlichen Schadensersatzes ab47 . Zum anderen betonen diese Normen zu stark das verdienstvolle Handeln des Täters und zu wenig das Ausmaß der eingetretenen Erfolgsunwertsminderung48 . Zwar kommt dem verdienstvollen Handeln auch nach dem hier zugrunde liegenden Ansatz Bedeutung ZU49, aber eine im Verhältnis zur erfolgten Besserstellung des Opfers untergeordnete Bedeutung. Ein Ermessensspielraum für die Auslegung im hier vertretenen Sinne verbleibt allerdings auf der Rechtsfolgenseite in § 46 a.

43

44

45 46 47 48

49

5. 5. 5. 4. 5. 5. 4.

Teil, 3. Kap., 1 b. Teil, 3. Kap., 2 b. Teil, 3. Kap., 3 b. Teil, 4. Kap., 4 b bb. Teil, 4. Kap., 2. Teil, 4. Kap., 1. Teil, 4. Kap., 4 c.

Zusammenfassende Darstellung

399

V. Der Einstieg in den Strafrahmen 1. Auch beim Übergang von einer Bewertung der relativen Tatschwere zu einem numerischen Strafmaß erweist sich die Orientierung an den Kategorien der Verbrechenslehre als hilfreich. Versuche, den konkret zu entscheidenden Fall durch Vergleiche mit anderen Fällen im gesetzlichen Strafrahmen zu verorten, sind mit Problemen behaftet. Unabhängig davon, ob man sich an einem theoretisch definierten Fall durchschnittlicher Schwere (Durchschnittsfall) oder am empirisch feststellbaren, am häufigsten vorkommenden Regelfall orientiert, entsteht die Schwierigkeit, daß zwei komplette Sachverhalte sich regelmäßig in mehreren Bewertungsdimensionen unterscheiden und der Vergleich deshalb zu komplex wird. Anstatt den zu beurteilenden Fall mit einem anderen kompletten Fall zu vergleichen, wird hier vertreten, den Einstieg in den Strafrahmen nur anhand des Erfolgsunrechts vorzunehmen und in diesem Stadium die anderen Fallumstände unbeachtet zu lassen5o . 2. Die Bewertung des Erfolgsunrechts erlaubt in einem ersten Schritt die Zuordnung eines Basis-Strafquantums für jede Tael. Anhand der fünf Kategorien des Erfolgsunrechts (geringfügiges, niedriges, mittelschweres, gravierendes und schwerwiegendstes Erfolgsunrecht) wurden fünf BasisStrafquanten vorgeschlagen. Diese reichen von fünf bis dreißig Tagessätzen Geldstrafe für geringfügiges Erfolgsunrecht bis zur Freiheitsstrafe ab sieben Jahre für das schwerwiegendste Erfolgsunrecht52 . In einem zweiten Schritt ist aus diesem Basis-Strafquantum ein Basis-Strafwert zu ermitteln, indem das Erfolgsunrecht des konkreten Falles weiter präzisiert wird. In diesem Stadium ist deliktsspezifisch vorzugehen. Bei Delikten mit ausschließlich materiellem Schaden ist die Feinabstufung innerhalb des Basis-Strafquantums vergleichsweise unkompliziert, da die Wahl des Basis-Strafquantums aufgrund des finanziellen Schadens erfolgen soll und deshalb auch innerhalb des Quantums nach der Schadenshöhe weiter abgestuft werden kann53 . Aber auch bei anderen Delikten sind Feinabstufungen innerhalb eines Basis-Strafquantums möglich54 . 3. Der erfolgsunwertsabhängige Basis-Strafwert wird durch die Berücksichtigung von unrechtserhöhenden, unrechtsmindernden und schuldrnindernden Umständen zu einem endgültigen Strafmaß konkretisiert. Bei der Verwendung von Relationsbegriffen wie erhöhend oder mindernd muß für jede Bewertungsdimension ein strafzumessungsneutraler Ausgangswert gefunden 50 51

52 53 54

6. Teil, 3. 6. Teil, 4 c. Vgl. im einzelnen die Tabelle S. 375. 6. Teil, 4 d aa. Vgl. im einzelnen 6. Teil, 4 d bb-dd.

400

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werden, der es erlaubt, im Vergleich die Bedeutung der konkreten Merkmalsausprägung zu erfassen. Dieser kann entweder in einem empirisch zu bestimmenden Regeltatbild oder in einem normativen Normalfall liegen. Trotz der ablehnenden Haltung des BGH ist dabei der normative Normalfall zu bevorzugen. Die Arbeit endet mit konkreten Vorschlägen zu der Modifikation des Basis-Strafwerts wegen Abstufungen des Vorsatzes bzw. des Ausmaßes der Fahrlässigkeit.

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Sachregister Abschaffung der Strafe 96 f Abschreckung s. negative Generalprävention Absolute Gerechtigkeit 74 f. Absolute Proportionalität von Tatschwere und Strafe 155 ff Absolute Straftheorien - Ansätze in der anglo-amerikanischen Literatur 105 f - Ansätze in der deutschen Literatur 104 - Kritik 104f., 106f. - tatproportionale Strafzumessung keine absolute Straftheorie 126 f. Absprachen im Strafverfahren 181 f Abstrakte Gefährdungsdelikte, abstrakte Gefährdung des Opfers 212 f, 239, 258, 273, 274 f, 277 Abwägung der Strafzumessungsfaktoren - Abwägungsformel in § 46 Abs. 2 S. 2 352 f. - Gesamtabwägung als unrealistische Vorgehensweise 146 f - Reihenfolge 147 - strukturiertes Vorgehen 144 ff. Angehörige des Opfers 259 f Angehörige des Täters 347 f. Anglo-amerikanische Diskussion 19 ff., 105 f., 135 ff., 144 f., 362 ff., 366 Art und Weise der Tatausfl1hrung 274 ff. Attribution von Schuld 39 Ausländische Täter 3 10 f., 343 ff. Auslegung - methodische Fragen 340,355 f - von § 46 Abs. I S. I 324 ff. - von § 46 Abs. 1 S. 2 329 ff. - von § 46 Abs. 2 S. I 352 f - von § 46 Abs. 2 S. 2 353 ff. - von § 46 a 356 ff. Außertatbestandliche Folgen 200, 230 f s. auch Schadensvertiefungen Austauschbarkeit der Sanktionen 120 Auswirkungen der Tat s. Erfolgsunrecht, Schadensvertiefungen

Bandenmitgliedschaft 277 f Basis-Strafwert 368 ff. Beamtenrechtliche Folgen s. soziale Stellung des Täters, StrafempfindlichIichkeit Begründung des Urteils 36, 158 Berufliche Stellung des Täters s. soziale Stellung des Täters, Strafempfindlichkeit Besonderer Teil des Strafzumessungsrechts 232 ff. Bestimmungsnorm s. normtheoretische Prämissen Beurteilungsspielraum des Tatrichters 157 ff. Beweggründe - hate crimes 272 f, 319 f - in § 46 Abs. 2 S. 2 353 - Kritik der herrschenden Meinung 61, 269 f. - Rolle in Lehre und Rechtsprechung 60 f., 268 f. - schuldmindernde Beweggründe 310 ff. - strafschärfende Beweggründe 270 ff. - systematische Einordnung der Beweggründe bei Unrecht oder Schuld 269 f. - unrechtsmindernde Beweggründe 270 Bewegliches System 220 Bewertungsnorm s. normtheoretische Prämissen Biographie des Täters als Strafzumessungskonzept 137 ff. s. auch Täterpersönlichkeit, Vorleben Charakter s. Täterpersönlichkeit Charakterschuld 47 f, 50 s. auch LebensfI1hrungsschuld Determinismusstreit s. Willensfreiheit Doppelverwertungsverbot 196 Drohungen 237 ff. Dualistisches Unrechtsverständnis 201 ff. Dunkelfeld 179 f.

Sachregister Durchschnittsfall, Durchschnittsschaden 365, 368 f., 380 Eigentumsdelikte 231 f., 239 ff., 292 f. s. auch Schaden, materieller Einstellung s. Verfahrenseinstellung Einstieg in den Strafrahmen 364 ff. - anhand des Erfolgsunrechts 367 f., 373 ff. - Aufteilung der Rahmen in Segmente 371 ff. Emotionen des Täters, affektähnliche 312 ff., 317 ff. Emotionen des Tatrichters 54 f. Emotionen des Opfers 238, 252 Empathie s. verständnisvolles Einfühlen England 19 f., 99 s. auch anglo-amerikanische Diskussion Erfolgsunrecht s. auch Schaden und Lebensqualitätsanalyse - Beeinträchtigung der Lebensqualität des Opfers 226 ff. - Beeinträchtigung des Rechtsgutsträgers 211 ff. - Begründung eines dualistischen Unrechtsverständnis 202 ff. - Berücksichtigung besonderer Lebensumstände des Opfers 242 ff. - Erfolgsunrecht einzelner Deliktsgruppen 233 ff. - fünf Kategorien des Erfolgsunrechts 227 f., 373 ff. - kollektivistisches Verständnis des Tatschadens 207 ff. - Rechtsgutsverletzung 210 f. - subjektive oder objektive Kriterien für die Bewertung 223 ff. - Verletzung des Handlungsobjekts 211 Ersttäter s. Vorstrafen Expressive Funktionen der Strafe 112 ff., 135 ff., 206 - normative Rechtfertigung 114 ff. Fahrlässigkeit 202, 264 ff., 385 f. - Ausmaß der Sorgfaltswidrigkeit 265 ff. - bei Schadensvertiefungen 247 ff. - bewußte und unbewußte Fahrlässigkeit 264 f. - Unrechtsrelevanz von Abstufungen 264 ff.

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- Verhältnis zu vorsätzlicher Erfolgsherbeiführung 385 f. Folgenorientierte Strafzumessung 77 ff. Freiheitsstrafen - Bestimmung der relativen Schwere 166 ff., 176 ff. - lebenslange Freiheitsstrafe 177 f., 373 - progressive Steigerung des Strafübels bei langen Strafen 176 ff. - Verdrängung kurzer Freiheitsstrafen 193 f. Gefährdungsdelikte s. abstrakte und konkrete Gefährdungsdelikte Gefahrsituation s. Notstand Geldstrafe - Bestimmung der relativen Schwere 169 ff., 174 ff. - Empfänger der Geldstrafe 100 - Höhen in der Praxis 176 - hohe Geldstrafen 174 ff. - Konsumverzicht 175 f. - Nettoeinkommensprinzip 174 - niedere Einkommen 331 f. - Opfergleichheit 100 Generalprävention s. negative Generalprävention, positive Generalprävention Gerechtigkeit - absolute und relative 71 ff. - begrenzte Reichweite des Gerechtigkeitsgrundsatzes 133 f. - FeststeIlbarkeit auf empirischer Basis 94 f. - formale und konkrete 134 - wiederherstellende 96 Gesamtstrafenbildung 22, 348 Geschichtliche Entwicklung der gesetzlichen Strafzumessungsregel 44 ff. Gesellschaftsvertrag und Strafzumessung 128 ff. Gesinnung 41 ff., 50 f., 56, 152,216,354 f. s. auch Täterpersönlichkeit Geständnis 181 f. Gewaltanwendung 237 Gewerbsmäßiges Handeln 277 f. Gewissensentscheidungen 311 f., 317 ff., 319 f. Gleichheitsgebot 69 ff. Gruppendynamische Einflüße 314 ff., 317 ff.

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Sachregister

Handlungsfreiheit s. Willensfreiheit Handlungsunrecht - Art und Weise der Tatausführung 274 ff. - Begründung der Strafzumessungsrelevanz 213 f. - Beweggründe 267 ff. - kritische Überprüfung der Strafzumessungsrelevanz 215 ff. - Opferperspektive beim Handlungsunrecht 217 ff. - Unklarheit des Begriffs 215 f. - Verletzung von Pflichten 278 ff. - Vorsatz und Fahrlässigkeit 260 ff. Haßverbrechen 272 f., 319 f. Hemmschwellenmodell58, 150, 160 f. Individualisierung des Strafmaßes 30 f., 49 ff., 329 f., 336 ff. - in der Praxis 52 ff. Intersubjektive Wertungskompromisse 369 f. Just-Desert-Theory 19, 135 ff. s. auch tatproportionale Strafzumessungstheorie Kardinale Proportionalität 155, 361 Klassenbegriffe 156, 195 f. Klassenjustiz s. soziale Stellung des Täters Kollektivrechtsgüter 212,229,279 Komparatives System der Strafzumessung 156 f., 166, 195 ff., 361 s. auch Ordnungsbegriffe Konkrete Gefährdungsdelikte, konkrete Gefährdung des Opfers 212, 228, 231, 238 f., 258 Kontrolltheorie 35 f., 62 Körperverletzungsdelikte 233 ff., 257, 378 Kriminalpolitische Auswirkungen 362 f. s. auch Strafniveau Kriminelle Energie - Bedeutung für die Praxis und Lehre 56 ff., 160, 275 ff., 281 - Kritik 58 f., 275 f. - Überwindungsmodell als theoretische Basis 58 Kumulationsschäden, -delikt 246 f. Lebensführungsschuld 40 ff., 47 ff. s. auch Charakterschuld

Lebensqualitätsanalyse 226 ff. - AnwendungsbeispieIe 233 ff. - Dauer der Beeinträchtigung 240 f. - Ebenen der Lebensqualität 227 - menschliche Grundinteressen 226 f., 229 Lockspitzel-Fälle 149,315 Maß der Pflichtwidrigkeit 353 s. auch Fahrlässigkeitsdelikte Mitverschulden des Opfers s. Opferbeteiligung Monistisch-subjektive Unrechtslehre 201 ff. Moralische Urteile und Recht 115 f., 319 Moralische Urteile und Täterbiographie 138 ff. Motive s. Beweggründe Nachtatverhalten 277 Nationalsozialismus 45 f., 89 Negative Generalprävention - als Straftheorie 108 ff. - Effizienz des Strafsystems 110 ff. - empirische Forschung zu Effekten der Strafhöhe 79 ff. - ethische Einwände 84, 120 - in der Strafzumessungspraxis 31 ff. - methodische Forschungsfragen 79 f. - negativ-general präventives Modell der Strafzumessung 78 ff. Neoklassizismus 19 Normativer Normalfall 378 ff. - Kritik der BGH-Rechtsprechung 381 ff. - Vorgaben des Strafrechtssystems 382 f.

Normtheoretische Prämissen 201 f., 203 ff., 214 f., 257, 261 f., 264 f., 364 Notstand 294 ff., 320 ff. Numerische Strafmaße s. auch Einstieg in den Strafrahmen - Ankoppelung an das allgemeine Punitivitätsniveau 155 - Abhängigkeit vom kulturell-zeitlichen Kontext 155 - Umwertung in numerische Strafmaße 361 ff. Opfer der Straftat 116 f., 123,206,209, 217 ff., 223 ff., 285 ff., 296 ff. s. auch Täter-Opfer-Ausgleich

Sachregister - emotionale Beeinträchtigung des Opfers 238, 252 - gut situiertes Opfer 242 f. Opferbeteiligung an der Tatgenese 219 f., 283 ff. - Absichtsprovokation 286 f. - bloße Mitverursachung 293 ff. - einwilligungsnahe Fälle 285 f. - notwehrähnliche Situation 287 ff. - Obliegenheiten des Opfers 291 ff. - sonstiges Opferverschulden 290 ff. - Viktimo-Dogmatik 290 - V ortat des Opfers 287 ff. Opferempfindlichkeit,-verletzlichkeit 223 ff., 242 ff., 275 Opferperspektive bei der Bewertung des Handlungsunrechts 217 ff. - normative Bewertungskriterien 219 f. - Victim-Impact-Statements 224 Ordnungsbegriffe 156 f., 166, 195 ff., 198 ff. Organisationen als Opfer 244 ff. Organisatorischer Status des Täters 277 f. Persönliche Verhältnisse des Täters 354 s. auch Täterpersönlichkeit, Vorleben, soziale Stellung Persönlichkeit s. Täterpersönlichkeit Pflichten des Täters - außertatbestandliche 281 ff. - tatbestandliche 278 ff. Phasen der Strafzumessung 361 f., 367 ff. - nach traditioneller Aufassung 366 f. Planung der Tat 276 Positive Generalprävention - als Straftheorie 89 f., III f., 116 ff., 132 f., 179 f., 319 - durch die gerechte Strafe 93 ff. - durch die Mindeststrafe 93 - konsequenter Funktionalismus 117 - Nachweisbarkeit der Effekte 90 f. - und Vorstrafen 163 f. - und Wirkungsweise sozialer Institutionen 117 f. - Unmöglichkeit der Umsetzung in eine Strafzumessungstheorie 92 Präventionsorientierte Strafzumessung s. folgenorientierte Strafzumessung Punktstrafe 26, 157 ff. Quantifizierung von Tatbestandsmerkmalen 195 ff. 28 Hörni.

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Quantitative Begriffe 166, 196 f. Rechtsfolgen s. Sanktionen Rechtsfriedensstörung 109, 117,207 f., 228 Rechtsgleichheit s. relative Gerechtigkeit Rechtsrichtigkeit s. absolute Gerechtigkeit Regelfall, Regelschaden 365, 368 ff. RegeItatbild 379 f. Regionale Strafmaßunterschiede s. Ungleichheit der Strafen Relative Gerechtigkeit 71 ff. - Ergänzungsbedürftigkeit durch absolute Gerechtigkeit 74 f. - Maßnahmen zur Verbesserung 71 f. Relative Proportionalität von Tatschwere und Strafe 155 ff. Resozialisierung s. Spezialprävention Revisionsgerichtliche Strafmaßkontrolle 35 ff., 51 f., 62, 70, 72 ff., 147, 159 - Ausweitung in der Praxis 72 ff. Rückfall s. Vorstrafen Sanktionen s. auch Strafempfindlichkeit - subjektiver oder objektiver Maßstab 166 ff. - Überschneidungsbereich unterschiedlicher Sanktionen 173, 193 f. - Vergleich der Sanktionsschwere 166 ff., 169 ff. - Vergleich von Geld- und Freiheitsstrafen 170 ff. - Vergleich von Sanktionen unterschiedlicher Strafart 169 ff. - Wahl der Strafart und § 46 Abs. I S. 2 170, 193, 330 f. Schaden s. auch Erfolgsunrecht, Lebensqualitätsanalyse, Wiedergutmachung - immaterielle Schädigung des Opfers 226 ff., 229 ff., 300 ff. - Kumulationsschäden 241 f., 246 f. - materielle Schäden 231 f., 239 ff., 244 ff., 258, 299 f., 302, 368 ff., 375 f. - Rolle für eine tatproportionale Strafzumessung 143 ff. - Rolle in der Praxis 53 - Schädigung einer Organisation 244 ff. - Schuldhaftigkeit der Schadensherbeiführung 247 ff. - Wiederbeschaffung von Gegenständen 231 f., 239

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Sachregister

Schadensvertiefungen und -erweiterungen - nicht selbständig zu berücksichtigende Tatfolgen 251 f. - rechtsgutsbezogenes Konzept 258 - Schädigung von Angehörigen 259 f. - Typizität der Folgeschäden 254 ff. - Vorhersehbarkeit 253 f Schuld s. auch Strafzumessungsschuld - Entwicklung des Schuldverständnisses im 20. Jahrhundert 42 ff. - funktionaler Schuldbegriff 153 f - Gesinnung und Schuld 152 f, 154 - keine straferhöhenden Umstände jenseits von Unrecht und Schuld 149 - modemes Schuldverständnis 153 ff. - Schuld als Filter bzw. Sieb 154 - traditionelles Schuldverständnis 40 ff., 151, 161 Schuldangemessene Strafe s. Spielraumtheorie, Strafzumessungsschuld Schuldmindernde Umstände 306 ff., 382 f. - affektähnliche Emotionen 312 ff. - Beeinträchtigung der Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit 307 ff. - eingeschränkte Zumutbarkeit normgemäßen HandeIns 307, 320 ff. - Feststellungsprobleme 308 ff. - Gefahrsituation 320 ff. - Gewissenstaten 3 11 f. - Gruppendynamik 3 14 f. - Sozialisation in anderem Kulturkreis 310 f. - Überredung durch Dritte 315 - Verhältnis § 211§ 46 307 ff. - Versuchung 316 - Vorverschulden des Täters 316 ff. - wirtschaftliche Not 322 f Schuldrahmen s. Spielraumtheorie Schweden 20 Schwere der Tat s. Tatschwere Schwere Krankheit des Täters 342 f. SeJective Incapacitation s. Sicherungsstrafen Sentencing Guidelines 22, 181,362 ff. Sexual straftaten 230, 235 ff, 293 f, 301 f, 334 ff., 376 SicherungsmaßregeJn 335 f. Sicherungsstrafen 334 ff. Soziale Stellung des Opfers 224 ff., 242 f Soziale Stellung des Täters 137 ff., 141 ff., 168 f., 281 ff., 331, 336 ff., 343 ff.

s. auch Strafempfindlichkeit Sozialethische Mißbilligung s. Tadel Sozialisation in anderem Kulturkreis 310

f

Spezial prävention s. auch Sicherungsstrafen - Bedeutung von § 46 Abs. 1 S. 2 329 ff - Behandlungsprobleme 86 ff. - im Strafvollzug 88 f. - Individualabschreckung 333 f. - Prognoseprobleme 85 f. - spezialpräventive Strafzumessungstheorie 84 ff., 336 ff. - Straferhöhungen nach § 46 Abs. 1 S. 2 332 ff. - Strafmilderung für sozial gut Angepaßte 336 ff. - Vermeidung von Entsozialisierung 336 f. Spielraumtheorie - Inhalt 23 ff. - Kontroll- versus Herstellungstheorie 35 f., 61 f. - Kritik 27 ff - Paradoxien der Spielraumtheorie 27 ff., 34 f. - präventive Erwägungen in der Praxis 30 ff. - Probleme mit der schuldangemessenen Strafe 36 ff. - schuldangemessene Strafe und straftheoretische Probleme 36 f., 325 f - Weite, Unbestimmtheit des Schuldrahmens 27 ff. Spurenbeseitigung 277 Staatsanwaltschaft 68 f, 180 f Stellenwerttheorie - begrenzte Reichweite 103 - Inhalt 102 f. - Kritik 329 Strafart s. Sanktionen Strafaussetzung zur Bewährung 142, 169 ff., 191 ff. Strafbegründungsschuld s. Schuld Strafe s. auch Straftheorie - Definition 108 - Wesen der Strafe 113 Strafempfänglichkeit 167 Strafempfindlichkeit 167 ff., 330, 339 ff. - als Maßstab für Sanktionsschwere 167 ff

Sachregister - Anwendungsbereich für § 46 Abs. 1 S. 2 339 ff. - Berücksichtigung nur bei der Vollstreckung? 341 f. - besondere Folgen fIlr den Täter 345 - Dauer des Strafverfahrens 349 f. - Folgen für Angehörige 347 f. - mehrere Übel 348 f. - schwere Krankheit des Täters 342 f. - seit der Tatbegehung verstrichene Zeit 350 ff. - soziale, berufliche, beamtenrechtliche Konsequenzen 345 ff. - von Ausländern 343 ff. - Voraussetzungen für Strafmilderungen 341 ff. Strafminderungsgründe jenseits von Unrecht und Schuld 149 Strafniveau 92, 120, 143, 155 f., 335, 347 Strafrahmen s. auch Einstieg in den Strafrahmen - Ausschöpfung der Rahmen in der Praxis 188 f., 372 - Bindung an die gesetzlichen Rahmen 187 ff. - kontinuierliche Schwereskala der gesetzlichen Strafrahmen 188 - präventionsorientierte Rahmen 185 ff. - Rahmenwahl 22 - überhöhte bzw. veraltete Strafrahmen 185 ff., 374 f. - überhöhte Mindeststrafen 190 f. - Unrechtsbezug der gesetzlichen Strafrahmen 184 ff. - Verengung der Strafrahmen 363 f. Strafrechtsreform bis 1945 42 ff. - der Nachkriegszeit 47 ff. Straftatsystematik s. Verbrechenslehre Straftaxen in der Praxis 52 f. Straftheorie - deliktsspezifische Präventionswirkung 121 f. - expressive Funktionen der Strafe 112 ff. - Nachweisbarkeit präventiver Effekte des Strafsystems 110 f. - Rechtfertigung der Übelszufllgung 119 ff. - Rechtsgüterschutz 77, 109, 125 f. - Rolle des Tadels 114 ff. - Strafe als soziale Institution 112 f., 126 f.

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- Tadel und Opfer 116 f. - teleologisches Verständnis der EinzeIstrafe 125 f. - Unabhängigkeit der Strafzumessungsvon der Straftheorie 125 ff. - Unmöglichkeit einer einheitlichen Straftheorie für alle Delikte 124, 127 - Unzulänglichkeit verbalen Tadels 123 f. - Vereinigungstheorien 23, 47 - Wesen der Strafe 113 - Zusammenhang mit Kriminalisierungstheorien 110 Strafungleichheit s. Ungleichheit der Strafen Strafverfahren - als Hindernis für eine verständnisvolle Bewertung der Tat 140 ff. - als Problembereich einer tatproportionalen Strafzumessung 180 ff. - überlange Verfahren 349 f. Strafzumessungsfaktoren - in § 46 Abs. 2 S. 2 aufgezählte 353 ff. - verdeckte 55, 64 - Notwendigkeit der Reduktion 18 f., 51,71, 158 Strafzumessungslehre - Fehlen von Kriterien zur Tatschwerebewertung 221 ff. - induktive Vorgehensweise 38,61 - unterentwickelter Stand 17, 28 f., 61 ff. Strafzumessungsrichtlinien s. Sentencing GuideIines Strafzumessungsschuld s. auch Schuld - induktive Vorgehensweise 38 - Interpretation von § 46 Abs. 1 S. 1 38 f., 324 ff. - Kritik am herrschenden Verständnis 38 ff., 151 f., 161 - traditionelles Verständnis: historische Entwicklung 40 ff. - und Schuldvergeltung 325 f. - ungeklärter Inhalt 38, 151 f. - Verhältnis zur Strafbegründungsschuld 328 f. Strafzumessungstradition s. Ungleichheit Strafzweck 39, 125 ff. Tadel - Notwendigkeit der Verstärkung 123 f. - Rechtfertigung 114 ff.

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Sachregister

- Vergleich mit Lob/Preis 123 f., 136 f. - Verhältnis Tadel/Übelszufugung 136 - Zusammenhang Tadel und Strafmaß 135 ff., 206 Talionsprinzip 105, 155 Tatbestandsmerkmale - als Kriterien fur Strafzumessung 195 ff. - steigerungsflihige 197 Täter-Opfer-Ausgleich 96ff., 302, 358, 360 - außergerichtliche Organisation 101 Täterpersönlichkeit - Eindruck des Tatrichters 54 f. - Feststellungen zur Persönlichkeit 53 ff. - Indizkonstruktion 50 f. - in Lehre und Rechtsprechung 40 ff. - Unrechtsbewertung ohne Bewertung der Persönlichkeit 219 Tatopfer s. Opfer der Straftat Tatplanung s. Planung Tatproportionale Strafzumessungstheorie - als Gerechtigkeitsfrage 133 f. - auf der Basis von Tadels-Argumenten 135 ff. - in der anglo-amerikanischen Diskussion 19 ff., 133 f., 135 ff., 143 f. - und numerische Strafmaße 155,361 - und Praxis der Strafverfolgung 180 ff. - und Schuld verständnis 151 ff. - utilitaristische/vertragstheoretische Begründung 128 ff. Tatschaden s. Schaden Tatschuldausgleich s. absolute Straftheorien Tatschwere s. auch Unrecht, Erfolgsunrecht, Handlungsunrecht - abstrakte Deliktsschwere 188 f. - als wesentlicher Strafzumessungsfaktor 143 ff., 150 f., 195 ff. - intuitive Schwereeinschätzungen 222 Tatzeit 276 f. Tötungsdelikte 233, 259 f., 334 ff., 384 - fahrlässige Tötung 385 f. Typusbegriff 220 f. Übelszufugung - als Teil der Strafe 108 - durch überlange Strafverfahren 349 f. - Rechtfertigung 119 ff.

Überzeugungstäter s. Gewissensentscheidungen Umwertung 361 ff. s. auch Einstieg in den Strafrahmen, numerisches Strafmaß, Vergleichsfalle Ungleichheit der Strafen - empirische Befunde 64 ff. - Grenzen der Angleichung 159 - Kontroverse um das Bestehen von Ungleichheit 63 f., 66 ff. - lokale Justizkultur 68 f. - mangelnde Steuerung der Lehre 63 f., 76 - methodische Forschungsprobleme 66 - Verbesserungsvorschläge 71 ff. Unrecht s. auch Erfolgs- und Handlungsunrecht - als Anknüpfungspunkt der Strafzumessung 144 ff., 150 f., 195 ff. - dualistisches Unrechtsverständnis 201 ff. Unrechtsmindemde Strafzumessungsfaktoren 283 ff. - Opferbeteiligung an der Tatgenese 285 ff. - Wiedergutmachung 296 ff. Unwerturteil s. Tadel USA 19 ff., 99, 181,224,362 f. s. auch anglo-amerikanische Diskussion Verankerung der Strafskala 155 ff., 347, 366 Verbrechenslehre - Orientierung der Strafzumessung an der Verbrechenslehre 18, 143 ff. - Unabhängigkeit der Strafzumessung? 147 ff. Vereinbarkeit mit dem geltenden Recht 191 ff. Verfahrenseinstellungen 180 f. Verfuhrung zur Tatbegehung 315 f. Vergleichsfälle 364 ff. s. auch Regelfall, Durchschnittsfall, schrittweises Vergleichen Verhältnis Individuum-Strafgewalt 205 f. Verhältnismäßigkeitsprinzip 128 ff., 324 f. - gesellschaftsvertragliche und utilitarische Begründungen 128 f. - Kritik 130 ff. Verjährung 351 f.

Sachregister Verletzter s. Opfer Verletzung der Privatsphäre 227,230 f. Vennögensdelikte 231 f., 239 ff. s. auch Schaden, materieller Vennögensstrafe 40 Verschulden des Tatschadens 247 ff. - indirekte Bestrafung 249 Verständnisvolles Einfühlen in die Situation des Täters 137 ff. Versuchungssituationen 316 Vertrauensmißbrauch 280, 282 f. Verwarnung mit Strafvorbehalt 192 Victim-Impact-Statements 224 Vorleben s. auch Biographie, Vorstrafen - in § 46 Abs. 2 S. 2 354 _ - Kritik der Lehre und Rechtsprechung 40 ff., 55 ff. Vorsatz - als tatbestandsneutrale Kategorie 150 - bei Schadensvertiefungen 247 ff. - nonnativer Nonnalfall bei Vorsatzvariationen 383 f. - und Handlungsunrecht 213 f. - Unrechtsrelevanz von Vorsatzabstufungen 260 ff. Vorstrafen - doppelter Ptlichtenverstoß 162 - gesteigerte Verbotskenntnis 161 f. - Rolle für die tatproportionale Strafzumessung 159 ff. - Rolle in der Praxis und Lehre 53, 66, 142, 163 - Rückfallgefahr 163 - sozialpsychologische Erklärung 164 f.

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- Strafminderung für Ersttäter 164 ff. - Unhaltbarkeit der Hemmschwellentheorie 161 f. Wahl der Strafart s. Sanktionen Wertewandel 183 f. Wiedergutmachung - AE-Wiedergutmachung 101 f. - als Alternative zur Strafe 96 ff. - als partielle Alternative zur Strafe 99 ff. - Ausmaß der Unrechtsminderung 301 ff. - "dritte Spur des Strafrechts" 99 - durch Dritte 303 ff. - Freiwilligkeit 303 ff. - Kontliktmodell 97 f. - Leistung durch Versicherung 305 - und Erfolgsunrecht 297 ff. - und Strafzweck 296 - Vereinbarkeit mit § 46 a 356 ff. - Verhältnis Wiedergutmachung/Schadensersatz 297 ff. Wille des Täters 353 f. s. auch kriminelle Energie Willensfreiheit 139 ff., 153 Wirtschaftliche Not 322 f. Wirtschaftliche Umstände 49 f., 271, 382 s. auch soziale Stellung des Täters Zeitablauf zwischen Tat und Verfahren 350 ff. Ziele des Täters s. Beweggründe