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German Pages 355 Year 1999
FLORIAN JESSBERGER
Kooperation und Strafzumessung
Kölner Kriminalwissenschaftliche Schriften Herausgegeben von Klaus Bernsmann, Hans Joachim Hirsch Günter Kohlmann, Michael Walter Thomas Weigend Professoren an der Universität zu Köln
Band 30
Kooperation und Strafzumessung Der Kronzeuge im deutschen und amerikanischen Strafrecht
Von Florian Jeßberger
Duncker & Humblot • Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Jeßberger, Florian: Kooperation und Strafzumessung : der Kronzeuge im deutschen und amerikanischen Strafrecht / von Florian Jeßberger. - Berlin : Duncker und Humblot, 1999 (Kölner kriminalwissenschaftliche Schriften ; Bd. 30) Zugl.: Köln, Univ., Diss., 1998/99 ISBN 3-428-09878-1
Alle Rechte vorbehalten © 1999 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0936-2711 ISBN 3-428-09878-1 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706©
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 1998/99 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln als Dissertation angenommen. Sie wurde im April 1998 abgeschlossen. Maßgeblichen Anteil am Zustandekommen der Schrift hatte Professor Dr. Thomas Weigend . Mein besonderer Dank gilt ihm nicht nur wegen seiner engagierten und an wertvollen Anregungen reichen Förderung dieser Arbeit. Zu Dank verpflichtet bin ich meinem Doktorvater vor allem, weil er während der langen Jahre meiner Mitarbeit an seinem Lehrstuhl wesentlich dazu beigetragen hat, mein Interesse am Strafrecht zu wecken und zu bewahren, und mir gleichzeitig die das übliche Maß weit übersteigenden Freiräume ließ, die das Gelingen einer solchen Arbeit erfordert. Professor Dr. Cornelius Nestler habe ich für die Übernahme des Korreferates zu danken. Professor Franklin E. Zimring stand mir mit Rat und Tat während eines Forschungsaufenthaltes an der University of California, Berkeley (USA), zur Seite und ermöglichte mir die unabdingbaren Einblicke in das amerikanische Strafrecht. Für die finanzielle Unterstützung dieses Aufenthaltes bin ich dem Deutschen Akademischen Austauschdienst verbunden. Dank gebührt nicht zuletzt auch Dr. Julia Duchrow und Dr. Nico Heise , die sich durch die kenntnisreiche und kritische Lektüre des Manuskripts verdient gemacht haben. Gewidmet ist die Arbeit meinen Eltern. Berlin, im März 1999
Florian Jeßberger
Inhaltsverzeichnis Einfuhrung
19
Teill Kooperation im Strafverfahren und das „Modell Kronzeuge" I. II.
Der Kronzeuge als Subjekt der Strafverfolgung Der Kronzeuge als Objekt der Strafverfolgung Teil II Das „Modell Kronzeuge" im geltenden Recht
I.
n.
Materiellrechtliche Kronzeugenregelungen 1. Deliktsspezifische Kronzeugenregelungen a) Kronzeugenregelung für Terrorismus und „Organisierte Kriminalität" aa) Anwendungsbereich des KronzG bb) Kronzeugenhandlung - die Offenbarung des Wissens cc) Verhinderungs-, Aufklärungs- oder Ergreifungseignung des offenbarten Wissens dd) Absehen von Strafe oder Strafmilderung nach § 2 KronzG.... b) Kronzeugenregelungen für Rauschgiftkriminalität und Geldwäsche aa) Anwendungsbereich der Kronzeugeriregelungen bb) Kronzeugenhandlung - die freiwillige Offenbarung des Wissens cc) Der Aufdeckungserfolg dd) Der Verhinderungserfolg ee) Absehen von Strafe oder Strafmilderung c) Kronzeugenregelungen für Staatsschutzdelikte 2. Kronzeuge und allgemeine Strafzumessung a) Zur Schuldrelevanz kooperativen Prozeßverhaltens b) Zur Präventionsrelevanz kooperativen Prozeßverhaltens 3. Strafaussetzung zur Bewährung und bedingte Entlassung Prozessuale Kronzeugenregelungen 1. Kronzeugenregelung filr Terrorismus und „Organisierte Kriminalität" 2. Kronzeugenregelungen für Rauschgiftkriminalität, Geldwäsche und Staatsschutzdelikte
25 27 30
33 35 36 36 38 43 44 48 52 53 54 55 59 59 61 63 65 68 70 71 72 74
nsverzeichnis
8 3.
Spezielle prozessuale Kronzeugenregelungen für Staatsschutzdelikte und Auslandstaten HI. Zusammenfassung
I.
74 76
Teil III Das „Modell Kronzeuge" in der Rechtswirklichkeit
78
Teil IV Das „Modell Kronzeuge" im Lichte von Verfassungsrecht und Strafrechtssystematik
83
Kronzeuge und Strafzwecke 1. „Verdient" der Kronzeuge den Strafrabatt? - Ermittlungshilfe und Schuldgrundsatz 2. „Braucht" der Kronzeuge den Strafrabatt? - Ermittlungshilfe und Spezialprävention 3. „Braucht" die Allgemeinheit den (Strafrabatt für den) Kronzeugen? Ermittlungshilfe und Generalprävention 4. Ergebnis II. Kronzeuge und Untermaßverbot 1. Das „Modell Kronzeuge" als taugliches Instrument zur EffizienzSteigerung der Strafverfolgung 2. Geht es nicht auch ohne den Kronzeugen? 3. Zur Angemessenheit der Kronzeugenregelungen a) Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege und „Ermittlungsnotstand" b) Unrechtsgefalle - zum Verhältnis von Unrecht der Kronzeugentat und Unrecht der Aufklärungstat c) Absolute Unerträglichkeitsgrenze? 4. Ergebnis EI. Kronzeuge und Willkürverbot 1. Differenzierungskriterien a) Verhaltensspezifische Differenzierung b) Bereichsspezifische Differenzierungen c) Ergebnisspezifische Differenzierungen 2. Differenzierungsziel: Beseitigung eines „Ermittlungsnotstands" a) Rechtfertigung der verhaltensspezifischen Differenzierung b) Ambivalenz der bereichsspezifischen Differenzierung c) Rechtfertigung der ergebnisspezifischen Differenzierung? 3. Ergebnis IV. Kronzeuge und fair trial 1. (Un)Fairness für den Kronzeugen
85 87 88 91 95 96 97 99 100 101 107 108 110 111 112 112 112 113 113 115 115 116 119 120 121
nsverzeichnis a)
Verhandlung mit den Ermittlungsbehörden - alle Angaben ohne Gewähr? b) Vorleistungspflicht des Kronzeugen und fair trial 2. Exkurs: (Un)Fairness für den vom Kronzeugen Belasteten a) Glaubwürdigkeit und Beweiswürdigung b) „Waffengleichheit" und der „Kronzeuge der Verteidigung" 3. Ergebnis V. Kronzeuge und Schweigerecht 1. Zur (Un)Zulässigkeit der Strafschärfung angesichts unkooperativen Prozeß Verhaltens 2. Die Vorenthaltung der Strafmilderung als (unzulässige) Strafschärfung? 3. Ergebnis VI. Kronzeuge und Absprachen 1. Absprachen im Strafverfahren - eine unendliche Geschichte 2. Gestörte und gescheiterte Absprachen mit dem Kronzeugen 3. Ergebnis VII. Zusammenfassung Teil V Das „Modell Kronzeuge" im amerikanischen Recht I.
II.
122 126 127 127 131 134 135 137 138 140 140 142 147 150 151
153
Grundlagen 155 1. Konsequenzen der Bundesstaatlichkeit für Strafrecht und Strafgerichtkeit 155 2. Adversatorische Verfahrensstruktur und Geschworenenprozeß 159 3. Überblick über den Gang des amerikanischen Strafverfahrens 162 4. Der Zeugenbeweis: hearsay rule, nemo tenetur und immunity 164 a) Zur Bedeutung des Zeugenbeweises 164 b) Zeugnispflicht und Zeugnisverweigerung 167 c) Verwertungsverbot und Immunisierung 169 aa) Verwertungsverbot oder Verfolgungshindernis - zur Reichweite der immunity 171 bb) Verfahren der Immunisierung 175 cc) Defense witness immunity - Immunisierung gegen den Willen des Staatsanwalts 176 Strafzumessung im amerikanischen Strafverfahren 178 1. Prosecutorial Screening und charge reduction - Strafzumessung durch den Staatsanwalt 182 a) Die Machtfiille des prosecutor 182 b) Plea bargaining - die Aushandlung von Verfahrensergebnissen zwischen Staatsanwalt und Beschuldigtem 185
10
nsverzeichnis
aa) Charge bargaining und sentence bargaining - Formen staatlicher Zugeständnisse 187 bb) Mitwirkungs-und Kontrollrechte des Gerichts 188 cc) Guilty plea und Strafrabatt - zur materiellrechtlichen Rechtfertigung der Absprachenpraxis 190 2. Der Richter als „rubber stamp bureaucrat - Strafzumessung durch Richtlinien 192 a) Reform des Strafzumessungsrechts durch Strukturierung und Reduzierung desrichterlichen Strafzumessungsermessens 193 b) Funktionsweise der Strafzumessungsrichtlinien 195 c) Departures - Schlupflöcher im Regelstrafenkorsett 197 d) Transparenz durch Begründungspflicht und Revisibilität - Strafzumessungsrichtlinien und materielles Strafzumessungsrecht 199 e) ,}Aaking the crime fit the punishment" - der zweifelhafte Erfolg der Strafzumessungsrichtlinien 201 DI. Kooperation und prosecutorial discrétion 208 IV. Kooperation und die Milderung der Strafe durch das Gericht 211 1. Berücksichtigimg der Kooperation bei der richterlichen Strafzumessung nach traditionellem Strafzumessungsrecht 212 a) Kooperation und das Strafzumessungsermessen des Richters 212 b) Sentence recommendations - die faktische Definitionsmacht des Staatsanwalts 213 2. Kooperation in den Strafzumessungsrichtlinien des Bundes 214 a) Honorierung von Aufklärungshilfe durch die Unterschreitung des Strafrahmens 216 aa) Antrag des Staatsanwalts als conditio sine qua non der Unterschreitung des Strafrahmens 217 (1) Ermessensgrenzen und Ermessensbindung der Entscheidung des Staatsanwalts 221 (2) Umgehung des Antragserfordernisses 223 bb) Die Entscheidung des Gerichts über die Unterschreitung des Strafrahmens 226 ( 1 ) Ermessensgrenzen der Entscheidung des Richters 228 (2) Ermessensbindung der Entscheidung des Richters 229 cc) Substantial assistance - die Leistung des Kronzeugen 232 (1) Opportunität und Geheimhaltung - Hindernisse bei der Suche nach obj ektiven Standards 233 (2) Zwischen Zeugenaussage und undercover Tätigkeit Tendenzen der Praxis 234 b) Honorierung von Ermittlungshilfe bei der Bestimmung der Strafe innerhalb des Regelstrafrahmens 237 c) Honorierung von Ennittlungshilfe durch die nachträgliche Milderung der Strafe 239
nsverzeichnis 3.
Kooperation in den Strafzumessungsrichtlinien der Einzelstaaten a) Kooperation als ausdrücklicher Strafmilderungsgrund b) Kooperation als allgemeiner Strafmilderungsgrund V. Kooperation und Absprachen 1. Zur informellen Gewährung der staatlichen Gegenleistung 2.
großer
241 241 244 245 249
sessions" - das Cooperation agreement im Aushandlungssta-
dium 3. Vereinbarung eines Ermessensvorbehalts des Staatsanwalts 4. Bruch und Rückabwicklung des Cooperation agreement VI. Kritik am „Modell Kronzeuge" aus amerikanischer Sicht 1. Kronzeuge und Strafzwecke a) Kronzeuge und Just desert" b) Kronzeuge, crime control und sonstige präventive Strafzwecke... 2. Zwang zur Kooperation? - Kronzeuge und Schweigerecht 3. „Big fish 's privilege"? - zur Auswahl des Kronzeugen 4. Kronzeuge und die Struktur des Strafverfahrens a) Gewaltentrennung und Strafzumessung b) Ein faires Verfahren für den Kronzeugen? 5. Kronzeuge und Strafverteidiger 6. Exkurs: Der Kronzeuge als Belastungszeuge a) Zur Glaubwürdigkeit der Angaben des Kronzeugen aa) Verwertbarkeit der „erkauften" Zeugenaussage bb) Beweiswert der „erkauften" Zeugenaussage b) „Waffengleichheit" und „Kronzeuge der Verteidigung" VII. Zusammenfassung
252 256 257 261 262 265 266 268 271 274 275 278 279 283 285 286 288 290 291
Teil VI Das „Modell Kronzeuge" in einem zukünftigen Strafrecht rechtsvergleichende Zusammenfassung und Überlegungen zur Reform 294 I. Strafzumessungsregel oder Einstellungsnonn? II. Allgemeine oder spezielle Kronzeugenregelung? ID. Anwendungsvoraussetzungen eines „Modells Kronzeuge" 1. „Ermittlungsnotstand" a) Aufklärungsdefizit b) Kriminalitätsdruck 2. Ermittlungsbemühen, Ermittlungseignung oder Ermittlungserfolg? 3. Interner und externer Kronzeuge IV. Rechtsfolgen und Rechtsfolgenentscheidung 1.
Abgestufte Strafrahmen Verschiebung
2. Fakultative und obligatorische Strafrahinenmilderung 3. Konkrete Bemessungskriterien V. Zum verfahrensrechtlichen Umfeld eines „Modells Kronzeuge"
298 303 304 304 308 312 313 316 318 319
321 323 325
12
nsverzeichnis
1. Hinweispflicht 2. Verwertungsverbot? VI. Das, Modell Kronzeuge" de lege ferenda: § 46b StGB Anhang Die Kronzeugenregelungen des geltenden Rechts im Wortlaut
326 328 330
331
I.
Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches, der Strafprozeßordnung und des Versammlungsgesetzes und zur Einführung einer Kronzeugenregelung bei terroristischen Straftaten vom 9. Juni 1989 II. Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln in der Fassung vom 1. März 1994 IE. Strafgesetzbuch in der Fassung vom 13. November 1998 IV. Strafprozeßordnimg in der Fassung vom 7. April 1987
332 333 335
Literaturverzeichnis
336
I. II.
Literatur zum deutschen Recht Literatur zum amerikanischen Recht
331
336 346
Abkürzungsverzeichnis A. 2d. a. A. ABA Adm. R. a. E. AG AK-Bearbeiter Ala. Allg.T. A. L. R. Alt. Am. Crim. L. Rev. Am. J. Comp. L. Ariz. Ariz. St. L. J. Ark. Art. AsylVerfG AuslG AWG B. BayObLG B. C. Int. Comp. L. Rev. B. C. L. Rev. Bd. BDO Begr. BGBl. BGH BGHSt BKA BR-Drs. BT-Drs.
Atlantic Reporter (second series) andere Ansicht American Bar Association Administrative Rules am Ende Amtsgericht Alternativkommentar zur Strafprozeßordnung, (siehe: Wassermann) Alabama Allgemeiner Teil American Law Report Alternative American Criminal Law Review American Journal of Comparative Law Arizona Arizona State (University) Law Journal Arkansas Artikel Asylverfahrensgesetz Ausländergesetz Außenwirtschaftsgesetz Beschluß Bayerisches Oberstes Landesgericht Boston College International and Comparative Law Review Boston College Law Review Band Bundesdisziplinarordnung Begründer Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Strafsachen Bundeskriminalamt Bundesrat, Drucksache Bundestag, Drucksache
14 BtMG B. U. L. Rev. BVerfG BVerfGE C. Cal. Cal.App.3d Cal. E. C. Cal. P. C. Catholic U. L. Rev. C. D. Cir. Col. Colum. L. Rev. Cr.App.Rep Crim. L. Bull. Crim. L. J. Crim. P. CrL CWÜ-AG D. D. C. DJT DRiZ E EGMR Einl. Einf. EuGRZ Europ. J. Crime f. ff. F. F.2d F.3d Fed. Bar & News J. Fed. Reg. Fed. Sent. R. Fla. FN Ford. L. Rev. F. R. Crim. P.
Abkürzungsverzeichnis Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln Boston University Law Review Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Code, California Reports California California Appellate Reports (third series) California Evidence Code California Penal Code Catholic University Law Review Central District Circuit Colorado Columbia Law Review Criminal Appeal Reporter (Großbrittanien) Criminal Law Bulletin Criminal Law Journal Criminal Procedure Criminal Law Reporter Chemiewaffenübereinkommen-AusfÜhrungsge-setz District District of Columbia Deutscher Juristentag Deutsche Richterzeitung Entwurf Europäischer Gerichtshof ftlr Menschenrechte Einleitung Einführung Europäische Grundrechte Zeitschrift European Journal of Crime, Criminal Law and Criminal Justice für, folgende fortfolgende Federal Reporter Federal Reporter (second series) Federal Reporter (third series) Federal Bar and News Journal Federal Register Federal Sentencing Reporter Florida Fußnote Fordham Law Review Federal Rules of Criminal Procedure
Abkürzungsvezeichnis Federal Rules Decisions Federal Rules of Evidence Festschrift Federal Supplement Goltdammer's Archiv für Strafrecht Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland Großer Senat Gedächtnisschrift Gerichtsverfassungsgesetz Harvard Law Review Handbuch des Betäubungsmittelstrafrechts (siehe: Kreuzer) HdKiim-Bearbeiter Handbuch der Kriminologie (siehe: Sieverts/Schneider) UdStR-Bearbeiter Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland (siehe: Isensee/Kirchhof) Heidelberger Kommentar zur Strafprozeßordnung WL-Bearbeiter (siehe: Lemke/Julius et al.) herrschende Lehre h.L. herrschende Meinung h.M. Herausgeber Hrsg. Halbsatz HS. Illinois III. Indiana Ind. International Journal for Comparative and Applied Infi. J. Comp. Appl. Crim. Just. Criminal Justice Internationaler Pakt über bürgerliche und politische IPBürgPR Rechte und Grundfreiheiten im Sinne des i. S. d. Journal J. Journal of Criminal Law and Criminology J. Crim. L. Jugendgerichtsgesetz JGG Juristische Rundschau JR Junior Jr. Juristische Schulung JuS Juristenzeitung JZ Kapitel Kap. Kritische Justiz KJ Karlsruher Kommentar zur Strafprozeßordnung KK-Bearbeiter (siehe: Pfeiffer) Kommentar zur Strafprozeßordnung (siehe: KleinKMR-Bearbeiter knecht/Müller/Reitberger) Kriegswaffenkontrollgesetz KriegsWaffG F. R. D. F. R. E. FS F.Supp GA GG GrS GS GVG Harv. L. Rev. HdBtMStR-Bearbeiter
16 KronzG
KritV Ky. LG L. J. LK-Bearbeiter LK10-Bearbeiter Lou. Loy. L. A. L. Rev. Loy. U. L. Rev. LR-Bearbeiter LR25-Bearbeiter L. Rev. Md. MDR Me. m. E. Mich. Mich. Cr. L. Minn. Miss. Mont. M. P. C. MRK m.w.N. N. C. N. D. NE.2d Nev. NJ N. J. N. J. Crim. J. C. NJW
Abkürzungsverzeichnis Kronzeugengesetz (Art. 4 des Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches, der Strafprozeßordnung und des Versammlungsgesetzes und zur Einführung einer Kronzeugenregelung bei terroristischen Straftaten) Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft Kentucky Landgericht Law Journal Leipziger Kommentar zum Strafgesetzbuch, 11. Auflage (siehe: Jähnke/Laufhütte/Odersky) Leipziger Kommentar zum Strafgesetzbuch, 10. Auflage (siehe: Jescheck/Ruß/Willins) Louisiana Loyola (University) of Los Angeles Law Review Loyola University Law Review Löwe Rosenberg, Kommentar zur Strafprozeßordnung, 24. Auflage (siehe: Rieß) Löwe Rosenberg, Kommentar zur Strafprozeßordnung, 25. Auflage (siehe: Rieß) Law Review Maryland Monatsschrift für deutsches Recht Maine meines Erachtens Michigan Michigan Criminal Laws Minnesota Missouri Montana Model Penal Code (Europäische) Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten mit weiteren Nachweisen North Carolina North Dakota, Northern District North East Reporter (second series) Nevada Neue Justiz New Jersey New Jersey Criminal Justice Code Neue Juristische Wochenschrift
Abkürzungsverzeichnis Nr. NStZ NStZ-RR NW.2d N. Y. N. Y. Crim. P. L. N. Y. L. S. J. H. R. N. Y. S. 2d N. Y. U. L. Rev. ÖJZ Ö-StGB Ohio St. L. J. OLG Ore. OStA P. P.2d Pa. R. RAF RN S. S. C. S. Cal. L. Rev. SchwZStR S. Ct. S. D. SE.2d S.G. SYL-Bearbeiter
So.2d sog. Stat. StGB StPO StraFo StRG StV SW.2d 2 Jeßberger
Nummer Neue Zeitschrift für Strafrecht Neue Zeitschrift für Strafrecht - RechtsprechungsReport North West Reporter (second Series) New York New York Criminal Procedure Laws New York Law School Journal of Human Rights New York Supplement Reporter (second series) New York University Law Review Österreichische Juristen-Zeitung Österreichisches Strafgesetzbuch Ohio State (University) Law Journal Oberlandesgericht Oregon Oberstaatsanwalt Pacific Reporter Pacific Reporter (second series) Pennsylvania Rule/Rules Rote Armee Fraktion Randnummer Satz, Seite South Carolina Southern California Law Review Schweizerische Zeitschrift für Strafrecht U.S. Supreme Court Reporter Southern District South East Reporter (second series) Sentencing Guidelines Systematischer Kommentar zum Strafgesetzbuch (siehe: Rudolphi) Systematischer Kommentar zur Strafprozeßordnung (siehe: Rudolphi) Southern Reporter (second series) sogenannte Statutes Strafgesetzbuch Strafprozeßordnung Strafverteidiger Forum Strafrechtsreformgesetz Strafverteidiger South West Reporter (second series)
18 Tenn. Tex. U. C. Davis L. Rev. U. Chicago L. Rev. U. C. L. A. L. Rev. U. 111. L. Rev. unv. Urt. U. Pa. L. Rev. U. R. E. U. R. Crim. P. U.S. USA U.S.C. U. S. S. C. U. S. S. G. usw. u. U. UWG v. Vand. L. Rev. Verf. vgl. Virg. Vorb. WaflG Wash. Wash. & Lee L. Rev. Wash. U. L. Q. wistra W. Va. z.B. Ziff. ZRP ZStW
Abkürzungsverzeichnis Tennessee Texas University of California at Davis Law Review University of Chicago Law Review University of California at Los Angeles Law Review University of Illinois Law Review unveröffentlichtes Urteil University of Pennsylvania Law Review Uniform Rules of Evidence Uniform Rules of Criminal Procedure United States Supreme Court Reports United States of America United States Code United States Sentencing Commission United States Sentencing Guidelines und so weiter unter Umständen Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb versus, von/vom Vanderbilt Law Review Verfassung vergleiche Virginia Vorbemerkung Waffengesetz Washington Washington and Lee (University) Law Review Washington University Law Quaterly Zeitschrift für Wirtschaft, Steuer und Strafrecht West Virginia zum Beispiel Ziffer Zeitschrift fiir Rechtspolitik Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft
Einführung Die strafrechtliche und insbesondere die kriminalpolitische Diskussion in Deutschland ist seit einiger Zeit dominiert von der heftig geführten Debatte um die „richtige" Methode zur Bekämpfung der sogenannten „Organisierten Kriminalität"1. Dabei werden je nach Standpunkt entweder Gesichtspunkte der Effektivität und Funktionsfahigkeit der Strafrechtspflege oder der möglichst schonende Umgang mit rechtsstaatlichen Freiheiten in den Mittelpunkt der Argumentation gerückt. Nicht zu bestreiten - und sehr genau zu unterscheiden vom penetrant populistischen Ruf nach härteren Strafen und erweiterten Eingriffsmöglichkeiten der Ermittlungsorgane - ist jedenfalls, daß die deutsche Strafjustiz bisweilen mit Sachverhalten konfrontiert wird, bei denen die ihr traditionell zur Verfügung stehenden Ermittlungs- und Erledigungsstrategien an ihre Grenzen stoßen. Gelegentlich ist den staatlichen Kontrollorganen der Zugriff auf die relevanten Informationen versperrt, ohne die bestimmte Kriminalitätsfelder als kaum durchdringbar erscheinen2. Insbesondere die etwa in der Rauschgift- und Wirtschaftskriminalität zu beobachtende erfolgreiche Abschottung delinquenter Einheiten gegenüber den staatlichen Kontrollstrategien zwingen die Straf justiz, die nach wie vor auf den Nachweis individueller Verantwortlichkeit angewiesen ist3, auf Methoden der Informationsgewinnung zurückgreifen, die entweder heimlich durchgeführt werden4 oder sich des krimi-
1 Siehe dazu HdKrim-HJ.Schneider, Bd. 5, S. 562 ff; Frehsee , in Frehsee/Löschper/Smaus, S. 14, 29. Eingehend zum Konzept der „Organisierten Kriminalität" Teil VI, m.l.b). 2 Siehe HdKrim-//. J.Schneider, Bd. 5, S. 562, 563; Jung, ZRP 1986, S. 38,40. Bezeichnend ist auch der Hinweis des US-amerikanischen Präsidenten in einer Stellungnahme gegenüber dem Kongress auf die ,j?ractical impossibility of prosecuting those at the highest level of the drug industry without such Cooperationzitiert nach United States v. Severich, 676 F.Supp 1209 (S. D. Fla., 1988). 3 Das deutsche Recht kennt keine Strafbarkeit von juristischen Personen oder Personenvereinigungen (allerdings besteht die Möglichkeit der Verbandsgeldbuße, § 30 OWiG), vgl. Jescheck/Weigend , Allg.T., § 23 VD, S. 226 f., Marxen, JZ 1988,286. Demgegenüber gibt es in den USA die echte Verbandsstrafe, vgl. ausführlich La Fave/Scott , Criminal Law, § 3.10, S. 360 ff ; nach dem Prinzip der corporate criminal liability (vgl. § 2.07 M. P. C.) können nicht nur juristische Personen, sondern auch sonstige nicht rechtsfähige Personenzusammenschlüsse bestraft werden. 4 Etwa durch den Einsatz Verdeckter Ermittler oder elektronischer Überwachungsmethoden. Vgl. auch die Übersicht bei Bernsmann/Jansen , StV 1998, S. 217 ff
2*
Einführung
20
nellen Milieus selbst bedienen5. Dabei wird die Information unmittelbar aus dem Kreis der Tatbeteiligten in zunehmendem Maße unverzichtbar Bestandteil staatlicher Ermittlungstaktik. Personen, die selbst an Straftaten beteiligt waren, werden aber nur dann zur Beseitigung des staatlichen Informationsdefizits und damit der Beweisnot bereit sein, wenn sie sich ihrerseits einen Vorteil davon versprechen können oder zumindest keine Nachteile zu erwarten haben. Letzterer gibt es aus Sicht der Betroffenen mehr als genug: Nicht nur hat der „Verräter" Repressalien seitens seiner Komplizen zu gewärtigen. Auch vom Staat selbst, dem sich der denunzierende Insider durch die Offenbarung seines Wissens eigentlich gerade andient, droht die Gefahr der Strafverfolgung wegen eigener Straftaten, die im Rahmen der drittbelastenden Aussage - bei Gruppendelikten häufig unvermeidlich - „mitgestanden" wurden6. Diese Nachteile sind unter Umständen so gewichtig, daß selbst ein zur Aussage verpflichteter Zeuge, dem ein Auskunftsverweigerungsrecht - etwa weil er sich zwar selbst strafbar gemacht hat, an dem fraglichen Tatkomplex aber nicht beteiligt war - nicht zur Seite steht, es vorzieht, die in der StPO vorgesehenen Zwangsmechanismen7 auf sich zu nehmen - und zu schweigen. Solange der grundsätzlich kooperations- und aussagewillige Täter nicht vor diesen Gefahren, etwa durch wirksame Zeugenschutzmaßnahmen oder durch staatliche Zugeständnisse bei der Strafzumessung, bewahrt bleibt, wird kaum mit seiner Kooperation zu rechnen sein. Meist genügt es aber nicht, lediglich die mit der Kooperation verbundenen Nachteile zu kompensieren; oft bedarf es eines zusätzlichen Anreizes, um den Informationsträger zur Zusammenarbeit mit den Ermittlungsbehörden zu motivieren. Dieser Anreiz kann ganz unterschiedlicher Art sein; möglich sind etwa finanzielle Zuwendungen. Wenn die Person, auf deren Wissen die Behörden bei der Strafverfolgung angewiesen sind, sich selbst strafbar gemacht hat, bietet es sich an, ihr im Zusammenhang mit der Aburteilung ihrer eigenen Taten entgegenzukommen. In der Bundesrepublik war und ist die Debatte - auch die wissenschaftliche um den Kronzeugen seit jeher „ideologisch" determiniert: zunächst seit Mitte der 70er Jahre im Kampf gegen den politischen Terrorismus8, seit Mitte der 80er Jahre im Kampf gegen das sog. „Organisierte Verbrechen". Diese Dimension der Problemstellung sollte auch eine rechtsvergleichende Untersu-
5
Etwa durch Kronzeugen oder V-Personen. Zutreffend weist Joachimski, § 31 BtMG, RN 2, daraufhin, daß häufig geständniswillige Bandenmitglieder „aus Furcht vor zusätzlicher Bestrafung über die ohne weiteres nachweisbare Tat hinaus" nicht aussagen. 7 Vgl. § 70 StPO. 8 Vgl. aus der damaligen Diskussion etwa Jahrreiss, FS f. Lange, S. 765 ff.; zur damaligen Diskussion Gössner, Anti-Terror System, S. 244 ff; Bakker Schut, Stammheim, S. 290 ff; eingehend Hannover, Terroristenprozesse, insbesondere S. 129 ff 6
Einführung
chung nicht aus den Augen verlieren9. Die zum Teil heftig geführte Auseinandersetzung kulminierte 1989 in der Verabschiedung eines Gesetzes zur Einführung der Kronzeugenregelung bei terroristischen Straftaten durch den Bundestag10, die zunächst als „gesetzgeberisches Experiment" auf drei Jahre befristet und - zwischenzeitlich um Delikte aus dem Bereich der „Organisierten Kriminalität" erweitert - im Dezember 1995 zum zweiten Mal bis Ende 1999 verlängert wurde11. Der Anwendungsbereich dieser Regelung wurde seither stetig ausgeweitet. Begünstigt wurde diese Tendenz durch den in KronzG-Art. 5 enthaltenen „Ausdehnungsautomatismus", der den Anwendungsbereich der Kronzeugenregelung an den des Erweiterten Verfalls nach § 73d StGB anbindet - der seinerseits, zuletzt durch das 6. StRG12, immer neue Anwendungsfelder erhält13. Weitgehend unbemerkt von der polarisierten Diskussion um den Kronzeugen blieben die Regelungen, die zum Teil schon seit Jahren und wie § 31 BtMG mit erheblicher Bedeutung in der Praxis die Belohnung von Ermittlungshilfe erlauben. In jüngster Zeit ist verstärkt der Ruf nach einer Erweiterung der Kronzeugenregelungen auf weitere Delinquenzbereiche14 zu vernehmen. Sehr viel mehr Erfahrungen mit dem Kronzeugen wurden zum Teil im Ausland gesammelt15. Vor allem in den USA gehört der Kronzeuge beinahe 9
Auch nicht deshalb, weil in anderen Staaten - etwa in den USA - die vergleichbare Diskussion sehr viel nüchterner verlief und verläuft; siehe auch Teil VI. 10 Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches, der Strafprozeßordnung und des Versammlungsgesetzes und zur Einfuhrung einer Kronzeugenregelung bei terroristischen Straftaten vom 9. Juni 1989, BGBl 1 1059; m, 312. 11 Vgl. zur Entstehungsgeschichte die ausfuhrliche Darstellung bei Bocker, Kronzeuge, S. 39 ff., sowie Teil II, FN 10. 12 BGBl. I, 164(1998). 13 Eingehend zu dieser bedenklichen Konstruktion Teil II, 1.1 .a)aa). 14 Vgl. die Diskussion um die Bemühungen zur - mittlerweile jedenfalls in dieser Form abgelehnten - Einführung einer Kronzeugenregelung zur Korruptionsbekämpfung; eingehend dazu Dötting, Gutachten, S. 73 ff ; König, DRiZ 1996, S. 357, 363; ablehnend Hettinger, Entwicklungen, S. 49; Littwin, ZRP 1996, S. 308, 313. Siehe auch Teil n, I.b). Zur Forderung nach Einführung einer Kronzeugenregelung im Umweltstrafrecht, vgl. Behrendt, GA 1991, S. 337, 343; Überlegungen zur Ausweitung finden sich auch bei Schlüchter, ZRP 1997, S. 65. 15 Bemerkenswerte Erfahrungen mit dem Kronzeugen finden sich auch im europäischen Ausland: Klassisches Kronzeugenland ist Italien; dort waren im Kampf gegen die Mafia und den Terrorismus bereits Ende der 70er Jahre zum Teil sehr weitgehende Kronzeugenregelungen eingeführt worden; 1995 wurden über 1000 sog. pentiti (Reumütige) rekrutiert, vgl. Orlandi, ZStW 108 (1996), S. 429, 442 f.; Oehler, ZRP 1987, S. 41, 44; Bocker, Kronzeuge, S. 21 ff. Auch im Kampf gegen den Terrorismus in Nordirland wurden oft Kronzeugen, sog. supergrasses, verwendet, vgl. Denny, ZStW 103 (1991), S. 269, 281 ff ; in Großbritannien besitzt die Belohnung von Überführungshilfe durch den Staatsanwalt zwar eine lange Tradition; nach englischem Recht kann der Richter strafmildernd die Ennittlungshilfe berücksichtigen, vgl. Regina v.
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Einführung
zum Alltag des Strafverfahrens. Anders als das von Strafverfolgungs- und Aufklärungspflicht geprägte deutsche Strafverfahren läßt das amerikanische Strafverfahrensrecht den Beteiligten umfassende Ermessenspielräume16. Begünstigt durch die weitgehende Dispositionsfreiheit der Verfahrensbeteiligten über Gegenstand und Ablauf des Strafverfahrens ist der Handel „Kooperation bei der Überführung Dritter gegen Nachsicht bei der eigenen Bestrafung" in den Vereinigten Staaten seit jeher verbreitete Praxis17. Es ist aber nicht nur dieser Reichtum an Erfahrung, der eine nähere Betrachtung des amerikanischen Rechts aus Sicht des deutschen Rechtsvergleichers besonders fruchtbar erscheinen läßt18. Einerseits scheint die US-amerikanische Gesellschaft als eine Art vorweggenommenes Abbild der bei uns in einigen Jahren zu erwartenden Verhältnisse zu gelten; regelmäßig wird vor einer „Amerikanisierung" der deutschen Verbrechenslandschaft gewarnt. Andererseits werden das amerikanische Strafverfahren und die von ihm entwickelten Lösungen häufig und gerne zum Vorbild genommen und sind oft richtungweisendfür die „Modernisierung" des deutschen Rechts. Nicht zuletzt berufen sich auch Protagonisten einer deutschen Kronzeugenregelung auf das amerikanische Beispiel19. Die erschöpfende Behandlung aller mit der Rechtsfigur des Kronzeugen verbundenen Teilaspekte kann im Rahmen einer solchen, zudem rechtsvergleichend angelegten Arbeit nicht geleistet werden. Die Schwerpunktsetzung orientiert sich denn auch am zentralen Anliegen der Arbeit, nämlich der UnLowe, 66 Cr.App.Rep 122 (1977); Regina v. King, 7 Cr.App.Rep (s) 227 (1985); die Verwendung von Kronzeugen ist aber seit einigen Jahren stark rückläufig; die Aussage des Kronzeugen allein reicht nicht zur Verurteilung eines Angeklagten, sie muß vielmehr durch unabhängige Beweise bestätigt werden; siehe Greer, Supergrasses, passim; Maguire/John, Europ. J. Crime 4 (1996), S. 316, 329 ff. In Österreich wurde 1997 § 41a Ö-StGB eingeführt, der im Bereich der „Organisierten Kriminalität" eine Strafrahmenverschiebung zugunsten eines Straftäters erlaubt, der den Behörden sein Wissen über für die Ermittlung wesentliche Tatsachen mitteilt; siehe auch Schmoller, ÖJZ 1996, S. 21 ff. Zu materiellrechtlichen Möglichkeiten der Belohnung von Ermittlungshilfe und zu den entsprechenden Reformvorschlägen in Polen siehe Waltos, in Hirsch et al., S. 485 ff. Siehe zu Kronzeugenregelungen in Griechenland Kareklas, ZStW 99 (1987), S. 317, 336. Ein rechtsvergleichender Überblick über Kronzeugenregelungen in den Niederlanden, Belgien und Dänemark findet sich bei Tak, Kroongeluige, passim; vgl. zu Italien, England, Frankreich und Spanien Tak, Europ. J. Crime 1997, S. 2 ff. 16 Siehe eingehend dazu Teil V, H, insbesondere Teil V, II. 1 .a). 17 Vgl. Hughes, Vand. L. Rev. 45 (1991), S. 1, 2. 18 Der Vergleich der deutschen und amerikanischen Kronzeugenproblematik war deshalb bereits Gegenstand einiger Arbeiten; siehe insbesondere Jung, Straffreiheit, S. 19 ff.; Weigend, FS f. Jescheck, S. 1333 ff. und Jaeger, Kronzeuge, S. 194 ff. Allerdings hat sich die einschlägige Rechtslage in den USA seit der zuletzt erschienenen Arbeit von Jaeger insbesondere durch Einführung von Strafzumessungsrichtlinien entscheidend gewandelt. 19 So Jahrreiss, FS f. Lange, S. 765, 772; siehe auch Jung, Straffreiheit, S. 13.
Einführung tersuchung der Auswirkungen der Kooperation des Beschuldigten, dabei insbesondere seiner Ermittlungshilfe, auf seine Strafe. Dieser strafzumessungsrechtliche Blickwinkel läßt andere Formen der Belohnung der Ermittlungshilfe, etwa Geldzahlungen20, Vergünstigungen bei der (Untersuchungs-) Haft 21 oder den Strafrabatt für Angehörige des Kronzeugen, weitgehend unberücksichtigt. Auch die hinsichtlich ihrer Bedeutung für ein funktionierendes „Kronzeugensystem" kaum zu überschätzende - wenn auch weniger rechtsdogmatisch kontroverse als vielmehr in der praktischen Umsetzung schwierige - Frage nach dem wirksamen Schutz der „umgedrehten" und nunmehr mit dem Staat kooperierenden Delinquenten vor Einschüchterungsversuchen und Racheakten früherer Komplizen kann nicht näher erörtert werden: Es spricht aber einiges dafür, daß das „Modell Kronzeuge" eine stumpfe Waffe bleibt, solange der kooperative Tatbeteiligte zwar der Vergeltung des Staates entgeht, derjenigen seiner ehemaligen Komplizen aber schutzlos ausgeliefert ist. Die Behandlung der mit dem Stichwort Zeugenschutz verbundenen Probleme und dabei vor allem der in Deutschland22 im wesentlichen unerforschten außer-
20 Vgl. zur Gewährung finanzieller Gegenleistungen an Informanten und Kronzeugen in den USA Arkin, N.Y.L.J. v. 9.6.1994, S. 3. Laut Gardner/Andersen, Criminal Evidence, S. 170, wurden 1992 über $ 40 Mio. an Informanten gezahlt. Häufig werden die Gegenleistungen nicht isoliert gewährt, sondern miteinander kombiniert: Der Kronzeuge erhält eine milde Strafe, eine finanzielle Zuwendung (oder „Starthilfe") und wird in das Zeugenschutzprogramm aufgenommen. 21 Nach HdBtMStR-Weider, § 15 RN 147 ff., hängt die Außervollzugsetzung eines Haftbefehls erheblich von der Kooperationsbereitschaft des Beschuldigten ab. 22 Auch in dieser Hinsicht ist man im Ausland zum Teil schon sehr viel weiter. Bemerkenswert ist insbesondere das witness protection program in den USA. Obwohl in das Zeugenschutzprogramm des Bundes (18 U. S. C. §§ 33521 ff.) auch Personen aufgenommen werden können, die vor einem Staatengericht auftreten, haben einige Einzelstaaten zusätzlich eigene Schutzprogramme, vgl. etwa 18 N. Y. C. § 837g ff. Seit Einführung des Zeugenschutzprogramms auf Bundesebene durch den Organized Crime Control Act (1970) wurden weit über 6.000 Zeugen und 8.000 Angehörige betreut. Über die Aufnahme in das Programm entscheiden Beamte des Justizministeriums, wenn Gefahr für Leib und Leben eines Zeugen besteht und dieser zur Aufklärung einer schweren Straftat beigetragen hat (18 U. S. C. § 3521). Als Zeugenschutzmaßnahmen kommen insbesondere die Umsiedlung (relocation) des gegebenfalls mit neuer Identität ausgestatteten Zeugen und seiner engsten Familienangehörigen oder - wenn sich der Zeuge zum Zeitpunkt der Aufnahme in das Programm in staatlichem Gewahrsam befindet - seine Unterbringung in einem besonders gesicherten und abgeschirmten Bereich (protective unit) innerhalb der Haftanstalt in Betracht. Verantwortlich für die Betreuung der Zeugen ist der U.S. Marshall Service, eine Art Justizpolizei; vgl. ausführlich zum witness protection program United States House of Representatives, Hearing Witness Intimidation; Shur, in Tak, S. 70 ff; Levin, J. Crim. L. 76 (1985), S. 208; Montanino, Int'l. J. Comp. Appl. Crim. Just. 14 (1990), S. 123; Schwierigkeiten bereitet häufig die Kollision der Zeugenschutz- und Geheimhaltungsinteressen des Staates mit den Interessen unbeteiligter Dritter, etwa Gläubigem des Zeugen; vgl. dazu Lawson, Ariz. St. L. J. 24 (1992), S. 1429. Zu den prozessualen Möglichkeiten des
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strafprozessualen 23 Schutzmechanismen wäre sicher eine eigene Arbeit wert. Schließlich erlaubt die beabsichtigte Fokussierung auf das gegen den Kronzeugen geführte Strafverfahren auch nicht mehr als nur exkursorische Bemerkungen zu den zahlreichen sich im Zusammenhang mit seiner Verwendung als Beweismittel stellenden Problemen. Vor diesem Hintergrund sei zur Methodik und zum Aufbau der Untersuchung nur soviel angemerkt: Teil I dient der Fixierung der im Folgenden zu untersuchenden Problemstellung. Dabei ist einerseits das "Modell Kronzeuge" nach abstrakten Kriterien möglichst genau zu umschreiben, andererseits aber auch von anderen, verwandten Erscheinungen des Strafverfahrens abzugrenzen. Teil II widmet sich der Frage, inwiefern bereits das geltende Recht die Belohnung der Ermittlungshilfe des Beschuldigten erlaubt. In Teil III sind die - freilich äußerst spärlichen - Erkenntnisse über die rechtstatsächliche Bedeutung der lex lata zusammengetragen. Dieser Befund soll schließlich in Teil IV auf seine Vereinbarkeit mit den Vorgaben der Verfassung und des Strafjprozeßrechts untersucht werden. Ein Schwerpunkt soll dabei auf der Strafrechtskonformität, insbesondere der Strafzweckrelevanz der Ermittlungshilfe liegen. Gleichzeitig gilt es die de lege ferenda verbleibenden Spielräume herauszuar-
beiten. Der bis dahin gefundenen Rechtslage sollen in Teil V schließlich die amerikanischen Erfahrungen mit dem Kronzeugen gegenübergestellt werden. Der letzte Teil VI dient der Suche nach rechtspolitischen Konsequenzen und möglichen Reformansätzen und versucht, die im Laufe der Untersuchung gewonnenen Erkenntnisse in konkrete Einzellösungen umzuwandeln.
Zeugenschutzes in den USA vgl. Walther, in Hünerfeld, S. 223; Graham, Witness Intimidation. Auch in Italien sind seit 1991 umfassende Schutzmaßnahmen bis hin zur Verschaffung einer neuen Identität für den Kronzeugen und seine Angehörigen vorgesehen, vgl. Dekret 8/1991 vom 15. Januar 1991 und Dekret 119/1993 vom 29. März 1993; dazu Tak, Europ. J. Crime 1997, S. 2, 22 ff. 23 Der präventiv-polizeiliche Zeugenschutz war bisher nur in internen Richtlinien geregelt und damit den Augen der Öffentlichkeit und der Wissenschaft weitgehend entzogen; erst vor kurzem wurde mit § 6 des Bundeskriminalamtsgesetzes eine gesetzliche Grundlage geschaffen und im Zuständigkeitsbereich des Bundeskriminalamts der „Schutz von Personen, deren Aussage zur Erforschung der Wahrheit von Bedeutung ist oder war" diesem übertragen. Vgl. zu den begrenzten und weitgehend informellen Schutzmaßnahmen der Polizei Rebmann/Schnarr, NJW 1989, S. 1185; Sielaff.\ Kriminalistik 1986, S. 58; neuerdings eingehend Zacharias, Gefährdete Zeugen, insbesondere S. 157 ff. Zum Schutz gefährdeter Zeugen mit strafprozessualen Mitteln finden sich dagegen seit dem Verbrechensbekämpfungsgesetz nicht nur zahlreiche gesetzliche Regelungen (etwa §§ 68 III StPO, 172 GVG), sondern auch eine Fülle an Literatur, vgl. nur Gommolla, Schutz des Zeugen; Lesch, StV 1995, S. 542.
Teil1
Kooperation im Strafverfahren und das „Modell Kronzeuge 46 Jedes Strafverfahren enthält Elemente der Kooperation zwischen den Verfahrensbeteiligten; der Zeuge, der in der Hauptverhandlung aussagt, kooperiert - freilich in einem weiten Sinne - mit der Strafjustiz, indem er zur Überfuhrung des Angeklagten oder dessen Entlastung beiträgt. An Brisanz gewinnen Kooperation und Zusammenarbeit im Strafverfahren dann, wenn aus Gegnern1 Verbündete2, aus im System angelegtem Dissens Konsens wird. Wer von Kooperation im Strafverfahren redet, meint deshalb gemeinhin die Kooperation des Beschuldigten mit dem Staat. Gebräuchlich ist diese Art der Zusammenarbeit mittlerweile in Form der Aushandlung von (im Wege gegenseitigen Nachgebens erzielten) Verfahrensergebnissen. Berichte aus der Praxis, wonach ein nicht unerheblicher Teil der Strafverfahren im Rahmen einer informellen Verständigung zwischen Beschuldigtem, Staatsanwalt und Gericht erledigt werden, haben mittlerweile auch in der Rechtsprechung und im Schrifttum (weitgehend kritische) Beachtung gefunden3; auf Seiten des Beschuldigten findet sich dabei das „klassische" Element der Kooperation im Strafverfahren, das Geständnis; er arbeitet mit dem Staat bei der Aufklärung „seiner" Straftat zusammen, indem er ihn zumindest zum Teil von der Last der Beweisermittlung und -führung entbindet. Auch der Kronzeuge kooperiert mit der Straijustiz. Das „Modell Kronzeuge"4 zeichnet sich im Kern dadurch aus, daß eine Person, die selbst der Bege-
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Auch wenn sich im deutschen Strafverfahren Staat und Beschuldigter - anders als im kontradiktorischen Parteiprozeß der USA - nicht im formalen Sinne als Gegner gegenüberstehen und vor einem neutralen Schiedsrichter über den Prozeßgegenstand streiten, so kann doch nicht geleugnet werden, daß in aller Regel Staatsanwaltschaft und Verteidigung nicht erst mit Erhebung der Anklage gegenläufige Interessen haben. 2 Von Staat und Kronzeugen als Bundesgenossen im Kampf gegen das Verbrechen zu sprechen, ist ein Euphemismus und trifft die Wahrheit nur halb: Der Kronzeuge bleibt Objekt der Strafverfolgung. 3 Ausfuhrlich zu Absprachen im deutschen Strafverfahren Teil IV, VI. 4 Von einem Modell Kronzeuge" (Weigend, FS f. Jescheck, S. 1333, 1337) und nicht etwa von einer „Kronzeugenregelung" o.ä. soll hier die Rede deshalb sein, weil gerade eine rechtsvergleichende Untersuchung bemüht sein muß, abstrakte Modelle einer bestimmten Wirklichkeit, die sich anhand wiederkehrender Strukturmerkmale und losgelöst von nationalen Eigenheiten bilden, zu untersuchen. Kronzeugenregelung
2 6 T e i l I: Kooperation im Strafverfahren und d a s , o d e l l Kronzeuge"
hung einer Straftat verdächtig oder beschuldigt ist, ihr Wissen über die Straftaten anderer offenbart 5 und der Staat dieses Verhalten durch völliges Absehen von der Bestrafung oder eine mildere Strafe honoriert. Dieser eher nüchterne Definitionsversuch läßt sich durch die Herausstellung der beiden - im Rahmen der Strafzumessung synallagmatisch verknüpften - prägenden Elemente des Modells mit Leben erfüllen; es sind dies die Effektivierung der Strafverfolgung durch den Kronzeugen (sogleich I.) und die Strafverfolgung des Kronzeugen wegen eigener Straftaten (sogleich II.). Der Kronzeuge ist also gleichzeitig (wenn auch gewöhnlich in getrennten Strafverfahren) Objekt und Subjekt der Strafverfolgung. Damit bewegt sich das „Modell Kronzeuge" an der Schnittstelle von (verdächtigem) Zeugen beziehungsweise (je nach dem, welche Anforderungen man an den Aufklärungsbeitrag stellt) Informant und (geständigem) Straftäter 6. Der Begriff „Kronzeuge" ist eigentlich als Bezeichnung für das beschriebene Phänomen schlicht falsch. Weder ist der Kronzeuge nämlich (immer) Zeuge7, noch macht der Hinweis auf die „Krone" für die republikanische Staatsform der Bundesrepublik einen Sinn. In England, wo der Begriff seinen ethymologischen Ursprung hat, wird heute allenfalls von „accomplice witness"* oder „Turning Queen s/King^s evidence" 9 gesprochen. Dem amerikanischen Strafverfahren ist der Begriff des „Kronzeugen", und sogar eine einheitliche Bezeichnung der Rechtsfigur überhaupt, unbekannt10. Wenn hier trotzdem auf die Verwendung einer möglicherweise der Sache nach treffenderen Begriff-
bezeichnet im Rahmen dieser Arbeit dagegen die konkrete Gesetzesvorschrift des geltenden Rechts. 5 In der Praxis kann die Preisgabe des Wissens die unterschiedlichsten Formen annehmen: Meist wird der Kronzeuge sein Wissen den Ermittlungsbehörden mitteilen; in der Regel wird er als Zeuge vor Gericht auftreten müssen; unter Umständen wird von ihm sogar verlangt, daß er sich als Informant oder Lockspitzel aktiv an der Verbrechensbekämpfung beteiligt. 6 Ähnlich auch Middendorf, ZStW 85 (1973), S. 1102, 1115; Jaeger, Kronzeuge, S.2; Bocker, Kronzeuge, S. 10 („geständiger Täter und Informant in einer Person"). 7 Vgl. dazu Teil II, 1.1 .a)bb), FN 49; Teil II, 1.1 .b)bb). 8 Denny, ZStW 103 (1991), 269 [281]. In Nordirland, wo aufgrund des dort herrschenden Konflikts besonders häufig Kronzeugen eingesetzt werden, hat sich die Bezeichnung ,jupergrass" („Superspitzel") eingebürgert. 9 Vgl. etwa Concise Oxford Dictionary of Current English, „evidence". 10 Angeblich wurde der Kronzeuge in den USA als „State 5 witness" bezeichnet, vgl. Jahrreiss, FS f. Lange, S. 765, 767 und schon Freiberg ZStW 59 (1940), S. 33, 38. In der neueren amerikanischen Literatur wird die Thematik allerdings nur unter den Teilaspekten „immunity" (vgl. Note, Am. Crim. L. Rev. 29 (1991), 675), ,p\ea bargaining" (vgl. Gyurci, Minn. L. Rev. 78 (1994), S. 1253) oder „Cooperation agreement (vgl. Hughes, Vand. L. Rev. 45 (1992), S.l) diskutiert; siehe dazu Teil V.
I. Der Kronzeuge als Subjekt der Strafverfolgung
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lichkeit11 verzichtet wird, so wird damit allein einer sprachlichen Tradition Rechnung getragen12: Der Gesetzgeber13 spricht ebenso vom „Kronzeugen" wie das Schrifttum und der allgemeine Sprachgebrauch14. Darauf, den bisherigen eher verwirrenden als erhellenden Beiträgen in der Diskussion um die „richtige" Bezeichnung der in Rede stehenden Rechtsfigur einen weiteren hinzuzufügen, kann daher guten Gewissens verzichtet werden.
I. Der Kronzeuge als Subjekt der Strafverfolgung Funktion des Kronzeugen ist die Beseitigung eines Informationsdefizits; er ist deshalb zuvorderst ein Instrument der Strafverfolgung: Die Strafverfolgungsbehörden bedienen sich seines Wissens, seiner Aussage als Zeuge, unter Umständen sogar seiner aktiven Mithilfe als V-Person, um eine Straftat (sog. Aufklärungstat 15) aufzuklären und Straftäter zu überführen. Anders, zumindest aber weitergehend als der „nur" seinen eigenen Tatbeitrag eingestehende Beschuldigte leistet der Kronzeuge einen Beitrag zur Strafverfolgung, der sich nicht in der bloßen Vereinfachung, Verkürzung und Beschleunigung seines eigenen Strafverfahrens erschöpft. Erfördert die Ermittlung und Verfolgung der Straftaten dritter Personen. Ihrer Natur nach handelt es sich bei den Straftaten meist um solche, die aufzuklären für die Ermittlungsbehörden mit besonderen Schwierigkeiten verbunden sind, sei es weil der Täterkreis nach außen besonders abgeschottet ist, sei es weil keine (unmittelbaren) Opfer als Zeugen zur Verfügung stehen. Üblicherweise wird vom Kronzeugen verlangt, sich als Zeuge der Anklage vor Gericht zur Verfügung zu stellen16. Dabei ändert auch die dem deutschen17 11
In der Literatur finden sich zahlreiche, allerdings letztlich nicht überzeugende Versuche in diese Richtung: So schlägt Jahrreiss, FS f. Lange, S. 765, 767, die Bezeichnung „Staatszeuge" vor. Kleinknecht/ft/eyer-Gq/toer, vor § 1 KronzG, RN 1 will von einem „Aufklärungsgehilfen" sprechen; ebenso, aber nur für den Bereich des § 31 BtMG, Buttel, Aufklärungsgehilfe, S. 7, 11; Körner, § 31 BtMG, RN 3, 24; Weider, NStZ 1985, 481. 12 So auch Schlüchter, ZRP 1997, S. 65, 66; Bocker, Kronzeuge, S. 8; Jaeger, Kronzeuge, S. 2. 13 Z.B. KronzG; Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung des Terrorismus der CDU/CSU und FDP Bundestagsfraktionen vom 31. 10. 1986, BT-Drs. X/6286, S. 10 f.; Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 26. 8. 1988, BT-Drs. XI/2834, S. 13. 14 Siehe Schlüchter, ZRP 1997, S. 65, 66; Bocker, Kronzeuge, S. 8. 15 Vgl. Gropp, in Hirsch et al., S. 459,460. 16 Aus diesem Regelfall allerdings abzuleiten, Kronzeuge sei nur, wer „offen" oder „in öffentlicher Hauptverhandlung" vor Gericht auftrete (so Jaeger, Kronzeuge, S. 2; Weigend, FS f. Jescheck, S. 1333, 1337; Buttel, Aufklärungsgehilfe, S. 10, FN 35), verengt die Problematik unnötig. Soweit dies mit einer Analogie zum Kronzeugen im amerikanischen Recht begründet wird, wird die m.E. grundlegend andere Bedeutung
2 8 T e i l I: Kooperation im Strafverfahren und das
odell Kronzeuge"
Recht eigentümliche Exklusivität18 von Zeugen- und (Mit-) Beschuldigtenstellung19 in den (Normal-) Fällen nichts am „Wert" des Kronzeugen, in denen er zur Überführung mutmaßlicher Mittäter als Belastungszeuge vor Gericht auftreten soll. In der Praxis behilft man sich aus dieser letztlich dem Schutz des Beschuldigten geschuldeten Klemme nämlich recht trickreich mit einem formalen Argument 20: Ausschlaggebend für die (die Zeugenaussage präkludierende) Mitbeschuldigteneigenschaft soll nicht die gemeinsame Tatbegehung, sondern allein der Umstand sein, daß beide Personen gleichzeitig im selben Verfahrensabschnitt Beschuldigte sind. Wird daher das Strafverfahren gegen den Kronzeugen (auch nur vorübergehend) getrennt von dem gegen seine Komplizen geführt 21, ist es eingestellt oder bereits rechtskräftig abgeschlossen worden, kann er ohne weiteres als Zeuge vor Gericht gegen sie ausdes Zeugenbeweises im amerikanischen Strafverfahren übersehen (dazu Teil V, I.4.a)); außerdem treten auch dort beileibe nicht alle „Aufklärungsgehilfen" als Zeugen vor Gericht auf. In der BRD wird der Kronzeuge oft schon durch die bloße Aussage gegenüber den Ermittlungsbehörden bzw. durch seinen Einsatz als Informant wertvolle Hilfe zur Aufklärung einer Straftat und zur Überführung von Tätern leisten können; folgerichtig setzen die Kronzeugenregelungen des geltenden Rechts durchgängig nicht voraus, daß der Kronzeuge vor Gericht öffentlich auftritt. Zur Abgrenzung von VPersonen erscheint das Kriterium der eigenen Straffälligkeit brauchbarer (siehe sogleich); es ist daher kein vernünftiger Grund ersichtlich, diese Gruppe von „Aufklärungsgehilfen" per definitionem von der folgenden Untersuchung auszuschließen; zutreffend Gropp, in Hirsch et al., S. 459, 463 f.; vgl. auch Hilger, NJW 1989, S. 2377, 2378; Lammer, ZRP 1989, S. 248,249. 17 Z.B. in den USA kann dagegen der Beschuldigte sehr wohl als Zeuge in eigener Sache auftreten, siehe Teil V, 1.4. 18 Vgl. BGHSt 10, 8, 12; SK-Rogall, vor § 48 StPO, RN 38. 19 Die Problematik stellt sich natürlich nicht, wenn der Kronzeuge noch nicht Beschuldigter, sondern Verdächtiger einer Straftat ist (zur Figur des „verdächtigen Zeugen" vgl. §§ 55, 60 Nr. 2 StPO, siehe auch SK-Rogall, vor § 133 StPO RN 12). Allerdings wird - sofern überhaupt Anhaltspunkte für eine strafrechtliche Haftung des Kronzeugen vorliegen - zum Zeitpunkt seiner Aussage als Zeuge vor Gericht oft von einer Beschuldigtenstellung auszugehen sein. 20 Vgl. zum herrschenden formellen Mitbeschuldigtenbegriff BGHSt 10, 8, 11 f.; SK-Rogall vor § 48 StPO, RN 35 ff.; Kleinknecht^V/^er-Go^er, vor § 48 StPO, RN 19 ff. Es spricht allerdings einiges für eine Bestimmung der Mitbeschuldigtenstellung nicht ausschließlich anhand formeller, sondern zusätzlich anhand materieller Kriterien (vgl. Schlüchter, Strafverfahren, RN 478 ff; eingehend Prittwitz, Mitbeschuldigter, passim); danach würde die Verfahrenstrennung die einmal (prozessual, nämlich durch die Einleitung von Ermittlungen wegen derselben Tat) begründete Mitbeschuldigteneigenschaft nicht mehr auflösen können. 21 Die Möglichkeit zur mißbräuchlichen Aufspaltung von Strafverfahren allein zur Rollenmanipulation wird allerdings durch die Rechtsprechung (zumindest theoretisch) eingeschränkt; danach ist eine Abtrennung allein zum Zweck der Vernehmung als Zeuge zum gleichen Tatgeschehen nicht zulässig, vgl. BGHSt 24, 257, 259. In der Regel wird es dem die Abtrennung beantragenden Staatsanwalt im Rahmen seines Ermessensspielraums allerdings leicht fallen, weitere (z.B. prozeßökonomische) Gründe für die getrennte Verhandlung der Strafsachen vorzuschieben.
I. Der Kronzeuge als Subjekt der Strafverfolgung
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sagen. Im übrigen ist auch nicht ausgeschlossen, daß der Kronzeuge den Tatbeitrag des Mitangeklagten in seiner Rolle als Mitbeschuldigter - etwa im Rahmen eines ausführlichen Geständnisses - schildert. Oft wird es aber gar nicht erforderlich sein, daß der Kronzeuge tatsächlich als Auskunftsperson vor Gericht auftritt; das geltende Recht ermöglicht bereits die Honorierung informeller Ermittlungshilfe 22. Unter Umständen wird die Strafmilderung oder Straffreiheit aber staatlicherseits davon abhängig gemacht, daß der Kronzeuge als Informant aktiv, zum Beispiel als Scheinkäufer oder -Verkäufer von Drogen, an der Aufklärung von Straftaten und vor allem an der Überführung der Täter mitwirkt 23. Aus der Praxis wird berichtet, daß sich die Kronzeugenregelung häufig als Einstieg in eine Karriere als Vertrauensperson der Polizei erweise24. Eine scharfe Abgrenzung von Kronzeugen und (ebenfalls mit den Strafverfolgungsbehörden für eine Gegenleistung kooperierenden) V-Personen25 ist deshalb nicht möglich, aber auch nicht notwendig26. Als Anhaltspunkt mag genügen, daß die VPerson nach herkömmlichen Verständnis anders als der Kronzeuge nicht der Begehung von (schweren27) Straftaten beschuldigt wird 28 und sich daher auch
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Siehe etwa Teil II, 1.1 .b)bb). Vgl. etwa Jaeger, Kronzeuge, S. 185 f. In diesem Zusammenhang stellt sich das hier nicht zu behandelnde, schwierige Anschlußproblem, daß sich qua Kronzeugenregelung ohne weiteres auch sog. „einsatzbedingte Straftaten" der V-Personen von Strafe freistellen lassen. 24 HdBtMStR-iS/oc/c, § 13 RN 662 bezieht sich dabei auf eine Umfrage unter Drogenfahndern, die zu fast 90% angaben, der Aufklärungsbeitrag des Kronzeugen nach § 31 Nr. 1 BtMG liege „oft" oder „gelegentlich" in der Durchführung von Scheinkäufen oder anderen V-Mann typischen Tätigkeiten. 25 Vertrauensperson oder Verbindungsperson, im Gegensatz zum neuerdings in §§ 110a ff. StPO geregelten Verdeckten Ermittler ist die V-Person kein verdeckt unter einer Legende eingesetzter Polizeibeamter, der die „kriminelle Szene" von außen infiltriert, sondern kommt selbst aus dem "kriminellen Milieu"; zur Abgrenzung BGH NStZ 1995,516. Zur (zulässigen) Einfuhrung und Verwertung der Aussage einer V-Person in das Strafverfahren grundlegend BVerfGE 57, 250, 273 ff.; BGHSt (GrS) 32, 115; 36, 159. Die Fülle der mittlerweile zu den verdeckten Ermittlungsmethoden produzierten Literatur ist nahezu unübersehbar, vgl. etwa Joachim, StV 1992, S. 245; Krey et al., Rechtsprobleme; Usch, StV 1995, S. 542; J Meyer, ZStW 95 (1983), S. 834; Seelmann, ZStW 95 (1983), S. 797. 26 Eine solche ist nicht nötig, weil es sich um zwar teilweise kongruente, letztlich aber eigenständige Fragenbereiche handelt: Kernprobleme im Zusammenhang mit der V-Person sind in verfahrensrechtlicher Hinsicht die Einführung ihres Wissens in das Strafverfahren, in materiellrechtlicher Hinsicht die Rechtfertigung der Straftatenbegehung bzw. -anstiftung in staatlichem Auftrag. 27 Durchaus verbreitet scheint es aber auch zu sein, daß sich Täter leichter Delikte (z.B. bloßer Besitz geringer Mengen von Betäubungsmitteln) gegen die Nichtverfol23
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Teil I: Kooperation im Strafverfahren und das
odell Kronzeuge"
nicht in Erwartung einer günstigen Beeinflussung ihres Strafmaßes den Behörden zur Verfügung stellt, sondern aus anderen, meist materiellen Erwägungen.
I I . Der Kronzeuge als Objekt der Strafverfolgung Kronzeuge kann nur sein, wer selbst der Begehung einer Straftat (sog. Kronzeugentat29) zumindest verdächtig, meist bereits beschuldigt ist30. Die eigene Strafíalligkeit respektive ein entsprechender Verdacht sind nicht nur natürliche Voraussetzung für eine Belohnung im Rahmen der Strafzumessung, sondern in der Regel auch Garant dafür, daß der Kronzeuge über relevante, auf anderem Wege nicht zu ermittelnde Kenntnisse verfügt. Aufklärungs- und überführungsrelevantes Wissen erlangt er nämlich am einfachsten durch eigene Tatbeteiligung; Gegenstand seiner Aufklärungshilfe ist gewöhnlich das Tatgeschehen, aus dem auch der gegen ihn selbst erhobene Vorwurf abgeleitet wird (sog. interner Kronzeuge31). Daraus folgt gleichzeitig, daß es sich beim Kronzeugen in der Regel nicht um einen Einzeltäter handelt. Mit Blick auf die Tatsache, daß Aufklärungsbeitrag und Tatvorwurf meist sachlich eng verbunden sind und aus dem gleichen Tatkomplex herrühren, wird zugleich deutlich, daß der Leistung des Kronzeugen die drohende oder sich realisierende Gefahr der Selbstbelastung regelmäßig immanent ist. Dieser Umstand hebt den (internen) Kronzeugen aus der Masse deijenigen Personen - den „normalen"
gung ihrer Straftat als V-Person zur Verfügung stellen. Auch dabei handelt es sich schon um Kronzeugen. Insofern ist eine Angrenzung - wie gesagt - weder möglich noch nötig. 28 So auch Jaeger, Kronzeuge, S. 3 f.; Bocker, Kronzeuge, S. 10. 29 Vgl. Gropp, in Hirsch et al., S. 459. 30 Eine Honorierung in Straf(verzichts)quanten kommt natürlich erst dann in Betracht, wenn der Kronzeuge einer Straftat auch angeklagt und für schuldig befunden wird. Allerdings darf nicht unterschätzt werden, daß die Verhandlungen zwischen Staatsanwalt und (potentiellem) Kronzeugen meist in einem sehr frühen Verfahrensstadium, oft noch vor Erhebung einer Anklage stattfinden. Der Kronzeuge wird häufig bereits aufgrund des Drucks des gegen ihn geäußerten Tatverdachts bereit sein, mit dem Staat zu kooperieren. Die Beschuldigtenstellung beginnt nach h.M. nicht bereits mit Kenntnis eines Strafverfolgungsorgans von einem entsprechenden Tatverdacht, sondern setzt zusätzlich einen Willensakt der Behörde voraus, meist die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens, vgl. Eisenberg, Beweisrecht, RN 505. Der (potentielle) Kronzeuge wird deshalb zu dem Zeitpunkt, zu dem es zur Offenbarung seines Wissens gegenüber den Behörden kommt, in der Regel bereits Beschuldigter sein. 31 Vgl. zum Begriff BayObLG NJW 1991, S. 2575,2579.
I . Der Kronzeuge als bjekt der Strafverfolgung
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Zeugen - heraus, die zwar über Wissen verfügen, das zur Aufklärung von Straftaten oder zur Überführung von Straftätern geeignet ist, denen aber nicht zur gleichen Zeit die Strafverfolgung durch den Staat droht. Während der Zeuge gegenüber Staatsanwalt und Gericht zur wahrheitsgemäßen Aussage verpflichtet ist 32 , steht dem Kronzeugen regelmäßig das Recht zu, die Aussage zu verweigern, entweder in Form des umfassenden Schweigerechts33 des Beschuldigten34 oder - wird er im Verfahren gegen einen Dritten als Zeuge geladen - des Auskunftsverweigerungsrechts nach § 55 StPO35. Indem er seinen Aufklärungsbeitrag leistet und sein Wissen den Behörden offenbart, verzichtet der Kronzeuge auf diese Rechte36. Oft wird das Eingestehen des eigenen Tatbeitrags sogar nicht nur unvermeidliche Nebenfolge der Aufklärungshilfe sein, sondern von Staatsanwalt und Gericht zusätzlich zur Information über die
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Neben Erscheinens- und Eidespflicht trifft den Zeugen auch die Aussagepflicht, vgl. KK-Pfeiffer, Einl. StPO, RN 96; allerdings nicht gegenüber der Polizei. Bei unwahrer Aussage macht sich der Zeuge, anders als der Beschuldigte, strafbar, §§ 153 ff, 257 f., 164 StGB. 33 Die völlige Aussagefreiheit des Beschuldigten, wie sie in §§ 136 12, 163a II, IV, 243 IV 1 StPO zum Ausdruck kommt, gilt als Ausfluß der Menschenwürde mit Verfassungsrang, vgl. BVerfGE 56, 37, 42; BGHSt 38, 214, 220 f.; eingehend Nothhelfer, Selbstbezichtigungszwang, S. 9 ff; SK-Rogall, vor § 133 StPO, RN 66 ff, 130 ff; Kirsch, in Institut für Kriminal Wissenschaften, S. 229 ff; Saiger, Schweigerecht, S. 17 ff. Der Beschuldigte kann sein Schweigerecht auch nur teilweise oder zeitweise in Anspruch nehmen und seine Aussagebereitschaft stets widerrufen, vgl. Eisenberg, Beweisrecht, RN 832 m.w.N. 34 Zum Beginn der Beschuldigtenstellung siehe Teil I, IL, FN 30. 35 Anders als das umfassende Schweigerecht des Beschuldigten gewährt das Auskunftsverweigerungsrecht dem Zeugen nur ein beweisthemenbezogenes (Antwort-) Verweigerungsrecht; im Einzelfall kann dieses Recht aber zu einem umfassenden Zeugnisverweigerungsrecht erstarken, vgl. dazu BGH StV 1987, 328, 329; SK-Rogall, vor § 133 StPO, RN 152; Rengier, Zeugnis verweigerungsrechte, S. 53 ff Allerdings hat der Zeuge die behauptete Gefahr der Selbstbelastung auf Verlangen geltend zu machen (§ 56 StPO), natürlich aber nicht um den Preis der Selbstbelastung, BGH StV 1987, 328, 329. 36 Daraus ergibt sich ein häufig übersehenes, weiteres Problem: Nicht immer wird die mit der Aufklärungshilfe de lege lata verbundene Strafmilderung die mit dem Verzicht auf das Schweigerecht verbundene Strafschärfung übersteigen; anders gesagt: Unter Umständen können Anzahl und Gewicht der vom Kronzeugen „mitgestandenen" Straftaten ein so hohes Strafmaß erforderlich machen, daß die Strafe trotz Anwendung der Kronzeugenregelung höher ausfällt, als wenn er geschwiegen hätte. Vgl. dazu Weider, NStZ 1984, S. 391, 399; HdBtMStR-tfWifer, § 15 RN 134; Endriß/Malek, Betäubungsmittelstrafrecht, RN 535; Jaeger, Kronzeuge, S. 150 f. Eine befriedigende Lösung des Problems ist nicht in Sicht. Allerdings wird es sich in der Praxis allenfalls entschärft stellen: Bereits im Vorfeld seiner Aussage wird der Kronzeuge sehr genau abwägen, welche Informationen er preisgibt; die Kalkulation von Gewinn und Verlust ist typischer Gegenstand von deals.
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Teil I: Kooperation im Strafverfahren und das, Jviodell Kronzeuge"
Tatbeiträge Dritter verlangte Voraussetzung für die Strafmilderung oder Straffreiheit 37. Auch wenn es der Regelfall ist, so muß der Kronzeuge doch nicht zwangsläufig an der Tat oder an dem Tatkomplex, zu deren Aufklärung er beiträgt, selbst beteiligt gewesen sein. Unter Umständen verfügt der Kronzeuge über Kenntnisse von Straftaten, die zwar im Zusammenhang mit seinen eigenen Taten stehen, an denen er aber nicht beteiligt war, oder die sogar völlig ohne jeden Zusammenhang mit seinen eigenen Taten sind (sog. externer Kronzeuge38). Dabei läßt sich differenzieren in Kronzeugen, die zwar nicht an der konkreten Aufklärungstat beteiligt waren, die aber immerhin selbst der Begehung eines einschlägigen Delikts verdächtig sind (unechter externer Kronzeuge), und solche, die nicht einmal diese minimale Gemeinsamkeit mit dem Objekt ihrer Ermittlungshilfe aufweisen (echter externer Kronzeuge). Ob und inwieweit in diesen Konstellationen die Offenbarung des Wissens belohnt wird, ist unterschiedlich39. Liegen die Taten so weit auseinander, daß eine Selbstbelastung ausgeschlossen ist, so ist der Kronzeuge wie jeder normale Zeuge zur Aussage verpflichtet. Entscheidend ist - sofern nicht bereits die einschlägige gesetzliche Regelung einen engen Konnex zwischen Aufklärungstat und Kronzeugentat vorschreibt40 - weniger, daß tatsächlich eine Verbindung zwischen den beiden Straftaten besteht, sondern daß eine solche (durch Staatsanwalt oder Gericht) hergestellt wird; das kann auch bei völlig zusammenhangslosen Taten der Fall sein, um dem von den zur Durchsetzung der Aussagepflicht bereitstehenden Sanktionen41 nicht geschreckten42 (Kron)Zeugen einen wirkungsvollen Anreiz zur Aussage zu geben. Dann stellt sich in der Tat die Frage, ob nicht eine Strafmilderung nur gewährt werden soll, wenn der Kronzeuge auch gleichzeitig seine eigene Straftat gesteht43.
37 Einige Regelungen lassen dagegen zumindest ihrem Wortlaut nach zu, daß der Kronzeuge Dritte belastet, ohne selbst ein Geständnis abzulegen; vgl. etwa.§ 31 Nr. 2 BtMG. 38 Vgl. zum Begriff BayObLG NJW 1991, 2575, 2579. 39 Siehe dazu Teil D, 1.1 .b)cc) und Teil D, 1.1 .a)cc). 40 Vgl. etwa § 31 Nr. 1 BtMG. 41 Nach § 70 StPO kann als schärfstes Mittel Beugehaft bis zu sechs Monaten verhängt werden; erscheint der Zeuge erst gar nicht, bestehen die Möglichkeiten des § 51 StPO. 42 Etwa weil die mit einer belastenden Aussage verbundenen Konsequenzen (z.B. Racheakte) ungleich bedrohlicher sind. 43 So Behrendt, GA 1991, S. 337, 356, der auf §§ 45,47 JGG hinweist, die das Geständnis des Jugendlichen zur Voraussetzung der kooperativen Verfahrenserledigung machen; vgl. dazu Brunner y JGG, § 45 RN 24; kritisch Eisenberg, JGG, § 45 RN 24 f. Siehe aber auch Körner, § 31 BtMG, RN 23, und unten Teil II, 1.1 .b)bb).
Teil II
Das „Modell Kronzeuge 64 im geltenden Recht Wer heute nach Wirklichkeit und Bedeutung von Kronzeugenregelungen im geltenden Recht fragt, sollte nicht übersehen, daß der kriminaltaktische Rückgriff auf Kronzeugen als Ermittlungs- und Überführungsgehilfen keineswegs eine Erscheinung des modernen Strafrechts ist. Immer schon konnten sich Verräter und Denunzianten auf eine schonende Behandlung verlassen jedenfalls soweit sie ihr Wissen zum Nutzen der die Strafgewalt ausübenden Herrschaft preisgaben1. Insbesondere im anglo-amerikanischen Rechtskreis werden seit jeher dem kooperativen Straftäter Zugeständnisse2 gemacht. Nach common law wurde der Straftäter, der seinen Mittäter belastet, nicht bestraft, wenn der Mittäter tatsächlich verurteilt wurde3; die Praxis war aber mit einem hohen Risiko für den Kronzeugen behaftet: Sprach das Gericht nämlich den Mittäter trotz der belastenden Aussage frei, wurde der (erfolglose) Kronzeuge hingerichtet. Auch auf deutschem Boden wird von der Belohnung von Aufklärungsgehilfen seit Jahrhunderten berichtet4. Anders als in England und den USA blieb die Verwendung von Kronzeugen aber vereinzelt; einen festen Platz im Arsenal kriminaltaktischer Optionen konnte sich der Kronzeuge in Deutschland nicht erobern. Er blieb als ultima ratio meist der Bekämpfung von als besonders bedrohlich empfundenen „Kriminalitätswellen", in der Re-
1 Schon Caius Verres, dessen Schicksal durch Ciceros Verteidigungs- und Anklagereden bis heute überliefert ist, erhielt eine deutlich gemilderte Strafe, weil er als Zeuge seinen ehemaligen Vorgesetzten belastet hatte, mit dem gemeinsam er die ihnen anvertraute Provinz ausgepreßt hatte, vgl. Cicero, I. Rede gegen Verres (11), S. 69. 2 Die Vorteile waren unterschiedlichster Art: Oft wurde der Kronzeuge begnadigt, wenn der Mittäter aufgrund seiner Aussage für schuldig befunden wurde; häufig erhielt er auch geldwerte Zuwendungen, vgl. Middendorff, ZStW 85 (1973), S. 1102, 1114; Jung, Straffreiheit, S. 4, berichtet von einem Kronzeugen namens Strauß, der sich 1831 zur Kooperation bereit erklärte, „unter der Bedingung, daß ihm die Mittel zur Auswanderung nach Amerika gewährt würden." Spektakuläre Verfahren aus jüngerer Zeit, bei denen Kronzeugen zum Einsatz kamen, waren das Verfahren gegen den Serienmörder Charles Manson und die Verfahren im Zusammenhang mit der WatergateAflare und der Iran-C ontra-Affäre. 3 Sog. approvement; vgl. Eisenstadt, B. U. L. Rev. 67 (1987), S. 749, 761; Hughes, Vand. L. Rev. 45 (1991), S. 1, 7; ferner Middendorf, ZStW 85 (1973), S. 1102, 1111. 4 Vgl. Jung, Straffreiheit, S. 2 ff; Middendorjf, ZStW 85 (1973), S. 1102, 1117.
3 Jeßberger
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Teil II: Das,»Modell Kronzeuge" im geltenden Recht
gel im Bereich des politischen Strafrechts 5, vorbehalten6. Die hier freilich nur angedeutete rechtshistorische Dimension des „Modells Kronzeuge" gewinnt noch unter einem anderen Aspekt an Bedeutung: Bemerkenswert ist nämlich, daß auch die seit jeher gegen die Belohnung von Kronzeugen vorgebrachten Bedenken ebenso wie die zu seiner Verteidigung vorgetragenen Rechtfertigungen den in der aktuellen Diskussion angeführten Einwänden und Legitimationsversuchen weitgehend gleichen7. Neu und unmittelbares Ergebnis der jüngsten deutschen Geschichte ist allerdings die Fixierung des „Modells Kronzeuge" in Gesetzesform8. Mit Beginn der 70er Jahre waren im Zusammenhang mit den Aktivitäten des politischen Terrorismus in der Bundesrepublik auch die Möglichkeiten der Kronzeugenregelung erneut in das öffentliche - und parlamentarische - Bewußtsein getreten. Ermittlungsbehörden und Gerichte waren bei entsprechender Gegenleistung des Beschuldigten zwar auch ohne gesetzliche Ermächtigungsgrundlage bereit, das Strafrecht partiell - häufig mit fragwürdigen Mitteln - zu suspendieren9. Gleichwohl wurden zahlreiche Gesetzentwürfe zur Einführung einer Kronzeugenregelung zur Bekämpfung von Terrorismus und Rauschgiftkriminalität vorgelegt, die sich indes zunächst nicht durchsetzen konnten10; zu
5 Vgl. Kirchheimer, Politische Justiz, S. 347 ff.; aufschlußreich insoweit auch die von nationalsozialistischer Ideologie geprägte Auffassung Freibergs, ZStW 59 (1940), S. 33,49. 6 So auch Jung, ZRP 1986, S. 38, 39. 7 Vgl. etwa Beccaria, Über Verbrechen und Strafen, 1766; siehe auch die rechtshistorischen Ausführungen bei Middendorf, ZStW 85 (1973), S. 1102, 1121 f.; Freiberg, ZStW 59 (1940), S. 33,48. 8 Zwar wurde auch während der Nazidiktatur die Einführung einer gesetzlichen Kronzeugenregelung erwogen, „um jede Gelegenheit auszuschöpfen, um den auf Sieg gestellten Kampf des Strafrechts zu fuhren", letztlich aber nicht umgesetzt, vgl. Freiberg, ZStW 59 (1940), S. 33. 9 Eingehend Hannover, Terroristenprozesse, S. 140 ff., insbesondere zu den Kronzeugen Karl-Heinz Ruhland, Gerhard Müller und Jürgen Bodeux; vgl. zu letzterem auch die umfangreiche Dokumentation des sog. Schmücker Prozesses in StV 1991, 371; siehe ferner Bakker Schut, Stammheim, S. 290 ff., 355; Gössner, Anti-TerrorSystem, S. 244. Die Strafmilderung für die Kronzeugen wurde in Ermangelung entsprechender gesetzlicher Grundlagen unter anderem durch die behördliche Zurückhaltung von Akten oder die Verweigerung von Aussagegenehmigungen erzielt. Auch heute wird bisweilen von Einzelfällen berichtet, in denen der den Strafverfolgungsbehörden verbleibende „Beurteilungsspielraum" zugunsten staatsnützlicher Beschuldigter genutzt wird; siehe Teil II, II., FN 203; vgl. auch die tageszeitung v. 19.1.1997, S. 6. 10 Eingehend zur Genese von § 31 BtMG und KronzG Jaeger, Kronzeuge, S. 4 ff., 23 ff.; Bocker, Kronzeuge, S. 38 ff. Bezüglich § 31 BtMG sind zu erwähnen der 1973 von der Bundesregierung vorgeschlagene § 153f StPO (BT-Drs. VE/551); der Entwurf der CDU/CSU Opposition-
I. Materiellrechtliche Kronzeugenregelungen
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schwer wogen die Bedenken gegen eine solche Regelung. Erst 1982 gelang interessanterweise ohne daß die Vorschrift bei den Beratungen zur Neufassung des Betäubungsmittelstrafrechts im Rechtsausschuß auch nur erwähnt worden wäre11 - mit § 31 BtMG die Einführung einer gesetzlichen Kronzeugenregelung12. Seitdem wurden Zahl und Anwendungsbereich entsprechender Regelungen stetig erweitert. Eine allgemeine Kronzeugenregelung im deutschen Strafrecht fehlt aber bis heute. Zwar ist nach der Rechtsprechung die Berücksichtigung kooperativen Täteiverhaltens auch im Rahmen der allgemeinen Strafzumessung gemäß § 46 StGB zulässig. Der Anwendungsbereich der mittlerweile recht zahlreichen - speziellen, Strafrabatt bis zur Straffreiheit erlaubenden Kronzeugenregelungen ist dagegen nach wie vor ratione personae und materiae auf bestimmte Deliktsgruppen beschränkt. Mit Blick auf ihre Rechtsfolgen lassen sich die Kronzeugenregelungen unterteilen in materielle und prozessuale. Materiellrechtliche Kronzeugenregelungen erlauben neben dem Absehen von Strafe vor allem die Strafrahmenverschiebung; dazu gehört aber auch die allgemeine Strafmilderungsmöglichkeit nach § 46 StGB. Dagegen sehen die prozessualen Kronzeugenregelungen die Einstellung des Verfahrens vor.
I. Materiellrechtliche Kronzeugenregelungen Das materielle Strafzumessungsrecht erlaubt dem Gericht, die Strafe des Kronzeugen zu mildern oder ganz von Strafe abzusehen. Die folgende Darstellung unterscheidet zwischen den Sonderregelungen für bestimmte Deliktsbereiche, die im wesentlichen ein Absehen von Strafe oder die Strafrahmenverschiebung vorsehen, und der Belohnung der Kooperation im Rahmen der allgemeinen Strafzumessung nach § 46 StGB, sowie der Privilegierung des
fraktion eines § 12b BtMG (BT-Drs. VÜI/3291) von 1979 und der Entwurf der Bundesregierung eines § 29 m BtMG (BT-Drs. Vm/3551) aus dem gleichen Jahr. Als Vorläufer des KronzG sind folgende Gesetzesentwürfe zu nennen: Der Entwurf der Landesregierung NRW eines § 153f StPO (BR-Drs. 176/75); der Entwurf des Bundesrats eines § 129 VII StGB (BR-Drs. 176/75); der Entwurf der Fraktionen SPD und FDP (BT-Drs. VD/3729) und der gleichlautende Entwurf der Bundesregierung (BT-Drs. Vn/4005) eines § 129a V Nr.3, VI StGB alle von 1975; der Entwurf der CDU/CSU Oppositionsfraktion eines §§ 129 VI Nr. 3 StGB (BT-Drs. VÜI/996) von 1977; der Entwurf der Regierungsfraktion eines Artikelgesetzes zur Einführung einer Kronzeugenregelung (BT-Drs. X/6286) von 1986. 11 Vgl. Endriß/Malek, Betäubungsmittelstrafrecht, RN 529. 12 Als gesetzliche Kronzeugenregelungen galten allerdings bereits vorher die „Tätige Reue"-Vorschriften im Staatsschutzbereich, dazu Weigend, ZStW 109 (1997), S. 103, 111, FN 18. Siehe auch Teil II, 1.1 .c). 3'
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Teil II: Das Modell Kronzeuge" im geltenden Recht
Kronzeugen bei der Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung nach § 56 StGB und die bedingte Entlassung nach § 57 StGB.
1. Deliktsspezifische Kronzeugenregelungen Alle vom Gesetzgeber geschaffenen Kronzeugenregelungen beziehen sich auf bestimmte Deliktsbereiche. Einen besonderen Regelungsbedarf sah der Gesetzgeber offenbar in den Bereichen politischer und neuerdings auch „Organisierter Kriminalität". Charakteristisch für die privilegierten Verbrechensbereiche sind vor allem folgende Merkmale: Meist handelt es sich um Formen der Kriminalität, deren Ausbreitung von den Verfechtern der Regelungen als für Rechtsstaat und Demokratie schlechterdings existenzbedrohend eingeschätzt wird. In der Regel zeichnet sich die Vorgehensweise der Täter gleichzeitig durch besondere Konspirativität aus. Oft fehlt es schließlich an einem unmittelbaren Verletzten13.
a) Kronzeugenregelung für Terrorismus
und „Organisierte Kriminalität"
Mit dem Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuchs, der Strafprozeßordnung und des Versammlungsgesetzes und zur Einführung einer Kronzeugenregelung bei terroristischen Straftaten 14 vom 9. Juni 1989 schuf der Gesetzgeber die bisher umstrittenste Kronzeugenregelung, das KronzG15. Regelungstechnisch fallt zum einen die systematische Stellung außerhalb von StGB und StPO auf; dadurch sollte der Ausnahmecharakter der Vorschrift, die gleich-
13 Vgl. etwa die Begründung des Gesetzentwurfs zur Einführung der - letztlich im Rechtsausschuß gescheiterten - Kronzeugenregelung für Korruptionsdelikte in ( E-§§ 335b StGB, 12 V UWG) BT-Drs. XÜI/3353, S. 9, 12; siehe auch Joachimski, § 31 BtMG, RN 2. 14 BGBl. I, 1059. 15 In dem in der Literatur verbreitet auch als „Artikelgesetz" bezeichneten Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuchs, der Strafprozeßordnung und des Versammlungsg setzes und zur Einfuhrung einer Kronzeugenregelung bei terroristischen Straftaten fi det sich die Einführung der „Kronzeugenregelung bei terroristischen Straftaten" in Art. 4. Art. 4 selbst ist wiederum in vier bzw. seit 1994 fünf Paragraphen unterteilt. Im folgenden wird Art. 4 des »Artikelgesetzes" als Kronzeugengesetz (KronzG) bezeichnet, Art. 4 § 1 also als § 1 KronzG. Der durch das Verbrechensbekämpfungsgesetz 1994 eingeführte Art. 5 des Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuchs, der Strafprozeßordnung und des Versammlungsgesetzes und zur Einführung einer Kronzeugenregelung bei terroristischen Straftaten erweitert den Anwendungsbereich der Kronzeugenregelung bei terroristischen Straftaten auf organisiert begangene Straftaten. Im folgenden wird auf diese Regelung als „KronzG-Art. 5" Bezug genommen.
I. Materiellrechtliche Kronzeugenregelungen
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zeitig materielle16 und verfahrensrechtliche 17 Elemente enthält, betont werden18. Noch auffalliger und für das deutsche Recht äußerst ungewöhnlich19 ist die zeitliche Befristung der Regelung, die ebenfalls den Ausnahme- und Schlußverkaufscharakter 20 des Angebots an die „terroristische Szene" zum Ausdruck bringen sollte. Von einem „gesetzgeberischen Experiment" läßt sich allerdings mittlerweile wohl kaum noch sprechen: Im Herbst 1995 wurde die zwischenzeitlich erheblich erweiterte - Regelung zum zweiten Mal verlängert und ist damit seit ihrer Einführung ununterbrochen in Kraft. Die mißverständlich als „große"21 Kronzeugenregelung titulierte Vorschrift erlaubt dem Gericht, von einer Bestrafung abzusehen oder die Strafe nach seinem Ermessen zu mildern, wenn ein Täter oder Teilnehmer einer terroristischen oder bestimmter organisiert begangener Straftaten den Strafverfolgungsbehörden Informationen preisgibt, die geeignet sind, zur Verhinderung oder Verfolgung einer einschlägigen Straftat beizutragen (§§ 2, 1 KronzG). Nach Auffassung des Gesetzgebers sollen damit der organisatorische Zusammenhalt der Organisation geschwächt und einzelne noch nicht oder nicht mehr verfestigte Mitglieder aus ihr „herausgebrochen" werden22. Vorrangiger Zweck der Regelung soll offenbar die Verhinderung schwerer Straftaten und die Abwendung schwerer Gefahren für höchste Rechtsgüter sein23. Diese dezidiert präventive Ausrichtung unterscheidet das KronzG von den übrigen Kronzeugenregelungen, wenngleich einiges dafür spricht, daß die Betonung der Straftatenverhinderung kaum mehr als ein rhetorischer Schachzug zur besseren „Vermarktung" der Regelung gegenüber einer sensibilisierten Öf-
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Dazu sogleich. Dazu Teil n,D.l. 18 Vgl. Klemknecht/Meyer-Goßner, vor § 1 KronzG, RN 4. 19 Allgemein zur Befristung von Gesetzen Benda y NJW 1996, S. 2282; Heitmann, NJW 1997, S. 1488; kritisch Kunert/Bernsmann, NStZ 1989, S. 449,458. 20 Vgl. Lammer, ZRP 1989, S. 248, 250. 21 In der Literatur wird meist zwischen der „großen" Kronzeugenregelung im KronzG und den,»kleinen" Kronzeugenregelungen (z.B. § 31 BtMG) differenziert, vgl. Kunert/Bernsmann, NStZ 1989, S. 449, 456, FF 53; Gropp, in Hirsch et al., S. 459. Danach soll es darauf ankommen, ob der Kronzeuge sich Straffreiheit nur für bestimmte Delikte (z.B. Rauschgiftdelikte im Fall des § 31 BtMG) oder für alle von ihm begangenen Straftaten verschaffen kann (z.B. auch Begleit- oder Beschaffungsdelikte im Fall des KronzG). Jaeger, Kronzeuge, S. 5, 39, stellt dagegen darauf ab, ob die Regelung verfahrensrechtliche („große") oder „nur" materiellrechtliche („kleine") Wirkung entfaltet. 22 BT-Drs. XI/2834, S. 13. 23 § 1 Nr. 1 KronzG und § 1 a.E. KronzG; vgl. auch BT-Drs. XI/2834, S. 13; BGH StV 1992, 10, 11; Kleinknecht/Meyer-Goßner, KronzG (Art. 5), RN 1; Hilger, NJW 1989,2377. 17
Teil II: Das Modell Kronzeuge" im geltenden Recht
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fentlichkeit war 24. Daneben enthält die Regelung aber auch repressive Elemente25: Honoriert werden kann die Unterstützung der Strafverfolgung, insbesondere bei der Aufklärung bereits begangener Straftaten und der Ergreifung der Straftäter 26. Die präventive Zielrichtung der Gesamtregelung darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß die beiden repressiven Tatbestandsalternativen (Aufklärung, Ergreifung) selbständig neben der präventiven Tatbestandsalternative (Verhinderung) stehen; unter Umständen kann also auch bei einem Kronzeugen, der „nur" zur Aufklärung bereits begangener Straftaten beiträgt, völlig von Strafe abgesehen werden27. Ob man dieses Ergebnis mit der mittelbaren Präventionsrelevanz (je)der repressiven Regelung begründet oder einfach am eindeutigen Wortlaut festmacht, kann letztlich dahinstehen28.
aa) Anwendungsbereich des KronzG Der Anwendungsbereich der Kronzeugenregelung wird nur eröffnet, wenn Kronzeugentat29 und Aufklärungstat bestimmte, identische Voraussetzungen erfüllen. Nicht in den Genuß einer Strafmilderung nach dem KronzG kommt der Tatverdächtige, der zwar Ermittlungshilfe leistet, aber entweder selbst nicht einer einschlägigen Straftat verdächtig ist oder dessen Ermittlungsbei-
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Dafür daß der wahre Zweck der Regelung (allein) in der Verbesserung der Verfolgungsmöglichkeiten besteht, spricht nicht nur, daß mit §§ 129a V, 129 VI StGB bereits eine Möglichkeit zur Verfügung stand, die die Belohnung von Verhinderungshilfe im terroristischen Bereich erlaubt hat. Außerdem war die nunmehr in § 1 Nr. 3 KronzG enthaltene Verhinderungsalternative im ersten Entwurf des KronzG (BT-Drs. X/6286) noch nicht enthalten, sondern wurde erst nachträglich hinzugefügt. Siehe dazu Hassemer, StV 1989, S. 72, 80; Schlüchter, ZRP 1997, S. 65, 67; Weider, NStZ 1984, S. 391, 392. 25 Vgl. WL-v.Bubnoff, vor § 129a StGB, RN 14. 26 Vgl. § 1 Nr. 2, 3 KronzG. 27 So auch Lammer, JZ 1992, S. 510, 516; anders aber OLG Koblenz, unv. Urt. v. 3.7.1991 (2 StE 2/91), S. 235 („den in § 1 Nr. 2 und 3 genannten Alternativen nur eine nachrangige Bedeutung"). 28 Der BGH, StV 1992, 10, 11 f., geht (wenig originell) davon aus, daß ,jede Aufklärung einer terroristischen Straftat und jede Ergreifung eines an einer solchen Straftat Beteiligten abstrakt gesehen geeignet ist, die Erreichung des auf Straflatenverhinderung gerichteten Primärzieles zu gewährleisten". Damit ließe sich allerdings jeder repressiven Maßnahme präventiver Charakter beimessen. Denny, ZStW 102 (1991), S. 269, 278, weist meines Erachtens für den konkreten Fall überzeugender auf den eindeutigen Wortlaut und darauf hin, daß ansonsten die Alternativen Nr. 2 und 3 völlig überflüssig wären; ähnlich auch Hassemer, StV 1989, S. 72, 80. 29 Zum Begriff siehe Teil I.E.
I. Materiellrechtliche Kronzeugenregelungen
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trag sich nicht auf eine einschlägige Straftat bezieht. Sinn und Sachgerechtheit einer solchen parallelen Konstruktion seien zunächst einmal dahingestellt30. Konkret ist der Anwendungsbereich zunächst eröffnet für im weitesten Sinne terroristische Straftaten (§ 1 KronzG). Neben Taten nach § 129a StGB werden dabei auch Delikte, die mit der Bildung der terroristischen Vereinigung in Zusammenhang stehen, erfaßt, und zwar nicht nur solche, auf deren Begehung die Vereinigung gerichtet ist, sondern auch typische Begleit- und Beschaöungsdelikte wie Urkundenfälschung, Diebstahl und Verstöße gegen das Wafifengesetz 31. Der Zusammenhang wird durch das Organisationsdelikt32 § 129a StGB hergestellt. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Tat nach § 129a StGB veijährt oder sonstwie nicht mehr verfolgbar ist 33 . Mit dem Verbrechensbekämpfungsgesetz von 199434 hat der Gesetzgeber den Anwendungsbereich um solche Straftaten erweitert, die typischerweise der sog. „Organisierten Kriminalität" zugerechnet werden (KronzG-Art. 5) 3 5 . Seitdem ist die Kronzeugenregelung auch anwendbar auf Straftaten nach § 129 StGB oder auf Verbrechen im Sinne des § 12 StGB, die mit der Bildung der kriminellen Vereinigung 36 zusammenhängen37. Um aus dem Kreis der in 30
Sinn macht diese Einschränkung nur vor dem Hintergrund der starken Betonung des Präventionszwecks und der Begründung des Gesetzentwurfs, das Angebot der Straffreiheit solle Mitglieder einer bestimmten Tätergruppe aus dieser herausbrechen (BT-Drs. XI/2834, S. 13). Eigentlich ist aber kein Grund dafür ersichtlich, warum von zwei Straftätern, die beide vom Aufenthaltsort eines Terroristen Kenntnis haben, von denen der eine einer Straftat nach § 129a StGB, der andere einer solchen nach § 242 StGB verdächtigt wird, nur ersterer in den Genuß einer Strafmilderung kommen soll. Eingehend insbesondere zu den gleichheitsrechtlichen Problemen dieser Differenzierung Teil IV, m. 1 .b) und Teil IV, m.2.b). 31 Vgl. BT-Drs. XI/2834, S. 14; KJeinknechtM^r-Go/toer, § 1 KronzG, RN 3; IK-v.Bubnoff, vor § 129a StGB, RN 14. Dabei ist offenbar nicht einmal erforderlich, daß die Tatverdächtigen der Zusammenhangstat gleichzeitig Teilnehmer des Verknüpfungsdelikts § 129a StGB sind: So wertete das OLG Hamburg NStZ 1997, 443, die Entführung der Lufthansamaschine „Landshut" durch das Kommando „Martyr Halimeh" der Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP) als Begleittat zur Entführung des Arbeitgeberpräsidenten Schleyer durch Mitglieder der RAF. Ursprünglich sollten mit dieser Aktion die Freilassung palästinensischer Gesinnungsgenossen und die Zahlung eines Lösegeldes von der Bundesrepublik erpresst werden; erst während der Geiselnahme erfuhren die meisten der Täter, daß auch die Freilassung der RAF Gefangenen gefordert wurde, vgl. Interview mit Souhaila Andrawes, tageszeitung v. 29.7.1997, S. 9. 32 Vgl. zum Charakter als Organisationsdelikt BGHSt 29, 291; Tröndle, § 129 StGB, RN 2. 33 Vgl. BayObLG NJW 1991, 2575,2579; OLG Stuttgart JZ 1992, 537, 539. 34 BGBl. 1,3186. 35 Vgl. die Begründung im Gesetzentwurf BT-Drs. Xü/6853, S. 39. 36 Erforderlich ist also die Feststellung des Bestehens eines auf gewisse Dauer angelegten organisatorischen Zusammenschlusses von mindestens drei Personen, die bei
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Teil II: Das Modell Kronzeuge" im geltenden Recht
Frage kommenden Delikte nunmehr diejenigen auszuschließen, die nicht zur „Organisierten Kriminalität" gerechnet werden, müssen Zweck oder Tätigkeit der kriminellen Vereinigung auf Straftaten gerichtet sein, bei denen der Erweiterte Verfall (§ 73d StGB) angeordnet werden kann38. Um nicht eine DefiUnterordnung des Willens des einzelnen unter den Willen der Gesamtheit gemeinsame Zwecke verfolgen und unter sich derart in Beziehung stehen, daß sie sich untereinander als einheitlicher Verband fühlen, BGHSt 10, 17; vgl. auch Tröndle, § 129 StGB RN3. 37 Anders als bei § 1 KronzG muß die Zusammenhangstat bei KronzG-Art. 5 mit einer zeitigen Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr bedroht, also gem. § 12 StGB ein Verbrechen sein. Nicht zutreffend ist die Auffassung von lüeiiknecWMeyer-Goßner, KronzGArt. 5, RN 2, wonach Zweck oder Tätigkeit der Vereinigung auf die Begehung von Verbrechen gerichtet sein müssen. Um ein Verbrechen i.S.d. § 12 StGB muß es sich dem klaren Wortlaut nach nur handeln, soweit Zusammenhangstaten erfaßt werden sollen. Zusammenhangstaten müssen nicht zwingend solche sein, auf die der Zweck der Vereinigung gerichtet ist. Die Kronzeugenregelung ist daher auch anwendbar auf ein Mitglied einer Vereinigung, die sich beispielsweise zur Begehung von Erpressungen gem. § 253 StGB, also von Vergehen, zusammengeschlossen hat. Zu eng ist es auch, wenn Kleinknecht/Meyer-Goßner, KronzG-Art. 5, RN 2 meint, die Tat müsse durch ein „Mitglied" der Vereinigung offenbart werden. In Betracht kommt auch ein Beschuldigter, der lediglich der Unterstützung oder Werbung für die Vereinigung verdächtig oder beschuldigt ist. 38 Straftaten, bei denen der Erweiterte Verfall gem. § 73d StGB angeordnet werden kann, sind, soweit der Täter gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande handelt, die sich zur fortgesetzten Begehung entsprechender Taten verbunden hat: Geldfälschung (§ 146 StGB), Wertzeichenfölschung (§ 148 I StGB), Vorbereitung der Geldfölschung (§§ 149 I StGB), Fälschung von Zahlungskarten und Vordrucken für Eurocheques (§ 152a StGB), schwerer Menschenhandel (§181 StGB), dirigierende Zuhälterei (§ 182a I Nr. 2 StGB), Verbreitung bestimmter pronographischer Schriften (§ 184 IV StGB), einfacher und schwerer Bandendiebstahl (§§ 244 I Nr. 2, 244a StGB), Erpressung (§ 253 StGB), räuberische Erpressung (§ 255 StGB), Hehlerei (§§ 2601, 260a I StGB), Geldwäsche (§ 261 StGB), Betrug (§ 263 StGB), Computerbetrug (§§ 263a, 264 StGB), Urkundenfälschung (§ 267 StGB), Fälschung technischer Aufzeichnungen oder beweiserheblicher Daten (§§ 268, 269 StGB), Vorbereitung der Fälschung und Verschaffen falscher amtlicher Ausweise (§§ 275, 276 StGB), Glücksspiel (§ 284 IH StGB), Korruption im geschäftlichen und öffentlichen Verkehr (§§ 299, 332, 334 StGB), schwere Verstöße gegen das Betäubungsmittelrecht (vgl. die Auflistung in § 33 Nr. 1 BtMG), Einschleusen von Ausländern (§§ 92a II Nr. 1, 92b I AuslG), Verleitung zu mißbräuchlicher Asylantragstellung (§§ 84 V, 84a DI AsylVerfG), bestimmte Verstöße gegen das Waffengesetz (§§ 52a I, 53 I 1 WaffG), Verstöße gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz (§§ 19, 20, 22a KriegsWaflG), Verstöße gegen das Chemiewaffenübereinkommen (§ 19 DI CWÜ-AG) und Verstöße gegen das Außenwirtschaftsgesetz (§34 IVAWG). Gewerbsmäßig handelt, wer sich aus wiederholter Tatbegehung eine nicht nur vorübergehende Einnahmequelle von einigem Umfang schaffen will, ohne daß er daraus ein ,»kriminelles Gewerbe" zu machen braucht; Gewerbsmäßigkeit wird also durch ein subjektives Moment begründet, vgl. Tröndle, vor § 52 StGB, RN 43 m.w.N. Die Voraussetzung der bandenmäßigen Begehung bedeutet nun zwar häufig, aber nicht zwingend, daß die Kronzeugenregelung automatisch auf jeden Bandendiebstahl oder
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nition der „Organisierten Kriminalität" liefern zu müssen39, hat der Gesetzgeber diese umständliche und komplizierte Formel geschaffen. Die Verweisungstechnik steigert nicht nur die Unübersichtlichkeit der Vorschrift bis an den Rand der Impraktikabilität, sondern ermöglicht auch eine schleichende, unter Umständen sogar versehentliche Erweiterung des Anwendungsbereichs der Kronzeugenregelung. Bezeichnenderweise wurde im Zusammenhang mit dem Sechsten Strafrechtsreformgesetz von 199840 im Rechtsausschuß des Bundestages zwar heftig über die Erweiterung des Anwendungsbereichs des Erweiterten Verfalls nach § 73d StGB gestritten - die damit automatisch verbundene Ausdehnung der Kronzeugenregelung des KronzG aber nicht einmal angesprochen41. War bisher die Belohnung von Kronzeugen, etwa in den Fällen des Bandendiebstahls oder der gewerbsmäßigen Hehlerei, bereits bis weit in die Alltagskriminalität hinein möglich42, kann seit den jüngsten Änderungen43 durch das 6. StRG und das Korruptionsbekämpfungsgesetz von 199744 -
jede Bandenhehlerei anwendbar wäre. Zusätzlich muß der Diebstahl nämlich unter dem Dach einer kriminellen Vereinigung begangen worden sein. Anders als die bloße itowfeHtätigkeit setzt eine kriminelle Vereinigung ein Mindestmaß an fester Organisation voraus, vgl. Tröndle, § 129 StGB, RN 3. 39 Vgl. BT-Drs. Xn/6853, S. 40. Die Unlust oder vielleicht auch Unfähigkeit des deutschen Gesetzgebers endlich eine (dem Bestimmtheitsprinzip genügende) abstrakte Umschreibung der von ihm bekämpften und als so bedrohlich empfundenen „Organisierten Kriminalität" zu liefern, prägt alle diesbezüglichen Gesetzesvorhaben. 40 BGBl I, 164; dazu Kreß, NJW 1998, S. 633. 41 Vgl. den Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drs. Xm/8079, S. 14 f. Ein weiteres Indiz dafür, daß die Technik der dynamischen Verweisung gerade auch im Kontext des „Modells Kronzeuge" bisweilen offenbar auch den Gesetzgeber die Übersicht verlieren läßt, findet sich in der Diskussion um die Einführung eines Korruptionsbekämpfüngsesetzes (siehe dazu auch Teil H, I.l.b)aa), FN 104): Den Vorschlag des Bundesrates (BT-Drs. Xm/3353, S. 6, 9, 12), auch für die Korruptionsdelikte eine der Regelung des § 31 BtMG entsprechende Kronzeugenregelung einzuführen, hatte die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme (BT-Drs. XHI/6424, S. 13) ebenso wie der Bundestag in dem letztlich verabschiedeten Gesetz (BGBl. I 1997, 2038) verworfen; dem Anliegen des Bundesrates - so der Hinweis - werde bereits nach geltendem Recht im Rahmen der Strafzumessung (gemeint ist die allgemeine Strafzumessung) und über eine Anwendung der strafprozessualen Einstellungsvorschriften Rechnung getragen. In der gleichen Stellungnahme zeigte sich die Bundesregierung allerdings einem anderen Vorschlag des Bundesrates gegenüber weit aufgeschlossener (BT-Drs. Xm/6424, S. 14): Die Möglichkeit, auch im Bereich der Korruptionsdelikte den Erweiterten Verfall gem. § 73d StGB anzuordnen, wurde durchweg begrüßt und schließlich auch in das Gesetz aufgenommen. Daß dadurch - gleichsam durch die Hintertür - via KronzG-Art. 5 eine Kronzeugenregelung für Korruptionsstraftaten, zumindest soweit sie im Rahmen einer kriminellen Vereinigung begangen werden, geschaffen wurde, wurde offenbar übersehen. 42 Kritisch auch Neumann, StV 1994, S. 273, 276. 43 Vgl. §§ 263 VE, 282 I, 302, 338 StGB. 44 Gesetz zur Bekämpfung der Korruption vom 13. 8. 1997 (BGBl. 12038).
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so die Tat unter dem Dach einer Vereinigung begangen wird - auch die Unterstützung bei der Verfolgung eines einfachen Betruges honoriert werden; das zusätzliche Merkmal der „Gewerbsmäßigkeit" oder „bandenmäßigen Begehungsweise" wird in der Praxis wohl kaum eine ernsthafte Hürde darstellen. Die Ausweitung des Anwendungsbereichs des KronzG hat zudem zu mittlerweile zahlreichen Überschneidungen und Wertungswidersprüchen mit anderen (materiellrechtlichen) Kronzeugenregelungen geführt 45. Ausgeschlossen ist die Anwendung der Kronzeugenregelung auf Verdächtige oder Beschuldigte eines Völkermords nach § 220a StGB (§ 3, S. 1 KronzG). Dieser Ausschlußtatbestand wird zum Teil als zu eng kritisiert 46; zumindest ist er inkonsequent: Für Mord - gem. § 211 StGB ebenfalls mit obligatorisch lebenslanger Freiheitsstrafe zu bestrafen - ist der Anwendungsbereich der Kronzeugenregelung bei terroristischen Straftaten nämlich ausdrücklich - wenn auch eingeschränkt47 - eröffnet (§ 3 S. 2 KronzG). Woran aber eine Differenzierung zwischen Vökermord und Mord im Gesetz festzumachen sein soll, ist nicht erkennbar. Im Gegensatz dazu ist der Anwendungsbereich der erweiterten Regelung für „Organisierte Kriminalität" (KronzG-Art. 5) allgemein bei Delikten, die mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedroht sind, nicht eröffnet 48. Der Mörder, der tateinheitlich Mitglied einer kriminellen Vereinigung ist, die sich auf die Begehung von Erpressungen spezialisiert hat, kann damit also nicht auf Strafmilderung hoffen. Die unterschiedliche Behandlung des Mörders nach § 1 KronzG und KronzG-Art. 5 läßt sich nur damit erklären, daß der Bekämpfung des Terrorismus nach wie vor ein höherer Stellenwert beigemessen wird, als der Verfolgung der „Organisierten Kriminalität".
45 Siehe auch Teil II, I.l.b)ee). KronzG-Art. 5 erfaßt auch Rauschgiftdelikte und Geldwäsche, sofern sie unter dem Dach einer kriminellen Vereinigung begangen werden. 46 Vgl. Lammer, ZRP 1989, S. 248, 250; vgl. auch Kunert/Bernsmann, NStZ 1989, S. 449, 460; vor Geltung des KronzG war vorgeschlagen worden, im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit alle in § 138 StGB genannten Delikte (Jung, Straffreiheit, S. 70) oder zumindest alle vorsätzlichen Tötungsdelikte (Jaeger, Kronzeuge, S. 48) vom Anwendungsbereich auszunehmen. Vgl. zu den Anforderungen des Verfassungsrechts an eine sog. „Unerträglichkeitsgrenze" Teil IV, H.3.c). 47 Dazu Teil n, 1.1 .a)dd). 48 Vgl. auch BT-Drs. XÜ/6853, S. 40; Kleinknecht/Meyer-Goßner, KronzG-Art. 5, RN4.
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bb) Kronzeugenhandlung - die Offenbarung des Wissens Um in den Genuß des Kronzeugenrabatts zu kommen, muß der Kronzeuge sein Wissen gegenüber den Strafverfolgungsbehörden offenbaren, § 1 KronzG49. Im Normalfall wird der Tatverdächtige die Informationen nach seiner Festnahme - unter Umständen, nachdem er auf die Möglichkeiten der Kronzeugenregelung hingewiesen worden ist - den Behörden selbst mitteilen. Die Kronzeugenregelung ist aber nach der gesetzgeberischen Intention gerade an die Mitglieder terroristischer und krimineller Vereinigungen gerichtet, die noch aktiv und in Freiheit sind und aus der Gruppe „herausgebrochen" werden sollen. Die Kronzeugenregelung sieht deshalb vor, die Übermittlung der relevanten Informationen einem Dritten, etwa einem Angehörigen oder einem Rechtsanwalt, zu übertragen. Diese Vorgehensweise bietet sich zur Sondierung des zu erwartenden Strafnachlasses an; unter Umständen kann die Informierung durch den Dritten aber auch schon ausreichen, um den Generalbundesanwalt zu einem Absehen von der Strafverfolgung zu veranlassen. Freilich begibt sich der vermittelnde Dritte damit in eine prekäre Situation: Häufig wird er nicht nur Kenntnis haben vom Tathergang und den Tätern begangener schwerer Straftaten, sondern auch über die bevorstehende Begehung weiterer schwerer Straftaten informiert sein (vgl. z.B. § 1 Nr. 1 KronzG). § 4 KronzG dispensiert deshalb von der nach § 138 StGB strafbewehrten Anzeigepflicht für bevorstehende schwere Straftaten, die den Vermittler wohl meist als Vertrauensträger ausscheiden ließe50. Ähnlich der Regelung in § 139 II StGB für den nicht anzeigepflichtigen Seelsorger soll das strafrechtliche Risiko für die vermittelnde Vertrauensperson, die ja letztlich einen gebilligten Zweck erfüllt, ausgeschlossen werden51. Schwierigkeiten bereitet die Bestimmung des Zeitpunktes, ab dem sich die über das Tatgeschehen unterrichtete 49 Es reicht aus, wenn der Kronzeuge seine Angaben gegenüber der Polizei oder (Bundes)Staatsanwaltschaft macht. Nicht erforderlich ist, daß sie vor Gericht (im Verfahren gegen den Kronzeugen oder gegen den Dritten) wiederholt werden. Vgl. auch OLG Hamburg, unv. Urt. v. 19.11.1996 (2 StE 2/96), insoweit in NStZ 1997, 443 nicht abgedruckt. 50 Diese Regelung ist erst durch die Nachbesserung im Rechtsausschuß in das Gesetz aufgenommen worde, vgl. BT-Drs. XI/4359, S. 18. Dabei wird wohlrichtigerweise entsprechend § 139 II StGB eine rechtfertigende Wirkung von § 4 KronzG anzunehmen sein, vgl. LK-Hanack, § 139 StGB RN 13; SKRudolphi § 139 StGB RN 3; anders (Tatbestandsausschluß) Schönke/Schröder-Cramer § 139 StGB RN 2. Ist die Anwendung der Kronzeugenregelung allerdings ausgeschlossen (etwa bei Völkermord), ist auch der Vermittler zur Anzeige nach § 1381 Nr. 6 StGB verpflichtet, vgl. KleinknecWMeyer-Goßner, § 4 KronzG, RN 3. 51 Vgl. Kleiriknecht/Meyer-Goßner, § 4 KronzG, RN 1.
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Person auf die Privilegierung berufen kann. Das ist spätestens der Fall, sobald sie mit den Strafverfolgungsbehörden in Kontakt getreten ist. Richtigerweise wird angesichts des Wortlauts aber bereits dann eine Strafbarkeit ausgeschlossen sein, wenn der Dritte vom potentiellen Kronzeugen unterrichtet worden ist52; andernfalls müßte er unter Umständen zunächst seiner Pflicht aus § 138 StGB nachkommen53. Die Regelung in § 4 KronzG gewährt dem Vermittler allerdings insofern nur einen unvollständigen Schutz, als prozessuale Privilegien nicht vorgesehen sind. Der Aufbau eines Vertrauensverhältnisses ist natürlich von vornherein ausgeschlossen, wenn der Vermittler sich zwar nicht strafbar macht, aber im Prozeß zur Zeugenaussage gezwungen und die ihm anvertrauten Gegenstände beschlagnahmt werden können. Vorgeschlagen wird deshalb, ihm ein Zeugnisverweigerungsrecht und die Beschlagnahmefreiheit entsprechend, §§ 53, 97 StPO zuzugestehen54; ob das allerdings wirklich sinnvoll und notwendig ist, ist fraglich, weil es sich bei den vermittelnden Personen in der Regel um Rechtsanwälte oder Angehörige handeln wird, Personengruppen also, denen bereits nach geltendem Prozeßrecht die genannten Privilegien gerade wegen ihres besonderen Vertrauensverhältnisses zum Delinquenten zustehen55.
cc) Verhinderungs-, Aufklärungs- oder Ergreifungseignung des offenbarten Wissens Es genügt allerdings nicht, daß der Kronzeuge oder der vermittelnde Dritte den Behörden irgendwelches Wissen über Straftaten offenbart. Vielmehr muß die Kenntnis der Informationen geeignet sein, die Begehung einer in den Anwendungsbereich der Regelung fallenden Straftat zu verhindern, deren Aufklärung zu fordern oder zur Ergreifung eines Beteiligten an einer solchen
52 So auch Klemknecht/Meyer-Goßner, § 4 KronzG, RN 2 allerdings mit berechtigten Bedenken hinsichtlich der fehlenden Anforderungen an die Person des Vermittlers. Fraglich ist dann etwa, ob der Familienangehörige, der über alles informiert ist, zur Anzeige verpflichtet bleibt. Das wird jedenfalls zu bejahen sein, wenn keinerlei Intention zur Vermittlung besteht. 53 Nach § 138 StGB kommt es entscheidend auf den Zeitpunkt an, zu dem die Person vom Vorhaben oder der Ausführung eines Delikts „glaubhaft erfahrt", dazu Schönke/Schröder-Crawer, § 138 StGB, RN 8. 54 Kleinknecht/Meyer-Goßner, § 4 KronzG, RN 4 weist darauf hin, daß die strafprozessualen Konsequenzen der Vermittlungsrolle offenbar vom Gesetzgeber nicht bedacht worden seien. Allerdings hätte eine entsprechende Regelung die Schwierigkeit mangelnder institutioneller Einbindung der Vermittlungspersonen zu bewältigen. 55 Vgl. §§ 52 I; 53 I Nr. 2, 3; 971 Nr. 1 StPO.
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Straftat zu führen (§ 1 KronzG). Vor dem Hintergrund des erhofften Kooperationsanreizes werden die Voraussetzungen von der Rechtsprechung sehr weit interpretiert 56. Nicht erforderlich ist der Eintritt eines konkreten Verhinderungs-, Aufklärungs- oder Fahndungserfolgs 57; Ermittlungsfehler der Behörden außerhalb des Einflußbereichs des Kronzeugen sollen nicht zu seinen Lasten gehen58. Nach ganz herrschender Auffassung reicht es aus, wenn die Eignung abstrakt und generell besteht59, sogar wenn die abstrakte Möglichkeit zur Verhinderung oder Aufklärung solcher Straftaten lediglich nicht ausgeschlossen werden kann 60 . Voraussetzung der Annahme der entsprechenden Eignung der Information durch Gericht oder Staatsanwalt ist allerdings die Überzeugung, daß das Offenbarte auch zutreffend, der Kronzeuge also glaubwürdig ist 61 ; die Rechtsprechung will dabei die Richtigkeit von Angaben des Kronzeugen, die nicht zu widerlegen sind, in dubio zu seinen Gunsten annehmen62.
56 Bisweilen drängt sich angesichts der sehr großzügigen Handhabung der Vorschrift durch die Rechtsprechung der Eindruck auf, man wolle den Nutzen der wenigen kooperativen Straftäter wenigstens sich selbst beweisen, indem man jedem Kronzeugen bescheinigt, zur Verhinderung geplanter Straftaten beigetragen zu haben. Nicht überzeugen kann vor allem die Auslegung von § 1 Nr. 1 KronzG. Wenn man wie die Oberlandesgerichte bereits die vage Hoffnung auf die Straftatenverhinderung für eine Privilegierung ausreichen läßt (siehe Teil II, I.l.a)cc), FN 64), läuft man Gefahr, daß § 1 Nr. 1 KronzG zum inhaltlosen Auffangtatbestand verkommt und immer dann anwendbar ist, wenn eine (abstrakte) Aufklärungs- oder gar Ergreifungseignung nicht feststellbar ist. Letztlich läßt sich nämlich auch der allgemeinsten Information über die Struktur oder Logistik der verfolgten Vereinigung noch eine - wenn auch nur entfernte und mittelbare - hemmende Wirkung auf die zukünftige Begehung von Straftaten zuschreiben. 57 Vgl. nur K\eiriknecht/Meyer~Goßner y § 1 KronzG, RN 5. Mißverständlich ist es deshalb, wenn Gropp, in Hirsch et al., S. 459, 460 meint, die Kronzeugenhandlung müsse „erfolgreich" sein, und mit Erfolg die Eignung für einen der Zwecke meint. 58 Vgl. Hilger, NJW 1989, S. 2377, 2378; siehe zur entsprechenden Problematik bei § 31 BtMG Teil D, I.l.b)cc). 59 Vgl. BGH StV 1992, 10, 12; BayObLG NJW 1991, 2575, 2579; OLG Hamburg NStZ 1997, 443; OLG Stuttgart, unv. Urt. v. 24.2.1992 (2-2StE 4/91), S. 107; OLG Koblenz, unv. Urt. v. 26. 8. 1992 (2StE 3/91), S. 130; Kleinknecht/M^r-Go^r, § 1 KronzG, RN 5. Für die von Lammer JZ 1992, S. 510, 512; Hoyer, JZ 1994, S. 233, 239, und ursprünglich auch vom OLG Stuttgart (JZ 1992, 537) vertretene Gegenmeinung, die einen konkreten Ermittlungsansatz verlangt, spricht, daß eine abwägende Beurteilung sinnvoll nur getroffen werden kann, wenn auf beiden Seiten konkrete Straftaten stehen; ebenso wird darauf hingewiesen, es sei befremdlich, wenn ein konkret durchsetzbarer Strafanspruch (gegen den Kronzeugen) zugunsten einer vagen Möglichkeit zur Straftatenverhinderung aufgegeben werde. 60 Vgl. BayObLG NJW 1991, 2575, 2579; zustimmend insoweit Lammer, JZ 1992, S. 510, 512; andere Auffassung Kleinknecht/Meyer-Goßner, § 2 KronzG, RN 3.
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Wie weit die Gerichte in ihrem Bemühen, die Kronzeugenregelungen zu einer möglichst schlagkräftigen Waffe im Kampf gegen den Terrorismus zu entwickeln, zu gehen bereit sind, zeigt besonders deutlich die Rechtsprechung zu § 1 Nr. 1 KronzG. Danach sollen bereits Angaben des Kronzeugen zur personellen und logistischen Struktur der Vereinigung geeignet sein, die Begehung weiterer Straftaten zu verhindern 63. Noch weitergehend wurde eine Verhinderungseignung sogar bereits deshalb angenommen, weil die Kollaboration des Kronzeugen die noch aktiven Mitglieder der Vereinigung verunsichere und ihre Aktionsfähigkeit erheblich einschränke64. Nach § 1 Nr. 2 KronzG müssen die Angaben des Kronzeugen geeignet sein, die Aufklärung des Tathergangs über seinen eigenen Tatbeitrag hinaus zu fördern; das bloße Geständnis der eigenen Tat reicht dazu nicht aus. Grundsätzlich genügt es, wenn die Angaben anderer Kronzeugen lediglich bestätigt und dadurch abgesichert werden 65. Dabei kann sich die Aufklärungshilfe auch auf eine Straftat beziehen, an der der (externe) Kronzeuge überhaupt nicht betei-
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Vgl. OLG Hamburg NStZ 1997,443; OLG Stuttgart JZ 1992, 537, 538. Das Gericht kann dabei die für die Glaubwürdigkeit der Kronzeugenangaben notwendigen Angaben im Wege des Freibeweises feststellen; andernfalls würden die Aufklärungsmöglichkeiten der einschlägigen Straftaten entgegen der Intention der Kronzeugenregelung durch die zu treffenden umfangreichen Feststellungen erheblich gestört, zurecht OLG Hamburg NStZ 1997,443. 62 Vgl. etwa OLG Koblenz, unv. Urt. v. 26. 8. 1992 (2 StE 3/91), S. 134 ff.; ferner Dencker, KJ 1987, S. 36, 41; siehe auch OLG Stuttgart, unv. Urt. v. 22.6.1992 (5-2 StE 6/91), S. 147; ferner LG Berlin, unv. Urt. v. 26.3.1990 (1 P Js 483/89 Ks 23/89), 39 ff.: Das Landgericht war in diesem Fall gehindert, sichere Feststellungen zu der Frage zu treffen, ob es sich bei der betreffenden Organisation (einer Teilorganisation der PKK) überhaupt um eine terroristische Vereinigung im Sinne des § 129a StGB handelte, mithin, ob überhaupt der Anwendungsbereich von § 1 KronzG eröffnet war. Die endgültige Entscheidung dieser Frage sei dem (konkret vor dem OLG Düsseldorf geführten) Verfahren gegen den vom Kronzeugen Belasteten (der eben wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung angeklagt war) vorbehalten. 63 Vgl. OLG Stuttgart, unv. Urt. v. 8.10.1991 (2-2 StE 1/91), S. 159; unv. Urt. v. 24.2.1992 (2-2 StE 4/91), S. 113 f.; unv. Urt. v. 3.11.1992 (2-2 StE 5/91), S. 98; BayObLG NJW 1991, 2575, 2579. Zu recht mit Bedenken („mehr eine Erwartung der Ermittlungsbehörden") dagegen OLG Koblenz, unv. Urt. v. 3.7.1991 (2 StE 2/91), S. 234. 64 Siehe auch OLG Stuttgart, unv. Urt. v. 24.2.1992 (2-2 StE 4/91), S. 113 f., das die Verhinderungseignung allgemeiner Informationen zur Struktur der RAF annimmt, weil sich daraus ergebe, daß die RAF im Gegensatz zur angeblich verbreiteten Auffassung innerhalb „der Linken" streng hierarchisch organisiert sei, deshalb die Angaben zu einer „Entmythologisierung" der Gruppe beitrügen und damit langfristig „Rekrutierungsprobleme" unausweichlich seien. 65 Vgl. BayObLG NJW 1991, 2575, 2579; OLG Stuttgart JZ 1992, 537, 538.
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ligt war oder wegen der er nicht verurteilt wird66. Als forderlich werden auch Informationen angesehen, die die Eröffnung des Hauptverfahrens und den Erlaß eines Haftbefehls gegen einen Beschuldigten ermöglichen, gegen den bereits vorher ermittelt wurde67. Die Aufklärungseignung soll erst ausgeschlossen sein, wenn die Täter der aufzuklärenden Straftat bereits rechtskräftig verurteilt sind68. Schließlich kann nach § 1 Nr. 3 KronzG auch die Offenbarung von Tatsachen belohnt werden, die geeignet sind, zur Ergreifung eines Tatverdächtigen69 zu führen. Die Ermittlung des Aufenthaltsortes ist zwar logische Voraussetzung der Ergreifung des Verdächtigen70. Daraus kann aber nicht gefolgert werden, die Ergreifungsalternative sei nur erfüllt, wenn Hinweise zu Aufenthaltsort, Lebensgewohnheiten oder sonstigen Verhaltensweisen gegeben würden71. Auch jede andere Information, die abstrakt die Eignung besitzt, letztlich zur Feststellung des Aufenthaltsorts eines mutmaßlichen Täters zu führen, kann ausreichen72. Ob einem Kronzeugen, der Angaben zur Ergreifung eines Tatverdächtigen macht, der Kronzeugenrabatt allein deshalb verweigert werden kann, weil sich der Belastete angesichts der Kenntnisse der Behörden oder in Anbetracht des „vorbildlichen Verhaltens" des Kronzeugen
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Vgl. OLG Stuttgart, unv. Urt. v. 24. 2. 1992 (2-2 StE 4/91), S. 107. In einem früheren Gesetzentwurf des KronzG fand sich sogar noch folgender Absatz 2: „Absatz 1 gilt auch für den Täter oder Teilnehmer einer Straftat nach § 129a StGB oder einer mit einer solchen Tat zusammenhängenden Straftat, der Tatsachen offenbart, die geeignet sind, 1. eine solche Straftat aufzuklären, an der er nicht beteiligt war, oder 2. zur Ergreifung des Täters oder Teilnehmers einer solchen Straftat zu führen.", BT-Drs. X/6286. 67 Vgl. OLG Hamburg, unv. Urt. v. 19.11.1996 (2StE 2/96), S. 58, insoweit nicht abgedruckt in NStZ 1997,443. 68 Vgl. OLG Stuttgart JZ 1992, 537, 538. 69 Auch hier kann mit „Täter oder Teilnehmer" nur der Tatverdächtige gemeint sein; in der Regel wird nicht seine Verurteilung abgewartet werden. Siehe zur zumindest irreführenden Terminologie Teil II, II. 1. 70 Zutreffend Lammer, JZ 1992, S. 510, 513. 71 So aber BayObLG NJW 1991, 2575, 2579; OLG Stuttgart JZ 1992, 537, 538; Lammer, JZ 1992, S. 510, 513. 72 BGH StV 1992, 10, 12; K\einknech\/Meyer-Goßner, § 1 KronzG, RN 6. Kaum noch vertretbar ist allerdings die Rechtsprechung des OLG Koblenz (unv. Urt. v. 26.8,1992 (2 StE 3/91); unv. Urt. v. 3.7.1991 (2 StE 2/91)), das § 1 Nr. 3 KronzG bereits dann annimmt, wenn aufgrund der Angaben des Kronzeugen lediglich ein Haftbefehl ausgestellt werden kann, der Aufenthaltsort der gesuchten Person aber nach wie vor unbekannt ist. Völlig neben der Sache liegt es, wenn das gleiche Gericht die Ergreifungseignung von Angaben, die die Ausstellung eines Haftbefehls für eine Tatverdächtige ermöglichen, die zur Zeit eine Haftstrafe verbüßt, mit der Begründung bejaht, der Umstand, daß die Person unmittelbar nach der Verbüßung ihrer Freiheitsstrafe erneut festgenommen werden könne, sei einer erstmaligen Festnahme vergleichbar.
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selbst stellt73, ist fraglich 74. Es sollte ausreichen, daß die Möglichkeit zur Ergreifung des Tatverdächtigen zum Zeitpunkt der Offenbarung des Wissens durch den Kronzeugen besteht; die (nachträgliche) Selbstgestellung ist außerhalb seines Einflußbereichs.
dd) Absehen von Strafe oder Strafmilderung nach § 2 KronzG Hat der Kronzeuge gegenüber den Strafverfolgungsbehörden einschlägige Informationen preisgegeben, kann das Gericht gem. § 2 S. 1 KronzG von Strafe absehen. Scheidet ein völliges Absehen von Strafe z. B. aufgrund der großen eigenen Schuld des Kronzeugen aus, kommt die Milderung seiner Strafe bis an die Untergrenze des gesetzlichen Strafrahmens oder von Freiheitsstrafe auf Geldstrafe in Betracht75. Die Strafe ist dann einem (gemilderten) Strafrahmen zu entnehmen, dessen Obergrenze unverändert bleibt, dessen Mindestmaß sich aber auf einen Monat Freiheitsstrafe reduziert. Das Gesetz selbst gibt Bewertungsmaßstäbe für den Ermessensgebrauch: Das Gericht hat die Bedeutung dessen, was der Kronzeuge offenbart hat, in Verhältnis zu setzen zur eigenen Tat des Kronzeugen (§ 1 a.E. KronzG). Für zwei Tatbestände hat der Gesetzgeber das Ergebnis dieser Abwägung bereits antizipiert76: Nach § 3 S. 1 KronzG können auch die sachdienlichsten Ermittlungsbeiträge nie einen Völkermord aufwiegen; nach § 3 S. 2 KronzG kann ein Mörder - anders als der Anstifter, Gehilfe und Versuchstäter eines Mordes - auf Straffreiheit überhaupt nicht und bestenfalls auf eine Freiheits-
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So Lämmer, JZ 1992, S. 510, 513; zustimmend Kleiiiknecht/Meyer-Goßner, KronzG, RN 6 mit dem berechtigten Hinweis auf die Wortlautgrenze des „Ergreifens". 74 Offengelassen von BGH StV 1992, 10, 12. Zu überlegen wäre allenfalls, ob die Berücksichtigung derartiger Folgen der Aussage des Kronzeugen nicht angemessener im Rahmen der Verhinderungsalternative zu würdigen wäre, vgl. OLG Stuttgart, unv. Urt. v. 8.10.1991 (2-2 StE 1/91), S. 162. In jedem Fall können die Auswirkungen der Kooperation des Kronzeugen auf das (Selbstgestellungs-) Verhalten seiner Komplizen im Rahmen des § 46 StGB strafmildernd berücksichtigt werden, BGH StV 1992, S. 10,
§1
12. 75
Vgl. zum gesetzlichen Strafrahmen §§ 38 II StGB; damit wurde die Milderungsmöglichkeit des § 2 KronzG der Regelung des § 49 II StGB nachgebildet. 76 Zu Recht werden erhebliche Wertungswidersprüche der Ausnahmetatbestände gerügt, vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, § 3 KronzG RN 3; Kunert/Bernsmann, NStZ 1989, S. 449, 460; Hassemer, StV 1989, S. 72, 79. Anstiftung und Beihilfe werden entgegen §§ 26, 27 StGB gleichgestellt, und die Strafrahmensenkung (auf drei Jahre Mindeststrafe) widerspricht der Wertung von § 213 StGB (6 Monate Mindeststrafe). Zudem sind die Übergänge vom Verdacht der Anstiftung zum Verdacht der Täterschaft gerade im Ermittlungsverfahren oft fließend, ablehnend deshalb auch die Minderheit im Rechtsausschuß, BT-Drs. XI/4359, S. 16. Siehe auch Teil II, I.l.a)aa).
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strafe von drei Jahren hoffen 77. Ob das damit offenbar verfolgte Ziel, Rädelsführer und Hintermänner nicht als Kronzeugen zuzulassen78, erreicht werden kann, muß bezweifelt werden. In den übrigen Fällen hat das Gericht bei seiner - revisionsgerichtlich nur eingeschränkt überprüfbaren 79 - Entscheidung insbesondere Art und Bedeutung der verletzten Rechtsgüter und Umfang und Eignung der geleisteten Ermittlungshilfe gegeneinander abzuwägen80. Je schwerer der Vorwurf gegen den Kronzeugen wiegt, desto umfassender muß die Ermittlungshilfe sein81; äußerstenfalls kann danach eine Strafrahmenmilderung aufgrund der großen Schuld des Kronzeugen völlig ausscheiden82. Besonderes Gewicht kommt nach § 1 a.E. KronzG der präventiven Qualität der gelieferten Informationen zu. Ein Absehen von Strafe wird deshalb insbesondere (aber nicht nur) in Betracht kommen, wenn der Kronzeuge zur Verhinderung weiterer Straftaten beigetragen hat83. Bei der Beurteilung der Bedeutung der Ermittlungshilfe kann es - anders als im Rahmen des § 46 StGB84 - nicht auf die innere Motivation des Kronzeugen für seine Kooperation ankommen85; honoriert werden nicht Reue und innere Umkehr, sondern die Unterstützung der staatlichen Ermittlungsbemühungen. An dieser Stelle kommt es entscheidend darauf an, ob die Angaben des Kronzeugen lediglich eine entfernte Eignung aufweisen oder ob bereits ein konkret meßbarer Erfolg eingetreten ist86. Zu Lasten des Kronzeugen kann gewürdigt werden, daß dieser erst zögerlich und in Abhängigkeit von Aussagen anderer Täter zur Kooperation bereit ist87; die Rechtzeitigkeit und Vollständigkeit der Ermittlungshilfe wirken sich in der Regel erheblich auf die Bedeutung der Aufklärungshilfe aus. 77
Dies entspricht der Strafmilderungsmöglichkeit von § 4911 StGB. Vgl. YAzwknQzWMeyer-Goßner, § 3 KronzG RN 2; OLG Stuttgart, unv. Urt. v. 24.2.1992 (2-2StE 4/91), S. 115. 79 Vgl. BGH StV 1992, 10,12. 80 Vgl. BVerfGNJW 1993, 190\ Hilger, NJW 1989, S. 2377; Kleinknecht/M?yerGoßner, § 2 KronzG RN 2, § 1 KronzG RN 8. 81 BayObLG NJW 1991, 2575, 2579; siehe auch BT-Drs. XI/2834, S. 14. 82 Vgl. OLG Koblenz, unv. Urt. v. 26.8.1992 (2 StE 3/91), S. 142 f. 83 Was freilich auf der Grundlage der extrem weiten Auslegung der Rechtsprechung häufig der Fall sein wird: Nach OLG Stuttgart, unv. Urt. v. 24.2.1992 (2-2 StE 4/91), S. 113 f., können bereits allgemein gehaltene Angaben zur angeblich hierarchischen Struktur einer Vereinigung zur Verhinderung von Straftaten geeignet sein, weil so der Senat - damit dem verbreiteten Mythos der Gleichordnung und - berechtigung der Mitglieder der Vereinigung entgegengewirkt werde und daher langflistig Rekrutierungsprobleme unausweichlich seien. Siehe auch Teil II, I.l.a)cc). 84 Siehe dazu Teil D, I.2.b). 85 So auch Lammer JZ 1992, S. 510, 516. 86 Vgl. auch OLG Stuttgart, unv. Urt. v. 24.2.1992 (2-2 StE 4/91), S. 115. 87 Vgl. OLG Stuttgart JZ 1992, 537; anders Lammer, JZ 1992, S. 510, 516. 78
4 Jcßberger
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Grundsätzlich muß bei mehreren dem Täter angelasteten Straftaten 88 die Anwendbarkeit der Kronzeugenregelung auf jede Tat gesondert geprüft werden89. Schwierigkeiten entstehen, wenn die Kronzeugenregelung nur auf eine von mehreren Straftaten, die der Kronzeuge verwirklicht hat, Anwendung findet90. Besonders deutlich wird das Problem, wenn dem Beschuldigten für die Tat, auf die die Kronzeugenregelung nicht anwendbar ist, die lebenslange Freiheitsstrafe droht91; dann wäre - ungeachtet seiner möglichen Ermittlungshilfe und der damit verbundenen Strafmilderungsmöglichkeit in anderen Fällen - in jedem Fall auf eine lebenslange (Gesamt-) Freiheitsstrafe zu erkennen, § 54 11 StGB. Dieses gerade mit Blick auf den Adressatenkreis der Regelung kontraproduktive Ergebnis wird vermieden durch die sog. „übergreifende Anwendung"92 der Kronzeugenregelung. Danach kann die Strafmilderungs- und Strafabsehensmöglichkeit auf alle Straftaten erstreckt werden, die vermittelt durch die Organisationsdelikte §§ 129, 129a StGB innerlich zusammenhängen93. Begründet wird dieses Ergebnis - freilich nicht recht überzeugend - mit dem Wortlaut von § 1 KronzG, der das Absehen von einer Bestrafung insgesamt erlaube, wenn hinsichtlich einer von mehreren dem Kronzeugen angelasteten Straftaten die Vergünstigungen der Kronzeugenregelung zur Anwendung kommt94. Zwar kann nach § 1 KronzG in der Tat der Generalbundesanwalt „von der Verfolgung absehen"; ob damit allerdings die Verfolgung der Tat (auf die die Kronzeugenregelung anwendbar ist) oder die Verfolgung des Täters (u.U. wegen mehrerer ihm zur Last gelegter Straftaten) gemeint ist, läßt
88 Gemeint ist die Tat im Sinne des § 264 I StPO, also der einheitliche geschichtliche Vorgang, der sich von ähnlichen oder gleichartigen unterscheidet und innerhalb dessen der Angeklagte einen Straftatbestand verwirklicht haben soll, vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, § 264 StPO, RN 2. 89 Vgl. BayObLG NJW 1991,2575,2579; OLG Stuttgart JZ 1992, 537, 538. 90 So waren in dem der Entscheidung des OLG Stuttgart JZ 1992, 537 zugrundeliegenden Sachverhalt die Angaben des Kronzeugen zu einem Tatkomplex nach Auffassung des Senats nicht „geeignet" im Sinne des § 1 KronzG; dagegen wurde eine entsprechende Aufklärungseignung bezüglich eines anderen Tatkomplexes angenommen. 91 Vergleichbare Probleme stellen sich immer dann, wenn die Kronzeugenregelung nicht auf die schwerste der dem Kronzeugen vorgeworfenen Straftaten anwendbar ist; diese wird dann nämlich entweder zur Einsatzstrafe i. S.d. § 54 12 StGB oder sie bildet - bei Idealkonkurrenz - den Strafrahmen gem. § 52 II 1 StGB. 92 OLG Stuttgart JZ 1992, 537, 538; unv. Urt. v. 24.2.1992 (2-2StE 4/91), S. 107; unv. Urt. v. 8.10.1991 (2-2 StE 1/91), S. 151. 93 Vgl. OLG Stuttgart JZ 1992, 537, 539; Kleinknecht/Meyer-Goßner, § 2 KronzG, RN 4; Lammer, JZ 1992, S. 510, 513 ff. Im Ergebnis meint damit die „übergreifende Anwendung" nichts anderes als die Anwendung der Kronzeugenregelung (auch) nach Bildung der Gesamtstrafe, so zurecht Lammer, JZ 1992, S. 510,515. 94 Vgl. OLG Stuttgart JZ 1992, 537, 538.
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sich dem Wortlaut nicht mit der nötigen Sicherheit entnehmen95. Aufschlußreicher ist der Blick auf die Zweckbestimmung der Kronzeugenregelung: Die Attraktivität der Regelung gerade für Straftäter aus dem terroristischen Bereich würde erheblich vermindert, wenn trotz umfangreicher Kooperation letztlich an einer lebenslangen Freiheitsstrafe nicht vorbei zu kommen wäre. Zudem läßt sich bei genauer Lektüre tatsächlich dem Wortlaut von § 1 KronzG ein entsprechender Hinweis entnehmen: Das Merkmal „Teilnehmer einer Straftat nach § 129a StGB oder einer damit zusammenhängenden Straftat" erweitert nicht nur den Anwendungsbereich der Norm, sondern auch (auf der Rechtsfolgenseite) die von der Wirkung der Kronzeugenregelung erfassten Straftaten. Begründet wurde die Erweiterung auf die Zusammenhangstaten damit, auch Beschaflungs- und Begleitdelikte sollten von der strafbefreienden bzw. strafmildernden Wirkung des Kronzeugengesetzes erfaßt werden96. Dies führt aber nur dann zu der intendierten EfFektivitätssteigerung, wenn alle unter dem Dach des Organisationsdelikts begangenen Straftaten von der Wirkung der Kronzeugenregelung erfaßt werden. Daraus ergibt sich gleichzeitig die Grenze der „übergreifenden Anwendung": Sie kann nicht weiter reichen als die Verknüpfungswirkung des Organisationsdelikts97.
95 Offenbar wollte der Gesetzgeber aber den Verfolgungsverzicht auf Tat und Täter bezogen wissen, vgl. BT-Drs. XI/2834, S. 14. Für die Annahme, es sei eigentlich nur die Verfolgung der betroffenen Straftat gemeint, spricht dagegen die Verwendung des Singular an mehreren Stellen in § 1 KronzG. 96 Im Gegensatz zur bestehenden Regelung in §§ 129 VI, 129a VII StGB. Vgl. BTDrs. XI/2834, S. 14. 97 Vgl. OLG Stuttgart JZ 1992, 537, 539; dieses Ergebnis deckt sich auch mit der vom Bundesgerichtshof zu § 31 Nr. 1 BtMG entwickelten Rechtsprechung, vgl. BGH StV 1985,416; siehe auch Teil II, I.l.b)ee). Weitergehend dagegen Lammer, JZ 1992, S. 510, 515, der offenbar alle Straftaten des Kronzeugen unabhängig davon, ob sie in einem Zusammenhang mit dem aufgeklärten Tatkomplex stehen, erfaßt sehen will. Seine Annahme, in den Fällen der Verhinderungs-, Ergreifüngs- und externen Aufklärungshilfe hätte die Tat des Kronzeugen mit seinen Offenbarungen nichts zu tun, geht aber am Kern der Sache vorbei: In aller Regel hängen Kronzeugen- und Aufklärungstat eben aufgrund des übergreifenden Organisationsdelikts zusammen. In dem Beispiel, das er in FN 30 selbst anführt, wonach der Kronzeuge zwar die Umstände der Entführung, nicht aber die spätere mittäterschaftliche Ermordung des Opfers mit aufklären kann, wäre natürlich auch nach der hier vertretenen Auffassung keine lebenslange Freiheitsstrafe zu verhängen. Die beiden Taten würden ja durch §§ 129,129a StGB verbunden. Eine „übergreifende Anwendung" scheidet dagegen z.B. dann aus, wenn der Terrorist aus Eifersucht seine Freundin tötet. Hier wäre trotz unter Umständen erheblicher Ermittlungshilfe bzgl. terroristischer Straftaten eine lebenslange Freiheitsstrafe zu verhängen. Siehe zur Klammerwirkung von §§ 129, 129a StGB Tröndle, § 129 StGB, RN 9.
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Teil II: Das Modell Kronzeuge" im geltenden Recht b) Kronzeugenregelungen für Rauschgiftkriminalität
und Geldwäsche
Bereits 1982 wurde im Rahmen der Gesamtreform des Betäubungsmittelrechts mit § 31 BtMG eine Regelung eingeführt, die es dem Gericht erlaubt, die Strafe zu mildern oder von Strafe abzusehen, wenn der Beschuldigte einen wesentlichen Beitrag zur Aufklärung eines Betäubungsmitteldelikts geleistet hat (Nr.l) oder wenn aufgrund seiner Angaben die Begehung eines schweren Betäubungsmitteldelikts verhindert werden kann (Nr. 2)98. Hintergrund der Privilegierung des kooperativen Drogenstraftäters ist neben der Verbesserung der Verfolgungsmöglichkeiten und dem „Aufbrechen" der Drogenkartelle auch die effektive Prävention weiterer Verstöße gegen das Betäubungsmittelrecht99. Die weite, repressive und präventive Elemente enthaltende Zweckbestimmung der Regelung hat ebenso wie die zum Teil sehr vage Fassung der Tatbestandsmerkmale100 eine Rechtsprechung begünstigt, die einen (freilich aus teleologischer Perspektive konsequent) großzügigen Maßstab an die Tatbestandsvoraussetzungen anlegt und den Anwendungsbereich der Regelung immer weiter ausdehnt101. Am Vorbild des - in der Praxis bedeutsamen102 - § 31 BtMG hat sich eine weitere Regelung orientiert103: Seit dem Gesetz zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität von 1992 kann die Kooperation bei der Aufklärung von Straftaten gem. § 261 X StGB auch im Bereich der Geldwäschedelikte honoriert werden. Dagegen war eine wortgleiche Kronzeugenregelung für den Bereich der öffentlichen und privaten Korruption, wie sie noch in einigen Entwürfen vorgesehen war 104, im 1997 schließlich in Kraft 98 Zur Entstehungsgeschichte und den zahlreichen vorangegangenen Vorschlägen vgl. bereits Teil n, FN 10. 99 Vgl. Endriß/Malek, Betäubungsmittelstrafrecht, RN 532; Körner, § 31 BtMG, RN 3; enger (nur Repression) Weider, NStZ 1984, S. 391, 392. 100 Vgl. zur Bedenklichkeit der Unbestimmtheit der Merkmale, Weigend, FS f. Jescheck, S. 1333, 1335; Buttel, Aufklärungsgehilfe, S. 196 ff. 101 Zustimmend zur weiten Auslegung Endriß/Malek, Betäubungsmittelstrafrecht, RN 535, 542; Kritik an der Auslegungspraxis des BGH dagegen bei Körner, § 31 BtMG RN 3; Hoyer, JZ 1994, S. 233, 237; für eine restriktive Auslegung auch Weider, NStZ 1984, S. 391, 399. 102 Siehe ausführlich zur quantitativen Bedeutung der Regelungen Teil HI. 103 § 261 X StGB stimmt im wesentlichen wortgleich mit § 31 Nr. 1 BtMG überein; deshalb lassen sich die von der Rechtsprechung zu § 31 BtMG herausgearbeiteten detaillierten Grundsätze auch auf §§ 261 X StGB übertragen; vgl. LK-Ruß, § 261StGB, RN 25; Lackner, § 261 StGB, RN 18. Zu allen über die folgende Darstellung hinausgehende Einzelfragen vgl. die ausführliche Kommentierung von Körner, § 31 BtMG. 104 Der ursprüngliche Gesetzentwurf des Bundesrates (BT-Drs. Xm/3353, S. 6, 9, 12) hatte noch eine wortgleich der Regelung des § 31 BtMG entsprechende Kronzeugenregelung enthalten. Die konkurrierenden Entwürfe der Regierungsfraktionen (BTDrs. Xin/5584) ebenso wie der Bundesregierung (BT-Drs. XIH/6424) sahen dagegen eine solche Regelung nicht vor. In seiner Stellungnahme zum Regierungsentwurf hielt
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getretenen Korruptionsbekämpfungsgesetz 105 nicht enthalten - insoweit entschied sich der Gesetzgeber für eine entsprechende Erweiterung des KronzG106 und die Einführung einer kronzeugenähnlichen Regelung in das Disziplinarrecht107.
aa) Anwendungsbereich der Kronzeugenregelungen Bereits die systematische Stellung der Kronzeugenregelungen - ihre Einbettung entweder in ein nebenstrafrechtliches Regelungswerk (BtMG) oder ihre Verortung in einem einzelnen Straftatbestand (§ 261 StGB) - deuten auf ihren eingeschränkten Anwendungsbereich. Anwendbar sind die Kronzeugenregelungen nur auf strafbare Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz (§§ 29 ff. BtMG) oder den Tatbestand der Geldwäsche (§ 261 StGB). Soweit auch der Beitrag zur Verhinderung noch nicht begangener Straftaten honoriert werden kann, ist der Anwendungsbereich zusätzlich auf besonders schwere Begehungsformen beschänkt108. Im Zusammenhang mit der Kronzeugenregelung für Rauschgiftdelikte gilt die Beschränkung des Anwendungsbereichs - entsprechend dem im Zusammenhang mit dem KronzG Gesagten - nicht nur für die als Kronzeuge in Frage kommenden Straftäter (Kronzeugentat); die Kooperation des Kronzeugen darf sich darüber hinaus nicht auf irgendeine Straftat, sondern muß sich auf ein einschlägiges Delikt beziehen (Aufklärungstat). Dagegen kommt im Rahmen des § 261 X StGB jede Straftat, die Vortat einer Geldwäsche sein kann (§ 261 I StGB), als Aufklärungstat in Betracht;
der Bundesrat seine Forderung aufrecht; es sei „ein zentrales Anliegen im Rahmen der gesetzgeberischen Bemühungen zur Korruptionsbekämpfung, Regelungen einzuführen, mit denen kooperatives Verhalten des Beschuldigten honoriert werden kann"; die Bundesregierung wandte dagegen ein, „daß dem Anliegen des Bundesrats bereits nach geltendem Recht im Rahmen der Strafzumessung und über eine Anwendung der Einstellungsvorschriften in der StPO Rechnung getragen werden kann", BT-Drs.XIII/6424, S. 9,13. 105 Gesetz vom 13. 8. 1997, BGBl. 12038. 106 Siehe dazu Teil D, 1.1 .a)aa). 107 Nach dem durch das Korruptionsbekämpfungsgesetz vom 13. 8. 1997 eingefügten § IIa I S. 1 BDO kann die (letzte) oberste Dienstbehörde dem (ehemaligen) Beamten, der gegen das Verbot der Annahme von Belohnungen oder Geschenken verstoßen hat, im Falle seiner Entfernung aus dem Dienst die Gewährung einer monatlichen Unterhaltsleistung zusagen, wenn er sein Wissen über Tatsachen offenbart hat, deren Kenntnis dazu beigetragen hat, Straftaten, insbesondere nach den §§ 331 bis 335 StGB zu verhindern oder über seinen eigenen Tatbeitrag hinaus aufzuklären. 108 Vgl. etwa § 31 Nr. 2 BtMG.
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belohnt werden kann danach die Unterstützung des Geldwäschers zur Aufklärung nahezu jeder schweren Straftat 109.
bb) Kronzeugenhandlung - die freiwillige Offenbarung des Wissens Um in den Genuß der vorgesehenen Vergünstigung zu kommen, muß der Kronzeuge freiwillig 110 sein Wissen - meist gegenüber Staatsanwaltschaft oder Kriminalpolizei 111 - offenbaren 112. Die Äußerung bloßer Vermutungen reicht dabei nicht aus 113 . Erforderlich und ausreichend ist die Mitteilung ganz oder teilweise unbekannter Fakten 114 . Eine bestimmte, beispielsweise gerichtsverwertbare Form ist dabei ebensowenig Voraussetzung wie ein Auftreten des Kronzeugen als Belastungszeuge vor Gericht 115. Der Kronzeuge muß auch
109 Der Katalog der Vortaten ist sehr umfassend und erfaßt etwa alle Verbrechenstatbestände (vgl. § 12 StGB) und leichte Betäubungsmitteldelikte. Damit kommt im Rahmen des § 261 X StGB nahezu jede schwerere Straftat als Aufklärungstat in Betracht; vgl. BT-Drs. XII/989, S. 28; Tröndle, § 261 StGB RN 24; Schönke/SchroederCramer, § 261 StGB, RN 26. 110 Der Freiwilligkeitsbegriff entspricht im wesentlichen dem des § 24 StGB, vgl. Körner, § 31 BtMG, RN 9; Tröndle, § 261 StGB, RN 24; kritisch Weider NStZ 1984, S. 391, 398. Entsprechend der psychologisierenden Betrachtungsweise der Rechtsprechung zu § 24 StGB (BGHSt 7, 296, 299) kommt es auch hier nicht darauf an, ob die Motivation ethisch billigenswert ist, vgl. BGH StV 1990, 456; Joachimski, § 31 BtMG, RN 4. Die Freiwilligkeit wird auch nicht schon durch die drohende Untersuchungshaft oder die Straferwartung ausgeschlossen, BGH StV 1983, 203; unfreiwillig ist die Offenbarung erst, wenn der Kronzeuge die von ihm geschilderten Tatumstände bereits ftlr bekannt hält, Erbs/Kohlhaas-Pe/c/iew, § 31 BtMG, RN 5; Endriß/Malek, Betäubungsmittelstrafrecht, RN 558. 111 Nicht überzeugend ist die Auffassung Joachimskis, § 31 BtMG, RN 8, wonach die Offenbarung in jedem Fall gegenüber einer Behörde im Sinne des § 11 I Nr. 5 StGB zu erfolgen habe; dem steht schon die Differenzierung in Nr. 1 und Nr. 2, wo ausdrücklich von „Dienstbehörde" die Rede ist, entgegen. Nicht ausreichend ist indes die Preisgabe gegenüber Mittätern, vgl. Joachimski, § 31 BtMG RN 8. 112 Entgegen Endriß/Malek, Betäubungsmittel strafrecht, RN 554, schließt die Formulierung nicht aus, diaß der Beschuldigte die Strafmilderung dafür erhält, daß er sich als V-Person zur Verfügung gestellt hat: Auch der Informant offenbart den Ermittlungsbehörden sein Wissen über begangene oder geplante Straftaten. Mit Blick auf den Wortlaut problematisch ist dagegen, wenn der BGH StV 1990, 550, 551, annimmt, ein honorierföhiger Aufklärungserfolg könne auch dadurch erzeugt werden, daß der Beschuldigte seinen Mittäter dazu bewegt, sich seinerseits zu offenbaren und die Identitäten von Hintermännern preiszugeben. 1,3 Vgl. Schönke/Schröder-Cramer, § 261 StGB, RN 26. 114 Vgl. Körner, § 31 BtMG, RN 8. 1,5 Vgl. Körner, § 31 BtMG, RN 12; Erbs/Kohlhaas-Pe/c/jew, § 31 BtMG, RN 3; Weider NStZ 1984, S. 391, 395. Nicht überzeugend ist dagegen die von Jaeger, Kronzeuge, S. 179 f., vertretene Auffassung, wonach § 31 BtMG ein Auftreten des Kronzeugen vor Gericht voraussetze, wenn „es" (gemeint ist der Aufklärungserfolg) „ohne
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kein umfassendes Geständnis ablegen oder schonungslos sein gesamtes Wissen offenbaren 116; er kann sogar die gegen ihn gerichteten Vorwürfe ganz oder teilweise bestreiten 117. Die Kronzeugenregelung bleibt auch anwendbar, wenn er nur Angaben zu einem Teil der Beteiligten, z.B. nur zu den Abnehmern, nicht aber zu den Lieferanten des Rauschgifts, macht 118 . Dem Kronzeugen bleibt es grundsätzlich sogar unbenommen, seine gegenüber den Ermittlungsbehörden einmal gemachten Angaben nachträglich zu widerrufen 119; entscheidend ist ausschließlich, ob der nach den Kronzeugenregelungen erforderliche Aufdeckungseffekt erzielt werden kann.
cc) Der Aufdeckungserfolg Die Angaben des Kronzeugen müssen wesentlich dazu beitragen, daß die Tat über seinen eigenen Tatbeitrag hinaus aufgedeckt werden kann 120 . Erfoderlich ist also die Herbeiführung eines tatsächlichen Aufklärungserfolgs; das bloße Aufklärungsbemühen oder die Schaffung von Ermittlungsansätzen rei-
ein Auftreten vor Gericht nicht ginge". Abgesehen vom eindeutigen Wortlaut, der gerade nicht die Überführungshilfe, sondern die Aufdeckungshilfe honoriert, hätte die Auffassung Jaegers zur Konsequenz, daß die Notwendigkeit, als Zeuge vor Gericht aufzutreten, davon abhinge, ob zuerst das Verfahren gegen den Kronzeugen oder das gegen den Belasteten abgeschlossen ist; in ersterem Fall würde allein die richterliche Uberzeugung entscheiden. Dagegen kann die bloße anonyme Informierung der Behörden regelmäßig nicht ausreichen, vgl. Körner, § 31 BtMG, RN 12; nicht immer muß es aber an einer Zuordnung der (zunächst anonym gegebenen) Information bis zum Abschluß des Strafverfahrens fehlen. Ist ein Aufklärungserfolg eingetreten, ist auch dem (zunächst anonymen, später ermittelten) Hinweisgeber die Vergünstigung zu gewähren; vgl. auch Endriß/Malek, Betäubungsmittelstrafrecht, RN 557. 116 Vgl. BGH StV 1990,455; BGHSt 33, 80; Körner, § 31 BtMG, RN 20. 117 Vgl. Körner,, § 31 BtMG, RN 23; Erbs/Kohlhaas-Pelchen y § 31 BtMG, RN 3. Häufig wird der äußere Geschehensablauf - auch als Grundlage der Belastung der Mittäter - eingeräumt und gleichzeitig die subjektive Tatseite, z.B. das Bewußtsein, Rauschgift transportiert zu haben, bestritten. 118 BGH, B. v. 5.10.1995 bei Zschockelt, NStZ 1996, 226. Meist wird das Gericht aber den Umstand, daß der Kronzeuge Teile seines aufklärungsrelevanten Wissens zurückhält, bei der Ermessensentscheidung im Rahmen der §§ 31 Nr. 1, 49 II StGB oder bei der konkreten Strafzumessung gem. § 46 StGB berücksichtigen, vgl. Endriß/Malek, Betäubungsmittelstrafrecht, RN 563. 119 Vgl. BGH StV 1992, 421; Joachimski, § 31 BtMG, RN 12; Endriß/Malek, Betäubungsmittelstrafrecht, RN 583 ff. Allerdings wird das Gericht im Fall des Widerrufs oft Zweifel an dem - erforderlichen - Wahrheitsgehalt der Angaben haben und deshalb unter Umständen die Kronzeugenregelung nicht anwenden. 120 §§ 31 Nr. 1 BtMG, 261 X StGB.
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chen ebensowenig121 wie die bloße Bestätigung von den Ermittlungsbehörden bereits bekannten122 Informationen auf Vorhalt 123 . Im einzelnen sind die Anforderungen an den Erfolg allerdings durchaus moderat. Ein Aufklärungserfolg liegt nicht erst dann vor, wenn Personen aufgrund der Angaben des Kronzeugen angeklagt oder gar verurteilt worden sind; nicht einmal die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens ist erforderlich 124. Auch eine Ergreifung der belasteten Personen ist nicht notwendig125. Es genügt, wenn aufgrund der Angaben des Kronzeugen bestimmte, identifizierbare 126 Personen der Straftaten hinreichend verdächtig sind und entweder bislang unbekannter Taten, oder
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Vgl. BGHNStZ 1993, 242; Körner, § 31 BtMG, RN 32; LK-Ruß, § 261 StGB, RN 25. Das (erfolglose) Aufklärungsbemühen kann allerdings unter Umständen im Rahmen des § 46 StGB gewürdigt werden, dazu BGH StV 1991, 454; Schäfer, Strafzumessung, RN 712; Körner, § 31 BtMG, RN 55; Endriß/Malek, Betäubungsmittelstrafrecht, RN 575, und eingehend Teil II, 1.2. 122 Auf den Kenntnisstand welcher Behörde zu welchem Zeitpunkt es dabei ankommt, ist äußerst streitig. Richtigerweise wird man wohl auf den Kenntnisstand der sachbearbeitenden Polizeidienstelle abzustellen haben (so Körner, § 31 BtMG, RN 21); problematisch bleibt allerdings, wie in den Fällen zu verfahren ist, in denen BKA oder LKA ihre Kenntnisse zunächst vor der lokalen Ermittlungsbehörde zurückhalten; ein aus Praktikabilitätsgesichtspunkten sicher sinnvolles Abstellen auf den Inhalt der Ermittlungsakten (Weider, NStZ 1984, S. 391, 394) ist dagegen nicht angemessen, weil der Akteninhalt der Staatsanwaltschaft oft hinter dem tatsächlichen Ermittlungsstand herhinkt. Entgegen Körner, § 31 BtMG, RN 27, kann eine Zeitverzögerung zwischen Mitteilung der Aussagebereitschaft und tatsächlicher Vernehmung nicht zu Lasten des Kronzeugen gehen (so auch Weider, NStZ 1984, S. 391, 394). Derartige Schwierigkeiten vermeidet man, wenn man auf die Feststellung eines bestimmten Ermittlungsergebnisses als Voraussetzung des Strafrabatts ganz verzichtet; siehe dazu Teil IV, m.2.c). 123 Vgl. BGH StV 1991, 66, 67; Joachimski, § 31 BtMG, RN 13. Macht der Kronzeuge allerdings von sich aus Angaben, die sich mit bereits vorhandenen Erkenntnissen decken, schafft er damit die Grundlage für den Nachweis und die Verfolgung der Straftaten; ein Aufklärungserfolg wird also zu bejahen sein, vgl. BGH NStZ-RR 1996, 48; StV 1994, 544, 545; Joachimski, § 31 BtMG, RN 13. Ebensowenig schadet es der Anwendbarkeit der Kronzeugenregelungen, wenn die vom Kronzeugen belastete Person den Behörden als Straftäter oder Drogenkonsument allgemein bekannt war, aber erst durch die Kronzeugenangaben die Verknüpfung mit der konkreten Straftat hergestellt wird, BGH StV 1993,474; Joachimski, § 31 BtMG, RN 13. 124 Körner, § 31 BtMG, RN 41; Endriß/Malek, Betäubungsmittelstrafrecht, RN 573; Hoyer, JZ 1994, S. 233,237; Weider, NStZ 1984, S. 391, 394. 125 Vgl. Erbs/Kohlhaas-Reichen, § 31 BtMG, RN 2; Endriß/Malek, Betäubungsmittelstrafrecht, RN 576; nach BGH StV 1985, 14 soll es sogar unschädlich sein, wenn der Kronzeuge seine Mittäter entlastet, bis diese aus der Untersuchungshaft entlassen und untergetaucht sind, und erst dann belastende Angaben macht; zurecht kritisch Körner, § 31 BtMG, RN 38. 126 Unter Umständen kann es bereits genügen, wenn der Kronzeuge die Identifizierung eines den Ermittlungsbehörden bislang nur mit dem Vornamen bekannten Täters ermöglicht, vgl. BGH StV 1994, 543.
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bekannter Taten besser überführt werden können127. Im Rahmen von § 31 Nr. 1 BtMG kann ein solcher Erfolg zum Beispiel durch Angaben zu Hintermännern, Abnehmern, Herstellungsstätten oder Depots von Betäubungsmitteln erreicht werden 128. Wesentlich ist der Beitrag des Kronzeugen, wenn ohne ihn die Straftat nicht oder nicht vollständig hätte aufgeklärt werden können; die weitere Tataufdeckung muß andererseits nicht allein auf den Angaben des Kronzeugen beruhen 129. Schwierigkeiten bereitet im Zusammenhang mit § 31 Nr. 1 StGB 130 die exakte Feststellung des Bezugspunkts der Aufklärungshilfe: Eine enge, am Wortlaut orientierte Auslegung ergibt, anders als beim KronzG 131 , daß der sog. externe Kronzeuge nicht erfaßt wird; honoriert werden könnte nur die Aufdeckung einer Tat, an der der Kronzeuge selbst beteiligt war. Der Bundesgerichtshof entscheidet sich auch in dieser Frage für eine großzügige Auslegung: „Tat" im Sinne der Kronzeugenregelungen soll danach der geschichtliche Vorgang sein, der das strafbare Verhalten des Kronzeugen (als einen Tatbeitrag) und die strafrechtlich relevanten Beiträge anderer Personen umfaßt 132. Die Anwendung der Kronzeugenregelungen kommt also grundsätzlich auch in
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Vgl. Körner, § 31 BtMG, RN 32. Erforderlich ist also der voraussichtlich erfolgreiche Abschluß der Strafverfolgung, vgl. BGH, Urt. v. 17.6.1997 bei Detter, NStZ 1998, S. 182, 183. Unter Umständen reicht dazu bereits, daß die Angaben des Kronzeugen es ermöglichen, die Einlassungen des Mittäters zu widerlegen, so BGH StV 1994,23. 128 Vgl. BGH NStZ-RR 1997, 278, 279; Erbs/Kohlhaas-Pe/c/iew, § 31 BtMG, RN 2. Die bloße Benennung von Mittätern oder Hintermännern genügt aber nach BGH, Urt. v. 17.6.1997 bei Detter, NStZ 1998, S. 182, 183, nicht; der Kronzeuge muß auch Angaben über ihre Beteiligung an der Tat machen. 129 Vgl. BGH StV 1991, 67; Joachimski, § 31 BtMG, RN 14; Endriß/Malek,, Betäubungsmittelstrafrecht, RN 577. 130 Dieses Problem stellt sich bei § 261 X StGB nicht; der Wortlaut ist insoweit eindeutig: Umfaßt sind die Aufdeckung der „Tat über den eigenen Tatbeitrag hinaus oder einer in Absatz 1 genannten rechtswidrige Tat eines anderen". Damit kann die Regelung auch auf den externen Kronzeugen Anwendung finden, soweit es sich bei der Aufklärungstat um eine Vortat eines Geldwäschedelikts handelt; siehe zu dem sehr umfassenden Vortatenkatalog Teil II, I.l.b)aa), FN 109. 131 Im Gegensatz zu den hier besprochenen Kronzeugenregelungen verlangt § 1 Nr. 2 KronzG von den Angaben des Kronzeugen die Eignung zur Aufklärung ,falls (Hervorhebung F.J.) er daran beteiligt war, über seinen Tatbeitrag hinaus"; damit wird klargestellt, daß auch die Fälle erfaßt sind, in denen er nicht beteiligt war, eingehend dazu Teil II, 1.1 .a)cc). 132 BGHNJW 1991, 1840,1841. Nicht ganz so weit wie der BGH geht die Gegenauffassung (Weider, NStZ 1984, S. 391, 393; Jaeger, Kronzeuge, S. 141), die den (selbst keineswegs geklärten) prozessualen Tatbegriff des § 264 StPO (dazu BGH NJW 1996, 1160, 1161; HK-Julius, § 264 StPO, RN 2) zugrundelegen will. Danach würde ausschließlich der Lebensvorgang, der den Angeklagten selbst betrifft:, erfaßt.
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Teil II: Das Modell Kronzeuge" im geltenden Recht
Betracht, wenn die Taten, zu deren Aufdeckung beigetragen wird, ganz ohne Beteiligung des Kronzeugen begangen wurden, solange nur ein innerer Zusammenhang besteht, der z.B. durch die fortlaufende Kuriertätigkeit des Kronzeugen („strafbare Handels- und Einfuhrtätigkeit") hergestellt werden kann133. Damit kann auch die Aufklärung eigentlich selbständiger Einzelstraftaten honoriert werden. Fehlt es an diesem Zusammenhang, kann eine Vergünstigung trotz umfassender Kooperation nicht gewährt werden. Ein Aufklärungserfolg scheidet aus, wenn das Gericht nicht der Überzeugung ist, die Angaben des Kronzeugen seien zutreffend 134: Bloße Vermutungen oder nicht nachweisbare Behauptungen können nicht wesentlich zur Aufklärung einer Straftat beitragen. Zweifel gehen dabei zu Lasten des Kronzeugen, der Grundsatz in dubio pro reo gilt nicht135. Grundsätzlich keine Rolle spielt es allerdings, wann sich der Kronzeuge den Behörden offenbart. Die Kooperation des Kronzeugen kann sich jedoch nur strafmildernd auswirken, wenn der erforderliche Aufdeckungserfolg bis zum Ende der Hauptverhandlung in der letzten Tatsacheninstanz136 vorliegt. Es reicht also, wenn die Offenbarung erst während des Hauptverfahrens erfolgt, solange der Aufklärungserfolg noch zur Überzeugung des Gerichts verifiziert werden kann137.
133 Vgl. BGH NStZ 1995, 193; StV 1987, 345, 346; zustimmend Endriß/Malek, Betäubungsmittelstrafrecht, RN 545 ff.; Joachimski, § 31 BtMG, RN 16; ablehnend aber Erbs/Kohlhaas-Pe/c/iew, § 31 BtMG, RN 6. Ursprünglich wurde dieser Zusammenhang durch das Institut der fortgesetzten Handlung vermittelt; die Aufgabe dieses Instituts auch im Betäubungsmittelstrafrecht (BGH StV 1994, 479) ändert nach Auffassung des Bundesgerichtshofes aber nichts an der oben angeführten Rechtsprechung, so ausdrücklich BGH StV 1995, 367. 134 BGHSt 31, 163, 166; NStZ 1998, 90; NStZ 1993, 242; Endriß/Malek, Betäubungsmittelstrafrecht, RN 564; Joachimski, § 31 BtMG, RN 14; Körner, § 31 BtMG, RN 55; kritisch dazu Weigend, FS f. Jescheck, S. 1333, 1336; vgl. zu einem Fall, in dem diese Voraussetzung zur Befangenheit der Richter im Strafverfahren gegen den Belasteten geführt hat LG Bremen StV 1990,203. 135 Vgl. BGH StV 1989, 392, 393; Körner, § 31 BtMG, RN 59; Endriß/Malek, Betäubungsmittelstrafrecht, RN 570; Jung, ZRP 1986, S. 38, 42. Siehe aber zur anderen Rechtsprechung im Zusammenhang mit dem KronzG Teil n, 1.1 .a)cc). 136 Natürlich findet bei einer Neuverhandlung nach Aufhebung des Urteils (aus einem anderen Grund) die bis zum rechtskräftigen Abschluß der neuen Hauptverhandlung geleistete Aufklärungshilfe Berücksichtigung, vgl. BGH StV 1994, 544; Körner, § 31 BtMG, RN 29. 137 Vgl. BGH NStZ 1992, 192; Joachimski, § 31 BtMG, RN 10; Endriß/Malek, Betäubungsmittelstrafrecht, RN 566. Das Gericht ist nicht verpflichtet, den Aufdeckungserfolg selbst herbeizuführen; vgl. BGH NStZ 1993, 242; NJW 1993, 1086; Schäfer, Strafzumessung, RN 712; Körner, § 31 BtMG, RN 29; a.A. Endriß/Malek, Betäubungsmittelstrafrecht, RN 568. Es muß nach der Rechtprechung nicht einmal abwarten, bis andere Stellen die entsprechenden Ermittlungen durchgeführt haben; vgl. BGH, Urt. v. 20.12.1995 bei Detter, NStZ 1996, 426; StV 1994, 544; Detter, StraFo 1997, S. 193, 196. Überlegenswert ist
I. Materiellrechtliche Kronzeugenregelungen
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dd) Der Verhinderungserfolg Dem Kronzeugen wird in § 31 Nr. 2 BtMG ein Strafrabatt nicht nur in Aussicht gestellt, wenn er einen wesentlichen Beitrag zur Aufdeckung der Straftat leistet, sondern ebenfalls, wenn seine Angaben die Verhinderung geplanter schwerer Verstöße gegen das BtMG ermöglichen138. Dabei reicht es schon dem Wortlaut nach nicht aus, daß nur eine Möglichkeit zur Verhinderung besteht139; vielmehr erhält der Kronzeuge die Vergünstigung nur, wenn die Straftat wirklich verhindert werden kann140.
ee) Absehen von Strafe oder Strafmilderung Liegen die Voraussetzungen der Kronzeugenregelungen vor, kann das Gericht entweder von Strafe absehen oder die Strafe nach seinem Ermessen mildern141; es steht dem Gericht aber auch frei, auf die mögliche Strafmilderung völlig zu verzichten und damit zum Beispiel der nur zögerlichen oder unvollständigen Aufklärungshilfe Rechnung zu tragen142. Anders als das KronzG enthalten die Regelungen keine Leitlinien für dierichterliche Ermessensausübung: Ob und in welchem Umfang der Strafrabatt gewährt wird, dürfte weitgehend von Art, Umfang und Nutzen der Angaben des Kronzeugen sowie der allerdings, ob nicht das Gericht unter Umständen die Hauptverhandlung entsprechend § 265 IV StPO aussetzen muß oder zumindest kann, um der Verteidigung die Möglichkeit zu geben, den Angaben des Kronzeugen weiter nachzugehen; siehe auch Weider, NStZ 1984, S. 391,396. Das Problem stellt sich allerdings dann nicht, wenn die Gewährung eines Strafrabatts nicht von der Feststellung eines bestimmten Ermittlungserfolgs abhängig
ist; dazu Teil IV, m.2.c).
138 Für Geldwäschedelikte ist in § 261 X StGB eine entsprechende Fallalternative nicht vorgesehen. Entsprechende Regelungen finden sich aber auch in §§ 129 VI, 129a V StGB für den Bereich krimineller und terroristischer Vereinigungen, siehe Teil n, 1.1.c). 139 So aber Erbs/Kohlhaas-A?/c/i