Tatbestand und Zurechnung bei § 823 Abs. 1 BGB [1 ed.] 9783428443222, 9783428043224


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German Pages 314 [315] Year 1979

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Tatbestand und Zurechnung bei § 823 Abs. 1 BGB [1 ed.]
 9783428443222, 9783428043224

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MICHAEL FRAENKEL

Tatbestand und Zurechnung bei § 823 Abs. 1 BG B

Schriften zum Bürgerlichen Recht Band 51

Tatbestand und Zurechnung bei § 823 Abs. 1 BGB

Von

Michael Fraenkel

DUNCKER & HUMBLOT I BERLIN

Alle Rechte vorbehalten

© 1979 Dunck:er & Humblot, Berlin 41

Gedruckt 1979 bei Buchdruckerei Bruno Luck:, Berlln 65 Printed In Germany ISBN 3 428 04322 7

Meiner Frau

Vorwort Die Arbeit, die der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn im Wintersemester 1977/78 als Dissertation vorgelegen hat, wurde von meinem verehrten . Lehrer, Herrn Professor Dr. Horst Heinrich Jakobs, angeregt. Für seine stete und verständnisvolle Förderung, ohne die es mir nicht möglich gewesen wäre, die Arbeit fertigzustellen, danke ich ihm herzlich. Bonn, den 9. November 1978

MichaeZ FraenkeZ

Inhaltsverzeichnis Erstes Kapitel

Die widerrechtlichen Handlungen im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB A. Die Lehre vom Erfolgsverursachungsverbot ........................

I. Die herrschende Auslegung des § 823 Abs. 1 BGB als Erfolgsverur-

sachungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

11. Die Problematik der Lehre vom Erfolgsverursachungsverbot 1. Die

Unvereinbarkeit mit den rechtspolitischen Zielen des Deliktsrechts .................................................

15 15 20 20

2. Die Behandlung von Tatbestands- und Zurechnungsproblemen als Kausalprobleme .......................................... 22 a) Die Problematik der durch Handlungen Dritter vermittelten Erfolgsherbeiführung ..................................... 26 b) Die Problematik der bei Dritten eintretenden Folgeverletzungen ................................................... 32 B. Die widerrechtliche Handlung als Voraussetzung der deliktischen ..........................................................

36

I. Die gesetzliche Regelung des Deliktsrechts ......................

36

1. Das dem Deliktsrecht zugrunde liegende Regelungsprinzip ....

36

2. Im Deliktsrecht normierte Rechtspftichten

39

3. Die beiden Generalklauseln des § 823 BGB

40

Haftung

11. Tatbestandsbildung und Zurechnung bei § 823 Abs. 1 BGB ........

44

1. Die Formen der Beeinträchtigung subjektiver Rechte ..........

45 45 47 48

2. Die Möglichkeiten der Tatbestandsbildung

49

3. Die Funktionen des Unrechtstatbestandes

60

4. Unrechtstatbestand und Zurechnung ..........................

65

a) Ausschließliche Handlungsbefugnisse ...................... b) Verhaltenspfiichten Dritter ................................ c) Die partielle Zuweisung von Sachen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

10

Inhaltsverzeichnis

C. Der historische Hintergrund und die Entstehungsgeschichte der deliktsrechtHchen Vorschriften des BGB ............................

71

I. Die Entwicklung von der verbotenen Handlung zum Kausierungsverbot .........................................................

72

1. Die Grenzen der Haftung ex lege Aquilia nach gemeinem Recht

72

2. Die Herausbildung der Lehre vom Erfolgsverursachungsverbot 80 11. Die Entstehungsgeschichte der deliktsrechtlichen Vorschriften des BGB ...........................................................

97

1. Die Regelung des Vorentwurfs ... . . . . . . . .. . . . . . . . . . . .. . . . . . . ..

98

2. Die Beratungen der 1. Kommission

106

3. Die Beratungen der 2. Kommission

121

Zweites Kapitel

Die inhaltliche Bestimmung und die Grenzen des Unrechtstatbestandes bei § 823 Abs. 1 BGB A. Die Verletzung subjektiver Rechte . ................................. 126

I. Das Verhältnis zwischen den subjektiven Rechten und der Handlungsfreiheit des Rechtsinhabers ................................ 127

1. Die Problematik eines deliktischen Schutzes vor Beeinträchtigungen der Rechtsausübung ................................ 127

2. Der Schutz der subjektiven Rechte als Freiheitsschutz ........ 134 II. Die Grenze des Verbotstatbestandes der Rechtsverletzung ...... 137 1. Die rechtmäßige Herbeiführung eines rechtsverletzenden Er-

folges durch die Ausübung eines eigenen Rechts .............. 137

2. Die Bedeutung der an sich widerrechtlichen Handlung für die Bestimmung des Ersatzberechtigten .......................... 143 III. Die Aufgliederung des Tatbestandes der Rechtsverletzung in spezielle Tatbestände als Mittel der Haftungsbegrenzung ........ 152 B. Die tatbestandsmäßigen Verletzungen der Rechtsgüter .............. 157 I. Die Beeinträchtigung von Leben, Körper und Gesundheit ........ 159

1. Physisch wirkende Eingriffe

159

2. Psychisch wirkende Eingriffe

162

Inhaltsverzeichnis

11

11. Die Beeinträchtigung der Freiheit .............................. 165

c. Die verbotene

Eigenmacht als Delikt .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 172

I. Die besitzverletzenden Handlungen ............................ 172 II. Die Bezugnahme des § 823 BGB auf die verbotene Eigenrnacht .. 176 1. Der Besitz als tatbestandliches Schutzgut im Sinne des § 823

Abs.1 BGB ................................................ 176

2. § 858 Abs. 1 BGB als Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB ....................................................... 178 111. Die Grenze zwischen Haftungsbegründung und Schadenszurechnung bei den Besitzverletzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 183 Drittes Kapitel

Die Möglichkeiten der Haftungsbegrenzung auf der Grundlage der Lehre vom Erfolgsverursachungsverbot

189

A. Handlung, Adäquanz, Verschulden und Interessenabwägung als Voraussetzung der haftungsbegründenden Zurechnung .................. 190

I. Die haftungsbegrenzende Funktion des Handlungsbegriffs ...... 190 11. Die Begrenzung der Zurechnung mit Hilfe des Adäquanzgedankens .......................................................... 193 1. Die Adäquanz als Beschränkung eines Kausierungsverbots .. 193

2. Die Lehre J. G. Wolfs von der "typischen Gefährdung" ...... 196 3. Die These Rothers von der Inadäquanz des "besonderen Unrechtshandeins" Dritter ................................ . . .. 199 111. Das Verschulden .............................................. 202 1. Der Zusammenhang zwischen Gegenstand und haftungsbe-

grenzender Wirkung des Verschuldens ...................... 202

2. Die Möglichkeiten der Haftungsbegrenzung durch Konkretisierung und Subjektivierung der Voraussehbarkeit .............. 205 3. Die Vermeidbarkeit ........................................ 206 4. Der Verschuldenszusammenhang und die Abweichung des tatsächlichen vom vorhersehbaren Kausalverlauf .............. 209

12

Inhaltsverzeichnis IV. Die Interessenabwägung

...................................... 213

1. Die Interessenabwägung als Mittel für

die Ex-ante-Bestimmung der zurechenbaren Handlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 213

2. Die Interessenabwägung als Zurechnungskriterium .......... 216 B. Die Unterscheidung zwischen unmittelbarer und mittelbarer Erfolgs-

verursachung in der Literatur ...................................... 220 1. Die Lehre Ernst von Caemmerers .............................. 221

II. Die Ausweitung der Kategorie unmittelbarer Eingriffe durch Karl Larenz

........................................................ 223

III. Die Lehre Hans Stolls .......................................... 227 IV. Die Differenzierung und Erweiterung des Tatbestandes der Rechtsverletzung in der Lehre Manfred Löwischs ................ 234 1. Der unmittelbare Eingriff als die subjektiv oder objektiv gegen

ein Recht gerichtete Handlung .............................. 234

2. "Der Deliktsschutz relativer Rechte" als Problem der herrschenden Auslegung des § 823 Abs.l BGB .................... 237 Viertes Kapitel

Die haftungsbegründende Zurechnung A. Rechtsgüterschutz und Freiheitsschutz als Zwecke und Grenzen der haftungs be gründenden Zurechnung ................................ 241 1. Die Verteilung der Verantwortung für eine Erfolgsherbeiführung

im Verhältnis der Erfolgsverursacher zueinander ................ 242 1. Die Bestimmung der grundsätzlich zurechenbaren und nicht

zurechenbaren Handlungen .................................. 243

2. Die Bedeutung der Vermutung normgemäßen Verhaltens aller 250 3. Die Zurechenbarkeit mittelbarer Erfolgsverursachungen ...... 253 II. Die Verantwortlichkeit der Erfolgsverursacher gegenüber dem Verletzten ...................................................... 257 B. Die Voraussetzungen der haftungsbegründenden Zurechnung . ....... 263

1. Die Täterschaft durch Begehung einer tatbestandsmäßigen Hand-

lung

.......................................................... 263

Inhaltsverzeichnis

13

II. Mittäterschaft und Teilnahme .................................. 268 1. Der Zurechnungsgrund bei der Mittäterschaft und Teilnahme 268

2. Mittäterschaft .............................................. 274 3. Anstiftung .................................................. 279 4. Beihilfe .................................................... 283 III. Die mittelbare Täterschaft .................................... 288 1. Die Haftung für das rechtmäßige Handeln eines Dritten ...... 289

2. Die Haftung für das rechtswidrige schuldlose Handeln eines Dritten ..................................................... 293 3. Die Haftung für das rechtswidrige schuldhafte Handeln eines Dritten .................................................... 295 IV. Die Nebentäterschaft .......................................... 297 1. Der mehrfache Verstoß gegen dieselbe Rechtspflicht .......... 299

2. Die Nebentäterschaft durch Verletzung eines Schutzgesetzes .. 302 3. Die Nebentäterschaft durch Verstoß gegen eine Garantenpflicht 304

Literaturverzeichnis

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 308

Erstes Kapitel

Die widerrechtlichen Handlungen im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB A. Die Lehre vom Erfolgsverursachungsverbot I. Die herrschende Auslegung des § 823 Abs. 1 BGB als Erfolgsverursa'Chungsverbot Die außervertragliche Unrechtshaftung findet ihre Rechtfertigung in dem Grundsatz, "daß Jedermann die Rechtssphäre Anderer zu achten und sich eines jeden widerrechtlichen Eingriffes in dieselbe zu enthalten habe"1. Nach den Vorstellungen der 1. Kommission sollen die Vorschriften des BGB über unerlaubte Handlungen dieses "allgemeine Rechtsgebot" lediglich im Hinblick auf die Voraussetzungen und Grenzen seiner Anwendbarkeit präzisieren. Diese gesetzgeberische Zielvorstellung teilte die 2. Kommission, die den Zweck der deliktsrechtHchen Bestimmungen darin sah, dem einzelnen als Mittel "zur Erhaltung seines Rechtskreises" einen Schadensersatzanspruch zu gewähren2 • Dementsprech€nd ist es Sinn auch der Vorschrift des § 823 I BGB, näher zu bestimmen, "was Alles unter den Begriff der Rechtssphäre Anderer bzw. des Eingriffes in solche ... fällt"a, welche Interessen des einzelnen also und vor welchen Verhaltensweisen Dritter diese Interessen geschützt sind. Die geschützte Rechtssphäre umreißt § 823 I BGB im wesentlichen mit hinreichender Deutlichkeit. Hinsichtlich der Persönlichkeitsgüter Leben, Körper, Gesundheit und Freiheit sowie hinsichtlich des Eigentums ist klargestellt, daß sie zur deliktisch verletzbaren Rechtssphäre des einzelnen gehören, daß § 823 I BGB ihren Schutz bezweckt4 • Durch die Einbeziehung "sonstiger" Rechte wird die weitere inhaltlich€ Bestimmung der geschützten Rechtssphäre zwar der Auslegung zugewiesen, gleichwohl behält die gesetzliche Präzisierung des "Begriff(es) der Rechtssphäre Anderer" auch insoweit eine entscheidende haftungsbegrenzende 1 2

3

4

Motive II S. 725. Protokolle II/2 S. 568. Motive aaO. J. G. Wolf, Normzweck S. 20.

16

1. Kap.: Die widerrechtlichen Handlungen i. S. d. § 823 I BGB

Bedeutung, indem § 823 I BGB festlegt, daß nicht eine Rechts- oder Interessensphäre als solche deliktischen Schutz genießt, sondern nur einzelne Rechtsgüter und Rechte. Erst die Aufgliederung der Rechtssphäre in eine Vielzahl je für sich geschützter Interessen, auf deren Verletzung das Rechtswidrigkeits- und Verschuldensurteil zu beziehen sind, ermöglicht es, den ersatzfähigen Schaden auf den durch eine derartige Verletzung vermittelten Schaden zu begrenzen5 • Was "Alles unter den Begriff ... des Eingriffes ... fällt", umschreibt 823 I BGB allgemein dahin, der Verpflichtete müsse die genannten Rechtsgüter "vorsätzlich oder fahrlässig ... widerrechtlich verletzt" haben. Damit ist der h. M. zufolge "die Kernfrage, welche Verhaltensweisen es sind, die ... als rechtswidrige" und - so muß man ergänzen schuldhafte "Verletzungshandlungen in Betracht kommen"', überhaupt erst gestellt. Nach einhelliger Auffassung bezeichnet das Merkmal "verletzen" lediglich den - durch menschliches Verhalten herbeigeführten oder nicht verhinderten - Erfolgssachverhalt. Die Vorschrift des § 823 I BGB wird als reines Erfolgsdelikt gedeutet7 , das keine sachliche Umschreibung des verbotenen Verhaltens gibt8 • Entsprechend dem Wortlaut der §§ 222, 230 StGB soll "verletzen" nur bedeuten: eine Verletzung verursachen, d. h. der gesetzliche Unrechtstatbestand wird als reines Erfolgsverursachungsverbot ausgelegt: Jede Handlung, die Bedingung eines als Rechts(-guts)verletzung zu wertenden Erfolges wird, unterfällt schon allein deshalb dem gesetzlichen Tatbestand des § 823 I BGB. §

Allerdings besteht in Literatur und Rechtsprechung ebenfalls völlige Einigkeit darüber, daß zahlreiche Handlungen trotz ihrer Gefährlichkeit, und selbst wenn diese sich realisiert, erlaubt sind, daß es also ein Verbot jeder einen tatbestandsmäßigen Erfolg bedingenden Handlung eingeschränkt nur durch Adäquanz und eine als Voraussehbarkeit und Vermeidbarkeit verstandene Fahrlässigkeit nicht gibt, weil das einem Verbot jeglichen Handelns überhaupt gleichkäme9 • Ob eine erfolgs5 Die Haftungsvoraussetzung der Rechtsverletzung "als Filter gegen unabgrenzbare Schadensereignisse" hebt Deutsch hervor, Haftungsrecht § 25 I 1, S. 417 f., § 1 II 3, S. 7 f. 6 Soergel/Zeuner, § 823 Rz. 1. 7 Münzberg, Verhalten S. 141, 174 und N. 346. 8 Huber, FS Wahl S. 302 f., Miinzberg, S. 90 f. 9 RGZ 78/171, 172, 174; BGHZ 24/21, 24 ff.; von Caemmerer, Wandlungen S. 77 ff.; Deutsch, Haftungsrecht § 13 IV 2, S.187; Enneccerus/Lehmann, Schuldrecht § 15 III 4, S.70; Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil II § 209 IV A 2 C, B 2 b, S. 1283 ff., 1295; Esser, Schuldrecht I § 9 II 3, S.64; Esser/ Schmidt, Schuldrecht I 2 § 25 IV 1.3.2., S. 17; Fikentscher, Schuldrecht § 97 III 2 a, S. 565; Huber, FS Wahl, S. 304 f.; Kötz, Deliktsrecht C I 2 b, S. 57; Larenz, Schuldrecht II § 72 I c, S. 539 ff.; von Tuhr, Allgemeiner Teil II 2 § 88 VI, S.476 N.141; Welzel, Lehrbuch § 18 I 1 b, S. 135; J. G. Wolf, S. 31 f.; Zeuner JZ 1961/43; 1966/4.

A. Die Lehre vom Erfolgsverursachungsverbot

17

bedingende Handlung die deliktische Haftung begründet, entscheidet die h. M. deshalb endgültig erst im Wege einer umfassenden Interessenabwägung10 , unter Heranziehung zusätzlicher, in § 823 I BGB freilich nicht genannter Wertungsgesichtspunkte 11 • Das ist der gemeinsame Standpunkt aller Auffassungen, die heute zu § 823 I BGB vertreten werden, ungeachtet des für die Haftungsfrage völlig irrelevanten Streits um Erfolgs- und Verhaltensunrecht12 , ungeachtet auch dessen, daß sich die h. M. bei einer an dogmatischen Gesichtspunkten orientierten Einteilung in viele divergierende Ansichten auffächern läßt und daß über Ergebnisse in Einzelfällen, insbesondere soweit es um die Zurechnung psychisch vermittelter Erfolgsverursachung geht, gestritten wird. Am deutlichsten wird das Verständnis des gesetzlichen Tatbestandes der Erfolgsdelikte im allgemeinen wie des § 823 I BGB im besonderen als eines Verbotes jeder erfolgsbedingenden Handlung in der Rechtsprechung sowie bei denjenigen Autoren, die die Lehre vom Erfolgsunrecht vertreten und dementsprechend den Unr·echtstatbestand auf drei Merkmale reduzieren: den Erfolgseintritt, irgendein Verhalten des Täters und - adäquate - Kausalität zwischen den beiden erstgenannten Merkmalen13. Auf demselben Tatbestandsverständnis beruhen die Lehrmeinungen, die § 823 I BGB als Verbot der Gefährdung fremder Rechtsgüter und Rechte deuten und deshalb die Rechtswidrigkeit mit Hilfe des Gefahrbegriffes umschreiben14 . Da Gefahr "erwartete Kausalität"15 ist, setzt auch diese Lehre die Auslegung des § 823 I BGB als Kausierungsverbot voraus. Im Unterschied zur "klassischen" Erfolgsunrechtslehre wird nur nicht erst "vom geschehenen Eingriff ausgegangen", das Rechtswidrigkeitsurteil wird vielmehr vorverlagert, und es erfaßt so "schon die Gefahr für ein absolut geschütztes Recht(sgut)" entsprechend der ihm beigelegten Funktion als einheitliche Voraussetzung des repressiven wie des defensiven Rechtsgüterschutzes 16 . Auf der Grundlage des erfolgsbezogenen Unrechtsbegriffs hat die nach der h. M. für das endgültige Zurechnungsurteil erforderliche Bewertung der 10 Nichts anderes meint auch der BGH, der immer wieder auf die Notwendigkeit einer "wertenden Beurteilung" hinweist, BGHZ 18/286, 288; 30/ 154, 157; 57/25,30 ff.; 58/162, 167 f.; 63/189, 193 ff. 11 Dieser Rückgriff auf eine ergänzende Interessenabwägung findet sich schon in der älteren Literatur: M. L. MüHer, Bedeutung, S. 36 ff.; M. Rümelin, Zufall S. 19 N. 25; von Tuhr, aaO (N. 9); Traeger, Kausalbegriff S. 196. 12 Zu Recht konstatiert Larenz, FS Dälle S. 172, eine Gleichheit nicht nur der Ergebnisse, sondern auch der Erwägungen; s. auch Kötz, S. 56. 11 BGHZ 43/178, 181 f.; Enneccerus/Lehmann, § 231 III 6, S. 933 f.; Erman/ Drees, § 823 Rz. 45 f.; J. Hübner, JuS 1974/497; Mezger, Lehrbuch § 58 I, S. 415 f.; Patandt/Thomas, § 823 Bem. 7 A; Staudinger/Schäfer, § 823 Rz. 1 f.; 4; Staudinger/Werner, Rz. 81 vor § 275. 14 Deutsch, Haftungsrecht, § 14 II 2, S.196 f.; Huber, FS Wahl, S. 301. 15 Deutsch, Haftungsrecht, § 13, S.l77. 11 Deutsch, aaO. (N. 14). 2 Fraenkel

18

1. Kap.:

Die widerrechtlichen Handlungen i. S. d. § 823 I BGB

eingetretenen oder möglichen Kausalverläufe die Aufgabe, die ausnahmsweise eine Haftung nicht begründenden Handlungen zu bestimmen, wobei ,es im einzelnen völlig irrelevant ist, an welcher Stelle des Deliktsaufbaus diese Bewertung vorgenommen wird, ob man sie also als reines Fahrlässigkeitsproblem behandelt17 oder bereits zur Begrenzung des Unrechts heranziehes. Die gegenteilig.e Funktion: die der Haftungsbegründung, erfüllt die Interessenabwägung nach den Lehren, die auf einem rein verhaltensbezogenen Unrechtsbegriff beruhen: Nicht schon ihr Erfolgsbedingungscharakter, sondern erst der hinzutretende Verstoß gegen eine - im Wege der Interessenabwägung inhaltlich bestimmte - Verkehrs- oder Sorgfaltspflicht soll eine Handlung zur pflichtwidrigen, zur verbotenen machen19 • Dennoch überwindet dieser Standpunkt keineswegs das Verständnis des gesetzlichen Unrechtstatbestandes des § 823 I BGB als eines Verursachungsverbotes. Die Vertreter der Lehre vom Verhaltensunrecht meinen gerade nicht, in § 823 I BGB oder in irgendeinem anderen reinen Erfolgsdeliktstatbestand ließen sich Handlungsbeschreibungen auffinden. Sie folgern lediglich aus dem offenkundigen Widerspruch, daß es ein Kausierungsverbot nicht geben kann und daß sich das Gesetz gleichwohl mitunter auf die Umschreibung eines solchen beschränken soll, die betreffenden Tatbestände seien unvollständig, sie seien "offene"20: Weil das Gesetz "nur den dürren Strang der Kausalbeziehung zum Erfolg"21 liefere, bedürften schon die Unrechts tatbestände der Ergänzung um Verkehrs- oder Sorgfaltspflichten22 . Als Grundlage der deliktischen Haftung erscheint infolge einer solchen Tatbestandsergänzung zwar nicht mehr ein Verursachungsverbot, gleichwohl ist die Differenz zu den Erfolgsunrechtslehren nur eine rein formale. Denn weil und solange die angeblich gesetzliche Umschreibung des Unrechtstatbestandes als Verursachungsverbot nicht ersetzt, sondern lediglich einschränkend ergänzt wird, gibt es nur einen denkbaren Weg für die Herausarbeitung und inhaltliche Bestimmung der tatbestandsergänzenden Verkehrspflichten: Die Bewertung aller - adäquaten - Kausalverläufe, die mit einem Verhalten möglicherweise verSo Erman/Drees, § 823 Rz.46; Huber, FS Wahl, S. 302 ff., 307 ff. SO Deutsch bei den sog. mittelbaren Eingriffen, a.a.O. (N. 14), der den relevanten Gefährdungsgrad nicht allein nach der Wahrscheinlichkeit des Erfolgseintritts bestimmt, § 13 IV 2, S. 187 f.; vgl. auch BGHZ 24/21, 24 ff. 19 von Ca emmer er, Wandlungen, S.77 ff.; Mii.nzberg, S. 141 ff., 174 ff.; Sourlas, Adäquanztheorie S. 143 ff. 20 von Caemmerer, Wandlungen S. 80, für die sog. mittelbaren Eingriffe; Welzel, Lehrbuch § 10 I 2, S. 49 f. 21 Kaufmann, Zeitschr. f. Rechtsvergleichung 1964, S. 46. 22 Kaufmann, aaO S. 46 f., 54; Mii.nzberg, S.141 u. passim; Welzel, Verkehrsdelikte, Abhandlungen S. 324. 17

IS

A. Die Lehre vom Erfolgsverursachungsverbot

19

knüpft sind23 . Der Unterschied zwischen der Lehre vom Erfolgs- und der vom Verhaltensunrecht beschränkt sich deshalb darauf, daß nach jener Lehre jede vermeidbare erfolgsverursachende Handlung tatbestandsmäßig, rechtswidrig und schuldhaft ist, die Zurechenbarkeit aber auf Grund des Prinzips des überwiegenden Interesses entfallen kann, und daß dieser Lehre zufolge jede derartige Handlung vorbehaltlich einer umfassenden Interessenabwägung tatbestandsmäßig, rechtswidrig und schuldhaft nur sein kann. In der Ermittlung der haftungsbegründenden Handlungen aber weichen beide Lehren überhaupt nicht voneinander ab: Nach beiden Lehren ist Gegenstand der wertenden Interessenabwägung jede einen tatbestandsmäßigen Erfolg - möglicherweise - bedingende Handlung, ohne daß von vornherein bestimmte Arten der Verursachung als nicht tatbestandsmäßig ausgeklammert werden24 . Von einer h. M. läßt sich insbesondere deshalb mit Fug sprechen, weil unabhängig von den wechselnden Bezeichnungen wie "Sozialadäquanz"2s, "erlaubtes Risiko"26, "verkehrsrichtiges Verhalten"27 Einigkeit über die maßgebenden Wertungskriterien und auch darüber besteht, daß die Zurechenbarkeit einer erfolgs bedingenden Handlung erst ausgeschlossen ist, wenn die Interessen, die für die Vornahme der Handlungen sprechen, die Interessen gefährdeter Dritter überwiegen28 . Huber hat die von der h. M. herangezogenen Gesichtspunkte in die drei Kategorien der Güterabwägung, der Schutzbedürftigkeit des Betroffenen und des Maßstabs des üblichen, Vernünftigen und Zumutbaren eingeteil~9: Das Interesse an der Vornahme der Handlung - sei es das persönliche des Handelnden, sei es das der Allgemeinheit, also die Sozialnützlichkeit der Handlung - und die den Handelnden beeinträchtigenden möglichen Auswirkungen möglicher Maßnahmen zur Verletzungsvermeidung sollen in Beziehung gesetzt und abgewogen werden gegen die durch die Handlung gefährdeten Interessen Dritter, wobei insbesondere der Gefährdungsgrad und die Schwere möglicher Verletzungen, aber auch die eigenen Verletzungsvermeidungsmöglichkeiten des potentiell Verletz23 Vgl. Münzberg, S. 148 f. S. dazu noch u. 3. Kap. A. 11.1. 24 Lediglich Stoll, AcP 162/203 ff., 218 ff., beschränkt die tatbestandsmäßigen Handlungen, wenn auch nur in wenigen Fällen, auf sog. unmittelbare Eingriffe. 25 Enneccerus/Nipperdey, § 209 IV B 2 b, S. 1295 f. Der Begriff der Sozialadäquanz ist insofern weiter als der des erlaubten Risikos, als er auch für die Bewertung herangezogen wird, ob ein bestimmter Zustand eine Integritätsverletzung eines Rechts(-guts) ist; Huber, FS Wahl S. 304 f. N.8; Wetzet, Lehrbuch § 10 IV, S. 55 ff. 2& Huber, FS Wahl S. 303 ff., 307 ff. 27 BGHZ 24/21, 26; Dunz, NJW 1966/136; Wiethölter, Rechtfertigungsgrund, S.10f. 28 Münzberg, S. 327 f. Auf der Grundlage eines erfolgsbezogenen Unrechtsbegriffs ist das selbstverständlich. 29 FS Wahl S. 309 f.

20

1. Kap.: Die widerrechtlichen Handlungen i. S. d. § 823 I BGB

ten Berücksichtigung finden sollen30 • Diese für die Entscheidung der Haftungsfrage ausschlaggebende umfassende Interessenabwägung ist der h. M. zufolge dem Richter als "rechtspolitische Aufgabe" übertragen3 \ weil im Gesetz selbst angeblich diejenig'en Handlungen nicht inhaltlich bestimmt sind, die unter den weiteren Voraussetzungen nur noch der Schuldfähigkeit, der Voraussehbarkeit und der Vermeidbarkeit eine deliktische Haftung begründen. Nach der h. M. beschränkt sich die Bedeutung der gesetzlichen Vorschriften darauf, daß § 823 I BGB lediglich die der Bewertung unterliegenden Handlungen und § 276 BGB das Leitbild32 nennen, an dem sich die Bewertung zu orienti:eren hat. 11. Die Problematik der Lehre vom Erfolgsverursachungsverbot 1. Die Unvereinbarkeit mit den rechtspolitischen Zielen des Deliktsrechts

Die h. M. steht damit in einem bemerkenswerten Gegensatz zu den Vorstellungen und Zielen, von denen die Verfasser des BGB sich nicht nur hatten leiten lassen, sondern von denen sie auch meinten, sie erreicht zu haben. Schon die 1. Kommission wollte den Mangel früherer Partikularrechtsentwürfe vermeiden, daß das, "was Alles unter den Begriff der Rechtssphäre Anderer bzw. des Eingriffes in solche ... fällt, ... aus den Bestimmungen ... nicht unzweideutig" erhellt33• Dem folgte die 2. Kommission und lehnte es deshalb ab, im Gesetz die Ersatzpflicht nur als Folge jeder schuldhaft widerrechtlichen Schadenszufügung zu kennzeichnen 3f. Die bloße Aufstellung eines solchen Prinzips, "ohne die Voraussetzungen des Eintritts der Verpflichtung zu normiren, verdecke ... nur die vorhandenen Schwierigkeiten, ohne sie zu lösen, und lade deren Lösung auf den Richter ab. . .. Es entspreche aber weder der Tendenz des Entw. noch der im deutschen Volke herrschenden Auffassung von der Stellung des Richteramtes, die Lösung solcher Aufgaben, die durch das Gesetz erfolgen müsse, auf die Gerichte abzuwälzen"35. Das Ergebnis der Bemühungen beider Kommissionen, die Voraussetzungen der deliktischen Haftung im Gesetz selbst genau zu umschreiben, faßte die dem Reichstag vorgelegte Denkschrift in dem 30 Deutsch, Haftungsrecht § 13 IV 2, S.187 f.; Dunz, NJW 1966/136 f.; Enneccerus/Nipperdey, § 211 I 2, S. 1307; Huber, FS Wahl S. 296 ff., 302 ff.; Sourlas, S. 144; sowie die in N. 11 Genannten. 31 von Caemmerer, Wandlungen S.80 N.123; Huber, FS Wahl S.303; Münzberg, S. 90 f.; Welzel, Verkehrsdelikte, Abhandlungen S. 324 f. 32 So allgemein für die fahrlässigen Erfolgsdelikte Welzel, Lehrbuch § 18 I 1, S. 131. 33 Motive II S. 725. 3t Protokolle II/2 S. 571 mit 567 Antrag Nr. 6 a. 35 Protokolle II/2 S. 571.

A. Die Lehre vom Erfolgsverursachungsverbot

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vor dem Hintergrund der heute herrschenden Auslegung des § 823 I BGB allerdings überraschenden - Urteil zusammen: Der Entwurf "begnügt ... sich ... nicht nach dem Vorgange des Französischen Rechtes mit der Aufstellung des unbestimmten Grundsatzes, daß, wer widerrechtlich aus Vorsatz oder Fahrlässigkeit einem anderen Schaden zufügt, diesem zum Ersatz des Schadens verpflichtet ist. Vielmehr begrenzt er die Voraussetzungen der Schadensersatzpflicht schärfer, um dadurch eine feste gesetzliche Grundlage für die richterliche Entscheidung zu schaffen "38. Diese gesetzgeberische Absicht beruhte nicht auf einem doktrinären Bestreben, das bürgerliche Recht lückenlos zu kodifizieren, sondern ergab sich als folgerichtige Konsequenz aus dem Ziel, die beiden maßgebenden rechtspolitischen Zwecke des Deliktsrechts, die Garantie eines umfassenden Bestandsschutzes einerseits und die Sicherung eines freien Verhaltensspielraums jedes einzelnen andererseits, zu verwirklichen. So heißt es in den Motiven, durch das Deliktsrecht solle "ein in allen Fällen ausreichender Schutz gegen unerlaubte Handlungen gewährt werden", deshalb solle "die Schadensersatzpflicht nicht an einzelne bestimmte, möglicherweise nicht erschöpfend gestaltete Delikte" geknüpft werden, "sondern allgemein als die mögliche Folge einer jeden unerlaubten Handlung" eintreten37, und die 2. Kommission zählte die deliktsrechtlichen Bestimmungen "zu denjenigen Vorschriften ... , welche dazu bestimmt sind, die Rechtskreise der Einzelnen, innerhalb deren diese ihre individuelle Freiheit entfalten und ihre Interessen verfolgen dürfen, von einander abzugrenzen"38. Beide rechtspolitischen Ziele verfehlt die h. M., deren Auslegung des § 823 I BGB besagt, daß es nach dem bloßen Gesetzeswortlaut nur noch verbotene Handlungen gibt, weil sich nicht eine Handlung benennen läßt, die völlig ungefährlich ist, die nicht irgendwann und auf irgendeine Weise zur Bedingung eines tatbestandsmäßigen Erfolges werden kann. Um dem einzelnen einen Spielraum erlaubten Verhaltens überhaupt erst zu eröffnen, muß die h. M. deshalb die Haftungsbegründung generell unter den Vorbehalt der in jedem Einzelfall vorzunehmenden Interessenabwägung stellen. Einerseits ist dadurch der Kreis der haftungsbegründenden unerlaubten Handlungen unbestimmt, weshalb es dem Zufall überlassen bleibt, ob der einzelne wirklich vor jeder unerlaubten Handlung gleichermaßen geschützt ist. Andererseits erscheinen dadurch Bestands- und Freiheitsschutz einseitig nur als gegenläufige, einander ausschließende Interessen, weil sich nach einer eingetretenen Verletzung die Interessenabwägung zwangsläufig auf die Frage verDenkschrift S. 148 f. Motive II S. 725, Hervorhebung v. Verf. 38 Protokolle II/2 S. 567; Denkschrift S. 149.

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engt, ob die Handlungsfreiheit des Verletzers oder die Güter des Verletzten höher zu bewerten sind. Aus der Sicht des einzelnen, um dessen Schutz es im Deliktsrecht geht, besteht zwischen Bestands- und Freiheitsschutz aber gerade kein Gegensatz. Denn die Rechtsgüter und Rechte werden nicht um ihrer selbst willen geschützt, sondern als objektive Voraussetzungen der Freiräume, die sie ihren Inhabern gewähren, "innerhalb deren diese ihre individuelle Freiheit entfalten und ihre Interessen verfolgen dürfen". Die deliktsrechtlichen Vorschrüten insgesamt sind deshalb als ein System zu begreifen, das allein die allgemeine Handlungsfreiheit des einzelnen zu sichern bestimmt ist. Der Bestandsschutz ist lediglich eine Funktion des Fr,e iheitsschutzes. Formell, d. h. tatbestandlich, sind zwar regelmäßig ausschließlich die Rechtsgüter und Rechte geschützt, doch materiell geht es immer nur um den Schutz ihrer Ausübbarkeit im Interesse ihres Inhabers 39 • Der Schutz der allgemeinen Handlungsfreiheit durch den formellen Schutz der Rechtsgüter und Rechte findet seine notwendige Ergänzung in der zweiten Art des formellen Freiheitsschutzes: der genauen Bestimmung und klaren Begrenzung der haftungsbegründenden unerlaubten Handlungen. Die Rechtsgüter und Rechte beschreiben keinen gesicherten Rechtskreis, solange ungewiß bleibt, welche Handlungen der einzelne unter Einsatz seiner Güter von Rechts wegen vornehmen darf, und in dem Maße, in dem die Rechtsausübung des einzelnen mit unkalkulierbaren Risiken, sich haftpflichtig zu machen, belastet ist, wie es sich als unvermeidliche Folge aus der Lehre vom Erfolgsverursachungsverbot ergibt, verliert auch der formelle Bestandsschutz seinen Sinn, wird er relativiert. 2. Die Behandlung von Tatbestandsund Zurechnungsproblemen als Kausalprobleme

Das rechtspolitische Ziel, einen die Freiheit des einzelnen sichernden Bestandsschutz zu gewährleisten, stellt gerade die Dogmatik des zivilen Deliktsrechts vor die Aufgabe, unterschiedliche Wertungsprobleme herauszuarbeiten und voneinander zu trennen, weil allein dadurch erreicht werden kann, daß eine Haftung nur und stets bejaht wird, wenn der jeweilige Haftungsgrund, wenn die maßgeblichen Zurechnungsvoraussetzungen erfüllt sind. An dieser Aufgabe scheitert freilich eine Dogmatik, die sich auf die Auslegung des § 823 I BGB als Verursachungsverbot gründet. Der als Kausierungsverbot verstandene gesetzliche Unrechtstatbestand dient nicht mehr als bloße Grundlage für die erst im Anschluß an die und getrennt von der Feststellung der tatbestandsmäßigen Handlung erfolgende Bestimmung der haftpflichtigen Person, sondern er ist umgedeutet zu einem Inbegriff aller haf39

S. u. 2. Kap. A. I. 2.

A. Die Lehre vom Erfolgsverursachungsverbot

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tungsbegründenden erfolgs bedingenden Handlungen. Da sich bereits dadurch eine der Zahl der erfolgsverursachenden Handlungen entsprechende Zahl möglicherweise haftender Personen ergibt, wird von vornherein das Problem, den Tatbestand einzugrenzen, mit dem Gesichtspunkt einer sinnvollen Beschränkung des Täterkreises verknüpft: "Aufgabe einer ... Tatbestandsprüfung muß eS sein, ... zu bestimmen, wer und ob jemand möglicherweise haftet (,Vorfilterung' des in Betracht kommenden Personenkreises) "40. Auf diese Weise werden im Tatbestand Tatbestands- und Zurechnungsprobleme, die Frage, welche Handlung als erfolgsherbeiführende verboten ist, und die Frage, wem die Herbeiführung eines tatbestandsmäßigen Erfolges zugerechnet werden kann, untrennbar miteinander verschmolzen und auf die undifferenzierte Fragestellung nach der haftungs begründenden Kausalität zwischen Handlung und Erfolg verkürzt. Infolgedessen gewinnen Kausalitätserwägungen eine erhebliche Bedeutung für die Zurechnung, obwohl das in der Literatur bestritten und statt dessen betont wird, "die Verursachung, (sei) weder einziger noch eigentlicher Haftungsgrund"4t, sie habe nur eine "negative, rein abgrenzende Funktion"42. Die herrschende Auslegung des § 823 I BGB läßt es als selbstverständlich richtig erscheinen, die Zur,echnung an den für die Kausalität geltenden Grundsätzen zu orientieren und die Frage, welche erfolgsbedingenden Handlungen als rechtswidrige und schuldhafte zurechenbar sind, zu beantworten, ohne innerhalb der erfolgsbedingenden Handlungen weiter danach zu differenzieren, ob der Erfolg unmittelbar oder mittelbar herbeigeführt wurde. Es bedarf keiner Begründung mehr, warum insofern die Zurechnungsfrag,e für alle erfolgsbedingenden Handlungen in gleicher Weise gestellt wird, weil eben unter dem Gesichtspunkt der Kausalität alle Erfolgsbedingungen gleichwertig sind, weil insbesondere auch eine Unterscheidung nach der Erfolgsnähe für die Feststellung der Kausalität nicht nur irrelevant, sondern sogar falsch wäre. Mit Ausnahme weniger Stimmen in der Mertens/Reeb, JuS 1971/469. Deutsch, Haftungsrecht § 11 I, S. 135. 42 Esser, Schuldrecht I § 44 I, S. 299. Mit Entschiedenheit wendet sich auch von Caemmerer dagegen, Zurechnungs- als Kausalfragen zu behandeln. Nach seiner Ansicht geht es "allein um Schutzzweck und Schutzumfang der die Schadenshaftung begründenden Norm", Problem des Kausalzusammenhangs, Ges. Schrüten I S. 402. Solange allerdings der Tatbestand des § 823 I BGB als Verbot jeder erfolgsbedingenden Handlung gedeutet wird, und daran hält auch von Caemmerer fest, der bezüglich mittelbarer Verletzungen § 823 I BGB als offenen Tatbestand bezeichnet, Wandlungen, S. 77 f., 80, ist nicht ersichtlich, wie sich aus dem Zweck dieser Norm die haftungsrechtIiche Irrelevanz einer erfolgsbedingenden Handlung ergeben soll. von Caemmerer stellt denn auch gar nicht auf den Zweck des § 823 I BGB, sondern auf den der einzelnen Sorgfaltspflichten ab, vgl. Kausalzusammenhang, Ges. Schriften I S. 405, Wandlungen, S. 75 f. N. 114, S. 77 f. 40 41

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1. Kap.: Die widerrechtlichen Handlungen i. S. d. § 823 I BGB

Literatur43 mißt denn auch die h. M. der Unterscheidung zwischen unmittelbarer und mittelbarer Verursachung keinerlei Bedeutung zuu . Die Ablehnung einer solchen Unterscheidung erfolgt zudem einheitlich für die sog. haftungsbegründende und die haftungsausfüllende Kausalität, ohne daß auch nur die Frage aufgeworfen wird, ob über die Haftungsbegründung nach denselben Grundsätzen entschieden werden kann wie über die Folgenzurechnung45 • Daran wird deutlich, daß die h. M. den für die Kausalbetrachtung gültigen Grundsatz von der Äquivalenz aller Bedingungen einer nochmaligen überprüfung unter Zurechnungsgesichtspunkten nicht für bedürftig häW 6 • Dieser Standpunkt muß überraschen, ist doch seine Fragwürdigkeit in einigen besonderen Fallgruppen längst offen zu Tage getreten, die als besondere von der Literatur und der Rechtsprechung47 anerkannt sind und unter Stichworten wie "Unterbr·echung des Kausalzusammenhangs", "Verletzung des Verfolgers" und "Schockschäden Dritter" abgehandelt werden. Die h. M. reduziert die Besonderheit dieser Fälle, um die eine lebhafte Diskussion geführt wird48 , auf das Merkmal der psychisch ver'" mittelten Kausalität und sieht sich deshalb regelmäßig49 vor ein allgemeines, auch in anderen Zurechnungszusammenhängen vorkommendes Kausalproblem gestellt50 • Die Bedeutung der Kausalität als eines maßgeblichen Zurechnungskriteriums wird aber auch hier nicht grundsätzlich angezweifelt. Das bestätigen vor allem diejenigen Lehr43 von Caemmerer, Wandlungen S.77; Larenz, FS Dölle S.183 ff., 187 ff.; Löwisch, Deliktsschutz S. 54 ff., 76 ff., 95 ff.; Sourlas, S.117 ff.; StoH, AcP 162/206, 212 ff., 215 ff. 44 BGHZ 41/123, 125; 43/178, 181 f.; Erman/Drees, Vor § 823 Rz.59; Palandt/Heinrichs, Vorbem. v. § 249 Bem. 5 d. aa; Soergel/Zeuner, § 823 Rz.9; Staudinger/Werner, Vorbem. 39, 45 zu §§ 249 - 255. 45 Vgl. die zitierten Beispiele bei Palandt/Heinrichs und Staudinger/Werner (N. 44). 46 Zu Recht konstatiert G. Jakobs, ZStW 89/2, das Konzept der h. M. für

die Zurechnung bei den reinen Erfolgsdelikten leide "unter einer Art Zurechnungshypertrophie, geboren aus dem naturalistischen Vorurteil, Ursachenäquivalenz müsse bei gleich bemessener Vermeidbarkeit zu Zurechnungsäquivalenz führen". 47 BGHZ 56/163 ff.; 57/25 ff.; 58/162 ff.; Staudinger/Schäfer, Vorbem. 92 f., 94 ff. und Rz. 433 ff. zu § 823; vgl. auch Rudolphi, SK StGB Vor § 1 Rz. 72, 78. 48 Deutsch, JZ 1972/551 ff.; J. Hübner, JuS 1974/496 ff.; Larenz, NJW 1955/ 1009 ff.; Lüer, Begrenzung S. 149 ff.; Martens, NJW 1972/740 ff.; Niebaum, NJW 1976/1673 ff.; Nökel, Rechtsstellung S. 89 ff.; Rother, Haftungsbeschränkung S.102 ff., 106 ff.; Schwarz, JZ 1966/162 ff.; zu den Schockschäden Staudinger/Schäfer, § 823 Rz. 435 ff. m. w. N. 49 Zu Recht für eine strikte Trennung zwischen Haftungsbegründung und -ausfüllung: Deutsch, JZ 1967/642; 1972/552; Martens, NJW 1972/744; Niebaum, Haftung S. 28, 128 f. 50 Der BGH argumentiert, ohne zwischen Haftungsbegründung und Folgenzurechnung zu unterscheiden: BGHZ 57/25, 28 ff., 30; 58/162, 165 ff.; ebenso Lüer, S. 149 ff.; Staudinger/Werner, aaO (N. 44) Rz. 44 f.

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meinungen, die hinsichtlich der beiden erstgenannten Fallgruppen Zweifel an der Zurechenbarkeit eines Verhaltens anknüpfen gerade an angebliche Zweifel über das Bestehen51 oder an ein angebliches Fehlen eines Kausalzusammenhanges. So unterscheidet Haberhausen einen "gegenständliche(n)" und einen "zwischenmenschliche(n) Bereich". Nur in ersterem, der "durch das Kausalitätsgesetz konstituiert und begrenzt" werde, bedeute "die Feststellung der Kausalität die Feststellung der Zurechenbarkeit", da nur hier das "Kausalitätsprinzip i. S. eines zwangsweisen Reagieren-Müssens auf gesetzte Bedingungen" herrsche52 • Der "zwischenmenschliche Bereich" dagegen soll dem Kausalgesetz nicht unterworfen sein: "Eine Kausalität, auch eine ,psychisch vermittelte', einer Handlung für eine andere gibt es nicht"53. Abgesehen von den Fällen der mittelbaren Täterschaft, bei denen das Zweitverhalten "nur eine mindere Handlungsqualität" habe, verneint Haberhausen hier unter Berufung auf den "Grundsatz der Selbstverantwortlichkeit" generell die Möglichkeit einer deliktischen Haftung des Ersthandelnden, es sei denn, dieser habe gegen eine Verkehrssicherungspflicht verstoßen oder durch sein Verhalten für einen Dritten eine Rechtspflicht zum Handeln begründet54 • Diese Lösung, die speziell auf Fälle zugeschnitten ist, in denen die Handlung des einen als - zumindest mögliches - Motiv für die Handlung des anderen fungiert, leidet an dem grundsätzlichen Mangel ihrer Herleitung aus und ihrer Abhängigkeit von einer reinen Kausalbetrachtung, deren Maßgeblichkeit sich nur aus der Lehre vom Erfolgsverursachungsverbot ergibt. Derselbe Einwand richtet sich gegen diejenigen Auffassungen, die, ohne die Möglichkeit eines Bedingungszusammenhanges zwischen den Handlungen verschiedener Personen zu leugnen, nur bei psychisch vermittelter Kausalität besondere Zurechnungsbegrenzungen für erforderlich halten55 • Damit ist zwar in einem Teilbereich für die Zurechnung der Grundsatz von der Äquivalenz aller Bedingungen außer Kraft gesetzt, aber offen bleibt, warum er im übrigen gelten und warum die hier vorliegende Besonderheit der Kausalstruktur in der Zurechnung ihren Niederschlag finden soll. In allen genannten Fallgruppen geht es denn auch gar nicht um die psychisch vermittelte Kausalität. Es geht vielmehr um die Tauglichkeit der Kausalität als Zurechnungskriterium überhaupt. Das Besondere jener Fälle liegt gerade nicht in dem Merkmal der psychisch vermittelten Kausalität, sondern in dem ganz anderen, auf jenes nicht So Deutsch, JZ 1972/551 f. Haberhausen, NJW 1973/1309. 53 AaO (N. 52). 51

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NJW 1973/1309 f.

55 So Martens, NJW 1972/742 ff., 744 ff.; Niebaum, Haftung S. 82 f., 87 ff.

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reduzierbaren56 und bei einer r·einen Kausalbetrachtung als Besonderheit weder erfaß- noch erklärbaren Merkmal der mittelbaren Verursachung. Das Zusammentreffen beider Merkmale verdeutlicht lediglich, daß die für die Haftungsbegründung entscheidenden Fragen, um deren Beantwortung allein es bei der Bestimmung dessen gehen kann, "was Alles unter den Begriff ... des Eingriffs in" "die Rechtssphäre Anderer" fällt, nämlich die Fragen nach der tatbestandsmäßigen Verletzungshandlung und dem tatbestandsmäßig Verletzten, sich durch eine bloße Kausalitätsfeststellung nicht befriedigend lösen lassen. So sperren sich die genannten Fallgruppen gerade deshalb gegen die undifferenzierte Gleichsetzung von rechtswidrig schuldhaftem Eingriff und rechtswidrig schuldhafter Verursachung, weil bei ihnen trotz gegebenen Ursachenzusammenhangs zwischen einem Verhalten und der Integritätsverletzung eines Rechts(-guts) entweder die Feststellung, der Verursacher habe tatbestandsmäßig verletzt, oder die andere Feststellung, der Rechtsgutsträger sei tatbestandsmäßig verletzt worden, erheblichen Zweifeln ausgesetzt sind und weil diese Zweifel j,eweils zusammentreffen mit einer der beiden möglichen Formen mittelbarer Erfolgsverursachung: entweder der durch die Handlung eines Dritten oder der durch die tatbestandsmäßige Verletzung eines anderen vermittelten Erfolgsherbeiführung. a) Die Problematik der durch Handlungen Dritter

vermittelten Erfolgsherbeiführung

Die erste der beiden möglichen Formen mittelbarer Verursachung betrifft das Verhältnis aller erfolgsbedingenden Handlungen zueinander. Beurteilt man dieses Verhältnis ausgehend vom eingetretenen Erfolg ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der zeitlichen Aufeinanderfolge, dann ist die zeitlich letzte erfolgsbedingende Handlung die den Erfolg unmittelbar verursachende Handlung57 • Dementsprechend ist allein derjenige, der die zeitlich letzte erfolgsbedingende Handlung vorgenommen hat, der unmittelbare Verursacher. Alle anderen an der Erfolgsherbeiführung beteiligten Personen sind lediglich mittelbare Verursacher. Der Kausalnexus zwischen ihren Handlungen und dem Erfolgseintritt wird hergestellt erst durch die zeitlich spätere Handlung des unmittelbaren Verursachers. Hätte dieser sich erfolgsvermeidend verhalten, dann wären auch ihre Handlungen erfolgsirrelevant geblieben. Genau darin liegt das besondere Zurechnungsproblem der mittelbaren Verursachung: Da mit dem Handeln des mittelbaren Verursachers 56 Das zeigen die Kettenauffahrunfälle einerseits und die Stromkabelfälle andererseits. 57 Vgl. Krilckmann, JhJb 55 S. 31 f.

A. Die Lehre vom Erfolgsverursachungsverbot

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noch nicht abschließend über den Erfolgseintritt entschieden ist, da diese Entscheidung quasi verlagert ist auf einen Dritten, bedeutet Erfolgszurechnung hier immer auch Zurechnung des späteren, die Haftungsvoraussetzungen erst komplettierenden Verhaltens eines Dritten. Es handelt sich dabei gerade nicht um ein spezifisches Problem der psychisch vermittelten Kausalität58 , wie schon das Beispiel einer Massenkarambolage auf der Autobahn zeigt59 • Vielmehr geht es bei der inhaltlichen Bestimmung der Erfolgsvermeidungspflicht eines mittelbaren Verursachers stets um die Frage, inwieweit er deliktisch einzustehen hat für das spätere auf Vermeidungsunfähigkeit oder Vermeidungsunwilligkeit beruhende Verhalten eines Dritten. Es geht m. a. W. um die Frage, wo die Grenzen des Verantwortungsbereichs des einzelnen liegen60 , nachdem er ein tatsächliches Geschehen aus der Hand gegeben hat und die Entscheidungsgewalt über den Eintritt oder das Ausbleiben einer Verletzung nunmehr bei anderen liegt. Auch beim unmittelbaren Verursacher61 stellt sich das Problem, daß ihm die von Dritten gesetzten Erfolgsbedingungen zugerechnet werden müssen. Da aber der unmittelbare zugleich der zeitlich letzte Verursacher ist, handelt es sich bei der inhaltlichen Bestimmung der ihn treffenden Erfolgsvermeidungspflicht regelmäßig62 nur darum, in welchem Umfang früheres Verhalten Dritter zu berücksichtigen ist, inwieweit er sich darauf einzustellen hat, daß Dritte eine Lage geschaffen haben, in der sein - für sich betrachtet möglicherweise ungefährliches - Verhalten zu einem verletzenden wird. Die h. M. vertritt eine Einheitslösung. Sie rechnet prinzipi,ell alle von Dritten gesetzten Erfolgsbedingungen nach denselben Grundsätzen zu, ob diese Dritten vor oder nach dem Erfolgsverursacher, dessen Haftung in Betracht kommt, 58 Das hat Niebaum klar erkannt, Haftung S. 19 ff. Gleichwohl befürwortet er nur bei psychisch vermittelter Kausalität besondere Zurechnungsbeschränkungen, S. 97 ff., wenn auch mit sehr weitmaschigen Ausnahmen, S. 92 ff., 104 ff., während er bei dem von ihm sog. "Aufeinandertreffen mehrerer Geschehensabläufe" uneingeschränkt am Kausierungsverbot festhält, S. 78 ff., 82 ff., 120 ff. 59 Vgl. BGHZ 43/178 ff.: Derjenige, der schuldhaft den ersten Zusammenstoß verursacht hat, soll deliktisch mitverantwortlich sein für die weiteren Auffahrunfälle, obwohl diese auf dem verkehrswidrigen Verhalten der nachfolgenden Verkehrsteilnehmer beruhen. Vgl. auch die Sachverhalte in BGHZ 61/213 ff. und BGH NJW 1972/1804 ff. Die letztgenannte Entscheidung ist ein besonders prägnantes Beispiel einer reinen Verursachungshaftung, obwohl der BGH nicht § 823 I BGB, sondern §§ 823 II BGB, 1, 3 StVo heranzog. 80 Die Notwendigkeit gerade dieser Grenzbestimmung haben G. Jakobs, ZStW 89/1 ff., 17 ff.; Rother, NJW 1965/177, und Stratenwerth, FS Eh. Schmidt S. 383 ff., 390 ff., besonders klar herausgestellt. 61 Allenfalls in konstruierten Lehrbuchbeispielen ist der unmittelbare Verursacher auch der alleinige Verursacher. 62 Zu den Fällen, daß durch gleichzeitiges Handeln mehrerer Personen ein Erfolg herbeigeführt wird, s. unten 4. Kap. B. IV. 1.

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1. Kap.:

Die widerrechtlichen Handlungen i. S. d. § 823 I BGB

gehandelt haben. Ihre dogmatische Rechtfertigung findet diese nach der Lehre vom Erfolgsverursachungsverbot zwar konsequente, aber alles andere als evident richtige "Gleichbehandlung" aller Erfolgsbedingungen in der Ablehnung des restriktiven Täterbegriffs als der auch für die reinen Erfolgsdelikte allein maßgeblichen Zurechnungslehre. Diese Lehre geht davon aus, daß nicht schon jeder, der die Verwirklichung eines Tatbestands (mit-)verursacht, tatbestandsmäßig handelt83, daß vielmehr die Haftung von vornherein auf die Personen beschränkt ist, die die besonderen Voraussetzungen der Täterschaft und Teilnahme erfüllen. Täterschaft ihrerseits setzt neben der Verursachung der Tatbestandsverwirklichung84 Tatherrschaft voraus, die bei alleiniger oder gemeinschaftlicher Vornahme der tatbestandsmäßigen Handlung und unter besonderen Umständen auch gegenüber dem - alleinigen - tatbestandsmäßigen Verhalten eines mit dem Täter nicht zusammenwirkenden Dritten gegeben ist65 • über den Kreis der Täter hinaus kann die Haftung dann nur nach den Regeln über die Teilnahme ausgedehnt werden. Der die Zurechnung in dieser Weise begrenzende restriktive Täterbegriff gilt im Strafrecht für die vorsätzlichen Straftaten mit Ausnahme der reinen Erfolgsdelikte 6G , und er gilt damit auch im Zivilrecht zumindest in den Fällen, in denen nur eine Haftung nach § 823 11 BGB in Verbindung mit einem vorsätzlichen strafrechtlichen Tätigkeitsdelikt in Betracht kommt, da insoweit ein haftungsbegründender Schutzgesetzverstoß allein in einem Verhalten gefunden werden kann, das strafrechtlich verboten ist67 • Der restriktive Täterbegriff beruht auf einem der Lehre vom Kausierungsverbot entgegengesetzten Tatbestandsverständnis6B • Er ist die Konsequenz aus der Eingrenzung des Unrechtstatbestandes auf eine einzige, durch eines oder mehrere Merkmale gekennzeichnete Handlung, während alle anderen Handlungen, auch soweit sie die Tatbestandsverwirklichung verursachen, tatbestandslos sind. Die Bestimmung Samson, SK § 25 StGB Rz. 3. Lackner, § 25 StGB Bem. 2 b, bb; Samson, SK § 25 StGB Rz.44; nach BydHnski, AcP 158/410 ff., 416 ff., 425 f., und Deutsch, Haftungsrecht § 21 III 63

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I, S. 341 f., genügt bei Mittäterschaft der bloße "Kausalitätsverdacht". 65 Samson, SK § 25 StGB Rz. 10 ff., 18. VgI. jetzt auch § 25 n. F. StGB. Die durchaus problematische Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme ist nur für das Strafrecht von Bedeutung, da das BGB zwar nicht vom extensiven Täterbegriff, wohl aber vom Einheitstäter ausgeht, § 830 I, 1, II BGB. 66 Samson, SK § 25 StGB Rz. 3,22. 67 Motive II S. 726. Davon ist die andere Frage zu unterscheiden, ob auch der strafrechtliche Verschuldensbegriff maßgebend ist; dazu vgI. Schmiedet, Deliktsobligationen S. 78 ff. 68 Engisch spricht denn auch, Zimmerl zitierend, statt vom restriktiven Täterbegriff von der "Theorie von der ,restriktiven Interpretation der Tatbestände' ", Kausalität S.84. Als isolierte Restriktion des Täterbegriffs erscheint bei ihm die Lehre vom Regreßverbot, aaO.

A.

Die Lehre vom Erfolgsverursachungsverbot

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der haftpflichtigen Personen auf der Grundlage des jeweiligen, derartig eingegrenzten Deliktstatbestandes ausschließlich nach den Regeln über die Täterschaft und Teilnahme führt zu einer klaren Abgrenzung der Verantwortungsbereiche aller für eine Tatbestandsverwirklichung ursächlich gewordenen Personen. Zugerechnet wird jedem zunächst nur das eigene, den gesamten Tatbestand erfüllende Verhalten. Das Problem, welche Bedeutung späterem Handeln Dritter zukommt, stellt sich für die Haftungsbegründung nach Verwirklichung des Tatbestandes nicht mehr. Es betrifft allein die haftungsausfüllende Kausalität und ist nach den dafür geltenden Regeln zu lösen. Die grundsätzliche Beschränkung des Verantwortungsbereichs auf das eigene tatbestandsmäßige Handeln hat zur Folge, daß ein Verhalten, das keines oder nur einzelne Tatbestandsmerkmale verwirklicht, als solches nicht zur Haftung führen kann. Diese tritt erst ein, wenn der Verantwortungsbereich erweitert wird auf das den Tatbestand komplettierende Verhalten eines Dritten. Die Erweiterung erfolgt aber nicht allein nach Gesichtspunkten, die für das Rechtswidrigkeits- und Verschuldensurteil relevant sind - insbesondere genügen nicht Voraussehbarkeit und Vermeidbarkeit der Tatbestandsverwirklichung -, sondern in den wesentlich engeren Grenzen, wie sie die besonderen Voraussetzung·en der Täterschaft und Teilnahme ziehen. Eine Begrenzung der Verantwortlichkeit des einzelnen für ein tatbestandsmäßiges Geschehen in dieser Weise heißt nichts anderes, als im Rahmen der Zurechnung den für die Kausalität geltenden Grundsatz von der Äquivalenz aller Bedingungen zu durchbrechen. Unter Zurechnungsgesichtspunkten sind die von Dritten gesetzten Bedingungen der Tatbestandsverwirklichung nicht gleichwertig. Sie werden danach unterschieden, ob sie im Tatbestand selbst enthalten sind oder nicht. Entsprechend dieser Unterscheidung bestehen zwei voneinander unabhängige Zurechnungsmaßstäbe: Tatbestandsergänzendes Verhalten Dritter, also ein Verhalten, das als solches alle oder einige Merkmale des gesetzlich·en Tatbestandes verwirklicht, wird einem anderen nur nach den besonderen Wertungskriterien der Regeln über die Täterschaft und Teilnahme zugerechnet; die Berücksichtigung sonstigen, die Tatbestandsverwirklichung zwar verursachenden, selbst aber tatbestandslosen Verhaltens Dritter dagegen erfolgt nach den allgemeinen für die Rechtswidrigkeits- und Verschuldensprüfung geltenden Grundsätzen. Dieses zweispurige System für die Zurechnung des Verhaltens Dritter hat im Recht der unerlaubten Handlungen keine generelle Geltung erlangt. Nach der h. M. liegt dem Haftungsrecht der extensive Täterbegriff zugrunde68 : "Täter ist, wer durch seine Handlung die Verwirklichung 88

Deutsch, Haftungsrecht § 21 IV 1, S.347 m. Nachw.

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1. Kap.: Die widerrechtlichen Handlungen i. S. d. § 823 I BGB

des Tatbestandes verursacht hat, sofern seine Tätigkeit sich nicht als Anstiftung oder Beihilfe darstellt.... Die kausale Beziehung der Handlung auf den Erfolg ... begründet die Täterschaft des Handelnden"70. Dem entspricht das herrschende Verständnis des § 830 BGB; die Vorschrift soll gerade nicht die Grenzen festlegen, innerhalb deren einern Verursacher tatbestandsergänzendes Verhalten Dritter zugerechnet werden kann. Soweit die Voraussetzungen des § 830 BGB nicht vorliegen, soll vielmehr jeder, der für die Tatbestandsverwirklichung (mit-)ursächlich geworden ist, "nach allgemeinen Grundsätzen über die adäquate Kausalität für den ganzen Schaden verantwortlich sein" könmen71 . Wer nicht Teilnehmer gern. § 830 BGB ist, haftet als Nebentäter nach § 840 I BGB 72 . Dennoch soll den Vorschriften des § 830 I 1, II BGB nicht nur eine deklaratorische, eine die Geltung des extensiven Täterbegriffs klarstellende73 , sondern zusätzlich eine haftungserweiternde Bedeutung zukommen, indem sie die Voraussetzungen bezeichnen sollen, unter denen ein Beteiligter haftet, dessen Kausalität für die Tatbestandsverwirklichung nicht nachgewiesen ist". Die Anerkennung des extensiven Täterbegriffs im zivilen Deliktsrecht beruht auf der Deutung des § 823 I BGB als eines reinen Erfolgsdelikts, bei dem der Gesetzgeber das widerrechtliche Verhalten nicht umschrieben, sondern lediglich als für den Erfolgseintritt kausales gekennzeichnet habe75 . Diese Auffassung führt zu demselben Ergebnis wie die These vom extensiven Täterbegriff: Jeder Erfolgsverursacher 70

80f.

Mezger, Lehrbuch § 58 I, S.415; von Liszt, Deliktsobligationen S.78,

71 ErmanjDrees, § 830 Rz.5; Soergel/Zeuner, § 830 Rz.2; Staudinger/Schäfer, § 830 Rz. 17. 72 Deutsch, Haftungsrecht § 21 II, S. 340 f. Die restriktive Auslegung der §§ 830, 840 I BGB durch Keuk, eine solidarische Haftung mehrerer hinsicht-

lich des gesamten Schadens sei nur bei gemeinschaftlicher Verursachung i. S. d. § 830 BGB sachlich gerechtfertigt, AcP 168/183 f., während sie bei Nebentätern allein im Verhältnis zum Verletzten, nur zu seinem Schutz und nur insoweit eintrete, wie sich die Schadensanteile nicht trennen ließen, aaO, S. 185 f., führt bei dem Problem der Mitverursachung schon des haftungsbegründenden Erfolges noch nicht zu einem anderen Ergebnis als dem der h. M. Der von Keuk - zu Recht - vertretene restriktive Täterbegriff kann eine haftungsbegrenzende Wirkung nicht entfalten, solange der Tatbestand des § 823 I BGB als Verbot jeder erfolgsbedingenden Handlung gedeutet wird. 73 Deutsch, Haftungsrecht § 21 IV I, S. 347; von Liszt, S. 75 ff. 74 BydZinski, AcP 158/410 ff., 417 f.; Deutsch, Haftungsrecht § 21 III 1, S. 341 f.; Weckerle, Verantwortlichkeit mehrerer S. 82 ff., 88; a. A. Brambring, Mittäter S. 40 ff. 75 Dieser Zusammenhang wird in der strafrechtlichen Literatur besonders deutlich. Anders als bei den vorsätzlichen und fahrlässigen Tätigkeitsdelikten soll bei den reinen Erfolgsdelikten der §§ 222, 230 StGB jeder Erfolgsverursacher Täter sein können, Samson, SK § 25 StGB Rz. 22, 41; Schönke/ Schröder, § 25 StGB Rz.43.

A. Die Lehre vom Erfolgsverursachungsverbot

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mit Ausnahme des Verletzten selbst - ist tatbestands mäßig Handelnder. Ohne daß es weiterer Begründung bedürfte, ist so ein zweispuriges Zurechnungssystem für das Verhalten Dritter von vornherein ausgeschlossen. Die bei den Tätigkeitsdelikten mögliche Unterscheidung mitverursachenden Verhaltens Dritter danach, ob es eines oder mehrere Tatbestandsmerkmale verwirklicht oder nicht, entfällt, weil es gänzlich tatbestandslose verursachende Handlungen nicht gibf 8 • Für die Tatbestandsmäßigkeit und für die Zurechnung gilt wieder, was für die Kausalität richtig ist: die Gleichwertigkeit aller Bedingungen unter Einschluß der erfolgsverursachenden Handlungen Dritter. Problematisch 1st dieser Standpunkt vor allem im Hinblick auf den "das deutsche Recht der unerlaubten Handlung gerade im Gegensatz zu anderen Rechten ... beherrschenden Grundsatz ... , daß man für das schädigende Verhalten anderer Personen bei unerlaubten Handlungen grundsätzlich ... nicht haftet'