Haftung, Zurechnung und Beweisführung bei anfänglicher und nachträglicher Unmöglichkeit [1 ed.] 9783428536863, 9783428136865

Daniel Peres widmet sich Problemfeldern an der Schnittstelle zwischen materiellem Recht und Zivilprozessrecht, die auch

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Haftung, Zurechnung und Beweisführung bei anfänglicher und nachträglicher Unmöglichkeit [1 ed.]
 9783428536863, 9783428136865

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Schriften zum Bürgerlichen Recht Band 423

Haftung, Zurechnung und Beweisführung bei anfänglicher und nachträglicher Unmöglichkeit

Von

Daniel Peres

Duncker & Humblot · Berlin

DANIEL PERES

Haftung, Zurechnung und Beweisführung bei anfänglicher und nachträglicher Unmöglichkeit

Schriften zum Bürgerlichen Recht Band 423

Haftung, Zurechnung und Beweisführung bei anfänglicher und nachträglicher Unmöglichkeit

Von

Daniel Peres

Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Universität Potsdam hat diese Arbeit im Jahre 2011 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2012 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: L101 Mediengestaltung, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7387 ISBN 978-3-428-13686-5 (Print) ISBN 978-3-428-53686-3 (E-Book) ISBN 978-3-428-83686-4 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Im Gedenken meinem Großvater gewidmet

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2011 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Potsdam als Dissertation angenommen. Literatur und Rechtsprechung konnten bis zum Dezember 2010 berücksichtigt werden. Mein Dank gilt meinem Doktorvater, Herrn Professor Dr. Jens Petersen, der die Arbeit mit größter Hilfsbereitschaft betreute, sowie Herrn Professor Dr. Tobias Lettl für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Mein besonderer Dank gilt meinem langjährigen wissenschaftlichen Lehrer, Herrn Professor Dr. Johannes Hager. Die unzähligen Gespräche während meiner Zeit als Mitarbeiter an seinem Lehrstuhl haben mein juristisches Denken maßgeblich geprägt. Das gleiche gilt für meinen Vater, Herrn Professor Dr. Holger Peres, dem ich für viele wertvolle Anregungen zu dieser Arbeit zu danken habe. Mein herzlicher Dank gilt schließlich meiner Mutter, Judith Peres, ohne deren immerwährende und liebevolle Unterstützung mein Ausbildungsweg insgesamt nicht möglich gewesen wäre. Schließlich danke ich Hannah und Isabella, die mir in den letzten Jahren ebenfalls permanenter Rückhalt waren. München, den 18. Juli 2011

Daniel Peres

Inhaltsverzeichnis Kapitel 1 Die konzeptionelle Grundlage und allgemeine Vorbemerkungen

17

A. Einführung in die Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

17

B. Aufgabenstellung und Gang der Arbeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

18

Kapitel 2 Haftungsgrund und Zurechnungsgesichtspunkt des Ersatzanspruchs infolge nachträglicher Unmöglichkeit (§§ 280 Abs. 1, 3, 283 BGB)

21

A. Der Haftungsgrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Der Zentralbegriff der Pflichtverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Harmonisierung von allgemeinem Leistungsstörungsrecht und Gewährleistungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Suche nach einem passenden Oberbegriff. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Einzelne Folgerungen aus der Wahl des weiten Oberbegriffs . . . . . . . II. Die Differenzierung nach dem jeweiligen Pflichtenprogramm . . . . . . . . . 1. Leistungs- und Schutzpflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Erfolgs- und Tätigkeitspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Bedeutung der Unterscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Abgrenzungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Der Haftungsgrund bei Erfolgspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Pflichtverletzung trotz Befreiung von der Leistungspflicht? bb) Der verhaltensbezogene Ansatz der Pflichtverletzung. . . . . . . cc) Die Vorzugswürdigkeit des erfolgsbezogenen Anknüpfungspunktes der Pflichtverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Der Haftungsgrund bei Tätigkeitspflichten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

21 21 21 22 23 24 24 26 26 27 28 29 30

B. Der Zurechnungsgesichtspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Der Begriff des Vertretenmüssens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der Bezugspunkt des Vertretenmüssens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

34 34 36

31 33

10

Inhaltsverzeichnis Kapitel 3 Haftungsgrund und Zurechnungsgesichtspunkt des Ersatzanspruchs infolge anfänglicher Unmöglichkeit (§ 311a BGB)

A. Der Haftungsgrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Nichterfüllung des wirksamen Leistungsversprechens . . . . . . . . . . . . . 1. Der Garantiegedanke. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Garantie auf Ebene des Haftungsgrundes . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Garantie auf Ebene des Zurechnungsgrundes . . . . . . . . . . . . . . . c) Folgewirkungen der Aufspaltung des Garantiebegriffs. . . . . . . . . . . 2. Die Abgrenzung zum Haftungsgrund der culpa in contrahendo (§§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die unterschiedlichen Grundlagen der Haftungstatbestände . . . . . . aa) Leistungs- und Schutzpflichtverletzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Grundlage von Leistungs- und Schutzpflichten . . . . . . . . . cc) Der zeitliche Anwendungsbereich der Haftungsnormen . . . . . b) Die unterschiedlichen Schutzgüter. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Das Schutzgut von § 311a Abs. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Das Schutzgut der culpa in contrahendo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Das Konkurrenzverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Der Streitstand in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Vernichtung entstandener Ansprüche durch Vertragsschluss? cc) Vertragsschluss als Haftungsbegrenzungsmaßnahme? . . . . . . . III. Das Leistungshindernis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Verhältnis der Begriffe Unmöglichkeit und Leistungshindernis . . 2. Der Umfang des Begriffs des Leistungshindernisses . . . . . . . . . . . . . . . a) Leistungsrisiken als Leistungshindernisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Wortlaut, Systematik und Regelungsplan des Gesetzgebers . . bb) Teleologische Gesichtspunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Auswirkungen der Verwirklichungswahrscheinlichkeit eines Risikos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Unerheblichkeit der Verwirklichungswahrscheinlichkeit eines Risikos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Leistungshindernis und allgemeines Lebensrisiko . . . . . . . . . . . B. Der Zurechnungsgesichtspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Geltung des Verschuldensprinzips gemäß §§ 276 ff. BGB . . . . . . . . . II. Der Bezugspunkt des Vertretenmüssens. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kausalbezug zwischen Fehlverhalten und Haftungsgrund? . . . . . . . . . . 2. Beispiele aus der neueren Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Auswirkungen einer „Mitkenntnis“ des Gläubigers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vorliegen einer planwidrigen Regelungslücke? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

38 38 38 40 42 42 43 45 46 47 47 48 49 50 50 50 52 53 53 55 56 56 58 58 58 59 61 61 62 62 62 64 64 66 67 68

Inhaltsverzeichnis 2. 3. 4. 5.

Der Meinungsstand in der Literatur (§ 311a BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsprechung und Literatur zu § 254 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einzelfallkorrektur gemäß § 242 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Keine Anwendung von § 254 BGB auf den Aufwendungsersatzanspruch gemäß §§ 311a, 284 BGB. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

11 69 70 71 72

Kapitel 4 Einzelne Grundlagen des Beweisrechts

73

A. Die „Beweislast“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

73

B. Der I. II. III.

74 74 76 77 77 77

beweisrechtliche Grundsatz und besondere Beweislastnormen . . . . . . . . . Zweck, Inhalt und Wirkung der Beweislastnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Notwendigkeit einer allgemeinen Grundregel der Beweislastverteilung Besondere Beweislastnormen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Beweislastnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Beweislastprinzipien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

C. Beweislastnormen und Beweiserleichterungen durch richterliche Rechtsfortbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Modifizierung der Beweislastverteilung durch richterliche Rechtsfortbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Auswirkungen der tatbestandlichen Weite einer Beweislastnorm . . . . . . . D. Gesetzliche Vermutungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die widerleglichen Rechts- und Tatsachenvermutungen. . . . . . . . . . . . . . . II. Die Abgrenzung zu den Fiktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Abgrenzung zu den tatsächlichen Vermutungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die gesetzlichen Vermutungen der §§ 280 Abs. 1 Satz 2, 311a Abs. 2 Satz 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. §§ 280 Abs. 1 Satz 2, 311a Abs. 2 Satz 2 BGB als gesetzliche Vermutungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB als materielle Einwendungsnorm? . . . . . . . a) Auffassungen in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kein Vorliegen befürchteter Anwendungsprobleme . . . . . . . . . . . . . V. Der Anscheinsbeweis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

78 78 79 80 80 81 81 82 82 84 84 84 85

E. Feststellungslast (objektive Beweislast). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

86

F. Beweisführungslast (subjektive Beweislast) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Bedeutung der Beweisführungslast. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Notwendigkeit der Figur der konkreten Beweisführungslast? . . . . . . . . . . 1. Inhalt der konkreten Beweisführungslast. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bestehen eines Bedürfnisses nach dieser Kategorie? . . . . . . . . . . . . . . .

87 87 88 88 89

G. Darlegungs- bzw. Behauptungslast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

89

H. Substantiierungslast und sekundäre Behauptungslast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

91

12

Inhaltsverzeichnis I. Substantiierungslast. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Sekundäre Behauptungslast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

91 92

Beweiswürdigung und Beweismaß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

93

J. Hauptbeweis und Gegenbeweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

94

I.

Kapitel 5 Die Beweislastanordnungen der §§ 280 Abs. 1 Satz 2 und 311a Abs. 2 Satz 2 BGB A. Die Beweggründe für die gesetzgeberische Entscheidung. . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Der Inhalt des legislativen Regel-Ausnahme-Verhältnisses. . . . . . . . . . . . . II. Die zugrunde liegende Motivlage der gesetzgeberischen Entscheidung 1. Die Formulierungen in den Gesetzesmaterialien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verallgemeinerung des in den §§ 282, 285 BGB a. F. enthaltenen Rechtsgedankens? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Schwankende Anforderungen an den Entlastungsbeweis in der Rechtsprechung zu §§ 282, 285 BGB a. F. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Überholung der bisherigen Rechtspraxis durch § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Sphärengedanke, Beweisnähe, Gefahren- und Verantwortungsbereiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der gemeinsame Ausgangspunkt von Gesetzgeber, Literatur und Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die unterschiedlichen Auffassungen über die Tragweite des Sphärengedankens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die dogmatische Einordnung der Gefahrkreistheorie in das System des Beweisrechts. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Der Sphärengedanke als Beweislastprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Der Gedanke der vertraglichen Erfüllungsgarantie . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die vertragliche Erfüllungsgarantie als normativer Wertungsgesichtspunkt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Erfüllungsgarantie als Anknüpfungspunkt widerleglicher Vermutungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Der Inhalt der Beweislastanordnungen in §§ 280 Abs. 1 Satz 2 und 311a Abs. 2 Satz 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Beweislastverteilung für Schadensersatzansprüche infolge nachträglicher Unmöglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vom Gläubiger zu beweisende Tatsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Schuldverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Pflichtverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Auswirkung des Pflichteninhalts auf die Beweisführung bb) Verletzung von Erfolgspflichten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Verletzung von Tätigkeitspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

96 96 96 97 97 99 100 101 102 102 104 105 106 107 107 109 110 110 110 110 110 111 113 113

Inhaltsverzeichnis dd) Auswirkungen des Verantwortungsbereichs auf die Beweislastverteilung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ausschluss der Leistungspflicht gemäß § 275 Abs. 1–3 BGB und Pflichtverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Verhältnis des Leistungshinderungsgrundes zur Pflichtverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Auffassungen in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Die Vorzugswürdigkeit der herrschenden Auffassung . . . bb) Leistungshinderungsgrund und Nachfristsetzung . . . . . . . . . . . (1) § 283 BGB als Unterfall von § 281 Abs. 2 BGB. . . . . . . (2) Das prozessuale Vorgehen im Regelfall . . . . . . . . . . . . . . . d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Sonderproblem Leistungsverweigerungsrechte gemäß § 275 Abs. 2 und 3 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Schaden/Kausalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Beweiserleichterung des § 287 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Unterscheidung zwischen „konkretem Haftungsgrund“ und „haftungsbegründender Kausalität“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Haftungsausfüllende Kausalität und Schadenshöhe . . . . . . . . . dd) Der Umfang der Anwendung des § 287 ZPO auf Vertragsverletzungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Entlastungsbeweis des Schuldners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Beweislastverteilung für gesetzliche und privatautonom modifizierte Haftungsmaßstäbe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der Umfang des Entlastungsbeweises . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die verschiedenen Möglichkeiten der Entlastungsbeweisführung. II. Die Beweislastverteilung bei Schadensersatzansprüchen infolge anfänglicher Unmöglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vom Gläubiger zu beweisende Tatsachen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Schuldverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Bruch des wirksamen Leistungsversprechens/Nichterfüllung . . . . c) Schaden/Kausalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Entlastungsbeweis des Schuldners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vorliegen eines anfänglichen Leistungshindernisses . . . . . . . . . . . . b) Der Zeitpunkt des Eintritts der Unmöglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Kumulativer Entlastungsbeweis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Aufspaltung von Behauptungs- und Beweislast hinsichtlich des Verschuldens? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Auswirkungen der Beweislastverteilung konkurrierender Ansprüche aus culpa in contrahendo? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

13

114 116 116 117 117 119 119 120 121 122 123 124 125 126 127 127 128 130 131 133 133 133 133 134 134 134 136 137 137 138

14

Inhaltsverzeichnis Kapitel 6 Die Schwierigkeit des Entlastungsbeweises/Lösungsansätze

139

A. „Übertriebene Anforderungen“ an den Entlastungsbeweis des Schuldners? . . 139 B. Die Ausgangssituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Regelhaftungsfolge zu Lasten des Schuldners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Minimalanforderungen an die Beweistätigkeit des Gläubigers bei Erfolgsverpflichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Schwierigkeiten der Beweisanforderungen bei § 311a Abs. 2 Satz 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Kumulativer Entlastungsbeweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Lösungsansätze in Literatur und Rechtsprechung zur Erleichterung des Entlastungsbeweises. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Allgemeine Lösungsansätze zur Überwindung anerkannt schwieriger Beweislagen (innere und negative Tatsachen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Beweis innerer Tatsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Beweis negativer Tatsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Anknüpfung des Gesetzes an die zu vertretende Unkenntnis b) Problematik der Negativbeweisführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Bestimmte und unbestimmte negative Tatsachen . . . . . . . . . . . bb) Negativbeweis fehlendes Vertretenmüssen? . . . . . . . . . . . . . . . . c) Bestehende Lösungsansätze. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Umkehr der Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Senkung des Beweismaßes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Modifikation der Substantiierungsanforderungen. . . . . . . . . . . . (1) Der in Literatur und Rechtsprechung im Allgemeinen favorisierte Lösungsweg. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Modifikation der Substantiierungsanforderungen bei §§ 280 Abs. 1, 3, 283 und 311a Abs. 2 BGB? . . . . . . . . . II. Unmittelbar auf die aktuelle Rechtslage bezogene Lösungsansätze . . . . . 1. Teleologische Reduktion der §§ 280 Abs. 1 Satz 2, 311a Abs. 2 Satz 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Auffassung Repgens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Fehlende Zulässigkeit und Erforderlichkeit einer teleologischen Reduktion. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Aufspaltung von Darlegungs- und Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zu vertretende Pflichtverletzung und freie beweisrechtliche Zergliederung durch den Richter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Umkehr der Beweislast durch richterliche Rechtsfortbildung in geeigneten Fällen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Ein Lösungsansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

141 141 142 142 143 144 144 144 144 146 146 148 149 149 150 151 151 152 152 153 154 154 154 155 156 157 158 159 160

Inhaltsverzeichnis 1. Exkulpation hinsichtlich naheliegender Gründe des Scheiterns der Leistung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Was sind naheliegende Gründe? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Kasuistik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Äußere und verdeckte Mängel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Typische Störungen des Vertragsgegenstands . . . . . . . . . . . . . . cc) Ausschluss von Rückgabeverpflichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Verität von Forderungen/Verfügungsbefugnis über Rechte . . b) Weitere Aufgreifkriterien? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Einzelfallbetrachtung durch die Gerichte/Hinweispflichten . . . . . . 3. Auswirkungen des Gläubigervortrags auf die Anforderungen an den Entlastungsbeweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Aus dem Schuldnervortrag hervorgehende Kenntnisse . . . . . . . . . . b) Prozessuale Möglichkeiten zur Erlangung von Kenntnissen . . . . . aa) Erweiterung richterlicher Aufklärungs- und Hinweispflichten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Die Vorstellungen des Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Der Streitstand in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Stärkere Betonung richterlicher Hinweispflichten? . . . . . (4) Erweiterung des Verbots von Überraschungsentscheidungen (§ 139 Abs. 2 ZPO) und sonstige Änderungen. . (5) Folgerungen insbesondere zur praktischen Handhabung der Hinweispflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Erweiterung der Pflichten zur Urkundenvorlegung . . . . . . . . . (1) Die Regelungen der §§ 142, 144 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Zulässigkeit von Beweisermittlungsanträgen bzw. Durchbrechung des Beibringungsgrundsatzes? . . . . . . . . . (a) Der Streitstand in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Der Beibringungsgrundsatz gilt fort . . . . . . . . . . . . . . . (c) Die Vorstellungen des Gesetzgebers. . . . . . . . . . . . . . . (3) Die Bedeutung der Vorschriften für die Entlastungsbeweise gemäß §§ 280 Abs. 1 Satz 2, 311a Abs. 2 Satz 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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161 161 163 163 164 164 166 167 167 168 169 169 170 170 170 171 172 173 176 176 177 177 178 179

180 181

Kapitel 7 Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse

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Inhaltsverzeichnis Kapitel 8 Fallbeispiele unter Anwendung des vorgestellten Lösungsansatzes

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A. Verletzung von Tätigkeitspflichten (nachträgliche Leistungshindernisse) . . . . I. Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Vom Gläubiger zu beweisende Tatsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Vom Schuldner zu beweisende Tatsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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B. Verletzung von Erfolgspflichten (nachträgliche Leistungshindernisse). . . . . . . I. Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Vom Gläubiger zu beweisende Tatsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Vom Schuldner zu beweisende Tatsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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C. Verletzung von Erfolgspflichten (anfängliche Leistungshindernisse) . . . . . . . . I. Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Vom Gläubiger zu beweisende Tatsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Vom Schuldner zu beweisende Tatsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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D. Verletzung von Tätigkeitspflichten (anfängliche Leistungshindernisse) . . . . . . I. Fallvarianten einer praktisch seltenen Fallkonstellation. . . . . . . . . . . . . . . . II. Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Vom Gläubiger zu beweisende Tatsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Vom Schuldner zu beweisende Tatsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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E. Verletzung von Erfolgsverpflichtungen (Ungewissheit des Zeitpunkts der Unmöglichkeit) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Vom Gläubiger zu beweisende Tatsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Vom Schuldner zu beweisende Tatsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 Sachregister. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217

Kapitel 1

Die konzeptionelle Grundlage und allgemeine Vorbemerkungen A. Einführung in die Problemstellung „Bei den Fragen der Beweislast ist fast nur das eine sicher, dass sie eine außerordentlich große praktische Bedeutung haben. In sehr vielen Prozessen hängt der Ausgang von der Entscheidung über sie ab. Denn meistens dreht sich der Streit nicht um Rechts- sondern um Tatfragen“.1

Besonders schwierige Tatfragen ergeben sich in Rechtsstreitigkeiten häufig hinsichtlich solcher Sachumstände, vermittels derer eine Verantwortlichkeit geklärt werden soll. Ob ein Verschulden vorliegt, bemisst sich bei den Haftungsnormen des allgemeinen Leistungsstörungsrechts anhand der Vorschriften §§ 280 Abs. 1 Satz 2 und 311a Abs. 2 Satz 2 BGB jeweils in Verbindung mit den §§ 276 ff. BGB. Während aber den Haftungsbegründungselementen der Schadensersatznormen viel Aufmerksamkeit zuteil wurde, finden sich auch acht Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts2 immer noch wenige Abhandlungen, die sich dezidiert mit den jeweiligen Zurechnungselementen der Haftungsnormen sowie den im Einzelnen bestehenden Beweisführungsanforderungen auseinander setzen. Beispielhaft ist insbesondere die wissenschaftliche Aufarbeitung der Schadensersatzhaftung infolge anfänglicher Unmöglichkeit gemäß § 311a Abs. 2 BGB. Keine Norm des modernisierten Schuldrechts war Gegenstand derart tief greifender Kontroversen. Die hierzu verfassten Aufsätze,3 Kommentare und Monographien4 handeln jedoch fast ausschließlich von Fragen der Haftungsbegründung. Dem praktisch so bedeutsamen Zurechnungselement, der zu vertretenden Unkenntnis von einem anfänglichen Leistungs1

Leonhard, Die Beweislast, S. 1. Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts vom 26. November 2001 (BGBl I, S. 3138). 3 Canaris, in: FS Heldrich, S. 11 ff.; ders. DB 2001, 1815, 1818; S. Lorenz KF 2005, S. 31 f.; Riehm, in: FS Canaris, Bd. I, S. 1079, 1080 ff.; Ehmann/Sutschet JZ 2004, 62, 64; Sutschet NJW 2005, 1404, 1405; Altmeppen DB 2001, 1399, 1401 f.; ders. DB 2001, 1821, 1823, Harke AcP 205 (2005), 67, 83 f. 4 Insbesondere Lobinger, Die Grenzen rechtsgeschäftlicher Leistungspflichten, S. 1 ff. 2

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Kap. 1: Die konzeptionelle Grundlage und allgemeine Vorbemerkungen

hindernis, wurde bemerkenswert wenig Beachtung geschenkt. Der außergewöhnliche Bezugspunkt des Vertretenmüssens, ein negative innere Tatsache, wirft indes eine Reihe von Fragen hinsichtlich der im Einzelnen bestehenden Beweisführungsanforderungen auf. Sie können jedoch nicht isoliert betrachtet werden. Zwischen Haftungsgrund, Zurechnungsgrund und Beweisführungsanforderungen bestehen eine ganze Reihe von Wechselwirkungen. An dieser Schnittstelle zwischen materiellem Recht und Prozessrecht setzt die vorliegende Arbeit an. Anhand der Haftungsnormen bei anfänglicher und nachträglicher Unmöglichkeit werden verschiedene Problemstellungen auf jeder der genannten Ebenen behandelt, um sich schließlich auf breiter Grundlage den besonderen Problemfeldern des Entlastungsbeweises des Schuldners in der Unmöglichkeitshaftung zuwenden zu können.

B. Aufgabenstellung und Gang der Arbeit Es besteht weitestgehender Konsens darüber, dass der Gesetzgeber in den Haftungsnormen der §§ 280 Abs. 1, 283 und 311a Abs. 2 BGB die Beweislast für das Haftungsbegründungselement dem Gläubiger, die Beweislast für das Haftungszurechnungselement hingegen dem Schuldner zugewiesen hat.5 Unter dem Haftungsgrund oder dem objektiven Tatbestand sind, zusammengefasst in einer Kurzformel, die Gründe und Voraussetzungen zu verstehen, unter denen die Rechtsordnung einem Geschädigten abstrakt Schutz gewährt. Der Zurechnungsgrund bzw. der subjektive Tatbestand befasst sich demgegenüber mit den Gründen und Voraussetzungen, aufgrund derer die Rechtsordnung eine Ersatzverpflichtung konkret dem Schädiger zuweist.6 Auch hierüber besteht Einvernehmen. Uneinigkeit besteht hingegen darüber, welche Sachverhaltselemente inhaltlich der Haftungsbegründungsebene und welche Sachverhaltselemente der Zurechnungsebene zuzuordnen sind. Zunächst werden daher diese beiden Ebenen soweit als möglich voneinander abgegrenzt. Dies erfolgt in einer Gegenüberstellung des sehr speziellen Falles der Haftung infolge anfänglicher Unmöglichkeit gemäß § 311a Abs. 2 BGB und der Haftung infolge nachträglicher Unmöglichkeit, die an die Zentralnorm des modernisierten Schuldrechts, an § 280 Abs. 1 BGB anknüpft. Für die Bestimmung des Umfangs der Beweisthemen, des Haftungsbegründungstatbestands einerseits und des Haftungszurechnungstatbestands andererseits, ist vor allem die inhaltliche Ausgestaltung der Schuldverhältnisse von Bedeutung. Grundlegend ist insbesondere die Differenzierung in 5 Palandt/Grünberg § 280, Rn. 34 ff., § 311a, Rn. 10; MüKo/Ernst BGB § 280, Rn. 30 ff., § 311a, Rn. 105 jeweils m. w. N. 6 Vgl. Canaris, in: FS Heldrich, S. 11, 26.

B. Aufgabenstellung und Gang der Arbeit

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erfolgs- und tätigkeitsbezogene Pflichten, da sich der Umfang der übernommenen vertraglichen Verpflichtung unmittelbar auf den Umfang der jeweiligen Beweisthemen und somit auch auf die Beweisführungsanforderungen auswirkt. Damit sind es maßgeblich die materiellen Abreden der Parteien, die sich in den Beweisführungsanforderungen abbilden. Aus diesem Zusammenhang heraus kann sich je nach inhaltlicher Gestaltung des Schuldverhältnisses vor allem für den Schuldner eine besonders schwierige Beweislage in Bezug auf seinen Entlastungsbeweis ergeben. Seine Situation ist durch ein kompliziertes Spannungsfeld geprägt. Ihm ist durch die Beweislastnormen der §§ 280 Abs. 1 Satz 2 und 311a Abs. 2 Satz 2 BGB bewusst das Risiko der Unaufklärbarkeit der Verschuldensfrage zugewiesen. Bei der Haftung infolge anfänglicher Unmöglichkeit bezieht sich sein Entlastungsbeweis zudem auf eine negative Tatsache. Der Beweis negativer Tatsachen wird allgemein als besonders schwierig angesehen. Andererseits behielt aber auch nach der Schuldrechtsreform die alte in Rechtsprechung und Lehre geprägte Formel Gültigkeit, dass keine „übertriebenen Anforderungen“ an den Entlastungsbeweis gestellt werden dürfen. Hieran anknüpfend sind in Teilen der Literatur Tendenzen erkennbar, für eine Erleichterung des Entlastungsbeweises einzutreten.7 Die bislang vertretenen Ansätze entfernen sich jedoch entweder zu weit von den gesetzgeberischen Vorgaben oder sie beachten die zivilprozessuale Beweisrechtsdogmatik, insbesondere den Charakter und die Wirkweise von Beweislastnormen, nicht in ausreichendem Maße. Ein Lösungsansatz, der das Ziel verfolgt, die Beweisführungsanforderungen an den Schuldner sachgerecht zu bestimmen, macht es daher zunächst erforderlich, die Beweislastnormen der §§ 280 Abs. 1 Satz 2, 311a Abs. 2 Satz 2 BGB systematisch in die Beweisrechtsdogmatik einzuordnen. Ebenso hat er die Motive des Gesetzgebers für die Kodifikation dieser Beweislastnormen und die Frage, ob diese Motive auch Eingang in die lex lata gefunden haben, zu ergründen. Schließlich sind die Absichten des Gesetzgebers nur in diesem Falle für die Gesetzesauslegung berücksichtigungsfähig. Erst die Beantwortung dieser Vorfragen ermöglicht eine Aussage darüber, ob das materielle Recht im Zusammenwirken mit beweisrechtsdogmatischen Gegebenheiten einer Partei „übertriebene Beweisführungsanforderungen“ aufbürdet bzw. eine erdrückende Beweislast schafft. Ist dies der Fall, ergibt sich aufgrund der Vorgaben des materiellen Rechts in Verbindung mit der Beweisrechtdogmatik zugleich aber auch der Rahmen, innerhalb dessen in zulässiger Weise Modifikationen der Beweisführungsanforderungen vorgenommen werden können. Das materielle Recht und die Beweis7 MüKo/Ernst BGB § 280, Rn. 35; Wieczorek/Schütze/Ahrens ZPO, Bd. II/2, A Vor § 286, Rn. 163, 168; Baumgärtel/Laumen/Prütting/Repgen § 280, Rn. 46, 100.

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Kap. 1: Die konzeptionelle Grundlage und allgemeine Vorbemerkungen

rechtsdogmatik geben also sowohl den Anlass als auch die Grenzen für Modifikationen der Beweisführungsanforderungen vor. Der hier vertretene Lösungsansatz integriert dabei auch die in diesem Zusammenhang wesentlichen Änderungen der Reform des Zivilprozesses,8 der zweiten bedeutenden Reform des deutschen Zivilrechts innerhalb des letzten Jahrzehnts. Bedeutsam für die Beweisführungsanforderungen sind hierbei vor allem Fragen um die Handhabung der materiellen Prozessleitung durch die Gerichte sowie die partielle Erweiterung innerprozessualer Mitwirkungspflichten der Parteien. Zur Illustration werden schließlich Fallkonstellationen dargestellt, in denen sich die angesprochenen Problemfelder am drastischsten offenbaren und unter Anwendung der gefundenen Ergebnisse einer Lösung zugeführt.

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Zivilprozess-Reformgesetz vom 27.07.2001 (BGBl I, S. 1887).

Kapitel 2

Haftungsgrund und Zurechnungsgesichtspunkt des Ersatzanspruchs infolge nachträglicher Unmöglichkeit (§§ 280 Abs. 1, 3, 283 BGB) A. Der Haftungsgrund I. Der Zentralbegriff der Pflichtverletzung 1. Die Harmonisierung von allgemeinem Leistungsstörungsrecht und Gewährleistungsrecht Die Haftung bei nachträglicher Unmöglichkeit der Leistung setzt eine Pflichtverletzung voraus. Die Haftung knüpft somit an den Zentralbegriff des modernisierten Schuldrechts, die „Pflichtverletzung“ aus § 280 Abs. 1 BGB, an. Diese Norm erfasst die weit überwiegende Zahl von Schadensersatzansprüchen aus bestehenden Schuldverhältnissen,1 sei es in ausschließlicher Anwendung der Norm, sei es unter den zusätzlichen Voraussetzungen der §§ 281, 282, 283, 286 BGB oder aufgrund von Verweisungsnormen des besonderen Schuldrechts wie etwa der §§ 437 Nr. 3, 634 Nr. 4 BGB.2 Ein wichtiges Ziel der Schuldrechtsreform war es, die Zweispurigkeit von allgemeinem und besonderem Schuldrecht aufzuheben.3 Der Gesetzgeber sah das Gewährleistungsrecht als mit dem allgemeinen Leistungsstörungsrecht zu wenig „verzahnt“4 an und identifizierte dieses Nebeneinander der Regelungskomplexe als „unerschöpfliche Quelle von Streitigkeiten“.5 Von der Angleichung der Käufer- bzw. Bestellerrechte sowie der Schadensersatzhaftung von Verkäufer und Werkunternehmer durch Verweisungsnormen ins allgemeine Leistungsstörungsrecht versprach sich der Gesetzgeber sowohl eine einfachere Handhabung des Gesetzes als auch eine 1

Staudinger/Otto § 280, Rn. A 2; Palandt/Grüneberg § 280, Rn. 2; MüKo/Ernst BGB § 280, Rn. 6; Erman/Westermann § 280, Rn. 6 ff. 2 Grigoleit/Riehm AcP 203 (2003), S. 727, 728. 3 S. Lorenz KF 2005, S. 21. 4 BT-Drs. 14/6040, S. 86. 5 BT-Drs. 14/6040, S. 87.

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Kap. 2: Haftung und Zurechnung bei nachträglicher Unmöglichkeit

Verbesserung seiner dogmatischen Klarheit.6 Das allgemeine Leistungsstörungsrecht bildet nunmehr die „Matrix des Gewährleistungsrechts“.7 2. Die Suche nach einem passenden Oberbegriff Der Gesetzgeber stand somit vor der Aufgabe, einen geeigneten Oberbegriff für den tatbestandlichen Kern der weit überwiegenden Zahl von Schadensersatzansprüchen des Leistungsstörungsrechts zu finden.8 Da auch einzelne gesetzliche Schuldverhältnisse sowie sämtliche in § 241 BGB angesprochenen Pflichten erfasst werden sollten, erwiesen sich die Begriffe der „Vertragsverletzung“ und der „Forderungsverletzung“ als ungeeignet. Hätte man sich für den Begriff der „Vertragsverletzung“ entschieden, wäre die direkte Anwendung von § 280 Abs. 1 BGB auf gesetzliche Schuldverhältnisse zunächst versperrt gewesen und eine Begründung für seine analoge Anwendung erforderlich geworden. Der Begriff der „Forderungsverletzung“ hätte den Einbezug von Rücksichtnahmepflichten des § 241 Abs. 2 BGB unnötig erschwert. Ernsthaft in Erwägung zu ziehen waren somit nur noch die Begriffe der „Pflichtverletzung“ und der „Nichterfüllung“. Der von Ulrich Huber vorgeschlagene Begriff der „Nichterfüllung“,9 der den European Principles of European Contract Law Art. 9.501 und den UNIDROIT Principles for International Commercial Contracts Art. 7.1.1 i. V. m. 7.4.1 (non-performance) weitgehend entsprochen hätte und teilweise dem allgemeinen Leistungsstörungsrecht vor der Reform zu Grunde lag,10 konnte sich letzten Endes nicht durchsetzen. Der Gesetzgeber sah den Begriff der „Nichterfüllung“ als durch das BGB in einem anderen Sinne besetzt an. Nichterfüllung bedeute dort immer das vollständige oder teilweise Ausbleiben der Leistung. Für den Fall der Verspätung der Leistung spreche das BGB nicht von Nichterfüllung, sondern von Verzug. Auch das qualitative Zurückbleiben des Schuldners werde nicht als Nichterfüllung begriffen. Deshalb befürchtete der Gesetzgeber im Falle der Anknüpfung an das Merkmal der Nichterfüllung „Missverständnisse und Anwendungsirrtümer“.11 Er entschied sich für den von ihm als neutraler empfundenen Be6

BT-Drs. 14/6040, S. 86 ff., 98. S. Lorenz KF 2005, S. 21. 8 Palandt/Grüneberg, § 280 Rn. 2 f.; MüKo/Ernst BGB § 280, Rn. 9 ff. 9 Staudinger/Otto § 280, Rn. C 2. 10 Vgl. mit einer systematischen Darstellung Soergel/Wiedemann, 12. Aufl., Vor § 275 a. F., Rn. 4 ff. 11 BT-Drs. 14/6040, S. 133 ff. setzen sich ausführlich mit der Begründung der Begriffswahl und der Kritik hieran auseinander; vgl. zur Kritik am Begriff der „Nichterfüllung“ auch Diederichsen AcP 182 (1982), S. 101, 117 ff. 7

A. Der Haftungsgrund

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griff der „Pflichtverletzung“,12 zumal dieser der beabsichtigten Weite des Anwendungsbereichs der Grundnorm des § 280 Abs. 1 BGB am ehesten Rechnung trug.13 3. Einzelne Folgerungen aus der Wahl des weiten Oberbegriffs Mit der Entscheidung des Gesetzgebers, einen weiten Oberbegriff für seine Zentralnorm zu wählen, um einen möglichst weiten Anwendungsbereich der Norm des § 280 Abs. 1 BGB sicherzustellen und nicht sofort nach Normsetzung einen erheblichen Begründungsaufwand für Analogien erforderlich zu machen, geht naturgemäß ein Verlust an inhaltlicher Präzision in der Ausdrucksweise des Gesetzes einher. Beurteilt man vermeintliche Unklarheiten aber vor diesem Hintergrund, erscheint so mancher Einwand der Kritiker einzelner Teile des Reformwerks als weniger zwingend.14 Die vorgesehene tatbestandliche Weite des § 280 Abs. 1 BGB spiegelt sich in der sehr weiten Definition des Begriffs der Pflichtverletzung wider: Pflichtverletzung im Sinne des § 280 Abs. 1 BGB ist jede objektive Abweichung vom Pflichtenprogramm des § 241 BGB,15 einzelner gesetzlicher Schuldverhältnisse sowie bestimmter zivilrechtlicher oder öffentlich-rechtlicher Sonderverbindungen. Den wirksamen vertraglichen Schuldverhältnissen sind die nichtigen Verträge gleichgestellt, wenn sie gemäß § 242 BGB als wirksam behandelt werden.16 Ebenso sind die fehlerhaften Dauerschuldverhältnisse wie die fehlerhaften Gesellschafts- und Arbeitsverhältnisse vom Anwendungsbereich der Norm umfasst.17 Auch auf bestimmte gesetzliche Schuldverhältnisse findet § 280 Abs. 1 BGB Anwendung.18 Typische Fälle sind die Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 677 ff. BGB), die Bruchteilsgemeinschaft, soweit die in §§ 742 ff. BGB geregelten Rechte und Pflichten betroffen sind, oder auch das Vermächtnis (vgl. etwa § 2183 BGB). Bedeutsam ist insbesondere auch die Anwendbarkeit des § 280 BGB auf Rückgewährschuldverhältnisse aufgrund Rücktritts (§ 346 Abs. 4 BGB) 12 Zur Historie des Begriffes der Pflichtverletzung und seinen Eingang in das BGB im Zuge der Schuldrechtsreform im Einzelnen Heinrichs, in: FS Schlechtriem, S. 503, 506 ff. 13 BT-Drs. 14/6040, S. 133 ff. 14 Hierauf wird noch zurückzukommen sein, Kap. 2 A. II. 2. c) aa). 15 Medicus/Lorenz, Schuldrecht I, Rn. 337. 16 Staudinger/Otto § 280, Rn. B 2. 17 Staudinger/Otto § 280, Rn. B 2. 18 Erman/Westermann § 280, Rn. 6; Palandt/Grüneberg, § 280 Rn. 9; Staudinger/ Otto § 280, Rn. B 2.

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Kap. 2: Haftung und Zurechnung bei nachträglicher Unmöglichkeit

oder Widerrufs (§ 357 Abs. 1 Satz 1 BGB).19 Die Normen der §§ 280 Abs. 1 wie auch 276, 278 BGB sind auf öffentlich-rechtliche Rechtsverhältnisse anwendbar, wenn schuldrechtsähnliche Leistungsbeziehungen begründet werden und die Eigenart des öffentlichen Rechts nicht entgegensteht20. Die vorliegende Arbeit widmet sich ausschließlich den vertraglichen Schuldverhältnissen und insbesondere solchen, bei denen die Leistungspflicht gemäß § 275 Abs. 1–3 BGB nie zur Entstehung gelangt oder durch einen nachträglich eintretenden Umstand ausgeschlossen ist.

II. Die Differenzierung nach dem jeweiligen Pflichtenprogramm 1. Leistungs- und Schutzpflichten Die Beantwortung der Frage, „unter welchen Voraussetzungen die Rechtsordnung einem Geschädigten Schutz gewährt“21, also ein relevanter Haftungsgrund gegeben ist und welche Sachverhalte davon dem Regelungsregime der §§ 280 Abs. 1, 3, 283 BGB unterliegen, hängt von dem Inhalt der vertraglich übernommenen Verpflichtung ab. Grundlegend ist zunächst die Unterscheidung zwischen Leistungspflichten (§ 241 Abs. 1 BGB) und Schutz- oder Rücksichtnahmepflichten (§ 241 Abs. 2 BGB).22 Die Leistungspflichten sind auf die Befriedigung des Leistungsinteresses des Gläubigers gerichtet, unabhängig davon, ob sie Haupt- oder Nebenleistungspflichten darstellen. Bei gegenseitigen Verträgen betreffen sie also das Äquivalenzinteresse des Gläubigers.23 Schutz-, Rücksichtnahme- oder nicht leistungsbezogene Nebenpflichten (hier wird in der Regel der Begriff „Schutzpflicht“ verwandt werden) sollen vornehmlich die übrigen Rechte, Rechtsgüter und Interessen der Parteien, ihr Integritätsinteresse,24 schützen. Dies gilt indes nicht ausnahmslos, wie die Existenz des § 282 BGB (Anspruch auf Schadenersatz statt der Leistung) und des § 324 BGB (Rücktritt vom Vertrag wegen Schutzpflichtverletzung) beweist. Der Wortlaut von § 241 Abs. 2 BGB gibt zu erkennen, dass es sich hierbei um wechselseitige 19 Weitere Beispiele finden sich bei Staudinger/Otto § 280, Rn. B 2; Palandt/ Grüneberg, § 280 Rn. 9; Erman/Westermann § 280, Rn. 5 ff. 20 Palandt/Grüneberg, § 280, Rn. 9 f. Staudinger/Otto § 280, Rn. B 4; BGHZ 54, 299, 302 ff.; BVerwGE 13, 17, 19 ff. 21 Canaris, in: FS Heldrich, S. 11, 26. 22 Medicus/Lorenz, Schuldrecht I, Rn. 336. 23 Staudinger/Olzen § 241, Rn. 153. 24 Staudinger/Olzen § 241, Rn. 160 mit Überblick über die verschiedenen Kriterien der Abgrenzung, Rn. 157 ff.

A. Der Haftungsgrund

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Pflichten handelt. Schließlich verpflichtet das Schuldverhältnis „jeden Teil zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils“. Je nach betroffenem Schutzgut ist entweder nur § 280 Abs. 1 oder die §§ 280 Abs. 1, 3, 282 BGB richtige Anspruchsgrundlage für Schadensersatzverlangen. Ein treffendes Beispiel findet sich bei Medicus.25 Die Pflicht zur richtigen Anleitung für die Bedienung einer Motorsäge kann sowohl deren Funktionieren (Äquivalenzinteresse) sichern als auch dem Rechtsgüterschutz des anderen Teils (Integritätsinteresse) dienen. Somit ist der Abschnitt der Bedienungsanleitung, der etwa vom richtigen Befüllen mit Öl handelt, um die Lebensdauer des Gegenstandes zu verlängern, auf die Wahrung des Äquivalenzinteresses des Käufers gerichtet. Die Anleitung zur richtigen Befestigung eines Schutzblechs hat hingegen den Schutz der sonstigen Rechtsgüter des Gläubigers, sein Integritätsinteresse, im Blick. Die Schutzpflichten spielen im Anwendungsbereich des Schadensersatzanspruchs infolge nachträglicher Unmöglichkeit (§§ 280 Abs. 1, 3, 283 BGB) in aller Regel keine Rolle, da er ausschließlich den Schutz des Leistungsinteresses des Gläubigers bezweckt (Schadensersatz statt der Leistung). Es ist zudem nur schwer vorstellbar, dass Schutzpflichten unmöglich sind oder werden. Sie beruhen letztlich auf § 242 BGB.26 Eine unmögliche Rücksichtnahmepflicht kann jedoch nach Treu und Glauben nicht bestehen.27 Anders kann dies höchstens in Ausnahmekonstellationen sein, wenn etwa die Einhaltung von Unterlassungspflichten, hierunter allerdings nur diejenigen, die Schutzpflichten darstellen, nachträglich unmöglich wird. Die Verletzung solcher Unterlassungsschutzpflichten kann Ansprüche aus culpa in contrahendo, § 280 Abs. 1 BGB oder §§ 280 Abs. 1, 3, 282 BGB bzw. Kündigungs- oder Rücktrittsrechte nach sich ziehen.28 Die selbstständigen und unselbstständigen Unterlassungspflichten sind hiervon ohnehin zu trennen, da es sich bei ihnen um Leistungspflichten bzw. leistungsbezogene Nebenpflichten handelt. Bei den selbstständigen Unterlassungspflichten besteht die Hauptleistungspflicht, also die geschuldete Leistung, in einer Unterlassung (vgl. § 194 Abs. 1 BGB, sowie noch § 241 Satz 2 BGB a. F.).29 25

Medicus, in: FS Canaris Bd. 1, S. 835, 837. Für ein einheitliches neben dem Vertrag bestehendes gesetzliches Schutzpflichtenverhältnis Canaris JZ 1965, 475, 478 ff.; MüKo/Kramer Einl.§ 241, Rn. 83; entgegen Palandt/Grüneberg § 241, Rn. 7; Gernhuber, Das Schuldverhältnis, § 2 IV 2, die davon ausgehen, dass sich diese gesetzliche Schutzpflichten mit Vertragsschluss zu vertraglichen Nebenpflichten umwandeln; vgl. hierzu ergänzend unten Kap. 3 A. II. 2. a) bb). 27 Medicus, in: FS Canaris Bd. 1, S. 835, 842. 28 Vgl. hierzu umfassend Köhler AcP 190 (1990), S. 496, 515 ff. 29 Köhler AcP 190 (1990), S. 496, 500; Erman/Westermann § 241, Rn. 6; Palandt/Grüneberg, § 241, Rn. 4. 26

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Kap. 2: Haftung und Zurechnung bei nachträglicher Unmöglichkeit

Die unselbstständige Unterlassungspflicht ist als leistungsbezogene Nebenpflicht einzuordnen. Ihr Inhalt erschöpft sich darin, alles zu unterlassen, was der Leistungserbringung entgegensteht.30 Bei den Schutzpflichten ist eine Differenzierung in Haftungsgrund und Zurechnungsgrund unergiebig, da bei Rücksichtnahmepflichten notwendig von einem handlungsbezogenen Begriff der Pflichtverletzung (objektiver Sorgfaltspflichtverstoß) auszugehen ist. Ist ein objektiver Sorgfaltspflichtverstoß gegen eine bestehende Schutzpflicht gegeben, steht zugleich auch das Vertretenmüssen fest. Der Schuldner kann allenfalls noch Entschuldigungsgründe, solche also, die den Vorwurf des subjektiv sorgfaltswidrigen Handelns entfallen lassen, anführen, um eine Haftung abzuwenden.31 Das Entlastungsvorbringen ist dann darauf gerichtet, alle inneren Sorgfaltsanforderungen beachtet zu haben. Für die Haftung infolge nachträglicher Unmöglichkeit ist somit nur noch zwischen den verschiedenen Leistungspflichten, den Erfolgs- und den reinen Tätigkeitspflichten zu unterscheiden. 2. Erfolgs- und Tätigkeitspflichten a) Die Bedeutung der Unterscheidung Die Differenzierung, ob ein Vertragsverhältnis erfolgs- oder tätigkeitsbezogene (verhaltensbezogene) Pflichten begründet, ist die Frage nach dem Leistungsinhalt.32 Die geschuldete Leistung kann zum einen in der Vornahme einer Leistungshandlung, zum anderen in der Herbeiführung eines Leistungserfolges bestehen.33 Die Unterscheidung nach dem vertraglich festgelegten Pflichtenprogramm hat fundamentale Bedeutung für die Frage, was im Einzelfall vom Gläubiger bzw. dem Schuldner darzulegen und zu beweisen ist. Je nachdem, welchen Inhalt die verletzte Pflicht hat, ändern sich auch die Anforderungen an die Beweistätigkeit der Parteien. Die Bedeutung dieser Unterscheidung wird in der Literatur erst wieder seit kurzem in breiterem Umfang herausgestellt.34 Der Grund hierfür ist in den Beweislastanordnungen der §§ 280 Abs. 1 Satz 2, 311a Abs. 2 Satz 2 30 Str. Staudinger/Olzen § 241, Rn. 136; Palandt/Grüneberg, § 241, Rn. 4; Köhler AcP 190 (1990), S. 496, 505 ff.; RGZ 72, 393, 394 jeweils m. w. N. 31 Vgl. hierzu im Einzelnen Kap. 5 B. I. 2. b). 32 Soergel/Wiedemann, 12. Aufl., § 275 a. F., Rn. 17. 33 Soergel/Wiedemann, 12. Aufl., § 275 a. F., Rn. 17 m. w. N.; Medicus/Lorenz, Schuldrecht I, Rn. 336. 34 Vgl. etwa Baumgärtel/Laumen/Prütting/Repgen § 280, Rn. 102 ff.; Palandt/ Grüneberg § 280, Rn. 12, 35; MüKo/Ernst § 280 Rn. 15 ff.; S. Lorenz NJW 2005, 1889, 1890; Medicus/Lorenz, Schuldrecht I, Rn. 336 ff.

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BGB zu sehen. Sie weisen dem Gläubiger die Beweislast für den Haftungsgrund, dem Schuldner die Beweislast für den Zurechnungsgesichtpunkt zu. Erst durch diese von der Grundregel der Beweislastverteilung abweichende Anordnung – nach dieser ist auch das Verschulden eine anspruchsbegründende und somit ebenfalls vom Gläubiger zu beweisende Tatsache – wurde ein Auseinanderfallen der Beweislast für einzelne anspruchsbegründende Tatbestandsmerkmale bewirkt. Und erst hierdurch gewann die Unterscheidung von Erfolgs- und Tätigkeitspflichten wieder an Bedeutung, da sie grundlegend für die Frage ist, welchen Umfang ein Beweisvorbringen erfordert, um ein Tatbestandsmerkmal ausreichend darzustellen. Der Inhalt der Vertragspflicht wirkt sich somit unmittelbar auf den Umfang des betreffenden Beweisthemas aus. Die „Beweislast“ selbst wird durch den Vertragsinhalt indessen nicht berührt. Auf diesen bedeutsamen Unterschied wird an anderer Stelle zurückzukommen sein.35 b) Abgrenzungskriterien Ob ein Vertragsverhältnis eine Erfolgsverpflichtung zum Gegenstand hat, ist, soweit der Vertrag keine zweifelsfreie Regelung enthält oder keinem gesetzlich eindeutig bestimmten Vertragstyp entspricht, Auslegungsfrage (§§ 133, 157 BGB). Die besten Hinweise und wesentlichen Kriterien für die Abgrenzung von den Tätigkeitsverpflichtungen lassen sich vor allem der Unterscheidung von Dienst- und Werkverträgen entnehmen.36 Wegen ihrer Bedeutung für die jeweils erforderliche Beweistätigkeit der Parteien im Prozess, kann eine falsche Einordnung fundamentalen Einfluss auf die Entscheidung selbst haben bzw. bereits zuvor bei der Prüfung der Erfolgsaussichten einer Klage zum Verzicht auf die Geltendmachung eines Anspruchs führen. Problematisch ist die Abgrenzung vor allem dann, wenn aufgrund eines umfassenden Vertragswerkes eine Vielzahl von Leistungen unterschiedlicher Typen geschuldet werden. Hier hilft die gängige Formel wenig weiter, dass eine Tätigkeitsverpflichtung gegeben ist, wenn „das bloße Wirken“37 oder „die Dienstleistung als solche“38 geschuldet ist, während eine Erfolgsverpflichtung die „Herbeiführung eines vereinbarten, gegenständlich fassbaren Arbeitsergebnisses“39 bzw. eines „Arbeitsprodukts“40 voraussetzt. Als zusätz35 36 37 38 39 40

Kap. 5 B. I. 1. b) aa). Vgl. hierzu umfassend Staudinger/Peters/Jacoby Vor §§ 631 ff., Rn. 25 ff. Palandt/Sprau Einf v § 631, Rn. 8. BGH NJW 1984, 2406 f. Palandt/Sprau Einf v § 631, Rn. 8. Mugdan, Band 2, Motive S. 24 f.; Randpaginierung 471.

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Kap. 2: Haftung und Zurechnung bei nachträglicher Unmöglichkeit

liche Aufgreifkriterien nennt die Rechtsprechung die Erwartungshaltung der Parteien, Risikogesichtspunkte sowie den Konkretisierungsgrad der vertraglichen Verpflichtung in Bezug auf die Aufgaben und den Umfang der geschuldeten Tätigkeit.41 In der Literatur werden im Wesentlichen dieselben Kriterien, teilweise aber unter stärkerer Betonung der Beherrschbarkeit des Leistungserfolges genannt.42 Für das Vorliegen einer Erfolgsverpflichtung soll ferner sprechen, wenn es dem Verpflichteten überlassen bleibt, wie er das vertragliche Leistungsprogramm zu erfüllen gedenkt.43 Aber auch diese Kriterien können in beide Richtungen weisen und sind daher kaum geeignet, ein zweifelsfreies Ergebnis zu Tage zu fördern. Abgesehen von den konventionell entweder als erfolgs- oder tätigkeitsorientiert eingeordneten Vertragsarten,44 bleibt die Feststellung des Charakters der geschuldeten Pflicht der Einzelfallbetrachtung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls45 bzw. der Auslegung vorbehalten. Vorschläge der Bildung bestimmter Fallgruppen46 sind unergiebig, da vor allem die gemischt-typischen Verträge Abgrenzungsschwierigkeiten bereiten und die Fülle an Kombinationsmöglichkeiten schier unerschöpflich ist. Sind eine Vielzahl von Leistungen unterschiedlicher Art geschuldet, ist zunächst exakt zu ermitteln, welche Einzelleistung gestört ist, um dann in einem zweiten Schritt unter Zuhilfenahme sämtlicher zur Verfügung stehender Auslegungsmittel ihren Charakter (Erfolgs- oder Tätigkeitsverpflichtung) festzustellen. c) Der Haftungsgrund bei Erfolgspflichten Im Anwendungsbereich der §§ 280 Abs. 1, 3, 283 BGB wird in der weit überwiegenden Zahl der Fälle ein Erfolg geschuldet sein. So sind etwa über die Verweisungsnormen der §§ 437 und 634 BGB sämtliche Kauf- und Werkverträge einbezogen. Regelmäßig wird es daher um nicht, nicht recht41

BGH NJW 2002, 3323, 3324 (Forschungs- und Entwicklungsleistungen); BGH NJW 1984, 2046 f. (Anbringen von Werbeplakaten). 42 Vgl. etwa für die schwierige Einordnung von Forschungs- und Entwicklungsverträgen als werk- oder dienstvertraglich, Schmeißer/Zirkel, MDR 2003, S. 849, 851 f.; Brandi-Dohrn, CR 1998, S. 645, 647; Ullrich, in: FS Fikentscher, S. 298, 327 f.; arbeiten die Vertragsparteien zur Förderung eine gemeinsamen Zwecks zusammen, kommt zusätzlich das Vorliegen einer Entwicklungskooperation in Betracht, auf die dann die Regelungen der BGB-Gesellschaft gemäß §§ 705 ff. BGB anzuwenden sind, Winzer, Forschungs- und Entwicklungsverträge, Teil 1, X., Rn. 54 ff. 43 Erman/Schwenker Vor §§ 631–651, Rn. 8. 44 Staudinger/Peters/Jacoby Vor §§ 631 ff., Rn. 28. 45 BGH NJW 2002, 3323, 3324. 46 Bamberger/Roth/Voit § 631, Rn. 4.

A. Der Haftungsgrund

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zeitig oder nicht wie geschuldet hergestellte Werke sowie um nicht, nicht rechtzeitig oder nicht wie geschuldet gelieferte Kaufgegenstände gehen. Die Verpflichtung zur Herbeiführung eines Erfolges ist dementsprechend immer dann verletzt, wenn die geschuldete Leistung nicht, nicht rechtzeitig oder nicht wie geschuldet erbracht wird.47 Erhält der Gläubiger die Leistung nicht, weil der Schuldner gemäß § 275 Abs. 1–3 BGB wegen eines nach Vertragsschluss auftretenden Umstandes von seiner Primärleistungsverpflichtung befreit wird, ist dem Grunde nach ein Anwendungsfall der Schadensersatzhaftung statt der Leistung infolge Unmöglichkeit – sowohl anfänglicher als auch nachträglicher – gegeben, ihr Haftungsgrund erfüllt. Die relevante Pflichtverletzung ist schlicht in der Nichtleistung zu sehen,48 obwohl § 275 BGB – im Falle seines Abs. 1 automatisch, im Falle seiner Abs. 2 und 3 nach berechtigter Erhebung der Einrede – den Schuldner von der Primärleistungspflicht befreit. Das ist auch aus § 275 Abs. 4 BGB ableitbar, der klarstellt, dass der Ausschluss der Leistungspflicht nur die Ebene des Primäranspruchs betrifft, für die Sekundäransprüche des Gläubigers aber ohne Belang ist.49 aa) Pflichtverletzung trotz Befreiung von der Leistungspflicht? Die Nichtleistung als Pflichtverletzung zu bezeichnen, obwohl der Schuldner wegen § 275 BGB von seiner Leistungspflicht befreit ist, stieß in der Literatur vielfach auf Unverständnis.50 Die Kritiker übersehen jedoch meist, dass sich hinter dieser Begrifflichkeit keine dogmatische Aussage verbirgt, sondern lediglich eine sprachliche Unschärfe vorliegt. Diese ist einzig und allein dem Umstand geschuldet, dass man sich im Gesetzgebungsverfahren auf den weiten Begriff der Pflichtverletzung verständigte. Durch die Begriffswahl wurden jedoch, wie bereits angesprochen,51 andere vorhersehbare Problemfelder entschärft, die tatsächlich zu dogmatischen Verwerfungen geführt, zumindest aber hohen Begründungsaufwand für Analogien erforderlich gemacht hätten. Daher ist die Bezeichnung der Nichtleistung als Pflichtverletzung trotz Leistungsbefreiung als begriffliche Unschärfe des Gesetzes hinzunehmen.52 Anders als beim Vorliegen anfäng47

MüKo/Ernst § 280, Rn. 18; Palandt/Grüneberg § 280, Rn. 12. Staudinger/Otto § 280, Rn. C 7; MüKo/Ernst BGB, § 280, Rn. 17. 49 S. Lorenz KF 2005, S. 22. 50 Harke JR 2006, 485, 486 f.; Erman/Westermann § 283, Rn. 1; Ehmann/Sutschet, Modernisiertes Schuldrecht, S. 64 ff., 83 f. 51 Kap. 2 A. I. 2./3. 52 S. Lorenz KF 2005, S. 22. 48

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Kap. 2: Haftung und Zurechnung bei nachträglicher Unmöglichkeit

licher Unmöglichkeit bestand bei der Haftung nach §§ 280 Abs. 1, 3, 283 BGB, sei es auch nur für kurze Zeit, zumindest einmal „eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis“ (§ 280 Abs. 1 Satz 1 BGB), von welcher der Schuldner dann infolge eines nach Vertragsschluss eintretenden Ereignisses gemäß § 275 Abs. 1–3 BGB entbunden wurde. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang aber, dass sich aus der Begriffswahl keine dogmatischen Konsequenzen ergeben und sich der Rezipient der Norm mit der Begriffswahl abzufinden hat.53 bb) Der verhaltensbezogene Ansatz der Pflichtverletzung In der Literatur wurde gerade aufgrund dieser vermeintlichen Unvereinbarkeit, die bloße Nichterfüllung trotz der Leistungsbefreiung des Schuldners unter den Begriff der Pflichtverletzung zu fassen, ein verhaltensbezogener Ansatz der Pflichtverletzung gefordert.54 Die Anhänger dieser verhaltensbezogenen Auffassung sehen den Haftungsgrund der §§ 280 Abs. 1, 3, 283 BGB nur dann erfüllt, wenn dem Schuldner über die bloße Nichtleistung hinaus zusätzlich ein objektiver Sorgfaltspflichtverstoß zur Last fällt.55 Nach einer weiteren verhaltensbezogenen Konzeption haftet der Schuldner nur, wenn er die in seiner Leistungspflicht implizit enthaltene Nebenpflicht, sorgsam mit dem Leistungsgegenstand umzugehen bzw. seine Leistungsfähigkeit zu erhalten, verletzt.56 Nur so werde vermieden, dass sich die Pflichtverletzung auf die Verletzung der Leistungspflicht selbst, das Vertretenmüssen sich hingegen auf das Leistungshindernis beziehe.57 Die befürchtete Verschiebung des Bezugspunkts des Vertretenmüssens liegt tatsächlich nicht vor, denn schließlich ist es das zu vertretende Leistungshindernis, das die Ursache des Ausbleibens der Leistung darstellt. Außerdem steht es dem Gesetzgeber offen, worauf er den Zurechnungsgesichtspunkt bezieht, so dass die angeführten Bedenken, selbst wenn sie zutreffend wären, keinesfalls zu einem derartigen Kunstgriff – dem Hineinlesen einer vertraglichen Nebenpflicht, sich leistungsfähig zu halten – zwängen. Die überwiegenden 53

Canaris, in: FS Heldrich, S. 11, 34 f.; S. Lorenz KF 2005, S. 22. Eine Gegenüberstellung von verhaltens- und erfolgsbezogenem Modell mit dem Vorschlag eines eigenen weiteren Konzepts findet sich bei Sutschet, Garantiehaftung und Verschuldenshaftung im gegenseitigen Vertrag, S 266 ff. 55 MüKo/Ernst § 283, Rn. 4 m. w. N. 56 Harke, ZGS 2006, 9, 10 f.; MüKo/Ernst § 280, Rn. 15; missverständlich insoweit noch Canaris JZ 2001, 499, 512, 529, der auf S. 512 des Beitrags den sorgfältigen Umgang mit dem Vertragsgegenstand als Zurechnungsgesichtspunkt einordnet, während er den gleichen Umstand auf S. 529 des Beitrags offenbar der Haftungsbegründung zuschlägt. 57 Harke, ZGS 2006, 9, 10 f. 54

A. Der Haftungsgrund

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Stimmen in der Literatur sprachen sich indes ohnehin für einen erfolgsbezogenen Anknüpfungspunkt der Pflichtverletzung aus.58 cc) Die Vorzugswürdigkeit des erfolgsbezogenen Anknüpfungspunktes der Pflichtverletzung Dem erfolgsbezogenen Modell gebührt aus einer Reihe von Gründen der Vorzug. Eine weitergehende Pflichtverletzung, im Sinne eines objektiven Sorgfaltsverstoßes seitens des Schuldners, die leistungsbefreienden Umstände herbeigeführt zu haben, ist auf Ebene des Haftungsgrundes nicht erforderlich. Würde man dies fordern, bliebe auf der Zurechnungsebene nur noch die innere Sorgfaltswidrigkeit des Schuldners übrig. Das Erfordernis des Vertretenmüssens würde weitgehend leer laufen. Die Belastung des Gläubigers mit einer entsprechenden Beweispflicht widerspräche der Teleologie der Beweislastverteilung59 und würde ihn dazu zwingen, aufzuklären und nachzuweisen, warum der Schuldner nicht geleistet hat. Er müsste stets bereits auf Ebene der Pflichtverletzung das Fehlverhalten des Schuldners – das „Unmöglichwerden der Leistung“ aufgrund eines von ihm objektiv sorgfaltswidrig herbeigeführten Umstandes – darlegen und beweisen.60 Da der Gläubiger aber nur in den seltensten Fällen ausreichenden Einblick in die für ihn fremde Sphäre hat, sollte er durch die in § 280 Abs. 1, Satz 2 BGB angeordnete Beweislastverteilung gerade vor diesen Beweisschwierigkeiten geschützt werden.61 Die beweisrechtlichen Konsequenzen des verhaltensbezogenen Modells stehen somit in diametralem Widerspruch zur gesetzlichen Regelanordnung. Dies ist umso erstaunlicher, da schon bei §§ 280, 282 BGB a. F. – die einen weitgehend identischen Regelungsbereich wie die §§ 280 Abs. 1, 3, 283 BGB hatten – anerkannt war, dass sowohl die innere als auch die äußere Sorgfaltswidrigkeit Gegenstand des Entlastungsbeweises des Schuldners waren.62 Die erfolgsbezogene Auffassung entspricht nicht zuletzt auch insgesamt dem Regelungskonzept des Reformgesetzgebers, der das bloße Faktum des Nichteintritts des Erfüllungserfolges ohne weiteres als relevante Pflichtverletzung ansieht.63 58 Vgl. jeweils mit ausführlichen Nachweisen S. Lorenz KF 2005, S. 21, Fn. 104; MüKo/Ernst § 280, Rn. 15 Fn. 14. 59 Hierzu im Einzelnen Kap. 5 B. I. 1. c) aa) (2). 60 Staudinger/Otto/Schwarze § 283, Rn. 12. 61 BT-Drs. 14/6857, S. 49; zu dem vom Gesetzgeber in Bezug genommenen Sphärengedanken vgl. ausführlich Kap. 5 A. II. 3. 62 MüKo/Ernst § 280, Rn. 17; § 283, Rn. 4. 63 Vgl. hierzu ausführlich Kap. 5 B. I. 1. c) aa) (2).; MüKo/Ernst § 280, Rn. 17; § 283, Rn. 4; S. Lorenz KF 2005, S. 22.

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Kap. 2: Haftung und Zurechnung bei nachträglicher Unmöglichkeit

Weiß der Gläubiger, dass sein Schuldner nicht leistet, weil er wegen eines Ereignisses nach Vertragsschluss gemäß § 275 Abs. 1 BGB von seiner Leistungspflicht befreit wurde, steht dem sofortigen Geltendmachen von Schadensersatz gemäß §§ 280 Abs. 1, 3, 283 BGB nichts entgegen. Im Regelfall wird der Gläubiger aber keine Kenntnis von den Gründen haben, warum der Schuldner nicht leistet. In diesem Falle verhält sich der Gläubiger stets geschickter, wenn er eine Nacherfüllungsfrist setzt, um im Zweifel auch die Tatbestandsvoraussetzungen von § 281 BGB zu erfüllen.64 Das gilt gleichermaßen für die Einredetatbestände in § 275 Abs. 2 und 3 BGB, da es dem Schuldner unbenommen bleibt, überobligatorisch zu leisten.65 „Schadensersatz statt der Leistung bei Ausschluss der Leistungspflicht“ zu verlangen, also die Festlegung seitens des Gläubigers auf die Anspruchsnormen der §§ 280 Abs. 1, 3, 283 BGB, empfiehlt sich aus seiner Sicht im Regelfall nicht. Der Gläubiger kann sich darauf beschränken, darzutun, die vertraglich versprochene Leistung nicht erhalten zu haben.66 Es ist dann der Schuldner, der durch die Aufklärung, warum er nicht geleistet hat den Schadensersatzanspruch auf das „Gleis“ der §§ 280 Abs. 1, 3, 283 BGB oder der §§ 280 Abs. 1, 3, 281 BGB oder des § 311a Abs. 2 BGB setzt. Der Grund der Nichtleistung ist thematisch dem Vertretenmüssen, also dem Zurechnungsprinzip, zuzuordnen.67 Regelmäßig macht erst die Aufklärung der leistungshindernden Umstände eine Verbindung des Ersatzverlangens mit der richtigen Anspruchsgrundlage innerhalb der Kategorie des Schadensersatzes statt der Leistung möglich.68 Die Sachverhaltsaufklärung hinsichtlich des Grundes der Störung geschieht – sofern der Gläubiger den für ihn vorteilhafteren Weg wählt, auch die Voraussetzungen des Ersatzanspruchs gemäß §§ 280, 281 BGB zu erfüllen und sich in der Folge mit der Darstellung des Ausbleibens der Leistung begnügt – durch den Schuldner. Wenn stattdessen behauptet wird, die Unmöglichkeit sei im Regelfall vom Gläubiger zu beweisen,69 wird eben dies verkannt. Differenziert man nach dem jeweiligen vertraglichen Pflichtenprogramm, bereitet auch der Einbezug anderer Leistungsstörungsfälle in die Regelung der §§ 280 Abs. 1, 3, 283 BGB, die nicht wie geschuldete und die teilweise unterbliebene Leistung keine Schwierigkeiten.70 So hat ein Verkäufer den 64 Palandt/Grüneberg § 283, Rn. 1 f.; Erman/Westermann § 283, Rn. 11; MüKo/ Ernst § 283, Rn. 24. 65 Palandt/Grüneberg § 275, Rn. 32. 66 Zum prozessualen Vorgehen im Regelfall vgl. Kap. 5 B. I. 1. c) bb) (2). 67 Medicus/Lorenz, Schuldrecht I, Rn. 337. 68 Vgl. MüKo/Ernst BGB § 281, Rn. 2; Baumgärtel/Laumen/Prütting/Repgen § 281, Rn. 1; Palandt/Grüneberg § 283, Rn. 2; Staudinger/Otto/Schwarze § 281, Rn. B 9. 69 Musielak/Foerste ZPO § 286, Rn. 5.

A. Der Haftungsgrund

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Kaufgegenstand nunmehr frei von Sach- und Rechtsmängeln zu verschaffen (§ 433 Abs. 1, Satz 2 BGB). Leistet er aber mangelhaft und es stellt sich heraus, dass dieser Mangel nachträglich unbehebbar ist, steht fest, dass der vertraglich geschuldete Erfüllungserfolg nicht mehr eintreten kann.71 Gleiches gilt für den Fall der Lieferung einer zu geringen Menge (§ 434 Abs. 3 BGB) bei nachträglichem Untergang der Gattung im Übrigen. Für den Gläubiger stellen auch diese Fälle eine Nichtleistung des vertraglich versprochenen Erfüllungserfolges dar. Dem Umstand, dass eine völlige Nichtleistung im Einzelfall anders bewertet werden muss als eine Teil- oder Schlechtleistung, trägt der Verweis des § 283 Satz 2 auf § 281 Abs. 1, Satz 2 und 3 BGB Rechnung. Nur bei Erheblichkeit des Mangels bzw. Interessenfortfalls des Gläubigers kann dieser Schadensersatz statt der ganzen Leistung („großen“ Schadensersatz) verlangen. Anderenfalls muss er sich am Vertrag festhalten lassen, soweit er durchführbar ist. Diese Beschränkung des Ersatzanspruchs in Fällen der Teil- und Schlechtleistung betrifft lediglich die Rechtsfolgenseite. Sie ändert nichts daran, dass sich diese Leistungsstörungen auf Haftungsbegründungsebene als Nichterfüllung bzw. Nichtleistung darstellen. Die relevante Pflichtverletzung bei Schadensersatzansprüchen gemäß §§ 280, 283 BGB ist bei Erfolgspflichten ausnahmslos in der Nichtleistung infolge Leistungsbefreiung des Schuldners (vgl. § 275 Abs. 4 BGB) zu sehen. Die Norm des § 283 BGB hat vor allem den Zweck, in Unmöglichkeitsfällen von dem ja gänzlich sinnlosen Erfordernis der Nacherfüllungsfristsetzung zu befreien. Sie bewirkt somit eine tatbestandliche Entzerrung des § 281 BGB. Hätte man die nachträgliche Unmöglichkeit als Unterfall des § 281 Abs. 2 BGB geregelt, was leicht möglich gewesen wäre, wäre die Handhabbarkeit der Vorschrift zusätzlich beeinträchtigt worden.72 d) Der Haftungsgrund bei Tätigkeitspflichten Anders ist dies zu beurteilen, wenn die vertraglich übernommene Verpflichtung nicht die Erbringung eines Erfolges zum Gegenstand hat, sondern sich in einer reinen Pflicht zum Tätigwerden erschöpft. Bei Schadensersatzansprüchen wegen nachträglicher Unmöglichkeit werden derartige Sachverhalte eher die Ausnahme sein. Dennoch sind solche Fälle durchaus denkbar. Wird etwa ein Bankangestellter im Rahmen seiner gewöhnlichen Beratungstätigkeit damit beauftragt, eine Order zur Zeichnung eines Op70

Entgegen Erman/Westermann BGB § 283, Rn. 2. Vgl. zur quantitativen und qualitativen Unmöglichkeit MüKo/Ernst BGB § 283, Rn. 13 ff., 16 ff.; S. Lorenz, NJW 2002, 2497, 2500 ff. 72 S. Lorenz KF 2005, S. 34. 71

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Kap. 2: Haftung und Zurechnung bei nachträglicher Unmöglichkeit

tionsscheins weiterzugeben, ergibt sich aus dem zugrunde liegenden Geschäftsbesorgungsvertrag (§ 675 BGB), vorbehaltlich abweichender Vertragsgestaltungen, nur eine Pflicht zum Tätigwerden. Die Herbeiführung eines Erfolges schuldet der Bankangestellte im Rahmen seiner laufenden Beratungstätigkeit regelmäßig nicht.73 Vergisst er nun vor Ablauf der Zeichnungsfrist die Order weiterzugeben und erleidet der Geschäftsherr dadurch einen Schaden, dass der Kurswert des zu zeichnenden Papiers in die Höhe schnellt, liegt ein Fall nachträglicher Unmöglichkeit infolge Zeitablaufs vor. In Fällen wie diesem kann nicht lediglich auf das Faktum der Nichtoder nicht gehörigen Erfüllung zur Begründung der Pflichtverletzung abgestellt werden. Der Gläubiger hat vielmehr darzustellen, welche Tätigkeit geschuldet war, also wie der Schuldner sich aufgrund des Schuldverhältnisses hätte verhalten müssen und wie er sich tatsächlich verhalten hat. Zur Begründung der Pflichtverletzung bedarf es daher der Feststellung der negativen Abweichung des konkreten Schuldnerverhaltens von dem vertraglich geschuldeten Verhalten.74 Ist diese Abweichung festgestellt, steht zugleich die Verletzung der sog. äußeren Sorgfalt seitens des Schuldners bzw. das Vorliegen eines objektiven Sorgfaltspflichtverstoßes fest.75 Das Beweisthema zur Begründung der Pflichtverletzung ist somit bei Tätigkeitspflichten deutlich weiter als bei erfolgsbezogenen Pflichten, da es einen Teil des Vertretenmüssens – die objektive Sorgfaltswidrigkeit des Schuldnerverhaltens – notwendig beinhaltet.76

B. Der Zurechnungsgesichtspunkt I. Der Begriff des Vertretenmüssens Ist ein Haftungsgrund – die Pflichtverletzung – gegeben, hängt der Eintritt der Schadensersatzverpflichtung des Schuldners davon ab, ob er diese Pflichtverletzung auch zu vertreten hat (§ 280 Abs. 1 Satz 2 BGB). Wie be73 Ob ein Erfolg oder eine Tätigkeit geschuldet ist, muss aber auch hier im Einzelfall durch Auslegung ermittelt werden. 74 Medicus/Lorenz, Schuldrecht I, Rn. 338. 75 Vgl. hierzu im Einzelnen Kap. 5 B. I. 2. b). 76 Außerdem sei erwähnt, dass ein Primärschaden bei der Verletzung einer Tätigkeitsverpflichtung noch nicht zwangsläufig dargelegt ist. Für einen Schaden kommen regelmäßig verschiedene Ursachen in Betracht. Erfolgspflichten haben hingegen zumeist einen leicht feststellbaren, unmittelbaren Geldwert. Ist die Verletzung einer erfolgsbezogenen Pflicht festgestellt, lässt sich damit häufig auch auf einen entsprechenden Schaden schließen.

B. Der Zurechnungsgesichtspunkt

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reits dargestellt,77 besteht die Funktion des Zurechnungsgesichtspunktes darin, die Haftungsverpflichtung dem Schuldner zuzuweisen.78 Die Kopplung der Schadensersatzhaftung an das Verschuldensprinzip ist keinesfalls selbstverständlich oder gar notwendig. Das zeigt sich an einem Vergleich mit anderen Rechtsordnungen. So folgt das englische Common Law vielfach dem Risiko- oder Garantieprinzip, indem es den Schuldner unabhängig von seiner Verantwortlichkeit für die bloße Nichterfüllung haften lässt.79 Ähnliches gilt für das CISG, das ebenfalls im Ansatz von einer Garantiehaftung ausgeht. Allerdings sieht Art. 79 Abs. 1 CISG eine Entlastungsmöglichkeit vor, wenn die Leistung aufgrund eines Umstandes unterblieb, der außerhalb des Verantwortungsbereichs des Schuldners lag, mit dessen Eintritt vernünftigerweise nicht gerechnet werden konnte oder der trotz Erkennbarkeit nicht zu vermeiden gewesen wäre.80 Diese drei Voraussetzungen müssen zur Entlastung des Schuldners kumulativ vorliegen.81 Die Reichweite der Entlastungsmöglichkeit und ob sie überhaupt § 276 BGB funktional entspricht, ist Gegenstand einer lebhaften Debatte.82 Hinsichtlich der Einzelheiten muss an dieser Stelle aber auf die angegebenen Literaturnachweise verwiesen werden. Um Beispiele zu finden, die die Zuweisung einer Haftungsverpflichtung nicht von Verschulden abhängig machen, ist der Blick in andere Rechtsordnungen gar nicht notwendig. Auch das deutsche Recht ist bekanntlich von zahlreichen Ausnahmen durchzogen. Befindet sich beispielsweise ein Schuldner im Verzug, so haftet er auch für Zufall (§ 287 Satz 2 BGB); der Vermieter haftet verschuldensunabhängig für anfängliche Mängel der Mietsache (§ 536a Abs. 1 Var. 1 BGB) und auch Störungen des Überweisungsverkehrs im Sinne des § 676b BGB lösen verschuldensunabhängig Ersatzansprüche aus (§ 676c Abs. 1 Satz 1 BGB). Daneben existieren eine Vielzahl an Gefährdungshaftungsregelungen, wie sie sich etwa in §§ 833 Satz. 1 BGB, § 7 Abs. 1 StVG oder in § 1 Abs. 1 Satz 1 ProdHaftG finden. Verknüpft also der Normgeber die Haftung für Pflichtverletzungen mit dem Verschuldensprinzip, liegt darin immer auch eine grundsätzliche Wertung: Dem Schuldner soll – beispielsweise im Gegensatz zur Rechtslage bei den §§ 306, 307 BGB a. F. – die Haftungsverpflichtung nur zugewiesen 77

Kap. 1 B. Canaris, in: FS Heldrich, S. 11, 26. 79 Nachweise im Einzelnen bei Unberath, Die Vertragsverletzung, S. 331 ff.; von Caemmerer, RabelsZ 1978, S. 5 ff. mit einer Vielzahl von Beispielen; Staudinger/ Löwisch/Caspers § 276, Rn. 4. 80 Unberath, Die Vertragsverletzung, S. 336. 81 MüKo/Huber CISG Art. 79, Rn. 6. 82 Unberath, Die Vertragsverletzung, S. 336, m. w. N. in Fn. 80. 78

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Kap. 2: Haftung und Zurechnung bei nachträglicher Unmöglichkeit

werden, wenn ihm die Nichterfüllung des Vertrages bzw. die Nichteinhaltung seines Leistungsversprechens auch vorgeworfen werden kann. Ist dies nicht der Fall, hat der Gläubiger das Risiko der Vertragserfüllung, die Leistungsgefahr, alleine zu tragen.83 Mit den Normierungen der §§ 280 Abs. 1 Satz 2 und 311a Abs. 2 Satz 2 BGB hat der Gesetzgeber nunmehr sämtliche Schadensersatzansprüche des allgemeinen Leistungsstörungsrechts dem Verschuldensprinzip unterworfen. Insbesondere die einhellig als unsachgemäß angesehene Garantiehaftung für anfängliches Unvermögen84 wurde nunmehr ebenfalls dem Verschuldensprinzip unterstellt. Für die generelle Unterstellung der Haftungsnormen unter das im deutschen Vertragsrecht zwar nicht lückenlos durchgehaltene, aber dominierende Verschuldensprinzip sprach unter anderem der Wille zur Systemvereinheitlichung.85 Bedeutender war aber wohl der Umstand, dass dem Verschuldensprinzip im Gegensatz zum Risikoprinzip weit überwiegend größere rechtsethische Überzeugungskraft beigemessen wird.86 Demzufolge stellt die Abhängigkeit einer Haftung vom Vertretenmüssen bzw. Verschulden den gesetzlichen Regelfall dar und spiegelt so das Leitbild des Normgebers, dass Haftung Verantwortung voraussetzt, wider. Dass Raum für privatautonome Abweichung besteht, geht aus § 276 BGB unmittelbar hervor. Durch die ausdrücklich vorgesehene Möglichkeit der Übernahme einer Garantie oder eines Beschaffungsrisikos (§ 276 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2) können die Parteien das Verschuldensprinzip ganz außer Kraft setzen oder aber bis zur Vorsatzgrenze (§ 276 Abs. 3 BGB) den Haftungsmaßstab modifizieren, indem sie eine strengere oder mildere Haftung vereinbaren.

II. Der Bezugspunkt des Vertretenmüssens Nach dem Gesetzeswortlaut haftet der Schuldner nicht, wenn er „die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat“ (§ 280 Abs. 1 Satz 2 BGB). Das Vertretenmüssen bezieht sich also grundsätzlich auf die Pflichtverletzung. In Unmöglichkeitsfällen ist auf die die Leistungsbefreiung (gemäß § 275 Abs. 1–3 BGB) begründenden Tatsachen87 bzw. auf die „Nichterbringung der Nachleistung, also das Vertretenmüssen der Umstände, die zur Unmög83

Staudinger/Löwisch/Caspers § 276, Rn. 3. Vgl. hierzu Kap. 3 B. III. 1. 85 Canaris, in: FS Heldrich, S. 11, 21. 86 Unberath, Die Vertragsverletzung, S. 328 f.; Canaris, in: FS Heldrich, S. 11, 22 f.: „nicht weiter begründungsbedürftige Selbstverständlichkeit“; Palandt/ Grüneberg § 311a, Rn. 2; S. Lorenz KF 2005, S. 59: „hoch einzuschätzendes Verdienst des Schuldrechts“. 87 S. Lorenz KF 2005, S. 14. 84

B. Der Zurechnungsgesichtspunkt

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lichkeit der Nacherfüllung geführt haben“ abzustellen.88 Die „Unmöglichkeit“ selbst, wie häufig zu lesen ist,89 muss der Schuldner nicht zu vertreten haben, da diese im Falle von § 275 Abs. 1 BGB lediglich eine ohne weiteres eintretende gesetzliche Rechtsfolge ist.90 Das Vertretenmüssen kann sich daher immer nur auf Umstände beziehen, die diesen gesetzlichen Automatismus in Gang setzen.91 Der Schuldner hat daher die Pflichtverletzung immer dann zu vertreten, wenn die Befreiung von der Primärleistungspflicht auf Grund von Umständen eintritt, die er zu vertreten hat und die spiegelbildlich dafür verantwortlich sind, dass der Gläubiger seinen Anspruch auf die primär geschuldete Leistung verliert. Der Schuldner muss also die Störung selbst zu vertreten haben.92 Das gilt mit einer marginalen Abweichung auch für die Fälle des § 275 Abs. 2 und 3 BGB. Hier muss sich das Vertretenmüssen auf diejenigen Umstände beziehen, die den Schuldner zur Erhebung der Einrede berechtigen. Auf das Erheben der Einrede selbst, die der Schuldner immer zu vertreten hat, da er sie ja vorsätzlich erhebt, darf nicht abgestellt werden.93 Anderenfalls wäre die Entlastungsmöglichkeit in den Fällen der faktischen Unmöglichkeit und der Unzumutbarkeit der persönlich zu erbringenden Leistung stets ausgeschlossen.

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Unberath, Die Vertragsverletzung, S. 346. Musielak/Foerste ZPO § 286, Rn. 58; Huber/Faust, Schuldrechtsmodernisierung, Teil 3, Rn. 120. 90 Kap. 3 A. III. 1. 91 In diesem Sinne klarstellend auch Anwaltkommentar/Dauner-Lieb BGB § 283, Rn. 6. 92 Erman/Westermann § 283, Rn. 7. 93 MüKo/Ernst BGB 5. Aufl. 2007, § 283, Rn. 6; S. Lorenz KF 2005, S. 14; Erman/Westermann § 283, Rn. 7. 89

Kapitel 3

Haftungsgrund und Zurechnungsgesichtspunkt des Ersatzanspruchs infolge anfänglicher Unmöglichkeit (§ 311a BGB) A. Der Haftungsgrund I. Vorbemerkungen Die wohl umstrittenste Regelung des reformierten Schuldrechts ist die Schadensersatzhaftung für anfängliche Unmöglichkeit gemäß § 311a Abs. 2 BGB. Keine andere Norm war Gegenstand derart tief greifender, bisweilen erbittert geführter Kontroversen. Die Kritik bezog sich dabei auf sämtliche Ebenen der Haftungsnorm. Teilweise wurde ihr Haftungsgrund,1 ihr Zurechnungsprinzip und/oder ihre Rechtsfolgenanordnung2 als verfehlt angesehen. Die verschiedenen Auffassungen werden hier aber nur kursorisch dargestellt werden. In der Tat handelt es sich bei der überwiegenden Zahl der kritischen Stimmen um Diskussionsbeiträge de lege ferenda.3 Mit der vorliegenden Arbeit ist indes nicht beabsichtigt, sich mit rechtspolitischen Fragen im weiteren Sinne auseinanderzusetzen. Die Grundlage und Diskussionsbasis zur Beantwortung der einzelnen Teilfragen ist ausschließlich in der lex lata zu finden. Darüber hinaus wird hier von einem Verständnis ausgegangen, dass die Normsetzung durch die erste Gewalt zugleich einen Rechtsanwendungsbefehl beinhaltet. Die Rolle des Gesetzgebers ist nicht lediglich diejenige eines „aufzeichnenden Notars“ der Wissenschaft.4 Hierauf weist Canaris5 bezogen auf § 311a BGB mit Nachdruck hin. Eindeu1 Ehmann/Sutschet JZ 2004, 62, 64; Sutschet NJW 2005, 1404, 1405; Altmeppen DB 2001, 1399, 1401 f.; ders. DB 2001, 1821, 1823, Harke AcP 205 (2005), 67, 83 f.; Wilhelm JZ 2001, 861, 867; Katzenstein JR 2003, 447, 452; Katzenstein Jura 2005, 73, 78. 2 Insbesondere Lobinger, Die Grenzen rechtsgeschäftlicher Leistungspflichten, S. 279 ff., 295 ff., 363. 3 S. Lorenz KF 2005, S. 4 f. 4 So aber Lobinger, Die Grenzen rechtsgeschäftlicher Leistungspflichten, S. 357, 360. 5 Canaris, in: FS Heldrich, S. 11, 37 f.

A. Der Haftungsgrund

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tige und inhaltlich so beabsichtigte Vorschriften sind als positive Rechtsnormen zu respektieren und als verbindlich zu behandeln.6 Mag man einzelne dieser verbindlichen Rechtsnormen auch für verbesserungswürdig halten, kommt man um die Feststellung, dass es im demokratischen Staat dem Gesetzgeber obliegt, Zweckmäßigkeitserwägungen in Gesetzesform zu gießen, nicht umhin.7 Die Ziele des Gesetzgebers, die er mit der Normierung des § 311a BGB und der Schuldrechtsreform insgesamt verfolgte, sind daher keinesfalls gegenstandslos oder unterliegen der Disposition einzelner Wissenschaftler oder der Wissenschaft insgesamt. Der Gesetzgeber traf klare Entscheidungen, die wegen ihrer Verbindlichkeit für den Normanwender8 schlicht hinzunehmen sind. Für eine Ungültigkeit der Norm des § 311a BGB bestehen keine Anhaltspunkte.9 Nur in einem solchen Falle wäre es legitim, die Norm als „Nichtrecht“ zu behandeln und somit auch Korrekturen gegen den Wortsinn und den Regelungsplan des Gesetzgebers zuzulassen.10 Die wesentlichen Grundentscheidungen des Gesetzgebers bezogen auf § 311a BGB seien daher nochmals kurz vergegenwärtigt. Ziele des Gesetzgebers waren: – die Gleichbehandlung von anfänglichem Unvermögen und anfänglicher Unmöglichkeit,11 – der Gleichlauf von nachträglicher und anfänglicher Unmöglichkeit zur Vermeidung zufälliger Ergebnisse,12 – die Gewährung eines Anspruch auf das positive Interesse,13 – die Orientierung der Haftung am Verschuldensprinzip § 276 BGB und somit gegen die Anordnung einer generellen Garantiehaftung bei anfänglichem Unvermögen, wie es dem bisherigen Rechtszustand entsprach.14

6

Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 541, 566 f. Larenz, Methodenlehre der Rechtwissenschaft, S. 428. 8 Larenz, Methodenlehre der Rechtwissenschaft, S. 328. 9 Canaris, in: FS Heldrich, S. 11, 36 f.; entgegen Lobinger, Die Grenzen rechtsgeschäftlicher Leistungspflichten, S. 281, 295. 10 Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 566 f.; Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 328. 11 BT-Drs. 14/6040, S. 128. 12 BT-Drs. 14/6040, S. 84, 128. 13 BT-Drs. 14/6040, S. 165. 14 BT-Drs. 14/6040, S. 165. 7

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Kap. 3: Haftung und Zurechnung bei anfänglicher Unmöglichkeit

II. Die Nichterfüllung des wirksamen Leistungsversprechens Ausweislich der Gesetzesmaterialien löst die „Nichterfüllung des – nach § 311a Abs. 1 BGB wirksamen – Leistungsversprechens“15 den Schadensersatzanspruch wegen anfänglicher Unmöglichkeit aus. Sein Haftungsgrund liegt in der bloßen Nichterfüllung,16 also dem Bruch des vertraglichen Leistungsversprechens.17 Die Schadensersatznorm des § 311a Abs. 2 BGB bewirkt somit nicht mehr als den Schuldner an seinem bei Vertragsschluss gegebenen Wort festzuhalten, indem sie dem Gläubiger, der seinen Anspruch auf die Leistung in Natur verliert (§ 275 Abs. 1–3 BGB), stattdessen einen Anspruch auf das Erfüllungsinteresse gewährt. Der Gläubiger erhält dann, vorbehaltlich des Vorliegens von Verschulden, bereits im Zeitpunkt des Vertragsschlusses gegen seinen Schuldner einen Geld(ersatz)anspruch in Höhe des positiven Interesses. Sowohl in den Fällen des § 275 Abs. 1 BGB als auch in den Fällen der berechtigten Erhebung der Einreden des § 275 Abs. 2 und 3 BGB und der damit verbundenen Rückwirkung auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses ist die Terminologie des „Ersatzanspruchs“ nur dann passend, wenn man ausschließlich den Schaden des Gläubigers im Blick hat. Ein Anspruch auf die Leistung in Natur, der Primäranspruch (der zu keinem Zeitpunkt bestanden hat), kann nicht ersetzt werden. Der Anspruch aus § 311a Abs. 2 BGB ist somit von vornherein auf eine Geldzahlung gerichtet. Ist die Gegenleistung noch nicht bewirkt, entsteht eine Art gesetzliche Aufrechnungslage. Treffend ist insofern die Betrachtungsweise von Löwisch, der konstatiert, der Gesetzgeber habe sich entschieden, den Grundsatz pacta sunt servanda zumindest wirtschaftlich durchschlagen zu lassen,18 da der Anspruch auf die Leistung von vornherein ausgeschlossen war. Da das Schuldverhältnis von vornherein ohne Primärleistungspflicht entsteht, fehlt folgerichtig eine Anknüpfung der Norm des § 311a BGB an den Begriff der „Pflichtverletzung“. Umgekehrt verweist auch § 280 Abs. 3 BGB auf sämtliche Anspruchsgrundlagen für Schadensersatz statt der Leistung des allgemeinen Leistungsstörungsrechts mit Ausnahme von § 311a Abs. 2 BGB. Würde auch bei der Haftung infolge anfänglicher Unmöglichkeit auf den Begriff der „Pflichtverletzung“ rekurriert, könnte man anders 15

BT-Drs. 14/6040, S. 165. Canaris, Schuldrechtsmodernisierung 2002, Einführung XIV. 17 Canaris, in. FS Heldrich, S. 11, 28 ff.; ders. DB 2001, 1815, 1818; S. Lorenz KF 2005, S. 31 f.; Riehm, in: FS Canaris, Bd. I, S. 1079, 1080 ff.; Palandt/Grüneberg BGB, § 311a, Rn. 7; MüKo/Ernst BGB, § 311a, Rn. 15; Erman/Kindl BGB, § 311a, Rn. 6. 18 Staudinger/Löwisch § 311a, Rn. 34. 16

A. Der Haftungsgrund

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als bei der nachträglichen Unmöglichkeit kaum noch vom Vorliegen einer lediglich begrifflichen Unschärfe, die übergeordneten gesetzgeberischen Zielsetzungen geschuldet war, sprechen.19 Hier wäre die Wortlautgrenze wohl überschritten.20 Dieser Umstand spricht auch gegen die systematische Einordnung von § 311a Abs. 2 BGB als bloßen Unterfall von §§ 280 Abs. 1, 3, 283 BGB21 und wird zur Begründung des konstitutiven Charakters der Norm herangezogen.22 Anders als bei der Haftung wegen nachträglicher Unmöglichkeit bestand bei § 311a Abs. 2 BGB zu keinem Zeitpunkt eine „Pflicht aus dem Schuldverhältnis“, die verletzt werden hätte können. Zudem ist der Zurechnungsgesichtspunkt bzw. der Bezugspunkt des Vertretenmüssens in § 311a Abs. 2 Satz 2 BGB ein anderer als in den übrigen Fällen des Schadensersatzes statt der Leistung,23 sodass es sinnvoll erscheint, dieser Besonderheit durch eine eigene Norm Rechnung zu tragen. Der abweichende Bezugspunkt des Vertretenmüssens stellt einen echten sachlichen Unterschied zu den Fällen des Schadensersatzes statt der Leistung wegen Pflichtverletzung dar. § 311a Abs. 2 BGB wirkt somit nicht lediglich klarstellend – das könnte man in Hinblick auf die fehlende Anknüpfung an die Pflichtverletzung noch vertreten – sondern hinsichtlich des Zurechnungsgesichtspunkts bestimmend. Ernst24 räumt die besondere Bedeutung der Norm wegen des abweichenden Bezugspunktes des Verschuldenserfordernisses zwar ein, misst der Vorschrift des § 311a Abs. 2 BGB aber dennoch nur klarstellende Funktion bei, da sie keine ansonsten bestehende Haftungslücke schließe, sondern in ihrem Anwendungsbereich lediglich die §§ 280, 283 BGB als lex specialis verdränge. Diese Begründung überzeugt nicht. Normen sind nicht immer nur dann konstitutiv, wenn sie ansonsten bestehende Haftungslücken schließen. Es ist vielmehr völlig ausreichend, wenn sie wie hier innerhalb ihres Anwendungsbereichs einen eigenen, nicht ohnehin aus der Gesamtsystematik des Leistungsstörungsrechts selbstverständlichen Zurechnungsgesichtspunkt festlegen. Im Ergebnis sprechen daher die deutlich besseren Gründe dafür, § 311a Abs. 2 BGB nicht lediglich deklaratorischen Charakter zuzusprechen. 19

Vgl. hierzu bereits Kap. 2 A. I. 2./3. Canaris, in: FS Heldrich, S. 11, 34. 21 So aber MüKo/Ernst BGB § 311a, Rn. 4, 19, der § 311a Abs. 2 BGB nur klarstellenden Charakter beimisst; ebenso konsequenterweise Altmeppen DB 2001, 1399, 1400, der den Haftungsgrund von § 311a BGB in der Verletzung einer vorvertraglichen Aufklärungspflicht sieht. 22 Canaris, in: FS Heldrich, S. 11, 34 f., der zudem die Auslagerung der Norm des § 311a BGB als erforderlich ansieht um „die Terminologie der Pflichtverletzung in § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB einigermaßen konsistent durchzuhalten“. 23 Kap. 3 B. II. 1. 24 MüKo/Ernst BGB § 311a, Rn. 4 a. E. 20

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Kap. 3: Haftung und Zurechnung bei anfänglicher Unmöglichkeit

1. Der Garantiegedanke Einige Autoren25 sind der Auffassung, die Haftung aus § 311a Abs. 2 BGB, gerichtet auf Schadensersatz statt der Leistung, also das positive Interesse, sei nur durch den Garantiegedanken zu rechtfertigen. Häufig sehen die Vertreter dieser Auffassung in § 311a BGB eine Haftung für vorvertragliches Verschulden. Es finden sich dann Formulierungen wie: „Allein der Umstand, dass der versprochene Erfüllungserfolg ausbleibt, kann als objektives Faktum nicht haftungsbegründend sein, wenn es nicht um den Ausnahmefall der Garantiehaftung geht . . . schuldhaft [kann] nur eine Handlung im Sinne von positivem Tun oder Unterlassen – und nicht das objektive Ausbleiben eines Leistungserfolges – sein . . .“26. Diese Auffassung hat Canaris zu Recht als Folge einer Vermengung von Haftungsbegründungs- und Zurechnungsgesichtspunkt identifiziert und in diesem Zusammenhang auf die Doppelsinnigkeit des Garantiebegriffs hingewiesen.27 Mit „Garantie“ kann zum einen die vertragliche Erfüllungsgarantie gemeint sein, zum anderen kann sie verschuldensunabhängigen Einstandswillen bedeuten. Je nachdem, worauf sich „die Garantie“ bezieht, ist sie der Ebene der Haftungsbegründung oder der Ebene der Zurechnung zuzuordnen. a) Die Garantie auf Ebene des Haftungsgrundes Auf Ebene des Haftungsgrundes bedeutet Garantie lediglich die Zusage des Schuldners, die vertraglich versprochene Leistung in Natur zu erbringen, dazu imstande zu sein und für den Fall, dass sich herausstellt, dass er zur Erfüllung in Natur doch nicht imstande ist, stattdessen eine entsprechende Geldzahlung zu leisten.28 Das Versprechen bezieht sich auf die Leistungserbringung in Natur und zugleich aufschiebend bedingt für den Fall der fehlenden Leistungsfähigkeit – quasi hilfsweise – auf Zahlung eines der Leistung wertmäßig entsprechenden Geldäquivalents. Dass das Versprechen einen doppelten Inhalt hat, muss regelmäßig nicht näher beleuchtet werden, da es nur das selbstverständliche Verhältnis von Primär- zu Sekundäransprüchen widerspiegelt. Bei der Haftung gemäß § 311a Abs. 2 25 Altmeppen DB 2001, 1399, 1401 f.; ders. DB 2001, 1821, 1823; Hammen, in: FS Hadding, S. 41, 49 f.; Harke AcP 205 (2005), 67, 83 f.; Ehmann/Sutschet JZ 2004, 62, 64 f., 66 f.; Sutschet NJW 2005, 1404, 1405; Wilhelm JZ 2001, 861, 867; Olshausen ZIP 2002, 237, 239. 26 Altmeppen DB 2001, 1821, 1823. 27 Canaris, in: FS Heldrich, S. 11, 29 ff.; Canaris DB 2001, 1815, 1818 f. 28 Canaris, in: FS Heldrich, S. 11, 30.

A. Der Haftungsgrund

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BGB könnte man in der Tat einwenden, dass ein Primäranspruch nie bestanden hat, sondern nur das Versprechen, das einen solchen begründen sollte. Dieses Versprechen wiederum ist völlig ausreichend. Aus Gläubigersicht wirkt ohnehin ausschließlich das Versprechen hinsichtlich des Erhalts der Leistung vertrauensbegründend. Analog dazu vertraut auch der Schuldner auf den Erhalt der Gegenleistung nur wegen des korrespondierenden Versprechens des Gläubigers. Dass rechtstechnisch durch wirksamen Vertragsschluss Primäransprüche begründet werden, kümmert die Parteien regelmäßig nicht. Beim Schadensersatz statt der Leistung tritt die Sekundärpflicht an die Stelle der gestörten Primärpflicht,29 sodass der Gläubiger wenigstens wirtschaftlich so gestellt wird, als wäre der Vertrag durchgeführt worden. Sekundäranspruch und Primäranspruch dienen demselben Ziel, der Befriedigung des Interesses des Gläubigers an der Primärleistung.30 Ob die Sekundärpflicht zur Entstehung gelangt, ist indessen häufig vom Vorliegen von Verschulden bzw. Vertretenmüssen abhängig. Dies hingegen ist eine reine Zurechnungsfrage. Auf Ebene des Haftungsgrundes liegt in dem Versprechen also nicht mehr, als die jedem Vertrag immanente Erfüllungsgarantie. Diese „Normalgarantie“,31 wie sie von Heck bezeichnet wurde, ist aber beschränkt auf den Fall der zu vertretenden Unkenntnis des Leistungshindernisses. b) Die Garantie auf Ebene des Zurechnungsgrundes Hiervon zu unterscheiden ist die Garantie auf Ebene des Zurechnungsgrundes. Hier bedeutet Garantie verschuldensunabhängigen Einstandswillen. Der Schuldner erklärt dann auch für den Fall haften zu wollen, dass er das Leistungshindernis weder kannte noch kennen musste, also auch für den Fall unverschuldeten Irrens. Die tatbestandliche Rückanknüpfung von § 311a Abs. 2 Satz 2 BGB an § 276 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 BGB zeigt, dass die Übernahme einer verschuldensunabhängigen Haftung jederzeit möglich ist. Diese ergibt sich dann aber aus „dem sonstigen Inhalt des Schuldverhältnisses“ und findet ihre Grundlage somit ausschließlich im Parteiwillen.32 Eine weitgehende gesetzliche Garantiehaftung besteht nicht mehr. Ein über die Garantie auf Ebene des Haftungsgrundes hinausgehender verschuldensunabhängiger Einstandswille kann nunmehr nur noch im Wege 29 Medicus/Petersen, Bürgerliches Recht, § 11, Rn. 205; Grunewald, Bürgerliches Recht, § 10, Rn. 11. 30 Larenz, Schuldrecht I, § 24, I, S. 369, Fn. 20. 31 Heck, Grundriss des Schuldrechts, S. 142; S. Lorenz KF 2005, S. 32; Canaris, in: FS Heldrich, S. 11, 31 f. 32 S. Lorenz KF 2005, S. 32, 36.

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Kap. 3: Haftung und Zurechnung bei anfänglicher Unmöglichkeit

der Auslegung33 hergeleitet werden und kommt in seiner Wirkung dem vertraglichen Abbedingen der Exkulpationsmöglichkeit gleich. Die Reichweite des Einstandswillens des Schuldners im Parteiwillen zu verankern, ist notwendige Folge der gesetzgeberischen Ausgestaltung der Haftung wegen anfänglicher Unmöglichkeit als Verschuldenshaftung. Wenn aber keine gesetzliche Garantiehaftung angeordnet ist – wie sie aus § 306 BGB a. F.34 für den Fall des anfänglichen Unvermögens durch argumentum e contrario abzuleiten war35 – bzw. die Haftungsnorm auf ein Verschuldenserfordernis verzichtet, kann die Übernahme einer Garantie auf Zurechnungsebene ihre Grundlage nur im Parteiwillen finden. Der Weg zur Annahme einer generellen Garantiehaftung ist infolge der Anknüpfung der Haftungsnorm an das Verschuldenserfordernis versperrt. Dies betont auch die neuere Rechtsprechung, wenn sie feststellt, dass die erforderliche Lücke im Gesetz, auf der die Garantiehaftung des Schuldners für den Fall seines anfänglichen Unvermögens zur Leistungserbringung fußte, nicht mehr fortbesteht.36 Nur dieses Verständnis wird der gesetzgeberischen Anordnung gerecht. Der Richter hat also im Regelfall Feststellungen über das Vorliegen von Verschulden zu treffen.37 Nur wenn er die Übernahme einer Garantie auf Zurechnungsebene infolge übereinstimmenden oder ausgelegten Parteiwillens feststellt, ist er von weiteren Feststellungen bezüglich des Vorliegens von Verschulden entbunden. Damit steht aber zugleich fest, dass die unterschiedslose Zuhilfenahme des Garantiegedankens nunmehr einen klaren Fall des contra legem judizierens38 und des Verkennens des angeordneten Verschuldensprinzips darstellen würde.

33

MüKo/Ernst BGB § 311a, Rn. 55. Vgl. statt vieler Soergel/Wolf BGB § 306, Rn. 25 f. 35 Huber, in: 50 Jahre Bundesgerichtshof, Bd. I, S. 251, 268 ff.; dies entsprach auch dem Regelungsplan des historischen Gesetzgebers, wie sich aus den Gesetzesmaterialien ergibt: „Ein solches subjektives Unvermögen ist weder als ein bei der Entstehung des Schuldverhältnisses vorhandenes noch als nachträglich eintretendes von Einfluss auf die Verbindlichkeit des Schuldners. [. . .] Im Falle der Begründung des Schuldverhältnisses durch Rechtsgeschäft unter Lebenden ist im Versprechen die Übernahme einer Garantie für die Leistungsfähigkeit zu finden“; Mugdan, Band 2, Motive S. 24 f., Randpaginierung 45 f.; vgl. auch Protokolle, S. 529, Randpaginierung 8413. 36 OLG Karlsruhe NJW 2005, 989, 990. 37 BGH NJW 2005, 2852, 2854; OLG Karlsruhe NJW 2005, 989, 990. 38 OLG Karlsruhe NJW 2005, 989, 990 unter Hinweis auf die Ansicht der Vorinstanz. 34

A. Der Haftungsgrund

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c) Folgewirkungen der Aufspaltung des Garantiebegriffs Neben der zwingenden Anordnung des Gesetzes ist die Verankerung der Reichweite der Haftungsverpflichtung im Parteiwillen auch durch die hierdurch erzielten Ergebnisse sachgerecht.39 Ohne weiteres anzunehmen, der Schuldner erkläre sich stets bereit, verschuldensunabhängig zu haften, stellt eine reine Fiktion dar. Regelmäßig wird es nicht dem typischen Parteiwillen eines Schuldners entsprechen, vorbehaltlos zu haften.40 Jedenfalls stellt sowohl die Vereinbarung einer Haftungsbeschränkung bis zur Vorsatzgrenze (§ 276 Abs. 3 BGB) als auch die Vereinbarung einer Haftungserweiterung durch Garantie im Sinne eines Abbedingens der Exkulpationsmöglichkeit eine Besonderheit dar. Prima facie ist davon auszugehen, dass ein Schuldner nur im gesetzlich vorgesehenen Rahmen haften will. Wollen die Parteien abweichend vom gesetzlich vorgesehenen Normalfall die Haftung erweitern oder beschränken, so wird es für einen solchen Willen regelmäßig Anhaltspunkte im Vertrag oder in den Vertragsverhandlungen geben.41 Von vornherein auf einen verschuldensunabhängigen Einstandswillen des Schuldners zu schließen, ist daher ebenso lebensfremd, wie überflüssig.42 Zu dem gleichen Ergebnis gelangt man, wenn man sich die Belange des Gläubigers vergegenwärtigt. Auch dieser kann sich ohne Hinweise auf einen erweiterten Einstandswillen des Schuldners kein schutzwürdiges Vertrauen dahingehend bilden, er wolle auch für den Fall fehlenden Verschuldens haften. Ohne entsprechende Anhaltspunkte fehlt ein tauglicher Anknüpfungspunkt für Gläubigervertrauen, der Schuldner wolle abweichend vom gesetzlichen Normalfall haften. Nur wenn die Parteien übereinstimmend von einem verschuldensunabhängigen Einstandswillen ausgingen oder der Gläubiger die Erklärung des Schuldners vom objektiven Empfängerhorizont her in diesem Sinne verstehen durfte, ist sein Vertrauen gerechtfertigt und schützenswert.43 In diesem Falle findet die Vereinbarung einer Garantie auf Zurechnungsebene ihre Grundlage im (ausgelegten) Vertrag44 und somit 39 Canaris, in: FS Heldrich S. 11, 32 unter Verweis auf Heck, Grundriss des Schuldrechts, S. 142; ebenso S. Lorenz KF 2005, S. 36. 40 Heck, Grundriss des Schuldrechts, S. 142. 41 Staudinger/Löwisch/Caspers § 276, Rn. 124. 42 Mit Rücksicht auf die weit reichenden Folgen, ist insbesondere bei der Annahme einer stillschweigenden Garantieübernahme Zurückhaltung geboten BGH NJW 2007, 1346, 1348; BGHZ 128, 111, 114. 43 BGHZ 132, 55, 57 f.; BGHZ 128, 111, 114; Looschelders, Schuldrecht AT, Rn. 533. 44 BGH NJW 2007, 1346, 1348; BGHZ 132, 55, 57 f.; BGHZ 128, 111, 114; Erman/Westermann § 276, Rn. 23; Brox/Walker, Schuldrecht AT, S. 205.

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Kap. 3: Haftung und Zurechnung bei anfänglicher Unmöglichkeit

im Parteiwillen.45 Eine Fiktion von Vertragsinhalten ist dann nicht mehr erforderlich.46 Versteht man den Begriff der Garantie in diesem „doppelten Sinne“, stellt das bloße Faktum der Nichtleistung bzw. das Ausbleiben des versprochenen Leistungserfolges durchaus einen tauglichen Haftungsgrund, also eine objektive tatbestandliche Voraussetzung dar, bei deren Vorliegen die Rechtsordnung einem Geschädigten Schutz gewährt. Das Ausbleiben des Erfüllungserfolges besagt indes nichts darüber, ob der Schuldner sein Zurückbleiben hinter dem vertraglich versprochenen Leistungsprogramm auch zu vertreten hat. Indem die Norm den soeben dargestellten Haftungsgrund mit dem Zurechnungsprinzip des Verschuldens kombiniert, entsteht eine Haftungsverpflichtung des Schuldners nur bei Verschulden. Erst das zusätzliche Vorliegen eines Zurechnungsgesichtspunktes erlaubt die konkrete Zuweisung der Haftungsverpflichtung an den Schuldner, bezogen auf den abstrakten Schutz des Gläubigers vor Nichterfüllung. Haftungsbegründend bei § 311a Abs. 2 BGB ist das Zurückbleiben des Schuldners hinter seinem vertraglich übernommen Pflichtenprogramm. Dies kann, ohne dass damit ein sachlicher Unterschied verbunden wäre, auch als Ausbleiben des versprochenen Leistungserfolges oder Nichterfüllung bezeichnet werden. Haftungszuweisend wirkt hingegen die Kenntnis bzw. das Kennenmüssen des leistungshindernden Umstandes,47 also das Vorliegen von Verschulden. 2. Die Abgrenzung zum Haftungsgrund der culpa in contrahendo (§§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB) Neben der Auffassung, die Haftung gemäß § 311a Abs. 2 BGB sei trotz des Rekurses der Norm auf das Verschuldensprinzip nur durch den Garantiegedanken zu rechtfertigen, besteht noch eine weitere Fehlvorstellung über ihren Haftungsgrund. So wird etwa behauptet: „Die Pflicht aus dem Schuldverhältnis, um die es bei § 311a BGB RegE geht, ist diejenige aus Vertragsanbahnung (§ 311 Abs. 2 BGB RegE), gerichtet auf korrekte Aufklärung“.48 Die Haftung nach § 311a Abs. 2 BGB sei in ihrem Begründungselement mit der Haftung aus culpa in contrahendo identisch, jedenfalls handele es sich aber um eine Art verkappte culpa in contrahendo-Haf45

Looschelders, Schuldrecht AT, Rn. 530. Zur Gefahr einer Willensfiktion (Haftungsverzicht) zu Lasten des Gläubigers bei Annahme einer stillschweigenden Haftungsbeschränkung ohne vertragliche Anhaltspunkte vgl. Staudinger/Löwisch/Caspers § 276, Rn. 124. 47 Vgl. im Einzelnen Kap. 3 B. II. 1. 48 Altmeppen DB 2001, 1399, 1400; ebenso Tonner/Willingmann/Tamm/Hirse § 311a, Rn. 9; Amann/Brambring/Hertel, S. 26. 46

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tung. Vor allem deshalb sei die Gewährung eines auf das positive Interesse gerichteten Anspruchs unhaltbar. Ein anderes Begründungsmodell liefert Harke. Nach dessen Auffassung soll die Verletzung vorvertraglicher Informationspflichten über Leistungshindernisse im Rahmen von § 311a Abs. 2 BGB zur Erweiterung der vertraglichen Leistungsverpflichtung führen: „Die mangelnde Rücksichtnahme auf die Interessen des Vertragspartners wird hier [bei § 311a Abs. 2 BGB] nicht als solche, sondern indirekt sanktioniert, indem die gewöhnliche Zusage einer Haftung für Verschulden um eine Garantie angereichert wird“.49 Das Haftungsbegründungselement der culpa in contrahendo ist indessen von demjenigen in § 311a Abs. 2 BGB klar abgrenzbar. Dass zwischen beiden Haftungstatbeständen bisweilen Anspruchkonkurrenz bestehen kann, ist für das BGB weder ungewöhnlich, noch hat dieser Umstand Einfluss auf die Unterscheidbarkeit ihrer Haftungsbegründungselemente. Die Haftungsnormen unterscheiden sich sowohl hinsichtlich des jeweils in Bezug genommenen Pflichtenprogramms als auch hinsichtlich ihres Schutzzwecks bzw. ihrer Schutzrichtung. a) Die unterschiedlichen Grundlagen der Haftungstatbestände aa) Leistungs- und Schutzpflichtverletzungen Die Ansatzpunkte der Haftungsverpflichtung wegen culpa in contrahendo gemäß §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB und anfänglicher Unmöglichkeit gemäß § 311a Abs. 2 BGB unterscheiden sich grundlegend. Die Haftung nach § 311a Abs. 2 BGB ist eine Haftung wegen der Verletzung von Leistungspflichten, wenngleich infolge der vertragsanfänglichen Leistungsbefreiung gemäß § 275 BGB die Leistung in Natur zu keinem Zeitpunkt geschuldet war. Vorbehaltlich des Vertretenmüssens des Schuldners ist von vornherein nur die Leistung des Interesses des Gläubigers an der Vertragserfüllung, ein Geldanspruch, geschuldet. Phänomenologisch besteht indes kein Zweifel, dass der Ersatzanspruch an die Verletzung vertraglich übernommener Leistungspflichten anknüpft (Schadensersatz statt der Leistung). Die Haftung wegen culpa in contrahendo betrifft ausschließlich Sachverhalte, die sich vor Vertragsschluss ereignet haben.50 In diesem Stadium können denknotwendig noch keine Leistungspflichten bestehen. § 311 Abs. 2 Nr. 1–3 BGB enthält drei Tatbestände, bei deren Vorliegen ein gesetzliches 49 Harke AcP 205 (2005), 67, 88; Vgl. zu dieser Auffassung im Einzelnen Kap. 5 B. I. 1. c) aa) (2). 50 Gernhuber, Das Schuldverhältnis, § 8 II 2, S. 182.

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Schuldverhältnis ohne primäre Leistungspflichten entsteht.51 Dieses gesetzliche Schuldverhältnis verpflichtet jeden Teil zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen seines Gegenübers, wie die Anknüpfung von § 311 Abs. 2 BGB an § 241 Abs. 2 BGB klarstellt. Den Parteien werden Verhaltenspflichten auferlegt, die hauptsächlich auf Aufklärung52, Obhut, Fürsorge, Auskunft oder loyales Verhalten gerichtet sind.53 Hier soll verallgemeinernd von Schutz- oder Rücksichtnahmepflichten (§ 241 Abs. 2 BGB) gesprochen werden. Die Leistungs- und die Schutzpflichten bestehen unabhängig voneinander und haben unterschiedliche Entstehungsgründe. bb) Die Grundlage von Leistungs- und Schutzpflichten Grundlage der Leistungspflichten ist der Vertrag, Grundlage der Schutzpflichten ist ein gesetzliches Schuldverhältnis, das letztlich dem Gebot von Treu und Glauben (§ 242 BGB) folgt. Dieses einheitliche Schutzpflichtverhältnis besteht neben und unabhängig vom Vertrag.54 Dies ist im Einzelnen strittig. Nach anderer Auffassung wandeln sich die Schutzpflichten nach Vertragsschluss in vertragliche Nebenpflichten55. Der Gesetzgeber hat diesen Streit ausdrücklich offen gelassen und die systematische Einordnung der Schutzpflichten weiterhin der Rechtswissenschaft überantwortet.56 Eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem Streitstand ist an dieser Stelle nicht angezeigt, da jedenfalls im vorvertraglichen Bereich auch die Kritiker der hier vertretenen Auffassung das Schutzpflichtverhältnis aus einem gesetzlichen Schuldverhältnis ableiten.57 Vor Vertragsschluss können nun einmal keine vertraglichen Nebenpflichten bestehen. Überraschend ist die Figur der Umwandlung der einem gesetzlichen Schuldverhältnis entspringenden Pflichten in vertragliche Nebenpflichten durch das bloße Faktum eines Vertragsschlusses – quasi „über Nacht“ – indessen schon. Zu Recht wurde deshalb darauf hingewiesen, dass die Leistungspflichten erst durch den betätigten Parteiwillen und den Vertragszweck mit Inhalt gefüllt werden, während die Schutzpflichten von der Willkür der Parteien oder Vertragszwecken gänzlich unab51

Erman/Kindl § 311, Rn. 16, Palandt/Grüneberg § 311, Rn. 27. Die Terminologie ist hier uneinheitlich. Häufig wird in ähnlichen Zusammenhängen auch von Offenbarungs- oder Informationspflichten gesprochen. 53 Palandt/Grüneberg § 311, Rn. 27, Erman/Kindl § 311, Rn. 23; Jauernig/Stadler 311, Rn. 50. 54 Canaris JZ 1965, 475, 478 f.; Soergel/Teichmann 12. Aufl., § 242, Rn. 181. 55 Vgl. Gernhuber, Das Schuldverhältnis § 2 IV. 4., S. 26 ff.; Palandt/Grüneberg § 241, Rn. 7. 56 BT-Drs. 14/6040, S. 126. 57 Vgl. Canaris JZ 1965, 475, 479 m. w. N. in Fn. 35; Palandt/Grüneberg § 241, Rn. 7. 52

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hängig sind.58 Ihr Entstehungsgrund liegt schlicht in dem Faktum des Bestehens sozialen Kontakts.59 Auch inhaltlich richten sich die Schutzpflichten ausschließlich nach den tatsächlichen Beziehungen der Parteien zueinander.60 Obwohl aber der Vertragsschluss bzw. der Parteiwille keinerlei Einfluss auf Gestalt und Intensität der Schutzpflichten haben kann, soll mit Vertragsschluss eine Wandlung sowohl hinsichtlich ihrer rechtsgeschäftlichen Natur als auch in Bezug auf ihren Geltungsgrund erfolgen.61 Aus einer gesetzlichen Pflicht (§ 242 BGB) wird Vertragspflicht und aus dem Geltungsgrund des sozialen Kontakts – der bis zu Vertragsschluss einhellig als ausreichend angesehen wird – bestehen die Schutzpflichten ab Vertragsschluss nur noch aufgrund des Vertragsverhältnisses. Konsequenterweise müsste die Gegenauffassung bei den nachvertraglichen Schutzpflichten wiederum eine Rückumwandlung in gesetzliche Pflichten befürworten. Dieser Kunstgriff vermag insgesamt nicht zu überzeugen. Die Umwandlung der Schutzpflichten in vertragliche Nebenpflichten dient weder der Beförderung eines sachlichen Interesses, noch ist sie dogmatisch erforderlich. Sie führt ganz im Gegenteil nur zu unnötigen dogmatischen Brüchen. Schutzpflichten entspringen einem einheitlichen gesetzlichen Schuldverhältnis. Sie ergänzen funktional die allgemeinen Normen des Rechtsgüterschutzes (§§ 823 ff. BGB).62 Die generell und vertragsunabhängig bestehenden Schutzpflichten sind einer Umwandlung in vertragliche Nebenpflichten nicht zugänglich. cc) Der zeitliche Anwendungsbereich der Haftungsnormen Die Haftung aus culpa in contrahendo setzt die Verletzung von vorvertraglichen Rücksichtnahmepflichten gemäß § 241 Abs. 2 BGB voraus. Eine Anknüpfung an vertragliche Leistungspflichten oder das gegebene Leistungsversprechen ist ausgeschlossen, da die haftungsauslösende Pflichtverletzung im Vertragsanbahnungszeitraum, also dem Zeitraum vor Vertragsschluss erfolgen muss. Allein der zeitliche Anwendungsbereich der Haftungsnormen ist daher unterschiedlich. Die Haftung aus culpa in contrahendo reicht vom Entstehen des gesetzlichen Schuldverhältnisses gemäß § 311 Abs. 2 BGB bis zum Vertragsschluss. Die Haftung aus § 311a Abs. 2 BGB bezieht sich punktuell auf den Zeitpunkt der Abgabe des unerfüll58

Canaris JZ 1965, 475, 478 Fn. 34; MüKo/Roth BGB § 241, Rn. 90. Soergel/Teichmann 12. Aufl., § 242, Rn. 181; MüKo/Kramer BGB Einl. §§ 241–432, Rn. 83. 60 Soergel/Teichmann 12. Aufl., § 242, Rn. 181 f. 61 Canaris JZ 1965, 475, 479. 62 Soergel/Teichmann 12. Aufl., § 242, Rn. 179; MüKo/Kramer BGB Einl. §§ 241–432, Rn. 83. 59

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baren Leistungsversprechens, den Vertragsschluss selbst. Etwaige Pflichten, die vorher zwischen den Parteien bestanden haben, sind für die Haftung aus § 311a Abs. 2 BGB irrelevant. Umgekehrt löst ab Vertragsschluss auch die Verletzung von Schutzpflichten keine Ansprüche mehr aus culpa in contrahendo aus. Solche Pflichtverletzungen sind dann ausschließlich dem Regelungsregime des § 280 Abs. 1 BGB i. V. m. dem zugrunde liegenden Vertrag (pVV bzw. pFV) und dem Schadensersatz statt der Leistung gemäß §§ 282, 280 Abs. 1, 3 BGB unterworfen. b) Die unterschiedlichen Schutzgüter aa) Das Schutzgut von § 311a Abs. 2 BGB Auch die jeweiligen Schutzgüter der culpa in contrahendo und der Schadensersatzhaftung des § 311a Abs. 2 BGB unterscheiden sich grundlegend. § 311a Abs. 2 sanktioniert den Bruch des wirksamen Leistungsversprechens und stellt den Gläubiger so, wie er bei ordentlicher Erfüllung gestanden wäre. Die Norm bezweckt ausschließlich die Gewährung von Vermögensschutz. Dass die Norm einen Schuldner auf das volle Erfüllungsinteresse haften lässt, hält einen vernünftig Handelnden zusätzlich dazu an, sich gut zu überlegen, was er verspricht. Die hiermit verbundene Stärkung der Vertragstreue ist jedoch bloße Reflexwirkung und stellt kein eigenständiges Schutzgut der Haftungsnorm dar. bb) Das Schutzgut der culpa in contrahendo Das Schutzspektrum der culpa in contrahendo ist deutlich weiter, als dasjenige des § 311a Abs. 2 BGB. Auch die Haftung aus culpa in contrahendo kann dem Schutz des Vermögens der benachteiligten Partei dienen. Damit hat es indes nicht sein Bewenden. Die §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB verleihen bereits dann Schutz, wenn in pflichtwidriger Weise in die Entscheidungs- bzw. Dispositionsfreiheit des Vertragspartners eingegriffen wurde.63 Diese Auffassung findet ihre Stütze nunmehr auch im Gesetz. § 311 Abs. 2 BGB verweist auf § 241 Abs. 2 BGB, der neben der Rechts- und Rechtsgüterverletzung auch die Interessenverletzung eines Vertragsteils als relevante Rücksichtnahmepflichtverletzung ansieht.64 Diese Verweisung 63

Palandt/Grüneberg § 311, Rn. 13 m. w. N. Staudinger/Löwisch § 311, Rn. 143 ff. m. w. N.; Erman/Kindl § 311, Rn. 17; Palandt/Grüneberg § 311, Rn. 13. 64

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auch auf die Interessenverletzung des anderen Teils hat einen eigenständigen Sinngehalt. Dem Gesetzgeber lassen sich sogar zwei inhaltliche Aussagen entnehmen, wenn er in der Gesetzesbegründung formuliert, dass durch § 241 Abs. 2 BGB „Vermögensinteressen sowie andere Interessen, wie zum Beispiel die Entscheidungsfreiheit zu schützen sein können“.65 Zum einen wird die Entscheidungsfreiheit zu einem durch § 241 Abs. 2 BGB und somit auch durch die culpa in contrahendo geschützten Interesse erklärt. Zum anderen steht damit auch fest, dass die Haftung aus culpa in contrahendo nicht mehr zwingend das Vorliegen eines Vermögensschadens voraussetzt. Auch der Bundesgerichtshof scheint in seiner neueren Rechtsprechung von dem Erfordernis eines Vermögensschadens für die culpa in contrahendo-Haftung abgerückt zu sein. Das Verleiten zu einem – ansonsten unterbliebenen – Vertragsabschluss vermittels eines haftungsbegründenden Verhaltens soll nunmehr sogar bei objektiver Werthaltigkeit der ausgetauschten Leistungen einen ersatzfähigen Schaden darstellen. Es soll bereits ausreichen, dass die Leistung für die Zwecke des Gläubigers nicht voll brauchbar ist.66 Von einem „Vermögensschaden“ lässt sich aber bei objektiver Werthaltigkeit der ausgetauschten Leistungen kaum noch sprechen, da in einem solchen Falle die Anwendung der Differenzhypothese keinen negativen Saldo zuungunsten des Schadensersatzgläubigers ausweist. Dass es ausreichen kann, dass die Leistung für die Zwecke des Gläubigers nicht voll brauchbar ist, deutet vielmehr auf die Anerkennung eines „subjektiven Schadenseinschlags“ hin, wie er etwa im Strafrecht durch den bei Vermögensdelikten herrschenden juristisch-wirtschaftlichen Schadensbegriff umfasst wird.67 Der persönliche Schadenseinschlag ist eine spezielle Fallgruppe normativer Schäden. Die Ersatzfähigkeit solcher Schadenspositionen ist dem Zivilrecht jedoch keineswegs fremd. Lange vor der Schuldrechtsreform und der Normierung der §§ 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 BGB betonte der Bundesgerichtshof die Subjektbezogenheit des Schadensbegriffs. Der zu ersetzende Schaden könne schon darin liegen, dass der von dem schuldhaften Pflichtverstoß Betroffene in seinen Vermögensdispositionen beeinträchtigt sei. Der Schadensersatzanspruch diene dazu, den konkreten Nachteil 65

BT-Drs. 14/6040, S. 126. BGH NJW 2005, 1579, 1580. Demgegenüber setzte der Bundesgerichtshof früher noch einen Vermögensschaden für die Haftung aus culpa in contrahendo voraus und stieß damit in Teilen der Literatur auf starke Kritik BGH NJW 1998, 302; vgl. hierzu nur Grigoleit NJW 1999, 900, 901 f. m. w. N. 67 Vgl. hierzu umfassend Satzger/Schmitt/Widmaier/Satzger, StGB § 263, Rn. 138 ff.; der Einbezug und die Anerkennung solcher wertenden Betrachtungen durch h. M. und Rspr. im Strafrecht erfolgte im Anschluss an den bekannten Fall aus BGHSt 16, 321, 325 ff. (Melkmaschinenfall). 66

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des Geschädigten auszugleichen und deshalb sei der Schadensbegriff schon im Ansatz subjektbezogen.68 c) Das Konkurrenzverhältnis Eine Folgefrage, die sich aus der Analyse der Haftungsbegründungselemente der culpa in contrahendo und von § 311a Abs. 2 BGB ergibt, ist diejenige nach dem Konkurrenzverhältnis der beiden Anspruchsgrundlagen. Nach der hier vertretenen Konzeption scheint die Frage zunächst einfach zu beantworten zu sein. Die Anspruchsgrundlagen unterscheiden sich in Tatbestand und Rechtsfolge. Die culpa in contrahendo gewährt Schutz vor Rücksichtnahmepflichtverletzungen, also Verletzungen des Integritätsinteresses, der Anspruch aus § 311a Abs. 2 BGB knüpft an den Bruch eines Leistungsversprechens an und schützt somit das Äquivalenzinteresse. Dementsprechend wird der Gläubiger rechtsfolgenseitig im Rahmen der culpa in contrahendo so gestellt, als wäre die rechtlich missbilligte Einwirkung auf seine Rechte, Rechtsgüter oder Interessen (§ 241 Abs. 2 BGB) nicht erfolgt (negatives Interesse), während er bei § 311a Abs. 2 BGB wirtschaftlich so gestellt wird, als hätte der Schuldner sein Versprechen erfüllt (positives Interesse). Ein Bruch mit dem Rechtszustand vor der Schuldrechtsmodernisierung würde ein Nebeneinander der Ansprüche nicht bedeuten. Im Gegenteil: Die Rechtsprechung ging bisher gerade von einem solchen Nebeneinander aus. Der Bundesgerichtshof befürwortete die Haftung aus culpa in contrahendo auf Ersatz des Vertrauensschadens gerade auch dann, wenn der Schuldner zugleich wegen anfänglichen Unvermögens auf Ersatz des Erfüllungsinteresses haftete.69 Die Frage des Konkurrenzverhältnisses hat nur dann praktische Folgen, wenn das negative Interesse das positive Interesse ausnahmsweise übersteigt. Das ist insbesondere in Fallkonstellationen denkbar, in denen der Gläubiger im Vertrauen auf die Durchführbarkeit des Vertrages mit dem Schuldner vom Abschluss eines anderweitig gewinnträchtigen Vertrages Abstand genommen hat.70 Das Konkurrieren der Ansprüche wird dabei vor allem in denjenigen Sachverhaltskonstellationen auftauchen, in denen bereits in der Vertragsanbahnungsphase über einen Umstand unterrichtet hätte werden müssen (culpa in contrahendo), der sich anschließend als anfänglich leistungshindernder Umstand herausstellt (§ 311a Abs. 2 BGB).

68 69 70

BGH NJW 1998, 302, 304. BGH NJW 2001, 2875, 2876 m. w. N. Erman/Kindl § 311a, Rn. 11.

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aa) Der Streitstand in der Literatur Die Literatur ist über diese Frage gespalten. Ein Teil der Literatur sieht § 311a Abs. 2 BGB uneingeschränkt als lex specialis an, mit der Folge, dass der Gläubiger stets auf das positive Interesse verwiesen wird, mag auch die Gewährung des negativen Interesses im Einzelfall günstiger für ihn sein.71 Eine Begründung für diese Auffassung findet sich, soweit ersichtlich, lediglich bei Lorenz. Der Gläubiger werde bei § 311a Abs. 2 BGB dem Werte nach so gestellt, als sei der Vertrag durchgeführt worden. An seiner rechtsgeschäftlichen Entscheidung müsse er sich festhalten lassen. Mit der von § 311a Abs. 1 BGB angeordneten Gültigkeit des Vertrages und der Ersatzfähigkeit des positiven Interesses korrespondiere die Bindung an die wirtschaftlichen Folgen der eigenen rechtsgeschäftlichen Entscheidung. Hierdurch werde eine durch das positive Interesse nicht begrenzte Haftung aus culpa in contrahendo ausgeschlossen.72 Diese Auffassung übersieht jedoch, dass die „rechtgeschäftliche Entscheidung“ des Gläubigers – insbesondere in Fällen einer culpa in contrahendo infolge von Aufklärungspflichtverletzung73 – so in aller Regel nicht zustande gekommen wäre. Werden vorvertragliche oder vertragliche Aufklärungspflichten verletzt, streitet nach einhelliger Auffassung von Rechtsprechung und Literatur auf Seiten des Gläubigers sogar die Vermutung „aufklärungsrichtigen“ Verhaltens.74 Ohne konkrete Anhaltspunkte, die vom Schuldner darzulegen und zu beweisen wären, ist daher im Regelfall nicht davon auszugehen, dass der Gläubiger den schadensträchtigen Vertrag auch bei gehöriger Aufklärung abgeschlossen hätte. Da die „rechtsgeschäftliche Entscheidung“ des Gläubigers jedenfalls in den angesprochenen Fallkonstellationen nur unter fahrlässiger oder gar vorsätzlicher Irreführung zustande gekommen ist, ist es weder sachgerecht, noch dogmatisch erforderlich, ihn an die Vertragsfolgen zu binden. bb) Vernichtung entstandener Ansprüche durch Vertragsschluss? Entscheidend ist aber ein anderer Umstand. Ist dem Gläubiger ein Anspruch aus culpa in contrahendo erst einmal entstanden, so kann er ihm 71 Erman/Kindl § 311a, Rn. 11; Jauernig/Stadler § 311a, Rn. 11; Kohler Jura 2006, S. 241, 248. 72 S. Lorenz KF 2005, S. 33. 73 Zu Recht bezeichnet MüKo/Emmerich BGB § 311, Rn. 96 diese Fälle als den heutigen Kernbereich des Rechtsinstituts der culpa in contrahendo. 74 BGHZ 124, 151, 159 ff.; 72, 92, 106; 62, 118, 121 ff. in ständiger Rspr.; Palandt/Grüneberg § 280, Rn. 39; Erman/Kindl § 311, Rn. 24 jeweils m. w. N.

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nicht aufgrund des bloßen Faktums eines Vertragsschlusses wieder entrissen werden.75 Für die Entstehung eines Anspruchs reicht es aus, wenn er seinem Rechtsgrund nach angelegt ist.76 Die Verschlechterung der Situation des Anspruchstellers muss sich hierzu wenigstens dem Grunde nach verwirklicht haben.77 Auf die Bezifferbarkeit des Anspruchs kann es nicht ankommen. In diesen Fällen kann bereits Feststellungsklage erhoben werden.78 Es ist auch nicht erforderlich, dass bereits feststeht, dass der Schaden dauerhaft bestehen bleibt. Es darf aber keinen Zweifel darüber geben, ob ein pflichtwidriges, risikoträchtiges Handeln überhaupt zu einem Schaden führen wird.79 Um von einem entstandenen Ersatzanspruch sprechen zu können, reicht es aus, dass die Tatbestandsvoraussetzungen der zum Ersatz verpflichtenden Norm dem Grunde nach erfüllt sind und das „ob“ eines Schadenseintritts feststeht. Immer dann liegt auch ein feststellungsfähiges Rechtverhältnis im Sinne von § 256 ZPO vor. Art und Umfang des Schadens müssen demgegenüber noch nicht feststehen. Im Falle von Aufklärungspflichtverletzungen werden die Mindestvoraussetzungen in aller Regel vorliegen, da ja bereits die pflichtwidrige Beeinträchtigung der fremden Dispositionsfreiheit einen Schaden darstellen kann.80 Auch hier zeigt sich die Bedeutung der Tatsache, dass die culpa in contrahendo nicht ausschließlich dem Vermögensschutz dient. Bei Verletzung einer Norm, die ausschließlich dem Vermögensschutz dient, muss der Eintritt eines Vermögensschadens bzw. die Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines solchen bereits im Rahmen der Zulässigkeit einer Feststellungsklage vom Kläger substantiiert dargetan werden.81 In denjenigen Fällen, in denen sich die Konkurrenzfrage zwischen §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB und § 311a Abs. 2 BGB stellt, wird zumeist bereits ein Anspruch aus culpa in contrahendo entstanden sein. Durch die Tatsache, dass später ein Vertragsschluss gleichwohl erfolgt, kann dem Gläubiger sein zumindest im Wege der Feststellungsklage bereits klagbarer Anspruch nicht mehr rückwirkend entrissen werden. Der Vertragsschluss bildete ansonsten eine willkürliche Zäsur mit rechtsvernichtender Wirkung für bereits entstandene Ansprüche, die auch dogmatisch nicht gerechtfertigt wäre. 75 So auch Erman/Kindl § 311, Rn. 23 a. E., weshalb die Kommentierung bei § 311a, Rn. 11 und die dort vertretene Auffassung zum Konkurrenzverhältnis überrascht. 76 Palandt/Grüneberg, § 397 Rn. 3. 77 BGHZ 100, 228, 231 f.; 114, 150, 152 f.; BGH NJW 1993, 648, 650. 78 Palandt/Ellenberger § 199, Rn. 3. 79 Vgl. BGH NJW 1993, 648, 650; ebenso BGHZ 100, 228, 231 f.; 114, 150, 152 f. 80 Kap. 3 A. II. 2. b) bb). 81 Zöller/Greger § 256, Rn. 8a m. w. N.

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cc) Vertragsschluss als Haftungsbegrenzungsmaßnahme? Die unterschiedslose Beschränkung des Gläubigers auf das positive Interesse würde noch eine weitere merkwürdige Folge erzeugen. Kann ein Schuldner etwa im Laufe von langwierigen Vertragsverhandlungen – ohne dass die Haftung aus culpa in contrahendo etwa wegen einer bereits früher begangenen schadensträchtigen Aufklärungspflichtverletzung noch vermeidbar wäre – absehen, dass er den Leistungsgegenstand nicht erbringen können wird und ein Ersatzanspruch, gerichtet auf das negative Interesse, denjenigen auf das positive Interesse übersteigen würde, hätte er allen Anlass zu versuchen, den Vertragsschluss dennoch herbeizuführen. Die Bindung des Gläubigers an den unerfüllbaren Vertrag gestaltete sich aus Sicht des Schuldners als Haftungsbegrenzungsmaßnahme. Schuldner würden in solchen Fällen sogar noch dazu ermutigt, „auf tönernen Füßen“ stehende Leistungsversprechen abzugeben. Hierdurch würde zum einen der Schutzzweck der culpa in contrahendo wegen Aufklärungspflichtverletzung konterkariert, die den Gläubiger gerade vor Vertragsschlüssen bewahren sollen, die unter pflichtwidriger Vorenthaltung abschlusserheblicher Informationen zustande gekommen sind.82 Zum anderen würde die Ausstrahlwirkung von § 311a BGB, der die Parteien ermuntert, ihre Versprechen sorgfältig abzugeben (Reflexwirkung), beeinträchtigt.83 Im Ergebnis ist daher festzuhalten, dass die Ansprüche aus culpa in contrahendo und § 311a Abs. 2 BGB im Verhältnis der Anspruchskonkurrenz zueinander stehen. Es bleibt daher beim Regelfall, dass dem Gläubiger – erfüllt ein Lebenssachverhalt die Tatbestandsmerkmale mehrerer Anspruchsgrundlagen – ein Wahlrecht zusteht, nach welcher Haftungsnorm er vorgehen will.84 Er ist also auch im Falle des Vertragsschlusses dazu berechtigt, das negative Interesse zu liquidieren;85 dann aber nur unter den Anspruchsvoraussetzungen und unter den beweisrechtlichen Vorgaben der Haftung aus culpa in contrahendo.

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MüKo/Emmerich BGB § 311, Rn. 101 ff.; Erman/Kindl § 311, Rn. 37 f. Kap. 3 A. II. 2. b) aa). 84 RGZ 49, 92; 74, 434; 103, 263; 118, 141; BGHZ 9, 301; 17, 214; 24, 188; 46, 140; 66, 315; 100, 190, 201; BGH NJW 2001, 2875, 2876; Palandt/Grüneberg, § 195 Rn. 17; in der Literatur wird zum Teil von Anspruchsgrundlagenkonkurrenz gesprochen Larenz/Wolf, BGB AT, § 18 Rn. 33 ff.; weitere Nachweise bei Arens, AcP 170 [1970], 392, 393, Fn. 6. 85 So im Ergebnis auch MüKo/Ernst BGB § 311a, Rn. 21; Staudinger/Löwisch § 311a, Rn. 3; Harke AcP 205 (2005), 67, 91; unklar nunmehr Palandt/Grüneberg § 311a, Rn. 14. 83

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III. Das Leistungshindernis Die §§ 306, 307 BGB a. F. knüpften die Ersatzpflicht in Höhe des negativen Interesses an die Schließung eines Vertrages, der auf eine anfänglich unmögliche Leistung gerichtet war. Der Anspruchsgegner musste die Unmöglichkeit der Leistung im Zeitpunkt des Vertragsschlusses kennen oder sich hierüber in fahrlässiger Unkenntnis befinden.86 § 311a BGB hingegen knüpft nicht an die Unmöglichkeit, sondern an ein vertragsanfänglich bestehendes Leistungshindernis an. Es stellt sich daher die Frage nach dem Inhalt der Begriffe der Unmöglichkeit und des Leistungshindernisses sowie ihrem Verhältnis zueinander. 1. Das Verhältnis der Begriffe Unmöglichkeit und Leistungshindernis Wenige Schwierigkeiten bereitet in dem hier interessierenden Zusammenhang der Begriff der Unmöglichkeit.87 Die Unmöglichkeit bewirkt den Ausschluss der Leistungspflicht. Im Falle von § 275 Abs. 1 BGB erfolgt die Leistungsbefreiung des Schuldners ipso iure, also ohne weiteres. Aber auch die nunmehr als Einrede ausgestalteten Fälle des § 275 Abs. 2, 3 BGB führen im Falle der berechtigten Erhebung der Einrede zum Ausschluss der Leistungspflicht. Liegt also ein Sachverhalt vor, der nach seiner rechtlichen Bewertung als Fall der „Unmöglichkeit“ zu klassifizieren ist (§ 275 Abs. 1 BGB) bzw. der zur Erhebung einer Einrede berechtigt (§ 275 Abs. 2, 3 BGB) und diese auch erhoben wird, führt dies in beiden Fällen zu einem Ausschluss der Leistungspflicht. Diese Rechtswirkung tritt ex lege ein. „Unmöglichkeit“ ist die rechtliche Schlussfolgerung aus tatsächlichen Geschehensabläufen, bei denen sich erweist, dass die Erbringung der versprochenen Leistung durch den Schuldner oder jedermann, rechtlich oder tatsächlich, anfänglich oder nachträglich, unerfüllbar ist. § 275 Abs. 1 BGB erfasst nunmehr unterschiedslos all diese Fälle. Liegt ein Sachverhalt vor, der diesen Schluss rechtfertigt, gilt weiterhin „impossibilium nulla est obligatio“. § 275 BGB knüpft an solche Sachverhalte entweder von selbst oder auf Einrede hin, die gesetzliche Rechtfolge des Ausschlusses der Leistungspflicht. Aus diesem Grunde bergen Formulierungen wie „der Gläubiger hat die Unmöglichkeit zu beweisen“88 86

Soergel/Wolf, 12. Aufl., § 307, Rn. 4. Gleichwohl ist der Unmöglichkeitsbegriff einer der vielschichtigsten und wegen der ungeheuren Menge an Unterkategorien unübersichtlichsten innerhalb des BGB; vgl. hierzu im Einzelnen Soergel/Wiedemann 12. Aufl., § 275 a. F., Rn. 19 ff. mit einer Vielzahl von Differenzierungen und Nachweisen. 88 Musielak/Foerste ZPO § 286, Rn. 58; ebenso Huber/Faust, Schuldrechtsmodernisierung, Teil 3, Rn. 120. 87

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eine starke Irreführungsgefahr in sich.89 Die begriffliche und gedankliche Trennung zwischen zugrunde liegendem Sachverhalt und rechtlicher Bewertung hat auch wichtige praktische Auswirkungen, da sie für die folgerichtige Verteilung der Darlegungs- und Beweislast von essentieller Bedeutung ist.90 Dieser Befund gibt aber zugleich Hinweise auf den Inhalt des Begriffs des Leistungshindernisses. Leistungshindernisse sind Geschehnisse und Umstände auf tatsächlicher Ebene, welche die Erfüllbarkeit einer Leistungspflicht ausschließen.91 Der Leistung stehen eben tatsächliche Hindernisse entgegen. Damit sind die Leistungshindernisse derjenige Teil der Bewertungsgrundlage, auf den sich die rechtliche Schlussfolgerung, es liege ein Fall der Unmöglichkeit vor, gründet. Die Begriffe Leistungshindernis und Unmöglichkeit verhalten sich zueinander wie der zugrunde liegende Sachverhalt zu dessen rechtlicher Bewertung. Im Fall der Haftung gemäß § 311a Abs. 2 BGB ergibt sich noch eine weitere bedeutende Konsequenz aus dem Verhältnis des Leistungshindernisses zur Unmöglichkeit. Die Norm verlangt lediglich, dass das Leistungshindernis schon bei Vertragsschluss vorliegt. Dass sich schon bei Vertragsschluss die Schlussfolgerung ergeben muss, es handele sich um einen Fall der Unmöglichkeit, ist hingegen nicht erforderlich. Das zeigt sich insbesondere auch am Rekurs der Norm des § 311a BGB auf die Leistungsverweigerungsrechte des § 275 Abs. 2 und 3 BGB. Der Schuldner soll berechtigt sein, auch überobligatorisch zu leisten.92 Liegt ein anfängliches Leistungshindernis vor, das den Schuldner zur Erhebung einer entsprechenden Einrede berechtigen würde, macht er aber während der Vertragsdurchführung von seinem Recht keinen Gebrauch, kann sich die Schlussfolgerung der Unmöglichkeit eben nicht ergeben. Umgekehrt macht die Erhebung der Einrede das anfängliche Leistungshindernis nicht zu einem nachträglichen. Dasselbe gilt für Termingeschäfte. Hier fallen Leistungshindernis und Unmöglichkeit zeitlich häufig auseinander. Auch wenn bereits bei Vertragsschluss ein Leistungshindernis vorliegt, tritt beim absoluten Fixgeschäft Unmöglichkeit erst mit Ablauf des Leistungstermins ein. Dass die Unmöglichkeit erst zu einem späteren Zeitpunkt manifest wird, ändert nichts an der Tatsache, dass ein anfängliches Leistungshindernis gegeben war, obschon 89

Wie hier Anwaltkommentar/Dauner-Lieb BGB § 283, Rn. 6. Kap. 5 B. I. 1. c) aa) (1)/(2). 91 Fest definiert Leistungshindernisse als „alle behebbaren und unbehebbaren Umstände, die die Erbringung der geschuldeten Leistung (und damit die Erfüllung des Schuldverhältnisses) in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht behindern“, WM 2005, 2168, 2169. 92 Palandt/Grüneberg § 275, Rn. 32. 90

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Kap. 3: Haftung und Zurechnung bei anfänglicher Unmöglichkeit

es sich erst nach Vertragsschluss ausgewirkt hat. Anspruchsgrundlage ist in diesen Sachverhaltskonstellationen stets § 311a Abs. 2 BGB.93 2. Der Umfang des Begriffs des Leistungshindernisses a) Leistungsrisiken als Leistungshindernisse Damit ist aber immer noch nicht der Umfang des Begriffes des Leistungshindernisses geklärt. Dass Umstände, die die Erbringung der Leistung sicher ausschließen, Leistungshindernisse darstellen, liegt auf der Hand. Wie verhält es sich aber mit bloßen Leistungsrisiken, deren Verwirklichungswahrscheinlichkeit noch dazu völlig unterschiedlich sein kann? An dieser Frage ist besonders deutlich ablesbar, wie stark die Anforderungen an die Beweistätigkeit einer Partei von den materiellrechtlichen Vorgaben abhängen. Eine Beweisführung des Gläubigers dahingehend, es habe anfängliche Leistungsrisiken gegeben, ist deutlich einfacher zu bewältigen als der Nachweis, es habe ein Umstand vorgelegen, der die Leistung schon im Augenblick des Vertragsschlusses mit Sicherheit ausschloss. Bevor in diesem Zusammenhang also auf Beweisführungsanforderungen eingegangen werden kann,94 muss zunächst zu der rein materiellrechtlichen Frage Stellung genommen werden, ob der Begriff des Leistungshindernisses auch die Leistungsrisiken erfasst. aa) Wortlaut, Systematik und Regelungsplan des Gesetzgebers Dem Wortlaut alleine lässt sich jedenfalls keine zweifelsfreie Antwort entnehmen. Der Begriff des Hindernisses zwingt aber nach dem allgemeinen Sprachgebrauch nicht zu der Schlussfolgerung, dass dieses auch unüberwindbar sein müsse. Man könnte sich ganz im Gegenteil auf den Standpunkt stellen, dass Hindernisse gerade dazu da sind, um überwunden zu werden. Zu denken wäre da nur an den Hindernislauf oder den Hindernis-Parcours. Springreitveranstaltungen wären eine sehr triste Angelegenheit, ginge es nicht gerade um die Überwindung so vieler Hindernisse wie möglich. Hätte der Gesetzgeber nur diejenigen Umstände vom Wortlaut der Norm umfasst wissen wollen, welche die Leistungserbringung mit Sicherheit ausschließen, so hätte er den Begriff des „Leistungsverhindernisses“ wählen müssen. Dass sich diese Formulierung schon aus sprachästhetischen 93

Palandt/Grüneberg § 311a, Rn. 4; MüKo/Ernst BGB § 311a, Rn. 34, Erman/ Kindl § 311a, Rn. 4; für den Spezialfall des zwischen Angebot und Vertragsschluss eintretende Leistungshindernis Tettinger ZGS 2006, 452 ff. 94 Kap. 5 B. II.

A. Der Haftungsgrund

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Gründen verbot, bedarf keiner näheren Erläuterung. Da sich zudem weder der Systematik, noch der Gesetzesbegründung zu § 311a Abs. 2 BGB – der Begriff des Leistungshindernisses kommt gar nicht vor, stattdessen ist einmal mehr nur von der Kenntnis oder Unkenntnis der Unmöglichkeit die Rede95 – Anhaltspunkte für den Umfang des Begriffs des Leistungshindernisses entnehmen lassen, ist die Frage nach teleologischen Gesichtspunkten zu entscheiden. bb) Teleologische Gesichtspunkte Einer Einschränkung der Haftung bereits auf Ebene des objektiven Tatbestandes nur für solche Leistungshindernisse, deren Eintritt bereits vertragsanfänglich feststeht, stehen gewichtige Bedenken entgegen. Hätte ein Schuldner zwar erkannt, dass der Erfüllbarkeit seiner Leistungspflicht Risiken entgegenstehen und wüsste er zugleich, dass er für die Verwirklichung derselben nicht haften würde, so könnte er bedenkenlos auf Kosten des Gläubigers spekulieren. Da er sich bei dieser Auslegung des Begriffes des Leistungshindernisses keinen Haftungsrisiken ausgesetzt sähe, fiele es vergleichsweise leicht, vollmundige Versprechen abzugeben. Dem auf den Erhalt der Leistung vertrauenden Gläubiger hingegen würde kehrseitig die Möglichkeit genommen, für den Fall des tatsächlichen Ausbleibens der Leistung vorzusorgen oder auch nur frühzeitig Schadensminderungsmaßnahmen zu ergreifen. Bloße Leistungsrisiken tatbestandlich auszuschließen bedeutete somit, auch hochspekulative Verträge zuzulassen, über deren spekulativen Charakter jedoch nur eine Partei im Bilde ist und die sich zugleich keinen nennenswerten Haftungsrisiken ausgesetzt sähe. Es ist auch in diesem Zusammenhang (analog zum Abrücken vom Garantiegedanken96) als die sachgerechtere Lösung anzusehen, wenn die Vertragsparteien privatautonom den Umgang mit Risiken der Vertragserfüllung festlegen. Erkennt etwa der Schuldner Leistungsrisiken, die für ihn wegen der zu befürchtenden Haftungsfolge spiegelbildlich Haftungsrisiken darstellen, wird er proportional zur Eintrittswahrscheinlichkeit bei Austauschverträgen auf eine höhere Vergütung drängen. Handelt es sich um für den Schuldner unbeherrschbare Risiken, besteht die Möglichkeit, partielle Haftungsausschlüsse, beschränkt auf die identifizierten und vertraglich benannten Risiken zu vereinbaren. Das „Risikomanagement“ wird auf diese Weise auf die vertragliche bzw. privatautonome Ebene, auf der es richtigerweise zu verorten ist, verlagert.

95 96

Vgl. BT-Drs. 14/6040, S. 165 f. Kap. 5 B. III. 1.

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Kap. 3: Haftung und Zurechnung bei anfänglicher Unmöglichkeit

Da der Vorwurf der Kenntnis bzw. des Kennenmüssens untrennbar mit der Vorhersehbarkeit der Verwirklichung eines Risikos verbunden ist,97 ist mit den §§ 276 ff. BGB ein taugliches Instrument bereitgestellt, sachgerechte Einzelfalllösungen zu erzielen. Besteht ein vertragsanfängliches Leistungsrisiko, dessen Eintrittswahrscheinlichkeit nur minimal ist, wird sich der Schuldner leicht exkulpieren können, indem er nachweist, warum er darauf vertrauen durfte, dass sich dieses Risiko nicht verwirklichen werde, ihm ein Verschulden also nicht zur Last fällt. Was die Haftung aus § 311a Abs. 2 BGB bisweilen zu einem so „scharfen Schwert“ macht, ist hauptsächlich der Umstand, dass – Kennenmüssen vorausgesetzt – auch für „externe“ Leistungshindernisse gehaftet wird. Das sind solche Hindernisse, die der Schuldner nicht selbst herbeigeführt hat, sondern von denen er nur wusste oder hätte wissen müssen. Die Verwirklichung eines externen Leistungsrisikos ist im Regelfall aber ungleich schwieriger vorherzusehen, weshalb auch der Entlastungsbeweis in diesen Fällen häufiger glücken wird. Um der Norm einen angemessenen Anwendungsbereich zu erhalten, dem Schuldner Spekulationen auf Kosten des Gläubigers zu verwehren und die Frage der Verwirklichungswahrscheinlichkeit erkannter Leistungshindernisse dort zu lösen, wo sie systematisch zu verorten ist, nämlich auf Zurechnungsebene, sind Leistungsrisiken in den objektiven Tatbestand des § 311a Abs. 2 BGB mit einzubeziehen.98 Weder dogmatische noch andere Sachgründe zwingen zu einer einschränkenden Auslegung des Wortlauts bereits im objektiven Tatbestand. Die §§ 276 ff. BGB stellen einen geeigneten Maßstab zur Erzielung sachgerechter Einzelfallergebnisse für die Frage bereit, ob der Schuldner ein Leistungshindernis hätte kennen müssen oder er darauf vertrauen durfte, dass sich erkannte Leistungshindernisse nicht auswirken werden. Daher ist der Begriff des Leistungshindernisses in § 311a Abs. 2 BGB dahingehend auszulegen, dass er auch Leistungsrisiken jeder Art und ohne Rücksicht auf die Eintrittswahrscheinlichkeit erfasst.99

97

MüKo/Ernst, § 311a, Rn. 47 ff.; Palandt/Grüneberg § 311a, Rn. 9. In diesem Sinne auch Canaris, in: FS Heldrich, S. 11, 33. 99 So auch Palandt/Grüneberg § 311a, Rn. 4; Fest WM 2005, 2168, 2171; a. A. Erman/Kindl § 311a, Rn. 4, der den Anwendungsbereich von § 311a Abs. 2 BGB im Falle des Einbezugs von bloßen Leistungsrisiken als überdehnt ansieht. 98

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b) Auswirkungen der Verwirklichungswahrscheinlichkeit eines Risikos aa) Unerheblichkeit der Verwirklichungswahrscheinlichkeit eines Risikos Wie wahrscheinlich die Verwirklichung eines potenziell leistungshindernden Risikos sein muss, damit von einem Leistungshindernis gesprochen werden kann, ist unerheblich. Würde man Prozentgrenzen einführen wollen, wäre der Begriff des Leistungshindernisses letztlich nicht mehr handhabbar. Für eine Vielzahl von Rechtsstreitigkeiten wäre ein Sachverständigengutachten, das sich mit der Eintrittswahrscheinlichkeit bestimmter Leistungsrisiken beschäftigt, einzuholen. Außerdem ist das Verhältnis zwischen der Verwirklichung eines Risikos und dem drohenden Schaden zu berücksichtigen. Besteht etwa nur eine 5%ige Wahrscheinlichkeit, dass sich das Risiko auswirkt, droht dem Gläubiger aber für diesen Fall ein exorbitanter Schaden, können vom Schuldner größere Anstrengungen zur Überwindung des Hindernisses verlangt werden, als wenn die Wahrscheinlichkeit zwar höher ist, aber nur ein minimaler Schaden droht. Diese rechtspraktische Problemlage stellt selbstverständlich keine dogmatische Begründung dar. Der Umgang mit Risiken ist dem Kernbereich privatautonomer Vertragsgestaltung zuzurechnen. Welche Risiken die Parteien tragen wollen, muss von ihnen selbst beantwortet werden. Will der Schuldner ein Risiko nicht tragen, etwa weil es für ihn nicht beherrschbar ist, bleibt ihm die Möglichkeit darauf zu drängen, die Haftung für bestimmte Risiken auszuschließen oder sich die Risikotragung zusätzlich vergüten zu lassen, also dem Risiko eine angemessene Chance gegenüberzustellen. Zudem kann er sich gegen die Verwirklichung unbeherrschbarer Risiken auch versichern.100 Das „Risikomanagement“ in erster Linie dem Schuldner zu überlassen, findet seine Rechtfertigung in dem Gedanken, dass er in aller Regel Gefahren und Risiken, die mit der Leistungserbringung zusammenhängen, besser zu überblicken vermag. Er muss sich im Klaren darüber sein, dass er immer dann von Haftung bedroht ist, wenn er einen Vertrag schließt, obwohl er Zweifel an der Erfüllbarkeit seiner Vertragspflichten hat, diese nicht zur Sprache bringt und sich die Zweifel dann als berechtigt erweisen. Die gemeinsame Risikotragung von Gläubiger und Schuldner setzt jedenfalls Einvernehmlichkeit voraus. Einseitige Spekulationen seitens des Schuldners werden von § 311a Abs. 2 BGB nicht geschützt. Jedes Leistungsrisiko, gleich welcher Wahrscheinlichkeit, muss daher dem Begriff des Leistungshindernisses unterfallen. Dies stellt auch keine unangemessene Benachteiligung des 100

Fest WM 2005, 2168, 2171.

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Kap. 3: Haftung und Zurechnung bei anfänglicher Unmöglichkeit

Schuldners dar. Er wird den Vorwurf fahrlässiger Unkenntnis von einem Risiko umso leichter ausräumen können, je unwahrscheinlicher die Verwirklichung desselben war. bb) Leistungshindernis und allgemeines Lebensrisiko Für die Verwirklichung des allgemeinen Lebensrisikos haftet der Schuldner nicht. Fraglich ist nur, ob das allgemeine Lebensrisiko schon nicht dem Begriff des Leistungshindernisses unterfällt, also im objektiven Tatbestand auszuscheiden ist oder ein Vertretenmüssen101 nicht gegeben ist, da der Schuldner mit dessen Verwirklichung in der Regel – jedenfalls ohne konkrete Anhaltspunkte – nicht rechnen muss. Die Frage ist Gleichwohl in ersterem Sinne zu beantworten. Der Begriff des Leistungshindernisses deutet auf das Erfordernis einer – wenn auch nur geringen – Signifikanz bezüglich der Gefährdung des versprochenen Leistungsprogramms hin. Zählte bereits die Verwirklichung des allgemeinen Lebensrisikos zu den relevanten Leistungshindernissen, wäre letztlich jeder Vertrag als risikoträchtig anzusehen. Der Begriff des Risikos wäre inhaltlich entwertet. Auch der Normzweck des § 311a Abs. 2 BGB sieht keinen Schutz des Gläubigers vor, wenn sich lediglich das allgemeine Lebensrisiko verwirklicht. Um auf die zu Beginn genannte Formel102 zur Unterscheidung von Haftungs- und Zurechnungsgrund zurückzukommen: Die Verwirklichung des allgemeinen Lebensrisikos ist schon kein Geschehnis, bei dessen Vorliegen die Rechtsordnung einem Geschädigten abstrakten Schutz gewährt. Die daran anknüpfende Zurechnungsfrage, ob die Haftungsverpflichtung gerade dem Schuldner zuzuweisen ist, stellt sich somit nicht mehr.

B. Der Zurechnungsgesichtspunkt I. Die Geltung des Verschuldensprinzips gemäß §§ 276 ff. BGB Auch § 311a Abs. 2 Satz 2 BGB knüpft tatbestandlich an die §§ 276 ff. BGB an.103 Ein wesentliches Ziel der Schuldrechtsmodernisierung war es, die Rechtsfolgen anfänglicher und nachträglicher Unmöglichkeit anzuglei101

Hierfür plädiert Fest WM 2005, 2168, 2170. Kap. 1 B.; Canaris, in: FS Heldrich, S. 11, 26. 103 BGH NJW 2007, 3777, 3780; BGH NJW 2005, 2852, 2853 f.; OLG Karlsruhe NJW 2005, 989, 990; Palandt/Grüneberg § 311a, Rn. 9; Erman/Kindl § 311a, Rn. 7; Canaris, in: FS Heldrich, S. 11, 21 ff.; Huber, in: FS Schlechtriem, S. 521, 528; Kohler Jura 2006, S. 241, 242. 102

B. Der Zurechnungsgesichtspunkt

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chen. Hierfür sah es der Gesetzgeber als erforderlich an, die Geltung des gleichen Haftungsmaßstabs anzuordnen.104 Aus diesem Grunde setzten die Zurechnungsnormen der §§ 280 Abs. 1 Satz 2 und 311a Abs. 2 Satz 2 BGB strukturähnlich das Vorliegen von Verschulden voraus. Freilich deutet schon die Formulierung des § 311a Abs. 2 Satz 2 BGB auf die Geltung eines abweichenden Bezugspunktes des Vertretenmüssens hin.105 Die Anordnung des Verschuldensprinzips auch in Fällen anfänglicher Unmöglichkeit stellte eine bewusste Entscheidung des Gesetzgebers dar, die in erster Linie systemischen und rechtsethischen Zielsetzungen geschuldet war.106 Durch die Anordnung des Verschuldensprinzips sollten beide Zielsetzungen befördert werden. Die Schuldrechtsmodernisierung sollte eine Vereinfachung des geltenden Rechts bewirken. Bereits deshalb lag es nahe, die einheitliche Geltung des Verschuldensprinzips für alle Schadensersatzansprüche des allgemeinen Leistungsstörungsrechts anzuordnen.107 Die Garantiehaftung für anfängliches Unvermögen (auf Zurechnungsebene) alten Rechts wurde in einer Vielzahl von Einzelfällen als zu strikt empfunden. Daher wurden verschiedene Ansätze vertreten, die Haftung im Einzelfall zu begrenzen.108 Die damals herrschende Auffassung zog die Auslegung (§§ 133, 157 BGB) oder das Gebot von Treu und Glauben heran, um im Einzelfall zu begründen, dass eine Garantiehaftung für anfängliches Unvermögen nicht dem Parteiwillen entsprach.109 Für das Mietrecht etwa wandte der Bundesgerichtshof die Regeln über die Behandlung nachträglichen Unvermögens entsprechend an.110 Teile der Lehre zogen den Sphärengedanken bzw. die Unterscheidung nach Risikobereichen als Korrektiv heran, um die Haftung sachgerecht zu begrenzen.111 Diese verschiedenen Ansätze zeigen, dass jedenfalls die ausnahmslose Garantiehaftung für anfängliches Unvermögen von jeher als zu weit gehend empfunden wurde.112 Die Folge war die Entwicklung einer umfangreichen Kasuistik, die Ausnahmen von der strikten Garantiehaftung für anfängliches Unvermögen zuließ. Von einem einheitlichen Haftungsmaßstab des alten Rechts konnte aufgrund der zahl104

BT-Drs. 14/6040, S. 165. Hierauf wird sogleich zurückzukommen sein Kap. 3 B. II. 1. 106 Vgl. bereits zuvor Kap. 2 B. I. 107 BT-Drs. 14/6040, S. 164 f. 108 Einen Überblick hierzu findet sich bei Wagner JZ 1998, 482, 492 ff. m. w. N. 109 Soergel/Wolf, 12. Auflage, § 306, Rn. 26; Staudinger/Löwisch, 13. Auflage 1995, § 306, Rn. 44, 47 ff. m. w. N. 110 BGHZ 85, 267, 271. 111 Larenz, Schuldrecht I, § 8 II, S. 101 f.; umfassend hierzu bereits Oertmann AcP 140 (1935), 129, 148 f. 112 Eine Zusammenfassung der verschiednen Ansätze zur Einschränkung der Haftung enthält auch die Urteilsbegründung in BGH NJW 1972, 1702, 1703. 105

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Kap. 3: Haftung und Zurechnung bei anfänglicher Unmöglichkeit

reichen Ausnahmen kaum mehr gesprochen werden. Es überrascht daher nicht, dass bereits zum früheren Rechtzustand resümiert wird, dass der Fahrlässigkeitsbegriff des § 276 BGB durch seine Anknüpfung an die verkehrserforderliche Sorgfalt einen flexiblen, situationsabhängigen Haftungsmaßstab zur Verfügung stelle, der die Grundidee der Lehre von der Garantiehaftung ohne Schwierigkeiten integrieren könne.113 Die Anknüpfung sämtlicher Schadensersatznormen des allgemeinen Leistungsstörungsrechts an die §§ 276 ff. BGB bewirkt in der Tat eine signifikante Systemvereinheitlichung. Nunmehr obliegt es im Wesentlichen den Parteien, hinsichtlich des Haftungsmaßstabs die Haftungsverfassung ihres Vertragsverhältnisses festzulegen. § 276 Abs. 1 Satz 1 BGB erlaubt jedenfalls sowohl die Vereinbarung einer Haftungserweiterung im Wege der Übernahme einer Garantie, als auch einer Haftungsbeschränkung bis zur Vorsatzgrenze (§ 276 Abs. 3 BGB). Der (mutmaßliche) Parteiwille stellte im alten Recht ein Korrektiv dar, indem er die Garantiehaftung für anfängliches Unvermögen im Einzelfall beschränkte. Nunmehr kann durch Parteiwillen eine verschuldensunabhängige Haftung begründet werden.114 Dass ein solches Regel-Ausnahme-Verhältnis in einer Rechtsordnung, die maßgeblich vom Grundsatz der Privatautonomie geprägt ist, prinzipiell vorzugswürdig ist, liegt auf der Hand. Der grundsätzlichen Geltung des Verschuldensprinzips wird überwiegend auch eine höhere rechtsethische Überzeugungskraft beigemessen. Dass der Schädiger für vorwerfbares Fehlverhalten einzustehen habe, stelle in einer Rechtsordnung, die auf dem Gedanken der personalen Freiheit und Selbstverantwortung aufbaut, eine nicht weiter begründungsbedürftige Selbstverständlichkeit dar.115 Eine exakte Analyse dieser auf den ersten Blick naheliegenden Behauptung muss an dieser Stelle aber unterbleiben.

II. Der Bezugspunkt des Vertretenmüssens 1. Kausalbezug zwischen Fehlverhalten und Haftungsgrund? Der Bezugspunkt des Vertretenmüssens in § 311a Abs. 2 Satz 2 BGB ist die Kenntnis oder die zu vertretende Unkenntnis der die Leistungsbefreiung begründenden Tatsachen (§ 275 Abs. 1 BGB) bzw. die Kenntnis oder die zu vertretende Unkenntnis derjenigen Tatsachen, die zur Erhebung der Ein113

Wagner JZ 1998, 482, 493. S. Lorenz KF 2005, S. 35 f. 115 Canaris, in: FS Heldrich, S. 11, 22; Unberath, Die Vertragsverletzung, S. 328 f.; vgl. auch Canaris JZ 2001, 499, 506; dagegen Grundmann AcP 204 (2004), S. 569, 584; vgl. hierzu bereits oben Kap. 2 B. I. 114

B. Der Zurechnungsgesichtspunkt

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rede (§ 275 Abs. 2 oder 3 BGB) berechtigen.116 Das Vertretenmüssen der die Leistungsbefreiung begründenden Tatsachen selbst – wie bei der Haftung infolge nachträglicher Unmöglichkeit gemäß §§ 280 Abs. 1, 3, 283 BGB117 – ist hingegen nicht erforderlich, um dem Schuldner den Haftungsbegründungstatbestand zurechnen zu können. Ein Kausalbezug zwischen Fehlverhalten und Haftungsgrund ist in der Tat nicht notwendig. Den Bezugspunkt des Vertretenmüssens können diejenigen Umstände, die das Leistungshindernis begründen schon deswegen nicht darstellen, weil den Schuldner vor Vertragsschluss keine Sorgfaltspflichten hinsichtlich des Leistungsgegenstandes treffen können.118 Folgerichtig verlangt § 311a Abs. 2 Satz 2 BGB nur, dass der Schuldner Kenntnis bzw. fahrlässige Unkenntnis von den die Leistungsbefreiung begründenden Tatsachen hatte.119 Unzutreffend ist dagegen die Behauptung, es würde „[grundsätzlich?] an einem Kausalbezug zwischen dem Fehlverhalten und dem Haftungsgrund“120 fehlen. Häufig wird ein solcher Kausalbezug sogar gegeben sein. Verspricht etwa ein Werkunternehmer zu einem bestimmten Liefertermin die Erstellung eines technischen Werkes (z. B. Computersoftware) und zeigt sich später, dass aufgrund eines bereits bei Vertragsschluss bestehenden unzureichenden Entwicklungsstandes der Software die Einhaltung des Liefertermins nicht möglich war, ist ein Kausalbezug zwischen Fehlverhalten und Haftungsgrund ohne weiteres gegeben. Der verspätete Beginn mit den nötigen Vorbereitungshandlungen zur Werkerstellung (Fehlverhalten) ist dann unmittelbar dafür verantwortlich, dass der Unternehmer den Liefertermin (Leistungsversprechen) nicht einhalten konnte. Der Kausalbezug fehlt hingegen, wenn ein Werkunternehmer die Stoffe für das von ihm versprochene Hochzeitskleid aus einer Krisenregion bezieht und es infolge Krieges, Unruhen oder Handelsembargos nicht mehr zu einer Lieferung der benötigten Stoffe kommt. Dass der Unternehmer nun nicht mehr leisten kann, hat er selbst nicht zu vertreten. Den leistungshindernden Umstand, das Ausbleiben der Lieferung an ihn selbst, war dem Schuldner hingegen entweder bekannt oder er hätte ihn gegebenenfalls kennen müssen, wenn es für die Verwirklichung des Leistungsrisikos bereits bei Vertragsschluss Anzeichen gab. Der Schuldner hätte die Leistung in einem sol116

S. Lorenz KF 2005, S. 31. Kap. 2 B. II. 118 Medicus/Lorenz, Schuldrecht I, Rn. 342; Fest Jura 2005, 734; Unberath, Die Vertragsverletzung, S. 353, Fn. 171. 119 Mit derselben Begründung konstatiert Faust zutreffend, dass die Vorschrift des § 275 Abs. 2 Satz 2 BGB auf nachträgliche Leistungshindernisse zugeschnitten ist, da vor Vertragsschluss noch keine Pflichten hinsichtlich der später geschuldeten Leistung bestehen können, Huber/Faust, Schuldrechtsmodernisierung, S. 208 f. 120 Riehm, in: FS Canaris, Bd. I, S. 1079, 1081. 117

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Kap. 3: Haftung und Zurechnung bei anfänglicher Unmöglichkeit

chen Fall nicht vorbehaltlos versprechen dürfen. Durch die Vereinbarung eines Vorbehalts der Selbstbelieferung mit Stoffen hätte er die Haftung vermeiden können. Im zweiten Beispielsfall hat sich ein „externes“ Leistungshindernis verwirklicht, also ein solches, das nicht dem beherrschbaren Bereich121 des Schuldners zuzuordnen ist. Hier findet tatsächlich eine „Verschiebung“122 des Bezugspunktes, besser eine Erweiterung des Bezugspunkts des Vertretenmüssens statt. Die Haftung aus § 311a Abs. 2 BGB lässt es auf Zurechnungsebene genügen, wenn der Schuldner den leistungshindernden Umstand nur hätte kennen können. Eine Verantwortlichkeit für diejenigen Tatsachen, die den Schuldner gemäß § 275 Abs. 1 BGB ipso iure von seiner Leistungspflicht befreien (bzw. ihn gemäß § 275 Abs. 2, 3 BGB zur Erhebung der Einrede berechtigen) ist nicht erforderlich. Das Zurechnungselement in § 311a Abs. 2 Satz 2 BGB ist insofern deutlich weiter, als dies bei den übrigen Schadensersatzansprüchen statt der Leistung des allgemeinen Schuldrechts der Fall ist. Dieser signifikante sachliche Unterschied zu § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB spricht, wie bereits an anderer Stelle erwähnt,123 auch gegen eine systematische Einordnung des § 311a Abs. 2 BGB als bloßen Unterfall von §§ 283, 280 Abs. 1, 3 BGB. Wegen dieses erweiterten Zurechnungselements, der Haftbarkeit sowohl für externe als auch interne (innerhalb der beherrschbaren Schuldnersphäre liegende) Gründe, die den Ausschluss der Leistungspflicht bewirken, kann man die Haftung aus § 311a Abs. 2 BGB durchaus als die strengste des allgemeinen Leistungsstörungsrechts bezeichnen. 2. Beispiele aus der neueren Rechtsprechung Was der Schuldner zu vertreten hat bzw. wann er seine Unkenntnis zu vertreten hat, richtet sich nach den §§ 276 ff. BGB und ist einzelfallabhängig.124 Hier ist der Ort, um die Anforderungen an die vom Schuldner zu beobachtende Sorgfalt, den geschuldeten Sorgfaltmaßstab, festzustellen. Einige wenige Beispiele lassen sich der neueren Rechtsprechung entnehmen. Sie entschied etwa, dass die anlagebedingte Fehlentwicklung des Knochenwachstums eines Hundewelpen seinem Hundezüchter nicht erkennbar gewesen sei. Hierfür spreche auch, dass er die üblichen Untersuchungen durch einen Zuchtwart ohne Beanstandungen habe durchführen lassen. Ohne konkrete Anhaltspunkte sei der Züchter nicht zum Einsatz von Röntgendiagnostik verpflichtet gewesen, die den Mangel möglicherweise hätte aufdecken 121 122 123 124

Vgl. insoweit zutreffend Grundmann AcP 204 (2004), S. 569, 582. Riehm, in: FS Canaris, Bd. I, S. 1079, 1080. Kap. 3 A. III. Palandt/Grüneberg § 311a, Rn. 9; Erman/Kindl § 311a, Rn 7.

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können.125 Hieraus ließe sich ableiten, dass auch einen gewerblichen Verkäufer ohne konkrete Anhaltspunkte in der Regel keine weitergehenden Überprüfungsobliegenheiten des Verkaufsgegenstandes auf verdeckte Mängel treffen. In Bezug auf die Obliegenheit, sich kurz vor Vertragsschluss seiner Leistungsfähigkeit zu vergewissern, wurde entschieden, dass ein solches Erfordernis jedenfalls bei Sachen bestehe, die einem besonderen Diebstahlrisiko ausgesetzt seien.126 Die Störanfälligkeit eines Gegenstandes kann eine Vergewisserung erfordern, um den Vorwurf der fahrlässigen Unkenntnis zu entkräften. Augenfällig ist die Tatsache, dass die Rechtsprechung in den genannten Zusammenhängen wiederholt von Vergewisserungs- oder Prüfungspflichten gesprochen hat. Hier sollte einheitlich der Terminus der Obliegenheit verwandt werden, da die Vergewisserung oder Überprüfung der eigenen Leistungsfähigkeit im eigenen Interesse des Schuldners erfolgt. Hinsichtlich der versprochenen Leistung treffen den Schuldner vor Vertragsschluss noch keine Pflichten gegenüber seinem Vertragspartner.127 Der Begriff der Obliegenheit ist daher vorzugswürdig. Kommt der Schuldner allen von ihm zu erwartenden, im eigenen Interesse bestehenden, Sorgfaltsanforderungen nach, wird er in der Lage sein, sich zu exkulpieren.

III. Auswirkungen einer „Mitkenntnis“ des Gläubigers Innerhalb der Haftung aus § 311a Abs. 2 BGB ist bislang ungeklärt, welche Auswirkungen eine Kenntnis oder ein Kennenmüssen des Gläubigers auf seinen Ersatzanspruch in Grund oder Höhe hat. In Betracht kommt die generelle Unbeachtlichkeit von Gläubigerwissen um anfängliche Leistungshindernisse ebenso wie dessen generelle Beachtlichkeit mit der Folge des Anspruchsausschlusses. Als vermittelnde Lösungen sind die entsprechende Anwendung von § 254 Abs. 1 BGB sowie die Korrektur schlechthin untragbarer Ergebnisse über § 242 BGB vorstellbar. Die Anwendbarkeit von § 254 Abs. 2 BGB, also die Obliegenheitsverletzung, auf einen ungewöhnlich hohen Schaden aufmerksam zu machen, ihn abzuwenden oder zu verhindern, dürfte unstreitig sein. Auch im Rahmen der Haftung gemäß § 311a Abs. 2 BGB kann vom Gläubiger erwartet werden, diejenigen Maßnahmen zu ergreifen, „die jeder ordentliche und verständige Mensch ergreifen müßte, um Schaden von sich abzuwenden“.128 125

BGH NJW 2005, 2852, 2853 f. OLG Karlsruhe NJW 2005, 989, 990. 127 Erman/Kindl § 311a, Rn. 7; Unberath, Die Vertragsverletzung, S. 353. 128 BGHZ 4, 170, 174; RGZ 52, 349, 351; 105, 115, 119; BGH NJW 1951, 797, 798; BGH NJW 1989, 290, 291 in std. Rspr. 126

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Kap. 3: Haftung und Zurechnung bei anfänglicher Unmöglichkeit

Keineswegs selbstverständlich ist indes die analoge Anwendung von § 254 Abs. 1 BGB. Es würde sich sogar um eine doppelte Analogie handeln, da § 311a Abs. 2 BGB einerseits einen erweiterten Bezugspunkt des Vertretenmüssens („Mitkenntnis“ anstatt Mitverschulden) aufweist129 und andererseits die „Mitkenntnis“ einen Zurechnungsgesichtspunkt darstellt, der mit der Schadensentstehung prinzipiell nichts zu tun hat. 1. Vorliegen einer planwidrigen Regelungslücke? Mit dem Schuldrechtsmodernisierungsgesetz trat die Schadensersatzhaftung gemäß § 311a Abs. 2 BGB systematisch an die Stelle der bisherigen §§ 306, 307, 308 BGB. Mit § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB a. F. bestand eine Regelung, die im Falle der Kenntnis bzw. des Kennenmüssens des Gläubigers den Ersatzanspruch (gerichtet auf das negative Interesse) ausdrücklich ausschloss. Wegen des Bestehens dieser Spezialregelung und der damit verbundenen Geltung des Alles-oder-Nichts-Prinzips war der Rückgriff auf § 254 BGB und somit die Vornahme einer Einzelfallabwägung verwehrt.130 Auf die Aufnahme einer entsprechenden Regelung im allgemeinen Leistungsstörungsrecht verzichtete der Gesetzgeber bei der Neunormierung. Zugleich schuf er aber im besonderen Schuldrecht eine Fülle von Regelungen, welche die Ansprüche des Gläubigers bei Kenntnis und Kennenmüssen ausschließen oder modifizieren (vgl. etwa §§ 442, 536b, 640 Abs. 2, 651 Satz 2 BGB). Da die bisherige Gesetzeslage und die §§ 306–308 BGB a. F. „allgemein als unsachgemäß“131 und als „durch Gesetze der Logik nicht gefordert und interessenwidrig“132 angesehen wurde, galt diesem Themenkomplex in der Schuldrechtskommission und während des Gesetzgebungsverfahrens besondere Aufmerksamkeit. Vor diesem Hintergrund ist es eher unwahrscheinlich, dass der Gesetzgeber nur „vergessen“ hat, sich in § 311a BGB zu der Auswirkung einer „Gläubigerkenntnis“ von anfänglichen Leistungshindernissen zu äußern. Die schlüssigste Erklärung, warum sich in § 311a BGB keine Verweisung oder ein Ausschlussgrund für den Ersatzanspruch im Falle der „Gläubigerkenntnis“ findet, ist diejenige, dass der Gesetzgeber von dem optimistischen Standpunkt ausging, es bestünde kein Regelungsbedarf. Die Folge des Wissens des Gläubigers um anfängliche Leistungshindernisse liege sozusagen auf der Hand. Angedeutet ist dies in zwei Passagen in der Gesetzesbegründung. Zum einen heißt es dort: 129 130 131 132

Kap. 3 B. II. 1. BGHZ 76, 16, 22; Palandt/Heinrichs 61. Auflage 2002, § 307, Rn. 4. BT-Drs. 14/6040, S. 164. Palandt/Heinrichs 61. Auflage 2002, § 306, Rn. 1.

B. Der Zurechnungsgesichtspunkt

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„Kenntnis oder Kennenmüssen des Gläubigers von einer anfänglichen Leistungsunmöglichkeit des Schuldners oder Gesetzwidrigkeit des Vertrags – derzeit § 307 Abs. 1 Satz 2 – begründet ein Mitverschulden an einem Schaden, der aus dem Ausbleiben der Leistung entsteht“.133 An anderer Stelle heißt es: „Die rigide Regelung des bisherigen § 309 in Verbindung mit dem bisherigen § 307 Abs. 1 Satz 2, wonach die Ersatzpflicht entfällt, wenn der andere Teil die Gesetzeswidrigkeit kennen muss, wird durch die flexiblere Regelung des § 254 BGB ersetzt“.134 Insgesamt ist wohl davon auszugehen, dass der Gesetzgeber sich eine entsprechende Anwendung von § 254 Abs. 1 BGB vorgestellt hat. Da die Vorschrift des § 254 Abs. 1 BGB jedenfalls nicht direkt angewandt werden kann, muss folglich vom Vorliegen einer unbewussten Regelungslücke ausgegangen werden. 2. Der Meinungsstand in der Literatur (§ 311a BGB) Dieser Auffassung schloss sich ein großer Teil der Kommentarliteratur zu § 311a BGB teils ohne135, zum Teil mit136 Begründung für die Analogiebildung an. Ernst möchte zwischen den Fällen der Mitverantwortung für die Herbeiführung der Umstände, die zum Ausschluss der Leistungspflicht führen, und der Kenntnis bzw. dem Kennenmüssen externer, die Unmöglichkeit begründender Umstände unterscheiden. In der ersteren Variante biete sich bereits wegen der Berücksichtigung der Mitverantwortung bei der Bestimmung des Schicksals der Gegenleistungspflicht (§ 326 Abs. 2 Satz 2, 2. Var. BGB) die Anwendung von § 254 BGB an.137 Ein tragfähiges Argument lässt sich hieraus aber nicht ziehen, denn hierbei handelt es sich um den Fall der beiderseits zu vertretenden Unmöglichkeit, die auch nach der Schuldrechtsreform nach den gewohnten Regeln zu behandeln ist.138 Für eine Anwendung von § 254 Abs. 1 BGB in der zweiten Variante spreche, dass den besonderen Umständen des Einzelfalls Rechnung getragen werden könne.139 Eine dogmatisch stichhaltige Begründung, auf die sich eine Analogie stützen ließe, stellt auch diese Forderung nicht dar.

133

BT-Drs. 14/6040, S. 164. BT-Drs. 14/6040, S. 165. 135 Bamberger/Roth/Gehrlein § 311a, Rn. 9; Anwaltkommentar/Dauner-Lieb § 311a, Rn. 13; Erman/Kindl § 311a, Rn. 10; Staudinger/Löwisch § 311a, Rn. 50. 136 MüKo/Ernst BGB § 311a, Rn. 66 ff. 137 MüKo/Ernst BGB § 311a, Rn. 67. 138 Str. vgl. Palandt/Grüneberg § 326, Rn. 15 m. w. N.; Medicus/Lorenz, Schuldrecht I, Rn. 448 f.; Lorenz/Riehm, Lehrbuch zum neuen Schuldrecht, Rn. 350. 139 MüKo/Ernst BGB § 311a, Rn. 68. 134

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Kap. 3: Haftung und Zurechnung bei anfänglicher Unmöglichkeit

3. Rechtsprechung und Literatur zu § 254 BGB Ein ganz anderes Bild ergibt sich in der Kommentarliteratur zu § 254 Abs. 1 BGB. Hier wird die Anwendbarkeit von § 254 Abs. 1 BGB auf Schadensersatzansprüche gemäß § 311a BGB überwiegend für ausgeschlossen gehalten.140 Auch der Bundesgerichtshof141 hat wiederholt entschieden, dass schon begrifflich nur ein solches Verhalten des Geschädigten im Sinne des § 254 BGB beachtlich sein könne, das dem Abschluss des Vertrages zeitlich nachfolgt. Erst mit dem Abschluss eines Vertrags werde die Grundlage für die Entstehung eines Schadensersatzanspruchs wegen Nichterfüllung geschaffen.142 Die Rechtsprechung, dass ein Schadensersatzanspruch durch eine vorvertragliche Pflichtverletzung des Gläubigers gemäß § 254 BGB nicht gemindert werden kann, erhielt der Bundesgerichtshof entgegen der in Teilen der Literatur vorgebrachten Bedenken143 ausdrücklich aufrecht.144 Während sich den Stimmen in der Literatur, die die Anwendung von § 254 BGB im Rahmen von § 311a BGB für ausgeschlossen halten, keine Begründungen entnehmen lassen, vermögen die vom Bundesgerichtshof angeführten Gründe nicht vollständig zu überzeugen. Der entscheidende Gesichtspunkt ist nicht in der zeitlichen Komponente des Verhaltens des Geschädigten zu sehen, sondern in der Gefahr einer unsachgemäßen Verschiebung oder Modifikation der vertraglichen Risikoverteilung.145 Mag ein Gläubiger an der Leistungsfähigkeit seines Vertragspartners auch zweifeln, das ist der Fall fahrlässiger Unkenntnis – wobei sich diese Bewertung in der Regel erst aus einem Urteil ex post ergibt, wenngleich selbstverständlich das Kennenmüssen ex ante maßgeblich wäre –, so darf er dennoch auf den Erhalt der Leistung vertrauen, wenn der Schuldner diese vorbehalts-/ bedingungslos verspricht. Der Schuldner kann seine Leistungsfähigkeit und etwaige hindernde Umstände, die sich regelmäßig in seiner Sphäre146 befinden, besser überblicken. Sagt er eine Leistung vorbehaltlos zu, so übernimmt er damit grundsätzlich auch das Risiko, sollte ihm diese Leistung schließlich nicht mehr möglich sein. Liegt in der Person des Gläubigers ein 140

MüKo/Oetker BGB § 254, Rn. 18; wohl auch Erman/Ebert § 254, Rn. 7 und Bamberger/Roth/Unberath § 254, Rn. 4, die jeweils den Anspruch aus § 311a Abs. 2 in der Kommentierung zum Anwendungsbereich von § 254 BGB nicht nennen. 141 BGH NJW 1987, 251, 253; 1972, 1702, 1703; 1957, 217. 142 BGH NJW 1957, 217. 143 Staudinger/Medicus, 12. Aufl. § 254, Rn. 68; vgl. zur analogen Anwendbarkeit des § 254 BGB umfassend Lange/Schiemann, Schadensersatz, S. 540 ff. 144 BGH NJW 1987, 251, 253. 145 Diese Begründung findet sich lediglich ansatzweise in BGH NJW 1972, 1702, 1703. 146 Zum Sphärengedanken vgl. ausführlich Kap. 5 A. II. 3.

B. Der Zurechnungsgesichtspunkt

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Fall fahrlässiger Unkenntnis anfänglicher Leistungshindernisse vor, besteht kein Grund, ihn das vom Schuldner durch das vorbehaltlose Versprechen der Leistung übernommene Risiko mittragen zu lassen. Dies ist auch notwendige Konsequenz der Auffassung, dass auch Leistungsrisiken Leistungshindernisse im Sinne von § 311a BGB darstellen. Eine Obliegenheit des Gläubigers zu prüfen, ob es seinem konkreten Schuldner möglich ist, bestehende Hindernisse zu überwinden besteht nicht. Auch hier hat es der Schuldner in der Hand, sein Haftungsrisiko durch vertragliche Vereinbarungen zu steuern. Dies kann im Wege der Vereinbarung von Bedingungen, der Modifikation des Haftungsmaßstabes oder dem Ausschluss der Haftung für bestimmte Risiken erfolgen. Erkennt der Schuldner hohe Risiken, kann er schließlich auch auf eine hohe Vergütung drängen, sodass mit dem Risiko eine angemessene Chance korrespondiert. Hat er es versäumt, sich durch eine entsprechende Vertragsgestaltung abzusichern bzw. bestimmte Risiken auf beide Parteien zu verlagern, so hat er das Risiko, seine Versprechen nicht einhalten zu können, alleine zu tragen. 4. Einzelfallkorrektur gemäß § 242 BGB Anders ist dies nur in den wohl sehr seltenen Ausnahmefällen zu beurteilen, in denen der Gläubiger positive Kenntnis von unüberwindbaren Leistungshindernissen hat, der Schuldner aber, wenn auch fahrlässig, noch an die Möglichkeit der Leistungserbringung glaubt. Hier wäre es in der Tat ein schlechthin untragbares Ergebnis, den Schuldner voll haften zu lassen. Denn der Gläubiger würde von einem Vertragsschluss profitieren, an dessen Erfüllung er selbst niemals geglaubt hat. In diesem Falle ist es ihm verwehrt, den Schuldner „beim Wort“ zu nehmen. Tatsächlich hat er dies ja auch zu keinem Zeitpunkt getan. Bei solcher Sachlage ist aber wiederum keine Quotelung aufgrund einer Gesamtabwägung im Sinne des § 254 BGB angebracht, sondern ein völliger Anspruchsausschluss über die Korrekturfunktion147 des Grundsatzes von Treu und Glauben am Platze.148 Gänzlich anders gelagert sind Sachverhaltskonstellationen, in denen beide Vertragsparteien positive Kenntnis von Leistungshindernissen haben. Hier könnte man sich zunächst die Frage stellen, ob dann nicht ein Scheingeschäft im Sinne von § 117 Abs. 1 BGB mit Nichtigkeitsfolge vorliegt. 147

Palandt/Grüneberg § 242, Rn. 14; Soergel/Teichmann, 12. Aufl., § 242, Rn. 58 ff. 148 Eine weitere Möglichkeit bestünde darin, in solchen Fällen von einem konkludenten Haftungsausschluss auszugehen. Dieser Ansatz hätte indessen den Nachteil, dass in gewissem Umfang Vertragsinhalte fingiert werden müssten. Im Ergebnis ist daher der Weg über eine Korrektur am Maßstab des § 242 BGB vorzuziehen.

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Kap. 3: Haftung und Zurechnung bei anfänglicher Unmöglichkeit

Das ist indessen nicht der Fall, da der von den Parteien angestrebte Erfolg gerade die Gültigkeit des Rechtgeschäfts voraussetzt.149 Der Vertragsschluss hat dann aber lediglich den Charakter einer bedingten Verbindlichkeit,150 bedingt auf den Fall, dass die Leistung zu einem späteren Zeitpunkt doch noch erbracht werden kann. Mitverschuldensfragen stellen sich in diesem Zusammenhang daher nicht. 5. Keine Anwendung von § 254 BGB auf den Aufwendungsersatzanspruch gemäß §§ 311a, 284 BGB Ernst hält § 254 BGB auch für den Aufwendungsersatzanspruch gemäß §§ 311a Abs. 2, 284 BGB für anwendbar.151 Hierfür besteht indessen kein Bedürfnis. Die Norm des § 284 BGB trägt die sachgerechte Begrenzung des Aufwendungsersatzanspruchs bereits in sich. Der Gläubiger darf Ersatz nur derjenigen Aufwendungen verlangen, „die er im Vertrauen auf den Erhalt der Leistung gemacht hat und billigerweise machen durfte“. Bei Kenntnis oder Kennenmüssen anfänglicher Leistungshindernisse auf Seiten des Gläubigers, darf dieser Aufwendungen auf Kosten des Schuldners billigerweise nur in begrenztem Maße vornehmen. Schließlich handelt es sich um Aufwendungen, also um freiwillige Vermögensopfer des Gläubigers und nicht um Schäden, die unfreiwillige Vermögenseinbußen darstellen. In diesen Fällen ist es richtig, die Ersatzfähigkeit von einer vorherigen Abstimmung mit dem Schuldner abhängig zu machen, da der Gläubiger ansonsten auf eigenes Risiko handelt.152

149 150 151 152

Palandt/Ellenberger § 117, Rn. 4. Staudinger/Löwisch § 311a, Rn. 24 f. MüKo/Ernst BGB § 311a, Rn. 69. Staudinger/Löwisch § 311a, Rn. 49.

Kapitel 4

Einzelne Grundlagen des Beweisrechts A. Die „Beweislast“ Für den gesamten Rechtsverkehr kommt der Frage, wer im Einzelfall die „Beweislast“ trägt, eine geradezu überwältigende Bedeutung zu. Offensichtlich ist dies während eines gerichtlichen Verfahrens. Aber schon weit vor etwaigen Streitfällen handelt es sich um einen zentralen Gesichtspunkt anwaltlicher Beratung, wer im Einzelfall für welche Tatsachen „die Beweislast“ trägt und ob die vertragliche Abweichung vom gesetzlichen Regelfall, etwa durch Abschluss eines Beweislastvertrages, angezeigt ist. Nicht zuletzt entscheidet die Frage nach „der Beweislast“ in vielen Fällen darüber, ob die mit der Führung eines Rechtstreits stets verbundenen Risiken eingegangen werden können oder man auf den Versuch, seine Ansprüche durchzusetzen, aufgrund der Beweislage vernünftigerweise verzichten muss. Angesichts der elementaren Bedeutung der Frage nach „der Beweislast“ ist es nach wie vor erstaunlich, in welch höchst unterschiedlichen Zusammenhängen dieser Zentralbegriff in Rechtsprechung, Lehre und Anwaltspraxis gleichermaßen verwandt wird. Dass eine feine begriffliche Differenzierung allzu oft unterbleibt, obwohl dies dringend erforderlich wäre, wurde vielfach1 und zu Recht bemängelt. Prütting konstatiert zutreffend, dass der Beweislast in ihren einzelnen Elementen – der Behauptungslast, der Beweisführungs- und Feststellungslast – die Aufgabe zukommt, die Lebenssachverhalte im konkreten Prozess zu strukturieren, die Beweislast somit das „Rückgrat des Prozesses“ darstellt.2 Daher sollen diejenigen Aspekte der Beweislast, die für die vorliegende Arbeit bedeutsam sind und die im Folgenden wiederholt aufgegriffen werden, einer näheren Untersuchung unterzogen werden. Das zunächst nicht beabsichtigte Vorschalten eines Definitionsabschnitts zu Grundfragen einzelner Elemente der Beweislast ist notwendig geworden, da die vertiefte Auseinandersetzung mit dem Beweisrecht gezeigt hat, dass sich in Bezug auf jedes Teilelement der Be1

Statt vieler Prütting, Gegenwartsprobleme der Beweislast, S. 5; Musielak, Die Grundlagen der Beweislast im Zivilprozeß, S. 32 ff., 50; Wieczorek/Schütze/Ahrens ZPO, Bd. II/2, A Vor § 286, Rn. 54. 2 MüKo/Prütting ZPO § 286, Rn. 102.

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Kap. 4: Einzelne Grundlagen des Beweisrechts

weislast gewichtige Ansichten finden, die das hier befürwortete Begriffsverständnis teilen. Ein Verständnis, das insgesamt mit dem hiesigen übereinstimmt, findet sich indessen nicht. Dies ist aber zwingend erforderlich, um nachvollziehen zu können, weshalb nur bestimmte Modifikationen der Beweisanforderungen für die Ansprüche gemäß §§ 280 Abs. 1, 3, 283 und 311a Abs. 2 BGB für zulässig erachtet werden können. Der „Begriffsverwirrung auf den Gebieten des Beweisrechts im Allgemeinen und der Beweislast im Besonderen“3 muss daher insoweit entgegentreten werden, als es für das Verständnis der im Folgenden vertretenen Thesen erforderlich ist. „Keine wissenschaftliche Arbeit kann der genaueren Klärung und Erläuterung von Begriffen entbehren, mit denen sie arbeiten will. Dieser Satz gilt in besonders auffallender Weise für den Bereich der Beweislast“.4 Diese Feststellung Prüttings beansprucht nach wie vor uneingeschränkte Gültigkeit.

B. Der beweisrechtliche Grundsatz und besondere Beweislastnormen I. Zweck, Inhalt und Wirkung der Beweislastnormen Das Eingreifen von Beweislastnormen setzt stets am Vorhandensein tatsächlicher Zweifel hinsichtlich des Vorliegens eines Tatbestandsmerkmals eines Rechtssatzes an. Lassen sich diese Zweifel trotz aller Mühen nicht ausräumen, könnte der Richter das aus dem Rechtssatz abzuleitende Recht eigentlich weder zusprechen, noch verneinen. Er müsste von einer Entscheidung Abstand nehmen. Sobald die Sachurteilsvoraussetzungen aber vorliegen, muss der Richter auch bei ungeklärtem Sachverhalt eine Entscheidung in der Sache treffen.5 Dies folgt letztlich aus dem Justizgewährungsanspruch der Parteien (Rechtsstaatsgebot i. V. m. Art. 2 Abs. 1 GG) sowie aus Art. 6 Abs. 1 EMRK. Die Parteien haben schlicht einen Anspruch darauf, dass ihr in zulässiger Weise vorgetragenes rechtliches Ersuchen auch beantwortet wird. Es gibt aber noch weitere Gründe dafür, dass der Richter in der Sache entscheiden muss. Durch die Entscheidungsverpflichtung wird die Gewährleistung von Rechtsfrieden abgesichert sowie der Schutz des Gewaltmonopols des Staates bezweckt.6 3 Baumgärtel/Laumen/Prütting/Laumen, Handbuch der Beweislast – Grundlagen, S. 2. 4 Prütting, Gegenwartsprobleme der Beweislast, S. 5. 5 Musielak, Die Grundlagen der Beweislast im Zivilprozeß, S. 19; Prütting, Gegenwartsprobleme der Beweislast, S. 124. 6 Wieczorek/Schütze/Ahrens ZPO, Bd. II/2, A Vor § 286, Rn. 4.

B. Der beweisrechtliche Grundsatz und besondere Beweislastnormen

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Den Beweislastnormen (häufig auch als Beweislastregeln bezeichnet) fällt nun die Aufgabe zu, im Falle eines non liquet den Weg zu einer Sachentscheidung zu öffnen, indem sie „den Entscheidungsinhalt festlegen und im Einzelfall vorschreiben, wie der Richter zu urteilen hat, wenn Tatsachen ungewiss bleiben, auf die es zur Erfüllung des Tatbestandes einer Rechtsnorm ankommt“.7 Beweislastnormen haben also die Funktion, den Weg zur Überwindung von Lücken im Sachverhalt zu weisen, indem sie den Nachteil der Unaufklärbarkeit einer Tatsache, die Feststellungslast,8 einer Partei zuweist.9 Da der Richter trotz Unsicherheiten tatsächlicher Art eine Entscheidung in der Sache treffen muss, sichern sie also zugleich die Entscheidungspflicht des Gerichts ab.10 Beweislastnormen sind stets abstrakt-generelle Normen,11 die dem materiellen Recht angehören12 und Beweislastzuweisungen enthalten. Die von ihnen angeordnete Zuweisung der Feststellungslast und ihr nachfolgend der Beweisführungs-13 und Behauptungslast14 ist starr. Sie muss vor dem Prozess feststehen15 und kann während des Prozesses nicht nach dem Ermessen des Richters abgeändert werden.16 Dies gebieten Gründe der Rechtssicherheit und der Gleichheit der Rechtsanwendung (Art. 3 GG).17 Den Beweislastnormen liegen generalisierende Risikoverteilungen zugrunde.18 Dieser Einsicht verschließt sich, wer einzelfallabhängig und von Billigkeitserwägungen geleitet, Eingriffe in diese generellen Risikozuweisungen vornehmen möchte.19

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Musielak, Die Grundlagen der Beweislast im Zivilprozeß, S. 20. Vgl. Kap. 4 E. 9 Wieczorek/Schütze/Ahrens ZPO, Bd. II/2, A Vor § 286, Rn. 13. 10 Baumgärtel/Laumen/Prütting/Laumen, Handbuch der Beweislast – Grundlagen, S. 29; Heinrich, in: FS Musielak, S. 231, 233. 11 BVerfG NJW 1979, 1925 f.; BGHZ 159, 48, 56; BGHZ 123, 311, 315. 12 Str. vgl. Leipold, Beweislastregeln und gesetzliche Vermutungen, S. 72 ff.; Prütting; Gegenwartsprobleme der Beweislast, S. 172 ff.; MüKo/Prütting ZPO § 286, Rn. 137 f. m. w. N.; Wieczorek/Schütze/Ahrens ZPO, Bd. II/2, A Vor § 286, Rn. 11. 13 Kap. 4 F. 14 Kap 4 G. 15 BVerfGE 52, 131, 147. 16 BGHZ 159, 48, 56. 17 BGH NJW 2004, 2011, 2013; Baumgärtel/Laumen/Prütting/Laumen, Handbuch der Beweislast – Grundlagen, S. 33 m. w. N. 18 Zöller/Greger Vor § 284, Rn. 17. 19 Hierauf wird wiederholt zurückzukommen sein Kap. 5 B. I. 1. b) dd); Kap. 6 C. II. 1. a); Kap. 6 C. II. 2.; Kap. 6 C. II. 3. 8

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Kap. 4: Einzelne Grundlagen des Beweisrechts

II. Notwendigkeit einer allgemeinen Grundregel der Beweislastverteilung Jedem materiellrechtlichen Tatbestandsmerkmal eine Norm zur Seite zu stellen, die die Verteilung der Beweislast explizit regelt, würde das Gesetz überfrachten. Daher war es notwendig eine allgemeine Grundregel der Beweislastverteilung zu finden. Heute besteht weitgehende Einigkeit, dass der Anspruchsteller die Beweislast für die rechtsbegründenden Tatbestandsmerkmale und der Anspruchgegner die Beweislast für die rechtshindernden, rechtsvernichtenden und rechtshemmenden Tatbestandsmerkmale trägt.20 Zu demselben Ergebnis kam bereits die auf Rosenberg zurückgehende Normtheorie von Grund- und Gegennormen.21 Die ausdrückliche Normierung einer beweisrechtlichen Grundregel des dargestellten Inhalts, war im ersten Entwurf zum BGB (dort in § 193) sogar vorgesehen.22 Sie wurde dann aber wegen ihrer „Selbstverständlichkeit“23 doch noch weggelassen. Wegen des ursprünglichen Vorhabens des Gesetzgebers und der Tatsache, dass die ausdrückliche Niederlegung nur unterblieb, weil die Väter des BGB übereinstimmend der Auffassung waren, dass sich das Gesetz nicht zu Selbstverständlichkeiten äußern müsse, wird diese Grundregel auch als vom Gesetzgeber zu Grunde gelegtes Strukturprinzip,24 als Teil des geltenden Gesetzesrechts,25 als stillschweigendes Gesetzesrecht26 oder als Gewohnheitsrecht27 bezeichnet. Die Tatsache, dass zunächst eine BGB-Vorschrift zur Regelung der grundsätzlichen Beweislastverteilung vorgesehen war, gibt auch einen Hinweis darauf, dass der beweisrechtliche Grundsatz wie die besonderen Beweislastnormen Ergänzungsregelungen des materiellen Rechts darstellen und nicht dem Verfahrensrecht zuzuordnen sind.28

20 MüKo/Prütting ZPO § 286, Rn. 112; Musielak/Foerste ZPO § 286, Rn. 35; Stein/Jonas/Leipold ZPO § 286, Rn. 61; Wieczorek/Schütze/Ahrens ZPO, Bd. II/2, A Vor § 286, Rn. 30 ff. jeweils m. w. N.; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 114, Rn. 7 ff., S. 781 f. 21 Rosenberg, Die Beweislast, S. 98 ff.; Rosenberg AcP 94 (1903), S. 15 ff.; umfassend auch Prütting; Gegenwartsprobleme der Beweislast, S. 265 ff. 22 Mugdan, Band 2, Protokolle S. 815, Randpaginierung 517; MüKo/Prütting ZPO § 286, Rn. 110. 23 Stein/Jonas/Leipold ZPO § 286, Rn. 61; Wieczorek/Schütze/Ahrens ZPO, Bd. II/2, A Vor § 286, Rn. 31. 24 Musielak/Foerste ZPO § 286, Rn. 34. 25 MüKo/Prütting ZPO § 286, Rn. 112; Wieczorek/Schütze/Ahrens ZPO, Bd. II/2, A Vor § 286, Rn. 31. 26 Stein/Jonas/Leipold ZPO § 286, Rn. 61. 27 Stein/Jonas/Leipold ZPO § 286, Rn. 61; hiergegen aber bereits Rosenberg AcP 94 (1903), S. 15.

B. Der beweisrechtliche Grundsatz und besondere Beweislastnormen

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III. Besondere Beweislastnormen 1. Beweislastnormen Folgerichtig ist es auch das materielle Recht, hier interessiert ausschließlich das BGB, das durch eine Vielzahl von Beweislastnormen eine Abweichung von der Grundregel anordnet. Beispiele hierfür finden sich etwa in den §§ 179 Abs. 3, 345, 363, 619a BGB und natürlich auch in den §§ 280 Abs. 1 Satz 2, 311a Abs. 2 Satz 2 BGB. Ist eine solche Abweichung angeordnet, hält der Gesetzgeber für bestimmte Regelungskomplexe eine andere Risikoverteilung als im Normalfall für angemessen. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Für Modifikationen der Beweislastverteilung sprechen häufig Gesichtspunkte der Beweisnähe, des Verkehrsschutzes, des effizienten Schutzes von Grundrechten, des Rechtsfriedens sowie der Waffengleichheit der Parteien.29 Nicht zuletzt kann auch die Sicherung des Normzwecks eine bestimmte Beweislastverteilung erforderlich machen. 2. Beweislastprinzipien Die Sachgründe für die Beweislastverteilung30 bzw. Beweislastprinzipien,31 die für eine abweichende Regelung der Beweislastverteilung sprechen, sind aber nur als Motiv des Gesetzgebers für die Setzung einer Beweislastnorm bedeutsam.32 Diese Sachgründe oder generellen Prinzipien zum Anlass nehmen zu wollen, um im Einzelfall nach freiem Ermessen eine abweichende Verteilung der Beweislast herbeizuführen, ist nicht zulässig.33 Es obliegt einzig und allein dem Gesetzgeber, dort, wo er es für erforderlich hält, diesen Sachgründen durch Normsetzung Geltung zu verschaffen. Die unmittelbare Einwirkung von allgemeinen Beweislastprinzipien auf die Beweislastverteilung im Einzelfall brächte ein erhebliches Maß an Rechtsunsicherheit und würde die Gleichheit in der Rechtsanwendung beeinträchtigen.34 Paradigmatisch ist die Diskussion um eine Beweislastverteilung nach Gefahrbereichen. Gefahrbereiche sind bisweilen schwer 28 Str. Leipold, Beweislastregeln und gesetzliche Vermutungen, S. 72 ff.; Prütting, Gegenwartsprobleme der Beweislast, S. 172 ff.; MüKo/Prütting ZPO § 286, Rn. 137 f. m. w. N.; Wieczorek/Schütze/Ahrens ZPO, Bd. II/2, A Vor § 286, Rn. 11. 29 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 114, Rn. 16, S. 783; MüKo/ Prütting ZPO § 286, Rn. 117. 30 Stein/Jonas/Leipold ZPO § 286, Rn. 67 ff. 31 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 114, Rn. 16, S. 783. 32 Prütting, Gegenwartsprobleme der Beweislast, S. 206 f. m. w. N. 33 BGHZ 159, 48, 56. 34 Wieczorek/Schütze/Ahrens ZPO, Bd. II/2, A Vor § 286, Rn. 11.

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Kap. 4: Einzelne Grundlagen des Beweisrechts

voneinander zu trennen, müssen sich nicht notwendig mit der Beweisnähe decken und im Falle vertraglicher Verpflichtungen bestimmen die Parteien aufgrund des vereinbarten Leistungsprogramms ohnehin selbst ihre jeweiligen Gefahrenbereiche.35 Am Beispiel des Sphärengedankens wird zudem deutlich, dass die Beweislastprinzipien, die ihrem Wesen nach auch abstrakt-generelle Kategorien darstellen, in der Verbindung mit dem jeweiligen Einzelfall frei kombinierbar sind. Die Beweislastnormen hingegen sind starr und verbindlich. Hier hat der Gesetzgeber aufgrund abstrakt-genereller Wahrscheinlichkeitsprognose für ganze Regelungskomplexe eine bestimmte, unter Umständen auf ein oder mehrere Beweislastprinzipien fußende, Beweislastverteilung vorgegeben. Beweislastprinzipien können daher nur insofern auf die Beweislastverteilung Einfluss nehmen, als der Gesetzgeber sie zum Anlass nimmt, eine Beweislastnorm zu setzen, um zukünftige Sachverhalte gleichmäßig im Sinne solcher Prinzipien zu lösen. Ist eine Beweislastnorm vorhanden, ist es aber umgekehrt ausgeschlossen, ihre Beweislastanordnung aufgrund eines möglicherweise entgegenstehenden Beweislastprinzips abzuändern.

C. Beweislastnormen und Beweiserleichterungen durch richterliche Rechtsfortbildung I. Modifizierung der Beweislastverteilung durch richterliche Rechtsfortbildung Die Modifizierung der Beweislastverteilung durch den Richter ist immer dann unzulässig, wenn für einen Regelungsbereich eine explizite Beweislastnorm besteht, die eine spezifische Beweislastverteilung vorgibt. Davon nach billigem Ermessen von Fall zu Fall abzuweichen, ist contra legem. Besteht eine Beweislastnorm, ist eine Modifikation der Beweislastverteilung daher nur in den engen Grenzen der anerkannten methodischen Regeln der richterlichen Rechtsfortbildung praeter legem zulässig.36 Durch die abstrakt-generellen und somit verallgemeinerungsfähigen Begründungen solcher zulässigen Rechtsfortbildungen kann eine ansatzweise rechtssatzmäßige Fixierung37 und damit ein einigermaßen vergleichbarer Standard an Rechts35 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 114, Rn. 16 ff., S. 783 f. m. w. N.; Stein/Jonas/Leipold ZPO § 286, Rn. 74; speziell zum Sphärengedanken vgl. Kap. 5 A. II. 3. b) bis d). 36 Wieczorek/Schütze/Ahrens ZPO, Bd. II/2, A Vor § 286, Rn. 146; Baumgärtel/ Laumen/Prütting/Laumen, Handbuch der Beweislast – Grundlagen, S. 36. 37 Stein/Jonas/Leipold ZPO § 286, Rn. 74.

C. Beweislastnormen und Beweiserleichterungen durch Rechtsfortbildung

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sicherheit gewährleistet werden, wie dies bei positiven Rechtsnormen der Fall ist.38 Für eine abweichende Beweislastverteilung neben den Beweislastnormen ist in jedem Falle eine generelle Regelbildung und die Begründung, warum eine Abweichung vom Gesetzestext dringend erforderlich erscheint, notwendig.39

II. Auswirkungen der tatbestandlichen Weite einer Beweislastnorm In diesem Zusammenhang ist auch die tatbestandliche Weite einer Beweislastnorm zu berücksichtigen. Umfasst der Anwendungsbereich einer Beweislastanordnung eine Vielzahl von im Einzelfall völlig unterschiedlichen Lebenssachverhalten, so sind Modifikationen im Wege der richterlichen Rechtsfortbildung eher denkbar, als wenn die Beweislastnorm auf einen eng begrenzten Spezialfall zugeschnitten ist. Vergleicht man die Beweislastnorm des § 311a Abs. 2 Satz 2 BGB mit derjenigen des § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB wird dieser Unterschied besonders deutlich. Wie bereits zu Beginn ausgeführt,40 ist § 280 Abs. 1 BGB und somit auch die darin enthalte Beweislastanordnung die Zentralnorm für Schadensersatzansprüche aus bestehenden Schuldverhältnissen. Beinahe sämtliche vertraglichen Schuldverhältnisse unterliegen ihrem Anwendungsbereich, ebenso wie einige gesetzliche Schuldverhältnisse bis hin zu öffentlich-rechtlichen Sonderverbindungen. Aus den Gesetzesmaterialien geht klar hervor, dass der Gesetzgeber für all diese Fälle die prinzipielle Anordnung treffen wollte, dass der Gläubiger die Pflichtverletzung, der Schuldner das Fehlen von Verschulden zu beweisen hat. Ebenso offensichtlich ist aber auch, dass der Anwendungsbereich der Beweislastanordnung derart weit ist, dass man nicht davon ausgehen kann, der Gesetzgeber habe für all diese unterschiedlichen Fallkonstellationen eine explizite Abwägung getroffen und die Regelung für all diese Fälle als sachgerecht zugrunde gelegt. Wegen ihrer tatbestandlichen Weite ähnelt die Norm des § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB eher der Grundregel der Beweislastverteilung – sie stellt selbst eine kleine Grundregel dar – als einer expliziten Beweislastanordnung für einen bestimmten Einzelfall. Der Weg für richterliche Rechtsfortbildung innerhalb bestimmter Fallgruppen – zu denken ist dabei vor allem an bestimmte Fragen des Arzthaftungsrechts – ist somit nicht von vornherein verschlossen. 38 So im Ergebnis auch Musielak/Foerste ZPO § 286, Rn. 37; Stein/Jonas/Leipold ZPO § 286, Rn. 71 ff.; MüKo/Prütting ZPO § 286, Rn. 93, 119; Zöller/Greger Vor § 284, Rn. 22. 39 MüKo/Prütting ZPO § 286, Rn. 123, 93. 40 Kap. 2 A. I. 2.

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Kap. 4: Einzelne Grundlagen des Beweisrechts

Anders ist dies im Falle des § 311a Abs. 2 Satz 2 BGB zu beurteilen. Unabhängig davon, ob subjektive oder objektive Unmöglichkeit vorliegt, handelt es sich beim Schadensersatzanspruch gemäß § 311a Abs. 2 BGB um einen Ausnahmefall. Das hat zur Folge, dass auch der tatbestandliche Anwendungsbereich der Norm sehr eng ist. Zudem hat der Gesetzgeber die wichtigsten Fallgruppen anfänglicher Leistungshindernisse, wie etwa den Verkauf nicht existenter Forderungen, explizit in seine Überlegungen im Vorfeld der Normsetzung mit einbezogen.41 Spielraum für Anpassungen oder Modifikationen der in § 311a Abs. 2 Satz 2 BGB vorgegebenen Beweislastverteilung ist daher von vorneherein kaum gegeben.

D. Gesetzliche Vermutungen I. Die widerleglichen Rechts- und Tatsachenvermutungen Eine besondere Form von Beweislastnormen stellen die widerleglichen Rechts- und Tatsachenvermutungen dar.42 Auch sie bewirken daher eine Verteilung der Beweislast.43 Die gesetzlichen Vermutungen sind in ihrer Wirkungsweise ähnlich wie Beweislastnormen. Sie stellen im Vergleich zu diesen jedoch einen Spezialfall dar, da sie in aller Regel das Bestehen einer Vermutungsbasis voraussetzen, die außerhalb des gesetzlichen Tatbestands liegt.44 Das Gesetz nimmt in diesen Fällen das Bestehen eines Merkmals als gegeben an (Vermutung), wenn bestimmte Tatsachen, die nicht zum Tatbestand der Norm gehören, vorliegen (Vermutungsbasis).45 Je nachdem, ob das vermutete Merkmal selbst wiederum eine Tatsache oder eine Rechtsposition darstellt, handelt es sich dann um eine gesetzliche Tatsachenvermutung oder eine gesetzliche Rechtsvermutung. Prominente Beispiele für Rechtsvermutungen finden sich etwa in den §§ 891, 921, 1006, 1138, 2255 Satz 2, 2365 BGB. Bedeutende Beispiele für gesetzliche Tatsachenvermutungen sind beispielsweise die §§ 443 Abs. 2, 476 BGB.46 41 Stellungnahme des Bundesrates Anlage 2 zu BT-Drs. 14/6857, Nr. 53, S. 17; Gegenäußerung der Bundesregierung Anlage 3 zu BT-Drs. 14/6857, Nr. 53, S. 54. 42 Prütting, Gegenwartsprobleme der Beweislast, S. 48 f.; Stein/Jonas/Leipold ZPO § 292, Rn. 8. 43 MüKo/Prütting ZPO § 286, Rn. 132. 44 Musielak, Die Grundlagen der Beweislast im Zivilprozeß, S. 71 f. 45 MüKo/Prütting ZPO § 292, Rn. 20; Stein/Jonas/Leipold ZPO § 292, Rn. 13; Prütting, Gegenwartsprobleme der Beweislast, S. 48. 46 Eine Auflistung von gesetzlichen Tatsachen und Rechtsvermutungen findet sich bei Wieczorek/Schütze/Ahrens ZPO, Bd. II/2, A Vor § 286, Rn. 71; MüKo/ Prütting ZPO § 292, Rn. 13 f.

D. Gesetzliche Vermutungen

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II. Die Abgrenzung zu den Fiktionen § 292 Satz 1 ZPO ordnet ausdrücklich an, dass gesetzliche Vermutungen durch Beweis des Gegenteils widerlegbar sind. Da dies nur gilt, „sofern nicht das Gesetz ein anderes vorschreibt“ (§ 292 Satz 1 Halbsatz 2 ZPO), beinhaltet das Gesetz selbst die Abgrenzung zu den unwiderlegbaren Tatsachen- oder Rechtsvermutungen. Liegen die Voraussetzungen einer unwiderleglichen Vermutung vor, erübrigt sich jeder weitere Parteivortrag zu der vermuteten Tatsache oder dem vermuteten Recht. Die entsprechende Vermutung kann nicht widerlegt werden. Den unwiderleglichen Vermutungen wird daher zu Recht keine Beweislastwirkung zugeschrieben; es handelt sich vielmehr um Normen, die eine rein materiellrechtliche Rechtsfolge bewirken.47

III. Die Abgrenzung zu den tatsächlichen Vermutungen Von den gesetzlichen Vermutungen im Sinne des § 292 ZPO sind die so genannten tatsächlichen Vermutungen (praesumtiones facti) zu trennen. Das einfachste Abgrenzungskriterium zu den gesetzlichen Vermutungen ist ihre fehlende Verankerung im Gesetz. Die tatsächlichen Vermutungen werden teilweise dazu verwendet, (unzulässige) Beweiserleichterungen zu gewähren. Die Zuhilfenahme dieser gesetzlich nicht vorgesehenen, aber praktisch sehr bedeutsamen Rechtsfigur, wird daher zu Recht überwiegend kritisch beurteilt.48 Insgesamt bewegen sich die tatsächlichen Vermutungen zwischen der durch den Richter im Rahmen von § 286 ZPO berücksichtigungsfähigen Lebenserfahrung und dem Anscheinsbeweis. Jedenfalls hat der Bundesgerichtshof die Begriffe der tatsächlichen Vermutung und des Anscheinsbeweises vereinzelt synonym verwandt.49 Eine nähere dogmatische Charakterisierung ihrer Rechtnatur ist aber weder möglich, noch gewinnbringend. An dieser Stelle kann lediglich auf die hierzu bestehende Kasuistik verwiesen werden.50

47

Prütting, Gegenwartsprobleme der Beweislast, S. 49; Wieczorek/Schütze/ Ahrens ZPO, Bd. II/2, A Vor § 286, Rn. 69. 48 Vgl. Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 111, Rn. 37, S. 764; MüKo/Prütting ZPO § 292, Rn. 27 f.; Prütting, Gegenwartsprobleme der Beweislast, S. 50 ff. 49 BGH NJW, 1993, 3259 f.; ausdrücklich offen gelassen BGH NJW 2001, 1127, 1128 f. 50 Vgl. die umfangreiche Zusammenstellung bei Prütting, Gegenwartsprobleme der Beweislast, S. 50 ff.

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Kap. 4: Einzelne Grundlagen des Beweisrechts

IV. Die gesetzlichen Vermutungen der §§ 280 Abs. 1 Satz 2, 311a Abs. 2 Satz 2 BGB 1. §§ 280 Abs. 1 Satz 2, 311a Abs. 2 Satz 2 BGB als gesetzliche Vermutungen Die Qualifikation der §§ 280 Abs. 1 Satz 2, 311a Abs. 2 Satz 2 BGB als widerlegliche gesetzliche Vermutungen erscheint auf den ersten Blick selbstverständlich. Beide Normen gehen davon aus, dass das Merkmal des Verschuldens, das Vertretenmüssen bzw. die zu vertretende Unkenntnis vorliegt (= Vermutung), wenn Tatsachen gegeben sind, aus denen sich hier eine Pflichtverletzung, dort der Bruch des wirksamen Leistungsversprechens infolge eines anfänglichen Leistungshindernisses ergibt (= Vermutungsbasis). Repgen versteht die Vorschriften sogar als widerlegliche Tatsachenvermutungen.51 Eine Tatsache wird indessen nicht vermutet, sondern lediglich das Ergebnis einer rechtlichen Bewertung (das Vorliegen von Verschulden), wenn Anküpfungstatsachen (eine Pflichtverletzung) vorliegen. Im Unterschied etwa zum Wortlaut des § 476 BGB benennt § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB keine konkrete Tatsache wie das Vorliegen eines Mangels zum Zeitpunkt des Gefahrübergangs. Die Benennung konkreter Tatsachen als Vermutungsgegenstände in den §§ 280 Abs. 1 Satz 2, 311a Abs. 2 Satz 2 BGB ist allein wegen ihrer systematischen Stellung als Normen des allgemeinen Schuldrechts ausgeschlossen. Eine Vermutung bezogen auf abstrakte Tatsachen ist nicht denkbar, da Tatsachen definitionsgemäß bestimmt und konkret sind. Bei den §§ 280 Abs. 1 Satz 2, 311a Abs. 2 Satz 2 BGB müssen konkrete Tatsachen erst durch Parteivortrag zum Prozessstoff gemacht werden. Die Bezeichnung als gesetzliche Vermutungen, auf die § 292 ZPO Anwendung findet, ist daher ausreichend. Zu diesem Ergebnis kommt auch der weit überwiegende Teil der Literatur,52 wenngleich es häufig an einer expliziten Einordnung als widerlegliche gesetzliche Vermutungen fehlt und stattdessen von „Beweislastumkehr“ hinsichtlich des Merkmals des Verschuldens gesprochen wird. Die Wahl des Begriffs der „Beweislastumkehr“ ist unglücklich, impliziert er doch eine Abweichung von gesetzlichen Vorgaben. Es wird daher zu Recht darauf hingewiesen, dass von Beweislastumkehr nur gesprochen werden sollte, 51 Baumgärtel/Laumen/Prütting/Repgen § 280, Rn. 49 unter expliziter Einordnung der Norm als widerlegliche gesetzliche Tatsachenvermutung i. S. v. § 292 ZPO. 52 Baumgärtel/Laumen/Prütting/Repgen § 280, Rn. 49; Deutsch AcP 202 (2002), S. 889, 910; MüKo/Ernst BGB § 280, Rn. 32, 17; MüKo/Ernst 311a, Rn. 105; Erman/Westermann § 280, Rn. 2, 26; Erman/Kindl § 311a, Rn. 1; Bamberger/Roth/ Unberath § 280, Rn. 95; Prütting/Wegen/Weinreich/Schmidt-Kessel § 280, Rn. 21.

D. Gesetzliche Vermutungen

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wenn ein Gericht von normativen Vorgaben abweicht.53 Mit der Wahl des Begriffes der „Beweislastumkehr“ scheinen die betreffenden Autoren indessen keine Unterscheidung in der Sache zu beabsichtigen. Es ist davon auszugehen, dass in der Kommentarliteratur zu BGB-Normen regelmäßig kein ausreichender Platz zur Auseinandersetzung mit den feingliedrigen Abgrenzungen des Beweisrechts zur Verfügung steht. In den meisten BGB-Kommentaren findet sich häufig bei der jeweiligen Norm eine letzte Überschrift, die mit „Beweislast“ betitelt ist, und unter der in wenigen Worten nur rudimentäre Inhalte wiedergegeben werden. Im Ergebnis kann aber festgehalten werden, dass die hier bevorzugte Qualifikation der beiden Normen von der weitaus überwiegenden Zahl der Literaturstimmen geteilt wird. Dieses Verständnis spiegelt auch den Willen des Gesetzgebers wider. Auch er geht ersichtlich davon aus, dass es sich bei den §§ 280 Abs. 1 Satz 2, 311a Abs. 2 Satz 2 BGB um widerlegliche, gesetzliche Vermutungen handelt. In den Gesetzesmaterialien heißt es: „Ohne die Darlegung und ggf. den Nachweis des Tatbestandes der Pflichtverletzung kann sich der Gläubiger aber auf die Vermutung des Vertretenmüssens in Satz 2 nicht berufen“.54 Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass sich die vorstehenden Literaturnachweise und Fundstellen aus den Gesetzesmaterialien weit überwiegend auf die Norm des § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB beziehen. Eine Diskussion von speziellen Beweislastfragen zu § 311a BGB wurde in der Literatur bislang weiträumig umgangen. Die § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB zugrunde liegenden Erwägungsgründe beanspruchen aber im gleichen Maße Geltung für § 311a Abs. 2 Satz 2 BGB, da die Normen strukturähnlich formuliert sind und auch ein inhaltlicher Gleichlauf bezweckt wurde.55 Dementsprechend formulierte der Gesetzgeber zu § 311a Abs. 2 BGB: „Die Beweislast soll wie in § 280 Abs. 1 Satz 2 RE insoweit umgekehrt sein. Das entspricht dem allgemeinen Prinzip, wonach bei Schadensersatzansprüchen aus Schuldverhältnissen grundsätzlich vermutet wird, dass der Schuldner den Grund für die aus seinem Bereich stammende Störung zu vertreten hat“56.

53 Baumgärtel/Laumen/Prütting/Laumen, Handbuch der Beweislast – Grundlagen, S. 36 m. w. N. und der zutreffenden Feststellung, dass eine solche Abweichung wiederum nur innerhalb der Grenzen der richterrechtlichen Rechtsfortbildung zulässig ist. 54 BT-Drs. 14/6040, S. 136. 55 Canaris, in: FS Heldrich, S. 11, 17 f., 20; BT-Drs. 14/6040, S. 166; vgl. hierzu bereits Kap. 3 A. I. 56 BT-Drs. 14/6040, S. 166.

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Kap. 4: Einzelne Grundlagen des Beweisrechts

2. § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB als materielle Einwendungsnorm? a) Auffassungen in der Literatur Nach der Auffassung von Otto stellt § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht nur eine gesetzliche Vermutung, nach seiner Diktion eine Beweislastregel, sondern darüber hinaus auch eine materielle Einwendungsnorm dar.57 Nur bei solcher Betrachtung sei gewährleistet, dass das Verschulden nicht positiv festgestellt werden müsse; der Gläubiger also von dem Erfordernis einer Behauptung des Vertretenmüssens des Schuldners entbunden wird und somit bei Fehlen der entsprechenden Behauptung die Abweisung seiner Klage als unschlüssig verhindert wird. Diesen Gedanken greift auch Repgen auf.58 Er ist der Auffassung, dass die Theorie des materiellen Haftungsausschlusses größere begriffliche Präzision für sich beanspruchen könne, wenngleich Einigkeit darüber bestehe, dass das Vertretenmüssen des Schuldners nicht positiv festgestellt werden müsse.59 Dennoch schlägt er vor, ein nicht ausdrückliches Vorbringen des Klägers entsprechend (als positives Vorbringen?) auszulegen, um sodann in einem weiteren Schritt zumindest eine Hinweispflicht des Gerichts gemäß § 139 Abs. 1 ZPO zu fordern.60 b) Kein Vorliegen befürchteter Anwendungsprobleme Für eine Einteilung der §§ 280 Abs. 1 Satz 2, 311a Abs. 2 Satz 2 BGB61 als materielle Einwendungsnormen und komplexe Konstruktionen, wie die Fiktion nicht erfolgten Prozessvortrags als konkludent erfolgt, besteht indes keine Notwendigkeit. Auch hier zeigt sich der Nutzen klarer Kategoriebildung in Fragen des Beweisrechts. Wie bereits dargestellt,62 stellen widerlegliche gesetzliche Vermutungen einen Sonderfall von Beweislastnormen dar, da sie eine Vermutungsbasis voraussetzen. Selbstverständlich müssen diejenigen Tatsachen, die die Vermutungsbasis darstellen, behauptet und nötigenfalls unter Beweis gestellt werden. Für die vermutete Tatsache selbst besteht aber nach weit überwiegender Auffassung keine Behauptungslast.63 Die gesetzlich vorgesehene Vermutung muss auch dann eingreifen können, 57

Staudinger/Otto § 280, Rn. D 2 m. w. N. Baumgärtel/Laumen/Prütting/Repgen § 280, Rn. 49. 59 Baumgärtel/Laumen/Prütting/Repgen § 280, Rn. 49. 60 Baumgärtel/Laumen/Prütting/Repgen § 280, Rn. 49. 61 Für § 311a Abs. 2 Satz 2 BGB müsste nach Auffassung Ottos entsprechendes gelten. 62 Kap. 4 D. I. 63 Thomas/Putzo/Reichhold ZPO § 292, Rn. 3; Stein/Jonas/Leipold ZPO § 292, Rn. 14; MüKo/Prütting ZPO § 292, Rn. 21; Musielak/Huber ZPO § 292, Rn. 4. 58

D. Gesetzliche Vermutungen

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wenn die begünstigte Partei die vermutete Tatsache nicht kennt oder nicht kennen kann.64 Eine Partei in solchen Fällen dazu zu veranlassen, Behauptungen aufs Geratewohl zu erheben, um den Verlust ihrer Ansprüche zu vermeiden, würde dem gesetzgeberischen Motiv,65 den fehlenden Einblick des Gläubigers in die Schuldnersphäre zu berücksichtigen, das der Normierung der Vermutung gerade zugrunde lag, zuwider laufen. Im Ergebnis bleibt festzuhalten, dass die §§ 280 Abs. 1 Satz 2, 311a Abs. 2 Satz 2 BGB als gesetzliche Vermutungen anzusehen sind. Diese dogmatisch zutreffende Lösung hat den Vorteil, dass die von einzelnen Autoren bei anderer Lesart befürchteten Anwendungsprobleme nicht bestehen.

V. Der Anscheinsbeweis Von den widerleglichen Vermutungen streng zu trennen,66 ist die praktisch sehr bedeutsame Figur des Anscheinsbeweises. Ein prima facie Beweis ist dann möglich, „wenn im Einzelfall ein typischer Geschehensablauf vorliegt, der nach der Lebenserfahrung auf eine bestimmte Ursache hinweist und so sehr das Gepräge des Gewöhnlichen und Üblichen trägt, dass die besonderen individuellen Umstände in ihrer Bedeutung zurücktreten“.67 Umgekehrt kann aber auch von einer aufgrund bewiesenen Sachverhalts feststehenden Ursache, auf eine nach allgemeiner Lebenserfahrung typischerweise zu erwartende Folge geschlossen werden.68 Zu der Frage, wann ein typischer Geschehensablauf vorliegt, kann an dieser Stelle nur auf die ausufernde Kasuistik verwiesen werden.69 Der Anscheinsbeweis ermöglicht dem Richter die Berücksichtigung der allgemeinen Lebenserfahrung bei der Beweiswürdigung.70 Sind die Voraussetzungen des Anscheinsbeweises gegeben, kann dies die Bildung der vollen richterlichen Überzeugung im Sinne des § 286 ZPO bewirken.71 Im Gegensatz zu den widerleglichen Vermutungen, die abstrakt-generell festlegen, welche Partei den Nachteil aus der Nichterweislichkeit einer streitigen Tatsache zu tragen hat, wird beim 64

MüKo/Prütting ZPO § 292, Rn. 21. Kap. 5 A. II. 3. 66 BGH NJW 2001, 1140, 1141. 67 BGHZ 100, 214, 216. 68 BGH NJW 2001, 1140, 1141. 69 Vgl. etwa Musielak/Foerste ZPO § 286, Rn. 26 ff.; MüKo/Prütting ZPO § 286, Rn. 67 ff. 70 MüKo/Prütting ZPO § 286, Rn. 48; Stein/Jonas/Leipold ZPO § 286, Rn. 128. 71 Str. Zöller/Greger Vor § 284, Rn. 29; MüKo/Prütting ZPO § 286, Rn. 50 a. A. Musielak, Die Grundlagen der Beweislast im Zivilprozeß, S. 120 ff.; abweichend auch Musielak/Foerste ZPO § 286, Rn. 24. 65

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Kap. 4: Einzelne Grundlagen des Beweisrechts

Beweis des ersten Anscheins eine streitige Tatsache unter Zuhilfenahme der Lebenserfahrung festgestellt. Der Anscheinsbeweis enthält also keine Beweislastregelung, da seine Anwendung die Entstehung eines non liquet gerade verhindert. Die Beweislastentscheidung und die Entscheidung aufgrund eines Anscheinsbeweises schließen sich logisch aus.72 Die Differenzierung zwischen Anscheinsbeweis und widerleglichen Vermutungen ist insbesondere für die Beweisführung bzw. das erforderliche Beweismaß bedeutsam. Zur Erschütterung des Anscheinsbeweises reicht es aus, die ernsthafte Möglichkeit eines atypischen Geschehensverlaufs darzustellen (Tatsachen für eine Ausnahmesituation) und somit die richterliche Überzeugung zu erschüttern.73 Dem Anscheinsbeweis kann also schon mit einem Gegenbeweis entgegen getreten werden. Gegen die widerleglichen gesetzlichen Vermutungen ist der Beweis des Gegenteils, also die Führung eines Hauptbeweises erforderlich (§ 292 Satz 1 ZPO).74

E. Feststellungslast (objektive Beweislast) Sind alle Mittel zur Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen erschöpft, sind alle in zulässiger Weise angebotenen Beweise berücksichtigt und wurde auch überall, wo es erforderlich war Beweis erhoben, kann sich dennoch ein non liquet ergeben. Die Frage danach, welche Partei hinsichtlich eines Tatbestandsmerkmals die Feststellungs- oder objektive Beweislast trifft, ermöglicht es dem Richter in diesen Fällen gleichwohl – zum Nachteil der feststellungsbelasteten Partei – zu entscheiden.75 Der Richter ist eigentlicher Adressat der Beweislastnorm, deren Kernaussage in der Zuweisung der Feststellungslast für eine bestimmte entscheidungserhebliche Tatsache besteht und somit im Falle des non liquet den Entscheidungsinhalt vorgibt.76 Aus Sicht der Parteien ist die objektive Beweislast „das eine Partei treffende Risiko des Prozessverlustes wegen Nichterweislichkeit der ihren Sachantrag tragenden Tatsachenbehauptungen“.77 72 Str. Prütting, Gegenwartsprobleme der Beweislast, S. 97 ff. mit umfangreicher Auseinandersetzung zum Streitstand; MüKo/Prütting ZPO § 286, Rn. 51; Zöller/ Greger Vor § 284, Rn. 29; a. A. etwa Musielak/Foerste ZPO § 286, Rn. 24, der den Anscheinsbeweis als Beweismaßsenkung betrachtet; vgl. hiergegen wiederum MüKo/Prütting ZPO § 286, Rn. 52. 73 Zöller/Greger Vor § 284, Rn. 29; Stein/Jonas/Leipold ZPO § 286, Rn. 138. 74 Vgl. zu den Anforderungen an Haupt- und Gegenbeweis Kap. 4 J. 75 MüKo/Prütting ZPO § 286, Rn. 100 ff.; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 114, Rn. 3, S. 780; Wieczorek/Schütze/Ahrens ZPO, Bd. II/2, A Vor § 286, Rn. 13. 76 Vgl. hierzu bereits Kap. 4 B. I. 77 Zöller/Greger Vor § 284, Rn. 18.

F. Beweisführungslast (subjektive Beweislast)

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Die Feststellungslast bezeichnet aus Parteisicht somit den ihr aus der Anwendung einer Beweislastnorm reflexartig erwachsenden Nachteil, weil eine entscheidungserhebliche Tatsache, von der sie dass Gericht zu überzeugen hat, unbewiesen bleibt. Bei der betroffenen Partei schlägt sich dieser Nachteil in der Nichtanwendung eines für sie günstigen Rechtssatzes nieder, zu dessen tatbestandlichen Voraussetzungen eine Tatsache gehört, die aufgrund der Anwendung einer Beweislastnorm als nicht bestehend behandelt wird.78 Der Nachteil kann sich aber auch umgekehrt daraus ergeben, dass trotz ungeklärten Sachverhalts ein dem Gegner günstiger Rechtssatz angewandt wird, weil durch die Beweislastnorm eine bestimmte Tatsache als feststehend behandelt wird.79 Die Feststellungslast ist für alle Fälle des non liquet relevant, unabhängig von der jeweils verfahrensordnungsmäßig vorgeschriebenen Art der Sachverhaltsermittlung, also gleichermaßen für Verfahren, die der Untersuchungsoder Verhandlungsmaxime folgen.80

F. Beweisführungslast (subjektive Beweislast) I. Die Bedeutung der Beweisführungslast Die Beweisführungslast (auch subjektive oder formelle Beweislast) ist „die sich im eigenen Interesse ergebende Notwendigkeit zur Vermeidung prozessualer Nachteile den Beweis einer streitigen Tatsache zu führen“.81 Die Parteien werden deshalb in der Regel schon vor einem Prozess beginnen, Beweise zu sichern und im Prozess durch ihre Beweistätigkeit die für sie bedeutsamen Tatsachen aufzuklären.82 Die Beweisführungslast spiegelt somit die Interessenlage der Parteien aus der Vorwirkung der Feststellungslast wider. Daher folgt die Beweisführungslast auch immer der Feststellungslast.83 Beide Lasten sind stets ein und derselben Partei zugewiesen. Die Beweisführungslast kommt aber zu einem früheren Verfahrensstadium 78

Musielak, Die Grundlagen der Beweislast im Zivilprozeß, S. 33. Musielak, Die Grundlagen der Beweislast im Zivilprozeß, S. 33. 80 Stein/Jonas/Leipold ZPO § 286, Rn. 48; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 114, Rn. 3, S. 780. 81 Musielak, Die Grundlagen der Beweislast im Zivilprozeß, S. 37; MüKo/Prütting ZPO § 286, Rn. 98; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 114, Rn. 4, S. 780; Zöller/Greger Vor § 284, Rn. 18. 82 Musielak, Die Grundlagen der Beweislast im Zivilprozeß, S. 36. 83 Musielak/Foerste ZPO § 286, Rn. 33; Wieczorek/Schütze/Ahrens ZPO, Bd. II/2, A Vor § 286, Rn. 24; MüKo/Prütting ZPO § 286, Rn. 99; Rosenberg/ Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 114, Rn. 4, 780 f. 79

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Kap. 4: Einzelne Grundlagen des Beweisrechts

als die Feststellungslast zum Tragen und besagt, welche Partei während des Prozesses zur Beweistätigkeit zur Feststellung bestimmter Tatsachen gehalten ist. Die Tätigkeit des Beweisführungsbelasteten dient gerade der Vermeidung eines non liquet, während die Feststellungslast bestimmt, wie im Falle eines dennoch verbleibenden non liquet am Ende des Prozesses zu entscheiden ist. Es ist daher nicht zutreffend, wenn behauptet wird, dass die Beweisführungslast gegenüber der objektiven Beweislast abgemildert sei, da das Gericht Beweismittel auch von Amts wegen heranziehen, es gemäß § 139 ZPO zum Beweisantritt auffordern und den Gegner ausnahmsweise zur Aufklärung verpflichten könne.84 Am Ende des Prozesses, sollte es auf die Feststellungslast ankommen, steht das non liquet bereits unumstößlich fest. Die Frage, Beweismittel von Amts wegen heranzuziehen, zum Beweisantritt oder den Gegner zur Aufklärung aufzufordern, stellt sich zu diesem Zeitpunkt nicht mehr. Die Kategorie der Beweisführungslast existiert ausschließlich in Verfahrensarten, die der Verhandlungsmaxime unterstellt sind, also in weiten Teilen des Zivilprozesses und dem arbeitsgerichtlichen Urteilsverfahren.85 Die Begrifflichkeit der Beweisführungslast erweist sich insofern als treffend, da nur bei Geltung des Beibringungsgrundsatzes von einer echten „Last“ beweistätig zu werden gesprochen werden kann.

II. Notwendigkeit der Figur der konkreten Beweisführungslast? 1. Inhalt der konkreten Beweisführungslast Neben der soeben beschriebenen (abstrakten) Beweisführungslast, die abstrakt-generell festlegt, welche Partei zur Beweistätigkeit aufgerufen ist und die der Feststellungslast folgt, wird in Teilen der Literatur noch die Figur der konkreten Beweisführungslast anerkannt.86 Die konkrete Beweisführungslast bestimme sich nach der jeweiligen prozessualen Situation. Sie habe daher mit der durch Beweislastnormen bewirkten Verteilung der Beweislast nichts zu tun, sondern bestimme sich nach der Beweiswürdigung.87 Damit ist der Fall gemeint, dass im Laufe des Prozesses aufgrund der Be84

So aber Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 114, Rn. 4, 781. MüKo/Prütting ZPO § 286, Rn. 99; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 114, Rn. 4, 780; Musielak/Foerste ZPO § 286, Rn. 33; Stein/Jonas/Leipold ZPO § 286, Rn. 51. 86 Wieczorek/Schütze/Ahrens ZPO, Bd. II/2, A Vor § 286, Rn. 27; Rosenberg/ Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 114, Rn. 6, 781. 87 Prütting, Gegenwartsprobleme der Beweislast, S. 5 f. 85

G. Darlegungs- bzw. Behauptungslast

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weistätigkeit der (abstrakt) beweisführungsbelasteten Partei eine Tatsache zur vorläufigen Überzeugung des Gerichts feststeht und somit nunmehr die andere Partei aufgerufen ist, Beweise vorzubringen. Diese ist nach den Befürwortern dieser Kategorie nunmehr konkret beweisführungsbelastet. 2. Bestehen eines Bedürfnisses nach dieser Kategorie? Nach der hier vertretenen Auffassung ist diese Figur verzichtbar und birgt nicht nur geringe Irreführungsgefahr in sich. Selbstverständlich ist die nicht beweisführungsbelastete Partei in einer solchen Situation gehalten, Gegenbeweise zu erbringen, will sie den Prozessverlust vermeiden. Für die Gegenbeweisführung reicht indessen die Erschütterung der (vorläufigen) richterlichen Überzeugung aus. Der Beweis des Gegenteils ist nicht erforderlich.88 Die (abstrakt) beweisführungsbelastete Partei hat hingegen stets den sog. Haupt- oder Vollbeweis zu erbringen, also die volle richterliche Überzeugung herbeizuführen. Mag auch aufgrund der konkreten prozessualen Situation die andere Partei zur Beweistätigkeit aufgerufen sein, reicht für die erfolgreiche Führung des Gegenbeweises die Erschütterung der richterlichen Überzeugung aus. Welche Partei eine Tatsache zur vollen Überzeugung des Gerichts zu beweisen hat, steht aufgrund der Existenz und Wirkung der Beweislastnormen stets vor Prozessbeginn fest. Diese grundsätzliche Verteilung wechselt während des Prozesses nicht mehr. Dies räumen im Übrigen auch die Befürworter der beschriebenen Figur ein.89

G. Darlegungs- bzw. Behauptungslast Ob subjektive Behauptungslast und Beweisführungslast sowie objektive Behauptungslast und Feststellungslast kongruent90 sind oder eine Unterscheidung zwingend erforderlich ist,91 war längere Zeit umstritten. Mittlerweile entspricht es weitaus überwiegender Auffassung, dass die Beweislastnormen zugleich auch Behauptungslastnormen darstellen und somit einen Gleichlauf in der Verteilung von Feststellungs-, Beweisführungs- und Behauptungslast bewirken.92 Im prozessualen Ablauf gehen die Behauptungen 88

Vgl. zu Haupt- und Gegenbeweis im Einzelnen Kap. 4 J. Vgl. Prütting, Gegenwartsprobleme der Beweislast, S. 8, wenngleich mit anderer Begründung. 90 Rosenberg, Die Beweislast, S. 50 m. w. N. 91 So Musielak, Die Grundlagen der Beweislast im Zivilprozeß, S. 50 ff., 57. 92 MüKo/Prütting ZPO § 286, Rn. 135; Musielak/Foerste ZPO § 286, Rn. 33 a. E. wobei hier eine Vermengung mit der Substantiierungslast vorliegt: „[Die Darlegungslast] folgt grds. der Beweislast variiert aber stärker“; Zöller/Greger Vor § 284, 89

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Kap. 4: Einzelne Grundlagen des Beweisrechts

den Fragen nach Beweisführungs- und Feststellungslast regelmäßig zeitlich voran. Die Behauptungs- bzw. Darlegungslast behandelt die Frage, welche konkreten Tatsachenbehauptungen eine Partei aufstellen muss, „deren Subsumtion die Zuerkennung der begehrten Rechtsfolge rechtfertigen würde“.93 Bleiben schlüssige Behauptungen unbestritten, greift die Geständnisfiktion des § 138 Abs. 3 ZPO ein. Dies hat zur Folge, dass die Obliegenheit der behauptungsbelasteten Partei, schlüssig Tatsachen vorzutragen, als erfüllt gilt. Wegen der Geständnisfiktion ist die Partei nunmehr davon entbunden, Beweis anzutreten. Hinsichtlich der als zugestanden geltenden Tatsache entfällt daher zugleich ihre Beweisführungslast. Schließlich muss auch der Richter sich nicht mehr fragen, wen hinsichtlich der zugestandenen Tatsache die Feststellungslast trifft, da kein non liquet vorliegt. Die betreffende Tatsache kann festgestellt behandelt und der Entscheidung zugrunde gelegt werden; eine Beweislastentscheidung muss nicht mehr erfolgen.94 Berücksichtigungsfähig sind Behauptungen nur dann, wenn sie schlüssig vorgetragen werden.95 Tatsachenbehauptungen sind bereits dann als schlüssig anzusehen, wenn der Behauptungsbelastete „Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet und erforderlich sind, das geltend gemachte Recht, als in der Person des [Behauptungsbelasteten] entstanden erscheinen zu lassen“.96 Die Richtigkeit der Behauptungen ist vorbehaltlich entgegenstehender Behauptungen des Gegners zunächst zu unterstellen.97 Ob die richterliche Überzeugung im Sinne von § 286 ZPO vom Bestehen der behaupteten Tatsachen vorliegt, ist für die Schlüssigkeit von Behauptungen gänzlich ohne Belang. Die Schlüssigkeit ist ausschließlicher Beurteilungsmaßstab auf Behauptungsebene. Einer Beweiswürdigung werden Tatsachenbehauptungen auf dieser Ebene nicht unterzogen. Dass die Behauptungslast eine wichtige eigenständige Kategorie darstellt, wird insbesondere an den Regelungen über das Versäumnisurteil gegen den Beklagten deutlich. Für die Schlüssigkeit der Klage ist es ausreichend, aber auch erforderlich, dass der Kläger diejenigen anspruchsbegründenden Tatsachen vorbringt, die seinen Klageantrag rechtfertigen.98 Vorbringen bedeutet Rn. 18; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 114, Rn. 39, 789; Thomas/Putzo/Reichhold ZPO Vor. § 284, Rn. 23; Stein/Jonas/Leipold ZPO § 286, Rn. 50; Wieczorek/Schütze/Ahrens ZPO, Bd. II/2, A Vor § 286, Rn. 37, 51. 93 Prütting, Gegenwartsprobleme der Beweislast, S. 44; Wieczorek/Schütze/ Ahrens ZPO, Bd. II/2, A Vor § 286, Rn. 35. 94 Wieczorek/Schütze/Ahrens ZPO, Bd. II/2, A Vor § 286, Rn. 57. 95 Schilken, Zivilprozessrecht, Rn. 465. 96 BGH NJW 1984, 2888, 2889. 97 Zöller/Greger Vor § 253, Rn 23. 98 § 331 Abs. 2 ZPO.

H. Substantiierungslast und sekundäre Behauptungslast

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schlichtes Behaupten. Hinsichtlich der behaupteten anspruchsbegründenden Tatsachen tritt dann die Geständnisfiktion des § 331 Abs. 1 Satz 1 ZPO ein und das Versäumnisurteil muss vorbehaltlich des Vorliegens der Sachurteilsvoraussetzungen erlassen werden. Kommt der Kläger seiner Behauptungslast aber nicht oder nicht vollständig nach, darf ein Versäumnisurteil nicht ergehen, obwohl der Gegner säumig ist.99 Ein weiteres Beispiel für die eigenständige Bedeutung der Behauptungslast sind offenkundige Tatsachen im Sinne des § 291 ZPO. Diese müssen zwar behauptet, aber nicht bewiesen werden.100 Die Bedeutung von Behauptungs- bzw. Darlegungslast tritt aber hinter Feststellungs- und Beweisführungslast deutlich zurück, da es im Prozess einerseits an Behauptungen selten mangelt und zum anderen das Gericht gemäß § 139 Abs. 1 Satz 2 ZPO auf einen vollständigen Tatsachenvortrag hinzuwirken hat.101

H. Substantiierungslast und sekundäre Behauptungslast I. Substantiierungslast Behauptungs- und Substantiierungslast werden häufig synonym verwendet.102 Das ist auch zutreffend; handeln doch beide Begrifflichkeiten von der „Last“, schlüssig Tatsachen vorzutragen. Als „substantiiert“ wird eine Tatsachenbehauptung dann bezeichnet, wenn sie den streitigen Lebensvorgang unter näherer Angabe der konkreten (Begleit-)Umstände darstellt. Die substantiierte Tatsachenbehauptung ist also als Behauptung erhöhten Konkretisierungsgrades zu verstehen. Zu Beginn des Prozesses können in der Regel keine allzu hohen Anforderungen an die Substantiierung der Behauptungen gestellt werden. Eine konkrete Beschreibung des entsprechenden Lebensvorganges in allen Einzelheiten ist zunächst nicht gefordert. Allerdings können die Parteien aufgrund weiterer Substantiierung ihrer eigenen Behauptungen spiegelbildlich auch die inhaltlichen Anforderungen an das Gegnervorbringen erhöhen. Reagiert der Gegner auf einen substantiierten Vortrag mit einfachem Be99

MüKo/Prütting ZPO § 286, Rn. 134. RGZ 143, 175, 182, 183; BAG NJW 1977, 695; Baumbach/Lauterbach/ Albers/Hartmann ZPO § 291, Rn. 7; MüKo/Prütting ZPO § 291, Rn. 13; a. A. Wieczorek/Schütze/Assmann ZPO, Bd. II/2, § 291, Rn. 18. 101 Stein/Jonas/Leipold ZPO § 286, Rn. 50. 102 Prütting, Gegenwartsprobleme der Beweislast, S. 44. 100

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Kap. 4: Einzelne Grundlagen des Beweisrechts

streiten, tritt wiederum die Geständnisfiktion des § 138 Abs. 3 ZPO ein. Die Anforderungen an den Konkretisierungsgrad der wechselseitigen Behauptungen steigen daher während des Prozesses kontinuierlich an. Dieses Wechselspiel immer weiter substantiierten Vortrags ist von der ZPO so beabsichtigt und dient schließlich dazu, die tatsächlichen Geschehensabläufe immer deutlicher zu Tage treten zu lassen. Vor allem durch dieses Wechselspiel soll die materielle Wahrheit bzw. Richtigkeit der jeweiligen Tatsachenbehauptungen herausgefunden werden.

II. Sekundäre Behauptungslast Die sekundäre Behauptungslast stellt einen Sonderfall der Substantiierungslast dar. Es handelt sich um ein im Wege der richterlichen Rechtsfortbildung entwickeltes Rechtsinstitut, aufgrund dessen die anfänglich nicht behauptungsbelastete Partei gleichwohl zu substantiierten Behauptungen aufgerufen ist, ohne dass ein entsprechend substantiierter Gegnervortrag bestünde.103 Erfüllt die sekundär behauptungsbelastete Partei die an sie gestellten Substantiierungsanforderungen nicht, gelten die Behauptungen der an sich behauptungsbelasteten Partei trotz ihrer mangelnden Substantiierung als zugestanden (§ 138 Abs. 3 ZPO).104 Eine sekundäre Behauptungslast kommt immer dann in Betracht, wenn die an sich behauptungsbelastete Partei außerhalb des für ihren Anspruch erheblichen Geschehensablaufs steht, während die andere Partei alle wesentlichen Umstände kennt und ihr die Tätigung näherer Angaben zumutbar ist.105 Diese Rechtsprechung ist Ausfluss der jede Partei treffenden Pflicht zu einer redlichen, dem Grundsatz von Treu und Glauben entsprechenden Prozessführung.106 Große Bedeutung hat diese Figur beispielsweise im Arzthaftungsprozess erlangt.107 Auch im Zusammenhang mit der Beweisführung bei negativen Tatsachen kommt eine Modifizierung der Behauptungslast in diesem Sinne in Betracht.108

103 Wieczorek/Schütze/Ahrens ZPO, Bd. II/2, A Vor § 286, Rn. 45 ff.; MüKo/ Prütting ZPO § 286, Rn. 103. 104 Zöller/Greger Vor § 284, Rn. 34c. 105 BGHZ 140, 156, 158; 86, 23, 29; RGZ 166, 240, 242; BGH NJW 1961, 826, 828 in ständiger Rechtsprechung; der BGH spricht regelmäßig von „substantiiertem Bestreiten“. 106 Wieczorek/Schütze/Ahrens ZPO, Bd. II/2, A Vor § 286, Rn. 45. 107 BGH NJW 2004 2825, 2827; vgl. auch Wenzel/Rosenberger, Medizinrecht, Kap. 7, Rn. 311 ff. jeweils m. w. N. 108 BGH NJW-RR 1993, 746, 747; Zöller/Greger Vor § 284, Rn. 24, 34; vgl. hierzu im Einzelnen Kap. 6 C. I. 2. d).

I. Beweiswürdigung und Beweismaß

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I. Beweiswürdigung und Beweismaß Während sich die Beweiswürdigung ausschließlich mit der Frage beschäftigt, ob der Richter den Beweis für eine tatsächliche Behauptung als erbracht ansehen darf, besagt das erforderliche Beweismaß (gelegentlich finden sich auch die Bezeichnungen Beweisstärke, Beweisquantum oder Beweiskriterium), wann er von dieser Behauptung überzeugt sein darf.109 Das Beweismaß beschäftigt sich mit den graduellen Anforderungen an den Beweis bzw. seiner Stärke, die für die richterliche Überzeugungsbildung erforderlich ist, damit eine tatsächliche Behauptung „für wahr oder nicht wahr“ zu erachten (§ 286 Abs. 1 ZPO) ist. Aus der Regelung des § 286 ZPO wird weit überwiegend gefolgert, dass im Regelfall der sog. Vollbeweis erbracht sein muss,110 das ist die volle Überzeugung bzw. Gewissheit des Richters, um einer Entscheidung die behauptete Tatsache zugrunde legen zu dürfen. Die bloße Wahrscheinlichkeit, auch überwiegende Wahrscheinlichkeit einer Tatsachenbehauptung reicht nicht aus. Dies ergibt sich zum einen schon aus dem Wortlaut, denn § 286 ZPO spricht nicht von „für wahrscheinlich“, sondern von „für wahr erachten“. Zum anderen lässt sich dieses Ergebnis aus der Systematik ableiten. § 287 Abs. 1 Satz 1 ZPO fehlt der Bezug auf das „für Wahr erachten“ einer Behauptung. Diese, wie auch die Vorschrift des § 294 ZPO, bezweckt eine Herabsetzung des Beweismaßes. Wären die Anforderungen an die Beweisstärke bei § 286 ZPO einerseits sowie §§ 287, 294 ZPO andererseits identisch, würden die letzteren Vorschriften leer laufen, sie wären schlicht überflüssig. Auch das Beweismaß des § 286 ZPO, der Vollbeweis, hat sich aber an einem für das praktische Leben brauchbaren Maßstab der Gewissheit zu orientieren. Eine jeden Zweifel ausschließende, absolute Gewissheit des Richters zu fordern wäre zu weitgehend und hätte das Scheitern beinahe jedes Anspruchs zur Folge. Deshalb findet die vom Bundesgerichtshof111 in ständiger Rechtsprechung wiederholte Formel die beinahe ausnahmslose Zustimmung der Literatur:112 „Die nach § 286 ZPO erforderliche Überzeugung des Richters erfordert keine absolute oder unumstößliche Gewissheit und auch keine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit, sondern nur 109 Vgl. hierzu allgemein MüKo/Prütting ZPO § 286, Rn. 28 ff.; Musielak/ Foerste ZPO § 286, Rn. 17 ff. 110 Zöller/Greger § 286, Rn. 20; Stein/Jonas/Leipold ZPO § 286, Rn. 5; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 112, Rn. 13, S. 768 MüKo/Prütting ZPO § 286, Rn. 35; Musielak/Foerste ZPO § 286, Rn. 18. 111 BGH NJW 2003, 1116 f.; BGHZ 53, 245, 256 Stein/Jonas/Leipold ZPO § 286, Rn. 5. 112 Statt vieler Stein/Jonas/Leipold ZPO § 286, Rn. 5.

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Kap. 4: Einzelne Grundlagen des Beweisrechts

einen für das praktische Leben brauchbaren Grad an Gewissheit, der Zweifeln Schweigen gebietet“, ohne sie völlig auszuschließen.

J. Hauptbeweis und Gegenbeweis Das Führen des Hauptbeweises obliegt der subjektiv beweisbelasteten Partei.113 Da eine von ihr aufgestellte Behauptung so lange als unbewiesen behandelt werden muss, solange sie keinen Hauptbeweis anbietet, ist sie es, die im eigenen Interesse tätig werden muss, um einen Prozessverlust zu vermeiden.114 Durch den Hauptbeweis soll die volle richterliche Überzeugung hinsichtlich einer entscheidungserheblichen Tatsache erreicht werden.115 Aus diesem Grunde handelt es sich auch beim Beweis des Gegenteils, der immer dann erforderlich ist, wenn das Gesetz eine Vermutung für das Vorhandensein einer Tatsache aufstellt (vgl. § 292 ZPO), um einen Spezialfall des Hauptbeweises. Aufgrund des Gegenteilsbeweises soll das Gericht vom Gegenteil des vermuteten Merkmals vollständig überzeugt werden. Es reicht nicht aus, die Überzeugung des Gerichts lediglich zu erschüttern.116 Der Beweis des Gegenteils muss erst dann geführt werden, wenn der Prozessgegner den Hauptbeweis für die Voraussetzungen des Eingreifens der Vermutung erbracht hat.117 Der Hauptbeweis kann mit allen zulässigen Beweismitteln geführt werden.118 Da auch der Beweis des Gegenteils Hauptbeweis ist, gilt die Beschränkung des § 445 Abs. 2 ZPO nicht. Hierin unterscheidet sich der Hauptbeweis bzw. der Hauptbeweis in Form des Beweises des Gegenteils auch vom Gegenbeweis. Dieser ist von der nicht (subjektiv) beweisbelasteten Partei zu führen und stellt geringere Anforderungen hinsichtlich des Beweismaßes. Der Gegenbeweis dient der Erschütterung der richterlichen Überzeugung. Er ist also bereits dann geführt, wenn die behauptete und mittels Hauptbeweisangebots untermauerte Tatsache aufgrund der Gegenbeweisführung wieder zweifelhaft wird119 und somit den Anforderungen an den Vollbeweis nicht mehr genügt. Der Ge113

Musielak/Foerste ZPO § 284, Rn. 6; § 286, Rn. 33. Musielak/Foerste ZPO § 286, Rn. 33. 115 MüKo/Prütting ZPO § 284, Rn. 20; Stein/Jonas/Leipold ZPO § 284, Rn. 5; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 109, Rn. 12 ff., S. 744 f.; Musielak/Foerste ZPO § 284, Rn. 6. 116 Zöller/Greger § 292, Rn. 2; MüKo/Prütting ZPO § 284, Rn. 22, § 292, Rn. 23; Stein/Jonas/Leipold ZPO § 284, Rn. 6. 117 Zöller/Greger § 292, Rn. 2. 118 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 109, Rn. 13, S. 745. 119 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 109, Rn. 13. 114

J. Hauptbeweis und Gegenbeweis

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genbeweis darf schon vor dem Hauptbeweis geführt werden.120 Eine Gegenbeweiserhebung kommt aber erst nach dem Hauptbeweis in Betracht, da solange dieser nicht geführt ist, die behauptete Tatsache als unbewiesen behandelt werden muss.121 Der Gegenbeweis darf nicht mittels Parteivernehmung geführt werden (vgl. § 445 Abs. 2 ZPO).

120 121

MüKo/Prütting ZPO § 284, Rn. 21. Musielak/Foerste § 286, Rn. 33.

Kapitel 5

Die Beweislastanordnungen der §§ 280 Abs. 1 Satz 2 und 311a Abs. 2 Satz 2 BGB Bevor explizit auf die Anforderungen an die Beweistätigkeit von Gläubiger und Schuldner bei den Schadensersatzansprüchen wegen anfänglicher und nachträglicher Unmöglichkeit eingegangen werden kann, sind noch zwei weitere gedankliche Zwischenschritte veranlasst. Das ist zum einen die Feststellung des Inhalts der Beweislastregelungen in der lex lata (§§ 280 Abs. 1 und 311a Abs. 2 BGB) unter Bezugnahme auf die zuvor dargestellten Grundlagen des Beweisrechts. Zum anderen ist auf die zugrunde liegende gesetzgeberische Motivlage bei der Normsetzung einzugehen, da nur auf diese Weise die Teleologie der Beweislastverteilung nachvollzogen und ihr auch im Einzelfall Geltung verschafft werden kann.

A. Die Beweggründe für die gesetzgeberische Entscheidung I. Der Inhalt des legislativen Regel-Ausnahme-Verhältnisses In den Normen der §§ 280 Abs. 1, 311a Abs. 2 BGB gab der Gesetzgeber ein auf einer abstrakten Wahrscheinlichkeitsprognose basierendes legislatives Regel-Ausnahme-Verhältnis vor. Danach ist die Zuweisung der Haftungsverpflichtung an den Schuldner (= der Zurechnungsgesichtspunkt, das Vertretenmüssen)1 bei Vorliegen von Anknüpfungstatsachen, dem Vorliegen eines Haftungsgrundes (Pflichtverletzung bzw. Nichterfüllung des Leistungsversprechens), die Regel, die Exkulpation die Ausnahme.2

1 2

Vgl. insoweit die Eingangsdefinition Kap. 1 B. Vgl. Riehm, in: FS Canaris, Bd. I, S. 1079, 1084.

A. Die Beweggründe für die gesetzgeberische Entscheidung

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II. Die zugrunde liegende Motivlage der gesetzgeberischen Entscheidung 1. Die Formulierungen in den Gesetzesmaterialien Um die gesetzgeberische Motivlage für die gewählte Beweislastregelung ergründen zu können, ist es erforderlich, diejenigen Passagen der Gesetzesmaterialien zu analysieren, die sich mit dem Telos der Beweislastregelung befassen. Dabei fällt zunächst auf, dass die Materialien „merkwürdig wenig Auskunft über den Grund für die Regel des § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB“ geben, wie Repgen zu Recht konstatiert.3 Angesichts der enormen praktischen Bedeutung der Norm ist dies in der Tat überraschend. Darüber hinaus finden sich in den zugrunde liegenden Materialien keine stringenten Begründungen. Der Gesetzgeber gibt vielmehr zu erkennen, dass den Beweislastanordnungen in den §§ 280 Abs. 1 Satz 2, 311a Abs. 2 Satz 2 BGB ein ganzes Motivbündel zugrunde lag, dessen Einzelbestandteile mehr oder weniger zu überzeugen vermögen. Das deutlichste Beispiel lässt sich einer Äußerung der Bundesregierung entnehmen: „Die Vorschrift verallgemeinert die bereits im geltenden Recht vorhandenen Beweislastregeln der §§ 282 und 285 BGB, die mit der Unmöglichkeit und dem Verzug die beiden einzigen im allgemeinen Leistungsstörungsrecht des BGB geregelten Sonderfälle von Pflichtverletzungen betreffen. § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB-RE setzt eine Pflichtverletzung im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 der Vorschrift voraus. Diese Pflichtverletzung muss der Gläubiger beweisen. Gelingt der Beweis, so steht fest, dass der Schuldner seinen Pflichten aus dem Schuldverhältnis nicht so nachgekommen ist, wie es das Schuldverhältnis von ihm verlangt. Das rechtfertigt es, in diesem Fall von dem Schuldner zu verlangen, sich zu entlasten, wenn es um die Frage geht, ob er diese objektiv festgestellte Pflichtverletzung auch zu vertreten hat. Der Schuldner ist es, der den Anforderungen aus dem Schuldverhältnis nicht nachkommt. Er ist deshalb auch sehr viel eher in der Lage, die Ursachen für die Pflichtverletzung darzulegen. Es ist richtig, dass die Rechtsprechung unter Heranziehung des Gedankens aus § 282 BGB bei der Haftung aus positiver Vertragsverletzung eine Beweislastverteilung nach Gefahren- und Verantwortungsbereichen annimmt. Dies greift der Entwurf aber gerade auf: Verletzt der Schuldner objektiv eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis, so stammt die Störung bei der Abwicklung aus seinem Bereich; ihm ist deshalb sehr viel eher als dem Gläubiger zuzumuten, die Ursachen der Pflichtverletzung darzulegen“.4

Diese merkwürdig verwobenen Begründungselemente lassen sich wohl folgendermaßen auseinanderdividieren: 3 4

Baumgärtel/Laumen/Prütting/Repgen § 280, Rn. 44. BT-Drs. 14/6857, S. 49.

98

Kap. 5: Grundlage und Inhalt der Beweislastanordnungen

– Zum einen sah der Gesetzgeber die ihrem Wortlaut nach ausschließlich für Verzug und Unmöglichkeit geltenden Beweislastnormen der §§ 282, 285 BGB a. F. für alle Arten von Pflichtverletzungen als verallgemeinerungsfähig und verallgemeinerungswürdig an. – Zum zweiten sei es „der Schuldner, der den Anforderungen aus dem Schuldverhältnis nicht nachkommt.“ [Er sei] „deshalb [?] auch sehr viel eher in der Lage, die Ursachen für die Pflichtverletzung darzulegen“.5 Wenngleich ein derartiger Konnex mit dem Gedanken der Erfüllungsgarantie und der indiziellen Wirkung der Pflichtverletzung nicht besteht, sind mit dieser Passage sicherlich der Sphärengedanke und die Beweisschwierigkeiten des Gläubigers für sich in fremder Sphäre ereignende Störungen angesprochen. Dies wird auch deutlich, wenn im darauf folgenden Absatz der Regierungsbegründung von einer „Beweislastverteilung nach Gefahren- und Verantwortungsbereichen“6 gesprochen wird. Des Weiteren sei es dem Schuldner „sehr viel eher als dem Gläubiger zuzumuten, die Ursachen der Pflichtverletzung darzulegen“.7 Mit Zumutbarkeit ist wohl der Gesichtspunkt der größeren Beweisnähe des Schuldners gemeint. In diesem Zusammenhang ist allerdings in der Tat zuzugestehen, dass sich die Begründungselemente der Verallgemeinerungswürdigkeit der Vorschriften der §§ 282, 285 BGB a. F. und der Sphärengedanke nicht klar voneinander trennen lassen. – Zum dritten stehe bei Vorliegen einer Pflichtverletzung fest, dass der Schuldner hinter seinem vertraglich übernommenen Pflichtenprogramm zurückblieb. Dieses Faktum allein rechtfertige es, vom Schuldner zu verlangen sich zu entlasten.8 Damit ist sowohl der Gedanke der vertraglichen Erfüllungsgarantie als auch die indizielle Wirkung der Pflichtverletzung (bzw. der Bruch des wirksamen Leistungsversprechens) für das Vorliegen von Verschulden angesprochen. Die zitierte Stelle in der Regierungsbegründung verdeutlicht, dass den Gesetzgeber eine Vielzahl von Gründen zu den Beweislastanordnungen in §§ 280 Abs. 1 Satz 2, 311a Abs. 2 Satz 2 BGB bewogen haben. Eine Bestandsaufnahme der Leiterwägungen ist aber nur geeignet, den gesetzgeberischen Willen zu illustrieren. Über die dogmatische Stichhaltigkeit der einzelnen Erwägungsgründe besagt sie indes nichts. Auf diese Frage soll daher, bezogen auf die einzelnen Begründungselemente, im Folgenden nochmals eingegangen werden. 5 6 7 8

BT-Drs. BT-Drs. BT-Drs. BT-Drs.

14/6857, 14/6857, 14/6857, 14/6857,

S. S. S. S.

49. 49. 49. 49.

A. Die Beweggründe für die gesetzgeberische Entscheidung

99

2. Verallgemeinerung des in den §§ 282, 285 BGB a. F. enthaltenen Rechtsgedankens? Die Frage nach der Verallgemeinerungsfähigkeit des in den §§ 282, 285 BGB a. F. enthaltenen Rechtsgedankens wurde nicht erst durch die Schuldrechtsreform aufgeworfen, sondern beschäftigte Literatur und Rechtsprechung schon seit geraumer Zeit.9 Vor allem die herrschende Lehre vertrat die Auffassung, dass die §§ 282, 285 BGB a. F. über ihren eigentlichen Anwendungsbereich hinaus einen allgemeinen Grundsatz der Beweislast enthielten,10 der insbesondere auch auf die positive Vertragsverletzung passe. Auch der Abschlussbericht der ersten Kommission zur Überarbeitung des Schuldrechts enthielt eine dem heutigen § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB entsprechende Vorschrift (§ 280 Abs. 1 Satz 2 BGB-KE), zu der bemerkt wurde: „Die Verteilung der Behauptungs- und Beweislast entspricht den §§ 282, 285 BGB [a. F.]“.11 Auf diese Tradition nahm auch der Gesetzgeber Bezug. Laut Gesetzesbegründung „verallgemeinert [§ 280 Abs. 1 Satz 2 BGB] die bereits im geltenden Recht vorhandenen Beweislastregeln der §§ 282 und 285 BGB [a. F.]“.12 Hieraus wird teilweise der Schluss gezogen, dass zwar der Wortlaut der Norm auf eine Änderung der Rechtslage hindeute, die Begründungen aber die Fortsetzung der bestehenden Rechtspraxis nahe legten.13 Von der Perpetuierung des früher bestehenden Rechtszustandes kann indessen keine Rede sein. Zu tiefgreifend wirkt sich die nunmehr für die weit überwiegende Zahl von Schadensersatzansprüche aus bestehenden Schuldverhältnissen geltende Beweislastanordnung des § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB aus. § 282 BGB a. F. galt in unmittelbarer Anwendung nur für Schadensersatzansprüche infolge nachträglicher Unmöglichkeit und bei einem Vorgehen über § 325 BGB a. F.14 Gleichwohl war die praktische Bedeutung der Vorschrift immens, da sie von Rechtsprechung und Lehre auf eine Vielzahl anderer Fallkomplexe und Einzelfälle erstreckt wurde. Ob diese Ausdehnung etwa bei der positiven Vertragsverletzung in analoger oder unmittelbarer Anwendung der Norm oder ausschließlich auf Grundlage der Gefahrkreistheorie erfolgte,15 hielt 9

Grundlegend bereits Raape AcP 147 (1941), S. 217 ff. MüKo/Emmerich BGB 4. Aufl., § 282 a. F., Rn. 2, Soergel/Wiedemann, 12. Aufl., § 282 a. F., Rn. 4; Staudinger/Löwisch, 13. Aufl., § 282 a. F., Rn. 17; Musielak AcP 176 (1976), 464, 480 ff. jeweils m. w. N. 11 Bundesminister der Justiz, Abschlussbericht der Kommission zur Überarbeitung des Schuldrechts, S. 130. 12 BT-Drs. 14/6857, S. 49. 13 Baumgärtel/Laumen/Prütting/Repgen § 280, Rn. 17, ebenso Keilmann, Dem Gefälligen zur Last, S. 214. 14 Soergel/Wiedemann, 12. Aufl., § 282 a. F., Rn. 4. 15 Vgl. im Einzelnen Kap. 5 A. II. 3. b). 10

100

Kap. 5: Grundlage und Inhalt der Beweislastanordnungen

sich die Rechtsprechung ausdrücklich offen, um sich nicht der Flexibilität in der Anwendung zu berauben.16 a) Schwankende Anforderungen an den Entlastungsbeweis in der Rechtsprechung zu §§ 282, 285 BGB a. F. Analysiert man die ältere Rechtsprechung zu §§ 282, 285 BGB a. F., ergibt sich ein äußerst inhomogenes Bild. Die Anforderungen, die die Rechtsprechung an den Entlastungsbeweis des Schuldners im Einzelfall gestellt haben, schwankten beträchtlich.17 Sie hingen stark vom jeweiligen Vertragstyp und von einzelfallabhängigen Überlegungen ab, in wessen Gefahrbereich18 die Ursache der Störung mit Wahrscheinlichkeit fiel. So wurde es seitens der Rechtsprechung teilweise für ausreichend erachtet, Vorbringen zu Umständen, die für ein Verschulden sprachen, zu erschüttern, also Gegenbeweis zu erbringen.19 Teilweise sollte sich der Schuldner vollumfänglich durch Beweis des Gegenteils entlasten.20 Diese Möglichkeit, graduell unterschiedliche Beweisanforderungen zu fordern, war aufgrund der Unsicherheiten um die Anwendung der Vorschrift möglich und von der Rechtsprechung, die sich ja nicht festlegen wollte, ob sie § 282 BGB a. F. direkt oder analog anwendete oder Beweislastregelungen sogar nur auf den Sphärengedanken stützte, erwünscht. Sogar in Unmöglichkeitsfällen, also im unmittelbaren Anwendungsbereich der Vorschrift des § 282 BGB a. F., wurden unterschiedlich strenge Anforderungen an das Entlastungsvorbringen gestellt. Diese Unterschiede schlugen sich teils ebenfalls in dem geforderten Beweismaß nieder,21 teils verlangte die Rechtsprechung vom Schuldner sehr weitgehend die Ursache der Unmöglichkeit aufzuklären22 oder stellte für den Fall der Unaufklärbarkeit des Leistungshindernisses strenge Anforderungen an den Nachweis, sämtliche Sorgfaltsanforderungen beachtet zu haben.23 Eine klare Linie ließ sich der bestehenden Rechtspraxis zu §§ 282, 16 Baumgärtel/Laumen/Prütting/Repgen § 280, Rn. 20; Soergel/Wiedemann, 12. Aufl., Vor § 275 a. F., Rn. 527 ff. 17 Prölss, Beweiserleichterungen im Schadensersatzprozess, S. 66 ff.; Soergel/ Wiedemann, 12. Aufl., § 282 a. F., Rn. 15; MüKo/Emmerich BGB, 4. Aufl., § 282 a. F., Rn. 18 ff.; Baumgärtel/Laumen/Prütting/Repgen § 280, Rn. 28. 18 Vgl. hierzu sogleich Kap. 5 A. II. 3. 19 BGH NJW 1953, 59 f. 20 BGHZ 23, 288, 290 f. – pVV eines Werkvertrags –; BGHZ 8, 239, 240 ff. – Personenbeförderungsvertrag –, die Erschütterung eines Anscheinsbeweises wurde hier nicht als ausreichend angesehen. 21 BGH NJW 1953, 59 f. – Rückgabeverpflichtung aus Mietverhältnis –, hier sollte die Führung des Gegenbeweises ausreichen. 22 BGH NJW 1952, 1170 f. – Abhandenkommen verwahrten Schmucks –. 23 BGH NJW 1965, 1583, 1585 – Abhandenkommen eines Lottoscheins –.

A. Die Beweggründe für die gesetzgeberische Entscheidung

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285 BGB a. F. nicht entnehmen. Das zeigt sich schon an diesen wenigen Beispielen aus der Rechtsprechung.24 b) Überholung der bisherigen Rechtspraxis durch § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB Dass die sehr einzelfallabhängigen Beweisanforderungen der früheren Rechtspraxis mit der Schaffung einer in ihrer Wirkweise starren Beweislastnorm, wie sie nunmehr in § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB besteht, nicht in Einklang zu bringen ist, hat der Gesetzgeber sowohl in der ersten, als auch der zweiten Schuldrechtskommission übersehen. Der Wille zur Schaffung einer Regel ohne Ausnahme, es sei denn eine solche wurde unter Anwendung der anerkannten Methoden richterlicher Rechtsfortbildung begründet, verträgt sich in der Tat nicht, wie Repgen zu Recht feststellt, mit der Vorstellung, die bisherige uneinheitliche Rechtspraxis aufrecht erhalten zu können.25 Eine Verallgemeinerung der „bereits im geltenden Recht vorhandenen Beweislastregeln der §§ 282 und 285 BGB [a. F.]“26 ist insoweit gegeben, als sich die Zuweisung der Beweislast für den Zurechnungsgesichtspunkt nunmehr über die Fälle der Unmöglichkeit (§ 282 BGB a. F.) und des Verzuges (§ 285 BGB a. F.) hinaus auf sämtliche Arten von Leistungsstörungen erstreckt. Die Vorstellung, gleichzeitig die uneinheitliche Rechtspraxis beibehalten zu können, wird sich nicht aufrechterhalten lassen. Die vielfältigen und stark einzelfallabhängigen Beweislastbestimmungen waren nur infolge der Unsicherheiten in der Anwendung der Vorgängernormen möglich. Die Rechtsprechung hatte sich aus guten Gründen vorbehalten, ob sie die Beweislastanordnungen im Einzelfall aufgrund der analogen bzw. unmittelbaren Anwendung der §§ 282 und 285 BGB oder nur aufgrund des in ihnen zum Ausdruck kommenden Sphärengedankens vornimmt. Dieser großzügige Spielraum wurde der Rechtsprechung durch die Schaffung der §§ 280 Abs. 1 Satz 2, 311a Abs. 2 Satz 2 BGB zunächst einmal entzogen. Abweichungen hiervon werden nunmehr nur noch innerhalb der Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung zulässig sein. Im Ergebnis hat die Rechtsprechung damit ein erhebliches Maß an Flexibilität zu Gunsten eines erheblich gestärkten Maßes an Rechtssicherheit verloren. 24 Umfangreiche Betrachtungen mit einer Vielzahl von Beispielen aus der Rechtsprechung finden sich jeweils bei Prölss, Beweiserleichterungen im Schadensersatzprozess, S. 65 ff.; Staudinger/Löwisch, 13. Aufl., § 282 a. F., Rn. 24 ff.; Baumgärtel/Laumen/Prütting/Repgen § 280, Rn. 18 ff. und Musielak AcP 176 (1976), 464, 468 ff. 25 Baumgärtel/Laumen/Prütting/Repgen § 280, Rn. 9; Staudinger/Löwisch, 13. Aufl., § 282 a. F., Rn. 8. 26 BT-Drs. 14/6857, S. 49.

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Kap. 5: Grundlage und Inhalt der Beweislastanordnungen

Als Motiv für die Normierung der §§ 280 Abs. 1 Satz 2, 311a Abs. 2 Satz 2 BGB lässt sich dem Wunsch nach Verallgemeinerung der in den §§ 282, 285 BGB a. F. enthaltenen Beweislastanordnungen somit kaum etwas entnehmen, außer der Feststellung, dass sie inhaltlich nunmehr allgemein Geltung beanspruchen. Die Frage nach der Verallgemeinerungswürdigkeit einer Beweislastverteilung der vorliegenden Art bemisst sich hingegen anhand des Sphärengedankens. Dieser lag nach verbreiteter Auffassung als allgemeines Prinzip schon den Regelungen der §§ 282, 285 BGB a. F. zugrunde.27 3. Sphärengedanke, Beweisnähe, Gefahrenund Verantwortungsbereiche a) Der gemeinsame Ausgangspunkt von Gesetzgeber, Literatur und Rechtsprechung Ein weiteres, von den Fragen um die Verallgemeinerbarkeit der Regelungen der §§ 282, 285 BGB a. F. kaum zu trennendes Motiv des Gesetzgebers für die in den §§ 280 Abs. 1 Satz 2, 311a Abs. 2 Satz 2 BGB vorgegebene Beweislastverteilung wird durch den in den Gesetzesmaterialien zum Ausdruck kommenden Rückbezug auf die Gefahrkreistheorie offenbar. Auffallend ist dabei zunächst, dass in den Materialien abwechselnd von „Beweislastverteilung nach Gefahren- und Verantwortungsbereichen“,28 „der Sphärentheorie“29 und davon die Rede ist, dass dem Schuldner „viel eher als dem Gläubiger zuzumuten [sei], die Ursachen der Pflichtverletzung darzulegen“,30 da bei objektivem Vorliegen einer Pflichtverletzung die Störung der Abwicklung aus seinem Bereich stamme.31 Diese unterschiedlichen Begrifflichkeiten verwendet der Gesetzgeber durchgehend im gleichen Kontext. Es geht ihm stets um denselben Gedanken: Die Modalitäten der Leistungserbringung sind in aller Regel dem Schuldner überlassen. Er hat seinen Bereich zu organisieren und zu gewährleisten, dass seine Vertragspflichten in Person oder durch Gehilfen erfüllt werden. Der Gläubiger hingegen ist zumeist „weder tatsächlich noch recht27 Musielak AcP 176 (1976), 464, 482; MüKo/Emmerich BGB, 4. Aufl., § 282 a. F., Rn. 2 f.; Beweiserleichterungen im Schadensersatzprozess, S. 73; Baumgärtel/ Laumen/Prütting/Repgen § 280, Rn. 43; Staudinger/Löwisch, 13. Aufl., § 282 a. F., Rn. 17. 28 BT-Drs. 14/6857, S. 49. 29 BT-Drs. 14/6070, S. 136. 30 BT-Drs. 14/6857, S. 49. 31 BT-Drs. 14/6857, S. 49.

A. Die Beweggründe für die gesetzgeberische Entscheidung

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lich in der Lage, in die Lebensverhältnisse des Schuldners derart einzudringen, dass er von sich aus nachzuweisen vermöchte, es treffe den Schuldner ein Verschulden“.32 Zwischen den Figuren Gefahr-, Verantwortungsbereich und Sphäre einerseits sowie Beweisnähe andererseits besteht ein untrennbarer Zusammenhang von Ursache und Wirkung. Sie bilden gleichsam zwei Seiten derselben Medaille. Die Beweisferne des Gläubigers bzw. Beweisnähe des Schuldners hat ihren Grund darin, dass sich die für den Verschuldensvorwurf maßgeblichen tatsächlichen Umstände regelmäßig innerhalb des Gefahr- bzw. Verantwortungsbereichs oder der Sphäre des Schuldners abspielen. Einzig der Begriff der „Sphärentheorie“ passt in diesem Zusammenhang nicht. Dieser Terminus ist in einem anderen Sinne belegt und deswegen dazu geeignet, Missverständnisse auszulösen. Auf Grundlage der sehr umstrittenen „Sphärentheorie“ sollte nach altem Recht der Gläubigerverzug von der Unmöglichkeit abgegrenzt werden. Darüber hinaus hatte sie auch bei der vom Gläubiger zu vertretenden Unmöglichkeit gem. § 324 BGB a. F. Bedeutung.33 Die übrigen Begrifflichkeiten können indessen synonym verwandt werden. Nach der hier vertretenen Auffassung ist die „Sphäre“ als deskriptiver, der „Gefahrbereich“ als normativer Begriff zu verstehen. Die Rechtsprechung spricht überwiegend von dem „Gefahrkreis“ oder dem „Gefahrbereich“. Ein sachlicher Unterschied zu den in den zuvor genannten Literaturstellen verwandten Begriffen besteht indessen nicht.34 In der umfangreichen Rechtsprechung zur Gefahrkreistheorie finden sich ähnliche Beschreibungen der Situation des Schadensersatzberechtigten wie in den angeführten Literaturnachweisen. Ihm „sei es im Schadensfalle nicht zuzumuten, einen Beweis über Dinge zu führen, die seinem Gefahrenbereich und in der Regel auch seiner Sachkenntnis entzogen sind“.35 Über die 32 Schenck von, Der Begriff der Sphäre in der Rechtswissenschaft, S. 204; mit ähnlichen Formulierungen Larenz, Schuldrecht I, § 24, S. 374 („Beweisnotstand des Gläubigers“, der Schuldner befinde sich an der Schadensursache „näher daran“); ebenso Prölss, Beweiserleichterungen im Schadensersatzprozess, S. 75 („Beweisnotstand des Geschädigten“, der Schädiger ist „viel eher in der Lage den Sacherhalt aufzuklären, da sich der Schadenshergang in dem von ihm beherrschten Bereich abgespielt hat“); Musielak AcP 176 (1976), S. 465, 466; mit umfangreicher Analyse der Rechtsprechung und Literatur zur Gefahrkreistheorie Baumgärtel/Laumen/Prütting/Repgen § 280, Rn. 18 ff. 33 Für den Bereich des BGB grundsätzlich ablehnend BGHZ 135, 116, 118 f.; vgl. zum Streitstand MüKo/Emmerich BGB, 4. Aufl., Vor § 275 a. F., Rn. 33 f., § 324, Rn. 11 ff. jeweils a. F.; Henssler, Risiko als Vertragsgegenstand, S. 60 ff.; Köhler, Unmöglichkeit und Geschäftsgrundlage bei Zweckstörungen im Schuldverhältnis, S. 71 f. 34 Prütting, Gegenwartsprobleme der Beweislast, S. 213. 35 BGH NJW 1964, 33, 35; ähnlich BGHZ 100, 185 189 „nur [der Schuldner] besitzt in der Regel die rechtliche und tatsächliche Möglichkeit, die Umstände aufzuklären, auf denen Reisemängel und deren Folgen beruhen. Dem Reisenden ist es

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Kap. 5: Grundlage und Inhalt der Beweislastanordnungen

Grundproblematik, die Schwierigkeit der Beweisführung über tatsächliche Vorgänge, die dem Einblick einer Partei entzogen sind, besteht demnach in Rechtsprechung und Literatur völlige Einigkeit. b) Die unterschiedlichen Auffassungen über die Tragweite des Sphärengedankens Die Geister scheiden sich erst an der Frage, wie diese Problemlage methodisch zu bewältigen sei. Die Streitigkeiten sind vor allem einem natürlichen Interessenkonflikt geschuldet. Die Lehre strebt nach dogmatischer Klarheit und Widerspruchfreiheit des Systems. Für die Rechtsprechung hat dieses Anliegen in vorliegendem Zusammenhang nur so lange Priorität, als die Dogmatik den Spielraum für Entscheidungen, die der Schaffung von Einzelfallgerechtigkeit dienen, nicht zu stark begrenzt. Das zeigt sich wiederum an dem Umstand, dass sich die Rechtsprechung nie abschließend dazu geäußert hat, ob sie bei der positiven Vertragsverletzung dem Schuldner die Beweislast aufgrund einer analogen Anwendung der §§ 282, 285 BGB a. F. oder unmittelbar auf Grundlage des Sphärengedankens zuwies. Sie bekennt vielmehr bemerkenswert offen, dass Beweislastfragen bei der positiven Vertragsverletzung „im wesentlichen nach der Interessenlage beantwortet worden“36 sind. Genau an diesem Gesichtspunkt setzt auch die Kritik an der Gefahrkreistheorie an. Es wird zu Recht eingewandt, dass sich die verschiedenen Gefahrbereiche oder Sphären mitunter nur schwer trennen lassen.37 Um bei dem der Mathematik entlehnten Bild zu bleiben: Sphären können sich überschneiden oder ineinander übergehen.38 Dies macht eine klare Zuweisung eines leistungshindernden Umstandes zur Gläubiger- bzw. Schuldnersphäre in einer Vielzahl von Einzelfällen schwierig. Deswegen sei der Gefahrbereich, konstatiert Prütting, „nur ein Kürzel oder Sammelbegriff für die vorgenommene gesamtvertragliche Interessenbewertung“.39 Erfolgt die Bedurchweg weder möglich noch zumutbar den Nachweis zu erbringen, dass ein aufgetretener Reisemangel vom Reiseveranstalter oder von den Leistungsträgern und deren Erfüllungsgehilfen zu vertreten ist“ – Nilkreuzfahrt; BGHZ 48, 310, 313 „[die Vorgänge] zum Schuldvorwurf zu beweisen, ist dem Besteller in der Regel erschwert und nicht zuzumuten; demgegenüber hat der Unternehmer die bessere und vollständigere Übersicht. Er ist auch näher daran, den Sachverhalt aufzuklären und die Folgen der Beweislosigkeit zu tragen, weil er es war, der den Schaden objektiv verursacht hat“ – Architektenvertrag –. 36 BGHZ 48, 310, 312. 37 Stoll, in: FS von Hippel, S. 517, 521. Prütting, Gegenwartsprobleme der Beweislast, S. 218, 229; Baumgärtel/Laumen/Prütting/Repgen § 280, Rn. 39. 38 Musielak AcP 176 (1976), S. 465, 473 f., 475 f. 39 Prütting, Gegenwartsprobleme der Beweislast, S. 219 m. w. N.

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weislastverteilung für den Zurechnungsgesichtspunkt aber auf einer solch unsicheren Grundlage einzelfallabhängig, hat dies unmittelbare Beeinträchtigungen der Belange der Rechtssicherheit und Gleichheit der Rechtsanwendung zur Folge. c) Die dogmatische Einordnung der Gefahrkreistheorie in das System des Beweisrechts Wie aber lässt sich die Gefahrkreistheorie, die auch von ihren Kritikern fast einhellig als „eingängig und überzeugend“40 empfunden wird, in das System des Beweisrechts einordnen? Grundsätzlich denkbar ist es, unmittelbar gestützt auf diese Theorie, Beweislasten im Einzelfall zuzuweisen. Andererseits könnte man ihr deutlich geringere Bedeutung beimessen und sie lediglich als Begründungsmodell für die Normierung spezieller Beweislastregeln heranziehen. Der ersten Auffassung scheint der Bundesgerichtshof, der eine eindeutige Stellungnahme bislang vermieden hat,41 zuzuneigen. Mag die Rechtsprechung auch erheblichen Schwankungen unterliegen, lässt sich dennoch die Tendenz feststellen, dass die Gefahrkreistheorie in neueren Urteilen ohne jegliche Begründung als gegeben vorausgesetzt wird und mit dem lapidaren Hinweis, ein tatsächliches Geschehen habe sich im Gefahrkreis einer Partei abgespielt, weshalb sich diese zu entlasten habe, die Beweislast zugewiesen wird.42 Diesen Standpunkt hat vor allem auch Prölss – freilich mit umfangreicher Begründung – vertreten.43 Da er einräumt, dass ein allgemeines Rechtsprinzip nicht den Rang einer Rechtsquelle besitzt,44 war dieser Begründungsansatz verschlossen. Seine Untersuchung kommt schließlich zu dem Ergebnis, dass „die Beweislastverteilung nach Gefahrbereichen als überpositives Gerechtigkeitsgebot“ anzuerkennen sei.45 Ähnlich der Grundregel der Beweislastverteilung, stellt nach dieser Auffassung die Gefahrkreistheorie eine eigene Grundregel dar, die weit über das Leistungsstörungsrecht hinaus Anwendung finden sollte. Dem ist grundlegend Prütting, ebenfalls mit umfangreicher Begründung, entgegengetreten.46 Er befürchtet zu Recht tief greifende Methodenprobleme. Selbst wenn man in der Beweislastverteilung nach Gefahrbereichen einen 40

Musielak AcP 176 (1976), S. 465, 466. Kap. 5 A. II. 3. b). 42 BGH NJW-RR 2005, 381, 382; BGH NJW 2000, 2812 f.; BAG NJW 1974, 2255, 2256; OLG München NJW 1974, 1143. 43 Vgl. Prölss, Beweiserleichterungen im Schadensersatzprozess, S. 74 ff. 44 Prölss, Beweiserleichterungen im Schadensersatzprozess, S. 73. 45 Prölss, Beweiserleichterungen im Schadensersatzprozess, S. 74. 46 Prütting, Gegenwartsprobleme der Beweislast, S. 224 ff. 41

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Kap. 5: Grundlage und Inhalt der Beweislastanordnungen

im gesamten Recht gültigen Grundsatz sähe, wie wäre dann mit kollidierenden speziellen Beweislastnormen umzugehen? Des Weiteren ist der Hinweis berechtigt, dass die Gefahrbereichstheorie kaum selbst ein allgemeines Prinzip des Haftungsrechts darstellen kann. Ihre Anwendung setzt stets einen Schaden, zwei abgrenzbare Sphären und den Nachweis voraus, dass die Ursache des Schadens in der Schuldnersphäre liegt.47 d) Der Sphärengedanke als Beweislastprinzip Insgesamt überschätzt man daher den Erklärungswert des Sphärengedankens, wenn man ihm im Sinne von Prölss den Status eines überpositiven Gerechtigkeitsgebots einräumen will, das im gesamten Leistungsstörungsrecht Beachtung finden müsste. Er ist aber gleichwohl ein sehr anschauliches und einleuchtendes Beweislastprinzip.48 Wie die übrigen Beweislastprinzipien ist aber auch der Sphärengedanke nicht geeignet, um aus sich heraus Wirkungen auf die Zuweisung der Beweislastverteilung im Einzelfall zu erzeugen. Diese Funktion bleibt den Beweislastnormen vorbehalten. Nur sie sind in der Lage, unmittelbar die Verteilung der Beweislast zu bestimmen. Der Sphärengedanke stellt aber ein taugliches Begründungsmodell dar, um alleine oder in Verbindung mit anderen Beweislastprinzipien daraufhin eine Beweislastnorm zu setzen. Dies zeigt sich deutlich in den Normen der §§ 280 Abs. 1 Satz 2, 311a Abs. 2 Satz 2 BGB. Hier erweist sich der Sphärengedanke als überaus tauglich, um das in diesen Normen vorgegebene, auf einer abstrakten Wahrscheinlichkeitsprognose basierende Regel-Ausnahme-Verhältnis49 von Haftung und Exkulpation zu erklären. Die Einschätzung des Gesetzgebers, dass die tatsächlichen Verhältnisse (die Ursache der Störung liegt regelmäßig in der Schuldnersphäre und ist deshalb dem Einblick des Gläubigers entzogen) in der Mehrzahl der Fälle so geartet sind, wie es die Gefahrkreistheorie beschreibt, dürfte kaum in Zweifel zu ziehen sein. Ein Beleg dieser Annahme durch empirische Studien liegt nicht vor und ist auch nicht erforderlich. Da sie erkennbar nicht auf sachfremden Erwägungen beruht, ist die Annahme jedenfalls von der Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers gedeckt. Eine leichte Einschränkung ergibt sich für § 311a Abs. 2 Satz 2 BGB. Die dort geregelte Beweislastverteilung vermag der Sphärengedanke wegen des abweichenden Bezugspunktes des Vertretenmüssens zumindest nicht vollständig zu erklären. Bei der Haftung infolge nachträglicher Unmöglich47 48 49

Prütting, Gegenwartsprobleme der Beweislast, S. 227. Verweis Kap. 4 B. III. 2. Kap. 5 A. I.

A. Die Beweggründe für die gesetzgeberische Entscheidung

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keit muss der Schuldner diejenigen Umstände zu vertreten haben, die die Leistung verhinderten. Die Gründe des Scheiterns in seiner Sphäre zu suchen, liegt daher nahe. Im Unterschied dazu reicht es für eine Zurechnung der Haftung gem. § 311a Abs. 2 BGB ja schon aus, wenn Leistungshinderungsgründe vorliegen, die der Schuldner zwar nicht selbst zu vertreten hat, von denen er aber wusste oder von denen er hätte wissen müssen. Im letzten Falle, dem vorliegen externer Leistungshinderungsgründe, ist die Anknüpfung an die Schuldnersphäre nicht zwingend. In diesen Fällen kann sich auch ein Hinderungsgrund verwirklicht haben, der weder der Sphäre des Schuldners, noch der des Gläubigers zuzurechnen wäre und der für beide Seiten gleich wenig einsehbar ist. Für die Fälle externer Störursachen kann die Zuweisung des Entlastungsbeweises an den Schuldner nicht damit erklärt werden, dass ja schließlich auch der Leistungshinderungsgrund aus seiner Sphäre stamme. Insgesamt ist die Gefahrkreistheorie also nicht geeignet, mit ihrer Hilfe Beweislastverteilungen im Einzelfall zuzuweisen. Sie ist aber tragfähiges Motiv, um darauf gründend eine abstrakt-generelle Beweislastbestimmung zu entwickeln. Zum selben Ergebnis kommt auch Musielak, der den Sphärengedanken weder als Abgrenzungsmerkmal noch als Voraussetzung einer Beweislastregelung, wohl aber als „Erklärung des gesetzgeberischen Motivs für die Vorschrift des § 282 [a. F.]“50 für tauglich hält. Diese Bewertung ist ebenso für § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB, dort vollumfänglich und für § 311a Abs. 2 Satz 2 BGB, dort weitgehend zutreffend. 4. Der Gedanke der vertraglichen Erfüllungsgarantie a) Die vertragliche Erfüllungsgarantie als normativer Wertungsgesichtspunkt Die gesetzgeberische Regelanordnung der Haftungsfolge basiert in entscheidendem Maße auf dem Gedanken der vertraglichen Erfüllungsgarantie. Den Grund für die Verschuldensvermutung des § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB – ist eine Pflichtverletzung erst einmal festgestellt – sieht der Gesetzgeber in der Tatsache, dass der Schuldner „den Anforderungen aus dem Schuldverhältnis“,51 nicht nachgekommen ist. Das entspricht inhaltlich den Ausführungen, die sich zum Haftungsgrund des § 311a Abs. 2 BGB finden: „Dogmatisch gesehen, folgt der Anspruch auf das positive Interesse aus der 50 Musielak AcP 176 (1976), S. 465, 482; ebenso Pawlowski, Der Prima-FacieBeweis bei Schadensersatzansprüchen aus Delikt und Vertrag, S. 80. 51 BT-Drs. 14/6857, S. 49.

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Kap. 5: Grundlage und Inhalt der Beweislastanordnungen

Nichterfüllung des – nach § 311a Abs. 1 RE wirksamen – Leistungsversprechens“.52 „Die Beweislast [hinsichtlich des Verschuldens] soll wie in § 280 Abs. 1 Satz 2 RE insoweit umgekehrt sein“.53 Der Schuldner hat vertraglich eine Pflicht übernommen und damit die Erfüllung dieser Pflicht versprochen. Bleibt die Vertragserfüllung aus bzw. bleibt der Schuldner hinter dem von ihm übernommenen Pflichtenprogramm zurück, liegt es an ihm sich zu entlasten. Auf diesen frappierend einfachen, beinahe selbstverständlich erscheinenden Gedanken, wurden die Beweislastanordnungen in den §§ 280 Abs. 1 Satz 2, 311a Abs. 2 Satz 2 BGB hauptsächlich gestützt. Hätte der Gesetzgeber dies in den Materialien deutlicher gemacht, hätten einige Streitfragen vermieden werden können. Der Gedanke der vertraglichen Erfüllungsgarantie – hierbei handelt es sich wiederum um eine Garantie auf Ebene des Haftungsgrundes bzw. um eine „Normalgarantie“ in dem zuvor beschriebenem Sinne54 – wird allgemein als tragfähig angesehen, um eine Beweislastanordnung der vorliegenden Art zu begründen.55 Er ist auch Ausdruck der vom Gesetzgeber umgesetzten normativen Wertung, dass bei Vorliegen von Pflichtverletzungen in der Regel eine Haftung ausgelöst wird und eine Enthaftung mittels Entlastungsbeweis nur ausnahmsweise in Betracht kommt.56 Dieser Begründungsansatz passt aber nur für Pflichten im Sinne des § 241 Abs. 1 BGB, also Leistungspflichten. Nur ihnen wohnt eine Erfüllungsgarantie inne.57 Außerdem werden in aller Regel nur die Leistungspflichten explizit vertraglich vereinbart. An die Verletzung von Schutzpflichten denken die Parteien normalerweise nicht.58 Nur bei den Leistungspflichten liegt daher ein explizites Versprechen des Schuldners zugrunde, dessen Nichteinhaltung eine Zuweisung der Erklärungspflicht über Entlastungsgründe an ihn rechtfertigt. Der Schuldner soll aufklären, warum er seine Pflichten nicht erfüllt hat. Gerade für die Schadensersatzhaftung infolge anfänglicher und nachträglicher Unmöglichkeit spielt die Unterscheidung zwischen Schutz- und Leistungspflichten keine Rolle, da Schutzpflichten in der Regel nicht unmöglich werden bzw. unmöglich einzuhaltende 52

BT-Drs. 14/6040, S. 165. BT-Drs. 14/6040, S. 166. 54 Kap. 3 A. II. 1. a). 55 Baumgärtel/Laumen/Prütting/Repgen § 280, Rn. 17; MüKo/Ernst BGB, § 280, Rn. 32, 34; Riehm, in: FS Canaris, Bd. I, S. 1079, 1084 f. 56 Riehm, in: FS Canaris, Bd. I, S. 1079, 1084 f. 57 Riehm, in: FS Canaris, Bd. I, S. 1079, 1085. 58 Eine Ausnahme stellen beispielsweise m+a-Verträge dar, bei denen im Vorfeld des Vertragsabschlusses über den Unternehmenskauf, zu einem Zeitpunkt also, zu dem noch keinerlei Leistungspflichten bestehen, häufig verschiedenste Aufklärungsund Informationspflichten ausdrücklich vereinbart werden. 53

A. Die Beweggründe für die gesetzgeberische Entscheidung

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Schutzpflichten kaum denkbar sind.59 Für die Unmöglichkeitshaftung beansprucht der Gedanke der vertragsimmanenten Erfüllungsgarantie daher uneingeschränkt Geltung. Der normative Wertungsgesichtspunkt der vertragsimmanenten Erfüllungsgarantie passt spiegelbildlich auch auf die Gläubigerperspektive. Dieser darf sich zunächst einmal darauf verlassen, dass der Schuldner einer Leistungspflicht dieser Pflicht auch nachkommt, ohne dass es den Gläubiger zu interessieren braucht, wie der Schuldner gedenkt, seine Pflichten zu erfüllen. Der Gläubiger muss sich sogar auf das Versprechen des Schuldners verlassen. Denn es stellte einen unverständlichen und mit Prinzipien der Privatautonomie nicht vereinbaren Akt der Einmischung dar, wäre ein Gläubiger berechtigt, im Regelfall die Modalitäten der Vertragserfüllung zu diktieren. Der Gedanke der vertraglichen Erfüllungsgarantie ist auf diese Weise mit dem Prinzip der Selbstverantwortlichkeit für den eigenen Rechtskreis auf das engste verwoben. b) Die Erfüllungsgarantie als Anknüpfungspunkt widerleglicher Vermutungen Wie ernst es dem Gesetzgeber mit dem Schutz der vertragsimmanenten Erfüllungsgarantie war, wird allein durch die Ausgestaltung der Normen der §§ 280 Abs. 1 Satz 2, 311a Abs. 2 Satz 2 BGB als widerlegliche gesetzliche Vermutungen deutlich. Da diese Vermutungen nur durch Beweis des Gegenteils (§ 292 ZPO) entkräftet werden können, handelt es sich um die stärkste Form einer gesetzlichen Beweislastregelung. Dem Faktum des Vorliegens einer Pflichtverletzung – auf § 311a BGB gemünzt, der Nichteinhaltung des Leistungsversprechens – misst der Gesetzgeber zweifellos mehr als nur indizielle Wirkung hinsichtlich des Verschuldens bei. Die Indizwirkung hält er für derart stark, dass er die Vermutung für das Vorliegen von Verschulden rechtfertigt. Dies spricht auch gegen die These, dass der Gesetzgeber lediglich den früheren Rechtszustand (§§ 282, 285 BGB a. F.) verallgemeinernd festschreiben, aber im Wesentlichen beibehalten wollte.60 Wäre dies beabsichtigt worden, wäre es zweckmäßiger gewesen, die Beweislastverteilung in den einzelnen Fallgruppen weiterhin Rechtsprechung und Lehre zu überlassen. Gestützt auf den Sphärengedanken bzw. die Gefahrenbereichslehre hätten dann dem Gläubiger, je nach Fallgruppe, Beweiserleichterungen unterschiedlicher Intensität zugestanden werden können. Denkbar wären Modifikationen der Behauptungslast über Anscheins59

Vgl. hierzu bereits Kap. 2 A. II. 1. Baumgärtel/Laumen/Prütting/Repgen § 280, Rn. 17 mit Verweis auf Keilmann, Dem Gefälligen zur Last, S. 214, „Nichtabänderungsglauben“. 60

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Kap. 5: Grundlage und Inhalt der Beweislastanordnungen

beweise bis hin zur Vermutung gewesen.61 Die Normierung von gesetzlichen Vermutungen hingegen ist starr und erlaubt keine graduellen Differenzierungen der gewährten Beweiserleichterung. Der Gedanke der vertragsimmanenten Erfüllungsgarantie stellt nicht nur ein logisch einleuchtendes und damit tragfähiges Motiv für die Anordnung von Beweislastregeln der vorliegenden Art dar. Er enthält darüber hinaus eine echte dogmatische Begründung für die normative Wertung, die sich hinter dem in den §§ 280 Abs. 1 Satz 2, 311a Abs. 2 Satz 2 BGB vorgegebenen legislativen Regel-Ausnahme-Verhältnis verbirgt.

B. Der Inhalt der Beweislastanordnungen in §§ 280 Abs. 1 Satz 2 und 311a Abs. 2 Satz 2 BGB I. Die Beweislastverteilung für Schadensersatzansprüche infolge nachträglicher Unmöglichkeit Die Beweislastverteilung für Ansprüche gemäß §§ 280 Abs. 1, 3, 283 BGB ist schon an mehreren Stellen angeschnitten worden. An dieser Stelle soll sie aber noch einmal bezogen auf jedes einzelne Tatbestandsmerkmal explizit dargestellt werden. 1. Vom Gläubiger zu beweisende Tatsachen a) Schuldverhältnis Uneingeschränkte Einigkeit62 besteht darüber, dass der Gläubiger das Bestehen eines Schuldverhältnisses zu behaupten und gegebenenfalls zu beweisen hat, aus dem er einen Schadensersatzanspruch ableitet. Das folgt bereits aus der Grundregel der Beweislastverteilung.63 Die §§ 280 Abs. 1, 3, 283 BGB treffen insoweit keine abweichende Beweislastanordnung. b) Pflichtverletzung Ein ganz anderes Bild ergibt sich aber schon beim Tatbestandsmerkmal der Pflichtverletzung. Umstritten ist dabei nicht, dass der Gläubiger das Vorliegen einer Pflichtverletzung zu beweisen hat. Das lässt sich dem Wort61

Vgl. Riehm, in: FS Canaris, Bd. I, S. 1079, 1085 f. Palandt/Grüneberg § 280, Rn. 35; Baumgärtel/Laumen/Prütting/Repgen § 283, Rn. 1. 63 Kap. 4 B. II. 62

B. Die Beweislastverteilung im Einzelnen

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laut des § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB in Verbindung mit der Grundregel der Beweislastverteilung ohne weiteres entnehmen. Unklarheit besteht aber darüber, welchen inhaltlichen Umfang das Merkmal der Pflichtverletzung in Fällen nachträglicher Unmöglichkeit besitzt. Nach der hier vertretenen Auffassung, beurteilt sich diese Frage ausschließlich anhand des Inhalts der aufgrund des Schuldverhältnisses geschuldeten Leistung. Allein der Vertragsinhalt kann Aufschluss darüber geben, worin die relevante Pflichtverletzung besteht. Ob der Gläubiger berechtigt ist, ohne Fristsetzung sofort Schadensersatz statt der Leistung zu verlangen (§§ 280 Abs. 1, 3, 283 BGB) oder er zunächst darauf verwiesen ist, im Wege der Nachfristsetzung seinen Primäranspruch weiterzuverfolgen (§§ 280 Abs. 1, 3, 281 BGB), steht auf einem anderen Blatt. Dies ist die Frage nach der zutreffenden Anspruchsgrundlage und nicht die des Vorliegens einer Pflichtverletzung. aa) Die Auswirkung des Pflichteninhalts auf die Beweisführung Die Unterscheidung in Verhaltens- und Erfolgspflichtverletzungen wirkt sich grundlegend auf die Beweisführung aus. Die Feststellung des Pflichteninhalts hat dabei keine Auswirkung auf die Beweislast selbst, sondern ausschließlich auf den Umfang des jeweiligen Beweisthemas.64 Dieser Zusammenhang zwischen Inhalt des Schuldverhältnisses und dem Umfang des Beweisthemas wurde in der Literatur kaum untersucht65 und fand ansonsten nur bei Gelegenheit Erwähnung. Dies ist umso erstaunlicher, als teilweise66 eine direkte Einwirkung des vertraglichen Pflichteninhalts auf die Beweislast für möglich gehalten wird. Diese Vorstellung ist vor dem Hintergrund der Wirkweise von Beweislastanordnungen jedoch unhaltbar. Die Beweislastverteilung selbst muss in allen ihren Einzelelementen (Feststellungs-, Beweisführungs- und Behauptungslast) durch den allgemei64 Staudinger/Löwisch, 13. Aufl., § 282 a. F., Rn. 19; Medicus/Lorenz, Schuldrecht I, Rn. 336 ff.; Prütting, Gegenwartsprobleme der Beweislast, S. 222; Stoll AcP 176 (1976), 145, 149 ff.; Baumgärtel/Laumen/Prütting/Repgen § 280, Rn. 72; Pawlowski, Der Prima-Facie-Beweis bei Schadensersatzansprüchen aus Delikt und Vertrag, S. 87 ff.; a. A. Soergel/Wiedemann 12. Aufl., Vor § 275 a. F., Rn. 536 f.; MüKo/Emmerich BGB, 4. Aufl., Vor § 275 a. F., Rn. 326; Heinemann, Die Beweislastverteilung bei positiver Forderungsverletzung, S. 89 ff., 175 ff., die dem Vertragsinhalt Auswirkungen auf die Beweislast selbst beimessen. 65 Dezidierte Auseinandersetzungen finden sich soweit ersichtlich nur bei Heinemann, Die Beweislastverteilung bei positiver Forderungsverletzung, S. 89 ff., 175 ff. und Reichschauer, Der Entlastungsbeweis des Schuldners (§ 1298 ABGB), S. 134 ff., 154 ff. 66 Soergel/Wiedemann, 12. Aufl., Vor § 275 a. F., Rn. 536 f.; MüKo/Emmerich BGB, 4. Aufl., Vor § 275 a. F., Rn. 326; Heinemann, Die Beweislastverteilung bei positiver Forderungsverletzung, S. 89 ff., 175 ff.

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Kap. 5: Grundlage und Inhalt der Beweislastanordnungen

nen Grundsatz der Beweislastverteilung, Beweislastnormen oder aufgrund von Beweislastvorgaben zulässiger richterlicher Rechtsfortbildung vor Beginn des Prozesses feststehen.67 Dies ist aus Gesichtspunkten der Rechtssicherheit und der Gleichheit der Rechtsanwendung (Art. 3 GG)68 unerlässlich und somit schon verfassungsrechtlich geboten.69 Den Beweislastvorgaben liegen generalisierende Risikozuweisungen zugrunde,70 die von der inhaltlichen Ausgestaltung des jeweiligen Vertrages unabhängig sind. Das schließt selbstverständlich nicht die Möglichkeit aus, die dispositiven Beweislastvorgaben in Beweislastverträgen oder in entsprechenden Vertragsklauseln abweichend zu bestimmen. Der Charakter einer Vertragspflicht oder ihre Zuordenbarkeit zu einem bestimmten Vertragstypus vermag nicht aus sich heraus auf die abstrakt-generellen Vorgaben von Beweislastanordnungen einzuwirken. Der Inhalt des Schuldverhältnisses ist aber von erheblicher Bedeutung für die Frage, was die jeweilige Partei vorzutragen hat, um das zu ihrer Beweislast stehende Tatbestandsmerkmal erschöpfend darzustellen. Insofern bilden sich die materiellrechtlichen Vereinbarungen der Parteien, die Vertragsinhalte, durchaus in den Beweisführungsanforderungen ab. Der Inhalt des Schuldverhältnisses wirkt nur auf eine andere Ebene ein. Bezogen auf die Normen der §§ 280 Abs. 1 Satz 2, 311a Abs. 2 Satz 2 BGB ergibt sich folgendes Bild: Die Beweislast für das Haftungsbegründungselement, die Pflichtverletzung bzw. der Bruch des Leistungsversprechens, ist dem Gläubiger zugewiesen. Die Beweislast für den Zurechnungsgesichtspunkt, das Vertretenmüssen bzw. die fahrlässige Unkenntnis, ist dem Schuldner zugewiesen. Diese Beweislasten sind a priori statisch festgelegt. Der Inhalt des Schuldverhältnisses ist hierfür ohne Belang. Was aber etwa zum Beweis der Pflichtverletzung inhaltlich an Vortrag nötig ist, steht in direkter Abhängigkeit zum Inhalt des Schuldverhältnisses. Aus diesem Zusammenhang können sich im Einzelfall erhebliche Auswirkungen auf die Erfolgsaussichten des Schadensersatzverlangens ergeben. Ist ein Erfolg geschuldet, reicht es auf Seiten des Gläubigers aus, den Nichteintritt dieses Erfolges zu behaupten (für die Erfüllung als rechtsvernichtende Tatsache wäre wiederum der Schuldner beweispflichtig), um die Pflichtverletzung zu begründen. Anders ist dies zu beurteilen, wenn die versprochene Leistung sich in der Pflicht zum Tätigwerden erschöpft. 67

Vgl. hierzu Kap. 4 B. I. BGH NJW 2004, 2011, 2013; Baumgärtel/Laumen/Prütting/Laumen, Handbuch der Beweislast – Grundlagen, S. 33 m. w. N. 69 BVerfGE 52, 131, 147. 70 Zöller/Greger Vor § 284, Rn. 17; Baumgärtel/Laumen/Prütting/Laumen, Handbuch der Beweislast – Grundlagen, S. 23 f. 68

B. Die Beweislastverteilung im Einzelnen

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bb) Verletzung von Erfolgspflichten Bei Bestehen einer Erfolgspflicht liegt eine Pflichtverletzung immer schon dann vor, wenn die geschuldete Leistung nicht, nicht rechtzeitig oder nicht wie geschuldet erbracht wird, der Schuldner also objektiv von seinem vertraglich festgelegten Pflichtenprogramm abweicht.71 Behauptet und beweist der Gläubiger entsprechende Tatsachen, ist dies für die Feststellung einer Pflichtverletzung erforderlich, aber auch ausreichend. Da der Schuldner seinerseits die Erfüllung zu beweisen hätte (§ 363 BGB), reicht aus der Perspektive des Gläubigers einer Erfolgspflicht zunächst tatsächlich bereits die schlüssige Behauptung der Nichterfüllung aus. cc) Verletzung von Tätigkeitspflichten Anders ist dies im Falle des Vorliegens bloßer Tätigkeitspflichten.72 Hier hat der Gläubiger in deutlich weiterem Umfang zu behaupten und zu beweisen, welche Tätigkeit aufgrund des Vertrages objektiv geschuldet war und wie sich der Schuldner tatsächlich verhalten hat. Erst die Feststellung der negativen Abweichung des konkreten Schuldnerverhaltens von dem vertraglich geschuldeten Verhalten führt zum Vorliegen des Tatbestandsmerkmals der Pflichtverletzung. Diese Feststellung beinhaltet dann zugleich die Feststellung, dass der Schuldner objektiv sorgfaltswidrig gehandelt hat.73 Die Anforderungen an die Beweistätigkeit des Gläubigers zur Begründung der Pflichtverletzung sind bei Schuldverhältnissen, die Tätigkeitspflichten zum Gegenstand haben deutlich erweitert. Das gilt wiederum hauptsächlich für den Fall des qualitativen oder quantitativen Zurückbleibens hinter der geschuldeten und infolge Zeitablaufs nicht mehr nachholbaren Tätigkeitsverpflichtung. Nimmt der Dienstleistungsverpflichtete hingegen überhaupt keine Erfüllungshandlungen vor, ist es für den Gläubiger ungleich einfacher, das Tatbestandsmerkmal der Pflichtverletzung erschöpfend darzustellen. Es reicht dann aus, zu behaupten, dass der Schuldner trotz des Bestehens einer entsprechenden Verpflichtung überhaupt keine Erfüllungsanstrengungen unternommen hat. Dieser hätte dann seinerseits wieder darzulegen und zu beweisen, dass ein Tätigwerden doch vorlag.

71 MüKo/Ernst BGB § 280 Rn. 18; Palandt/Grüneberg § 280, Rn. 12; Medicus/ Lorenz, Schuldrecht I, Rn. 337; vgl. hierzu bereits Kap. 2 A. II. 2. c). 72 Kap. 2 A. II. 2. d). 73 Medicus/Lorenz, Schuldrecht I, Rn. 338.

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dd) Auswirkungen des Verantwortungsbereichs auf die Beweislastverteilung? Der jüngeren Rechtsprechung und Literatur zufolge können sich neben dem Inhalt einer Vertragspflicht ausnahmsweise auch Feststellungen zum Gefahren- bzw. Verantwortungsbereich auf die Beweislastverteilung und somit auch auf Beweisführungsanforderungen im Einzelfall auswirken. Die Rechtsprechung kehrt die Beweislast für die objektive Pflichtverletzung in Fällen, in denen eindeutig feststeht, dass die Schadensursache ausschließlich aus dem Obhuts- und Gefahrenbereich des Schuldners stammen kann um und weist sie dem Schuldner zu.74 Der Bundesgerichtshof hätte vielerlei Unsicherheiten und Fragen vermeiden können, wenn er die abweichende Beweislastverteilung für die Pflichtverletzung aufgrund Gefahrbereichs deutlich als Ausnahme gekennzeichnet hätte. Stattdessen formulierte er: „Allerdings bestimmt § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB (ähnlich § 282 BGB a. F.) eine Beweislastumkehr, soweit es um das Vertretenmüssen der Pflichtverletzung geht. Die Grenze dieser Beweislastumkehr, die nicht nur das Verschulden im engeren Sinne, sondern auch die (objektive) Pflichtverletzung ergreift ist nach der Rechtsprechung des Senats danach zu bestimmen, in wessen Obhuts- und Gefahrenbereich die Schadensursache lag“.75 In dieser Allgemeinheit kann dem Bundesgerichtshof keinesfalls zugestimmt werden. Die Beweislastbestimmungen der §§ 280 Abs. 1 Satz 2, 311a Abs. 2 Satz 2 BGB ergreifen nicht in Abhängigkeit von Überlegungen zu Verantwortungs- und Gefahrbereichen auch die objektive Pflichtverletzung, also das Haftungsbegründungselement. Die Beweislastnormen bestimmen eine von der Grundregel abweichende Beweislastverteilung eindeutig nur für das Verschulden, also das Zurechnungsprinzip.76 Wie bereits zuvor dargestellt,77 dürfen Beweislasten auch nicht allein aufgrund des Sphärengedankens im Wesentlichen frei zugewiesen werden, sondern nur aufgrund zulässiger richterlicher Rechtsfortbildungen, aufgrund derer eine Ausnahme in einem fest umrissenen Bereich etabliert wird. Als eine solche Ausnahme von den grundsätzlichen Beweislastvorgaben des § 280 Abs. 1 BGB (und entsprechend von § 311a Abs. 2 BGB) wird diese Rechtsprechung wohl 74 BGH NJW 2009, 142; für den am Rechtsgedanken des § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB orientierten umgekehrten Fall einer Beweislast des Schuldners für das Verschulden im Deliktsrecht vgl. BGH NJW 2007, 1682 f. 75 BGH NJW 2009, 142. 76 Vgl. Baumgärtel/Laumen/Prütting/Repgen § 280, Rn. 68: Soweit darüber diskutiert wird, ob § 280 I 2 auch auf die objektive Pflichtwidrigkeit, also die Pflichtverletzung selbst bezogen werden darf oder gar muss, so greift dies weit über die der Gerechtigkeit geschuldeten Notwendigkeiten hinaus. Der Gesetzgeber hat mit der Beweislastregel in § 280 I 2 klar das Vertretenmüssen, also das Verschulden gemeint“. 77 Kap. 5 A. II. 3. d).

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auch überwiegend verstanden. Die Rechtsprechung geht teilweise von einer speziellen mietrechtlichen Beweiserleichterung aus,78 teilweise besteht hingegen die Einschätzung, dass eine von §§ 280 Abs. 1, 311a Abs. 2 BGB abweichende Beweislastverteilung für alle Fälle in Betracht kommt, in denen eine Schadensursache ausschließlich einem bestimmten Gefahrbereich zugeordnet werden kann.79 Sowohl die Auffassung der Rechtsprechung, als auch diejenige der Literatur ist insoweit abzulehnen, als sie eine direkte Einwirkung des Sphärengedankens auf die Beweislast (Feststellungs- und Beweisführungslast) für möglich hält.80 An diesem Beispiel ist erneut abzulesen, wie leichtfertig zum Teil mit der Zuweisung von Beweislasten umgegangen wird. Tatsächlich besteht für eine Umkehr der Beweislast für die Pflichtverletzung auch kein Bedürfnis. Im alten wie im neuen Recht setzte die befürwortete Beweislastumkehr jedenfalls voraus, dass eine andere Schadensquelle ausgeschlossen werden kann. Der Gläubiger hatte hierfür zu beweisen, dass die Schadensursache nur aus der Sphäre des Schuldners stammen kann.81 Anderenfalls war82 und ist83 nach Rechtsprechung und Literatur für die Verteilung der Beweislast nach Verantwortungsbereichen kein Raum. Was aber ist der Nachweis, dass die Pflichtverletzung sich ausschließlich im Verantwortungsbereich des Schuldners ereignet haben kann anderes als der Nachweis der Pflichtverletzung selbst? Es handelt sich hierbei lediglich um einen abstrakten Beweis für die Pflichtverletzung. Der Gläubiger kann in einem solchen Falle die Schadensursache nicht konkret benennen. Stattdessen behauptet er und bietet nötigenfalls Beweis dafür an, dass weder er selbst, noch ein Dritter die Schadensursache gesetzt haben kann. Wenn aber niemand sonst die Pflichtverletzung begangen haben kann, wer außer dem Schuldner soll hierfür noch in Betracht kommen? Bei einer solchen Sachlage besteht keinerlei Anlass dafür, am Gegebensein einer objektiven Pflichtverletzung zu zweifeln und daher auch keine Notwendigkeit, dem Schuldner die Beweislast für die Pflichtverletzung aufzubürden. Aus Sicht des Gläubigers ist es völlig ausreichend, wenn sich der Schuldner hinsicht78

BGH NJW-RR 2010, 691. BeckOK/Unberath BGB, Stand 01.02.2009, § 280, Rn. 82 f.; Palandt/Grüneberg § 280, Rn. 37; Riehm, in: FS Canaris, Bd. I, S. 1079, 1086; Gsell NZM 2010, 71, 72 f. 80 Kap. 5 A. II. 3. b) bis d). 81 Palandt/Grüneberg § 280, Rn. 37; BeckOK/Unberath BGB, Stand 01.02.2009, § 280, Rn. 82. 82 BGH NJW 1982, 437, 438; BGH NJW-RR 1991, 575, 576; BGH NJW 1993, 1704, 1706. 83 OLG Celle ZMR 2009, 683; Gsell NZM 2010, 71, 72 f.; BeckOK/Unberath BGB, Stand 01.02.2009, § 280, Rn. 88; Palandt/Grüneberg § 280, Rn. 37. 79

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lich der zweifelsfrei aus seinem Verantwortungsbereich stammenden Ursachen der Schädigung exkulpieren muss, wie dies § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB vorsieht. Die Beweisnot des Gläubigers, aufgrund derer ihm die Beweiserleichterung zugestanden werden soll, besteht schlicht nicht. Folgt man der dargestellten Auffassung, ergibt sich vielmehr nur die seltsame Konstruktion, dass der Gläubiger, um ein Eingreifen der Beweislastumkehr für die Pflichtverletzung zu bewirken, die Pflichtverletzung des Schuldners bereits abstrakt beweisen muss. Der Schuldner kann dem Vortrag des Gläubigers erfolgversprechend nur dadurch entgegentreten, indem er substantiiert darlegt, dass doch eine Handlung des Gläubigers oder eines Dritten den Schaden verursacht haben kann. Gelingt ihm dies, könnte die Beweislastumkehr für die Pflichtverletzung zugunsten des Gläubigers ohnehin nicht eingreifen. Gelingt es ihm nicht, den Vortrag des Gläubigers zu erschüttern, steht immerhin noch die Vermutung des Vorliegens von Verschulden gegen ihn.84 Im Ergebnis ist dem Gläubiger durch die vor allem in der Rechtsprechung befürwortete Beweislastumkehr für die Pflichtverletzung somit nicht geholfen. Übrig bleibt nur ein weiteres Beispiel für einen unnötigen Eingriff in gesetzliche Beweislastregelungen. c) Ausschluss der Leistungspflicht gemäß § 275 Abs. 1–3 BGB und Pflichtverletzung aa) Verhältnis des Leistungshinderungsgrundes zur Pflichtverletzung Eine wesentliche aber zumeist wenig beleuchtete Frage ist diejenige, ob und wie der Ausschluss der Leistungspflicht gemäß § 275 Abs. 1–3 BGB mit dem Merkmal der Pflichtverletzung für den Schadensersatzanspruch infolge nachträglicher Unmöglichkeit zusammenhängen. Dem Wortlaut von § 283 BGB kann zweifelsfrei entnommen werden, dass der Weg über die Anspruchsgrundlage der §§ 280 Abs. 1, 3, 283 BGB den Ausschluss der Leistungspflicht nach einer der Varianten des § 275 Abs. 1–3 BGB voraussetzt. Umgekehrt bestimmt § 275 Abs. 4 BGB, dass sich im Falle des Ausschlusses der Leistungspflicht nach einem seiner vorangehenden Absätze die Rechte des Gläubigers nach den §§ 280, 283–285, 311a und 326 BGB richten. Dies besagt aber noch nichts zu dem Verhältnis zwischen dem Merkmal der Pflichtverletzung und dem Ausschluss der Leistungspflicht gemäß § 275 Abs. 1–3 BGB. 84 Zu den verschiedenen Möglichkeiten den Entlastungsbeweis zu führen Kap. 5 B. I. 2. c).

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Es bestünde nur dann ein direkter Konnex, wenn die bei §§ 280 Abs. 1, 3, 283 BGB relevante Pflichtverletzung gerade in dem Umstand zu sehen wäre, dass dem Schuldner die Leistung aufgrund von § 275 Abs. 1 bis 3 BGB unmöglich wurde bzw. dieser die Unmöglichkeit herbeigeführt hat.85 (1) Auffassungen in der Literatur Ein solches Verständnis entspräche nach Auffassung einiger Autoren am ehesten dem Gesetzeswortlaut86 und wird deshalb auch teilweise befürwortet.87 Die überwiegende Auffassung in der Literatur sieht auch bei nachträglicher Unmöglichkeit die maßgebliche Pflichtverletzung darin, dass die geschuldete Leistung (infolge eines Leistungshindernisses) nicht erbracht wird.88 Sie kann sich dabei auf den erklärten Willen des Gesetzgebers stützen, der ausdrücklich feststellte, dass die Pflichtverletzung im Sinne von § 280 Abs. 1 BGB im Falle des Ausschlusses der Leistungspflicht schlicht darin zu sehen sei, dass die geschuldete Leistung (infolge eines Leistungshindernisses) nicht erbracht wurde. Erst auf Ebene der Zurechnung sei danach zu fragen, ob der Schuldner die Unmöglichkeit durch sein Verhalten herbeigeführt habe.89 Hierin kommt sehr plastisch zum Ausdruck, worin der Unterschied zwischen beiden Sichtweisen besteht und welche enormen Auswirkungen er auf die Beweisführungsanforderungen hat. Sieht man die Pflichtverletzung in der bloßen Nichtleistung, hat der Gläubiger nur diese schlüssig zu behaupten. Die Gründe für die Nichtleistung sind dann nur auf der Ebene des Entlastungsbeweises von Belang. Bestünde die Pflichtverletzung in der Herbeiführung der Unmöglichkeit, beinhaltete der Beweis der Pflichtverletzung stets die Gründe für den Ausschluss der Leistung.90 (2) Die Vorzugswürdigkeit der herrschenden Auffassung Vorzugswürdig ist die Auffassung, die Pflichtverletzung in der bloßen Nichtleistung zu sehen.91 Nur ein solches Verständnis entspricht der Teleo85

Vgl. hierzu bereits Kap. 2 A. II. 2. c) bb)/cc). Staudinger/Otto/Schwarze § 283, Rn. 13. 87 Otto Jura 2002, S. 1, 5; Schapp JZ 2001, 583, 586; Harke ZGS 2006, S. 9, 10 f.; ähnlich Huber/Faust, Schuldrechtsmodernisierung, Teil 3, Rn. 118 ff. 88 Jauernig/Stadler, § 283, Rn. 1; Palandt/Grüneberg, § 283, Rn. 2; MüKo/Ernst BGB § 283, Rn. 4; Staudinger/Otto/Schwarze § 283, Rn. 13; Canaris JZ 2001, 499, 512. 89 Staudinger/Otto/Schwarze § 283, Rn. 13 mit Verweis auf BT-Drs. 14/6040, S. 135 f. 90 Zutreffend Huber/Faust, Schuldrechtsmodernisierung, Teil 3, Rn. 120; Staudinger/Otto § 280, Rn. C4. 86

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logie der Beweislastverteilung92 und kann ihr Geltung verschaffen. Für den Gläubiger ist in aller Regel nur das Scheitern des vertraglichen Pflichtenprogramms erkennbar. Warum er nicht das erhalten hat, was er sich aufgrund des Schuldverhältnisses erhoffen durfte, entzieht sich meist seiner Wahrnehmung. Diesen Umstand und den Gedanken der vertragsimmanenten Erfüllungsgarantie nahm der Gesetzgeber zum Anlass,93 den Grund des Ausbleibens der Leistung ausnahmslos der Ebene des Vertretenmüssens zuzuordnen. Hierüber muss der Schuldner innerhalb seines Entlastungsbeweises Aufschluss geben. Diese Last ist ihm auch bei einer Haftung gemäß §§ 280 Abs. 1, 3, 283 BGB nicht abgenommen. Eine Verbindung der Voraussetzungen der Pflichtverletzung (aus § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB) und des Ausschlusses der Leistungspflicht (aus §§ 283 Satz 1, 275 Abs. 1–3 BGB) würde ohne Not die Vermengung von Haftungsbegründungs- und Zurechnungselementen bewirken und hätte weitreichende Folgen für die Beweislastverteilung. Wäre der Gläubiger grundsätzlich dazu aufgerufen, den Grund der Nichtleistung seines Schuldners zu behaupten und zu beweisen, wäre er hierzu zumeist nicht in der Lage, weil ihm regelmäßig die notwendigen Kenntnisse fehlen würden. Wer also in das Merkmal der Pflichtverletzung weitere Anspruchsvoraussetzungen hineininterpretiert, riskiert das legislativ vorgesehene Regel-Ausnahme-Verhältnis von Haftung und Exkulpation zu konterkarieren. Harke94 möchte um eben dieses Ergebnis zu vermeiden die Verletzung der Nebenpflicht, die Leistung nicht zu behindern, unterstellen. Eines solchen Kunstgriffs bedarf es indessen nicht. Harke stört sich an dem Umstand, dass die Pflichtverletzung auf die Leistungspflicht, das Vertretenmüssen hingegen auf das Leistungshindernis bezogen sei. Dies passe bei Unmöglichkeitsfällen nicht, da die Leistungspflicht, die ja ausgeschlossen sei, nicht verletzt werden könne. Wie aber bereits an anderer Stelle ausgeführt,95 hat sich der Normanwender mit dieser begrifflichen Unschärfe abzufinden. Dass der Haftungsgrund, die Pflichtverletzung, sich auf einen Verstoß gegen die Leistungspflicht zurückführen lässt, während sich das Vertretenmüssen auf dieses Leistungshindernis selbst bezieht, ist weder ungewöhnlich noch problematisch. Sachgründe, die eine „Synchronisierung von Pflichtverletzung und Vertretenmüssen“96 gebieten, sind nicht vorhanden. Solange dies aber nicht der Fall ist, steht es dem Gesetzgeber frei, welchen Haftungsgrund er mit welchem Zurechnungsgrund zu verbinden 91 92 93 94 95 96

Kap. 2 A. II. 2. c) cc). Kap. 5 A. Kap. 5 A. II. 3./4. Harke ZGS 2006, 9, 10 f. Kap. 2 A. I. 2./3. Harke ZGS 2006, 9, 10.

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gedenkt. Das gilt auch für die Anknüpfung, also den Bezugspunkt des Zurechnungselements. Auch in Fällen nachträglicher Unmöglichkeit reicht es für das vom Gläubiger zu beweisende Tatbestandsmerkmal der Pflichtverletzung aus, wenn die Nicht- oder nicht gehörige Erfüllung festgestellt ist. Der Nachweis des Vorliegens von Umständen, die zum Ausschluss der Leistungspflicht geführt haben, ist für das Merkmal der Pflichtverletzung nicht erforderlich. bb) Leistungshinderungsgrund und Nachfristsetzung (1) § 283 BGB als Unterfall von § 281 Abs. 2 BGB Der Gläubiger hat die Tatsachen, die zum Ausschluss der Leistungspflicht führen aber dann zu behaupten und zu beweisen, wenn er ohne vorherige Fristsetzung Schadensersatz statt der Leistung verlangt. § 283 BGB befreit den Gläubiger vom Erfordernis der Nachfristsetzung, wenn der Anspruch auf die Leistung gemäß § 275 Abs. 1–3 BGB ausgeschlossen ist. In der Anordnung dieser Selbstverständlichkeit – und der für entsprechend anwendbar erklärten Norm des § 281 Abs. 1 Satz 2, 3 und Abs. 5 BGB gemäß § 283 Satz 2 BGB – erschöpft sich der Regelungsgehalt der Norm des § 283 BGB. Teilweise97 wird es daher zu Recht als gesetzestechnisch unglücklich bezeichnet, wenn § 280 Abs. 3 BGB von den „zusätzlichen Voraussetzungen“ des § 283 BGB spricht. Zusätzliche Voraussetzungen für den Schadensersatzanspruch, wie das erfolglose Verstreichen einer Nacherfüllungsfrist, bestehen im Falle des § 283 BGB gerade nicht. Die Norm entbindet im Gegenteil von weiteren Voraussetzungen für den Fall, dass der Anspruch auf die Primärleistung infolge Unmöglichkeit ausgeschlossen ist. Eine Parallele hierzu fand sich im alten Recht in den Vorschriften der §§ 325, 326 BGB a. F. Beide Ansprüche gewährten einen Anspruch auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung. Im Gegensatz zu § 326 BGB a. F. verzichtete jedoch § 325 BGB a. F. für den Fall eines vom Schuldner zu vertretenden Unmöglichwerdens auf das dort ja gänzlich sinnlose Erfordernis des Setzens einer Nacherfüllungsfrist. Im Ergebnis hat der Gläubiger also nur dann die Tatsachen, die zum Ausschluss der Leistungspflicht führen zu behaupten und zu beweisen, wenn er in den Genuss der Befreiung von der Nacherfüllungsfrist kommen möchte. Dieses Verständnis des Verhältnisses der Pflichtverletzung zum Ausschluss der Leistungspflicht scheint sich auch in der Literatur immer stärker durchzusetzen.98 97

Staudinger/Otto/Schwarze § 283, Rn. 10; Anwaltkommentar/Dauner-Lieb § 283, Rn. 4. 98 Ähnliche Erwägungen wie hier finden sich bei MüKo/Ernst BGB § 283, Rn. 24; Palandt/Grüneberg § 283, Rn. 1 f.; Erman/Westermann § 283, Rn. 11.

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Dieser Befund deckt sich mit der Beweislastverteilung bei einem Schadensersatzanspruch gemäß §§ 280 Abs. 1, 3, 281 BGB. Dort hat der Gläubiger neben der Pflichtverletzung das fruchtlose Verstreichen einer angemessenen Nachfrist zu beweisen. Beruft er sich auf die Entbehrlichkeit der Nachfrist gemäß § 281 Abs. 2 BGB, hat er diejenigen Tatsachen zu behaupten und zu beweisen, die zu einer Befreiung von dem Fristsetzungserfordernis führen.99 Der Gesetzgeber hat es aus systematischen Gründen und um eine einfache Handhabung des Gesetzes zu gewährleisten unterlassen, die Fälle des Schadensersatzes infolge nachträglicher Unmöglichkeit in die Norm des § 281 BGB zu integrieren.100 Hätten die Gründe für eine Entzerrung der Regelung des § 281 BGB nicht überwogen, wäre dies leicht möglich gewesen. Die Regelung des § 283 BGB wäre dann in der Norm des § 281 Abs. 2 BGB aufgegangen und hätte eine dritte Variante dargestellt, in der der Gläubiger auf das Setzen einer Nacherfüllungsfrist verzichten kann. § 283 BGB ist somit als Spezialfall des § 281 Abs. 2 BGB einzuordnen. Bei einem Schadensersatzanspruch statt der Leistung gemäß §§ 280 Abs. 1, 3, 281 BGB würde indessen niemand auf die Idee kommen, die Voraussetzungen der Befreiung von dem Erfordernis zur Nachfristsetzung mit dem Begriff der Pflichtverletzung zu verbinden. Diese Kontrollüberlegung zeigt deutlich, dass der Ausschluss der Leistungspflicht nicht mit dem Merkmal der Pflichtverletzung gleichgesetzt oder verbunden werden kann, ohne dogmatische Brüche herbeizuführen bzw. eine Ausnahmedogmatik für Schadensersatzansprüche infolge nachträglicher Unmöglichkeit zu begründen. Für die Notwendigkeit einer unterschiedlichen Behandlung von Fällen nachträglicher Unmöglichkeit und aller anderen Fälle von Schadensersatzansprüchen statt der Leistung sind bislang keine zwingenden Argumente vorgetragen worden. (2) Das prozessuale Vorgehen im Regelfall Für einen Schadensersatzanspruch gemäß §§ 280 Abs. 1, 3, 283 BGB gilt demnach nichts anderes als für Ansprüche gemäß §§ 280 Abs. 1, 3, 281 BGB. Abzulehnen sind daher diejenigen Auffassungen, die für eine prinzipielle Zuweisung der Behauptungs- und Beweislast für diejenigen Umstände an den Gläubiger plädieren, die zum Ausschluss der Leistungspflicht führen. Der Grund, warum der Gläubiger bisweilen zum Bestehen eines nachträglichen Leistungshinderungsgrundes vortragen muss, liegt ausschließlich in dem grundsätzlich bestehenden Fristsetzungserfordernis. Zur Begründung der Pflichtverletzung reicht es hingegen auf Seiten des Gläubi99 100

Baumgärtel/Laumen/Prütting/Repgen § 281, Rn. 2. Vgl. hierzu bereits Kap. 2 A. II. 2. c) cc) a. E.

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gers aus, zu behaupten und zu beweisen, dass der Schuldner nicht geleistet hat. Warum er nicht geleistet hat, braucht ihn weder zu interessieren, noch hat er dazu vorzutragen. Setzt der Gläubiger aber keine Nacherfüllungsfrist, ist sein Schadensersatzverlangen nur dann Erfolg versprechend, wenn die spezielle Leistungsstörung der nachträglichen Unmöglichkeit vorliegt oder die Fristsetzung gemäß § 281 Abs. 2 BGB entbehrlich ist. Legt sich der Gläubiger durch sein Verhalten frühzeitig auf eine bestimmte Anspruchsgrundlage fest, ist es an ihm, zum Vorliegen ihrer Voraussetzungen vorzutragen und gegebenenfalls Beweis zu erbringen. Aus diesem Grunde wird der Gläubiger auch nur in Fällen, in denen er sichere Kenntnis vom Vorliegen eines dauerhaften Leistungshinderungsgrundes hat, ohne eine Nacherfüllungsfrist zu setzen, Schadensersatz verlangen. Im Regelfall verhält sich der Gläubiger geschickter, wenn er eine Frist zur Nacherfüllung setzt, um im Zweifel auch die zusätzlichen Voraussetzungen des § 281 BGB zu erfüllen. Auch in einem späteren Prozess ist es aus Sicht des Gläubigers vorzugswürdig, sich auf den Vortrag des Bestehens eines Schuldverhältnisses, das Vorliegen einer Pflichtverletzung und eines kausalen Schadens zu beschränken. Der Gläubiger stützt seinen Schadensersatzanspruch bei einem solchen Vorgehen dann immer alternativ auf §§ 280 Abs. 1, 3, 281 oder §§ 280 Abs. 1, 3, 283 oder § 311a Abs. 2 BGB.101 Es ist dann am Schuldner, die Gründe des Scheiterns des Pflichtenprogramms aufzuklären und sein fehlendes Vertretenmüssen darzulegen. Er ist es, der durch seinen Vortrag den Weg zur zutreffenden Anspruchsgrundlage weist. Normalerweise wird erst durch die entsprechende Einlassung des Schuldners zu Tage treten, dass ein Fall nachträglicher Unmöglichkeit vorliegt. Auch bei der anwaltlich beratenen Partei sollte dieses anspruchsgrundlagenoffene Vorgehen den Regelfall darstellen. Muss eine Klage als derzeit unbegründet abgewiesen werden, weil sich herausstellt, dass der Leistung doch kein Hindernis entgegenstand und gleichzeitig keine Nachfrist gesetzt wurde, stellt dies einen klaren Beratungsfehler dar, der Haftungsansprüche nach sich zieht. d) Zwischenergebnis Die Frage des Vorliegens einer Pflichtverletzung richtet sich ausschließlich nach dem Inhalt des Schuldverhältnisses. Der Vertragsinhalt gibt den Umfang des jeweiligen Beweisthemas vor. Was der Gläubiger also zur Feststellung des Vorliegens einer Pflichtverletzung zu behaupten und zu beweisen hat, ergibt sich aus den zwischen den Parteien bestehenden Abre101 MüKo/Ernst BGB § 281, Rn. 2; Baumgärtel/Laumen/Prütting/Repgen § 281, Rn. 1; Palandt/Grüneberg § 283, Rn. 2; Staudinger/Otto/Schwarze § 281, Rn. B 9.

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den. Übernimmt der Schuldner die weitreichende Verpflichtung, einen Erfolg zu erbringen, kann der Gläubiger sich darauf beschränken, die Nichterfüllung zu behaupten. Verspricht der Schuldner lediglich eine Tätigkeit, erweitert sich kehrseitig der Umfang des vom Gläubiger zu behauptenden und zu beweisenden Beweisthemas. Die Feststellung der Nichterfüllung oder nicht gehörigen Erfüllung setzt bei Tätigkeitspflichten in der Regel deutlich mehr mit Beweisangeboten untermauerten Sachvortrag voraus. Das Vorliegen von Umständen, die den Anspruch auf die Leistung gemäß § 275 Abs. 1–3 BGB ausschließen, hat der Gläubiger nur in denjenigen Fällen zu behaupten und zu beweisen, in denen er ohne eine Nacherfüllungsfrist gesetzt zu haben sofortigen Schadensersatz geltend macht und der Schuldner weiterhin seine Leistungsfähigkeit vorgibt. Aussagen wie etwa: „Der Gläubiger ist für alle Tatbestandsvoraussetzungen von § 275 und § 280 BGB darlegungs- und beweispflichtig“102 sind nur dann zutreffend, wenn sie die Einschränkung enthalten, dass dies nur in Fällen gilt, in denen sich der Gläubiger entweder ungeschickt verhält oder er über die Umstände des Leistungsausfalls bestens im Bilde ist und deshalb, ohne eine Nacherfüllungsfrist zu setzen, Schadensersatz gemäß §§ 280 Abs. 1, 3, 283 BGB verlangt. e) Sonderproblem Leistungsverweigerungsrechte gemäß § 275 Abs. 2 und 3 BGB Das soeben dargestellte Zwischenergebnis vermittelt nur in den Fallkonstellationen ein vollständiges Bild, in denen die Gründe, die die Leistungserbringung endgültig ausschließen, zum ipso jure Entfallen der Leistungspflicht gemäß § 275 Abs. 1 BGB führen. In Fällen des § 275 Abs. 2 und 3 BGB besteht für den Gläubiger jedoch die zusätzliche Unwägbarkeit, ob der Schuldner von seinem Leistungsverweigerungsrecht Gebrauch macht. In beiden Fällen bleibt es dem Schuldner unbenommen überobligatorisch zu leisten und dementsprechend auf die Erhebung der Einrede zu verzichten.103 Erhebt der Schuldner die Einrede aus § 275 Abs. 2 oder 3 BGB erst während des Prozesses, kann der Gläubiger seine Leistungsklage gemäß § 264 Nr. 3 ZPO privilegiert auf den Schadensersatzanspruch gemäß §§ 280 Abs. 1, 3, 283 BGB umstellen.104 Ob er im umgekehrten Falle, wenn Schadensersatzklage erhoben ist und der Schuldner von seinem Leistungsverweigerungsrecht keinen Gebrauch macht, gemäß § 264 Nr. 3 ZPO ebenfalls privilegiert auf Leistungsklage umstellen kann, ist nicht in gleichem Maße 102 103 104

Baumgärtel/Laumen/Prütting/Repgen § 283, Rn. 1. Palandt/Grüneberg § 275, Rn. 32. MüKo/Ernst § 275, Rn. 166; Kohler AcP 205 (2005), 93, 100 m. w. N.

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selbstverständlich. Will das Gesetz es tatsächlich „der privat autonomen Entscheidung des Schuldners [überlassen], ob er sich auf das Leistungshindernis berufen will“,105 wäre eine verfrühte Schadensersatzklage seitens des Gläubigers als fahrlässig anzusehen. Der Vorwurf läge darin, dass der Gläubiger damit hätte rechnen müssen, dass der Schuldner von seinem Recht Gebrauch macht, die ihm zustehende Einrede nicht zu erheben. Nach überwiegender Auffassung ist die Vorschrift des § 264 Nr. 3 ZPO auch dann anwendbar, wenn die Unkenntnis von der Veränderung auf Fahrlässigkeit beruht.106 Nach anderer Auffassung schließt das Vorliegen von Fahrlässigkeit auf Seiten des Klägers eine privilegierte Klageänderung gemäß § 264 Nr. 3 ZPO aus.107 Zu folgen ist der überwiegenden Auffassung, da sie zu Recht betont, dass § 264 Nr. 3 ZPO kein Verschuldenserfordernis kennt.108 An diesem Ergebnis ändert auch die prinzipiell bestehende Möglichkeit des Gläubigers, durch Setzung einer Nacherfüllungsfrist für klare Verhältnisse zu sorgen, nichts. Dem Gläubiger muss die Entschließungsfreiheit, wann er vom Erfüllungsanspruch zum Schadensersatzanspruch übergehen möchte, erhalten bleiben. Die Norm enthält keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass diese materielle Befugnis des Gläubigers, zunächst seinen Erfüllungsanspruch zu verfolgen, eingeschränkt werden sollte.109 Unabhängig von der hier vertretenen Auffassung verdeutlicht auch dieses Beispiel, dass der Gläubiger, möchte er sich zusätzliche Unwägbarkeiten ersparen, es grundsätzlich vermeiden wird, sich frühzeitig festzulegen und stattdessen durch Nachfristsetzung auch die Anspruchsvoraussetzungen des § 281 BGB erfüllen wird, um anschließend seinen Anspruch alternativ auf §§ 280 Abs. 1, 3, 281 oder 280 Abs. 1, 3, 283 oder 311a Abs. 2 BGB zu stützen.110 f) Schaden/Kausalität In dem hier untersuchten Zusammenhang sind Einzelfragen der Rechtsfolgenseite nur am Rande von Belang. § 287 ZPO stellt aber ein prominen105

Palandt/Grüneberg § 275, Rn. 32. Zöller/Greger § 264, Rn. 5; Stein/Jonas/Roth ZPO § 264, Rn. 18; a. A. Musielak/Foerste § 264, Rn. 8. 107 MüKo/Becher-Eberhard ZPO § 264, Rn. 27, der sich zur Begründung auf die Rechtsprechung in RGZ 70, 337, 338 stützt, von der das Reichsgericht aber in RGZ 88, 405 f. ausdrücklich abgewichen war m. w. N. 108 Stein/Jonas/Roth ZPO § 264, Rn. 18; Zöller/Greger § 264, Rn. 5. 109 RGZ 88, 405 f. zu § 326 BGB a. F.; Stein/Jonas/Roth ZPO § 264, Rn. 18 bezogen auf § 281 BGB m. w. N. 110 MüKo/Ernst BGB § 281, Rn. 2; Baumgärtel/Laumen/Prütting/Repgen § 281, Rn. 1; Palandt/Grüneberg § 283, Rn. 2; Staudinger/Otto/Schwarze § 281, Rn. B 9. 106

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tes Beispiel dar, wie überzogenen Beweisanforderungen, hier in Form einer Beweismaßsenkung, begegnet wird und werden könnte. Dass solche Beweismaßsenkungen ungeeignet sind, die Anforderungen an den Entlastungsbeweis des Schuldners bei §§ 280 Abs. 1 Satz 2, 311a Abs. 2 Satz 2 BGB zu regulieren,111 erklärt sich, wenn man sich die Wirkungsweise einer solchen Beweismaßsenkung kurz vor Augen führt. aa) Die Beweiserleichterung des § 287 ZPO Das Vorliegen des Schadens und der Kausalität ist nach der Grundregel der Beweislastverteilung als anspruchsbegründende Voraussetzung durch den Anspruchsteller zu beweisen.112 Da materiellrechtlich begründete Schadensersatzansprüche nicht im Regelfall an überzogenen Beweisanforderungen scheitern sollen,113 kommen dem Gläubiger eine Reihe von Beweiserleichterungen zugute. Bedeutsam ist hier insbesondere die Regelung des § 287 ZPO. Sie hat keinerlei Einfluss auf die Feststellungslast,114 bewirkt aber eine Beweismaßsenkung.115 Während § 286 ZPO die volle richterliche Überzeugung von einer bestimmten Tatsache erfordert, lässt § 287 ZPO das Vorliegen einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit genügen, um den Schaden in der geltend gemachten Höhe zusprechen zu können. Dieser Unterschied im Beweismaß findet auch im Gesetzestext Anklang, denn gemäß § 287 Abs. 1 Satz 1 ZPO hat „der Richter unter Würdigung aller Umstände [dies stellt eine reine Selbstverständlichkeit dar] nach seiner freien Überzeugung zu entscheiden“ [dies stellt eine echte Abweichung von § 286 ZPO dar, der verlangt, dass der Richter eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr erachtet].116 Worauf sich die Beweismaßsenkung des § 287 ZPO in ihrem Umfang bezieht, ist gerade für Fragen der Schadensentstehung, auf die der Wortlaut der Norm Bezug nimmt, nach wie vor umstritten. Vor allem die Anwendung auf Kausalitätsfragen bereitet immer wieder Schwierigkeiten. Die herrschende Auffassung in Rechtsprechung117 111

Kap. 6 C. I. 2. c) bb). Baumgärtel/Laumen/Prütting/Repgen § 280, Rn. 78; Staudinger/Otto § 280, Rn. F 1, F 6. 113 MüKo/Prütting ZPO § 287, Rn. 1. 114 Zöller/Greger § 287, Rn. 1; Baumgärtel/Laumen/Prütting, Handbuch der Beweislast- Grundlagen, § 9, Rn. 19. 115 MüKo/Prütting ZPO § 287, Rn. 17; Baumgärtel/Laumen/Prütting, Handbuch der Beweislast- Grundlagen, § 9, Rn. 16. 116 Baumgärtel/Laumen/Prütting; Handbuch der Beweislast- Grundlagen; § 9, Rn. 16. 117 BGH NJW 1993, 3073, 3076; NJW 2004, 777, 778; BVerfG NJW 1979, 413, 414; BGHZ 58, 48, 53; BGH NJW 1998, 3417 f. 112

B. Die Beweislastverteilung im Einzelnen

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und Literatur118 unterscheidet im Wesentlichen nach dem konkreten Haftungsgrund, der haftungsbegründenden und der haftungsausfüllenden Kausalität.119 bb) Die Unterscheidung zwischen „konkretem Haftungsgrund“ und „haftungsbegründender Kausalität“ Die Unterscheidung zwischen „konkretem Haftungsgrund“ und „haftungsbegründender Kausalität“ ist ebenso missverständlich wie unnötig. Nach der Rechtsprechung „unterliegt der Nachweis des Haftungsgrundes (die haftungsbegründende Kausalität) den strengen Anforderungen des § 286 ZPO, während der Tatrichter nur bei der Ermittlung des Kausalzusammenhangs zwischen dem Haftungsgrund und dem eingetretenen Schaden (der haftungsausfüllenden Kausalität) nach Maßgabe des § 287 ZPO freier gestellt ist“.120 Die Terminologie, die zudem beträchtliche Schwankungen aufweist, kann keinen verlässlichen Aufschluss darüber geben, was die Rechtsprechung im Einzelnen dem Haftungsgrund, der hier mit haftungsbegründender Kausalität gleichgesetzt wird, zuschlägt. Überwiegend werden solche Formulierungen in Bezug auf Vertragsverletzungen dahingehend gedeutet, dass jedenfalls der Zusammenhang zwischen der Vertragsverletzung des Schädigers und dem dadurch entstandenen Eingriff in das Vermögen des Geschädigten der „haftungsbegründenden Kausalität“ zugerechnet wird.121 Bei Vertragsverletzungen soll „der Bereich des nach § 286 ZPO zu beweisenden Haftungsgrundes nur bis zu der Feststellung, der Vertragspartner sei von dem Verstoß so betroffen worden, dass nachteilige Folgen für ihn eintreten konnten“,122 reichen. Die Vertragsverletzung muss also potenziell geeignet gewesen sein, einen Schaden der geltend gemachten Art hervorzurufen. Ein „konkreter Haftungsgrund“ liegt also vor, wenn der Anspruchsteller zur vollen Überzeugung des Gerichts Tatsachen behauptet und bewiesen hat, die diesen potenziellen Zusammenhang ergeben. Die „haftungsbegründende Kausalität“ soll demgegenüber von der Frage handeln, ob ein Eingriff den Geschädigten tatsächlich betroffen 118 MüKo/Prütting ZPO § 287, Rn. 7 ff.; Wieczorek/Schütze/Ahrens ZPO, Bd. II/2, § 287, Rn. 17 ff.; Zöller/Greger § 287, Rn. 3; Stein/Jonas/Leipold ZPO § 287, Rn. 11 ff.; Baumgärtel/Laumen/Prütting, Handbuch der Beweislast- Grundlagen, § 9, Rn. 4 ff. 119 Hinsichtlich der umstrittenen Einzelheiten zur Trennung dieser Kategorien voneinander, muss an dieser Stelle auf die angegebenen Fundstellen verwiesen werden. 120 BGH NJW 2004, 777, 778; BVerfG NJW 1979, 413, 414; BGHZ 58, 48, 53. 121 MüKo/Prütting ZPO § 287, Rn. 10. 122 BGH NJW 1993, 3073, 3076; ebenso Stein/Jonas/Leipold ZPO § 287, Rn. 15.

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Kap. 5: Grundlage und Inhalt der Beweislastanordnungen

hat.123 Da der Anspruchsteller aber auch diesen Zusammenhang dem Beweismaß des § 286 ZPO folgend zu beweisen hat, ist der Sinn der Unterscheidung zwischen „konkretem Haftungsgrund“ und „haftungsbegründender Kausalität“ schlechthin in Zweifel zu ziehen. Eine Ausdehnung des Anwendungsbereichs von § 287 ZPO auf „jede Kausalfrage“, also auch auf die „haftungsbegründende Kausalität“, wie dies vereinzelt gefordert wurde,124 ist indessen abzulehnen. Der Bundesgerichtshof hat sich mit diesem Vorschlag explizit auseinandergesetzt und befunden, dass durch eine derartige Ausdehnung des Anwendungsbereichs von § 287 ZPO in Kauf genommen würde, dass ein Schädiger bereits für eine nur möglicherweise von ihm verursachte Rechtsgutsverletzung hafte und somit eine Haftung ohne gesetzliche Grundlage drohe.125 Dem ist zuzustimmen. Ob eine Schadensersatzpflicht dem Grunde nach gegeben ist, beurteilt sich nach dem materiellen Recht. Fehlt eine entsprechende materiellrechtliche Grundlage, kann sie nicht aufgrund einer prozessualen Beweiserleichterung herbeigeführt werden.126 cc) Haftungsausfüllende Kausalität und Schadenshöhe Der Kausalzusammenhang zwischen dem Haftungsgrund und dem konkret entstandenen Vermögensschaden (einschließlich aller Folgeschäden) wird beinahe einhellig der haftungsausfüllenden Kausalität und somit dem Anwendungsbereich des § 287 ZPO unterstellt.127 Gerade in diesem Bereich entfaltet die Norm besondere Bedeutung. Häufig kann auf den konkreten Schaden nur im Wege hypothetischer Betrachtungen geschlossen werden. Würde eine überwiegende Wahrscheinlichkeit nicht ausreichen, um den geltend gemachten Anspruch zuzusprechen, wäre ein Schadensersatzgläubiger mit den an ihn gestellten Beweisanforderungen regelmäßig überfordert. § 287 ZPO ist nach einhelliger Auffassung, die sich auf den insofern klaren Wortlaut der Norm stützen kann, zusätzlich auf die konkrete Schadenshöhe anwendbar.128 Bei Schadensersatzansprüchen infolge nachträglicher 123 Stein/Jonas/Leipold ZPO § 287, Rn. 13; MüKo/Prütting ZPO § 287, Rn. 10 f.; Zöller/Greger § 287, Rn. 3. 124 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 113, Rn. 12, S. 776. 125 BGH NJW 2004, 777, 778; ebenso Stein/Jonas/Leipold ZPO § 287, Rn. 13. 126 So auch Wieczorek/Schütze/Ahrens ZPO, Bd. II/2, § 287, Rn. 26. 127 MüKo/Prütting ZPO § 287, Rn. 13; Zöller/Greger § 287, Rn. 3; Stein/Jonas/ Leipold ZPO § 287, Rn. 18 ff.; Wieczorek/Schütze/Ahrens ZPO, Bd. II/2, § 287, Rn. 36 ff.

B. Die Beweislastverteilung im Einzelnen

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Unmöglichkeit bedeutet dies vor allem die Anwendbarkeit der Norm auf die Feststellung des Wertes des untergegangenen Gegenstandes sowie die Ermittlung des entgangenen Gewinns. Da die Beweiserleichterung indes keinesfalls bezweckt, zu Billigkeitsentscheidungen zu ermutigen, sind für den geltend gemachten Schaden vom Gläubiger entsprechende Anknüpfungstatsachen129 zu behaupten und gegebenenfalls zu beweisen. Die Anknüpfungstatsachen selbst müssen zur vollen richterlichen Überzeugung, also dem Beweismaß des § 286 ZPO entsprechend, feststehen.130 dd) Der Umfang der Anwendung des § 287 ZPO auf Vertragsverletzungen Das Vorliegen einer Pflichtverletzung und das daraus folgende potenzielle „Betroffensein“ in rechtlich geschützten Gütern (hier Vermögensinteressen) muss weiterhin zur vollen Überzeugung des Gerichts festgestellt werden.131 Die konkrete Schadensentstehung einschließlich sämtlicher möglicher Schadensfolgen sind Fragen der Haftungsausfüllung. Sie unterliegen somit dem Anwendungsbereich von § 287 ZPO. Der Gläubiger hat zu behaupten und gegebenenfalls Hauptbeweis (§ 286 ZPO) zu erbringen, dass ihm aus einer Pflichtverletzung überhaupt ein Schaden entstanden sein kann bzw. sich die Pflichtverletzung bei ihm ausgewirkt haben konnte. Ob der Schaden vollständig aus der Pflichtverletzung herrührt und wie hoch der Schaden tatsächlich ist, bemisst sich nach § 287 ZPO. Macht der Gläubiger entgangenen Gewinn (§ 252 BGB) geltend, hat er zusätzlich Anknüpfungstatsachen zu beweisen, die einen solchen Vermögensschaden überwiegend wahrscheinlich machen. 2. Der Entlastungsbeweis des Schuldners Die Beweislastregelung des § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB weist dem Schuldner die Behauptungs- und Beweislast dafür zu, dass er die Pflichtverlet128

Stein/Jonas/Leipold ZPO § 287, Rn. 23 ff.; Wieczorek/Schütze/Ahrens ZPO, Bd. II/2, § 287, Rn. 36 ff.; MüKo/Prütting ZPO § 287, Rn. 16. 129 Das ist beispielsweise der Listenpreis des untergegangenen Gebrauchtwagens und die Kaufzusage eines Zweitkäufers (diese Anknüpfungstatsache wäre nur beim Privatverkauf zu behaupten und zu beweisen). 130 BGH NJW 2004, 1945, 1946; Wieczorek/Schütze/Ahrens ZPO, Bd. II/2, § 287, Rn. 38; a. A. wohl MüKo/Prütting ZPO § 287 Rn. 16 und Baumgärtel/Laumen/Prütting, Handbuch der Beweislast – Grundlagen, § 9, Rn. 11, wonach auch „die im Einzelfalle der Wertberechnung zugrunde liegenden Tatsachen“ an § 287 zu messen sein sollen. 131 MüKo/Prütting ZPO § 287, Rn. 16.

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Kap. 5: Grundlage und Inhalt der Beweislastanordnungen

zung, ist sie einmal festgestellt, nicht zu vertreten hat.132 Gegen diese widerlegliche gesetzliche Vermutung des Vorliegens von Verschulden ist der Beweis des Gegenteils zu erbringen (§ 292 ZPO),133 will sich der Schuldner erfolgreich exkulpieren. a) Die Beweislastverteilung für gesetzliche und privatautonom modifizierte Haftungsmaßstäbe Der Maßstab für die fehlende Verantwortlichkeit des Schuldners richtet sich hauptsächlich nach den §§ 276–278 BGB.134 Er haftet sowohl für eigenes (§ 276 BGB) als auch für fremdes (§ 278 BGB) Verschulden. Dies gilt aber nur, solange „eine strengere oder mildere Haftung weder bestimmt noch aus dem sonstigen Inhalt des Schuldverhältnisses, insbesondere aus der Übernahme einer Garantie oder eines Beschaffungsrisikos, zu entnehmen ist“ (§ 276 Abs. 1 Satz 1 BGB). Dieser Zusatz hat vor allem klarstellende Funktion. Gesetzlich angeordnete Modifikationen des Verschuldensmaßstabs, wie sie sich etwa in den §§ 300 Abs. 1, 521, 599 oder 708 BGB finden,135 genießen grundsätzlich Vorrang. Das folgt schon aus dem Anwendungsvorrang der lex specialis vor der lex generalis. Bei vertraglichen Modifikationen erlaubt es der Grundsatz der Vertragsfreiheit den Parteien bis zur Vorsatzgrenze (§ 276 Abs. 3 BGB) die Haftung bzw. die Verantwortlichkeit des Schuldners zu mildern oder zu erweitern. Aber auch aus der Eigenart des Schuldverhältnisses können sich Abweichungen von den §§ 276–278 BGB ergeben. Neben dem bekanntesten Anwendungsfall, der beschränkten Arbeitnehmerhaftung, können auch einzelne Gefälligkeitsverhältnisse eine Abweichung rechtfertigen.136 Das Bestehen einer Haftungsmodifikation in zuvor genanntem Sinne ist von derjenigen Partei zu behaupten und zu beweisen, zu deren Gunsten sie sich auswirkt.137 Beruft sich der Schuldner auf die Geltung eines vertraglich gemilderten Haftungsmaßstabs, hat er die vertragliche Vereinbarung der Haftungsmilderung zu beweisen. Ist er der Auffassung, dass zu seinen Gunsten 132 MüKo/Ernst BGB § 283, Rn. 26; Palandt/Grüneberg § 283, Rn. 9; Erman/ Westermann § 283, Rn. 11; Staudinger/Otto/Schwarze § 283, Rn. 89; Huber, in: FS Schlechtriem, S. 521. 133 Vgl. hierzu umfassend Kap. 4 D. IV. 1.; Baumgärtel/Laumen/Prütting/Repgen § 280, Rn. 49; Deutsch AcP 202 (2002), S. 889, 910; MüKo/Ernst BGB § 280, Rn. 32, 17; Erman/Westermann § 280, Rn. 2, 26; Bamberger/Roth/Unberath, § 280, Rn. 95; Prütting/Wegen/Weinreich/Schmidt-Kessel, § 280, Rn. 21. 134 Staudiger/Otto § 280, Rn. D 5 ff. 135 Vgl. hierzu Staudinger/Löwisch/Caspers § 276, Rn. 116 ff. 136 Vgl. mit weiteren Beispielen Staudinger/Löwisch/Caspers § 276, Rn. 138 ff. 137 Staudinger/Otto § 280, Rn. D 29; MüKo/Ernst BGB § 280, Rn. 35.

B. Die Beweislastverteilung im Einzelnen

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eine gesetzliche Haftungsmilderung eingreift, hat er beispielsweise das Vorliegen der Voraussetzungen des Annahmeverzugs des Gläubigers (§§ 293 ff. BGB) zu beweisen, um in den Genuss der Haftungsprivilegierung des § 300 Abs. 1 BGB zu kommen.138 Kann der Schuldner das Eingreifen einer ihn begünstigenden Haftungsmodifikation zur Überzeugung des Gerichts beweisen, hat er sich nur noch für den von ihm geschuldeten Sorgfaltsmaßstab zu entlasten. Ist die Haftungsmilderung festgestellt, genügt der Beweis, dass er den Grad an Sorgfalt beobachtet hat, für den er einzustehen hat.139 Im Falle der Haftungsbegrenzung auf Vorsatzverschulden trifft den Schuldner aber weiterhin die volle Behauptungs- und Beweislast, dass ihm ein solches Verschulden nicht zur Last fällt. Eine Aufspaltung der Behauptungs- und Beweislast in diesen Fällen, wie dies in Teilen der Literatur vorgeschlagen wurde, ist abzulehnen, da dies mit der Natur von Beweislastnormen und hier im Speziellen mit der Anordnung des § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB unvereinbar wäre. Ernst ist der Auffassung, dass es in Fällen der Beschränkung der Haftung auf Vorsatzverschulden im Regelfall zunächst Sache des Gläubigers sei, die Umstände darzutun, die für den Vorsatz des Schuldners sprächen.140 Dem kann nicht gefolgt werden. Die Beweislastnorm des § 280 Abs. 1 BGB weist den Parteien hinsichtlich der von ihnen zu beweisenden Tatbestandsmerkmale zu Beginn des Prozesses einheitlich die Behauptungsund Beweislast zu. Ein Wechsel von Feststellungs- und Beweisführungslast während des Prozesses ist ausgeschlossen, da diese „Lasten“ durch die Beweislastnorm abstrakt-generell festgelegt sind. Die Anfangsdarlegungslast folgt der Beweislast im engeren Sinne nach. Wer das Vorliegen oder Nichtvorliegen einer Tatsache zur vollen richterlichen Überzeugung gemäß § 286 ZPO (Hauptbeweis) zu beweisen hat und wer sich auf die Gegenbeweisführung (Erschütterung der Überzeugung) beschränken kann, ist gesetzlich vorgegeben und ändert sich nicht je nach Prozesssituation. Lediglich auf der Ebene der Behauptungslast können die Parteien abwechselnd zur weiteren Substantiierung ihres Tatsachenvortrags aufgerufen sein. Hierbei handelt es sich aber lediglich um Fragen der Schlüssigkeit des Sachvortrags, die dem Regelungsregime der §§ 138, 139 ZPO unterliegen.141 Auch der Bundesgerichtshof hat Vorschlägen zur Aufspaltung von Behauptungslast einerseits sowie Feststellungs- und Beweisführungslast andererseits bereits zu Beginn des Prozesses (ausdrücklich bezogen auf das Verschulden) jüngst eine Absage erteilt.142 Das Gericht hat sich im Ansatz, 138

Staudinger/Otto § 280, Rn. F 17. Palandt/Grüneberg § 280, Rn. 40; Soergel/Wiedemann 12. Aufl., § 282 a. F., Rn. 14; BGHZ 46, 260, 267; BAG NJW 1985, 219, 220. 140 MüKo/Ernst BGB § 280, Rn. 35. 141 Vgl. hierzu bereits Kap. 4 G. 142 Vgl. hierzu im Einzelnen Kap. 6 C. II. 2. 139

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Kap. 5: Grundlage und Inhalt der Beweislastanordnungen

wenngleich in knapper Form, auf ähnliche Gründe gestützt. Es sah keinen Grund, den Schuldner entgegen der gesetzlichen Wertung von ihm möglichen und zumutbaren Vortrag zu entlasten.143 Zudem stützte es seine Entscheidung auf die praktische Erwägung, dass die Frage, ob vorsätzliches Handeln vorliegt, eine innere Tatsache des Schuldners betrifft. Über sie könne dieser ohne Weiteres Auskunft geben, während sie dem Gläubiger verschlossen sei und er sich darauf verlegen müsste, umfangreiche Indizien anzuführen, aus denen sich der Vorsatz ableiten lasse.144 Entscheidend ist aber der Hinweis, dass eine Aufspaltung der Behauptungs- und Beweislast aufgrund der entgegenstehenden, in Gestalt einer Beweislastnorm umgesetzten, gesetzlichen Wertung ausscheiden muss.145 b) Der Umfang des Entlastungsbeweises Der Bezugspunkt des Vertretenmüssens ist nicht einheitlich, sondern hängt von der Art der Leistungsstörung ab.146 Ist der Anspruch auf die Leistung infolge nachträglicher Unmöglichkeit ausgeschlossen, bezieht sich das Vertretenmüssen auf die die Leistungsbefreiung (§ 275 Abs. 1 BGB) begründenden Tatsachen. Das gilt mit einer Abweichung auch für die Fälle des § 275 Abs. 2 und 3 BGB. Hier bezieht sich das Vertretenmüssen auf diejenigen Umstände, die den Schuldner zur Erhebung der Einrede berechtigen. Vergegenwärtigt man sich diesen Bezugspunkt, wird zugleich nachvollziehbar, warum die Gründe, die die Leistung verhinderten, schon thematisch dem Entlastungsbeweis des Schuldners zuzuordnen sein müssen.147 Anders kann dies nur beurteilt werden, wenn es dem Gläubiger gerade darum geht, ohne Setzung einer Nacherfüllungsfrist sofort Schadensersatz gemäß §§ 280 Abs. 1, 3, 283 BGB geltend zu machen.148 Hinzu tritt der praktische Umstand, dass es für den Schuldner die einfachste Form des Entlastungsbeweises darstellt, wenn er die leistungshindernden Umstände aufklärt und nachweist, dass diese nicht in seinen Verantwortungsbereich fallen. Praktische Gegebenheiten oder Erwägungen stellen freilich keine dogmatische Kategorie dar und sind daher gänzlich ungeeignet, den Umfang des Entlastungsbeweises zu erklären.149 143

BGH NJW 2009, 2298, 2299. BGH NJW 2009, 2298, 2299. 145 Vgl. hierzu im Einzelnen Kap. 6 C. II. 2. 146 Staudinger/Otto § 280, Rn. D 6. 147 Baumgärtel/Laumen/Prütting/Repgen § 280, Rn. 274; Medicus/Lorenz, Schuldrecht I, Rn. 337. 148 Vgl. hierzu umfassend Kap. 5 B. I. 1. c) aa) (2). 149 Zu den verschiedenen Möglichkeiten den Entlastungsbeweis zu führen vgl. Kap. 5 B. I. 2. c). 144

B. Die Beweislastverteilung im Einzelnen

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Welchen Umfang der Entlastungsbeweis des Schuldners letzten Endes hat, ist nicht normativ vorgegeben, sondern hängt wiederum maßgeblich vom Inhalt der verletzten Pflicht ab.150 Analog zu der bereits aus Gläubigersicht beschriebenen Situation ändern sich je nach Charakter der verletzten Pflicht die Anforderungen, die an das Entlastungsvorbringen des Schuldners gestellt werden. Aus seiner Perspektive stellt sich aber nur noch die Frage, was inhaltlich für sein Entlastungsvorbringen übrig bleibt und nicht notwendig bereits vom Gläubiger zur Begründung der Pflichtverletzung vorgetragen werden musste. „Der Entlastungsbeweis nimmt unterschiedliche Gestalt an, je nachdem, ob eine objektive Sorgfaltswidrigkeit des Schuldners bereits vom Gläubiger bewiesen werden muss, um den Tatbestand der Pflichtverletzung auszufüllen oder nicht“.151 Bei der Verletzung erfolgsbezogener Pflichten kann sich der Gläubiger darauf beschränken, den Nichteintritt des geschuldeten Erfolges darzustellen. Der Schuldner hat sich dann im Rahmen seines Entlastungsbeweises sowohl zur Beachtung der äußeren (objektiven), als auch der inneren (subjektiven) Sorgfaltsanforderungen zu erklären. Bei der Verletzung von Tätigkeitspflichten hingegen muss der Gläubiger die negative Abweichung der vom Schuldner unternommenen, zu den vertraglich vereinbarten oder üblicherweise geschuldeten Bemühungen stets schon zur Begründung der Pflichtverletzung beweisen.152 Hier beinhaltet die Feststellung des Vorliegens einer Pflichtverletzung zugleich die Feststellung der objektiven Sorgfaltswidrigkeit des Schuldnerverhaltens.153 In diesen Fällen bleibt für den Entlastungsbeweis thematisch nur noch die Beachtung der inneren Sorgfalt übrig. Diese Situation ähnelt der Beweislastverteilung bei der Verletzung von Schutzpflichten im Sinne von § 241 Abs. 2 BGB. Steht das Bestehen einer entsprechenden Pflicht zum Schutze der Interessen des Gläubigers sowie ihre Verletzung fest, liegt zugleich eine objektive Sorgfaltspflichtverletzung seitens des Schuldners vor. Sein Entlastungsbeweis gemäß § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB kann nur noch darauf gerichtet sein, dass er die inneren Sorgfaltsanforderungen eingehalten hat.154 c) Die verschiedenen Möglichkeiten der Entlastungsbeweisführung Grundsätzlich kommen drei verschiedene Arten, den Entlastungsbeweis zu führen, in Betracht: 150

Medicus/Lorenz, Schuldrecht I, Rn. 336 ff. MüKo/Ernst BGB § 280, Rn. 31. 152 Vgl. für die Beweislastverteilung hinsichtlich innerer und äußerer Sorgfalt im Bereich des Arzthaftungsrechts Spickhoff NJW 2002, 2530, 2535 ff.; Medicus/ Lorenz, Schuldrecht I, Rn. 336 ff. 153 Zieglmeier JuS 2007, 701, 704. 154 Staudinger/Otto § 280, Rn. F 12, 34. 151

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Kap. 5: Grundlage und Inhalt der Beweislastanordnungen

– Nachweis der Verwirklichung eines schuldnersphärenfremden Leistungshinderungsgrundes: Der Schuldner kann den Umstand, der zum Ausschluss einer Leistungspflicht geführt hat, aufklären und beweisen, dass dieser nicht in seinen Verantwortungsbereich fiel.155 Sein Verantwortungsbereich umfasst selbstverständlich auch das Handeln derjenigen Personen, derer sich der Schuldner zur Erfüllung seiner Verbindlichkeiten bedient (§ 278 BGB).156 Die Exkulpation hat dann die Verwirklichung eines „externen“ bzw. schuldnersphärenfremden Leistungshinderungsgrundes zum Gegenstand. Bei der Haftung gemäß §§ 280 Abs. 1, 3, 283 BGB ist die Aufklärung des Umstandes und der Nachweis, dass sich dieser in einer Sphäre ereignet hat, für die der Schuldner nicht verantwortlich ist, absolut ausreichend und führt zwangsläufig zur Exkulpation. Bei der Haftung gemäß § 311a Abs. 2 BGB wäre ein entsprechender Vortrag nicht ausreichend, da die Haftung ja auch bei Verwirklichung eines externen Leistungshinderungsgrundes eintritt, solange der Schuldner diesen nur kannte.157 – Nachweis des fehlenden Kausalzusammenhangs: Zum anderen kann der Schuldner sich dadurch exkulpieren, dass er die fehlende Kausalität des in seinen Verantwortungsbereich fallenden Leistungshinderungsgrundes für den eingetretenen Schaden nachweist.158 Dieser Nachweis des fehlenden Kausalzusammenhangs ist ungleich schwieriger zu führen, da er Betrachtungen über hypothetische Kausalverläufe erforderlich macht. – Nachweis der fehlenden persönlichen Vorwerfbarkeit: Fällt der leistungshindernde Umstand in den Verantwortungsbereich des Schuldners und ist dieser auch kausal für den Schaden geworden, so kann sich der Schuldner nur noch dadurch entlasten, dass er nachweist, dass er sämtliche Sorgfaltsanforderungen beachtet hat und es somit an der persönlichen Vorwerfbarkeit fehlt. Es handelt sich dann um eine abstrakte Entlastung. Die Exkulpation aufgrund fehlender persönlicher Vorwerfbarkeit erfordert zumeist einen besonders umfangreichen Vortrag, da eine Entlastung nur in Betracht kommt, wenn der Schuldner nachweist, lückenlos alle von ihm zu erwartenden Sorgfaltsanforderungen beachtet zu haben.159 Den gleichen Weg muss er immer dann beschreiten, wenn sich der leistungshindernde Umstand nicht mehr aufklären lässt. Auch dann kann ein feh155 Bamberger/Roth/Unberath § 280, Rn. 95; Baumgärtel/Laumen/Prütting/Repgen § 280, Rn. 124. 156 Staudinger/Otto § 280, Rn. F 11. 157 Kap. 3 B. II. 1. 158 RGZ 138, 37, 39 zu § 618 BGB; Bamberger/Roth/Unberath § 280, Rn. 95. 159 RGZ 101, 152, 153; BGHZ 116, 334, 337; Staudinger/Otto § 280, Rn. F. 12; Baumgärtel/Laumen/Prütting/Repgen § 280, Rn. 124.

B. Die Beweislastverteilung im Einzelnen

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lendes Verschulden nur indirekt über die Beachtung der Sorgfaltsanforderungen bewiesen werden. Diese indirekte Beweisführung wird sich in der Regel am schwierigsten und umfangreichsten gestalten.160

II. Die Beweislastverteilung bei Schadensersatzansprüchen infolge anfänglicher Unmöglichkeit 1. Vom Gläubiger zu beweisende Tatsachen a) Schuldverhältnis Auch der Schadensersatzanspruch gemäß § 311a Abs. 2 BGB setzt voraus, dass der Gläubiger das Bestehen eines Schuldverhältnisses nachweist. Es ergeben sich insoweit keine Abweichungen zum Anspruch infolge nachträglicher Unmöglichkeit. b) Bruch des wirksamen Leistungsversprechens/Nichterfüllung In Fällen des § 311a Abs. 2 BGB liegt stets bereits bei Vertragsschluss ein Leistungshinderungsgrund vor. Da deshalb eine Pflicht zur Leistung zu keinem Zeitpunkt bestanden haben kann, vermeidet der Normwortlaut folgerichtig jegliche Bezugnahme auf den Begriff der „Pflichtverletzung“. Wie an anderer Stelle bereits ausführlich dargestellt,161 ist das Haftungsbegründungselement des Schadensersatzanspruchs infolge anfänglicher Unmöglichkeit der Leistung in dem Bruch des wirksamen Leistungsversprechens zu sehen. Der Bruch des Leistungsversprechens bzw. die Nichterfüllung ersetzt systematisch das Merkmal der Pflichtverletzung. Bereits nach allgemeinen Beweislastgrundsätzen wäre der Gläubiger für anspruchsbegründende Tatsachen behauptungs- und beweisbelastet. Zudem ist § 311a Abs. 2 BGB, abgesehen von dem unterbliebenen Rekurs auf den Begriff der Pflichtverletzung und dem abweichenden Bezugspunkt des Vertretenmüssens,162 strukturähnlich zu den §§ 280 Abs. 1, 3, 283 BGB formuliert.163 Demzufolge ergeben sich auch hier keine Abweichungen zu der Haftung aus §§ 280 Abs. 1, 3, 283 BGB. Für das Vorliegen des Haftungsbegrün160

RGZ 74, 342, 344; BGHZ 161, 79, 84; Staudinger/Otto § 280, Rn. F. 13. Kap. 3 A. II. 162 Kap. 3 B. II. 1. 163 § 311a Abs. 2 BGB wird, wie bereits erwähnt, teilweise nur klarstellende Funktion beigemessen. Ohne diese Spezialregelung ergebe sich dieselbe Haftungsfolge aus §§ 280, 283, so etwa MüKo/Ernst BGB § 311a, Rn. 4; vgl. hierzu Kap. 4 D. IV. 1. a. E. 161

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Kap. 5: Grundlage und Inhalt der Beweislastanordnungen

dungselements, den Bruch des Leistungsversprechens, ist auch hier der Gläubiger behauptungs- und beweisbelastet. Bestand die versprochene Leistung in der Herbeiführung eines Erfolges, ist es auf Seiten des Gläubigers zunächst wiederum ausreichend, den Nichteintritt des geschuldeten Erfolges schlüssig zu behaupten. Es liegt dann am Schuldner, die Erfüllung zu behaupten und zu beweisen (§ 363 BGB). Das Vorliegen von Erfolgspflichten stellt den absoluten Regelfall dar, da sich ein Schuldner nur in sehr seltenen Fällen zu einer anfänglich unmöglichen Tätigkeit verpflichten wird. Hauptsächlich wird es in diesen Fallkonstellationen wohl um Dienstleistungen gehen, zu deren Vornahme der Schuldner nicht fähig ist, weil ihm etwa eine entsprechende Qualifikation fehlt.164 c) Schaden/Kausalität In den Beweislastfragen zum Schaden und zur Kausalität ergeben sich im Vergleich zur Haftung bei nachträglicher Unmöglichkeit keine Abweichungen. Es sei daher auf die dortigen Ausführungen verwiesen.165 2. Der Entlastungsbeweis des Schuldners a) Vorliegen eines anfänglichen Leistungshindernisses Analog zum Anspruch aus §§ 280 Abs. 1, 3, 283 BGB stellt sich auch hier die Frage, wer für das Bestehen eines anfänglichen Leistungshindernisses behauptungs- und beweispflichtig ist. Auch hier wird vertreten, dass dieses Tatbestandsmerkmal stets zur Beweislast des Gläubigers steht.166 Das Leistungshindernis bezeichnet denjenigen tatsächlichen Umstand, der dafür verantwortlich ist, dass der Schuldner von seiner Primärleistungspflichtung befreit wird. Es handelt sich um rechtsvernichtende Einwendungen (§ 275 Abs. 1 BGB) bzw. Einreden (§ 275 Abs. 2 und 3 BGB). Für das Vorliegen derjenigen tatsächlichen Umstände, die Einwendungen und Einreden begründen, wäre jedenfalls nach der allgemeinen Grundregel der Beweislastverteilung der Anspruchsgegner, also der Schuldner, beweispflichtig. Aus der Grundregel der Beweislastverteilung lässt sich jedenfalls keine Behauptungs- und Beweislast des Gläubigers für das Vorliegen eines anfänglichen Leistungshindernisses ableiten. Auch die Unterscheidung danach, 164

Vgl. zu denkbaren Fallkonstellationen Kap. 8 D. I. Kap. 5 B. I. 1. f). 166 Palandt/Grüneberg § 311a, Rn. 10; Baumgärtel/Laumen/Prütting/Repgen § 311a, Rn. 2. 165

B. Die Beweislastverteilung im Einzelnen

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ob sich der Schuldner gegen einen Leistungsanspruch zur Wehr setzt (dann ist ihm der Beweis der Voraussetzungen des § 275 BGB günstig) oder ob die Leistungsbefreiung Voraussetzung für einen Ersatzanspruch ist (dann wäre die Feststellung der leistungsbefreienden Tatsachen ungünstig), erlaubt keine sichere Aussage darüber, welche Partei die leistungshindernden Tatsachen darzulegen und zu beweisen hat.167 Das Verhältnis des Bruchs des wirksamen Leistungsversprechens zum Leistungshindernis (§ 311a Abs. 2 BGB) ist dasselbe wie dasjenige zwischen Pflichtverletzung und Unmöglichkeit (§§ 280 Abs. 1, 3, 283 BGB).168 Auch hier kann nicht schematisch von einer Behauptungs- und Beweislast des Gläubigers für das Vorliegen eines anfänglichen Leistungshindernisses gesprochen werden. Wie bei dem Schadensersatzanspruch infolge nachträglicher Unmöglichkeit hängt die Beweislast maßgeblich vom vorprozessualen Vorgehen des Gläubigers ab. Im Regelfall verhält sich der Gläubiger klüger, wenn er sich auch hier darauf beschränkt, eine Nacherfüllungsfrist zu setzen, um im Zweifel auch die Voraussetzungen des Anspruchs aus §§ 280 Abs. 1, 3, 281 BGB zu erfüllen und seinen Anspruch alternativ auf §§ 280 Abs. 1, 3, 281 oder §§ 280 Abs. 1, 3, 283 oder 311a Abs. 2 BGB zu stützen.169 Durch ein solches Vorgehen kann er sich stets jeglichen Vortrags zu sich in der Schuldnersphäre ereignenden Leistungshinderungsgründen enthalten. Stützt der Gläubiger seinen Anspruch hingegen von vornherein auf § 311a Abs. 2 BGB, ohne seinem Schuldner eine Nacherfüllungsfrist zu setzen, so ist es in der Tat an ihm zu beweisen, dass er auf Grund des Ausschlusses der Primärleistungspflicht berechtigt war, ohne Fristsetzung sogleich Schadensersatz statt der Leistung zu verlangen. Hier erhellt der Gläubiger nicht – wozu er regelmäßig nicht im Stande sein wird – die Gründe, warum der Schuldner nicht leistete, sondern tritt den zweifelsohne ihm auferlegten Beweis an, dass eine Nachfristsetzung entbehrlich war. Auch beim Schadensersatzanspruch gemäß § 311a Abs. 2 BGB ist es regelmäßig der Schuldner, der im Rahmen seiner Exkulpation aufklärt, warum er hinter dem von ihm versprochenen Leistungsprogramm zurückblieb. Er steht dem Leistungshinderungsgrund näher und kann sich durch Aufklärung des Leistungshinderungsgrundes auch am einfachsten entlasten.170

167 Für eine derartige Unterscheidung aber Staudinger/Löwisch/Caspers § 275, Rn. 121. 168 Kap. 5 B. I. 1. c) bb) (2). 169 MüKo/Ernst BGB § 281, Rn. 2; Baumgärtel/Laumen/Prütting/Repgen § 281, Rn. 1; Palandt/Grüneberg § 283, Rn. 2; Staudinger/Otto/Schwarze § 281, Rn. B 9. 170 Kap. 5 B. I. 2. c).

136

Kap. 5: Grundlage und Inhalt der Beweislastanordnungen

b) Der Zeitpunkt des Eintritts der Unmöglichkeit Thematisch ist der Grund, warum die Leistung ausblieb, dem Zurechnungsgesichtspunkt bzw. dem Entlastungsbeweis zuzuordnen.171 Aus diesem Grunde geht auch die Unaufklärbarkeit der Umstände, die zum Ausschluss der Leistungspflicht geführt haben, generell zu Lasten des Schuldners.172 Das gilt insbesondere auch für den Zeitpunkt der Unmöglichkeit. Dies stellt keine durch die Reformierung des Schuldrechts bedingte Neuerung dar, sondern entspricht der herrschenden Auffassung in der Literatur173 sowie der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs.174 Die ergangenen Urteile betonen stets, dass die Anforderungen an den Entlastungsbeweis des Schuldners nicht überspannt werden dürfen. Andererseits dürfen sie aber auch nicht so gering bemessen sein, dass praktisch die Folgen für die fehlende Möglichkeit einer Aufklärung der Umstände, die zur Unmöglichkeit geführt haben, den Gläubiger treffen. Das gilt nach der Rechtsprechung uneingeschränkt dann, wenn im Streitfall eine – wenn auch nur geringe – Wahrscheinlichkeit offen bleibt, dass für die Unmöglichkeit ein Verschulden des Schuldners in Betracht kommt.175 Die Rechtsprechung verweist zur Begründung unter anderem darauf, dass es sich hierbei um einen allgemeinen Rechtsgedanken handele, der sich auch in § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB finde.176 Entscheidend ist hingegen der Gesichtspunkt, dass es bedeutete, entgegen der Vorgaben der Beweislastnorm177 des § 311a Abs. 2 Satz 2 BGB zu verfahren, würde man dem Gläubiger die Beweislast für diejenigen Umstände, die zum Ausschluss der Leistungspflicht geführt haben – sie sind Bestandteil des Zurechnungsgesichtspunkts – zuweisen. Die Aufklärung der Gründe seines Scheiterns obliegt auch in zeitlicher Hinsicht dem Schuldner. Deshalb ist er es, der zuerst zur Substantiierung seines Vortrags aufgerufen ist, will er den Nachteil, den er aus der Unaufklärbarkeit des Leistungshinderungsgrundes zu tragen hätte, vermeiden.

171

Medicus/Lorenz, Schuldrecht I, Rn. 337. Staudinger/Otto § 280, Rn. F. 13; Bamberger/Roth/Unberath § 280, Rn. 95. 173 MüKo/Ernst BGB § 311a, Rn. 105; Canaris, in: FS Heldrich, S. 11, 21; Ehmann/Sutschet JZ 2004, 62, 72; Bamberger/Roth/Unberath § 280, Rn. 95; Baumgärtel/Laumen/Prütting/Repgen § 311a, Rn. 3; a. A. Staudinger/Otto/Schwarze § 283, Rn. 88. 174 BGH NJW 1952, 1170 f.; 1953, 59 f.; 1980, 2186, 2187. 175 Vgl. hierzu BGH NJW 1952, 1170 f.; 1953, 59 f.; 1980, 2186, 2187; BGH WarnR 1969, 72, 73 f. 176 BGH NJW 1980, 2186, 2187. 177 Vgl. hierzu sogleich Kap. 5 B. II. 2. c). 172

B. Die Beweislastverteilung im Einzelnen

137

c) Kumulativer Entlastungsbeweis Dieser Befund löst zwangsläufig noch eine weitere Folge aus. Bleibt der Zeitpunkt des Eintritts eines Leistungshindernisses ungeklärt, hat der Schuldner einen kumulativen Entlastungsbeweis zu führen.178 Er muss sich dann sowohl hinsichtlich des Anspruchs aus §§ 280 Abs. 1, 3, 283 BGB, als auch aus § 311a Abs. 2 BGB exkulpieren. Dieses Ergebnis ist aus der Tatsache abzuleiten, dass beide Haftungstatbestände eine Vermutung für das Vertretenmüssen aufstellen. Liegt ein Leistungshindernis vor und stellt sich nur noch die Frage nach dem Zeitpunkt, ab dem es vorlag, steht zugleich fest, dass entweder die Voraussetzungen des § 311a Abs. 2 BGB oder der §§ 280 Abs. 1, 3, 283 BGB gegeben sind.179 Steht aber fest, dass der Gläubiger einen Ersatzanspruch hat, kann die Unsicherheit, aus welcher Anspruchsnorm er zu fordern ist – die Anspruchsgrundlage hat der Gläubiger ja nicht einmal zu benennen – nicht zu seinen Lasten gehen. In Sachverhaltskonstellationen, in denen der Zeitpunkt des Eintritts des Leistungshindernisses ungewiss ist, sind die Anforderungen an den Entlastungsbeweis des Schuldners somit wesentlich verschärft, reicht es doch im Falle eines anfänglichen Leistungshindernisses schon aus, fahrlässige Unkenntnis von dem leistungshindernden Umstand gehabt zu haben, unabhängig davon, ob er sich in der Schuldnersphäre ereignet hat oder nicht.180 Ist ein kumulativer Entlastungsbeweis notwendig, muss sich der Schuldner stets auch hinsichtlich der in Betracht kommenden externen Leistungshinderungsgründe exkulpieren. d) Aufspaltung von Behauptungs- und Beweislast hinsichtlich des Verschuldens? Eine Aufspaltung von Behauptungs- und Beweislast hinsichtlich des (Vorsatz-)Verschuldens kommt auch bei dem Anspruch aus § 311a Abs. 2 BGB nicht in Betracht.181 Die zugrunde liegenden Erwägungsgründe182 gelten bei § 311a BGB sogar noch in verstärktem Maße. Im Gegensatz zu der Zentralnorm des § 280 Abs. 1 BGB, deren Regelungsregime eine Vielzahl von Ansprüchen unterliegt und die deshalb generalklauselartige Weite hat, regelt § 311a Abs. 2 BGB einen eng umrissenen Spezialfall. Hier kommt 178

Canaris, in: FS Heldrich, S. 11, 20 f.; MüKo/Ernst BGB § 311a, Rn. 105; Ehmann/Sutschet JZ 2004, 62, 72. 179 Canaris, in: FS Heldrich, S. 11, 20 f. 180 Kap. 3 B. II. 1. 181 BGH NJW 2009, 2298, 2299; vgl. hierzu bereits oben Kap. 5 B. I. 2. a). 182 Vgl. hierzu Kap. 6 C. II. 2.

138

Kap. 5: Grundlage und Inhalt der Beweislastanordnungen

eine Änderung der gesetzgeberischen Beweislastanordnung praeter legem kaum in Betracht. Gründe, die eine teleologische Reduktion der Beweislastnorm des § 311a Abs. 2 Satz 2 BGB erforderlich machen würden, sind bislang nicht ersichtlich. Die gesetzgeberische Wertung, die der Bundesgerichtshof schon bei der Generalklausel des § 280 Abs. 1 BGB für zu respektieren hält, erlangt bei § 311a BGB noch größeres Gewicht. Bei dem Zurechnungsgesichtpunkt des § 311a Abs. 2 BGB, der Kenntnis bzw. der fahrlässigen Unkenntnis, handelt es sich zudem um eine innere Tatsache in der Person des Schuldners.183 Das Vorhandensein von Wissen ist dem Einblick des Gläubigers noch in viel stärkerem Maße entzogen, als dies in dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Sachverhalt der Fall war. e) Auswirkungen der Beweislastverteilung konkurrierender Ansprüche aus culpa in contrahendo? Der Umstand, dass der konkurrierende Anspruch aus culpa in contrahendo Behauptungen und Beweistätigkeit erforderlich macht, worüber der Schuldner hätte aufklären müssen – das Bestehen eines Leistungshindernisses (dies hat innerhalb des Tatbestandsmerkmals des Bestehens einer Aufklärungspflicht zu erfolgen) – ändert an der Beweislastverteilung bei § 311a Abs. 2 BGB nichts. Spezifiziert ein Gläubiger die Gründe, die zum Ausbleiben der Leistung geführt haben genauer, kann ihm dies nicht zum Nachteil gereichen, sondern steigert im Gegenteil die Substantiierungsanforderungen an den Entlastungsbeweis des Schuldners. Es ist nicht notwendig, dass der Gläubiger stets zunächst den Weg über die §§ 280, 281 BGB geht, um den Schuldner zu einer Erhellung der Gründe, warum seine Leistung ausblieb, zu zwingen, will er den Prozess nicht verlieren.184

183 184

BGH NJW 2009, 2298, 2299. Vgl. etwa Jauernig/Stadler § 311a, Rn. 9.

Kapitel 6

Die Schwierigkeit des Entlastungsbeweises/Lösungsansätze A. „Übertriebene Anforderungen“ an den Entlastungsbeweis des Schuldners? In Rechtsprechung1 und Literatur2 findet sich immer wieder die formelhafte Aussage, dass an den Entlastungsbeweis des Schuldners keine übertriebenen Anforderungen gestellt werden dürfen. Wann aber „übertriebene Anforderungen“ gegeben sind, wird zumeist nicht generalisierend, sondern anhand von Einzelfällen exemplarisch dargestellt. Das ist nachvollziehbar, da es stets mit Schwierigkeiten verbunden ist, derart unbestimmte Begrifflichkeiten abstrakt-generell mit Inhalt zu befüllen. Andererseits ist die Bestimmung von Beweisanforderungen anhand konkreter Fallkonstellationen problematisch, da sie allzu leicht dazu verleiten, auf Grundlage von Billigkeitserwägungen Beweislasten einzelfallabhängig und ohne rechtliche Grundlage zuzuweisen. Ein solches Vorgehen außerhalb der Grenzen der richterlichen Rechtsfortbildung ist jedoch unzulässig und ignoriert die in der Beweislastnorm enthaltene gesetzliche Anordnung.3 Mit „übertriebenen Anforderungen“ kann jedenfalls nicht gemeint sein, die Unaufklärbarkeit eines tatsächlichen Umstandes zu Lasten einer Partei gehen zu lassen. Dies ist ja gerade das Wesensmerkmal der Feststellungslast bzw. typisch für die Wirkweise von Beweislastnormen.4 Deshalb ist es folgerichtig, wenn etwa Wiedemann zum Diskussionsstand ergänzt, dass die Anforderungen an den Entlastungsbeweis auch nicht so weit vermindert werden dürfen, dass die Unaufklärbarkeit des Verschuldens zu Lasten des Gläubigers geht.5 Bei den §§ 280 Abs. 1 Satz 2 und 311a Abs. 2 Satz 2 BGB bedeutete ein solches Ergebnis, exakt entgegen der Anordnung der 1

BGHZ 116, 334, 337; BGH NJW 1953, 59, 60; NJW-RR 1990, 446. MüKo/Ernst BGB § 280, Rn. 34; Soergel/Wiedemann, 12. Aufl., § 282 a. F., Rn. 12; Baumgärtel/Laumen/Prütting/Repgen § 280, Rn. 110. 3 Kap. 4 B. I. a. E. 4 Kap. 4 E.; Kap. 4 B. I. 5 BGH NJW 1953, 59,60; BGHZ 161, 79, 84 f.; Soergel/Wiedemann, 12. Aufl., § 282 a. F., Rn. 12; ebenso Staudinger/Otto § 280, F 13. 2

140

Kap. 6: Die Schwierigkeit des Entlastungsbeweises/Lösungsansätze

Beweislastnorm zu verfahren. Auch die Vorgabe eines klaren Regel-Ausnahme-Verhältnisses von Haftung und Exkulpation bei Vorliegen einer Pflichtverletzung durch den Gesetzgeber ist unbedenklich und liegt, wie bereits an anderer Stelle angesprochen,6 häufig der Normierung entsprechender Beweislastnormen zugrunde. Übertriebene Anforderungen an denjenigen, zu dessen Lasten die Regelvermutung wirkt, lassen sich hieraus nicht ableiten. Im Bereich der widerleglichen gesetzlichen Vermutungen – aus diesem Grund ist auch die exakte dogmatische Einordnung der Beweislastregelungen der §§ 280 Abs. 1 Satz 2 und 311a Abs. 2 Satz 2 BGB so wichtig – lässt sich schon im Gesetz ein gewisser Anhaltspunkt für die Grenze der Anforderungen, die an einen Entlastungsbeweis gestellt werden können, finden: „Stellt das Gesetz für das Vorhandensein einer Tatsache eine Vermutung auf, so ist der Beweis des Gegenteils zulässig, sofern nicht das Gesetz ein anderes vorschreibt“ (§ 292 Satz 1 ZPO). Der gesetzliche Wortlaut hätte unbedenklich in „zulässig und möglich“ fortgeschrieben werden können, da die Möglichkeit der Widerlegung einer Vermutung gerade den Unterschied zu unwiderleglichen Vermutungen, den Fiktionen, ausmacht. Kennzeichnend für die widerlegliche Vermutung ist also die Möglichkeit, den Beweis des Gegenteils führen zu können. Daraus lässt sich weiter ableiten, dass die Beweisanforderungen an den Schuldner zwar belastend, nicht aber erdrückend sein dürfen. § 292 ZPO enthält somit auch eine Verpflichtung der Gerichte, keine überzogenen Anforderungen an die Beweisführung zu stellen und somit den Entlastungsbeweis zur probatio diabolica zu machen. Wäre die Möglichkeit der Exkulpation für eine Vielzahl von Fällen faktisch nicht gegeben, befände man sich dogmatisch gesehen eher im Bereich der Fiktionen, nur mit dem Unterschied, dass eine Entlastung faktisch nicht in Betracht kommt und nicht von Gesetzes wegen ausgeschlossen ist. Die unwiderlegliche Vermutung oder Fiktion des Vorliegens des Zurechnungsgesichtspunktes und somit der Haftungsfolge selbst wäre aber zum einen rechtsethisch bedenklich7 – bedeutete sie doch die Rückkehr und sogar deutliche Erweiterung der überwunden geglaubten Garantiehaftung – und zum anderen nicht mit dem in §§ 280 Abs. 1 Satz 2 und 311a Abs. 2 Satz 2 BGB verankerten Verschuldensprinzip in Einklang zu bringen. Damit ist selbstverständlich die Frage, wann im Einzelnen „übertriebene Anforderungen“ an den Entlastungsbeweis des Schuldners gestellt werden, nicht abschließend geklärt. Sicher ist aber, dass es im Bereich widerlegli6

Kap. 5 A. II. 3. d). Dies wird jedenfalls überwiegend so wahrgenommen vgl. Canaris, in: FS Heldrich, S. 11, 21 f.; Unberath, Die Vertragsverletzung, S. 328 f.; vgl. auch Canaris JZ 2001, 499, 506. 7

B. Die Ausgangssituation

141

cher Vermutungen dem Schuldner nicht von vornherein verwehrt sein darf, seinen Entlastungsbeweis zu führen. Ebenso sind Wesen und Wirkweise der betreffenden Beweislastnormen soweit zu respektieren, dass es aufgrund von Anpassungen der Beweislast aus Einzelfallerwägungen nicht zu einer „Rückumkehr“ der gesetzlichen Beweislastanordnung kommt. Diese beiden Grenzen geben gewissermaßen einen Zielkorridor vor, innerhalb dessen bei der Anpassung bzw. Veränderung der Beweisanforderungen äußerste Vorsicht geboten ist, will man diese nicht contra legem bestimmen. Wie stark der Schuldner durch die Beweislastnormen der §§ 280 Abs. 1 Satz 2 und 311a Abs. 2 Satz 2 BGB belastet ist, und ob die Anforderungen an ihn überspannt sind oder sich innerhalb dieses Korridors befinden, macht eine zusammenfassende Bestandsaufnahme erforderlich.

B. Die Ausgangssituation I. Regelhaftungsfolge zu Lasten des Schuldners Der Gesetzgeber gibt – unter anderem gestützt auf den Sphärengedanken sowie aufgrund einer abstrakt-generellen Wahrscheinlichkeitsprognose – für die §§ 280 Abs. 1 Satz 2, 311a Abs. 2 Satz 2 BGB bezogen auf die Haftungsfolge ein klares Regel-Ausnahme-Verhältnis zu Lasten des Schuldners vor. Ist aufgrund der Behauptungs- und Beweistätigkeit des insoweit belasteten Gläubigers das Vorliegen einer Pflichtverletzung festgestellt, stellt die Schadenseratzhaftung des Schuldners die Regel dar, es sei denn, der Schaden war vom Schuldner weder verursacht noch in sonstiger Weise zu vertreten. Aus diesem Umstand allein lassen sich keine überzogenen Anforderungen an den Entlastungsbeweis ableiten. Ganz im Gegenteil: Dieses Verhältnis von Haftung zu Exkulpation ist vom Gesetzgeber, gestützt auf den Gedanken der vertraglichen Erfüllungsgarantie und Überlegungen zur Beweisnähe, ausdrücklich gewollt.8 Ansatzpunkte, dass der Gesetzgeber die rechtlichen Grenzen seines Gestaltungsspielraums überschritten hätte, bestehen nicht.9

8

Kap. 5 A. II. 3./4. Vgl. Canaris, in: FS Heldrich, S. 11, 37 f.; a. A. im Anwendungsbereich von § 311a Abs. 2 BGB wohl Lobinger, Die Grenzen rechtsgeschäftlicher Leistungspflichten, S. 281 f.; Lobinger ist mit dieser Auffassung weitestgehend isoliert. Eine weitere Vertiefung der Diskussion muss daher an dieser Stelle unterbleiben. 9

142

Kap. 6: Die Schwierigkeit des Entlastungsbeweises/Lösungsansätze

II. Minimalanforderungen an die Beweistätigkeit des Gläubigers bei Erfolgsverpflichtungen Bei der Haftung wegen Erfolgspflichtverletzungen treffen den Gläubiger nur geringste Beweisführungsanforderungen. Der Schuldner müsste sich demgegenüber nach dem Wortlaut der Vermutungen in den §§ 280 Abs. 1 Satz 2, § 311a Abs. 2 Satz 2 BGB für jeden denkbaren Umstand durch Beweis des Gegenteils, also jeweils zur vollen richterlichen Überzeugung, exkulpieren. Die geringen Anforderungen an die Behauptungs- und Beweistätigkeit des Gläubigers bei Erfolgspflichten führt nicht etwa spiegelbildlich zu einer überzogenen Belastung des Schuldners. Die inhaltliche Weite des Beweisthemas (Entlastungsbeweis bei Erfolgsverpflichtungen) steht in direkter Abhängigkeit zu den materiellrechtlichen Abreden der Parteien. Hat der Schuldner die Herbeiführung eines Erfolges versprochen, hat er aufzuklären, warum er an der Erfüllung seiner Pflicht scheiterte. Übertriebene Anforderungen können sich aber aus dem zweiten, soeben genannten Gesichtspunkt ergeben. Sie lägen sicher vor, müsste sich der Schuldner tatsächlich für jeden denkbaren Leistungshinderungsgrund exkulpieren. Würde man einen solchen umfassenden Entlastungsbeweis fordern, wäre sowohl dem Schuldner ein entsprechender Vortrag als auch dem Gericht eine entsprechende Bearbeitung unmöglich. Hier ist in der Tat eine inhaltliche Begrenzung des Entlastungsvorbringens angezeigt. Eingriffe in die Beweislastanordnungen sind, wie sich sogleich zeigen wird, hierfür nicht notwendig.10

III. Schwierigkeiten der Beweisanforderungen bei § 311a Abs. 2 Satz 2 BGB Die Führung des Entlastungsbeweises bei § 311a Abs. 2 Satz 2 BGB weist besondere Schwierigkeiten auf. Die Norm verlangt vom Schuldner die Exkulpation sowohl hinsichtlich einer inneren als auch einer negativen Tatsache (fehlende Kenntnis/keine fahrlässige Unkenntnis). Der Beweis innerer sowie negativer Tatsachen wird jeweils schon für sich genommen als besonders schwierig angesehen.11 Hinzu tritt der erweiterte Bezugspunkt des Vertretenmüssens bei der Haftung infolge anfänglicher Unmöglichkeit.12 Der Schuldner haftet auch, wenn sich externe Leistungshinderungsgründe (solche also, die sich nicht in der Schuldnersphäre ereignen) verwirklichen und er von diesen, zumindest fahrlässig, keine Kenntnis hatte. Außerdem haftet der 10 11 12

Vgl. unten Kap. 3 A. I. Vgl. Kap. 6 C. I. 1./2. Kap. 3 B. II. 1.

B. Die Ausgangssituation

143

Schuldner prinzipiell bereits dann, wenn er Leistungsrisiken erkannt hatte, die sich erst zu einem späteren Zeitpunkt verwirklichen, da nur eine solche Auslegung des Begriffs „Leistungshindernis“ großzügige Spekulationen auf Kosten der Leistungserwartung des Gläubigers wirksam unterbindet.13 Sich in Bezug auf eine innere Tatsache exkulpieren zu müssen, ist zwar ebenso wie die Negativbeweisführung anerkanntermaßen schwierig, führt aber weder für sich genommen, noch in der Kumulation zu einer Überforderung des Entlastungsbeweisbelasteten. In Rechtsprechung und Lehre wurden in langer Tradition Instrumente entwickelt, der Situation des in solcher Weise Beweisbelasteten angemessen zu begegnen. Der weite Bezugspunkt des Vertretenmüssens bei § 311a Abs. 2 Satz 2 BGB ist vom Gesetzgeber in zulässiger Weise so angeordnet. Das Risiko, sich für die Verwirklichung externer Leistungshinderungsgründe nicht entlasten zu können, hat er dem Schuldner zugewiesen. Diesen Umstand zur Begründung übertriebener Anforderungen anzuführen und daraufhin Beweiserleichterungen zugunsten des Schuldners zu gewähren, bedeutete diese Risikozuweisung zu konterkarieren. Für die Haftung bereits für erkannte Leistungsrisiken sprechen gewichtige teleologische Gründe. Eine Überforderung des Schuldners ergibt sich daraus nicht, da es ihm stets möglich bleibt darzulegen, warum er darauf vertrauen durfte, dass sich diese erkannten Risiken nicht verwirklichen würden.

IV. Kumulativer Entlastungsbeweis Ist der Zeitpunkt des Unmöglichwerdens unklar, muss der Schuldner den Entlastungsbeweis kumulativ führen, da es aufgrund der Rechtsprechung14 und der herrschenden Auffassung in der Literatur15 als gesichert erscheint, dass diese Ungewissheit nicht zu Lasten des Gläubigers gehen darf. Dieser Umstand wirkt für den Schuldner sehr belastend, da er in diesen Fallkonstellationen immer zugleich den schwierigeren Entlastungsbeweis des § 311a Abs. 2 Satz 2 BGB führen muss. Die Unaufklärbarkeit des Zeitpunkts der Unmöglichkeit färbt also insofern auf die Beweisanforderungen an den Schuldner ab, als dieser sich dann auch für Gründe zu exkulpieren hat, die sich außerhalb seines Verantwortungsbereichs ereignet haben, von denen er aber Kenntnis gehabt haben könnte. Auch in diesem Zusammenhang droht eine Überforderung des Schuldners mit seinem Entlastungsbeweis nur dann, wenn man von ihm verlangte, sich 13

Kap. 3 A. III. 2. a) bb). BGH NJW 1952, 1170 f.; 1953, 59 f.; 1980, 2186, 2187; BGH WarnR 1969, 72, 73 f. 15 Canaris, in: FS Heldrich, S. 11, 20 f. 14

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Kap. 6: Die Schwierigkeit des Entlastungsbeweises/Lösungsansätze

hinsichtlich jedes denkbaren Umstandes zu entlasten. Muss er einen kumulativen Entlastungsbeweis führen, beträfe dies sowohl die Leistungshinderungsgründe aus seiner Sphäre als auch die externen Leistungshinderungsgründe aufgrund des erweiterten Bezugspunktes des Vertretenmüssens bei § 311a Abs. 2 BGB. Auch hier kann aber schon mit einer sinnvollen Begrenzung des notwendigen Entlastungsvorbringens abgeholfen werden.

V. Zwischenergebnis Die Anforderungen an den Entlastungsbeweis des Schuldners bei den §§ 280 Abs. 1 Satz 2, 311a Abs. 2 Satz 2 BGB können nicht per se als übertrieben angesehen werden. Erdrückend und somit grundsätzlich korrekturbedürftig wäre die Lage des Schuldners nur dann, wenn man ihm abforderte, sich uneingeschränkt hinsichtlich jedes denkbaren Umstandes zu entlasten. Dazu wäre er fast nie im Stande.16 Die widerleglichen Vermutungen in den §§ 280 Abs. 1 Satz 2, 311a Abs. 2 Satz 2 BGB würden sich tatsächlich wie unwiderlegliche Vermutungen auswirken. Diesen Schwierigkeiten kann aber nach der hier vertretenen Konzeption auf Behauptungsebene begegnet werden. Eingriffe in die Beweislast (Beweisführungs- und Feststellungslast) sind hierfür nicht notwendig. In der Literatur finden sich indes einige Stimmen, die es für erforderlich ansehen, tiefere Korrekturen der vorgegebenen Beweislastverteilung vorzunehmen. Im Folgenden sollen zunächst diese Lösungsansätze dargestellt und sodann ein eigener Lösungsvorschlag vorgestellt werden.

C. Lösungsansätze in Literatur und Rechtsprechung zur Erleichterung des Entlastungsbeweises I. Allgemeine Lösungsansätze zur Überwindung anerkannt schwieriger Beweislagen (innere und negative Tatsachen) 1. Der Beweis innerer Tatsachen Eine anerkannt17 schwierige Beweislage ergibt sich immer dann, wenn eine innere Tatsache wie Wissen, Wollen, Absicht, Kenntnis oder Arglist Gegenstand des Beweises ist. Dennoch knüpft das Gesetz über das gesamte 16 17

Soergel/Wiedemann, 12. Aufl., § 282 a. F., Rn. 14. BGH NJW 2005, 2395, 2397; Zöller/Greger Vor § 284, Rn. 24a.

C. Lösungsansätze in Literatur und Rechtsprechung

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BGB verstreut häufig Rechtswirkungen an das Vorhandensein oder Fehlen innerer Tatsachen. Prominente Beispiele finden sich in der Anfechtbarkeit wegen arglistiger Täuschung (§ 123 Abs. 1 BGB),18 dem Vorliegen verwerflicher Gesinnung (§ 138 BGB),19 dem Selbstnutzungswillen des Vermieters (§ 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB),20 den zahlreichen Gutglaubensvorschriften, der Aufhebungsabsicht des Testierenden (§ 2255 BGB) oder aber in der Kenntnis des § 311a Abs. 2 Satz 2 BGB. Der Beweis innerer Tatsachen ist deshalb schwierig, weil sich innere Vorgänge der menschlichen Wahrnehmung entziehen und regelmäßig nicht unmittelbar bewiesen werden können.21 Unmittelbar können innere Tatsachen nur durch Parteivernehmung bewiesen werden.22 Daher muss zumeist von den äußeren Umständen auf den subjektiven Tatbestand geschlossen werden.23 Die Haupttatsache (innere Tatsache) ergibt sich erst im Rückschluss aus einer oder mehrerer Hilfstatsachen (Indizien).24 Der Indizienbeweis findet hauptsächlich und typischerweise dann statt, wenn innere Tatsachen zu beweisen sind.25 Sogar das Gesetz knüpft teilweise an solche Hilfstatsachen an, um auf innere Tatsachen zu schließen. Dies lässt sich etwa an den Vorschriften über den Widerruf von Testamenten (§§ 2255–2258 BGB) erkennen.26 Auf die Widerrufs- bzw. Aufhebungsabsicht des Erblassers wird geschlossen, wenn er die Urkunde vernichtet (§ 2255 Satz 1 BGB), er sie aus amtlicher Verwahrung nimmt (§ 2256 Abs. 1 BGB) oder ein späteres Testament widersprechenden Inhalts errichtet (§ 2258 Abs. 1 BGB). Eine zusätzliche Schwierigkeit ergibt sich für den Beweisführer daraus, ist er zum Beweis einer inneren Tatsache in der Person seines Gegners aufgerufen, dass er keinerlei Einblick in dessen Seelenleben hat. Er ist darauf verwiesen, Indizien zu sammeln und auf dieser Grundlage konkrete Behauptungen aufzustellen. Nicht immer wird er hierzu im Stande sein. Um für solche Beweislagen angemessene Beweisführungsanforderungen zu be18

BGH NJW-RR 2005, 1082, 1083. BGHZ 95, 81, 85 ff. 20 BGH NJW 2005, 2395, 2397. 21 Hansen JuS 1992, S. 327; Baumgärtel/Laumen/Prütting/Laumen, Handbuch der Beweislast – Grundlagen, S. 309; Schellhammer, Zivilprozess, Rn. 513. 22 Hansen JuS 1992, S. 327; Baumgärtel/Laumen/Prütting/Laumen, Handbuch der Beweislast – Grundlagen, S. 309. 23 BGH NJW-RR 2005, 1082, 1083. 24 Stein/Jonas/Leipold ZPO § 284, Rn. 19. 25 Baumgärtel/Laumen/Prütting/Laumen, Handbuch der Beweislast – Grundlagen, S. 309; Hansen JuS 1992, S. 327; Schellhammer, Zivilprozess, Rn. 513. 26 Hier sind natürlich erbrechtliche Besonderheiten gegeben. Die Anknüpfung an Hilfstatsachen ist vor allem deshalb notwendig, da der Erblasser nicht mehr zu seinen Absichten befragt werden kann. 19

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Kap. 6: Die Schwierigkeit des Entlastungsbeweises/Lösungsansätze

wirken, behilft sich der Bundesgerichtshof häufig mit der Zuweisung der sekundären Behauptungslast an die eigentlich nicht beweisbelastete Partei.27 Die Überwälzung der sekundären Behauptungslast setzt voraus, dass „die primär darlegungsbelastete Partei außerhalb des darzulegenden Geschehensablaufs steht und keine Kenntnisse von den maßgeblichen Tatsachen besitzt, während der Prozessgegner zumutbar nähere Angaben machen kann“.28 Diese Situation ergibt sich naturgemäß häufig bei inneren Vorgängen. Die Lösung der Rechtsprechung entspricht auch der herrschenden Auffassung in der Literatur.29 Da die in Rechtsprechung und Literatur überwiegend befürworteten Lösungsansätze zur Überwindung anerkannt schwieriger Beweislagen bei inneren wie negativen Tatsachen dieselben sind, werden sie sogleich zusammenfassend behandelt.30 2. Der Beweis negativer Tatsachen a) Die Anknüpfung des Gesetzes an die zu vertretende Unkenntnis § 311a Abs. 2 Satz 2 BGB knüpft an das fahrlässige Nichtkennen bzw. die Unkenntnis des Schuldners von einem anfänglichen Leistungshindernis an. Sein Entlastungsbeweis hat somit eine negative innere Tatsache zum Gegenstand. Es wird hier der gebräuchliche Begriff der negativen Tatsache verwandt, obschon der Einwand berechtigt ist, dass die Bezeichnung des negativen Tatsachenurteils begrifflich präziser wäre.31 Die Anknüpfung an negative Tatsachen ist atypisch. Der Gesetzgeber vermeidet es für gewöhnlich, an Negativen anzuknüpfen.32 Das gilt insbesondere für die Normen des BGB. Ein Beispiel für dieses Bestreben sind die zahlreichen Vorschriften, die an den bösen Glauben anknüpfen. Bösgläubigkeit bedeutet Wissen müssen bzw. das Vorhandensein positiver Kenntnis von einem rechtlich er27

BGH NJW 2005, 2395, 2397; BGHZ 145, 170, 184. BGHZ 145, 170, 184; 140, 156, 158; 86, 23, 29; RGZ 166, 240, 242; BGH NJW 1961, 826, 828 jeweils m. w. N. 29 MüKo/Wagner ZPO § 138, Rn. 21 ff.; Zöller/Greger Vor § 284, Rn. 24a; Stein/Jonas/Leipold ZPO § 138, Rn. 37. 30 Im Einzelnen Kap. 6 C. I. 2. d). 31 Vgl. hierzu umfangreich Greyerz von, Der Beweis negativer Tatsachen, S. 17 f.; ebenso Baumgärtel/Laumen/Prütting/Laumen, Handbuch der Beweislast – Grundlagen, S. 349 f. 32 BGHZ 101, 49, 55; Rosenberg, Die Beweislast, S. 333 ff.; Baumgärtel/Laumen/Prütting/Laumen, Handbuch der Beweislast – Grundlagen, S. 351 ff.; Prütting, Gegenwartsprobleme der Beweislast, S. 259; Prütting/Gehrlein/Laumen ZPO § 286, Rn. 57. 28

C. Lösungsansätze in Literatur und Rechtsprechung

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heblichen Umstand. Demgegenüber setzt die Gutgläubigkeit das Fehlen entsprechender Kenntnisse voraus. Sie knüpft an eine Negative an.33 Andere normierte Fälle für die negative Fassung eines Tatbestandsmerkmals finden sich beispielsweise in §§ 812 (das Fehlen eines rechtlichen Grundes), 612 Abs. 2, 632 Abs. 2, 653 Abs. 2 (das Fehlen einer Vereinbarung zur Höhe der Vergütung), 694 (die Unkenntnis der Gefahr drohenden Beschaffenheit einer Sache) oder § 179 Abs. 2 BGB34 (die Unkenntnis vom Mangel der Vertretungsmacht). Die letztgenannte Norm ist insofern einzigartig, als sie in ihrem Abs. 2 an eine Negative und in ihrem Abs. 3 an eine Positive anknüpft. Zur Illustration des Unterschiedes von negativer und positiver Fassung eines Tatbestandsmerkmals ist sie daher besonders geeignet. Der Grund für das Bestreben, die Anknüpfung an Negativen zu vermeiden, hat einen rechtshistorischen Hintergrund. Auf Grundlage einer Digeste des römischen Juristen Paulus: „ei incumbit probatio, qui dicit, non qui negat“35 und einem Auszug aus dem Codex: „actor quod adseverat probare se non posse profitendo reum necessitate monstrandi contrarium non adstringit, cum per rerum naturam negantis nulla probatio sit“36 hatte sich die sog. Negativentheorie herausgebildet.37 Sie besagte, dass ausschließlich positive Tatsachen dem Beweis zugänglich seien. Wer eine Negative in den Prozess einführte, sollte hingegen von jeder Beweislast befreit sein.38 Inzwischen ist die Negativentheorie nur noch eine längst überholte rechtshistorische Erscheinung und musste der in Rechtsprechung39 und Literatur40 bestehenden, einhelligen Auffassung weichen, dass auch der Beweis negativer Tatsachen möglich sei.41 Deshalb konstatiert Rosenberg zutreffend, dass es allein darauf ankomme, ob das Gesetz eine Negative zur Voraussetzung einer Rechtswirkung gemacht habe. Ist dies der Fall, habe derjenige, der diese Rechtswirkung für sich geltend macht, auch die Negative zu bewei33

Vgl. hierzu mit einer Vielzahl von Beispielen, Rosenberg, Die Beweislast, S. 335 ff. 34 Zur Haftung des Vertreters ohne Vertretungsmacht und Struktur der Vorschrift des § 179 BGB, vgl. im Einzelnen Petersen Jura 2002, 743, 746 f. 35 D 22, 3 2. 36 C 4, 19 23. 37 Vgl. zu weiteren Einzelheiten Greyerz von, Der Beweis negativer Tatsachen, S. 33 ff.; Rosenberg, Die Beweislast, S. 330 f. 38 Baumgärtel/Laumen/Prütting/Laumen, Handbuch der Beweislast – Grundlagen, S. 348 f.; Rosenberg, Die Beweislast, S. 330. 39 BGHZ 101, 49, 55; BGHZ 16, 307, 310; BGH NJW 1985, 264, 265. 40 Stein/Jonas/Leipold ZPO § 286, Rn. 84; Prütting/Gehrlein/Laumen ZPO § 286, Rn. 57; Prütting, Gegenwartsprobleme der Beweislast, S. 259; Zöller/Greger Vor § 284, Rn. 24; Baumgärtel/Laumen/Prütting/Laumen, Handbuch der Beweislast – Grundlagen, S. 348 f.; MüKo/Prütting ZPO § 286, Rn. 122. 41 Vgl. auch Mugdan, Band 1, Motive S. 561, Randpaginierung 383.

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Kap. 6: Die Schwierigkeit des Entlastungsbeweises/Lösungsansätze

sen.42 Das gilt jedenfalls, wenn man die Grundregel der Beweislastverteilung im Blick hat. Nur bedingt zustimmungswürdig ist hingegen seine Einschätzung, dass die behaupteten Schwierigkeiten bei der Führung eines Negativbeweises überschätzt würden.43 Das mag zwar noch für die Vertreter der Negativentheorie gelten; fortan wurden sie hingegen überwiegend zutreffend eingeschätzt und angemessenen Lösungen zugeführt. Über den Befund jedenfalls, dass die Negativbeweisführung besondere Schwierigkeiten aufweist, besteht heute weitgehende Einigkeit.44 b) Problematik der Negativbeweisführung Die Schwierigkeit des Beweises einer negativen Tatsache hat unterschiedliche Ursachen. Im Gegensatz zu positiven Tatsachen sind sie regelmäßig nicht nach Ort und Zeit bestimmbar. Plastisch wird dies, wenn etwa eine Schenkung unter der Bedingung, ein Jahr nicht zu rauchen, versprochen wurde. Der Nachweis, ein Jahr nicht geraucht zu haben, wäre in dieser Allgemeinheit nicht zu führen, während das positive Gegenteil (geraucht zu haben) nach Ort und Zeit bestimmbar und konkreter Wahrnehmung zugänglich ist.45 Dieses Beispiel weist zugleich auf den noch bedeutenderen Umstand, der den Beweis von Negativtatsachen schwierig macht. Negative Tatsachen sind nicht wahrnehmbar. Sie können von keinem der menschlichen Sinne vernommen werden. Das Fehlen von Kenntnis oder eine Unterlassung ist nach außen hin nicht erkennbar. Deshalb kann das Vorliegen einer negativen Tatsache nicht direkt bewiesen werden, sondern bedarf stets eines indirekten Beweises vermittels positiver Sachumstände.46 Der Beweis einer Negative ist erbracht, wenn ihr kontradiktorisches (positives) Gegenstück widerlegt ist.

42 Rosenberg, Die Beweislast, S. 333; Baumgärtel/Laumen/Prütting/Laumen, Handbuch der Beweislast – Grundlagen, S. 353. 43 Rosenberg, Die Beweislast, S. 331. 44 BGHZ 16, 307, 310; BGHZ 101, 49, 55; BGH NJW 1985, 264, 265; Zöller/ Greger Vor § 284, Rn. 24; Greyerz von, Der Beweis negativer Tatsachen, S. 39 f.; Baumgärtel/Laumen/Prütting/Laumen, Handbuch der Beweislast – Grundlagen, S. 349; Prütting/Gehrlein/Laumen ZPO § 286, Rn. 57. 45 Beispiel bei Baumgärtel/Laumen/Prütting/Laumen, Handbuch der Beweislast – Grundlagen, S. 351. 46 Rosenberg, Die Beweislast, S. 331; Greyerz von, Der Beweis negativer Tatsachen, S. 21; Baumgärtel/Laumen/Prütting/Laumen, Handbuch der Beweislast – Grundlagen, S. 350.

C. Lösungsansätze in Literatur und Rechtsprechung

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aa) Bestimmte und unbestimmte negative Tatsachen Wenn aber die negative Tatsache immer durch die Widerlegung der kontradiktorischen positiven Tatsache bewiesen werden könnte, wäre die Beweisführung stets ebenso einfach oder schwierig wie bei positiven Tatsachen. Daher ist noch eine weitere Kategorie zu bilden. Ist nur die Widerlegung einer oder weniger positiver Tatsachen vonnöten, um den Negativbeweis zu führen, handelt es sich um eine bestimmte negative Tatsache. Kommen mehrere oder eine unbestimmte Vielzahl positiver Tatsachen in Betracht, die zu widerlegen wären, um die Negative zu beweisen, handelt es sich um eine unbestimmte negative Tatsache.47 Nur wer eine solche unbestimmte negative Tatsache zu beweisen hat, sieht sich besonderen Schwierigkeiten bei seiner Beweisführung ausgesetzt. Es ist zuzugeben, dass die Grenze zwischen bestimmten und unbestimmten negativen Tatsachen im Einzelfall fließend sein kann. Eine nähere Bestimmung ist in dem hier interessierenden Zusammenhang aber unergiebig. Für das Fehlen von Kenntnis werden in aller Regel eine Vielzahl von Umständen in Betracht kommen, die zu widerlegen wären, wollte man einen lückenlosen Beweis für das Nichtvorhandensein von Wissen führen. Es wäre darzulegen, dass entsprechendes Wissen sich nicht aus Erkenntnisquelle X, nicht aus Y und nicht aus Z etc. ergab bzw. hätte ergeben müssen. Für § 311a Abs. 2 Satz 2 BGB dürfte es also unzweifelhaft sein, das ihr Zurechnungselement im Regelfall an eine unbestimmte negative Tatsache anknüpft. Ob der Nachweis fehlenden Vertretenmüssens aus § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB (das Nichtvertretenmüssen) ein Negativbeweis ist, wird unterschiedlich beurteilt. bb) Negativbeweis fehlendes Vertretenmüssen? Einige Literaturstimmen gehen davon aus, dass es sich beim Beweis des fehlenden Vertretenmüssens um einen mit besonderen Schwierigkeiten verbundenen Negativbeweis handelt.48 Nach anderer Auffassung liegt darin kein Negativbeweis bzw. eine bestimmte negative Tatsache.49 Hierfür spräche der Umstand, dass es der Gesetzgeber üblicherweise vermeiden will, Negativen zu Tatbestandsvoraussetzungen zu machen. Dieses Streben wäre grundlegend misslungen, machte er ausgerechnet in der Zentralnorm des 47 Greyerz von, Der Beweis negativer Tatsachen, S. 27; Baumgärtel/Laumen/ Prütting/Laumen, Handbuch der Beweislast – Grundlagen, S. 350. 48 Vgl. etwa Medicus/Lorenz, Schuldrecht I, Rn. 335; Baumgärtel/Laumen/Prütting/Repgen § 280, Rn. 29 sowie Soergel/Wiedemann, 12. Aufl., § 282 a. F., Rn. 12 zum Entlastungsbeweis bei § 282 BGB a. F. 49 Baumgärtel/Laumen/Prütting/Laumen, Handbuch der Beweislast – Grundlagen, S. 350.

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Kap. 6: Die Schwierigkeit des Entlastungsbeweises/Lösungsansätze

§ 280 Abs. 1 BGB mit ihrem überragend weiten Anwendungsbereich eine negative Tatsache zum Gegenstand des Entlastungsbeweises. Einer Entscheidung des Streits bedarf es indessen nicht. Geht man vom Wortlaut aus, handelt es sich beim Nichtvertretenmüssen um eine Negative. Maßgeblich für die Ansätze, die Anforderungen an den Entlastungsbeweis zu vermindern, sind aber die hiermit verbundenen besonderen Schwierigkeiten. Solche ergeben sich nicht, wenn der Schuldner den leistungshindernden Umstand aufklären und nachweisen kann, dass dieser nicht in seinen Verantwortungsbereich fällt.50 Der Beweis wird dann über die beiden positiven Tatsachen geführt: Die Leistungserbringung scheiterte wegen des Umstandes X, hierfür ist Y verantwortlich. Das Nichtvertretenmüssen ist in diesem Falle als bestimmte negative Tatsache zu werten, deren Nachweis ebenso leicht oder schwer ist, wie der entsprechende Beweis der positiven Tatsache, des Vertretenmüssens. Anders stellt sich die Situation für den Schuldner dar, wenn sich der leistungshindernde Umstand nicht aufklären lässt. Er müsste dann umfassend vortragen, dass nicht Umstand X, nicht Y oder Z etc. die Leistung verhindert hat bzw. alle in seinen Verantwortungsbereich fallenden Störfaktoren sich nicht ausgewirkt haben. Diese Situation ist derjenigen des Nachweises unbestimmter negativer Tatsachen jedenfalls derart vergleichbar, dass sie die Anwendung desselben Lösungsansatzes rechtfertigt. Entscheidend für die Notwendigkeit einer sachgerechten Einschränkung an die vom Schuldner zu erfüllenden Beweisanforderungen ist somit nicht die Einordnung des zu beweisenden Tatbestandsmerkmals als negative oder positive Tatsache, sondern die Bestimmtheit der zu beweisenden Tatsache. Unbestimmte positive Tatsachen beweisen zu müssen kann eben so schwierig oder erdrückend sein wie der Nachweis unbestimmter negativer Tatsachen. Im Falle der Unaufklärbarkeit des Leistungshindernisses sind die Anforderungen zum Nachweis fehlenden Vertretenmüssens (§§ 280 Abs. 1, 3, 283 BGB) an den Schuldner eben so hoch wie beim Nachweis fehlenden Kennenmüssens (§ 311a Abs. 2 BGB). c) Bestehende Lösungsansätze In Rechtsprechung und Literatur wurden verschiedene Antworten gegeben, in welcher Weise auf die schwierige Situation des Negativbeweisbelasteten zu reagieren sei. In Betracht kommen grundsätzlich die Möglichkeiten der Umkehr der Beweislast, der Milderung des Beweismaßes sowie die Verschärfung der Substantiierungsanforderungen an den Beweisgegner.

50 Zu den verschiedenen Möglichkeiten der Entlastungsbeweisführung vgl. Kap. 5 B. I. 2. c).

C. Lösungsansätze in Literatur und Rechtsprechung

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aa) Umkehr der Beweislast Während die schweizerische Literatur51 die Umkehr der Beweislast unter den Voraussetzungen, dass sie für den Beweisgegner nicht unbillig und mit dem Sinn der betreffenden Vorschrift zu vereinbaren ist, für möglich hält, lehnt die deutsche Rechtsprechung52 und Literatur53 ein solches Vorgehen prinzipiell und zu Recht ab. Ein wesentlicher Unterschied mag darin liegen, dass das schweizerische Zivilgesetzbuch (ZGB) und Obligationenrecht (OR) im Gegensatz zum BGB in einer Vielzahl von Fällen tatbestandlich an Negativen anknüpfen.54 Warum eine „Rückumkehr“ der Beweislast entgegen der Vermutung insbesondere bei § 311a Abs. 2 BGB kaum in Betracht kommt, wurde an anderer Stelle bereits erörtert.55 Eingriffe in die Feststellungslast bedeuten schließlich eine Änderung des materiellen Rechts. Zudem bestehen Lösungsansätze, die keine derart schweren Eingriffe in die Beweislastnorm erforderlich machen.56 bb) Senkung des Beweismaßes Eine andere, umstrittene Möglichkeit der Abhilfe wird in der Senkung des Beweismaßes im Einzelfall gesehen.57 Eine Beweismaßsenkung bezogen auf bestimmte Fallgruppen sei dann möglich, wenn das Gesetz weder nach Wortlaut noch Zweck bestimmte Mindestanforderungen an den Beweis stellt.58 Nimmt man diese Voraussetzungen für eine Beweismaßsenkung ernst, muss sie für die Exkulpation bei der Schadensersatzhaftung infolge anfänglicher Leistungshindernisse ausscheiden. Das Gesetz hat die Bestimmung des § 311a Abs. 2 Satz 2 BGB dem Wortlaut nach als widerlegliche Vermutung ausgestaltet. Gegen diese Art der Vermutung ist der Beweis des Gegenteils, also Hauptbeweis, zu führen (§ 292 ZPO). Auch dem Zweck 51 Vgl. Greyerz von, Der Beweis negativer Tatsachen, S. 41 ff.; Baumgärtel/Laumen/Prütting/Laumen, Handbuch der Beweislast – Grundlagen, S. 356 jeweils m. w. N. 52 BGHZ 105, 108, 115; 101, 49, 55; BGH NJW 1989, 3222, 3223. 53 Zöller/Greger Vor § 284, Rn. 24; Baumgärtel/Laumen/Prütting/Laumen, Handbuch der Beweislast – Grundlagen, S. 356; Rosenberg, Die Beweislast, S. 332. 54 Nachweise im Einzelnen bei Baumgärtel/Laumen/Prütting/Laumen, Handbuch der Beweislast – Grundlagen, S. 356. 55 Kap. 4 C. II. 56 Musielak, Die Grundlagen der Beweislast im Zivilprozeß, S. 144 f. 57 Baumgärtel/Laumen/Prütting/Laumen, Handbuch der Beweislast – Grundlagen, S. 357. 58 Baumgärtel/Laumen/Prütting/Laumen, Handbuch der Beweislast – Grundlagen, S. 357.

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Kap. 6: Die Schwierigkeit des Entlastungsbeweises/Lösungsansätze

nach hat der Gesetzgeber dem Schuldner die Beweislast für den Zurechnungsgesichtspunkt, die fehlende Kenntnis, aufgebürdet. Er soll nicht haften, wenn er die gegen ihn stehende Vermutung zur Überzeugung des Gerichts (§ 286 Abs. 1 Halbsatz 2 ZPO) ausgeräumt hat. Nur die Belastung des Schuldners mit dem Hauptbeweis ist geeignet, den Motiven des Gesetzgebers, dem Gedanken der vertraglichen Erfüllungsgarantie, der Beweisnähe des Schuldners und dem haftungsrechtlichen Regel-Ausnahme-Verhältnis zu seinen Lasten, welches sich in der Vermutung des Verschuldens bei Vorliegen einer Pflichtverletzung niederschlägt, Geltung zu verschaffen. Eine überwiegende Wahrscheinlichkeit des Nichtvorliegens des Zurechnungsgesichtspunktes entlastet ihn nicht. Auch der Hauptbeweis erfordert schließlich nur ein für das praktische Leben brauchbares Maß an Gewissheit, die Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen.59 Die mit einer Beweismaßsenkung verbundene spiegelbildliche Belastung des Gläubigers ist nicht gewollt. Verbleibende Zweifel sollen nach dem Normzweck und Willen des Gesetzgebers zu Lasten des Schuldners gehen. Der Erlass einer mit § 287 ZPO vergleichbaren Norm zur Verringerung der Anforderungen bezogen auf den Entlastungsbeweis des Schuldners ist bewusst unterblieben. Auch für eine richterrechtliche Beweismaßkorrektur ist im engen Anwendungsbereich der Norm des § 311a Abs. 2 BGB nur wenig Raum. Sie ist daher abzulehnen. cc) Modifikation der Substantiierungsanforderungen (1) Der in Literatur und Rechtsprechung im Allgemeinen favorisierte Lösungsweg Der in Literatur und Rechtsprechung am häufigsten gewählte Lösungsweg, um mit der Negativbeweisführung verbundenen Schwierigkeiten zu begegnen, führt über eine Modifikation der Substantiierungsanforderungen.60 Hauptsächlich wird der eigentlich nicht beweis- und somit auch nicht behauptungsbelasteten Partei die sekundäre Behauptungslast61 auferlegt. Voraussetzung hierfür ist, dass die tatsächlich beweisbelastete Partei außerhalb des von ihr darzulegenden Geschehensablaufes steht, sie keine nähere Kenntnis der maßgeblichen Vorgänge besitzt und sich diese auch nicht verschaffen kann, während es dem anderen Teil leicht möglich wäre, die maßgeblichen Umstände aufzuklären.62 Diese Modifikation wird zumeist mit der Prozess59

Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 112, Rn. 12, S. 768. Baumgärtel/Laumen/Prütting/Laumen, Handbuch der Beweislast – Grundlagen, S. 358. 61 Vgl. hierzu im Einzelnen Kap. 4 H. II. 60

C. Lösungsansätze in Literatur und Rechtsprechung

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förderungs- (§ 138 Abs. 2 ZPO) sowie der Wahrheits- und Vollständigkeitspflicht (§ 138 Abs. 1 ZPO) der Parteien begründet.63 Diese prozessualen Pflichten kommen zum Tragen, weil der Beweisbelastete außerstande ist, seiner Substantiierungslast nachzukommen, ohne dass ihm irgendwelche Versäumnisse zur Last fallen. Unterbliebe bei solcher Sachlage die Modifikation der Substantiierungsanforderungen, würden wiederum „übertriebene Anforderungen“64 an die Beweistätigkeit der betroffenen Partei gestellt werden. Sie wäre schlicht außerstande, den ihr obliegenden Beweis zu führen. Die Belastung einer Partei mit einer sekundären Behauptungslast stellt keinen derart schwerwiegenden Eingriff in das beweisrechtliche System dar wie das bei Eingriffen in die Feststellungslast oder das erforderliche Beweismaß der Fall ist. Das Risiko eines non liquet verbleibt bei der durch die Beweislastnorm vorgesehenen Partei. Auch der erforderliche Grad an richterlicher Überzeugung, um eine Tatsache als bestehend zugrunde legen zu können, bleibt identisch. Lediglich auf Behauptungsebene wird derjenigen Partei, die über den streitigen Geschehensablauf Aufschluss geben kann, eine erweiterte Sachaufklärung abverlangt. Die Überwälzung der sekundären Behauptungslast zwingt somit die sachnähere Partei zur weiteren Sachverhaltaufklärung, ohne die in Beweislastnormen gegossenen, abstraktgenerellen Risikozuweisungen des Gesetzgebers auch nur zu tangieren. (2) Modifikation der Substantiierungsanforderungen bei §§ 280 Abs. 1, 3, 283 und 311a Abs. 2 BGB? Im Zusammenhang mit den Schwierigkeiten des Entlastungsbeweises bei den Haftungsnormen der §§ 280 Abs. 1, 3, 283 und 311a Abs. 2 BGB kann die Figur der sekundären Behauptungslast nicht bemüht werden, da die Voraussetzungen für ihre Anwendung nicht vorliegen. Die einzige erfüllte Voraussetzung bestünde darin, dass die Belastung des Gläubigers damit zum Verschulden substantiiert vorzutragen, die eigentlich zunächst nicht substantiierungsbelastete Partei träfe. Die Belastung der nicht beweisbelasteten Partei mit einer sekundären Behauptungslast findet ihren Grund jedoch hauptsächlich in der größeren Sachnähe dieser Partei. Dass der Gläubiger aber überhaupt einmal bessere Einsichtsmöglichkeit in die Gründe des Scheiterns der Leistung hat als der Schuldner, ist nur im absoluten Ausnahmefall vorstellbar. Die „übliche Vorgehensweise“ zur Erleichterung der mit der Nega62

BGHZ 140, 156, 158; 86, 23, 29; RGZ 166, 240, 242; BGH NJW 1961, 826,

828. 63 MüKo/Wagner ZPO § 138, Rn. 22; Baumgärtel/Laumen/Prütting/Laumen, Handbuch der Beweislast – Grundlagen, S. 358. 64 Kap. 6 A.

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Kap. 6: Die Schwierigkeit des Entlastungsbeweises/Lösungsansätze

tivbeweisführung verbundenen Schwierigkeiten hilft in diesem Zusammenhang somit nicht weiter.

II. Unmittelbar auf die aktuelle Rechtslage bezogene Lösungsansätze Die vorgeschlagenen Lösungsansätze sind recht unterschiedlicher Art und sollen im Folgenden einer kritischen Würdigung unterzogen werden. Das Hauptaugenmerk wird dabei auf der Frage liegen, ob die verschiedenen Vorschläge den Willen des Gesetzgebers angemessen berücksichtigen, sich mit den dargestellten Grundlagen des Beweisrechts vereinbaren lassen und tatsächlich zu sachgerechteren Ergebnissen führen. Die vertretenen Standpunkte befassen sich ausdrücklich jeweils nur mit der Regelung in § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB. Sie müssen aber für § 311a Abs. 2 Satz 2 BGB entsprechend gelten. Nach der gesetzgeberischen Konzeption ergibt sich für die Beweislastverteilung in §§ 280 Abs. 1 Satz 2 und 311a Abs. 2 Satz 2 BGB keine Abweichung: „Die Beweislast [hinsichtlich des Verschuldens] soll wie in § 280 Abs. 1 Satz 2 RE insoweit umgekehrt sein“.65 1. Teleologische Reduktion der §§ 280 Abs. 1 Satz 2, 311a Abs. 2 Satz 2 BGB a) Die Auffassung Repgens Nach Auffassung Repgens sei der Wortlaut des § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB teleologisch zu reduzieren. Eine sinnvolle Begründung für die angeordnete „Beweislastumkehr“ lasse sich nur in der Übernahme eines Leistungsrisikos seitens des Schuldners erkennen.66 Daher seien nur diejenigen Sachverhalte von der ratio legis gedeckt, in denen ein Erfolg geschuldet ist, während bei der Verletzung verhaltensbezogener Pflichten die allgemeine Grundregel gelte, dass der Gläubiger sämtliche anspruchsbegründenden Tatsachen darzulegen und zu beweisen habe.67 Hierzu zählt Repgen bei allen anderen als den erfolgsbezogenen Pflichten auch das Verschulden im Sinne der §§ 276 ff. BGB.68 Nur bei den Erfolgspflichten habe „der Schuldner im Sinne einer garantieähnlichen Einstandspflicht die Verantwortung für das Risiko der Nicht- bzw. Schlechterfüllung übernommen“.69 65 66 67 68 69

BT-Drs. 14/6040, S. 166. Baumgärtel/Laumen/Prütting/Repgen Baumgärtel/Laumen/Prütting/Repgen Baumgärtel/Laumen/Prütting/Repgen Baumgärtel/Laumen/Prütting/Repgen

§ § § §

280, 280, 280, 280,

Rn. Rn. Rn. Rn.

46. 46, 100. 62. 100.

C. Lösungsansätze in Literatur und Rechtsprechung

155

In Unmöglichkeitsfällen würde sich der Ansatz Repgens nur sehr vereinzelt auswirken. Hier werden in aller Regel Leistungserfolge geschuldet sein, deren Erfüllung durch Untergang des Leistungsgegenstandes, wegen unbehebbarer Rechtsmängel oder infolge Zeitablaufs unmöglich wird. Gleichwohl sind auch hier Fallkonstellationen denkbar,70 in denen der soeben dargestellte Ansatz einen enormen Unterschied für die beweisrechtliche Risikoverteilung darstellte. Verletzt der Schuldner eine bloße Tätigkeitspflicht, wäre nach dieser Konzeption der Gläubiger dazu aufgerufen, das Vertretenmüssen des Schuldners zu behaupten und zu beweisen, also den Hauptbeweis zu erbringen. Der Schuldner könnte sich mit der Gegenbeweisführung begnügen. Der Gläubiger hingegen trüge bei Tätigkeitspflichten das Risiko der Unaufklärbarkeit des Tatbestandsmerkmals des Verschuldens. b) Fehlende Zulässigkeit und Erforderlichkeit einer teleologischen Reduktion Mag man die gesetzgeberische Begründung für die Beweislastanordnungen in den §§ 280 Abs. 1 Satz 2, 311a Abs. 2 Satz 2 BGB auch für unklar halten, wird eines dennoch sehr deutlich. Der Schuldner soll das Risiko eines non liquet hinsichtlich des Vertretenmüssens tragen. Er trägt deshalb die Behauptungs-, Beweisführungs- und Feststellungslast für dieses Tatbestandsmerkmal. Ihm obliegt es, den Hauptbeweis zu führen. Dies ist zwingende Folge des legislativ vorgegebenen Regel-Ausnahme-Verhältnisses, aufgrund dessen im Falle des Vorliegens einer Pflichtverletzung das Vertretenmüssen des Schuldners und somit seine Haftung den Regelfall darstellt. Für eine Beschränkung der Beweislastanordnung auf Erfolgspflichten lässt sich den Gesetzesmaterialien nichts entnehmen. Nach dem hier vertretenen Modell besteht für eine teleologische Reduktion auch kein Anlass, da der Vertragsinhalt den Umfang der Beweisthemen vorgibt. Verpflichtet das Schuldverhältnis lediglich zu einer Dienstleistung, muss der Gläubiger ohnehin zusätzlich vortragen, dass die vom Schuldner geleisteten Dienste hinter dem vertraglich geschuldeten Leistungsprogramm zurückblieben. Dieser Vortrag beinhaltet die objektive Sorgfaltswidrigkeit des Schuldnerverhaltens. Der Schuldner kann sich nur noch damit entlasten, dass er die inneren Sorgfaltsanforderungen beachtet hat. Gerade solche Umstände aber, die den Vorwurf der inneren Sorgfaltswidrigkeit entfallen lassen, sind für den Gläubiger am schwierigsten erkennbar. Ihn aufgrund einer teleologischen Reduktion gerade zu diesen Umständen gezwungenermaßen „ins Blaue hinein“ vortragen lassen zu wollen, widerstrebte eklatant den 70

Kap. 8 A.; Kap. 8 D.

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Kap. 6: Die Schwierigkeit des Entlastungsbeweises/Lösungsansätze

mit den Beweislastanordnungen in den §§ 280 Abs. 1 Satz 2, 311a Abs. 2 Satz 2 BGB verfolgten gesetzgeberischen Zielsetzungen. 2. Aufspaltung von Darlegungs- und Beweislast Ein weiterer Ansatz in der Literatur plädiert für die Aufspaltung der Darlegungs- und Beweislast im Rahmen des Entlastungsbeweises.71 Nach Auffassung von Ernst ist es jedenfalls bei einer Haftungsbeschränkung auf Vorsatzverschulden im Regelfall zunächst Sache des Gläubigers, Umstände darzulegen, die für Vorsatzverschulden sprechen.72 Die Folgen der Unaufklärbarkeit der maßgebenden Umstände habe aber dennoch der Schuldner zu tragen, wenn § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB „seinen Sinn nicht vollends einbüßen soll“.73 Wie bereits zuvor dargestellt, hat der Bundesgerichtshof diesen Vorschlag vor kurzem abgelehnt.74 Zur Begründung stützte er sich auf die zugrunde liegende gesetzliche Wertung und die Tatsache, dass der Schuldner über seine inneren Vorgänge leicht Auskunft geben kann, während sie dem Gläubiger regelmäßig verschlossen sind.75 In der Tat wäre der Gläubiger regelmäßig gezwungen, zu spekulieren und diese Mutmaßungen vor Gericht vorzutragen. Dies zu vermeiden war eines der hauptsächlichen Motive, den Beweislastanordnungen der §§ 280 Abs. 1 Satz 2, 311a Abs. 2 Satz 2 BGB ihre jetzige Gestalt zu geben. Neben diesen Erwägungen verträgt sich die Aufspaltung von Darlegungs- und Beweislast auch nicht mit der hier vertretenen Auffassung, dass derjenige, zu dessen Gunsten eine widerlegliche gesetzliche Vermutung greift, sich zunächst jeden Vortrags zum Vermutungsgegenstand enthalten darf.76 Er hat erst dann zu bestreiten, wenn der Schuldner schlüssig zu seiner Entlastung vorgetragen hat und erst dann weiter zu substantiieren, wenn zuvor der Schuldner substantiiertes Entlastungsvorbringen in den Prozess eingeführt hat. Auch die Umkehr der Anfangsdarlegungslast stellt einen starken Eingriff in die Anordnung der Beweislastnorm dar. Sie ist ebenfalls abstrakt-generell, der Feststellungs- und Beweisführungslast folgend, zu Beginn des Prozesses festgelegt.77 Auch derartige Eingriffe sind problematisch und bewir71

Vgl. hierzu bereits oben Kap. 5 B. I. 2. a) a. E. MüKo/Ernst BGB § 280, Rn. 35; ebenso bereits Leonhard, Die Beweislast, S. 327; a. A. schon zum früheren Rechtszustand Soergel/Wiedemann, 12. Aufl., § 282 a. F., Rn. 14. 73 MüKo/Ernst BGB § 280, Rn. 35. 74 BGH NJW 2009, 2298, 2299. 75 BGH NJW 2009, 2298, 2299. 76 Kap. 4 D. IV. 2. b). 77 Kap. 4 B. I. 72

C. Lösungsansätze in Literatur und Rechtsprechung

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ken allzu leicht eine von den gesetzlichen Vorgaben abweichende Risikozuweisung. Deshalb betont die dargestellte Auffassung einschränkend wohl auch, dass verbleibende Zweifel zu Lasten des Schuldners gehen müssen.78 Entscheidend ist aber der Gedanke, dass es sinnwidrig ist, gerade in dem Fall des Vorsatzverschuldens, dessen Vorliegen dem Gläubiger besonders schwer erkennbar ist, ihm die Anfangsdarlegungslast aufzubürden. Schließlich handelt es sich beim Vorsatz um einen inneren Vorgang des Schuldners. Die Aufspaltung von Darlegungs- und Beweislast ist daher sowohl für den Vorsatz als auch alle übrigen Verschuldensformen abzulehnen. 3. Zu vertretende Pflichtverletzung und freie beweisrechtliche Zergliederung durch den Richter Ein besonders spektakulärer Ansatz findet sich schließlich bei Ahrens. Mit dem Ziel, dass „die Zuweisungen sowohl der Darlegungslast als auch der Beweislast unverkrampft sachangemessen vorgenommen“79 werden können, schlägt er vor, die Pflichtverletzung und das Vertretenmüssen in einem Oberbegriff der „zu vertretenden Pflichtverletzung“ zusammenzuziehen.80 Dieser Begriff könne sodann „für Beweislastzwecke“,81 bei richterlicher Freiheit, in rechtsbegründende Regelvoraussetzungen und rechtshindernde Ausnahmeelemente zergliedert werden, „ohne sich von den Vorgaben des Gesetzgebers zu entfernen“.82 Diese Einschätzung muss sowohl als äußerst optimistisch als auch für einen Prozessualisten überraschend angesehen werden. Wie bereits zuvor erörtert,83 stellt die abstrakt-generelle Zuteilung von Darlegungs- und Beweislast durch Beweislastnormen zu oder vor Beginn eines Prozesses einen elementaren Bestandteil der Rechtssicherheit und Gleichheit der Rechtsanwendung dar. Die freie richterliche Zuteilung einzelner Beweislasten in Abweichung von den gesetzlichen Vorgaben kommt daher von vornherein nicht in Betracht. Darüber hinaus ist es dogmatisch untragbar, Haftungsbegründungs- und Zurechnungselemente mutwillig in einer Art „Einheitsbrei“ zusammenzufassen, um sie anschließend wieder für „Beweislastzwecke“ zu zergliedern. Mag es auch Berührungspunkte zwischen den beiden Elementen geben, so ist eine klare Abgrenzung zwischen der Pflichtverletzung und dem Vertretenmüssen möglich und sinnvoll. Denn hierdurch wird gewährleistet, sich tatsächlich an die Vorgaben des Gesetz78 79 80 81 82 83

MüKo/Ernst § 280, Rn. 35; Soergel/Wiedemann, 12. Aufl., § 282 a. F., Rn. 14. Wieczorek/Schütze/Ahrens ZPO, Bd. II/2, A Vor § 286, Rn. 168. Wieczorek/Schütze/Ahrens ZPO, Bd. II/2, A Vor § 286, Rn. 163. Wieczorek/Schütze/Ahrens ZPO, Bd. II/2, A Vor § 286, Rn. 163. Wieczorek/Schütze/Ahrens ZPO, Bd. II/2, A Vor § 286, Rn. 167. Kap. 4 B. I.

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Kap. 6: Die Schwierigkeit des Entlastungsbeweises/Lösungsansätze

gebers zu halten, der in § 280 Abs. 1 BGB unmissverständlich dem Gläubiger die Beweislast für die Pflichtverletzung, dem Schuldner diejenige für das Vertretenmüssen auferlegt hat. 4. Umkehr der Beweislast durch richterliche Rechtsfortbildung in geeigneten Fällen Eine grundsätzlich immer in Betracht zu ziehende Möglichkeit, Beweisschwierigkeiten angemessen zu berücksichtigen, ist die Gewährung von Beweiserleichterungen aufgrund richterlicher Rechtsfortbildung praeter legem. Wie bereits an anderer Stelle erwähnt,84 besteht an der Zulässigkeit solcher Rechtsfortbildungen kein Zweifel. Durch ihre abstrakt-generellen und somit verallgemeinerungsfähigen Begründungen wird eine ansatzweise rechtssatzmäßige Fixierung85 erreicht, wodurch sie im Unterschied zu den zuvor dargestellten Ansätzen einen mit positiven Rechtsnormen vergleichbaren Standard an Rechtssicherheit gewährleisten.86 Paradebeispiel ist die seit längerem stark von Richterrecht geprägte Rechtsmaterie des Arzthaftungsrechts.87 Der Bundesgerichtshof lehnte in ständiger Rechtsprechung für den früheren Rechtszustand die generelle analoge Anwendung von § 282 BGB a. F. sowohl auf den Behandlungsvertrag88 als auch im Deliktsrecht89 ab. Dieser Grundsatz war aber schon damals von zahlreichen Ausnahmen – etwa für den voll beherrschbaren Bereich90 oder den schweren Behandlungsfehler91 – durchbrochen. Aufgrund der Normierung von § 280 Abs. 1 84

Kap. 4 C. I. Stein/Jonas/Leipold ZPO § 286, Rn. 74. 86 So im Ergebnis auch Musielak/Foerste ZPO § 286, Rn. 37; Stein/Jonas/Leipold ZPO § 286, Rn. 71 ff.; MüKo/Prütting ZPO § 286, Rn. 93, 119; Zöller/Greger Vor § 284, Rn. 22. 87 Vgl. ausführlich und mit umfangreicher Kasuistik Staudinger/Hager § 823, Rn. I 1 ff. 88 BGH NJW 1981, 2002, 2004; 1991, 1540, 1541; Staudinger/Hager § 823, Rn. I 45 m. w. N.; Baumgärtel/Laumen/Prütting/Repgen § 280, Rn. 165. 89 BGH NJW 1999, 860, 861; 1991, 1541, 1542; Staudinger/Hager § 823, Rn. I 45 m. w. N. 90 Staudinger/Hager § 823, Rn. I 46. 91 Der BGH hatte lange Zeit unklar formuliert, dass bei groben Behandlungsfehlern zugunsten des Patienten Beweiserleichterungen bis hin zur Umkehr der Beweislast in Betracht kämen. Erst seit BGHZ 159, 48, 54 ff. hat er sich, die berechtigten Bedenken der Literatur in Hinblick auf die Rechtsicherheit aufgreifend, auf eine Beweislastumkehr festgelegt und somit eine bessere Prognostizierbarkeit des Prozessrisikos für die Parteien ermöglicht und die Gleichheit der Rechtsanwendung sichergestellt. Vgl. hierzu umfassend Staudinger/Hager § 823, Rn. I 54 ff. Die Entwicklung dieser Rechtsprechung stellt geradezu ein Musterbeispiel für das Erfordernis dar, genau zwischen den beweisrechtlichen Begriffen und Kategorien zu differenzieren. 85

C. Lösungsansätze in Literatur und Rechtsprechung

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Satz 2 BGB dürften sich in der vertraglichen Haftung viele Zweifelsfragen um die analoge Anwendung von § 282 BGB a. F. erledigt haben. Es wird abzuwarten sein, ob und wie eine Harmonisierung der Vertraghaftung und der Deliktshaftung erfolgen wird. Für den hiesigen Zusammenhang kann den Beweisfragen des Arzthaftungsrechts kaum etwas entnommen werden, handeln sie doch stets von Beweiserleichterungen zugunsten des Patienten, also des Schadensersatzgläubigers. Gleichwohl kann man aus ihnen ersehen, dass zulässige Beweiserleichterungen gewährt werden können, wenn sie sich nur innerhalb der Grenzen und unter Beachtung der anerkannten Methoden richterlicher Rechtsfortbildung erfolgen. Ob solche Rechtsfortbildungen nun zugunsten des Schuldners oder des Gläubigers erfolgen, macht selbstverständlich keinen Unterschied. Bislang sah sich die Rechtsprechung seit der Schuldrechtsreform noch nicht veranlasst, zulässige Beweiserleichterungen aufgrund von Rechtsfortbildungen zugunsten des Schuldners zu gewähren.

III. Zwischenergebnis Die bislang vorgeschlagenen und auf die aktuelle Rechtslage bezogenen Lösungsansätze, um den mit dem Entlastungsbeweis des Schuldners verbundenen Schwierigkeiten sachgerecht zu begegnen, enthalten kein stimmiges Konzept: – Eine generelle teleologische Reduktion der Beweislastanordnungen in den §§ 280 Abs. 1 Satz 2, 311a Abs. 2 Satz 2 BGB, wie Repgen sie vorschlägt, lässt sich mit dem Willen des Gesetzgebers nicht vereinbaren. Geht man zudem davon aus, dass der jeweilige Inhalt des Schuldverhältnisses den Umfang der Beweisthemen vorgibt, besteht hierfür auch kein Anlass.92 – Die Aufspaltung von Darlegungs- und Beweislast (bei Vorsatzverschulden) ist ebenso abzulehnen. Dies widerspräche der Beweisrechtsdogmatik, nach der Beweislastnormen in Bezug auf eine Tatsache jeweils die Feststellungs-, Beweisführungs- und Anfangsdarlegungslast einheitlich derselben Partei zuweisen. Außerdem würden gerade derjenigen Partei Behauptungen abverlangt, die keinen Einblick in die maßgeblichen Vorgänge hat, die für das Verhalten des Schädigers leitend waren. Gerade dieser Umstand aber bewog den Gesetzgeber, die §§ 280 Abs. 1 Satz 2, 311a Abs. 2 Satz 2 BGB so zu fassen wie geschehen. Dies berücksichtigen selbst die Vertreter dieser Auffassung, indem sie einschränken, dass verbleibende Zweifel zu Lasten des Schuldners gehen müssten.93 92 93

Kap. 6 C. II. 1. a)/b). Kap. 6 C. II. 2.

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Kap. 6: Die Schwierigkeit des Entlastungsbeweises/Lösungsansätze

– Dem Vorschlag, Haftungsbegründungs- und Zurechnungselemente in einem Oberbegriff zusammenzufassen und dem Richter die freie beweisrechtliche Zergliederung zu überlassen, stehen die verfassungsrechtlichen Erfordernisse der Rechtssicherheit und Gleichheit der Rechtsanwendung entgegen. Er ist dogmatisch untragbar und steht in Widerspruch zu den klaren Vorgaben des Gesetzgebers.94 Dieser hat unmissverständlich die Beweislast für den Haftungsgrund dem Gläubiger und die Beweislast für das Zurechnungselement dem Schuldner zugewiesen. – Beweiserleichterungen für bestimmte Fallgruppen, die sich innerhalb der Grenzen und unter Beachtung der anerkannten Methoden richterlicher Rechtsfortbildung bewegen, sind zulässig. Problemlagen, die solche Rechtsfortbildungen erforderlich machten, wurden in Rechtsprechung und Literatur bislang nicht identifiziert.95

IV. Ein Lösungsansatz Die Bestandsaufnahme hat gezeigt, dass die Anforderungen an den Entlastungsbeweis des Schuldners bei den §§ 280 Abs. 1 Satz 2, 311a Abs. 2 Satz 2 BGB fordernd, aber nicht generell zu hoch angesetzt sind. Andererseits wäre sein Entlastungsvorbringen stets zum Scheitern verurteilt, forderte man die uneingeschränkte Exkulpation hinsichtlich jedes denkbaren Umstandes.96 Diese Anforderungen könnte der Schuldner nie einhalten. Die angeordnete Verschuldenshaftung stellte sich als verkappte Garantiehaftung dar, die ja gerade bei anfänglichem Unvermögen aufgehoben werden sollte. Die gesetzlich angeordneten widerleglichen Vermutungen degenerierten zu Verschuldensfiktionen. Sieht man die vorgeschlagenen Eingriffe in die Beweislastverteilung als unzulässig an, und hält man mit dem Bundesgerichtshof97 auch die Aufspaltung von Darlegungs- und Beweislast bereits zu Beginn des Prozesses aufgrund der Wirkweise von Beweislastnormen im Allgemeinen und des Zwecks der §§ 280 Abs. 1 Satz 2, 311a Abs. 2 Satz 2 BGB im Besonderen für ausgeschlossen, bleibt nur noch ein gangbarer Lösungsweg offen. Er muss am Umfang des Beweisthemas ansetzen und hat diejenigen an sich exkulpationsbedürftigen, potenziell in Betracht kommenden Störtatbestände auszuscheiden, die entweder nicht nahe liegen oder zu denen kein prozessualer Vortrag des Gläubigers existiert. 94 95 96 97

Kap. 5 A. II. Kap. 6 C. II. 4. Soergel/Wiedemann, 12. Aufl., § 282 a. F., Rn. 14. BGH NJW 2009, 2298, 2299.

C. Lösungsansätze in Literatur und Rechtsprechung

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1. Exkulpation hinsichtlich naheliegender Gründe des Scheiterns der Leistung Man könnte sich zunächst die Frage stellen, warum der Schuldner in einer Verfahrensordnung, die von Parteimaxime und Beibringungsgrundsatz beherrscht wird, von sich aus zu naheliegenden Gründen seines Scheiterns vortragen sollte. Das wird aber sogleich erklärlich, wenn man sich die Wirkungsweise der gegen ihn stehenden Vermutung vor Augen führt und folgerichtig jegliche Behauptung des Gläubigers zum Verschulden für entbehrlich hält.98 Hat der Gläubiger eine Pflichtverletzung sowie zusätzliche Voraussetzungen wie die Nachfristsetzung bzw. deren Entbehrlichkeit und einen kausalen Schaden schlüssig dargelegt, führte ein Schweigen des Schuldners zum Zurechnungsgesichtspunkt zum Prozessverlust und zu einer Verurteilung zum Schadensersatz statt der Leistung, alternativ gestützt auf §§ 280 Abs. 1, 3, 281 oder §§ 280 Abs. 1, 3, 283 oder § 311a Abs. 2 BGB.99 Das Vorliegen einer Vermutung zwingt den Schuldner also, von sich aus zum Vermutungsgegenstand vorzutragen, möchte er den Prozessverlust vermeiden. In ihrer Wirkungsweise lässt sich die Vermutung somit durchaus mit der Zuweisung einer sekundären Darlegungslast vergleichen. In beiden Fällen ist zunächst derjenige Teil gehalten, sich zu bestimmten Sachumständen zu äußern, in die er einen besseren Einblick hat. Einerseits wird dies bewirkt durch eine Beweislastnorm, die eine legislativ vorgegebene Wahrscheinlichkeitsprognose beinhaltet und in Gestalt einer gesetzlichen Vermutung eine typische, stets gleiche Wirkungsweise entfaltet. Die Überwälzung der sekundären Darlegungslast andererseits erfordert eine jeweils im Einzelfall begründungsbedürftige Zuweisung der Äußerungsobliegenheit an eine Partei für bestimmte Tatsachen. Eine Beweislastnorm in Form einer gesetzlichen Vermutung ersetzt somit funktional und in abstrakt-genereller Weise die Zuweisung der Äußerungsobliegenheit zu bestimmten Themen an eine Partei, die ansonsten mit Hilfe des Instituts der sekundären Darlegungslast erfolgen müsste. Die Beweislastnorm bewirkt somit auch, dass die Behauptungslast von vornherein der richtigen Partei zugewiesen wird und keine einzelfallabhängigen Begründungen hierfür erfolgen müssen. 2. Was sind naheliegende Gründe? Geht man davon aus, dass sich der Schuldner in der Ausgangssituation von sich aus über naheliegende Gründe des Scheiterns des vertraglich ver98

Kap. 4 D. IV. 2. b). MüKo/Ernst BGB § 281, Rn. 2; Baumgärtel/Laumen/Prütting/Repgen § 281, Rn. 1; Palandt/Grüneberg § 283, Rn. 2; Staudinger/Otto/Schwarze § 281, Rn. B 9. 99

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Kap. 6: Die Schwierigkeit des Entlastungsbeweises/Lösungsansätze

einbarten Leistungsprogramms zu äußern hat, schließt sich unweigerlich die Anschlussfrage an, was unter naheliegenden Gründen zu verstehen ist. Tauglicher Anknüpfungspunkt dieser Frage ist wiederum das bereits zuvor dargestellte100 – von Rechtsprechung und Literatur einhellig erhobene – Postulat, keine übertriebenen Anforderungen an den Entlastungsbeweis des Schuldners stellen zu dürfen. Deshalb habe sich der Schuldner nur für „ernstlich in Betracht kommende“101 Schadensursachen bzw. Leistungshindernisse zu exkulpieren. Ernstlich in Betracht zu ziehen sollen nur Störfaktoren sein, für die es konkrete Anhaltspunkte gebe. Bestehe hingegen lediglich eine rein abstrakte Möglichkeit, dass bestimmte Umstände die Leistung verhinderten, mache dies den Antritt des Entlastungsbeweises noch nicht erforderlich.102 Diese Unterscheidung wirkt aber nur insofern klarstellend, als sie veranschaulicht, dass die Bestimmung naheliegender Gründe des Scheiterns einer Leistung schon im Ansatz einzelfallbezogen ist. Einige Einflussfaktoren sind aber gleichwohl einer generalisierenden Betrachtung zugänglich. Anschauungsmaterial hierzu findet sich etwa in den bereits an anderer Stelle teilweise erwähnten Beispielen aus der neueren Rechtsprechung.103 Den tatsächlich entschiedenen Fällen liegt ein gemeinsamer Gedanke zugrunde, der seinen Ausgangspunkt im Normzweck der übernommenen Pflicht nimmt und daher gegenstandsbezogen ist. Verallgemeinernd lässt sich sagen, dass alle Umstände, die gewöhnlich als Tätigkeits- oder Unterlassungspflicht mit der geschuldeten Leistung verbunden sind oder vom Gläubiger erwartet werden können, zu den naheliegenden Gründen zu zählen sind. Zu diesen Handlungen, die seitens des Schuldners typischerweise zur Erfüllung der von ihm übernommenen Verpflichtung erforderlich sind und somit das Gegenstück zu den Leistungsförderungspflichten des Gläubigers bilden, darf ungefragter Vortrag des Schuldners erwartet werden. Der Grund hierfür ist jedoch in dem konkreten Schuldverhältnis selbst und was zu seiner Erfüllung notwendig ist zu sehen und nicht in abstrakten Sphärenzuweisungen. Der Verkäufer eines Gegenstandes etwa hat typischerweise sicherzustellen, dass er selbst beliefert wird und stichprobenartig die Qualität der Lieferungen an ihn selbst zu überprüfen (§ 377 HGB). Der Werkunternehmer hat zur Erfüllung seiner Verpflichtung typischerweise sicherzustellen, dass er 100

Kap. 6 A. BGHZ 161, 79, 84 f.; 116, 334, 337; BGH NJW 1953, 59 f.; Staudinger/ Otto § 280, Rn. F 13; Baumgärtel/Laumen/Prütting/Repgen § 280, Rn. 84 jeweils m. w. N. 102 BGHZ 161, 79, 84 f.; 116, 334, 337; Staudinger/Otto § 280, Rn. F 13. 103 Kap. 3 B. II. 2. 101

C. Lösungsansätze in Literatur und Rechtsprechung

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die zur Werkerstellung nötigen Materialien104 bekommt, sich gegebenenfalls der Verfügbarkeit von Subunternehmern zu vergewissern und er selbst die erforderlichen Fähigkeiten und Kenntnisse für die geschuldete Tätigkeit besitzt. Auch bei Tätigkeitsverpflichtungen wie der anwaltlichen Beratung oder der ärztlichen Behandlung, müssen bestimmte Fähigkeiten, Kenntnisse und gewisse Erfahrungen vorhanden sein, um die geschuldete Tätigkeit lege artis durchführen zu können. Zu diesen Voraussetzungen kann sich der Schuldner ohne weiteres äußern. Eine Äußerung hierzu darf auch von ihm erwartet werden, da er sich ja gerade zur Vornahme solcher Tätigkeiten lege artis verpflichtet hat. a) Kasuistik aa) Äußere und verdeckte Mängel Hinsichtlich der anlagebedingten Fehlentwicklung des Knochenwachstums eines Hundewelpen entschied der Bundesgerichtshof, dass diese dem verkaufenden Hundezüchter nicht erkennbar gewesen sei. Die Standarduntersuchungen hatte er durchführen lassen. Da sich hierbei keine konkreten Anhaltspunkte für einen Fehler ergaben, sah er das Verhalten des Züchters, keine weiteren Ermittlungen anzustellen, nicht als sorgfaltswidrig an.105 Weitergehende Überprüfungsobliegenheiten des Verkaufsgegenstandes hinsichtlich verdeckter Mängel bestanden mangels konkreter Anhaltspunkte hierfür nicht. Um eine Haftung abzuwenden, muss der Schuldner von sich aus zu folgenden naheliegenden Gründen seines Scheiterns (Verkauf einer anfänglich mangelbehafteten Sache) vortragen: Der Verkaufsgegenstand war zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht mit äußeren/sichtbaren Mängeln behaftet. Eine Standarduntersuchung wurde durchgeführt, sie lieferte jedoch keinen auffälligen Befund (der Anlass zu Zweifeln und weiteren Untersuchungen gegeben hätte). Daher lag weder eine positive Kenntnis noch eine fahrlässige Unkenntnis vom Vorliegen des verdeckten Mangels vor. Die Entlastung eines Schuldners bezüglich des Nichtvorliegens von Kenntnis oder zu vertretender Unkenntnis, der eine mangelhafte Sache verkauft hat, verlangt ungefragten Vortrag zum Nichtvorliegen eines äußeren Mangels und dem Fehlen greifbarer Anhaltspunkte für einen verdeckten Mangel trotz Anwendung üblicher Überprüfungsmethoden. 104

Das Gegenstück bildet etwa die Pflicht des Bestellers, wenn dieser die Werkstoffe zur Verfügung zu stellen hat (§§ 644, 645 BGB). Dann muss dieser nachweisen, dass der von ihm bereitzustellende Stoff die für das Werk erforderliche Güte besitzt. 105 BGH NJW 2005, 2852, 2853 f.

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Kap. 6: Die Schwierigkeit des Entlastungsbeweises/Lösungsansätze

bb) Typische Störungen des Vertragsgegenstands In einer Entscheidung des OLG Karlsruhe hatte es ein Gebrauchtwagenhändler versäumt, Erkundigungen über die Herkunft des zu verkaufenden Kfz einzuholen (Abgleich der Fahrzeugidentifikationsnummer im Kfz-Brief mit der Prägung am Fahrzeugrahmen). Das Gericht führte aus, dass den Verkäufer die Obliegenheit treffe, sich kurz vor Vertragsschluss seiner Leistungsfähigkeit zu vergewissern. Ein solches Erfordernis bestehe jedenfalls hinsichtlich solcher Gegenstände, die einem besonderen Diebstahlsrisiko ausgesetzt seien.106 Eine erfolgreiche Exkulpation hätte zumindest den Vortrag erfordert, dass sich der Schuldner vor Vertragsschluss anhand eines Abgleichs von KfzBrief und Rahmenprägung über die Eigentumslage an dem zu veräußernden Kfz informiert hat. Allgemein gesprochen hat der eine Leistung Versprechende die Störanfälligkeit des Vertragsgegenstandes zu berücksichtigen und sich hinsichtlich des Nichtvorliegens der typischen Störquellen in zumutbarem Umfang zu vergewissern.107 cc) Ausschluss von Rückgabeverpflichtungen Auch zu Beweisanforderungen an den Schuldner bei Ausschluss bestimmter Rückgabeverpflichtungen etwa aus Leihe (§ 604 Abs. 1 BGB),108 Miete (§ 546 Abs. 1 BGB),109 Verwahrung (§ 696 BGB)110 oder Auftrag bzw. Geschäftsbesorgung (§ 667 BGB)111 hat sich die neuere Rechtsprechung geäußert: In einem Fall des OLG Hamm war ein Wohnungseigentumsverwalter außer Stande, nach seinem Ausscheiden bestimmte Verwaltungsunterlagen an die Wohnungseigentümer herauszugeben. Nach Auffassung des Gerichts hätte der Herausgabeschuldner entweder substantiiert Gründe für den Verlust der Unterlagen darlegen müssen, wie etwa „ein von außen einwirkendes Ereignis (bspw. Brand oder Einbruch in die Räume, Unterschlagung)“,112 oder er hätte darlegen müssen, welche Maßnahmen er konkret zur Siche106

OLG Karlsruhe NJW 2005, 989, 990; Palandt/Grüneberg § 311a, Rn. 9; eine vergleichbare Fallkonstellation hatte eine Entscheidung des OLG Brandenburg, Az. 12 U 117/06, Rn. 17 – zitiert nach Juris- zum Gegenstand. 107 OLG Brandenburg, 12 U 117/06, Rn. 17 – zitiert nach Juris –. 108 LG Dessau, 1 S 253/05. 109 OLG Düsseldorf RuS 2007, 499 ff. 110 LG Frankfurt a. M. NJW 2008, 2273 ff. 111 OLG Hamm, 15 W 181/06. 112 OLG Hamm, 15 W 181/06, Rn. 81 – zitiert nach juris –.

C. Lösungsansätze in Literatur und Rechtsprechung

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rung der Unterlagen und welche Nachforschungen er über ihren Verbleib unternommen hat. Ähnlich entschied das LG Frankfurt a. M., das über Schadensersatz für den Verlust einer Armbanduhr bei einer Flughafenkontrolle zu befinden hatte. Obwohl drei Flughafenmitarbeiter als Zeugen ausgesagt hatten, die Uhr nicht gestohlen zu haben, hätte der vierte Mitarbeiter die Uhr gestohlen haben können. Außerdem wurde von der Schuldnerin nichts dazu vorgetragen, dass sie alle Sorgfaltspflichten ergriffen hatte, um einen Diebstahl durch einen anderen Fluggast zu verhindern.113 In einem Fall des OLG Düsseldorf war ein Mietwagennehmer außer Stande, seiner Rückgabeverpflichtung nachzukommen. Aufgrund versicherungsrechtlicher Besonderheiten (Teilkaskoversicherung des Mieters) sieht es die Rechtsprechung in solchen Fällen als ausreichend, aber auch erforderlich an, dass der Schuldner Tatsachen vorträgt, „die nach ihrem äußeren Bild mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf eine Wegnahme des Kfz gegen den Willen des Versicherungsnehmers [Rückgabeschuldners] schließen lassen“.114 Schließlich hat sich auch das LG Dessau mit dem Umfang der Darlegungslast des Schuldners bei Verlust eines Hörgerätes während der Leihe befasst. Eingeleitet von dem Grundsatz, dass keine übertriebenen Anforderungen an den Entlastungsbeweis des Schuldners gestellt werden dürften, habe er gleichwohl eine von ihm nicht zu vertretende Schadensursache wahrscheinlich zu machen oder, falls die Ursache ungeklärt bleibe, zur Beachtung der im Einzelfall gebotenen Sorgfalt vorzutragen.115 All diesen Entscheidungen ist gemeinsam, dass der Schuldner jeweils von sich aus Gründe darzulegen hatte, warum er sich nicht mehr im Besitz des von ihm zurückzugebenden Gegenstandes befand, und warum er diese Gründe nicht zu vertreten hat. Als naheliegende Gründe für einen Besitzverlust sind daher Diebstahl/Unterschlagung, Zerstörung oder willentliche Weitergabe anzusehen. Hierzu hat sich der Schuldner zu erklären. Bleibt die Ursache des Besitzverlustes ungeklärt, kann sich der Schuldner nur noch abstrakt, also über die Beachtung der Sorgfaltsanforderungen, exkulpieren. Für einen solchen Entlastungsbeweis ist jedenfalls den korrespondierenden, naheliegenden Sorgfaltspflichtverletzungen entgegenzutreten: Das Auto war abgesperrt, der Gegenstand wurde gegen Diebstahl oder Zerstörung gesichert, der Gegenstand wurde nicht weitergegeben etc.

113 114 115

LG Frankfurt a. M. NJW 2008, 2273, 2275. OLG Düsseldorf RuS 2007, 499, 500. LG Dessau, 1 S 253/05, Rn. 8 f. – zitiert nach juris –.

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Kap. 6: Die Schwierigkeit des Entlastungsbeweises/Lösungsansätze

dd) Verität von Forderungen/Verfügungsbefugnis über Rechte Fallkonstellationen, in denen der Schuldner typischerweise von sich aus zum Bestand eines Rechts116 oder seiner Verfügungsbefugnis117 vorzutragen hat, sind diejenigen der missglückten Übertragung von Rechten.118 Dies ist aber keine Besonderheit der Entlastungsbeweise der §§ 280 Abs. 1 Satz 2, 311a BGB. Da den Verkäufer eines Rechts eine Rechtsverschaffungspflicht trifft,119 ist er ohnehin gehalten, zur Existenz des Rechts vorzutragen. Konnte das Recht nicht wirksam übertragen werden, weil eine Berechtigung Dritter entgegensteht oder der Schuldner es zuvor einem Dritten übertragen hatte, liegt ein Fall anfänglichen Unvermögens vor. Ist die Übertragung des Rechts an den Gläubiger allgemein ausgeschlossen (§ 275 Abs. 1 BGB) oder dem Schuldner unzumutbar (§ 275 Abs. 2 BGB), findet Unmöglichkeitsrecht Anwendung. Der Schuldner hat dann im Rahmen seines Entlastungsbeweises vorzutragen, warum er die Umstände, die zur Unmöglichkeit der Übertragung des Rechts geführt haben, nicht zu vertreten hat (§§ 280 Abs. 1, 3, 283 BGB) oder warum er gleichwohl auf die Übertragbarkeit des Rechts vertrauen durfte bzw. ihm keine fahrlässige Unkenntnis von einem anfänglichen Leistungshindernis zur Last fällt (§ 311a Abs. 2 BGB). Auch hier ist es dem Schuldner vor dem Hintergrund der ihn treffenden Beweislast möglich und zumutbar, den Nachweis zu führen, dass ihn keine Umstände an der Leistung gehindert haben, die er kennen und kontrollieren konnte. Ein gutgläubiger Erwerb von Forderungen und Rechten ist grundsätzlich ausgeschlossen. Damit ist es auch in der Regel nicht möglich, dass der Schuldner Forderungen oder Rechte, die er zu übertragen hat, ohne seinen Willen verliert. Die Darlegungs- und Beweislast für die Inhaberschaft dieser Gegenstände folgt damit der dinglichen Rechtsordnung und kann dem Schuldner ohne weiteres in vollem Umfange abgefordert werden, ohne dass es der Zuflucht zum Sphärengedanken bedarf.

116

Palandt/Weidenkaff, § 453, Rn. 33; MüKo/Westermann BGB § 453, Rn. 61; Staudinger/Beckmann § 453, Rn. 9 ff.; unzutreffend differenzierend Baumgärtel/ Laumen/Prütting/Becker § 453, Rn. 6, der die Beweislast derjenigen Partei zuweisen möchte, der „am Befund der Unmöglichkeit gelegen“ ist. 117 OLG Düsseldorf ZUM 2010, S. 264 f. („doppelte“ Übertragung von Filmverwertungrechten). 118 Anders ist dies etwa im Falle der Garantieübernahme des Verkäufers für den rechtlichen Bestand von Wechseln und Avalen. Hier ist der Gläubiger für die Abgabe einer Garantie und den Eintritt des Garantiefalles darlegungs- und beweisbelastet OLG München, 7 U 4791/06, Rn. 61 – zitiert nach juris –. 119 Staudinger/Beckmann § 453, Rn. 9; Palandt/Weidenkaff, § 453, Rn. 11.

C. Lösungsansätze in Literatur und Rechtsprechung

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b) Weitere Aufgreifkriterien? Weitere Aufgreifkriterien, die einen echten praktischen Nutzen aufweisen, sind nicht ersichtlich. Denkbar wäre höchstens die Negativabgrenzung, dass jedenfalls solche Einflussfaktoren nicht naheliegend die Leistung verhinderten, die mit der Art einer Vertragspflicht oder Sache unvereinbar sind (vgl. insofern den Wortlaut von § 476 BGB). Dieser Zusammenhang ist indessen derart offensichtlich, dass damit keinerlei Erkenntnisgewinn einhergeht. Eine weitere denkbare Argumentation wäre, dass eventuell in diesem Zusammenhang die sogenannten tatsächlichen Vermutungen eine gewisse Berechtigung haben. Spricht eine tatsächliche Vermutung für das Vorliegen bestimmter Störfaktoren, könnte man daraufhin vom Schuldner verlangen, sich hinsichtlich dieser Vermutungsgegenstände zu entlasten. Nach der hier vertretenen Auffassung dienen die tatsächlichen Vermutungen jedoch hauptsächlich als Vehikel, um unzulässige – weil gesetzlich nicht vorgesehene – Beweiserleichterungen zu begründen. Sie können daher in diesem Zusammenhang ebenso wenig fruchtbar gemacht werden.120 In Anbetracht der nicht zu leugnenden enormen praktischen Bedeutung dieser Rechtsfigur ist jedoch davon auszugehen, dass sich Gerichte weiterhin an der umfangreichen Kasuistik zu den tatsächlichen Vermutungen orientieren werden. Spricht demnach eine tatsächliche Vermutung für das Vorliegen einer bestimmten Störquelle, wird ein Schuldner in der Praxis nicht umhin kommen, sich in Bezug auf den Gegenstand der Vermutung zu äußern. c) Einzelfallbetrachtung durch die Gerichte/Hinweispflichten Im Ergebnis muss jeweils für den Einzelfall beurteilt werden, was ein naheliegender Grund des Scheiterns des Leistungsprogramms ist. Die oben genannten Entscheidungen enthalten lediglich einzelne Fallkonstellationen, in denen naheliegende Gründe für das Ausbleiben der Leistung vorliegen. Sie sind einer generalisierenden Betrachtung zugänglich. Welche naheliegenden Gründe im Einzelfall die Leistung verhindert haben könnten, ist jeweils der Einschätzung des angerufenen Gerichts vorbehalten. Es kann etwa einen Anscheinsbeweis121 für das Vorliegen einer bestimmten Störquelle für gegeben halten, um auf diesem Wege in zulässiger Weise seine Lebenserfahrung in die Beweiswürdigung einfließen zu lassen. Das Gericht hat jedoch den Schuldner gemäß § 139 Abs. 1 ZPO so früh wie möglich darauf hinzuwei120 121

Vgl. zu den tatsächlichen Vermutungen im Einzelnen Kap. 4 D. III. Kap. 4 D. V.

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Kap. 6: Die Schwierigkeit des Entlastungsbeweises/Lösungsansätze

sen, welche Gründe es als naheliegend ansieht. Fehlt ein entsprechender Tatsachenvortrag, ist er als unvollständig anzusehen.122 Dies löst bereits die Hinweispflicht nach § 139 Abs. 1 ZPO aus.123 In Betracht kommt auch eine Hinweispflicht nach § 139 Abs. 2 ZPO, wenn anzunehmen ist, dass die betreffende Partei einen solchen tatsächlichen Gesichtspunkt für unerheblich gehalten hat.124 Da sich keine Prozesspartei selbst schaden will, spricht bereits eine Vermutung für das Nichterkennen der Erheblichkeit eines tatsächlichen Gesichtspunkts, wenn dieser von keiner Partei ausdrücklich angesprochen wurde.125 Durch die Hinweispflichten wird sichergestellt, dass der Schuldner nicht allein deswegen den Prozess verliert, weil er die Sachlage – vorwerfbar oder nicht – falsch eingeschätzt hat. 3. Auswirkungen des Gläubigervortrags auf die Anforderungen an den Entlastungsbeweis Abgesehen von der gesetzlich vorbestimmten Ausgangslage kann sich selbstverständlich auch der Gläubigervortrag erschwerend auf die Anforderungen an den Entlastungsbeweis des Schuldners auswirken. Das ist freilich kein Spezifikum der Exkulpation gemäß §§ 280 Abs. 1 Satz 2, 311a Abs. 2 Satz 2 BGB. Trägt der Gläubiger substantiiert Tatsachen vor, die auf ein Verschulden schließen lassen, steigen spiegelbildlich die Anforderungen an das Entlastungsvorbringen des Schuldners. Dieser hat dann dem Gegenvortrag mindestens ebenso substantiiert entgegenzutreten, um diesem seine Schlüssigkeit zu nehmen. Dieses Wechselspiel immer weiter substantiierten und mit Beweisangeboten untermauerten Vortrags ist das wohl wichtigste Instrument prozessualer Wahrheitsfindung im Geltungsbereich der ZPO. Häufig – und das wiederum ist eine Besonderheit der Entlastungsbeweise der §§ 280 Abs. 1 Satz 2, 311a Abs. 2 Satz 2 BGB – werden dem Gläubiger aber die entsprechenden Kenntnisse fehlen, um sich substantiiert zu Verschuldensfragen zu äußern. Gerade dieser Gesichtspunkt führte ja zu der von der beweisrechtlichen Grundregel abweichenden Beweislastverteilung. Aus diesem Grunde muss dem Gläubiger die Möglichkeit gegeben werden, an Kenntnisse zu gelangen, die ihn zu substantiiertem Vortrag zum Vertretenmüssen befähigen. Ihm muss ein Mindestmaß an Einblick in die Schuldnersphäre gewährt werden, ohne ihm die Ausforschung des Schuldners zu ermöglichen.126 Nur 122

Zu den Änderungen des § 139 ZPO im Zuge der ZPO-Reform vgl. Kap. 6 C. IV. 3. b) aa) (5). 123 Zöller/Greger § 139, Rn. 3. 124 Zöller/Greger § 139, Rn. 6. 125 BGH NJW 1993, 667. 126 Vgl. zu dieser Problematik sogleich Kap. 6 C. IV. 3. b) bb) (2) (a) bis (c).

C. Lösungsansätze in Literatur und Rechtsprechung

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dann ist es gerechtfertigt, vom Schuldner im Ausgangspunkt lediglich zu verlangen, sich zu den naheliegenden Gründen seines Scheiterns zu äußern. Auf diese Weise wird gewährleistet, dass sich der Umfang der Sachverhaltsaufarbeitung nach der Beweisaktivität der Parteien richtet. Es liegt am Anspruchsteller, ob er seinem Anspruchsgegner die Entlastung schwerer oder leichter macht. Dies setzt freilich entsprechende Kenntnisse voraus. a) Aus dem Schuldnervortrag hervorgehende Kenntnisse Zunächst werden sich entsprechende Kenntnisse bereits aus dem Schuldnervortrag ergeben, da sich dieser ja zunächst zu den naheliegenden Gründen seines Scheiterns zu äußern hat. Der Schuldner hat schlüssige Behauptungen aufzustellen, die – ihre Richtigkeit unterstellt – zum Entfallen des zunächst vermuteten Verschuldens führen würden.127 Diese Darstellung des Geschehensablaufs befähigt sodann den Gläubiger, Unstimmigkeiten des Vortrags aufzudecken und ihnen substantiiert entgegenzutreten. Des Weiteren wird der Schuldner seine Behauptungen in aller Regel mit Beweisangeboten untermauern und etwa im schriftlichen Vorverfahren gemäß § 276 ZPO die entsprechenden Beweismittel (Urkunden, Augenscheinsobjekte) als Anlage beifügen. Dies wiederum setzt den Gläubiger in Stand, die Grundlagen seines Entlastungsvorbringens zu überprüfen und dem Vortrag substantiiert entgegenzutreten. b) Prozessuale Möglichkeiten zur Erlangung von Kenntnissen Über die sich bereits aus dem Schuldnervorbringen ergebenden Anknüpfungspunkte hinaus bieten sich dem Gläubiger aber auch andere prozessuale Möglichkeiten, an die für eine weitere Substantiierung seines Vortrags notwendigen Kenntnisse zu gelangen. In diesem Zusammenhang ist vor allem die Diskussion über die Erweiterung richterlicher Aufklärungsmacht (§ 139 ZPO) sowie die zumindest partielle Verschärfung innerprozessualer Mitwirkungspflichten der Parteien an der Sachverhaltsaufklärung (§§ 142, 144 ZPO) durch die ZPO-Reform 2002128 von Belang. Wenn durch die Reform tatsächlich eine Erweiterung richterlicher Aufklärungsbefugnisse bewirkt wurde und auch der Prozessgegner oder Dritte nunmehr erhöhten Mitwirkungspflichten unterlägen, böten sich dem Gläubiger auch hierdurch Ansatzpunkte für weitere Substantiierungen, um den Entlastungsbeweis zu erschweren.

127 128

Kap. 4 G. Zivilprozess-Reformgesetz vom 27.07.2001 (BGBl I, S. 1887).

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Kap. 6: Die Schwierigkeit des Entlastungsbeweises/Lösungsansätze

aa) Erweiterung richterlicher Aufklärungs- und Hinweispflichten? (1) Die Vorstellungen des Gesetzgebers Die Absicht des Gesetzgebers, mit dem Gesetz zur Reform des Zivilprozesses richterliche Aufklärungs- und Hinweispflichten stärker zu betonen, lässt sich der Regierungsbegründung an mehreren Stellen entnehmen.129 Die Neunormierung des § 139 ZPO, der die Zusammenführung der bis zu diesem Zeitpunkt über die gesamte ZPO verstreuten Reglungen zu materiellen Prozessleitungspflichten des Gerichts bewirkte, stand gar in dem Bestreben „die Mitverantwortung des Gerichts für eine umfassende tatsächliche und rechtliche Klärung des Streitstoffs hervorzuheben“.130 Der rechtspolitische Hintergrund war die Hoffnung des Gesetzgebers, durch eine frühzeitige, umfassende und offene Erörterung des Sach- und Streitstandes die Entscheidungen transparenter und nachvollziehbarer zu machen und somit ihre Akzeptanz bei den Parteien zu erhöhen.131 Dadurch sollten mehr Rechtsstreitigkeiten in erster Instanz endgültig abgeschlossen werden und sich die Berufungsinstanz auf die Aufgaben der Fehlerbeseitigung in Tatbestand und rechtlicher Bewertung konzentrieren können.132 (2) Der Streitstand in der Literatur Die Auffassungen, ob der Gesetzgeber seine Ziele erreicht hat und die Normierung von § 139 ZPO tatsächlich inhaltliche Änderungen der Rechtslage bewirkt hat, gehen weit auseinander. Prütting, der der Untersuchung dieser Frage einen eigenen Festschriftbeitrag gewidmet hat,133 und andere Stimmen in der Literatur verneinen dies.134 Andere hingegen halten etwa die Rechtsprechung zu den §§ 139, 278 Abs. 3 ZPO a. F. aufgrund der Erweiterung richterlicher Hinweis- und Aufklärungspflichten nur noch für bedingt verwertbar135 und attestieren der Reform deutliche Fortschritte hinsichtlich der bislang eher restriktiv gehandhabten richterlichen Prozessleitung.136

129

BT-Drs. 14/4722, S. 1, 58, 60 ff., 77. BT-Drs. 14/4722, S. 77. 131 BT-Drs. 14/4722, S. 58 „Die Parteien sollen erkennen, dass das Gericht alle Chancen nutzt, um eine umfassende Prüfung des vorgetragenen Sachverhalts vorzunehmen“. 132 BT-Drs. 14/4722, S. 58. 133 Prütting, in: FS Musielak, S. 397, 404, 410. 134 Musielak/Stadler ZPO § 139 Rn. 2, nichts „substantiell Neues“; Schaefer NJW 2002, S. 849, 852; Prütting/Gehrlein/Prütting ZPO § 139, Rn. 2. 135 Zöller/Greger § 139, Rn. 2; Stein/Jonas/Leipold ZPO § 139, Rn. 5 f. 130

C. Lösungsansätze in Literatur und Rechtsprechung

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(3) Stärkere Betonung richterlicher Hinweispflichten? Vergleicht man die mit dem Reformwerk verbundenen Vorstellungen des Gesetzgebers mit den tatsächlichen Änderungen im Normwortlaut des § 139 ZPO, ergibt sich ein eigenartiges Bild. Neu eingefügt wurden lediglich die Absätze 4 und 5, die sich mit dem formalen Umgang mit richterlichen Hinweisen (Protokollierung, Beweiskraft der Gerichtsakten, Fristsetzung bei fehlender sofortiger Äußerungsmöglichkeit auf einen Hinweis) und deren Rechtsfolgen befassen. In Bezug auf den Umfang der Hinweispflichten enthalten die neu eingefügten Absätze gerade keine Erweiterungen.137 Für eine inhaltliche Erweiterung bzw. „Betonung“ oder „Hervorhebung“138 der bislang bestehenden Hinweispflichten enthält der Normwortlaut des § 139 Abs. 1 ZPO keinerlei Anhaltspunkte. Es besteht also eine Diskrepanz zwischen der lex lata und den Vorstellungen des Gesetzgebers, wie er die „Neufassung“ der Zentralvorschrift materieller Prozessleitung verstanden wissen will. Wünsche und Vorstellungen des Gesetzgebers, in welcher Art und Weise Rechtssätze zukünftig von den Gerichten gehandhabt werden sollen, entfalten indessen keinerlei Bindungswirkung, wenn sie keinen Ausdruck im Gesetz gefunden haben. Die Hoffnung, durch die Zusammenführung der Vorschriften über die Prozessleitung des Gerichts in einer Generalklausel den richterlichen Aufklärungsund Hinweispflichten eine stärkere Betonung verliehen zu haben, ändert daran nichts.139 Es ist eben anders als in den Fällen der §§ 280 Abs. 1 Satz 2, 311a Abs. 2 Satz 2 BGB. Bei diesen Vorschriften hat der Gesetzgeber seinen Motiven durch die inhaltliche Gestaltung der Normen und die damit verbundene Umgestaltung des Rechts Geltung verschafft. Deshalb wurde zuvor auch mit Vehemenz für die Verbindlichkeit des Willens des Gesetzgebers eingetreten.140 Sein Wille schlug sich in der Schaffung bzw. Umgestaltung des Rechts nieder. Deshalb sind die in den Gesetzesmaterialien enthaltenen Begründungen bei der Auslegung dieser Normen zu berücksichtigen. Bei § 139 ZPO ist das nicht der Fall. Mag sich der Gesetzgeber auch eine Erweiterung richterlicher Hinweispflichten vorgestellt haben; im geltenden Recht haben sich diese Vorstellungen nicht 136 Reischl ZZP 116 (2003), S. 81, 117, der aber entgegen der zutreffenden h. M. in Literatur und Rechtsprechung sowie der Gesetzesmaterialien die Hinweispflicht auch auf die Möglichkeit der Erhebung von Einreden erstreckt. 137 Prütting, in: FS Musielak, S. 397, 403. 138 BT-Drs. 14/4722, S. 77 gleichzeitig äußert sich der Gesetzgeber an gleicher Stelle aber dahingehend, dass der Entwurf davon absieht, „den Gerichten inhaltlich engere oder detailliertere Vorgaben als das bisherige Recht zu machen“. 139 BT-Drs. 14/4722, S. 77. 140 Kap. 3 A. I.

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Kap. 6: Die Schwierigkeit des Entlastungsbeweises/Lösungsansätze

niedergeschlagen und können daher auch nicht für die Gesetzesauslegung herangezogen werden. (4) Erweiterung des Verbots von Überraschungsentscheidungen (§ 139 Abs. 2 ZPO) und sonstige Änderungen Die Leugnung jeglicher Veränderung der Rechtslage ginge indessen zu weit. § 139 ZPO enthält Änderungen bzw. Ergänzungen der bisher bestehenden Rechtslage. So umfasst die Hinweispflicht des Gerichts nunmehr rechtliche und tatsächliche Gesichtspunkte gleichermaßen (§ 139 Abs. 2 ZPO), während sich § 278 Abs. 3 ZPO a. F. ausschließlich auf übersehene rechtliche Gesichtpunkte bezog.141 Der Gesetzgeber hat zu Recht darauf hingewiesen, dass sich rechtliche und tatsächliche Gesichtspunkte häufig nur schwer voneinander trennen ließen und den tatsächlichen Gesichtspunkten für den Ausgang eines Rechtsstreits eine mindestens ebenso große Bedeutung zukomme wie den rechtlichen.142 Von diesen zutreffenden Erwägungen geleitet, veranlasste der Gesetzgeber die Streichung des einschränkenden Adjektivs des „rechtlichen“ Gesichtspunktes, wie es noch in der Vorgängernorm enthalten war.143 Schwierige Abgrenzungsfragen zwischen rechtlichen und tatsächlichen Gesichtspunkten sowie Definitionsversuche sind durch die Neuregelung obsolet geworden.144 Mit der Erstreckung des Verbots von Überraschungsentscheidungen auch auf tatsächliche Gesichtspunkte wurde aber nicht nur ein rein akademischer Streit beseitigt, sondern auch eine Änderung der Rechtslage bewirkt. Nach alter Rechtslage (§ 278 Abs. 3 ZPO a. F.) war es ausreichend, wenn der Richter seine rechtliche Bewertung offengelegt hat, die von einer Prozesspartei übersehen oder für unerheblich gehalten wurde, und auf die er seine Entscheidung stützen wollte. Schon dieser Hinweis genügte für das Vorliegen eines Rechtsgesprächs und somit für die ausreichende Gewährung rechtlichen Gehörs im Sinne des § 278 Abs. 3 ZPO a. F.145 Eine Pflicht explizit auf diejenigen tatsächlichen Gesichtpunkte hinzuweisen, die der rechtlichen Beurteilung zugrunde lagen, bestand nicht.146 141 Stein/Jonas/Leipold ZPO § 139, Rn. 64; MüKo/Prütting ZPO 2. Aufl. 2000, § 278, Rn. 30 definiert den rechtlichen Gesichtspunkt als „eine die Entscheidung tragende rechtliche Erwägung“. 142 BT-Drs. 14/4722, S. 77; vgl. hierzu ausführlich Laumen, Das Rechtsgespräch im Zivilprozeß, S. 52 ff. 61 f. 143 BT-Drs. 14/4722, S. 77. 144 Zur alten Rechtslage im Einzelnen Laumen, Das Rechtsgespräch im Zivilprozeß, S. 52 ff. 61 f. m. w. N.; MüKo/Prütting ZPO 2. Aufl. 2000, § 278, Rn. 31 m. w. N. Stein/Jonas/Leipold ZPO § 139, Rn. 65. 145 Laumen, Das Rechtsgespräch im Zivilprozeß, S. 61, 276 f. 146 Eine abweichende Einzelfallentscheidung findet sich in BGH NJW 1986, 776.

C. Lösungsansätze in Literatur und Rechtsprechung

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Solche weitergehenden Hinweise wurden allenfalls als sachgerecht147 oder unschädlich148 gewertet. Die bisher nur vereinzelt vertretene Auffassung, dass das Verbot von Überraschungsentscheidungen auch auf tatsächliche Gesichtspunkte zu erweitern sei,149 ist nunmehr Gesetz geworden.150 Ebenso neu in § 139 ZPO eingefügt wurden die Absätze 4 und 5.151 Sie enthalten, wie bereits zuvor erwähnt,152 vor allem formale Regelungen. Die Aufforderung an das Gericht, Hinweise so früh wie möglich zu erteilen (§ 139 Abs. 4 Satz 1 Halbsatz 1 ZPO), wurde nun explizit ins Gesetz aufgenommen, entsprach aber schon bis dahin den Anforderungen an eine sachgerechte Prozessleitung.153 Dieser Appell an die Richterschaft ist aber gleichwohl geeignet, eine einheitliche Handhabung der Hinweise auch in zeitlicher Hinsicht zu bewirken. Nach § 139 Abs. 4 Satz 1 Halbsatz 2 ZPO sind die Hinweise aktenkundig zu machen, da nur durch den Inhalt der Akten die Erteilung von Hinweisen bewiesen werden kann. Schließlich verpflichtet § 139 Abs. 5 ZPO zur Gewährung einer Schriftsatzfrist, sofern einer Partei die sofortige Erklärung zu einem gerichtlichen Hinweis nicht möglich ist. (5) Folgerungen insbesondere zur praktischen Handhabung der Hinweispflichten Vergleicht man die Vorschriften zu richterlichen Hinweispflichten vor und nach der Reform, kann man nur moderate Änderungen des Gesetzes durch die Neufassung feststellen. § 139 ZPO fasst die bislang über die ZPO verstreuten Regelungen in einer Generalklausel der „materiellen Prozessleitung“ zusammen, enthält Klarstellungen und zusätzliche formale Vorgaben (§ 139 Abs. 4 und 5 ZPO). Inhaltliche Änderungen hat lediglich die Erstreckung des Verbots von Überraschungsentscheidungen auch auf tatsächliche Gesichtspunkte gebracht. Diese Erweiterung ist geeignet, die Gerichte dazu anzuhalten, häufiger Hinweise auf übersehene tatsächliche Gesichtpunkte zu geben. Die Richter müssen in bestimmten Fallkonstellationen nunmehr weniger fürchten, zu umfangreich tatsächliche Hinweise zu geben und deshalb Gefahr zu laufen, dass sie wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden (§ 42 ZPO). Sie haben sich stattdessen eher darum zu sor147

MüKo/Prütting ZPO 2. Aufl. 2000, § 278, Rn. 31 m. w. N. Laumen, Das Rechtsgespräch im Zivilprozeß, S. 62. 149 Schneider MDR 1977, 881, 883. 150 Rensen, Die richterliche Hinweispflicht, S. 343. 151 Prütting, in: FS Musielak, S. 397, 403. 152 Kap. 6 C. IV. 3. b) aa) (3). 153 Musielak/Stadler, ZPO § 139, Rn. 25; Rensen, Die richterliche Hinweispflicht, S. 237 f. 148

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Kap. 6: Die Schwierigkeit des Entlastungsbeweises/Lösungsansätze

gen, in ausreichendem Maße Hinweise zu erteilen und diese auch aktenkundig zu machen. Ein Verstoß gegen § 139 Abs. 1–3 ZPO stellt einen Verfahrensmangel dar, der im Einzelfall zugleich eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör sowie einen Verstoß gegen das Willkürverbot bedeuten kann und somit den Bestand des Urteils gefährdet.154 Wagner weist jedoch zu Recht darauf hin, dass die Tatsache, dass die Grenzen des Anwendungsbereichs von § 139 ZPO teilweise umstritten sind, nicht dazu führe, dass dem Richter ein gewisser Ermessensspielraum zugestanden werde.155 Wann Hinweise zu erteilen sind, ist eine reine Rechtfrage. Die Vorschrift ist, dies ist bereits ihrem Wortlaut zu entnehmen („hat . . . zu erörtern/Fragen zu stellen/dahin zu wirken“), eine Mussvorschrift. Die Hinweistätigkeit des Gerichts hat daher zwingend innerhalb der Grenzen des § 139 ZPO zu erfolgen. Hinweise, die sich innerhalb dieser Grenzen halten, können keinen Befangenheitsgrund darstellen.156 Entscheidend dafür, ob wirklich häufiger „eine umfassende tatsächliche und rechtliche Klärung des Streitstoffs“157 gelingt, wird dementsprechend der Umgang der Gerichte mit der Handhabung ihrer Prozessleitungspflichten sein. Sie haben ihre Hinweise so frühzeitig und umfassend zu erteilen, wie es im Wesentlichen bereits nach alter Rechtslage der Fall war. Es gilt also, die weitgehend unveränderten Befugnisse und Pflichten zur Erteilung von Hinweisen sachgerecht auszuschöpfen. Erteilt ein Gericht immer dann, wenn es erforderlich ist, beiden Parteien gleichermaßen Hinweise, begünstigt eine sorgfältige Prozessleitung das Wechselspiel immer weiter substantiierten Vortrags und somit im Ergebnis zugleich die prozessuale Wahrheitsfindung.158 Hinweise dürfen aber nach wie vor nur erfolgen, wenn der Vortrag einer Partei erkennbar lücken-, versehentlich mangelhaft oder unklar ist. Hinweise auf Tatsachen, die im Parteivortrag nicht einmal angeklungen sind, sind nach wie vor unzulässig.159 Die Hinweistätigkeit des Gerichts wird also unverändert durch den Verhandlungsgrundsatz und die richterliche Pflicht zur Neutralität begrenzt.160 154 Saenger/Wöstmann ZPO § 139, Rn. 1; Musielak/Stadler, ZPO § 139, Rn. 4; MüKo/Wagner ZPO § 139, Rn. 59; Zöller/Greger § 139, Rn. 20 Thomas/Putzo/ Reichhold ZPO § 139, Rn. 2; Stein/Jonas/Leipold ZPO § 139, Rn. 118 ff. 155 MüKo/Wagner ZPO § 139, Rn. 3. 156 MüKo/Wagner ZPO § 139, Rn. 9. 157 BT-Drs. 14/4722, S. 77. 158 Thomas/Putzo/Reichhold ZPO § 139, Rn. 4 f.; Musielak/Stadler, ZPO § 139, Rn. 5. 159 Stein/Jonas/Leipold ZPO § 139, Rn. 51 f.; Saenger/Wöstmann ZPO § 139, Rn. 2; MüKo/Wagner ZPO § 139, Rn. 11; Musielak/Stadler, ZPO § 139, Rn. 5; Thomas/Putzo/Reichhold ZPO § 139, Rn. 6. 160 Zöller/Greger § 139, Rn. 2; Saenger/Wöstmann, ZPO § 139, Rn. 2.

C. Lösungsansätze in Literatur und Rechtsprechung

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Die Handhabung der Hinweispflichten erlangt bei den Entlastungsbeweisen der §§ 280 Abs. 1 Satz 2 uns 311a Abs. 2 Satz 2 BGB besonderes Gewicht. Hier wird es besonders oft vorkommen, dass eine Partei lückenhaft vorträgt. Diese Situation ist auf Seiten des Anspruchstellers bereits dadurch bedingt, dass er von den Vorgängen in der Schuldnersphäre, wenn überhaupt, nur ungefähre Kenntnis hat. Aber auch der Schuldner wird im Rahmen seines Entlastungsbeweises häufig darauf hingewiesen werden müssen, dass dieser in tatsächlicher Hinsicht noch nicht lückenlos geführt wurde. Das gleiche gilt etwa in komplexeren und umfangreicheren Streitigkeiten in Bezug auf die Klarheit des Entlastungsvorbringens. Die Exkulpation hinsichtlich mehrerer „ernstlich in Betracht kommender Gründe“ für das Scheitern des vertraglichen Leistungsprogramms kann vielfältige Unklarheiten und Unstimmigkeiten hinsichtlich der einzelnen Entlastungsvorträge untereinander hervorrufen. Durch entsprechende Hinweise besteht eine höhere Wahrscheinlichkeit dafür, den Sachverhalt aufzuklären und somit eine Beweislastentscheidung zu vermeiden. Dies wiederum beförderte dann das Ansinnen des Gesetzgebers, durch eine frühzeitige, umfassende und offene Erörterung des Sach- und Streitstandes die Entscheidungen transparenter und nachvollziehbarer zu machen und somit ihre Akzeptanz bei den Parteien zu erhöhen.161 Es wird daher weiterhin zu beobachten sein, ob die Gerichte bereit sind, den Vorstellungen des Gesetzgebers zu entsprechen und ihre Hinweistätigkeit moderat erweitern, indem sie ihre im Wesentlichen auch schon nach früherem Recht vorhandenen Kompetenzen zur Hinweiserteilung voll ausschöpfen. Eine rechtstatsächliche Untersuchung aus dem Jahre 2006 hat ergeben, dass zwei Drittel der befragten Richter ihre Hinweistätigkeit verstärkt haben,162 die Gerichte ihre Hinweispflichten insgesamt aber sehr unterschiedlich wahrnehmen.163 Sollte sich dieser Zustand erhalten bzw. verfestigen, wird der Gesetzgeber im Interesse der Gleichheit der Rechtsanwendung dazu gezwungen sein, entgegen seiner ursprünglichen Planung, den Gerichten doch „inhaltlich engere oder detailliertere Vorgaben als das bisherige Recht zu machen“.164 161 BT-Drs. 14/4722, S. 58 „Die Parteien sollen erkennen, dass das Gericht alle Chancen nutzt, um eine umfassende Prüfung des vorgetragenen Sachverhalts vorzunehmen“. 162 Rechtstatsächliche Untersuchung zu den Auswirkungen der Reform des Zivilprozessrechts auf die gerichtliche Praxis – Zusammenfassung der zentralen Ergebnisse der Untersuchung –, S. 4, abrufbar unter www.bmj.bund.de/media/archive/ 1216.pdf. 163 Vgl. zu den Einzelheiten Hommerich/Prütting/Ebers/Lang/Traut, Rechtstaatliche Untersuchung zu den Auswirkungen der Reform des Zivilprozessrechts auf die gerichtliche Praxis, S. 95 ff.; zur Evaluation der ZPO-Reform vgl. auch Zöller/ Greger § 139, Rn. 1. 164 BT-Drs. 14/4722, S. 77.

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Kap. 6: Die Schwierigkeit des Entlastungsbeweises/Lösungsansätze

bb) Erweiterung der Pflichten zur Urkundenvorlegung (1) Die Regelungen der §§ 142, 144 ZPO Als prominentestes Beispiel für die Erweiterung innerprozessualer Mitwirkungspflichten der Parteien gelten die im Zuge der ZPO-Reform 2002 geänderten §§ 142, 144 ZPO.165 Diese Vorschriften sollten explizit eine Stärkung richterlicher Aufklärungsmacht bewirken.166 § 142 ZPO dient primär der materiellen Prozessleitung und nur in Fällen der §§ 428 Alt. 2, 429 Satz 2 ZPO unmittelbar Beweiszwecken.167 § 142 Abs. 1 ZPO ermöglicht es somit einerseits dem Gericht nach eigenem Ermessen von Amts wegen die Vorlage von Urkunden, auf die sich eine Prozesspartei bezogen hat, zu verlangen. Andererseits erlaubt er es einer Partei, durch den Antrag auf Urkundenvorlegung nach § 142 ZPO, den Beweis anzutreten.168 Unerheblich ist nunmehr, ob sich die in Bezug genommene Urkunde im Besitz einer am Prozess beteiligten Partei oder eines Dritten befindet. Die Vorlageanordnung nach § 142 ZPO setzt im Gegensatz zur Regelung der §§ 421 ff. ZPO weder das Bestehen eines materiellrechtlichen Vorlage- bzw. Herausgabeanspruchs voraus,169 noch ist sie abhängig von der Verteilung der Beweislast.170 Wegen dieser Abweichungen zu den Vorschriften über den Urkundsbeweis (§§ 421 ff. ZPO) besteht in der Literatur171 weitgehende Einigkeit darüber, dass durch die Normierung des voraussetzungsarmen § 142 ZPO ein bisher nicht vorhandenes Spannungsverhältnis in die ZPO hineingetragen wurde. Der Bundesgerichtshof172 formuliert zu dieser Frage defensiv, indem er zwar den von manchen Autoren befürchteten unauflöslichen Wertungswiderspruch zwischen beiden Regelungskomplexen entschieden bestreitet, sich ansonsten aber mit der Feststellung begnügt, den §§ 421 ff. ZPO verbliebe ein eigenständiger Anwendungsbereich, da sie bei Vorliegen ihrer Voraussetzungen eine unbedingte Vorlegungspflicht begründeten. Ebenfalls neu gefasst wurde die Vorschrift des § 144 ZPO. Vorlageanordnungen nach dieser Vorschrift beziehen sich auf Augenscheinsobjekte sowie 165

Baumgärtel/Laumen/Prütting, Handbuch der Beweislast – Grundlagen, S. 368. BT-Drs. 14/4722, S. 78; Zöller/Greger § 142, Rn. 2; Baumgärtel/Laumen/ Prütting, Handbuch der Beweislast – Grundlagen, S. 368; Stein/Jonas/Leipold ZPO § 142, Rn. 1; Gruber/Kießling ZZP 116 (2003), S. 305, 309. 167 Zöller/Greger § 142, Rn. 1. 168 Zekoll/Bolt NJW 2002, 3129, 3132. 169 BT-Drs. 14/4722, S. 92; Zöller/Greger § 142, Rn. 2. 170 BGH NJW 2007, 2989, 2991; MüKo/Wagner ZPO § 142, Rn. 10. 171 Wagner JZ 2007, S. 706, 709; Gruber/Kießling ZZP 116 (2003), S. 305, 314 f.; Baumgärtel/Laumen/Prütting, Handbuch der Beweislast – Grundlagen, S. 368 f. 172 BGH NJW 2007, 2989, 2991 f. m. w. N. 166

C. Lösungsansätze in Literatur und Rechtsprechung

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deren sachverständige Begutachtung. Die praktische Bedeutung solcher Anordnungen ist bereits jetzt immens und wird sich in Zukunft noch weiter steigern. Prozessrelevante Informationen werden in zunehmendem Maße auf elektronischen Datenträgern gespeichert. Bloße Augenscheinsobjekte stellen etwa Text-, Audio- und Videodateien dar, die nicht mit einer elektronischen Signatur gemäß § 2 Nr. 3 SigG173 versehen sind und nicht als Ausdruck in Papierform vorliegen. Bezüglich solcher Augenscheinsobjekte muss eine Vorlageanordnung gem. § 144 ZPO ergehen.174 Die Norm ist in ihren Voraussetzungen aber strukturgleich mit § 142 ZPO ausgestaltet.175 Trotz ihrer großen praktischen Bedeutung stößt die Vorschrift des § 144 ZPO in der wissenschaftlichen Diskussion auf vergleichsweise wenig Interesse.176 Das verwundert vor allem deshalb, weil die zu § 142 ZPO aufgeworfenen Fragestellungen hier noch größere Brisanz aufweisen, verzichtet doch § 144 ZPO auf die einschränkende Voraussetzung der vorherigen Bezugnahme durch eine Partei.177 (2) Zulässigkeit von Beweisermittlungsanträgen bzw. Durchbrechung des Beibringungsgrundsatzes? (a) Der Streitstand in der Literatur Über die weiteren Auswirkungen der §§ 142, 144 ZPO und insbesondere die Frage, ob durch sie eine Abschwächung des Beibringungsgrundsatzes zugunsten der Erweiterung richterlicher Aufklärungsbefugnisse verbunden ist oder gar der Ausforschung des Prozessgegners Vorschub geleistet werde, besteht seither Uneinigkeit.178 Teile der Literatur werten die Vorschrift als Durchbrechung des Beibringungsgrundsatzes zugunsten einer erweiterten Aufklärungsmacht des Richters.179 Die §§ 142, 144 ZPO ermächtigten den 173 Zöller/Greger § 371a, Rn. 2; Stein/Jonas/Berger ZPO § 371a, Rn. 4; MüKo/ Zimmermann ZPO § 371, Rn. 8. 174 Stein/Jonas/Leipold ZPO § 142, Rn. 15. 175 Stein/Jonas/Leipold ZPO § 144, Rn. 1 ff. 176 Dies konstatiert zu Recht Adloff, Vorlagepflichten und Beweisvereitelung im deutschen und französischen Zivilprozess, S. 200. 177 Adloff, Vorlagepflichten und Beweisvereitelung im deutschen und französischen Zivilprozess, S. 209 ff. 178 Vgl. zum Streitstand insgesamt Gruber/Kießling ZZP 116 (2003), S. 305, ff.; Wagner JZ 2007, S. 706 ff.; Waterstraat ZZP 118 (2005), S. 459, 466 ff.; Zekoll/ Bolt NJW 2002, 3129 ff.; Saenger ZZP 121 (2008), S. 139, 145 ff. 179 Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann ZPO § 142, Rn. 2; Zöller/Greger § 142, Rn. 1; Saenger ZZP 121 (2008), S. 139, 145 f.; i. E. auch Musielak/Stadler ZPO § 142, Rn. 1 „modifizierter Beibringungsgrundsatz“.

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Kap. 6: Die Schwierigkeit des Entlastungsbeweises/Lösungsansätze

Richter, Urkunden und Erkenntnismittel auch gegen den Willen einer Partei oder Dritten von diesen herauszuverlangen, wodurch der Schutz davor entfallen sei, interne Papiere im Prozess präsentieren zu müssen.180 Nach anderer Auffassung sind die Regelungen der §§ 142, 144 ZPO keineswegs als (partielle) Abkehr vom Beibringungsgrundsatz bzw. als Übergang zur Inquisitionsmaxime zu werten.181 (b) Der Beibringungsgrundsatz gilt fort Der zweiten Ansicht ist zu folgen. Auch die Vorlageanordnung gemäß § 142 ZPO setzt die Bezugnahme einer Partei auf die betreffende Urkunde voraus. Es ist daher ausgeschlossen, dass die Vorlageanordnung gegen den übereinstimmenden Willen der Prozessparteien erfolgt.182 Stellt eine Partei einen Antrag gemäß § 142 ZPO, hat sie weiterhin substantiiert vorzutragen, dass sich der Inhalt der Urkunde zum Beweis eignet, die zu beweisende Tatsache entscheidungserheblich ist und gegebenenfalls, dass sich die Urkunde im Besitz des Dritten befindet.183 Fehlt ein derartiger auf konkrete Tatsachen bezogener Parteivortrag, darf das Gericht die Anordnung nicht beschließen.184 Gleiches gilt für die Regelung des § 144 ZPO. Bei einer Vorlageanordnung nach dieser Vorschrift fehlt lediglich das Bezugnahmeerfordernis, sodass die Vorlage eines Augenscheinsobjekts auch ohne vorherige Bezugnahme einer Partei angeordnet werden kann.185 Für ein Redaktionsversehen des Gesetzgebers bestehen keine Anhaltspunkte, sodass analog zu § 142 ZPO ein Hineinlesen des Bezugnahmeerfordernisses,186 um einen Gleichlauf der Voraussetzungen der Vorlageanordnungen herzustellen, bei § 144 ZPO nicht in Betracht kommt. Verstärkte Aufklärungsbemühungen des Richters sind dennoch nicht zu befürchten, schließlich erfordert der Erlass einer Vorlageanordnung gemäß § 144 ZPO die Kenntnis des Richters von der Existenz eines Augenscheinsobjekts, auf das sich die Anordnung beziehen kann. Ohne entsprechenden Parteivortrag ist eine Vorlageanordnung daher nur schwer vorstellbar.187 180

Saenger ZZP 121 (2008), S. 139, 145 f. Stein/Jonas/Leipold ZPO § 142, Rn. 4 f.; Wagner JZ 2007, S. 706, 711; MüKo/Wagner ZPO § 142, Rn. 2; Zekoll/Bolt NJW 2002, 3129, 3132. 182 Wagner JZ 2007, S. 706, 711. 183 Vgl. zu den Anforderungen an die Substantiierung im Einzelnen Stein/Jonas/ Leipold ZPO § 142, Rn. 9 ff.; Zekoll/Bolt NJW 2002, 3129, 3123; Wagner JZ 2007, S. 706, 713. 184 BGH NJW 2007, 2989, 2992; BT-Drs. 14/6036, S. 121. 185 Greger DStR 2005, 479, 482. 186 Hierfür plädiert entgegen dem klaren Wortlaut Adloff, Vorlagepflichten und Beweisvereitelung im deutschen und französischen Zivilprozess, S. 210 f. 181

C. Lösungsansätze in Literatur und Rechtsprechung

179

(c) Die Vorstellungen des Gesetzgebers Die hier geteilte Literaturauffassung und die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs befinden sich im Einklang mit den Vorstellungen des Gesetzgebers. Aufgrund der hervorgerufenen Irritationen sah er sich veranlasst klarzustellen, dass die Regelungen in den §§ 142, 144 ZPO keine Ausforschung des Prozessgegners ermöglichen. Die dem Richter nach bisher geltendem Recht eingeräumten Möglichkeiten sollten nur „behutsam“ erweitert werden, ohne nunmehr unabhängig von schlüssigem Vortrag zum Zwecke der Informationsgewinnung Urkunden anfordern zu dürfen.188 Im Übrigen weist Wagner zu Recht darauf hin, dass der Beibringungsgrundsatz – ohne dass seine Geltung schlechthin in Frage gestellt wurde – bereits im bis zur ZPO-Reform bestehenden Rechtszustand nicht rigoros durchgehalten wurde. Beispiele, um Informationsasymmetrien zwischen Prozessparteien zu begegnen, ohne prozessuale Aufklärungs- und Mitwirkungspflichten anzuerkennen, seien die Instrumente der Beweislastumkehr und der Belastung einer Partei mit einer sekundären Behauptungslast.189 Die Überwälzung der sekundären Behauptungslast wird ebenfalls mit prozessrechtlichen Vorschriften begründet (Wahrheits-, Vollständigkeits- und Prozessförderungspflicht gemäß § 138 Abs. 1 und 2 ZPO)190 und stellt für die betroffene Partei in der Regel eine deutlich größere Belastung dar als die Vorlage einer Urkunde oder eines Augenscheinsobjekts, das infolge Bezugnahme oder Parteivortrag ohnehin schon zum Prozessstoff gemacht wurde. Zwar stellt dieser Umstand kein Sachargument dar, er lässt jedoch die Aufregung um die neuen Vorschriften in einem anderen Licht erscheinen. Insgesamt bleibt der prozessrechtliche Grundsatz nemo tenetur voll intakt. Auch die §§ 142, 144 ZPO bewirken Prozesspartei ihrem Gegner Beweismittel, die ihm einen ermöglichen, an die Hand geben muss.191 Die Kontrolle

contra se edere nicht, dass eine Prozesssieg erst über den Streit-

187 Im Übrigen gibt es auch im Anwendungsbereich von § 142 ZPO Ausnahmen vom Bezugnahmeerfordernis. Dies gilt aufgrund der Sondervorschriften der §§ 102, 258 HGB etwa für die kaufmännischen Handelbücher. 188 BT-Drs. 14/6036, S. 120. 189 Wagner JZ 2007, S. 706, 711. 190 Kap. 6 C. I. 2. d). 191 Bei einem unzulässigen Ausforschungsbeweis bzw. Beweisermittlungsantrag dient der Beweisantritt nicht dem Beweis einer Tatsache, sondern der Erschließung von Erkenntnisquellen, die es erst in der Folge ermöglichen Tatsachen zu behaupten und zu beweisen. Dem Beweisermittlungsantrag liegen keine konkreten Anhaltspunkte zugrunde, sondern es handelt sich um Behauptungen „aufs gerate Wohl“ bzw. „ins Blaue hinein“, vgl. Zöller/Greger Vor § 284, Rn. 5; Thomas/Putzo/Reichhold § 284, Rn. 3; MüKo/Prütting ZPO § 284, Rn. 78; BGH NJW-RR 2003, 491; 2002, 1433,1435; NJW 1992, 3016 in std. Rspr.

180

Kap. 6: Die Schwierigkeit des Entlastungsbeweises/Lösungsansätze

stoff verbleibt weiterhin in den Händen der Parteien. Sie entscheiden, ob sie auf bestimmte Urkunden und Augenscheinsobjekte Bezug nehmen oder den Richter aufgrund substantiierten Vortrags zum Erlass einer Vorlageanordnung zu bewegen suchen. Eine Entwicklung dergestalt, dass nunmehr allgemein wechselseitige Aufklärungspflichten der Parteien des Zivilprozesses etabliert würden, wie dies entgegen der Rechtsprechung und der wohl überwiegenden Auffassung in Literatur,192 vor allem von Stürner, gefordert wurde,193 steht aufgrund der §§ 142, 144 ZPO nicht zu befürchten. In diesem Zusammenhang zeigt sich erneut die Notwendigkeit, warum sich der Schuldner zunächst zu den naheliegenden Gründen seines Scheiterns äußern muss. Er hat es in der Hand, seinen Tatsachenvortrag mit Beweisangeboten (Urkunden, Augenscheinsobjekte) zu untermauern. Unterlässt er dies aus prozesstaktischen Überlegungen, etwa weil der Inhalt eines Dokuments nicht nur günstige Aspekte enthält, riskiert er das Scheitern seines Entlastungsbeweises wegen mangelnder Substantiierung seines Vorbringens oder mit dem zurückgehaltenen Beweismittel in der Folge präkludiert zu sein (§§ 282 Abs. 1, 296 Abs. 2 ZPO). Bringt er das Beweismittel in den Prozess ein, und sei es auch nur mittelbar, indem das angebotene Beweismittel seinerseits auf weitere Referenzdokumente oder ein Augenscheinsobjekt verweist, ist es mit Willen der Prozesspartei zum Prozessstoff geworden. Weshalb die Anordnung der Vorlage eines solchen Beweismittels den Beibringungsgrundsatz beinträchtigen soll, obwohl es willentlich in den Prozess eingeführt wurde oder aufgrund substantiierten Vortrags der Gegenpartei (vgl. §§ 421 ff. ZPO) vorzulegen ist, vermögen die Verfechter dieser These nicht überzeugend zu begründen. (3) Die Bedeutung der Vorschriften für die Entlastungsbeweise gemäß §§ 280 Abs. 1 Satz 2, 311a Abs. 2 Satz 2 BGB Gerade bei den Entlastungsbeweisen gemäß §§ 280 Abs. 1 Satz 2, 311a Abs. 2 Satz 2 BGB fördert ein solches Verfahren die Wahrheitsfindung und somit die Herstellung materieller Gerechtigkeit. Weshalb sollte der Schuldner einer Haftung entgehen, wenn Teile des von ihm selbst eingebrachten Prozessstoffs eindeutig auf sein Verschulden schließen lassen? So verstanden bedeutet das behauptete Entfallen des Schutzes, interne Papiere im Prozess vorlegen zu müssen,194 nichts anderes als das Verwehren eines An192

Wieczorek/Schütze/Ahrens ZPO, Bd. II/2, A Vor § 286, Rn. 50 m. w. N. Stürner, Die Aufklärungspflicht der Parteien des Zivilprozesses, S. 378 ff.; ebenso Katzenmeier JZ 2002, 533, 538 ff. 194 Saenger ZZP 121 (2008), S. 139, 146. 193

C. Lösungsansätze in Literatur und Rechtsprechung

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spruchs auf „prozessuale Rosinenpickerei“. Ein solcher Anspruch kann nicht bestehen. Wer also beispielsweise von der entlastenden Wirkung eines Gutachtens profitieren will, darf richtigerweise nicht darauf vertrauen, dass nicht auch die in dem entlastenden Dokument selbst genannten Beurteilungsgrundlagen (Referenzdokumente, Korrespondenzen) vorgelegt werden müssen. Die Überprüfung dieser Beurteilungsgrundlagen durch das Gericht kann dann die Richtigkeit des Gutachtens bestätigen und somit unmittelbar zur Exkulpation führen oder es umgekehrt falsifizieren. Sicher ist indessen, dass durch eine solche Behandlung des Parteivorbringens ein Höchstmaß an Richtigkeitsgewähr für die materielle Entscheidung bewirkt werden kann. Die Evaluation der ZPO-Reform hat ergeben, dass die Vorlage von Urkunden und Augenscheinsobjekten aufgrund der §§ 142, 144 ZPO – obwohl die Regelungen von der Richterschaft überwiegend positiv bewertet werden – bislang eher selten angeordnet wird.195 Analog zur Erteilung richterlicher Hinweise gemäß § 139 ZPO, wären häufigere Vorlageanordnungen zur Sachverhaltsaufklärung sinnvoll und begrüßenswert. Auch hier wird sich zeigen, ob die Möglichkeiten für solche Anordnungen in Zukunft besser ausgeschöpft werden und ob sie hauptsächlich auf Betreiben der Parteien oder der Gerichte selbst erfolgen werden. 4. Zwischenergebnis Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass sich Beweisschwierigkeiten im Einzelfall niemals auf die Feststellungs- und Beweisführungslast auswirken dürfen.196 Auch sonstige Billigkeitserwägungen dürfen nicht zum Anlass genommen werden, in die abstrakt-generellen Anordnungen einer Beweislastnorm einzugreifen.197 Die Achtung der über Beweislastnormen vorgenommenen abstrakt-generellen Risikozuweisungen durch den Gesetzgeber ist als elementarer Bestandteil der Rechtssicherheit und Gleichheit der Rechtsanwendung schon verfassungsrechtlich geboten.198 Eingriffe in die Anordnungen der Beweislastnormen sind zugleich Abweichungen von den gesetzgeberischen Risikozuweisungen. Solche Eingriffe sind nur in den engen Grenzen der richterlichen Rechtsfortbildung praeter legem zulässig.199 195 Rechtstatsächliche Untersuchung zu den Auswirkungen der Reform des Zivilprozessrechts auf die gerichtliche Praxis – Zusammenfassung der zentralen Ergebnisse der Untersuchung –, S. 4, abrufbar unter www.bmj.bund.de/media/archive/ 1216.pdf. 196 BGH NJW-RR 1997, 892; Zöller/Greger Vor § 284, Rn. 24. 197 Prütting/Gehrlein/Laumen ZPO § 286, Rn. 47, 54. 198 BVerfGE 52, 131, 147. 199 Kap. 6 C. II. 4.

182

Kap. 6: Die Schwierigkeit des Entlastungsbeweises/Lösungsansätze

Die vorgestellten Lösungsansätze in der Literatur200 tragen diesen Vorgaben nicht ausreichend Rechnung, indem sie in die vorgegebene Beweislastverteilung (Feststellungs- und Beweisführungslast) selbst eingreifen wollen. Für diese zu weitgehenden und somit unzulässigen Eingriffe besteht darüber hinaus auch kein Bedürfnis. Selbst wenn man aufgrund der dargestellten Gründe201 der Auffassung ist, dass an den Entlastungsbeweis des Schuldners in einer Vielzahl von Fällen – dies wäre auch die Grundvoraussetzung für eine richterliche Rechtsfortbildung – übertriebene Anforderungen gestellt werden, kann ihm schon auf der Behauptungsebene ausreichend geholfen werden. Auf dieser Ebene hat ein Lösungsansatz anzusetzen, um diejenigen Umstände, für die sich der Schuldner zu entlasten hat, sachgerecht zu begrenzen.202 Dies geschieht dadurch, dass man vom Schuldner zunächst nur verlangt, sich für die naheliegenden Gründe seines Scheiterns zu entlasten und sich sodann mit allen vom Gläubiger schlüssig vorgetragenen Leistungshinderungsgründen substantiiert auseinanderzusetzen. Wozu sich der Schuldner von sich aus zu äußern hat, ist einzelfallabhängig. Gleichwohl lassen sich für bestimmte Vertragstypen und Vertragsgegenstände typische Störquellen ausmachen, die naheliegend die Leistung verhinderten und zu denen eine Erklärung des Schuldners erwartet werden kann.203 Ansonsten hat sich der Schuldner nur zu den vom Gläubiger schlüssig vorgetragenen Leistungshinderungsgründen zu äußern. Um diesem wiederum das Anführen schlüssiger Gründe zu ermöglichen, hat der Schuldner ihm ein Mindestmaß an Einblick in seine Sphäre zu gewähren, ohne ihm die benötigten Mittel für einen Prozesssieg an die Hand geben zu müssen.204 Die teilweise gehegte Hoffnung, dass der Gläubiger diese Kenntnisse auf Initiative des Gerichts infolge einer Erweiterung richterlicher Aufklärungsmacht aufgrund der ZPO-Reform (§ 139 ZPO) erlangen könnte, ist unbegründet. Die Reform hat nur moderate Änderungen des Gesetzes gebracht. Die Kompilierung der bislang über die ZPO verstreuten Regelungen zur „materiellen Prozessleitung“ in § 139 ZPO enthält hauptsächlich Klarstellungen und einzelne Erweiterungen formaler Vorgaben (§ 139 Abs. 4 und 5 ZPO). Zudem wurde das Verbot von Überraschungsentscheidungen ausdrücklich auf tatsächliche Gesichtspunkte erstreckt. Diese Erweiterung ist geeignet, die Gerichte dazu anzuhalten, häufiger Hinweise auf übersehene tatsächliche Gesichtpunkte zu geben, da ein Verstoß gegen § 139 Abs. 1–3 200 201 202 203 204

Kap. Kap. Kap. Kap. Kap.

6 6 6 6 6

C. B. C. C. C.

III. V. IV. IV. 2. IV. 3. b).

C. Lösungsansätze in Literatur und Rechtsprechung

183

ZPO einen Verfahrensmangel darstellt, der den Bestand des Urteils gefährdet. Dies gibt Grund zu der Annahme, dass die Gerichte die Handhabung ihrer Hinweistätigkeit modifizieren und die ihnen im Wesentlichen bereits nach früherem Recht eingeräumten Kompetenzen zur Hinweiserteilung nunmehr auch ausschöpfen werden. Gerade in Fällen der §§ 280 Abs. 1 Satz 2, 311a Abs. 2 Satz 2 BGB ist eine frühzeitige, umfassende und offene Erörterung des Sach- und Streitstandes hilfreich, den streitigen Sachverhalt aufzuklären und somit Beweislastentscheidungen zu verhindern. Kenntnisse zu substantiierten Behauptungen des Gläubigers können sich auch aufgrund der erweiterten Pflichten zur Vorlage von Urkunden und Augenscheinsobjekten ergeben (§§ 142, 144 ZPO). Die Vorschriften lassen den Beibringungsgrundsatz unberührt, da die Kontrolle über den Prozessstoff bei den Parteien verbleibt. Sie haben aber insofern eine weitergehende Zugriffsmöglichkeit auf Urkunden und Augenscheinsobjekte bewirkt, als die in Bezug genommenen Urkunden auch von Dritten herausverlangt werden können. Im Gegensatz zu den §§ 421 ff. ZPO setzt die Vorlageanordnung weder das Bestehen eines materiellrechtlichen Vorlage- bzw. Herausgabeanspruchs voraus, noch ist sie abhängig von der Verteilung der Beweislast. Ob der Schuldner sich zur vollen Überzeugung des Gerichts exkulpiert hat, hat es am Ende des Wechselspiels immer weiter substantiierten Vortrags zu entscheiden. Das Wechselspiel immer weiter konkretisierten Parteivortrags bildet nach wie vor das Kernelement prozessualer Wahrheitsfindung. Neuerungen aufgrund der ZPO-Reform begünstigen diesen Vorgang, indem sie einen erweiterten Zugriff auf die Grundlagen ermöglichen, die zu substantiierten Behauptungen befähigen. In Fällen der §§ 280 Abs. 1 Satz 2, 311a Abs. 2 Satz 2 BGB ist dies außerordentlich begrüßenswert. Der Gesetzgeber hat diese Beweislastnormen auf Grundlage einleuchtender praktischer Erwägungen zu den jeweiligen Sphären und einer im Regelfall zutreffenden Wahrscheinlichkeitsprognose entwickelt. Im Geltungsbereich dieser Normen ist die möglichst umfassende Klärung des Sachverhalts besonders bedeutsam, um materiell richtige Entscheidungen treffen zu können.

Kapitel 7

Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse 1. Worin bei der Haftung infolge nachträglicher Unmöglichkeit der Haftungsgrund, also die Pflichtverletzung, zu sehen ist, hängt maßgeblich vom vertraglich festgelegten Pflichtenprogramm ab. Bei erfolgsbezogenen Pflichten ist die Pflichtverletzung in der bloßen Nichtleistung zu sehen. Der Pflichtverletzung liegt ein erfolgsbezogener Ansatz zu Grunde. Bei tätigkeitsbezogenen Pflichten liegt die Pflichtverletzung in der aus Sicht des Gläubigers negativen Abweichung des tatsächlichen Schuldnerverhaltens von dem vertraglich geschuldeten. 2. Die Zurechnung der Haftungsverpflichtung gemäß §§ 280 Abs. 1, 3, 283 BGB setzt Vertretenmüssen (§§ 276 ff. BGB) voraus. In Fällen des § 275 Abs. 1 BGB bezieht sich das Vertretenmüssen auf die die Leistungsbefreiung begründenden Tatsachen. In den Fällen des § 275 Abs. 2 und 3 BGB bezieht sich das Vertretenmüssen auf diejenigen Tatsachen, die zur Erhebung der Einrede berechtigen. 3. Der Haftungsgrund des § 311a Abs. 2 BGB liegt in dem Bruch des nach § 311a Abs. 1 BGB wirksamen Leistungsversprechens. Der Haftung liegt der Garantiegedanke nur insoweit zu Grunde, als er sich auf die Ebene des Haftungsgrundes („Normalgarantie“) bezieht. Der Haftungsgrund des § 311a Abs. 2 BGB ist nicht mit demjenigen der culpa in contrahendo identisch. § 311a Abs. 2 BGB knüpft an die Verletzung von Leistungspflichten, die culpa in contrahendo-Haftung an die Verletzung von Schutzpflichten an. Die Anspruchsgrundlagen unterscheiden sich in Rechtsfolge (positives bzw. negatives Interesse), zeitlichem Anwendungsbereich und den in Bezug genommenen Schutzgütern. Ansprüche aus culpa in contrahendo und § 311a Abs. 2 BGB stehen zueinander in Anspruchskonkurrenz. 4. Leistungshindernisse sind Geschehnisse und Umstände auf tatsächlicher Ebene, die die Erfüllbarkeit der Leistungspflicht ausschließen. Das Leistungshindernis bildet die tatsächliche Bewertungsgrundlage, aus der sich die rechtliche Schlussfolgerung der Unmöglichkeit ergeben kann. Der Begriff des Leistungshindernisses umfasst auch Leistungsrisiken. Die Verwirklichungswahrscheinlichkeit eines Risikos ist unerheblich. Das all-

Kap. 7: Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse

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gemeine Lebensrisiko wird vom Begriff des Leistungshindernisses nicht umfasst. Die Unbehebbarkeit des Leistungshindernisses schon bei Vertragsschluss setzt der Tatbestand des § 311a BGB nicht voraus. 5. Auch die Zurechnung nach § 311a Abs. 2 BGB setzt Verschulden voraus. Die Kopplung der Haftung an das Verschuldensprinzip auch in Fällen anfänglichen Unvermögens ist eine wesentliche Errungenschaft der Schuldrechtsreform. Das Verschuldensprinzip ist der starren Garantiehaftung überlegen, da es die flexible Berücksichtigung der geschuldeten Sorgfaltsanforderungen im Einzelfall erlaubt. Unbillige Ergebnisse können vermieden werden, ohne dass es hierfür umfangreicher Ausnahmejudikatur bedürfte. Die Vorschrift weist einen erweiterten Bezugpunkt des Vertretenmüssens auf. Dem Schuldner sind nicht nur solche Umstände zurechenbar, die er zu verantworten hat und die die Leistungsbefreiung begründeten, sondern auch solche, die er nicht zu verantworten hat, die er aber kannte oder hätte kennen können (schuldnersphärenfremde bzw. externe Leistungshinderungsgründe). 6. Wissen des Gläubigers von anfänglichen Leistungshindernissen ist nicht im Wege einer analogen Anwendung von § 254 Abs. 1 BGB mit der Folge einer Kürzung des Ersatzanspruchs zu berücksichtigen, da anderenfalls in die vertragliche Risikoverteilung eingegriffen würde. Die Steuerung von Vertragsrisiken hat privatautonom durch die Parteien selbst zu erfolgen. In Extremsituationen kommt eine Einzelfallkorrektur über § 242 BGB in Betracht, die den Ersatzanspruch dann völlig ausschließt. 7. Die §§ 280 Abs. 1 Satz 2, 311a Abs. 2 BGB enthalten gesetzliche Vermutungen. Für eine Klassifikation als materielle Einwendungsnormen besteht bereits kein Bedürfnis, da die vereinzelt befürchteten Anwendungsprobleme tatsächlich nicht bestehen. 8. Die Normen der §§ 280 Abs. 1, 311a Abs. 2 BGB sind Ausdruck eines auf einer abstrakten Wahrscheinlichkeitsprognose basierenden, legislativen Regel-Ausnahme-Verhältnisses. Liegen Anknüpfungstatsachen wie eine Pflichtverletzung oder die Nichterfüllung eines Leistungsversprechens (ein Haftungsgrund) vor, ist die Haftung die Regel, die Exkulpation die Ausnahme. 9. Der Normierung der §§ 280 Abs. 1 Satz 2, 311a Abs. 2 BGB lagen die Motive einer Verallgemeinerung des in den §§ 282, 285 BGB a. F. enthaltenen Rechtsgedankens, der Sphärengedanke sowie der Gedanke der vertraglichen Erfüllungsgarantie zugrunde. Die stark einzelfallgeprägte und starken Schwankungen unterliegende Rechtsprechung zu den Beweisregeln der §§ 282, 285 BGB a. F. ist mit der starren Wirkweise der Beweislastnormen des geltenden Rechts nicht in Einklang zu bringen und kann daher nur noch sehr bedingt als Anschauungsmaterial dienen. Mit der Normierung der

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Kap. 7: Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse

§§ 280 Abs. 1 Satz 2, 311a Abs. 2 BGB geht somit ein deutlicher Gewinn an Rechtssicherheit zu Lasten richterlicher Freiheiten in der Beweislastzuweisung einher. 10. Der Sphärengedanke ist ein tragfähiges Motiv für die Normsetzung und lag den Beweislastregelungen der §§ 280 Abs. 1 Satz 2, 311a Abs. 2 BGB zugrunde. Der Sphärengedanke ist somit für die Gesetzesauslegung zu berücksichtigen. Der Gedanke der vertraglichen Erfüllungsgarantie enthält ebenso ein tragfähiges Motiv für die Anordnung von Beweislastregeln der vorliegenden Art und beinhaltet darüber hinaus eine normative Wertung, die für die Auslegung und somit auch für die Bestimmung der Beweisführungsanforderungen in den §§ 280 Abs. 1 Satz 2, 311a Abs. 2 Satz 2 BGB Beachtung finden muss. 11. Bei der Schadensersatzhaftung infolge nachträglicher Unmöglichkeit stehen das Bestehen und der Inhalt des Schuldverhältnisses, das Vorliegen einer Pflichtverletzung sowie eines kausalen Schadens zur Beweislast des Gläubigers. Der Umfang des Beweisthemas der Pflichtverletzung richtet sich maßgeblich nach dem Inhalt der verletzten Pflicht (Erfolgs- oder Tätigkeitsverpflichtung). Eine relevante Pflichtverletzung liegt schon dann vor, wenn die Nicht- oder nicht gehörige Erfüllung festgestellt ist. Den Nachweis, welche Umstände zum Entfallen der Leistungspflicht geführt haben, erfordert das Merkmal der Pflichtverletzung nicht. Die Tatsachen, die zum Ausbleiben der Leistungspflicht geführt haben, sind nur dann vom Gläubiger zu behaupten und zu beweisen, wenn er ohne vorherige Fristsetzung Schadensersatz statt der Leistung verlangt, da § 283 BGB einen Unterfall von § 281 Abs. 2 BGB darstellt. Für die Feststellung des Schadens findet die Beweismaßsenkung des § 287 ZPO Anwendung. Der Schuldner trägt die Behauptungs- und Beweislast dafür, dass er die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat. Die Gründe für das Ausbleiben der Leistung sind thematisch dem Entlastungsbeweis zuzuordnen. War ein Erfolg geschuldet, umfasst der Entlastungsbeweis die äußeren und inneren Sorgfaltsanforderungen. War ein Tätigwerden geschuldet, hat der Entlastungsbeweis nur noch die inneren Sorgfaltsanforderungen zum Gegenstand. Die äußere Sorgfaltswidrigkeit ist in diesen Fällen schon Voraussetzung für eine Pflichtverletzung. Der konkrete Entlastungsbeweis erfordert entweder den Nachweis der Verwirklichung eines schuldnersphärenfremden Leistungshinderungsgrundes oder des fehlenden Kausalzusammenhangs zwischen Pflichtverletzung und Schaden. Der abstrakte Entlastungsbeweis ist auf die fehlende persönliche Vorwerfbarkeit gerichtet und setzt den Beweis der Beachtung sämtlicher geschuldeter Sorgfaltsanforderungen voraus. 12. Die Beweislastverteilung bei der Schadensersatzhaftung infolge anfänglicher Unmöglichkeit verläuft strukturähnlich zur Haftung bei nachträg-

Kap. 7: Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse

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licher Unmöglichkeit. An die Stelle der Pflichtverletzung rückt der Haftungsgrund des Bruchs des gegebenen Leistungsversprechens. Das Vorliegen eines anfänglichen Leistungshindernisses ist auch hier nur dann vom Gläubiger zu behaupten und zu beweisen, wenn er ohne eine Nacherfüllungsfrist zu setzen sofort Schadensersatz nach § 311a Abs. 2 BGB verlangt. Die Leistungshinderungsgründe gehören auch hier thematisch dem Entlastungsbeweis an. Dies gilt auch in zeitlicher Hinsicht. Die Unaufklärbarkeit des Zeitpunkts der Unmöglichkeit geht zu Lasten des Schuldners. Kann der Zeitpunkt der Unmöglichkeit nicht aufgeklärt werden, hat der Schuldner daher einen kumulativen Entlastungsbeweis zu führen. Im Übrigen gelten die Ausführungen zur Beweislastverteilung bei nachträglicher Unmöglichkeit entsprechend. 13. Die Auffassung der Rechtsprechung, dass sich die Beweislast für die objektive Pflichtverletzung in solchen Fällen umkehrt, in denen eindeutig feststeht, dass die Schadensursache ausschließlich dem Obhuts- und Gefahrenbereich des Schuldners entstammt, ist abzulehnen. Die Beweislastregelungen der §§ 280 Abs. 1 Satz 2, 311a Abs. 2 Satz 2 BGB bestimmen eine von der Grundregel abweichende Beweislastverteilung eindeutig nur für das Verschulden, also das Zurechnungselement. Der Sphärengedanke vermag – außer er ist in eine zulässige Rechtsfortbildung gegossen – keine vom materiellen Recht abweichende Beweislastzuweisung zu rechtfertigen. Für eine derartige Beweislastumkehr besteht auch kein Bedürfnis. Weist der Gläubiger nach, dass die Schadensursache nur aus dem Verantwortungsbereich des Schuldners stammen kann, liegt hierin der abstrakte Beweis für die Pflichtverletzung. Es reicht aus, wenn sich der Schuldner dann, wie in § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB vorgesehen, hinsichtlich der zweifelsfrei aus seinem Verantwortungsbereich stammenden Ursachen zu entlasten hat. 14. Die Vorgaben der §§ 280 Abs. 1 Satz 2, 311a Abs. 2 Satz 2 BGB enthalten keine übertriebenen Anforderungen an den Entlastungsbeweis des Schuldners. Die Regelhaftungsfolge zu seinen Lasten, die Minimalanforderungen an die Beweistätigkeit des Gläubigers bei Erfolgsverpflichtungen und der Umstand, sich gegebenenfalls kumulativ entlasten zu müssen, sind Ausfluss einer zulässigen, vom Gesetzgeber getroffenen Risikozuweisung. Die besonderen mit dem Entlastungsbeweis des § 311a Abs. 2 Satz 2 BGB verbundenen Schwierigkeiten, sich bei Geltung eines erweiterten Bezugspunkt des Vertretenmüssens hinsichtlich einer inneren und negativen Tatsache entlasten zu müssen, führen ebenso wenig zu einem faktischen Ausschluss der Entlastungsmöglichkeit. Erdrückende und somit korrekturbedürftige Beweisführungsanforderungen lägen aber vor, wenn dem Schuldner abgefordert würde, sich uneingeschränkt hinsichtlich jedes denkbaren Umstandes zu entlasten.

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Kap. 7: Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse

15. Den mit dem Beweis innerer und negativer Tatsachen verbundenen Schwierigkeiten begegnen Rechtsprechung und Literatur regelmäßig mit der Modifikation der gesetzlich vorgesehenen Substantiierungsanforderungen. In den §§ 280 Abs. 1, 3, 283, 311a Abs. 2 BGB ist ohnehin der „richtigen“ Partei die Feststellungs-, Beweisführungs- und ihr folgend die Anfangsdarlegungslast zugewiesen. Die Voraussetzungen für die Überwälzung der sekundären Darlegungslast liegen nicht vor. Die teilweise vertretenen Vorschläge für eine (Rück-)Umkehr der Beweislast oder für die Senkung des Beweismaßes greifen zu weitgehend in die Vorgaben der Beweislastnorm ein und sind daher abzulehnen. 16. Eine teleologische Reduktion der §§ 280 Abs. 1 Satz 2, 311a Abs. 2 Satz 2 BGB bei Tätigkeitspflichten kommt nicht in Betracht. Auch in diesen Fällen ist eindeutig dem Schuldner das Risiko eines non liquet zugewiesen. Eine solche Korrektur ist auch nicht erforderlich, da der Gläubiger bei Tätigkeitsverpflichtungen ohnehin erweitert vorzutragen hat, um die Pflichtverletzung zu begründen. 17. Die Aufspaltung von Darlegungs- und Beweislast für das (Vorsatz-)Verschulden ist ebenfalls abzulehnen. Hierdurch würde zu schwerwiegend in die Vorgaben der §§ 280 Abs. 1 Satz 2, 311a Abs. 2 Satz 2 BGB eingegriffen. Zudem würde dem Gläubiger sinnwidrig gerade hinsichtlich solcher Umstände die Anfangsdarlegungslast aufgebürdet, in die er besonders wenig Einblick hat. 18. Die freie beweisrechtliche Zergliederung eines Oberbegriffs der zu vertretenden Pflichtverletzung ist unzulässig. Sie verletzte Verfassungsrecht und stünde in Widerspruch zur materiellrechtlichen Dogmatik sowie den klaren Vorgaben des Gesetzgebers. 19. Beweiserleichterungen innerhalb der Grenzen und unter Beachtung der anerkannten Methoden richterlicher Rechtsfortbildung wären zulässig. Für die Zentralnorm des § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB gilt dies uneingeschränkt, für den Spezialfall des § 311a Abs. 2 BGB besteht nur wenig Raum für Rechtsfortbildungen praeter legem. Bislang haben sich bei der Haftung wegen Unmöglichkeit noch keine Fallgruppen herauskristallisiert, die solche Rechtsfortbildungen erforderlich gemacht hätten. 20. Aufgrund der gegen ihn stehenden Vermutung hat sich der Schuldner von sich aus hinsichtlich naheliegender Gründe des Scheiterns der Leistung zu exkulpieren. Wann ein naheliegender Grund gegeben ist, hängt vom Einzelfall ab. Bestimmte Störquellen können aber generalisierend als naheliegender Leistungshinderungsgrund eingeordnet werden. Sieht das Gericht einen bestimmten Umstand als naheliegenden Leistungshinderungsgrund an, hat es einen entsprechenden Hinweis an den Schuldner gemäß § 139 ZPO zu erteilen.

Kap. 7: Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse

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21. Darüber hinaus hat sich der Schuldner nur noch zu den vom Gläubiger vorgetragenen Tatsachen, die auf ein Verschulden schließen lassen, zu erklären. Hierfür ist ihm ein Mindestmaß an Einblick in die Schuldnersphäre zu gewähren. Entsprechende Kenntnisse gewinnt er vor allem aus dem Vorbringen des Schuldners. 22. Die umfassende Aufarbeitung des Streitstoffs kann zudem durch eine erweiterte Hinweistätigkeit der Gerichte gefördert werden. Die ZPO-Reform erweiterte die richterlichen Aufklärungs- und Hinweispflichten nur moderat. Die notwendigen Kompetenzen für eine entsprechende Hinweistätigkeit bestanden also bereits zuvor, ohne allerdings flächendeckend voll ausgeschöpft zu werden. 23. Die Voraussetzungen, unter denen die Vorlage von Urkunden und Augenscheinsobjekten (§§ 142, 144 ZPO) angeordnet werden kann, wurden signifikant erweitert. Eine Abkehr des deutschen Zivilprozessrechts vom Beibringungsgrundsatz, wie teilweise befürchtet, war hiermit nicht verbunden.

Kapitel 8

Fallbeispiele unter Anwendung des vorgestellten Lösungsansatzes In den folgenden Fallbeispielen soll illustriert werden, wie sich die gefundenen Ergebnisse in der praktischen Rechtsanwendung niederschlagen. Die Beispiele beziehen sich auf verschiedene Vertragstypen und sind teils Originalfällen aus der Rechtsprechung nachgebildet, teils fiktiv. Die einzelnen Auswirkungen der zuvor dargestellten Ergebnisse werden von Beispiel zu Beispiel unterschiedlich betont, je nachdem, in welcher Konstellation sich eine ausführliche Darstellung am besten eignet bzw. am aussagekräftigsten erscheint. Der zuvor vorgestellte Lösungsansatz findet aber für alle Fallbeispiele in gleichem Maße Anwendung.

A. Verletzung von Tätigkeitspflichten (nachträgliche Leistungshindernisse) I. Sachverhalt Der folgenden Sachverhaltskonstellation liegt ein Originalfall des OLG Saarbrücken zugrunde.1 Gegenstand des Streites war die Frage, ob ein Mietverwalter den Eigentümern eines Mietobjekts zum Schadensersatz verpflichtet ist, wenn der Mietverwalter es unterlassen hat, mögliche Mieterhöhungen durchzusetzen oder sie den Eigentümern zumindest vorzuschlagen. Zwischen den Parteien bestand ein „Mietverwaltungsvertrag“. Es handelte sich um einen entgeltlichen Geschäftsbesorgungsvertrag im Sinne von § 675 BGB, der teils dienstvertragliche, teils werkvertragliche Elemente enthielt. Nach den Feststellungen des Gerichts wäre eine Mieterhöhung für das verwaltete Anwesen möglich und rechtlich zulässig gewesen. Dennoch verblieb es bei der ursprünglichen Mietzinshöhe. Die Eigentümer des Mietobjekts machten daraufhin gegen den Mietverwalter Schadensersatz wegen entgangenen Gewinns in Höhe des Differenzbetrages der möglichen Mieteinnahmen und der tatsächlichen Mieteinnahmen geltend. Die Durchsetzung 1

OLG Saarbrücken NJW-RR 2006, 1602 f.

A. Verletzung von Tätigkeitspflichten (nachträgliche Leistungshindernisse) 191

eines höheren Mietzinses wurde Monat für Monat jeweils durch Zeitablauf teilweise nachträglich unmöglich.

II. Vom Gläubiger zu beweisende Tatsachen Der Gläubiger hat das Bestehen eines Schuldverhältnisses, das Vorliegen einer Pflichtverletzung und eines daraus resultierenden Schadens darzulegen und zu beweisen. Der inhaltliche Umfang des Beweisthemas richtet sich nach dem Inhalt des Schuldverhältnisses und insbesondere danach, ob der Schuldner die Erbringung einer Leistungshandlung oder eines Leistungserfolges versprochen hat. Der Charakter einer Vertragspflicht ist eine Rechtsfrage und bei Vorliegen von Zweifeln vom Gericht im Wege der Auslegung gemäß §§ 133, 157 BGB zu ermitteln. An dieser Stelle ging das OLG Saarbrücken methodisch ungenau vor. Es bemerkte zwar, dass ein typengemischter Vertrag vorlag, ging aber schon deshalb vom dienstvertraglichen, also rein tätigkeitsbezogenen Charakter der Vertragspflichten aus, weil die werkvertraglichen Elemente „hinter dem dienstvertraglichen Charakter des Gesamtvertrages zurück“2 träten. Diese Begründung ist zumindest missverständlich, da sie den Rezipienten darüber im Unklaren lässt, ob das Gericht sämtliche Vertragspflichten nach dem Schwerpunkt des Vertrages beurteilt hat.3 Eindeutiger wäre deshalb eine Begründung gewesen, die erkennen lässt, dass das Gericht dasjenige Regelungsregime anwendet, das für die gestörte Leistungspflicht am besten passt.4 Gleichwohl ist der rechtlichen Einordnung der gestörten Pflicht als Dienstleistungsverpflichtung im Ergebnis zuzustimmen: Wer „die Besorgung der Verwaltung eines vermieteten Anwesens übernimmt, verpflichtet sich schon nach dem Gesetz, die Vermögensinteressen des Auftraggebers in Bezug auf das Anwesen sorgfältig, sachkundig und loyal wahrzunehmen“.5 In Bezug auf die laufende Betreuung der Mietobjekte schuldet der Mietverwalter lediglich ein Tätigwerden lege artis. Der Gläubiger hat nun konkret darzulegen und zu beweisen, was für eine Tätigkeit geschuldet war, wie diese üblicherweise zu erfüllen ist und wie sich der Schuldner tatsächlich verhalten hat. Er hat also die negative Abweichung der Soll- von der Ist-Tätigkeit des Schuldners darzustellen, um 2

OLG Saarbrücken NJW-RR 2006, 1602. Das entspräche einem Vorgehen nach der sog. „Schwerpunkt-“ oder „Absorptionstheorie“. 4 Ein solches Vorgehen entspräche der „Theorie der analogen Rechtanwendung“ der herrschenden Rechtsprechung. Die in der Literatur herrschende „Kombinationsmethode“ käme zum gleichen Ergebnis. 5 OLG Saarbrücken NJW-RR 2006, 1602. 3

192 Kap. 8: Fallbeispiele unter Anwendung des vorgestellten Lösungsansatzes

das Vorliegen einer Pflichtverletzung zu begründen.6 Er hat also möglicherweise unter Beweis zu stellen, dass es branchenüblich ist bzw. von Mietverwaltern üblicherweise zu erwarten ist, dass diese sobald als möglich Mieterhöhungen auf den Weg zu bringen haben, jedenfalls aber die Eigentümer über diese Möglichkeit informieren müssen. An den Vortrag des Gläubigers werden bei reinen Tätigkeitsverpflichtungen also verhältnismäßig hohe Anforderungen zur Begründung der Pflichtverletzung gestellt.7 Dies übersieht das OLG Saarbrücken, das es für ausreichend hält, darauf abzustellen, dass ein geschuldeter Erfolg, die Durchsetzung der Mieterhöhung, nicht eintrat. Hat der Gläubiger die notwendigen Behauptungen aufgestellt und gegebenenfalls unter Beweis gestellt, steht zugleich das Vorliegen einer objektiven Sorgfaltspflichtverletzung (äußere Sorgfalt) seitens des Schuldners fest. Der Schuldner kann daraufhin versuchen, dem Vortrag des Gläubigers substantiiert entgegenzutreten, ihm also seine Schlüssigkeit zu nehmen oder gleich Gegenbeweis zu erbringen, also die Darstellung des Gläubigers zu erschüttern. Der Vortrag des Schuldners ist hier auf das Nichtvorliegen einer Pflichtverletzung gerichtet. Als Gründe dafür, dass kein höherer Mietzins zu erzielen gewesen wäre, kämen etwa der schlechte Zustand der Mietsache oder andere Mietminderungsgründe wie Baustellenlärm etc. in Betracht. Für den Schuldner ist die Gegenbeweisführung gegen das Vorliegen einer Pflichtverletzung die erfolgversprechendste Art der Verteidigung gegen die an ihn gerichteten Ansprüche.

III. Vom Schuldner zu beweisende Tatsachen Gelingt dem Schuldner die Gegenbeweisführung in Bezug auf das Nichtvorliegen einer Pflichtverletzung nicht, hat er darzulegen und zu beweisen, dass er die Unterlassung des Hinweises der Möglichkeit einer Mieterhöhung an die Eigentümer bzw. einer Durchsetzung der Mieterhöhung selbst nicht zu vertreten hat. Gegenstand des Entlastungsbeweises bzw. Inhalt des Beweisthemas des Schuldners kann hierbei nur noch die Beachtung der inneren Sorgfaltsanforderungen sein. Das Vorliegen einer objektiven Sorgfaltspflichtverletzung steht bereits notwendig fest. Für die Beachtung der inneren Sorgfaltsanforderungen hat der Schuldner den Beweis des Gegenteils, also Hauptbeweis, zu erbringen. Dieser kann sich nur noch auf Entschuldigungsgründe beziehen, wie etwa das Vorliegen einer schweren unvorhergesehenen Krankheit, die jedes Tätigsein ausschloss oder das Vorliegen von Drohung oder Zwang durch den betroffenen Mieter. Solche Entschuldigungsgründe werden freilich nur ausnahmsweise vorliegen. 6 7

Kap. 2 A. II. 2. d). Kap. 5 B. I. 1. b) cc).

B. Verletzung von Erfolgspflichten (nachträgliche Leistungshindernisse)

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B. Verletzung von Erfolgspflichten (nachträgliche Leistungshindernisse) I. Sachverhalt Fallkonstellationen, in denen sich ein Schuldner zur Herbeiführung eines Erfolges verpflichtet und später aufgrund nachträglicher Leistungshindernisse außer Stande ist zu erfüllen, bilden sicherlich den praktisch häufigsten Grund für die Haftung wegen Unmöglichkeit. Es finden sich zahlreiche Beispiele in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Besonders bekannt ist etwa der „Homologationsmodellfall“8 – ein Standardfall nachträglicher Unmöglichkeit –, bei dem ein Verkäufer nachträglich zur Leistung eines Sportwagens außer Stande war, da der Hersteller seine Geschäftspolitik geändert hatte und diese speziellen Homologationsmodelle nur noch selbst und an einen ausgewählten Kundenkreis verkaufte. In der Folge soll es aber um einen Fall gehen, über den der Bundesgerichtshof zu entscheiden hatte und den er nicht einmal als Unmöglichkeitsfall erkannte. Diesen reisevertragsrechtlichen Fall („Nilkreuzfahrt“),9 hatte der Bundesgerichtshof noch auf Basis des alten Schuldrechts zu lösen. Ein Reiseveranstalter wurde von zwei Eheleuten auf Schadensersatz in Anspruch genommen. Die Kläger buchten bei dem Veranstalter eine zwölftägige Ägyptenreise, die sich aus einer Nilkreuzfahrt und einem Aufenthalt in Kairo zusammensetzte. Am dritten Tag der Reise brach auf dem Kreuzfahrtschiff Feuer aus. Die Passagiere blieben unverletzt, verloren aber ihr gesamtes Gepäck und wurden am fünften Tag der Reise nach Deutschland zurückgeflogen. Der geltend gemachte Schaden setzte sich im Wesentlichen aus den Einzelposten des Reisepreises selbst, des verlorenen Reisegepäcks sowie nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit zusammen.

II. Vom Gläubiger zu beweisende Tatsachen Die Ansprüche des Gläubigers richten sich hier nach Reisevertragsrecht gemäß den §§ 651a ff. BGB. Er hat daher zunächst das Vorliegen eines Reisevertrages darzulegen und zu beweisen. § 280 Abs. 1 BGB findet im Reisevertragsrecht keine Anwendung. Er wird durch die strukturgleiche Spezialnorm des § 651f BGB, einem Vorläufer von § 280 Abs. 1 BGB, verdrängt. Nach ihr kann der Reisende Schadensersatz wegen Nichterfüllung verlangen, es sei denn, der Mangel beruht auf einem Umstand, den 8 9

BGH NJW 1994, 515 ff. BGH JZ 1987, 825 f. mit Anmerkung von Teichmann/Theis JZ 1987, S. 826 ff.

194 Kap. 8: Fallbeispiele unter Anwendung des vorgestellten Lösungsansatzes

der Reiseveranstalter nicht zu vertreten hat. § 651f BGB weist also wie § 280 Abs. 1 BGB die Beweislast für den Haftungsgrund dem Gläubiger, diejenige für das Zurechnungselement dem Schuldner zu. Was der Gläubiger im Einzelnen zur Begründung des geltend gemachten Schadensersatzanspruches vorzutragen hat, richtet sich wiederum nach dem Inhalt der verletzten Pflicht. Wenn der Reiseveranstalter die Gestaltung einer Reise verspricht, also die Durchführung einer Urlaubsreise und damit einhergehenden Urlaubsfreuden, haftet er nach zutreffender herrschender Auffassung jedenfalls dann für den Erfolg, wenn dieser von seinen Leistungen abhängt.10 Der Reisevertrag beinhaltet eine Erfolgsverpflichtung11 dahingehend, dass der Reiseveranstalter die Voraussetzungen dafür schafft, dass eine Erholung möglich ist.12 Bezieht man sich auf die bisherigen Ergebnisse, hätte der Gläubiger seinen Beweisführungsanforderungen bereits dann genügt, wenn er schlüssig die Nichterfüllung einer Erfolgverpflichtung behauptet. Im Reisevertragsrecht besteht aber insoweit die Besonderheit, dass § 651f Abs. 1 BGB auf einen Reisemangel (das Tatbestandsmerkmal ersetzt systematisch die Pflichtverletzung) rekurriert. Der Gläubiger hat daher diejenigen Umstände zu behaupten und zu beweisen, die einen Reisemangel begründen. Im vorliegenden Fall bestehen keine allzu hohen Hürden, da die Tatsache des Schiffsbrandes leicht zu behaupten (dies dürfte mit der Folge des § 138 Abs. 3 ZPO ausreichend sein) und nötigenfalls zu beweisen wäre.

III. Vom Schuldner zu beweisende Tatsachen Nach § 651f Abs. 1 BGB hat der Schuldner, ist das Vorliegen eines Reisemangels einmal festgestellt, zu behaupten und zu beweisen, dass er diesen nicht zu vertreten hat. Die in § 651f Abs. 1 BGB aufgestellte Vermutung stand dem Bundesgerichtshof zu der Zeit, als er über den Fall zu entscheiden hatte (1987), jedoch noch nicht zur Verfügung. Die Norm des § 651f Abs. 1 BGB erhielt ihre jetzige Fassung erst aufgrund einer EG-Richtlinie für Pauschalreisen und trat am 1.11.1994 in Kraft.13 Das Gericht griff deshalb, gestützt auf den Sphärengedanken, auf diejenigen Grundsätze der Beweislastverteilung zurück, die es für das Werkvertragsrecht entwickelt hatte. 10

BGH NJW 1995, 2629, 2630; Palandt/Sprau Einf v § 651a, Rn. 3. Die herrschende Auffassung stuft den Reisevertrag als eigenständigen Vertragstyp ein, der werkvertragliche mit miet- und geschäftsbesorgungsvertraglichen Elementen verbindet, Larenz, Schuldrecht II/1, S. 379; Staudinger/Eckert § 651a, Rn. 7 m. w. N.; a. A. Staudinger/Eckert § 651a, Rn. 8, der den Reisevertrag als Sonderfall des Werkvertrages qualifiziert. 12 Staudinger/Eckert § 651a, Rn. 11. 13 Staudinger/Eckert § 651f, Rn. 2. 11

B. Verletzung von Erfolgspflichten (nachträgliche Leistungshindernisse)

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„Danach hat der Unternehmer, der mangelhaft geleistet oder sonst wie pflichtwidrig gehandelt und dadurch aus seinem Gefahrenbereich heraus dem Besteller Schaden zugefügt hat, zu seiner Entlastung nachzuweisen, dass er die schädigenden Umstände nicht zu vertreten hat. Es ist sach- und interessengerecht, diese Grundsätze des allgemeinen Werkvertragsrechts auf den Reisevertrag als eine besondere Art des Werkvertrages entsprechend anzuwenden“. Auch wenn die in der Urteilsbegründung postulierte Beweislastverteilung der heutigen Rechtslage entspricht, sie aus heutiger Sicht also richtig ist, vermochte ihre dogmatische Herleitung auf Grundlage des alten Rechts keineswegs zu überzeugen. Der Bundesgerichtshof nahm hinsichtlich der für das Werkvertragsrecht geltenden Beweislastverteilung ausgerechnet auf jene Entscheidung14 Bezug, die die Zuweisung der Beweislast maßgeblich nach der Interessenlage bestimmte. Die Anforderungen an eine zulässige Rechtsfortbildung erfüllte die dort gegebene Begründung nicht einmal ansatzweise.15 Diese durch den Richter frei zugewiesene Beweislastverteilung sollte nun für das Reisevertragsrecht entsprechend gelten, da dies „sach- und interessengerecht“ sei. Auch dieser auf reinen Billigkeitserwägungen gründende Analogieschluss (?) ist dogmatisch unhaltbar. Durch die ohne gesetzliche Grundlage zugewiesene Beweislast an den Schuldner verstieß der Bundesgerichtshof gegen die elementaren Gebote der Rechtssicherheit16 und der Gleichheit der Rechtsanwendung. Ein Bedürfnis für eine derart angreifbare Beweislastverteilung aufgrund (einer nicht einmal näher dargestellten) Interessenlage bestand nicht. Durch den Brand des Schiffes wurde die Herbeiführung des geschuldeten Erfolges, eine mangelfreie Nilkreuzfahrt zu leisten, wegen der fehlenden Nachholbarkeit infolge Zeitablaufs unmöglich. Da die Kreuzfahrt nur einen Teil der Reise darstellte, handelte es sich um einen schlichten Fall teilweiser Unmöglichkeit.17 § 282 BGB a. F. hätte also entsprechende Anwendung finden können und müssen. Die Beweislastanforderungen wären dann die gleichen gewesen, wie sie sich aufgrund der §§ 651f Abs. 1 oder 280 Abs. 1, 3, 283 BGB dargestellt hätten. Der Reiseveranstalter hätte zu seiner Entlastung vortragen müssen, dass weder er selbst (vertreten durch seine Organe), noch die von ihm eingesetzten Leistungsträger (Reederei) und deren Erfüllungsgehilfen (Schiffscrew) für die Ursache des Brandes verantwortlich waren. Da die Ursache des Brandes letztlich ungeklärt blieb, hätte sich der Reiseveranstalter nur noch dadurch entlasten können, dass er die Beachtung 14

BGHZ 48, 310, 312. Vgl. hierzu bereits Kap. 5 A. II. 3. b). 16 Keine Prozesspartei kann sich auf eine Beweislastverteilung/Beweislastzuweisung einstellen, die ohne erkennbare Grundlage, quasi spontan, erfolgt. 17 Soergel/Wiedemann, 12. Aufl., § 282 a. F., Rn. 4, insbesondere Fußnote 12; Teichmann/Theis JZ 1987, S. 826, 827. 15

196 Kap. 8: Fallbeispiele unter Anwendung des vorgestellten Lösungsansatzes

sämtlicher Sorgfaltsanforderungen nachweist. Für den konkreten Fall hätte dies bedeutet, im Vorfeld alle erforderlichen Brandverhütungsmaßnahmen und während des Brandes alle notwendigen Brandbekämpfungsmaßnahmen zu ergreifen. Die zutreffende Einordnung des Sachverhalts als Fall teilweiser, nachträglicher Unmöglichkeit hätte zudem den Vorteil gehabt, dass die heftig umstrittene Frage,18 ob ein Schadensersatzanspruch nach § 651f Abs. 1 BGB eine vorherige Mängelanzeige voraussetzt, unproblematisch entfallen wäre.19

C. Verletzung von Erfolgspflichten (anfängliche Leistungshindernisse) I. Sachverhalt V und K schließen einen Kaufvertrag über einen Oldtimer. Der Wagen ist fahrbereit, weist jedoch einen Mangel auf, da die Fassung einer Bremsbacke beschädigt ist und das Fahrzeug infolge dessen nicht verkehrssicher ist. V weiß um die Beschädigung der Fassung. Er hat jedoch keine Kenntnis davon, dass die Produktion des Ersatzteils vor Jahren eingestellt wurde und auch sonst keine Ersatzteile mehr auf dem Markt erhältlich sind. K lässt den Oldtimer nach der Übergabe untersuchen, stellt den Mangel fest und setzt V schriftlich eine Frist zur Nacherfüllung (Behebung des Mangels). Nachdem K drei Wochen lang keine Antwort erhalten hat, erhebt er Klage auf Schadensersatz statt der Leistung, da er den Wagen gewinnbringend hätte weiterveräußern können.

II. Vom Gläubiger zu beweisende Tatsachen Um kaufrechtliche Gewährleistungsrechte geltend machen zu können, hat K das Bestehen eines Kaufvertrages (§ 433 BGB) und das Vorliegen eines Mangels zum Zeitpunkt des Gefahrübergangs (§ 434 Abs. 1 Satz 1 BGB) zu beweisen.20 Bei Kaufverträgen über Kraftfahrzeuge wird regelmäßig eine Kaufvertragsurkunde existieren, da diese schon für die Zulassungsstelle benötigt wird. Diese wäre als Anlage zu den Gerichtsakten zu geben. Der Käufer hat die Darlegungs- und Beweislast für die einen Sachmangel be18

Staudinger/Eckert § 651f, Rn. 8 ff. m. w. N. Die Mängelanzeige soll es dem Reiseveranstalter ermöglichen den Mangel zu beseitigen und entspricht daher systematisch der Nacherfüllungsfrist zur Sicherung des Recht zur zweiten Andienung. Im Falle einer Unmöglichkeit, wäre die Fristsetzung sinnlos und kann daher unterbleiben. 20 Palandt/Weidenkaff § 434, Rn. 59; MüKo/Westermann BGB § 434, Rn. 48. 19

C. Verletzung von Erfolgspflichten (anfängliche Leistungshindernisse)

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gründenden Tatsachen.21 Das Vorliegen eines Mangels kann der Gläubiger beispielsweise durch ein Gutachten beweisen. Liegt weder eine ausdrückliche (§ 434 Abs. 1 Satz 2 BGB) noch eine konkludente (§ 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BGB) Beschaffenheitsvereinbarung vor, wäre jedenfalls ein Mangel nach § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB gegeben, da sich das Fahrzeug in einem solchen Zustand nicht zum gewöhnlichen Gebrauch eignet. Bei einem Verbrauchsgüterkauf (§ 474 BGB) würde das Vorliegen des Mangels schon zum Zeitpunkt des Gefahrübergangs vermutet (§ 476 BGB). Die Vermutung bezieht sich lediglich auf den Zeitpunkt des Mangels und nicht zugleich auf die Mangelhaftigkeit selbst.22 In diesem Fall hätte K lediglich die Vermutungsbasis zu beweisen, also dass zwischen Gefahrübergang und Entdeckung des Mangels nicht mehr als sechs Monate vergangen sind. Findet § 476 BGB keine Anwendung, wäre der Zeitpunkt des Mangels ebenfalls in den Gutachterauftrag mit einzubeziehen. Möglicherweise würde bereits ein Foto genügen (Augenscheinsobjekt), dass offensichtlich ältere Rostspuren an der beschädigten Stelle zeigt. Schließlich wäre noch ein Schaden wahrscheinlich zu machen. Hierfür finden die Beweiserleichterungen der §§ 253 BGB, 287 ZPO Anwendung. Dies könnte durch Vorlage einer schriftlichen Kaufzusage des Zweitkäufers unter Angabe des avisierten Preises geschehen oder durch die Befragung des Zweitkäufers als Zeugen. Damit hätte der Gläubiger alles seinerseits Erforderliche getan, um seinen Anspruch substantiiert darzulegen. Für die bloße Schlüssigkeit seines Vortrags genügen zunächst bloße Behauptungen. Die Konkretisierung des Vortrags zu den einzelnen Tatsachen und die Unterlegung mit Beweisangeboten wird erst im Bestreitensfalle durch den Schuldner erforderlich. Die Benennung der Anspruchsgrundlage durch den Gläubiger ist nicht notwendig. Bei diesem Verfahrensstand wird der Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung in zulässiger Weise alternativ auf §§ 437 Nr. 3, 433, 434 BGB jeweils in Verbindung mit §§ 280 Abs. 1, 3, 281 BGB oder §§ 280 Abs. 1, 3, 283 BGB oder § 311a BGB gestützt.23

III. Vom Schuldner zu beweisende Tatsachen Was die richtige Anspruchsgrundlage ist, wird erst durch den Vortrag des Schuldners aufgeklärt. Erst durch sein Exkulpationsvorbringen wird für den Gläubiger und das Gericht erkennbar, dass es sich hier um einen Fall der 21

BGHZ 159, 215, 217. BGHZ 159, 215, 218; BGH NJW 2006, 423, 436; NJW 2005, 3490, 3491 f.; a. A. MüKo/Lorenz BGB § 476, Rn. 4; Medicus/Lorenz, Schuldrecht II, Rn. 243 f. 23 MüKo/Ernst BGB § 281, Rn. 2; Baumgärtel/Laumen/Prütting/Repgen § 281, Rn. 1; Palandt/Grüneberg § 283, Rn. 2; Staudinger/Otto/Schwarze § 281, Rn. B 9. 22

198 Kap. 8: Fallbeispiele unter Anwendung des vorgestellten Lösungsansatzes

Unmöglichkeitshaftung handelt. Denn sofern V seiner Wahrheitspflicht Folge leistet, kann sein Entlastungsvortrag nur beinhalten, dass ihn keine fahrlässige Unkenntnis von der Unbehebbarkeit des Mangels traf. Der richtige Bezugspunkt des Vertretenmüssens für den Schadensersatz statt der Leistung ist die zu vertretende Unkenntnis von der Unbehebbarkeit des Mangels, also der Unerfüllbarkeit der Nacherfüllungspflicht.24 Anders wäre dies beim Schadensersatz neben der Leistung zu beurteilen.25 Der Negativbeweis, keine fahrlässige Unkenntnis von der Unbehebbarkeit gehabt zu haben, erforderte grundsätzlich wiederum den umfassenden Vortrag, weshalb V aus keiner denkbaren Erkenntnisquelle Hinweise auf die Nichtverfügbarkeit des Ersatzteils ziehen hätte können. Diesen Nachweis könnte er nicht führen. Außerdem wäre er aus Sicht des Gerichts wegen des hierfür notwendigen Umfangs nicht wünschenswert. Fahrlässige Unkenntnis würde V dann nicht zur Last fallen, wenn er alle mit zumutbarem Aufwand erreichbaren Erkenntnisquellen ausgeschöpft hat, um die Frage der Behebbarkeit des Mangels zu klären. Er hätte die positiven Sachumstände vorzutragen, die für einen unverschuldeten Irrtum sprechen. Die Beweisführung müsste zum Gegenstand haben, dass er sich beim ursprünglichen Hersteller des Oldtimers, den großen Ersatzteilhändlern und vielleicht auch den mitgliederstärksten Oldtimerliebhaber- und -sammler-Vereinen, den naheliegenden Erkenntnisquellen also, über die Verfügbarkeit des Ersatzteils informiert hat. Haben all diese Erkenntnisquellen die Verfügbarkeit des Ersatzteils bestätigt, hat sich V entlastet. Sein Irrtum war unverschuldet. Hinsichtlich anderer Anhaltspunkte für ein Kennenmüssen, hat sich V nur dann zu äußern, wenn diese seitens K substantiiert vorgetragen werden. An V sind sicherlich niedrigere Anforderungen zu stellen, wenn er kein gewerblicher, sondern ein privater Oldtimerverkäufer ist. Der Private unterläge nicht derart weitgehenden Vergewisserungsobliegenheiten hinsichtlich seiner eigenen Leistungsfähigkeit und würde sich daher eher entlasten können. Eine solche Unterscheidung ist zweifelsfrei sachgerecht. Sie wurde erst durch die Kopplung der Haftung auch für anfängliches Unvermögen26 an das Verschuldensprinzip möglich. Nach altem Recht hätten der private ebenso wie der gewerbliche Verkäufer unterschiedslos aus Garantie gehaftet. Die nunmehr geltende Verschuldenshaftung ermöglicht die individuelle 24 Reinicke/Tiedtke, Kaufrecht, Rn. 564; S. Lorenz, in: FS Huber, S. 423, 431; Huber, in: FS Schlechtriem, S. 521, 529. 25 Erleidet K Körper- oder Gesundheitsverletzungen, weil die Bremsen versagt haben, wäre für den Schadensersatzanspruch neben der Leistung auf die Verletzung der Pflicht zur mangelfreien Leistung abzustellen gewesen (§ 433 Abs. 1 Satz 2 BGB). Vgl. hierzu auch S. Lorenz KF 2005, S. 43. 26 Es handelt sich um eine subjektive Unmöglichkeit, da in anderen Oldtimern gleichen Typs noch entsprechende Ersatzteile vorhanden wären.

D. Verletzung von Tätigkeitspflichten (anfängliche Leistungshindernisse) 199

und graduelle Unterscheidung der – je nach Person des Schuldners – vom Rechtsverkehr berechtigterweise erwarteten Sorgfaltsanforderungen.

D. Verletzung von Tätigkeitspflichten (anfängliche Leistungshindernisse) I. Fallvarianten einer praktisch seltenen Fallkonstellation Das Bestehen einer tätigkeitsbezogenen Verpflichtung, der anfängliche Leistungshindernisse entgegenstehen, kommt praktisch wohl nur sehr selten vor. Dennoch sind Fallkonstellationen denkbar, in denen der Schuldner eine Dienstleistung verspricht, der aber schon zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses Leistungshindernisse entgegenstehen. In Betracht kommen vor allem anfänglich bestehende persönliche oder rechtliche Hindernisse oder aber die Existenz von Umständen, die zur Erhebung einer der Einreden des § 275 Abs. 2 und 3 BGB berechtigen. Der ersten Variante wäre der Fall eines Arbeiters zuzuordnen, dem bei Vertragsschluss die für die Dienstleistung erforderliche fachliche Qualifikation fehlt und diese bis zum Zeitpunkt des vertraglich vorgesehenen Tätigkeitsbeginns auch nicht mehr erhält. Entsteht dem Dienstberechtigten hieraus ein Schaden, kann er diesen grundsätzlich nach § 311a Abs. 2 BGB ersetzt verlangen. Der Dienstleistungsverpflichtete entgeht der Haftung nur, wenn er nachweisen kann, dass ihn entweder keine zumindest fahrlässige Unkenntnis von dem Leistungshindernis, der fehlenden Qualifikation, trifft27 oder er bei Vertragsschluss konkrete Anhaltspunkte dafür hatte, dass er das Hindernis rechtzeitig überwinden werde.28 Nicht hierher gehört der Fall der fehlenden Arbeitserlaubnis. § 311a Abs. 2 BGB setzt einen wirksamen Vertrag voraus und ist demzufolge nicht anwendbar, wenn der Vertrag aufgrund von § 134 BGB nichtig ist.29 In diesem Falle bleibt nur ein Anspruch wegen vorvertraglicher Aufklärungspflichtverletzung aus culpa in contrahendo gerichtet auf das negative Interesse.30 27

Das Gelingen eines derartigen Entlastungsbeweises ist nur schwer vorstellbar. Eine derartige Beweisführung würde beispielsweise beinhalten, dass der Dienstberechtigte rechtzeitig einen entsprechenden Antrag gestellt hat und er alle persönlichen und sachlichen Voraussetzungen für eine entsprechende Erlaubnis erfüllt. Können solche Anhaltspunkte festgestellt werden, durfte er berechtigt auf die Überwindbarkeit des Hindernisses vertrauen und die Dienstleistung vorbehaltlos versprechen. 29 Herbert/Oberrath NJW 2005, 3745, 3748. 30 Gotthardt, Das Arbeitsrecht nach der Schuldrechtsreform, Rn. 164. 28

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Der zweiten Variante wäre zum Beispiel der Lehrbuchfall von der Sängerin, deren Kind vor einem Auftritt schwer erkrankt, zuzuordnen. Von ihrer Leistungspflicht würde die Sängerin auf Einrede hin gemäß § 275 Abs. 3 BGB befreit. Der Veranstalter kann seinen entgangenen Gewinn wegen des Entfallens der Vorstellung aber liquidieren, wenn sich die Dienstberechtigte in fahrlässiger Unkenntnis über diejenigen Umstände befand, die sie zur Erhebung der Einrede berechtigen. Haben sich die Symptome der Erkrankung bereits weit vor Vertragsschluss gezeigt, hätte sie den Auftritt nicht vorbehaltlos zusagen dürfen. Im Übrigen zeigt sich an dieser Konstellation deutlich, wie begrüßenswert die Angleichung der Rechtsfolgen bei anfänglichen und nachträglichen Leistungshindernissen ist, da es in der Tat nicht darauf ankommen kann, ob sich die Krankheitssymptome unmittelbar vor oder nach Vertragsschluss gezeigt haben.31

II. Sachverhalt Vertieft behandelt werden soll aber ein in dieselbe Kategorie fallender, abgewandelter Sachverhalt des Bundesarbeitsgerichts.32 Ein angestellter Drucker verweigerte aus Gewissensgründen die Ausübung seiner arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeit. Er sollte, nach seiner nachvollziehbaren Sichtweise, kriegsverherrlichendes Material (Bildband, Buch) drucken. Dies verweigerte er unter Hinweis auf seine pazifistische Einstellung. Gegen ein gesetzliches Verbot (§ 134 BGB) oder die guten Sitten (§ 138 BGB) hätte die Tätigkeit nicht verstoßen. Der Verlag ist seit Jahren auf den Druck historischer Bildbände und Bücher spezialisiert und bringt pro Jahr etwa 600 Bücher heraus. Die Autoren des Bildbandes und des Buches, deren Druck sich der Angestellte verweigerte, publizierten seit Jahren regelmäßig und mit ähnlichen Inhalten in dem Verlag. Seit Abschluss des Arbeitsvertrags erhielt der Verlag keine Aufträge der besagten Autoren. Die Verlagstätigkeit erfolgt ohne Ansehung weltanschaulicher Aspekte, solange sich die kundgegebenen Meinungen und Tatsachenbehauptungen innerhalb des rechtlich zulässigen bewegen. Um die Aufträge dennoch fristgerecht ausführen zu können, ließ der Verlag den Druck kostenaufwendig durch ein Konkurrenzunternehmen vornehmen.

III. Vom Gläubiger zu beweisende Tatsachen Die Beweislastverteilung bei der Haftung des Arbeitnehmers wird spezialgesetzlich durch § 619a BGB bestimmt. Noch bevor § 280 Abs. 1 31 32

Vgl. Canaris, in: FS Heldrich, S. 11, 17, 23. BAG NZA 1986, 21 f.

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Satz 2 BGB in Kraft trat, wurde darauf hingewiesen, dass die dort vorgesehene Beweislastverteilung die arbeitsrechtlichen Besonderheiten nicht ausreichend berücksichtige und insbesondere der differenzierten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts entgegenstehe.33 Diese Bedenken aufgreifend fand die Vorschrift des § 619a BGB mit ihrem jetzigen Inhalt erst spät im Gesetzgebungsverfahren Eingang in das BGB.34 Dieser Umstand mag erklären, warum die Norm gleich in zweierlei Hinsicht unpräzise formuliert ist: Zum einen bestimmt sie eine Beweislastverteilung „abweichend von § 280 Abs. 1 BGB“. Da die Vorschrift aber ausschließlich Beweislastfragen regelt, wäre ein Verweis auf § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB (nur Satz 2 enthält eine Beweislastbestimmung) exakter gewesen.35 Zum anderen wurde die Regelung des § 311a Abs. 2 Satz 2 BGB übersehen und nicht in § 619a BGB berücksichtigt. Dass im Arbeitsrecht aber auch von § 311a Abs. 2 Satz 2 BGB abgewichen werden soll, ergibt sich zwingend schon daraus, dass die Unterschiede in der Haftung für anfängliche und nachträgliche Unmöglichkeit nach der gesetzgeberischen Konzeption minimiert werden sollten.36 Umstritten ist zudem die Frage, ob § 619a BGB auch für Fälle schlichter Nichtleistung gilt. Henssler argumentiert, dass für solche Pflichtverletzungen der Normzeck verfehlt würde, da die Pflichtverletzung eindeutig in der Sphäre des Arbeitnehmers läge und somit kein Zusammenhang mit der Einordnung in eine betriebliche Organisation bestehe. Deshalb müsse der Arbeitnehmer beweisen, dass ihm kein Verschulden zur Last falle. Dass dies jedenfalls in dieser Allgemeinheit nicht zutrifft, zeigt sich schon an dem soeben dargestellten Sachverhalt. Die Leistungsverweigerung bezog sich ja gerade auf eine betrieblich veranlasste Tätigkeit. Würde der Verlag keine derartigen Bücher drucken, hätte es keinerlei Anlass zu einer Leistungsverweigerung gegeben. Die Begründung, der Arbeitnehmer begebe sich durch seine Entscheidung, die Arbeitsleistung nicht zu erbringen, in einen Bereich außerhalb des Organisationsbereichs des Arbeitgebers, geht fehl.37 Dies bedeutete, auf die stets vorsätzliche Erhebung der Einrede abzustellen und nicht zutreffend auf diejenigen Umstände, die zur Erhebung der Einrede berechtigen. Die zuvor beschriebenen Schwächen des Sphären33

Löwisch NZA 2001, 465, 466. Staudinger/Oetker § 619a, Rn. 1 f.; MüKo/Henssler BGB § 619a, Rn. 3 m. w. N. 35 MüKo/Henssler BGB § 619a, Rn. 47. 36 Den Beweislastnormen der §§ 280 Abs. 1 Satz 2, 311a Abs. 2 Satz 2 BGB lagen die gleichen Erwägungen zu Grunde vgl. Kap. 4 D. IV. 1. a. E. Auch die Gründe für eine Abweichung von der beweisrechtlichen Risikoverteilung gelten für beide Normen in gleichem Maße. 37 MüKo/Henssler BGB § 619a, Rn. 30. 34

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gedankens,38 insbesondere die Schwierigkeit Sphären eindeutig voneinander abzugrenzen, zeigen sich auch hier. Eine Einschränkung der Anwendbarkeit des § 619a BGB auf bestimmte Arten von Pflichtverletzungen kann dem Wortlaut der Norm nicht entnommen werden. Schwerwiegende Eingriffe in die Beweislastbestimmung sind hier auch nicht notwendig, da aufgrund der von § 619a BGB vorgegebenen Beweislastverteilung die Grundsätze der sekundären Darlegungslast angewendet werden können. Im Gegensatz zu den §§ 280 Abs. 1 Satz 2, 311a Abs. 2 Satz 2 BGB wäre ja der Arbeitnehmer die eigentlich nicht beweisbelastete Partei, die aber zu bestimmten Umständen leicht Auskunft geben kann, die dem anderen Teil verschlossen sind. Die herrschende Auffassung lehnt daher zu Recht eine Differenzierung nach der Art der Pflichtverletzung ab und wendet § 619a BGB auf sämtliche Pflichtverletzungen des Arbeitnehmers an.39 Im Ergebnis bleibt es jedenfalls bei den Vorgaben des § 619a BGB, der dem Gläubiger sowohl die Beweislast für das Haftungsbegründungs- als auch für das Zurechnungselement zuweist. Der Nachweis der Pflichtverletzung ist vergleichsweise einfach zu führen. Der Arbeitnehmer wäre aufgrund des Arbeitsvertrages zum Drucken des Buches und des Bildbandes verpflichtet gewesen und hat dies nicht getan. Der Arbeitgeber hat also die ihm negative Abweichung von vertraglich geschuldeter und tatsächlich erfolgter Tätigkeit darzustellen. Die Nichtleistung ist für den Gläubiger stets einfacher darzustellen als eine Schlechtleistung. Wegen des absoluten Fixschuldcharakters und der fehlenden Nachholbarkeit der Arbeitsleistung40 ist zugleich die Art der Leistungsstörung geklärt. Es liegt ein Fall der Unmöglichkeit vor. § 619a BGB weist dem Arbeitgeber zusätzlich noch die Beweislast für den Zurechnungsgesichtspunkt zu. Er hat daher soweit möglich auch die Gründe für die Pflichtverletzung des Arbeitnehmers, also diejenigen Umstände, die für den subjektiven Tatbestand des Verschuldens sprechen, darzulegen und zu beweisen.41 Hierzu hat er zunächst vorzutragen, dass der Arbeitnehmer seine arbeitsvertraglich geschuldete Tätigkeit, das Drucken, unter Hinweis auf Gewissensgründe verweigert hat. Besitzt der Gläubiger keine weiteren Kenntnisse, worin die Gewissensnöte des Schuldners genau bestanden, kommen hier die Grundsätze der sekundären Darlegungslast zum Tragen. Dies ist geradezu ein typischer Fall, in dem der tatsächlich beweisbelastete Arbeitgeber außerhalb des von ihm darzulegenden Geschehensablaufs steht, er keine nähere Kenntnis der maß38

Kap. 5 A. II. 3. b). BAG BB 2007, 221, 222; Palandt/Weidenkaff § 619a, Rn. 3; Herbert/Oberrath NJW 2005, 3745, 3748. 40 Erman/Edenfeld § 611, Rn. 333. 41 Baumgärtel/Laumen/Prütting/Leisten, § 619a, Rn. 8. 39

D. Verletzung von Tätigkeitspflichten (anfängliche Leistungshindernisse) 203

geblichen Vorgänge besitzt und sich diese auch nicht verschaffen kann, während es dem Arbeitnehmer leicht möglich ist, die maßgeblichen Umstände aufzuklären.42 Erklärt sich der Arbeitnehmer entsprechend, indem er darlegt, dass die von ihm zu druckenden Inhalte kriegsverherrlichend sind, und ihm die Erfüllung seiner Verpflichtungen deshalb aus Gewissensgründen nicht möglich war, können die Grundlagen der Leistungsverweigerung aufgeklärt werden. Erst jetzt kann der beweisbelastete Arbeitgeber auch auf den zutreffenden Bezugspunkt des Vertretenmüssens abstellen. Der Schuldvorwurf kann nicht auf die Nichtleistung bzw. die vorsätzlich erhobene Einrede gemäß § 275 Abs. 3 BGB bezogen werden. Zur Erhebung der Einrede war der Drucker berechtigt. Das Merkmal der Unzumutbarkeit muss subjektiv auf die Person des Schuldners bezogen werden.43 Eine Abwägung des auch objektiv nachvollziehbaren Gewissenskonflikts mit dem Leistungsinteresse des Gläubigers führt im Ergebnis zu einer berechtigten Leistungsverweigerung.44 Die Vorhersehbarkeit eines Gewissenskonflikts schließt die Erhebung der Einrede gemäß § 275 Abs. 3 BGB nicht aus.45 Bedeutsam ist sie aber für die Frage des Verschuldens. Der zutreffende Bezugspunkt des Vertretenmüssens ist die zu vertretende Unkenntnis derjenigen Umstände, die zur Erhebung der Einrede gemäß § 275 Abs. 3 BGB berechtigen. Auch in § 619a BGB muss daher der modifizierte Bezugspunkt des Vertretenmüssens aus § 311a Abs. 2 Satz 2 BGB gespiegelt werden. Die Darlegungs- und Beweisführungsaktivität des Arbeitgebers muss sich daher auf Fragen der Vorhersehbarkeit des Gewissenskonflikts beziehen. Er hat konkrete positive Tatsachen darzustellen, die auf das Vorliegen von zu vertretender Unkenntnis hindeuten. Ein Ansatzpunkt läge vor allem in dem Umstand, dass die Autoren der Materialien, deren Druck der Arbeitnehmer ablehnte, seit längerer Zeit, in steter Regelmäßigkeit und mit vergleichbaren Inhalten bei diesem Verlag publizierten. Diesem Sachvortrag wäre zugleich zu entnehmen, dass ein anfängliches Leistungshindernis (Leistungsrisiko) vorlag. Dieses von vornherein bestehende Risiko hat sich in dem Moment verwirklicht, in dem die Autoren ein weiteres Mal an den Verlag herantraten, um dort weitere Bücher zu publizieren. Dass dies erst nach Abschluss des Arbeitsvertrages erfolgte, macht das anfängliche nicht zu einem nachträglichen Leistungshindernis. 42

BGHZ 140, 156, 158; 86, 23, 29; RGZ 166, 240, 242; BGH NJW 1961, 826,

828. 43

Erman/Westermann § 275, Rn. 30 f. Da die Vorschrift des § 275 Ab. 3 BGB zum Zeitpunkt der Entscheidung noch nicht existierte, stützte das BAG seine Begründung auf eine verfassungskonforme Auslegung bzw. Einschränkung des Direktionsrechts aus § 315 BGB durch Art. 4 GG, BAG NZA 1986, 21, 22. 45 MüKo/Müller-Glöge BGB § 611, Rn. 1038. 44

204 Kap. 8: Fallbeispiele unter Anwendung des vorgestellten Lösungsansatzes

In dieser Fallkonstellation ist zusätzlich zu berücksichtigen, dass die besonderen arbeitsrechtlichen Grundsätze der beschränkten Arbeitnehmerhaftung zum Tragen kommen, die die Haftung vom Verschuldensgrad abhängig macht.46 Wie das Verschulden des Arbeitnehmers einzustufen ist, ist eine Rechtsfrage. Der Arbeitgeber ist aber im eigenen Interesse gehalten, tatsächliche Umstände darzulegen und zu beweisen, die für ein grobes Verschulden sprechen, da der Arbeitnehmer bei Vorsatz (hier in Form positiver Kenntnis) oder grober Fahrlässigkeit (hier in Form grobfahrlässiger Unkenntnis) in der Regel voll haftet.47 Er hat also konkret positive Sachumstände vorzutragen, weshalb der Arbeitnehmer hätte wissen müssen, dass in diesem Verlag regelmäßig Werke publiziert werden, auf die sich die Arbeitsverweigerung bezog und weshalb sich eine Unkenntnis hiervon als besonders grober Sorgfaltspflichtverstoß darstellt. Schließlich hat sich das Verschulden auch auf den Schadenseintritt selbst zu beziehen.48

IV. Vom Schuldner zu beweisende Tatsachen Beweisbelastet, also feststellungs- und beweisführungsbelastet, ist der Arbeitnehmer hinsichtlich keiner einzigen Haftungsvoraussetzung. Er kann sich auf die Gegenbeweisführung beschränken. Hinsichtlich derjenigen Umstände, die der Arbeitgeber anführt und die für ein Verschulden sprechen, trifft den Arbeitnehmer die sekundäre Darlegungslast, wenn die Voraussetzungen hierfür vorliegen. Im Rahmen dieser sekundären Darlegungslast hat er sich dann zum gesamten Vortrag des Gläubigers zu erklären und diesem substantiiert entgegenzutreten. Erreicht sein Gegenvorbringen keinen ausreichenden Substantiierungsgrad, tritt die Geständnisfiktion des § 138 Abs. 3 ZPO ein.49

E. Verletzung von Erfolgsverpflichtungen (Ungewissheit des Zeitpunkts der Unmöglichkeit) I. Sachverhalt Fallkonstellationen, in denen ein geschuldeter Erfolg nicht eintrat und der Schuldner nicht willens oder außerstande ist, aufzuklären, welche Leis46 BAG NZA 2003, 37, 38 f.; das einschränkende Kriterium der Schadensgeneigtheit der Arbeit hat der Große Senat des Bundesarbeitgerichts schon seit BAG NZA 1994, 1083 ff. aufgegeben. 47 Löwisch, Arbeitsrecht, Rn. 1194; MüKo/Henssler BGB § 619a, Rn. 32. 48 Vgl. hierzu mit ausführlicher Begründung BAG NZA 2003, 37, 40 f. m. w. N. 49 Baumgärtel/Laumen/Prütting/Leisten, § 619a, Rn. 8.

E. Ungewissheit des Zeitpunkts der Unmöglichkeit

205

tungshindernisse der Erfüllung entgegenstanden und zu welchem Zeitpunkt die Leistungshindernisse auftraten, sind in besonderem Maße dazu geeignet, die Auswirkungen der hier vertretenen Auffassungen zu illustrieren. Praktisch von besonderem Interesse sind vor allem solche Varianten, in denen einem Gläubiger entweder die Expertise und/oder der Wille fehlt, sich selbst allzu sehr um eine Leistung zu kümmern und sie stattdessen lieber auf einen Schuldner auslagert, auf den er sich verlassen will. Typisches Beispiel hierfür ist das so genannte „Outsourcing“, das sich seit Jahren steigender Beliebtheit bei größeren Unternehmen erfreut. Die Auslagerung bestimmter Betätigungsfelder ermöglicht es, sich weiterhin auf das Kerngeschäft konzentrieren zu können und dennoch in gewinnträchtigen, aber unternehmensfremden Geschäftsfeldern – etwa in der Funktion als Finanzier – partizipieren zu können. Die in Betracht kommenden Fallkonstellationen sind vielfältig. Denkbar wäre beispielsweise der Fall eines Bankhauses, das auf eigenem Grund Mietwohnungen durch einen Werkunternehmer errichten lässt, der zugleich die Verwaltung der fertig gestellten Immobilien übernehmen soll. Auf diese Weise könnte das Bankhaus seine Eigenkapitaldeckung erhöhen,50 Gewinne aus Mieteinnahmen erzielen und müsste trotzdem nicht selbst Immobilienunternehmer werden. Errichtet der Werkunternehmer die geschuldeten Gebäude nicht bis zum vertraglich vorgesehenen Zeitpunkt und können diese dann nicht vermietet werden, so entgeht dem Bankhaus Gewinn. Auch in öffentlich-privaten Partnerschaften (ÖPP oder PPP-Projekte) können derartige Leistungsstörungen auftreten. Ein Beispiel hierfür wäre die im europäischen Ausland bereits umfangreich betriebene Privatisierung von Autobahnabschnitten. In diesen Fällen übernimmt ein privates Unternehmen die Verpflichtung, einen Autobahnabschnitt zu bauen und anschließend für einen bestimmten Zeitraum zu betreiben. Dafür ist es dann berechtigt, Mautabgaben zu erheben. Einen Teil dieser Abgaben hat es dann regelmäßig an den Staat, der den Auftrag vergibt, abzuführen. Auch hier entgeht dem Staat Gewinn, wenn der private Unternehmer den Bau nicht rechtzeitig abschließt und somit verspätet mit dem Betrieb beginnen kann. Ähnlich gelagert wäre eine Fallvariante, in der ein Fabrikant von medizinischen Instrumenten einen Werkunternehmer beauftragt, eine Abrechnungssoftware zu entwickeln und mit der entwickelten Software gegen Entgelt für verschiedene Ärzte die Rechnungsstellung zu übernehmen (ohne die einzelnen Forderungen zu kaufen). Auch in dieser Variante entgeht dem 50 Hierzu wurden sie aufgrund der kürzlich gefassten Basel III-Beschlüsse sogar verpflichtet.

206 Kap. 8: Fallbeispiele unter Anwendung des vorgestellten Lösungsansatzes

Auftraggeber Gewinn, wenn die Software nicht rechtzeitig hergestellt wird und sich somit auch der Beginn mit der vergüteten Rechnungsstellung verzögert. Den genannten Fallkonstellationen ist gemeinsam, dass zweifelfrei ein Fall von Unmöglichkeit vorliegt, wenn ein vertraglich festgelegter Termin nicht eingehalten werden kann. An die Pflicht, ein Werk herzustellen, schließt sich jeweils die Pflicht an, das hergestellte Werk zu verwenden und damit Gewinne zu erzielen. Verspätet sich die Herstellung, verspätet sich notwendig zugleich die Erfüllung der nachgelagerten Pflicht, aus der Verwendung bzw. dem Betrieb des Werkes Gewinne zu erzielen. Das (teilweise) Abführen der Gewinne an den Auftraggeber wird für den Zeitraum der Verzögerung infolge Zeitablaufs unmöglich (§ 275 Abs. 1 BGB). Der Fall des Medizingeräteherstellers soll nun einer genaueren Betrachtung unterzogen werden.

II. Vom Gläubiger zu beweisende Tatsachen Der Gläubiger hat wie in den vorherigen Fallkonstellationen das Bestehen eines Schuldverhältnisses, das Vorliegen einer Pflichtverletzung und eines daraus resultierenden Schadens darzulegen und zu beweisen. Der Umfang des Beweisthemas Pflichtverletzung richtet sich wiederum nach dem Charakter der verletzten Pflicht. Der Vertrag enthielt sowohl die Verpflichtung zur Entwicklung des Abrechnungssystems als auch die Verpflichtung zu dessen Betrieb. Ob die Systementwicklung auf eine Tätigkeit oder einen Erfolg gerichtet war, ist eine durch Auslegung zu entscheidende Rechtsfrage, die maßgeblich von der Beherrschbarkeit des Entwicklungsrisikos, der Interessenlage der Parteien insgesamt, der Höhe und Art der Vergütung sowie aller übrigen auslegungsrelevanten Umstände abhängt. Abzustellen ist hier jedoch auf die zweifelsfrei werkvertragliche und somit erfolgsbezogene Verpflichtung zum Betrieb des Abrechnungssystems. Der Schaden des Gläubigers resultierte schließlich aus der verspäteten Inbetriebnahme. Der Gläubiger hat somit seiner Anfangsdarlegungslast schon dann genügt, wenn er das Bestehen eines Schuldverhältnisses, die Nichterfüllung der Betriebspflicht und das Bestehen eines kausalen Schadens behauptet. Zweckmäßig ist es natürlich, sofort das Vertragswerk beizulegen, den Zeitraum der Nichterfüllung der Betriebspflicht näher zu einzugrenzen und eine konkrete Schadensberechnung vorzulegen. Hierbei handelt es sich dann aber bereits um substantiierte Behauptungen. Bis auf die konkrete Schadensberechnung wäre dies zu Beginn des Prozesses gar nicht erforderlich. Die Schadensberechnung ist unverzichtbar, da nur hierdurch die Stellung eines bezifferten Antrages möglich ist. Für die Schadensberechnung kommen

E. Ungewissheit des Zeitpunkts der Unmöglichkeit

207

dem Gläubiger aber die Beweiserleichterungen der §§ 253 BGB, 287 ZPO zugute. Er hat daher lediglich die Einnahmen darzustellen, die er ab dem Zeitpunkt, ab dem das Abrechnungssystem betrieben wurde, erzielt hat. Aus dem nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge zu erzielenden, kann dann auf den entgangenen Gewinn zwischen geschuldetem Inbetriebnahmetermin und tatsächlich erfolgter Inbetriebnahme geschlossen werden. Ausführungen zu vom Schuldner zu vertretenen Leistungshindernissen hat der Vortrag des Gläubigers wiederum nicht zu enthalten, da er die Gründe des Scheiterns regelmäßig nicht kennt und daher „ins Blaue hinein“, also ohne greifbare Anhaltspunkte, zu dessen Verschulden vortragen müsste. Genau diese Situation wird durch die gegen den Schuldner stehende Vermutung verhindert.

III. Vom Schuldner zu beweisende Tatsachen Die Gründe für die verspätete Inbetriebnahme des Abrechnungssystems hat der Schuldner aufzuklären, wenn er sich konkret entlasten will. Die einfachste Art der Entlastung aus Sicht des Schuldners besteht darin, den Leistungshinderungsgrund zu benennen und aufzuzeigen, dass sich dieser nicht innerhalb seines Verantwortungsbereiches ereignete. Der Schuldner könnte etwa nachweisen, dass der wichtigste Entwickler unvorhersehbar wegen Todes oder Krankheit ausfiel und die notwendige Einarbeitungszeit seines Nachfolgers die Verspätung der Systementwicklung – und somit auch des Betriebsbeginns – verursachte. Auch die Zerstörung wichtiger Entwicklungsdaten durch einen Computervirus, der trotz umfangreicher Sicherungen durch Abwehrsoftware auf dem aktuellen Stand der Technik eindrang, gehört hierher. Damit hätte der Schuldner den Eintritt eines nachvertraglichen, ihm nicht zurechenbaren Leistungshinderungsgrundes bewiesen. In der Regel fordernder wäre der Nachweis des fehlenden Kausalzusammenhangs, da dieser stets die Berücksichtigung hypothetischer Kausalverläufe erfordert. In diesem Falle liegt zwar ein vom Schuldner zu vertretender Leistungshinderungsgrund vor, der Entlastungsbeweis ist aber darauf gerichtet, dass sich dieser nicht ausgewirkt hat. War die Entwicklung des Abrechnungssystems zwar in zu vertretender Weise verspätet, hat aber der Auftraggeber die (von ihm zu liefernden) Daten der Ärzte nicht rechtzeitig zur Verfügung gestellt, sodass ohnehin keine Rechnungsstellungen erfolgen konnten, wurde der vom Schuldner zu vertretende Umstand nicht kausal für den Schaden. Auch in diesem Falle wäre der Schuldner entlastet. Sind diese beiden konkreten Arten der Entlastungsbeweisführung nicht möglich, steht nur noch der Weg der abstrakten Exkulpation offen. Der Schuldner hat dann darzulegen und zu beweisen, dass er sämtliche beste-

208 Kap. 8: Fallbeispiele unter Anwendung des vorgestellten Lösungsansatzes

henden Sorgfaltsanforderungen beachtet hat. Ist der Schuldner zu einer konkreten Entlastung nicht willens oder nicht imstande, steht zugleich fest, dass der Zeitpunkt der Unmöglichkeit unaufgeklärt bleiben wird. Da die Unaufklärbarkeit des Zeitpunkts der Unmöglichkeit zu Lasten des Schuldners geht, hat er sich nunmehr kumulativ zu entlasten. Er muss daher sowohl sämtliche Sorgfaltsanforderungen hinsichtlich aller potenziell aus seine Sphäre stammenden Leistungshinderungsgründe als auch hinsichtlich aller potenziell vorhandenen externen Leistungshinderungsgründe beachtet haben. Da ein solcher Beweis in dieser Allgemeinheit nicht zu führen wäre, hat sich der Schuldner zunächst nur in Bezug auf naheliegende Gründe, die für den Ausschluss der Leistungspflicht verantwortlich gewesen sein könnten, zu erklären. Welche Gründe als naheliegend betrachtet werden können ist einzelfallabhängig. Ist eine konkrete Entlastung aber nicht möglich, könnte es aufgrund der tatsächlich eingetretenen Verzögerung bereits als naheliegend angesehen werden, dass der Schuldner entweder zu spät mit der Entwicklung des Abrechnungssystems angefangen hat (nachträgliches Leistungshindernis) oder er schon bei Vertragsschluss einen Leistungstermin zugesagt hat, den er nicht einhalten konnte (anfängliches Leistungshindernis). Da jedenfalls kumulativ die Vermutungen des Vertretenmüssens (§ 280 Abs. 1, 283 BGB) und der zu vertretenden Unkenntnis (§ 311a Abs. 2 Satz 2 BGB) gegen ihn stehen, hat der Schuldner, will er nicht aufgrund einer Beweislastentscheidung unterliegen, in gewissem Umfang Angaben zum Verschulden zu machen (Beweis des Gegenteils/Hauptbeweis). Er hat mindestens darzustellen, dass er für die Entwicklung ausreichendes Personal bereitgestellt hat, genügend Entwicklungszeit vorgesehen hat und auch die zu einer Herstellung des geschuldeten Werkes ausreichende Expertise in dem Unternehmen vorhanden war. Ist dieses Prozessstadium erreicht, liegt es nun wieder am Gläubiger, durch substantiierte Behauptungen weiteres Entlastungsvorbringen herauszufordern und somit eine erweiterte Sachverhaltsaufklärung herbeizuführen. Es reicht aus, dass der Gläubiger Tatsachen vorträgt, die das Vorbringen des Schuldners erschüttern (Gegenbeweis). Die Grundlage für ein solches prozessuales Vorbringen findet der Gläubiger, wenn er nicht ausnahmsweise die kritischen Faktoren für die Erfüllbarkeit der Leistungspflicht kennt, hauptsächlich im Exkulpationsvorbringen des Schuldners. Dieses kann Widersprüche oder Hinweise auf andere Leistungshinderungsgründe enthalten, wobei es ausreicht, wenn der Gläubiger das Vorliegen von Leistungsrisiken identifiziert und sie schlüssig darlegt. Es liegt dann am Schuldner, darzulegen und zu beweisen, dass er sich über diese Leistungsrisiken nicht in zu vertretender Unkenntnis befand, sie sich nicht ausgewirkt haben oder er berechtigt darauf vertrauen durfte, dass sich die von ihm erkannten Risken

E. Ungewissheit des Zeitpunkts der Unmöglichkeit

209

nicht auswirken würden. Seine Unkenntnis hätte er dann nicht zu vertreten, wenn er alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen hatte, Risiken frühzeitig zu erkennen (z. B. die Einrichtung eines funktionierenden Frühwarnsystems). Die Risiken haben sich nicht ausgewirkt, wenn er das bestehende Leistungsrisiko bewältigt hat (Auffinden einer technischen Lösung). Berechtigtes Vertrauen, dass sich ein Risiko nicht auswirken würde, kann etwa dadurch nachgewiesen werden, dass das Entwicklungskonzept und die bestehenden Risiken nach dem Stand der Technik unabhängig überprüft und als unbedenklich eingestuft wurden (Einholung eines Expertengutachtens vor Vertragsschluss). An dieser Stelle erlangen die erweiterten Möglichkeiten, Anordnungen auf Vorlage von Urkunden (§ 142 ZPO) und Augenscheinsobjekten (§ 144 ZPO) zu erlassen bzw. zu beantragen, erhöhte Bedeutung. Der Schuldner hat es in der Hand, was er zu seiner Entlastung überhaupt in den Prozess einführt. Hat er aber zu seiner Entlastung auf ein Frühwarnsystem, eine technische Lösung oder ein Expertengutachten Bezug genommen, kann der Gläubiger spiegelbildlich auf die Grundlagen des Entlastungsvorbringens zugreifen (unabhängig davon, ob sie sich beim Schuldner oder einem Dritten befinden) und es auf seine Richtigkeit hin überprüfen. Am Ende dieses Wechselspiels immer weiter substantiierten und mit Beweisangeboten untermauerten Vortrags richtet sich die Entscheidung danach, ob der Schuldner alle naheliegenden und vom Gläubiger schlüssig behaupteten Gründe für das Scheitern der Leistung ausräumen konnte. Ist das der Fall, ist die Klage abzuweisen. Bleibt die Verschuldensfrage ungeklärt (Beweislastentscheidung) oder wird ein Verschulden festgestellt, haftet der Schuldner. Das beschriebene, gängige Verfahren, flankiert von prozessualen Möglichkeiten der Erkenntnisgewinnung, bietet die besten Aussichten auf eine umfassende Klärung des Streitstoffes und somit auch auf eine materiell richtige Entscheidung. Der Einwand des Schuldners, auch der Gläubiger habe die Möglichkeit gehabt, Leistungshinderungsgründe zu erkennen, würde nicht zur Minderung des Ersatzanspruchs führen. Er darf sich auf seinen Schuldner jedenfalls insoweit verlassen, als dieser die Leistung vorbehaltlos versprochen hat oder kein Bedürfnis zu erkennen gegeben hat, im Vorfeld des Vertragsschlusses potenzielle Störfaktoren zu benennen und sich hierfür partielle Haftungsausschlüsse gewähren zu lassen. Die Anwendung von § 254 BGB würde hier in krasser Weise in die werkvertragliche Risikoverteilung ebenso wie in die erkennbare Interessenlage der Parteien eingreifen. Einwände der Gestalt, der Gläubiger habe ebenso gut Leistungshinderungsgründe erkennen können, sind also außer in extremen Ausnahmefällen unbeachtlich.

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Münchener Kommentar: Zivilprozessordnung, Band 1, §§ 1–354, 2. Auflage 2000. – Band 1, §§ 1–510c, 3. Auflage 2008. Musielak, Hans-Joachim: Beweislastverteilung nach Gefahrbereichen – Eine kritische Betrachtung der Gefahrkreistheorie des Bundesgerichtshofs, AcP 176 (1976), S. 465 ff. – Die Grundlagen der Beweislast im Zivilprozeß, Habilitationsschrift 1975. – Zivilprozessordnung, 5. Auflage 2007. Oertmann, Paul: Anfängliches Leistungsunvermögen, AcP 140 (1935), S. 129, 148 f. Olshausen, Eberhard v.: Die Haftung des Insolvenzverwalters für die Nichterfüllung von Masseverbindlichkeiten und das Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts (§ 311a Abs. 2 BGB n. F.), ZIP 2002, 237 ff. Otto, Hansjörg: Die Grundstrukturen des neuen Leistungsstörungsrechts, Jura 2002, S. 1 ff. Palandt: Bürgerliches Gesetzbuch, 69. Auflage 2010. Pawlowski, Enka: Der Prima-Facie-Beweis bei Schadensersatzansprüchen aus Delikt und Vertrag, Dissertation 1966. Petersen, Jens: Die Anspruchsgrundlagen des Allgemeinen Teils, Jura 2002, S. 743 ff. Prölss, Jürgen: Beweiserleichterungen im Schadensersatzprozess, Habilitationsschrift 1966. Prütting, Hans: Die materielle Prozessleitung, Festschrift für Musielak, S. 397 ff. – Gegenwartsprobleme der Beweislast, Habilitationsschrift 1983. Prütting, Hans/Gehrlein, Markus: ZPO Kommentar, 1. Auflage 2010. Prütting/Wegen/Weinreich, BGB Kommentar, 4. Auflage 2009. Raape, Leo: Die Beweislast bei positiver Vertragsverletzung, AcP 147 (1941), S. 217 ff. Reinicke, Dietrich/Tiedtke, Klaus: Kaufrecht, 8. Auflage 2009. Reischauer, Rudolf: Der Entlastungsbeweis des Schuldners (§ 1298 ABGB), Habilitationsschrift 1975. Reischl, Klaus: Der Umfang der richterlichen Instruktionstätigkeit – ein Beitrag zu § 139 Abs. 1 ZPO –, ZZP 116 (2003), S. 81 ff. Rensen, Hartmut: Die richterliche Hinweispflicht, Dissertation 2002. Riehm, Thomas: Pflichtverletzung und Vertretenmüssen – Zur Dogmatik der §§ 280 ff. BGB, Festschrift für Canaris Band I, S. 1079 ff.

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Sachregister Anscheinsbeweis 85 Anspruchsentstehung 54 Aufklärungspflicht, Gericht siehe Prozessleitungspflicht

– Schutzgut 50 – Schutzpflicht 47

Behauptungslast 89 – sekundäre 92 Beibringungsgrundsatz 177 Beweis – Beweismaß 93 – Beweiswürdigung 93 – Gegen-Beweis 94 – Gegenteils-Beweis 94 – Haupt-Beweis 94 Beweisführungslast 87 – konkrete 88 Beweislast – Begriff 73 – Beweislastnorm, Zweck, Wirkung 74 – Beweislastprinzipien 77 – objektive siehe Feststellungslast – subjektive siehe Beweisführungslast Beweislastverteilung – Gesetzgeber, Motive 96 – Grundregel 76 – Haftung, anfängliche Unmöglichkeit 133 – Haftung, nachträgliche Unmöglichkeit 110 – Rechtspraxis §§ 282, 285 BGB a. F. 99

Entlastungsbeweis – Arten 131 – kumulativer 137 – Maßstab 128 – Umfang 131

culpa in contrahendo 46 – Konkurrenzverhältnis, § 311a Abs. 2 BGB siehe Konkurrenzverhältnis

Darlegungslast siehe Behauptungslast

Feststellungslast 86 Fristsetzungserfordernis 119 Garantie – Erfüllungsgarantie 107 – Haftungsbegründungsebene 42 – Zurechnungsebene 43 Garantiehaftung, anfängliches Unvermögen, BGB a. F. 63 Gefahrkreistheorie siehe Sphärengedanke Haftungsgrund – anfängliche Unmöglichkeit 40 – Definition 18 – nachträgliche Unmöglichkeit 28 Hinweispflicht, Gericht siehe Prozessleitungspflicht Kausalität – haftungsausfüllende 126 – haftungsbegründende 125 Konkurrenzverhältnis, culpa in contrahendo, § 311a Abs. 2 BGB 52

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Sachregister

Leistungshindernis – Begriffsumfang 58 – Definition 57 – Kenntnis/Kennenmüssen, Gläubiger 67 – Unmöglichkeit, Verhältnis 57 Leistungsinhalt – Abgrenzungskriterien 27 – Erfolgs-,Tätigkeitspflichten 26 Leistungspflicht 24 Pflichtverletzung 21 – Definition 23 – erfolgsbezogener Ansatz 31 – Erfolgspflicht 29 – Leistungsbefreiung 29 – Tätigkeitspflicht 33 – verhaltensbezogener Ansatz 30 – Verhältnis, Leistungshinderungsgrund 116 – Zentralbegriff 21 Prozess – Leistungsverweigerungsrechte 122 – Vorgehen, Regelfall 121 Prozessleitungspflicht, materielle, ZPO-Reform 170 Rechtsfortbildung – Beweislastumkehr 158 – Beweislastverteilung 78 Schutzpflicht 24 – Entstehungsgrund 48 – Pflichtverletzung 26

Sphärengedanke 102 – Auswirkung, Beweislastverteilung 114 – Beweisrechtsdogmatik 105 – Tragweite 104 Substantiierungslast 91 Tatsache – innere 144 – negative 146 Unmöglichkeit – Begriff 56 – Zeitpunkt 136 Vermutung – §§ 280 Abs. 1 Satz 2, 311a Abs. 2 Satz 2 BGB 82 – tatsächliche 81 – unwiderlegliche 81 – widerlegliche 80 – Wirkung 84 Verschuldensprinzip 35 Vertretenmüssen – Bezugspunkt, anfängliche Unmöglichkeit 64 – Bezugspunkt, nachträgliche Unmöglichkeit 36 Vorlageanordnung – Augenscheinsobjekt 176 – Urkunde 176 Zurechnungsgrund, Defintion 18